Die Grenze der inhaltlichen Leistungsfähigkeit der Rechtsetzungsinstrumente von Kommission und ESMA als Beteiligte am Lamfalussyverfahren [1 ed.] 9783428580064, 9783428180066

Das für eine schnellere Regulierung des europäischen Wertpapiersektors entwickelte und alsbald auf den ganzen Finanzdien

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Die Grenze der inhaltlichen Leistungsfähigkeit der Rechtsetzungsinstrumente von Kommission und ESMA als Beteiligte am Lamfalussyverfahren [1 ed.]
 9783428580064, 9783428180066

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Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Band 169

Die Grenze der inhaltlichen Leistungsfähigkeit der Rechtsetzungsinstrumente von Kommission und ESMA als Beteiligte am Lamfalussyverfahren Von

Christian Osbahr

Duncker & Humblot · Berlin

CHRISTIAN OSBAHR

Die Grenze der inhaltlichen Leistungsfähigkeit der Rechtsetzungsinstrumente von Kommission und ESMA als Beteiligte am Lamfalussyverfahren

Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Herausgegeben von Professor Dr. Holger Fleischer, LL.M., Hamburg Professor Dr. Hanno Merkt, LL.M., Freiburg Professor Dr. Gerald Spindler, Göttingen

Band 169

Die Grenze der inhaltlichen Leistungsfähigkeit der Rechtsetzungsinstrumente von Kommission und ESMA als Beteiligte am Lamfalussyverfahren Von

Christian Osbahr

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Jahre 2019 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 1614-7626 ISBN 978-3-428-18006-6 (Print) ISBN 978-3-428-58006-4 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2019/2020 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Dissertation angenommen. Rechtsprechung, Literatur und aktuelle Entwicklungen wurden bis April 2020 berücksichtigt. Besonders danken möchte ich zunächst Prof. Dr. Hanno Merkt, LL.M. (Chicago), der mir bei der Themenfindung und der Erstellung der Untersuchung ein großes Maß an akademischer Freiheit gewährte und, wenn nötig, auch aufmunternde Worte fand. Die Arbeit entstand in meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht, in der er mir ebenfalls die Gelegenheit gab, an interessanten Projekten mitzuarbeiten. Nicht zuletzt danke ich ihm für den Vorschlag zur Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe der Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht. Für die Aufnahme in diese Reihe danke ich zudem den Herren Prof. Dr. Gerald Spindler und Prof. Dr. Dr. h.c. Holger Fleischer. Herrn Prof. Dr. Jan Lieder, LL.M. (Harvard), soll für das sehr zügige Erstellen des Zweitgutachtens gedankt sein. Die Zeit am Lehrstuhl wird mir als schöne Erinnerung bleiben. Dies nicht nur wegen der interessanten Einblicke in die Wissenschaft, sondern auch wegen der Menschen, denen ich dort und aufgrund der Tätigkeit begegnen durfte. Viele zähle ich mittlerweile zu meinen Freunden. Sie haben diese Zeit unvergesslich gemacht. Namentlich kann ich leider nicht allen danken und will mich deshalb auf jene beschränken, die mich auch bei den Korrekturarbeiten unterstützt haben. Vielen Dank Dr. Simone Jäger, Ines Lung, Laura Neumann, Philipp Pordzik, Fernando Sempere Culler, Vincent Winkler und Dr. Jennifer Zimmermann. Tobias Jenne möchte ich für die vielen anregenden Gespräche danken. Meiner lieben Freundin Christina Baumann möchte ich ebenfalls für ihre ausdauernde und liebevolle Unterstützung danken. Sie zweifelte nie am Gelingen der Arbeit und half mir nicht zuletzt bei der Überarbeitung der Untersuchung. Zuletzt möchte ich mich bei meinen Eltern, Ute und Hartmut Osbahr, bedanken, die nicht nur meinen schulischen und universitären Werdegang bedingungslos unterstützt haben, sondern mir auch stets Rückhalt für das vorliegende Projekt gaben. Ohne ihre Unterstützung wäre vieles schwerer und manches wohl nicht möglich gewesen. Ihnen ist diese Arbeit deshalb in Dankbarkeit gewidmet. Freiburg im Breisgau, im Mai 2020

Christian Osbahr

Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung in Thema und Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gegenstand der Arbeit und Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27 27 29 31

Kapitel 1 Überblick über die exekutive Rechtsetzungsbefugnis der Kommission, die Komitologie und Lamfalussy

33

A. Die Befugnis der Europäischen Kommission zur exekutiven Rechtsetzung . . . . . . . . . 33 B. Komitologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 C. Lamfalussy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Kapitel 2 Entstehung und Entwicklung der Komitologie und des Lamfalussyverfahrens im Kontext der Europäischen Kapitalmarktregulierung

43

A. Entstehung des Ausschusswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 I. Anfänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 II. Der erste Komitologiebeschluss aus dem Jahr 1987 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 B. Die Weiterentwicklung des Ausschusswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 I. Übergangslösungen durch interinstitutionelle Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . 55 II. Der zweite Komitologiebeschluss 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 C. Alexandre Lamfalussy und sein Verfahren zur effizienteren Gesetzgebung im Kapitalmarktrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 I. Das Lamfalussyverfahren als Meilenstein der Kapitalmarktregulierung . . . . . . . 65 II. Die Ausweitung des Lamfalussyverfahrens und die Reform der Komitologie . . 75 D. Die Reaktionen auf die Finanzmarktkrise: Die Weiterentwicklung von Lamfalussy durch de Larosière . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 I. Der Weg zur Lamfalussyreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 II. Der de Larosière-Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 E. Der Vertrag von Lissabon und die Neuregelung der Komitologie . . . . . . . . . . . . . . . . 99 I. Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 II. Die Auswirkungen von Lissabon auf Lamfalussy und Komitologie . . . . . . . . . . 100

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Inhaltsübersicht

F. Überblick über die weitere Entwicklung der Harmonisierung des europäischen Finanzdienstleistungssektors durch Lamfalussy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Kapitel 3 Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick A. Der Ablauf des Lamfalussyverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Stufe 1: Rahmenrechtsgebung im Mitentscheidungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . II. Stufe 2: Abgeleitete Rechtsetzung durch die Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Stufe 3: Leitlinien und Empfehlungen der ESMA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Stufe 4: Aufsicht und Kontrolle durch Kommission und ESMA . . . . . . . . . . . . .

107 107 108 113 152 155

B. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 I. Änderungsvorschlag der Kommission zur Komitologieverordnung . . . . . . . . . . 156 II. Änderungsvorschlag der Kommission zur ESMA-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Kapitel 4 Die inhaltliche Grenze der Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten A. Die inhaltliche Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente zur exekutiven Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Inhaltliche Reichweite der Kompetenz der Kommission zur delegierten Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Reichweite der inhaltlichen Regelungskompetenz der Kommission bei der „einfachen“ Durchführungsrechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung zur inhaltlichen Leistungsfähigkeit der kommissionellen Normsetzungsarten unter Berücksichtigung ihres Anwendungsbereichs . . . . . . . IV. Rechtsfolgen der Überschreitung der Kompetenz bei der einfachen delegierten Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

160 160 160 205 247 249

B. Die Möglichkeiten der ESMA zur Rechtsetzung und deren inhaltliche Reichweite . . 249 I. Die inhaltliche Leistungsfähigkeit der verbindlichen Rechtsetzungsinstrumente der ESMA auf der zweiten Stufe des Lamfalussyverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . 249 II. Die inhaltliche Leistungsfähigkeit der verbindlichen Rechtsetzungsinstrumente der ESMA auf der dritten Stufe des Lamfalussyverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Kapitel 5 Zusammenfassung der Ergebnisse und Darstellung in Thesen A. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtlich verbindliche Lamfalussymaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Delegierte und Durchführungsrechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die technischen Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

284 284 284 284 286

Inhaltsübersicht

11

IV. Leitlinien und Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 B. Ergebnisdarstellung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Einführung in Thema und Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 II. Gegenstand der Arbeit und Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

Kapitel 1 Überblick über die exekutive Rechtsetzungsbefugnis der Kommission, die Komitologie und Lamfalussy

33

A. Die Befugnis der Europäischen Kommission zur exekutiven Rechtsetzung . . . . . . . . . 33 B. Komitologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 C. Lamfalussy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

Kapitel 2 Entstehung und Entwicklung der Komitologie und des Lamfalussyverfahrens im Kontext der Europäischen Kapitalmarktregulierung

43

A. Entstehung des Ausschusswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 I. Anfänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1. Geburtsstunde der Komitologie im Jahr 1962 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2. Erste Schritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 II. Der erste Komitologiebeschluss aus dem Jahr 1987 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 B. Die Weiterentwicklung des Ausschusswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 I. Übergangslösungen durch interinstitutionelle Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . 55 1. Der modus vivendi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2. Samland/Williamson-Übereinkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 II. Der zweite Komitologiebeschluss 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 1. Amsterdamer Regierungskonferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2. Ein neuer Komitologiebeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

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Inhaltsverzeichnis

C. Alexandre Lamfalussy und sein Verfahren zur effizienteren Gesetzgebung im Kapitalmarktrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 I. Das Lamfalussyverfahren als Meilenstein der Kapitalmarktregulierung . . . . . . . . 65 1. Die Harmonisierung des Kapitalmarktrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 a) Der Segré-Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 b) Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarkts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 c) Der Aktionsplan für Finanzdienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2. Lamfalussy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 a) Die Idee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 b) Die Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 II. Die Ausweitung des Lamfalussyverfahrens und die Reform der Komitologie . . . 75 1. Ausweitung von Lamfalussy auf den Finanzdienstleistungsbereich . . . . . . . . . 75 2. Reform der Komitologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 a) Komitologie im Verfassungsentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 b) Überarbeitung der Komitologie als Übergangslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 aa) Reformversuch der Komitologie durch den Europäischen Verfassungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 bb) Der dritte Komitologiebeschluss aus dem Jahr 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3. Die Auswirkungen der Komitologiereform auf das Lamfalussyverfahren . . . . . 87 D. Die Reaktionen auf die Finanzmarktkrise: Die Weiterentwicklung von Lamfalussy durch de Larosière . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 I. Der Weg zur Lamfalussyreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 1. Evaluierung von Lamfalussy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 2. Reformbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 II. Der de Larosière-Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Die de-Larosière-Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2. Die drei neuen Aufsichtsbehörden im Finanzdienstleistungsbereich . . . . . . . . . 95 E. Der Vertrag von Lissabon und die Neuregelung der Komitologie . . . . . . . . . . . . . . . . 99 I. Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 II. Die Auswirkungen von Lissabon auf Lamfalussy und Komitologie . . . . . . . . . . . 100 1. Der neue Komitologierahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 2. Der interinstitutionelle Rahmen von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3. Anpassung alter Rechtsakte an das neue Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 F. Überblick über die weitere Entwicklung der Harmonisierung des europäischen Finanzdienstleistungssektors durch Lamfalussy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

Inhaltsverzeichnis

15

Kapitel 3 Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick

107

A. Der Ablauf des Lamfalussyverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 I. Stufe 1: Rahmenrechtsgebung im Mitentscheidungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 108 II. Stufe 2: Abgeleitete Rechtsetzung durch die Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 1. Delegierte Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 a) Delegierte Rechtsakte der Kommission ohne ESMA-Beteiligung . . . . . . . . . 120 aa) Das Widerrufsrecht (Evokationsrecht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 bb) Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 cc) Dringlichkeitsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 b) Stufe 2,5: Technischer Regulierungsstandard (RTS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 aa) Widerruf der Befugnisübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 bb) Einwände gegen den technischen Regulierungsstandard . . . . . . . . . . . . . 132 2. Durchführungsrechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 a) Einfache Durchführungsrechtsetzung der Kommission im Komitologieverfahren (ohne verbindliche ESMA-Beteiligung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 aa) Beratungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 bb) Prüfverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 cc) Erlass in Ausnahmefällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 dd) Dringlichkeitsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 ee) Regelungsverfahren mit Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 ff) Kontrollrecht des Europäischen Parlaments und des Rates . . . . . . . . . . . 147 b) Stufe 2,5: Technische Durchführungsstandards der ESMA (ITS) . . . . . . . . . 148 III. Stufe 3: Leitlinien und Empfehlungen der ESMA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 IV. Stufe 4: Aufsicht und Kontrolle durch Kommission und ESMA . . . . . . . . . . . . . . 155 B. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 I. Änderungsvorschlag der Kommission zur Komitologieverordnung . . . . . . . . . . . . 156 II. Änderungsvorschlag der Kommission zur ESMA-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

16

Inhaltsverzeichnis Kapitel 4 Die inhaltliche Grenze der Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

160

A. Die inhaltliche Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente zur exekutiven Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 I. Inhaltliche Reichweite der Kompetenz der Kommission zur delegierten Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 1. Anderweitig die Delegationsmöglichkeit beschränkende oder einschränkende Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2. Die Beschränkungen der inhaltlichen Leistungsfähigkeit der delegierten Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 a) Merkmal „Ergänzung oder Änderung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 aa) Meinungsbild der unterschiedlichen Quellen und Praxisbefund . . . . . . . 163 (1) Auffassungen der Literatur zum Inhalt von „Ändern oder Ergänzen“ 163 (2) Ansicht der Kommission zum Inhalt von „Ändern oder Ergänzen“ 165 (3) Die Ansicht des EuGH zum Inhalt der Merkmale des Änderns und Ergänzens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (4) Befund der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (a) Die Funktionen der delegierten Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . 167 (b) Die inhaltliche Leistungsfähigkeit der delegierten Rechtsetzung in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 bb) These zur Bedeutung des Eingriffsmerkmals der „Ergänzung oder Änderung“ für die Grenzbestimmung delegierter Rechtsetzung und möglicher dogmatischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (1) These zur inhaltlichen Leistungsfähigkeit delegierter Rechtsetzung 172 (2) Dogmatischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (a) Keine Erforderlichkeit für eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit delegierter Rechtsetzung aus der Struktur der Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (b) Effektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 (aa) Zweck von Lamfalussy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 (bb) Effet utile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 (cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 (c) Ergebnis zur Frage der Grenze der delegierten Rechtsetzung . . . 179 (d) Die jeweilige (formelle und inhaltliche) Leistungsfähigkeit des Änderns und die des Ergänzens in der Einzelbetrachtung . . . . . 180 (aa) Der ändernde delegierte Rechtsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (bb) Der ergänzende delegierte Rechtsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 (cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

Inhaltsverzeichnis

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b) Das Wesentlichkeitskriterium als Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 aa) Einheitlicher Wesentlichkeitsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 (1) Denkbare Funktionen der doppelten Kodifizierung . . . . . . . . . . . . . . 184 (2) Einheitlicher Begriff aus unterschiedlicher Sichtweise . . . . . . . . . . . 185 bb) Rückgriff auf die Rechtsprechung vor der Normierung des Wesentlichkeitskriteriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 (1) Anwendbarkeit auf die Rechtslage von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . 186 (2) Rechtsprechungsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 (a) Rechtsprechung zur Wesentlichkeit vor Normierung durch Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 (aa) Erste Konturen: Pflicht zur Regelung „wesentlicher Grundzüge“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 (bb) Politikbereichsspezifische Wesentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . 188 (cc) Keine grundrechtlich geprägte Wesentlichkeit . . . . . . . . . . . 189 (dd) Restriktive Auslegung der Wesentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . 190 (ee) Grundrechtsbezogene Wesentlichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (ff) Abkehr von der restriktiven Auslegung der Wesentlichkeit 194 (gg) Erneute Frage nach der Relevanz der Grundrechte für den Inhalt der Wesentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (hh) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (b) Die Rechtsprechung nach dem Vertrag von Lissabon . . . . . . . . . 197 (aa) Das erste Lissabonner Urteil: Grundrechtswesentlichkeit . . . 197 (bb) Die jüngste Rechtsprechung zur Wesentlichkeit . . . . . . . . . . 200 (cc) Zusammenfassung der Rechtsprechung zur Wesentlichkeit durch Kokott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 (c) Ergebnis der Untersuchung der Rechtsprechung zur Wesentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 3. Vorläufiges Endergebnis und Zusammenfassung der Ergebnisse zur Untersuchung der inhaltlichen Leistungsfähigkeit der selbstständigen delegierten Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 II. Reichweite der inhaltlichen Regelungskompetenz der Kommission bei der „einfachen“ Durchführungsrechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 1. Geltung des Wesentlichkeitskriteriums für die Durchführungsrechtsetzung . . . 206 2. Leistungsfähigkeit der Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 a) Meinungsspektrum der unterschiedlichen Quellen und Praxisbefund . . . . . . 207 aa) Auffassungen der Literatur zur Grenze und zum Inhalt der Durchführungsrechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 bb) Auffassung der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 cc) Rechtsprechung des EuGH zur Grenze und zum Inhalt der Durchführungsrechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212

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Inhaltsverzeichnis dd) Die inhaltliche Leistungsfähigkeit der Durchführungsrechtsetzung in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 (1) Die Funktionen der Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 (2) Untersuchung der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 (a) Befund zur formellen Leistungsfähigkeit der Durchführung . . . 214 (aa) Die gefundene Gesetzmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 (bb) Ausnahmen dieser Gesetzmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 (b) Befund zur inhaltlichen Leistungsfähigkeit der Durchführung 221 (aa) Die gefundene Gesetzmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 (bb) Ausnahmen dieser Gesetzmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 b) Ergebnis bezüglich der inhaltlichen Leistungsfähigkeit der Durchführungsrechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 aa) Untersuchung der unterschiedlichen Ansätze der Literatur im Lichte der Praxis und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 bb) These und dogmatischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 (1) These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 (2) Dogmatischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 (a) Die primärrechtliche Ausgestaltung zum Erwerb legislativer Gestaltungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 (b) Teleologische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 cc) Zwischenergebnis zur Leistungsfähigkeit der Durchführungsrechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 dd) Die formelle Leistungsfähigkeit der Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 ee) Das Verhältnis von delegierter Rechtsetzung und Durchführungsrechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (1) Die horizontale Dimension des Art. 291 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (2) Konsequenzen für die Normsetzung der Kommission im Lamfalussyprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 3. Endergebnis zur inhaltlichen Leistungsfähigkeit der Durchführungsrechtsetzung und deren Abgrenzung zur delegierten Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . 244 III. Zusammenfassung zur inhaltlichen Leistungsfähigkeit der kommissionellen Normsetzungsarten unter Berücksichtigung ihres Anwendungsbereichs . . . . . . . . 247 IV. Rechtsfolgen der Überschreitung der Kompetenz bei der einfachen delegierten Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249

B. Die Möglichkeiten der ESMA zur Rechtsetzung und deren inhaltliche Reichweite . . 249 I. Die inhaltliche Leistungsfähigkeit der verbindlichen Rechtsetzungsinstrumente der ESMA auf der zweiten Stufe des Lamfalussyverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 1. Die Rechtsetzungskompetenz der ESMA bei der nicht technischen Exekutivnormsetzung der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249

Inhaltsverzeichnis

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2. Die Rechtsetzungskompetenz der ESMA durch die Kommission mithilfe technischer Standards und deren inhaltliche Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 a) Rechtsetzungskompetenz der ESMA bei der Standardsetzung . . . . . . . . . . . 251 aa) Keine eigene, unmittelbare Kompetenz zur verbindlichen Standardsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 bb) Verbindliches Entwurfsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 (1) Einflussnahmemöglichkeiten der Kommission auf den Entwurf der ESMA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 (2) Ergebnis: Die ESMA als mittelbarer Rechtsetzer durch die Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 b) Reichweite der inhaltlichen Leistungsfähigkeit der technischen Standards 255 aa) Zuständigkeit der ESMA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 bb) Inhaltliche Leistungsfähigkeit des Entwurfsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 (1) Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 (2) Die möglichen Grenzen inhaltlicher Leistungsfähigkeit des behördlichen Entwurfsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 (a) Technische Natur der Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 (aa) Keine Standards mit normativem Charakter . . . . . . . . . . . . . 257 (a) These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 (b) Befund der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 (c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 (bb) Kein allgemeiner Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 (cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 (b) Der Funktionszuweisung als inhaltliche Grenze . . . . . . . . . . . . . 262 (aa) These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 (bb) Befund der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 (a) Der technische Regulierungsstandard . . . . . . . . . . . . . . 262 (b) Der technische Durchführungsstandard . . . . . . . . . . . . . 264 (cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 (c) Keine strategischen oder politischen Entscheidungen . . . . . . . . . 265 (aa) These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 (bb) Befund der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 (cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 c) Endergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 3. Rechtsfolge der Überschreitung der inhaltlichen Grenzen des Entwurfrechts bei der Standardsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 II. Die inhaltliche Leistungsfähigkeit der verbindlichen Rechtsetzungsinstrumente der ESMA auf der dritten Stufe des Lamfalussyverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 1. Rechtsetzungskompetenz der ESMA durch Leitlinien und Empfehlungen . . . . 273 a) Keine rechtliche Verbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 b) Keine rechtliche Bedeutungslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276

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Inhaltsverzeichnis 2. Inhaltliche Leistungsfähigkeit der Leitlinien und Empfehlungen . . . . . . . . . . . 276 a) Zuständigkeitsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 b) Inhaltliche Leistungsfähigkeit der Leitlinien und Empfehlungen . . . . . . . . . 278 aa) Normativer Inhalt der Leitlinien und Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . 278 bb) Die Aufsichtsbehörde als ordentlicher Gesetzgeber ohne Bindungskraft 279 3. Ergebnis zur inhaltlichen Leistungsfähigkeit behördlicher Rechtsetzung durch Leitlinien und Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 4. Rechtsfolge der Überschreitung der inhaltlichen Leistungsgrenze von Leitlinien und Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

Kapitel 5 Zusammenfassung der Ergebnisse und Darstellung in Thesen

284

A. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 I. Rechtlich verbindliche Lamfalussymaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 II. Delegierte und Durchführungsrechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 III. Die technischen Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 IV. Leitlinien und Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 B. Ergebnisdarstellung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

Abkürzungsverzeichnis ABl. Abs. a.E. AEUV a.F. AG Art., Artt. Aufl. BaFin BB Begr. BJIL BKR BT-Drs. bzgl. CDE CEBS CEIOPS

cep CESR CML Rev. COM/KOM CPS Diss. DÖV DVBl EBA EBA-VO

EBC EBOR ECFLR ECLN

Amtsblatt Absatz am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Artikel Auflage Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Betriebsberater (Zeitschrift) Begründer Brooklyn Journal of International Law (Zeitschrift) Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht (Zeitschrift) Drucksache des deutschen Bundestages bezüglich Cahiers droit européen (Zeitschrift) Committee of European Banking Supervisors (Ausschuss der Europäischen Bankaufsichtsbehörden) Committee of European Insurance and Occupational Pensions Supervisors (Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung) Centrum für Europäische Politik Committee of European Securities Regulators (Ausschuss der europäischen Wertpapierregulierungsbehörden) Common Market Law Review (Zeitschrift) Legislativvorschläge der Kommission Comparative Political Studies (Zeitschrift) Dissertation Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) European Banking Authority (Europäische Bankenaufsichtsbehörde) Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/ 78/EG der Kommission, ABl. Nr. L 331 v. 15. 12. 2010, S. 12 European Banking Committee (Europäischer Bankenausschuss) European Business Organization Law Review (Zeitschrift) European Company and Financial Law (Zeitschrift) European Constitutional Law Network (Zeitschrift)

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Abkürzungsverzeichnis

ECOFIN/ECOFIN- Economic and Financial Affairs Council (Rat Wirtschaft und Finanzen) Rat EEA Einheitliche Europäische Akte EFSF European System of Financial Supervision (Europäisches Finanzaufsichtssystem) EG Europäische Gemeinschaft EGBPI Expert Group on Banking, Payments and Insurance EGESC Expert Group of European Securities Committee EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft EIoP European Integration online Papers (Zeitschrift) EIOPA The European Insurance and Occupational Pensions Authority (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung) EIOPA-VO Verordnung (EU) Nr. 1094/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/79/ EG der Kommission, ABl. Nr. L 331 v. 15. 12. 2010, S. 48 EIOPC European Insurance and Occupational Pensions Committee (Europäischer Ausschuss für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung) ELJ European Law Journal (Zeitschrift) ELR European Law Review (Zeitschrift) endg. endgültig EPL European Public Law (Zeitschrift) ERA Forum ERA Academy of European Law Forum (Zeitschrift) ERCL European Review of Contract Law (Zeitschrift) ESA European Supervisory Authorities (System der europäischen Aufsichtsbehörden) ESC European Securities Committee (Europäischer Wertpapierausschuss) ESMA European Securities and Markets Authority (Europäische Wertpapierund Marktaufsichtsbehörde) ESMA-VO Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/77/EG der Kommission, ABl. Nr. L 331 v. 15. 12. 2010, S. 84 ESRB European Systemic Risk Board (Europäischer Ausschuss für Systemrisiken) ESRC EU-Securities Regulators Committee (EU-Wertpapierregulierungsbehörde)/European System Risk Council (Europäischen Rat für Systemrisiken) et al. und andere ETF Exchange Traded Fund EU Europäische Union EUConst European Constitutional Law Review (Zeitschrift)

Abkürzungsverzeichnis EuG EuGH EuGRZ EuR EUV EuZW EVV EWG EWGV EWS EZB f., ff. FESCO fortgef. FSAP FSPG GAP gem. GG GPR h.M. Hrsg. IIMG i.S.d. ITS IWF JCMS JDR JEPP JFRC JöR JPP JZ Kap. Komitologieverordnung ((EU) Nr. 182/2011) Kreditwesen KritV lit. LFMR

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Gericht der Europäischen Union Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift (Zeitschrift) Europarecht (Zeitschrift) Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Europäischer Verfassungsvertrag Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift) Europäische Zentralbank folgende Forum of European Securities Commissions fortgeführt Financial Services Action Plan (Aktionsplan für Finanzdienstleistungen) Financial Services Policy Group (politische Gruppe für Finanzdienstleistungen) Die Gemeinsame Agrarpolitik gemäß Grundgesetz Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union (Zeitschrift) herrschende Meinung Herausgeber Inter-institutional Monitoring Group (Interinstitutionelle Gruppe zur Überwachung der Wertpapiermärkte) im Sinne des/der implementing technical standard Internationaler Währungsfond Journal of Common Markets Studies (Zeitschrift) juristischer Dienst des Rates Journal of European Public Policy (Zeitschrift) Journal of Financial Regulation and Compliance (Zeitschrift) Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart (N.F.) (Zeitschrift) Journal of Public Policy (Zeitschrift) Juristenzeitung (Zeitschrift) Kapitel Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, ABl. Nr. L 55 v. 28. 2. 2011, S. 13 Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen (Zeitschrift) Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (Zeitschrift) Buchstabe (littera) Law and Financial Markets Review (Zeitschrift)

24 MAR/MMVO

MLR NJW Nr. NVwZ NZG ÖBA OGAW ORDO Prospekt-VO

PVS RIW RL Rn. RTS S. Schlussbericht der Weisen SIAK-Journal SMSG SuS TFEU TFUE u. a. Univ. Unterabs. v. VersR VerwArch vgl. VO VVDStRL WD WEP WFA WM

Abkürzungsverzeichnis Verordnung (EU) Nr. 596/2014 DES Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/ 125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. Nr. L v. 12. 6. 2014 173, S. 1 The Modern Law Review (Zeitschrift) Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (Zeitschrift) Österreichisches Bankarchiv (Zeitschrift) Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft (Zeitschrift) Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/ EG, ABl. Nr. L 168 v. 30. 6. 2017, S. 12 Politische Vierteljahresschrift (Zeitschrift) Recht der Internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Richtlinie Randnummer regulatory technical standard Seite Schlussbericht des Ausschusses der Weisen über die Reglementierung der europäischen Wertpapiermärkte v. 15. Februar 2001 SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (Zeitschrift) Securities and Markets Stakeholder Group (Interessengruppe Wertpapiere und Wertpapiermärkte) Staatswissenschaften und Staatspraxis (Zeitschrift) Treaty on the Functioning of the European Union Traité sur le Fonctionnement de l’Union Européenne und andere Universität Unterabsatz von/vom Zeitschrift für Versicherungsrecht (Zeitschrift) Verwaltungs-Archiv (Zeitschrift) vergleiche Verordnung Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatslehrer (Zeitschrift) Wirtschaftsdienst – Zeitschrift für Wirtschaftspolitik (Zeitschrift) West European Politics (Zeitschrift) Wirtschafts- und Finanzausschuss Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankenrecht (Zeitschrift)

Abkürzungsverzeichnis WRP ZaöRV z. B. ZBB ZEuP ZEuS ZFR ZfRV ZG ZGR ZHR ZÖR zugl. ZUR ZVglRWiss

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Wettbewerb in Recht und Praxis (Zeitschrift) Zeitschrift für Ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht (Zeitschrift) zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft (Zeitschrift) Zeitschrift für Europäisches Privatrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für europarechtliche Studien (Zeitschrift) Zeitschrift für Finanzmarktrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für Europarecht, internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung (Zeitschrift) Zeitschrift für Gesetzgebung (Zeitschrift) Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für Öffentliches Recht (Zeitschrift) zugleich Zeitschrift für Umweltrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft (Zeitschrift)

Einleitung I. Einführung in Thema und Problematik „Das Problem ist das System selbst.“1

Ein Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen ist für das Wachstum der Wirtschaft und den Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Europäischen Union von entscheidender Bedeutung.2 Den Nutzen und die Vorteile funktionierender Kapitalmärkte haben die Kommission und der europäische Gesetzgeber früh erkannt und seither durch Regulierung und Harmonisierung zur Ausgestaltung des Kapitalmarktrechts beigetragen,3 sodass das Kapitalmarktrecht nun eines der am stärksten europäisierten Rechtsbereiche ist.4 Der europäische Gesetzgeber übernimmt im Bereich des europäischen Kapitalmarktrechts bei seiner Tätigkeit in aller Regel allerdings keine aktive Rolle, sondern reagiert lediglich auf das Marktgeschehen.5 Für eine solche Art der Rechtsetzung bzw. für ein solches Rollenverständnis bedarf es eines schnellen Rechtsetzungsprozesses. Das europäische ordentliche Gesetzgebungsverfahren ist jedoch aufgrund seiner Ausgestaltung und dem Aufeinandertreffen verschiedenster Interessen grundsätzlich ein langwieriger Einigungsprozess6 und deshalb für eine schnelle Reaktion denkbar ungeeignet. Darüber hinaus ist der europäische Kapitalmarkt dem ständigen Wettbewerb mit anderen Anlagezielen um das Kapital ausgesetzt, ins-

1 Schlussbericht des Ausschusses der Weisen über die Regulierung der europäischen Wertpapiermärkte v. 15. 2. 2001, S. 19, über die Ineffizienz des Rechtsetzungsprozesses im europäischen Kapitalmarktrecht. 2 Erwägungsgrund 1 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. Nr. L 173 v. 12. 6. 2014, S. 1. 3 Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., § 17 Rn. 1; Assmann, in: Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Kap. 22 Rn. 1. 4 So schon Merkt, in: FS Hopt 2010, S. 2222 und Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., § 17 Rn. 3. 5 Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl., § 14 Rn. 14.43. 6 Vgl. Schlussbericht des Ausschusses der Weisen über die Regulierung der europäischen Wertpapiermärkte v. 15. 2. 2001, S. 19 ff.

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besondere mit den Vereinigten Staaten (New Yorker Börse),7 sodass Effizienz und Schnelligkeit von Rechtsetzung, Regulierung und Aufsicht auch die Konkurrenzfähigkeit sicherstellen. Aus diesen Gründen wird im europäischen Kapitalmarktrecht ein besonderes, mehrstufiges System der Rechtsetzung und Aufsicht genutzt, das im Laufe der Zeit modifiziert und weiterentwickelt wurde: Das Lamfalussyverfahren. Das Verfahren geht auf eine vom Rat der Wirtschafts- und Finanzminister am 17. Juli 2000 beauftragten Expertengruppe, dem sogenannten „Ausschuss der Weisen“, zurück und verdankt dem Vorsitzenden des Ausschusses, Alexandre Lamfalussy, seinen Namen. Seinerzeit war es Aufgabe des Ausschusses, eben jenen langwierigeren Prozess zu beschleunigen. Er kam zu dem eingangs zitierten Ergebnis und formte deshalb das neue Rechtssetzungssystem. Hieran beteiligt sind im Wesentlichen der europäische Gesetzgeber, die Kommission sowie neu geschaffene Behörden, die den Rechtsetzungs-, Rechtskonkretisierungs- und Aufsichtsprozess in mehreren Stufen bewältigen. Durch die Aufteilung des Rechtsetzungsprozesses auf mehrere Stufen gelingt nicht nur die Steigerung der Geschwindigkeit,8 sondern auch der Effizienz, da durch die Arbeitsteilung nicht nur eine größere Anzahl an Personen beteiligt, sondern auch Expertenwissen eingebunden werden kann. Dem ordentlichen Gesetzgeber kommt im Verfahren lediglich die Aufgabe zu, einen Gesetzgebungsakt zu erlassen, der die politischen Ziele und Leitentscheidungen der zu regelnden Materie enthält. Zur weiteren Ausgestaltung und Umsetzung wird die Kommission auf der nächsten Stufe zum Teil alleine, zum Teil unter Mitwirkung der europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA dazu ermächtigt, weitere Rechtsakte zu erlassen. Für die einheitliche Anwendung der so erlassenen Rechtsakte sorgt die ESMA in der nächsten Stufe, indem sie dementsprechend weitere Maßnahmen erlässt. Zuletzt sorgen die Behörde und vor allem die Kommission dafür, dass die erlassenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten auch tatsächlich umgesetzt und wie gewünscht angewendet werden. Die Zusammenarbeit und die Aufteilung der Rechtsetzung unter Rat, Parlament, Kommission und ESMA führen allerdings auch zu Kompetenzstreitigkeiten. Die wohl bedeutendste Frage ist hierbei die nach der Reichweite der jeweiligen Rechtsetzungsbefugnisse von Kommission und ESMA, die in den Rechtsetzungsprozess des europäischen Gesetzgebers eingebunden sind. Darüber hinaus ist diese Frage nicht nur für Kommission und ESMA für das Wissen um die eigenen Kompetenzen entscheidend, sondern ebenfalls für den Gesetzgeber, der sich bei jedem Lamfalussy-Gesetzgebungsakt fragen muss, was er zwingend selbst zu regeln hat und was er den weiteren Beteiligten auf den unteren Stufen des Verfahrens überlassen kann.

7 Vgl. Schlussbericht des Ausschusses der Weisen über die Regulierung der europäischen Wertpapiermärkte v. 15. 2. 2001, S. 15 f. 8 Vgl. Schaub, JFRC 2005, 110, 112.

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II. Gegenstand der Arbeit und Ziel der Untersuchung Die Untersuchung soll die Grenze der Rechtsetzungsinstrumente von Kommission und ESMA aufzeigen. Im Fokus der Arbeit soll die inhaltliche Leistungsfähigkeit allein der verbindlichen exekutiven Maßnahmen der zweiten und dritten Stufe des Lamfalussyprozesses als rechtsetzende und rechtskonkretisierende Ebenen des Verfahrens stehen. Namentlich sind als verbindliche Rechtsetzungsinstrumente auf kommissioneller Seite die delegierte Rechtsaktsetzung und Durchführungsrechtsaktsetzung zu nennen, auf Seiten der Aufsichtsbehörde kommen deren Leitlinien und Empfehlungen in Betracht. Die Rechtsetzung durch technische Standards lässt sich auf den ersten Blick beiden am Lamfalussyverfahren Beteiligten zurechnen. Hier wird sich noch zeigen, wer tatsächlich als „Urheber“ dieser Maßnahmen bezeichnet werden kann. Ziel der Arbeit ist es, ein System zur Grenzbestimmung der inhaltlichen Leistungsfähigkeit der Instrumente zu finden, das für die Praxis nutzbar ist, d. h. es soll vor allem weder der bisherigen Praxis noch der Rechtsprechung des EuGH widersprechen. Diese Lösung sollte zudem im besten Falle pragmatisch, für die Praxis handhabbar sein und in Abgrenzungsfragen bis zu einem gewissen Grad die erforderliche Schärfe besitzen.9 Nicht zuletzt sollte das System natürlich auf festen dogmatischen Füßen stehen. Nun sind vor allem in einer Zeitspanne von zwei bis fünf Jahren nach Lissabon zahlreiche Vermutungen und Thesen aufgestellt worden, welche Funktionen und Anwendungsbereiche die delegierte Rechtsetzung und Durchführungsrechtsetzung haben könnten und insbesondere wie und ob sie sich voneinander unterscheiden bzw. abgrenzbar sind.10 In der Zeit danach finden sich außerhalb der Kommentarliteratur keine dementsprechenden Untersuchungen, obwohl es aufgrund der immer weiter angestiegenen Zahl exekutiver, kommissioneller Lamfalussy-Rechtsakte möglich gewesen wäre, die verschiedenen Theorien an der Praxis zu messen und gegebenenfalls nachzubessern. Denn es hat sich recht schnell gezeigt, dass viele Vorschläge und Vermutungen nicht mit der Praxis bzw. der Rechtsprechung des EuGH übereinstimmen und die genauen Kompetenzen der Beteiligten weiterhin unklar sind. Das breite Meinungsspektrum der damaligen Zeit zeigt aber eindrucksvoll, dass die verfassungsrechtliche Verankerung der kommissionellen Rechtsetzungsarten einen weiten Spielraum an „dogmatisch möglichen“ Systemen zulässt. Gleiches gilt für die sekundärrechtliche Grundlage der technischen Standards und der Leitlinien und Empfehlungen der Aufsichtsbehörden. Dies verwundert auch nicht: So enthält etwa die gesetzliche Grundlage der Durchführungsrechtsetzung weder eine geschriebene 9

So schrieb schon Craig, ELR 2011, 671, 673 zur Frage der Unterscheidung zwischen delegierter Rechtsetzung und Durchführungsrechtsetzung, was jedoch aufgrund des engen Zusammenhangs mit der inhaltlichen Kompetenzreichweite auch für diese gilt: „Any ,legal‘ solution to this conundrum must be pragmatically, textually and normatively sustainable, to some minimal degree at least.“ 10 Siehe zum Meinungsbilds unter Kapitel 4 A. II. 2. a) aa).

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Grenze noch eine Definition oder sonstige Erläuterung der „Durchführung“.11 Hinsichtlich der delegierten Rechtsetzung werden zwar deren Zugriffmöglichkeiten auf den Basisrechtsakt genannt („Ergänzung oder Änderung“), diese allerdings ebenso wenig bestimmt, wie die Zugriffsgrenze der Wesentlichkeit, die im Übrigen auch eine Erstkodifizierung der Rechtsprechung des EuGH ist.12 Ein ähnliches Bild zeigen die sekundärrechtlichen Anknüpfungspunkte der technischen Standards und der Leitlinien und Empfehlungen. Das Europarecht und insbesondere dessen Verfassung ist zudem, wie kein anderes, ein Rechtsgebiet, in dem eine Unterscheidung von Recht und Politik kaum möglich ist, sodass es stets im Kontext historischer, politischer, wirtschaftlicher sowie (sogar) sozialer Ereignisse zu sehen ist.13 Nicht zuletzt die institutionelle Situation fördert eine „Gemengelage von Interessen und Einflüssen, die reiner Rationalität zuwiderlaufen.“14 So ist das Europarecht geprägt von „Inkonsistenzen und Schrullen“15. Mit der Erkenntnis, dass all diese Einflüsse eine Betrachtung des Europarechts als technisches und dogmatisch dichtes und vollendetes Gebilde verhindern und im Ergebnis auch dazu führen, dass von den Europäischen Institutionen nicht immer die dogmatisch „standfesteste Lösung“ vertreten wird, sondern oftmals juristisch „heikle“ Ergebnisse gewählt werden, weil rechtspolitisch sinnvoll,16 und mit der weiteren Einsicht, dass die Literatur zahleichen Wege dargestellt hat, die zwar dogmatisch schlüssig sein mögen, jedoch die Praxis nahezu gänzlich außer Acht lassen, erscheint eine rein „dogmatische Suche“ nach einer Lösung nicht zielführend. Da das Verständnis des Europarechts nicht nur aus der Entwicklung der Dogmatik aus der geschriebenen Verfassung („Law in Books“) zu gewinnen ist, sondern gleichsam auch aus Kontext und Praxis („Law in Action“),17 wird deshalb eine Herangehensweise gewählt, die bei einer Untersuchung das nationale Recht betreffend mehr als befremdlich, gar unsinnig erscheinen mag: Es soll vom „Law in Action“ ausgegangen und deren Erscheinung mit einer dogmatischen Grundlage ausgestattet werden. Wenn Haltern bemerkt,18 dass die rechtliche Eigenlogik nicht 11

F. Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 290 AEUV Rn. 12. Siehe auch Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/ AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 20. 12 Hetmeier, in: Lenz/Borchardt, EU-Verträge, Art. 290 AEUV Rn. 5; Gundel, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 8; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 2. 13 Haltern, Europarecht I, § 1 Rn. 9. Ausdrücklich für die delegierte Rechtsetzung und Durchführungsrechtsetzung Sohn/Koch, cepKommentar, Umsetzung von Artikel 290, S. 8: „Zur Abgrenzung des Geltungsbereichs des Artikel 290 genügt es nicht, die von den Verfassern des neuen Vertrages zur Definition delegierter Rechtsakte gewählten Begriffe sorgfältig zu analysieren; vielmehr muss die Bestimmung in ihrem Kontext gesehen werden […].“. 14 Haltern, Europarecht I, § 1 Rn. 9. 15 Haltern, Europarecht I, § 1 Rn. 9. 16 Siehe prägnantes Beispiel hierfür bei Haltern, Europarecht I, § 1 Rn. 21. 17 Zu den Begriffen vgl. Haltern, Europarecht I, § 1 Rn. 20. 18 Haltern, Europarecht I, § 1 Rn. 15.

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selten „auf den Schultern des Politischen steht“, erscheint es womöglich doch nicht allzu unverständlich, sich zunächst nach diesen Schultern auf die Suche zu begeben, auf denen die rechtliche Logik stehen kann. Dies soll natürlich nicht dazu führen, dass die Praxis völlig losgelöst von dogmatischen Überlegungen betrachtet wird, denn das „Law in Action“ ersetzt nicht, sondern ergänzt das Unionsrecht als „Law in Books“.19 Die Analyse des Praxisbefundes soll auf dogmatischen Überlegungen und Vorarbeiten aufgebaut werden, sodass die Praxis gewissermaßen mit einer dogmatischen Lupe betrachtet wird. Denn letztlich finden auch in der Dogmatik Rechtswissenschaft und Rechtspraxis zusammen.20 Unterbleiben wird allerdings etwaige Kritik wegen eines Mangels an demokratischer Legitimation bei der exekutiven Normsetzung der Kommission oder wegen erheblicher Bedenken bei der demokratischen Legitimation der ESMA in ihrer Rolle als mittelbarer Rechtsetzer bei der Ausarbeitung technischer Standards. Ebenso werden Vorschläge oder Lösungsansätze fehlen, die eine Änderung der Gesetzeslage, insbesondere der Verträge mit sich bringen würden. Denn so wünschenswert und sogar notwendig es manchmal sein kann, dass bestehende Systeme verbessert werden, muss zunächst (oder zumindest bis zur möglicherweise erforderlichen Reform) mit dem Vorhandenen ein zufriedenstellendes Ergebnis erreicht werden. Darüber hinaus hat, wie noch dargestellt werden wird, das System der exekutiven Rechtsetzung durchaus zahlreiche Reformen durchlebt, was jedoch letztlich stets zur nächsten Reform geführt hat, da sich der gemeinsam gefundene Kompromiss doch als nicht zufrieden stellend herausstellte, sodass die endgültige und perfekte Antwort, wie so oft und wahrscheinlich in besonderem Maße auf supranationaler Ebene, wohl nicht existiert.

III. Gang der Untersuchung Die Arbeit zur Untersuchung der inhaltlichen Leistungsfähigkeit der verbindlichen Rechtsetzungsinstrumente von Kommission und ESMA gliedert sich in fünf Kapitel. Im ersten Kapitel wird zunächst ein Überblick über die Komitologie, die Durchführungsmaßnahmengebung der Kommission und über Lamfalussy gegeben werden. Sodann wird im zweiten Kapitel die historische Entwicklung der Komitologie und von Lamfalussy im Kontext der Entstehungsgeschichte des europäischen Kapitalmarktrechts aufgezeigt.

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Haltern, Europarecht I, § 1 Rn. 24. Jestaedt, JZ 2014, 1, 6.

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Im dritten Kapitel wird das Lamfalussyverfahren in seiner heutigen Form mit all seinen primär- und sekundärrechtlichen Rechtsquellen sowie interinstitutionellen Vereinbarungen, aus denen es sich zusammensetzt, dargestellt. Hieran schließt sich im vierten Kapitel die Untersuchung der inhaltlichen Leistungsfähigkeit der exekutiven Instrumente verbindlicher Rechtsetzung von Kommission und ESMA an, namentlich delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte, der technischen Standards und der Leitlinien und Empfehlungen an. Schließlich werden im fünften Kapitel die gewonnenen Erkenntnisse zusammengefasst und schließlich in Form von Thesen dargestellt werden.

Kapitel 1

Überblick über die exekutive Rechtsetzungsbefugnis der Kommission, die Komitologie und Lamfalussy A. Die Befugnis der Europäischen Kommission zur exekutiven Rechtsetzung Schon aufgrund der bloßen Anzahl an Politikbereichen und dem einhergehenden Bedürfnis und Erfordernis nach Regelung, ergibt sich eine solch große Anzahl an zu erlassenen Rechtsakten, die vom Europäischen Gesetzgeber allein nicht bewältigt werden kann. Darüber hinaus muss die Gesetzgebung laufend an Entwicklungen und sich verändernde Umstände angepasst werden, sodass Expertenwissen erforderlich ist. Aus diesen Gründen enthielten schon die „Urverträge“ der heutigen europäischen Verfassungsverträge, die Römischen Verträge von 1957, in Artt. 145, 155 EWGV die Möglichkeit des Rates (als damals einziges Gesetzgebungsorgan), in gewissem Umfang eigene Rechtsetzungsbefugnisse an die Kommission abzugeben.1 Diese Befugnisdelegation wurde allerdings nicht oder nur selten wahrgenommen. Stattdessen wurde das Gemeinschaftsrecht durch die Kommission im Rahmen eines speziellen Verfahrens umgesetzt, das den Mitgliedstaaten die Kontrolle über den exekutiven Rechtsetzungsprozess gewährleistete (Komitologie).2 Dies änderte sich, als im Jahr 1986 mit der Einheitlichen Europäischen Akte3 der damalige Art. 145 EWGV um eine Neuregelung ergänzt wurde, der die Übertragung von Durchführungsbefugnissen und die Komitologie zusammenbrachte, indem die Durchführung an normierte Modalitäten geknüpft wurde. Diese Regelung wurde nach weiterer Reform der Verträge durch Maastricht4 und Amsterdam5 in Artt. 202, 211 EGV 1

Bruha/Münch, NJW 1987, 542, 545; Wolfram, cep-Studie, Abgeleitete Rechtsetzung durch Komitologieverfahren in der EU, S. 4; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 1; König, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, § 2 Rn. 93 ff. Hierzu auch Ilgner, Die Durchführung der Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers durch die Europäische Kommission, Diss., 2014, S. 31 ff. 2 Zur Komitologie siehe sogleich in diesem Kapitel unter B. 3 Hierzu Streinz, Europarecht, § 2 Rn. 35 f.; Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, § 1 Rn. 21; Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, § 1 Rn. 23. 4 Hierzu Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, § 1 Rn. 24; Streinz, Europarecht, § 2 Rn. 37 ff. 5 Hierzu Streinz, Europarecht, § 2 Rn. 49 ff.; Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, § 1 Rn. 25.

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Kap. 1: Überblick über Rechtsetzungsbefugnis, Komitologie u. Lamfalussy

übernommen und galt in dieser Form bis zum Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon im Jahr 2009.6 Durch Ermächtigung zur Durchführung ist es der Kommission möglich, sowohl exekutiv als auch (quasi-)legislativ tätig zu werden. Zudem wird die Durchführung seit jeher weit ausgelegt7 und gewährt eine Befugnis, die so dem deutschen Recht unbekannt ist. Denn der dieser Befugnis am nähesten kommende Art. 80 GG lässt eine Änderung des ermächtigenden Gesetzes nicht zu.8 Im Wege der Durchführung kann die Kommission Rechtsakte grundsätzlich in den Formen erlassen, die auch dem ordentlichen europäischen Gesetzgeber zur Verfügung stehen. Durch Lissabon wurde im Jahr 2009 die bereits in Artt. I-36 und I-37 des gescheiterten Vertrages einer Verfassung für Europa angestrebte Trennung der Durchführung in quasi-legislative Maßnahmen (delegierte9 Rechtsetzung, Art. 290 AEUV) und exekutive Maßnahmen (Durchführungsrechtsetzung, Art. 291 AEUV) vorgenommen.10 Die Auftrennung führte allerdings zu Unklarheiten über das Verhältnis, die Abgrenzung und über die Reichweite der beiden Rechtsetzungsarten.11 Ebenso hatte die Aufspaltung Folgen für die Komitologie.12 Nichts desto weniger dienen die kommissionellen Rechtsetzungsarten der Entlastung des Gesetzgebers, indem sie ihm ermöglichen, sich im Sekundärrecht auf die politischen Leitlinien und Ziele zu konzentrieren und die Ausgestaltungsarbeit auf die Kommission zu verlagern.13 Die Möglichkeit der Befugnisübertragung ist deshalb für das Funktionieren der Union unentbehrlich. So werden auch noch nach Lissabon die meisten verbindlichen Rechtsakte der Union jedes Jahr von der Kommission auf Grundlage verliehener Rechtsetzungsbefugnisse erlassen.14 Sie 6 Ilgner, Die Durchführung der Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers durch die Europäische Kommission, Diss., 2014, S. 32; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 4 ff. 7 Siehe nur EuGH, Urteil v. 30. 10. 1975, Rey Soda/Cassa Conguaglio Zucchero, C-23/75, EU:C:1975:142, Rn. 10/14; EUGH, Urteil v. 15. 7. 2004, Di Lenardo Adriano Srl und Dilexport Srl/Ministero del Commercio con l’Estero, verb. Rs. C-37/02 und C-38/02, EU:C:2004:443, Rn. 55; EuGH, Urteil v. 4. 2. 1997, Belgien und Deutschland/Kommission, verb. Rs. C-9/95 und C-23/95 und C-156/95, EU:C:11997:50, Rn. 36; Schweitzer, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/EGV, Art. 202 EGV Rn. 25; König, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, § 2 Rn. 93. 8 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 34. 9 Der Begriff ist etwas missverständlich, nicht der von der Kommission erlassene Rechtsakt ist delegiert, sondern die Befugnis zu seinem Erlass. 10 Scharf, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht: Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, S. 22; Wolfram, cep-Studie, Abgeleitete Rechtsetzung durch Komitologieverfahren in der EU, S. 16; Schlacke, JöR 2013, 293, 305. 11 Wolfram, cep-Studie, Abgeleitete Rechtsetzung durch Komitologieverfahren in der EU, S. 17. 12 Dazu sogleich in diesem Kapitel unter B. 13 Möllers/von Achenbach, EuR 2011, 39, 53; Stelkens, EuR 2012, 511, 537. 14 So der Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und

B. Komitologie

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kann deshalb (neben dem ordentlichen Gesetzgeber) als das zentrale Instrument der europäischen Rechtsetzung bezeichnet werden.15

B. Komitologie Mit dem Begriff Komitologie (Ausschusswesen) wird die Delegation16 von Durchführungsbefugnissen17 an die Kommission und deren Befugniswahrnehmung durch das Erlassen von Durchführungsmaßnahmen unter formalisierter Unterstützung durch dazu geschaffene Expertenausschüsse beschrieben.18 Die heute gebräuchliche19 Bezeichnung der Komitologie (englisch: „comitology“; französisch: „comitologie“) entstammt dem Französischen „comité“ (Ausschuss) und wurde erstmals 1986 kurz nach Unterzeichnung der Einheitlichen Europäischen Akte wohl im Europäischen Parlament genutzt.20 Diese Komitees werden heute deshalb Komitologieausschüsse oder auch Verfahrensausschüsse21 genannt. Sie werden der Kommission zur Seite gestellt und wirken bei der Ausgestaltung und Durchführung der vom Unionsgesetzgeber erlassenen Rahmenrechtsakte mit. Nach Art. 291 Abs. 2 AEUV können der Kommission Befugnisse zur exekutiven Normsetzung übertragen Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, KOM(2017) 85 final v. 14. 2. 2017, S. 2. So wurden 2016 allein von der Kommission 1631 Rechtsakte erlassen. 15 So schon Grams, KritV 1995, 112, 113. 16 Allgemein zur Theorie und Reichweite der Delegation in Europa Thatcher/Stone Sweet, WEP 2002, 1. 17 Hierzu bereits in diesem Kapitel unter A. 18 Töller, Integration 2013, 213, 213; Gerken/Holtz/Schick, WD 2003, 662, 662; Roller, KritV 2003, 249, 249; Hummer, in: FS Fischer 2004, S. 123; Haibach, VerwArch 1999, 98, 99; Scheel, DÖV 2007, 683, 683; Martel, ZEuS 2008, 601, 610; Scharf, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht: Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, S. 6; Petersen/Heß, ZUR 2007, 567, 567; Hustedt/Wonka/Blauberger/Töller/Reiter, Verwaltungsstrukturen der EU, S. 105; Gonzáles, ZEuS 2003, 561, 563; Gerken/Holtz/Schick, WD 2003, 662, 662; Haltern, Europarecht I, § 3 Rn. 519; Kolassa, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch, § 135 Rn. 46; Schweitzer/Hummer/Obwexer, Europarecht, Rn. 673. Vgl. auch Europäisches Parlament: Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung: Mitteilung an die Mitglieder, PE426.948v02-00 v. 6. 7. 2009. 19 Begriff und Schreibweise sind allgemein gebräuchlich und werden so auch vom EuGH verwendet (vgl. schon in den Schlussanträgen des Generalanwalts Darmon v. 26. 5. 1988, Parlament/Rat, 302/87, EU:C:1998:263. Zur Kommission, vgl. unter https://ec.europa.eu/info/ implementing-and-delegated-acts/comitology_de#how-do-committees-work (zuletzt abgerufen am 30. 4. 2020). 20 Bradley, CML Rev. 1992, 693, 694 Fn. 7; von Achenbach, in: Bergmann, Handlexikon der Europäischen Union, S. 586. Es kursierten zu dieser Zeit mehrere Schreibweisen: „committology“, „commitology“, aber auch „cometology“. 21 So zumindest von der Kommission, vgl. unter https://ec.europa.eu/info/implementingand-delegated-acts/comitology_de#how-do-committees-work (zuletzt abgerufen am 30. 4. 2020).

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Kap. 1: Überblick über Rechtsetzungsbefugnis, Komitologie u. Lamfalussy

werden.22 Abhängig von der konkreten Ausgestaltung der Ermächtigung im Grundrechtsakt werden die Ausschüsse entweder beratend oder prüfend tätig. Der Sache nach handelt es sich bei der Durchführung der Vorschriften um eine exekutive Rechtsetzung durch die Kommission vergleichbar mit dem Erlass von Rechtsverordnungen in der bundesdeutschen Rechtsordnung nach Art. 80 GG.23 Es ist allerdings sowohl der Erlass genereller als auch individueller Rechtsakte möglich.24 Die Komitologieausschüsse setzen sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten, zumeist entsandte Beamte und Experten der jeweiligen Regierungen, zusammen und stehen unter dem Vorsitz eines Vertreters der Kommission.25 Die Ausschüsse stellen somit aufgrund der ihnen zugewiesenen Aufgaben und Kompetenzen und ihrer Zusammensetzung eine Schnittstelle zwischen europäischer und nationaler Ebene dar. Sie dienen der Kontrolle der Kommission durch die Mitgliedstaaten bei der Ausübung der abgeleiteten Rechtsetzungsbefugnis.26 Neben der Kontrollfunktion haben die Ausschüsse die Aufgabe, die Kommission bei der Durchführung der Rahmenrechtsakte zu unterstützen,27 denn als Experten der nationalen Parlamente liefern die Ausschussmitglieder der Kommission die hierfür erforderliche Expertise.28 Ziel der Komitologie ist es somit, die Kommission in nach dem Erlass des Rahmenrechtsakts durch den europäischen Gesetzgebers (absichtlich) offenen Detailfragen zu beraten, die das Exekutivorgan wegen beschränkter Ressourcen und 22

Nach Art. 291 Abs. 2 AEUV können nicht nur in Gesetzgebungsakten Durchführungsbefugnisse verliehen werden, sondern in allen verbindlichen Rechtsakten, somit auch in delegierten Rechtsakten, sodass eine Subdelegation denkbar ist, vgl. auch Hofmann/Türk, ZG 2012, 105, 112. 23 Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., § 290 AEUV Rn. 2. 24 Petersen/Heß, ZUR 2007, 567, 567. Nach dem Wortlaut von Art. 291 AEUV sind nicht nur Durchführungsrechtsakte abstrakter Natur, sondern auch der Erlass konkret individueller Regelungen möglich, vgl. auch Hofmann/Türk, ZG 2012, 105, 112. 25 Vgl. Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, ABl. Nr. L 55 v. 28. 2. 2011, S. 13. Diese Stufe der abgeleiteten Gesetzgebung wird aufgrund ihrer Zusammensetzung auch Beamtenebene genannt, vgl. Europäisches Parlament: Bericht über den Abschluss einer interinstitutionellen Vereinbarung in Form einer gemeinsamen Erklärung hinsichtlich des Entwurfs für einen Beschluss des Rates zur Änderung des Beschlusses 1999/468/EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse v. 3. 7. 2006, A6-0237/2006. 26 Roller, KritV 2003, 249, 249 f.; Meng in ZfaöRV 1988, S. 210. Da nicht jedes Komitologieverfahren eine Berücksichtigung der Stellungnahme der Ausschüsse vorsieht, gewinnen die Mitgliedstaaten zwar nicht immer Kontrolle, zumindest aber die Möglichkeit frühzeitiger und detaillierter Informierung. 27 Schlacke, JöR 2013, 293, 293. 28 Scharf, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht: Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, S. 6.

B. Komitologie

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Fachwissen allein weder quantitativ noch qualitativ zu erfüllen in der Lage wäre.29 Mit Einbeziehung der Mitgliedstaaten steht zudem nicht nur deren Fachwissen zur Verfügung, sondern es hat auch den Vorteil, dass der spätere Vollzug der Durchführungsmaßnahmen auf nationaler Ebene erleichtert wird.30 Durch die Mitwirkung der nationalen Vertreter der Mitgliedstaaten in den Ausschüssen bei der Ausgestaltung der Durchführungsrechtsakte, die je nach Rechtsform einer Umsetzung bedürfen, sind diese mit der Materie und dem durch die Maßnahme verfolgten Regelungszweck vertraut. Die Komitologieausschüsse sind von den Fachausschüssen zu unterscheiden. Letztere sind nicht an der abgeleiteten Gesetzgebung beteiligt, sondern unterstützen die Kommission in unterschiedlichster Weise bei der Wahrnehmung ihrer zahlreichen Aufgaben.31 Die Komitologie selbst hat ihre Ursprünge in den Sechziger Jahren.32 In den Römischen Verträgen von 1957 wurden der Kommission erstmals Durchführungsbefugnisse verliehen.33 Denn schon früh zeigte sich, dass der raschen Entwicklung in Wirtschaft und Gesellschaft und dem damit einhergehenden Erfordernis immer genauerer Regelungen mit einfachen legislativen Mittel des Rates nicht mehr gefolgt werden konnte. Deshalb wurden der Kommission Durchführungsbefugnisse verliehen, bei deren Nutzung sie sich der Ausschüsse und ihres Fachwissens bediente.34 Ebenfalls sicherte sich der Rat so eine gewisse Einflussmöglichkeit auf die Kommissionsentscheidungen.35 Obwohl diese Form des Ausschusswesens in den Rö-

29 Leixner, BMF Working Paper: Komitologie und Lamfalussyverfahren im Finanzdienstleistungsbereich, S. 9; EuGH, Urteil v. 12. 7. 2005, Alliance for Nataral Health u. a./Secretary of State for Health, verb. Rs. C-154/04 u. C-155/04, EU:C:2005:449, Rn. 78 f. 30 Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Änderung des Beschlusses 1999/468/EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, KOM(2002) 719 endg. v. 11. 12. 2002, S. 4. 31 Vgl. zur Formenvielfalt dieser Fachausschüsse Falke, in: Joerges/Falke, Das Ausschusswesen der Europäischen Union, S. 135 ff. So ist die Bezeichnung der Komitologieausschüsse in Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 60 f. als Fachausschüsse missverständlich. 32 Damals wurden die Komitologieausschüsse noch als Verwaltungsausschüsse bezeichnet, vgl. Roller, KritV 2003, 249, 250. 33 Vgl. Artt. 145 und 155 EWGV. 34 Delevigné, SIAK-Journal 2009, 45, 47. 35 Die Kontrolle wird überwiegend als primäres Motiv zur Einführung der Verwaltungsausschüsse gesehen, da man der Kommission nicht alleine die Entscheidung über teils sehr brisante Thematiken überlassen wollte, vgl. Meng, ZaöRV 1998, 208, 209. Ebenso Roller, KritV 2003, 249, 250, der diese These durch die empirischen Daten belegt sieht, wonach sich 72 % aller im Gesamthaushaltsplan ausgewiesenen Ausschüsse aus Regierungssachverständigen bildeten; die Daten sind entnommen von Falke, in: Joerges/Falke, Das Ausschusswesen der Europäischen Union, S. 81. Zu den Motiven Falke, in: Joerges/Falke, Das Ausschusswesen der Europäischen Union, S. 51. Heutzutage ist dieser Aspekt allerdings in den Hintergrund gerückt, vgl. Haltern, Europarecht I, § 3 Rn. 520 ff.

