Die groae kosmologische Kontroverse: Rekonstruktionsversuche anhand des Itinerarium exstaticum von Athanasius Kircher SJ (1602-1680) 3515087311, 9783515087315

Die an Kontroversen reiche Geschichte der Wissenschaften duerfte keine Auseinandersetzung kennen, die heftiger und einsc

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Die groae kosmologische Kontroverse: Rekonstruktionsversuche anhand des Itinerarium exstaticum von Athanasius Kircher SJ (1602-1680)
 3515087311, 9783515087315

Table of contents :
Inhalt
VORWORT
1. EINFÜHRUNG IN KIRCHERS ITINERARIUM EXSTATICUM
1.1. WERK UND WERKGESCHICHTE
1.1.1. Überblick
1.1.2. Entstehung und Zensur
1.1.3. Veröffentlichung und Skandal
1.1.2. Kirchers Itinerarium exstaticum in Schotts Würzburger Ausgabe
1.2. KONTEXT UND ZIEL DES WERKES
2. DIE COPERNICANISCHEN DIMENSIONEN DES KIRCHERSCHEN KOSMOS
2.1. DIE ENTFERNUNG DER STERNE UND KIRCHERS ABSICHERUNG
2.2. KIRCHERS ZUGESTÄNDNIS AN DIE COPERNICANER
2.3. DIE ENDLICHE WELT
3. DER PRIMUS MOTUS – PRÜFSTEIN DER GEOSTATIK
3.1. DAS ACHILLESARGUMENT(RICCIOLI)
3.2. KIRCHERS VELOCITAS FIXARUM
3.3. DAS FLIEHKRAFTARGUMENTVS. PRIMUS MOTUS
3.4. KIRCHERS LÖSUNG FÜR DEN PRIMUS MOTUS
3.5. DAS PTOLEMAIOSARGUMENT(COPERNICUS), GALILEI UND DIE BESTIMMUNG DER ZENTRIFUGALKRAFT
4. DIE FIXSTERNPARALLAXE – PROBIERSTEIN DER HELIOZENTRIK
4.1. DIE PATTSITUATION IN DER KOSMOLOGISCHEN KONTROVERSE
4.2. DAS HEIMLICHE RINGEN DER COPERNICANER: GALILEI AUF DER PARALLAXENSUCHE
4.3. EIN NEUES BILD VON DEN STERNEN
4.3.1. Die Sterne im Kircherschen Kosmos
4.3.2. Kritiker
4.3.3. Quellen für Kirchers unzeitgemäße Sternenwelt
4.4. KIRCHERS STERNE VS. FIXSTERNPARALLAXE
4.4.1. Eine Sternenbotschaft an die Copernicaner
4.4.2. Kreisende Sterne vs. direkte Parallaxenbeobachtung
4.4.3. Sternensysteme vs. relative Parallaxenmessung
4.5. DIE WEITERE PARALLAXENSUCHE VON HOOKE BIS BRADLEY
5. ZUSAMMENFASSENDE AUSWERTUNG
5.1. DAS NOVUM SYSTEMA ALS KOSMOLOGISCHE INTERVENTION
5.2. REKONSTRUKTION UND KRITIK DER KONTROVERSE
6. SCHLUSS
ANHANG
EIN ERSTER ANSTOSS ZUR TYCHONISCHEN STELLARASTRONOMIE: DIE MATHEMATA ASTRONOMICA DES JOHANN BAPTIST CYSAT SJ (15871657)
UNVERÖFFENTLICHTE DOKUMENTE
Jesuitische Zensurberichte
Die Mira Kircheri in suo Itinerario exstatico
VERZEICHNISSE
QUELLEN
ABBILDUNGEN
NAMEN

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Harald Siebert

Die große kosmologische Kontroverse Rekonstruktionsversuche anhand des Itinerarium exstaticum von Athanasius Kircher SJ (1602–1680)

Wissenschaftsgeschichte Franz Steiner Verlag

Boethius Band 55

Die große kosmologische Kontroverse

Boethius ---------------------------------Texte und Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften

Begründet von Joseph Ehrenfried Hofmann, Friedrich Klemm und Bernhard Sticker Herausgegeben von Menso Folkerts

Band 55

Harald Siebert

Die große kosmologische Kontroverse Rekonstruktionsversuche anhand des Itinerarium exstaticum von Athanasius Kircher SJ (1602–1680)

Franz Steiner Verlag 2006

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten können im Internet über abgerufen werden. ISBN-10: 3-515-08731-1 ISBN-13: 978-3-515-08731-5

Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. © 2006 by Franz Steiner Verlag GmbH Stuttgart. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Druck: Printservice Decker & Bokor, München Printed in Germany

Inhalt

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Vorwort............................................................................................................... 7 1. Einführung in Kirchers Itinerarium exstaticum ................................................ 9 1.1. Werk und Werkgeschichte ................................................................. 11 1.1.1. Überblick .................................................................................. 11 1.1.2. Entstehung und Zensur .............................................................. 18 1.1.3. Veröffentlichung und Skandal ................................................... 25 1.1.3.1. Erste Reaktionen............................................................... 25 1.1.3.2. Auslöser ........................................................................... 29 1.1.3.3. Spuren .............................................................................. 39 1.1.2. Kirchers Itinerarium exstaticum in Schotts Würzburger Ausgabe ................................................ 44 1.2. Kontext und Ziel des Werkes ............................................................. 48 2. Die copernicanischen Dimensionen des Kircherschen Kosmos ...................... 67 2.1. Die Entfernung der Sterne und Kirchers Absicherung ........................ 69 2.2. Kirchers Zugeständnis an die Copernicaner........................................ 76 2.3. Die endliche Welt .............................................................................. 83 3. Der primus motus –Prüfstein der Geostatik ................................................... 87 3.1. Das Achilles-Argument (Riccioli) ...................................................... 89 3.2. Kirchers velocitas fixarum ................................................................105 3.3. Das Fliehkraft-Argument vs. primus motus .......................................110 3.4. Kirchers Lösung für den primus motus..............................................123 3.5. Das Ptolemaios-Argument (Copernicus), Galilei und die Bestimmung der Zentrifugalkraft ..........................................132 4. Die Fixsternparallaxe –Probierstein der Heliozentrik ...................................155 4.1. Die Patt-Situation in der kosmologischen Kontroverse......................157 4.2. Das heimliche Ringen der Copernicaner: Galilei auf der Parallaxensuche .........................................................165 4.3. Ein neues Bild von den Sternen.........................................................190 4.3.1. Die Sterne im Kircherschen Kosmos ........................................191 4.3.1.1. Stellare Vielfalt................................................................191 4.3.1.2. Polyzentrik ......................................................................197 4.3.1.3. Die gebannte Vielheit der Welten ....................................203

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Inhalt

4.3.2. Kritiker ....................................................................................208 4.3.2.1. Mira Kircheri, Dubitationes aliquot, Kaspar Schott .........209 4.3.2.2. Otto von Guericke: die einfache Sternenwelt der Copernicaner ......................212 4.3.3. Quellen für Kirchers unzeitgemäße Sternenwelt .......................219 4.3.3.1. Kirchers kosmische Perikyklosis......................................219 4.3.3.2. Belegstellen und Ideengeber ............................................226 4.3.3.3. Antonius Maria Schyrleus de Rheita: Mehrfachsterne, bewegte Sterne und ein Streit.................232 4.4. Kirchers Sterne vs. Fixsternparallaxe ................................................250 4.4.1. Eine Sternenbotschaft an die Copernicaner...............................250 4.4.2. Kreisende Sterne vs. direkte Parallaxenbeobachtung ................257 4.4.3. Sternensysteme vs. relative Parallaxenmessung ........................265 4.5. Die weitere Parallaxensuche von Hooke bis Bradley .........................276 5. Zusammenfassende Auswertung...................................................................295 5.1. Das novum systema als kosmologische Intervention..........................295 5.2. Rekonstruktion und Kritik der Kontroverse.......................................305 6. Schluss .........................................................................................................310 Anhang.............................................................................................................315 Ein erster Anstoß zur tychonischen Stellarastronomie: die Mathemata astronomica des Johann Baptist Cysat SJ (1587-1657) ....317 Unveröffentlichte Dokumente..................................................................326 Jesuitische Zensurberichte..................................................................326 Zensur des Itinerarium exstaticum (08.11.1655)...........................326 Bestätigung über die erfolgten Korrekturen (13.11.1655) .............327 Rückblick auf den Skandal von 1656 (07.05.1657).......................328 Stellungnahme zu anonymen Vorwürfen (ca.1659/60) .................329 Die Mira Kircheri in suo Itinerario exstatico .....................................334 Verzeichnisse ...................................................................................................351 Quellen....................................................................................................351 Abbildungen............................................................................................378 Namen .....................................................................................................379

VORWORT Die im Juli 2004 an der Fakultät I der Technischen Universität Berlin sowie an der Université de Paris I (Panthéon-Sorbonne, UFR09) eingereichte Dissertation ist das Ergebnis eines Promotionsvorhabens mit dem anfänglichen Arbeitstitel „Athanasius Kirchers Rolle in der Wissenschaft“. Die hier vorliegende Arbeit deckt sich nur ausschnitthaft mit den Forschungen, die zu ihrem Werden unternommen wurden. Sie ist nicht auf direktem Wege entstanden, sondern verdankt sich der Summe eigener wie fremder Irrtümer, Sackgassen, Nebenschauplätzen, Versuchen, Probebohrungen und Erkundungen. Hierbei waren Hilfe und Zuspruch Vieler unerlässlich, die damit mittelbar ihren Beitrag zu ihr geleistet haben. Die Doktorarbeit selbst (deren These auf Seite 66 formuliert wird) konnte schließlich nach immer wieder wechselndem Gewand in ihrer endgültigen Konzeption in einem Zug verwirklicht werden. Dem Land Berlin danke ich für das zweijährige Stipendium nach dem Gesetz zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses (NaFöG). Zugleich konnte ich dank NaFöG ein Stipendium für einen Forschungsaufenthalt in Rom durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst erhalten (DAAD). Neben meinem Doktorvater Prof. Eberhard Knobloch, dessen Vorlesungen und Seminare an der Technischen Universität Berlin Voraussetzung und persönlicher Ansporn für die Dissertationsschrift in vorliegender Form waren, möchte ich den Beisitzern meines binationalen Promotionsverfahrens danken: Prof. Pietro Corsi (Université de Paris I, Panthéon-Sorbonne), Prof. Jean Dhombres (EHESS, Paris), Prof. François de Gandt (Université Charles de Gaulle Lille III), Prof. Karin Reich (Universität Hamburg). In alphabetischer Reihenfolge spreche ich allen meinen Dank aus, die mich ein kurzes Stück auf den verschiedenen Wegen meiner Arbeit begleitet haben: Prof. Víctor Navarro Brotóns, Prof. Rainer Cadenbach, Inga Elmqvist, Prof. Paula Findlen, Dr Rita Haub, Prof. Trevor Johnson, Prof. Antonella Romano, Dr Dietrich Unverzagt, Prof. Hans-Joachim Vollrath. Mein besonderer Dank gilt denjenigen, die unmittelbar Anteil an dem Werden und insbesondere Fertigwerden dieser Arbeit hatten: Patricia Toppe vor allen, Ingrid Siebert, Dr Arthur Toppe und Christoph Plasch. Herrn Prof. Menso Folkerts möchte ich herzlich danken, dass er die vorliegende Arbeit in die Reihe ‘Boethius’des Franz Steiner Verlages aufnahm und ihrem Erscheinen somit einen herausragenden Platz einräumte. Der VG Wort danke ich für die Finanzierung der Druckkosten. Die Übersetzungen der fremdsprachigen Zitate stammen vom Verfasser vorliegender Arbeit. Den Untersuchungsgegenstand ‘Athanasius Kircher ’ verdanke ich meinem Doktorvater Prof. Eberhard Knobloch. Die prinzipielle Fragestellung der vorliegenden Arbeit ist schon in ihren frühen Anfängen dem Staunen darüber entsprungen, dass trotz seiner umfangreichen Produktion an wissenschaftlichen Werken, trotz seiner Berühmtheit zu Lebzeiten, seiner Vielgelesenheit auch seitens derje-

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Vorwort

nigen, die heute noch als feste Größen in der Wissenschaft des 17. Jahrhunderts gelten, Kircher scheinbar ohne Wirkung blieb. Rückblickend müssen wir diesen Eindruck gewinnen. Denn Kirchers enzyklopädisches Schaffen findet keinen eigenen Platz in der Chronologie des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, als dessen Gegenpol vielmehr der Jesuit und Universalgelehrte erscheint. Er wird als Antiheld der Wissenschaftlichen Revolution gehandelt, deren tragende Figuren weithin bekannt sind. Die Heroen des wissenschaftlichen Aufbruchs aber kannten alle den heute in der Wissenschaftsgeschichte indes fast unbekannten Kircher, und er wiederum überstrahlte sie alle an Bekanntheit in seiner Zeit. An einer Figur wie Kircher lässt sich sehen, dass der wissenschaftliche Diskurs tatsächlich vielstimmig war und nicht allein von den großen Entdeckern und Erfindern unter sich geführt wurde. Dass darin gerade Kircher mit seinen weit verbreiteten Werken ohne Einfluss geblieben wäre, schien daher unwahrscheinlich. Zur Randfigur wird er erst in einer Rückschau, die denjenigen Stimmen aus der ‘Gelehrtenrepublik’, der scientific community vergangener Jahrhunderte, größeres Gewicht verleiht, die Neues und Bedeutendes geliefert haben. Diese Wertung erfolgt jedoch im Nachhinein nach später aufgestellten Maßstäben und nach Maßgabe der uns bekannten Zusammenhänge. Wie in der vorliegenden Arbeit zu sehen, lassen sich unser geschichtliches Wissen und damit unsere Bewertung der wissenschaftlichen Entwicklung bereichern bzw. korrigieren, indem man sich auf diese Vielstimmigkeit einlässt. Hierbei kommen die scheinbaren Randfiguren des Fortschritts aber nicht isoliert zu Wort, nicht um sie gleichsam nur als Sonderlinge zu würdigen, sondern im Kontext des wissenschaftlichen Diskurses kreisend um ein großes Thema. Kein größeres vielleicht hat es in der westlichen Wissensgeschichte je gegeben als die kosmologische Frage: Steht die Erde im Mittelpunkt der Welt oder dreht sie sich um die Sonne? Im nun Folgenden wollen wir uns von Kirchers kosmologischem Hauptwerk führen lassen und uns in die heiße Phase dieser zwei Jahrhunderte währenden Auseinandersetzung begeben, deren Verlauf, deren Märtyrer, deren Mythen das Bild vom wissenschaftlichen Westen schufen und damit prägend für unser modernes Selbstverständnis sind. Agedum ! München, im Januar 2006 Harald Siebert

Wohlan !

1. EINFÜHRUNG IN KIRCHERS ITINERARIUM EXSTATICUM

Aures toto mentis conatu arrige, magnum enim tibi pandam mysterium hucusque forsan inauditum. Kircher, Itinerarium, 273 (Iter, 354)

Abb. 1 –Frontispiz der Würzburger Ausgabe von Kirchers ‘Ekstatischer Reise’ aus: Kaspar Schott (Hg.), Iter extaticum coeleste, Würzburg, 1660 siehe hierzu in vorliegender Arbeit S. 48, 298 f.

1.1. WERK UND WERKGESCHICHTE 1.1.1. Überblick Eine ‘Ekstatische Reise’, auf die wir uns hier einlassen wollen, sollte zumindest nüchtern begonnen werden. Es tut durchaus Not, sich Klarheit zu verschaffen über dieses Itinerarium exstaticum, das Kircher der Jesuit, aus dem fuldaischen Geisa stammend und in Rom weltberühmt geworden, 1 seiner Mitwelt vorlegt. Denn eher turbulent gestaltet sich die Geschichte dieses Werkes, dessen verschiedene Ausgaben zusätzlich für Verwirrung sorgen. Im Jahre 1656 veröffentlichte Athanasius Kircher in Rom sein Itinerarium exstaticum, einen ‘Ekstatischen Reisebericht’, wie der Titel des Buches verkündet.2 Dieses kosmologische Werk, verfasst in Form eines zweiteiligen Dialoges,

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„Spitze die Ohren mit aller Geisteskraft, denn ein großes Geheimnis werde ich dir eröffnen, ein bisher vielleicht nie gehörtes.“ Kirchers posthum veröffentlichte Autobiographie („Vita admodum Reverendi P. Athanasii Kircheri“[pp. 78 in-8° als Anhang], in: Fasciculus epistolarum, hg. von Ambrosius Langenmantel, Augsburg: Utzschneider, 1684) liegt in deutscher Übersetzung vor: Selbstbiographie des Athanasius Kircher aus der Gesellschaft Jesu, übers. von Nikolaus Seng, Fulda: Fuldaer Actiendruckerei, 1901. Der Autobiographie Kirchers folgen die meisten biographischen Darstellungen; siehe Übersicht in: Wilhelm Ritz, Athanasius Kircher (1602-1680) und seine Vaterstadt Geisa/Rhön. Zum 400. Geburtstag des großen Universalgelehrten, Geisa: Rhönklub-Zweigverein Geisa, 2002, S. 112. Dies gilt auch für die bisher einzig erschienene Gesamtbiographie: Conor Reilly (sj), Athanasius Kircher S.J., Master of a Hundred Arts, 16021680 [1953], Wiesbaden: Edizioni del Mondo, 1974. Kritische Untersuchungen zu Kirchers Leben und Lebensbericht von: Berthold Jäger, „Athanasius Kircher, Geisa und Fulda. Zur Herkunft der Familie, zur Geschichte der Vaterstadt und zur politisch-religiösen Situation im Stift Fulda um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert“, in: Horst Beinlich / Hans-Joachim Vollrath / Klaus Wittstadt (Hgg.), Spurensuche. Wege zu Athanasius Kircher, Dettelbach: Röll, 2002, S. 9-40; Martha Baldwin, „Reverie in Time of Plague. Athanasius Kircher and the Plague Epidemic of 1656“, in: Paula Findlen (Hg.), Athanasius Kircher. The Last Man Who Knew Everything, London: Routledge, 2004, S. 63-77; Harald Siebert, „Biographische Selbstdarstellung und kosmologisches Bekenntnis: Kircher auf dem Weg nach Rom (1631-1633)“, in: Berthold Jäger (Hg.), Athanasius Kircher (1602–1680). Jesuit und Universalgelehrter, (‘Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte’), 2006 [im Druck]. Im Folgenden als Itinerarium oder Itin. zitiert: ATHANASII KIRCHERI [/] E SOC. IESU [/] ITINERARIUM [/] EXSTATICUM [/] QUO [/] MUNDI OPIFICIUM [/] ID EST [/] Coelestis expansi, siderumque tam errantium, quam [/] fixorum natura, vires, proprietates, singulorum[/]que compositio & structura, ab infimo Telluris globo, [/] usque ad ultima Mundi confinia, per ficti raptus [/] integumentum explorata, nova hypothesi [/] exponitur ad veritatem [/] INTERLOCUTORIBUS [/] COSMIELE ET THEODIDACTO [/] AD [/] SERENISSIMAM [/] CHRISTINAM [/] ALEXANDRAM [/] Suecorum, Gothorum, & Wandalorum [/] Reginam. [/] ROMÆ, Typis Vitalis Mascardi, Anno 1656. [/] SUPERIORUM PERMISSU (im Internet unter http: //diglib.hab.de/wdb.php?dir=drucke/6-3-quod-1). Diesem Werk gewidmete Untersuchungen: Barbara Bauer [Mahlmann], „Copernicanische Astronomie und cusanische Kosmologie in Athanasius Kirchers «Iter exstaticum»“, Pirckheimer Jahrbuch, 5, (1989/90), S. 69-107; Carlos Ziller Camenietzki, „L'Extase interplanétaire d'Athanasius Kircher. Philosophie, Cosmologie et discipline dans la Compagnie de Jésus au XVIIe siècle“, Nuncius, 10/1 (1995), S. 3-32, hier S. 20-27; Trevor Johnson, „Jesuit Space-Travel in the Age of Galileo.

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1. Einführung

handelt von einer geträumten Weltraumreise, auf der wir zwei Kosmonauten in ihren Gesprächen begleiten, den Gottesschüler Theodidactus und seinen himmlischen Führer Cosmiel. An deren Reiseerlebnissen können wir überdies unmittelbar teilhaben: Ein Ich-Erzähler schaltet sich an zahlreichen Stellen des Dialoges ein. Obgleich er die Perspektive des Gottesschülers wiedergibt, meldet er sich unter dem Namen beider Kosmonauten zu Wort.3 Im darauf folgenden Jahr ebenfalls in Rom erscheint Kirchers ‘Zweite Ekstatische Reise’unter dem Titel Iter extaticum II.4 In fortgesetzter Dialogform beginnt Theodidactus eine neue Traumreise. Auf ihr wird er wiederum von Cosmiel geführt, ihr Ziel ist diesmal aber das Innere der Erde und der Meeresgrund. 5 Diese beiden ‘Ekstatischen Reisen’sind die einzigen Dichtungen, die Kircher – Mathematikprofessor am Collegio Romano, von seinem Orden aber zum Schreiben freigestellt –unter den etwa dreißig zu seinen Lebzeiten erschienenen Werken verfasst hat.6 Beide ‘Ekstatischen Reisen’wurden 1660 in Würzburg von Kaspar Schott S.J. (1608-1666), Kirchers Mitarbeiter, Freund und einstigem Schüler, in einem Buch zusammen herausgegeben. In dieser Würzburger Ausgabe erhalten beide Reisen einen neuen, prägnanteren Titel: Aus dem römischen Itinerarium exstaticum wird die ‘Ekstatische Weltraumreise’(Iter extaticum coeleste); deren Fortsetzung, das Iter extaticum II, wird in ‘Ekstatische Erdreise’umbenannt (Iter exstaticum terrestre).7 Nach dem Tode Schotts erscheint dessen Gesamtausgabe

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Athanasius Kircher’s Ecstatic Voyage of 1656“, [unveröffentlicht] (eingereicht zum ‘Reformation Studies Colloquium, Warwick University, April 2000’); H. Siebert, „Vom römischen Itinerarium zum Würzburger Iter –Kircher, Schott und die Chronologie der Ereignisse“, in: H. Beinlich u.a. (2002b), 163-188;. Zu der genauen Übersetzung des Titels sowie zu der in der vorliegenden Arbeit gewählten Sprachregelung siehe unten S. 14 und ebd., Anm. 10. Zu diesem Ich-Erzähler siehe weiter unten S. 47. ATHANASII KIRCHERI [/] E SOC. IESU [/] ITER EXTATICUM II [/] Qui & Mundi Subterranei [/] PRODROMUS dicitur. [/] QUO [/] GEOCOSMI OPIFICIUM [/] SIVE [/] Terrestris Globi Structura, una cum abditis [/] in ea constitutis arcanioris Naturae Re-[/]conditorijs, per ficti raptus inte-[/]gumentum exponitur ad [/] veritatem. [/] In III. Dialogos distinctum. [/] AD SERENISSIMUM [/] LEOPOLDUM IGNATIUM [/] Hungariae, & Bohemiae Regem. [/] ROMAE, Typis Mascardi. M.DC.LVII. [/] SUPERIORUM PERMISSU. Kirchers geologische Vorstellungen bekommt Theodidactus zunächst in einem ersten Traum ausführlich von dem Wassergeist Hydriel erklärt (Dialog I), bevor er von Cosmiel geführt in einem zweiten Traum die Reise antritt (Dialoge II und III). Zählt man zu Kirchers Produktion Neuauflagen und Nachdrucke mit ein, kann man auf eine Zahl von 45 Drucken kommen, ohne Übersetzungen und posthume Veröffentlichungen. Doch sind die Angaben hierüber sowie die Zählweise schwankend (und keine Liste ist für sich allein genommen komplett): DeBS, IV: 1046-1077; Maristella Casciato/ Maria Grazia Ianniello/ Maria Vitale (Hgg.): Enciclopedismo in Roma Barocca. Athanasius Kircher e il Museo del Collegio Romano tra Wunderkammer e museo scientifico, Venedig: Marsilio Editori, 1986, S. 361-363; Eugenio Lo Sardo (Hg.), Athanasius Kircher. Il Museo del Mondo, Rom: Edizioni De Luca, 2001, S. 25-28; Horst Beinlich/ Christoph Daxelmüller / Hans-Joachim Vollrath / Klaus Wittstadt, Magie des Wissens. Athanasius Kircher 1602-1680. Universalgelehrter. Sammler. Visionär, Dettelbach: Röll, 2002, S. 203-209. Diese Ausgabe wird im Folgenden als Iter oder It. zitiert: R. P. [/] ATHANASII KIRCHERI [/] E SOCIETATE JESU [/] ITER EXTATICUM [/] COELESTE, [/] Quo Mundi opificium, id est, Coelestis Expansi, siderumq; [/] tam errantium, quam fixorum natura, vires, proprietates,

1.1. Werk und Werkgeschichte

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der Reisen nochmals in Würzburg 1671. 8 Diese in der Seitenzählung zwar identische Neuauflage ist im Text nicht völlig übereinstimmend mit der Ausgabe von 1660.9

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singulo-[/]rumq; compositio & structura, ab infimo Telluris globo, usq; ad ultima [/] Mundi confinia, per ficti raptus integumentum explorata, [/] nova hypothesi exponitur ad veritatem, [/] INTERLOCUTORIBUS [/] COSMIELE ET THEODIDACTO: [/] Hac secunda editione Praelusionibus & Scholiis illustra-[/]tum; ac schematismis necessariis, qui deerant, exornatum; nec [/] non a mendis, quae in primam Romanam editionem irre-[/]pserant, expurgatum, [/] IPSO AUCTORE ANNUENTE, [/] A [/] P. GASPARE SCHOTTO [/] REGISCURIANO E SOCIETATE JESU, [/] Olim in Panormitano Siciliae, nunc in Herbipolitano [/] Franconiae Gymnasio ejusdem SOCIETATIS JESU [/] Matheseos Professore. [/] Accessit ejusdem Auctoris [/] ITER EXSTATICUM TERRESTRE [/] & [/] SYNOPSIS MUNDI SUBTERRANEI. [/] HERBIPOLI [/] Sumptibus Joh. Andr. & Wolffg. Jun. Endterorum haeredibus, [/] Prostat Norimbergae apud eosdem. [/] ANNO M.DC. LX (im Internet: http: //brunelleschi.imss.fi.it/bd/?autore=Kircher). R. P. [/] ATHANASII KIRCHERI [/] E SOCIETATE JESU [/] ITER EXSTATICUM [/] COELESTE, [/] Quo Mundi opificium, id est, Coelestis Expansi, siderumque [/] tam errantium, quam fixorum natura, vires, proprietates, singulo- [/] rumque compositio & structura, ab infimo Telluris globo, usque ad [/] ultima Mundi confinia, per ficti raptus integumentum explorata, [/] nova hypothesi exponitur ad veritatem, [/] INTERLOCUTORIBUS [/] COSMIELE ET THEODIDACTO: [/] Hac secunda editione Praelusionibus & Scholiis illustra-[/] tum; ac schematismis necessariis, qui deerant, exornatum; nec [/] non a mendis, quae in primam Romanam editionem [/] irrepserant, expurgatum, [/] IPSO AUCTORE ANNUENTE, [/] A [/] P. GASPARE SCHOTTO [/] REGISCURIANO E SOCIETATE JESU, [/] Olim in Panormitano Siciliae, nunc in Herbipolitano [/] Franconiae Gymnasio ejusdem SOCIETATIS JESU [/] Matheseos Professore. [/] Accessit ejusdem Auctoris [/] ITER EXSTATICUM TERRESTRE, [/] & [/] SYNOPSIS MUNDI SUBTERRANEI. [/] HERBIPOLI, [/] Sumptibus JOHANNIS ANDREAE ENDTERI, & [/] WOLFGANGI JUNIORIS Haeredum. [/] Prostat Norimbergae apud eosdem. [/] ANNO M. DC. LXXI. Die Schreibweise von ‘ex(s)taticum’ ist uneinheitlich auf den Titelseiten der verschiedenen Ausgaben, während im Text derselben durchgängig ‘exstaticum’steht. Vgl.: Itinerarium exstaticum (Rom, 1656); Iter extaticum II (Rom, 1657); Iter extaticum coeleste [… ] accessit [...] Iter exstaticum [sic] terrestre (Würzburg, 1660); Iter exstaticum coeleste [...] accessit [...] Iter exstaticum terrestre (Würzburg, 1671); auf dem Frontispiz beider Würzburger Ausgaben steht Iter exstaticum Kircherianum. In den Zensurberichten findet sich meist ‘extaticum’. Weitere aber kaum greifbare (und offenbar unvollständige) Ausgaben des 18. Jahrhunderts sind in der heutigen Slowakei erschienen. Zu nennen sind hier laut DeBS, IV: 1057: Itinerarii exstatici pars prima quo… , Theodidacto, Kaschau: Repressa typis acad. Soc. Jesu, 1753, 4°, pp. 152; Itinerarii exstatici pars secunda, qua geocosmi [… ] in tres dialogos distincta. Interlocutoribus Cosmiele, et Theodidacto, Kaschau: Repressa typis acad. Soc. Jesu, 1753, 4°, pp. 116; Itinerarium exstaticum II, Kaschau: Repressa typis acad. Soc. Jesu, 1753, 4°. Daneben sind wiederum nicht vollständige Ausgaben aus der Slowakei erhalten in Dissertationen des 18. Jahrhunderts: P. Athanasii Kircheri Societatis Jesu Extaticum Caeleste. Interlocutoribus Cosmiele et Theodidacto. Dialogus I, Trnava: typis Acad. per Fridericum Gall, 1729, 12°, pp. 468 (laut DeBS, IV: 1056-1057); Iter extaticum II. In mundum subterraneum. Dialogus III, Trnava: Fredericus Gall, 1729, 8°, [+2] pp. 106 [+4] (nachgewiesen in: BSBM, Sign.: Diss. 138). In der Neuauflage von 1671 fehlen zwei unpaginierte Seiten aus der 1660er Ausgabe: Der klärende Hinweis des Buchhändlers an den Leser („Bibliopolae Monitio ad Lectorem“) am Anfang sowie der Werbehinweis Schotts („Lectori meo“) auf der letzten Seite des Buches (zusammen mit den Errata). Druckfehler schlichen sich 1671 ein, so in Schotts Einleitung: It., 2: „22 Nov. An. 1685“ (1671) anstelle von „22 Nov. An. 1658“ (1660); und It., 3: „liberioris curae captandae“(1671) anstelle von „liberioris aurae captandae“(1660). Auch

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1. Einführung

Aus Gründen, die am Ende dieser Einführung dargelegt werden (S. 44 ff.), führt die vorliegende Arbeit für alle Zitate aus der Ekstatischen Reise den Text der römischen Originalausgabe von 1656 an. Alle Stellenverweise sind zugleich für die Würzburger Ausgabe nachgewiesen, deren Text ausschließlich nach der ersten Auflage von 1660 zitiert wird. Der eingedeutschte Titel ‘Ekstatische Reise’10 bezieht sich auf das kosmologische Werk ohne Unterschied der Ausgabe, das 1656 erstmals unter dem Titel Itinerarium exstaticum erschien.11 Die Geschichte der großen kosmologischen Kontroverse ist noch nicht geschrieben. Nur Geschichten, Episoden, Ausschnitte sind daraus bekannt. Sie gilt es auch mit dieser Arbeit zu vermehren. Diese große Kontroverse endet nicht mit Newtons Principia mathematica (1687) und hatte schon begonnen, als Kircher selbst das Licht der Welt erblickte. Kein Werk des 17. Jahrhunderts von astronomisch kosmologischem Gehalt vermochte sich ihr zu entziehen. Sie teilte die gelehrte Welt in die zwei großen Lager, Verteidiger der Geozentrik und Anhänger des Nicolaus Copernicus (1473-1543). Infolge der päpstlichen Dekrete der Jahre 1616 und 1633 war aus der Auseinandersetzung um das richtige Weltbild eine Spaltung geworden, verhärtet durch das Schicksal Galileis. Zu dessen Verurteilung hatte sein 1632 erschienenes Buch über die Weltsysteme geführt, der Dialogo. Einen Dialog über den Weltenbau („MUNDI OPIFICIUM“) schreibt zwanzig Jahre später Kircher, ein Anhänger gerade jenes Ordens, dem seinerzeit, wenngleich zu Unrecht, die Hauptschuld für den Fall Galileis zugewiesen wurde. Für diesen kosmologischen Dialog der Gegenseite scheint der Rahmen fest gesteckt. Denn die Jesuiten schworen dem Papst eigens Treue und ihre Ordensdisziplin galt als besonders streng. Für alle Mitglieder wurde verbindlich vorgeschrieben, welche Meinungen ihnen in Wort kam es 1671 dazu, dass im Text der Dialoge eine ganze Zeile ausfiel: „mensorio huic baculo. Theod. Applicui. Cosmiel. Quid vides?“–diese Zeile findet sich nur in Iter (1660) 348 (Itin., 266) und fehlt in It. (1671). Durch diese Unterschiede weicht die Würzburger Neuauflage sowohl von ihrer Vorlage wie auch von der römischen Orginalausgabe der Ekstatischen Reise ab. Diese Zufallsfunde genügen, um weitere Fehler im Text von 1671 zu befürchten. Als Referenz für die Würzburger Ausgabe oder gar Ersatz für die römische Originalausgabe der Ekstatischen Reisen kann sie damit nur zweite Wahl sein. 10 Der Titel der römischen Erstausgabe ist mit ‘Ekstatischer Reisebericht’oder ‘Ekstatische Wegbeschreibung’zu übersetzen, entsprechend der Bedeutung, die das lateinische ‘itinerarium’im französischen ‘itinéraire’oder englischen ‘itinerary’bewahrt hat. Bereits bei der Wahl dieses Titels zeigt sich Kircher zurückhaltender als Schott, der auch sonst die Grenze zwischen Träumendem und Traum bzw. Reise verwischt, wie weiter unten noch zu sehen sein wird (S. 47 f.). 11 Das Itinerarium exstaticum bildet ein eigenständiges abgeschlossenes Werk. Der große Erfolg desselben dürfte Kircher dazu veranlasst haben, eine Fortsetzung folgen zu lassen, die zugleich Werbung machte für sein erst 1665 erschienenes Hauptwerk, den Mundus subterraneus. Zu dieser Werbung und ihrem Erfolg siehe weiter unten Anm., S. 223. Beide Reisen zusammengenommen ergeben eine literarische Exploration, die Phänomene des Himmels wie der Erde vereint – eine kosmische Gesamtschau, wie sie Vorläufer in Senecas Naturales quaestiones und Ausläufer in Alexander von Humboldts Kosmos (1845-1862) hat. Allein das Ziel der vorliegenden Arbeit ist ein anderes, weswegen die Zweite Ekstatischen Reise hierfür nicht in Betracht kommt.

1.1. Werk und Werkgeschichte

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und Schrift verboten waren. Für eine literarische Erkundung des Weltenbaus dürfte somit Kirchers Spielraum absehbar und nicht gerade groß gewesen sein, sollte sich dieses Bild vom Jesuitenorden – diese feste Einheitlichkeit der Lehre (soliditas et uniformitas doctrinae) –in seinem Fall bewahrheiten. Angemerkt sei nur vorweg, dass ebendiesem Bild Kircher selbst versucht hatte entgegenzuwirken, als er in der Provence nach seiner kriegsbedingten Flucht aus Würzburg, aufgenommen in den Kreis von Freunden Galileis, mit der schockierenden Nachricht von dessen Verurteilung konfrontiert wurde.12 Kirchers Ekstatische Reise erzählt von den Erlebnissen und Erfahrungen, die Cosmiel und Theodidactus auf ihrem Weg durch das Universum machen. Die Schilderung dieser fiktiven Weltraumreise bietet Kircher Gelegenheit, all die Aufsehen erregenden Entdeckungen zu thematisieren, die in den vorangegangenen vierzig Jahren dank der Erfindung des Teleskops (1608) gemacht werden konnten. Den Hintergrund für die Geschichte bildet ein Traum des Autors. Während der Darbietung dreier unvergleichlicher Musiker („quos [… ] aevi nostri Orpheos dicam“), die in den Räumen des Museum Kircherianum eine Kostprobe ihres Könnens nur ihm als einzigem Zuhörer geben wollten, verfällt der entschlummernde Kircher in einen tranceartigen Zustand musikalischer Entrückung.13 Hier erscheint ihm der Engel Cosmiel, der den himmlischen Auftrag hat, dem träumenden Kircher alias Theodidactus, die allmächtige Größe Gottes in den Werken dieser Welt sehen zu lassen, soweit es dem Auge eines Sterblichen eben erlaubt ist.14 Die Erde auf Engelsschwingen verlassend beginnen die beiden ihre Reise beim Mond, kommen zu Venus und Merkur, gelangen zur Sonne, ihrer vierten Reisestation, wo sie sich ähnlich lange aufhalten wie auf dem Mond. Von der Sonne geht es weiter zum Mars. Danach bleiben nur mehr Jupiter und Saturn als letzte der damals bekannten Planeten. Nach Verlassen des Saturns stoßen die beiden Kosmonauten kurz vor Ende des ersten Dialogs zu den Fixsternen vor. Im Fixsternraum verbringen sie den Rest ihrer Reise und somit den überwiegenden Teil des Werkes. Sie erreichen noch die himmlischen Wasser. Weiter allerdings darf Theodidactus nicht mehr reisen. Er muss sich mit dem begnügen, was Cosmiel ihm zu berichten weiß vom himmlischen Feuer (Empyreum) und dem Nichts des imaginären Raums (spacium imaginarium). 12 Harald Siebert (2006). 13 Jedenfalls wacht Kircher am Schluss des Buches in seinem Museum wieder aus seinem Traum auf (Itin., 443; It., 469). Zu Beginn einleitend heißt es allerdings nur, dass die Musiker in den eigenen vier Wänden („privatos intra parietes“), gleichsam Kircher ein Privatissimum darbieten (Itin., 33; It., 72). Ein solches Konzert soll laut Schott tatsächlich stattgefunden haben, und er bestätigt (leicht korrigierend) die Namen der drei ihm persönlich bekannten Musiker, die Kircher als Marginalie anführt: „Michael Angelus Rosius. Laelius Chorista. Salvator Mazzella“: Itin., 33; It., 73: Schott streicht Kirchers Marginalie und führt die Namen später eigens an: Schott in Iter, 77 (‘Scholium I.’), wobei er „Rossus“ anstelle von Kirchers „Rosius“schreibt. Es handelt sich aber um Michelangelo Rossi (1601 od. 1602 – 1656); zu seiner Mitwirkung bei Kirchers Privatkonzert siehe: Catherine Moore, The Composer Michelangelo Rossi, a ‘Diligent Fantasy Maker’in Seventeenth-Century Rome, New York u. London: Garland, 1993, S. 12-13; für diesen Hinweis danke ich Trevor Johnson. 14 Itin., 36; It., 74.

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1. Einführung

Aus der Abfolge der Reisestationen, auf denen wir Cosmiel und Theodidactus begleiten, ist nicht zu schließen, dass sich Kirchers Ekstatische Reise in einem tychonischen System abspielt. Im copernicanischen würde die Route nicht anders verlaufen, wollte man von der Erde aus ohne Umwege alle Himmelskörper der Reihe nach besuchen. Beide Systeme, das tychonische wie das copernicanische erklären widerspruchsfrei die Himmelsphänomene und sind auch mathematisch gleichwertig. Das fundamental Trennende zwischen beiden liegt in der Frage, ob Erde oder Sonne das Zentrum bilden, d.h. wer sich um wen bewegt. Die Anordnung der Planeten dagegen ist dieselbe. Den Unterschied macht letztlich nur eine vertauschte Umlaufbahn aus: Im Weltbild des dänischen Astronomen Tycho Brahe (1546-1601) bewegt sich die Sonne wie ein Planet um die Erde, während bei Copernicus diese Bahnbewegung der Erde zufällt. Bei Tycho drehen sich Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn gleichfalls um die Sonne, diese jedoch dreht sich ihrerseits um die Erde. Bis auf diesen strittigen Punkt, der den Kern der kosmologischen Frage bildet, ist das tychonische System heliozentrisch. Nur durch die eine entscheidende Bewegung, die vertauscht ist, wird aus ihm ein geo-heliozentrisches. Darüber hinaus aber ist es auch geostatisch, d.h. in ihm dreht sich die Erde nicht um die eigene Achse und besitzt damit eine vollkommene Ruhestellung. Dies aber war eine weitere Voraussetzung dafür, dass das Weltbild des dänischen Protestanten für katholische Astronomen annehmbar werden konnte. Letztlich blieb ihnen keine andere Wahl, nachdem 1611 mit dem gerade erst erfundenen Teleskop der Lauf der Venus um die Sonne offenbar wurde. Denn damit war das aristotelisch ptolemäische System, in dem sich alle Himmelskörper konzentrisch um die Erde drehen, widerlegt (siehe Abb. 2, S. 64, „Fig. I“). Dennoch vollzog sich die Aufnahme des tychonischen Weltbildes nur unter Widerständen, da mit ihm insbesondere die scholastische Vorstellung von festen Schalen, auf denen die Planeten gehalten und geschoben werden, unvereinbar ist. Denn im geoheliozentrischen System des Tycho Brahe schneiden die Planeten Merkur, Venus, Mars und Jupiter in ihrer Bewegung um die Sonne deren eigene Bahn, auf der diese in ihrem Jahreslauf die Erde umkreist (siehe Abb. 2, S. 64, „Fig. IV“). Noch bevor die Lehre des Copernicus erstmals 1616 verboten wurde, fand das Weltbild Tycho Brahes unter Jesuiten seine Anhänger und dies nicht nur in Rom, der Zentrale des Ordens, sondern auch bei Jesuiten-Mathematikern in Mainz. 15 Es setzte sich nur langsam durch, wurde in der Folge aber maßgeblich von jesuitischen Astronomen als Alternative zu Copernicus propagiert. Diese Anstrengungen fanden ihren Höhepunkt in dem 1651 erschienenen Almagestum novum von Giambattista Riccioli (1598-1671). Bis weit in die zweite Hälfte des 17. Jahrhun-

15 James M. Lattis, Between Copernicus and Galileo. Christoph Clavius and the Collapse of Ptolemaic Cosmology, Chicago, 1994, S. 204-205, 208-209, 212; Albert Krayer, Mathematik im Studienplan der Jesuiten. Die Vorlesungen von Otto Cattenius an der Universität Mainz (1610/11), Stuttgart: Franz Steiner, 1991, S. 135-151; Michel-Pierre Lerner, „L’entrée de Tycho Brahe chez les jésuites ou le chant du cygne de Clavius“, in: Luce Giard (Hg.), Les jésuites à la Renaissance. Système éducatif et production du savoir, Paris, 1995, S. 145-185, hier S. 161-163, 166-167.

1.1. Werk und Werkgeschichte

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derts konnte sich das System des Tycho dank dieser Unterstützung seines Erfolges erfreuen, ganz zum Verdruss von so manch aufrechtem Copernicaner. In unserem heutigen Sinne war Kircher kein Astronom, er machte zwar selbst Beobachtungen mit dem Teleskop und dies bereits in Deutschland als Student,16 stellte auch eigene Messungen an. Er stand im Austausch mit den Astronomen seiner Zeit, verfasste selbst aber nie ein astronomisches Buch, bis auf die Ekstatische Reise, die das einzige seiner Werke ist, das ausschließlich der Astronomie und Kosmologie gewidmet ist. Dagegen verbreitete er über das weltweit ausgedehnte Netz seiner Briefkontakte, die Beobachtungen und Messungen anderer, zu denen die astronomischen Größen seiner Zeit zählten, von denen er sich berichten ließ und denen er so wieder zu berichten hatte.17 Wohl in erster Linie wegen dieser Vermittlung von Beobachtungsdaten bezeichnet ihn Riccioli als amicus Uranicus, seinen Himmels- bzw. Astronomiefreund. 18 Zugleich mag Riccioli in dieser Bezeichnung seine Dankbarkeit dafür ausdrücken, dass sein Ordensbruder Kircher sich bei den Oberen für dessen Almagestum novum (1651) eingesetzt hat, um die dafür nötige Druckerlaubnis zu erwirken. 19 Bei dieser Erwähnung im ersten Band seines mehrbändig geplanten Werkes zählt Riccioli auch diejenigen Bücher Kirchers auf, in denen dieser astronomische und kosmologische Themen behandelt. 20 Kirchers Beschäftigung hiermit mag nie nachgelassen haben. Nach Erscheinen der Ekstatischen Reise jedoch schlägt sie sich in neuen Werken nicht mehr nieder.21 16 Am 4. April 1625 beobachtete er in Mainz offenbar zum ersten Mal die Sonnenflecken und später, als er 1633 nach Rom kam, noch des Öfteren zusammen mit seinem Ordensbruder Christoph Scheiner (1575-1650): Kircher, Ars magna lucis (1646) 8. 17 Zu Kircher und Astronomie siehe: John E. Fletcher, „Astronomy in the Life and Correspondence of Athanasius Kircher“, Isis,61 (1970) 52-67; ders., „Kircher and Astronomy: a Postscript“, in: M. Casciato u.a. (1986), 129-138; H. Siebert: „Kircher und die Astronomie“, in: Horst Beinlich u.a. (2002a) 183-190. 18 Riccioli, Almagestum novum (1651) [AN], Bd I: S. xxxia. Uranos ist mythologisch der Vater des Kronos und bezeichnet seit Homer physikalisch den Himmel; Urania (Himmlische), ist die Muse der Astronomie. 19 Riccioli (Bologna) an Kircher (Rom), Briefe vom 22.12.1646 sowie vom 26.02.1647, in: Ivana Gambaro, „Astronomia e Tecniche di Ricerca nelle Lettere di G. B. Riccioli ad A. Kircher“, Quaderni del Centro di studio sulla storia della tecnica del Consiglio Nazionale delle Ricerche (Genua), 15 (1989), S. 77-81, hier S. 81, und S. 82-84, hier S. 82. Das erste Imprimatur für den ersten Band des Almagestum novum ist am 12. März 1647 vom Ordensgeneral Vincenzo Carrafa (1585-1649) ausgestellt. 20 Riccioli, AN, I: xxxia: „Athanasius Kircher Societatis IESU, patria Fuldensis, Philosophiae, Matheseos, & Linguarum Hebraicae, Graecae, Arabicae, Aegyptiacae, ac nuonnullarum aliarum Orientalium ad stuporem usque peritus, & operibus diversae ac reconditae eruditionis iam tota Europa notissimus, vivit adhuc, & floret Romae, in pretio Caesaris & Summi Pontificis, mihi vero in primis amicus Uranicus, cui inter multa observationes plurimas undecumque collectas, Eclipsium praesertim me debere profiteor; opera eius, quae propius Astronomiam, aut Cosmographiam attingunt, sunt Opus egregium de Magnete, & alterum quod inscribitur Ars Magna Lucis & Umbrae, ac novissime editum opus Musurgiae.“ 21 Eine Ausnahme hiervon macht Kirchers Centrosophia, die den Anfang seines erstmals 1665 erschienenen Mundus subterraneus bildet und die Zentralsstellung der Erde im Universum verteidigt. Hierzu: Thomas Leinkauf, „Die Centrosophia des Athanasius Kircher SJ: Geometrisches Paradigma und geozentrisches Interesse“, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte, 14

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1. Einführung

Auf astronomischem Gebiet war Kircher ausreichend bewandert, um in der Auseinandersetzung zwischen Helio- und Geozentristen die verschiedenen Positionen und Argumente gut zu kennen. So vermochte er gar im Streit um das richtige Weltbild einen Punktsieg für die katholische Seite zu erzielen. Es gelang ihm, den Copernicanern das physikalische Phänomen des Magnetismus als mögliches Argument für die Erdbewegung abzunehmen. 22 Ungeachtet dieser Frontstellung sieht Kircher sich in seiner Ekstatischen Reise keineswegs daran gehindert, auf Quellen unterschiedlichster Provenienz und kosmologischer Zugehörigkeit zurückzugreifen. Um sich hiervon zu überzeugen, genügt ein Blick auf die am Schluss des Buches aufgeführte Liste an Autoren, auf die er sich für seine Schilderung der Weltraumreise beruft. Unter Kirchers Gewährsmännern (auctoritates) finden sich hier die Namen von katholischen Astronomen, Scholastikern, Atomisten und Copernicanern.23 1.1.2. Entstehung und Zensur Dieses einzige Werk, in dem sich Kircher ganz der Kosmologie und Astronomie verschreibt, ist der Königin Christine von Schweden (1626-1689) gewidmet. Das Widmungsschreiben der Ekstatischen Reise hat Kircher auf Juni 1656 datiert. Zu dieser Zeit waren die ersten gedruckten Exemplare des Werkes versandfertig. 24 ‘Christine Alexandre’, wie sich die schwedische Königin nach ihrer Abdankung am 5. Juni 1654 fortan nannte, war am 24. Dezember desselben Jahres in Brüssel zum katholischen Glauben konvertiert. Damit kehrte die Tochter Gustav Adolfs, vor dessen Truppen Kircher zwanzig Jahre zuvor aus Würzburg geflohen war und derentwegen er die deutsche Ordensprovinz verlassen musste, zurück in den Schoß der römischen Kirche. Unzweifelhaft stellt dieses Ereignis einen der größten Triumphe der Gegenreformation dar. Diesen indes vor allem den Jesuiten (1991), S. 217-229. 22 Kircher, Magnes sive de arte magnetica. Rom 1641, S. 476-508; siehe hierzu weiter unten S. 102 f. und: Fritz Krafft, „Sphaera activitatis – orbis virtutis. Das Entstehen der Vorstellung von Zentralkräften“, Sudhoffs Archiv, 54 (1970), S. 113-140, hier S. 134-5; ders., „Johannes Keplers Beitrag zur Himmelsphysik“, in: Internationales Kepler-Symposium Weil der Stadt 1971. Referate und Diskussionen, hg. von Fritz Krafft, Karl Meyer und Bernhard Sticker, Hildesheim: Gerstenberg, 1973, S. 55-139, hier S. 134-5; Martha Baldwin, „Magnetisme and the Anti-Copernican Polemic“, JHA, 16/3 (1985), S. 155-174, hier S. 159-61; dies., Athanasius Kircher and the magnetic philosophy [Phil.Diss., Chicago, 1987), Ann Arbor: umi, 1997, S. 194-243. 23 Unter den 37 Autoren in Kirchers Autoritäten-Liste („Nomina Auctorum, quorum in observationibus coelestibus, quas a 40 annis diversis temporibus peregerunt auctoritates secuti sumus.“: Itin. 462-464; It. 483-484) finden sich u.a. Namen wie Christoph Scheiner, Anton Maria Schyrleus de Rheita, Giambattista Riccioli, Vicente Mut, Galileo Galilei, Ismaël Boulliau, Evangelista Torricelli, Pierre Gassendi, René Descartes, Francesco Patrizi da Cherso, Anselm von Canterbury und der heilige Bruno von Köln (1032-1101). Bei letzterem ist die Verwechslung mit Giordano Bruno ausgeschlossen: „S. Bruno Carthus. Fund.“: Itin., 462; It., 483. 24 Itin., f. 3v; nicht in Iter. Für die Datierung der Drucklegung siehe unten Anm., S. 26.

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zuzuschreiben, wird der Vielschichtigkeit der Machtkonstellationen sowie den politischen Ambitionen der Monarchin nicht gerecht.25 Nach ihrem gefeierten Einzug in Rom am 20. Dezember 1655 verließ Christine sehr zum Unwillen von Papst Alexander VII. im Jahr darauf, nachdem sie feierlich das Collegio Romano und Kirchers weltberühmtes Museum26 besucht hatte, die ewige Stadt wieder, um in Paris noch prächtiger Einzug zu halten. Denn nach der gescheiterten Allianz mit Spanien sollte ihr Frankreich nun ein Verbündeter sein. Beide Mächte waren bereits in Stockholm in Konkurrenz zueinander sowie zu den Jesuiten tätig gewesen, um die bevorstehende Konversion Christines für sich zu nutzen. Gegen den Willen Spaniens hoffte sie offenbar auf französische Unterstützung, um ihren schon in Stockholm gehegten Plan doch noch realisieren zu können und Königin von Neapel zu werden. Hierfür war ihre Konversion zum Katholizismus eine notwendige Voraussetzung gewesen. Dass sie schließlich bis an ihr Lebensende in Rom bleiben sollte, ist eine Folge ihrer gescheiterten politischen Ambitionen. Neben ihrem wohl nie ganz aufgegebenen Ansinnen auf Neapel, versuchte sie 1658 in schwedisch Pommern und 1660 in Schweden selbst wieder an die Macht zu kommen sowie 1667 in Bremen und 1668 in Polen. Die Jesuiten mochten ihr den intellektuellen Reichtum Roms vor Augen geführt haben, wovon Kircher mit seinem Museum selbst Teil oder gar Sinnbild war. Christines Abdankung und Konversion indes scheinen in ihrer eigenen politische Lebensplanung begründet, die nach einem neuen viel größeren Betätigungsfeld suchte, nach einem katholischen. Als ein neuer Alexander scheiterte sie 25 Dies wird von keiner geringeren Christine-Biographin als Susanna Åkerman aufgezeigt: S. Åkerman, Queen Christina of Sweden and her Circle. The Transformation of a SeventeenthCentury Philosophical Libertine, Leiden: Brill, 1991. Ihre Untersuchung richtet sich ausdrücklich (ebd., S. 9) gegen eine historiographische Deutungstradition, die den jesuitischen Anteil bei Christines Abdankung und Konversion überwertet und letztlich noch auf Leopold von Ranke (1795-1886) zurückgehe: Ranke, Die römischen Päpste, ihre Kirche und ihr Staat im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert, 3 Bde, Berlin: Duncker und Humblot, 318441845, Bd III, S. 77-103 (Buch 8: „Digression über Königin Christine von Schweden“), hier S. 90-96. Doch auch bei Ranke hat Christine schon vorher die feste Absicht zu konvertieren (die er bis auf ihre Kindheit zurückführt); hierzu „benutzt“sie schließlich die Jesuiten. Doch bei Ranke fehlen andererseits weitere Einflüsse für die Abdankung und Konversion – von den spanischen und französischen Bemühungen ist keine Rede –, so dass die Jesuiten hierbei zu einer Rolle und Bedeutung kommen, wie sie sich in DeBS (II: 799) niederschlägt, wo es zu Paolo Casati heißt: „il fut envoyé en Suède et acheva de déterminer la reine Christine à embrasser la religion catholique.“Arckenholtz (Memoires concernant Christine Reine de Suede [… ], 4 Bde, Amsterdam u. Leipzig: Pierre Mortier, 1751-1760) wollte im Gegensatz zu Ranke vor Mitte 1653 bei Christine keinen „penchant pour le Catholicisme“(ebd., I: 463) ausgemacht haben, während er neben einzelnen Jesuiten aber noch den spanischen Botschafter in Dänemark, Géofroy Francken, nennt, die alle Anspruch erhoben hätten auf die erfolgreiche Konversion Christines (ebd., I: 465). 26 Zum Museum Kircherianum siehe: Paula Findlen, „Scientific spectacle in Baroque Rome: Athanasius Kircher and the Roman College Museum“, Roma Moderna e Contemporanea, 3/3 (1995), S. 625-665; dies., Possessing Nature. Museums, Collecting, and Scientific Culture in Early Modern Italy, Berkely: University of California Press, 1994, S. 127-132.

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kläglich. So konnte sich ihre Konversion mitsamt ihrem neuen Namen allzu selbstverständlich als Triumph von Papst Alexander VII., der katholischen Kirche und vor allem des Jesuitenordens darstellen lassen. 27 Die Jesuiten jedenfalls taten ihr Bestes, um Christine für sich zu gewinnen.28 Noch bevor die beiden jesuitischen Mathematiker, nach denen die Königin selbst verlangt hatte, ihre Geheimmission am schwedischen Königshof verkleidet und getarnt im Februar 1652 antraten, hatte Kircher ihr schon geschrieben. In seinem Brief vom 11. November 1651 lässt er die Königin des hohen Nordens den Hauch der großen weiten Welt verspüren, wie ihn die Mitglieder seines Ordens, verteilt in alle Erdteile und fünfunddreißig Sprachen sprechend, nach Rom bringen und ihr alle vollen Lobes zugetan seien. 29 Von den beiden jesuitischen Verbindungsmännern vor Ort, Paolo Casati (1617-1707) und Francesco Malines (1612-1679), wurde bereits 1652 in die römische Zentrale berichtet, dass Christine, die den Decknamen Theophilos bekam, besonderes Interesse zeige für Galileis neues Weltsystem. 30 Kirchers Ekstatische Reise scheint sich einreihen zu können in den Versuch seines Ordens, Christine von Schweden für sich zu gewinnen. Allerdings nicht der zu bekehrenden Leserin von Galileis Dialogo, sondern der 1654 bereits konvertierten und abgedankten Königin widmet Kircher seinen kosmologischen Dialog. Die Invektiven gegen die Häretiker, die darin sich gleichfalls finden, 31 mögen nachträglich seine berühmte Leserin noch in der Richtigkeit ihrer getroffenen Entscheidung bestärkt haben. Ihretwegen nämlich dürfte diese zehnseitige, etwas deplaziert wirkende Polemik, die sich vor allem gegen die Lutheraner richtet, in das Werk aufgenommen worden sein. Diesen Zusammenhang mag man dadurch bestätigt sehen, dass Schott aus seiner Ausgabe der Ekstatischen Reise diese zehn Seiten ebenso streicht wie die ursprüngliche Widmung an Christine.32 Die 27 Für diesen kurzen Eindruck der vielschichtig gelagerten Gründe und Motive von Christines Abdankung und Konversion siehe S. Åkerman (1991) 3-13. 28 Riccardo Garcia Villoslada (s.j.), Storia del Collegio Romano dal suo inizio (1551) alla soppressione della Compagnia di Gesù (1773), Rom, 1954, S. 276-277; P. Findlen (1995) 633636; Michael John Gorman, The Scientific Counter-Revolution: Mathematics, Natural Philosophy and Experimentalism in Jesuit Culture 1580- c.1670, Phil. diss. (European University Institute, Florence, 1998), S. 199-213 (Courting Queen Christina); ders., „From ‘The Eyes of All’to ‘Usefull Quarries in philosophy and good literature’: Consuming Jesuit Science, 16001665“, in: John W. O’Malley (sj)/ Gauvin Alexander Bailey/ J. Harris Steven / T. Frank Kennedy (sj), The Jesuits. Cultures, Sciences, and the Arts. 1540-1773, Toronto: University of Toronto Press, 1999, S. 170-189, hier 175-178. 29 Kircher an Christine von Schweden, 11.11. 1655, in: APUG 561, f. 50rv, hier f. 50r, es handelt sich hierbei um ein aufgesetztes Schreiben, nicht um die Kopie des versandten Briefes. M.J. Gorman (1998) 199-200; ders. (1999) 175-176. 30 S. Åkerman (1991) 171. Zu Casati: DeBS, II: 799-803; Malines nicht in DeBS, aber in László Polgár (sj), Bibliographie sur l'histoire de la Compagnie de Jésus 1901-1980, 3 in 6 Bden., Rom: Institutum Historicum S.J., 1980-1990, Bd III.2, S. 478 (n° 13387). 31 Itin., 421-432 (Dial. II, cap. 11); nicht in Iter. 32 Als Begründung für diese Streichung gibt Schott an gegebener Stelle an: It., 461: „Monitio Scholiastae ad Lectorem. Reliqua quae in hoc Capite ad finem usque sequuntur in Romana editione, quoniam Ascetica ac Polemica sunt, neque huc admodum spectant, omittenda brevitatis causa censui.“

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Abfassung von Kirchers Werk fällt allerdings in eine Zeit, in der es dem Papst und den Jesuiten nur mehr darum gehen konnte, die neue Katholikin dazu zu bewegen, nach Rom zu kommen. Nach ihren gescheiterten politischen Bemühungen in den Spanischen Niederlanden – ihre diplomatischen Dienste werden in Brüssel und Antwerpen abgelehnt – nimmt sie schließlich die Einladung des im April 1655 gewählten neuen Papstes Alexander VII. an. Rechtzeitig zu ihrer Ankunft im Vatikanstaat am 21. November 1655 ist die Ekstatische Reise fertig und eine Woche zuvor von der Zensur zum Druck freigegeben. 33 Vor diesem Hintergrund erscheint Kirchers Ekstatische Reise als ein Werk, das seine Entstehung einem politischen Anlass zu verdanken hat. Doch die diplomatischen Bemühungen des Jesuitenordens dürften eher nur den Zeitpunkt der konkreten Fertigstellung beeinflusst haben. Ganz anders zumindest stellt sich laut Schott die Entstehungsgeschichte der Ekstatischen Reise dar. Aus dessen Vorwort (Praefatio Scholiastae) zur Würzburger Ausgabe erfahren wir, dass die Idee zu solch einem kosmologischen Werk in jener Zeit entstand, als er selbst bei Kircher in Rom war.34 In den Jahren 1652 bis 1655 half Schott seinem ehemaligen Lehrer als socius bei den Arbeiten am Oedipus aegyptiacus (1655).35 Als sie sich hiervon auf gemeinsamen Spaziergängen erholten, sprachen sie über Sterne, Planeten, den Kosmos. Schott begeisterte sich für Kirchers Ausführungen so sehr, dass er sie unbedingt veröffentlicht sehen wollte. 36 Kircher hingegen war mit dem Oedipus aegyptiacus noch nicht fertig, hatte seinen Mundus subterraneus schon begonnen und außerdem wollte er nicht „als Neuerer gelten unter Philosophen und Astronomen, die nur bereits allgemein angenommene Meinungen gewohnt sind.“37 33 Der entsprechende Zensurbericht vom 13.11.1655 bestätigt, dass Kircher alle von der Zensur zur Auflage gemachten Korrekturen am Text vorgenommen habe: ARSI, FG 661, f. 33r und im Anhang der vorliegenden Arbeit, S. 327. Die Suche nach dem Manuskript des Itinerarium exstaticum ist bislang erfolglos geblieben. Im Nachlass von Christine von Schweden scheint es sich nicht zu finden, zumindest wird es in Zusammenhang mit Kircher nicht erwähnt von Christian Callmer, Königin Christina, ihre Bibliothekare und ihre Handschriften. Beitr. zur europäischen Bibliotheksgeschichte, Stockholm: Kungliga Biblioteket, 1977. 34 Schott in Iter, 1-10 (‘Praefatio scholiastae’), hier 3. 35 Schott in It., 3-4 (‘Praefatio scholiastae’), hier 3: „Trium annorum spatio [sc. 1652-1655], quibus Romano in collegio Societatis nostrae Auctori cohabitavi, & meam qualem qualem opellam in edendo Oedipo Aegyptiaco impendi, quoties defatigati studiis ad campos & hortos Romanos liberioris aurae captandae ergo concedebamus; de rebus coelestibus, de siderum natura, compositione, & constitutione, de Mundi systematibus, de aliorum circa haec opinationibus, allisque similibus de rebus colloquia instituebamus.“Schott war 1652-1655 in Rom Kirchers socius : ARSI, Rom. 81 Cat.brev. 1650-1656, f. 64v, 84r, 88v, 114r, 167v. Kircher, Oedipus aegyptiacus, 3 Bde in vier Teilen, Rom, 1652-1654; wohl eher aber 1652-1655, da das Kolophon auf der letzten Seite des dritten Bandes 1655 als Druckjahr angibt, was sowohl übereinstimmen würde mit Schotts Aufenthalt in Rom als auch mit dem für alle drei Bände in Band I ausgestellten Imprimatur vom 12.01.1655. 36 Schott in Iter, 4 (‘Praefatio scholiastae’). 37 Schott in Iter, 4. Kirchers Mundus subterraneus sollte erst 1665 erscheinen. Doch muss er nach der Rückkehr von seiner Malta-Reise 1637/1638 – seine einzige längere Abwesenheit aus Rom – von diesem Buchprojekt so viel gesprochen haben, dass ihn bereits 1647 Riccioli fragen konnte, ob es schon gedruckt sei: „Postremo nil habeo aliud quod scribam nisi deside-

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Nach weiterem Drängen seitens Schotts begann Kircher dann noch vor dessen Abreise, seine Ekstatische Reise zu schreiben. Er entschloss sich, seine kosmologischen Gedanken in Form eines Traums, ganz wie er ihn eines Nachts selbst gehabt habe, zu verfassen. 38 Den Vorschlag, alles als literarischen Traum nach Art von Ciceros Somnium Scipionis zu erzählen, um so unter Philosophen und Astronomen nicht als Neuerer dazustehen, hatte ihm allerdings Schott schon zuvor gemacht.39 Bevor Kircher mit der Arbeit an seiner Ekstatische Reise beginnt, halten beide noch Rücksprache mit einem nicht namentlich genannten, überaus gelehrten Mann, der sich durch sein Fachwissen besonders auszeichnete („cum Viro doctissimo, & earundem rerum studiosissimo“). 40 Dieser hätte mit Schott zusammen Kircher zum Schreiben gedrängt und schließlich dazu bewegen können. Wer dieser Mann war, lässt sich leider nicht in Erfahrung bringen. Abgeschlossen hatte Kircher seine Ekstatische Reise erst nach Schotts Abreise aus Rom. In der zweiten Hälfte des Jahres 1655 konnte das fertige Manuskript der internen jesuitischen Ordenszensur vorgelegt werden.41 Alle zu veröffentlichen-

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rium impensum videndi tui Mundi Subterranei. Estne iam excu[s]sus? Si est quaeso statim unum exemplar nec parcat impensis; si non est ecquid spei est editionis tempestivae?“: Riccioli (Bologna) an Kircher (Rom), 09.03.1647, in: I. Gamabaro (1989) 85. Schott in Iter, 4-5. Schott in Iter, 4. Schott in Iter, 4-5. Über jesuitische Zensur: Edmond Lamalle, „L’archivio di un grande ordine religioso. L’archivio Generale della Compagnia di Gesù“, Archivia Ecclesiae, 82 (1981), S. 92-120; Ugo Baldini, „Su alcune fonti archivistiche per la storia della scienza“, in: Scienza e letteratura nella cultura italiana del Settecento, hg. von Renzo Cremante u. Walter Tega, Bologna: Il Mulino, 1984, S. 567-574; ders., „Additamenta galilaeana I. Galileo, la nuova astronomia e la critica all'aristotelismo nel dialogo epistolare tra Giuseppe Biancani e i revisori romani della Compagnia di Gesù“, Annali dell'Istituto e Museo di storia della scienza di Firenze, 9/2 (1984), S. 13-43; ders., „Una fonte poco utilizzata per la storia intellettuale: le 'censurae librorum' e 'opinionum' nell’antica Compagnia di Gesù“, Annali dell’istituto storico italo-germanico in Trento, 11 (1985), S. 19-67; ders., Legem Impone Subactis. Studi su Filosofia e Scienza dei Gesuiti in Italia. 1540-1632, Roma: Bulzoni, 1992, S. 75-119; Marcus Hellyer, „Because the authority of my superiors commands: Censorship, physics and the German Jesuits“, Early Science and Medicine, 1/3 (1996), S. 319-354; Michael John Gorman, „A Matter of Faith? Christoph Scheiner, Jesuit censorship and the Trial of Galileo“, Perspectives on Science, 4/3 (1996), S. 283-320; Antonella Romano, La contre-réforme mathématique. Constitution et diffusion d’une culture mathématique jésuite à la renaissance (1540-1640), Rom: École française de Rom, 1999, 23-5, 511-516; dies., „Pratiques d’enseignement et orthodoxie intellectuelle en milieu jésuite (seconde moitié du XVIe siècle)“, in: Orthodoxie, christianisme, histoire, hg. von Susanna Elm, Eric Rebillard und Antonella Romano, Rom: École Française, 2000, S. 241-60. Über Kircher und die jesuitische Zensur: U. Baldini (1985) 44-50; ders. (1992) 91-4, 110-3; Olaf Hein, Die Drucker und Verleger der Werke des Polyhistors Athanasius Kircher S.J., Köln: Böhlau, 1993, S. 305-11; C. Ziller Camenietzki (1995b) 20-27; H. Siebert (2002b) 164-167, 178-179; ders., „Kircher and his Critics: censorial practice and pragmatic disregard in the Society of Jesus“, in: Athanasius Kircher. The Last Man Who Knew Everything, hg. von Paula Findlen, New York: Routledge, 2004, S. 79-104; Daniel Stolzenberg, „Oedipus Censored: Censurae of Athanasius Kircher’s Works in the Archivum Romanum Societatis Iesu“, Archivum Historicum Societatis Iesu, 73 (2004), S. 3-52; ders., „Utility, Edification, and Superstition: Jesuit Censorship and Athanasius Kircher’s Oedipus

1.1. Werk und Werkgeschichte

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den jesuitischen Schriften mussten diese Instanz passieren. 42 Die Aufgabe der internen jesuitischen Zensur oblag den Generalrevisoren. Sie sollten sicherstellen, dass die Einheit der jesuitischen Lehre gewahrt blieb. Für diese war in theologischen Fragen Thomas von Aquin die verbindliche Autorität, in philosophischen Aristoteles. Das hohe Amt des Revisors wurde nicht selten auf Lebenszeit verliehen. Die Generalrevisoren bildeten ein Kolleg von höchstens fünf Mitgliedern, stellvertretend für die fünf Assistenzen, in die sich das Ordensgebiet gliederte (Italien, Spanien, Frankreich, Deutschland, Portugal). Seinen Sitz hatte das Revisorenkolleg (Collegium Revisorum) am Collegio Romano. Theoretisch sollte mit seiner Gründung im Jahre 1597 die Zensurpraxis des gesamten Ordens in Rom zentralisiert werden. De facto aber erwiesen sich die dezentralen Tendenzen als stärker, und von den Provinzen wurde das Revisorenkolleg nur noch in strittigen Fällen angerufen. Die Arbeit der Revisoren unterlag strikter Diskretion. Inhaltliche wie praktische Gesichtspunkte ihrer Tätigkeit waren in den ‘Regeln für Generalrevisoren’(Regulae Revisorum Generalium) festgelegt.43 Allerdings hatten die Revisoren nur beratende Funktion, dem Ordensgeneral stand es frei, ihrem Urteil zu folgen. Auch blieb das Kolleg dahingehend passiv, dass nur der Ordensgeneral oder sein Stellvertreter die zu prüfenden Schriften entweder den Generalrevisoren oder bei fachspezifischem sowie theologisch kaum relevantem Inhalt anderen Ordensmitgliedern gab, die sich durch besonderes Fachwissen auszeichneten und dann als Zensoren fungierten. Die Zensurberichte gingen dem Ordensgeneral als Briefe zu. Auf einen positiven Bescheid hin, konnte unmittelbar das Imprimatur durch den General ausgestellt werden. Im Fall von Änderungsauflagen mussten die Zensoren erst noch bestätigen, dass der Autor gemäß der vorangegangenen Prüfung auch tatsächlich seinen Text geändert hatte.44 Nachdem der Ordensgeneral Goswin Nickel (1584-1664) die Ekstatische Reise den Generalrevisoren zur Prüfung gegeben hatte, erging am 8. November 1655 ihr Urteil: „Wir erachten es des Druckes würdig. Zu verbessern sind aber folgende Stellen: [...].“45 Unter die darauf folgend aufgelisteten 17 Punkte fallen sowohl formale als auch inhaltliche Beanstandungen. So musste Kircher seine Beschimpfungen von Anhängern des Aristoteles und des Thomas von Aquin („Sciolos Philosophastros“) streichen („absolute esse delenda“). Auch missfiel

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Aegyptiacus“, in: The Jesuits II: Cultures, Sciences, and the Arts 1540-1773, hg. von John O’Malley, Steven Harris, T. Frank Kennedy u. Gauvin Bailey, Toronto [im Druck]. Die Zensoren prüften auch die Titelseiten und die Widmungen der Werke, die sie ungeachtet ihrer literarischen Form zensierten. Die 15 Regulae Revisorum sind abgedruckt in: Institutum Societatis Iesu, 3 Bde, [hg. von der Gesellschaft Jesu], Florenz: A SS. Conceptione, 1892-1893, Bd III, S. 65-68. Sie wurden erstmals 1646 herausgegeben und 1652 bestätigt. Diesen letzten Punkt betont Schott in seiner Beschreibung der jesuitischen Zensurpraxis: Schott in Iter, 486-7, 489-91, hier 490: „[...] non antea [...], quam correcta sint quae corrigenda censuere Revisores.“ ARSI, FG 661, f. 29rv, hier f. 29r, und im Anhang der vorliegenden Arbeit, S. 326 (die Datierung dieses Schreibens auf den „7.“November ist ein Transkriptionsfehler).

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1. Einführung

den Zensoren das häufige Eigenlob Kirchers,46 die mangelhafte Zitierweise, insbesondere von Bibelstellen. Des Weiteren zeigten sie Passagen auf, bei denen sich Kircher selbst widerspricht, und andere, bei denen er sich als nicht ganz bibelfest erweist. Die Revisoren wiesen theologische Aussagen Kirchers zurück und wünschten sich manche Punkte ausführlicher behandelt. Der Zensurbericht für sich betrachtet lässt nicht unbedingt erkennen, dass hier ein Werk geprüft wird, welches eine Weltraumreise beschreibend sich wesentlich auf astronomische Sachverhalte stützt. Die wenigen astronomisch relevanten Begriffe fallen in einem sachfremden Zusammenhang, ohne Kircher inhaltlich zu kritisieren. Bezüglich der Vorstellung eines Universums mit festen Kugelschalen soll Kircher die Lehre der Peripatetiker nicht als Altweibergeschwätz („anilia deliramenta“) verunglimpfen. Für die geistigen Aktivitäten der Sonne („operari actionibus spiritualibus“) wünschen sich die Zensoren eine genauere Erklärung, weil die von Kircher angeführte Bibelstelle nicht passe. Dafür dass der Mond eine Art Gravitationskraft auf Theodidactus ausübe (wogegen laut Aristoteles nur Mondmaterie vom Mond angezogen werden kann) wird Kircher nicht etwa wegen eines Verstoßes gegen die aristotelische Lehre vom natürlichen Ort kritisiert, sondern weil er sich an einer späteren Stelle damit selbst widerspreche.47 Offensichtlich konnten die Generalrevisoren nichts Problematisches in den astronomischen Ausführungen Kirchers entdecken. Wie erwähnt, hatte Kircher zwar befürchtet, bei Astronomen und Philosophen auf Kritik zu stoßen. Die Generalrevisoren, die seine Ekstatische Reise prüften, waren aber in erster Linie Theologen. 48 Dennoch erschien ihnen Kirchers Kosmologie insoweit suspekt, als sie für ein wichtiges Konzept derselben (für das maximum contractum) wiederholt eine nähere Erklärung forderten. In diesem Zusammenhang wollten sie auch Kirchers Aussage korrigiert sehen, nach der es eine Vielzahl von Welten nicht geben könne. 49 Gemeint ist die von Kircher verneinte Existenz von zeitgleichen Parallelwelten. Dass es dagegen nur eine Welt geben könne, begründet Kircher mit dem Konzept des maximum contractum, das er aus dem Werk De docta ignorantia von Nicolaus Cusanus (Nikolaus von Kues, 1401-1464) übernommen hat zusammen mit ganzen Passagen, die er daraus abschreibt, ohne dies kenntlich zu machen oder dessen Autor zu erwähnen.50 Das Universum, d.h. die Welt mit allen Dingen, 46 Zu häufiges Eigenlob wird Kircher in allen erhaltenen Zensurberichten vorgeworfen und zur Streichung angemahnt: H. Siebert (2004) 82, 97 n.19. 47 ARSI, FG 661, f. 29r (im Anhang, S. 326). 48 Zwei der Revisoren, François Duneau und François Le Roy, waren Doktoren der Theologie: ARSI, Rom 60 Cat.trien.1655-1658, f. 10v (nn° 29, 30); auch sie nur werden hier als Revisor bezeichnet, während die zwei anderen Prüfer des Itinerarium, Celidonio Arbizio und Giovan Baptista Rossi, die (laut BNCR, FG 1666) ebenso offizielle Revisoren des Ordens waren, nur Censor Librorum genannt werden und auch keine Doktoren der Theologie waren (ARSI, Rom 60 Cat.trien.1655-1658, f. 10r (n°22), 11r (n°47)). Aber auch Arbizio verstand sich als Theologe (nach eigenen Aussagen in einem Zensurbericht über Kirchers Scrutinium pestis: ARSI, FG 661, f. 31r). 49 ARSI, FG 661, f. 29v: „pag. 41. Negat [… ]“, siehe im Anhang, S. 327. 50 Stephan Meier-Oeser, Die Präsenz des Vergessenen. Zur Rezeption der Philosophie des Nicolaus Cusanus vom 15. bis zum 18. Jahrhundert, Münster: Aschendorff Verlag, 1989, S. 308-

1.1. Werk und Werkgeschichte

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bilde das Größte nur in kontrahierter Form (maximum contractum), als Kontraktion nämlich des absolut Größten, das Gott sei. Da es aber nur eine größtmögliche Kontraktion Gottes (maximum absolutum) geben könne, könne es auch nur eine einzige alles in sich fassende Welt geben. 51 Einen wirklich schwerwiegenden Kritikpunkt finden die Zensoren der Ekstatischen Reise in Ausführungen Kirchers zur Materie. Indem Kircher behaupte, die eigentliche Essenz der Dinge sei allein Materie, so dass alle Sinnesgegenstände lediglich aufgrund ihrer äußeren Eigenschaften (Akzidenzien) verschieden seien, widerspreche er nicht nur sich selbst. Vielmehr verstoße er hiermit auch gegen die Ordinatio.52 Der Jesuitenorden hatte in mehreren Anläufen eine verbindliche Liste von Aussagen zusammengestellt, die von Ordensmitgliedern weder mündlich noch schriftlich vertreten werden durften. Die 65 verbotenen Lehrsätze (propositiones non docendae) der Philosophie –daneben gab es 25 theologische – waren in ihrer endgültigen Fassung 1651 in der so genannten Ordinatio pro studiis superioribus veröffentlicht worden.53 Ein Verstoß gegen die Ordinatio wog schwer. Denn die doktrinäre Einheit in Lehre und Schrift war das Herzstück jesuitischer Disziplin (soliditas et uniformitas doctrinae). Sie war konstitutiv für den Jesuitenorden, von welchem bereits sein Gründer, Ignatius von Loyola (1491-1556), forderte, dass er mit einer Stimme sprechen solle. Aus demselben Grunde hatte auch schon Loyola die Einrichtung einer internen Zensur vorgesehen. Spätestens seit 1651 bildeten die verbotenen Lehrmeinungen der Ordinatio eine feste Grundlage für die Arbeit der Zensoren, deren Aufgabe eben darin bestand, diese Einheit der Lehre in Wort und Schrift sicherzustellen, weshalb es neben der Zensur von Büchern auch die von Meinungen gab (censura opinionum).54 1.1.3. Veröffentlichung und Skandal 1.1.3.1. Erste Reaktionen Nur wenige Tage nach dem Zensurbericht, der für eine Approbation der Ekstatischen Reise Korrekturen zur Auflage macht, wurde seitens der Ordenszensur am 13. November 1655 bestätigt, dass Kircher seinen Text wie gewünscht

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54

13, 399-401; B. Bauer (1989/1990) 96-104; C. Ziller Camenietzki (1995b) 18-20. Eine mögliche Begründung für Kirchers Verschweigen von Cusanus findet sich in der vorliegenden Arbeit auf S. 205 ff. Siehe hierzu weiter unten, S. 83, 204. ARSI, FG 661, f. 29v: „Pag. 14 confundit Substantiam [… ]“, siehe im Anhang, S. 327-327. Der Text der Ordinatio ist zu finden in: G. Michael Pachtler (Hg.), Ratio studiorum et institutiones scholasticae Societatis Iesu, 4 Bde, Berlin: Hofmann & Comp., 1887-1894, Bd III, S. 77-97. Mit dem von den Zensoren angezeigte Verstoß Kirchers könnten die Propositiones non docendae n°10 und n°22 gemeint sein. Zur Ordinatio und Zensurpraxis: U. Baldini (1992) 82-83, 107 n.24; M. Hellyer (1996) 325335.

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1. Einführung

korrigiert hätte.55 Am 15. November 1655 stellt der Ordensgeneral Goswin Nickel das Imprimatur für Kirchers Ekstatische Reise aus.56 Das Buch wurde noch in der ersten Jahreshälfte 1656 in Rom gedruckt.57 Bei seinem Erscheinen soll es ein großer Erfolg gewesen sein. Von Schott erfahren wir, dass alle Exemplare rasch ausverkauft waren, so dass nur wenige überhaupt nach Deutschland gelangten.58 Er selbst wartete in Würzburg noch bis Mitte 1658 ungeduldig auf das Eintreffen des Buches.59 Trotz der für die Nachfrage offensichtlich zu geringen Stückzahl konnte Kircher sich schließlich dennoch freuen, dass die Ekstatische Reise in Deutschland ebenso viel Beifall gefunden hatte wie in Italien und Frankreich. 60 Von anderer Seite erfahren wir jedoch, dass das Werk nicht nur auf Zustimmung gestoßen war. Rückblickend auf die Veröffentlichung der Ekstatischen Reise schreibt im folgenden Jahr der Generalrevisor François Duneau (1599-1684) 61 am 7. Mai 1657 dem Ordensgeneral Goswin Nickel: Da nicht wenige es empfindlich aufgenommen haben, dass die Ekstatische Reise des P. Athanasius Kircher im Vorjahr veröffentlicht worden ist, deswegen weil in jener sehr viel Widersprüchliches zur allgemeinen Schulmeinung steht, so dass der Autor ohne jedwede Beweise eher seine eigenen Träume an die Öffentlichkeit zu bringen scheint als seinen Lesern irgendetwas vorzulegen, das auf wahrer und sicherer Kenntnis beruht, meine ich, Eure Väterlichkeit erinnern zu müssen, dass ich nur unwillig der Veröffentlichung jenes Werkes zugestimmt habe und aus keinem 55 ARSI, FG 661, f. 33r (im Anhang, S. 327). In Wirklichkeit machte Kircher nicht alle Korrekturen, die ihm die Zensur auferlegt hatte, wie ein Vergleich zwischen Zensurbericht und gedrucktem Werk zeigt: H. Siebert (2004) 92. Für Beispiele hiervon s. unten Anm. auf S. 28. 56 Itin., f. 4r (unpaginierte Seite am Anfang). Die Würzburger Ausgabe (Iter) erscheint später mit einer eigenen Druckerlaubnis, hierzu unten mehr (S. 44 ff.). 57 Am 15.06.1656 schickt Kircher ein Exemplar an Ferdinand II von Medici: Alfonso Mirto, „Le lettere di Athanasius Kircher della Biblioteca Nazionale Centrale di Firenze“, Atti e memorie dell’Accademia toscana di scienze e lettere ’La Colombaria’, 54, nuova serie 40 (1989), S. 127-165, hier S. 153-154. Als Datum post quem für die Veröffentlichung kann die in der Zitatensammlung (Auctoritates insignium quorundam Scriptorum) angeführte Eklipsenbeobachtung vom 26.01.1656 gelten: Itin., 458; It., 479. 58 Schott in Iter, 5. 59 Schotts Brief an Kircher vom 15.06.1658: APUG 567, f. 46r: „[...] utinam brevi ea [sc. Arte Combinatoria] frui liceat, uti et Itinerarijs suis, quae avidissime et cum impatientia, sed frustra exspecto.“Mit „Itinerarijs“sind beide Ekstatische Reisen gemeint, d.h. Kirchers Itinerarium exstaticum von 1656 und sein ebenfalls in Rom erschienenes Iter extaticum II von 1657. 60 Kircher an Schott, 29.03.1659, abgedruckt in It, 382; diese Feststellung über den Erfolg der Ekstatischen Reise macht Schott schon im Vorwort seiner Würzburger Ausgabe: It., 1. 61 Duneau (Franciscus Dunellus) war in Rom von 1653 bis 1683 Generalrevisor für die Französische Assistenz: DeBS, III: 279-80, IX: 265-6, XI: 1685; Pierre Delattre, Les établissements des jésuites en France depuis quatre siècles. Répertoire topo-bibliographique, 5 Bde, Enghien: Institut supérieur de théologie,1949-1957, Bd I, Sp. 443-445. Duneau hatte, bevor er zum Generalrevisor in Rom ernannt wurde, selbst für einen handfesten Skandal gesorgt. Als Rektor des Jesuitenkollegs in Auxerre beschimpfte er öffentlich anlässlich einer Einweihungsfeier die Sorbonne, die Jansenisten und die anwesenden Würdenträger der Stadt: Ernest-M. Rivière (sj), „Le scandale du P. François Duneau“, Documents d’histoire, 1 (1910), S. 469-473.

1.1. Werk und Werkgeschichte

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anderen Grunde, als weil meine zwei Revisorenkollegen 62 der Ansicht gewesen sind, sie nach einigen Streichungen und Korrekturen zulassen zu können. Nun aber, da viele angesehene und gelehrte Männer, die versichern, jenes Buch gelesen zu haben, die Patres Revisoren geradezu der Schläfrigkeit oder einer dem Autor gegenüber sicherlich zu großen Nachsicht beschuldigt haben, und manch einer unter den Ordensassistenten, zwei der Theologieprofessoren, selbst ein Provinzial und andere gesagt haben, sie wunderten sich, dass derlei in Rom genehmigt werde, bitte ich Eure Väterlichkeit zu erwägen, was mit der sozusagen anderen Ekstatischen Reise [sc. Iter extaticum II] des besagten Paters, die der früheren nicht unähnlich ist, geschehen solle. 63

Duneau zufolge ist das Urteil der Revisoren über die Ekstatische Reise nicht einmütig zustande gekommen. Er selbst zumindest sei gegen den Druck gewesen, von seinen Kollegen aber überstimmt worden. Die Regeln für Generalrevisoren forderten, dass alle Mitglieder des Revisorenkollegs den Zensurbericht unterschreiben.64 So stand auch Duneaus Unterschrift auf dem positiven Bescheid zu einem Werk, von dem er es für angebracht hielt, sich nun angesichts der negativen Reaktionen zu distanzieren, die es ausgelöst hatte. Zugleich distanziert er sich damit aber von seinen Kollegen, die weniger Bedenken als er gehabt hätten. Die negativen Reaktionen müssen für Duneau unangenehm gewesen sein. Denn, wie er dem Ordensgeneral in Erinnerung ruft, wurden die Generalrevisoren wegen ihrer Approbation der Ekstatischen Reise öffentlich teils direkt angegriffen, und insbesondere von hochrangigen Ordensmitgliedern in Frage gestellt.65 Wenn er auf diese negativen Reaktionen überhaupt zu sprechen kommt, dann wohl nur um solchen nicht erneut ausgesetzt zu werden im Falle einer Veröffentlichung der Zweiten Ekstatischen Reise (Iter II, 1657). Mit seinem Schreiben will Duneau den Druck dieses Werkes verhindern, weil er wegen dessen Ähnlichkeit mit dem zuvor erschienen auch ähnliche Reaktionen befürchtet: [...] da überaus gebildete und mit jener Materie äußerst vertraute Männer die erste Reise [sc. Itinerarium exstaticum] am wenigsten gebilligt haben und versichert haben, sie nicht lesen zu können außer mit Übelkeit und Ärger, die zweite Reise aber [sc. Iter extaticum II], um deren Veröffentlichung es geht, der früheren nicht 62 Der Zensurbericht zu Kirchers Itinerarium vom 08.11.1655 (ARSI, FG 661, f. 29rv, und im Anhang, S. 326-327) trägt allerdings die Namen von vier Generalrevisoren. Mit seinen zwei Kollegen meint Duneau mit Sicherheit François Le Roy und Celidonio Arbizio. Der vierte Generalrevisor, Giovan Battista Rossi (Joan Baptista Rubeus; 1576-1656), wirkte wohl altersbedingt an der Urteilsfindung aktiv nicht mehr mit. Rossi hatte nicht eigenhändig unterschrieben (vgl. seine Unterschrift in ARSI, FG 668, f. 389r) –seine Unterschrift gefolgt von „idem sentit“könnte aus der Hand von Arbizio stammen, denn im geheimen Catalogus Secundus über die körperliche, geistige Verfassung, den Charakter und die Fähigkeiten eines jeden Ordensmitglieds heißt es zu Rossi: „Boni ingenij, sed non sani iudicij, est enim demens.“: ARSI, Rom. 60 Cat.trien. 1655-1658, f. 62r (n° 47). 63 ARSI, FG 661, f. 30rv, 34r, hier f. 30r, und im Anhang der vorliegenden Arbeit, S. 328. 64 Regel 5: Institutum (1892-1893) III: 66b. 65 Zur Ordenshierarchie, siehe Adrien Demoustier (s.j.), „La distinction des fonctions et l'exercice du pouvoir selon les règles de la Compagnie de Jésus“, in: Giard, Luce (Hg.): Les jésuites à la Renaissance. Système éducatif et production du savoir, Paris: puf, 1995, S. 3-33, hier S. 23-24.

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1. Einführung

unähnlich ist, was die Art der Darstellung und die übrigen Inhalte, die ohne Beweise vorgebracht werden, angeht, wird das Urteil jener völlig gleich sein über beide. 66

Alles in allem, auch wenn sich Duneau von seinem früheren Urteil distanziert, hatten er und seine Revisorenkollegen es letztendlich versäumt, das provokative Potenzial von Kirchers Ekstatischer Reise zu entschärfen. Gemessen an der darauf folgenden heftigen Ablehnung des Werkes, die sie selbst zur Zielscheibe werden ließ, scheinen die Revisoren dessen Brisanz an entscheidenden Stellen schlicht übersehen zu haben. Der astronomische Gehalt des Werkes könnte sie mitunter überfordert haben. Inhaltliche Gründe für den Skandal lassen sich aus Duneaus Schilderung nicht entnehmen, die andererseits ein mögliches Versagen der Revisoren als durchaus entschuldbar erscheinen lässt: Wohlgemerkt waren es ja „mit jener Materie äußerst vertraute und überaus gebildete Männer “, die das Buch so drastisch verurteilten („cum nausea et stomacho“). Mit Blick auf die zu druckende Zweite Ekstatische Reise beruft sich Duneau wiederum auf jene Fachmänner, deren negatives Urteil er fürchtet. Letztlich ist dies aber zugleich ein Eingeständnis, dass er selbst den Vorläufer dieses Werkes nicht richtig eingeschätzt hatte trotz seiner nachträglich beteuerten Vorbehalte gegen eine Veröffentlichung. Nun war Duneau aber drei Tage vor seinem Schreiben an den Ordensgeneral auch bei Kirchers Zweiten Ekstatischen Reise von seinen Kollegen überstimmt worden. Sie hatten den Druck genehmigt mit der Auflage, dass Kircher die von ihnen geforderten Änderungen vornimmt. Wie es die Regeln für Generalrevisoren vorschrieben, unterzeichnete Duneau nolens volens wieder ein Urteil, dem er innerlich nicht zustimmen konnte. Die Regeln räumten aber überstimmten Mitgliedern des Revisorenkollegs die Möglichkeit ein, in einem separaten Schreiben an den Ordensgeneral ihren abweichenden Standpunkt darzulegen. Eben diese Möglichkeit nimmt Duneau wahr mit seinem oben zitierten Brief an Goswin Nickel, um den Druck der Zweiten Ekstatischen Reise und den von ihm befürchteten neuerlichen Skandal doch noch zu verhindern. 67 Hierbei schreckt er auch nicht zurück, am Ende seines Briefes Kircher zu denunzieren: Dieser habe in seinen bisher gedruckten Büchern nicht alles korrigiert, was ihm von der Zensur auferlegt worden sei. 68 Dem General will er dadurch eine Veröffentlichung der 66 ARSI, FG 661, f. 30r: „Prima ratio est, [… ]“, im Anhang, S. 328. 67 Die 15 Regulae Revisorum in: Institutum (1892-1893) III: 65-8. Sie wurden erstmals 1646 herausgegeben und 1652 bestätigt. Duneau beruft sich in seinem separaten Schreiben (ARSI, FG 661, f. 30r, im Anhang S. 328) ausdrücklich auf die Regel 5, ebd., S. 66b: „5. Absolutis cuiusque libri consultationibus, tum eius libri approbationem, tum censuras Patri nostro subscriptas exhibebunt, ut de his statuat, quod convenire videbitur. Suscribent quidem omnes, si in eas maior pars consenserit. Si quis vero, vel in approbatione libri, vel in aliqua censura discrepaverit, vel imissum aliquid fuerit, quod ei dignum censura videatur, separatim id ad P. Generalem cum suis rationibus, vel eodem folio vel diversis, ut placuerit, scribet, si rem dignam iudicaverit, de qua P. Generalis moneatur. [… ]“ 68 ARSI, FG 661, f. 30v, 34r: „7a, quod [… ] emendasse.“, im Anhang, S. 329. In Zusammenhang mit diesen Vorwürfen könnte auch stehen, dass nur ein einziger Revisor des Itinerarium, Celidonio Arbizio, die Bestätigung über die gemachten Änderungen unterschrieben hatte: ARSI, FG 661, f. 33r und im Anhang, S. 327. Kircher hatte auch tatsächlich nicht alles korrigiert: Die Mondanziehung auf Theodidactus findet sich wieder wie von den Zensoren zensiert

1.1. Werk und Werkgeschichte

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Zweiten Ekstatischen Reise offenbar als noch riskanter vor Augen führen. Zwar erscheint diese schließlich dennoch, aber es ist nicht der Ordensgeneral, sondern der Provinzial der römischen Provinz, der die Druckerlaubnis, die Facultas, erteilt.69 Dies mag als Indiz dafür gewertet werden, dass Duneaus Brief möglicherweise nicht ganz ohne Wirkung auf den Ordensgeneral geblieben ist. 1.1.3.2. Auslöser Nicht wenige hätten Anstoß genommen an der Ekstatischen Reise, weil Kircher darin vieles entgegen der allgemeinen Schulmeinung schreibe und anstelle von sicherer wissenschaftlicher Kenntnis (vera solidaque ratio) Aussagen ohne Beweise liefere (absque ullis probationibus). Mehr lässt sich aus Duneaus Brief zu den Gründen des Skandals nicht entnehmen. Auch führt er nur formale Gesichtspunkte dafür an, dass wie schon bei der Ekstatischen Reise auch bei deren Fortsetzung mit heftigen Reaktionen zu rechnen wäre: die ähnliche Darstellungsweise (modus tractandi) und die wiederum fehlenden Beweise (sine probationibus). Dass Kircher vieles ohne Beweis vorbringe, hatten Duneau und seine Revisorenkollegen bereits in ihrem Zensurbericht über die Ekstatische Reise abschließend festgestellt.70 Was aber hatte an dieser letztendlich zum Skandal geführt ? Für die Frage nach den inhaltlichen Gründen desselben lässt sich bei Duneau keine Antwort finden. Doch es gibt noch weitere Dokumente, in denen solch negative Reaktionen selbst zu sehen sind, wie sie Kirchers Ekstatische Reise auslöste.71 Zu erwähnen sind hier die Dubitationes Aliquot Observatae in Itinerario Extatico, die anonym

(Itin., 48-49; It., 90), die Pluralität der Welten wird weiterhin verneint (Itin., 351-352, 390391; It., 412-413, 439-440), und auch die zensierte Aussage „dicit penetrabunt se corpora damnatorum“(ARSI, FG 661, f. 29v und im Anhang, S. 327) findet sich im gedruckten Werk wieder als ein den Verdammten gewährtes „penetrabilitatis donum“(Itin., 406; It., 450); zu dieser auch von anderen kritisierten Vorstellung von einer körperlichen Durchlässigkeit für die Verdammten siehe weiter unten Anm. auf S. 61. 69 Facultas ausgestellt am 02.08.1657 vom Praepositus Provincialis Provinciae Romanae Johannes Rho (1590-1662). Er mag Kircher wohl immer noch zugetan gewesen sein, wie Riccioli es für die Zeit davor berichtet: „P. Rho qui non semel iucundam et perhonorificam mentionem R. V.e mihi fecit, [… ]“: Riccioli (Bologna) an Kircher (Rom), 09.03.1647, in: I. Gambaro (1989) 85. Zu Rho: DeBS, VI: 1711-1718. Provinzial der Provinz Rom war Rho vom 05.02.1655 bis 09.02.1658: BNCR, FG 1666, „Catalogo di dignitari della Compagnia di Gesù dal 1551 al 1773“. Aus diesem Grunde dürfte in Duneaus Brief mit Provincialis ipse als öffentlicher Kritiker Ekstatischen Reise nicht der Provinzial der Römischen Provinz gemeint sein, was darauf hinwiese, dass der Skandal nicht auf Rom beschränkt blieb. Die Facultas findet sich in diesem nur 237 Seiten zählenden Werk an etwas verstohlen später Stelle: Iter extaticum II (1657) f. 12r (unpaginierte Seiten am Anfang). 70 ARSI, FG 661, f. 29v (im Anhang, S. 327): „Tandem aliqua narrat satis dubia in operis decursu sine probatione[.]“ 71 Beide im Folgenden besprochenen Dokumente wurden erstmals angeführt von C. Ziller Camenietzki (1995b) 27-31.

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1. Einführung

verfasst sich heute in der Nationalbibliothek von Neapel befinden. 72 Diese undatierte Schrift bezieht sich in ihrer Kritik auf die römische Ausgabe der Ekstatischen Reise.73 Die daran geäußerten Zweifel (dubitationes) umfassen vierzehn Seiten, wobei ein einziger dieser insgesamt neun Kritikpunkte bereits die Hälfte des Seitenumfangs ausmacht: Er ist dem Wasser gewidmet, das Kircher auf anderen Planeten annimmt und das dennoch verschieden sein soll von dem irdischen.74 Dagegen will ihm der anonyme Kritiker nachweisen, dass es sich letztlich überall um elementares Wasser handeln müsse. Dabei verliert er sich selbst in einem eigenen Vortrag über mögliche Zusammensetzungen und Arten von Wasser. Er widerlegt Kirchers Darstellung, indem er sie anhand von Prinzipien aristotelischer Physik und Metaphysik bewertet. Auf diese greift er ebenso zurück, um eine von Cosmiel vorgebrachte anti-aristotelische Bemerkung über die Natur des Feuers zurückzuweisen.75 Am häufigsten beschäftigen ihn die von Kircher angenommenen Einflüsse und Ausströmungen der verschiedenen Himmelskörper, deren wechselseitige Wirkung aufeinander er nicht gelten lassen will. 76 Auch wenn manche seiner Zweifel, auf die wir noch zurückkommen werden, von Interesse sind, so bleiben es Details, die der anonyme Verfasser aus den Dialogen aufgreift. Eine breite Ablehnungsfront gegen das Werk und dessen Inhalt wird dabei nicht erkennbar. Ebenso wenig entsteht aus dieser Schrift der Eindruck, dass es sich bei Kirchers Ekstatischer Reise um ein skandalträchtiges Buch handeln könnte. Der Skandal allerdings, wie er von Duneau geschildert wird, muss vor allem ein innerjesuitischer gewesen sein. Die Dubitationes dagegen stammen sicherlich nicht von einem Jesuiten und liefern mit ihren kritischen Anmerkungen auch alles andere als harsche Kritik.77 Hier können wir folglich die inhaltlichen Gründe für den Skandal nicht finden. Ganz anders verhält es sich mit einer weiteren Streitschrift, die gleichfalls ungedruckt, anonym und undatiert ist. Wiederum beziehen sich die Seitenver72 Dubitationes Aliquot Observatae in Itinerario Extatico Doctiss. Patris Athanasii Chircheri S.I., Biblioteca Nazionale Centrale di Napoli (Vittorio Emanuele III), Mss. Brancacciano IE1, f. 309r-315v. Im Folgenden kurz mit ‘Dubitationes’zitiert. 73 Die datierten Dokumente, mit denen sie zusammen in einem Codex abgeheftet ist, stammen aus den 1660er Jahren. 74 Dubitationes, f. 310r-313r (dubitatio 3). 75 Dubitationes, f. 314v (dubitatio 7). 76 Dubitationes, f. 310r (dub. 2), 313v (dub. 4), 314rv (dub. 6), 314v-315r (dub. 8). 77 Es finden sich zwei Anhaltspunkte für eine nicht-jesuitische Autorenschaft. Zum einen kritisiert der Verfasser Kirchers Festhalten an Intelligenzien, die er selbst nur als Angeli bezeichnet (Engel, die ursächlich sind für die Bewegung der Himmelskörper): Dubitationes, f. 313v314r (dub. 5). Als Jesuit wüsste der Kritiker, dass Kircher an dieser aristotelischen Vorstellung festhalten muss, da sie von der Ordinatio (s. unten Anm., S. 105) vorgeschrieben ist und anderenfalls sein Buch keinesfalls die Zensur hätte passieren können. Des Weiteren lässt sich der Kritiker in Zusammenhang mit der Wasserfrage in physiologischen Ausführungen über den Verdauungsvorgang aus, die Kenntnisse in Medizin verraten. Von Lehre und Studium dieser Wissenschaft jedoch waren Jesuiten ausdrücklich durch die Vorschriften ihres Ordensgründers ausgeschlossen: Monumenta Ignatiana. Ex autographis vel ex antiquioribus exemplis collecta, 3 Bde, [hg. von der Gesellschaft Jesu,] Rom: Pontificia Universitas Gregoriana, 1934-1938, Bd II, S. 470, 471.

1.1. Werk und Werkgeschichte

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weise der darin kritisierten Ekstatischen Reise auf die römische Ausgabe von 1656. Die Handschrift umfasst vierzig Seiten und trägt den Titel Mira Kircheri in suo Itinerario exstatico.78 Das aus der Bibliothek des Collegio Romano stammende Manuskript befindet sich heute in der Nationalbibliothek Rom. 79 Die Mira gliedern sich in fünf Kapitel. 80 Sie fassen ihre Kritik jeweils nach formalen Gesichtspunkten zusammen. Der bereits von Duneau bekannte Vorwurf der fehlenden Beweise (sine probationibus) findet eine Entsprechung im ersten Kapitel: „Audacia, Praesumptio, ac temeritas“ (Dreistigkeit, Vermessenheit und Verwegenheit). Hier will der Mira-Autor zeigen, dass Kircher sich entgegen seiner Behauptung eben nicht auf christliche Quellen, Beobachtungen und Experimente in seinem Werk berufen könne. Es ist bezeichnend für die Stoßrichtung der weiteren Kritik, dass deren Autor gleich zu Beginn darauf abzielt, den Orthodoxie-Anspruch zunichte zu machen, den Kircher als Vorsichtsmaßnahme einleitend zu seiner Ekstatischen Reise proklamiert.81 Mit diesem verbunden hatte Kircher auch seinen Anspruch auf wissenschaftliche Fundiertheit bei allem, was sein Buch enthält. Der Mira-Autor versucht dagegen zu zeigen, dass Kirchers Interpretation der zu beobachtenden Phänomene weit über das hinausgeht, was sich mit sicherer Erkenntnis sagen lässt. Für völlig haltlos, weil ohne jeden Beweis („sine ulla probatione“), hält der Mira-Autor Kirchers Feststellung, die Sonne sei tausendmal größer als die Erde.82 Der Gipfel an Dreistigkeit („palmaris audacia“) sei aber, dass Kircher behaupte, die Fixsterne seien unzählig und in riesigen verschieden großen Abständen von der Erde entfernt.83 Wie weit sich Kirchers Ausführungen von allgemein vertretbaren Positionen entfernen, soll das zweite Kapitel der Mira zeigen mit der Überschrift „Suspecta < illius > Doctrina“. Seinem Kritiker zufolge fänden sich neben Kirchers Aussa78 BNCR, FG 1331 (15), f. 1 (205)r –20 (230)v, in 4°; im Folgenden Mira genannt; eine textkritische Transkription der unveröffentlichten Handschrift liefert die vorliegende Arbeit im Anhang, S. 335-350. Eine ausführlichere Inhaltsübersicht als die hier folgende ist in: H. Siebert (2002b) 167b-173a. Erstmals besprochen wurden die Mira von Carlos Ziller Camenietzki, L'Harmonie du Monde au XVIIe Siècle. Essai sur la Pensée Scientifique d'Athanasius Kircher, Phil.Diss. (Paris IV-Sorbonne), 1995, S. 180-181; ders. (1995b) 27-30. 79 C. Ziller Camenietzki, 1995a, 28 n. 63. Der Fondo Gesuitico der Nationalbibliothek Rom setzt sich aus den ehemaligen Bibliotheksbeständen des Collegio Romano zusammen. 80 Die fünf Kapitel der Mira sind: I. Audacia, Praesumptio, ac temeritas : f. 1r-4r; II. Suspecta Kircheri Doctrina : f. 4v-10r; III. Kircheri aliquot Ignorantiae : f. 10r-14v; IV. Pugnantia & Contradictoria : f. 14v-17v; V. Falsa et absurda : f. 17v-20v. 81 Mira, f. 1r-2r, und noch 2r-3r. Die Mira beziehen sich auf Kirchers Behauptung im Vorwort (‘Praefatio ad Lectorem’): „[… ], hisce ea qua par est animi ingenuitate & candore protestari volui, me nihil hoc in Opusculo, nisi Sanctis Patribus, Sacrae scripturae & experimentis ab observationibus deductis, undequaque congruum adducturum.“: Itin., 5; It., 15. Diesen Orthodoxie-Anspruch bekräftigt Kircher wiederum in seiner Einleitung zum Werk, was bereits aus deren Überschrift hervorgeht: „PRAELUSIO PARAENETICA, In qua Author luculenter docet, opusculum hoc nihil peregrinum habere, quod non sacrarum Literarum, Sanctorumque Ecclesiae Doctorum authoritatibus, & irrefragabilibus observationum experimentis consentiat.“: Itin., 8; It., 39. 82 Mira, f. 3v. 83 Mira, f. 3v-4r; Itin., 26-27; It., 52-3.

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gen zu den Fixsternen noch weitere Stellen in der Ekstatischen Reise, die sich zu Gunsten der copernicanischen Lehre deuten ließen und Kirchers gegenteilige Beteuerung als bloße Lippenbekenntnisse („verbo tenus“) entlarvten. 84 Ferner kritisiert der Mira-Autor in diesem Kapitel eine Behauptung Kirchers, die bereits von der Zensur angemahnt worden war: Vor allem sei es schon sehr verdächtig („valde suspectum (ut amplius nihil dicam)“), dass Gott nicht hätte mehrere Welten schaffen können. 85 Auch bei der zweiten verdächtigen Behauptung sieht Kirchers Kritiker den Glauben in Gefahr („periculosum quoque videtur in fide“). Gefährlich sei es nämlich, eine Weltseele anzunehmen und sich eine belebte Welt vorzustellen, die sich von den himmlischen Gewässern nähre. 86 Doch als sehr gefährlich für den christlichen Glauben erachtet der Autor der Mira, dass Kircher sowohl substantielle Formen als auch Akzidenzien leugne.87 Dieses Abweichen von der scholastischen Akzidenzienlehre war Kircher ebenfalls schon von seinen Zensoren vorgeworfen worden. 88 Zwar fehlt hier, wie auch an anderer Stelle in den Mira, jeder Verweis auf die Ordinatio, dagegen wird ausgesprochen, warum dieses Thema so heikel und Kirchers Lehre in diesem Punkte gefährlich für den Glauben war.89 Die Eucharistie, wie sie durch das Trienter Konzil definiert wurde, steht und fällt mit der Akzidenzienlehre. Denn nur wenn die Eigenschaften (Akzidenzien) eines Gegenstandes als verschieden und getrennt von seinem Wesen (Substanz) gedacht werden, lässt sich die Wandlung seines Wesens bei Beibehaltung seiner Eigenschaften erklären. Diese Transsubstantiation genannte Wesenswandlung ist der zentrale Vorgang beim Abendmahl: Bei Beibehaltung ihrer Akzidenzien verwandeln sich Brot und Wein in Leib und Blut Christi und durch diese Wesenswandlung wird Christus in Brot und Wein gegenwärtig.90 Im dritten Kapitel, unter der Überschrift „< {Kircheri} > aliquot Ignorantiae“ (Ein paar Beispiele von Kirchers Unkenntnis), wird die von Kircher eingangs proklamierte wissenschaftliche Fundiertheit seiner Darstellung weiter in Frage gestellt. Nur als exotisch („exotica“) könne man Kirchers Optik bezeichnen derzufolge die Meere vom Weltraum aus betrachtet trotz ihrer glatten Oberfläche weniger Licht reflektierten als die Kontinente.91 Kircher versucht mit Verweis auf 84 85 86 87 88 89 90

91

Mira, f. 6rv, hier 6v. Mira, f. 4v; Itin., 352, 390; It., 412-413, 439-440. Mira, f. 4v; Itin., 335, 371; It., 400, 426. Mira, f. 8rv, 9r-10r, hier f. 10r: „doctrinam esse valde in fide periculosam“; Itin., 60-61, 141, 144, 148; It., 104-105, 207-208, 209-210, 212-213. ARSI, FG 661, f. 29v (im Anhang, S. 327-327). Offensichtlich hatte Kircher seine als von der Schulmeinung abweichend und in sich widersprüchlich kritisierte Darstellung nicht ausreichend korrigiert. Mira, f. 10r: „Hoc autem stare non potest cum fide transsubstantionis in Sacramento Eucharistiae, ut absque maiore declaratione satis evidenter constat.“ Zur Problematik der Eucharistie: Sylvain Matton: „Note sur quelques critiques oubliées de l'atomisme: À propos de la transsubstantiation eucharistique“, Revue d'histoire des sciences, 55/2 (2002), S. 287-294; Pietro Redondi, Galileo eretico, Turin: Giulio Einaudi, 1983, S. 257-287. Mira, f. 13v-14r; Itin., 44, 65; It., 84, 107.

1.1. Werk und Werkgeschichte

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die Tiefe und schlammigen Grund der Meere zu begründen, warum sie von weitem als dunkle Flächen erscheinen. Denn ihrer Dunkelheit wegen hatte Galilei bei seinen ersten Teleskopbeobachtungen des Mondes nahe gelegt, für die dunklen Flächen Wasser anzunehmen, für die hellen Land. Doch bringt Galilei in seinem Sternenboten von 1610 (Sidereus nuncius) nur vorsichtig diesen Gedanken vor, der dagegen dankbar von den nachfolgenden Astronomen aufgegriffen wurde und seinen Höhepunkt fand in den beeindruckenden Mondkarten eines Johannes Hevelius (1611-1687).92 Galilei selbst hingegen lässt diese Vorstellung nur gelten, falls irgendeiner („si quis“) den alten pythagoreischen Gedanken erwecken wolle, demzufolge der Mond die andere Erde sei.93 Diese Ähnlichkeit der beiden Himmelskörper wird von Kircher gleichsam mit Erfahrung belegt, wenn er die beiden Kosmonauten seiner Ekstatischen Reise vom Weltraum aus die Ozeane der Erde als ebensolch dunkle Flächen sehen lässt wie diejenigen, die von der Erde aus auf dem Mond zu beobachten sind und die im weiteren Verlauf des Dialoges sich tatsächlich als Meere herausstellen. Kirchers optische Ausführungen hatte in anderem Zusammenhang auch der Verfasser der Dubitationes kritisiert. Während dieser lediglich sein eigenes Unverständnis konstatiert („Hic non capio rationem hanc opticam“), 94 will der Mira-Autor dagegen Kirchers Unwissen entlarven („magnam quoque perspectivae ignorantiam prodit“).95 Aber nicht nur in Optik möchte er Kircher, den Autor eines großen optischen Werkes, der Ars magna lucis (1647), vorführen. Auch Kircher den Mathematikprofessor des Collegio Romano versucht er bloßzustellen, indem er ihn in Sachen Geometrie berichtigt. Denn die Erdkugel böte, wie der anonyme Kritiker vorrechnet, in ihrem Inneren sehr wohl genügend Platz als Hölle für alle Verdammten. Hierfür sei es nicht nötig, wie Kircher es fordert, dass Gott ihnen eine spezielle Gabe verleihe kraft deren sich ihre Körper gegenseitig durchdringen könnten.96 Mit etwas Geometrie hätte Kircher es nicht nötig gehabt, auf ein solches Wunder zu rekurrieren.97 Trotz zahlreicher kritisierter Einzelaspekte bilden entsprechend dem Inhalt der Ekstatischen Reise Astronomie und Kosmologie das Hauptthema der Mira92 Johannes Hevelius, Selenographia sive Lunae descriptio, Danzig: Hünefeld, 1647 93 Galilei, Sidereus nuncius [Venedig: Thomas Baglionus, 1610], in OGG, III: 53-96, hier 65: „[… ], si quis veterem Pythagoreorum sententiam exsuscitare velit, Lunam scilicet esse quasi Tellurem alteram, eius pars lucidior terrenam superficiem, obscurior vero aqueam, magis congrue repræsentet: [… ]“. Die pythagoreische Vorstellung einer Gegenerde ( ) wird von Aristoteles (De caelo, B13, 293a20) überliefert; Philolaos allerdings soll sich (nach Aëtios, II, 7, 7) Gegenerde und Mond ebenso als zwei verschiedene Himmelskörper gedacht haben wie Zentralfeuer und Sonne: Hermann Diels/ Walther Kranz (Hgg.), Die Fragmente der Vorsokratiker, 3 Bde, Zürich: Weidmanm, 61951-1952, Nr. 58 B 37 und 44 A 16. 94 Dubitationes, f. 309r (dub. 1). 95 Mira, f. 13v. 96 Mira, f. 13r: „[...] ut damnatorum corpora penetrabilitatis dono fruerentur.“Diese Stelle war bereits zensiert (ARSI, FG 661, f. 29v, im Anhang S. 327) und von Kircher nicht geändert worden: „penetrabilitatis donum“: Itin., 406; It., 450. 97 Mira, f. 13rv: „[… ] ego in hoc homine pudendam geometriae ignorantiam arguo, [… ], si quam in geometria peritiam habuisset.“

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Kritik durch alle fünf Kapitel hindurch. Bemerkenswert ist dabei, dass die von Kircher literarisch verarbeiteten astronomischen Erkenntnisse, Theorien und Hypothesen, und seine sich daran entspinnenden Phantasien gleichermaßen ernsthaft zum Gegenstand der Kritik werden. An die literarische Form des Werkes machen die Mira keine Zugeständnisse: Die geträumte Weltraumreise wird auf ihre astronomische Zulässigkeit und wissenschaftliche Fundiertheit ungeachtet ihres fiktiven Charakters hin überprüft.98 Kirchliche Autoritäten und biblische Quellen (wie im ersten Kapitel der Mira) kommen hierbei nur insoweit ins Spiel, als Kircher sich selbst darauf bezogen hat. Außer der Astronomie stellt Kirchers Missachtung der scholastischen Lehre von Substanz und Akzidenz einen eigenen Kritikpunkt in den Mira dar. Die große Gefahr für den Glauben, die Kirchers Abweichen von der gemeinsamen Lehre bedeutet, ergibt sich aus der bereits angesprochenen Definition der Eucharistie (Transsubstantiation). Aus demselben Grunde war der Atomismus verboten, weil ja nach dieser Lehre die Eigenschaften eines Gegenstands bestimmt werden von der Zusammensetzung seiner Atome, sich also nicht mehr getrennt denken lassen.99 In einem Fall weist der anonyme Kritiker zwar auf eine Annäherung an atomistische Positionen hin. 100 Der sehr gefährliche Vorwurf, Kircher vertrete insgeheim den Atomismus, wird allerdings nicht erhoben und die Auseinandersetzung beschränkt sich auf das zweite Kapitel.101 Neben den vielen Beanstandungen erheben die Mira den schwerwiegenden Vorwurf, dass Kirchers astronomische Ausführungen den Copernicanismus stützten. Angedeutet bereits im ersten Kapitel der Mira wird in den folgenden beiden wiederholt der Copernicanismus-Vorwurf vorgebracht, der in der Anschuldigung gipfelt, Kircher stecke mit den Copernicanern unter einer Decke. 102 Selbst dort, wo Kircher die geozentrische Lehre von der ruhenden Erde bekräftigt, sieht ihn sein Kritiker eher als Anwalt der Gegenseite („causae praevaricator“): „Während er vorgibt die wahre Lehre zu verteidigen, gibt er sie mit lächerlichen Argumenten dem Spott preis.“103 Lachhaft sei zum Beispiel („Quis enim risum teneat“), dass Theodidactus auf dem Mond stehend beteuere, er sehe gar nicht dass sich die Erde um sich selbst drehe.104

98 Auf gerade zwei der 40 Seiten fallen die Namen von Theodidactus (3x) und Cosmiel (2x): Mira, f. 15r, 17r. 99 In der Ordinatio beziehen sich acht der insgesamt 65 in der Philosophie verbotenen Lehrmeinungen auf Aussagen zum Atomismus: in: G.M. Pachtler (1887-1894) III: 90-94 (nn°18, 19, 23, 25, 26, 33, 37, 38). 100 Mira, f. 8v: „[...] quod a recentioribus Democriti, et Epicuri sectatoribus mutuatus est“: der Kritiker schlussfolgert hier, dass Kirchers Leugnung substanzieller Formen unweigerlich auf atomistische Annahmen hinauslaufen müsse. 101 Mira, f. 8r-10r. 102 Mira, f. 12v: „[...] cum Copernici sectatoribus colludat, eorumque partibus plusquam veritati serviat.“ 103 Mira, f. 12v: „[… ] postquam temerarijs suis assertionibus verae sententiae fundamenta omnia evertit, ridiculis eam argumentis, dum propugnare fingit, ludibrio exponit.“ 104 Mira, f. 12v; Itin., 73; It., 114-115.

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Für überflüssig dürfte der Kritiker diese Aussage halten, weil Kircher aus geostatischer Sicht nur eine Selbstverständlichkeit formuliert. Denn die von der katholischen Kirche durch die päpstlichen Erlässe von 1616 und 1633 vorgeschriebene völlige Ruhestellung der Erde bedingt, dass alle Himmelskörper, darunter eben auch der Mond, sich in vierundzwanzig Stunden einmal um die Erde bewegen. Diese erste Bewegung aller Gestirne wird traditionell als primus motus bezeichnet (auf dessen Problematik Teil 3 dieser Arbeit eingeht). Vom Mond aus gesehen würde sich auch für einen Anhänger der Geostatik die Erde scheinbar um ihre Achse drehen, weil er sie allmählich von allen Seiten zu sehen bekäme, während er sich in vierundzwanzig Stunden (zusammen mit der Sonne, allen Planeten und Sternen) einmal um sie herum bewegt. Doch auf dem Mond stehend schiene es eben ganz so, als wenn sich die Erde drehe, und dies wäre dann wohl auch die näher liegende Erklärung, zumal man, wie Theodidactus zu berichten weiß, gar nicht bemerke, dass der Mond sich bewegt. Wenn Theodidactus nun aber gerade vom Mond aus die Ruhestellung der Erde festzustellen glaubt, kann man dies leicht als ironisch auffassen. 105 An dieser Stelle zeigt sich das Spiel, welches Kircher zur Verwirrung seiner Leser mit dem Wechsel der Standpunkte treibt, wodurch sich die Bewegung der verschiedenen Himmelskörper relativiert und keine Entscheidung mehr möglich scheint in der alles entscheidenden kosmologischen Frage: Wer dreht sich und wer um wen?106 Dieses Spiel allerdings hatten die Copernicaner begonnen mit ihrer Feststellung, dass das, was sich vor unseren Augen bewegt, ebenso gut auf unsere eigene Bewegung zurückzuführen sein kann. Als passende Formel für diese Erkenntnis fand sich der in kosmologischen Werken der Zeit allgegenwärtige Vers aus Vergils Aeneis (III, 71): „provehimur portu, terraeque urbesque recedunt“(‘wir fahren aus dem Hafen, und Länder und Städte weichen zurück’). Der Mira-Autor sieht sich indessen weiter darin bestätigt, dass Kircher in Wirklichkeit der Gegenseite angehöre. Denn um nichts besser sei dessen Argument für die Ruhestellung der Erde, demzufolge sie nur dann imstande sei, die Einflüsse aller Himmelskörper aufzunehmen, wenn sie völlig unbeweglich fest im Zentrum stehe.107 Mit diesem Argument gebe sich Kircher lediglich den An105 Der Mira-Autor zitiert diese Stelle der Ekstatischen Reise in verkürzter Form. Dort aber begründet Theodidactus seine Feststellung damit, dass er immer dieselben Erdphasen (analog zu den von der Erde aus zu sehenden Mondphasen) sieht. Doch mit dieser Begründung wird die Behauptung nicht glaubwürdiger: Denn jene Phasen würden sich auch für einen Betrachter auf dem Mond erst im Laufe eines Monats ändern. Nur innerhalb dieses Zeitraums also kann man sie vom Mond aus betrachtet an der Erde beobachten, bis diese bei Vollerde ganz beleuchtet ist. Diese allmählich zunehmende Beleuchtung erwartet Theodidactus nun schon innerhalb von vierundzwanzig Stunden. Dass sie selbstverständlich in dieser Zeit ausbleibt, sagt folglich nichts über die Stellung der Erde aus. Die Phasen, d.h. die Monatsbewegung des Mondes um die Erde (dessen zweite Bewegung) ist völlig unabhängig von jener geostatischen Tagesbewegung des Mondes um die Erde (motus primus) bzw. der täglichen Achsendrehung der Erde im heliozentrischen System. 106 Ein solches Spiel wie mit der Mondbewegung treibt Kircher auch mit der Venus: Itin., 93-94; It., 142-143. 107 Mira, f. 13r: „[...] eandem telluris immobilitatem adstruere simulat, dum ait, eam excipiendis

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schein, als ob er den Geozentrismus vertrete („adstruere simulat“). Denn es sei völlig einerlei, ob die Sterne oder die Erde sich drehten: in beiden Fällen und ohne Unterschied sei die Erde den kosmischen Einflüssen ausgesetzt: „Dies hätte Kircher durchaus wissen müssen; wenn er es aber gewusst hat, hätte er nicht den Ahnungslosen spielen und ein unnützes Argument vorbringen dürfen.“108 Der Mira-Autor konnte davon ausgehen, dass Kircher die Nichtigkeit dieses Arguments für die Ruhe- und Mittelstellung der Erde bekannt war. Schließlich war es vor ihm schon von namhafter Seite vorgebracht worden, bloß eben für das Gegenteil, als Begründung dafür, dass die Erde, um die Einflüsse der Himmelskörper empfangen zu können, sich bewegen müsse. 109 Doch sind es noch mehr Stellen in der Ekstatischen Reise, durch die sich der Mira-Autor in seinem Vorwurf bestätigt sieht, Kircher diene insgeheim der copernicanischen Sache. Verdacht schöpft er allein schon darin, dass Kircher behauptet, die Fixsterne seien unzählig und überträfen mengenmäßig die Zahl der Auserwählten.110 Die von Kircher als unerklärlich (inexplicabilis) bezeichnete Entfernung der Fixsterne von der Erde hält der anonyme Kritiker für ebenso übertrieben.111 In den von Kircher geschilderten unerklärlichen Dimensionen des Universums schöpft der Mira-Autor weiter Verdacht.112 So deutet er die Kirchersche Sonnengröße als pro-copernicanisches Argument, weil er sie für übertrieben hält. Diese Übertreibung erklärt er mit Kirchers Absicht, die Fixsterne durch unermessliche Räume zu entfernen.113

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coelestium corporum influxibus aptam minime futuram, nisi prorsus immobilis, suo stabiliretur in centro.“Itin., 320; It., 389. Mira, f. 13r: „[… ] quod ignorare < ipsi {Kirchero} > non licuit; si vero non ignoravit, dissimulare, et futile argumentum proponere non debuit.“ Celio Calcagnini, Quod coelum stet, terra moveatur, vel de perenni motu terrae [ca. 1519], in: Opera aliquot, Basel: o.N., 1544, S. 387-395, hier S. 389-390. Calcagnini ist der erste moderne Vertreter einer Rotationsbewegung der Erde; der entsprechende Vergil-Vers (Aen., III, 71) findet sich gleichfalls schon bei ihm (ebd., S. 389); zu Calcagnini siehe weiter unte 110. Vor allem aber hatte Copernicus selbst die Sonnenbestrahlung als Argument für die Bewegung der Erde vorgebracht: De revolutionibus orbium coelestium libri VI [Nürnberg, 1543, f. 9v (lib. 1, cap. 10)], in: Nicolaus Copernicus Gesamtausgabe, hg. von Heribert M. Nobis, Menso Folkerts u.a., bisher sechs Bände in sieben Teilen, Berlin (Akademie) und Hildesheim (Gerstenberg), 1974-2002, Bd II (besorgt von Heribert Maria Nobis und Bernhard Sticker, Hildesheim: Gerstenberg, 1984), S. 20 (Z. 12) - 21 (Z. 5). Mira, f. 3v: „multitudine innumerabili [...] adeo ut stellarum numerus omnium electorum numerum excedat“, und ebd., f. 4r; Itin., 266, 336; It., 348, 400. Mira, f. 3v; Itin., 26, 27; It., 53. Kirchers cusanische Lehre von der Größe der Welt und deren potentieller Unendlichkeit als maximum contractum bleibt ohne Belang für die copernicanischen Deutungsversuche seines Kritikers. Auf das hierfür zentrale zweite Kapitel des II. Dialogs (‘De Mundi magnitudine’: Itin., 308-313; It. 378-84) findet sich kein einziger Verweis in den Mira. Die geschilderten Dimensionen irritieren den Kritiker nur bezüglich der Fixsternentfernung, denn die Fixsternparallaxe, und damit der Abstand zwischen Erde und den ersten Fixsternen, entscheidet über den Copernicanismus, nicht die Gesamtgröße der Welt. Mira, f. 3v, 10v-11v.

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Man kann Kircher nicht davon freisprechen, selbst solch eine copernicanische Lesart begünstigt zu haben. Sein Aufgreifen von Bewegungsrelativität und astrologischer Bestrahlung, die als Argumente eigentlich von der copernicanische Seite stammen, er aber für die Geozentrik ummünzt, sind hierfür ein Beispiel. Dass in seinem Kosmos noch streng aristotelisch alle Himmelskörper von Intelligenzien angetrieben werden und dass Kircher in der mit zunehmender Entfernung immer aberwitziger werdenden Fixstern-Geschwindigkeit kein physikalisches Problem, sondern göttliche, menschliche Fassungskraft übersteigende Vollkommenheit sah, durfte dagegen von einem Jesuiten auch nicht anders geschrieben werden und war kein Gegengewicht zu missverständlichen Stellen. 114 Natürlich ist es nicht möglich, alle Aspekte der Ekstatischen Reise aufzuspüren, die den Mira-Autor dazu gebracht haben könnten, in Kircher letztlich einen heimlichen Anhänger des Copernicus zu sehen. Die von ihm kritisierten Stellen zeigen jedoch, dass er eindeutig pro-copernicanische Darstellungen an solchen Positionen Kirchers begründet nachzuweisen glaubt, die tatsächlich bereits von katholischen Astronomen bezogen worden sind. Dies gilt insbesondere für die hinzugewonnenen Dimensionen der Welt (Fixsternzahl, Fixsternentfernung, Sonnengröße) aber auch für Argumente, die wertlos geworden sind, weil sie mittlerweile von beiden Seiten der kosmologischen Kontroverse vertreten werden. 115 Die astronomischen Kenntnisse des Kritikers sind nicht ganz auf der Höhe der Zeit, legt man Ricciolis Almagestum novum (1651) als Gradmesser für die zeitgleich vertretenen und vertretbaren Positionen in der katholischen Astronomie an. Trotz einer Ehrenrettung für die Quintessenz des Aristoteles, die Kircher aus seinem Kosmos gleichsam verbannt, war der Mira-Autor wiederum kein später Verfechter der aristotelischen Physik gegen die modernen Erkenntnisse, die sich in den vorangegangenen vierzig Jahren dank des Teleskops gewinnen ließen. Er unterzieht den astronomischen Gehalt der Ekstatischen Reise einer kritischen Prüfung, zu der die jesuitischen Zensoren des Werkes ihrerseits offensichtlich nicht imstande waren. Aus diesem Grunde dürfen wir mit einiger Wahrscheinlichkeit in dem anonymen Verfasser der Mira einen jener „überaus gebildeten und mit jener Materie überaus vertrauten Männer “sehen, von denen Duneau berichtet, sie hätten die Ekstatische Reise nur „mit Übelkeit und Ärger“lesen können.116 Diese formalen Gesichtspunkte, die Duneau als Gründe für den Skandal anführt, finden in den Mira inhaltlich eine Entsprechung: von der Schulmeinung Abweichendes in Akzidenzienlehre und Quintessenz und das immer wiederkehrende „ohne Beweise“ (sine probationibus) im Astronomischen, dessen Darstellung zudem Copernicus Vorschub zu leisten scheint. Handelt es sich bei den Mira damit tatsächlich um ein bedeutendes Dokument im Zusammenhang mit dem Skandal um die Ekstatische Reise ? Mit anderen Worten, inwiefern kann man die darin vorgebrachte Kritik als repräsentativ für die 114 Gegenteiliges wäre ein Verstoß gegen die Ordinatio gewesen: M.G. Pachtler (1887-1894) III: 92: nn° 34, 35. 115 Belege für diese Bewertung der Mira-Kritik: H. Siebert (2002b) 171a-172b. 116 ARSI, FG 661, f. 30rv, und im Anhang, S. 328-329: Duneau an Nickel, 07.05.1657.

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1. Einführung

negativen Reaktionen betrachten, von denen Duneau berichtet ? Einen positiven Hinweis hierauf liefert bereits der Text selbst in seiner handschriftlichen Form. Das Manuskript enthält im Ganzen keine Streichungen. Nur wenige Wörter oder Buchstaben stehen ausgebessert oder durchgestrichen im Text (Mira, f. 1v, 2r, 5r, 9v, 20rv; siehe die textkritische Transkription im Anhang, S. 335-350). Es finden sich akribisch genaue Seitenverweise auf die Ekstatische Reise (insgesamt 86, je Seite also mehr als zwei) sowie drei interne Querverweise auf Stellen in den Mira (f. 3v, 12v, 16r). Die fünf Kapitel sind jeweils doppelt durchnummeriert, in Worten und mit Zahlen (letztere stehen meist am Zeilenanfang teils auch am -ende); beide Zählungen decken sich nicht, die numerische Absatzzählung bildet eine engere Gliederung. Angesichts dessen dürfte es sich bei der erhaltenen Handschrift um eine Reinschrift des Textes handeln. Hierfür mag auch das Fehlen von drei Nummerierungsziffern sprechen, was sich als Abschreibfehler erklären ließe (Mira, f. 6v, 9r, 20r). Dennoch wurde an oder mit dieser Streitschrift weiter gearbeitet. Dies mag man aus den wahrscheinlich von derselben Hand stammenden Itinerarium-Stellenverweisen sowie Querverweisen schließen, die zusätzlich am Seitenrand vermerkt worden sind (Mira, 3r, 8r, 12v, 16r, 20r). Überdies hebt eine von freier Hand gezogene über drei Seiten verlaufende Strichelung zwei Abschnitte der Mira hervor (f. 18r-19r). Eine einzige textliche Ergänzung ist zwischen die Zeilen gesetzt (Mira, f. 3r): Insoweit sie leserlich ist, scheint die eingefügte Wortfolge grammatikalisch unstimmig, mag aber vielleicht nicht vom Mira-Autor selbst stammen. Denn die anonym verfasste Streitschrift wurde von fremder Hand nachbearbeitet. Dies zeigen deutlich die Weißungen, die fast vollständig den Namen Kircher aus der Handschrift tilgen. Anstelle dessen sind meist Pronomina gesetzt oder gegen Ende hin vorwiegend die Bezeichnung „extaticus“; häufig blieben die geweißten Stellen aber einfach leer. Diese weiße Farbe, die ursprünglich auch den Titel ganz bedeckt haben muss, ist zu einem großen Teil porös und durchsichtig geworden. Das darauf von fremder Hand neu Geschriebene ist so meist nur schwer oder gar nicht mehr lesbar. Dank des im Lateinischen so seltenen wie charakteristischen ‘K’lässt sich Kirchers Name unter der weißen Farbe oft leichter entziffern als das neue Wort darüber. Im Ganzen sind die Weißungen nicht gründlich vorgenommen worden: An insgesamt sechs Stellen blieb Kirchers Name erhalten (Mira, f. 7r, 10r, 16r, 19rv), und an zwei geweißten und leer gebliebenen Stellen verlangt die Syntax eigentlich nach einem Ersatzwort (Mira, f. 8v, 9r). Obschon sich für die merkwürdigen Weißungen eine sichere Erklärung kaum geben lässt, so sprechen sie zumindest dafür, dass die Mira nicht allein für die Schublade geschrieben worden sind. Angesichts der Textgestaltung kann in ihnen ein für die Öffentlichkeit bestimmtes Schriftstück vermutet werden. Die Weißungen wiederum legen nahe, dass sie tatsächlich nicht nur einen Leser gehabt haben dürften und ihrerseits womöglich nicht ganz unumstritten waren.

1.1. Werk und Werkgeschichte

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1.1.3.3. Spuren In seiner Würzburger Ausgabe berichtet Schott, dass er Kircher auf die Idee gebracht und dazu angehalten habe, die Ekstatische Reise zu schreiben. 117 Aber auch die neue Ausgabe derselben geht wiederum auf Schotts Initiative zurück, wie wir dort gleichfalls erfahren können.118 Aufschluss darüber geben Kirchers Briefe an seinen Freund in Würzburg, die dieser mit abdruckt, sowie unveröffentlichte Briefe Schotts, die in Rom erhalten geblieben sind.119 In einem Schreiben vom 26. Oktober 1658 berichtet Schott Kircher von seiner Begeisterung für die seit langem erwartete Weltraumreise („Itinerarium coeleste“) mit, das er nun zu lesen begonnen habe. Er wünscht sich von diesem Werk viel mehr Exemplare, damit er ganz Deutschland um diesen Schatz bereichern könne. Daher fragt er bei Kircher an, ob dieser zustimme, dass er mit Frankfurter Buchhändlern dahingehend verhandle, dass sie hier, wo er selbst den Druck korrigieren könne, die Ekstatischen Reisen neu drucken. 120 Schott hat also von Anfang an im Sinne beide Ekstatischen Reisen zusammen neu aufzulegen. Wohlgemerkt meinte er damit tatsächlich nur einen unveränderten Neudruck des römischen Itinerarium exstaticum von 1656 und der im Jahr darauf erschienen Zweiten Ekstatischen Reise (Iter extaticum II). Lediglich einen Brief und eine zusätzlich Widmung möchte Schott der Neuauflage vorweckschicken. 121 Als Grund für seine Neuedition gibt Schott später in seinem Vorwort (Praefatio Scholiastae) die anhaltend große Nachfrage nach Kirchers Ekstatischer Reise an, die er mit einer zweiten ausreichend großen Auflage befriedigen wolle. 122 Angesichts dieses Erfolges scheint es aber verwunderlich, dass Kircher gerade bei diesem Werk nicht selbst schon eine Neuauflage vorangetrieben hatte und diese letztlich erst auf Schotts Initiative zustande kommt. Für den spätestens seit der Veröffentlichung seines Oedipus aegyptiacus (1655) weltberühmten

117 Schott in It., 3-5 (‘Praefatio scholiastae’). 118 Schott in It., 2, 5. 119 Für eine Übersicht der in Rom im Archiv der Pontificia Università Gregoriana (APUG) erhaltenen Korrespondenz Kirchers im Carteggio Kircheriano (APUG 555-568): Wiktor Gramatowski (sj)/ Marjan Rebernik, Epistolae Kircherianae. Index alphabeticus. Index geographicus, Rom: Institutum Historicum S.I., 2001. Dank des Kircher Correspondence Project von Michael John Gorman und Nick Wilding steht die Korrespondenz vollständig im Internet zur Verfügung. Zu diesem Internet-Archiv und Kirchers Korrespondenz: M.J. Gorman, „The correspondence of Athanasius Kircher: the world of a seventeenth century Jesuit. An international research project“, Nuncius, 12 (1997), S. 651-658; N. Wilding, „Appendix I: Kircher’s Correspondence“, in: D. Stolzenberg (Hg.), The Great Art of Knowing. The Baroque Encyclopedia of Athanasius Kircher, Stanford: Stanford University Libraries, 2001, S. 141-146. 120 Schott (Würzburg) an Kircher (Rom), 26.10.1658: APUG 561, f. 283r: „Placetne R[everenti]ae V[estr]ae ut cum Bibliopolis Francofurtensibus agam, ut hic, ubi typum ipse corrigere possum, eadem Itineraria reimprimant?“ 121 APUG 561, f. 283r: „Placet ut Epistolam aliquam meam praemittam ? Placet ut alicui dedicem, non sublata tamen Dedicatione R[everenti]ae V[estr]ae.“ 122 Schott in Iter, 1-2.

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1. Einführung

Athanasius Kircher wäre es ein leichtes gewesen, auch seine ebenfalls erfolgreiche Ekstatische Reise neu zu verlegen. Für eine unveränderte Neuauflage in Deutschland hätte er nicht einmal einer neuen Druckerlaubnis (also auch nicht einer erneuten Prüfung durch die Zensur) bedurft. Sein kosmologisches Werk hätte genauso wie die ebenfalls in Deutschland erschienenen Neuauflagen seiner erstmals in Rom gedruckten Bücher Magnes (1641) und Scrutinium pestis (1658) mit dem römischen Imprimatur wieder aufgelegt werden können.123 Für eine einfache Neuauflage des Werkes, um die Nachfrage zu befriedigen, wäre ein Herausgeber wie Schott nicht nötig gewesen. Die Gründe für Kirchers Zögern, seine Ekstatische Reise neu aufzulegen, dürften wir in Zusammenhang mit dem Werk selbst sehen. In dem bereits erwähnten Brief vom 26. Oktober 1658 hatte Schott seinem Freund vorgeschlagen, in Deutschland die beiden Ekstatischen Reisen unverändert neu drucken zu lassen. Hierauf antwortet ihm Kircher in einem Brief vom 22. November 1658: Was die Ekstatischen Reisen angeht, [...], ist mir Euer Hochwürden Bestrebung, wonach Sie diese eines Neudrucks für wert erachten, durch und durch willkommen gewesen. Bevor dies aber geschehe, wäre es nicht von Nachteil, wenn Euer Hochwürden in ihnen kurze Kommentare veröffentlichte zusammen mit Abbildungen von Beobachtungen des Mondes, Merkur, der Venus, Sonne, des Mars, Jupiter, Saturn und der Fixsterne, die P. Riccioli in seinem Almagestum novum herrlich zeigt. Auf diese Weise würde das Werk größeren Glanz und größere Bewunderung erlangen. [… ] Euer Hochwürden könnte die Aufgabe beizeiten erledigen und mich nächstens über alle aufkommenden Zweifel in Kenntnis setzen: Denn Sie werden darin ein riesiges Feld für Kommentare finden, ob Sie nun Ihre Aufmerksamkeit auf die physikalischen oder astronomischen Betrachtungen richten. Seien Sie gewiss, dass sie sich mit Ihrer Arbeit ein großes Verdienst und einen großen Namen in der Gelehrtenrepublik erwerben werden.124

Einleitend bezieht sich Kircher zwar noch auf beide Werke, also auf sein Itinerarium exstaticum und sein Iter extaticum II, da Schott ja die Neuauflage beider vorgeschlagen hatte. Im Folgenden spricht er aber nur mehr von seiner Weltraumreise, für die er sich Kommentare wünscht. 123 Mit dem vom Ordensgeneral bzw. seinem Stellvertreter ausgestellten Imprimatur der römischen Erstausgabe erschienen im Ausland: Magnes (Rom, 1641; Köln, 1643), Scrutinium pestis (Rom, 1658; Leipzig, 1659), Magneticum naturae regnum (Rom, 1667; Amsterdam, 1667), Ars magna lucis (Rom, 1646; Amsterdam, 1671). 124 Kircher an Schott, 22.11.1658: in Iter, 2-3. Der Ausdruck „in den Schulen“(„in Scholis“) bezieht sich auf Kirchers ursprüngliche Intention mit seinem Itinerarium. Es ist also kein neuer Aspekt der erst mit der Schottschen Edition hinzukommen sollte. Abgesehen davon ist in Scholis nicht dahingehend zu interpretieren, dass Kircher ein Schulbuch für den Unterricht an Schulen im Sinn gehabt hätte. Zum einen hätte dies dann schon für das römische Itinerarium gegolten. Zum anderen ist es ebenso wenig vorstellbar, dass er nach dem Skandal auf den Gedanken verfallen sein könnte, ein Schulbuch aus dem Werk zu machen – im Briefwechsel zwischen Kircher und Schott findet sich darauf kein Hinweis. Die Schulen hätten freilich auch profitiert von seinem novum systema physicum coleste, aber der Adressat des Werkes war eine breite Öffentlichkeit (Mundus, Respublica Litteraria). Zu Kirchers Werk-Intention, siehe unten S. 48 ff.

1.1. Werk und Werkgeschichte

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Für Kircher hatte die Neuedition durch Schott einen entscheidenden Vorteil: Nicht er musste in Rom den veränderten Text des Werkes erneut der Zensur vorlegen. Denn Ergänzungen zur ursprünglichen Fassung hätten dies notwendig gemacht.125 Kircher mag diesen Schritt aber genauso gescheut haben wie einen unveränderten Neudruck seiner Ekstatischen Reise. Schott bleibt damit aber nicht bloßer Herausgeber von deren Neuausgabe. Durch die beigefügte Zweite Ekstatische Reise und seine umfangreichen Ergänzungen liefert er ein eigenes Buch. Autor desselben ist nicht Kircher sondern Schott. Es ist Schotts Name der auf den original erhaltenen Buchrücken steht und in Bibliothekskatalogen findet sich das neue Iter exstaticum ebenso unter Schotts Namen. Freilich mag hierbei einfach die Unterscheidung zwischen Verfasser und Herausgeber verwischt worden sein wie sie dagegen aus dem Volltitel des Werkes deutlich hervorgeht. Aber auch offiziell war Schott Autor dieser neuen Ekstatischen Reise. Denn auf ihn war die Druckerlaubnis (Facultas) ausgestellt.126 Mit anderen Worten, das von Schott 1660 veröffentlichte Buch ist als sein Werk von der internen Ordenszensur geprüft und zum Druck freigegeben worden. In der Druckerlaubnis für Schott sowie derjenigen für den Drucker wird Kircher mit keinem Wort erwähnt. Kurioserweise nennen beide aber ebenso wenig das Werk bei seinem Titel (Iter extaticum). Die Druckerlaubnis ist ausgestellt auf ein Buch von Schott mit dem Titel Prodromus in Mundum Mirabilem. Da von diesem Werk im Titel keine Rede ist, wurde offenbar mit Irritationen seitens der Leser gerechnet, weshalb sich auf der folgenden Seite ein klärender Hinweis des Buchhändlers (Bibliopolae Monitio ad Lectorem) findet: Bei dem besagten Prodromus handele es sich um ebendasselbe Iter Exstaticum Kircherianum Coeleste; der Autor Schott trage sich nämlich mit dem Gedanken an ein nicht unbedeutendes Werk („Opus non mediocre“), welches er Mundus Mirabilis nennen werde und in dem er unter anderem das im vorliegenden Buch Dargestellte ausführlicher erklären und begründen werde.127 Dieser Mundus Mirabilis, den Schott hier ankündigt, ist nie erschienen. Es findet sich jedoch ein Hinweis darauf in Schotts Brief an Kircher vom 9. März 1659. In Zusammenhang mit den Kommentaren, zu denen ihm die Ekstatische Reise reichlich Gelegenheit biete, merkt Schott an, dass er alles ausführlicher behandeln werde im Mundus Mirabilis, den er, so Gott will, zu schreiben gedenke.128 125 So wurde z.B. Kirchers dritte Ausgabe von Magnes (Rom, 1654) auf ihre Änderungen hin von der Zensur in Rom erneut geprüft am 14.08.1652: ARSI, FG 668, f. 393r: „legi ea quae R. P. Athanasius attexuit libro suo de re magnetica“. 126 Facultas ausgestellt am 27.06.1660 vom Provinzial der Oberrheinischen Provinz Ricquinus Göltgens (1594-1671), der dieses Amt von 1659 bis 1662 inne hatte und zuvor (02.07.1653 bis Mai 1656) Rektor des Jesuitenkollegs in Würburg war: DeBS, III: 1526. Gemeinsam mit Göltgens und zwölf weiteren Patres hatte Kircher in Speyer 1629/30 sein drittes Probationsjahr verbracht: ARSI, Rheni Sup. 25 Cat.brev. 1626-1639, f. 49r. 127 Facultas und Monitio finden sich auf den ersten unpaginierten Seiten von Iter, f. 5v, 6r. Die Monitio fehlt in der Neuauflage der Würzburger Ausgabe von 1671. 128 APUG 561, f. 279r: „Omnia fusius pertractabo in Mundo Mirabili quem scribere, DEO annuente, cogito.“

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1. Einführung

Kirchers ausbleibende Initiative für eine Neuauflage seiner Ekstatischen Reise sowie sein Wunsch nach einer kommentierten Ausgabe kann sich vor dem Hintergrund des Skandals erklären, den die römische Erstveröffentlichung ausgelöst hatte. Kircher hätte womöglich damit rechnen können, durch eine Neuauflage des Werkes in unveränderter Form wieder negative Reaktionen zu provozieren. Seine Vorsicht war zumindest nicht übertrieben. Denn, noch bevor die Schottsche Neuausgabe erscheint, wird Kircher erneut angegriffen. Der von Schott auch Vir doctus genannte anonyme Kritiker äußert sich allerdings erst spät. Wie von Schott zu erfahren ist, werden die Vorwürfe laut, als er mit den Kommentaren für seine Ausgabe der Ekstatischen Reise schon fast fertig ist.129 Anhand von Schotts Briefen an Kircher lässt sich das Fortschreiten seiner Arbeit daran und somit auch das Auftreten des Vir doctus zeitlich näher bestimmen. Danach könnte Schott nach mehreren Unterbrechungen im Oktober 1659 mit dem letzten Abschnitt begonnen haben, im Verlaufe dessen er –„fast fertig“– von den Vorwürfen des Vir doctus aus Rom erfährt.130 Schott widmet dieser neuerlichen Kritik eigens einen umfangreichen Anhang von dreißig Seiten, das Apologeticon. Darin ergreift auch Melchior Cornaeus (1598-1665), ein gemeinsamer Freund und Rektor des Würzburger Jesuitenkollegs,131 für Kircher Partei und weist seinerseits die Vorwürfe zurück.132 Zuvor aber dürfte schon einer der Zensoren des Itinerarium exstaticum, der Generalrevisor François Le Roy (1592-1679),133 ein eigenes Schreiben zur Verteidigung Kirchers verfasst haben.134 Darin entkräftet Le Roy, der als Zensor des Werkes letztlich verantwortlich für dessen Veröffentlichung war, die anonym vorgebrachten Vorwürfe. Denn der neuerliche Skandal konnte wiederum auf die Mitglieder des Collegium Revisorum zurückfallen. Le Roys offizielle Stellungnahme, die dem General des Jesuitenordens, Goswin Nickel, zuging, musste ihrem Inhalt nach auch Schott bekannt gewesen sein, da sich wörtliche Passagen daraus (ohne Kenntlichmachung) im Apologeticon der Würzburger Ausgabe wieder finden.135 129 Schott in Iter, 485 (Apologeticon): „Ad umbilicum prope perduxeram Praelusiones & Scholia, quae in Itinerarium Exstaticum Coeleste R. P. Athanasii Kircheri scriptitabam, cum Roma ad me perscriptum fuit, tum ab aliis, tum ab ipso etiam Auctore, Virum doctum nescio quem, [...].“Ob Schott um die Identität des Kritikers wirklich nicht kannte, bleibt offen, da die Wendung nescio quem nicht unbedingt non scio bedeuten muss. 130 Schott in Iter, 485 (Apologeticon). Für diese chronologische Bestimmung siehe: H. Siebert (2002b) 174b-175a. Einen terminus post quem für den Druck der Würzburger Ausgabe liefert der darin abgedruckte Brief Kirchers an Schott vom 9. April 1660: It., 28. 131 Cornaeus hatte 1629/30 zusammen mit Kircher und Göltgens (s. oben Anm. 126) sein drittes Probationsjahr in Speyer verbracht: ARSI, Rheni Sup. 25 Cat.brev. 1626-1639, f. 49r. Er war ein begeisterter Leser des Itinerarium, wie Schott am 9. März 1659 an Kircher berichtet: APUG 561, f. 279r. Zu Cornaeus: DeBS, I: 1467-1471; ADB, IV: 481; NDB, III: 362. 132 It., 509-512 (Apologeticon). 133 Le Roy war von 1653 bis 1677 Generalrevisor für die Deutsche Assistenz. DeBS, VII: 255256; P. Delattre, Les établissements des jésuites (1949-1957), II: 258, 1188, 1283. 134 ARSI, FG 675, f. 247r-248r, und im Anhang der vorliegenden Arbeit, S. 330-332. 135 Vgl. It., 491-509 und ARSI, FG 675, f. 247r-248r (im Anhang S. 330-333). Hierzu: C. ZillerCamenietzki (1995b) 24-25.

1.1. Werk und Werkgeschichte

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Schott lässt im Apologeticon seiner Würzburger Ausgabe den anonymen Kritiker ausführlich zu Wort kommen. Der Vir doctus bringt sechs Punkte (sex propositiones) vor. In ihnen stellt er Behauptungen zusammen, die sich in Kirchers Ekstatischer Reise finden ließen und als gefährlich für den Glauben anzusehen seien. Das Buch enthalte aber, wie er abschließend bemerkt, noch weit mehr absurde Aussagen, die sowohl willkürlich gegen die gemeinsame Philosophie als auch ohne Beweis (sine probatione) vorgebracht würden und sich zudem gegenseitig widersprächen.136 An der Art seiner Vorwürfe sowie an deren Resonanz zeigt sich, dass es sich bei dem anonymen Kritiker um einen Jesuiten gehandelt haben muss. Alle sechs Kritikpunkte bis auf einen finden sich überdies in den Mira wieder und sind teils wörtlich daraus abgeschrieben. 137 Neu allerdings ist die Zuspitzung auf die Ordinatio-Verstöße, welcher Vorwurf trotz aller Polemik von den Mira an keiner Stelle erhoben wird. Es ist nicht ganz auszuschließen, dass es sich bei Vir doctus und Mira-Autor um ein und dieselbe Person handeln könnte. Der Charakter der sex propositiones ist allerdings ein deutlich anderer, als ihn die Mira offen zeigen, und spricht dagegen. Die Absicht, Kircher einen dreifachen Ordinatio-Verstoß nachzuweisen, ist keine inhaltliche Auseinandersetzung mit seinem Werk, sondern ein klarer Angriff auf seine Person. Für diesen Angriff dürfte der Vir doctus den Text der Mira lediglich benutzt haben, ohne zugleich auch dessen Autor gewesen zu sein. Der Vir doctus klagt Kircher an, gegen die Einheit der Lehre und damit gegen die Ordensdisziplin verstoßen zu haben. Daher kann es sich bei diesem anonymen Kritiker nicht um einen von Kirchers Zensoren handeln. Denn dies käme für sie letztlich einer Selbstanklage gleich: Die Aufgabe der Generalrevisoren bestand ja gerade darin, Verstöße gegen die uniformitas doctrinae und die Ordinatio im Besonderen zu verhindern. Damit mussten die Zensoren ebenso wie Kircher den Vorwürfen des Vir doctus ausgesetzt sein und wurden vielleicht auch erneut, wie von Duneau schon für das Jahr 1656 berichtet, tatsächlich angegriffen. Der Schwere dieses Angriffs entsprechend geht Schott ausgiebig auf alle sechs Anklagepunkte des Vir doctus ein. Er widerlegt sie ausführlich, indem er jeden einzelnen durch mehrere Gegenargumente zu entkräften sucht. Zudem zitiert er Kirchers eigene Verteidigung in fünf von sechs Punkten, die er von ihm zusammen mit der anonymen Kritik aus Rom erhalten hatte.138 136 It., 489 (Apologeticon): „Multo plures in eodem Libro continentur Propositiones absurdae, & contra communem Philosophiam temere, & sine probatione assertae; imo & aperte pugnantes inter se. Sed superiores periculosae sunt in fide.“ 137 Propositio II = Mira, f. 4v; III = Mira, f. 9r-10r; IV = Mira, f. 8rv; V = Mira, f. 4v; VI = 8v9r. Für einen Vergleich zwischen prop. VI und Mira-Text. Hierauf hatte bereits hingewiesen: C. Ziller Camenietzki (1995b) 29 n.65. 138 Schott berichtet, eine solche schriftliche Stellungnahme zusammen mit den sex propositiones von Kircher selbst erhalten zu haben; bei der Widerlegung der Ordinatio-Vorwürfe habe er bei weitem nicht alles zitiert, was Kircher zu seiner Verteidigung darin anführe: Schott in Iter, 496, 500, 504, 506, 507 (Apologeticon). Den im Iter (382-383) abgedruckten Brief Kirchers vom 29.03.1659 hatte Schott erhalten noch bevor der Vir doctus auftrat: Iter, 496: Apologeticon: „[… ] Epistola, quam adduxi in Scholio ad citatum caput 2. [sc. des Dialog II: Iter, 382-3] quam aestimo eum scripsisse, antequam de censura quidquam ipsi constaret.”Dieser

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1. Einführung

Die anonymen Vorwürfe werden erst drei Jahre nach der Veröffentlichung der Ekstatischen Reise vorgebracht. Damit geben sie Kirchers Zögern und den Vorsichtsmaßnahmen Schotts Recht. Angesichts des zeitlichen Abstandes erscheinen sie in ihrer Heftigkeit wie ein Nachbeben der vorangegangenen Aufregungen um die Erstveröffentlichung, von denen Duneau im Mai 1657 in dem oben zitierten Schreiben an Nickel berichtet. Wegen der konstruierten Ordinatio-Verstöße könnte man diese verspätet vorgetragene Kritik aber auch als einen gezielten Angriff verstehen, Schotts Vorhaben einer Neuausgabe zu torpedieren, von dem man mittlerweile in Rom erfahren haben dürfte.139 In jedem Fall konnten die sex propositiones keinen Einfluss mehr haben auf die Schottsche Gestaltung der Würzburger Neuausgabe. Dass Kirchers Ekstatische Reise nur mehr als kommentiertes Werk erscheinen sollte, das Schott zudem noch vor den Zensoren tarnte, hat nichts mit dem Auftreten des Vir doctus zu tun, sondern ist auf den ursprünglichen Skandal nach Erscheinen der römischen Ausgabe zurückzuführen. 140 Die umfangreiche Kommentierung selbst, die im Folgenden aufgeschlüsselt wird, geht auf Kritik vom Schlage der Mira ein, d.h. sachlich begründete Kritik an der dargestellten Astronomie und Kosmologie. 1.1.2. Kirchers Itinerarium exstaticum in Schotts Würzburger Ausgabe Die von Kaspar Schott 1660 in Würzburg besorgte Neuausgabe ist zur Referenz für Kirchers Ekstatische Reise geworden. Hierfür mögen praktische Gründe sprechen wie die größere Verbreitung der Würzburger Ausgabe gegenüber der römischen. Die Gemeinsamkeiten zwischen beiden scheinen zu überwiegen. Wie bereits der neue Titel des Werkes jedoch anzeigt, handelt es sich nicht um eine bloße Neuauflage des römischen Textes von 1656. Dieser geht in eine Gesamtausgabe beider Ekstatischer Reisen ein. Schott vereint sie zu einem Werk und schafft damit ein neues Buch: Sie erhalten einen gemeinsamen Index, die Seitenzählung läuft durch, und die Reise ins Unterirdische folgt unmittelbar auf die ekstatische Weltraumreise. Eine eigene Druckerlaubnis für die ehemals Zweite Ekstatische Reise (Iter extaticum II ), die nunmehr Ekstatische Erdreise (Iter exstaticum terrestre) heißt, fehlt.

Brief selbst ist nicht für das Apologeticon bzw. Schotts Widerlegung der propositio II verfasst worden, sondern bezieht sich auf Schotts Schreiben vom 09.03.1659 (APUG 561, f. 279r) und dessen Fragen zum cusanischen maximum contractum. 139 In dem zufällig in Kirchers Korrespondenz erhalten gebliebenen Brief Schotts an den Ordensassistenten Christoph Schorrer vom 28.08.1659, berichtet er von seinen Arbeiten an der Neuausgabe der Ekstatischen Reise: APUG 561, f. 282r. Gerade aber unter Schorrers Kollegen erwähnt Duneau in seinem oben zitierten Schreiben an Nickel Kritiker des Itinerarium („ex Patribus Assistentibus non nemo“: ARSI, FG 661, f. 30r, und im Anhang, S. 328). 140 Auch die Idee zu seinem Mundus Mirabilis hatte Schott schon früher erwähnt, in seinem Brief an Kircher vom 9. März 1659. Die Wirkung des Vir doctus auf die Würzburger Ausgabe erschöpft sich in dem als Anhang beigegebenen Apologeticon.

1.1. Werk und Werkgeschichte

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Nach eigenen Worten ergänzt Schott nur den Text der Ekstatischen Reise von 1656 um Zusätze in Form von Einleitungen und Kommentaren aber auch um Abbildungen. Wie er selbst einleitend weiter festhält, veröffentlicht er die alte Zweite Ekstatische Reise von 1657 unverändert unter neuem Titel und korrigiert lediglich Druckfehler. Als Grund hierfür gibt er an, dass Kircher bald alle nötigen Erklärungen selbst liefern werde in seinem demnächst erscheinenden Mundus subterraneus.141 Kircher hatte sich in dem von Schott zitierten Brief ausdrücklich Kommentare sowie Abbildungen gewünscht für eine Neuausgabe der Ekstatischen Reise, die in Rom bilderlos (auch ohne Frontispiz) erschienen ist. Als Vorbild nennt er hierfür solche Abbildungen von astronomischen Beobachtungen, wie sie sich in Ricciolis Almagestum novum (1651) finden. Schott versieht jede einzelne Reisestation mit mehreren Illustrationen sowie jeweils mit einer eigenen Einleitung (‘Praelusio’), die traditionelle Vorstellungen sowie Erkenntnisse der alten sowie der neuen, mit Teleskopen betriebenen Astronomie zusammenfasst. Er liefert damit kurze astronomiegeschichtliche Exkurse über den jeweils besuchten Planeten zusammen mit dem aktuellen Wissensstand. Neben der Praefatio Scholiastae, als Vorwort des Herausgebers, schickt Schott der Ekstatischen Reise eine zwanzigseitige ‘Praelusio catholica’ vorweg.142 Letztere bietet eine Einführung in Astronomie für Anfänger und wenig Fortgeschrittene, wie es ausdrücklich in der Überschrift heißt. Schott gibt darin einen Abriss über die astronomischen und kosmologischen Vorstellungen seiner Zeit. Dabei erklärt er die verschiedenen Weltsysteme und weist auf diejenigen Positionen hin, die von der katholischen Kirche verboten sind. Die beiden Dialoge der Ekstatischen Reise werden an zahlreichen Stellen von Schotts eingefügten Scholien unterbrochen. Die jeweils von beiden Kosmonauten gerade besprochenen oder erlebten Sachverhalte werden kommentiert und mit Quellenangaben aus astronomischen Werken und auch mit kirchlichen Autoritäten belegt. Für den Text seiner Kommentare verwendet Schott mitunter Passagen aus seinem im Jahr darauf gedruckten Cursus mathematicus,143 teils übernimmt er Stellen wörtlich aus Riccioli. 144 Der Umfang von Schotts Ergänzungen zum römischen Text der Ekstatischen Reise lässt sich nicht direkt aus der Würzburger Ausgabe ablesen: Die Zusätze schieben sich in den laufenden Text, dessen Drucksatz trotz desselben Buchformats zu sehr von der römischen Ausgabe abweicht, um die zusätzlichen Seiten einfach abzählen zu können. Mittels der von Schott unverändert übernommenen Zweiten Ekstatischen Reise, die beim selben Drucker und mit identischem Druck141 Schott in Iter, S. 9-10 (‘Praefatio scholiastae’). 142 Schott in It., 1-10 („PRAEFATIO SCHOLIASTAE AD BENEVOLUM LECTOREM“), 1939 („PRAELUSIO CATHOLICA SCHOLIASTAE, Sive Isagoge Astronomica pro Tyronibus, & in studio Astronomico minus provectis; Qua Mundi constitutio, mundanorumque corporum dispositio, ordo natura, proprietates, summatim exponuntur, variaque Mundi systemata explicantur.“). 143 Auf diese Übernahme von Passagen weist er einleitend hin: Schott in Iter, 20. 144 Schott in Iter, 194-195 = Riccioli, AN, I: 121; Iter, 336 = Riccioli, AN, I: 413a.

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1. Einführung

satz in Rom erschienen war, lässt sich ein Umrechnungswert gewinnen. Damit wird es möglich, den Zuwachs an Seiten in der Würzburger Ausgabe zu ermitteln. Demnach hätte der römische Text der Ekstatischen Reise, wäre er gleichfalls in unveränderter Form von Schott in seiner Würzburger Ausgabe abgedruckt worden, einen ungefähren Umfang von 315 Seiten haben müssen.145 Tatsächlich aber nimmt er darin insgesamt 512 Seiten ein. Somit gewinnt die Ekstatische Reise in der Würzburger Ausgabe um mehr als die Hälfte ihres ursprünglichen Umfanges hinzu. Schotts Textergänzungen machen folglich fast 200 Seiten und damit ein eigenes Buch im Buch der Ekstatischen Reise aus, das sogar länger ist als deren Fortsetzung. Die Zweite Ekstatische Reise nimmt in der Würzburger Ausgabe lediglich 177 Seiten ein. Von diesen umfangreichen Zusätzen fällt dabei nur der kleinste Teil auf den zweiten Dialog der Ekstatischen Reise. Die Textergänzungen dort sind so gering, dass sie sich in Zeilen zählen und Seiten zusammenfassen lassen: Sie machen nur knappe viereinhalb Seiten aus. In der Würzburger Ausgabe neu hinzugekommene ganze Teile des Buches sind: Schotts Anhang (Apologeticon) mit 27 Seiten und die beiden neuen Einleitungen mit insgesamt 36 Seiten (inklusive der beiden Scholien zu Kirchers ‘Praelusio Paraenetica’). Somit fällt von den knapp 200 näherungsweise errechneten Seiten, die Schotts Ergänzungen insgesamt umfassen, der allergrößte Teil (etwa 143 Seiten) auf den Text des ersten Dialogs. In diesem aber bestreiten die beiden Kosmonauten ihre eigentliche Reise, bis sie zu den Fixsternen gelangen, während sie im zweiten Dialog vornehmlich metaphysische Fragen und kosmologische Einzelaspekte erörtern. Neben den Textergänzungen in Form von Scholia & Praelusiones, die durch Kursivschrift kenntlich gemacht sind, hat Schott eine Nummerierung der Absätze eingeführt. Abgesehen davon aber habe er nichts („nihil“) in dem Werk selbst geändert, außer den beseitigten Fehlern („errores“).146 Es gibt in Wirklichkeit aber weitere von Schott nicht einleitend vermerkte Änderungen am ursprünglichen Text: Das Verschwinden der vierseitigen Widmung an Christine von Schweden; eine Streichung von zehn Seiten im Dialog II (Polemik gegen Häretiker), die Schott allerdings an gegebener Stelle anzeigt;147 eine Nachbearbeitung (Zusätze, Streichungen, Umformulierungen) zahlreicher Marginalien; eine durchgängige Überarbeitung des Textes hinsichtlich der Zeichensetzung; Umformulierungen 145 Iter extaticum II (1657) = 237 paginierte Seiten (ohne Titelblatt, ohne Widmung, ohne Einleitungen, ohne Imprimatur, ohne Index; das Werk beginnt auf Seite 1 mit dem Dialogus I) => Iter exstaticum terrestre (1660, 1671) = 161 paginierte Seiten (also gezählt ab der Seitenzahl, mit der der Dialogus I beginnt und ohne Index). Hieraus ergibt sich ein Umrechnungswert von 161/237. Damit würden sich für die 464 paginierten Seiten des Itinerarium (1656) als unveränderter Text 315 (=464x161/237) Seiten im Drucksatz der Würzburger Ausgabe ergeben gegenüber den 512 paginierten Seiten, die das Iter extaticum coeleste (1660, 1671) tatsächlich hat. Schotts Kürzung von 10 Seiten des römischen Textes bleibt hierbei unberücksichtigt. 146 Schott in Iter, 5-6 (‘Praefatio scholiastae’), hier 6: „In Opere ipso nihil mutavi, nisi quod errores abstuli, & numeros apposui marginales, ut Capita longiuscula majorem nanciscerentur distinctionem“ 147 Es fehlen die Seiten: Itin., 421-32, vgl. It., 461; für den Grund hierfür siehe oben S. 20.

1.1. Werk und Werkgeschichte

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und Streichungen von Satzteilen (offenbar zur besseren Verständlichkeit oder weil als überflüssig befunden);148 auch den ursprünglichen Aufbau verändert Schott, indem er den Anfang eines Kapitels verschiebt.149 Dies erscheint an Eingriffen ein bisschen viel, um nach heutigen Maßstäben behaupten zu können, dass nichts geändert worden sei am ursprünglichen Text der Ekstatischen Reise. In der vorliegenden Arbeit wird daher jede aus der Originalausgabe wörtlich angeführte Stelle mit der Würzburger Ausgabe verglichen. Nur in den Fällen, in denen sich eine Änderung feststellen ließ, ist dies vermerkt (außer typographischen Varianten wie ‘i’statt ‘j’, u.Ä.). Der Großteil der verglichenen Stellen wies Eingriffe auf, und seien es auch nur Satzzeichen. Damit bestätigt sich, was Schott bereits während seiner Arbeiten berichtet, dass er das gesamte Werk „durchgesehen und korrigiert“habe.150 So war ihm auch die uneinheitliche Zuordnung des Ich-Erzählers aufgefallen, der sich im Dialog unter Cosmiels Namen wie auch im Part des Theodidactus zu Wort meldet.151 Textlich schiebt Kircher damit ein Ich ein, das ganz konkret von beiden Dialogpartnern unabhängig ist. Aus dieser Perspektive vernehmen wir den Träumer, der seine Erlebnisse erzählt. Denn, um seine Eindrücke zu schildern, wählt dieser Erzähler der Geschehnisse das Präteritum und oft die erste Person Plural. Somit dürfen wir in dieser dritten Person des Dialogs den bereits erwachten Träumer vermuten, d.h. Kircher, der uns in durchaus nüchternem Zustand rückblickend von seiner Ekstase berichtet. Dementsprechend kündigt die römische Erstausgabe des Werkes im Titel nicht einfach eine ‘Reise’(Iter) an, wie später bei Schott zu lesen, sondern einen ‘Reisebericht’(Itinerarium).152 Es ist bezeichnend, dass die Würzburger Ausgabe bereits durch ihren neuen Titel diesen direkten Hinweis auf einen Erzähler zum Verschwinden bringt. Denn dieses Ich im Dialog ist Kircher, der in der Ekstatischen Reise mit Theodidactus allenfalls soweit identisch ist, wie ein Träumer mit der Person, die er im Traum ist. Mit diesem Kunstgriff allerdings gelingt es dem Autor Kircher, Handlung zu vermitteln und den Leser unmittelbar an Erlebnissen teilhaben zu lassen, was die 148 Beispiele für Umformulierung: Itin., 336: „si non aequet saltem superare“vgl. It., 400: „non adaequare modo, sed & superare“; Itin., 341: „[… ] putabis? Qua tamen attonite quispiam ut aliquid divinae potentiae contrarium asserere audeat, hominis divinarum rerum oppido ignari esse mihi persuadeo; sed timent [… ].“vgl. It., 404: „[...] putabis ? quam tamen si eo usque miretur quispiam, ut aliquid divinae potentiae contrarium asserere audeat; eum divinarum rerum oppido ignarum esse mihi persuadeo. Sed timent [...].“Beispiele für Streichungen von Satzteilen: Itin., 349: „[… ], aspectus tamen huiusmodi non dicam videri posse, sed & prorsus, ob illud, quod dixi, incredibilis intercapedinis discrimen evanescere, [… ]“ (Schotts Streichung und streichungsbedingte Änderung sind hier nachträglich hervorgehoben) vgl. It., 410: „[… ]; aspectus tamen hujusmodi prorsus, ob illud, quod dixi, incredibilis intercapedinis discrimen evanescit, [… ]“; zu dieser Streichung und weiteren Eingriffen in diesen Satz, siehe Anm., S. 266; eine weitere Streichung in Itin., 250-251 (vgl. It., 325), zitiert in Anm., S. 70. 149 Verschoben wurde der Beginn von Dialog I, Kapitel 5, § III: Itin., 159-84 = It., 224-40. 150 Schott an Kircher, 09.03.1659: APUG 561, f. 279r: „et totum Opus [sc. Itin.] recensui atque correxi“. 151 Itin., 265, 270; It., 347-348, 352; siehe weiter unten, zitiert in Anm., S. 194 und 74. 152 Siehe S. 14, Anm. 10.

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1. Einführung

literarische Form eines Dialogs sonst nicht zulässt. Der Ich-Erzähler bleibt auch in der Würzburger Ausgabe erhalten. Doch Schott verschiebt gegebenenfalls die Dialogeinsätze von Cosmiel und Theodidactus, so dass der Ich-Erzähler dem Gottesschüler zugeordnet wird.153 Bei Schott geht dadurch die Unabhängigkeit dieses Erzählers verloren, die dieser im Original besitzt, und mit ihr die Distanz zwischen Kircher und Theodidactus, zwischen Träumer und Geträumtem, wie es bereits das Frontispiz der Würzburger Ausgabe deutlich vor Augen führt: Hier sehen wir neben Cosmiel den Gottesschüler Theodidactus stehen, der die Gesichtszüge Kirchers trägt (siehe Abb. 1, S. 10). Dieser Textvergleich der beiden Ausgaben, der im Rahmen der vorliegenden Arbeit nur ausschnitthaft betrieben werden konnte, macht zudem deutlich, wie weit Schott den Begriff errores fasst. Unter diese Fehler, die er aus dem Werk beseitigt haben will, fallen keineswegs nur sprachliche. 154 Denn mit der Ausdrucksweise, die Schott wohl mit Blick auf die Leserlichkeit zu verbessern sucht, verändert er bisweilen den Sinn des Originals. 155 An anderer Stelle dagegen ist es eindeutig dieser Sinn von Kirchers Worten, der den Grund für eine Änderung darstellt.156 Schott aber korrigiert damit, wenn auch meist behutsam, zugleich inhaltlich. Die Würzburger Ausgabe der Ekstatischen Reise hat dem Leser sehr viel zu bieten, nicht nur durch das Buch im Buch, das Schott darin zusammen abliefert, sondern durch die tatsächlich größere Leserlichkeit, die bessere Übersichtlichkeit und Strukturiertheit des aufbereiteten Originaltextes. Bloß diesen selbst kann sie eben nicht mehr bieten, Kirchers Originalton ist in ihr verloren. Aus diesen Gründen schien es geboten, der vorliegenden Arbeit den römischen Text der Ekstatischen Reise von 1656 zugrunde zu legen und ausschließlich aus Kirchers Itinerarium exstaticum zu zitieren. 1.2. KONTEXT UND ZIEL DES WERKES Worin nun aber liegt die eigentliche Intention dieses für Traditionalisten so skandalösen Werkes, das erstmals eine komplette Weltraumreise zu allen Planeten, neu entdeckten Monden und den Fixsternen beschreibt. Die bis dahin erschienene Weltraumliteratur indes hatte den Leser allenfalls den Mond besuchen lassen. Durch diese literarische Neuheit eine größere Leserschaft zu gewinnen und auch gewinnen zu wollen, dürfte daher außer Zweifel gestanden haben. Dies mag durchaus im Sinne des Jesuitenordens gelegen haben trotz aller absehbaren und tatsächlichen Schwierigkeiten, die mit Kirchers Ekstatischer Reise verbunden waren –man denke nur an den darauf folgenden internen Skandal, der noch bis zu 153 Itin., 265; It., 348; siehe weiter unten, zitiert in Anm., S. 74. 154 Solch ein sprachlicher Fehler ist z.B. Itin., 11 vgl. mit It., 41; unten zitiert in Anm., S. 227. 155 Eine bedeutungsreiche Änderung des Zeitverhältnisses durch Schott in Itin., 339 vgl. It., 402, wieter unten zitiert und besprochen in Anm., S. 108. 156 Vgl. Itin., 266 u. It., 348, s. unten Anm., S. 74; vgl. Itin., 268 u. It., 350, s. unten Anm., S. 75.

1.2. Kontext und Ziel

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Schotts Neuausgabe derselben in Würzburg seine Wellen schlug. 1 Denn bisher wurde diese frühe Form der Wissenschaftsdichtung (Sciencefiction) von Anhängern des Copernicus genutzt, um einem breiteren Publikum die neue Lehre näher zu bringen. Als Wegbereiter für diese Art von Werken zählt das 1638 anonym erschienene Buch The Discovery of a World in the Moone des englischen Bischofs John Wilkins (1614-1672). Darin verteidigt dieser das heliozentrische System, beschreibt das Aussehen der Mondoberfläche und wirft die Frage nach außerirdischem Leben auf.2 Bis zum Erscheinen von Kirchers Ekstatischer Reise gab es lediglich zwei Wissenschaftsdichtungen, in deren Handlung die Erde selbst verlassen und eine fremde Welt besucht wurde. Unter dem Titel Somnium war 1634 posthum die Mond-Reise von Johannes Kepler (1571-1630) veröffentlicht worden.3 Darin legt dieser den Bericht eines gewissen Duracotus vor, den er selbst aber nur im Traum gelesen haben will. Duracotus, dessen Lebensbeschreibung an Keplers Biographie erinnert, lässt wiederum selbst einen Dämon zu Wort kommen, den seine Mutter herbeigerufen hat. Dieser berichtet detailreich von seinem Flug zum Mond sowie von den Verhältnissen auf ihm. Ausführlich geht er dabei auf dessen Bewohner ein, schildert ihre schwierigen Lebensbedingungen sowie ihr daran angepasstes Aussehen und Verhalten. Kepler erläutert den Text seiner Mondphantasie anhand von 223 Anmerkungen und lässt ihm im Anhang eine lunare Topographie (Appendix Geographica, seu mavis, Selenographica) folgen. Das erklärte Ziel Keplers mit seinem Somnium ist es gewesen, „am Beispiel des Mondes ein Beweismittel für die Erdbewegung zu liefern oder vielmehr eine Lösung der Einwände, die aus dem allgemeinen Widerspruch des Menschengeschlechts ausgesucht worden sind.“4 Einen größeren Erfolg als Keplers anspruchsvolles Werk hatte die in Landessprache verfasste Mond-Reise des anglikanischen Bischofs Francis Godwin (1562-1633), die 1638 anonym unter dem Titel The man in the moone erschien. 5 Der Held dieses Abenteuers, Domingo Gonsales, fliegt leibhaftig zum 1 2 3

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H. Siebert (2002b) 163-188. Wilkins, The Discovery of a World in the Moone. Or, a Discourse tending to prove, that 'tis probable there may be another habitable World in that Planet, London: Sparke/ Forrest, 1638. Kepler, Somnium seu opus posthumum de astronomia lunari [Sagan und Frankfurt a.M.: Sumptibus haeredum authoris, 1634], in KGW, XI.2: 315-438. Zu Keplers Somnium im Vergleich zu Kircher: Eberhard Knobloch, „Vielheit der Welten – extraterrestrische Existenz“, in: Ideale Akademie. Vergangene Zukunft oder konkrete Utopie?, hg. von Wilhelm Voßkamp, Berlin: Akademie Verlag, 2002, S. 165-186, hier 168-169; Karl S. Guthke, Der Mythos der Neuzeit. Das Thema der Mehrheit der Welten in der Literatur- und Geistesgeschichte von der kopernikanischen Wende bis zur Science Fiction, Bern: Francke, 1983, S. 81-89. Kepler, Somnium [1634, S. 31], KGW, XI.2: 333 (Z. 13-17): „Cùm igitur Somnij mei scopus sit, argumentum pro motu Terrae, seu solutionem potius objectionum ab universali contradictione gentis humanae desumptarum, moliri exemplo Lunae: jam tunc extinctam satis arbitrabar, exque memoria ingeniosorum hominum eradicatam veterem hanc Ignorantiam; [… ].“ Francis Godwin, The man in the moone, or a discourse of a Voyage thither by Domingo Gonsales. The speedy Messenger, London: Ioshua Kirton und Thomas Warren, 1638. Zu diesem Werk siehe: K.S. Guthke (1983) 139-144.

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1. Einführung

Mond, wohin ihn besondere Gänse von Sankt Helena führen, die er vor ein Fluggerät spannt. Das Aussehen der Mondoberfläche wird als erdähnlich beschrieben. Indes sind die lunaren Pflanzen und Tiere viel größer als auf der Erde, was auf die Einwohner des Mondes gleichfalls zutrifft, denen auch der Held in Godwins Weltraumabenteuer begegnet. Er lernt das Oberhaupt der Lunarier kennen und gewinnt dessen Gunst, berichtet von den paradiesischen Zuständen, aber auch von solch seltsamen Sitten, wie der streng praktizierten Eugenik. Auch bezüglich des Weltbaus gewinnt Godwins Held eine Erkenntnis. Auf seiner Reise sieht er, dass sich die Erde tatsächlich um ihre eigene Achse dreht.6 Während er durch diese Erfahrung Copernicus nur zustimmen kann, will er ausdrücklich nicht so weit wie dieser gehen und die Sonne zum ruhenden Mittelpunkt der Welt machen. Man solle der Erde nur überhaupt eine Bewegung zugestehen.7 Durch Godwins Mond-Reise wurde wiederum Wilkins angeregt, seine Discovery in der dritten Ausgabe von (1640) um ein vierzehntes Kapitel zu ergänzen, das Godwins phantastische Reisebeschreibung aufgreifend eigens die Voraussetzungen für einen Flug zum Mond behandelt. 8 Bald erschienen auch mehrere Übersetzungen von Godwins The man in the moone, darunter die bedeutende französische von 1648, die 1654 wieder aufgelegt wurde und den ersten deutschen Übersetzungen zugrunde liegt.9 In dieser Zeit auch muss ein berühmter Schüler von Pierre Gassendi (1592-1655) seine Weltraum-Abenteuer verfasst haben: In zwei Büchern entführt Savinien de Cyrano de Bergerac (1619-1655) seine Leser zum Mond bzw. zur Sonne, während er unverhohlen für das heliozentrische System Partei ergreift. Diese beiden Werke der pro-copernicanischen Sciencefiction erschienen jedoch erst in den Jahren 1657 und 1662.10 Sie folgten damit zeitnah auf Ausgaben der Ekstatischen Reise (1656; 1660). Ihren posthumen Druck könnten sie daher auch dem literarischen Erfolg zu verdanken haben, den gerade Kircher für dieses Genre unter Beweis stellte. Wenngleich es seit der Antike die Gattung der Himmels- oder Mondreise gab – zu nennen sind hier Cicero (106-43 v.Chr.), Plutarch (50-125), Lukian (120-180) –und sie von Dante (12651321) in der Divina Commedia wieder aufgegriffen wurde, so sind nach 1633

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Godwin, The man in the moone (1638) 56: „The reason therof I conceive to be this, that whereas the Earth according to her naturall motion, (for that such a motion she hath, I am now constrained to joyne in opinion with Copernicus,) turneth round upon her owne Axe every 24. howers from the West unto the East: [...].“ 7 Godwin, The man in the moone (1638) 58-60, hier 60: „[...], I will not go so farre as Copernicus, that maketh the Sunne the Center of the Earth, and unmoveable, neither will I define any thing one way or other. Only this I say, allow the Earth his motion (which these eyes of mine can testifie to be his due) and these absurdities are quite taken away [sc. primus motus] [… ].“ 8 K. S. Guthke (1983) 140; Michael J. Crowe, The Extraterrestrial Life Debate, 1750-1900, Cambridge: Cambridge University, 1986, S. 14. 9 Siehe das Literaturverzeichnis der vorliegenden Arbeit unter Godwin, Francis. 10 Cyrano de Bergerac, L'Autre Monde ou les États et Empires de la Lune [1657]. Les états et Empires du Solei [1662]. Fragment de physique [1662]. Edition critique, hg. und kommentiert von Madeleine Alcover, in: Oeuvres complètes, hg. von Madeleine Alcover, Luciano Erba, Hubert Carrier, André Blanc, 3 Bde, Paris: Honoré Champion, 2000-2001, Bd I (2000).

1.2. Kontext und Ziel

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dafür vermehrt Vertreter zu verzeichnen.11 Diese Häufung aber fällt in die heiße Phase der kosmologischen Kontroverse und dürfte zu einem beträchtlichen Teil durch ebendiese bedingt sein. Als Kircher seine Ekstatische Reise schrieb, konnte er sich also bereits bei der Wahl dieser literarischen Gattung eines interessierten Publikums gewiss sein. Dessen besondere Aufmerksamkeit mag Cosmiel zu Recht mit den gleichen Worten einfordern wie Godwins Gonsales: Arrige aures – Spitze die Ohren ! – heißt es in der Ekstatischen Reise wie bereits in The man in the moone.12 Allerdings scheint der Leser diesmal noch mehr Anlass gehabt zu haben, die Ohren zu spitzen. Denn im Gegensatz zu Godwin und Kepler bietet Kircher mit seinem Buch eine Erkundung des gesamten Weltraums, die mit dem Flug zum Mond allererst ihren Anfang nimmt, alle Planeten mitsamt ihren neu entdeckten Monden mit einschließt und sogar zu nie gesehenen Sternen und deren Trabanten führt. Mit seiner Ekstatischen Reise schafft Kircher damit die erste eigentliche Weltraum-Reise der frühen Sciencefiction-Literatur. Die wissenschaftliche Phantasie lebt sich indes nicht in technischen Aspekten des Weltraumfluges aus –Cosmiel und Theodidactus sind auf Engelsflügeln unterwegs –, sondern in Aussehen und Beschaffenheit der fremden Himmelskörper. Dabei dürfte Kirchers Weltraumreise hinsichtlich der zurückgelegten Wegstrecke sowie der Anzahl der besuchten Himmelskörper wohl lange ohnegleichen geblieben sein. Vielleicht mag in dieser Einmaligkeit der Grund zu sehen sein, dass noch ein Alexander von Humboldt (1769-1859) Kirchers Ekstatische Reise selbst gelesen hat.13 Das Besondere dieser Reiseschilderung stellt schon der Titel des Buches heraus: Bis an die äußersten Grenzen der Welt soll sie den Leser führen („usque ad ultima Mundi confinia“). Doch ebenso wenig wie bei den copernicanischen Vorläufern sollte sich dabei die Darstellung in reiner Unterhaltung erschöpfen, wie gleichfalls schon aus dem vollen Titel des Buches hervorgeht: Denn in diesem 11 Steven J. Dick, Plurality of the Worlds. The Origins of the Extraterrestrial Life Debate from Democritus to Kant, Cambridge: Cambridge University Press, 1982; K. S. Guthke (1983). 12 Godwin, The man in the moone (1638) 42: „O Reader? Arrige aures, prepare thy selfe unto the hearing of the strangest Chance that ever happened to any mortall man, and that I know thou wilt not have the Grace to beleeve, till thou seest it seconded with iteration of of [sic] Experiments in the like, as many a one, I trust, thou myest in short time; [...]“; Kircher: „Cosmiel, aures itaque arrige, & quae disces a me alto pectore conde.“: Itin, 127; It., 197: Schott ändert Zeichensetzung und schreibt „Aures“; Itin., 273: „Cosmiel. Aures toto mentis conatu arrige, magnum enim tibi pandam mysterium hucusque forsan inauditum.“; It. 354. 13 Auf eigene Leseerfahrung dürfte wohl die Bemerkung zurückgehen, die Humboldt in seiner Besprechung von Huygens’ (1698) fallen lässt: „Man glaubt Kepler’s Som n i um a str on om i cum oder Kircher’s ecstatische Reise [sic] zu lesen.“: Alexander von Humboldt, Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung, 5 in 6 Bden, Stuttgart u. Tübingen: Cotta, 1845-1862, Bd III (1850), S. 21 [Hervorhebung von Humboldt]. Indirekt war Humboldt auch Rezipient der Kircherschen Geologie durch Immanuel Kants Vorlesungen über physische Geographie (1802). In diesem für Humboldt bedeutsamen Werk hatte Kant mehrfach aus Kirchers Mundus subterraneus (1665; 1668; 1678) zitiert; zu diesen KircherStellen bei Kant, s.: Alfred Kahn, Die Didaktiker auf dem Gebiete der physikalischen Geographie im XVIII. Jahrhundert in ihren Beziehungen zu Kircher, Riccioli und Varenius [Phil. Diss., Würzburg, 1906], Würzburg: Anton Boegler,1906, S. 34-37.

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1. Einführung

„Ekstatischen Reisebericht “ („Itinerarium exstaticum“) 14 werde das Werk der Welt („Mundi Opificium“) mittels einer neuen Hypothese („nova hypothesi“) der Wahrheit gemäß dargelegt („exponitur ad veritatem“). Unter diesem Werk der Welt, wie der Titel weiter auseinandersetzt, seien zu verstehen die Natur, die Kräfte und Eigenschaften des Weltraums, der Planeten und Fixsterne sowie deren Zusammensetzung und Aufbau im Einzelnen.15 Tatsächlich soll in der Erkenntnis der wahrheitsgemäßen Weltverfassung der tiefere Gehalt von Kirchers Weltraumabenteuer liegen, und jene Erkenntnis zu vermitteln, das eigentliche Ziel des Buches sein. Beides – Erkenntniswert und dessen Vermittlung –ist vor dem Hintergrund der kosmologischen Debatte zu sehen. In diesen Zusammenhang stellt Kircher sein literarisches Werk und bezieht seine Aufgabe daraus, wie er einleitend dem Leser der Ekstatischen Reise mit auf den Weg gibt. In der ‘Praelusio Paraenetica’erinnert Kircher daran, dass ein erstaunlicher Widerspruch in den Ansichten („opinionum diversitas“) über Verhältnisse und Ursachen („rationes & causas“) der Himmelswunder herrsche. Darum müsse er in der Ekstatischen Reise aufzeigen, zu welcher Ansicht er selbst komme auf Grundlage der vorausgeschickten Annahmen – gemeint sind Kirchers vier Grundannahmen über die Welt (siehe unten) – und wie sich alle Widersprüche („omnia paradoxa“) überall sogar aufs Leichteste abwehren ließen („defendi“), wobei Kircher stets einen gewissen Mittelweg („mediam quandam viam“) eingeschlagen habe. 16 Wenn die ganze unglückliche Aufgeregtheit einmal beiseite gelegt, der Leser gelassen („aequus Lector“) mit der ausgewogenen Waage der Wahrheit urteile („aequa veritatis lance ponderaverit“) und die angeführten Begründungen („rationes“) in gehöriger Form („rite“) abwäge, werde er zweifelsohne die darin gefundene überaus leichte Lösung der ganzen Schwierigkeiten einräumen, welche beinahe alle Schulen bis dahin geplagt hätten. Da jedes Einzelne streng den Regeln der Kombinatorik gemäß („iuxta combinatoriae artis regulas rite“) ermittelt worden sei, werde der Leser überdies zugeben, dass das Werk der Welt nicht anders beschaffen sein könne („aliter Mundi opificium sese habere non posse“), als es Kircher in seiner Ekstatischen Reise dargestellt habe („quam dixi14 Zu dieser genauen Übersetzung des ursprünglichen Titels des 1656 erschienen Werkes siehe weiter oben S. 14, Anm. 10. 15 Der volle Titel der 1656 erschienen Ekstatischen Reise (Itinerarium exstaticum) lautet: ATHANASII KIRCHERI [/] E SOC. IESU [/] ITINERARIUM [/] EXSTATICUM [/] QUO [/] MUNDI OPIFICIUM [/] ID EST [/] Coelestis expansi, siderumque tam errantium, quam [/] fixorum natura, vires, proprietates, singulorum- [/] que compositio & structura, ab infimo Telluris globo, [/] usque ad ultima Mundi confinia, per ficti raptus [/] integumentum explorata, nova hypothesi [/] exponitur ad veritatem [/] INTERLOCUTORIBUS [/] COSMIELE ET THEODIDACTO [/] AD [/] SERENISSIMAM [/] CHRISTINAM [/] ALEXANDRAM [/] Suecorum, Gothorum, & Wandalorum [/] Reginam. [/] ROMAE, Typis Vitalis Mascardi, Anno 1656. [/] SUPERIORUM PERMISSU. 16 Im Folgenden wird aus der ‘Praelusio Paraenetica’(Itin., 9-29; It., 39-54) zitiert, hier Itin., 27: „Et quoniam mira circa coelestium portentorum rationes & causas opinionum diversitas est; quid nos ex praesuppositis fundamentis sentiamus, & quomodo omnia etiam paradoxa passim facillimo negotio defendi queant, mediam quandam viam sectati, in hoc Itinerario Exstatico demonstrandum duximus.“; It., 53: Schott ändert die Zeichensetzung.

1.2. Kontext und Ziel

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mus“).17 Wenn aber irgendjemand etwas Besseres anzuführen habe als Kirchers begründete Darstellung der Verhältnisse (rationes), werde er ihm sehr gerne beipflichten. Nur an einem Punkte halte er unverbrüchlich fest, um nicht irgendwie gegen die Vorschriften der Heiligen Römischen Kirche zu verstoßen: Auf immer ächte er die Bewohntheit fremder Planeten sowie die Bewegung der Erde.18 Dass Kircher hier, um seinen Gehorsam gegenüber der katholischen Kirche zu beteuern, eigens und sogar an erster Stelle außerirdisches Leben ausschließt, lässt erahnen, welche Brisanz solchen Spekulationen eigentlich innewohnte, wie sie literarisch unverhohlen von Kepler und Godwin umgesetzt worden waren. Denn mit der biblischen Schöpfungsgeschichte ist es unvereinbar, überhaupt irgendeine Form von Leben auf den Planeten oder fremden Sternen anzunehmen. Schließlich hat Gott am vierten Tage Sonne, Mond und Sterne nur als Tag- und Nachtlichter (luminaria) für die Erde geschaffen (Genesis, 1,14-19), deren Vegetation er bereits am dritten Tage angelegt hat (Gen., 1,11-12). Die Gestirne sind Gegenstand aber nicht Ort der weitergehenden göttlichen Schöpfung, wie sie sich allein auf der Erde vollzieht. Spielt man dennoch mit dem Gedanken an tierisches oder menschenähnliches Leben außerhalb der Erde, stellt sich sogleich die Frage nach dem ersten Menschen, nach Sündenfall und Erlösung der Menschheit. Die Heilsgeschichte der Bibel wird damit zu einem Einzelfall, der nicht einmalig sein muss oder allgemein gelten kann. Die anderen Kinder Gottes auf fernen Sternen müssten dann ihren eigenen Adam und Jesus haben oder würden sich ganz der biblischen Offenbarung entziehen. In beiden Fällen geraten christlicher Glaube wie katholischer Anspruch zu einem rein regionalen Phänomen, beschränkt auf einen winzigen Ausschnitt der Schöpfung. Über außerirdische Bewohner der Welt spekulierte bereits die Antike. In der frühen Neuzeit wurden diese Gedankenspiele nicht erst durch die Erfindung des Teleskops wieder belebt. Den Anstoß zu einem neuerlichen Nachdenken über Leben auf anderen Sternen lieferte das heliozentrische Weltbild selbst und verlieh ihm dabei zugleich die entscheidende Stoßkraft. Die Erde verliert durch Copernicus mit ihrer Mittelpunktstellung zugleich ihre Sonderstellung. Ihr rein örtliches Ausgezeichnetsein im biblisch aristotelischen Weltbild wurde für sich gesehen allerdings nicht positiv gewertet. Die Erde galt als der unterste Himmelskörper – „ab infimo Telluris globo“ heißt es noch im Titel der Ekstatischen Reise. Alles Schwere, Minderwertige im Gegensatz zum himmlisch Vollkommenen der übrigen Gestirne vereinte sie auf sich, sie war „la bourbe et le fient du monde“, wie Michel de Montaigne (1533-1592) es ausdrückt, der Haufen Schlamm und Dreck 17 Itin., 27-28: „Quae si aequus Lector, seposito omni sinistro affectu aequa veritatis lance ponderaverit, rationes allatas rite discusserit, is haud dubie praeter facillimam omnium difficultatum, quae in hoc usque tempus [S. 28:] Scholas paene omnes torserunt, solutionem, singulis iuxta combinatoriae artis regulas rite exploratis, aliter Mundi opificium sese habere non posse, quam diximus, fatebitur: [… ]“; It., 53: Schott ergänzt ein Komma und ein „[rationes]que“. 18 Itin., 28: „Si vero quispiam aliquid nostris rationibus melius adduxerit, ei non invitos nos subscripturos pollicemur. Ne vero quicquam Sacrae Romanae Ecclesiae decretis & institutis contrarium asseramus, id unicum contendimus, ut coelestium globorum incolas una cum mobilitate terrae perpetuo proscriberemus.“; It., 53: Schott ändert „quicquam“in „quidquam“.

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1. Einführung

im Universum. 19 Dabei hatte die Erde schon durch Nicolaus Cusanus (1401-1464) eine positive Auszeichnung erfahren. In seinem 1440 abgeschlossenen Werk De docta ignorantia 20 gesteht ihr der Kardinal sogar ein Bewegtsein zu wie allen anderen Sternen in einem Universum, dessen Mittelpunkt und Umkreis Gott allein sei und in welchem nur ihm in jedweder Hinsicht alles Absolute zukomme. 21 Dass darin „diese Erde die unterste und geringwertigste sei“, könne somit nicht wahr sein. 22 Der Kardinal begründet eine Aufwertung der Erde nicht nur prinzipiell, sondern auch konkret, indem er das irdische Gestirn in seinen Eigenschaften (wie Größe, Licht, Stellung, Ausstrahlung, Bewohntheit) mit anderen Himmelskörpern vergleicht.23 Hundert Jahre später erst erhob Copernicus in seinen 1543 gedruckten De revolutionibus orbium coelestium libri VI die Erde abermals „in den Himmel “. Was Johannes Kepler mit ebendiesen Worten begrüßte („in coelum“),24 beargwöhnten andere gerade wegen der damit verbundenen Aufwertung, die dem Zustand der Sünde, in der sich der Mensch auf Erden befinde, nicht angemessen schien. So gesehen erhöht der neue Platz unter den Sternen das Selbstbewusstsein des Menschen. Dagegen bestärkt das alte Weltbild den Sünder in christlicher De-

19 Michel Eyquem de Montaigne, Essais [Bordeaux, 1580-1595], in Œ uvres complètes, hg. von Albert Thibaudet und Maurice Rat, Paris: Gallimard, 1962; ²1992 (Bibliothèque de la Pléiade), S. 429 (II, 12: Apologie de Raimond Sebond): „La presomption est nostre maladie naturelle et originelle. La plus calamiteuse et fraile de toutes les creatures, c’est l’homme, et quant et quant la plus orgueilleuse. Elle se sent et se void logée icy, parmy la bourbe et le fient du monde, attachée et clouée à la pire, plus morte et croupie partie de l’univers, au dernier estage du logis et le plus esloigné de la voute celeste, avec les animaux de la pire condition des trois; et se va plantant par imagination au dessus du cercle de la Lune et ramenant le ciel soubs ses pieds. C’est par la vanité de cette mesme imagination qu’il s’egale à Dieu.“ 20 Das Datum 12. Februar 1440 für den Abschluss der Niederschrift ist in einigen Handschriften am Ende des dritten Buches angegeben: Karl Bormans Einleitung in Nikolaus von Kues. Philosophisch-Theologische Werke, 4 Bde [zweispr. lateinisch-deutsch], hg. von Karl Bormann, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft [Lizenzausgabe von Felix Meiner Verlag Hamburg], 2002, Bd I, S. xix. 21 Nicolaus Cusanus, De docta ignorantia, Buch 2, Kapitel 12 (De condicionibus terrae) in: Cusanus (2002), I: Buch 2, S. 92-106 (§§ 162-174), hier S. 94 (§ 164: „Terrae igitur figura est nobilis et sphaerica et eius motus circularis, sed perfectior esse posset.“), 98 (§ 166: „omnes stellae moventur tantum atque choruscant“), S. 94 (§ 162: „eius [sc. machina mundi] circumferentia et centrum est deus“), 94 (§ 164: „maximum aut minimum in perfectionibus, motibus et figuris in mundo non est“). 22 Cusanus, De docta ignorantia [II, cap. 12], in: Cusanus (2002) I: Buch 2, S. 94 (§ 164): „[… ], tunc non est verum, quod terra ista sit vilissima et infima.“Mit dem frei gewählten Konjunktiv dürfte Cusanus die von ihm als unwahr bezeichnete Meinung als Aussage eines anderen, z.B. von Thomas von Aquin (De caelo, II, XIII, 20, 7), kennzeichnen wollen. Die hier durch Cusanus’Wortwahl bereits suggerierte Pluralität ähnlicher Welten („terra ista“), die sich aus der Gleichwertigkeit der Erde mit den übrigen Gestirnen des Universums ergibt, wird im Folgenden dieses wirkungsvollen zwölften Kapitels des zweiten Buches von De docta ignorantia weiter bekräftigt: siehe hierzu weiter unten in dieser Arbeit S. 203 ff. 23 Cusanus, De docta ignorantia [II, 12], in: Cusanus (2002) I: Buch 2, S. 94, 96, 98, 100 (§§164-8). 24 Kepler, Ad vitellionem paralipomena quibus Astronomiae pars optica traditur [Frankfurt a.M., 1604], KGW, II: 224.

1.2. Kontext und Ziel

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mut und im Streben nach Erlösung. 25 In dieser Hinsicht religiös motiviert mag die Ablehnung zu verstehen sein, wie sie ein berühmter Leser Montaignes, Blaise Pascal (1623-1662), gegen Copernicus in einer jener Notizen ausdrückt, die für seine Fragment gebliebene Apologie de la religion chrétienne bestimmt waren und erstmals 1670 unter dem Titel Pensées veröffentlicht wurden. Darin hält er es angesichts unserer Lage, die er offenbar mit dem Ausdruck Verlies („Cachot“) bezeichnet, für richtig, dass man die Ansicht des Copernicus nicht vertiefe, sondern vielmehr das für das ganze Leben entscheidende Wissen darüber, ob die Seele sterblich oder unsterblich sei. 26 Der Verlust dieser Mittelstellung mag daher nicht so schwer zu verkraften gewesen sein, wie spätere Generationen es sich vorstellten. Was historisch schwer wog und zu der großen kosmologischen Kontroverse mitsamt ihrer Lagerbildung führte, war der Widerspruch der copernicanischen Lehre zur Bibel. Ebenso wenig vereinbar mit dem biblischen Schöpfungsbericht war auch der andere Gedanke der sich aus dem neuen Weltbild geradezu aufzudrängen schien. Mit Copernicus verlor die Erde – wie auch immer dieser Verlust psychologisch zu deuten sei – ihre Einzigartigkeit (sei es auch im negativen Sinn des Wortes): Mit einem Male war sie mit anderen Himmelskörpern vergleichbar. Wie die fünf anderen damals bekannten Planeten umkreist sie die Sonne. Die dadurch geschaffene Gleichwertigkeit des Planeten Erde mit den übrigen Planeten unseres Sonnensystems berechtigte zugleich, über ihre Gleichartigkeit nachzudenken. Damit lieferte das neue Weltbild die Voraussetzung für eine theoretisch begründete Spekulation über fremde Welten. Aus den Gedankenspielen der Antike wurde wissenschaftlich betriebener Ernst.27 Diese prinzipielle Gleichwertigkeit erlaubte, Ähnlichkeiten zwischen den Planeten anzunehmen und sogar Vergleiche anzustellen zwischen den FixsternSonnensystemen des Universums und unserem eigenen. Eine solche Ähnlichkeitsannahme schien sich zu bestätigen, als durch das Teleskop sich auf dem Mond Berge und Täler zeigten und man glaubte, auf allen Planeten eine Atmosphäre entdeckt zu haben.28 Analog zu den irdischen Verhältnissen wurden Rückschlüsse auf die allgemein planetarischen gemacht, wobei sich die Möglichkeit von Leben 25 Arthur O. Lovejoy, The great chain of being. A Study of the History of an Idea. The William James Lectures delivered at Harvard University, 1933, Cambridge: Harvard University, 1936, 61957, S. 102-104; Hans Blumenberg, Die kopernikanische Wende, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1965, S. 122-124; K. S. Guthke (1983) 50. 26 Pascal, Pensées, 2 Bde, hg. v. Michel Le Guern, Paris: Gallimard, 1977; ²1993, Bd I, S. 141(n°153): „Commencement. [/] Cachot. [/] Je trouve bon qu’on n’approfondisse pas l’opinion de Copernic. Mais ceci. [/] Il importe à toute la vie de savoir si l’âme est mortelle ou immortelle.“Für Montaignes Einfluss auf Pascal: Léon Brunschvicg, Descartes et Pascal, lecteurs de Montaigne, Neuchâtel: Éd. de la Baconnière, 1945; Bernard Croquette, Pascal et Montaigne. Étude des réminiscences des ‘Essais’dans l’œuvre de Pascal, Genf: Droz, 1974. 27 K. S. Guthke (1983) 47-50. 28 Für diese Ansicht beruft sich Kircher in seiner ‘Praelusio Paraenetica’auf die Astronomen seiner Zeit, wobei er namentlich Joh. Baptist Cysat, Simon Marius, Scheiner, Riccioli, Rheita und Hevelius anführt: Itin., 21-23; It., 48-49. Mehrere Vertreter einer Mondatmosphäre zitiert Schott eigens in seiner ‘Praelusio in Lunam’: It., 69-70 (§3: ‘De Lunae atmosphaera’).

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gleichfalls mit einbeziehen ließ. So berief sich bereits im Jahre 1601 der Copernicaner und wohl erste moderne englische Atomist, Nicholas Hill (15701610), auf dieses Prinzip der Analogie („secundum analogiam“), um für die Bewohntheit der Planeten einzutreten.29 Und noch am Ende des Jahrhunderts wird die Annahme von außerirdischen Leben durch Analogieschluss begründet: In seinem posthum erschienenen Werk [Kosmotheoros] (1698) leitet der Copernicaner Christiaan Huygens (1629-1695) aus der Gleichheit der Planeten deren Bewohntheit her. Analog zu irdischen Verhältnissen („ex similitudine“) versteigt er sich in seinen Rückschlüssen über Außerirdische bis zu deren verschiedenen Kulturfertigkeiten.30 Gleichfalls als zwingenden Schluss, folgend aus der copernicanischen Ordnung, präsentiert Bernard de Fontenelle (1657-1757) seinen Lesern in literarisch unterhaltsamer Form eine Mehrzahl bewohnter Welten. Fontenelle legt dieses Prinzip („une petite convenance“) in seinen 1686 erstmals erschienen Entretiens sur la pluralité des mondes zwar weniger deutlich dar als Huygens.31 Dafür aber wird der Analogieschluss auf außerirdisches Leben durch Fontenelles Werk umso populärer, welches allein zu dessen Lebzeiten in mehreren Ausgaben insgesamt zweiunddreißig Auflagen durchlief. Angesichts der Gefahr für den christlichen Glauben bewegt Kircher sich somit auf sehr dünnem Eis, wenn er gleichfalls auf das Analogieprinzip zurückgreift, um in der Ekstatischen Reise das Aussehen fremder Gestirne zu beschreiben. Die Analogie („secundum analogiam“) als Grundlage seiner Darstellung, bei der er vom irdisch Bekannten auf das sideral Unbekannte schließt, stellt Kircher bereits in seiner ‘Praelusio Paraenetica’ vor.32 Das Analogieprinzip lässt sich allerdings nur anwenden, wenn man annimmt, dass die Himmelskörper gleichartig sind. Um die geozentrische Weltsicht dabei nicht in Frage zu stellen, muss auch die Sonne analog vergleichbar sein. Dementsprechend kommen in der Ekstatischen Reise, um die Sonnenaktivität zu beschreiben und zu erklären, die Prinzi29 Nicholas Hill, Philosophia epicurea, democritiana, theophrastica proposita simpliciter, non edocta, Paris: R. Thierry, 1601, hier zitiert nach er zweiten Ausgabe, hg. von Angelo Poliziano (eigtl. Ambrogini) Genf: Officina Fabriana, ²1619, S. 79-80 (§278), hier S. 80. Zu Nicholas Hill: S. J. Dick (1982) 48-50; K.S. Guthke (1983) 74-75; Saverio Ricci, La Fortuna del pensiero di Giordano Bruno 1660-1750, Florenz: Le Lettere, 1990, S. 110-114; Michel-Pierre Lerner, Le monde des sphères, 2 Bde, Paris: Belles Lettres, 1996-1997, Bd II, S. 295 n.174. 30 Christiaan Huygens, , sive de terris coelestibus, earumque ornatu, conjecturae [Den Haag: Adrianus Moetjens, 1698, S. 16-17], in HOC, XXI: 677-842, hier 699: „Itaque plurimum ponderis habet illa ex similitudine petita, & a rebus visis ad non visas producta ratio. Quam proinde sequentes, ex Planeta uno, quem coram aspicimus, de reliquis ejusdem generis rectè conjecturam faciemus.“ 31 Bernard Le Bovier de Fontenelle, Entretiens sur la pluralité des mondes, [dritte Auflage der siebten Ausgabe] Paris: Michel Brunet, 71724, S. 178-179 (Cinquième soir), hier S. 179: „Vous convenez que quand deux choses sont semblables en tout ce qui me paroît, je les puis croire aussi semblables en ce qui ne me paroît point, s’il n’y a rien d’ailleurs qui m’en empêche. De-là j’ai tiré que la Lune étoit habitée, parce qu’elle ressemble à la Terre; les autres Planetes, parce qu’elles ressemblent à la Lune. Je trouve que les Etoiles fixes ressemblent à nôtre Soleil, je leur attribuë tout ce qu’il a.“ 32 Itin., 25; It., 51.

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pien der Kircherschen Geologie genauso zur Anwendung wie bei den übrigen Gestirnen, die die Erde umkreisen. 33 Wie die Planeten ist auch die Sonne mit der Erde vergleichbar und bekommt somit keine Sonderstellung. In Analogieschlüssen erschöpft sich auch im Wesentlichen Kirchers ars combinatoria („iuxta combinatoriae artis regulas rite“) in der Ekstatischen Reise.34 Ein kombinatorisches Denken mag Kircher allenfalls für seine kosmische Gesamtdarstellung beanspruchen, die sich allein, wie oben gesehen, aus den vier Grundannahmen des Werkes ergeben soll, was allerdings für den Leser im Einzelnen nicht wirklich nachvollziehbar ist. Diese Grundannahmen Kirchers fußen im Kern allesamt auf dem Kenntnisstand, der durch die neuere Astronomie errungen werden konnte. Die erste dieser vier Thesen über die Welt erklärt den ganzen Himmelsraum für flüssig, d.h. lediglich erfüllt von Äther sowie den Himmelskörpern selbst, aber ohne jedwede feste Schale (eine solche ist bei Kircher auch bei den Fixsternen nicht mehr zu finden). Als zweite These formuliert Kircher, dass jeder Körper dieser Welt Veränderungen und Zersetzungen ausgesetzt ist („alterationibus & corruptionibus [… ] obnoxium“). Die Himmelskörper könnten nicht einmal von Bestand sein („consistere non possint“), ohne diesen Gesetzen der Veränderung unterworfen zu sein („ex naturae quadam necessitate hisce alterationis legibus [… ] subiecta“). Eng verwandt mit dieser Forderung ist die dritte These: Alle Himmelskörper dieser Welt bestehen aus den vier von der Erde her bekannten Elementen und haben ihrer Lage und ihrer jeweiligen Mischung entsprechend verschiedene Eigenschaften und Qualitäten. Zudem besitze jeder Himmelskörper sein eigenes Zentrum („singula suis propriis centris [… ] instructa“); gemeint ist hiermit ein eigener Wirkbereich, in welchem jedes Gestirn seine Materie an sich zieht und bindet. Den Hintergrund für diese Forderung bildet die Kohäsionstheorie, die bis zu Newtons Gravitationstheorie von Copernicanern wie Geozentristen vertreten wurde (hierzu mehr auf S. 197 ff.). In der letzten seiner vier Grundannahmen über die Welt erwähnt Kircher wiederum den Begriff der Analogie: Gemäß dieser („secundum analogiam“) verhalten sich alle Weltkörper nach demselben Verhältnis zueinander wie Sonne, Venus, Merkur, Mond und Erde sich zueinander verhalten. 35 Diese letzte These dürfte die einzige sein, die nicht selbsterklärend ist vor dem Hintergrund des astronomischen Kenntnisstands oder der gängigen kosmologischen Vorstellung. Es fällt dabei auf, 33 Itin., 136-137; It., 203-204. Zu Kirchers extraterrestrischer Geologie siehe weiter unten S. 219ff. 34 Zur Kircherschen Kombinatorik: Eberhard Knobloch, „Mathematics and the Divine: Athanasius Kircher“, in: Mathematics and the Divine: A Historical Study, hg. von Teun Koetsier und Luc Bergmans, Amsterdam: Elsevier, 2005, S. 331-346, hier S. 335-338; ders., „Musurgia universalis – Unbekannte Beiträge zur Kombinatorik im Barockzeitalter“, in: Actio formans. Festschrift für Walter Heistermann, hg. von Walter Heistermann, Gerd Heinrich, MichaelSören Schuppan, Friedrich Tomberg, Berlin: Colloquium-Verlag, 1978, S. 119-132; Wilhelm Schmidt-Biggemann, Topica universalis. eine Modellgeschichte humanistischer und barocker Wissenschaft, Hamburg: Meiner, 1983, S. 179-186; Thomas Leinkauf, Mundus combinatus. Studien zur Struktur der barocken Universalwissenschaft am Beispiel Athanasius Kirchers SJ (1602-1680), Berlin: Akademie-Verlag, 1993. 35 Kircher stellt die vier Thesen über die Welt in der ‘Praelusio Paraenetica’auf: Itin., 9; It., 40.

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dass Kircher dieses nicht näher bezeichnete Analogieverhältnis abgesehen von Erde und Sonne allein für die unteren Planeten und den Mond gelten lässt, d.h. nur für diejenigen Himmelskörper, deren Bahnen zwischen Sonne und Erde verlaufen (im ptolemäischen, copernicanischen und tychonischen System). Mit diesen vier Thesen verabschiedet sich Kircher bereits vor Reisebeginn sozusagen von traditionell aristotelischen Positionen. Vorweg macht er damit klar, dass in seinem Kosmos keine Trennung in sub- und supralunaren Bereich, keine eigene Himmelsmaterie (Quintessenz) und keine statischen Elemente in Form irgendwelcher Kugelschalen zu erwarten sind. In diesem Sinne wird sich Kircher in der Ekstatischen Reise weiter gleichsam als Anhänger der neuen Philosophie präsentieren, als einer der sich ganz von Experiment und Naturerfahrung leiten lässt,36 der für Aristoteles hingegen gar nichts mehr übrig hat. Diese anti-aristotelische Haltung Kirchers wurde besonders von spanischen Lesern wahrgenommen, 37 in deren Heimat die Scholastik noch stärker vertreten war.38 Dabei hatte die innerjesuitische Zensur Kirchers Spott bereits abgeschwächt. Neben diesen vier Grundannahmen beherrscht der Analogieschluss die Darstellung in der Ekstatischen Reise. Er liefert auch für den Dialog die nötigen Stichworte, um das Frage-und-Antwort-Spiel zwischen Cosmiel und Theodidactus anzutreiben. So behandeln die beiden Kosmonauten jeweils auch die Fragen nach Leben auf den besuchten Planeten. Stets aufs Neue verneint Cosmiel die Möglichkeit von Leben in jedweder Form außerhalb der Erde. Dabei gesteht Kircher indessen allen Gestirnen seines Kosmos eine Atmosphäre zu.39 Überdies unterwirft er sie denselben physikalischen Prozessen, wie er sie für die Erde annimmt. Prinzipien und Begriffe, die seiner Geologie entstammen und die später im Mundus subterraneus (1665) sowie erstmals schon im Iter extaticum II (1657), der irdischen Fortsetzung der Ekstatischen Reise, dargelegt werden. Diese geologischen

36 Hierzu lässt sich feststellen: „Die Himmelsreise dient in der Tat dazu, das Erfahrungsprinzip auf die Spitze zu treiben.“: Eberhard Knobloch „Otto von Guericke und die Kosmologie im 17. Jahrhundert“, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte, 26 (2003), S. 237-250, hier S. 243. 37 Diese Rolle des Antiaristotelikers hat Kircher für die wissenschaftlichen Neuerer in Spanien. Dies zeigt sich allgemein wie insbesondere bezüglich der Ekstatischen Reise am Beispiel von Juan Bautista Corachán, Avisos de Parnaso [1690], Valencia : Viuda de Antonio Bordazar, 1747, hier S. 84, 97. Zu diesem posthum erschienenen Werk, das die Gespräche eines fiktiven Symposions (mit Francesco Maria Grimaldi, Honoré Fabri, Francisco de Mendoza, Christoph Clavius, Kircher und Schott als Diskutanten) wiedergibt, sowie zu Kirchers antiaristolischen Rolle in Spanien und seiner Bedeutung im movimiento novador: Horacio Capel, „Organicismo, fuego interior y terremotos en la ciencia española del siglo XVIII“, Geo-crítica. Cuadernos Críticos de Geografía Humana, 27-28 (1980), S. 1-94, hier S. 19-28. 38 Gegen die vorherrschende Scholastik in Spanien wendete sich die Erneuerungsbewegung. Die renovación científica fällt allerdings erst in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts. Als eine bedeutende Figur für die spanischen Neuerer lässt sich Riccioli, aber auch Kircher ausmachen: Víctor Navarro Brotóns, „Riccioli y la renovación científica en la España del siglo XVII“, in: Maria Teresa Borgato (Hg.), Giambattista Riccioli e il merito scientifico dei gesuiti nell'età barocca, Florenz: Leo S. Olschki, 2002, S. 291-317, hier S. 294, 305, 311, 314. 39 Itin., 21-23 (‘Praelusio Paraenetica’); It., 48-49.

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Vorstellungen überträgt er variierend auf die extraterrestrischen Gegebenheiten (hierzu mehr auf S. 219 ff.). Um es vorwegzuschicken: Außerirdisches Leben wird in der Ekstatischen Reise nicht nur seiner Möglichkeit nach kategorisch ausgeschlossen, sondern die beiden Kosmonauten finden davon auch tatsächlich keine Spur. Zudem hatte Kircher bereits in seiner ‘Praelusio Paraenetica’das Analogieprinzip ausdrücklich von einer Anwendung auf den Aspekt des Lebens ausgeschlossen („si vegetabilem & sensitivam naturam [… ] excipias“).40 Obschon sich Kircher hieran strikt hält, mag man ihm dennoch eine gewisse Unaufrichtigkeit unterstellen, ohne sie ihm allerdings in seinem Werk selbst nachweisen zu können. Doch hatte sich Kircher in diesem heiklen Punkt mündlich einmal ganz anders gegenüber seinem berühmten Freund und Förderer Nicolas-Claude Fabri de Peiresc (1580-1637) bei ihrem letzten persönlichen Zusammentreffen in Aix-en-Provence geäußert. Diese Aussage fällt in Kirchers kurze Zeit, die er in der Provence verbrachte, bevor er 1633 nach Rom kam. Als er die Ekstatische Reise schreibt, liegt dieses Zusammentreffen bereits über zwanzig Jahre zurück. Doch von seinem Gespräch mit Kircher weiß Peiresc kurz nach dessen Abreise nach Rom seinem Freund Pierre Gassendi am 6. September 1633 zu berichten, dass der Jesuit keine Schwierigkeit habe, auf dem Mondkörper nicht nur Berge, Täler und Meere oder Teiche, sondern Bäume und Pflanzen, und sogar Tiere anzunehmen, vorausgesetzt dass man die vollkommensten davon ausnehmen und ausschließen wolle. 41

Im Jahre 1633 dürften Kirchers religiöse Vorbehalte also weniger groß gewesen sein, wenn er sich überhaupt Leben außerhalb der Erde und sogar Tiere auf dem Mond vorstellen konnte. Immerhin hatte er dabei die perfektesten Formen von Leben ausgenommen, worunter sich gegebenenfalls menschenähnliche verstehen ließen. Auch Fontenelle wird sich noch mit einer ähnlichen Klausel abzusichern wissen: Er nehme keine Menschen, sondern nur Bewohner auf dem 40 Itin., 25; It., 52. 41 Peiresc (Aix-en-Provence) an Gassendi (Digne), 06.09.1633: „[...] qui [sc. Kircher] ne faict pas de difficulté d'admettre au corps de la Lune, non seulement des montagnes, des vallées et des mers ou estans, mais des arbres et des plantes, et mesmes des animaulx, pourveu qu'on en veuille excepter et exclure les plus parfects, [… ].“: Lettres de Peiresc, hg. von Philippe Tamizey de Larroque, 7 Bde, Paris: Imprimerie nationale, 1888-1898, Bd IV (1893), S. 353-360, hier 354 (und OGG, XV: 254). Die Wendung faire difficulté de hat im 17. Jahrhundert die Bedeutung von: „Y avoir de la repugnance, en faire scrupule“: Le dictionnaire de l’Académie françoise, 2 Bde, Paris: Jean-Baptiste Coignard, 1694, Bd I, S. 432a. die sprachlich unpassend wirkenden Teiche („estans“), von denen Kircher laut Peiresc gesprochen habe, besaßen streng genommen im Sprachgebrauch der Zeit einen durchaus künstlichen oder zumindest belebten Charakter im Sinne von Fischweihern: Thresor de la Langue Françoyse, tant Ancienne que Moderne, hg. von Jean Nicot, Paris: D. Douceur, ²1621, S. 261a: „Estang, ou vivier, Icthyotrophium, Piscina, Stagnum.“; Dictionnaire françois contenant les mots et les choses, hg. von Pierre Richelet, Genf: Jean Herman Widerhold, 1680, S. 305b: „Étang, s. m. Eaux qui sont ordinairement douces, qui viennent de quelque source, qui sont retenuës par une chaussée, & où l’on met du poisson qu’on pêche lors qu’il est à propos.“; Le dictionnaire de l'Académie françoise (1694) I: 402b: „ESTANG. s. m. Grand amas d’eau soustenu par une chaussée, & dans lequel on nourrit du poisson.“

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Mond an.42 Jedenfalls hält Kircher zu jener Zeit noch recht vertraute Lebensformen außerhalb der Erde für möglich. Dabei darf man sich fragen, ob er eine Auffassung, die er als Dreißigjähriger vertrat und die kosmologisch doch von eher grundsätzlicher Natur ist, zwanzig Jahre später völlig aufgegeben haben kann. Es fällt ein wenig schwer, sich vorzustellen, dass gerade Kircher solchen Spekulationen, denen er einmal nachhing, ganz entsagt haben könnte. Denn nur zu gut passen derlei Gedankenspiele zu seinem Interesse an Fremdem. Sein Leben lang beschäftigte er sich mit der außereuropäischen Welt, seien es die untergegangenen Hochkulturen Amerikas und Ägyptens oder die asiatischen Zivilisationen, insbesondere diejenige Chinas, über das er eine bis dahin einmalige Gesamtdarstellung veröffentlichte mit zuvor nie gesehenen Bildern aus jener anderen Welt – seine China illustrata (1667) wurde mehrfach übersetzt und kann als bedeutender Beitrag zur frühen Sinologie gelten. 43 Dabei wäre es ihm offenbar als Missionar seines Ordens einerlei gewesen, sich in den nahen Osten, nach Asien oder auch nach Amerika schicken zu lassen. Doch wurde sein Gesuch, das er noch als Student im Januar 1629 stellte, abgelehnt.44 Aus diesem Blickwinkel, der soweit möglich Mündliches, Psychologisches und Biographisches mit einbezieht, sieht man sich vielleicht veranlasst, gewisse Stellen in der Ekstatischen Reise als Hinweis auf außerirdisches Leben zu lesen.45 42 Fontenelle, Entretiens sur la pluralité des mondes (71724) 9 (Préface): „Les Hommes qui sont dans la Lune ne sont donc pas pas [sic] Fils d’Adam. Or il seroit embarassant dans la Theologie, qu’il y eût des hommes qui ne descendissent pas de lui. [… ] L’objection roule donc toute entiere sur les Hommes de la Lune, mais ce sont ceux qui la font, à qui il plaît de mettre les Hommes dans la Lune; moi, je n’y en mets point. J’y mets des Habitans qui ne sont point du tout des Hommes; Que sont-ils donc ? Je ne les ai point vûs, ce n’est pas pour les avoir vûs que j’en parle.“ 43 Kircher, China illustrata, Amsterdam: Joannes Janssonius, 1667. Die bald darauf folgenden Übersetzungen zeigen die Bedeutung des Werkes: Tonneel van China, übers. v. J. H. Glazemaker, Amsterdam: Johannes Janssonius van Waesberge en de Wed e Wijlen Elizeus Weyerstraet, 1668; La Chine d’Athanase Kirchere, übers. von F. S. Dalquié, Amsterdam: Jean Janssons à Waesberge & les Héritiers d'Elizée Weyerstraet, 1670. Auszüge aus Kirchers Werk wurden in englischer Übersetzung veröffentlicht von: Johan Nieuhof (Hg.), An embassy from the East-India Company of the United Provinces to the Grand Tartar Cham Emperour of China, übers. von John Ogilby, London: John Macock, 1969; zweite, erweiterte Ausgabe in 2 Bde, London: o.N., 1673. Eine moderne englische Übersetzung stammt von Charles D. Van Tuyl: China illustrata [1667], übers. ins Englische, Muskogee: Indian University Press, 1987. 44 Noch von Mainz aus schreibt er vor Abschluss seines Studiums am 12.01.1629 nach Rom sein vergebliches Gesuch (Indiam petens), in die Mission geschickt zu werden: ARSI, Rhen. Sup. 42, f. 20r-21v, hier f. 21r. 45 Verwiesen sei hier auf die Leer-Stellen in Kirchers Sternenwelt, auf die schon Otto von Guericke aufmerksam gemacht hat; siehe hierzu weiter unten S. 216. Fast unmittelbar nach etwas Lebendigem klingt, was die Himmelskörper des Fixsternraums in anderen, die sie bestrahlen, bewirken können: „[… ] ut illuminando ea [sc. corpora] ad virium foeturam sollicitent; quibus dum unum corpus alterum fovet, omnia in suo vigore conserventur, [… ].“: Itin., 348 (It., 409410: Schott überarbeit die Zeichensetzung). Ihrer Grundbedeutung nach stammen die Worte fetura, fovere, vigor aus dem Bereich der belebten Natur (Fortpflanzung, nähren, Lebenskraft). Stutzig mag man auch werden, wenn Theodidactus auf der Venus fragt, ob irgendeiner („quispiam“) hier – (wer denn? ist man versucht zu fragen) – mit dem Venuswasser einen

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Dies allerdings ist eine Deutung, die das Werk selbst ausdrücklich verbietet. Man kann sie höchstens hineinlesen und sich fragen, inwiefern Kircher zu solch einem Hineinlesen tatsächlich einlädt oder einladen wollte. Womöglich ist die förmliche Ablehnung außerirdischen Lebens ein wenig allzu deutlich, als dass man wiederum nicht misstrauisch werden könnte. Doch, was Kircher bei sich dachte, entzieht sich unserer Kenntnis, und schriftlich lässt sich Kircher diesbezüglich nichts zu Schulden kommen. Auch wenn die Anwendung des Analogieprinzips eine Gratwanderung darstellt – Kircher erfüllt in der Ekstatischen Reise das Treuegelöbnis, das er darin einleitend gibt und verbannt außerirdisches Leben aus seinem Kosmos. Vielmehr könnte man in der Frage nach fremdem Leben ebenso gut die Gegenthese aufstellen: Kircher greift das so beliebte Analogieprinzip auf, um zu zeigen, dass es sich auf ein geozentrisches Universum anwenden lässt, ohne dass Leben daraus folgt. Denn diese Folgerung muss er streng genommen nicht mitmachen, da die Erde im Zentrum sitzt und sich so zumindest von allen Himmelskörpern unterscheidet, obschon auch sie aus den vier Elementen besteht. Durch die Beibehaltung der Geozentrik gewinnt das Analogieprinzip eine scheinbar legitime Bruchstelle, die sich beliebig setzen lässt. Kircher unterbricht die Analogie in Sachen Leben, was er in seiner ausführlichen Definition derselben deutlich hervorhebt.46 So ist er nicht gezwungen, zusammen mit Bergen, Flüssen, Juden oder Heiden taufen könnte, woraufhin ihm Cosmiel darlegt, dass sich mit diesem Wasser wie auch mit dem des Mondes eine rechtmäßige Taufe durchführen ließe: Itin., 91-92; It., 141. Andererseits, auf die Frage hin, ob es auch in den anderen Sternen eine Hölle gebe, stellt Cosmiel klar, dass es nur im Erdinneren einen solchen Ort gebe für die Verdammten. Deswegen sei diesen von Gott die besondere Gabe verliehen worden, sich gegenseitig durchdringen zu können („penetrabilitatis donum“), weil sie anders angesichts ihrer Menge keinen Platz mehr fänden. Diese Idee einer körperlichen Durchdringbarkeit hätte Kircher eigentlich streichen müssen, wäre es nach den Zensoren des Buches gegangen. Doch Kircher konnte sich den Zensurauflagen wieder einmal widersetzten und hielt an dieser Darstellung fest: vgl. Itin., 405-406 (It., 450) und den Zensurbericht vom 08.11.1655 in ARSI, FG 661, f. 29 rv, hier f. 29v; zu Kirchers Umgang mit der innerjesuitischen Zensur: H. Siebert (2004) 79-104 (darin Liste aller erhaltener Kircher-Zensurberichte). Mit dieser Erklärung scheint Kircher plausibel machen zu wollen, dass es trotz der großen Zahl an Sündern nur eine Hölle gebe. Diese aber muss möglichst weit von den Sternen entfernt sein, also im Zentrum der Welt. Genau darin bestand ein theologisches Argument gegen Copernicus, wie es formuliert wird von Francesco Ingoli (De situ et quiete terrae contra Copernici systema disputatio [Ms. von 1615], in OGG, V: 403-412, hier 408, Z. 11-23) und es Redento Baranzano (Uranoscopia seu de coelo, 2 Teile in in einem Band, [Genf]: Petrus & Iacobus Chouët, 1617, Teil I, S. 111) zu entkräften sucht. Laut Ingoli müsse Gleiches auch für die Dämonen gelten. Diesen jedoch wollte Kircher ursprünglich auch einen Platz im Inneren der Sterne zuweisen. Doch diese ebenfalls von der Zensur angemahnte Stelle hat Kircher tatsächlich gestrichen: vgl. Itin., 406 (It., 451) und ARSI, FG 661, f. 29 rv, hier f. 29v (im Anhang S. 327): „[… ] dicit [sc. Kircher] penetrabunt se corpora damnatorum; et ibidem asserit demones non solum in centro terrae, sed etiam in centris astrorum claudendos esse, quorum non apparet fundamentum.“ Waren diese Höllen in anderen Sternen ursprünglich als Wink auf außerirdisches Leben gedacht ? 46 Itin., 24-25, hier 25 (‘Praelusio Paraenetica’): „[… ]; omnia igitur, quae in terrestri globo spectantur, in coelestibus quoque, si vegetabilem & sensitivam naturam, quas aeternae sapientiae ratio inde exclusit, excipias, spectari necesse est: [… ]“; It., 51-52, hier 52: Schott macht hieraus einen eigenen Satz. An anderer Stelle wiederholt Kircher das Prinzip der Analogie, ohne

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1. Einführung

Seen auch Leben auf andere Gestirne zu übertragen. Dieser Bruch selbst, den der Mira-Autor kritisiert, ist streng genommen also zu rechtfertigen. 47 Dies mag sich in den Kommentaren Schotts bestätigen, der sich nicht veranlasst sieht, Kirchers Analogieprinzip zu verteidigen. Zu kritisieren wäre nicht der Bruch, sondern allenfalls die für ihn gewählte Stelle – außerirdisches Leben –, die man in Frage stellen mag. Im Ganzen äußerte die zeitgenössische wie moderne Kritik weniger bis gar nicht an diesem ersten Punkt in Kirchers Treuegelöbnis ihre Zweifel; auch die oben zitierte Stelle aus Peirescs viel beachteten Brief wurde deshalb kaum zur Kenntnis genommen. Hier wie dort galt die Aufmerksamkeit Kirchers tatsächlicher Einstellung zum Copernicanismus. Die Ruhestellung der Erde musste der Jesuit ohnehin verteidigen, nachdem die copernicanische Lehre 1633 wiederum verboten wurde. Dass diese Verteidigung nicht ganz ehrlich war, wurde vielfach gemutmaßt. Wir werden im Folgenden sehen, ob sich der krypto-copernicanische Verdacht, dass Kircher in Wirklichkeit ein Copernicaner gewesen sein könnte, durch die Ekstatische Reise bestätigen lässt. Mit der kosmologischen Frage eng verbunden ist Kirchers Anspruch, den er in seiner ‘Praelusio Paraenetica’, wie oben bereits angesprochen (S. 52 f.), formuliert: Er stelle die Welt so dar, wie sie anders nicht beschaffen sein könne, und dies auf eine Weise, die frei von allen Widersprüchen alle bisherigen Schwierigkeiten löse. Eine solche Lösung, wie sie Kircher hier anbietet („omnium difficultatum [… ] solutionem“), hatte aber auch schon Kepler mit seinem Somnium angestrebt („solutionem potius obiectionum“), jedoch zugunsten der Erdbewegung, die der Jesuit von vornherein ausschließt. Überdies will Kircher eine Lösung für alle Schulen bieten und nicht nur für eine. Dieser kosmologische Anspruch, den die Ekstatische Reise bereits im Titel verkündet und einleitend ausführt, wird von ihrem Autor aufs Neue in der Würzburger Ausgabe bekräftigt in einem dort abgedruckten Brief an Kaspar Schott vom November 1658. Kircher erklärt sich darin mit einer Wiederauflage des Buches einverstanden und äußert die oben schon erwähnten Wünsche für die Neugestaltung des Textes, was er wie folgt begründet: Meine Absicht ist es nämlich gewesen, mit der Herausgabe dieses Werkes der Menschheit ein neues System der Himmelsphysik vorzulegen, gewonnen aus astronomischen Beobachtungen, wodurch alle bisher in den Schulen auftretenden Schwierigkeiten bezüglich der Beschaffenheit des Himmels mit größter Leichtigkeit gelöst werden könnten, und das Werk hat bereits so sehr Gefallen gefunden, dass ich allerorten mehrere Anhänger meiner Lehre habe. 48 allerdings Leben dabei ausdrücklich auszuschließen: Itin., 136-137 (Dial. I, cap. 5: ‘Iter in globum Solis’), 445-448 (‘Conclusio operis cum protestatione Authoris’); It., 204, 470-472. 47 Mira, f. 6v-8r (im Anhang S. 339-340), hier f. 8r: „Si enim analogiae ratio non postulat, ut in astris plantae, animalia, et homines inveniantur; neque postulabit, ut in ijsdem syderibus maria, lacus, flumina, insulae natantes, atmosphaerae, meteora, aliaque eiusmodi reperiantur.“In langen Passagen zitiert der Mira-Autor Kirchers Aussagen zur Analogie (Mira, f. 7r-7v; Itin., 136, 445; It., 204, 470-471), darunter Kirchers Definition (Mira, 7r; Itin., 25; It., 51-52), ohne allerdings den dort ausdrücklich gemachten Ausschluss außerirdischen Lebens zu erwähnen. 48 Kircher [Rom] an Schott [Würzburg], 22.11.1658, in Iter, 2-3: „[… ]: mea enim intentio fuit,

1.2. Kontext und Ziel

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Zwei Jahre nach Erscheinen der römischen Ausgabe und offenbar bestärkt durch deren Erfolg, bekräftigt Kircher damit nochmals die ursprüngliche Intention seines Werkes: Nichts Geringeres als ein neues Weltsystem hat er damit vorlegen wollen und zwar nicht ein bloß hypothetisches, eine nova hypothesis, wie es bereits im Titel der römischen Ausgabe der Ekstatischen Reise heißt, sondern eines, das wirklich wahr sein will, ein novum systema physicum coeleste. Der Anspruch allerdings, der sich damit verbindet, ist nicht wenig verwegen: Denn dieses neue System soll letztlich ja (wie schon in Kirchers ‘Praelusio Paraenetica’behauptet) alle Schwierigkeiten der verschiedenen Schulen lösen, so dass der unparteiische Leser dieser Lösung sowie dem System als ganzem gar nicht anders als zustimmen könne. Als solche Schulen, die sich laut Kircher mit all den Schwierigkeiten bezüglich der Beschaffenheit des Himmels abmühten, ließen sich die verschiedenen Weltbilder und ihre jeweiligen Vertreter ausmachen (s. Abb. 2, S. 64). Hierunter mögen vereinzelt noch Verfechter des aristotelisch ptolemäischen Systems zu zählen sein („Fig. I“), daneben aber vor allem die Anhänger des Tycho Brahe („Fig. IV“) und des Copernicus („Fig. VI“). Die Tychoniker wiederum schieden sich in solche, die an der völligen Ruhestellung der Erde festhielten, und jene, die eine Rotation der Erde um ihre eigene Achse zuließen (sie werden Semi-Copernicaner oder Semi-Tychoniker genannt).49 Letztere verstießen damit gegen die päpstlichen Erlässe von 1616 und 1633, waren offenbar also frei von kirchlichen oder religiösen Zwängen und blieben dennoch Geozentristen. Daneben gab es mehrere (geostatische) Spielarten des tychonischen Systems, wie sie Tommaso Campanella (1568-1639),50 Andrea Argoli (1570-1657, „Fig. III“) 51 und Giambattista Riccioli (1598-1671, „Fig. V“) 52 anzubieten hatten.

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hujus Operis exhibitione novum Mundo exhibere Systema physicum coeleste, ex observationibus astronomicis conflatum, quo omnes huc usque difficultates circa naturam coeli in Scholis occurrentes facillime solvi possent ; jamque adeo placuit, ut plures habeam ubique locorum meae doctrinae [S. 3:] sectatores.“ Solche Semi-Tychoniker waren z.B. Nikolaus Reimers Ursus, David Origanus, Nathanael Carpenter, Christian Longomontanus. Riccioli nennt sie ‘Semicopernicani’: AN, I: 51b. Campanella stellt eine Variante des tychonischen Systems vor, in der das Zentrum der Fixsternsphäre nicht von der Erde, sondern von der Sonne gebildet wird, wodurch er wohl zu verstehen gibt, wer seiner Meinung nach im Zentrum des Universums sitzt: Universalis philosophia, Paris: o.N., 1638, Teil III, S. 72ab und S. 71 (Abb.). Andrea Argoli vertritt eine weitere tychonische Variante, die letztlich dem antiken geo-heliozentrischen System entspricht, wie es von dem Enzyklopädisten Martianus Capella (5. Jh.) überliefert wird (s. Abb. 2, S. 64 „Fig. III“): Um die Erde in der Mitte drehen sich Mond, Sonne, Mars, Jupiter, Saturn und die Sterne, wobei Merkur und Venus sich um die Sonne drehen. Argoli, erwähnt zwar Capella, stellt diese Variante aber als sein eigenes System („Systema Nostrum“) vor, wobei er die copernicanischen Erdbewegungen, wie es die Kirche fordert, ausschließt: Argoli, Pandosion sphaericum in quo singula in elementaribus regionibus, atque aethera, mathematicè pertractantur, Padua: Paulus Frambottus, 1644, ²1653, S. 9-10 und Abb. S. 14. Diese Ablehnung dürfte Riccioli wohl aber allzu halbherzig erschienen sein, denn er zählt Argoli unter die Semi-Copernicaner (also diejenigen Tychoniker, die einer Erdrotation zuließen): AN, I: 51b. Riccioli nennt seine Variante des tychonischen Systems –(er lässt Jupiter und Saturn nicht

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1. Einführung

Abb. 2 –Sechs Weltsysteme aus: Kaspar Schott (Hg.), Iter extaticum coeleste, Würzburg, 1660, S. 37 siehe hierzu in vorliegender Arbeit S. 16, 63, 212, 299

um die Sonne, sondern um die Erde kreisen) –semi-tychonisch (s. Abb. 2, S. 64 „Fig. V“und Abb. 6, S. 88): AN, II: 289ab; diese Variante gibt er aber spätesten 1665 ohne Nennung von Gründen wieder auf: Riccioli, Astronomia reformata, Bologna: Vittorio Benacci, 1665, S. viiib. Dagegen gelten ihm diejenigen Anhänger Tychos, die die Erdrotation dennoch zulassen, fast schon als Copernicaner, weswegen er sie Semi-Copernicaner nennt: AN, I: 51b.

1.2. Kontext und Ziel

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Was sich in Kirchers Worten wie nach einem Kompromiss anhört, den er mit seinem neuen System anstreben würde, scheint als solcher ausgeschlossen. Hinsichtlich des Jahreslaufs der Erde standen sich Copernicaner und Geozentristen unversöhnlich gegenüber. Was die erste Bewegung (primus motus) anging, d.h. die Drehung des Himmels bzw. die Rotation der Erde, bröckelte zwar die Front der Tychoniker, doch deren überwiegender Teil zählte zu den Geostatikern. Unter diese reiht sich Kircher ausdrücklich ein, wenn er erklärt, jedwede Erdbewegung für immer zu ächten. Als Jesuit bleibt ihm auch keine andere Wahl. Sein neues System muss ein geostatisches sein. Die völlige Ruhestellung der Erde, die er damit postuliert, ist freilich völlig unannehmbar für Anhänger des Copernicus sowie gleichfalls für Semi-Tychoniker. Auf einen einfachen Kompromiss zwischen den widerstreitenden Meinungen („opinionum diversitas“) konnte jener Mittelweg, den Kircher stets eingeschlagen habe („mediam quandam viam sectati“), also schwerlich hinauslaufen. Demnach musste Kirchers neues System schon Besonderes leisten, wenn es alle Widersprüche abwehren, alle kosmologischen Schwierigkeiten lösen und dadurch für jeden unvoreingenommenen Leser vertretbar sein sollte. Dabei zu behaupten, dass die Welt nicht anders beschaffen sein könne als in der Ekstatischen Reise dargestellt, gleicht einer Kampfansage angesichts des Streits der Weltbilder. Wie Kircher diesen hohen Anspruch, den er an sein novum systema stellt, in der Ekstatischen Reise eingelöst hat, wird sich zeigen. Dass damit aber ein gezielter und offensichtlich von höchsten Kreisen des Jesuitenordens gedeckter Eingriff in die kosmologische Kontroverse beabsichtig war, ist allein schon Grund genug, sich dem darin literarisch inszenierten neuen Weltsystem zu widmen. Die vorliegende Arbeit bietet somit nicht den Versuch, die Ekstatische Reise umfassend und für sich genommen zu behandeln. Vielmehr wollen wir aus diesem bedeutsamen aber kaum untersuchten Werk der Wissenschaftsliteratur erfahren, wie Kircher das geostatische Weltbild neu auszurichten und gegen die copernicanische Lehre zu behaupten sucht. Gleichzeitig bleibt weiter zu überprüfen, wie ernst es Kircher eigentlich meint mit diesem Vorhaben und was überhaupt neu daran sein soll. Von einem geostatischen Neuentwurf allerdings, wie ihn Kircher ankündigt, wäre zu erwarten, dass er auf der einen Seite den Angriffen der Copernicaner sowie auf der anderen Seite denen der Traditionalisten standhält. Um im Widerstreit der Meinungen, wie von Kircher versprochen, trag- und konsensfähig zu sein, müsste das novum systema die Positionen und Argumente der jeweiligen Gegenseite berücksichtigen, um sie gegebenenfalls zu widerlegen oder aufzunehmen oder einfach nur ins Leere laufen zu lassen. Kirchers Gegenentwurf dürfte somit zugleich Aufschluss geben über den rhetorischen wie den wissenschaftlichen Stand der kosmologischen Debatte nach Erscheinen von Ricciolis Almagestum novum (1651). Damit kann die Ekstatische Reise für die vergleichsweise wenig untersuchte Zeit zwischen Galileis Dialogo (1632) und Newtons Principia mathematica (1687) eine Momentaufnahme der großen Kontroverse liefern. Anhand dieses Ausschnittes soll versucht werden, deren Verlauf in einzelnen Punkten zu rekonstruieren. Zusammen mit der kosmologischen Kontroverse jedoch wird zu-

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1. Einführung

gleich die Historiographie jener so einschneidenden Wissenschaftszeit selbst zum Thema. Als konstitutiv für das moderne Selbstverständnis der westlichen Welt erfuhr die so genannte Wissenschaftliche Revolution des 17. Jahrhunderts einen Grad an Heroisierung, die im 20. Jahrhundert kritisch hinterfragt wurde. Die jüngere Jesuitenforschung machte für diese Aufarbeitung schließlich neue Quellen zugänglich, die unser Bild von jener Zeit vervollständigen. Vor allem schuf sie die Möglichkeit, die große kosmologische Kontroverse letztlich aus einem anderen aber ebenbürtigen Blickwinkel zu bewerten als allein aus der Perspektive der siegreichen Copernicaner. Die These der vorliegenden Arbeit lautet: Die von Kircher mit seiner Ekstatischen Reise angekündigte neue Hypothese bzw. sein novum systema stellt eine gezielte Intervention in die kosmologische Kontroverse dar, woraus sich Aufschluss gewinnen lässt über Stand und Verlauf der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Die Untersuchung dieser These gliedert sich nach den drei grundlegenden Anteilen, die der Kirchersche Kosmos, das novum systema, aufweist, einen copernicanischen, einen geostatischen und einen stellaren.

2. DIE COPERNICANISCHEN DIMENSIONEN DES KIRCHERSCHEN KOSMOS

[… ], ut vel ex hoc discas, mundum tam arctis claustris non esse conclusum, quam quidam putant. Kircher, Itinerarium, 286 (Iter, 363)

Queste novità di verità antiche, di novi mondi, nove stelle, novi sistemi, nove nationi etc., son principio di secol novo. Campanella an Galilei (05.08.1632)

Abb. 3 –Fixsternraum aus: René Descartes, Principia philosophiae, Amsterdam, 1644, S. 78 (f, F, Y, L, N, D sind Fixsterne; S unsere Sonne; gestrichelt die cartesischen Wirbelfelder) siehe hierzu in vorliegender Arbeit S. 82, 199-208

2.1. DIE ENTFERNUNG DER STERNE UND KIRCHERS ABSICHERUNG Die Literatur zu Kirchers Ekstatischer Reise ist äußerst spärlich. Größere Arbeiten zu diesem noch nie in eine moderne Sprache übersetzten Buch gibt es nicht. Bei den bisher dazu angestellten Untersuchungen blieb die Intention des kosmologischen Werkes, wie Kircher sie einleitend erklärt, unberücksichtigt. In den Focus geriet vielmehr fremdes Gedankengut, das darin eingeflossen ist. Aufmerksamkeit fanden die Anleihen, die Kircher bei Nicolaus Cusanus macht, aus dessen Werken er wörtlich abschreibt. 1 Einen weiteren Blickwinkel bietet der als Ketzer verbrannte Giordano Bruno.2 Immer aber waren moderne wie auch zeitgenössische Leser irritiert von gewissen copernicanischen Elementen. 3 Auch wenn Kircher einleitend in der Ekstatischen Reise noch so förmlich behauptet, dass er sich einzig darum bemühe, auf immer die Bewegung der Erde zu ächten:4 Die Frage nach Kirchers eigentlicher Position in der kosmologischen Kontroverse wurde dennoch gestellt. Man mag schon stutzig werden bei den copernicanischen Argumenten, Größenverhältnissen und Gedankenexperimenten, die Kircher in seiner Ekstatischen Reise verarbeitet. Vor allem aber sind es die Ausmaße von Kirchers Univer-

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„[…] damit du besonders hieraus lernst, dass die Welt in so engen Schranken nicht eingeschlossen ist, wie einige meinen.“ „Diese Neuigkeiten von antiken Wahrheiten, von neuen Welten, neuen Sternen, neuen Systemen, neuen Völkern etc., sind Ursprung neuen Zeitalters.“ S. Meier-Oeser (1989) 308-319, 399-401; B. Bauer (1989/1990), S. 96-101; C. Ziller Camenietzki (1995b) 18-20, 23-25, 29, 30; ders., „L'infini dans la pensée d'Athanasius Kircher“, in: Infini des philosophes, infini des astronomes, hg. v. F. Monnoyeur, Paris: Belin, 1995, S. 61-76, hier S. 65-71. Dass dennoch der Name von Cusanus im Text des Itin. nicht vorkommt (erst in der Würzburger Ausgabe), ist wiederholt vermerkt worden; eine mögliche Begründung dafür wird hier weiter unten auf S. 205 ff. gegeben. S. Ricci (1990) 155-161, 331; B. Bauer (1989/90) 69-107, hier 93; I. Rowland, „Kircher Trismegisto“, in: E. Lo Sardo (2001) 113-121, hier 118a; dies., „Athanasius Kircher, Giordano Bruno, and the Panspermia of the Infinite Universe“, in: P. Findlen (2004) 191-205, hier 196202. Dagegen sieht Antonella Del Prete trotz des Umfeldes nolanischer Spekulationen eine viel größere Nähe Kirchers zu den kosmologischen Modellen von Francesco Patrizi und Marcello Palingenio: Universo infinito e pluralità dei mondi. Teorie cosmologiche in età moderna, Neapel: La città del sole, 1998, S. 301. Zum zeitgenössischen Copernicanismus-Vorwurf am Beispiel der Mira, s.o. S. 34 ff., zu der gern zitierten krypto-copernicanischen Bemerkung von Christiaan Huygens s.u. S. 292 f. Zu Huygens und Guericke als kritische Leser von Kirchers Ekstatischer Reise: E. Knobloch, „Vielheit der Welten – extraterrestrische Existenz“, in: W. Voßkamp: Ideale Akademie. Vergangene Zukunft oder konkrete Utopie?, Berlin: Akademie, 2002, S. 165-186, hier S. 175176, 180-181, 183. Zur allgemeinen Bekräftigung des Kircherschen Krypto-Copernicanismus ist wohl am häufigsten der oben (Anm., S. 59) schon erwähnte Brief Peirescs an Gassendi (06.09.1633) herangezogen worden; für eine kontextbezogene Klärung der darin wiedergebenen Aussagen Kirchers über sich und Jesuiten siehe: H. Siebert (2006). Copernicanische Spuren in der Ekstatischen Reise sehen: B. Bauer (1989/1990) 73, 80, 97, 107; I. Rowland (2001) 118a; dies. (2004) 191-196. Itin., 28 (‘Praelusio Paraenetica’); It., 53.

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2. Die copernicanischen Dimensionen

sum, die nur schwer vereinbar scheinen mit einem geozentrischen Weltbild. Diese neuen Dimensionen kündigen sich in der Ekstatischen Reise schon auf dem Weg durch unser Heimatsystem an. Beim Flug zur Sonne erfährt Theodidactus noch mit Staunen, dass sie in Wirklichkeit tausendmal größer sei als die Erde. 5 Für einen Scherz Cosmiels hält er es, als dieser ihm vom Saturn aus die Sonne zeigt: Trotz ihres großen Strahlenkranzes ist sie nur mehr zu sehen als winziges Teilchen („corpusculum“).6 Die Erde gar lässt sich gerade noch als Punkt ausmachen, verschwommen in einem Nebel kleinerer Sterne, welche man sich als Mond, Venus und Merkur zu denken habe. 7 Nach einer Wegstrecke von fast hunderttausend Erdradien stehen die Weltraumreisenden am Ende unseres Erd-Sonnensystems. 8 Doch die neuen Dimensionen des Universums erschließen sich – ungeahnt und letztlich unvorstellbar –eigentlich erst hinter dem Saturn. Nachdem Kircher die Leser seiner Ekstatischen Reise bis zum äußersten der damals bekannten Planeten geführt hat, betont er die große Entfernung, die zwischen dem Saturn und den ersten Fixsternen liegt. Nur auf Engelsschwingen und mit übernatürlicher Geschwindigkeit können Cosmiel und Theodidactus diesen riesigen leeren Raum überwinden: Theodidactus: Wohin entführst du mich, Cosmiel ? Wohin werde ich mit so unsagbarer Geschwindigkeit bewegt ? Was in aller Welt ist das Ziel meiner Reise? Wo ist nur gleich die Sonne, wo die Erde, der Mond und die übrigen Planeten? Denn ich sehe, alle sind sie verschwunden. Kann es wirklich sein, dass wir in so kurzer Zeit eine so große Entfernung zurückgelegt haben? Cosmiel: Wundere dich nicht. Denn nicht von einer menschlichen Bewegung, sondern von der eines Engels wirst du fortgerissen. Verglichen mit ihr ist jede Bewegung im Reich der Natur Langsamkeit. Auch könntest du, außer vom Himmel sehr gestärkt, diese Wucht nicht aushalten. 9 5 6

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Itin., 125; It., 193. „Cosmiel. vides lucidissimum illud corpusculum, tanto radiorum amictu circumdatum? Theodid. video. Cosmiel. ille Sol est. Theod. serione loqueris Cosmiel? Cosmiel, serio tibi loquor, neque ullus unquam apud me iocus locum habet; qui sum veritatis aeternae magister.“: Itin., 250-251; der hier von mir hervorgehobene Text fehlt in Iter (1660; 1671) 325. „Cosmiel. vides ibi iuxta Solem quatuor stellulas pene nebulosas? [… ] Theodid. O mi Cosmiel, ergone ego terram ex hoc loco veluti sub minimi puncti cuiusdam figura intueor?“: Itin. 251; It. 325. Cosmiel nennt 99.304 rt als Entfernung vom Saturn zur Erde (bzw. Sonne, was nicht eindeutig hervorgeht): Itin. 253; It. 327. Schott weist nach, dass Kircher diese Zahl von Rheita (Oculus Enoch, 1645, lib. 4, cap.2, memb. 5) habe, welche aber nicht die Entfernungsangabe in Erdradien wiedergebe (wie Kircher irrtümlich meine); denn hierfür gebe Rheita 19.860 rt an: It. 328 (‘Scholium IX.’). Zum Vergleich: Riccioli nennt für die Distanz Saturn-Erde die Werte max. 90.155 rt, mittl. 73.000 rt, min. 57.743 rt : AN, I: 686. Kircher selbst hatte zehn Jahre zuvor noch mit 10.550 rt einen viel kleineren Wert für diese Entfernung angenommen: Ars magna lucis (1646) 764. Itin., 258 (Dial. I, cap. 9: ‘Iter in Firmamentum’): „Theod. Quo me rapis Cosmiel? Quo feror tam ineffabili motus velocitate? Quis tandem itineris mei finis? Ubi iam Sol, ubi Terra, Luna; caeterique planetae, omnes siquidem disparuisse video; Fierine potest tam brevi tempore tantum nos spacium confecisse? Cosmiel. Ne mireris; non enim humano sed angelico motu raperis; cuius comparatione omnis naturalium rerum motus tarditas est; neque tu impetum hunc

2.1. Die Entfernung der Sterne

71

Der Leser kann sich im Folgenden von dieser in unvorstellbarer Geschwindigkeit überwundenen Distanz sogar einen Begriff machen. Wir erfahren, dass es von der Sonne bis zu den ersten Fixsternen hundertfach weiter sei als zur Erde.10 Dieses hundertfach ist natürlich ein reichlich vager Wert. Dennoch legt sich Kircher mit dieser Angabe so weit fest, dass daraus zumindest die Größenordnung zu entnehmen ist, die er für die Entfernung der Fixsterne ansetzt. Welche Entfernung veranschlagt Kircher nun hierfür und wie ist sie zu bewerten vor dem Hintergrund der kosmologischen Debatte? Um aus dem angegebenen Entfernungsverhältnis den Fixsternabstand zu berechnen, muss man die Distanz kennen, die Kircher zwischen Erde und Sonne annimmt. Gerade diese Angabe bleibt er uns aber schuldig. Genauso wenig liefert sie uns Schott in einem seiner vielen Kommentare nach. Somit bekommt der Leser keine Berechnungsgrundlage, um aus Kirchers „hundertfach“einen Zahlenwert für den Abstand der Fixstern zu unserem Erd-Sonnensystem zu ermitteln. Kircher übernimmt im Reiseabschnitt zur Sonne allerdings die Angaben des Astronomen Antonius Maria Schyrleus de Rheita (1604-1660) zu Volumen und Umlaufbahn der Sonne.11 Legt man also auch für den mittleren Sonnenabstand zur Erde den von Rheita angeführten Wert zugrunde (2.000 rt)12 – einen ähnlichen Wert hatte auch Kircher früher vertreten13 –, so ergibt sich eine Fixsternentfernung von 200.000 rt, was annähernd Ricciolis eigener Vorstellung entspricht. 14 Aus dem Munde Cosmiels war zuvor noch zu erfahren, dass der Saturn 99.304 rt von der Erde entfernt sei. Demnach hätten die beiden Kosmonauten mit ihrem Hypersprung zu den Fixsternen eine annähernd ebenso große Strecke zurückgelegt wie auf ihrer ganzen bisherigen Reise. Mit den rund 100.000 rt bleibt Kircher

sustinere posses, nisi confortatus ab alto.“; It., 340-341. 10 „Theodid. [… ]; cum enim centuplo plus distemus a Sole, quam Sol a terra; quis credat tantillum sidus [sc. unsere Sonne] vastissimos hosce mundi globos & remotissimos alios nobis incompertos illuminare posse ?“: Itin. 261; It. 344. 11 Zu Rheita s.u. S. 232 ff. Kircher erwähnt Rheita selbst nicht und gibt auch hier keinen Wert für die Entfernung Sonne-Erde an: Itin., 125, 128 (die Sonne sei tausendmal größer als die Erde; Iter, 193, 198); Itin., 179 (die Umlaufbahn der Sonne betrage 69.143 leucae horariae; Iter, 236). Aufgrund dieser genauen Zahlenangaben kann Schott aber in beiden Fällen Rheita (1645) als Kirchers Quelle nachweisen: It., 194 (‘Scholium I.’), 238 (‘Scholium VIII.’). 12 Rheita, Oculus Enoch (1645) I: 194a. 13 Kircher, Ars magna lucis (1646) 739 (lib. 9, Problema 10). Dies sind auch die Werte die Riccioli (AN, I: 110b) für Kircher in seiner Liste aufnimmt: 1940 ¾ rt, 1906 ¼ rt, 1872 2/3 rt. Aus einem dieser beiden Werke dürfte sich der anonyme Kritiker in den Mira Kircheri bedient haben, da die von ihm angeführte Zahl für den Durchmesser der Sonnenbahn („terrae diametros 1906“: Mira, f. 12r) im Text des Itinerarium selbst nicht auftaucht. 14 Riccioli, AN, I: 419ab. Riccioli ermittelt je nach Methode (modus 4 oder 5) einen Fixsternabstand von mindestens 100.000 rt oder mindesten 210.000 rt; später hält er nur mehr an den gerundeten 200.000 rt fest: Riccioli, Astronomia reformata (1665) I: viiia. Riccioli gibt den Abstand der Fixsterne zur Erde an, und nicht, wie Kircher mit seiner Angabe centuplo, zur Sonne. Hier wie im Folgenden können wir diesen Unterschied vernachlässigen, da in den verschiedenen Fixstern-Entfernungsangaben eine Differenz von einem Erd- bzw. Sonnenbahnradius unerheblich ist für die Größenordnung der einzelnen Werte.

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2. Die copernicanischen Dimensionen

allerdings unterhalb dessen, was Riccioli als Entfernung der Fixsterne vom Saturn und damit für die Ausmaße dieses leeren Zwischenraums annimmt.15 Würde man dagegen Ricciolis eigenen Wert für die Sonnendistanz, die Kircher uns im Ganzen ja schuldig bleibt, zugrunde legen, dann ergäbe sich daraus für den Kircherschen Kosmos ein Fixsternabstand von 730.000 rt – ein zumindest noch sechsstelliger Wert wie er auch von Riccioli vertreten wird (210.000 rt).16 Würde man gar die größte von einem Copernicaner angenommene Entfernung Sonne-Erde hierfür ansetzen, dann entstünde mit der von Kircher veranschlagten Verhundertfachung ein Abstand der Fixsterne von 1.472.000 rt.17 Auch diese beachtliche Entfernung bleibt weit zurück hinter den mindestens 20 Millionen Erdradien, die der Geozentrist Rheita als Minimalabstand fordert. Wie wir uns erinnern, waren es gerade die Zahlen Rheitas, die Kircher nicht nur für Sonnengröße und -umlaufbahn übernommen hatte, sondern insbesondere auch für die Saturn-Distanz, somit also für die Ausmaße des gesamten Erd-Sonnensystems. Bei der Entfernung der Fixsterne indes unterlässt es Kircher, auf Zahlenwerte Rheitas zurückzugreifen. Denn bei Rheita genauso wie bei den Copernicanern Ismaël Boulliau (1605-1694), Philip van Lansberge (1561-1632), Gottfried Wendelin (1580-1667), Kepler und Galilei lässt sich das jeweilige Verhältnis von angenommener Fixsternentfernung zu Sonnenabstand allenfalls durch den Faktor 10.000 ausdrücken. 18 Mit Blick auf diese Gruppe von Astronomen liegt Kircher also mit seinem hundertfach („centuplo“) genau um den Faktor hundert zu niedrig, während er bei traditionellen Geozentristen wie Ptolemaios, Tycho oder Christoph Clavius (1538-1612) mit ebendemselben hundertfach bereits um den Faktor zehn zu hoch liegt.19 15 Riccioli nimmt als minimalen Abstand zwischen Saturn und Fixsternen 119.848 rt und als maximalen 152.257 rt an: AN, I: 681, 680. 16 Riccioli, AN, I: 110b: Ricciolis Werte für den Abstand Sonne Erde sind jeweils für maximale, mittlere und minimale Entfernung in rt 7580 (7600), 7327 (7300), 7074 (7000), wobei Riccioli in Klammern die gerundeten Werte mit angibt. 17 Wendelin berichtet Pierre Gassendi (1592-1655) über die von ihm berrechneten 14.720 rt als neuen Wert für die Entfernung Sonne-Erde in einem Brief vom Mai 1635: Gassendi, OGG, VI: 427a-429a, hier 428a. In Rheitas Liste findet sich für Wendelin derselbe Wert: Oculus Enoch (1651) I: 194a; in Ricciolis Liste dagegen davon abweichende Werte für Wendelins maximalen, mittleren und minimalen Sonnenabstand: 14905 rt, 14656 rt, 14407 rt: AN, I: 110b. Als Fixsternabstand von der Erde errechnet Riccioli auf der Basis von Wendelins Wert einen dreistelligen Millionenbetrag (604.589.312 rt): AN, I: 419b. 18 Entsprechende Werte für den maximalen Fixstern- und mittleren Sonnenabstand lassen sich bei Riccioli (AN, I: 110b, 419a, 690) nachlesen: Rheita 20.000.000 rt / 2.000 rt, Lansberge 41.956.554 rt / 1.614 rt, Galilei 13.046.400 rt / 1.208 rt, Kepler 59.973.087 rt / 3.528 rt, Wendelin 604.589.312 rt / 14.656 rt, Boulliau 60.227.920 rt / 1.406; die Fixsternentfernungen für Wendelin und Boulliau sind von Riccioli errechnet worden: AN, I: 419b. 19 Bei diesen Autoren beträgt der Fixsternabstand nur das zehnfache der Distanz Sonne-Erde. Dieses Verhältnis lässt sich aus den entsprechenden Werten ablesen, wie sie sich bei Riccioli (AN, I: 110b, 419a, 690) finden: Ptolemaios (laut al-Farghani) 20.013 rt/1.168 rt, Tycho 14.000 rt /1.150 rt, Clavius 45.225 rt/1.168 rt. Zu Clavius: E. Knobloch: „Sur la vie et l’œuvre de Christoph Clavius“, Revue d’Histoire des Sciences, 41 (1988), S. 331-356; ders., „Ein Astronom zwischen Antike und Kopernikus“, in: K. Döring/ G. Wöhrle, Vorträge des ersten

2.1. Die Entfernung der Sterne

73

Mit seiner Angabe hundertfach zählt Kircher sich implizit also weder zu der einen noch zu der anderen Gruppe. Genau auch dies geht aus den von verschiedenen Astronomen stammenden Angaben zu Fixstern- und Sonnentfernung hervor, die Schott in dem anschließenden Scholium zusammenstellt. Es wundert daher, dass Schott darin gleichfalls behauptet, Kirchers internes Entfernungsverhältnis mit dem Faktor 100 lasse sich bei den angeführten Astronomen nachweisen.20 Denn nur auf einen von diesen, trifft dieser Faktor größenmäßig zu. Allein bei Ricciolis eigenen Werten findet sich dieses Verhältnis von hundert, worauf Kircher sich wohl eigentlich bezieht.21 Richtig festlegen allerdings lässt er sich wiederum auch auf diesen Wert nicht. Wohlgemerkt ist es Theodidactus, der diese Einschätzung über den hundertfachen Sonnenabstand als Fixsternentfernung von sich gibt, eine Zahlenangabe also, die –aus dem Munde des zu belehrenden Schülers – nicht als die letztgültige erscheinen mag. Seitens Cosmiels jedenfalls bleibt diese Einschätzung seines Schülers unkommentiert. Mit jenem auch bei Riccioli zu findenden Entfernungsverhältnis gibt Theodidactus letztlich eine Auffassung wieder, die in Einklang steht mit der katholischen Astronomie. Diese hier explizit konservative Entfernungsangabe täuscht aber darüber hinweg, dass der von Kircher literarisch explorierte Kosmos im Folgenden noch Dimensionen annehmen wird, die umso weniger als orthodox und schulgerecht gelten dürften. Ein ganz anderes Bild wird den Lesern der Ekstatischen Reise vermittelt durch die qualitative Beschreibung der Immensitas Mundi. Was die beiden Weltraumreisenden hinter dem Saturn erleben, dürfte nicht nur die Vorstellungskraft der Leser sprengen, sondern selbst den Rahmen einer geozentrischen Weltsicht: Ein nicht enden wollender Fixsternraum, erfüllt von immer neuen nie gesehenen Sternen in unvorstellbar großen Abständen zueinander – schier jeder Gedanke an ein Zentrum scheint aufgehoben. Symposions des Bamberger Arbeitskreises ‘Antike Naturwissenschaft und ihre Rezeption’, Wiesbaden: Harrassowitz, 1990, S. 113-140; ders., „Christoph Clavius. Ein Namen- und Schriftenverzeichnis zu seinen Opera mathematica“, Bollettino di Storia delle Scienze Matematiche, 10 (1990), S. 135-189; ders., „L’œuvre de Clavius et ses sources scientifiques“, in: L. Giard (1995) 263-283; ders., „Sur le rôle de Clavius dans l’histoire des mathématiques“, in: U. Baldini: Christoph Clavius e l’attività scientifica dei gesuiti nell’età di Galileo, Rom: Bulzoni, 1995, S. 35-56; J. M. Lattis (1994). 20 Schott in It., 344 (‘Scholium’) gibt jeweils folgende Werte bzgl. der Entfernung Sonne-Fixsterne und Sonne-Erde für Tycho (12.880 rt, 1.117 rt), Ptolemaios (18.867 rt, 1.126 rt), Riccioli (202.926 rt, 7.000 rt), Rheita (20.000.000 rt, 1.927 rt), Lansberge (41.956.554 rt, 1.736 rt), Kepler (59.996.640 rt, 1.736 rt) an und zieht den Schluss: „Ex his patet verum esse quod asserit Auctor, in omnium fere sententia, Fixas stellas distare enctuplo plus a Sole, quam Sol a terra.“: It., 344. 21 Dass die Fixsterne hundertmal weiter von der Sonne als diese von der Erde entfernt sind, dieses Verhältnis mit dem Faktor 100, welches für die Werte Ricciolis gilt, lässt sich unmittelbar ablesen aus einer Tabelle in seinem AN, I: 690: „Tabula I. Maxima distantia planetarum inter se, vel a fixis.“Mit Verweis auf Riccioli hatte Schott aus ebendieser Tabelle den Abschnitt über den Saturn übernommen: Iter, 327; nur die Zeile für die Entfernungsangabe zu den Fixsternen lässt er bei allen acht Astronomen (Ptolemaios, Copernicus, Lansberge, Tycho, Longomontanus, Kepler, Boulliau, Riccioli) weg.

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2. Die copernicanischen Dimensionen

Als Cosmiel und Theodidactus sich den ersten Fixsternen nähern, entpuppen sich diese als riesige Himmelskörper, die unserer Sonne an Größe und Helligkeit kaum nachstehen. Andere wiederum zeigen sich als deren Trabanten, da sie unterschiedliche Phasen aufweisen, ähnlich denen unseres Erdmondes. 22 Auf einem solchen Fixstern-Trabanten, dem Mond des Sirius, machen die Reisenden Halt. Theodidactus glaubt sich fast schon wieder zu Hause, so sehr gleichen hier die Verhältnisse denen auf dem sonnenbeschienenen Mond der Erde.23 Jedoch über sich erblickt er ein völlig anderes Himmelszelt mit neuen Sternbildern gebildet aus einer zahllosen Schar unbekannter Gestirne.24 Seinem Staunen und ungläubigen Fragen, ob diese Sterne denn etwa auch noch zum Firmament gehörten, entgegnet Cosmiel: Sie gehören zum Firmament, und du sagst ganz richtig, dass keiner dieser Sterne von der Erde aus zu sehen ist. Denn die Ausdehnung des Firmaments ist so unermesslich, dass diese – ich darf es sagen – kein Auge, nicht einmal aber menschliches Denken erreichen kann.25

Aus dieser großen Entfernung erscheint selbst unsere Sonne nur mehr als ein beliebiger Stern, leicht zu verwechseln mit anderen gleicher Größe.26 Als Cosmiel seinem Schüler die nur mehr sterngroße Sonne zeigt, kann Theodidactus weder die Erde noch die kleineren Planeten entdecken: Doch wo ist die Erde, wo der Mond, wo die anderen Wandelsterne? Cosmiel: Alle haben sich bereits in der übergroßen Entfernung verloren bis auf Jupiter und Saturn, 22 „Theodid. [… ] ingentes ego stellas, quae Solis luci & magnitudine & lumine vix cedant, aspecto; video praeterea nonnullas in modum Lunae mira phasium varitate differentes.“: Itin., 260; It., 343. 23 Itin., 265; It., 348. 24 „Hic ego primum ea detexi, quae nullis verbis, nullo eloquio satis describi possunt; vidi siquidem supra me innumerabilem stellarum multitudinem iuxta quintuplicis magnitudinis ordinem; quarum iconismi omnes varias & differentes figuras exhibebant.“: Itin., 266; It., 348: Schott ändert das Kirchersche „quintuplicis“hier in „sextuplicis“, Schott meint also bei der Menge unzähliger Sterne, die Theodidactus sieht, müssten die kleinsten und am weitesten entfernten gemeint sein, nicht aber die zweitkleinsten und etwas näheren. Rein sprachliche Änderungen finden sich dagegen mehrere auf der Seite zuvor: Itin. 265; It. 347-348. Das Präteritum des zitierten Abschnitts zeigt an, dass hier der Ich-Erzähler (rückblickend auf seinen Traum) spricht wie er an mehreren Stellen zu Wort kommt. So auch eine Seite zuvor, wo er ohne Kenntlichmachung, unmittelbar nach dem Dialogtext Cosmiels einsetzt: „Cosmiel. [… ]; quo dicto Lunaris naturae in globum me deposuit; globus ex liquido [… ]. Theodid.: [… ]“: Itin., 265. Schott ordnet den Text des Ich-Erzählers dem Theodidactus zu, indem er „Theodid.“vorzieht und dieser dann bereits mit „Quo dicto, [… ]“seinen Dialog-Text beginnt: It., 348. Schott vereinheitlicht somit die Praxis Kirchers, der darin nicht konsequent verfährt und so auch noch auf derselben Seite gleich im Anschluss an Cosmiel wieder Theodidactus den Ich-Erzähler-Text sprechen lässt: „Cosmiel. [… ]. Theodid.: Quo dicto iter acceleravimus. O mi Cosmiel, Putabam te me ducere velle in globum caniculae, [… ].“: Itin., 265; It.; 347. 25 Itin., 266: „Cosmiel : [… ] Firmamenti sunt, & bene dicis, nullam harum e terra videri; est enim adeo immensum firmamenti expansum, ut id non dicam oculus, sed ne humana ratio quidem attingere possit.“; Iter, 348. 26 So hatte Theodidactus schon beim Anflug auf den Sirius die Sonne nicht mehr von den Sternen unterscheiden können und zweifelte auch beim Sirius: Itin., 261; It., 343, 344-345.

2.1. Die Entfernung der Sterne

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die du nahe der Sonne so groß wie Sterne vierter Größenklasse siehst. Theodidactus: Aber was ist das für ein Unding? Ich sehe nämlich, dass weder die Sonne noch Jupiter oder Saturn sich bewegen und wie sie durch einen fast immer gleichen Abstand voneinander getrennt sind. Cosmiel: Weißt du, die Entfernung dieser Himmelskörper zu deinen Augen ist so groß, dass der Umfang der gesamten Sonnenbahn sich nahezu auf die bloße Größe der Sonne selbst zusammenzieht ganz wie die Umlaufbahnen der erwähnten übrigen Himmelskörper. Deshalb ist es kein Wunder, dass diese gleichsam unbewegt zu sein scheinen oder auch ganz und gar verschwinden, falls sie kleiner als die Sonne und die übrigen oberen Planeten sind. 27

Selbst der Planet Saturn, welcher –wie wir ja schon oben gesehen haben –so weit entfernt ist von der Erde, rückt nun aus dieser riesigen Distanz betrachtet ganz nah an die Sonne heran. Von der Erde und den unteren Planeten ist gar nichts mehr zu sehen. Perspektivisch werden sie derart zusammengedrängt, dass sie für den Betrachter mit der Sonne zusammenfallen. In den unermesslichen Weiten verlieren sich Ihre Abstände, werden gleichsam darin verschluckt, so dass du von dieser Stelle aus nur mehr die Sonne aus den unteren Himmelskörpern erblickst, weil die übrigen zusammen mit ihren Kreisbahnen von der unermesslichen Entfernung verschluckt worden sind. 28

Diese qualitative Beschreibung der Größenverhältnisse im Kosmos ist viel aussagekräftiger als Kirchers quantitative Angabe, die er seinen Lesern zuvor noch durch das Entfernungsverhältnis vermittelt hat. Bar jeder Zahl entscheidet diese Schilderung der Größenverhältnisse ganz unmissverständlich den strittigsten Punkt in der kosmologischen Debatte. Alles Rechnen und Spekulieren über die Größe der Welt und insbesondere über den Abstand der Fixsterne kreiste wesentlich nur um eine einzige Frage: Sind die Sterne so weit weg, dass sich eine Bewegung der Erde um die Sonne wirklich nicht bemerkbar machen würde? Aus Kirchers Darstellung wird nun aber deutlich, dass verglichen mit der Entfernung zwischen Erde und den ersten Sternen die Achsen der Planetenbahnen unermesslich klein sind. Selbst wenn wir uns mit der Erde um die Sonne bewegten, würden wir somit unmöglich sehen können, dass die Sterne sich im Jahresverlauf verschieben. Eine solche Parallaxenverschiebung zu beobachten, ist angesichts der von Kircher geschilderten Größenverhältnisse geradezu ausgeschlossen. Vom Sirius aus betrachtet schrumpft der Abstand zwischen Erde und 27 Itin., 266-267: „Sed ubi est Tellus, ubi Luna, ubi reliqua planetica sidera? Cosmiel. Omnia ob nimiam distantiam iam evanuerunt praeter Iovem & Saturnum, quos vicinos Soli, instar quartae magnitudinis stellarum, intueris. [S. 267:] Theodid. Sed quid hoc portenti? Nam neque Solem, neque Iovem, aut Saturnum moveri video, aequali fere semper ab invicem distantia dissidentes. Cosmiel. Tantam esse scias horum globorum ab oculo tuo distantiam, ut tota solaris coeli circumferentia in unum fere spacium solari corpori aequale, uti & reliquroum memoratorum globorum coeli coarctentur: hinc mirum non est, eos quasi immotos videri, aut etiam penitus, si Sole reliquisque superioribus planetis minores sint, evanescere“; It., 348-349. 28 Itin., 268: „Cosmiel. [… ] tu ex hoc loco ex inferioribus globis, nihil aliud nisi Solem intueris reliquis immensitate distantiae una cum circulis suis absorptis.“; It., 350: Schott ändert Kirchers „loco“in „globo“; gemeint jedenfalls ist der Mond des Sirius, auf dem die Reisenden sich noch immer befinden.

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2. Die copernicanischen Dimensionen

Sonne zu einem Nichts zusammen: Eine sich um die Sonne bewegende Erde würde für uns keinen sich verändernden Blickwinkel auf die Sterne ergeben. Hierbei zeigt sich jedoch, dass Kircher nicht von einem Fixsternabstand ausgegangen sein kann, wie ihn Riccioli vertritt. Dessen Wert von 210.000 rt ist nicht dazu gedacht, eine etwaige Parallaxenverschiebung zum Verschwinden zu bringen. Riccioli ist schließlich Geostatiker. Jenes von Theodidactus vorgebrachte Entfernungsverhältnis – (die ersten Fixsterne sind hundertmal weiter von der Sonne entfernt als diese von der Erde) –, das als Fixsternentfernung Ricciolis eigenem Wert entspricht, ist somit völlig unangemessen für die von Kircher geschilderten Dimensionen des Kosmos. Indem er diese von Riccioli stammende und Theodidactus in den Mund gelegte Angabe auch später nicht korrigiert, den so bezifferten Fixsternabstand als Zahlenwert belässt, gibt er einer formalen Richtigkeit offenbar den Vorzug vor der inhaltlichen. Hätte er anderenfalls doch als Jesuit mit Zahlen operieren müssen, die sich ansonsten nur bei Copernicanern finden. So aber konnte er sich mittels jener quantitativen Angabe, die zu seiner Schilderung zwar nicht passt, auf den bedeutendsten Vertreter katholischer Astronomie berufen. 2.2. KIRCHERS ZUGESTÄNDNIS AN DIE COPERNICANER Die nicht zu beobachtende Fixsternparallaxe galt als schlagender Beweis gegen ein heliozentrisches System. Diesen Einwand hatte schon Aristoteles (384-322 v. Chr.) gegen die Pythagoreer (5. Jh. v. Chr.) vorgebracht, und Klaudios Ptolemaios (um 90-170 n.Chr., latinisiert als Claudius Ptolemaeus) wiederholte ihn mit Blick auf Aristarch von Samos (310-230 v. Chr.), den berühmtesten antiken Vertreter eines Sonnensystems. 1 Um diesem Einwand zu entgehen forderte Copernicus für das Firmament eine Entfernung, die ungleich größer sein müsse als bisher angenommen: So ließ sich das Ausbleiben einer Parallaxenverschiebung damit erklären, dass sie viel zu gering sei, um beobachtet zu werden. 2 Für die Anhänger des Copernicus reduzierte sich der klassische Einwand gegen das heliozentrische System auf ein rein technisches Problem: Der Parallaxenwinkel musste unterhalb dessen liegen, was messbar war. Mit dem zu erwartenden Fortschritt im Teleskopbau erschien dieses Problem aus copernicanischer Sicht nur als ein vorläufiges. So hoffte Galilei, dass mit besseren Instrumenten diese kleinste Verschiebung einmal nachzuweisen sei. 3 Solange dieser Nachweis allerdings ausstand, waren die Anhänger des Copernicus jenem alten Vorwurf ausgesetzt. Dagegen verwiesen sie stets auf die nicht messbare Winzigkeit, die für eine solche Verschiebung zu 1 2

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Aristoteles, De caelo, II, 14. Ptolemaios, Almagest, I, 6. „Quod autem nihil eorum [sc. von den Schleifenbewegungen der Planeten] apparet in fixis, immensam illorum arguit celsitudinem, quae faciat etiam annui motus orbem sive eius imaginem ab oculis evanescere. Quoniam omne visibile longitudinem distantiae habet aliquam, ultra quam non amplius spectatur, ut demonstratur in Opticis.“: Copernicus, De revolutionibus orbium coelestium [1543, f. 10r (lib. 1, cap. 10)], in: Copernicus (1984), S. 21 (Z. 17-20). Galilei, Dialogo [1632], OGG, VII: 413-416.

2.2. Kirchers Zugeständnis an die Copernicaner

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fordern sei: Aus einer so großen Entfernung betrachtet falle sie wie in einen Punkt zusammen: „Instar puncti “ (einem Punkte gleich) ist dann auch die prägnante Formel, auf die sich die Verteidigung gegen die fehlende Parallaxe bringen ließ.4 Abb. 4 –Erdbewegung und Parallaxenwinkel p bei traditioneller (a) und copernicanischer (b) Fixsternentfernung siehe in vorliegender Arbeit hier und S. 164, 255 f.

Was Kirchers Kosmonauten auf ihrer Reise zum Firmament erleben, wirkt da wie eine literarische Bestätigung des copernicanischen instar puncti. Beim Blick zurück auf unser Erd-Sonnensystem sehen sie aus immer weiterer Entfernung nach und nach die Abstände der Himmelskörper zusammenschrumpfen, bis diese vom Sirius aus betrachtet schließlich alle wie in einem Punkt verschluckt mit der Sonne zusammenfallen. 5 4

5

Der Anti-Copernicaner Froidmont schreibt diese “instar puncti”-Verteidigung schon Aristarch zu: Ant-Aristarchos sive orbis-terrae immobilis, Antwerpen: Balthasar Moret, 1631, ‘Ad Lectorem’ (nicht paginiertes Blatt **2). Diese Punkt-Vorstellung formulieren Lansberge (Commentationes in motum terrae [1629; 1651], in: Opera omnia, Middelburg: Z. Roman, 1663, S. 17: “instar puncti”), Galilei (Dialogo, OGG, VII: 413-414 (terza giornata), hier 414 (Z. 1-2): „così minute puntualità“), Descartes (Principia philosophiae [1644], A&T, VIII: 97 (III, § 40): „instar puncti“), Du Hamel (Astronomia Physica, seu de luce, natura, et motibus corporum caelestium libri duo, Paris: Pierre Lamy 1660, S. 148: “puncti instar”), Claude Gadroys (Le système du monde selon les trois hypothèses, Paris: G. Desprez, S. 87: „n’est presque qu’un point“); sie wird kritisiert von Froidmont (Ant-Aristarchos, 1631, S. 65-67, hier 65: „instar puncti“) und Riccioli, Astronomia reformata (1665) I: viiia: „Demonstrata autem per nos Telluris immobilitate, non est cur laboremus cum Copernicanis, qui tantam Fixarum distantiam requirunt, ut orbis Annuus ad illam evanescat, & sit puncti instar; [...]“. Siehe die oben zitierten Stellen aus Itin., 267, 268 sowie hier 350: „[… ] eorum [sc. die Sonne und Planeten] circuli absorpti centris planetarum coincidebant [… ]“; It., 349, 350 sowie 411. Entscheidend ist nicht, dass die Erde im Vergleich zum Firmament nur mehr als Punkt auszu-

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2. Die copernicanischen Dimensionen

Die Konsequenz hieraus war auch dem anonymen Verfasser jener Streitschrift nicht entgangen, die sich gegen die Ekstatische Reise richtete. In den Mira Kircheri ist demnach zu lesen: Wenn aber die gesamte Kreisbahn, welche die Sonne in ihrer jährlichen Bewegung durchläuft und welche die Erde selbst durchliefe, falls man Copernicus folgend die Sonne in den Mittelpunkt verbannen würde, wenn, sage ich, jene gesamte Kreisbahn hinsichtlich des Firmaments und der Entfernung der Sterne nicht wahrzunehmen ist, dann ist es nicht weiter verwunderlich, wenn von jedem beliebigen Punkte jener Kreisbahn aus gesehen die Sterne des Firmaments stets gleichstehend erscheinen, [… ].6

Nur allzu oft betone Kircher, dass von den Fixsternen aus betrachtet sich die Planeten unseres Systems nicht mehr einzeln ausmachen ließen. Damit erfülle sich nach Meinung des Mira-Autors aber letztlich die kapitale Forderung der Copernicaner: Zu diesen beliebig absurden Erdichtungen [sc. unermessliche Fixsternentfernung] wurde Copernicus notwendigerweise gezwungen, weil er seinen Irrtum anders nicht verteidigen konnte, als wenn er ein so unermessliches Firmament geltend machte, damit hinsichtlich solch einer riesigen Weite die Erdbewegung um die Sonne unmerklich vor sich ginge. Dies aber, ohne auf irgendeine Begründung zu pochen und von keiner Notwendigkeit gezwungen, flechtet Kircher nicht nur ein einziges Mal, sondern wiederholt ein. Ja sogar zögert er nicht zu behaupten, dass gleichfalls die Kreisbahnen aller Planeten zusammen hinsichtlich des Firmaments durchaus nicht wahrzunehmen seien [… ]. Dies ist bei weitem mehr, als was Copernicus sich jemals zu erdichten erdreistete. 7

Es wundert nicht, dass der anonyme Kritiker sich hier wiederum in seinem Vorwurf bestätigt sah, Kircher leiste letztlich den Copernicanern Schützenhilfe.8 Schließlich erklärt sich in Kirchers Ekstatischer Reise aus den ungeahnten Ausmaßen des Universums, warum die Astronomen eine Fixsternparallaxe nicht feststellen können. Dass sich eine solche Verschiebung der Sterne bislang nicht beobachten ließ, kann folglich auch nicht mehr als Beweis gegen Copernicus dienen. Diesen fundamentalen Einwand, der seit der Antike gegen das heliozentrische Weltbild vorgebracht worden ist, wischt Kircher damit einfach vom Tisch. Freilich bestätigt sich die Richtigkeit der copernicanischen Lehre nicht schon dadurch, dass ein Einwand gegen sie verschwindet. Doch in der kosmologischen Debatte gab es nun einmal keine Beweise im wissenschaftlichen Sinne, weder für

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machen ist; als solche ist sie schon vom Saturn aus zu sehen (s.o., Itin., 251; It., 325), wird so von Riccioli (AN, I: 57a-58a) und von Schott selbst bezeichnet (It., 333) wie bereits von Ptolemaios (Almagest, I, Kapitel 5, welches überschrieben ist: „ “). Entscheidend vielmehr ist, dass der Abstand zwischen Erde und Sonne auf einen Punkt zusammenschrumpft. Mira Kircheri in suo Itinerario exstatico, BNCR, FG 1331 (15), f. 6r; textkritische Transkription im Anhang, S. 335-350, hier S. 338. Zu dieser Schrift s. S. 31 ff. der vorliegenden Arbeit. Mira, f. 5rv, hier im Anhang, S. 338-338. Der Seitenverweis des Kritikers bezieht sich auf Itin., 266, 267; It., 348-349. Zu diesem Vorwurf siehe oben in S. 34 ff., sowie H. Siebert (2002b) 169b, 170b-173a.

2.2. Kirchers Zugeständnis an die Copernicaner

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die eine noch für die andere Seite. Gestritten wurde um mehr oder weniger plausible Argumente für und wider die Erdbewegung.9 Beim Aufwiegen all dieser von beiden Seiten vorgebrachten Argumente zählt Riccioli das Ausbleiben der Fixsternparallaxe zu den Beweisen gegen die jährliche Umlaufbewegung der Erde um die Sonne –ein Vorwurf an den auch spätere Copernicaner sich noch erinnern sollten. 10 Ebendieses Ausbleiben nun aber erscheint in der Ekstatischen Reise als ganz selbstverständliche Folge aus der Größe der Welt. Überdies werden deren Anhänger auch noch um ein weiteres Argument gegen Copernicus erleichtert: Ein derart riesiger leerer Raum zwischen Saturn und dem Firmament wäre doch reine Verschwendung und stünde in keinem Verhältnis zu der von Gott geschaffenen Welt ! 11 –Dieser Einwand der Anti-Copernicaner zielte auf eine notwendige Konsequenz des heliozentrischen Weltbildes ab. Dass sich trotz der Umlaufbewegung der Erde um die Sonne eine Parallaxenverschiebung der Sterne nicht beobachten ließe, konnten die Copernicaner ja nur mit einer dementsprechend weiten Distanz zu den Sternen begründen. Zu folgern war hieraus ein unverhältnismäßig großer Zwischenraum, der den äußersten der damals bekannten Planeten vom Firmament trennt. Der Copernicaner Lansberge zieht demnach den Schluss, dass es gleichsam zwei Himmel oder Räume gebe: Der erste erstrecke sich von der Sonne bis zum Saturn, der zweite viel größere umschließe den ersten und erstrecke sich bis zum Firmament.12 Gegen Lansberge wendet sich Libert Froidmont (Fromondus, 15871653) in seinem Ant-Aristarchos (1631) mit seiner Kritik an solch einem schier unendlichen Zwischenraum: Dieses infinitum propemodum intervallum hätten die Copernicaner doch nur eingeführt, um ihre Theorie retten zu können gegenüber dem schon von Aristoteles vorgebrachten Einwand der fehlenden Fixsternparallaxe.13 In dieser systembedingten Entfernung der Fixsterne sieht Froidmont eine widersinnige Verschwendung von Raum: Denn die Himmelskörper seien zum 9

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Es ist dieses Aufwiegen an Argumenten für die jeweilige Seite, das durch das berühmte Frontispiz von Ricciolis Almagestum novum veranschaulicht wird (s. Abb. 6, S. 88). Riccioli setzt sich darin zum Ziel, alle Argumente der kosmologischen Kontroverse zu untersuchen (50 Argumente für die Erdbewegung und 77 für die völlige Ruhestellung der Erde); eine Übersicht derselben in: Anton Linsmeier [nicht: Linsenmayer] (sj), „Ricciolis Stellung im Galileistreit“, Natur und Offenbarung. Organ zur Vermittlung zwischen Naturforschung und Glauben (Münster: Aschendorff), 47/12 (1901), S. 65-87, 193-212, 641-657, 738-764. Riccioli, AN, II: 452ab (lib. 9, sec. 4, cap. 28): „Si Tellus moveretur in Orbe Annuo, aliqua sensibilis parallaxis observaretur in altitudine meri-[S. 452b:]diana Fixarum, post tres aut sex menses in eodem Horizonte organis magnis & exacte fabrefactis atque adhibitis capta. Sed nulla talis parallaxis hactenus apparuit. Ergo Tellus non movetur in Orbe Annuo.“John Flamsteed (1646-1719) zitiert diese Stelle wörtlich aus Ricciolis Hauptwerk in seinem 1699 veröffentlichten Brief an John Wallis (1616-1703). Durch seine eigenen Beobachtungen am Polarstern sieht er dieses Argument gegen Copernicus widerlegt: hierzu weiter unten S. 283 f. Ähnlich formuliert Ch. J. Schofield (Tychonic and Semi-Tychonic World Systems [Phil.Diss., Cambridge, 1964], New York: Arno, 1981, S. 191) diesen Einwand der Geozentristen. Lansberge, Commentationes in motum terrae diurnum, & annuum, et in verum adspectabilis coeli typum [Middelburg, 1629; 1651], in: Opera omnia (1663) 17-18; der dritte Himmel ist der unsichtbare Himmel Gottes: ebd. S. 18-19. Froidmont, Ant-Aristarchos sive orbis-terrae immobilis, Antwerpen: B. Moret, 1631, S. 64-66.

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2. Die copernicanischen Dimensionen

Nutzen der Erde und der Menschen da, die deren Einflüsse empfingen. Unter solch astrologisch anthropozentrischen Prämissen, wie sie Froidmont ansetzt, muss ein Raum ohne Himmelskörper ebenso nutzlos wie unwahrscheinlich werden. 14 Auch sei die harmonische Ordnung des Kosmos durch diese Leere beeinträchtigt, was Froidmont anhand eines Diagramms veranschaulicht. Auf diesem lassen sich die Planeten einzeln fast nicht mehr ausmachen, so dicht sind sie in der Mitte des Bildes zusammengedrängt. Am meisten Platz beansprucht der Bereich zwischen Saturn und Fixsternsphäre. Leer bleibt somit der größte Teil der Abbildung, die mit ihrer weiten Fläche weißen Papiers jene Disproportionalität des Copernicanischen Systems recht deutlich vor Augen führen will. 15 Dieses Missverhältnis wendet auch Longomontanus (Christian Sørensen Längsberg, 1562-1647), der in Uranienburg von 1589 bis 1597 Assistent Tycho Brahes war, gegen einen derartigen Zwischenraum ein, den er als eine intercapedo (wörtlich Unterbrechung) bezeichnet. Wie durch eine Lücke in der Schöpfung würde dadurch die kosmische Ordnung gebrochen und die allgegenwärtige Symmetrie in der Welt aufgehoben.16 Überzeugt von der Wohlgeordnetheit des Weltbaus, weist Longomontanus die copernicanische Forderung nach einer enormen Fixsternentfernung zurück. Diese harmonische Ordnung der Welt ist für ihn der kosmologisch entscheidende Gesichtspunkt: Er gibt daher vor Ptolemaios und Copernicus Tycho den Vorzug, eben weil dieser am besten die Symmetrie in der Welt erkläre.17 Dieser riesige Zwischenraum, den die Copernicaner für das Ausbleiben einer stellaren Parallaxenverschiebung verantwortlich machen, findet sich nun aber gerade bei Kircher. Dabei kommt es dennoch nicht zu einem Bruch in der kosmischen Ordnung, weil diese im Ganzen neue Dimensionen annimmt. Was Longomontanus eine incredibilis intercapedo nennt, beschreibt Kircher als eine nicht minder unglaubliche Entfernung (incredibilis distantia). Jedoch ist sie im Kircherschen Kosmos nicht mehr nur singulär zwischen Saturn und dem Firmament anzutreffen, sondern auch zwischen den einzelnen Sternen liegt eine ebenso un14 Froidmont, Ant-Aristarchos (1631) 66-71, hier 70: „Hoc ergo illud est & sine corpore caelesti hominibus utili, inter Saturnum & fixas intervallare ingens spatium, quod Keplero adeo verisimile videtur, non Tychoni, non mihi.“ 15 Froidmont, Ant-Aristarchos (1631) 69. 16 Longomontanus: Astronomia danica [… ] Nunc denuo ab Authore locis nonnullis emendata & aucta; Amsterdam: Ioh. & Cornelius Blaeu, ²1640, S. 158-160, ebd. 160: „Quoniam itaque tam ex immensa stellarum fixarum a tellure remotione, atque inter ultimum planetarum & earundem fixarum orbem intercapedine, quam incredibili, quae hinc sequitur, ad orbem annuum terrae, item Solem, ac multo magis ad terram, fixae primi (ut supposuimus) honoris, magnitudine, omnis bene constituta mundanarum partium symmetria facile tollitur; [… ]“; die zitierte Stelle findet sich schon in der in zwei separat paginierten Teilen herausgegebenen ersten Ausgabe: ders., Astronomia danica, Amsterdam: Guiljelm I. Caesius, 1622, Teil II, S. 19. 17 Longomontanus, Astronomia danica (²1640) 162: „In systematis itaque mundani ordinatione, Tychonis inventae hypothesi potius quam Copernici acquiescimus, tum quod inter veterem ptolomaicam & admirabilem istam Copernicaeam, media quasi illa sit: tum quod Epicyclis illius annuis, huius vero absurdis aliis in annuo motu terrae exclusis, symmetriam mundanam optime & appositissime explicet.“; Longomontanus, Astronomia danica (1622) II: 21.

2.2. Kirchers Zugeständnis an die Copernicaner

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glaubliche Entfernung. 18 Von Cosmiel erfahren wir, dass der Sirius mindestens so weit von dem Stern Capella entfernt sei wie von der Erde.19 Von dieser zum nächsten Fixstern wiederum sei es ebenso weit wie vom Sirius zu einem weiter gelegenen kreisrunden Sternennebel. 20 Die Entfernungen zwischen den einzelnen Sternen variieren und sie verteilen sich in Abständen zur Erde, die kleiner und größer sein können.21 Doch durch die verschiedenen Beispiele, die Kircher hiervon gibt, lässt er die Strecke zwischen Erde und Firmament –den einfachen Fixsternabstand – zu einer mittleren Entfernung zwischen den Sternen werden. Auf diesen einfachen Fixsternabstand wird Kircher des Öfteren in seiner Ekstatischen Reise zurückgreifen, indem er ihn gleichsam als Grundeinheit für kosmische Entfernungsangaben benutzt.22 Der noch von Froidmont kritisierte schier unendliche Zwischenraum, der Saturn und Firmament trennt, ist bei Kircher nur mehr das Teilstück einer ganz normalen Strecke, wie sie nicht nur zwischen der Erde und den nächsten Sternen liegt, sondern auch zwischen diesen und noch weiter entfernten. Nicht als etwas Unnatürliches, die Harmonie Störendes, sondern als ordnendes Element erscheinen nun diese Intervalle: Die Sterne spannen einen gewaltigen Fixsternraum auf. Kein Bruch in der Ordnung entsteht durch die Leere jener Zwischenräume, sondern Gestirne in zahlloser Folge erzeugen ein Kontinuum: So tauchen immer neue Stellarnebel vor den beiden Reisenden auf, zerfallen beim Näherkommen in einzelne Sterne und eröffnen die Sicht auf wieder neue Sternhaufen23. Gleichsam wie durch ein Fraktal fliegen unsere Kosmonauten, doch all jene Sterngebilde sind in Struktur und Eigenschaft verschieden.24 Damit präsentiert Kircher keinen traditionellen Kosmos, wie Schott ihn einleitend in seiner Würzburger Ausgabe ver18 „Ita fit in firmamenti globis, qui tametsi oculis tuis vicini videantur, incredibili tamen distantia a se invicem tum in longum latumque, tum profundum distare, [… ]“Itin., 264; It., 346. 19 „[Cosmiel: … ] Quantum canicularem Solem a lucida Capellae [… ] distare putas? [… ] haec enim distantia tanta est, aut etiam maior, quam dictae stellae a superficie terrae.“: Itin., 263; It., 346. Sirius galt als der erdnächste Fixstern, weil er der hellste am Nachthimmel ist. 20 Itin., 260; It., 342; (die Texststelle wird in der hier folgenden Anm. zitiert). 21 Itin., 259; It., 341. „Habentne omnes istae stellarum coacervationes eandem a terra distantiam, vel non? Cosmiel. Minime, sed singulae quoad distantiam differunt; vides nebulosas illas in formam circuli conglobatas? [… ] Illas tanto ab oculo tuo intervallo removeri scias, quanto vel primam firmamenti stellam a centro Terrae dissidere videmus; reliquae vero nunc maiores, nunc minores a tellure intervallorum differentias sortiuntur, [… ]“: Itin., 260; It., 342. „[Cosmiel:… ] innumeri stellarum globi alij tanto a primis firmamenti stellis altiores, quanto a firmamento Terra distat; aliae illis adhuc tanto altiores & altiores sedes sortitae sint, [… ]“: Itin., 275; It., 355. 22 Neben den erwähnten Beispielen (Itin., 260, 263, 275; It., 342, 346, 355) findet sich der Fixsternabstand als Entfernungseinheit für die Distanz der Sterne untereinander noch in: Itin., 277, 286; It., 356, 363. Die Entfernung Sonne-Erde als astronomische Einheit ist zu klein um die Ausmaße des Kircherschen Kosmos abzustecken. 23 Itin., 285-286; It., 362-363. 24 „[Theodidactus: … ] ita mundum hunc [… ] innumera globorum, qui omnes viribus, proprietatibus, claritate, figura, colore, luce, calore, influentijs, latentibusque seminalium rationum foeturis differunt, varietate iuxta inexplicabilem archetypi rationem constitutum voluit [sc. Deus], [… ]“: Itin., 283; It., 361. Zur Vielfalt von Kirchers Sternenwelt siehe unten S. 191 ff.

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2. Die copernicanischen Dimensionen

anschaulicht (siehe unten Abb. 5, S. 84), sondern einen modernen nach Art des polyzentrischen Fixsternraums von René Descartes (1596-1650, siehe Abb. 3, S. 68). Wie wir noch sehen werden, geht er bei dessen Ausgestaltung aber weit über das hinaus, was sich Descartes selbst erlauben konnte (siehe unten S. 191-208). In diesen Fixsternraum dringen Cosmiel und Theodidactus immer weiter vor. Von der Erde, Sonne und allen bekannten Gestirnen ist nichts mehr zu sehen, dagegen zeigen sich wieder und wieder andere Himmelskörper.25 Die beiden gelangen zu Sternen, die von der Erde so weit entfernt sind wie der dreifache Fixsternabstand.26 Und selbst, wie Cosmiel versichert, wenn er Theodidactus hundertmal weiter führe, die immer neuen und aberneuen Sterne fänden immer noch kein Ende.27 Daraus solle Theodidactus vor allem lernen, dass in so enge Schranken, wie einige meinten, die Welt nicht geschlossen sei. 28 Geschlossen aber bleibt Kirchers Welt, denn ein Ende kennt sie trotz eines Weltraums, der sich schließlich auf über vierhundert Fixsternabstände weit ausdehnen sollte – das Vielhundertfache jener Entfernung also, die eine Parallaxenverschiebung zum Verschwinden bringt und die ihrer unvorstellbaren Größe wegen doch so ganz entschieden gegen das copernicanische System zu sprechen schien.29

25 „Cosmiel. Hoc loco non amplius Solem vestrum quaeras, nihil eorum, quos hucusque vidisti, globorum; omnes enim ob incredibilem distantiam in nihilum abierunt; alij hoc loco Solares globi, alij Lunares, alia sidera nullis mortalium oculis penetrata exhibentur; eleva oculos tuos & expende coeli faciem. Theodid. O Cosmiel, stupore [… ]“: Itin., 286; It., 363. Der hier begonnene Abschnitt wird zusammenhängend weiter in den folgenden Anmerkungen zitiert. 26 „Theodid. O Cosmiel, stupore paene exanimor, totam coeli faciem nova stellarum foetura praegnantem video. Cosmiel. Tanto ex ijs nonnullae spatio a te distant, quanto a secunda statione [sc. beim Polarstern: Itin. 271; It. 352] spacio distat hic, cui insistis, globus; id est, tertio remotiores sedes habent, quam primae firmamenti stellae a terra, [… ]“: Itin., 286; It., 363: Schott ändert Kirchers „praegnantem“in „praegnatam“. 27 „Cosmiel. [… ] stellae a terra, & si centies altius te eveherem, nondum tamen novarum semper & novarum stellarum finis foret, [… ]“: Itin., 286; It., 363. 28 „Cosmiel. [… ] finis foret, ut vel ex hoc discas, mundum tam arctis claustris non esse conclusum, quam quidam putant.“: Itin., 286; It., 363. 29 Eine Mindestausdehnung des stellaren Raums auf das 300fache des Fixsternabstandes ergibt sich aus den soeben zitierten Passagen (Itin., 286; It., 363). Später erfahren wir, dass die beiden Reisenden das Vierfache des einfachen Fixsternabstandes von der Erde entfernt sind (Itin., 339; It.. 402) und dass Cosmiel seinen Gefährten noch „centies & centies altius“bringen könnte, ohne dass die Sterne ein Ende nähmen: Itin., 351; It., 412. Dass die Welt nicht unendlich sei, betont Cosmiel jeweils sogleich im Anschluss an beide centies-Stellen: Itin., 287 und 351-352; It., 363 und 412. Wie wir oben S. 122 noch sehen werden, lässt sich die Ausdehnung des Kircherschen Universums auf 715 Fixsternabstände berechnen.

2.3. DIE ENDLICHE WELT Der Gedanke an eine unendliche Welt ist untrennbar mit dem Namen des im Jahre 1600 als Ketzer verbrannten Giordano Bruno verbunden. Dem Vorwurf, diesen verbotenen Gedanken in der einen oder anderen Form zu äußern, sah sich Kircher tatsächlich ausgesetzt.1 Führt uns die Ekstatische Reise mit unzähligen Sternen und unvorstellbaren Entfernungen ein Universum vor Augen, das menschliche Fassungskraft übersteigt, so macht Kircher gleich auf mehrfache Weise deutlich, dass es nicht unendlich ist. Die Bezeichnung „unendlich“für diese unermesslich große Welt wird von dem himmlischen Reiseführer Cosmiel ausdrücklich zurückgewiesen. 2 Ferner wird die Unendlichkeit der Welt mit dem cusanischen Konzept des maximum contractum widerlegt.3 Gott ist das absolutum maximum; seine Schöpfung ist hiervon die bestmögliche Nachahmung. 4 Sie ist das maximum contractum, in welchem sich seine Eigenschaften nur in kontrahierter Form wieder finden. So zieht sich in ihr Gottes Unendlichkeit zur Endlichkeit zusammen. 5 Denn die Unendlichkeit muss eine Eigenschaft sein, die Gott als absolutum maximum zukommt. 6 Andererseits muss die Welt als maximum contractum endlich sein, da sie sonst dem Allergrößten gleichkäme. Somit ist Gott allein unendlich, seine Schöpfung endlich. Die Weltraumfahrt erreicht aber tatsächlich einen Endpunkt, als die beiden Kosmonauten zu den überhimmlischen Wassern (aquae supercoelestes) kommen. 1

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Darauf zielt der erste der sechs Vorwürfe des anonymen Vir doctus ab, gegen die Kircher am Schluss der Würzburger Ausgabe von Kaspar Schott und Melchior Cornaeus verteidigt wird: It., 485-512 (Apologeticon), hier 488, 491-493, 509-510. Ein weiteres Indiz für die zeitgenössische Kritik, die bezüglich der Unendlichkeit an Kircher geübt wurde, findet sich ebenfalls in der Würzburger Ausgabe. In einem dort abgedruckten Brief an Schott vom 29. März 1659 weist Kircher die Vorstellung einer unendlichen Welt von sich und erklärt nochmals wie er ihre Endlichkeit (Stichwort: maximum contractum) bewiesen haben will: It., 382-383; einleitend zu diesem Brief hält Schott fest, dass er selbst wie auch viele gelehrte Männer Schwierigkeiten mit Kirchers Aussagen zur Größe der Welt hätten: Iter, 382. Auch hier erfüllen Schotts Kommentare eine apologetische Funktion, wie sie bereits in Hinsicht auf den Copernicanismus-Vorwurf aufgezeigt wurde: H. Siebert (2002b) 179b-180a. Itin., 309, 352; It., 379, 412. Itin., 309-313; It., 379-382 und Kirchers oben erwähnter, von Schott in der Würzburger Ausgabe abgedruckter Brief vom 29.03.1659: It., 382-383. Itin., 310: „Contractum vero maximum, quem mundum dicimus, cum ab absoluto maximo omne id, quod est, habeat, certe id quod est maximum absolute, quantum potest imitatur, ita ut quae absoluto maximo maxime conveniunt, illa de contracto maximo contracte confirmari posse affirmemus; [… ]“; It., 380: Schott beschließt den hier zitierten Satz mit einem Punkt. Itin., 310: „[… ], & contracta quidem est infinitas absoluta per finitudinem, simplicitas per compositionem, per successionem aeternitas, necessitas per possibilitatem; [… ]“; It., 380: Schott macht hieraus einen eigenen Satz, den er mit „Et“beginnen lässt und mit einem Punkt beschließt. Itin., 309: „Theodid[actus]. Ergo mundum hunc infinitum tu dicis Cosmiel. Cosmiel. Minime, hoc enim pacto redderetur aequalis absoluto maximo, quod impossibile est.“; It., 379: Schott ergänzt ein Komma, setzt anstelle des Punktes nach Theodidactus’Frage ein Fragezeichen, ersetzt nach „Minime“das Komma durch einen Doppelpunkt, tauscht vor „quod“das Komma durch Semikolon.

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2. Die copernicanischen Dimensionen

Bei diesen handelt es sich durchaus um echtes Wasser, das in gasartigem Zustand das gesamte Universum umgibt.7 Es umfasst einen Bereich, der an Größe den Fixsternraum um etliches („innumeris parasangis“) übersteigt. Sterne gibt es hier keine mehr und auch die Umlaufbewegung (primus motus), die alle Himmelskörper um die Erde vollführen, fehlt den himmlischen Wassern.8 Hieraus entnehmen wir, dass Kirchers Kosmos entgegen der traditionellen Vorstellung (siehe Abb. 5 unten) keine sphärische Form haben muss. Weiter als an diesen Punkt kann Cosmiel seinen Schüler nicht führen. Denn hinter den aquae supercoelestes liegt das himmlische Feuer (empyreum), das keinem Sterblichen zugänglich, allein den Seligen vorbehalten ist.9 Abb. 5 –Traditionelles Kosmos-Modell aus: Kaspar Schott (Hg.), Iter extaticum coeleste, Würzburg, 1660, S. 22bis siehe hierzu in vorliegender Arbeit S. 81

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Itin., 369-374 (Dial. II, cap. 7: De Aquis quae supra coelos sunt), hier 369-370; It., 424-428, hier 424-425. Cosmiel zitiert die Bibel: „aquae quae supra coelos sunt, laudent nomen Domini“und „fiat firmamentum in medio aquarum, & dividat aquas ab aquis“: Itin., 369; It., 424. Itin., 372; It., 426. Itin., 374 (Dial. II, cap. 8: De Coelo Empyreo); It., 428.

2.3. Die endliche Welt

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An dieser Stelle der Ekstatischen Reise scheinen die Kosmonauten an das Ende der physikalischen Welt gelangt zu sein, da danach offenbar schon alles zum Jenseitigen gehört.10 Umso mehr überrascht es, dass das Empyreum nicht außerhalb dieser Welt liegt („non sit extra mundum“), sondern fester Bestandteil derselben ist („partem mundi constitutivam“). 11 Dieser Himmelshimmel („coelum coeli“) ist der Abschluss des Universums; er ist der ganz wörtlich zu verstehende Verschluss desselben („claustrum totius“) und als solcher ein aus Materie bestehender physischer Körper („corpus physicum [… ] ex materia & forma componitur“).12 Da er das Universum vollständig umschließt, sei er der größte aller Weltkörper. Damit verglichen seien die himmlischen Wasser in ihrer Menge nur ein Punkt („non nisi punctum“).13 Wie Cosmiel berichtet, ist das Empyreum aber nicht nur Sitz der Engel und Seligen, sondern auch Gottes Haus und Thron. 14 Theodidactus hält es demnach für nur natürlich, dass der Palast Gottes an Größe der „unendlichen“Herrlichkeit Gottes entspricht. 15 Gottes Haus sei groß und kenne keine Grenze, heißt es in der Bibelstelle, die Theodidactus im Anschluss zitiert.16 Leider fährt er mit anderen Fragen fort, so dass Cosmiel keine Gelegenheit bekommt, sich hierzu zu äußern. Beschert uns Kircher nun also durch die Hintertür die Unendlichkeit, die er bis dahin in der Ekstatischen Reise vielfach verneint hat? Schließlich gehört das Empyreum ja ausdrücklich zum physischen Teil der Welt. Doch wohlgemerkt hat Kircher hier nur Theodidactus sprechen lassen. Cosmiel dagegen, der über Gottes Werke allein sicheres Wissen hat, bestätigt die Äußerung seines Schülers nicht. Ganz ernst aber scheint Theodidactus diese selbst nicht gemeint zu haben. Denn bald darauf fragt er seinen Führer, was denn hinter der letzten Grenze des Empyreums liege („quid extra ultimum huius Empyrei Caeli terminum sit reliquum“); die physische Welt könne ja nicht unendlich sein, wie er von ihm gelernt habe. 17 Aus Cosmiels Antwort lässt sich entnehmen, dass es eine solche letzte Grenze der physischen Welt gibt: Hinter ihr liege das Nichts, das ebenso wenig begreiflich für den Menschen sei wie die Unendlichkeit. 18 Man könne sich wie Theodidactus 10 11 12 13 14 15

Itin., 374-375; It., 428. Itin., 375; It., 429. Itin., 375, 377; It., 428, 429, 430. Itin., 379; It., 431. Itin., 375; It., 428. Itin., 379: „[Theodidactus… ] vera tamen esse non dubito [sc. Größe des Empyreum], cum infinitam Dei maiestatem cumprimis deceat palatium habere tantae magnitudini majestatis congruum.”; It., 431. 16 Itin., 379: „Theodid: Jam video verificatum illud sacri textus, Magna est domus Dei, & ingens locus possessionis ejus, magnus est, & non habet finem; […]“; It., 431: Schott setzt anstelle des Kommas vor dem Bibelzitat einen Doppelpunkt, ersetzt ein Komma durch Semikolon und streicht ein weiteres. 17 Itin., 382 (Dial. II, cap. 9: De spacio imaginario); It., 433-434. 18 Itin., 382: „[Cosmiel: … ] Quaeris quid sit post ultimum totius creaturae terminum? Respondeo, praeter Deum, esse nihil.“; It., 434: Schott ergänzt ein Komma. Zu dem sich daran entspinnenden Sprachspiel: Eberhard Knobloch „Otto von Guericke und die Kosmologie im 17. Jahrhundert“, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte, 26 (2003), S. 237-250, hier S. 244; B.

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2. Die copernicanischen Dimensionen

dieses Nichts als einen unendlichen Raum außerhalb der Welt vorstellen. Diesen dürfe man aber nicht als leer, sondern von Gott erfüllt denken, denn die Welt liege nicht im Nichts, sondern in Gott. In diesem Sinne bedeute Nichts, dass es außerhalb der Welt nichts gebe außer Gott.19 Für unsere eigentliche Frage nach den Grenzen der Welt können wir hieraus entnehmen, dass Kirchers Kosmos nicht unendlich ist. Nach seiner Darstellung endet die physische Welt an der äußeren Grenze des Empyreums. Gott allerdings geht nicht in seiner Schöpfung auf. Die ihm zukommende Unendlichkeit erschöpft sich nicht in der physischen Welt. Das Empyreum als fester Bestandteil dieser Welt, muss folglich nicht unendlich sein, um Gottes unendlicher Herrlichkeit zu entsprechen, wie Theodidactus meint. Die geschaffene Welt ist endlich, ihr Schöpfer unendlich. Denn Gottes Unendlichkeit übersteigt die Grenzen der physischen Welt und füllt das Nichts, aus dem er alles geschaffen hat.

Bauer (1989/90) 101-104; zu den Theorien über das Nichts und das spacium imaginarium: Edward Grant, Much Ado about Nothing: Theories of Space and Vacuum from the Middle Ages to the Seventeenth Century, Cambridge: Cambridge University, 1981. 19 Itin., 386-388; It., 436-437.

3. DER PRIMUS MOTUS –PRÜFSTEIN DER GEOSTATIK

Utrum caelum stante Terra, an autem Caelo stante Terra vertatur. Kircher, Magnes (1641) 538

Heraklit, 22 B 53

Abb. 6 –Frontispiz des Almagestum novum (Bologna, 1651) von Giambattista Riccioli siehe hierzu in vorliegender Arbeit S. 63 f. (Anm. 52) und 79 (Anm. 9)

3.1. DAS ACHILLES-ARGUMENT (RICCIOLI) Das kapitale Zugeständnis eines Fixsternabstandes, der eine jährliche Parallaxe zum Verschwinden brächte, berechtigt zur Frage, wie ernsthaft Kircher das geozentrische Weltbild in seiner Ekstatischen Reise vertreten hat. Es wäre durchaus denkbar, dass er die hier erstmals für eines seiner Werke verwendete literarische Form des fiktiven Dialogs dazu nutzte, eine heimliche Sympathie mit den Copernicanern zumindest anzudeuten.1 Ein solches Durchscheinenlassen der insgeheim geteilten aber von der katholischen Kirche verbotenen Auffassung soll ja, wie vielfach behauptet wurde und noch wird, 2 auch bei anderen Jesuiten und namhaften Vertretern der Geozentrik festzustellen sein. Der in der Ekstatischen Reise geschilderte Sternenraum, der in seinen Ausmaßen den copernicanischen Forderungen vollauf genügt, birgt nun eine weitere Konsequenz, die weltbildentscheidend ist und bei der Kircher Farbe bekennen muss. Ging man von der völligen Ruhestellung der Erde aus, dann ließ sich das tägliche Auf- und Untergehen der Sterne nur dadurch erklären, dass sie im Verlaufe von vierundzwanzig Stunden sich ein Mal um die Erde drehten. Der primus motus, wie die Anhänger eines geostatischen Weltbildes diese tägliche Umlaufbewegung bezeichneten, gilt für alle Himmelskörper. Wie die Sonne von Ost nach West über die Erde zieht, so umkreisen diese in gleicher Richtung Fixsterne und Planeten (wobei letztere sich im tychonischen Weltbild ihrerseits noch um die Sonne drehen). Je weiter die Himmelsköper entfernt sind, desto schneller müssen sie sich folglich um die Erde bewegen, um in vierundzwanzig Stunden ihren Umlauf zu vollenden.3 Damit ergeben sich für die Fixsterne Geschwindigkeiten, die

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„Ob sich der Himmel dreht, wobei die Erde steht, oder aber bei stehendem Himmel die Erde.“; zu diesem Seneca-Zitat Kirchers siehe in der vorliegenden Arbeit S. 151, Anm. 51. „Widerstreit ist aller Dinge Vater wie auch über alle König.“ Die Dialogform benutzt Kircher nur noch ein weiteres Mal für die im darauf folgenden Jahr erschienene Fortsetzung der ekstatischen Reise in die unterirdische Welt: Iter extaticum II, qui et mundi subterranei prodromus dicitur, Rom: Vitale Mascardi, 1657. Berühmte jesuitische Astronomen und Mathematiker wie Clavius, Grienberger, Scheiner und Riccioli sowie auch Kircher sind als Krypto-Copernicaner bezeichnet worden. Als Beispiel für eine unkritische Zusammanstellung solch vielfach wiederholter Verdächtigungen: Pasquale M. D’Elia (sj), Galileo in Cina: Relazioni attraverso il Collegio Romano tra Galileo e i gesuiti scienziati missionari in Cina (1610-1640), Rom: Università Gregoriana, 1947, passim; Ch. J Schofield (1981) 277-289. Für eine Bewertung derselben siehe bzgl. Clavius: M.-P. Lerner (1995, 163-185); bzgl. Grienberger: J.M. Lattis (1994, S. 204-205) und unten S. 175 (Anm. 34); bzgl. Riccioli: Alfredo Dinis („Was Riccioli a secret Copernican?”, in M.T. Borgato, 2002, S. 49-77); bzgl. Kircher und Scheiner: H. Siebert (2006) und oben S. 69 (Anm. 3). Die Copernicaner übertrugen den Begriff primus motus (auch motus diurnus oder quotidianus genannt) auf die 24h-Rotation der Erde, indem sie den von Ost nach West verlaufenden primus motus im geostatischen Weltbild durch die tägliche Drehung der Erde in entgegengesetzter Richtung erklärten und ersetzten. Für die von Riccioli (AN, I: 51b) so genannten semi-copernicanischen Astronomen wie z.B. Longomontanus gab es das Problem der Fixsterntranslation nicht, weil sie nicht an der völligen Ruhestellung der Erde festhielten, sondern sie im Zentrum belassend sich um ihre eigene Achse drehen ließen; ihr Weltbild war somit geozentrisch ohne geostatisch zu sein.

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3. Der primus motus

kaum mehr vorstellbar sind. Und hier griff ein Einwand gegen die Ruhestellung der Erde, den Riccioli als den ersten und wichtigsten der Copernicaner bezeichnet, das Achilles-Argument.4 Demnach sei für die umlaufenden Sterne die zu errechnende Geschwindigkeit so unglaublich hoch, dass nicht ihnen diese tägliche Umlaufbewegung zuzuschreiben sei, sondern mit größerer Wahrscheinlichkeit der rotierenden Erde.5 Ohne einen Urheber dieses so gewichtigen (potissimus) Arguments zu nennen, zitiert Riccioli als ersten Vertreter desselben den Tübinger Lehrer Keplers und frühen Verfechter des Copernicanismus, Michael Mästlin (1550-1631). Aus einem Fixsternabstand von 20.110 rt –ein Wert, der von dem arabischen Astronomen al-Farghani (9. Jh.) stammt – errechnet Mästlin bereits eine beeindruckende Geschwindigkeit. Noch beeindruckender wird diese aber dadurch, dass Mästlin sie in deutschen Meilen sowie nicht nur in Stunden, Minuten und Sekunden angibt, sondern auf die mit jedem Schlag unseres Pulses zurückgelegte Strecke umrechnet: Demnach legen die Sterne auf Höhe des Äquators mit jedem Pulsschlag in jener Entfernung 1.132 deutsche Meilen zurück, also mehr als einen

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Riccioli, AN, II: 320a-322a (lib. 9, sec. 4, cap. 6, num. 1-7), hier 320a: „Primum & potissimum Copernicanae sectae argumentum, & ut proverbio dicitur, Achilles est id, quod ab incredibili velocitate Fixarum, si illae potius moverentur, quam Tellus, derivatur.“; zu Ricciolis Achilles Argument: M.-P. Lerner, „L’Achille des coperniciens“, Bibliothèque d’Humanisme et Renaissance, 42 (1980), S. 313-327; M.-P. Lerner (1996-1997) II: 85-135. Offenbar als erster und auch wohl ohne Nachfolger zu haben verbindet Riccioli das copernicanische Geschwindigkeits-Argument gegen den primus motus mit dem Namen Achill (grch. / lat. Achilles), des Haupthelden der homerischen Ilias und gewaltigsten Kämpfer der Griechen vor der Feste Troja, wo dank seiner schnellen Beine, stark wie die eines Pferdes (Ilias, XII, 22-24), ihn nicht einmal der in Menschengestalt laufende Gott Apoll ganz abzuhängen vermochte (Ilias, XXI, 599-604. XXII, 7-10). Als Synonym für Geschwindigkeit begegnet uns die Figur des Achill auch in den berühmten Bewegungs-Paradoxien des Zenon von Elea (um 490-430 v.Chr.) im Wettlauf mit der Schildkröte. Bereits vor Riccioli allerdings verwendet Ludovico Delle Colombe (geb. 1565) den Namen Achill („per loro Achille“) für Versuche der Copernicaner, die Einwände gegen eine Erdrotation zu entkräften: Delle Colombe, Contro il moto della Terra [Ms., o.J. (wohl Ende 1610/ Anfang 1611 laut Favaro, OGG III.1: 12)], in OGG, III.1: 251-290, hier 265, Z. 29; Zusammenhang und Verwendung des Begriffs bei Delle Colombe sind jedoch unklar und lassen darin keinen direkten Vorläufer für Ricciolis Bezeichnung sehen. In allgemeiner Form formuliert Riccioli das Achilles-Argument der Copernicaner wie folgt: „Illi potius tribuendus est motus diurnus, cuius velocitas sit credibilior, & magis proportionata subiecto mobili. Sed si diurnus motus tribuatur Telluri, velocitas eius fit credibilior & terrestri moli magis proportionata, quam si tribuatur sphaerae Fixarum: Ergo motus diurnus Telluri potius, quam sphaerae Fixarum tribuendus est.“: AN, II: 321b. In einer Zusammenfassung von zwanzig copernicanischen Argumenten für die Erdrotation, findet es sich als elftes wieder: „Si Fixis potius quam Terrae adscribatur motus diurnus, evadit illarum velocitas plane incredibilis, & longe excedens modulum subiecti: [… ]“: AN, II: 467b. Zu dem ursprünglich wohl von Kepler stammenden und durch Galilei vermittelnden Begriff des „modulum subiecti“in diesem Zusammenhang siehe weiter unten. Dieses reine Geschwindigkeits-Argument (ohne es mit Achilles o.ä. zu bezeichnen) sucht auch Scipione Chiaramonti (1565-1652) zu entkräften: De universo, Köln: Iodocus Kalcoven, 1644, lib. XII, S. 85-86.

3.1. Das Achilles-Argument

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Erdhalbmesser (rt = 860 dtsch. Meilen,6 also 860 x 7,4204 km). Auch bei der Annahme eines mittleren tychonischen Fixsternabstands (13.500 rt) ist die Geschwindigkeit von 760 deutsche Meilen (pro Pulsschlag) immer noch so gewaltig, dass „dies zu glauben reichlich absurd ist,“wie Mästlin von Riccioli zitiert wird.7 Derselben Ansicht sind Kepler, Lansberge sowie der Semi-Tychoniker Longomontanus, die Riccioli gleichfalls mitsamt ihren Berechnungen zur velocitas fixarum anführt. Am ausführlichsten von ihnen kommt Kepler zu Wort. Zwar wiederholt dieser in seiner Epitome astronomiae copernicanae (1618) Mästlins Rechenexempel basierend auf der tychonischen Annahme. Riccioli aber kritisiert bei einem weiteren Rechenbeispiel aus demselben Werk, dass Kepler einen copernicanischen Fixsternabstand – der ungleich größer ist, um das Ausbleiben der Parallaxe zu erklären –zur Grundlage einer Berechnung macht, die ja ausschließlich für eine geostatische Welt gilt und nur für diese Sinn macht.8 Der dritten und letzten von Riccioli präsentierten Rechnung Keplers für den primus motus der Sterne liegt allerdings ein geostatischer Fixsternabstand, wie von Ptolemaios vertreten, zugrunde. Doch für Riccioli bietet sich dabei die Gelegenheit, ganz nebenbei auf einen Rechenfehler Keplers aufmerksam zu machen, den er zwar für verzeihlich („veniabilis“) hält, dessentwegen er aber wohl überhaupt diese Rechnung hier wiederholt haben dürfte. 9 Das darauf folgende Zitat jedenfalls, das in Ricciolis Darstellung wie die Schlussfolgerung Keplers daraus wirkt, bezieht sich bei diesem selbst nicht auf jene falsche Rechnung und ist auch nur zum Teil in 6 7

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Riccioli, AN, I: 126b, II: 320a; Schott in Iter, 406. Riccioli, AN, II: 320ab, hier 320b: „At hoc longè absurdum est credere, [… ].“Riccioli zitiert Mästlin aus dessen Einleitung zu der Narratio prima [Danzig 1540; Basel 1541] des Georg Joachim Rheticus, wie sie nach der Ausgabe von 1541 in Keplers Mysterium cosmographicum (Tübingen 1596; Frankfurt 1621) abgedruckt worden ist: KGW, I: 435-436 (es handelt sich um die erweiterte Fassung von Mästlins Einleitung, wie sie sich in der zweiten Auflage von Keplers Mysterium cosmographicum [1621] findet). Grundlage der Pulsberechnung ist, wie schon von Mästlin (KGW, I: 436) angegeben, Girolamo Cardanos Opus novum de proportionibus (Basel: Ex officina Henricpetrina, 1570), lib. 5, prop. 58 und 218. Dieser gibt dort aber nicht nur den Wert von 4000 Pulsschlägen pro Stunde an: De proportionibus (1570) 69 (lib. 5, prop. 58); sondern Cardano ist zugleich auch Vorbild für diese Art der Geschwindigkeitsangabe gewesen, da er selbst schon die Umlaufbewegung des Mondes ins Verhältnis der pro Pulsschlag zurückgelegten Strecke setzt: ebd., S. 267-268 (lib. 5, prop. 218). Riccioli (AN, II: 320b) zitiert Kepler, Epitome astronomiae copernicanae [Linz, 1618, S. 107, 500], KGW, VII: 82, 290-291. Auf den Vorwurf, eine copernicanische Entfernung der Fixsterne zur Grundlage von deren Geschwindigkeit zu machen, kommt Riccioli allgemein und ausführlicher zurück in Kapitel 30 desselben Abschnitts (lib. 9, sectio 4): AN, II: 462b. Riccioli (AN, II: 321a: „Hic lapsus est manifestus, sed veniabilis; [… ]“) zitiert hier Kepler wörtlich aus dem sechzehnten Kapitel von De stella nova in pede Serpentarii [Prag und Frankfurt a.M., 1606]: „In illa semidiameter [… ] sexagies ter millium.“: KGW, I: 233 (Z. 3839). Ausgehend von einem ptolemäischen Fixsternabstand von 20.000rt („semidiameter sphaerae fixarum 20000 Telluris semidiametros possidet“) berechnet Kepler den Umfang der Fixsternsphäre auf 63.000 rt („ambitus igitur erit sexagies ter millium“); er rechnet also mit dem einfachen Radius der Fixsternsphäre, nicht mit dem doppelten bzw. dem Durchmesser; der Umfang muss sich, wie Riccioli korrigiert (AN, II: 321a: „ad ambitum 126000 ferè“), auf etwa das Doppelte belaufen (2 20.000rt = 125.664rt).

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3. Der primus motus

dem von Riccioli dafür angegebenen sechzehnten Kapitel von De stella nova in pede Serpentarii (1606) zu finden. 10 In diesem wägt Kepler das Unvorstellbare, das beiden kosmologischen Systemen, dem copernicanischen wie dem geozentrischen, gemein ist und beiden jeweils auch zum Vorwurf gemacht wird, gegeneinander ab. Eine solche Abwägung erscheint auch Riccioli bedeutsam, denn ihr ist ein eigenes Kapitel im selben Abschnitt seines Almagestum novum (lib. 9, sec. 4, cap. 30) gewidmet.11 Hier wie dort wendet Riccioli sich gegen die von Kepler vertretene Auffassung, dass eine riesige, ruhende Fixsternsphäre immer noch für wahrscheinlicher zu halten sei als die unglaublich schnelle Umlaufbewegung der Sterne. Mit dem quantitativen Ergebnis allerdings, das Kepler aus dieser Abwägung in jenem sechzehnten Kapitel von De stella nova (1606) gewinnt, setzt sich Riccioli dabei weder hier noch an späterer Stelle auseinander. 12 10 Dieses darauf folgende wiederum wörtliche Kepler-Zitat Ricciolis (AN, II: 321a: „Credibilius est […] immensa velocitate.“) besteht aus drei aneinander gereihten Sätzen (getrennt nur durch zwei kurze Einschübe Ricciolis). Alle drei Sätze beziehen sich bei Kepler selbst auf die Berechnung der Saturn-Geschwindigkeit (hierzu Näheres in Anm. weiter unten), also nicht auf Keplers vorherige falsche Rechnung zu den Fixsternenen. Der erste Satz aus Ricciolis Kepler-Zitat („Credibilius est magnum esse subiectum sine motu, quam magnum motum in parvo subiecto: & infra:“) findet sich bei Kepler selbst (KGW, I: 234, Z. 13-15) nicht weit nach jener falschen Rechnung, der zweite Satz („Difficilius est accidens praeter modulum subiecti intendere, quam subiectum sine accidente, (velocitas autem est accidens:)“) erst nach weiteren Rechnungen (KGW, I: 235, Z. 33-35), der dritte, längste und den Gedanken abschließende Satz aus Ricciolis Kepler-Zitat findet sich gar nicht in diesem sechzehnten Kapitel von De stella nova oder auch nur in dessen Nähe: „Copernicus ergo verisimilius facit, qui auget orbem stellarum Fixarum absque motu, quam Ptolemaeus, qui auget motum fixarum immensa velocitate.“: AN, II: 321a. 11 Kapitel 30 (AN, II: 460a-463a) desselben Abschnittes (lib. 9, sec. 4), das überschrieben ist „Proponitur Argumentum ab Ingenti Mole Fixarum, Contra motum Terrae Annuum. Qua occasione disputatur An haec sit incredibilior in Fixis immotis, quam Celeritas illarum motui diurno in hypothesi Terrae quiescentis conveniens?“ 12 In dem von Riccioli durch sein Zitat gekennzeichneten Abschnitt des 16. Kapitels von De stella nova in pede serpentarii ([1606], KGW, I: 233 (Z. 37) - 235 (Z. 35)) versucht Kepler, quantitativ zu bestimmen und damit mathematisch zu begründen, welche der beiden Annahmen (Heliozentrik oder Geozentrik) in der ihnen jeweils eigenen Unvorstellbarkeit (Fixsternentfernung bzw. Fixstern-Geschwindigkeit) eine größere Übertreibung darstellt, d.h. weniger wahrscheinlich ist. Hierzu berechnet er die Stundengeschwindigkeit des Saturn jeweils für den motus primus (= 2.257.500 dtsch. Meilen/ h) sowie für die copernicanische Umlaufzeit (= 300 dtsch. Meilen/ h). In einer geostatischen Welt läuft der Saturn demnach 7.525 Mal schneller pro Stunde als in einer copernicanischen. Wird um einen solchen Faktor (7.500) die Größe der geostatischen Welt (7.500 · 20.000 rt) vermehrt, dann wäre sie vier Mal größer als die copernicanische, d.h. die Fixsterne vier Mal weiter entfernt von der Erde, als es nötige wäre, um die Nicht-Beobachtbarkeit der Parallaxe zu erklären. In diesem Verhältnis findet Kepler ein Maß, die den beiden Systemen jeweils inhärente Unvorstellbarkeit gegeneinander abzuwägen. Im Ergebnis ist diese unglaubliche aus einer geostatischen Welt resultierende Fixstern-Geschwindigkeit um das Vierfache absurder und damit unwahrscheinlicher als der un1vorstellbar große Fixsternraum der Copernicaner: „Quid igitur satagunt Philosophi, eximere ex oculo COPERNICI festucam hanc immensitatis fixarum, cùm interim dissimulent in suo oculo trabem ingentem, amplius quàm quater majorem, insanae celeritatis fixarum; tantò absurdiores quàm COPERNICUS; quanto difficilius est, accidens praeter modulum subjecti in-

3.1. Das Achilles-Argument

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Überhaupt entspricht es, wie Riccioli den Einwand Keplers gegen den primus motus versteht, eher der Auffassung, die Galilei davon im Dialogo vermittelt. Bei Galilei auch findet sich jenes vermeintliche Kepler-Zitat, das von Riccioli ungeprüft übernommen, ursprünglich aber der Aristoteliker Scipione Chiaramonti (1565-1652) seinem Gegner Kepler nur in den Mund gelegt hatte.13 Wenn Riccioli also eine reichlich unschöne („foeda“), wenn nicht gar hinterlistige Doppeldeutigkeit („astuta aequivocatio“) darin sieht, die Fixstern-Geschwindigkeit als unverhältnismäßig im Vergleich zu den Planetenbewegungen darzustellen, dann hätte er hierfür nicht Kepler, sondern ausschließlich Galilei rügen müssen. Dieser schickt sich zwar an, Keplers Idee von der Unverhältnismäßigkeit der Fixsterngeschwindikgeiten zu verteidigen. Letztendlich vertritt er aber eine ganz eigene Auslegung des bei Kepler zu findenden Ausdrucks, den dieser aristotelisch formuliert als accidens praeter modulum subjecti.14 Galilei und nicht Kepler ist es, der den vierundzwanzigstündigen Umlauf der Sterne in Widerspruch setzt zu der dreißigjährigen Periode des Saturns sowie überhaupt zu der Beobachtung, dass die Himmelskörper mit zunehmender Entfernung immer längere Umlaufzeiten haben. 15 Überdies ist dieser Einwand gegen tendere, quam subjectum augere sine accidente.“: KGW, I: 235, Z. 28-35 (cap. 16). 13 Der in der Anm. oben ziterte zweite und dritte Satz aus Ricciolis Kepler-Zitat (AN, II: 321a) findet sich (bis auf das von Riccioli am Ende des ersten Satzes weggelassene „augere“) wieder im ‘Zweiten Tag’von Galileis Dialogo [Florenz, 1632], OGG, VII: 294 von Simplicio eingleitet mit den Worten „Instà dunque il Keplero dicendo“und mit der Marginalie: „Argomento del Keplero a favor del Copernico.“Dieses Zitat sowie die ganze von Simplicio hier referierte Passage stammt aus Scipione Chiaramonti, De tribus novis stellis, Cesena: Iosephus Nerius, 1628, S. 483, worin Chiaramonti namhafte nicht-aristotelische Astronomen seiner Zeit kritisiert darunter Tycho, Mästlin und auch Kepler. Emil Strauss (Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme das ptolemäische und das kopernikanische, übers. und erläutert von Emil Strauss [Leipzig: Teubner, 1891], mit einem Beitrag von Albert Einstein, mit Vorwort und weiteren Erläuterungen von Stillman Drake, hg. von Roman Sexl u. Karl von Meyenn, Stuttgart: B.G. Teubner, 1982, S. 543 n.151) hatte bereits für dieses Kepler-Zitat, das auch Chiaramonti selbst nicht belegt, auf sinngemäße Stellen in Keplers De stella nova (1606) verwiesen; (die von E. Strauss angeführte Stelle findet sich in KGW, I: 234, Z. 10-15, teils oben zitiert). Zu dieser Chiaramonti-Kepler-Stelle siehe die Ausgabe von O. Besomi/ M. Helbing: Galilei, Dialogo (1998) II: 618 u. (zu Chiaramontis De tribus novis stellis) 630-633. 14 Kepler, De stella nova [1606], KGW, I: 235, Z. 34 (cap. 16); der Ausdruck findet sich in demselben auch von Riccioli (AN, II: 321a) ziterten Satz, s. Anm. oben. Kepler versteht unter Akzidenz die Geschwindigkeit: KGW, I: 234 (Z. 13-15), 235 (Z. 32-35); AN, II: 321a; hiermit wird also ausgedrückt, dass die Geschwindigkeit der Fixsterne über das ihnen entsprechende Maß hinausgeht. Der Ausdruck findet sich in Galileis Dialogo als solcher wieder in dem wörtlich von Simplicio vorgebrachten und ursprünglich von Chiaramonti stammenden Kepler-Zitat (OGG, VII: 294, Z. 1); überdies wird er von Simplicio aufgegriffen und verschiedentlich übersetzt: OGG, VII: 294, Z. 6-7: „si cresca il moto fuor del modello del subietto [… ] non conforme al modello“) und von Salviati (OGG, VII: 294, Z. 31-32: „avendo riguardo al modulo, cioè alla norma ed all’esempio“, 295 (Z. 11): „uscir delle regole del modello“); mit modulo wählt Salviati-Galilei einen Begriff mit architektonischer Konnotation (Dialogo, 1998, II: 619) und spricht in diesem Sinn nicht nur von norma, esempio de gli altri corpi naturali, sondern auch konkret von „regole architettoniche della natura“(OGG, VII: 295, Z.5). 15 Galilei-Salviati verteidigt Keplers Argument der Unverhältnismäßigkeit (accidens praeter

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3. Der primus motus

den primus motus der Fixsterne nur für denjenigen bestechend, der ohnehin schon Copernicaner oder wenigstens Semi-Copernicaner ist, somit bereits fest an die tägliche Rotation der Erde glaubt, wie Francesco Patrizi da Cherso (1529-1597), bei dem sich dieselbe Argumentation findet.16 Ein Widerspruch für die Geozentrik lässt sich damit jedoch nicht aufzeigen und auch die Fixstern-Geschwindigkeit nicht entkräften. Genauso wenig greift der von Galilei vorgebrachte Einwand, dass der tägliche Umlauf der Sterne in umgekehrter Richtung verlaufe zu der Kreisbahn der Planeten, d.h. entgegengesetzt zu deren eigener Umlaufbewegung, die sich in Planetenjahren misst.17 Denn aus geostatischer Sicht ist, wie bereits erwähnt, der primus motus allen Himmelskörpern eigen und streng genommen deren einzig echte Bewegung. Da sie ihre wirkliche Ursache ja in der Erdrotation hat, verläuft sie für alle Himmelskörper auch in gleicher Richtung. Als so genannte zweite Bewegung modulum subjecti) gegen Chiaramontis Versuch, es zu entkräften, wobei er es wie folgt ausführt: „[… ]: ma quest’è [sc. Chiaramontis Vorstellung] poi contro alle regole architettoniche della natura, la quale osserva nel modello delle minori sfere, sì come veggiamo ne i pianeti e sensatissimamente nelle stelle Medicee, di far circolare gli orbi minori in tempi più brevi, onde il tempo della revoluzion di Saturno è più lungo di tutti i tempi dell’altre sfere minori, essendo di 30 anni: ora il passar da questa a una sfera grandemente maggiore, e farla muover in 24 ore, può ben ragionevolmente dirsi uscir delle regole del modello.“: Dialogo, OGG, VII: 295 (Z. 4-11). Bei Galilei (hier und auch schon OGG, VII: 145, Z. 2-15) findet sich also dieser Widerspruch erregende, gedankliche Übergang (passar/ transitus) von dem überlangsamen Saturn zu den überschnellen Fixsternen, den Riccioli fälschlich an dieser Stelle Kepler selbst zuschreibt und scharf rügt: „In toto tamen illo discursu [sc. Kepler, De stella nova [1606], Kapitel 16: KGW, I: 232-238] utitur motibus proprijs Planetarum Orientem versus, ostendens eos proportionaliter tardiores esse, quo plus distant a Terra, contra vero si Fixis tribueretur motus diurnus, fieri transitum a tardissimo Saturno ad velocissimas Fixas: qua in re foeda est, ne dicam astuta, aequivocatio: deberent enim comparari Fixae & Planetae in eodem genere motus, non in diverso, ut infra docebimus.“: AN, II: 321a. An dem von Galilei und von Riccioli durch ihre Kepler-Zitate jeweils gekennzeichneten Abschnitt des 16. Kapitels von De stella nova ([1606], KGW, I: 233 (Z. 37) - 235 (Z. 35)) vergleicht Kepler zwar wirklich zwei aus geostatischer Sicht verschiedene Bewegungen, doch bezogen auf ein und denselben Himmelskörper, den Saturn, und eben nicht in Bezug auf die Fixsterne. Ricciolis Vorwurf gegen Kepler hat mit dem tatsächlichen Inhalt jenes Abschnittes nichts gemein; zu der quantitativen Abwägung, die Kepler dort darlegt, siehe Anm. oben. 16 Francesco Patrizi, Nova de universis philosophia, Ferrara: Benedictus Mammerellus, 1591, f. 106v a (Pancosmia): „Igitur Saturnus qui tardissime fertur, longissimum iter habet; atque hoc supremo convenit, igitur omnium summus est. Luna quia citissime, infima. [...] Alterum, quodquia celerrime omnium octava quam vocant sphaera, suum perficit motum XXIIII. scilicet horarum tempore, infra etiam lunam esse debere.” In diesem Werk stellt Patrizi sein eigenes Weltmodell vor, in dem die Erde im Mittelpunkt der Welt ist, sich aber um ihre eigene Achse dreht. Das besondere ist jedoch, dass sich bei Patrizi auch die Sterne um die Erde drehen: Er hält in seinem hybriden Modell an dem traditionellen primus motus fest, der dann aber weniger schnell verlaufen muss, da sich die Erde ja ebenfalls dreht; der vierundzwanzigstündliche Lauf der Sterne sich also aus beiden Bewegungen erklärt. Zu Patrizi in Zusammenhang mit dem Achilles-Argument s.: M.-P. Lerner (1980) 314-320; ders. (1996-1997) II: 104108; zu den kosmologischen Vorstellungen Patrizis: Paolo Rossi, Immagini della scienza, Rom: Editori riuniti, 1977, S. 109-147; A. Del Prete (1998) 56-67. 17 Galilei, Dialogo, OGG, VII: 143, Z. 25-34.

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(motus secundus oder proprius) wurde hiervon das scheinbare Zurückbleiben der Planeten unterschieden. Dieses galt den Vertretern einer geostatischen Welt aber nicht eigentlich als wirkliche Bewegung, sondern wurde damit erklärt, dass die Planeten nicht alle gleich schnell ihren vierundzwanzigstündigen Umlauf um die Erde vollenden können. 18 Von einer dreißigjährigen Umlaufzeit des Saturns kann folglich nur sprechen, wer genau spiegelverkehrt dessen erste Bewegung als nicht wirklich betrachtet und sie auf die Erddrehung zurückführt. Aus geostatischer Sicht indes hinken die Planeten lediglich ihrer ersten und einzig wirklichen Bewegung (primus motus) hinterher, und ebendieses Zurückbleiben weist beim Saturn eine Periodizität von dreißig Jahren auf. Beiden kosmologischen Systemen ist dadurch gemein, dass mit der Entfernung der Planeten ihre jeweils verschieden gedeutete Periodizität (als motus secundus bzw. Umlaufzeit / Planetenjahr) zunimmt. Dieses Entfernungsverhältnis trifft im geozentrischen Weltbild sogar noch auf die Fixsterne zu, die sich allesamt unmerklich in gleicher Richtung wie die Planeten verschieben und somit ebenfalls einen motus secundus besitzen, so unvorstellbar 18 Diese Vorstellung lässt sich auf den arabischen Astronomen al-Bitruji (Alpetragius, 12. Jh.) zurückverfolgen, der als Vertreter der aristotelischen Schule in Spanien versuchte, die ptolemäische Kosmologie mit der aristotelischen Physik in Einklang zu bringen. (Diesen Hinweis verdanke ich meinem Doktorvater Eberhard Knobloch). Al-Bitruji (On the Principles of Astronomy, hg. u. übers. aus dem Arabischen und Hebräischen von Bernard Goldstein, New Haven: Yale University, ²1977) will den Astronomen seiner Zeit darin widersprechen, dass er im Gegensatz zu ihnen die erste Bewegung für die einzig wirkliche hält, da diese von der neunten Sphäre erzeugt wird und die unteren antreibt (ebd., S. 66-68: §§ 31-35). Diese erste Bewegung verliert sich jedoch mit zunehmender Entfernung bis zum Mond, dessen Sphäre sich am langsamsten um die ruhende Erde drehe (ebd., S. 65-66: §§ 29-31). Je weiter also eine Sphäre von der Ursache ihrer Bewegung entfernt ist, desto weniger kann sie ihren täglichen Umlauf vollenden und muss ihm nachhängen (ebd., S. 100-102: §§ 104, 107, 109): „The power which descends to the spheres is diminished according to the distance from the highest sphere. Since their power is diminished, their motion is necessarily weaker, with the result that they lag behind the highest sphere. This lag is greater for those more distant from (the highest sphere), and the drive to catch up is greater for those closer to it.“, ebd., S. 102: § 109). Dieses Zurückbleiben, das bei Saturn nach 29 Jahren, sechs Monaten und einem Tag einen ganzen Umlauf betrage, sei nicht wirklich, sondern nur dessen scheinbare Bewegung (ebd., S.114: § 136). Denn eine Bewegung entgegengesetzt zu derjenigen, die von der neunten Sphäre in allen darunter liegenden erzeugt werde, gebe es nicht (ebd., S. 67: § 33). Nicht weniger streng unterscheidet Schott in seiner Einführung in Astronomie für Anfänger und wenig Fortgeschrittene (It., 19-39) zwischen der einzig wirklichen Bewegung („Motus stellarum primus & communis“: It. 27, als tägliche Umlaufbewegung aller Himmelskörper um die Erde) und einer bloß scheinbaren („Motus stellarum secundus & proprius“: It., 28, als periodisches Zurückbleiben der Himmelskörper beim täglichen Umlauf); letztere nennt Schott auch „Motus retardationis stellarum“: Schott in It., 28: „Praedictus motus stellarum ab Occidente in Orientem, non est realis, sed apparens tantum propter retardationem, eo quod non omnes stellae motu suo ab Oriente in Occidentem simul integrum circulum seu spiram perficiant, [… ]“. Zur Bekräftigung dessen zitiert Schott im Anschluss daran aus einem Brief Kirchers vom 9. April 1660, worin dieser ihm diese Auffassung bestätigt: „[Kircher: … ] proprius ille siderum motus, ab Occasu in Ortum contra signorum ordinem, aliud dici non possit, nec debeat, quam retardatio quaedam, qua ex tarditate & lentitudine motus non praecise locum, unde evoluta fuerant, attingere possunt spatio 24 horarum; [… ]“: It., 28.

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gering dieser auch ist. Denn ihrer täglichen Umlaufbewegung hinken sie dabei mit der gewaltigen Periodizität von bis zu 36.000 Jahren hinterher.19 Dass diese entgegengesetzte Zweitbewegung so unvorstellbar langsam ist, begründet Cosmiel in der Ekstatischen Reise mit der viel größeren Entfernung der Fixsterne im Vergleich zu den Planeten. 20 Im tychonischen System erklärt sich der motus secundus zwar daraus, dass alle Planeten sich um die Sonne drehen, während um diese kreisend sie sich täglich mit ihr um die Erde bewegen. Zugleich umlaufen sie dennoch allesamt in vierundzwanzig Stunden die Erde und nicht nur die Fixsterne allein, wie Galilei es darstellt, während der Saturn dafür dreißig Jahre bräuchte.21 Denn in der geostatischen Welt gibt es ebenso wenig eine dreißigjährige Umlaufzeit des Saturns um die Erde –(bei Tycho jedoch um die Sonne) –, wie es im copernicanischen System eine vierundzwanzigstündige Umlaufbewegung der Fixsterne geben kann. Wohl kaum aus Unwissenheit vergleicht Galilei demnach zwei verschiedene Bewegungen zweier verschiedener Himmelskörper aus zwei verschiedenen Systemen, um daraus einen Widerspruch für den primus motus der Fixsterne zu konstruieren. Wenn Riccioli dies lediglich als albern („solutio frivola“) bezeichnet,22 ist er sehr zurückhaltend in seiner Kritik – viel zurückhaltender zumindest 19 Als motus secundus der Sterne ließ sich der bereits von Hipparch (2 Jhr.v.Chr.) registrierte motus fixarum in longitudinem deuten. Ganz so als ein Zurückbleiben (retardatio) auch wurde diese langsame Verschiebung der Sterne und das Wandern der Tierkreiszeichen nach Osten (also entgegengesetzt zur Bewegungsrichtung des primus motus) aufgefasst: Schott in It. 27-28. Noch hundert Jahre später stellt ebenfalls ein Jesuit diesen Vorzug des tychonischen Systems gegenüber dem copernicanischen heraus: François Xavier de Feller, Observations philosophiques sur les Systèmes de Newton, le Mouvement de la Terre & la Pluralité des Mondes, Paris: Charles-Pierre Berton, Libraire, 1772, ²1778, S. 120. Heute bezeichnen wir dieses Phänomen als Präzession: Durch den Einfluss der Gravitationskräfte von Mond und Sonne beschreibt (wie bei einer Kreiselbewegung) die geneigte Drehachse der Erde einen Kegel, den sie in 25.700 Jahren (Platonisches Jahr) einmal umläuft. Für den Betrachter auf der Erde aber scheinen sich dadurch die Sterne zu verschieben. Ptolemaios hatte für einen vollständigen Umlauf dieser Verschiebung eine Periode von 36.000 Jahren angenommen, viele neuere Astronomen deutlich weniger, so Riccioli 25.920 Jahre: AN, I: 448 (Tabula). 20 Während al-Bitruji physikalisch begründet, weshalb die zweite Bewegung bei den Fixsternen so viel schwächer ausfalle als bei den Planeten (siehe oben Anm. 18), bietet Kircher eine optische Erklärung: Die Fixsterne seien so weit weg, dass deren zweite Bewegung erst nach einem Zeitraum von hundert Jahren ein für das Auge („oculo“) sichtbares Zurückbleiben ergebe, wenngleich dies in Wirklichkeit eine räumliche Verschiebung ausmache, die überaus groß sei: „Theodid: Sed cur [sc. spacium illud ad meridianum residuum] in fixis tam insensibile est, non item in planetis ? Cosmiel. Quia maxima a terra distantia facit, ut spacium ad meridianum residuum tametsi maximum sit, vix tamen oculo nisi post centum annorum intervallum discernatur ac sensibile reddatur.“: Itin., 278; It., 357. 21 Galilei, Dialogo, OGG, VII: 295 (Z. 4-11) wie oben zitiert, und ebenso ohne Kepler-Anspielung OGG, VII: 145, Z. 2-15. Dabei hatte Galilei am selben Tage (giornata seconda) seines Dialogo noch so trefflich die alle Himmelskörper umfassende Universalität dieses moto diurno zu erklären gewusst: OGG, VII: 140, Z. 13-20. Er stellt den Sachverhalt also an anderer Stelle bewusst falsch dar, um in der Vorstellung des primus motus einen inneren Widerspruch zu erzeugen, den es so nicht gibt. 22 Riccioli, AN, II: 321a: „Sed haec solutio frivola est, cum non fiat comparatio in eadem specie motuum, [… ]“.

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als gegenüber Kepler, den er der Hinterlist bezichtigt für eine Darstellung, die so sich eben nur bei Galilei findet. Dennoch sieht sich Riccioli genötigt, den Vorwurf der Unverhältnismäßigkeit eigens zu entkräften. Er will zeigen, dass die Fixsterne durchaus eine ihnen angemessene Geschwindigkeit haben („velocitas Fixarum est proportionata subiecto“).23 Deutlich werde dies aber nur, wenn man den primus motus verschiedener Himmelskörper untereinander vergleiche. Mit zunehmender Entfernung wachse die in vierundzwanzig Stunden zu durchlaufende Umlaufbahn entsprechend. Damit bewege ein Stern sich mit einer Geschwindigkeit, wie hoch sie auch immer sei, die genauso im Verhältnis zu seiner Entfernung stehe, wie die Geschwindigkeit, mit der ein beliebiger Punkt auf dem Äquator sich in vierundzwanzig Stunden um den Erdmittelpunkt drehe. 24 Riccioli veranschaulicht hierbei die Gesetzmäßigkeit einer gleichförmigen Kreisbewegung – am Beispiel rotierender Räder wird er dies später wiederholen (liber 9, sectio 4, caput 30) –, deren unstrittige Proportionalität natürlich auch auf den primus motus zutreffen müsse. Er gibt damit zu verstehen, dass der primus motus der Fixsterne trotz der viel schnelleren Kreisbewegung dennoch dieselbe Verhältnismäßigkeit aufweist wie die von den Copernicanern vertretene Erdrotation. Der einzige Unterschied zwischen beiden ist rein quantitativer Natur –dieser gewaltige Unterschied allerdings kann Riccioli offenbar nicht schrecken. Tycho gemäß bewegen die Sterne sich um die Länge eines Erdradius (rt) pro Sekunde um die in der Mitte des Universums ruhende Erde. Dies stellt eine recht beachtliche Geschwindigkeit dar verglichen mit den 0,00007 rt/s, mit denen sich auf Höhe des Äquators ein Punkt auf der rotierenden Erde dreht. Für die Geostatik jedoch ist die von Tycho errechnete velocitas fixarum ein reichlich bescheidener Wert, und dies deshalb, weil Tycho einen viel kleineren Fixsternabstand annahm als noch Ptolemaios. Aus dessen Größenvorstellung dagegen ergibt sich eine Umlaufgeschwindigkeit von 3 17/60 Erdradien pro Sekunde (rt/s).25 Bei Riccioli nun aber, der von einer noch viel größeren Entfernung der Sterne ausging, bewegen sie sich in nur einer Sekunde 152 2/3 Erdradien um den ruhenden Mittelpunkt der Welt. Für all diese Werte verweist Riccioli seine Leser eigens auf die entspre23 Riccioli, AN, II: 321b (Marginalie). 24 Riccioli, AN, II: 321b-322a. 25 Riccioli gibt hier den Wert für Ptolemaios an, wie ihn Jean François Fernel (Fernelius, 14971558) überliefert. Aus dieser Geschwindigkeit können wir eine zugrunde liegende Fixsternentfernung von 45.225rt errechnen (mit = 3,14; zu Ricciolis Rechenmethode siehe weiter unten). Dies entspricht annähernd dem Maximalwert, den Riccioli für die von Clavius und Fernel selbst angenommene Fixsternentfernung angibt (AN, I: 419a). Diejenige Entfernung allerdings, die Ptolemaios für das Firmament angenommen haben soll, übernimmt Riccioli an anderer Stelle von al-Farghani (Alfraganus); hiernach beläuft sich der Wert für Ptolemaios lediglich auf 20.013 rt (Riccioli, AN, I: 690). Aus diesen 20.013 rt allerdings ergibt sich eine entsprechend geringere Umlaufgeschwindigkeit; wir errechnen hierfür 1 27/60 rt/s (mit = 3,14). Wie Albert Van Helden anmerkt, habe Ptolemaios, der explizit keine Angabe zur Fixsternentfernung macht, seiner Berechnung des Durchmessers eines Sterns erster Größenklasse eine Entfernung von 20.000 rt zugrunde gelegt: Measuring the Universe. Cosmic dimensions from Aristarchus to Halley, Chicago: University of Chicago, 1985, S. 27 (Tabelle, Note c).

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chende Tabelle im sechsten Buch (cap. 7, num. 18) seines Almagestum novum, die auch Kircher benutzt hat, wie wir noch sehen werden,. 26 Geradezu stolz scheint Riccioli zu sein, die Fixstern-Geschwindigkeit gegenüber Ptolemaios um das Fünfzigfache gesteigert zu haben und gegenüber Tycho sogar um das Siebzigfache.27 Denn trotz dieser hohen Geschwindigkeit ist Riccioli überzeugt, zeigen zu können, „dass der Achilles der Copernicaner tönerne Füße hat.“28 Eine Geschwindigkeit könne, bloß weil sie niedriger sei, nicht darum schon glaubhafter als eine höhere sein. Laut Riccioli sei vielmehr entscheidend, dass sie weder unseren Sinnen widerspreche noch auch in unverhältnismäßiger Weise größer sei.29 Letzteres hält Riccioli bereits dadurch für ausgeschlossen, dass es sich beim primus motus um eine gleichförmige Kreisbewegung handelt, die Geschwindigkeit folglich in Abhängigkeit zur Entfernung und entsprechend der Kreisbahn kontinuierlich ansteigt. Die Fixsterne haben damit eine ihnen entsprechende Geschwindigkeit, diese steht im Verhältnis zu ihnen, d.h. zu ihrer Entfernung bzw. zur Größe ihres Umlaufs. Unserer sinnlichen Wahrnehmung andererseits widerspreche der primus motus der Fixsterne nicht im Geringsten, er sei den Sinnen evident trotz der hohen Geschwindigkeit, die wir innerhalb einer Sekunde oder gar Minute kaum wahrnähmen. Im Gegensatz dazu, sei eine Bewegung der Erde den Sinnen überhaupt nicht deutlich; deshalb auch habe sie keine kleinere Geschwindigkeit, sondern besitze die höchste Langsamkeit, ja überhaupt keine Bewegung, vorausgesetzt wir hielten uns an das, was physisch evident („evidentia physica“) durch Wahrnehmung gegeben sei, zu welcher eben jedwede Erdbewegung im Widerspruch stehe. 30 Diese evidentia physica ist keine von Riccioli ad hoc vorgebrachte Vorstellung, sondern ein Argument, das er wiederholt gegen die Copernicaner ins Feld führt. Diese physische Evidenz stellt die Summe unserer immer wieder aufs 26 Die hier im Folgenden angegebenen Werte für die Fixstern-Geschwindigkeit stammen aus Ricciolis Tabelle mit der Überschrift: „Fixarum Velocitas in motu Primi Mobilis, expressa in Semidiametris terrae, quas Fixa quaelibet in Æquatore posita, & in maxima sui a terra distantia percurrit.“: AN, I: 419b; Riccioli gibt für jeden aufgeführten Autor die Fixstern-Geschwindigkeit in Erdradien (rt) jeweils pro Stunde, Minute und Sekunde an; zu Ricciolis eigenem Wert in seiner Tabelle, der nicht korrekt ist, siehe weiter unten. 27 Riccioli, AN, II: 321b: „Itaque tantum abest, ut eam velocitatem diminutam velimus, ut potius per nostras hypotheses septuagies circiter maiorem efficiamus & fateamur, quam sit in Tychonis hypothesi, & quinquagies quam in Ptolemaica.“Mit dem ungefähr Siebzigfach („septuagies circiter“) gesteht Riccioli dann wohl doch nicht so offen seine Vergrößerung der Fixstern-Geschwindigkeit ein, die ja um das 150fache höher liegt als noch bei Tycho; für dessen Wert (1 rt/s = 2 14.000/24/60/60) siehe Ricciolis eigene Tabelle: AN, I: 419b (lib. 6, cap. 7, n°18). Nicht auszuschließen ist vielleicht auch ein Versehen, wie es bei Ricciolis eigenem Wert für die velocitas fixarum vorliegt: siehe nächstes Kapitel der vorliegenden Arbeit. 28 Riccioli, AN, II: 321b: „Et tamen hac [sc. velocitate] non obstante, Achillem Copernicanorum luteos ac infirmos habere pedes mox ostendemus.“ 29 Riccioli, AN, II: 321b. 30 Riccioli, AN, II: 321b: „At motus Telluris nullus plane est ad sensum, quare non est velocitas ipsius minor sed summa tarditas, immo nullus motus, si stemus evidentiae physicae, quam a sensu habemus, quare omnis ipsius velocitas est contraria sensui.“

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Neue gemachten Sinneserfahrungen dar, die wir so und nicht anders von den Dingen haben. 31 Wenn sich Riccioli auf sie stützend hier en passant die Ruhestellung der Erde als erwiesen konstatiert, darf man erstaunt sein. Daran sehen wir aber, wie entscheidend dieses Argument in seinen Augen ist, welches er erst an späterer Stelle seines Almagestum novum näher ausführt, wo es bei einem in der kosmologischen Kontroverse viel diskutierten Problem auftaucht, dem senkrechten Fall. 32 Für eine evidentia physica hält Riccioli die Feststellung, dass Gegenstände geradlinig auf die Erde fallen. Wie nicht anders zu beobachten, stürzen sie aus einiger Höhe senkrecht auf die unter ihnen liegende Stelle oder träfen an derjenigen wieder auf, an welcher sie hoch geworfen würden. Die Erdbewegung müsste hingegen zu einer Verschiebung der fallenden Gegenstände führen, was jedoch nicht zu beobachten sei. Darin sieht Riccioli einen schlagenden Beweis für die Ruhestellung der Erde, wobei er sich für sein Argument zugleich auf Aristoteles, Pierre d’Ailly (1351-1420), Clavius, Tycho und Chiaramonti berufen kann. 33 Riccioli wendet sich damit gegen eine Vorstellung, die er von Copernicus, Galilei, Kepler, Gassendi, Boulliau vertreten sieht und derzufolge zwar der freie Fall geradlinig und senkrecht zu verlaufen scheine („apparenter quidem videretur“), tatsächlich („reipsa“) aber schief sei und eine gekrümmte Bahn beschreibe. 34 Die Copernicaner gäben sogar noch offen zu, dass ihre Auffassung der sinnlichen Wahrnehmung des Phänomens widerspreche. 35 Für Riccioli indes ist es völlig unzulässig, sich über die evidentia physica einfach hinwegzusetzen. Denn es genüge nicht, dass das Gegenteil von dem, was die Sinne vermitteln, möglich oder in sich schlüssig sei, um unsere Wahrnehmung in Frage zu stellen. Nur durch bessere Erfahrung oder höhere Einsicht („ex altiori lumine“) könne unsere unmittelbare Wahrnehmung widerlegt werden.36 Zu solchen Prinzipien höherer Einsicht zählt Riccioli diejenigen des katholischen Glaubens („certitudo sine evidentia“), der Metaphysik und Mathematik sowie jene der mathematisch physikalischen Wis31 Riccioli, AN, II: 418b-420a, 473a; Edward Grant, „In Defense of the Earth's Centrality and Immobility: Scholastic Reaction to Copernicanism in the Seventeenth Century“, Transactions of the American Philosophical Society, 74/4 (1984), S. 1-69, hier S. 40-41; John L. Russell, sj: „Catholic Astronomers and the Copernican System after the Condemnation of Galileo“, Annals of Science, 46 (1989), S. 365-386, hier S. 377. 32 Zu dieser Diskussion sowie zu der von Riccioli ausgelösten Polemik um sein argumentum physico-mathematicum: Alexandre Koyré, „A documentary history of the problem of fall from Kepler to Newton. De Motu Gravium Naturaliter Cadentium in Hypothesi Terrae Motae,” Transactions of the American Philosophical Society, 45/4 (1955), S. 329-395; Paolo Galluzzi, „Galileo contro Copernico. Il dibattito sulla prova «galileiana» di G.B. Riccioli contro il moto della Terra,”Annali dell'Istituto e Museo di Storia della Scienza di Firenze, 2 (1977) 87-148; Maria Teresa Borgato, „Riccioli e la caduta dei gravi,”in: dies. (2002) 79118, hier S. 113-118. 33 Riccioli, AN, II: 418b. 34 Riccioli, AN, II: 419a. 35 Riccioli, AN, II: 420a. 36 Riccioli, AN, II: 419a: „Prima est, asserendum esse illud esse tale, quod ita Physice est evidens, ut ex altioris luminis principijs maiorem evidentiam aut certitudinem efficientibus non constet, illud esse falsum; neque sufficere ad illud negandum, si oppositum sit possibile, aut congruentias quasdam habeat.”