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Kap. 1: Überblick über Rechtsetzungsbefugnis, Komitologie u. Lamfalussy

mischen Verträgen nicht vorgesehen war36 und die Ausschüsse nur befristet eingeführt wurden, erweiterte man in den siebziger und achtziger Jahren die Anzahl und Anwendungsbereiche der Ausschüsse in den verschiedenen Politikbereichen. Die Bedingungen der Mitwirkung der Ausschüsse an der Durchführungsrechtsetzung erhielten mit der Einheitlichen Europäischen Akte erstmals durch den Komitologiebeschluss37 von 1987 eine eigene sekundärrechtliche Grundlage. Über die Jahre wurde diese Grundlage mehrfach ersetzt oder überarbeitet, bis sie zuletzt aufgrund der Neuregelung der Verträge durch Lissabon ihre bisher letzte Neuerung im Jahr 2011 erfuhr. Hierdurch wurde der ehemalige Anwendungsbereich der Komitologie zweigeteilt, während das Ausschusswesen lediglich bei einem der beiden Möglichkeiten zur kommissionellen Rechtsetzung anwendbar blieb (Durchführungsrechtsetzung), sodass Lissabon zu einer Verkürzung des Anwendungsbereichs der Komitologie führte.38 Ihre wesentliche Rolle im Normsetzungsgefüge der EU hat das Ausschusswesen hierdurch allerdings nicht verloren.39 Mittlerweile überwachen und beraten mehrere Hundert Komitologieausschüsse40 die Kommission. Ein Großteil der EU-Vorschriften werden nicht im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren i.S.d. Art. 294 AEUV, sondern im Wege der Komitologie erlassen,41 sodass die Ausschüsse fast unbemerkt42, einen erheblichen Einfluss auf das ausüben, was von außen als 36 Obwohl der EWG-Vertrag in Art. 155, 4. Spiegelstrich EWGV die Möglichkeit zur Übertragung von Durchführungsbefugnissen kannte, wurde die Rechtsgrundlage für die Einsetzung der Ausschüsse nicht in dieser Norm, sondern aus dem Selbstorganisationsrecht des Rates und aus Art. 235 EWGV abgeleitet, vgl. hierzu Hummer, in: FS Fischer 2004, S. 124 f. und Strohmaier, Die Befugnisse von Rat und Kommission zur Einsetzung von Ausschüssen, Diss., 1972, S. 231 ff. 37 Beschluss des Rates 87/373/EWG vom 13. Juli 1987 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABl. Nr. L 197 v. 18. 7. 1987, S. 33. 38 Deutscher Bundestag, Die abgeleitete Rechtsetzungsbefugnisse der Europäischen Kommission nach dem Vertrag von Lissabon, S. 1. 39 Vgl. etwa Hetmeier, in: Lenz/Borchardt, EU-Verträge, Vorb. Art. 290, 291 AEUV Rn. 1. So wurden allein 2015 mehr als 1500 Durchführungsrechtsakte von der Kommission erlassen, vgl. Bericht der Kommission über die Tätigkeit der Ausschüsse im Jahre 2015, COM(2016) 772 final v. 5. 12. 2016, S. 5. 40 Im Jahre 2015 existierten 280 Ausschüsse in 28 Politikbereichen, acht davon im Bereich der Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion, vgl. Bericht der Kommission über die Tätigkeit der Ausschüsse im Jahre 2015, COM(2016) 772 final v. 5. 12. 2016, S. 5. Eine vollständige Liste aller Komitologieausschüsse ist unter der Internetdarstellung der Kommission abrufbar unter http://ec.europa.eu/transparency/regcomitology/index.cfm?do= OpenData.list (zuletzt abgerufen am 30. 4. 2020). 41 Delevigné, SIAK-Journal 2009, 45, 46. Vgl. auch Blom-Hansen, JEPP 2008, 208, 208; Gerken/Holtz/Schick, WD 2003, 662, 664; Falke, in: Joerges/Falke, Das Ausschusswesen der Europäischen Union, S. 44 f. Im Jahr 2006 schätzte der Consultant Daniel Guéguen bei einem Workshop der „European Food Law Association“ in Brüssel, dass weit über 90 % der Rechtsakte im Komitologieverfahren angenommen werden, zitiert nach Kotz/Schusterschitz, ZFR 2007, 2, 5 Fn. 30. 42 Falke, in: Joerges/Falke, Das Ausschusswesen der Europäischen Union, S. 43; schon Glatthaar, RIW 1992, 179, 182; Seifert, EL Working Papers: Die Durchführung des Ge-

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europäische Politik und Gesetzgebung wahrgenommen wird.43 Aus diesem Grund ist die Komitologie auch ein ewiger Streitherd der drei Organe der EU, die jeweils möglichst weitreichende Mitspracherechte für sich in Anspruch nehmen möchten.44 Obwohl derart bedeutend, stellt die Komitologie selbst für Europarechtskundige eine schwer verständliche Materie dar.45

C. Lamfalussy Lamfalussy (bzw. Lamfalussyverfahren/-prozess) bezeichnet einen Rechtsetzungs- und Rechtumsetzungsprozess, der in mehreren Stufen und unter Einhaltung komplexer Konsultations- und Verfahrensvorschriften erfolgt.46 Bei dem für den Finanzdienstleistungssektor im Jahr 2000 entwickelten und 2002 eingeführten Verfahren handelt es sich, vereinfacht gesagt, um eine Art beschleunigtes besonderes

meinschaftsrechts durch die Europäische Kommission, S. 6; so nennt Wolfram die abgeleitete Rechtsetzung durch Komitologieverfahren „Underground Law“, Wolfram, cep-Studie, Abgeleitete Rechtsetzung durch Komitologieverfahren in der EU, S. 1; ähnlich auch Weiler in „Die Zeit“ v. 22. 10. 1998, der im Zusammenhang mit der Komitologie von „Unterwelt“ spricht. 43 Scheel, ZEuS 2006, 521, 522; Riedel, EuR 2006, 512, 512; Hustedt/Wonka/Blauberger/ Töller/Reiter, Verwaltungsstrukturen der EU, S. 105; Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, § 11 Rn. 1. 44 So bezeichnen beispielsweise Christiansen/Vaccari, EIPASCOPE 2006, 9, 9, die Komitologie als „never ending story“. Berichterstatter Richard Corbett nennt die Komitologie in dem Bericht des federführenden Ausschusses des Parlaments im Zusammenhang mit der Überarbeitung des Komitologiebeschlusses von 1999 das „uralte Problem der Ausschussverfahren“, Bericht über den Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Änderung des Beschlusses 1999/468/EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, A5-0128/2003 endg. v. 29. 4. 2003, S. 17. 45 So bezeichnet 1999 der damalige Vorsitzende des Verfassungsausschusses im Europäischen Parlament, Biagio De Giovanni, die Komitologie als „un inferno“, zitiert nach Tichy, ZfRV 2000, 134, 134. Treffend dazu auch Kotz/Schusterschitz in ZFR 2007, S. 2: „Der Begriff der Komitologie gehört zweifelsohne zu jenem europarechtlichem Fachjargon, der auch dem halbwegs verständigen Europarechtler so manches Rätsel aufgibt.“; ebenso Hummer, in: FS Fischer 2004, S. 123, der die Komitologie als „weißen Fleck auf der Landkarte des Institutionellen Europarechts“ bezeichnet. Nach Beer, EuZW 2010, 201, 201 hat die Komitologie den Ruf einer „Geheimwissenschaft versierter Eurokraten“. Am 16. 6. 2006 bezeichnete der zu dieser Zeit amtierende österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bei der Pressekonferenz zum Abschluss des Europäischen Rates die Komitologie als „eine Art Da-Vinci-Code“, zitiert nach Schusterschitz, Europa-Blätter 2006, 176. Siehe auch Scharf, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht: Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, S. 5. 46 Leixner, BMF Working Paper: Komitologie und Lamfalussyverfahren im Finanzdienstleistungsbereich, S. 8; Ruppel, Finanzdienstleistungsaufsicht in der Europäischen Union, Diss., 2015, S. 46; Walla, in: Veil, europäisches Kapitalmarktrecht, S. 41; Claßen/Heegemann, Kreditwesen 2003, 1200, 1200; Rötting/Lang, EuZW 2012, 8, 8; Langenbucher, ZEuP 2002, 265, 273 f.; Klöhn, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, Einleitung Rn. 32.

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Kap. 1: Überblick über Rechtsetzungsbefugnis, Komitologie u. Lamfalussy

Komitologieverfahren, bei dem der Kommission außergewöhnlich weitgehende Durchführungsbefugnisse zugestanden werden.47 Das Verfahren wurde nach dem Vorsitzenden des Ausschusses der Weisen, auf dessen Abschlussbericht die Idee des Verfahrens zurückgeht, Alexandre Lamfalussy48 benannt. Ziel der Expertengruppe war es, eine Möglichkeit zu finden, um den komplexen und teils langwierigen europäischen Gesetzgebungsprozess zunächst im Bereich des Kapitalmarktrechts zu beschleunigen und die (einheitliche) Umsetzung der so entstandenen Rechtsakte auf nationaler Ebene sicherzustellen, um auf Innovationen und technologischen Fortschritt auf den Finanzmärkten schneller reagieren können. Der Bericht mit den Ergebnissen der Expertengruppe ging als „Lamfalussybericht“ in die Geschichte der Europäischen Finanzmarktregulierung ein.49 Das Verfahren besteht aus insgesamt vier Ebenen. Die ersten beiden betreffen die Gesetzgebung, die beiden letzteren die Umsetzung und Aufsicht. Zwar war das Verfahren zunächst lediglich für den Wertpapiersektor entworfen worden, sein Anwendungsbereich wurde aber alsbald auf den gesamten Finanzdienstleistungsbereich erweitert.50 Letztlich bediente sich Lamfalussy bei seiner Idee an dem, was bereits zur Beschleunigung und Entlastung des Gesetzgebers vorhanden war. Der ordentliche Gesetzgebungsprozess im Mitentscheidungsverfahren, Art. 251 EGV (Art. 294 AEUV), sollte durch Nutzung des sogenannten fast-track facility nach Art. 251 Abs. 2 S. 2 EGV an Geschwindigkeit gewinnen, während die Ausgestaltung der Gesetzgebungsakte im Wege der Komitologie der Kommission überlassen werden sollte (Artt. 202, 211 EGV), bei der sie von vier besonderen und zu diesem Zweck geschaffenen Komitologieausschüssen51 unterstützt wurde. Zur Aufsicht und ebenfalls zur Unterstützung der Kommission wurden drei weitere Ausschüsse eta-

47 Scharf, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht: Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, S. 10; Kolassa, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, BankenrechtsHandbuch, § 135 Rn. 45. Die Kommission bezeichnet das Verfahren auch als „neuen Komitologieansatz“, vgl. KOM(2003) 659 endg. v. 5. 11. 2003, S. 11. 48 Baron Alexandre Lamfalussy, zu dieser Zeit Präsident des Europäischen Währungsinstitutes, wurde vom Parlament damit beauftragt, sich zusammen mit einer Expertengruppe genannter Probleme anzunehmen. 49 Leixner, BMF Working Paper: Komitologie und Lamfalussyverfahren im Finanzdienstleistungsbereich, S. 9. 50 Richtlinie 2005/1/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2005 zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG, 85/611/EWG, 91/675/EWG, 92/49/EWG und 93/6/ EWG des Rates sowie der Richtlinien 94/19/EG, 98/78/EG, 2000/12/EG, 2001/34/EG, 2002/ 83/EG und 2002/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung einer neuen Ausschussstruktur im Finanzdienstleistungsbereich, ABl. Nr. L 79 v. 24. 3. 2005, S. 9. Siehe auch Coen/Thatcher, JPP 2008, 49, 56 ff. 51 Der Europäische Wertpapierausschuss (ESC), der Europäische Bankenausschuss (EBC), der Europäische Ausschuss für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPC) und der Finanzkonglomerateausschuss (EFCC).

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bliert.52 Das Lamfalussyverfahren beruhte zunächst auf dem Komitologieverfahren des Regelungsverfahrens;53 seinen Besonderheiten wurde allerdings 2006 durch Einführung eines neuen Komitologieverfahrens, dem Regelungsverfahrens mit Kontrolle, Rechnung getragen.54 Die Finanzkrise von 2007 führte zur Neuordnung der europäischen Finanzaufsicht, in dessen Zuge auf Anraten einer damals zur Reform des gescheiterten europäischen Aufsichtssystems eingesetzten Expertengruppe um Jacques de Larosière55 die Aufsichtsausschüsse zu Behörden „aufgewertet“ und in das Lamfalussyverfahren integriert wurden. So entstanden die auch heute noch tätigen europäischen Aufsichtsbehörden (ESA),56 die im Lamfalussyprozess eine Doppelrolle einnehmen. Zum einen werden sie wie ihre Vorgängerinstitutionen als Aufsichtsorgane auf dritter Stufe tätig und zum anderen kommt ihnen auf zweiter Stufe eine Rolle als besondere Komitologieausschüsse zu, deren Empfehlungen finalen Charakter haben. Zugleich führte die Reform der Verträge zur Aufspaltung der Durchführungsrechtsetzung nach Art. 202 EGV, was auch das Lamfalussyverfahren umgestaltete. Die ESA sind allerdings, anders als die Komitologieausschüsse, an beiden durch Lissabon entstandenen kommissionellen, exekutiven Rechtsetzungsarten beteiligt. Lamfalussy hat maßgeblich zur Regulierung und Schaffung einer Kapitalmarktunion beigetragen57 und ist im europäischen Kapitalmarktrecht von entscheidender Bedeutung. So ist etwa der wohl zurzeit prominenteste Rechtsakt in diesem Bereich, die Marktmissbrauchsverordnung58, von Lamfalussy durchzogen.59 52 Der Ausschuss der Europäischen Wertpapierregulierungsbehörden (CESR), der Ausschuss der Europäischen Bankaufsichtsbehörden (CEBS) und der Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (CEIOPS). 53 Ruffing, Europäische Wertpapierregulierung, Diss., 2011, S. 112. Vgl. auch Schlussbericht der Weisen, S. 36; sowie Ziff. 5 der Entschließung des Europäischen Rates vom 23. März 2001 über eine wirksamere Regulierung der Wertpapiermärkte in der Europäischen Union, ABl. Nr. C 138 v. 11. 5. 2001, S. 1. 54 Leixner, BMF Working Paper: Komitologie und Lamfalussyverfahren im Finanzdienstleistungsbereich, S. 9. Siehe auch Konferenz der Ausschussvorsitzenden: Handbuch der Komitologie: Die Arbeiten des Europäischen Parlaments im Bereich Komitologie v. März 2009, PE405.166/rev., S. 6 ff. 55 Jacques Martin Henri Marie de Larosière de Champfeu ist ein französischer Jurist und war unter anderem Direktor des IWF, Präsident der Banque de France, Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und Vorsitzender eben jener Expertengruppe zur Stärkung und Verbesserung des Systems der Finanzmarktaufsicht. 56 Zu den European Supervisory Authorities (ESA) gehören die Europäische Wertpapierund Marktaufsichtsbehörde (ESMA), die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) und die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA). 57 Möllers, EBOR 2010, 379, 380; Schmolke, NZG 2005, 912, 914 f. 58 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der

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Kap. 1: Überblick über Rechtsetzungsbefugnis, Komitologie u. Lamfalussy

Um noch etwas weiter als Klöhn60 zu gehen: Die Regulierung und Harmonisierung des europäischen Finanzdienstleistungssektors kann nur verstehen, wer das besondere Rechtsetzungsverfahren verstanden hat, mit dem diese Prozesse vorangetrieben werden: Das Lamfalussyverfahren. Die starke Modifikation von Lamfalussy durch Lissabon und de Larosière führte allerdings dazu, dass der Begriff „Lamfalussy“ für die Bezeichnung des Verfahrens teilweise aufgegeben wurde.61 Da allerdings nicht von der Hand zu weisen ist, dass die grundsätzliche Idee und Konzeption als mehrstufiges Verfahren erhalten blieb und auch die weiteren Reformen auf dem damals geschaffenen System aufbauen, ist die heutige Ausgestaltung des Verfahrens teilweise noch unter dem Namen Lamfalussy II-Verfahren bekannt.62 Auch hier soll deshalb weiterhin von Lamfalussy die Rede sein.

Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/ 124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. Nr. L 173 v. 12. 6. 2014, S. 1. 59 Vgl. etwa Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 6, Art. 6 Abs. 5 und 6, Art. 11 Abs. 9 bis 11, Art. 12 Abs. 5, Art. 13 Abs. 7, Art. 16 Abs. 5, Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 3, Art. 17 Abs. 3 und 10, Art. 18 Abs. 9, Art. 19 Abs. 13 bis 15, Art. 20 Abs. 3, Art. 24 Abs. 3, Art. 25 Abs. 9, Art. 26 Abs. 2, Art. 33 Abs. 5, Art. 38. 60 Die Originalaussage lautet wie folgt: „Einen Überblick über das europäische Marktmissbrauchsrecht kann man nur behalten, wenn man das besondere Rechtsetzungsverfahren verstanden hat, in dem diese Rechtsakte erlassen werden: das Lamfalussy-Verfahren.“, Klöhn, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, Einleitung Rn. 32. 61 Die Kommission selbst nutzt den Begriff „Lamfalussy“ so weit ersichtlich, nicht mehr (offiziell). Vgl. auch Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 56. 62 Vgl. etwa Klöhn, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, Einleitung Rn. 32; Lutter/ Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., § 17 Rn. 48; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl., § 14 Rn. 14.46; Walla, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, § 4 Rn. 3 ff. Für eine solche Bezeichnung bereits nach Umgestaltung des Verfahrens durch den de Larosiere-Bericht Schmolke, NZG 2005, 912, 912.

Kapitel 2

Entstehung und Entwicklung der Komitologie und des Lamfalussyverfahrens im Kontext der Europäischen Kapitalmarktregulierung Die Geschichte des Lamfalussyverfahrens ist eng mit der Entwicklungsgeschichte des europäischen Kapitalmarktrechts und dessen Finanzaufsichtssystems verbunden. Bei der folgenden Darstellung werden die historische Entwicklung von Komitologie und Lamfalussy zunächst getrennt voneinander betrachtet und die des Ausschusswesens als erstes dargestellt bis sich seine Geschichte mit der des Lamfalussyverfahrens vermischt, da Alexandre Lamfalussy das Konzept des Ausschusswesens in sein Verfahren „verbaut“ hat. Die Darstellung von Lamfalussy wird in den geschichtlichen Werdegang des Europäischen Kapitalmarktrechts und seine Regulierung eingebunden, da das Verfahren ursprünglich für die Anwendung der Kapitalmarktrechtsetzung auf Gemeinschaftsebene entwickelt wurde und seinen Zweck nicht nur in der Effizienzsteigerung der Gesetzgebung, sondern auch in der Förderung des übergeordneten Ziels der Errichtung eines gemeinsamen Binnenmarkts1 hatte. Sodann werden beide Geschichtsstränge verflochten erzählt, da von da an die Schicksale beider Verfahren verbunden sind. Das Lamfalussyverfahren ist Teil der Geschichte und Entwicklung der Komitologie insgesamt,2 sowie untrennbar mit den Harmonisierungsbestrebungen im Bereich des europäischen Kapitalmarktrechts verwoben. Das europäische Kapitalmarktrecht selbst ist ein verhältnismäßig junges Rechtsgebiet; ist es noch keine 50 Jahre alt.3 Der Auf- und Ausbau des europäischen Kapitalmarktrechts wurde und wird zum großen Teil durch Weißbücher und andere Verlautbarungen der Kommissionen sowie durch Berichte sachverständiger Gremien gestaltet und geprägt. Bei der Darstellung soll deshalb kurz auch auf die Ziele, die diese Mitteilungen der Kommission und Expertenberichte formulierten und den Regelungsgegenstand der daraufhin erlassenen Maßnahmen eingegangen werden. Die historische Darstellung erfolgt deshalb in ausführlicher Weise, da das Dargestellte nicht nur als Grundlage für die Darstellung des Verfahrens und der historischen Auslegung dient, sondern vor allem auch den für das Verständnis von

1 2 3

Vgl. Art. 2 EGV und Art. 3 Abs. 3 EUV. Ruffing, Europäische Wertpapierregulierung, Diss., 2011, S. 123. Wilhelmi, JZ 2014, 693, 693.

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Kap. 2: Entstehung/Entwicklung der Komitologie u. des Lamfalussyverfahrens

Lamfalussy wichtigen (politischen) „Kontext“, wie er von Haltern für ein solches als unerlässlich angesehen wird,4 liefert.

A. Entstehung des Ausschusswesens I. Anfänge 1. Geburtsstunde der Komitologie im Jahr 1962 Als Anfang der sechziger Jahre mit Errichtung der ersten gemeinsamen Agrarmarktordnungen der EG-Ministerrat die enorme Anzahl der damit verbundenen Detailaufgaben nicht mehr regeln konnte und dies auch nicht wollte, da jenes „Tagesgeschäft“ von Seiten des Rates nicht als dessen eigentliche Aufgabe angesehen wurde und er darüber hinaus weder die personellen Mittel noch das Fachwissen besaß, um zeitnah Beschlüsse mit teils höchst technischem Inhalt zu fassen,5 machte er sich auf die Suche nach einer geeigneten „Ersatzinstitution“, die diese Aufgabe bewältigen konnte und fand die Kommission.6 Zu diesem Zweck wurde es grundsätzlich erforderlich, der Kommission Befugnisse zur Durchführung nach Art. 155 EWGV zu übertragen. Der Rat wollte jedoch der Kommission in Anbetracht der politischen Sprengkraft der zu treffenden Entscheidungen nicht unbeaufsichtigt die Befugnis zur Durchführungsrechtsetzung überlassen,7 sodass eine Befugnisübertragung nach dem EWGV nicht in Betracht kam. Nach einem diplomatischen Zueinanderfinden8 hatte man sich schließlich darauf geeinigt, der Kommission ent4

Vgl. Haltern, Europarecht I, § 1 Rn. 9, 20. Demmke/Haibach, DÖV 1997, 710, 710. 6 Edenharter, DÖV 2011, 645, 645; Beer, EuZW 2010, 201, 201; Fuhrmann, DÖV 2007, 464, 464; Türk, in: Kadelbach, Europäische Integration und parlamentarische Demokratie, S. 132. 7 Meng, ZaöRV 1998, 208, 209. 8 Die Kommission hatte 1961 ein Verfahren vorgeschlagen, wonach der Kommission bestimmte Entscheidungsbefugnisse eingeräumt werden sollten. Die so getroffenen Entscheidungen sollten dem Rat unverzüglich vorgelegt werden, welcher darüber innerhalb einer bestimmten Frist befinden konnte. Sofern die Frist ergebnislos verstrich, sollte die Kommissionsentscheidung als angenommen gelten. Mitgliedstaatliche Delegationen monierten jedoch ihre fehlende Einflussnahmemöglichkeit auf das Verfahren und auch das Europäische Parlament stellte sich gegen diesen Vorschlag. Von französischer Seite wurde vorgeschlagen, die Befugnisausübung in die Hände neuer, aus Mitgliedern der Kommission und der Mitgliedstaaten bestehender Gremien zu legen. Wegen der Befürchtung, durch die Einrichtung solcher Gremien einen Machtverlust zu erleiden, und Protests der Mitgliedstaaten, änderte die Kommission den französischen Vorschlag ab, sodass die Gremien den Rechtsetzungsvorschlag der Kommission lediglich begutachten sollten und bei Nichtstellungnahme die Pflicht zur Vorlage an den Rat bestand. Gegen diesen Vorschlag opponierten insbesondere Italien und die Niederlande wegen einer zu schwachen Stellung der Kommission, sodass die Kommission erneut Änderungen vornahm und das Verfahren seine endgültige Fassung erhielt. Siehe hierzu auch 5

A. Entstehung des Ausschusswesens

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sprechende Befugnisse zu übertragen, die Mitgliedstaaten jedoch am Entscheidungsprozess zu beteiligen und ihnen die Kompetenz einzuräumen, von der Kommission getroffenen Entscheidungen über den Rat wieder aufzuheben. Der Kommission wurden sogenannte Verwaltungsausschüsse zur Seite gestellt, die sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammensetzten. So führte der Rat in den Artt. 25 und 26 der Agrarmarktverordnung9 erstmals den „Verwaltungsausschuss“10 zur technischen Beratung und Kontrolle der Kommission bei der Durchführung der Verordnung ein. Dies war die Geburtsstunde der Komitologie.11 Die Verwaltungsausschüsse bestanden aus Vertretern der Mitgliedstaaten und gaben Stellungnahmen zu Entwürfen der Kommission hinsichtlich der Durchführung von Rechtsakten ab. Ungeachtet der Stellungnahme des Ausschusses konnte die Kommission die entworfene Maßnahme sofort erlassen, musste dann aber unverzüglich den Rat informieren. Sofern eine qualifizierte Mehrheit innerhalb des Verwaltungsausschusses gegen die Entscheidung der Kommission Stellung bezog, konnte die Kommission die Durchführung der Maßnahme um maximal einen Monat aufschieben. In diesem Zeitraum war der Rat befugt, ebenfalls mit qualifizierter Mehrheit, eine andere Entscheidung herbeizuführen, jedoch nicht, die Maßnahme der Kommission als solche abzulehnen. Das Verfahren entsprach damit dem sog. IIa-Verfahren des späteren Komitologiebeschlusses von 1987.12 Dieses Verwaltungsausschussverfahren wurde 196213 und 196414 erneut im Agrarsektor eingesetzt.15 Töller, Komitologie, Diss., 2002, S. 233 f.; Harnier, Kompetenzverteilung und Kompetenzübertragung zwischen Rat und Kommission, Diss., 1969, S. 175 ff. 9 Verordnung (EWG) Nr. 19/62 des Rates vom 4. April 1962 über die schrittweise Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für Getreide, ABl. Nr. 30 v. 20. 4. 1962, S. 933. 10 Die Idee des Verwaltungsausschusses geht auf Walter Hallstein zurück. Siehe auch BlomHansen, JEPP 2008, 208, 217. 11 Zur Geschichte der Komitologie siehe ebenfalls Hummer, in: FS Fischer 2004, S. 124 ff.; Töller, Komitologie, Diss., 2002, S. 232 ff.; Demke/Haibach, DÖV 1997, 710, 710 ff.; Ilgner, Die Durchführung der Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers durch die Europäische Kommission, Diss., 2014, S. 115 ff.; Hustedt/Wonka/Blauberger/Töller/Reiter, Verwaltungsstrukturen der EU, S. 106 ff.; Gonzáles, ZEuS 2003, 561, 561 ff.; Bradley, ELJ 1997, 230, 231; Tichy, ZfRV 2000, 134, 134 ff.; Blom-Hansen, JEPP 2008, 208, 208 ff.; Wolfram, cep-Studie, Abgeleitete Rechtsetzung durch Komitologieverfahren in der EU, S. 6 ff.; Scharf, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht: Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, S. 7 ff.; Meng, ZaöRV 1998, 208, 208 ff.; Falke, in: Joerges/Falke, Das Ausschusswesen der Europäischen Union, S. 52 ff., S. 94 ff.; Hummer, in: FS Seidl-Hohenveldern 1998, S. 287 ff.; Gerken/Holtz/Schick, WD 2003, 662, 662 ff.; Bertram, CML Rev. 1968, 246, 247 ff.; Vos, ELJ 1997, 210, 211 f.; Hummer, in: FS Fischer 2004, S. 124 ff.; Pilniok/Westermann, VerwArch 2012, 379, 380 ff.; Türk, in: Kadelbach, Europäische Integration und parlamentarische Demokratie, S. 132 ff.; Ruffing, Europäische Wertpapierregulierung, Diss., 2011, S. 111 ff.; BlomHansen, JEPP 2008, 208, 213 ff.; Konferenz der Ausschussvorsitzenden: Handbuch der Komitologie: Die Arbeiten des Europäischen Parlaments im Bereich Komitologie, v. März 2009, PE405.166/rev., S. 5 f. 12 Demmke/Haibach, DÖV 1997, 710, 710; Riedel, EuR 2006, 512, 523 ff. 13 Vgl. (verkürzt dargestellt) VO Nr. 20 (Schweinefleisch) Artt. 19, 20; VO Nr. 21 und 22 (Eier und Geflügel) Art. 16, 17; VO Nr. 23 (Obst und Gemüse) Art. 12, 13; VO Nr. 24 (Wein) Artt. 6, 7, alle vom 4. 4. 1962, ABl. Nr. L 30 v. 20. 4. 1962, S. 942 ff.

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Kap. 2: Entstehung/Entwicklung der Komitologie u. des Lamfalussyverfahrens

Das Ausschusswesen war nicht in den Römischen Verträgen vorgesehen. Zwar sah der EWG-Vertrag, wie bereits erwähnt, in Art. 155, 4. Spiegelstrich eine explizite Delegationsermächtigung vor, doch wurde die Norm nicht als Rechtsgrundlage für die Errichtung der Ausschüsse gesehen,16 da dieser eine Bindung an die Stellungnahmen der Ausschüsse nicht vorsah, die sicherstellen sollten, dass die Kommission mit ihren Entscheidungen nicht allzu weit von den Vorstellungen des Rates abweicht.17 Die Ausschüsse zu dieser Zeit waren nicht typisiert, hatten keine formalisierte oder standarisierte Verfahrensordnung, keine geregelte finanzielle Ausstattung und wurden auch nur zur Sache passend einberufen.18 Aus diesem Grund wird das zu dieser Zeit bestehende Ausschusswesen auch „ad-hoc-Komitologie“ genannt.19 2. Erste Schritte Aufgrund der immer rascheren Entwicklungen in den verschiedenen Bereichen der Wirtschaft, Gesellschaft und Politik nahm dementsprechend auch die zu regelnde Materie zu und mit ihr die Übertragung von entsprechenden Befugnissen und die Anzahl der Verwaltungsausschüsse. Das ursprüngliche Verfahren wurde zudem auf die jeweiligen Gegebenheiten angepasst. So modifizierte man 1963 das gängige Verwaltungsausschussverfahren, um auch außerhalb des Agrarsektors dringende Maßnahmen ohne Verzögerungen erlassen zu können. Im angepassten Verfahren konnte die Kommission, wie im ursprünglichen Verfahren, die Durchführungsmaßnahmen weiterhin ungeachtet der Stellungnahme ihres Ausschusses erlassen. Es sah jedoch vor, dass die Kommission bei negativer Stellungnahme ihres Ausschusses die Durchführung um einen im befugnisgebenden Basisrechtsakt geregelten Zeitraum verschieben musste, innerhalb dessen der Rat einen anderslautenden Beschluss fassen konnte.20 So behielt der Rat auch weiterhin die Kontrolle über die abgeleitete

14 Vgl. (verkürzt dargestellt) VO Nr. 13/64/EWG (Milch) Artt. 24, 25; VO Nr. 14/64/EWG (Rindfleisch) Artt. 19, 20; VO Nr. 16/64/EWG (Reis) Art. 23, alle v. 5. 2. 1964, ABl. Nr. L 34 v. 27. 2. 1964, S. 549 ff. 15 Bertram, Das Verwaltungsausschussverfahren, Diss., 1967, S. 4; Mensching, EuZW 2000, 268, 269. 16 Scheel, ZEuS 2006, 521, 523; so auch die Rechtsprechung zu dieser Zeit: EuGH, Urteil v. 17. 12. 1970, Einfuhrstelle/Köster, C-25/70, EU:C:1970:115; EuGH, Urteil v. 17. 12. 1970, Einfuhrstelle/Henck, C-26/70, EU:C:1970:116; EuGH, Urteil v. 17. 12. 1970, Scheer/Einfuhrstelle, C-30/70, EU:C:1970:117. 17 Scheel, ZEuS 2006, 521, 523; Meng, ZaöRV 1998, 208, 210; Hummer, in: FS Fischer 2004, S. 125. 18 Hummer, in: FS Fischer 2004, S. 126. 19 Vgl. Hummer, in: FS Fischer 2004, S. 126. 20 Dieses Verfahren entspricht dem IIb-Verwaltungsausschussverfahrens des Beschlusses 87/373/EWG, hierzu Demmke/Haibach, DÖV 1997, 710, 711; Falke, in: Joerges/Falke, Das Ausschusswesen der Europäischen Union, S. 59.

A. Entstehung des Ausschusswesens

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Rechtsetzung der Kommission, da die Kompetenz bei negativer Abstimmung an den Rat zurückfiel und der Aufschub zwingend war, bis eine Entscheidung im Rat fiel. Ebenso entstand im Zollrecht21 1966 durch einen Kompromiss das sogenannte Regelungsausschussverfahren,22 als innerhalb des Rates keine Einigung erzielt werden konnte, welches der bereits bestehenden Verfahren im Zoll-, Veterinär- und Futtermittelbereich Anwendung finden sollte.23 Das neue Verfahren gab der Kommission die Möglichkeit, die vom Gesetzgeber erlassenen Rechtsakte an den technischen Fortschritt anzupassen.24 In besagtem Verfahren waren die Kräfteverhältnisse nochmals zu Gunsten des Rates verschoben.25 Der Unterschied zu den Verwaltungsausschussverfahren bestand darin, dass die entsprechende Maßnahme durch die Kommission nur erlassen werden konnte, wenn eine qualifizierte Mehrheit im Ausschuss zustande kam.26 Bei fehlender Mehrheit oder negativer Stellungnahme des Ausschusses musste die Kommission dem Rat einen formellen Vorschlag unterbreiten, den dieser mit qualifizierter Mehrheit billigen oder zumindest mit Einstimmigkeit27 i.S.d. Art. 189a EWGV abändern konnte. Sofern die im durchzuführenden Rechtsakt bestimmte Entscheidungsfrist ergebnislos verstrich, konnte die 21 Siehe Art. 14 der Verordnung (EWG) Nr. 802/68 des Rates vom 27. Juni 1968 über die gemeinsame Begriffsbestimmung für den Warenursprung, ABl. Nr. L 148 v. 28. 6. 1968, S. 1 sowie Art. 17 der Verordnung (EWG) Nr. 803/68 des Rates vom 27. Juni 1968 über den Zollwert der Waren, ABl. Nr. L 148 v. 28. 6. 1968, S. 11. 22 Das Verfahren entspricht dem IIIa-Verfahren des Beschlusses 87/373/EWG, vgl. hierzu Meng, ZaöRV 1998, 208, 210 f.; Demmke/Haibach, DÖV 1997, 710, 711. 23 Meng, ZaöRV 1998, 208, 211 24 Falke, in: Joerges/Falke, Das Ausschusswesen der Europäischen Union, S. 43. 25 Vgl. Entschließung des Rates vom 28. Mai 1969 über die Anpassung der Richtlinien zur Beseitigung der technischen Hemmnisse im Warenverkehr, die sich aus Unterschieden in den Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten ergeben, an den technischen Fortschritt, ABl. Nr. C 76 v. 17. 6. 1969, S. 8 f. Ebenso Entschließung des Rates vom 15. Juli 1975 über die Anpassung der Richtlinien oder anderen gemeinschaftlichen Regelungen zum Schutz und zur Verbesserung der Umwelt an den technischen Fortschritt, ABl. Nr. C 168 v. 25. 7. 1975, S. 5 f. Hier bestand die Besonderheit, dass in Durchführungssachen, die der Rat für besonders bedeutend hielt, die Kommission dem Rat direkt Vorschläge unterbreitete, über die der Rat dann mit qualifizierter Mehrheit beschloss. 26 Demmke/Haibach, DÖV 1997, 710, 711; Ilgner, Die Durchführung der Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers durch die Europäische Kommission, Diss., 2014, S. 118. 27 Das Erfordernis einer einstimmigen Mehrheit findet sich nicht im Art. 2 IIIa-Verfahren wieder. Es ist lediglich von der qualifizierten Mehrheit zur Annahme des Kommissionsvorschlags die Rede. Hieraus wird zum Teil geschlossen, dass ebenfalls eine qualifizierte Mehrheit nötig ist, um den Vorschlag abzuändern (Grams, KritV 1995, 112, 116 f.; Dogan, WEP 1997, 31, 34). Akzeptiert wurde jedoch die Rechtsauffassung der Kommission, wonach die Verordnung 87/373/EWG lückenhaft ist und somit Art. 189a EWGVAnwendung findet, Hofmann/ Töller, SuS 1998, 209, 217; Riedel, EuR 2006, 512, 525, Fn. 93; Ilgner, Die Durchführung der Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers durch die Europäische Kommission, Diss., 2014, S. 118, Fn. 524. Klarheit brachte schließlich ein Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates, Gutachten 4264/91 des Juristischen Dienstes des Rates der Europäischen Gemeinschaften – Fragen zur Komitologie, v. 22. 1. 1991, das zum Ergebnis kam, dass der Rat nur mit Einstimmigkeit den Kommissionsvorschlag ändern kann.

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Kap. 2: Entstehung/Entwicklung der Komitologie u. des Lamfalussyverfahrens

Kommission die Maßnahme erlassen. Diese neue Komponente gegen eine Blockade des Entscheidungsprozesses wurde auch filet (= Netz)28 genannt, da unter beschriebenen Umständen die Kompetenz der Entscheidung über die fragliche Durchführungsmaßnahme wieder in die Entscheidungsgewalt der Kommission zurückfiel. Dieses Verfahren wurde erneut 1968 im Veterinärrecht und in den Bereichen Pflanzenschutz und Futtermittel weiter zu Lasten der Kommission zum sogenannten besonderen Regelausschussverfahren umgeformt.29 Das filet wurde um das sog. contre filet erweitert. Hiernach konnte zwar ebenfalls die Kompetenz an die Kommission bei erfolglosem Ablauf der Entscheidungsfrist zurückfallen, was jedoch schon durch einen Beschluss des Rates mit einfacher Mehrheit verhindert werden konnte. Prominentestes Beispiel hierfür ist die Lockerung der gegen das Vereinigte Königreich verhängten Handelsrestriktionen im Jahr 1996.30 Die Kommission selbst musste dem Europäischen Parlament jedoch versprechen, keine weiteren contrefilet-Verfahren mehr zu akzeptieren31 oder vorzuschlagen32.33 Endlich gab es noch die Beratenden Ausschüsse34, die vor allem im Bereich der Außentätigkeit der Gemeinschaft35 eingesetzt wurden. In diesem Verfahren waren die Einflussmöglichkeiten der Mitgliedstaaten am geringsten. Deren Stellungnahmen entfalteten auch bei negativem Votum für die Kommission keinerlei Bindungswirkung. Ein Rückfall der Entscheidungskompetenz an den Rat fand ebenfalls 28 Daher wurde das Regelungsausschussverfahren auch als filet-Verfahren bezeichnet, Demmke/Haibach, DÖV 1997, 710, 711. 29 Scheel, ZEuS 2006, 521, 524; Meng, ZaöRV 1998, 208, 211; Mensching, EuZW 2000, 268, 268; Demmke/Haibach, DÖV 1997, 710, 711; Falke, in: Joerges/Falke, Das Ausschusswesen der Europäischen Union, S. 61. 30 Entscheidung der Kommission 96/362/EG vom 11. Juni 1996 zur Änderung der Entscheidung 96/239/EG mit den zum Schutz gegen die bovine spongiforme Enzephalopathie zu treffenden Dringlichkeitsmaßnahmen, ABl. Nr. L 139 v. 12. 6. 1996, S. 17. Als im Ausschuss keine qualifizierte Mehrheit für den Vorschlag zustande kam und auch bei Rückfall an den Rat eine solche Mehrheit nicht erreicht wurde, konnte die Kommission später trotzdem die Maßnahme erlassen, da die Gegner des Vorschlages keine einfache Mehrheit für dessen Ablehnung erzielen konnten. 31 So konnte das Verfahren 1969 im Rahmen der Beratungen über Harmonisierungsrichtlinien zum Abbau technischer Handelshemmnisse trotz Forderung des Rates verhindert werden und es kam zur Anwendung des filet-Verfahrens. Nach Falke, in: Joerges/Falke, Das Ausschusswesen der Europäischen Union, S. 62, ist einzige Ausnahme Art. 21 des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 90/220/ EWG über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt, KOM(98) 85 endg. v. 23. 2. 1998. 32 Die Weigerung erfolgte aufgrund eines Beschlusses vom 8. 7. 1987 – unmittelbar in Reaktion auf den ersten Komitologiebeschluss 87/373/EWG, Mensching, EuZW 2000, 268, 269, Fn. 10. 33 Hofman/Töller, SuS 1998, 209, 218; Meng, ZaöRV 1998, 208, 211; Falke, in: Joerges/ Falke, Das Ausschusswesen der Europäischen Union, S. 62. 34 Das Verfahren entspricht dem Beratungsverfahren (Verfahren I) des Beschlusses 87/373/ EWG. 35 Demke/Haibach, DÖV 1997, 710, 711.

A. Entstehung des Ausschusswesens

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nicht statt. Die Kommission war lediglich angehalten, die Stellungnahme des Ausschusses soweit wie möglich zu berücksichtigen. Da die Verwaltungsausschüsse und Regelungsausschüsse nur als befristete Lösung gedacht waren36, stellte sich nach Ablauf der Übergangszeit die Frage nach der Beibehaltung oder Auflösung der Ausschüsse. In der Verordnung (EWG) Nr. 2602/ 6937 äußerte der Rat den Wunsch, das Verwaltungsausschussverfahren über die angedachte Zeit hin beizubehalten.38 Ebenso akzeptierte das Europäische Parlament, wenn auch widerwillig, grundsätzlich das Verfahren; es gab jedoch zu bedenken, dass es nur mit äußerster politischer Vorsicht und ohne das institutionelle System der Gemeinschaft zu gefährden, angewandt werden dürfe, da es nicht im Vertrag vorgesehen sei und deshalb den Ausschüssen nur beratende Funktion zugestanden und keinesfalls eine Entscheidungsbefugnis eingeräumt werden dürfe.39 Im Übrigen bestanden von Anfang an von Seiten des Parlaments Einwände gegen die Einsetzung von Komitologieausschüssen. Das Europäische Parlament war der Ansicht, das Ausschusswesen verletze das Gewaltenteilungsprinzip, da die Kommission zunehmend legislativ tätig werde.40 Zudem sei das Aufsichtsrecht des Parlaments gegenüber der Kommission aufgrund der Intransparenz der Ausschüsse stark eingeschränkt.41 Infolgedessen wurde der EuGH mehrfach im Zusammenhang mit der Durchführung von Komitologieausschüssen angerufen.42 Von grundlegender Bedeutung ist die Entscheidung in der Rechtssache Köster43 von 1970, die die grundsätzliche Vereinbarkeit der Ausschüsse mit den EWG-Verträgen feststellte. Diese verstießen insbesondere nicht gegen die institutionelle Balance, da von den Ausschüssen nur Stellungnahmen abgegeben, aber keine Entscheidungen getroffen

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Roller, KritV 2003, 249, 250. Verordnung (EWG) Nr. 2602/69 des Rates vom 18. Dezember 1969 über die Beibehaltung des Verwaltungsausschußverfahrens, ABl. Nr. L 324 v. 27. 12. 1969, S. 23. 38 Hierzu Neuhold, EIoP 2008, 1, 3; Hummer, in: FS Seidl-Hohenveldern 1998, S. 290. 39 Vgl. Protokoll der Sitzung vom Donnerstag, 3. Oktober 1968: Entschließung über die Gemeinschaftsverfahren zur Durchführung des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts, ABl. Nr. C 108 v. 19. 10. 1968, S. 37. 40 Vgl. Protokoll der Sitzung vom Montag, 21. Mai 1984: Entschliessung zu Ausschüssen zur Anpassung von Richtlinien an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt, ABl. Nr. C 172 v. 2. 7. 1984, S. 6; Demke/Haibach, DÖV 1997, 710, 711; Petersen/Heß, ZUR 2007, 567, 569; Scheel, ZEuS 2006, 521, 524; Gerken/Holtz/Schick, WD 2003, 662, 662; Scharf, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht: Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, S. 7 f.; Hofmann/Töller, SuS 1998, 209, 212. 41 Vgl. Protokoll der Sitzung vom Montag, 21. Mai 1984: Entschließung zu Ausschüssen zur Anpassung von Richtlinien an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt, ABl. Nr. C 172 v. 2. 7. 1984, S. 6; Demke/Haibach, DÖV 1997, 710, 711; Petersen/Heß, ZUR 2007, 567, 569; Scheel, ZEuS 2006, 521, 524; Gerken/Holtz/Schick, WD 2003, 662, 662. 42 Hierzu Meng, ZaöRV 1998, 208, 212 f. 43 EuGH, Urteil v. 17. 12. 1970, Einfuhrstelle/Köster, C-25/70, EU:C:1970:115. 37

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Kap. 2: Entstehung/Entwicklung der Komitologie u. des Lamfalussyverfahrens

werden.44 Auch als sich der EuGH 1977 mit Zulässigkeit des Verwaltungsausschussverfahrens beschäftigen musste, stellte er keine Verletzung des Gleichgewichts fest.45 Damit galt das immer noch nicht typisierte und ohne auf einer Rechtsgrundlage stehende Ausschusswesen zumindest als vertragskonform. Die Bedeutung des Verfahrens stieg in der Folgezeit in gleicher Weise wie die Häufigkeit ihrer Anwendung an.46 So wuchs Mitte der 70er bis Mitte der 80er Jahre die Zahl der oft sehr technischen und detaillierten Kommissionsvorschläge um etwa jährlich zwischen 700 und 800.47

II. Der erste Komitologiebeschluss aus dem Jahr 1987 Obgleich das Verfahren der Ausschüsse in der weiteren Praxis relativ reibungslos ablief,48 wollten die Mitgliedstaaten die Ausarbeitung der Einheitlichen Europäischen Akte49 nutzen, um die Regeldelegation und das Komitologie-Ausschusswesen auf eine Rechtsgrundlage zu stellen.50 Mit der Umsetzung von Art. 10 der Einheitlichen Europäischen Akte wurde dem Wunsch der Kommission nach einer grundsätzlichen Zuständigkeit für die Durchführung des Gemeinschaftsrechts zumindest teilweise nachgekommen und die Verpflichtung des Rates zur Übertragung von Durchführungsbefugnissen an die Kommission in den von ihm erlassenen Rechtsakten mit Einfügen eines dritten Spiegelstriches in Art. 145 EWGV in das Primärecht aufgenommen.51 Die bloße Möglichkeit der Befugnisübertragung wich der grundsätzlichen Verpflichtung zur Übertragung von Durchführungsbefugnissen (Grund44 Diese Auffassung wurde bestätigt im Urteil des EuGH v. 30. 10. 1975, Rey Soda/Cassa Conguaglio Zucchero, C-23/75, EU:C:1975:142. 45 EuGH, Urteil v. 5. 10. 1977, Tedeschi/Denkavit, C-5/77, EU:C:1977:144, S. 1578. 46 Riedel, EuR 2006, 512, 523; Scharf, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht: Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, S.7. 47 Petersen/Heß, ZUR 2007, 567, 568. Der Trend zur Delegation setzte sich auch in den 90er Jahren fort, siehe Coen/Thatcher, JPP 2008, 49, 49. 48 Meng, ZaöRV 1998, 208, 214. 49 Im Juni 1985 beschloss der Europäische Rat die Einberufung einer Regierungskonferenz zur Vertragsrevision. Diese Zusammenkunft führte schließlich zu einer Einheitlichen Europäischen Akte, welche am 17. Februar unterzeichnet, aber erst am 1. Juli 1987 in rechtskräftig wurde. 50 Nach Art. 145 (neu) EWGV, 3. Spiegelstrich werden die Befugnisse übertragen, es sei denn der Rat behält es sich „in spezifischen Fällen“ vor, die „Durchführungsbefugnisse selbst auszuüben“. Hiermit wurde das Regel-Ausnahme-Verhältnis der alten Regelung umgekehrt. 51 „- überträgt der Rat der Kommission in den von ihm angenommenen Rechtsakten die Befugnis zur Durchführung der Vorschriften, die er erlässt. Der Rat kann bestimmte Modalitäten für die Ausübung der Befugnisse festlegen. Er kann sich in spezifischen Fällen außerdem vorbehalten, Durchführungsbefugnisse selbst auszuüben. Die oben genannten Modalitäten müssen den Grundsätzen und Regeln entsprechen, die der Rat auf Vorschlag der Kommission nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments vorher einstimmig festgelegt hat“. Hierzu auch Vos, ELJ 1997, 210, 215 f.

A. Entstehung des Ausschusswesens

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satz der Regeldelegation).52 Ebenso erhielt der Rat die Möglichkeit, bestimmte Modalitäten für die Ausübung dieser Befugnisse festzulegen, was nun Anknüpfungspunkt der Komitologieverfahren sein konnte. Die Forderungen des Parlaments nach einer Einbeziehung in die Durchführungsrechtsetzung, in der Form, dass für den Fall, dass dem Rat ein Vorschlag unterbreitet werden musste, auch das Parlament zu hören war, wurden (noch) nicht berücksichtigt.53 Am 3. März 1986 legte die Kommission dem Rat sodann einen Vorschlag für die Modalitätenregelung vor.54 Der Vorschlag wurde noch auf Art. 235 EWGV gestützt, da zu diesem Zeitpunkt der Zusatz zu Art. 145 EWGV noch nicht in Kraft getreten war.55 Der Vorschlag enthielt in Art. 1 drei Modell-Varianten von Verfahren für die Durchführung des Gemeinschaftsrechts.56 Das erste Verfahren wurde „Beratender Ausschuß“ benannt. Die Aufgabe der Ausschüsse war hierbei unterstützender Natur. Sie sollten eine Stellungnahme zu den Kommissionsvorschlägen abgeben. Hierzu konnte dem Ausschuss eine Frist von der Kommission gesetzt werden. Die Stellungnahmen waren, wie bereits vor der Modalitätenregelung, für das weitere Vorgehen der Kommission ohne Bedeutung. Die zweite Verfahrensvariante nannte sich „Verwaltungsausschuß“. In diesem Verfahren musste der Ausschuss eine Stellungnahme zu Entwürfen der Kommission in einer der Dringlichkeit der Maßnahme angepassten Frist abgeben. Die Abstimmung über die Maßnahme, an der der Vertreter der Kommission als Vorsitz des Ausschusses nicht teilnahm, erfolgte mit qualifizierter Mehrheit im Sinne des Art. 148 Abs. 2 EWGV. Die Kommission erließ sodann die Maßnahme, die sofort anwendbar war, ungeachtet des Ergebnisses der Abstimmung. Sollte das Votum des Ausschusses der Maßnahmen entgegenstehen, so mussten die Maßnahmen dem Rat durch die Kommission unverzüglich mitgeteilt werden. Darüber hinaus bestand die Möglichkeit, aber nicht die Pflicht, die Anwendung der Maßnahme um eine noch zu bestimmende Frist von der Mitteilung an den Rat zu verschieben. Innerhalb dieses Zeitraumes konnte der Rat einen anderslautenden Beschluss fassen. Endlich existierte noch eine dritte Variante, die „Regelausschuß“ benannt wurde. Das Verfahren entspricht hinsichtlich der Stellungnahme und der Abstimmung der Ausschüsse dem Verwaltungsausschussverfahren. Unterschiede bestehen insofern, als die Kommission die geplante Maßnahme nur dann erlassen konnte, wenn diese mit der Stellungnahme des Ausschusses übereinstimmte. Sollte keine Stellungnahme 52

Demke/Haibach, DÖV 1997, 710, 711. Demke/Haibach, DÖV 1997, 710, 711. 54 Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der Durchführungsbefugnisse, die der Kommission übertragen werden, ABl. Nr. C 70 v. 25. 3. 1986, S. 6. 55 Präambel des Vorschlags für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der Durchführungsbefugnisse, die der Kommission übertragen werden, ABl. Nr. C 70 v. 25. 3. 1986, S. 6. 56 Ausführlich hierzu Meng, ZaöRV 1998, 208, 214 f.; Falke, in: Joerges/Falke, Das Ausschusswesen der Europäischen Union, S. 66 ff. 53

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Kap. 2: Entstehung/Entwicklung der Komitologie u. des Lamfalussyverfahrens

oder ein negatives Votum des Ausschusses vorliegen, so war die Kommission verpflichtet, dem Rat unverzüglich einen entsprechenden Vorschlag für die zu treffenden Maßnahme zu unterbreiten, über die im Rat mit qualifizierter Mehrheit entschieden wurde. Sofern im Rat bis zu einer noch zu bestimmenden Frist ab Befassung kein Beschluss gefasst wurde, konnte die geplante Maßnahme von der Kommission erlassen werden. Der Kommissionsvorschlag wurde vom Europäischem Parlament nicht positiv aufgenommen. Es widersprach der Auffassung des Parlaments, nach der sich die bereits ausgeübten Verfahren bewährt hatten und demnach auch weiterhin angewendet werden sollten. Weiterhin missfiel dessen politischem Ausschuss die Aufnahme des Regelungsausschussverfahrens als eine Möglichkeit der Verwaltungsdelegation auf die Kommission.57 In seinem Gegenentwurf58 wurde diese Ausschussvariante deshalb gestrichen. Das Europäische Parlament schloss sich diesem Entwurf beinahe59 vollständig an.60 Bei den verbleibenden Verfahren wurden allerdings einige Änderungen vom Europäischen Parlament vorgenommen. Nachdem weder eine erneute Konzertierung noch eine Konsultation stattfand, erfolgte die endgültige Festlegung der Modalitäten mit dem Beschluss 87/373/ EWG61, der erheblich von Forderungen und Wünschen des Parlaments abwich. Dieser Beschluss stellte die erste systematische Regelung des Ausschusswesens dar und wird deshalb auch als erster Komitologiebeschluss bezeichnet. Er enthielt nun, wie der ursprüngliche Kommissionsvorschlag, die drei Grundverfahrensarten62 „Beratender Ausschuß“ (Verfahren I), „Verwaltungsausschuß“ (Verfahren II) und „Regelungsausschuß“ (Verfahren III).63

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Meng, ZaöRV 1998, 208, 216. Der vom Europäischen Parlament geänderte Text ist abgedruckt im Protokoll der Sitzung vom Mittwoch, 9. Juli 1986, Verordnung betreffend die Ausübung der Durchführungsbefugnisse, die der Kommission übertragen werden, ABl. Nr. C 227 v. 8. 9. 1986, S. 54. 59 Im Entwurf wurde Art. 1d erneut geändert. 60 Protokoll der Sitzung vom Donnerstag, 23. Oktober 1986, Entschließung zum Abschluß des Verfahrens der Konsultation des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für eine Verordnung zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der Durchführungsbefugnisse, die der Kommission übertragen werden, ABl. Nr. C. 297 v. 24. 11. 1986, S. 94. 61 Beschluss des Rates 87/373/EWG vom 13. Juli 1987 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABl. Nr. L 197 v. 18. 7. 1987, S. 33. 62 Art. 2 des Beschluss des Rates 87/373/EWG vom 13. Juli 1987 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABl. Nr. L 197 v. 18. 7. 1987, S. 33. 63 Zur Ausgestaltung der Verfahren siehe auch Tichy, ZfRV 2000, 134, 135; Grams, KritV 1995, 112, 115 ff.; Meng, ZaöRV 1998, 208, 218 ff.; Glatthaar, RIW 1992, 179, 179 ff.; Falke, in: Joerges/Falke, Das Ausschusswesen der Europäischen Union, S. 58 ff. (und die Übersicht auf S. 67); Gonzáles, ZEuS 2003, 561, 565 f.; Vos, ELJ 1997, 210, 217 f. 58

A. Entstehung des Ausschusswesens

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Für den beratenden Ausschuss64 verändert der Rat den ursprünglichen Kommissionvorschlag nur wenig. Hier bestand, neben der Möglichkeit der Ausschussmitglieder, ihren Standpunkt in das Protokoll aufnehmen zu lassen, nun auch Pflicht zur Protokollierung der Stellungnahme des Ausschusses insgesamt. Des Weiteren sollte die Kommission nicht nur die nicht verbindlich wirkende Stellungnahme so weit wie möglich berücksichtigen, sondern auch den beteiligten Ausschuss darüber unterrichten, inwieweit seine Stellungnahme berücksichtigt wurde. Hinsichtlich der Variante „Verwaltungsausschuß“65 ergänzte der Rat den Vorschlag der Kommission um eine Alternative. Die aus der Kommissionfeder stammende Alternative wurde nun als „Variante a)“ und das vom Rat eingefügte Verfahren als „Variante b)“ bezeichnet. In Variante b) stellt die Verschiebung der Maßnahme nach negativer Abstimmung im Ausschuss keine Möglichkeit, sondern eine Pflicht der Kommission dar. Die Durchführung der Maßnahme musste um einen Zeitraum, der in jedem vom Rat zu genehmigenden Rechtsakt festzulegen ist, aber drei Monate ab Mitteilung an die Kommission nicht überschreiten darf, aufgeschoben werden. Innerhalb dieser Frist kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit66 einen anderslautenden Beschluss fassen. Dem beibehaltenen dritten Ausschussverfahren „Regelungsausschuß“67 wurde ebenfalls eine Variante b) hinzugefügt. Es handelte sich hierbei um das umstrittene und von der Kommission bekämpfte contre-filet-Verfahren, wonach das Regelungsausschussverfahren (filet-Verfahren) um das contre-filet ergänzt wurde. Darüber hinaus wurde im Komitologiebeschluss ein gänzlich neues Verfahren68 eingeführt, das weder von Kommission noch Parlament je erwähnt worden war. Das 64

Ein beratender Ausschuss ist zum Beispiel für die Durchführung des Forschungsprogramms MAST (Marine Sciences and Technologies) eingesetzt worden, Artt. 5 und 6 der Entscheidung 89/413/EWG des Rates vom 20. Juni 1989 zur Festlegung eines spezifischen Programms für Forschung und Entwicklung im Bereich der Meereswissenschaft und -technologie (MAST), ABl. Nr. L 200 v. 13. 7. 1989, S. 30. 65 Klassischer Einsatzbereich für Verwaltungsausschüsse war der Landwirtschaftssektor, so zum Beispiel für den Bereich Wein, vgl. Artt. 66 und 67 der Verordnung (EWG) Nr. 337/79 des Rates vom 5. Februar 1979 über die gemeinsame Marktorganisation für Wein, ABl. Nr. L 54 v. 5. 3. 1979, S. 1. 66 Qualifizierte Mehrheit im Sinne des Art. 148 Abs. 2 EWGV. Stimmschlüssel war hierbei: Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien: je 10 stimmen; Spanien: 8 Stimmen; Dänemark und Irland: je 3 Stimmen; Luxemburg: 2 Stimmen. 67 Regelungsausschüsse wurden meist zu Zwecken der technischen Anpassung von Richtlinien an den technischen Fortschritt durch die Kommission verwandt, vgl. Artt. 7a, 7b, 7c der Richtlinie 82/242/EWG des Rates vom 31. März 1982 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Methoden zur Kontrolle der biologischen Abbaubarkeit nichtionischer grenzflächenaktiver Substanzen und zur Änderung der Richtlinie 73/404/EWG, ABl. Nr. L 109 v. 22. 4. 1982, S. 1 und Artt. 14 und 15 der Richtlinie 80/778/EWG des Rates vom 15. Juli 1980 über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch, ABl. Nr. L 229 v. 30. 8. 1980, S. 11. 68 Dieses Verfahren wird auch als Verfahren IV bzw. Schutzklauselverfahren bezeichnet, vgl. z. B. Glatthaar, RIW 1992, 179, 182.

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Kap. 2: Entstehung/Entwicklung der Komitologie u. des Lamfalussyverfahrens

Verfahren findet Anwendung, wenn der Rat der Kommission Befugnisse überträgt, über Schutzmaßnahmen zu entscheiden.69 Bei Anwendung des Verfahrens ist die Kommission verpflichtet, jeden Beschluss dem Rat und den Mitgliedstaaten mitzuteilen und, falls vorgesehen, vor Beschlussfassung nach festzulegenden Modalitäten zu konsultieren. Darüber hinaus kann jeder Mitgliedstaat den Rat innerhalb einer im betreffenden Rechtsakt festzulegenden Frist mit dem Beschluss befassen. In Variante a) des Verfahrens war es dem Rat möglich, innerhalb einer im betreffenden Rechtsakt festzulegenden Frist einen abweichenden Beschluss zu fassen. In Variante b) des Sonderverfahrens für Schutzmaßnahmen kann der Rat den Beschluss der Kommission mit qualifizierter Mehrheit annehmen, modifizieren oder beseitigen. Sollte innerhalb einer im Basisrechtsakt festzulegenden Frist kein Beschluss gefasst worden sein, so galt derjenige der Kommission als aufgehoben. Sowohl Kommission als auch Europäisches Parlament lehnten allerdings den verabschiedeten Beschluss ab.70 Die Kommission, die von Anfang an gegen die Aufnahme des contre-filet-Verfahrens war, legte am 8. 7. 1987 in einem Beschluss71 dar, das Verfahren nicht vorschlagen zu werden. Sie wehrte sich außerdem gegen die Anwendung des Verfahrens im Bereich ihrer Haushaltskompetenzen und gegen die Fälle, in denen sich der Rat die Durchführung selbst vorbehielt.72 Das Europäische Parlament, das nun nach dem Beschluss keinerlei Mitwirkungsrechte an der abgeleiteten Rechtsetzung hatte, erkannte im Ausschusswesen eine Renationalisierung der Umsetzung der Gemeinschaftspolitik.73 Später erhob das Parlament sogar (erfolglos) Nichtigkeitsklage gegen den Komitologiebeschluss vor dem Europäischen Gerichtshof.74 Deshalb kam zumindest die Kommission dem Europäischen Parlament in der Folgezeit, wenn auch in sehr kleinen Schritten, durch mehrere interinstitutionelle Übereinkünfte und Absprachen entgegen.75 So wurde im März 1988 im Rahmen eines Briefwechsels zwischen dem damaligen Präsidenten der Kommission Jaques Delors und dem Präsidenten des Parlaments Lord Henry Plumb die Zusage 69

Anwendung fand dieses Verfahren im Bereich gemeinsamer Einfuhr- und Ausfuhrregelungen, vgl. Art. 6 der Verordnung (EWG) Nr. 2603/69 des Rates vom 20. Dezember 1969 zur Festlegung einer gemeinsamen Ausfuhrregelung, ABl. Nr. L 324 v. 27. 12. 1969, S. 25. 70 Zu den seit dahin ausgetragenen interinstitutionellen Konflikten Töller, Komitologie, Diss., 2002, S. 243 ff.; Hustedt/Wonka/Blauberger/Töller/Reiter, Verwaltungsstrukturen der EU, S. 107 f.; Reich, Revue du Marché Commun 1990, 319. 71 Vgl. Entschließung zur Entscheidung des Rates vom 22. Juni 1987 über die Durchführungsbefugnisse der Kommission, ABl. Nr. C 246 v. 14. 9. 1987, S. 42 f. 72 Hustedt/Wonka/Blauberger/Töller/Reiter, Verwaltungsstrukturen der EU, S. 108. 73 Hustedt/Wonka/Blauberger/Töller/Reiter, Verwaltungsstrukturen der EU, S. 108. 74 EuGH, Urteil v. 27. 9. 1988, Parlament/Rat, C-302/87, EU:C:1988:461. Die Klage wurde ohne Entscheidung zur Sache aufgrund fehlender Klagebefugnis des Parlaments nach Art. 173 Abs. 1 EWGV als unzulässig abgewiesen. Zur Klage und den Gründen Demke/Haibach, DÖV 1997, 710, 711; Neyer, Integration 1997, 24, 31 f. 75 Vgl. hierzu auch Falke, in: Joerges/Falke, Das Ausschusswesen der Europäischen Union, S. 94 ff.; Türk, in: Kadelbach, Europäische Integration und parlamentarische Demokratie, S. 136.

B. Die Weiterentwicklung des Ausschusswesens

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getätigt,76 alle Kommissionsvorschläge zu legislativen Durchführungsmaßnahmen zeitgleich mit den Komitologieausschüssen auch dem Parlament zukommen zu lassen, es sei denn, es handelte sich um laufende Verwaltungsmaßnahmen mit begrenzter Geltungsdauer, vertrauliche Dokumente oder dringliche Maßnahmen, nachdem der Rat mehrere erfolglose dahingehende Versuche77 unternommen hatte. Diese Abrede wurde jedoch nur inkonsequent eingehalten.78 Ihr folgte die KlepschMilan-Übereinkunft79, nach der sich die Kommission zur Information des Parlaments über Durchführungsmaßnahmen verpflichtete und darüber hinaus zusicherte, den Wünschen des Parlaments, wann immer dies möglich sei, Rechnung zu tragen.80

B. Die Weiterentwicklung des Ausschusswesens I. Übergangslösungen durch interinstitutionelle Vereinbarungen 1. Der modus vivendi Als mit dem Vertrag von Maastricht81 im Jahr 1992 das Mitentscheidungsverfahren nach Art. 189b EWGV/251 EGV eingeführt wurde,82 erhoffte sich das Europäische Parlament die schon lange gewünschte Stellung als gleichberechtigter

76 Vgl. zur sogenannten Plumb-Delors-Übereinkunft, Hummer, in: FS Seidl-Hohenveldern 1998, S. 304 ff.; Vos, ELJ 1997, 210, 219. 77 Vgl. Protokoll der Sitzung vom Montag, 21. Mai 1984: Entschließung zu Ausschüssen zur Anpassung von Richtlinien an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt, ABl. Nr. C 172 v. 2. 7. 1984, S. 6 f. 78 Vgl. Protokoll der Sitzung vom Donnerstag, 13. Dezember 1990: Entschließung zu den Durchführungsbefugnissen der Kommission (Komitologie) und der Rolle der Kommission im Rahmen der Außenbeziehungen der Gemeinschaft, ABl. Nr. C 19 v. 28. 1. 1991, S. 274; hier wies das Parlament darauf hin, dass „diese Vereinbarung von der Kommission nicht vollständig eingehalten wurde; verweist insbesondere darauf, daß dem Parlament zwischen dem 1. Mai 1989 und dem 15. Juli 1990 nur 48 solcher Durchführungsmaßnahmen vorgelegt wurden, von denen zwei Drittel sehr fachspezifische Fragen im Zusammenhang mit der Handelsnomenklatur betrafen, wobei andere Dienststellen der Kommission bei der Übermittlung von Texten an das Parlament noch weniger entgegenkommend waren“. 79 Protokoll der Sitzung vom Montag, 12. Juli 1993: Verhaltenskodex für die Durchführung der Strukturpolitiken durch die Kommission, ABl. Nr. C 255 v. 20. 9. 1993, S. 19. 80 Hierzu auch Hummer, in: FS Seidl-Hohenveldern 1998, S. 308 f. 81 Der EU-Vertrag wurde am 7. Februar 1992 von den damaligen Mitgliedstaaten unterzeichnet und konnte aufgrund von Ratifizierungsverzögerungen jedoch erst am 1. November 1993 in Kraft treten. Mit ihm wurde die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) zur umfassenderen Europäischen Gemeinschaft (EG). Siehe hierzu Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, S. 9 f.; Streinz, Europarecht, § 2 Rn. 37 ff. Aus Art. 145 EWGV wurde Art. 202 EGV. 82 Zur Reform des Unionsvertrages vgl. Streinz, EuZW 1998, 137.

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Kap. 2: Entstehung/Entwicklung der Komitologie u. des Lamfalussyverfahrens

Mitgesetzgeber, sodass der Streit um die Komitologie von neuem entbrannte.83 Die im Wege des Mitentscheidungsverfahrens gewonnene Beteiligung am Gesetzgebungsprozess84 veranlasste das Parlament in einer Resolution85 klarzustellen, dass hierdurch nicht nur eine Gleichstellung im Gesetzgebungsverfahren vorliege, sondern auch hinsichtlich der Durchführung der Rechtsakte, die in diesem Verfahren erlassen wurden.86 Daher schlug das Parlament gleichzeitig eine entsprechende interinstitutionelle Vereinbarung vor, um den Streit beizulegen.87 Hiernach sollte auch das Parlament neben dem Rat eine Kontrollbefugnis über die Durchführung der Rahmenrechtsakte durch die Kommission zustehen, indem es die Kompetenz erhalten sollte, unter gewissen Voraussetzungen normative Durchführungsbeschlüsse der Kommission aufheben zu lassen.88 Im April 1994 legte die Kommission sodann einen Entwurf89 einer interkonstitutionellen Vereinbarung zwischen dem Rat, dem Parlament und der Kommission über eine Einbeziehung des Parlaments in die Komitologie vor.90 Nach diesem Vorschlag bestanden die Teilhaberechte des Parlaments in der Mitwirkung in einem beratenden Ausschuss und einem Aufhebungsrecht; diese Teilhabe sollte allerdings lediglich für normative Rechtsakte gelten; bei nicht normativen Rechtsakten sollten auch weiterhin die durch den Komitologiebeschluss

83 Scheel, ZEuS 2006, 521, 526; Demke/Haibach, DÖV 1997, 710, 712; Héritier/Moury, WEP 2011, 145, 145 ff.; Scharf, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht: Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, S. 9. 84 Hierzu auch Vos, ELJ 1997, 210, 219; Bradley, CML Rev. 1992, 693, 696. 85 Protokoll der Sitzung vom Donnerstag, 16. Dezember 1993: Entschließung zu den mit Inkrafttreten des Vertrags über die Europäische Union zu erwartenden Problemen mit dem Ausschußwesen, ABl. Nr. C 20 v. 24. 1. 1994, S. 176. 86 So scheute sich das Parlament auch nicht, seine neuen Kompetenzen als Druckmittel einzusetzen, um mehr Mitspracherechte in der Komitologie zu erhalten. So etwa beim Verfahren um den Erlass der Richtlinie zur Einführung des offenen Netzzugangs beim Sprachtelefondienst, da Parlament und Rat nicht einig werden konnten, welches Ausschussverfahren Anwendung finden sollte, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Einführung des offenen Netzzugangs (ONP) beim Sprachtelefondienst, KOM(92) 247 endg. v. 27. 8. 1992, S. 20. Siehe hierzu auch Bradley, ELJ 1997, 230, 239; Mensching, EuZW 2000, 268, 269 f.; Neyer, Integration 1997, 24, 31. 87 Vgl. den der Entschließung zugrunde liegenden Bericht des Institutionellen Ausschusses, Report of the Committee on Institutional Affairs on questions of comitology relating to the entry into force of the Maastricht Treaty v. 6. 12. 1993, PE DOC A 3-417/93. 88 Siehe ausführlich zum Vorschlag Falke, in: Joerges/Falke, Das Ausschusswesen der Europäischen Union, S. 97 f. 89 Vgl. Draft Interinstitutional Agreement between the European Parliament, the Council and the Commission the Rules for Exercising the Powers to implement Acts adopted jointly by the European Parliament and the Council in a Cordance with the Procedure laid down in Article 189b of the Treaty Establishing the European Community, SEC (94) 645 final/2, Corrigendum Version Consolide v. 27. 5. 1994. 90 Zum Vorschlag siehe Falke, in: Joerges/Falke, Das Ausschusswesen der Europäischen Union, S. 98; Neyer, Integration 1997, 24, 31 ff.; Grams, KritV 1995, 112, 123 f.

B. Die Weiterentwicklung des Ausschusswesens

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festgelegten Verfahren Anwendung finden.91 Dem Parlament (bzw. dessen institutioneller Ausschuss) missfiel der Vorschlag; man lehnte es ab, in den Ausschüssen mitzuwirken, da die Abgeordneten bei der Beratung regelmäßig überfordert seien und sich der Gesetzgebungsprozess durch die zusätzliche Belastung verzögern würde.92 Der Konflikt erreichte Ende 1994 seinen Höhepunkt und führte dazu, dass sich das Parlament entschloss, Haushaltsmittel für die Finanzierung der Ausschüsse zu blockieren, wie es dies auch schon 1984 getan hatte, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen.93 So mag es nicht verwundern, als es am 20. Dezember 1994 endlich zu einer interinstitutionellen Übereinkunft über die Mitwirkungsmöglichkeiten des Parlaments bei der abgeleiteten Rechtsetzung, dem sogenannten modus vivendi94 kam.95 Vereinbart wurden diverse Informationsrechte und die Berücksichtigung des Standpunktes des Parlaments. Eine echte Pflicht zur Berücksichtigung des Parlamentswillens und damit einhergehende Mitwirkungs- und Kontrollbefugnisse gab es auch nach dieser interinstitutionellen Vereinbarung allerdings nicht. Darüber hinaus wurde von den verschiedenen Institutionen klargestellt, dass diese Vereinbarung in keiner Weise die von ihnen zum Ausdruck gebrachten Positionen präjudiziere.96 Des Weiteren wurde die Reflexionsgruppe gebeten, sich im Hinblick auf die für 1996 geplante Revision der Verträge mit dem Problemen, die sich bei der Durchführung der nach Art. 189b EGV erlassenen Rechtsakte stellten, zu befassen.97

91 Diese Vereinbarung sollte bis zu der für 1996 vorgesehenen Neugestaltung der Verträge Geltung haben. 92 Grams, KritV 1995, 112, 124. 93 Hierzu Fuhrmann, DÖV 2007, 464, 465; Demke/Haibach in DÖV, S. 712; Pollack, CPS 2003, 125, 139; Neyer, Integration 1997, 24, 31; Hustedt/Wonka/Blauberger/Töller/Reiter, Verwaltungsstrukturen der EU, S. 108. 94 Europäisches Parlament, Rat, Kommission: Modus Vivendi vom 20. Dezember 1994 zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission betreffend die Maßnahmen zur Durchführung der nach dem Verfahren des Artikels 189 b EGVertrag erlassenen Rechtsakte, ABl. Nr. C 293 v. 8. 11. 1995, S. 1. 95 Neyer, Integration 1997, 24, 32; Falke, in: Joerges/Falke, Das Ausschusswesen der Europäischen Union, S. 98 ff.; Petersen/Heß, ZUR 2007, 567, 569; Ilgner, Die Durchführung der Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers durch die Europäische Kommission, Diss., 2014, S. 124; Tichy, ZfRV 2000, 134, 136; Hummer, in: FS Seidl-Hohenveldern 1998, S. 312 ff.; Vos, ELJ 1997, 210, 219 f., Türk, in: Kadelbach, Europäische Integration und parlamentarische Demokratie, S. 137 f. 96 Europäisches Parlament, Rat, Kommission: Modus Vivendi vom 20. Dezember 1994 zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission betreffend die Maßnahmen zur Durchführung der nach dem Verfahren des Artikels 189 b EGVertrag erlassenen Rechtsakte, ABl. Nr. C 293 v. 8. 11. 1995, Ziffer 2. 97 Ebenda, Ziffer 3.

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Kap. 2: Entstehung/Entwicklung der Komitologie u. des Lamfalussyverfahrens

Durch den modus vivendi wurde der Machtkampf der drei Organe zwar nicht beendet, aber zumindest für den Moment entschärft, sodass das Parlament die eingefrorenen Mittel für die Ausschüsse freigab.98 2. Samland/Williamson-Übereinkunft Dieser Waffenstillstand war jedoch nur von kurzer Dauer. Im Oktober 1995 rief das Parlament in einer Entschließung die Kommission zu mehr Transparenz und Öffentlichkeit der Ausschüsse auf und beklagte sich über die mangelhafte Einhaltung der vereinbarten Informationspflichten von Seiten der Kommission.99 Den nötigen Nachdruck erhielt die Entschließung wiederum durch eine Haushaltsmittelblockade zu Lasten der Ausschussfinanzierung.100 So kam es im September 1996 zu einer weiteren Vereinbarung zwischen dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, Samland und dem Generalsekretär der Kommission, Williamson, in der sich die Kommission dem Parlament gegenüber verpflichtete, rechtzeitig vor den Beratungen im Komitologieausschuss die mit Anmerkungen versehenen Tagesordnungen jeder Sitzung von Verwaltungs- und Regelungsausschüssen und die Ergebnisse deren Abstimmungen zu übermitteln.101 Ebenso konnte das Parlament mit der Zustimmung der Ausschüsse auch an deren Debatten teilnehmen. Als erneuter Brandbeschleuniger des Streits wirkte die BSE-Krise Ende der Neunziger Jahre, die die Notwendigkeit einer Reform des Komitologiebeschlusses verdeutlichte.102 Es wurde als problematisch angesehen, dass das Parlament selbst bei 98 Mensching, EuZW 2000, 268, 270, Türk, in: Kadelbach, Europäische Integration und parlamentarische Demokratie, S. 138. 99 Vgl. Protokoll der Sitzung vom Donnerstag, 26. Oktober 1995: Entschließung zu der Antwort der Kommission auf das Ersuchen des Parlaments um Informationen über die Tätigkeit der Durchführungsausschüsse im Jahr 1994 (im Anschluß an den Beschluß im Rahmen der Haushaltsentschließungen des Parlaments vom 27. Oktober 1994 und 15. Dezember 1994, die hierfür bestimmten Mittel in die Reserve einzusetzen), ABl. Nr. C 308 v. 20. 11. 1995, S. 133. 100 So wurden im Dezember 1995 50 % der für die Ausschüsse gedachten Haushaltsmittel in die Reserve eingesetzt, was 1996 zu einer Krise führte, da man nicht mehr in der Lage war, die Reisekosten der mitgliedstaatlichen Beamten zu ersetzen, vgl. Türk, in: Kadelbach, Europäische Integration und parlamentarische Demokratie, S. 139. 101 Vgl. Ziff. 72 des Protokoll der Sitzung vom Donnerstag, 24. Oktober 1996: Entschließung zum Entwurf des Gesamthaushaltsplans der Europäischen Union für das Haushaltsjahr 1997 – Einzelplan III – Kommission, ABl. Nr. C 347 v. 18. 11. 1996, S. 125. 102 Vgl. Nichtständiger Untersuchungsausschuß für BSE: Bericht über behauptete Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht bzw. Mißstände bei der Anwendung desselben im Zusammenhang mit BSE unbeschadet der Zuständigkeiten der nationalen und gemeinschaftlichen Gerichte v. 7. 2. 1997, A4-0020/97. Kritisiert wurde nicht nur die Undurchsichtigkeit, Komplexität und den antidemokratischen Charakter des Verfahrens, sondern auch die durch den Skandal offenbarte Möglichkeit der nationalen und industriellen Einflussnahme auf das Verfahren (vgl. Ziff. 19.4 des Berichts). Vgl. auch Seifert, EL Working Paper: Die Durchführung des Gemeinschaftsrechts durch die Europäische Kommission, S. 6. Zu den ergriffenen Maßnahmen vgl. Falke, in: Joerges/Falke, Das Ausschusswesen der Europäischen Union, S. 118 ff.

B. Die Weiterentwicklung des Ausschusswesens

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Entscheidungen von immenser politischer Tragweite nur lediglich informell beteiligt war.103

II. Der zweite Komitologiebeschluss 1999 1. Amsterdamer Regierungskonferenz In der Amsterdamer Regierungskonferenz104 zur Revision des Vertrages über die Europäische Union gelang es jedoch nicht, eine Lösung für eine das Mitentscheidungsverfahren einbeziehende Neustrukturierung des Durchführungsverfahrens zu finden, obwohl das Parlament in seiner Entschließung vom Mai 1995105 zur Konferenz 1996 eine Überarbeitung der Komitologieverfahren gefordert hatte und im März 1996106 erneut auf das Chaos der Komitologie hinwies.107 Nach Wunsch des Institutionellen Ausschusses des Parlaments sollte der modus vivendi durch eine neue Regelung zur Durchführungsrechtsetzung ersetzt werden, die Parlament und Rat tatsächlich eine gleichberechtigte Stellung einräumen sollte. Der Bericht der Reflexionsgruppe von 1996 zur Vorbereitung, die sich mit den Problemen um die Komitologie beschäftigte, erkannte einen Handlungsbedarf aufgrund zu komplizierter Regelungen, sah aber keine Erforderlichkeit für eine Reform des Vertrages.108 103

Scheel, ZEuS 2006, 521, 528. Ergebnis der Konferenz war der Vertrag von Amsterdam als Überarbeitung des Maastrichter Vertrags, der im Juni 1997 verabschiedet und sodann am 2. Oktober 1997 unterzeichnet wurde. Nachdem in allen Mitgliedstaaten das innerstaatliche Ratifizierungsverfahren abgeschlossen war, trat er am 1. Mai 1999 in Kraft, siehe hierzu Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, S. 10; Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, § 1 Rn. 25; Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, § 1 Rn. 25. 105 Protokoll der Sitzung vom Mittwoch, 17. Mai 1995: EUV und Regierungskonferenz 1996: Entschließung zur Funktionsweise des Vertrags über die Europäische Union im Hinblick auf die Regierungskonferenz 1996 – Verwirklichung und Entwicklung der Union, ABl. EG Nr. C 151 v. 19. 6. 1995, S. 56 ff. Nach dem Vorschlag sollte die Kommission die Befugnis zur Durchführung besitzen. Bei der Durchführung sollte sich die Kommission ausschließlich von Beratenden Ausschüssen unterstützen lassen. Rat und Parlament sollten sodann über die geplanten Maßnahmen unterrichtet werden. Hierbei sollte beiden Organen die Befugnis zustehen, die Maßnahme abzuweisen und ein neues Verfahren zu fordern. Hierzu auch Hummer, in: FS Seidl-Hohenveldern 1998, S. 321 ff. 106 Protokoll der Sitzung vom Mittwoch, 13. März 1996: Entschließung (i) mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zur Einberufung der Regierungskonferenz und (ii) zur Bewertung der Arbeiten der Reflexionsgruppe und Festlegung der politischen Prioritäten des EP im Hinblick auf die Regierungskonferenz, ABl. Nr. C 96 v. 1. 4. 1996, S. 77 ff. 107 Siehe hierzu auch Blumann, Revue trimestrielle de droit européen 1996, 1, 17 ff.; Hummer, in: FS Seidl-Hohenveldern 1998, S. 321 ff. 108 Vgl. Ziff. 127 und 128 des Berichts der Reflexionsgruppe: Zweiter Teil: Eine erläuterte Agenda: III. Eine effiziente und demokratische Union v. 5. 12. 1996. Die Gruppe stellte drei unterschiedliche Positionen zur Neugestaltung der Komitologie fest. Zum einen wurde vertreten der Kommission die Befugnis zur Durchführung gänzlich zu übertragen und unter die Kontrolle von Rat und Parlament zu stellen. Andere lehnten eine solche Übertragung ab, da sie 104

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Kap. 2: Entstehung/Entwicklung der Komitologie u. des Lamfalussyverfahrens

Die Regierungskonferenz hatte schließlich andere Schwerpunkte, sodass die diesbezüglich offenen Fragen nicht geklärt wurden.109 Die Kommission wurde jedoch aufgefordert, bis spätestens Ende 1998 einen Vorschlag zur Änderung des Komitologiebeschlusses von 1987 zu unterbreiten.110 Somit hat der Verfassungsgesetzgeber der Gemeinschaft die zweite111 Möglichkeit versäumt, eine der bedeutendsten interinstitutionellen Streitfragen abschließend – und sogar primärrechtlich – zu klären.112 2. Ein neuer Komitologiebeschluss Im Vorschlag113 der Kommission, den sie bereits im Juni 1998 vorstellen konnte, legte sie nochmals die Beweggründe für die Überarbeitung dar und führte aus, dass die 1987 eingeführten Verfahren zwar „in der Regel reibungslos funktionier[en]“,114 sich jedoch die große Anzahl an Verfahrensarten als zu kompliziert und unübersichtlich erwiesen habe, sodass dies häufig zu Grundsatzdiskussionen115 zwischen den beteiligten Organen geführt habe.116 Ziel des Vorschlags war es, die Anzahl der Verfahren zu verringern und den Ablauf geregelter und übersichtlicher zu gestalten, verbindliche Kriterien für die zu einem institutionellen Ungleichgewicht führen würde. Man solle das Verfahren vereinfachen, ohne die Exekutivbefugnisse des Rates zu schmälern. Von dritter Seite wurde eine vermittelnde Position vorgeschlagen, nach der es nur noch ein einziges Verfahren geben sollte, bei dem es der Kommission obläge, nach Anhörung der nationalen Sachverständigen über die Durchführungsmaßnahme zu entscheiden. Diese Entscheidung sollte durch Rat und Parlament aufgehoben und die Anwendung der üblichen Rechtsetzungsverfahren beantragt werden können. Hierzu auch Neyer, Integration 1997, 24, 33 f.; Hummer, in: FS Seidl-Hohenveldern 1998, S. 320 f. 109 Tichy, ZfRV 2000, 134, 136. 110 Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte: Punkt 31: Erklärung zu dem Beschluß des Rates vom 13. Juli 1987, ABl. Nr. C 340 v. 10. 11. 1997, S. 137. Unausgesprochen blieb in der Erklärung, dass die Komitologiereform auch den Zweck verfolgte, die Forderungen des Parlaments zu erfüllen, um so zumindest einen weiteren Waffenstilstand in der Auseinandersetzung der Organe zu erreichen. 111 Die erste Möglichkeit bot sich bei der Ausarbeitung des Vertrages von Maastricht. 112 Hummer, in: FS Seidl-Hohenveldern 1998, S. 324. 113 Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, KOM(1998) 380 endg. v. 24. 06. 1998. 114 Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, KOM(1998) 380 endg. v. 24. 06. 1998, S. 2. 115 Es konnte sich aber zumindest die Ansicht durchsetzen, dass der Wortlaut des Art. 202 EGV intendierte, dass die gesetzgebende Kraft prinzipiell von den Mitgliedstaaten ausgeübt werden sollte und nur ausnahmsweise von der Kommission, vgl. Kortenberg, Revue trimestrielle de droit européen 1998, 317. 116 Ebenda, S. 2 f.

B. Die Weiterentwicklung des Ausschusswesens

61

Wahl des jeweiligen Verfahrens verbindlich festzulegen sowie dem Parlament eine Beteiligungsmöglichkeit am Komitologieprozess einzuräumen.117 So wurde die Zahl der Verfahrensmodalitäten von sieben auf vier118 reduziert. Im Bewusstsein mit Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam jedes Gesetzgebungsverfahren im Mitentscheidungsverfahren blockieren zu können, bei dem die Wahl des Komitologieverfahrens streitig ist, nutzte das Parlament diese Position und drohte, wie schon einige Male zuvor, mit der Blockade des Haushalts, um den neuen Beschluss möglichst nach seinen Vorstellungen gestalten zu können.119 Im ersten Halbjahr 1999 kam es dann dazu, dass die für die Abhaltung von Komitologieausschüssen vorgesehenen Mittel in die Haushaltsreserve aufgenommen wurden und ab Mai 1999 die Abhaltung der Ausschüsse gefährdet war. So bedrängt ersetzte der Rat mit seinem Beschluss120 vom 28. Juni 1999 den alten Komitologiebeschluss. Hierbei ist er dem Vorschlag der Kommission nur teilweise gefolgt. Zum alten Beschluss ergaben sich einige teils deutliche Unterschiede. Die Modalitäten121 der Komitologie wurden auf vier Verfahren reduziert.122 Das Beratungsverfahren wurde in seiner alten Form übernommen.123 Auch das Verfahren bei Schutzmaßnahmen erfuhr inhaltlich keine Änderungen, lediglich auf formaler Ebene wurden die zwei Alternativen nicht mehr getrennt.124 Hinsichtlich des Verwaltungsverfahrens konnte die Kommission im Falle einer negativen Stellungnahme des Ausschusses die Durchführung der beschlossenen Maßnahme um einen Zeitraum verschieben, der in jedem Basisrechtsakt festzulegen war, jedoch drei Monate nicht übersteigen durfte.125 In diesem Zeitraum war es dem Rat möglich, einen anderslautenden Beschluss mit qualifizierter

117 Zum Vorschlag siehe Pollack, CPS 2003, 125, 132 ff.; Falke, in: Joerges/Falke, Das Ausschusswesen der Europäischen Union, S. 100 f.; Tichy, ZfRV 2000, 134, 137 ff. 118 Das Beratungsverfahren (Art. 3), das Verwaltungsverfahren (Art. 4), das Regelungsverfahren (Art. 5) und das Verfahren bei Schutzmaßnahmen (Art. 6). Die letzteren drei Modalitäten, die im Beschluss von 1987 noch jeweils zwei Varianten kannten, enthalten nach dem Vorschlag nur noch ein Verfahren. 119 Tichy, ZfRV 2000, 134, 136. 120 Beschluss 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABl. Nr. L 184 v. 17. 7. 1999, S. 23. 121 Eine Übersicht zu den verschiedenen Verfahrenstypen für die Ausübung der der Kommission durch den Beschluss von 1999 übertragenen Durchführungsbefugnisse findet sich bei Falke, in: Joerges/Falke, Das Ausschusswesen der Europäischen Union, S. 107. 122 Zur Ausgestaltung der Verfahren siehe auch Gonzáles, ZEuS 2003, 561, 569 ff.; Hummer, in: FS Fischer 2004, S. 128 ff.; Falke, in: Joerges/Falke, Das Ausschusswesen der Europäischen Union, S. 101 ff.; Hauschild, ZG 1999, 248, 250 f.; Gerken/Holtz/Schick, WD 2003, 662, 664 f.; Riedel, EuR 2006, 512, 524 f. 123 Vgl. Art. 3 des Beschlusses 1999/468/EG. 124 Art. 6 des Beschlusses 1999/468/EG. 125 Art. 4 Abs. 3 des Beschlusses 1999/468/EG.

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Kap. 2: Entstehung/Entwicklung der Komitologie u. des Lamfalussyverfahrens

Mehrheit zu fassen.126 Insoweit wurde beim Verwaltungsverfahren der Wunsch der Kommission berücksichtigt.127 Das Regelungsverfahren ist zwar variantenreich geblieben, brachte aber auch Veränderungen für die Mitwirkung des Parlaments beim Verfahren der abgeleiteten Rechtsetzung mit sich. Wie im ursprünglichen Verfahren erlässt die Kommission ihre geplante Maßnahme, wenn sie mit der Stellungnahme ihres Ausschusses in qualifizierter Mehrheit in Sinne des Art. 205 Abs. 2 S. 1 EGV128 übereinstimmt. Sofern ein ablehnendes oder kein Votum durch den Ausschuss abgegeben wurde, musste die Kommission dem Rat unverzüglich einen Vorschlag für die zu treffende Maßnahme unterbreiten und davon nun auch das Parlament unterrichten.129 Dieses konnte dem Rat gegenüber vortragen, dass der Vorschlag, den die Kommission auf Grundlage eines im Mitentscheidungsverfahren130 erlassenen Basisrechtsakts unterbereitet hatte, die in diesem Rechtsakt verliehenen Durchführungsbefugnisse überschritt.131 Der Rat benötigte nunmehr eine qualifizierte statt der einfachen Mehrheit, um die Maßnahme abzulehnen.132 Hatte sich der Rat gegen den Vorschlag ausgesprochen, so überprüfte die Kommission den Vorschlag. Der Kommission standen dabei drei unterschiedliche Handlungsvarianten zur Verfügung. Zum einen konnte sie dem Rat einen geänderten Vorschlag unterbreiten, zum anderen den alten Vorschlag erneut einbringen oder einen Vorschlag für das ordentliche Gesetzgebungsverfahren abgeben.133 Hatte der Rat innerhalb der Frist weder die vorgeschlagene Maßnahme

126

Art. 4 Abs. 4 des Beschlusses 1999/468/EG. Die Kommission konnte also weiterhin ihre Maßnahme erlassen, solange sich keine qualifizierte Mehrheit gegen den Vorschlag finden ließ. Die Kommission hatte jedoch erklärt, dass sie den größtmöglichen Konsens und die Unterstützung des Ausschusses anstrebe, vgl. Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament und der Kommission über die Modalitäten der Anwendung des Beschlusses 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABl. Nr. L 256 v. 10. 10. 2000, S. 19. 128 Qualifiziert in diesem Sinne bezieht sich hierbei nicht auf eine besonders hohe Zustimmungsrate, sondern auf die Anzahl der bei der Abstimmung anwesenden Mitglieder. 129 Art. 5 Abs. 4 des Beschlusses 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABl. Nr. L 184 v. 17. 7. 1999, S. 23. 130 Darüber hinaus versicherte die Kommission dem Parlament, zur Information spezifische Entwürfe für Durchführungsmaßnahmen auch dann zu übermitteln, wenn deren Basisrechtsakte nicht nach dem Mitentscheidungsverfahren erlassen wurden, aber eine besondere Bedeutung für das Europäische Parlament zukomme. Vgl. Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament und der Kommission über die Modalitäten der Anwendung des Beschlusses 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABl. Nr. L 256 v. 10. 10. 2000, S. 19. 131 Art. 5 Abs. 5 des Beschlusses 1999/468/EG. 132 Art. 5 Abs. 6 S. 1 des Beschlusses 1999/468/EG. 133 Art. 5 Abs. 6 S. 2 des Beschlusses 1999/468/EG. 127

B. Die Weiterentwicklung des Ausschusswesens

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erlassen noch sich dagegen ausgesprochen, konnte die Kommission ihre Maßnahme selbst erlassen.134 Das Parlament erhielt im Regelungsverfahren mit der Unterrichtung und dem Rügerecht zwar ein Mittel, um gegen die von ihm kritisierte135 Parallelgesetzgebung einzuschreiten, jedoch wurde der Rat durch die Mitteilung des Parlaments in keiner Weise gebunden, sodass es die gerügte Maßnahme letztlich nicht verhindern konnte. Von einer Gleichberechtigung des Parlaments konnte also keine Rede sein.136 Ein Erfolg für Parlament und Kommission stellte jedoch der Verzicht auf das contre-filetVerfahren dar.137 Eine Blockade des Verfahrens, wie es das damalige contre-filet verhinderte, war allerdings trotz seines Wegfalls nicht denkbar, da die Möglichkeit des Rates, die Maßnahme mit einfacher Mehrheit138 abzulehnen, ebenfalls gestrichen wurde und ein Untätigbleiben des Rates zur Erlassmöglichkeit der Kommission führte. Das zur Ablehnung neue Erfordernis der qualifizierten Mehrheit führte jedoch in der Folgezeit bei politisch umstrittenen Thematiken139 dazu, dass die Kommission ihre geplante Durchführungsmaßnahme gegen eine Mehrheit der Mitgliedstaaten (Ausschuss) und mit wenig Zustimmung im Rat durchsetzen konnte.140 Bei Basisrechtsakten, die im Mitentscheidungsverfahren erlassen wurden, war dem Parlament jedoch eine echte Mitwirkungs- und Kontrollmöglichkeit eingeräumt worden. Es konnte unabhängig vom gewählten Ausschusstyp in einer Entschließung die Überschreitung von im Basisrechtsakt verliehenen Durchführungsbefugnissen durch die Kommission darlegen (ultra-vires-Kontrolle); die Kommission ist darauf zur Prüfung der Maßnahme aufgerufen und konnte dann dem Ausschuss einen neuen Entwurf für Maßnahmen unterbreiten, das Verfahren fortsetzen oder dem Europäi-

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Art. 5 Abs. 6 S. 3 des Beschlusses 1999/468/EG. Mensching, EuZW 2000, 268, 270. 136 So z. B. auch Schusterschitz/Kotz, EuConst 2007, 68, 72. 137 Vgl. auch Ziff. 3 der legislativen Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag für einen Beschluß des Rates zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (KOM(98)0380 @ C4-0501/98 @ 98/0219(CNS)), ABl. Nr. C 279 v. 1. 10. 1999, S. 411. 138 Besonders beachtenswert erscheint hier die Erklärung der Kommission (zu Artikel 5) der Erklärungen zum Beschluss 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABl. Nr. C 203 v. 17. 7. 1999, S. 1. Hiernach verpflichtete sich die Kommission, es bei der Wahl der Durchführungsmaßnahme „in besonders empfindlichen Bereichen“ zu vermeiden, sich gegen die im Rat vorherrschende Meinung zu positionieren. Diese Erklärung ist als Zugeständnis an den Rat zu bewerten, um diesem das Erfordernis der qualifizierten Mehrheit annehmbarer zu machen. 139 Zum Gen-Mais-Fall siehe Töller, Komitologie, Diss., 2002, S. 398 ff.; Hofmann/Töller, SuS 1998, 209, 214 ff.; für das Umweltrecht siehe Demmke, EIPASCOPE 1998, 14, 16. 140 Riedel, EuR 2006, 512, 525, Fn. 25; Schusterschitz/Kotz, EuConst 2007, 68, 72 f. 135

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Kap. 2: Entstehung/Entwicklung der Komitologie u. des Lamfalussyverfahrens

schen Parlament und dem Rat einen Vorschlag auf der Grundlage des Vertrags vorlegen.141 Bemerkenswert war auch die mit dem Beschluss erstmalige Einführung von allgemeinen Kriterien für die Wahl des Ausschussverfahrens, die jedoch keine Verbindlichkeit142 beanspruchten.143 Die tatsächliche Reichweite der Kriterien sollte durch die institutionelle Dynamik festgelegt werden.144 So sollten Verwaltungsmaßnahmen, wie etwa Maßnahmen zur Umsetzung der gemeinsamen Agrarpolitik oder der gemeinsamen Fischereipolitik oder zur Durchführung von Programmen mit erheblichen Auswirkungen auf den Haushalt145 im Wege des Verwaltungsverfahrens erlassen werden.146 Des Weiteren sollte es so ausgestaltet sein, dass eine Beschlussfassung innerhalb angemessener Frist gewährleistet war.147 Maßnahmen von allgemeiner Tragweite, mit denen wesentliche Bestimmungen von Basisrechtsakten angewandt werden sollen, wie Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit oder Sicherheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen, sollten nach dem Regelungsverfahren erlassen werden.148 Es sollte auch bei Basisrechtsakten Anwendung finden, bei denen eine Anpassung oder Aktualisierung im Wege der abgeleiteten Rechtsetzung vorgesehen war. Das Verfahren sollte so durchgeführt werden, dass das Initiativrecht der Kommission in vollem Umfang gewahrt bleibt.149 Endlich sollte das Beratungsverfahren zur Anwendung kommen, wenn es als das zweckmäßigste Verfahren angesehen wurde.150 Darüber hinaus sollte es auch in denjenigen Fällen gewählt werden, in denen es bereits zu diesem Zeitpunkt angewandt wurde.151 Dies führte zum Erhalt der ursprünglichen Praxis, jedoch bedeutete 141

Art. 8 S. 1 des Beschlusses 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABl. Nr. L 184 v. 17. 7. 1999, S. 23. 142 Nach der Rechtsprechung des EuGH waren Abweichungen von den allgemeinen Kriterien nur möglich, wenn die Entscheidung zur Abweichung durch den Gesetzgeber begründet wird, vgl. EuGH, Urteil v. 21. 1. 2003, Kommission/Parlament und Rat, C-378/00, EU:C:2003:42, Rn. 55 sowie EuGH, Urteil v. 23. 2. 2006, Kommission/Parlament und Rat, C122/04, EU:C:2006:134, Rn. 44. Hierzu auch Gonzáles, ZEuS 2003, 561, 572 f. 143 Vgl. Erwägungsgrund 5 des Beschlusses 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABl. Nr. L 184 v. 17. 7. 1999, S. 23. Die Einführung verbindlicher Kriterien wurde aufgrund des Widerstands einiger Mitgliedstaaten verhindert, dazu Tichy, ZfRV 2000, 134, 137. 144 Scheel, ZEuS 2006, 521, 527. 145 Zur Präzisierung des Begriffes EuGH, Urteil v. 12. 5. 1998, Vereinigtes Königreich/ Kommission, C-106/96, EU:C:1998:218. 146 Art. 2 lit. a des Beschlusses 1999/468/EG. 147 Erwägungsgrund 6 des Beschlusses 1999/468/EG. 148 Art. 2 lit. b des Beschlusses 1999/468/EG. 149 Erwägungsgrund 7 des Beschlusses 1999/468/EG. 150 Art. 2 lit. c des Beschlusses 1999/468/EG. 151 Erwägungsgrund 8 des Beschlusses 1999/468/EG.

C. Lamfalussy und sein Verfahren zur effizienteren Gesetzgebung

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es auch, dass dem Wunsch des Parlaments,152 das Beratungsverfahren als Standardverfahren zu etablieren, nicht nachgekommen worden ist.153 Allgemeine Kriterien für die Anwendung des Verfahrens bei Schutzmaßnahmen fehlten.

C. Alexandre Lamfalussy und sein Verfahren zur effizienteren Gesetzgebung im Kapitalmarktrecht Ab dieser Entwicklungsstufe teilt die Komitologie ihren Werdegang mit dem Lamfalussyverfahren, da es letztlich auch „nur“ ein besonderes Komitologieverfahren ist. Deshalb wird, wie bereits angekündigt, ab hier die Geschichte der Komitologie zusammen mit der von Lamfalussy dargestellt werden.

I. Das Lamfalussyverfahren als Meilenstein der Kapitalmarktregulierung 1. Die Harmonisierung des Kapitalmarktrechts a) Der Segré-Bericht Das Lamfalussyverfahren ist eine institutionelle Antwort auf die Probleme der Kapitalmarktregulierung auf Gemeinschaftsebene.154 Die Entwicklung eines einheitlichen oder integrierten Markts für Finanzdienstleistungen wurde schon seit den Anfängen der Europäischen Union angestrebt.155 Bereits im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft war durch die Kodifizierung der Freiheit des Kapitalverkehrs156 und der Dienstleistung157 die Schaffung eines Europäischen Kapi152 Protokoll der Sitzung vom Mittwoch, 17. Mai 1995: EUV und Regierungskonferenz 1996: Entschließung zur Funktionsweise des Vertrags über die Europäische Union im Hinblick auf die Regierungskonferenz 1996 – Verwirklichung und Entwicklung der Union, ABl. EG Nr. C 151 v. 19. 6. 1995, S. 56 ff. 153 Falke, in: Joerges/Falke, Das Ausschusswesen der Europäischen Union, S. 102, dennoch kann das Beratungsverfahren als das gewöhnliche Verfahren bezeichnet werden, da es immer Anwendung fand, wenn keine spezielle Zuweisung an ein anderes Verfahren gegeben war, siehe auch Gonzáles, ZEuS 2003, 561, 568. 154 Zur Entwicklung des Lamfalussyverfahrens siehe etwa Ferran, Principles of Corporate Finance Law, 493 ff.; Karpf, ÖBA 2005, 573; Rötting/Lang, EuZW 2012, 8, 8; Schmolke, NZG 2005, 912, 912 f.; Coen/Thatcher, JPP 2008, 49, 56 ff.; Schmolke, EuR 2006, 432, 436 ff.; Binder/Broichhausen, ZBB 2006, 85, 88. 155 Hertig/Lee, working paper series 2003, S. 3. 156 Art. 67 Abs. 1 EWGV beinhaltete die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zum Abbau von Beschränkungen des Kapitalverkehrs. 157 Art. 59 EWGV war als Auftrag an die Vertragsstaaten, die sie betreffenden Beschränkungen abzubauen, formuliert.

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Kap. 2: Entstehung/Entwicklung der Komitologie u. des Lamfalussyverfahrens

talmarkts angelegt.158 Zu Anfang der 1960er Jahre fand man in den Mitgliedstaaten allerdings jeweils eigene und deshalb sehr verschiedene Regelungen über die Finanzmärkte vor. Zudem waren nationale Kapitalmärkte zu dieser Zeit fast bedeutungslos, finanzierten sich Unternehmen doch meist über Fremdkapital durch Banken. Das Potenzial eines gemeinsamen und einheitlichen Kapitalmarkts erkennend wurde im Jahr 1966 von der EWG-Kommission eine Expertengruppe unabhängiger Sachverständiger unter Leitung von Claudio Segré eingesetzt,159 um konkrete Maßnahmen zur Errichtung eines Europäischen Kapitalmarkts zu entwickeln. Das Ergebnis dieser Zusammenkunft wurde im sogenannten Segré-Bericht160 zusammengefasst. Der Bericht kann als Grundsteinlegung der europäischen Kapitalmarktharmonisierung und -regulierung gesehen werden. Zur Errichtung eines gemeinsamen Binnenmarkts wird hierin die gemeinschaftsweite Rechtsangleichung empfohlen.161 Auch äußerte sich der Bericht bereits zu Fragen der Kontrolle und Aufsicht. Die Sachverständigengruppe riet, die externen Kontrollgremien der Mitgliedstaaten weiter auszubauen und zu koordinieren, erwähnte jedoch bereits, dass die Möglichkeit der Einrichtung einer supranationalen Behörde nach dem Vorbild der belgischen Commission Bancaire und der amerikanischen Securities and Exchange Commission durchdacht werden sollte.162 Bestärkt durch diesen Bericht schickte sich die Kommission an, die der wechselseitigen Marktdurchdringung hinderlichen Begebenheiten zu beseitigen und leitete so die Harmonisierung des europäischen Kapitalmarktrechts ein. Zwischen 1979 und 1982, also erst 13 Jahre nach dem Segré-Bericht, wurden mit der Börsenzulassungsrichtlinie163, der Börsenzulassungsprospektrichtlinie164 und der Zwischenberichtsrichtlinie165 die ersten Rechtsakte zur Harmonisierung des Kapital158

Ausführlich zur Geschichte des Kapitalmarktrechts siehe etwa Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., S. 237 ff.; Veil, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, S. 2 ff. 159 Neben Claudio Segré waren A. Batenburg, J. D. Blondeel, G. Della Porta, A. Ferrari, R. Franck, L. Gleske, J. Guyot, A. Lamfalussy, H. Möller, G. Plescoff und P. Tabatoni Mitglieder dieser Gruppe. 160 Europäische Wertegemeinschaft (Kommission): Der Aufbau eines europäischen Kapitalmarkts: Bericht einer von der EWG-Kommission eingesetzten Sachverständigengruppe (Segré-Bericht). Hierzu auch Stünkel, EG-Grundfreiheiten und Kapitalmärkte, Diss., 2005, S. 40 ff. 161 Segré-Bericht 1966, S. 47 ff.; kritisch hierzu Assmann, ORDO 44 (1993), 87, 90. 162 Segré-Bericht 1966, S. 252. 163 Richtlinie 79/279/EWG des Rates vom 5. März 1979 zur Koordinierung der Bedingungen für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse. 164 Richtlinie 80/390/EWG des Rates vom 17. März 1980 zur Koordinierung der Bedingungen für die Erstellung, die Kontrolle und die Verbreitung des Prospekts, der für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse zu veröffentlichen ist. 165 Richtlinie 82/121/EWG des Rates vom 15. Februar 1982 über regelmäßige Informationen, die von Gesellschaften zu veröffentlichen sind, deren Aktien zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse zugelassen sind.

C. Lamfalussy und sein Verfahren zur effizienteren Gesetzgebung

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marktrechts verabschiedet166, die auf eine Koordinierung des Börsen- und Prospektrechts abzielten, um so das von der Sachverständigengruppe um Claudio Segré aufgezeigte Publizitäts- und Transparenzproblem zu lösen. Die Rechtsakte bezweckten zwar lediglich eine Mindestharmonisierung, stellten aber die ersten wichtigen Schritte in der Entwicklung des Europäischen Kapitalmarktrechts dar. b) Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarkts Als europäische Unternehmen in der Folgezeit allmählich die Börse als Finanzierungsquelle zu nutzen verstanden, änderte sich auch das Finanzierungssystem der Unternehmen: Weg von dem durch Banken finanzierten und fremdkapitalorientierten hin zu einem durch Kapitalmärkte ermöglichten eigenkapitalorientierten Finanzierungssystem.167 Angesichts dieser in den Achtziger Jahren steigenden Bedeutung der Kapitalmärkte in Europa, wurde von der Kommission im Jahr 1985 das Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarkts168 verabschiedet, um die Entwicklung eines europäischen Kapitalmarktrechts weiter voranzutreiben. In diesem Bericht formulierte die Kommission die Beseitigung rechtlicher und tatsächlicher Schranken der Zusammenarbeit europäischer Unternehmen als Ziel.169 Es wurde der wegweisende Entschluss gefasst, einen integrierten Binnenmarkt zu schaffen, in dem Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitnehmer frei zirkulieren können (Single European Market).170 Ebenso wie im Segré-Bericht sollte diese Liberalisierung nicht durch eine Vereinheitlichung des Rechts, sondern durch eine Koordinierung der nationalen Vorschriften in Form einer gegenseitigen Anerkennung der jeweiligen einzelstaatlichen Regelungen erreicht werden, die den Schutz der Interessen Anlagewilliger gewährleisten.171 Die Überwachung der Harmonisierung sollte nach Meinung der Kommission durch die jeweils zuständigen, nationalen Behörden erfolgen.172 Damit wurde das ursprünglich im Finanzdienstleistungsaufsichtsrecht verfolgte Konzept einer umfassenden Rechtsangleichung zunächst aufgegeben. Die zur Rechtsangleichung erforderlichen Entscheidungsprozesse haben sich insbesondere aufgrund der unterschiedlichen rechtlichen und tatsächlichen Lage der Märkte in den einzelnen Mitgliedstaaten als (zu) schwierig und zeitintensiv erwie166

Hierzu Binder/Broichhausen, ZBB 2006, 85, 90 f. Vgl. Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., § 17 Rn. 21; Assmann, in: Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Kap. 22 Rn. 1. 168 Vollendung des Binnenmarkts: Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, KOM(85) 310 endg. v. 14. Juni 1985. 169 Vgl. Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, KOM(85) 310, Rn. 1. 170 Weber, Kreditwesen 2007, 1140, 1140. 171 Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, KOM(85) 310, Rn. 102. 172 Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, KOM(85) 310, Rn. 103. 167

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Kap. 2: Entstehung/Entwicklung der Komitologie u. des Lamfalussyverfahrens

sen.173 In diesem Zusammenhang wurde noch im selben Jahr die OGAW-Richtlinie174 verabschiedet, die im Weißbuch als konkrete Maßnahme benannt wurde.175 Zur weiteren Umsetzung des Binnenmarktprogramms folgten sodann zwischen 1988 und 1993 mit der Transparenzrichtlinie176 von 1988, mit der Emissionsprospektrichtlinie177 wenige Monate später, mit der Insiderrichtlinie178 von 1989 sowie mit der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie179 von 1993180 die Harmonisierung des Wertpapierrechts. Der Gesetzgeber blieb bei der Verabschiedung dieser Rechtsakte bei seiner eingeschlagenen Linie und harmonisierte das Recht der Mitgliedstaaten nur insoweit, wie dies zur Gewährleistung der gegenseitigen Anerkennung der Zulassungen und der Aufsichtssysteme unbedingt erforderlich und hinreichend war.181 Ebenfalls in diesen Zeitraum fällt die Gründung des Forum of European Securities Commissions (FESCO) im Jahre 1997 von den Wertpapierregulierungsbehörden der einzelnen Staaten im EU-Raum (Europäische Union) sowie Island und Norwegen. Die Schaffung der FESCO stellte die Reaktion auf das Scheitern eines Revisionsvorschlages der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie von 1993 dar, wonach der Kommission zu deren Umsetzung Durchführungsbefugnisse verliehen werden sollten.182 Es handelte sich um einen informellen Beratungsausschuss, der als europäische Organisation nationaler Regulierungsbehörden fungierte und in der Folgezeit für eine einheitliche Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sorgte.183

173

Binder/Broichhausen, ZBB 2006, 85, 87. Richtlinie 85/611/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren. 175 Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, KOM(85) 310, Rn. 106. 176 Richtlinie 88/627/EWG des Rates vom 12. Dezember 1988 über die bei Erwerb und Veräußerung einer bedeutenden Beteiligung an einer börsennotierten Gesellschaft zu veröffentlichenden Informationen. 177 Richtlinie 89/298/EWG des Rates vom 17. April 1989 zur Koordinierung der Bedingungen für die Erstellung, Kontrolle und Verbreitung des Prospekts, der im Falle öffentlicher Angebote von Wertpapieren zu veröffentlichen ist. 178 Richtlinie 89/592/EWG des Rates vom 13. November 1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte. 179 Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 10. Mai 1993 über Wertpapierdienstleistungen. 180 Diese Richtlinie war bereits im Weißbuch vorgezeichnet, siehe hierzu auch Binder/ Broichhausen, ZBB 2006, 85, 94 f. 181 Vgl. Erwägungsgrund 3 der Richtlinie 93/22/EWG. 182 Ruffing, Europäische Wertpapierregulierung, Diss., 2011, S. 109 f. 183 Vgl. The Forum of European Securities Commissions: FESCO Consultative Paper „The Harmonization of Core Conduct of Business Rules for Investor Protection“, Dokument 00124b. 174

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c) Der Aktionsplan für Finanzdienstleistungen Trotz oben genannter Bemühungen blieben die Finanzmärkte der Gemeinschaft segmentiert und Anleger konnten nach wie vor Dienstleistungen grenzüberschreitend tätiger Finanzinstitutionen noch immer nicht direkt in Anspruch nehmen.184 Aus diesen Gründen und auf Drängen des Europäischen Rates, der die nahende Einführung der einheitlichen Währung als Chance sah, das Zusammenwachsen der Märkte zu verwirklichen, wurde eine Gruppe der persönlichen Vertreter der Wirtschafts- und Finanzminister und der Europäischen Zentralbank unter dem Vorsitz der Kommission als politische Gruppe für Finanzdienstleistungen (FSPG) beauftragt, die Kommission bei der Festlegung prioritärer Aktionsbereiche zu unterstützen.185 Auf Basis der Ergebnisse dieser Zusammenkunft stellte die Kommission im Mai 1999 den sogenannten Aktionsplan für Finanzdienstleistungen (FSAP)186 vor,187 der neue Prioritäten für die Schaffung eines einheitlichen Finanzmarkts ausmachte und die zu ergreifenden Maßnahmen in drei Prioritätsstufen188 einteilte. Ziele des Planes waren die Etablierung transparenter, integrierter, und leistungsfähiger Finanzmärkte und der Ausbau des Anlegerschutzes durch Informationspflichten und Regressmöglichkeiten. Die Umsetzung sollte jedoch möglichst so erfolgen, dass sich die Gefahr, den jungen Markt durch Überregulierung zu ersticken, nicht realisierte. Zur zügigen Umsetzung vereinbarter Lösungen dachte der Bericht schon ein auf Art. 251 EGV (Mitentscheidungsverfahren) und der Komitologie basierendes mehrstufiges Verfahren an.189 Im Wege dieses Rechtsetzungsverfahrens sollten nicht übermäßig komplexe Rechtsvorschriften erlassen werden, deren zentrale Konzepte (als „Herzstück der EU-Vorschriften“190) durch im Wege vereinbarter Komitologieverfahren entstehende Durchführungsbestimmungen konkretisiert und näher ausgeführt werden sollten.191

184 Vgl. Finanzdienstleistungen: Umsetzung des Finanzmarktrahmens: Aktionsplan, Mitteilung der Kommission, KOM(1999) 232 endg. v. 11. 05. 1999, S. 3; Posner/Véron, JEPP 2010, 400, 403. 185 Vgl. Europäischer Rat (Wien), 11./12. Dezember 1998, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Ziff. 51. 186 Finanzdienstleistungen: Umsetzung des Finanzmarktrahmens: Aktionsplan, Mitteilung der Kommission, KOM(1999) 232 endg. v. 11. 05. 1999. 187 Hierzu auch Seitz, BKR 2002, 340. 188 Von Prioritätsstufe 1: Diese Maßnahmen müssen mit weitgehender Übereinstimmung unverzüglich getroffen werden, über Prioritätsstufe 2: Diese Maßnahmen werden als wichtig für das Funktionieren des Binnenmarkts erachtet, bis zur Prioritätsstufe 3: Diese Maßnahmen betreffen wichtige Bereiche, in denen Arbeiten in Angriff genommen werden müssen, die noch bis zum Ende der Übergangszeit im Rahmen der letzten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion unternommen werden müssen. 189 Vgl. FSAP, Kom(1999), 232, S. 16. 190 FSAP, Kom(1999), 232, S. 16. 191 FSAP, Kom(1999), 232, S. 16.