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3. Der primus motus

senschaft, insofern sie auf den Grundsätzen der Mathematik beruhe. 37 Ansonsten habe man, was in der Wahrnehmung gegeben, für erwiesen anzusehen („ex se physice evidens“). 38 Anderenfalls wäre die ganze Physik hinfällig: Jedes Experiment, jede Beobachtung, jede Erfahrung beruhe schließlich auf Sinneswahrnehmung.39 Überdies sei für den freien Fall und somit für die Ruhestellung der Erde die evidentia physica umso unumstößlich größer, als sie sich nicht auf die Wahrnehmung eines einzelnen oder weniger Menschen und Zeiten stütze, sondern auf die unendlich wiederholt gemachte Erfahrung aller Menschen, die ihre Gültigkeit behalte, solange der Beweis des Gegenteiligen ausstehe. 40 Da die Sinne uns fast immer die Gegenstände so zeigten, wie sie auch tatsächlich seien, oder aber uns andere zeigten, durch deren Wahrnehmung wir uns gegebenenfalls korrigieren könnten, spreche alles dafür, der Sinneswahrnehmung den Vorrang zu geben, solange Gegenteiliges eben nicht bewiesen sei mittels oben genannter höherer Einsicht.41 Folglich liefert Ricciolis evidentia physica keineswegs eine immer gültige Erkenntnis. Da der primus motus aber bis dato nicht als Sinnestäuschung überführt, d.h. die Rotation der Erde nicht bewiesen war, kann Riccioli gegen sie diese Sinneserkenntnis vorbringen: Am Lauf der Sterne sehen wir, dass jene hohen Fixstern-Geschwindigkeiten nicht nur möglich, sondern wirklich sind. Die rein quantitative Höhe einer Bewegungsgeschwindigkeit kann für Riccioli hingegen nicht ausschlaggebend sein, ob wir sie für wahrscheinlicher halten. Vielmehr entscheidet, wenn wir Riccioli richtig verstehen, die Art der Bewegung, bzw. deren Wahrnehmbarkeit, darüber, ob wir sie uns mehr oder weniger gut vorstellen können. Riccioli führt diesen Gedanken, den wir bei Kircher wieder finden werden, nicht weiter aus, fasst ihn aber in einen Vergleich: Von zwei Körpern scheint derjenige, der sich langsamer bewegt oder so zumindest, dass er die Wahrnehmung nicht verletzt, eine Geschwindigkeit („velocitas“) zu haben, die bei ihm durchaus glaubhafter („credibilior“) scheint als bei demjenigen Körper, der mit allzu großer 37 Riccioli, AN, II: 419a, s. unten in Anm. zitiert. 38 Riccioli, AN, II: 419a. 39 Riccioli, AN, II: 419a: „Quae quidem propositio manifesta est ex tota scientia Physica, alioquin peritura, nisi haec vera esset, cum tota innitatur primis principijs ex sensationibus rite habitis: non sunt autem rite habitae, nec idoneae ad gignendam evidentiam Physicam, si ex alijs sensationibus aeque aut magis manifestis fallaces & corrigendae deprehendantur [… ]“; sinngemäß so auch in AN, II: 473a. 40 Riccioli, AN, II: 473a; hierzu E. Grant (1984) 40: „For Riccioli, who speaks here for all Aristotelian geocentrists, the physical evidence is not that of a few sensations and experiences [… ].“Der von Grant unterstrichene quantitative Aspekt von Erfahrung scheint nachrangig, er fehlt in Ricciolis ausführlicheren Besprechung der evidentia physica: AN, II: 418b-420a. 41 Riccioli, AN, II: 419a: “Quapropter cum sensus per se hoc est plerumque immo semper, si debito modo applicentur, talia nobis repraesentent obiecta, qualia sunt a parte rei, aut aliqua alia manifestent, per quae aliarum sensationum fallaciam corrigere valeamus, possessio stat pro sensationibus, & in favorem earum praesumendum est; quamdiu oppositum non convincitur ex superioris luminis principijs, sive Fidei Catholicae, quae certitudinem habet sine evidentia; sive Metaphysicae, Mathematicae, aut Scientiae subalternae Mathematicae ac Physicae, sed in qua principia Matheseos praedominentur.”

3.1. Das Achilles-Argument

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Schnelligkeit („rapiditas“) das Auge, das ihm zu folgen sucht, verletzt.42 Riccioli bringt damit die qualitative Seite ins Spiel, er zeigt, dass ein ‘zu schnell’nur für diejenige Bewegung gilt, die wir sehenden Auges wahrnehmen. Denn „für den Verstand kann es keine übermäßige Geschwindigkeit geben, da er eine noch viel größere erfasst,“was Riccioli selbst wohl mit seinen Zahlenbeispielen bewiesen haben will. 43 Riccioli zufolge dürfen die Fixstern-Geschwindigkeiten für sich genommen nicht allein deswegen nur als weniger wahrscheinlich gelten, weil sie derart hoch sind. Ihre bloße Höhe kann nicht als Einwand gegen den primus motus und die Ruhestellung der Erde dienen. Und einen solchen Einwand will Riccioli seitens der Copernicaner schon gar nicht billigen. Behaupten sie doch, um das Unglaubliche ihrer eigenen Annahmen zu mildern, dass sich Gottes Herrlichkeit an der überweiten Fixsternentfernung und dem übergroßen Universum manifestiere. Dann dürften sie wohl erdulden, dass desselben Gottes Allmacht und Größe ebenso für die beispiellose Fixstern-Geschwindigkeit gepriesen werde. 44 Dass die um die Erde kreisenden Himmelskörper Gottes Ruhm verkünden, ist eine von katholischen Astronomen viel bemühte Wendung. Als Variante hierzu zitiert Riccioli seinen Ordensbruder Athanasius Kircher mit den Worten: „Gott empfiehlt sich durch die Geschwindigkeit der Sonne – kannst du das nicht glauben? “45 Gewendet hatte Kircher sich damit gegen William Gilbert (1544-1603), der die Erde als einen großen Magneten betrachtete und darin deren natürliche Bewegung um ihre eigene Achse begründet sah. Durch Experimente und Erfahrung hielt Gilbert es für bewiesen, dass sich die Erde vierundzwanzigstündlich drehte und nicht täglich alle übrigen Himmelskörper sich um sie herum bewegten. 46 42 Riccioli, AN, II: 321b: „Quod si fieret comparatio inter duo mobilia, de quorum motu haberemus evidentiam physicam, tunc utique videretur credibilior illa velocitas, quae minor esset, aut saltem tanta, ut sensum non offenderet, quam ea quae sensum nimia rapiditate offenderet, si oculus eam persequi vellet.“ 43 Riccioli, AN, II: 321b: „Intellectui enim non potest esse nimia [sc. velocitas], cum multo maiorem comprehendat.“ 44 Riccioli, AN, II: 322a: „Sicut ergo illi [sc. Copernicani] ad eius incredibilitatem emolliendam, recurrunt ad admirabilitatem Potentiae & Maiestatis Opificis DEI, ita ex velocitate insigni Fixarum patiantur commendari DEI eiusdem Omnipotentiam ac Maiestatem.“ 45 Riccioli, AN, II: 322a: „Nec inscite Athanasius Kircher in Magnete pag. 539. dixit: Deus commendat se a velocitate Solis, tu credere non potes?“Die von Riccioli wörtlich zitierte Stelle findet sich an besagter Stelle in keiner der Ausgaben von Kirchers Magnes (1641; 1643; 1654). Sinngemäß findet sich darin nur folgende Formulierung: „Ergone quia Gilbertus capere non potest, ideo falsa sunt opera eius, qui solus facit magna, & incomprehensibilia & mirabilia, quorum non est numerus? Commendavit se Deus a velocissimo cursu Solis in Psalmis, & apud Ecclesiastem eius ortus, & occasus, inflexiones, Zodiacum, & mirabiles in eo motus proponit, & isthaec erunt ea quae Gilberto & similibus videntur , & tanquam inepte philosophantium commenta?“: Magnes (1641) 550. (1643) 485. (1654) 390. 46 William Gilbert: De magnete, magneticisque corporibus, et de magno magnete tellure Physiologia nova, plurimis & argumentis, & experimentis demonstrata, London: Petrus Schort, 1600, S. 39-44 (lib. 1, cap. 17), 211-225 (lib. 1, cap. 1-4). Obwohl er für die Erdrotation eintritt, ist Gilbert aber weiterhin Geozentrist, d.h. er hält an der Mittelpunkt-Stellung der Erde fest, und kann nicht als Anhänger des heliozentrischen Systems gelten, auch wenn Copernica-

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3. Der primus motus

In Magnes sive de arte magnetica (1641) will Kircher die Ruhestellung der Erde gegen die magnetische Philosophie eines Gilbert und Kepler verteidigen sowie zugleich gegen deren Nachahmer („Aemulos“) wie Simon Stevin (15481620) und andere Neuerer („Neotericos“).47 Kircher tritt uns darin gleichsam als Rächer der katholischen Astronomie und selbst ernannter Verteidiger der Christenwelt wie des rechten Glaubens entgegen, die er beide durch die neue Lehre für bedroht halte, die zu bekämpfen er sich aus Eifer um die Ehre Gottes und die Mutter Kirche insbesondere deshalb verpflichtet fühle, weil die magnetische Philosophie bisher noch von niemandem widerlegt worden sei.48 Im Verlaufe seiner ner wie Galilei (Dialogo [1632], OGG, VII: 425-426) ihn wohl gerne zu den ihren zählten, wovon allerdings gerade Kepler, der Gilberts magnetische Philosophie zu einer Himmelsphysik ausbaut, auszunehmen ist: „[… ] quamvis non crederet author [sc. Gilbert] Terram inter sidera ferri, tribuit illi tamen naturam magneticam, [… ]“: Epitome astronomiae copernicanae [1618], KGW, VII: 334, Z. 2-3. Selbst Riccioli ist in diesem Punkte widersprüchlich (vgl. AN, I: 51b und II: 290a), wogegen Kircher (Magnes, 1641, S. 538) ausdrücklich Gilbert als Vertreter nur der Erdrotation ansieht und gerade darin den Unterschied zu Kepler und Stevin herausstellt. Wenngleich Gilbert mit seinem De Magnete (1600) selbst eigentlich keinen Anlass zu jener falschen Annahme gegeben hat, spricht er sich in seinem posthum veröffentlichten Werk De Mundo (1651) sogar offen gegen Copernicus aus: „Copernici vero ratio magis incredibilis, licet minus in motuum convenientiis absurda, quod terram triplici oportebat motu agitari, tum vel maxime quod nimis vastam capacitatem inter orbi Saturni et octavam sphaeram esse oportet, quae prorsus sideribus vacua relinquitur.“: Gilbert, De mundo nostro sublunari philosophia nova, Amsterdam: Ludovicus Elzevirius, 1651, S. 193 (lib. 2, cap. 19); diese Erklärung lässt sich wohl kaum in ihr Gegenteil durch die hierfür angeführte Abbildung auf S. 202 desselben Werkes verkehren, welche nicht eindeutig heliozentrisch zu deuten ist trotz der zentralen Stellung der Sonne. Für diese Klarstellung siehe: Duane H. D. Roller, The ‘De magnete’of William Gilbert, Amsterdam: Hertzberger &Co., 1959, S. 162-173; Suzanne Kelly, The ‘De mundo’of William Gilbert, Amsterdam: Hertzberger &Co., 1965, S. 39-42, 66-69, 98-100; M.-P. Lerner (1996-1997) II: 146-151 sowie zu den Gegenstimmen in der Literatur und der Abbildung in De mundo, ebd., II: 283 n.63. 47 Kircher, Magnes (1641) 538. Kirchers Beweisführung gegen Gilberts rotierenden Erde-Magneten sowie gegen Keplers kosmischen Magnetismus finden sich im ersten Teil des dritten Buches (lib. 3, pars 1) seines Magnes (1641) 537-577. (1643) 474-508. (1654) 383-405. Kepler hatte seinen kosmischen Magnetismus umfassend im vierten Buch seiner Epitome astronomiae copernicanae [Linz: Johannes Plancus, 1618], KGW, VII: 290-355 dargelegt. Simon Stevin sieht Rotation und Translation der Erde als magnetisch begründet an: Les Oeuvres mathematiques de Simon Stevin de Bruges, hg., übers. und kommentiert von Albert Girard, Leiden: Bonaventure & Abraham Elsevier, 1634, S. 291a-295a (vol. II, partie 3: Astronomie). Zu den weiteren Anhängern eines kosmischen Magnetismus gehörten John Wilkins (1614-1672), John Wallis (1616-1703), Walter Charleton (1620-1707), Christopher Wren (1632-1723) und Robert Hooke (1635-1703): J. A. Bennett, „Cosmology and the Magnetical Philosophy, 16401680“, JHA, 12/3 (1981), S. 165-177. 48 Kircher, Magnes (1641) 539: „Hanc itaque frivolam, ac Christianae Reip. non perniciosam tantum; sed & in fide quoque periculosam opinionem [sc. Pythagoraeo-Copernicanorum] pro zelo honoris Dei, Matrisque Ecclesiae (praesertim cum hosce mundanorum corporum Magneticos motus, a nemine ex professo confutatos sciam) inquirere, inquisitoque dissolvere propugnareque uti debui, ita volui. Hoc enim cognito totum illud Pythagoraeo-Copernicanorum phantasticum machinamentum suapte sponte casurum spero, ut itaque sciamus in quo rerum statu simus pigerrimam ne sortiti, an velocissimam sedem: circa nos Deus omnia agat, an nos Magnetice agat? sit.“

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Beweisführung ereifert Kircher sich aber noch weiter: Ebenso wenig wie einen besseren Mathematiker könne es einen Physiker geben, der schlechter sei als Kepler. Und dem Semi-Copernicaner Gilbert weist Kircher einen Platz unter den Häretikern zu.49 Doch trotz aller Leidenschaft, gelingt es Kircher, durch eigene Versuche und experimentelle Überprüfung sowohl Gilberts Erdmagnetismus als Begründung für eine Rotation der Erde zu widerlegen als auch den kosmischen Magnetismus Keplers, der dessen heliozentrische Himmelsmechanik physikalisch erklären sollte.50 Vernichtend fällt seine Kritik dabei aus. Zwar hatte sein Mitbruder Nicolò Cabeo (1585-1650) schon vor ihm Gilbert einer solchen unterworfen.51 Kircher nun aber gelingt dies ebenso mit Kepler, was von Anti-Copernicanern wie Giorgio Polacco dementsprechend gefeiert wurde.52 Doch dürfte dieser Erfolg nicht ganz so nachhaltig gewesen sein: Keplers magnetische Himmelsphysik hatte damit ihre Anziehungskraft auf Copernicaner nicht verloren.53 Auch Riccioli weist diesbezüglich nicht auf eine besondere Leistung Kirchers hin, wenn er ihn zusammen mit den Ordensbrüdern Nicolò Cabeo und Nicolò Zucchi (1586-1670) gleichberechtigt als Kritiker einer magnetisch bedingten Erdbewegung anführt. 54 Schwer anzunehmen jedenfalls ist, dass Kircher seinerzeit als strammer Verteidiger der Geozentrik dem Weltbild der Copernicaner etwas abgewinnen konnte. Auch hatte er, als er seinen Magnes (1641) verfasste, sich die Welt beträchtlich kleiner vorgestellt. Den Saturn hält er noch für weniger weit entfernt als 49 Kircher, Magnes (1641) 551: „[… ] Keplerus noster, Mathematicus Caesareus, de quo id dici merito potest, ubi Mathematicus eo nemo melior & subtilior, nemo peior, ubi Physicus est; [… ]“; ebd. 550: „Ergone quia Gilbertus capere non potest, ideo falsa sunt opera eius, qui solus facit magna, & incomprehensibilia & mirabilia, quorum non est numerus? [… ] & isthaec erunt ea quae Gilberto & similibus videntur , & tanquam inepte philosophantium commenta? proprium est haereticorum res divinas, & incomprehensas ingenio suo metiri, quas nisi comprehenderint nec credere velle videntur; [...]“ 50 Kircher, Magnes sive de arte magnetica (1641) 537-577; zu Kirchers Widerlegung von Gilberts Magnet-Erde sowie von Keplers kosmischem Magnetismus siehe oben Anm. 47. 51 Nicolò Cabeo, Philosophia magnetica, Ferrara: F. Succius, 1629; Köln: J. Kinckium, 1629. 52 Giorgio Polacco, Anticopernicus catholicus, seu de terræ statione, et de solis motu, contra systema copernicanum, catholicæ assertiones, Venedig: Guerilii, 1644, S. 45-46 (assertiones 73 u. 74); abschließend bezüglich Keplers kosmischen Magnetismus: „Sed P. Athanasius rationibus, exprimentis [sic] magneticis, & ratiocinijs mathematicis machinamentum hoc Astronomico Magneticum prorsus esse demonstrat.“: ebd., 46. Polacco, über den nicht einmal die Lebensdaten bekannt zu sein scheinen, hatte noch vor Riccioli (AN, II: 497-500) als erster den Text von Galileis Verurteilung und Abschwur in ebendemselben Werk veröffentlicht: Anticopernicus catholicus (1644) 69-75 (Verurteilung), 75-76 (Abschwur). 53 Wilbur Applebaum, „Keplerian Astronomy after Kepler: Researches and Problems“, History of Science, 34 (1996), S. 451-504, hier 476-480. Auch die Keplerschen Gesetze wurden nicht, bis Newton kam, vergessen; für deren zeitgleiche Rezeption: John L. Russel, „Kepler’s Laws of Planetary Motion: 1609-1666“, The British Journal for the History of Science, 2 (1964), S. 1-24; insbesondere W. Applebaum (1996) 453-462. 54 AN, II: 328b-330b (lib. 9, sec. 4, cap. 7, n°3: „III. Argumentum a Terrae Chymicae & Terellae Magneticae similitudine. Ubi obiter quaedam insignia experimenta magnetica ope Terellae facta.“; neben Kirchers Magnes (1641) und Cabeos Philosophia magnetica (1629) wird hier Nicolò Zucchi (Nova de Machinis philosophia, Rom: Haeredes Menelphij, 1649) erwähnt.

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3. Der primus motus

später den Mars.55 Dementsprechend näher dürfte er die Fixsterne angesetzt haben. Wenngleich er über diese sich so wenig äußert wie über deren Umlaufgeschwindigkeit, wird deren bloße Höhe ihm daher zu dieser Zeit noch wenig zu schaffen gemacht haben. In der Ekstatischen Reise hingegen finden wir uns in einer viel größeren Welt wieder, aufgelöst in einen einzigen riesigen Fixsternraum, der gleich mehrfach so tief ist wie die Erde entfernt von den ersten Sternen. Copernicanisch sind die Ausmaße des Kircherschen Kosmos mit Recht zu nennen, da sie unvereinbar scheinen mit einem geozentrischen Weltbild. Sie gehen aber über Copernicus selbst und die meisten seiner Anhänger hinaus, die wie selbstverständlich wenn nicht die Erde so die Sonne im Zentrum des Universums sehen. Der Kirchersche Kosmos dagegen weist eine Struktur auf, die den Gedanken an einen Mittelpunkt gar nicht aufkommen lässt. Allein die Bewegung aller Himmelskörper um die Erde zeichnet deren Zentralstellung aus. Damit bekommt der primus motus im Kircherschen Kosmos eine viel größere Bedeutung. Streitet die traditionelle Geozentrik für den vierundzwanzigstündlichen Sternenlauf, um dadurch die völlige Ruhestellung der Erde behaupten zu können, steht für Kircher weit mehr auf dem Spiel. Da die Struktur seiner Welt polyzentral ist, worauf wir weiter unten (S. 197 ff.) zurückkommen werden, muss der primus motus darin zugleich auch die Geozentrik sicherstellen, entscheidet somit nicht bloß über Ruhe oder Rotation der Erde wie ansonsten in Weltbildern jener Zeit, sondern über deren Mittelpunktstellung im Universum. Mit dem primus motus steht und fällt im Kircherschen Kosmos die Erde als Zentrum der Welt. Umso mehr muss Kircher in der Ekstatischen Reise sich der Frage nach der velocitas fixarum stellen, sollte er in diesem Kosmos, in seinem novum systema, die Erde als Mittelpunkt der Welt ernsthaft verteidigen wollen.

55 In Magnes (1641) 561b nimmt Kircher zwischen Saturn und Erde eine Entfernung von 63.141.953 italienische Meilen an; die Länge des Erdradius (rt) entspricht 3.440 italienischen Meilen (laut Schott in It. 340); Kircher hält demnach den Saturn für 18.355 rt von der Erde entfernt. Wie an früherer Stelle bereits erwähnt, wird er später für die Entfernung des Saturns zur Erde 99.304 rt ansetzen (Itin. 253; It. 327) sowie 21.079 rt für die maximale Distanz zwischen Mond und Mars (Itin. 202; It. 259).

3.2. KIRCHERS VELOCITAS FIXARUM Wie kein anderer Vertreter der Geozentrik ist Kircher angreifbar durch das Achilles-Argument der Copernicaner. Lässt er in der Ekstatischen Reise doch mit den bekannten Sternen den stellaren Raum erst beginnen. Dabei schließt er, ganz wie es die Ordensdisziplin allen Jesuiten abverlangt, mehrmals in seinem Werk explizit aus, dass die Erde sich um ihre eigene Achse drehe: 1 Die Erde steht völlig still –so heißt es kategorisch schon einleitend zur Ekstatischen Reise, 2 und um sie drehen sich all die unzählig weit in der immensitas Mundi verstreuten Sterne.3 Dies gilt ausdrücklich auch für diejenigen, die doppelt so weit entfernt sind wie die ersten Fixsterne. 4 Als Theodidactus die Ausmaße der Welt entdeckt, erfahren wir somit zugleich, dass den Dimensionen und den unzähligen Himmelskörpern zum Trotz der Kirchersche Kosmos immer noch einen Mittelpunkt hat: Alles dreht sich um die Erde. Angesichts der daraus zu folgernden Geschwindigkeiten für diese weit entfernten und noch nie gesehenen Sterne, kommt Theodidactus allerdings arg ins Zweifeln. 5 Hierauf entgegnet ihm Cosmiel mit dem Argument der göttlichen Allmacht. Die Schnelligkeit des Blitzes sei vielleicht nicht einmal der schlechteste Vergleich, um sich von solch einer Geschwindigkeit ein Bild zu machen: Denn nach menschlichem Ermessen unbegreiflich seien Gottes Werke.6 In 24 Stunden die Sterne mit Hilfe der Engel um die Erde rotieren zu lassen, falle Gott ebenso leicht wie es Cosmiel ein Leichtes gewesen sei, seinen Schüler im Nu vom Sirius zum Polarstern zu bringen. 7 Süffisant mag man hier mit Otto von Guericke (16021686) anmerken, dass das eine wie das andere in der Ekstatischen Reise ja nur geträumt werde und beides vielleicht kaum ernst zu nehmen sei. 8 1 2 3 4

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Die Achsenrotation der Erde zählt zu den propositiones non docendae: Ordinatio [1651], in: G.M. Pachtler (Hg.), Ratio studiorum (1887-1894) III: 92, n°35; zur Ordinatio s. oben S. 25. Itin., 28; It., 53-4. Die Zentral- und völlige Ruhestellung der Erde trotz der ungeheuren Ausmaße des Universums wird ausführlich im dritten Kapitel (De ordine globorum, & mira dispositione mundi, & de centris rerum) des II. Dialogs bekräftigt: Itin., 317-322; It., 386-390. „Conditor innumerabilium hanc globorum congeriem ita ad globi terreni situm constituit, ut omnes & singuli ex ortu in occasum motus suos auspicarentur, & perenni stabilitatis lege eosdem circa terram iuxta divinae ideae immutabilia decreta continuarent [… ]“: Itin., 274; It., 355. „[… ]; & quamvis innumeri stellarum globi alij tanto a primis firmamenti stellis altiores, quanto a firmamento Terra distat; & aliae illis adhuc tanto altiores & altiores sedes sortitae sint, omnes tamen eandem motus rationem sub dicta circulorum proportione ineunt.“: Itin., 275; It., 355: Schott macht hieraus einen eigenen Satz beginnend mit „Et quamvis [… ]“. „Theodid. [… ]; sed velocitatis, qua dicta corpora moventur, vehementiam non intelligo; praesertim earum stellarum quae immense maiori supra primas firmamenti stellas intervallo dissitae sunt, quam a terra firmamentum distare videmus, & nobis adhuc incompertae sunt.“: Itin., 277; It., 356. Itin., 277; It., 357. Itin., 277; It., 356-357. Wie schon die Planeten werden auch die Fixsterne von Engeln, den Intelligentiae, bewegt, wie es die jesuitische Ordinatio (in: G. M. Pachtler, Ratio studiorum (1887-1894) III: 92, n°36) vorschreibt: Itin., 276; It., 356; zitiert in Anm., S. 128. Otto von Guericke: Experimenta nova (ut vocantur) Magdeburgica de Vacuo Spatio, Amsterdam: Johannis Janssonius a Waesberge, 1672, S. 238b.

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3. Der primus motus

Doch noch tiefer in den stellaren Raum dringen die Kosmonauten der Ekstatischen Reise vor. Und umso mehr muss Kircher sich veranlasst gesehen haben, der Fixstern-Translation ein eigenes Kapitel zu widmen. Seine Leser hielt er durch die vorangegangene Erklärung offenbar für genauso wenig überzeugt wie Theodidactus, der hier erneut seine Zweifel äußert.9 Auch rechnete Kircher wohl nicht darauf, dass die unbegreiflich blitzschnelle Fixsternbewegung schon durch den Verweis auf Gottes Allmacht seinen Lesern begreiflicher würde. Zumindest mutet er ihnen als konkrete Angabe für diese Geschwindigkeit zunächst nur einen sehr bescheidenen Zahlenwert zu. Wie wir von Schott erfahren, handelt es sich dabei um die von Tycho errechnete velocitas fixarum, die Kircher hier angibt.10 Ein Blick in Ricciolis Tabelle, aus der schon zitiert wurde und die Schott an anderer Stelle teilweise abdruckt, verrät, dass Tychos Wert der kleinste von allen dort aufgeführten ist.11 Drei Seiten weiter liefert Kircher erneut eine quantitative Angabe. Reichlich willkürlich aber übernimmt er hierbei Ricciolis eigenen Wert, welchen abrupten Wechsel Schott in einem Scholium eigens anmerkt, ohne dies entschuldigen zu können. 12 Denn sehr verschieden sind die Werte Tychos und Ricciolis, und einiges Kopfschütteln verdient Kircher hierfür. Ganz unbewusst mag ihm diese Inkonsequenz jedoch nicht unterlaufen sein. Zumindest ließe sich für diesen Wechsel ein mögliches Motiv aufzeigen. Denn im Verlaufe des Kapitels haben die Kosmonauten ihren sicheren Platz auf einem der Himmelskörper verlassen, um auf Drängen von Theodidactus frei im Äther schwebend die ungeheure Geschwindigkeit, mit der die Sterne um die Erde rasen, endlich zu erleben. 13 Hier nun setzt Kircher anstelle von Tychos 3.663 rt pro Stunde Ricciolis 9.158 rt pro Minute. Dass die beiden Werte nicht zusammenpassen, dürfte einem aufmerksamen Leser dennoch kaum verborgen geblieben sein – auch Kircher hätte damit eigentlich rechnen müssen, zumal nur drei Seiten zwischen beiden Angaben liegen. Mit Ricciolis Wert wählt Kircher nun aber gerade den höchsten aus besagter Tabelle. Mit dieser quantitativen Steigerung lässt er die Sterne just in dem Moment dahinrasen, als deren hohe Geschwindigkeit von einem ruhenden Beobachter überhaupt erst wirklich wahrgenommen werden kann.

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Der zweite Dialog (Itin., 289-443; It., 365-469) beschäftigt sich eigens in Kapitel 5 („De motu incomprehensibilis velocitatis, quo circa Tellurem volvuntur astra“: Itin., 339-353; It., 402413) mit den Umlaufgeschwindigkeiten der Fixsterne um die Erde. Itin., 340; It., 403. Es sind dies 3.663 rt pro Stunde, was den oben aus Riccioli zitiertem Wert Tychos von 1 rt/s entspricht. An gleicher Stelle (Iter, 403: „Scholium I.“) weist Schott bezüglich der Umrechnung in deutsche Meilen Kircher einen Fehler nach. Riccioli, AN, I: 419b. Schott verweist von hier (Iter, 403: ‘Scholium I.’) auf die bei Riccioli zu findende Tabelle zu den Fixstern-Geschwindigkeiten nach verschiedene Astronomen, die er im ersten Dialog (‘Praelusio in Firmamentum’) in Auszügen wiedergibt: Iter, 339-340. Wie unten noch zu sehen, hat auch Kircher die Tabelle aus dem Almagestum novum benutzt. Es sind dies Ricciolis 9.158 rt/min: Itin., 343; It., 406. Schott weist Riccioli als Quelle nach und merkt wiederum an, dass er selbst bei der Umrechnung in deutsche Meilen (1 rt = 860 milliaria Germanica) einen anderen Wert (7.875.880) erhält als den von Kircher (7.915.880) angegebenen: Iter, 406 (‘Scholium II.’). Itin., 343-344; It., 405-406.

3.2. Kirchers velocitas fixarum

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Nun lassen sich aber die Geschwindigkeitsangaben von Tycho und Riccioli am allerwenigsten kombinieren: Tycho nimmt für die Entfernung der Fixsterne 14.000 rt an, Riccioli 210.000 rt.14 Entsprechend variieren die Geschwindigkeiten um den Faktor Zehn. Wenn Kircher sie dennoch zusammen benutzt, um die Umlaufbewegung der Sterne in ein und derselben Entfernung zur Erde zu beziffern, dann, wie gerade gesehen, wohl eher der literarischen Wirkung wegen. Letztlich ist davon auszugehen – wie unredlich Kirchers Darstellungsweise damit auch wird –, dass ihm dieser entfernungsbedingte Unterschied in seinen Geschwindigkeitsangaben bewusst war. Mögen dramaturgische Gründe auch erklären, warum Kircher die Angaben Tychos und Ricciolis miteinander verquickt, er hätte im Grunde auf keine der beiden zurückgreifen dürfen: Tycho errechnet die velocitas fixarum aus einer Fixsternentfernung von eben jenen vergleichsweise bescheidenen 14.000 rt – in der Ekstatischen Reise entfernt sich sogar der Mars auf seiner Umlaufbahn weiter von der Erde.15 Vor allem aber beziehen sich Tycho und Riccioli im Gegensatz zu Kircher auf die Sterne des Firmaments. Zwar hatte Tycho auch diese letzte Sphäre in flüssigen Äther aufgelöst, die Sterne darin verteilen sich aber in einem Band, das nicht dicker ist als 1.000 rt.16 Indes ist Ricciolis 14 Riccioli errechnet die Werte für die Geschwindigkeit der Fixsterne jeweils aus deren maximalen Entfernung: AN, I: 419b. 15 Kircher nennt nur die Entfernung vom Mars zum Mond, wofür er maximal 21.079 rt angibt: Itin., 202; It., 259. Aus Riccioli liefert Schott die Entfernungsangaben zu den übrigen Planeten und zur Erde (21.005 rt im Apogäum) nach: Iter, 259 (‘Scholium IV.’). 16 Tycho Brahe, Astronomiae instauratae progymnasmata, 2 Teile, Prag: o.N., 1602, in: Tychonis Brahe Dani Opera Omnia, 15 Bde, hg. von J.L.E. Dreyer, Kopenhagen: In Libraria Gyldendaliana, 1913-1929, Bd II (1915), S. 430; zu Tychos Wert: M.-P. Lerner (1996-1997) II: 110-112. Bei Tycho entsprechen die 14.000 rt der äußeren Hülle seines Firmaments, für das er eine Dicke von 1.000 rt annahm. Anders als Riccioli stellte sich Tycho jedoch auch die Fixsternsphäre nicht mehr als etwas Festes vor, sondern sieht die Sterne darin gebunden durch ein flüssiges expansum, welches er für die richtige Übersetzung des biblischen rakia (Genesis I, v. 14) hält an Stelle von firmamentum, das sich in der Vulgata findet; Tycho stützt sich dabei auf Sébastien Castellions (1515-1563) Übersetzung der Bibel von 1551, der rakia durch liquidum wiedergibt: M.-P. Lerner (1996-1997) II: 113. Zuvor hatte schon Agostino Steuco (1497-1548) aufgezeigt, dass die traditionelle Übersetzung des hebräischen rakia durch bzw. firmamentum falsch sei, denn rakia bezeichne das Ausgedehntsein des Himmels und nicht dessen Festigkeit: A. Steuco, Recognitio veteris testamenti ad hebraicam veritatem, Venedig: o.N., 1529, f. 12v. Steuco allerdings hält dennoch an dem griechischen als zweiter Bedeutung von rakia fest, um das „Auseinanderfließen“(diffusio) des Sternenhimmels mit der Festigkeit der Planetenbahnen in Einklang zu bringen: Cosmopoeia vel de mundano Opificio, Lyon: Gryphius, 1535, S. 70; siehe hierzu: William G. L. Randles: The unmaking of the medieval Christian cosmos, 1500-1760. From Solid Heavens to Boundless Æther, Aldershot u.a.: Ashgate, 1999, S. 39-43. Steuco, seit 1534 an der Vatikanischen Bibliothek in Rom beschäftigt, hatte mit seiner Cosmopoeia (1535), wiewohl diese gleich zwei Mal, 1583 und 1596, auf den Index kam, Einfluss auf die jesuitische Diskussion über die Natur des Himmels: William G. L. Randles, “Le ciel chez les jésuites espagnols et portugais (1590-1651)”, in: Giard, Luce (1995) 129-144, hier 134-144. Zu Steuco allgemein: Theobald Freudenberger, Augustinus Steuchus aus Gubbio – Augustinerchorherr und päpstlicher Bibliothekar (1497-1548) und sein literarisches Lebenswerk, Münster: Aschendorff, 1935; Giuseppe Saitta, Il pensiero italiano nell’Umanesimo e nel Rinascimento, 3 Bde, Bologna: Zuffi,

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3. Der primus motus

Festhalten an einer festen Fixsternsphäre völlig unvereinbar mit der Annahme eines stellaren Raumes, der um ein Vielfaches tiefer ist als der Abstand zwischen Erde und Firmament. Die von Riccioli errechnete Geschwindigkeit kann im Kircherschen Kosmos demgemäß nur für jene ersten Sterne gelten, die nach dem Saturn folgen und mit denen Kircher seinen fabulösen Fixsternraum erst beginnen lässt. Gleich zu Beginn des Kapitels über die Umlaufbewegung der Sterne erfahren wir jedoch, dass Cosmiel und Theodidactus dreimal weiter entfernt vom Firmament sind als dieses von der Erde.17 Der einfache Fixsternabstand aber ist Grundlage für Ricciolis Geschwindigkeitsberechnung, die an dieser Stelle der Ekstatischen Reise schon nicht mehr gelten kann, wo die Sterne viermal weiter von der Erde entfernt sind. Da Kircher aber noch kurz zuvor diese Angabe über die Entfernung seiner Kosmonauten von der Erde macht, kann er schwerlich übersehen haben, dass bei einer Distanz von vier Fixsternabständen die Geschwindigkeit der Sterne entsprechend höher sein muss. Die von Kircher gelieferten Zahlenwerte lassen sich zwar durch Riccioli belegen und sind somit verbürgt. Sie geben aber die in der Ekstatischen Reise beschriebenen Verhältnisse quantitativ ebenso falsch wieder wie Kirchers Angabe über die Entfernung der ersten Fixsterne (welche hundert Mal weiter von der Sonne entfernt sein sollen als diese von der Erde; siehe oben S. 69 ff.). Sehr wahrscheinlich, wie überhaupt schon durch das Zitieren von Tychos velocitas fixarum, hält sich Kircher hier wiederum bewusst an gesicherte Werte, wobei er offensichtlich in Kauf nimmt oder sogar vorzieht, mit seinen Zahlenangaben zu untertreiben. Tatsächlich und womöglich, ohne es bemerkt zu haben, übertreibt er aber bereits, wenn er Ricciolis Wert anführt. Dies müsste Kircher aufgefallen sein, sollte er für sich selbst einmal überschlagen haben, zu wel1949-1951, Bd II (1950), S. 75-78; Charles B. Schmitt, „Perennial Philosophy from Agostino Steuco to Leibniz“, Journal of the History of Ideas, 27 (1966), S. 505-532. 17 „Theodidactus. [… ] & tametsi tertio me altius a prima firmamenti stella sustuleris, quam eadem a terra distet, earum tamen nec finem, nec numerum esse deprehenderim; [… ]“: Itin., 339; It., 402: Schott streicht „esse“und ändert Kirchers „deprehenderim“in „deprehensurus sim“; der Konjunktiv ist bedingt durch das weiter oben stehende „Cum“ (bei Schott „Cumque“). Indem Schott den Konjunktiv Perfekt von deprehendere in ein Partizip Futur Aktiv mit esse umwandelt ändert er das Zeitverhältnis: Mit dem von Schott gewählten Konjunktiv Präsens der sogenannten Coniugatio periphrastica activa (gebildet mit dem Partizip Futur Aktiv) wird in konjunktivischen Nebensätzen die Nachzeitigkeit umschrieben (als Ersatz für den im Lateinischen fehlenden Konjunktiv des Futurs). Nicht nur durch das Streichen von „esse“und die damit aufgehobene AcI-Konstruktion (Accusativus cum Infinitivo) verliert die Aussage an Faktizität, sondern vor allem geht die Gewissheit über das darin Ausgedrückte durch die von Schott vorgenommen Zeitverschiebung in die Zukunft verloren: Dreimal weiter vom Firmament entfernt als dieses von der Erde, meint Theodidactus in der Schottschen Version, er werde weder Zahl noch Ende der Sterne erkennen, während er bei Kircher meint, er habe erkannt, dass sie weder Zahl noch Ende haben. Wohlgemerkt: Für ein geostatisch-zentrisches Weltbild ist nicht eine wie weit auch immer gedachte Ausdehnung des Raumes problematisch, sondern dessen Erfülltsein mit Himmelskörpern: Da sich diese alle um die Erde drehen müssen, wird deren Ruhestellung durch das Fliehkraft-Argument angreifbar. Die Gewissheit dieses Erfülltseins mit Sternen in und trotz der großen Entfernung zur Erde (4xdEF), wie sie Kircher gleich am Anfang dieses Kapitels festhält, wird so von Schott stilistisch abgeschwächt.

3.2. Kirchers velocitas fixarum

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cher Geschwindigkeit sein vierfacher Fixsternabstand seinerseits führen müsste. Denn aus den hieraus zu errechnenden 3.488 9/10 rt/min wird deutlich, dass die von Riccioli stammenden 9.158 1/3 rt/min ein viel zu großer Wert für einen einfachen Fixsternabstand sind und selbst für Kirchers viermal größere Entfernung noch zu hoch liegen. Denn dieser Wert Ricciolis, wie er sich in besagter Tabelle seines Almagestum novum über die velocitas fixarum findet, entspricht eigentlich einem Fixsternabstand, der zehn Mal größer ist als der von ihm selbst angenommene. Riccioli, der so gewissenhaft war, um in gleichem Zusammenhang den Rechenfehler Keplers nicht zu übersehen und eigens darauf hinwies, hatte sich also selbst verrechnet.18 Dass ihm dies doch gerade bei der so brisanten Umlaufgeschwindigkeit der Fixsterne passiert, ist vielleicht weniger verzeihlich als bei Kepler, wiewohl der Fehler Beider gleich trivial ist. Umso mehr allerdings ist dies in anderer Hinsicht bezeichnend. Denn wie kann Riccioli dem Achilles18 Zur Berechnung der Geschwindigkeit auf einer Kreisbahn (v = 2 r f ) gibt Riccioli (AN, I: 419b) für die Fixstern-Geschwindigkeit pro Minute folgenden Rechenweg an: vF = rEF · 2· 314/ 100/ 24/ 60. Für Kircher mit einem vierfachen Fixsternabstand (4dEF= 800.000 rt = rEF) ergibt sich damit eine Fixstern-Geschwindigkeit von 3.488,89 rt/min. Für Riccioli –sein maximaler Fixsternabstand beträgt, wie weiter oben gesehen, 210.000 rt – errechnet sich eine Geschwindigkeit von 915,83 rt/min. Die 9.158 1/3 rt/min in seiner Tabelle stimmen genau um den Faktor 10 nicht (offensichtlich ist nur durch 10 und nicht durch 100 dividiert worden). Der Wert für Tycho dagegen ist korrekt sowie der für al-Battani (Albategnius) und al-Farghani (Alfraganus), deren Fixsternabstände Riccioli auf derselben Seite aufführt: AN, I: 419a. Da wir bei Kircher die fehlerhafte Angabe von Riccioli wiederfinden, bestätigt sich, dass er tatsächlich mit dessenTabelle gearbeitet hat. Schott überprüft zwar Kirchers Umrechnung der Geschwindigkeiten von Erdradien in deutsche Meilen und weist Kircher jeweils einen Fehler nach: Iter, 403 (‘Scholium I.’), 406 (‘Scholium II.’). Ricciolis ursprünglichen Fehler aber vermerkt er weder hier, wo er auf Kirchers abrupten Wechsel zu Riccioli hinweist noch im ersten Dialog, wo er zum Teil Ricciolis Tabelle wiedergibt, darunter auch dessen eigenen Wert sowie den für Tycho: Iter, 406, 340 (§3: ‘Praelusio in Firmamentum’/Tabelle). Schon bei diesen beiden Werten aber, die um den Faktor 100 auseinanderliegen, während die jeweiligen Fixsternabstände nur um den Faktor 10 verschieden sind, hätte ein flüchtiger Vergleich der Zahlen auf den Fehler aufmerksam machen können. Immerhin erklärt Schott noch eine Seite zuvor Ricciolis Berechnungsmethode für die Tabelle und nur wenige Seiten danach fasst er die verschiedenen Zahlenwerte zur Entfernung der Fixsterne zusammen, darunter die von Riccioli und Tycho: Iter, 339, 344 (‘Scholium II.’). Zudem hätte es Schott dabei auffallen können, dass der Fixsternabstand, den er hier in seinem ‘Scholium II.’für Ptolemaios (18.867 rt ) anführt, nicht mit des Ptolemaios Fixstern-Geschwindigkeit (197 1/4 rt/min) zusammenpasst, wie sie sich in seiner von Riccioli übernommennen Tabelle findet. Überdies stimmt die von Schott präsentierte Tabelle mit der bei Riccioli nicht für Tychos Werte überein: Aus den bei beiden zu findenden tychonischen 3.663 rt/h (= 14.000 rt · 2 · 314 : 100 : 24) errechnet Riccioli richtig 61 rt/min und 1 rt/s, wogegen sich bei Schott 87 rt/min und 1 27/60 rt/s finden. Mit anderen Worten: So genau oder vielleicht so ernst hat es Schott mit diesen Geschwindigkeiten nicht genommen oder vielleicht auch nicht wissen wollen. In gleichem Maße gilt dies auch für Riccioli, dem gerade bei seinem eigenen Wert ein Fehler unterlaufen ist und der zwar verständlicher Weise die sicherlich Schwindel erregenden Geschwindigkeiten nicht für die Fixsternabstände von Copernicanern ausrechnet (weil diese zu denjenigen gehörten, die – wie Riccioli die Auswahl an Autoren in seiner Tabelle begründet (AN, I: 419b) –ja ohnehin nicht an den primus motus glaubten), bezeichnenderweise aber auch nicht für den sonst so oft zitierten Rheita, der ja, obschon Geozentrist, in ähnlichen Größenvorstellungen dachte.

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3. Der primus motus

Argument eine besondere Bedeutung zugemessen haben und zugleich für sich selbst die Fixstern-Geschwindigkeit mit derart großer Nachlässigkeit errechnen, dass ein solcher Fehler um den Faktor Zehn ihm nicht sogleich auch in die Augen springt ? Rückblickend fragen wir uns, ob Riccioli im Ganzen nicht eigentlich zu leichtes Spiel hatte in seiner Auseinandersetzung mit dem copernicanischen Achill, um ihn wirklich fürchten zu müssen. Konnte er denn im Ernst diesen Geschwindigkeits-Einwand für den ersten und hauptsächlichsten der Copernicaner halten, der doch ohne Beweiskraft letztlich nicht weniger standpunktabhängig war als so viele andere Argumente in der kosmologischen Debatte? – Nein, die feste Erde vermochte dieser Achill der Copernicaner nicht zu bedrohen, doch nicht weil er auf tönernen Füßen lief, sondern weil Riccioli ihn ausschließlich als einen Läufer ohne Kraft präsentierte. 3.3. DAS FLIEHKRAFT-ARGUMENT VS. PRIMUS MOTUS Celio Calcagnini (1479-1541) vertrat noch vor und wohl auch unabhängig von Copernicus die Bewegung der Erde in seiner posthum veröffentlichten Schrift Quod coelum stet, terra moveatur, vel de perenni motu terrae (ca. 1519). Darin kam er ausführlich auf die absurden Fixstern-Geschwindigkeiten eines sich um die Erde drehenden Firmaments zu sprechen. 1 Wie die von Riccioli zitierten späteren Autoren liefert auch Calcagnini bereits konkrete Zahlenwerte für die velocitas fixarum. Doch ist es nicht allein deren schier unglaubliche Höhe, die er gegen den primus motus und somit gegen die Geostatik einwendet. Ganz entscheidend knüpft sich sein Einwand an die Vorstellung, dass bei solch einer Geschwindigkeit sich die Sterne angesichts ihrer Vielzahl und zumal der Größe 1

Celio Calcagnini, Quod coelum stet, terra moveatur, vel de perenni motu terrae [ca. 1519], in: Opera aliquot, Basel: o.N., 1544, S. 387-395. Anders als Copernicus, war Calcagnini jedoch kein Heliozentrist: Er vertrat die 24h-Rotation der Erde bei völlig still stehendem Firmament, nicht aber deren Lauf um die Sonne. Calcagnini, der bei weitem kein Fachmann für astronomische Fragen war, ist in seinen kosmologischen Ausführungen letztlich nicht ganz ernst zu nehmen, da er alle zu beobachtenden Himmelsphänomene allein durch die Achsendrehung der Erde erklärt sehen will: M.-P. Lerner (1980) 313-314. (1996-1997) II: 88-91; zu Calcagninis Leben und Werk: Franz Hipler, „Die Vorläufer des Coppernicus“, Mittheilungen des Coppernicus-Vereins zu Thorn, 4/3 (Thorn: E. Lambeck, 1882), S. 59-69; Larry Hybertson, „Celio Calcagnini: A PreCopernican Renaissance Astronomer“, Rinascimento, 6 (1966), S. 295-304; DBI, XVI: 492a-498b (V. Marchetti, A. De Ferrari, C. Mutini). Calcagnini hatte seine vielleicht berühmteste Schrift Quod coelum stet während seines Aufenthaltes in Ungarn 1518-1519 verfasst wohl für den Astronomie begeisterten Kardinal Ippolito von Este (14791520): DBI, XVI: 494a, 496a. Erwähnenswert nicht nur in diesem Zusammenhang ist, dass Calcagnini am Schluss seiner Schrift als Vertreter seiner Auffassung den Kardinal Cusanus anführt, dessen Schriften er selbst aber leider nicht habe lesen können: „Audio & proximo seculo magnae doctrinae ac perspicacis ingenij virum Cusam, Purpura quidem prastantem, sed multo literis praestantiorem, pro hac opinione stetisse: cuius utinam commentarij in manus meas pervenissent. Quo enim fuit vir ille ingenij acumine, aut me prorsus labore hoc levasset: aut mihi, puto, ad hanc sententiam comprobandam multo maiora ac meliora argumenta suppeditasset.“: „Quod coelum stet,“in: Opera aliquot (1544) 395.

3.3. Das Fliehkraft-Argument vs. primus motus

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des Firmaments unmöglich in der zu beobachtenden Regelmäßigkeit und gleich bleibenden Ordnung bewegen könnten. 2 Calcagnini stellt damit nicht bloß die Wirklichkeit des primus motus in Frage, er bezweifelt vielmehr dessen Verwirklichbarkeit in der Natur. Im Grunde spricht er bereits – wie vage auch immer – dieser Himmelsbewegung letztlich ab, physikalisch überhaupt möglich zu sein. Derselbe Gedanke findet sich bei vielen Gegnern einer völligen Ruhestellung der Erde. Die Umlaufgeschwindigkeit der täglich um die Erde kreisenden Fixsterne erscheint ihnen eben nicht nur der bloßen unvorstellbaren Höhe wegen als absurd. Vielmehr führen sie dagegen an, dass die Ordnung der Sterne eine solche Bewegung gar nicht aushielte. Als Einwand gegen den primus motus vertreten wurde diese Vorstellung eines drohenden Auseinanderfliegens (dissipatio, distractio) des Firmaments von Semi-Copernicanern wie Francesco Patrizi, 3 William Gilbert,4 Christian Longomontanus5 und Nathanael Carpenter (1589-1638),6 aber 2

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Calcagnini, Quod coelum stet, in: Opera aliquot (1544) 391: „Quantus enim eius [der achten Sphäre bzw. des Firmaments] sit ambitus, immensum est, & supra mortalem captum enuntiare. eam certe quom horis quatuor & viginti suum spatium dicatur conficere, necesse erit supra millena centena passuum millia momentis singulis tranare: ut statis horis omnem anfractum decurrat, & veluti dimensum diurnum impleat. Quod posse fieri neque corporis quantumvis concitati ratio, neque ipsa humani animi pernicitas, si modo per partes differri intelligatur, persuaserit. Quicquid enim movetur, priores semper partes excurrat, mox secundas, atque ita deinceps alias oportet, antequam ad metam & instituti cursus calcem attingat. Neque sane hoc loco Melissi [sc. Melissos von Samos, letzter Vertreter der eleatischen Schule, Schüler des Parmenides] more, instans & momenta excluserim: sed tanta orbis magnitudine, id quod rationi vehementer repugnat, evenire necesse est, ut extremae partes ante praeterirent, quam primae a carceribus promovissent.“ Patrizi, Nova de universis philosophia (1591) 104r a (Pancosmia): „Cur etiam aedificiorum timent [sc. die Geostatiker] ruinam, hoc tam lento motu [sc. terrae]? & non timent, ne in frusta frangatur coelum, motu tam impossibilis celeritatis?“; ebd. macht Patrizi zugleich quantitative Angaben über die Fixstern-Geschwindigkeit, sollte die Erde völlig ruhen (wovon er selbst nicht ausgeht mit seinem hybriden Modell, in dem Erde und Himmel sich beidermaßen bewegen): ebd. 102v b -103r a; M.-P. Lerner (1980) 320. Gilbert, De magnete (1600) 217 (lib. 6, cap. 3): „Non igitur a firmamento vehuntur moventurve, aut positionem habent; multo minus a primo mobili circumferuntur confusae illae stellarum turbae,neque adversa & rapidissima incitatione convelluntur & perturbantur. Ptolemaeus Alexandrinus nimis mihi timidus & pusillanimis esse videtur, qui dissolutionem mundi huius inferioris inhorrescit, si circulariter terra moveretur. Cur non universi ruinam, dissolutionem, perturbationem, incendium , caelestesque & supercaelestes calamitates immensas non veretur, a motu supra omnes cogitationes, somnia, fabulas, & licentias poeticas insuperabili, ineffabili, & incomprehensibili.“. Auch Gilbert liefert konkrete Zahlen für diese Drehbewegung des Firmaments, die er der viel langsameren Erdrotation gegenüberstellt, und fragt ähnlich wie Patrizi: „[… ]; sed quae soliditas ferrea adeo firma & pertinax fingi potest, ut tanto furore & tam ineffabili pernicitate non disrumpatur, & in frusta abeat.“: De magnete (1600) 218. Longomontanus, Astronomia danica (1622) II: 19 (lib. I, cap. 1): „Terra autem super centro in medio moveri, & diurnam revolutionem ab occasu in ortum perficere magno compendio naturae nos cum D. Origano & aliis hujus seculi praestantibus viris, asserimus: hinc enim non solum motuum uniformitas ab occasu versus ortum in omnibus coelestibus revera servatur, & sola apparentia in coelo versus occasum spectatur; sed etiam incredibilis siderum celeritas in diurna revolutione, inprimis autem stellarum fixarum sphaerae, contrario telluris nisu e natura facessit. Addo quoque quod quum stellae fixae, quas non aequali a centro seu tellure distantia

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3. Der primus motus

ebenso von namhaften Anhängern des Heliozentrismus wie Galilei 7 und Gassendi. 8 Bis auf Patrizi mit seinem hybriden Modell, in dem sich sowohl Erde

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remotas esse consentaneum fuerit, quasque in limpidissimo coelo pendere, ac instar globi telluris, super centris suis aequis ponderibus librari: nullam a condito mundo distractionem id distantiis ad invicem passae sint. Quis itaque cum talibus assertionibus motus reales ipsis attribuet, nisi qui mordicus sacram scripturam paucis in locis, & non (ut videntur) nisi cpatui humano apparenter accommodatis, tueri velit ?“Die drohende Zerstreuung der Sterne ist für Longomontanus Grund genug dafür, dass nicht sie sich drehen, sondern die Erde: „[… ] ne stellae in limpidissimo coelo haerentes distractionis ab invicem quae nunquam conspecta est, incommodum patiantur [… ]“: ebd., II: 87 (lib. I, cap.4). Wie Longomontanus vertrat auch der von ihm hier zitierte David Origanus (eigtl. David Tost, 1558-1628) die Erdrotation innerhalb eines tychonischen Systems: D. Origanus, Novae motuum coelestium ephemerides Brandenburgicae, Frankfurt a.O.: Eichornius, 1609, „Praefatio“(unpaginiert). Carpenter, Philosophia libera, triplici exercitationum decade proposita [… ], Oxford: J. Lichtenfield & J. Short, ²1622, S. 289 „[… ] quid adhuc de convexa superficie primi mobilis seu undecimi coeli apud vulgatos Astronomos, quae octavi coeli ambitum tanto circuitu superat? comparabimus cum motu aliquorrum globulorum e bombardis explosorum? At certe motus iste multo statuendus est velocior, ut qui cogitationi, celeritate sua, aut nihil aut parum cedat. Veritus est olim Ptolomaeus ne motus circularis terrae concessus ob violentam rapiditatem Terrae ruinam introduceret: At multo magis verendum esset illi, si probe intellexisset, ne rapidissimo isto in coelum motu introducto tota coelestis machina dissolveretur: maximi certe est apud me momenti rapidissima huius motus velocitas ad circularem Terra motum astruendum.“Die Philosophia libera des Anti-Aristotelikers Carpenter war erstmals 1621 unter dem Pseudonym „NC Cosmopolitanus“in Frankfurt erschienen; ihr folgten insgesamt drei Neuauflagen in Oxford (1622, 1636, 1675). Carpenter war, wiewohl er die Erdrotation vertrat, Anhänger eines tychonischen Systems und lehnte dasjenige des Copernicus ausdrücklich ab: Philosophia libera (1622) 272, 278, 288-289, 387-389. Zu verdanken sei Carpenter, laut W. Applebaum (1996) 458 (ohne Stellennachweis), „the first mention of Keplerian ellipses in an English printed work, [… ].“ Das sechste und vorletzte der gegen den primus motus vorzubringenden Argumente, die Galilei in seinem Dialogo zu Beginn des ‘Zweiten Tages’vorstellt, lautet: „Accresce l’inverisimile [… ], a chi più saldamente discorre, l’essere inescogitabile qual deva esser la solidità di quella vastissima sfera, nella cui profondità sieno così tenacemente saldate tante stelle, che senza punto variar sito tra loro, concordemente vengono con sì gran disparità di moti portate in volta: o se pure il cielo è fluido, come assai più ragionevolmente convien credere, sì che ogni stella per sè stessa per quello vadia vagando, qual legge regolerà i moti loro ed a che fine, per far che, rimirati dalla Terra, appariscano come fatti da una sola sfera?“: OGG, VII: 146, Z. 4-12. Zuvor war Galilei, allerdings ohne konkrete Zahlen zu liefern auf die unglaubliche Geschwindigkeit einer solchen Fixsternbewegung eingegangen (OGG, VII: 141, Z. 1017), was er im siebten und letzten Argument anschließend unter dem Aspekt der riesigen hierfür nötigen Kraft (forza) wieder aufgreift (OGG, VII: 146, Z. 16-25). Noch am selben Tage seines Dialogo wird Galilei sich schließlich intensiver als irgendjemand vor ihm mit dem Phänomen der Fliehkraft auseinandersetzen, siehe weiter unten S 144 ff. Gassendi, Epistolae tres de motu impresso a motore translato [Paris, 1642], in GOO, III: 478563, hier 507a: „[… ]; at cum vel ipsius Firmamenti ambitus iuxta communem sententiam sit maior Terrae ambitu plusquam quinquagies millies; necesse est in uno horae secundo punctum ambitus Firmamenti percurrere quinquagies millies tantundem orgyiarum. Itaque dum unum absurdum devitant, incidunt in aliud, quod sit quniquagies millies absurdius. Quantum putas vero occurret adaugenda absurditas, cum acceptum fuerit punctum in ambitu Primi mobilis, ac interposito presertim uno, alterove crystallino caelo? Et obiiciant praeterea partes Terrae prae tanta illa vertigine distractum iri: Quam erit magis distractio timenda partibus Pri-

3.3. Das Fliehkraft-Argument vs. primus motus

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als auch Sterne drehen, bleibt ihnen keine andere Wahl, als den primus motus zu bekämpfen, um die Erdrotation zu verteidigen. Mehr oder weniger deutlich verweisen sie hierfür auf die Fliehkraft: Wenn deren zerstörerische Wirkung sich nämlich gegen die Achsendrehung der Erde einwenden lässt, wofür als prominentes Beispiel meist Ptolemaios zitiert wird, dann muss dies gegen eine Drehbewegung der Sterne um so viel mehr gelten, als sich diese schneller drehen als die Erde. Rückblickend bemerkt der Copernicaner Christiaan Huygens (1629-1695) hierzu, dass ebendieses Argument der Fliehkraft, die Anhänger des primus motus dazu gezwungen hätte, an einer festen Fixsternsphäre festzuhalten.9 Zwar traf dies keineswegs auf alle Geostatiker zu, zumal sich die Auffassung eines flüssigen Himmels auch in der katholischen Astronomie immer mehr durchsetzte. 10 Allerdings weist Huygens mit seiner Bemerkung treffend darauf hin, dass dieser Einwand sich nicht mehr so einfach von der Hand weisen ließ: Ihn konnte man eben nicht je nach kosmologischem Standpunkt, ernst nehmen oder schlicht als irrelevant betrachten, wie es noch möglich war bezüglich der bloßen Geschwindigkeitsbeträge für den primus motus. Denn die bei einem rotierenden Körper entstehende Fliehkraft ist ein bekanntes Phänomen aus der Natur, welches ganz allgemein an drehenden Körpern zu beobachten ist. Dass dieses Phänomen aber gleichfalls auf die um die Erde kreisenden Fixsterne zutreffen müsste, konnte jedoch erst zu einem unabweisbaren Einwand werden, als die aristotelische Vorstellung von einer Quintessenz – einer fünften ganz andersartigen Art von Himmelsmaterie – geschwunden war und somit die gesamte diesseitige Welt insofern zu einer durchgehend physikalischen wurde in dem Sinne, dass sie nur mehr aus den vier von der Erde her bekannten Elementen bestehen sollte.

mi mobilis, ut abreptis vertigine incomparabiliter rapidiore?“ „Il faut bien qu’ils [sc. Geostatiker] considerent ces vastes corps des estoiles comme attachees [sic] et enclavées dans un ciel solide et plus transparent que du cristal car comment autrement changeroient elles leur mouvement toutes ensemble. Ou comment en tournant avec cette terrible vitesse ne s’en voleroient elles pas bien loin par la force du mouvement circulaire [… ]“: Huygens, [1698], in HOC, XXI: 829-830 (Appendix VI). 10 Die traditionelle Vorstellung von einem Universum, das aus festen, die Himmelskörper tragenden und bewegenden Kugelschalen bestehe, wurde erst im ausgehenden 16. Jahrhundert abgelöst; für eine kosmologische Lagebeschreibung siehe: Eberhard Knobloch, „Jesuitenastronomie im Zeitalter des Copernicus“, in: Gudrun Wolfschmidt (Hg.), Nicolaus Copernicus –Revolutionär wider Willen, Stuttgart: Verlag für Geschichte der Natur, 1994, S. 209-218. Maßgeblich beiteiligt hieran war Tycho Brahe. Aber auch er kam erst nach der Supernova von 1572 und nach dem Kometen von 1577 zur endgültigen Überzeugung eines flüssigen Himmels. Trotz aller Widerstände bestätigte sich diese Annahme weiter durch die Teleskopbeobachtungen Galileis (Venusbahn um die Sonne, Jupitermonde, und vermeintliche Saturn-Satelliten). Am hartnäckigsten konnte sich die Vorstellung einer letzten festen Sphäre halten, derjenigen der Fixsterne; siehe hierzu: M.-P. Lerner, „Le problème de la Matière Céleste après 1550: Aspects de la Bataille des Cieux Fluides,“Revue d’Histoire des Sciences, 1989, 42/3, S. 255-280, ders. in: L. Giard (1995) 145-185; ders. (1996-1997) II: 21-58; J. M. Lattis (1994) 94-102; Edward Grant, Planets, Stars, & Orbs. The Medieval Cosmos, 1200-1687, Cambridge: Cambridge University Press, 1994, S. 348-370. 9

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3. Der primus motus

Auch Riccioli konnte nicht umhin, sich dem Fliehkraft-Argument zu stellen und eine Erklärung zu liefern, wie die Sterne trotz ihrer täglichen Drehbewegung um die Erde dennoch ihre Abstände unverändert zueinander beibehalten können, so dass eine Achsendrehung der Erde nicht darum schon wahrscheinlicher sei als der primus motus der Sterne.11 Im Laufe seiner vorangegangenen Untersuchung über die Natur des Himmels war Riccioli nach Abwägung aller Positionen und Meinungen allerdings zu dem Schluss gekommen, dass es wahrscheinlicher sei, einen flüssig-wässrigen Fixsternhimmel anzunehmen, 12 der nicht aus einer besonderen Materie geschaffen,13 der natürlichen Vergänglichkeit unterworfen sei14. Zwar hält er es für ausgeschlossen, dass der Fixsternhimmel, wie andere Dinge dieser Welt, in seiner Gänze der Zerstörbarkeit (corruptibilitas) ausgesetzt sei. Vielmehr habe der Größe wegen Gott diesen mit ganz besonderem Aufwand geschaffen; Gott selbst auch behebe die zu beobachtenden Spuren der Zerstörung, die man an den Sonnenflecken, Kometen und anderen neuen Himmelsphänomenen sehen könne, worunter Riccioli wohl auch die Novae zählen dürfte; diese Zerstörungen, die sich ganz natürlich erklärten (modus physicus), fänden aber nur in Teilen des Fixsternhimmels statt.15 Demzufolge kann der von Riccioli beschrie11 Recht knapp wendet sich Riccioli der Fliehkraft zu als neuntem von insgesamt zehn Argumenten, die für die tägliche Erddrehung und gegen den primus motus zu sprechen scheinen (AN, II: 311a-320a). Als Vertreter desselben zitiert er hierbei Longomontanus, Gilbert, Galilei und Gassendi und betitelt es als „IX. Argumentum a Fluiditate Caeli, & Constanti Distantia Fixarum inter se.“: AN, II: 318b-319b. Diese Bezeichnung aber ist insofern unpassend, als insbesondere Galilei und Gassendi (wie Riccioli selbst zitiert und anmerkt: AN, II: 319a) diesen Einwand gegen den primus motus unabhängig davon vorbringen, ob es eine feste Fixsternsphäre oder einen flüssigen Fixsternhimmel gebe; diese Bezeichnung lenkt vielmehr ab von dem entscheidenden Punkt, der sich bei allen von Riccioli angeführten Vertretern wiederfindet: ein durch die Drehbewegung bedingtes Zerstreutwerden der Sterne – die Fliehkraft. Treffender als hier formuliert es Riccioli in seiner zusammenfassenden Übersicht von zwanzig Argumenten für die tägliche Erddrehung: AN, II: 466a-469a, hier 467a: „Nonum Argum. Stellae omnes Fixae, ex omnium saeculorum observationibus invicem collatis, servant inter se perpetuo eandem distantiam, quam semel habuere. At si moverentur diurna vertigine illam non servarent, aut enim moverentur ad motum Firmamenti solidi, & huius partes nimia velocitate dissiparentur; aut per se moverentur in caelo fluido, & multo magis dissiparentur ac vago motu fluctuarent, tum propter rapiditatem vertiginis, tum propter fluiditatem.“ 12 Riccioli, AN, II: 236a: „CONCLUSIO. Probabilius est, Caelum, in quo sunt stellae Fixae, Aqueum; caelum autem, in quo sunt Planetae Igneum esse.“ 13 Riccioli, AN, II: 235a: „CONCLUSIO. Licet non possit a nobis demonstrative atque evidenter sciri, quaenam sit caeli visibilis substantia & natura; probabilius tamen est, illud constare ex materia eiusdem rationis cum elementari.“Der Beschaffenheit der Himmel und der Himmelskörper ist der erste Abschnitt (sectio 1) des neunten Buches von Ricciolis Almagestum novum gewidmet: AN, II: 193-246, insbesondere die Kapitel 5 bis 7: AN, II: 232b-244a. 14 Riccioli, AN, II: 238a: „CONCLUSIO. Probabilius est caelos visibiles, esse natura sua & ab intrinseco corruptibiles, licet per accidens & ab extrinseco incorruptibiles.“ 15 Riccioli, AN, II: 238a: „Quia tamen sive propter distantiam ipsorum [sc. coelorum] sive ob ingentem molem, sive ob temperamentum insigne qualitatum secundarum cum primis, quod Deus caelo indidit, non datur agens ullum naturale creatum, quod possit caelos transmutare substantialiter, idcirco dixi per accidens esse incorruptibiles: quo modo neque tota terra, neque totus aër est transmutabilis, secundum totam aut maximam ipsius partem. Confirmatur

3.3. Das Fliehkraft-Argument vs. primus motus

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bene Fixsternhimmel aber nicht ausschließen, dass sich doch zumindest partiell Abstandsänderungen unter den Sternen beobachten ließen. Denn, wie ihn Riccioli beschreibt, ist er grundsätzlich physikalischen Veränderungen unterworfen, die vorübergehend auch sichtbar werden, bevor sie gleichsam von Gott wieder ausgebessert würden. Nicht wenig erstaunt darf man daher sein, dass uns Riccioli, um das Fliehkraft-Argument zu entkräften, als Lösung ausgerechnet eine feste Fixsternsphäre anbietet. Alternativ schlägt er hierfür zwar Intelligenzien vor, die jeden Stern einzeln auf dessen Bahn und im richtigen Abstand zu den anderen halten. Diese Annahme sei aber nur insoweit nötig, als man sich den Himmel flüssig vorstelle. Selbst dann aber hält es Riccioli für denkbar, dass die Sterne nicht einzeln sondern mittels irgendeines Bandes (vinculum) wie in einem feinen Netz (reticulum) bewegt würden.16 Wenn hier Riccioli also noch zusätzlich zu den Intelligenzien eine tragende Struktur in Erwägung zieht, dann scheint er sich angesichts der Fliehkraft einen ganz flüssigen Himmel nun doch nicht mehr vorstellen zu können. Letztlich entschließt sich Riccioli für die Annahme einer festen Sphäre für die Fixsterne, die so beschaffen sein soll, dass sie trotz ihrer Bewegung sich nicht abreibe, nicht erhitze, weder zerbreche noch zerspringe und die immergleiche Anordnung der Sterne gewährleiste.17 Hierbei verweist er auf das Fazit (unica conclusio), mit dem er nicht weniger überraschend seine Untersuchung über die Natur des Himmels beschlossen hat. Dort nämlich nimmt er zu guter Letzt einen flüssigen Himmel nur für die Planeten an, für die Fixsterne jedoch eine feste Sphäre. Als maßgebliche Begründung liefert er hierfür, dass sich damit recht bequem („promptius“) erklären ließe, wie trotz ihrer Drehbewegung die Sterne immer denselben Abstand zueinander beibehalten könnten. 18 autem Conclusio, quia & nova Phaenomena siderum & Cometarum, macularum Solarium, & dissolutio ac renovatio caelorum in fine mundi, potius absque miraculo, aut certe minore miraculo, sed modo magis physico, & simili alijs corporibus naturalibus, quae de novo fiunt, explicanda sunt: hoc autem fit si admittatur, caelum nunc aliquantilla sui parte generationis & corruptionis obnoxium esse, & in fine mundi Ignem a Deo assumendum tanquam instrumentum ad renovationem substantialem caelorum.“ 16 Riccioli, AN, II: 319a: „[… ]: etenim si Firmamentum fluidum ponatur, nec necesse est, nec probabiliori rationi congruum, ut stellae inerrantes moveantur ad motum Firmamenti, sed verosimilius moveri ponerentur ab Intelligentijs, vel singillatim, vel aliquo alio vinculo quasi reticulo simul conclusae, ut diximus sect. 1. cap. 7. [sc. AN, II: 238b-244a] cùm potissima ratio asserendi Firmamentum solidum, post auctoritatem multorum Patrum ac Doctorum; sit illa ipsa perpetuitas aequalis distantiae Fixarum ab ijsdem stellis servatae, & ab antiquissimis Astronomiae temporibus observatae.“ 17 Riccioli, AN, II: 319a: „Si autem ita solidum sit Firmamentum, ut nec atteratur cum alio corpore apto per extrusionem spirituum calidiorum, aut igniculorum latentium, concurrere ad ignitionem, nec se impingat in aliud corpus, aut repentina concussione subsistere aut retrocedere cogatur, sed aequabili tenore motus intra idem semper spatium circumferatur, frustra timetur ne frangatur, aut dissiliat, atque ita compagine dissoluta Fixarum intervalla perturbet.“ 18 Riccioli, AN, II: 244a: „VNICA CONCLVSIO. XXIII. Probabilius multo est, licet nondum Mathematice aut Physice evidens; Caelum Fixarum solidum esse, Planetarum autem Fluidum. [… ] si sphaera Fixarum solida ponatur, promptius redditur ratio, cur servent perpetuo

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3. Der primus motus

Nur allzu deutlich wird hieraus erkennbar, dass Riccioli auf eine feste Sphäre allein deshalb rekurriert, um das Fliehkraft-Argument abzuwehren. Dabei scheut er auch nicht davor zurück, mit sich selbst in Widerspruch zu geraten und hinter seinen eigenen Forderungen zurückzubleiben: Der aus natürlichen Elementen bestehende Fixsternhimmel soll letztlich natürlichen Prozessen doch nicht unterworfen sein und Eigenschaften aufweisen, die eigentlich auf eine besondere Materie schließen lassen; im Grunde teilt er damit willkürlich die Himmelsphänomene in solche, die sich physikalisch erklären lassen und solche, die der Physik entzogen sind. Diese Hilfskonstruktion eines festen Firmaments bedeutet historisch zugleich einen Rückschritt hinter Tycho selbst, dessen Weltbild – wenn zeitweise auch in einer eigenen Variante – von Riccioli immerhin vertreten wurde und der diese letzte feste Sphäre aufgegeben hatte. Riccioli macht damit aber gleichfalls einen Schritt zurück hinter das von Christoph Scheiner (1575-1650) Erreichte. Die Lebensleistung seines berühmten Mitbruders bestand zu einem gut Teil darin, erfolgreich für die Akzeptanz des flüssigen Himmels gekämpft zu haben und dies insbesondere gegen alle Widerstände seitens seines Ordens.19 Wie ihm selbst nur allzu klar gewesen sein dürfte, stellt sich Riccioli überdies mit seinem Rückzug auf ein festes Firmament außerhalb der wissenschaftlichen Avantgarde seiner Zeit,20 wiewohl er nach dem Tode Scheiners als der bedeutendste jesuitische Astronom galt. Wenn gegen ebendieses Fliehkraft-Argument sich ein Giorgio Polacco damit verteidigt, dass der letzte Himmel nicht gläsern sondern wie aus eandem inter se distantiam, nec multiplicandi erunt innumerabiles motores Fixarum; immo cum totum pene illud caelum sit refertum stellis, ut Telescopia ostendunt, nullum inconveniens est motum tam vasti orbis ordinatum a Deo fuisse ad movendas tot stellas, quae simul sumptae magnam partem ipsius occupant.“ 19 Dieser innerjesuitische Kampf um einen flüssigen Himmel wurde maßgeblich geführt von Christoph Scheiner (1575-1650), Christoforo Borri (1583-1632) und Robert Bellarmin (15421621). Bezüglich dieser Annahme war Scheiner sogar von dem Ordensgeneral Claudio Aquaviva (1543-1615) ermahnt worden, nicht die neuen Lehren zu vertreten: Aquaviva an Scheiner, 13.12.1614: ARSI, Epist. Gener. 1614, Germ. Sup. 4, f. 103r, zitiert nach Franz Daxecker / Lav Subaric, „Briefe der Generaloberen an den Astronomen P. Christoph Scheiner SJ,“Berichte des naturwissenschaftlich-medizinischen Vereins in Innsbruck, 89 (2002), S. 303-321, hier 304f.; Bernhard Duhr (sj), Geschichte der Jesuiten in den Ländern Deutscher Zunge in der ersten Hälfte des XVII. Jahrhunderts, 4 Bde, Freiburg i.Br.: Herderscher, 19071928, Bd II.2 (1913), S. 438. Zu Scheiners Ringen um den flüssigen Himmel: August Ziggelaar (sj), „Jesuit Astronomy north of the Alps. Four unpublished Jesuit letters, 1611-1620“, in: U. Baldini (1995) 99-132. Zu den Errungenschaften und internen Wiederständen: Corrado Dollo, „Tanquam nodi in tabula – tanquam pisces in aqua. Le Innovazioni della cosmologia nella Rosa Ursina di Christoph Scheiner”, in: U. Baldini (1995) 133-158. Zu Scheiners Leistung in größerem Kontext: Michael Weichenhan, «Ergo perit coelum…». Die Supernova des Jahres 1572 und die Überwindung der aristotelischen Kosmologie [Phil.Diss., Techn. Universität Berlin, 2004], Wiesbaden: Franz Steiner, 2004, S. 295-348. 20 Die Namen derer, die für einen flüssigen Himmel eingetreten sind, stellt Riccioli selbst zusammen, darunter sind: Tycho, Gilbert, Longomontanus, Origanus, Mästlin, Kepler, Stevin, Snellius, Galilei, Boulliau, Descartes, Gassendi, Hevelius. Daneben führt Riccioli die Jesuiten Juan de Mariana, Robert Bellarmin, Johann Baptist Cysat und Christoph Scheiner an; selbst ein Scholastiker wie Raphaël Aversa fehlt nicht; auch chinesische Mathematiker (mathematici sinenses) werden erwähnt: AN, II: 239b.

3.3. Das Fliehkraft-Argument vs. primus motus

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Erz gegossen sei, dann muss man sich bei diesem vielleicht mit derlei Scharfsinn zufrieden geben. 21 Für einen Astronomen vom Formate Ricciolis indessen hätte der Rückgriff auf ein festes Firmament eigentlich unhaltbar sein müssen. Dass Riccioli diese traditionelle Vorstellung dennoch wieder belebt, mag zeigen, wie schlagkräftig dies Argument wohl auf ihn wirken musste, zu dessen Abwehr er solch eine Hilfshypothese bemühte. Wenn sich also von einem ersten und hauptsächlichsten Argument der Copernicaner gegen den primus motus sprechen lässt, dann ist damit nicht wirklich jenes zu bezeichnen, welches Riccioli mit dem Namen Achilles verbindet, sondern allenfalls dasjenige der Fliehkraft. Denn nicht nur geht es letztlich, wie wir noch sehen werden, auf Copernicus höchstpersönlich zurück, sondern hat in der Folge entscheidend an Gewicht gewonnen: Wurden mittels der neu erfundenen Teleskope immer mehr Fixsterne entdeckt, so kamen die Astronomen nach und nach darin überein, sie wegen ihrer unübersehbaren Vielzahl in unterschiedlichen Lagen und in verschiedenen Abständen zur Erde anzusiedeln, so dass letztlich sich nur mehr ein Firmament denken ließ, das beträchtlich dicker sein musste als bisher angenommen. Diese gewachsene Zahl an Sternen aber, die dennoch alle fix zu sein schienen, stets also dieselbe Entfernung zueinander beibehielten, ließ sich noch viel weniger mit ihrer täglichen Umlaufbewegung vereinbaren, zumal selbst Geozentristen sich diese umso viel schneller vorzustellen hatten, als sie nun einen größeren Fixsternabstand annahmen als Tycho oder Ptolemaios noch. Bei seiner Verteidigung des primus motus jedoch trennt Riccioli den oftmals an konkreten Zahlen verdeutlichten Geschwindigkeitsaspekt von den gleichfalls vorgebrachten Bedenken, dass die Sterne sich bei ihrer Drehbewegung um die Erde zerstreuen müssten. Deutlich wird dieses Vorgehen daran, wie er Gassendis Ausführungen zitiert. Das Argument Gassendis, das beide Aspekte vereint – Geschwindigkeit der Sterne sowie die daraus zu folgernde Zerstreuung derselben –,22 wird von Riccioli gesondert nach beiden Gesichtspunkten behandelt: Zur einen Hälfte – (in seinem Abschnitt über das Achilles-Argument) – führt Riccioli die Rechnung (calculus) Gassendis zur velocitas fixarum an sowie dessen Bemerkungen zu dieser unvorstellbaren Geschwindigkeit, wobei er den damit verbundenen und ebendort zu findenden Zerstörungsgedanken ausblendet. 23 Auf diese Idee der Zerstörung kommt Riccioli erst an anderer Stelle zu sprechen, wo er zwar dieselbe Seite aus Gassendis De motu impresso a motore translato (1642) zitiert, dabei nun aber jeden Verweis auf konkrete Zahlenangaben Gassendis oder

21 Polacco, Anticopernicus catholicus (1644) 50 (assertio 83): „Copernicani hic [sc. bzgl. der hohen Fixstern-Geschwindigkeit] dicunt, si verum esset Caelos tam rapido motu cieri, metuendum esse, ne partes eorum tam rapida vertigine dissilirent. Sed respondendum eis procul esse a periculo, ut Coeli dissolvantur, & dispergantur, quia Coeli vitrei non sunt, sed solidissimi quasi aere fusi, ut dicit scriptura, aut ferrei, ut loqitur, Homerus, & ita a Divino opifice fabricati, ut illam, & longe fortasse maiorem rapiditatem valeant perferre.“ 22 Gassendi, Epistolae tres [1642], in GOO, III: 478-563, hier 505b-507a (epist. II, num. 7). 23 Riccioli (AN, II: 321ab) zitiert Gassendi (GOO, III: 506b-507a); nach Ricciolis eigener Ausgabe von Gassendis Werk ist dies Seite 111.

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3. Der primus motus

die zu errechnenden Geschwindigkeiten weglässt.24 Dadurch nimmt Riccioli allerdings dem gegen den primus motus vorgebrachten Argument des Auseinanderfliegens den Nachdruck, den es vor allem durch die errechenbaren Geschwindigkeiten erhält, mit denen die Sterne, sollte es den primus motus wirklich geben, ihre Drehbewegung beschreiben müssten. Inwieweit trotz dieser gewählten Darstellung die beiden Gesichtspunkte gedanklich auch für Riccioli zusammenhingen und sich darstellten als zwei Seiten ein und desselben Einwands, mag das jeweilige Fazit verraten, das er zu Geschwindigkeit und Fliehkraft abgegeben hat. Denn wiederum verweist er bezüglich des drohenden Auseinanderfliegens auf Gottes Allmacht, die derlei trotz der hohen Umlaufgeschwindigkeit verhindert, wobei er wie zuvor schon beim Achilles-Argument betont, dass es sich um dieselbe Allmacht handele, welche die Copernicaner gleichfalls bemühten, um ihren unvorstellbar großen Fixsternraum glaubhaft zu machen. 25 Indem Riccioli jenen Einwand gegen die allzu hohe Geschwindigkeit des primus motus bloß einzeln als ein eigenständiges Argument der Copernicaner („Achilles-Argument“) präsentiert, vermeidet er mit seiner Darstellung ganz konkret, dass die von ihm nicht weiter betonte Idee der Fliehkraft sich mit quantitativen Werten über die sie erzeugende Bewegung verbinden kann. Freilich sind bisweilen die Umlaufgeschwindigkeiten der Fixsterne für sich allein gegen den primus motus ganz im Sinne von Ricciolis copernicanischem Achill vorgebracht worden, wie wir bei Mästlin und Kepler gesehen haben und auch später noch. 26 Aber erst durch die gedankliche Verbindung mit der Fliehkraft wird daraus jenes viel stärkere von den Gegnern der Geostatik angeführte Argument, welches ursprünglich Copernicus mit dem Namen des bis dahin größten Astronomen vorgebracht und verknüpft hatte, dessen Weltbild die letzten tausend Jahre dominierte: Klaudios Ptolemaios. Copernicus wird in diesem Zusammenhang aber weder unter dem Gesichtspunkt der Geschwindigkeit noch unter demjenigen der Zerstörung von Riccioli je erwähnt, wiewohl er die berühmte Stelle aus De Revolutionibus (1543) besser kannte als manch ein Anhänger desselben.27 Wie verfährt Kircher nun aber in der Ekstatischen Reise mit seinen Angaben zu den Fixstern-Geschwindigkeiten, die vor diesem Hintergrund sich gerade für 24 Riccioli (AN, II: 319a) zitiert Gassendi (GOO, III: 507a); in Ricciolis eigener Ausgabe von Gassendis Werk findet sich diese Stelle wiederum auf Seite 111. 25 Riccioli, AN, II: 319ab (Zerstörung) und 322a (Geschwindigkeit). 26 Die Geschwindigkeit als eigenes Argument (ohne Aspekt der Zerstörung) führt Peter Megerlin (1623-1686) gegen das geostatische Modell an („insana rapiditas“), wobei er sich auf Ch. Longomontanus, David Origanus und Antonius Deusing (1612-1666) beruft: Megerlin, Systema Mundi copernicanum, Amsterdam: H. Wetstenius, 1682, S. 51-52: „Decimum, a celeritate motus“), hier 52. Megerlin benutzt nicht die Bezeichnung ‘Achill’; der von ihm angeführte Longomontanus wird von Riccioli ausgiebig für das Argument der Zerstörung wörtlich zitiert (AN, II: 318b), dagegen für den Aspekt der Geschwindigkeit nur flüchtig ohne Marginalie in einem einzigen Satz kurz erwähnt (AN, II: 321a). 27 Auf die wandlungsvolle und folgenreiche Geschichte des copernicanischen Ptolemaios-Arguments kommen wir noch zurück (S. 132 ff.). Riccioli jedenfalls zitiert die entsprechende Stelle aus Copernicus (De revolutionibus, lib. 1, cap. 7) durchaus kritisch, indem er sie derjenigen aus Ptolemaios selbst (Almagestum, lib. 1, cap. 7) gegenüberstellt: AN, I: 433a.

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ihn als denkbar brisant erweisen müssen? Ist bei ihm doch gänzlich alles verschwunden, was entfernt nur an ein festes Firmament erinnern könnte. Dass dagegen der gesamte Raum von der Erde bis zum Empyreum nur von flüssigem Äther nebst den darin schwebenden Himmelskörpern erfüllt sei, dies formuliert Kircher sogar als die erste seiner vier Thesen über den Kosmos, auf deren Richtigkeit er einleitend sein Werk stützt.28 Zudem –was seine weiteren Thesen sind, für die er sich auf Riccioli und Scheiner beruft – unterliege im Universum gänzlich alles den Gesetzen natürlicher Veränderlichkeit (leges alterationis)29 und alles darin bestehe ausschließlich aus den vier bekannten Elementen30. Die Annahme einer Quintessenz dagegen tut Kircher geradezu als Hirngespinst ab.31 Dementsprechend bildet in der Ekstatischen Reise der Bereich der Fixsterne keine Grenze und nichts Festes mehr. Enttäuscht in der Erwartung, jene kristalline Sphäre zu erblicken, wird Theodidactus auch noch von seinem Führer dafür verspottet.32 Sich von der Vorstellung eines festen Firmaments zu trennen, bedeutet jedoch nicht, sich für ein bestimmtes Weltbild zu entscheiden. Die Fixsternsphäre wurde bezüglich ihrer Existenz, Beschaffenheit und Ausdehnung von Copernicanern nicht weniger unterschiedlich bewertet als von Vertretern eines geozentrischen Systems mit ruhender oder rotierender Erde.33 Bisher haben wir gesehen, dass Kircher für seine velocitas astrorum die falschen Zahlen zitiert. Es sind solche, die den tatsächlichen Dimensionen seines literarisch explorierten Kosmos nicht entsprechen. Seine recht gewagte Darstellung zumindest konnten ebendiese falschen Zahlen absichern. Als katholischer Astronom und Autor blieb er damit ebenso unangreifbar, wie es die von Riccioli verbürgten Geschwindigkeitswerte sein mussten. Überdies aber, wie wir gleichfalls sehen konnten, scheint Kircher es nicht einmal darauf anzukommen, dass 28 „Primum est, In caelesti Mundo, si siderum corpora excipias, nullam praeterea soliditatem admitti aut posse aut debere, atque adeo coelum totum ab aëris regione suprema usque ad coelum empyreum, liqidum & aethereum esse.“: Itin., 9; It., 40. Zu Kirchers vier Grundannahmen über die Welt: siehe oben S. 57. 29 „Secundum est, nullum esse corpus in natura rerum, quod alterationibus & corruptionibus quo ad partem non sit obnoxium, atque adeo omnia siderum globosa corpora ex naturae quadam necessitate hisce alterationis legibus, utpote sine quibus consistere non possint, subiecta esse, coelumque adeo cum universis corporibus suis corruptibile esse.“: Itin., 9; It. 40. 30 Doch je nach Mischungsverhältnis ergeben die vier Elemente unterschiedliche Eigenschaften: „Tertium, Omnia siderea Mundi corpora ex quatuor elementorum mixtura modo ipsis congruo non secus ac terram, composita esse, diversis tantum proprietatibus qualitatibusque, uti etiam singula suis proprijs centris a supremo Mundi Opifice instructa fuisse.“: Itin. 9; It. 40. 31 „Certe solum Aristotelem primum inter omnes praeteritorum seculorum philosophos fuisse, qui coeli soliditatem adstruxerit, mundum intricatis orbium involucris confuderit, quintam essentiam nullo intellectu conceptibilem introduxerit, Scheinerus, Mersennus, aliique fuse probant; “: Itin. 11; It. 41. 32 Itin., 258-259; It., 340-341. „Cosmiel. Mi Theodidacte; iam vere video, te nimis simplicis ingenij esse, & ad quorumvis sententias amplexandas plus aequo creduli: sphaera illa chrystallina, quam quaeris, in rerum natura non reperitur; [… ]“: Itin., 258; It., 341. Für die Flüssigkeit des Himmels verweist Cosmiel auf die Bedeutung des biblischen ‘rakia’: Itin. 273-274; It. 354-355; zu diesem traditionell als firmamentum übersetzten Begriff, s. Anm. oben S. 107. 33 M.-P. Lerner (1996-1997) II: 100-135.

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seine quantitativen Angaben in sich stimmig wären. Vielleicht wollte er seinen Lesern die richtigen Zahlen indes lieber gar nicht erst zumuten. Denn im wahrsten Sinne astronomisch geraten die Umlaufgeschwindigkeiten, die sich aus einem Universum ergeben, das, wie Kircher es schildert, schier endlos ausgedehnt dennoch ein Zentrum besitzen soll, indem alle Himmelskörper um die Erde kreisen. In demselben Kapitel über die velocitas astrorum versichert Cosmiel seinem Schüler Theodidactus sogar, dass selbst hundert und hundertmal tiefer im Raum die Sterne noch kein Ende fänden. 34 Somit sind Kirchers Angaben zur FixsternGeschwindigkeit, nicht nur von Anfang an zu klein. Aus der Annahme einer ruhenden Erde ist letztlich zu folgern, dass die hundert und hundertmal weiter entfernten Sterne sich auch hundert und hundertmal schneller um die Erde drehen müssten, um ihren Umlauf in vierundzwanzig Stunden zu vollenden. An dieser Stelle muss man sich fragen, ob Kirchers Annahme einer ruhenden Erde nicht lediglich bloßes Lippenbekenntnis ist. Soll dieser unermesslich sternerfüllte Raum, den Kircher uns vor Augen führt, nicht vielmehr jene Fixsternbewegung selbst und mit ihr die absolute Ruhestellung der Erde ad absurdum führen? Vielleicht mag man einwenden, dass Kircher womöglich sich selbst nicht ganz im Klaren gewesen sein könnte, mit welchen Geschwindigkeiten er es letztlich in einem derart ausgedehnten Fixsternraum zu tun bekäme. Doch, wie sich im Folgenden bestätigen wird, verbietet sich der allzu gern genommene Rekurs auf Kirchers viel zitierte Naivität.35 34 „Cosmiel. Scias etiamsi centies & centies altius te proveherem, huiusmodi tamen astrorum te nec numerum nec finem visurum.“: Itin. 351; It. 412. 35 Naivität lässt sich Kircher freilich nicht absprechen (wie z.B. bei seiner ‘Kreisquadratur’, s. unten Anm., S. 131). Bisweilen allerdings fällt es schwer, zwischen Fällen tatsächlicher Naivität und einer nur scheinbaren zu unterscheiden, was diese viel bemühte Eigenschaft Kirchers zu einem eigenen Thema machen würde. Zumindest ist Vorsicht geboten, weil sich Kircher letztlich als weniger naiv als unsere eigene Lesart herausstellen könnte. So bedienen das Klischee vom naiven Kircher viele oft nur unbesehen wiederholte Einschätzungen zu seinem Mundus subterraneus : Kircher sei nicht für die organische Fossilisation eingetreten und habe noch an die Existenz von Riesen und Einhörnern geglaubt. Aus den entsprechenden Seiten von Kirchers Werk ergibt sich allerdings das gerade Gegenteil (worauf bei Fossilisation und Einhorn sogar schon die dort zu findenden Abbildungen hinweisen): Mundus subterraneus (³1678) II: 41b-42b (lib. 8, sec. 1, cap. 9: Modus secundus –organische Fossilisation), II: 56a63a (lib. 8, sec. 2, cap. 4: Riesen), II: 65a-68b (lib. 8, sec. 2, cap. 5: Einhorn). In der neueren Literatur hat wohl erstmals wieder François Ellenberger auf Kirchers organische Fossilisationstheorie aufmerksam gemacht; zu Kircher selbst meint er hierbei: „un esprit complexe, ne rejetant jamais rien a priori, habile homme, naïf peut-être seulement en apparence.“: Histoire de la géologie, 2 Bde, Paris, 1988-1994, Bd II, S. 74-76, hier S. 74. Allerdings war bereits 1938 bei Frank D. Adams in seinem vielfach neu aufgelegten Buch The Birth and Development of the Geological Sciences ([1938], New York: Dover, 1990, S. 255) von Kirchers organischer Fossilisation zu lesen, wie ebenso auch bei Alfred Rupert Hall (Die Geburt der naturwissenschaftlichen Methode 1630-1720 von Galilei bis Newton, übers. von Th. A. Knust, Gütersloh: Sigbert Mohn, 1965, S. 220-221), was in der Folge jedoch bis heute der naiven Lesart keinen Abbruch tat. Umgekehrt hatte Kircher die sogenannten Knochensteine sowie die Chiriten (‘Handsteine’) nicht für versteinerte Knochen (von Riesen, etc.) also nicht für organische Fossilien, gehalten: Mundus subterraneus (³1678) II: 63b-65b (lib. 8, sec. 2, cap. 4); für diese Richtigstellung: Martin Okrusch / Klaus-Peter Kelber: „Erkenntnisse –Phantasien –Visionen.

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Wie wir gesehen haben, ist es unzutreffend, was Kircher seine Leser quantitativ und explizit über die Momentangeschwindigkeit wissen lässt, mit welcher die Himmelskörper vier Fixsternabstände von der Erde entfernt sich um ihr unsichtbares Zentrum drehen. Was allerdings den entscheidenden und heiklen Punkt betrifft – die Maximalgeschwindigkeit, mit welcher die fernsten Sterne ihren vierundzwanzigstündigen Erdumlauf absolvieren müssen –, scheut Kircher sich hingegen nicht vor einer Aussage: Cosmiel: [… ] du darfst glauben, dass die am weitesten entfernten Weltkörper von so großer Geschwindigkeit sind, dass sie in einer einzigen Minute eine so große Strecke zurücklegen, wie sie von Sonne, Mars, Jupiter oder Saturn in 24 Stunden durchlaufen wird.36

Aus dieser Angabe lässt sich die Geschwindigkeit errechnen, mit welcher die entferntesten (ultima mundi corpora) und somit schnellsten Sterne im Kircherschen Kosmos die Erde umrunden müssen. Die Bandbreite der von Kircher gegebenen Vergleichsgrößen ist allerdings ein wenig großzügig gewählt. Denn für das Ergebnis ist es schließlich nicht ganz unerheblich, ob in einer Minute nun die Sonnenbahn oder etwa die Saturnbahn durchlaufen wird. An letztere jedenfalls muss man sich halten, um die Maximalgeschwindigkeit der fernsten Sterne zu ermitteln. Die Distanz zum Saturn hatte Kircher schon früher angegeben. 37 Aus dessen Kreisbahn ergibt sich für jene letzten Körper in Kirchers Kosmos eine Geschwindigkeit von 623.629 rt pro Minute, um ein Mal in 24 Stunden die Erde zu umkreisen.38 Zum Vergleich: Auf die Sonnenbahn gesetzt bräuchten diese schnellsten Sterne, um die Erde zu umlaufen, nur wenig mehr als eine Sekunde.39

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Athanasius Kirchers geologisches Weltbild im Lichte heutiger Anschauungen“, in: Horst Beinlich (2002a) 131-160, hier S.146-147. Bezüglich Kirchers vermeintlicher Naivität ist es in Sachen Einhorn besonders aufschlussreich zu verfolgen, auf welchen Windungen er aus dem unglücklichen Umstand findet, dass Einhörner in der Bibel erwähnt sind, um mit seiner Argumentation dahin zu gelangen, dass es in nachbiblischer Zeit keine Einhörner mehr gegeben haben könne und dass somit die überall in den Schatz- und Wunderkammern Europas als Kostbarkeiten ausgestellten Einhorn-Hörner allesamt falsch seien und sehr wahrscheinlich von einer Art Schwertfisch stammten: Mundus subterraneus (³1678) II: 65a-68b. Itin., 345-346: „[Cosmiel… ] ultima mundi corpora tantae velocitatis esse existimes, ut uno minuto temporis tantum conficiant spacium, quantum Sol, Mars, Iuppiter, aut Saturnus spacio 24 horarum peragunt; [… ].“; It., 406-407. Cosmiel nennt 99.304 rt als Entfernung vom Saturn; der Geozentrist Kircher muss hierbei die Entfernung zur Erde meinen; es dürfte sich wie bei Kirchers Angaben zum Mars und Jupiter hierbei um die maximale Entfernung handeln: Itin., 253; It., 327; zu dieser eigentlich von Rheita stammenden Angabe siehe weiter oben Anm., S. 70. Gerechnet mit Kirchers Angaben und nach der von Schott angegebenen Methode von Riccioli folgt: vFix pro Minute: USat = vSat/24h = 99.304·2·314:100 = 623.629,12 rt. Man vergleiche hierzu die von Riccioli angegebene Fixstern-Geschwindigkeit (9.158 1/3 rt/min; siehe oben), die ohnehin schon um den Faktor zehn zu hoch berechnet ist. Bei gleicher Geschwindigkeit (d.h. 10.393,8 rt/s) würde dieser Körper die Sonnenbahn (USo = 12.560 rt bei rESo = 2.000 rt, s. für diesen Wert oben S. 71 f.) in nur 1,2 s durchlaufen.

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3. Der primus motus

In der Ekstatischen Reise wird wiederholt betont, dass sich gewiss niemand derartige Geschwindigkeiten vorstellen kann. 40 Unvorstellbar wie sie sind, verraten sie dennoch, ob Kircher sich im Klaren gewesen sein dürfte, von welchen Geschwindigkeiten er da spricht. Denn dann müssten diese zumindest in die Größenverhältnisse des von ihm beschriebenen Kosmos passen. Nun lässt sich aus der von Kircher angegebenen Maximalgeschwindigkeit der allerletzten Körper ihre Entfernung zur Erde berechnen. Demnach beträgt die maximale Ausdehnung des stellaren Raumes – es heißt ja ultima mundi corpora – annähernd 143 Millionen Erdradien. 41 Aussagekräftig wird diese Zahl erst, wenn man sie in Fixsternabständen ausdrückt, welches Verhältnis Kircher selbst zu einer Art astronomischen Einheit für seine Entfernungsangaben macht. Wie wir weiter oben bereits gesehen haben, ergibt sich aus der einzigen quantitativen Angabe, die Kircher hierüber macht, ein Abstand von 200.000 rt zu den ersten Sternen (vgl. Ricciolis 210.000 rt). Folglich erstreckt sich Kirchers stellarer Raum in eine Tiefe, die etwa dem 715fachen des Abstandes zwischen Erde und den ersten Fixsternen entspricht.42 Aus Cosmiels Munde hatten wir gehört, dass hundert und hundertmal tiefer im Raum es noch Sterne gebe. 43 Dies war zu einem Zeitpunkt, als die beiden Reisenden sich vier Fixsternabstände von der Erde entfernt befanden. 44 Eine Tiefe von vierhundert Fixsternabständen ist folglich vereinbar mit der Maximalausdehnung des stellaren Raumes, wie sie sich aus der Geschwindigkeit der ultima mundi corpora errechnet. Umgekehrt sind, wie ebenso aus Kirchers Entfernungsangabe zu fordern ist, die hundertmal weiter entfernten Sterne auch tatsächlich hundertmal schneller. Völlig jedoch reicht die angegebene Maximalgeschwindigkeit nicht aus. Kircher ist streng genommen nicht konsequent genug, als dass man in seiner Formulierung „hundert und hundertmal tiefer“ auch das zweite „hundert“noch ganz wörtlich nehmen könnte, da daraus eine Ausdehnung von insgesamt achthundert Fixsternabständen zu fordern wäre. Andererseits ist sich Kircher offensichtlich im Klaren gewesen, zu welch hohen Umlaufgeschwindigkeiten ein Raum führt, der mehrere hundert Fixsternabstände tief ist. Der Kirchersche Kosmos erfüllt die Forderungen, die sich aus der Annahme einer ruhenden Erde ergeben. Die Ausmaße seines Universums scheinen nicht weniger bewusst gewählt als die Bahngeschwindigkeiten der Sterne, die jede Vorstellung sprengend daraus resultieren. Naivität scheidet somit aus, um zu erklären, warum Kircher seinen Kosmos einer solchen Zerreißprobe aussetzt, bei der er sehr wohl wusste, dass er die Geostatik damit dem copernicanischen Fliehkraft-Argument preisgab.45 40 Itin., 339, 340, 341, 347; It., 403, 404, 408. 41 Die Umlaufbahn dieser letzten Sterne beträgt: vFix/24h = UFix = 623.629,12 rt / min · 60 min/ h · 24 h = 898.025.932,8 rt. Aus dem Umfang der Kreisbahn ergibt sich für den Radius und damit für die Distanz der fernsten Fixsterne: rFix = UFix : 2 : 3,14 = 142.997.760 rt. 42 Aus Kirchers offiziellem Fixsternabstand (dEF) von 200.000 rt ergibt sich als maximale Ausdehnung des stellaren Raums in Fixsternabständen: 142.997.760 rt : 200.000 rt = 714,99 dEF. 43 Itin., 351; It., 412; Stelle oben S. 120 (Anm. 34) zitiert. 44 Itin., 339; It., 402; Stelle oben S. 108 (Anm. 17) zitiert. 45 Cosmiel erwähnt Fliehkraft als Einwand gegen den primus motus: [… ]; sed timent forte ne nimia motus violentia corpora dissipentur [… ]“: Itin. 341; It. 404: bei Schott ein eigener Satz.

3.4. KIRCHERS LÖSUNG FÜR DEN PRIMUS MOTUS Dass die in der Ekstatischen Reise so eindringlich geschilderte immensitas Mundi und die daraus resultierende Umlaufgeschwindigkeit der Sterne letztlich darauf abzielen könnten, die absolute Ruhestellung der Erde ad absurdum zu führen, ist ein nicht ganz abwegiger Gedanke. Zu diesem Schluss müsste man fast auch kommen, hätte Kircher der aberwitzigen Höhe jener Geschwindigkeiten nichts weiter als Gottes Allmacht entgegenzusetzen. Gestützt jedoch auf eine Reihe von Gedankenexperimenten entwickelt Kircher über vier Seiten hinweg eine Lösung für diese incomprehensibilis velocitas astrorum.1 Darin will er die überschnelle Umlaufbewegung der Sterne relativieren, indem er versucht, eine zwischen wirklicher und erlebter Geschwindigkeit bestehende Diskrepanz aufzuzeigen. So unvorstellbar schnell die Sternbewegung auch sein mag, in unserer Sinneswahrnehmung bleibe sie fassbar: Jene entgehe ihr nicht – „sensum non fugit“, bestätigt Cosmiel dem verdutzten Theodidactus und verdeutlicht dies am Beispiel der Kreisbewegung. 2 Wenn man zwei verschieden große mit einem Punkt markierte Spielräder (trochus) gleich stark antreibe, so könne man auf dem kleineren Reifen nur mehr einen Ring anstelle des Punktes erkennen, während auf dem erheblich größeren noch deutlich ein umlaufender Punkt zu verfolgen sei.3 Der Grund hierfür liege in dem unterschiedlich großen Umlauf: Je größer dieser sei, desto deutlicher ließe sich der Punkt wahrnehmen. 4 Dass dies ebenso zutrifft, wenn die auf verschieden großen Kreisbahnen laufenden Punkte mit derselben Kreisfrequenz rotieren, verdeutlicht Cosmiel an einem weiteren Gedankenexperiment: Auf einem einzigen überdimensionalen Spielrad, das so groß wäre wie die Kuppel von Sankt Peter, sei an zwei unterschiedlich weit zur Drehachse entfernten Punkten dasselbe Phänomen zu beobachten: Während der weiter innen liegende Punkt bereits zu einem Ring verschwommen sei, könne man den weiter außen liegenden noch deutlich auf seiner Umlaufbewegung verfolgen. Aus diesen Anschauungsbeispielen leitet Kircher eine allgemeine Beziehung zwischen der Wahrnehmbarkeit einer Kreisbewegung und der Größe der Kreisbahn her. Dass die so gewonnene Erkenntnis aber auch für den primus motus der 1 2 3

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Itin., 344-347; It., 406-409. Itin., 344; Iter, 406. Der hierfür von Kircher verwendete Ausdruck „uterque [sc. trochus] aequali impetu gyretur“ (Itin. 344; It. 406) dürfte sich als Drehimpuls auffassen lassen. Wegen der von Kircher betonten unterschiedlichen Größe der Spielräder ist auch von unterschiedlichen Trägheitsmomenten auszugehen. Jener gleich große Impuls führt aber dann dazu, dass die beiden Reifen sich unterschiedlich schnell drehen. Auf das scholastische Konzept des impetus ist hier nicht einzugehen. Es sei nur erwähnt, dass Kircher genauso wie andere Jesuiten, z.B. Honoré Fabri, die mittelalterliche Impetus-Theorie in abgewandelter Form wieder aufgegriffen hat, was im Mundus subterraneus (1665, 21-22: lib. 1, sec. 2, cap. 1) einleitend in seiner Auseinandersetzung mit Galileis Bewegungsgesetzen deutlich wird: C. Ziller Camenietzki (1995a) 288; zur Impetus-Theorie: Alexandre Koyré, Études Galiléennes, Paris: Hermann, 1966, S. 93-95; Anneliese Maier: Zwei Grundprobleme der scholastischen Naturphilosophie: Das Problem der intensiven Grösse, die Impetustheorie, Rom: Edizioni di storia e letteratura, 1968. Itin., 344; It., 406-407.

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3. Der primus motus

Fixsterne gelte, könne Theodidactus an dieser Stelle des stellaren Raumes selbst sehen: Cosmiel: [… ] Wenngleich das Auge nämlich in dieser Höhe des Himmels eine für sich genommen und ihrem Wesen nach überaus schnelle Bewegung sieht, bewirkt der Umfang der Kreisbahn dennoch, dass es diese für den menschlichen Verstand unfassbare Bewegungsgeschwindigkeit nicht wahrnimmt. 5

Obwohl unserem Auge sich also eine überschnelle Bewegung darbiete, bewirke die Größe der Umlaufbahn, dass die für unseren Verstand unvorstellbare Geschwindigkeit dabei gar nicht bemerkt werde. Das Zwischenfazit des Kircherschen Lösungsversuch mag daher lauten: Kreisbewegungen lassen sich umso besser wahrnehmen, je weiter der rotierende Körper vom Kreismittelpunkt entfernt ist. Kircher unterschlägt hier natürlich, dass dies nur auf einen Betrachter in ausreichender Distanz zur Umlaufbahn zutrifft. Ein größerer Bahnumfang bewirkt nicht von selbst die bessere Wahrnehmbarkeit einer schnellen Drehbewegung, sondern bestimmt deren Geschwindigkeit. Für einen Betrachter aber können sich jene unvorstellbar hohen Geschwindigkeiten nur relativieren und gleichsam unbemerkt bleiben, wenn ein entsprechend großer Bahnabschnitt überblickt wird. Ein Betrachter dagegen, der auf Höhe eines solchen Sterns in unmittelbarer Bahnnähe schwebte, würde dessen Geschwindigkeit auch als ebenso unvorstellbar schnell erleben. In diesem ersten Abschnitt seines Lösungsweges stellt Kircher die Wahrnehmung in den Vordergrund, die wir unterschiedlich deutlich von Kreisbewegungen haben. In einem zweiten Schritt nun bezieht er den Unterschied in den Geschwindigkeiten dieser Bewegung mit ein. Wiederum an einem, wie er sagt, vertrauten Beispiel (exemplum familiare) will er zunächst zeigen, dass eine Bewegung langsamer erscheinen kann als sie tatsächlich ist: Ein Elefant oder Riese (gygas) mache langsame Schritte und dennoch bewege er sich mit hoher Geschwindigkeit fort; da in seine Schrittlänge viele Menschenschritte passten, könne kaum ein Mensch mithalten.6 Wie vertraut seinen Lesern diese Erfahrung auch immer gewesen sein mag, sie veranschaulicht zumindest, dass bei gleicher Bewegungsart eine höhere Geschwindigkeit nicht unbedingt wahrgenommen werden muss. Wieder auf die kosmischen Verhältnisse zurückkommend, erinnert Cosmiel seinen Begleiter an jenen Stern, den sie kurz zuvor noch an sich vorbeifliegen sahen und dies mit einer Geschwindigkeit, die ihn in einer Minute eine Strecke

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Itin., 345: „[Cosmiel. … ] oculus enim in hoc aethere fixus, etiamsi motum ex se & natura sua velocissimum videat, amplitudo tamen circumferentiae facit, ut motus velocitatem humano ingenio inconceptibilem non notet.“; It., 407. Itin., 345; It., 407. Um den primus motus als eine ganz natürlich schnelle Bewegung zu veranschaulichen, war auch schon Polacco auf solch einen Riesen zu sprechen gekommen: Anticopernicus catholicus,1644, S. 49 (assertio 82), 50 (assertio 83); dabei zitiert er aus Psalm 18,6 (in sole posuit tabernaculum suum et ipse tamquam sponsus procedens de thalamo suo exultavit ut gigans ad currendam viam suam) folgende Worte „Exultavit ut Gigas ad currendam viam,“ (ebd. 49), welcher Ausschnitt ebenso und in gleichem Zusammenhang wieder von Riccioli (AN, II: 322a) zitiert wird.

3.4. Kirchers Lösung

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zurücklegen ließ, die um vieles größer war als die zwischen Erde und Mond. 7 An derselben Stelle hatten beide gleichfalls die Erfahrung gemacht, dass sich die stellaren Umrunder der Erde immer noch deutlich sehen und auf ihrer Flugbahn verfolgen ließen: „Sensum non fugit“hieß es hierzu, was ja einleitend das Stichwort zu Kirchers Lösungsweg lieferte. Am Beispiel des erwähnten Sterns vollührt Cosmiel ein weiteres Gedankenexperiment: Theodidactus solle sich vorstellen, jener Himmelskörper würde mit der soeben erlebten Geschwindigkeit in einem Abstand wie der Mond die Erde umrunden; vor unseren Augen fiele er dann mit seiner Bahnbewegung zusammen und zu sehen bliebe nur ein ringförmiger Streif, zu welchem der Körper mit seiner Bewegung zusammenfließe.8 An dieser Stelle sei erinnert, dass die Umlaufbewegung, bei der sich alle Sterne in vierundzwanzig Stunden ein Mal um die Erde drehen, eine gleichförmige Kreisbewegung ist. Folglich müssen sich die von ihrer Drehachse weiter entfernten Körper entsprechend ihrer größeren Kreisbahn mit einer höheren Geschwindigkeit bewegen als die dem Mittelpunkt näheren Körper.9 Was Kircher somit bezüglich der unterschiedlichen Bahngeschwindigkeiten präsentiert, ist alles andere als eine neue Erkenntnis und am wenigsten für die Leser der Ekstatischen Reise. Schließlich bildete diese Gesetzmäßigkeit schon bisher die Grundlage für Kirchers Ausführungen zur velocitas astrorum. Indes soll Cosmiels Gedankenexperiment wie schon das exemplum familiare demonstrieren, dass Bewegung schneller sein kann als sie scheint. Einen Stern mit jeweils derselben Winkelgeschwindigkeit würden wir auf einer engen Umlaufbahn als viel schneller wahrnehmen als auf einer weiten. Für sich allein genommen heißt dies wiederum: Dieselbe Kreisbewegung ist auf den äußeren Bahnen viel schneller. Man könnte meinen, Kircher habe begonnen, sich selbst ein wenig im Kreis zu drehen. Waren doch unterschiedliche Bahngeschwindigkeiten auch schon, wenngleich nicht eigens thematisiert, auf jenem kuppelgroßen Spielrad zu beobachten. Der weiter außen gelegene Punkt legt in gleichen Zeitabschnitten einen größeren Kreisbogen zurück als der weiter innen gelegene. Damit ist der äußere Punkt aber nicht nur derjenige, den wir leichter und deutlicher (facilius & distinctius) auf seiner Bewegung um die Drehachse verfolgen können. Er ist zugleich auch der schnellere. Genau diese entscheidende Bemerkung aber hält Kir7

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Itin., 345; It., 407. Genau gesagt beträgt die von Kircher hier angegebene Geschwindigkeit „7915880“deutsche Meilen pro Minute und geht auf Riccioli zurück; Kirchers Umrechnung in deutsche Meilen wird von Schott im darauf folgenden ‘Scholium II.’als fehlerhaft angemerkt: siehe oben); Cosmiel erinnert hierbei („dictus stellae motus“) an folgende Textstelle: Itin., 343-344 (It., 406), wo er die Geschwindigkeit mit der Entfernung zum Mond vergleicht. „[Cosmiel:… ] Hinc colliges, si dictus stellae motus, quo uno minuto temporis 7915880 milliaria germanica conficit, in Lunae circulum coarctaretur, necessario futurum, ut velocitas motus adeo velox astrum sub forma circuli exhiberet, motusque eius tibi haud secus ac stella in circulum cadens videretur.“: Itin., 345; It., 407. Die Geschwindigkeit der schnellsten Sterne sei sogar so hoch, dass, sollte ein solcher auf der Sonnenbahn die Erde umrunden, von ihm nicht mehr als von einem Stück glühenden Eisens zu sehen wäre, das man im Kreise schleudert: Itin., 346; It., 408. Anders gesagt, die konstante Kreisfrequenz bzw. Winkelgeschwindigkeit ( ) führt mit wachsendem Abstand (r) zum Drehpunkt zu einer höheren Bahngeschwindigkeit (vB = ·r).

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3. Der primus motus

cher an jener Stelle noch zurück. Seine darauf folgenden Ausführungen über die Kreisbewegung sind für sich genommen trivial und dienen lediglich als Vorbereitung. Denn erst beide Abschnitte zusammen ergeben, dass auf einem rotierenden Rad gerade die Punkte mit höherer Bahngeschwindigkeit es sind, die einem langsamer vorkommen. Erkenntnis und Wahrnehmung decken sich somit nicht, stehen im Widerspruch zueinander. Auf diese paradoxe Feststellung wollte Kircher hinaus. Sie formuliert er in seiner Conclusio als eine gleichsam naturgesetzliche Proportionalität, die gültig ist für die Kreisbewegung aller Weltkörper: Cosmiel : [… ] Also stellt sich ein wahrhaft wunderbares Geschwindigkeitsverhältnis unter den Weltkörpern ein: Je nachdem die Kreisbahn, die sie durchlaufen, größer und kleiner ist, desto schneller werden sie an und für sich, desto langsamer aber fürs Auge bewegt. Dabei sind alle jedoch genau daraufhin angepasst, dass sie im Zeitraum von 24 Stunden ihre jeweilige Umlaufbewegung gänzlich vollenden. 10

Kircher setzt den kreisbahnbedingten Geschwindigkeitsunterschied in Relation zu dem wahrnehmungsbedingten. Dabei gilt: Je schneller die tatsächliche Bahngeschwindigkeit, desto langsamer sehen wir den Körper sich bewegen. Demnach verhalten sich die an der Kreisbewegung eines Körpers wahrgenommene Geschwindigkeit und dessen tatsächliche Geschwindigkeit gerade umgekehrt. Dieses umgekehrte Verhältnis ist das Ergebnis des bisher Gesagten und das daran anschließende Anschauungsbeispiel verdeutlicht dies zusammenfassend: So mag der äußere Umfang eines Mühlrades zwanzigmal größer sein als sein innerer, eine zwanzigmal größere Strecke bei jeder Umdrehung des Rades zurücklegen, sich also zwanzigmal schneller bewegen; für uns als Betrachter scheint dennoch der äußere Bereich des Mühlrades sich langsamer, der innere sich schneller zu drehen. 11 Freilich kann uns ein Körper trotz seiner hohen Geschwindigkeit, bloß weil er aus der Distanz betrachtet wird, langsam vorkommen. Diese Einschränkung macht Kircher noch in einem allerletzten Beispiel selbst: Dass wir die große Geschwindigkeit nicht wahrnehmen, mit welcher der Storch hoch oben in dünner Luft fliege, und vermeinen, er fliege oben am Himmel langsamer als in Bodennähe, bewirkt allein unsere Entfernung zu ihm. 12 Mit seinem umgekehrten Geschwindigkeitsverhältnis meint Kircher folglich nicht eine durch die Distanz des Beobachters bedingte Diskrepanz zwischen augenscheinlicher und wirklicher Schnelligkeit. Dieses Missverhältnis würde in ungleich größerem Maße ja ohnehin schon auf die Sterne zutreffen – und Kirchers Leser wissen mittlerweile, wie viel schneller sich diese bewegen als von der Erde aus gesehen davon zu erahnen 10 Itin., 346: „[Cosmiel:… ] Elucet itaque mira quaedam corporum mundanorum velocitatis proportio, ut quanto circulus, quem conficiunt, maior & minor est, tanto velocius quoad se, tardius vero quoad oculos moveatur [sic], omnia tamen ita adaptata, ut 24 horarum spacio integram periodum suam conficiant: [… ]“; It., 408. Schott korrigiert „moveatur“in „moveantur“. 11 Itin., 346; It., 408: “[… ]: haud secus in rota quadam molaria, partium extremarum circumferentiae rotae inter canthum & canthum spacium, etsi vigecuplo maius sit inferioris circumferentiae spacio inter inferiores canthorum partes contento, illud tamen tardius, hoc velocius moveri videbitur, non obstante quod illud vigecuplo, uti dixi, celerius cieatur, id est, vigecuplo maius spatium conficiat in unius circumferentiae circumvolutione.” 12 Itin., 346-7; It., 408.

3.4. Kirchers Lösung

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ist. Die mira proportio velocitatis dagegen stellt eine aus der Beobachtung gewonnene besondere Eigenschaft der Kreisbewegung dar. Wundersam mag Kircher sie nennen, weil er anders als beim Storch-Beispiel für die Divergenz von tatsächlicher und wahrgenommener Geschwindigkeit keine Erklärung anzuführen weiß. Denn – und dies ist der Unterschied zu der bloß entfernungsbedingten Geschwindigkeitstäuschung –zu allen Punkten des sich drehenden Mühlrades stehen wir in etwa gleich großem Abstand. An den verschiedenen Teilen des Mühlrads nehmen wir dennoch die nach außen hin immer größer werdende Bahngeschwindigkeit diametral als immer langsamer werdend wahr. Kirchers umgekehrtes Geschwindigkeitsverhältnis angewandt auf den vierundzwanzigstündigen Umlauf der Sterne würde demnach bedeuten, dass diese, wiewohl sie sich beliebig schnell und rechnerisch sogar unfassbar schnell bewegen, uns dennoch immer langsamer erscheinen müssten. Auf der Höhe einer solchen Umlaufbahn und frei im Äther schwebend bekäme man hiervon zwar einen anderen Eindruck, und mit der mira proportio hätte es schnell ein Ende. Warum aber sollte Kircher eine Lösung für eine andere als die geozentrische Perspektive präsentieren, zumal sie – analog zu unserem Blick auf das Mühlrad – für eine Gesamtansicht von außen quasi als göttliche Draufsicht ebenso gelten mag? Kirchers Lösung stellt sich uns wie eine Strategie dar, welche darin besteht, die unvorstellbar schnellen Umlaufbewegungen der Sterne als ganz normal erscheinen zu lassen. Je schneller die Sterne realiter seien, desto langsamer kämen sie uns vor. Die jeweilige Bahngeschwindigkeit relativiert sich nicht durch die große Entfernung aus der wir die Sterne betrachten, sondern durch eine jeder Kreisbewegung innewohnende Verhältnismäßigkeit: Je größer die Entfernung vom Kreismittelpunkt, je größer also Umlaufbahn und Bahngeschwindigkeit sind, desto langsamer erscheint die Bewegung. Durch diese hier aufgestellte Verhältnismäßigkeit betrachtet Kircher das Problem der hohen Umlaufgeschwindigkeit der Fixsterne als gelöst. Dass so viele moderne Autoren darin überhaupt noch eines sähen, kann Theodidactus schließlich nur mehr verwundern.13 Uns dagegen mag verwundern, wie Kircher die physikalische Seite dieses Problems völlig auszublenden vermag vor dem Hintergrund des Fliehkraft-Arguments. Denn die Sterne sind eben nicht mit Punkten auf einer festen Scheibe vergleichbar. Kircher selbst macht sich über die Vorstellung von einer Fixsternsphäre lustig, und einleitend zu seinem Werk formuliert er als These, dass es überhaupt nichts Festes im Weltraum gebe außer den Himmelskörpern.14 Ihre gleichförmige Kreisbewegung ist damit alles andere als unproblematisch. Denn frei im Äther schwebend müssen alle Sterne einzeln angetrieben werden. Dies allerdings mit einer ihrer Distanz zur Erde genau entsprechenden Kraft, die wiederum unterschiedlich groß je nach Beschaffenheit des Sterns sein muss, so dass alle, gleich welcher Dimension und Entfernung, letztlich mit derjenigen Geschwindigkeit ihre 13 Itin., 347; It., 408: „Theodid: Optime cepi omnia, & iam sat mirari non possum, quod multi ex modernis nescio qua temeritate in transversum acti, dum tantam fixorum siderum velocitatem comprehendere non possunt, [… ].“ 14 Itin., 258-259, 9; It., 340-341, 40. Beide Textpassagen sind weiter oben wiedergeben.

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3. Der primus motus

Umlaufbahn durchlaufen, die ihnen erlaubt, in vierundzwanzig Stunden ein Mal die Erde zu umrunden und das in alle Ewigkeit. Dies bedeutet eine ganze Menge Arbeit für die zuständigen Engel, die Intelligentiae gubernatrices, deren es hierfür obendrein noch in geraumer Zahl im Kircherschen Kosmos bedarf.15 Doch von Intelligenzien ist ausgerechnet nicht die Rede in dem besprochenen Abschnitt der Ekstatischen Reise, obwohl Cosmiel dort das Fliehkraft-Argument erwähnt.16 Zwar geht er vor diesem Einwand sogleich wieder hinter Gottes Allmacht in Deckung, auf die er bereits am Schluss des ersten Dialoges seinen Schüler verwiesen hat. Würde Kircher jedoch allein die Intelligenzien als ausreichende und für seine Leser akzeptable Erklärung betrachten, hätte er anschließend sich nicht in langen Ausführungen verstiegen, um eine Lösung des Problems zu präsentieren. Voll des Lobes über Kirchers Lösung jedenfalls ist Kaspar Schott. Als ingeniosissime und zugleich clarissime rühmt er eigens in einem halbseitigen Scholium, wie Kircher klarlege, dass die allerschnellsten Sterne dennoch unserer Wahrnehmung nicht entgingen. 17 Schott rekapituliert Kirchers Ausführungen in den wesentlichen Punkten. Abschließend hebt er dasjenige Ergebnis hervor, welches wir als Kirchers Paradoxon bezeichnet haben und worin im Grunde der Kern seiner Lösung liegt. Wie Schott festhält, ergebe sich aus dem, was Kircher an seinen Spielrädern aufzeige, dass die Sterne, je weiter entfernt sie seien, desto schneller sich bewegten und ihre Bewegung trotzdem als desto langsamer erscheine. Auf uns dagegen mag Kirchers Lösung wie bloßes Blendwerk wirken. Vergeblich suchen wir nach einer im weitesten Sinne physikalischen Begründung dafür, dass der Fixsternumlauf weniger absurd sein sollte. Stattdessen bietet Kircher wie selbstverständlich eine anthropozentrische Weltsicht, in der menschliche Wahrnehmung zum entscheidenden Kriterium wird: Der aberwitzigen Höhe der Sternengeschwindigkeiten setzt er den subjektiven Eindruck entgegen, den wir allgemein haben von Punkten, die auf Kreisbahnen laufen. Ein Eindruck, den jeder Leser auch der moderne aus eigener Erfahrung kennt und den man getrost als optische Täuschung bezeichnen dürfte, wenngleich deren Erklärung weniger trivial sein dürfte. Um diese Täuschung zu erzeugen, mag das Verhältnis von Bahnumfang zu Punktdurchmesser ebenso von Bedeutung sein wie die Trägheit 15 Wie es die jesuitische Ordinatio pro studiis superioribus (1651) vorschreibt (in: G.M. Pachtler, 1887-1894, III: 92, n°36) nennt Kircher Intelligenzien als Bewegungsprinzip (vis motrix) der Sterne: „[… ]: singuli hi globi, quorum non est numerus, singulas sibi Intelligentias gubernatrices habent, quarum officium est unumquemque iuxta situm in huius amplissmo aetherei mundi pelago a natura designatum dirigere, singulos in appropriatis circulis circa terrenum globum devolvere; [… ]“: Itin. 276; It. 356. 16 Itin. 341-342; It. 404-405: „[Cosmiel:… ] ; sed timent [sc. ‘man’] forte ne nimia motus violentia corpora dissipentur, sed illa divini Opificis nutu, sua stant mole indissolubili, Ipse enim dixit, & facta sunt, ipse mandavit; & creata sunt, ipse iussit, & mota sunt, [S. 342:] unumquodque iuxta metam sibi ab aeterna lege praescriptam, ea velocitatis proportione, quam suo veluti iure postulabat tum situs a terra, tum moles globi & circuitus conficiendi vastitas & amplitudo, quae ipsi subeunda est.“ 17 Schott in Iter, 409 (‘Scholium III.’).

3.4. Kirchers Lösung

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unserer Augen. 18 In jedem Fall aber ist für diesen subjektiven Eindruck und den Schluss, den wir daraus ziehen, unser Sehvermögen verantwortlich. Dieses lässt uns Bewegungen, je schneller sie sind, desto undeutlicher wahrnehmen, weil sie ineinander fließen und uns nur mehr ein verwischtes Bild liefern. Zu trefflich hat Kircher dieses Verschwimmen beschrieben, um nicht zu wissen, dass uns gerade hierdurch die Vorstellung von Geschwindigkeit vermittelt wird. 19 Alles andere als ahnungslos ist Kircher, was das Sehen angeht. Zwar konnte er mit seiner voluminösen Ars magna lucis (1646; 1671) die Optik selbst nicht um neue Erkenntnisse bereichern.20 Er leistete jedoch, was lange –weil wissenschaftlich noch kein 18 Die menschliche Wahrnehmung sowie die Einschätzung von Bewegung und Geschwindigkeit werden vor allem durch den sogenannten psychischen Moment bestimmt: Er ist definiert als kleinste Zeiteinheit die als Einzeldruck/-reiz erlebt werden kann. Beim Menschen beträgt der Moment eine 1/16 bis 1/18 Sekunde. Werden unsere Sehzellen von Licht getroffen, klingt ihre elektrische Erregung erst nach dieser Trägheitszeit ab. Folgt nun noch innerhalb dieses Moments ein neuer Lichtreiz überlagern sich beide und und werden zu einer Folge zusammengefasst. Werden also dem Auge mehr als 16 bis 18 Bilder pro Sekunde präsentiert verschmelzen diese aufgrund von dessen Trägheit zu einer zusammenhängenden Bewegung, die bei 18 bis 20 Bildern pro Sekunde noch als ruckartig, bei 22 bis 24 Bildern als fließend wahrgenommen wird. Diese 24 Bilder pro Sekunde sind maßgebend für die Film- und Fernsehtechnik. 19 Kircher beschreibt, wie ein solcher Punkt vor unseren Augen zu einem Ring verschwimmt: „[… ]; in ea [sc. circumferentiae exiguitas & coarctatio] enim punctum, dum vel unico ictu oculi principio suo restituatur, oculus qui ob velocitatem motus determinatum puncti locum discernere non valet, atque adeo eodem temporis momento in omnibus & singulis circumferentiae punctis veluti ubique esse videatur, sub forma circuli eum spectari necesse est;“: Itin., 344 (Hervorhebung nachträglich); It., 406-407. 20 Diese Einschätzung wurde die letzten zwei Jahrhunderte hindurch geteilt: Joseph Priestley: History and Present State of Discoveries relating to Vision, Light and Colors, London: Johnson, 1772, S. 99-100, 332, 238-240; Johann Wolfgang Goethe: Zur Farbenlehre [3 Bde, Tübingen: Cotta, 1810] in: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe, hg. von Karl Richter u.a., 21 in 26 Bden, München, 1985-1994, Bd X (1989): „Die Farbenlehre,“hg. von Peter Schmidt, S. 660-665 (Historischer Teil); Emil Wilde, Geschichte der Optik, vom Ursprunge dieser Wissenschaft bis auf die gegenwärtige Zeit, 2 Bde, Berlin: Rücker u. Püchler, 1838-1843, Band I, S. 288-296; F. Rosenberger (1882-1890) II: 120-124; José Alfredo Bach: Athanasius Kircher and his method: A study in the relations of the arts and sciences in the seventeenth century [Phil.Diss., Univ. of Oklahoma, 1985], Ann Arbor: umi, 1985, S. 172-252; Catherine Chevalley: „L’Ars magna lucis et umbrae d’A. Kircher. Néoplatonisme, hermétisme et «nouvelle philosophie»“, Baroque, 12 (1987), S. 95-109; Saverio Corradino, sj: "L’«Ars magna lucis et umbrae» di Athanasius Kircher", AHSI, 62 (1993), S. 249-280. Voltaire (Elémens De La Philosophie de Neuton, Amsterdam: Ledet, 1738, S. 178-179) setzt sich kritisch mit einer offensichtlich verbreiteten Meinung seiner Zeit auseinander („J’avois toujours entendu dire, [… ]“), derzufolge es Kircher sei, dem Newton seine Analogie zwischen Spektralfarben des Lichts und Tonintervallen der Musik zu verdanken habe; Voltaire weist jene Meinung zurück, da Newton die Analogie zwischen Licht und Klang auf Grundlage seines quantitativen Modells der Farben herleite: J.A. Bach (1985) 7582. Wie schon Goethe anmerkt, hat Kircher das Farbschema von seinem belgischen Ordensbruder François de Aguilón (1567-1617) übernommen: Goethe, Farbenlehre ([1810] 1989) 662. Dass Kircher aber dennoch das binokulare Sehen in seiner Ars magna lucis ausspart, ist mit seinem Anspruch auf Vollständigkeit, den er darin erhebt (Ars magna lucis, 1646, Titel u. S. 160-171), unvereinbar: August Ziggelaar (sj), François de Aguilón S.J. (1567-1617).

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3. Der primus motus

Thema –unbeachtet blieb, einen Beitrag zu den Phänomenen der Farbigkeit sowie zu physiologischen Aspekten des Sehens.21 Als Erklärung, warum der primus motus trotz seiner hohen Geschwindigkeit und der dabei entstehenden Fliehkraft dennoch vertretbar sein sollte, scheint uns Kircher anstelle einer irgendwie physikalischen eine letztlich rein wahrnehmungspsychologische zu liefern. Auch macht er gar keinen Hehl daraus, dass der paradoxe Effekt, der seiner mira proportio zugrunde liegt, wahrnehmungsbedingt ist. In fast all seinen Anschauungsbeispielen ist vom Auge („oculus“) die Rede.22 Diese aus heutiger Sicht illegitime Grenzüberschreitung mag vielleicht erkenntnistheoretisch eine Grundlage in jener schon besprochenen evidentia physica haben, welche Riccioli gegen die Copernicaner ins Feld geführt hat. Hierauf könnte sich Kircher implizit berufen haben, wenn er durch seine mira proportio Wahrnehmung gegen Physik ausspielt. War es so doch auch Riccioli, der zumindest andeutungsweise schon den Aspekt der Wahrnehmbarkeit von Bewegung in seiner Behandlung der velocitas fixarum eingebracht hat, wie wir weiter oben gesehen haben.23 Doch Ricciolis evidentia physica weist eben eine ganz entscheidende Einschränkung auf: Durch die Sinne Vermitteltes kann als physikalisch evident nur gelten, wenn es nicht Erfahrung oder höherer Einsicht widerspricht. Mathematik nun aber zählt Riccioli zu solch einem höheren Prinzip der Erkenntnis, das unsere Sinneserfahrung korrigiert. Bei Kirchers mira proportio andererseits lässt sich mathematisch nachweisen, dass die äußeren Punkte der Kreisscheibe sich schneller, die inneren langsamer bewegen. Demnach wäre Scientist and Architect, Rom: Institutum Historicum, 1983, S. 108, 112. Selbst mit einem etwas geringeren Anspruch hätte Kircher das beidäugige Sehen nicht auslassen dürfen: Hatte er doch anders als noch Aguilón (Opticorum Libri Sex, Antwerpen: Moretus, 1613) Keplers Optik sehr genau gekannt, schließlich schreibt er aus dessen Ad Vitellionem Paralipomena (Frankfurt, 1604) ganze Passagen wortgetreu ab: C. Chevalley (1987) 102 n.21. 21 Goethe, der im Historischen Teil seiner Farbenlehre aus Kirchers Ars magna lucis ausgiebig in Übersetzung zitiert, hebt insbesondere das für ihn selbst so wichtige Nachbild als eine physiologische Erscheinung hervor, die von Kircher untersucht wurde; zudem erwähnt er Kirchers Ausführungen zur Farbigkeit und Lumineszenz bei Tieren, Pflanzen und Mineralien sowie dessen Erfahrung mit dem nephritischen Holz: Goethe, Farbenlehre ([1810] 1989) 665, 664, 663. Kircher gehört mit Antonius de Dominis (1560-1626) und Descartes zu den ersten, die sich mit Fragen des Farbsehens eingehender beschäftigten. Er soll als einer der ersten von der fluoreszierenden Wirkung des aus Mexiko stammenden und dort zu Heilzwecken verwendeten nephritischen Holzes (lignum nephriticum) berichtet haben; seine Beschäftigung mit dem Phänomen der Fluoreszenz führte ihn zur Herstellung eines phosphoreszierenden Stoffes auf Grundlage des Bononischen Steins, des lapis bononiensis, auch Leuchtstein genannt und aus Schwerspat/Baryt bestehend, von dem erstmals wohl von Giulio Cesare La Galla (De Phaenomenis in orbe lunae novi telescopii usu a D. Gallileo Gallileo nunc iterum suscitatis physica disputatio, Venedig: Balionus, 1612, S. 58) berichtet worden war: E. Wilde (18381843) I: 288-296, hier 288, 291-292, 290-291; Hans Kangro: „Kircher“in DSB, VII: 375b. 22 Itin., 344-347; It., 406-409. 23 Riccioli, AN, II: 321b: „Quod si fieret comparatio inter duo mobilia, de quorum motu haberemus evidentiam physicam, tunc utique videretur credibilior illa velocitas, quae minor esset, aut saltem tanta, ut sensum non offenderet, quam ea quae sensum nimia rapiditate offenderet, si oculus eam persequi vellet.“; siehe oben S. 100.

3.4. Kirchers Lösung

131

unsere dazu gegensätzliche Wahrnehmung – das Kirchersche Paradoxon – als Sinnestäuschung überführt. Vielleicht hätte Kircher sich über diesen Einwand sogar hinweggesetzt, denn in Sachen Naturbeschreibung war er kein Anhänger der Mathematik, was ihn letztlich auch um einen festen Platz in der Wissenschaftsgeschichte gebracht hat. Dass er der zeitgleich sich ausbildenden mathematischen Naturwissenschaft im entscheidenden Punkt – die mathematische Beschreibung von Naturphänomenen –kritisch wenn nicht gar fremd gegenüberstand, zeigt sich an seiner Auseinandersetzung mit den galileischen Bewegungsgesetzen im Mundus subterraneus (1665; 1668; 1678).24 Dass der Mathematikprofessor am Collegium Romanum 25 überhaupt im eigentlichen Sinne Mathematiker gewesen sei, ist ebenfalls bezweifelt worden, und dies wohl nicht ganz zu Unrecht. 26

24 Kircher behandelt die galileischen Bewegungsgesetze im 1. Band (Liber I, Sectio II. Physicomathematica, capita I-V) seines in drei Auflagen erschienenen Mundus subterraneus (1665; 1668) I: 20-35. (³1678) I: 20-34. Diese Auseinandersetzung ist untersucht worden von C. Ziller Camenietzki (1995a) 286-294. 25 Bei Kirchers Berufung nach Rom scheint es sich nur pro forma um die Besetzung des Lehrstuhls für Mathematik am Collegium Romanum gehandelt zu haben; Kircher gab nach seiner Ankunft im November 1633 in Rom erst sechs Jahre später (1639/1640) Vorlesungen und hernach nur mehr für zwei weitere akademische Jahre (1644-1646): R. G. Villoslada (1954) 325, 335; Ugo Baldini: Legem Impone Subactis, Roma, 1992, S. 565-571, hier 565-567. Die übrigen Jahre war er, wie sich den in ARSI erhaltenen Personalakten des Collegium Romanum entnehmen lässt, für seine schriftstellerische Tätigkeit freigestellt. 26 In dieser Hinsicht lässt seine später in der Ars magna lucis (1646, S. 316-317) vorgestellte „vera, & certa methodo“ für die Quadratur des Kreises tief blicken. Evangelista Torricelli machte Mersenne auf diese vom Mathematikprofessor des Collegium Romanum bewiesene „quadratura perfectissima“ mit einer eigens beigefügten Skizze und unverhohlener Ironie aufmerksam: Torricelli an Mersenne, 07.07.1646 (Mersenne, 1945-1988, XIV: 363-371, hier 366-367); einen wohl ähnlich lautenden Brief schickt er am 14.07.1646 auch an Bonaventura Cavalieri (Mersenne, 1945-1988, XIV: 384-386). Lachen musste Mersenne fast, als er in Torricellis Brief von Kirchers Kreisquadratur las („Vix risum cohibere possim [… ]“: Mersenne an Torricelli, 15.09.1646: Mersenne, 1945-1988, XIV: 454-461, hier 458-459). Später übernimmt Kircher diesen fehlerhaften Beweis unverändert in die zweite Auflage seiner Ars magna lucis (1671, S. 235), obwohl ihn schon damals Mersenne sogleich darauf aufmerksam gemacht hatte: Mersenne an Kircher, 22.09.1646 (Mersenne, 1945-1988, XIV: 472-476, hier 475). Über den Mathematiker Kircher merkte bereits Ferdinand Rosenberger an: „Er ist durchaus bewandert in der Naturphilosophie der Alten [… ]; die mathematische Ader dagegen scheint ihm ganz zu fehlen, [… ]“: F. Rosenberger, Die Geschichte der Physik in Grundzügen. Mit synchronistischen Tabellen der Mathematik, der Chemie und beschreibenden Naturwissenschaften sowie der allgemeinen Geschichte, 3 Teile in 4 Bden, Braunschweig: Friedrich Vieweg und Sohn, 1882-1890, Band II (1884), S. 124. Saverio Corradino spricht Kircher gar ab, im eigentlichen Sinne überhaupt Mathematiker gewesen zu sein: Kircher zeige in seinen Werken kein nennenswertes Interesse an den mühsamen Errungenschaften und Neuerungen in der Mathematik des 17. Jahrhunderts; vielmehr sei in ihm eher eine Art Ingenieur zu sehen, mit einer Vorliebe für mathematisch-technische Spielereien zu Unterhaltungszwecken („un uomo dello spettacolo“); seine Begabung sei jedenfalls nicht eigentlich mathematisch gewesen, weswegen heute wie damals seine Leser dem Mathematiker Kircher kaum Beachtung schenkten: S. Corradino (sj), „Athanasius Kircher matematico,“Studi Secenteschi, 37 (1996), S. 159-180, hier S. 159-160, 172, 180, 177.

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3. Der primus motus

Doch ist wahrscheinlicher, dass er seine mira proportio, unser aller Seherfahrung, gar nicht als eine eigenständige Erklärung vorlegt. Denn wie hätte er dabei auch ernsthaft auf Glaubwürdigkeit gerade in diesem allerheikelsten Punkte seines kosmologischen Systems hoffen können, zumal er selbst das Fliehkraft-Argument zur Sprache bringt und dennoch die sicherlich höchsten, je vertretenen Fixstern-Geschwindigkeiten zugesteht ? Hätte er hingegen lediglich die Geostatik und zugleich sein eigenes System ad absurdum führen wollen, so wäre sein ausführlicher Versuch, uns eine Lösung des Problems zu liefern und den primus motus zu verteidigen, wohl reichlich überflüssig. Indessen, er spielt scheinbar nur das sinnlich Wahrgenommene gegen die Physik aus. Denn nur wir sehen heute einen Widerspruch zwischen der von Kircher aufgestellten Proportionalität – die abnehmend empfundene Stärke der Bewegung je größer die Kreisbahn –und dem tatsächlichen Verhalten der Fliehkraft. Im wissenschaftshistorischen Kontext seiner Zeit betrachtet, ist es dagegen vielmehr so, dass Kircher mit jener wahrnehmungspsychologischen Verhältnismäßigkeit die damals aufgestellte physikalische veranschaulicht. Mit seiner Lösung liefert er die sinnlich augenscheinliche Bestätigung für einen Sachverhalt, der bereits vor ihm ebenso anhand rotierender Räder von prominenter Seite gedankenexperimentell festgestellt worden ist. Denn zu jener Zeit, als Kircher schrieb, war das Phänomen der Fliehkraft erstmals bestimmt worden und zudem noch von dem wohl unumstritten größten Streiter für Copernicus – Galileo Galilei –, dies so jedoch, dass es letztlich für die Geostatik sprechen konnte. 3.5. DAS PTOLEMAIOS-ARGUMENT (COPERNICUS), GALILEI UND DIE BESTIMMUNG DER ZENTRIFUGALKRAFT Zu ganz ähnlichen Gedankenexperimenten wie Kircher in seiner Ekstatischen Reise hatte schon vor ihm Galilei am Zweiten Tage seines Dialogo gegriffen: Auch Galilei lässt Räder zuweilen paarweise und von unterschiedlicher Größe sich drehen. Allerdings sind darauf nicht nur einfach Punkte aufgemalt wie bei Kircher, sondern auf ihnen liegen Steine. Denn Galileis Augenmerk gilt, wie er es nennt, dem Phänomen des Schleuderns (scagliamento), also der durch die Drehbewegung entstehenden Fliehkraft auf die Steine. Den Hintergrund dieser Gedankenexperimente bildet ein Einwand, den Gegner des Copernicus vorbrachten: Sie behaupteten, wie Galileis Alter ego Salviati es im Dialogo zusammenfasst, dass eine tägliche Drehung der Erde um ihre eigene Achse von verheerender Wirkung sein müsse auf alles, was sich auf ihr befinde: Salviati: [… ] Die Kreisbewegung hat das Vermögen, aus ihrem Drehpunkt die Teile des Körpers, der sich bewegt, herauszutreiben, zu zerstreuen und zu verjagen, jedes Mal wenn die Bewegung nicht sehr langsam ist und die Teile selbst nicht sehr fest zusammen gefügt sind; [… ] Wenn also die Erde sich mit solch einer übergroßen Geschwindigkeit bewegte, welches Gewicht, welche Festigkeit von Kalk und Mörtel würde die Steine, die Gebäude und die Städte unversehrt festhalten, dass sie nicht von einer so heftigen Drehbewegung gen Himmel geschleudert würden? Und die

3.5. Das Ptolemaios-Argument

133

Menschen und die Tiere, die keineswegs an die Erde geheftet sind, wie würden sie einer so großen Wucht standhalten? 1

Diesem Einwand, den so, wie Galilei behauptet, schon Ptolemaios vorgebracht habe, 2 widmet er sich auf knapp dreißig Seiten seines Dialogo, um ihn endgültig zu widerlegen. 3 In derjenigen Form allerdings, wie Galilei dieses Argument gegen die Achsendrehung der Erde aufgreift, wäre es richtigerweise eher als ein pseudoptolemäisches zu bezeichnen. Die lange und wandlungsvolle Geschichte desselben ist indes von eigenem Interesse. Zum einen liegt darin der Ursprung jenes Arguments der Copernicaner, welches Riccioli für so stark hält, dass er es nur getrennt nach Geschwindigkeit und Zentrifugalkraft behandelt und dessen beide Aspekte Kircher, wie wir gesehen haben, auf besondere Weise zu entkräften sucht. Darüber hinaus entwickelte im Verlauf der kosmologischen Kontroverse dieses Ptolemaios-Argument ein Eigenleben, wovon die Ekstatische Reise eine Momentaufnahme liefert und welches in der Geschichte der Wissenschaften eine bleibende Spur hinterlassen sollte. Ptolemaios jedenfalls, auf den sich Galilei bei diesem Einwand hier beruft, hat keineswegs behauptet, dass, sollte die Erde sich um sich selbst drehen, die Steine und Tiere zu den Sternen hoch geschleudert würden und die Bauwerke gar nicht fest genug in ihren Fundamenten sitzen könnten, um solcher Zerstörung zu entgehen. 4 Damit schreibt Galilei Ptolemaios eine Auffassung zu, für die er eigentlich Copernicus nennen müsste. Denn Ptolemaios gibt er dabei nur so wieder, wie dieser von Copernicus selbst zitiert wird: Wenn also, sagt Ptolemaios von Alexandria, die Erde sich drehte, zumindest in einer täglichen Umdrehung, müsste das Gegenteil zu dem oben Gesagten eintreten. Denn rasend schnell müsste ja die Bewegung sein, und unüberwindlich ihre Geschwin1

2 3 4

„[Salviati:] Il moto circolare ha facoltà di estrudere dissipare e scacciar dal suo centro le parti del corpo che si muove, qualunque volta o’l moto non sia assai tardo e esse parti non sian molto saldamente attaccate insieme; [… ] Quando dunque la Terra si movesse con tanto e tanto maggior velocità, qual gravità, qual tenacità di calcine o di smalti, riterrebbe i sassi, le fabbriche e le città intere, che da sì precipitosa vertigine non fusser lanciate verso‘l cielo? e gli uomini e le fiere, che niente sono attaccati alla Terra, come resisterebbero a un tanto impeto?“: Galilei, Dialogo [1632] in OGG, VII: 158 (Z.19-30). Ähnlich hatte Galilei diesen Einwand gegen die Achsenrotation der Erde erstmals formuliert in seiner unveröffentlichten, aus seiner Zeit in Padua stammenden Schrift Trattato della sfera ovvero cosmografia: „E finalmente, essendo il moto circolare e veloce accommodato non all’unione, ma più tosto alla divisione e dissipazione, quando la terra così precipitosamente andasse a torno, le pietre, gli animali e l’altre cose, che nella superficie si ritrovano, verriano da tal vertigine dissipati, sparsi e verso il cielo tirati; così le città e gli altri edificii sariano messi in ruina.“: OGG, II: 224 (Z. 18-24). Galilei, Dialogo, OGG, VII: 214, 237; Cosmografia, OGG, II: 223-224. Gezählt nach den Seiten der Erstausgabe des Dialogo (1632) 184-213, die in den zweiten Tag der Gespräche (giornata seconda) fallen: OGG, VII: 216-244. Galilei, Dialogo (1632): OGG, VII: 214: „Resta ora l’instanza fondata su’l veder per esperienza come una vertigine veloce ha facultà di estrudere e dissipare le materie aderenti alla machina che va in volta; per lo che pareva a molti, ed anco a Tolomeo, che quando la Terra si rigirasse in sè stessa con tanta velocità, i sassi e gli animali dovessero esser scagliati verso le stelle, e che le fabbriche non potessero con sì tenace calcina esser attaccate a i fondamenti, che esse ancora non patissero un tale eccidio.“

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3. Der primus motus

digkeit, die binnen 24 Stunden den gesamten Umfang der Erde umsetzt. Dinge aber, die von einer plötzlichen Drehung angetrieben werden, scheinen durchaus untauglich, sich zu sammeln, scheinen sich zu zerstreuen, selbst wenn sie stärker vereint sind, es sei denn, diejenigen, die zusammenhängen, werden mit einiger Festigkeit zusammengehalten: Und schon längst, sagt er, hätte die zersprengte Erde das Himmelsgewölbe selbst (was völlig lächerlich ist) zerstört, und noch viel weniger blieben die Lebewesen sowie all die anderen losen Gewichtskörper ohne Erschütterung.5

Laut Copernicus habe Ptolemaios also gegen eine tägliche Rotationsbewegung der Erde eingewandt, dass bei der unvergleichlich hohen Geschwindigkeit, mit der sie sich dabei um sich selbst drehen müsse, sie schon längst zersprungen wäre und das Himmelsgewölbe selbst gesprengt hätte („caelum ipsum excidisset“);6 Dinge, die in eine plötzliche Drehbewegung versetzt würden, kämen nicht mehr zusam5

6

„Si igitur, inquit Ptolemaeus Alexandrinus, terra volveretur, saltem revolutione cotidiana, oporteret accidere contraria supradictis. Etenim concitatissimum esse motum oporteret, ac celeritatem eius insuperabilem, quae in 24 horis totum terrae transmitteret ambitum. Quae vero repentina vertigine concitantur, videntur ad collectionem prorsus inepta magisque unita dispergi, nisi cohaerentia aliqua firmitate contineantur: et iam dudum, inquit, dissipata terra caelum ipsum (quod admodum ridiculum est) excidisset, et eo magis animantia atque alia quaecunque soluta onera haudquaquam inconcussa manerent.“: Copernicus, De revolutionibus [1543, f. 5r-5v (lib. 1, cap. 7)] in: Copernicus (1984) 14 (Z. 5-11). Zu dieser Übersetzung des transitiven ‘exc dere’(Copernicus, De Revolutionibus, I, 7), siehe Anm. unten, S. 138. Dementsprechend lautet die Stelle in Carl Ludolf Menzzers Übersetzung von 1879: „Und schon längst hätte die losgelöste Erde den Himmel selbst verwüstet (was äußerst lächerlich ist) [… ]“: Copernicus, Über die Kreisbewegungen der Weltkörper (De Revolutionibus orbium caelestium), zweisprachig, [übers. von Carl Ludolf Menzzer], mit Anmerkungen von Aleksander Birkenmajer, hg. von Georg Klaus, Berlin: Akademie, 1959, S. 49. Drastisch bildhafter gibt die moderne Übersetzung von Hans Günter Zekl das lateinische ‘exdere’(herausfällen, -hauen, -schlagen; zerstören.) wieder: „Und schon längst, sagt er, würde die auseinandergerissene Erde den Himmel selbst –was doch ganz lachhaft ist –zerhackt haben.“: Copernicus, Das neue Weltbild. Drei Texte. Commentariolus, Brief ge-gen Werner, De revolutionibus I. Im Anhang eine Auswahl aus der Narratio prima des G.J. Rheticus, zweisprachig, übers., erläutert u. hg. von Hans Günter Zekl, Hamburg: Felix Meiner, 1990. Im englischen Sprachraum hingegen (und durch diesen auch in andere verbreitet) wird „excidisset“durch das schriftbildgleiche, aber intransitive ‘excidere’(herausfallen) wiedergeben, so dass diese excidere-Stelle vielfach als ein ‘aus dem Himmel Herausfallen’wiedergeben wird. Diese Übersetzung verbietet sich jedoch durch das Akkusativ-Objekt „caelum“, welches direktes Objekt zu „excidisset“ist. Denn dadurch ist das copernicanische „excidisset“transitiv und in seiner Bedeutung eindeutig festlegt; (‘excidere’als intransitives Verb kann im Lateinischen sich ebensowenig wie das deutsche fallen direkt, d.h. ohne Präposition, auf ein Objekt beziehen). David K. Hill („The Projection Argument in Galileo and Copernicus: Rhetorical Strategy in the Defence of the New System,“Annals of Science, 41 (1984), S. 109-133) ist auf diesen durch Homonymie bedingte Verwechslung aufmerksam geworden, auch wenn er darin keinen Fehler sieht („may be translated with equal justice“: ebd. 110 n.3). Doch findet er außer dem philologischen Beistand, den er hierfür zu Rate zieht, keinen weiteren Beleg, um diese vermeintlich neue Lesart zu stützen. Dabei weist er sogar selbst auf den Widerspruch eines solchen ‘Herausfallens’mit der von Copernicus an dieser Stelle beschriebenen Rotationsbewegung hin. Dennoch übersetzt er schließlich „caelum excidisset“ wieder mit „[… ] fall from the skies“(ebd. 110), und hieran mag man sehen, wie sehr verbreitet diese Wiedergabe einer, falls richtig übersetzt, sehr vielsagenden Stelle bei Copernicus ist.

3.5. Das Ptolemaios-Argument

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men und die enger verbundenen zerstreuten sich, wenn sie untereinander nicht fest zusammengehalten würden; umso weniger blieben auf der Erde Lebewesen und die übrigen losen Körper ohne Erschütterung. Als pseudo-ptolemäisch ist dieses Argument gegen die Achsendrehung der Erde deshalb zu bezeichnen, weil Copernicus nur insoweit Ptolemaios zitiert, als er damit die entsprechende Textpassage kenntlich macht, deren Sinn dabei jedoch entstellt. Denn er bezieht sich auf eine Stelle des Almagest, an der überhaupt nicht die Rede ist von der Rotation der Erde.7 Es geht dort ausschließlich um eine ge7

Die Stelle, auf die sich Copernicus bezieht, findet sich im ersten Buch (Kap. 7) des Almagest: Ptolemaios, Syntaxis mathematica, 2 Bde, hg. von Johan L. Heiberg, Leipzig: B.G. Teubner, 1898-1903, Bd I, S. 23 (Z. 20) - 24 (Z. 4); Ptolemaios, Des Claudius Ptolemäus Handbuch der Astronomie, 2 Bde, übersetzt und mit Anmerkungen von Karl Manitius, Leipzig: B.G. Teubner, 1912-1913, Bd I, S. 18. In der zweisprachigen Ausgabe von Nicolas Halma, der das des ersten Buches nicht als Kapitel zählt, findet sich die entsprechende Stelle im sechsten Kapitel des ersten Buches: Ptolemaios, Composition mathématique de Claude Ptolémée, 2 Bde, hg. u. übers. v. N. B. Halma, mit Anmerkungen von Jean-Baptiste-Joseph Delambre, Paris: Henri Grand, 1813 (Bd I) und Paris: J.-M. Eberhard, 1816 (Bd II), Bd II, S. 19. Dass Copernicus Ptolemaios falsch zitiert, ist schon vielfach bemerkt und verschiedentlich begründet worden: (alle Hervorhebungen im Folgenden sind nachträglich): Stillman Drake in: Galilei, Dialogue Concerning the Two Chief World Systems - Ptolemaic & Copernican, übers. und erläutert von S. Drake, Berkeley: University of California Press, ³1962, S. 481482: „But Copernicus was actually paraphrasing Ptolemy so as to bring into this argument from centrifugal action certain consequences which Ptolemy [… ] attributed only to a freely falling earth.“; ders. in: Galilei, Dialog (²1982) 580: „Kopernikus’Worte legen nahe, daß er Ptolemäus’Almagest [… ] mißverstand, indem er meinte, Ptolemäus beziehe sich dabei auf eine kreisende Bewegung.“; Edward Rosen in Copernicus, On the revolutions, übers. u. erläutert von E. Rosen, hg. von Jerzy Dobrzycki, London: Macmillan, 1978, S. 351: “It seems likely, then, that Copernicus is reconstructing Ptolemy’s position from memory.”; Julian B. Barbour, Absolute or Relative Motion?. A study from a Machian point of view of the discovery and the srucure of dynamical theories, Bd I. The Discovery of Dynamics, Cambridge: Cambridge University Press, 1989, S. 361: “Ironically, Copernicus felt obliged to answer an objection to diurnal rotation of the earth that Ptolemy had never raised –Copernicus misunderstood a poor translation.”; Edward Grant, Planets, Stars, & Orbs. The Medieval Cosmos, 1200-1687, Cambridge: Cambridge University Press, 1994, S. 659: "One [sc. physical argument] that was widely discussed in the sixteenth and seventeenth centuries is traceable to Coperniucs, who mistakenly ascribed to Ptolemy the opinion that if the earth rotated, «living creatures and any other loose weights would by no means remain unshaken.»”; Ottavio Besomi und Mario Helbing in Galilei, Dialogo sopra i due massimi sistemi del mondo tolemaico e copernicano, 2 Bde, hg. u. kommentiert v. O. Besomi u. M. Helbing, Padua: Antenore, 1998, Bd II, S. 409: “[… ] questa dimostrazione dell’impossibilità della rotazione della terra venne attribuita a Tolomeo da Copernico, [… ], dando così, forse involontariamente, l’argomento più valido contro il moto diurno.” Nicht als bloßes Versehen betrachtet dagegen D.K. Hill (1984) dieses falsche Zitat: „He may, [… ], have had some specific rhetorical motivation for trying to slant the discussion as he did.“: ebd. 112; vielmehr vermutet er darin eine Strategie („Copernicus’s strategy“, ebd. 112-115, hier 112), die vor dem Hintergrund aristotelischer Physik und scholastischer Argumentationsformen sich weitgehend verstehen ließe als ein „effort to keep the discussion on rhetorically favourable ground“ (ebd. 115). Auch M.-P. Lerner schließt nicht aus, dass Copernicus sogar mit Absicht den Sinn seines Ptolemaios-Zitat entstellt: „La déformation, probablement intentionnelle, que Copernic fait subir au raisonnement de Ptolémée, est importante pour sa propre argumentation.“: M.-P. Lerner (1996-1997)

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3. Der primus motus

radlinige Bewegung: Dass im Sinne einer Translation die Erde sich womöglich von ihrem festen Ort wegbewegen könnte, diesen Gedanken führt hier Ptolemaios ad absurdum: Wenn also auch sie selbst [sc. die Erde] eine den übrigen Gewichtskörpern gemeine Einzelbewegung besäße, ist es offensichtlich, dass sie ihnen zuvorkäme, weil sie infolge eines durch ihre eigene Größe bedingten so groß zu bewegenden Übermaßes hinabstürzte und dabei, wie ich meine, die übrigen Lebewesen und anderen Gewichtskörper in der Luft zurückgelassen hätte: Sie selbst würde überschnell wahrscheinlich aus dem Himmelsgewölbe selbst herausfallen. Aber dies scheint von allem, was man sich denken kann, das Allerlächerlichste zu sein. 8

Aufgrund ihrer Masse wäre demnach eine Bewegung der Erde um vieles schneller als die Fallbewegung aller Körper, deren Schwerezentrum sie ist und die sie als ihren Ruhepunkt suchen. Sollte die Erde sich also bewegen, dann ließe sie Lebewesen und alle übrigen Körper in der Luft hängend hinter sich zurück. Als allerschnellste würde sie letztlich auch aus dem Himmelsgewölbe selbst heraus-

8

II: 97, siehe auch S. 253-254 n.58; M.-P. Lerner sieht einen Zusammenhang zwischen dem copernicanischen Ptolemaios-Zitat und dem Ricciolischen Achilles-Argument der Copernicaner; damit weist er auf ein schlüssiges Motiv für ein möglicherweise absichtlich falsches Zitieren hin. Von Absicht seitens Copernicus’mag schon S. Drake (ohne eine Begründung hierfür zu liefern) ausgegangen sein (³1962, 481: „so as to“, siehe oben). „Quod si communis caeteris ponderibus singularisque motus ipsi quoque inesset. Patet quia propter tantum (sui magnitudine) excessum universandum [sic] deferetur, praeveniret, Caeterisque relictis in aere animalibus, dico aliisque ponderibus: ipsa vel ocissime extra coelum quoque ipsum excideret. Verum haec ridiculosissima omnium intellectu videntur.“: Klaudios Ptolemaios, Almagestum seu Magnae constructionis mathematicae opus plane divinum latina donatum lingua ab Georgio Trapezuntio usquequaque doctissimo, Venedig: Luca Gaurico, 1528, f. 3v (lib. 1, cap. 7). Die beiden von Copernicus bei der Abfassung seines Werkes De revolutionibus (1543) benutzten und einzig gedruckten lateinischen Übersetzungen des Almagest waren: Die oben zitierte von 1528, welche Georg von Trapezunt 1451 aus dem Griechischen erstellt hatte, sowie die aus dem Jahre 1175 von Gerhard von Cremona stammende Übersetzung des arabischen Textes, die erstmals 1515 gedruckt wurde: Almagestum Cl. Ptolemei Pheludiensis Alexandrini Astronomorum principis: Opus ingens ac nobile omnes Celorum motus continens, Venedig: Peter Liechtenstein, 1515. Zur Werkgeschichte des Almagest siehe: Einleitung von Karl Manitius in Ptolemaios (1912-1913) I: iii-xxiv; Paul Kunitzsch, Der Almagest. Die Syntaxis Mathematica des Claudius Ptolemäus in arabisch-lateinischer Überlieferung, Wiesbaden: Otto Harrassowitz, 1974, hier insbesondere zu Gerhard von Cremonas Übersetzung S. 83-112. Zu Bildung und Geschichte des arabischen Titel ‘Almagest’ siehe gleichfalls: P. Kunitzsch (1974) 115-125. Der griechische Text der , die dem Westen lange nur durch arabische Vermittlung zunächst unter dem Titel Almagesti (indeklinabel; lateinische Transkription von ‘al-m ’), später fast nur mehr als Almagestum zugänglich war, wurde erstmals im Jahre 1538 gedruckt: . . ’[.] . ’[.] Claudii Ptolemaei Magnae constructionis, id est perfectae coelestium motuum pertractionis lib. XIII. Theonis Alexandrini in eosdem Commentariorum lib. XI., Basel: Johannes Walder, 1538. Ein Exemplar der Editio princeps des Werks fand sich auch im Nachlass von Copernicus, doch hatte er es offenbar nicht mehr für seine Arbeit benutzt, da das Exemplar keinerlei Vermerke aufweist, wie sie Copernicus sonst zu machen pflegte: K. Manitius in Ptolemaios (1912-1913) I: 20.

3.5. Das Ptolemaios-Argument

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fallen („extra coelum quoque ipsum excideret“). Dergleichen nur zu denken, hält Ptolemaios aber für das Allerlächerlichste („ridiculosissima omnium“). 9 Ein Vergleich dieser Stelle mit der von Copernicus zitierten zeigt, wie wenig inhaltlich zumindest sein Zitat mit dem Original gemein hat. Hätte Copernicus nicht die Schlüsselwörter aus dieser Passage aufgegriffen (in Form von animantia, coelum ipsum, excidere, ridiculum), so wäre es angesichts der entstellten Aussage kaum möglich, sein Ptolemaios-Zitat einer Stelle im Almagest eindeutig zuzuordnen, auch wenn beide in beiden Werken jeweils im siebten Kapitel des ersten Buches stehen. Interessanterweise finden sich diese Schlüsselwörter vollständig nur in der oben zitierten Passage der lateinischen Almagest-Ausgabe von 1528. In der Übersetzung von 1515 dagegen, die den arabischen Text so schwerfällig wie gewissenhaft treu auf Lateinisch wiedergibt, werden die markanten Begriffe coelum ipsum, excidere und ridiculum durch andere Ausdrücke wiedergegeben (celum solum, cadere et pertransire, derisio et illusio).10 Ebenso fehlen sie in der Epytoma in almagestum Ptolomei (1496), einer von Georg von Peuerbach (bzw. Purbach, 1423-1461) begonnenen und von Regiomontanus (eigtl. Johannes Müller, 1436-1476) vollendeten Zusammenfassung des Almagest, auf welche zunächst auch Copernicus angewiesen war für sein Studium der ptolemäischen Astronomie.11 Doch auch wenn jene Schlüsselworte bei Copernicus sämtlich wieder auftauchen, ergeben sie dennoch einen völlig anderen Sinn. Inhaltlich gemein ist beiden Passagen lediglich der Aspekt der Geschwindigkeit. Doch darunter wird, 9

Als ähnlich absurde Konsequenz einer Erdbewegung führt ein früher Gegner Galileis, Ludovico Delle Colombe (1565-?1616), zwar nicht geradezu ein Herausfallen aus dem Himmel, aber zumindest ein Anschlagen an denselben an (ohne dabei Ptolemaios zu nennen); demnach würde die Erde bei ihrem Umlauf um die Sonne gegen die Innenseite der mitgeführten Mondsphäre stoßen: „Anzi da questo si conchiude, che, se il Cielo della Luna si girasse intorno al Sole, la Terra infallibilmente toccherebbe la superficie concava di esse Cielo; [… ]“: Delle Colombe, Contro il moto della Terra, [Ms. datierbar auf Ende 1610/ Anfang 1611], in OGG, III.1: 251-290, hier 271; zur Datierung: A. Favaro in OGG, III.1: 12. 10 Ptolemaios, Almagestum (1515) f. 4r-4v: „Quod si terre et reliquorum corporum gravium que sunt preter eam esset motus unus communis: terra propter superfluitatem sue molis et gravitatis vinceret omnia gravia que sunt preter ipsam: et inferius iret. et remanerent animalia et relique species gravium sita in aere. et terra velociter omnino caderet: et pertransiret celum solum. Tamen imaginari hoc et eius simile est derisio et illusio imaginantis ipsum.“Zu Gerhard von Cremonas mittelalterlicher Almagestübersetzung bemerkt P. Kunitzsch (1974) 104: „Das aufdringlichste Charakteristikum [… ] ist die geradezu sklavische Wörtlichkeit, mit der sie dem arabischen Original in Wortwahl und Syntax folgt.“: S. 104. 11 Auch aus dem Text der Epitome (1496) lässt sich die Herkunft von Copernicus’PtolemaiosArgument nicht herleiten; an entsprechender Stelle findet sich kein Hinweis auf Fliehkraft oder Zerstörung in Zusammenhang mit der Erdbewegung: „Ex superioribus constat: terre non accidere motum rectum. sic enim medium mundi relinquere cogeretur: quod antehac prohibuimus. Oporteret denique terram velocissime moveri mole sua id agente. Unde reliqua corpora minus gravia terre adiacentia in aere relinquerentur: si omnia gravia ad unum niterentur terminum: quod nusquam apparet.“: Johannes Regiomontanus, Epytoma Joannis de monte regio in almagestum Ptolomei, Venedig: Per Johannem Hamman de Landoia, 1496, unpaginiertes f. 6r (Conclusio Quinta).

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3. Der primus motus

wie schon bemerkt, bei Copernicus die Rotation der Erde, bei Ptolemaios hingegen die geradlinige Bewegung betrachtet. Vor allem aber verkehrt sich bei Copernicus das Argument der bloßen Geschwindigkeit, mittels deren Ptolemaios die Erdbewegung ad absurdum zu führen sucht, in eines der Zerstörung. Diesen an der zitierten Stelle des Almagest gänzlich fehlenden Gedanken, vermittelt Copernicus –gleichsam überleitend, als ob er Ptolemaios kommentieren würde –, indem er die von einer plötzlichen Drehbewegung („repentina vertigine“) ausgehende Fliehkraft deutlich macht (wiewohl eine plötzliche Bewegung als Anschauungsbeispiel für die Erddrehung irreführend sein dürfte). Anschließend ersetzt Copernicus die ‘terra ocissima,’die Erde, welche laut Ptolemaios so schnell wäre, dass sie aus dem Himmel fiele, durch eine terra dissipata: Diese zerstreute, zersprengte, zerstörte Erde fällt bei Copernicus allerdings nicht mehr aus dem Himmel, da sie sich nun ja um sich selbst dreht und nicht, wie im Almagest zu lesen ist, geradlinig bewegt. Den ptolemäischen Ausdruck ‘extra coelum excidere’ verkürzt er in ein ‘coelum excidere’, wodurch ‘excidere’nicht mehr ‘herausfallen’ (ex+cadere) bezeichnet, sondern sich in dieser transitiven Verwendung trotz gleicher Schreibung als ein anderes Verb entpuppt (ex+caedere), welches die Bedeutung hat von ‘heraushauen, aufbrechen, zerstören’.12 Somit hätte eine durch ihre schnelle Rotationsbewegung auseinander gefallene Erde (terra dissipata) das Himmelsgewölbe selbst schon längst (iam dudum) zerschlagen. Gerade diesen excidere-Satz aber kennzeichnet Copernicus eigens noch als wörtlich aus dem Almagest wiedergegeben (inquit). Der Form nach liegt damit auch hier eindeutig und ausdrücklich ein Zitat vor, obgleich die ganze Passage inhaltlich sich nicht bei Ptolemaios findet. Sollte es sich seitens Copernicus’bei dieser sinnentstellenden Zitierweise also wirklich nur um ein unglückliches Versehen handeln? Ein Vergleich der beiden frühesten lateinischen Ausgaben des Almagest zeigt, mit welch unterschiedlichen Worten sich derselbe Sinn ausdrücken lässt. Dabei ist dies umso erstaunlicher, als es sich bei der Ausgabe von 1515 um eine Übersetzung der arabischen Fassung, bei der von 1528 um eine der griechischen handelt. Inhaltlich stimmen sie sowohl untereinander überein als auch mit der 1538 veröf12 Copernicus benutzt ‘excidere’transitiv, d.h. er benutzt das Verb ‘exc dere’(gebildet aus ex + caedere, wörtlich ‘herausfällen’, ‘herausschlagen’) und nicht, wie meist übersetzt wird, das intransitive „excídere“(ex + cadere, wörtlich ‘herausfallen’). Ihrem Schriftbild nach sind beide Verben auch im Perfekt (excidisse) nicht unterscheidbar. Hätte Copernicus tatsächlich (wie Ptolemaios) ausdrücken wollen, dass die Erde aus dem Himmelsgewölbe falle (was allerdings bei der Rotationsbewegung, die er im Gegensatz zu Ptolemaios beschreibt, auch wenig Sinn machte), dann hätte er excidere ‘ex caelo’, ‘caelo’oder ebenso ‘extra caelum’schreiben müssen, wie es in einer der beiden von ihm benutzten lateinischen Übersetzungen der entsprechenden Stelle des Almagest (lib. 1, cap. 7) heißt; zu diesen beiden Übersetzungen siehe oben. Dementsprechend geben auch spätere Übersetzungen das von Ptolemaios beschriebene Herausfallen aus dem Himmel ( ) wieder: „[… ] ipsa [sc. terra] et celerrime postremo cecidisset et ab ipso coelo, [… ]“: Klaudios Ptolemaios, Magnae constructionis liber primus cum Theonis Alexandrini commentariis, übers. von Giovan Battista della Porta [Neapel: Foelex Stelliola, 1605], hg. von Raffaella De Vivo, Neapel: Edizioni Scientifiche Italiane, 2000, S. 84 (Z. 45); „[… ] ipsa [sc. terra] velocissime extra caelum quoque ipsum excideret.“: Ricciolis (A.N., II: 433a) Übersetzung der Ptolemaios-Stelle.

3.5. Das Ptolemaios-Argument

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fentlichten und gleichfalls Copernicus noch bekannten Ausgabe des griechischen Textes unter dem Titel (Magna constructio).13 Die falsch von Copernicus zitierte Stelle aus dem Almagest lässt sich folglich nicht einfach auf eine schlechte Übersetzung schieben, wie wohl leichtfertig behauptet worden ist. 14 Hätte Copernicus lediglich aus dem Gedächtnis Ptolemaios zitiert, was ebenso als Begründung für sein Fehlzitat angeführt wird, wäre er dann in der Wortwahl nicht ebenso frei wie mit dem Sinn verfahren, den er davon wiedergibt ? Doch trotz der entstellten Aussage ist sein Zitat nicht nur als Stelle aus dem Almagest kenntlich, sondern die herangezogene Übersetzung ist sogar noch wieder zu erkennen. Mit der Konjunktion si (‘falls’) lässt Copernicus sein Ptolemaios-Zitat ebenso beginnen wie die vorgeblich zitierte Stelle aus dem Almagest, die dort als ein eigener Absatz –als solcher in der Ausgabe von 1528 durch Paragraphus-Zeichen („¶“) markiert – gleichfalls als Konditionalgefüge einsetzt (Quod si [… ]). Der ursprüngliche Sinn des ganzen Absatzes wird von Copernicus so abgeändert, dass zumindest sprachlich noch genügend Ähnlichkeit bestehen bleibt. Das beste Beispiel hierfür ist trotz oder gar wegen der veränderten Bedeutung sein Festhalten an dem Verb excidere. Dabei ahmt er überdies die Satzstruktur der ursprünglichen Aussage nach, indem er ebenso voranstellend das ptolemäische occissime durch sein dissipata ersetzt. Diese Vorstellung ganz wie im Almagest als lächerlich („ridiculum“) zu bezeichnen vergisst er im Anschluss ebenso wenig wie die Tiere und die übrigen losen Gewichte („animantia atque alia quaecunque soluta 13 Ptolemaios, Syntaxis mathematica, 2 Bde, hg. von Johan L. Heiberg, Leipzig: B.G. Teubner, 1898-1903, S. 23 (Z.20) - 24 (Z. 4): „ , , ,

. .“Die von Ptolemaios bezüglich der Erdbe-

wegung gewählten Begriffe ‘ ’(Tragen, Forttragen; Dahingetragenwerden, Bewegung) und ‘ ’(herabstürzende, sc. Erde) lassen sich nicht als Rotation deuten; (Kepler in seiner Begriffsklärung der beiden strittigen Erdbewegungen setzt das griechische ‘ ’ mit lateinisch circuitus, circumlatio, ambitus, revolutio gleich, wovon die Rotation, , zu unterscheiden sei: Epitome astronomiae copernicanae [1618], KGW, VII: 290 (lib. 4, pars 2, cap. 1)). Ebensowenig vermittelt der ptolemäische Ausdruck ‘ ’(… , in der Luft zurücklassen) unmittelbar den Gedanken an eine Zerstörung von Tieren und den übrigen Körpern durch die Bewegung der Erde. Der Wendung ‘ ’(aus dem Himmel herausfallen) entspricht im Lateinischen, wie in den oben zitierten Übersetzungen gesehen, das intransitive ‘excidere’oder nur ‘cadere’verbunden mit einer Präposition. In der auch international lange maßgeblichen modernen Übersetzung des Almagest durch Karl Manitius lautet die oben zitierte Stelle wie folgt: „Hätte freilich auch sie [sc. Erde] eine gemeinsame Neigung zum Fallen, d.h. wäre die Richtung ihres Falls ein und dieselbe wie bei den übrigen Schwerkörpern, so würde sie natürlich infolge des kolossalen Übergewichts ihrer Größe allen Körpern bei dem Sturz in die Tiefe voraneilen, und es würden die Lebewesen und die losen Schwerkörper in der Luft in der Schwebe verharren, während sie für ihr Teil mit rasender Geschwindigkeit schließlich aus dem Himmelsgewölbe selbst herausstürzen müßte. Aber dergleichen Möglichkeiten erscheinen ja schon bei dem bloßen Gedanken unglaublich lächerlich.“: Ptolemaios (1912-1913) I: 18. 14 Diese Erklärung führt Julian B. Barbour (1989, S. 361) an; oben S. 135, Anm. 7 zitiert.

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3. Der primus motus

onera“), die in gleicher Zusammenstellung auch Ptolemaios nennt („caeterisque relictis in aere animalibus, dico aliisque ponderibus“). Alles in allem bewegt sein sinnentstellendes Zitat sich nah genug am Original, um als Stelle aus dem Almagest erkannt zu werden, und im Ganzen wohl zu nah, als dass zugleich nur aus Versehen es inhaltlich so völlig falsch sein kann. Eine damit von Copernicus verfolgte Absicht ist auch deshalb mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, weil sein Zitat konsequent so falsch wie folgenreich ist. Denn mit dessen Hilfe schiebt er Ptolemaios einen Gedanken unter, den er kurz darauf kehrtwendend und a fortiori gegen diesen selbst und eine ruhende Erde richtet. Denn den konstruierten Einwand, dass eine so schnelle Drehbewegung unweigerlich die Selbstzerstörung nach sich ziehe, bringt Copernicus daraufhin gegen eine tägliche Umdrehung der Fixsternsphäre (primus motus) vor.15 Durch diese Umkehrung gewinnt er jenes Argument, in dem sich Fliehkraft und Geschwindigkeit vereinen und dessen eine Hälfte von Riccioli als das erste und hauptsächlichste der Copernicaner, als ihr Achill bezeichnet wird. 16 Dabei unterstellt Copernicus in seinem konstruierten Almagest-Zitat zunächst, dass Ptolemaios gegen eine Rotation der Erde deren zerstörerische Wirkung eingewandt habe, um hernach auf die viel größere Fliehkraft hinzuweisen, die umso mehr noch auf das viel größere und viel schneller sich bewegende Firmament wirken müsse, sollte die Erde völlig still stehen. Daran verdeutlicht Copernicus, dass eine sich drehende Fixsternsphäre um sehr viel weniger ihre Rotation überstehen würde als die verschwindend kleine Erde, deren Drehbewegung somit viel wahrscheinlicher sei als der primus motus. In dieser Argumentation dient der von Ptolemaios selbst nie vorgebrachte, erst von Copernicus erfundene Einwand gegen die Rotation der Erde lediglich als Zwischenschritt, um einen viel stärkeren Einwand gegen den primus motus und damit gegen die Ruhestellung der Erde zu liefern. Nicht in der Absicht des Erfinders dürfte es jedoch gelegen haben, dass eben dieser Zwischenschritt sich alsbald verselbständigte. Das Ptolemaios-Argument gelangte nämlich in der kosmologischen Kontroverse nicht nur zu weiterer Verbreitung, sondern diente den Geostatikern als Beweis für die absolute Ruhestellung der Erde.17 Dagegen nun mussten sich die Anhänger des Copernicus eine bessere Verteidigung ausdenken, 15 Copernicus, De revolutionibus [1543, f. 5v (lib. 1, cap. 8)] (1984) 14 (Z. 21-25): „Frustra ergo timet Ptolemaeus, ne terra dissipetur, et terrestria omnia in revolutione facta per efficaciam naturae, [… ] Sed cur non illud etiam magis de mundo suspicatur, cuius tanto velociorem esse motum oportet, quanto maius est caelum terra?“ 16 Riccioli, AN, II: 320a. 17 Neben den weiter unten erwähnten Autoren ist hier als ein Verteidiger der Geostatik zu nennen, der dafür das Ptolemaios-Argument (die zerstörerische Fliehkraft der Erdrotation) anführte: Jacopo Mazzoni, In universam Platonis et Aristotelis philosophiam praeludia, Venedig: Guerilius, 1597, S. 130 (er nennt Copernicus und Ptolemaios; zitiert in Galilei, Dialogo, 1998, Bd II: 410). Andererseites, neben den weiter noch unten zu erwähnenden Autoren, suchten diesen Einwand gegen die Erdrotation zu entkräften: Patrizi, Nova de universis philosophia (1591) 104r a (Pancosmia); Redento [Giovanni Antonio] Baranzano (1590-1622), Uranoscopia seu de coelo, 2 Teile in 1 Band, [Genf]: Petrus&Iacobus Chouët, 1617, Bd I, S. 110-111.