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Kap. 2: Entstehung/Entwicklung der Komitologie u. des Lamfalussyverfahrens

2. Lamfalussy a) Die Idee Als sich Rat und Parlament nicht auf ein Komitologieverfahren hinsichtlich der im Aktionsplan genannten Rechtsakte einigen konnten, wurde zur Erarbeitung eines schnelleren Rechtsetzungsverfahrens und zur rascheren Umsetzung des Aktionsplans am 17. Juli 2000 vom Rat der Wirtschafts- und Finanzminister der Europäischen Union (ECOFIN) unter Vorsitz von Baron Alexandre Lamfalussy ein Ausschuss der Weisen192 eingesetzt193, mit dem Auftrag, (1.) die seinerzeit vorliegenden Bedingungen für die Anwendung der Regulierungsmaßnahmen der unionszugehörigen Wertpapiermärkte zu evaluieren, (2.) die bestmöglichste Reaktion auf die aktuellen Entwicklungen an bestehenden und entstehenden Wertpapiermärkten und eine effiziente und dynamische rechtliche Möglichkeit zu finden, um auf neue Herausforderungen der Märkte reagieren zu können sowie (3.) Szenarien zu größerer Konvergenz und Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten zu entwickeln.194 Am 9. November 2000 legte der Ausschuss planmäßig dem ECOFIN einen ersten Bericht vor195 und am 15. Februar 2001 veröffentlichte der Ausschuss der Weisen seinen Schlussbericht.196 Als eines der zentralen Hindernisse der grenzübergreifenden Integration der Wertpapiermärkte wird die Lückenhaftigkeit von Regelungen oder deren komplettes Fehlen auf europäischer Ebene benannt.197 Als größtes Problem wurde jedoch, wie schon im Zwischenbericht angedeutet, das derzeitige Rechtssystem angesehen.198 Zwar seien unvollständige Regelungen auf europäischer Ebene ein nicht unbeachtliches Problem, Hauptproblem sei jedoch vielmehr die Art und Weise wie EU-Recht gesetzt und umgesetzt werde (oder eben nicht).199 Betont wird ebenso der viel zu lange Zeitraum, der für die Rechtsetzung auf europäischer Ebene benötigt werde.200 Vorgeschlagen wurde deshalb, wie schon im Zwischen192 Neben A. Lamfalussy waren C. Herkströter, L. A. Rojo, B. Ryden, L. Spaventa, N. Walter und N. Wicks Mitglieder des Ausschusses. 193 Vgl. Conseil/00/263, 2283. Tagung des Rates – Wirtschaft und Finanzen – am 17. Juli 2000 in Brüssel, abrufbar unter http://europa.eu/rapid/press-release_PRES-00-263_de.htm (zuletzt abgerufen am 30. 4. 2020). 194 Vgl. Conseil/00/263, 2283. Tagung des Rates – Wirtschaft und Finanzen – am 17. Juli 2000 in Brüssel. 195 Erster Bericht des Ausschusses der Weisen über die Reglementierung der europäischen Wertpapiermärkte, v. 9. November 2000. Hierzu Hertig/Lee, working paper series 2003, S. 3 ff.; Schmolke, NZG 2005, 912, 912 ff. 196 Schlussbericht des Ausschusses der Weisen über die Reglementierung der europäischen Wertpapiermärkte v. 15. Februar 2001. 197 Schlussbericht der Weisen, S. 17 f. 198 Schlussbericht der Weisen, S. 19 ff. 199 „Das Problem ist das System selbst.“, Schlussbericht der Weisen, S. 19. Vgl. Einleitung A. 200 Schlussbericht der Weisen, S. 19 f.: „Recht wird auf EU-Ebene in der Weise gesetzt, dass die Europäische Kommission dem Rat und dem Europäischen Parlament einen Vorschlag

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bericht skizziert, ein Regelungskonzept in vier Stufen:201 Auf der ersten Stufe202 (Level 1) sollten durch Rahmenrechtsakte, die im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zustande kommen, nur die grundsätzliche Regelungen vorgegeben und die wesentlichen203 politischen Grundprinzipien festgelegt werden.204 Zur Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens wurde vorgeschlagen, sich hierbei eher Verordnungen als Richtlinien zu bedienen, um mit der Richtlinienwahl einhergehende Probleme der langsamen Umsetzung zu umgehen.205 Ebenso ermutigte der Weisenrat den Gesetzgeber dazu, auch Schnellverfahren einzusetzen.206 Auf der zweiten Stufe207 (Level 2) sollten durch sogenannte Durchführungsrechtsakte als detaillierte technische Vorschriften, die unter Zusammenarbeit mit zwei neu zu schaffenden Ausschüssen, dem Ausschuss der EU-Wertpapierregulierungsbehörden (ESRC)208 und dem EU-Wertpapierausschuss (ESC)209, ausgearbeitet und von der Kommission erlassen werden, die Zielvorgaben in voller Übereinstimmung mit den Basisrechtsakten verwirklicht werden.210

unterbreitet, über den im Mitentscheidungsverfahren nach Artikel 251 EG-Vertrag entschieden wird. Das Mitentscheidungsverfahren dauert vom Kommissionsvorschlag bis zur abschließenden Einigung in allen Rechtsetzungsbereichen durchschnittlich über zwei Jahre – im Bereich der Finanzdienstleistungen dauert das Verfahren noch länger.“ 201 Schlussbericht der Weisen, S. 26 ff. Zum 4-Stufen-Modell siehe auch Karpf, ÖBA 2005, 573, 574 ff.; Ruppel, Finanzdienstleistungsaufsicht in der Europäischen Union, Diss., 2015, 47 f.; Leixner, BMF Working Paper: Komitologie und Lamfalussyverfahren im Finanzdienstleistungsbereich, S. 20 ff.; Schmolke, NZG 2005, 912, 913 ff.; Moloney, EC Securities Regulation, S. 1009 ff.; Kalss, ÖBA 2007, 419, 419; Donnelly, PVS 2007, 253, 263 ff.; Avgerinos, ELJ 2002, 269, 274 ff.; Kolassa, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, BankenrechtsHandbuch, § 135 Rn. 47; Schaub, JFRC 2005, 110, 111; Hertig/Lee, working paper series 2003, S. 5 f.; Möllers, EBOR 2010, 379, 379 ff. 202 Siehe hierzu auch die Grafik im Schlussbericht der Weisen, S. 34. 203 Das Erfordernis, das die wesentlichen Entscheidungen vom Gesetzgeber selbst im Basisrechtsakt aufzunehmen sind, ergab sich bereits aus der Rechtsprechung des EuGH und Art. 2 lit. b des zweiten Komitologiebeschlusses. Zum Wesentlichkeitsmerkmal siehe Kapitel 4 A. I. 2. b). 204 Schlussbericht der Weisen, S. 29 f. 205 Schlussbericht der Weisen, S. 33. 206 Gemeint war das „fast-track facility“ nach Art. 251 Abs. 2 S. 2 EGV. Hiernach konnte der Rat den Gesetzesvorschlag der Kommission bereits nach einer Lesung im Parlament annehmen, wenn der Rat alle in der Stellungnahme des Parlaments enthaltenen Abänderungen billigt und die Kommission zudem nicht ihr Recht in Anspruch nimmt, Rat und Parlament nach erster Lesung einen geänderten Vorschlag zu unterbreiten, Art. 250 EGV. Vgl. auch Ziff. 5 der Entschließung des Europäischen Parlaments zum Schlussbericht des Ausschusses der Weisen über die Regulierung der europäischen Wertpapiermärkte, ABl. Nr. C 343 v. 5. 12. 2001, S. 266. Siehe hierzu Hetmeier, in: Lenz/Borchardt, EUV/EGV, Art. 251 Rn. 11. 207 Siehe auch Grafik im Schlussbericht der Weisen, S. 45. 208 EU-Securities Regulators Committee. 209 European Securities Committee. 210 Schlussbericht der Weisen, S. 26 f.

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Die ersten beiden Ebenen sollten effiziente Normen hervorbringen, sodass Ziele mit dem geringstmöglichen Regulierungsaufwand umgesetzt werden können.211 Auf der dritten Stufe212 (Level 3) sollte dann der ESCR in seiner zweiten Funktion213 einheitliche Leitlinien für die auf nationaler Ebene zu verabschiedenden Verwaltungsvorschriften aufstellen (guidelines), Empfehlungen zu Auslegungsfragen (recommendations) herausgeben und gemeinsame Standards setzen (standards), um eine einheitlichere Umsetzung und Anwendung der EU-Vorschriften durch die Mitgliedstaaten zu erreichen.214 Letztlich sollte so mit jeder Stufe die Detailliertheit des Geregelten zunehmen. Endlich sollten sich auf der vierten Stufe (Level 4) des Vorschlags der Weisen alle Akteure des Verfahrens, insbesondere jedoch die Kommission als Hüterin der Verträge darum bemühen, die EU-Vorschriften durchzusetzen.215 b) Die Umsetzung Das Verfahren löste, wie auch die Komitologiebeschlüsse vor ihm, einen interinstitutionellen Konflikt zwischen den drei hieran beteiligten Organen der Gemeinschaft aus.216 Der Rat selbst nahm den Vorschlag des Konzepts äußerst schnell in einer Entschließung auf seiner Tagung am 23. und 24. März 2001 in Stockholm ausdrücklich an und beauftragte die Kommission217 mit seiner Durchführung.218 Er forderte hier jedoch einige Änderungen, die seine eingeschränkte Mitsprachemöglichkeit bei den Durchführungsmaßnahmen kompensieren sollten.219 So wurde unter anderem die Aufnahme der sogenannten Aerosolklausel220 gefordert, die in besonders heiklen Fällen im Bereich der Wertpapiermärkte ein Tätigwerden der Kommission gegen 211

Schlussbericht der Weisen, S. 27. Siehe auch die Grafik im Schlussbericht der Weisen, S. 48. 213 Vgl. Schlussbericht der Weisen, S. 39. 214 Schlussbericht der Weisen, S. 46 f. 215 Schlussbericht der Weisen, S. 49. 216 Hierzu Ruffing, Europäische Wertpapierregulierung, Diss., 2011, S. 115 ff. 217 Der damalige Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein begrüßte den Schlussbericht des Ausschusses der Weisen, vgl. Pressemitteilung IP/01/215 v. 15. 2. 2001. 218 Rat: Entschließung des Europäischen Rates vom 23. März 2001 über eine wirksamere Regulierung der Wertpapiermärkte in der Europäischen Union, ABl. Nr. C 138 v. 11. 5. 2001, S. 1. 219 Vgl. auch das Protokoll über die Plenarsitzung des Europäischen Parlaments vom 5. Februar 2002, ABl. Nr. C 284 E v. 21. 11. 2002, S. 115. Zu den Forderungen siehe auch Schaub, JFRC 2005, 110, 112 f. 220 Die Bezeichnung der Klausel geht zurück auf ihre erstmalige Verwendung bei der gemeinschaftlichen Gesetzgebung für Fluorchlorkohlenwasserstoffemissionen aus Spraydosen. Hierbei handelt es sich um ein Gemisch aus festen oder flüssigen Schwebeteilchen und einem Gas, auch Aerosol genannt. 212

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eine vorherrschende Meinung221 im Rat verhindern sollte.222 Dieser Forderung entsprach die Kommission durch einen Verweis auf die abgegebene Erklärung des zweiten Komitologiebeschlusses zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der Durchführungsbefugnisse.223 Mit dem Segen des Rates konnte die Kommission Anfang Juni den Ausschuss der Europäischen Wertpapierregulierungsbehörden (CESR224 (im Bericht als ESRC bezeichnet)) und den Europäischen Wertpapierausschuss (ESC)225, der auch als Regelungsausschuss226 diente, einsetzen. Zur Anwendung des besonderen Komitologieverfahrens nach Lamfalussy fehlte nun lediglich die Zustimmung des Parlaments. Das gab sich jedoch bereits am 14. März kämpferisch und forderte zahlreiche Abweichungen vom üblichen Verlauf des Komitologieverfahrens, da es das institutionelle Gleichgewicht durch die Mehrstufigkeit des Gesetzgebungsverfahrens gefährdet sah.227 Als sich im November 2001 der Ausschuss für konstitutionelle Fragen des Parlaments mit dem Verfahren beschäftigten sollte, wuchs die Forderungsliste weiter an. Festgehalten sind sie im von-Wogau-Bericht als Ergebnis des Ausschusses für konstitutionelle Fragen.228 Die Beschränkung seiner Gesetzgebungsbefugnisse auf erster Stufe durch die Zustimmung zum beschleunigten Verfahren wollte das Parlament nur hinnehmen, wenn im Gegenzug seine Stellung in der zweiten Ebene des Verfahrens gestärkt würde. Die wohl bedeutendste Forderung war

221 Mit vorherrschender Meinung war die einfache Mehrheit im Rat gemeint, vgl. Leixner, BMF Working Paper: Komitologie und Lamfalussyverfahren im Finanzdienstleistungsbereich, S. 14. 222 Ziff. 5 der Entschließung des Europäischen Rates vom 23. März 2001 über eine wirksamere Regulierung der Wertpapiermärkte in der Europäischen Union, ABl. Nr. C 138 v. 11. 5. 2001, S. 1. 223 Vgl. Ziff. 5 des Beschlusses 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABl. Nr. L 184 v. 17. 7. 1999, S. 23. 224 Committee of European Securities Regulators. Eingesetzt durch den Beschluss 2001/ 527/EG der Kommission vom 6. Juni 2001 zur Einsetzung des Ausschusses der europäischen Wertpapierregulierungsbehörden, ABl. Nr. L 191 v. 13. 7. 2001, S. 43. Ausführlich zur Organisation und Arbeitsweise des Ausschusses Karpf/Kuras-Eder, ÖBA 2002, 758, 761 ff. 225 European Securities Committee. Eingesetzt durch den Beschluss 2001/528/EG der Kommission vom 6. Juni 2001 zur Einsetzung des Europäischen Wertpapierausschusses, ABl. Nr. L 191 v. 13. 07. 2001, S. 45. 226 Vgl. Erwägungsgrund 11 des Beschlusses 2001/528/EG. Hierzu auch Seitz, BKR 2002, 340, 341. 227 Siehe Entschließung des Europäischen Parlaments zum Schlussbericht des Ausschusses der Weisen über die Regulierung der europäischen Wertpapiermärkte, ABl. Nr. C 343 v. 5. 12. 2001, S. 265. Siehe hierzu Leixner, BMF Working Paper: Komitologie und Lamfalussyverfahren im Finanzdienstleistungsbereich, S. 15; Seitz, BKR 2002, 340, 341 f. 228 Europäisches Parlament: Bericht über die Umsetzung der Rechtsvorschriften im Bereich der Finanzdienstleistungen, endg. v. 23. 1. 2002, A5-0011/2002.

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die nach der Aufnahme der sogenannten Sunset-Klausel229 in die Basisrechtsakte, nach der die Möglichkeit der Wahrnehmung übertragener Durchführungsbefugnisse nach vier Jahren ausgesetzt werden sollte.230 Klargestellt wurde von Seiten des Parlaments auch, dass die gemachten Vorschläge und Forderungen „einen zeitlich begrenzten Charakter haben und so lange gelten, bis auf der nächsten Regierungskonferenz eine für das Europäische Parlament befriedigende Revision von Art. 202 EGV herbeigeführt worden ist; diese Vorschläge müssen eine zügige Umsetzung der Legislativtexte in Verbindung mit dem Aktionsplan für Finanzdienstleistungen gestatten.“231 Das Parlament konnte sich letztlich mit beinahe232 allen Forderungen durchsetzen. Nach Erhalt der verfahrensrechtlichen Zusicherungen233 stimmte es im Februar 2002 dann auch der Durchführung des Verfahrens zu.234 Ebenfalls konnte das Europäische Parlament ein Rückrufrecht235 bei Vorliegen substantieller Gründe durchsetzen. Die beiden neu geschaffenen Ausschüsse nahmen ihre Arbeit am 7. Juni 2001 auf. Der Ausschuss der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörden ist die Nachfolgeorganisation236 des FESCO und führte deren Aufgaben nach ihrer Gründung fort.237 Ebenso wurde nach dem Vorschlag des Berichts zur Überwachung des Verfahrens die

229 Ziff. 17 des Berichts über die Umsetzung der Rechtsvorschriften im Bereich der Finanzdienstleistungen, endg. v. 23. 1. 2002, A5-0011/2002. Die erste Sunset-Klausel enthielt Art. 17 Abs. 4 der Marktmissbrauchsrichtlinie; diese wurde im April 2007 wirksam. 230 Ebenda, Ziff. 17. Siehe hierzu Vaccari, Revue du droit de l’Union européenne 2007, 41. Die Klausel diente dem Parlament als Ersatz für ein nach seinerzeit geltendem Recht nicht möglichen Rückholrecht, vgl. Schlussbericht der Weisen, S. 42 f. Siehe auch Leixner, BMF Working Paper: Komitologie und Lamfalussyverfahren im Finanzdienstleistungsbereich, S. 15. Vgl. auch Bericht über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG, 85/611/EWG, 91/675/EWG, 93/6/EWG und 94/19/EG des Rates sowie der Richtlinien 2000/12/EG, 2002/83/EG und 2002/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung einer neuen Ausschussstruktur im Finanzdienstleistungsbereich (KOM(2003) 659 – C5-0520/2003-2003/0263(COD)), A5-0162/ 2004 v. 17. 3. 2004, S. 14. 231 Ziff. 21 des Berichts über die Umsetzung der Rechtsvorschriften im Bereich der Finanzdienstleistungen, endg., A5-0011/2002 v. 23. 1. 2002. 232 Lediglich der Wunsch nach einem Vertreter des Parlaments in den Sitzungen des Wertpapierausschusses wurde nicht erfüllt. Als Surrogat diente ein umfassendes Informationsrecht über Tagesordnung und Sitzungsprotokoll des Ausschusses, vgl. Ziff. 7 des Protokolls über die Plenarsitzung des Europäischen Parlaments vom 5. Februar 2002, ABl. Nr. C 284 E v. 21. 11. 2002, S. 115. 233 Vgl. hierzu Protokoll über die Plenarsitzung des Europäischen Parlaments vom 5. Februar 2002, ABl. Nr. C 284 E v. 21. 11. 2002, S. 115. 234 Ebenda. 235 Sogenanntes call-back-right. 236 Vgl. Ferran, Principles of Corporate Finance Law, S. 494. 237 Vgl. Bundesamt für den Wertpapierhandel: Jahresbericht 2001, S. 45; Erwägungsgrund 1 der Charter of the Committee of European Securities Regulators, Ref. CESR/06-289c v. Juli 2006, S. 1.

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Interinstitutionelle Gruppe zur Überwachung der Wertpapiermärkte (IIMG)238 eingerichtet.239

II. Die Ausweitung des Lamfalussyverfahrens und die Reform der Komitologie 1. Ausweitung von Lamfalussy auf den Finanzdienstleistungsbereich Mit der Etablierung von Lamfalussy war der Weg zur raschen und effizienten Umsetzung des FSAP geebnet. Der Aktionsplan und der Lamfalussy-Bericht führten im Zeitraum von 2003 bis 2007 zur Umsetzung von 26 Richtlinien.240 In den ersten beiden Jahren wurden vier Basisrichtlinien, die als Herzstück des heutigen europäischen Kapitalmarktrechts bezeichnet werden können,241 die Marktmissbrauchsrichtlinie242 (MAD) von 2003, die Prospektrichtlinie243 (PD) von 2003, die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente244 (MiFID) von 2004 und die Transparenzrichtlinie245 von 2004 verabschiedet. Jede dieser Richtlinien enthielt Befugnisübertragungen des Gesetzgebers an die Kommission246 und wurde bis 2007 durch Durchführungsrechtsakte der Stufe 2 des Lamfalussyverfahrens konkretisiert.

238 Inter-institutional Monitoring Group. Die Gruppe bestand aus 6 Mitgliedern, von denen jeweils zwei durch Rat, Parlament und Kommission nominiert waren. Entsendet vom Europäischen Parlament waren Graham Bishop und Norbert Walter; vom Rat Mario Draghi und Kari Lotsberg und von der Kommission Michel Prada und Walter van Gerven. 239 Die Gruppe hielt ihr erstes Treffen am 7. Oktober 2002 ab, vgl. Pressemitteilung IP/02/ 1452 v. 10. 10. 2002: Financial Markets: Inter-institutional Monitoring Group for securities markets meet for the first time. 240 Wilhelmi, JZ 2014, 693, 696. 241 So Veil, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 20. 242 Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), ABl. Nr. L 96 v. 12. 4. 2003. S. 16. 243 Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl. Nr. L 345 v. 31. 12. 2003, S. 64. 244 Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates, ABl. Nr. L 145 v. 30. 4. 2004, S. 1. 245 Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl. Nr. L 390 v. 31. 12. 2004, S. 38. 246 Vgl. Art. 17 der Richtlinie 2003/6/EG; Artikel 24 der Richtlinie 2003/71/EG; Art. 64 der Richtlinie 2004/39/EG und Art. 27 der Richtlinie 2004/109/EG.

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Obwohl die Strukturen zur Umsetzung des Verfahrens von Alexandre Lamfalussy und seiner Expertengruppe erst Mitte des Jahres 2001 etabliert waren, wurde schon 2002 eine Erweiterung des Lamfalussyverfahrens auf den Banken- und Versicherungssektor angestrengt.247 Der Wirtschafts- und Finanzausschuss (WFA) schlug in seinem Bericht vom 3. Oktober 2002 eine Ausweitung des Lamfalussyverfahrens auf die Regulierung und Beaufsichtigung von Banken, Versicherungs-/Pensionsfonds und Finanzkonglomeraten vor.248 Bereits im November 2002 gab es deshalb eine entsprechende Entschließung249 des Europäischen Parlaments. Daraufhin wurde die Kommission im Dezember desselben Jahres vom Rat zur Ausarbeitung von Maßnahmen in diesen Bereichen auf Grundlage des Lamfalussyberichts aufgefordert.250 Anfang November 2003 konnte die Kommission ihren Vorschlag veröffentlichen, der als Voraussetzung für die Erstreckung des Lamfalussyprozesses auf die genannten Sektoren die Schaffung dem Wertpapierbereich entsprechender Komitologieausschüsse (Level 2) im Banken- und im Versicherungsbereich und eines überwachenden Gremiums (Level 3) ausmachte.251 Mitte Januar verständigte sich der ECOFIN-Rat auf die Ausweitung des Verfahrens.252 Ende März stimmte dann auch das Parlament dem Richtlinienvorschlag zu, nachdem einige Änderungswünsche des Parlaments berücksichtigt wurden. So wurden 2004 die Level-2-Ausschüsse, der Europäische Bankenausschuss (EBC253) und der Europäische Ausschuss für das

247

Hierzu auch Karpf, ÖBA 2005, 573, 580 ff.; Schaub, JFRC 2005, 110, 118 f. Vgl. Ziff. 52 der Entschließung des Europäischen Parlaments zu den aufsichtsrechtlichen Vorschriften in der Europäischen Union, Donnerstag, 21. November 2002, ABl. Nr. C 25 E v. 29. 1. 2004, S. 400. 249 Entschließung des Europäischen Parlaments zu den aufsichtsrechtlichen Vorschriften in der Europäischen Union, Donnerstag, 21. November 2002, ABl. Nr. c 25 E v. 29. 1. 2004, S. 394. 250 Vgl. Erwägungsgrund 10 der Richtlinie 2005/1/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2005 zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG, 85/611/EWG, 91/675/ EWG, 92/49/EWG und 93/6/EWG des Rates sowie der Richtlinien 94/19/EG, 98/78/EG, 2000/ 12/EG, 2001/34/EG, 2002/83/EG und 2002/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung einer neuen Ausschussstruktur im Finanzdienstleistungsbereich, ABl. Nr. L 79 v. 24. 3. 2005, S. 9 und Fn. 14 des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG, 85/611/EWG, 91/675/EWG, 93/6/EWG und 94/19/EG des Rates sowie der Richtlinien 2000/12/EG, 2002/83/EG und 2002/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung einer neuen Ausschussstruktur im Finanzdienstleistungsbereich, KOM(2003) 659 endg. v. 5. 11. 2003. 251 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG, 85/611/EWG, 91/675/EWG, 93/6/EWG und 94/19/EG des Rates sowie der Richtlinien 2000/12/EG, 2002/83/EG und 2002/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung einer neuen Ausschussstruktur im Finanzdienstleistungsbereich, KOM(2003) 659 endg. v. 5. 11. 2003, S. 9. 252 Fischer zu Cramburg, AG 2005, R 92. 253 European Banking Committee. Eingesetzt durch den Beschluss 2004/10/EG der Kommission vom 5. November 2003 zur Einsetzung des Europäischen Bankenausschusses, ABl. Nr. L 3 v. 7. 1. 2004, S. 36. 248

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Versicherungswesen sowie die Betriebliche Altersversorgung (EIOPC254), und auf Stufe 3 der Ausschuss für den Bankensektor (CEBS255) und der Ausschuss im Versicherungssektor (CEIOPS256) eingerichtet. Ebenfalls wurde die Arbeit von ESC und CESR im Wertpapierbereich auch auf den Bereich OGAW ausgeweitet.257 Nach Errichtung der Ausschüsse wurde sodann die Richtlinie 2005/1/EG258 zur Schaffung einer neuen Aufsichtsstruktur im Finanzdienstleistungsbereich erlassen, die den Anwendungsbereich des Lamfalussyverfahrens auf den Banken- und Versicherungssektor erweiterte.259 2. Reform der Komitologie a) Komitologie im Verfassungsentwurf Nicht nur beim Lamfalussyverfahren kamen kurz nach seiner Einführung Reformbestrebungen auf, sondern auch bei der Komitologie an sich, auf der Lamfalussy basiert. Bereits im Dezember 2002 – nicht einmal ein Jahr nach der Annahme von Lamfalussy – legte die Kommission einen die Komitologie betreffenden Reformvorschlag vor.260 Diese Reform war letztlich die Bedingung des europäischen Parlaments zur Zustimmung einer Ausweitung von Lamfalussy auf die anderen Rechtsbereiche gewesen.261 Das Parlament erhoffte sich von der Reform, die eine 254 European Insurance and Occupational Pensions Committee. Eingesetzt durch den Beschluss 2004/9/EG der Kommission vom 5. November 2003 zur Einsetzung des Europäischen Ausschusses für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung, ABl. Nr. L 3 v. 7. 1. 2004, S. 34. 255 Committee of European Banking Supervisors. Eingesetzt durch den Beschluss 2004/5/ EG der Kommission vom 5. November 2003 zur Einsetzung des Ausschusses der Europäischen Bankaufsichtsbehörden, ABl. Nr. L 3 v. 7. 1. 2004, S. 28. 256 Committee of European Insurance and Occupational Pensions Supervisors. Eingesetzt durch den Beschluss 2004/6/EG der Kommission vom 5. November 2003 zur Einsetzung des Ausschusses der Europäischen Aufsichtsbehörden für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung, ABl. Nr. L 3 v. 7. 1. 2004, S. 30. 257 Vgl. Beschluss der Kommission vom 5. November 2003 zur Änderung des Beschlusses 2001/528/EG zur Einsetzung des Europäischen Wertpapierausschusses, ABl. Nr. L 3 v. 7. 1. 2004, S. 33. 258 Richtlinie 2005/1/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2005 zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG, 85/611/EWG, 91/675/EWG, 92/49/EWG und 93/6/ EWG des Rates sowie der Richtlinien 94/19/EG, 98/78/EG, 2000/12/EG, 2001/34/EG, 2002/ 83/EG und 2002/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung einer neuen Ausschussstruktur im Finanzdienstleistungsbereich, ABl. Nr. L 79 v. 24. 3. 2005, S. 9. 259 Zum diesem Ausschussnetzwerk Coen/Thatcher, JPP 2008, 49, 56 ff. 260 Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Änderung des Beschlusses 1999/468/EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, KOM(2002) 719 endg. v. 11. 12. 2002. 261 Vgl. Entschließung des europäischen Parlaments zur Regulierung der Finanzmärkte, zu aufsichtsrechtlichen Vorschriften und zur Stabilität, B5-0578/2002; Vorschlag für eine

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Revision von Art. 202 EGV und des Beschlusses 1999/468/EWG umfassen sollte, endlich eine gleichberechtigte Teilhabe an der Kontrolle bei der Durchführung der Basisrechtsakte,262 da ihm immer noch keine den anderen Organen äquivalente Mitwirkungsrechte beim Komitologieverfahren eingeräumt wurden.263 Darüber hinaus erwies sich die neue Befugnis des Parlaments der ultra-vires-Kontrolle264 als recht stumpfes Schwert265, da die Kommission die Anerkennung der Gültigkeit einer solchen Behauptung schon mit dem Argument verweigern konnte, das Parlament bewege sich mit der Rüge außerhalb seines Kontrollrechts.266 Diese Probleme hätten im Zuge der 2001 in die Wege geleiteten Weiterentwicklung der europäischen Union und der Vereinfachung der Verträge gelöst werden sollen.267 Der Entwurf eines Vertrages über eine Verfassung für Europa wurde vom Konvent im Juli 2003 vorgelegt. In ihrer Mitteilung268 an den Konvent schlug die Kommission eine entsprechende Überarbeitung des Art. 202 EVG vor. In der Neufassung sollte Rat und Parlament insbesondere die Befugnis eingeräumt werden, ein Inkrafttreten zu verhindern, wenn sie sich innerhalb eines Monats vor Inkraft-

Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 73/239/ EWG, 85/611/EWG, 91/675/EWG, 93/6/EWG und 94/19/EG des Rates sowie der Richtlinien 2000/12/EG, 2002/83/EG und 2002/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung einer neuen Ausschussstruktur im Finanzdienstleistungsbereich, KOM(2003) 659 endg. v. 5. 11. 2003, S. 9. Sowie Ziff. 3.14. der Stellungnahme des Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG, 85/611/EWG, 91/675/EWG, 93/6/EWG und 94/19/EG des Rates sowie der Richtlinien 2000/12/EG, 2002/83/EG und 2002/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung einer neuen Ausschussstruktur im Finanzdienstleistungsbereich“, ABl. Nr. C 112 v. 30. 4. 2004, S. 21 262 Vgl. Ziff. 3 der Entschließung des europäischen Parlaments zur Regulierung der Finanzmärkte, zu aufsichtsrechtlichen Vorschriften und zur Stabilität, B5-0578/2002; sowie Bericht über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG, 85/611/EWG, 91/675/EWG, 93/6/EWG und 94/19/EG des Rates sowie der Richtlinien 2000/12/EG, 2002/83/EG und 2002/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung einer neuen Ausschussstruktur im Finanzdienstleistungsbereich (KOM(2003) 659 – C5-0520/2003-2003/0263(COD)), A5-0162/2004 v. 17. 3. 2004. 263 Vgl. auch Schmolke, EuR 2006, 432, 433. 264 Hierzu Bradley, WEP 2008, 837, 841. 265 Vgl. Neuhold, EIoP 2008, 1, 6. Das Parlament wird von Brandsma, EIoP 2007, 1, 7, als „toothless tiger“ bezeichnet. 266 Neuhold, EIoP 2008, 1, 6. 267 Der Europäische Rat von Laeken setzte im Dezember 2001 den Konvent zur Zukunft Europas ein und beauftragte es mit der Ausarbeitung eines Entwurfes eines Europäischen Verfassungsvertrages. Siehe hierzu Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 33; Streinz, Europarecht, § 2 Rn. 56 ff.; Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, § 1 Rn. 27 f. 268 Mitteilung der Kommission zur Institutionellen Architektur, KOM(2002) 728 endg. v. 11. 12. 2002.

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treten gegen diese Maßnahme aussprächen (call back), entweder mit der Mehrheit der Mitglieder oder mit qualifizierter Mehrheit.269 b) Überarbeitung der Komitologie als Übergangslösung Angesicht der zu erwartenden langen Vorlaufzeit bis zum Inkrafttreten des neuen Vertrages sollte zügigere Abhilfe durch eine Reformierung des alten Komitologiebeschluss von 1999 geschaffen werden. Zwar war eine solche Überarbeitung an die Grenzen des jetzigen Rechts gebunden und konnte deshalb nicht so umfangreich sein, wie eine Reform im Rahmen einer Vertragsänderung. Jedoch ging der Vorschlag an die Grenze des Möglichen.270 Wie im Weißbuch über das europäische Regieren271 bereits angedacht, schlug die Kommission vor, dass sich die Institutionen wieder auf ihre wesentlichen Aufgaben besinnen. Parlament und Rat sollten sich wieder auf die Richtungsbestimmung und den Inhalt der Gemeinschaftspolitik konzentrieren, während die Kommission die Aufgabe der Durchführung unter Kontrolle der Legislative übernehmen sollte.272 Das System sollte des Weiteren so angepasst werden, dass das Parlament, wie angekündigt273, in Angelegenheiten des Mitbestimmungsverfahrens tatsächlich gleiche Kontrollbefugnisse erhielt. Konkret wurde vorgeschlagen, ein neues „Regelungsverfahren für Maßnahmen zur Durchführung von Rechtsakten, die nach dem Verfahren des Art. 251 EGV angenommen werden“ (Art. 5a) einzufügen und als zweistufiges Verfahren auszugestalten.274 Dieses besondere Regelungsverfahren sollte nach dem Art. 2a des vorgeschlagenen Beschlusses immer dann Anwendung finden, wenn es um die Durchführung von nach Art. 251 EGV erlassenen Basisrechtsakten und „um Durchführungsmaßnahmen von allgemeiner Geltung geht, mit denen wesentliche Bestimmungen des Basisrechtsakts konkretisiert oder andere Bestimmungen des Basisrechtsakts angepasst“ werden sollten.275

269 Vgl. Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Änderung des Beschlusses 1999/468/ EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, KOM(2002) 719 endg. v. 11. 12. 2002, S. 2; sowie Mitteilung der Kommission zur Institutionellen Architektur, KOM(2002) 728 endg. v. 11. 12. 2002, S. 7. 270 Mitteilung der Kommission zur Institutionellen Architektur, KOM(2002) 728 endg. v. 11. 12. 2002, S. 2. 271 Europäisches Regieren: Ein Weissbuch, KOM(2001) 428 endg. v. 25. 7. 2001. 272 Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Änderung des Beschlusses 1999/468/EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, KOM(2002) 719 endg. v. 11. 12. 2002, S. 3. 273 Mitteilung der Kommission: Europäisches Regieren: Bessere Rechtsetzung, KOM(2002) 275 endg./2 v. 6. 6. 2002, S. 5. 274 Ebenda, S. 5, 9 f. 275 Ebenda, S. 9.

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Rat276 und Parlament277 zeigten sich in der Folgezeit kämpferisch und stellten Bedingungen für die Erzielung einer Einigung über die Ausweitung des Lamfalussyprozesses auf den Banken- und Versicherungssektor. Zur Beilegung des Streits billigte das Parlament im September 2003 den Kommissionsvorschlag in der geänderten Fassung und forderte die Kommission auf, sich erneut mit dem Vorschlag zu befassen und ihn entsprechend abzuändern.278 Dieser Aufforderung ist die Kommission im April 2004 nachgekommen.279 Hierin zeigte sich die Kommission bereit, einen Großteil der vorgeschlagenen Änderungen zu akzeptieren. Was sie jedoch nicht billigte, war die gewünschte Abänderungspflicht bei Einwänden von Rat und/oder Parlament, da die Kommission ihre Rechtsetzungsbefugnisse frei von der Bindung an Standpunkte anderer Organe ausüben können müsse.280 Von Seiten der Kommission wurde deshalb vorgeschlagen, dass sie bei Einwänden des Gesetzgebers zwischen vier Optionen wählen können sollte: die Änderung ihres Maßnahmenentwurfs, die Vorlage eines Legislativvorschlags, die Annahme ihres ursprünglichen Maßnahmenentwurfs oder die Rücknahme desselben.281 Der Vorschlag wurde vom Parlament bis zum Inkrafttreten der neuen Verfassung als ausreichend akzeptiert.282 Dies war – mit den Worten des Berichterstatters – „nicht ideal, doch reicht [es] aus, um uns über dieses Problem hinwegzuhelfen, bis die neue Verfassung in Kraft tritt“283. Wie zu erwarten, sperrte sich jedoch der Rat gegen den Vorschlag.284 Es sollte noch einige Zeit vergehen, bis aus diesem Vorschlag ein neuer Komitologiebeschluss hervorgehen sollte.

276 Vgl. Bericht über den Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Änderung des Beschlusses 1999/468/EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (KOM(2002) 719 – C5-0002/2003-2002/0298(CNS)), A5-0128/2003 endg. v. 29. 4. 2003. 277 Vgl. Bericht über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG, 85/611/EWG, 91/675/EWG, 93/6/EWG und 94/19/EG des Rates sowie der Richtlinien 2000/12/EG, 2002/83/EG und 2002/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung einer neuen Ausschussstruktur im Finanzdienstleistungsbereich (KOM(2003) 659 – C5-0520/2003-2003/0263(COD)), A5-0162/ 2004 v. 17. 3. 2004. 278 Vgl. Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Änderung des Beschlusses 1999/468/EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (KOM(2002) 719 – C5-0002/2003-2002/0298(CNS)), P5_TA(2003)0352 v. 2. 9. 2003. 279 Geänderter Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Änderung des Beschlusses 1999/468/EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, KOM(2004) 324 endg. v. 22. 04. 2004. 280 Ebenda, S. 3, 8 f. 281 Ebenda, S. 3, 8. 282 Vgl. Bericht der Kommission über die Tätigkeit der Ausschüsse im Jahre 2004, KOM(2005) 554 endg. v. 10. 11. 2005, S. 7. 283 Aussprache im Plenum zum zweiten Bericht (A5-0266/2003) vom 2. September 2003. 284 Bradley, in: FS Bieber 2007, S. 294.

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aa) Reformversuch der Komitologie durch den Europäischen Verfassungsvertrag Nun konzentrierte man sich auf den bevorstehenden Europäischen Verfassungsvertrag (EVV), der eine Reform des Komitologiesystems bringen sollte. Der Verfassungsvertrag285 wurde im Oktober 2004 unterzeichnet und enthielt unter anderem eine neue Struktur des Systems und der Rangordnung der Rechtsetzung sowie eine Reform der abgeleiteten Rechtsetzung.286 Die Durchführung des Gemeinschaftsrechts sollte in zwei Rechtsetzungsinstitute aufgespalten werden: Die „Delegierte Europäische Verordnung“, Art. I-36 EVV, und die „Durchführungsrechtsakte“, Art. I-37 EVV, die Art. 202 EGV ersetzen sollten. Durch die Einführung dieser zwei Arten kommissioneller Rechtsetzung kam es auch zu einer Aufspaltung der Befugnisse der Kommission in administrative und legislative Kompetenzen.287 Im Übrigen enthielt Art. I-36 EVV das vom Parlament geforderte Rückrufrecht, sodass die Komitologie nun jenen Kontrollmechanismus erhalten sollte, der bereits bei der Einführung des Lamfalussyverfahrens vorgeschlagen, aufgrund verfassungsrechtlicher Probleme jedoch nicht umgesetzt wurde.288 Als Ersatz hierfür dienten dem Parlament die Sunset-Klauseln, als deren Weiterentwicklung die Widerrufsmöglichkeit der Übertragung an sich gesehen werden kann.289 Der so gestaltete Verfassungsvertrag hätte das Parlament endlich zum gleichberechtigten Kontrollorgan neben dem Rat werden lassen; der Vertrag scheiterte jedoch. bb) Der dritte Komitologiebeschluss aus dem Jahr 2006 Nachdem der Verfassungsvertrag 2005 in den Referenden in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt worden war,290 scheiterte der Ratifikationsprozess und die Verfassungsidee wurde vorerst aufgegeben, sodass das Parlament in seinen Bemühungen um mehr Mitspracherechte in der Komitologie zurückgeworfen wurde. Als schließlich das erkämpfte Informationsrecht des Parlaments über laufende Bera-

285

Vertrag über eine Verfassung für Europa, ABl. Nr. C 310 v. 16. 12. 2004. Allgemein zum Ergebnis des Europäischen Konvents siehe Busek/Hummer, Der Europäische Konvent und sein Ergebnis; Hofmann, EIoP 2003, 1. 287 Hierzu ausführlich Ilgner, Die Durchführung der Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers durch die Europäische Kommission, Diss., 2014, S. 100 f., die die Terminologie von „Durchführungsrechtsakten i.e.S. und i.w.S.“ benutzt, um zu verdeutlichen, dass es diese Unterscheidung im Rahmen der Artt. 202 und 211 EGV nicht gab. 288 Schlussbericht der Weisen, S. 42. 289 Ruffing, Europäische Wertpapierregulierung, Diss., 2011, S. 125; Vos, in: Curtin/Wessels, Good Governance and the European Union, S. 115. 290 Hierzu Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 33; Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, § 1 Rn. 28. 286

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tungsverfahren der Durchführungsmaßnahmen in mehreren Fällen291 durch die Kommission ignoriert wurde,292 eskalierte der ewige Streit der europäischen Institutionen erneut, indem das Parlament die Kommission zur Untersuchung dieser Fälle aufforderte293 und die Verhandlungen zu zwei Richtlinien im Sommer 2005 unterbrach.294 Der Bericht der Kommission im August 2005 bestätigte die Vorwürfe des Parlaments und sprach von 50 Fällen,295 bei denen das Informationsrecht missachtet wurde. Dies wurde gemeinhin als weiterer Beweis gesehen, dass die im Zusammenhang mit dem Komitologiebeschluss von 1999 getroffenen Vereinbarungen nicht hielten, was man sich von ihnen versprach.296 Zur gleichen Zeit einigten sich Parlament und Rat, den Gebrauch der Sunset-Klauseln auf den ganzen Finanzdienstleistungsbereich auszudehnen und teilweise die Verfallszeit auf zwei Jahre zu verkürzen.297 Dies brachte jedoch nur eine ephemere Lösung im Dauerstreit um die Komitologie. Da das Parlament nun nicht auf das ungewisse Inkrafttreten des Vertrages vertrauen wollte, wurden die Verhandlungen um den Kommissionsvorschlag von 2002 wieder aufgenommen.298 So setzte der englische Vorsitz des Rates im September 2005 eine sektorübergreifende Expertengruppe unter britischem Vorsitz, die „Freunde der Präsidentschaft“, ein, um die „horizontale[n] Lösungen“ zur 291 Vgl. Bericht der Kommission über die Arbeit der Ausschüsse im Jahr 2005, KOM(2006) 446 endg. v. 9. 8. 2006. 292 Bradley, WEP 2008, 837, 843 f.; Neuhold, EIoP 2008, 1, 7. 293 Vgl. Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Entwurf einer Entscheidung der Kommission betreffend die Änderung des Anhangs zur Richtlinie 2002/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten zur Anpassung an den technischen Fortschritt, B60218/2005 v. 17. 3. 2005 und Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission für eine Entscheidung des Rates zur Änderung des Anhangs der Richtlinie 2002/ 95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten zwecks Anpassung an den technischen Fortschritt, B6- 0392/2005 v. 22. 6. 2005. 294 Richtlinie 2006/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten, ABl. Nr. L 177 v. 30. 6. 2006, S. 201, und Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen, zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 84/253/EWG des Rates, ABl. Nr. L 157 v. 9. 6. 2006, S. 87. 295 Vgl. Bericht der Kommission über die Arbeit der Ausschüsse im Jahr 2005, KOM(2006) 446 endg. v. 09. 08. 2006, S. 5 f. Die Kommission erklärte jedoch zu ihrer Verteidigung, dass es sich bei der Zahl der fehlerhaften Verfahren nur um 1 % aller in diesem Zeitraum erlassenen Maßnahmen handelt. 296 Szapiro, Revue du droit de l’Union européenne 2006, 545, 560 f. 297 Bradley, WEP 2008, 837, 844; vgl. auch Bericht über den Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Änderung des Beschlusses 1999/468/EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, A6-0236/2006 endg. v. 3. 7. 2003, S. 8. 298 Ilgner, Die Durchführung der Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers durch die Europäische Kommission, Diss., 2014, S. 133.

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Vermeidung von Auseinandersetzungen in jedem Einzelfall prüfen und eine Lösung orientiert an den bereits zum Verfassungsvertrag entwickelten Leitlinien und dem Kommissionsvorschlag zu entwickeln.299 Die Kommission sagte in diesem Zusammenhang zu, keine ad-hoc-Lösungen in einzelnen Legislativvorschlägen anzustreben.300 „Diese Situation eröffnete die Möglichkeit eines echten interinstitutionellen Ansatzes.“301 Das Parlament reagierte und setzte am 10. November 2005 ein Zwei-Mann-Team ein, bestehend aus Joseph Daul302 und Richard Corbett303, um mit den anderen Organen „Sondierungsgespräche“304 bzgl. der Komitologie zu führen.305 Bereits in einem sehr frühen Stadium waren die Mitgliedstaaten sich jedoch darüber einig, dass die Reform die bereits existierenden Komitologieverfahren nicht noch weiter mehren, sondern lediglich ein neues Verfahren für sogenannte quasi-legislative Durchführungsrechtsakte schaffen sollte, die auf einem nach dem Mitentscheidungsverfahren zustande gekommenen Basisrechtsakt beruhten und von allgemeiner Tragweite waren,306 wie auch bereits von der Kommission 2002 vorgeschlagen.307 In den Sondierungsverhandlungen musste zunächst geklärt werden, ob und wie das Parlament im Einklang mit Art. 202 EGV in die Komitologie eingebunden werden konnte.308 Die Grenzen bildeten Artt. 7, 189, 192 EGV und Art. 202, 3. Sp. EGV. Auf der einen Seite war das Parlament als ausschließlich legislative Kraft nicht dazu befugt, Durchführungsmaßnahmen, die als exekutive Akte galten, zu erlassen oder daran mitzuwirken, auf der anderen Seite war allein der Rat dazu ermächtigt, die Rahmenrechtsakte mit Durchführungsbestimmungen zu versehen, also Befugnisse zu delegieren.309 Der juristische Dienst des Rates (JDR) konnte jedoch eine Lösung

299 Bradley, WEP 2008, 837, 844; Neuhold, EIoP 2008, 1, 8; Kotz/Schusterschitz, ECLR 2007, 68, 76 f. 300 Bericht über den Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Änderung des Beschlusses 1999/468/EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, A6-0236/2006 endg. v. 3. 7. 2006, S. 8. 301 Ebenda, S. 8. 302 Daul war zu dieser Zeit Vorsitzender der Konferenz der Ausschussvorsitzenden des Europäischen Parlaments. 303 Corbett war zu dieser Zeit „rapporteur général“ die Komitologie betreffend und Vertreter des Ausschusses für konstitutionelle Fragen. 304 Ausführlich zur Arbeit der Expertengruppen Kotz/Schusterschitz, ECLR 2007, 68, 79 ff. 305 Bradley, WEP 2008, 837, 844 f. 306 Kotz/Schusterschitz, ECLR 2007, 68, 77; Schusterschitz, Europa-Blätter 2006, 176, 177. 307 Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Änderung des Beschlusses 1999/468/EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, KOM(2002) 719 endg. v. 11. 12. 2002, S. 9. 308 Kotz/Schusterschitz, ECLR 2007, 68, 77; Schusterschitz, Europa-Blätter 2006, 176, 177. 309 Ilgner, Die Durchführung der Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers durch die Europäische Kommission, Diss., 2014, S. 133; Schusterschitz, Europa-Blätter 2006, 176, 177.

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finden und legte im Februar 2006 ein Gutachten310 vor, wonach eine Einbindung möglich wäre, wenn es sich bei den vorgesehenen Durchführungsrechtsakten um solche handeln würde, die der Gesetzgeber hätte selbst erlassen können.311 Damit war geklärt, dass eine Reform als solche tatsächlich auch ohne die (gescheiterten) Vertragsänderungen möglich war. Während der Verhandlungen kristallisierten sich allerdings schnell die wesentlichen Problembereiche der Reform heraus.312 So musste unter anderem klar definiert werden, was eine Maßnahme zur quasi-legislativen Maßnahme werden lässt, es musste sich über die einzelnen Fristen im Verfahren geeinigt werden, um das Verfahren effizient zu gestalten und man musste über die Frage eines Rückholrechts übereinkommen. Die Sondierungsgespräche wurden sehr intensiv geführt. Unter Erhöhung des Drucks von Seiten des Parlaments durch abermalige Zurückhaltung der Mittel für Komitologieausschüsse313, nach der Verlängerung des Sondierungsmandates von Daul und Corbett im Januar 2006 und unter neuem, österreichischem, Vorsitz der Arbeitsgruppe, konnte im Frühjahr 2006 ein erster Textentwurf erstellt werden. Am 2. Juni konnte dann eine Einigung erzielt werden.314 Das Komitologiepaket enthielt im Wesentlichen einen Kompromissvorschlag zur Änderung des alten Komitologiebeschlusses und eine Vereinbarung315 in Form einer gemeinsamen Erklärung hinsichtlich des Entwurfes für den Änderungsbeschluss. Die Vereinbarung, ohne die das neue Komitologieverfahren nicht zu erreichen gewesen wäre, enthielt unter anderem eine Abmachung über die Umsetzung des neuen Verfahrens in den alten Rechtsakten. Eigeführt wurde nun, wie abgesprochen, ein neues Regelungsverfahren, das Regelungsverfahren mit Kontrolle, Art. 5a. Es handelte sich – wie von der Kommission ursprünglich vorgeschlagen – um eine Durchführungs-/Exekutiv- und eine Kontrollphase. Ebenso wie im originären Regelungsverfahren hatte die Kommission dem zuständigen Komitologieausschuss einen Vorschlag zu unterbreiten, über den dieser sodann abstimmte.316 Deckten sich Vorschlag und Stellungnahme, konnte die 310

Das Gutachten ist kein öffentliches Dokument, siehe Schusterschitz, Europa-Blätter 2006, 176, 177 Fn. 22. 311 Schusterschitz, Europa-Blätter 2006, 176, 177. 312 Ausführlich zu den Hauptpunkten der Verhandlungen siehe Schusterschitz, EuropaBlätter 2006, 176, 177; Kotz/Schusterschitz, ECLR 2007, 68, 78 f. 313 Ausschuss für konstitutionelle Fragen: Bericht über den Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Änderung des Beschlusses 1999/468/EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, A6-0236/2006 endg. v. 3. 7. 2006, S. 8. 314 Hierzu auch Kolassa, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrechts-Handbuch, § 135 Rn. 51. 315 Ausschuss für konstitutionelle Fragen: Bericht über den Abschluss einer Interinstitutionellen Vereinbarung in Form einer gemeinsamen Erklärung hinsichtlich des Entwurfs für einen Beschluss des Rates zur Änderung des Beschlusses 1999/468/EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, A6-0237/2006 endg. v. 3. 7. 2006. 316 Art. 5a Abs. 2 des Beschlusses 2006/512/EG.

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Kommission die Maßnahme nicht einfach wie im gemeinen Regelungsverfahren erlassen, sondern ein Kontrollverfahren wurde in Gang gesetzt. Zunächst war die Kommission angehalten, die geplante Maßnahme zur Kontrolle an Parlament und Rat zu übermitteln.317 Diese konnten sodann den Entwurf ablehnen, jedoch nur wenn die Kommission mit der Maßnahme ihre Durchführungsbefugnisse überschreiten würde, der Entwurf mit Ziel und Zweck des Rahmenrechtsakts unvereinbar war oder gegen Grundsätze der Subsidiarität oder Verhältnismäßigkeit verstieß.318 Sollte dies der Fall sein, konnte die Kommission die Maßnahme nicht erlassen, sondern hatte die Wahl, dem Ausschuss einen geänderten Vorschlag zu unterbreiten oder einen Vorschlag für das ordentliche Gesetzgebungsverfahren vorzulegen.319 Sollten hingegen keine Einwände von Rat und Parlament erhoben werden, so wurde die Maßnahme von der Kommission erlassen.320 Deckten sich beabsichtigte Maßnahme und Stellungnahme der Ausschüsse nicht, hatte die Kommission unverzüglich dem Rat einen Vorschlag für eine solche Maßnahme anzutragen und dem Parlament zu übermitteln.321 Der Rat stimmte sodann über den Vorschlag ab.322 Sollte er sich gegen den Vorschlag aussprechen, so konnte dieser nicht erlassen werden; die Kommission konnte in einem solchen Fall entweder eine Änderung vorschlagen oder das ordentliche Gesetzgebungsverfahren in Gang setzen.323 In dieser Phase besaß das Parlament kein Vetorecht. Sollte der Rat dann oder bereits mit der ersten Vorlage beabsichtigen, die Maßnahme zu erlassen oder äußerte er sich nicht zum Vorschlag, so hatte im ersten Fall der Rat, im zweiten die Kommission die Maßnahme unverzüglich dem Parlament mittzuteilen.324 Das Parlament konnte nun die Maßnahme aus den gleichen drei genannten Gründen ablehnen.325 Sollte dies der Fall sein, so wurde die Maßnahme nicht erlassen; die Kommission konnte aber entweder dem Komitologieausschuss erneut einen Vorschlag unterbreiten oder den Vorschlag für einen Rechtsakt im Gesetzgebungsverfahren vorlegen.326 Hatte das Parlament hingegen nicht widersprochen, so wurde die Maßnahme erlassen.327 Bei äußerster Dringlichkeit konnte auf ein besonderes, verkürztes Regelungsverfahren mit Kontrolle zurückgegriffen werden.328 Es sah vor, dass die Kommission die geplante Maßnahme unmittelbar erlassen sollte, wenn das Votum des Komito317 318 319 320 321 322 323 324 325 326 327 328

Art. 5a Abs. 3 lit. a des Beschlusses 2006/512/EG. Art. 5a Abs. 3 lit. b des Beschlusses 2006/512/EG. Art. 5a Abs. 3 lit. c des Beschlusses 2006/512/EG. Art. 5a Abs. 3 lit. d des Beschlusses 2006/512/EG. Art. 5a Abs. 4 lit. a des Beschlusses 2006/512/EG. Art. 5a Abs. 4 lit. b des Beschlusses 2006/512/EG. Art. 5a Abs. 4 lit. c des Beschlusses 2006/512/EG. Art. 5a Abs. 4 lit. d des Beschlusses 2006/512/EG. Art. 5a Abs. 4 lit. e des Beschlusses 2006/512/EG. Art. 5a Abs. 4 lit. f des Beschlusses 2006/512/EG. Art. 5a Abs. 4 lit. g des Beschlusses 2006/512/EG. Art. 5a Abs. 6 des Beschlusses 2006/512/EG.

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Kap. 2: Entstehung/Entwicklung der Komitologie u. des Lamfalussyverfahrens

logieausschusses positiv ausgefallen war. Dies war Parlament und Rat mitzuteilen.329 Der bereits erlassenen Maßnahme konnte dann von Parlament und Rat aus denselben bereits erwähnten Gründen widersprochen werden.330 Im Falle der Ablehnung war die Maßnahme von der Kommission aufzuheben. Sprachen Aspekte der Gesundheit, der Sicherheit oder der Umwelt gegen eine sofortige Aufhebung, konnte die Maßnahme vorläufig aufrechterhalten werden; die Kommission musste dem Ausschuss jedoch einen geänderten Vorschlag vorlegen.331 Hinsichtlich seines Anwendungsbereiches332 war dem damaligen Vorschlag der Kommission gefolgt worden. Die im Sommer 2008 zum neuen Beschluss getroffene interinstitutionelle Vereinbarung333 enthielt Maßnahmen zur Verbesserung der Zusammenarbeit und ersetzte die alten Erklärungen, namentlich die Vereinbarung Plumb/Delors334 von 1988, Vereinbarung Samland/Williamson335 von 1996, Modus Vivendi336 von 1994 und die Vereinbarung aus dem Jahr 2000337 über die Modalitäten der Anwendung des Beschlusses 1999/468/EG.338 So verpflichtete sich die Kommission zu einer Verbesserung des Informationsflusses, insbesondere im Finanzdienstleistungsbereich, sowie alle geltenden, im Mitentscheidungsverfahren angenommenen Rechtsakte im Hinblick auf ihre Anpassung an das neue Verfahren zu prüfen und geeignete Vorschläge zu unterbreiten.339

329

Art. 5a Abs. 6 lit. a des Beschlusses 2006/512/EG. Art. 5a Abs. 6 lit. b des Beschlusses 2006/512/EG. 331 Art. 5a Abs. 6 lit. c des Beschlusses 2006/512/EG. 332 Vgl. Art. 2 Abs. 2 des Beschlusses 2006/512/EG. 333 Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament und der Kommission über die Modalitäten der Anwendung des Beschlusses 1999/468/EG des Rates zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, in der Fassung des Beschlusses 2006/512/EG, ABl. Nr. C 143 v. 10. 6. 2008, S. 1. 334 Siehe unter A. II. 335 Siehe unter B. I. 2. 336 Siehe unter B. I. 1. 337 Siehe unter B. II. 2. 338 Vgl. Ziff. 20 der Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament und der Kommission über die Modalitäten der Anwendung des Beschlusses 1999/468/EG des Rates zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, in der Fassung des Beschlusses 2006/512/EG, ABl. Nr. C 143 v. 10. 6. 2008, S. 4. 339 Vgl. auch Bericht über den Abschluss einer Interinstitutionellen Vereinbarung in Form einer gemeinsamen Erklärung hinsichtlich des Entwurfs für einen Beschluss des Rates zur Änderung des Beschlusses 1999/468/EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, A6-0237/2006 endg. v. 3. 7. 2006, S. 9. 330

C. Lamfalussy und sein Verfahren zur effizienteren Gesetzgebung

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3. Die Auswirkungen der Komitologiereform auf das Lamfalussyverfahren In der Folgezeit wurden, wie im Komitologiepaket vereinbart, bereits erlassene Rechtsakte an den neuen Komitologiebeschluss angepasst.340 Das Parlament konnte sich hierbei mit seiner Forderung einer Überarbeitung aller durchführungsbefugnisverleihenden Rechtsakte nicht durchsetzen und man einigte sich schließlich auf eine Liste von 25 prioritären Rechtsakten.341 Über die Hälfte (14) der so anzupassenden Rahmenrechtsakte betrafen den Finanzdienstleistungsbereich („LamfalussyRechtsakte“). Die Anpassung erfolgte neben der Einführung des neuen Verfahrens durch die Ersetzung der Sunset-Klauseln durch Revisionsklauseln, nach der die Kommission die Rechtsakte auf eine Anpassung ihrer Durchführungsbefugnisse prüft.342 Die Aufgabe der Sunset-Klauseln war Bedingung der Kommission für die Übereinkunft und das Rückrufrecht in der Komitologie gewesen.343 Als Kompromiss fand man die Ersetzung mit den Revisionsklauseln.344 Die Besonderheit der Lamfalussyrechtsakte war deren Ausgestaltung mit sehr weitreichenden Durchführungsbefugnissen, die per se quasi-legislativen Charakter hatten.345 Daneben befanden sich auch an sich rein technisch anmutende Durchführungsbestimmungen, die aber von der Kommission derart weit ausgelegt worden waren, dass sie inhaltlich einen quasi-legislativen Charakter hatten. So wurde in der Regel bei der Überarbeitung der Richtlinien im Finanzdienstleistungsbereich das neue Verfahren angewandt.346 Im Frühjahr 2008 ergingen die Richtlinien zur Änderung und Einführung des neuen Komitologiebeschlusses zu sämtlichen Rechts-

340 Vgl. Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission zum Beschluss des Rates vom 17. Juli 2006 zur Änderung des Beschlusses 1999/468/EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABl. Nr. C 255 v. 21. 10. 2006, S. 1. 341 Ebenda, S. 1 ff.; Bericht über den Abschluss einer Interinstitutionellen Vereinbarung in Form einer gemeinsamen Erklärung hinsichtlich des Entwurfs für einen Beschluss des Rates zur Änderung des Beschlusses 1999/468/EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, A6-0237/2006 endg. v. 3. 7. 2006, S. 18 ff.; Kotz/Schusterschitz, ECLR 2007, 68, 87; Bradley, in: FS Bieber 2007, S. 299. 342 Vgl. Bericht über den Abschluss einer Interinstitutionellen Vereinbarung in Form einer gemeinsamen Erklärung hinsichtlich des Entwurfs für einen Beschluss des Rates zur Änderung des Beschlusses 1999/468/EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, A6-0237/2006 endg. v. 3. 7. 2006, S. 22 f. 343 Christiansen/Vaccari, EIPASCOPE 2006, 9, 13. 344 Bradley, in: FS Bieber 2007, S. 299; Türk, in: Kadelbach, Europäische Integration und parlamentarische Demokratie, S. 145 f. 345 Leixner, BMF Working Paper: Komitologie und Lamfalussyverfahren im Finanzdienstleistungsbereich, S. 17. 346 So enthielt etwa die MiFID (Richtlinie 2004/39/EG) 19 Komitologieermächtigungen, die nach der Überarbeitung (Richtlinie 2008/10/EG) bis auf zwei Ausnahmen auf das neue Verfahren Bezug nehmen.

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Kap. 2: Entstehung/Entwicklung der Komitologie u. des Lamfalussyverfahrens

akten im Finanzdienstleistungsbereich.347 Ebenso wurden zwei Sammelverordnungen348, die Rechtsakte zur Umstellung auf das neue Verfahren enthielten, Ende 2008 und zwei weitere349 im folgenden Jahr erlassen. Insgesamt wurden so 250 Rechtsakte auf das neue Verfahren angepasst.350 Nachdem auch die im FSAP genannten Maßnahmen mit der Neuordnung des Prospekt- und Wertpapiermarktrechts und der Harmonisierung des Übernahmerechts durch Lamfalussy zügig umgesetzt waren, konnte mit der Kapitalmarktregulierung weiter vorangeschritten werden. So veröffentlichte die Kommission Anfang 2005 das Grünbuch zur Finanzdienstleistungspolitik 2005 – 2010351 und im Dezember 2005 das Weißbuch für die Jahre 2005 – 2010352. Hierin setzte sich die Kommission unter anderem zum Ziel, das Ausschusswesen zu reformieren353 und Lamfalussy

347

Die Darstellung erfolgt verkürzt: Richtlinie 2008/10/EG (Änderung der RL 2004/39/ EG); Richtlinie 2008/11/EG (Änderung der RL 2003/71/EG); Richtlinie 2008/18/EG (Änderung der RL 85/611/EWG); Richtlinie 2008/19/EG (Änderung der RL 2002/83/EG); Richtlinie 2008/20/EG (Änderung der RL 2005/60/EG); Richtlinie 2008/21/EG (Änderung der RL 91/ 675/EWG); Richtlinie 2008/22/EG (Änderung der RL 2004/109/EG); Richtlinie 2008/23/EG (Änderung der RL 2006(49/EG); Richtlinie 2008/24/EG (Änderung der RL 2006/48/EG); Richtlinie 2008/25/EG (Änderung der RL 2002/87/EG); Richtlinie 2008/26/EG (Änderung der RL 2003/6/EG); Richtlinie 2008/36/EG (Änderung der RL 92(49/EWG); Richtlinie 2008/37/ EG (Änderung der RL 2005/68/EG) ABl. Nr. L 76 v. 19. 3. 2008, S. 33 – 55 und ABl. Nr. L 81 v. 20. 3. 2008, S. 38 – 72. 348 Verordnung (EG) Nr. 1137/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Anpassung einiger Rechtsakte, für die das Verfahren des Artikels 251 des Vertrags gilt, an den Beschluss 1999/468/EG des Rates in Bezug auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle – Erster Teil, ABl. Nr. L 311 v. 21. 11. 2008, S. 1; Verordnung (EG) Nr. 1103/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Anpassung einiger Rechtsakte, für die das Verfahren des Artikels 251 des Vertrags gilt, an den Beschluss 1999/468/EG des Rates in Bezug auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle Dritter Teil, ABl. Nr. L 304 v. 14. 11. 2008, S. 80. 349 Verordnung (EG) Nr. 219/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2009 zur Anpassung einiger Rechtsakte, für die das Verfahren des Artikels 251 des Vertrags gilt, an den Beschluss 1999/468/EG des Rates in Bezug auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle – Zweiter Teil, ABl. Nr. L 87 v. 31. 3. 2009, S. 109; Verordnung (EG) Nr. 596/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 zur Anpassung einiger Rechtsakte, für die das Verfahren des Artikels 251 des Vertrags gilt, an den Beschluss 1999/468/EG des Rates in Bezug auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle – Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle – Vierter Teil, ABl. Nr. L 188 v. 18. 7. 2009, S. 14. 350 Rapport général 2008 – FINAL – Groupe 1, SEK(2008) 1000, S. 216 f. 351 Grünbuch zur Finanzdienstleistungspolitik (2005 – 2010), KOM(2005) 177 endg. v. 3. 5. 2005. 352 Weißbuch zur Finanzdienstleistungspolitik für die Jahre 2005 – 2010, KOM(2005) 629 endg. v. 1. 12. 2005. 353 Weißbuch zur Finanzdienstleistungspolitik für die Jahre 2005 – 2010, KOM(2005) 629 endg. v. 1. 12. 2005, S. 11.

D. Die Reaktionen auf die Finanzmarktkrise

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weiter auszubauen. Die Finanzmarktkrise 2007/2008 zwang die Kommission jedoch zu einer Reform des Verfahrens.

D. Die Reaktionen auf die Finanzmarktkrise: Die Weiterentwicklung von Lamfalussy durch de Larosière I. Der Weg zur Lamfalussyreform 1. Evaluierung von Lamfalussy Das Lamfalussyverfahren wurde rasch angenommen und umfassend in die Rechtsakte des Finanzdienstleistungsbereichs integriert.354 Insbesondere die Geschwindigkeit des Rechtsetzungsprozesses wurde enorm gesteigert. So betrug die durchschnittliche Zeit, die bei den ersten vier Rahmenrechtsakten vom Stadium des Vorschlags bis zur Verabschiedung benötigt wurde (nur noch) rund 20 Monate.355 Dies ist umso beindruckender, wenn man bedenkt, dass der Einigungsprozess vor Anwendung des Verfahrens teilweise vier Jahre benötigte.356 Ein entsprechender Befund ließ sich auch auf der zweiten Ebene des Verfahrens machen.357 Die im Zusammenhang mit der Einführung des Lamfalussyverfahren getroffenen interinstitutionellen Vereinbarungen sowie die verstärkte Transparenz der Kommission über die Vorgänge sorgten darüber hinaus für einen Geist der Kooperation, von dem der Ablauf des Verfahrens profitierte.358 Die Einbindung externen Sachverstands schien mit der Etablierung des CESR als Beratungsgremiums gelungen zu sein. Die Institution rekrutiert ihre Mitglieder nicht nur aus den Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten, sondern hatte seit Juni 2002 auch einen beratenden Ausschuss der Marktteilnehmer359 eingerichtet und führte regelmäßig Konsultationen von Marktteilnehmern und Endnutzern durch. Damit waren im Wesentlichen nicht nur alle fachkundigen und regelungsbetroffenen Kreise am Rechtsetzungsverfahren betei354

Vgl. Schaub, JFRC 2005, 110, 111 ff. Schaub, JFRC 2005, 110, 112. 356 So bei der Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 10. Mai 1993 über Wertpapierdienstleistungen. 357 Zwei Verordnungen und drei Richtlinien zur Implementierung der Marktmissbrauchsrichtlinie 2003/6/EG und der Prospektrichtlinie 2003/71/EG wurden Ende April 2004 nahezu reibungslos erlassen. 358 Schaub, JFRC 2005, 110, 113. 359 Market Participants Consultative Panel. Vgl. auch Commission of the European Communities: Commission Staff Working Document: The application of the Lamfalussy process to EU Securities Markets Legislation, A preliminary assessment by the Commission services, SEC(2004) 1459 v. 15. 11. 2004, S. 5. Zu dessen Aufgaben siehe http://www.cesreu.org/index.php?page=groups&mac=0&id=24 (zuletzt abgerufen am 30. 4. 2020). 355

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Kap. 2: Entstehung/Entwicklung der Komitologie u. des Lamfalussyverfahrens

ligt, sondern es wurde auch eine größere Transparenz der Rechtsetzung im Bereich der Finanzdienstleistung erreicht.360 Diese positiven Effekte des Verfahrens auf die Rechtsetzung und andere genannte Bereiche im Finanzdienstleistungssektor benannte bereits die Kommission in ihrer vorläufigen Bewertung des Vier-Stufen-Verfahrens, die, wie von dem Rat der Weisen in ihrem Schlussbericht gefordert361, im Jahr 2004 erfolgte.362 Diese positive Sichtweise wurde weiterhin nicht nur von Parlament363 und Rat364, sondern auch von der IIMG, die erstmals im Juli 2002 und Ende 2005365 erneut von den europäischen Institutionen eingesetzt wurde,366 geteilt.367 Die Überwachungsgruppe stellte hierin fest, dass die vier großen Basisrichtlinien im Finanzmarktbereich aller Voraussicht

360 Vgl. Inter-Institutional Monitoring Group: Third Report Monitoring the Lamfalussy Process, 17. 11. 2004, S. 6; Securities Expert Group: Financial Services Action Plan: Progress and Prospects, Final Report 2004, S. 14 Ziff. 50. 361 Schlussbericht der Weisen, S. 50 f. 362 Commission Staff Working Document: The application of the Lamfalussy process to EU Securities Markets Legislation, A preliminary assessment by the Commission services, SEC(2004) 1459 v. 15. 11. 2004. Hierzu auch Leixner, BMF Working Paper: Komitologie und Lamfalussyverfahren im Finanzdienstleistungsbereich, S. 24 ff. 363 Vgl. Ziff. 18 und 19 des Berichts des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments über die Verbesserung der Rechtsetzung in der Europäischen Union, A6 – 0273/2007 endg. v. 2. 7. 2007. 364 Vgl. Rat der Europäischen Union: Mitteilung an die Presse, 2617. Tagung des Rates Wirtschaft und Finanzen, v. 16. 11. 2004, 14429/04 (Presse 313), S. 12 f. 365 Vgl. Pressemitteilung IP/05/1002 v. 25. 7. 2005: Finanzmärkte: Interinstitutionelle Überwachungsgruppe für Finanzdienstleistungen wiedereingesetzt. Die vom Europäischen Parlament ernannten Vertreter sind: Karl-Peter Schackmann-Fallis, Freddy van den Spiegel, Johnny Åkerholm und Rainer Masera; die Kommission ernannte: Mark Harding und Pierre de Lauzun. 366 Die IIMG hatte die Aufgabe, die Fortschritte bei der Implementierung des Lamfalussyverfahrens zu überwachen. Hierzu erhielt sie ein Mandat bis 2004, das nach Vorlage ihres dritten Berichts zur Implementierung des Verfahrens im November 2004 endete. In der zweiten Jahreshälfte 2005, nach Ausdehnung des Lamfalussyverfahrens auf weitere Finanzdienstleistungsbereiche (Banken, Versicherungen, betriebliche Altersversorgung und OGAW), erhielt die Gruppe erneut ein Mandat und konstituierte sich unter anderer Zusammensetzung erneut. Mit der Ausweitung des Anwendungsbereichs von Lamfalussy dehnte sich auch der Aufgabenbereich der Gruppe auf den Banken- und Versicherungsbereich aus. Vgl. hierzu Röh, BKR 2006, 223, 223 f. und Schackmann-Fallis, Kreditwesen 2007, 1038. Vgl. auch Commission of the European Communities: Commission Staff Working Document: The application of the Lamfalussy process to EU Securities Markets Legislation, A preliminary assessment by the Commission services, SEC(2004) 1459 v. 15. 11. 2004, S. 12 Ziff. 40. 367 Mit positivem Urteil ebenso der überwiegende Teil der Literatur; vgl. z. B. Schaub, JFRC 2005, 110, 113 ff. mit Erwägungen, um das Verfahren „noch besser“ zu machen; Wymeersch, ECFLR 2010, 240, 251 f.; Kost de Sevres/Sasso, Working Paper Series 2011, 1; Di Giorgio/Di Nola, BJIL 2003, Vol. 28 Is. 2, 1.

D. Die Reaktionen auf die Finanzmarktkrise

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nach fristgerecht umgesetzt werden.368 Ähnlich positiv fiel auch die Überprüfung des Verfahrens im erweiterten Anwendungsbereich (Banken- und Versicherungssektor) aus.369 Dieser Verdienst wurde dem neuen Verfahren zugerechnet. Dennoch machte die Gruppe bereits auf zwei mögliche Schwachstellen aufmerksam. Zum einen wurde das Erfordernis der Änderung der Verfassungsverträge immer offensichtlicher, um auf lange Sicht die Effizienz des Verfahrens zu erhalten. Zum anderen machte der lange Zeitraum Sorgen, der für die förmliche Bildung der Position zur Prospektrichtlinie im Rat nötig war. 2. Reformbedarf Mit zunehmender Nutzungsdauer des Verfahrens änderte sich allerdings das Meinungsbild, sodass im Abschlussbericht (dritter Bericht) zum ersten Mal auch die Bedeutung von Lamfalussy für die Beschleunigung der Rechtsetzung in seinem Anwendungsbereich relativiert wurde.370 Zu dieser Zeit wurde auch die Kritik am Verfahren durch Literatur371 und Expertengruppen wie das FIN-USE-Forum372 oder die Securities Expert Group373 lauter. Im Wesentlichen werden fehlende Gesetzesfolgenabschätzung374, Überregulierung375 und eine unklare Grenzziehung zwischen Rechtsakten der ersten beiden Stufen des Verfahrens376 vorgebracht. Insgesamt war 368 Inter-Institutional Monitoring Group: First Interim Report Monitoring the New Process for Regulation Securities Markets in Europe (Lamfalussy Process), Executive Summary, May 2003. 369 Mitteilung der Kommission: Überprüfung des Lamfalussyprozess, Ausbau der aufsichtlichen Konvergenz, KOM(2007) endg. v. 20. 11. 2007. 370 Inter-Institutional Monitoring Group: Third Report Monitoring the Lamfalussy Process v. 17. 11. 2004, S. 12 f. 371 Grundlegende Kritik: Hertig/Lee, working papers series 2003, S. 1 ff. Siehe auch Dreyling, Der Konzern 2005, 1; von Buttlar, BB 2003, 2133; Ferrarini, CE.DI.F. Working Paper Series, WP4-2002, S. 1 ff.; Ferrarini, ERCL 2005, 19; Wymeersch, ZGR 2011, 443, 451 ff. 372 FIN-USE wurde im Jahre 2004 von der Europäischen Kommission als unabhängige Expertengruppe eingesetzt, um dazu beizutragen, dem dringenden Bedarf für eine Verbesserung der politischen Entscheidungsfindung auf dem Gebiet der Finanzdienstleistungen durch einen strukturierteren Dialog mit Verbrauchern und kleinen Unternehmen in der Europäischen Union zu entsprechen, vgl. den ersten FIN-USE Jahresbericht 2004/5. Zur Kritik siehe FIN USE Forum: Financial Services, Consumers and Small Businesses – A User Perspective v. 4. 10. 2004. 373 Securities Expert Group: Financial Services Action Plan: Progress and Prospects, Final Report 2004. 374 FIN_USE Forum: Financial Services, Consumers and Small Businesses – A User Perspective v. 4. 10. 2004, S. 20 f.; Securities Expert Group: Financial Services Action Plan: Progress and Prospects, Final Report 2004, S. 2. 375 Dreyling, Der Konzern 2005, 1, 1; Securities Expert Group: Financial Services Action Plan: Progress and Prospects, Final Report 2004, S. 13. 376 Ferrarini, CE.DI.F. Working Paper Series, WP4-2002, S. 13; Ferrarini, ERCL 2005, 19, 32, 42.

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Kap. 2: Entstehung/Entwicklung der Komitologie u. des Lamfalussyverfahrens

man jedoch auch in der Folgezeit mit dem Verfahren zufrieden.377 Angedacht wurde aber vom IIMG bereits zu dieser Zeit, auf welche Weise den unverbindlichen Empfehlungen auf dritter Ebene zu mehr Wirkung verholfen werden kann.378 Die Bedenken und Anregungen griff auch die Kommission 2007 in ihrem Bericht hinsichtlich ihrer Überprüfung des Lamfalussyprozesses auf und nahm auf die Arbeit des IIMG Bezug.379 Wenngleich ihre Bewertung des Verfahrens weiterhin positiv ausfiel380 und festgestellt wurde, dass das Verfahren insbesondere im Bereich „bessere Rechtsetzung“ „bahnbrechende Arbeit“381 geleistet hat, wurden einige Problemfelder aufgezeigt und Verbesserungsvorschläge gemacht. So hätten insbesondere die jüngsten Marktturbulenzen382 gezeigt, wie stark die Märkte bereits miteinander verbunden seien und wie dringlich deshalb die Weiterentwicklung der aufsichtsrechtlichen Komponente als der innovativste Aspekt von Lamfalussy sei.383 Die Frage der Stärkung der dritten Ebene von Lamfalussy führte zu Diskussionen in ganz Europa, die sich mit der Frage beschäftigten, wie eine verbesserte Finanzdienstleistungsaufsichtsstruktur aussehen könnte. Vorgeschlagen wurden unter anderem auch die Einführung eines sogenannten Lead-Systems und die Schaffung eines europäischen Systems der Aufsichtsbehörden, wobei hierfür mittelfristig eine zentrale europäische Aufsichtsbehörde geschaffen werden müsste.384 Diese Idee erschien aber (noch) sehr realitätsfern385, obwohl Lamfalussy diese Entwicklung386 377

Vgl. Inter-Institutional Monitoring Group: First Interim Report Monitoring the Lamfalussy Process v. 22. 3. 2006; Inter-Institutional Monitoring Group: Second Interim Report Monitoring the Lamfalussy Process v. 26. 1. 2007; Inter-Institutional Monitoring Group: Final Report Monitoring the Lamfalussy Process v. 15. 10. 2007. Siehe auch Röh, BKR 2006, 223. 378 Inter-Institutional Monitoring Group: Final Report Monitoring the Lamfalussy Process v. 15. 10. 2007, S. 18; Schackmann-Fallis, Kreditwesen 2007, 1038, 1040. 379 Mitteilung der Kommission: Überprüfung des Lamfalussyprozesses Ausbau der aufsichtlichen Konvergenz, KOM(2007) 727 endg. v. 20. 11. 2007, S. 7. 380 Ebenda, S. 3 ff. 381 Ebenda, S. 5. 382 Dies waren bereits die Vorboten der Finanzkrise, wie man später erkannt haben wird. Die Kommission zeigte sich weiterhin erleichtert, dass bisher keine größeren grenzübergreifenden systemischen Folgen eingetreten waren, Mitteilung der Kommission: Überprüfung des Lamfalussyprozesses Ausbau der aufsichtlichen Konvergenz, KOM(2007) 727 endg. v. 20. 11. 2007, S. 15. 383 Ebenda, S. 3. 384 Schackmann-Fallis, Kreditwesen 2007, 1038, 1041. 385 Vgl. Schackmann-Fallis, Kreditwesen 2007, 1038, 1041; vgl. auch die Aussage von Prof. Dr. Axel A. Weber (damaliger Bundesbankpräsident) in der Börsenzeitung v. 24. 7. 2007: „Der Ruf einiger großer Bankkonzerne nach einem europaweit allein zuständigen ,Lead Supervisor‘ oder gar einer europäischen Finanzaufsicht erscheint verfrüht: Die Anzahl der paneuropäischen Banken ist trotz einiger Großfusionen noch zu gering, als dass ein derart komplexes System und politisch sowie rechtlich weit reichendes Projekt durchsetzbar wäre.“ 386 „Sollte die Überprüfung – wie bereits im ersten Bericht erwähnt – 2004 (bzw. gegebenenfalls früher) zeigen, dass das Konzept keine Aussicht auf Erfolg hat, könnte sich eine Änderung des EG-Vertrags und damit die Schaffung einer zentralen EU-Regulierungsbehörde

D. Die Reaktionen auf die Finanzmarktkrise

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bereits in seinem Bericht berücksichtigt und für diesen Fall ebenfalls eine Zentralisierung des Aufsichtssystems vorgeschlagen hatte. Auf der Basis des Abschlussberichts der IIMG und der Mitteilung der Kommission diskutierten die Finanzminister im Dezember 2007 mögliche Reformen des Verfahrens und nahmen entsprechend Schlussfolgerungen an.387 Zugleich wurde die Kommission damit beauftragt, Optionen zur Stärkung der Funktionsweise der Ausschüsse zu prüfen. Der Rat traf im Mai 2008 erneut zusammen, um die weiteren konkreten Schritte zur Umsetzung der Reform388 zu erörtern. Grundlage der Diskussion bildeten die Arbeiten des Finanzdienstleistungsausschusses und die Vorstellungen der Kommission. Den Kern der Schlussfolgerungen bildeten drei Themenkreise: Die Einführung einer europäischen Dimension in die Mandate der nationalen Aufsichtsbehörden, die Verbesserung der Funktionsweise der Ausschüsse auf dritter Ebene des Verfahrens sowie die Aufsicht über internationale Finanzgruppen.389 Die Krise der Finanzmärkte beschleunigte die Dynamik der bestehenden Diskussion um eine Reform der dritten Ebene des Lamfalussyprozesses.

II. Der de Larosière-Bericht 1. Die de-Larosière-Gruppe Durch die Finanzkrise 2007/2008 wurden gravierende Mängel der Finanzmärkte und deren Aufsicht offenbart. Die ursprünglich von den Vereinigten Staaten ausgehende Krise erfasste rasch die ganze Welt; auch Europa und Deutschland390 waren nicht ausgenommen. In dieser Zeit offenbarte sich die größte Schwäche des damaligen europäischen Aufsichtssystems, die in der Abwesenheit einer klaren und systematischen Analyse von Systemrisiken bestand.391 Aus diesem Grund wurde dem früheren Präsident des IWF und der Banque de France, Jacques de Larosière, im Oktober 2008 vom Präsidenten der Europäischen Kommission, José Manuel Bar-

für Finanzdienstleistungen generell in der Gemeinschaft als angemessen erweisen.“, so der Rat der Weisen im Schlussbericht der Weisen, S. 50 f. 387 Ratsschlussfolgerungen zur Revision des Lamfalussy Prozesses, 2836. ECOFIN Rat vom 4. 12. 2007. 388 Vgl. Pressemitteilung zur 2866. Ratssitzung Wirtschaft und Finanzen vom 14. 5. 2008, PRESS Nr. 8850/08. 389 Hierzu eingehend Leixner, BMF Working Paper: Komitologie und Lamfalussyverfahren im Finanzdienstleistungsbereich, S. 30 f. 390 Zur Schilderung der Bewältigung der Finanzkrise in den einzelnen Nationalstaaten im europäischen Kontext siehe Coping with the international financial crisis at the national level in a European context, Impact and financial sector policy responses in 2008 – 2015, SWD(2017) 373 final v. 21. 11. 2017. 391 Wymeersch, ECFLR 2010, 240, 250.

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Kap. 2: Entstehung/Entwicklung der Komitologie u. des Lamfalussyverfahrens

roso, die Aufgabe übertragen,392 eine Expertengruppe393 zu leiten, die Empfehlungen zur künftigen Regulierung und Beaufsichtigung des europäischen Kapitalmarkts erarbeiten sollte, um mit deren Hilfe die Finanzmarktaufsicht in Europa unter Berücksichtigung der damals andauernden Krise der Finanzmärkte effizienter gestalten zu können.394 Der Bericht der Expertengruppe (de Larosière-Gruppe) wurde im Februar 2009 veröffentlicht.395 Sein Herzstück bilden die Empfehlungen zu einer Reformation des europäischen Finanzaufsichtssystems.396 Hier differenziert die Gruppe zwischen Ratschlägen, die die Mikroebene397 der Aufsicht betreffen, und solchen, die die Makroebene398 betreffen, da Erfahrungen der letzten Jahre vor der Finanzkrise gezeigt haben, wie wichtig die Unterscheidung der Aufsichtsebenen sei.399 Auf Makroebene wurde empfohlen, ein neues Gremium, den Europäischen Rat für Systemrisiken (ESRC)400, unter Vorsitz des EZB-Präsidenten einzurichten. Dieser Rat sollte sich aus Mitgliedern des erweiterten Rates der EZB, den Vorsitzenden von CEBS, CEIOPS und CESR und Vertretern der Kommission zusammensetzen. Aufgabe des Ausschusses sollte es sein, alle Informationen die Finanzmarktstabilität in den einzelnen Finanzsektoren betreffend zusammenzutragen und zu bewerten, um so die größten makroprudentiellen Gefahren zu ermitteln und gegebenenfalls Warnungen und Empfehlungen für Abhilfemaßnahmen auszusprechen. Auf diese könnten dann die neu zu schaffenden zuständigen Behörden in der EU reagieren und entsprechende Maßnahmen treffen.401 Auf Mikroebene schlug die de Larosière-Gruppe vor, die Rechtstruktur des Level3-Ausschusssystems, dem die Gewährleistung der Finanzstabilität im europäischen Raum nicht mehr zugetraut wurde, zu verändern und ein europäisches Aufsichts392 Vgl. Mitteilung der Kommission: Aus der Finanzkrise in den Aufschwung: Ein Aktionsrahmen für Europa, KOM(2008) 706 endg. v. 29. 10. 2008, S. 4. 393 Neben Jacques de Larosière als Vorsitzender waren folgende Personen Mitglieder der Expertengruppe: L. Balcerowicz, O. Issing, R. Masera, C. Mc Carthy, L. Nyberg, J. Pérez und O. Ruding. 394 Siehe hierzu auch Fischer zu Cramburg, NZG 2009, 337, 337 f. 395 The High-Level Group on Financial Supervision in the EU, Chaired by Jacques de Larosière : Report v. 25. Februar 2009. Ausführlich zum Bericht Klein, Kreditwesen 2009, 324. 396 The High-Level Group on Financial Supervision in the EU: Report, v. 25. Februar 2009, S. 43 ff. 397 Bei der Mikroaufsicht werden einzelne Finanzinstitute mit dem Ziel überwacht, sie vor Ausfall zu bewahren, um Kunden und das Institut selbst zu schützen. 398 Auf Makroebene ist das ganze Finanzsystem selbst der Aufsichtsgegenstand. Die Aufsicht zielt darauf ab, das Finanzsystem selbst vor Gefahren zu schützen, um die Gesamtwirtschaft vor Schaden zu bewahren. 399 The High-Level Group on Financial Supervision in the EU: Report, v. 25. Februar 2009, S. 43. 400 European System Risk Council. 401 The High-Level Group on Financial Supervision in the EU: Report, v. 25. Februar 2009, S. 48 ff.

D. Die Reaktionen auf die Finanzmarktkrise

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system zu schaffen,402 das European System of Financial Supervision (ESFS). Hierzu sollten die Level-3-Ausschüsse403 von eher beratenden Gremien zu vollwertigen Behörden aufgewertet werden.404 Diese neu geschaffenen Behörden sollten sodann große, grenzübergreifend tätige Finanzinstitute beaufsichtigen, da sich eine solche Aufgabe nur effektiv auf EU-Ebene wahrnehmen ließe. Auf dem Gebiet der Regulierung sollten ihre Kompetenzen auf zweiter und dritter Stufe ausgebaut werden.405 2. Die drei neuen Aufsichtsbehörden im Finanzdienstleistungsbereich Auf Grundlage des von de Larosière und seiner Expertengruppe ausgearbeiteten Berichts veröffentlichte die Kommission im März 2009 eine Mitteilung406, in der sie in weiten Teilen die Empfehlungen des de Larosière-Berichts befürwortete und den Europäischen Rat ersuchte, den Rat und das Europäische Parlament aufzufordern, der Annahme der in den kommenden Monaten von der Kommission vorgelegten Vorschläge zur Regulierung von Finanzdienstleistern Vorrang zu geben. In diesem Bericht skizzierte die Kommission bereits einen Aktionsplan für eine Reform der Aufsicht und Regulierung des Finanzmarkts.407 In einer nachfolgenden Mitteilung408 im Mai desselben Jahres führte die Kommission ihre Vorhaben genauer aus. Die Vorstellungen der Kommission bewegten sich weitgehend in den von der de Larosiere-Gruppe gemachten Empfehlungen hinsichtlich der Reform des Systems. Am 23. September 2009 konnte die Kommission schließlich fünf ausformulierte Vorschläge409 zur Schaffung des neuen Europäischen Ausschusses für Systemrisiken 402 Letztlich wurde hier das vorgeschlagen, was auch der Lamfalussy-Bericht bei Scheitern seines Konzepts anriet: Die Zentralisierung der Aufsicht auf die EU-Ebene, vgl. Schlussbericht der Weisen, S. 50 f. 403 Level-3-Ausschuss im Wertpapiersektor: CESR, Ausschuss im Bankensektor: CEBS und der Ausschuss im Versicherungswesen sowie der betrieblichen Altersvorsorge: CEIOPS. 404 Aus dem Ausschuss der Europäischen Wertpapierregulierungsbehörden (CESR) sollte die European Securities Authority (ESA), aus dem Ausschuss der Europäischen Bankaufsichtsbehörden (CEBS) sollte die European Banking Authority (EBA) und aus dem Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung sollte die European Insurance Authority (EIA) werden. Siehe hierzu auch The High-Level Group on Financial Supervision in the EU: Report, v. 25. Februar 2009, S. 65. 405 The High-Level Group on Financial Supervision in the EU: Report, v. 25. Februar 2009, S. 60. 406 Mitteilung für die Frühjahrstagung des Europäischen Rates: Impulse für den Aufschwung in Europa, Teil 1, KOM(2009) 114 endg. v. 4. 3. 2009. 407 Impulse für den Aufschwung in Europa, Teil 1, KOM(2009) 114 endg. v. 4. 3. 2009, S. 4 ff. 408 Mitteilung der Kommission: Europäische Finanzaufsicht, KOM(2009) 252 endg. v. 27. 5. 2009. 409 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gemeinschaftliche Finanzaufsicht auf Makroebene und zur Einsetzung eines Europäischen Ausschusses für Systemrisiken, KOM(2009) 499 endg. v. 23. 9. 2009; Vorschlag für eine

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Kap. 2: Entstehung/Entwicklung der Komitologie u. des Lamfalussyverfahrens

(ESRB)410 (im de Larosière-Bericht noch ESRC genannt), der in seiner Funktion als Makroaufsicht für die Überwachung der Stabilität des europäischen Finanzsystems zuständig ist, sowie zur Schaffung des Europäischen Systems der Finanzaufsicht (ESFS411), bestehend aus den drei neuen europäischen Aufsichtsbehörden, die zusammen mit den nationalen Aufsichtsbehörden als Mikroaufsichtsorgan für die Beaufsichtigung einzelner Institute des Finanzsystems zuständig waren, veröffentlichen. Das System der europäischen Aufsichtsbehörden, European Supervisory Authorities (ESA), sollte aus der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA412), der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA413) und der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA414) bestehen. Am 26. 10. 2010 wurden diese Vorschläge durch einen weiteren Vorschlag für eine Omnibus-RL ergänzt, um die bestehenden Finanzdienstleistungsrichtlinien an die Befugnisse der neuen Behörden anzupassen.415 Die Vorschläge wurden daraufhin von den Beteiligten des europäischen Gesetzgebungsverfahrens kontrovers diskutiert. Die Beurteilung des Vorschlags eines ESRB sind hierbei recht positiv ausgefallen, was auch daran liegen könnte, dass dem ESRB nach der Konzeption der Kommission keinerlei Rechtsbefugnisse zustehen, sondern nur mit einem act or explain-Mechanismus vorgehen kann.416 Wesentlich umstrittener war hingegen die Idee der Kommission zur Gestaltung des Europäischen Systems für die Finanzaufsicht (ESFS).417 Aufgrund der Aufwertung der Level-3-

Entscheidung des Rates zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Funktionsweise des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken auf die Europäische Zentralbank, KOM(2009) 500 endg. v. 23. 9. 2009; Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung einer Europäischen Bankaufsichtsbehörde, KOM(2009) 501 endg. v. 23. 9. 2009; Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung, KOM(2009) 502 endg. v. 23. 9. 2009; Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung einer Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde, KOM(2009) 503 endg. v. 23. 9. 2009. 410 European Systemic Risk Board. 411 Zum System siehe Möllers, EBOR 2010, 379, 401 ff. 412 European Securities and Market Authority. 413 European Banking Authority. 414 European Insurance and Occupational Pensions Authority. 415 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 1998/26/EG, 2002/87/EG, 2003/6/EG, 2003/41/EG, 2003/71/EG, 2004/39/EG, 2004/109/EG, 2005/60/EG, 2006/48/EG, 2006/49/EG und 2009/65/EG im Hinblick auf die Befugnisse der Europäischen Bankaufsichtsbehörde, der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung und der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde, KOM(2009) 576 endg. v. 26. 10. 2009. 416 Hopt, NZG 2009, 1401, 1405. 417 Lehmann/Manger-Nestler, EuZW 2010, 87, 87.

D. Die Reaktionen auf die Finanzmarktkrise

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Ausschüsse zu vollwertigen Behörden418 verschoben sich die Aufsichtshoheit in Richtung Europa.419 So folgte nach den Kommissionsvorschlägen ein langes politisches „Tauziehen“, bei dem zunächst alle Beteiligten unterschiedliche Positionen einnahmen.420 Der ECOFIN konnte sich lange nur zur allgemeinen Ausrichtung der Behörden einigen und festlegen.421 Dem europäischen Parlament hingegen war die Stellung der neuen Behörden noch immer zu schwach. Sie strebte an, die Agenturen mit weitergehenden Befugnissen auszustatten.422 Ähnlich sah das auch der EWS.423 Der Wunsch nach weiterer Kompetenzverleihung in Richtung ESA missfiel der Kommission, die einen Verlust eigener Kompetenzen fürchtete. Auch die EZB, die am ordentlichen Gesetzgebungsverfahren der EU nicht beteiligt ist, nahm zu dieser Thematik auf Wunsch des Rates Stellung, und erweiterte so den ohnehin großen Kreis der Diskussionsteilnehmer.424 Wie bereits erwähnt, war Kern der Differenzen die Frage, ob und wie weit die Kompetenzen der Behörden reichen sollten, insbesondere, ob die ESA die Befugnis besitzen sollten, Entscheidungen mit unmittelbarer und verbindlicher Wirkung gegenüber nationalen Behörden erlassen zu können. Dies war 418

Vgl. Art. 3 Abs. 1 und 2 der Vorschläge KOM(2009) 501, 502 und 503. So sollten die ESA nach dem Willen der Kommission verbindliche Entscheidungsbefugnisse gegenüber den nationalen Behörden der Mitgliedstaaten, in bestimmten Fällen sogar gegenüber Marktteilnehmern besitzen, vgl. Art. 10, 11 der Vorschläge KOM(2009) 501, 502 und 503. 420 Lehmann/Manger-Nestler, ZBB 2011, 1, 5. 421 Vgl. Rat der Europäischen Union: Mitteilung an die Presse, 2981. Tagung des Rates Wirtschaft und Finanzen, 16838/09 v. 2. 12. 2009, S. 7 f. sowie Rat der Europäischen Union: Mitteilung an die Presse, 3027. Tagung des Rates Wirtschaft und Finanzen, 12076/10 v. 13. 7. 2010, S. 8. 422 Lehmann/Manger-Nestler, ZBB 2011, 1, 5. 423 Vgl. Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss: „Makro- und Mikroaufsicht“: Stellungnahme, ECO/268 v. 21. 1. 2010. 424 Vgl. Stellungnahme der Europäischen Zentralbank CON/2009/88 vom 26. Oktober 2009 zu einem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gemeinschaftliche Finanzaufsicht auf Makroebene und zur Einsetzung eines Europäischen Ausschusses für Systemrisiken sowie zu einem Vorschlag für eine Entscheidung des Rates zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Funktionsweise des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken auf die Europäische Zentralbank, ABl. Nr. C 270 v. 11. 11. 2009, S. 1; Stellungnahme der Europäischen Zentralbank CON/2010/5 vom 8. Januar 2010 zu drei Vorschlägen für Verordnungen des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung einer Europäischen Bankaufsichtsbehörde, einer Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung und einer Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde, ABl. Nr. C 13 v. 20. 1. 2010, S. 1 sowie Stellungnahme der Europäischen Zentralbank CON/2010/23 vom 18. März 2010 zu einem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 1998/26/EG, 2002/87/ EG, 2003/6/EG, 2003/41/EG, 2003/71/EG, 2004/39/EG, 2004/109/EG, 2005/60/EG, 2006/48/ EG, 2006/49/EG und 2009/65/EG im Hinblick auf die Befugnisse der Europäischen Bankaufsichtsbehörde, der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung und der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde, ABl. Nr. C 87 v. 1. 4. 2010, S. 1. 419

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Kap. 2: Entstehung/Entwicklung der Komitologie u. des Lamfalussyverfahrens

aus Sicht der Mitgliedstaaten ein Eingriff in deren Aufsichtshoheit.425 Uneins war man sich ebenfalls bei der Frage, wie das Verfahren zur Verabschiedung technischer Standards der neuen Behörden genau ausgestaltet sein sollte, durch die die Behörden „verbindlicher“ an der Level-2-Rechtsetzung beteiligt werden sollten. Weitere „Nebenkriegsschauplätze“ stellten unter anderem Diskussionen um den Vorsitz des ESRB und die Ansiedelung der neuen Behörden dar.426 Am 2. September 2010 konnten sich Kommission, Rat und Parlament schließlich auf einen Kompromiss einigen. Kurz darauf nahm das Parlament am 22. September 2010 die geänderten Verordnungsentwürfe in erster Lesung an.427 Endlich verabschiedete der ECOFIN das Legislativpaket ohne weitere Aussprache auf der Tagung vom 17. 11. 2010428 : die ESRB-VO429, die EBA-VO430, EIOPA-VO431, ESMA-VO432, EZB-Kompetenzen-VO433 und die Omnibus-I-RL434. Am 1. 1. 2011 hat die drei425

Lehmann/Manger-Nestler, ZBB 2011, 1, 5. Lehmann/Manger-Nestler, ZBB 2011, 1, 6 f. 427 Legislative Entschließungen des Europäischen Parlaments v. 22. 9. 2010: P7_TA(2010) 0334 zu KOM(2009) 502 (EIOPA), P7_TA(2010)0335 zu KOM(2009) 499 (ESRB-I), P7_TA(2010)0336 zu KOM(2009) 576 (Omnibus-RL), P7_TA(2010)0337 zu KOM(2009) 501 (EBA), P7_TA(2010)0338 zu KOM(2009) 500 (ESRB-II), P7_TA(2010)0339 zu KOM(2009) 503 (ESMA). 428 Vgl. Rat der Europäischen Union: 3045. Tagung des Rates der Europäischen Union (Wirtschaft und Finanzen), 16212/10. 429 Verordnung (EU) Nr. 1092/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über die Finanzaufsicht der Europäischen Union auf Makroebene und zur Errichtung eines Europäischen Ausschusses für Systemrisiken, ABl. Nr. L 331 v. 15. 12. 2010, S. 1. 430 Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/78/EG der Kommission, ABl. Nr. L 331 v. 15. 12. 2010, S. 12. 431 Verordnung (EU) Nr. 1094/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/79/EG der Kommission, ABl. Nr. L 331 v. 15. 12. 2010, S. 48. 432 Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/77/EG der Kommission, ABl. Nr. L 331 v. 15. 12. 2010, S. 84. 433 Verordnung (EU) Nr. 1096/2010 des Rates vom 17. November 2010 zur Betrauung der Europäischen Zentralbank mit besonderen Aufgaben bezüglich der Arbeitsweise des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken, ABl. Nr. L 331 v. 15. 12. 2010, S. 162. 434 Richtlinie 2010/78/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Änderung der Richtlinien 98/26/EG, 2002/87/EG, 2003/6/EG, 2003/41/EG, 2003/71/ EG, 2004/39/EG, 2004/109/EG, 2005/60/EG, 2006/48/EG, 2006/49/EG und 2009/65/EG im Hinblick auf die Befugnisse der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das 426

E. Vertrag von Lissabon und die Neuregelung der Komitologie

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gliedrige europäische Finanzmarktaufsicht ihre Arbeit aufgenommen.435 Die Befugnisse der neuen Behörden im Lamfalussyverfahren wurden deutlich gestärkt.436 Die Einzelheiten sollen hier nicht weiter dargestellt werden, da dies an anderer Stelle geschieht.437

E. Der Vertrag von Lissabon und die Neuregelung der Komitologie I. Lissabon Etwa zur selben Zeit wie die Inangriffnahme der großen Reformen hinsichtlich der europäischen Aufsicht, trat am 1. Dezember der Vertrag von Lissabon in Kraft.438 Der Vertrag baut auf die Vorarbeiten des (gescheiterten) Verfassungskonvents auf und übernimmt wesentliche Teile des Europäischen Verfassungsvertrages, so auch im Wesentlichen die Artikel über die Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen. Der „neue“ Art. 290 AEUV entspricht grundsätzlich Art. I-36 EVV und ersetzt den bisherigen Art. 202, 3. Gedankenstrich EGV.439 Demgegenüber kommt Art. 291 AEUV dem Art. I-37 EVV gleich und ersetzt im Wesentlichen Art. 202, 3. Gedankenstrich EGV.440 Mit diesen Regelungen im AEUV wird damit auch die schon in den Art. I-33 ff. EVV vorgenommene Unterscheidung zwischen Rechtsakten mit und ohne Gesetzescharakter übernommen.441 Zum ersten Mal wurde damit eine primärrechtliche Unterscheidung von quasi-legislativen Maßnahmen (delegierten Rechtsakten) und exekutiven Maßnahmen (Durchführungsrechtsakten) vorgenomVersicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung) und der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde), ABl. Nr. L 331 v. 15. 12. 2010, S. 120. 435 Baur/Boegl, BKR 2011, 177, 177. 436 Binder, GPR 2011, 34, 38 f. 437 Siehe unter Kapitel 3 A. II. 1. b) und Kapitel 3 A. II. 2. b). 438 Konsolidierte Fassungen des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. Nr. C 115, S. 1. Als absehbar war, dass die Ratifizierung des Vertrags über eine Verfassung für Europa scheitern werde, wurde bereits im Juni 2007 eine Regierungskonferenz einberufen. Es konnte bereits am 13. Dezember ein entsprechender Vertragstext verabschiedet werden. Der Vertrag sollte nach Ratifizierung der Mitgliedstaaten am 1. Januar 2009 in Kraft treten. Aufgrund eines negativen Referendums in Irland verzögerte sich dessen Inkrafttreten jedoch. Siehe hierzu Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, S. 14 ff.; Streinz, Europarecht, § 2 Rn. 61 ff.; Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, § 1 Rn. 28 ff.; Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, § 1 Rn. 29 ff. Ausführlich Hummer, in: Hummer/Obwexer, Der Vertrag von Lissabon, S. 22. 439 Fischer, Vertrag von Lissabon, 2. Aufl. 2010, S. 429. 440 Kotzur, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Art. 291 AEUV Rn. 1. 441 Scharf, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht: Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, S. 15; Schusterschitz, in: Hummer/Obwexer, Der Vertrag von Lissabon, S. 211 f.

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Kap. 2: Entstehung/Entwicklung der Komitologie u. des Lamfalussyverfahrens

men.442 Beide Arten von Rechtakten unterlagen in alter Rechtslage dem Komitologieverfahren.443

II. Die Auswirkungen von Lissabon auf Lamfalussy und Komitologie 1. Der neue Komitologierahmen Art. 291 Abs. 3 AEUV verpflichtet den ordentlichen Gesetzgeber, allgemeine Grundsätze zur Ausübung der mitgliedstaatlichen Durchführungskontrolle festzulegen. Bis zum Erlass (und Inkrafttreten) des neuen sekundärrechtlichen Komitologierahmens erklärte eine interinstitutionelle Vereinbarung den bestehenden Komitologiebeschluss bzgl. jener Basisrechtsakte für anwendbar, die nach dem Inkrafttreten von Lissabon erlassen worden waren.444 Der Verpflichtung des Erlasses einer entsprechenden Verordnung sind Gesetzgeber und Kommission allerdings zügig nachgekommen. Bereits im März 2010 legte die Kommission einen ersten Entwurf vor.445 Dieser wurde in einer Entschließung des Parlaments446 nach neunmonatigen Verhandlungen am 16. Dezember 2010 fast inhaltsgleich übernommen447 und löste am 1. März 2011 die bisherigen Regelungen automatisch ab.448 Die Verordnung enthält in Art. 13 eine automatische Anpassung der Ausschussverfahren bei bereits bestehenden Rechtsakten.

442 Scharf, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht: Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, S. 22; Ilgner, Die Durchführung der Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers durch die Europäische Kommission, Diss., 2014, S. 226. 443 Siehe auch Konferenz der Ausschussvorsitzenden: Handbuch der Komitologie: Die Arbeiten des Europäischen Parlaments im Bereich Komitologie v. März 2009, PE405.166/rev., S. 7. 444 Schusterschitz, in: Hummer/Obwexer, Der Vertrag von Lissabon, S. 233 f. 445 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, KOM(2010) 83 endg. v. 9. 3. 2010. 446 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Dezember 2010 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren (KOM(2010)0083 – C7-0073/ 2010-2010/0051 (COD)). 447 Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, ABl. Nr. L 55 v. 28. 2. 2011, S. 13. 448 Vgl. Art. 16 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011.

E. Vertrag von Lissabon und die Neuregelung der Komitologie

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2. Der interinstitutionelle Rahmen von Lissabon Zwar enthält Art. 290 AEUV keine Bezüge zur Einbindung in ein Komitologieverfahren. Um den Besonderheiten der Rechtsetzung im Finanzdienstleistungsbereich (Lamfalussy) Rechnung zu tragen449, hatte sich die Kommission allerdings in einer Erklärung im Anhang zum Lissabonvertrag (Erklärung Nr. 39) verpflichtet, „bei der Ausarbeitung ihrer Entwürfe für delegierte Rechtsakte im Bereich der Finanzdienstleistungen nach ihrer üblichen Vorgehensweise weiterhin von den Mitgliedstaaten benannte Experten zu konsultieren.“450 Die delegierte Rechtsetzung sollte also im Bereich der Finanzdienstleitung weiterhin im Regelungsverfahren mit Kontrolle stattfinden, sofern darauf verwiesen wird. Für eine bessere Zusammenarbeit zwischen Kommission und Parlament als neuem Mitgesetzgeber schlossen beide Organe deshalb im Oktober 2010 eine (bindende) interinstitutionelle Vereinbarung, in der sie sich zu einem konstruktiven Dialog und Informationsaustausch verpflichteten.451 Die Institutionen verständigten sich weiterhin, eine allgemeine Vereinbarung über die Ausübung delegierter Rechtsetzungsbefugnis der Kommission zu entwickeln, die als Paket mit der neuen Komitologieverordnung verhandelt wurde. Es ging dabei um die Frage der Dauer der Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen und um die Frage der Einbeziehung von Experten bei der Entwicklung dieser Rechtsakte.452 Noch 2011 konnte innerhalb der Organe ein Kompromiss gefunden werden, der im (ersten) Common Understanding formuliert wurde.453 Die Kommission hatte jedoch in der Folgezeit erhebliche Zweifel, ob die Beschränkung ihrer Rolle in Bezug auf den Erlass von delegierten Rechtsakten und Durchführungsmaßnahmen durch die dem AEUV beigefügte Erklärung Nr. 39 im Einklang mit den Artikeln 290 und 291 AEUV steht.454 Sie schlug

449 Vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 2003/71/EG und 2009/138/EG im Hinblick auf die Befugnisse der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung und der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde, KOM(2011) 8 endg. v. 19. 1. 2011, S. 4. 450 Vgl. Erklärung Nr. 39 zu Art. 290 AEUV, Konsolidierte Fassungen des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. Nr. C 115, S. 350. 451 Interinstitutionelle Vereinbarung: Rahmenbedingungen über die Beziehung zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission, ABl. Nr. l 303 v. 20. 11. 2010, S. 47. 452 Töller, Integration 2013, 213, 224; Brandsma/Bloom-Hansen, JCMS 2012, 939, 946. Siehe auch Christiansen/Dobbels, EIoP 2012, 1, 9. 453 Die Vereinbarung wurde nie in formeller Weise veröffentlicht, vgl. aber Council of the European Union: Cover Note, Common Understanding on delegated acts, 8640/11, 4. 4. 2011; Council of the European Union: Note, Common Understanding – Delegated acts, 8753/11, 10. 4. 2011. 454 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 2003/71/EG und 2009/138/EG im Hinblick auf die Befugnisse der Europäischen

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Kap. 2: Entstehung/Entwicklung der Komitologie u. des Lamfalussyverfahrens

deshalb 2011 unter anderem eine Änderung der Prospektrichtlinie und der ESMAVO vor455, um dem technischen Regulierungsstandard ein größeres Anwendungsgebiet zu geben und so den Besonderheiten des Finanzdienstleistungsrechts gerecht zu werden. 2014 wurde schließlich mit der Omnibus-II-Richtlinie456 sowohl die ESMA-Verordnung zur Anpassung an den Vertrag von Lissabon als auch mehrere Richtlinien im Tätigkeitsbereich der ESA angepasst. Im Mai 2015 legte die Kommission einen Vorschlag für eine neue überarbeitete (verbindliche) interinstitutionelle Vereinbarung i.S.d. Art. 295 AEUV vor,457 um die Zusammenarbeit zu verbessern und damit die angestrebten gemeinsamen politischen Ziele so effizient wie möglich zu erreichen. Die alte allgemeine Vereinbarung des Common Understanding wurde sodann im Mai 2016 durch die neue Vereinbarung458 ersetzt.459 3. Anpassung alter Rechtsakte an das neue Verfahren Der „alte“ Komitologiebeschluss blieb für alle Rechtsakte anwendbar, die vor Inkrafttreten erlassen wurden, sofern die Rechtsakte nicht formal angepasst wurden/ werden.460 Die drei Organe waren jedoch bestrebt, alle Basisrechtsakte anzupassen, in denen auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle Bezug genommen wird.461 Die Kommission hatte hierzu alle entsprechenden Rechtsakte darauf überprüft, ob die Maßnahmen des Regelungsverfahrens mit Kontrolle den Kriterien des AEUV genügen und, je nachdem, in welchen Anwendungsbereich der neuen RechtsetAufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung und der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde, KOM(2011) 8 endg. v. 19. 1. 2011, S. 4. 455 Ebenda, S. 4. 456 Richtlinie 2014/51/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 zur Änderung der Richtlinien 2003/71/EG und 2009/138/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009, (EU) Nr. 1094/2010 und (EU) Nr. 1095/2010 im Hinblick auf die Befugnisse der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung) und der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde), ABl. Nr. L 153 v. 22. 5. 2014, S. 1. 457 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Vorschlag für eine Interinstitutionelle Vereinbarung über bessere Rechtsetzung, COM(2015) 216 final v. 19. 5. 2015. 458 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, S. 1. 459 Zum Inhalt der Vereinbarung siehe sogleich unter Kapitel 2 E. II. 3. 460 Angepasst wurden 24 Rechtsakte (Umwandlung entweder zu delegierten Rechtsakten oder zu Durchführungsrechtsakten), siehe Verordnung (EU) Nr. 37/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2014 zur Änderung bestimmter Verordnungen zur gemeinsamen Handelspolitik hinsichtlich der Verfahren für die Annahme bestimmter Maßnahmen, ABl. Nr. L 18 v. 21. 1. 2014, S. 1. 461 Vgl. ABl. L 55 vom 28. 2. 2011, S. 19; vgl. auch Erwägungsgrund 27 der Interinstitutionellen Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, S. 6.

E. Vertrag von Lissabon und die Neuregelung der Komitologie

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zungsarten die Maßnahmen fallen, eine Anpassung vorgeschlagen (Omnibus-Vorschläge I, II und III).462 Sie geht davon aus, dass die unter das Regelungsverfahren mit Kontrolle fallenden Maßnahmen grundsätzlich jenen entsprechen, die unter die in Art. 290 AEUV genannten Befugnisübertragungen fallen können. Der Rat sperrte sich jedoch gegen die Vorschläge, da es seiner Meinung nach „keine soliden Garantien dafür gab, dass bei der Ausarbeitung der delegierten Rechtsakte systematisch Sachverständige aus den Mitgliedstaaten zurate gezogen würden“463. Schließlich war das zu der Zeit geltende Common Understanding unverbindlicher Natur. Dies führte weiterhin dazu, dass das Regelungsverfahren mit Kontrolle in den über hundert bestehenden Basisrechtsakten, die unter diese Vorschläge fielen, immer noch vorgesehen und weiterhin anwendbar ist, bis diese Rechtsakte formell geändert und an den Vertrag von Lissabon angepasst werden. Aufgrund des Stillstands nahm die Kommission diese Vorschläge 2015 wieder zurück.464 Nachdem man sich aber im Common Understanding vom Mai 2016 darüber geeinigt hatte, wie die Mitgliedstaaten bei der Ausarbeitung delegierter Rechtsakte angemessen eingebunden werden465, war der Weg frei für die Anpassung. So schlug die Kommission im Dezember 2016 erneut die Anpassung der vom alten Komitologiebeschluss durchzogenen Rechtssache vor.466 Den neuen Vorschlägen liegt die allgemeine Annahme zugrunde, dass die in den Omnibus-Vorschlägen von 2013 vorgenommene Bewertung in Bezug auf die Vergleichbarkeit der Anwendungsbereiche des Regelungsverfahrens mit Kontrolle und des Art. 290 AEUV weiterhin 462

Vgl. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung von Rechtsakten, in denen auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle Bezug genommen wird, an Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, COM(2013) 451 final v. 27. 6. 2013; Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung von Rechtsakten im Bereich Justiz, in denen auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle Bezug genommen wird, an Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, COM(2013) 452 final v. 27. 6. 2013; Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung von Rechtsakten, in denen auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle Bezug genommen wird, an Artikel 290 und 291 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, COM(2013) 751 final v. 30. 10. 2013. 463 Vgl. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung von Rechtsakten, in denen auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle Bezug genommen wird, an Artikel 290 und 291 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, COM(2016) 799 final v. 14. 12. 2016, S. 2 f. 464 Vgl. (2015/C 80/08), ABl. C 80 vom 7. 2. 2015, S. 17. 465 Vgl. auch Vorschlag für eine Interinstitutionelle Vereinbarung über bessere Rechtsetzung, COM(2015) 216 final v. 19. 5. 2015. 466 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung von im Bereich Justiz erlassenen Rechtsakten, in denen auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle Bezug genommen wird, an Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, COM(2016) 798 final v. 14. 12. 2016; Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung von Rechtsakten, in denen auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle Bezug genommen wird, an Artikel 290 und 291 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, COM(2016) 799 final v. 14. 12. 2016.

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Kap. 2: Entstehung/Entwicklung der Komitologie u. des Lamfalussyverfahrens

gültig ist. Eine der geplanten Verordnungen ist nun im Sommer 2019 erlassen worden.467

F. Überblick über die weitere Entwicklung der Harmonisierung des europäischen Finanzdienstleistungssektors durch Lamfalussy Im selben Zeitraum wie Lissabon verabschiedete der europäische Gesetzgeber die Verordnung über Ratingagenturen468, die CRA-I, die im Dezember 2010 durch CRAII469 überarbeitet wurde. Hierdurch wurden die Ratingagenturen der Aufsicht der ESMA unterstellt. Im Mai 2013 folgten dann weitere Änderungen durch die CRAIII470. Ebenso wurden in diesem Zeitraum die vier Rahmenrichtlinien überarbeitet. So wurden die Prospektrichtlinie und die Transparenzrichtlinie durch die Richtlinie 2010/73/EU471 geändert. 2014 wurden schließlich die Marktmissbrauchsverordnung472 (MMVO/MAR) und die Marktmissbrauch-Sanktions-RL473 (CRIM-MAD) erlassen. Die Marktmissbrauchsverordnung stellt einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einem sogenannten „Single Rulebook“ dar, mit dem ein einheitliches europäisches Regelungswerk für Insidergeschäfte, die Offenlegung von Insiderinformationen und Marktmanipulation sowie für Maßnahmen zur Verhinderung von 467

Verordnung (EU) 2019/1243 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Anpassung von Rechtsakten, in denen auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle Bezug genommen wird, an Artikel 290 und 291 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. Nr. L 198 v. 25. 7. 2019, S. 241. 468 Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September über Ratingagenturen, ABl. Nr. L 302 v. 17. 11. 2009, S. 1. 469 Verordnung (EU) Nr. 513/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über Ratingagenturen, ABl. Nr. L 145 v. 31. 5. 2001, S. 30. 470 Verordnung (EU) Nr. 462/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über Ratingagenturen, ABl. Nr. L 146 v. 31. 5. 2013, S. 1. 471 Richtlinie 2010/73/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Änderung der Richtlinie 2003/71/EG betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und der Richtlinie 2004/109/EG zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, ABl. Nr. L 327 v. 11. 12. 2010, S. 1. 472 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/ 124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. Nr. L 173 v. 12. 6. 2014, S. 1. 473 Richtlinie 2014/57/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation (Marktmissbrauchsrichtlinie), ABl. Nr. L 173 v. 12. 6. 2014, S. 179.

F. Überblick über weitere Entwicklung der Harmonisierung durch Lamfalussy

105

Marktmissbrauch geschaffen werden soll.474 Langfristiges Ziel der europäischen Union ist es, eine Kapitalmarktunion zu schaffen.475 Die Marktmissbrauchsverordnung war/ist die erste große Herausforderung des Lissabonner Lamfalussyverfahrens.476 Ebenso wurde im Juni die Richtlinie zur Änderung der Transparenzrichtlinie477 verabschiedet. Erst 2014 konnten nach längerer Kompromisssuche die Verordnung MiFIR478 und die Richtlinie MiFID-II479 erlassen werden. Ebenfalls reguliert wurde 2012 das Recht der Leerverkäufe durch die Verordnung (EU) Nr. 648/2012.480 Auch diese Regulierungsbemühung ist eine Reaktion auf die Finanzkrise. Weiterhin wurden auf Empfehlung der de Larosière-Gruppe die OTC-Derivate durch die Verordnung über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister481 474

Stüber in DStR 2016, S. 1221. So zumindest namentlich in den politischen Leitlinien des Kommissionspräsidenten v. 15. 07. 2014 (KOM(2014) 903 endg.), im Grünbuch der Kommission v. 28. 02.2015 (KOM(2015) 63 endg.) und im Aktionsplan der Kommission v. 30. 09. 2015 (KOM (2015) 468 endg.). 476 Schon ex-ante Walla, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, S. 43. 477 Richtlinie 2013/50/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 zur Änderung der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, sowie der Richtlinie 2007/14/EG der Kommission mit Durchführungsbestimmungen zu bestimmten Vorschriften der Richtlinie 2004/109/EG. 478 Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012, ABl. Nr. L 173 v. 12. 6. 2014, S. 84. Diese Verordnung wurde dann 2016 geändert durch die Verordnung (EU) 2016/1033 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juni 2016, ABl. Nr. L 175 v. 30. 6. 2016, S. 1. 479 Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/ 61/EU, ABl. Nr. L 173 v. 12. 6. 2014, S. 349. Diese Richtlinie wurde sowohl 2014 geändert durch die Verordnung (EU) Nr. 909/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014, ABl. Nr. L 257 v. 28. 8. 2014, S. 1 als auch 2016 geändert durch die Richtlinie (EU) 2016/1034 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juni 2016, ABl. Nr. L 175 v. 30. 6. 2016, S. 8. 480 Verordnung (EU) Nr. 236/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 über Leerverkäufe und bestimmte Aspekte von Credit Default Swaps, ABl. Nr. L 86 v. 24. 3. 2012, S. 1. Diese Verordnung wurde 2014 geändert durch die Verordnung (EU) 909/ 2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014, ABl. Nr. L 257 v. 28. 8. 2014, S. 1, und diese wiederum 2016 durch die Verordnung (EU) 2016/1033 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juni 2016, ABl. Nr. L 175 v. 30. 6. 2016, S. 1. 481 Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister, ABl. Nr. L 201 v. 27. 7. 2012, S. 1. Geändert durch die Delegierte Verordnung (EU) 2015/1515 der Kommission vom 5. Juni 2015, ABl. Nr. L 239 v. 15. 9. 2015, S. 63. 475

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Kap. 2: Entstehung/Entwicklung der Komitologie u. des Lamfalussyverfahrens

(EMIR) reguliert. Ende 2017 wurde nun die Verordnung (EU) Nr. 648/2012 durch die Verordnung (EU) 2017/2402482 überarbeitet. Endlich erfolgten 2013 noch die Anfänge der Regulierung von Benchmarks mit einem entsprechenden Vorschlag der Kommission.483 Hintergrund der Initiative waren die Manipulationen bei Referenzzinssätzen wie LIBOR und EURIBOR und Manipulationsvorwürfe in Bezug auf Energie-, Öl- und Devisen-Benchmarks. Die Benchmark-Verordnung484 konnte im Sommer 2016 verabschiedet werden. Die genannten Rechtsakte, deren Hintergrund des Erlasses in deutlicher Mehrheit unmittelbar oder zumindest mittelbar die Finanzkrise darstellt, sind als Rahmenrechtsakte im Sinne des Lamfalussyverfahrens konzipiert worden und enthalten deshalb Befugnisse der Kommission zur näheren Ausgestaltung durch Durchführungsrechtsakte. Somit wurden die Empfehlungen des de-Larosière-Berichts angenommen und umgesetzt. Die Zeit selbst wird zeigen, ob das neue System der Finanzdienstleistungsrechtsetzung und -aufsicht die Erwartungen erfüllen kann. Es lässt sich allerdings sagen, dass das „uralte Problem der Ausschussverfahren“485 wohl immer noch nicht endgültig gelöst ist und es auch in Zukunft Streit um die Komitologie geben wird.486

482

Verordnung (EU) 2017/2402 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2017 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für Verbriefungen und zur Schaffung eines spezifischen Rahmens für einfache, transparente und standardisierte Verbriefung und zur Änderung der Richtlinien 2009/65/EG, 2009/138/EG, 2011/61/EU und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009 und (EU) Nr. 648/2012, ABl. Nr. L 347 v. 28. 12. 2017, S. 35. 483 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Indizes, die bei Finanzinstrumenten und Finanzkontrakten als Benchmark verwendet werden, COM(2013) 641 final v. 18. 9. 2013. 484 Verordnung (EU) 2016/1011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über Indizes, die bei Finanzinstrumenten und Finanzkontrakten als Referenzwert oder zur Messung der Wertentwicklung eines Investmentfonds verwendet werden, und zur Änderung der Richtlinien 2008/48/EG und 2014/17/EU sowie der Verordnung (EU) Nr. 596/2014, ABl. Nr. L 171 v. 29. 6. 2016, S. 1. 485 So zumindest der Berichterstatter Richard Corbett in dem Bericht des Federführenden Ausschusses des Parlaments im Zusammenhang mit der Überarbeitung des Komitologiebeschlusses von 1999, Ausschuss für konstitutionelle Fragen: Bericht über den Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Änderung des Beschlusses 1999/468/EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, A5- 0128/2003 endg. v. 29. 4. 2003, S. 17. 486 Siehe nur den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, KOM(2017) 85 final v. 14. 2. 2017. Siehe hierzu auch unter Kapitel 3 B. I.