3.5. Das Ptolemaios-Argument

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als dieser selbst noch, der seinen selbstkreierten Einwand kurzerhand mit Aristoteles entkräftet: Bei der Erdrotation handele es sich um eine natürliche Bewegung, die ohne Gewalt und Zwang verlaufend auch nicht zu Zerstörung führen könne. 18 Zu Aristoteles freilich konnten die Copernicaner ihre Zuflucht nicht mehr nehmen, da sie sich fast ohne Ausnahme als neue Philosophen verstanden in Ablehnung gerade der aristotelisch scholastischen Physik. Die eigentliche Herkunft dieses Arguments war offenbar den Gegnern wie Befürwortern einer Erdrotation kaum mehr bekannt. Es hatte sich schon derart verselbständigt, dass in der kosmologischen Debatte Ptolemaios so zitiert wird, wie allein er sich in De Revolutionibus findet, ohne dass dabei Copernicus auch nur erwähnt würde. Selbst wenn bisweilen weder Ptolemaios noch Copernicus namentlich genannt werden, durch die gedankliche Verbindung von Rotation mit einhergehender Zerstörung verrät der Einwand seine Herkunft. Diskutiert im Zuge dieser Rezeption wurde allerdings nicht die zerstörerische Wirkung auf Erde und Himmel in ihrer Gesamtheit, woraus Copernicus das Fliehkraft-Argument ableitet. Die Aufmerksamkeit galt vielmehr der eher beiläufig angemerkten Konsequenz für die Dinge auf der Erde. Copernicus hatte seinen fingierten Einwand dahingehend formuliert, dass doch die Tiere sowie alle losen Körper eine Erschütterung („haudquaquam inconcussa“) erleiden müssten, sollte sich die Erde drehen; (Ptolemaios meinte dagegen, dass die Körper, falls die Erde sich geradlinig bewegte, den Boden gar nicht berührten und in der Luft schwebten). Dass dann folglich auch Gebäude einstürzen müssten, ist eine Vorstellung, die bei Copernicus nicht zu lesen ist. In der Folge wurde dennoch unbesehen behauptet – und Galilei ist hier nicht der einzige –,19 dass schon Ptolemaios ebendiese Konsequenz gefordert habe, wenngleich sie sich bei ihm genauso wenig findet wie das ganze FliehkraftArgument. Einstürzende Gebäude sind schon von Clavius gegen eine Rotation der Erde angeführt worden. Jedoch muss schon früher diese Auslegung des Fliehkraft-Arguments erfolgt sein. Denn in der ersten Ausgabe seiner zigfach aufgelegten Sphaera (1570) versucht Clavius seinerseits bereits, wiederum ein 18 Copernicus, De revolutionibus [1543, f. 5v (lib. 1, cap. 8)] (1984) 14 (Z. 17-21): „Verum si quispiam volvi terram opinetur, dicet utique motum esse naturalem, non violentum. Quae vero secundum naturam sunt, contrarios operantur effectus his quae secundum violentiam. Quibus enim vis vel impetus infertur, dissolvi necesse est, et diu subsistere nequeunt: quae vero a natura fiunt, recte se habent, et conservantur in optima sua compositione.“Wie schwach diese Begründung ist, zeigt sich daran, dass mit demselben aristotelischen Argument sich genau die gegenteilige Ansicht ebenso stützten ließ: So konnten die Vertreter der Geozentrik für den primus motus der Fixsternsphäre gleichfalls beanspruchen, dass es sich dabei um eine natürliche Bewegung handle, die unmöglich zu einer Selbstzerstörung führe. Zu Copernicus’Verweis auf Aristoteles in diesem Zusammenhang: D.K. Hill (1984) 112-115. 19 Galilei, Dialogo, OGG, VII: 214, 215; Cosmografia, OGG, II: 224; S. Drake (in: Galilei, Dialogue, ³1962, S. 481-482) nennt unter den vielen Autoren, die dieses Argument tatsächlich Ptolemaios selbst zuschreiben, namentlich: Alessandro Piccolomini (1508-1578), De la sfera del mondo, Venedig: Varisco, 1559, f. 16r; Francesco Giuntini (1521?-1590), La sfera del mondo, Lyon: Simforiano Beraud, 1582. Hierfür nennt E. Strauss (in Galilei, Dialog, ²1982, S. 520 n.30) ohne Seitenangabe auch Michael Mästlin (Epitome astronomiae, Heidelberg: Mylius, 1582), in welcher Schrift er einen anti-copernicanischen Standpunkt vertrete.

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3. Der primus motus

Gegenargument der Copernicaner gegen ebendiese Auslegung zu entkräften. 20 Er allerdings kennt den Almagest gut genug, um die tatsächlich darin zu findende Aussage über die Unmöglichkeit einer geradlinigen Erdbewegung eigens anzuführen, ohne sie zu vermischen mit jenem Einwand gegen die Rotation.21 Über hundert Jahre hatte das Ptolemaios-Argument in seiner auf Gebäude und allerlei Gegenstände erweiterten Fassung seinen festen Platz in der kosmologischen Kontroverse, bis es schließlich den Verteidigern der Geozentrik verloren ging. Ihr bedeutendster Vertreter selbst, Giambattista Riccioli, gab wie manch anderes Argument auch dieses auf. In seinem Almagestum novum (1651) erklärt er, dass es zu keinen Zerstörungen auf der Erde kommen würde, selbst wenn sie sich drehte.22 Unter denen, welche diesen Einwand widerlegt hätten, nennt er an erster Stelle Galilei. Kepler indes, den er lediglich als zweiten nennt, hatte jenen Einwand schon vor Galilei zu entkräften gewusst, ohne dabei allerdings näher auf die Fliehkraft selbst eingehen zu müssen.23 Dieser Aspekt war es aber gerade, der 20 Clavius schreibt dieses Argument niemandem namentlich zu. Christoph Clavius, In Sphaeram Ioannis de Sacro Bosco Commentarius, Rom: Victorius Helianus, 1570, S. 246 „Praeterea, si terra tanta celeritate circa axem mundi volveretur, ut videlicet circuitum expleret spacio 24. horarum, sicut quidam fabulantur, omnia aedificia corruerent. Neque enim valet responsio quorundam, qui dicunt, aedifica non corruere propter tantam celeritatem motus, quemadmodum neque aqua in vase aliquo contenta, effluit, si vas velocissime circumducatur: Non valet, inquam, haec responsio, quia totus impetus aquae imprimitur versus partes inferiores vasis, non autem versus orificium eius: At vero impetus imprimitur aedificjs versus partes extimas terrae; unde consistere minime possent, [… ]“; diese Stelle findet sich leicht überarbeitet in bekräftigter Form wieder in der letzten von ihm noch besorgten Ausgabe seiner Sphaera (1611): „[… omnia aedificia corruerent.], & nulla ratione diu consistere possent. quod omnino falsum esse, nemo est, qui non videat. [Neque enim valet … ].“: Clavius, Opera mathematica, 5 Bde, Mainz: Antonius Hierat, 1611-1612, Bd III (1611), S. 106. 21 Clavius, Sphaera (1570) 246, (1611) 106; weder Ptolemaios noch Copernicus werden genannt. 22 Riccioli behandelt diesen Einwand als „IV. Argumentum a Concussione ac ruina aedificiorum, & Proiectione corporum infirmiter Terrae adhaerentium“, welches zusammen mit wieteren nicht mehr gültigen Argumenten gegen die Erdrotation zu finden ist unter dem Kapitel „XXII. Proponuntur Arguementa Quinque sed invalida, ab Imptetu, & Velocitate nimia Telluris, & Cognatorum Corporum, si moverentur motu sive Diurno solum, sive etiam Annuo, [… ]“: Riccioli, AN, II: 429b-433b (lib. 9, sec. 4, cap. 22), hier 432b-433a (IV. Arg.). 23 Riccioli, AN, II: 432b-433a. Nach Galilei nennt Riccioli für eine Lösung des Problems Kepler, Epitome astronomiae copernicanae (1618) 136, 137; zu finden in KGW, VII: 98. In noch heute gültiger Form entkräftet Kepler dieses Argument, indem er auf die Erdanziehungskraft verweist. Die Anziehung der Erde (virtus attractoria) binde die Gegenstände auf ihr so stark wie auf einem rotierenden Rad, auf dem sie festgeschnürt sind und nicht mehr wegfliegen können. Das von rotierenden Rädern her bekannte Wegspringen (ille impetus et desultatio) von darauf liegenden Gegenständen rühre aus dem Widerstreit zweier Bewegungsrichtungen her (pugna motuum in plagas diversas), von denen die nach unten gerichtete Erdanziehung stärker wirke (attrahuntur a Tellure). Für die auf der Erde ruhenden Dinge gibt es einen solchen Widerstreit der Bewegungsrichtungen nicht (nullus est locus pugnae et impetui); sie unterliegen alle nur der Rotation der Erde sowie deren Anziehung, die sie dabei fest bindet wie festgebundene Gegenstände auf einem rotierenden Rad: Kepler, Epitome astronomiae copernicanae [Linz: Johannes Plancus, 1618], KGW, VII: 98 (Z. 28-44). Ähnlich zumindest und zeitgleich zu Kepler ordnet Baranzano, Anhänger zugleich eines religösen Ordens wie des

3.5. Das Ptolemaios-Argument

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Riccioli und seinen Zeitgenossen Kopfzerbrechen bereitete.24 Vorangetrieben wurde die Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Fliehkraft durch ebenjenes von Copernicus erfundene Ptolemaios-Argument, wie selbst es derjenige noch vermerkt, dem es erstmals 1673 gelang, die Zentrifugalkraft mathematisch korrekt zu bestimmen: Christiaan Huygens (1629-1695).25 Riccioli allerdings hält bereits 1651 das Ptolemaios-Argument für widerlegt, da es Galilei im Dialogo gelöst habe.26 Auf dieses Werk verweist er seine Leser, wenn sie mehr wissen wollten über die Ursache jenes Schleuderns, wie es bei rotierenden Rädern auftrete.27 Was hatte Galilei aber über diese Schleuderkraft he-

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Copernicus, dieses Problem der Fliehkraft bei rotierender Erde ein, indem er auf die gleiche Lösung wie bei der Antipoden-Frage verweisend die Anziehungskraft für viel stärker erachtet als die Zentrifugalkraft: Baranzano, Uranoscopia seu de coelo (1617) I: 110-111: „Ex motu terrae non oritur destructio aedificiorum, quemadmodum neque antipodes cadunt, etiamsi nobis opponantur, quia ex quacunque parte terrae grave semper tendit [S. 111:] deorsum, id est, ad proprium centrum gravitatis; ratio autem cur non corruant est quia impulsus terrae impressus in ea parte, ubi est fundamentum, imprimitur etiam fundamento & parieti, ex quo oritur maxima connexio illius partis cum fundamento, deinde tanta proportione & suavitate rotatur terra ut ille motus, nullam causet improportionem vel ruinam, [… ].“ Eben weil die Zentrifugalkraft kosmologisch relevant war, wurde ihre Klärung von Galilei (s.u.), Mersenne (Harmonie universelle, 3 Bde, Paris: Sebastien Cramoisy, 1636, Bd I, S. 137-150) und Descartes (im dritten, kosmologischen Teil seiner Principia [1644], III, § 5760, in A&T, VIII: 108-112) vorangetrieben. Christiaan Huygens, Discours de la cause de la pesanteur [Leiden: Pierre van der Aa, 1690]: „L’effort à s’eloigner du centre est donc un effet constant du mouvement circulaire. & quoyque cet effet semble directement opposé à celuy de la gravité, & que l’on ait objecté à Copernic que, par le tournoiement de la terre en 24 heures, les maisons & les hommes devroient estre jettez dans l’air; je feray voir pourtant, que ce mesme effort, que font les corps tournants en rond à s’eloigner du centre, est cause que d’autres corps concourrent vers le mesme centre.“: HOC, XXI: 443-499, hier 452. Huygens beschäftigte sich seit 1659 mit dem Problem der Zentrifugalkraft, aus welcher Zeit seine erst posthum 1703 veröffentlichte Abhandlung De vi centrifuga (HOC, XVI: 253-318) stammt. Diese schließt mit dreizehn Theoremata über die Zentrifugalkraft (HOC, XVI: 315-318), die Huygens auch an den Schluss seines Hauptwerkes über die Pendeluhr stellte: Christiaan Huygens, Horologium oscillatorium sive de motu pendulorum ad horologia aptato demonstrationes geometricae [Paris: F. Muguet, 1673], in HOC, XVIII: 69-368, hier 366-368. Die aus seiner Bestimmung der Zentrifugalkraft abzuleitende Formel (FZ = mv²/r = m· ² r) stammt nicht von Huygens selbst (s. hierzu den Herausgeber in HOC: 245, 303-304 n.8). An ihr ist abzulesen, dass die Zentrifugalkraft mit zunehmendem Abstand zur Drehachse wächst. Zu Huygens’Theorie der Zentrifugalkraft: Joella G. Yoder, Unrolling time. Christiaan Huygens and the mathematization of nature, Cambridge: Cambridge University Press, 1988, S. 16-43; Allan Gabbey, „Huygens and Mechanics,“in: Studies on Christiaan Huygens, hg. von H.J.M. Bos [u.a.], Lisse: Swets & Zeitlinger, 1980, S. 166-199; Richard Samuel Westfall, Force in Newton’s physics: the science of dynamics in the seventeenth century, London: Macdonald; New York: American Elsevier, 1971, 146-193; Florian Cajori, A history of mathematics, New York: Chelsea, 51991, S. 183. Riccioli, AN, II 423b: „Hoc idem argumentum [sc. IV. Argumentum a Concussione ac ruina aedificiorum, & Proiectione corporum infirmiter Terrae adhaerentium] obijciunt sibi & solvunt Galilaeus dialogo 2. de mundi systemate a pag. latina 139. ad 148. sed ab Italica 184. ad 213. [OGG, VII: 216-244] Kepler in Epitome [… ].“ Riccioli, AN, II: 433a: „Si quis plura de causa, ob quam extruduntur corpora rotis superiniecta desiderat, consulat Galilaeum locis paulo ante adductis, [… ].“Riccioli verweist auf die Seiten

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rausgefunden, so dass Riccioli schließlich jenen vielfach vorgebrachten Einwand gegen eine Erdbewegung als hinfällig betrachten musste? Am ‘Zweiten Tage’ des Dialogo, finden wir jene Gedankenexperimente wieder, die uns schon aus der Ekstatischen Reise her bekannt sind. Mit Blick auf das Ptolemaios-Argument hält Galilei zunächst fest, dass mit größter Täuschung (grandissima fallacia) darüber diskutiert werde, indem die verschiedenen Formen von Geschwindigkeit undifferenziert miteinander verglichen würden. 28 Dabei sei es wahr, dass ein Rad, je schneller es sich drehe, umso stärker darauf liegende Steine wegschleudere, und diese Ursache des Hinwerfens (causa della proiezione) nehme proportional zur Geschwindigkeit (Winkelgeschwindigkeit) zu.29 Erhöhe man aber die Geschwindigkeit (Lineargeschwindigkeit), indem man bei zwei synchron sich drehenden Rädern das eine größer mache, beide aber immer noch in gleichen Zeiten gleich viel Umdrehungen machten, dann bliebe dies ohne jeden Einfluss auf die Ursache des Schleuderns (causa dello scagliamento).30 Wir können hier bereits erahnen, was sich Galilei später anschickt zu beweisen, dass es für die Zentrifugalkraft nämlich unerheblich sei, in welcher Entfernung zum Drehpunkt ein Körper sich auf einer Kreisbahn bewege. Heute wissen wir, dass dies nicht richtig ist. Dass Galilei scheinbar fehlging, als er erstmals versuchte, die Fliehkraft zu bestimmen, mag man der Schwierigkeit dieses physikalischen Problems zuschreiben. Allein, wir werden sehen, es verhält sich anders.31 Unsere heutige Auffassung jedenfalls, derzufolge die Zentrifugalkraft mit dem Radius der Kreisbahn zunehme, bezeichnet Salviati alias Galilei im Dialogo

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184 bis 213 des Dialogo (1632); sie fallen in die Giornata seconda und entsprechen in OGG, VII: 216-244. Galilei, Dialogo, OGG, VII: 237 (Z. 37) –238 (Z. 2). Galilei, Dialogo, OGG, VII: 238 (Z. 1-6). Galilei meint hier die Winkelgschwindigkeit, da er an zwei gleich großen Rädern betrachtet, welchen Einfluss jeweils die Geschwindigkeit (velocità) auf die Schleuderwirkung hat. Galilei, Dialogo, OGG, VII: 238 (Z. 6-15). Wir beschäftigen uns im Folgenden mit dem letzten der von Galilei am ‘Zweiten Tage’seines Dialogo dargelegten Versuche zur Fliehkraft: OGG, VII: 237-244. Obwohl Galilei diesen lediglich als Zugabe („per colmo e buona misura della discussion passata“237, Z. 25-26) ankündigt, ist er das entscheidende Experiment für seine wie für unsere Untersuchung, weil darin eine positive Bestimmung der Zentrifugalkraft erfolgt –(Kraft natürlich hier und im Folgenden dieser Arbeit nur in dem Sinne wie Galilei forza verstand, als ‘Stärke’oder ‘Macht’); im Unterschied dazu zielen die vorangegangenen Versuche darauf ab, Fliehkraft-Effekte auszuschließen für den Fall einer rotierenden Erde. Diese Reihe von Gedankenexperimenten und Versuchen (wovon die drei wichtigsten in OGG, VII: 214-228, 237-244), sind mehr oder weniger umfassend untersucht worden von: Alfred Rupert Hall, Die Geburt der naturwissenschaftlichen Methode 1630-1720 von Galilei bis Newton, übers. von Theodor A. Knust, Gütersloh: Sigbert Mohn, 1965, S. 68-71; Maurice Clavelin, La philosophie naturelle de Galilée, Paris: Armand Colin, 1968, S. 244-253; David K. Hill, „The Projection Argument in Galileo and Copernicus: Rhetorical Strategy in the Defence of the New System,“Annals of Science, 41 (1984), S. 109-133, hier 115-120, 127-129; Joella G. Yoder, Unrolling time. Christiaan Huygens and the mathematization of nature, Cambridge: Cambridge University Press, 1988, S. 36-39.

3.5. Das Ptolemaios-Argument

145

als „grundfalsch“(falsissimo).32 Dagegen sei Geschwindigkeit (velocità), wie es nachfolgend heißt, allein der Grund für dieses Schleudern; mit ihr nehme es proportional zu und zwar unabhängig von der Größe des rotierenden Rades. Galilei vergisst hier allerdings zu sagen, welche Geschwindigkeit gemeint ist, und verwischt damit den gerade selbst erst aufgezeigten und in der Diskussion von ihm auch angemahnten Unterschied zwischen Winkel- und Lineargeschwindigkeit.33 Denn nur, wenn ein größeres Rad sich mit konstanter Winkelgeschwindigkeit, folglich mit einer seiner Größe entsprechenden höheren Lineargeschwindigkeit bewegt und das scagliamento trotzdem im Vergleich zu einem kleineren Rad nicht zunimmt, nur dann ist das Ptolemaios-Argument gegen eine Rotation der Erde widerlegt. Denn, wie es Galilei selbst zusammenfasst, stütze Ptolemaios seinen Einwand ja darauf, dass die Erde aufgrund ihres riesigen Umfanges sich viel schneller drehe – also mit höherer Lineargeschwindigkeit – als jedes beliebige Rad, das in Rotation versetzt bereits Steine zum Schleudern bringt.34 Folglich muss, um den copernicanischen Ptolemaios zu widerlegen, Galilei beweisen, dass die Fliehkraft nicht mit der Größe des rotierenden Körpers zunimmt, d.h. nicht zusammen mit dem Kreisbahnradius und der Bahngeschwindigkeit ansteigt. Für seinen Beweis 35 wählt er zwei unterschiedlich große Räder, die sich mit gleich großer Lineargeschwindigkeit drehen, d.h. ein beliebiger Punkt auf ihrem Umfang bewegt sich in gleichen Zeiten um gleich lange Kreisbögen weiter. Die Räder drehen sich jeweils schnell genug, um einen Stein wegzuschleudern. Dieser beschreibt dabei eine Flugbahn tangential zum Radumfang. In gleicher Zeit dreht sich die Abflugstelle des Steines auf beiden Rädern um einen gleich langen Kreisbogen weiter. Vom Endpunkt dieses Bogens fällt Galilei jeweils ein Lot auf die Flugbahn-Tagente des weggeschleuderten Steines. Die Länge des Lotes deutet er als das nötige Maß an Kraft, um den Stein auf seiner Bahn zu halten. Beim kleineren Kreis nun aber fällt das Lot länger aus als beim größeren. Daher sei eine viel größere Kraft nötig, um auf dem kleinen Rad einen Stein zu halten. 36 Salviati,

32 Galilei, Dialogo, OGG, VII: 238 (Z. 15). 33 Zwar nennt Galilei hier die maximale Lineargeschwindigkeit des kleineren Rades. Mit welcher Geschwindigkeit sich allerdings das hunderttausendmal größere Rad drehen soll, das, wie er behauptet, dennoch keinen entsprechend größeren impeto di scagliare erzeuge, verschweigt er dabei. Der sich aufdrängende Vergleich mit der auch viel größeren rotierenden Erde ist ohne diese Angabe jedoch aussagelos. Galilei, Dialogo: „[… ], se crescendosi la velocità in qualsivoglia modo, con l’istessa proporzione si accresca la causa della proiezione, sì che, v.g., se una ruota di dieci braccia di diametro, movendosi in maniera che un punto della sua criconferenza passasse in un minuto d’ora cento braccia, e perciò avesse impeto di scagliare una pietra, tale impeto si accresce centomila volte in una ruota che avesse un milion di braccia di diametro: il che nega il Sig. Salviati, ed io inclino a creder l’istesso; [… ]“: OGG, VII: 239 (Z. 29-37). 34 Galilei, Dialogo, OGG, VII: 237 (Z. 29-36). 35 Galilei, Dialogo, OGG, VII: 242 (Z. 11) – 243 (Z. 26). Dieser Beweis ist ausführlich untersucht worden von M. Clavelin (1968) 249-253. 36 Galilei, Dialogo: „[… ], e però molto maggior forza si ricercherà per tener la pietra B congiunta alla sua piccola ruota, che la pietra C alla sua grande; [… ]“: OGG, VII: 243 (Z.21-22).

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3. Der primus motus

der diesen ganzen Beweis führt, zieht hieraus den Schluss, dass die Ursache des Hinwerfens umso mehr abnehme, je größer das Rad sei. 37 Die Zentrifugalkraft wäre demnach nicht nur, wie von Salviati und seinem Mitstreiter Sagredo behauptet, unabhängig von der Größe der Kreisbahn. Galilei will more geometrico bewiesen haben, dass sie sogar umgekehrt proportional zum Kreisbahnradius ist. Auf den ersten Blick wirkt sein Ergebnis wie das genaue Gegenteil dessen, was wir heute wissen. Doch Galilei behält mit seinem geometrischen Beweis auch physikalisch Recht. In dem vorgestellten Versuch ist die erzeugte Fliehkraft tatsächlich schwächer bei dem größeren Rad. Doch gibt es einen Größenunterschied nicht nur bezüglich des Radius beider Räder. Ihre Lineargeschwindigkeit soll in dem Experiment gleich hoch sein. Damit muss aber das kleinere Rad in gleicher Zeit mehr Umdrehungen machen als das größere und hat folglich eine höhere Winkelgeschwindigkeit. Völlig zutreffend lässt sich Galileis Ergebnis also wie folgt formulieren: Die Fliehkraft ist umgekehrt proportional zum Radius der Kreisbahn, wenn die Lineargeschwindigkeit konstant ist.38 Ebendies und nichts anderes hat Galilei bewiesen, und so ist sein Fazit zu verstehen, auch wenn er selbst wiederum vergisst, die entscheidende Angabe über die Geschwindigkeit zu machen bzw. sie hier eigens zu wiederholen. Auffälligerweise bleibt es im Dialogo Sagredo überlassen, den Triumph über Ptolemaios zu verkünden, und auch dies nur seltsam zaghaft: „Man könnte meinen,“drückt sich Sagredo aus, „dass die tägliche Erddrehung ebenso wenig ausreicht, um Steine zum Schleudern zu bringen, wie die Rotation eines beliebigen Rades, das alle vierundzwanzig Stunden sich ein Mal im Kreis dreht.“39 Demnach wäre Ptolemaios widerlegt und Salviatis darauf folgendes Schweigen am Schluss dieser langen Untersuchung lediglich als Zustimmung zu werten. Doch müsste ganz im Gegenteil Salviati dieser Darstellung vielmehr energisch widersprechen. Denn das Ptolemaios-Argument ist keineswegs erledigt. Wächst diesem zufolge ja die zerstörerische Fliehkraft mit der Lineargeschwindigkeit an. Ein beliebiges Rad, das sich alle vierundzwanzig Stunden ein Mal herumdreht, bewegt sich allerdings deutlich langsamer als irgendein Punkt auf der bewohnten Erde. Bei gleicher Winkelgeschwindigkeit dreht sich dieser folglich schneller, die lineare Geschwindigkeit ist verschieden. Indessen gilt Galileis Ergebnis ausschließlich für genau den umgekehrten Fall. Nur, wenn die Lineargeschwindigkeit zweier unterschiedlich großer Rotationskörper gleich ist –und ihre Winkelgeschwindigkeit 37 Galilei, Dialogo: „È manifesto, dunque, che quanto più si cresce la ruota, tanto si scema la causa della proiezione.“: OGG, VII: 243 (Z. 24-26). 38 Bei Huygens, der das Gesetz der Zentrifugalkraft als erster richtig formuliert, findet sich ebendieses Ergebnis aus Galileis Untersuchung wieder. Es ist mit einer Versuchsskizze illustriert, die der Abbildung im Dialogo (OGG, VII: 242) sehr ähnlich ist: Huygens, De vi centrifuga [1703]: „Si eadem celeritate in diversae magnitudinis circulis gyretur, hoc est ut eodem tempore arcus aequales (non autem similes) absolvat, erit attractionis vis in ratione contraria qua circulationis radij, ita ut in minori radio major sit attractio.“: HOC, XVI: 306 (Fig.4). 39 Galilei, Dialogo: „[Sagredo: … ] così si potrebbe stimare che la vertigine della Terra non più fusse bastante a scagliare le pietre, che qualsivoglia altra piccola ruota che tanto lentamente si girasse, che in ventiquattr’ore desse una sola rivolta.“OGG, VII: 244 (Z. 11-15).

3.5. Das Ptolemaios-Argument

147

(bzw. Frequenz) damit verschieden –, nimmt die Fliehkraft ab, je größer der Kreisbahnradius ist. So richtig dieses von Galilei herausgefundene Verhältnis auch ist. Es beweist nicht, was hätte bewiesen werden müssen, um das Ptolemaios-Argument zu widerlegen. Dass die Fliehkraft mit steigender Lineargeschwindigkeit nicht anwächst (also vom Kreisbahnradius unabhängig ist bei konstanter Winkelgeschwindigkeit), diesen Beweis bleibt uns Galilei schuldig. Das von ihm gefundene Verhältnis sowie sein ganzer Versuch tragen folglich nichts zur Lösung des Problems bei. Kaum kann Galilei dies entgangen sein. Zu eklatant steht allein schon der Versuchsaufbau im Widerspruch sowohl zu dem zu lösenden Problem als auch zu Galilei-Salviatis eigenen Aussagen: Ist doch, um die Fliehkraft zu bestimmen, für beide Räder eine identische Lineargeschwindigkeit gewählt, obwohl Galilei einleitend noch Ptolemaios zugestanden hat, dass sich die Erde ihrer Größe wegen linear viel schneller drehe als jedes erdenkliche Rad;40 demzufolge rotieren in seinem Versuch die beiden unterschiedlich großen Räder mit verschieden hoher Winkelgeschwindigkeit, obschon Galilei zuvor selbst festgestellt hat, dass mit mehr Umdrehungen in gleicher Zeit auch die Fliehkraft zunehme.41 Demnach dürfte ihn nicht überrascht haben, dass das kleinere mit höherer Drehzahl rotierende Rad die größere Fliehkraft erzeugt. Da die Lineargeschwindigkeit beider verschieden ist, wird ihm aber ebenso klar gewesen sein, dass sich der dabei gefundene Verhältnissatz – je größer das Rad (Kreisradius), desto schwächer die Fliehkraft –nicht auf die Erde übertragen lässt. Wohlgemerkt ist es auch nicht Salviati-Galilei, der diesen falschen Schluss zieht. Er hätte an dieser Stelle vielmehr sein Scheitern bekennen müssen: Das Ptolemaios-Argument gegen die Erdrotation hat er nicht widerlegt. Doch kommentarlos lässt er das genaue Gegenteil hiervon, wenn auch kleinlaut, von Sagredo als Schluss-Satz zu der ganzen Untersuchung formulieren gleichsam als ‘quod erat demonstrandum’. Zusammen mit Sagredo lässt Galilei folglich auch seine Leser den entscheidenden Schluss aus einem Experiment ziehen, das bestenfalls das Gegenteil beweist. Diese Darstellung –nicht minder eine grandissima fallacia –verfolgt allein das Ziel, den Anhängern der Geostatik einen in Galileis Augen offenbar gewichtigen Einwand gegen die Erdrotation zu nehmen, das Ptolemaios-Argument. Was Galilei dabei leisten musste, ist allerdings beeindruckend. Belegt doch deutlich die Geschichte des Fliehkraft-Arguments, wie sie vorangehend skizziert worden ist –seit es Copernicus als erster gegen den primus motus vorgebracht hat (in Umkehrung seines fingierten Ptolemaios-Arguments) –, dass bisher, d.h. vor 1632, durchaus wie selbstverständlich angenommen worden war, die Fliehkraft nähme mit größerem Bahnradius und steigender Lineargeschwindigkeit (bei gleich bleibender Winkelgeschwindigkeit) zu. Wenn Galilei hiervon nun genau das Gegenteil im Dialogo mittels solcher Experimente behauptet, die dies nicht einmal beweisen können,42 gelingt es ihm damit also obendrein, seinen Zeit40 Galilei, Dialogo, OGG, VII: 237 (Z. 29-36). 41 Galilei, Dialogo, OGG, VII: 237 (Z. 37) –238 (Z. 2). 42 Die vorbereitenden Gedankenexperimente Galileis, die ebenfalls schon versuchen, das Fliehkraft-Argument als Einwand gegen die Erdrotation zu widerlegen (OGG, VII: 214-228), hal-

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3. Der primus motus

genossen ein im wahrsten Sinne paradoxes Ergebnis glaubhaft zu machen. Offensichtlich hatten sein Verwirrspiel um die verschiedenen Geschwindigkeiten sowie die an seinen Versuchen demonstrierte Wissenschaftlichkeit, die hierfür nötige rhetorische Wirkung nicht verfehlt.43 Ausgerechnet Riccioli, der bedeutendste Verteidiger der Geostatik, ließ sich von Galileis Darstellung täuschen und gab das Ptolemaios-Argument verloren. Hieran zeigt sich, dass die Fliehkraft, wie Galilei sie bestimmt hatte, bis dahin weitgehend unbeanstandet geblieben sein muss. Zwar hatte vier Jahre nach Erscheinen des Dialogo (1632) bereits Marin Mersenne in seiner Harmonie universelle (1636) sich ebenfalls dem Ptolemaios-Argument gewidmet und auch die galileischen Versuche wiederholt.44 Indem er das Phänomen der Zentrifugalkraft erstmals quantitativ (und nicht nur geometrisch) zu erfassen suchte, leistete er nicht nur wichtige Vorarbeit für Huygens. Vor allem kam er dabei zu einem anderen Ergebnis als noch Galilei, 45 das er auch als solches konstatiert, ohne diesen ten ebensowenig einer genaueren Prüfung stand: M. Clavelin (1968) 244-250; J. G. Yoder (1988) 36-38. 43 Schon Emil Strauss machte in den Erläuterungen zu seiner bedeutenden Dialogo-Übersetzung von 1891 (Galilei, Dialog, ²1982, S. 528-532) auf Galileis Irrtum aufmerksam (ebd. 530 n. 77, 531-532 n.85, wogegen Galilei in der Neuausgabe der Strauss’schen Übersetzung verteidigt wird von Stillman Drake: ebd. 581 n.69, 582 nn. 77 u. 85) und merkte zusammenfassend an: „Die galileischen Ansichten über das Wesen der Centrifugalkraft sind freilich in ihrem letzten Ergebnis falsch, enthalten aber auf der anderen Seite soviel Neues bezüglich der Methode und Auffassung mechanischer Probleme, dass sie gleichwohl zu dem Bedeutendsten gehören, was im Dialoge enthalten ist, ja zu dem Bedeutendsten, was Galilei überhaupt geleistet“: ebd. 528 n.69. Ebenso hatte A.R. Hall (1965, S. 68-71 „Galileis Irrtum“) auf die Schwächen in Galileis Versuchen zur Zentrifugalkraft hingewiesen. M. Clavelin (1968, S. 244-253) sieht die Gründe für das Scheitern Galileis bei seinen Versuchen zur Zentrifugalkraft teils in einem excès de géométrisation (ebd. 247, 248, 249 n.59, 252), teils in Unachtsamkeit („la faute d’inattention soit certaine“: ebd. 252) sowie konzeptionellen Hemmnissen („le mouvement circulaire tend à représenter pour Galilée un mouvement naturel“: ebd. 252253). D.K. Hill (1984) ist es nun aber, der in Galileis Irrtum hingegen keine bloß zufälligen Ungereimtheiten vermutet, die sich aus rein sachlichen Fehlern erklären ließen, sondern sieht sie durch eine rhetorische Strategie Galileis verursacht, die darauf abzielt, Fliehkraft als Argument gegen die Erdrotation auszuschalten wie er sie für ein allerdings anderes Motiv bereits für Copernicus’falsches Ptolemaios-Zitat angenommen hat: ebd. 112-115: „Copernicus’s strategy“. D.K. Hills Artikel provozierte eine Stellungnahme seitens Stillman Drakes, der sich aber nicht gegen den von Hill erhobenen Vorwurf einer für Galilei übergeordneten Wissenschaftsrheotrik wendet, sondern einen Beitrag will zum richtigen Verständnis der in Frage stehenden galileischen Versuche liefern: Stillman Drake, „Galileo and the Projection Argument,“Annals of Science, 43 (1986), S. 77-79, hier 78. Zum Rhetorischen in Galileis Wirken: Andrea Battistini, Galileo e i Gesuiti. Miti letterari e retorica della scienza, Mailand: Vita e Pensiero, 2000. 44 Mersenne, Harmonie universelle (1636) I: 137-150 (prop. 16-19): der gemeinsame Nenner dieser propositiones besteht in der Frage, „si les edifices tomberoient, & si les corps pesans seroient iettez à costé par terre, si elle tornoit autour de son axe en 24 heures, suivant la position, & les hypotheses d’Aristarque.“: ebd. 138. 45 Zu Mersennes Versuch, die Zentrifugalkraft zu bestimmen und dessen Leistung für Huygens eigene Arbeit (auch wenn dieser seine Schrift De vi centrifuga mit dem Horaz-Vers (epist. I, 19, 21) „Libera per vacuum posui vestigia princeps“beginnen lässt, HOC, XVI: 302): James

3.5. Das Ptolemaios-Argument

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allerdings offen damit zu widerlegen. 46 Vielmehr nimmt er sich am Schluss seiner Untersuchung zurück, stellt sein eigenes Ergebnis gleichsam wieder in Frage, indem er auf die schwierige Materie verweist, welche ein endgültiges Urteil nicht zulasse.47 Kircher war ein ausgezeichneter Kenner gerade dieses Werkes von Mersenne, aus welchem er ausgiebig für seine 1650 erschienene Musurgia universalis abschrieb.48 Nicht nur aus dem Dialogo selbst musste ihm also jene galileische Bestimmung der Fliehkraft noch in Erinnerung sein. Auch die falsche Schlussfolgerung Sagredos, mit der dieser im Dialogo das Ptolemaios-Argument für erledigt erklärt, gibt Mersenne in seiner Harmonie universelle wieder.49 Zwar macht Kircher nicht die Fliehkraft zum Gegenstand seiner Lösung der velocitas fixarum, erwähnt sie lediglich als Einwand gegen den primus motus. Dennoch treffen sich am Ende, wie grundverschieden jeweils die Begründung ist, beide in der Feststellung, dass die Wirkung der Bewegung nachlässt, je größer die Kreisbahn ist: Dies gilt bei Galilei bezüglich der erzeugten Fliehkraft, bei Kircher bezüglich der empfundenen Schnelligkeit. Wie oben gesehen, kann zwar für sich allein genommen Kirchers mira proportio nicht als evidentia physica gelten. Sie stimmt jedoch mit jenem gleichfalls wundersamen Verhältnis überein, das Galilei als paradoxes Ergebnis seiner eigenen Versuche aufstellt. Kirchers mira proportio vermag mit Sinnesevidenz genau jene Fliehkraft zu belegen, die, wie im Dialogo zu lesen, sich umgekehrt proportional zur Kreisbahn verhält. Die Kenntnis dieser Verhältnismä-

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MacLachlan, „Mersenne’s Solution for Galileo’s Problem of the Rotating Earth,“Historia Mathematica, 4 (1977), S. 173-182; J. G. Yoder (1988) 35-39. Mersenne, Harmonie universelle (1636) I: 148 (prop. 19): „[...] & il semble que l’on peut avoir autant de droit de dire que si elle se fait ainsi, le mouvement de la terre auroit 17181818 fois plus de force à ietter les corps, qu’une rouë de deux pieds en diametre qui torneriot en 24 heures, parce qu’en un arc semblable la tangente, [...] , de sorte que la terre ieteroit une pierre dautant plus loin que son demi diametre est plus grand, parce qu’elle va dautant plus viste, encore qu’elle ne face pas plus de tours que la petite rouë.“ Mersenne, Harmonie universelle (1636) I: 149-150 (prop. 19): „[...], quoy que Galilee asseure que la petite [sc. roue] la ietttera plus loin. [/] Mais parce que les raison que l’on s’imagine fort bonnes, trompent souvent [S. 149:] dans la Physique, comme i’ay demonstré en plusieurs endroits de cet ouvrage, ie vins a l’experience, afin de remarquer la maniere dont la nature agit en ces mouvemens, & d’en tirer la decision. [/] [...] [/]: ce qui m’empesche de conclure sur ce suiet, iusques a ce que d’autres experiences faites en plus grand volume ayent donné plus de lumiere, c’est pourquoy ie passe à d’autres difficultez.“ Zu diesem Werk Kirchers siehe: Ulf Scharlau, Athanasius Kircher (1601-1680) als Musikschriftsteller. Ein Beitrag zur Musikanschauung des Barock, Marburg: Görich & Weiershäuser, 1969; ders., „Zur Einführung in Athansius Kirchers ‘Musurgia Universalis’“, in: Kircher, Musurgia universalis, hg. von Ulf Scharlau, Hildesheim; New York, 1970, S. i-xi; Eberhard Knobloch, „Desargues, Mersenne et Kircher: La musique et les mathématiques“, in: Desargues en son temps, hg. von Jean Dhombres u. Joël Sakarovitch, Paris: A. Blanchard, 1994, S. 111-124; ders., „Musurgia universalis – Unbekannte Beiträge zur Kombinatorik im Barockzeitalter“, in: Actio formans. Festschrift für Walter Heistermann, hg. von Walter Heistermann, u.a., Berlin: Colloquium, 1978, S. 119-132. Mersenne, Harmonie universelle (1636) I: 148 (prop. 18): „[...], & que la terre n’auroit pas plus de force à ietter les corps que la petite rouë B G que l’on torneroit une fois en 24 heures.“ Vgl. OGG, VII: 244 (Z. 11-15) in Anm. oben zitiert.

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3. Der primus motus

ßigkeit der von Galilei so bestimmten Fliehkraft konnte Kircher aber zumindest bei denjenigen Lesern voraussetzen, die gleichfalls auch imstande gewesen wären, den primus motus und damit die Geozentrik seines Kosmos kompetent zu kritisieren. Wer jedoch den alles entscheidenden Einwand hiergegen vorbringen wollte – das Fliehkraft-Argument –, sollte selbst am besten wissen, wie Galilei Fliehkraft definiert hat. Das Phänomen der Fliehkraft sprach seit Copernicus gegen die Geostatik. Dieser selbst jedoch hatte, um diesen Einwand einzuführen, das Ptolemaios-Argument erfunden. Indem dieser fiktive Einwand sich im Verlauf der kosmologischen Kontroverse verselbständigt, wird das Phänomen der Fliehkraft ambivalent für beide Seiten. Als zweischneidiges Schwert lässt es sich gegen den primus motus wie auch gegen die Rotation der Erde führen. Offenbar hatte es so sehr an Bedeutung für die Verteidigung der Geostatik gewonnen, dass Galilei, eigens um es zu widerlegen, erstmals versucht, die Fliehkraft zu bestimmen. Festzuhalten bleibt hierbei, dass Galilei sich sehr wohl bewusst gewesen sein muss, die Fliehkraft in dem genau verkehrten Verhältnis bestimmt und somit nicht das Ptolemaios-Argument widerlegt zu haben. Alles andere hieße, Galilei etwas von seinen intellektuellen Qualitäten abzusprechen, nur um seine moralischen zu retten (völlig außer Zweifel stehen eigentlich nur jene). Indem auf diese Weise aber Galilei in den Augen seiner Zeitgenossen das Ptolemaios-Argument widerlegt, bringt er zugleich damit die Fliehkraft als einen Einwand gegen den primus motus zum Verschwinden. So lange Galileis Behauptung gültig blieb, hatte die Geostatik ihren schlimmsten Gegner nicht zu fürchten: das Fliehkraft-Argument. Von Copernicus erfunden sollte sie davon ausgerechnet dessen größter Anhänger befreien. Vielleicht mag Kircher diese Ironie gesehen haben (im Gegensatz zu Riccioli). Ihm dürfte gleichfalls aber, da er Mersenne gut kannte und die Experimente Galileis kritisch prüfte, nicht entgangen sein, dass Galilei so verstanden Unrecht hatte.50 Doch wen sollte es wundern, dass diesmal 50 Aus Mersennes eigenen Händen hatte Kircher die Harmonie universelle (1636) erhalten, als jener sich von Sept. 1644 bis Sept. 1645 auf seiner Italienreise befand. Von Rom aus, wo beide sich auch persönlich kennenlernten –in brieflicher Verbindung standen sie spätestens seit Mersennes Schreiben vom 20. Januar 1640 (Mersenne, 1945-1988, IX: 31-38) – berichtet Mersenne am 16. Januar 1645 dem Pariser Astronomen Ismaël Boulliau: „Le P. Kircher a devoré en 4 jours mon livre de l’Harmonie universelle que je luy ay presté icy, et dit en estre ravi; il doit escrire de la musique et donner à tous la maniere de composer en toutes façons par les combinaisons. Il a quantité de beaux desseins, et particulierement De Arte lucis et umbrae, où il dira merveilles.“: Mersenne (1945-1988) XIII: 320; zu Mersennes Italienreise: ebd. XIII: 234-248. Kirchers schon erwähnte Überprüfung der galileischen Bewegungsgesetze im Mundus subterraneus (1665; 1668, I: 20-35; 1678, I: 20-34; hierzu C. Ziller Camenietzki (1995a) 286-294) erfolgte unter Mersennes Einfluss: Mit seiner Kritik an Galilei, dass dessen Ergebnisse experimentell nicht überprüfbar seien, wiederholt Kircher sinngemäß diejenige, die schon Mersenne vorgebracht hatte: Harmonie universelle (1636) I: 112: „[… ]; d’où [sc. Wiederholung der galileischen Versuche entlang der schiefen Ebene] l’on peut conclure que l’expérience n’est pas capable d’engendrer une sçience, et qu’il ne faut pas trop fier au seul raisonnement, puisqu’il ne respond pas toujours à la vérité des apparences, dont il s’éloigne bien souvent [… ].“; vgl. hierzu Kirchers Fazit: „Ut proinde ex hisce [sc. die galileischen Versuche

3.5. Das Ptolemaios-Argument

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Kirchers eigener Einspruch ausbleibt. Ergibt er sich damit doch einer ganz wundersamen Fügung, durch welche ihm gerade von dem berühmtesten aller Copernicaner dazu verholfen wird, die Geostatik seines Kosmos, sein novum systema, in welchem mit aberwitzigen Geschwindigkeiten die Sterne um die ewig weit entfernte Erde rasen, immun zu machen gegen Fliehkraft. Kurioserweise behält hingegen Kircher, während Galilei Unrecht hatte, Recht mit seiner nicht minder paradoxen mira proportio: Die Bewegung eines Punktes wirkt auf uns viel stärker, kommt uns schneller vor, wenn er auf einer kleineren Kreisbahn läuft, als wenn er sich auf einer größeren in Wirklichkeit viel schneller bewegt. Dieses umgekehrte Verhältnis, das beide jeweils für die Kreisbewegung aufstellen, bleibt richtig allerdings allein bezüglich unserer Wahrnehmung. „Ob sich der Himmel dreht und die Erde dabei steht oder sich aber die Erde dreht und der Himmel steht,“51 um diese kosmologische Frage wurde seit Copernicus gestritten, und die Antwort hierauf war weltbildentscheidend. Nicht minder nämlich als durch das Wiederbeleben der Heliozentrik hatte den Streit um das richtige Weltbild Copernicus dadurch entfacht, dass er gleichfalls die Geostatik untergrub. In dem Ringen darum, ob die vierundzwanzigstündige Wiederkehr der Sonne, Planeten und Sterne, diese erste Bewegung, nun wirklich auf den Himmel selbst zurückzuführen sei oder aber auf die Erde, zieht sich als roter Faden die Fliehkraft. Auf dieses Phänomen verweisen beide Seiten, Geostatiker und deren Gegner, um sich gegenseitig damit zu widerlegen. Beide gingen sie jeweils zum Angriff über: Die Streiter für den primus motus wendeten die zerstörerische Fliehkraft gegen eine Rotation der Erde ein; denselben Einwand führten wiederum die Erdbeweger gegen jenen primus motus an. Weniger beherzt indes war die Verteidigung: Geostatiker retteten sich allenfalls, indem sie auf Intelligenzien oder eine letzte feste Sphäre rekurrierten. Um den primus motus zu verteidigen, scheint entlang der schiefen Ebene] luculenter pateat, quam multa saepe Geometricis legibus adstringantur, quae tamen exactiori trutina ponderata, falsa denique per assiduum experimetum reperiuntur.“: Mundus subterraneus (³1678) I: 28a (1665; 1668, I: 28ab). Kircher verweist aber auch selbst im Laufe seiner Untersuchung zu Galilei auf Mersennes Harmonie universelle (1648 unter dem Titel Harmonicorum libri XII auf Lateinisch erschienen): Mundus subterraneus (³1678) I: 25b (1665; 1668, I: 26a). Zudem zitiert Kircher ausgiebig aus einem nicht näher bezeichneten Brief von Mersenne, in dem dieser ihm von seinem vergeblichen Unterfangen berichtet, Galileis Ergebnisse experimentell zu überprüfen; darin schließt Mersenne mit der Feststellung: „Ex quibus apparet, quam speculationes saepe experientiis contradicant.“: Mundus subterraneus (³1678) I: 25b-26a, hier 25b (1665; 1668, I: 26ab, 26b). 51 Kircher, Magnes (1641) 538: „Uterque [sc. Gilbert und Kepler] veterem iam dudum inter Pythagoreo-Copernicanos, Utrum caelum stante Terra, an autem Caelo stante Terra vertatur, agitatam quaestionem, ac pene extinctam, resuscitare omnibus modis conatur; [… ]“(Magnes, 1643, S. 475). Diese von Kircher als nicht näher bezeichnetes Zitat kenntlich gemachte Formel („Utrum [… ]“) dürfte aus Seneca, Naturales quaestiones, VII 2 (3) stammen; siehe hierzu weiter unten S. 231 und Anm. dort. Ähnlich formuliert Galilei diese Formel im Dialogo (1632), hingegen nicht beschränkt auf die geostatische Fragestellung: „[… ] stando ferma la Terra sola nel centro dell’universo, i corpi celesti si muovano tutti; o pur se, stando ferma la sfera stellata ed il Sole nel centro, la Terra ne sia fuori, e siano suoi quei movimenti che ci appariscono esser del Sole e delle stelle fisse?“: OGG, VII: 155, Z. 31-34.

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3. Der primus motus

hingegen niemand ernsthaft das Phänomen der Fliehkraft untersucht zu haben.52 Doch auch unter den Streitern für die Erdbewegung findet sich erst spät mit Galilei jemand, der eigens dieses Phänomen näher zu bestimmen sucht. Zwar lässt er in seiner Untersuchung geschickt den Leser glauben, das Ptolemaios-Argument sei widerlegt, weil die Fliehkraft schwächer werde mit dem Radius der Kreisbewegung. Für seine Seite jedoch als weniger geschickt erwies es sich, dass damit dann zugleich derselbe Einwand gegen den primus motus unhaltbar werden musste. Tatsächlich wurde Fliehkraft, wie im Dialogo von Galilei definiert, ernsthaft als deren physikalische Beschreibung rezipiert. Seiner Autorität mag Galilei dabei zu verdanken haben, dass Mersenne (1636) trotz seines gegenteiligen Ergebnisses nicht wagt, ihn offen auch zu widerlegen. Selbst Huygens später unterlässt es noch, an Galileis Ansehen öffentlich zu rütteln, wiewohl er besser als jeder andere wusste, dass sich so, wie im Dialogo zu lesen, die Fliehkraft nicht bestimmen ließ. Jedoch sieht Huygens in Galilei nicht denjenigen, der sich irrt oder der gar selber täuscht, sondern den Getäuschten selbst: „Galileus deceptus“ – was Huygens allerdings nur für sich privat vermerkt.53 Ein Geostatiker indessen hätte streng genommen gar kein Interesse haben können, in diesem Punkte Galilei einen Fehler nachzuweisen. Hatte ebendamit doch und um den Preis, das Ptolemaios-Argument zu entkräften, Galilei zugleich den primus motus gegen die Fliehkraft abgesichert. Dies allerdings kann Riccioli nicht gesehen haben: Nimmt gerade er, um diesem Einwand zu entgehen, wenig glaubwürdig zu einem festen Fixsternhimmel seine Zuflucht. Kircher dagegen mag sich auf ebendiese paradox verkehrte von Galilei so verbürgte Fliehkraft verlassen, wenn er wie selbstverständlich seinen Sternen Geschwindigkeiten zugesteht, die in den Augen eines jeden Lesers absurd erscheinen müssten angesichts des seit Copernicus vorgebrachten Fliehkraft-Arguments, welches Kircher zudem an dieser Stelle selbst noch erwähnt. Doch dieser alte Einwand war nun mit Galileis Umkehrung der Fliehkraft ebenso dahin wie auch das Ptolemaios-Argument. Wie verschwunden scheint das Fliehkraft-Argument bei Kircher wie überhaupt auch in der Zeit nach Ricciolis Almagestum novum (1651), bis schließlich Huygens seine Ergebnisse hierzu 1673 doch noch veröffentlichte.54 52 Eine Ausnahme hiervon dürfte Niccolò Cabeo machen, auf den Riccioli (AN, II: 433a) in Zusammenhang mit Galileis Bestimmung der Fliehkraft verweist: Cabeo, In quatuor libros meteorologicorum Aristotelis commentaria et quaestiones, 4 Bde, Rom: haeredes Fr. Corbellati, 1646, Bd I (laut Riccioli: lib. 1, text. 17, quaest. 8). 53 Diese Notiz findet sich in Huygens’so genannten Anecdota (pièces inédites), die aus seinen letzten Lebensjahren stammen: HOC, XVIII: 663-668, hier 665: „De vi centrifuga exstant, sed non demonstrata. [… ] Galileus deceptus. Libera per vacuum &c. [sc. Libera per vacuum posui vestigia princeps, Horaz, epist. I, 19, 21]“ 54 Auch wenn danach Fliehkraft noch durchaus ein Thema gewesen sein wird, so scheint sie als Argument gegen den primus motus wie verschwunden im Vergleich zu ihrer Präsenz in der Zeit davor. In dem Zeitraum von Copernicus bis Descartes spielt in M.-P. Lerners Untersuchung das Achilles-Argument (unter dem Lerner auch das der Zentrifugalkraft versteht) nach Riccioli (1651) keine Rolle mehr: M.-P. Lerner (1996-1997) II: 94-195. Inwieweit Fliehkraft noch ein Thema in jener Zeit gewesen sein mag, ließe sich nicht allein danach entscheiden, ob Autoren weiterhin an einer festen Sphäre festhielten, sondern ob sie dies taten, um dem Flieh-

3.5. Das Ptolemaios-Argument

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Dieses Verschwundensein mag sich aus der Akzeptanz erklären, welche Galileis Definition der Fliehkraft genoss. Denn auch das Ptolemaios-Argument scheint in der Zeit nach Galileis Dialogo (1632) seinerseits wie verschwunden aus der kosmologischen Kontroverse. 55 Hatte Galilei doch bewiesen, indem er die Fliehkraft bestimmte, dass nicht Häuser und ganze Städte einstürzten, sollte die Erde sich drehen. 56 „Newton hat sie erfolgreich auf die elliptischen Planetenbewegungen angewandt. Hieran sieht man, wie viel diese Erkenntnis über die Zentrifugalkraft wert ist.“57 Wiederum nur für sich vermerkt dies Huygens in vollem Bewusstsein des Beitrages, den er mit seiner mathematisch exakten Bestimmung der Zentrifugalkraft geleistet hat für diejenige Entdeckung Newtons, die sich als die kosmologisch bedeutsamste bis Einstein erweisen sollte: die universelle Gravitation. 58

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kraft-Argument zu entgehen. Aber bei E. Grant (1994, S. 361-370) z.B. findet sich überhaupt kein Autor, der nach Riccioli (1651) erstmals veröffentlicht und eine solche letzte feste Sphäre neu vertreten hätte. Dementsprechend erwähnt Peter Megerlin (Systema Mundi copernicanum, Amsterdam, 1682) unter den Beweisen für die Richtigkeit des copernicanischen Systems nicht die Fliehkraft, wiewohl er (Argument 10, ebd. 51-52, weiter oben zitiert) die unglaublich hohen Fixstern-Geschwindigkeiten gegen die Geostatik einzuwenden weiß; (folglich bringt er, ohne so es zu bezeichnen, das Ricciolische Achilles-Argument vor). Neun Jahre zuvor allerdings hatte Huygens sein Werk Horologium oscillatorium (1673) veröffentlicht, in welchem die Fliehkraft richtig bestimmt und Galilei damit korrigiert wird: HOC, XVIII: 69-368, hier 366-368. Die weitere Verbreitung von Galileis 1633 verbotenem und durch die Inquisition eingezogenem Hauptwerk, das nur in wenigen Exemplaren über die Alpen gelangte, ist maßgeblich dem Wirken Elias Diodatis (1576-1661) zu verdanken, der sich in Absprache mit Galilei um die lateinische Übersetzung des Dialogo, kümmerte, mit welcher Diodati den Straßburger Geschichtsprofessor Matthias Bernegger (1583-1640) beauftragte, sowie um den Druck des Systema cosmicum 1635 in Straßburg: Stéphane Garcia, Élie Diodati et Galilée. Naissance d’un réseau scientifique dans l’Europe du XVIIe siècle, Florenz: Olschki, 2004, S. 277-299. Dies hier für das Ptolemaios- wie für das Fliehkraft-Argument festzustellende quasi Verschwinden muss unter dem Vorbehalt stehen, dass die kosmologische Kontroverse für den Zeitraum nach Galileis Dialogo (1632) bis zu Newtons Principia mathematica (1687) historiographisch vergleichsweise weniger erschlossen ist als die Zeit davor oder danach. Huygens, Anecdota: „Neutonus applicuit feliciter ad motus ellipticos Planetarum. hinc quanti sit haec vis centrifugae cognitio apparet.“: HOC, XVIII: 665. Nach dem dritten Newtonschen Gesetz (actioni contrariam semper & aequalem esse reactionem) ist die Zentrifugalkraft aufzufassen als eine Gegenkraft zur Zentripetalkraft. Weder Huygens, für den sie eine Kraft wie die Gravitation war, noch Newton haben sie ‘Scheinkraft’genannt, wie heute meist die Zentrifugalkraft bezeichnet wird; zum ersten Mal nennt sie so wohl Gaspard-Gustave de Coriolis, Traité de la mécanique des corps solides et du calcul de l’effet des machines, Paris: CarilianGoeury et Vor Dalmont, 1844, S. 46: „force fictive“, zitiert nach HOC, XVI: 247-248, n.4. Huygens’eigene Einschätzung über seinen für Newton geleisteten Beitrag kommt vielleicht noch deutlicher zum Ausdruck in einer anderen persönlichen Note: „Je m’estonne que M r. Newton sur une hypothese si peu probable et si hardie, se soit donnè la peine de bastir tant de Theoremes et comme une theorie entiere des actions des corps celestes. Je dis son hypothese qui est que toutes les petites particules des divers corps s’attirent mutuellement, et cela en raison double reciproque des distances. Il a pu estre conduit a sa theorie des orbites elliptiques par le livre de Borelli du mouvment des satellites de Jupiter, qui considere aussi la diminution de pesanteur par l’eloignement (quoyqu’il n’en remarque pas la proportion) et tasche de trou-

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3. Der primus motus

Denn Newtons Gravitationsgesetz (1687) lieferte den ersten, wenn auch nur theoretischen Beweis für die Richtigkeit des heliozentrischen Systems. Hatte Copernicus der geostatischen Welt den Fehdehandschuh hingeworfen mit seinem durch das fingierte Ptolemaios-Argument vorbereiteten Angriff auf den primus motus, so wurde in der kosmologischen Kontroverse von den Kombattanten beider Seiten daraus die Fliehkraft aufgegriffen wie ein roter Faden, der über die verschiedenen Ansätze ihrer Lösung bis zu ihrer genauen Bestimmung nie ganz abreißt und schließlich in das Gesetz der universellen Gravitation einfließt –ein Faden stammend aus jenem Fehdehandschuh, reichend von dem Gründer des heliozentrischen Systems bis zu dessen Begründer, gesponnen im Streit um das richtige Weltbild.

ver les orbes elliptique par la force centrifuge qui contrebalance la pesanteur, mais il n’a pas sceu penetrer les vrais fondements comme Newton qui a eu l’avantage de connoitre la mesure de la force centrifuge par les Theoremes que j’en ay donnèz.“: Huygens, „Manuscrit G“, S. 28 zitiert in HOC, XVI: 250. Huygens selbst hatte Newton ein Exemplar seines Horologium oscillatorium (1673) geschickt. Zu der Bedeutung von Huygens für Newton: R. S. Westfall (1971) 146-193.

4. DIE FIXSTERNPARALLAXE –PROBIERSTEIN DER HELIOZENTRIK

[… ] & iam incipio ultra vulgarem Astronomiam reconditiora quaedam de coelesti disciplina sapere. Kircher, Itinerarium, 350 (Iter, 411)

Dicam, & verbo dicam, in tenebris quasi palpantes reor nos circa astra lucidissima philosophantes non tam oberrare quam aberrare: veriusque quod scimus ignorare, quam noscere. Rheita, Oculus Enoch, I: 197b

So fühlt man Absicht und man ist verstimmt. Goethe, Torquato Tasso, II/1

Abb. 7 – ‘Archimedean engine’(Zenitteleskop zur Entdeckung der Fixsternparallaxe) aus: Robert Hooke, An Attempt to Prove the Motion of the Earth, London, 1674, Tafel I, Fig. 4 siehe hierzu in vorliegender Arbeit S. 165, 276 f.

4.1. DIE PATT-SITUATION IN DER KOSMOLOGISCHEN KONTROVERSE Was die kosmologische Kontroverse so lange am Leben erhalten konnte, war nicht die Realitätsverweigerung kirchlicher Astronomen, wie bisweilen der Eindruck entstehen mag, oder das päpstliche Verbot der copernicanischen Lehre. Dieses hatte in seiner Wirkung mehr Einfluss darauf, wie die Debatte weiterging, als dass es das Erscheinen neuer copernicanischer Bücher verhindern konnte.1 Die kosmologische Kontroverse konnte so langlebig sein, weil schlichtweg ein Beweis für die Richtigkeit des einen oder anderen Weltbildes fehlte. Nicht nur aus heutiger wissenschaftlicher Betrachtung ist der Verlauf der kosmologischen Debatte als ein Unentschieden zwischen beiden Seiten zu bezeichnen. Die zeitgenössischen Vertreter beider Weltbilder waren sich ebenfalls im Klaren, dass trotz ungezählter Versuche, dieses Patt zu lösen, die kosmologische Frage dennoch offen bleiben musste, weil sich bislang kein Beweis unter all jenen Ansätzen gefunden hatte.2

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„[…] und schon beginne ich, über die gewöhnliche Astronomie hinaus einige verborgenere Dinge von der Himmelswissenschaft zu verstehen.“ „Ich möchte sagen, und mit einem Worte sagen, dass wie im Dunkeln tappend, meine ich, wir über die hellsten Sterne forschen und dabei nicht sowohl umherirren als uns vielmehr irren und begründeter, was wir wissen, nicht wissen als wissen.“ John L. Russel (sj), „Catholic Astronomers and the Copernican System after the Condemnation of Galileo“, Annals of Science, 46 (1989), S. 365-386. Selbst im katholischen Frankreich, wurde das von der römischen Inquisition verhängte Verbot von 1633 nie wirksam, weswegen Descartes’Verhalten (bzgl. seiner geplanten und wegen Galileis Verurteilung unterlassenen Veröffentlichung von Le Monde) erklärungsbedürftig ist: ebd. 370-372. Marin Mersenne (1588-1648), der vielen Anhängern der copernicanischen Lehre eng verbunden war, hatte in eigener Auseinandersetzung mit dieser zeitlebens auf den Mangel an Bewiesen verwiesen: William L. Hine, „Mersenne and Copernicanism“, Isis, 64 (1973), S. 18-32, hier S. 24-25, 26, 31, 32; zudem hatte Mersenne vielfach angeführte Gründe für die größere Wahrscheinlichkeit des copernicanischen Systems als nicht stichhaltig widerlegt, darunter dasjenige der größeren Einfachheit: Quæstiones celeberrimæ in Genesim, cum accurata textus explicatione, Paris: Sebastian Cramoisy, 1623, Sp. 914; W.L. Hine (1973) 25. Gleichfalls als bisher unentschieden stellt den Stand der kosmologischen Debatte 1674 der Copernicaner Robert Hooke dar: An Attempt to Prove the Motion of the Earth from Observations, London: By T.R. for John Martyn, 1674; S. 1: „Whether the Earth move or stand still hath been a Problem, that since Copernicus revived it, hath much exercised the Wits of our best modern Astronomers and Philosophers, amongst which notwithstanding there hath not been any one who hath found out a certain manifestation either of the one or the other Doctrine.“Ebd., S. 4: „The Controversie therefore nowithstanding all that hath been said either by the one or by the other Party, remains yet undetermined, Whether the Earth move about the Sun, or the Sun about the Earth; and all the Arguments alledged either on this or that side, are but probabilities at best, and admit not of a necessary and positive conclusion.“Auf der anderen Seite hebt der Jesuit Honoré Fabri (1607-1688) – selbst seit 1660 im Streit mit Huygens über die von diesem entdeckten und copernicanisch gedeuteten Saturnringe – in seinen Dialogi Physici (1665) gegenüber dem fiktiven Copernicaner Augustinus hervor, dass trotz aller Anerkennung für Copernicus und aller Leistungen Galileis für die heliozentrische Hypothese diese selbst immer noch ohne jeden Beweis sei, was Fabri zugleich aber für die geozentrische einzu-

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4. Die Fixsternparallaxe

Einen Vorstoß seitens der Geostatiker machte Riccioli, indem er die Erdbewegung physikalisch zu widerlegen suchte. Der Kern seines argumentum physico-mathematicum besteht darin, einen Widerspruch aufzuzeigen zwischen der Rotation der Erde und der beschleunigten Bewegung fallender Körper.3 Denn, wenn sich alle Körper gleichförmig mit der Erde mit bewegten, wie es Galilei im Dialogo darlegt,4 dann müssten sie auch alle gleich schnell auf die Erde fallen. Dieser Widerspruch und der daraus folgende Schluss auf die Ruhestellung der Erde ergeben sich indessen nur, wenn man wie Riccioli davon ausgeht, dass eine gleichförmige Bewegung nicht zugleich beschleunigt sein kann. Hieran entzündete sich später ein europaweit geführter Streit. Die Spuren von Ricciolis Argument lassen sich noch bis Newton und Hooke und deren Beschäftigung mit dem Problem des freien Falls verfolgen.5 Auf der anderen Seite löste Huygens gleich-

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gestehen scheint, die sich auch mit neuen Argumenten, die er dafür anführen will, nicht beweisen („demonstrari“) lasse, doch immerhin soweit bestätigen („confirmari“), um sich von ihrer Richtigkeit überzeugen zu können: „Copernicum Astronomorum sui temporis principem jure censeri, eumque Galileum fuisse, qui nulli, quod sciam, impar ingenio aestimandus sit, quique eo nomine vel maximam gloriam sibi comparavit, quod argumenta, quibus praefata hypothesis impugnabatur, ita diluerit, ut maximo inde plausu relato, iisdem illam potius confirmasse videatur, cum vero certum sit, nec ipse Galileus hoc inficietur, nullam demonstrationem hucusque excogitatam fuisse, qua hypothesis Copernicana probetur, ab antiqua illa, quae terram in mundi centro immobilem adstruit, discedendum esse non putavi; praesertim cum haec novis argumentis, si non demonstrari, plurimum saltem confirmari possit, quibus, ut libere dicam, quod sentio, mihi valde persuasum est, hanc multis nominibus alteri esse anteponendam.“: Fabri, Dialogi physici in quibus de motu terrae disputatur, marini aestus nova causa proponitur, Lyon: Christophori Fourmy, 1665, S. 2. Dagegen hielt Riccioli (AN, II: 478a-479b) die Gleichwertigkeit beider Hypothesen in weiten Teilen zwar für gegeben, sah die copernicanisch aber dennoch als physikalisch widerlegt an: „Spectata sola Ratione & Argumentis Intrinsecis, & omni Auctoritate circumscripta; Absolute asserenda est tanquam vera Hypothesis Immobilitatem seu Quietem Terrae supponens; & falsa ac demonstrationibus Physicis imo & Physicomathematicis repugnans illa Hypothesis, quae Terrae vel solum Diurnum, vel Diurnum & Annuum motum tribuit.“: AN, 478b (lib. 9, sec. 4, cap. 35, „V. Conclusio“– „Conclusio Principalis”). Noch bevor aber Riccioli in seiner Astronomia reformata (1665) erneut das argumentum physico-mathematicum gegen Copernicus vorbringt, waren physikalisch begründete Einwände als Versuch, die heliozentrische Hypothese zu widerlegen, erklärtermaßen bereits aufgegeben worden von seinen Mitbrüdern Kaspar Schott (Cursus mathematicus, Würzburg, 1661, S. 242-244) und Andreas Tacquet (1612-1660; Opera mathematica, Antwerpen, 1669, S. 321-331, posthum erschienen). Die Unlösbarkeit des kosmologischen Patts mangels Beweisen wird 1691 von Jacques Ozanam konstatiert: Dictionnaire mathématique ou idée générale des mathématiques, Paris: Estienne Michallet, 1691, S. 383-385). Und noch 1742 stellt der Atlas novus coelestis von Johann Gabriel Doppelmayr (1671-1750) beide Weltsysteme vor, das copernicanische und das tychonische. Riccioli, AN, II: 408b-411b (lib. 9, sec. 4, cap. 19); ders., Astronomia reformata (1665) I: 81b-85b (lib. 1, Appendix 2 ad cap. 17). OGG, VII: 191 (seconda giornata). Koyré, Alexandre: „A documentary history of the problem of fall from Kepler to Newton. De Motu Gravium Naturaliter Cadentium in Hypothesi Terrae Motae,”Transactions of the American Philosophical Society, 45/4 (1955), S. 329-395; Paolo Galluzzi, „Galileo contro Copernico. Il dibattito sulla prova «galileiana» di G.B. Riccioli contro il moto della Terra,”Annali dell'Istituto e Museo di Storia della Scienza di Firenze, 2 (1977) 87-148; E. Grant (1984) 51-

4.1. Die Patt-Situation

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falls einen viel beachteten Streit aus. Er identifizierte die bis dahin rätselhaften Satelliten des Saturn als Ring, was für sich genommen nicht auf allgemeine Zustimmung stieß. Diese Entdeckung versuchte er aber überdies als eine Bestätigung des heliozentrischen Systems zu deuten, was auf heftigen Widerstand traf. 6 Ebenso erfolglos hatte eine Generation zuvor Galilei versucht, aus den von ihm entdeckten Jupitermonden 7 sowie den Sonnenflecken 8 ein Argument für Copernicus herzuleiten. Die kosmologische Patt-Situation währte nicht nur bis 1687, als Newton in seinen Principia das Gesetz der allgemeinen Gravitation veröffentlichte. Denn selbst dann stand immer noch der empirische Beweis für die heliozentrische Lehre aus, wie er erstmals fünfzig Jahre später gelingen sollte. Somit stritten mehrere Generationen, darunter die Heroen der Wissenschaftlichen Revolution, voller Überzeugung für ein Weltbild, ehe es bewiesen war. Die sich später als siegreich erweisende Partei trat lange unermüdlich für eine Hypothese ein, an die zu glauben, es keine zwingenden Gründe gab, da ihr nach Maßgabe damaliger Erkenntnisse jedwede Beweiskraft fehlte. Folglich vermochten ihre Gegner nicht nur die Bibel gegen die Heliozentrik vorzubringen. Als Einwand konnte gleichfalls das gesicherte Wissen jener Zeit dienen. Vor dem Hintergrund des Patts wird deutlich, dass denjenigen, die für Copernicus stritten, weit mehr an persönlicher Überzeugung abverlangt wurde, als es sich aus reiner Wissenschaftlichkeit begründen ließe. Indessen mochte diese subjektive Dimension der großen kosmologischen Kontroverse sich nicht recht in das verklärte Bild fügen, das sich nachfolgende Generationen von dieser Zeitenwende machten, von diesem Sieg der Wissenschaft über Religion und Glauben. Doch auch die Geschichte dieser Auseinandersetzung ist von denjenigen geschrieben worden, die siegreich aus ihr hervorgingen. 9 Die Position der Gegen6

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54; M.T. Borgato (2002b) 113-118. Huygens hatte 1656 die Ringstruktur entdeckt und 1659 veröffentlicht: Systema Saturnium [Den Haag, 1659], in HOC, XV: 209-353. Diese Ringstruktur stieß aber auch für sich genommen auf Kritik: Riccioli (Astronomia reformata (1665) I: 367b-368a) meldet seine Einwände an. Ebenso erfahren wir noch von Guericke, dass Huygens Saturnring nicht unumstritten war: Experimenta nova (1672 [1663 abgeschlossen]) 26a. Begonnen hatte die Kontroverse um die von Huygens pro-copernicanisch gedeuteten Saturnringe mit der Veröffentlichung der in Wirklichkeit von dem Jesuiten Honoré Fabri (1607-1688) verfassten Schrift: Eustachio Divini, Brevis annotatio in Systema Saturnium Christiani Eugenii, Rom: Iacobus Dragondellus, 1660; hierzu: HOC, XV: 391-402; Albert Van Helden, „Eustachio Divini versus Christiaan Huygens: A Reappraisal“, Physis, 12 (1970), S. 36-50; ders., „‘Annulo Cingitur’: The Solution of the Problem of Saturn“, JHA, 5 (1974), S. 155-174. Galilei, Dialogo [1632], OGG, VII: 367-368 (giornata terza). Galilei wendet sich hiermit zugleich gegen den Einwand der Geozentristen, dass die Erde wegen ihres Monds sich nicht um die Sonne bewegen könne: Galilei (1998) II: 706-707. Rheita dagegen sieht am Beispiel des Jupitersystems Tycho bestätigt: „[...], hoc systema [sc. Tychonis] ex comitum Iovis circulatione, & in [I.41b:] Iovis orbe circumlatione, magnam veritatis absolutae videatur acquirere probabilitatem &c.)“: Rheita (1645) I: 41ab. Galilei, Dialogo, OGG, VII: 370-383 (giornata terza). David Topper, „Galileo, sunspots, and the motion of the earth. Redux“, Isis, 90/4 (1999), S. 757-767; Galilei (1998) II: 720-760. „In science as in war, history is written by the victors.“: diesen von James R. Moore (The

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4. Die Fixsternparallaxe

seite erscheint nach ihrem Verschwinden nur mehr verschwommen. So ist das lange Unentschieden selbst, das zwischen beiden Hypothesen herrschte, im Nachhinein kein großes Thema mehr gewesen. Zumal sich für die hartnäckige Weigerung der Gegenseite in erster Linie nicht-wissenschaftliche Gründe anführen ließen, bedingt vor allem durch die kirchlichen Verbote von 1616 und 1633. 10 Dagegen waren sich, wie wir auch weiter sehen werden, die copernicanischen Zeitgenossen jener Kontroverse sehr wohl im Klaren, dass ihnen der nötige Beweis für ihre Hypothese fehlte, um ihre Gegner zum Schweigen bringen zu können. Insofern aber von beiden Seiten keine auch schon wissen konnte, ob ihre Hypothese nicht nur mit den Himmelsphänomenen übereinstimmte (was auf beide zutraf), sondern eben diejenige auch war, die von beiden einzig wirklich wahr war und der Wirklichkeit entsprach, erscheint de facto jener Streit der Weltbilder aus einer zeitbezogenen Betrachtungsweise, zumal in seiner Kompromisslosigkeit, wie ein Glaubenskrieg. Erst wenn wir als Copernicaner auf diese Auseinandersetzung zurückblicken, stellt sie sich als ein mühsam errungener Sieg der Wahrheit, der wissenschaftlichen Erkenntnis, des Fortschritts dar. Dass während dieser Zeit auf ihrem Siegeszug die heliozentrische Hypothese allerdings gar nicht als wissenschaftlich wahr erkannt werden konnte, gerät allzu leicht nur aus dem Blick – dies aber wohlgemerkt nur bei einer nicht zeitbezogenen Betrachtungsweise, die rückblickend bewertet (de jure). Nur aus diesem Blickwinkel kann Newtons Gravitationstheorie, die er 1687 in den Principia darlegt, als das Ende der Kontroverse gelten. Die theoretische Begründung der Heliozentrik, die Newton darin liefert, ist indes kein Ersatz für den empirischen Beweis der Hypothese, die ihr zugrunde liegt, d.h. des heliozentrischen Weltbildes. Die nicht-copernicanischen Zeitgenossen aber hielten schon die Hypothese für falsch. Für eine neue Theorie, die damit übereinstimmte, konnte aus ihrer Sicht das Gleiche gelten, zumal die neue ‘ominöse’Fernkraft selbst umstritten war. Somit vermochten Newtons Principia mathematica (1687) die kosmologische Kontroverse de facto nicht zu entscheiden. Dass sie folglich weiterging, ist eine Generation später noch den Äußerungen James Bradleys (1693-1762) zu entnehmen, der im Jahre 1728 den ersten empirischen Beweis für Copernicus lieferte in Post-Darwinian Controversies: A Study of the Protestant Struggle to Come to Terms with Darwin in Great Britain and America 1870-1900, Cambridge: Cambridge University Press, 1979, S. 114) stammenden Ausspruch hat Edward Grant auf die kosmologische Kontroverse übertragen: E. Grant, „In Defense of the Earth's Centrality and Immobility: Scholastic Reaction to Copernicanism in the Seventeenth Century“, Transactions of the American Philosophical Society, 74/4 (1984), S. 1-69, hier S. 65; gefolgt ist ihm darin I. Gambaro (1989) 9. Zugleich weisen E. Grant (1984, S. 65-67) und J.L. Russel (1989, S. 372) auf diesen bis 1687 als Patt zu bezeichnenden Stand der kosmologischen Kontroverse hin. 10 Ch. J. Schofield (1981, S. 318, und sinngemäß S. 227) untersucht die Konfrontation beider Weltsysteme, des tychonischen und copernicanischen, und macht maßgeblich „religious restraints“für das Fortleben des tychonischen Systems, d.h. das Festhalten an der Geozentrik, verantwortlich. Hiergegen wendet sich J.M. Lattis (1994, S. 212) ausdrücklich, weil es schon vor dem Verbot von 1616 jesuitische Anhänger Tychos am Collegio Romano gegeben habe. Gleichfalls sprechen Ricciolis Semi-Copernicaner (s. oben S. 63) gegen Schofields These.

4.1. Die Patt-Situation

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Form des völlig unerwarteten Phänomens der so genannten jährlichen Aberration: Infolge der Bewegung um die Sonne trifft das Licht der Sterne leicht verschoben auf die Erde (wie Regen, der, je schneller wir uns bewegen, desto schräger auf uns trifft).11 Doch über den Einfluss dieser neu gemachten Beobachtung auf die kosmologische Kontroverse scheint Bradley sich dagegen keine Illusionen gemacht zu haben. Seine für dieses Phänomen gefundene Erklärung stützt sich auf die Erdbewegung und auf die endliche Geschwindigkeit des Lichts. Letzteres bräuchten die Anti-Copernicaner indes noch weniger gelten zu lassen als die strittige Bewegung selbst, bemerkt Bradley abschließend zu seiner Untersuchung. 12 In diesem Streit focht keine Seite ausschließlich mit rein wissenschaftlichen oder nur mit religiösen Argumenten oder enthielt sich dabei der Rhetorik und Polemik. Doch all diese Ebenen, auf denen die Auseinandersetzung verlief, verließ die katholische Kirche, indem sie 1616 und 1633 die copernicanische Lehre verbot und durch ihre Auslegung der Bibel die Kontroverse für beendet erklärte. Indem sie Galilei mundtot machte, legte sie die Waffen des Geistes nieder und ergriff jene der rohen Staatsgewalt. Diese geistige Kapitulation konnte nicht anders aufgefasst werden, als dass in dem Verbot von 1633 Kirche, Religion und Glaube ihre letzte Zuflucht genommen hätten vor der wissenschaftlichen Wahrheit. Ebendieses so dumme wie brutale Vorgehen dürfte maßgeblich den Eindruck hinterlassen haben, zu jener Zeit sei der Streit wissenschaftlich schon entschieden gewesen. Doch war dem selbst aus Sicht der Copernicaner noch lange nicht so. Die katholische Kirche hatte 1633 somit völlig unnötigerweise die Kontroverse schon auf allen Ebenen verlassen.13 Kirchers Ekstatische Reise spiegelt diese kosmologische Patt-Situation wider. Solange die Entscheidung ausstand, wussten beide Seiten viele gute Gründe für den eigenen Standpunkt anzuführen, doch eben keinen wirklich stichhaltigen. Zwar fallen in dieselbe Zeit so bedeutende astronomische Entdeckungen wie diejenige der Jupitermonde, Sonnenflecken und Saturnringe, welche neue Nahrung für die Kontroverse lieferten, ohne sie dabei aber vorzuentscheiden. Daneben verlegten sich auf breiter Front die streitenden Parteien auf Rhetorik: Zahlen rechneten sie sich gegenseitig vor, um allenfalls, worüber man sich auch gar keine 11 James Bradley, „An Account of a new discovered Motion of the Fix’d Stars“, Philosophical transactions, 35 (1727-1728), S. 637-661. Gedruckt wurde die n° 35 der Philosophical transactions im Jahr 1729, weswegen häufig dieses Datum für Bradleys Entdeckung zu lesen ist. Die Beobachtungen, die Bradley hierzu führten machte er von 1725 bis 1728; die richtige Interpretation derselben fand er erst 1728 (ebd., S. 645-646). 12 Bradley (1728) 660, weiter unten wörtlich zitiert, siehe Anm., S. 287. 13 Die vielschichtigen Hintergründe und der verstrickte Prozessverlauf von Galileis Verurteilung wurden nach Öffnung der Archive des Heiligen Offiziums im Jahre 1998 eingehend von Francesco Beretta untersucht: „Le procès de Galilée et les archives du Saint-Office. Aspects judiciaires et théologiques d’une condamnation célèbre“, Revue des sciences philosophiques et théologiques, 83 (1999), S. 441-490; ders., „Le Siège apostolique et l’affaire Galilée: relectures romaines d’une condamnation célèbre“, Roma moderna e contemporanea, 7 (1999), S. 421-461; ders., „‘Omnibus Christianae, Catholicaeque Philosophiae amantibus. D. D.’Le Tractatus syllepticus de Melchior Inchofer, censeur de Galilée“, Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie, 48 (2001), S. 165-184.

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4. Die Fixsternparallaxe

Illusionen zu machen schien, für den eigenen Standpunkt ein wenig mehr an Wahrscheinlichkeit zu gewinnen. 14 Aufs Neue wurden altbekannte Argumente wiederum bemüht, ohne sich daran zu stören, dass nicht nur gleiche, sondern teils dieselben gar von der Gegenseite zu vernehmen waren. 15 Aus diesem Fundus bedient sich für seine literarische Weltraumreise gleichfalls Kircher: Wenn in deren Verlauf Theodidactus auf der Venus stehend von seinem himmlischen Gefährten erfährt, dass scheinbar bloß die Erde auf- und untergehe, er in Wirklichkeit indes an ihr nur sehe, wie er selbst zusammen mit der Venus durch den Raum bewegt werde;16 wenn verloren in den Weiten des unermesslich großen Fixsternraums Cosmiel ihm darlegt, dass im Zentrum dieser Welt und völlig ruhig, um einheitlich und ungeteilt die Einflüsse all dieser Himmelskörper aufzunehmen, die Erde stehen müsse;17 wenn Cosmiel angesichts der 14 Zu diesem Schluss kommt M.-P. Lerner bei seiner Untersuchung des Achilles-Arguments bezüglich der von Copernicanern und Geozentristen sich gegenseitig vorgerechneten Werte für die geostatikbedingte Fixstern-Geschwindigkeit und die heliozentrikbedingte Entfernung der Fixsterne: M.-P. Lerner, „L’Achille des coperniciens“, Bibliothèque d’Humanisme et Renaissance, 42 (1980), S. 313-327, hier S. 326: „L’argument par les chiffres ne va pas au-delà d’une simple probabilité –ce que les auteurs cités [sc. Calcagnini, Patrizi, Tycho, Rothmann, Mästlin, Kepler, Riccioli] semblent d’ailleurs avoir admis, sinon toujours explicitement reconnu.“Auch Hooke (1674, S. 1) ist in diesem Punkte wohl ohne Illusionen gewesen: „That which hath hitherto continued the dispute hath been the plausibleness of some Arguments alledged by the one and the other party, with such who have been by nature or education prejudiced to this or that way.“ 15 Auf diese Weise wurde neben den Sonnenflecken vor allem der Magnetismus von beiden Seiten vereinnahmt: M.-P. Lerner (1996-1997) II: 146-151, 283 n.63. 16 „Theodid: Sed rogo te, compar mi, quid sibi vult stella illa praegrandes quidem, sed subfusculas phases suas in Lunae morem exhibens. Cosmiel. Illa est patria tua, globus ille terrenus, hominum habitaculum. Theodid : Sed quid hoc? oriri, culminare, & occidere eam video; jam video veram esse sententiam eorum, qui eam in circulos suos agitari existimant. Cosmiel, multum falleris fili mi, stat illa mole sua & inter omnia mundana corpora unica est motus expers; quod tamen eam moveri putes, visus est fallacia, siquidem tu una cum globo cui insistis tum in circulo suo annuo, tum circa proprium axem rotato moveris, non illa, uti supra audisti.”: Itin., 95, und gleicher Gedanke Itin., 73-74, 93-94; Iter, 146 (Schott überarbeitet die Interpunktion), und It., 114-115, 142-143. Die Bewegungsrelativität ist das klassische Argument der Copernicaner gegen die nur eingebildete Ruhestellung der Erde. Vergils Vers „Provehimur portu terraeque urbesque recedunt “ (Aeneis, III: 71) findet sich wörtlich oder sinngemäß in wohl fast allen pro-copernicanischen Texten, angefangen mit dem Vergil-Zitat bei Copernicus selbst (De Revolutionibus [1543, f. 6r (lib. 1, cap. 8)], 1984, S. 15, Z. 13), aber auch schon bei Celio Calcagnini, Quod coelum stet, terra moveatur, vel de perenni motu terrae [ca. 1520-1524], in Opera aliquot, Basel, 1544, S. 387-395, hier 389. Das Argument der Bewegungsrelativität hatte bereits Mersenne als nichtssagend entlarvt – (dass unsere Augen uns eine Bewegung der Sonne vortäuschen können, heißt nicht dass sie uns eine Bewegung vortäuschen): Quæstiones celeberrimæ (1623), Sp. 909-910; W.L. Hine (1973) 25. 17 “Cosmiel. Reliqua mundana corpora suis stabiliuntur centris, ne partes globorum diffluant, & sic unitae commodius vires suas diffundere in inferiora queant; quorum systemata per immensa aethereae aurae expansa mobilia sunt; eo solum fine, ut terram feraci radiorum foetura circumeundo foecundam redderent, instituta; Terram vero, cujus causa omnia reliqua condita sunt, necessario centro suo stabilitam & immobilem, ut ambientium siderum radios commodius suscipere posset, esse oportuit. Atque ex hoc capite centrum Universi recte appellatur,

4.1. Die Patt-Situation

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unvorstellbar hohen Fixstern-Geschwindigkeiten den Copernicanern zum Vorwurf macht, sie würden Gottes Werke nach menschlichem Vorstellungsvermögen bemessen und ganz nach ihrem Belieben die Größe dieser Welt der Fassungskraft des eigenen Geistes anpassen, 18 dann verrät nicht etwa Kircher sich damit als heimlicher Copernicaner. Vielmehr wird dabei recht amüsant verdeutlicht, wie beliebig austauschbar und nichtig diese viel bemühten Argumente sind. Denn sie sind ihrer copernicanischen Herkunft ungeachtet, wie es die Ekstatische Reise demonstriert, ebenso von einem geozentrischen Standpunkt aus anwendbar. Der prominenteste und aussichtsreichste Anwärter darauf, die kosmologische Kontroverse doch noch zu entscheiden – das experimentum crucis, das eine der beiden Hypothesen zu eliminieren vermochte –, war die Fixsternparallaxe. 19 Ein cum illa unica ex omnibus mundi globis immobilitate sua gaudeat; astra vero caetera eam perenni motu, ad ei veluti Regi cuidam globorum sua officia impendenda, summo ordine circumeant.”: Itin. 321; Iter 389 (Schott überarbeitet die Interpunktion). Die Vorstellung, dass die Erde sich bewege und dadurch Einflüsse der Sonne aufnehme, findet sich bei Copernicus (De revolutionibus, 1543, fol. 9v), Calcagnini (Opera aliquot, 1544, S. 389), Bruno (La cena de le Ceneri, 1584, S. 91, 112, 116) und Raimarus Ursus (Fundamentum astronomicum, Straßburg, 1588, f. 37v). Eine solche im weitesten Sinne astrologische Bestrahlung wurde dagegen gleichfalls als Argument für die Ruhestellung der Erde angeführt: Jean-Baptiste Morin, Famosi et antiqui problematis de telluris motu vel quiete hactenus optata solutio, Paris, 1631, S. 80-88. Morin kritisiernd entlarvt Mersenne (Les questions théologiques, physiques, morales, mathématiques, Paris, 1634, S. 162) die Beliebigkeit dieses Arguments: Ein etwaiger astrologischer Einfluss würde auf eine ruhende genauso wie auf eine sich bewegende Erde wirken können: W.L. Hine, „Mersenne and Copernicanism“, Isis, 64 (1973), S. 18-32, hier 29. Gerade wegen der Beliebigkeit dieses astrologischen Arguments wurde Kircher von dem anonymen Autor der Mira Kircheri in suo Itinerario exstatico (BNCR, FG 1331 (15), f. 13r) kritisiert: H. Siebert (2002b) 169b. In seinen Kommentaren wiederum bekräftigt Schott die astrologische Bestrahlung als Argument für die Ruhestellung der Erde: Iter (1671) 56, 59 (‘Scholium I.’), worauf Schott noch an späterer Stelle rückverweist: Iter (1671) 390. 18 „[Cosmiel:] [… ] non ideo tibi licitum est, cum modernis nonnullis Astronomis Systema mundi contra Dei voluntatem sub tali & tali forma, pro tuo captu & libitu exhibere, indecens est, mundi magnitudinem, ad ingenij sui capacitatem adaptare & detorquere; dici enim vix potest, quantum tam indigna existimatione divinae potentiae derogetur; tu aut alius quispiam opera Dei non capitis, ergo esse non possunt; quid hoc aliud est, quam intellectu proprio infinitam Dei sapientiam ausu temerario metiri velle? [… ]“: Itin. 341; Iter, 404 (Schott überarbeitet die Interpunktion). Die Anthropozentrik –der Mensch als Sinn, Ziel und Maß der Weltschöpfung – war wie die Bewegungsrelativität ein fundamentaler Einwand der Copernicaner gegen die Vertreter der Geozentrik, welchen Galilei im Dialogo (1632) wie folgt formuliert: „[SAGR.] Grandissima mi par l’inezzia di coloro che vorrebbero che Iddio avesse fatto l’universo più proporzionato alla piccola capacità del lor discorso, che all’immensa anzi infinita, Sua potenza.“: OGG, VII: 397, Z. 15-17. Mit der Warnung vor einer anthropozentrischen Betrachtungswiese lässt Descartes den dritten, kosmologischen Teil seiner Principia philosophiae (1644) beginnen: A&T, VIII: 80-81 (pars 3, §2). 19 Hooke, An Attempt to Prove the Motion of the Earth, 1674, S. 2 (weiter unten zitiert) und sinngemäß S. 4. Den Begriff experimentum crucis, der durch Isaac Newtons „A new Theory about Light and Colours“ (Philosophical transactions, 80 (1671/1672), S. 3075-3087) berühmt wurde, hatte zuvor schon Hooke benutzt in seiner Micrographia, wo er ihn auf Francis Bacon zurückführt: Micrographia, or some Physiological Descriptions of minute bodies made by magnifying glasses, London, 1665, S. 54. Zur Bedeutungsentwicklung dieses Begriffs: Jo-

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4. Die Fixsternparallaxe

im Jahresverlauf sich verändernder Blick auf die Sterne war mit Notwendigkeit zu folgern aus der Annahme, dass die Erde sich um die Sonne drehe (s. Abb. 4, S. 77).20 Zugleich haftete seit der Antike dem heliozentrischen System der Makel an, dass ebendiese Parallaxenverschiebung nicht zu beobachten war. Wie wir gesehen haben (S. 76 ff.), werden in der Ekstatischen Reise indes die Copernicaner von diesem alten Vorwurf befreit. Der von Kircher beschriebene Fixsternraum ist so riesig und die nächsten Sterne so weit von der Erde entfernt, dass die Bahnabstände unseres Systems demgegenüber tatsächlich verschwinden und sich eine Parallaxe unmöglich feststellen ließe. Zuviel Sympathie für die andere Seite sollte man Kircher dabei nicht unterstellen, da er ja mit ebendemselben kosmologischen Inventar wiederum die Achsenrotation der Erde negiert: Unentwegt drehen sich all die unzähligen Gestirne um die Erde und das, bei den riesigen Entfernungen, mit immer aberwitzigeren Geschwindigkeiten. 21 Mit anderen Worten: In der Sache, d.h. was die Erdbewegung angeht, lässt Kircher auch hier keinen Raum für Zweifel: Die Erde steht still, weil sich alles um sie dreht. Und weil sich alles um sie dreht, steht sie im Zentrum des Universums, auch wenn man, wie Theodidactus, dieses Zentrum leicht ‘mal aus den Augen verlieren kann.22 Dagegen ist zu fragen, ob diese Nichtfeststellbarkeit der Fixsternparallaxe, wie der Kirchersche Kosmos sie so eindrucksvoll vor Augen führt, ein nicht eher zweifelhaftes Geschenk an die Gegenseite ist. Nimmt Kircher den Copernicanern doch damit zugleich die Hoffnung, den schlagenden Beweis für ihre Lehre überhaupt einmal antreten zu können. So könnte vor dem Hintergrund des kosmologischen Patts sich Kirchers Parallaxen-Zugeständnis eher als ein Danaergeschenk entpuppen. Dies allerdings hängt davon ab, wie die Copernicaner seinerzeit selbst ihre Aussichten einschätzten, diesen lang geforderten Nachweis doch noch zu erbringen trotz der riesigen Entfernung der Fixsterne, die schon Copernicus postulierte.23 Hatten sie es aus demselben Grunde auch für sich selbst ausgeschlossen, eine Sternparallaxe je entdecken zu können, und darin eine Aufgabe für kommende Generationen gesehen? Dieser Eindruck mag entstehen, da heute nichts bekannt zu sein scheint über eine Parallaxensuche schon in jener Zeit.24

20 21 22 23 24

hannes A. Lohne: „Experimentum crucis“, Notes and Records of the Royal Society of London, 23 (1968), S. 169-199. Das Problem der Fixsternparallaxe und ihrer Suche von der Antike bis zu ihrer Entdeckung wurde offenbar erstmals in jüngster Zeit zusammenhängend dargestellt von Alan W. Hirshfeld, Parallax. The Race to Measure the Cosmos, New York: W.H. Freeman, 2001. Itin., 274; It., 355. So ergeht es Theodidactus verloren in den Fixsternweiten: Iter (1671) 348. Copernicus, De revolutionibus [1543, f. 10r] (1984) S. 21 (lib. 1, cap. 10). Zwischen den theoretischen Ausführungen Galileis und den Beobachtungen Robert Hookes von 1669 weiß die Parallaxen-Literatur nichts über eine Parallaxensuche zu berichten. Stellvertretend für den (bisher bekannten) Stand der Forschung steht über Galilei bei A.W. Hirshfeld (2001, S. 132) zu lesen: „Galileo never tried to detect stellar parallax himself; [… ].“ Emilio Bianchi hingegen ging wie selbstverständlich davon aus (ohne seine Annahme zu belegen), dass auch schon Galilei mit Teleskopen nach der Fixsternparallaxe gesucht habe: E. Bianchi, „Il problema delle parallassi stellari“, Rendiconti del seminario matematico e fisico di Milano, 3 (1929), S. 224-250, hier S. 225.

4.1. Die Patt-Situation .

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Historiographisch beginnt erst im Jahre 1669 die mit Teleskopen betriebene Suche nach der Fixsternparallaxe: Robert Hooke (1635-1703) glaubte, sie tatsächlich auch entdeckt zu haben, und veröffentlichte seine Beobachtungen unter dem Titel An attempt to prove the motion of the earth from observations.25 Sollten die Copernicaner indessen der gängigen Darstellung zum Trotz nicht so mut- und tatenlos gewesen sein, wie es uns rückblickend heute scheint, dürften sie ihrerseits den Fixsternabstand auch nicht für so hoffnungslos groß gehalten haben, wie er sich in der Ekstatischen Reise darstellt. Nicht von ungefähr wäre Kircher dann aber seiner Zeit derart vorausgeeilt, dass er in diesem entscheidenden Punkte als Vertreter der Geozentrik sogar noch die Vorstellung der Copernicaner überbietet. Schließlich konnte in deren Sinne eine solche Übertreibung überhaupt nicht sein, falls sie selbst noch hofften oder gar versuchten, die Fixsternparallaxe zu beobachten. Dass Copernicaner aber ebendies zu jener Zeit betrieben, davon könnte sich eine Spur in der Ekstatischen Reise finden lassen. Denn als mögliche Reaktion darauf ließe überdies sich die Struktur der Fixsterne lesen, bei der Kircher seiner Zeit weit vorzugreifen scheint. Kirchers Ekstatische Reise bietet somit einen Anhaltspunkt, um sich selbst auf die Suche nach einer in jener frühen Zeit bereits betriebenen Parallaxen-Suche zu begeben, die bislang verborgen blieb. Wie lohnend diese Spur tatsächlich ist, wird sich im Folgenden noch zeigen. Denn unerwartet weit, theoretisch wie auch praktisch, hatten die Copernicaner jene Suche nach der Fixsternparallaxe, schon getrieben, um den Streit der Weltbilder endlich für sich zu entscheiden. 4.2. DAS HEIMLICHE RINGEN DER COPERNICANER: GALILEI AUF DER PARALLAXENSUCHE * Robert Hooke ist natürlich keineswegs der erste Copernicaner gewesen, der nach Erfindung des Teleskops auch mit Hilfe desselben versuchte, die Fixsternparallaxe zu entdecken. Schließlich galt selbige seit der Antike als ewiger Makel des heliozentrischen Systems. Sollte Galilei wirklich nie selbst versucht haben, die durch den Umlauf der Erde erzeugte Verschiebung der Sterne nachzuweisen, wäre dies doch recht erstaunlich für jemanden, der zu weit mehr entschlossen war, um Copernicus wie sich selbst Recht zu verschaffen. Überdies gab es für die copernicanische Seite in dieser Hinsicht nicht viel zu verlieren. Denn unter den Argumenten gegen die Erdbewegung war das der nicht zu beobachtenden Fixsternparallaxe wohl bei weitem das älteste. Im Zuge der immer intensiver geführten kosmologischen Debatte war es aber keineswegs mehr das einzige oder gar nur das 25 Robert Hooke: An attempt to prove the motion of the earth from observations, London, 1674; erneut herausgeben in: Hooke, Lectiones Cutlerianae: or a collection of lectures: Physical, Mechanical, Geographical, & Astronomical, London: John Martyn, 1679, n°1. Neudruck: R. T. Gunther u.a. (Hgg.), Early science in Oxford, 15 Bde, Oxford: Oxford University, 19221967, Bd VIII (1931): ‘The life and work of Robert Hooke, Part 3, The Cutler lectures’. * Der Inhalt dieses Kapitels ist in leicht veränderter Form erschienen: H. Siebert, „The Early Search for Stellar Parallax: Galileo, Castelli, and Ramponi“, JHA, 36/3 (2005), S. 251-271

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erstgenannte.1 Einen Beweis für die Umlaufbewegung der Erde hingegen, der über die Fronten hinweg Aussicht hatte, als solcher auch allgemein anerkannt zu werden, gab es lediglich einen einzigen, die Fixsternparallaxe. Deren Beobachtung wäre imstande gewesen, über die Richtigkeit des heliozentrischen Systems endgültig zu entscheiden. Die Bedeutung eines experimentum crucis im Hookeschen Sinne beansprucht demgemäß schon Galilei für die Fixsternparallaxe: „[Salviati:] Ich möchte, dass ihr sagt, dass, wenn solch eine Verschiedenheit [sc. Parallaxenverschiebung] erkannt würde, nichts mehr übrig bliebe, was die Bewegung der Erde noch in Frage stellen könnte, in Erwägung dessen, dass sich bei einer derartigen Erscheinung kein anderer Ausweg finden ließe.“2

Ein Ausbleiben einer Sternparallaxe könne hingegen keinen Beweis liefern gegen die Erdbewegung, weil, wie schon Copernicus anführt und hier Galilei sogleich in Erinnerung ruft, die Entfernung zur Sonne verschwindend sei verglichen mit derjenigen zu den Fixsternen. 3 Angesichts dieser Ausgangslage erscheint es umso mehr als unwahrscheinlich, dass Galilei nie selbst versucht haben soll, eine Verschiebung der Sterne zu entdecken. Im Dialogo (1632) stellt es Galilei aber ebenso dar. Zu lesen ist dort von Planungen zu einer allererst noch zu unternehmenden Parallaxen-Beobachtung. Dieser Darstellung ist von Galileis eigenen Erfahrungen 1

2 3

Dies scheint hingegen noch auf einen sehr frühen Kritiker Galileis zuzutreffen, der die ausbleibende Fixsternparallaxe zwar als nur eines unter vielen Argumenten nennt, diese aber immerhin als Gordischen Knoten bezeichnet –eine fast prophetische Bezeichnung, denn wie der Gordische Knoten wird ja auch der durch die Fixsternparallaxe angestrebte empirische Beweis der Heliozentrik ganz unerwartet anders gelöst (jährliche Aberration, James Bradley, 1728) –, vor dem die Copernicaner eingestehen müssten, dass die Erde im Zentrum der Welt still stehe: Ludovico Delle Colombe, Contro il moto della Terra [Hs. o. J., (wohl Ende 1610/ Anfang 1611, laut A. Favaro, OGG, III.1: 12)], in OGG, III.1: S. 251-290, hier S. 281 (Z. 29)283 (Z.12). Francesco Ingoli (1578-1649), der spätere erste Sekretär der 1622 gegründeten Congregatio de Propaganda Fide, nennt 1615 schier beiläufig nur unter seinen argumenta mathematica die ausbleibende Fixsternparallaxe als Einwand gegen Copernicus: De situ et quiete terrae contra Copernici systema disputatio [Ms. von 1615], in OGG, V: S. 403-412, hier S. 409 (Z. 12-19); zu dieser Schrift Ingolis: Massimo Bucciantini, Contro Galileo. Alle origine dell’affaire, Florenz: Leo S. Olschki, 1995, S. 79-97. Mit der steigenden Zahl an Argumenten, welche im Verlauf der kosmologischen Kontroverse die Verteidiger der Geozentrik einzuwenden wussten, konnte der ausbleibenden Fixsternparallaxe immer weiniger eine herausragende Bedeutung zukommen. Ihr Gewicht als Argument gegen Copernicus relativierte sich zwangsläufig. Bei Riccioli verliert sie sich fast unter den insgesamt 77 gegen beide Erdbewegungen geführten Beweise seines Almagestum novum, worin sie zu finden ist in AN, II: 450b-454a (lib. 9, sect. 4, cap. 28). Für eine Übersicht über Ricciolis Beweisführungen: A. Linsmeier (1901) 65-87, 193-212, 641-657, 738-764. Galilei, Dialogo [1632], OGG, VII: 413, Z. 29-32: „[Salviati:] Vorrei che voi diceste, che quando una tal diversità si scorgesse, niuna cosa resterebbe più che potesse render dubbia la mobilità della Terra, atteso che a cotal apparenza nissun altro ripiego assegnar si potrebbe.“. Copernicus, De revolutionibus [1543, f. 10r (lib. 1, cap.10)] (1984) 21. Galilei, Dialogo: „Ma quando bene anco ciò sensibilmente non apparisse, non però la mobilità si rimuove, nè la immobilità necessariamente si conclude, potendo esser (come afferma il Copernico) che l’immensa lontananza della sfera stellata renda inosservabili cotali minime apparenze; [… ]“: OGG, VII: 413, Z. 32-36.

4.2. Das heimliche Ringen der Copernicaner

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nichts zu entnehmen. Seine betont rein theoretischen Ausführungen lassen die Parallaxensuche geradezu als ein in die Zukunft weisendes Projekt erscheinen. 4 Lediglich als geistiger Vater und Anreger für solch einen Versuch ging Galilei erfolgreich in die Geschichte ein. Dagegen ist die praktische Umsetzung desselben weithin verborgen geblieben. Andererseits konnte sich, solange eine Verschiebung der Sterne nicht feststellbar war, die Fixsternparallaxe auch nicht gerade als Thema aufdrängen für ein Werk, das mit literarischer Kraft, vielen neuen physikalischen Erkenntnissen und gleichviel Überredungskunst seine Leser zum Copernicanismus bekehren wollte. Angesichts dessen ist es geradezu viel, was Galilei am ‘Dritten Tage’ seines Dialogo dem Problem der Fixsternparallaxe einräumt. 5 Doch dabei stellt er wohlgemerkt diesen für den Heliozentrismus heiklen Punkt als gänzlich unentschieden dar, als eine völlig offene Frage, die bisher überhaupt noch niemand ernsthaft in Angriff genommen, ja nicht einmal begriffen habe, worauf es bei einer solchen Beobachtung eigentlich ankomme. 6 Den Anhängern Tychos wie diesem selbst wirft er dabei vor, nie je versucht zu haben, eine Verschiebung der Sterne zu beobachten. 7 Nicht ernsthaft aber konnte Galilei von denjenigen erwarten, die das heliozentrische System ablehnten, dass sie zugleich sich darum bemühten, gerade die Fixsternparallaxe nachzuweisen und damit ein Argument gegen Copernicus zu entkräften. Nicht bei den Gegnern des Copernicus lag hierfür folglich die Bringschuld, sondern bei dessen Anhängern. Doch stilisiert sich Galilei geradezu als einzig wirklichen Copernicaner, wenn er aus Salviatis Munde verlauten lässt, dass bisher niemand auch nur den Versuch unternommen habe, die Fixsternparallaxe zu beobachten.8 Wirklich glücken könne eine solche Beobachtung ohnehin nur, wenn sie so durchgeführt würde, wie von Salviati im Folgenden beschrieben.9 Hierauf fragt ihn Sagredo sogar, ob eine solche Beobachtung denn nicht schon längst von einem anderen Astronomen oder gar von Copernicus selbst durchgeführt worden wäre, was Salviati ganz entschieden verneint: Denn nur allzu wahrscheinlich sei es, dass, wer diesen Versuch unternommen, zugleich auch berichtet habe über den Ausgang desselben, ob nun zu Gunsten der einen oder der anderen Seite. Also habe noch nie jemand versucht, so die Fixsternparallaxe nachzuweisen wie von Salviati-Galilei beschrieben (und weiter unten noch zu sehen ist). 10 4 5

Dialogo, ‘Dritter Tag’, OGG, VII: 409-412, 414-416. Galilei, Dialogo, ‘Dritter Tag’, OGG, VII: 299-441, hier 399-416 (Fixsternparallaxe). Dagegen behandelt Kepler das Ausbleiben der Fixsternparallaxe auf lediglich einer einzigen Seiten: Epitome [1618, S. 493], KGW, VII: 286. 6 Dialogo, OGG, VII:399(Z. 11-15, 26-31), 400(Z. 9-12), 404(Z. 28-32), 413(Z. 36) - 414(Z. 5). 7 Dialogo, OGG, VII: 399 (Z. 11-35). 8 Dialogo, OGG, VII: 404 (Z. 28-32): „SALV[IATI]. Già ho detto di sopra, che non credo che alcuno si sia messo ad osservare se ne i diversi tempi dell’anno si scorga mutazione alcuna nelle fisse, che possa dependere dal movimento annuo della Terra; e soggiunto di più, che ho dubbio se forse alcuno abbia bene inteso, quali sieno le mutazioni, e tra quali stelle debbano apparire: [… ].“ 9 Dialogo, OGG, VII: 414 (Z. 24) - 415 (Z. 36). 10 Dialogo, OGG, VII: 415 (Z. 37) - 416 (Z. 9), hier Salviatis Anwort 416 (Z. 4-9): „SALV[IATI].

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4. Die Fixsternparallaxe

Wir indessen haben vielmehr Anlass zu der Annahme, dass es sich historisch genau umgekehrt hierzu verhielt, nicht nur weil das umgekehrte Verhältnis (wie wir noch sehen werden) gleichfalls auf Galilei selbst zutraf: Die Fixsternparallaxe zu entdecken, wurde öfter unternommen, als dass Versuche hierzu veröffentlicht wurden. Denn diejenigen, die ein Interesse daran haben konnten, derlei Beobachtungen anzustellen, da gleichfalls nur sie Grund hatten, auf deren Erfolg zu hoffen, waren es wiederum auch, die ein jedes Mal bitter enttäuscht wurden. Kaum verwundern kann es daher, dass sie davon absahen, ein Dokument des Scheiterns einzubringen in die schon vor 1616 polemisch geführte kosmologische Kontroverse. Zum Scheitern aber waren all ihre Anstrengungen verurteilt. Denn die nächsten Fixsterne sind in Wirklichkeit hundertmal weiter entfernt, als es die Copernicaner in ihren kühnsten Vorstellungen für möglich hielten. 11 Schon Tycho Brahe (1546-1601), der ohne Teleskop mit einer Vielzahl von Instrumenten und Mitarbeitern den Himmel so genau vermaß wie niemand vor ihm, konnte bei keinem der über viele Jahre hinweg beobachteten Sterne eine Parallaxe feststellen. 12 Dagegen hat er auf Grundlage seiner gemessenen Sterngrößen den Copernicanern vorgerechnet, wie disproportioniert ihre heliozentrische Welt sich darstellen würde, sollte die Erde sich um die Sonne drehen: Um nämlich nicht wahrzunehmen, dass unser Blickwinkel auf die Sterne sich alle sechs Monate ändert, müsste das Firmament siebenhundertmal weiter vom Saturn entfernt sein als dieser von der Sonne. Zwischen dem äußersten der damals bekannten Planeten unseres Systems und den Fixsternen würde somit eine völlig unverhältnismäßig große Lücke klaffen, eine sinnlose Leere, die anzunehmen absurd sei. 13 A me par tutto l’opposito, perchè non ha del verisimile che, se alcuno l’avesse sperimentata, non avesse fatto menzione dell’esito, se succedeva in favore di questa o di quella opinione; oltre che nè per questo nè per altro fine si trova che alcuno si sia valso di tal modo di osservare, il quale anco, senza telescopio esatto, malamente si potrebbe effettuare.“ 11 Der sonnennächste Stern, Proxima Centauri, ist 4,26 Lichtjahre entfernt, was umgerechnet in Erdhalbmessern einer Distanz von 6,32 Milliarden rt entspricht. Den größten Fixsternabstand unter den Anhängern des Copernicus nahm offenbar Kepler an mit einer Entfernung von 60 Millionen rt: Epitome astronomiae copernicanae [Linz: Johannes Plancus, 1618, S. 492], KGW, VII: 286 (Z. 8-12). 12 Tychos Messungen waren für einige der größten Sterne im Durchschnitt bis auf 25 Bogensekunden (25") genau. Diese Genauigkeit wurde durch eine Kombination mehrerer Messungen mit verschiedenen Instrumenten über längere Zeiträume erzielt: Walter G. Wesley, „The accuracy of Tycho Brahe’s instruments“, JHA, 9 (1978), S. 42-53, hier S. 51. 13 Tycho (Epistulae astronomicae [Uranienburg, 1597, S. 167], TBO, VI: 197; eine deutsche Übersetzung dieser Seite durch E. Strauss in Galilei, ²1982, S. 518) argumentiert und rechnet wie folgt: Sollte die Erde sich um die Sonne drehen, ohne dass wir dies an den Sternen sehen, dann würde in Bezug auf einen Stern von einer Bogenminute der Durchmesser der Erdbahn (2284rt) unter dem Winkel von 1 erscheinen (woraus Tycho schließt, dass ein solcher Stern auch den Durchmesser von 2284 rt habe): Mit Hilfe der Trigonometrie ergibt sich aus dem durch Erbahnmesser und Strecke zum Stern gebildeten Dreieck eine Entfernung von (2284rt / tan(1/60)° =) 7.851.813,4rt zwischen Erde und einem Stern dritter Größer, wofür Tycho 7.850.000rt notiert. Daraus errechnet Tycho hier wie in seinen Astronomiae instauratae progymnasmata ([Prag, 1602, S. 481], TBO, II: 430, Z. 19-27), dass die Distanz Saturn-Fixsterne mehr als das siebenhundertfache der Distanz Saturn-Sonne beträgt (mit d Saturn-Erde =

4.2. Das heimliche Ringen der Copernicaner

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Zusammen mit diesem Einwand werden in der kosmologischen Kontroverse auch die von Tycho gemessenen Sterngrößen aufgegriffen, die jenes Siebenhundertfach ergeben. 14 Tycho, wenngleich er bei seiner Vermessung des Himmels eine Sternparallaxe nicht feststellen konnte, liefert dennoch auch eine positive Erkenntnis für die weitere Suche nach ihr. Denn für die kleinsten Sterne (sechster Größenklasse) misst Tycho einen Winkel von einer drittel Minute (20").15 Damit bleibt für Copernicaner die Hoffnung, unterhalb dieses Wertes die Fixsternparallaxe doch noch zu entdecken.16 Denn wie Michael Mästlin, der frühe Anhänger der Heliozentrik und Keplers Lehrer, bezüglich Tychos Messungen erinnert, habe Copernicus in Anbetracht der riesigen Entfernung zu den Sternen nicht jedwede Parallaxe geradezu für ausgeschlossen gehalten, sondern damit nur die Schärfe unserer Augen gemeint („oculorum iudicium“), denen sie entschwinde.17

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10.550 rt : TBO, II: 425). Dagegen ist in den Progymnasmata (TBO, II: 430, Z. 23-27) nur mehr ganz allgemein von dem für Copernicus zu fordernden so riesigen wie absurden Abstand zwischen Saturn und den Fixsternen die Rede („quod absurdum est credere“, ebd., Z. 26-27), während jene 700fache Entfernung ja lediglich für Sterne von einer Bogenminute Winkeldurchmesser gilt, also nur für solche, die sogar noch etwas kleiner sind als Sterne dritter Größe (11/12 : TBO, II: 431, Z. 17-18). Dessen ungeachtet wurde diese Zahl sowohl von Gegnern wie Anhängern der heliozentrischen Lehre aufgegriffen: Christoph Scheiner/ Johann Georg Locher, Disquisitiones mathematicae, de controversiis et novitatibus astronomicis […] sub praesidio Christophori Scheiner, Ingolstadt: Ederianus apud Elisabetham Angermariam, 1614, S. 27; und ebenso von Michael Mästlin in seinem Kommentar zu Rheticus’Narratio prima (21541), abgedruckt am Schluss der zweiten Auflage von Keplers Mysterium cosmographicum [Frankfurt: 1621], KGW, I: 436, 438. Siehe vorhergehende Anm. Ebendiese Seite aus Tychos Epistulae astronomicae ([Uranienburg, 1597, S. 167], TBO, VI: 197) zitiert auch Galilei im Dialogo: OGG, VII: 389 (Z. 34). Die an den Copernicaner Christoph Rothmann (gest. ca. 1599) gerichteten Epistolae astronomicae fanden ein anhaltendes Echo vor allem bei den Verteidigern der Geozentrik, die sich Tychos Argumente gegen Copernicus für ihre eigenen anticopernicanischen Schriften bedienten, so z.B. Francesco Ingoli in seinem schon erwähnten Schreiben an und gegen Galilei De situ et quiete terrae contra Copernici systema disputatio [Ms. von 1615], in OGG, V: 403412; sowie Adam Tanner, Dissertatio peripatetico-theologica de coelis, Ingolstadt: G. Haenlin, 1621; zu dieser Bedeutung von Tychos Epistulae astronomicae siehe weiter: Massimo Bucciantini, Galileo e Keplero. Filosofia, cosmologia e teologia nell’Età della Controriforma, Turin: Giulio Einaudi, 2003, S. 57-62. Tycho, Astronomiae instauratae progymnasmata [Prag: o.N., 1602], TBO, II: 431 (Z. 33-34). Michael Mästlin hält fest, dass auch Tycho nicht mit seinen sehr genauen Messungen die Erdbewegung durch die gleichsam als unendlich aufzufassende Fixsternentfernung widerlegt, sondern die Parallaxe lediglich in einen Bereich „jenseits, wie Mästlin schreibt, von 24 Bogensekunden, also etwa einer halben Minute “verschoben habe: „Nec enim ulla necessitas exigit, illam Infinitatis similitudinem eousque ampliari, donec Orbis Terrae Magnus ad Stellatum Orbem prorsus, ut TYCHO putat, euanescat (licet idem Orbis Magnus etiam secundum TYCHONIS numeros nondum prorsus euanesceret, siquidem in Stellis fixis in parallaxin ultra duas quintas, hoc est, ferme ad semissem unius scrupuli primi procrearet) quia etiam longe restrictior eius altitudo, immensa, hoc est imperscrutabilis, et nullis instrumentis, nulloque artificio inuestigabilis est, [… ].“: KGW, I: 437 (Mästlins Kommentar zu Rheticus’Narratio prima (21541) am Schluss der zweiten Auflage von Keplers Mysterium cosmographicum, ²1621). Mästlins Kommentar am Schluss von Keplers Mysterium cosmographicum (²1621): „Ergo COPERNICUM ad oculorum iudicium, non ad universalem omnis parallaxeos exclusionem re-

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4. Die Fixsternparallaxe

Tatsächlich unternahm Tycho Brahe im Jahre 1586 eigens Versuche, eine Fixsternparallaxe zu beobachten. Galilei spricht ihm dies im Dialogo (1632) ausdrücklich ab, obwohl Johannes Kepler davon in seiner Epitome (1618) berichtet.18 Noch bevor Kepler in Prag Tychos Mitarbeiter wurde, hätte auch er schon selbst eine ebensolche Beobachtung angestellt. Doch fehlten ihm hierfür in Graz die nötigen Instrumente, wie er am 13. Oktober 1597 an Galilei schreibt. Dieser hatte sich zuvor in einem Schreiben für den Erhalt von Keplers Mysterium cosmographicum (1596) bedankt und sich dabei als heimlicher Anhänger des Copernicus zu erkennen gegeben.19 In seiner Antwort fordert Kepler daher Galilei sogleich auf, die entscheidende Beobachtung an seiner Statt zu wagen, falls ihm ein ausreichend großer Quadrant zur Verfügung stehe, auf dem er auch Viertelminuten (15") ablesen könne. Lohnend sei dieser Versuch in jedem Falle, auch wenn er fehlschlüge. Denn selbst dann würden sie sich gemeinsam („communiter“) für das aufgezeigte berühmteste Problem in der Astronomie den Ruhm verschaffen, der bisher noch von niemandem angestrebt worden sei. Galilei solle hierzu im Sternbild Bär die maximale und minimale Höhe jeweils des ersten Sterns in dessen Schwanz sowie des Polarsterns bestimmen. In ein und derselben Nacht seien die Messungen zu machen. Nicht nur, wann genau Galilei mit diesen Beobachtungen zu beginnen habe, teilt ihm Kepler mit, sondern ebenso Uhrzeit und Datum, wann sie zu wiederholen seien.20 Ob sich, wie von Kepler aufgetragen, Galilei daraufhin in der Nacht des 19. Dezembers 1597 an die Arbeit gemacht hat, wird wohl weiter im Dunkeln bleiben. Keplers Schreiben bleibt ohne Antwort.21 Mag Galilei seinerzeit auch die Suche nach einer Sternparallaxe für vergebliche Müh’gehalten haben – und dies gar vielleicht schon aus eigener Erfahrung – so dürfte er in der Folgezeit genügend Anlass gehabt haben, einen solchen Versuch erneut in Erwägung zu ziehen. spexisse, extra dubium est, [… ].“: KGW, I: 438. 18 Galilei, Dialogo, OGG, VII: 399 (Z. 11-35); Kepler, Epitome [1618, S. 493], KGW, VII: 286 (Z. 26-37). 19 In seinem Dankesschreiben an Kepler vom 4. August 1597, der ihm ein Exemplar seines 1596 erschienenen Mysterium cosmographicum zukommen hatte lassen: OGG, X: 67-68 (n°57), hier 68, Z. 17-27; eine ‘Microstoria’zu diesem Brief in: M. Bucciantini (2003) 49-68. 20 Kepler (Graz) an Galilei (Padua), 13.10.1597: „Nunc abs te placet aliquid observationum postulare: scilicet mihi, qui instrumentis careo, confugiendum est ad alios. Habes quadrantem in quo possis notare singula scrupula prima et quadrantes primorum? Observa igitur, circa 19 Decembris futurum, altitudinem eductionis caudae in Ursa [sc. UMi] maximam et minimam eadem nocte. Sic circa 26 Decembris observa similiter utramque stellae polaris [sc. UMi] altitudinem. Primam stellam observa etiam circa 19 Martii anni 98, altitudine nocturna, hora 12; alteram, circa 28 Septembris, etiam hora 12. Nam si, quod opto, differentia quaedam inter binas observationes intercedet unius atque alterius scrupuli, magis si decem aut quindecim, rei per totam astronomiam latissime diffusae argumentum erit; sin autem nihil plane differentiae deprehendemus, palmam tamen demonstrati nobilissimi problematis, hactenus a nemine affectatam, communiter reportabimus. Sapienti sat dictum.“: OGG, X: 69-71 (n°59), hier 70 (Z. 51) - 71 (Z. 62). 21 Galileo schreibt erst wieder dreizehn Jahre später an Kepler (19.08.1610, OGG, X: 421-3, n° 379), nachdem er selbst zuvor zwei Briefe von ihm erhalten hat: Kepler (Prag) an Galilei (Padua), 19.04.1610 (OGG, X: 319-340, n°297) und 09.08.1610 (OGG, X: 413-417, n°347).

4.2. Das heimliche Ringen der Copernicaner

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Hatte ein neues Instrument doch der ganzen Welt und ihm zuerst Entdeckungen beschert, die derart unerhört und unerwartet waren, dass sie in derjenigen Amerikas allein ihres Gleichen fanden. Nur allzu nahe liegend musste es scheinen, mit diesem neuen Instrument zugleich die neue Lehre zu beweisen und den Umbruch in der Astronomie vollkommen zu machen. Was das Teleskop imstande war zu leisten, hatte Galilei eindrucksvoll im Sternenboten demonstriert.22 Wer beim Lesen dieses Werkes zugleich den copernicanischen Unterton vernahm, konnte sich denken, welche Möglichkeiten sich dem Überbringer dieser Botschaft weiterhin eröffneten. So verbreitete sich in Bologna wohl unter ebensolchen Lesern das Gerücht, dass Galilei schon eine für die kosmologische Kontroverse entscheidende Beobachtung gemacht habe. Einer dieser Leser war der ansonsten nicht weiter bekannte Lodovico Ramponi (getauft 1577):23 Er dachte dabei an die Fixsternparallaxe und, dass Galilei gar Copernicus bereits bewiesen haben könnte.24 Freilich 22 Auf eine größtmögliche Wirkung des Werkes zielten Zusammenstellung wie Darstellung seiner Beobachtungen; hierzu: Owen Gingerich / Albert Van Helden, „From Occhiale to Printed Page: The Making of Galileo’s Sidereus Nuncius”, Journal for the History of Astronomy, 34 (2003), S. 251-267. 23 Über Ramponi ist nichts bekannt. Jedenfalls gehört er in den Kreis um Roffeni, siehe folgende Anm. unten. Antonio Favaro weiß zu berichten, dass „RAMPONI GIO. LODOVICO“in Bologna als Sohn eines Raimondo Ramponi geboren und am 19. Juni 1577 in Bologna getauft worden ist: OGG, XX: 515b. 24 Giovanni Lodovico Ramponi (Bologna) an Galilei (Florenz), 01.07.1611: „Sono, di più, tenuto da un altro desiderio molto più importante: et è, c'havendomi lo Ecc. mo S. Dott.r Roffeni detto che V. S. ha fatto una certa osservatione, da lei chiamata ammiranda, per levare molte controversie che sono nell'astronomia, pensando io quale potesse essere tale osservatione, mi è sovvenuto che quella forse concerna le hipothesi; onde, concetta speranza che per tale osservatione si sia dimostrata mathematicamente la hipothesi Copernicana, impatiente di aspettare in luce l'opera sua, desiderarei (nè per questo se le torrebbe quello di che si mostra, e ragionevolmente, molto zelante, mentre nè esprime nè dà un minimo segno del modo in che consiste il tutto) che mi favorisse di avvisarmi semplicemente se questa hipothesi sia confirmata o per tale osservatione o per altra: il che per hora, sino all'uscir in luce dell'opra sua, bastarebbemi per levarmi una certa ambiguità che molto mi affligge qual hora mi convenga propormi in qualche mio discorso il sistemma mondano, il quale vorrebbe l'intelletto comprendere secondo che veramente sta in natura; tardi poi l'opera sua a venir in luce quanto deve e quanto le piace.“: OGG, XI: 133-136 (n° 548), hier S. 135-136, Z. 80-94. Der hier erwähnte Giovanni Antonio Roffeni (1580-1643) zählte zu Galileis Freunden, wodurch er einen engen Kreis von Intellektuellen in Bologna um sich scharen konnte; am dortigen Studio lehrte er zu jener Zeit Philosophie, später Medizin; zu Roffeni: Denise Aricò, „Riccioli nella cultura bolognese del suo tempo“, in: Maria Teresa Borgato (Hg.), Giambattista Riccioli e il merito scientifico dei gesuiti nell'età barocca, Florenz: Leo S. Olschki, 2002, S. 251-276, hier S. 257-258; dies., „Giovanni Antonio Roffeni, un astrologo bolognese amico di Gali-leo“, Il Carrobbio, 24 (1998), S. 67-96. Auf seine ursprüngliche Vermutung kommt Ramponi drei Wochen später zurück, als er nach Erhalt von Galileis Antwort ihm wiederum schreibt: Ramponi (Bologna) an Galilei (Florenz), 23. Juli 1611: „Son restato in oltre molto contento di haver inteso apertamente (cosa che non chiedeva, nè sperava), qual sia quella osservatione per la quale si levano molte controversie nell'astronomia: la quale in vero è bellissima, e conferma in parte la hipothesi Copernicana, ma non la dimostra compitamente, come io havea dentro di me concetto che le fusse avvenuto: [… ]“OGG, XI: 159-162 (n° 561), hier S. 160 (Z. 49-53). Dass Ramponi bei seiner ursprünglichen Vermutung an die Beobachtung der Fixsternparallaxe gedacht

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4. Die Fixsternparallaxe

waren dies lediglich Gerüchte und Vermutungen. Doch zeigt sich an ihnen, was nach den jüngsten Entdeckungen Galileis zumindest die copernicanischen Zeitgenossen zu erwarten schienen. Dabei hatte ja mit den Jupiter-Monden und mit jenen noch rätselhaften Begleitern des Saturn (die von Huygens später als Ringe identifiziert wurden) niemand auch nur irgendwie rechnen können. Als das Wunderwerkzeug zugleich diese zahllos nie gesehenen Sterne vor das Auge brachte, dürfte die Hoffnung unter Anhängern des Copernicus umso größer gewesen sein, dass nun die Fixsternparallaxe gleichfalls zum Vorschein käme. Zu ebendiesem nächsten und entscheidenden Schritt für die copernicanische Sache wird Galilei sogar von einem Leser seines Sternenboten aufgefordert: Er solle doch versuchen, mit seinem neuen Instrument eine Parallaxenverschiebung zu beobachten; denn damit wäre die copernicanische Hypothese mathematisch bewiesen; sollte diese Beobachtung jedoch nicht glücken, wäre sie darum keineswegs widerlegt. Wiederum ist es der unbekannte Lodovico Ramponi, der Galilei dies schreibt. In seinem Brief vom 23. Juli 1611 führt er ihm jene Ausgangslage vor Augen, die dieser selbst zwanzig Jahre später im Dialogo noch bekräftigen wird: Bei dem Versuch, eine Sternparallaxe festzustellen, gibt es für Copernicaner nichts zu verlieren, da ein Fehlschlag keinen Gegenbeweis darstellt. 25 Schwerlich vorstellbar ist allerdings, dass ein Leser erst die nötige Anregung zu diesem Versuch liefern musste. Wenn Galilei nicht schon selbst begonnen hatte, mit seinem Teleskop nach einer Verschiebung der Sterne Ausschau zu halten, dann wird er dies zumindest nach Ramponis Schreiben umso mehr getan haben. Denn auch Ramponi weiß bereits von jener Methode der relativen Messung zu berichten. 26 Sie wird später im Dialogo zwar nur gestreift, aber gilt als Galileis eigene und eigentliche Errungenschaft, gleichsam als dessen Vermächtnis an kommende Gehatte, geht im Anschluss an die hier zitierte Passage aus seinem Antwortschreiben weiter hervor, auf das wir unten zurückkommen. 25 Vgl. Giovanni Lodovico Ramponi (Bologna) an Galilei (Florenz), 23. Juli 1611: OGG, XI: 159-162 (n° 561), hier S. 160-161 (Z. 68-74) mit der oben zitierten Stelle aus Galilei, Dialogo, OGG, VII: 413, Z. 29-36. 26 Ramponi (Bologna) an Galilei (Florenz), 23. Juli 1611: OGG, XI: 159-162 (n°561). Ramponi fordert eine Beobachtung derselben Sterne im zeitlichen Abstand von fünf oder sechs Monaten, um die jährliche Parallaxe zu entdecken und den Jahreslauf der Erde zu beweisen. Doch nur ganz bestimmte Sterne seien geeignet, um Parallaxe leicht und sicher festzustellen, nämlich solche, die in möglichst geringer Winkelentfernung beieinander stünden, aber unterschiedlich tief im Raum liegen: „Per far questo, giudicarei che fussero molto a proposito quei luoghi ne i quali si veggiono le stelle frequentissime, come V. S. ha di già dissegnato nel Nuntio, perciò che per la loro quasi contiguità, per la quale sono comprese con lo stromento tenuto immobile, potrebbesi vedere con più facilità e sicurezza se mutino le configurationi e distanze tra loro; il che se fia, ecco dimostrata a un tratto la mobilità della terra, la distanza delle stelle fisse, da molti per la grande vastità abhorrita, e il sito delle stelle fisse, l'una più lontana dell'altra dalla congerie di questi nostri corpi, che solo credo poter essere cagione di questo truovamento, come appare qui accennato: dove, al sito della terra in D vedesi la stella A congiunta con la C, et la B antecedere la C; là dove poi nel sito E vedensi le due A et C disgiunte, et la B seguire alla C. Quando in quelle stelle così frequenti apparisse una tale disordinanza nelle figure e distanze loro, parmi che la hipothesi Copernicana sarebbe dimostrata.“: ebd., S. 161 (Z. 75-91).

4.2. Das heimliche Ringen der Copernicaner

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nerationen von Astronomen – und in der Tat gelang es zweihundert Jahre später, mit ebenderselben Methode die Fixsternparallaxe nachzuweisen. 27 Als ihm Ramponi 1611 ausführlich darlegte – mit einer Skizze, wie sie sich später im Dialogo findet (siehe S. 176, Abb. 8) –, warum eine Parallaxenverschiebung sich an Sternen die nah nebeneinander stehen, am ehesten beobachten ließe, könnte Galilei diesen Einfall selbst schon längst gehabt haben. 28 Ungeachtet dessen aber hatte Galilei spätestens nach diesem in Sachen Fixsternparallaxe äußerst kompetenten wie auch engagierten Schreiben damit rechnen können, dass womöglich andere bereits nicht weniger Erfolg versprechend auf der Lauer lägen und letztlich ein anderer als er zum ersten Mal die Fixsternparallaxe entdecken würde und, wie Ramponi schreibt, Copernicus damit beweise. Diesen allergrößten Triumph indessen, jemand anderem zu überlassen, wird Galilei wohl am allerwenigsten bereit gewesen sein. War er doch trotz der bedeutenden Entdeckungen, die ihm als erstem mit dem Teleskop gelangen, nicht bereit, nur eine einzige zu teilen, was sich im Fall der Sonnenflecken zeigte, die Christoph Scheiner unabhängig von ihm entdeckte, vor ihm aber veröffentlichte.29 In 27 M.A. Hoskin (1966) 28: „[...] it was fitting that two of the three successful measurements, and in particular the one that carried immediate conviction in the astronomical world, were made by the technique of double stars that Galileo had proposed more than two centuries before.“; Norriss S. Hetherington, „The First Measurements of Stellar Parallax“, Annals of Science, 28/4 (1972), S. 319-325, hier S. 319; A. W. Hirshfeld (2001) 131-133. 28 Vgl. Ramponi (Bologna) an Galilei (Florenz), 23. Juli 1611: OGG, XI: 159-162 (n° 561), hier S. 161 (Z. 75-91) und Galilei, Dialogo [1632], OGG, VII: 409 (Z. 10-35), 411 (Z. 31) - 412 (Z. 2), 412 (Skizze). Beide Skizzen verdeutlichen, wie zwei Sterne in jeweils unterschiedlicher Entfernung zur Erde von ihr aus betrachtet überaus nah zusammenstehen, sich nach sechsmonatigem Umlauf der Erde aber als deutlich verschoben darstellen. 29 Nach eigener Aussage habe Scheiner im März /April 1611 die Sonnenflecken erstmals durch ein Teleskop beobachtet: [Christoph Scheiner] Tres epistolae de maculis solaribus. Scriptae ad Marcum Velserum [Augsburg: Ad insigne pinus, 5. Jan. 1612], in OGG, V: 21-33, hier S. 25, Z. 9. Galilei dagegen soll schon bald nach dem Bau seines ersten Teleskops und bevor er nach Florenz ging, also vor dem 12. Sept. 1610 (Galilei an Großherzog Cosimo II, Okt. 1610: OGG, X: 439 (n°401), hier Z. 6), die Sonnenflecken in Venedig Freunden vorgeführt haben, wie es einer derselben, Fulgenzio Micanzio (1570-1654), zwanzig Jahre später bezeugt: Micanzio (Venedig) an Galilei (Florenz), 27.09.1631: OGG, XIV: 298-299 (n° 2210), hier S. 299, Z. 17-23. Gesichert scheint dagegen, dass Galilei während seines Aufenthaltes in Rom von März bis Anfang Juni 1611 auch die Beobachtung der Sonnenflecken vorführte, wie es zeitnah bestätigt wird von einem Mitglied der Accademia dei Lincei, Angelo de Filiis (geb. 1583), im Einleitungsschreiben zu Galileis Istoria e dimostrazioni intorno alle macchie solari e loro accidenti [Rom: Giacomo Mascardi, 1613], OGG, V: 71-260, hier 84 (Z. 6-14) und wie es dort von Galilei selbst behauptet wird: OGG, V: 95 (Z. 21-24). Galilei dürfte die Sonnenflecken also in jedem Fall vor März 1611 erstmals beobachtet und somit vor Scheiner entdeckt haben. Mit seinen Tres epistulae (Augsburg, 5. Januar 1612) veröffentlicht Scheiner jedoch noch vor Galilei diese Entdeckung, der seine eigenen Beobachtungen erstmals erwähnt im Discorso intorno alle cose, che stanno in su l’acqua, o che in quella si muovono [Florenz: Cosimo Giunti, 1612], OGG, IV: 58-141, hier S. 64, Z. 20-34. Für die Entdeckung der Sonnenflecken durch Scheiner und Galilei sowie deren Prioritätsstreit siehe vor allem für die Chronologie der Ereignisse den Kommentar von O. Besomi und M. Helbing: Galilei, Dialogo (1998) II: 720-735; sowie: William R. Shea, „Galileo, Scheiner, and the Interpreta-

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4. Die Fixsternparallaxe

dem lebenslangen Streit, der daraus sich entspann, gaben selbst Galileis Freunde ihm nicht immer Recht.30 Wirklich zugestanden hätte ohnehin nur einem dritten der Titel des Erstentdeckers, was bald auch bekannt gewesen sein dürfte.31 Dass ihm bei den Sonnenflecken aber überhaupt jemand zuvorgekommen war, erfährt Galilei noch vor Jahresende 1611, 32 viereinhalb Monate nachdem ihm Ramponi tion of Sunspots,“Isis, 61 (1970), S. 498-519; Rivka Feldhay, Galileo and the Church. Political Inquisition or Critical Dialogue ?, Cambridge: Cambridge University, 1995, S. 256-291; Mario Biagioli, „Picturing Objects in the Making: Scheiner, Galileo and the Discovery of Sunspots,“in: Wissensideale und Wissenskulturen in der Frühen Neuzeit, hg. von Wolfgang Detel und Claus Zittel, Berlin: Akademie, 2002, S. 39-96, hier S. 53-96. 30 Nicolas-Claude Fabri de Peiresc (1580-1637), Universalgelehrter und „Förderer aller Gelehrten in ganz Europa,“(Kircher, Vita (1684) 42), der sich zu Galileis Freunden zählte und sich für ihn nach dessen Veurteilung bei Papst Urban VIII. einsetzte, sah in diesem Streit mit Scheiner Galilei als Schuldigen und den Auslöser dafür in dessen Neid auf Scheiner: „Pour avoir envié au R. P. Scheiner la descouverte des macules solaires et de leur mouvement [… ]“: Peiresc (Aix-en-Provence) an Kircher (Avignon), 17.08.1633: APUG 568 f. 198r-199v, hier 198rv. Dieser anhaltende Streit mit Scheiner wurde oftmals von Zeitgenossen, darunter Peiresc selbst, als Ursache für Galileis Verurteilung von 1633 gesehen. Für diese Einschätzung im Kreise Peirescs: H. Siebert (2006). 31 Gleichfalls unabhängig voneinander hatten Thomas Harriot (1560-1621) im Dezember 1610 die Sonnenflecken beobachtet sowie wohl zu etwa gleicher Zeit David Fabricius (1564-1617) mit seinem Sohn Johannes (1587-1616), der von allen als erster in gedruckter Form von dieser Entdeckung berichtete: Johannes Fabricius, De maculis in Sole observatis, et apparente earum cum Sole conversione narratio. Wittenberg: Typis Laurentii Seuberlichii / impensis Iohan. Borneri senioris & Eliae Rehefeldii bibliop. Lips., 1611. Das Widmungsschreiben ist datiert auf den 13. Juni 1611 („1611. Idib[us]. Junii“: ebd., nicht paginiertes f. 4r) und mit Verweis auf dieses Erscheinungsdatum berichtet Kepler 1613 von Fabricius’Buch über Sonnenflecken: Kepler (Linz) an Oddo van Maelcote (Brüssel), 18.07.1613: OGG, XI: 536-537 (n° 902), hier S. 537, Z. 15. Zu Fabricius mit einer Übersicht über dessen Werke, Briefe und Handschriften siehe: Menso Folkerts, „Der Astronom David Fabricius (1564-1617): Leben und Wirken“, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte, 23 (2000), S. 127-141. 32 Entscheidend für Galileis Reaktion ist aber offenbar die Veröffentlichung dieser Entdeckung in gedruckter Form. Denn beobachtet wurden die Sonnenflecken mittlerweile wohl von vielen – Galilei selbst hatte es ja in Rom demonstriert – so auch von dem Maler Domenico Cresti (genannt Passignano oder Passignani, 1560-1638). Von dessen gerade begonnenen Beobachtungen berichtet an Galilei wiederum ein Maler, Lodovico Cardi (genannt Cigoli, 15591613), am 16. Sept. 1611 (OGG, XI: 208-209, n° 582) und schreibt ihm hiervon sogleich nochmals am 23. September 1611, wobei er das Eintreffen vieler neuer Ferngläser aus Venedig erwähnt (OGG, XI: 212-213, n° 587); vgl. die Antwort Galileis vom 1. Okt. 1611 auf beide Schreiben: OGG, XI: 213-214 (n° 588). Erst, nachdem er von Scheiners Veröffentlichung erfahren hat, publiziert Galilei seine Sonnenbeobachtungen –sein Discorso intorno alle cose, che stanno in su l’acqua wird im Mai 1612 gedruckt. Zum ersten Mal berichtet ihm wohl von solchen in Deutschland erfolgten Beobachtungen Giovanni Faber (1574-1629) am 15. Dez. 1611: OGG, XI: 238-239 (n° 614), hier S. 239 (Z.13-18). Marcus Welser (1558-1614), Augsburger Großkaufmann, Patrizier und Humanist, in dessen Verlag (Ad insigne pinus) Scheiners Tres epistulae (1612) unter dem Pseudonym „Apelles latens post tabulam“gedruckt wurden und der wie Faber Mitglied der Accademia dei Lincei war, hatte bezüglich der dort beobachteten Sonnenflecken Faber zuvor um dessen Meinung gefragt: Welser (Augsburg) an Faber (Rom), 18.11.1611: OGG, XI: 235 (n° 609); einen Monat später unterichtete er Faber von dem bevorstehenden Druck dieser Beobachtung: Welser an Faber, 16.12.1611, OGG, XI:

4.2. Das heimliche Ringen der Copernicaner

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bezüglich der zu beobachtenden Fixsternparallaxe geschrieben hatte. 33 Ein halbes Jahr darauf wird ihm gar aus Rom berichtet, dass sich der Maler Passignano (auch Passignani genannt, eigentlich Domenico Cresti, 1558/60-1638) schon nicht mehr mit den Sonnenflecken beschäftige: Er beobachte nun die Sterne und sehenden Auges sehe er, dass sich die Erde um sich selbst drehe sowie um die Sonne und diese still stehe. Dies wird Galilei hinterbracht von Lodovico Cardi (1559-1613), bekannt als Maler unter dem Namen Cigoli. Gegen dessen Vorbehalte habe Passignano sich damit verteidigt, dass er selbst nichts anderes sage, als was er selbst in Rom zu hören bekomme von Luca Valerio (1552-1618), einem Freund Galileis und Mathematikprofessor an der Sapienza, oder von dem Jesuiten Christoph Grienberger (1564-1636), Astronom und Clavius’Nachfolger als Mathematikprofessor am Collegio Romano.34 Auch wenn Cigoli selbst ihm für seine Auffassung diese Gewährsmänner offenbar nicht abnimmt („à sentito da non so chi“), ist es dennoch erstaunlich, dass ein Jesuit überhaupt genannt wird in solch einem Zusammenhang. Jedenfalls mag sich hieran zeigen, dass von verschiedenen Seiten das Potenzial des neuen Instruments als weltbildentscheidend eingeschätzt wurde.

246 (n°622); wiederum einen Monat später berichtet Welser dann an Galilei von dem erfolgten Druck: Welser (Augsburg) an Galilei (Florence), 06.01.1612, OGG, V: 93. Zu Marcus Welser: Bernd Roeck, „Geschichte, Finsternis und Unkultur. Zu Leben und Werk des Marcus Welser, 1558-1614“, Archiv für Kulturgeschichte, 72 (1990), S. 115-141. 33 Ramponis oben zitierter Brief vom 23. Juli 1611 (OGG, XI: 159-162 (n° 561)) mit dessen Ausführungen zur relativen Parallaxenmessung und der beigefügten Skizze bleibt von Galilei unbeantwortet; dies geht aus einem neuerlichen Schreiben Ramponis vom 21. Mai 1612 hervor, worin er wegen des für ihn scheinbar verlorenen Schreibens (n° 561) als wichtige Frage daraus wiederholt, ob Galilei eine Sternparallaxe festgestellt habe: OGG, XI: 299-300 (n° 679), hier 300, Z. 19-21. 34 Lodovico Cardi (Rom) an Galilei (Florenz), 30.06.1612: „Il Pasigniano, huomo molto di sua oppinione, à sentito da non so chi questa sua; et l'altra sera me la diceva, che lo avete chiaro, tenendo ancora duro la sua, et che non guarda più sole, ma che attende ai movimenti delle stelle, et che vede visibilmente che la terra si move in 24 ore, et d'altro moto che fa la state e 'l verno, et il sole sta fermo: dove li soggiunsi che V. S. dice che si rivolgie in sè stesso ancora lui; dove egli se ne rise, et io ancora delle sue sentenzie così dintornate e risolute, senza mai dire altro che le cose ch'egli sente da il Signior Lucha o 'l Padre Gambergier, e le vole lucidare, e le storpia, che è cosa ridicola, et che si fa fare uno ochiale a Venezia, che sarà lungho tre braccia, con il quale spera da avere a vedere e speculare cose minimissime et nella luna e nel cielo.“: OGG, XI: 347-349 (n°718), hier S. 348 (Z. 14-24). Ich danke Giulia Giulianelli für die sprachlich eindeutige Klärung dieser Passage. Pasquale M. D’Elia versucht Grienberger wenig überzeugend als heimlichen Anhänger des Copernicus zu entlarven. Dabei stützt er sich auf zwei Briefe seines Mitbruders Wenzel Pantaleon Kirwitzer (gest. 1626), in denen dieser Grienberger gegenüber seine Überzeugung für Copernicus offenbart. Da er ihm dies in dem zweiten Brief geradezu rückhaltlos noch offener gestehe als in seinem ersten, obwohl ihm Grienberger inzwischen in einem heute verlorenen Brief geantwortet habe, schließt D’Elia auf die copernicanische Anhängerschaft Grienbergers, denn dieser hätte in seinem verlorenen Schreiben an Kirwitzer sich „pronunziato nettamente in favore di Copernico“: P. M. D’Elia (sj), Galileo in Cina: Relazioni attraverso il Collegio Romano tra Galileo e i gesuiti scienziati missionari in Cina (1610-1640), Rom: Università Gregoriana, 1947, S. 36-38, hier 37.

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4. Die Fixsternparallaxe

Abb. 8 –Relative Methode zum Nachweis der Fixsternparallaxe siehe in vorliegender Arbeit hier und S. 179-189, 303 (a) Ramponis Skizze für Galilei (1611)

(b) Galileis Skizze im Dialogo (1632) 378

(a) BNCF, Ms. Gal. 89, c. 28v (die Originalskizze ist im Wesentlichen identisch mit der in OGG, XI:161 nachgezeichneten). Mit freundlicher Genehmigung des Ministero per i Beni e le Attività Culturali della Repubblica Italiana.

Ob Galilei daher nach Ramponis Schreiben den Maler Passignano noch genauso wenig ernst genommen hat, wie dessen Kollege es offensichtlich tat, bleibt dahingestellt. Grund zur Sorge hätte er aber nach all dem haben können, dass bei dieser fundamentalen Entdeckung, die mit Hilfe des Teleskops nun endlich gelingen mochte, ihm Ähnliches wie bei den Sonnenflecken widerführe. Wie wahrscheinlich ist es aber, dass Galilei auf einem so wichtigen Gebiet untätig war, während sich andere darauf bereits zu tummeln schienen? Dennoch und allem zum Trotz: Dass Galilei selbst schon versucht hätte, mit eigenen Augen eine Sternparallaxe nachzuweisen, lässt sich nicht belegen, zumindest nicht für diese allerersten Jahre nach der Erfindung des Teleskops. Wie beschreibt er nun aber zwanzig Jahre später im Dialogo die anzustellende Parallaxenbeobachtung, die bisher ja völlig unversucht geblieben sei. 35 Galileis Sprachrohr, Salviati, beweist darin zunächst, dass more geometrico die größtmögliche Verschiebung an denjenigen Sternen auftreten müsse, die näher am Pol der Ekliptik lägen.36 Salviati würde daher, um eine Erfolg versprechende Be35 Diese im Folgenden zusammengefasste Beschreibung Galileis, wie eine direkte Beobachtung der Fixstern anzustellen sei, findet sich: OGG, VII: 414 (Z. 24) - 415 (Z. 36). 36 Galilei, Dialogo [1632], OGG, VII: 409-411, hier 411 (Z. 21-24): „Concludiamo per tanto, che la diversità di apparenza (la quale con termine proprio dell’arte potremo chiamar parallasse delle stelle fisse) è maggiore e minore secondo che le stelle osservate sono più o meno vi-

4.2. Das heimliche Ringen der Copernicaner

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obachtung zu wagen, einen Stern des Wagens (Carro) wählen. Hiermit dürfte also der Kleine Wagen bzw. Kleine Bär gemeint sein, da dieser dem Ekliptikpol näher ist als der Große Wagen im Sternbild Großer Bär. Weiterhin müsse man laut Salviati-Galilei einen geeigneten Ort für diese Beobachtung suchen, der zum Norden hin von einem hohen Berg begrenzt sei. Auf dessen Gipfel sollte sich ein Gebäude befinden, um darauf eine Querstange anzubringen. Diese Stange habe man dann durch ein Teleskop von der Ebene aus so anzuvisieren, dass der zu beobachtende Stern von ihr genau in zwei Teile geteilt werde. Auf diese Weise ließe sich auch die kleinste Lageveränderung desselben noch feststellen. Von immer derselben Stelle aus seien die Beobachtungen zu wiederholen beginnend mit der Sommersonnenwende und womöglich monatlich fortgesetzt bis zum nächsten Solstitium. Salviati will hierfür ein Teleskop benutzen, das die Sonnenscheibe (il disco del Sole) mehr als tausendfach vergrößert. Diese technische Voraussetzung rückt die Realisierbarkeit der Unternehmung aber scheinbar nur in ferne Zukunft. Denn zu verstehen ist hierunter ein Fernrohr von etwas mehr als dreißigfacher Auflösung, wie Galilei es zu dieser Zeit längst besaß.37 Auch bei dem Ort, den Salviati sich aussuchen würde, ist ein solcher gemeint, den Galilei selbst gut kannte. Denn die Sonnenuntergänge vor und nach der Sommersonnenwende, deren Beobachtung Salviati auf derselben Seite gleichfalls beschreibt, hat Galilei tatsächlich von dort verfolgt. Die Berge von Pietrapana sowie das Landhaus nahe Florenz, die beide in diesem Zusammenhang erwähnt werden, geben jenen so geeigneten Ort als Villa Bellosguardo zu erkennen, wo Galilei die

cine al polo dell’eclittica; [… ].“; welche Erkenntnis Galilei in der direkten Parallaxenbeobachtung anwendet, wie er sie (rein theoretisch nur) im Dialogo beschreibt (siehe im Folgenden). Wilhelm Herschel betrachtet auch darin Galilei als Ideengeber („pointed out“) für die weitere Parallaxensuche; diese direkte Methode Galileis hätten als erste anzuwenden versucht („attempted“) Hooke, Flamsteed, Molyneux und Bradley „taking distances of stars from the zenith that pass very near it“: Herschel „On the Parallax of the Fixed Stars“, Philosophical transactions, 72 (1782a), S. 82-111, hier 84. 37 In seinen nicht für die Veröffentlichung bestimmten und später unter dem Tiltel „Analecta astronomica“herausgegebenen Beobachtungsaufzeichnungen (zu diesen im Folgenden mehr) notiert Galilei bei einer nicht datierten Observation des Hundsstern (Sirius), dass sein verwendetes Teleskop dessen Durchmesser um das 32fache vergrößere: „Il diametro del Cane, veduto col telescopio, è una delle 1200 parti della sua distanza dall’occhio, et il telescipio l’acrescie 32 volte: [… ]“: OGG, III.2: 878. Diese 32fache Vergrößerung entspricht bezogen auf die Siriusscheibe (vgl. oben Galilei im Dialogo: „il disco del Sole“) einer über 1000fachen (1024 = 32²) Vegrößerung. Herschel, der Galileis Anweisungen zu einer Parallaxenbeobachtung noch sehr gut kannte, versteht dessen im Dialogo gemachte Angabe als ungefähr 32fache Vergrößerung: Herschel (1782a) 88. Dass Galileis Angabe auch wirklich so zu verstehen ist, bestätigt sich durch eine gleichlautende, die er anderenorts selbst macht über die 20fache Auflösung eines seiner Teleskope: Demnach vergrößere es den Durchmesser der Mondscheibe 20fach, deren Fläche um das 400fache und dessen Volumen um das 8000fache: Stillman Drake, „Galileo’s first telescopic observations“, JHA, 7 (1976) 153-168, hier 154 (S. Drake zitiert aus diesem unveröffentlichten, nicht datierten Brief in englischer Übersetzung). Laut S. Drake sei es Galilei sehr wahrscheinlich schon im März 1610 gelungen, ein Teleskop mit 30facher Vergrößerung herzustellen.: S. Drake (1976) 159.

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4. Die Fixsternparallaxe

Sommermonate der Jahre 1617 bis 1631 verbrachte.38 Aus Bellosguardo hatte er auch von solchen Beobachtungen der Sonnenuntergänge an Cesare Marsili (15921633) berichtet.39 Aus weiteren Briefen und persönlichen Aufzeichnungen erhellt, dass Galilei über ganz konkrete eigene Erfahrungen in der Suche nach der Fixsternparallaxe verfügte, als er selbige im Dialogo zu einem Zukunftsprojekt stilisierte. So mag er von jenem Ort aus den Himmel bereits im Sommer 1616 betrachtet haben. Denn im November desselben Jahres schreibt ihm sein Freund Benedetto Castelli (1577-1643), sein früherer Student und nunmehr Mathematikprofessor in Pisa, dass er von neuem begonnen habe, die drei Sterne im Schwanz des Großen Bären zu beobachten. Dabei glaube er, eine Veränderung an ihnen festzustellen gegenüber der rechtwinkligen Konstellation, welche sie diesen Sommer noch in Bellosguardo gehabt hätten.40 Aus der Beschreibung, die Castelli hiervon in seinem Brief mitsamt einer beigefügten Skizze gibt, lässt sich mit einiger Sicherheit entnehmen, welche Konstellation er im Großen Bären über mehrere Monate hinweg beobachtet hat. Bei den beiden überaus eng beieinander stehenden („vicinissima“) und mit bloßem Auge sichtbaren Sternen müssen Mizar und Alkor gemeint sein.41 Bei dem dritten nur durch ein Teleskop zu erkennenden Stern, den Castelli wenige Monate zuvor noch im rechten Winkel zu den beiden anderen gesehen haben will,

38 E. Strauss, der den beschriebenen Ort mit der Villa Bellosguardo identifiziert, merkt weiter an, dass diese Eigentum von Lorenzo Segni war und vom 15. August 1617 bis zum Jahre 1631 von Galilei bewohnt wurde: Galilei (²1982) 562 n.80; bekräftigt von O. Besomi / M. Helbing: Galilei (1998) II: 795-796. 39 Galilei (Bellosguardo) an Cesare Marsili (Bologna), 05.04.1631: OGG, XIV: 239-241 (n° 2137), hier S. 240 (Z. 15-29); laut E. Strauss beobachtete Galilei den Eintritt des Solstitiums, um „eine etwaige Veränderung der Ekliptikschiefe festzustellen.“: Galilei (²1982) 562 n.80. 40 Benedetto Castelli (Pisa) an Galilei (Florenz), 16.11.1616: OGG, XII: 296 (n°1236), hier Z. 17-25: „Ho osservata di novo la constellazione della prima delle tre stelle nella coda dell'Orsa maggiore post eductionem caudae, e mi è parsa tale la constituzione con quella che se li vede vicinissima con la vista naturale e quell'altra visibile solo con l'occhiale: quella notata A è la prima delle tre etc.; quella notata B è la vicina etc., e finalmente quella notata C è la visibile con l'occhiale. Ma se mal non mi ricordo, questa estate a Bellosguardo la C era talmente situata con l'altre due, che in lei si formava un angolo retto, tirando le linee dalla C alla B et A. Però V. S. ci faccia un puoco di reflessione, quando ne habbia comodità; [… ].“ 41 Sieben Sterne des Sternbilds Großer Bär bilden den Großen Wagen, darunter drei Sterne zweiter Größenklasse die Deichsel desselben (bzw. den Schwanz des Großen Bären), deren erster ist Alioth ( UMa), gefolgt von Mizar ( UMa) und beschlossen von Alkaid (oder Benetnasch, Uma). Mit dem ersten Stern nach Beginn des Schwanzes (post eductionem caudae) bezeichnet Castelli folglich Mizar. Dicht bei diesem in einem Abstand von 11,8 Bogenminuten steht Alkor (Reiterlein, gleichsam auf den Pferden der Deichsel reitend). Alkor ist ein Stern vierter Größenklasse und wird spaßhaft auch ‘Augenprüfer’genannt, weil er mit guten Augen noch als solcher neben Mizar zu erkennen ist; streng genommen ist er nicht Teil des Großen Bären und fehlt in Ptolemaios’ Sternenkatalog. Für diese Beobachtung Castellis siehe: Leos Ondra, „Il Volto Nuovo di Mizar,“Coelum Astronomia. Edizioni Scientifiche Coelum, 54 (2002), S. 52-56 sowie in englischer Fassung „A New View of Mizar“ auf http: //leo.astronomy.cz/mizar/article.htm#f17.

4.2. Das heimliche Ringen der Copernicaner

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muss es sich um die Stella Ludoviciana handeln –ein Stern achter Größe, der erst hundert Jahre später unter diesem Namen bekannt werden sollte.42 Castelli dürfte aber gemeinsam mit Galilei in Bellosguardo den Ludwigs-Stern beobachtet haben. Weit mehr als diesem selbst wird wohl schon im Sommer 1616 ihr Augenmerk der Dreierkonstellation gegolten haben, die sich zusammen mit Mizar und Alkor daraus ergibt. Tatsächlich konnte diese Gruppe bestehend aus drei unterschiedlich hell leuchtenden – nach damaliger Auffassung somit auch verschieden weit entfernten –Sternen die beste Voraussetzung bieten für jene relative Methode der Parallaxenbeobachtung, die Ramponi in seinem Schreiben von 1611 Galilei vorgeschlagen hatte. Besonders geeignet für dieses Verfahren sind 42 Johann Georg Liebknecht (1679–1749), Professor für Mathematik und Theologie an der Universität Gießen, beobachtete am 2. Dezember 1722 diesen Stern und glaubte, ihn erstmals entdeckt zu haben sowie zugleich eine Eigenbewegung desselben festzustellen. In der Annahme, eine besondere Entdeckung gemacht zu haben, benannte er ihn nach seinem Landesherren, dem Landgrafen Ernst Ludwig (1678-1738) von Hessen-Darmstadt. Seinen so genannten ‘Ludwigs-Stern’machte er mit gleich zwei Veröffentlichungen des Jahres 1723 bekannt: Zunächst in Sidus boreale stella noviter detecta stipatum et […] Ludovicianum nuncupatum, Gießen: Vulpius, 1723, und in einer darauf folgenden Streitschrift: Uberior stellae Ludovicianae noviter detectae […] publicatae consideratio, nonnullorum dubiis et iniquis praesertim scommatibus Ludov. Phil. Thümmigii inter Hallenses A. O. P. novi cujusdam rerum naturalium tentatoris opposita, Gießen: Joh. Müller, 1723. Liebknecht in NDB, XIV: 503. Kritisiert wurde Liebknecht öffentlich von dem im Titel seiner Streitschrift erwähnten und von ihm darin beschimpften Ludwig Philipp Thümmig (1697-1728) –der Schüler Christian Wolffs: ADB, XXXVIII: 177-178 (von Otto Liebmann): Thümmig, Versuch einer gründlichen Erläuterung der merckwürdigsten Begebenheiten in der Natur, worduch man zur innersten Erkenntnis derselben geführet wird, Marburg: Müller, ²1735, 3. Stück (Num. 27), 4. Stück (Num. 25); weiter bekannt wurde dessen Kritik sowie derer, die sie teilten, durch die Besprechung von Thümmigs Buch in den Acta eruditorum der Jahre 1723 (S. 321-323, hier 323) sowie 1724 (S. 407-409, hier 408). Zu einem vernichtenden Urteil über Liebknecht kommt rückblickend Wilhelm Olbers, „Noch etwas über den Ludwigs-Stern“, Monatliche Korrespondenz zur Beförderung der Erdkunde und Himmelskunde, 8 (Dezember 1803), S. 528-531 (Neudruck in: Wilhelm Olbers. Sein Leben und seine Werke, 2 in drei Bden, hg. von Carl Schilling, Berlin: Julius Springer, 1894-1909, Bd I (1894), S. 523-525). Laut Olbers (1803, S. 529-530) sei die von Liebknecht vermutete Bewegung dieses ganz gewöhnlichen Sternes achter Größe, von denen es tausende gebe, auf „die Fehler seiner mangelhaften Messungen“ zurückzuführen und überhaupt habe jener „wahrscheinlich den Himmel noch nicht oft mit Fernröhren betrachtet“. Olbers (1803, S. 528) selbst habe eine solche Eigenbewegung nicht feststellen können ebensowenig wie Jérôme de La Lande (1732-1807), der ebendiesen Stern am 21. Februar 1790 (Mémoires de l’Académie des Sciences, 1790, S.. 378) beobachtet habe, genauso wenig wie Giuseppe Piazzi (1746-1826), in dessen Sternenkatalog er sich für das Jahr 1800 finde (Præcipuarum stellarum inerrantium positiones mediæ ineunte seculo XIX ex observationibus habitis in specula Panormitana ab anno 1792 ad 1802, Palermo: Typis regiis, 1803; 1814). Abschließend vermerkt Olbers (1803, 531), dass auch Flamsteeds „tertia telescopica“nicht der kleine Begleiter Mizars im Großen Bären sei, sondern wiederum der Ludwigs-Stern. Damit nennt Olbers als frühesten Beobachter desselben John Flamsteed (1646-1719). Über den ‘Ludwigs-Stern’, der unter diesem Namen folglich nicht in Sternenkataloge eingegangen ist (sondern zu finden ist unter HD 116798 bzw. TYC 3850-00257-1): Joseph Ashbrook, „Astronomical Scrapbook –The Field of Mizar and Alcor,“Sky & Telescope, April 1957, S. 265; L. Ondra (2002).

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4. Die Fixsternparallaxe

Konstellationen, bei denen von der Erde unterschiedlich weit entfernte Sterne möglichst nah beieinander stehen. Bei dieser Kombination ist die im Jahreslauf der Erde zu erwartende Verschiebung am deutlichsten festzustellen. Allein aus technischen Gründen ist hierfür eine relative Nähe der Sterne zueinander unabdingbar: Das galileische Teleskop bietet ein Sichtfeld von lediglich fünfzehn Bogenminuten (15 ), welches sich bei diesem Bautyp (bestehend aus einer konkaven Okularlinse und einer schwach konvexen Objektivlinse) noch weiter einschränkt bzw. an Schärfe verliert, sobald die Auflösung über das Zwanzigfache hinaus erhöht wird. Diese für eine relative Parallaxenmessung notwendigen Bedingungen waren offenbar bestimmend für Castellis weitere Fixsternsuche („busca di stelle fisse“43). Selbige betrieb er aber nicht allein, sondern tauschte sich darin mit Galilei aus. Anhand der erhaltenen Briefe ist fast ausschließlich Castellis Anteil daran auszumachen.44 Doch lässt zumindest ausschnitthaft sich dieser gegenseitige Austausch durch Galileis persönliche Aufzeichnungen ergänzen. Bei diesen handelt es sich um wenige kurze Notizen von Fixsternbeobachtungen, die bis auf eine einzige vom 4. Februar 1617 nicht datiert sind.45 Galileis Angaben über den zodiakalen Sonnenstand erlauben bei manchen seiner Beobachtungen immerhin eine Datierung auf Tag und Monat. So lässt sich seinen Notizen entnehmen, dass er seinerseits sich etwa zur selben Zeit mit dem hellsten Stern am Nachthimmel, dem Sirius (Hundsstern, Canicula), beschäftigt haben mag, den er in mehrmonatigen Abständen beobachtete beginnend mit dem 22. Dezember.46 Nur Tag und Monat 43 Castelli (Pisa) an Galilei (Florenz), 07.01.1617: OGG, XII: 301 (n°1241) weiter unten zitiert. 44 Einzige Ausnahme ist die Beobachtung im Sternbild Orion, die Castelli eindeutig auf Galileis Anregung hin gemacht hat: Benedetto Castelli (Pisa) an Galilei (Florenz), 22.02.1617: OGG, XII: 309 (n° 1248) weiter unten zitiert. 45 Diese zu Galileis Lebzeiten unveröffentlichten Aufzeichnungen finden sich unter dem Titel „Analecta astronomica“in OGG, III.2: 872-880, hierunter die einzig datierte auf S. 880. 46 Unter den „Analecta astronomica“finden sich drei Manuskript-Blätter (jeweils nach der alten BNCF-Signatur) mit Sirius-Beobachtungen, die womöglich alle in dieselbe Zeit fallen: OGG, III.2: 878 (Mss. Gal., P. IV, T. VI, car. 8r; Mss. Gal., P. III, T. IV, car. 230r), 879 (Mss. Gal., P. III, T. IV, car. 246r). Allerdings vermerkt Galilei für eine zusammenhängende Folge von Sirius-Beobachtungen (OGG, III.2: 879) jeweils den Stand der Sonne in den Tierkreissternbildern. Diese unterteilen die Ekliptik in zwölf Abschnitte von 30° (welche nicht der tatsächlichen ekliptikalen Länge der jeweiligen Tierkreissternbilder entsprechen); aus geozentrischer Sicht durchwandert die Sonne im Verlauf eines Jahres die Tierkreiszeichen; der jeweilige Stand der Sonne im Zodiakus (Tierkreis), auch Länge der Sonne genannt, erlaubt die Datierung auf Tag und Monat. Bei Galileis erster Beobachtung tritt die Sonne in das Zeichen des Steinbock (0° ), bei seiner zweiten steht sie im Widder (6° ) und bei seiner letzten am Eintritt zum Stier (0° ): OGG, III.2: 879 (BNCF, Mss. Gal., P. III, T. IV, car. 346r). Um aus diesen Angaben das richtige Datum zu gewinnen, muss berücksichtigt werden, ob es sich um ein Schaltjahr (annus bissextilis) handelt bzw. um welches Jahr zwischen zwei Schaltjahren (annus primus, secundus aut tertius post bissextum). Denn die Eintrittszeiten der Sonne in die einzelnen Tierkreissternbilder schwanken innerhalb dieses Vierjahreszeitraums um einen Tag. Innerhalb dieses Spielraums können folglich die Eintrittszeiten unterschiedlich verzeichnet sein, wenn sie ohne Unterschied des Jahres angegeben werden. Dabei fällt auf, dass diejenigen für , , , , , und heute meist um einen Tag abweichend zur früheren Pra-

4.2. Das heimliche Ringen der Copernicaner

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nicht aber die Jahreszahl ist aus dem von Galilei angegebenen Stand der Sonne zu gewinnen. Doch findet sich auf demselben Blatt eine Skizze von drei Sternen ähnlich angeordnet wie diejenigen, die Castelli in seinem Schreiben vom 16. November 1616 aufgezeichnet hat (Mizar, Alkor, Ludwigs-Stern). Für die Beobachtung solcher drei Sterne notiert Galilei, man solle einen entsprechenden Winkel aus Karton zuschneiden – er skizziert ihn um die drei Sterne herum – und an der Teleskopspitze („cima del telescopio“) anbringen. 47 Diese Objektiv-Maske würde Galilei ermöglichen, leichter festzustellen, ob die drei Sterne ihre Lage zueinander wirklich verändern, wie Castelli es in der Deichsel des Großen Wagens vermutet. Dass Galilei tatsächlich mit Winterbeginn des Jahres 1616 den Sirius beobachtete und hiervon seinerseits berichtete, mag sich insofern durch Castellis Schreiben vom 7. Januar 1617 bestätigen, als dieser darin von seinen erfolgreichen Vorbereitungen zu einer baldigen eigenen Beobachtung des Sirius (Canicola) berichtet.48 In diesem Brief kommt Castelli wiederum auf den Schwanz des Großen Bären zu sprechen: Galilei solle sich den Stern in der Mitte einmal genauer ansehen, denn dieser zähle zu den schönen Dingen, die es am Himmel gebe, und nichts Brauchbareres lasse sich finden.49 Die etwas rätselhafte Ausxis gewählt werden: vgl. die heutigen Angaben mit denjenigen auf der Rückseite von Astrolabien (wie desjenigen der Heidelberger Schule von 1588 im National Maritime Museum, London) sowie mit den jeweiligen Eintrittsdaten bei Christoph Clavius, Sphaera (1611) 157 („Ingressus Solis in 12. signa Zodiaci“). Clavius liefert für Schalt- und Zwischenjahre eigene Tabellen über den Stand der Sonne in den einzelnen Tierkreiszeichen und den jeweiligen Tag: Sphaera (1611) 159-162. Wie wir im Folgenden begründet annehmen, hat Galilei seine Sirius-Beobachtungen 1616 begonnen. Für dieses Schaltjahr ergibt sich als Datum für Galileis Angabe von 0° der 22. Dezember; die zwei weiteren Beobachtungen dürften in das folgende Jahr, also 1617 (annus primus post bissextum), fallen und somit auf den 27. März (6° ) und 21. April (0° ): s. Clavius, Sphaera (1611) 159 und 160. Nicht zum richtigen Ergebnis führt dagegen eine direkte Berechnung, bei der man die jewieligen Eintrittszeiten der Tierkreissternbilder unberücksichtigt lässt und Galileis Angaben als ekliptikale Länge vom Frühlingsnullpunkt (0° ) her durch Addieren der Tierkreisabschnitte bestimmt: Da die Erde in einer Ellipse um die Sonne läuft, sind die Jahreszeiten ungleich lang, weswegen die 30° großen Abschnitte der Tierkreiszeichen verschieden viele Tage umfassen, den 365 Tagen des Jahres (360°) folglich unterschiedlich große Gradzahlen entsprechen. Ein Errechnen des Datums aus den Zodiacus-Graden ist nur innerhalb einer Jahreszeit richtig bzw. ausgehend von den jeweiligen Eintrittsdaten der Sonne in die einzelnen Tierkreiszeichen. 47 OGG, III.2: 879 (BNCF, Mss. Gal., P. III, T. IV, car. 346r): „Facciasi un angolo di cartone, che, messo nella cima del telescopio, passi per le 3 stelle notate etc., come nell’esempio qui sotto:“Die hier in Galileis Notiz folgende Skizze zeigt drei Sterne mit einer Linie umrandet, die einen ähnlich stumpfen und ebenso gelagerten Winkel bilden wie von Castelli selbst für Mizar, Alkor und Ludwigs-Stern skizziert worden war in seinem oben zitierten Brief an Galilei vom 16. November 1616. 48 Castelli (Pisa) an Galilei (Florenz), 07.01.1617: OGG, XII: 301 (n°1241): „Per l'osservazione della Canicola ho ritrovato un luogo nel quale si potrà collocare il lumicino, e di poi allontanarsi 150 braccia in circa per osservare: e quanto prima il tempo me ne dia licenza, mi metterò all'impresa.“ 49 Castelli (Pisa) an Galilei (Florenz), 07.01.1617: OGG, XII: 301 (n°1241): „Non manco d'andar in busca di stelle fisse; ma non trovo cosa al proposito, fuor che le avvisate nelle passate.

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4. Die Fixsternparallaxe

drucksweise mag bewusst gewählt und vielleicht als Vorsichtsmaßnahme zu verstehen sein. Im Vorjahr war die copernicanische Lehre von der katholischen Kirche als falsch und für den Glauben gefährlich verurteilt worden. Dem Brief Castellis dagegen könnte ein unbefugter Leser dieser Zeilen lediglich entnehmen, dass es sich bei dem Stern in der Deichsel des Großen Wagens um Mizar handeln dürfte. Was dieser dem Auge Besonderes darbieten oder wozu er den beiden dienen könne, wäre zu jener Zeit für einen fremden Leser gänzlich unverständlich geblieben. Denn nichts weniger als die Entdeckung einer völlig neuen Klasse von Himmelsobjekten verkündet Castelli hier mit knappen Worten. Mizar ist ein physischer Doppelstern, der durch ein Teleskop betrachtet in zwei Komponenten zerfällt. Castelli darf als der erste gelten, der einen solchen Doppelstern beobachtet hat.50 Riccioli hingegen, der hierfür meist als Entdecker genannt wird, veröffentlichte 1651 als erster – eher beiläufig allerdings – die im Teleskop zu sehende Verdopplung Mizars.51 Wie gleichfalls die danach entdeckten Doppelsterne wurde Mizar zu jener Zeit jedoch nicht als physischer Binärstern aufgefasst. Erst über hundert Jahre später hielt man für möglich, dass die Doppelsterne nicht nur scheinbar nah im Raum zusammen liegen, sondern tatsächlich eng benachbart sind. Gegen diese Annahme schien lange wie selbstverständlich zu sprechen, dass die einzelnen Sterne unterschiedlich hell leuchteten und folglich (unter der ebenso falschen Prämisse, sie seien in Wirklichkeit alle ähnlich groß) verschieden weit entfernt sein müssten. Dass es sich in den allermeisten Fällen dagegen um tatsächliche Paare handele, wurde erstmals von John Michell (1724-1793), Mitglied der Royal Society of London, geäußert.52 Seiner Interpretation entspricht unsere heutige AufDesiderarei che V. S. Ecc.ma, concedendoglielo la sanità, una sera desse un'occhiatina a quella stella di mezo delle tre che sono nella coda dell'Orsa maggiore, perchè è una delle belle cose che sia in cielo, e non credo che per il nostro servizio si possa desiderar meglio in quelle parti.“ 50 Zu dieser Entdeckung Castellis siehe den (wohl außerhalb Italiens) fast in Vergessenheit geratenen Artikel von Umberto Fedele, „Le prime osservazioni di stelle doppie“, Coelum, 17 (1949), S. 65-69 (Neudruck in: Coelum Astronomia. Edizioni Scientifiche Coelum, 54 (2002), S. 57-59; sowie unter http: //leo.astronomy.cz/mizar/fedele.htm). U. Fedeles Entdeckung ihrerseits, d.h., dass den ersten Doppelstern Castelli und Galilei beobachteten, wurde offenbar erst durch Leos Ondras beharrliche Recherche wieder in Erinnerung gebracht, bei der Paolo Maffei den entscheidenden Hinweis lieferte: L. Ondra (2002). 51 Riccioli: „Primus modus observandi diametros stellarum nititur oculari aestimatione, & comparatione aut cum Lunae diametro, aut [… ] cum distantia Fixarum sibi propiorum aliunde nota, [… ], quae coniectura errori proculdubio exposita est, praesertim ob radios adscititios augentes sidera, & minuentes intervalla, adeo ut stella unica videatur illa, quae media est in cauda Ursae maioris, cum tamen sint duae, ut Telescopium prodidit; [… ]“: AN, I: 422a (lib. 6, cap. 9: „De Apparenti & Vera Magnitudine Fixarum“). Laut Vasco Ronchi habe am 24./25. April 1610 bereits Martin Horky Mizar doppelt gesehen: V. Ronchi, Galileo e il cannocchiale, Udine: Idea, 1942, S. 266. Diese Auffassung weist U. Fidele zurück: Horky berichte lediglich von Alkor (Reiterlein), dem nahen Begleiter, und nicht etwa von Mizars Verdoppelung: U. Fedele (1949) 67. 52 John Michell, „An Inquiry into the probable Parallax, and Magnitude of the fixed Stars, from the Quantity of Light which they afford us, and the particular Circumstances of their Situa-

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fassung, nach der wir in diesen Paarungen eigene Systeme erkennen, bestehend aus zwei oder mehr Sternen, die sich gegenseitig umkreisen. Bis zu John Michells Beitrag in den Philosophical transactions der Royal Society von 1767 wurde das Phänomen der Doppelsterne dagegen als ein rein optisches betrachtet: Nur zufällig lägen beide Sterne in gleicher Blickrichtung, in Wirklichkeit aber seien sie von uns und voneinander verschieden weit entfernt. Dass der Geologe Michell jedoch den entscheidenden Ausschlag für die später einsetzende Umdeutung der Doppelsterne gegeben habe, scheint eher unwahrscheinlich. Für mehr Aufsehen sorgten seinerzeit dagegen die ähnlich neuen Ansichten des Jesuiten, Hofastronomen und Professors der Astronomie in Heidelberg, Christian Mayer (1719-1783).53 Als Leiter der Mannheimer Sternwarte und Mitglied mehrerer wissenschaftlicher Akademien (darunter auch der Royal Society of London) veröffentlichte Mayer nicht nur als erster im 18. Jahrhundert ein mehrmals gedrucktes Verzeichnis von Doppelsternen (mit 72 Einträgen).54 Zugleich vertrat er damit die völlig unerhörte Vorstellung, dass es sich bei diesen Gestirnen um eigene Systeme handele. Mit der Eigenbewegung solcher „Fixsterntrabanten“ erklärte er überdies das Phänomen (bedeckungs)veränderlicher Sterne.55 Die internationale Kritik aus Wien und Sankt Petersburg – Mayer hatte 1777 auch der Pariser Akademie der Wissenschaften sowie der Royal Society in London Mitteilung gemacht 56 –

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54

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tion“, Philosophical transactions, 57 (1767), S. 234-264, hier S. 249-261; John Michell, „On the Means of discovering the Distance, Magnitude, &c. of the Fixed Stars, in consequence of the Diminution of the Velocity of their Light, in case such a Diminution should be found to take place in any of them, [… ]“, Philosophical transactions, 74 (1784), S. 35-57. Um diese Annahme zu stützen, hatte Michell zum ersten Mal in der Astronomie ein statistisches Verfahren angewandt und veröffentlicht. M. A. Hoskin (1966) 25-26; A.W. Hirshfeld (2001) 187188. Michell soll zudem den Begriff vom Schwarzen Loch geprägt haben, doch erlangte er größere Bekanntheit für seine Leistungen auf geologischem Gebiete und wird bisweilen ‘Vater der modernen Geologie’genannt. Mayer trat 1745 in den dann 1773 aufgelösten Jesuitenorden (Alte Gesellschaft) ein; seit 1762 war er Professor und Hofastronom. Spätestens seit 1769 wird er als Mitglied der Royal Society (F.R.S.) geführt: Mayer, „Astronomical Observations made at Swetzingen [… ] By Father Christian Mayer, F.R.S. Astronomer to the Elector Palatine“, Philosophical transactions, 58 (1769), S. 345-354. Erika Kollnig-Schattschneider, „Der Astronom Christian Mayer. Zu seinem 250. Geburtstag“, Sterne und Weltraum, 8/9 (1969), S. 190-194; ADB, XXI: 89-91 (Günther); NDB, XVI: 536b-537a (Felix Schmeidler); [enttäuschend:] DSB, IX: 231a-232a. Mayer, De novis in coelo sidereo phaenomenis in miris stellarum fixarum comitibus, Mannheim: Elector. Aulica & Academica, 1779, als Anhang auf S. [126+] i-ii: „Tabula nova stellarum duplicum“; wieder abgedruckt in: Acta Academiae Theodoro-Palatinae, 4, pars physica, (1780), S. 259-384 (Verzeichnis hier S. 383f.). Johann Elert Bode ergänzte Mayers Verzeichnis um acht bereits bekannte Doppelsterne: Bode, „Verzeichnis aller bisher entdeckten Doppeltsterne“, Astronomisches Jahrbuch (Berlin: Georg Jacob Decker), 1781, S. 183-185. Mayer, De novis in coelo sidereo phaenomenis (²1780) 335-338, 344f., 381f. Mayer, De novis in coelo sidereo phaenomenis (1779) 5; (²1780) 261. Erstmals veröffentlicht hatte Mayer seine vor der Mannheimer Akademie der Wissenschaften vorgetragenen Ansichten in der Mannheimer Zeitung (22.10.1777). Von Jérôme de La Lande habe er nach eigener Darstellung großen Zuspruch erhalten (Mayer, ²1780, S. 379); die Kritik im Journal des sçavans (Sept. 1779, S. 608) versucht Mayer zu entkräften: ebd., S. 379-381.

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4. Die Fixsternparallaxe

nötigte ihn bereits im darauf folgenden Jahr, ein dreihundertseitiges Buch zu seiner Verteidigung zu veröffentlichen. 57 Während Mayer bereits astronomisch begründet die Vorstellung physischer Doppelsterne vertrat, hielt zur selben Zeit der englische Astronom deutscher Herkunft Friedrich Wilhelm (William) Herschel (1738-1822) noch unbeirrt an der alten Auffassung fest. Als einzigen Vorläufer seiner 1778 begonnenen Katalogisierung von insgesamt 269 Doppelsternen erwähnt er allerdings den Leiter der Mannheimer Sternwarte.58 Doch hatte Herschel eine ganz besondere Motivation für sein groß angelegtes Projekt: Er war entschlossen, auf Grundlage eines eigens erstellten Katalogs von Doppelsternen, die Fixsternparallaxe zu entdecken. 59 Als Vorbild hierfür dienten ihm eben jene Ausführungen Galileis am ‘Dritten Tage’ des Dialogo, aus dem er wiederholt zitiert.60 Wie wir gesehen haben, kannte Galilei selbst die relative Messmethode spätestens, seitdem Ramponi sie ihm in seinem Brief vom 23. Juli 1611 vorgestellt hatte. Nichts am Himmel aber konnte für ihre Anwendung so geeignet erscheinen wie das Phänomen der Doppelsterne, solange wohlgemerkt es rein optisch im Sinne von perspektivischen Doppelsternen aufgefasst wurde. Aus ebendiesem Grunde mag auch schon Castelli, als er Mizar doppelt sah, Galilei auf dieses „schöne Ding am Himmel“ hingewiesen haben: nichts Besseres gebe es „per il nostro servizio“zu wünschen, schreibt er seinem Freund und Lehrer. Wie wir noch sehen werden, hatte Castelli den von 57 Mayer, Gründliche Vertheidigung neuer Beobachtungen von Fixsterntrabanten, Mannheim: Hof- u. Akademie-Buchdruckerei, 1778. 58 Herschel, „Catalogue of Double Stars“, Philosophical transactions, 72 (1782b), S. 112-162, hier 157-162 (‘Postscript’). Ein Exemplar von Mayers De novis in coelo sidereo phaenomenis (²1780) erhielt Herschel (1782b, S. 157) nach Abschluss seines Kataloges, aber noch vor Drucklegung desselben, aus den Händen des Präsidenten der Royal Society, Joseph Banks. 59 Herschel kannte offenbar weder Michells Artikel (1767) noch Mayers Veröffentlichungen (1778; 1779), als er sein Projekt 1781 der Royal Society of London vorlegte, welches im folgenden Jahr mit vier Artikeln in den Philosophical transactions (72, 1982, S. 82-178) bekannt gemacht wurde, darunter vor allem mit: Herschel, „On the Parallax of the Fixed Stars“, Philosophical transactions, 72 (1782a), S. 82-111; ders., „Catalogue of Double Stars“, Philosophical transactions, 72 (1782b), S. 112-162. Von Michells Artikel, dessen Ergebnisse seinem eigenen Projekt die Grundlage letztlich entzogen, dürfte Herschel spätestens 1782 erfahren haben, wie aus den Anmerkungen zu ersehen ist, mit denen der erste seiner Beiträge erschien: Herschel (1782a) 103,104; M.A. Hoskin (1966) 26. Auf Michells Artikel ist Herschel von dem Königlichen Astronomen Neville Maskelyne aufmerksam gemacht worden: Michael A. Hoskin, William Herschel and the Construction of the Heavens, London: Oldbourne, 1963, S. 27-59 (sein Doppelstern/Parallaxen-Projekt) und hier S. 32. 60 Seine Methode zur Parallaxenmessung führt Herschel auf Galilei zurück, der sie als erster vorgeschlagen habe („suggested“: 1782a, S. 88), wobei er selbst sich nun nicht nur wegen seiner besseren Instrumente im Vorteil sieht, sondern weil er dessen Methode auf Doppelsterne anwenden will. Dass hingegen schon Galilei Doppelsterne beobachtet hatte, hielt man offenbar – obwohl sich im Dialogo hierfür zumindest ein schwacher Anhaltspunkt findet (OGG, VII: 409, Z. 31-32) –für genauso wenig möglich, wie dass er überhaupt die relative Messmethode selbst schon angewandt haben könnte. Galilei wird weiter zitiert von Herschel (1782a) 84, 88; und in seinen zu Lebzeiten nicht veröffentlichten Aufzeichnungen: The Scientific Papers of Sir William Herschel, 2 Bde, hg. von J. L.E. Dreyer, London: Royal Society and Royal Astronomical Society, 1912, Bd I, S. 40-43.