Kapitel 3

Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick A. Der Ablauf des Lamfalussyverfahrens Lamfalussy bezeichnet einen mehrstufigen Rechtsetzungsprozess, in dem durch ein komplexes und umfangreiches Konsultations- und Beratungsverfahren zunächst im ordentlichen Gesetzgebungsprozess Basisrechtsakte/Rahmenrechtsakte entstehen, welche lediglich Kernziele und politische Leitlinien enthalten. Die Rahmenrechtsakte ermächtigen weiterhin die Kommission zum Erlass von (rechtlich verbindlichen) Durchführungsmaßnahmen zur näheren Ausgestaltung und Konkretisierung einzelner, nicht wesentlicher Aspekte des Rechtsakts. Die ausgestaltenden exekutiven Maßnahmen der Kommission auf der zweiten Ebene können je nach Inhalt der Befugniserteilung delegierte Rechtsakte, Durchführungsrechtsakte oder technische Standards sein. Eine Ebene tiefer sorgen die ESA durch Veröffentlichung von Leitlinien und Empfehlungen bzgl. der Auslegung für eine einheitliche Anwendung des europäischen Rechtsakts auf nationaler Ebene. Auf vierter und letzter Stufe des Verfahrens überwacht die Kommission zusammen mit den europäischen Aufsichtsbehörden die Durchsetzung des supranationalen Rechts. Im Folgenden wird der Ablauf des Verfahrens in den einzelnen Ebenen genauer dargestellt und untersucht werden. Der Gesetzgebungsprozess im Lamfalussyverfahren ist (zumindest auf den ersten Blick) sehr unübersichtlich. Die einzelnen Verfahrensvoraussetzungen müssen mehreren Rechtsquellen entnommen werden. Die Verdichtung und Konkretisierung des Lamfalussyverfahrens durch Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags führen insbesondere auf der zweiten Ebene des Verfahrens zu einer noch größeren Komplexität.1 Zur weiteren Unübersichtlichkeit tragen die vielen interinstitutionellen Vereinbarungen ihr Übriges bei. Die Ausgestaltung des Verfahrens im Detail soll an diesen unterschiedlichen Rechtsquellen dargestellt werden.

1 Vgl. Möllers, NZG 2010, 285, 285; Gal, in: Dreher/Wandt, Solvency II in der Rechtsanwendung 2014, S. 14.

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Kap. 3: Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick

I. Stufe 1: Rahmenrechtsgebung im Mitentscheidungsverfahren Auf der ersten Stufe des Komitologieverfahrens werden im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren nach den Artt. 294 ff. AEUV durch Rat und Europäisches Parlament auf Vorschlag der Kommission sogenannte Basisrechtsakte oder auch Rahmenrechtsakte erlassen.2 Das Verfahren zum Erlass eines Basisrechtsakts enthält ein umfangreiches Konsultationsverfahren. Eingebunden werden zahlreiche Behörden, Organisationen, Interessengruppen und Expertengremien. Darüber hinaus erweiterte die Kommission die Möglichkeiten für Öffentlichkeit und Interessenträger, sich in den gesamten Prozess der Politikgestaltung und Rechtsetzung einzubringen.3 Weiterhin unterzieht die Kommission ihre Gesetzgebungsinitiativen und Initiativen ohne Gesetzgebungscharakter (delegierten Rechtsakte, Durchführungsrechtsakte), bei denen mit erheblichen wirtschaftlichen, ökologischen oder sozialen Auswirkungen zu rechnen ist, einer Folgenabschätzung.4 Zu deren Überprüfung und Bewertungen, die in die Entscheidungsfindung der EU einfließen, wurde der Ausschuss für Regulierungskontrolle (Regulatory Scrutiny Board) eingesetzt.5 Die ESMA ist beim Rechtsetzungsprozess zwar nicht rechtlich verpflichtend eingebunden; zu ihren Aufgaben gehört jedoch, (unverbindliche) Stellungnahmen für die Organe der EU abzugeben.6 Kommission, Rat und Parlament können daher für ihre Verhandlungen im Bereich der Kapitalmarktrechtsetzung auf den Sachverstand der ESMA zurückgreifen.

2

Vgl. Schlussbericht der Weisen, S. 29. Vgl. hierzu die Möglichkeit sich online auf der Internetdarstellung der Kommission zu äußern, https://ec.europa.eu/info/law/law-making-process/planning-and-proposing-law/better-re gulation-why-and-how_en (zuletzt abgerufen am 30. 4. 2020). 4 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, III (13), S. 4. 5 Der Ausschuss setzt sich aus drei hochrangigen Kommissionsbeamten und drei externen Sachverständigen zusammen. Der Bericht über die Folgenabschätzung enthält eine Beschreibung der ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen, insbesondere auf KMU und Wettbewerbsfähigkeit, sowie eine ausdrückliche Erklärung, ob diese als erheblich angesehen werden; eine Übersicht darüber, wer von der Initiative betroffen ist und in welcher Form und endlich die Konsultationsstrategie und -ergebnisse. Vgl. auch die Liste mit Folgeabschätzungen und dazugehörigen Stellungnahmen des Ausschusses unter http://ec.europa.eu/ transparency/regdoc/?fuseaction=ia (zuletzt abgerufen am 30. 4. 2020). 6 Vgl. Art. 8 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 lit. g, sowie Art. 34 Abs. 1 ESMA-VO. 3

A. Der Ablauf des Lamfalussyverfahrens

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Der so entstandene Basisrechtsakt bildet den Rechtsrahmen des Regulierungsvorhabens und legt lediglich die politischen Kernprinzipien und Ziele fest. Er bedarf deshalb näherer Ausgestaltung,7 die er auf der 2. Stufe erhält.8 Hierzu überträgt der ordentliche Gesetzgeber, wie bereits erwähnt, der Kommission (oder in seltenen Fällen dem Rat) die Befugnis zur exekutiven Normsetzung (auch Tertiärrechtsetzung genannt). Im Vertrag von Lissabon sind hierzu zwei Möglichkeiten vorgesehen. Zum einen kann die Kommission dazu ermächtigt werden, nicht wesentliche Aspekte der Gesetzgebung in delegierten Rechtsakten nach Art. 290 AEUV zu erlassen (materielle exekutive Gesetzgebung). Zum anderen kann ihr die Befugnis zum Erlass von Durchführungsrechtsakten verliehen werden, sofern ein Bedürfnis für einheitliche Bedingungen für die Durchführung von Unionsrechtsakten besteht. Wann allerdings zu welcher Art der Delegation gegriffen wird, steht zwar im Ermessen des ordentlichen Gesetzgebers,9 ist allerdings nicht vollständig in sein Belieben gestellt.10 Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich auf offensichtliche Beurteilungsfehler in Bezug auf die Frage, ob der Gesetzgeber zu Recht davon ausgehen konnte, dass die Umsetzung der Befugnisse nach Art. 290 AEUV oder nur nach Art. 291 bedarf.11 Der Unionsgesetzgeber hat sich im Übrigen nicht nur zwischen delegiertem Rechtsakt und Durchführungsrechtsakt zu entscheiden, sondern kann auch noch zwischen den weiteren Möglichkeiten des technischen Regulierungsstandards und des technischen Durchführungsstandards wählen. Aus dogmatischer Sicht handelt es sich bei den technischen Regulierungsstandards auch um delegierte Rechtsakte i.S.d. Art. 290 AEUV.12 Bei den technischen Durchführungsstandards hingegen handelt es sich um Durchführungsrechtsetzung i.S.d. Art. 291 AEUV.13 Die Besonderheit der Standards besteht im besonderen Erlassverfahren, an dem die ESA beteiligt sind.

7 Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., § 17 Rn. 49 ff.; Claßen/Heegemann, Kreditwesen 2003, 1200, 1200; Rötting/Lang, EuZW 2012, 8, 8; Schlussbericht der Weisen, S. 29. 8 So schon Schlussbericht der Weisen, S. 35. 9 So nun auch ausdrücklich der EuGH, Urteil v. 18. 3. 2014, Kommission/Parlament und Rat, C-427/12, EU:C:2014:170, Rn. 40 und Urteil v. 16. 7. 2015, Kommission/Parlament und Rat, C-88/14, EU:C:2015:499, Rn. 28. 10 F. Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 290 AEUV Rn. 14. 11 EuGH, Urteil v. 18. 3. 2014, Kommission/Parlament und Rat, C-427/12, EU:C:2014:170, Rn. 40. Die Formulierung „ob der Gesetzgeber davon zu Recht davon ausgehen konnte“ deutet auf eine Kontrolle aus der ex-ante-Sicht. Zur Abgrenzung der Rechtsetzungsarten siehe unter Kapitel 4 A. II. 2. b) ee). 12 So heißt es in Erwägungsgrund 23 der EBA- und ESMA-VO und in Erwägungsgrund 22 der EIOPA-VO, dass die Kommission die Entwürfe technischer Regulierungsstandards mittels Delegierter Rechtakte nach Art. 290 AEUV billigen, um diesen verbindliche Rechtswirkung zu verleihen. Hierzu Kahl, in: Braumüller et al., Die neue Europäische Finanzaufsicht – ZFR Jahrestagung 2011, S. 55, 57; Lehmann/Manger-Nestler, EuZW 2010, 87, 12. 13 Vgl. Art. 15 Abs. 1 Unterabs 1. S. 1 und den Erwägungsgrund 25 der ESMA-VO.

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Kap. 3: Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick

Will der Gesetzgeber die Kommission zum Erlass delegierter Rechtsakte i.S.d. Art. 290 AEUV ermächtigen, muss die Ermächtigung im Rahmen eines Gesetzgebungsakts i.S.d. Art. 289 Abs. 3 AEUV erfolgen.14 Er hat im Basisrechtsakt Ziele, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer der Befugnisübertragung ausdrücklich festzulegen, Art. 290 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 1 AEUV. Diese in Art. 290 AEUV genannten Verpflichtungen kodifizieren die sich aus der bestehenden Rechtsprechung des EuGH15 entwickelten Anforderungen und dienen der erforderlichen Konkretisierung der Reichweite und des Zwecks der Befugnisübertragung als Rückbindung der Gesetzgebungstätigkeit der Kommission an die Willensbildung des Gesetzgebers.16 Pauschalermächtigungen sind daher nicht möglich.17 Der ordentliche Gesetzgeber hat also den Spielraum der Kommission in der Ausgestaltung der delegierten Befugnisse zu beschränken.18 Hinsichtlich der Dauer der Befugnisübertragung konnte man sich im Common Understanding auf einen einheitlichen Rahmen einigen. Hiernach soll der Basisrechtsakt vorsehen können, die Kommission sowohl auf unbestimmte Zeit19 als auch für einen bestimmten Zeitraum zu ermächtigen (entsprechend der sunset-clause vor der Lissabonner Zeit).20 Im Falle der Aufnahme bestimmter Zeiträume, soll sich die Befugnisübertragung stillschweigend um Zeiträume gleicher Länge erweitern, es sei denn, Parlament oder Rat widersprechen dieser automatischen Verlängerung spätestens drei Monate vor Ablauf des festgelegten Zeitraums.21 Die Kommission ist angehalten, spätestens neun Monate vor Ablauf des jeweiligen Zeitraums einen Bericht über die Befugnisübertragung zu erstellen.22

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F. Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 290 AEUV Rn. 17; Schoo, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 290 AEUV Rn. 8; Vedder, in: Vedder/Heintschel von Heinegg, Europäisches Unionsrecht, Art. 290 AEUV Rn. 3. 15 Vgl. EuGH, Urteil v. 12. 7. 2005, Alliance for Nataral Health u. a./Secretary of State for Health, verb. Rs. C-154/04 u. C-155/04, EU:C:2005:449, Rn. 90. 16 Möllers/von Achenbach, EuR 2011, 39, 52; F. Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze/ Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 290 AEUV Rn. 29. 17 Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 290 AEUV Rn. 9; F. Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 290 AEUV Rn. 29. 18 Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 290 AEUV Rn. 8. 19 Bereits 2010 ging das Parlament von einer solchen Möglichkeit aus, vgl. Ziff. 8 der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 5. Mai 2010 zur legislativen Befugnisübertragung, A7-0110/2010. 20 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, II (16), S. 11. 21 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, II (17) S. 1, S. 11. 22 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, II (17) S. 2, S. 11.

A. Der Ablauf des Lamfalussyverfahrens

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Hinsichtlich der technischen Regulierungsstandards enthält Art. 11 ESMA-VO eine Spezialregelung. Hiernach wird der Kommission die Befugnis zunächst für einen Zeitraum von vier Jahren übertragen.23 Diese Befugnisübertragung verlängert sich automatisch um Zeiträume gleicher Länge, es sei denn, Parlament und Rat üben ihr jederzeitiges Widerrufsrecht aus Art. 12 ESMA-VO aus.24 Des Weiteren müssen die Bedingungen, unter denen die Delegation erfolgt, ausdrücklich festgelegt werden, Art. 290 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 1 AEUV.25 Dieses Erfordernis wird durch die Regelungen zur Übertragungsdauer im Common Understanding nicht berührt.26 Mit den in Art. 290 Abs. 2 AEUV genannten Optionen sind die Kontrollmöglichkeiten von Rat und Parlament abschließend geregelt.27 Der Gesetzgeber muss zumindest eine dieser Bedingungen im Basisrechtsakt niederlegen.28 Er kann auch beide Instrumente kumulativ nutzen, ist hierzu aber nicht verpflichtet.29 Die Möglichkeiten der Kontrolle beschränken sich damit auf das Entziehen der Befugnis und dem Versagen des Inkrafttretens. Eine inhaltliche Gestaltungsmöglichkeit von Rat und Parlament ist damit allerdings nicht verbunden. Wiederum enthält die ESMA-VO spezielle Konkretisierungen der allgemeinen Kontrollmöglichkeiten in Artt. 12 und 13. Darüber hinaus hat sich das Europäische Parlament in seiner Geschäftsordnung verpflichtet, die Kriterien des Ziels, Inhalts, Geltungsbereichs und der Dauer sowie der Bedingungen, unter denen die Übertragung erfolgt, besonders achtsam zu prü23

Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 1 ESMA-VO. Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 3 ESMA-VO. 25 Hierzu unten unter A. II. 1. a) aa) und bb). 26 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, II (17) S. 3, S. 11. 27 Für eine abschließende Regelung Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., Art. 290 AEUV Rn. 9; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 66; Schoo, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 295 Rn. 13; Kotzur, in: Geiger/ Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 7; F. Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze/ Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art 290 AEUV Rn. 32; Bast, CML Rev. 2012, 885, 917; Kröll, ZÖR 2011, 253, 276; Hofmann/Türk, ZG 2012, 105, 121; Hofmann, ELJ 2009, 482, 493; Kaeding/Hardacre, ELJ 2013, 382, 386; auch die Kommission geht von einem taxativen Charakter der Möglichkeiten aus, vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Umsetzung von Artikel 290 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, KOM(2009) 673 endg. v. 9. 12. 2009, S. 8; Ziff. 61 der Implementation of the Treaty of Lisbon, Delegated Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2011) 855; ebenso die Rechtsgutachten des juristischen Dienstes des Rates vom 31. 3. 2010, Nr. 8177/ 10, § 10 und vom 14. 4. 2011, Nr. 8970/11, §§ 20, 21; Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 31. Andere Ansicht Scharf, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht: Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, S. 19; Garzón Clarina, ERA Forum 2011, 105, 127. Auch das Parlament ging von einem rein beispielhaften Charakter der Aufzählung und einer möglichst umfassenden Ermessensfreiheit aus, vgl. Ziff. 2 der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 5. Mai 2010 zur legislativen Befugnisübertragung, P7_TA(2010)0127. 28 Andere Ansicht Fabricius, ZEuS 2011, 567, 585 f. 29 Ziff. 62 der Implementation of the Treaty of Lisbon, Delegated Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2011) 855. 24

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Kap. 3: Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick

fen.30 Fehlen dem ermächtigenden Gesetzgebungsakt die obligatorischen Festlegungen des Art. 290 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 1 AEUV oder sind diesbezügliche Vorgaben zu unbestimmt, um die ihnen zugedachten Steuerungsleistungen zu erbringen, ist die Ermächtigung nichtig.31 Dasselbe gilt für einen delegierten Rechtsakt, der den in Erfüllung der Festlegungspflicht aus Art. 290 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 1 AEUV gesteckten Rahmen überschreitet.32 Bedarf es hingegen der einheitlichen Durchführung der verbindlichen Rechtsakte der Union, so werden mit dem Rahmenrechtsakt der Kommission (in Sonderfällen dem Rat) Durchführungsbefugnisse übertragen.33 Was unter Durchführung zu verstehen ist, lässt sich dem Art. 291 AEUVaus sich heraus nicht entnehmen. Er umfasst legislative Maßnahmen, administrative Maßnahmen34 und judikativen Vollzug35 und ist weit auszulegen.36 Das Bedürfnis nach einheitlicher Durchführung begründet entgegen dem Wortlaut von Art. 291 Abs. 2 AEUV („werden“) keine Pflicht zur Übertragung, da Art. 291 AEUV, wie auch seine Vorgängervorschrift, nicht die vertikale Kompetenzabgrenzung betrifft.37 Verbindliche Rechtsakte der Union i.S.d. des Art. 291 AEUV, in denen die Kommission zur Durchführung ermächtigt werden kann, sind nicht nur Gesetzgebungsakte des ordentlichen Gesetzgebers, sondern auch delegierte Rechtsakte, sodass eine Subdelegation möglich ist.38 Bei der Prüfung 30

Vgl. Art. 40 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments der 8. Wahlperiode v. Januar 2017. 31 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 11; Riedel, EuR 2006, 512, 512. 32 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 11. 33 Es gibt allerdings auch Bereiche, in denen im Primärrecht selbst die Durchsetzung von Sekundärrecht durch die Kommission als Verwaltungsbehörde vorgesehen ist, Art. 17 Abs. 1 S. 5 EUV. Dies ist beispielsweise im Wettbewerbsrecht, Art. 101 ff. AEUV, im Beihilferecht, Art. 107 ff. AEUV; aber auch in der gemeinsamen Handelspolitik, Art. 207 Abs. 2 AEUV, der Fall. Hier bedarf es der Befugnisübertragung nach Art. 291 Abs. 2 AEUV nicht. 34 Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 291 AEUV Rn. 7 f. Andere Ansicht Stelkens, EuR 2012, 511, 543. 35 Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 291 AEUV Rn. 9; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 4 ff.; F. Schmidt, in: von der Groeben/ Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 291 AEUV Rn. 4; Kotzur, in: Geiger/Khan/ Kotzur, EUV/AEUV, Art. 291 AEUV Rn. 2; Möllers, EuR 2002, 483, 484; Pilniok/Westermann, VerwArch 2012, 379, 384. Andere Ansicht Stelkens, EuR 2012, 511, 542 f. 36 Auch individuelle Rechtsakte werden erfasst. Dies lässt sich schon anhand der Komitologieverordnung belegen, da diese in Art. 2 zwischen Durchführungsrechtsakten von allgemeiner Tragweite und sonstigen Durchführungsrechtakten differenziert. 37 So etwa auch Stelkens, EuR 2012, 511, 533 und Epiney, NVwZ 2012, 730, 736. Andere Ansicht etwa Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 291 AEUV Rn. 12. Siehe hierzu ausführlich unten unter Kapitel 4 A. II. 2. b) ee) (1). 38 Bast, CML Rev. 2012, 885, 923; Craig, ELR 2011, 671, 685; Kröll, ZÖR 2011, 253, 285; Hofmann/Türk in ZR 2012, S. 109; F. Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 291 AEUV Rn. 13. Auf Primärebene kommen Gesetzgebungsakte, aber auch Rechtsakte ohne Gesetzgebungscharakter, z. B. nach Art. 103 AEUV, in Betracht.

A. Der Ablauf des Lamfalussyverfahrens

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eines Vorschlags für einen Rechtsakt, in dem Durchführungsbefugnisse gemäß Art. 291 AEUV übertragen werden, hat sich das Parlament vorgenommen, insbesondere darauf zu achten, dass die Kommission bei der Ausübung von Durchführungsbefugnissen den Rechtsakt selbst in seinen nicht wesentlichen Teilen weder ändert noch ergänzt.39 Während die Kommission bei delegierten Rechtsakten vom Unionsgesetzgeber (Parlament und Rat) kontrolliert wird, erfolgt bei der Durchführungsrechtsetzung die Kontrolle durch die Mitgliedstaaten, Art. 291 Abs. 3 AEUV. Die allgemeinen Regeln und Grundsätze hierfür sind in der Komitologieverordnung geregelt.40

II. Stufe 2: Abgeleitete Rechtsetzung durch die Kommission Auf der Zweiten Stufe des Lamfalussyprozesses konkretisiert nun die Kommission, teilweise unter verbindlicher Mithilfe der ESMA (technische Standards), die auf erster Stufe erlassenen Rahmenrechtsakte. Auf dieser Stufe des Verfahrens muss, wie bereits angemerkt, zwischen vier unterschiedlichen Arten von Rechtsakten unterschieden werden. Das sind zum einen die autonom41, d. h. ohne verbindliche Zusammenarbeit mit der ESMA erlassenen Durchführungs- und delegierten Rechtsakte und zum anderen die technischen Standards in Form von technischen Durchführungs- oder Regulierungsstandards, an deren Erlass die ESMA verbindlich beteiligt ist. Diese von der Kommission auf Grundlage der Verordnungen über die Europäischen Aufsichtsbehörden erlassenen bindenden technischen Standards lassen sich allerdings genau genommen weder eindeutig der 2. noch der 3. Stufe zuordnen und werden deshalb auch teilweise auf einer Zwischenstufe angesiedelt (Stufe 2,5).42 Da technische Regulierungsstandards von der Kommission als delegierte Rechtsakte43 i.S.d. Art. 290 AEUV und technische Durchführungsstandards Auf Sekundärebene sind neben delegierten Rechtsakten auch Durchführungsrechtsakte denkbar. 39 Vgl. Art. 40 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments der 8. Wahlperiode v. Januar 2017. 40 Vgl. Art. 1 der Komitologieverordnung. 41 Mülbert/Sajnovits, ZBB 2012, 266, 267 sprechen insofern von „einfachen“ Durchführungs- und delegierten Rechtsakten in Abgrenzung zu den technischen Standards der ESMA. Klöhn, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, Einleitung Rn. 34 folgt dieser Terminologie. So spricht auch Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 874 von „einfacher“ Delegation und „einfacher“ Durchführungsbefugnisse. 42 So auch Goldmann/Purnhagen, VersR 2012, 29, 33; Gal, in: Dreher/Wandt, Solvency II in der Rechtsanwendung 2014, S. 14 f.; vgl. auch Weber-Rey/Horak, WM 2013, 721, 723 f., die von „Stufe 2+ Maßnahmen“ sprechen. 43 Vgl. Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 und 5 der ESMA-VO sowie Erwägungsgrund 23 der ESMA-VO.

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Kap. 3: Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick

als Durchführungsrechtsakte44 i.S.d. Art. 291 AEUV erlassen werden, soll im Weiteren das Verfahren der Regulierungsstandard bei den delegierten Rechtsakten und das Verfahren bei den Durchführungsstandards bei den Durchführungsrechtsakten dargestellt werden. Delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte sind zwar aufgrund ihres Entstehungsprozesses keine Gesetzgebungsakte i.S.d. Art. 289 Abs. 3 AEUV, die nur im Wege des ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden können, sind aber gleichermaßen verbindlich, können unmittelbare Geltung beanspruchen und unmittelbare innerstaatliche Wirkung entfalten.45 Wie bereits geschildert führt die Kommission nicht nur bei ihren Gesetzgebungsinitiativen, sondern auch für die abgeleitete Rechtsetzung umfangreiche Konsultationen und Folgeabschätzungen durch.46 1. Delegierte Rechtsetzung Bei der delegierten Rechtsetzung kann, wie bereits angedeutet, zwischen den autonomen bzw. selbständigen oder auch einfachen delegierten Rechtsakten und den technischen Regulierungsstandards unterschieden werden. Für die Ausgestaltung des Basisrechtsakts durch delegierte Rechtsetzung kann, anders als bei der Durchführungsrechtsetzung, ausschließlich die Kommission ermächtigt werden.47 Eine Befugnisübertragung ist darüber hinaus nur in Gesetzgebungsakten möglich, Art. 290 Abs. 1 AEUV. Ebenso enthält Art. 290 AEUV selbst keine Regelungen, die sich unmittelbar oder mittelbar auf das Verfahren zum Erlass delegierter Rechtsakte beziehen; insbesondere ist für ein sekundärrechtlich konstituiertes Verfahren wie etwa die Komitologieverordnung kein Raum.48 Ein derartiger horizontaler Rechts44

Vgl. Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 1 und 5 der ESMA-VO sowie Erwägungsgrund 25 der ESMA-VO. 45 Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 289 AEUV Rn. 16. 46 Vgl. hierzu auch Comission Staff Working Document: Better Regulation Guidelines, SWD (2017) 350, v. 7. 7. 2017. 47 So bereits der Vertrag über eine Verfassung für Europa von 2004; vgl. auch BT-Drs. 15/ 4900, S. 263. 48 Möllers/von Achenbach, EuR 2011, 39, 41; Sydow, JZ 2012, 157, 159, 162; Sohn/Koch, cepKommentar, Umsetzung von Artikel 290, S. 17; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 67; Burson-Marsteller, Comitology, S. 1 ff.; Kotzur, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 7; Schoo, in: Schwarze, EUKommentar, Art. 290 AEUV, Rn. 20; Vedder, in: Vedder/Heintschel von Heinegg, Europäisches Unionsrecht, Art. 291 AEUV Rn. 12; von Achenbach, in: Bergmann, Handlexikon der Europäischen Union, S. 586; Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., Art. 290 AEUV Rn. 12; Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 290 AEUV Rn. 12; Scharf, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht: Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, S. 23; EIPA Leitfaden, Delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte: Die neue Komitologie, 2011, S. 14; Edenharter, DÖV 2011, 645, 647; Schusterschitz, in: Hummer/ Obwexer, Der Vertrag von Lissabon, S. 230 f.; F. Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art 290 AEUV Rn. 32; Kröll, ZÖR 2011, 253, 279; Schlacke, JöR

A. Der Ablauf des Lamfalussyverfahrens

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rahmen zur Festlegung der Ausübungsmodalitäten kann auch nicht auf Rechtsgrundlage von Art. 291 Abs. 3 AEUV erlassen werden.49 Hieran ändert auch die von der Kommission abgegebene Erklärung Nr. 39 für delegierte Rechtsakte im Finanzdienstleistungssektor aufgrund ihrer unverbindlichen Natur nichts.50 Eine Verpflichtung, die über den in Art. 290 Abs. 2 AEUV gesteckten Rahmen hinausgeht, kann zwar durch den ordentlichen Gesetzgeber nicht vorgeschrieben werden,51 ebenso muss dem Erlass eines delegierten Rechtsakts kein Vorschlag an andere Organe vorweggehen.52 Art. 290 AEUV steht jedoch einer fakultativen53 oder auf einer Selbstbindung der Kommission beruhenden (unverbindlichen) Konsultation nicht entgegen, sodass die Kommission Verfahren etablieren kann, in denen sie sich des Sachverstandes der Mitgliedstaaten, Behörden oder anderer Experten oder Interessenvertretungen bedient sowie etwaige Informationssysteme.54 In tatsächlicher 2013, 293, 294; Craig, Lisbon Treaty, S. 59, 75; Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, KOM(2009) 673 endg. v. 9. 12. 2009, S. 6 f. Es verwundert deshalb, dass im offiziellen Register die Möglichkeit besteht, alle delegierten Rechtsakte anzeigen zu lassen, für die die Komitologieverordnung Rechtsgrundlage ist. In der Anzeige selbst ist dann erwartungsgemäß kein einziger Rechtsakt aufgeführt. Vergleiche unter http://eur-lex.europa.eu/le gal-content/EN/ALL/?uri=uriserv:OJ.L_.2011.055.01.0013.01.DEU (zuletzt abgerufen am 30. 4. 2020). Nach einem entsprechenden Hinweis des Verfassers an das Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union am 1. 6. 2018 wurde nach Prüfung der Angelegenheit am 12. 6. 2018 mittgeteilt, dass der irreführende Link leider nicht entfernt werden könne, da „dieser Link in der Vorlage für Akten Standard ist. Aus diesem Grund können diese Links nicht manipuliert werden.“ 49 Töller in ZÖV 2011, S. 274; Driessen, ELR 2010, 837, 846. Andere Ansicht Hofmann, ELJ 2009, 482, 500, der davon ausging, man könne die Ausübungsmodalitäten beider Spielarten in einer Komitologieverordnung regeln, die die jeweiligen Besonderheiten berücksichtigt. 50 Dies folgt im Umkehrschluss zu Art. 51 EUV, wonach allein Protokolle und Anhänge Bestandteile des Gründungsvertrages werden, sodass alle zum Lissabon-Vertrag abgegebenen Erklärungen unverbindlich sind, vgl. Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 52; Sohn/Koch, cepKommentar, Umsetzung von Artikel 290, S. 19. 51 Kotzur, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 7; Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 32. 52 Art. 17 Abs. 2 S. 1 EUV statuiert zwar, dass ein Gesetzgebungsakt nur auf Vorschlag der Kommission erlassen werden darf, bei delegierten Rechtsakten handelt es sich jedoch nicht um Gesetzgebungsakte, da sie von der Kommission und nicht vom ordentlichen Gesetzgeber erlassen werden, vgl. Art. 289 Abs. 3 AEUV. Andere Rechtsakte als Gesetzgebungsakte werden dann auf Grundlage eines Kommissionsvorschlags erlassen, wenn dies in den Verträgen vorgesehen ist, Art. 17 Abs. 2 S. 2 EUV. So etwas ist allerdings für die delegierte Rechtsetzung in den Verträgen nicht vorgesehen worden. 53 Bereits in diese Richtung Ziff. 7 der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 5. Mai 2010 zur legislativen Befugnisübertragung, A7-0110/2010. Siehe auch Wolfram, cepStudie, Abgeleitete Rechtsetzung durch Komitologieverfahren in der EU, S. 18. 54 Siehe etwa Art. 295 AEUV. Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., Art. 290 AEUV Rn. 12; Scharf, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht: Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, S. 23; Leixner, BMF Working Paper: Komitologie und Lamfalussyverfahren im Finanzdienstleistungsbereich, S. 36; Schusterschitz, in: Hummer/

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Kap. 3: Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick

Hinsicht nutzt die Kommission das Fachwissen aller Mitgliedstaaten, da sie zur Erkenntnis gelangt ist, es seien die Behörden der Mitgliedstaaten, die für die Umsetzung der delegierten Rechtsakte nach ihrer Annahme verantwortlich seien und diese Annahme leichter und „widerstandsloser“ stattfinde, wenn die Mitgliedstaaten am Schaffungsprozess beteiligt waren. Die Konsultationen sind darüber hinaus auch deshalb notwendig, um sicherzustellen, dass die delegierten Rechtsakte aus technischer und rechtlicher Sicht den im Basisrechtsakt festgelegten Zielen in vollem Umfang entsprechen.55 So haben Kommission, Rat und Parlament mit der 2016 zwischen den Institutionen getroffenen interinstitutionellen Vereinbarung (Common Understanding) dem Erlassverfahren für delegierte Rechtsakte allgemein einen (verbindlichen) Rahmen vorgegeben.56 Ebenso wurden mit der Rahmenvereinbarung über die Beziehung zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission von 2010 ein Informationsaustauch und dessen Modalitäten geregelt.57 Die Vereinbarungen gelten nebeneinander58 und überschneiden sich teilweise.59 Sie lassen jedoch die Besonderheiten des Verfahrens zur Ausarbeitung technischer Regulierungsstandards durch die ESA unberührt, sodass ihm unbeschadet der in dieser Vereinbarung festgelegten Konsultationsverfahren Rechnung getragen wird.60 Diese Klarstellung erfolgt deshalb, weil auch die technischen Regulierungsstandards von der Kommission gebilligt und von ihr, wie bereits erwähnt, als delegierte Rechtsakte erlassen werden.61 Obwexer, Der Vertrag von Lissabon, S. 231 f.; Möllers/von Achenbach, EuR 2011, 39, 54; Kröll, ZÖR 2011, 253, 280; Craig, Lisbon Treaty, S. 58 ff.; Ziff. 87 ff. der Implementation of the Treaty of Lisbon, Delegated Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2011) 855. 55 Ziff. 87 der Implementation of the Treaty of Lisbon, Delegated Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2011) 855. 56 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, S. 10. Siehe auch oben unter Kapitel 2 E. II. 2. 57 Rahmenvereinbarung über die Beziehung zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission, ABl. Nr. 304 v. 20. 11. 2010, S. 47. 58 Vgl. Erklärung des Europäischen Parlaments und der Kommission anlässlich der Annahme der interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung vom 13. April 2016, ABl. Nr. L 124 v. 13. 5. 2016, Anhang, S. 1 sowie Art. 19 Abs. 1 der Mitteilung an die Kommission: Rahmenregelung für Expertengruppen der Kommission: Horizontale Bestimmungen und Öffentliches Register, C(2016) 3300 final v. 30. 5. 2016, S. 14. 59 So regeln beide Vereinbarungen den Informationsaustausch zwischen Kommission und Parlament im Vorfeld des Erlasses eines delegierten Rechtsakts. 60 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, Fußnote, S. 10. 61 So heißt es in Erwägungsgrund 23 der EBA- und ESMA-VO und in Erwägungsgrund 22 der EIOPA-VO, dass die Kommission die Entwürfe technischer Regulierungsstandards mittels Delegierter Rechtakte nach Art. 290 AEUV billigt, um diesen verbindliche Rechtswirkung zu verleihen. Hierzu Kahl, in: Braumüller et al., Die neue Europäische Finanzaufsicht – ZFR

A. Der Ablauf des Lamfalussyverfahrens

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Vor Erlass der delegierten Rechtsakte sind gemäß der getroffenen Vereinbarung die von den einzelnen Mitgliedstaaten benannten Sachverständigen bei der Ausarbeitung der Entwürfe von der Kommission anzuhören.62 Hierzu werden den Sachverständigen die Entwürfe der delegierten Rechtakte zugeleitet.63 Die (unverbindlichen) Konsultationen finden in bestehenden Sachverständigengruppen oder in adhoc-Sitzungen statt,64 für deren rechtzeitige Vorbereitung den Sachverständigen nicht nur die Entwürfe der delegierten Rechtsakte, sondern auch der Entwurf der betreffenden Tagesordnung sowie alle sonstigen einschlägigen Dokumente zeitig übermittelt werden.65 Am Ende jeder Sitzung oder im Zuge der Nachbereitung einer Sitzung legen die Kommissionsdienststellen ihre Schlussfolgerungen aus der Diskussion dar und erläutern, wie sie den Auffassungen der Sachverständigen Rechnung tragen werden und wie sie weiter zu verfahren gedenken.66 Wird ein Entwurf inhaltlich geändert, so hat die Kommission den Sachverständigen Gelegenheit zu geben, zu der geänderten Fassung (unverbindlich) Stellung zu nehmen.67 Hierdurch soll erreicht werden, dass sich die Akzeptanz des europäischen Rechtsetzungshandelns in den Mitgliedstaaten erhöht und gewährleistet wird, dass kein nationales Interesse unerkannt bleibt. Die Konsultationspflicht der Expertengruppe bestehend aus Sachverständigen der Mitgliedstaaten lässt jedoch eine weitere unverbindliche Beratung von anderen Experten(gruppen) unberührt. Die Zusammensetzung der Expertengruppen kann im Übrigen höchst unterschiedlich sein.68 Im Bereich der Finanzdienstleistungen weist das Verfahren zum Erlass delegierter Rechtsakte wiederum einige Besonderheiten auf. So ist es üblich, dass die Kommission die ESMA um technical advice69 bittet,70 obwohl sie hierfür auf die ESMA Jahrestagung 2011, S. 58 ff.; Lehmann/Manger-Nestler, EuZW 2010, 87, 12; Weber-Rey/ Horak, WM 2013, 721, 724. 62 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, II (4) S. 1, S. 10 ( Es handelt sich hierbei nicht um die Komitologieausschüsse). 63 Ebenda, Anhang, II (4) S. 2, S. 10. 64 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, II (4) S. 3, S. 10. 65 Ebenda, Anhang, II (4) S. 5, S. 10. 66 Ebenda, Anhang, II (5) S. 1, S. 10. 67 Ebenda, Anhang, II (7) S. 10. 68 Die Kommission teilt die Herkunft der Mitglieder in sechs unterschiedliche Kategorien ein, von unabhängig und im öffentlichen Interesse handelnden Einzelpersonen (Mitglieder des Typ A) bis öffentlichen Einrichtungen wie Behörden aus Nicht-EU-Ländern (beispielsweise Kandidatenländern), Einrichtungen, Ämter oder Agenturen der EU sowie internationale Organisationen (Mitglieder des Typ E), siehe hierzu Beschluss der Kommission vom 30. 5. 2016 zur Festlegung horizontaler Bestimmungen über die Einsetzung und Arbeitsweise von Expertengruppen der Kommission, C(2016) 3301 final v. 30. 5. 2016, S. 7 f. 69 Als Rechtsgrundlage hierfür kommt Art. 8 Abs. 1 lit. a ESMA-VO in Betracht, sofern es einer solchen überhaupt bedarf. Denn die Beratung hat in keiner Weise bindenden Charakter.

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Kap. 3: Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick

nicht angewiesen ist.71 Durch die Konsultation der ESMA wird letztlich auch dem Versprechen der Kommission in der Erklärung Nr. 39 zu Art. 290 AEUV zur Schlussakte der Regierungskonferenz Rechnung getragen.72 Die ESMA hat hierbei aufgrund ihrer Expertise maßgeblichen Einfluss auf die delegierte Rechtsetzung.73 Ebenso wird die Kommission bei der Regulierung des Finanzdienstleistungsbereichs bei der delegierten Rechtsetzung74 unter anderem75 im Banken- und Versicherungssektor76 durch die Expert Group on Banking, Payments and Insurance (EGBPI)77 und im Wertpapiersektor durch die Expert Group of European Securities Committee (EGESC)78 unterstützt.79 Es soll hier jedoch nochmals klargestellt werden, dass diese Gremien hinsichtlich der Unterstützung bei der Ausarbeitung delegierter Rechtsakte nicht als Komitologieausschüsse auftreten, sondern lediglich 70

So forderte etwa die Kommission die ESMA bereits vor Verabschiedung der Marktmissbrauchsverordnung Ende 2013 zur Unterstützung bei Erlass (autonomer) delegierter Rechtsakte auf, vgl. Request to ESMA for technical Advice on possible Delegated Acts concerning the regulation on Insider Dealing and Market Manipulation (Market Abuse), 08/10/ 2013, Ref. Ares(2013)3304576 – 21/10/2013. Eine solche Pflicht wurde allerdings auch schon im Basisrechtsakt geregelt. So ordnet etwa Art. 82 Abs. 3 der Verordnung Nr. 648/2012 an, dass vor dem Erlass eines delegierten Rechtsakts die Kommission nach Möglichkeit die ESMA konsultiert. 71 Veil, ZGR 2014, 544, 553. 72 Vgl. Erwägungsgrund 21 S. 2 der ESMA-VO. 73 Walla, BKR 2012, 265, 267. 74 Insofern missverständlich Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl., § 14 Rn. 14.49, die die Expertengruppen als Level-2-Ausschüsse und damit als Komitologieausschüsse bezeichnen. Einzig das European Insurance and Occupational Pensions Committee (EIOPC) ist ein Komitologieausschuss im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 182/2011. 75 Daneben existieren noch zahlreiche weitere beratende Expertengruppen. Siehe hierzu auch unter https://ec.europa.eu/info/node/8473/#comitology-committees-working-on-financialregulation (zuletzt abgerufen am 30. 4. 2020). 76 Das European Insurance and Occupational Pensions Committee (EIOPC) spielt keine Rolle mehr bei der Ausarbeitung der delegierten Rechtsakte. Nichts desto weniger ist das EIOPC der Kommission natürlich weiterhin als Komitologieausschuss bei der Durchführungsrechtsetzung an die Seite gestellt. 77 Das Gremium setzt sich aus von den EU-Ländern benannten Experten zusammen und stellt der Kommission ihre (unverbindliche) Expertise bei der Ausarbeitung von Entwürfen delegierter Rechtsakte zur Verfügung. Vgl. auch den Internetauftritt der Gruppe unter https://ec. europa.eu/info/business-economy-euro/banking-and-finance/financial-reforms-and-their-pro gress/regulatory-process-financial-services/expert-groups-comitology-and-other-committees/ex pert-group-banking-payments-and-insurance_en (zuletzt abgerufen am 30. 4. 2020). 78 Das Gremium setzt sich ebenfalls aus Experten der Mitgliedstaaten zusammen und unterstützt die Kommission im Bereich des Kapitalmarktrechts. Wer allerdings Mitglied dieser Gruppe ist, wird weder aus der Internetdarstellung der Kommission noch aus einer anderen öffentlichen Quelle ersichtlich. Die genaue Arbeitsweise bleibt ebenfalls ein Geheimnis. 79 Siehe zur vollständigen Darstellung aller im Finanzdienstleistungsbereich tätigen Expertengruppen das Register der Kommission abrufbar unter http://ec.europa.eu/transparency/re gexpert/index.cfm?do=transparency.showList (zuletzt abgerufen am 30. 4. 2020).

A. Der Ablauf des Lamfalussyverfahrens

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(unverbindlich) beratende Funktion haben.80 Die Errichtung und Arbeitsweise der Expertengruppen regelt der im Mai 2016 erlassene Beschluss zur Festlegung horizontaler Bestimmungen bzgl. der Expertengruppen.81 Bei der Vorbereitung und Ausarbeitung delegierter Rechtsakte werden durch verbindliche interinstitutionelle Vereinbarungen nicht nur die Beteiligung der Mitgliedstaaten, sondern darüber hinaus auch die Einbeziehung des Parlaments und des Rates geregelt.82 So hat die Kommission dafür zu sorgen, dass bei der Vorbereitung und Ausarbeitung delegierter Rechtsakte alle Dokumente einschließlich der Rechtsaktentwürfe zur gleichen Zeit und in gleichem Umfang wie den Sachverständigen der Mitgliedstaaten auch dem Europäischen Parlament83 und dem Rat übermittelt werden.84 Eine solche Informationspflicht wurde allerdings schon vor dem Common Understanding in die Erwägungsgründe der einzelnen Basisrechtsakte aufgenommen.85 Parlament86 und Rat können jeweils Sachverständige zu den Sitzungen der mit der Ausarbeitung von delegierten Rechtsakten befassten Sachverständigengruppe der Kommission, zu denen die Sachverständigen der Mitgliedstaaten eingeladen werden, entsenden.87 Hierfür erhalten sie den Zeitplan sowie die Tagesordnungen und Einladungen zu den kommenden Sachverständigensitzungen.88 Ebenso kann die Kommission an Sitzungen des Rates oder des Parlaments teil80 Die Klarstellung der Unverbindlichkeit ist der Kommission verständlicherweise ein besonderes Anliegen, vgl. Ziff. 88 der Implementation of the Treaty of Lisbon, Delegated Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2011) 855. 81 Beschluss der Kommission vom 30. 5. 2016 zur Festlegung horizontaler Bestimmungen über die Einsetzung und Arbeitsweise von Expertengruppen der Kommission, C(2016) 3301 final v. 30. 5. 2016. Vgl. auch Mitteilung an die Kommission: Rahmenregelung für Expertengruppen der Kommission: Horizontale Bestimmungen und Öffentliches Register, C(2016) 3300 final v. 30. 5. 2016. 82 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, S. 1 und Rahmenvereinbarung über die Beziehung zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission, ABl. Nr. L 304 v. 20. 11. 2010, S. 47. 83 Rahmenvereinbarung über die Beziehung zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission, ABl. Nr. L 304 v. 20. 11. 2010, Anhang I, Ziff. 2, S. 55. 84 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, II (10), S. 11. 85 Vgl. etwa Erwägungsgrund 81 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014. 86 Rahmenvereinbarung über die Beziehung zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission, ABl. Nr. L 304 v. 20. 11. 2010, Anhang I, Ziff. 3, S. 55. 87 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, II (11) S. 1, S. 11. 88 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, II (11) S. 1, S. 11; Rahmenvereinbarung über die Beziehung zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission, ABl. Nr. L 304 v. 20. 11. 2010, Anhang I, Ziff. 2, S. 55.

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Kap. 3: Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick

nehmen, um den Gedankenaustausch hinsichtlich der Ausarbeitung delegierter Rechtsakte weiter voranzutreiben.89 Zum Zwecke des Informationsaustausches sind Vorkehrungen für die Übermittlung der Dokumente getroffen worden,90 insbesondere für den Umgang mit Verschlusssachen.91 Darüber hinaus konnte man sich noch auf die Verwendung von Standardklauseln bei der Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen einigen.92 Zwar regeln die interinstitutionellen Vereinbarungen und Abreden keine Rechtsfolgen, wenn gegen die gemeinsam ausgehandelten Regelungen verstoßen wird. Sofern das Vereinbarte jedoch rechtsverbindlich ist, kann ein Verstoß im Verfahren nach Art. 263 AEUV geltend gemacht werden.93 a) Delegierte Rechtsakte der Kommission ohne ESMA-Beteiligung Ist die Kommission ermächtigt worden, einen delegierten Rechtsakt zu erlassen, richtet sich das weitere Verfahren ausschließlich nach Art. 290 AEUV. Die Kommission hat (anders als bei den technischen Regulierungsstandards) das Initiativrecht zum Erlass delegierter Rechtsakte, die den Basisrechtsakt gemäß den festgelegten Zielen und innerhalb des Inhalts und Umfangs der Befugnisübertragung in nicht wesentlichen Aspekten ergänzt oder ändert. Der Kommission steht in diesen festgelegten Grenzen ein gewisser Ermessensspielraum zu, da sie an des Gesetzgebers statt tätig wird und ihr damit quasi-legislative Befugnisse übertragen werden.94 Mag auch die Bezeichnung der durch die Kommission erlassenen Maßnahmen in der deutschen Fassung95 des Art. 290 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV als „Rechtsakte ohne 89

Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Abs. 28 Unterabs. 5, S. 6. 90 Vgl. z. B. Rahmenvereinbarung über die Beziehung zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission, ABl. Nr. L 304 v. 20. 11. 2010, Anhang II, S. 56 ff.; sowie die Rahmenregelung für Expertengruppen der Kommission: Horizontale Bestimmungen und öffentliches Register, C(2016) 3300 final v. 30. 5. 2016, S. 14. 91 Vgl. hierzu z. B. die Sicherheitsvorschriften der Kommission zum Schutz von EU-Verschlusssachen, festgelegt in Beschluss (EU, Euratom) 2015/443 der Kommission vom 13. März 2015 über Sicherheit in der Kommission, ABl. Nr. L 72 v. 17. 3. 2015, S. 41 und Beschluss (EU, Euratom) 2015/444 der Kommission vom 13. März 2015 über die Sicherheitsvorschriften für den Schutz von EU-Verschlusssachen, ABl. Nr. L 72 v. 17. 3. 2015, S. 53. 92 Siehe Anlage der Interinstitutionellen Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, S. 13. 93 Möllers/von Achenbach, EuR 2011, 39, 59. 94 So schon Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, KOM(2009) 673 endg. v. 9. 12. 2009, S. 3 f.; Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 39. 95 Die englische und französische Fassung sind hingegen treffender („non-legislative acts“/ „actes non législatifs“).

A. Der Ablauf des Lamfalussyverfahrens

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Gesetzescharakter“ hieran Zweifel wecken, so spricht der Gesetzestext dennoch von Rechtsakten „mit allgemeiner Geltung“, Art. 290 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV.96 Delegierte Rechtsakte werden in der Regel als Verordnungen oder Richtlinien verabschiedet. Des Weiteren können sie auch als Beschlüsse erlassen werden,97 was jedoch in der Praxis eher die Ausnahme ist.98 Ferner ist auch der Erlass als Plan oder Maßnahme denkbar.99 Obgleich es sich um Vollziehungsmaßnahmen handelt, müssen die Maßnahmen nach dem Wortlaut des Art. 290 AEUV („Rechtsakte […] mit allgemeiner Geltung“) aber stets genereller Natur sein; der Erlass von Einzelmaßnahmen ist nicht möglich.100 Denkbar wäre auch eine Vorgabe hinsichtlich der zu nutzenden Rechtsetzungsart durch den Basisrechtsakt.101 Bei der Ausarbeitung delegierter Rechtsakte wird die Kommission, wie bereits oben beschrieben, von den Mitgliedstaaten und Expertengruppen in unverbindlicher Weise unterstützt. Im Rahmen der Agenda für bessere Rechtsetzung der Kommission können auch Bürgerinnen und Bürger sowie andere Interessenträger während eines Zeitraums von vier Wochen Anmerkungen zum Entwurf eines delegierten Rechtsakts machen.102

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Vgl. Sydow, JZ 2012, 157, 158; Wolfram, cep-Studie, Abgeleitete Rechtsetzung durch Komitologieverfahren in der EU; S. 16. 97 Der Beschluss muss dann aber abstrakt-genereller Natur sein. Aus Art. 288 Abs. 4 S. 2 AEUV wird klar, dass auch Beschlüsse mit allgemeiner Geltung erlassen werden können. 98 Eine Suche im System des EUR-Lex am 9. 8. 2018 ergab aber immerhin 26 delegierte Beschlüsse. Diese Rechtsform wird schon seit geraumer Zeit benutzt und auch in neuerer Zeit immer noch verwendet. Siehe etwa den delegierten Beschluss der Kommission vom 8. Februar 2012 zur Änderung von Anhang III des Beschlusses Nr. 1080/2011/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über eine Garantieleistung der Europäischen Union für etwaige Verluste der Europäischen Investitionsbank aus Darlehen und Darlehensgarantien für Vorhaben außerhalb der Union und zur Aufhebung des Beschlusses Nr. 633/2009/EG hinsichtlich Syriens, ABl. Nr. L 110 v. 24. 4. 20012, S. 38; delegierten Beschluss (EU) 2018/1007 der Kommission vom 25. April 2018 zur Ergänzung der Richtlinie 2009/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates bezüglich der Hafenliste und zur Aufhebung der Entscheidung 2008/ 861/EG der Kommission, ABl. Nr. L 180 v. 17. 7. 2018, S. 29. 99 Der Ausschluss solcher atypischen Handlungsformen gilt nach Art. 296 Abs. 3 AEUV nur für den Bereich der ordentlichen Gesetzgebung. 100 EuGH, Urteil v. 16. 7. 2015, Kommission/Parlament und Rat, C-88/14, EU:C:2015:499, Rn. 32; Ilgner, Die Durchführung der Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers durch die Europäische Kommission, Diss., 2014, S. 254; Scharf, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht: Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, S. 22; Leixner, BMF Working Paper: Komitologie und Lamfalussyverfahren im Finanzdienstleistungsbereich, S. 12; Schweitzer/Hummer/Obwexer, Europarecht, Rn. 483. Zweifelnd mit Blick auf die Funktionsverteilung zwischen gesetzgebenden Institutionen und der Kommission: Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 32. 101 Vgl. Klöhn, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, Einleitung Rn. 35, der dies zwar explizit nur für die Durchführungsrechtsaktsetzung erwähnt. Es ist allerdings kein Grund ersichtlich, weshalb dies nicht auch für die delegiete Rechtsaktsetzung gelten sollte. 102 Vgl. Darstellung der Kommission unter https://ec.europa.eu/info/law/law-making-proc ess/adopting-eu-law/implementing-and-delegated-acts_en (zuletzt abgerufen am 30. 4. 2020).

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Kap. 3: Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick

Kontrollmöglichkeiten ergeben sich aus Art. 290 Abs. 2 Unterabs. 1 AEUV. Da die Kommission anstelle des Gesetzgebers tätig wird, wird sie auch von diesem kontrolliert. Nach Art. 290 Abs. 2 Unterabs. 1 AEUV stehen dem ordentlichen Gesetzgeber hierzu zwei Möglichkeiten zur Verfügung. Zum einen können das Europäische Parlament oder der Rat beschließen, die Übertragung zu widerrufen, Art. 290 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. a AEUV (ex-post Kontrollrecht). Zum anderen kann der delegierte Rechtsakt nur in Kraft treten, wenn das Europäische Parlament oder der Rat innerhalb der im Rahmenrechtsakt festgelegten Frist keine Einwände erhebt, Art. 290 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. b AEUV (ex-ante Kontrollrecht). Beide Rechte sind in materieller Hinsicht unbegrenzt; lediglich die erforderlichen Stimmmehrheiten bilden eine Ausübungshürde. Das Parlament stimmt mit der Mehrheit seiner Mitglieder ab (und nicht nur mit Mehrheit der abgegebenen Stimmen), also mit dem Konsensquorum, das nach Art. 294 Abs. 7 lit. b und c AEUV in der zweiten Lesung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens für eine Abänderung oder Ablehnung des Standpunktes des Rates in erster Lesung vorgesehen ist. Der Rat hingegen beschließt mit „superqualifizierter“ Mehrheit, d. h. mit 72 % der Mitgliedstaaten, die mindestens 65 % der EU-Bevölkerung vertreten, Art. 16 Abs. 4 Unterabs. 3 AEUV, Art. 238 Abs. 2 AEUV. aa) Das Widerrufsrecht (Evokationsrecht) Der Gesetzgeber kann nach Art. 290 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. a AEUV die erteilte Befugnis jederzeit und ohne Vorliegen besonderer Gründe,103 nach Inkrafttreten des delegierten Rechtsakts, mit Wirkung ex-nunc widerrufen und so die Delegation zurückzuziehen, sofern diese Möglichkeit im Basisrechtsakt vorgesehen ist.104 Der Widerruf wirkt sich als solcher nicht auf die erlassenen Rechtsakte, sondern auf die Ermächtigungsgrundlage zum Erlass aus.105 Ausreichend für die Ausübung dieses Rechts ist die Willensbekundung eines der beiden Gesetzgeber („oder“). Nach Art. 290 Abs. 2 Unterabs. 2 AEUV erfolgt hierzu ein Beschluss des Parlaments mit der Mehrheit seiner Mitglieder oder des Rates mit qualifizierter Mehrheit. Das genaue Verfahren innerhalb des Parlaments ist in deren Geschäftsordnung widerge-

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Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 61; Sohn/Koch, cepKommentar, Umsetzung von Artikel 290, S. 21. 104 Kröll, ZÖR 2011, 253, 276; Achleitner/Soetopo/Wutscher, Der neue Rechtsrahmen für die Komitologie nach dem Vertrag von Lissabon, S. 10; F. Schmidt, in: von der Groeben/ Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 290 AEUV Rn. 36. 105 Der Gesetzgeber könnte alternativ den Basisrechtsakt mit der entsprechenden Befugnisübertragung durch einen actus contrarius in Form eines Gesetzgebungsakts i.S.d. Art. 289 Abs. 3 aufheben. Hierbei wären sie aber aufgrund des Initiativmonopols der Kommission (Art. 17 Abs. 2 EUV) zu einem Zeitpunkt von Kompetenzkonflikten auf deren Mitwirkung angewiesen.

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geben.106 Der Beschluss ist im Amtsblatt zu veröffentlichen (Reihe L) und tritt am Tag nach seiner Veröffentlichung in Kraft.107 Eine Billigung oder vorherige Anhörung des Mitgesetzgebers oder der Kommission ist nicht erforderlich.108 Eine solche findet im Wortlaut des Primärrechts keine Stütze und lässt sich auch über die Teleologie der Vorschrift nicht begründen.109 Dennoch ist man übereingekommen, wenn Parlament oder Rat ein Verfahren einleiten, das zum Widerruf der Befugnisübertragung führen könnte, den jeweils anderen Gesetzgeber und die Kommission spätestens einen Monat, bevor der Beschluss über den Widerruf ergeht, zu informieren.110 Der Widerruf kann nach dem Wortlaut des Art. 290 Abs. 2 AEUV nur vollständig erfolgen.111 Sofern sich die Befugnis jedoch sinnvollerweise in Bestandteile zerlegen lässt, ist auch ein teilweiser Widerruf der Ermächtigung als Minus zum gänzlichen Widerruf möglich112 und tatsächlich auch genutzt.113 Wird widerrufen, kann die Kommission ab dem Beschlusszeitpunkt des Widerrufes keine weiteren delegierten Rechtsakte auf Grundlage der widerrufenen Befugnis erlassen.114 So fehlt es auch noch nicht erlassenen Entwürfen an der 106 Siehe hierzu insbesondere Art. 105 Abs. 7 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments der 8. Wahlperiode v. Januar 2017. Der für den Basisrechtsakt zuständige Ausschuss kann dem Parlament einen Entschließungsvorschlag für einen Widerruf unterbreiten. 107 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, VII (25), S. 12. 108 Hofmann, ELJ 2009, 482, 492. Anders noch im Jahr 2009 die Kommission in der Mitteilung der Kommission, KOM(2009) 673 endg. S. 8 f. 109 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 61. 110 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, VIII (28), S. 12. Vgl. auch Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, KOM(2009) 673 endg, v. 9. 12. 2009, S. 9. 111 So auch bereits die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, KOM(2009) 673 endg. v. 9. 12. 2009, S. 8. 112 So auch Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, KOM(2009) 673 endg, v. 9. 12. 2009, S. 9; Ziff. 71 der Implementation of the Treaty of Lisbon, Delegated Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2011) 855 („wholly or partly“); Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 63; Sohn/Koch, cepKommentar, Umsetzung von Artikel 290, S. 21. 113 So gestattet es schon Art. 51 Abs. 3 S. 1 u. 2 der Verordnung (EU) 1169/2011 (Lebensmittelverordnung) jede Delegationsnorm einzeln zu widerrufen. Eine solche Vorgehensweise findet sich ebenfalls in Art. 35 Abs. 3 S. 1 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014. 114 Kröll, ZÖR 2011, 253, 276; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 61. Andere Ansicht Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 29, der den Zeitpunkt in das Ermessen des jeweiligen widerrufenden Organs stellen will. Wiederum andere Ansicht Härtel, Handbuch

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Kap. 3: Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick

Rechtsgrundlage. Wie sich der Widerruf auf bereits erlassene delegierte Rechtsakte auswirkt, lässt sich der Regelung allerdings nicht entnehmen. In Anbetracht dessen, dass der Gesetzgeber die bereits erlassenen Rechtsakte selbst beseitigen könnte und unter Berücksichtigung der Rechtssicherheit, ist jedoch davon auszugehen, dass bereits erlassene delegierte Rechtsakte unberührt vom Widerruf bleiben.115 Die Kommission ging hingegen davon aus, dass die sich ergebenden Rechtsfolgen im Ermessen des Gesetzgebers stünden und im Basisrechtsakt anzugeben seien.116 Weder die Verträge noch der Wortlaut der Norm stehen einer solchen Betrachtungsweise entgegen, sodass es denkbar und in der Praxis auch vorgekommen ist,117 bereits ex-ante im Basisrechtsakt das Schicksal der bereits erlassenen delegierten Rechtsakte zu regeln.118 bb) Einwände Alternativ zum Evokationsrecht sieht Art. 290 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. b AEUV eine Delegation unter Einspruchsvorbehalt vor. Anders als beim Widerspruchsvorbehalt erlaubt der Einspruchsvorbehalt keine gänzliche Zurücknahme der Delegation, sondern bezieht sich auf einzelne spezifische delegierte Rechtsakte, die die Kommission erlassen hat. Das Evokationsrecht kann also erst nach Erlass des Rechtsakts ausgeübt werden und hindert diesen am Inkrafttreten.119 Für die wirksame Erhebung von Einwänden ist es, wie beim Widerruf, ausreichend, wenn einer der

Europäische Rechtsetzung, S. 261 f., die sowohl ex-tunc als auch ex-nunc Wirkung für möglich hält. 115 F. Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 290 AEUV Rn. 36; Bast, CML Rev. 2012, 885, 917, Kröll in ZÖR, S. 276; Sohn/Koch, cepKommentar, Umsetzung von Artikel 290, S. 21; Achleitner/Soetopo/Wutscher, Der neue Rechtsrahmen für die Komitologie nach dem Vertrag von Lissabon, S. 10; Gellerman, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 290 AEUV Rn. 11. Andere Ansicht Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Das Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 64 (Wirksamkeit entfällt exnunc). 116 Vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, KOM(2009) 673 endg, v. 9. 12. 2009, S. 9. 117 So z. B. in Art. 35 Abs. 3 S. 3 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014. Siehe auch Art. 17a Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 1302/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1082/2006 über den Europäischen Verbund für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ) im Hinblick auf Präzisierungen, Vereinfachungen und Verbesserungen im Zusammenhang mit der Gründung und Arbeitsweise solcher Verbünde, ABl. Nr. L 347 v. 20. 12. 2013, S. 303. 118 So auch Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 64. 119 Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 31.

A. Der Ablauf des Lamfalussyverfahrens

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beiden Mitgesetzgeber die Maßnahme der Kommission rügt. Die Erhebung von Einwänden bedarf ebenso keiner besonderen Gründe oder Begründung.120 Über welche Frist der Gesetzgeber zur Prüfung eines delegierten Rechtsakts verfügt, kann von ihm in freiem Ermessen im Basisrechtsakt festgelegt werden.121 Es wurde allerdings vereinbart, dass die Frist für die Erhebung der Einwände grundsätzlich nicht weniger als zwei Monate betragen sollte und auf Ersuchen von Parlament oder Rat für jedes Organ um zwei weitere Monate verlängert werden kann.122 Die Frist beginnt, wenn Parlament und Rat den delegierten Rechtsakt in allen amtlichen Sprachfassungen erhalten haben.123 Hinsichtlich der Prüfung des übermittelten delegierten Rechtsakts wird der Rat von der RAG sowie dem AStV I bzw. AStV II unterstützt.124 Die Bestimmungen zum Verfahren innerhalb des Parlaments finden sich in Art. 105 der GO des Parlaments.125 Während des Prüfungszeitraumes unterliegt der Rechtsakt einer aufschiebenden Bedingung und kann deshalb nicht in Kraft treten.126 Um sicher zu stellen, dass Parlament und Rat ihre Kontrollrechte auch effektiv ausüben können, wurde vereinbart, keine delegierten Rechtakte zwischen dem 22.12. und 6.1., und zwischen dem 15.7. und 20.8. zu übermitteln;127 ausgenommen sind delegierte Rechtsakte, die im Dringlichkeitsverfahren128 erlassen werden.129 Haben sich bis zum Ablauf der im Basisrechtsakt festgelegten Frist sowohl Parlament als auch Rat verschwiegen, so wird der delegierte Rechtsakt im Amtsblatt

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Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 65. 121 Sohn/Koch, cepKommentar, Umsetzung von Artikel 290, S. 22. 122 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, V (18), S. 11. 123 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, III (15), S. 11. 124 Vgl. auch die derzeit geltende Geschäftsordnung des Rates, online abrufbar unter http:// www.consilium.europa.eu/media/29824/qc0415692enn.pdf (zuletzt abgerufen am 30. 4. 2020). 125 Nach Übermittlung des delegierten Rechtsakts an den zuständigen Ausschuss gibt dieser die Frist für Einwände bekannt. Er kann dem Parlament einen Entschließungsantrag über die Erhebung von Einwänden vorlegen, über den dann mit absoluter Mehrheit abgestimmt wird. Er kann auch empfehlen, vor Ablauf der Frist zu erklären, dass keine Einwände erhoben werden. 126 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 19. 127 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, III (14), S. 11. 128 Hierzu sogleich unter cc). 129 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, III (14) Unterabs. 3, S. 11.

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Kap. 3: Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick

(Teil L) veröffentlicht und tritt zu dem darin genannten Zeitpunkt in Kraft.130 Der delegierte Rechtsakt kann jedoch schon vor Ablauf der Frist im Amtsblatt veröffentlicht werden und damit schon vor Fristablauf in Kraft treten, wenn Parlament und Rat beide der Kommission mitgeteilt haben, dass sie keine Einwände erheben werden.131 Wird jedoch innerhalb der vorgesehenen Frist Einspruch erhoben, so kann der geplante Rechtsakt nicht in Kraft treten.132 cc) Dringlichkeitsverfahren Die Interinstitutionelle Vereinbarung sieht darüber hinaus ein Dringlichkeitsverfahren in Ausnahmefällen, wie z. B. sicherheitsrelevante Angelegenheiten, Gesundheitsschutz oder Außenbeziehungen einschließlich humanitärer Krisen vor, das in diesen vordefinierten Fällen das Inkrafttreten des delegierten Rechtsakts auch vor Ablauf der Frist des Art. 290 Abs. 2 S. 1 lit. b AEUV ermöglicht. Die Ausnahmetatbestände sollen im Basisrechtsakt von Parlament und Rat im Rahmenrechtsakt angegeben werden.133 Darüber wird die Möglichkeit eröffnet, auf besorgniserregende Marktgeschehnisse134 rasch zu reagieren.135 Sobald es für die Kommission absehbar ist, dass ein delegierter Rechtsakt im Dringlichkeitsverfahren erlassen werden muss, unterrichtet sie Parlament und Rat von ihrer Absicht136 und gibt die Gründe für die Anwendung des Verfahrens an.137 Ein hiernach erlassener Rechtsakt

130 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, VII (24), S. 12. 131 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, V (19), S. 12. 132 Sohn/Koch, cepKommentar, Umsetzung von Artikel 290, S. 24; Nettesheim, in: Grabitz/ Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 65. 133 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, VI (20), S. 12. 134 So mussten auf dem Höhepunkt der Finanzkrise schnellstens bestimmte Rechnungslegungsvorschriften geändert werden. Die Fristen des Regelungsverfahrens mit Kontrolle mussten damals erheblich gekürzt werden, damit in angemessenem Zeitraum reagiert werden konnte. Vgl. Sohn/Koch, cepKommentar, Umsetzung von Artikel 290, S. 24. 135 Im ganzen Finanzdienstleistungsbereich gibt es daneben natürlich auch die Möglichkeit, technische Standards zu erlassen. Zu deren inhaltlicher Leistungsfähigkeit siehe unter Kapitel 4 B. I. 2. 136 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, VI (21), S. 12. 137 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, VI (23), S. 12.

A. Der Ablauf des Lamfalussyverfahrens

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wird unverzüglich veröffentlicht138 und tritt unverzüglich in Kraft. Sollten aber Einwände i.S.d. Art. 290 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. b AEUV erhoben werden, hebt die Kommission den Rechtsakt unmittelbar nach der Übermittlung des Einspruchs auf und veröffentlicht diesen Beschluss im Amtsblatt.139 Ob die Aufhebung ex-nunc oder ex-tunc wirkt, ist aus dem Übereinkommen nicht ersichtlich. Entsprechend dem Widerruf und aus Gründen der Rechtssicherheit kann man wohl eine ex-nuncWirkung annehmen. b) Stufe 2,5: Technischer Regulierungsstandard (RTS) Die Kommission kann auf Grundlage der Verordnungen über die Europäischen Aufsichtsbehörden auch bindende technische Standards erlassen, sofern ihr hierzu die Ermächtigung vom ordentlichen Gesetzgeber verliehen wurde. Stellvertretend für die ESA soll im Weiteren die ESMA dienen, da sich die Verordnungen der Aufsichtsbehörden im Wesentlichen gleichen. Die ESMA muss vom Gesetzgeber im Basisrechtsakt einen konkreten Auftrag zum Tätigwerden erhalten. Art. 10 i.V.m. Art. 1 Abs. 2 ESMA-VO gewährt lediglich eine allgemeine Zuständigkeit.140 Bei den technischen Regulierungsstandards handelt es sich, wie bereits erwähnt, um delegierte Rechtsetzung i.S.d. Art. 290 AEUV.141 Durch die Standards werden die bestehenden Basisrechtsakte verbindlich ergänzt oder modifiziert.142 Unterschied zu den autonom von der Kommission erlassenen delegierten Rechtakten scheint auf den ersten Blick zu sein, dass die Regulierungsstandards technischer Natur sein müssen und keine strategischen und politischen Entscheidungen beinhalten dürfen, Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 2 ESMA-VO.143 Die Befugnis zum Erlass von technischen Regulierungsstandards wurde der Kommission für einen Zeitraum von vier Jahren ab dem 16. 12. 2010 übertragen144

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Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, VI (24), S. 12. 139 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, VI (22), S. 12. 140 So auch Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 60. 141 Weber-Rey/Horak, WM 2013, 721, 724; Gal, in: Dreher/Wandt, Solvency II in der Rechtsanwendung 2014, S. 15, Hitzer/Hauser, BKR 2015, 52, 54; Sonder, BKR 2012, 8, 9; Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 871. 142 Sonder, BKR 2012, 8, 9. 143 Siehe hierzu unter Kapitel 4 B. I. 2. 144 Art. 11 Abs. 1 S. 1 ESMA-VO ist unglücklich formuliert. Man könnte durch den Wortlaut den Eindruck gewinnen, dass die Befugnis zum Erlass technischer Regulierungsstandards erst durch Art. 10 ESMA-VO übertragen wird. Die Befugnis wird jedoch im Gesetzgebungsakt verliehen. Art. 10 ESMA-VO regelt nur das Erlassverfahren. Die Norm will

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Kap. 3: Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick

und verlängert sich automatisch um Zeiträume gleicher Länge. Damit soll die Möglichkeit der Behörde, technische Regulierungsstandards zu erlassen, zeitlich eingeschränkt werden.145 Grundsätzlich wird der Kommission in den Basisrechtsakten die Pflicht auferlegt, Entwürfe auszuarbeiten. In der Praxis sind allerdings auch Gestaltungen anzutreffen, die den Behörden die Wahl überlassen, ob sie tätig werden oder nicht; eine Pflicht zum Tätigwerden besteht erst, wenn die Kommission dies fordert.146 Der Tätigkeitsbereich der ESMA ist durch Art. 1 ESMA-VO geregelt. Sie wird auf der Grundlage aller verbindlichen Rechtsakte der Union tätig, die der Behörde Aufgaben übertragen147, insbesondere für den Erlass von Standards. Des Weiteren enthält Art. 1 Abs. 2 ESMA-VO eine Aufzählung von Sekundärrechtsakten, die vor Gründung der ESMA erlassen wurden. Diese wurden angepasst und enthalten nun insbesondere Befugnisse der Kommission zum Erlass von Standards unter Mitwirkung der ESMA. Das nachfolgende Verfahren zum Erlass solcher Standards findet unbeschadet der Vorschriften des Common Understanding Anwendung.148 Das Initiativrecht liegt anders als beim Erlass delegierter Rechtsakte nicht bei der Kommission, sondern steht nach Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 1 ESMA-VO grundsätzlich der ESMA zu. Zentrales Beschlussorgan und ebenso für die Ausarbeitung der Entwürfe der Standards verantwortlich ist der sogenannte Rat der Aufseher (Board of Supervisors),149 der mit qualifizierter Mehrheit seiner Mitglieder entscheidet.150 Die ESMA kann nun innerhalb der im Rahmenrechtsakt angegebenen Frist einen Entwurf für einen technischen Regulierungsstandard erstellen, sofern Parlament und Rat der Kommission in einem Gesetzgebungsakt die Befugnis erteilt haben, einen RTS in Gestalt eines delegierten Rechtsakts zu erlassen.151 Bevor die Behörde allerdings ihren Entwurf der Kommission übermittelt, führt sie diesbezügliche offene Konsultationen der Öffentlichkeit152 und der in Art. 37 ESMAallein die Gültigkeit der Kompetenzdelegation aus Art. 10 ESMA-VO zeitlich befristen, vgl. Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 60. 145 Art. 11 Abs. 1 ESMA-VO. 146 Vgl. etwa Art. 18 Abs. 4, Art. 19 Abs. 4, Art. 21 Abs. 12 der Verordnung (EU) 2017/ 1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/EG, ABl. Nr. L 168 v. 30. 6. 2017, S. 12. 147 Art. 1 Abs. 2 ESMA-VO. 148 Vgl. Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, Fußnote, S. 10. 149 Zu den internen Abläufen siehe auch die Geschäftsordnung des Gremiums, Rules of procedere: The Board of Supervisors, Stand 14. 12. 2016, ESMA/2012/BS/88 rev3. 150 Hierzu Boegl, Die Bank 2012, 14, 15; Boegl/Jäger, Die Bank 2014, 40, 42; Schammo, CML Rev. 2011, 1879, 1883. 151 Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 1 ESMA-VO. 152 Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 3 S. 1 ESMA-VO.

A. Der Ablauf des Lamfalussyverfahrens

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VO genannten Interessengruppe (SMSG)153 durch154 und analysiert die potentiell anfallenden Kosten sowie den Nutzen des Vorhabens.155 Ferner wird die Agentur bei ihrer täglichen Arbeit von Standing Committees156 unterstützt, insbesondere eben auch bei der Vorbereitung der auf Stufe 2 und 3 zu erlassenden Maßnahmen. Zum oben erwähnten Zweck der Öffentlichkeitsbeteiligung ist es für einen Zeitraum von jeweils vier Wochen möglich, sich auf der Eigendarstellung der Kommission im Internet zu dem entsprechenden Vorhaben zu äußern. Im Anschluss an die Konsultationen, wird ein Entwurf erarbeitet, über den der Rat der Aufseher entscheidet. Der so beschlossene Entwurf (Final Draft) ist sodann der Kommission zur Billigung vorzulegen157, die ihn ihrerseits umgehend an Parlament und Rat übermittelt.158 Die Kommission hat nun drei Monate Zeit darüber zu entscheiden, ob sie den Entwurf gänzlich billigt.159 Der Prozess der Entscheidungsfindung in der Kommission ist naturgemäß nicht in der Verordnung der Behörde geregelt. Hier kann aber auf das Verfahren zum Erlass einfacher delegierter Rechtsakte zurückgriffen werden.160 So kann sich die Kommission etwa durch Expertengruppen beraten lassen oder auf anderes Fachwissen zurückgreifen. Billigt sie ihn, erlässt sie den technischen Regulierungsstandard als delegierten Rechtsakt und übermittelt diesen gleichzeitig an Parlament und Rat.161 Will sie den Entwurf jedoch nicht, nur teilweise oder mit Änderungen billigen, müssen hierfür Gründe des Unionsinteresses vorliegen.162 Zudem hat sie in diesem Fall den Entwurf der ESMA zurückzusenden und sich ihr gegenüber zu erklären.163 Die ESMA kann nun ihren Entwurf anhand der Änderungsvorschläge der Kommission innerhalb eines Zeitraums von sechs Wochen ändern und ihn in Form einer

153 Die Zusammensetzung sowie die Stellungnahmen und Ratschläge der Securities and Markets Stakeholder Group können unter der Internetpräsentation der Gruppe auf der Homepage der ESMA unter https://www.esma.europa.eu/about-esma/governance/smsg eingesehen werden. Näher hierzu auch Procedure: ESMA Stakeholder Group Renewal Procedure 2018 v. 27. 6. 2018, ESMA22-106-1052. 154 Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 3 S. 2 ESMA-VO. 155 Siehe zum Verfahrensablauf auch die Grafik bei Boegl, Die Bank 2012, 14, 19. 156 In den Committees arbeiten Experten der nationalen Aufsichtsbehörden zusammen und werden dabei von Mitarbeitern der ESMA unterstützt. Beraten werden die SCs zusätzlich von externen Interessenvertretern. Näheres unter der Internetpräsenz der ESMA: https://www.esma. europa.eu/about-esma/working-methods/standing-committees. Eine sekundärrechtliche Grundlage für die SCs existiert nicht. Vgl. auch Veil, ZGR 2014, 544, 560 f.; Zülch/Hoffmann/ Detzen, EWS 2011, 167, 169. 157 Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 ESMA-VO. 158 Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 4 ESMA-VO. 159 Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 5 S. 1 ESMA-VO. 160 Boegl/Jäger, Die Bank 2014, 40, 42. 161 Art. 11 Abs. 2 ESMA-VO. 162 Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 5 S. 2 ESMA-VO. 163 Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 6 S. 1 ESMA-VO.

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Kap. 3: Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick

förmlichen Stellungnahme erneut zur Billigung vorlegen.164 Die Verordnung stellt ausdrücklich klar, dass eine Inhaltsänderung der Entwürfe ohne vorherige Abstimmung mit der Behörde nicht möglich ist.165 Parlament und Rat erhalten je eine Kopie der förmlichen Stellungnahme.166 Hat die Agentur bis zum Ablauf der sechswöchigen Frist keinen geänderten Entwurf vorgelegt oder hat sie einen Entwurf vorgelegt, der nicht in Übereinstimmung mit den Änderungsvorschlägen der Kommission steht, kann die Kommission den Standard entweder mit den von ihr als wichtig erachteten Änderungen annehmen oder ablehnen.167 Falls die ESMA es versäumt, überhaupt einen Entwurf innerhalb der in den Sekundärrechtsakten Bezug genommenen Frist vorzulegen, kann die Kommission erneut einen solchen innerhalb einer neuen Frist anfordern.168 Erst wenn die Behörde der Kommission innerhalb der Nachfrist keinen Entwurf vorlegt, „springt“ das Initiativrecht auf die Kommission über und sie kann selbst einen RTS in Form eines delegierten Rechtsakts ausarbeiten.169 In diesem Fall hat die Kommission selbst Konsultationen der Öffentlichkeit und der in Art. 37 ESMA-VO genannten Interessengruppen durchzuführen sowie die potenziell anfallenden Kosten und den Nutzen zu analysieren.170 Ihren dann ausgearbeiteten Entwurf leitet sie umgehend an Parlament und Rat weiter.171 Weiterhin muss sie in solchen Fällen die ESMA konsultieren, die den Entwurf innerhalb einer Frist von sechs Wochen ändern und in Form einer förmlichen Stellungnahme vorlegen kann.172 Ihre förmliche Stellungnahme übermittelt die Behörde Parlament und Rat.173 Hat die ESMA bei Ablauf der sechswöchigen Frist keinen geänderten Entwurf vorgelegt, kann die Kommission ihren selbst ausgearbeiteten Entwurf eines RTS in Gestalt eines delegierten Rechtsakts erlassen.174 Hat die Behörde hingegen der Kommission fristgerecht einen geänderten Entwurf vorgelegt, steht es der Kommission frei, ihren Entwurf entweder auf Grundlage der von der Behörde vorgeschlagenen Änderungen oder aber lediglich mit den von ihr als wichtig erachteten Änderungen zu erlassen.175 164 165 166 167 168 169 170 171 172 173 174 175

Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 6 S. 2 ESMA-VO. Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 8 ESMA-VO. Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 6 S. 3 ESMA-VO. Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 7 ESMA-VO. Art. 10 Abs. 2 ESMA-VO. Art. 10 Abs. 3 Unterabs. 1 ESMA-VO. Art. 10 Abs. 3 Unterabs. 2 S. 1 ESMA-VO. Art. 10 Abs. 3 Unterabs. 3 ESMA-VO. Art. 10 Abs. 3 Unterabs. 4 S. 1 und 2 ESMA-VO. Art. 10 Abs. 3 Unterabs. 4 S. 3 ESMA-VO. Art. 10 Abs. 3 Unterabs. 5 ESMA-VO. Art. 10 Abs. 3 Unterabs. 6 ESMA-VO.

A. Der Ablauf des Lamfalussyverfahrens

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Sobald die Kommission auf einem dieser Wege einen RTS erlässt, hat sie ihn gleichzeitig an Parlament und Rat zu übermitteln.176 Endlich werden sie als Beschlüsse oder Verordnungen im Amtsblatt veröffentlicht und treten an dem darin genannten Datum in Kraft.177 Es bedarf auf Grund der vorgeschriebenen Rechtsaktformen keiner weiteren (nationalen) Umsetzung der Rechtsakte. Nimmt die Kommission letztlich einen Entwurf für einen RTS nicht an oder ändert sie ihn ab, ist sie grundsätzlich verpflichtet, die ESMA sowie Parlament und Rat unter Angabe der Gründe zu unterrichten.178 In einem solchen Fall können Parlament oder Rat den zuständigen Kommissar und den Vorsitzenden der ESMA innerhalb eines Monats nach der Unterrichtung zu einer ad-hoc-Sitzung des zuständigen Ausschusses des Parlaments oder des Rates zur Darlegung und Erläuterung ihrer Differenzen einladen.179 Kontrollmöglichkeiten durch Parlament und Rat finden sich in Artt. 12 und 13 ESMA-VO.180 Dies sind das Evokationsrecht, Art. 290 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. a AEUV, der durch Art. 12 ESMA-VO konkretisiert ist und der Einwand, Art. 290 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. b AEUV, der durch Art. 13 ESMA-VO näher ausgestaltet ist. Es sind jeweils beide Möglichkeiten der Kontrolle für Parlament und Rat ausübbar. aa) Widerruf der Befugnisübertragung Nach Art. 12 Abs. 1 ESMA-VO kann die erteilte Befugnis der Kommission zum Erlass von Regulierungsstandards, gleichlaufend mit Art. 290 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. a AEUV, jederzeit widerrufen werden. Dasjenige Organ, das ein internes Verfahren eingeleitet hat, um zu entscheiden, ob die Befugnis widerrufen werden soll, sollte das andere Organ und die Kommission innerhalb angemessener Frist und vor der endgültigen Entscheidung über sein Vorhaben unterrichten.181 Der Beschluss eines der Organe über den Widerruf beendet die in dem Beschluss angegebene Befugnisübertragung.182 Der Widerruf wird entweder sofort oder zu einem darin angegebenen späteren Zeitpunkt wirksam.183 Der Beschluss wird im Amtsblatt veröffentlicht.184 Der Widerruf der Befugnis zum Erlass von RTS, lässt die Gültigkeit der auf die widerrufende Befugnis gestützten und bereits in Kraft getretenen Regulierungsstandards unberührt.185 176 177 178 179 180 181 182 183 184 185

Art. 11 Abs. 2 ESMA-VO. Art. 10 Abs. 4 ESMA-VO. Art. 14 Abs. 1 ESMA-VO. Art. 14 Abs. 2 ESMA-VO. Art. 11 Abs. 3 ESMA-VO. Art. 12 Abs. 2 ESMA-VO. Art. 12 Abs. 3 S. 1 ESMA-VO. Art. 12 Abs. 3 S. 2 ESMA-VO. Art. 12 Abs. 3 S. 4 ESMA-VO. Art. 12 Abs. 3 S. 3 ESMA-VO.

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Kap. 3: Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick

bb) Einwände gegen den technischen Regulierungsstandard Ebenso können Parlament oder Rat, gleichlaufend mit Art. 290 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. a AEUV, gegen das Inkrafttreten eines RTS innerhalb einer Frist von drei Monaten186 nach dem Datum der Übermittlung des von der Kommission erlassenen Standards Einwände erheben.187 Auf Wunsch von Parlament oder Rat wird die Frist zur Erhebung von Einwänden um weitere drei Monate verlängert.188 Handelt es sich bei dem von der Kommission zu erlassenden Standard jedoch um einen solchen, den sie entsprechend den Vorgaben der ESMA übernommen und gebilligt hat,189 so beträgt der Zeitraum für Einwände von Parlament und Rat lediglich einen Monat ab dem Datum der Übermittlung.190 Er kann allerdings auf Wunsch eines der Kontrollorgane ebenfalls um denselben Zeitraum verlängert werden.191 Haben weder Parlament noch Rat innerhalb der Frist Einwände erhoben, so wird der Regulierungsstandard im Amtsblatt veröffentlicht und tritt zu dem darin genannten Zeitpunkt in Kraft.192 Der RTS kann jedoch schon vor Ablauf der Frist zur Erhebung von Einwänden im Amtsblatt veröffentlicht werden und in Kraft treten, wenn die beiden Kontrollorgane der Kommission bereits mitgeteilt haben, dass sie nicht beabsichtigen, Einwände zu erheben.193 Werden jedoch von Parlament oder Rat innerhalb der Frist Einwände erhoben, so tritt der RTS nicht in Kraft.194 Das Organ, das die Einwände erhoben hat, hat die Entscheidung gegen den Erlass des Standards gem. Art. 296 AEUV zu begründen.195 2. Durchführungsrechtsetzung Neben der delegierten Normsetzung nach Art. 290 AEUV bietet sich für die Kommission (in Sonderfällen für den Rat196) eine weitere Möglichkeit der Tertiärnormsetzung durch Art. 291 Abs. 2 – 4 AEUV. Hiernach kann die Kommission zum 186 Bei Einwänden, die delegierte Rechtsakte betreffen, ist die regelmäßige Frist zur Erhebung von Einwänden einen Monat kürzer, vgl. Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, V (18), S. 11. 187 Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 1 ESMA-VO. 188 Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 ESMA-VO. 189 Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 5 S. 1 ESMA-VO. 190 Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 1 ESMA-VO. 191 Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 ESMA-VO. 192 Art. 13 Abs. 2 Unterabs. 1 ESMA-VO. 193 Art. 13 Abs. 2 Unterabs. 2 ESMA-VO. 194 Art. 13 Abs. 3 S. 1 ESMA-VO. 195 Art. 13 Abs. 3 S. 2 ESMA-VO. 196 Vgl. hierzu EuGH, Urteil v. 1. 3. 2016, National Iranian Oil Company/Rat, C-440/14, EU:C:2016:128, der die besonderen Gründe darlegt, aus denen eine Übertragung an den Rat gerechtfertigt ist.

A. Der Ablauf des Lamfalussyverfahrens

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Erlass von Durchführungsrechtsakten ermächtigt werden. Eine Befugnisübertragung ist in allen verbindlichen Rechtsakten der Union möglich. In Betracht kommen deshalb Verordnung, Richtlinie, Beschluss, darüber hinaus Rechtsakte der GASP197 sowie verbindliche Rechtsakte sui generis.198 Aus diesem Grund ist es in rechtlicher Hinsicht denkbar, dass ein delegierter Rechtsakt als „rechtsverbindlicher Rechtsakt der Union“ im Sinne von Art. 291 AEUV der Kommission Durchführungsbefugnisse übertragen kann.199 Anders gesagt kann sich die Kommission in delegierten Rechtsakten selbst zu deren Durchführung ermächtigen. Bei technischen Regulierungsstandards müsste allerdings die ESMA den Rechtsakt entsprechend vorbereiten, da grundsätzlich sie das Initiativrecht besitzt, sodass davon auszugehen ist, dass solche Fälle eher nicht vorkommen werden. Auch bei der einfachen Durchführungsrechtsetzung wird dies wohl nur eine theoretische Möglichkeit bleiben, da die Kommission schon früh erklärt hatte,200 die Befungnisübertragung in delegierten Rechtsakten nicht zu nutzen. Vielmehr sollte versucht werden, falls delegierte und Durchführungsbefugnisse parallel erforderlich zu sein scheinen, dieses Bedürfnis im Gesetzgebungsakt selbst auszudrücken. An diese Erklärung hat sich die Kommission auch bis heute gehalten. Zwar unterliegt nach Art. 291 Abs. 1 AEUV die Durchführung des Unionsrechts grundsätzlich den Mitgliedstaaten. Bedarf es jedoch einheitlicher Bedingungen für dessen Durchführung, kann die Kommission (oder in Sonderfällen der Rat) ermächtigt werden Durchführungsrechtsakte zu erlassen.201 Ein solches Bedürfnis ist grundsätzlich dann gegeben, wenn sich zeigt, dass eine einheitliche Durchführung nicht in allen Mitgliedstaaten sichergestellt ist.202 So können auf mitgliedstaatlicher Ebene Unterschiede hinsichtlich des bei der Durchführung anzuwendenden nationalen Rechts bestehen oder die Durchführung auf Unionsebene besser verwirklicht

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Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, vgl. Art. 25 EUV. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 291 AEUV Rn. 21. 199 Daiber, EuR 2012, 240, 241; F. Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 291 AEUV Rn. 13; Kröll, Artikel 290 und 291 AEUV, 2011, S. 205; Craig, Lisbon Treaty, S. 274. 200 Ziff. 26 der Implementation of the Treaty of Lisbon, Delegated Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2011) 855. 201 Dies gilt unabhängig davon, ob man Art. 291 Abs. 2 AEUV als eine die Grundzuständigkeit der Mitgliedstaaten einschränkende Kompetenzgrundlage oder als Kompetenzausübungsschranke qualifiziert. Für ersteres: Kotzur, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Art. 291 AEUV Rn. 2; F. Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 291 AEUV Rn. 7; Schoo, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 291 AEUV Rn. 3; Schütze, CML Rev. 2010, 1385, 1398 f. Für Letzteres: Kröll, ZÖR 2011, 253, 282. 202 Die Kommission selbst will hierzu in ihren Leitlinien für die Durchführungsrechtsetzung keine konkreten Aussagen treffen und bemerkt nur, dass ein solches Bedürfnis von Fall zu Fall zu prüfen ist, Implementation of the Treaty of Lisbon, Implementing Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2012) 617. 198

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Kap. 3: Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick

werden können.203 Einheitliche Bedingungen bedeuten oft auch ein zentralisiertes System, das auf Unionsebene anzuwenden ist.204 Ob nun ein Bedarf gegeben ist und einheitliche Rechtsakte auf Unionsebene erforderlich sind, liegt wohl weitestgehend im Ermessen des Gesetzgebers.205 Dieses wird auch vom europäischen Gesetzgeber für sich beansprucht.206 In der Praxis stellt der Begründungaufwand für das Vorliegen eines Erfordernisses nach einheitlicher Anwendung keine allzu hohe Hürde dar, wie auch schon die frequentierte Nutzung des Durchführungsrechtsakts zeigt.207 Die Norm ist dennoch als Ausnahmevorschrift zu dem in Art. 291 AEUV Abs. 1 AEUV festgesetzten Grundsatz der grundsätzlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Durchführung des EU-Rechts zu verstehen.208 Der konkrete Gegenstand sowie der Umfang der Durführungsbefugnisse richten sich wie bei der delegierten Rechtsetzung nach dem Basisrechtsakt, der die Kompetenz zur Ausgestaltung an die Kommission überträgt.209 Es geht bei der Durchführungsrechtsetzung darum, gesetzgeberische Entscheidungen durch konkretisierende Regelungen auszugestalten.210 Die legislative Komponente ist bereits völlig vom europäischen Gesetzgeber ausgeschöpft, sodass für legislative Wertentscheidungen der Kommission kein Raum ist.211 Ebenso wie bei der delegierten Rechtsetzung kann die Durchführungsrechtsetzung mit und ohne verbindliche ESMA-Beteiligung erfolgen, je nachdem für welche Art sich der Gesetzgeber entscheidet. a) Einfache Durchführungsrechtsetzung der Kommission im Komitologieverfahren (ohne verbindliche ESMA-Beteiligung) Ist ein Bedarf nach einheitlichen Durchführungsbedingungen festgestellt worden, werden im Regelfall der Kommission und in Sonderfällen dem Rat mit dem durchzuführenden Rechtsakt Durchführungsbefugnisse verliehen, damit sie für die 203 Kröll, Artikel 290 und 291 AEUV, 2011, S. 205; Craig, Lisbon Treaty, S. 120 f.; König, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, § 2 Rn. 107. 204 Ziff. 29 der Implementation of the Treaty of Lisbon, Delegated Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2011) 855 205 So auch Bast, CML Rev. 2012, 885, 909; F. Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze/ Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 291 AEUV Rn. 11; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 291 AEUV Rn. 24. 206 Vgl. Erwägungsgrund 2 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011: „Es ist Sache des Gesetzgebers […]“. 207 Von Achenbach, in: Bergmann, Handlexikon der Europäischen Union, S. 587. 208 Möllers/von Achenbach, EuR 2011, 39, 44; Kotzur, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/ AEUV, Art. 291 AEUV Rn. 2. 209 F. Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art 291 AEUV Rn. 14. 210 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 291 AEUV Rn. 27. 211 Ziff. 41 der Implementation of the Treaty of Lisbon, Delegated Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2011) 855.

A. Der Ablauf des Lamfalussyverfahrens

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Anwendung der Verträge und der erlassenen Maßnahmen sorgen kann, Art. 17 EUV.212 Das Verfahren zum Erlass der Durchführungsrechtsakte richtet sich nach der Komitologieverordnung.213 Hierdurch sind die Mitgliedstaaten in Komitologieausschüssen214 am Rechtsetzungsprozess beteiligt und in die Kontrolle des Rechtsetzungsprozesses eingebunden.215 Als Nebenzweck ermöglicht die Beteiligung der Mitgliedstaaten auch einen Rückgriff auf den Sachverstand der nationalen Bürokratien.216 Die Komitologieverordnung findet nach dem klaren Wortlaut des Art. 293 Abs. 3 AEUV keine Anwendung, wenn dem Rat die Durchführungsbefugnisse übertragen worden sind. Dessen Kontrolle übernehmen nicht die Mitgliedstaaten, sondern der EuGH nach Art. 263 AEUV.217 Nach Ansicht der Kommission218 ist es sogar rechtlich möglich, dass der Gesetzgeber der Kommission Durchführungsbefugnisse überträgt, ohne dass eine Kontrolle durch die Mitgliedstaaten im Wege der 212 Ob auch andere als Kommission und Rat mit der Befugnis zur Durchführungssteuerung beauftragt werden können, lässt sich nach Ansicht von Nettesheim dem Art. 291 Abs. 2 AEUV nicht eindeutig entnehmen, vgl. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/ AEUV, Art. 291 AEUV Rn. 38 f. Art. 291 AEUV enthält nach der Rechtsprechung des EuGH keine abschließende Regelung, vgl. EuGH, Urteil v. 22. 1. 2014, Vereinigtes Königreich(Parlament und Rat, C-270/12, EU:C:2014:18. Eine gegenteilige Auslegung würde wohl auch mit Art. 298 kollidieren. 213 Eine schöne Übersicht der „neuen“ Komitologieverfahren bietet die Darstellung bei Stratulat/Molino, European policy Centre, Policy Brief 2011 (am Ende). 214 Derzeit gibt es sechs Komitologieausschüsse im Finanzdienstleistungsbereich: ARC, ADC, EBC, EIOPC, ESC, PC; siehe hierzu auch die Listung auf der Internetdarstellung der Kommission unter https://ec.europa.eu/info/node/8473/#comitology-committees-working-on-fi nancial-regulation (zuletzt abgerufen am 30. 4. 2020). Nach Veil, ZGR 2014, 544, 555 existiert das ESC nicht mehr. Diese Aussage verwundert, da zum einen die Kommission auf der verwiesenen Seite das ESC listet und zum anderen das Komitologieregister kein Auflösungsdatum enthält. Des Weiteren ordnet nicht nur die Marktmissbrauchsverordnung in Art. 36, sondern auch die Verordnung (EU) 2016/1011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über Indizes, die bei Finanzinstrumenten und Finanzkontrakten als Referenzwert oder zur Messung der Wertentwicklung eines Investmentfonds verwendet werden, und zur Änderung der Richtlinien 2008/48/EG und 2014/17/EU sowie der Verordnung (EU) Nr. 596/2014, ABl. Nr. L 171 v. 29. 6. 2016, S. 1 in Art. 50 die Zusammenarbeit der Kommission mit dem Europäischen Wertpapierausschuss als Komitologieausschuss an. Die Marktmissbrauchsverordnung ist überdeutlich und verweist neben der genauen Bezeichnung auch noch auf den Beschluss 2001/ 528/EG, mit dem das ESC eingesetzt wurde. Auf eine entsprechende Anfrage des Verfassers an die Kommission (DG Financial Stability, Financial Services and Capital Markets Union, FISMA C3 – Securities Markets) am 24. 7. 2018 wurde am 3. 8. 2018 bestätigt, dass der ESC weiterhin fortbestehe und seine Rolle als Komitologieausschuss ausübe. Der EGESC bestehe daneben, setze sich wie der ESC aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammen, erfülle aber lediglich beratende Funktion. 215 Schwarze, EPL 2012, 285, 295 f. Vgl. auch Ziff. 21 der Stellungnahme des Europäischen Ausschusses der Regionen — Rechtsakte, in denen auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle Bezug genommen wird, ABl. Nr. C 164 v. 8. 5. 2018, S. 83. 216 Sydow, JZ 2012, 157, 159. 217 Vgl. Fabricius, EuZW 2014, 453, 454. 218 Ziff. 7 und 8 der Implementation of the Treaty of Lisbon, Implementing Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2012) 617.

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Kap. 3: Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick

Komitologieverordnung erforderlich ist. Diese Auslegung spiegele sich in Art. 1 der Komitologieverordnung wider, die ihren Anwendungsbereich auf jeden rechtsverbindlichen Rechtsakt der Union beschränke, der verlange, dass die Annahme von Durchführungsrechtsakten durch die Kommission der Kontrolle der Mitgliedstaaten unterliege und ebenso in deren Erwägungsgrund 6, der die Anwendung der Komitologieverfahren auf diejenigen Basisrechtsakte vorsehe, welche die Kontrolle der Mitgliedstaaten erfordern. Im Umkehrschluss bedeute dies, dass es Basisrechtsakte geben müsse, die eben keine Kontrolle durch die Mitgliedstaaten erfordern. Der Kommission selbst ist die Brisanz ihrer Feststellung durchaus bewusst und merkt deshalb an, dass es gute Argumente für die Nutzung einer solchen „kontrolllosen“ Durchführung bedürfe. Vorgeschlagen wird diese Art der Durchführung etwa, wenn die Kommission aufgefordert werde, wiederholt technische Maßnahmen oder individuelle Entscheidungen an Mitgliedstaaten ohne Präzedenzwert und ohne Auswirkungen auf andere Mitgliedstaaten zu erlassen. Der Kommission ist zwar zuzustimmen, dass dies rechtlich möglich sein mag, jedoch in der Praxis, soweit ersichtlich, nicht genutzt wird. Darüber hinaus gilt es jenseits der rechtlichen Aspekte zu bedenken, dass die Geschichte der Komitologie gezeigt hat, dass es nicht viel bedarf, um den interinstitutionellen Frieden zu stören. Bei der Durchführung des Kapitalmarktrechts wird die Kommission vom Europäischen Wertpapierausschuss als Komitologieausschuss unterstützt.219 Hinsichtlich des Durchführungsrechtsetzungsverfahrens finden weder das Common Understanding220 von 2016 noch die Interinstitutionelle Vereinbarung von 2010221 Anwendung. Ebenso sind die Komitologieausschüsse nicht vom Beschluss der Kommission zur Festlegung horizontaler Bestimmungen über die Einsetzung und Arbeitsweise von Expertengruppen der Kommission erfasst.222 Darüber hinaus verpflichten sich die EU-Organe im Common Understanding, keine weiteren Verfahrensvorschriften in die Rechtsvorschriften der Union aufzunehmen, die die mit der Komitologieverordnung eingeführten Kontrollmechanismen ändern würden.223 Die Komitologieverordnung bildet somit einen umfassenden und erschöpfenden rechtlichen Rahmen

219 So zum Beispiel bei der Durchsetzung der Marktmissbrauchsverordnung (vgl. dort Art. 36 Abs. 1). 220 Vgl. Geltungsbereich und allgemeine Grundsätze der Interinstitutionellen Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, Anhang, I, S. 10. 221 Vgl. Anwendungsbereich der Interinstitutionellen Vereinbarung: Rahmenvereinbarung über die Beziehung zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission, ABl. Nr. L 304 v. 20. 11. 2010, Anhang I, S. 55. 222 Vgl. Art. 1 Abs. 2 (a) des Beschlusses der Kommission vom 30. 5. 2016 zur Festlegung horizontaler Bestimmungen über die Einsetzung und Arbeitsweise von Expertengruppen der Kommission, C(2016) 3301 final v. 30. 5. 2016, S. 3. 223 Ziff. 30 der Interinstitutionellen Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, S. 6.

A. Der Ablauf des Lamfalussyverfahrens

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für die Ausübung der Durchführungsbefugnisse der Kommission.224 Hinsichtlich der Handlungsformen, die der Kommission für ihre Durchführungsrechtsetzung zur Verfügung stehen, sind alle in Art. 288 AEUV aufgeführten Handlungsinstrumente möglich,225 ebenso wie der atypische Rechtsakt.226 Es ist ebenso denkbar, dass bereits der die Kommission ermächtigende Basisrechtsakt die Form des Rechtsakts vorgibt.227 Der Regelungsgehalt der Durchführungsrechtsakte kann sowohl abstraktgenereller als auch konkret-individueller Natur sein.228 Die Möglichkeit einer Durchführungsrichtlinie erscheint jedoch widersprüchlich, da hierdurch, nachdem ein Bedürfnis nach einheitlicher Durchführung festgestellt worden ist, sodann den Mitgliedstaaten die Steuerung der Durchführung zurückübertragen wird.229 Gleichwohl wird dieses Instrument in der Praxis nicht selten genutzt.230 Offen ist, ob sogar nichtrechtsförmige Instrumente zur Durchführung genutzt werden können. Die Norm des Art. 291 Abs. 2 AEUV selbst spricht nur von „Durchführungsbefugnisse[n]“, sodass dies denkbar erscheint.231 Genutzt wurden solche nichtrechtsaktartigen Gestaltungen allerdings (noch) nicht. Bevor die Kommission dem zuständigen Komitologieausschuss einen Entwurf für einen Durchführungsrechtsakt vorlegt und dieser darüber abstimmt, können die 224 So auch der Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Durchführung der Verordnung (EU) 182/2011, COM(2016) 92 final v. 26. 2. 2016, S. 4. 225 F. Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 291 AEUV Rn. 15. 226 Hoffmann/Türk, ZG 2012, 105, 109. 227 So Klöhn, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, Einleitung Rn. 35. 228 EuGH, Urteil v. 24. 10. 1989, Kommission/Rat, EU:C:1989:397, Rn. 9 ff.; Hofmann/ Türk, ZG 2012, 105, 105; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 291 AEUV Rn. 3; Hofmann/Türk, ZG 2012, 105, 112; Bast, CML Rev. 2012, 885, 919; Driessen in ELR, S. 845; Lange, in: Leible/Terhechte, Europäisches Rechtsschutz- und Verfahrensrecht, Bd. 3, § 31 Rn. 18; Scharf, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht: Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, S. 22. Andere Ansicht Stelkens, EuR 2012, 511, 536 (nur allgemeine Regelungen); ebenso Schlacke, JöR 2013, 293, 319; Stelkens, VVDStRL 71 (2012), 369, 400 f. 229 So auch Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 291 AEUV Rn. 11; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 291 AEUV Rn. 27. 230 Ein Blick in die Datenbank des EUR-Lex ergab am 18. 1. 2018 über siebzig erlassene oder demnächst zu erlassende delegierte Richtlinien. Erlassen wurde z. B. bei der Durchführung der Marktmissbrauchsverordnung die Durchführungsrichtlinie (EU) 2015/2392 der Kommission vom 17. Dezember 2015 zur Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Meldung tatsächlicher oder möglicher Verstöße gegen diese Verordnung, ABl. Nr. L 332 v. 18. 12. 2015, S. 126. 231 Der EuGH ist zur alten Rechtslage davon ausgegangen, dass alle zweckmäßigen und erforderlichen Instrumente eingesetzt werden können, vgl. EuGH, Urteil v. 29. 6. 1989, Vreugdenhil und Douane/Minister van Landbouw en Visserij, C- 22/88, EU:C:1989:277; EUGH, Urteil v. 15. 7. 2004, Di Lenardo Adriano Srl und Dilexport Srl/Ministero del Commercio con l’Estero, verb. Rs. C-37/02 und C-38/02, EU:C:2004:443; EuGH, Urteil v. 1. 4. 2008, Parlament und Dänemark/Kommission, C-14/06, EU:C:2008:176. Eher ablehnend Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 291 AEUV Rn. 29 f.

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Kap. 3: Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick

Bürgerinnen und Bürger im Rahmen der Agenda für bessere Rechtsetzung232 der Kommission sowie Interessenträger während eines Zeitraums von vier Wochen ihre Anmerkungen zum Entwurf eines Durchführungsrechtsakts einbringen.233 Nach Prüfung der eingegangenen Rückmeldungen wird der auf dieser Grundlage ausgearbeitete Rechtsaktsentwurf dem zuständigen Komitologieausschuss zur Abstimmung vorgelegt.234 Während der Ausschusssitzung soll die Kommission erläutern, wie sie die Rückmeldungen berücksichtigt hat.235 Für die Ausarbeitung der Entwürfe kann die Kommission ebenfalls von Expertengruppen, die keine Komitologieausschüsse sind, unterstützt werden.236 Die Modalitäten hinsichtlich dieser Expertengruppen regelt der Beschluss der Kommission zur Festlegung horizontaler Bestimmungen über die Einsetzung und Arbeitsweise von Expertengruppen der Kommission. Er findet zwar, wie bereits oben beschrieben, keine Anwendung auf die Komitologie als solche, im Vorfeld des Komitologieverfahrens bestehen hingegen Möglichkeiten zur unverbindlichen Unterstützung für die Sachverständigen.237 Darüber hinaus greift die Kommission im Finanzdienstleistungsbereich wie beim Erlass (autonomer/einfacher) delegierter Rechtsakte auch bei der Ausarbeitung der Durchführungsrechtsakte auf den Sachverstand der ESMA zurück.238 Nach der Ausarbeitung übergibt die Kommission den gegebenenfalls überarbeiteten Entwurf des Durchführungsrechtsakts sodann dem Komitologieausschuss. Das nun zum Erlass der Maßnahme erforderliche Verfahren ist im Basisrechtsakt festgeschrieben. Möglich sind nach Art. 2 der Komitologieverordnung die Wahl des 232 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Bessere Ergebnisse durch bessere Rechtsetzung – Eine Agenda der EU, COM(2015) 215 final v. 19. 5. 2015, S. 3 f. 233 Vgl. Internetauftritt der Kommission unter https://ec.europa.eu/info/law/law-makingprocess/adopting-eu-law/implementing-and-delegated-acts_en (zuletzt abgerufen am 30. 04. 2020). 234 Bericht der Kommission über die Tätigkeit der Ausschüsse im Jahr 2016, COM(2016) 594 final v. 16. 10. 2017, S. 3. 235 Die Erläuterungen der Kommission sind im zusammenfassenden Protokoll der Sitzung enthalten und öffentlich zugänglich über das Register zum Ausschussverfahren unter http://ec. europa.eu/transparency/regcomitology/index.cfm?CLX=en (zuletzt abgerufen am 30. 04. 2020). 236 Die Kommission akzeptiert zwar eine solche „Vorkomitologiephase“, wehrt sich allerdings dagegen, dass der Erlass einer Durchführungsmaßnahme etwa von der Pflicht zur Konsultation oder Einholung einer Stellungnahme abhängig gemacht wird, vgl. Ziff. 13 der Implementation of the Treaty of Lisbon, Implementing Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2012) 617. 237 Vgl. Art. 3 Abs. 1 (d) des Beschlusses der Kommission vom 30. 5. 2016 zur Festlegung horizontaler Bestimmungen über die Einsetzung und Arbeitsweise von Expertengruppen der Kommission, C(2016) 3301 final v. 30. 5. 2016, S. 4. 238 So forderte die Kommission die ESMA Mitte 2014 zur Unterstützung bei der Durchführung der Marktmissbrauchsverordnung auf, vgl. Reqest to ESMA for technical Advise on Implementing Acts concerning the Regulation on Insider Dealing and Market Manipulation (Market Abuse), 28/5/2014, Ref. Ares (2014)1782351-02/06/2014.

A. Der Ablauf des Lamfalussyverfahrens

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Beratungs- oder des Prüfverfahrens. Die Kriterien zur Auswahl des Verfahrens im Basisrechtsakt durch den Gesetzgeber sind, anders als im alten Komitologiebeschluss, zwingende Voraussetzungen und in der Komitologieverordnung niedergeschrieben.239 Das Prüfverfahren240 soll nach der Verordnung etwa in Fällen von allgemeiner Tragweite und in politisch besonders heiklen Situationen oder Bereichen zur Anwendung kommen.241 Ebenso sollen Maßnahmen, die erhebliche Auswirkungen auf den Haushalt haben oder sich an Drittstaaten richten, im Prüfverfahren erlassen werden.242 In allen anderen Fällen wird das Beratungsverfahren angeordnet.243 So ist das Beratungsverfahren im Umkehrschluss zu Art. 2 Abs. 2 der Komitologieverordnung etwa bei individuellen Maßnahmen anzuwenden, die keine dem Prüfverfahren vorbehaltenen politischen Bereiche angehören. Es kann in „hinreichend begründeten Fällen“ auch in Bereichen zur Anwendung kommen, die eigentlich unter das Prüfverfahren fallen.244 Wann ein Fall hinreichend begründet ist, bleibt offen. Aus dem Erwägungsgrund 15 der Komitologieverordnung, der die Anwendung des Beratungsverfahrens dann vorschlägt, „wann immer dies für zweckmäßiger erachtet wird“, kann zumindest auf den Inhalt der Begründung geschlossen werden. Es müssen demnach zweckmäßige Erwägungen sein.245 Offen bleibt darüber hinaus, wer ermittelt, ob ein solcher Fall vorliegt. Für Parlament und Rat wird es kaum möglich sein, bereits im Basisrechtsakt eine solche Entscheidung für das Beratungsund gegen das Prüfverfahren zu treffen. Vielmehr erscheint es sachgerecht, dass die Kommission die hinreichende Begründung dafür vorlegt, dass das im Basisrechtsakt 239 Vgl. den Wortlaut: „Das Prüfverfahren wird […] angewendet […]“, Art. 2 Abs. 2 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011; „Das Beratungsverfahren wird […] angewendet […]“,Art. 2 Abs. 3 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. Die englische Version spricht von „applies“. 240 Das Prüfverfahren ist das in der Praxis deutlich häufiger genutzte Durchführungsverfahren. So werden ca. 90 % der Stellungnahmen im Prüfverfahren angenommen. Vgl. Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Durchführung der Verordnung (EU) 182/2011, COM(2016) 92 final v. 26. 2. 2016, S. 8. 241 Erwägungsgrund 11 und Art. 2 Abs. 2 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. Die Aufzählung ist hierbei allerdings nicht abschließend, vgl. Wortlaut: „insbesondere“. Der Vorschlag der Kommission sah allerdings noch eine abschließende Aufzählung vor, vgl. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, KOM(2010) 83 endg. v. 9. 3. 2010, S. 4. 242 Erwägungsgrund 12 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 243 Vgl. Art. 2 Abs. 3 S. 1 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 244 Vgl. Art. 2 Abs. 3 S. 2 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 245 Die Zweckmäßigkeit sah auch noch der Art. 2 Abs. 3 des Kommissionsentwurfes der Komitologieverordnung vor, vgl. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, KOM(2010) 83 endg. v. 9. 3. 2010, S. 9.

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Kap. 3: Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick

vorgesehene Prüfverfahren durch das zweckmäßigere Beratungsverfahren zu überlagern ist.246 Im Gesetzgebungsverfahren zum Erlass der Komitologieverordnung ging man jedoch von Seiten des Parlaments davon aus, dass dem Gesetzgeber selbst die Entscheidung zu überlassen ist, ob das Beratungs- oder das Prüfverfahren zur Anwendung gelangen soll.247 Die nicht übermäßig konkreten Kriterien für die Wahl des Verfahrens sind in der Praxis jedoch offenbar unumstritten und handhabbar.248 Zwar sind die Verfahren grundsätzlich verschieden, jedoch konnte man sich aufbauend auf den Erfahrungen mit der Komitologie in Art. 3 der Verordnung auf verschiedene gemeinsame Bestimmungen über die Arbeitsweise der Ausschüsse einigen, die die gängige Praxis widerspiegelten, in den alten Verfahrensregelungen jedoch nie präzisiert worden waren.249 Hiernach soll die Kommission als Vorsitzende des Ausschusses dessen Sitzung frühestens 14 Tage nachdem der Entwurf des Durchführungsrechtsakts vorgelegt worden ist, ansetzen.250 Die Frist soll es den Mitgliedern des Ausschusses ermöglichen, vor einer Sitzung den Entwurf des Durchführungsrechtsakts in der erforderlichen Ruhe zu prüfen.251 Daneben soll die Frist auch gewährleisten, dass die Regierungen der Mitgliedstaaten durch ihre Mitglieder im Verwaltungsausschuss über die Vorschläge der Kommission unterrichtet werden, um einen Standpunkt festlegen zu können, mit dem innerhalb des Ausschusses ihre jeweiligen eigenen Interessen gewahrt werden.252 Angesichts dieser Erwägungen hat der EuGH der Praxis der Kommission eine Abfuhr erteilt, nach der den Ausschüssen der Entwurf erst im Laufe der zur Prüfung dieses Entwurfs einberufenen Sitzung unterbreitet wurde.253 Die Stellungnahme des Ausschusses soll dann innerhalb einer angemessenen, vom Vorsitz entsprechend der Dringlichkeit 246

In diese Richtung auch Craig, ELR 2011, 671, 678. Vgl. die Stellungnahmen der folgenden parlamentarischen Ausschüsse im Bericht über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, v. 6. 12. 2010, A7-0355/2010: Stellungnahme des Entwicklungsausschusses; Stellungnahme des Ausschusses für internationalen Handel, S. 49 ff.; Stellungnahme des Ausschusses für regionale Entwicklung, S. 100 ff.; Stellungnahme des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, S. 111 ff. und Stellungnahme des Fischereiausschusses, S. 123 ff. 248 Vgl. Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Durchführung der Verordnung (EU) 182/2011, COM(2016) 92 final v. 26. 2. 2016, S. 8. Lediglich bei einer Ausnahme wurde im Zusammenhang mit der Makrofinanzhilfe für Georgien im Vermittlungsausschuss über die Wahl des Verfahrens gestritten (2010/0390 (COD)). 249 Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Durchführung der Verordnung (EU) 182/2011, COM(2016) 92 final v. 26. 2. 2016, S. 3. 250 Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 S. 1 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 251 EuGH, Urteil v. 20. 9. 2017, Tilly-Sabco SAS/Kommission, Rs. C-183/16 P, EU:C:2017:704, Rn. 102. 252 EuGH, Urteil v. 20. 9. 2017, Tilly-Sabco SAS/Kommission, Rs. C-183/16 P, EU:C:2017:704, Rn. 102. 253 EuGH, Urteil v. 20. 9. 2017, Tilly-Sabco SAS/Kommission, Rs. C-183/16 P, EU:C:2017:704, Rn. 117 f. 247

A. Der Ablauf des Lamfalussyverfahrens

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festgelegten Frist erfolgen.254 Bis zur Abgabe der Stellungnahme ist es möglich, Änderungen am Entwurf vorzuschlagen und anzunehmen.255 Hierbei soll sich der Vorsitz grundsätzlich um Kompromisse bemühen, die eine breite Unterstützung finden. In hinreichend begründeten Ausnahmefällen kann der Vorsitz die Stellungnahmen des Ausschusses im schriftlichen Verfahren256 einholen.257 Hierzu ist den Ausschussmitgliedern der Entwurf zu übermitteln und eine Dringlichkeitsfrist festzusetzen. Sollte sich das Mitglied innerhalb dieser Frist nicht gegen den Entwurf ausgesprochen oder sich ausdrücklich enthalten haben, so gilt sein Verhalten als Zustimmung.258 aa) Beratungsverfahren Ist im Basisrechtsakt bestimmt, dass das Beratungsverfahren beim Erlass der Durchführungsmaßnahme Anwendung finden soll, so beschließt der zuständige Ausschuss in einer Abstimmung über den Entwurf.259 Hierfür gibt der Ausschuss seine Stellungnahme mit einfacher Mehrheit seiner Mitglieder ab.260 Die Kommission beschließt im Anschluss, ob sie die Durchführungsmaßnahme erlässt oder nicht.261 Bei ihrer Entscheidung ist sie an das Ergebnis der Abstimmung des Ausschusses nicht gebunden (konsultatives Votum). Sie ist aber angehalten, das Ergebnis der Beratung im Ausschuss und die abgegebene Stellungnahme soweit wie möglich zu berücksichtigen.262 Die Mitgliedstaaten haben hier also keine Mitspracherechte und allein dadurch eine gewisse Kontrolle, dass sie über die Vorhaben der Kommission informiert sind; die Funktion des Beratungsausschusses ist im Wesentlichen eine beistehende und unterstützende. Die Kommission kann auf den Sachverstand der nationalen Experten zurückgreifen, ohne in ihrer Gestaltungsfreiheit begrenzt zu werden.

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Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 S. 2 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 1 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 256 Das schriftliche Verfahren wird vielfach genutzt. So fanden 2014 fast 900 schriftliche Verfahren statt; eine ähnlich große Zahl wie die Jahre davor. In einer Anfrage an die Kommission am 24. 7. 2018 wurde dem Verfasser am 3. 8. 2018 mitgeteilt, dass der ESC „in der Regel im schriftlichen Verfahren befasst“ werde. 257 Art. 3 Abs. 5 Unterabs. 1 S. 1 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 258 Art. 3 Abs. 5 Unterabs. 1 S. 2 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 259 Art. 4 Abs. 1 S. 1 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 260 Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 der Standardgeschäftsordnung für Ausschüsse, ABl. Nr. C 206 v. 12. 7. 2011, S. 12; Art. 4 Abs. 1 S. 2 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 261 Art. 4 Abs. 2, 1. HS. der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 262 Art. 4 Abs. 2, 2. HS. der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 255

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Kap. 3: Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick

bb) Prüfverfahren Findet nach dem Rahmenrechtsakt das Prüfverfahren Anwendung, so beschließt der Ausschuss mit qualifizierter Mehrheit, Art. 16 Abs. 4 und 5 EUV, Art. 238 Abs. 3 AEUV.263 Sollte er eine befürwortende Stellungnahme abgeben, hat die Kommission den geplanten Durchführungsrechtsakt zu erlassen.264 Parlament, Rat und Kommission sind sich aber einig, dass dies nicht ausschließt, dass die Kommission in „ganz außergewöhnlichen Fällen“ neue Umstände, die sich nach der Zustimmung im Ausschuss ergeben haben, berücksichtigt und sodann beschließen kann, die Maßnahme nicht zu erlassen, nachdem sie den Ausschuss und die Gesetzgeber in Kenntnis gesetzt hat.265 Wann ein solch besonderer Fall vorliegt, wird nicht erläutert. Wird die Kommission daran gehindert, die vorgeschlagene Maßnahme durchzuführen, weil sich der Ausschuss gegen die Maßnahme gestellt hat, so kann die Kommission die Maßnahme nicht erlassen; sie ist umgekehrt allerdings auch nicht verpflichtet, im Sinne des Ausschusses zu entscheiden, da diesem lediglich eine Verhinderungskompetenz zusteht.266 Obwohl nicht geregelt, lässt es der EuGH zu, dass die Kommission dem Ausschuss den abgelehnten Entwurf erneut (und ohne inhaltliche Überarbeitung) vorlegt, um darauf zu spekulieren, dass sich der Ausschuss doch anders entscheidet.267 Erachtet die Kommission den ursprünglichen Entwurf des Durchführungsrechtsakts allerdings für erforderlich, kann die Kommission innerhalb von zwei Monaten nach negativem Votum dem Ausschuss eine geänderte Fassung ihres Entwurfes vorlegen. Alternativ kann sie innerhalb eines Monats den sogenannten Berufungsausschuss268 damit befassen.269 Es handelt sich bei diesem Ausschuss nicht um einen Komitologieausschuss im eigentlichen Sinne, obwohl er denselben Modalitäten wie die anderen Verfahrensausschüsse (Zusammensetzung aus Vertretern der Mitgliedstaaten270, Vorsitz der Kommission, An263 Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 der Standardgeschäftsordnung für Ausschüsse, ABl. Nr. C 206 v. 12. 7. 2011, S. 12; Art. 5 Abs. 1 S. 1 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 264 Art. 5 Abs. 2 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. In der Praxis liegt die durchschnittliche Zeit zwischen der Abstimmung im Ausschuss und der Annahme des Durchführungsrechtsakts durch die Kommission zwischen 30 und 50 Tagen. 265 Vgl. Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission, ABl. Nr. L 55 v. 28. 2. 2011, S. 19. 266 Blumann, CDE 2011, 23, 47 f. 267 EuGH, Urteil v. 4. 7. 2012, Laboratoires CTRS/Kommission, T-12/12, EU:T:2012:343, Rn. 20 ff. 268 Der Berufungsausschuss wurde bislang hauptsächlich im Bereich des Verbraucherschutzes, der Gesundheit und in Bezug auf genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel sowie Pflanzenschutzmittel einberufen. Siehe hierzu auch die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die Überprüfung des Entscheidungsprozesses in Bezug auf genetisch veränderte Organismen, (GVO), KOM(2015) final v. 22. 4. 2015. 269 Art. 5 Abs. 3 S. 2 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 270 Die Vertreter der Mitgliedstaaten im Berufungsausschuss sind aber im Gegensatz zu denen der Komitologieausschüsse von höherrangigem Vertretungsniveau, vgl. Art. 1 Abs. 5 der

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wendung derselben Abstimmungsregeln) unterworfen ist,271 sondern vielmehr um eine zweite Kontrollebene. Zum Zwecke der Entscheidung hat die Kommission die Mitglieder des Berufungsausschusses unverzüglich von ihrem Beschluss zu informieren, den Berufungsausschuss mit der Sache zu befassen und den Entwurf der Durchführungsmaßnahme zu übermitteln.272 Dieser tritt dann frühestens 14 Tage und spätestens sechs Wochen nach dieser Unterrichtung zusammen.273 Wird der Berufungsausschuss mit der Sache befasst, stimmt er über den Vorschlag mit qualifizierter Mehrheit ab.274 Die Stellungnahme ist grundsätzlich innerhalb von zwei Monaten nach Befassung abzugeben;275 in dringenden Fällen kann die Frist allerdings verkürzt sein.276 Wird die Frist für die Abgabe der Stellungnahme überschritten, so gilt die Stellungnahme als nicht abgegeben i.S.d. Art. 6 Abs. 3 der Komitologieverordnung („keine Stellungnahme“).277 Auch im Prüfverfahren ist es möglich, bis zur Abstimmung Änderungen am Entwurf vorzuschlagen und durch den Vorsitz (Kommission) anzunehmen.278 Hierbei soll sich die Kommission um Lösungen mit einer möglichst breiten Zustimmung bemühen und den Berufungsausschuss informieren, wie Beratungen und Änderungswünsche berücksichtigt wurden.279 Sollte sich eine qualifizierte Mehrheit für den Entwurf im Berufungsausschuss finden, so erlässt die Kommission die geplante Maßnahme.280 Widerspricht der Ausschuss mit qualifizierter Mehrheit dem Vorhaben der Kommission, hat die Kommission den Erlass des Durchführungsrechtsakts zu unterlassen.281 Findet sich weder eine unterstützende noch eine ablehnende qualifizierte Mehrheit („keine Geschäftsordnung des Berufungsausschusses (Verordnung (EU) Nr. 182/2011), ABl. Nr. C 183 v. 24. 6. 2011, S. 13. 271 Vgl. Art. 3 Abs. 2 S. 1 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 272 Art. 1 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Berufungsausschusses (Verordnung (EU) Nr. 182/2011), ABl. Nr. C 183 v. 24. 6. 2011, S. 13. 273 Art. 1 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Berufungsausschusses (Verordnung (EU) Nr. 182/2011), ABl. Nr. C 183 v. 24. 6. 2011, S. 13; Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 S. 1 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 274 Art. 6 Abs. 1 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011; Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Geschäftsordnung des Berufungsausschusses (Verordnung (EU) Nr. 182/2011), ABl. Nr. C 183 v. 24. 6. 2011, S. 14. 275 Art. 3 Abs. 7 Unterabs. 3 S. 2 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 276 Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2, Abs. 7 Unterabs. 3 S. 2 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 277 Art. 5 Abs. 4 S. 2 der Geschäftsordnung des Berufungsausschusses (Verordnung (EU) Nr. 182/2011), ABl. Nr. C 183 v. 24. 6. 2011, S. 14. 278 Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 279 Art. Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 2, Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011; Art. 4 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Berufungsausschusses (Verordnung (EU) Nr. 182/2011), ABl. Nr. C 183 v. 24. 6. 2011, S. 14. 280 Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 1 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 281 Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 3 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011.