4.2. Das heimliche Ringen der Copernicaner

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ihm entdeckten Doppelstern bereits als besonders brauchbar für eben jene Methode der relativen Parallaxenmessung erkannt und war von Galilei dahingehend auch verstanden worden.61 An einem 15. Januar – soviel ist seinen Angaben über die ekliptikale Länge zu entnehmen –beobachtete Galilei den Doppelstern Mizar. 62 Da ihm Castelli am 7. Januar 1617 davon berichtet hatte, dürfte diese Beobachtung mit einiger Wahrscheinlichkeit in dasselbe Jahr fallen. Demnach hätte er angeregt von dem gerade erst erhaltenen Schreiben seines Freundes aus Pisa sich sogleich daran gemacht, jenes, wie es hieß, schöne und besonders brauchbare Phänomen mit eigenen Augen zu besehen. Dass ihm dieses nicht anders als Castelli bedeutend schien und auch wohl nützlich für ihr Vorhaben, mag sich an der Genauigkeit zeigen, mit der er die beiden Komponenten Mizars vermaß. Als sichtbaren Halbmesser des größeren Sterns (Mizar A) notiert Galilei 3", für den kleineren 2", und beide trenne ein Zwischenraum von 10". Als Abstand zwischen Mizar A und B gewinnt er daraus eine Winkelentfernung von 15".63 Dass er mit diesem Ergebnis lediglich um eine halbe Winkelsekunde von dem heutigen Wert abweicht (14,43"), darf angesichts der damaligen Mittel als glücklicher Zufall gelten. 64 61 Castelli (Pisa) an Galilei (Florenz), 22.02.1617: OGG, XII: 309 (n°1248). Auch Huygens wird später Mizar als Beispiel für diese Möglichkeit des Parallaxennachweises nennen: Huygens, , sive de terris coelestibus, earumque ornatu, conjecturae [Den Haag: Adrianus Moetjens, 1698, S. 134-135], HOC, XXI: 815. 62 „Analecta astronomica“, OGG, III.2: 877 (BNCF, Mss. Gal., P. IV, T. VI, car. 10r ; heute: Ms. Gal. 70 c. 10r): „Media caudae Elicis incidit secundum latitudinem in gr. 9 , et latitudo eius est gr. 56. Terra est modo in 25 , ex quo locus ab ea distat gr. 44.“Helike bzw. hier Elice ( , lat. eigentlich Helice, -es) ist ein anderer Name für das Sternbild Großer Bär (die Nymphen Helike und Kynosura waren die beiden Ammen des Zeus und wurden aus Dankbarkeit von ihm an den Himmel versetzt). Galilei bestimmt die Position von Mizar (den mittleren Stern im Schwanz des großen Bären) mit einer ekliptikalen Höhe von 56°; der Breite nach falle Mizar auf 9° Jungfrau ( ), was einer ekliptikalen Länge von –Jungfrau ist vom Frühlings- oder Widderpunkt ( ) gerechnet das sechste Tierkreiszeichen –(5x30°+9 =) 159° entspricht. Aus dieser Positionsbestimmung gewinnt Galilei eine Winkelentfernung von 44° zwischen Mizar und der Erde, die auf 25° Krebs ( ) stehe, also auf (3x30°+25°=) 115° ekliptikaler Länge. Die von Galilei angegebene Stellung der Erde im Tierkreis, entspricht einer genau um 180° entgegengesetzten Position der Sonne, die somit auf 25° Steinbock ( ) steht. Analog zu dem obigen Fall (Galileis Angaben für seine Sirius-Beobachtung) erhalten wir hiermit aus Clavius’Tabelle unter der Annahme, dass es sich tatsächlich um das Jahr 1617 handelt, als Datum für 25° den 15. Januar: Clavius, Sphaera (1611), 161 (Locus Solis in Zodiaco Anno 1601, vel primo post bissextum). Durch Rechnung mit dem allgemeinen Eintrittsdatum für Steinbock, dem 22. Dezember (Calvius, Sphaera (1611) 157; vgl. heute: 21. Dez.), ergibt sich (22. Dezember zuzüglich 25°/360°x365 Tage) gleichfalls der 15. Januar als Tag von Galileis Mizar-Beobachtung. Dasselbe Datum gewinnt auch U. Fedele aus Galileis Angabe (er wandelt Galileis 25° in 115° Krebs um, scheint also vom Frühlingspunkt her zu rechnen); wegen des möglichen Zusammenhangs mit Castellis Schreiben vom 7. Januar 1617 legt Fedele das Datum („15 gennaio“) von Galileis Mizar-Beobachtung in dasselbe Jahr: U. Fedele (1949) 68. 63 OGG, III.2: 877: „Inter mediam caudae Elicis et sibi proximam pono nunc gr. 0.0 ,15 . Semidiameter stellae maioris gr. 0.0.3 , minoris vero 2 , et intercapedo 10 .“ 64 Dieser sehr genaue Wert –(sonst meist nur 14,5" zu finden) –stammt aus: The Tycho Double

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4. Die Fixsternparallaxe

Anschließend errechnet Galilei aus der sichtbaren Größe des Hauptsterns (2x3") dessen Entfernung zur Erde: Falls dieser in Wirklichkeit so groß sei wie die Sonne (30 ), müsse er dreihundertmal weiter entfernt sein als diese (also 300 Astronomische Einheiten, AE).65 Hier enden Galileis Notizen über Mizar. Sollte er aber an anderer Stelle seine Messdaten weiter ausgewertet haben, hätte ihn dies bezüglich einer Fixsternparallaxe durchaus zuversichtlich stimmen können. Denn eine Entfernung von 300 Sonnenabständen ließe erwarten, dass sich der größere Mizar-Stern im Laufe eines halben Jahres um mehrere Winkelminuten verschöbe.66 Währenddessen würde dieser Parallaxeneffekt weniger stark auf Mizar B wirken, weil er mit einer sichtbaren Größe von nur 2" der gleichen Rechnung zufolge entsprechend weiter von der Erde entfernt wäre. 67 Durch den unterschiedlich großen Winkel, um den sich von der Erde aus gesehen die beiden MizarSterne verschöben, würde ihr Abstand zueinander sich ändern. Für diesen hatte Galilei 15 Bogensekunden gemessen. Dagegen wäre ihre Parallaxenverschiebung so unterschiedlich groß, dass bereits nach einem Monat sich ihre Winkelentfernung um mehr als eine Bogenminute zueinander verändert hätte.68

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Star Catalogue, hg. von C. Fabricius, E. Høg, V. V. Makarov, B. D. Mason u. G. L. Wycoff und S. E. Urban, [CD-Rom und Internet], 2002 (Mizar hat die die TDSC-Nummer 35543), nachzuschlagen auf der Internetseite des Centre de Données astronomiques de Strasbourg (CDS) http: //cdsweb.u-strasbg.fr/viz-bin/VizieR-2?-source=I/276, unter der Henry-DraperKatalolgnummer für Mizar „HD 116656 J“. OGG, III.2: 877: „Semidiameter orbis magni continet semidiametros 226. Semidiameter continet semidiametros stellae maioris 300. Distantia ergo stellae continet distantias 300 (si stella ponatur tam magna ut ), hoc est semidiametros 67800.“ Die Entfernungs- bzw. Winkelberechung erfolgt nach den Sätzen der Trigonometrie. Die Entfernung lässt sich gewinnen aus der Formel: d = 1AE/tan(p); mit p Parallaxenwinkel und mit der Entfernung Erde-Sonne als Astronomischer Einheit (AE). Für den Blickwinkel auf Mizar A ergibt sich somit eine Parallaxenverschiebung von (p = arc tan 1AE/300AE =) 0,19° bzw. 11,5 nach nur einem Vierteljahr. Für Mizar B ergibt sich aus dem Verhältnis seiner sichtbaren Größe zu derjenigen der Sonne (30 ), dass, sollte er in Wirklichkeit genauso groß sein, er vierhundertfünfzigmal weiter entfernt sein müsste. Wie bei Mizar A errechnen wir hieraus für Mizar B eine vierteljährliche Parallaxenverschiebung von (p = arc tan 1AE/450AE =) 0,13° bzw. 7,6 . An dieser Stelle sei erwähnt, dass Mizar nach heutiger Messung 23,96 parsec entfernt ist, d.h. 4.942.034 AE, wobei allerdings eine Astronomische Einheit (die mittlere Entfernung Sonne-Erde) heute 149,6 Millionen Kilometer beträgt, und nicht wie zu Galileis Zeiten 1208rt, d.h. 7,7 Millionen Kilometer. Die Differenz der Vierteljahresparallaxen von Mizar A und B betrüge demnach (11,5 -7,6 =) 3,9 Bogenminuten (!). In Wirklichkeit aber handelt es sich bei Mizar um einen physischen Doppelstern, dessen Komponenten zwar unterschiedlich groß (Mag. 2,27 bzw. Mag. 3,95), als Teile eines Doppelsystems aber gleich weit von der Erde entfernt sind. Die relative Parallaxenmessung hierauf anzuwenden, muss folglich vergebliche Mühe bleiben. Die Komponenten Mizar A und B sind überdies selbst wieder Doppelsterne, die sich allerdings nicht mehr optisch, sondern nur mehr spektroskopisch trennen lassen (anhand sich überlagernder Spektrallinien beider Teile einer Komponente). Damit ist Mizar nicht nur der erste Doppelstern, der beobachtet wurde; er ist zugleich auch der erste spektroskopisch entdeckte Doppelstern (Mizar A im Jahre 1889): siehe hierzu L. Ondra (2002).

4.2. Das heimliche Ringen der Copernicaner

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Galilei jedenfalls war einen Monat später bereits mit anderen Doppelsternen beschäftigt. Im Sternbild des Orion, nahe der Schwertspitze, beobachtet er eine „brauchbare Anordnung von Fixsternen“(„apposita fixarum constitutio“). Diesmal jedoch hat er sie selbst entdeckt („reperta est a me“, „observata sunt a me“), wie er in seiner privaten Notiz eigens zu betonen scheint und als regelrechte Entdeckung mit Ort und Zeit der Beobachtung versieht.69 Überdies verzeichnet er minutiös, was er am 4. Februar 1617 in Bellosguardo durch sein Teleskop erblickt. In seinen Aufzeichnungen findet sich eine Skizze von fünf Sternen, deren vier ein Trapez bilden, innerhalb dessen ein fünfter die obere Grundlinie zu einem Dreieck erweitert. Dass er die Lage aller fünf Sterne zueinander bestimmt, ihre Abstände teils vermisst, teils wie ihre sichtbare Größe sie gegenseitig ins Verhältnis setzt, dürfte eher der leichteren Auffindbarkeit der Gruppe dienen. Als besonders brauchbar müsste ihm diese überhaupt aber erschienen sein wegen des Dreifachsterns, den er darin entdeckt. Denn gegenüber dem Doppelstern Mizar zeichnet dieser sich durch einen stärkeren Helligkeitsunterschied seiner Komponenten wie auch durch deren größere Nähe aus. Nur ein Viertel bzw. ein Fünftel so groß seien die beiden kleineren (von Galilei mit c und i bezeichneten) im Vergleich zu der Hauptkomponente (g), welche innerhalb des Trapezes steht; fast berührten sie diese und seien allenfalls um einen Durchmesser derselben von ihr getrennt.70 Nach geltender Auffassung mussten diese drei nahe nebeneinander aber ungleich hell zu sehenden Sterne sehr verschieden tief im Raum liegen und dies mit einem weitaus größeren Entfernungsunterschied als bei Mizar A (3") und B (2"), deren Größenunterschied geringer war. Dementsprechend wäre auch der zu erwartende Unterschied in ihrer Parallaxe ausgeprägter. Zudem würde die Verschiebung sich bei jenen dreien um vieles deutlicher bemerkbar machen, da sie nur ein Bruchteil jenes Zwischenraumes trennt, den Galilei zwischen Mizar A und B feststellte (10"). Für die Entdeckung einer Fixsternparallaxe also musste dieser Dreifachstern weitaus geeigneter und aussichtsreicher scheinen, weswegen Galilei ihn wohl auch so gründlich und ausdrücklich als seine eigene Beobachtung verzeichnet und als einzige datiert. Die Beschreibung, die er hiervon seinem Freund Castelli gab, mag ähnlich ausführlich gewesen sein. Dass es diesem, wie er bereits am 22. Februar aus Pisa zurückschreibt, dennoch nicht gelang, die von Galilei angezeigten Orion-Sterne zu entdecken, wäre dabei durchaus erklärlich.71 Zwar lässt sich die auffällige Gruppe an der von Galilei angegebenen Stelle – die Schwertspitze notiert er mit

69 Dies ist die einzige der als „Analecta astronomica“abgedruckten Beobachtungsnotizen Galileis, die er datiert hat: OGG, III.2: 880: „Apposita fixarum constitutio reperta est a me prope cuspidem ensis Orionis, [… ]. Haec observata sunt a me die 4 Februarii 1617 a Bellosguardo.“ 70 OGG, III.2: 880: „[… ], duae vero c, i admodum exiguae, nempe vix 4a aut 5a pars ipsius g. [… ] Duae c, i aequaliter distant a g, quam fere tangunt. [… ] Insuper intercapedo inter g et quamlibet ipsarum c, i vix caperet alteram g.“ 71 Castelli (Pisa) an Galilei (Florenz), 22.02.1617, der seinen Brief mit folgendem Satz beginnt: „L'osservazione accennatami da V. S. in Orione non m'è riuscita, perchè non ho mai ritrovate le stelle che lei mi nota.“: OGG, XII: 309 (n°1248).

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4. Die Fixsternparallaxe

ekliptikaler Breite (-30°) und Länge (78°) – leicht finden. 72 Doch ist seine Darstellung insoweit irreführend, als in dem angezeigten Trapez die obere zu einem Dreieck erweiterte Grundlinie nicht, wie es Galilei verzeichnet, von jenem Dreifachstern gebildet wird, sondern dieser darin lediglich eine Ecke ausmacht und zwar die rechte obere (in der bei Galilei dagegen die Teilkomponente i des Dreifachsterns steht).73 In der Zwischenzeit hatte Castelli überdies den Doppelstern Mizar weiter beobachtet. Wie er nun in demselben Brief fast beiläufig an Galilei berichtet, hätten die beiden Mizar-Sterne, deren Stellung zueinander er zumindest bestens kenne, sich voneinander, wiewohl ein wenig nur, so ohne Zweifel doch, entfernt. Ganz aber scheint er seinen Augen bei diesem bedeutenden Ereignis doch nicht getraut zu haben. Denn bei seiner fortgesetzten Suche nach Doppelsternen stellt er fest, dass auch die Optik dabei Streiche spielen kann, wie bei jenem Stern, den er auf halber Strecke zwischen der linken Schulter Orions und dem Kleinen Hund entdeckt hat: Diesen habe er nach sorgfältiger und wiederholter Beobachtung nicht zweifelsfrei in zwei Sterne aufzulösen vermocht, und nun zeige er sich ganz klar doppelt.74 Noch von „gewissen anderen Beobachtungen“ könne er Galilei berichten, dies aber besser unter vier Augen in Pisa, wo er ihm für die nächste Zeit eine gemeinsame Sternensitzung vorschlägt.75 72 OGG, III.2: 880: „Incidit cuspis ensis Orionis in gr. 18 cum latitudine australi gr. 30.“ Zwilling ( ) ist das dritte Tierkreiszeichen, so dass 18° einer ekliptikalen Länge von (2x 30°+ 18= ) 78° entsprechen. Die an dieser Stelle zu findenden Sterne gehören zum Schwertgehänge des Orion und liegen in der so genannten Huygensregion des Orion-Nebels (M 42), den weder Galilei noch Castelli je erwähnen, obwohl sie ihn eigentlich kaum übersehen konnten (s. hierzu im Anhang, S. 322, Anm. 30). Als Trapez (oder Herz des Orion-Nebel) wird heute allerdings nur ein Teil des von Galilei beschriebenen (aber nicht so genannten) Trapezium bezeichnet. Die dieses bildenden 1Orionis-Sterne hat Galilei somit noch vor Giovanni Battista Hodierna (1597-1660), von dem zugleich die erste Zeichnung des Orion-Nebels stammt (De systemate orbis cometici deque admirandis coeli characteribus, 2 Teile, Palermo: Nicolaus Bua, 1654, Teil 2, S. 19), aufgelöst und lange vor Christiaan Huygens (Systema saturnium [1659, S. 8-9], HOC, XV: 237-238). Zu Hodierna siehe weiter unten S. 236 (Anm. 19), S. 267. Die Annahme, dass auch schon Johann Baptist Cysat einen Hinweis auf den Orion-Nebel in seinen Mathemata astronomica (1619) liefert, ist nicht haltbar: siehe im Anhang, S. 317-325, hier S. 321 f. 73 Für eine Aufschlüsselung von Galileis Orion-Beobachtung: H. Siebert (2005) 260-261. 74 Castelli (Pisa) an Galilei (Florenz), 22.02.1617: OGG, XII: 309 (n°1248): „È ben vero che havendo ai 30 di Gennaio osservato tra 'l Cane maggiore e la spalla sinistra d'Orione circa 'l mezo un triangolo e nell'angolo orientale una stella, restai in dubbio, dopo diligente e replicata osservazione, se era una o due; et hora, ritornato alla medesima osservazione, le ritrovo chiaramente due, sichè il gioco si fa. Similmente le due della coda dell'Orsa si sono tra di loro allontanate, se ben poco; ma io che so benissimo come stavano, almeno quanto alla vicinanza tra di loro, non ho dubbio dell'essersi allontanate.“ Wohlgemerkt spricht hier Castelli nicht wie früher von drei Sternen im Schwanz des Großen Bären, sondern nur mehr von zweien, womit er den Doppelstern Mizar meint, auf den („una delle belle cose che sia in cielo“) er Galilei in seinem vorangegangenen Brief (vom 07.01.1617: OGG, XII: 301, n°1241, s.o.) hingewiesen hat. 75 Castelli (Pisa) an Galilei (Florenz), 22.02.1617: OGG, XII: 309 (n°1248): „Io ho ancora certe altre osservazioni, delle quali meglio trattaremo a bocca, compiacendosi lei di trasferirsi sin

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So mögen Galilei und Castelli gemeinsam ihre Fixsternsuche unermüdlich über die nächsten Jahre fortgesetzt haben. Erst aus dem Jahre 1627, zehn Jahre später, findet sich ein Schreiben Castellis, in dem es wiederum darum geht, solch brauchbare Doppelsterne aufzufinden, um auf sie die relative Parallaxenmessung anzuwenden und die Erdbewegung zu beweisen. 76 Mag sich mittlerweile auch ein wenig Ernüchterung eingestellt haben auf ihrer Parallaxensuche. So hoffte Castelli 1627 doch immerhin noch auf Galileis Interesse, wenn er hiervon schrieb und ihn um seine Meinung bat.

qua; e così ancora potrà dar ordine all'altro capo dell'osservazioni, il che riuscirebbe esquisitamente di qua e di là d'Arno, stando noi a osservare nel Long'Arno esposto al mezo giorno, et il segno sopra le case che sono di là d'Arno. Haverei ancora qua nel giardino de' Padri di S. Girolamo qualche sito per il Can maggiore, ma dubito che la distanza non basti; tuttavia, se lei si risolve di venire, trattaremo e concluderemo qualche cosa.“Ich danke Giulia Giulianelli und Michael Adamczyk für ihre Hilfe bei dem Versuch die Formulierung „dar ordine all'altro capo dell'osservazioni“eindeutig in ihrem Kontext aufzulösen; indes es mochte nicht befriedigend gelingen. 76 Castelli war seit 1626 in Rom Berater des Papstes in Fragen des Ausbaus von Flüssen in den vatikanischen Gebieten (Alessandra Fiocca, „I gesuiti e il governo delle acque del basso Po nel secolo XVII“, in M.T. Borgato (2002a), S. 319-370, hier S. 340-354) und Professor für Mathematik an der Sapienza. Castelli (Rom) an Galilei (Florenz), 07.08.1627: OGG, XIII: 372-373 (n°1834), hier 373: „Ho osservata la stella settentrionale delle tre della fronte del Scorpione, quale ha una stellina vicinissima, più settentrionale di essa, nella continovazione dell'arco delle tre della fronte, in questa maniera: [Castellis Skizze] [/] V. S. mi faccia grazia di scrivermi che gioco doverà fare, movendosi la terra, caso che lei sia assai più lontana dalla terra della altra compagna, visibile con la vista naturale.“Auch hier geht Castelli wieder von einem optischen Doppelstern aus, der aus zwei unterschiedlich weit von uns entfernten und nur zufällig nebeneinander zu sehenden Gestirnen besteht, wobei er hofft, an einer Abstandsänderung zwischen beiden die Parallaxe (relative Messung) festzustellen. Bei dem von Castelli bezeichneten Doppelstern an der Stirnseite des Sternbild Skorpion muss es sich um Scorpii handeln: U. Fedele (1949) 68; L. Ondra (2002). Doch nicht die beiden Komponenten des physischen Doppelsterns Scorpii (8 Sco, auch Graffias oder Acrab genannt) dürfte Castelli meinen (d.h. 1Sco, TYC 6208-01623-1, TDSC 41142 [A] und 2Sco, TYC 6208-016221, TDSC 41142 [C]), da sie rückgerechnet auf das Jahr 1627 zu weit voneinander entfernt lagen (ca. 24", auch heute noch 13,57") und ihr Größenunterschied vergleichswiese zu gering ist (Mag. 2,67 bzw. Mag. 4,52), um mit Castellis Skizze und seiner Beschreibung –(nur einer der beiden und nicht alle beide Sterne dürfte Castelli zufolge mit bloßem Auge sichtbar gewesen sein, da er dies als Unterschied hervorhebt) – übereinzustimmen sowie mit den Anforderungen für eine erfolgreiche relative Parallaxenmessung (für die zu fordern ist eine geringe Winkelentfernung bei größtmöglichem Entfernungs-, d.h. nach damaliger Auffassung Größenunterschied). Diesen Bedingungen sowie Castellis Beschreibung gerecht werden würde der optische Doppelstern, den 1Sco zusammen mit dem beträchtlich näheren und deutlich kleineren Stern TYC 6208-00095-1 bildet; rückgerechnet waren sie lediglich 9" voneinander entfernt (heute kaum mehr zu trennen) und letzterer hat eine Magnitude von 10,94. Bei diesem von Castelli beobachteten Doppelstern hätte es sich damit wirkllich um einen optischen gehandelt, bei dem (anders als bei dem physischen Doppelstern Mizar) theoretisch es zumindest Sinn gemacht hätte die relative Parallaxenmessung anzuwenden. – Die Rückberechnung der astronomischen Daten erfolgte (für den Standort Rom zum 07.08.1627) mit Hilfe des Software-Programms Redshift™ 5 der Firma USM.

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4. Die Fixsternparallaxe

Die Suche nach der Fixsternparallaxe war für Galilei somit nicht immer schon ein bloßes Zukunftsprojekt, das erst „mit anderen, viel größeren und besseren sowie ganz verschiedenen Instrumenten“77 Erfolg haben könnte. Wenn er es als solches bereits 1624 in seiner Antwort auf die Kritik des Jesuiten Francesco Ingoli (1578-1649) darstellt, dann offensichtlich aus eigener Erfahrung.78 Erfolgreich hinterlässt er mit seinem Dialogo den Eindruck, dass diese selbst indessen weder von ihm noch von sonst einem Copernicaner je gemacht worden sei. Seine eigenen Erfahrungen, die er zuvor sammeln konnte und die sich nur mehr aus Bruchstücken erschließen lassen, verschweigt er allesamt. Wenn bis zur vermeintlichen Entdeckung der Fixsternparallaxe durch Robert Hooke im Jahre 1669 79 historiographisch überhaupt jedwede Spur von einer aktiv betriebenen Suche danach fehlt, dann nicht alleine aus dem Grunde, dass sie im Verborgenen, sondern vielmehr, dass sie gleichermaßen verschwiegen wie erfolglos verlief. Am Beispiel Galileis haben wir dagegen sehen können, dass bereits mit den ersten Teleskopen die Jagd nach der Parallaxe begonnen hatte. Für alle, die sich in den darauf folgenden zwei Jahrhunderten an ihr beteiligten, blieb sie enttäuschend, gab ihnen mit jeder Verbesserung der Instrumente indes immer wieder von neuem trügerische Hoffnung auf das langersehnte Gelingen. 4.3. EIN NEUES BILD VON DEN STERNEN In der Ekstatischen Reise bekräftigt Kircher die zu seiner Zeit gegebene Unentscheidbarkeit des kosmologischen Streits: Zwei Weltbilder, die unvereinbar miteinander konkurrieren, und dennoch lässt sich keinem der beiden der Anspruch auf Wirklichkeit absprechen. Es mangelte nicht an Argumenten auf beiden Seiten. Es fehlte ein Beweis, wie ihn die Parallaxen-Verschiebung hätte liefern können, um der kosmologischen Kontroverse ein Ende zu machen. 77 OGG, VI: 553, Z. 24-25, s. die folgende Anm. 78 Ingoli hatte 1615 in seiner oben schon erwähnten Kritik (De situ et quiete terrae, OGG, V: 403-412) unter anderem die Fixsternparallaxe als Einwand gegen Copernicus erwähnt (OGG, V: 409, Z. 12-19), worauf Galilei in seiner Erwiderung eingehend abschließend bemerkt: Lettera a Francesco Ingoli in risposta alla Disputatio de situ et quiete terrae [Ms., 1624], OGG, VI: 509-561, hier S. 553, Z. 18-26 „Ma a questo già ha risposto il Copernico, dicendo che rispetto all’immensa lontananza delle fisse, tal mutazione rimane insensibile. Ma io, oltre a questo, aggiungo altre cose di più, le quali a suo tempo sentirete: ed in tanto vi dico, che non avendo voi per voi stesso fatte tali osservazioni, non dovete prestar così ferma fede a Ticone ed a’suoi strumenti, inabili per avventura a poter distinguere tali minuzie, che forse con altri strumenti, e molto maggiori e molto più perfetti ed assai diversi, potrebbero un giorno esser comprese.“ Das Antwortschreiben Galileis wurde zu seinen Lebzeiten nicht gedruckt, fand unter seinen Anhängern in mehreren Kopien Verbreitung, konnte vor Ingoli selbst aber erfolgreich verheimlicht werden: A. Favaro in seiner Einleitung, OGG, VI: 504; zu Entstehung und Bedeutung des Antwortschreibens: M. Bucciantini (1995) 149-174. In den hier zitierten Zeilen finden sich Stichpunkte für Galileis späterer Argumentation zu diesem Thema im Dialogo, wo er auf sein Antwortschreiben an Ingoli zurückgriff: M. Bucciantini (1995) 173. 79 Hooke, An attempt to prove the motion of the earth from observations (1674) 23-25, 26.

4.3. Ein neues Bild von den Sternen

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‘Ihr habt schon Recht: die Fixsterne sind unvorstellbar weit entfernt – doch damit habt ihr nichts bewiesen.’–dies in etwa hätte sich aus der Ekstatischen Reise als Botschaft an die Copernicaner herauslesen lassen. Indem Kircher ihnen den riesigen Fixsternabstand einräumt, stellt er ihre Lehre nicht der Möglichkeit nach in Frage, sondern erinnert an den fehlenden Beweis, welcher sich aber aufgrund der Größenverhältnisse ohnehin nicht erbringen ließe. Da die Fixsternparallaxe das experimentum crucis für die copernicanische Hypothese darstellt –nicht erst Hooke hatte sie so bezeichnet, sondern sinngemäß schon Galilei im Dialogo 1 –, reduziert sich aus copernicanischer Sicht das Problem der Beweisbarkeit auf das der Messbarkeit. Die von Kircher geschilderten kosmischen Größenverhältnisse können also nicht prinzipiell ausschließen, dass eine Parallaxenverschiebung – sollte die Erde um die Sonne kreisen – sich nicht doch noch feststellen ließe.2 Nicht prinzipiell also vermochte er ihnen somit die Möglichkeit abzusprechen, das heliozentrische System überhaupt zu beweisen mittels einer einmal entdeckten Fixsternparallaxe. Kirchers Zeitgenossen konnten indessen mit einer weiter fortschreitenden Verbesserung der Teleskope rechnen, die genauere Beobachtungen versprachen. Trotz der Immensitas Mundi mag sich damit aus copernicanischer Sicht die nicht zu beobachtende Verschiebung der Sterne durchaus nur als vorübergehendes Problem für die Beweisbarkeit darstellen. Demzufolge würde Kircher den Copernicanern die Hoffnung belassen, mit zeitlicher Verzögerung das kosmologische Patt womöglich doch noch zu ihren Gunsten wenden zu können. Sollte Kircher also, nachdem er mit seiner Darstellung selbst die altbekannte Begründung für das Ausbleiben der Fixsternparallaxe bekräftigt hat, dieses Damoklesschwert über der ruhenden Erde einfach so hängen lassen? Hierüber allerdings entscheidet erst ein genauerer Blick. 4.3.1. Die Sterne im Kircherschen Kosmos 4.3.1.1. Stellare Vielfalt Kehren wir daher zu Cosmiel und Theodidactus zurück in den Weltraum. Nachdem sie Saturn, den äußersten der damals bekannten Planeten, schon weit hinter sich gelassen hatten und auch die letzte Sphäre sich als bloßes Hirngespinst erwies, stürzen neue Eindrücke auf den Gottesschüler ein: Die Fixsterne sind so nah zu sehen wie unsere Sonne, und sie selbst so klein und fern wie ein Stern. Doch ins Staunen ist Theodidactus nicht nur über diese Sterne geraten, die an Größe und Helligkeit kaum unserem Sonnenlicht nachstehen, sondern über weitere Himmelskörper, die von jenen Licht zu empfangen scheinen und wie 1 2

Galilei, Dialogo [1632], OGG, VII: 413, Z. 29-32, weiter oben im Text zitiert. Kircher kommt diesbezüglich auf die Astronomen und auf die Beobachtung mit technischen Mitteln zu sprechen, ohne aber etwas für die Zukunft auszusagen. Vielmehr wehrt sich Cosmiel gegen die dünkelhafte Annahme der Astronomen, dass es das, was sie bislang nicht gesehen hätten, auch nicht geben könne: Itin., 268, 348-349; It., 349-350, 410.

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4. Die Fixsternparallaxe

Monde verschiedene Phasen aufweisen. 3 Ob es denn sein könne, will er darum von seinem Lehrer wissen, dass es Gestirne im Weltraum gebe, welche mit unserer Sonne und unserem Mond Ähnlichkeit besäßen. Daraufhin bescheinigt ihm Cosmiel, ein rechter Träumer zu sein („Valde hallucinabaris“), wenn er wirklich glauben sollte, dass seine Sonne („Sol vester“), dies kleine Sternchen („tantillam stellam“), ausreichte, um das ganze Weltall mit Licht zu erfüllen. 4 Theodidactus muss nach kurzem Nachdenken selbst zugeben, dass ein einzelner Stern unmöglich diese riesigen Himmelskörper hier erhellen kann und gar noch andere viel weiter entfernte.5 Für deren Licht ist folglich eine Vielzahl von Sonnen („Soles“) notwendig, als welche sich letztlich die Sterne erweisen. 6 Sie unterscheiden sich nicht von unserer Sonne, so dass Theodidactus sogar den Sirius mit ihr verwechselt. Denn auch dieser bescheint einen Mond, auf dem die Reisenden Halt machen. 7 Ohne die Sirius-Sonne (Sol canicularis) jedoch würde dieser in ewiger Nacht gefangen sein, nicht anders als ohne Sonne die Erde, und genauso wie die unzähligen Himmelssysteme des Fixsternraums, wenn sie nicht mit Licht versorgt würden von solchen Sternen, die allesamt zur ersten Größenordnung zählten. 8 Nicht nur angesichts solcher Systeme mag man an dieser Stelle stutzen, sondern auch wegen der Größenangabe (erste Magnitude), die Kircher eigens für die dazugehörigen Sterne macht. Denn die sichtbare Größe eines Sternes wurde in der Regel nur als Anhaltspunkt betrachtet für dessen relative Entfernung zur Erde. Doch in der Ekstatischen Reise finden sich selbst dann noch solche Systeme, wenn unsere Sonne längst nicht mehr zu sehen ist. Überdies ist die Zahl der zur ersten Größenklasse gehörigen Sterne genauso begrenzt wie die Gesamtheit der Sterne, die mit bloßem Auge zu sehen sind. Nicht einmal die Sterne aller sechs Größenklassen zusammen genommen würden somit für jene „unzähligen Him3

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„Theodid. Nescio vere ubi morer, quid mecum agatur; ingentes ego stellas, quae Solis luci & magnitudine & lumine vix cedant, aspecto; video praetera nonnullas in modum Lunae mira phasium varietate differentes. Fierine potest, corpora in hac expansi immensitate existere, quae cum Sole aut Luna quicquam similitudinis habeant?“: Itin., 260 (Dial. I, Cap. 9: De itinere in firmamenti seu stellarum fixarum Regionem); It. 343: Schott ändert die Interpunktion sowie den Ausdruck „quid mecum“in „quidve mecum“. Itin., 260-261, hier 261: „Cosmiel, [… ]; putasne iam tantillam stellam ad illuminandum hunc mundum sufficientem esse? “; It., 343-344, hier 344. „Theodid.[… ];quis credat tantillum sidus vastissimos hosce mundi globos&remotissimos alios nobis incompertos illuminare posse?“: Itin., 261; It., 344:Schott ergänzt zwei Kommata ein. „[Theodid.:… ] Ergone credi potest, in remotissimis firmamenti recessibus Soles reperiri ? Cosmiel. Quidni? Solaris enim naturae corpora hic reperiri, non tantum congruum fuit, sed & prorsus necessarium, ne tot ac tanta mundanorum globorum corpora perpetuis damnata tenebris otiosa torperent.“: Itin., 262; It. 345. „[Cosmiel:… ] Necessarium itaque fuit complura solaris naturae corpora constituti, qui viciniores sibi globos illuminarent, ne magna mundi portio necessaria luce privaretur.“: Itin., 263; It., 346. Itin., 261 und 265, hier 265: „[Cosmiel:… ] ad Solem canicularem properemus.“; It., 344-345 und 347-348, hier 347. „Theodid: Certe illud [sc. terrenum corpus dempto Sole] aeternis tenebris & caligine perpetua oppressum, interiturum arbitror. Cosmiel. Idem de innumeris globorum firmamenti systematis contingeret, si non esset, qui ea illuminaret, & ad fines a natura intentos calore suo exstimularet; tales omnes illae stellae sunt, quas primae magnitudinis vocant.“: Itin., 262; It., 345.

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melssysteme“ ausreichen, von denen Cosmiel spricht. Wenn Kircher hier also überhaupt die Magnitude jener System-Sterne ins Spiel bringt, dann unterscheidet er offenbar die Gestirne nicht mehr in herkömmlicher Weise nur ihrer Entfernung nach. Soll seine Angabe Sinn machen, müsste er damit die tatsächlich größten von in Wirklichkeit verschieden großen Gestirnen gemeint haben. Dieser erste Hinweis auf reale Größenunterschiede bestätigt sich bald darauf. Immer noch auf dem Sirius-Mond stehend will Theodidactus, überwältigt von dem Anblick eines völlig neuen Sternenzelts, Erde, Mond und Sonne darin wieder finden. Dem Wunsch seines Schülers entsprechend zieht Cosmiel einen MessStab hervor und fordert ihn auf, sein Auge daran zu legen. Für schier unmöglich hält Theodidactus, was er hierbei sieht: Unsere Sonne zeigt sich nur mehr als Stern zweiter Größe. Seinem Lehrer vermag Theodidactus daher kaum zu glauben, dass er wirklich die Sonne der Menschen vor Augen hat (Erde und Mond sind längst nicht mehr zu sehen).9 Denn Sirius ist vor allem dafür bekannt, am irdischen Nachthimmel der größte Stern zu sein. Wenn dieser aber von der Erde aus betrachtet als Stern erster Magnitude erscheint, während vom Mond des Sirius aus gesehen sich die Sonne nur mehr als Stern zweiter Klasse zeigt, unterscheiden sich folglich beide Sonnen in ihrer realen Größe: Die Sonne ist in Wirklichkeit um eine Größenklasse kleiner als der Sirius.10 Damit macht Kircher die gängige Vorstellung von den Sterngrößen zunichte. Die Vorstellung einer wenn auch flüssigen Fixsternsphäre, wie Tycho sie noch vertreten hatte (mit einem Durchmesser von 1000 rt), wurde in gleichem Maße aufgegeben, als durch Teleskope immer mehr Sterne entdeckt wurden, die in ihrer Vielzahl sich nur mehr sehr verschieden tief im Raum verteilt sich denken ließen. Dabei hatte nie ganz ausgeschlossen werden können, dass die Sterne nicht nur entfernungsbedingt kleiner und größer erscheinen, sondern auch in Wirklichkeit von unterschiedlicher Größe sind. Doch war man, wie sich bei der Suche nach der Fixsternparallaxe gezeigt hat, praktisch davon ausgegangen, dass die scheinbare Größe eines Sternes einen Gradmesser für dessen Entfernung abgebe, die Sterne selbst aber in Wirklichkeit alle gleich groß seien. Nimmt man wie Kircher indessen reale Größenunterschiede an – 9

„Theodid. Monstra rogo mihi iam Solem, Lunam, Terram coeterosque globos circa Terram versatiles. Cosmiel. Applica oculum tuum mensorio huic baculo. Theodid. Applicui. Cosmiel. Quid vides? Theodid. Secundae magnitudinis stellam ego video. Cosmiel. Ille Sol vester est, quem & vestri Philosophi totum mundum illuminare opinantur. Vide iam utrum hoc verum esse possit? Theodid.: Si vera sunt, quae dicis, id impossibile esse arbitror. Sed ubi est Tellus, ubi Luna, ubi reliqua planetica sidera?“: Itin. 266; It. 348: Schott ergänzt vier Kommata. Die Zeile „mensorio huic [… ] Quid vides?“fehlt vollständig in der von Schott (1608-1666) selbst nicht mehr besorgten zweiten Würzburger Ausgabe: Iter, 1671, S. 348; dafür ist nach „tuum“ ein Punkt gesetzt, so dass dieser Ausfall oder diese Streichung nicht auffällt. 10 Dementsprechend wird die Sonne, bevor die beiden Kosmonauten auf Höhe des Sirius gelangen, noch als ein Stern erster Größenklasse gesehen, erscheint also unter derselben Winkelgröße, was am Textrand auch in einer Marginalie fesgehalten wird: Itin., 261; It., 343-344. Erst als sie sich noch weiter von unserem Heimatsystem entfernen und auf dem Mond des Sirius stehen (Itin., 265; It., 347), ist der oben zitierte direkte Größenvergleich zwischen beiden Sonnen möglich; über dessen ungleichen Ausgang, der ja eigentlich bedeutend ist, fehlt allerdings eine Marginalie am Textrand, die darauf eigens hinwiese: Itin., 266; It., 348.

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wogegen keine echten Gründe sprachen und was sich viel später als zutreffend erweisen sollte –, kann nunmehr ein Stern, der unter einem kleineren Winkeldurchmesser zu sehen ist, entweder weiter entfernt liegen als ein scheinbar größerer oder sogar gleich weit und dafür wirklich kleiner sein. Auf der Weiterreise begegnet Theodidactus unzähligen Sonnensternen mit Monden und Himmelskörpern. Als Sonnen solcher Systeme entpuppen sich auch die markanten Gestirne der Sternbilder. Aldebaran, den hellsten und rötlich gelb leuchtenden Stern im Sternbild Stier, sieht Theodidactus von zahllosen stellaren Begleitern umgeben, ebenso den Bärenhüter (Arktur). Nicht anders zeigten sich ihm Capella sowie die Gestirne der Sternbilder Leier, Großer und Kleiner Bär: Sie sind allesamt Sonnensterne, um die sich eine riesige Schar verschiedener Trabanten zieht, die von der Erde aus nie gesehen wird.11 Selbst als die Sterne keine Namen mehr haben, weil ihre Entfernung sie für Menschen unsichtbar macht, tauchen wieder und wieder Sonnen, Monde und Himmelskörper auf. 12 Eine vielleicht noch größere Überraschung allerdings bietet eine weitere Erkenntnis. Sie kann Theodidactus offenbar nicht von selbst machen, doch sein Lehrer Cosmiel vergisst nicht, ihm auch diese zuzumuten: Die Fixsterne nämlich stünden nur scheinbar in immer gleichen Abständen fest voneinander entfernt, doch sei dies eine völlig falsche Vorstellung. Denn all die Gestirne, die Theodidactus hier sehe, bewegten sich ebenso wie Sonne, Mond und die ihm bekannten Planeten in gewaltig weiten Kreisbahnen. 13 Jeder einzelne Stern besitze eine Eigenbewegung (motus proprius), deren Drehpunkt nicht die Erde bilde (motus terrae excentricus), während sie alle zusammen diese in vierundzwanzig Stunden einmal umrundeten.14 Die stellaren Kreisbewegungen machten eine besondere 11 Um das Erleben zu steigern, verlässt Kircher den Dialog und wechselt an dieser Stelle in die Erzählform der Ich-Perspektive: „Theodid. His dictis e vestigio in intima aetherei firmamenti viscera abreptus globos innumeros solares una cum Lunis in itineris decursu obvios habui. Hic admiratus sum solaris naturae globum, quem nos oculum Tauri, Arabes Aldebaran vocant, rutilo quodam & rubicundo igne fulgentem, innumerabili stellarum satellitio spectabilem; [… ]; deinde Arcturi solare corpus vastitate summum cum asseclis, tandem Capellae, Lyrae & Ursae solaria comparuerunt corpora, ingenti globorum nunquam e terra visorum famulatu conspicui & illustres, qui quidem omnes, uti rerum naturalium innumerae in Telluris globo species inter se differunt, [… ].“(Hervorhebungen nachträglich): Itin., 270; It., 352: Schott ändert die Interpunktion. Diese Stelle wird später auch Guericke (Experimenta nova, 1672, S. 235b) auf seine Weise zitieren. 12 „Cosmiel. [… ] Hoc loco non amplius Solem vestrum quaeras, nihil eorum, quos hucusque vidisti, globorum; omnes enim ob incredibilem distantiam in nihilum abierunt; alij hoc loco Solares globi, alij Lunares, alia sidera nullis mortalium oculis penetrata exhibentur; [… ]“: Itin., 286; It., 363: Schott ersetzt ein bestehendes Komma durch ein Semikolon. 13 „Cosmiel.[… ];videntur enim omnes [sc. firmamenti globi] aequa semper distantia & immutabilibus intervallis ab invicem distare; quod tamen falsum est, omnes enim haec quae vides firmamenti corpora, seu stellae non secus ac Sol, Luna, caeterique inferiores planetae in ingentibus circulis cursus suos peragunt; [… ]“: Itin. 267; It., 349: Schott ändert die Interpunktion. 14 „[Cosmiel:… ]; & quoniam singuli [sc. globi] quoque praeter motum diurnum motus quoque proprios in [S. 275:] suis circulis tametsi Terrigenis insensibilibus peragunt, [… ]“: Itin., 274275; It., 355: Schott ergänzt drei Kommata, lässt die hier zitierte Passage als eigenen Satz beginnen und beschließt sie mit einem Semikolon. Und wiederum an späterer Stelle: Itin., 347

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Verteilung der Sterne nötig. Die mittleren, welche die Stelle der Sonne verträten („medij veluti vicarij Soles“), versorgten die ihnen unterstellten Himmelskörper mit Licht. Aus diesen Ausführungen Cosmiels kann man zugleich entnehmen, dass im Kircherschen Kosmos es auch Sterne geben mag, die nicht als Sonnen Planeten mit sich führen. Die Sonnensterne jedenfalls seien so im Raum verteilt, dass sie ihre Aufgabe erfüllten, ohne in den Zuständigkeitsbereich der Nachbarsonnen überzugreifen.15 Für Kircher gibt es somit keine Fixsterne mehr, auch vermeidet er weitgehend, die Sterne als fixae zu bezeichnen. Dass deren Bewegung indessen nicht von der Erde aus zu beobachten sei, liege an der unvorstellbar großen Entfernung, aus welcher betrachtet die Kreisbahnen auf einen Punkt zusammenschrumpfen.16 Seinem verdutzten Schüler verdeutlicht Cosmiel dies an dem Anblick, den die Heimat der Menschen von hier aus, d.h. auf Höhe des Sirius, bietet: Erde und Mond sind verschwunden, Jupiter und Saturn zu Sternen vierter Größe geschrumpft und unmittelbar der Sonne benachbart, die ihrerseits als ein Stern wie jeder andere erscheint; der gesamte Umfang der Sonnenbahn zieht sich fast ganz auf die Ausmaße des Sonnenkörpers zusammen.17 Ebensolche Kreisbahnen würden auch von neu geborenen Sternen beschrieben, die nicht nur ihre Entstehung, sondern gleichfalls ihre Bewegung mit den Kometen gemein hätten. Dass den(Dial. II, Cap. 5: De motu incomprehensibilis velocitatis, quo circa Tellurem volvuntur astra): „Cosmiel. Dixi tibi in praecedentibus, sidera firmamenti praeter motum diurnum circa terram, alios particulares habere motus terrae excentricos; [… ]“; It., 409: Schott ergänzt ein Komma. 15 „[Cosmiel:… ] [… ] Terrigenis insensibilibus peragunt, necessarium fuit, ut unus [sc. globus] altero altiorem aut in eodem diurni circuli ambitu remotiorem sedem obtineret; ut sic medij veluti vicarij Soles quidam singulos sibi subditos globos lucis indigos nostro tamen visui occultos suo in circuitu luce debita perfunderet [sic]; viciniores vero ad invicem solaris naturae globos distantia collocavit; ut muneri quidem suo satisfacerent, nec mutuos tamen iurisdictionis terminos confunderent.“: Itin. 275; It., 355: Schott berichtigt „perfunderet“durch „perfunderent“und ändert die Interpunktion. 16 „Cosmiel. [… ] cursus suos peragunt [sc. stellae]; quod vero motus earum a terrigenis non observetur inconceptibilis illa dictorum globorum a terra distantia in causa est; quae omnes illorum globorum circulos veluti in unum punctum collectos absorbet;“: Itin., 267; It., 349: Schott lässt den hier zitierten Satz mit einem Doppelpunkt beginnen, ergänzt ein Komma, ersetzt ein Semikolon durch ein Komma sowie den Ausdruck „dictorum globorum“durch „ductorum globorum“. „Cosmiel. [… ] motus terrae excentricos; quominus tamen ij ex terra videantur, causam esse immensam a terra distantiam, qua particulares horum siderum circuli veluti in unum punctum contrahuntur, atque adeo stellae in quacunque circuli sui parte sunt, semper sub puncti forma spectentur & ab alijs aequa semper distantia disiunctae.“: Itin., 347; It., 409: Schott ändert die Interpunktion. Überdies ersetzt er „spectentur“durch „spectari“sowie „disiunctae“durch „disiunctas“, weil er die weiter oben von „Dixi“eingeleitete AcI-Konstruktion im Gegensatz zu Kircher fortsetzt, obwohl auch er keinen Konjunktiv in dem dazwischen stehenden Nebensatz („in quacunque [… ] sunt“) verwendet. 17 „Theodid: [..]. Sed ubi est Tellus, ubi Luna, ubi reliqua planetica sidera? Cosmiel. Omnia ob nimiam distantiam iam evanuerunt praeter Iovem & Saturnum, quos vicinos Soli, instar quartae magnitudinis stellarum, intueris. Theodid. [S. 267:] [… ]. Cosmiel. Tantam esse scias horum globorum ab oculo tuo distantiam, ut tota solaris coeli circumferentia in unum fere spacium solari corpori aequale, uti & reliquorum memoratorum globorum coeli coarctentur: [… ]“: Itin., 266-267; It., 348-349: Schott ergänzt zwei Kommata.

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noch aber, wie Theodidactus einwirft, von der Erde aus weder ihre Bahnen noch ihr Schweif zu sehen seien, liege an eben jener übergroßen Entfernung: Durch diese schrumpfe wie bei allen Sternen der Kreisbahndurchmesser auf einen Punkt zusammen.18 Doch nicht nur der Mond, auf dem die beiden Kosmonauten stehen, umkreist den Sirius: „Siehst du, dass neue und aberneue Sterne über dem Horizont aufsteigen, andere tatsächlich untergehen? All diese Sterne vollführen ihren eigenen Lauf um diese Sonne und ihren Mond; sie besitzen ihre eigenen Gesetze des Aufund Untergangs, der täglichen Höhenänderung, die ihnen vorgeschrieben sind wie den bekannten Planeten.“19 – Ja aber, habe sie denn je ein Astronom gesehen? wendet Theodidactus dagegen ungläubig fragend ein. Sollte dies wirklich wahr sein, hätten doch sicherlich unsere Himmelsgucker („Uranoscopi nostri“) derlei Bewegungsdifferenzen bemerkt, zumal sie über so viele Hilfsmittel verfügten, um ihre Beobachtungen mit unglaublichem Fleiß und Genauigkeit zu machen. 20 Ein wenig enttäuscht von seinem Schüler muss ihm Cosmiel daraufhin ebendieselben Gründe wiederholen, die er bereits für das unentdeckte Kreisen der Gestirne genannt hat: Wegen der ungeheuren nicht einmal abzuschätzenden Entfernung verengten sich all jene Kreisbahnen auf einen nicht mehr auszumachenden Raum; darin bliebe für uns nur mehr der hellste und größte unter den Himmelskörpern eines solchen Systems sichtbar; so sei von der Erde aus bloß noch der Sirius zu sehen, vom Sirius aus zurückblickend dagegen nur mehr die Sonne, während zusammen mit ihren Umlaufbahnen die übrigen Himmelskörper zu einem Punkt verschluckt würden. Grundsätzlich gelte daher, dass gegen die 18 Itin., 278-279, 282, hier 279: „Cosmiel. Primum scire debes, eas [sc. novas stellas] vere non secus ac cometas hinc inde vagari, sed spacium intra quod hinc inde moventur, prorsus ob distantiae enormitatem nobis insensibile, (quemadmodum de motu stellarum firmamenti diximus) non videri, utpote spacio intra punctum contracto.“; It., 358, 360, hier 358. Cosmiel verweist hier auf die Theorie der Kometen-Entstehung, wie er sie bereits bei der Reisestation Sonne dargelegt hat: Itin., 165-178; It., 224-234. Die Kometen haben ihren Ursprung in der Sonne (und somit auch in den Sternsonnen) und rühren von deren Ausdünstungen, Ausflüssen, Auswürfen her (effluvium, exhalationes ejaculatae), wie sie sich an den Sonnenaktivitäten in Zusammenhang mit den Sonnenflecken beobachten lassen. Auch wenn Kirchers Theorie zur Kometen-Entstehung nicht originell ist (vgl. Ricciolis Übersicht über die gängigen Vorstellungen: AN, II: 35a-40b (lib. 8, sec.1, cap.6)), so verbreitet sie sich zusammen mit der Ekstatischen Reise in Europa und bis nach Mexiko: Víctor Navarro Brotóns, „La Libra astronomica y philosophica de Sigüenza y Góngora: la polémica sobre el cometa de 1680“, Cronos 2/1 (1999), S. 105-144, hier S. 112-113, 122-124. 19 „[Cosmiel:… ]Videsne stellas semper novas & novas supra horizontem huius Lunaris globi nunc ascendere, alias vero descendere; omnes hae stellae cursum suum circa Solem & Lunam hanc firmamentalem conficiunt, suasque ascensionis, descensionis, declinationisque leges uti in inferioribus planetis, sibi praescriptas habent?“: Itin., 268; It., 349: Schott berichtigt die Interpunktion: Nach „descendere“setzt er ein Fragezeichen, nach „habent“einen Punkt. 20 „[… ] sibi praescriptas habent? Theodid: Sed quis unquam eas Astronomorum observavit? Si vera essent, quae dicis, Uranoscopi nostri haud dubie huiusmodi motuum differentias notassent; [… ], tot ad recte & incredibili industria observandum subsidijs instructi observassent.“: Itin., 268; It., 349-350. Diese Sterne, die um andere Sterne kreisen, werden später aufs Neue beschrieben: Itin., 349; It., 410-411.

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Existenz dieser Phänomene nicht die Tatsache spreche, dass die Astronomen sie bisher nicht beobachtet hätten.21 Indem er dem Schüler dies einschärfen lässt, übt Kircher wiederum Kritik an einer Weltsicht, die das Gott- bzw. Naturmögliche auf das Maß menschlicher Vorstellung reduziert. Den Vorwurf des Anthropozentrismus, welchen die Copernicaner sich berechtigt sahen, gegen die Vertreter des Alten, gegen die Wahrer der Tradition, gegen die Geozentristen vorzubringen, wendet Kircher hier, wie sich zeigen wird, mit vollem Recht gegen jene selbst.22 4.3.1.2. Polyzentrik Der Fixsternraum des Kircherschen Kosmos ist erfüllt von zahllosen bewegten Himmelskörpern. Für sie alle gilt, was die dritte von Kirchers vier Thesen über den Weltbau fordert.23 Jedes Gestirn – die Erde nicht anders als Sonne, Mond, Sterne und Planeten –besitze in sich selbst ein eigenes Zentrum, ohne welches es nicht bestehen könne. 24 Jeder Himmelskörper sei aus den vier Elementen zusammengesetzt. Dennoch unterschieden sich alle durch die Art ihrer Zusammensetzung und somit in ihren Eigenschaften und Kräften (die verschiedenartige Zusammensetzung führt Kircher zurück auf die räumliche Lage des Himmelskörpers, auf die jeweils anderen Gestirne, die ihn umgeben, wie auch auf göttliche Vorsehung25). Dabei bilde bei jedem die Gesamtheit seiner ihm eigentümlichen Ausdünstungen die Grundlage für eine Atmosphäre.26 Nicht anders als ihre physi21 „Cosmiel. Ut video, quas superius tibi innui rationes nondum percepisti: Dico itaque, eo quod ab Astronomis nunquam observata sint istiusmodi Mundi phaenomena, non arguit illa non esse; sed ob inaestimabilem enormemque horum globorum a terra distantiam, illa non videri, utpote omnibus illis circulis, in quibus versantur, in insensibile spacium, prout optica nos docet, coarctatis, in quo is tantummodo oculos nostros incurrit, qui inter dictos globos maximus & lucidissimus est, cuiusmodi canicularis ille solaris naturae globus est: quemadmodum tu ex hoc loco ex inferioribus globis, nihil aliud nisi Solem intueris reliquis immensitate distantiae una cum circulis suis absorptis.“: Itin., 268 (Hervorhebung nachträglich); It., 350: Schott ändert das hier hervorgehobene „loco“ in „globo“ (da sich Cosmiel und Theodidactus immer noch auf dem Mond des Sirius befinden), streicht ein Komma und ergänzt zwei neue. 22 In gleichem Zusammenhang (entfernungsbedingte Nicht-Wahrnehmbarkeit von Sternbewegungen) wird der Anthropozentrismus wenig später erneut vorgebracht: Itin., 282; It., 360. Er fällt gleichfalls wie weiter oben zitiert bezüglich der nicht vorstellbaren Geschwindigkeit des primus motus: Itin., 341; It., 404. 23 „Tertium, Omnia siderea Mundi corpora ex quatuor elementorum mixtura modo ipsis congruo non secus ac terram, composita esse, diversis tantum proprietatibus qualitatibusque, uti etiam singula suis proprijs centris a supremo Mundi Opifice instructa fuisse.“: Itin., 9; It., 40: Schott ändert die Interpunktion. 24 Schott betont im Anschluss an Kirchers ‘Praelusio Paraenetica’, dass wie die Erde auch die Sterne ihr eigenes Zentrum besitzen: It., 57, 59 (‘Scholium I.’); er verweist später (Dial. II, cap. 3) im Anschluss an diesbezügliche Ausführungen Kirchers (Itin., 317-322; It., 387-390) hierauf zurück sowie auf sein nie erschienenes Werk Mundus Mirabilis: It., 390 (‘Scholium’). 25 Itin., 318; It., 387. 26 „Theodid: Habentne singuli globorum, quos in huius immensitate firmamenti perlustravimus sua propria centra? Cosmiel. Singuli sua centra habent propria; cum enim in fluido aethere

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sche Konsistenz behalten sie also auch ihre Atmosphäre dank ihres eigenen Zentrums. Durch dieses wird der Himmelskörper materiell zusammengehalten. 27 Dabei vermag er aber ausschließlich die ihm zugehörige Materie zu binden. Auch ist das Zentrum eines Himmelskörpers nicht der Quell dieser Anziehung, sondern nur das Ziel seiner scheinbar dorthin gezogenen Teile. Tatsächlich nämlich streben seine Bestandteile von sich aus selbst und ganz natürlich zu ihm hin (naturalis appetitus).28 Ein vom Mond stammender Stein würde noch von der Erde aus seinen Weg wieder zurück zum Mond nehmen. 29 Aus demselben Grunde wäre am Beginn seiner Reise Theodidactus nicht nur nicht vom Mond angezogen worden, sondern hätte sich nicht einmal ohne das übernatürliche Wirken seines himmlischen Führers auf ihm halten können. 30 Sein Körper bestehend aus irdischer Materie (d.h. aus einer erdspezifischen Mischung der vier Elemente) wäre ganz von selbst zur Erde zurückgekehrt.31 Diese Anziehung, welche die Teilkörper zu ihrem Ganzen treibt, wirkt folglich nur zwischen Gleichem. Für die einzelnen Himmelskörper ergibt sich daraus, dass sie untereinander zwangsläufig verschieden sein müssen, um nicht aufeinander zuzustürzen. Kircher vertritt hier eine Auffassung, die bis zu Newtons Gravitationstheorie allgemein anerkannt war. Zwar fand die so genannte Kohäsionstheorie anfangs nur unter Copernicanern ihre Anhänger. Doch mit der Entdeckung der Venus- und Merkurphasen sowie der Jupiter- und Saturntrabanten war die stoffliche Gleichheit der Weltkörper nicht mehr von der Hand zu weisen. Auch Vertreter der Geozentrik mussten sich ihr daher anschließen. Denn nur mittels dieser Himmelskörper-spezifischen Schweretheorie ließ sich die Ordnung der Planeten erklären trotz ihrer Zusammensetzung aus den vier Elementen, die allen gemein schien. Diese prinzipielle Gleichartigkeit war eine neu errungene Erkenntnis, die bis zum Erscheinen von Newtons Principia mathematica (1687) zugleich aber die Möglichkeit einer allgemeinen Schweretheorie als undenkbar erscheinen ließ.32 Kircher kommt also nicht umhin, den unzähligen Weltkörpern seines Kosmos ein jeweils eigenes Zentrum zuzugestehen und zugleich ihre Einmaligkeit in der Art ihrer Zusammensetzung zu fordern. Die Erde jedoch ist das einzige Zentrum in einem nicht bewegten Körper, während alle anderen Zentren in Bewegung sind. Die daraus sich ergebende Polyzentrik 33 kann also wenig überraschen, da Kircher

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volvantur, fieri non potest, [S. 278:] nisi proprijs centris in locis a Deo ipsis ordinatis firmentur, consistant subsistantque; unde & consequitur necessario, omnes & singulos proprietatibus & viribus differre, quamvis ex liquido & terreno facta globorum compositio omnibus communis sit; unde & singuli suas ex halituum ipsis propriorum expiratione atmosphaeras fundant.“: Itin., 277-278; It., 357: Schott ändert die Interpunktion. „Reliqua mundana corpora suis stabiliuntur centris, ne partes globorum diffluant, & sic unitae commodius vires suas diffundere in inferiora queant;“: Itin. 321; It. 389. Itin., 317; It., 387. Itin., 50; It., 91-92. Itin., 48-49, 51; It., 90, 92. Itin., 51; It., 92. Zur Kohäsionstheorie: F. Krafft (1970)113-140,hier 136-138; ders. (1973)55-139,hier 79-95. Als polyzentrisch wurde diese Eigenschaft des Kircherschen Kosmos schon bezeichnet von

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nur konsequent an der Allgemeingültigkeit der Kohäsionstheorie festhält. Bedeutender hingegen ist, dass diese Weltkörper mit ihren eigenen Zentren sich selbst wieder zu größeren Einheiten zusammenfinden. Hieraus entsteht eine Polyzentrik höherer Ordnung, welche die Einmaligkeit dieser Welt, d.h. des einzig uns bekannten Weltsystems, in Frage zu stellen scheint. Denn jedweder Gedanke an ein Zentrum scheint ganz von selbst im Kircherschen Kosmos verloren zu gehen, worin Monde, Planeten und Sterne eigene Systeme bilden, die in einem nicht enden wollenden Fixsternraum sich in unvorstellbar großen Abständen zahllos verteilen. Es fällt schwer, hier nicht an eine visione bruniana zu denken, wie sie verschiedentlich vermerkt worden ist.34 Uns soll an dieser Stelle jedoch nicht interessieren, ob und inwieweit etwa Kircher sich von Giordano Bruno hat inspirieren lassen.35 Vielmehr wollen wir hier fragen, wie es dem Jesuiten Kircher überhaupt möglich war, etwas zu schreiben, dass derart an den nolanischen Kosmos erinnern mag.36 Schließlich waren solche Sternensysteme mit solaren Himmelskörpern, Planeten und Monden, wie sie Kircher schildert, alles andere als ein Ergebnis astronomischer Forschung. 37 Nun ist wiederum auch unter katholischen Astronomen so manches Spekulation gewesen (wie z.B. die Annahme einer Mondatmosphäre 38). Jedenfalls konnte in Sachen Fixsternsysteme Kircher sich nicht einfach auf die namhaften Astronomen und Ordensbrüder Christoph Scheiner und Giambattista Riccioli berufen, die er ansonsten als seine wichtigsten Gewährsmänner anführt.39 Ausdrücklich hatte Christoph Scheiner die Annahme solcher Systeme als copernicanische Phantastereien abgetan.40 Überhaupt hatten sich die Vertreter solcher Sternensysteme nach Giordano Brunos Hinrichtung recht rar gemacht. Dass es eher angebracht war, bei dieser Vorstellung Vorsicht walten zu lassen, zeigt das Beispiel Descartes’, dessen Principia sich auf Kirchers Autoritäten-Liste finden. Im dritten Teil derselben hatte Descartes zwar alles geliefert, was zu der Vorstellung solcher Systeme führt – polyzentrisch im unbegrenzten Raum verteilte Fixsternwirbel (siehe Abb. 3, S. C. Ziller Camenietzki (1995b) 9, 10 sowie (1995c) 67: „polycentrisme“. 34 Literatur hierzu, siehe Anm., S. 69. 35 Maßgebliche Verbreiter des nolanischen Gedankenguts (bei durchaus kritischer Auseinandersetzung damit) waren Mersenne, Charles Sorel, Gassendi: Antonella Del Prete, „Marin Mersenne et la cosmologie de Giordano Bruno“, in: Révolution scientifique et libertinage, hg. von Alain Mothu, Turnhout: Brepolis, 2000, 49-83. 36 Leser der Ekstatischen Reise wie Daniel Georg Morhof und Peter Friedrich Arpe (Feriae aestivales sive scriptorum suorum historia, Hamburg: Jo. Christoph Kisner, 1726, S. 106-107) sahen Kircher auf einer Linie mit Bruno, was Weltenvielzahl und Unendlichkeit des Universums anging; siehe hierzu S. Ricci (1990) 155, 170, 184, 331. 37 Ein Fixstern-Planet konnte erstmals am 28.05.1998 gesichtet werden durch das Hubble Space Telescope der NASA (STScI-1998-19): http: //hubblesite.org/newscenter/archive/ 1998/19. 38 Als Vertreter dieser Annahme führt Schott in seinem Kommentar zur Ekstatischen Reise sowohl copernicanische Astronomen als auch Anhänger der Geozentrik auf: It., 69. 39 Itin., 9-11, 27 (‘Praelusio Paraenetica’); It., 40-41, 53. 40 Scheiner, Prodromus pro sole mobili et terra stabili, o.O. [Neisse]: o.N., 1651, S. 67: „Apelles [sc. Scheiner] unum Mundi Systema agnoscit; Copernicani innumera Systemata somniant: imo admittere tenentur: multique eorum id minime dissimulant.“

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68) –, ohne jedoch den letzten Schritt zu machen: Er füllt seine Sonnenwirbel nicht mit Planeten; somit werden aus seinen Fixsternsonnen keine Sonnensysteme und auch keine potentiell anderen Welten. 41 Descartes’Leser hinderte dies jedenfalls nicht, seine Kosmologie im Sinne einer Mehrheit der Welten aufzufassen. In diesem Sinne verstand ihn auch seine prominenteste Leserin, Königin Christine von Schweden. 42 Auch dürften die Leser Descartes damit nicht missverstanden haben, wie wir aus dessen privaten Äußerungen schließen können. 43 Dass es nicht nur eine Welt gebe, galt den Jesuiten als eine cartesische Auffassung, die nicht gelehrt werden durfte.44 Descartes’Principia wurden erst 1663 auf den Index gesetzt. Als maßgeblicher Verbreiter dieser Vorstellung in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wird allgemein Descartes angesehen. 45 Den Zeitgenossen allerdings war die Nähe Descartes’zu Bruno sehr wohl bewusst und fand ihre Kritiker.46 Umso erstaunlicher ist es, dass uns gerade der Jesuit Kircher von unzähligen im Universum verteilten Systemen (innumera systemata) zu berichten weiß.47 Anders als Descartes scheut er sich nicht, jene im Raum verstreuten unzähligen Sterne, die sich in der Ekstatischen Reise ebenso finden wie in den Principia philosophiae, auch noch um Planeten und Monde zu ergänzen. 48 Diesen Schritt über 41 S.J. Dick (1982) 111; K.S. Guthke (1983) 165. Descartes begnügt sich damit aufzuzeigen, wie aus diesen Wirbeln Kometen oder Planeten entstehen können (Descartes, Principia (1644) III: § 115, § 119), und nennt Ober- bzw. Außenfläche der Wirbel firmamentum (Principia (1644) III: § 131); die mögliche Existenz von plures mundi sowie die aktuale Unendlichkeit der Welt hatte er schon zuvor ausgeschlossen (Principia (1644) II: § 21-22): Descartes, A&T, VIII: 162-164, 168, 182, 170-172. 42 Über seinen Mittelsmann Pierre Chanut, den französischen Gesandten in Stockholm, erfährt Descartes von Christines Bedenken bezüglich der heilsgeschichtlichen Stellung des Menschen angesichts der aus seinen Principia zu schließenden Mehrheit der Welten und deren Bewohntheit: Chanut an Descartes, 11.05.1647: A&T, X: 617-624, hier 621. In seiner Antwort versucht er Christines Bedenken zu zerstreuen: Descartes an Chanut, 06.06.1647: A&T, V: 50-58, hier 51-56; siehe hierzu Paolo Rossi, „Nobility of Man and Plurality of Worlds“, in: Science, Medicine and Society in the Renaissance, 2 Bde, hg. von Allen G. Debus, London: Heinemann, 1972, Bd II, S. 131-162, hier S. 152-154; K.S. Guthke (1983) 167-168; M.-P. Lerner (1996-1997) II: 187-188. 43 K.S. Guthke (1983) 167-169. Bewohnte Welten und außerirdisches Leben sogar in Form von Menschen oder wenigstens menschenähnlichen Geschöpfen (aut saltem homini analogos) dürfte Descartes für sehr wahrscheinlich gehalten haben nach den Worten, die uns Frans Burman aus Gesprächen mit ihm über das dritte Buch der Principia überliefert hat: A&T, V: 168. 44 Roger Ariew, „Quelques condamnations du cartésianisme: 1662-1706“, Archives de Philosophie, 57 (1994), S. 1-6, hier S. 6, Nr. 15. 45 Arthur O. Lovejoy, The great chain of being. A Study of the History of an Idea. The William James Lectures delivered at Harvard University, 1933, Cambridge: Harvard University Press, 1936, S. 124-125; P. Rossi (1972) 154; S.J. Dick (1982) 210 n.10; M.J. Crowe (1986) 16.; M.-P. Lerner (1996-1997) II: 181, 189. 46 Beispiele hierfür bei M.-P. Lerner (1996-1997) II: 309 n.271. 47 Wörtlich als innumera systemata: Itin., 262, 351; It., 345, 412; sinngemäß: Itin., 267-268, 276, 347-351; It., 349-350, 356, 409-412 48 Descartes, Prinicipia (1644), A&T, VIII: 88-89 (Pars 3, §33):„[… ]ita singulae Fixae ab omnibus aliis valde remotae esse debent, & unae multo magis quam aliae, a nobis & a Sole distare.

4.3. Ein neues Bild von den Sternen

201

Descartes hinaus wagt Kircher aber nicht als erster. In der Liste seiner Autoritäten findet sich der Name desjenigen katholischen Astronomen, auf den er sich hierbei berufen kann. Der aus Reutte in Tirol stammende Kapuzinermönch Antonius Maria Schyrleus de Rheita (1604-1660) rechtfertigt die Annahme von Sonnenund Planetensystemen unter den Fixsternen. 49 Sein 1645 in Antwerpen erschienenes Werk Oculus Enoch et Eliae liefert für die Ekstatische Reise an mehreren Stellen die Vorlage. 50 Eine Schlüsselrolle für den Kircherschen Kosmos kommt dem Kapuziner aber dadurch zu, dass er als katholischer Astronom die geozentrische Welt auf copernicanische Ausmaße anwachsen ließ.51 Trotz allem äußert sich Rheita zurückhaltend bezüglich der tatsächlichen Existenz physischer Mehrfachsterne.52 Kircher dagegen inszeniert einen wohl beispiellosen Reigen zahlloser Systeme, die fern und nie gesehen in einem unermesslich weiten Raum ihr Eigenleben haben. 53 Bei dieser Darstellung fällt allerdings auf, dass anders als Rheita sich Kircher seinerseits bei der Bezeichnung der Sterne als Sonnen zurückhält. Auf der ganzen Fixstern-Reise wird nur zwei Mal der Ausdruck Soles für die Fixsterne gebraucht.54 Indessen werden diese von Kircher

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[… ]atque aliae[sc. Stellae fixae] innumerae, supra&infra, &ultra[… ]per omnes spatii dimensiones sparsae intelligentur.“Kircher: „Ita sit in firmamenti globis, qui tametsi oculis tuis vicini videantur, incredibili tamen distantia a se invicem tum in longum latumque, tum profundum distare, tunc primum exactius intelliges, ubi firmamenti profundiora penetraveris.“: Itin., 264; It., 346; die unzähligen Sternensysteme („de innumeris globorum firmamenti systematis“: Itin., 262; It.,345)werden eine Seite zuvor erwähnt und auf den folgenden ist von der zahllosen Menge an Sternen die Rede („innumerabilem stellarum multitudinem“: Itin.,266; It., 348), wie an mehreren Stellen des Werkes, so auch schon in Kirchers Einleitung (Itin., 26; It., 52-53). Antonius Maria Schyrleus de Rheita, Oculus Enoch et Eliae sive radius sidereomysticus, zwei Teile, Antwerpen: Hieronymus Verdussius, 1645, Teil 1, S. 196b. Zu Rheita s. Anm., S. 232. Kirchers Nähe zu Rheita wird in der hier vorliegenden Arbeit wiederholt deutlich. Kaspar Schott in seinen Kommentaren zur Ekstatischen Reise weist an mehreren Stellen konkret Rheita als Quelle Kirchers nach: siehe weiter unten Anm., S. 232. Bei der hierfür so entscheidenden Entfernung zwischen den Fixsternen und der Erde bewegt sich Rheita mit seiner Annahme von 20 Millionen Erdradien im Rahmen der auch von Copernicanern vertretenen Größenvorstellungen (Galilei 13.046.400 rt, Lansberge 41.956.354 rt, Kepler 60.000.000 rt): Rheita (1645) I: 195a; Riccioli, AN, I: 419a; Schott in Iter, 338, 344. Damit übertrifft Rheita den größten von einem Geozentristen angenommenen Wert für den Fixsternabstand um das Hundertfache (Riccioli 210.000 rt) und die Vorstellungen eines Tycho Brahe (14.000 rt) und Christoph Clavius (45.225 rt) um den Faktor Tausend: Riccioli, AN, I: 419a. Auch Rheitas Werte für die Entfernung zwischen Erde und Sonne (2.000 rt) sowie deren Größe im Vergleich zur Erde (1000:1) sind höher als die von namhaften Copernicanern wie Galilei und Kepler bzw. Lansberge und Boulliau: Riccioli, AN, I: 110b bzw. 121ab; bei diesen beiden Größen wird Rheita aber sogar noch von Riccioli übertroffen. Rheita, Oculus Enoch et Eliae (1645) I: 196b: „Igitur supra supposita ingenti Firmamenti a terra distantia, si quis fixas multas, circa Soles suos etiam errones, aut certe Soles circa illos mobiles suspicaretur, nescio num iuste esset reprehendendus.“ Itin., 262, 267-268, 275-276, 347-351; It., 345, 349-350, 355-356, 409-412. Die Reise zu den Fixsternen steht am Schluss des ersten Dialogs der Ekstatischen Reise: Itin., 258-288 (cap. 9: De itinere in firmamenti seu stellarum fixarum Regionem); It., 332-364; der Plural von Sonne („Soles)“wird zweimal verwendet: Itin., 262, 275; It., 345, 355. Am Ende der Reise zum Saturn werden die Fixsterne der ersten Größenklasse wörtlich mit Sonnen ver-

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4. Die Fixsternparallaxe

eindeutig als Sonnen beschrieben. 55 Im Gegensatz zu Riccioli und Scheiner gesteht Kircher den Sternen ja nicht nur eine Größe zu wie sie unsere Sonne besitzt, sondern degradiert diese sogar zu einem bloßen Stern zweiter Größe.56 Während Rheita die Sterne auch wörtlich mit Sonnen gleichsetzt und von Soles spricht, ziert sich Kircher mit auffälliger Beharrlichkeit. 57 An den zahlreichen Stellen, wo er von Sternen nicht mehr sprechen will und Sonnen meint, rekurriert er pedantisch immer wieder auf eine adjektivische Umschreibung. So spricht er von globi solares, solaris naturae globi, solaria corpora, und dies gegebenenfalls gleich vier Mal hintereinander in nur acht Zeilen Text, ohne diese Sonnen beim Namen zu nennen.58 Ebenso wenig nennt Schott kommentierend diese Fixsterne trotz ihrer Sonnenhaftigkeit Sonnen.59 Er mag es durchaus bewusst vermieden haben. Denn der von ihm und Kircher viel genannte und berühmte Ordensbruder Christoph Scheiner hatte sowohl in seinem bedeutendsten Werk als auch in seinem zuletzt erschienenen noch behauptet, dass die Sterne von der Sonne ihr Licht erhielten. 60 Zwar sprach Riccioli ihnen eine eigene Leuchtkraft zu, doch auch dies nur recht behutsam: Die entsprechende Stelle im Almagestum novum muss man eher zwei Mal lesen, um sicher zu sein bezüglich Ricciolis eigener Meinung. 61 Kircher dagegen vermittelt ebendiese Vorstellung von Fixstern-

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glichen: Itin., 230-257 (Dial. I, cap. 8: De Itinere in globum Saturni); It., 300-331; hier Itin., 253: „Cosmiel. Quae vides lucidissima Solium instar rutilantium corpuscula, [… ]“: It., 328. Als direkter Vergleich mit unserer Sonne: Itin., 261-262; Iter, 344-345. Itin. 266 (oben zitiert) und 261-262, 269; It. 348 (oben zitiert) und 343-344, 344-345, 351. Dagegen Riccioli, AN, I: 424b: „[… ]multò enim maior est, in nostra saltem sententia, Sol quavis stella Fixa.“Scheiner, Prodromus pro sole mobili et terra stabili, o.O. [Neisse]: o.N.,1651, S. 67: „Apelles [sc. Scheiner] non agnoscit nisi unicum in Universo Solem, idque convenienter Sacrae paginae &communi eruditorum &Sanctorum Patrum decreto: Academicus [sc. Galilei] cum Copernicanis tot Soles in Mundo, quot sidera in Firmamento agnoscere tenetur.“ Rheita, Oculus Enoch (1645) I: 177b, 196b, 197a. Itin., 270; It., 352. Schott in Iter, 347 (‘Scholium III.’). Christoph Scheiner, Rosa ursina sive sol […] mobilis ostensus, Bracciani: Andreas Phaeus Typographus Ducalis, 1630, S. 600b (Z. 30-41): „Stellae etiam fixae, acceptos Solis radios, pro suae naturae conditione modificant, ijsq; refusis corpori terreno suas virtutes imperiunt. Nam lumen omne Soli acceptum referunt; quod in terras remittunt, non ut specula tersa & polita; sed ut Luna, ut venus, ut alia lacunosa corpora a Sole illustrata. Et sic liquet, omnem lucem caelestem, ex tota universitate orbi terreno, quocunque tandem modo impertitam, esse solarem vel immediatam ab ipso Sole, vel mediatam per stellas; & hanc quidem in ratione luminis esse multo imbeciliorem illa, in ratione tamen virtutis activae aliquid peculiare, ex proprietate stellae secum devehere, quasi certo constat. Et hinc influentiarum caelestium scaturigo.”; ders., Prodromus pro sole mobili (1651) 67: „Apelles [sc. Scheiner] non agnoscit nisi unicum in Universo Solem, idque convenienter Sacrae paginae & communi eruditorum & Sanctorum Patrum decreto: Academicus [sc. Galilei] cum Copernicis tot Soles in Mundo, quot sidera in Firmamento agnoscere tenetur. Imo vultro & libenter admittunt, atque inculcant Copernicani. Apelles Solem quavis stella Universi majorem merito reptutat: Academicus autem stellam sextae magnitudinis aequalem Soli facit.“ Riccioli nennt als Gründe, derentwegen er zu dieser Annahme tendiert, das feurige Leuchten der Fixsterne („rutilantissimus ac vividissimus illarum fulgor“), das trotz der Entfernung immer noch unser Auge trifft, sowie die bei Eklipsen gemachten Beobachtungen: die Leucht-

4.3. Ein neues Bild von den Sternen

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Sonnen, indem er deren Ähnlichkeit mit unserer Sonne vielfach thematisiert und gleichwertig von Sol vester wie von Sol canicularis spricht,62 ohne dass er auch sprachlich diese Vielzahl der so vielfach in seinem Kosmos vorkommenden Sonnen im Plural ausdrückt. Doch wie sich bei Riccioli nachlesen lässt, haben ja nicht nur Kepler und Galilei so viele Sonnen angenommen wie es Sterne gab, sondern auch Giordano Bruno.63 Diese Vorstellung war also noch mit dessen Namen verbunden. Daher mag es für Kircher durchaus angebracht gewesen sein, hier Vorsicht walten zu lassen, indem er es fast ganz vermeidet, allzu deutlich auch wörtlich von Sonnen zu sprechen. 4.3.1.3. Die gebannte Vielheit der Welten Einleitend zu seinem Werk hatte Kircher nicht nur die Erdbewegung auf immer zurückgewiesen, sich also unmissverständlich gegen die copernicanische Lehre ausgesprochen. In ebendemselben Satz noch – und das zeigt die Brisanz des Gedankens – hatte Kircher ebenso kategorisch ausgeschlossen, dass es Leben auf fremden Planeten gebe.64 Hieran hält sich Kircher in seiner Ekstatischen Reise. Von Leben finden die beiden Kosmonauten bei all ihren Erkundungen auf fremden Planeten und Sternen nicht die geringste Spur.65 Im Gegensatz zu Rheita, seiner gern benutzten Quelle, 66 wagt Kircher es nicht, die Bewohntheit ferner Himmelskörper auch nur als denkbar in Erwägung zu ziehen. Zu solchen Gedankenspielen vermag ihn auch die Autorität des Kardinal Cusanus nicht zu verleiten. Aus dessen De docta ignorantia zitiert Rheita ausgiebig die entscheidende Passage aus dem zweiten Buch. In ihr kommt des Kardinals Überzeugung zum Ausdruck, dass, um mit Rheita zu sprechen, vielleicht kein Stern ohne seine Bewohner sei. 67 Kircher dürfte diese Stelle selbst nur allzu gut gekannt haben. Hat

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kraft der Sonne lässt stark nach obwohl der noch sichtbare Teil ihrer Scheibe bei weitem die sichtbare Größe der Sterne übertrifft, während diese auch weiterhin zu sehen sind: AN, I: 396a (lib. 6, cap. 2, De lumine fixarum). Itin., 260-261, 264-265, 269; It., 343, 346-347, 351. Riccioli, AN, I: 424a; Bruno wird an mehreren Stellen des VI. Buchs (De stellis fixis: AN, I: 393-479) zitiert, aber immer nur für seine Aussage, dass die Sterne Sonnen sind, dass es unendlich viele Sonnen gibt, und dass jede von ihnen eine eigene Welt darstelle: AN, I: 394b, 395b, 396b, 412a, 424a, 425a; für die Werke Brunos, auf die er sich hierfür bezieht, gibt er folgende Titel an: De maximo & Immenso, De infinito & innumerabilibus. „[… ], id unicum cotendimus, ut coelestium globorum incolas una cum mobilitate terrae perpetuo proscriberemus.“: Itin., 28 (‘Praelusio Paraenetica’); It., 53 Die Frage nach Leben wird von Theodidactus an mehreren Stationen der Reise gestellt: Itin., 50-51, 85-86 (Mond), 115-116 (Merkur), 219-220 (Jupiter); It., 92, 126-127, 165, 290-291. Siehe weiter unten S. 232. Mit folgenden Worten leitet Rheita (1645, I: 179b) sein langes Cusanus-Zitat ein: „Certe Cardinalis Cusanus, vir sui saeculi rarissimus, ac doctissimus, [… ] ingenue opinatur, scilicet nullam forte stellam suis creaturis & incolis carere; cum vastissima illa corpora, & globos ingentis molis Planetarum omnino vacuos & inanes esse vix credibile censeatur.“Rheita (1645, I: 179b-181b) zitiert aus De docta ignorantia, Buch 2, Kapitel 12 die folgende Textstelle: Cusanus (2002) I: Buch 2, S. 100-106 (§ 168 (Z.14) - § 174 (Z.19)). In seinen Ausführungen über

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4. Die Fixsternparallaxe

er doch aus diesem zweiten Buch von De docta ignorantia ganze Passagen übernommen nicht nur in seiner Ekstatischen Reise, sondern auch schon in früheren Werken. 68 Rheita jedoch wird durch das Zitieren jener Passage selbst zur Referenz in der Frage nach außerirdischem Leben. 69 Mit dieser kategorischen Ablehnung außerirdischen Lebens, wie er sie bereits in der Einleitung der Ekstatischen Reise formuliert, kann Kircher hier nun verhindern, dass aus den von ihm beschriebenen Sternensystemen Welten werden. Seinen Lesern führt er in Ordnung und Bewegung faszinierend schöne Himmelsgebilde vor Augen und dies in unüberschaubarer Fülle. Ohne jede Spur von Leben aber lässt sich in keinem dieser Systeme eine andere Welt vermuten. Trotz ihrer Ähnlichkeit mit dem unsrigen ist darin alles leblos. Sie scheinen im ursprünglichen Sinn des Wortes zu sein – bloßer Schmuck als Teil von Gottes Sternenmantel. Die Idee von Teilwelten innerhalb des Universums will hierbei gar nicht erst aufkommen. Ansonsten wäre nichts nahe liegender als bei der Vielzahl von Sternsystemen, die in der Ekstatischen Reise auftauchen, an eine Mehrzahl von Welten zu denken. Vor dem Vorwurf, einer solchen das Wort zu reden, sieht Kircher sich offenbar ausreichend geschützt. Zwar wendet er sich noch eigens der Frage nach dieser denkbaren Weltenvielzahl zu. Dabei behandelt Kircher aber nur einen Aspekt derselben. Mit einer auf Cusanus gestützten Beweisführung widerlegt er die Pluralitas mundorum im Sinne einer Vielzahl von nebeneinander bestehenden Welten. Definiert man das Universum cusanisch als maximum contractum, würde nämlich die Annahme von mehreren Welten fordern, dass es mehrere größtmögliche Kontraktionen gäbe. Es gibt aber nur einen Gott, also nur ein absolutum maximum, wovon es wiederum nur ein maximum contractum geben kann. Würde man also mehrere Kontraktionen annehmen, müsste dennoch eine von ihnen die größtmögliche sein. Es kann folglich nur eine einzige Welt, ein alleiniges Universum geben. 70

mögliches Leben auf fremden Sternen zitiert Pierre Gassendi (Syntagma philosophicum II, seu Physica [posthum 1658], in GOO, I: 524b-530b, hier 528b-529b) dieselbe Stelle wie Rheita nur erheblich kürzer, nämlich De docta ignorantia in Cusanus (2002) I: Buch 2, S. 100-104 (§ 168 (Z.14) - § 172 (Z.6)); nach Ansicht von Stephan Meier-Oeser (Die Präsenz des Vergessenen. Zur Rezeption der Philosophie des Nicolaus Cusanus vom 15. bis zum 18. Jahrhundert, Münster: Aschendorff, 1989, S. 304) dürfte Gassendi für dieses Zitat auf Rheita zurückgegriffen haben. 68 S. Meier-Oeser (1989) 399-401 hat dies ebenso für Kirchers Magnes (1641) sowie für den Oedipus aegyptiacus (Bd. II.2 (1653)) festgestellt. 69 Als Vertreter dieser Auffassung zitieren ihn: Kaspar Schott in Iter, 93; O.v. Guericke, Experimenta nova (1672) 214a-216a; Erasmus Francisci, Das eröffnete Lust-Haus Der Ober- und Nieder-Welt, Bey Mehrmaliger Unterredung, Nürnberg: Endter, 1676, S. 456-457; Christian Wolff, Elementa matheseos universae. Tomus III, qui opticam, perspectivam, catoptricam, dioptricam, sphaericam et trigonometriam sphaericam atque astronomiam tam sphaericam, quam theoricam complectitur. Editio nova priori multo auctior et correctior, Halle: Officina Rengeriana, 1735, S. 577b (§ 527). 70 Itin., 351-353, 390-392; Iter, 412-413, 439-440.

4.3. Ein neues Bild von den Sternen

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Cusanisch legt Kircher also dar, dass Parallel-Universen undenkbar sind. Völlig unberührt bleibt hiervon allerdings die zweite Bedeutung des Begriffs Pluralitas mundorum: Die mögliche Existenz einzelner Welten innerhalb dieses einen Universums. Eine Mehrzahl der Welten in diesem Sinne war ja, wie wir oben gesehen haben, von Cusanus selbst angenommen worden. Genau in dem Maße aber, in dem diese Vorstellung mit der Frage nach Leben auf anderen Sternen verbunden ist, stellt sie sich für Kircher schon nicht mehr. Offensichtlich hat er mit der einen zugleich auch die andere verneint, indem er außerirdisches Leben in jeder Form ausschließt. Zumindest sieht er sich nicht veranlasst, in seiner Auseinandersetzung mit dem Begriff der Pluralitas mundorum gerade auf diejenige Bedeutung einzugehen, in der die eigentlich brisante Vorstellung liegt. Er scheint lediglich die Gelegenheit zu nutzen, gegen die ketzerische Weltenvielzahl anzuschreiben, auch wenn er hierbei nur die Parallelwelten trifft, die nicht wirklich das Problem der Zeit waren und auch nicht dasjenige, das sich angesichts der Kircherschen Vielzahl von Himmelssystemen eigentlich stellt. 71 Im Ganzen gelingt es Kircher, seine Darstellung des Fixsternraums zu entschärfen. Er zeigt uns ein zwar unermesslich weites Universum voll von Himmelskörpern aller Art. Doch in den zahllosen Systemen lassen sich keine anderen Welten denken und die eine Welt bleibt trotz ihrer Fülle endlich, wie wir bereits sehen konnten (S. 83 ff., 203 ff.). In diesem entscheidenden Punkten grenzt er seine Vision von der nolanischen ab. Dass er hierzu auch – bei Weltenvielzahl und Unendlichkeit – Cusanus gegen Bruno auszuspielen wusste, war keine geringe Leistung in einer Zeit, die zwischen beiden kosmologisch oft wenig differenzierte.72 Dass Kircher, obwohl er seitenweise aus De docta ignorantia abschreibt, Cusanus nicht ein einziges Mal erwähnt, mag verwundern.73 Dabei allerdings ist nicht außer Acht zu lassen, dass Cusanus in Kirchers Zeit als direkter Vorläufer und Wegbereiter des Copernicus angesehen wurde.74 Laut Riccioli hätte der eine nicht anders als vor ihm der andere behauptet, dass die Erde sich um die Sonne drehe, und beide hätten dies nicht nur als Hypothese vorgebracht, sondern für

71 Zur doppelten Bedeutung von Mehrheit der Welten: M. J. Crowe (1986) 3-26; K.S. Guthke (1983) 41-43. 72 Wie es sich bei Campanella, Kepler und Descartes zeigt: S. Meier-Oeser (1989) 284-285. 73 Dass Cusanus im Kircherschen Text der Ekstatischen Reise (Itinerarium, 1656) kein einziges Mal Erwähnung findet, ist vielfach bemerkt worden. Cusanus’Name taucht erst mit Schotts Kommentaren in der Würzburger Ausgabe auf: It., 38, 93, 266, 382, 383, 495. 74 Als Vorläufer des Copernicus wurde Cusanus von Anhängern wie Gegnern des copernicanischen Systems angesehen: Giordano Bruno, De Immenso et Innumerabilibus [Frankfurt a.M., 1591], in: Jordani Bruni Nolani opera latine conscripta, 3 Bände in 8 Teilen, hg. von Francesco Fiorentino, F. Tocco, H. Vitelli, Neapel: D. Morano und Florenz: Le Monnier, 18791891, Bd I.1 (1879): S. 381 (lib. 3); Marin Mersenne, Quæstiones celeberrimæ in Genesim, Paris: Sebastian Cramoisy, 1623, Sp. 913-914; Tommaso Campanella, Universalis philosophia, Paris: o.N., 1638, Teil 3, S. 166b; Kaspar Schott, Cursus mathematicus, Würzburg: Erben Joannis Godefredus Schönwetter / Jobus Hertz, 1661, S. 243a; Stanislaw Lubieniecki in Guericke (1672) 187a (Brief an Guericke vom 03.06.1665 [alter Stil]); Guericke (1672) 9a.

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wirklich gehalten („non hypothetice tantum, sed absolute“). 75 Im zweiten Teilband seines Almagestum novum kommt Riccioli wiederum auf Cusanus zu sprechen. Er führt ihn erneut als einen Vertreter für die Erdbewegung an. 76 Im Anschluss allerdings zitiert er aus einem anderen Werk des Cusanus, wo dieser „sich selbst vergessen hat oder sich selbst widerspricht oder sich auf Besseres besonnen hat “.77 Denn, wie es in der von Riccioli zitierten Passage heißt, wird die Sonne von Engeln und Intelligenzien bewegt.78 Eine bewegte Sonne ist natürlich im Sinne der Geozentrik, und diese Aussage wird auch am Seitenrand vermerkt als des Cusanus vernünftigere Ansicht („Ejusdem sanior sententia“). Dass Riccioli diese widersprüchliche Stelle überhaupt zitiert, ist kein Indiz für eine differenziertere Betrachtung.79 Es lässt sich darin kein zaghafter Versuch sehen, den Kardinal als Vorläufer des Copernicus in Frage zu stellen und ihn so den Copernicanern als Autorität zu nehmen. Denn einerseits ist Ricciolis Einschätzung unverändert, wenn er kurz darauf erneut auf die Vertreter der Erdbewegung und wiederum auf Cusanus zu sprechen kommt.80 Andererseits leitet er auch hier bei diesem widersprüchlichen Cusanus-Zitat sogleich zu Copernicus über: Dieser scheine von Cusanus das Schiffsgleichnis als Argument für die Erdbewegung übernommen zu haben.81 Ebendiese Textstelle bei Cusanus, welcher Copernicus 75 Riccioli, AN, I: 51b (lib. 2, cap. 3); in dieser Übersicht über die Vertreter der vier Erdbewegungen führt Riccioli Cusanus nur unter der vierten („Quartus motus Terrae est Translationis, qui dicitur Annuus“) an, nicht wie später im zweiten Teilband als Vertreter sowohl der Rotation als auch der Translation: AN, II: 292ab, 294a. 76 Riccioli (AN, II: 292ab) zitiert folgende Stellen für die cusanische Erdbewegung: Cusanus, De docta ignorantia, II, 11, §157 (Z.1-2), §159 (Z.10-15), §160 (Z. 5-7). II, 12, §162 (Z.1-17), in Cusanus (2002) I: Buch 2, S. 86, 90, 92, 94. 77 Riccioli, AN, II: 292b: „[… ], sed alibi vel sui oblitus, vel sibi repugnare aut meliora sensisse [… ]“; Riccioli zitiert hierauf Cusanus aus dessen „lib. 7 exercitationum sermone“. 78 Riccioli (AN, II: 292b) zitiert Cusanus: „[sc. Cusanus:] Est enim oratio omnibus creaturis potentior: nam Angeli seu Intelligentiae movent orbem, Solem, stellas, sed oratio potentior, quia impedit motum; sicut oratio Iosue fecit sistere Solem.”Der von Cusanus hier erwähnte biblische Bericht –Josua befiehlt Sonne und Mond, still zu stehen über Gibeon (Josua, 10:1214) –ist eine in der kosmologischen Kontroverse viel diskutierte Bibelstelle: Ch. J. Schofield (1981) 282-289; E. Grant (1984) 62-63; aber auch schon Nikolaus Oresme (1320-1382) hatte sich mit der Josua-Stelle auseinander gesetzt und meinte, dass ein Stillstehen der Sonne leichter durch ein Anhalten der Erdrotation zu erreichen gewesen wäre: E. Grant (1994) 645-646. 79 Für die gegenteilige Auffassung: S. Meier-Oeser (1989) 205-206. 80 Riccioli, AN, II: 294a (in Anm. unten zitiert): Riccioli sieht hier Cusanus als Erneuerer der antiken These von der Bewegung der Erde. Für diese Ansicht verweist er hier auf die oben zitierten Stellen (AN, II: 292ab), wo er zu diesem Urteil („iudicavi“) gekommen sei. Folglich hat die dort von ihm auch zitierte widersprüchliche Aussage des Cusanus definitiv keinen Einfluss auf seine Betrachtung gehabt: Cusanus sieht er gewissermaßen als Präcopernicaner. 81 Riccioli, AN, II: 294a: „Ex eo [sc. aus Cusanus] tamen viedetur sumpsisse similitudinem in navi existentium, & inde argumentum pro motu terrae diurno Copernicus, [… ].“Das Schiffsgleichnis versinnbildlicht die Bewegungsrelativität: Ob wir uns bewegen oder Dinge sich um uns bewegen, können wir nur mit Blick auf einen von diesen unabhängigen festen Bezugspunkt entscheiden. Ansonsten bleibt die Bewegung relativ, wie auf einem Schiff, auf dem wir fahrend den Eindruck gewinnen können: „Provehimur portu terraeque urbesque recedunt.“: Vergil, Aenis, III, 71. Dieser Vergil-Vers wird zur Referenz für den Gedanken der Bewe-

4.3. Ein neues Bild von den Sternen

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sein Schiffsgleichnis verdanken soll, hat Riccioli kurz zuvor noch ausführlich zitiert.82 Hier nun gibt er eine entsprechende Stelle aus Copernicus wieder, womit er wohl zugleich seine Behauptung bestätigt sehen will, dass Cusanus direkte Quelle für Copernicus gewesen sei („sumpsisse“).83 Für wie unzutreffend wir diese Verbindung ideengeschichtlich auch heute halten müssen:84 De facto galt, als Kircher seine Ekstatische Reise schrieb, Cusanus als eben der andere Nicolaus. 85 Als beliebte weil prominente Referenz diente der Kardinal aber nicht nur, um für Copernicus zu streiten. Zitiert wurde er auch von denjenigen, welche die noch gewagtere These vorbringen wollten, es könne Leben auf anderen Sternen geben. 86 Kaspar Schott führt selbst in seinen Kommentaren zur Ekstatischen Reise Cusanus als Vertreter sowohl des heliozentrischen

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gungsrelativität und findet sich viel zitiert bei Copernicanern: Ist doch im Verhältnis von Sonne und Erde für uns als Betrachter die Bewegung ebenso relativ und durch bloße Wahrnehmung allein nicht zu entscheiden. Riccioli (AN, II: 292ab) zitiert: Cusanus, De docta ignorantia, II.12, in: Cusanus (2002) I: Buch 2, S. 92, 94 (§162 (Z.1-17)). Riccioli, AN, II: 292b; Riccioli zitiert: Copernicus, De revolutionibus orbium coelestium libri VI [Nürnberg, 1543, f. 3rv (lib.1, cap. 5)], in: Copernicus (1984) 10-11. Copernicus überträgt an dieser Stelle den Gedanken der Bewegungsrelativität auf die Erdbewegung; das Schiffsgleichnis selbst kommt hier nicht vor, sondern fünf Seiten weiter, wo sich auch das Vergil-Zitat findet: Copernicus, De revolutionibus [1543, f. 6r (lib.1, cap. 8)], in Copernicus (1984) 15; aus diesem Kapitel zitiert Riccioli (AN, II: 292b) im Anschluss, ohne darin allerdings das Schiffsgleichnis aufzunehmen. ADB, IV: 661 (Artikel von Carl von Prantl); Alexandre Koyré, Du monde clos à l’univers infini, Paris: Gallimard, 31996, S. 20, 27-28, 30-31; S. Meier-Oeser (1989) 190-211, hier 190195; M.-P. Lerner (1996-1997) II: 91-94; Fritz Krafft, „Schweretheorie und Weltbild des Nikolaus von Kues. Zu ihrer vermeintlichen Modernität“, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte, 25 (2002), S. 195-211. Diese Klarstellung ist keineswegs selbstverständlich, da ja bis weit in das 19. Jahrhundert hinein in Cusanus der Vorläufer des Copernicus gesehen wurde; zahlreiche Beispiele hierfür liefert S. Meier-Oeser (1989) 208-211. Riccioli, AN, II: 294a: „Dormierat vero Philolai & Aristarchi de motu hoc Telluris opinio, multisque retro saeculis summo silentio consopita in oblivionem pene omnium iacuerat, cum eam Nicolaus Cusanus, ut capite 2. num. 3. [sc. AN, II: 292ab] iudicavi, submissis vocibus sed alter Nicolaus nempe Copernicus magnis vocibus excitarunt.“Zwischen Cusanus und Copernicus macht Riccioli bezüglich der Erdbewegung keinen Unterschied; in diesem entscheidenden Punkt verhält sich aus seiner Sicht der eine wie der andere (alter… alter). Wie Riccioli hier mit „submissis vocibus“, so hatte ganz ähnlich Bruno mit der Formulierung „suppressiore voce“das Eintreten des Kardinals für die Erdbewegung als leiser bezeichnet: Bruno, De Immenso [1591], in: Opera latine conscripta (1879-1891) I.1: 381 (lib. 3). Schott nennt Cusanus zusammen mit Copernicus in einem Atemzug als Vertreter des Jahreslaufs der Erde: Cursus mathematicus (1661) 242b-243a, hier 243a: „Ita sensere Philolaus Pythagoricus, & Aristarchus Samius, ac postea Nicolaus Cusanus, & Nicolaus Copernicus, quos sequuntur Rheticus, Maesthlinus, Scickardus, Keplerus, Rothmannus, Caelius Calcagninus, Didacus Astunica, Foscarinus, Galilaeus, [… ]“ Die weiter oben bereits erwähnte, hierfür entscheidende und vielfalch zitierte Stelle ist: Cusanus, De docta ignorantia, Buch 2, Kapitel 12; K. S. Guthke (1983) 43-45, S. Meier-Oeser (1989) 281-321. So bezieht sich John Wilkins in all seinen Cusanus-Verweisen einzig und allein auf ebendiese Stelle: The Discovery of a World in the Moone (London, 1638) 43, 84, 162, 164, 186, 191, 193.

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Systems als auch der Bewohntheit fremder Himmelskörper an. 87 Somit stand zu jener Zeit der Name Cusanus just für die beiden Forderungen –Erdbewegung und außerirdisches Leben – die Kircher in seiner Einleitung zur Ekstatischen Reise in aller Form zurückweist. Hieraus mag sich erklären, warum Kircher den Kardinal kein einziges Mal nennt. Dessen Namen selbst nur in der Autoritäten-Liste aufzuführen, hätte vermutlich ausgereicht, um Kirchers Vorsatz wenig glaubwürdig erscheinen zu lassen, einen Vorsatz, den ihm auch so nicht jeder abnahm. 88 Bei all den Vorkehrungen stellt sich die Frage, warum Kircher sich auf diesen schmalen Grat zwischen einer Vielzahl der Sternensysteme und der Mehrzahl der Welten begibt. Selbst die zurechtgestutzte Vorstellung bringt ihn noch in Erklärungsnot angesichts der unzähligen Himmelskörper, die alle ganz ohne Leben seien. 89 Letztlich sollen sie alle für die Erde da sein, die Erde aber für die Menschen und alles zusammen für Gott.90 Aber sind die allermeisten dieser Systeme nicht nutzlos in der Welt, da doch nie ein Licht von ihnen bis zur Erde dringt ? 91 Trotzdem lässt Kircher seine Leser diese nicht enden wollenden Weiten mit den darin zahllos kreisenden Körpern erleben. – Schauen wir daher auf die Wirkung, die er damit erzielt. 4.3.2. Kritiker Nicht diese Unzahl von Himmelssystemen, mit denen Kircher den schier endlosen Fixsternraum erfüllt, stieß auf Kritik bei seinen Zeitgenossen. Kein Scholium Schotts versucht diese Anschauung zu rechtfertigen, sie wird als gegeben hingenommen und scheint nicht weiter erklärungsbedürftig. Selbst in konservativen Kreisen innerhalb des Jesuitenordens stieß man sich nicht an dieser Vielzahl von Sternensystemen: Weder die innerjesuitischen Zensoren beschweren sich über diese Darstellung noch der namenlose Autor der Mira Kircheri, der ebenso ein Mitglied der Gesellschaft Jesu gewesen sein dürfte wie der anonyme Vir doctus, dessen Angriffe Schott im Apologeticon der Würzburger Ausgabe abwehrt. Gleiches gilt für den nicht-jesuitischen Verfasser der Dubitationes aliquot, in denen die unzähligen systemata des Kircherschen Kosmos nicht Gegenstand seiner Streitschrift werden.92 87 Schott in Iter, 38 (‘Praelusio Catholica Scholiastae’, §9), 93 (‘Scholium VII.’), und nochmals bezüglich der (laut Rheita, auf den sich Schott hierfür beruft) von Cusanus angenommenen Bewohner des Jupiter: Schott in Iter, 266 (‘Praelusio in Iovem’, §2). 88 Der anonyme Autor der Mira Kircheri (f. 6r-8r, 12r-13r, besonders f. 6rv) glaubt ihm weder die eine noch die andere Beteuerung; H. Siebert (2002b) 168-170. 89 Itin., 317-322, 331-333, 336-338; Iter, 386-390, 397-398, 400-401. 90 Diese teleologisch anthropozentrische Erklärung der Welt verkündet Cosmiel: Itin., 337-338, 393; It., 401, 442; hier die Marginalie Itin., 337: „Omnia propter Telluris globum condita sunt; & Tellus & maria propter hominem; & universa finaliter propter Deum.“; It., 401: Schott schreibt „Tellus“klein und streicht „& maria“. 91 Die Frage nach dem Wozu der ganzen Sternenvielfalt hatte Theodidactus schon gestellt: Itin., 336; It., 400. 92 Zu diesen Kritiken siehe weiter oben S. 29 f. (Dubitationes), 30 ff. (Mira), 42 ff. (Vir doctus).

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Eine Vielzahl von Himmelssystemen anzunehmen, mag daher für sich allein betrachtet selbst auf konservative Leser weniger anstößig gewirkt haben, als wir heute vielleicht meinen. Das unstrittig Skandalöse daran –außerirdisches Leben – hatte Kircher ja von vornherein ausgeschlossen. Der Mira-Autor hält ihm in diesem Punkte zwar nicht für aufrichtig: Die vier Elemente, aus denen alles in der Welt bestünde, sowie das Analogieprinzip Kirchers forderten geradezu, dass auch Leben auf anderen Himmelskörpern zu finden sein müsse.1 Doch die bloße Darstellung solcher Sternensysteme allein liefert ihm indessen keinen hinreichenden Grund für diesen schweren Vorwurf und wird von ihm nicht kritisiert. Demnach sahen Leser, die das ganze Werk eher ablehnten, in den unzähligen Himmelssystemen der Ekstatischen Reise keine anderen Welten. Kircher war es also gelungen, sich auch gegen den Vorwurf einer Mehrzahl der Welten innerhalb dieses einen Universums abzusichern, welche die zweite und eigentlich brisante Bedeutung der ketzerischen pluralitas mundorum darstellt. 4.3.2.1. Mira Kircheri, Dubitationes aliquot, Kaspar Schott Anstoß nahmen die zeitgenössischen Leser der Ekstatischen Reise nicht an der Existenz und bloßen Vielzahl der Kircherschen Sternensysteme. Aufsehen erregte vielmehr ein Aspekt derselben, der uns heute nicht weniger selbstverständlich erscheint: die Vielfalt jener Systeme und insbesondere, dass sich Sterne bewegten. Schon Theodidactus ist in dieser Hinsicht nicht leicht zu überzeugen gewesen – Cosmiel muss wiederholt begründen, warum die stellare Eigenbewegung den Menschen verborgen bleibt. Doch glückte ihm diese Überzeugungsarbeit weit weniger bei den Lesern der Ekstatischen Reise. Denn der Verweis auf die übergroße Entfernung erklärt zwar, dass wir diese Sternbewegungen nicht sehen. Deren distanzbedingtes Verschwinden vor unseren Augen kann aber keineswegs einen Grund dafür liefern, derlei Eigenbewegungen überhaupt anzunehmen. Auf ebendiese Frage nach dem Grund des stellaren Kreisens, präsentiert Cosmiel eher im Nachhinein eine teleologische Erklärung: Es gebe viele Himmelskörper (globi) die Monden gleich des Lichts bedürfen; sicher aber sei, dass solche (corpora) anders nicht von den Sonnenkörpern (solares globi) beleuchtet werden könnten, als wenn diese um jene herumliefen und dabei durch die Lichtbestrahlung in ihnen die Erzeugung von Kräften (fetura virium) anrege, durch welche wiederum, während der eine Himmelskörper den anderen wärme (fovere), alles in seiner eigenen lebendigen Kraft (vigor) erhalten bleibe und die Harmonie der Welt erfüllt werde.2 Hier wird deutlich, dass es sich bei diesen Systemen nicht um Sonnensysteme 1 2

Mira, f. 6v-8r. „Cosmiel. Cum multi globi in firmamento sint, qui ad instar Lunarum luce indigeant, certum est huiusmodi corpora a solaribus globis illuminari non posse, si ea non circumirent; circumeunt itaque ut illuminando ea ad virium foeturam sollicitent; quibus dum unum corpus alterum fovet, omnia in suo vigore conserventur, & harmonia mundi compleatur.“: Itin., 348; It., 409-410: Schott ändert Satzzeichen (ergänzt z.B. ein Komma zwischen „quibus“und „dum“).

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im copernicanischen Sinne handeln kann, da im Kircherschen Kosmos sich die Sonnen selbst bewegen und zwar um andere lichtlose Himmelskörper herum. Den Kritikern Kirchers bleibt somit unbenommen, ihm diese Eigenbewegung von Sternen als bloße Gedankenspielerei vorzuwerfen, die völlig beliebig scheint, da ganz offensichtlich jedwede astronomische Grundlage hierfür fehlt. Selbst Schott äußert sich eigens in einem Scholium kritisch zu dieser Vorstellung, mit der er offenbar nichts anzufangen weiß. Für seinen Teil verstehe er zwar, dass, sollten die Sterne neben dem primus motus noch in Kreisen so groß wie die Sonnenbahn sich bewegen, wir deren Bewegung dennoch nicht wahrnehmen könnten, weil sie durch die große Entfernung wie zu einem Punkt verschluckt würde. Doch wenn Sterne sich dabei gegenseitig umkreisten, müsse dies doch an ihrer veränderten Stellung zueinander zu sehen sein. Hiergegen spreche aber die täglich zu machende Erfahrung. Es sei denn, dass lediglich diejenigen Sterne, die wir nicht mehr sehen könnten, sich auf diese Weise bewegten. Ebendies habe Kircher damit zu verstehen geben wollen. Alles in allem aber, wie Schott abschließend meint, falle diese ganze Sache in den Bereich der Spekulation. 3 Dass sich hier sogar Schott distanziert, wo er doch sonst als Herausgeber und Apologet des Werkes sich bemüht zeigt, Kirchers kosmologische Ausführungen zu rechtfertigen, mag ein Indiz für die wohl einhellige Kritik sein, die sich bereits 1656 daran erhoben hat. Denn Schott gibt ihr mit seinem Scholium gewissermaßen Recht. Kritik an Kirchers bewegten Sternen findet sich auch in beiden der weiter oben bereits zitierten Streitschriften, die anonym gegen die in Rom erschienene Ekstatische Reise verfasst worden sind. Der Mira-Autor verwendet fast eine Seite darauf, zunächst seiner Fassungslosigkeit Ausdruck zu verleihen angesichts dieser nach seiner Meinung völlig willkürlich angenommenen und dabei gleichsam als gesichert hingestellten Kreisbahnen, auf denen die Sterne sich völlig unbemerkt von uns wie Planeten bewegen sollen. Ohne Vernunft und Erfahrung koste es ja nichts, sich derlei auszudenken. Denn, wie der Mira-Autor anschließend vorrechnet, sei unter der Annahme solcher Kreisbahnen für diejenige des Sirius ein Durchmesser zu veranschlagen, der zumindest dem Zehnfachen des Durchmessers dieses Sterns selbst entspreche. Dann jedoch würde die Entfernung des Sirius zu den benachbarten Sternen um zehn Sirius-Durchmesser schwanken. Ein solches Schwanken aber entginge nicht nur nicht erfahrenen Astronomen, sondern bliebe 3

Schott in It., 350 (Dial. I, cap. 9: ‘Scholium V.’): „Capio quidem, quomodo, si statuatur stellas Firmamenti praeter motum diurnum ab oriente in occidentem, moveri etiam circulariter in ingentibus circulis Solari circulo haud minoribus, tamen ob nimiam a nobis distantiam motus nullus percipiatur, quoniam totus circulus quasi in unum punctum absorbetur: non tamen capio, quomodo si circa aliquas stellas moventur aliae, veluti circa Solem Luna nostrra & planetae, motus ille non percipiatur. Nam ex hoc manifeste sequitur, stellas Lunares motas circa Solares, esse illis modo ad dexteram respectu nostri, modo ad sinistram, & nunc ad orientem nunc ad occidentem. Percipitur ergo a nobis motus ille, & stellae fixae non servant semper eandem inter se distantiam quoad apparentiam, nec eodem semper ordine servato inter se progrediuntur. Quod tamen quotidianae experientiae repugnat. Nisi dicas, stellas a nobis e terra visas, non moveri circa alias dicto modo, & illas quae illa ratione moventur, a nobis non videri. Hoc innuit Auctor. Sed res tota intra conjecturas manet.“; wir kommen hierauf zurück.

4.3. Ein neues Bild von den Sternen

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nicht einmal den Bauern auf dem Felde verborgen („ne rusticos quidem“). Als völlig unkundig in diesen Dingen erweise sich Kircher also mit seiner Behauptung, dass die Sterne sich auf eigenen Bahnen bewegten.4 Einmütig, wenn auch weniger beißend, fällt die Kritik in den Dubitationes aus, einer Handschrift in Neapel und gleichfalls anonym gegen Kirchers Ekstatische Reise verfasst. Als grundsätzlicher Einwand gegen das Kreisen der Sterne wird darin angemerkt, dass einem Betrachter in der weit entfernten Peripherie stehend zwar im Zentrum Bewegtes als unbewegt vorkommen könne. Doch vom Zentrum aus sei man umso leichter in der Lage, verschiedene Bewegungen wahrzunehmen, je weiter diese weg seien, da man sie nicht aus dem Blick verliere („propter nimiam distantiam visum non fugiant“). In diesem Punkte mag Kirchers unbekannter Kritiker sich eines Arguments bedienen, das er in der Ekstatischen Reise finden konnte. Hatte Kircher doch bezüglich des primus motus dieselbe Feststellung gemacht („sensum non fugit“). 5 Doch handelt es sich hier um exzentrische Kreisbewegungen auf einem weit entfernten Umkreis. Dies scheint der Kritiker hingegen übersehen zu haben und liefert stattdessen ein Argument, das nach Kirchers Darstellung eben keines mehr ist: Die über mehrere Jahrhunderte hinweg gemachten Beobachtungen hätten gezeigt, dass auf die Minute genau die Fixsterne ihre Position bewahrten, folglich besäßen diese bewiesenermaßen keine eigene Bewegung, sondern umkreisten gemeinsam die Erde.6 In ihrer Ablehnung stützen sich beide anonymen Kritiker auf ebendasjenige Argument, das Kircher so nachdrücklich ausgeschaltet haben will: die Wahrnehmbarkeit dieser Sternbewegung. Dass diese tatsächlich nicht in Widerspruch zur Erfahrung steht, können sich die Kritiker offenbar nicht vorstellen. Hierzu allerdings ist eine so große Entfernung anzunehmen, dass sich dadurch der Winkel, unter dem ein irdischer Betrachter den Bahndurchmesser dieser Kreisbewegung sieht, auf die Größe des leuchtenden Sterns selbst reduziert. Es dürfte diese Entfernung gewesen sein, die für beide anonymen Verfasser im wahrsten Sinne undenkbar war. Dabei hätte gerade der Mira-Autor mit dem Zahlenmaterial, das er in seiner Kritik zusammenträgt, auch für sich selbst ausrechnen können, wie groß diese Entfernung sein müsste, um den Kreisbahndurchmesser der Sonne auf die Größe eines Sternes erster Größenklasse schrumpfen zu lassen. Dies wäre ihm auf ebendemselben Rechenweg möglich gewesen, auf dem Tycho die Copernicaner ad absurdum führen wollte. Für Kircher ergäbe sich hieraus immerhin ein ge4 5 6

Zu dieser Handschrift siehe weiter oben in der Einführung, S. 31-38. Mira Kircheri [BNCR, FG 1331 (15) f. 1(205)r-20(233)v], f. 11v-12v (im Anhang S. 343-344). Itin., 344; It., 406. Siehe weiter oben S. 123, 125. Zu dieser Handschrift siehe oben in der Einführung, S. 29 f. Dubitationes aliquot [BNCN, Mss. Brancacciano IE1, f. 309r-315v], f. 315rv: „Dubit[ati]o 9. a pag. 173. [sc. Itin.] Altitudo summa firmamenti facit ut novae stellae semper eodem in loco persistere videantur. et pag. 349. idem ex professo statuit de stellis fixis, quibus singulis proprium attribuens motum, varios dicit inter se conficere aspectus, et nihilominus semper eandem retinere distantiam videntur ob excessiva distantiam a terra. [… ] Ergo cum semper etiam per plurima saecula compertum sit fixa eandem inter se distantiam ad minutum [f. 315v:] retinuisse, signum evidens est fixa non habere varios motus, sed eodem omnia circumrotari.“

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ringerer Fixsternabstand als jene berühmten 7,85 Millionen Erdhalbmesser, die Tycho für einen Stern von annähernd dritter Größenklasse mit einer beträchtlich kleineren Sonnenbahn errechnet.7 Eine Entfernung von 6,55 Millionen Erdhalbmessern allerdings, in welcher ein Stern im Kircherschen Kosmos der Sonne gleich und von uns ungesehen seine Bahnen zöge, hätte den Mira-Autor sicherlich nur aufs Neue darin bestärkt, dass es sich bei Kircher doch um einen heimlichen Copernicaner handeln müsse. Der Verfasser der Dubitationes seinerseits, indem er sich das Universum in Zentrum und Peripherie aufgeteilt denkt, scheint zudem einen weiteren Gedanken Kirchers nicht nachvollziehen zu wollen. Die Welt mag er sich offenbar nicht anders vorstellen als geometrisch abgeschlossen, wie sie meist auf kosmologischen Abbildungen der Zeit – und dies ohne Unterschied auf geozentrischen wie heliozentrischen – dargestellt wird: Ein dicht gedrängter Kreis von Fixsternen um einen Mittelpunkt herum gezogen, der von Erde oder Sonne eingenommen wird (siehe Abb. 2, S. 64). Nicht einmal zur Kenntnis nimmt er anscheinend Kirchers gleichmäßig strukturierten Kosmos, in welchem samt ihren Begleitern alle Sonnen in etwa gleich großen Abständen zueinander stehen (siehe oben S. 197). 4.3.2.2. Otto von Guericke: die einfache Sternenwelt der Copernicaner Der von Kircher dargestellte Fixsternraum in seiner Detailfülle dürfte hingegen den Copernicaner Otto von Guericke (1602-1686) gerade dazu veranlasst haben, seine eigenen Leser auf die Ekstatische Reise mitzunehmen. Im Schlussteil seiner Experimenta nova (1672), der den Fixsternen gewidmet ist, zitiert Guericke aus der Ekstatischen Reise die wichtigsten Stellen des Dialoges über diesen Reiseabschnitt.8 Jede einzelne Passage kommentiert er meist ausführlich. In diesen 7

8

Wie weiter oben (Anm., S. 168) dargestellt, ermittelt Tycho trigonometrisch für einen Stern mit einem Winkeldurchmesser von einer Bogenminute (1') eine Entfernung von (2284 rt / tan (1/60)°=) 7.851.813,4 rt. Hieraus folgert er, dass im copernicanischen System das Firmament siebenhundertmal weiter vom Saturn entfernt sein müsse als dieser von der Sonne, was absurd sei: Epistulae astronomicae [Uranienburg, 1597, S. 167], TBO, VI: 197; und diese Schlussfolgerung ohne Unterschied bezogen auf Sterne erster Größenklasse in: Astronomiae instauratae progymnasmata [Prag, 1602], TBO, II: 430, Z. 19-27. Tychos Argumenten aus den Epistulae astronomicae sowie insbesondere diese Zahl wurden in der kosmologischen Kontroverse viel zitiert: siehe hierzu ebenfalls weiter oben S. 168 f. und Anmerkung dort. Mit dem in der Ekstatischen Reise zwar nirgends zu findenden Wert für den Durchmesser der Sonnenbahn (2x1906rt), wie er sich aber in Kirchers Ars magna lucis (1646, S. 739) findet und von Riccioli (AN, I: 110b) als Kirchers Wert angegeben wird, ergibt sich für einen mit sonnengleichem Bahndurchmesser kreisenden Stern erster Größenklasse (2') eine Entfernung von (3812rt / tan (2/60)°=) 6.552.345 rt; auf diesen Wert kommen wir zurück auf S. 251. Guericke, Experimenta nova (1672) S. 231-241 (lib. 7: De Stellis Fixis, cap. 4: Continens Pat. Kircheri sententiam de Stellis Fixis, cum nostris Annotationibus). Die Arbeiten an seinem einzigen zu Lebzeiten erschienenen Werk hatte Guericke zwar bereits am 14. März 1663 (ebd., S. 244: „Absolutum MAGDEBURGI, die 14. Martii, Anno 1663.“) vorerst abgeschlossen, bis zum Erscheinen desselben blieben Änderungen und Ergänzungen aber nicht aus: Fritz Krafft, Otto von Guericke, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1978, S. 131-135.

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Anmerkungen fasst er den Inhalt auf Kernpunkte zusammen, die er mitunter thesenartig formuliert und bisweilen nummeriert. Zugleich zeigt er Stellen auf, die unvereinbar mit der copernicanischen Weltsicht sind oder an denen sich Kircher zu widersprechen scheint. Mittels dieser kommentierten Passagen wiederholt er die Schlüsselerlebnisse der beiden Kosmonauten auf ihrer Reise zu den Fixsternen. 9 Dabei zitiert er den Dialog in stark geraffter Form, ohne dies eigens kenntlich zu machen. An manchen Stellen überarbeitet er eigenmächtig seine Vorlage 10 und greift sogar an einer Stelle entschieden in den ursprünglichen Text ein: Womöglich um dessen suggestive Kraft ein wenig abzuschwächen, hält es Guericke offensichtlich für geboten, die von Theodidactus verwendete Ich-Form umzuwandeln in die dritte Person eines neutralen Erzählers (den es in Kirchers Werk nicht gibt).11 Ganz so mitreißend für seine Leser sollte es dann vielleicht doch nicht Guericke zitiert aus der ersten Würzburger Ausgabe, die ihm Schott selbst zum Geschenk gemacht hat (Guericke, 1672, S. 231a), die Seiten aus dem Fixsternabschnitt der Ekstatischen Reise (Dial. I, cap. 9): It. 340-364 (Itin. 258-288). Abgesehen von Buch 7, Kapitel 4 seiner Experimenta nova zitiert Guericke darin auch andere Stellen aus Kirchers Ekstatischer Reise. Zu dessen weiterer Auseinandersetzung mit Kirchers Ekstatischer Reise: Eberhard Knobloch, „Otto von Guericke und die Kosmologie im 17. Jahrhundert“, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte, 26 (2003), S. 237-250. 9 Guericke (1672, S. 231-241) zitiert aus folgenden Seiten der Würzburger Iter-Ausgabe von 1660: It. 340-342 (bei Guericke „p. 341“), 343-344 (bei Guericke „p. 143“, Fehldruck), 344345 („p. 145“, Fehldruck), 347-348 („p. 347“), 348, 349, 349-350 („p. 350“), 351, 352, 352353 („p. 302“, Fehldruck), 353-354 („p. 353“), 355, 356-357 („p. 356“), 357, 362-363 („p. 362“), 363; aus manchen der hier angegebenen Iter-Seiten hat Guericke mehrfach zitiert. 10 Jene oben bereits zitierte Passage aus der Ekstatischen Reise ist nicht die einzige aber eine recht eigenwillig veränderte (Guerickes Auslassungen und Veränderungen sind im folgenden Zitat hervorgehoben): It. 348 (Itin. 266): „Theodid. Monstra, rogo, mihi [… ] circa Terram versatiles. Cosmiel. Applica oculum tuum mensorio huic baculo. Theodid. Applicui. Cosmiel. Quid vides? Theodid. Secundae magnitudinis stellam ego video. Cosmiel. Ille Sol vester est, quem & vestri Philosophi totum mundum illuminare opinantur. Vide iam, utrum hoc verum esse possit? Theodid.: Si vera sunt, quae dicis, id impossibile esse arbitror. Sed ubi est Tellus, ubi Luna, ubi reliqua planetica sidera?“Daraus wird bei Guericke (1672, S. 234a) zuzüglich seiner eigenen Ergänzung: „THEOD. Monstra rogo mihi [… ] circa Terram versatiles. COSMEL [sic]. Ecce secundae magnitudinis stellam, ille Sol vester est, quem vestri Philosophi totum mundum illuminare opinantur. THEOD. Sed ubi est Tellus, [… ].“ 11 Es handelt sich dabei um die oben bereits zitierte und bei Guericke selbst noch länger wiedergegebene Stelle (Itin., 270; It., 352), die sich (bis auf Satzzeichen) unverändert in der von Guericke verwendeten Würzburger Ausgabe wiederfindet; hervorgehoben sind im folgenden Zitat die Stellen, durch deren Streichung oder Umwandlung Guericke die Ich-Perspektive in die dritte Person verschieben wird: It. 352: „Theodid. His dictis, e vestigio in intima aetherei firmamenti viscera abreptus, globos innumeros solares una cum Lunis in itineris decursu obvios habui. Hic admiratus sum solaris naturae globum, quem nos oculum Tauri, Arabes Aldebaran vocant, rutilo quodam & rubicundo igne fulgentem, innumerabili stellarum satellitio spectabilem; [… ]“. Beim Zitieren dieser Stelle nimmt Guericke mit seiner umgewandelten Textform weitere Änderungen und Ergänzungen vor, die im Folgenden wiederum durch Hervorhebung kenntlich gemacht sind: Guericke, Experimenta nova (1672) 235b: „N°. VII. S. 352. Jam Theodidactus in intima aetherei Firmamenti viscera abripitur, globos innumeros Solares una cum Lunis eorum in itineris decursu obvios habet: interque eos Oculum Tauri, innumerabili stellarum satellitio spectabilem.“Guericke hat in anderen der von ihm zitierten Pas-

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werden, schließlich gehörte der Jesuit Kircher auf die Seite der Geozentristen. Der distanzierende Unterton ist nicht zu überlesen, ebenso wenig die Ironisierung,12 die er der Kircherschen Darstellung widerfahren lässt. Doch setzt er sich andererseits mit ihr zu detailliert auseinander, um nicht davon überzeugt gewesen zu sein, dass sie diese genaue Betrachtung irgendwie verdient. Es fragt sich bloß, ob Guericke eher ihrer Wirkung und Bekanntheit wegen oder ihres sachlichen Gehaltes der Kircherschen Schilderung diese Aufmerksamkeit schenkt. Guericke kritisiert und würdigt nicht nur die kosmologischen Aussagen seines Altersgenossen, sondern bisweilen versucht er gut gemeint, sie umzudeuten im Sinne dessen, was er selbst – als Copernicaner wohlgemerkt – für realistisch und vernünftig hält. So war ihm ebenso wie schon dem Mira-Autor aufgefallen, dass Kircher die Sonne für deutlich kleiner hält als den Sirius. 13 Doch Guericke geht davon aus, dass Sonne und Fixsterne zur selben Gruppe von Weltkörpern gehörten und darum alle gleich groß seien.14 Kirchers Darstellung, aus der sich für Sonne und Sirius eine verschiedene Größe ergibt, widerspricht damit Guerickes Definition über die drei Weltkörperklassen des Universums. Daher überrascht es wenig, dass ihm zufolge jener Größenunterschied zwischen beiden Sternen „doch bezweifelt werden muss“.15 Kirchers Größenangabe für systembildende Sterne will Guericke ebenso seiner eigenen Vorstellung entsprechend verstanden wissen, d.h. nicht als realen Größenunterschied. Zwar räumt er ein, dass wir nicht wüssten, ob ein Stern erster Magnitude wirklich so groß wie ein anderer derselben Größenklasse sei oder bloß näher und dafür tatsächlich kleiner, während uns ein wirklich größerer aus größerer Entfernung als kleiner erscheinen könne und für uns deshalb nicht zur selben Klasse zähle. Doch offenbar hält Guericke diese Möglichkeit für eine bloß hypothetische und im Ganzen doch für unwahrscheinlich. Denn Kirchers Angabe, dass alle Sterne erster Größenklasse Systeme bildeten, will er kurzum für alle Fixsterne verstanden wissen.16

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sagen die Ich-Perspektive unverändert gelassen; doch ist dort die 1. Person Singular nur eingeschoben in den laufenden Dialog zwischen Theodidactus und Cosmiel, wogegen Theodidactus hier in der ganzen Passage seine Eindrücke in der Ich-Form schildert. Als ein Ironisieren hat Eberhard Knobloch (Vorlesungen und Gespräche an der Technischen Universität Berlin) die Haltung Guerickes gegenüber Kircher beschrieben. Mira, f. 11rv. Guericke (1672) 203-204 (lib. 6, cap. 7: De Corporibus Mundanis), hier 203a: „Solaria Mundana corpora sunt ea quae per se lucent, adeoque dicuntur lucentia corpora, prout sunt Sol & stellae Fixae; e quarum singularum loco, Sol non major neque aliter spectabilis esset, quam illae e loco Solis.“Daher müssten wir von jedem beliebigen Stern im Universum aus unsere Sonne als ebenso groß sehen wie von dieser aus jenen Stern: ebd., S. 225b (lib. 7, cap. 1), welches gleiche Größenverhältnis Guericke nochmals ausdrücklich bezüglich des Sirius (metonymisch „stella Canis maior“genannt) betont: ebd., 229a. Guericke (1672) 234a: „Si Sol noster e Canicula adspiceretur tanquam stella secundae magnitudinis, sequeretur quod Sol multo minor sit Canicula de quo tamen dubitatndum.“Guericke bezieht sich hierbei auf die oben zitierte, entsprechende Stelle aus Itin. 266; It. 348. Guericke (1672) 232b-233a: „Ergo omnes stellae primae magnitudinis (imo non solum hae, sed omnes Fixae, quia nescimus an haec vel illa sit revera primae magnitudinis, potest enim minor nobis esse propinquior & apparere in prima magnitudine, contra major quae est remotior, potest apparere ut stella sextae magnitudinis) singularia constituunt Systemata.“Gleiches

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Eine copernicanische Ordnung bringt Guericke mit seinen Anmerkungen gleichfalls in das Vielerlei der Kircherschen Himmelskörper. Diejenigen stellae, die Kircher als bewegt beschreibt, deutet er als Planeten, und ebenso die Monde (lunae), Körper (corpora) und Kugeln (globi), die um Sterne kreisen. 17 Denn Planeten, Monde und Sonnen seien die drei Weltkörperarten, aus denen ein Weltsystem gebildet werde. Indem Guericke die Ausführungen der Ekstatischen Reise auf diejenigen Definitionen zurückzuführen sucht, die er selbst in seinem Buch gibt und auf die er hierbei mehrfach verweist, will er den Jesuiten keineswegs als einen verhinderten Copernicaner hinstellen. Vielmehr scheint es ihm darum zu gehen, den wahren Kern, den brauchbaren Gehalt aus dieser kosmischen Ekstase zu retten. Verständnis kann er Kircher dabei nur insoweit schenken, als es ihm im Rahmen seiner eigenen kosmologischen Annahmen möglich ist. Einen wahren Kern von Kirchers Darstellung sieht Guericke vor allem in den Weltsystemen („Systemata Mundana“), wie er sie nennt, und die als solche seinem eigenen Verständnis nach aus jenen drei Weltkörperarten gebildet sein müssen – Sonnen, Planeten, Monde –,18 denen er die verschiedenen stellae, astra, globi, corpora und lunae der Ekstatischen Reise zuordnet. Die gleichfalls darin zu findende Eigenbewegung der Sterne hingegen passt nicht in das copernicanische Weltbild. Eine solche Annahme entbehre laut Guericke jeglicher Grundlage. 19 Dennoch ist er um Verständnis bemüht. Die Vorstellung von einer Sonne, die sich um die ruhende Erde drehe, sei offenbar so tief in Kircher verwurzelt, dass er auch für die Fixstern-Sonnen eine Bewegung annehme.20 Kircher schreibe ihnen eine Kreisbahn zu, wie sie Tycho für unsere Sonne fordere. Für die Fixsterne ergäben sich hieraus aber lauter tychonische Systeme. Damit will Guericke die Kirchersche Vorstellung von stellaren Eigenbewegungen ad absurdum führen. Denn um irgendetwas müssten diese Fixstern-Sonnen sich ja drehen, folglich müsse im Zentrum dieser Systeme jeweils eine Erde („singularis aliqua Terra“) stehen.21 Doch sei dies eben genauso falsch (erroneus) wie die tychonische Hypothese im

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vermerkt Guericke (1672, S. 235b: „Atque sic quamlibet Fixam, singulare Systema constituere mundanum“) zu der von ihm stark gekürzten und in der Erzählperspektive geänderten Passage (Itin., 270; It., 352), obwohl die von Kircher hier namentlich genannten Sterne –Aldebaran ( Tauri, Oculus Tauri), Arktur ( Bootis), Capella ( Aurigae) –die jeweils hellsten des Sternbildes (Stier, Rinderhirte, Fuhrmann) sind, also zur ersten Größenklasse gehören. Mit Planeten (planetae, errones, circumerrones) werden Kirchers stellae errantes (Guericke, 1672, S. 234b, 235b), dessen globi (ebd., S. 232b, 235a, 235b, 239b) und lunae (ebd., S. 233a, 233b, 235a) gleichgesetzt, insofern sie eine Bewegung haben oder Phasen aufweisen. Guericke (1672) 232a-233b, 234b. Guericke (1672) 236ab. Guericke (1672) 234b, 236a. Guericke führ diesen Gedankengang am konkreten Beispiel des Sirius sowie allgemein für tychonische Fixsternsysteme aus: Guericke (1672) 234b: „sic quoque de hoc Caniculari Systemate concludit, Solem nempe Canicularem cum appertinentibus Stellis (nimirum errantibus) necessario circa centrum aliquod ferri, quod nihil aliud, quam aliud Terrenum quoddam corpus esset.“; ebd., S. 236b: „Quibus ita positis, sequeretur quod Systemata Stellarum Fixarum sint similia Tychonico Systemati consequenter quodlibet centrum horum Systematum, singularis aliqua Terra.“

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Ganzen. Daher entspreche es eher der Vernunft (convenientius rationi), den Sonnen solcher Systeme gemäß der copernicanischen Hypothese Ruhe zukommen zu lassen, jene terrestrischen Zentren dagegen unter die Planeten einzureihen. 22 Doch ist es nicht reine Vernunft, die Guericke zu dieser Schlussfolgerung führt. Gewissermaßen schließt er hierbei von sich auf Kircher. Denn nicht Kircher denkt sich die Fixsterne durchweg nach dem Vorbild des irdischen Systems, in seinem Fall des tychonischen, sondern der Copernicaner Guericke. Wie selbstverständlich geht dieser davon aus, dass alle Weltsysteme aussähen wie das unsrige, also aus Planeten bestünden womöglich mit Monden und vor allem mit einer einzigen Sonne. Dass die Kircherschen Systeme verschieden sind und sich nicht in sein Schema fügen, ist ihm dabei völlig bewusst: Sind es doch Sterne, die ihre Bahnen um den Sirius ziehen. 23 Für Guericke aber ist es undenkbar, dass Sonnen um Sonnen kreisen. Denn ein Weltsystem könne nicht zwei oder gar mehrere Sonnen gelten lassen.24 Gemäß dieser Grundannahme deutet er die entsprechende Passage aus der Ekstatischen Reise: Da der umkreiste Sirius das Zentrum des Systems bildet, sind die ihn umkreisenden Sterne freilich („nimirum“) Planeten.25 Hätte Guericke hingegen die Darstellung Kirchers gelten lassen, wäre er anschließend nicht gezwungen gewesen, aus der stellaren Eigenbewegung im Kircherschen Kosmos auf die Existenz rein tychonischer Systeme zu schließen mitsamt ebenso vieler Erdzentren, um welche sich jeweils eine Sonne drehen müsse. Denn Kircher lässt Sterne eben auch um andere Sterne kreisen. 26 So ergibt sich der Widerspruch, den Guericke hierin sieht, allein aus dessen eigener copernicanischen Definition, derzufolge keine Sonne als Zentrum ihres Systems irgendeine Ortsbewegung vollführen könne.27 Nichtsdestotrotz weist Guericke völlig richtig auf einen fraglichen Punkt hin, der im Kircherschen Kosmos zu Spekulationen einlädt. Auch wenn Sterne um andere Sterne kreisen, müssen sich wieder andere letztlich um einen leeren Mittelpunkt herum bewegen. Eine solche Kreisbewegung, in deren Zentrum kein anderer Körper sitzt, ist schwer vorstellbar. Diese Leer-Stellen, die sich in Kirchers Sternenordnung damit nicht vermeiden lassen, verlangen nach einer Art der Füllung, wie sie teleologisch bereits begründet worden ist, 28 sich zudem aber in der tychonischen Denkungsart geradezu aufdrängen muss. Ein erdähnlicher Körper, wie ihn Guericke zu Unrecht bei jedem Sonnenstern annimmt, dürfte für 22 Guericke (1672) 236b. 23 Guericke (1672) 234a-235a, Guericke zitiert Itin., 267-268; It., 349. 24 Guericke (1672) 235b-236a: „[… ]: Atque sic quamlibet Fixam, singulare Systema constituere mundanum; Unus [S. 236a:] enim Mundus, duos vel plures Soles ag[n]oscere nequit.“ 25 Guericke (1672) 234b. 26 Itin., 268, 349; It., 349-350, 410-411. 27 Guericke (1672) 234b-235a, hier 234b: „[… ] nullus Sol, tanquam centrum sui Systematis, motum aliquem lationis perficere possit [… ]“, wofür er auf seine in Buch 6, Kapitel 3 gegebene Definition verweist: ebd., S. 200 (De Mundi Latione), hier 200b. Hierdurch wird nochmals deutlich, dass Guericke für Weltsysteme im Fixsternraum die gleichen Eigenschaften voraussetzt wie für unser copernicanisches Heimatsystem. 28 Itin., 348 (Dial. II, cap. 5); It., 409-410; siehe oben S. 209.

4.3. Ein neues Bild von den Sternen

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alle übrigen mit einer Leer-Stelle zwar nicht zwangsläufig zu fordern sein, aber für einen Teil derselben kraft stellarer Vielfalt und angesichts von Kirchers Kombinationsfreude nicht auszuschließen sein. Diese Leer-Stellen im Kircherschen Kosmos mag der Leser also nach belieben füllen, der Autor lässt uns hier allein. Wir aber können an diesem Beispiel sehen, dass Kircher wohl guten Grund gehabt haben mag, gleich zu Beginn der Ekstatischen Reise aus seinem Kosmos förmlich und kategorisch außerirdisches Leben zu verbannen. Für Kircher sind alle Weltkörper in Bewegung und beschreiben ihre Kreisbahnen. Dabei können sich Sonnen um Sonnen drehen oder auch um lichtlose Himmelskörper; diese können als Trabanten, Monde, Satelliten wiederum andere Sterne umkreisen oder als Planeten ihrerseits Sonnen. Eine Vielfalt, die aus copernicanischer Sicht wohl nur als willkürlich erscheinen kann. Dass angesichts dessen es Guericke überhaupt für Wert erachtet, die Kirchersche Darstellung zu besprechen, ist erstaunlich, wenn nicht gar bewundernswert. Denn einfach hat er es nicht, den Ausführungen Kirchers einen akzeptablen Sinn zu geben und all das in eine Ordnung zu bringen, was er für ein kosmisches Durcheinander halten musste. Guerickes Kritik am Kircherschen Kosmos ist allerdings aufschlussreich. Zeigt sich an ihr doch, welche Grenzen das copernicanische Weltbild dem Blick in die Sterne setzt. Diese Grenzen indes gelten für den Jesuiten Kircher ohnehin nicht, doch tauscht er sie ebenso wenig gegen jene des tychonischen Weltbildes ein. Keiner der beiden Hypothesen folgend siedelt er im Fixsternraum Systeme an, die in Bewegung und Ordnung allenfalls Mischformen ähneln und dadurch den Anschein von Beliebigkeit erwecken müssen. Guericke dagegen überträgt die copernicanische Ordnung des hiesigen Systems auf diejenigen des Fixsternraums. In seiner Auseinandersetzung mit Kircher offenbaren sich dabei die nicht verhandelbaren Positionen dieser auf die Sterne erweiterten copernicanischen Weltsicht. Aus dieser betrachtet können die Sterne als Sonnen nicht bewegt sein, sondern müssen wie die unsrige ruhen und dies im Zentrum eines aus Planeten und Monden bestehenden Systems. Dass die Fixsterne wirklich fest standen, galt als Gewissheit unter Copernicanern und blieb von ihrer Seite bis 1718 unbestritten.29 Rühmte Galilei das heliozentrische Weltbild doch gerade dafür, dass es die Sterne von ihrer Bewegung befreite und auch jenen Sonnen eine ewige Ruhe zukommen ließ.30 Ebenso hielt Newton trotz der von ihm selbst geforderten allgemein wirkenden Gravitationskraft daran fest, dass die Fixsterne ohne alle Bewegung seien („quiescunt“).31 Noch mehr verankert hingegen waren zwei andere Überzeugun29 Den ersten Hinweis auf eine Eigenbewegung der Fixsterne lieferte 1718 Edmond Halley, „Considerations on the Change of the Latitudes of some of the principal fixt Stars“, Philosophical transactions, 30 (1717-1719), S. 736-738. 30 Galilei, Dialogo [1632], OGG, VII: 354: „Vedete poi quanto acconciamente vien levato dall’universo il precipitosissimo moto delle 24 ore, e come le stelle fisse, che sono tanti Soli, conforme al nostro Sole godono una perpetua quiete.“ 31 Newton, Philosophiae naturalis principia mathematica, London: Royal Society, 1687, S. 420 (lib. 3, Propositio 14, Corollarium 1). Über Newtons beharrliches Festhalten an dieser Vorstellung siehe: M.A. Hoskin (1982) 71-95.

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gen – die Größe der Sterne und die Art der Systeme betreffend –, die Guericke gleichfalls im Kircherschen Kosmos durchzusetzen versucht. Die scheinbare Größe eines Sternes diente stets als Gradmesser für seine relative Entfernung zur Erde, unterschiedlich große Gestirne mussten folglich verschieden weit entfernt sein, ein realer Größenunterschied wurde praktisch ausgeschlossen. Alle Sterne galten als Sonnen, somit schien es nur konsequent, eine einheitliche Größe für alle anzunehmen. Da jede für sich allenfalls ein System bilden mochte, konnten unmöglich mehrere Sterne zu einem solchen gehören und wirklich nebeneinander stehen. Systeme aus mehreren Sternen gebildet konnte es demnach nicht geben. Die beiden Grundannahmen über die Ordnung der Sterne – monostellare Systeme und gleichgroße Sonnensterne –waren aus der Analogie zum copernicanischen Sonnensystem gewonnen. Der Siegeszug des Copernicanismus verfestigte diese Vorstellung, so dass sie bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht ernsthaft in Zweifel gezogen wurde. Heftige Kritik und auch Beleidigungen sah sich Christian Mayer ausgesetzt, als er ebendieses von ihm kritisierte AnalogieDenken überwand und den Sternen Bewegung sowie eigene Systeme zugestand.32 Die Umdeutung optischer Doppelsterne zu physischen machte Herschels eigenes Parallaxenprojekt zwar zunichte, ließ ihn in der Folge aber zum Pionier der Doppelsterne werden (sowie seinen Mannheimer Vorläufer und ersten Stellarastronomen des 18. Jahrhunderts, Christian Mayer, in Vergessenheit geraten). Herschel ist der tragische Held jenes Analogie-Denkens, dem er auch sein Großprojekt verdankt: Mit Hilfe eines eigens erstellten Katalogs von Doppelsternen glaubte er sich in der Lage, eine veränderte Entfernung innerhalb der Sternpaare festzustellen und so indirekt den Jahreslauf der Erde zu beweisen. 33 Grundlage für Herschels Versuch bildete die bereits von Galilei nicht nur propagierte,34 sondern, wie oben gesehen, auch selbst in seinen eigenen Beobachtungen angewandte relative Methode zur Bestimmung der Fixsternparallaxe. Wie schon Galilei ging auch Herschel wie selbstverständlich davon aus, dass es sich bei den Doppelsternen um rein zufällige Paarungen handele, bei denen der scheinbar größere Stern näher und der scheinbar kleinere weiter entfernt sei. 35 Möglich geworden und zugleich zum 32 Mayer, De novis in sidereo coelo phaenominis (²1780) 379: „Pridem doctrinam de stellarum fixarum satellitibus ceu vale vero similem ex analogia nostri solaris sistematis attulere viri summi Cassinius, Maupertius, Eulerus, Lambert, ego eam ex phaenomenis coeli novis primus orbi literato propono, penitius examinandam.“; zu Mayer siehe oben S. 183. 33 M.A. Hoskin (1963); A.W. Hirshfeld (2001) 170-191. 34 Herschel (1782a) 88: „GALILEO, I believe, was the first who suggested this method; but in the manner he mentions it in his third dialogue of the Systema Cosmicum [sc. Dialogo], it would be exposed to all the difficulties we have enumerated, and would wish to avoid; for he does not observe, that the two stars should be so near each other as thereby to preclude the influence of every cause of error.“ 35 Herschel (1782a) 87-88, 104-111. Unter den General Postulata für seine relative Parallaxenmessung („theory“) führt Herschel zwei Annahmen (die seiner Meinung nach aber sehr wahrscheinlich und kaum bestreitbar seien), die lediglich die Sterngröße betreffen: Zu fordern sei, dass die Sterne in Wirklichkeit alle in etwa gleich groß seien wie unsere Sonne und ihrer scheinbaren Größe entsprechend weit von uns entfernt: ebd., 104-105. Dass eine unbewiesene Annahme gleichfalls seiner Auffassung von durchweg optischen Doppelsternen zugrunde

4.3. Ein neues Bild von den Sternen

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Scheitern verurteilt war Herschels Projekt, weil sozusagen a priori ausgeschlossen wurde, dass es Systeme geben könne, die aus mehr als einer Sonne bestünden. Dabei stützte diese Vorstellung zudem noch der Glaube an eine einheitliche Größe der Sterne, so dass jene Mehrfachsysteme bestehend aus Sternen von oft unterschiedlicher Magnitude für rein optische Phänomene gehalten wurden. Beiden Annahmen widerspricht John Michell im Jahre 1767.36 In Anbetracht dessen darf man sich fragen, wie hundert Jahre zuvor der Jesuit Kircher dazu kommen konnte, sich über ebendiese Grundannahmen hinwegzusetzen, welche ja nicht nur von Copernicanern geteilt wurden, wie an den anonymen Streitschriften und Schotts Kritik zu sehen ist. Es soll hier allerdings nicht darum gehen, den Jesuiten Kircher zu einem Vorläufer späterer Erkenntnisse zu stilisieren. Wir wollen ihm lediglich zubilligen, dass angesichts der Bedeutung jener drei Grundannahmen über die Sternenwelt seine Darstellung derselben nicht ganz so beliebig sein mag, wie es den Anschein hat. Im Folgenden gilt es daher, nach den Voraussetzungen und möglichen Gründen für Kirchers so unzeitgemäße Vorstellungen zu suchen. 4.3.3. Quellen für Kirchers unzeitgemäße Sternenwelt 4.3.3.1. Kirchers kosmische Perikyklosis Warum aber sollte man nicht einfach annehmen, dass sich Kircher das Kreisen der Sterne nur gemäß seiner kosmischen Gesamtvision ausgedacht haben könnte, um deren Ordnungsprinzipien auf allen Ebenen auffindbar zu machen?

liegt, kommt ihm offenbar gar nicht in den Sinn. Denn auch bei seiner Klassifizierung der Doppelsternarten zieht er als Möglichkeit nicht in Betracht, dass es auch echte Paare als physische Doppelsterne geben könne: ebd., 97-104. 36 Michell (1767, S. 249) spricht dementsprechend auch wörtlich von Systemen, als welche die Doppelsterne aufzufassen seien: „We may from hence, therefore, with the highest probability conclude (the odds against the contrary opinion being many million millions to one) that the stars are really collected together in clusters in some places, where they form a kind of systems, whilst in others there are either few or none of them, to whatever cause this may be owing, whether to their mutual gravitation, or to some other law or appointment of the Creator. And the natural conclusion from hence is, that it is highly probable in particular, and next to a certainty in general, that such double stars, &c. as appear to consist of two or more stars placed very near together, do really consist of stars placed near together, and under the influence of some general law [… ].“. Zu Michells Widerlegung optischer Doppelsterne und Herschels Parallaxen-Projekt siehe weiter oben S. 182 f. Mit seinen hierfür unternommenen Beobachtungen liefert schließlich Herschel selbst den empirischen Beweis für die Existenz physischer Doppelsterne, in denen die Sterne Umlaufbahnen beschreiben, sowie für den realen Größenunterschied der Sterne: Herschel, „Account of the Changes that have happened during the last Twenty-five Years, in the relative Situation of Double-stars; with an Investigation of the Cause to which they are owing“, Philosophical transactions, 93/2 (1803), S. 339382, und 94/2 (1804), S. 353-384.

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4. Die Fixsternparallaxe

Das in Kirchers Werken sich manifestierende Anliegen, enzyklopädisch kombinatorisch die gesamte Welt umfassend zu erklären,1 hatte bezüglich der Erde, die Kircher selbst als eigenen Kosmos begreift, zu ersten Ergebnissen geführt, noch bevor er sich daran machte, die Ekstatische Reise zu schreiben. Viel lieber, als diese aufzunehmen, hätte er seinerzeit die Arbeit an dem bereits begonnenen Mundus subterraneus fortgesetzt 2 – sein erst 1665 in zwei Bänden erschienenes geologisches Hauptwerk über die unterirdische Welt, das als erste Enzyklopädie in der Geologie gelten kann. 3 In dem feurigen Inneren des Erdballs siedelt Kircher diejenigen Vorgänge an, die er als ursächlich für das geographische Aussehen annimmt, die topologische Beschaffenheit und stofflich materielle Eigenschaft der Erde. Mit dem Vorhaben zu diesem Werk trug er sich seit seiner Reise nach Malta (1637-1638). Ihr verdankt er sein Schlüsselerlebnis: Das am eigenen Leib erfahrene Wirken des Vulkanismus, 4 welches ihn fortan unter der Erde die Ursächlichkeit aller im weitesten Sinne geologischen Phänomene suchen lässt, angetrieben vom großen Feuer im Erdzentrum („ignis centralis“).5 1 2

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E. Knobloch (1978) 119-132; W. Schmidt-Biggemann (1983) 179-186; Th. Leinkauf (1993). In dem Vorwort zu seiner Ausgabe der Ekstatischen Reise (It., 1-10, ‘Praefatio scholiastae’) berichtet Schott davon, dass Kircher selbige zunächst nicht schreiben wollte, um seine begonnene Arbeit am Mundus subterraneus nicht zu stören (ebd., 4), welche er dann aber schließlich doch auf Drängen Schotts und jenes namentlich nicht genannten Vir doctissimus, & earundem rerum studiosissimus aufschiebt, um das neue Werkt zu beginnen. (ebd. 5). Zur geologie- und ideengeschichtlichen Einordnung des 1665 erstmals erschienenen Werkes, das hier nach der dritten, 1678 in Amsterdam gedruckten Ausgabe zitiert wird, siehe: F.D. Adams ([1938] 1990) 433-439; H. Capel (1980) 14-34; F. Ellenberger (1988-1994) I: 152, 259, 265, 275, 307, II: 71-76, hier 71: „la première encyclopédie géologique“; M. Okrusch / K.-P. Kelber (2002); K.-P. Kelber / M. Okrusch, „Athanasius Kircher retrospektiv: Pendelschläge geowissenschaftlicher Erkenntnis“, in: H. Beinlich u.a. (2002b), 137-162. Die entscheidenden Erlebnisse seiner Maltareise schildert Kircher einleitend im Mundus subterraneus (³1678) unpaginierte Seiten ff. 6v-11r (‘Praefatio’, Cap. I: De occasione hujus Operis, & Authoris Itineribus). Allerdings erwähnt Kircher, dass ihn bereits vor seiner Malta-Reise die Frage nach dem inneren Bau des Geokosmos und dessen Ökonomie umgetrieben habe (ebd., f. 6v). Für Kirchers geologisches Interesse schon vor 1637 dürfte der vorangegangene Vesuvausbruch vom 16. Dezember 1631 nicht ohne Einfluss gewesen sein –der größte Ausbruch seit jenem von Plinius d.J. beschriebenen des Jahres 79 n. Chr. –, woraufhin eine enorme Publikationstätigkeit einsetzte. Es erschienen über 200 Druckwerke; die moderne Erforschung des Vesuvs nahm hier ihren Ausgang: Claudia Principe, „The 1631 eruption of Vesuvius: Volcanological concepts in Italy at the beginning of the XVIIth century“, in: Volcanoes and History, hg. von Nicoletta Morello, Genua: Brigati, 1998; S. 525-542. Auf seiner Rückreise von Malta erlebt Kircher im März 1638 den Ausbruch des Ätna sowie den hochaktiven Stromboli. Durch das heftige Seebeben gerät er zu See in Lebensgefahr und zu Land durch das große kalabrische Erdbeben. Er sieht die zerstörten Küstenstädte und sucht die gerade ins Meer versunkene Stadt Sant'Eufemia. Kircher begibt sich nach Neapel, besteigt noch bei Nacht den Vesuv und lässt sich am folgenden Tag den Krater hinab. Sein Erlebnisbericht ist ins Deutsche übersetzt von Karl Brischar („P. Athanasius Kircher. Ein Lebensbild“, Katholische Studien, 3/5 (Würzburg, 1877), S. 249-340) und ins Spanische von Eduardo Sierra Valentí, „El geocosmos de Kircher. Una cosmovision cientifica del siglo XVII“, Geo Critica. Cuadernos Críticos de Geografía Humana, 33-34 (1981), S. 1-81, hier 21-29. Kircher, Mundus subterraneus (³1678) 186-187. Im Unterschied dazu bildet in Descartes’ Schalenmodell das Zentralfeuer einen im Kern der Erde übrig gebliebenen Rest ihres ur-

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Lange bevor sein geologisches Hauptwerk 1665 in Amsterdam erschien, hatte Kirchers Denken über die Erde in wesentlichen Punkten seine endgültige Form gefunden. Eine fundamentale Vorstellung über den Aufbau des Erdkörpers – die unterirdischen Wasserkammern (hydrophylacia), die neben den Feuer- (pyro-) und Luftkammern (aërophylacia) über Adern verbunden den ganzen Erdball durchziehen – vertritt er implizit bereits in den 1655 gedruckten Bänden des Oedipus aegyptiacus. Dort setzt er zum völligen Unverständnis nicht nur seiner Zensoren sondern wohl auch so manch seiner Leser die Kenntnis dieses Zusammenhangs voraus, indem er behauptet, dass alle größeren Flüsse Europas ihren Ursprung in den Schweizer Alpen hätten, was er selbst ausgiebig in seinem Mundus subterraneus beweisen werde.6 Dreizehn Jahre später sollte erst zu erfahren sein, dass Kircher unter dem mächtigen Gebirgsmassiv der Schweiz das Hauptreservoir an Wasser für die europäischen Flüsse ausgemacht haben will. 7 Kirchers Theorie über den Ursprung der Flüsse findet sich gleichfalls in der Ekstatischen Reise wieder. Am Beginn derselben, als die Reisenden nochmals auf die Erde zurückblicken, werden unterirdische Wasserkanäle von Cosmiel erwähnt.8 Kurz darauf auf einem hohen Gipfel des Mondes stehend kann Theodidactus selbst sehen, wie dessen Flüsse aus Bergen hervorbrechen und sich in langen Windungen in die lunaren Meere ergießen, zugleich bemerkt er, dass die Gebirge in geordneten Ketten über den Mond verlaufen („hic montium concatenati ordines“) 9 –diese den Himmelskörper zusammenhaltenden Gebirgsketten sind ein weiteres Element (ossatura) des Kircherschen Geokosmos.10 Die später so eindrucksvoll bebilderten und ausgiebig beschriebenen Feuerkammern und -gänge 11 finden sich ebenso schon in der Ekstatischen Reise wie die aus Bergen gebildeten globalen Gerippe („ossaturam seu sceletum huius globi“), beides allerdings auf der Sonne. 12 Lautet doch eine von Kirchers Thesen, dass alles in dieser Welt aus den vier Elementen zusammengesetzt sei,13 und kraft der Analogie („analogiae leges“) zieht Kircher für die Sonne und andere Weltkörper dieselben Erklärungsmuster heran, wie er sie

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sprünglichen Sonnenzustandes, der für sich abgeschlossen nicht in Austausch zu den höheren Erdschichten steht: Principia [1644], A&T, VIII: 204-205 (Pars 4, §§3-5). Kircher, Oedipus aegyptiacus (1652-1654) I: 55-56. Das verständliche Unverständnis seiner Zensoren in diesem Punkte geht aus der erhaltenen Zensurakte hervor: ARSI, FG 668, ff. 398r-399r, hier f. 398v; H. Siebert (2004) 91. Mundus subterraneus (³1678) 70a-71b (lib. 2, cap. 10, §1: De Reconditoriis seu Hydrophylaciis in Europa constitutis). Itin., 47; It. 87. Itin., 49; It. 91. Kircher, Mundus subterraneus(³1678)I:67-69(lib. 2, cap. 8 u. 9): Kircher stellt sich einen ununterbrochenen auch am Meeresboden durchgehenden Verlauf der großen Gebirge in NordSüd- und Ost-West-Richtung vor. Diese Erdball-umspannende überkreuzte Verkettung (catenae), die natürlich nicht vollkommen kreisförmig verlaufe (ebd., I: 69b), erfüllt die Funktion, den Erdball zusammenzuhalten, sie sind dessen Gerüst oder Gerippe (ossatura). Kircher, Mundus subterraneus (³1678) 186-187(Zentralfeuer), 194-195(Pyrophylakien), 254, 255(Hydrophylakien). Itin., 131-132; It., 200-201. Itin., 9; It., 40.

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4. Die Fixsternparallaxe

für die Erde bereits entworfen hat („idem in terreno globo, suo modo, & in singulis alijs mundanis globis“). 14 Nur Aussehen, Eigenschaften und Kräfte sind überall verschieden, und müssen dies auch sein, da sonst die einzelnen Weltkörper kein eigenes Zentrum bilden könnten (Kohäsionstheorie). Kircher lässt Cosmiel daher auf dem Mond knallbunte Felsen mit verschiedenfarbigen Streifen bestaunen sowie seltsam geformte Steine, die von öliger Flüssigkeit triefend ganze Felder bedecken, und wieder andere Stellen, die anstelle von Gras mit metallisch farbigen Verästelungen übersäht sind. 15 Somit ist Kirchers Geologie, wie sie Jahre später im Mundus subterraneus dargelegt wird, durchweg präsent in der von Kircher geträumten Weltraumreise. Für die darin beschriebenen Himmelskörper gelten dieselben Prinzipien wie für den Geokosmos. So ist im Kosmos der Ekstatischen Reise auch die Vorstellung von zyklischen Prozessen anzutreffen, die Kircher in ihrer Summe als Perikyklosis bezeichnet. Ein solcher Kreislauf umfasst die Wasser der Flüsse und Meere und lässt sie über die Oberfläche der Erde und durch sie hindurch sogar von Pol zu Pol zirkulieren. 16 Dabei ist der durch das Zentralfeuer angetriebene Wasserkreislauf (circulatio) nur ein Ausdruck der allgegenwärtigen Perikyklosis, in welcher Bedeutung dieser Begriff wörtlich auch in der Ekstatischen Reise fällt.17 Die übrigen Elemente, Feuer, Luft und Erde, die untereinander über Kammern und Kanäle wechselwirken, sind ihr ebenso unterworfen und halten dadurch einen fundamentalen Kreislauf am Leben: die Bewegung der Materie, d.h. ihre sukzessive Umwandlung in verschiedene Stoffe. Dieser von Kircher als Hylokinesis (Materie-Bewegung) bezeichnete Kreislauf, der wiederum Ausdruck der allumfassenden Perikyklosis ist, wiederholt die Schöpfung im Kleinen. 18 Laut Kircher habe Gott außer dem Menschen nur noch Materie geschaffen. 19 Alle Dinge der Welt seien aus ihr entstanden kraft einer ihr eigenen Mischung von allerlei Samen. 20 Diese Eigenschaft, die Kircher Panspermia nennt, wird nur in einem 14 Itin., 136; It., 204. 15 Itin., 50; It. 91-92. 16 Kircher, Mundus subterraneus (³1678)I: 132-178(Liber tertius Hydrographicus, sive de Oceani Natura, Origine, Motibusque tum externis tum internis; item de perpetua ejusdem Pericyclosi, caeterisque miris in Natura rerum Effectibus.), hier 133, 169-172. 17 Cosmiel erklärt den Bau der Sonne und berichtet von der perizyklischen Bewegung der solaren Feuermeere (Itin., 132, 135; It., 201, 203), die für ihre Erneuerung und die Stoffbildung entscheidend ist, in welchem Zusammenhang er auch die Panspermia (s. hierzu im Folgenden) thematisiert (Itin., 132-135; It., 201-203). 18 Kircher, Mundus subterraneus (³1678) I: 347-365 (Liber septimus, de Mineralium seu Fossilium, quae proprie Terreum Elementum sapiunt, Natura, proprieate, & Usu ; & de perenni Geocosmi quae per eorum motum fit pericyclosi & revolutione.), über die Hylokinesis hier 351-365 (Sectio 2: De Hylocinesi Globi Terrestris, id est, De magna & perpetua Terrestris Materiae separatione, Arenae, Sabuli, Glareae motu facta, seu de Argillae, Lapidum, metallicarumque Misturarum resolutione). Diese Form der Perikyklosis wird auch in der Ekstatischen Reise erwähnt und mit Prozessen auf allen anderen Himmelskörpern verglichen: „perpetua quadam elementorum pericyclosi“: Itin., 318; It., 387. 19 Kircher, Mundus subterraneus (³1678) II: 347b: „Divinus enim Architectus praeter hanc materiam, & animam humanam, nil de novo creasse, ex ipso Sacrae paginae textu patet, [… ].“ 20 Kircher, Mundus subterraneus (³1678) II: 347b.

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chaotischen Grundzustand der Materie wirksam, wie er in höchster Potenz am Anfang der Welt gegeben war. In einen ähnlichen Zustand werden die aus ihr entstandenen Stoffe wieder durch die auf der Erde herrschenden Zersetzungs- und Verwesungsprozesse rückgeführt, deren stärkste Form die Verbrennung ist. Aus dieser materia chaotica entsteht kraft der Panspermia wieder Neues in der Welt. Diesen Vorgang denkt sich Kircher um Vieles komplizierter als hier skizziert –so verfügen die Spermata, die einzelnen Samen, ihrerseits über eine sich anziehende und eine formende Kraft, auch läuft diese Entstehung über Zwischenstufen, in denen Salz von größter Bedeutung ist. 21 Letztlich vollzieht sich die stoffliche Umwandlung der Materie zyklisch über die Zustände materia chaotica, panspermia, generatio, corruptio, in welcher „revolutio rerum“die allumfassende Perikyklosis wiederum ihren Ausdruck findet.22 Dass Kirchers geokosmische Vorstellungen und insbesondere die Perikyklosis nicht wegzudenken sind aus der Ekstatischen Reise und ihn noch intensiver beschäftigt haben dürften, als es in dieser deutlich wird, zeigt sich an deren Fortsetzung: Nur ein Jahr nach Erscheinen der geträumten Weltraumfahrt veröffentlicht Kircher die Zweite Ekstatische Reise, welche als Vorläufer des Mundus subterraneus (Prodromus) die geologischen Ideen Kirchers literarisch veranschaulicht und zugleich Werbung macht für das darin angekündigte Hauptwerk.23 Auf dieser Zweiten Ekstatischen Reise erkundet Theodidactus wiederum geführt von Cosmiel die unterirdische und unterseeische Welt (Dialog II und III). Zu Beginn der Reise, und bevor ihm Cosmiel erst in einem zweiten Traum erscheint, taucht eine neue Figur auf, Hydriel, das Element Wasser, das die Gestalt eines kleinen Jungen angenommen hat, um sich dem träumenden Theodidactus zu 21 Kircher, Mundus subterraneus (³1678) I: 108b-109a (Panspermia), 109b-110b (Salz), II: 347373 (Panspermia). Zum Konzept der Panspermia siehe T. Leinkauf (1993) 92-110. 22 Kircher, Mundus subterraneus (³1678) I: 350a-351b. 23 Kircher, Iter extaticum II, qui et Mundi Subterranei prodromus dicitur, Rom: Mascardus, 1657. Diese Werbung für das geologische Hauptwerk Kirchers erfolgt bereits im bloßen Titel der Zweiten Ekstatischen Reise (Mundi Subterranei prodromus), die Schott unverändert in seiner Würzburger Ausgabe im Anschluss an die erste Ekstatische Reise ohne eigenes Imprimatur herausbringt. Am Ende der Schrift findet sich überdies eine ausführliche Inhaltsübersicht (Synopsis) über den Mundus subterraneus, der zu dieser Zeit noch in zehn Büchern geplant war und schließlich in zwölf Büchern erscheinen sollte: Iter extaticum II (1657) 228237. Kircher hatte die Arbeit an seinem geologischen Hauptwerk frühestens im März 1662 für den ersten Band und im Juni 1663 für den zweiten abgeschlossen, was aus den Zensurberichten hervorgeht: ARSI, FG 663, f. 319r, 326r; Liste der Zensurakten in H. Siebert (2004) 100-102. Kircher dürfte Erfolg gehabt haben mit seiner Eigenwerbung durch die Zweite Ekstatische Reise, die frühestens im August 1657 erschienen ist: siehe das Imprimatur vom 2. August 1657, Iter extaticum II (1657) unapginiertes f. 12r. In einem Brief vom März 1658 an Robert Boyle verspricht Henry Oldenburg, ihm von seiner Italienreise Neuigkeiten mitzubringen von jenem offensichtlich in England schon erwarteten Werk Kirchers: „But no appearance, I think, to make afterwards an excursion into Italy, and thence to bring you news of ye Industrious Kirchers Subterraneous World, [… ]“: Oldenburg an Boyle, 19 März 1657/58, in: The Correspondence of Henry Oldenburg [1641-1681], hg. und übers. von A. Rupert Hall und Marie Boas Hall, 13 Bde, Madison und Milwaukee: The University of Wisconsin, 19651986, Bd I, S. 155 (n°73).

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zeigen (Dialog I).24 Im Laufe seiner Ausführungen entpuppt sich Hydriel allerdings als Mitwirkender an einem unentwegt alles durchströmenden, alles erneuernden und belebenden geokosmischen Kreislauf. Am Ende erweist sich der Wasserkreislauf (circulatio) lediglich als Teilaspekt einer ewigen Perikyklosis („perenni quadam pericyclosi“). 25 Sehr wichtig offenbar war Kircher dieser erste Dialog in der unterirdischen Fortsetzung der Ekstatischen Reise, dessen Inhalt in den beiden weiteren Dialogen bestätigend durch die neuen Reise-Erlebnisse von Cosmiel und Theodidactus wiederholt wird. Denn aus ebendiesem Grunde, dass angesichts des Nachfolgenden dieser erste Traum mit der personifizierten Perikyklosis ja überflüssig sei, verlangten die Zensoren der Schrift, den ersten Dialog zu streichen und Hydriel ganz wegzulassen. Doch Kircher, wie wir an dem gedruckten Werk selbst sehen können, widersetzte sich mit Erfolg dieser Auflage der innerjesuitischen Zensur.26 Die Vorstellung einer allgemeinen Kreislaufbewegung, die den natürlichen Vorgängen zugrunde liegt, bleibt aber nicht auf den Geokosmos beschränkt. In der im Jahr zuvor erschienenen ekstatischen Weltraumreise fordert das Analogieprinzip, dass die Abläufe und Verhältnisse auf der Erde denjenigen im menschlichen Mikrokosmos genauso gleichen wie auf jedem einzelnen Weltkörper.27 Vorgedacht hatte diese Einheit zwischen den verschiedenen Ordnungen der Welt, zwischen Mikro- und Makrokosmos, der englische Arzt und Philosoph Robert Fludd (1574-1637). Ihm sollte Kircher mit seinem Vergleich zwischen irdischem Wasserkreislauf und menschlichem Blutkreislauf folgen, wofür er auf William Harvey (1578-1657) verweist, den modernen Entdecker desselben. 28 Wie schon 24 Kircher, Iter extaticum II (1657) 4: „Puer. Ego vocor Hydriel & magni illius elementi quam Aquam vocant personam gero, & tametsi corpus sim omnis vitae expers, omnibus tamen vitam largior, anima carens, omnia animo; immo coditoris mei iussu modo me tibi sub vivi puelli quam intueris forma sisto, ut quaesitis tuis circa divinae Sapientiae opera, quae mox tibi aperiam, quovis modo satisfiat.“ 25 Kircher, Iter extaticum II (1657) 35. 26 Als dritte von insgesamt vier Auflagen verlangten die Revisores generales Celidonio Arbizio, François Duneau und François Le Roy in ihrem Bericht vom 04.05.1657: „3.° Ex primo et secundo Dialogo conficiatur unus inter Theodidactum et Cosmielem; etenim uterque dialogus versatur circa eandem materiam, et frustra videtur introduci Hydriel cum ad eadem dubia de aqua satisfaciat postea Cosmiel.“: ARSI, FG 661, f. 32r; H. Siebert (2004) 92-93, 100-102. 27 „Est enim ars analogica mirum quoddam compendium, quo veluti ad Ariadnae filum ductus Philosophus, sine periculo in abdita naturae penetralia [S. 137:] admittitur; per hanc tandem discit, ut qualis in terreno globo, qualis in microcosmo homine Mundi filio, qualis in politico, meteorologico, medico, ethico rerum constitutio, talis in omnibus & singulis Mundanorum globorum systematis suo modo & conditione considerata reperiatur.“: Itin., 136-137; It., 204 28 Kircher, Iter extaticum II (1657) 7-8 (Hervorhebung nachträglich): „Hydr[iel]. [… ] Scire vero debes, me non unum tantum huiusmodi habere canalem, quo me ex Oceano, & maribus in intima terrae viscera insinuo, sed innumeros prorsus in universi Oceani tellurem ambientis fundo, quibus non secus, ac sanguis in humano corpore venarum ductibus universo Microcosmo, & singulis membris communcatur in vitae fomentum, ita & ego per unversas semitas meos [S. 8:] tendo aquaeductus usque ad ipsum pene terrae centrum, ne ulli desim loco, ubi mea praesentia, & beneficia tantopere necessaria sunt.“ Kircher, Mundus subterraneus (1665) I: 240b und hier (³1678) I: 261b-262a (lib. 5, sec. 1, cap. 3) (Hervorhebung nachträglich): „San-

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Fludd so sieht auch Kircher diese Einheit in der Kreisbewegung der Sterne (astrorum vertigo) bestätigt, die er zusammen mit dem Kreislauf des Wassers („pericyclosis“) zu den zyklischen Vorgängen in der Natur zählt („cyclicas Naturae operationes“). 29 Doch von der Fortsetzung dieser Bewegung bis in die Sterne ist eben erst im Mundus subterraneus zu lesen. Eher beiläufig aber in einem früher erschienenen Werk, seiner Diatribe de prodigiosis crucibus (1661), setzt Kircher die Perikyklosis ( ) mit der Bewegung der Welt und Himmelskörper (cyclica circumvolutio) gleich. 30 Aus diesen Textstellen geht aber nicht hervor, welche Bewegung der Sterne genau gemeint sei. Dürfen wir angesichts dessen in dem Kreisen, das Kircher den Sternen in der Ekstatischen Reise zusätzlich zum primus motus zuschreibt, einen weiteren Auswuchs jener den Kosmos auf all seinen Ebenen durchwirkenden Perikyklosis sehen? – Es scheint fast so und lässt sich zumindest nicht ausschließen, da der Gedanke einfach zu nahe liegend ist. Mittels ebendieser zyklischen Zusatzbewegung, in der die Sterne sich gleichsam auf Epizyklen um die Erde drehen, würden sie dann, wie von Kircher beschrieben, 31 in den von ihnen umkreisten Himmelskörpern die Kräfte und Eigenschaften lebendig erhalten, die zum Weltganzen beitragen und dessen Harmonie bewahren. Eine so begründete Perikyklosis kann allerdings nicht erklären, warum Kircher Sterne auch um andere Sterne kreisen lässt oder nur für sich um gar keinen anderen Himmelskörper. guinem in humano corpore per unversas venas pericyclosis seu circulatio, hujus temporis Inventum est, innumeris experimentis ita comprobatum ut de eo nulli amplius, nisi rerum imperito, dubium esse queat. [/] [… ] [/] Quomodo autem hanc circulationem exequatur, de eo consule Hervaeum; qui per valvulas venarum ductibus insitas, id Corde primo hujus motionis auctore & motore accidere scite sane demonstrat. Si quis itaque valvulas venarum cum aquae ductibus [S. 262a:] subterraneis rite comparaverit, idem in iis locis accidere reperiet, & experimenta hucusque tradita luculenter demonstrant.“; und derselbe Gedanke ohne Nennung Harveys: ebd. (³1678) I: 110b. Harvey veröffentlichte erstmals 1628 seine Lehre vom großen Blutkreislauf: Exercitatio anatomica de motu cordis et sanguinis in animalibus, Frankfurt a.M.: Guilielmus Fitzerus, 1628; Leiden: Ioannes Maire, 1639; Rotterdam: Arnoldus Leers, 1654. Eine neue Sichtung der Quellen durch Donald Fleming habe allerdings ergeben, dass auch schon Galen an einen gerichteten Blutkreislauf glaubte, weshalb Harvey dessen Theorie nicht widerlegt, sondern nur verfeinert habe: Stephen Toulmin, Kosmopolis. Die unerkannten Aufgaben der Moderne [Cosmopolis. The Hidden Agenda of Modernity, New York: The Free Press, 1990], übers. von Hermann Vetter, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1991, S. 32-33. 29 Kircher, Mundus subterraneus (1665) I: 183b-184a (lib. 4, sec. 1, cap. 6) und hier (³1678) I: 198ab (lib. 4, sec. 1, cap. 7): „Hinc quoque nascitur perpetua illa Astrorum constanti semper & inviolabili quadam lege procedentium a tot myriadibus annorum indeficiens vertigo; hinc Elementorum motus in summa varietate rerum semper invariabilis. Hinc perpetua Aquarum tum intra tum circa Terram [S. 198b:] pericyclosis; [… ].“ 30 Diese Schrift handelt von dem unerklärlichen Auftreten von Kreuzzeichen auf Kleidungsstücken und anderen Gegenständen nach einer Eruption des Vesuv. Kircher spricht hier am Ende der Schrift von Perikyklosis bezogen auf die Wechselfälle menschlichen Lebens sowie auf die Umlaufbewegung der Weltkörper: Diatribe de prodigiosis crucibus, Rom: Blasius Deuersin, 1661, S. 100-101: „[… ], ut cognoscamus Mundi corporumque mundialium cyclicam circumvolutionem & ostentorum seriem ad amussim consequi rerum humanarum alternis felicitatis adversitatisque sortibus [S. 101:] constitutam, [… ].“ 31 Itin., 348; It., 409-410.

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Doch einen direkten Hinweis, wie diese Vorstellung anders zu begründen sei, mit welcher in der Ekstatischen Reise immerhin eine unverrückbar geglaubte Wahrheit aufgehoben wird – die der in alle Ewigkeit in immer gleichen Abständen zueinander fest stehenden Fixsterne –, liefert weder er uns noch sein späterer Herausgeber Schott. Dürfen wir in Kirchers Sternbewegungen also eine Vorstellung sehen, die für sich genommen als tautologisches Element eines Mundus combinatus gar nicht ernst zu nehmen ist, zumal dieses Phänomen überdies, wie Kircher wiederholt betont, nicht einmal beobachtet werden kann? Angesichts des historischen Kontexts, in welchem Kircher seine kreisenden Sterne offenbar selbst verstanden wissen will, erscheint dies wiederum als wenig angebracht. Zunächst aber wollen wir weiter sehen, wie er überhaupt zu dieser Vorstellung gekommen sein könnte. 4.3.3.2. Belegstellen und Ideengeber Harmlos mag für sich genommen die Vorstellung von im Kreis bewegten Sternen allein deshalb nicht gewesen sein, weil kein Geringerer als Giordano Bruno sie vertreten hatte.1 Dass für ebendiese ausgerechnet auch ein Jesuit wie Kircher eintritt und obendrein bemüht ist, sie als unwiderlegbar darzustellen, mag erstaunen. Überdies hätte Kircher damit rechnen müssen, mit solch bewegten, nicht mehr fest stehenden Fixsternen auf Kritik zu stoßen, mit dieser in sich selbst widersprüchlichen und nicht beweisbaren Vorstellung. Dass er diese überhaupt vertritt, kann daher doppelt wundern: Offenbar unnötig belastet er damit zusätzlich ein Werk, dessen kontroverse Aufnahme er ohnehin schon fürchtet; 2 zugleich versucht er nicht einmal, in diesem Punkte seine Darstellung abzusichern durch den Verweis auf Autoritäten.3 1

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Giordano Bruno, La cena de le Ceneri, o.O. [London]: o.N. [John Charlewood], 1584, S. 101, 103, 105, hier 103: “[sc. le stelle] non denno esser chiamate fisse per che veramente serbino la medesma equidistanza da noi, et tra loro: ma per che il lor moto non è sensibile á noi.”; ders., De l’infinito[,] universo[,] et mondi, Venedig: o.N. [London: John Charlewood], 1584, S. 72-74; ders., De immenso et innumerabilibus [Frankfurt a.M: Ioannes Wechelus & Petrus Fischerus, 1591], in: Jordani Bruni Nolani opera latine conscripta, 3 Bde in 8 Teilen, hg. v. F. Fiorentino, F. Tocco, H. Vitelli, Neapel: D. Morano; Florenz: Le Monnier, 1879-1891, Bd I.1, S. 191-398 u. Bd I.2, S. 1-318, hier Bd I.1: 218-221 (lib. 1, cap. 5: „CAPUT V. [… ] Omnia astra circuire [sic], etiam fixa, inter quae sol est unus. [… ]“), 394 (lib. 3, cap. 10, Schluss). Seine Weigerung, die Ekstatische Reise zu verfassen, habe Kircher anfänglich damit begründet, dass er nicht als Neuerer unter Philosophen und Astronomen gelten wolle: „Negavit facturum, ne Novator apud Philosophos atque Astronomos, receptis jam opinionibus adsuetos, audiret.“: It., 4 (in Schotts ‘Praefatio scholiastae ad benevolum lectorem’, It., 1-10). In seiner Einleitung verweist Kircher für einzelne Aspekte seiner Darstellung (Sonnenflecken, Atmosphäre, flüssiger Himmel) auf namhafte Autoren („Praelusio Paraenetica“: Itin., 9-29; It., 39-54); am Schluss des Buches findet sich neben dem Verzeichnis für die von Kircher verwendete Literatur („Nomina Authorum“: Itin., 462-464; It., 483-484) noch eine Zitatensammlung aus mehreren Werken zu verschiedenen in der Ekstatischen Reise thematisierten Sachverhalten („Authoritates insignium quorundam Scriptorum“: Itin., 448-460; It., 473-482). Nirgends jedoch findet sich eine Referenz für Kirchers kreisende Sterne.

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Fehlt eine Referenz für Kirchers kreisende Sterne, so findet sich zumindest eine für deren Rotationsbewegung, obwohl selbige im Text der Dialoge nicht wirklich zur Sprache kommt. In Kirchers Einleitung ist zu lesen, dass Christoph Scheiner eine solche Drehung der Sterne um ihr eigenes Zentrum entdeckt habe.4 Diese Formulierung mag zunächst doppeldeutig wirken und womöglich als Kreisen der Sterne um einen Drehpunkt gebildet von einem anderen Körper aufzufassen sein. Doch, wie wir aus der Ekstatischen Reise entnehmen konnten (Polyzentrik und Kohäsionstheorie), versteht Kircher unter Zentrum das körpereigene Massezentrum, das jedes Himmelsobjekt für sich besitzt. Dass Scheiner etwas anderes hätte behaupten können, ist überdies völlig undenkbar. Schließlich hielt er die Fixsterne noch für so nah, dass sie ihr Licht allein unserer Sonne verdankten. Denn nur eine Sonne lasse er im ganzen Universum gelten, und nicht so viele Sonnen wie Sterne.5 Scheiner hätte also kaum auf die Idee kommen können, für die Fixsterne eine Entfernung anzunehmen, die deren Kreisbewegung selbst vom Durchmesser der Sonnenbahn verschlucken könnte. Folglich ist im Sinne einer Rotation die Stelle zu verstehen, die Kircher am Schluss der Ekstatischen Reise in seiner Sammlung von meist wörtlichen Belegen aus Scheiners Rosa ursina (1630) wiedergibt, wobei er allerdings in diesem Falle nur indirekt zitiert.6 Doch auf der von Kircher dafür angegebenen Seite findet sich in Scheiners Werk enttäuschend wenig. Die von Kircher in der Einleitung verwendete und in seiner Zitatensammlung referierte Formulierung, stammt ihrem Inhalt nach nicht einmal von Scheiner selbst. Auf der entsprechenden Seite in seiner Rosa ursina zitiert Scheiner eher beiläufig eine Ansicht, für deren Vertreter er Raphaël Aversa (1589-1657) nennt, Generaloberer des Ordens der Minimen und Professor für Theologie in Rom.7 Laut Scheiner wolle dieser, dass gänzlich alle Sterne sich um ihr eigenes Zentrum drehten und dadurch flackerten. 8 Genau dies 4

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Ausführlich verweist Kircher bereits zu Beginn seiner ‘Praelusio Paraenetica’(Itin., 9-29; It., 39-54) auf Scheiners Rosa ursina (1630), indem er dem Leser eine ganze Litanei an Inhaltspunkten daraus liefert und darunter als letzten: „[… ], astrorumque circa proprium centrum circumvolutionem deprehendes.“: Itin., 10-11, hier 11; It., 40-41, hier 41: Schott ändert „deprehendes“in die dritte Person Singular „deprehendet“und gleicht damit diesen Satz den vorangehenden an, die von derselben Person regiert werden, für die sich bei Kircher „Lector“ (Itin., 10) findet, was Schott seinerseits in „Quae qui legit [… ]“(It., 41) wendet. Scheiner, Prodromus pro sole mobili (1651) 67. „Scheiner Ros[ae]. Ursinae fol. 740. Hic Author, in praegrandi Rosae Ursinae opere, nihil aliud agit, quam ut coeli soliditatem, incorruptibilitatemque destruat; Atmosphaeras astrorum, eorundemque circa propria centra motus asserat. Quare Lectorem ad citatum opus relego.“: Itin., 448-460 (Authoritates insignium quorundam Scriptorum), hier 452; It., 473-482, hier 476: Schott ändert die Schreibung von „Author“in „Auctor“und von „opus“in „Opus“. Scheiner, Rosa ursina (1630) 743b. Zu Aversas kosmologischen Positionen siehe: E. Grant (1984) passim; ders. (1994) passim. Scheiner, Rosa ursina (1630) 740a (Z. 1-10) (Hervorhebung nachträglich): „Haec igitur & hisce similia pro caelo liquido praiudicia magna apud eruditos afferunt. Imo Galilaeus & Kepler, apud Simonem Marium, Phaenomeno 7. & alibi, Iovem Atmosphaera liquida asseveranter circumdant, quibus Astronomo certatim consentiunt. Et Raphaël Aversa vult omnes omnino stellas circa suum centrum converti, & sic scintillare, &c.“Wie wenig bedeutend für Scheiner die hier so zitierte Auffassung ist, zeigt sich darin, dass sie im Index unter denjeni-

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aber wollte Aversa gerade nicht, wie aus seiner Philosophia (1625-1627) zu entnehmen ist, die an anderer Stelle auch Scheiner zitiert. 9 Vielmehr versucht Aversa, jene Annahme über rotierende Sterne zu widerlegen, die Tycho Brahe als Erklärung für deren Flimmern vorgebracht hat.10 Auch in Kirchers Literaturverzeichnis findet sich Aversas Philosophia.11 Doch, wie zu sehen war, kann sich Kircher weder auf Aversa noch auf Scheiner für die Bewegung der Sterne berufen und sei es auch nur für die Rotation, ganz zu schweigen von jener Kreisbewegung, welche die eigentlich fragwürdige ist. Nicht weniger haltlos hatte Bruno sich seinerseits auf eine Autorität für das Bewegtsein der Sterne berufen. Die Kreisbewegung der Sterne sieht Bruno durch Beobachtungen aus der jüngsten Zeit belegt, und als Gewährsmann hierfür führt er namentlich sogar Tycho Brahe an. 12 Tatsächlich hat Tycho diese Vorstellung nie vertreten. Selbst um eine Verwechslung mit der von ihm angenommenen Rotation der Sterne kann es sich dabei nicht handeln. Das hierfür maßgebliche Werk Tychos, die Progymnasmata, ist posthum und nach Brunos gewaltsamem Tod erschienen.13 Überdies hatte Bruno das Flackern der Sterne eigens erklärt und dies genauso wie Tycho mit deren Rotation (rotatio).14 Was Bruno mit seiner namentlichen Berufung auf Tycho gemeint haben mag, bleibt daher ein Rätsel. 15 Vielleicht aber ist sein Verweis auf eine Autorität nicht viel ernster zu nehmen als derjenige Kir-

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gen Aversas nicht aufgeführt ist: ebd., S. 743b, Z. 20. Raphaël Aversa, Philosophia metaphysicam physicamque complectens quaestionibus contexta, 2 Bde, Rom: Iacobus Mascardus, 1625-1627; Bologna: HH. Evangelista Duccia, 21650. Scheiner (Rosa ursina (1630) 743b, Z. 20-29) zitiert bezüglich der Sonne (flüssige Konsistenz und Flecken) den zweiten 1627 erschienene Band von Aversas Philosophia. Tycho Brahe, Progymnasmata [Prag, 1602, S. 401-405, hier 404-405], TBO, II: 375-377, hier 377, Z. 5-28; Aversa, Philosophia (²1650) II:164a-165b; dennoch zählt wie Scheiner auch Guericke (1672, S. 229b) Aversa zu den Befürwortern von Tychos Erklärung des Fixsternflimmerns (scintillatio) durch Rotation. Zu Aversas Ablehnung der tychonischen Erklärung und seiner eigenen: E. Grant (1994) 450-451. Zum Flimmern siehe auch S. 229, 242. Itin., 464; It., 484. Bruno, De immenso et innumerabilibus [1591], in: Bruno (1879-1891) I.1: 394 (lib. 3, cap. 10, Schluss): „Suffragatur huic sententiae quod et reliquas stellas fixas (soles nempe alios) similes conficere circuitus inveniuntur: quod physica novi ratione, antequam idem audissem observatum mathematicis nostri temporis“; ebd., I.1: 219 (lib. 1, cap. 5): „Sed tandem et docti accipio firmata [sc. Bewegung der Sterne] Tichonis [/] Servatis Dani, ingenio qui multa sagaci [/] Invenit, atque aperit conformia sensibus hisce. [/] Ergo perit coelum quod tantis fixa tenaclis [/] Sidera contineat, [… ].“ Wie Aversa (Philosophia, ²1650, II: 164ab) zitiert auch Riccioli (AN, I: 396a, 397a) die Erklärung Tychos für das Sternflimmern aus dem sechsten Kapitel des ersten Buches von dessen Progymnasmata [Prag, 1602] und zwar „p. 402“(ebd., I: 397a), wobei er die von Tycho angenomme „circumgyrationem earum [sc. fixarum] circa proprium centrum“(ebd.) nur ganz kurz am Schluss erwähnt; als deren eigentlichen Vertreter allerdings nennt er fast noch auf der selben Seite Bruno (ebd., I: 396b-397a). Bruno, De immenso et innumerabilibus [1591], in: Bruno (1879-1891) I.2: 45-46 (lib. 4, cap. 8: Quare sol caeteraque fixa scintillent astra.). Maria R. Pagnoni Sturlese, „Su Bruno e Tycho Brahe“, Rinascimento, 25 (1985), S. 309-333, hier S. 331-332; M.-P. Lerner (1996-1997) II: 162-163.

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chers, der selbst bei der Rotation noch ins Leere läuft und für das Kreisen der Sterne gar nicht in Betracht kommen kann. Dass Bruno aber überhaupt ein Bewegtsein der Fixsterne gefordert hat, ist hinsichtlich der Rotation zumindest nicht in Vergessenheit geraten. Für diese Auffassung, die auch bei Bruno das Flimmern der Sterne erklären soll, nennt Aversa zwar nur mehr Tycho.16 Riccioli dagegen macht Bruno zu dem Hauptvertreter derselben, während er Tycho für zwei andere Erklärungsmöglichkeiten anführt.17 Allerdings könnte bezüglich der Vorstellung von einer Ortsbewegung der Sterne in eigenen Kreisbahnen sich die Spur zu Bruno verloren haben. Denn nicht nur erwähnt sie Riccioli nicht an Stellen, an denen er Bruno in Zusammenhang mit den Fixsternen zitiert.18 Ebenso wenig fällt dieser Name in den Streitschriften gegen Kirchers Ekstatische Reise, obwohl sich darin die Kritik ausdrücklich gegen ebenjenes stellare Kreisen richtet, welches der innerjesuitischen Zensur überhaupt nicht aufgefallen ist.19 Auch Aversa wendet sich in seiner Philosophia (Rom, 1625-1627) gegen die Annahme von solch wandelnden Sternen am Firmament. Nicht aber Bruno nennt er als deren Vertreter in vergleichsweise jüngster Zeit, sondern den antiken Philosophen Lucius Annaeus Seneca. (4 v. Chr. bis 65 n. Chr.).20 Im siebten und letzten Buch seiner Naturales quaestiones behandelt Seneca die Kometen, die er im Gegensatz zur aristotelischen Lehre bereits für echte eigene Himmelskörper hält. Wir erinnern uns, dass Kircher gleichfalls sein Kreisen der Sterne an den Kometen veranschaulicht, und es sind weitere Kreisbahnen (circuli), die Seneca diesen wie den Planeten zusätzlich einräumen will. Tatsächlich leitet Seneca von der nicht wahrgenommenen Bewegung der Kometen zu dem Gedanken über, dass auch an16 Aversa, Philosophia, ²1650, II: 164ab. 17 Riccioli, AN, I: 396a-397b, hier 396ab (Tycho: „argumentum distantiae“), 397a (Tycho: „vaporibus intercurrentibus“), 396b-397a (Bruno: „moveantur circa suum centrum“); zum Flimmern (scintillatio) siehe auch S. 228 242. 18 Riccioli, AN, I: 424a; Bruno wird an mehreren Stellen im VI. Buch (De stellis fixis: AN, I: 393-479) zitiert, aber immer nur für seine Aussage, dass die Sterne Sonnen sind, dass es unendlich viele Sonnen gibt, und dass jede von ihnen eine eigene Welt darstelle: AN, I: 394b, 395b, 396b, 412a, 424a, 425a; für die Werke Brunos, auf die er sich hierfür bezieht, nennt Riccioli folgende Titel: De maximo et immenso, De infinito et innumerabilibus. 19 Mira Kircheri, BNCR, FG 1331 (15), f. 1(205)r-20(233)v, hier f. 11v-12v; Dubitationes Aliquot, BNCN, Mss. Brancacciano IE1, f. 309r-315v, hier f. 315rv; Zensurbericht über Kirchers Itinerarium exstaticum vom 08.11.1655: ARSI, FG 661, f. 29rv (im Anhang, S. 326-327). 20 Aversa, Philosophia (²1650) II: 56a „Et sequitur ipse Seneca libro citato conveniens prorsus putans, plures constitui in caelo stellas errantes: unde sic ait [… ]“: Aversa zitiert hier im Anschluss wörtlich aus Seneca, Naturales quaestiones, VII, 24 (3), wofür er selbst fälschlich VII, 17 angibt. Seine Ablehnung drückt Aversa wenig später aus: ebd., II: 57a: „Igitur concludendum est, non alios Planetas, nec alia astra errare in caelo nobis visibilia, praeter ea quae dicta sunt. Nec obstat illa coniectura Senecae: quae alioqui probaret debere esse plures Planetas semper aspectabiles, sicut sunt tot stellae fixae. Sed ad rectam universi dispositionem sufficiebant illi Planetae quamvis ita pauciores stellis fixis. An vero praeter omnia dicta astra in caelo semper permanentia atque perpetua, alia sint quae pro aliquo tempore de novo gignantur in caelo, & an praesertim Cometae sint de regione caelesti, ibique fomentur ad tempus, ut cito dissolvantur, postea examinabimus.“

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dere Sterne eigene Bahnen haben könnten. 21 Angesichts der Fülle und Größe der Sternenwelt hält es Seneca allerdings für wenig wahrscheinlich, dass die fünf damals bekannten Planeten die einzigen Gestirne seien, denen es vergönnt bleibe, sich Bewegung zu verschaffen (se exercere).22 Als einziges Werk eines antiken Autors stehen Senecas Naturales quaestiones im Literaturverzeichnis der Ekstatischen Reise. Ihre besondere Bedeutung für Kircher dürften sie dadurch gewonnen haben, dass auch Seneca die Welt als großes Ganzes untersuchend sich Phänomenen sowohl astronomischer Natur als auch geologischer widmet. Er bespricht Theorien des Wasserkreislaufs, wie sie Kircher weiterentwickelt. 23 Unter der Erde siedelt er Vorgänge an, bei denen verschiedenste Stoffe sich aus den Elementen bilden oder diese sich ineinander umwandeln. 24 Über ihr sieht er Kräfte der Erosion, der Gezeiten, des Vulkanismus wirken, welche die Erdoberfläche ständig umformen.25 Nach Aufbau und Funktion vergleicht schon Seneca die Erde mit dem Körper des Menschen: Wie Blut und Atem durch Venen und Eingeweide, so zirkulieren im Inneren der Erde durch Kammern und Gänge die Elemente Wasser und Luft.26 Insbesondere durch sein Verständnis von Wissenschaft empfiehlt sich Seneca einer Zeit, welche geprägt ist 21 Seneca, Naturales quaestiones [Sen.nat.], 7,23-24 hier 23,3-24,1: „Dicebam modo nihil diuturnum esse quod exarsit aeris vitio; nunc amplius adicio: morari ac stare nullo modo potest, nam et fax et fulmen et stella transcurrens et quisquis alius est ignis aere expressus in fuga est, nec apparet nisi dum cadit: cometes habet suam sedem et ideo non cito expellitur, sed emetitur spatium suum, nec extinguitur sed excedit. [24,1] [… ] Quis unum stellis limitem ponit? Quis in angustum divina compellit? Nempe haec ipsa sidera quae sola moveri creditis alios et alios circulos habent: quare ergo non aliqua sint quae in proprium iter et ab istis remotum secesserint? [… ]“: zitiert nach der textkritischen Ausgabe: Seneca, Ricerche sulla natura, hg. v. Piergiorgio Parroni, Mailand: A. Mondadori, 2002 (‘Lorenzo Valla’), S. 456. 22 Sen.nat. 7,24,2-3: „[… ] Vide ne hoc magis deceat magnitudinem mundi, ut in multa itinera divisus incedat nec unam deterat semitam, ceteris partibus torpeat. [24,3] Credis autem in hoc maximo et pulcherrimo corpore inter innumerabiles stellas quae noctem uario decore distinguunt, quae minime uacuam et inertem esse patiuntur, quinque solas esse quibus exercere se liceat, ceteras stare fixum et immobilem populum?“: zitiert nach Seneca (2002) 456. 23 Sen.nat. 3,5-10, hierzu: F. Ellenberger (1988-1994) I: 42-43. Seneca selbst plädiert zwar für die unterirdische Wasserentstehung aus dem Element Erde (ebd. 3,9-10), er stellt aber alle zu seiner Zeit bekannten Erklärungen für das Wasser der Flüsse und Quellen zusammen, darunter auch jene (ebd., 3,5.7) von Kircher übernommene und im Mundus subterraneus umfassend dargelegte Kreislauftheorie (Rückfluss aus den Meeren, Entsalzung im Erdinnern und Aufstieg in die Wasserspeicher in den Bergen). Die zentrale Bedeutung des Wasser für Senecas Erderklärung mag darin seinen Ausdruck gefunden haben, dass das diesem gewidmete Buch III in der ursprünglichen Form des Werkes sehr wahrscheinlich das erste der sieben Bücher war: s. Einleitung von P. Parroni in Seneca (2002) xlix. 24 Sen.nat. 3,9-10. 25 Sen.nat. 3,29,4-30,8. 4,30. 26 Sen.nat. 3,29,2.4. 4,24. 6,14.24 hier 6,14,1: „corpus nostrum et sanguine irrigatur et spiritu, qui per sua itinera decurrit. Habemus autem quaedam angustiora receptacula animae, per quae nihil amplius quam meat, quaedam patentiora, in quibus colligitur et unde dividitur in partes. Sic hoc totum terrarum omnium corpus et aquis, quae vicem sanguinis tenent, et ventis, quos nihil aliud quis quam animam uocauerit, peruium est. Haec duo aliubi currunt, aliubi consistunt.“: Seneca (2002) 372.

4.3. Ein neues Bild von den Sternen

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von neuen Entdeckungen. Nicht als abgeschlossen erachtet der Stoiker das Wissen über die Welt, sondern begriffen in ständigem Fortschreiten, so dass eine Zeit einmal kommen werde, da sich spätere Generationen nur wundern könnten über unser Unwissen in so offenkundigen Dingen: „Die Menschen eines neuen Zeitalters werden vieles uns Unbekanntes wissen, viel bleibt dann noch zukünftigen Jahrhunderten übrig, wenn die Erinnerung an uns schon erloschen sein wird.“27 Für solch eine kommende Zeit gelingt es Seneca, die kosmologische Frage, ob sich der Himmel bei stehender Erde drehe oder die Erde bei stehendem Himmel, auf eine griffige, geradezu aktuelle Formel zu bringen, wie sie Kircher wahrscheinlich direkt aus den Naturales quaestiones für seinen anti-copernicanischen Abschnitt im Magnes (1641) übernimmt. 28 Mag Seneca demnach in vielfacher Hinsicht für Kircher bedeutsam gewesen sein, er bleibt ein Denker der Antike. Auch wenn Kircher die Naturales quaestiones als Quelle für die Ekstatische Reise anführt29 –es ist kaum vorstellbar, dass er sich Senecas Vorstellung von kreisenden Sternen hätte einfach anschließen können und ernsthaft auf ihn berufen wollen in einer Zeit, da mit Teleskopen der Himmel neu entdeckt wurde. Doch noch ein weiterer Autor, dessen Werk Kircher in seinem Verzeichnis anführt, zumal ein katholischer Astronom und Verteidiger der Geostatik, war in jüngster Zeit für ebendiese Vorstellung in seinem 1645 gedruckten Oculus Enoch et Eliae eingetreten: Antonius Maria Schyrleus de Rheita.

27 Sen.nat. 7,25,5 mit Blick auf die Astronomie: „Veniet tempus illud quo posteri nostri tam aperta nos nescisse mirentur.“: Seneca (2002) 458, 460; ebd., 7,30,5: „[… ] Multa uenientis aeui populus ignota nobis sciet, multa saeculis tunc futuris cum memoria nostri exoleuerit reservantur“: ebd., 470. Diese letzte Stelle wird von Kircher (Itin., 460; It., 481-482) selbst am Schluss seiner Zitatensammlung wörtlich angeführt sowie eine weitere aus Sen.nat. 6,5,2-3 (Seneca, 2002, S. 356), die ebenfalls den Erkenntnisfortschritt als zwangsläufig thematisiert. 28 Sen.nat. 7,2,3: „[… ], ut sciamus utrum mundus terra stante circumeat an mundo stante terra vertatur.“; vgl. hierzu Kircher, Magnes (1641) 538 (lib. 3, pars 1, quaes. 1): „Uterque veterem iam dudum inter Pythagoreo-Copernicanos, Utrum caelum stante Terra, an autem Caelo stante Terra vertatur, agitatam quaestionem, ac pene extinctam, resuscitare omnibus modis conatur; [… ]“ (Hervorhebung von Kircher selbst, ohne Quellenangabe). Die sprachlichen Gemeinsamkeiten (utrum, Parallelismus, Ablativus absolutus mit Partizip Präsens) dieser beiden Stellen legen Seneca als unmittelbare Quelle nahe. Dies wird bestätigt durch eine weiteren Satz, den Kircher auf der nächsten Seite aus ebendemselben Abschnitt von Senecas Werk wörtlich (ohne Kenntlichmachung) abschreibt: Magnes (1641) 539: „[… ], ut itaque sciamus in quo rerum statu simus pigerrimam ne sortiti, an velocissimam sedem: circa nos Deus omnia agat, an nos Magnetice agat?“; Kirchers Ergänzungen gegenüber Seneca (nat. 7,2,3) sind hier durch Hervorhebung kenntlich gemacht. Eine ähnliche Formulierung der kosmologischen Frage findet sich auch bei Galilei, Dialogo, OGG, VII: 155, Z. 31-34 (oben zitiert in Anm., S. 151), wo das verwendete gerundio semplice an Senecas Formel mit ihrem Ablativus absolutus der Gleichzeitigkeit erinnert. 29 Die im Literaturverzeichnis hierfür angegebenen Stellen, „Lib. 6. q. not. [sic] c. 63 [sic]. & l. 7. c. 31“(Itin., 464, It., 484) führt Kircher wörtlich in seiner Zitatenliste an (Itin., 460; It., 481-482); sie sind zu finden in Sen.nat. 6,5,3.2. 7,30,5; Seneca (2002) 356, 470.

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4. Die Fixsternparallaxe

4.3.3.3. Antonius Maria Schyrleus de Rheita: Mehrfachsterne, bewegte Sterne und ein Streit Das 1645 in Antwerpen gedruckte zweiteilige Hauptwerk des Astronomen und Kapuzinermönchs Antonius Maria Schyrleus de Rheita (eigtl. Schürle aus Reutte in Tirol, 1604-1660) 1 diente Kircher an mehreren Stellen der Ekstatischen Reise als Quelle.2 In höchstem Maße trifft dies auf die darin beschriebene Reise zu den Fixsternen zu, für deren Inszenierung Rheita geradezu die Anleitung in seinem Oculus Enoch geliefert haben könnte. Eine solche mag Kircher in jenem eindringlich formulierten, auf wenige Seiten dicht gedrängten Ausblick auf eine neue

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Rheita, Oculus Enoch et Eliae sive radius sidereomysticus, zwei Teile, Antwerpen: Hieronymus Verdussius, 1645. Alfons Thewes hat für Rheita das Geburtsjahr 1604 (sonst 1597 wie in POGG, II (1863): 620; DSB, XI: 395a) sowie den Geburtsort Reutte (daher ‘de Rheita’) in Tirol (nicht in Böhmen) ermittelt; Rheita nicht in ADB, NDB. Vor Eintritt in den Kapuzinerorden 1627 hieß Rheita Johann Burchard Schürle; in Bologna kommt Rheita 1656 in Klosterhaft und wird später nach Ravenna verbannt, wo er 1660 stirbt; die offiziellen Gründe für das Inquisitionsverfahren gegen ihn dürften wohl nur vorgeschoben gewesen sein: Alfons Thewes, Oculus Enoch...Ein Beitrag zur Entdeckungsgeschichte des Fernrohrs, Oldenburg: Isensee, 1983, S. 9-10, 37, 41-43. Rheita gilt als Erfinder des terrestrischen Fernrohrs mit vier Okulargläsern, die ein aufrecht stehendes Bild erzeugen, und dessen Ausführung in binokularer Form; zudem soll Rheita die Begriffe Okular und Objektiv geprägt haben: Jean-BaptisteJoseph Delambre, Histoire de l’astronomie moderne, 2 Bde Paris: Courcier, 1821, Bd II, S. 180; BU, XXXV: 524a; DSB, XI: 395a; A. Thewes (1983) 15. Zu seiner Bedeutung für die Entwicklungsgeschichte des Teleskops: Rolf Willach, „The Development of Telescope Optics in the Middle of the Seventeenth Century“, Annals of Science, 58/4 (2001), S. 381-398, hier S. 388-398. Giambattista Riccioli hat vielleicht selbst mit einem von Rheita konzipierten Fernrohr gearbeitet. Dies könnte der Fall sein bei einem Teleskop, das er von einem bayerischen Hersteller gekauft hat (Riccioli, AN, I: 204a: „aliud [sc. Telescopium] a Bavaro artifice nobis venditum omnium optime inservivit“), bei welchem es sich um den Augsburger Instrumentenbauer Johann Wiesel, einem Schüler und Mitarbeiter Rheitas (A. Thewes, 1983., S. 16; A. Van Helden, „The Telescope in the Seventeenth Century“, Isis, 65 (1974), S. 38-58, hier S. 48), handeln mag: I. Gambaro (1989) 50 n.7; F. Bònoli, „Riccioli e gli strumenti dell’astronomia“, in: M. T. Borgato (2002a) 133-157, hier 148. Die Literatur über Rheita ist spärlich: A. Thewes, „Beziehungen Südtirols zur Entdeckungsgeschichte des Fernrohrs“, Der Schlern, 65 (1991), S. 284-295; Ernst Goercke, „Der Schliff asphärischer Linsen nach Angaben des Rheita“, Technikgeschichte, 58/3 (1991), S. 179-187; ders., „Anton Maria Schyrlaeus de Rheita über das Vakuum“, Monumenta Guerickiana, 3 (1996), S. 43-48; Rolf Willach, „Schyrl de Rheita und die Verbesserung des Linsenfernrohres Mitte des 17. Jahrhunderts“, Sterne und Weltraum, 34 (1995), S. 102-110 [Teil 1] und S. 186-192 [Teil 2]. Schott weist in seiner Würzburger Ausgabe an mehreren Stellen Rheita als Quelle für Ausführungen oder konkrete Zahlenangaben Kirchers nach: siehe hierzu Schotts Scholien in Iter, 143-146 (Venusrotation, -größe), 193-196 (Sonnengröße), 233 (Planeten- und Sonnenbewegung im Äther), 238 (Sonnenbahn), 287 (astrologische Wirkung des Jupiter), 292-293 (Jupiterrotation), 294, 296 und 297 (Jupitermonde), 312 (astrologische Wirkung des Saturn), 321322 (Saturngröße), 323 (Saturnrotation), 328 (Saturnentfernung), 335-336 (zahllose Fixsterne); darüber hinaus verwendet Schott selbst ausgiebig Rheitas Ausführugen zu den Fixsternen für seine ‘Praelusio in Firmamentum’, welche er dem Reiseabschnitt zu den Fixsternen voranstellt: It., 1671, 333-340 sowie die Abbildungen zwischen 334/335.

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Ordnung der Sterne gefunden haben, durch den das sicher Geglaubte fraglich wird.3 „Wer wisse denn schon, ob viele der scheinbar fest stehenden Sterne sich nicht in Wirklichkeit vielleicht in größeren Kreisen bewegten als selbst der Saturn?“, lautet eine der vielen Fragen, die Rheita in seinem Ausblick auf eine neue Sternenwelt stellt. Wegen der riesigen Entfernung zur Erde sei dies gar nicht so unwahrscheinlich, wie Rheita am Polarstern zu verdeutlichen sucht, an dem auch Kircher das Kreisen der Sterne veranschaulichen wird. Vier Grad befinde er sich vom Himmelsnordpol entfernt, diese Strecke übertreffe aber in Wirklichkeit um Vieles den Bahnhalbmesser des Saturn, im Ganzen stehe der Polarstern womöglich nur scheinbar fest wegen der riesigen Entfernung.4 Auch den Blick von den Sternen zurück auf unsere Planeten stellt sich schon Rheita vor: Dabei würde man diese für unbewegt halten und zu den Fixsternen zählen, was sinngemäß in der Ekstatischen Reise Kircher Theodidactus sagen lässt.5 Aus einer solchen Entfernung zeige sich laut Rheita die Bahn des Saturns unter einem Blickwinkel von wenigen Minuten, so dass der Sirius andererseits sich sogar in einer drei- oder viermal so großen Umlaufbahn bewegen könnte, ohne uns als bewegt zu erscheinen. 6 Kircher lässt seine Kosmonauten beide Sterne, Sirius und Polarstern, besuchen. Und an mehreren Stellen ihrer Reise machen sie einen Blick zurück auf unser Heimatsystem, wobei die optische Wirkung der zunehmenden Entfernung deutlich wird. 7 3 4

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Rheita, Oculus Enoch (1645) I: 196a-198b (lib. 4, memb. 7: „MEMBRVM VII. De stellis fixis, earumque innumerabili multitudine.“). Rheita, Oculus Enoch (1645) I: 196a: „Quis etiam novit num forte etiam non multae stellae quae fixae nobis videntur, maioribus in circulis moveantur ipso Saturno? neque hoc paradoxon improbabile reddit tum ingens eorum a tellure distantia, cum etiam stellae polaris circa polum rotatio; quae etsi 4. integris fere gradibus a polo arctico censeatur remota, (quod spatium revera semidiametrum orbitae Saturni multum excedit) ita tamen oculo nostro ob ingentem distantiam stabilis videtur, ac si nec lato ungue loco dimoveretur.“; die nachfolgende Marginalie am Rand dieser Seite lautet: „Fixas forte instar Planetarum moveri.“Kircher wird die Winkeldistanz des Polarsterns vom Himmelsnordpol mit drei Grad beziffern: Itin., 271272; It., 353. Infolge der Präzession beträgt der Wert heute 43 Bogenminuten. Rheita, Oculus Enoch (1645) I: 196a-196b: „Quod si fores in suprema [196b:] specula firmamenti; profecto nostros Planetas omnino immobiles forte iurares fixisque annumeraturus esses, quod nimia & excessiva distantia, angulum visorium orbis Saturni forte vix sub parvulis minutis esset exhibitura.“Theodidactus sieht die äußeren Planeten ganz nah bei der Sonne als Sterne vierter Größe und ist erstaunt, dass sie sich nicht mehr bewegen: Itin., 266-267; It., 348, 349; und ähnlich schon auf Höhe des Saturns: Itin., 252-253; It., 326, 327. Rheita, Oculus Enoch (1645) I: 196b: „Imo dico, etsi canis maior, verbi causa, in triplo & quadruplo maiori orbe, quam Saturnus noster ferri supponatur, necesse tamen fore eum ob supra insinuatam immensam firmamenti a nobis distantiam omnino immobilem visum iri.“ Nach Verlassen des Saturns und ihrem Hypersprung zu den Fixsternen machen Kirchers Kosmonauten zunächst beim Sirius Halt und anschließend beim Polarstern: Itin., 265-270 und 271-285; It., 347-352 und 352-362. Von den Fixsternen aus blicken sie mehrfach zurück auf unser Heimatsystem: Itin., 260-261, 266-267, 268, 348; It., 343-344, 348, 349, 350, 410. Doch schon vor Verlassen desselben wagen sie diesen Blick, so dass der perspektivische Entfernungseffekt gleichsam erfahrbar wird: Itin., 206 (vom Jupiter aus) und 252-253 (vom Saturn aus); It., 279 und 326, 327.

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4. Die Fixsternparallaxe

Rheita verdeutlicht an diesem Wechsel der Perspektive überdies, dass die Ruhestellung der Himmelskörper nicht als sicher angenommen werden könne. Sie mag vielmehr bloße Täuschung (hallucinatio) sein, die der Saturn vom Sirius aus betrachtet genauso erzeugen würde wie in umgekehrter Richtung gesehen der Sirius.8 Diese gewaltige Entfernung selbst eröffnet aber eine neue Möglichkeit: „Falls irgendjemand viele Fixsterne, um ihre Sonnen herum auch noch Planeten oder wenigstens bewegte Sonnen annähme, weiß ich nicht, ob er zu Recht zu kritisieren sei.“9 Nicht nur Rheita selbst nimmt diese Möglichkeit für sich in Anspruch, sondern gleichfalls Kircher, der die Unwiderlegbarkeit einer solchen Annahme allerdings auf ganz eigene Weise darzulegen suchen wird. Wie Rheita aber betont auch Cosmiel in der Ekstatischen Reise, dass Kreisbahnen der Sterne exzentrisch zu denen unserer Planeten seien und dass um sie herum sich vielleicht eigene Sonnen, eigene Monde und Begleiter bewegten.10 Unsere Sonne jedenfalls sei ebenso wenig imstande, die Sterne zu beleuchten wie diese unseren Mond. 11 Wieder dient Sirius als konkretes Beispiel, von dessen starkem Licht sich Rheita sogar beim Blick durch das Teleskop leicht geblendet sieht. Da aber der Sirius (und das gleiche gelte für die übrigen Fixsterne) keineswegs unsere Sonne unter einem größeren Winkel sehe, wie könnte da unsere Sonne die Fixsterne übertreffen?12 Die Leuchtkraft der Sonne hält Rheita vielmehr für so schwach, dass er zweifelt, ob Jupiter und Saturn ihr ganzes Licht der Sonne allein verdankten und für sie nicht eher ihre Monde die Aufgabe von Sonnen erfüllten. Diesen Gedanken, in dem zugleich die Größe der Welt und die Kleinheit der Sonne zum Ausdruck kommen, setzt Kircher in der Ekstatischen Reise um, wo Jupiter und Saturn von ihren Monden beleuchtet werden. 13 Dass die Leuchtkraft der Sonne und Sterne gleichermaßen beschränkt ist, vermittelt Kircher ähnlich durch einen direkten Vergleich zwischen Sonne und Sirius. Allerdings macht er dabei einen entscheidenden Schritt über Rheita hinaus: Beim Blick vom Mond des Sirius zurück auf unsere Sonne zeigt sich diese dem verblüfften Theodidactus 8 9 10

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Rheita, Oculus Enoch (1645) I: 196b: „Nam indubitatum reor, canem maiorem, Saturnum nostrum a se visum, inter fixas, etsi falso, enumerare; quid ergo Saturnus hanc, respectu canis iam dicti, hallucinationem non esset etiam reciprocaturus?“ Rheita, Oculus Enoch (1645) I: 196b: „Igitur supra supposita ingenti Firmamenti a terra distantia, si quis fixas multas, circa Soles suos etiam errones, aut certe Soles circa illos mobiles suspicaretur, nescio num iuste esset reprehendendus.“ Rheita, Oculus Enoch (1645) I: 196b-197a: „Neque credas [197a:] eorum orbium centra respicere centra nostratium erronum: sed esse totaliter excentricos eorum orbes scilicet extra etiam Saturni periphaeriam extimam longe remotos: ferrique circa eos suos quoque forte Soles, suas Lunas, suosve comites &c. “Kircher, Itin., 267, 268; It., 349; und wörtlich: „sidera [… ] habere motus terrae excentricos“: Itin., 347; It., 409. Rheita, Oculus Enoch (1645) I: 197a. Rheita, Oculus Enoch (1645) I: 197a: „Cum itaque canis maior, verbi gratia, (quod idem de alijs fixis suo modo intellige) Solem nostrum nequaquam sub maiori angulo videat, quam Sol noster praestare poterit fixis?“ Itin., 207-209 (Jupiter), 243-244 (Saturn); It., 280-282 (auch hier weist Schott als Quelle Rheita nach, It., 282-283: ‘Scholium II.’), 317. Wie bereits erwähnt wurden bis zu Huygens’ Entdeckung von 1659 und darüber hinaus die Ringe des Saturns für Monde gehalten.

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nicht nur nicht unter einem größeren oder gar gleich großen Winkel wie der Sirius von der Erde aus, sondern, wie weiter oben bereits gesehen, nur mehr als ein Stern zweiter Größe.14 Wenngleich Rheita hier nicht ausdrücklich die Größengleichheit zwischen den Sternen aufhebt, mag sich diese Einsicht indessen aus seinen neuen Himmelsentdeckungen von selbst ergeben, von denen er im Folgenden berichtet. Für diese Beobachtungen hat Rheita sein bevorzugtes Instrument benutzt, sein binokulares Fernglas. In dessen größeres Sichtfeld gelangen mehr Sterne als bei einem einfachen Teleskop, und in ihnen sieht Rheita mit einem Male ganz neue Sternfiguren („admirandas figuras in fixis“): Den Heiligen Rock Christi (Tunica Domini), ein deutsches Kreuz (crux teutonica), einen Kelch, eine Faust mit gestrecktem Zeigefinger und das Veronikatuch samt dem Angesicht Jesu (Sudarium Veronicae), wovon sich in Schotts Würzburger Ausgabe die Abbildung Rheitas findet.15 Die Begeisterung, die Rheita hierbei bekundet, lässt an jenes Staunen denken, das Kircher in der Ekstatischen Reise als Ich-Erzähler zum Ausdruck bringt, als hinter dem Saturn sich ein neues Himmelszelt auftut mit Sternen, die zu völlig anderen Figuren sich ordnen.16 Die meisten jener neuen Gruppierungen hat Rheita im Sternbild des Orion beobachtet und in diesem auch hat er diejenige Beobachtung gemacht, die als eigentliche Entdeckung gelten darf. Im Gürtel des Orion oder in dessen Nähe habe er von einem schwachen Schimmer umgeben einen Stern aus drei Körpern gesehen („Stella fixa tricorporea“). Für das genauere Aussehen dieses Dreikörpersterns verweist er den Leser auf eine Abbildung am Schluss des Werkes. Darauf sind die drei Sterne durch drei Kreise, das Schimmern durch Striche dargestellt. An einen größeren Kreis schließen unterhalb sich jeweils zwei kleinere an, beide gleich groß und voneinander getrennt; der eine von ihnen berührt den größeren Kreis, der andere um Haaresbreite nicht; alle drei umgibt ein gemeinsamer dichter Kranz von Strichen (siehe S. 237, Abb. 9).17 Nach dieser Abbildung zu urteilen muss Rheita einen Dreifachstern beobachtet haben. Wenngleich Rheita nicht als erster in gedruckter Form auf dieses Phänomen der Mehrfachsterne hinwies – hierfür ist Johann Baptist Cysat (1587-1657) zu nennen (siehe im Anhang, S. 317325) –, so kam er darin immer noch Hodierna und Riccioli zuvor. 18 Im Gegensatz 14 Itin. 266; It. 348; siehe weiter oben S. 193. 15 Rheita, Oculus Enoch (1645) I: 197b-198a. Die von Schott in seiner Einleitung zu den Fixsternen wiedergegebene Abbildung (It., 434/435: Fig. I) stammt nicht aus Rheitas Oculus Enoch, sondern sehr wahrscheinlich aus dem von Schott zitierten Brief Rheitas an Caramuel vom 24.04.1643, wie er veröffentlicht ist in: Franciscus Penneman (Hg.), Novem stellae circa Iovem, circa Saturnum sex, circa Martem nonnullae, Louvain: Bouvetius, 1643. 16 Itin., 266; It., 348; weiter oben zitiert in Anm., S. 74. 17 Rheita, Oculus Enoch (1645) I: 198a: „[Marginalie:] Stella fixa tricorporea. [Text:] Denique in, aut prope cingulum saepe dicti Orionis, tricorpoream stellam, obtusa circumfusam luce, talem vidimus qualem vides adumbratam figura 7. laminae G.“; die kleine Abbildung (annähernd quadratisch, mit einer Kantenlänge von knapp 3 cm) findet sich auf den unpaginierten Seiten am Schluss des Buches (hinter Teil 2): Tafel G, Figur 7: siehe in vorliegender Arbeit Abb. 9 nebenstehend. 18 Riccioli erwähnt beiläufig die Verdopplung von Mizar (79 UMa) im Teleskop: AN, I: 422a. Mitunter wird begrifflich ungenau schon Ptolemaios als Entdecker von Mehrfachsternen an-

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zu dem sizilianischen Astronomen Giovan Battista Hodierna (1597-1660), von dem nicht nur die erste Abbildung des Orion-Nebels stammte, sondern auch die erste Auflistung von Doppelsternen, 19 macht Rheita das Phänomen der Mehrfachsterne nicht zu einem eigenen Thema. Auch lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, welchen Stern in oder nahe dem Oriongürtel er beschreibt. Bedeutsam hingegen ist, dass Rheita, wie aus seiner Bezeichnung und der Abbildung zu schließen ist, diesen Dreikörperstern als zusammenhängende Einheit aufgefasst hat, gebildet aus Teilsternen unterschiedlicher Größe. Mit dieser Anschauung demonstriert Rheita aber zugleich, dass es eine Größengleichheit zwischen den Sternen nicht gibt. Dass Rheita in diesem Phänomen der Mehrfachsterne nicht ein bloß zufälliges und blickwinkelbedingtes Zusammenstehen weit entfernter Sterne gesehen hat, bestätigt sich durch weitere Beobachtungen, auf die er hierfür verweist. Viele Fixsterne in ähnlicher Form habe er durch ein 15 Fuß langes Teleskop gesehen und für ihr Aussehen liefert er eigens eine Abbildung. In der Mitte zeigt sie einen großen Kreis, um den herum sich in geringem Abstand sechs Doppelkörper verteilen, die jeweils aus einem länglichen, näher am Großkreis liegenden Oval und einem davon getrennten runden kleinen Kreis darüber bestehen; alle zusammen sind sie wiederum umgeben von einem gemeinsamen Kranz von Strichen. 20 An anderer geführt, weil er im Sternbild Schütze die beiden Sterne 32 1 Sgr und 35 2 Sgr als einen Doppelstern beschrieben habe. Doch diese beiden Sterne sind – (und waren es schon zu Ptolemaios’Zeit) –ähnlich weit voneinander getrennt (über 10 Bogenminuten) wie Mizar und Alkor (im Sternbild Großer Bär). Diese mit bloßem Auge einzeln zu sehenden Sterne sind visuelle Doppelsterne und wie im Falle Mizar-Alkor rein optischer Natur; sie gehören damit nicht zu dem neuen Phänomen der nur durch ein Teleskop aufzulösenden physischen Doppelsterne. 19 Hodierna, De systemate orbis cometici deque admirandis coeli characteribus, 2 Teile, Palermo: Nicolaus Bua, 1654, Teil 2 (De admirandis), S. 19, 30-31. Lange vor Riccioli und Hodierna hatte aber bereits Johann Baptist Cysat eine erste Beobachtung von Doppel- und Mehrfachsternen, auch wenn er selbst sie als Sternhaufen („stellularum cumuli“) bezeichnet, in seinen Mathemata astronomica (1619) veröffentlicht: siehe im Anhang, S. 317-325, hier S. 324. Zu Hodierna siehe jetzt: Mario Pavone/ Maurizio Torrini (Hgg.), G.B. Hodierna e il « secolo cristallino », Florenz: Leo S. Olschki, 2002. Hodierna darf heute als Pionier der Stellarastronomie gelten, insbesondere für seine Beobachtung interstellarer Nebel: Giorgia Foderà Serio/ Lucio Indorato/ Pietro Nastasi, „G.B. Hodierna’s Observations of Nebulae and His Cosmology“, JHA, 16 (1985), S. 1-36. Vor dreißig Jahren allerdings wurden Hodiernas Leistungen noch verkannt, wie der Eintrag im DSB (X: 176ab, unter „Odierna“) zeigt (ebd., 176b: „[sc. Hodierna’s numerous works] cannot be said to be of real scientific value“). Dagegen wird er von Alexandre-Guy Pingré (Annales célestes du six-septième siècle [ca. 1756], hg. von Guillaume Bigourdan, Paris: Gauthier-Villars, 1901, S. 221, 173, 183, 206, 210, 217, 218, 222, 230, 281) mehrfach wegen seiner Ephemeridenberechnungen zitiert, während seine eigentlich bedeutsamen und hier noch weiter zu besprechenden Werke unerwähnt bleiben. Positiv bewertet wird Hodierna, der neben der Astronomie auf dem Gebiet der Optik forschte sowie Insekten und Reptilien untersuchte, in BU, XIX: 491b-492b.; in POGG, I (1863): 1118 bleibt sein Eintrag ohne Kommentar. Zu Hodiernas Doppelsternen s. weiter unten S. 267. Für den Hinweis auf Pingrés Werk danke ich herzlich Herrn Prof. Jean Dhombres. 20 Rheita, Oculus Enoch (1645) I: 198a: „Fixae autem multae, quasi talem figuram exhibent per telescopium 15. pedum, quam depictam habes in iam dictae laminae figura 6. qualem etiam

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Stelle erwähnt Rheita, dass namentlich der Sirius sich so wie hier abgebildet zeige. Aber auch der Mars sei überaus oft in dieser Form zu beobachten. Obschon sich nichts Sicheres über dessen Monde sagen lasse –sie sind winzig und werden erst 1877 entdeckt –, erscheine er doch nie ganz rund, sondern immer mit einem Kamm versehen (iubatus).21 Wenn Rheita hierfür auf ebendieselbe Abbildung verweist, die auch das Aussehen jener weiteren Fixsterne zeigen soll, dann fasst er die darin dargestellten Kleinstkörper als Teil des Hauptkörpers oder mit ihm zusammenhängend auf. Was immer Rheita auch gesehen haben mag, er betrachtet die aus mehreren Körpern bestehenden Fixsterne als physische Mehrfachsterne und nicht als optische.

Abb. 9 –„Dreikörperstern“(fig. 7) und „gewisse andere Sterne“(fig. 6) aus: A. M. Schyrleus de Rheita, Oculus Enoch et Eliae, 1645, Tafel G (vergrößert) mit freundlicher Genehmigung der BSBM (Sign.: Res/ 2°Graph. 12a) siehe in vorliegender Arbeit hier und S. 267 f., 273

faciem saepissime fere Mars exhibere solet.“; diese Abbildung befindet sich neben der oben beschriebenenen gleich großen Figur 7 am Schluss des Buches, Figur 6, Tafel G: siehe hier oben Abb. 9 auf vorhergehender Seite. 21 Rheita, Oculus Enoch (1645) I: 287ab: „[… ] licet autem nos Martem saepissime quasi tali figura & facie observaverimus, qualem vides in figura 6. laminae G (qualis & canis maior, & aliae quaedam fixae apparent) adeo ut [287b:] Mars nunquam rotundae, sed perpetuo iubatae figurae appareat: nil tamen certi de huius sideris comitatu adstruere libet aut licet; donec nobis certiora pandere tempori & experientiae lubeat.“Eine etwas ähnliche Abbildung für den Mars findet sich in Schotts Einleitung zu diesem Planeten und dessen verschiedentlich beobachtetem Aussehen: It., 242/243 (Fig. III).

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4. Die Fixsternparallaxe

Von dieser Vorstellung scheint es aber nur ein kleiner Schritt zu sein zu den aus mehreren Sternen bestehenden Systemen, die in der Ekstatischen Reise beschrieben werden und die sich ansatzweise schon bei Rheita finden. 22 Wie Kircher hält auch Rheita die Sterne für Sonnen, die sich dennoch wie Planeten in eigenen Kreisbahnen bewegen, ohne dass wir dies wegen der ungeheuren Entfernung sehen könnten.23 Und wie den Jesuiten Kircher glaubt Guericke auch den Kapuziner Rheita in diesem Punkte verbessern zu dürfen: Zweifelsohne („procul dubio“) habe Rheita damit sagen wollen, dass Planeten und nicht Sonnen oder Sterne sich um andere bewegten, denn sie würden ja deswegen Fixsterne genannt, weil sie keine Bewegung hätten.24 Doch Rheita wusste, was er sagte. Denn mit dieser Annahme von bewegten Sternen versuchte er ein eigenes Phänomen zu erklären: Das Sichtbarwerden und Verschwinden von Sternen. Rheita vermutet, dass diese Sterne sich in Wirklichkeit womöglich auf riesigen Kreisbahnen bewegten, auf denen sie nach geraumer Zeit sichtbar würden, wenn sie der Erde am nächsten kämen (perigaeum) und wieder verschwänden, sobald sie sich wieder entfernten (versus apogaeum). Auch bei den seit 1572 neu erschienenen Sternen (stellae novae) könne es sich laut Rheita um solche Kreisbewegungen großer Gestirne handeln. Diejenigen, die an der Unzerstörbarkeit des Himmels festhielten, müssten dies ohnehin einräumen. Wenngleich Rheita nicht zu diesen zählt, sieht er aber dennoch keine andere Möglichkeit, dieses Phänomen zu erklären. 25 Denn das Kommen und Gehen der Sterne mag tatsächlich noch viel häufiger auftreten als von uns beobachtet, für welche Ansicht er den Copernicaner Gottfried Wendelin (1580-1667) aus einem Brief an ihn zitiert.26 22 Rheita, Oculus Enoch (1645) I: 196a, und I: 169a: „[Marginalie:] Stellas fixas etiam suo modo moveri. [Text:] Profecto enim haud incredibile aut improbabile censeri debere arbitror, fixas, saltem quasdam sinon omnes, immani spatio a nobis dissitas, suo etiam modo moveri; suasque forte aeque bene ac Planetae periodos, in suis orbibus describere, etsi nobis ob inenarrabilem remotionem omnino immobiles videantur.“ 23 Rheita, Oculus Enoch (1645) I: 169a: „Profecto enim haud incredibile aut improbabile censeri debere arbitror, fixas, saltem quasdam sinon omnes, immani spatio a nobis dissitas, suo etiam modo moveri; suasque forte aeque bene ac Planetae periodos, in suis orbibus describere, etsi nobis ob inenarrabilem remotionem omnino immobiles videantur.“Die Begründung Rheitas, dass die so weit entfernten verschieden tief im Raum liegenden Sterne unmöglich ihr Licht von der Sonne empfangen könnten und daher selbst Sonnen sein müssten (ebd., I: 177b, aus einem Brief an Juan Caramuel y Lobkowitz vom 19.08.1644), wird von Guericke (1672, S. 230a) zitiert. 24 Guericke (1672, S. 230b) zitiert und kritisiert Rheita (1645) 196b. 25 Rheita, Oculus Enoch (1645) I: 169a, oben zitiert, sowie in Rheitas Ausblick auf die neue Sternenordnung (ebd. I: 196a-198b): ebd. I: 196b: „Profecto stellae illae tot novae (de quibus supra in epistolis nostris ad Cassendum & Caramuelem egimus) tam subito inter fixas nobis apparentes, ut libere dicam, magnam nobis suspicionem afferunt, quasdam fixas in suis etiam circulis supra Saturnum ferri, & forte quandoque cometas videri: & ideo dum scilicet in perigaeum suorum orbium descendunt, telluri viciniores redditi a nobis ita videri aliquando, tum denuo evanescere.“ 26 Wendelin an Rheita, in Rheita, Oculus Enoch (1645) I: 170ab; Ort und Datum fehlen für den Brief. Wendelins Schreiben an Rheita dürfte aber nicht früher als 1643 verfasst worden sein,

4.3. Ein neues Bild von den Sternen

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Wie Wendelin hält auch Rheita die neu auftretenden Sterne für ein Phänomen, das sich womöglich täglich ereignet. Von dieser Einschätzung berichtet Rheita seinerseits an Juan Caramuel y Lobkowitz (1606-1682), welches Schreiben er gleichfalls im Oculus Enoch veröffentlicht. Darin meint Rheita, dass dieses Phänomen allein deswegen weniger häufig zu beobachten sei, weil es nur an größeren Sternen bemerkt werde, vermehrt wohl aber bei kleineren vorkomme. Vor allem aber würden die Sterne zu selten beobachtet und dies durch ein normales Teleskop mit dem hierfür zu engen Blickfeld, während durch Rheitas Binokular mehr als zwanzig und fünfzig Sterne gleichzeitig zu sehen seien. 27 Somit hält Rheita das Phänomen der neuen Sterne für schlicht zu häufig vorkommend, um darin wirklich neu entstandene zu sehen. Hierunter zählt er die Himmelserscheinungen von 1572, 1596, 1600, 1604 und 1638.28 Nicht alle mit diesen Jahreszahlen verbundenen Beobachtungen bezeichnen wir heute noch als Novae. Doch werden sie gleichfalls unter einen einheitlichen Begriff gefasst, unter den der Veränderlichen. Unter die Klasse der eruptiv-veränderlichen Sterne fallen die von Tycho untersuchte Supernova von 1572 im Sternbild Cassiopeia sowie Keplers Supernova von 1604 im Sternbild Schlangenträger (Ophiuchus). In diese Klasse gehört auch der neue Stern von 1600 im Sternbild Schwan (Nova Cygni 1600). Doch bei ihr handelt es sich um den Typ einer rekurrierenden Nova: Der Stern P Cygni wurde erstmals 1600 als ein Stern dritter Größe beobachtet und behielt diese Helligkeit vielleicht nur kurz bei. Andererseits soll er verschiedenen Beobachtern zufolge noch bis 1621 oder gar bis 1629 sichtbar geblieben sein, bevor er die nächsten Jahrzehnte verschwand. 29 Erst in den 1650er Jahren gewann er da Rheitas Entdeckung von Sternen beim Jupiter erwähnt wird (für selbige s. weiter unten). 27 Rheita an Caramuel, 19.08.1644, in Rheita, Oculus Enoch (1645) I: 176a-177b, hier 176b177a: „Cur vero minus frequenter videantur eiusmodi novarum stellarum ortus, causa esse videtur, tum quod nimis raro astra observentur, cum etiam quod per tubum batavicum, ob nimis arcti spatij exhibitionem, difficillime eiusmodi astra inveniantur, nostro econtra uno obtutu amplissimo, ultra 20. 30. 40. & 50. stellas simul exhibente. Cumque novarum stellarum in ijs solummodo, quas magnitudo reddidit magis conspicuas, tam frequens conspiciatur ortus; signum est, multo frequentiorem, quin & quotidianum [177a:] forsan esse, in ijs quos parvitas visui nostro subtrahit &c. circa regionem Planetarum superiorum.“ 28 Rheita, Oculus Enoch (1645) I: 169a: „Quis enim scit num stellae illae novae quarum una quidem Anno 1572. magnitudine & splendore reliquas fixas excedens, subito in Cassiopeia apparuit; altera vero anno 1604. in Serpentario conspecta est: & tres minores visae: prima quidem anno 1596. in Ariete. secunda, anno 1600. in Cygno, & tertia anno 1638. in Ceto: [… ]“ Bei dem von Rheita unter die kleineren Novae gezählten neuen Sterne aus dem Jahre 1596 im Sternbild Widder („anno 1596. in Ariete“) dürfte es sich tatsächlich um o Ceti handeln, dessen Position schon von Kepler angegeben worden ist mit „in 25. 45' Arietis, cum latitudine Australi 15. 54'“: Kepler, De stella nova in pede Serpentarii [Prag und Frankfurt a.M., 1606, S. 112], KGW, I: 259 (Z. 14-15); welche ekliptikale Positionsangabe auf die Minute genau sich wiederfindet bei Riccioli, AN, II: 132ab. 29 Erstmals beobachtet wurde die Nova Cygni 1600 von Willem Janszoom Blaeu (1571-1638), ein ehemaliger Schüler und Mitarbeiter Tychos: Kepler, De stella nova in pede Serpentarii [Prag u. Frankfurt a.M., 1606, S. 164], KGW, I: 307 (Z. 1-13). Laut Riccioli (AN, II: 132b) habe Chiaramonti (De tribus novis stellis, 1628, lib. 3, cap. 6) behauptet, dass die Nova Cygni nicht erst 1626, sondern schon 1621 verschwunden sei, wogegen sie Argoli (Pandosion

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4. Die Fixsternparallaxe

vorübergehend seine alte Helligkeit zurück, schrumpfte aber bald wieder bis auf sechste Größe.30 Die Schwankungsbreite von P Cygni (34 Cygni) liegt nach heutigen Angaben bei drei Größenklassen. Auch die von Rheita als kleine Nova im Sternbild Wal (Cetus) angeführte Himmelserscheinung ist auf einen Veränderlichen zurückzuführen. Am 13. August 1596 wurde von David Fabricius (1564-1617) erstmals dieser Stern beobachtet,31 der besser bekannt ist als der Wunderbare (Mira stella), welchen Namen ihm später Johannes Hevelius (16111687) gab.32 Doch diesen wunderbaren Stern hatte schon 1603 Johann Bayer in seinem Sternenkatalog (als Ceti) verzeichnet unter den Gestirnen vierter Größenklasse des Sternbilds Schwan.33 Das ganze 17. Jahrhundert hindurch wurde die Mira stella vermeintlich immer wieder neu entdeckt.34 Denn bei ihr handelt es sich um den ersten Vertreter von langperiodisch veränderlichen Sternen. In regelmäßigen Abständen gewinnt Mira an Helligkeit und schwankt dabei um acht Größenklassen, so dass aus dem Nichts ein Stern sichtbar wird von bis zu zweiter Größe, bevor er wieder abnimmt und scheinbar verschwindet. Dabei soll Johannes Holwarda (1618-1651) schon 1638 das Besondere an dieser Erscheinung ausgemacht und die Periode ihrer Wiederkehr auf elf Monate berechnet haben. 35 Auf

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sphaericum, 1644, cap. 62) noch bis 1629 gesehen haben will. Argoli berichtet auch, dass P Cygni diesen ganzen Zeitraum von 29 Jahren über eine Größe von dritter Magnitude beibehalten habe und anschließend mit extremen Wechsel verschwunden sei („quam [sc. magnitudinem] tamen immutavit in extremo, & evanuit“): Pandosion sphaericum, Padua: Paulus Frambottus, ²1653, S. 289 (cap. 62). Halley gibt für das Wiedererscheinen von P Cygni als Stern dritter Größe die Jahre 16571659 an: „A short History of the several New-Stars that have appear’d within these 150 Years; with an Account of the Return of that in Collo Cygni, and of its Continuance observed this Year 1715”, Philosophical transactions, 29 (1717), S. 354-356 (numb. 346, Nov.-Dec., 1715), hier S. 355. Doch Hodierna soll schon seit 1654 P Cygni beobachtet haben: G.F. Serio u.a. (1985) 36 n.34. Laut Halley (1717, S. 355-356) sei P Cygni nach 1659 bald („soon after it“) zurückgefallen und bis auf seine Zeit bei 5./6. Größe geblieben. Diese Notiz ist Kepler zu verdanken: De stella nova in pede Serpentarii [1606, S. 112], KGW, I: 259 (Z. 9-15). Sichtbar sei der Stern nur bis Oktober des Jahres gewesen. Datum 13. August ist neuer Stil. Dies berichtet Hevelius’Schüler Gottfried Kirch (1639-1710) in einem in seinem Todesjahr erschienenen Artikel: „De varia apparentia stellae in collo Cygni“, Miscellanea Berolinensia ad incrementum scientiarum, 1 (1710), S. 208-212, hier S. 209; wieder gedruckt in: ders., „De varia apparentia Stellae novae in Collo Cygni Narratio“, Philosophical transactions, 29 (1714-1716), S. 226-228, hier S. 226. Johann Bayer, Uranometria, omnium asterismorum continens schemata, Augsburg: Mangus, 1604, f. 34rv (Tabula 34). Sowohl Rheita (Oculus Enoch, 1645, I: 169a) als auch Riccioli (AN, II: 132ab) betrachten die damals so genannten Novae von 1596 und 1638 als getrennte Erscheinungen. Dies soll auch noch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts vorgekommen sein: Lexikon der Astronomie. Die große Enzyklopädie der Weltraumforschung, 2 Bde, hg. von Rolf Sauermost, Freiburg im Br.: Herder, 1989-1990, Bd II, S. 430ab. Jürgen Hamel, Geschichte der Astronomie. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Basel: Birkhäuser, 1998, S. 210. Holwardas 1640 erschienenes Werk ist äußerst rar (in HAB Wolfenbüttel (A: 69.6 Astron. (1)) nachgewiesen). Auch Ismaël Boulliau (Ad astronomos monita duo, Paris, 1667) wird als der Entdecker dieser Periodizität genannt, so von M.A.

4.3. Ein neues Bild von den Sternen

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Holwardas Beobachtung, die er 1640 veröffentlichte, beziehen sich Rheita wie auch Wendelin, wenn sie das Phänomen der neuen Sterne von 1572 bis 1638 zusammen genommen betrachten und als so häufig (tam frequens) ansehen, dass sie darin ein fast alltägliches (quotidianum) vermuten.36 Es ist durchaus vorstellbar, dass die vielleicht von Holwarda bereits entdeckte Periodizität der Mira-Erscheinung jenen Gedanken entscheidend befördert hat, den Rheita als Erklärung für das Phänomen der neuen Sterne vorbringt: eine entsprechend große Kreisbewegung, durch welche der Stern sichtbar wird, wenn er sich der Erde nähert und an Helligkeit verliert sobald er sich wieder entfernt. Da, wie von Rheita gleichfalls angenommen, die Entfernung dieser zur Erde exzentrischen Kreisbahn zu groß ist, um als Bewegung noch wahrgenommen zu werden, scheint der Stern auf der Stelle stehend, tatsächlich aber in Abhängigkeit zum Kreisbahnumfang seine Helligkeit periodisch zu ändern, bis er sichtbar oder unsichtbar, heller oder schwächer wird. Obgleich es fraglich bleibt, inwieweit die Bestimmung der Mira-Periodizität durch Holwarda überhaupt bekannt und von Einfluss gewesen sein mag –Riccioli war sie offenbar entgangen und ihm wohl kaum allein 37 –, so gaben diese Art von Himmelserscheinungen jedenfalls den Ausschlag dafür, dass Rheita über eine Eigenbewegung der Sterne nachdachte. Dank dem astronomischen Phänomen der Veränderlichen vermochte er sich somit von der sowohl bei Copernicanern als auch bei Geozentristen tief sitzenden Überzeugung zu befreien, dass die Fixsterne tatsächlich still stünden. Womöglich dürften die Veränderlichen auch allgemein den ersten begründeten Anlass dafür gegeben haben, sich von dieser alten Vorstellung zu lösen, die so unwiderlegbar durch Sinneswahrnehmung bewiesen schien. Dies sollte selbst noch auf Christian Mayer zutreffen, der das Phänomen veränderlicher und scheinbar neuer Gestirne ohne die Annahme stellarer Eigenbewegungen für schlichtweg unbegreiflich hielt.38 Aber auch von zwei weiteren Astronomen des 17. Jahrhunderts ist bekannt, dass sie in ihrer Auseinandersetzung mit Veränderlichen gleichfalls dazu kamen, eine Bewegung in den Fixsternen anzunehmen. Seit 1654 beobachtete der Tychoniker Hodierna den 1600 erstmals als Nova erschienenen und wieder verblassten Stern P Cygni. Dabei kam er 1659 zu dem Schluss, dass diese Erscheinung auf radiale Bewegungen des Sterns zurückzuführen sei. 39 Zwar keine Ortsbewegung wie von dem heute wie damals kaum bekannten Hodierna, aber immerhin eine Rotation der Sterne wurde einige Jahre später von dem Copernicaner Ismaël Hoskin (1982, S. 37), der Holwarda diese Entdeckung abspricht (ebd., 24). 36 Rheita, Oculus Enoch (1645) I: 170b (Wendelin an Rheita), 176b (Rheita an Caramuel). 37 Riccioli, AN, II: 132b. 38 Mayer, De novis in coelo sidereo phaenomenis (²1780) 381: „[… ] plura in coelo nasci nova sidera, eamque rem plane novam & admirandam sine motu proprio comitum intelligi non posse.“; solch eine Eigenbewegung innerhalb von Systemen müsse als Erklärung vor allem bei Sternen sechster, siebter oder achter Magnitude dienen: ebd., S. 381f. 39 Laut G.F. Serio u.a. (1985, S. 36 n.34) liefere Hodierna eine Erklärung für P Cygni „in terms of radial motions of the star“in: Hodierna, Il Nuntio Pio Della Stella Nuova Recentemente comparsa nel Cielo, Palermo: Diego Bua, 1659.

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4. Die Fixsternparallaxe

Boulliau (1605-1694) vorgeschlagen. Damit wollte dieser die wechselnde Größe bzw. Helligkeit des Mira-Sterns erklären, dessen periodisches Verhalten er auf elf Monate bestimmte. Boulliau konnte mit seiner Erklärung umso leichter Zustimmung finden, als er Miras Schwankungen analog zu unserer Sonne mit deren Rotation sowie mit den in Zahl und Größe veränderlichen Sonnenflecken begründete. Überdies ließ sich solch eine unterschiedlich helle und wechselnde Oberfläche bei allen Sternen annehmen, schließlich galten sie alle als Sonnen. Damit mochte nicht nur das periodische Verhalten von Mira erklärt werden, sondern auch das unregelmäßige Leuchten anderer Sterne, selbst das plötzliche Sichtbarwerden von (eruptiv-veränderlichen) Sternen (von zu hellen Novae einmal abgesehen).40 Um die Veränderlichen zu erklären, wurde demnach von den Fixsternen eine Rotationsbewegung geradezu gefordert, wie sie Tycho bereits für deren Funkeln (scintillatio) angenommen hatte.41 Doch auch mit Boulliaus Erklärung stehen die Fixsterne weiterhin fest an ihrem Platz ganz wie die Sonne im copernicanischen System und drehen sich überdies noch unserer Sonne gleich um sich selbst. Eine Sternrotation, wie Boulliau sie vorschlug, kann nach heutigem Wissen tatsächlich Ursache sein für die Größenänderung eines Sterns, aber nur für eine kleine Gruppe von Veränderlichen, deren Helligkeit dadurch um einige Hundertstel schwankt. Eine Kreisbewegung hingegen, wie sie Rheita und Hodierna vorgebracht hatten, kann nicht allein, sondern nur in Zusammenspiel mit weiteren Himmelskörpern Ursache für stellare Größenschwankungen sein. Dabei umlaufen sich die Komponenten eines Doppel- oder Mehrfachsterns von der Erde aus gesehen derart, dass sie sich gegenseitig bedecken, wodurch ihre gemeinsame Helligkeit periodisch abnimmt. Einen solchen Erklärungsansatz hatte 1777 erstmals Christian Mayer vorgelegt (s. weiter oben S. 183). Ähnliche deutete 1783 John Goodricke (1764-1786) den ‘winkenden Stern’der Araber, das periodische Blinken von Algol ( Persei).42 Goodrickes Eklipsen-Theorie konnte sich zunächst 40 M.A. Hoskin (1982) 37: Boulliaus Erkärung finde sich im ersten Teil seiner Ad astronomos monita duo (Paris 1667). 41 Tycho Brahe, Progymnasmata [Prag, 1602, S. 401-405, hier 404-405], TBO, II: 375-377, hier 377, Z. 5-28. Tychos Fixstern-Rotation als Erklärung für deren Szintillation wird kritisiert von dem Geozentristen Raphaël Aversa, Philosophia (²1650) II: 164ab. Dagegen nennt Riccioli (AN, I: 396b-397a) ausschließlich Bruno (De maximo et immenso, lib. 4, cap. 8) und nicht Tycho als einen Vertreter der Auffassung, dass das Funkeln der Fixsterne auf deren Rotation zurückzuführen sei; siehe hierzu auch auch oben S. 228, 229. Wie wir heute wissen, wird die Szintillation verursacht durch Lichtbrechung an den unteren unruhigen Lufschichten der Erdatmosphäre. 42 John Goodricke, „A series of observations on, and a discovery of, the period of the variation of the light of the bright star in the Head of Medusa, called Algol“, Philosophical transactions, 73 (1783), S. 474-482. Goodricke selbst aber sah in Algol keinen Doppelstern. Seine Erklärung für Algols Veränderlichkeit warf somit nicht die Frage nach physikalischen Mehrfachsternen oder Sternbewegungen auf, sondern blieb im Rahmen der traditionellen Vorstellung von Fixsternen als copernicanische Systeme (rotierende Sonne + umlaufende Planeten): ebd., 482: „If it were not perhaps too early to hazard even a conjecture on the cause of this variation [sc. of Algol], I should imagine it could hardly be accounted for otherwise than either by the interposition of a large body revolving round Algol, or some kind of motion of ist own, whereby part of ist body, covered with spots or such like matter, is periodicaly turned

4.3. Ein neues Bild von den Sternen

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aber nicht gegenüber der von Boulliau vorgebrachten Sternrotation durchsetzen. 43 Erst ein halbes Jahrhundert später wurde sie ernsthaft wieder aufgegriffen. Sie begründet heute die Klasse von Bedeckungsveränderlichen, die mit den rotierenden Sternen gemein haben, dass sie in kurzen Perioden um einen geringen Grad an Helligkeit schwanken. Ungeachtet dessen darf man in Rheitas kreisenden Sternen aber einen ernst gemeinten Versuch sehen, das astronomische Phänomen der Veränderlichen zu erklären. Dass darin letztlich seine Absicht lag, gesteht ihm sogar der Astronom und bedeutende Astronomie-Historiker Jean-Baptiste Joseph Delambre (17491822) zu, auch wenn er an Rheita sonst wie meist an Vertretern der katholischen Astronomie, insbesondere den Jesuiten, kaum ein gutes Haar lässt. 44 Delambre sieht in Rheitas bewegten Sternen einen Erklärungsversuch für die „étoiles changeantes“. Doch weist er eben diese Erklärung entschieden zurück, weil Fixsterne ja keine Bewegung hätten.45 Man mag in dieser grundsätzlichen Kritik aus dem 19. Jahrhundert sehen, wie langsam sich die Vorstellung von einer Bewegung der Sterne verbreitete, die als solche immerhin schon 1718 von einem Copernicaner vorgebracht worden war,46 aber erst mit Herschel (1803) als bewiesen gelten konnte.47 Doch nicht nur diese tief verwurzelte Annahme von fest stehenden Sternen dürfte die Rezeption der Rheitaschen Sternbewegung erschwert haben. Abträglich mag ihr überdies der wissenschaftliche Streit gewesen sein, der diesem Erklärungsversuch voranging. Von diesem Streit berichtet noch Schott in der Würzburger Ausgabe der Ekstatischen Reise. In seiner Einleitung zum Jupiter greift er ihn ausführlich mit der Frage auf, ob es mehr als vier Jupitermonde gebe: 48 Am 6. Januar 1643 berichtete Rheita an den belgischen Humanisten Erycius Puteanus (Erik van de Putte, 1574-1646) von fünf weiteren Begleitern des Jupiter, die er towards the earth.“ 43 M.A. Hoskin (1982) 37-55. Diese Erklärung für Algol hatte Goodricke ja auch selbst nicht ausgeschlossen: siehe vorhergehende Fußnote. 44 J.-B. J. Delambre (²1821) II: 175-188, hier 177. Einzig positiv vermerkt Delambre Rheitas Leistung im Teleskopbau (ebd., II: 180, 181). Zu den Jesuiten ganz allgemein meint er ebd., II: 175 : „C’est une chose bien singulière que, parmi ce grand nombre de professeurs jésuites qui ont écrit sur les Sciences et même sur les Lettres, il ne s’en trouve aucun qui se soit vraiment distingué, soit par une découverte, soit par un ouvrage véritablement bon.“ 45 Delambre (²1821) II: 177: „Il soupçonne que les étoiles pourraient avoir leurs mouvemens propres, que l’énormité de la distance nous empêcherait d’apercevoir. Les étoiles changeantes pourraient bien avoir de grandes orbites et de longues révolutions; il oublie que les étoiles changeantes sont fixes et ne changent pas de lieu.“ 46 Edmond Halley, „Considerations on the Change of the Latitudes of some of the principal fixt Stars“, Philosophical transactions, 30 (1717-1719), S. 736-738. Zur geringen Akzeptanz dieser erstmals von einem Copernicaner vorgebrachten Sternbewegung: s. unten Anm., S. 261. 47 Herschel, „Account of the Changes that have happended during the last Twenty-five Years, in the relative Situation of Double-stars, with an Investigation of the Cause to which they are owing“, Philosophical transactions, 93/2 (1803), S. 339-382, und 94/2 (1804), S. 353-384. 48 Schott in It., 273-277 (‘Praelusio in Jovem’, §5), hier 274-277; vgl. dazu Ricciolis Zusammenfassung, AN, I: 489a-490a (lib. 7, sec. 1, cap. 3, num. 2: De Numero Iovialium Comitum).

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seit längerem beobachtet habe.49 Seinem Schreiben fügte er eine Abbildung bei, auf der die Umlaufbahnen dieser fünf neuen Jupiter-Trabanten verzeichnet waren, die er wohl ihrer Größe und größeren Entfernung wegen auch als Planeten bezeichnete. Benannt mochte er sie entweder nach Kaiser Ferdinand III., Papst Urban VIII. oder nach der Stadt Köln wissen, wobei er selbst sich offenbar für Ersteres entschied („quinque Planetae, Ferdinando-tertianaeve Stellae“). 50 Rheita bat Puteanus, seinen Bericht gelehrten Männern zukommen zu lassen, worunter er namentlich den Anti-Copernicaner Libert Froidmont nannte.51 Aus Belgien erhielt schließlich auch Gabriel Naudé (1600-1653), leitender Bibliothekar des Kardinal Mazarin (Giulio Mazarini, 1602-1661), eine Abschrift von Rheitas Brief, die er zur Prüfung des darin erhobenen Anspruchs an Pierre Gassendi weitergab. 52 Gassendi nun aber, der den Jupiter zur selben Zeit wie Rheita beobachtet hatte, sollte zu einem vernichtenden Urteil kommen. 53 Rheita indes hatte zugleich ausgeschlossen, dass sich die neuen Begleiter des Jupiter mit einem gewöhnlichen Teleskop überhaupt sehen ließen; möglich sei dies am besten nur mit einem von der Art, wie er es erfunden habe. 54 Diese Bedingung mag für sich genommen schon verdächtig klingen, wenngleich Galilei bei seiner Entdeckung der Jupitermonde eine ähnliche Einschränkung gemacht hatte.55 Rheitas Teleskope hingegen stellten tatsächlich aufgrund der von ihm neu entwickelten Fertigungstechniken eine Zäsur in der Entwicklungsgeschichte dieses Instruments dar. Die Überlegenheit der Rheitaschen Fernrohre wurde aber erst nach Erscheinen des Oculus Enoch et Eliae (1645) europaweit bekannt.56 Wegen der von Rheita gemachten Einschränkung allerdings musste Gassendis Kritik in der langen Stellungnahme, die er im April desselben Jahres an Naudé schickte, etwas grundsätzlicher ausfallen. Was demnach laut Gassendi vor allem gegen Rheitas Behauptung spreche, sei die Umlaufbewegung dieser neuen Begleiter, die entgegengesetzt zu derjenigen der übrigen Planeten und Monde verlaufe, sowie das unwahrscheinliche Verschwinden von zweien dieser Gestirne, für das Rheita keine stichhaltige Erklärung 49 Als Stichtag der Entdeckung wird von Schott der 29.12.1642 genannt (It., 274); Rheita hat über mehrere Monate seine Beobachtungen geführt, wie aus seinem in Gassendis Gesamtausgabe abgedruckten Brief an Puteanus hervorgeht: GOO, IV: 512a-513b, hier 513a, 513b. 50 Rheita an Puteanus, 06.01.1643, in GOO, IV: 513a; Riccioli hingegen wählt aus Rheitas Namensangeboten die päpstliche Bezeichnung: „quinque [sc. laterones exteriores] Urbanoctavianos“: AN, I: 489a. 51 Rheita an Puteanus, 06.01.1643, in GOO, IV: 513a (Post-Scriptum). 52 Schott in Iter, 275, und GOO, IV: 511ab. 53 Gassendi an Naudé, GOO, IV: 513b-522b. 54 Rheita an Puteanus, 06.01.1643, in GOO, IV: 513ab. 55 Galilei, Sidereus nuncius [Venedig: Thomas Baglionus, 1610], OGG, III.1: 61 (Z. 16-23). 56 Rolf Willach, „The Development of Telescope Optics in the Middle of the Seventeenth Century“, Annals of Science, 58/4 (2001), S. 381-398, hier S. 388-398 und 398: „Only with the new manufacturing technology, which they [sc. Rheita und Wiesel] developed, did the telescope change from a imperfect device into an efficient instrument of research.“Dieser Durchbruch beim Schleifen großer Objektivlinsen mit hohem Grad an Schärfe verbindet sich zugleich mit dem Namen von Rheitas Schüler und Mitarbeiter Johann Wiesel (1583-1662) in Augsburg, „first professional optician in Europe“(zu Wiesel, s. Literatur ebd., S. 390 n.19).

4.3. Ein neues Bild von den Sternen

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liefere.57 Daraufhin wurde Rheita wenige Monate später von Juan Caramuel y Lobkowitz verteidigt. Laut Schott habe dieser hierbei sowohl auf Ungereimtheiten in Rheitas neuen Jupitermonden aufmerksam gemacht als auch auf Unzulänglichkeiten in Gassendis Kritik. Als Adressat für seine Apologie wählt Caramuel den päpstlichen Nuntius in Köln, Fabio Chigi (1599-1667) – der spätere Papst Alexander VII.58 Größere Bekanntheit gewann Rheitas vermeintliche Entdeckung sowie die sich daran anschließende Auseinandersetzung durch das 1643 gedruckte Buch Novem stellae circa Iovem, in dem die erwähnten Schreiben Rheitas, Gassendis und Caramuels abgedruckt sind.59 Hieraus zitiert auch Schott in der Würzburger Ausgabe der Ekstatischen Reise für seine Einleitung zum Jupiter. In seinem zwei Jahre später veröffentlichten Oculus Enoch ließ Rheita seine ursprüngliche Deutung der entdeckten Sterne als Jupiter-Trabanten bereits wieder fallen. Er sah sich hierzu gezwungen, weil selbige nicht mehr bzw. nicht dauerhaft zu beobachten waren. Dieses Eingeständnis geht mit einer neuen Deutung einher, mit welcher Rheita bemüht ist, seine damalige Beobachtung als solche zu verteidigen. 60 Dafür aber dass jene Sterne wirklich einmal zu sehen waren, zitiert Rheita einen weiteren Zeugen, der sie am 22. April –(die Jahreszahl erfahren wir leider nicht) –in Den Haag beobachtet habe. 61 Dass sie hingegen tatsächlich nicht durchgängig zu sehen seien, betrachtet Rheita als ein Beispiel für jenes oben aufgezeigte Entstehen und Vergehen der Sterne, das in Wirklichkeit ja viel häufiger vorkomme, als es von uns bemerkt werde. Nicht nur für diese Ansicht aber kann er Wendelin zitieren, sondern dieser selbst, sein Freund („amicus noster“), sieht darin eine Erklärung für Rheitas strittige Beobachtung. 62 57 Diese zwei wesentlichen Punkte von Gassendis Kritik führt Schott an: It., 276. 58 Caramuel an Chigi, 03.07.1643, zitiert nach Schott in Iter, 277. 59 Franciscus Penneman, Novem stellae circa Iovem, circa Saturnum sex, circa Martem nonnullae, a P. Antonio Reita detectae & satellitibus adiudicatae; de primis (& si mavelis de universis) D. Petri Gassendi iudicium Jo. Caramul Lobkowitz eiusdem iudicii censura, Louvain: Bouvetius, 1643. Mit dieser Schrift ist die in Gassendis Gesamtausgabe unter ähnlichem Titel („Novem stellae circa Iovem visae“) veröffentlichte Briefsammlung nicht identisch: GOO, IV: 511-522; in ihr finden sich das Anschreiben des Briefes, den Naudé aus Belgien erhielt (ebd., 511ab), Rheitas Brief an Puteanus (ebd., 512a-513b) und Gassendis Brief an Naudé (ebd., 513b-522b); damit fehlt insbesondere die Verteidigung Rheitas durch Caramuel in dessen Brief an Chigi. 60 Dieses Bemühen wird deutlich in seinem dort abgedruckten Brief zu seiner Verteidigung, den er im März 1645 an Gassendi schreibt: Rheita, Oculus Enoch (1645) I: 171b-174b. 61 Mit „I.I. Stampion (illustrissimi Prinicpis Auriaci Mathematici)“ist der niederländische Mathematiker Jan Jansz de Jonge Stampioen (1610-1690) gemeint, der Lehrer Wilhelms III. von Oranien (1650-1702) sowie seit 1644 des jungen Christiaan Huygens: Stampioen (Den Haag) an Rheita, 22.04.[vermutlich 1643], in Rheita Oculus Enoch (1645) I: 174b-175a. 62 Wendelin an Rheita (oh. Datum), in Rheita, Oculus Enoch (1645) I:170b: „Denique & anno 1638. in Ceto lucida, qua accurate descripsit Ioannes Phocylides Holvvarda Franicarae libello super eclipsi Lunari illius anni, superque novo isto edito. Existimo enim ortum istum novarum in firmamento stellarum satis iam frequentem, multo etiam esse frequentiorem atque adeo quotidianum, nisi quia solas eas novimus quas magnitudo fecit illustres. Itaque viderit, an non aliqua ex illis quos Planerulas agnoscis stellulae sint novellae. Videor enim ego tale quid circa Pleiades observasse. Tu hoc ergo mecum expendes &c.“

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4. Die Fixsternparallaxe

Somit sollten Rheitas stellare Kreisbahnen, auf denen die Sterne kommen und gehen, sichtbar und unsichtbar werden, nicht nur ein allgemeines Phänomen erklären, sondern auch jene Beobachtung von 1642.63 Die im Oculus Enoch entworfene Kreisbewegung der Sterne überhaupt stand folglich in direktem Zusammenhang mit Rheitas vermeintlicher Entdeckung der Jupiter-Planeten sowie mit der hierauf folgenden Kritik. Rheitas neue nicht wenig unerhörte Erklärung hätte daher auch den Eindruck einer ad hoc vorgebrachten Hypothese erwecken können weniger um der Rettung der Phänomene als der persönlichen Ehrenrettung willen –ein Eindruck, der sich eher noch verstärken mochte. Denn der Glaubwürdigkeit von Rheitas neuer Erklärung konnte es nur schaden, dass zwei Jahre später Hevelius in seiner viel beachteten Selenographia (1647) die verschwundenen Sterne und vermeintlichen Planeten Rheitas schlicht als Fixsterne nachweist. 64 In der Schottschen Zusammenfassung dieser Auseinandersetzung bleibt Hevelius hingegen unerwähnt. Stattdessen liefert Schott weitere Zeugen für jene Sterne, die Rheita 1642 beobachtet haben will. So sei schon Scheiner davon ausgegangen, dass es mehr als vier Jupitermonde gebe. Francesco Fontana (15751656) insbesondere aber habe nicht erst 1646, als seine Observationes erschienen, jene vermeintlichen Jupitermonde beobachtet, sondern erstmals im Jahre 1630 und später wieder in den Jahren 1636, 1643 und 1645. Um diese Zeit will auch ein weiterer Ordensbruder Scheiners, Giovanni Battista Zupi (1590-1667), mit einem von Fontana hergestellten Teleskop dieselbe Erscheinung beobachtet und 1644 schließlich bis zu zwölf neue Begleitsterne des Jupiter gesehen haben. 65 Zupi schreibt hiervon aus Neapel an Riccioli, der aus diesem Brief im Almagestum novum zitiert, woraus sich Schott seinerseits für seine einleitende Darstellung des Streits um die zusätzlichen Jupitermonde bedient haben dürfte. Im Gegensatz zu Schott allerdings nennt Riccioli neben Gassendi einen weiteren Zeugen, Vincenzo Renieri (1606-1648), der diese neuen Sterne nicht beobachten konnte.66 Die Frage 63 Mit Verweis auf Wendelin zählt auch Rheita seine Jupiter-Sterne unter die Reihe neuer Sterne, die bisher beobachtet wurden, indem er sie am Schluss seiner historischen Auffzählung anführt und daran seine Erklärung für diese Phänomen der neuen Sterne allgemein anschließt: Rheita, Oculus Enoch (1645) I:169ab: „[Marginalie: Stellae cur quandoque subito inter fixas appareant & dispareant.] [Text:] [… ]: denique & stellae illae ante triennium circiter summa & fidelissima diligentia circa Iovem a nobis Coloniae observatae: quis inquam novit, num eiusmodi stellae subito nobis apparentes, & denuo tum paulatim emorientes non etiam forte maximis in suis circulis delatae ingentique annorum spatio tandem in suos perigaeos sese demittentes, telluri se pluribus millionibus leucarum sic vicioniores reddant ut a nobis quandoque [169b:] tantum cernantur? eo scilicet tempore dum suorum orbium, respectu telluris nostrae, infimum punctum perigaeum tenent: dispareant vero tum iterum, dum sese denuo versus apogaeum attollunt &c.“ 64 Johannes Hevelius, Selenographia sive Lunae descriptio, Danzig: Hünefeld, 1647, S. 49-66, zitiert nach Albert Van Helden: „Telescopes and Authority from Galileo to Cassini“, in: Instruments, hg. von Albert Van Helden und Thomas L. Hankins, Philadelphia: University of Pennsylvania, 1994 (in der Reihe: Osiris, 9/2 (1994)), S. 9-29, hier S. 20. 65 Schott in Iter, 273-274. Zu Zupi: DeBS, VIII: 1539. 66 Renieri, der späte Mitarbeiter Galileis, konnte Riccioli (AN, I: 489b) gegenüber Rheitas Beobachtung nicht bestätigen. Er hatte selbst zuvor ein Werk über die Jupitermonde veröffentlicht: Renieri, Tabulae Mediceae secundorum mobilium universales, Florenz: Amator Massa

4.3. Ein neues Bild von den Sternen

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nach neuen Jupitermonden lässt Riccioli trotzdem offen. Denn er will sich aus einem Streit zwischen Astronomen heraushalten, die seine Freunde seien. 67 Während Riccioli neutral bleibt, dient Schotts Darstellung der Verteidigung Rheitas, zumindest von dessen Beobachtung als solcher, der Schott sich am Ende anschließt.68 Dies gilt aber nicht für die Deutung, die Rheita hiervon gibt. Denn ebenso wenig wie Riccioli macht sich Schott dessen Erklärung für das Erscheinen und Verschwinden der Jupiter-Sterne zueigen. Riccioli erwähnt nicht einmal die von Rheita dafür vorgebrachte Kreisbewegung, wenn er aus dessen Oculus Enoch referiert. Vielmehr scheint sich Riccioli aus diesem Werk eine eigene Meinung gebildet zu haben, die er als Rheitas Erklärung präsentiert: Das Verschwinden der Jupiter-Begleiter habe Rheita damit begründet, dass es sich um neu entstandene Sterne („de novo genitae“) handele, die auch wieder vergehen könnten; Rheita habe nämlich um den Jupiter herum eine faulige Atmosphäre festgestellt, die auf solche Veränderungen hinweise, wie sie in irdischer Luft zu sehen seien, wenn sich Meteore („meteorica chasmata“) entzündeten und wieder erlöschen.69 Riccioli mag hieraus die Bestätigung gezogen haben, dass es sich bei jenen neuen Jupiter-Trabanten um Kometen oder neu entstandene Sterne handeln müsse. Immerhin fasste Rheita tatsächlich die fraglichen Jupiter-Sterne sowie die Kometen und Novae als ein und dasselbe Phänomen auf. Doch war dies bei Rheita eben nur die Grundlage für deren gemeinsame Erklärung, die dieser selbst in einer langperiodischen Kreisbewegung annahm. Man darf sich fragen, ob Riccioli dies nun übersehen konnte oder lediglich für zu absurd hielt, um es überhaupt anzuführen. Dass Schott seinerseits genauso wenig auf die eigentliche Erklärung Rheitas eingeht und nicht einmal die Version Ricciolis hiervon wiedergibt, mag gleichfalls überraschen. Schließlich erweist sich Schott in den Kommentaren seiner Würzburger Ausgabe als besonders guter Kenner gerade von Rheitas Oculus Enoch. Somit blenden daraus sowohl Schott als auch Riccioli die Vorstellung von einer Sternbewegung aus, obwohl Rheita sie genau in dem Zusammenhang entwickelt, der von beiden Jesuiten besprochen wird. Die Gründe hierfür müssen dahingestellt bleiben. Doch die Tatsache als solche dürfte bezeichnend sein für die Aufnahme, die Rheitas bewegte Sterne finden konnten. Umso bemerkenswerter ist die Ausnahme, die Kircher hiervon macht. Dabei stellte sich die Auseinandersetzung um Rheitas Jupiter-Sterne auch für Kircher als ein Streit zwischen Freunden dar. Denn er war selbst mit Gassendi, Caramuel, Rheita und Hevelius bekannt.70 Weder Schott noch Riccioli allerdings & Laurentius de Laudis, 1639. 67 Riccioli, AN, I: 490a: „Proinde cum veritas nondum manifesta mihi sit, quae amicitiae praevaleat; nolo litem dirimere inter amicos, aut ullam de hac re sententiam pronunciare; [… ]“ 68 Schott in Iter, 277. 69 Riccioli, AN, I: 489b. 70 Hevelius und Gassendi lernt Kircher noch während seines Aufenthalts in Avignon (nach seiner kriegsbedingten Flucht aus Würzburg) kennen: John E. Fletcher, „Astronomy in the Life and Correspondence of Athanasius Kircher“, Isis, 61 (1970), S. 52-67, hier S. 54, 55; ders., „Claude Fabri de Peiresc and the other French correspondents of Athanasius Kircher (16021680)“, Australian Journal of French Studies, 9 (1972), S. 250-273, hier S. 252, 253-254; H.

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4. Die Fixsternparallaxe

bringen die kreisenden Sterne mit jener strittigen Beobachtung Rheitas in Verbindung. Der Streit für sich genommen mag daher also nicht als Grund zu sehen sein, dass Kircher es merkwürdigerweise unterlässt, die unerhörte Vorstellung von bewegten Fixsternen, die er seinen Lesern in der Ekstatischen Reise zumutet, mit dem Verweis auf eine Quelle abzusichern, für die er Rheita hätte nennen können, dem er sie sehr wahrscheinlich auch verdankt. Eher beiläufig fällt Rheitas Name in der ‘Praelusio Paraenetica’, in welcher Kircher zur Erinnerung seinen Lesern einleitend die astronomische wie christliche Wohlfundiertheit des Werkes anhand der genannten Quellen darlegt.71 Doch wie Riccioli und Schott erwähnt auch Kircher die kreisenden Sterne nicht in dem Zusammenhang, aus dem sie eigentlich stammen. Dabei kommen die Jupiter-Sterne indirekt sogar vor, wenn Kirchers Kosmonauten diesen Planeten besuchen: Auf die Frage nach den ungeheuer großen Wolken, die den Jupiterhimmel zu verdecken drohten, erklärt Cosmiel seinem Schüler: Es handele sich dabei um Dämpfe, die in Jupiters Atmosphäre entstünden, von dort sich aber so weit in den Weltraum hinaus ausbreiteten und an Größe gewönnen, dass selbst erfahrene Beobachter nicht nur einmal ein Verschwinden von Sternen dadurch zu sehen geglaubt hätten.72 Diese kurze Erwähnung – eine eigene Marginalie erhält diese Stelle erst in der Würzburger Ausgabe – nimmt Schott für seine einleitende Frage nach weiteren Monden des Jupiter zum Anlass, wobei er vor allem den Streit um Siebert (2006). Die in APUG erhaltenen Briefe von Hevelius an Kircher sowie drei weitere Briefe Kirchers an Hevelius sind veröffentlicht in: Christoph Gottlieb von Murr, Journal zur Kunstgeschichte und zur allgemeinen Litteratur, 17 Bde, Nürnberg: Johann Eberhard Zeh, 1775-1789, Bd XVII, S. 297-315. Zu Caramuel y Lokowitz und Kircher s.: Ramon Ceñal, „Juan Caramuel. Su epistolario con Atanasio Kircher, S.J.“, Revista de filosofía, 12/44 (1953), S. 101-47. Bezüglich Rheita weist dessen einzig erhaltener Brief (APUG 563, f. 324r – undatiert, aber wohl nach Erscheinen von Ricciolis Almagestum novum, 1652) an Kircher auf weitere vorangegangene hin; nicht auszuschließen wäre auch ein Zusammentreffen beider in Rom, wo Rheita sich 1640 und 1656 aufhielt, bevor er von 1656 bis 1658 in Bologna in Klosterhaft kam und schließlich in Ravenna 1660 starb: A. Thewes (1983) 12, 37. 71 Rheita wird in Kirchers ‘Praelusio Paraenetica’zwei Mal genannt: Einmal neben Hevelius und Riccioli bezüglich einer Atmosphäre auf dem Mond, die Rheita auf allen Planeten und Sternen beobachtet habe: Itin., 22; It., 49. Zuvor noch wird Rheita zusammen mit Wendelin genannt: Beide seien Scheiner gefolgt. Aber, was diese beiden Astronomen gestützt auf eigene Erfahrung und Instrumente in ihren Werken bestätigt hätten, erfahren wir von Kircher nicht (siehe die sprachliche Korrektur Schotts): „Secuti hunc [sc. Scheinerum] Reita & Wendelinus, qui propria experientia, & coelestis oculi subsidio fulti, ille in oculo suo Enoch & Eliae, hic in varijs tractatibus Astronomicis ita comprobarunt, ut non dicam ingenio praepotens, sed durioris animi, qui contrariam opinionem sustinere voluerit, philosophus existimandus sit.“: Itin., 11; It., 41: Schott ergänzt ein Komma sowie das fehlende Objekt im Nebensatz erster Ordnung, wofür er „id“wählt und es zwischen „ita“und „comprobarunt“setzt. Das von Schott nachträglich eingefügte Objektpronomen kann keinen sicheren Aufschluss darüber geben, was Kircher durch die beiden Astronomen bestätigt sehen wollte. Streng genommen müsste „id“sich auf den letzten Punkt in jener zuvor erfolgten Aufzählung von Scheinerschen Positionen beziehen, also auf die oben besprochene Fixsternrotation. Aber hierüber lässt uns Kircher selbst im Unklaren, denn er schreibt eben weder id noch ea (Neutrum Plural für sämtliche Punkte der vorangegangenen Aufzählung) noch eum (für Scheiner selbst). 72 Itin., 218; It., 290.

4.3. Ein neues Bild von den Sternen

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Rheitas Jupiter-Sterne zusammenfasst. Die wenigen Zeilen, die Kircher hierüber im Text der Ekstatischen Reise eher andeutungsweise verliert, stehen damit in einem deutlichen Missverhältnis zu der fünfseitigen Einleitung, die Schott dieser Frage widmet. Im Text selbst findet sich auch keine Deutung jener neuen Sterne als Kometen, der sich Kircher angeschlossen hätte, wie Schott am Ende seiner Einleitung vermerkt –eine Deutung, die an Rheitas eigentliche Erklärung ohnehin nur von sehr fern erinnern mag. Aus welchem Grund auch immer es Schott für nötig hielt, den Streit um Rheitas Beobachtung einleitend zur Jupiter-Reise darzustellen, er blendet darin genauso wie Kircher im Text dieses Reiseabschnitts die stellare Kreisbewegung aus.73 Kircher will mittels dieser Vorstellung ganz offensichtlich nicht das Verschwinden jener Jupiter-Sterne begründen, genauso wenig wie an anderer Stelle das Entstehen und Vergehen von Kometen oder Novae. 74 Beide Himmelserscheinungen fasst er als ein und dasselbe Phänomen auf. Ihren gemeinsamen Ursprung sieht er in den Sternen, deren flüssig-gasförmigen Auswürfe sich zur Größe einer Sonne ansammeln und so als eigener Leuchtkörper erscheinen können. 75 Diesem neuen Stern gesteht Kircher zwar eine unbestimmte Bewegung zu, die je nach Distanz sichtbar ist, so dass die entfernteren dieser Leuchtkörper scheinbar still stehen und als Novae zu sehen sind, die näheren als bewegte Kometen mit einem Schweif. 76 Daneben könne es auch dazu kommen, dass die solare Ausdünstung, von anderen Sonnen beschienen, ihrerseits kleinere Himmelskörper in ihrer Nähe beleuchtete, so dass sie durch die Reflexion wiederum von so viel Helligkeit umgeben sei, um von uns gesehen zu werden. 77 Doch, was Kircher ausdrücklich ausschließt, um diese Erscheinung von Novae bzw. Kometen zu erklären, ist eine Kreisbewegung: Nicht stand halte die Meinung derjenigen, die für diese neuen Sternerscheinungen („huiusmodi nova stellarum phaenomena“) riesige exzentrische Bahnen annähmen, auf denen sie sich bewegten; wie falsch dies sei, zeige sich daran, dass ein derartiger Stern dann stets in gleichem Verhältnis ab- und zunehmen müsse in einem bestimmten Zeitmaß, was aber der Erfahrung widerspreche, weil derlei Phänomene ebenso plötzlich erschienen wie aufhörten zu sein („desinant esse“).78 Kircher erklärt das Phänomen 73 Um sie notwendiger erscheinen zu lassen als sie vielleicht tatsächlich war, mag er die Marginalie ergänzt haben (It., 290, vgl. Itin., 218) und übertreibt den Bezug („Auctor noster capite sequenti“), der textlich zu seiner nachgelieferten Einleitung besteht, wenn er darin abschließend vermerkt, dass Kircher die Beobachtungen Rheitas und andere über jene neuen Sterne des Jupiters anerkenne („admittit“) und sie für dessen Kometen halte („cometas Ioviales“): Schott in It., 277. 74 Kirchers Theorie über Kometen und Novae wird ausgiebig in der Reise zur Sonne (Dial. I, cap. 5) behandelt: Itin., 165-178; It., 224-234. Eine Zusammenfassung hiervon mit Verweis auf diesen Abschnitt wird in der Reise zu den Fixsternen (Dial. I, cap. 9) geboten: Itin., 278282; It., 357-360. 75 Itin., 279, 280; It., 358, 359. 76 Itin., 279; It., 358. 77 Itin., 280; It., 358-359. 78 Itin., 297-280; It., 358. Die Marginalie zu dieser Stelle in beiden Ausgaben lautet: „Novae stellae non vehuntur in excentricis circulis.“Kircher nimmt dagegen an (was er in der Reise

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der neuen Sterne somit völlig anders als Rheita und weist hierfür überdies die Vorstellung von Kreisbahnen ausdrücklich als falsch zurück.79 Kircher wird im Gegensatz zu Rheita überhaupt keine Himmelserscheinung anhand stellarer Kreisbewegungen zu erklären suchen. Nicht astronomischer Natur ist sein Interesse, wenn er diese Vorstellung aufgreift, die er doch vor allem mit Rheita zu teilen scheint. Seine Absicht ist eine andere. Sie wird deutlich, sobald er seinen Lesern erstmals kreisende Sterne vorführt. 4.4. KIRCHERS STERNE VS. FIXSTERNPARALLAXE 4.4.1. Eine Sternenbotschaft an die Copernicaner Die bewegten Sterne und stellaren Mehrfachsysteme dienen Kircher nicht dazu, in der Ekstatischen Reise ein astronomisches Phänomen zu erklären; ein Zusammenhang, wie er sich bei Rheita finden lässt, fehlt. Damit präsentiert Kircher zwei für die allermeisten seiner Zeitgenossen völlig neue Vorstellungen, deren Annahme er selbst nicht einmal begründet, die ihrerseits als solche aber nicht widerlegbar sind. Indessen standen sie der Auffassung über die Fixsterne entgegen, wie sie von Anhängern des Copernicus nicht weniger als von Verteidigern der Geozentrik geteilt wurden. Für sich selbst muss Kircher also gute Gründe gehabt haben, Vorstellungen, die ungesichert sowie als Einzelmeinung angreifbar waren, zu einem festen Bestandteil seiner Sternenwelt zu machen. Als denkbares Motiv hierfür ist nicht auszuschließen, dass Kircher mittels dieser Darstellung versuchte, seine Welt durchgehend bis in die Sterne zu ordnen, um Irdisches und Himmlisches in Einklang zu bringen. Die Kräfte zeugende und erhaltende Kreisbewegung der Sonnensterne kann hierbei der kosmischen Gesamtschau Kirchers Rechnung getragen haben. Sind in ihr doch zyklische Prozesse aller Art (Perikyklosis) konstitutiv für die Ordnung der Welt. Überdies mag die stellare Vielfalt, die in der Ekstatischen Reise durch die real unterschiedlich großen Sterne sowie verschieden kombinierten Himmelskörper gegeben ist, schon im Voraus die Omnipräsenz jener Mannigfaltigkeit der Dinge (varietas rerum) demonstrieren, deren Fülle sich Kircher erst in seinem geokosmischen Hauptwerk, im zweibändigen Mundus subterraneus (1665), stellen und dabei eindrucksvoll vor Augen führen wird. Insofern würden diese Aspekte der Kircherschen Sternenwelt frei gewählt sein. Sie müssten sich dann aber zumindest an der inneren Logik, Kohärenz und Übereinstimmung mit der übrigen Darstellung messen lassen. Doch im Detail erfüllen sie diese Forderung nach Widerspruchsfreiheit nicht: In der Ekstatischen

zur Sonne ausführt), dass die Novae bzw. Kometen sich wieder auflösen und ihre Materie dorthin zurückkehre, woher sie stamme (Stichwort Kohäsionstheorie): Itin., 171, 177-178; It., 228, 234. 79 Diese Zurückweisung exzentrischer Kreisbahnen als mögliche Erklärung der Kometen- bzw. Novae findet sich in beiden Ausführungen zu seiner Theorie: Itin., 171-172, 279; It., 229, 358.

4.4. Kirchers Sterne vs. Fixsternparallaxe

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Reise lässt Kircher Cosmiel behaupten, dass unsere Sonne der größte von allen Himmelskörpern sei, während im Abschnitt der Fixsternreise doch gerade ihre Kleinheit gegenüber dem Sirius die realen Größenunterschiede zwischen den Sternen verdeutlicht.1 Ebenso unterläuft Kircher ein Fehler bei der Darstellung jener Sternensysteme selbst. Auf dem Mond des Sirius stehend kann Theodidactus zumindest noch Jupiter und Saturn neben unserer Sonne sehen, wogegen ihm Cosmiel kurz darauf erklärt, dass die den Sirius umkreisenden Sterne von der Erde aus nicht zu beobachten seien, weil ihre Abstände sich in dieser Entfernung zu einem Punkt zusammenzögen. Doch gerade dies müsste dann auch für unser Heimatsystem gelten, so dass Jupiter und Saturn nicht mehr sichtbar sein dürften.2 Vor allem aber gerät die ganze Dimensionierung des Kircherschen Kosmos ins Wanken angesichts solcher Systeme, die aus mehreren Sternen bestehend so weit entfernt liegen sollen, dass sie zu einem einzigen zusammenfallen. Weiter oben haben wir die Maximalausdehnung des Sternenraums aus einer Angabe ermitteln können, die Kircher implizit über die Maximalgeschwindigkeit des primus motus macht, d.h. bezüglich derjenigen Sterne, die von der Erde am weitesten entfernt, sie dennoch in vierundzwanzig Stunden ein Mal umlaufen müssen (siehe S. 122 f.). Daraus ergibt sich für diese letzten Sterne eine Distanz von annähernd 143 Millionen Erdhalbmessern, was mit jenem von Cosmiel auf Höhe der ersten Fixsterne gemachten Versprechen übereinstimmt, dass hundert und hundert Mal tiefer im Raum noch Sterne seien. Dies allerdings gilt nur, wenn man für diese erste Entfernung zu den nächsten Fixsternen (einfacher Fixsternabstand) lediglich jene 200.000 rt annimmt, wie sie in etwa auch von Riccioli vertreten werden und sich gleichfalls aus Kirchers Darstellung herauslesen lassen (s. S. 71). Ein Stern hingegen, der sich in einer Kreisbahn bewegt mit einem Radius vom Abstand Sonne-Erde, und für uns dennoch still zu stehen scheint, müsste dagegen über sechs Millionen Erdhalbmesser entfernt sein, wie wir oben berechnet haben (s. S. 211). Damit aber könnte Kirchers Sternenraum höchsten zwei Dutzend Fixsternabstände tief sein, und nicht hunderte, wie er selbst es doch ausdrücklich fordert. Während rein philosophisch betrachtet kreisende Sterne und polystellare Systeme – unter dem Gesichtspunkt Perikyklosis und varietas rerum – durchaus ihren Platz finden und scheinbar auch keiner weiteren Erklärung noch Rechtfertigung bedürfen, bringen sie astronomisch gesehen eine neue Größenordnung in den Kircherschen Kosmos. Indem sie zum primus motus in Widerspruch stehen, sprengen sie dessen Dimensionen. Mit der übrigen Darstellung gehen sie nicht in einem gemeinsamen kosmologischen Bauplan auf, sondern erweisen sich eher als Zusatz. Diesen darzubieten scheint Kircher wichtiger als ihn mit dem primus motus in Einklang zu bringen. Dessen Verteidigung allerdings ist fundamental für die Geostatik zumal im Kircherschen Kosmos, in dem ein Mittelpunkt sich sinnvoll nur mehr durch die Bewegung aller Himmelskörper um die Erde de1 2

Vgl. Itin., 127 (It., 197) und Itin., 266 (It., 348). Diesen Widerspruch hat der anonyme Verfasser der Mira Kircheri vermerkt: Mira, f. 11r. Vgl. Itin., 266 (It., 348) und Itin., 268 (It., 349-350). Diesen Widerspruch hat Guericke vermerkt: Experimenta nova (1672) 234a (No. 4.).

252

4. Die Fixsternparallaxe

finieren lässt. Nicht anders aber kommt auch den Sternbewegungen und stellaren Mehrfachsternen ihre eigene Bedeutung mit Blick auf die kosmologische Kontroverse zu. Zu ihr stellt Kircher einen konkreten Zusammenhang her, wenn er auf diese besonderen Eigenschaften seiner Sternenwelt erstmals zu sprechen kommt. Aufschlussreich für den Kontext, in dem Kircher die kreisenden Sterne und Mehrfachsysteme verstanden wissen will, sind jene drei Seiten im Abschnitt der Fixsternreise, auf denen er zusammenhängend die unerhörten Vorstellungen einführt.3 Den Anfang dieser dreiseitigen Aufeinanderfolge von Eindrücken und Einsichten, die Theodidactus gewinnt, kennen wir bereits: Er sieht vom Mond des Sirius aus die Sonne als einen Stern zweiter Größe. Außer ihr erkennt er von unserem Heimatsystem nur mehr die äußeren Planeten, Jupiter und Saturn, die als Sterne vierter Größe unmittelbare Nachbarn der Sonne geworden sind. Dabei behielten sie immer die gleichen Abstände untereinander sowie zur Sonne, eine Bewegung kann Theodidactus in ihnen nicht ausmachen.4 Wissen solle er, erklärt ihm hierauf Cosmiel, dass jene ihm bekannten Himmelskörper so weit von seinem Auge entfernt seien, dass die gesamte Sonnenbahn sich zusammenstaucht auf die sichtbare Größe der Sonne selbst, und das Gleiche gelte für die Bahnen der übrigen Planeten. Es sei daher nicht verwunderlich, wenn die größeren noch sichtbaren still zu stehen schienen, die kleineren hingegen vollständig verschwunden seien.5 Wir haben diese in verschiedener Form von Cosmiel wiederholte oder von seinem Schüler erlebte Erkenntnis als Kirchers Zugeständnis an die Copernicaner bezeichnet –ein Zugeständnis, das ihnen von Riccioli verwehrt wird (s. S. 76 ff.). Denn zu diesen Himmelskörpern (globi), die entfernungsbedingt mitsamt ihren Umlaufbahnen und Bahnabständen verschluckt werden, gehört auch die Erde. Wenn fast schon Jupiter und gar Saturn eins zu werden drohen mit der Sonne, dann erweist sich die copernicanische Umlaufbahn der Erde als ein bloßes Nichts im Verhältnis zur Entfernung der Fixsterne. Den Bahndurchmesser der Erde zu bestimmen scheint damit vom Sirius aus –dem wohlgemerkt vermeintlich nächsten weil größten Stern – gleichermaßen unmöglich zu sein, wie von der Erde aus im Abstand von sechs Monaten, d.h. von entgegengesetzten Punkten ihrer Umlaufbahn aus, den Sirius unter einem veränderten Blickwinkel zu sehen. Mit dieser Umkehrung der Perspektive macht Kircher jenes Zugeständnis an die Copernicaner, das wir weiter oben als eher zweifelhaft bezeichnet haben. Im Gegensatz zu Riccioli entbindet er die Copernicaner von ihrer alten Bringschuld: Das Ausbleiben der Fixsternparallaxe kann ihnen nach seiner Darstellung nicht weiter zum Vorwurf gemacht werden, ist kein Beweis mehr gegen ihre Hypothese. Aus demselben Grunde hätten dann die Copernicaner aber gleichfalls einzuräumen, dass eine Parallaxe sich in umgekehrter Richtung ebenso wenig nachweisen ließe. Mit gleichem Recht müssten sie folglich zumindest als nicht widerlegbar gelten lassen, wofür Cosmiel sogleich seinem Schüler die Augen 3 4 5

Itin., 266-268; It., 348-350. Itin., 266-267; It., 348-349. Itin., 267; It., 349.

4.4. Kirchers Sterne vs. Fixsternparallaxe

253

öffnet: Theodidactus solle sich überzeugen („tibi persuadeas velim“), dass ebendasselbe vor sich gehe, während er von der Erde aus den Nachthimmel betrachte; alle Sterne („firmamenti globos“) stünden scheinbar in immer denselben Abständen unverändert voneinander entfernt; in Wirklichkeit aber bewegten sie sich nicht anders als die uns bekannten Planeten in ungeheuer großen Kreisbahnen („in ingentibus circulis cursus suos peragunt“), die allesamt aufgrund der übergroßen Distanz zur Erde zu einem Punkt verschluckt würden, weshalb ihre Bewegung von uns nicht beobachtet werde („motus earum a terrigenis non observetur“). 6 Zum sicheren Verständnis dafür, dass solch ein Kreisen uns völlig unentdeckt bleiben muss, gibt Cosmiel seinem Schüler ein Beispiel: Wenn man an Wagenräder in einiger Zahl und in geringem Abstand zueinander jeweils einzelne brennende Fackeln befestige („accensas faces“), dann lehre einen die Erfahrung („experientia docet“), dass durch das Herumrollen der Räder aus der Nähe gesehen die Fackeln ihre Stellung wechselten, aus einer Meile oder weiter weg betrachtet sie dagegen weder ihren Ort noch ihre Stellung oder auch Entfernung änderten, weil durch die übermäßige Distanz das ganze Rad auf die Größe der Fackel zusammengestaucht werde.7 An solch bewegten Fackeln verdeutlicht Kircher den entscheidenden Sachverhalt: Je weiter ein Objekt von uns entfernt ist, desto weniger von seiner Bewegung nehmen wir wahr. Dieses Verhältnis gilt ebenso für die messbare Parallaxe, die umso kleiner ist (bei gleich bleibender Grundlinie für die Messung), je weiter entfernt das Objekt sich befindet. Nicht ganz zufällig jedoch dürfte Kircher gerade dieses Beispiel gewählt haben. Denn denselben Sachverhalt hatte Galilei gleichfalls an einer brennenden Fackel („torcia accesa“) erläutert. Im Dialogo lässt er Simplicio, den Anhänger der Geostatik, arge Zweifel an einer Entfernung der Sterne äußern, die so groß sein solle, dass deren sich ändernde Lage zu uns sich beim Umlauf der Erde um die Sonne nicht wahrnehmen ließe. 8 Hierauf stellt Galilei ihm durch sein Sprachrohr Salviati die rhetorische Frage, ob er denn auch an einer brennenden Fackel in zweihundert Fuß Entfernung bemerken würde, dass sie sich um drei oder vier Arm zu ihm hinbewege, weil sie sich dann etwa größer zeige. Salviati jedenfalls will dies nicht für sich behaupten: Selbst wenn sich ihm die Fackel um zwanzig oder dreißig Arm näherte, würde er dies nicht mit Sicherheit wahrnehmen; schon oft sei es ihm ähnlich ergangen mit solch 6 7

8

Itin., 267; It., 349. „[… ]; cuius tibi rei hoc propono exemplum: si compluribus rotis currulibus aliquantulum ab invicem dissitis, singulis singulas accensas faces alligares; experientia docet, faces tametsi ex rotarum circumvolutione e propinquo spectantibus situm mutent; una tamen atque altera leuca dissitus neque locum, neque situm, neque distantiam mutare videres, utpote tota rota in facis magnitudinem ob nimiam distantiae [S. 268:] enormitatem coarctata.“: Itin., 267-268; It., 349: Schott macht aus dem hier Zitierten einen eigenen Satz und ändert die Interpunktion. Galilei, Dialogo [1632], OGG, VII: 412, Z. 33-35: „SIMP[LICIO]. In vero io, liberamente parlando, sento gran repugnanza nell’avere a conceder, la distanza delle fisse dovere esser tanta, che in esse le dichiarate diversità devano esser del tutto impercettibili.“Unmittelbar zuvor hat Sagredo die zu erwartenden Verschiebungen der Sterne je nach Himmelsregion zusammengefasst: ebd., S. 412, Z. 3-32.

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4. Die Fixsternparallaxe

einem Licht in der Ferne, bei dem er lange im Unklaren bleibe, ob es sich auf ihn hin oder von ihm wegbewege. 9 Galilei veranschaulicht für nur eine Bewegungsrichtung, was als Folge einer jährlichen Erddrehung für alle möglichen Sternverschiebungen, die im Dialogo kurz zuvor je nach Himmelsregion zusammengefasst worden sind, gelten muss.10 Diese perspektivischen Verschiebungen müssen uns aber aufgrund ihrer Entfernung unentdeckt bleiben. Nichts Anderes fordert Kircher und erläutert es an demselben Beispiel. Doch verlangt er das entfernungsbedingte Ausbleiben einer Verschiebung nicht für eine bloß scheinbare Bewegung der Sterne bedingt durch die Erdbewegung, sondern für deren tatsächliche. Ein Kreisen der Sterne muss uns demnach ebenso unentdeckt bleiben wie unser eigenes um die Sonne. Eine Entfernung der Sterne, die den Jahreslauf der Erde zum Verschwinden brächte, ließe für unsere Augen gleichfalls jene stellare Eigenbewegung zum Stehen bringen. Das Entfernungsargument muss für beide gelten, so dass die umgekehrte Parallaxenverschiebung für Kirchers kreisende Sterne ebenso notwendig ausbleibt wie die Fixsternparallaxe für die Erdbewegung. Wenn die Copernicaner an dieser festhalten, obwohl eine jährliche Parallaxe nicht zu beobachten ist, lässt sich mit Kircher ebenso unwiderlegbar behaupten, dass die Sterne sich bewegten, obwohl sie immer still zu stehen schienen. An die Copernicaner richtet sich diese Sternenbotschaft, wie Kircher schon mit seinem bloßen Zugeständnis deutlich macht. Fast wörtlich räumt er ihnen darin das geforderte instar puncti ein,11 d.h. das entfernungsbedingte Zusammenfallen der Bahndurchmesser auf einen Punkt, um es kehrtwendend selbst für seine stellaren Kreisbewegungen zu beanspruchen. Angesprochen darf sich die Gegenseite gleichfalls fühlen, wenn Kircher sein Anschauungsbeispiel mit jenen Fackeln präsentiert, die ihre Herkunft aus Galileis Dialogo kaum verleugnen wollen. Die zwei verwendeten Bespiele, die sich dort finden –brennende Fackel und bewegtes Licht eines womöglich fahrenden Wagens –, vereint Kircher zu einem, um denselben Sachverhalt zu illustrieren. Er bedient sich damit aus jenem für die Parallaxensuche wirkungsvollen Abschnitt des Dialogo, in dem Galilei seine zwei Methoden für einen Nachweis der jährlichen Parallaxe vorstellt. 12 Die Frage nach der Fixsternparallaxe bildet aber auch den sachlichen Hintergrund für Kirchers Einführung in diese neue Sternenwelt. Unverkennbar stützt er sich auf das sonst nur von Copernicanern vorgebrachte Entfernungsargument, um seine umgekehrte Perspektive darzulegen, in der die Erdbewegung auf 9

Galilei, Dialogo [1632], OGG, VII: 412-413, hier 413, Z. 4-11: „[… ]: e voi stesso rimirando, v. g., una torcia accesa dalla distanza di 200 passi, nell’appressarvisi ella 3 o 4 braccia, credereste di accorgervene, perche maggiore vi si mostrasse? Io per me non me ne accorgerei sicuramente, quando ben mi se n’avvicinasse 20 o 30 : anzi tal volta mi sono incontrato a vedere un simil lume in una tal lontananza, nè sapermi risolvere se e’veniva verso me o pur si allontanava, mentre egli realmente mi si avvicinava.“ 10 Galilei, Dialogo [1632], OGG, VII: 412, Z. 3-32 (Sagredo). 11 Siehe für diese copernicanische Formel weiter oben S. 77. 12 Galilei, Dialogo, ‘Dritter Tag’, OGG, VII: 299-441, hier 399-416 (Fixsternparallaxe), 409412 (relative Methode), 414-415 (direkte Beobachtung), siehe hierzu weiter oben S. 176 ff.

4.4. Kirchers Sterne vs. Fixsternparallaxe

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die Sterne übertragen scheint. Als Cosmiel seinen Schüler auch noch auf diejenigen Sterne aufmerksam macht, die um den Sirius kreisen, will der ihm das Ganze nun nicht mehr glauben: Die Astronomen vergangener Jahrhunderte und vor allem des jetzigen, die über so genaue Beobachtungsinstrumente verfügen, hätten diese Abweichungen doch längst bemerkt.13 Hier nun entgegnet ihm zum wiederholten und zum letzten Male Cosmiel durchaus enttäuscht von der mangelnden Auffassungsgabe seines Schülers, dass es die übergroße Entfernung sei, die jenes Kreisen unserer Wahrnehmung entziehe, ganz wie es die Optik lehre („prout optica nos docet“).14 Mit dem Verweis auf diese Disziplin und somit auf die optische Natur des Phänomens hatte schon Copernicus ähnlich nebenbei begründet („ut demonstratur in Opticis“), warum eine Schleifenbewegung, wie sie bei den Planeten zu beobachten ist, bei den Fixsternen ausbleibt: Hieran werde deren weite Entfernung deutlich, welche sogar die jährliche Umlaufbewegung der Erde um die Sonne bzw. deren Bild („sive eius imaginem“) vor unseren Augen zum Verschwinden bringe; denn es gebe für alles Sichtbare eine Distanz, aus der es nicht mehr zu sehen sei, wie in der Optik bewiesen werde (s. Abb. 4, S. 77 und Abb. 10, S. 256).15 Unsere Bewegung auf der Erde steht folglich in einem nicht messbaren Verhältnis zu der Entfernung der Sterne. Diesen für die Wahrnehmung zu kleinen Blickwinkel beansprucht nun auch Kircher. Anders als bei Copernicus ist es nun aber nicht jenes Abbild unserer eigenen Kreisbewegung (eius imago) an den Fixsternen, das vor unseren Augen verschwindet, sondern die Eigenbewegung 13 Itin., 268; It., 349-350. 14 „Cosmiel. Ut video, quas superius tibi innui rationes nondum percepisti: Dico itaque, eo quod ab Astronomis nunquam observata sint istiusmodi Mundi phaenomena, non arguit illa non esse; sed ob inaestimabilem enormemque horum globorum a terra distantiam, illa non videri, utpote omnibus illis circulis, in quibus versantur, in insensibile spacium, prout optica nos docet, coarctatis, [… ]“: Itin., 268; It., 350. 15 Copernicus, De revolutionibus [Nürnberg, 1543, f. 10r (lib. 1, cap. 10: De ordine caelestium orbium)], in Copernicus (1984) 21 (Z. 17-20): „Quod autem nihil eorum [sc. von den Schleifenbewegungen der Planeten] apparet in fixis, immensam illorum arguit celsitudinem, quae faciat etiam annui motus orbem sive eius imaginem ab oculis evanescere. Quoniam omne visibile longitudinem distantiae habet aliquam, ultra quam non amplius spectatur, ut demonstratur in Opticis.“ Fast dieselbe Formulierung („(ut in Opticis est demonstratum)“) fällt zuvor im Zusammenhang mit den Planeten und ihrer Bewegung, die sie verschieden groß erscheinen lässt und darauf hinweisen mag, dass die Erde nicht im Zentrum von deren Kreisbahnen sitzt: ebd., [1543, f. 3r] S. 10, Z. 19 (lib. 1, cap. 9: Quod motus corporum caelestium sit aequalis ac circularis, […]). Eine ähnliche Formulierung („eo modo quo demonstratur in Opticis“) benutzt Copernicus, wenn er erklärt, wie wir uns irrtümlich für den Mittelpunkt der Fixsternsphäre halten können: Die Sterne sind so weit weg, dass wir eine unmerkliche Abweichung, unter der wir auf sie blicken, gar nicht wahrnehmen könnten: ebd., [1543, f. 4rv] S. 11-12 (lib. 1, cap. 6: De immensitate caeli ad magnitudinem terrae), hier 12, Z. 20-28 : „[… ], cum tamen necesse sit aliam esse lineam quae a superficie terrae, et quae a centro, sed propter immensitatem respectu terrae fiunt quodammodo similes parallelis, quae prae nimia distantia termini apparent esse linea una, quando mutuum quod continet spatium ad earum longitudinem efficitur incomparabile sensu, eo modo quo demonstratur in Opticis. [/] Hoc nimirum argumento satis apparet, immensum esse caelum comparatione terrae, [… ]. Neque enim sequitur, in medio mundi terram quiescere oportere.“

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4. Die Fixsternparallaxe

der kreisenden Sterne selbst, die viel zu weit entfernt sind, um von uns noch gesehen zu werden. Das, was aus copernicanischer Sicht nur als Spiegelbild der jährlichen Parallaxe erscheinen kann –wir nennen es heute parallaktische Ellipse (s. Abbildung unten) –, bekommt bei Kircher eine eigene Wirklichkeit. Die Copernicaner dürfen sich also durchweg angesprochen fühlen, wenn Kircher seine Botschaft von bewegten Sternen und Mehrfachsystemen verkündet. Denn diese Annahmen müsste gelten lassen, wer seinerseits das Ausbleiben der Fixsternparallaxe nicht in der Ruhestellung der Erde begründet sehen will, sondern in der zu großen Entfernung der Sterne. Somit vermittelt Kircher seine kreisenden Sterne in einer Weise, die sie für Copernicaner unwiderlegbar werden lässt, weil diese sich derselben Argumentation bedienen, um die nicht beobachtbare Erdbewegung zu verteidigen. Doch ist man geneigt zu fragen, warum Kircher den Copernicanern überhaupt diese neue Sicht der Sterne so ans Herz zu legen trachtet? Als einen geistreichen Scherz mag man dem Jesuiten vielleicht seine Umkehrung der Perspektive durchgehen lassen, in der die Erdbewegung sich im Sternkreisen widerspiegelt. Doch Kirchers neues Bild von den Sternen wird sich im Folgenden nicht als bloße Spielerei erweisen, sondern als eine gar nicht harmlos gemeinte Botschaft an die Parallaxen suchenden Copernicaner.

Abb. 10 –Direkte Methode zum Nachweis der Fixsternparallaxe und parallaktische Ellipse siehe hierzu in vorliegender Arbeit S. 255 f., 261, 291, 303

4.4. Kirchers Sterne vs. Fixsternparallaxe

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4.4.2. Kreisende Sterne vs. direkte Parallaxenbeobachtung Es besteht Grund zur Annahme, dass die bereits von Galilei aktiv betriebene Parallaxensuche sich über die Mitte des 17. Jahrhunderts fortgesetzt hat. Historiographisch klafft damit zwar um jene Zeit, in der Kircher seine Ekstatische Reise schreibt eine große Lücke. Aus unserer Untersuchung ergab sich indes nicht nur, dass Galilei und Castelli versuchten, eine Sternparallaxe zu beobachten. Auch unabhängig von ihren Bemühungen wurde bereits mit dem Aufkommen der ersten Teleskope das Interesse auf verschiedenen Seiten geweckt: Aus dem alten Problem der Fixsternparallaxe war eine aktuelle Frage geworden, die nun lösbar schien. Wenngleich weitere Zeugnisse noch fehlen, dürfte die einmal begonnene, mit Teleskopen betriebene Suche bis zu ihrem bislang offiziellen Beginn nicht wieder abgerissen sein, als Robert Hooke sich im Jahre 1669 daran machte, die Fixsternparallaxe nachzuweisen. Ein hierfür hinreichender Grund mag in den neuen Instrumenten selbst zu sehen sein. Der so kleine Parallaxenwinkel, der sich aus dem Durchmesser der Erdumlaufbahn und der dazu unverhältnismäßig großen Entfernung der Sterne ergibt, bleibt nach Erfindung des Teleskops nicht mehr ein für allemal zu klein für das menschliche Auge. Dieses Verhältnis ist in Bezug auf unsere Wahrnehmung nicht länger naturgegeben, sondern technisch veränderbar. Obwohl die Suche weiterhin vergebens bleiben musste, konnte sie zu keinem Zeitpunkt als endgültig erfolglos gelten, da sich Instrumente und Messtechniken weiterentwickelten und sich die zu erzielende Beobachtungsgenauigkeit stetig verbesserte.16 Bedingt durch den technischen Fortschritt, wiewohl dieser angesichts der hierfür tatsächlich nötigen Messgenauigkeit mehr als bescheiden war, konnte sich die Frage nach der Fixsternparallaxe stets neuerlich als Aufgabe stellen. Für die Zeit zwischen Galilei und Hooke gibt es zumindest einen konkreten Anhaltspunkt, der auf eine immerhin geplante Parallaxensuche hinweist. So hätten Christopher Wren (1632-1723) und Paul Neile (1613-1686), beide Gründungsmitglieder der Royal Society, mit einem Teleskop besonders großer Länge (von bis zu 25 Metern), einem so genannten Luftfernrohr, sich vorgenommen, die Position einiger Sterne zu bestimmen und zu vergleichen, um dadurch eine mögliche Parallaxe zu entdecken. Dies jedenfalls will Robert Moray (1608-1673), seinerseits Gründungsvater und Herz der Royal Society, selbst von Neile erfahren haben, wie er am 29. November 1663 in einem Brief an Christiaan Huygens berichtet. Dieses Vorhaben soll jedoch schon zehn Jahre zurückgelegen haben, als Moray Huygens davon schreibt.17 Damit fiele es in jene Zeit, in der Kircher seine kosmologischen 16 Eine erste Ernüchterung in dem Vorhaben die Fixsternparallaxe zu messen erfolgt erst 1728 mit James Bradley; siehe hierzu weiter unten S. 286 ff. Für die sich verbessernden Messtechniken und -ergebnisse: Allan Chapman: „The Accuracy of Angular Measuring Instruments Used in Astronomy Between 1500-1850“, JHA, 14/2 (1983), S. 133-137; A. Van Helden (1974a) 38-58; R. Willach (2001); F. Bònoli (2002) 133-157. 17 Robert Moray (Whitehall) an Christiaan Huygens (Paris), 29.11.1663, in HOC, IV: 443-445 (n° 1173), hier 444-443: „Mais il y a long temps que Monsieur Wren en parlant de la façon de tuyau dont il faut se servir aux lunettes qui requierent une longueur de 60. 80. pieds ou

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Ideen mit Schott in Rom auf gemeinsamen Spaziergängen bespricht, auf welche Gespräche die Entstehung der Ekstatischen Reise zurückgehen soll. 18 Das Vorhaben von Wren und Neile mag stellvertretend für ähnliche Aktivitäten und Projekte stehen, die im Umfeld Kirchers und im Vorfeld von dessen kosmologischem Werk ebenso denkbar sind, die aber den Zeitgenossen im Ganzen weniger verborgen geblieben sein dürften als uns, deren Wissen sich auf das beschränkt, was schriftlich festgehalten und erhalten ist. Aus der kurzen Erwähnung in Morays Brief lässt sich nicht mit Sicherheit entnehmen, auf welche Weise Wren und Neile ihren Nachweis zu erbringen dachten. Wenn sie diesen tatsächlich durch einen Vergleich der gemessenen Sternhöhen erzielen wollten, dann ist es hierfür jedenfalls erforderlich, möglichst genau die Position des jeweiligen Sterns zu bestimmen. Folglich kann es sich bei dem von ihnen geplanten Verfahren nicht um die relative Methode handeln, wie Galilei sie beschreibt, da bei dieser die Sterne selbst unmittelbar miteinander in ihrer Entfernung zueinander verglichen werden, um an deren Veränderung die Parallaxe nachzuweisen, ohne dass eine absolute Bestimmung der Sternpositionen dafür nötig wäre. Dagegen wollten Wren und Neile sich offenbar auf die Genauigkeit ihrer direkten Messung stützen. Sie wären somit von der Leistungsfähigkeit ihres neu konzipierten Teleskops ähnlich überzeugt gewesen, wie es später auch Hooke sein sollte, der in einer direkten Beobachtung mit Hilfe eines eigens entworfenen Instruments, seines Archimedean engine (siehe hierzu später S. 276 ff.), die Parallaxe zu entdecken und deren Winkel zu bestimmen suchte. Doch war es ja gerade diese direkte Methode, der Galilei im Dialogo den Vorzug zu geben schien: Bei der Parallaxenbeobachtung, die von ihm als eine zukünftige Unternehmung vorgestellt wird, ist sie es, die zur Anwendung kommt, und nicht die relative Messung. 19 Geometrisch hatte Galilei bewiesen, dass, je näher die Sterne am Pol der Ekliptik liegen, ihr Parallaxenwinkel, um den sie sich uns im Jahreslauf der Erde um die Sonne verschoben darstellen, desto größer d’avantage il s’est proposé la mesme chose que vous me descrivez [sc. HOC, IV: 431-433 (n°1167), hier 433]. Voicy qu’entre Monsieur Neile, pendant que J’escris ce que dessus, et me dit qu’il y a 10. Ans que Monsieur Wren et luy ont parlé de cette affaire. Mais ils n’ont pas songé à employer cette invention pour l’usage ordinaire. seulement il se proposoyent de [S. 445:] placer un verre obiectif sur quelque grande hauteur et le fixer là pour observer et comparer les altitudes meridionales de quelque estoile afin de tascher de decouvrir sil y a quelque paralaxe &c.“ Mit diesem besonderem Typ von Teleskopen, den Wren und Neile hierfür bauen wollten, sind die von Huygens und auch Hevelius konstruierten und benutzten Luftfernrohre gemeint (ohne geschlossenen Tubus), die man bis zu 300 Fuß/ 90m Länge plante, die allerdings ihre Leistungsgrenze Anfang der 1680er Jahre erreichten, da man bereits bei einer Brennweite von 25m auf unüberwindliche Probleme stieß; die leistungsfähigsten Luftfernrohre stammten von Huygens und Giuseppe Campani (1635-1715): R. Willach (1995) 105 und 104 (Abb.), 107c, 108a. 18 So schildert Schott (It., 3-5) die Entstehung des Werkes, der 1652-1655 in Rom Kirchers socius war (ARSI, Rom. 81 Cat.brev. 1650-1656, 64v, 84r, 88v, 114r, 167v), um ihm bei der Veröffentlichung des mehrbändigen Oedipus aegyptiacus (1652-1654) zu helfen, dessen letzter Band tatsächlich erst 1655 erschien (siehe das Kolophon darin). 19 Galilei, Dialogo [1632], OGG, VII: 415; siehe hierzu weiter oben S. 176 f.

4.4. Kirchers Sterne vs. Fixsternparallaxe

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wird, wobei diese Veränderung umso größer ausfällt, je näher der Stern ist.20 Auf diese theoretischen Ausführungen im Dialogo greift offenbar Riccioli zurück, wenn er in seinem Almagestum novum das Argument der Fixsternparallaxe einleitend erläutert. Ähnlich wie Galilei erörtert er das Problem zunächst more geometrico. Im Anschluss daran zitiert er wörtlich aus dem Dialogo, um eben jenen von Galilei hergeleiteten Zusammenhang aufzuzeigen, der zwischen der Polnähe und dem jährlichen Parallaxenwinkel eines Sterns besteht.21 Für eine Parallaxensuche konnten demnach die polnahen Sterne die größte Aussicht auf Erfolg versprechen, solch eine jährliche Verschiebung tatsächlich einmal festzustellen. Überdies hat Galilei ja in der geplanten Parallaxenbeobachtung, die er im Dialogo beschreibt, sich selbst auf diese geometrische Erkenntnis gestützt: Er wolle hierfür einen Stern des Wagens (Carro) beobachten. Wenngleich Galilei damit in jedem Fall ein nördlich gelegenes Sternbild wählt, drückt er sich in seiner Wahl nicht ganz deutlich aus. Doch nach seinen vorangegangenen Ausführungen lässt sich darin das aus sieben Sternen gebildete Sternbild Kleiner Bär verstehen, das auch Kleiner Wagen genannt wird, während mit dem Großen Wagen nur ein Teil des viel größeren Sternbildes Großer Bär bezeichnet wird. Denn viel näher als dieses liegt der Kleine Bär bzw. Wagen am Pol der Ekliptik. Bei dem hieraus zu beobachtenden Stern dürfte die Wahl nicht schwer fallen. Schließlich muss an solchen Sternen, die der Erde näher sind, auch die Verschiebung am größten ausfallen, wie Galilei geometrisch selbst bewiesen hat. Als scheinbar nächster Stern ist folglich der größte bzw. hellste im Sternbild Kleiner Bär zu beobachten, um die jährliche Parallaxe zu entdecken. In diesem Sternbild gibt es allerdings zwei annähernd gleich helle Sterne, die beide der zweiten Größenklasse angehören. Einer der beiden liegt indessen näher am Pol der Ekliptik als der andere. Auf jenen also müsste streng genommen die Wahl fallen, um die Fixsternparallaxe zu beobachten. Doch der andere der beiden gro20 Die Ekliptik beschreibt den Lauf der Sonne am Himmel, sie liegt auf einer Ebene mit der Umlaufbahn der Erde (deren Rotationsachse um 23,5° zu dieser gekippt ist) um die Sonne; der Pol der Ekliptik (und nicht der durch die Rotationsachse gegebene Himmelsnordpol) steht damit senkrecht zur Erdumlaufbahn; mit dieser als Grundfläche bilden die Sterne in seiner Nähe den größten Winkel im Jahreslauf, welcher Winkel wiederum umso größer ist, je weniger spitz das Dreieck ausfällt, d.h. je näher der Stern ist. Galilei, Dialogo [1632], OGG, VII: 409-412, hier 410 (Z. 19-22): „[… ]; il quale angolo anderà sempre crescendo, secondo che la stella osservata più sarà lontana dall’eclittica, sin che finalmente la massima mutazione apparirà in quella stella che fusse posta nell’istesso polo dell’eclittica, [… ]“, ebd., 411 (Z. 21-24): „Concludiamo per tanto, che la diversità di apparenza (la quale con termine proprio dell’arte potremo chiamar parallasse delle stelle fisse) è maggiore e minore secondo che le stelle osservate sono più o meno vicine al polo dell’eclittica; [… ].“, ebd., 412 (Z. 22-24): „[Sagredo:… ] nullo è l’alzamento o abbassamento nelle stelle poste nell’eclittica, massimo nelle circonvicine al polo di essa eclittica, mediocre nelle intermedie.“; und abschließend zu seinen geometrischen Ausführungen, beweist er eigens noch mit einer weiteren Zeichnung die Entfernungsabhängigkeit der parallaktischen Verschiebung: ebd., 411-412. 21 Riccioli, AN, II: 450b-454a (lib. 9, sectio 4, cap. 28), hier 451ab (1. Propositio Galilaei), zitiert „Galilaeus Dial. 3. de Mundi Syst. pag. Ital. 376. Lat. 385“, was zu finden ist in OGG, VII: 410, Z. 21-22.

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ßen Sterne im Sternbild Kleiner Bär erscheint viel nördlicher zu sein, weil er dem Himmelsnordpol (nicht aber dem Ekliptikpol) tatsächlich am nächsten steht. Aus diesem Grunde ist er der wohl wichtigste Stern überhaupt, dessen Name allgemein bekannt war und auch allen dabei in den Sinn kommen konnte: der Polarstern (stella Polaris).22 Dorthin nun auch, nachdem vom Sirius und von dessen Mond und Sternen er offenbar genug gesehen hat, möchte Theodidactus unbedingt, dass ihn sein himmlischer Führer bringe. 23 Nach einem erneuten Hypersprung durch die stellaren Weiten vermag er schließlich in der riesigen Sonne („immensus ille Sol“), vor der er sich wieder findet, den Polarstern schier nicht wieder zu erkennen. Denn was er in der Astronomie gelernt hat, sieht er hier vor seinen Augen widerlegt: Nicht an ein und demselben Fleck und scheinbar unbewegt zeigt sich der von Monden umgebene Polarstern, sondern auf einer Kreisbahn bewegt, die an Umfang der Sonnenbahn gleichkommt.24 Seine Kreisbewegung besitzt der Polarstern zusätzlich zu der vierundzwanzigstündigen Umlaufbewegung (primus motus), die er mit allen Sternen teilt. Diese führe ihn von der Erde aus gesehen im Abstand von drei Grad um den Himmelsnordpol. Dagegen erscheine seine kreisende Eigenbewegung dem menschlichen Auge lediglich als Punkt von der Erde aus, weil eine derart große Entfernung zwischen beiden liege. Nicht verwunderlich sei es daher, wie Cosmiel weiter ausführt, dass der Polarstern scheinbar unbewegt immer fest stehe.25 22 Der Polarstern (1 UMi) unterscheidet sich in seiner scheinbaren Größe (m +1.86 / +2.13) nicht von Kochab (7 UMi), der nur unwesentlich kleiner scheint (m +2.02 / +2.08). Clavius führt diese zwei größten Sterne des Sternbilds Kleiner Bär (Urs minor, sive Cynosura) ohne Eigennamen in seiner Tabula Stellarum als Sterne zweiter Größenklasse: Sphaera (1611) 7697, hier 76. 23 Mit dem Polarstern folgt hier nach dem Sirius die zweite Station (Itin., 271-285; It., 352-362) der beiden Kosmonauten auf ihrer Reise zu den Fixsternen. „Theod. Rogo te mi Cosmiel, fac ut polum firma[S. 270:]menti vicinamque ei Cynosuram propius contempler, ut quomodo tanta super polum suum machina volvatur, & cur Cynosurae sidus e terra conspectum prorsus immobile, & quasi ipsi polo clavo affixum videatur?“Itin., 269-270; It., 351-352: Schott ergänzt das fehlende Prädikat des zweiten mit „ut“eingeleiteten Nebensatzes erster Ordnung, wofür er frei „conspiciam“wählt und in seiner Ausgabe ergänzt; überdies ergänzt er Kommata und am Satzende ersetzt er durch einen Punkt das Fragezeichen (das hier fehl am Platz ist, da es sich nur um indirekte, abhängige Fragesätze handelt). Cynosura (eine Amme des Zeus) ist eine andere Bezeichnung für das Sternbild Kleiner Bär; mit dem Stern der Kynosura („Cynosurae sidus“) ist der Polarstern gemeint. 24 „Theodid: [… ] Ego ex Astronomica disciplina novi, hanc stellam semper uno & eodem loco quoad apparentiam immotam, & quasi clavo polo affixam, non nisi gyrum trium graduum intervallo a polo mundi dissitum describere, iam vero totum contrarium reperio, cum circulus in quo devolvitur, si nostri Solis circulum non excedat, saltem optimo iure eidem aequiparari possit, sed & Lunis suis, licet oculus terrenus ad eas non pertingat, stipatum video. [… ]“: Itin., 271; It., 352-353: Schott ergänzt Satzzeichen. 25 „Cosmiel. Attende itaque; stella polaris quam intueris, in maximo circulo versatilis, tanto a terra intervallo dissidet, ut oculus in Telluris corpore constitutus, eam non nisi sub puncto, circulum vero eius, non nisi sub diametro sex graduum comprehendat; unde mirum non est, eam semper immotam quoad apparentiam consistere, & tardissimo gradu in circulo suo pro[S. 272:]cedere.“: Itin., 271-272; It., 353: Schott überarbeitet die Zeichensetzung. Auf etwa drei

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Um das neue Phänomen der Sternbewegung einzuführen und an einem Stern zu demonstrieren, wählt Kircher ausgerechnet den Polarstern. An solch einem nördlichen Gestirn dürften die Parallaxe suchenden Copernicaner ihr Glück zu allererst versucht haben, sollten sie der Anleitung Galileis gefolgt sein, die in diesem wesentlichen Punkte, dem Zusammenhang von Polnähe und Parallaxenwinkel, von Riccioli wiederholt wird. Bis zum Jahre 1728, als James Bradley zu dem Ergebnis kam, dass der Parallaxenwinkel unterhalb einer Bogensekunde liegen müsse, hatte man keine Vorstellung von dessen Kleinheit. 26 Vielmehr zeigten sich bis dahin die Copernicaner nur zu optimistisch, diese für zwar äußerst gering gehaltene Verschiebung dennoch zu entdecken. Praktisch zumindest, wie wir gesehen haben, legte Galilei diesen Optimismus an den Tag, und selbiger wird sich ungetrübt bei Hooke noch wieder finden. Ob es nicht sehr bald schon Teleskope geben könnte, die imstande wären, jenen Winkel sichtbar zu machen, mag zwischenzeitlich also niemand ausgeschlossen haben. Was aber müsste ein Copernicaner auf der Parallaxensuche zu sehen bekommen, um daraus schließen zu können, dass er die Fixsternparallaxe entdeckt hat? Wenn er nach Galileis Anleitung im Jahreslauf die Position eines polnahen Sternes beobachtet und diesen Winkel auflöst, würden die verschiedenen Messungen zusammengenommen ergeben, dass der Stern in seinen Positionen einen Kreis beschreibt (s. Abb. 10, S. 256). An dieser Kreisbahn, die der Stern über das Jahr hinweg durchläuft, zeigt sich unser eigener Jahreslauf um die Sonne. Wir sehen jenes stellare Kreisen, weil wir uns im Kreis bewegen, wobei sich unsere Bewegung an den Sternen spiegelt. Es ist dieses Spiegelbild, das Copernicus bezeichnet als das Abbild der Erdumlaufbahn (eius imago), die parallaktische Ellipse. 27 Dieser Schluss von dem stellaren Kreisen auf unser eigenes Bewegtsein ist zwingend nur für den, der damit auch die heliozentrische Hypothese bewiesen sehen will. Denn hierbei wird versucht, die Erdbewegung an der parallaktischen Verschiebung der Sterne zu beweisen, ohne überhaupt zu wissen, ob nicht die Sterne selbst sich drehen. Dass diese allesamt indessen Fixsterne seien und unveränderlich fest stünden, war jenes allein auf Sinneswahrnehmung sich stützende Vorurteil nicht nur der Copernicaner.28 Hiervon befreiten diese sich aber erst spät, Grad bemaß sich zu Kirchers Zeit der Abstand des Polarsterns zum Himmelsnordpol; heute beträgt er infolge der Präzession etwa 43 Bogenminuten. 26 James Bradley, „An Account of a new discovered Motion of the Fix’d Stars,“Philosophical transactions, 35 (1728), S. 637-661, hier S. 659-660, siehe hierzu weiter unten S. 286 ff. 27 Copernicus, De revolutionibus [Nürnberg, 1543, f. 10r], in Copernicus (1984) S. 21, Z. 18 (lib. 1, cap. 10: De ordine caelestium orbium): „[… ], quae [sc. die Entfernung der Fixsterne] faciat etiam annui motus orbem sive eius imaginem ab oculis evanescere.“; s. Anm. oben S. 255 ganz zitiert. 28 Der erste Hinweis auf eine Eigenbewegung der Fixsterne stammt zwar schon von Edmond Halley (1717-1719). Doch offenbar verhallte dieser nur zaghaft (ebd., 738) vorgebrachte Hinweis. Von mehr Wirkung hingegen dürfte dreißig Jahre später der Artikel von James Bradley gewesen sein, der seine Anhaltspunkte für eine scheinbare Bewegung der Fixsterne darlegt, ohne Halley oder andere Vorläufer für diese Vermutung zu nennen: „An apparent Motion observed in some of the fixed Stars“, Philosophical transactions, 45 (1748), S. 1-43. Zur Bestätigung dessen, „daß die sogenannten Fixsterne oder feste Sterne wohl eigentlich langsam

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4. Die Fixsternparallaxe

obwohl sie sonst die Sinnestäuschung gern zu ihrem Argument gegen die nur scheinbare Ruhestellung der Erde machten. Diese Überzeugung mag sich noch im Laufe der kosmologischen Kontroverse verfestigt haben, da eine Bewegung der Sonne – und alle Fixsterne galten bald als Sonnen – den Gegensatz zu einer bewegten Erde bildete und daher als Bestandteil der Geozentrik ebenso fundamental wie unvereinbar mit der Heliozentrik erschien. Bei Guericke zeigt sich in seiner Auseinandersetzung mit Kircher diese feste Überzeugung. Die in der Ekstatischen Reise geschilderte Kreisbewegung des Polarsterns weist er als widersinnig zurück („rationi minime [… ] conveniunt“). Dahinter vermutet er lediglich die irrige tychonische Vorstellung von einer bewegten Sonne und kommt zu dem Schluss, dass man sich vernünftigerweise besser an die copernicanische Hypothese halten und die Sonnensterne in Ruhe belassen solle. 29 Doch nicht nur „der letzte scholastische Naturwissenschaftler,“ als welchen man Guericke sehen kann,30 sondern auch der erste neue hielt an dieser Auffassung fest: Newton allerdings wollte sie auch begründen, doch wurden diese Ergänzungen zu seinen Principia mathematica nie gedruckt.31 Den Hintergrund hierzu bildet der Widerspruch, den Newtons Zeitgenossen zu seiner Gravitationstheorie darin sahen, dass die Sonne und die Fixsterne nicht aufeinander zustürzten. Newton aber war gleichsam nicht bereit die letzten Konsequenzen aus seiner eigenen Theorie zu ziehen: Die allgemeine Gravitation muss auf alle Körper im bewegte Wandelsterne einer höhern Ordnung sein könnten“, verweist Immanuel Kant auf Bradleys Artikel von 1748, aus dem er einen langen Abschnitt in deutscher Übersetzung zitiert: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels oder Versuch von der Verfassung und dem mechanischen Ursprunge des ganzen Weltgebäudes, nach Newtonischen Grundsätzen abgehandelt [Königsberg: Johann Friedrich Petersen, 1755], in: Immanuel Kants Werke, 10 Bde, hg. von Ernst Cassirer, Berlin: Bruno Cassirer, 1922-1923, Bd I, S. 219-370, hier S. 233-234 (zitiert wird Bradley, 1748, S. 39-41) und 254-255. Aber selbst mehr als fünzig Jahre später ist die Sternbewegung offenbar ohne breite Akzeptanz, wenn Delambre, selbst Astronom, in seiner grundsätzlichen Kritik an Rheita (wie weiter oben gesehen), gegen dessen kreisende Sterne einwendet, dass Fixsterne fest stünden: Delambre, Histoire de l’astronomie moderne (1821) II: 177. Als den Vertreter einer Sternbewegung in Systemen und gleichsam als seinen Vorläufer hatte aber Christian Mayer bereits den ihm auch persönlich bekannten Jacques Cassini (Mémoires de l’Académie des sciences, 1738) genannt, den er wie folgt zitiert: „minores soles circa majores mobiles hosque cum illis circa commune centrum gravitatis gyrare“: Mayer, De novis in coelo sidereo phaenomenis (1779) 122. 29 Guericke, Experimenta nova (1672) 236ab; siehe zu Guerickes Kritik der Ekstatischen Reise wieter oben S. 212 ff. 30 Diese Einschätzung zu Guericke im Vergleich zu Newton stammt von Fritz Krafft (Symposion, 14.-15. Oktober 2002, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Leucorea). 31 Von diesen Ergänzungen sind mehrere Entfwürfe erhalten. Sie stammen aus den 1690er Jahren und waren vorgesehen für die zweite Ausgabe der Principia mathematica, die später als von Newton geplant erst 1713 erschien. Ersetzen sollten die handschriflich in Cambridge erhaltenen Ergänzungen darin im dritten Buch die beiden Korollarien des Theorems 14 (lib. 3, Propositio 14) durch ein eigenes neues Theorem 15 (lib. 3, Propositio 15); vgl. Newton, Principia mathematica (1687) 420. Michael A. Hoskin (1982, S. 71-95: Newton, Providence and the Stars) hat diese Entwürfe untersucht und die endgültige Fassung darunter veröffentlicht: ebd., S. 88-91 (Appendix): University Library, Cambridge, Add. Ms. 3965, ff. 275rv, 276r, 184rv, 185v.

4.4. Kirchers Sterne vs. Fixsternparallaxe

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Universum wirken. Newton dagegen wollte die Gravitationskraft zwischen den stellaren Sonnen als aufgehoben sehen durch deren gewaltige Entfernung zueinander.32 Er kommt zwar im Laufe seiner Entwürfe zu einer erweiterten Lösung, in welcher der stellare Kollaps sowohl durch göttlichen Eingriff wie auch durch göttliche Ordnung verhindert wird, wobei sich die gravitationellen Wirkungen gegenseitig aufheben. 33 Bezeichnend hingegen ist, wie Newton in seinem ersten Ansatz die riesige Entfernung der Fixsterne durch das Ausbleiben einer jährlichen Parallaxe als bewiesen ansieht. Denn in ebendemselben Gedankengang hält er ihre feste Stellung zueinander in immergleichen Abständen für einen Beweis dafür, dass die Sterne sich ohne jedwede Bewegung in absoluter Ruhe befinden.34 Dieselbe Auffassung vertritt er auch weiterhin in den Principia mathematica, wo er sie allerdings für nicht weiter begründbar hält. 35 Doch von der scheinbaren Ruhe der Sterne auf deren tatsächliche zu schließen, genau dies verbietet sich gerade wegen der übergroßen Entfernung. Ansonsten müsste Newton aus der nicht beobachtbaren Parallaxenverschiebung genauso konsequent auf die Ruhestellung der Erde schließen. Es ist die Entfernung, die in beiden Fällen die Bewegung zum Verschwinden bringt. Diese optische Täuschung, die als solche schon Copernicus vermerkt, lässt Newton lediglich für die Erdbewegung gelten bzw. für das Fehlen einer Fixsternparallaxe. Darin zeigt sich, dass er eine Sternbewegung letztlich doch für a priori ausgeschlossen hält, da er diese wie auch das Entfernungsargument ansonsten kritischer behandelt hätte. Wenn dagegen Kircher gestützt auf ebendieses Entfernungsargument aufzeigt, dass beide Bewegungen, die der Sterne wie der Erde, als epistemisch gleichwertig 32 Bei dieser Erklärung bleibt es offiziell dann auch, doch findet sie erst in der dritten von Newton noch besorgten Ausgabe Eingang in den gedruckten Text in Form einer kurzen Ergänzung zum ‘Scholium Generale’: Newton, Principia mathematica (³1726) 527: „Et ne fixarum systemata per gravitatem suam in se mutuo cadant, hic eadem [ad] immensam ab invicem distantiam posuerit [sc. Gott].“; M. A. Hoskin (1982) 87. 33 M.A. Hoskin (1982) 87-88. 34 „Prop. XV. Theor XV [/] Stellae fixae in coelis quiescunt et immensis tam ab invicem quam a Sole nostro intervallis distant. [/] Cum nulla sit fixarum parallaxis sensibilis ex Terrae motu annuo oriunda necesse est ut ingens sit earum a systemate nostro distantia. [… ] [/] [… ] Quietis mutuae tantorum tam incomparabilium ac tantis intervallis distantium corporum causa nulla alia in coelis fluidissimis cum ratione excogitari potest quam vera et absoluta omnium quies.“: University Library, Cambridge, Add. Ms. 3965, zitiert nach M.A. Hoskin (1982) 88-89. 35 Der gleiche Gedankengang lässt sich in etwa aus den beiden Korollarien von Theorem 14 des dritten Buches herauslesen: Newton, Principia mathematica (1687) 420. Als Korollarien soll sich deren Inhalt zwar als selbstverständlich aus dem Vorangegangenen ergeben, doch stellen sie tatsächlich eigene Behauptungen auf, denen Newton mit seinen Ergänzungen ursprünglich eine Begründung nachliefern wollte. Die Korollarien bleiben in der zweiten Ausgabe jedoch unverändert und werden nicht durch das geplante neue Theorem 15 ersetzt: Principia mathematica (²1713) 376 (lib. 3, Prop. 14, Theo. 14): „Corol.1. Quiescunt etiam Stellæ fixæ, propterea quod datas ad Aphelia Nodosque positiones servant.[/] Corol. 2. Ideoque cum nulla sit earum parallaxis sensibilis ex Terræ motu annuo oriunda, vires earum ob immensam corporum distantiam nullos edent sensibiles effectus in regione Systematis nostri.“Das in der Ausgabe von 1713 hierauf folgende ‘Scholium’(ebd.) bezieht sich lediglich auf das Theorem, nicht auf den Inhalt der Korrollarien.

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4. Die Fixsternparallaxe

zu erachten sind, dürfte ihm dabei nicht die Sternbewegung um ihrer selbst willen am Herzen gelegen haben. Dies lässt bereits der Adressat für seine Botschaft erahnen. Zudem liefert Kircher selbst keine Begründung für diese neue Annahme, durch die anders als bei Rheita auch kein astronomisches Phänomen erklärt wird. Überdeutlich indessen betont er beharrlich die Kreisförmigkeit jener nicht zu widerlegenden und denkbar möglichen Bewegung, welche die Sterne bisher ungesehen vollführten. Als Kreisbahn würde im Idealfall auch die Parallaxenverschiebung eines Fixsterns zu beobachten sein. Und diese zu finden, darauf mochte ein Parallaxe suchender Copernicaner hoffen, weil er glauben durfte, in ihr den lang ersehnten Beweis für die Erdbewegung zu sehen. Mit seinen kreisenden Sternen zielt Kircher auf einen wunden Punkt der Copernicaner, auf den blinden Fleck in deren kosmologischer Vision. Die postulierte riesige Distanz zu den Fixsternen gesteht er ihnen zu. Doch ist gerade dies sein Danaergeschenk an sie. Mit seinem Zugeständnis an die Copernicaner gewinnt Kircher ein unabweisbares Argument für die mögliche Sternbewegung. Denn eine derartige Distanz brächte aus gleichem Grunde jedwede Bewegung der so weit entfernten Sterne für uns optisch zum Stehen. Insofern eine Eigenbewegung der Sterne sich nicht mehr ausschließen lässt, muss an ihnen, sollte doch einmal eine Verschiebung beobachtet werden, sich nicht zwangsläufig mehr die Bewegung der Erde widerspiegeln. Die einmalige Entdeckung einer Verschiebung der Sterne kann demnach keinen zweifelsfreien Beweis mehr liefern für die Erdbewegung. 36 Die direkte Beobachtungsmethode, wie Galilei sie vorstellt, selbst wenn dabei eine Parallaxe zum Vorschein käme, brächte dennoch keine endgültige Entscheidung in der kosmologischen Kontroverse. Die von Kircher eingebrachte Sternbewegung macht die Fixsternparallaxe als experimentum crucis zunichte: Eine einmal entdeckte Parallaxe bedeutet keinen endgültigen Beweis mehr für Copernicus. Genau hierüber waren sich überraschenderweise die Copernicaner, denen der Gedanke an bewegte Sonnen doch so fern zu liegen schien, auch bald im Klaren, wie der weitere Verlauf der Parallaxensuche zeigen wird (S. 276 ff.).

36 Ohne Bezug auf Kircher kommt Rudolf Kippenhahn auf diesen Sachverhalt in Zusammenhang mit der prinzipiellen Umkehrbarkeit von Weltbildern zu sprechen, wie sie Roman Sexl (1939-1986) an der Hohlwelttheorie (deren Idee auf Cyrus Reed aus dem Jahre 1870 zurückgeht und von Johannes Lang in den 1940er Jahren weiterentwickelt wurde) widerspruchsfrei demonstrieren wollte: R. Kippenhahn, Amor und der Abstand zur Sonne. Geschichten aus meinem Kosmos, München: Piper, 2001, S. 162-163: „Erst als der Königsberger Astronom Bessel im Jahre 1838 die Parallaxe der Fixsterne, die man von der Erde aus im Laufe des Jahres in etwas [S. 163:] verschiedenen Richtungen sieht, messen konnte, hatten die Astronomen eine Beobachtung, die zwischen den beiden Modellen des Tycho Brahe und des Kopernikus zu entscheiden schien. [/] Doch nicht ganz. Im Prinzip wäre es auch denkbar, daß sich statt der Erde alle entfernten Objekte im Weltall im Laufe eines Jahres in Kreisbahnen vom Durchmesser der Erdbahn um imaginäre Mittelpunkte bewegen und die Parallaxe nur vortäuschen. Dann beobachteten wir auch von der ruhenden Erde aus die Parallaxen der Fixsterne.“

4.4. Kirchers Sterne vs. Fixsternparallaxe

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4.4.3. Sternensysteme vs. relative Parallaxenmessung In jener Schlüsselpassage im Abschnitt der Fixsternreise, als Kircher zum ersten Mal seine kreisenden Sterne vorführt, erweitert er diese Vorstellung sogleich auf ganze Systeme, gebildet aus mehreren solcher Gestirne. Von Astronomen seien derartige Phänomene in der Welt („istiusmodi Mundi phaenomena“) aufgrund ihrer riesigen Entfernung niemals beobachtet worden. Sie nämlich lasse, so wie die Optik lehre, den Bahndurchmesser eines kreisenden Sterns auf einen Punkt zusammenschrumpfen. Noch in demselben Satz beschreibt Kircher, was entfernungsbedingt mit solchen Sternen passiert, die sich gegenseitig umkreisen. Von ihnen könnten wir nur mehr den größten und hellsten Stern von der Erde aus sehen. Genau dies geschieht nach Kirchers Darstellung bei der Sirius-Sonne, die als Zentralgestirn ein System bildet. Die kleineren Sterne, die um den Sirius kreisen, verschwinden aus irdischer Sicht neben ihm. Hier beendet Kircher die Schlüsselpassage der Fixsternreise mit dem erneuten Verweis auf unser Heimatsystem: Es zeigt sich aus dieser Entfernung zusammengeschrumpft auf einen einzigen Stern, unsere Sonne, die alleine sichtbar bleibt. 37 Doch sind es bei unserem Heimatsystem lediglich Planeten, die verschluckt werden, und nicht ganze Sterne. An diesem Vergleich wird vielmehr die Wirkung dieser riesigen Entfernung verdeutlicht, die gleichfalls imstande ist, ein System aus mehreren Sternen bestehend (wie das des Sirius) auf einen einzigen leuchtenden Punkt schrumpfen zu lassen. Dass Kircher diese optische Wirkung für Mehrfachsterne beansprucht, bestätigt sich im zweiten Dialog der Reise. Dort wiederholt er seine Ausführungen über jene nie gesehenen Phänomene, wobei er in gleicher Weise das optische Verschwinden ganzer Sternenkonstellationen erklärt.38 Gleichsam wie Planeten bewegten sich die Sterne in ihren Bahnen, und dementsprechend beschreibt sie Kircher als Teile eines Systems. Hierfür wählt er die astronomischen Termini, mit denen aus irdischer Sicht die Stellung des Mondes und der Planeten zur Sonne bezeichnet wird. Allerdings sind die eigenen Bahnen jener Sterne exzentrisch zur Sonne oder Erde („motus terrae excentricos“). 39 Wenn Kircher für ihre verschiedenen Stellungen die Ausdrücke Konjunktion, Opposition und Quadratur verwendet, lässt er ihnen einen gemeinsamen Bezugspunkt zukommen und damit ein 37 „Cosmiel. [… ] Dico itaque, eo quod ab Astronomis nunquam observata sint istiusmodi Mundi phaenomena, non arguit illa non esse; sed ob inaestimabilem enormemque horum globorum a terra distantiam, illa non videri, utpote omnibus illis circulis, in quibus versantur, in insensibile spacium, prout optica nos docet, coarctatis, in quo is tantummodo oculos nostros incurrit, qui inter doctos globos maximus & lucidissimus est, cuiusmodi canicularis ille solaris naturae globus est: quemadmodum tu ex hoc loco ex inferioribus globis, nihil aliud nisi Solem intueris reliquis immensitate distantiae una cum circulis suis absorptis.“: Itin., 268; It., 350: Anstelle von „ex hoc loco“schreibt Schott „ex hoc globo“, da sich die Kosmonauten auf dem Mond des Sirius befinden. Kircher hat auf derselben Seite den Sirius als stellares Mehrfachsystem beschrieben (Itin., 268; It., 349), siehe oben S. 196. 38 Itin., 347-351, hier 349; It., 409-412, hier 411. 39 Itin., 347; It., 409. Es handelt sich hier ja nicht um den primus motus, der aus geostatischer Sicht allen Himmelskörpern gemein ist und sie alle zusammen in einer vierundzwanzigstündigen Umlaufbewegung um die Erde führt.

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eigenes System. 40 Die Konstellationen, die sie darin einnehmen, verlieren sich jedoch mit zunehmender Entfernung, bis sie geradewegs auf einen leuchtenden Punkt reduziert überhaupt keinen Unterschied mehr in der Lage erkennen lassen. 41 Dieses graduelle Verschwinden sowohl der Konstellationen als schließlich auch der Himmelskörper selbst, veranschaulicht Kircher wiederum an unserem Heimatsystem. Cosmiel erinnert seinen Schüler, wie er das soeben Beschriebene selbst bereits auf ihrer Reise erleben konnte, jedes Mal wenn er auf seine Heimat zurückblickte. Die kosmische Weite verwandelt die Dinge, verschluckt sie allmählich, selbst das Leuchten der irdischen Sonne, das Theodidactus von hier aus nun nicht mehr zu sehen vermag.42 Angesichts dieser Beschreibung von stellaren Mehrfachsystemen kann man sich fragen, ob nicht auch Kircher genauso wie Riccioli und Rheita die Erfahrung von Doppel- und Mehrfachsternen gemacht hat. Dieses entfernungsbedingte Zusammenfallen von Sternen auf einen einzigen, das Kircher wiederholt so eindringlich verdeutlicht, lässt sich umgekehrt erleben, wenn sich diese Sterne durch ein Teleskop betrachtet wieder voneinander lösen und anstelle eines einzigen nun mehr zwei oder gar mehr zu sehen sind. Dies eben bemerkt beiläufig Riccioli in seinem Almagestum novum für den Stern Mizar.43 Wie wir gesehen haben, zählt Rheita hingegen unter die erstaunlichen Fixsternfiguren, die er mit seinem Tele40 Itin., 349; It., 411; weiter unten zitiert. Die verschiedenen Konstellationen werden nach dem Grad der Elongation bezeichnet, d.h. dem Winkelabstand zwischen Sonne und einem Planeten oder dem Mond von der Erde aus (als Scheitelpunkt des Winkels). Eine Elongation von 0° wird Konjunktion (Gleichschein), eine von 180° Opposition (Gegenschein) und eine von 90° Quadratur (Geviertschein) genannt. 41 „[… ] singuli globi non secus ac Planetae differentes motus habeant, & peculiaribus circulis ob rationes in praecedentibus dictas periodos suas conficiant: Sunt tamen hi circuli, intra quos motus suos peragunt, ob excessivam a terra intercapedinem, prorsus insensibiles; si itaque stella quaepiam in peculiari suo circulo sit in coniunctione cum altera quadam stella, sive in oppositione, sive in quadrata configuratione constituta, aspectus tamen huiusmodi non dicam videri posse, sed & prorsus, ob illud, quod dixi, incredibilis intercapedinis discrimen evanescere, utpote circulo in punctum insensibile contracto, in quo praeter lucis punctum nihil aliud videatur, neque positionis ulla in eo differentia spectetur.“: Itin., 349; It., 410-411: Schott ergänzt Kommata und ändert die Zeichensetzung; unerklärlicherweise ersetzt er durch „suos“ das Kirchersche Possessiv-Pronomen „suas“, das sich bezieht auf „periodos“ (periodus, -i, feminin !, wie methodus, weil griechisch ); einen neuen Satz lässt er mit „Sive itaque“ beginnen, wobei er das Kirchersche „si“in sive ändert, wohl wegen der folgenden Wiederholung desselben; er streicht die Passage „non dicam videri posse, sed &“ersatzlos, weswegen er ebenso den AcI-bedingten Infinitiv von „evanescere“in „evanescit“ändert, wobei er „aspectus“als Singular festlegt (was bei Kircher wahrscheinlich als Plural zu verstehen ist, da es ja mehrere Konstellationen sind, die aufgezählt werden); den obliquen (ursprünglich vom AcI ausgelösten) Konjunktiv in dem abschließenden Nebensatz („in quo [… ] videatur [… ] spectetur.“) behält Schott hingegen bei. 42 „Theodid. [… ] O miram rerum metamorphosin ! Iam in eo me loco constitutum reperio, ubi nec Sol, nec Luna, nec ullus aliorum planetarum quorum motus olim e terra tantopere admirabar, omnibus in nihilum redactis, apparet !“: Itin., 350; It., 411: Schott schreibt planetarum groß und ändert das zweite Ausrufezeichen in einen einfachen Punkt. 43 Riccioli, AN, I: 422a (lib. 6, cap. 9: „De Apparenti & Vera Magnitudine Fixarum“), weiter oben zitiert in Anm., S. 182.

4.4. Kirchers Sterne vs. Fixsternparallaxe

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skop entdecken konnte, auch einen Stern nahe dem Gürtel des Orion, der aus drei Körpern bestehe. Ein ähnliches Aussehen will er bei vielen Fixsternen beobachtet haben, darunter dem Sirius. 44 Die beiden Abbildungen, die Rheita davon in seinem Werk gibt, zeigen, dass er einen Dreifach- und wohl auch Mehrfachsterne gesehen haben muss (s. Abb. 9, S. 237). Hinsichtlich dieser Erfahrung mag Kircher den beiden viel beachteten Astronomen seiner Zeit nicht zurückgestanden sein, deren Werke vor der Ekstatischen Reise erschienen waren und in der Literaturliste derselben aufgeführt sind. 45 Überdies tauschte er sich mit beiden Astronomen brieflich über Astronomisches aus. 46 In dieser Hinsicht aber ist vor allem der sizilianische Astronom Hodierna nicht zu vergessen, der den Doppelsternen einen eigenen Abschnitt im zweiten Teil seines 1654 in Palermo erschienenen Werkes De systemate widmet.47 Darin veröffentlichte er eine Liste von insgesamt dreizehn Doppelsternen mit deren Lagebeschreibung im jeweiligen Sternbild (für fünf davon liefert Hodierna zudem ekliptikale Koordinaten und für sieben Paare misst er den Winkelabstand ihrer Komponenten).48 Hodierna litt zwar unter seiner Abgeschiedenheit auf Sizilien, wo er sich in Palma di Montechiaro (nahe Agrigent) von geistigem Leben und Austausch abgeschnitten sah. So blieb er in der Gelehrtenrepublik ein kaum beachteter Akteur; seine Bücher fanden keine nennenswerte Verbreitung; auf seine Zeitgenossen scheint er daher ohne größeren Einfluss gewesen zu sein.49 44 Rheita, Oculus Enoch (1645) I: 198a, 287ab. Zu Rheitas Mehrfachsternen s. oben S. 235 ff. 45 Itin., 462, 463 (Nomina Authorum); It., 483. 46 Ricciolis in APUG erhaltene Briefe an Kircher sind veröffentlicht von Ivana Gambaro (1989). In dem undatierten Brief Rheitas an Kircher (APUG 563, f. 324rv) geht es um die mit Rheitas Binokular zu erzielenden beeindruckenden Beobachtungen von der Mondoberfläche, die um vieles das auf den Karten von Riccioli, Eustachio Divini, Hevelius oder Michael Florent van Langren zu sehende überträfen. Terminus ante quem für die Abfassung des Schreibens ist damit 1652, Erscheinungsjahr von Ricciolis Almagestum novum, in welchem die von Francesco Maria Grimaldi angefertigte Mondkarte abgedruckt ist (AN, I: 204bis). In dem Schreiben klingen nicht näher benannte Schwierigkeiten an, die Rheita in letzter Zeit gehabt habe, weswegen er unentschuldbarerweise länger nicht geschrieben habe. Auch erwähnt er ein dankbar erhaltenes Schreiben von Kircher, so dass von einem ausgedehnteren Briefwechsel auszugehen ist, aus dem leider nur dieser einzige Brief erhalten ist. 47 Hodierna, De systemate orbis cometici deque admirandis coeli characteribus, 2 Teile, Palermo: Nicolaus Bua, 1654, Teil II, S. 29-33. Der erste Teil (De systemate orbis cometici) ist eine wenig originelle Abhandlung über Kometen. Der stellarastronomisch umso bedeutsamere zweite Teil (De admirandis characteribus, mit eigener Seitenzählung) dieses seltenen Werkes findet sich in italienischer Übersetzung von Domenico Ognibene (ohne Seitenangaben) und teils auch mit lateinischem Text unter: http: //www.orsapa.it/hodierna/index.htm sowie als digitale Kopie mit lateinischer Transkription und italienischer Übersetzung unter: http: //xoomer.virgilio.it/fdemaria2/index.htm. 48 Hodierna, De systemate (1654) II: 30-31, im vierten Abschnitt (ebd., S. 29-64) mit der Überschrift: „Sectio Quarta. In qua de Stellis Contiguis Duplicibus, seu Geminis, deque Mundani Systematis Copernicaeorum implicantia, ratiocinandum venit.“ 49 G. F. Serio u.a. (1985) 2; eine Liste seiner gedruckten und unveröffentlichen Werke: ebd. 3234. Zu Leben und Werk: G. F. Serio/ L. Indorato/ P. Nastasi, „Light, colors and rainbow in Giovan Battista Hodierna (1597-1660)“, Annali Dell’Istituto e Museo di Storia della Scienza di Firenze, 8/1 (1983), S. 59-75; sowie http: // www. orsapa.it/hodierna/hodierna.htm#(22).

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4. Die Fixsternparallaxe

Nichtsdestotrotz und im Bewusstsein seiner Isolation war er bemüht, mit so bekannten Zeitgenossen wie Juan Caramuel y Lobkowitz, Francesco Fontana, Christiaan Huygens, Johannes Hevelius, Giambattista Riccioli und Kaspar Schott in Verbindung zu treten.50 Dies mag nicht ohne Wirkung geblieben sein: Denn auch Kircher führt ein Buch Hodiernas in der Literaturliste seiner Ekstatischen Reise an. Unter dem dort angegebenen Titel De cometa anni 1652 ist allerdings kein Buch Hodiernas bekannt.51 Dennoch kann es als wahrscheinlich gelten, dass Kircher von dem entscheidenden Werk Hodiernas, De systemate (1654), in welchem erstmals überhaupt Doppelsterne eigens behandelt werden, noch Kenntnis und Einblick hatte, bevor er spätestens Ende Oktober 1655 die Ekstatische Reise abschloss.52 Hatte ihm Hodierna doch im Juni 1653 einen Brief mit der großen Bitte geschrieben, für ihn ein Exemplar des Magnes nach Palermo zu schicken, sobald die dritte Ausgabe in Rom gedruckt sei.53 Von dieser bevorstehenden Neuauflage mag Hodierna von Schott erfahren haben, der von 1633 bis 1652 an verschiedenen Jesuitenkollegien Siziliens war und dessen Bekanntschaft er gemacht hatte, bevor dieser zu Kircher nach Rom ging. 54 Die dritte Ausgabe von Kirchers Magnes sollte allerdings erst im Jahr darauf erscheinen, somit also in genau demselben Jahr wie Hodiernas De systemate. Im August des Jahres 1654 schickte Hodierna Exemplare seines neuen Werkes an Riccioli. 55 Dass er selbiges auch für dessen Ordensbruder Kircher unternahm, scheint nahe liegend, zumal er gerade zu jener Zeit versuchte, mit ihm in Kontakt zu kommen. Dass ihm tatsächlich daran lag, zeigt sein Brief vom Vorjahr, der einzig erhaltene aber offensichtlich erste, den Hodierna an Kircher schrieb. 56 Anlass hierzu bot ihm 50 G.F. Serio u.a. (1983) 62 n. 15; dies. (1985) 2; Kenneth Glyn Jones, Messier's Nebulae and Star Clusters, Cambridge: Cambridge University Press, ²1991, S. 325. 51 Itin., 463 (Nomina Authorum); It., 483. Dieses Buch findet sich weder unter den unveröffentlichten noch gedruckten Werken Hodiernas: s. die Liste in G.F. Serio u.a. (1985) 32-34. Allerdings liefert der letzte Abschnitt von Hodiernas De systemate (1654, I: „Sectio quarta“) eine Besprechung auch des Kometen von 1652. Mit dem Titel von Cysats Mathemata astronomica (1619) verfährt Kircher ähnlich lässig: s. im Anhang, S. 317. 52 Am 8. November 1655 kommen die Zensoren des von Kirchers Itinerarium erstmals zu einem schriftlichen Urteil: ARSI, FG 661, f. 29rv (im Anhang, S. 326-327); Liste der Zensurakten in H. Siebert (2004) 100-102. 53 Hodierna (Palma di Montechiaro) an Kircher (Rom), Juni 1653: APUG 568, f. 95r: Nachdem er seine Begeisterung für die Physik, insbesondere für die magnetische und Kirchers Magnes kund getan hat, bringt er eindringlich seine Bitte vor: „Ob id te Doctorem sagacissimum exoro, ne permittas, tertia iam Operis huiusmodi admirabilis editione peracta, me tanta Doctrina frustratum iri tantoque lumine privatum; sed unicum saltem exemplar Panhormum studiorum meorum gratia trasmittere [sic] te ne tedeat, ut optimo iure, tuis iam praemeditatis arcanis operibus, te laudare possim, et aeque magnificare.“ 54 Siehe oben S. 21. Im Jahre 1655 kehrt Schott nach über zwanzig Jahren an das Jesuitenkolleg in Würzburg zurück, wo er sein Studium begonnen, Kircher kennengelernt hatte und nun dessen einstige Stube bewohnte: Dietrich Unverzagt, Philosophia, Historia, Technica. Caspar Schotts Magia universalis, [Phil.Diss., TU Berlin] Berlin: dissertation.de, 2000, S. 11-14. 55 G.F. Serio u.a. (1985) 3. 56 Allenfalls handelt es sich dabei um ein erstmaliges Schreiben nach geraumer Zeit: Denn seinen Brief beginnt Hodierna, indem er an das Jahr 1639 anknüpft: Hodierna an Kircher, Juni

4.4. Kirchers Sterne vs. Fixsternparallaxe

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seine Bekanntschaft mit Schott und mehr noch das baldige Erscheinen der dritten Magnes-Ausgabe, doch dies mag ihm eher als willkommener Vorwand gedient haben. Denn eigentlich hatte ihm Schott ja schon versprochen, aus Rom ein Exemplar desselben zu schicken.57 Sein eigenes neues Werk hätte für Hodierna somit einen weiteren Anlass liefern können, mit Kircher in Verbindung zu treten, so dass er ihm wie Riccioli ein Exemplar desselben geschickt haben mag, zumal im selben Jahr schließlich die dritte Ausgabe des Magnes erschien, von der Hodierna Kircher um ein Exemplar gebeten hatte. Wie nahe liegend dies auch scheinen mag – Hodiernas De systemate steht nicht in Kirchers Literaturliste, auf der indes nicht jedes von Kircher tatsächlich auch benutzte Buch erscheint. 58 Wenn man überdies bedenkt, dass Castelli 1617 den Stern Mizar erstmals doppelt sah und dass Cysat schon 1619 eine Beobachtung von Mehrfachsternen veröffentlichte (siehe Anhang, S. 317-325), wäre es nicht wirklich überraschend, dass Kircher diese neuen Himmelserscheinungen gleichfalls kannte, als er Jahrzehnte später die Ekstatische Reise schrieb. Sie könnten also durchaus in die Schilderung von Gestirnen und Sternenkonstellationen eingeflossen sein, die entfernungsbedingt vor unserem Auge zusammenfallen und erst aus größerer Nähe sich einzeln zeigen. Wirklich überraschend scheint dagegen, dass Kircher diese Erscheinungen als zusammengehörig in Systemen aufgefasst haben könnte. Denn damit werden aus jenen Mehrfachsternen echte physische Objekte. Obgleich schon Rheita diese Anschauung vertreten hatte, blieb sie indes nach allem, was wir wissen, eine Einzelmeinung. Hodierna schloss die Möglichkeit von nicht-optischen Doppelsternen, also von solchen, die tatsächlich eine Einheit bilden, nicht aus, zumal er auch reale Größenunterschiede zwischen den Sternen für möglich hielt.59 Ebenso hatte Cysat seinen Lesern dreißig Jahre zuvor bereits nahe gelegt, 1653: APUG 568, f. 95r „Illustris admodum et Rever[en]de Pater Colend[issi]me [/] Ex quo Anno Domini 1639 equidem Romae degens, Gabriele Naudero [sic] Duce, tui notitiam habens, te veneror, [… ]“Gabriel Naudé (1600-1653) war von 1628 bis 1642 in Rom Bibliothekar der Kardinäle Bagni und Barberini. 57 Hodierna an Kircher, Juni 1653: APUG 568, f. 95r: „Interim cum admodum Rev[eren]do P[atre] Gaspare Sciotio [sic] eiusdem Societatis Panormi amicitiam iniens (qui saepe saepius Praeceptoris sui R[everendi] P[atris] Athanasii Kirchier memorimam recolebat) multo vehementi aviditate opus illud ingens [sc. Magnes] videndi ac legendi affectus sum: neque interim apud Siculos reperire permissum est. Modo vero Amicorum Amicissimus [sc. Schott] per literas (Romae tecum ipse degens) exemplaria nonnulla tertiae editionis Panormum transmittere pollicitus est; spero itaque desiderium meum explere.“ 58 Das Fehlen von Galileis 1633 auf den Index gesetztem Dialogo ist zwar verständlich – (nur dessen Sidereus nuncius ist aufgeführt) –, was dessen Verwendung aber nicht ausschließt, wie an Ricciolis Zitaten daraus im Almagestum novum (1652) zu sehen ist. Das vollständige Fehlen von Namen und Werk des Kardinal Cusanus mag seine eigenen Gründe gehabt haben (s. oben S. 205). Überdies vermerkt Kircher bezüglich seiner Zitaten- und Literturliste selbst (Itin., 461; It., 482), dass er aus Platzgründen nur eine beschränkte Anzahl an Autoren und Quellen („Authoritates“) anführt, auf die sich seine Ekstatische Reise stützt. 59 Hodierna, De systemate (1654) II: 33, 53, hier 54: „Ex apparenti Stellarum tenuitate, non debet absolutè de illarum maiori distantia super celsitudinem Stellarum fulgentissimarum argumentari, & sic lateat oportet, an Syrius, anve Stellulae sibi circumstantes, magis a visu nostro

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4. Die Fixsternparallaxe

unterschiedlich große und eng beieinander stehende Sterne als zusammenhängend aufzufassen vergleichbar den Systemen Jupiters und Saturns. 60 Auch Kircher entscheidet sich für physische Mehrfachsterne. Wenn er seinen Lesern selbige in Form von Sternensystemen präsentiert, verschweigt er ihnen allerdings, welches von der Erde aus zu sehende Himmelsphänomen dieser Vorstellung zugrunde liegt. Wie schon bei der Kreisbewegung legt er also wiederum keinen Wert auf eine astronomische Begründung seiner Annahme. Vielmehr beschränkt und konzentriert er sich dabei auf eine Darstellung, die unmissverständlich vermittelt, dass derlei stellare Mehrfachsysteme nicht zu widerlegen sind, wenn man kosmische Dimensionen voraussetzt, wie sie von Copernicanern verteidigt werden. Die Copernicaner selbst dagegen zogen zu dieser Zeit noch lange nicht die Möglichkeit physischer Mehrfachsterne in Betracht, die offenbar noch weniger denkbar erschien als die Bewegung der Fixsterne. Eine solche Sternbewegung wurde bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erwogen, die mögliche Existenz stellarer Mehrfachsysteme hingegen erst in der zweiten, als John Michell und vor allem Christian Mayer für diese Annahme eintraten. 61 Hundert Jahre zuvor präsentierte Kircher solche Systeme, indem er deutlich machte, dass ihre Existenz gerade Copernicaner nicht ausschließen dürften. Damit mag sich zugleich ein impliziter Anthropozentrismus-Vorwurf verbinden: die Systeme im Universum sind eben nicht alle so zusammengesetzt wie unser eigenes, in dem nur eine einzige Sonne strahlt. Doch scheint Kircher hierdurch mit seinem Analogieprinzip in Widerspruch zu geraten. Eine seiner Thesen, auf denen er seine kosmische Exploration gegründet sehen will, fordert zwischen allen Weltkörpern eine nicht näher definierte Verhältnismäßigkeit, wie sie zwischen Sonne, Venus, Merkur, Mond und Erde bestehe.62 Mag diese Forderung indes auch nur bedeuten, dass alle Himmelskörper im Universum sich zu Systemen zusammenfinden, so ergeben sich zwei oder mehr Sonnensterne nicht analog aus dem uns einzig bekannten System und mögen als Bruch dieses Prinzips zu werten sein. Dies ließe in dem Aspekt der Mehrfachsterne einen Zusatz erkennen wie schon in den kreisenden Sternen, der mit der übrigen Darstellung der Ekstatischen Reise nicht abgestimmt ist und darin seine eigene Berechtigung haben müsste. Dass diese Sternensysteme nicht ganz so selbstverständlich waren, wie es aus Kirchers Darstellung den Eindruck macht, zeigt die weiter oben bereits besprochene Kritik nicht nur des Copernicaners Guericke, sondern gerade die von recedant accedantve, pro apparenti magnitudine.“, hier 55: „An quia fortasse non omnes Stellae simplices, sicuti apparent existunt, sed ex vario, ac multiplici Stellularum concursu, vel coherentia conflatae, innatam claritatem confundunt, obtundunt, & adulterant, [… ].“ 60 Cysat, Mathemata astronomica (1619) S. 72, 74, 76. Zur stellarastronomischen Bedeutung von Cysats Werk siehe im Anhang, S. 317-325. 61 Der erste Hinweis auf Sternbewegungen erfolgte durch Halley 1718 (s. weiter unten Anm., S. 261). Michell legte seine statistischen Gründe für physische Doppelsterne erstmals 1767 dar, Mayer seine astronomischen 1777: siehe weiter unten S. 182 f. 62 Dies ist die letzte seiner vier einleitend (‘Praelusio paraenetica’) aufgestellten Thesen: „Quartum, secundum analogiam quandam, omnia Mundi corpora eadem se ratione ad invicem habere, qua Sol, Venus, Mercurius, Luna, Terra ad se invicem habent.“: Itin., 9; It., 40.

4.4. Kirchers Sterne vs. Fixsternparallaxe

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Kirchers ehemaligem Schüler, Mitarbeiter und Freund Kaspar Schott. Denn mit ihm hatte sich Kircher auf gemeinsamen Spaziergängen in astronomische Gespräche vertieft, die Stoff und Anlass für sein literarisches Weltraumabenteuer boten; Schott war offenbar auch ein guter Kenner von Rheitas Oculus Enoch – weist er in seinen Scholien zur Würzburger Ausgabe doch viele Anleihen Kirchers daraus nach. Dennoch kann er nach eigener Aussage weder mit stellaren Bewegungen noch mit Sternensystemen etwas anfangen. 63 Kircher, der erklärtermaßen mit seinem kosmologischen Werk nicht als Neuerer gelten wollte, dürfte sich letztlich nicht grundlos für eine Darstellung entschieden haben, von der er wissen konnte, dass sie für fast alle seiner Leser ein absolutes Novum sein musste und sich obendrein nicht recht mit seinem eigens aufgestellten Analogieprinzip vertrug.64 Über den Zweck allerdings, den Kircher mit dieser stellaren Vielfalt verfolgt haben mag, deren Unwiderlegbarkeit er so bemüht ist, in seiner Ekstatischen Reise aufzuzeigen, lässt sich freilich nur mutmaßen. Mit mehr Sicherheit dagegen ist die Bedeutung zu ersehen, die dieser Darstellung im Kontext der kosmologischen Kontroverse zukommt und insbesondere mit Blick auf die copernicanische Parallaxensuche. Sterne, die sich bewegen, erschweren den Nachweis der Fixsternparallaxe, wie er von Copernicanern schon zu dieser Zeit aktiv angestrebt wurde. Sollten in ausreichend starken Teleskopen veränderte Positionen der Sterne sichtbar werden, ließe sich dies nicht mehr zwingend auf eine Bewegung der Erde zurückführen. Wie schon Kirchers kreisende Sterne verhindert somit die Annahme von stellaren Mehrfachsystemen eine endgültige Entscheidung zwischen den beiden Welthypothesen. Doch auch die ewig fest stehende Stellung der Sterne zueinander kann nun nicht mehr als sicherer Anhaltspunkt dienen. Sollte in der Ordnung der Fixsterne einmal eine Veränderung zu beobachten sein, ließe sich dies womöglich mit einer nicht mehr auszuschließenden Existenz von Systemen erklären, in denen die Sterne verschiedene Konstellationen aufweisen. Die Annahme von Sternbewegungen lässt, wie oben gesehen, eine direkte Beobachtung der Fixsternparallaxe problematisch werden. Denn das hierdurch erbrachte Ergebnis bleibt insoweit unsicher, als die gemessenen Positionsveränderungen als Stern- oder Erdbewegung zu deuten sind. Darüber hinaus lässt nun die Annahme von physischen Mehrfachsternen die zweite Methode geradezu unmöglich werden, d.h. jenen Nachweis der Fixsternparallaxe, wie ihn insbesondere Galilei und Castelli zu erbringen suchten. Denn die Idee der relativen Parallaxenmessung beruht auf der festen Überzeugung, dass die Einzelsterne in Doppeloder Mehrfachsternen sehr verschieden tief im Raum entfernt sind, während sie 63 Schott in Iter, 350 (‘Scholium V.’). 64 Dass Kircher mit seinem Werk nicht als Neuerer erscheinen wollte, berichtet nicht erst Schott in seiner Einleitung zur Würzburger Neuausgabe (It., 4), sondern bereits die römische Ausgabe erhält mit der ‘Protestatio Authoris’die diesbezügliche Verteidigung Kirchers gefolgt von der Zitatensammlung und der Literaturliste: Itin., 444-448 (‘Conclusio operis cum protestatione Authoris’); It., 469-472. Auch in seiner ‘Protestatio Authoris’(wie schon in der Einleitung zum Werk: Itin., 9; It., 40) beruft sich Kircher auf das Analogieprinzip (ars analogica) für seine Darstellung: Itin., 445; It., 470-471.

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4. Die Fixsternparallaxe

nur zufällig von der Erde aus gesehen in einer Blickrichtung liegen, so dass sie durch einen minimalen Winkelabstand voneinander getrennt gerade noch einzeln auszumachen sind. Demzufolge müsste sich im Jahreslauf der Erde aus dieser unterschiedlich weiten Tiefenentfernung eine Parallaxe ergeben, die für die beiden Sterne jeweils unterschiedlich groß und an dem veränderten Abstand zwischen ihnen sichtbar wäre. Je größer ihr Entfernungsunterschied zur Erde, desto deutlicher würden sich die Sterne zueinander verschieben. Eine solche Verschiebung ließe sich zum Teil nun wiederum durch Eigenbewegung der Sterne und ihre Konstellationen erklären. Doch die ganze Methode der relativen Messung wird mit der Annahme von physischen Mehrfachsternen geradezu sinnlos. Ebenso sinnlos wird die Suche nach solchen Doppelsternen, die bevorzugt aus möglichst stark verschieden großen Sternen zu bestehen hätten, was von Galilei schon betrieben und beschrieben wurde und worin ihm Herschel folgen sollte. 65 Denn die von Kircher geschilderten Mehrfachsterne bestehen aus Gestirnen, die verschieden hell leuchten, dennoch beieinander stehen und somit wirklich unterschiedlich groß sind.

Abb. 11 –Relative Methode zum Nachweis der Fixsternparallaxe aus: Giovanni Battista Hodierna, De systemate, Palermo, 1654, S. 35 BCRS, coll. Antiqua Y.6.III.596a-b. Mit freundlicher Genehmigung dell’Assessorato regionale Beni Culturali, Ambientali e della P.I. della Regione siciliana. (der im Original schwarzgrundige Holzstich wird hier als Negativ wiedergegeben.) siehe hierzu in vorliegender Arbeit S. 274 65 Herschel (1782a) 84, 87-88.

4.4. Kirchers Sterne vs. Fixsternparallaxe

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In der Ekstatischen Reise werden somit die unbewiesenen kosmologischen Annahmen – monostellare Systeme und stellare Einheitsgröße –, welche zugleich Voraussetzung sind, um mittels der relativen Methode einen Nachweis für die Fixsternparallaxe zu erbringen, der Beliebigkeit überführt. Denn mit ebenso großer Freiheit nimmt Kircher reale Größenunterschiede zwischen den Sternen an. Deren unmittelbare Nähe, wie sie auf Rheitas Abbildung für einen Dreifachstern zu sehen ist (s. Abb. 9, S. 237),66 fasst Kircher gleichfalls als eine wirkliche auf und den Mehrfachstern als ein eigenes zusammenhängendes Gebilde. In Übereinstimmung mit seinem Analogieprinzip kann Kircher selbiges als ein System deuten, analog zu den uns bekannten relativ benachbarten Himmelskörpern. In diesem Sinne dürften seine stellae lunares auch nicht als (in sich widersprüchliche) lichtlose Mondsterne zu verstehen sein, sondern als besonders enge stellare Begleiter der größeren stellae solares, als Komponenten sozusagen eines Mehrfachsterns, die der Hauptkomponente besonders nah sind. 67 In ihrer Wirkung machen Kirchers stellare Mehrfachsysteme die Methode der relativen Parallaxenmessung zunichte, zumindest als experimentum crucis. In gleicher Weise hatten über hundert Jahre später John Michells statistisch begründeter Einwurf sowie Christian Mayers physische Deutung von Doppelsternen das groß angelegte Projekt Wilhelm Herschels zunichte gemacht, in welchem dieser die Fixsternparallaxe mittels relativer Messung auffinden wollte. Erst im 19. Jahrhundert wird ebendiese Methode letztlich doch zum Erfolg führen, allerdings unter erheblich mehr Aufwand, um aus der übergroßen Zahl tatsächlich physischer Doppelsterne, diejenigen zu sondern, die rein optischer Natur sind. Das Kriterium hierfür wird die stellare Eigenbewegung liefern, d.h. die Geschwindigkeit, mit der sich die Komponenten eines Mehrfachsterns umeinander bewegen, das Kreisen der Sterne sozusagen.68 Dass schon Galilei und Castelli die relative Parallaxenmessung in die Tat umsetzten, wozu Galilei sogar von fremder Seite aufgefordert worden war, vermittelt eine Ahnung von dem Stand der copernicanischen Parallaxensuche. Auf die kurze Anleitung, die Galilei im Dialogo selbst zu dieser Methode gegeben hatte, beriefen sich nachfolgende Generationen von Parallaxe suchenden Copernicanern. Doch wurde schon in der Zeit vor der Ekstatischen Reise –und dies wohl deutlicher als in der unmittelbaren Zeit danach – die relative Parallaxenmessung 66 Rheita, Oculus Enoch (1645) die Abbildung für den im Oriongürtel beobachteten Dreifachstern („Stella fixa tricorporea“: I:198a) am Ende des zweiten Teils des Werkes: Tafel G, Fig. 7; für deren Beschreibung siehe weiter oben S. 235 f. 67 Demgemäß bezeichnet Kircher die Jupitermonde als Sonnen („veluti vicarios quosdam Soles id est solaris naturae globos“), weil sie eine eigene Leuchtkraft besäßen und den Jupiter beleuchteten: Itin., 226; It., 297. Auch Schott versteht den Ausdruck „stellae lunares“als leuchtende Sterne: Schott in Iter, 350 (‘Scholium V.’). Rheita will viele Fixsterne als aus mehreren Körpern bestehend gesehen haben; die Abbildung die er hiervon gibt, zeigt einen Hauptstern mit vielen kleineren, die ihn umgeben; sie Größenverhältnisses und ihrer Nähe wegen als Monde zu bezeichnen scheint naheliegend (wenngleich ihr Aussehen selbst fraglich bleibt): Rheita, Oculus Enoch (1645) I: 198a (und Abbildung am Schluss des Werkes: Tafel G, Fig. 6); siehe hierzu weiter oben S. 236 f. 68 M.A. Hoskin (1966) 26-27.

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4. Die Fixsternparallaxe

als Königsweg für den Beweis von Copernicus beschrieben. Hodierna geht im zweiten Teil seines De systemate (1654) auf das Parallaxenproblem der Copernicaner ein. 69 Für einen möglichen Nachweis der jährlichen Parallaxe zieht er die direkte Methode allerdings nicht wirklich in Betracht. Zwar erwähnt er hierfür Sterne am Himmelsnordpol (Stellae Polares). Für brauchbarer hält er indes Doppelsterne (Geminae) nahe der Ekliptik, die weniger als eine Bogenminute auseinander stehen. 70 Denn als experimentum crucis, das endgültig zwischen den beiden Hypothesen über die Welt zu entscheiden vermag, betrachtet Hodierna ausschließlich die relative Parallaxenmessung an (optischen) Doppelsternen, deren Methode er im Anschluss erklärt.71 Damit macht er einen Schritt über den von ihm bewunderten Galilei hinaus.72 Im Dialogo (1632) wird die Fixsternparallaxe unabhängig von den beiden Methoden ihres Nachweises als die Weltbild entscheidende Beobachtung vorgestellt. Galilei schenkt der direkten Messung dabei größere Aufmerksamkeit als der relativen und erwähnt hier nicht einmal das Phänomen der Doppelsterne. Dagegen wird von Hodierna, der allein die relative Methode als experimentum crucis gelten lässt, diese anschließend an seine Liste von Doppelsternen vorgestellt und an einer eigenen Abbildung erläutert (siehe Abb. 11, S. 272). Hodierna, selbst wenn Kircher dessen De systemate doch nicht erhalten haben sollte, bestätigt damit wiederum die Aktualität der Parallaxensuche sowie deren technischen Stand. Kircher konnte damit nicht nur allgemein auf dieses Streben nach einer Entscheidung Bezug genommen haben, sondern ganz konkret auch auf die Methode mittels Doppelsternen. Für diese Art der Suche jedenfalls sind Sternensysteme, wie sie in der Ekstatischen Reise als unwiderlegbar vorgeführt wer69 Hodierna, De systemate (1654) II: 33-38. 70 Hodierna, De systemate (1654) II: 34: „Admittenda sit igitur Paral[l]axium huiusmodi sensibilitas, ac tanta saltem, quanta sufficiat, ut aliquo sensu deprehendatur. Esto igitur ad minimum, ut nonnulli ex Coperniceis facilè admitterent unius minuti dimidium, in semidiametro, sed integri Minuti in toto Orbis diametro. Dico, huiusmodi Parallaxis evidentia patere necessario apud Stellas Polares, apud quas Parallaxis sit evidentissima: sed & in Geminis iuxta Eclipticam, quae non admittant maiorem intercapedinem unius Minuti, & evidentius apud illas, quae minorem unius Minuti intercapedinem admittunt.“ 71 Hodierna, De systemate (1654) II: 37: „Quod si in utraque deprehensione maximi accessus in A, & maximi recessus Telluris in C eadem prorsus intercapedo perseveraverit, necessariò sequetur, ex duobus Hypothesibus alterutra videlicet, aut verificatio Systematis Copernicei, [… ]“: hieraus folge dann laut Hodierna, dass die Größe unseres Systems so verschwindend sei gegenüber der Entfernung zu den Sternen, dass unser eigenes als nur eine Konstellation in diesem fast unendlichen Universum erscheine und es unzählige Welten gebe gleich unserem Sonnensystem: „Mundi sensibilis magnitudo sapiat infinitatem, tali pacto quidem, ut soliditas Orbis magni A B C, ad soliditatem universi, se habeat sicuti una de Stellis, quae splendent in firmamento Caeli: & sic darentur Mundi innumerabiles in universo, huic Solari Mundo similes: Quod si Mundi huius magnitudo nullo humano captu comprehendi potest: quae mens Mundi universi nisi Divinitas ipsa capere poterit ?“ 72 G.F. Serio (u.a., 1985, S. 2, 30) hält Hodierna für keinen echten Tychoniker, sondern wohl eher für einen Krypto-Copernicaner. Die Bewunderung für die mit Galilei neu angebrochene Zeit drückt sich in Hodiernas zu Lebzeiten unveröffentlichtem Werk von 1628, Il Nunzio del Secolo Cristallino, aus.

4.4. Kirchers Sterne vs. Fixsternparallaxe

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den, in ihrer Wirkung zu verheerend, um anzunehmen, dass ebendiese nicht in Kirchers Absicht lag. Vielmehr dürften sie dieser Wirkung wegen den Platz bekommen haben, den sie in der Ekstatischen Reise einnehmen. Neben dem stellaren Kreisen machen sie den zweiten Teil von Kirchers Sternenbotschaft an die Copernicaner aus. Unter Verweis auf das copernicanische Entfernungsargument bringt Kircher darin gleichsam in einem Atemzug die Existenz von Sternbewegungen und stellaren Mehrfachsystemen vor. Damit bekommen beide Teilaspekte gleichermaßen ihre Bedeutung für die Auseinandersetzung mit der Gegenseite. Diesen Eindruck scheint im zweiten Dialog der Reise, wo er seine Botschaft wiederholt, die Stelle selbst zu bestätigen, die er hierfür wählt. Sie folgt unmittelbar im Anschluss an die ausgiebige Verteidigung des primus motus, die vierundzwanzigstündige Umlaufbewegung der Fixsterne, die Kircher gegen die Einwände der Copernicaner zu verteidigen sucht.73 In demselben Kapitel, in dem er seine Lösung für den primus motus präsentiert, liefert er damit schon eine weitere im Vorhinein für die mögliche Entdeckung einer Parallaxenverschiebung. Eine solche Beobachtung – ihre Messung erfolge nun direkt oder relativ – kann keinen eindeutigen Beweis mehr für die Bewegung der Erde liefern, da nicht auszuschließen ist, dass die des Sternes selbst gemessen worden ist. Von der Abwehr des wohl schwersten Angriffs gegen die Geostatik, geht Kircher damit stante pede zur Vorwärtsverteidigung über, indem er seine kreisenden Sterne und Mehrfachsysteme aufziehen lässt. Als unwiderlegbar vermittelt er diese und als selbstverständlichen Teil eines Kosmos, der die ausstehende Klärung der kosmologischen Frage nun gar nicht mehr zuzulassen scheint. Angesichts des Wenigen, das wir über die seinerzeit betriebene Suche nach der Fixsternparallaxe wissen und überhaupt je erfahren dürften, mag Kirchers Versuch, eine solche Entscheidung schon im Vorhinein zu entkräften, weniger unzeitgemäß erscheinen als vielmehr bezeichnend für das tatsächliche Ausmaß der Aktivitäten, die seitens der Copernicaner ergriffen wurden, um das kosmologische Patt mittels eines Parallaxennachweises endlich zu entscheiden. So dürfte ihr erfolgloses Treiben zumindest in Kirchers Ekstatischer Reise nicht ohne Folge geblieben sein. Die vorauseilende Argumentation, die Kircher mit seinem neuen Bild von den Sternen darin bietet, erweist sich schon bald als nicht sonderlich verfrüht. Denn tatsächlich sollte bereits dreizehn Jahre nach Erscheinen des Werkes die erste vermeintliche Entdeckung der Fixsternparallaxe erfolgen, die auch ganz offiziell den Anspruch erhob, den Streit der Weltbilder endgültig entschieden zu haben.

73 Ekstatische Reise, Dialog II: „Caput V. De motu incomprehensibilis velocitatis, quo circa Tellurem volvuntur astra.“: Itin., 339-353, darin S. 344-347 (Kirchers Lösung für die velocitas fixarum) und 347-351 (kreisende Sterne und stellare Mehrfachsysteme); It., 402-413, darin 406-409 und 409-412.

4.5. DIE WEITERE PARALLAXENSUCHE VON HOOKE BIS BRADLEY Noch ehe James Bradley 1728 in Form der jährlichen stellaren Aberration den ersten empirischen Beweis für die Richtigkeit des copernicanischen Systems lieferte, war der alles entscheidende eigentlich schon erbracht. Denn, lange bevor Friedrich Wilhelm Bessel (1784-1846) die Fixsternparallaxe 1838 feststellte, galt diese schon einmal als entdeckt. Diesen Anspruch zumindest erhob für seine im Jahre 1669 durchgeführten Beobachtungen an Draconis, dem dritthellsten Gestirn im Sternbild Drache, Robert Hooke (1635-1703), Mitglied der Royal Society und Kurator für Experimente. Wie er in seiner 1674 erschienenen Schrift An Attempt to Prove the Motion of the Earth from Observations berichtet, wolle er mittels der Fixsternparallaxe als „experimentum crucis“endlich die Entscheidung zwischen tychonischer und copernicanischer Hypothese herbeiführen. 1 Eigens für diese Beobachtung hatte er im Gresham College das Dach und zwei Decken eines Hauses durchbrechen lassen, um ein elf Meter langes Fernrohr senkrecht darin aufzuhängen (s. Abb. 7, S. 156). Durch diese vertikale Ausrichtung war ein fester Bezugspunkt für die Messungen gegeben, festgelegt durch den Zenit, d.h. den Punkt senkrecht über dem Betrachter. Zugleich sollten hierdurch Einflüsse der Lichtbrechung an der Luftschicht ausgeschlossen werden. 2 Die vertikale Ausrichtung des Teleskoprohres, das Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen ausgesetzt war, wurde vor jedem Durchgang mit Hilfe mehrerer Lote überprüft.3 Der hellste Stern, der von London aus in das Sichtfeld von Hookes so geschaffenem Zenitteleskop kommen konnte, war Draconis. Am 6. Juli 1669 begann er, dessen Position zu bestimmen, und berichtet für Juli, August und Oktober desselben Jahres von drei weiteren Messungen. Über diesen Zeitraum 1

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Hooke (1674) 2: Hooke bezeichnet die Fixsternparallaxe als „experimentum crucis to determine between the Tychonick and Copernican Hypotheses“. Von dieser Schrift, die noch im ersten Quartal 1674 erschien, wurde in dem Publikationsorgan der Royal Society im März Mitteilung gemacht: Philosophical transactions, 9 (1674), S. 12-13 (n° 101, 25. März 1674). Diese Schrift erschien nochmals 1679 in: Hooke, Lectiones Cutlerianae: or a collection of lectures: Physical, Mechanical, Geographical, & Astronomical, London: John Martyn, 1679, number one (S. 1-28). In der Neuauflage fasst Hooke seine Schrift von 1674 wie folgt zusammen: „An attempt to prove the Annual Motion of the Earth, by Observations made with accurate Instruments: wherein is shewn the Impossibility of doing it, by the most exact Instruments and ways used by preceding Astronomers. The Instruments and method used in these Observations: The way of seeing the fixed Stars in the Day time; and a new Hypothesis for solving the motions of the Heavenly Bodies is hinted.“: unpaginierte Seite am Buchanfang. Hooke (1674) 10-23. Durch die atmosphärische Refraktion scheinen Objekte höher am Himmel zu stehen (näher am Zenit), als es ihrer wirklichen Position entspricht. Dieser Effekt nimmt gegen den Horizont hin zu, so dass wir eine Sonne unter- bzw. aufgehen sehen, die in Wirklichkeit bereits schon bzw. noch hinter dem Horizont ist. Der Querschnitt durch das von Hooke benutzte Haus in Gresham College (s. Abb. 7, S. 156) findet sich am Anfang von Hookes Attempt (1674, Tab. I, Fig. 4), wieder abgebildet in Michael A. Hoskin, Stellar Astronomy. Historical Studies, Chalfont St. Giles: Science History Publications, 1982, 30, wie auch in A.W. Hirshfeld (2001) 134.

4.5. Die weitere Parallaxensuche

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stellt er eine Verschiebung des Sternes von Nord nach Süd um eine Winkelentfernung von annähernd 30 Bogensekunden fest.4 Hieraus schließt er, dass die Fixsternparallaxe entdeckt sei und das copernicanische System somit bewiesen.5 Zwar räumt er ein, dass er noch weitere Beobachtungen hätte machen wollen, widrige Umstände – schlechtes Wetter, seine angeschlagene Gesundheit sowie Beschädigungen an dem Fernrohr – ihn davon aber abgehalten hätten. 6 Seine Entdeckung stützt Hooke lediglich auf diese vier Beobachtungen, ohne seine Messungen überprüft zu haben, was er zudem selbst noch als Versäumnis gleichsam entschuldigend eingesteht. Aus heutiger Sicht muss Hookes Anspruch, die Fixsternparallaxe entdeckt zu haben, völlig haltlos scheinen. Historiographisch ist diese Einschätzung zugleich den Zeitgenossen unterstellt worden. Hookes Beobachtungen seien demzufolge kaum beachtet worden; sie hätten niemanden überzeugen können und in ihnen sei kein Beweis für die Fixsternparallaxe gesehen worden.7 Für die Bewertung intern 4

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Hooke (1674) 23-24: „The first observation I made was the Sixth of July, 1669, when I observed the bright Star of Draco to pass the Meridian [S. 24:] Northwards of the Zenith point of the Mensurator, at about two Minutes and twelve Seconds. [/] The second observation I made was upon the Ninth of July following, when I found it to pass to the Northwards of the said Zenith or cross of the Mensurator, near about the same place, not sensibly differing. [/] The third observation I made upon the Sixth of August following; then I observed its transitus North of the aforesaid Zenith, to be about two Minutes and six Seconds. [/] The last observation I made upon the One and twentieth of October following, when I observed it to pass to the Notrth of the Zenith, at one Minute and about 45 or 50 Seconds.“Für den Betrachter bewegt sich Draconis von Ost nach West über den Himmel; Hooke misst, in welcher Entfernung zum Zenit er dabei den Meridian durchstreift. Gegenüber dem 6. und 9. Juli 1669 stellt er keine nennenswerte Veränderung fest („not sensibly differing“: ebd., S. 24); Draconis habe den Meridian nördlich des Zenits in einem Abstand von etwa 2'12" passiert. Am 6. August misst er einen Durchgang im Abstand von 2'6" und am 21. Oktober einen Wert von 1'45" oder 1'50". Über einen Vierteljahreszeitraum betrage die Parallaxe für Draconis demnach 27" bis 30": „[...], and the Parallax we judge may be about 27 or 30 Seconds.“: ebd., S. 26. Hooke (1674, S. 25) hält seine Messungen für ausreichend gesichert, um daraus schließen zu können: „’Tis manifest then by the observations of July the Sixth and Ninth and that of the One and twentieth of October, that there is a sensible parallax of the Earths Orb to the fixt Star in the head of Draco, and consequently a confirmation of the Copernican System against the Ptolomaick and Tichonick.“ Hooke (1674) 24: „Inconvenient weather and great indisposition in my health, hindred me from proceeding any further with the observation that time, which hath been no small trouble to me, having an extraordinary desire to have made other observations with much more accurateness then I was able to make these, having since found several inconveniencies in my Instruments, which I have now regulated.“ Michael A. Hoskin schätzt wenngleich verschieden streng die Beobachtungen Hookes als nicht überzeugend für seine Zeitgenossen ein, was er in Äußerungen namhafter Zeitgenossen belegt sieht, die hier im Folgenden ausführlich neben anderen zu Wort kommen werden: M. A. Hoskin, „Stellar distances: Galileo’s method and its subsequent history“, Indian Journal of History of Science, 1/1 (1966), S. 22-29, hier 24; ders. (1982) 31: „Needless to say, a parallax derived from so few observations seemed unconvincing to his contemporaries, [… ].“ In einem kurzen Rückblick konstatiert einleitend Mari E. W. Williams, „Flamsteed’s Alleged Measurement of Annual Parallax for the Pole Star,“JHA, 10 (1979), S. 102-116, hier S. 102: „But none of these attempts was considered to be genuine evidence of parallax by contempo-

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4. Die Fixsternparallaxe

und vor Veröffentlichung der Schrift lassen sich durchaus Anhaltspunkte finden für eine solche Skepsis, wie wir sie erwarten würden. So hielten offensichtlich Mitglieder der Royal Society Hookes Ergebnisse für wenig überzeugend. Auf ihrer Sitzung vom 27. April 1671 (a.St.) wurde Hooke zu einer Fortsetzung seiner Beobachtungen aufgefordert, um fehlerfrei die von ihm erhoffte Parallaxe zu finden.8 Diese Skepsis ist auch für das verzögerte Erscheinen seiner bereits 1670 im Gresham College vorgetragenen Schrift verantwortlich. In deren gedrucktem Vorwort berichtet Hooke von einigen Freunden, die ihm geraten hätten, seine Beobachtungen erst zu wiederholen. Doch da er hiervon durch Krankheit bisher abgehalten worden sei, und auch so schon ein paar Jahre verloren seien, wolle er sie eher jetzt im Drucke haben als weiter zurückzuhalten. 9 So ehrlich Hooke dies hier auch eingesteht, in gedruckter Form hat ein solches Eingeständnis mehr die Wirkung einer captatio benevolentiae. Und eben dieses Wohlwollen fand tatsächlich auch das seinerzeit berühmteste Mitglied der Royal Society, soweit wir heute sehen können, mit seiner schließlich 1674 gedruckten Schrift. Wenn die öffentliche Zustimmung ungleich besser und fast einhellig war, dann dürfte hierzu beigetragen haben, dass das Klima noch von der großen kosmologischen Kontroverse bestimmt war und nicht ganz so wissenschaftlich nüchtern wie in relativen Friedenszeiten. Hookes Versuche, die Fixsternparallaxe zu beobachten, gehen bis auf das Jahr 1666 zurück.10 Wie aus den Sitzungsprotokollen der Royal Society weiter zu errary astronomers. Hooke had made too few measurements, [… ]“ J.D. Fernie hingegen bemerkt, dass aus unerfindlichen Gründen Hookes Beobachtungen nicht die Aufmerksamkeit erhalten hätten, die eigentlich zu erwarten gewesen wäre: „The historical search for stellar parallax“, The Journal of the Royal Astronomical Society of Canada, 69/4 (1975), S. 153-161, 222-239, hier S. 222. Auf diese Stelle bei J.D. Fernie dürfte sich Norriss S. Hetherington (ohne Seitenangabe) in seinem eigenen Fazit zu Hookes Beobachtungen berufen: Science and objectivity. Episodes in the History of Astronomy, Ames: Iowa State University Press, 1988, S. 19: „Hooke’s purported experimentum crucis attracted little attention probably because no one believed Hooke’s published claim, [… ].“ 8 Thomas Birch, The History of the Royal Society of London for improving natural knowledge, from its first rise, 4 Bde, London: A. Millar, 1756-1757, Bd II: 478: „He [sc. Hooke] was likewise exhorted to prosecute the observation of the parallax of the earth’s orb; concerning which he said, that he thought indeed he should find a parallax, unless it be said, that there may be a variation in the perpendicularity.“Den 1582 eingeführten Gregorianischen Kalender hatte England erst 1752 übernommen, bis dahin hinkte es mit seinem Datum alten Stils (a.St.) zehn Tage hinterher. 9 Hooke (1674) unpaginiertes f. 4v („READER “): „I have begun with a Discourse composed and read in Gresham Colledge in the Year 1670. when I designed to have printed it, but was diverted by the advice of some Friends to stay the repeating the Observation, rather then publish it upon the Experience of one Year only. But finding that Sickness hath hitherto hindered me from repeating the Tryals, and that some Years Observations have already been lost by the first delay: I do rather hast it out now, though imperfect, then detain it for a better compleating, hoping it may be at least a Hint to others to prosecute and compleat the Observation, which I much long for.“ 10 Birch (1756-1757) II: 98 (Sitzung vom 20.06.1666, a.St.): „He [sc. Hooke] undertook to make observations of the parallax of the earth’s orb to seconds; as also to make observations with long telescopes without the use of a tube.“

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fahren ist, zählte dieses Vorhaben schon in jener Zeit zu seinen festen Aufgaben, 11 und auf der Sitzung vom 9. Januar 1667 (a.St.) habe er selbiges nochmals bekräftigt.12 Trotz der großen Anfeuerung, die er hierfür erfuhr, schien er diese Aufgabe aber weiterhin zu vernachlässigen. Über ein Jahr später, auf der Sitzung vom 6. August 1668, war es offenbar nötig geworden, ihn von neuem eigens zu beauftragen, und diesmal mit Angabe eines konkreten Zeitrahmens, die Fixsternparallaxe zu beobachten.13 Am 22. Oktober wird die Parallaxen-Beobachtung auf die Agenda der demnächst auszuführenden Experimente gesetzt, nachdem Hooke den Präsidenten der Royal Society davon in Kenntnis gesetzt hatte, dass er hierzu ein Fernrohr aufgestellt habe.14 Diese erneute und schließlich auch erfolgreiche Erteilung des alten Parallaxen-Auftrages an Hooke fällt zeitlich zumindest mit einer weiteren Zuspitzung in dem schon erwähnten, bald europaweit beachteten und von immer mehr Beteiligten geführten Streit um Ricciolis argumentum physico-mathematicum zusammen, mit welchem dieser versuchte, die Ruhestellung der Erde zu beweisen.15 Von dieser Auseinandersetzung hatte nur zwei Monate zuvor das soeben erst aus Padua zurückgekehrte und neu gewählte Mitglied der Royal Society, James Gregory (1638-1675), einen Zwischenbericht in den Philosophical transactions veröffentlicht.16 Riccioli wiederum ist der am häufigsten genannte Autor 11 Birch (1756-1757) II: 109 (Sitzung vom 15.08.1666, a.St.): „A list being read of those particulars, which, since the society’s resuming of their meetings, had been recommended to the care of the several members; it was ordered, that every one of them, according as they appeared at the meeting, should be put in mind of their several tasks; [… ] Mr. HOOKE, of perfecting his new quadrant; of producing a new sort of watch more exact than a pendulum-watch; of observing the parallax of the earths’orb; of prosecuting magnetical experiments, [… ].“ 12 Birch (1756-1757) II: 139: „Mr. HOOKE renewed his former proposal of observing the parallax of the earth’s orb; which he was exhorted by the president to do with all convenient speed.“ 13 Birch (1756-1757) II: 313: „In the mean time Mr. HOOKE was ordered, during this vacation, to make the experiment in the Park for the mensuration of the earth; and that of observing the parallax of the earth’s orb [… ].“ 14 Birch (1756-1757) II: 315: „It being considered what experiments should be tried henceforth, the president mentioned, that he had understood, that Mr. HOOKE had erected a tube to try, whether he could observe to a second minute the passing of any fixt stars over the zenith, and thence find a parallax of the earth’s orb, in order to determine the earth’s motion.“Aus diesen hier zitierten Einträgen in den Sitzungsprotokollen der Royal Society, liest N.S. Hetherington (1988, S. 18) „an increasing pressure upon Hooke to detect the stellar parallax“. 15 Die Reaktionen auf das bereits im Almagestum novum (1651) zu findende argumentum physico-mathematicum entzünden sich erst, nachdem Riccioli es in seiner 1665 erschienenen Astronomia reformata wieder aufgegriffen hat. Die Kontroverse beginnt, als Giovanni Alfonso Borelli (De vi percussionis liber, Bologna, 1667) Galilei gegen Riccioli verteidigt, woraufhin Stefano degli Angeli (Considerazioni sopra la forza di alcune ragioni fisicomattematiche, Venedig: Bruni, 1667) sowohl gegen Borelli als auch gegen Riccioli auftritt. Zu dieser schon erwähnten Kontroverse siehe die Literatur weiter oben Anm., S. 158. 16 James Gregory, „An Account of a Controversy betwixt Stephano de Angelis [sic], Professor of the Mathematicks in Padua, and Joh. Baptista Riccioli Jesuite, as it was communicated out of their lately Printed Books“, Philososphical transactions, 3 (1668), S. 693-698 (n°36, 15. Juni). James Gregory hatte sich 1664 nach Italien begeben, wo er die meiste Zeit an der Uni-

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in Hookes kurzer Schrift von 28 Seiten.17 Rhetorisch sehr geschickt stellt dieser den 1671 verstorbenen Jesuiten als den Hauptvertreter der Geozentrik vor, zugleich aber als einen, dessen Autorität schon nicht mehr gültig ist. Eindringlich betont Hooke, dass es nur eine einzige Möglichkeit gebe, zwischen beiden Hypothesen, der tychonischen und der copernicanischen, zu entscheiden, das experimentum crucis mittels Fixsternparallaxe. 18 Dieses einzige Mittel jedoch habe, was immer auch uns beide glauben machen wollten, weder in Tychos noch Ricciolis Macht gestanden.19 Alle anderen Ansätze, die kosmologische Frage zu entscheiden, erklärt Hooke dagegen für bloßes Ungefähr.20 Angesichts des einzig verbliebenen Lösungsweges hätte Riccioli sich seine siebenundsiebzig Argumente gegen die Erdbewegung sparen können bis auf eines, falls er in diesem die Unauffindbarkeit der Fixsternparallaxe bewiesen hätte. Deren Entdeckung jedoch wiege alle Argumente Ricciolis auf sowie weitere siebenundsiebzig, falls sich so viele noch ausdenken ließen. 21 Hingegen über die Fixsternparallaxe zu entscheiden, sei Riccioli gar nicht kompetent gewesen, weil dieser, wie Hooke völlig richtig bemerkt, noch die traditionelle Messmethode benutzte, um die Position der Sterne zu be-

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versität Padua verbrachte. Professor für Mathematik war dort eben jener Stefano degli Angeli (1623-1697). Mit ihm arbeitete Gregory eng zusammen, was ihn nachhaltig geprägt habe: Herbert W. Turnbull, The James Gregory Tercentenary Memorial Volume, London: G. Bell & Sons, 1939, S. 5-11. Nach London kam er an Ostern 1668 zurück und wurde am 11. Juni zum fellow of the Royal Society gewählt: Birch (1756-1757) II: 293. Daneben fallen die Namen von Tycho, Kepler, Tacquet, Grimaldi, Grienberger, Clavius, Bayer, Piff, Hevelius. Hooke (1674) 4-5: „[… ]; but there never was nor could have been any determination of the Controversie, without some positive observation for determining whether there were a Parallax or no of the Orb of the Earth; [… ]. Nor ist there indeed any other means left for humane industry to determine it, save this one which I have endeavoured to make; and the unquestionable [S. 5:] certainty thereof is a most undenyable Argument of the truth of the Copernican System.“ Hooke (1674) 4: „For all Observators having hitherto made use of the naked eye for determining the exact place of the object, and the being unable to distinguish any angle less then a minute, and an observation requisite to determine this requiring a much greater exactness then to a minute, it doth necessarily follow that this experimentum crucis was not in their power, whatever either Ticho or Riccioli have said to the contrary, and would thence overthrow the Copernican System, and establish their own. We are not therefore wholly to acquiess in their determination, since if we examine more nicely into the observations made by them, together with their Instruments and wayes of using them, we shall find that their performances thereby were far otherwise then what they would seem to make us believe.” Hooke (1674) 4: „[… ]; and all the Arguments alledged either on this or that side, are but probabilities at best, and admit not of a necessary and positive conclusion.“ Hooke (1674) 5-6: „The Inquisitive Jesuit Riccioli has taken great pains by 77 Arguments to overthrow the Copernican Hypothesis, and is therein so earnest and zealous, that though otherwise a very learned man and good Astronomer, he seems to believe his own Arguments; but all his other 76 Arguments might have been spared as to most men, if upon making observations as I have done, he could have proved there had been no sensible Parallax this way discoverable, as I believe this one Discovery will answer them, and 77 more, if so many can be thought of and [S. 6:] produced against it.“

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stimmen. 22 Mit bloßem Auge ließe sich aber kein Winkel bestimmen, der viel kleiner als eine Bogenminute sei, weswegen Hooke zu dieser Bestimmung das Teleskop benutze und so bis auf Sekunden genau messen könne.23 Für die Klärung der kosmologischen Frage, wie sie von Hooke 1674 neu formuliert wird, verliert das Lebenswerk Ricciolis seine Gültigkeit und wird bedeutungslos. Hookes Schrift ist demnach nicht nur durch die kosmologische Kontroverse motiviert, und dies womöglich ganz konkret durch jene neuerliche Gegenoffensive, in der Ricciolis argumentum physico-mathematicum ins Feld geführt wurde. Hookes Schrift ist im Geiste dieser Auseinandersetzung geschrieben. Dass er diesen mit seinen Zeitgenossen teilte, darf nicht überraschen und ebenso wenig, dass seinem Ergebnis nach der unternommene Versuch die Bewegung der Erde zu beweisen, d.h. die Entdeckung der Fixsternparallaxe, nicht angezweifelt wurde. In einem Brief desselben Jahres, und zitiert in den Philosophical transactions, bewertet Christiaan Huygens die veröffentlichten Beobachtungen Hookes als „sehr gut und folgenreich.“Man müsse sie aber fortsetzen, um zu sehen, ob die Parallaxen durchweg über einen längeren Zeitraum mit dem Jahreslauf der Erde übereinstimmten, zu welcher Arbeit er selbst seinen Beitrag leisten werde. 24 Dass 22 Dass sich bei Riccioli dennoch Positionsangaben in Bogensekunden finden rührt von den Berechnungen her (mit Logarithmen und trigonometrischen Tafeln), denen die Primärmessungen unterworfen wurden; diese nahm Riccioli aber mit dem bloßen Auge vor, wodurch deren Genauigkeit auf etwa eine Bogenminute beschränkt war: Juan Casanovas, „Riccioli e l’astronomia dopo Keplero“, in: M. T. Borgato (2002) 119-131, hier 128-129. Hooke hingegen gehörte bereits zu der neuen Generation von Astronomen wie John Flamsteed (1646-1719), die mittels eines Mikrometers im Okular ihre Posi-tionsbestimmungen vornahmen. 23 Hooke (1674) 8-9, hier 9: „[...]; whereas ’tis hardly possible for any unarmed eye well to distinguish any Angle much smaller then that of a minute: and where two objects are not farther distant then a minut, if they are bright objects, they coaless and appear one, [...]; and therefore I resolved to assist my eyes with a very large and good Telescope, instead of the common sights, whereby I can with ease distinguish the parts of an object to Seconds: and I question not but that this way may be yet made capable of distinguisching much more curiously, possibly even to some few Thirds.“Allan Chapman, „The Accuracy of Angular Measuring Instruments Used in Astronomy Between 1500-1850“, JHA, 14/2 (1983), S. 133-137, hier S. 134: „As Robert Hooke had demonstrated, the average human eye could only resolve angles of about one minute of arc, so that the prospect of making measurements was limited physiologically.“ Diesen Beweis erbringt Hooke in Auseinandersetzung mit Hevelius in: Hooke, Some animadversions on the First Part of Hevelius, his ‘Machina Coelestis’, London: John Martyn, 1674, S. 7. 24 Wie wir noch sehen werden, ist diese zweite Bemerkung nicht als Kritik an Hookes entdeckter Parallaxe von Draconis zu werten. Christiaan Huygens, „An Extract of Monsieur Christian Hugens de Zulichem his Letter to the Publisher, of the 15th of May 1674 from Paris, touching his thoughts of Mr. Hook’s Observations for proving the Motion of the Earth,”Philosophical transactions, 9 (1674), S. 90: „The Observations of Mr. Hook for finding out the Motion of the Earth are very good, and of great consequence; but they must be continued, to see, whether in the course of one or more years the Parallaxes do regularly answer to the Annual Motion of the Earth. To which we also shall contribute our labors; and the Vault, that is in our Observatory, being 28 fathom deep, will in time be very useful for that purpose. [… ]“Dieser übersetzte und in den Philosophical transactions veröffentlichte Ausschnitt stammt aus dem

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dies allerdings auf den bisher von Hooke beobachteten Zeitraum zutreffe, d.h. die Parallaxe von Draconis mit dem Jahreslauf der Erde übereinstimme, bestätigt Giovan Domenico Cassini (1625-1712), einstiger Student Ricciolis in Bologna und nunmehr Leiter des Pariser Observatoriums, dessen Lob sich gleichfalls in Form eines Leserbriefes in den Philosophical transactions des Jahres 1674 findet. Denn eine Verschiebung habe Hooke zu derjenigen Seite hin entdeckt, zu der es die Fixsternparallaxe fordere.25 Dergleichen Veränderungen seien Cassini selbst noch nicht an den Sternen begegnet. Doch habe er seine hierfür bereits geplanten Beobachtungen auch noch nicht ausführen können, wozu ihn diejenigen Hookes allerdings nun umso mehr anspornten. 26 Dieser habe dafür eine Methode sowie einen Stern herangezogen, wie man sie besser nicht wählen könne.27 Cassini soll sich zwar einige Jahre später etwas zurückhaltender bezüglich des Anspruchs einiger englischer Astronomen geäußert haben, die Fixsternparallaxe beobachtet zu haben.28 Dies jedoch habe Hooke veranlasst, seinen Anspruch 1692 nochmals zu bekräftigen, im Glauben, die Franzosen neideten ihm ohnehin nur seine Entdeckung.29 Hookes Beobachtungen fanden also immerhin so viel Aufmerksamkeit, dass man ihm nacheifern wollte, wie es nicht nur Cassini hier ankündigt, sondern im

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Brief von Huygens an Henry Oldenburg vom 15. Mai 1674, HOC, VII: 382-383, hier 382: „Les observations de Monsieur Hook sont tres belles et de grande consequence mais il faut les continuer, et voir si dans le cours d’une ou plusieurs années les parallaxes respondent entierement au mouvement de la Terre, a quoy nous travaillerons aussi de nostre costè, et le puits qui est dans nostre observatoire de 28 toises y servira utilement. [… ]“ Cassinis Schreiben an Oldenburg stammt vom 28. Juni 1674: Giovan Domenico Cassini, „An Extract of another Letter, written by Signor Cassini to the Publisher, relating to the same subject dated June 28. 1674“, Philosophical transactions, 9 (1674), S. 90-91, hier S. 90: „Nec inutilis fuit viri doctissimi conatus, cum diversitatem invenerit ad eam partem ad quam exigit Parallaxis.“Die von Hooke konstatierte Verschiebung von Draconis verläuft in Nord-SüdRichtung – weiter nördlich im Juli und weiter südlich im Oktober –, wie sie später auch James Bradley (1728, S. 639-641) für seine eigene Untersuchung von Draconis erwartet; A. W. Hirshfeld (2001) 154-155. G. D. Cassini (1674) 90-91: „Nostrae equidem Observationes nihil adhuc adeo liquidum hoc in genere exhibuêre, [… ]. Nondum tamen, quas ad hanc rem praemeditati sumus Observationes, exequi potuimus. [S. 91:] Gratias interim Tibi ago maximas, Vir Clarissime, pro communicatis D. Hookii Observationibus, quae nobis majori erunt incitamento ad correspondentes instituendas.“ G. D. Cassini (1674) 90: „Non poterat, meo judicio, D. Hookius aptiori methodo Parallaxes Orbis annui in Fixis investigare, nec aptiorem ad eam investigationem eligere Stellam, quae ex lucidioribus & vertici proxima eßet, & a polo Zodiaci non remota.“ G. D. Cassini zitiert nach Ozanam (1691) 386 (Z. 1-8). Hooke, „Discourse concerning Telescopes and Microscopes, with a short Account of their Inventors, read in February 1691-2“, in: William Derham (Hg.), Philosophical experiments and observations of Robert Hooke and other eminent virtuoso’s in his time, London: Royal Society, 1726, S. 257-268, hier 265: „By these [sc. uses I have made of the Telescope] I discovered the Parallax of the Earth’s Orb, [… ]“ und 267: „When my Attempt first was published, I was informed some of that Assembly [sc. French Academy Royal of Sciences] were angry at it, for that it had not been first thought of by them; [… ].“

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folgenden Jahr auch William Ball, in einem Schreiben an Huygens. 30 Überzeugend allerdings waren Hookes Beobachtungen sogar noch für James Bradley, auf deren Richtigkeit („Correctness“) er insbesondere vertraut hatte und mehr als bei allen anderen dieser Art („greater Exactness“). 31 Aber auch schon bei seinen Zeitgenossen fand Hooke ein ebensolches Vertrauen, wie es sich in dem 1682 in Amsterdam erschienenen Systema mundi copernicanum des Peter Megerlin (1623-1686) zeigt.32 Anhand der darin vorgestellten siebzehn Argumente will der Professor für Mathematik in Basel zeigen, dass Copernicus als bewiesen gelten muss. An vierzehnter Stelle führt er hierfür die Fixsternparallaxe an: Sie sei nun endlich von dem Engländer Robert Hooke entdeckt worden. Dessen Beobachtungen, die Megerlin im Einzelnen zitiert, hätten unabweisbar und endgültig die Richtigkeit des copernicanischen Systems bestätigt.33 Gleichfalls wird Hookes Parallaxen-Entdeckung durch den ersten Königlichen Astronomen, John Flamsteed (1646-1719), anerkannt.34 Wenige Jahre nach deren Bekanntwerden ist dieser selbst mit Sternparallaxen beschäftigt, die er in einem Vergleich von sieben Sternen gefunden haben will. 35 Aus den Vermessungen, die Flamsteed seit seiner Ernennung zum Astronomer Royal im Jahre 1675 für zahllose Himmelskörper machte, versuchte er zwanzig Jahre später, die Parallaxe des Polarsterns zu er30 Hooke es gleich zu tun, dies (und ohne Hookes Beobachtungen dabei in Zweifel zu ziehen) hat sich William Ball (auch Balle, gest. 1690) fest vorgenommen und ist bereits in Vorbereitungen begriffen: Ball an Huygens, 20.03.1675, HOC, VII: 428-429 (n°2017). 31 J. Bradley (1728) 661 und 637 respektive; hier weiter unten ganz zitiert. 32 Der in Kempten geborene Megerlin begab sich 1650 in die Schweiz, promovierte in Basel und hatte an der dortigen Universität von 1674 bis zu seinem Tode die Professur für Mathematik inne. Schon 1675 war ihm der Vortrag der heliozentrischen Lehre verboten worden. Die Kirchliche Zensurbehörde verhinderte den Druck seines Systema mundi copernicanum (1682), weshalb es in Amsterdam erscheinen musste; über Megerlin siehe den Artikel von Menso Folkerts in NDB, XVI: 610b-611a. 33 Peter Megerlin, Systema mundi copernicanum, Amsterdam: Henr. Wetstenius, 1682, S. 6163. „Inventus tandem est Robertus Hookius Anglus, qui per Telescopium 36. pedum perpendiculariter [S. 62:] erectum, & alio instrumento mensorio adhibito, Londini acuratissime observavit, Stellam lucidam in Capite Draconis, puncto verticali Greshamensis Collegii propiorem esse 27." vel 30." minutis secundis in Solstitio hyberno, quam in aestivo: & cum ista stella sit Tertiae Magnitudinis; ideo majores, ceu nobis propiores, habere etiam parallaxin majorem. Sed ipse Tractatus de ista Fixarum parallaxi ab Hookio lingua Anglica A°. 1674 editus, est inspiciendus: ubi multa habet notatu dignissima: & inter alia, quod [… ] [S. 63:] [… ] Ex hac igitur observatione sensibilis parallaxeos Fixarum ad orbem annuum, confirmatur veritatis Systematis Copernicani manifestissime; nec quicquam in contrarium regeri potest: nam ipsis Stellis Fixis, ex veterum opinione, Sphaerae Saturni proxime incumbentibus, talem tribuere reciprocationem annuam, [… ].“ 34 Flamsteed an John Wallis, 20.12.1698: The Correspondence of John Flamsteed, hg. von Eric G. Forbes u.a., Bristol: Institute of Physics, 1995-2002, Bd II, S. 708-734 (n°772), hier 718; hier weiter unten zitiert. 35 Flamsteeds früheste Beschäftigung mit der Fixsternparallaxe fällt in die späten 1670er Jahre: M. E. W. Williams (1979) 103. Dies ist einem Brief Flamsteeds an den Bischof von Salisbury, Seth Ward, vom 31. Januar 1680, zu entnehmen: in Francis Baily, An account of the Reverend John Flamsteed, London: William Clowes and Sons, 1835, S.118-123, und in: Flamsteed (1995-2002) I: 726-732 (n°377), hier 727-729.

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mitteln. Seine Ergebnisse – eine halbjährliche Verschiebung des Sterns zwischen 35 und 45 Bogensekunden –, die er ausführlich dokumentiert an John Wallis (1616-1703) übermittelt, werden 1699 in dessen Opera mathematica veröffentlicht.36 Allerdings hatte John Wallis, Professor in Oxford und neben Newton wohl der bedeutendste englische Mathematiker des 17. Jahrhunderts, die Beobachtungen Flamsteeds zwischenzeitlich für ebenso wenig sicher gehalten wie diejenigen Hookes.37 Trotz dieser geringschätzigen Äußerung über die Parallaxenversuche beider Astronomen, stießen allein die Ergebnisse Flamsteeds offen auf Kritik. Nur wenige Wochen nach ihrem Erscheinen 1699 hatte Jacques Cassini (1677-1756), der Nachfolger seines Vaters am Pariser Observatorium, sie bereits widerlegen können. 38 Doch mit seinen Messungen zum Polarstern wollte Flamsteed sich nicht als neuer oder eigentlicher Entdecker der Fixsternparallaxe präsentieren, zumal er Hookes Anspruch von 1674 vollends anerkannte.39 Wenn ebendieser Eindruck bisweilen aus Jacques Cassinis Kritik entstehen mag, könnte dies aus dessen prinzipieller Skepsis herrühren: Denn Cassini II, wie er zur Unterscheidung von seinem Vater auch genannt wird, war kein erklärter Copernicaner, zwischen die36 John Flamsteed an John Wallis, 20.12.1698, in: John Wallis, Opera mathematica, 3 Bde, Oxford: Theatrum Sheldonianum, 1693-1699, Bd III (1699), S. 701-708; ebenso zusammen mit englischer Übersetzung in: Flamsteed (1995-2002) II: 708-734 (n°772). Flamsteed kommt in seiner von 1689 bis 1697 reichenden Messreihe (1995-2002, S. 713-715) zu verschiedenen Werten für die Polarstern-Parallaxe, wobei er sich abschließend auf keinen genau festlegen will: „Sed praecisum excessum non ausim in me suscipere determinandum.“: ebd., S. 716 und in Wallis (1693-1699) III: 705. 37 John Wallis, „A Proposal concerning the Parallax of the Fixed Stars, in Reference to the Earths Annual Orb,“Philosophical transactions, 17 (1693), S. 844-849, hier S. 845: „I know that Dr. Hook and Mr. Flamsteed have attempted somwhat that way [sc. with such dilligence the Parallax of the fixed Stars], but have desisted before they came to any thing of Certainty.“ Der in den Philosophical transactions veröffentlichte Beitrag von Wallis geht auf mehrere an William Molyneux (1656-1698) geschriebene Briefe (des Jahres 1693, vom 2. May, 29. Juni und 20. Juli) zurück. 38 M.E.W. Williams (1979) 108-112; Jacques Cassini, „Réflexions sur une lettre de M. Flamsteed à M. Wallis touchant la parallaxe annuelle de l’étoile Polaire“[5. Dez. 1699], Histoire de l’Académie royale des Sciences avec les Mémoires de Mathématique et de Physique, (1702), S. 177-183. Ein weiterer prominenter Kritiker von Flamsteeds Polarstern-Parallaxe war Ole Rømer (1644-1710): Kurt Möller Pedersen, „Römer, Flamsteed, and the search for a stellar parallax“, Vistas in Astronomy, 20 (1976), S. 165-169; M.E.W. Williams (1979) 107. 39 Dass Hooke mit seinen vier Beobachtungen von Juli bis Oktober 1669 die Parallaxe von Draconis entdeckt hat, daran erhebt Flamsteed keinen Zweifel und keine Kritik, sondern findet nur lobende Worte. Die vier Messergebnisse werden von ihm zitiert, und sie seien der eindeutige Beweis für eine Parallaxe: „Cujus [sc. Parallaxeos] igitur hoc est evidens indicium.“: Flamsteed (1995-2002) II 718, und in Wallis (1693-1699) III: 707. Was hingegen die absolute Genauigkeit der einzelnen Messungen angeht, hält Flamsteed wie Hooke schon selbst einen Fehler für möglich, was er, wenngleich andere diesen als gering einschätzten, durch ein Nachberechnen der Sternposition für das Jahr 1669 zu belegen sucht: „Unde forsan factum est, quod D. Hook suspicatus sit aliquid erroris in suis Observationibus; aliique eas minoris aestimaverint, quam meruerint.“: Flamsteed (1995-2002) II: 718-719, hier 719, und in Wallis (1693-1699) III: 707.

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sem und Tycho konnte er sich allem Anschein nach nicht entscheiden. Mit seinen geodätischen Messungen wird er später die These zu widerlegen suchen, die Erde sei zu den Polen hin abgeplättet –ein Beweis für deren Rotationsbewegung –und noch in seinen 1740 erschienenen Elemens d’astronomie stellt er die kosmologische Frage als offen dar. 40 Wenn Cassini II gegen die Ergebnisse Flamsteeds argumentiert, mag es ihm folglich ganz grundsätzlich um die Fixsternparallaxe gegangen sein. Dagegen scheint diese für Flamsteed wie für andere Copernicaner im Wesentlichen schon seit Hookes Attempt von 1674 außer Frage gestanden zu haben. Ungeachtet dieser Kritik aus Kontinentaleuropa fand Flamsteed in Cambridge seine Anerkennung („our great observer“) durch Vorlesungen, die dort seit 1703 William Whiston (1667-1752) als ‘Lucasian Professor’ und Nachfolger Newtons über Astronomie hielt.41 Überhaupt dürfte Cassinis Einspruch vorerst ohne Wirkung geblieben sein. Sogar James Bradley kommt noch dreißig Jahre später auf jene irrige Annahme zu sprechen, derzufolge die Parallaxe des Polarsterns durch Flamsteeds Messungen als bewiesen galt. 42 Hatte dieser doch zu Lebzeiten seine falsche Behauptung offiziell auch nie widerrufen. 43 Aus Bradleys Rückschau erfahren wir zugleich, dass 40 In der Frage der Pol-Abplättung wandte er sich damit gegen Huygens und Newton: DSB, III: 104b-106a, hier 105a (René Taton). Jacques Cassini, Elemens d’astronomie, Paris: Imprimerie royale, 1740, S. 6-10 (Einleitender Teil: „II. Des systèmes du monde“), 114-122 (Livre II, Chap. „IV. Du mouvement vrai ou apparent du soleil à l’égard de la terre.“), und bezügliche der Saturnbewegung heißt auf S. 340: „[...] ainsi laissant à part le système de Ptolemée, nous employerons les deux autres, & principalement celui de Copernic qui est le plus simple, [...].“ Diesen aus seiner Sicht sicherlich schlimmen Verdacht hatte auch Jean-Baptiste Delambre kaum verbergen können: J.-B.-J. Delambre, Histoire de l’astronomie au dix-huitième siècle, Paris: Bachelier, 1827, S. 254, 260, 261, 266. Die Herausgeber von Huygens’Werken hingegen bezeichen Jacques Cassini geradewegs als „tychonien“(HOC, XXI: 311), während ihn René Taton als „timid Copernican“(DSB, III: 105b) bezeichnet. 41 M.E.W. Williams (1979) 106-107. William Whiston stützt sich in seiner Vorlesung auf die von Flamsteed gemessene Parallaxe, um die Entfernung des Polarsterns trigonometrisch zu errechnen: William Whiston, Praelectiones astronomicae, Cambridge: typis academicis, 1707. Kritisiert worden ist Flamsteed aber auch in England, von David Gregory (1659-1708), Professor für Astronomie in Oxford: David Gregory, Astronomiae physicae et geometricae elementa, Oxford: e theatro Sheldoniano, 1702, 274-276. Gegen die Kritik seines Kollegen verteidigt ihn Whiston: Praelectiones physico-mathematicae, Cambridge: typis academicis, 1710, S. 194-202. 42 Bradley (1728) 661: „The Observations of Mr. Flamsteed of the different Distances of the Pole Star from the Pole at different Times of the Year, which were through Mistake looked upon by some as a Proof of the annual Parallax of it, [… ].“Auch Peder Nielsen Horrebow (Horrebov, 1679-1764) kam kurz zuvor noch auf Flamsteeds vermeintliche Polarstern-Parallaxe zurück und hielt selbige durch Jacques Cassinis und Ole Rømer Kritik widerlegt: Copernicus triumphans, sive de parallaxi orbis annui tractatus epistolaris, Kopenhagen: Sumptibus Authoris, [30.Nov.] 1727, S. 6-8 („Caput Secundum. De Fato Demonstrationis Parallaxeos orbis annui Flamstedianae“). 43 Dass Cassinis Einwand begründet und seine eigene Polarstern-Messungen kein Beweis für dessen Parallaxe sind, gesteht John Flamsteed in einem Brief an Christopher Wren vom 18. November 1702 ein, worin er sich eingehend mit Cassinis Kritik von 1699 auseinander setzt: Flamsteed (1995-2002) II: 974-981 (n°880). Dieser Brief ist erstmals 1750 veröffentlicht

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4. Die Fixsternparallaxe

Hookes Beobachtungen nicht nur nicht vergessen waren, sondern keineswegs schon widerlegt. Bradley selbst, wie er weiter anmerkt, habe immer viel auf sie gehalten. Um sie zu bestätigen („in hopes of verifying and confirming“), beginnt er am 3. Dezember 1725 gemeinsam mit Samuel Molyneux (1689-1728) Draconis auf gleiche Weise wie Hooke zu beobachten.44 Allerdings sollte er bei seinen unerwartet ganz anders verlaufenden Untersuchungen eine bittere Enttäuschung erleben, die ihren Niederschlag im Postscript seines 1729 in den Philosophical transactions veröffentlichten Beitrags findet. Bis zu dessen Erscheinen konnte die Fixsternparallaxe jedoch für entdeckt und messbar gehalten werden, und erst im Jahr zuvor hatte in Kopenhagen Peder Nielsen Horrebow (1679-1764), der Schüler und Nachfolger Ole Rømers (16441710), neue Werte dafür vorgelegt.45 Doch Bradley kommt schließlich zu dem ernüchternden Ergebnis, dass eine Sternparallaxe bisher von niemandem beobachtet werden konnte und wohl auch auf lange Zeit noch unentdeckt bleibe. Denn die Größe jenes gesuchten und vermeintlich schon wiederholt gefundenen Parallaxenwinkels müsse unter einer Bogensekunde (1") liegen. 46 Wenn es einen Augenblick hätte geben können, an dem die Copernicaner wirklich die Hoffnung darauf sinken ließen, die Fixsternparallaxe überhaupt je zu entdecken, dann wohl nach Bradleys Veröffentlichung im Jahre 1729. Auch wenn daraufhin der viel beachtete, in Paris wie in Berlin tätige Astronom Jérôme de La Lande (1732-1807) kapitulierte, indem er die Fixsternparallaxe für nicht wahrnehmbar erklärte, so sollte ungeachtet dessen es nicht zu einem Abriss der Bemühungen kommen. 47

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worden in: Stephen Wren, Parentalia, or, memoirs of the family of the Wrens, London: T. Osborn, 1750, S. 247-253. Zu dieser Erwiderung Flamsteeds auf Cassini: M.E.W. Williams (1979) 112-114, und hier 114, wegen des zu Flamsteeds Lebzeiten nie erfolgten Widerufs: „It is not surprising, therefore, that even after Cassini’s criticism was published some astronomers continued to accept that parallax had been detected.“ Bradley (1728) 637-638: „Before I proceed to give you the History of the Observations themselves, it may be proper to let you know, that they were at first begun in hopes of verifying and confirming those, that Dr. Hook formerly communicated to the publick, which seemed to be attended with Circumstances that promised greater Exactness in them, than could be expected in any other, that had been made and published on the same Account. And as his Attempt was what principally gave Rise to this, so his Method in making the Observations was in some [S. 638:] Measure that which Mr. Molyneux followed: [… ].“ Peder Nielsen Horrebow (Horrebov, 1679-1764) will aus den Beobachtungsaufzeichnungen seines Lehrers eine Parallaxe von über vier Bogenminuten ermitteln aus dem jährlich veränderten Abstand zwischen Sirius und Wega: Horrebow, Copernicus triumphans (1727) 8-25; K.M. Pedersen (1976) 167. Bradley (1728) 659-660: „And if this is the Case, it must be granted, that the Parallax of the fixt Stars is much smaller, than hath been hitherto suposed by those, [S. 660:] who have pretended to deduce it from their Observations. I believe, that I may venture to say, that in either of the two Stars last mentioned [sc. Draconis, Ursae Maioris], it does not amount to 2". I am of Opinion, that if it were 1", I should have perceived it, in the great number of Observations that I made especially of Draconis; [… ].“ La Lande kommt ausgiebig bei Wilhelm Herschel zu Wort mit seiner auf Bradley fußenden Feststellung, dass die Fixsternparallaxe bewiesenermaßen absolut nicht nachweisbar („absolutely insensible“) sei; Herschel zitiert hierfür La Lande, Astronomie, 1764, ²1771-1781, livre

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Doch mit seiner Untersuchung hatte Bradley völlig unerwartet einen ganz anderen Beweis für die Richtigkeit des heliozentrischen Systems geliefert, die oben bereits erwähnte astronomische oder stellare Aberration: Auf unserer Bewegung um die Sonne gelangt das Licht der Sterne leicht verschoben zu uns aufgrund der endlichen Lichtgeschwindigkeit. Durch diese Ablenkung (jährliche Aberration) des Lichtes scheinen die Sterne eine ellipsenförmige Bewegung im Laufe des Jahres auszuführen. Dieses Kreisen jedoch ist nicht auf die Sterne selbst zurückzuführen. Denn nicht nur beschreiben sie alle ihre Ellipsen entsprechend der Bewegungsrichtung der Erde, auch deren Form verändert sich in Abhängigkeit von dem Beobachtungspunkt auf der Erde. Das Phänomen einer jährlichen Aberration der Sterne sollte sich somit als erster empirischer Beweis für die Erdbewegung erweisen. Doch Bradley rechnete ja selbst mit keiner großen Wirkung auf die kosmologische Kontroverse. Um die Aberration zu entkräften, müssten die Anti-Copernicaner nur die Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit ablehnen. Hingegen bliebe ihnen weiterhin die Möglichkeit, die nicht zu beobachtende Fixsternparallaxe gegen die Erdbewegung einzuwenden. 48 Denn diese habe bisher auch Hooke nicht beobachten können. Dessen Beobachtungen seien sehr weit davon entfernt, exakt zu sein oder gar auch übereinzustimmen mit den Phänomenen. Bradley sieht sich arg in Verlegenheit, überhaupt zu erklären, wie Hooke mit einem elf Meter langen Fernrohr und all der Gewissenhaftigkeit, mit der er verfahren sein will, einen Fehler von fast dreißig Bogensekunden (30") produzieren konnte.49 Damit gibt Bradley zugleich zu verstehen, dass jenes von ihm neu entdeckte Phänomen der Aberration dies ebenso 16, §2782: Herschel (1782a) 85-86. Zwanzig Jahre zuvor hatte hingegen Nevil Maskelyne (1732-1811), der 1765 zum Astronomer Royal ernannt wurde, wieder dazu aufgerufen, die Fixsternparallaxe zu entdecken; er schlug hierfür die gleiche Methode wie Hooke vor, nämlich die Messung im Zenit und zwar an dem größten (und daher scheinbar nächst gelegenen) Stern des Nachthimmels, Sirius, der von St. Helena aus im Zenit messbar wäre: Maskelyne, „A Proposal for discovering the Annual Parallax of Sirius“, Philosophical transactions, 51/2 (1760), S. 889-895. Mari Williams kann einen Riss nicht feststellen in den Bemühungen nach Bradley, die Fixsternparallaxe zu entdecken: M.E.W. Williams, „James Bradley and the eighteenth century ’Gap’in attempts to measure annual stellar parallax“, Notes and Records of The Royal Society of London, 37/1 (1982-1983), S. 83-100. 48 Bradley (1728) 660: „There appearing therefore after all, no sensible Parallax in the fixt Stars, the Anti-Copernicans have still room on that Account, to object against the Motion of the Earth; and they may have (if they please) a much greater Objection against the Hypothesis, by which I have endeavoured to solve the fore-mentioned Phaenomena; by denying the progressive Motion of Light, as well as that of the Earth.“ 49 Bradley (1728) 661: „POSTSCRIPT . [/] As to the Observations of Dr. Hook, I must own to you, that before Mr. Molyneux’s Instrument was erected, I had no small Opinion of their Correctness; the Length of his Telescope and the Care he pretends to have taken in making them exact, having been strong Inducements with me to think them so. And since I have been convinced both from Mr. Molyneux’s Observations and my own, that the Doctor’s are really very far from being either exact or agreeable to the Phaenomena; I am greatly at a Loss how to account for it. I cannot well conceive that an Instrument of the Length of 36 Feet, constructed in the Manner he describes his, could have been liable to an Error of near 30" (which was doubtless the Case) if rectified with so much Care as he represents.“

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wenig erklären kann, wenngleich eben selbiges im Nachhinein zur Ehrenrettung Hookes versucht worden ist.50 Dagegen lässt sich offenbar für Hookes völlig unbegründeten Anspruch keine schmeichelhafte Erklärung finden. Hookes Objektivität mag seiner eigenen Erwartungshaltung sowie derjenigen der Royal Society zum Opfer gefallen sein. Hooke indessen scheint einer solchen sich selbst erfüllenden Versuchserwartung keineswegs als einziger erlegen zu sein, wie sich in der Geschichte der Wissenschaften zeigen lässt.51 Für den heute nur mehr schwer nachzuvollziehenden Verlust an Objektivität unter den Parallaxe suchenden Copernicanern dürfte die seinerzeit immer noch offene kosmologische Kontroverse ausschlaggebend gewesen sein. Andererseits zeigt Bradleys ursprüngliche Absicht, Hooke überhaupt bestätigen zu wollen, dass dessen Beobachtungen auch nicht ganz unumstritten gewesen sein können. Für die Zeit davor mag daher die schon vernommene Stimme von John Wallis nicht die einzige kritische gewesen sein. Wallis schlägt 1693 sogar vor, Sternparallaxen mittels einer relativen Messung festzustellen, weil dies einfacher und sicherer sei als eine direkte Bestimmung. Dabei gibt er diese Methode als seine eigene aus, obwohl er, wie sein Brief es selbst verrät, die entsprechenden Seiten aus Galileis Dialogo sehr gut kannte.52 Angeregt durch Hookes Attempt, aber ohne ihn zu kritisieren, hatte zuvor auch James Gregory die relative Messmethode in einem Schreiben an Henry Oldenburg vorgestellt, welches 1675 auf einer Sitzung der Royal Society verlesen wurde.53

50 Gleiches gilt auch für Flamsteeds Beobachtungen, die zwar genauer sind als diejenigen Hookes aber ebenso nicht als Beweis für die Fixsternparallaxe dienen können: Bradley (1728) 661. Dennoch soll für beide die Ehrenrettung mit dem Verweis auf die Aberration versucht worden sein: William Broad/ Nicholas Wade, Betrayers of the truth, New York: Simon and Schuster, 1982, S. 107-108, 241-242; W. Broad und N. Wade berufen sich u.a. auf die Vorlesungen von N. S. Hetherington an der University of California, Berkeley. 51 W. Broad und N. Wade (1982, S. 107) bezeichnen diese Selbsttäuschung als „phenomenon of experimenter expectancy, or seeing what you want to see.“, wovon sie in ihrem Buch mehrere Beispiele geben ebenso wie N.S. Hetherington, der (1988, S. 20) bezüglich Hooke nicht glaubt, dass dieser in seinen Beobachtungen so unvorsichtig gewesen sei, sondern: „Easier to imagine is Hooke, unconsciously influenced by preconception and spurred on by pressure from the Royal Society, straining in the summer and fall of 1669 to detect a quantity slightly beyond his observational ability.“In gleichem Sinne hatte schon M.E. W. Williams (1979, S. 114) über Flamsteeds vermeintliche Entdeckung der Polarstern-Parallaxe abschließend bemerkt: „Flamsteed’s own initial conviction that he had detected parallax can possibly be explained by his wish to detect it. [… ]: at last he had found what he thought was concrete evidence that the Earth moves. His alleged measurement of annual parallax for the Pole Star was a clear example of someone finding something he was determined to find.“ 52 Wallis (1693) 847-849. 53 James Gregory (Edinburgh) an Oldenburg (London), 08.06.1675, in: Birch (1756-1757) III: 225-226. Am 24. Juni 1675 (a.St.) legte Oldenburg der tagenden Royal Society das Schreiben Gregorys vor: Birch (1756-1757) III: 224-226. Am 8. July 1675 schickte Oldenburg daraus eine Abschrift des die Parallaxenmethode betreffenden Teils an Huygens, HOC, VII: 475-476 (n°2039), hier 476. Zu Hookes vermeintlicher Parallaxen-Beobachtung: M. A. Hoskin (1966) 21-24; ders. (1982) 29-32; N.S. Hetherington (1988) 17-21; A.W. Hirshfeld (2001) 135-149.

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Dennoch ist für jene Zeit bis 1728 nichts von einer Widerlegung Hookes bekannt geworden, obwohl dieser selbst in seiner Schrift bedauert hatte, von einer Wiederholung seiner Beobachtungen abgehalten worden zu sein. Dies ist umso erstaunlicher, als Oldenburg die Mitglieder der Académie Royale des Sciences, namentlich Huygens und Cassini I, aufforderte, Hookes Ergebnisse zu überprüfen.54 Ein möglicher Grund für das Ausbleiben einer solchen Widerlegung mag darin liegen, dass mit gleicher Sicherheit sich eben nur von London aus Draconis im Zenit bestimmen lässt, weil dieser Stern nur über London oder Orten desselben Breitengrades fast senkrecht am Himmel steht und dort allein in das Sichtfeld eines Teleskops fallen kann, das in seiner vertikalen Stellung sich ganz exakt ausrichten lässt und so zugleich die atmosphärische Refraktion ausschließt. Eine Art Schwebezustand scheint sich nach 1674 eingestellt zu haben, dessen Ende von Bradleys enttäuschenden Ergebnissen bezüglich Hooke markiert wird, in dessen Verlauf hingegen, wie Bradley ebenfalls erwähnt, verschiedene Astronomen unterschiedliche Werte für Fixsternparallaxen ermittelt hätten („determine“). 55 Auch Cassini I berichtet von derlei Bemühungen, welche sogar in der (bis 1683 sich hinziehenden) baulichen Ausgestaltung des Pariser Observatoriums berücksichtigt worden seien: eine Öffnung in allen Geschossdecken für Zenitteleskope einer Länge von bis zu 160 Fuß.56 Offenbar hielt man seit den Beobachtungen Hookes die Fixsternparallaxe für messbar und war damit beschäftigt, sie für verschiedene Sterne festzustellen. Dies mag wiederum bestätigen, dass allgemein die Zustimmung zu Hookes Entdeckung überwogen haben dürfte, weniger wohl bezüglich der Genauigkeit seiner Parallaxen-Messung. Die im Ganzen wohlwollende Aufnahme von Hookes Attempt kann man vor dem Hintergrund der kosmologischen Kontroverse noch verstehen. Das seltsame Treiben danach, diese Häufung an angeblich neu entdeckten oder einfach festgestellten Sternparallaxen schon weniger. Für eine mögliche Erklärung müssen wir nochmals auf die Reaktion von Huygens auf Hookes Entdeckung zurückkommen, die noch im selben Jahr in den Philosophical transactions veröffentlicht wird. Laut Huygens sind Hookes Beobachtungen fortzusetzen, an denen er selbst sich tatkräftig beteiligen will. Dieser Aufruf ist keineswegs als Kritik an Hookes Entdeckung zu verstehen. Wenn Huygens in diesem Zusammenhang von Parallaxen im Plural spricht, hat das seine Berechtigung. Er meint damit nicht diejenige, die Hooke für Draconis bereits bestimmt hat. Dass Huygens die Parallaxenmessung an weiteren Sternen im Sinn hat, geht eindeutig aus seiner nachfolgenden 54 Oldenburg an Huygens, 21.06.1674, HOC, VII: 386-387 (n°1994), hier 387: „J’espere que Monsieur Cassini et d’autres de vostre Academie feront l’observation de Monsieur Hook. Comme ils ont toutes choses necessaires pour cela, ils verront, si elle est juste ou non, apres l’avoir fait plusieurs fois.“ 55 Bradley (1728) 638: „The Necessity of such [sc. well-contrived Instruments] will scarce be disputed by those that have had any Experience in making Astronomical Observations; and the Inconsistency, which is to be met with among different Authors in their Attempts to determine small Angles, particularly the annual Parallax of the fixt Stars, may be a sufficient Proof of it to others.“ 56 G.D. Cassini zitiert nach Ozanam (1691) 385, Z. 43-50.

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Ankündigung hervor: Er selbst wolle diese Beobachtungen fortsetzen, wobei ihm in seinem Observatorium ein über fünfzig Meter tiefer Brunnenschacht gute Dienste leisten werde. 57 Aus der Tiefe dieses Schachtes wäre es Huygens möglich gewesen, mit weniger störenden Einflüssen als Hooke die Parallaxen im Zenit zu messen. Nun befand sich Huygens aber in Paris und senkrecht über ihm am Himmel würde niemals Draconis stehen. Folglich dachte Huygens nicht daran, auf diese Weise Hookes Beobachtungen zu überprüfen, sondern es ging um die Art von Beobachtungen wie diejenige Hookes, die fortzusetzen seien. Die Parallaxen anderer Sterne sollte man also beobachten, um zu sehen, ob die Verschiebungen oder genauer gesagt die parallaktischen Ellipsen völlig im Einklang stehen mit der Erdbewegung. Mit anderen Worten: Um diese Erdbewegung zu beweisen, war Hookes Nachweis nicht ausreichend, der Beweis war nicht komplett mit einer einzigen entdeckten Parallaxe. Wenn Huygens die Beobachtungen von Hooke als „sehr gut und folgenreich“ lobt, sieht er sie im Kontext der kosmologischen Kontroverse. Ebenso wurde seine Stellungnahme von Hooke selbst verstanden. 58 Dass dieser die Fixsternparallaxe überhaupt entdeckt haben könnte, stellt Huygens damit nicht in Frage. Er setzt sie vielmehr schon voraus, wenn er fordert, dass weitere ParallaxenBeobachtungen folgen müssten. Doch diese weiteren Sternparallaxen fordert er mit Blick auf die Anti-Copernicaner, weil andernfalls der Nachweis für die Erdbewegung nicht erbracht ist. Denn er rechnet hier mit einem Gegenargument, das Hooke offenbar nicht kannte. Dieser sieht mit seinem experimentum crucis Copernicus als bewiesen an. Huygens dagegen macht in seiner Stellungnahme deutlich, dass eine einzige Parallaxe als Beweis nicht vor den Anti-Copernicanern Bestand haben könne. Nur dadurch dass mehrere Sternparallaxen mit der Erdbewegung im Ganzen („entierement“) übereinstimmen, sieht er den Einwand ihrer

57 Huygens (1674): S. 90: „The Observations of Mr. Hook for finding out the Motion of the Earth are very good, and of great consequence; but they must be continued, to see, whether in the course of one or more years the Parallaxes do regularly answer to the Annual Motion of the Earth. To which we also shall contribute our labors; and the Vault, that is in our Observatory, being 28 fathom deep, will in time be very useful for that purpose. [… ]“; dieselbe Stelle im ursprünglichen Schreiben von Huygens an Oldenburg (15.05.1674), HOC, VII: 382-383, hier 382: „Les observations de Monsieur Hook sont tres belles et de grande consequence mais il faut les continuer, et voir si dans le cours d’une ou plusieurs années les parallaxes respondent entierement au mouvement de la Terre, a quoy nous travaillerons aussi de nostre costè, et le puits qui est dans nostre observatoire de 28 toises y servira utilement. [… ]“ 58 Oldenburg an Huygens, 04.06.1674, HOC, VII: 385-386 (n°1993), hier 385: „Monsieur Hook est bien aise, que vos Astronomes sont resolus de s’employer dans vostre Observatoire à continuer les observations commencees touchant le mouvement de la Terre; et il ne pense pas, que parmy les Anti-coperniciens il y aura des personnes, qui se prostitueront à tel degré que de se servir du subterfuge frivole, que vous avez mentionné dans vostre lettre [sc. Huygens (1674)].“Von Oldenburg und Hooke ist Huygens’Aufruf so verstanden worden, dass dieser sowie die Astronomen und Akademiemitglieder in Paris die Beobachtungen Hookes bezüglich der Erdbewegung fortsetzten, indem sie ihrerseits Sternparallaxen ausfindig machen, so dass den Anti-Copernicanern nur mehr diese letzte aber nichtige (frivole) Ausflucht bleibt.

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Gegner entkräftet, und aus diesem Grunde seien solche Beobachtungen, wie Hooke sie gemacht habe, fortzusetzen. Denn wenn sich an mehreren Sternen eine solche Bewegung (d.h. eine parallaktische Ellipse, siehe Abb. 10, S. 256) feststellen ließe, die mit der Jahresbewegung der Erde bzw. der Sonne völlig übereinstimmte, dann, aber erst dann, bliebe den Anti-Copernicanern nur mehr jene Ausflucht, die Oldenburg als nichtig („frivole“) bezeichnet.59 Also erst wenn mehrere Fixsternparallaxen beobachtet sind, könnte sich die Gegenseite nur mehr damit retten, dass sich all diese Sterne zusammen mit der Sonne um die Erde bewegen müssten.60 Um sie allerdings bis dahin treiben zu können, hatten die Copernicaner noch Einiges vor sich. Den Anti-Copernicanern keine andere Wahl mehr zu lassen, sie letztlich also zu widerlegen, ebendies ist der Antrieb von John Flamsteed, wenn er 1680 aus den Winkelentfernungen von sieben Sternen die Fixsternparallaxe nachweisen will. Er selbst aber habe noch nicht genügend Messungen zu diesem Zwecke, wie er eingesteht. Von dieser letzten Ausflucht der Anti-Copernicaner, habe er von Freunden gehört, die allerdings der Meinung seien, dass niemand die Unvernunft besitze, jene ernstlich zu ergreifen. 61 Also ist Huygens’ Aufruf sehr wohl mit Blick auf die Anti-Copernicaner verstanden worden, wenn Beobachtungen wie von Flamsteed fortgesetzt wurden, nicht um Hooke zu überprüfen, sondern um weitere Sternparallaxen zu messen, die alle zusammen genommen die Geozentrik unhaltbar machen sollten. Dass diese anderenfalls aber noch zu verteidigen war, dafür hatte Kirchers Ekstatische Reise die nötige Vorstellung geliefert: Sterne, die nicht mehr fest stehen, sich in Kreisen bewegen. Hiermit lassen sich parallaktische Ellipsen auch anders erklären als durch die Bewegung der Erde, die daran sichtbar würde. Auf solch eine alter59 Oldenburg an Huygens, 04.06.1674, HOC, VII: 385-386 (n°1993), hier 385, oben zitiert. 60 Huygens (1674): „[… ] for that purpose. This, if it succeed, will prove an almost entire conviction of the Anti Copernicans, since there will remain for them nothing but this un-grounded subterfuge, to say, that the Center of the Sphere of the Fix’t Stars continually changes its place for an Annual Motion.“; dieselbe Stelle im ursprünglichen Schreiben von Huygens an Oldenburg (15.05.1674), HOC, VII: 382-383: „[… ] y servira utilement. Ce sera une conviction presque’entiere des Anti-Coperniciens, car il ne leur restera qu’un subterfuge ridicule, de dire, que le centre [de] la sphere des estoiles fixes change continuellement de place, par un mouvement annuel.“ 61 John Flamsteed an Seth Ward (Bischof von Salisbury), 31.01.1680, Flamsteed (1995-2002) I: 726-732 (n°377), hier 728-729. „But since they [sc. the 7 forementioned Stars] make an entire Circle wantinge onely 38", it is evident they were nearly as much dilated by some other cause, as they were contracted by Refraction, which can be no other than the Parallax of the Earths Orb, for which some of my Ingenuous Friends esteem this so good an Argument, that they tell me the Anti-Copernicans can not otherways evade it, but by suggestinge, that the Sunn carrys not onely our Systeme, but the whole Sphere of the fixed Stars round our Earth once a Year; But this they esteeme so improbable and unreasonable, that they can not thinke any one will have the [S. 729:] impudence to assert it. I am very desirous to try whether our Rounds of lesser **s wil confirme what I am taught by this, but I am not yet furnisht with measures enough for my purpose, and therefore at present am compell’d to forbear, when I shall be accommodated with such and so manye as I think expedient, I shall make farther experiments and your Lordship shall know my successe.“

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native Erklärung wären die Copernicaner von selbst wohl kaum verfallen, zumal in ihrem System die Sonne doch ruht und für die Fixstern-Sonnen auch nichts anderes denkbar zu sein schien. Doch in der Folge räumte auch Cassini I, der 1674 noch voller Zustimmung für Hookes Entdeckung war, die Möglichkeit ein, dass stellare „Variationen“, wie sie von Hooke und anderen beobachtet worden seien, andere Ursachen als die Erdbewegung haben könnten. Einen Beweis hierfür würden diese Beobachtungen erst dann mit einiger Sicherheit liefern, wenn eine große Zahl von ihnen zeige, dass sich ausreichend viele Sterne gemäß der copernicanischen Hypothese verschöben.62 Selbst Hooke nahm mittlerweile zur Kenntnis, dass sich parallaktische Ellipsen auch anders als im Sinne von Copernicus verstehen ließen. Deutlicher als Cassini I und in Auseinandersetzung mit ihm kam er 1692 auf jene Vorstellung zu sprechen, die der alternativen Erklärung zugrunde lag. Dabei nahm er diesen entscheidenden Einwand gegen sein experimentum crucis zwar selbst nicht weiter ernst. Er verstand ihn aber dahingehend, dass selbiger, „um der Kraft des Arguments zu entgehen, welches sich zugunsten der Erdbewegung aus der sichtbaren Parallaxe unter den Fixsternen ergibt, jedem Fixstern zuschreibe, sich auf einem kleinen Epizykel zu bewegen“.63 Dass es jedoch gerade Huygens war, der als erster an dieses Gegenargument der Gegenseite gedacht hatte und bereits 1674 in den Philosophical transactions darauf hinwies, dürfte wenig überraschen. Bewegte Sterne finden sich eindrucksvoll in der Ekstatischen Reise beschrieben, zu deren aufmerksameren Lesern Huygens zählte und uns indirekt damit sogar bestätigt, wie verbreitet und bekannt Kirchers Weltraumabenteuer in der gebildeten Welt war. An diese aber will auch Huygens sich mit seiner gleichfalls auf Latein geschriebenen Wissenschaftsdichtung wenden und damit einen Leserkreis erreichen, der vielleicht nicht größer, aber jedenfalls gelehrter war als derjenige, den Fontenelles Entretiens (1686) begeistert hatten. Offenbar sollte an jene Stelle, die Kirchers Ekstatische Reise einnahm, Huygens’Kosmotheoros treten. Dieses zweiteilige Werk, das Huygens in seinen letzten Lebensjahren schrieb, 64 war nicht weniger spekulativ als dasjenige des Jesuiten. Um seine völlige Ablehnung für letzteres kundzutun, hielt es Huy62 G.D. Cassini zitiert nach Ozanam (1691) 386, Z. 9-16: „[… ] quand on trouveroit en quelques fixes une variation conforme à l’Hypothese [sc. copernicienne], on pourroit encore douter si cela n’est pas arrivé par cette cause, ou par une autre, [… ]. Mais quand on auroit trouvé par un grand nombre d’observations, qu’un nombre suffisant de Fixes ont une variation conforme à l’hypothese, alors on pourroit juger qu’elle a quelque fondement, nonobstant quelque irregularité qu’on observe en partie contraire.“ 63 Hooke, „Discourse concerning Telescopes [… ] February 1691-2“, in: Derham (1726) 257268, hier 266: „[… ] to evade the Strength of the Argument for the Earth’s Motion, drawn from the sensible Parallax amongst the fix’d Stars, assigns every fix’d Star to move in a small Epicycle that will answer the Appearance.“ 64 Christiaan Huygens, , sive de Terris Coelestibus, earumque ornatu, conjecturae [Den Haag: Adrianus Moetjens, 1698, S. 88-93], HOC, XXI: 677-842, hier 765-771. Huygens stirbt 1695, erlebt aber noch den Druck der ersten Seiten; der früheste Hinweis auf das Werk findet sich in Huygens Korrespondenz mit Leibniz und stammt von Juli 1692: siehe die Einleitung des Herausgebers in HOC, XII: 656-657.

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gens allerdings für nötig, die Ekstatische Reise eigens in seinem Kosmotheoros zu besprechen. Einleitend zum zweiten Teil desselben lesen wir, dass er vor etlichen Jahren („ante complures annos“) ein Buch von Athanasius Kircher mit dem Titel Iter exstaticum aufgeschlagen habe („evolverem“). Schon damals habe er sich gewundert, wie darin „das meiste nichtig und widersinnig“sei („inania pleraque, & a ratione aliena“) und alles im Widerspruch zu seinen eigenen Vorstellungen stehe. Noch deutlicher allerdings sei ihm dies nach dem hier Geschriebenen geworden, als er dasselbe Werk erneut durchflogen habe („percurrerem“). 65 Aus dieser betont flüchtigen aber wiederholten Lektüre des Werkes weiß Huygens im Folgenden einige Details zusammenzutragen. Am Schluss fragt er sich gar, was Kircher insgeheim womöglich noch hätte alles sagen wollen. Verwundern kann allerdings, dass unter all den Vorstellungen aus der Ekstatischen Reise, die Huygens gleichsam als Abschreckung aufzählt, sich gerade jene nicht findet, auf die er zwanzig Jahre zuvor die gelehrte Welt in den Philosophical transactions aufmerksam gemacht hat. Die doch offensichtlich so widersprüchliche Sternenbewegung – Fixsterne, die nicht mehr fest stehen sollen –, an denen sich Guericke, Schott und die anonymen Kritiker der Ekstatischen Reise gestoßen haben, erwähnt Huygens mit keinem Wort. Hier zieht er es offensichtlich vor nicht den Inhalt, wie sonst in seiner kurzen Besprechung, sondern die Person, den Jesuiten zu diskreditieren. Denn Huygens kann die Kirchersche Sternbewegung nicht wirklich überlesen haben. Sie wird in beiden Dialogen der Ekstatischen Reise jeweils zusammen mit den Sternensystemen vorgestellt. Diese Systeme hingegen will Huygens gut genug kennen, um sie zu beschreiben: Sie bestünden aus unbewegten Sternen als Sonnen sowie aus Planeten und daraus entstünde eine unendliche Zahl von copernicanischen Systemen, ob Kircher dies allerdings gemerkt habe, sei fraglich. 66 Aus bewegten Sonnen aber, wie sie sich in Wirklichkeit bei Kircher finden, lassen sich keine copernicanischen Systeme bauen. Dies musste schon Guericke bei seiner Lektüre der besagten Stellen feststellen, wenngleich er ansonsten sein Bestes gab, um den Kircherschen Kosmos copernicanisch in Ordnung zu bringen. 67 Allenfalls tychonische Systeme kann man aus Kirchers 65 Huygens, [1698, S. 87-88], HOC, XXI: 765. Gegen Huygens wird Kircher hundert Jahre später von seinem Ordensbruder François Xavier de Feller (1735-1802) in Schutz genommen. Genauer gesagt bekommt Kircher in dessen Dialogues des morts sur le séjour des vivans die Gelegenheit sich selbst gegen Huygens zu verteidigen, da in zwei der insgesamt fünf „Entretiens“(4 und 5) beide ihre Standpunkte zur Mehrheit der Welten darlegen: Observations philosophiques sur les Systèmes de Newton, le Mouvement de la Terre & la Pluralité des Mondes. Dialogues des morts sur le séjour des vivans, Paris: Charles-Pierre Berton, Libraire, 1772, ²1778, S. 143-201 (‘Sur la pluralité des Mondes’). 66 Huygens, [1698, S. 89], HOC, XXI: 767: „Itaque, relicto Copernici systemate, Tychonicum sibi quod sequatur deligit. Sed cum stellas inerrantes pro totidem Solibus habeat, iisque singulis suos Planetas circumponat; hoc ipso (quod an senserit nescio) infinita numero jam exoriuntur ei Copernicea systemata. Quae quidem perabsurdè, praeter sibi proprios motus, universa circum Tellurem nostram, viginti quatuor horis, immani celeritate converti facit.“Mit „praeter sibi proprios motus“ist die Eigenbewegung der unzähligen Systeme, d.h. die Bewegung derer Planeten um die jeweils feststehende Sonne. 67 Guericke, Experimenta nova (1672) 234b-235a, 236ab. Zu dieser Bemühung s. oben S. 212 ff.

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bewegten Sonnensternen machen. Dass dies Huygens nicht bemerkt haben soll, ist kaum vorstellbar. Ganz bewusst dürfte er anstelle dessen, um diese bewegten Sternen nicht einmal erwähnen zu müssen, Kircher eine Vorstellung untergeschoben haben, die sich wie ein von Huygens gehegter Verdacht liest: Copernicanische Systeme, die dem guten Kircher, ohne dass er es vielleicht gemerkt habe, so herausgerutscht seien. Diesen Verdacht bestärkt Huygens abschließend mit einem Fazit zu Kircher und dessen Ekstatischer Reise: In der Tat habe ich so manches Mal gedacht, dass man von Kircher hätte Besseres erwarten können, falls er gewagt hätte seine Gedanken ungehindert darzulegen. Da er sich dies aber nicht traute, weiß ich nicht, warum er sich nicht gänzlich von jenem Gegenstande ferngehalten hat.68

Kein Jesuit kann dem Generalverdacht entkommen, ein heimlicher Copernicaner zu sein. Da ihm vom Papst und seinem Orden verboten war, offen für Copernicus einzutreten, muss er in jedem Fall den Gegenbeweis schuldig bleiben. Dass ausgerechnet der Copernicaner Huygens solch eine heimliche Anhängerschaft aus Kirchers Ekstatischer Reise herausgelesen haben will, ist nicht nachvollziehbar. Denn zu überlesen sind Kirchers kreisende Sterne nicht. Huygens aber kannte das Argument der Sternbewegung und wusste, was es bedeutete – den Verlust des experimentum crucis für die copernicanische Hypothese. Wer die hierfür verantwortliche Vorstellung propagiert, gibt eigentlich wenig Anlass, als heimlicher Freund der Copernicaner zu gelten. Wenn Huygens indes gewillt ist, über diese anti-copernicanische Vorstellung Kirchers einfach hinwegzusehen, erscheint sein Verdacht als wenig stichhaltig in der Sache. In der Form dürfen wir hier wohl gleichfalls, wie schon im Weglassen der Kircherschen Sternbewegung, Absicht vermuten.

68 Huygens, [1698, S. 91-92], HOC, XXI: 771: „Equidem cogitavi nonnunquam, meliora à Kirchero exspectari potuisse, si, quae sentiebat, libere exponere ausus fuisset. Sed cum hoc non auderet, nescio cur non in totum illo argumento abstinere maluerit.“

5. ZUSAMMENFASSENDE AUSWERTUNG 5.1. DAS NOVUM SYSTEMA ALS KOSMOLOGISCHE INTERVENTION In der Ekstatischen Reise ist es Kirchers erklärtes Ziel, ein neues kosmologisches System vorzulegen, dem jeder unparteiische Leser zustimmen könne und das zugleich die Schwierigkeiten und Widersprüche aller Schulen löse. 1 Kircher greift damit in die kosmologische Kontroverse ein. Diese Intervention haben wir an beiden Aspekten der zentralen Streitfrage untersucht: Die tägliche Bewegung der Erde um ihre eigene Achse sowie deren Jahreslauf um die Sonne. In der Erdbewegung liegt der Kern der kosmologischen Frage sowie der Auslöser für die wissenschaftliche Auseinandersetzung. Hier also muss sich zeigen, wie trag- und konsensfähig Kirchers neue Hypothese wirklich ist, die er bereits im Titel des Werkes ankündigt. Eine Kompromisslösung, die den Streit der Weltbilder befriedete, scheint dabei von vornherein unerreichbar. Kategorisch schließt Kircher in seiner einleitenden Ermahnung (‘Praelusio Paraenetica’) jede Erdbewegung aus. Auch die literarische Darstellung lässt daran keinen Zweifel aufkommen. Offen verteidigt Kircher den geostatischen primus motus, die tägliche Umlaufbewegung aller Gestirne um die Erde. Die aberwitzige Geschwindigkeit, mit der sich gerade in seinem Kosmos die Sterne in vierundzwanzig Stunden um die Erde bewegen, betont er geradezu, ohne dabei das angesprochene Auseinanderfliegen zu fürchten („corpora dissipentur“2). Denn implizit beruft er sich hierbei auf die allgemein akzeptierte Definition der Zentrifugalkraft, wie sie Galilei im Dialogo fälschlich zu verstehen gibt und worin selbst jene, die wie Mersenne und Huygens es besser wussten, nicht wagten, ihn öffentlich zu widerlegen (siehe oben, S. 148, 152). Kirchers hierauf gründende Lösung für den primus motus entzieht diesem wichtigen (weil physikalischen) sowie prominenten (weil schon von Copernicus stammenden) Einwand die Grundlage. Die Geostatik, wie sie in der Ekstatischen Reise verteidigt wird, soll somit keine Angriffsfläche mehr für das Fliehkraft-Argument der Copernicaner bieten. Dieses dagegen zwang Riccioli trotz der geschickten Strategie, mit der er es getrennt nach Kraft und Geschwindigkeit behandelte, immerhin noch dazu, wenig überzeugend an einer letzten festen Sphäre festzuhalten (s. oben, S. 114 ff.). Somit proklamiert Kircher keineswegs nur verbal die Ruhestellung der Erde, sondern liefert aktiv Schützenhilfe für die Geostatik. Als weiteres Element des traditionellen Weltbildes vertritt er die Vorstellung von Intelligenzien: Ursächlich 1 2

Itin., 27-28 (‘Praelusio Paraenetica’); It., 53, 2-3. Zu Kirchers erklärtem Ziel in der Ekstatischen Reise: siehe S. 52 und 62 der vorliegenden Arbeit. Itin. 341; It. 404

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5. Zusammenfassende Auswertung

für die Bewegung der Himmelskörper sind Engel (und nicht etwa ein inneres Prinzip oder eine äußere Kraft). Beides –völlige Ruhestellung der Erde und Intelligenzien – sind Vorstellungen, die von der jesuitischen Ordinatio verbindlich vorgeschrieben wurden (s. oben S. 105, Anm. 1 u. 7). Neben diesen traditionellen Positionen –so schwerwiegend sie auch sein mögen und so widersprüchlich sie zu einer neuen Hypothese wirken –überwiegen quantitativ solche Elemente, die sich bei Copernicanern wieder finden, bei Traditionalisten dagegen mehr oder weniger auf Widerstand stoßen. Hierzu zählen der flüssige Äther und das Verschwinden der festen Fixsternsphäre; ein Universum, das für die Fassungskraft des menschlichen Geistes unendlich und von unzähligen Himmelskörpern erfüllt ist, von denen jeder ein eigenes spezifisches Schwerezentrum besitzt (Kohäsionstheorie); Sterne, die Sonnen wie die unsrige sind und Systeme bilden, deren Zahl wiederum schier unendlich ist; Abstände zwischen den Fixsternen bzw. deren Systeme, die so groß sind wie die Distanz der ersten Sterne zur Erde; eine Fixsternentfernung mit der verglichen der Durchmesser unseres Sonnensystems zu einem Punkt zusammenschrumpft (instar puncti), so dass eine Fixsternparallaxe sich nicht beobachten ließe, auch wenn die Erde sich um die Sonne bewegte (Kirchers Zugeständnis an die Copernicaner, S. 76 ff.). Fast alle diese Elemente, die Kircher in den Kosmos der Ekstatischen Reise aufnimmt, führt der Copernicaner Guericke als beispielhaft für den Fixsternraum an.3 Diese copernicanischen Gemeinsamkeiten wiederum sind es, die Kircher den Vorwurf des heimlichen Copernicaners einbringen, den Schott mit seinen Kommentaren zu entkräften sucht.4 Kircher verlegt die ruhende Erde in ein Universum von copernicanischen Dimensionen, in einen offenen, polyzentrischen Fixsternraum scheinbar ohne Mitte, wie er sich bei Copernicus und Kepler zwar nicht findet, doch von Bruno, Galilei und Descartes vermittelt wurde. Ein solcher Kosmos durfte zu Kirchers Zeit als die moderne Vorstellung vom Universum gelten, wie sie die neuen Philosophen vertraten. Als ein solcher will sich Kircher in der Ekstatischen Reise präsentieren mit seinen vier Thesen über die Welt, seinem Analogieprinzip, seinem Hochhalten von Experiment und Erfahrung, seinen Spitzen gegen Aristoteles. Darüber hinaus konnte eine Kombination der Weltbilder, wie sie sich bei Kircher findet, als Lösungsansatz für den kosmologischen Streit durchaus in Frage kommen, solange ein Beweis für das eine oder andere System ausstand. Darin lediglich ein Produkt geistiger Beliebigkeit zu sehen –wissenschaftliches Heimwerken („«bricolage scientifico»“), wie es genannt wurde 5 –, verkennt den historischen 3

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Guericke, Experimenta nova (1672) 236b-237a (nichts Festes); 241ab (unendliches Universum); 232b, 236a (Stern-Sonnen); 232a-233b, 235a-236a, 237ab, 240a (unendliche Sternensysteme); 232a (Abstände); 234a, 235a (Fixsternentfernung); auch Guericke vertritt die Kohäsionstheorie: ebd., 204a. Diese apologetische Funktion der Schottschen Kommentare wird aus einem Vergleich mit den Kritikpunkten deutlich, die Gegenstand des Skandals waren und die Schott im Einzelnen bekannt gewesen sein müssen: H. Siebert (2002b) 179b-180a. Lucia Tongiorgi Tomasi, „Il simbolismo delle immagini: i frontespizi delle opere di Kircher“, in: M. Casciato u.a. (1986) 165-175, hier 170. Sie scheint sich hierbei auf J. Fletchers Einschätzung zu berufen, der in Kircher einen Amateur-Astronomen sieht. Diese Einschätzung

5.1. Das novum systema als kosmologische Intervention

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Kontext und zugleich den Anspruch, den Kircher mit seiner Ekstatischen Reise erhebt. Auch ein Blaise Pascal schlägt angesichts des kosmologischen Patts vor, aus den verschiedenen Hypothesen über den Weltbau eine einzige zu machen, die wahr ist.6 Diese Wahrheit eben beansprucht Kircher für seine neue Hypothese, wenn er behauptet, die Welt könne nicht anders beschaffen sein, als in der Ekstatischen Reise dargestellt.7 Tatsächlich wird durch die unvorstellbaren Tiefen des darin zu erlebenden Weltraums die Frage, ob nun Erde oder Sonne im Mittelpunkt der Welt stünde, unerheblich. Mittels der geschilderten Struktur und Größe des stellaren Universums, worin sich Erde und Sonne mitsamt der alten Streitfrage gleichsam verlieren, scheint Kircher mit seiner kosmologischen Synthese eine fast versöhnliche Lösung im Streit der Weltbilder anzubieten. Als eine Art Kompromiss im Sinne einer Übereinkunft auf höherer Ebene dürfte Kaspar Schott jedenfalls die Ekstatische Reise verstanden haben. Was den Bau der Welt für sich genommen anging, war eine Einigung tatsächlich möglich. Das fundamental Trennende zwischen copernicanischem und tychonischem Weltbild liegt in der Frage, wer das Zentrum bildet oder, anders gesagt, wer sich um wen bewegt, Erde oder Sonne. Die Anordnung der Planeten dagegen ist dieselbe. Den Unterschied macht letztlich nur eine vertauschte Umlaufbahn aus: Im Weltbild des Tycho Brahe bewegt sich die Sonne wie ein Planet um die Erde, während bei Copernicus diese Bahnbewegung der Erde zufällt. Genau hierüber aber konnte keine Gewissheit erlangt werden, so dass beide Bewegungen letztlich hypothetisch blieben. Bis auf diese jedoch ist das tychonische System strukturell identisch und austauschbar mit dem copernicanischen. Hierauf wurde von Zeitgenossen vielfach hingewiesen und dies meist, um das tychonische als im Grunde copernicanisch zu entlarven.8 So finden sich auf Darstellungen der Zeit in ein und dem-

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ist an sich völlig zutreffend, doch sagt sie rein gar nichts über das Niveau dieser lebenslangen Nebenbeschäftigung, selbst wenn Kirchers eigene astronomische Messungen von Zeitgenossen beanstandet wurden. Wo wäre nebenbei bemerkt die Astronomie heute ohne jene Astronomen aus Liebe. Der Briefwechsel mit Riccioli, dem Kircher sogar mit einem Teleskop behilflich sein konnte (I. Gambaro, 1989, S. 64), scheint eher die Einschätzung zu bestätigen, welche Guericke bei aller Kritik und Ironie an Kircher diesem einleitend zu dessen Ausführungen über den Fixsternraum bescheinigt: In diesen sei Kircher mit den besten Teleskopen tiefer eingedrungen als die Astronomen für gewöhnlich: Experimenta nova (1672) 231a. Brief von Pascal an Etienne Noël (1581-1659), 29.10.1647: „C’est ainsi que, quand on discourt humainement du mouvement ou de la stabilité de la terre, tous les phénomènes des mouvements et rétrogradations des planètes s’ensuivent parfaitement des hypothèses de Ptolémée, de Tycho, de Copernic et de beaucoup d’autres qu’on peut faire, de toutes lesquelles une seule peut être véritable.“: Œ uvres complètes, 3 Bde, hg. und angemerkt von Jean Mesnard, Paris: Desclée de Brouwer, 1964-1991, Bd II (1970), S. 524. Itin., 27-28; It., 53. Siehe S. 52 der vorliegenden Arbeit. Vom tychonischen System als dem invertierten copernicanischen sprechen Lansberge (Progymnasmatum astronomiae restitutae liber, 1619, Kap. 23), Boulliau (Astronomia philolaica, 1645, S. 21), Gassendi (Institutio astronomica [1647, S. 210], in GOO, IV: 62), Rheita (Oculus Enoch, 1645, I: 35b, 39a-40a), Guericke (Experimenta nova, 1672, S. 17a). Die Invertierbarkeit wird von vielen Copernicanern als Argument gegen Tycho angeführt: Ch. J. Schofield (1981) 183-187. Mit seinem semi-tychonischen System, in welchem Jupiter und Saturn nicht um die Sonne, sondern um die Erde kreisen, machte Riccioli (AN, I: 103a, II: 289ab) diese In-

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5. Zusammenfassende Auswertung

selben Diagramm sowohl die tychonische Sonnen- als auch die copernicanische Erdbahnen abgebildet, um eben diese Invertierbarkeit zu verdeutlichen. 9 Auf die strukturelle Übereinstimmung der beiden konkurrierenden Systeme spielt offensichtlich auch das Frontispiz der von Kaspar Schott besorgten Würzburger Ausgabe an (siehe S. 10, Abb. 1).10 Die alles entscheidende tychonische Sonnenbahn um die Erde ist nur gestrichelt eingezeichnet, nicht anders als die Umlaufbahn möglicher Fixstern-Trabanten. 11 Mittels dieser Strichelung wird die vertierbarkeit vorübergehend zunichte – (liegt hierin neben den von Riccioli angeführten Gründen etwa ein weiterer für diese Variante?) –, bevor er sich 1665 (ohne Nennung von Gründen) wieder auf das tychonische System in Reinform zurückbesann (Astronomia reformata, 1665, S. viiib): M.-P. Lerner in: L.Giard (1995) 182-183. (1996-1997) II: 114, 262 n.136. 9 In seiner Abbildung des tychonischen Systems zeichnet Gassendi die copernicanische Erdumlaufbahn gestrichelt ein, um aufzuzeigen, dass „Tycho nihil aliud, quam Copernici invertisse Systema videatur“: Institutio astronomica [1647, S. 210], in GOO, IV: 62b. Ebenso veranschaulicht Rheita ergänzend zu seinen Ausführungen die Invertierbarkeit beider Systeme, indem er tychonische Sonnenbahn und copernicanische Erdbahn in ein und dasselbe Diagramm einzeichnet: Oculus Enoch (1645) I: 35b, 39a-40a und Abbildung auf unpaginierter Seiten am Schluss von Band II: Lamina A, Figura 6. Campanella stellt In der Abbildung seines geo-heliozentrischen Systema Universale, in dem sich auch die Fixsterne um die Sonne drehen, zusätzlich noch die copernicanische Erdbahn dar, allerdings gestrichelt, da diese ja nur als hypothetische Annahme von der Kirche erlaubt sei und er sie überdies selbst für falsch halte: Universalis philosophia (1638) III: 71 (Abbildung), 72ab. Gleichfalls gestrichelt zeichnet Campanella in demselben Diagramm noch alternative Merkur- und Venusbahnen ein; und zwar einerseits die über der Sonne verlaufenden Linien A und B gemäß den Vorstellungen der Pythagoräer, Platons und des Aristoteles; andererseits die unter der Sonne verlaufenden Linien C und D gemäß den Vorstellungen des Ptolemaios, der Ägypter und Chaldäer. 10 In der von Kaspar Schott besorgten Würzburger Ausgabe von 1660 wird Kirchers Ekstatische Reise erstmals mit Abbildungen versehen. Es ist davon auszugehen, dass auch das Frontispiz von Schott stammt. Auf diesem blickt uns unverkennbar Kircher als Theodidactus entgegen. So könnte es für die Anfertigung dieses Frontispiz gewesen sein, dass Schott in seinem Brief vom 18.01.1659, in welchem er auch von seinen weiteren Überlegungen zur Neausgabe des Itinerarium berichtet, Kircher erneut bittet, ihm ein Bild von sich zu schicken: „[ps:] Mittat mihi, quaeso, unam aut alteram effigiem suam.”: APUG 561, f. 287r. Nach seiner Rückkehr nach Würzburg im Jahre 1655 hatte Schott bereits ein Bildnis von Kircher erhalten und Kircher zugleich um die Zusendung weiterer gebeten, da viele ein solches wünschten und Schott selbst es ausgewählten Personen („alcuni Signori e Principi“) zukommen lassen wollte: Schott an Kircher, 15. Juli 1655, APUG 567, f. 47rv; zu diesem früheren Brief: M.J. Gorman/ N. Wilding, „Technica Curiosa. The mechanical marvels of Kaspar Schott (1608-1666)“, in: dies., La ‘Technica curiosa’di Kaspar Schott, Rom: Enel, 2000, S. 253-283, hier 267-268. 11 Auf dem Frontispiz der Würburger Ausgabe findet sich eine solche Strichelung um zwei Sterne in der oberen Hälfte des Fixsternbandes, allerdings ohne dass ein Planet darauf angedeutet wäre. Doch auch die Umlaufbahn um den Saturn bleibt im Gegensatz zu denjenigen der Jupiter-Trabanten leer. Ein Grund hierfür könnte sein, dass die Natur der verschiedentlich beobachteten Saturnbegleiter noch nicht verbindlich geklärt war, als Kircher 1655 an seinem Itin. schrieb; der Saturn wird noch als aus drei Körpern bestehend beschrieben: Itin., 233, 243-247, 255-256; It., 308, 316, 317-319, 320, 330-331. Schott stellt in seinen Kommentaren zur Würzburger Ausgabe zwar die diversen Interpretationen zusammen, die man sich seinerzeit von den Saturnringen fälschlicherweise machte: Schott in It., 301-306, 316-317 u. Abb. 300/301. Die 1656 von Christiaan Huygens (Systema Saturnium [1659], in HOC, XV: 209-353) entdeckte Ringstruktur findet dabei jedoch keine Erwähnung. Schott kündigt ledig-

5.1. Das novum systema als kosmologische Intervention

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tychonische Sonnenbewegung gleichsam als Hypothese behandelt. Diesen Eindruck zumindest konnten zeitgenössische Leser bekommen, zumal auf kosmologischen Darstellungen der Zeit sich die copernicanische Umlaufbahn als Hypothese gestrichelt fand. Jeglicher Hinweis etwa auf eine Erdumlaufbahn fehlt auf dem Frontispiz der Würzburger Ausgabe. Dennoch wird durch diese Strichelung darauf die alles entscheidende Frage nach der Bewegung – wer bewegt sich nun um wen – als nicht eindeutig entschieden dargestellt. Genauso wenig wie alle Argumente und Anstrengungen der Zeit kann somit genauso wenig der Blick auf das Frontispiz der Würzburger Ausgabe die kosmologische Frage klären. Denkt man sich darauf auch noch die nur angedeutete Bewegung der Sonne um die Erde weg, verschwände der strittige Unterschied gänzlich und das abgebildete System entspräche den Vorstellungen beider Schulen, der copernicanischen wie tychonischen, und beide könnten ihm zustimmen. Überdies sitzen Erde und Sonne gleichsam in den Brennpunkten der als Ellipsen eingezeichneten Planetenbahnen, wobei diejenige von Jupiter und Saturn – aus ihnen könnte sich die Zentralstellung der Erde ersehen lassen (gemäß der semi-tychonischen Variante Ricciolis, vgl. Abb. 1, S. 10, und Abb. 2, S. 64, „Fig. V.“) –obendrein nur ausschnitthaft ins Bild kommen. 12 Die Fixsterne, die für gewöhnlich als kreisrunde Sphäre dargestellt werden und dadurch ein Zentrum als Kreismittelpunkt definieren, sprengen hier im wahrsten Sinne das Bild und liefern dem Betrachter keinen Bezugsrahmen mehr, um eine Mitte auszumachen.13 lich an, von Huygens’hier nicht weiter bezeichneter Entdeckung in seinem geplanten Werk Mundus mirabilis zu berichten: Schott in It., 302. 12 Riccioli lehnt 1651 Keplers Ellipsen ab; er vertritt sie erst in seiner Astronomia reformata (1665): J.L. Russel (1964) 15, 20; J. Casanovas in: M.T. Borgato (2002a) 125-127. Außer in Bologna lasse sich in Italien kaum Interesse an den Keplerschen Gesetzen nachweisen und in Deutschland habe Keplers erstes Gesetz erst um 1655 größere Verbreitung erlangt: J. L. Russel (1964) 20. So gibt es auch trotz der ellipsenähnlich abgebildeten Planetenbahnen auf dem Iter-Frontispiz keinen Anhaltspunkt in der Ekstatischen Reise dafür, dass Kircher oder Schott selbst das erste Keplersche Gesetz oder dessen Interpretation durch Boulliau (Astronomia Philolaica, 1645, S. 393-426) übernommen haben könnten. Schotts eigene Ausführungen in It., 26-28, 32-33 (‘Praefatio Scholiastae’) sowie der dort zitierte Brief Kirchers an ihn (It., 28) zeigen, dass beide weiter die Vorstellung von Kreisbahnen teilen. Umso mehr dürfte in der Abbildung von ellipsenähnlichen Planetenbahnen eher ein darstellerisches Mittel zu sehen sein: Durch die Ellipsen anstelle von Kreisen lässt sich ein Zentrum der Planetenbahnen und somit der Mittelpunkt der Welt nicht ausmachen. Die Einbeziehung von Ellipsen in das so abgebildete systema Mundi ließe sich mit Blick auf ein mögliches Kompromiss-Modell wiederum als Zugeständnis an die Copernicaner verstehen. Denn, wie Riccioli später etwas übertrieben anmerkt, hätten seit Kepler sich alle Copernicaner für Ellipsen ausgesprochen: „Omnes porro Copernici Sectatores iam inde a Keplero amplexi sunt una cum motu Telluris diurno & Annuo Ellipsim loco Circuli Excentrici Planetas deferentis, & bissectionem Excentricitatis licet quoad Solem perexigua sit differentia inter Circulum, & Ellipsim eius motibus repraesentandis idoneam.“: Riccioli, Astronomia reformata (1665) I: 30a; laut J.L. Russel (1964, S. 15) sei diese Aussage zumindest für die Zeit nach 1645 zutreffend; Riccioli relativiert sie selbst an anderer Stelle: Astronomia reformata (1665) I: va. 13 Die Invertierbarkeit von copernicanischem und tychonischem System endet bei den Fixsternen. In den kosmologischen Diagrammen steht je nach Weltbild entweder Erde oder Sonne im Zentrum der als Kreis dargestellten Fixsternensphäre und somit im Zentrum der Welt.

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5. Zusammenfassende Auswertung

Abstrahiert man in Kirchers Kosmos das, was hypothetisch und umstritten war, nimmt man also nur die physikalische Struktur und denkt sich alle Bewegung weg, lösen sich dann nicht alle Schwierigkeiten bezüglich der Natur des Himmels, wie Kircher es mit seinem Werk anstrebte?14 In der bloßen Ordnung unseres Systems stimmen Copernicus und Tycho überein. Und in einem schier unendlichen Universum mit unzähligen Sonnen in riesigen Abständen zueinander scheint es einerlei zu sein, ob man darin Sonne oder Erde den Mittelpunkt zukommen lassen will. Die Zentralstellung der Erde im Universum definiert Kircher lediglich durch den vierundzwanzigstündlichen primus motus aller Gestirne um sie herum. 15 Nicht absolut kommt ihr daher der Mittelpunkt zu, sondern lediglich durch Bewegung, die am Weltenbau („Mundi Opificium“) 16 selbst aber nichts ändert. Dann aber dürfte man zugeben, wie Kircher einleitend verspricht, dass die Welt nicht anders beschaffen sein könne als in der Ekstatischen Reise beschrieben. 17 Freilich gilt dies nur für die rein physische Struktur, solange alle Bewegung, alles Hypothetische, aus dem Spiel bleibt. Genau dies aber mag Kircher gemeint haben, wenn er der Öffentlichkeit ein novum Systema physicum coeleste vorlegen will, wie er rückblickend die Intention seines Werkes beschreibt.18 Mit seinem Frontispiz der Würzburger Ausgabe veranschaulicht Schott eine versöhnliche Lösung in der kosmologischen Kontroverse, einen Kompromiss, der das Gemeinsame der konkurrierenden Weltbilder betont und ausblendet, was in den verschiedenen Schulen strittig ist. Vielleicht mag hierin auch die Quintessenz jener kosmologischen Gespräche („de Mundi systematibus“) bestanden haben, die Schott zusammen mit Kircher noch in Rom geführt habe und die zu dem neuen Werk geführt haben sollen. 19 Doch ganz so friedfertig wie Schott sie anscheinend aus dieser Zeit in Erinnerung hat und wie sie anfangs vielleicht noch gedacht war – Kircher beginnt die Arbeit an der Ekstatischen Reise bevor Schott nach Würzburg abreist 20 –, ist die Konzeption von Kirchers novum systema offenbar nicht geblieben.

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Eine Ausnahme von dieser Übereinstimmung zwischen Fixsternsphäre und Weltmittelpunkt bildet Campanellas tychonisch geozentrisches Systema universale, in dem die Fixsterne um die Sonne kreisen: Campanella, Universalis philosophia (1638) III: 71. Itin., 27-28 (‘Praelusio Paraenetica’); It., 53. Zur Kirchers Intention s. oben S. 52 und 62. „Terram vero, cujus causa omnia reliqua condita sunt, necessario centro suo stabilitam & immobilem, ut ambientium siderum radios commodius suscipere posset, esse oportuit. Atque ex hoc capite centrum Universi recte appellatur, cum illa unica ex omnibus mundi globis immobilitate sua gaudeat; astra vero caetera eam perenni motu, ad ei veluti Regi cuidam globorum sua officia impendenda, summo ordine circumeant.”: Itin., 321; Iter, 389: Interpunktion geändert. Im Titel der Ekstatischen Reise sowie in Kirchers ‘Praelusio paraenetica’: Itin., 28; It., 53. Itin., 28 (‘Praelusio Paraenetica’); It., 53. Kircher [Rom] an Schott [Würzburg], 22.11.1658, in It., 2-3 (‘Praefatio Scholiastae’), hier 2: „[...] mea enim intentio fuit, hujus Operis exhibitione novum Mundo exhibere Systema physicum coeleste, ex observationibus astronomicis conflatum, quo omnes huc usque difficultates circa naturam coeli in Scholis occurrentes facillime solvi possent; [...]“; s. hierzu oben S. 62. Schott in It., 3-4 (‘Praefatio Scholiastae’), hier 3. Zumindest fällt auf Drängen Schotts und eines gewissen nicht namentlich genannten Vir doc-

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Bevor auch der unparteiische Leser („aequus Lector“) 21 dem Weltenbau zustimmen kann, wie ihn die Ekstatische Reise aufzeigt, sieht sich Kircher genötigt, den primus motus und somit die Geostatik unangreifbar zu machen. Als Lösung für die daraus resultierenden unvorstellbar hohen Umlaufgeschwindigkeiten der Sterne bietet Kircher lediglich einen optischen Effekt: Höhere Geschwindigkeiten auf größeren Kreisbahnen erscheinen uns langsamer, weil wir sie deutlicher sehen als die tatsächlich langsamere Bewegung auf kleineren Bahnen (S. 123 ff.). Doch steht dieser bloß wahrnehmungspsychologische Zusammenhang mit dem physikalischen, wie ihn Galilei im Dialogo zu verstehen gibt, in Einklang. Dass Kircher sich aber, wie bereits erwähnt, bei seiner Verteidigung des primus motus und der völligen Ruhestellung der Erde auf Galileis Definition der Zentrifugalkraft stützen kann, dürfte hingegen nur dem besser informierten Leser oder dem kritischeren aufgefallen sein (S. 149 ff.). Auf solch einer zweiten Ebene verläuft nun auch die Vorwärtsverteidigung, die Kircher für die Geozentrik und gegen den copernicanischen Jahreslauf der Erde um die Sonne ergreift. In die Offensive geht er dabei mit dem, was wirklich neu ist an seiner bereits im Titel angekündigten „neuen Hypothese“ („Mundi Opificium [… ] nova hypothesi exponitur ad veritatem“), deren Konsequenzen wiederum nur dem besser informierten Leser einsichtig gewesen sein dürften. Die Ekstatische Reise führt zwar einen geostatischen Kosmos mit copernicanischem Fixsternraum vor. Doch dürfen wir diese beiden Anteile von Kirchers novum systema gemessen an dem wirklich Neuen daran getrost als alt bezeichnen. Denn neu sind die von Kircher vorgestellten stellaren Mehrfachsysteme sowie Sterne von real unterschiedlicher Größe und deren Eigenbewegung. Zwar lassen sich Cysat, Rheita und Hodierna bedingt als Vorläufer für solche Vorstellungen ausmachen (S. 232 ff., 267). Sie widersprachen aber den kosmologischen Grundannahmen aller Systeme und insbesondere den copernicanischen so sehr, dass sie in der Folgezeit kaum in Erwägung gezogen wurden. Erst hundert Jahre später finden Sternbewegungen und physische Mehrfachsterne Eingang in das heutige kosmologische Weltbild (maßgeblich durch Wilhelm Herschels Arbeiten). Neu waren diese Vorstellungen offensichtlich auch für Schott, der seine Vorbehalte bzw. sein Unverständnis darüber in der Würzburger Ausgabe bekundet (S. 210). Offenbar sind Sternbewegungen und Mehrfachsterne nicht Gegenstand ihrer gemeinsamen Gespräche in Rom gewesen, was reichlich erstaunt. Denn dabei handelt es sich um das eigentlich Besondere an Kirchers neuer Konzeption des Weltenbaus. Dieselben Elemente sind es indessen auch, die einen Widerspruch zu den Dimensionen des Kircherschen Kosmos (S. 251) sowie zum Analogieprinzip (S. 270) bilden. Die Konzeption von Kirchers novum systema mag also noch nicht endgültig festgestanden haben, als Schott aus Rom abreiste. Die Widersprüche, die für sich genommen nicht überzubewerten wären, vertissimus & earundem rerum studiosissimus, den beide hierfür konsultieren, die Entscheidung, dass Kircher seine Arbeiten am Mundus subterraneus zugunsten dieses neuen Werks zurückstellt: Schott in It., 5 (‘Praefatio Scholiastae’). 21 Itin., 27; It., 53.

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5. Zusammenfassende Auswertung

stärken so gesehen jedoch den Eindruck, dass es sich tatsächlich um einen späteren Zusatz handeln könnte. Ist hier etwa fremde Einflussnahme oder Einfluss anzunehmen seitens eines solchen Mannes (Vir doctissimus & earundem rerum studiossimus), wie ihn Schott und Kircher gemeinsam aufgesucht hatten und der den letzten Ausschlag für die Abfassung des Werkes gegeben haben soll? 22 Rückblickend wirkt es etwas distanzierend, wenn Kircher lediglich von der Vorlage desselben, von dessen Herausgabe (huius Operis exhibitio), spricht, als ob er selbst es gar nicht ganz oder nicht ganz allein geschrieben hätte –eine Distanziertheit, die nicht recht auf den Verfasser eines Werkes passen will, das, wie Kircher selbst berichtet, großen Erfolg genoss und viele Anhänger für seine Lehre gewonnen hätte (S. 62). Angesichts dieser zukunftsweisenden Annahmen, die in der Sternenwelt der Ekstatischen Reise aufgegriffen werden, ist man vielleicht gar versucht, in Kircher einen richtungweisenden Denker zu sehen, der seiner Zeit wissenschaftlich voraus ist. Gegen dieses Bild vom Vorreiter ist allerdings einzuwenden, dass Kircher, wenn überhaupt, nicht aus astronomischen Gründen die stellare Kreisbewegung von Antonius Maria Schyrleus de Rheita übernommen haben kann. Denn ganz anders als dieser begründet Kircher die Entstehung neuer Sterne und schließt ausdrücklich eine Kreisbewegung hierfür als Erklärung aus (S. 249). Als solche hingegen hatte Rheita seine neue Vorstellung entwickelt (S. 238 ff.). Diese unzeitgemäßen Annahmen, die sich in Kirchers novum systema finden, sind als solche nicht mehr oder weniger beweisbar bzw. widerlegbar als die stellare Standardvorstellung von allein stehenden, unbewegten und gleich großen Fixsternen, welche zum kosmologischen Inventar der Geo- wie Heliozentristen gehörte. Wenn Kircher dagegen neue Positionen in der Ekstatischen Reise bezieht, dürfte er sie allerdings auch nicht einfach nur wählen, weil sie unangreifbar sind und überdies sich in seine kosmologische Gesamtvision einer durch Kreislaufprozesse bestimmten Natur (pericyclosis) und deren vielgestaltige Mannigfaltigkeit fügen (varietas rerum) (S. 224 ff.). Denn allzu deutlich ist die Zweckdienlichkeit dieser neuen Positionen, für welche die noch junge Stellarastronomie eines Cysat, Rheita und Hodierna die ersten Anhaltspunkte für Kircher geliefert haben können. Nicht astronomische oder philosophische Gründe dürften für Kirchers neue Konzeption der Sternenwelt Ausschlag gebend gewesen sein, sondern rhetorische: Denn damit vermag er die Geozentrik sogar gegen die Entdeckung einer Fixsternparallaxe abzusichern. Dem Jesuiten diese Absicht bei der Wahl des Neuen in seinem novum systema zu unterstellen, kann nur überzeugen, falls entgegen der bisherigen historiographischen Sicht bereits vor Hooke die Copernicaner sich daran machten, die Fixsternparallaxe nachzuweisen. Hiervon indessen hielt sie, wie wir sehen konnten, keineswegs die unbestimmte Ahnung ab, dass ein solcher Versuch ohnehin hoffnungslos wäre. Denn als Kircher seine Ekstatische Reise schrieb, rangen die Copernicaner schon um diesen Beweis, der aller Welt als endgültig und alles entscheidend schien. Dies Ringen um das experimentum crucis setzte bald nach Erfindung des Teleskops ein. Doch durch seine Erfolglosig22 Schott in Iter, 4-5 (‘Praefatio Scholiastae’).

5.1. Das novum systema als kosmologische Intervention

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keit allein blieb es uns fast völlig verborgen (S. 190, 257 ff.). Dieses für sich genommen vielleicht nicht einmal sonderlich überraschende Ergebnis hat sich hier ausgerechnet an Galilei festmachen lassen, der mit seinem Dialogo (1632) den Eindruck verstärkte, dass vor und so bald nach ihm wohl niemand nach der Fixsternparallaxe konkret gesucht habe. Auch für die Zeit zwischen Galilei und der ersten Parallaxenbeobachtung Hookes im Jahre 1669 findet sich ein Anhaltspunkt für diese Suche. Wie Robert Moray gegenüber Huygens bemerkt, hatten in England Christopher Wren und Paul Neile vorgehabt, mittels eines Luftfernrohrs von bis zu 25 Metern Länge eine Sternparallaxe zu messen (S. 257) –ein Teleskoptyp, der auf dem Kontinent seine wichtigsten Vertreter in Huygens, Hevelius und Campani hatte. Dieser geplante Großversuch fällt in die Zeit, als Kircher die Ekstatische Reise schrieb. Dass man Luftfernrohre auch andernorts zu diesem Zweck benutzte, dürfte nicht unwahrscheinlich sein. Bis zum Erscheinen der Ekstatischen Reise und ohne Rücksicht auf die darin beschriebene alternative Sternenwelt, konnte die Entdeckung einer Fixsternparallaxe als sicherer Beweis für den Jahreslauf der Erde gelten. Dieser Nachweis ließ sich nach damaligem Kenntnisstand entweder durch eine direkte Messung der Sternposition im Abstand von sechs Monaten erbringen oder durch die relative Messung zweier Sterne, die zwar eng beieinander aber unterschiedlich tief im Raum liegen (optische Doppelsterne) und deren Abstand sich in derselben Zeit zueinander verändern müsste. Aus einem Parallaxennachweis mittels der ersten Methode (direkte Messung) kann jedoch nicht zwangsläufig mehr auf den Jahreslauf der Erde geschlossen werden, sobald die Möglichkeit ins Spiel kommt, dass auch der Stern sich selbst bewegt haben könnte. Das von Kircher vorgestellte Kreisen der Sterne entspricht exakt dem, was man durch direkte Messung an einem Stern als Fixsternparallaxe konstatieren würde: nach heutiger Bezeichnung wäre dies die parallaktische Ellipse. Aus Kirchers Sicht, der sich wie die meisten seiner Zeitgenossen die Bewegung der Himmelskörper nicht in Ellipsen sondern in Kreisbahnen vorstellte (Anm., S. 299), müsste dieses Phänomen in Idealform als parallaktischer Kreis zu beobachten sein, was wiederum dem Abbild (imago) der Erdumlaufbahn entspricht, wie es schon Copernicus an den Sternen erwartete (siehe Abb. 10, S. 256).23 Aus einem Parallaxennachweis mittels der zweiten Methode (relative Messung an Doppelsternen, s. Abb. 8, S. 176) ergibt sich der zwingende Schluss auf die Erdbewegung nur, wenn gesichert ist, dass die Doppelsterne einzeln wirklich still stehen sowie unterschiedlich tief im Raum liegen (also optisch sind) und nicht etwa ihre Abstände zueinander verändern wie Planeten eines Systems. Als solche Konstellationen aber beschreibt Kircher die verschiedenen Stellungen (S. 265) der Sterne, die in den Mehrfachsystemen des Kircherschen Kosmos umeinander kreisen. Solch physisch zusammenhängende Sterne, die von Copernicanern bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts gleichsam a priori ausgeschlossen wurden, lassen die zweite Nachweismethode sinnlos werden. Der einzige Anhaltspunkt, den 23 Copernicus, De revolutionibus [1543, f. 10r], in: Copernicus (1984) 21, Z. 17-20 (lib. 1, cap. 10: De ordine caelestium orbium); zitiert in Anm., S. 255.

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5. Zusammenfassende Auswertung

damals die Parallaxensucher für die hierfür benötigten optischen Doppelsterne hatten, war der interne Größenunterschied. Im Glauben an eine Einheitsgröße für Sterne bzw. Sonnen, schlossen sie von der unterschiedlichen Helligkeit auf eine verschieden weite Entfernung der Sterne zur Erde. Diese stellare Einheitsgröße, die zu Recht als unbewiesen und nicht völlig sicher galt, lässt Kircher nun einfach nicht zu, sondern geht wie selbstverständlich von einem realen Größenunterschied aus: Im Kircherschen Kosmos ist die Sonne kleiner als Sirius, und sogar noch kleinere Sterne gibt es darin, die mondhaften (stellae lunares). Ihrer Bezeichnung entsprechend stehen sie dem Hauptstern besonders nah (S. 273 u. Anm. dort). Aus diesen Kleinststernen zusammen mit einem großen ergeben sich Doppelsterne mit einem beträchtlichen Größenunterschied, der sie für die relative Parallaxenmessung der Copernicaner wie geschaffen erscheinen lässt. Doch sind sie hierfür eben als physische Mehrfachsterne wertlos. Damit scheint Kircher fast allzu drastisch einer Nachweismethode den Boden zu entziehen, deren Theorie zwar Galilei schon im Dialogo (1632) vorgestellt hatte, die aber erst im 18. Jahrhundert offiziell zum Einsatz gekommen sein soll. Doch hat sich hier zeigen lassen, dass sie Galilei gemeinsam mit Benedetto Castelli bereits seit 1616 in der Praxis nutzte (S. 178 ff.). Dabei dürften beide nicht allein geblieben sein. Denn sie waren auch nicht die einzigen, die auf diese Methode gekommen waren (S. 172). Vielleicht mag letztlich sogar jene Liste von Doppelsternen diesem Zweck gedient haben, die Hodierna, der manchen auch als heimlicher Copernicaner gilt,24 erstmalig 1654 zusammen mit seinen Ausführungen über die relative Parallaxenmessung veröffentlicht (S. 274). Angesichts des damaligen Kenntnisstandes sowie der bereits laufenden copernicanischen Bemühungen, die Fixsternparallaxe nachzuweisen, dürfen wir Kircher unterstellen, dass seine völlig neuen Vorstellungen über Sterne sich nicht ganz zufällig in der Ekstatischen Reise finden. Kreisende Sterne, reale Größenunterschiede und vor allem Mehrfachstern-Systeme sind als Annahmen nicht zu widerlegen, lassen aber beide Methoden zum Nachweis der Fixsternparallaxe haltlos werden. Das wirklich Neue, das Kirchers novum systema zu bieten hat, macht zugleich das experimentum crucis der Copernicaner zunichte. Selbst wenn parallaktische Kreise an den Sternen beobachtet, d.h. im Jahresverlauf gemessen würden, oder sich ihre Stellungen zueinander veränderte, ließe sich hieraus nicht mehr zwingend auf die Umlaufbewegung der Erde schließen. An die Adresse der Copernicaner richtet sich seine Sternenbotschaft und am besten dürften diejenigen unter ihnen sie verstanden haben, die selbst mit den Methoden zur Parallaxenmessung vertraut waren. Wer diese Botschaft allerdings vernimmt, der weiß, dass eine Sternparallaxe nun nicht mehr ausreicht, um Copernicus zu beweisen bzw. die Gegenseite zum Schweigen zu bringen. Robert Hooke dagegen glaubt noch an die Fixsternparallaxe als experimentum crucis. Er verkündet 1674, sie endlich entdeckt und damit die kosmologische Kontroverse endgültig entschieden zu haben. Christiaan Huygens hingegen, ein kritischer Leser von Kirchers Ekstatischer Reise, weiß, dass die einmalige Beobachtung einer 24 G.F. Serio u.a. (1985) 2, 30.

5.1. Das novum systema als kosmologische Intervention

305

Sternparallaxe nicht mehr vor der Gegenseite Bestand haben kann. Er kennt das passende Gegenargument. Demnach formuliert er die neue Strategie der Copernicaner: Erst wenn mehrere Fixsternparallaxen entdeckt seien, die alle mit dem Jahreslauf der Erde übereinstimmten, bliebe den Anti-Copernicanern nur mehr eine letzte „lächerliche Ausflucht“. Bis dahin allerdings dürfte Huygens selbst jenes Gegenargument um einiges ernster genommen haben, wie sich an seiner Reaktion in den Philosophical transactions zeigt. Nicht Hookes Entdeckung der Fixsternparallaxe zog er dabei in Zweifel, sondern deren Beweiskraft in der kosmologischen Kontroverse. Um den Streit der Weltbilder für Copernicus entscheiden zu können, fordert Huygens dazu auf, weitere Sternparallaxen zu beobachten. Denn nur wenn mehrere mit der Erdbewegung in Einklang stünden, bliebe den Anti-Copernicanern allein als Ausflucht, dass sich die gesamte Fixsternsphäre mit der Sonne zusammen um die Erde bewege. Zugleich gibt Huygens aber damit zu erkennen, was eine Sternparallaxe, das alte experimentum crucis in der kosmologischen Kontroverse, noch wert ist, solange es den Copernicanern nicht gelänge, gleich mehrere zu entdecken. Dann nämlich müssten die Anti-Copernicaner nicht, wie er sich schließlich erhofft, ihre letzte Zuflucht zu der Behauptung nehmen, alle Sterne bewegten sich wie die Sonne um die Erde. Sie würden lediglich einwenden können und wären dabei nicht zu widerlegen, dass einzelne Sterne sich bewegten, ganz wie es die parallaktischen Kreise zeigten. Dieses Argument der Sternbewegung findet sich auch bei Flamsteed, der genauso wenig wie Huygens die Hookesche Entdeckung der Fixsternparallaxe anzweifelt (S. 283). Nicht Kritik an dieser unterdrückte den Siegesruf der Copernicaner in der kosmologischen Kontroverse und veranlasste sie, weitere Fixsternparallaxen nicht nur zu suchen, sondern geradezu von Entdeckung zu Entdeckung zu eilen, bis 1728 James Bradley dem Spuk ein Ende setzte (S. 286 ff.). Dieses seltsame Treiben lässt sich indessen vor dem Hintergrund der kosmologischen Kontroverse erklären. Nur nach einer Reihe übereinstimmender Sternparallaxen können die parallaktischen Kreise bzw. Ellipsen mit größerer Wahrscheinlichkeit als ein Abbild der Erdbewegung gelten. Erst dann ist die stellare Eigenbewegung –ein wirkliches Kreisen der Sterne, wie Kircher es ohnegleichen in seiner Ekstatischen Reise vorführt –als alternative Erklärung für die parallaktischen Ellipsen bzw. Kreise auszuschließen. Bis dahin ist selbst die Entdeckung einer Fixsternparallaxe, wie die Copernicaner sie Hooke zugestehen, nicht ausreichend, um die kosmologische Kontroverse zu beenden. 5.2. REKONSTRUKTION UND KRITIK DER KONTROVERSE Kircher will mit seiner neuen Hypothese, seinem novum systema, eine trag- und konsensfähige Lösung in die kosmologische Kontroverse einbringen. Dementsprechend berücksichtigt seine Verteidigung des geostatischen Weltbildes die Argumentation der Gegenseite. Diese Neupositionierung der Geostatik erfolgt somit in Reaktion auf ihre Kritiker. Damit der Leser, wie von Kircher beabsichtigt, zugebe, dass die Welt nicht anders beschaffen sein könne als in der Ekstatischen Reise beschrieben, muss das neue Weltsystem unangreifbar sein. Hierfür ist es

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5. Zusammenfassende Auswertung

nötig, die Angriffe der Gegenseite abzuwehren. Die Abwehr dieser Angriffe, die unerlässlich ist für eine Intervention, wie sie Kircher beansprucht, ist ein Spiegel der kosmologischen Kontroverse. Damit gibt sie Aufschluss über den damaligen Stand der wissenschaftlichen Debatte. Schier unbekümmert um das Fliehkraft-Argument der Copernicaner kann Kircher seinen Sternenraum auf das Mehrhundertfache des einfachen Fixsternabstandes ausdehnen. Denn die galileische Definition der Zentrifugalkraft hat bei seinen Zeitgenossen immer noch Gültigkeit. Die von Galilei missverständlich aufgestellte Verhältnismäßigkeit von Kreisbahngeschwindigkeit und Schleuderkraft, wird von Kircher lediglich mit jenem wahrnehmungspsychologischen Paradox belegt und illustriert, das er an Kreiseln und Rädern in Form von Gedankenexperimenten vorführt (S. 149). Im Ergebnis nimmt die optische Wirkung – das ‘sensum (non) fugit’– ab, je größer die Kreisbahn ist. Damit stimmt Kirchers Paradox mit der nicht weniger paradoxen Definition der Fliehkraft überein, die Galilei im Dialogo zu verstehen gegeben hat. Aufschlussreich für den Stand der wissenschaftlichen Debatte ist überdies die neue Ordnung der Sterne, die Kircher vorstellt. Sie richtet sich gegen die Beweiskraft der Fixsternparallaxe und zielt dabei auf die beiden Methoden zu ihrem Nachweis. Beide dürfen wir somit als vergleichsweise bekannt voraussetzen zumindest bei den besser informierten Lesern der Ekstatischen Reise. Zugleich ergibt sich hieraus aber der Schluss, dass schon zu Kirchers Zeiten versucht wurde, die Fixsternparallaxe konkret durch eigene Beobachtung nachzuweisen. Diese Vermutung hat sich am Beispiel Galileis bestätigen lassen. An dessen eigener Suche zeigte sich, dass er bereits seit 1616 die Methode der relativen Messung an Doppelsternen nutzte, die er hingegen erst 1632 veröffentlichte und dies nur als bloße Theorie. Hierin folgte ihm Hodierna 1654, der passend zu dieser zweiten Methode zusammen mit ihr die erste Liste an Doppelsternen abdruckte (S. 274). Dies wiederum mag erklären, warum Kircher gerade auch diese zweite Methode nachhaltig entkräftet. Beides zusammengenommen – Kirchers Abwehr und der neue Befund in Sachen Parallaxensuche – erlaubt den Schluss, dass die relative Messung immerhin schon benutzt und vielleicht sogar für die Parallaxensuche der Copernicaner bevorzugt wurde. Dagegen war diese Methode in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zwar nicht vergessen, kam bei den bislang bekannten Parallaxenbeobachtungen aber nicht mehr zur Anwendung. So konnte Wilhelm Herschel glauben, fast der erste zu sein, der Galileis relative Methode in die Praxis umsetzte.1 Vor allem aber schrieb er sich selbst die Idee zu, Doppelsterne für eine solche Messung heranzuziehen. Von Doppelsternen für die relative Methode hatte Galilei tatsächlich nicht im Dialogo berichtet, während er und Benedetto Castelli in der Praxis sehr wohl nach solchen Ausschau hielten, um an ihnen die Fixsternparallaxe zu entdecken (S. 178 ff.). Doch war diese Kenntnis, wie wir ausgehend von Kirchers Ekstatischer Reise rekonstruieren konnten, bereits in der Mitte des 17. Jahrhunderts Gegenstand der kosmologischen Kontroverse. Wenn die Quellen hierüber ansonsten spärlich sind, dürfte es daran liegen, dass 1

Herschel (1782a) 88.

5.2. Rekonstruktion und Kritik der Kontroverse

307

diejenigen, die vergeblich versuchten die Fixsternparallaxe zu entdecken, nicht über ihren Misserfolg berichteten. Veröffentlicht wurden solche Parallaxenbeobachtungen erst, nachdem man glaubte sie entdeckt zu haben. Darüber hinaus zeigt sich in der von Kircher gewählten Abwehrstrategie, dass bereits alternative Annahmen über die Ordnung der Sterne vorlagen. Die von Hodierna und Rheita beschriebenen Doppel- und Mehrfachsterne sowie die von Rheita vorgebrachte Sternenbewegung (als Erklärung für die Veränderlichen) dürften Kircher als Vorlage gedient haben. Hieraus ergibt sich auch jene Vorstellung, die von einem Copernicaner erstmals in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts geäußert wurde, nach welcher es sich bei Doppel- und Mehrfachsternen um eigene Systeme handeln könnte. Copernicaner scheinen sich unter den Stellarastronomen des 17. Jahrhunderts eher rar gemacht zu haben. Eine Ausnahme ist Ismaël Boulliau, der 1667 die Sternrotation analog zur Sonnenrotation als Erklärung für die Veränderlichen einführt (S. 241). Das Fehlen einer stellaren Astronomie für diese Zeit zu konstatieren, ist daher nur aus copernicanischer Sicht richtig. Dagegen bediente sich Kircher bereits der ersten Ergebnisse, die eine tychonische Stellarastronomie des 17. Jahrhunderts zu Tage gefördert hatte. Auf sie stützt er sich, um die Geozentrik gegen die Entdeckung einer Fixsternparallaxe unangreifbar zu machen. Damit weitet er die kosmologische Kontroverse auf den Sternenraum aus und schafft einen Gegenentwurf, der die bisherige stellare Ordnung in Frage stellt. Diese neue Sternenordnung, deren Elemente weder beweisbar noch widerlegbar waren, sich später aber als zutreffend erweisen sollten, stellt nun erstmals die bisherigen Annahmen über die Fixsterne in Frage. Kirchers Sternenwelt entlarvt damit zugleich die vorherrschende Auffassung als ein möglicherweise zu einfaches Bild von der Wirklichkeit. Die konkurrierenden Weltbilder teilten dieselben Annahmen bezüglich der Fixsterne: Diese stünden, wie ihr Name sagt, fest und unverrückt am Himmel. Allgemein wurden sie für gleich groß gehalten, wobei ihre verschieden starke Helligkeit durch die unterschiedliche Entfernung zur Erde bedingt sei. Für dieses alte Bild von den Sternen gewannen gerade die Copernicaner weitere Bestätigung aus ihrer heliozentrischen Grundannahme. Sie fassten die Sterne als Sonnen auf. Als Sonnen aber mussten diese ebenso fest und weit entfernt von anderen Sonnen stehen wie die unsrige und konnten allenfalls von Planeten umgeben sein, nicht aber von weiteren Sternen. Gleichsam systembedingt sind somit aus copernicanischer Sicht eine Bewegung der Sterne sowie physische Doppel- und Mehrfachsterne ausgeschlossen. Dabei war eine stellare Bewegung in einem Universum von copernicanischen Dimensionen nicht länger mehr durch Erfahrung widerlegt. Denn die darin veranschlagte Entfernung der Sterne ließe deren Bewegung genauso unmerklich werden wie die Bewegung der Erde um die Sonne. Folglich müssten gerade die Copernicaner eine Sternbewegung als möglich einräumen, da sie selbst durch das Ausbleiben der Fixsternparallaxe nicht den Jahreslauf der Erde widerlegt sehen wollten. Die Möglichkeit einer Sternbewegung ergibt sich demnach zwingend aus den copernicanischen Dimensionen der Welt. Hierauf weist Kircher eindringlich in seiner Sternenbotschaft hin.

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5. Zusammenfassende Auswertung

Doch ließ die copernicanische Weltbildgleichung (Sterne=Sonnen=Systeme wie das unsrige) die Frage nach einem Beweis für diese Ordnung bzw. die Möglichkeit einer anderen lange nicht aufkommen. Edmond Halley (1718) scheint der erste Copernicaner gewesen zu sein, der eine Ortsbewegung der Fixsterne überhaupt in Erwägung zog, doch fand auch später diese Vorstellung offenbar nur mühsam Aufnahme (s. Anm., S. 261). Das allgemein verbreitete Analogiedenken dürfte daher erheblich Anteil daran gehabt haben, dass man die Möglichkeit einer anderen Sternenordnung kaum in Betracht zog. Da Kircher eine solche aber vorführt und neben Rheita vielleicht nicht als einziger diese Möglichkeit begründet vorträgt, mag man sich wundern, wie die Copernicaner eine andere Ordnung der Sterne gleichsam von vornherein ausschließen konnten. Vielleicht zeigt sich hieran nur wieder, wie stark das System-Denken war, demzufolge die Fixsternsysteme nicht anders aussehen konnten als unser Heimatsystem. Doch mag verstärkend noch hinzugekommen sein, dass jene neuen Vorstellungen, die nicht in das copernicanische Bild eines isomorphen Kosmos passten, gleichfalls dem Beweis desselben entgegenstanden. Wie gesehen, lassen stellare Eigenbewegungen und physische Mehrfachsterne beide Methoden zum Nachweis der Fixsternparallaxe unbrauchbar werden. Damit reicht die einmalige Beobachtung einer parallaktischen Ellipse bzw. Kreises nicht mehr aus, um diese als Fixsternparallaxe zu deuten. Eine solche Beobachtung könnte dann alternativ mit der Eigenbewegung des Sterns erklärt werden. Kircher nutzte die neuen Annahmen über die Sterne, diese neue Ordnung, die kurioserweise erst durch die copernicanischen Dimensionen des Universums als Möglichkeit in Betracht kommen konnte, um das experimentum crucis der Heliozentrik, die Fixsternparallaxe, ungültig zu machen. Diese Vorwärtsverteidigung blieb nicht ohne Wirkung. Sie dürfen wir in erster Linie Kircher zuschreiben, da kein anderer Vertreter bekannt ist und sich wohl auch keiner mit Kirchers Bekanntheit im 17. Jahrhundert messen konnte, der diese neuen Vorstellungen über die Sterne gebündelt und zielgerichtet in die kosmologische Kontroverse einbrachte. Diese Wirkung – das Ungültigmachen des copernicanischen experimentum crucis – zeigt sich an Huygens’Reaktion (1674) auf die von Robert Hooke vermeintlich gemachte, von seinen Zeitgenossen aber anerkannte Entdeckung (S. 289 ff.). Diese Wirkung setzte sich in den darauf folgend „entdeckten“Fixsternparallaxen fort, auf die James Bradley (1728) mit Erstaunen zurückschaute, nachdem er zu der Gewissheit gekommen war, dass technisch noch lange niemand in der Lage sei, eine Sternparallaxe festzustellen (S. 286 ff.). Von Huygens und Flamsteed wissen wir, dass sie die Sternbewegung als Gegenargument begriffen und bemüht waren, es durch das Auffinden mehrerer Sternparallaxen zu entkräften. Es mag daher nicht wundern, dass derlei stellare Neuerungen, wie Kircher sie durch seine Ekstatische Reise in der gebildeten Welt verbreitete, eher als rhetorische Finte, als geschickter Schachzug oder jesuitische Gemeinheit gesehen wurde. Die kosmologische Frontstellung, der Streit der Weltbilder, dürfte daher zusätzlich die Rezeption dieser neuen Ideen seitens der Copernicaner erschwert haben. Dementsprechend mag man, wie an Huygens und Flamsteed zu sehen, der Sternbewegung nicht astronomisch Aufmerksamkeit

5.2. Rekonstruktion und Kritik der Kontroverse

309

geschenkt haben, sondern betrachtete diese nicht auszuschließende Eigenschaft der Sterne als ein Hindernis, das dem eigenen kosmologischen Standpunkt entgegenstand (S. 289 f., 291). Zwar hatte Newton 1687 seine Gravitationstheorie vorgelegt und damit das heliozentrische System bewiesen. Dieser Beweis gilt aber nur vor dem Richterstuhl der Wissenschaftsgeschichte (de jure). In der kosmologischen Kontroverse hingegen musste er de facto ohne entscheidendes Gewicht bleiben. Denn die bloß theoretische Begründung eines Weltbildes vermochte diejenigen kaum zu überzeugen, die an dieses selbst nicht glauben mochten, solange es nicht bewiesen sei. Newtons umstrittene Fernkraft fand überdies nicht nur unter Anhängern der Geozentrik ihre Kritiker. Das Gravitationsgesetz bestätigt zwar Copernicus, konnte die kosmologische Frage aber nicht ein für allemal klären, wie es sich die Copernicaner von ihrem alten experimentum crucis erhofften. Wenn Kircher diesen empirischen Beweis unter Einführung neuer nicht zu widerlegender Annahmen erschwert und damit die mögliche Entscheidung weiter verhindert, benutzt er diese Neuerungen lediglich als Mittel und als solches musste sie die Gegenseite vor dem Hintergrund des Weltbildstreits auffassen. Als wissenschaftlicher Beitrag war Kirchers Hinweis auf jene ganz anders mögliche Ordnung der Sterne nicht gedacht und wurde im Kontext der kosmologischen Kontroverse dementsprechend auch als Angriff auf die Heliozentrik verstanden. Die Art also, wie Kircher die neue Sternenordnung einführt und verbreitet, dürfte der Aufnahme dieser neuen Vorstellungen und der Akzeptanz der noch jungen nicht-copernicanischen Stellarastronomie eher geschadet haben. So konnte im Nachhinein auch in Vergessenheit geraten, dass Kircher selbst bereits in seiner Ekstatischen Reise Sternbewegungen, Mehrfachstern-Systeme und real verschieden große Sterne vorführt – Vorstellungen, die, zugegeben neu, in ihrer Zeit immerhin in Umlauf waren und es nach Erscheinen der Ekstatischen Reise noch mehr gewesen sein dürften sowie sich zeitgleich in den astronomischen Werken eines zwar kaum bekannten Hodierna aber auch eines europaweit beachteten Rheita fanden. Historiographisch indessen beginnt die Zeitrechnung für diese Vorstellungen jeweils mit dem ersten Copernicaner, der sie vorbrachte. Auch hier also, wie hinsichtlich der relativen Parallaxenmessung mittels Doppelsternen, verzeichnen wir einen Bruch zwischen dem Kenntnis- und Ideenstand Mitte des 17. und dem des 18. Jahrhundert.2 Waren Austausch und Rezeption zwischen beiden Seiten schon in jener Zeit durch die kosmologische Kontroverse gestört, so war später längst die Verbindung zu den darin Unterlegenen abgerissen.

2

Zwar sind die tychonischen Astronomen keineswegs im 18. Jahrhundert vergessen. Doch ist der Fokus bereits ein copernicanischer wie in Pingrés Annales célestes: Wengleich hier Cysat, Rheita, Hodierna und sogar als meistzitierter Astronom Riccioli mehrfach vorkommen, so findet sich zu dem entscheidenden Thema ‘Doppelsterne’(„étoiles doubles“), das ja überhaupt die Frage nach realen Größenunterschieden zwischen den Sternen sowie stellaren Mehrfachsystemen aufwirft, nur ein einziger Eintrag erst für das Jahr 1664, der sich überdies nicht einmal nachprüfen lässt: „gamma Bélier reconnue double par Hooke, Philosophical transactions, n. 4, p. 108“: Pingré, Annales célestes [ca. 1756] (1901) 262.

6. SCHLUSS Die nova hypothesis, die Kircher mit seiner Ekstatischen Reise ankündigt, ist neu in Hinblick auf den Fixsternraum, dessen ganz anders mögliche Ordnung der Leser darin erlebt: unterschiedlich große Sterne, Sternbewegungen und stellare Mehrfachsysteme. Diese Elemente von Kirchers Kosmos lassen sich teils konkret, teils ansatzweise als Beobachtungen und Annahmen der noch jungen, tychonischen Stellarastronomie eines Cysat, Rheita und Hodierna nachweisen. In der kosmologischen Kontroverse hingegen waren sie für beide Seiten völlig neu und stießen beiderseits auf Kritik. Indem Kircher mit seiner neuen Sternenordnung diese noch unbesetzte Position im Streit der Weltbilder bezieht, eröffnet er ein zusätzliches Feld in der Auseinandersetzung mit den Copernicanern: Denn der von ihnen nicht nur eines Tages erwartete, sondern bereits zu Kirchers Zeit angestrebte Nachweis der Fixsternparallaxe wird angesichts der nicht zu widerlegenden Möglichkeit von Sternbewegungen und physischen Mehrfachsternen unbrauchbar. Den in dieser Form lange erhofften, ein für allemal entscheidenden Beweis für die Heliozentrik, gibt es damit nicht mehr. Diese Konsequenz aus den neuen Annahmen war auch den Copernicanern klar, wie die Reaktionen auf Hookes vermeintliche Entdeckung einer Fixsternparallaxe zeigen. Kirchers proklamierter Anspruch, dass die Welt nicht anders beschaffen sein könne als in der Ekstatischen Reise dargestellt, erfüllt sich insofern, als der darin vorgestellte geostatische Weltenbau nicht zu widerlegen ist. Auch wenn er dessen primus motus auf eine für uns heute wenig überzeugende Weise gegen das Fliehkraft-Argument verteidigt, ist diese Verteidigung vor dem Wissensstand der Zeitgenossen nicht angreifbar. Überdies unangreifbar wird die Geozentrik dadurch, dass die Fixsternparallaxe ihre alte Beweiskraft verliert. Denn ein anderer zwingender Beweis, um zwischen den beiden Weltsystemen zu entscheiden, war nicht in Sicht. Mit diesem Angriff auf das copernicanische experimentum crucis geht Kirchers kosmologische Intervention weit über eine bloße Verteidigung hinaus, wie sie Schott als eine Art Kompromissangebot, als kosmologischen Waffenstillstand angesichts der Dimensionen des Universums verstanden haben mag, die selbst die kosmologische Frage zu relativieren scheinen. Vielmehr ist Kirchers novum systema mit dem, was wirklich neu an dieser neuen Hypothese ist, darauf angelegt, die Patt-Situation in der kosmologischen Kontroverse festzuschreiben. Die Annahme von bewegten Sternen und daraus gebildeten Systemen ermöglicht, an der Geozentrik weiterhin festzuhalten, selbst wenn eine Fixsternparallaxe vermeintlich oder wirklich entdeckt würde. Dagegen ziehen die Copernicaner eine andere Ordnung der Sterne, die nicht analog zu unserem Sonnensystem ist, von selbst offenbar noch nicht in Erwägung. Die Möglichkeit stellarer Bewegung und physischer Mehrfachsterne, wie sie Kircher vorträgt, wird gleichsam system-

6. Schluss

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bedingt a priori ausgeschlossen (Newton, von Guericke, Delambre) oder als astronomisch nicht ernst zu nehmendes, rein rhetorisches Argument der Gegenseite behandelt (Oldenburg, Huygens, Flamsteed). An Kirchers Vorwärtsverteidigung für die Geostatik, an seiner Intervention in die kosmologische Kontroverse, zeigt sich deren ambivalenter Charakter. In der Formulierung der Zentrifugalkraft ausgehend von dem fingierten Ptolemaios-Argument des Copernicus, über die bewegte Geschichte desselben hinweg zu Galilei und schließlich zu Huygens sehen wir die positive, weil produktive Seite der wissenschaftlichen Debatte um das richtige Weltbild ungeachtet aller sie begleitender Polemik und Rhetorik. Doch ist diese positive Seite zugleich die produktive der Copernicaner, die in erfolgreicher Auseinandersetzung mit den Argumenten der Gegenseite Erkenntnis schaffen. Anders sieht es im Falle der Sternenastronomie aus. Hier verhindert der Streit der Weltbilder, dass Kenntnisse verbreitet (über die aktive Parallaxensuche der Copernicaner, Doppelsternmethode), neue Ideen, Annahmen, Erklärungsansätze aufgegriffen und diskutiert werden (reale Größenunterschiede, physische Mehrfachsterne, Sternbewegung). In der Folge wurde das Wissen hierüber verschüttet, und das 18. Jahrhundert glaubte, in all diesen Punkten allererst den Anfang zu machen (siehe Abb. 12, S. 313). Diese negative Seite der großen kosmologischen Kontroverse zu Gesicht zu bekommen, ist weitaus schwieriger als ihre positive. Jene negative allerdings bietet den Blick zugleich auf die contraproduktive Leistung der Copernicaner in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung des 17. Jahrhunderts. In diesem konkreten Fall verweigerten sie sich den neuen Ideen, die ihre eigene Position schwächten, die sie indessen sehr wohl zur Kenntnis nahmen, wie sich wiederum an der Reaktion auf Hookes entdeckte Fixsternparallaxe zeigt sowie auch an der wundersamen Häufung solcher Entdeckungen bis 1728. Mit dem Ausblenden dieser neuen Annahmen verhinderten die Copernicaner deren Weitergabe. Diese andere Sternenordnung selbst in Erwägung zu ziehen, dürften sie umso weniger bereit gewesen sein, als derartige Vorstellungen nur der Gegenseite nutzten und keine andere Berechtigung als eben diese haben konnten. Infolgedessen musste in dieser Hinsicht die Verbindung zum 17. Jahrhundert abreißen, zumindest zur nicht-copernicanischen Seite der kosmologischen Kontroverse. Die Astronomie wurde von Generation zu Generation zunehmend eine rein copernicanische, und dieser copernicanischen Tradition folgte auch die historische Überlieferung. Wegen dieser, obgleich historiographisch bereits vielfach korrigierten und bereicherten, ursprünglich aber eben doch einseitigen Überlieferungstradition, konnte dasjenige Wissen, gegen das sich die Copernicaner sperrten, tatsächlich verborgen bleiben. Diese negative Seite der kosmologischen Kontroverse – die Weigerung, Gegenargumente der Gegenseite zur Kenntnis zu nehmen, das Ausbleiben eines Austausches –kommt somit nicht in den Blick, insofern es die Copernicaner sind, die dieses Gesicht zeigen. In dieser Siegergeschichte ist es nötig und mit Gewinn, wie hoffentlich die vorliegende Untersuchung zeigen konnte, möglich, verlorenes Wissen zu rekon-

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6. Schluss

struieren, um sich ein anderes Bild zu verschaffen von Stand, Verlauf und Niveau der Kenntnisse, Diskussionen und Argumente in einem für das moderne Selbstverständnis so bedeutsamen Abschnitt der Wissenschafts- und Ideengeschichte, wie er in der großen kosmologischen Kontroverse zu sehen ist.

Abb. 12 nebenstehend – Historischer und historiographischer Bruch durch die kosmologische Kontroverse: Indizien einer Siegergeschichte

ANHANG

Abb. 13 –„Kometenkern“bzw. „Sternhaufen“ aus: Johann Baptist Cysat, Mathemata astronomica, Ingolstadt, 1619, S. 74 mit freundlicher Genehmigung der BSBM (Sign.: Res/ 4°Astr.p. 390a) siehe hierzu S. 319 f., 323-325

EIN ERSTER ANSTOSS ZUR TYCHONISCHEN STELLARASTRONOMIE: DIE MATHEMATA ASTRONOMICA DES JOHANN BAPTIST CYSAT SJ (1587-1657) Auf der Liste der Autoren, die Kircher für seine Ekstatische Reise herangezogen hat, findet sich auch der Name des in Luzern geborenen Jesuiten Johann Baptist Cysat (1587-1657), der Schüler und Mitarbeiter Christoph Scheiners in Ingolstadt und Mitentdecker der Sonnenflecken.1 Kircher führt ihn allerdings als Autor eines Werkes an, das unter diesem Titel unbekannt ist – eine Freiheit oder Lässigkeit, die er sich an gleicher Stelle auch Hodierna gegenüber erlaubt (siehe S. 268). Bei jener von Kircher zitierten „Cometographia“ muss es sich aber zweifelsfrei um Cysats einziges astronomisches Werk, die Mathemata astronomica, handeln.2 Dieses achtzigseitige Buch veröffentlichte Cysat 1619 in Ingolstadt, kurz nachdem er am dortigen Jesuitenkolleg den Lehrstuhl für Mathematik und hebräische Sprache übernommen hatte.3 Die Mathemata astronomica, die ihren Weg bis in die Jesuitenbibliothek von Peking fanden 4 und auch im 19. Jahrhundert nicht vergessen waren,5 wollen eine 1

2

3 4

5

Itin., 463; It., 484. Zu Cysat siehe: BU, IX: 614b; POGG, I (1863): 508; DeBS, II: 1760-1761, IX: 160; NDB, III: 455ab (Ernst Zinner); DSB, III: 528a-529a (Curtis Wilson); Julius Oswald (sj), „Johann Baptist Cysat – Astronom und Mathematiker von europäischem Format“, Sammelblatt des Historischen Vereins Ingolstadt, 110 (2001), S. 149-162. Johann Baptist Cysat, Mathemata astronomica de loco, motu, magnitudine, et causis cometae qui sub finem anni 1618 et initium anni 1619 in coelo fulsit, Ingolstadt: Eder, 1619. Cysat veröffentlichte später nichts mehr von seinen fortgesetzten astronomischen Beobachtungen. In einem Brief an Kepler vom 23. Februar 1621 beschreibt er die Mondfinsternis des Vorjahres (DeBS, II: 1760); in den Jahren 1629 und 1630 diskutierten Kepler und Remus Quietanus die von Cysat gemessenen Winkeldurchmesser der Planeten (DSB, III: 525b); am 7. November 1631 beobachtete Cysat in Innsbruck den Merkurdurchgang (POGG, I: 508). Cysat übernahm am 17. Sept. 1618 den Lehrstuhl von Johannes Lantz: J. Oswald (2001) 155. J. Oswald (2001) 156. Ein einziger Brief von Cysat an Kircher (Innsbruck, 25.05.1640) ist in Kirchers Nachlass erhalten: APUG 567, f. 13r-14v, 25rv; W. Gramatowski / M. Rebernik (2001) 37a. Wie daraus hervorgeht, handelt es sich um Cysats erstes Schreiben an Kircher, in dem es fast ausschließlich um ethnographische Fragen vor allem China betreffend ging. Cysats Vater hatte jesuitische Missionsberichte über Japan aus dem Italienischen übersetzt und erstmals 1586 veröffentlicht: Renward Cysat (1545-1614), Cosmographische und Warhafftige Beschreibung der Newerfundenen Orientalischen Japponischen Königgreiche, Landtschafften, Inseln, Stätten [1586], Freiburg: Gemperlin, ²1592. Cysat selbst stellte 1616 vergebens, wie Kicher dreizehn Jahre später (s. weiter oben S. 60, Anm. 44), sein Gesuch (Indiam petens), nach Asien in die Mission geschickt zu werden (J. Oswald, 2001, S. 153). Den Beleg hierfür liefert eine der zahlreichen Publikationen von Franz von Paula Gruithuisen, Professor für Astronomie in München, der mit seinen teils kühnen Spekulationen auf Beachtung und zugleich Kritik stieß (POGG, I (1863): 964-965; ADB, X: 6-7), im Kampf gegen die romantische Naturphilosophie aber versuchte, seine Zeitgenossen für die exakte Naturwissenschaft zu gewinnen: NDB, VII: 210-211 (Werner Leibbrand). Cysats Komet von 1618, wie ihn dieser am 8. Dezember (Abb. 13, S. 316) sah, ist auf dem Titelkupfer von Gruithuisens Buch Über die Natur der Kometen mit Reflexionen auf ihre Bewohnbarkeit und Schicksale, bey Gelegenheit des Kometen von 1811 (München: Ignatz Lentner, 1811) abgebildet (Fig. III). Am Schluss desselben gibt Gruithuisen unter der Überschrift „Der sterngefüllte Komet

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Anhang

möglichst umfassende und mathematisch exakte Kometenbeschreibung liefern, als welche sie Kircher auch eigenwillig betitelt („Cometographia“). Cysat untersucht darin den letzten der vier Kometen, die im Jahre 1618 erschienen waren.6 Er berechnet dessen Bahn, Entfernung, Geschwindigkeit und Größe. Dabei stellt er fest, dass der Komet supralunar und aller Wahrscheinlichkeit nach um die Sonne kreisend die Mondbahn (sphaera Lunae) geschnitten habe. 7 Cysat veranschaulicht dieses Ergebnis in seiner Darstellung eines Cometae systema. Auf dieser Abbildung ist das kosmologische Modell des Tycho Brahe zu sehen, ergänzt um die Bahnen von fünf Kometen.8 Diese umkreisen wie Planeten in unterschiedlicher Entfernung die Sonne. Die Sonnenbahn um die Erde wird dabei von den Kometen der Jahre 844, 1577 und 1618 gekreuzt. Damit liefern diese eine Bestätigung für die Richtigkeit des tychonischen Systems, in welchem es keine festen Sphären geben kann, da darin der Mars wie auch die unteren Planeten die Sonnenbahn schneiden.9 Wenngleich Riccioli die Berechnungen Cysats später kritisiert, verteidigt er das entscheidend neue Phänomen, von dem die Mathemata astronomica berichten: das sonderbare Aussehen des Kometenkerns. 10 Cysat hatte nicht als einziger die Idee, den neuen Kometen durch ein Teleskop zu betrachten – Riccioli nennt hierfür auch Johannes Kepler und Isaak Habrecht (1589-1633).11 Doch wurde Cyvon 1618“den gesamten Bericht Cysats (Mathemata astronomica, 1619, S. 72-75) über die verschiedenen Stadien des Kometenkerns zusammenfassend wieder: ebd., 358-362; Cysats stellare Vergleichsobjekte (siehe weiter unten) bleiben hierbei unerwähnt. 6 Eine Übersicht über alle vier Kometen und deren Beobachter liefert Riccioli, AN, II: 16a-23a. Der vierte Komet war von Ende Nov. 1618 (AN, II: 17b) bis Ende Jan. 1619 sichtbar; Cysat (Mathemata astronomica, 1619, S. 9) sah ihn das letzte Mal am 22. Jan. 1619: Riccioli, AN, II: 19b. Galilei dagegen berichtet von nur drei Kometen des Jahres 1618: De tribus cometis anni M.DC.XVIII disputatio astronomica [Rom: Mascardi, 1619], in: OGG, VI:23-35. Riccioli (AN, II: 17b-23a) führt ausreichend viele Zeugnisse namhafter Astronomen an, um von einem vierten Kometen sprechen zu können, welche Auffassung sich offenbar durchsetzte, denn auch Pingré zählt vier Kometen für das Jahr 1618: Pingré, Annales célestes [1756] (1901) 48. 7 Cysat, Mathemata astronomica (1619) 32-51, 52-54 und 54-55. 8 Cysat, Mathemata astronomica (1619) 57. Der Komet von 1618 schneidet hier nicht die Mondbahn um die Erde. Eingezeichnet sind die Bahnen der Kometen aus den Jahren 844 (zwischen Merkur und Venus), 1577 (zwischen Venus und Erde), 1618 (zwischen Erde und Mars), 1580 (zwischen Mars und Jupiter) und 390 (zwischen Jupiter und Saturn). 9 Cysat hält jedoch eine geradlinige Bahn seines Kometen von 1618 für ebenso möglich: ebd., S. 58-61 (caput 3, propositio 8). 10 Riccioli, AN, II: 107b-109a bzw. 20ab. Cysat, Mathemata astronomica (1619), 72-75 (cap. 6: „Novum et Singulare Capitis Cometae Phaenomenon“). 11 Riccioli, AN, II: 18b, 19a, 20b, jeweils ohne Stellennachweis. Kepler, De cometis libelli tres [Augsburg: Arpergerus/ Mylius, 1619-1620], in KGW, VIII. Isaak Habrecht aus Straßburg (POGG, I (1863): 984; NDB, VII: 400a, von Adolf Wißner) war Verfasser eines 1619 erschienenen siebzigseitigen Berichts über den vierten und letzten Kometen des Jahres 1618: Kurze und Gründliche Beschreibung Eines Newen ungewohnlichen Sterns oder Cometen. Welcher anfangs vor der Sonnen Auffgang nachmahlen auch nach ihrem Undergang gestrimet mit einem besonderen Lauff oder bewegung schlims durch den Bootem, oder Berenhüter in dem zeichen der Wag im November und December diß 1618. Jahr erschienen. Beschrieben durch Isaac Habrecht der Philosophy und Arzney Doctor, Straßburg: Johann Carolo, o.J.

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sat offenbar als erster und am nachhaltigsten mit einem schriftlichen Bericht für solch eine teleskopische Kometenbetrachtung bekannt.12 Cysat benutzte für seine Beobachtungen zwei Fernrohre mit einer Länge von zwei bzw. drei Metern („unus [sc. Tubus Opticus] 6. fere alter 9. aut 10. pedes longus“). 13 Wie er weiter berichtet, sah er damit am 8. Dezember 1618, dass sich der Kern des Kometen („nucleus“), d.h. dessen Kopf ohne die leuchtende Gashülle (Koma, circumfusum iubar), in etwa verdoppelt hatte. Seine runde Form habe dieser dabei verloren und sich in drei oder vier einzelne Körper aufgespaltet („diffissus“, siehe Abb. 13, S. 316 : „8. Dec.“). Diese ungleichförmigen Kugelgebilde („irregularis figurae globulos“), die miteinander zusammenhingen („inter se cohaerentes“), glichen jenen, die beim Saturn zu sehen seien 14 – damit meint Cysat dessen Ringstruktur, die er wie später noch Kircher als Monde deutet.15 Zehn Tage nach dieser ersten Veränderung tauchen anstelle des zuvor dicht gedrängten Kerns kleinste Sterne auf, die durch und durch und ringsherum von dumpfem Licht erfüllt wie aus einem Nebel oder einer weißen Wolke hervorleuchteten („tanquam ex nebula seu alba nube“). 16 Am 20. Dezember habe sich dieses Gebilde dann in weitere Sterne aufgelöst („dissolutus“); es sei ein Haufen vieler Kleinststerne („congeries complurium minimarum stellarum“) entstanden, unter denen sich drei ebenso deutlich ausmachen ließen wie die Jupitermonde und deren größter fast von fünfter Magnitude gewesen sei; anschließend habe diese Sternenkugel (stellarum globus) an Größe zugenommen und einen Durchmesser von fünf oder sechs Bogenminuten erreicht (s. Abb. 13, S. 316 : „17.18.20.

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[1619] (für diese Datierung des Erscheinungsjahr siehe ebd., S. 31), worin auf Seite 34 zu lesen ist, dass Habrecht den Kometen „in beysein anderer / neben der gemeinen observation / auch durch das BrillenRohr [sic] suchte“. Nur zwei Generationen später scheint Robert Hooke den Beobachtern von 1618 schon nicht mehr zuzutrauen, diesen Kometen mit Teleskopen verfolgt zu haben: Hooke, Cometa [1678], in: Hooke, Lectiones Cutlerianae (1679), n° 5 (mit eigener Paginierung), S. 44: „[...], I suppose I might have seen it [sc. den Kometen von 1664/1665] much longer, as I am apt to believe the great one in 1618. might have been seen several months longer, if it had been diligently followed with Telescopes, [… ].“ Dies vermerkt bereits Pingré (Annales célestes [ca. 1756], Paris, 1901, S. 48) und findet sich später auch in BU, IX: 614b und POGG, I (1863): 508. Cysat, Mathemata astronomica (1619) 72. Cysat, Mathemata astronomica (1619) 72: „8. Decemb. Non tantum totum Cometae caput (nempe Nucleus una cum circumfuso iubare) sed Solitarius quoque Nucleus etiam duplo Arcturo maior in diametro 3. aut 4. min. videbatur (cum primo die longe esset minor) neque amplius rotundus, sed diffissus in ternos aut quaternos irregularis figurae globulos, inter se cohaerentes, quales solent apparere Saturni Comites.“ Zuvor war der Kometenkern nicht viel größer als ein Stern erster Magnitude: ebd., S. 72: „Die 1. & 4. Decemb. [… ]“. Cysat wurde deshalb zu Unrecht von R. Wolf (Mitth. d. naturf. Gesellsch. in Bern, 1853) als Entdecker der ersten Saturnmonde angesehen: zitiert nach POGG, I (1863): 508; diese von Poggendorff nicht kritisierte Auffassung wurde in DeBS (II: 1760) wiederholt. Die zwei Monde, die Cysat dem Saturn anstelle des erst von Huygens entdeckten Rings zuschreibt, sind ebenfalls auf dem oben erwähnten Cometae systema dargestellt: Cysat (1619) 57. Cysat (1619) 73: „17. Decemb. pro Nucleo illo nuper compacto iam aliquot minutissimae stellulae comparuerunt obtusissimo lumine circum interque fuso, tanquam ex nebula seu alba nube promicantes.“

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Dec.“).17 In den darauf folgenden Tagen beobachtete Cysat, wie dieses von einem diffusen Lichtkranz umgebene Knäuel von kleinen Sternen („globus ac congeries stellularum“) sich weiter ausdehnte. An Heiligabend sei von jenen drei größeren Sternen nur noch einer zu erkennen gewesen, während sich die Kleinststerne nicht mehr zählen ließen, da sie ungleichmäßig leuchteten, wobei einzelne sprunghaft aufflackerten (s. Abb. 13 : „24. Dec.“). 18 Auch wenn wir, wie wohl schon Robert Hooke,19 Cysats KometenkernBeobachtung bezweifeln und für eine optische Täuschung halten, so ist sein detailliert und eindringlich geschilderter Bericht für sich genommen ernst zu nehmen, zumal er in der Sache auch tatsächlich ernst genommen wurde. Will Hooke doch seinerseits im Kern oder Stern des Kometen von 1664 /1665 („the Nucleus or Star of the Comet“) eine heterogene Struktur entdeckt haben. 20 Riccioli hält Cysats Beobachtung für wichtig genug, um sie im Almagestum novum nicht nur zu besprechen, sondern überdies eine Abbildung des völlig aufgelösten Kometenkerns mit abzudrucken. 21 Zudem sieht Riccioli seinen Mitbruder durch Isaak 17 Cysat (1619) 73: „20. Decemb. Manifestius meditullium seu Nucleus qui primo die quasi solida ac rotunda lux apparuerat, in stellulas multas dissolutus apparuit, ita ut iam esset congeries complurium minimarum stellarum, quarum tres prae caeteris constantius ac distinctius videbantur, earumque maxima instar stellae 5. fere magnitudinis. [… ] Fuit denique huius nuclei seu iam stellarum globi diameter 5. aut 6. m. notabiliter certe maior quam die 1. Dec.“und Bildbeschreibung ebd., S. 74 (siehe oben Abb. 13, S. 316). 18 Cysat (1619) 73: „24. Decembr. Et Nucleus seu globus ac congeries stellularum, & ipsum circumfusum iubar longe maius quam antehac spatium occupabant, sed lumine multo tenuiore & rariore. Ex tribus nuper distinctis stellulis nunc una tantum constanter visa est, caeterae quidem plurimae, sed distincte numerari haud poterant quia etsi certo & crebro etiam scintillantes videbantur, tamen non continue ac constanter simul omnes, sed interruptim aliae post alias quasi per saltus in oculos incurrebant, eo plane modo quo coelo valde sereno minimae stellae fixae etiam libero oculo spectari solent.“ 19 Diesen interessanten Hinweis auf eine möglicherweise explizite Kritik Hookes, die für die weitere Bekanntheit von Cysats einzigem astronomischen Werk spräche, liefert Curtis Wilson (DSB, III: 528a-529a, hier 528b) leider ohne Stellenangabe. 20 Hooke, Cometa [1678], in: Lectiones Cutlerianae (1679), n° 5: S. 8-9: „First, As concerning the matter or substance of the Nucleus Star or body, of the hazy shining part encompassing it, and of the Tail or Blaze: I say, that by comparing all the circumstances that I was able to take notice of from the beginning to the end, I found that the Star in the head was of a very compacted and dense light, and almost equalled that of Saturn, though it were not like that confined by an equal limb: that there were some parts distinguishable in this body, some having a brighter, others a fainter light. That these parts did not continue the same, but considerably varied, which might in part be caused by the differing position of those parts which were seen before, from the same seen afterwards, [S. 9:] in respect of the eye, situated on the surface of the Earth, moved one way, and the Comet moved another; though I do not conceive it wholly ascribable to that, but partly also to a real alteration of the parts of the Comet.“Hooke interpretiert den Kometenkörper analog zu dem Inneren der Erde oder anderer Planeten und vergleicht ihn mit Sternen in ihrem Frühstadium: ebd., S. 15. Überdies vermutet er, dass der Komet von 1664/1665 derselbe sei, der 1618 erschien, wobei er allerdings nicht nach den vier verschiedenen des Jahres 1618 unterscheidet: ebd., S. 27. 21 Riccioli, AN, II: 20b: Die hier abgedruckte Abbildung entspricht im Wesentlichen jener, die Cysat vom 24. Dezember gibt (siehe Abb. 13, S. 316), mit dem interessanten Unterschied, dass bei Riccioli zwar weniger, dafür aber ausschließlich gleich große Sterne dargestellt sind.

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Habrecht bestätigt.22 Laut Riccioli habe dieser in demselben Kometen gleichsam einen Dreifachstern („quasi triplicem stellam“) gesehen, 23 was sich allerdings in dessen 1619 in Straßburg gedruckter Kurzer und Gründlicher Beschreibung so nicht finden lässt.24 Auch vergisst Riccioli nicht, einen bereits von Cysat selbst genannten, aber nicht weiter bekannten Zeugen als Gewährsmann für dessen Kometenkern-Beobachtung anzuführen. 25 Von ganz eigener Bedeutung ist jedoch, wie Cysat versucht, diesem von ihm entdeckten „neuen und besonderen Phänomen“das Absonderliche zu nehmen.26 Denn hierzu verweist er auf ganz ähnliche Erscheinungen, die jederzeit durch ein Teleskop am Firmament zu sehen seien. So gebe es einen solchen Sternenhaufen („stellarum congeries“), wie er ihn für den Kometenkern von 1618/ 1619 in Wort und Bild beschrieben hat, beim letzten Stern im Schwert des Orion („ad ultimam stellam Gladij Orionis“). Dort fänden sich gleichfalls einige kleine Sterne auf engstem Raume zusammengehäuft sowie zwischen diesen und um sie herum ein helles Licht wie eine weiße Wolke („instar albae nubis“).27 Diese Beschreibung 22 Riccioli, AN, II: 20b, ohne Stellenangabe für Habrecht. 23 Riccioli, AN, II: 19a: „D. Isaac Habrechtus Argentorati, seu Argentinae die 30. Novembris notavit in Cometa quasi triplicem stellam, & intimum ipsius nucleum fulgentem instar auri in testa liquati, inter violentissimos ignes Capellae; sed illum nucleum circumdatum fuisse circulo remissioris claritatis, & hunc iterum alio circulo inconstanti & scintillante, quo item die visa ab alijs stella in capite Cometae quasi Domicella in vehiculo sedens, ut scriptum fuit Lippsiam ad Philippum Millerum.“ 24 Riccioli zitiert Habrecht ohne genaue Angabe nur indirekt, was über dessen Beobachtung in einem Brief an Philipp Miller in Leipzig berichtet worden ist (AN, II: 19a, s. vorangehende Anmerkung). Dagegen heißt es bei Habrecht, Kurze und Gründliche Beschreibung (1619), 21: „Kurz zumelden / so ist sein Figur gewesen / wie ein stella caudata, oder Stromenstern sein soll / ein runder Cörper mit einem außfahrenden straal oder strom; der Stern war anfangs nemlich den 21. Novembris [sc. alter Stil, vgl. Riccioli, AN, II: 19a und 17b] (die ihn eher gesehen / mögen das ihre auch melden) zimlich groß / und dauchte einen / der ihn scharff ansahe / als sehe er zwen oder drey Ring in eineander der eusser war funckelend / zwitzerend und unstät / der mitler etwas heller / der innerste und mitelste aber uber die massen heiter / daß ichs keinem anders / als dem blick deß Golds auff dem test / in der Capellen vergleichen kan.“und S. 22-23: „Weil aber in diesem jetzigen Cometn / [S. 23:] kein sonderliche und ungewohnliche Farb / oder Figur erschienen / sonder ales der gemeinen Art nach / ist auch nicht nothwendig hiervon mehr wort zu machen.“ 25 Cysat, Mathemata astronomica (1619) 75: „[… ] una mecum spectator fuit Chrysost. Gall. Mathematicarum rerum insignite peritus, qui nuper Ingolstadio in Lusitaniam ad Mathematicas Disciplinas docendas evocatus est; [… ]“; Riccioli, AN, II: 20b. Ein ‘Chrysostomus Gallus’(o.ä.) findet sich nicht in DeBS, L. Polgár (1980-1990), POGG, ADB, NDB und lässt sich auch nicht eindeutig in der Ingolstädter Matrikel nachwiesen: Die Matrikel der Ludwig-Maximilians-Universität, 5 in 7 Bden, hg. v. Götz Freiherrn von Pölnitz, München: J. Lindauersche Universitätsbuchhandlung, 1937-1984, Bd IV.1, S. 410; für das Wintersemester 1619 hat sich am 12. Oktober ein „Thomas Froschamer von Gall“als „rudimentista“eingeschrieben: ebd., Bd II: 368. Gall soll aber schon an Scheiners und Cysats Beobachtung der Sonnenflecken beteiligt gewesen sein: M. Weichenhan (2004) 301. 26 Das dieser Entdeckung gewidmete 6. Kapitel von Cysats Schrift trägt den Titel: „NOVUM ET SINGULARE CAPITIS Cometae Phaenomenon.“: Mathemata astronomica (1619) 72-75. 27 Cysat, Mathemata astronomica (1619) 75: „Caeterum huic phaenomeno similis stellarum congeries est in firmamento ad ultimam stellam Gladij Orionis, ibi enim cernere est (per Tu-

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wird allgemein als Hinweis auf den Orion-Nebel gedeutet.28 Doch der von Cysat dabei angezeigte, vierte und letzte Stern im Schwert des Orion liegt lediglich am Rand der gewaltigen und farbenprächtigen Gaswolke. Johann Bayer, auf dessen Uranometria (1604) Cysat seine Studenten als Referenz für Sternbilder verweist,29 verzeichnet diesen von den Arabern Nair al Saif genannten Stern als Orionis. Cysats Augenmerk scheint jedoch nicht den Ausläufern der berühmten Gaswolke zu gelten, die durch ein Teleskop betrachtet auch farblos erscheinen kann. Im Zentrum des Orion-Nebels, der damals wahrscheinlich viel schwächer zu sehen war als heute,30 liegt nicht Orionis, sondern , der dritte Stern im Schwert des Orion (laut Bayer: „In ense tertia.“31). Wenn Cysat sich ausdrücklich aber auf den vierten Stern desselben ( Ori) bezieht, dürfte er folglich nicht auf die Gaswolke hinweisen wollen, die seinerzeit, wenn überhaupt, im heutigen Zentrum derselben, also in dem von den Orionis Sternen gebildeten Trapezium zu sehen

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bum) congestas itidem aliquot stellas angustissimo spatio & circumcirca interque ipsas stellulas instar albae nubis candidum lumen affusum. haec inquam congeries stellarum Capiti Cometae simillima est, nisi quod aliquanto oblongior.“ Dass Cysat in seinen Mathemata astronomica (1619, S. 75) auf den Orion-Nebel hingewiesen hätte, ist bereits von Poggendorff (POGG, I (1863): 508) behauptet und mehrfach bis heute wiederholt worden: DeBS, II: 1760; NDB, III: 455b; DSB, III: 428b; J. Oswald, 2001, S. 155). Cysat galt bis 1916 als Entdecker des Orion-Nebels, während Pingré (Annales célestes [ca. 1756], Paris, 1901, S. 34, 48, 50, 70, 76) ihn allderdings noch nicht als solchen kennt, sondern als Entdecker lediglich Huygens nennt (ebd., S. 229). Seit 1916 gilt allgemein Peiresc als derjenige der den Orion-Nebel zum ersten Mal am 26. November 1610 sah, ohne jedoch seine Entdeckung veröffentlicht zu haben: Guillaume Bigourdan, „La découverte de la nébuleuse d’Orion (N.G.C. 1976) par Peiresc“, Comptes rendus hebdomadaires des séances de l’Académie des Sciences, 162 (1916), S. 489-490. Johann Bayer, Uranometria, omnium asterismorum continens schemata, Augsburg: Mangus, 1604. Erhalten ist eine Mitschrift des Studenten Paul Gmainholzer über Cysats 1621/22 in Ingolstadt gehaltene Vorlesung. Sie trägt den Titel: Mathemata Tria Disciplinarum Mathematicarum Dictata a R. P. Joan. Bapt. Cysato,[…] Scripta A Paulo Gmainholzero […] 1622 finita, Ms., 4°, 179 Blätter, LMUM, 4 Cod. ms 722, hier f. 135v. Zu dieser Vorlesungsmitschrift sowie einer weiteren aus dem Jahre 1619/1620 (Duae Mathematicae partes Astronomia et Optica Dictatae a R. P. Io. Baptista Cysato […] a R. P. Ph. Feischl, Ms., 4°, 137 Blätter, BSBM, Clm. 4823) siehe J. Oswald (2001) 157. Thomas G. Harrison, „The Orion Nebula: Where in History is it ?“, Quarterly Journal of the Royal Astronomical Society, 25 (1984), S. 65-79. Dass der heute mit bloßem Auge erkennbare Orion-Nebel weder von Galileo (1610) noch von Johann Bayer (1604) noch von arabischen oder chinesischen Astronomen früherer Jahrhunderte verzeichnet worden ist, erklärt Th. G. Harrison mit dessen allmählichem Sichtbarwerden bedingt durch FU-Orionis Sterne (veränderliche Überriesen) im Trapezium, deren Ausbruck die Gaswolke erst kurz nach Galileis Orion-Beobachtungen von 1610 ausreichend zum Leuchten gebracht hätten (ebd., 75-79); so habe sie Peiresc kurz danach als erster schwach sehen können (ebd., 70-71, 78); auch Th. G. Harrison nennt Cysat als weiteren Beobachter des Orion-Nebels, wobei er dessen nicht damit übereinstimmende Positionsangabe – (vierter und nicht dritter Stern im Orionschwert) – als bloßes Versehen deutet (ebd. 71, 78). Harrisons These vom allmählichen Sichtbarwerden des Orion-Nebels versucht Norman Tibor Herczeg zu widerlegen: „The Orion Nebula: A chapter of early nebular sudies“, in: The Message of the Angles –Astrometry from 1798 to 1998, hg. von Wolfgang R. Dick und Jürgen Hamel, Thun: Harri Deutsch, 1998, S. 246-258. Bayer, Uranometria (1604) 35r.

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gewesen sein müsste. Wohlgemerkt sieht er bei Ori eine „Anhäufung von Sternen“(„congeries stellarum“), die in ihrem Aussehen dem von ihm beobachteten Kometenkern gleichen solle. 32 Dieser stellaren Masse gleichfalls nicht unähnlich seien fünf Haufen von Sternen („quini stellularum cumuli“) im einzigen „Nebel“des Sternbilds Krebs („in unica Nebulosa Cancri“). 33 Hiermit aber muss Praesepe (Futterkrippe) gemeint sein, ein Sternhaufen, der seit der Antike zwar als ‘Nebelstern’(nebulosa stella) bekannt war, aber erst mit dem Fernrohr in einzelne Sterne aufgelöst werden konnte.34 Diesen beiden stellaren Objekten im Orion und Krebs schreibt Cysat eine Ähnlichkeit mit dem Kometenkern zu. Sie allesamt vergleicht er wiederum mit einer dritten Himmelserscheinung im Sternbild Schütze. Dort, über dem Pfeil des Schützen, sei eine „wolkige Kugel“ zu sehen, untermischt von kleinen Sternen („nubeus quoque intermixtis stellulis globus“). 35 Überhaupt bestehe kein Zweifel, dass überall am Himmel derlei „Schwadrone und Kohorten“von Sternen zu beobachten seien, die zugleich ein Bild von jenem Kometenkern böten, dessen verschiedene Stadien Cysat festgehalten hat (s. Abb. 13, S. 316).36 Sollte jener Komet, wie er sich laut Cysat am 8. Dezember 1618 in drei unförmige Körper aufgelöst zeigte, eine reale Entsprechung unter den Sternen finden, wäre man zunächst vielleicht mit Riccioli versucht, an einen Dreifachstern (triplex stella) zu denken.37 Ein solcher lässt sich sogar beim letzten Stern im Orion-Schwert ausmachen.38 Doch nennt Cysat Ori genauso wie die fünf „Haufen“in Praesepe und die „wolkige Kugel “im Schützen als Beispiele für eine dichte Ansammlung von Sternen, wie sie eigentlich nur dem fast vollständig aufgelösten Kometenkern entsprechen kann. Der von Cysat angezeigte Stern Orionis befindet sich tatsächlich inmitten eines Sternhaufens (NGC 1980) von 32 Cysat, Mathemata astronomica (1619) 75, oben zitiert in Anm. 27. 33 Cysat, Mathemata astronomica (1619) 75: „Non multum etiam absimiles sunt huic Capitis Cometae Phaenomeno quini stellularum cumuli qui in unica Nebulosa Cancri per Tubum spectantur, ex nubilo lumine constantes intermicantibus aliquot stellulis.“ 34 Galilei berichtet als erster, dass Praesepe nicht ein einzelner Stern sei, sondern ein Haufen kleiner Sterne, von denen er mehr als vierzig zählt („congeries Stellularum plurium quam quadraginta“): Sidereus nuncius [1610], OGG, III.1: 79 (Z. 10-12). Bayer (Uranometria, 1604, f. 25r) verzeichnet Praesepe als „nebulosa“. 35 Cysat, Mathemata astronomica (1619) 75: „Alius denique nubeus quoque intermixtis stellulis globus paulo supra sagittam Sagittarij hoc nostri Cometae Caput refert.“ 36 Cysat, Mathemata astronomica (1619) 75: „nec dubium est quin passim caelo huiusmodi stellularum turmae & cohortes nubeo lumine confusae spectari queant, in quibus simul nuperi Cometae imaginem possumus contemplari.“ 37 Riccioli, AN, II: 19a, oben S. 321, Anm. 23 zitiert. 38 Acht Bogenminuten entfernt von Ori. (44 Ori) findet sich ein veränderlicher Doppelstern fünfter Magnitude (TDSC 12175) seine Komponenten (TYC 4778-01404-1 mit m5,53 und TYC 4778-01403-1 mit m4,73) sind (rückgerechnet auf 1619) 31,3" voneinander getrennt und in einer Entfernung von 3' findet sich ein weiterer veränderlicher Doppelstern (TDSCNummer 12159, TYC 4778-01350-01) von heute achter Magnitude. Aus diesen drei Sternen ergibt sich bei entsprechender Vergrößerung ein optischer Dreifachstern wie schon aus dem Doppelstern Ori selbst (m2,48 und m6,49 in eine Entfernung von 49,5") zusammen mit dem 3,5' entfernten und Veränderlichen (TYC 4775-01370-1, m7,44).

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mittlerer Dichte (50 bis 100 Sterne). Diesen aber muss Cysat meinen, wenn er von kleinsten und auf engstem Raum zusammengehäuften Gestirnen spricht, die weißlich schimmern und in ihrer Erscheinung jener „unica Nebulosa“im Krebs, Praesepe, glichen. 39 Von der berühmten und heute schon mit bloßem Auge sichtbaren Gaswolke im Sternbild Orion berichtet somit Cysat genauso nichts wie Galilei oder Castelli, die noch im Jahr zuvor ebendiejenigen Sterne untersuchten, die im Herz des heutigen Orion-Nebels liegen.40 Es sind also Sternhaufen und keine Gaswolken, auf die Cysat seine Leser verweist, um ihnen eine konkrete Vorstellung von dem Kometenkern zu vermitteln. Dessen sonderbares Aussehen können die Leser dabei nachträglich selbst an jenen Himmelsobjekten erleben („in quibus simul nuperi Cometae imaginem possumus contemplari“). 41 Demnach müsste auch im Sternbild Schütze so ein teleskopisches Anschauungsbeispiel zu finden sein. Tatsächlich liegt dort „ein wenig oberhalb des Pfeils “, über der Pfeilspitze ( 2 Sgr), ein Sternhaufen, den Cysat treffend als „wolkige Kugel “ bezeichnet.42 Denn hierbei handelt es sich – im Gegensatz zu den offenen Sternhaufen im Orion und Krebs – um einen Kugelsternhaufen (NGC 6522; Mag. 8,27). Somit lassen sich die von Cysat angeführten Vergleichsobjekte als Sternhaufen identifizieren, als welche er sie selbst schon bezeichnet hat. Die Abbildung des Kometenkerns vom 8. Dezember 1618 könnte zwar vage auch an einen Dreifachstern erinnern (s. Abb. 13, S. 316: „8. Dec.“), doch Cysat selbst spricht bei seinen Vergleichsobjekten immer nur von stellaren Anhäufungen mit vielen kleinen Sternen. In einem Fall jedoch müssen wir ihm widersprechen. Die fünf Sternhaufen („quini stellularum cumuli“), die er jeweils in Praesepe – selbst ja schon ein Sternhaufen –ausmacht, können nach heutigem Verständnis nicht als solche bezeichnet werden. Hiermit dürfte Cysat die fünf größten Sterne meinen, die zwar in derselben Blickrichtung wie Praesepe und daher scheinbar in dessen Feld liegen, sich tatsächlich aber verschieden tief im Raum befinden. Jeder dieser fünf größten Sterne in Praesepe ist ein Mehrfachstern, der (bzw. dessen jeweils hellste Komponente) mit bloßem Auge knapp nicht mehr zu sehen ist. 43 Durch ein Teleskop betrachtet teilt sich jeder von ihnen in zwei oder mehrere Teilsterne auf.44 Zwischen diesen leuchten dabei die wirklich zu Praesepe gehörigen 39 Ebd., oben zitiert in Anm. 33. 40 Zu Galileis und Castellis Beobachtung des Orion-Trapezium siehe oben S. 187-188. Zu der These, dass der Orion-Nebel erst allmählich nach 1610 sichtbar wurde, s. oben Anm. 30. 41 Cysat, Mathemata astronomica (1619) 75, oben zitiert in Anm. 36. 42 Ebd., oben zitiert in Anm. 35. 43 Dies sind neben einem einzigen Doppelstern, 41 Cnc (TYC 1395-02733-1, HD 73731; Mag. 6,27), die vier Mehrfachsterne 40 Cnc (TYC 1395-00806-1, HD 73666; Mag. 6,58), 39 Cnc (TYC 1398-00027-1, HD 73665; Mag. 6,37), TYC 1395-02963-1 (HD 73710; Mag. 6,42), TYC 1395-02737 -1 (HD 73598; Mag. 6,57). 44 Das Auflösungsvermögen von Teleskopen lässt sich für Doppelsterne durch das RayleighKriterium bestimmen: R = 1,22 · / d , wobei für die Längenwelle des Lichts ein mittlerer Spektralbereich gewählt wird, und d der Durchmesser der Teleskop-Öffnung ist. Das Rayleigh-Kriterium gibt an, welchen Abstand zwei punktförmige Lichtquellen mindestens voneinander haben müssen, um gerade noch als getrennt wahrgenommen werden zu können. Selbst

Ein erster Anstoß zur tychonischen Stellarastronomie

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kleineren Sterne hervor. Ebenso aber beschreibt es Cysat und vergleicht jeden einzelnen dieser fünf „Haufen“ mit dem Kometenkern.45 Dieser muss sich ihm wie abgebildet für den 17. Dezember 1618 (Abb. 13, S. 316: „17.18.20. Dec.“) gezeigt haben. Einen solchen Anblick hätten ihm durch ein Fernrohr betrachtet jeder jener fünf hellsten Sterne bieten können. In diesen „Haufen“im Sternhaufen Praesepe dürfen wir daher fünf Mehrfachsterne vermuten, die Cysat jeweils in einzelne Sterne aufgelöst hat. Damit liefern Cysats Mathemata astronomica die erste Nachricht von nicht visuellen, d.h. nur durch ein Teleskop trennbaren, physischen Doppel- bzw. Mehrfachsternen. Cysat scheint sich indessen nicht bewusst gewesen zu sein, hierbei eine besondere Beobachtung gemacht zu haben, da er dieses tatsächlich neue Phänomen zur Gruppe der Sternhaufen zählt. Anders als Castelli jedoch, der in seinen Briefen an Galilei genauso wenig schon von ‘Doppelsternen’spricht,46 betrachtet Cysat seine stellaren „Haufen“nicht als rein optisches Phänomen. Vielmehr legt er seinen Lesern einen ganz anderen Schluss nahe, wenn er in diesen Himmelsobjekten eine Entsprechung zum Kometenkern sieht. Denn dieser bestehe aus einem Zusammenschluss von Gestirnen, Sternen und sogar Planeten, worunter die kleineren ebenso flimmerten wie die Begleiter des Jupiter. 47 Anschaulich vermittelt Cysat ein neues Bild von den Sternen, indem er analog zur Zusammensetzung seines Kometenkerns stellare Anhäufungen als real zusammenhängende Einheiten trotz der ganz unterschiedlichen Größe der sie bildenden Gestirne auffasst. Damit hätten seine Mathemata astronomica bereits nach der ersten Dekade der neuen, mit Teleskopen betriebenen Astronomie Gelegenheit geboten, physische Mehrfachsterne, stellare Systeme sowie reale Größenunterschiede zwischen den Sternen als denkbare Deutung in Erwägung zu ziehen –ein Anstoß zu unorthodoxen Vorstellungen, der bei copernicanischen Astronomen ins Leere lief, sich aber in das neu gewonnene Bild einer fast vergessenen, tychonischen Stellarastronomie fügt.

wenn man für Cysats Teleskop eine Öffnung von nur einem halben Zoll ansetzt –(für die frühen, fast sämtlich verlorenen Teleskope wird meist eine Öffnung von etwa einem Zoll bzw. 2,54 cm vermutet) –, dann ergibt sich daraus ein Auflösungsvermögen von ( R = 1,22·5,461· 10-7m/0,0127m = 4,3·10-5rad =) 8,9 Bogensekunden. So groß müsste der Winkelabstand der beiden Teilsterne mindestens sein, um durch solch ein kleines Teleskop gerade noch als getrennt wahrgenommen werden zu können. Bei demjenigen von Cysats Mehrfachsternen, dessen Komponenten am engsten stehen (TYC 1395-02737-1, Mag. 6,57), trennt diese eine Winkelentfernung, die fünfmal größer ist (45,16") als zu ihrer sichtbaren Trennung nötig wäre. 45 Cysat, Mathemata astronomica (1619) 75, oben zitiert in Anm. 33. 46 Zu Castellis und Galileis Beobachtung von Doppelsternen siehe weiter oben S. 181-189. 47 Cysat, Mathemata astronomica (1619) 76: „Hae lucida Corpora quae confluxu suo Cometam efficiunt, videntur esse sidera & stellae, adeoque veri Planetae saltem temporanei. nam stellulae illae Cometicae quas die 20. Dec. in ipso Nucleo Capitis Cometae distincte conspeximus, perinde scintillabant uti Comites Ioviales & illa Firmamenti stella, quae eodem die proxima Nucleo comparuit.“; siehe auch Cysats Saturn-Vergleich (ebd., S. 72, oben Anm. 14 zitiert) sowie seinen Kommentar zum Bild des Kometenkerns Abb. 13, S. 316 („17.18.20. Dec.“).

UNVERÖFFENTLICHTE DOKUMENTE Jesuitische Zensurberichte Zensur des Itinerarium exstaticum (08.11.1655) Zustimmung aller vier Generalrevisoren zum Druck von Kirchers Itinerarium exstaticum unter der Bedingung, dass zuvor die angezeigten Änderungen und Streichungen vorgenommen werden: 1 ARSI, FG 661, Censurae Librorum, f. 29rv: 2 [f. 29r:] Admodum Reverende Pater Noster Generalis Legimus et expendimus Opusculum Patris Athanasii Kircherii [sic] constans ex duplici dialogo inter Cosmielem et Theodidactum; et ipsum Censemus dignum praelo. Emendanda vero sunt quae sequuntur [:] 1. Frequenter verbis probrosis et conviciis invehitur in Sententiam Peripateticorum et S. Thomae adstruentem Coelos Solidos, et incorruptibiles; cuius authores vocat Sciolos Philosophastros [3]; et eorum Sententiam anilia deliramenta, ridicula et prorsus puerilis Sententia enim. quae omnia saepius repetita in operis decursu iudicamus absolutè esse delenda[.] 2. Scribit aliqua nimis obscura, quae egent maiori explicatione, exemplo de modo quo omnia sunt in quolibet. de contracto maximo[,] de unione hypostatica; de nihilo. 3. Interdum nimis commendat suam doctrinam; et aliqua narrat quasi inaudita quae sunt iam satis obvia. 4. In aliquibus testimoniis non citat authores, nec libros et capita Sacrae paginae. 5. In particulari corrigantur sequentia [:] Pag. 14 dicit Sententia mea in hoc Opusculo [3]. Videtur omittendum cum supponat esse inraptum, et consequenter nondum agere de imprimendo opusculo. pag. 18. Dicit se in globo lunae constitutum naturali motu deorsum ferri ad centrum globi; quod contrariatur doctrinae postea traditae de inclinatione corporum ad propria centra. pag. 70. Ubi dicit ut Unum ad mille, videtur dicendum ut mille ad unum[.] pag. 81. Quis in posterum de veritate rei dubitet nisi haereticus et a vera Ecclesia communique omnium sensu alienus [3]. Deleantur ista. pag. 87. Dicit Solem operari actionibus Spiritualibus, qui modus loquendi eget explicatione; et locus Sap[ientia]. 16 non videtur ad rem. [ | ] 1 2 3

Siehe in der vorliegenden Arbeit, S. 23-25. Die in der Handschrift unterstrichenen Worte werden hier durch Kursivschrift wiedergeben; sie stehen für wörtliche Zitate aus dem (heute verlorenen) Manuskript des Itinerarium exstaticum, das den Zensoren zur Prüfung vorlag. Die hier kursiv gesetzten Zitate aus dem Manuskript des Itin. sind in der Handschrift durch Unterstreichung hervorgehoben.

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[f. 29v:] In dialogo 2° Pag. 14 confundit Substantiam et es[senti]am rei cum sola materia, et videtur asserere materiam esse istam essentiam rei, atque omnia sensibilia solis accidentibus differre; quod est contra ordinationem Patris Nostri Piccolominei; imo contra id quod aliis in locis docet ipse author. pag. 41. Negat posse dari plures mundos; et valde obscure loquitur de maximo contracto. pag. 65. Citat Ioannem in sua Epistola pro illa sententia Oculus non vidit, neque etc [3]. cum verba sint Pauli. pag. 85. Dicit penetrabunt se corpora damnatorum; et ibidem asserit demones non solum in centro terrae, sed etiam in centris astrorum claudendos esse. quorum non apparet fundamentum. pag. 88 Aliqua dicit obscura de unione hypostatica, seu de natura verbo unita. ad hanc interrogationem. [«] Sed si conciperem illa ut prius divisa et mox coniuncta? [»] Respondet. [«] Minime. Non enim aliter se habet divinitas secundum prius et posterius [»]. Et paulo inferius dicit: [«] sufficit verbum incarnatum ita concipere ut sit creatura; ita creaturam ut sit creator [»]. quae omnia non videntur admittenda[.] pag 93. Dicit Adam credidisse se futurum Messiam; et hoc postquam angelus illi dixerat[,] ut vult autor[,] ex semine tuo nascetur homo iustus et pacificus; quae parum inter se cohaerent. pag. 103. dicit Americam millionibus millionum hominum refertam quod nequit esse verum[.] pag. 107. Dicit Deum nihil non fecisse quo unusquisque finem suum ultimum consequeretur [3]. quod est falsum. Tandem aliqua narrat satis dubia in operis decursu sine probatione[.] In Collegio Romano 8 Novembris 1655 Franciscus Dunellus Celidonius Arbicio Franciscus Le Roÿ P. Joan Bap. Rossi idem sentit

Bestätigung über die erfolgten Korrekturen (13.11.1655) Der Generalrevisor Celidonio Arbizio bestätigt, dass die von den Zensoren zur Auflage gemachten Änderungen und Streichungen im Manuskript erfolgt seien: 4 ARSI, FG 661, Censurae Librorum, f. 33r: Admodum Reverende Pater Noster Generalis Omnia quae Censuimus corrigenda et emendanda in duobus dialogis Patris Athanasii Kircherii [sic] sunt iam correcta et emendata iuxta nostram Censuram[.] In Collegio Romano 13 Novembris 1655 V[ester] P[ater] in Christo Servus Celidonius Arbicio 4

Siehe in der vorliegenden Arbeit, S. 21 (Anm. 33), 26 (Anm. 55), 28 (Anm. 68).

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Rückblick auf den Skandal von 1656 (07.05.1657) In seinem separaten Schreiben an den Ordensgeneral Goswin Nickel ruft der Generalrevisor François Duneau eindringlich den Skandal des Vorjahres in Erinnerung, der von Kirchers Itinerarium exstaticum ausgelöst worden ist. Dabei hebt er die bloße Ähnlichkeit jenes Werkes mit dem von den Zensoren gerade geprüften Iter extaticum II (1657) als einen Hauptgrund hervor, den Druck dieser Zweiten Ekstatischen Reise nicht zu erlauben: 5 ARSI, FG 661, Censurae Librorum, f. 30rv, 34r: 6 [f. 30r:] Admodum Reverende in Christo Pater P[ax]. C[hristi]. Cùm itinerarium extaticum [sc. Itin.] P. Athanasii Kirker [sic] anno superiore in lucem editum fuisse non pauci graviter tulerint, eo quod in illo quam plurima contineantur a communi scholarum sensu abhorrentia, ita ut author somnia sua potiùs absque ullis probationibus in medium proferre, quàm aliquid vera solidaque ratione nixum lectoribus proponere videatur; monendam esse duxi P[aternitat]em V[estr]am me quidem aegrè in illius operis editionem consensisse, nec alia de causa nisi quia duo Revisores Collegae mei [7] demptis correctisque nonullis, illam permitti posse censuerunt. Nunc verò cùm multi viri graves et docti qui se librum illum legisse testantur, Patres Revisores oscitantiae cuiusdam, aut certè nimiae erga authorem conniventiae incusaverint, atque ex Patribus Assistentibus non nemo, ex Theologiae Professoribus duo, Provincialis ipse aliique mirari se dixerint quòd ista Romae probarentur, consideret quaeso P[aternitas] V[estr]a quid de alio quodam itinerario extatico [sc. Iter extaticum II] praedicti Patris, priori non absimili fieri oporteat. Tametsi enim duo Collegae mei dummodo plura emendentur vel abradantur omnino, illud imprimi posse putaverint, quibus ego itidem subscripsi iuxta 5am Revisorum regulam;[8] nihilominus ad eiusdem regulae mentem separatim ad P[aternitat]em V[estr]am rationes perscribendas esse iudicavi, ob quas secundum illud itinerarium [sc. Iter extaticum II] mihi videtur non esse luce publica donandum. Prima ratio est, quam superiùs tetigi, quòd cùm primum itinerarium [sc. Itin.] viri in illis materijs versatissimi doctissimique [ | ] [f. 30v:] minimè probaverint, seque non potuisse illud legere nisi cum nausea et stomacho testati sint; secundum autem itinerarium [sc. Iter extaticum II] de cuius editione agitur, sit priori non absimile quoad modum tractandi, caeteraque in eo contenta quae sine probationibus adducuntur, par omnino erit illorum de utroque iudicium. 5 6

7 8

Siehe in der vorliegenden Arbeit, S. 26-29. Der dreiseitige Brief ist im Codex durch dazwischen geheftete, fremde Blätter getrennt. Die Rückseite des zweiten Blattes (f. 34v) trägt Nickels Anschrift („Admodum R[everen]do Patri N[oster]. in Christo [/] P. Gosvino Nickel Praeposito [/] Generali Soc[ietat]is Jesu“) sowie von anderer Hand die Aufschrift: „Coll[egi]o. rom[an]o. 7 maij 1657 [/] P. Franc[esc]o Dunello [/] non si deve stampare [/] L[’]itinerario di P. Kirker“. Zu diesen zwei Revisorenkollegen siehe weiter oben S. 27, Anm. 62. Zu dieser fünften Regula Revisorum siehe weiter oben S. 28, Anm. 67.

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2a ratio est quòd videatur hoc opus nimis festinanter compositum, ideoque stylo plane inaequali. 3a [sc. ratio est], quòd sit refertum abiectis quibusdam loquendi modis, et puerilibus ut ita dicam colloquiis inter Hydrielem, Cosmielem, et Theodidactum interlocutores. 4a, quod sententiae quaedam proponantur statuanturque circa motum maris, non solum obsoletae et a recentioribus Cosmographis reiectae, sed etiam Nautarum experimentis, quaeque ab illis de mari glaciali referuntur, adversantes. 5a, quòd plura contineat contra bonam ac receptam in scholis Philosophiam circa materiam primam, circa eductionem formarum ex materia, circa numerum elementorum, circa animarum essentiam, circa modum agendi corporum caelestium et alia huiusmodi. 6a, quòd author more sibi consueto, quamvis saepe monitus, passim iactet sese tanquam qui solus naturae arcana penetraverit, despectis caeteris Philosophis quos dicit in abstractionibus metaphysicis inutiliter operam tempusque consumere. 7a, quod alij duo Revisores ita opus istud probaverint, ut magnam ex eo partem delendam, aliam mutandam corrigendamque censuerint: quare consultiùs videretur si P[aternit]as V[estr]a illud aut supprimendum omnino iuberet, aut iterùm recognoscendum quibusdam alijs traderet; praesertim cùm experientia constet [ | ] [f. 34r:] authorem in libris hactenus impressis, non omnia quae corrigi debueram, emendasse. Postremo a P[aternitat]e V[estr]a unum exopto ac precor, ne P. Athanasius me ad P[aternitat]em V[estr]am haec scripsisse, resciat, virum enim aliunde magni facio, sed officio meo deesse non potui. In Collegio Romano 7 Maij 1657. Admodum R[everen]dae P[aternitat]is V[estr]ae Servus in Christo et filius infimus Franciscus Dunellus Stellungnahme zu anonymen Vorwürfen (ca. 1659/60) Undatiertes Schreiben des Generalrevisors François Le Roy an den General des Jesuitenordens Goswin Nickel, worin er die gegen Kircher erhobenen Vorwürfe („propositiones sex“) zu entkräften sucht, die ein unbekannter Kritiker („Censor“) durch das Itinerarium exstaticum für gegeben sah. Das von Le Roy zur Verteidigung Kirchers Vorgebrachte findet sich teils wörtlich im ‘Apologeticon’der Würzburger Ausgabe wieder (It., 485-512, hier 485-509); Schott nennt den anonymen Kritiker meist Vir doctus: 9 9

Siehe in der vorliegenden Arbeit, S. 42-44. Schott berichtet, dass er erst gegen Ende seiner Arbeiten an der Würzburger Ausgabe von den Vorwürfen des „Vir doctus“ erfahren habe; diese sowie Le Roys Verteidigungschreiben und die Abfassung von Schotts Apologeticon müssten demnach in den Zeitraum zwischen Oktober 1659 und April 1660 fallen: ebd., S. 42 (Anm. 130).

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ARSI, FG 675, f. 247r-248r: 10 [f. 247r:] Responsio ad quandam Censuram, in qua redarguuntur propositiones sex, ex Itinerario Extatico P. Athanasij Kircheri desumptae. Ad 1am [sc. propositionem]. Propositio 30. inter prohibitas [sc. propositiones non docendas] haec est: Infinitum in multitudine, et magnitudine potest claudi inter duas unitates, vel duo puncta.[11] Hanc autem non docet P. Kircherus pag. 391. sed apertè contrarium: cùm expressè dicat id repugnare ex parte materiae, sive obiecti; licet non repugnet ex parte divinae potentiae per se spectatae, quae nimirum cùm sit prorsus illimitata, potest de se facere etiam ea, quae alioqui ex parte sua non fieri non possunt. Qui autoris sensus manifestus est ex propositione pag. praecedenti à Cosmiele [12] proposita, ad cuius explicationem reliqua dicuntur; estque huius modi: Si divinam potentiam respicis, certum est Deum infinitos mundos in dicto spatio condere potuisse: si creaturae conditionem, id prorsus impossibile fuit.[13] Neque est cur iste loquendi modus reijciatur, cùm ostendi possit etiam in antiquis Scholasticis fundamentum habere. Accedit, quod, cùm eo loco per se non quaerat P. Kircherus: possintné produci plures mundi infinito spatio à se distantes, sed id dicat duntaxat ad explicandam infinitatem spatij imaginarij, sive divinae sphaerae immensitatem; nihil sit quod cogat, id prorsus rigorosè accipi de infinito syncategorematicè; sed ita ut solùm significetur, eam esse divinae immensitatis amplitudinem, ut intra illam produci possent infiniti mundi quantovis spatio à se distantes, adeoque minori et maiori in infinitum syncategorematicè. Rursumque, etiam admisso sensu rigoroso, facilè possit intelligi, id dictum solùm quasi permissivè, quasi dicatur: eam esse divinae illius sphaerae immensitatem, ut possent intra eam produci mundi infiniti, quantovis spatio, etiam (si voles) infinito categorematice distantes, qui tamen ab eius circumferentia semper aequidistabant etc. In quibus sensibus nihil apparet, vel per se absurdum vel repugnans ordinationi P[atris]. N[ostri]. Piccolominei [14]; multo autem minùs umbra ulla periculi in fide, quam nescio ex quo fundamento sibi fingit Censor in illa propositione. Ad 2am. Quae de maximo contracto locis allegatis docet P. Kircherus, ex Cardinale Cusano desumpta sunt. Intra quae, quod quidem ad rem praesentem attinet, tria quaedam sufficit observare. 1um. P. Kircherum pag. 352. non dicere; contradictionem involvi in eo, quòd dentur plures mundi, sub isto nomine; aut quod mundus v[erbi]. g[ratia]. fiat perfectior; sed tantùm, quòd dentur plura Universa simpliciter, aut plura maxima con10 Die im Original durch Unterstreichung kenntlich gemachten Zitate werden nachstehend durch Kursivschrift hervorgehoben; sonstige Unterstreichungen werden als solche wiedergegeben. 11 Zitiert wird eine der insgesamt 65 für Jesuiten verbotenen Lehrmeinungen in der Philosopie, wie sie von der Ordinatio pro studiis superioribus [1651] (in: G.M. Pachtler (1887-1894) III: 77-97, hier 92, n°30) kodifiziert sind; zur Ordinatio siehe in der vorliegenden Arbeit, S. 25. 12 Der Ausdruck „à Cosmiele“steht mit einem „+“versehen am linken Seitenrand des Originals, worauf ein über der Textzeile ergänztes „+“an dieser Stelle verweist. 13 Wörtlich zitiert wird Itin., 390 (It., 439). 14 Siehe oben Anm. 11.

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tracta, quorum unumquodque omnia in se contineat: sub quibus terminis clarum est, id contradictionem involvere. Inde autem simpliciter infert cum dicto Card[inale]. dari non posse plures mundos, supponendo quod Mundus et Universum idem sint, ex ipsa Mundi defintione. 2um. Quod ait pag. 391. mundum non potuisse perfectiùs fieri, determinatè [ | ] [f. 247v:] intelligi, de mundo, qui reipsa factus est; qui quidem de lege Dei ordinatus, et secundum finem ad quem factus est, itemque spectata ea proportione quam habent ad sese partes illius, saltem principales, non potuerit convenientiùs absolutiusque constitui; quod communiter dicitur cum S. Thoma e. p. q. 25 a. 6. ad 3. Quidquid sit de alio mundo absolutè creabili, aut de huius mundi perfectibilitate accidentali; de quibus ibi nihil determinat P. Kircherus. 3um. Denique cùm P. Kircherus istic [15] de mundo loquens, nuspiam meminerit Intelligentiarum, ut quae propriè non sunt pars istius mundi corporei; dicere potuit absque absurdo: Deum de facto produxisse creaturam corpoream perfectissimam, et qua perfectiorem eo in genere condere non possit; hominem videlicet, quem probabilissimum [… 16] est dividi non posse in plures species [17], ita ut detur homo specificè perfectior eo qui est creatus. Neque sic incurritur in propositionem 29 am inter prohibitas;[18] dummodo in Intelligentijs, nulla admittatur creata esse, aut creari posse tam perfecta, quin dari semper possit alia perfectior, saltem quantum est de potentia Dei absoluta. Ad 3am. In hoc quod dicit P. Kircher [sic] pag. 148. in Solis globo, lucem, lumen, ignem, caloremque idem esse, imitatus est S. Augustinum à se citatum 5. a [sc. pagina] praeced[ent]i, docentem: Solem, candorem et calorem tria vocabula esse, rem unam [19]: ubi [20] tamen addendo: quod candet, hoc calet; quod calet, hoc candet [21]; innuit ista esse idem, subiecti duntaxat, non autem essentiae ratione. Explicetur ergo eodem modo et P. Kircherus. Neque verò ex hoc quod ibi subditur (pag. 144) lumen aliud non esse, nisi igneum quendam effluxum è Solis corpore, eiusdem cum ipso naturae, continuò sequitur, in solari radio v[erbi]. g[ratia]. idem prorsus esse lumen et ignis substantiam. Sicuti neque, cùm nos dicimus, odores v[erbi]. g[ratia]. quos naribus attrahimus, 15 „istic“ist nachträglich ergänzt und steht über der Zeile. 16 Hier steht am Zeilenende, dicht gedrängt am rechten Rand des Blattes ein kurzes Wort, das unleserlich fast im Bundsteg des Codex verschwindet. 17 Der Ausdruck „in plures species“steht mit einem „+“versehen am linken Seitenrand des Originals, worauf ein über der Textzeile ergänztes „+“an dieser Stelle verweist. 18 Unter den in der Ordinatio (1651) verbotenen Lehrmeinungen (siehe oben Anm. 11) lautet die neunundzwanzigste: „Possibilis est creatura perfectissima, qua perfectior creari a Deo non possit, item imperfectissima, qua nulla imperfectior a Deo possit creari.“ 19 Dieser erste Teil des direkten (im Itin. kursiv kenntlich gemachten) Augustinus-Zitats aus Itin., 144 ist hier in indirekter Rede (AcI) wiedergegeben; siehe die übernächste Anmerkung für die ganze Passage bei Kircher. 20 „ubi“steht über einem gestrichenen „quae“. 21 Dieser Teil von Kirchers Augustinus-Zitat –(„candet“am Schluss ist von Le Roy nicht mehr unterstrichen) – findet sich wörtich in Itin., 144: „ [… ]; quod & magnum Ecclesiae lumen Augustinus agnovit his verbis; Sol, candor, & calor, & tria sunt vocabula, & tria unum; quod candet hoc calet, quod calet hoc candet, tria haec vocabula res una dignoscitur; [… ]“

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non esse aliud quàm spiritus quosdam seu effluvia odoratae substantiae, per hoc significamus, odorem in abstracto sumptum non distingui à subiecti sui substantia, aut qualitatem primam non esse. # [22] Minùs [23] urget, quod ex pag. 60. adfertur de effluvio roscido ex lunari corpore, res omnes humectante. Siquidem et nos passim dicimus, saltem virtute lunae excitari vaporosos halitus, seu roscidum quiddam quo humectentur corpora; nec tamen idcirco negamus, opinor, dari humiditatem quae sit accidens aut qualitas prima. Ad 4am. P. Kircherus negare non potest, nec verò negat, dari posse causas aequivocas: sed pag. illa 141. determinatè loquendo de Solis operatione in haec inferiora, significat intelligi non posse, quomodo Sol tantam caloris copiam undequaque dispergat, nisi ipse sit quidam ignis oceanus, immensum calorem, non tantùm eminentialiter (quod aiunt Peripatetici) sed etiam formaliter, in se continens. Quòd si ratio illa: neminem dare quod non habet; eminentialem autem calorem, non esse verè calorem etc. paritate quadam contra alias causas aequivocas adferatur; erit P. Kircheri ostendere, non eodem modo rationem istam in illis valere; et ita tueri consequentiam doctrinae suae. — # [24] Sed quocunque sensu P. Kircherus hoc quod abijcitur [25] protulerit; cùm restricte loquatur de globo solari; significans aliorum corporum aliam esse rationem, cùm disertè dicat, in flammis terrenis v[erbi]. g[ratia]. videri lucem à calore diversum quid esse: non potest ex eo convinci, omnem calorem accidentalem, sive qualitatem primam, negare. — Minus urget etc. [f. 248r:] Ad 5am. Natura dupliciter accipitur. 1°. pro natura, ut vocant, naturante: quae reipsa est ars Dei; et mundi anima, non informans, sed assistens; ut subinde dicuntur Caeli esse quodammodo animati ab Intelligentia assistente. Quanquam loquendo de mundo secundùm esse suum ideale, in sensu aliquo magis proprio dici possit, ars Dei esse eius anima seu vita: iuxta illud: Quod factum est, in ipso vita erat; iuncta explicatione nominatim S. Augustini. 2°. pro natura creata, quae hoc sensu dicatur ars Dei, quòd sit quaedam artis divinae rebus ipsis inhaerens impressio; unde est illud: opus naturae, opus intelligentiae; quaeque etiam dicatur spiritus universorum, et anima mundi, inquantum est intrinsecum principium omnis operationis et motus, quo res naturales agitantur et tendunt in fines suos. Solent enim isti modi loquendi Platonici, in scriptione rhetorica potiùs quàm scholastica tolerari, et per metaphoram in sensum commodum accipi. Quod autem pro indicio sumitur, quasi mundum animatum sentiat Pater Kircherus, quòd corpora caelestia dicat ex aquis supracaelestibus nutriri: frivolum sanè est. Alioqui enim cogemur omnes admittere, ignem nostrum esse animatum, cùm eum quoque nutriri dicat Scriptura Levit[icus]. 6. v. 12. etc. 22 Ein solches Nummernzeichen „#“verweist auf eine längere ebenso gekennzeichnete Textpassage am unteren Rand des Blattes, die hier eingerückt an gleicher Stelle wiedergeben wird. 23 „Minùs“war zunächst klein geschrieben und wurde geändert; der Satz begann ursprünglich mit einem anderen Wort, das gestrichen und (bis auf den Anfgangsbuchstaben „Q“) nicht mehr leserlich ist. 24 Siehe das hierher verweisende „#“im Text dieses Blattes (f. 247v). 25 „quod abijcitur“steht nicht in der Zeile, sondern ist darüber eingefügt.

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Ad 6am. In hac saltem censura parum se aequum Censor ostendit; ut qui cùm posset illa verba autoris pag. 38. in sensum commodum ac sanum accipere, maluerit in illis sensum odiosum ac falsum, et qui nulli Catholico in mentem venire posset, suspicari. Certè si scripsisset P. Kircherus, intellectum hominis eductum ex vena lucis divinae et increatae, nulla esset vel umbra falsitatis. Atqui in hunc sensum, tum ex rei natura, tum ex ipso contextu, debuit dictum intelligi; eductum scilicet ex vena lucis illius, quam ibidem autor appellat lucem lucium, hoc est, ipsius divinae mentis; cuius lucis participatio, est intellectus noster, iuxta illud: Signatum est super nos etc. Neque huc trahendum fuit, quod scripsit alibi: lucem primigeniam primum esse totius naturae principium activum. Quia sicut istic apertè agitur de luce coporea, ita manifestum est eam duntaxat dici esse principium rerum corporearum. Ad extremum addo velut pro generali responsione: ut quis censeatur peccasse in Ordinationem P[atris]. N[ostri]. Piccolominei, non sufficere, quòd ex eius dictis aliqua propositio prohibita deduci videatur, etiam per consequentiam probabilem; sed vel debet illam docuisse in ipsis terminis, vel certè aliquid ita cum illa connexum, ut nulla ratione probabili declinari possit consequentia. Quorum, ut vidimus, neutrum contingit in praesenti. Franciscus Le Roÿ

Die Mira Kircheri in suo Itinerario exstatico Obwohl die anonym verfasste Streitschrift Mira Kircheri in suo Itinerario exstatico ungedruckt blieb und nur in einer einzigen Fassung vorliegt, kann sie als repräsentativ für die am Itinerarium exstaticum vorgebrachte Kritik angesehen werden und stellt somit ein bedeutendes Zeugnis des davon ausgelösten Skandals dar. Diese Rückschlüsse erlaubt die in Rom erhaltene und ursprünglich aus der Bibliothek des Collegium Romanum stammende Handschrift nicht nur inhaltlich, sondern auch ihrer äußere Form nach (siehe weiter oben S. 31-38, 43). Daher will die hier folgende textkritische Transkription (und nicht Edition) der Mira diese äußerlichen Besonderheiten der Handschrift festhalten (für eine Übersicht derselben siehe oben S. 37-38). Um der besseren Lesbarkeit willen wurde lediglich die Groß- und Kleinschreibung vereinheitlicht, nicht aber die Rechtschreibung; Fehler, Streichungen, Einfügungen verblieben im Text oder sind vermerkt. Gleichfalls beibehalten wurden weitestgehend die Zeichensetzung sowie die (nicht durchgängig gesetzten) Akzente auf Partikeln. Die wörtlichen Zitate des Mira-Autors aus dem Itinerarium exstaticum sind überprüft und durch Kursivschrift kenntlich gemacht worden. Die in eckigen Klammern angeführte paarige Folio-Zählung bezieht sich einerseits auf den gesamten Codex FG 1331 und andererseits auf die eigene Blattnummerierung der Mira-Schrift, die das fünfzehnte Dokument innerhalb dieses Codex ist. Um die in der Handschrift zu findenden Weißungen, Ergänzungen und Korrekturen zu dokumentieren, wurden folgende Zeichen verwendet: < [ –] > < ipse >

< [ –] {Kircherus} > < [ –] {K… } >

< ipse {Kircherus} > quod [… ] et

geweißte, nicht wieder beschriebene Stelle geweißte Stelle mit darauf geschriebenem neuen Text geweißte, wieder beschriebene Stelle, deren neuer Text nicht (mehr) lesbar ist geweißte, nicht neu beschriebene Stelle, deren Originaltext noch bzw. wieder lesbar ist geweißte, nicht neu beschriebene Stelle, mit teilweise noch bzw. wieder lesbarem Originaltext (ein noch lesbares ‘K’ist stets zu ‘Kircher’ergänzt) geweißte, wieder beschriebene Stelle, deren Originaltext noch bzw. wieder lesbar ist gestrichenes, noch leserliches Wort (hier z.B. ‘quod’) gestrichene, nicht mehr leserliche Stelle ein (nachträglich) über die Zeile (über ein anderes Wort) geschriebenes Wort (hier z.B. ‘et’)

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BNCR, Fondo Gesuitico 1331 (15), f. 1 (205) r - 20 (230) v: 1 [f. 1 (205) r :]

Caput I. < [ –] {Mira Kircheri in suo Itinerario exstatico} > [2] Audacia, Praesumptio, ac temeritas 1. Cum author libri, qui inscribitur Itinerarium exstaticum passim toto libro mira praesumptione nec minori temeritate multa sibi arroget; idque satis ipsemet adverterit; hanc a se invidiam amoliri nititur in praefatione pag. 6. Verùm haec non verbis, sed rebus ac factis amolienda fuit: ubi enim verbis facta non respondent, nulla verbis adhibetur fides. Tot autem praesumptionis, audaciae, ac temeritatis toto libro reperta sunt argumenta, ut frustra contrarium paucis verbis persuadere nitatur. 2. Et primò quidem, ut nihil dicam, quòd passim philosophos, eosque omnes, qui ijsdem somnijs deludi se non patiuntur, ignorantiae, simplicitatis, ac stupiditatis [3] arguit, sibique multò sublimiorem, certioremque philosophandi modum attribuit: quid audaciùs esse potest, quam ubi tot deliramenta coacervat, asserere tamen se dicturum nihil, nisi quod pag. 180. Sacrae Scripturae, Sanctis Patribus, et experimentis ab [ | ] [f. 1 (205) v :] observationibus deductis undequaqua congruat ? pag. 5. et 8. At ubi quaeso scriptura, aut Patrum aliquis dixit unquam in syderibus esse maria, lacus, flumina, globos Veneris ac Iovis odores expirare suavissimos, contra verò globos Martis, ac Saturni tetros ac foetidos: In Mercurio montes esse ex solido, veluti chrysopraso constructos: In globo Martis plures esse vulcanios montes, piceos flammarum gobos sine numero eructantes, et lacum flamma nigra succensum tantos fumorum globos eructantem ut totam caeli faciem sua fuligine offuscent: Sed et tanta illic esse fulmina, fulgura, et tonitrua, ut omnes terreni globi tempestates illarum comparatione nonnisi ludus videri possint. pag. 188. Globum autem Saturni chaos esse immensum, in quo nihil ordinatum nihil continuum aut delectabile, sed omnia naturae quadam contrarietate [4] confundantur : terreas sive solidas eius partes, antimonium referre: aqueum vero elementum hydrargico simile, subiectorum ignium vi, noxios, ac perniciosos fumos exhalari. pag. 233. Solem, quod morbos chronicos, hoc est certis temporibus recurrentes [ | ] [f. 2 (206) r :] pati. pag. 167. Ubi (inquam) Scriptura aut Patres haec et alia plura horum similia deliramenta toto libro reperta docuerunt ? Quae igitur audacia est velle haec somnia scripturae, ac Patrum authoritate fulcire? 3. At constant experimentis ab observationibus deductis. Sed ne hoc quidèm satis probabiliter, nedum certo (ut vult < extaticus >) dici potest: nihil enim aliud habetur experientia, quod ad rem praesentem facere videatur, nisi corpora syde1 2 3 4

Im Handschriftenkatalog der BNCR werden die Mira unter ‘Kircher Atanasio’mit Itinerario extatico betitelt. Im ursprünglichen und vollständig geweißten Titel steht eindeutig „exstatico“ mit ‘s’und nicht ‘extaticus’wie später anstelle des geweißten ‘Kircherus’geschrieben wird. Merkwürdig ist allerdings die Position des Titels zwischen Kapitelüberschrift und Textkörper. Bei „stupiditatis“ist das Papier längs dem Wort durchschnitten. Bei „contrarietate“ist das Papier längs dem Wort durchschnitten.

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rum scabra esse, nec et [5] maculis quibusdam, sive partibus obscurioribus esse conspersa: tales autem maculas esse maria aut lacus, non nisi temerè definire potest: sicut et syderibus atmosphaeras adscribere ex tremula luce, quae in eorum limbo advertitur, ut iterum dicetur inferiùs. Non potest autem ulla proferri, aut etiam fingi experientia, ex qua concludi possit, an et qualem odorem sydera expirent. qua igitur audacia < [ –] {Kircherus} > haec tam asseverariter affirmat? 4. Secundò an non ingens audacia est Patribus imponere, eorumque verba referre, quae nullo modo id asserant pro quo statuendo proferuntur? Sic pag: 12. Augustino imponitur,quod libro 3.° de [ | ] [f. 2 (206) v :] Genesi ad literam cap. 6.° firmamentum ex igne et aqua compositum asseruerit. pag. 15. Chrysostomo quod stellas ex elementis compositas esse voluerit, quia homil. 6. supra Genesim stellas elementa vocaverit, cum revera illa sint elementa universi. Item pag. 16. imponit Richardo à Sancto Victore; et pag. 17. Theodoreto, Athanasio, et Procopio: ac denique pag. 18. Gregorio Nisseno [6], dum audet asserere, Patres istos docere, sydera omnia, ex quatuor elementis esse composita, licèt ne minimo quidem verbo, locis adductis, talem ex elementis compositionem insinuent: Ut valde mirum sit, qua confidentia < [ –] > post relatum Nisseni textum concludat: hoc sanè magni doctoris testimonium tantum est, ut eorum quae in Itinerario nostro vulgò paradoxa recensuimus, quaedam veluti anacephaleosis esse queat. 5. Tertiò tribui potest audaciae quod pag. 20 ait se demonstrasse ex Patribus globos syderum tam errantium, quàm Inerrantium, ex liquido, et solido, atque adeo ex quatuor elementis esse constitutos, cum tamen nullum Patris ullius testimonium adduxerit, qui talia ex solido, et liquido mixtionis, sive compositionis expressè meminerit. Non desunt quidem Patres, qui coelestia corpora ex quatuor vulgo dictis elementis composita dixerint (qua de re non est hìc quaestio) ex [ | ] [f. 3 (207) r :] quo concludi posset, eosdem Patres consequenter admisisse sydera ex solido et liquido esse composita; sed < [ –] > non ut globus ex terra et aqua compactus, et [7] solum hoc loco fidem requirimus, et fingendi audaciam arguimus, quod ea Patribus imponat, quae nuspiam dixisse reperientur. 6. Quartò quis non miretur eius audaciam ac temeritatem in asserendo sine ulla ratione aut experientia, imo contra exploratam experientiam: regiones terrae polis subiectas habitari perinde ac reliquas, easque et fertiles esse et frigoris vehementia expertes: itemque etiamnum terrestrem paradisum circa Tigrim, et Enfratem [sic] * [sc. pag. 46] [8] subsistere. Plurimum sane de se praesumit < [ –] {Kircherus} > si haec sibi temerè fingenti credendum arbitretur. 7. Quinta audacia et temeritas! Tanquam rem indubitatam asserere non solùm lunam esse ex terrestri materia asperam, et aquis undique offusam, sed etiam id neminem modernorum astronomorum esse negaturum pag. 20: lunam qui5 6 7 8

Das Wort „et“ist über das gestrichene ‘nec’geschrieben. Gregorius Nyssenus (gest. nach 385/386): Itin. 18; It., 46. Diese über die Zeile geschriebene, schlecht leserliche Wortfolge, bei der eigentlich Akkusativ zu erwarten wäre, beginnt über dem Anfang der geweißten Stelle und endet über dem Anfang des Wortes „requirimus“. Das Sternchen im Original verweist auf den linken Seitenrand der Handschrift, wo auf gleicher Zeilenhöhe der Stellenverweis „* pag. 46“für das Itinerarium zu finden ist.

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dem superficie scabram esse, atque asperam nullus meritò negaverit: ac eam materia terrerestri asperam esse, et aquis offusam illi soli concedent qui exemplo < illius > sua somnia pro rebus [ | ] [f. 3 (207) v :] certis et exploratis vendicabunt. Multo enim certius est lunam à terra specie differre ( sive eadem materia prima constet, sive diversa [)]: quo posito lunam materia terrestri esse asperam, recte dici non potest. 8. Sextò qualis et quanta temeritas est, sine ulla probatione, imo contra manifestas demonstrationes astronomicas tanquam pro authoritate statuere, solem millies esse terra maiorem, ut edicit < [ –] {Kircherus} > pag. 125? qua in re cum multa alia praeterea peccet, ea in caput 3.m reijcimus, in quo plures eius ignorantias examinabimus. 9. Septimò palmaris audacia, et temeritas meritò videbitur, quod nulla fretus certitudine pag. 26. et 27. ait, haud dubiè stellas inerrantes, non in eadem firmamementi superficie, sive in eadem a terra remotione collocatas esse, sed eas in intimis, immensisque eiusdem firmamenti recessibus, inexplicabili distantia remotis contineri: et quidèm multitudine innumerabili pag. 266: adeo ut stellarum numerus omnium electorum numerum excedat, ut hic author pag. 336. somniat. Atque in primis ut improbabile non sit, stellas omnes illas aequali [ | ] [f. 4 (208) r :] à terra remotione non distare: nullo tamen argumento physico, aut mathematico, inaequalis illa distantia deprehendi potest; cum illic paralaxes [sic] prorsus sint insensibiles. Non potest igitur, nisi temerè id tanquam indubitatum asseri; et multò minus eas stellas immensis, impenetrabilibus, inexplicabilibusque distantijs intra firmamenti profunditate removeri. At temeritatis et audaciae limites omnes excedit, quod definire etiam praesumat, stellarum numerum futuram electorum omnium superare multitudinem. 10. Octavò non minus audacter pag: 335. futurum pronunciavit, ut si ex innumerabilibus illis syderibus vel unicum tolleretur; imò si servata eorum inter se et à terra distantia, magnitudo aliquorum mutaretur; vel retenta eorundem magnitudine, distantia variaretur; hoc ipso tota mundi machina dissolveretur. pag: 325. et 327. Nimis longum ac taediosum foret prosequi singula; haec ad totius operis in hoc genere specimen plusquam abundè sufficere possunt. [ | ] [f. 4 (280) v :]

Caput II. Suspe ct a < illius > Do ct rina 1. In primis non potest non esse valde suspectum (ut amplius nihil dicam) quod < ille > pluribus contendit. pag: 352. et 390. neque plures mundos, neque hunc maiorem quàm re ipsa sit, à Deo fieri potuisse. Non quidem defectu potentiae in Deo (inquit) sed quia de ratione universi seu mundi est, ut in se creatarum rerum omnium collectionem complectatur, et ex universa materia constet: quo fit ut impossibile sit, et contradictionem involvat, aut plures mundos esse, aut maiorem dari, atque ita mundus necessariò est unus. 2. Secundò periculosum quoque videtur in fide mundum animatum admittere et naturam mundi animam asserere, ut < idem > facit pag. 335. Unde

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consequenter ait pag: 371. coelum ipsum, mundanaque omnia corpora nutriri, et ex immensa propemodum aquarum copia, quas in eum usum supra firmamentum collocatas esse ait, tam aethereum mundi expansum (ut ipse loquitur) quàm singulos universi globos necessarium attrahere [ | ] [f. 5 (209) r:] alimentum: vultque nobis esse persuasissimum, aquas illas esse totius naturae velut ubera; quae omnibus ac singulis universi corporibus sufficientissimum, et inexhaustum [9] alimentum suppeditent. At quàm periculosa sit ista persuasio, inde manifestum est, quod nihil proclivius sit, quàm ex hoc errore in dubium vocare, an praeter illam universi animam alius agnoscendus sit Deus, et pessimo multorum exemplo, aliam omnem divinitatem excludere. 3. Tertiò licèt aliquoties < ille >, damnatam Copernici de telluris motu sententiam reprobet, ne quid (inquit pag. 28.) Sacrae Romanae Ecclesiae decretis et Institutis contrarium asserere videatur: passim tamen toto suo libro, et penitus adstruit omnia, quae ad statuendum, propugnandumque telluris motum primus invexit Copernicus; argumentaque enervat omnia, quibus error illi magno rationum pondere solet refelli. À quo enim, nisi à Copernico, eiusque sectarijs illam < ipse {Kircherus} > accepit, quam ad nauseam inculcat firmamenti immensitatem, et enormem stellarum fixarum a terra remotionem? Ad haec figmenta quan[ | ] [f. 5 (209) v :]tumlibet absurda, necessitate adactus est Copernicus, quod suum aliter tueri non posset errorem, nisi tam immensum firmamentum assereret, ut respectu tantae vastitatis, motus telluris circa Solem insensibilis evaderet. Hoc autem nulla fretus ratione, nulla necessitate coactus, non semel, sed saepius inculcat < [ –] {Kircherus} >, immò et sphaeras quoque omnes planetarum simul omnium, respectu firmamenti esse prorsus insensibiles affirmare non dubitat pag. 266. et 267. quod longe amplius est, quàm quod unquam fingere ausus est Copernicus. 4. Deinde saepius ait < [ –] > motum syderum, quantumlibet incredibiliter velocem, ijs qui in illis essent, fore omnino insensibilem, eorumdemque syderum atmosphaeras, etsi alioqui facilè mobiles, in tam rapido motu à suo situ nullo modo dimoveri. Quibus statutis nulla penitus argumenta supersunt, quibus erronea Copernici de telluris motu circa solem sententia redarguatur, sed illa potius, ( si vera narrat < [ –] {Kircherus )} > toto illo libro firmissimè stabilitur. In primis enim, si in tam incredibili velocitate, [ | ] [f. 6 (210) r:] motus syderum non percipitur, si eorum atmosphaerae permanere possunt immotae, multò id facilius de telluris motu sine comparatione tardiore asseretur. Si autem totus circulus quem sol annuo motu percurrit, et quem tellus ipsa, sole ad centrum mundi relegato, iuxta Copernicum percurreret; si inquam totus ille circulus respectu firmamenti, et distantiae stellarum inerrantium est insensibilis; mirum amplius non est, si ex qualibet illius circuli parte stellae firmamenti semper aequales appareant, licèt ex intervallo modò 1200 terrae diametris viciniore, modò totidem diametris remotiore conspiciantur, quod pro magno absurdo contra Copernicum meritò inferebatur. Non erit item mirum, si stellae tertiae magnitudinis, tam immensae molis esse dicantur, ut earum semidiameter tanta sit, quanta est distantia centri terrae à 9

Das ‘h’fehlt im Wort und ist darüber (allerdings zwischen ‘a’und ‘u’) geschrieben.

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centro solis, quod tanquam absurdorum absurdissimum Copernico obijciebatur; haec enim omnia < … {Kircherus} >, et longè crassiora deglutit. 6. [sic 10] Denique licèt pag: 73. et 320. motum [ | ] [f. 6 (210) v:] telluris reijciat et impugnet, id tamen tam infeliciter facit (quod sequenti capite ostendemus[ )], ut causae praevaricari videatur, neque id ex animo facere, sed ne quid (ut ipse ait pag: 28.) Sacrae Romanae Ecclesiae decretis, atque institutis apertè contrarium asserat. Sed magis obediens fuisset, si eius sententiae, quam obiter tantum, et verbo tenus, sine ulla probabili ratione negat, firmamenta, omnia toto suo libro non statuisset, sed ea potius, cum communi philosophorum schola, tanquam absurda, et ab omni ratione alienissima reiecisset. 7. Quartò quantumvis < ille > Inquisitionis Romanae metu (ut pag. 28. significat) nullas in syderibus sensitivas, aut etiam vegetativas naturas admittat, ea tamen statuit, ex quibus planè ac necessariò sequitur, quod apertè non audet admittere: cum enim in syderibus quatuor vulgò dicta elementa sic inesse velit, non ut ex ijs constituantur solida, et homogenea corpora; sed ita ut perinde atque in globo terrestri sic in astris separata reperiantur, fingatque in illis maria, lacus, et partes solidas ac terrestres, ex quibus actione, [ | ] [f. 7 (220) r:] seu calore solis vapores, et alij halitus eleventur, atque inter sè permisceantur; velitque omnino elementa syderum, eiusdem esse cum nostris speciei et rationis; nihil causae esse potest, cur ex eorum permixtione mixta varia, et quidem etiam viventia, in omnibus astris non procreentur. Cavillatur ergo < [ –] {Kircherus} > cum effectum negat, ubi causas omnes necessarias et sufficientes admittit. 8. Accedit quòd ars illa mirabilis quam analogiae vocat Kircherus [11], et quam passim adeo praedicat (si quidquam valet)[,] concludit omnino sydera omnia suis incolis carere non posse, et quidem tantò nobilioribus, quantò sydera globo telluris praestantiora ac nobiliora sunt. « Quod enim in terrestri globo fieri censendum est (inquit < [ –] > pag. 25.) Illud secundùm Analogiam quandam in coelestibus pariter corporibus fieri putemus; ita ut quaecumque elementorum coniunctionem consequuntur actiones, easdem in coelestibus globis, in uno tamen plus, in altero minus reperiri certè inferri possit. » [12] et. pag: 136: « Est enim [ | ] [f. 7 (220) v :] ars Analogica mirum quoddam compendium, quo veluti ad Ariadnae filum ductus philosophus, sine periculo in abdita naturae penetralia admittitur; per hanc tandem discit, ut qualis in terreno globo, qualia [13] in Microcosmo homine, mundi filio qualis in politico, meteorologico, Medico, Ethico rerum constitutio, talis in omnibus singulis Mundanorum globorum Systematis, suo modo, et conditione considerata reperiantur [14]. Quae itaque in terreno globo 10 Falsche Nummerierungsziffer in der Handschrift: Eigentlich müsste hier Nummer ‘5’stehen, welche Ziffer womöglich dem vorangegangenen Abschnitt (f. 6r: „In primis enim, [… ]“) zugewiesen und bei der erneuten Rein- oder Abschrift vergessen worden sein könnte. 11 Eine der sechs Stellen (neben f. 10r, 16r, 19rv), an denen der Name Kircher nicht geweißt ist. 12 Das hier kursiv kenntlich gemachte wörtliche Zitat aus Itin., 25 (It., 51-52) stimmt bis auf Zeichensetzung und Schreibung einzelner Wörter mit dem Original überein. Die Anführungszeichen stehen in der Handschrift am Seitenrand der zitierten Zeilen. 13 Bei Kircher steht „qualis“: Itin., 137. 14 Bei Kircher steht „reperiatur“: Itin, 137.

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inveniuntur conditione terrena; Illa in Sole conditione Solari, in Luna Lunari, Venere Venerea, in Mercurio Mercuriali, et sic de caeteris usque ad ultimum mundi corpus, ea conditione inesse aestimari debent, quae talem, et talem naturam cum primis decet » [15] &c. pag: verò. 445. « Hoc unicum dico, qui artis Analogicae arcana noverit, is verissimè comperiet, hanc unicam Intellectus humani infirmitati veluti clavem quandam, divini muneris largitate concessam esse, qua ad interiora coelestis, sublimiorisque naturae penetralia nobis aditus concedatur, aperteque fatebitur, illius veterum epiphonematis veritatem omnia in omnibus (suo modo) existere. » [16] [ | ] [f. 8 (221) r :] 9. Ex his omnibus quid aliud inferri potest, nisi in astris [sc. pag. 165.] [17] omnibus perinde, atque in globo telluris esse plantas, animalia, homines; et alios forsè nobiliores incolas: aut si forsè id rectè inferri non potest ars analogiae fallax est: ut mirum non sit, si < illum {Kircherum} > in tot, tamque absurdos errores induxerit. Si enim analogiae ratio non postulat, ut in astris plantae, animalia, et homines inveniantur; neque postulabit, ut in ijsdem syderibus maria, lacus, flumina, insulae natantes, atmosphaerae, meteora, aliaque eiusmodi reperiantur. Atque ita non iam amplius erunt omnia in omnibus: quod effatum prout ab authore prolatum, et pluribus paginis non tam explicitum, quàm tenebris involutum, meritò quoque suspectum est. 10. Quintò, magna quoque ac penè certa suspicio est, formas substantiales à < illo {Kirchero} > negari, quamvis obiter eas aliquando nominet. Primum enim pag. 141. causas omnes aequivocas negat, quae videlicèt effectus suos eminenter solùm contineant, et causas solum agnoscit univocas. Quod ipsum iam per se fidei repugnat, cum Deus earum rerum, quas produxit extra se, causa sit non univoca, sed aequivoca. Manifestum autem [ | ] [f. 8 (221) v:] etiam est, formas substantiales, si quae admittantur, plurium effectuum causas esse aequivocas; ut cum proprium subiectum aliunde alteratum ad nativum statum reductum; producendo scilicet in proprio corpore qualitates ad sui ipsius conservationem necessarias, si aliunde non impediantur. Ut ergo tunc causa talium accidentium, ac dispositionum sit univoca, nihil aliud esse debet quae vulgò substantialis forma dicitur; nisi vel accidentium omnium perfecta mixtio; vel subtilium atomorum concursus, quod à recentioribus Democriti, et Epicuri sectatoribus mutuatus est < [ –] > [18], qui multò expressiùs cum illis formas omnes accidentarias negat ut paulò post videbimus: 15 Der zitierte, hier nachträglich durch Kursivschrift kenntlich gemachte Text findet sich in Itin., 136-137 (It., 204). Anführungszeichen stehen in der Handschrift am Seitenrand der zitierten Zeilen. Bis auf die angemerkten Stellen sowie abgesehen von Zeichensetzung und Schreibung einzelner Wörter stimmt das Zitat mit der Itin.-Passage überein. 16 Das hier kursiv kenntlich gemachte wörtliche Zitat aus Itin., 445-446 (It., 470-471) stimmt bis auf Zeichensetzung und Schreibung einzelner Wörter mit dem Original überein. Anführungszeichen stehen in der Handschrift am Seitenrand der zitierten Zeilen. 17 Zwischen den ersten beiden Zeilen auf Blatt 8r ist am rechten Rand dieser Seitenverweis („pag. 165.“) auf das Itinerarium vermerkt; sehr wahrscheinlich stammt er von derselben Hand wie der in Anm. 8 angezeigte Seitenrandverweis. 18 Diese geweißte Stelle bleibt tatsächlich leer, obwohl der anschließende Relativsatz mit „qui“ sich darauf bezieht und grammatikalisch ein Nomen als Bezugswort fordert.

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cum igitur causas omnes aequivocas reijciat, consequenter necesse est, ut formas quoque omnes substantiales neget. Deinde, studio ne dixit, an fortè ex inadvertentia ipsi excidit, quod: ait pag: 38. intellectum hominis ex vena lucis à Deo esse eductum? Id certè quocumque modo dictum sit, tolerari non debuit. Suspicionem verò movet, id non tam casu excidisse, quàm ex habitu erroneo profluxisse [ | ] [f. 9 (222) r :] quòd alibi, pag: scilicet 293: ait, lucem primum esse totius naturae principium activum, generationisque rerum unicam originem et radicem. 12. [sic 19] Sextò, certissimè constat, formas omnes accidentarias < [ –] {a … } > manifestè negari, quamvis earum nomina retineat (quod et de formis substantialibus facit) ut hoc artificio incautis fucum faciat. In primis enim lucem, lumen, calorem, et ignem idem esse ait pag: 148: et paulò ante lumen definiens pag: 144: « Lumen (inquit) nihil aliud est, nisi igneus quidam effluxus, ex ipso Sole propagatus atque adeo eiusdem cum fonte unde profluxit naturae » [20]. Iam igitur lux, lumen, et calor, neque qualitates, neque accidentia propriè dicta sunt, sed substantiae, et corpora, scilicèt ignis ut < … > placet.) [sic 21] Si autem calor accidens non est, neque frigus accidens erit. Contraria quippè in eodem genere sunt, ut post philosophum omnes agnoscunt: igitur vel frigus quoque substantia erit, vel mera caloris, sive ignis carentia. 13. Similiter aliam < ille > humiditatem non agnoscit praeter humorem, aut effluvia quaedam roscida, quibus luna plurimum abundat. Nempe [ | ] [f. 9 (222) v :] ut lumen et calor nihil aliud < [ –] > est, nisi effluvium quoddam igneum a sole propagatum; sic humiditas effluvium quoque est; « sed roscidum, quo luna potissimùm terram irrorat, atque humectat et quo si terra ea careret virtutis solaris efficacia mox redigeretur in pulverem , et contra, si sublata Solis Virtute, solius lunae arbitrio terra relinqueretur; [sc. … 22] in tantum humoris copia exuberaret, ut totam terram humidi illuvione suffocatam destrueret (inquit < idem > pag: 60: et 61?) » [23] Ex quibus evidens est, nullam eum aliam humiditatem agnore praeter humorem, aut roscida quaedam effluvia, quae sine dubio non minùs corpora sunt, quàm ignea solis effluvia: siccitatem autem non aliter induci, quam per humoris 19 Falsche Nummerierungsziffer in der Handschrift: Eigentlich müsste hier Nummer ‘11’stehen, welche Ziffer womöglich dem vorangegangenen allerdings sehr kurzen Abschnitt (f. 8v: „Deinde, studio ne dixit [… ]“) zugewiesen und bei der erneuten Rein- oder Abschrift vergessen worden sein könnte. 20 Das hier kursiv kenntlich gemachte wörtliche Zitat aus Itin., 144 (It., 209) stimmt bis auf Zeichensetzung und Schreibung einzelner Wörter mit dem Original überein. Die Anführungszeichen stehen in der Handschrift am Seitenrand der zitierten Zeilen. 21 Die offene Klammer fehlt im Text zuvor. 22 Vom Mira-Autor weggelassen wurde: „siquidem virtutis eius efficacia“(Itin., 61). 23 Aus der mit Anführungsstrichen vom Mira-Autor zitierten Passage finden sich nur die hier nachträglich kursiv kenntlich gemachten Satzteile wörtlich im Itinerarium, S. 61 (It., 104); bei dem Rest handelt es sich um Paraphrasen aus den vom Mira-Autor angebenen Seiten 60 und 61 des Itinerarium (It., 104). Die Anführungszeichen stehen in der Handschrift am Seitenrand der zitierten Zeilen; für das nachträgliche Platzieren derselben in die Zeilen wurde der jeweilige Satz(teil)anfang bzw. -schluss gewählt.

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ab humido corpore secessionem [24]. Atque ita authore < ipso >, neque lumen, neque quatuor vulgò dictae qualitates primae, vera accidentia sunt, aut qualitates propriè dictae. Quod si qualitates primae accidentia non sunt, secundae quoque, quae oriuntur ex primis, accidentia non erunt; sed ut primae corporea quaedam effluvia sunt, ita secundae ex talium effluviorum permixtione constituentur, ut manifestum est, [ | ] [f. 10 (223) r :] atque ita nulla prorsus erunt in rerum natura accidentia. Hoc autem stare non potest cum fide transsubstantionis in Sacramento Eucharistiae, ut absque maiore declaratione satis evidenter constat. Patet igitur Kircheri [25] doctrinam esse valde in fide periculosam. Caput III. < … {Kircher i} > aliquo t Ignorant iae 1. < Extaticus {Kircherus} > pag: 125. ubi de solis magnitudine agit, eum ait globo telluris millies esse maiorem; ita videlicet ut solis corpus, ad corpus telluris se habeat ut 1000. ad 1. Quod iterum pag. 128. inculcat, ne putaretur id primum ex inadvertentia statuisse. Hanc autem magnitudinem pag: 125: ex ambitu solis colligit, quem tamen maiorem non assignat, quàm leucarum horariarum 69390: ex quo diameter resultat similium leucarum 21064. Item etiam < [ –] > pag. 134. diametrum solis maiorem non facit, quàm leucarum horariarum 20000. Est autem terrae diameter leucarum horariarum 3000. ut minimum. [ | ] [f. 10 (223) v :] 2. Quibus positis, multiplicis ignorantiae < [ –] {Kircherus} > arguitur, primum enim ex assignato solis ambitu leucarum 69390 non rectè infertur, solem millies esse tellure maiorem. Deinde supposito solis ambitu praedicto, malè diametrum ipsius assignat leucarum horariarum 20000. tantùm, cum ex tali ambitu diameter resultet similium leucarum 21064. proximè. Tertiò ex neutra diametro colligi potest, solem esse millies tellure maiorem: cum ex diametro < ab ipso {a Kirchero} > designata, ne quidem sol ad telluris globum sit ut 300. ad 1. et ex posteriore diametro, quae ex assignato ambitu resultat, non se habeat ad globum telluris ut 400. ad 1. Ut autem < extaticus {Kircherus} > solem globo telluris millies maiorem legitimè concluderet, solis diametrum non minorem facere debuerat, quàm leucarum horariarum 30000. Ut scilicet essent diametri in decupla ratione, quod mathematicus ignorari non debuit. Viderit verò etiam < ipse {Kircherus} >, quomodo cum tanta solis magnitudine, umbrae terrae, ac lunae, apparentesque luminarium diametros, et eorum eclipses conciliare poterit. [ | ] [f. 11 (224) r :] 3. Secundò, non satis scitè < extaticus {Kicherus} > neque suis principijs consequenter pag: 127. statuit solem esse omnium mundanorum corporum vastissimum. Cum enim velit, stellas firmamenti immensis à terra spatijs removeri; si ponamus, visibilem solis diametrum esse minutorum 31. (< ille {Kircherus} > 24 Schwer leserliches Wort. In der Handschrift steht wohl „Seccesionem“ (also fälschlich mit einem ‘s’und zwei ‘c’), wobei das überzählige ‘c’gestrichen und ein zweites ‘s’eher angedeutet als deutlich erkennbar hineingeschrieben wurde. 25 Eine der sechs Stellen (neben f. 7r, 16r, 19rv), an denen der Name Kircher nicht geweißt ist.

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paulò minorem agnoscit) diametrum verò Sirij minutorum 2. ut placuit Tychoni; supponamusque insupèr Sirium decies et sexies altius à terra removeri, quàm removeatur ipse sol: quod utique < ipso {Kirchero} > consentiente fieret, si ad semidiametros terrae 22040. attolleretur Sirius. His datis manifestum erit Sirium sole maiorem esse concedendum. Quod si fortè haec Sirij à terra remotio < {Kirchero} > non sufficit, eo quod Sirij diametrum minorem existimet, tantam ille Sirij remotionem fingat, donec fateri cogatur Sirium esse toto solis corpore maiorem. 4. Neque verò excipere potest < {Kircherus} >, Sirium si ad tantam altitudinem attolli fingeretur, à nobis non esse conspiciendum, aut multò minorem, quàm nunc appareat esse videndum. Nam pag: 266. ait, se ex stella quadam Sirij vicina, solem vidisse, eumque inde non maiorem stella secundae [ | ] [f. 11 (224) v :] magnitudinis apparuisse, licèt sol multò quàm terra Sirio sit viciniore [sic 26]. Cum igitur Sirius nobis è loco remotiore non tantùm ut stella primae magnitudinis, sed tanquam omnium maxima, et lucidissima, atque adeo maior apparere, quam < illi > sol è loco viciniore apparuerit; ipsi necessariò fatendum est, Sirium multis partibus esse sole maiorem; atque ita inscitè de sole pronunciasse eum esse mundanorum corporum vastissimum. 5. Tertiò non immeritò dubitari potest, maior ne sit < extatici > temeritas, quàm ignorantia, cum pag: 267. sine ratione, aut experientia, stellas firmamenti, perinde ac planetas, in circulis excentricis moveri asserit: haec enim gratis fingere, et tanquam pro comperto assumere, ingens temeritas, atque audacia est; asserere verò id à nobis in terra constitutis non adverti, ob inconceptibilem (ut ait) earum stellarum à terra distantiam, supina tam in astronomia, quam in optica ignorantia, atque inscitia est. In primis enim (ut nihil dicam quod stellas omnes firmamenti planetas facit) de ijs stellis < extaticus > loquitur, quas è terra videmus, et ex [ | ] [f. 12 (225) r :] errore aequalibus semper, atque immutabilibus intervallis ab invicem distare credimus. Deinde stellas eiusmodi non in exiguis quibusdam excentricis, sed non secus ac solem, lunam, caeterosque planetas, in ingentibus circulis suos cursus peragere contendit. Ex quibus necessariò consequens est, circulos illos, per quos stellae eiusmodi moventur, multò maiores esse ijs stellis, quae per illos suas periodos absolvunt, quemadmodum accidit in sole, luna, caeterisque planetis, in quibus orbium, per quos deferuntur, diametri planetarum diametros multis partibus excedunt. Et < ille > quidem, qui vult diametrum orbis solaris continere minimum terrae diametros 1906. etiamsi diametro solis, decem terrae diametros attribueret, adhuc orbis solem deferentis diameter, solis diametros contineret 190. et plures. Similiter diameter orbis lunam deferentis, ipso < extatico > minimè repugnante, diametros lunae plusquam 190. continet: non erit igitur magnum quid, si < idem >, qui stellas firm[am]enti ait, in ingentibus circulis moveri, concedat diametrum orbis quo Sirius defertur, diametros Sirij continere saltem 10. Hoc [ | ] [f. 12 (225) v :] autem dato, necesse esset Sirij a circumvicinis syderibus distantiam, decem eiusdem Sirij diametris variari: quae variatio, non

26 Auf „sol“bezogen wäre der Nominativ ‘vicinior’zu setzen.

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modò peritos astronomos non fugeret, sed ne rusticos quidem lateret. Imperitè igitur < extaticus > stellas firmamenti in excentricis moveri asseruit. 6. Quartò, supinam < extatici > ignorantiam prodit, dum pag: 73. et pag: 320. telluris immobilitatem adstruit, nisi fortè potius (ut supra * [sc. cap.2. num.5] [27] subdubitare me fassus sum) causae praevaricator, cum Copernici sectatoribus colludat, eorumque partibus plusquam veritati serviat. Quis enim risum teneat, cum pag: 73. legit < extaticum > satis mirari non posse, quid modernis quibusdam astronomis in mentem venerit, ut terram circa proprium axem moveri tam audacter asseruerint, cum ipse in luna constiutus, quantumlibet attentè conspexerit, id tamen non adverterit ? Sic nempe < ille >, postquam temerarijs suis assertionibus verae sententiae fundamenta omnia evertit, ridiculis eam argumentis, dum propugnare fingit, ludibrio exponit. 7. Nihilo validius argumentum est aliud, quo [ | ] [f. 13 (226) r :] pag: 320. eandem telluris immobilitatem adstruere simulat, dum ait, eam excipiendis coelestium corporum influxibus aptam minimè futuram, nisi prorsus immobilis, suo stabiliretur in centro. Nam sive terra moveretur, et quiescerent sydera, sive motis syderibus terra quiesceret; perinde semper, ac sine ulla diversitate coelestium corporum influxibus subderetur: quod ignorare < ipsi {Kirchero} > non licuit; si vero non ignoravit, dissimulare, et futile argumentum proponere non debuit. 8. Quintò, < extaticus > pag: 405. de inferni capacitate sollicitus, temensque ne damnati nimis angustè habitarent, et locum recipiendis omnibus, in telluris globo reperiri posse diffideret; ut ab hac se molestia liberaret, impetravit à Deo, ut damnatorum corpora penetrabilitatis dono fruerentur. Qua fiducia supernaturalem penetrabilitatis dotem damnatorum corporibus attribuat, viderint alij: ego in hoc homine pudendam geometriae ignorantiam arguo, qui si prima huius scientiae rudimenta nosset, facilè doceri potuisset, capiendis sine penetratione damnatis omnibus abundè sufficere cavernam [ | ] [f. 13 (226) v :] undique rotundam, circa terrae centrum excavatam, cuius diameter esset unius leucae horaris, sive trium milliariorum romanorum: talis enim capacitas damnatis omnibus sufficeret, etiamsi fingeremus per decem annorum millia diebus singulis damnari triginta hominum millia: neque propterea nimis arctè habitarent, cum adhuc singulis plusquam duodecim pedes solidi competerent. Non debuerat igitur illic haerere < extaticus >, et ad miraculum confugere, si quam in geometria peritiam habuisset. 9. Sextò, magnam quoque perspectivae ignorantiam prodit < idem >, cum pag: 44: et 65. causam assignans, cur maria ex alto spectata, « minùs, quàm reliquae telluris partes luceant; iam esse ait, quia fundus maris, [sc. … 28] cum limi nigrore suffusus sit, totaque maris profunditas ob constipatas superficierum condensationes in nescio quid atrum terminet, [sc. … 29] lucem potenter offuscat, ex quo [30] lucem solis ex aquea superficie reflexam, non nihil debilitari necesse est, 27 Das Sternchen im Original verweist auf den linken Seitenrand der Handschrift, wo auf gleicher Zeilenhöhe der Stellenverweis „* cap.2 num.5“für das Itinerarium zu finden ist. 28 Vom Mira-Autor weggelassen wurde: „cui insidet aquea moles,“(Itin., 44). 29 Vom Mira-Autor weggelassen wurde: „adeoque“(Itin.; 44). 30 Anstelle von „ex quo“steht bei Kircher „hinc“(Itin., 44).

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quod non fit in immediata corporum terrestrium illuminatione. Cum enim haec immediatè lucem Solis reflectant, et praeterea innumeris [ | ] [f. 14 (227) r :] angulorum molibus, et asperrimorum montium, scabrosorumque scopulorum impolitis superficiebus constent [31], fit, ut ex varia in angularibus corporibus variè reflexa luce, lux mirum in modum augeatur; ac proinde multò iucundiùs terrestria, quam aquea corpora splendeant » [32]. Eandem rationem iterum, sed compendiosiùs reddit pag: 65. Verum nova haec optica cum è luna descenderit, mirum non est, si hìc apud nos exotica appareat. 10. Septimò, satis fatetur < extaticus > se non solùm in una, aut altera scientia imperitum esse, sed absolutè, nihil se in ulla scientia scire, cùm pag: 414. ait; in omni scientia, arte, et facultate non nulla praesupponi, ut principia prima, quae non nisi fide apprehenduntur. Si enim in omni scientia, arte, et facultate, principia prima non nisi fide apprehenduntur; conclusiones [33] quoque ex talibus principijs deductae, non nisi fide cognoscentur: conclusiones enim notiores esse non possunt ijs principijs, ex quibus inferuntur, ut facilè omnes intelligunt. Cum ergo < ille > quaecumque concludit, non nisi ex principijs sola fide appre[ | ] [f. 14 (227) v :] hensis deducat, nullius omnino rei scientiam habet, sed ad summum credulitatem quandam, et sine dubio etiam nimiam, dum ex omnibus scriptoribus absurda quaeque sine discrimine, nimis credulus accipit, ijsque suos libros, futuros alioqui summè macilentos, exiguo, ac penè nullo sumptu, aut labore infarcit. Caput IV. Pugnant ia & Co nt radict or ia 1. Nescio equidem, an turpius aliquid esse possit in scriptore, quàm ut secum ipse pugnet; eadem, quae statuit, destruat; suique immemor neget uno in loco, quod in altero affirmat. < Extaticus {Kircherus} > tamen non semel, aut iterum, sed saepius in istud probrum incidit; cuius rei exempla haec accipe. 2. Primò pag: 59. ait < confidenter >, aquas lunares adeo tenuis esse substantiae, ut nihil in ijs supernatare, nulla navigatio institui possit, quod proprijs etiam oculis in luna constitutus advertit. Hoc autem cum pag: 59. scripserit < … >, statim pag: 61. istorum immemor ingentem insulam altissimis montium iugis circumquaque coronatam, eamque lunari oceano [ | ] [f. 15 (228) r :] innatantem describit: quo sanè nihil inconstantiùs dici, aut scribi potuit: omnemque admirationem excedit, unum hominem sui compotem, intra duas immediatas paginas tam apertè pugnantia scribere potuisse.

31 Der Mira-Autor korrigiert Kirchers „constet“(Itin.; 45) in „constent“. 32 Von den in der Handschrift am Seitenrand mit Anführungsstrichen markierten Zeilen finden sich die hier kursiv gedruckten abgesehen von einer leicht abweichenden Zeichensetzung wie Schreibung und den angemerkten Unterschieden wörtlich bei Kircher wieder (Itin., 44-45; It., 84). Die Anführungszeichen wurden hier am Beginn bzw. Ende der jeweiligen Mira-Text Zeile platziert. 33 Das fehlende ‘s’durch ein Abkürzungszeichen über dem Wort angezeigt.

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3. Secundò < extaticus > eadem pag. 59. ait aquas lunares prae nimia earum tenuitate vaporis [sic] emittere adeo subtiles, et ab omni terrestri faece expurgatos, ut in nubes cogi, et addensari non possint; ac proinde nec sensibiles meteorologicas impressiones causare valeant. Idem repetit pag: 71. aitque, lunares aquas ob earum exilitatem (ut ipse loquitur) sufficientes non esse ad nubes, pluvias, grandines efformandas. Nempe memoria excidebat, quod pag: 51. scripserat; interroganti enim Theodidacto, essentne in luna quandoque pluviae, nives, et similes, quas in terrestri mundo experimur meteorologicae impressiones: respondet Cosmiel: sunt equidem (inquit) sed alterius rationis. Expectabimus dum nobis nives in luna alterius rationis explicet, et quidem ubi vapores adeo tenues, et subtiles sunt, ut ne cogi quidem possint in nubes. [ | ] [f. 15 (228) v :] 4. Tertiò passim < extaticus > docet coelestia omnia corpora, non solo lumine in terram influere, pag: 125. sed corporeis praesertim et substantialibus effluvijs (quae nihil aliud sunt, quàm subtiles quidam spiritus quos globi coelestes expirant) quibus terram faecundant, pag: 306. Ideoque necesse est ut corporea haec coelestium corporum effluvia ad terram usque perveniant, ut per se manifestum est, et passim < [ –] {Kircherus} > partim docet, partim supponit; nominatimque id de lunari effluvio pag: 58. asserit, cùm ait, lunare corpus perpetuo virtutis suae profluvio terrenum globum ferire, humidumque illud profluvium aestuantes solis radios terreno globo oppido nocivos infringendo, ad temperiem reducere &c. At humidum istud effluvium (inquit idem < extaticus > pag: 60.) ubi reflexionis radiorum solarium ex lunae corpore resultantium metam excesserit, iam frigido spatio condensatum descendit gravitate sua, et superficiem lunaris terrae irrorat: quod potissimum fieri censendum est in opposita lunae facie; in illuminata enim facie, mox à solarium [ | ] [f. 16 (229) r :] radiorum efficacia in tenues auras dissolvitur. Nunquam igitur lunare effluvium ad terram descendit; sed vel frigore constipatum, in lunam recidit, vel calore extenuatum in auras evanescit. 5. Quartò < extaticus > pag: 141. causas aequivocas negat, quae scilicet suos effectus eminenter continent, et solas causas univocas agnoscit, quae cum effectibus suis unius sint, atque eiusdem speciei et rationis, quod iam * [sc. cap.2. num.10] [34] supra quidem tanquam suspectum in fide redarguimus; sed hoc loco id ipsum iterum tanquam minus consequenter dictum reprehendimus. Cum enim antea pag: 132. statuisset Kircherus [sic 35], et pro certo persuasum esse voluisset totam solaris globi molem, non una tantùm facultate, sed panspermica quadam virtute imbutam esse; interrogatus postmodum pag: 134. quomodo multiplex illa panspermatica facultas in solis globo inexistere posset: panspernicam [sic] (inquit) non eo sensu accipias velim, quod terrenarum rerum semina in se contineat actu, et realiter, sed virtute quadam eminentiali. [ | ] [f. 16 (229) v :] 6. Quintò < extaticus > pag: 153. et pluribus sequentibus ait, cometas generari ex facularum eructatione, ex planetis quidem omnibus, sed praecipuè è 34 Das Sternchen im Original steht über dem Wort „iam“und verweist auf den rechten Seitenrand der Handschrift, wo auf gleicher Zeilenhöhe der Stellenverweis „*cap. 2. num. 10“für das Itinerarium zu finden ist. 35 Eine der sechs Stellen (neben f. 7r, 10r, 19rv), an denen der Name Kircher nicht geweißt ist.

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sole ob copiosiorem ex ipso, frequentioremque viscosae, ac bituminosae materiae in altum eiaculationem; quae dum ad eam altitudinem protensa est, in qua motum solis assequi non potest; fit ut libero motu per mobilia aetherei spatij inania hinc inde delata, in cometas convertatur. pag: verò 166. quod si huiusmodi exalationes (inquit) in maximam aetheris altitudinem, vehementi globi solaris aestu protrudantur, et perfectam in remotissimis illis aethereae regionis recessibus libertatem nactae fuerint: tum aetheris motu agitatae, in inaestimabilem aplitudinem extenduntur &c. Et pag: 188. sole itaque continuo, et successivè ingentem fumosorum halituum copiam eructante, fit, ut uno alterum trudente, prior ordine tenaciore materia compactus, atque alijs, alijsque identidem auctus, intra solaris verticis ambitum contineri nescius, in peregina aethereae regionis vastitate exulare cogatur. [ | ] [f. 17 (230) r :] 7. Nunc autem < extaticus > viderit, quomodo liber illi cometarum motus per mobilia aetherei spatij inania, eorumque evagationes extra solaris vorticis amplitudinem, et eorundem plerumque recessus ultra tropicos, ipsosque etiam polares circulos, conciliari possint cum ijs, quae passim inculcat, de proprijs singulorum syderum, et unversaliter de mundanorum corporum centris, quorum ea vis et facultas est, ut partes quaecumque uniuscuiusque globi à suo toto divulsae, naturali propensione ad illud ferantur, et ad nullum aliud, pag: 317. Unde pag: 50. petenti Theodidacto, liceret ne sibi frustum ex lunae lapidibus, aut lagenam ex aquis lunaribus secum deferre in terram. Minime (inquit) Cosmiel, neque enim in terrestri mundo huiusmodi lapis consistere posset: sed mox ac eum dimitteret suam sphaeram repeteret, ad quam tanquam pars ad totum, adeo inviolabilem sympatiam habet, ut in nullo alio mundi loco, nisi in suo lunari globo consistere possit, quod idem de aquis dicendum. Similiter cum iterum Theodidactus pag: 101. licentiam postulasset, ut de Iovis globo frustulum secum deferre [ | ] [f. 17 (230) v :] posset; idem planè responsum retulit, quod de lapide lunari; frustulum scilicet illud è Iovis globo sublatum, nuspiam alibi, nisi in ipso Iovis globo posse consistere. De cometis igitur, si partes essent è solis, aut alterius sideris globo decisae, idem quoque dici debuerat, eos scilicet ubi primùm foras protrusi forent, sine ulla per varias aetheris plagas divagatione, statim ad suum totum redire, nisi < extaticus > secum ipse pugnare maluisset. Caput V. Falsa et absurda 1. < Extaticus > dum passim toto sui Itinerarij opere contendit coelestia corpora esse ex quatuor elementis composita, et quintam è coelis essentiam excludere satagit; ita rem invertit ac confundit, ut satis ostendat ea se de quibus disputat, nunquam satis intellexisse. 2. Et primò quidem eo sensu ait sidera ex quatuor elementis constare, non quod ex illis invicem permixtis et unitis composita sint (qui sensus semper omnium eorum fuit qui hactenus sydera ex elementis composita voluerunt) sed eo solùm aut potissimum sensu [ | ] [f. 18 (231) r :] quod in omnibus syderibus, perinde atque in globo telluris, aliquid per modum telluris solidum, itemque maria, et

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lacus, et caloris, sive ignis aliquid reperiri arbitretur: quo in sensu dum scripturam, et Patres citat, falsò sine dubio citat, cum neque illa, neque isti unquam dixerint eo modo in sideribus quatuor elementa reperiri. [36] 3. Secundò dum < [ –] > Aristotelis, et quorumdam Peripateticorum quintam essentiam impugnat, perinde id facit quasi aliam in coelo materiam agnovissent; in quo vehementer ipse fallitur, nec minus se in doctrina peripatetica, quàm in coelo peregrinum ostendit. Cum enim Aristoteles, et post eum Peripatetici omnes expressè doceant, materiam primam neque quid, neque quantum, neque quale, neque ad aliquid &c. esse (actu scilicet) sed potentia tantùm: manifestam contradictionem implicat, ut in ipsa materia prima, essentialis ulla differentia reperiatur, nihilque tale Aristoteles, aut alius quispiam verus Peripateticus sumniavit [sic]. At ut ex communi materia quatuor elementa facta sunt, natura inter [ | ] [f. 18 (231) v :] se diversa, sic ex eadem materia, fieri potuisse corpus quintum simplex, ex quo coelum, et coelestia corpora constarent nihil repugnat, aut eam repugnantiam < [ -- ] > assignet: interim malè, et ex falsis suppositionibus Peripateticos impugnat. [37] 4. Tertiò horum errorum affinis est alius, quo < [ –] > pag: 24. et aliquoties alibi contendit futurum ut si materia coelestis essentialiter à sublunari differret, aut esset quinta quaedam essentia, coelestia corpora agere non possent in haec inferiora. Cum enim iam dictum sit fieri non posse, ut in ipsa materia prima diversitas essentialis reperiatur, hoc ipso cessat pars ista controversiae: at si coelestia corpora, ex quinta quadam essentia (eo modo quo paulo ànte dictum est) constare ponerentur nullo, ne probabili quidem argumento probare posset < [ –] {Kircherus} > quintam illam essentiam, in quatuor reliquas, hoc est in quatuor elementa, et composita ex ijs corpora, posse minus agere, quàm possint ipsa elementa: neque enim plus, aut aliter ab elementis quinta illa essentia in substantia differret, quàm differant ipsa [ | ] [f. 19 (232) r :] elementa inter se; quamvis fortè aliunde minus apta esset ad mixtorum corporum compositionem. Adde quòd ut iam supra notavimus, suspectum est < [ –] > principium, quo vult nihil agere posse in aliud, nisi ambo sint eiusdem naturae et rationis; quod falsum est in anima rationali, quae multa in proprium corpus agit, quando plus à suo corpore differat, quàm differrent ab his inferioribus sidera, quamvis in ijs fingeretur materia diversae rationis. [38] 5. Quartò inscitè, aut valde oscitanter Kircherus [sic 39] pag: 49. ait, in luna maria, lacus, flumina, lapides &c. alterius esse naturae quoad colorem, vires, proprietates &c. ab ijs, quae in terra cernuntur: diversitas enim accidentium naturam 36 Über dieser Zeile ist eine gestrichelt geschlängelte Linie quer über die Seite gezogen; eine weitere verläuft am linken Seitenrand nach unten und rahmt ebenso noch auf den folgenden Seiten (bis f. 19r) fortlaufend den Textblock der Abschnitte drei und vier. 37 Am linken Rand wird der Text dieses Abschnittes bis zu seinem Ende von einer bei Abschnitt drei (f. 18r) beginnenden seitlichen Linie begleitet (siehe voranstehende Anmerkung). 38 Mit dieser Zeile endet die seitliche Randmarkierung, welche die Abschnitte drei und vier begleitet (siehe voranstehende Anmerkungen); unter dieser Zeile verläuft die Linie quer über die Seite und beschließt die Textrahmung so wie bei Abschnitt drei begonnen (f. 18r). 39 Eine der sechs Stellen (neben 7r, 10r, 16r, 19v), an denen der Name Kircher nicht geweißt ist.

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non variat, aut mutat. Idem nihilominus de aliorum syderum aquis ac lapidibus, cum aliquoties repetat Kircherus [sic 40], fortè in ijs verbis mysterium latet. Cur enim in terra varios lapides non colore solùm, aut viribus, sed specie quoque, atque essentia distinguimus, et < [ –] {Kircherus} > lapides coelestes neque inter se, neque à terrenis distinguit essentia in specie, nisi quia substan-[ | ] [f. 19 (232) v :]tiales formas nullas agnoscit ? 6. Quintò eius quoque iudicium requiro, cum pag: 50. postquam praecedenti pagina statuisset, aquas lunares alterius esse coloris à sublunaribus, ait tamen, lunares aquas limpidissimas esse, ac summè diaphanas. Quae enim aquae limpidissimae sunt, et summè diaphanae nullius omnino sunt coloris, et aquae terrestres defecatae ipsae quoque limpidissimae sunt, et eximiè diaphanae, non possunt igitur esse diversi coloris à lunaribus, cum praesertim amba concedantur à Kirchero [sic 41] esse eiusdem naturae, et rationis. [sic] Sextò, postquam < [ –] {Kircherus} > gratis, et sine ulla spetie [sic] rationis, duplicis generis in coelo sydera constituit, quorum alia solaris naturae, alia lunaris esse voluit; pag. 25. statuit prioris generis sydera ex igne liquido, et terrestri portione concreta esse, posterioris verò generis sidera ex aqua, et terrestri substantia esse constituta. Tum subiungit id nemini debere mirum videri, cum ex praesuppositis naturali consequentia deducatur. At istud nihilominus valde mirum est, primùm quia [ | ] [f. 20 (233) r :] nihil apparet, unde istud deducatur. Deinde ut concedi possit, aliquid ex aqua et terrestri substantia posse conflari (sic enim testa et lateres conflantur) at ex igne liquido, et terrestri portione posse aliquid concrescere, ut hactenus inauditum, ita et omnibus videbitur. 8.[sic 42] Septimò quid cogitabat < [ –] {Kircherus} > cùm scripsit * [sc. pag. 57.] [43] motum lunaris oceani (quem totam globi lunae circumferentiam ambire ait) tum [44] maximum esse, cum solarium radiorum normali influxu percussus fuerit, quod (inquit) novilunij aut plenilunij tempore contingit. Notat verò etiam pag. 52. rorem in luna circa novilunia contingere. Luna certè respectu sui semper est plena (nisi cùm in umbram terrae incidit) semperque solis radios perpendiculares eodem modo quocumque tempore excipit, nullaque novilunia patitur. Semper igitur in lunae oceano aequales esse debent aestus, et alia decidui roris causa aliunde quaerenda est. 9. Octavò nimis sanè confidenter pag: 143. < [ –] {Kircherus} > asserit non solùm ex vehementi chalybis ad silicem, sed ad glaciem quoque allisione ignem excitari, idque audacter ait experientia constare, sed vero similius est, eum nunquam huius rei [ | ] [f. 20 (233) v .] vel fecisse, vel vidisse experimentum. Non melius ibidem explicat qua ratione piper calorem in stomacho excitet. 40 Siehe voranstehende Anmerkung. 41 Eine der sechs Stellen (neben 7r, 10r, 16r, 19r), an denen der Name Kircher nicht geweißt ist. 42 Die Nummerierungsziffer ‘7’fehlt in der Handschrift; sie mag dem vorangegangenen Abschnitt („Sextò, [… ]“) zugewiesen und bei der erneuten Rein- oder Abschrift vergessen worden sein. 43 Das Sternchen steht über dem letzten Buchstaben von „scripsit“am Zeilenende; unmittelbar daneben ist auf dem rechten Seitenrand der Itinerarium-Verweis „pag. 57.“vermerkt. 44 In der Handschrift steht eigentlich „tuum“.

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[sic] Nonò: Cum < [ –] {Kircherus} > pag: 106. dixerit Mercurij effluvia et vapores esse virtutum sideris illius propriarum vehicula, pag: deinde 113: miro philosophandi modo asserit eandem Mercurij Mercurij virtututem, tam fragili vehiculo delatam, momento tamen ad terram deferri. « Scias (inquit) [sc.… 45] velim huiusmodi propagationem, non successivam, sed momentaneam esse, et aequo passu cum luce procedere. Sicut itaque lumen solis in momento superficiem terrae illuminat, ita vis influxiva eam partem, quam radiosa sua actione ferit, in momento movet, et ad effectus appropriatos instimulat. »46 Ita < [ –] {Kircherus} > pro imperio iubet corpus ad quamcumque distantiam in instanti moveri. Multò plura omitto, quàm quae brevi hoc scripto cursim perstricta sunt, sed vix aptiùs hoc examen terminare potuimus, cum praesertim omnia percurrere, longioris esset operae, et haec pauca, ad totius Itinerarij specimen plusquam abundè sufficiant.

45 Vom Mira-Autor weggelassen wurde „enim“(Itin., 113). 46 Das hier kursiv kenntlich gemachte wörtliche Zitat aus Itin., 113-114 (It., 163-164) stimmt bis auf Zeichensetzung und Schreibung sowie ein weggelassenes Wort mit dem Original überein. Die Anführungszeichen stehen in der Handschrift am Seitenrand der zitierten Zeilen.

VERZEICHNISSE QUELLEN Abk ürzungen ADB A&T

Allgemeine Deutsche Biographie, 56 Bde, hg. v. der Historischen Commission bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften, Leipzig, 1875-1912 René Descartes, Œ uvres de Descartes, 11 Bde, hg. v. Charles Adam und Paul Tannery, Paris, 41996

AN APUG

Giambattista Riccioli, Almagestum novum, zwei Teilbände, Bologna, 1651 Pontificia Università Gregoriana (Rom)

ARSI BCRS BNCF BNCN BNCR BSBM

Archivum Romanum Societatis Iesu (Rom) Biblioteca Centrale della Regione Siciliana (Palermo) Biblioteca Nazionale Centrale di Firenze (Florenz) Biblioteca Nazionale Centrale di Napoli (Neapel) Biblioteca Nazionale Centrale di Roma (Rom) Bayerische Staatsbibliothek München

BU

Biographie universelle ancienne et moderne, 45 Bde, hg. v. Joseph-François Michaud, Paris u. Leipzig, 1854-1856 Dizionario biografico degli italiani, bisher 60 Bde, hg. v. Alberto M. Ghisalberti u.a., Rom, 1960-

DBI DeBS DSB GOO HOC

De Backer, Augustin / Sommervogel, Carlos (Hgg.): Bibliothèque de la Compagnie de Jésus. Nouvelle Edition, 12 Bde, Brüssel u. Paris, ²1960 Dictionary of Scientific Biography, 18 Bde, hg. v. Charles Coulston Gillispie, New York, 1970-1990 Pierre Gassendi, Opera omnia in sex tomos divisa, Lyon, 1658 Christiaan Huygens, Oeuvres complètes de Christiaan Huygens, hg. v. der Société Hollandaise des sciences, 22 Bde, Den Haag; Paris, 1888-1950

It.

Athanasius Kircher / Kaspar Schott, Iter extaticum coeleste, Würzburg, 1660 –die von Kaspar Schott herausgegebene, überarbeitete und kommentierte Würzburger Ausgabe der Ekstatischen Reise.

Itin.

Athanasius Kircher, Itinerarium exstaticum, Rom, 1656 –die unkommentierte und unbebilderte Erstausgabe der Ekstatischen Reise. Journal for the History of Astronomy, hg. v. Michael Hoskin u. Owen Gingerich

JHA KGW LMUM NDB

Johannes Kepler, Gesammelte Werke, bisher 21 in 32 Bden, hg. v. Walther Dyck, Max Caspar und Franz Hammer, München, 1938-2002 Bibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München Neue Deutsche Biographie, bisher 21 Bde, hg. v. der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Berlin, 1953-2003

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Verzeichnisse

OGG

Galileo Galilei, Le Opere di Galileo Galilei. Edizione Nazionale, 20 Bde, hg. v. Antonio Favaro, Florenz, 1890-1909

POGG

Biographisch-literarisches Handwörterbuch zur Geschichte der exacten Wissenschaften, 8 in 29 Bden, hg. v. Johann C. Poggendorff, Leipzig - Berlin, 1863-2002

TBO

Tycho Brahe, Tychonis Brahe Dani Opera Omnia, 15 Bde, hg. von J. L. E. Dreyer, Kopenhagen, 1913-1929

TDSC [+Nr.] Identnummer eines Sterns in: The Tycho Double Star Catalogue, hg. v. C. Fabricius, E. Høg, V. V. Makarov, B. D. Mason, G. L. Wycoff u. S. E. Urban, [als CDRom u. im Internet], 2002 (http: //cdsweb.u-strasbg.fr/viz-bin/VizieR-2?-source= I/276) TYC [+Nr.] Identnummer eines Sterns in: The Tycho-2 Catalogue of the 2.5 Million Brightest Stars, hg. v. E. Høg, C. Fabricius, V.V. Makarov, S. Urban, T. Corbin, G. Wycoff, U. Bastian, P. Schwekendiek u. A. Wicenec, [als CD-Rom und im Internet], 2000 (http: //vizier.u-strasbg.fr/cgi-bin/VizieR?-source=Tycho-2)

Handschrif te n Carteggio Kircheriano, Archivio della Pontificia Università Gregoriana [APUG], 561; 563; 567; 568 Catalogi, Archivum Romanum Societatis Iesu [ARSI], Rheni Sup. 25 Cat.brev. 1626-1639; Rom 60 Cat.trien.1655-1658; Rom. 81 Cat.brev. 1650-1656 Catalogo di dignitari della Compagnia di Gesù dal 1551 al 1773, Biblioteca Nazionale Centrale di Roma [BNCR], FG 1666, f. 10v-16r Censurae Librorum, Archivum Romanum Societatis Iesu [ARSI], FG 661; FG 663; FG 668; FG 775 Duae Mathematicae partes Astronomia et Optica Dictatae a R. P. Io. Baptista Cysato Mathematicae professore ordinario Exceptae a R. P. Ph. Feischl, Ms., 4°, 137 Blätter, Bayerische Staatsbibliothek München [BSBM], Clm. 4823 Dubitationes Aliquot Observatae in Itinerario Extatico Doctiss. Patris Athanasii Chircheri S.I., Biblioteca Nazionale Centrale di Napoli (Vittorio Emanuele III) [BNCN], Mss. Brancacciano IE1, f. 309r-315v Indiam petens, Archivum Romanum Societatis Iesu [ARSI], Rhen. Sup. 42. Mathemata Tria Disciplinarum Mathematicarum Dictata a R. P. Joan. Bapt. Cysato, Societatis Jesu in celeberrima Electoralj Universitate Ingolstadiana Matheseos ordinario professore Scripta A Paulo Gmainholzero […] 1622 finita, Ms., 4°, 179 Blätter, UB der Ludwig-Maximilians-Universität München [LMUM], 4 Cod. ms 722 Mira Kircheri in suo Itinerario exstatico, Biblioteca Nazionale Centrale di Roma [BNCR], Fondo Gesuitico, 1331 (15), f. 1 (205) r - 20 (230) v

We rk e K i rc h e rs Kircher, Athanasius: Magnes sive de arte magnetica, Rom: Hermann Scheus/ Lodovico Grignani, 1641; Köln: Jost Kalcoven, 1643; Rom: Blasius Deversin, Zanobio Masotti, Vitale Mascardi, 1654 ([1641] http: //alfama.sim.ucm.es/dioscorides/consulta_libro.asp?ref=X533871041; Neudruck [1654]: 2 Bde, Wien: A. W. F. Sommer im Selbstverlag, 2004, ‘Editiones Neolatinae’) — Ars magna lucis et umbrae, Rom: Hermann Scheus/ Lodovico Grignani, 1646; Amsterdam: Johannes Janssonius Van Waesberge und Erben Elizeus Weyerstraet, 1671 ([1646] http: //194.

Quellen

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254.96.20/FMPro?-DB=livancpages.fp3&-Lay=liste&-Format=livanc_repcourt.htm&max =1000&cote=00850&-Find; Neudruck [1646]: 2 Bde, Wien: A.W. F. Sommer im Selbstverlag, 2004, ‘Editiones Neolatinae’) ([1671] http: //alfama.sim.ucm.es/dioscorides/consulta_libro.asp ?ref= B19315430) — Musurgia universalis sive ars magna consoni et dissoni, 2 Bde, Rom: Francesco Corbelletti Erben u. Lodovico Grignani, 1650 (Neudruck mit einem Vorwort, Personen-, Orts- und Sachregister, hg. von Ulf Scharlau, Hildesheim: Georg Olms, 1970) — Oedipus aegyptiacus, 4 in 3 Bden, Rom: Vitale Mascardi, 1652-1654 [1655] (Neudruck: 8 Bde, Wien: A. W. F. Sommer im Selbstverlag, 2004-2005, ‘Editiones Neolatinae’) — [Iti n. ] Itinerarium exstaticum, Rom: Vitale Mascardi, 1656 (http: //diglib.hab.de/wdb.php? dir= drucke/ 6-3- quod-1) — Iter extaticum II, qui et mundi subterranei prodromus dicitur, Rom: Mascardi, 1657 — Scrutinium pestis physico-medicum contagiosae luis, quae pestis dicitur, Rom: Mascardi, 1658; Leipzig: Erben Schürer u. Götze/ Bauer, 1659 ; Leipzig : Erben Schürer u. Johann Fritzschius/ Johannes Bauer, 1671 (Neudruck [1671]: Wien: A.W. F. Sommer im Selbstverlag, 2005, ‘Editiones Neolatinae’) — [I t .] Iter extaticum coeleste […] Iter exstaticum terrestre, hg., überarbeitet und kommentiert von Kaspar Schott, Würzburg: Erben Johann Andreas u. Wolfgang jun. Endter, 1660 (http: // brunelleschi.imss.fi.it/bd/?autore=Kircher; Neudruck: 2 Bde, Wien: A. W. F. Sommer im Selbstverlag, 2004, ‘Editiones Neolatinae’) — Diatribe de prodigiosis crucibus, Rom: Blasius Deversin, 1661 (Neudruck: Wien: A.W. F. Sommer im Selbstverlag, 2004, ‘Editiones Neolatinae’) — Mundus subterraneus, 2 Bde, Amsterdam: Johan Janszoon u. Elizeus Weyerstraet, 1665; Amsterdam: Johan Janszoon Van Waesberge u. Witwe von Elizeus Weyerstraet, 1668; Amsterdam: Johan Janszoon Van Waesberge und Söhne, 1678 ([1668] http: //visualiseur. bnf.fr/ Visualiseur ?Destination=Gallica&O=NUMM-106378; Neudruck [1678]: 3 Bde, Wien: A. W. F. Sommer im Selbstverlag, 2005, ‘Editiones Neolatinae’) — Magneticum naturae regnum, Rom: Ignazio de Lazari, 1667; Amsterdam: Johan Janszoon Van Waesberge u. Witwe von Elizeus Weyerstraet, o.J. [1667] — China […] illustrata, Amsterdam: Johan Janszoon Van Waesberge u. Elizeus Weyerstraet, 1667; Amsterdam: Jacob Van Meurs, 1667 (Neudruck: Wien: A.W.F. Sommer im Selbstverlag, 2004, ‘Editiones Neolatinae’) Tonneel van China, übers.v. J. H. Glazemaker, Amsterdam: Johan Janszoon Van Waesberge u. Witwe von Elizeus Weyerstraet, 1668 La Chine [...] illustrée, übers. von F. S. Dalquié, Amsterdam: Johan Janszoon Van Waesberge u. Erben Elizeus Weyerstraet, 1670 China illustrata, übers. ins Englische von Charles D. Van Tuyl, Muskogee: Indian University, 1987 — Iter exstaticum coeleste […] Iter exstaticum terrestre, hg., überarbeitet und kommentiert von Kaspar Schott Würzburg: Erben Johann Andreas u. Erben Wolfgang jun. Endter, 1671 — „Vita admodum Reverendi P. Athanasii Kircheri“, in: Fasciculus epistolarum, hg. von Ambrosius Langenmantel, Augsburg: Utzschneider, 1684 (als Anhang) Selbstbiographie des Athanasius Kircher aus der Gesellschaft Jesu, übers. von Nikolaus Seng, Fulda: Fuldaer Actiendruckerei, 1901 — Itinerarii exstatici pars prima, Kaschau: Academia Societatis Jesu, 1753 — Itinerarii exstatici pars secunda, qua geocosmi [… ] in tres dialogos distincta. Interlocutoribus Cosmiele, et Theodidacto, Kaschau: Academia Societatis Jesu, 1753 — Itinerarium exstaticum II, Kaschau: Academia Societatis Jesu, 1753

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Werke v or 1850 Aguilón, François de: Opticorum Libri Sex Philosophis iuxta ac Mathematicis utiles, Antwerpen: Moretus, 1613 Angeli, Stefano degli: Considerazioni sopra la forza di alcune ragioni fisicomattematiche addotte dal M.R.P. Gio. Battista Riccioli della Compagnia di Giesù nel suo Almagesto Nuovo et Astronomia Riformata contro il sistema copernicano espresse in due dialoghi, Venedig: Bartolo Bruni, 1667 Arckenholtz, Johan: Memoires concernant Christine Reine de Suede, pour servir d’eclaircissement à l’histoire de son regne et principalement de sa vie privée, et aux evenemens de l’histoire de son temps civile et litéraire, 4 Bde, Amsterdam u. Leipzig: Pierre Mortier, 1751 (Bde 1 u. 2), Jean Schreuder & Pierre Mortier (le Jeune), 1659 (Bd 3) u. 1660 (Bd 4) Argoli, Andrea: Pandosion sphaericum in quo singula in elementaribus regionibus, atque aethera, mathematicè pertractantur, Padua: Paulus Frambottus, 1644, ²1653 Arpe, Peter Friedrich: Feriae aestivales sive scriptorum suorum historia. Liber singularis, Hamburg: Jo. Christoph Kisner, 1726 Aversa, Raphaël: Philosophia metaphysicam physicamque complectens quaestionibus contexta, 2 Bde, Rom: Iacobus Mascardus, 1625-1627; Bologna: HH. Evangelista Duccia, 21650 Baily, Francis: An account of the Rev’d John Flamsteed, London: William Clowes and Sons, 1835 Baranzano, Redento [Giovanni Antonio], Uranoscopia seu de coelo, 2 Teile in einem Band, o.O. [Genf]: Petrus & Iacobus Chouët, 1617 Bayer, Johann: Uranometria, omnium asterismorum continens schemata, Augsburg: Mangus, 1604 Birch, Thomas: The History of the Royal Society of London for improving natural knowledge, from its first rise, 4 Bde, London: A. Millar, 1756-1757 (Neudruck: Hildesheim: Georg Olms, 1968) al-Bitruji [N r al-D n al-Bit al-Ishb / Alpetragius], On the Principles of Astronomy [12. Jh.], hg. u. übers. aus dem Arabischen und Hebräischen von Bernard Goldstein, New Haven u. London: Yale University, 1971, ²1977 Bode, Johann Elert: „Verzeichnis aller bisher entdeckten Doppeltsterne“, Astronomisches Jahrbuch (Berlin: Georg Jacob Decker), 1781, S. 183-185 Borelli, Alfonso Giovanni: De vi percussionis liber, Bologna: Iacobus Montius, 1667 Boulliau, Ismaël: Astronomia philolaica, Paris: Simeon Piget,1645 — Ad astronomos monita duo : primum, de stella nova, quae in Collo Ceti ante annos aliquot visa est, alterum, de nebulosa in Andromedae cinguli parte Borea ante biennium iterum orta, Paris: S. Mabre-Cramoisy, 1667 Bradley, James: „An Account of a new discovered Motion of the Fix’d Stars,“ Philosophical transactions, 35 ([1727-]1728), S. 637-661 — „An apparent Motion observed in some of the fixed Stars“, Philosophical transactions, 45 (1748), S. 1-43 Brahe, Tycho [TBO]: Tychonis Brahe Dani Opera Omnia [TBO], 15 Bde, hg. von J.L.E. Dreyer, Kopenhagen: In Libraria Gyldendaliana, 1913-1929 Bruno, Giordano: La cena de le Ceneri, o.O. [London]: o.N. [J.Charlewood], 1584 (Neudruck: Florenz: Leo S. Olschki, 1999) — De l’infinito[,] universo[,] et mondi, Venedig [London]: o.N. [John Charlewood], 1584 (Neudruck: Florenz: Leo S. Olschki, 1999) — De immenso et innumerabilibus, Frankfurt a.M: Ioannes Wechelus & Petrus Fischerus, 1591

Quellen

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— [1879-1891]: Jordani Bruni Nolani opera latine conscripta, 3 Bde in 8 Teilen, hg. von Francesco Fiorentino, F. Tocco, H. Vitelli, Neapel: D. Morano; Florenz: Le Monnier, 1879-1891 (Neudruck: Stuttgart-Bad Cannstadt: Friedrich Frommann, Günther Holzboog, 1962) Cabeo, Niccolò: Philosophia magnetica, Ferrara: Franciscus Succius, 1629; Köln: J. Kinckium, 1629 — In quatuor libros meteorologicorum Aristotelis commentaria et quaestiones, 4 Bde, Rom: haeredes Fr. Corbellati, 1646 Calcagnini, Celio: Opera aliquot, Basel: o.N., 1544 Campanella, Tommaso: Universalis philosophiae, seu metaphysicarum rerum, iuxta propria dogmata, partes tres, drei Teile in einem Band, Paris: o.N., 1638 (Neudruck: Turin, 1961) Cardano, Girolamo: Opus novum de proportionibus numerorum, motuum, ponderum, sonorum, aliarumque rerum mensurandarum, Basel: Ex officina Henricpetrina, 1570 Carpenter, Nathanael [NC Cosmopolitanus]: Philosophia libera, triplici exercitationum decade proposita, in qua adversus huius temporis philosophos, dogmata quaedam nova discutiuntur, Frankfurt am Main, 1621; Oxford: J. Lichtenfield & J. Short, 1622; Oxford: L. Lichfield, imp. T. Allam, 1636; Oxford, 1675. Cassini, Giovan Domenico, „An Extract of another Letter, written by Signor Cassini to the Publisher, relating to the same subject dated June 28. 1674“, Philosophical transactions, 9 (1674), S. 90-91 Cassini, Jacques: „Réflexions sur une lettre de M. Flamsteed à M. Wallis touchant la parallaxe annuelle de l’étoile Polaire“[5. Dez. 1699], Histoire de l’Académie royale des Sciences avec les Mémoires de Mathématique et de Physique, (1702), S. 177-183 — Elemens d’astronomie, Paris: Imprimerie royale, 1740 Chiaramonti, Scipione: De tribus novis stellis, Cesena: Iosephus Nerius, 1628 — De universo, Köln: Iodocus Kalcoven, 1644 Clavius, Christoph: In Sphaeram Ioannis de Sacro Bosco Commentarius, Rom: Victorius Helianus, 1570 — In sphaeram Ioannis de Sacro Bosco commentarius, in: Clavius, Opera mathematica (16111612), Bd III (1611) (Neudruck mit einem Vorwort herausgegeben von Eberhard Knobloch: Hildesheim: Olms-Weidmann, 1999) — Opera mathematica, 5 Bde, Mainz: Antonius Hierat, 1611-1612 Copernicus, Nicolaus: De revolutionibus orbium coelestium libri sex, Nürnberg: Joh. Petreius, 1543 (Neudruck: New York: Johnson Reprint, 1965; Brüssel: Culture et Civilisation, 1966) — Nicolaus Coppernicus aus Thorn über die Kreisbewegungen der Weltkörper, übers. u. erläutert von C[arl] L[udolf] Menzzer, mit einem Vorwort von Moritz Cantor, hg. von CoppernicusVerein für Wissenschaft und Kunst zu Thorn, Thorn: E. Lambeck, 1879 — Über die Kreisbewegungen der Weltkörper (De Revolutionibus orbium caelestium), zweisprachig, [übers. von Carl Ludolf Menzzer], mit Anmerkungen von Aleksander Birkenmajer, hg. von Georg Klaus, Berlin: Akademie, 1959. — On the revolutions, übers. u. kommentiert von Edward Rosen, hg. von Jerzy Dobrzycki, London: Macmillan, 1978 — De revolutionibus orbium coelestium libri VI [Nürnberg, 1543], in: Nicolaus Copernicus Gesamtausgabe, hg. von Heribert M. Nobis, Menso Folkerts u.a., bisher sechs Bände in sieben Teilen, Berlin (Akademie) und Hildesheim (Gerstenberg), 1974-2002, Bd 2 (besorgt von Heribert Maria Nobis und Bernhard Sticker, Hildesheim: Gerstenberg, 1984)

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— Das neue Weltbild. Drei Texte. Commentariolus, Brief gegen Werner, De revolutionibus I. Im Anhang eine Auswahl aus der Narratio prima des G.J. Rheticus, zweisprachig, übers., erläutert u. hg. von Hans Günter Zekl, Hamburg: Felix Meiner, 1990. Corachán, Juan Bautista: Avisos de Parnaso [1690], Valencia : Viuda de Antonio Bordazar, 1747 Coriolis, Gaspard-Gustave de: Traité de la mécanique des corps solides et du calcul de l’effet des machines, Paris: Carilian-Goeury et Vor Dalmont, 1844 Cusanus, Nicolaus, Nikolaus von Kues. Philosophisch-Theologische Werke, 4 Bde [zweisprachig lateinisch-deutsch], hg. von Karl Bormann, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft [Lizenzausgabe von Felix Meiner Verlag, Hamburg], 2002 Cyrano de Bergerac, Savinien de: Œ uvres complètes, hg. von Madeleine Alcover, Luciano Erba, Hubert Carrier, André Blanc, 3 Bde, Paris: Honoré Champion, 2000-2001 Cysat, Johann Baptist: Mathemata astronomica de loco, motu, magnitudine, et causis cometae qui sub finem anni 1618 et initium anni 1619 in coelo fulsit, Ingolstadt: Eder, 1619 Cysat, Renward: Cosmographische und Warhafftige Beschreibung der Newerfundenen Orientalischen Japponischen Königgreiche, Landtschafften, Inseln, Stätten [1586], Freiburg: Gemperlin, ²1592 Delambre, Jean-Baptiste Joseph: Histoire de l’astronomie moderne, 2 Bde, Paris: Courcier, 1817; ²1821 (Neudruck der 1817er Ausgabe mit einem Nachwort von Otto Neugebauer, New York: Johnson Reprint Corp., 1965) (Neudruck der 1821er Ausgabe mit einem Inhaltsverzeichnis und Einleitung von I. Bernard Cohen: New York, Johnson Reprint Corp., 1969) — Histoire de l’astronomie au dix-huitième siècle, Paris: Bachelier, 1827 Delle Colombe, Ludovico: Contro il moto della Terra [Handschrift o. J., (wohl Ende 1610/ Anfang 1611 laut A. Favaro, OGG III.1: 12)], in: OGG, Bd III.1, S. 251-290 Derham, William (Hg.): Philosophical experiments and observations of Robert Hooke and other eminent virtuoso’s in his time, London: Royal Society, 1726 (Neudruck: London: Cass, 1967) Descartes, René: Œ uvres de Descartes [A&T], 11 Bde, hg. von Charles Adam & Paul Tannery, Paris: Vrin, ²1964-1974; ³1973-1978; 41996 Diels, Hermann/ Kranz, Walther (Hgg.): Die Fragmente der Vorsokratiker, 3 Bde, Zürich: Weidmanm, 61951-1952 Doppelmayr, Johann Gabriel: Atlas novus coelestis, Nürnberg: Heredes Hommanniani, 1742-1747 Du Hamel, Jean Baptiste: Astronomia Physica, seu de luce, natura, et motibus corporum caelestium libri duo [… ] Accessere Petri Petiti Observationes aliquot eclipsium Solis & Lunae : cum Dissertationibus de Latitudine Lutetiae, Declinatione Magnetis, necnon de novo Systemate mundi quod Anonymus dudum proposuit, Paris: Pierre Lamy 1660 Fabri, Honoré: Dialogi physici in quibus de motu terrae disputatur, marini aestus nova causa proponitur, Lyon: Christophori Fourmy, 1665 — / Divini, Eustachio: Brevis annotatio in Systema Saturnium Christiani Eugenii, Rom: Iacobus Dragondellus, 1660 Fabricius, Johannes: De maculis in Sole observatis, et apparente earum cum Sole conversione narratio. Wittenberg: Typis Laurentii Seuberlichii/ impensis Iohan. Borneri senioris & Eliae Rehefeldii bibliop. Lips., 1611 Feller, François Xavier de: Observations philosophiques sur les Systèmes de Newton, le Mouvement de la Terre & la Pluralité des Mondes. Dialogues des morts sur le séjour des vivans, Paris: Charles-Pierre Berton, Libraire, 1772, ²1778 Flamsteed, John: The Correspondence of John Flamsteed, the first Astronomer royal, 3 Bde, hg. von Eric G. Forbes, Lesley Murdin, Frances Willmoth, Bristol und Philadelphia: Institute of Physics, 1995-2002

Quellen

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Fontenelle, Bernard Le Bovier de: Entretiens sur la pluralité des mondes, Paris: Vve C. Blageart, 1686; Paris: Michel Brunet, 71724 [dritte Auflage der siebten Ausgabe] Francisci, Erasmus: Das eröffnete Lust-Haus der Ober- und Nieder-Welt bey mehrmaliger Unterredung, Nürnberg: Endter, 1676 (Neudruck: New Haven : Research Publications, 1969) Froidmont, Libert [Fromondus]: Ant-Aristarchos sive orbis-terrae immobilis, Antwerpen: Balthasar Moret, 1631 Gadroys, Claude: Le système du monde selon les trois hypothèses, Paris: Guillaume Desprez, 1675 Galilei, Galileo: [OGG] Le Opere di Galileo Galilei. Edizione Nazionale, hg. von Antonio Favaro, 20 Bde, Florenz: G. Barbèra, 1890-1909 (Neudruck: Florenz 1964-1968) — Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme das ptolemäische und das kopernikanische, übers. und erläutert von Emil Strauss [Leipzig: Teubner, 1891], mit einem Beitrag von Albert Einstein, mit Vorwort und weiteren Erläuterungen von Stillman Drake, hg. von Roman Sexl u. Karl von Meyenn, Stuttgart: B.G. Teubner, ²1982 — Dialogue Concerning the Two Chief World Systems –Ptolemaic & Copernican, übers. u. kommentiert von Stillman Drake, Berkeley: University of California, ³1962 — Dialogo sopra i due massimi sistemi del mondo tolemaico e copernicano, 2 Bde, hg. u. kommentiert v. Ottavio Besomi und Mario Helbing, Padua: Antenore, 1998 — Systema cosmicum: in quo quatuor dialogis, de duobus maximis mundi systematibus, Ptolemaico & Copernicano, utriusque rationibus philosophicis ac naturalibus indefinite propositis, disseritur [Übers. des Dialogo (1632)], aus dem Italienischen übersetzt [von Matthias Bernegger], Straßburg: Impensis Elzeviriorum, typis Davidis Hautti, 1635 Gassendi, Pierre: Institutio astronomica, Paris: Ludovicus de Heuqueville, 1647 (Neudruck: Turin, 1961) — [GOO] Opera omnia in sex tomos divisa, Lyon: Laurentius Anisson & Ioan. Bapt. Devenet, 1658 (Neudruck: Stuttgart-Bad Cannstadt: Friedrich Frommann, Günther Holzboog, 1964) Gilbert, William: De magnete, magneticisque corporibus, et de magno magnete tellure Physiologia nova, plurimis & argumentis, & experimentis demonstrata, London: Petrus Schort, 1600 — De mundo nostro sublunari philosophia nova, Amsterdam: Ludovicus Elzevirius, 1651 Giuntini, Francesco: La sfera del mondo, Lyon: Simforiano Beraud, 1582. Godwin, Francis: The man in the moone, or a discourse of a Voyage thither by Domingo Gonsales. The speedy Messenger, London: Ioshua Kirton und Thomas Warren, 1638; London: Joshua Kirton, ²1657 — L’Homme Dans la Lune. Ou Le Voyage Chimerique fait au Monde de la Lune nouvellement découvert par Dominique Gonzales, Advanturier Espagnol, autrement dit le Courrier Volant, übers. von Jean Baudoin [1590-1650], Paris: François Piot und I. Guignard, 1648; Paris: Sommaville, ²1654 — Het [...] deel van de Man in de maen : Of te een kort verhael, van een reyse, ghedaen in de planeet Marcurio Domingo Gonzales, [niederländischer Übersetzer unbekannt], Den Haag: van Houten, 1651 — Der fliegende Wandersmann nach den Mond oder Eine gar kurtzweilige und seltzame Beschreibung der neuen Welt deß Monds Wie solche von einem gebornen Spanier Dominico Gansales, aus dem Französischen übers. von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen [16221676], Wolfenbüttel: Bey den Sternen, 1659 — Der fliegende Wandersmann nach dem Mond oder Eine gantz kurtzweilige und seltzame Beschreibung der Neuen Welt des Monds : wie solche von einem gebornen Spanier mit Namen Dominico Gonsales beschrieben, aus dem Französischen übersetzt [von Balthasar Venator], o.O [?Nürnberg]: o.N, 1660

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Verzeichnisse

Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe, hg. von Karl Richter, Herbert Göpfert, Norbert Miller und Gerhard Sauder, 21 in 26 Bden, München: Carl Hanser, 1985-1994 Goodricke, John: „A series of observations on, and a discovery of, the period of the variation of the light of the bright star in the Head of Medusa, called Algol“, Philosophical transactions, 73 (1783), S. 474-482 Gregory, David: Astronomiae physicae et geometricae elementa, Oxford: e theatro Sheldoniano, 1702 Gregory, James: „An Account of a Controversy betwixt Stephano de Angelis [sic], Professor of the Mathematicks in Padua, and Joh. Baptista Riccioli Jesuite, as it was communicated out of their lately Printed Books“, Philososphical transactions, 3 (1668), S. 693-698 Gruithuisen, Franz [von] Paula: Über die Natur der Kometen mit Reflexionen auf ihre Bewohnbarkeit und Schicksale, bey Gelegenheit des Kometen von 1811, München: Ignatz Lentner, 1811 Guericke, Otto von: Experimenta nova (ut vocantur) Magdeburgica de Vacuo Spatio, Amsterdam: Johannis Janssonius a Waesberge, 1672 (Neudruck: Aalen: Otto Zeller, 1962; Halle an der Saale: Janos Stekovics, 2002) Habrecht, Isaak: Kurze und Gründliche Beschreibung Eines Newen ungewohnlichen Sterns oder Cometen. Welcher anfangs vor der Sonnen Auffgang nachmahlen auch nach ihrem Undergang gestrimet mit einem besonderen Lauff oder bewegung schlims durch den Bootem, oder Berenhüter in dem zeichen der Wag im November und December diß 1618. Jahr erschienen. Beschrieben durch Isaac Habrecht der Philosophy und Arzney Doctor, Straßburg: Johann Carolo, o.J. [1619] Halley, Edmond: „A short History of the several New-Stars that have appear’d within these 150 Years; with an Account of the Return of that in Collo Cygni, and of its Continuance observed this Year 1715”, Philosophical transactions, 29 (1714-1716), S. 354-356 — „Considerations on the Change of the Latitudes of some of the principal fixt Stars“, Philosophical transactions, 30 (1717-1719), S. 736-738 Harvey, William: Exercitatio anatomica de motu cordis et sanguinis in animalibus, Frankfurt a.M.: Guilielmus Fitzerus, 1628; Leiden: Ioannes Maire, 1639; Rotterdam: Arnoldus Leers, 1654 Herschel, William [Friedrich Wilhelm]: „On the Parallax of the Fixed Stars“, Philosophical transactions, 72 (1782a), S. 82-111 — „Catalogue of Double Stars“, Philosophical transactions, 72 (1782b), S. 112-162 — „Account of the Changes that have happended during the last Twenty-five Years, in the relative Situation of Double-stars, with an Investigation of the Cause to which they are owing“, Philosophical transactions, 93/2 (1803), S. 339-382, und 94/2 (1804), S. 353-384 — The Scientific Papers of Sir William Herschel, 2 Bde, hg. von J.L.E. Dreyer, London: Royal Society and Royal Astronomical Society, 1912 (Neudruck: Chicago: Chicago University, 2003) Hevelius, Johannes: Selenographia sive Lunae descriptio, Danzig: Hünefeld, 1647 Hill, Nicholas: Philosophia epicurea, democritiana, theophrastica proposita simpliciter, non edocta, Paris: R. Thierry, 1601; zweite Ausgabe, hg. von Angelo Poliziano [eigtl. Ambrogini] Genf: Officina Fabriana, ²1619 Hodierna, Giovanni Battista: De systemate orbis cometici deque admirandis coeli characteribus, 2 Teile in einem Bd, Palermo: Nicolaus Bua, 1654 — Il Nuntio Pio Della Stella Nuova Recentemente comparsa nel Cielo, Palermo: Diego Bua, 1659

Quellen

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Holwarda, Johannes Phocylides: id est dissertatio astronomica quae occasione ultimi lunaris anni 1638 deliquiimanductio sit ad cognoscendum, Franeker: Theuring, 1640 Hooke, Robert: Micrographia, or some Physiological Descriptions of minute bodies made by magnifying glasses, with Observations and Inquiries therupon, London: Jo. Martyn and Ja. Allestry, 1665 — An Attempt to Prove the Motion of the Earth from Observations, London: By T.R. for John Martyn, 1674 (auch in: Hooke, Lectiones Cutlerianae, London, 1679, n° one) — Some animadversions on the First Part of Hevelius, his ‘Machina Coelestis’, London: John Martyn, 1674 — Cometa, London: J. Martyn, 1678 (auch in: Hooke, Lectiones Cutlerianae, London, 1679, n° 5) — Lectiones Cutlerianae: or a collection of lectures: Physical, Mechanical, Geographical, & Astronomical. Made before the Royal Society on several Occasions at Gresham Colledge. To which are added divers Miscellaneous Discourses, London: John Martyn, 1679 (Neudruck in Robert T. Gunther u.a. (Hgg.), Early science in Oxford, 15 Bde, Oxford: Oxford University, 1922-1967, Bd VIII (1931) (Neudruck: London: Dawsons of Pall Mall, 1968)) Horrebow (Horrebov), Peder Nielsen: Copernicus triumphans, sive de parallaxi orbis annui tractatus epistolaris, Kopenhagen: Sumptibus Authoris, [30.Nov.] 1727 Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung, 5 in 6 Bden, Stuttgart und Tübingen: Cotta, 1845-1862 Huygens, Christiaan: „An Extract of Monsieur Christian Hugens de Zulichem his Letter to the Publisher, of the 15th of May 1674 from Paris, touching his thoughts of Mr. Hook’s Observations for proving the Motion of the Earth,”Philosophical transactions, 9 (1674), S. 90 — [HOC] Oeuvres complètes de Christiaan Huygens, 22 Bde, hg. von der Société Hollandaise des sciences, Den Haag: M. Nijhoff, 1888-1950 Ingoli, Francesco: De situ et quiete terrae contra Copernici systema disputatio [Handschrift von 1615], in OGG, Bd V, S. 403-412 Institutum Societatis Iesu, 3 Bde, [hg. von der Gesellschaft Jesu], Florenz: A SS. Conceptione, 1892-1893 Kant, Immanuel: Immanuel Kants Werke, 10 Bde, hg. von Ernst Cassirer, Berlin: Bruno Cassirer, 1922-1923 Kepler, Johannes: Gesammelte Werke [KGW], bisher 21 in 32 Bden, hg. von Walther Dyck, Max Caspar und Franz Hammer, München: C.H. Beck, 1938-2002 Kirch, Gottfried: „De varia apparentia stellae in collo Cygni“, Miscellanea Berolinensia ad incrementum scientiarum, 1 (1710), S. 208-212 — „De varia apparentia Stellae novae in Collo Cygni Narratio“ [1710], Philosophical transactions, 29 (1714-1716), S. 226-228 La Galla, Giulio Cesare: De Phaenomenis in orbe lunae novi telescopii usu a D. Gallileo Gallileo nunc iterum suscitatis physica disputatio, Venedig: Balionus, 1612 La Lande, Jérôme de: Astronomie, 2 Bde, Paris: Desaint & Saillant, 1764; 4 Bde, Paris: Desaint, ²1771-1781; 3 Bde, Paris: Desaint, ³1792 Lansberge, Philip van: Progymnasmatum astronomiae restitutae liber I de motu Solis, Middelburg: Richard Schilders, 1619 — Opera omnia, Middelburg: Zacharias Roman, 1663 — Commentationes in motum terrae diurnum, & annuum, et in verum adspectabilis coeli typum [1629], Middelburg: Zacharias Roman, 1651 Le dictionnaire de l’Académie françoise, 2 Bde, Paris: Jean-Baptiste Coignard, 1694

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Verzeichnisse

Liebknecht, Johann Georg: Sidus boreale stella noviter detecta stipatum et [… ] Ludovicianum nuncupatum, Gießen: Vulpius, 1723 — Uberior stellae Ludovicianae noviter detectae […] publicatae consideratio, nonnullorum dubiis et iniquis praesertim scommatibus Ludov. Phil. Thümmigii inter Hallenses A. O. P. novi cujusdam rerum naturalium tentatoris opposita, Gießen: Joh. Müller, 1723 Longomontanus, Christian Sørensen: Astronomia danica, Amsterdam: Guiljelm I. Caesius, 1622; Amsterdam: Ioh. & Cornelius Blaeu, ²1640 Mästlin, Michael: Epitome astronomiae, Heidelberg: Mylius, 1582 Maskelyne, Nevil: „A Proposal for discovering the Annual Parallax of Sirius“, Philosophical transactions, 51/2 (1760), S. 889-895 Mayer, Christian: „Astronomical Observations made at Swetzingen, in the Years 1767 and 1768; extracted from several Letters written to Charles Morton, M.D. Sec. R.S. and one to the late Earl of Morten. By Father Christian Mayer, F.R.S. Astronomer to the Elector Palatine“, Philosophical transactions, 58 (1769), S. 345-354 — Gründliche Vertheidigung neuer Beobachtungen von Fixsterntrabanten, Mannheim: Hof- u. Akademie-Buchdruckerei, 1778 — De novis in coelo sidereo phaenomenis in miris stellarum fixarum comitibus, Mannheim: Elector. Aulica & Academica, 1779; ²1780 in: Acta Academiae Theodoro-Palatinae, 4, pars physica, (1780), S. 259-384 Mazzoni, Jacopo: In universam Platonis et Aristotelis philosophiam praeludia, Venedig: Guerilius, 1597 Megerlin, Peter: Systema mundi copernicanum, argumentis invictis demonstratum, & conciliatum Theologiae, Amsterdam: Henr. Wetstenius, 1682 Mersenne, Marin: Quæstiones celeberrimæ in Genesim, cum accurata textus explicatione, Paris: Sebastian Cramoisy, 1623 — Les questions théologiques, physiques, morales, mathématiques, Paris : Henry Guénon, 1634 — Harmonie universelle contenant la théorie et la pratique de la musique, 3 Bde, Paris: Sebastian Cramoisy, 1636 (Neudruck mit einer Einleitung von François Lesure, Paris: Éditions du Centre National de la Recherche Scientifique, 1965) — Harmonicorum libri XII, Paris: Guillem Baudry, 1648 (Neudruck: Genf: Minkoff, 1972) — Correspondance du P. Marin Mersenne religieux minime, 17 Bde, hg. von Cornelis de Waard und Armand Beaulieu, Paris: puf, 1945-1988 Michell, John: „An Inquiry into the probable Parallax, and Magnitude of the fixed Stars, from the Quantity of Light which they afford us, and the particular Circumstances of their Situation“, Philosophical transactions, 57 (1767), S. 234-264 — „On the Means of discovering the Distance, Magnitude, &c. of the Fixed Stars, in consequence of the Diminution of the Velocity of their Light, in case such a Diminution should be found to take place in any of them, [… ]“, Philosophical transactions, 74 (1784), S. 35-57 Montaigne, Michel Eyquem de: Œ uvres complètes, hg. von Albert Thibaudet und Maurice Rat, Paris: Gallimard, 1962; 1992 (Bibliothèque de la Pléiade) Monumenta Ignatiana. Ex autographis vel ex antiquioribus exemplis collecta. Series tertia, 3 Bde, [hg. von der Gesellschaft Jesu], Rom: Pontificia Universitas Gregoriana, 1934-1938 Morin, Jean-Baptiste: Famosi et antiqui problematis de telluris motu vel quiete hactenus optata solutio, Paris: apud authorem, 1631 Murr, Christoph Gottlieb von: Journal zur Kunstgeschichte und zur allgemeinen Litteratur, 17 Bde, Nürnberg: Johann Eberhard Zeh, 1775-1789

Quellen

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Newton, Isaac: „A new Theory about Light and Colours“, Philosophical transactions, 80 (1671/ 1672), S. 3075-3087 (Neudruck in: Isaac Newton's papers and letters on Natural Philosophy, hg. von I. Bernard Cohen, Cambridge (Mass.): Harvard Uninversity, 1958, S. 47 ff.) — Philosophiae naturalis principia mathematica, London: Royal Society, 1687; 1713; 1726 Nicot, Jean (Hg.): Thresor de la Langue Françoyse, tant Ancienne que Moderne, Paris: D. Douceur, 1606; ²1621 Nieuhof, Johan (Hg.): An embassy from the East-India Company of the United Provinces to the Grand Tartar Cham Emperour of China, übers. von John Ogilby, London: John Macock, 1969; zweite, erweiterte Ausgabe in 2 Bden, London: o.N., 1673 Olbers, Wilhelm: „Noch etwas über den Ludwigs-Stern“, Monatliche Korrespondenz zur Beförderung der Erdkunde und Himmelskunde, 8 [Dez. 1803], S. 528-531 — Wilhelm Olbers. Sein Leben und seine Werke, 2 in drei Bden, hg. von Carl Schilling, Berlin: Julius Springer, 1894-1909 Oldenburg, Henry (Heinrich): The Correspondence of Henry Oldenburg, hg. u. übers. von A. Rupert Hall u. Marie Boas Hall, 13 Bde, Madison und Milwaukee: The University of Wisconsin, 1965-1986 Origanus, David: Novae motuum coelestium ephemerides Brandenburgicae, Frankfurt a. d. Oder: Eichornius, 1609 Ozanam, Jacques: Dictionnaire mathématique ou idée générale des mathématiques, Paris: Estienne Michallet, 1691 (Neudruck : Paris: Institut de recherche sur l’enseignement des mathématiques de l’Université de Paris VII, 1982) Pachtler, G. Michael (Hg.): Ratio studiorum et institutiones scholasticae Societatis Iesu, 4 Bde, Berlin: Hofmann & Comp., 1887-1894 Pascal, Blaise: Œ uvres complètes, 3 Bde, hg. u. kommentiert von Jean Mesnard, Paris: Desclée de Brouwer, 1964-1991 — Pensées, 2 Bde, hg. von Michel Le Guern, Paris: Gallimard, 1977; ²1993 Patrizi da Cherso, Francesco Nova de universis philosophia, Ferrara: Benedictus Mammerellus, 1591; Venedig: Meiettus 1593 (Neudruck der 1591er Ausgabe: Zagreb, 1979) Peiresc, Nicolas Claude Fabri de: Lettres de Peiresc, hg. von Philippe Tamizey de Larroque, 7 Bde, Paris: Imprimerie nationale, 1888-1898 Penneman, Franciscus (Hg.): Novem stellae circa Iovem, circa Saturnum sex, circa Martem nonnullae, a P. Antonio Reita detectae & satellitibus adiudicatae, de primis (& si mavelis de universis) D. Petri Gassendi iudicium Jo. Caramul Lobkowitz eiusdem iudicii censura, Louvain: Bouvetius, 1643 Piazzi, Giuseppe: Præcipuarum stellarum inerrantium positiones mediæ ineunte seculo XIX ex observationibus habitis in specula Panormitana ab anno 1792 ad 1802, Palermo: Typis regiis, 1803; 1814 Piccolomini, Alessandro: De la sfera del mondo, Venedig: Varisco, 1559 Pingré, Alexandre-Guy: Annales célestes du six-septième siècle [ca. 1756], hg. von Guillaume Bigourdan, Paris: Gauthier-Villars, 1901 Polacco, Giorgio: Anticopernicus catholicus, seu de terræ statione, et de solis motu, contra systema copernicanum, catholicæ assertiones, Venedig: Guerilius, 1644 Priestley, Joseph: History and Present State of Discoveries relating to Vision, Light and Colors, London: Johnson, 1772 (Neudruck: Millwood/N.Y.: Kraus Repr., 1978) Ptolemaios, Klaudios: Almagestum Cl. Ptolemei Pheludiensis Alexandrini Astronomorum principis: Opus ingens ac nobile omnes Celorum motus continens, Venedig: Peter Liechtenstein, 1515

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Verzeichnisse

— Almagestum seu Magnae constructionis mathematicae opus plane divinum latina donatum lingua ab Georgio Trapezuntio usquequaque doctissimo, Venedig: Luca Gaurico, 1528 —

. . ’[.] . ’[.] Claudii Ptolemaei Magnae constructionis, id est perfectae coelestium motuum pertractionis lib. XIII. Theonis Alexandrini in eosdem Commentariorum lib. XI., Basel: Johannes Walder, 1538 — Composition mathématique de Claude Ptolémée, 2 Bde, hg. u. übers. von Nicolas B. Halma, mit Anmerkungen von Jean-Baptiste-Joseph Delambre, Paris: Henri Grand, 1813 (Bd I) und Paris: J.-M. Eberhart, 1816 (Bd II) — Syntaxis mathematica, 2 Bde, hg. von Johan L. Heiberg, Leipzig: Teubner, 1898-1903 — Des Claudius Ptolemäus Handbuch der Astronomie, 2 Bde, übers. u. kommentiert von Karl Manitius, Leipzig: B.G. Teubner, 1912-1913 Raimarus Ursus, Nicolaus: Fundamentum astronomicum id est nova doctrina sinuum et triangulorum eaque absolutissima et perfectissima, eiusque usus in astronomica calculatione & observatione, Straßburg: Bernhard Iobin, 1588 Ranke, Leopold [von]: Die römischen Päpste, ihre Kirche und ihr Staat im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert, 3 Bde, Berlin: Duncker und Humblot, 31844-1845 (in der Serie: ders., Fürsten und Völker von Süd-Europa im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert. Vornehmlich aus ungedruckten Gesandtschafts-Berichten, 4 Bde, Berlin: Duncker und Humblot, 18371845, Bde 2-4) Regiomontanus, Johannes: Epytoma Joannis de monte regio in almagestum Ptolomei, Venedig: Per Johannem Hamman de Landoia, 1496 Renieri, Vincenzo: Tabulae Mediceae secundorum mobilium universales, Florenz: Amator Massa & Laurentius de Laudis, 1639 Rheita, Antonius Maria Schyrleus de: Oculus Enoch et Eliae sive radius sidereomysticus, zwei Teile in einem Bd, Antwerpen: Hieronymus Verdussius, 1645 — in: Penneman, Franciscus (Hg.): Novem stellae circa Iovem, circa Saturnum sex, circa Martem nonnullae, a P. Antonio Reita detectae & satellitibus adiudicatae; de primis (& si mavelis de universis) D. Petri Gassendi iudicium Jo. Caramul Lobkowitz eiusdem iudicii censura, Louvain: Bouvetius, 1643 Rheticus, Georgius Ioachim: Ad clarissimum virum D. Ioannem Schonerum, de libris Revolutionum […] Nicolai Copernici […] Narratio prima, Danzig: Franciscus Rhode, 1540; Basel: R. Winter, 21541 (Neudruck der 1540er Ausgabe –Osnabrück: Otto Zeller, 1965) Riccioli, Giambattista: [AN] Almagestum novum astronomiam veterem novamque complectens, zwei Teile in einem Bd [von insgesamt drei geplanten Bden], Bologna: Vittorio Benacci, 1651; Frankfurt: Johannes Beyer, 1653 — Astronomia reformata, 2 Bde, Bologna: Vittorio Benacci, 1665 Richelet, Pierre (Hg.): Dictionnaire françois contenant les mots et les choses, Genf: Jean Herman Widerhold, 1680 Scheiner, Christoph / Locher, Johann Georg: Disquisitiones mathematicae, de controversiis et novitatibus astronomicis […] sub praesidio Christophori Scheiner, Ingolstadt: Ederianus/ Elisabeth Angermaria, 1614 — Rosa ursina sive sol, Bracciani: Andreas Phaeus, 1630 — Prodromus pro sole mobili et terra stabili, o.O. [Neisse]: o.N. , 1651 Schott, Kaspar: Iter extaticum coeleste […] Iter exstaticum terrestre, hg., überarbeitet und kommentiert von Kaspar Schott, Würzburg: Erben Johann Andreas u. Wolfgang jun. Endter, 1660; 1671

Quellen

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— Cursus mathematicus, Würzburg: Erben Joannis Godefredus Schönwetter/ Jobus Hertz, 1661 — La ‘Technica curiosa’[1664] di Kaspar Schott, hg. von Michael John Gorman u.Nick Wilding, übers. u. kommentiert von Maurizio Sonnino, Rom: Enel, 2000, S. 253-283 Seneca, Lucius Annaeus, Ricerche sulla natura [Naturales quaestiones], hg. von Piergiorgio Parroni, Mailand: Arnoldo Mondadori, 2002 (Fondazione Lorenzo Valla) Steuco, Agostino: Recognitio veteris testamenti ad hebraicam veritatem, Venedig: o.N., 1529; Lyon: Gryphius, 1531 — Cosmopoeia vel de mundano Opificio, Lyon: Gryphius, 1535 Stevin, Simon: Les Oeuvres mathematiques de Simon Stevin de Bruges, hg., übers. u. kommentiert von Albert Girard, Leiden: Bonaventure & Abraham Elsevier, 1634 Tacquet, Andreas: Opera mathematica, Antwerpen: Iacobus Meursius, 1669 Tanner, Adam: Dissertatio peripatetico-theologica de coelis, Ingolstadt: G. Haenlin, 1621 Thümmig, Ludwig Philipp: Versuch einer gründlichen Erläuterung der merckwürdigsten Begebenheiten in der Natur, worduch man zur innersten Erkenntnis derselben geführet wird, Halle/ Saale: Spörl, 1723; Marburg: Müller, 1735 (Neudruck der Ausgabe von 1723 in: Christian Wolff, Gesammelte Werke, Hildesheim: Olms, Bd 3,54 (1999)) Voltaire: Elémens De La Philosophie de Neuton, Amsterdam: Ledet, 1738 Wallis, John: „A Proposal concerning the Parallax of the Fixed Stars, in Reference to the Earths Annual Orb,“Philosophical transactions, 17 (1693), S. 844-849 — Opera mathematica, 3 Bde, Oxford: Theatrum Sheldonianum, 1693-1699 (Neudruck: Hildesheim und New York: Georg Olms, 1972) Whiston, William: Praelectiones astronomicae, Cambridge: typis academicis, 1707 — Praelectiones physico-mathematicae, Cambridge: typis academicis, 1710 Wilde, Emil: Geschichte der Optik, vom Ursprunge dieser Wissenschaft bis auf die gegenwärtige Zeit, 2 Bde, Berlin: Rücker und Püchler, 1838-1843 (Neudruck: Wiesbaden, 1968) Wilkins, John: The Discovery of a World in the Moone. Or a discourse tending to prove, that ‘tis probable there may be another habitable World in that Planet, London: Michael Sparke und Edward Forrest, 1638 (Neudruck: Amsterdam: Theatrum Orbis Terrarum; New York: Da Capo, 1972; Hildesheim: Olms, 1981) Wolff, Christian: Elementa matheseos universae. Tomus III, […] Editio nova priori multo auctior et correctior, Halle: Officina Rengeriana, 1735 (Neudruck in: Christian Wolff: Gesammelte Werke, Hildesheim: Georg Olms, Bd 31 (1968)) — Gesammelte Werke, bisher 87 Bde, hg. von J. Ecole, J. E. Hofmann, M. Thomann, H. W. Arndt, Hildesheim: Georg Olms, 1962-2004 Wren, Stephen: Parentalia, or, memoirs of the family of the Wrens, London: T. Osborn, 1750 (Neudruck: Farnborough (Hants, England): Gregg, 1965) Zucchi, Nicolò: Nova de Machinis philosophia, Rom: Typis Haeredum Menelphij, 1649

Werke nac h 1850 Adams, Frank D.: The Birth and Development of the Geological Sciences, [Baltimore: Williams & Wilkins, 1938], New York: Dover, 1990 Åkerman, Susanna: Queen Christina of Sweden and her Circle. The Transformation of a Seventeenth-Century Philosophical Libertine, Leiden: Brill, 1991 Allgemeine Deutsche Biographie [ADB], 56 Bde, hg. von der Historischen Commission bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften, Leipzig: Duncker & Humblot, 1875-1912

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Verzeichnisse

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ABBILDUNGEN

Abb. 1

Frontispiz der Würzburger Ausgabe von Kirchers ‘Ekstatischer Reise’ aus: Kaspar Schott (Hg.), Iter extaticum coeleste, Würzburg, 1660............................ 10

Abb. 2

Sechs Weltsysteme aus: Kaspar Schott (Hg.), Iter extaticum coeleste, Würzburg, 1660, S. 37.................. 64 Fixsternraum aus: René Descartes, Principia philosophiae, Amsterdam, 1644, S. 78...................... 68

Abb. 3 Abb. 4

Abb. 5 Abb. 6 Abb. 7

Erdbewegung und Parallaxenwinkel p (a) bei traditioneller Fixsternentfernung (b) bei copernicanischer Fixsternentfernung ............................................................. 77 Traditionelles Kosmos-Modell aus: Kaspar Schott (Hg.), Iter extaticum coeleste, Würzburg, 1660, S. 22bis ............... 84 Frontispiz des Almagestum novum (Bologna, 1651) von Giambattista Riccioli .......... 88 ‘Archimedean engine’(Zenitteleskop zur Entdeckung der Fixsternparallaxe) aus: Robert Hooke, An Attempt to Prove the Motion of the Earth, London, 1674, Tafel I, Fig. 4..........................................................................................................156

Abb. 8

Relative Methode zum Nachweis der Fixsternparallaxe (a) Ramponis Skizze für Galilei (1611) (b) Galileis Skizze im Dialogo (1632) .....................................................................176

Abb. 9

„Dreikörperstern“und „gewisse andere Sterne“ aus: Antonius Maria Schyrleus de Rheita, Oculus Enoch et Eliae, Amsterdam, 1645, Tafel G, Fig. 6 und 7...............................................................................................237 Direkte Methode zum Nachweis der Fixsternparallaxe und parallaktischer Kreis......256

Abb. 10 Abb. 11

Relative Methode zum Nachweis der Fixsternparallaxe aus: Giovanni Battista Hodierna, De systemate, Palermo, 1654, S. 35.......................272

Abb. 12

Historischer und historiographischer Bruch durch die kosmologische Kontroverse: Indizien einer Siegergeschichte ...............................................................................312

Abb. 13

„Kometenkern“bzw. „Sternhaufen“ aus: Johann Baptist Cysat, Mathemata astronomica, Ingolstadt, 1619, S. 74.............316

NAMEN

A Achill (Achilleus/ Achilles) 90, 98, 117, 118, 140, 162, 371 Aëtios 33 Aguilón, François de 129, 130, 354, 376 Ailly, Pierre de 99 Albategnius Siehe (al-)Battani Alexander VII., Papst 19, 20, 21, 245 Alfraganus Siehe (al-)Farghani Alpetragius Siehe (al-)Bitruji Angeli, Stefano degli 30, 206, 279, 280, 354, 358 Anselm von Canterbury 18 Aquaviva, Claudio 116 Arbizio (Arbicius), Celidonio 24, 27, 28, 224, 327 Arckenholtz, Johan 19, 354 Argoli, Andrea 63, 239, 240, 354 Aristarch von Samos 76, 77, 79, 97, 207, 376 Aristoteles 23, 24, 33, 37, 58, 76, 79, 99, 141, 296, 298, 348 Arpe, Peter Friedrich 199, 354 Astunica, Didacus, Siehe Zúñiga, Diego de 207 Augustinus 331, 332, 336 Aversa, Raphaël 116, 227, 228, 229, 242, 354 B Bacon, Francis 163 Baily, Francis 283, 354 Ball (Balle), William 283, 313 Baranzano, Redento (Giovanni Antonio) 61, 140, 142, 143, 354 (al-)Battani (Albategnius) 109 Bayer, Johann 240, 280, 322, 323, 354 Bellarmin, Robert 116 Bernegger, Matthias 153, 357 Bessel, Friedrich Wilhelm 264, 276, 313 Birch, Thomas 278, 279, 280, 288, 354 (al-)Bitruji (Alpetragius) 95, 96, 354 Blaeu, Willem Janszoom 239 Bode, Johann Elert 183, 354 Borelli, Alfonso Giovanni 153, 279, 354 Borri, Christoforo 116

Boulliau, Ismaël 18, 72, 73, 99, 116, 150, 201, 240, 242, 243, 297, 299, 307, 313, 354 Bradley, James 160, 161, 166, 177, 257, 261, 262, 276, 282, 283, 285, 286, 287, 288, 289, 305, 308, 313, 354, 376 Brahe, Tycho 16, 17, 63, 64, 72, 73, 80, 93, 96, 97, 98, 99, 106, 107, 108, 109, 113, 116, 117, 159, 160, 162, 167, 168, 169, 170, 185, 193, 201, 211, 212, 215, 228, 229, 239, 242, 264, 280, 285, 297, 298, 300, 313, 318, 352, 354, 367, 369, 372, 373, 375, 377 Bruno von Köln 18 Bruno, Giordano 18, 56, 69, 83, 163, 199, 200, 203, 205, 207, 226, 228, 229, 242, 262, 296, 354, 359, 366, 373, 374 C Cabeo, Niccolò 103, 152, 355 Calcagnini, Celio 36, 110, 111, 162, 163, 207, 355, 370 Campanella, Tommaso 63, 67, 205, 298, 300, 355 Campani, Giuseppe 258, 303 Capella, Martianus 63 Caramuel y Lobkowitz, Juan 235, 238, 239, 241, 245, 247, 248, 268, 366 Cardano, Girolamo 91, 355 Cardi, Lodovico (Cigoli) 174, 175 Carpenter, Nathanael (NC Cosmopolitanus) 63, 111, 112, 355 Carrafa, Vincenzo 17 Casati, Paolo 19, 20 Cassini, Giovan Domenico (Cassini I) 218, 282, 289, 292, 313, 355 Cassini, Jacques (Cassini II) 262, 284, 285, 313, 355 Castelli, Benedetto 165, 178, 179, 180, 181, 182, 184, 185, 187, 188, 189, 257, 269, 271, 273, 304, 306, 313, 324, 325, 375 Cattenius, Otto 16, 371 Chanut, Pierre 200 Charleton, Walter 102 Chiaramonti, Scipione 90, 93, 94, 99, 239, 355 Chigi, Fabio Siehe Alexander VII.

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Verzeichnisse

Christine (Christina), Königin von Schweden 11, 18, 19, 20, 21, 46, 52, 200, 354 Cicero, Marcus Tullius 22, 50 Cigoli Siehe Cardi, Lodovico Clavius, Christoph 16, 58, 72, 73, 89, 97, 99, 141, 142, 175, 181, 185, 201, 260, 280, 355, 364, 367, 370, 371, 372, 377 Copernicus, Nicolaus 14, 16, 34, 36, 37, 49, 50, 53, 54, 55, 61, 63, 65, 72, 73, 76, 78, 79, 80, 92, 93, 99, 102, 104, 110, 112, 113, 117, 118, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 147, 148, 150, 151, 152, 154, 157, 158, 159, 160, 162, 163, 164, 165, 166, 167, 168, 169, 170, 171, 172, 173, 175, 190, 205, 206, 207, 250, 255, 261, 263, 264, 274, 283, 285, 286, 290, 293, 294, 295, 296, 297, 298, 299, 300, 303, 304, 305, 309, 311, 313, 338, 339, 344, 355, 359, 368, 369, 370, 371, 376 Corachán, Juan Bautista 58, 356 Coriolis, Gaspard-Gustave de 153, 356 Cornaeus, Melchior 42, 83 Cresti, Domenico (Passignano) 174, 175, 176 Cusanus, Nicolaus 24, 25, 54, 69, 110, 203, 204, 205, 206, 207, 208, 269, 330, 356, 372 Cyrano de Bergerac, Savinien de 50, 356 Cysat, Johann Baptist 55, 116, 188, 235, 236, 268, 269, 270, 301, 302, 309, 310, 313, 317, 318, 319, 320, 321, 322, 323, 324, 325, 352, 356, 373 Cysat, Renward 317, 356 D Dante Alighieri 50 Delambre, Jean-Baptiste Joseph 135, 232, 243, 262, 285, 311, 356, 362 Delle Colombe, Ludovico 90, 137, 166, 356 Demokrit von Abdera 34, 51, 56, 340, 358, 367 Derham, William 282, 292, 356 Descartes, René 18, 55, 68, 77, 82, 116, 130, 143, 152, 157, 163, 199, 200, 201, 205, 220, 296, 351, 356, 365 Deusing, Antonius 118 Diodati, Elias 153, 368 Divini, Eustachio 159, 267, 356, 376 Dominis, Antonius de 130 Doppelmayr, Johann Gabriel 158, 356 Du Hamel, Jean Baptiste 77, 356

Dubitationes-Autor (anonym) 29, 30, 33, 208, 209, 211, 212, 229, 352 Duneau (Dunellus), François 24, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 37, 38, 43, 44, 224, 327, 328, 373 E Epikur 34, 56, 340, 358 Ernst Ludwig, Landgraf von HessenDarmstadt 179 Euler, Leonhard 218 F Fabri, Honoré 58, 123, 157, 158, 159, 356 Fabricius, David 174, 240, 368 Fabricius, Johannes 174, 356 (al-)Farghani (Alfraganus) 72, 90, 97, 109 Feischl, Philip 322, 352 Feller, François Xavier de 96, 293, 356 Ferdinand II von Medici 26 Ferdinand III., Kaiser 244 Fernel (Fernelius), Jean François 97 Filiis, Angelo de 173 Flamsteed, John 79, 177, 179, 277, 281, 283, 284, 285, 286, 288, 291, 305, 308, 311, 313, 354, 355, 356, 373, 376 Fludd, Robert 224, 225 Fontana, Francesco 246, 268 Fontenelle, Bernard Le Bovier de 56, 59, 60, 292, 357 Foscarini, Paolo Antonio 207 Francisci, Erasmus 204, 357 Francken, Géofroy 19 Froidmont, Libert (Fromondus) 77, 79, 80, 81, 244, 357 G Gadroys, Claude 77 Galilei, Galileo 14, 15, 18, 20, 33, 65, 67, 72, 76, 77, 90, 93, 94, 96, 97, 99, 102, 103, 112, 113, 114, 116, 120, 123, 132, 133, 135, 137, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 153, 157, 158, 159, 161, 163, 164, 165, 166, 167, 168, 169, 170, 171, 172, 173, 174, 175, 176, 177, 178, 179, 180, 181, 182, 184, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 191, 201, 202, 203, 207, 217, 218, 227, 231, 244, 246, 253, 254, 257, 258, 259, 261, 264, 269, 271, 272, 273, 274, 279, 288, 295, 296, 301, 303, 304, 306, 311, 313, 318, 322, 323, 324, 325, 352, 357, 368, 369

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Namen Gall, Thomas Froschamer von 321 Gallus, Chrysostomus 321 Gassendi, Pierre 18, 50, 59, 69, 72, 99, 112, 114, 116, 117, 118, 199, 204, 244, 245, 246, 247, 297, 298, 351, 357, 361, 362 Georg von Trapezunt 136 Gerhard von Cremona 136, 137 Gilbert, William 101, 102, 103, 111, 114, 116, 151, 357, 370, 374 Giuntini, Francesco 141, 357 Gmainholzer, Paul 322, 352 Godwin, Francis 49, 50, 51, 53, 357 Goethe, Johann Wolfgang 129, 130, 155, 358 Göltgens, Ricquinus 41, 42 Goodricke, John 242, 313, 358 Gregory, David 285, 358 Gregory, James 279, 288, 358, 376 Grienberger, Christoph 89, 175, 280 Grimaldi, Francesco Maria 58, 267, 280, 364 Gruithuisen, Franz (von) Paula 317, 358 Guericke, Otto von 58, 60, 69, 85, 105, 159, 194, 204, 205, 212, 213, 214, 215, 216, 217, 218, 228, 238, 251, 262, 270, 293, 296, 297, 311, 358, 371 H Habrecht, Isaak 318, 319, 321, 358 Halley, Edmond 97, 217, 240, 243, 261, 270, 308, 313, 358, 376 Harvey, William 224, 225, 358 Helike (Helice, Elice) 185 Heraklit 87 Herschel, William (Friedrich Wilhelm) 177, 184, 218, 219, 243, 272, 273, 286, 287, 301, 306, 313, 358, 369 Hevelius, Johannes 33, 55, 116, 240, 246, 247, 248, 258, 267, 268, 280, 281, 303, 358, 359 Hill, Nicholas 56, 134, 135, 141, 144, 148, 358, 369 Hipparch von Nikaia 96 Hodierna, Giovanni Battista 188, 235, 236, 240, 241, 242, 267, 268, 269, 274, 301, 302, 304, 307, 309, 310, 313, 317, 358, 374 Holwarda, Johannes Phocylides 240, 241, 313, 359 Homer 17, 90, 117 Hooke, Robert 102, 157, 158, 162, 163, 165, 166, 177, 190, 191, 257, 258, 261, 276, 277, 278, 279, 280, 281, 282, 283, 284, 286, 287, 288, 289, 290, 291, 292,

302, 304, 305, 308, 309, 313, 319, 320, 356, 359 Horky, Martin 182 Horrebow (Horrebov), Peder Nielsen 285, 286, 313, 359 Humboldt, Alexander von 14, 51, 359 Huygens, Christiaan 51, 56, 69, 113, 143, 144, 146, 148, 152, 153, 154, 157, 158, 159, 172, 185, 188, 234, 245, 257, 258, 268, 281, 282, 283, 285, 288, 289, 290, 291, 292, 293, 294, 295, 298, 299, 303, 304, 305, 308, 311, 313, 319, 322, 351, 359, 365, 368, 376 I Ignatius von Loyola 25 Ingoli, Francesco 61, 166, 169, 190, 359 Ippolito von Este 110 K Kant, Immanuel 51, 262, 313, 359, 367 Kepler, Johannes 18, 49, 51, 53, 54, 62, 72, 73, 90, 91, 92, 93, 94, 96, 97, 99, 102, 103, 109, 116, 118, 139, 142, 143, 151, 158, 162, 167, 168, 170, 174, 201, 203, 205, 207, 227, 239, 240, 280, 296, 299, 313, 317, 318, 351, 359, 364, 371, 374 Kirch, Gottfried 240, 359 Koppernigk (Kopernikus), Nikolaus Siehe Copernicus, Nicolaus Kronos 17 Kues, Nikolaus von Siehe Cusanus, Nicolaus Kynosura (Cynosura) 185, 260 L La Galla, Giulio Cesare 130, 359 La Lande, Jérôme de 179, 183, 286, 359 Lambert, Johann Heinrich 218 Langren, Michael Florent van 267 Lansberge, Philip van 72, 73, 77, 79, 91, 201, 297, 359 Lantz, Johannes 317 Le Roy, François 24, 27, 42, 224, 327, 329, 331, 333 Liebknecht, Johann Georg 179, 360 Locher, Johann Georg 169, 362 Longomontanus, Christian Sørensen 63, 73, 80, 89, 91, 111, 112, 114, 116, 118, 360 Lubieniecki, Stanislaw 205 Lukian 50

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Verzeichnisse

M Malines, Francesco 20 Mariana, Juan de 116 Marius, Simon 55 Marsili, Cesare 178 Maskelyne, Nevil 184, 287, 360 Mästlin, Michael 90, 91, 93, 116, 118, 141, 162, 169, 207, 360 Maupertuis, Pierre Louis Moreau de 218 Mayer, Christian 183, 184, 218, 241, 242, 262, 270, 273, 313, 360, 371 Mazarin (Mazarini), Jules (Giulio) 244 Mazzella, Salvator 15 Mazzoni, Jacopo 140, 360 Megerlin, Peter 118, 153, 283, 360 Melissos von Samos 111 Mendoza (Mendoça/ Mendonça), Francisco de 58 Mersenne, Marin 131, 143, 148, 149, 150, 151, 152, 157, 162, 163, 199, 205, 295, 360, 366, 369, 370, 372 Michell, John 182, 183, 184, 219, 270, 273, 313, 360 Mira-Autor (anonym) 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 43, 44, 62, 69, 71, 78, 163, 208, 209, 210, 211, 212, 214, 229, 240, 251, 296, 334, 335, 341, 344, 345, 350, 352 Molyneux, Samuel 177, 284, 286, 287 Montaigne, Michel Eyquem de 53, 54, 55, 360, 365, 366 Moray, Robert 257, 258, 303 Morhof, Daniel Georg 199 Morin, Jean-Baptiste 163, 360 Murr, Christoph Gottlieb von 248, 360 Mut, Vicente 18 N Naudé, Gabriel 244, 245, 269 Neile, Paul 257, 258, 303 Newton, Isaac 14, 57, 65, 96, 99, 103, 120, 129, 143, 144, 153, 154, 158, 159, 160, 163, 198, 217, 262, 263, 284, 285, 293, 309, 311, 313, 356, 361, 367, 369, 371, 376 Nickel, Goswin 23, 26, 28, 37, 42, 44, 328, 329 Nicot, Jean 59, 361 Nieuhof, Johan 60, 361 Nikolaus von Kues Siehe Cusanus, Nicolaus Noël, Etienne 297 Nyssenus, Gregorius 336

O Olbers, Wilhelm 179, 361 Oldenburg, Henry (Heinrich) 223, 282, 288, 289, 290, 291, 311, 361 Origanus, David 63, 112, 116, 118, 361 Ozanam, Jacques 158, 282, 289, 292, 361 P Palingenio, Marcello 69 Parmenides von Elea 111 Pascal, Blaise 55, 297, 361, 365, 366 Passignano (Passignani) Siehe Cresti, Domenico Patrizi da Cherso, Francesco 18, 69, 94, 111, 112, 140, 162, 361 Peiresc, Nicolas Claude Fabri de 59, 62, 69, 174, 247, 322, 361, 365, 368 Penneman, Franciscus 235, 245, 361, 362 Peuerbach (Purbach), Georg von 137 Philolaos von Kroton 33, 207 Piazzi, Giuseppe 179, 361 Piccolomini, Alessandro 141, 361 Piccolomini, Francesco 327, 330, 333 Pingré, Alexandre-Guy 236, 309, 318, 319, 322, 361 Plutarch 50 Polacco, Giorgio 103, 116, 117, 124, 361 Priestley, Joseph 129, 361 Ptolemaios, Klaudios 72, 73, 76, 78, 80, 91, 92, 96, 97, 98, 109, 111, 113, 117, 118, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 152, 153, 154, 178, 235, 236, 298, 311, 361, 362, 371 Ptolemäus, Claudius Siehe Ptolemaios, Klaudios Puteanus, Erycius 243, 244, 245 Q Quietanus, Remus Johannes 317 R Raimarus, Nicolaus (Ursus) 63, 163, 362 Ramponi, Lodovico 165, 171, 172, 173, 174, 175, 176, 179, 184, 313, 375 Ramponi, Raimondo 171 Ranke, Leopold (von) 19, 362 Regiomontanus, Johannes 137, 362 Renieri, Vincenzo 246, 362 Rheita, Antonius Maria Schyrleus (Schürle) de 18, 55, 70, 71, 72, 73, 109, 121, 155, 159, 201, 202, 203, 204, 208, 231, 232,

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Namen 233, 234, 235, 236, 237, 238, 239, 240, 241, 242, 243, 244, 245, 246, 247, 248, 249, 250, 262, 264, 266, 267, 269, 271, 273, 297, 298, 301, 302, 307, 308, 309, 310, 313, 361, 362, 368, 376 Rheticus, Georg Joachim 91, 134, 169, 207, 356 Rho, Johannes 29 Riccioli, Giambattista 16, 17, 18, 21, 22, 29, 37, 40, 45, 51, 55, 58, 63, 64, 65, 70, 71, 72, 73, 76, 77, 78, 79, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 106, 107, 108, 109, 110, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 121, 122, 124, 125, 130, 133, 138, 140, 142, 143, 144, 148, 150, 152, 153, 158, 159, 162, 166, 171, 182, 196, 199, 201, 202, 203, 205, 206, 207, 212, 228, 229, 232, 235, 236, 239, 240, 241, 242, 243, 244, 246, 247, 248, 251, 252, 259, 261, 266, 267, 268, 269, 279, 280, 281, 282, 295, 297, 298, 299, 309, 318, 320, 321, 323, 351, 354, 358, 362, 364, 365, 366, 367, 368, 370, 372 Richelet, Pierre 59, 362 Roffeni, Giovanni Antonio 171, 364 Rømer, Ole 284, 285, 286, 373 Rossi (Rubeus), Giovan Battista 24, 27, 327 Rossi, Michelangelo 15, 372 Rothmann, Christoph 162, 169, 207 S Scheiner, Christoph 17, 18, 22, 55, 89, 116, 119, 169, 173, 174, 199, 202, 227, 228, 246, 248, 317, 321, 362, 365, 366, 367, 368, 375 Schickard, Wilhelm 207 Schott, Kaspar 12, 13, 14, 15, 20, 21, 22, 23, 26, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 51, 52, 53, 55, 58, 60, 61, 62, 70, 71, 73, 74, 75, 78, 82, 83, 85, 91, 95, 96, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 121, 125, 128, 158, 162, 163, 192, 193, 194, 195, 196, 197, 198, 199, 201, 202, 204, 205, 207, 208, 209, 210, 213, 219, 220, 223, 226, 227, 232, 234, 235, 237, 243, 244, 245, 246, 247, 248, 249, 253, 258, 260, 265, 266, 268, 269, 271, 273, 293, 296, 297, 298, 299, 300, 301, 302, 310, 329, 351, 353, 362, 363, 368, 375, 376 Segni, Lorenzo 178 Seneca, Lucius Annaeus 14, 151, 229, 230, 231, 363 Sigüenza y Góngora, Carlos de 196

Snellius (Snel van Rojen), Willebrord 116 Sorel, Charles 199 Stampioen, Jan Jansz de Jonge 245 Steuco, Agostino 107, 108, 363, 374 Stevin, Simon 102, 116, 363 T Tacquet, Andreas 158, 280, 363 Tanner, Adam 169, 363 Thomas von Aquin 23, 54, 326 Thümmig, Ludwig Philipp 179, 363 Torricelli, Evangelista 18, 131 Tycho Siehe Brahe, Tycho U Uranos 17 Urban VIII., Papst 174, 244 Ursus (Nikolaus Reimers) Siehe Raimarus, Nicolaus (Ursus) V Valerio, Luca 175 Varenius, Bernhard 51, 370 Vergil (Publius Vergilius Maro) 35, 36, 162, 206, 207 Voltaire 129, 363 W Wallis, John 79, 102, 283, 284, 288, 355, 363 Ward, Seth 283, 291 Welser, Marcus 174, 175, 374 Wendelin, Gottfried 72, 238, 239, 241, 245, 246, 248, 313 Whiston, William 285, 363 Wiesel, Johann 232, 244 Wilde, Emil 129, 130, 363 Wilhelm III. von Oranien 245 Wilkins, John 49, 50, 102, 207, 363 Wolff, Christian 179, 204, 363 Wren, Christopher 102, 257, 258, 285, 303 Wren, Stephen 286, 363 Z Zenon von Elea 90 Zeus 185, 260 Zucchi, Nicolò 103, 363 Zúñiga, Diego de (Didacus Astunica) 207 Zupi, Giovanni Battista 246

Die an Kontroversen reiche Geschichte der

richt“ des Jesuiten Athanasius Kircher ver­

Wissenschaften dürfte keine Auseinander­

schafft einen anderen Blickwinkel. Mit sei­

setzung kennen, die heftiger und einschnei­

ner literarischen Weltraumreise liefert der

dender war als der Streit um das heliozen­

Universalgelehrte ein „neues System“, ge­

trische Weltbild. Mehr noch als die Wissen­

stützt auf heute fast vergessene Quellen. Die

schaftliche Revolution des 17. Jahrhunderts

hiervon ausgehenden Rekonstruktionsver­

ist der zeitgleiche Siegeszug des Copernica­

suche zeigen, wie dieser Weltbildstreit fast

nismus zum Sinnbild einer im Zeichen von

zwei Jahrhunderte hindurch von beiden

Wissenschaftlichkeit und Rationalität be­

Seiten wissenschaftlich und rhetorisch aus­

ginnenden Moderne geworden. Was nun

getragen, teils ernüchternd, teils auf unge­

aber, wenn die Geschichte dieser Ausei­

ahnt hohem Niveau geführt wurde, und dies

nandersetzung allein von ihren Siegern ge­

mit überraschenden Wendungen.

schrieben wurde? Der „Ekstatische Reisebe­

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