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Kap. 3: Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick

Stellungnahme“), so ist es der Kommission überlassen, ob sie den Rechtsakt erlässt oder nicht.282 Maßnahmen die nach Annahme der Kommission endgültige multilaterale Schutzmaßnahmen betreffen, können hingegen nur mit qualifizierter Mehrheit des Ausschusses erlassen werden.283 Sollte sich im Komitologieausschuss eine qualifizierte Mehrheit weder für noch gegen die vorgelegte Maßnahme finden („keine Stellungnahme“),284 kann die Kommission die Maßnahme erlassen, muss sie aber nicht.285 Die Kommission kann eine Maßnahme also grundsätzlich erlassen, sofern sich keine qualifizierte Mehrheit gegen diese im Prüfausschuss finden lässt. Damit gleicht die Regelung der für delegierte Rechtsakte, da es für deren Verhinderung ebenfalls einer qualifizierten Mehrheit bedarf, wenngleich auch nicht in einem Ausschuss, sondern im Europäischen Parlament oder Rat. Diese Wahlmöglichkeit unterliegt allerdings drei Ausnahmen, bei deren Vorliegen die Kommission den Entwurf bei fehlender Mehrheit dennoch nicht annehmen kann. Dies ist zum einen der Fall, wenn der vorgesehene Durchführungsrechtsakt die Besteuerung, Finanzdienstleistungen, den Schutz der Gesundheit oder der Sicherheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen oder endgültige multilaterale Schutzmaßnahmen betrifft,286 zum anderen wenn im Rahmenrechtsakt vorgesehen ist, dass der Entwurf nicht erlassen werden darf, wenn die Stellungnahme ausbleibt287 oder aber wenn die Mitglieder des Ausschusses diesen mit einfacher Mehrheit ablehnen.288 Die Aufnahme einer Klausel über die Nichtabgabe einer Stellungnahme im Rahmenrechtsakt „muss einer spezifischen Notwendigkeit entsprechen und vom Gesetzgeber begründet werden,“289 was der Komitologieverordnung selbst allerdings so nicht zu entnehmen ist. Auch in diesen Ausnahmefällen ist es aber möglich, wie bei ablehnender Stellungnahme, innerhalb von zwei Monaten demselben Ausschuss eine geänderte Fassung des Entwurfes vorzulegen oder innerhalb eines Monats den Berufungsausschuss zur Abstimmung anzurufen, der dann, wie soeben dargestellt, verfährt.290 282

Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 2 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. Art. 6 Abs. 4 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 284 Vgl. Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Durchführung der Verordnung (EU) 182/2011, COM(2016) 92 final v. 26. 2. 2016, S. 6. 285 Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 1 S. 1 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. In der Praxis hat sich gezeigt, dass die Kommission im Falle der Nichtabgabe einer Stellungnahme zum ganz überwiegenden Teil die Maßnahme dennoch erlässt. 286 Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 lit. a der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 287 Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 lit. b der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 288 Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 lit. c der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 289 EuGH, Urteil v. 21. 1. 2003, Kommission/Parlament und Rat, C-378/00, EU:C:2003:42; Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Durchführung der Verordnung (EU) 182/2011, COM(2016) 92 final v. 26. 2. 2016, S. 6; Ziff. 24 und 25 der Implementation of the Treaty of Lisbon, Implementing Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2012) 617. 290 Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 3 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 283

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Der Basisrechtsakt kann aber regeln, dass in den Ausnahmefällen die Möglichkeit zur erneuten Vorlage oder die Befassung des Berufungsausschusses ausgeschlossen ist. Dieser Weg lässt sich zwar der Komitologieverordnung nicht entnehmen, ist aber in der Praxis anerkannt.291 cc) Erlass in Ausnahmefällen Abweichend von der Regelung, dass die Kommission die Maßnahme bei ablehnender Stellungnahme und in Sonderfällen auch bei keiner Stellungnahme nicht erlässt, kann die Kommission die Durchführungsmaßnahme trotzdem erlassen, wenn diese unverzüglich erlassen werden muss, um eine erhebliche Störung der Agrarmärkte oder eine Gefährdung der finanziellen Interessen der Union (Art. 325 AEUV) zu verhindern.292 Nach Ansicht der Organe liegt eine solche Situation vor, wenn es nicht möglich ist, zuzuwarten bis der Ausschuss über denselben oder den überarbeiteten Vorschlag abstimmt, ohne dass es zu massiven Störungen des Markts, zur Bedrohung der Sicherheit von Menschen oder zur Gefährdung der finanziellen Interessen der Union kommt.293 Dies könne z. B. wegen spekulativen Verhaltens bestimmter Akteure der Fall sein. Insbesondere können derartige Situationen im Zusammenhang mit dem Verwaltungshandeln der GAP (Festlegung von Ausfuhrerstattungen, Verwaltung von Lizenzen, besondere Schutzklauseln) auftreten, da diese Entscheidungen häufig erheblichen Einfluss auf die Landwirte und den Haushalt der Union haben und entsprechend rasch getroffen werden müssten.294 In einem Fall besonderer Dringlichkeit legt die Kommission, nachdem sie die Maßnahme erlassen hat, den Durchführungsrechtsakt unverzüglich dem Berufungsausschuss vor.295 Stimmt der Ausschuss mit qualifizierter Mehrheit gegen den Rechtsakt, hat die Kommission die Maßnahme unverzüglich aufzuheben.296 Findet sich jedoch keine solche Mehrheit gegen den Rechtsakt oder sogar eine befürwortende, bleibt der Rechtsakt in Kraft.297

291 Siehe z. B. Art. 107 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung (EU) 2017/746 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über In-vitro-Diagnostika und zur Aufhebung der Richtlinie 98/79/EG und des Beschlusses 2010/227/EU der Kommission, ABl. Nr. L 117 v. 5. 5. 2017, S. 255. 292 Art. 7 Abs. 1 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 293 Erklärung der Kommission, ABl. Nr. L 55 v. 28. 2. 2011, S. 20. 294 Erklärung der Kommission, ABl. Nr. L 55 v. 28. 2. 2011, S. 20. 295 Art. 1 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Berufungsausschusses (Verordnung (EU) Nr. 182/2011), ABl. Nr. C 183 v. 24. 6. 2011, S. 13. 296 Art. 7 Abs. 2 S. 2 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 297 Art. 7 Abs. 2 S. 3 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011.

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Kap. 3: Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick

dd) Dringlichkeitsverfahren Entsprechend zur delegierten Rechtsetzung ohne ESA-Beteiligung existiert auch bei der Durchführungsrechtsetzung ein beschleunigtes Verfahren bei Angelegenheiten äußerster Dringlichkeit. Der Rahmenrechtsakt muss allerdings vorsehen, dass in solchen hinreichend begründeten Fällen das Dringlichkeitsverfahren zur Anwendung gelangen kann.298 Hier muss der Gesetzgeber bereits im Basisrechtsakt in weiser Voraussicht in den Bereichen das Dringlichkeitsverfahren vorsehen,299 die das Erfordernis eines schnellen Handelns erahnen lassen oder aus Erfahrung eines solchen oftmals bedürfen.300 Wann ein solcher Fall vorliegt, muss in das Ermessen der Kommission als Adressat der Regelung und Durchführungsrechtsetzer gestellt sein. Die Kommission kann dann abweichend vom regulären Gang von Beratungs- und Prüfverfahren den geplanten Rechtsakt sofort erlassen, ohne dass dieser dem zuständigen Ausschuss unterbreitet wurde.301 Das Dringlichkeitsverfahren ist somit nicht als eigenes Verfahren zu sehen, sondern als Variante bzw. Ausnahme des Beratungs- oder Prüfverfahrens.302 Der Rechtsakt bleibt dann grundsätzlich für höchstens sechs Monate in Kraft, es sei denn, der Basisrechtsakt bestimmt etwas anderes.303 Der erlassene Rechtsakt ist aber spätestens 14 Tage nach seinem Erlass dem Beratungs- oder Prüfausschuss zur Abstimmung vorzulegen.304 Sieht der Basisrechtsakt regulär das Prüfverfahren vor, so hat die Kommission den Rechtsakt bei einem negativen Votum des Ausschusses unverzüglich aufzuheben.305 ee) Regelungsverfahren mit Kontrolle306 Bei sämtlichen vor Inkrafttreten von Lissabon erlassenen Rechtsakten, in denen auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle i.S.d. Komitologiebeschlusses 1999/468/ EG verwiesen wird, behält das Verfahren auch weiterhin seine Wirkung.307 Dies ist insbesondere im Finanzdienstleistungsbereich von Bedeutung, da das Verfahren im Rahmen von Lamfalussy vermehrt Anwendung gefunden hat. Diesbezüglich regelt 298

Art. 8 Abs. 1 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. Anders als bei der Überlagerung des Prüfverfahrens durch das Beratungsverfahren in hinreichend begründeten Fällen. Siehe oben unter A. II. 2. a). 300 So z. B. in Art. 54 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung (EU) 2017/746 des Europäischen Parlaments und des rates vom 5. April 2017 über In-vitro-Diagnostika und zur Aufhebung der Richtlinie 98/79/EG und des Beschlusses 2010/227/EU der Kommission, ABl. Nr. L 117 v. 5. 5. 2017, S. 224. 301 Art. 8 Abs. 2 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 302 So auch die Kommission in ihrem Bericht über die Tätigkeit der Ausschüsse im Jahr 2011, COM(2012) 685 final v. 23. 11. 2012, S. 4. 303 Art. 8 Abs. 2 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 304 Art. 8 Abs. 3 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 305 Art. 8 Abs. 4 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 306 Siehe hierzu Kapitel 2 C. II. 2. b) (bb). 307 Vgl. Art. 12 Abs. 2 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 299

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Art. 88 der Geschäftsordnung des Parlaments in der Fassung vom Dezember 2009 weiterhin die innerparlamentarischen Verfahrensschritte im Regelungsverfahren mit Kontrolle. Ebenso gilt die Vereinbarung308 zwischen Parlament und Kommission von 2008. Darüber hinaus enthält die Geschäftsordnung des Parlaments Regelungen zu Verfahren und Fristbeginn hinsichtlich des Regelungsverfahrens mit Kontrolle.309 ff) Kontrollrecht des Europäischen Parlaments und des Rates Kontrollrechte des Parlaments und des Rates finden sich in Art. 11 der Verordnung. Sie können alternativ oder kumulativ die Kommission zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens darauf hinweisen, dass der Entwurf eines Durchführungsrechtsakts ihres Erachtens die im Basisrechtsakt vorgesehenen Durchführungsbefugnisse überschreitet (droit de regard), sofern der Basisrechtsakt im Kodezisionsverfahren zustande gekommen ist.310 Im Umkehrschluss steht den Organen das Kontrollrecht nicht zu, wenn der Grundrechtsakt durch das besondere Gesetzgebungsverfahren oder im Wege der delegierten Rechtsetzung erlassen wurde. Aus Sicht des Primärrechts wäre dies gleichwohl zulässig, Art. 291 Abs. 2 AEUV.311 Um das Kontrollrecht effektiv wahrnehmen zu können, werden alle in den Ausschüssen erörterten Maßnahmenvorschläge der Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Rat zeitgleich zur Verfügung gestellt.312 Es steht der Kommission jedoch frei, den Entwurf trotz der Einwände anzunehmen. Sie hat lediglich das Parlament und den Rat darüber zu unterrichten, ob sie beabsichtigt, ihren Entwurf beizubehalten, abzuändern oder zurückzuziehen.313 Sie hat aber in einer Erklärung zur Komitologieverordnung mitgeteilt, dass sie im Falle der Rüge ihren Entwurf unverzüglich überarbeitet und dabei den Standpunkten des Parlaments und des Rates Rechnung trägt.314 Darüber hinaus hat die Kommission sich dazu bereit erklärt, ihre den anderen Organen mitzuteilenden Absichten auch zu begründen.315 In der Praxis scheint das Kontrollrecht von Parlament und Rat bisher jedoch keine große Rolle zu spielen.316 308 Interinstitutionelle Vereinbarung: Europäisches Parlament, Kommission: Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament und der Kommission über die Modalitäten der Anwendung des Beschlusses 1999/468/EG des Rates zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, in der Fassung des Beschlusses 2006/512/EG, ABl. Nr. C 143 v. 10. 6. 2008, S. 1. 309 Siehe Art. 106 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments v. Januar 2017. 310 Art. 11 S. 1 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 311 So auch Craig, ELR 2011, 671, 684; Fabricius, EuZW 2014, 453, 454. 312 Vgl. Erwägungsgrund 17 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011; Art. 10 Abs. 4 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 313 Art. 11 S. 2 der Komitologieverordnung (EU) Nr. 182/2011. 314 Erklärung der Kommission zur Verordnung Nr. 182/2011, ABl. Nr. L 55 v. 28. 2. 2011, S. 20. 315 Erklärung der Kommission zur Verordnung Nr. 182/2011, ABl. Nr. L 55 v. 28. 2. 2011, S. 20.

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b) Stufe 2,5: Technische Durchführungsstandards der ESMA (ITS) Entsprechend den RTS als besondere Form der delegierten Rechtsetzung im Finanzdienstleistungsbereich kann die Kommission auch im Bereich der Durchführung technische Durchführungsstandards auf Grundlage der Verordnungen über die Europäischen Aufsichtsbehörden erlassen, sofern der Basisrechtsakt die Kommission die entsprechende Befugnis überträgt. Art. 15 i.V.m. Art. 1 Abs. 2 ESMAVO gewährt auch hier nur eine allgemeine, grundsätzliche Zuständigkeit für den Erlass von technischen Durchführungsstandards. Zwar werden die technischen Durchführungsstandards als Durchführungsrechtsakte i.S.d. Art. 291 AEUV erlassen,317 beim Verfahren zu ihrem Erlass findet die Komitologieverordnung jedoch keine Anwendung, da es an einer eindeutigen gesetzlichen Regelung mangelt; das Verfahren nach Art. 15 ESMA-VO überlagert den Komitologieprozess.318 Dies zeigt sich in der Praxis daran, dass bei technischen Durchführungsstandards im Gegensatz zu einfachen Durchführungsrechtsakten in den Erwägungsgründen die Bezugnahme auf den beteiligten Ausschuss fehlt.319 Die bei der Durchführungsrechtsetzung nach Art. 291 AEUV notwendige Kontrolle durch die Mitgliedstaaten wird dadurch gewährleistet, dass das Initiativrecht für technische Durchführungsstandards, von dem die Kommission regelmäßig nicht abweichen kann,320 grundsätzlich bei der Aufsichtsbehörde liegt, an deren primärem Entscheidungsorgan, dem Rat der Aufseher, alle zugehörigen europäischen Gremien

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Bis Januar 2016 wurde das Kontrollrecht vom Rat überhaupt nicht und vom Europäischen Parlament lediglich in vier Fällen (P7_TA(2014)0096, P8_TA(2015)0409, P8_TAPROV(2015)0455, P8_TA-PROV(2015)0456) ausgeübt. Zum ersten der genannten Fälle siehe auch Fabricius, EuZW 2014, 453, 453 ff. 317 Weber-Rey/Horak, WM 2013, 721, 724; Gal, in: Dreher/Wandt, Solvency II in der Rechtsanwendung 2014, S. 15. 318 Achleitner/Soetopo/Wutscher, Der neue Rechtsrahmen für die Komitologie nach dem Vertrag von Lissabon, S. 29; Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 63; Weber-Rey/ Horak, WM 2013, 721, 724; Clifford/Chance, Briefing, Europäischer Finanzsektor und Gesetzgebungsverfahren – Ein Zwischenbericht, S. 4 f. Unzutreffend daher Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 872; Wörner, Rechtlich weiche Verhaltenssteuerungsformen Europäischer Agenturen als Bewährungsprobe der Rechtsunion, Diss., 2017, S. 72. 319 Vgl. Erwägungsgrund 16 der Durchführungsrichtlinie (EU) 2015/2392 der Kommission vom 17. Dezember 2015 zur Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Meldung tatsächlicher oder möglicher Verstöße gegen diese Verordnung, ABl. Nr. L 332 v. 18. 12. 2015, S. 126; im Gegensatz hierzu keine Erwähnung eines Ausschusses bei der Durchführungsverordnung (EU) 2018/292 der Kommission vom 26. Februar 2018 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards im Hinblick auf Verfahren und Formulare für Informationsaustausch und Amtshilfe zwischen zuständigen Behörden gemäß der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates über Marktmissbrauch, ABl. Nr. L 55 v. 27. 2. 2018, S. 34. 320 Vgl. Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 4 S. 3 ESMA-VO.

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nur mit beratender Stimme mitwirken und lediglich die Vertreter der Mitgliedstaaten stimmberechtigt sind.321 Mithilfe der technischen Durchführungsstandards sollen ausreichende Bedingungen zur Durchführung und Anwendung der in Art. 1 Abs. 2 ESMA-VO genannten Rechtsakte geschaffen werden.322 Eine Änderung oder Ergänzung des Basisrechtsakts, wie sie durch die Regulierungsstandards herbeigeführt werden kann, ist damit entsprechend den Durchführungsrechtsakten ausgeschlossen.323 In der Regel handelt es sich um reine Abwicklungsfragen, wie die Vorgabe von Standardformularen, Mustern oder Formaten, bei deren Ausarbeitung auf das Fachwissen der ESMA zurückgegriffen werden soll.324 Da wie beim RTS keine strategischen oder politischen Entscheidungen getroffen werden dürfen, ist eine Abgrenzung schwierig.325 Wann der Gesetzgeber die Kommission allerdings zum Erlass von einfachen Durchführungsrechtsakten und wann zum Erlass von technischen Durchführungsstandards ermächtigt, ist ebenso unklar. Es scheinen Zweckerwägungen in der Art zu sein, zu überlegen, wer für den Erlass der Maßnahme geeignet(er) erscheint; die Verteilung der Befugnisse mutet in Ansehung der Praxis jedoch eher zufällig an.326 Das Verfahren zum Erlass der Durchführungsstandards wird mit offenen Anhörungen interessierter Kreise und der Analyse der potentiell anfallenden Kosten und des Nutzens der geplanten Maßnahme durch die ESMA eingeleitet.327 Ebenso konsultiert sie die Interessengruppe Wertpapiere und Wertpapiermärkte.328 Den Entwurf des technischen Durchführungsstandards legt die ESMA sodann der Kommission zur Zustimmung329 vor,330 die ihn dann umgehend an Parlament und Rat weiterzuleiten hat.331 Die Kommission hat innerhalb von drei Monaten nach Erhalt 321 Vgl. Art. 40 Abs. 1 ESMA-VO. Zur Zusammensetzung der Agenturen und deren Abstimmungsverfahren siehe auch Michel, DÖV 2011, 728, 730 ff. 322 Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 ESMA-VO. 323 Hitzer/Hauser, BKR 2015, 52, 55. 324 Siehe für die Marktmissbrauchsverordnung: Durchführungsverordnung (EU) Nr. 2016/ 347 (Format der Insiderlisten); Durchführungsverordnung (EU) Nr. 2016/378 (Zeitplan, Format und Muster für die Übermittlung der nach der Marktmissbrauchsverordnung erforderlichen Meldungen an Behörden); Durchführungsverordnung (EU) Nr. 2016/523 (Format und Vorlage für die Meldung von Directors’ Dealings). 325 So Weber-Rey/Horak, WM 2013, 721, 724. 326 So auch Walla, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, § 4 Rn. 17. 327 Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 1 ESMA-VO. 328 Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 ESMA-VO. 329 Zwar spricht die Verordnung in Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 3 von der Zustimmung und nicht wie bei den Regulierungsstandards von „Billigung“, jedoch wird bereits in Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 5 S. 1 von „nicht […] billigen“ gesprochen, sodass davon auszugehen ist, dass in dieser Hinsicht kein Unterschied besteht. So wird in der englischen Fassung in beiden Fällen der Terminus „for endorsement“ genutzt. Ebenso einheitlich ist die französische Fassung („pour approbation“). 330 Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 3 ESMA-VO. 331 Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 3 ESMA-VO.

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Kap. 3: Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick

über die Billigung zu befinden.332 Die Frist kann jedoch von der Kommission um einen Monat verlängert werden.333 Ebenso wie bei den Regulierungsstandards kann die Kommission den Entwurf der Behörde nur abändern, wenn dies aus Gründen des Unionsinteresses erforderlich ist. Das Vorliegen genannter Gründe zwingt die Kommission allerdings zur Abänderung.334 Beabsichtigt die Kommission die geplante Maßnahme nicht wie von der Behörde vorgelegt zu erlassen, so muss sie den Entwurf an die Behörde zurückschicken und erläutern, weshalb sie dem Entwurf der ESMA nicht folgen wird.335 Die ESMA kann nun ihrerseits auf die Stellungnahme der Kommission eingehen. Sie kann ihren Entwurf den Änderungswünschen der Kommission innerhalb von sechs Wochen anpassen und ihn erneut förmlich einbringen.336 Ihre Anpassung ist dann ebenfalls von ihr an Parlament und Rat zu übermitteln.337 Im Fall der Kooperation erlässt die Kommission den geänderten Durchführungsrechtsakt. Die Behörde kann sich jedoch auch weigern oder einen Entwurf vorlegen, der zwar geändert wurde, aber nicht mit den Änderungsvorschlägen der Kommission übereinstimmt.338 In diesem Fall steht es der Kommission offen, ob sie den Standard in der von ihr gewünschten Form erlässt oder nicht.339 Es wird deutlich herausgestellt, dass die Kommission ein Änderungsvorhaben nicht durchführen darf, ohne sich vorher in dem dargestellten Maß mit der Behörde abgestimmt zu haben.340 Sollte die Behörde im Basisrechtsakt den Auftrag erhalten, einen Entwurf eines technischen Durchführungsstandards auszuarbeiten und es versäumen diesen der Kommission innerhalb der im Basisrechtsakt vorgesehenen Frist vorzulegen, kann die Kommission einen Entwurf der ESMA innerhalb einer neuen Frist anfordern.341 Über die Länge der Frist schweigt die Verordnung. Es ist aber davon auszugehen, dass die Kommission die Frist zum einen der Dringlichkeit der Sache anzupassen hat und sie zum andern so wählen muss, dass es der ESMA auch tatsächlich möglich ist, einen Entwurf anfertigen zu können. Grundsätzlich sollte der Entwurf nach dem Willen des Gesetzgebers aus der Feder der Behörde stammen, da sie die größere Sachkenntnis besitzt und Marktteilnehmer, Märkte und deren Funktionieren „am besten kennt.“342

332 333 334 335 336 337 338 339 340 341 342

Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 4 S. 1 ESMA-VO. Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 4 S. 2 ESMA-VO. Vgl. Erwägungsgrund 23 S. 3 der ESMA-VO. Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 5 S. 1 ESMA-VO. Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 5 S. 2 ESMA-VO. Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 5 S. 3 ESMA-VO. Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 6 ESMA-VO. Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 6 ESMA-VO. Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 7 ESMA-VO. Art. 15 Abs. 2 ESMA-VO. Vgl. Erwägungsgrund 23 und 24 der ESMA-VO.

A. Der Ablauf des Lamfalussyverfahrens

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Sollte die von der Kommission gesetzte Nachfrist verstreichen, ohne dass die Behörde einen Entwurf vorlegt, kann die Kommission ihrerseits einen Entwurf ausarbeiten und annehmen.343 Das Initiativrecht springt in diesem Fall auf die Kommission über. Hierzu führt die Kommission anstelle der ESMA die offenen Anhörungen und die Kosten-Nutzen-Analyse durch.344 Ebenso ist von ihr die Stellungnahme der Interessengruppe Wertpapiere und Wertpapiermärkte einzuholen.345 Den Entwurf hat die Kommission sodann an Parlament und Rat weiterzuleiten.346 Zudem ist der Entwurf von der Kommission an die ESMA zu übersenden.347 Diese kann den Entwurf dann innerhalb von sechs Wochen nach Erhalt abändern und der Kommission in einer förmlichen Stellungnahme unterbreiten.348 Auch diese Stellungnahme ist dem Parlament und dem Rat zu übermitteln. Sorge hierfür trägt die ESMA.349 Durch die Beteiligung der ESMA wird sichergestellt, dass ihre Expertise selbst im Falle der Säumnis in den Rechtsetzungsprozess eingebracht werden kann. Die Kommission hat allerdings, anders als im Fall der Initiativrechtsausübung durch die ESMA, die Wahl, ob sie den Änderungen der ESMA nachkommt oder die Maßnahme in der von ihr gewählten Ausgestaltung erlässt.350 Hat sich die Behörde allerdings auch innerhalb der sechswöchigen Frist nicht zum Entwurf geäußert, kann die Kommission ihren Entwurf erlassen.351 Auch im Fall der Säumnis der ESMA und dem damit einhergehenden Initiativrecht der Kommission wird klargestellt, dass ein Erlass des technischen Durchführungsstandards ohne den vorherigen Versuch der Beteiligung der Behörde nicht möglich ist.352 Bei den erlassenen technischen Standards handelt es sich um Durchführungsrechtsakte i.S.d. Art. 291 AEUV,353 die entweder als Verordnung oder Beschluss erlassen werden.354 Die Standards werden im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und treten an dem darin genannten Datum in Kraft.355

343

Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 1 ESMA-VO; Erwägungsgrund 24 S. 3 der ESMA-VO. Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 2 S. 1 ESMA-VO. 345 Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 2 S. 2 ESMA-VO. 346 Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 3 ESMA-VO. 347 Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 4 S. 1 ESMA-VO. 348 Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 4 S. 2 und 3 ESMA-VO. 349 Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 4 S. 3 ESMA-VO. 350 Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 6 ESMA-VO. 351 Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 5 ESMA-VO. 352 Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 7 ESMA-VO. 353 Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 1 ESMA-VO; Erwägungsgrund 25 der ESMA-VO; WeberRey/Horak, WM 2013, 721, 724; Gal, in: Dreher/Wandt, Solvency II in der Rechtsanwendung 2014, S. 15; Hitzer/Hauser, BKR 2015, 52, 54. 354 Art. 15 Abs. 4 S. 1 ESMA-VO. 355 Art. 15 Abs. 4 S. 2 ESMA-VO. 344

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Kap. 3: Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick

Im gesamten Prozess sind zwar Informationsrechte von Parlament und Rat enthalten, es fehlt aber vollständig an Mitsprache- oder Kontrollmöglichkeiten. Die Einbeziehung ist auch nicht erforderlich, da keine modifizierende Einwirkung der Standards auf den Rahmenrechtsakt als Gesetzgebungsakt möglich ist, die eine Kontrolle durch den Gesetzgeber erforderlich machen würde.356 Die Kontrollrechte aus der Komitologieverordnung sind aufgrund der Überlagerung durch die ESMAVO auch nicht entsprechend anwendbar.

III. Stufe 3: Leitlinien und Empfehlungen der ESMA In den von den technischen Standards nicht abgedeckten Bereichen ist es der ESMA möglich, Leitlinien und Empfehlungen357 für die zuständigen nationalen Behörden und Marktteilnehmer zur Anwendung des Unionsrechts abzugeben.358 Dennoch müssen sich die Handlungsformen gegenständlich in dem durch Art. 1 Abs. 2 und Abs. 3 ESMA-VO abgesteckten Tätigkeitsbereich befinden.359 Durch die Leitlinien und Empfehlungen sollen innerhalb des ESFS kohärente, effiziente und wirksame Aufsichtspraktiken geschaffen und eine einheitliche Anwendung des Unionsrechts sichergestellt werden.360 Der ESMA kann durch den Basisrechtsakt die Aufgabe zum Erlass solcher Maßnahmen übertragen werden.361 Zwingend erforderlich für den Erlass von Leitlinien und Empfehlungen als unverbindliche Maßnahmen ist eine solche Ermächtigung im Basisrechtsakt allerdings nach der ESMAVO nicht.362 Gefordert wird hiernach nur die Schaffung von Einheitlichkeit und Kohärenz. Entsprechend wird die Behörde in der Praxis oftmals aus Eigeninitiative tätig.363 Worin sich Leitlinien und Empfehlungen unterscheiden, lässt sich nicht sagen, da weder die ESMA-VO noch die Behörde die Maßnahmeformen erläutern. Art. 16 ESMA-VO spricht einheitlich stets von beiden Maßnahmen; auch die ESMA differenziert in ihrer Praxis teilweise nicht zwischen den Handlungsformen und erlässt 356

Hitzer/Hauser, BKR 2015, 52, 55. Siehe auch unten unter Kapitel 4 B. II. 2. b). Siehe hierzu auch die Übersicht aller bereits veröffentlichten Leitlinien und Empfehlungen der ESMA, abrufbar unter https://www.esma.europa.eu/convergence/guidelines-andtechnical-standards (zuletzt abgerufen am 30. 4. 2020). 358 Vgl. Erwägungsgrund 26 S. 1 der ESMA-VO. 359 Sasserath-Alberti/Hartig, VersR 2012, 524, 531; Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 875 Fn. 64. 360 Art. 16 Abs. 1 ESMA-VO. 361 Siehe z. B. Art. 7 Abs. 5, Art. 11 Abs. 11 und Art. 17 Abs. 11 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014. 362 Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 64; Sasserath-Alberti/Hartig, VersR 2012, 524, 531; Veil, ZBB 2014, 85, 88. 363 So z. B. Guidelines on MiFID II product governance requirements (ESMA35-43-620). 357

A. Der Ablauf des Lamfalussyverfahrens

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ihre Maßnahmen als „Guidelines and Recommendations“.364 Der Lamfalussybericht hatte allerdings noch eine Differenzierung der Maßnahmen vorgesehen.365 Dieser Empfehlung ist man offensichtlich nicht gefolgt, da sich auch der bisherigen Praxis keine Gesetzmäßigkeit entnehmen lässt.366 Die ESMA scheint allerdings die Maßnahmeform der Leitlinie zu bevorzugen.367 Bevor die Behörde allerdings Leitlinien und Empfehlungen erlässt, führt sie offene Anhörungen zur geplanten Maßnahme durch und analysiert die mit der Maßnahme verbundenen potentiellen Kosten und Nutzen.368 Ebenfalls hat sie, gleichlaufend zu den Standards, die Stellungnahme der Interessengruppe Wertpapiere und Wertpapiermärkte einzuholen.369 Die Behörde kann jedoch auf Anhörung und Analyse verzichten, wenn sie diese als unnötig erachtet.370 Als unnötig ist eine Anhörung und Analyse etwa dann anzusehen, wenn sie zu Umfang, Natur und Folgen der Maßnahme in Missverhältnis steht.371 Obwohl den Leitlinien und Empfehlungen in rechtlicher Hinsicht anders als den Standards keine Bindungswirkung zukommt,372 die als Verordnung oder Beschluss ergehen, wird von den zuständigen Behörden und Finanzmarktteilnehmern dennoch gefordert, alle erforderlichen Anstrengungen zu unternehmen, um den Maßnahmen nachzukommen.373 So haben die zuständigen nationalen Behörden als Adressaten der Maßnahmen innerhalb von zwei Monaten 364 Vgl. etwa Guidelines and Recommendations for establishing consistent, efficient and effective assessments of interoperability arrangements, ESMA/2013/323 v. 10. 6. 2013, S. 4. 365 Schlussbericht der Weisen, S. 10. 366 So auch zutreffend Dickschen, Empfehlungen und Leitlinien als Handlungsform der Europäischen Finanzaufsichtsbehörden, Diss., 2017, S. 111 f. Siehe aber die aus praktischer Sicht unzutreffenden Abgrenzungsvorschläge bei Veil, ZGR 2014, 544, 594 f.; Möllers, ZEuP 2008, 480, 491; Levi, Tulane European and Civil Law Forum 2013, 51, 69; Thomas, EuR 2009, 523, 524. 367 Siehe die Auflistung der bisher erlassenen Level-3-Maßnahmen unter https://www.esma. europa.eu/convergence/guidelines-and-technical-standards (zuletzt abgerufen am 30. 4. 2020). Siehe auch Dickschen, Empfehlungen und Leitlinien als Handlungsform der Europäischen Finanzaufsichtsbehörden, Diss., 2017, S. 67. 368 Art. 16 Abs. 2 S. 1 ESMA-VO. 369 Art. 16 Abs. 2 S. 4 ESMA-VO. 370 So z. B. bei den auf Eigeninitiative der Behörde zurückgehenden Leitlinien und Empfehlungen zur EMIR (Guidelines and Recommendations regarding the implementation of the CPSSIOSCO Principles for Financial Market Infrastructures in respect of Central Counterparties). 371 Art. 16 Abs. 1 S. 2 ESMA-VO. 372 Veil, ZGR 2014, 544, 599 f.; Sasserath-Alberti/Hartig, VersR 2012, 524, 530; Rötting/ Lang, EuZW 2012, 8, 10; Kämmerer, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 67 f.; Frank, Rechtswirkungen der Leitlinien und Empfehlungen, Diss., 2012, S. 171 f.; Walla, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, § 11 Rn. 62; Wörner, Rechtlich weiche Verhaltenssteuerungsformen Europäischer Agenturen als Bewährungsprobe der Rechtsunion, Diss. 2017, S. 218; Baur/Boegl, BKR 2011, 177, 183; Sonder, BKR 2012, 8, 9; Michel, DÖV 2011, 728, 732, 734. 373 Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 1 ESMA-VO.

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Kap. 3: Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick

nach Veröffentlichung einer Leitlinie oder Empfehlung zu erklären, ob sie der Maßnahme der Behörde Folge leisten oder leisten werden.374 Beabsichtigt eine nationale Aufsichtsbehörde der ESMA nicht zu entsprechen, so hat sie der Behörde dies mitzuteilen und ihr Abweichen zu begründen (comply or explain).375 In diesem Fall behält sich die ESMA vor, die Nichteinhaltung durch die adressierte nationale Behörde zu veröffentlichen und im Einzelfall sogar die Gründe der Nichtbefolgung anzugeben.376 Möglich und in der Praxis zu beobachten ist neben der Mitteilung eines gänzlichen Befolgens (fully-comply-Erklärung) auch eine teilweise Befolgung mit der entsprechenden Erklärung (partially-comply-Erklärung).377 Das aus dem Finanzdienstleistungsaufsichtssektor bekannte „naming and shaming“ soll auch in diesem Fall den Druck erhöhen, um eine „verstärkte Einhaltung“ der Leitlinien und Empfehlungen zu erreichen.378 Eine Übersicht über die Compliance der nationalen Aufsichtsbehörden, die den Vorgaben der ESMA nicht folgen, findet sich auf der Website der ESMA.379 Es scheint allerdings so, dass die mitgliedstaatlichen Aufsichtsbehörden diesen Pranger nicht allzu sehr fürchten.380 Der Druck soll darüber hinaus weiter dadurch verstärkt werden, dass die Behörde in ihrem jährlichen Bericht an Parlament, Rat und Kommission darüber informiert, welche mitgliedstaatlichen Behörden den unverbindlichen Maßnahmen nicht nachgekommen sind.381 Kleinere Mitgliedstaaten sind dazu übergegangen, die Leitlinien und Empfehlungen der ESMA auf ihrer Internetpräsenz zu veröffentlichen, während etwa Deutschland und das Vereinigte Königreich eigene Leitlinien und Rundschreiben herausgeben, die entsprechend angepasst sind, je nachdem ob und wie die Behörden den europäischen Vorgaben folgen.382 Ebenso können auch die Marktteilnehmer in den Leitlinien und Empfehlungen verpflichtet werden, zu erklären, ob sie den Maßnahmen nachkommen werden.383 Anders als bei den nationalen Aufsichtsbe-

374

Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 2 S. 1 ESMA-VO. Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 2 S. 2 ESMA-VO. 376 Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 3 ESMA-VO. 377 So etwa die Bafin für den Bereich der EU-Leerverkaufsregulierung. Hierzu Ludewig/ Geilfus, WM 2013, 1533. 378 Vgl. Erwägungsgrund 26 S. 2 der ESMA-VO; Walla, BKR 2012, 265, 266; Klöhn, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, Einleitung Rn. 38. 379 https://www.esma.europa.eu/document-types/compliance-table (zuletzt abgerufen am 30. 4. 2020). 380 Vgl. die compliance-table. Siehe auch Veil, ZGR 2014, 544, 590 f. 381 Art. 16 Abs. 4 ESMA-VO. 382 Veil, ZGR 2014, 544, 592; Ludewig/Geilfus, WM 2013, 1533, 1537. 383 Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 4 ESMA-VO. Die Formulierung „Wenn dies gemäß der Leitlinie oder Empfehlung erforderlich ist, […]“ ist insofern missverständlich, als sie suggerieren könnte, dass die Berichterstattung dann zu erfolgen hat, wenn dies für die effektive Durchführung der Maßnahmen notwendig ist. Gemeint ist aber vielmehr, dass von den 375

A. Der Ablauf des Lamfalussyverfahrens

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hörden haben die Finanzteilnehmer eine Nichtbefolgung der Leitlinien und Empfehlungen nicht zu begründen. In der bisherigen Praxis der ESMA richten sich die Verlautbarungen in den meisten Fällen sowohl an die nationalen Behörden als auch an die Finanzmarktakteure, selten an private Anleger und Verbraucher.384

IV. Stufe 4: Aufsicht und Kontrolle durch Kommission und ESMA Als „Hüterin der Verträge“ prüft die Kommission auf der vierten Stufe des Lamfalussyprozesses die ordnungsgemäße Umsetzung der erlassenen EU-Rechtsakte in nationales Recht durch die Mitgliedstaaten. In der Praxis wird diese Tätigkeit im Kapitalmarktrecht faktisch weitgehend von der ESMA wahrgenommen.385 In Anbetracht der Langwierigkeit des Vertragsverletzungsverfahrens386 nach Art. 258 AEUV wurde der ESMA mit Art. 17 ESMA-VO387 die Befugnis eingeräumt, im Rahmen eines dreistufigen Verfahrens388 gegen Verletzungen des Unionsrechts einschließlich der technischen Standards durch eine nationale Behörde vorzugehen.389 Da die Aufsicht nicht Teil des Rechtsetzungs-, Rechtskonkretisierungsverfahrens oder des rechtsauslegenden Prozesses ist, soll der genaue Ablauf des Verfahrens hier nicht dargestellt werden. Es soll jedoch so viel gesagt sein, dass die Behörde auf der ersten Stufe des Verfahrens eine Untersuchung einleitet, die mit einer Empfehlung an die nationale Behörde endet, in der erläutert wird, welche Maßnahmen zur Einhaltung des Unionsrechts ergriffen werden sollten.390 Auf der zweiten Stufe des Aufsichtsverfahrens kann die Kommission, sofern die Behörde der Empfehlung der ESMA nicht innerhalb eines Monats gefolgt ist, eine der Empfehlung entsprechende förmliche Stellungnahme erlassen.391 Die säumige Behörde hat dann Kommission und ESMA binnen zehn Arbeitstagen über geplante Abhilfemaßnahmen zu berichten.392 Sollte auch dieser Aufforderung der Kommission nicht nachgekommen sein, kann die ESMA unter weiteren spezifischen VoraussetMarktteilnehmern zu berichten ist, wenn eine solche Erklärungsverpflichtung in die Leitlinie oder Empfehlung aufgenommen worden ist, die Maßnahme eine Berichtspflicht also vorsieht. 384 Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 876 f. 385 Klöhn, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, Einleitung Rn. 39. 386 Das Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV ist neben dem Verfahren der ESMA zulässig, vgl. Art. 17 Abs. 6 am Anfang; Zülch/Hoffmann/Detzen, EWS 2011, 167, 170. 387 Siehe auch Erwägungsgründe 27 – 29 der ESMA-VO. 388 Vgl. Erwägungsgrund 28 der ESMA-VO. 389 Hierzu Zülch/Hoffmann/Detzen, EWS 2011, 167, 170; Lehmann/Manger-Nestler, ZBB 2011, 1, 14. 390 Vgl. Art. 17 Abs. 2 und 3 ESMA-VO. 391 Vgl. Art. 17 Abs. 4 ESMA-VO. 392 Vgl. Art. 17 Abs. 5 ESMA-VO.

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Kap. 3: Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick

zungen393 auf der dritten und letzten Stufe des Verfahrens (verbindliche und damit verpflichtende) Beschlüsse an einzelne Finanzmarktteilnehmer richten.394

B. Ausblick I. Änderungsvorschlag der Kommission zur Komitologieverordnung Wie bereits oben dargestellt darf die Kommission Rechtsakte, die im Wege des Prüfverfahrens zustande kommen, grundsätzlich erlassen, sofern sich keine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten dagegen ausgesprochen hat. Sie muss den Rechtsakt allerdings auch nicht erlassen. Dieser Ermessensspielraum wurde der Kommission durch die Komitologieverordnung eingeräumt, um ihr eine größere Flexibilität zu gewähren als es nach der alten Rechtslage der Fall war. Vor 2011 war der Kommission, wenn der Ausschuss keine Stellungnahme abgab oder der Rat nicht reagierte, keine andere Möglichkeit gegeben, als den Rechtsakt zu erlassen. Eine Ausnahme dieses Wahlrechts der Kommission ist aber nach heutiger Rechtsalge insbesondere dann gegeben, wenn die Mitglieder des Prüfausschusses den Entwurf der Maßnahme mit einfacher Mehrheit ablehnen oder besonders sensible Bereiche betroffen sind. Dann muss sich der Berufungsausschuss damit befassen. Gibt dieser allerdings auch keine Stellungnahme ab, hat die Kommission, wie auch im Prüfverfahren, die Wahl, ob sie die geplante Maßnahme erlässt oder nicht. Die Wahlmöglichkeit wird der Kommission allerdings insbesondere bei Anträgen auf Genehmigung für das Inverkehrbringen von Produkten oder Stoffen wieder genommen. Da der Antragsteller nach Rechtsprechung des EuGH395 einen Anspruch darauf hat, dass über seinen Antrag befunden wird, muss die Kommission innerhalb einer angemessenen Frist über die Sache einen Beschluss fassen.396 So wurden dem Berufungsausschuss zwischen 2011 und 2015 insgesamt 40 Entwürfe für eine Durchführungsmaßnahme übermittelt, von denen 36 Fälle ohne eine Stellungnahme im Berufungsausschuss blieben.397 Die Anzahl der Fälle, in denen die Kommission ohne 393

Vgl. Art. 17 Abs. 6 ESMA-VO. Vgl. Art. 17 Abs. 6 und 7 ESMA-VO. 395 EuGH, Urteil v. 26. 9. 2013, Pioneer Hi-Bred International/Kommission, T-164/10, EU:T:2013;503. 396 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, KOM(2017) 85 final v. 14. 2. 2017, S. 5. In der Untätigkeitsklage vertrat der EuGH die Ansicht, die Kommission habe es versäumt, tätig zu werden, indem sie das Genehmigungsverfahren nicht fortsetzte, nachdem der Ausschuss weder eine ablehnende noch befürwortende Stellungnahme („keine Stellungnahme“) abgegeben hatte. 397 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grund394

B. Ausblick

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klares Mandat der Mitgliedstaaten handeln musste, mögen zwar überschaubar sein, doch treten diese Situationen vermehrt in überaus sensiblen Bereichen auf, insbesondere bei Fragen über das Inverkehrbringen von sensiblen Produkten und Stoffen oder über die Zulassung genetisch veränderter Organismen.398 Diesen Missstand beklagte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in seiner Rede zur Lage der Union im September 2016 und kündigte dementsprechend Änderungen an.399 Im Februar 2016 legte die Kommission deshalb einen Vorschlag zur Änderung der Komitologieverordnung vor,400 der allerdings allein das Berufungsverfahren betrifft und vier Änderungen beinhaltet.401 Erstens sollen sich die Abstimmungsregeln im Berufungsausschuss ändern. Nach Ansicht der Kommission erhöht sich durch das Erfordernis der qualifizierten Mehrheit (mindestens 55 % der beteiligten Mitgliedstaaten, sofern diese zusammen mindestens 65 % der Bevölkerung der beteiligten Mitgliedstaaten ausmachen) die Wahrscheinlichkeit, dass Enthaltungen oder Abwesenheit von Mitgliedstaaten dazu führen, dass der Ausschuss keine Stellungnahme abgeben kann und die Sache der Kommission zufällt. Deshalb sollen nach dem Vorschlag bei der Berechnung der qualifizierten Mehrheit solche Mitgliedstaaten als nicht beteiligte angesehen werden, die abwesend sind oder sich der Stimme enthalten. Quorum für die Beschlussfähigkeit soll die einfache Mehrheit der Mitgliedstaaten sein. Zweitens soll eine erneute Befassung des Berufungsausschusses auf Ministerebene möglich sein. Sollte der Berufungsausschuss in erster Befassung mit dem Entwurf keine Stellungnahme abgegeben haben, so soll die Kommission den Berufungsausschuss bei besonders sensiblen Fragen ein zweites Mal befassen können und zwar diesmal auf Ebene der Minister. Drittens soll das Abstimmungsverhalten der Mitgliedstaaten im Berufungsausschuss öffentlich zugänglich gemacht werden, um mehr Transparenz und Klarheit über die Standpunkte der einzelnen Mitgliedstaaten herbeizuführen. Und viertens soll es der Kommission bei Nichtabsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, KOM(2017) 85 final v. 14. 2. 2017, S. 6. 398 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, KOM(2017) 85 final v. 14. 2. 2017, S. 5 f. 399 „Es geht nicht an, dass die Kommission von Parlament und Rat zu einer Entscheidung gezwungen wird, wenn sich die EU-Länder untereinander nicht einigen können, ob sie die Verwendung von Glyphosat in Pflanzenschutzmitteln verbieten wollen oder nicht. Daher werden wir diese Regeln ändern – denn das ist keine Demokratie.“ Die Rede zur Lage der Union 2016 ist abrufbar unter https://ec.europa.eu/commission/priorities/state-union-speeches/stateunion-2016_de (zuletzt abgerufen am 30. 4. 2020). 400 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, KOM(2017) 85 final v. 14. 2. 2017. 401 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, KOM(2017) 85 final v. 14. 2. 2017, S. 7 ff.

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Kap. 3: Das geltende Lamfalussyverfahren im Überblick

gabe einer Stellungnahme des Berufungsausschusses auf Ministerebene ermöglicht werden, den Rat um eine unverbindliche Stellungnahme zu ersuchen, um dessen politischen Standpunkt zu den Auswirkungen der Nichtabgabe einer Stellungnahme einzuholen, einschließlich der institutionellen, rechtlichen, politischen und internationalen Auswirkungen. Wann und in welcher Form dieser Vorschlag umgesetzt werden wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt402 allerdings nicht absehbar.

II. Änderungsvorschlag der Kommission zur ESMA-VO Ebenso unterbreitete die Kommission Ende September 2017 einen Vorschlag zur Änderung der ESA-Verordnungen.403 Relevant für die Untersuchung sind Änderungen bzgl. Art. 16 der ESA-VO. Die Änderungen dienen insbesondere dazu, die Befugnis zur Erstellung von Leitlinien und Empfehlungen, die sich als wichtiges und erfolgreiches Instrument der Aufsichtskonvergenz erwiesen hat, weiter auszubauen und transparenter zu gestalten. Im September 2018 wurde ein überarbeiteter Vorschlag der Kommission veröffentlicht.404 Zum Zeitpunkt der Aktualisierung ist das Rechtsetzungsverfahren nun mit Erlass der Verordnung (EU) 2019/2175 beendet.405 402

Stand der Untersuchung 31. 3. 2020. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), der Verordnung (EU) Nr. 1094/2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung), der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde), der Verordnung (EU) Nr. 345/2013 über Europäische Risikokapitalfonds, der Verordnung (EU) Nr. 346/2013 über Europäische Fonds für soziales Unternehmertum, der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 über Märkte für Finanzinstrumente, der Verordnung (EU) 2015/ 760 über europäische langfristige Investmentfonds, der Verordnung (EU) 2016/1011 über Indizes, die bei Finanzinstrumenten und Finanzkontrakten als Referenzwert oder zur Messung der Wertentwicklung eines Investmentfonds verwendet werden, und der Verordnung (EU) 2017/ 1129 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel auf einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist, COM(2017) 536 final v. 20. 9. 2017. 404 Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), der Verordnung (EU) Nr. 1094/2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung), der Verordnung (EU) Nr. 1095/ 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde), der Verordnung (EU) Nr. 345/2013 über Europäische Risikokapitalfonds, der Verordnung (EU) Nr. 346/2013 über Europäische Fonds für soziales Unternehmertum, der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 über Märkte für Finanzinstrumente, der Verordnung (EU) 2015/760 über europäische langfristige Investmentfonds, der Verordnung (EU) 2016/1011 über Indizes, die bei Finanzinstrumenten und Finanzkontrakten als Referenzwert oder zur Messung der Wertentwicklung eines Investmentfonds verwendet werden, der Ver403

C. Zusammenfassung

159

C. Zusammenfassung Das Lamfalussyverfahren, sofern man heutzutage den Begriff noch nutzen mag, ist ein hochkomplexer vierstufiger Prozess zur effektiveren Rechtsetzung, Rechtsanwendung und Rechtsdurchsetzung im Finanzdienstleistungssektor. Die ersten beiden Stufen des Verfahrens betreffen die Gesetzgebung, während die beiden letzten die Umsetzung und Vollziehung beinhalten.406 Auf der ersten Stufe erlässt der ordentliche Gesetzgeber einen Gesetzgebungsakt (Basisrechtsakt), in dem er lediglich die grundsätzlichen Ziele und politischen Leitlinien festlegt. Zur weiteren Ausgestaltung ermächtigt er die Kommission zur exekutiven Normsetzung. Diese kann je nach den Bedürfnissen der Ausgestaltung die Ermächtigung zur delegierten Rechtsetzung oder die Befugnis zur Durchführungsrechtsetzung beinhalten. Bei der delegierten Rechtsetzung wird die Kommission anstelle des Gesetzgebers selbst tätig und wird deshalb von ihm kontrolliert. Bei der Durchführungsrechtsetzung handelt die Kommission hingegen für die Mitgliedstaaten und wird deshalb von diesen in Komitologieausschüssen im Rahmen zweier Komitologieverfahren (Beratungsverfahren und Prüfverfahren) zum Erlass des Durchführungsrechtsakts kontrolliert. Als besondere Form der delegierten Rechtsetzung existiert im Finanzdienstleistungssektor die Möglichkeit der Kommission zum Erlass technischer Regulierungsstandards. Hierbei wird die Kommission obligatorisch von der ESA unterstützt. Entsprechendes Pendant zur Durchführungsrechtsetzung sind die technischen Durchführungsstandards, ebenfalls mit zwingender ESA-Beteiligung. Auf der dritten Stufe des Verfahrens erlassen die ESA (unverbindliche) Leitlinien und Empfehlungen zur einheitlichen und kohärenten Anwendung der im Verfahren erlassenen Rechtsakte (insbesondere auf Stufe 2). Auf der vierten und letzten Stufe des Verfahrens prüft die Kommission als „Hüterin der Verträge“ die ordnungsgemäße Umsetzung der erlassenen EU-Rechtsakte durch die Mitgliedstaaten in nationales Recht. ordnung (EU) 2017/1129 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist, und der Richtlinie (EU) 2015/849 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, COM(2018) 646 final v. 12. 9. 2018. 405 Verordnung (EU) 2019/2175 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2019 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), der Verordnung (EU) Nr. 1094/2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung), der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde), der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 über Märkte für Finanzinstrumente, der Verordnung (EU) 2016/1011 über Indizes, die bei Finanzinstrumenten und Finanzkontrakten als Referenzwert oder zur Messung der Wertentwicklung eines Investmentfonds verwendet werden, und der Verordnung (EU) 2015/847 über die Übermittlung von Angaben bei Geldtransfers, ABl. Nr. L 334 v. 27. 12. 2019, S. 1. 406 Leixner, BMF Working Paper: Komitologie und Lamfalussyverfahren im Finanzdienstleistungsbereich, S. 9.

Kapitel 4

Die inhaltliche Grenze der Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten Im Folgenden wird nun untersucht werden, wie weit die Rechtsetzungsmöglichkeiten der Kommission und der ESMA in inhaltlicher Hinsicht reichen. Zwar wird der Schwerpunkt auf der Beantwortung der Frage nach der inhaltlichen Leistungsfähigkeit der Rechtsetzungsinstrumente der Lamfalussybeteiligten liegen, doch soll, wo immer es sich anbietet, auch kurz auf die formelle Seite der Leistungsfähigkeit hingewiesen werden. Diese Untersuchung erfolgt, wie bereits bei der Beschreibung des Ziels und des Gegenstands der Untersuchung erläutert, anhand der Analyse der Praxis und Rechtsprechung. Sie mögen als Eckpunkte und Richtungsweiser der Untersuchung dienen, um ein für die Praxis nutzbares System der Leistungsbestimmung (und Abgrenzung) der einzelnen Rechtsetzungsinstrumente zu entwickeln. Rechtsprechung und Praxis werden hierbei durch eine „dogmatische Lupe“ betrachtet. Aus diesem Grund finden auch die Stimmen der Literatur Beachtung.

A. Die inhaltliche Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente zur exekutiven Rechtsetzung Es soll zunächst auf die inhaltliche Leistungsfähigkeit der delegierten Rechtsetzung eingegangen werden, bevor sodann die inhaltlichen Möglichkeiten der Durchführungsrechtsetzung untersucht werden.

I. Inhaltliche Reichweite der Kompetenz der Kommission zur delegierten Rechtsetzung Die Kommission wird im Rahmen der delegierten Rechtsetzung vom Gesetzgeber ermächtigt, an seiner statt tätig zu werden. In dieser Funktion stehen der Kommission grundsätzlich weitgehende Rechte zu. Dies muss schon deshalb so sein, damit die Kommission angemessen und effektiv auf sich ändernde Umstände gesetzgeberisch reagieren kann. Nun kann die mögliche inhaltliche Reichweite der delegierten Rechtsetzung der Kommission als Ersatzgesetzgeber nicht grenzenlos sein. Anders

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

161

gesagt: Sie wird in inhaltlicher Hinsicht nicht alles regeln können, was Parlament und Rat möglich ist, da ihr nach den Verträgen nicht die Rolle des ordentlichen Gesetzgebers zukommt. Es drängt sich also die Frage auf, wie weit die inhaltliche Regelungskompetenz der Kommission im Wege der delegierten Rechtsetzung reicht. Aus Sicht des europäischen Gesetzgebers lautet die Frage, wie weit er seine inhaltliche Regelungskompetenz weiterreichen kann. Da der Kommission die Rechtsetzungsbefugnis vom Gesetzgeber übertragen wird, ist zunächst festzuhalten, dass nach der Maxime nemo plusiuris ad alium transferre potest quam ipse haberet der Kommission durch den europäischen Gesetzgeber nicht mehr Rechte übertragen werden können, als er selbst durch die Übertragung von Hoheitsrechten durch die Mitgliedstaaten in den gemeinschaftlichen Verträgen inne hat. Diese logische Feststellung wurde früh durch den EuGH klargestellt. Nach dessen „Meroni-Doktrin“ darf das delegierende Organ nur die Befugnisse übertragen, die ihm nach dem Vertrag zustehen.1 Wie weit die legislative Reichweite des unionalen Gesetzgebers reicht, soll in dieser Arbeit allerdings nicht Thema sein. Es soll nur im Auge behalten werden, dass der Kommission im weitestgehenden Falle die Befugnisse des europäischen Gesetzgebers zustehen könnten. 1. Anderweitig die Delegationsmöglichkeit beschränkende oder einschränkende Bestimmungen Weiterhin soll kurz darauf hingewiesen werden, dass das Erfordernis der Bestimmtheit die Delegationsmöglichkeit des Gesetzgebers formal2 beschränkt. Denn nach dem Wortlaut des Art. 290 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV ist es dem Unionsgesetzgeber nur erlaubt, die Kommission zur Änderung oder Ergänzung bestimmter Vorschriften zu ermächtigen. Zum einen ist eine Generalermächtigung zum uneingeschränkten Zugriff der Kommission auf den gesamten Inhalt des Basisrechtsakts ausgeschlossen. Zum anderen ist der unionale Gesetzgeber gehalten, die zu ergänzenden bzw. zu ändernden Vorschriften des Gesetzgebungsakts in der Ermächtigung genau zu bezeichnen. Weiterhin sind im ermächtigenden Basisrechtsakt selbst konkrete Ziele und Inhalte sowie Geltungsbereich und Dauer der Befugnisübertragung ausdrücklich festzulegen.3 Interessanterweise stellte der EuGH bereits 1975 in 1 EuGH, Urteil v. 13. 06. 1958, Meroni/Hohe Behörde, C-9/56, EU:C:1958:7; EuGH, Urteil v. 13. 6. 1958, Meroni/Hohe Behörde, C-10/56, EU:C:1958:8. Ausführlich Griller/Orator, ELR 2010, 3, 15 ff.; Driessen, ELR 2010, 837, 843 f.; Schammo, CML Rev. 2011, 1879, 1894. 2 Kröll, ZÖR 2011, 253, 266; Gaitzsch, Tertiärnormsetzung in der Europäischen Union, Diss. 2014, S. 56; Hetmeier, in: Lenz/Borchardt, EU-Verträge, Art. 290 AEUV Rn. 5; Kröll, Artikel 290 und 291 AEUV, 2011, S. 202 f. 3 Die im Rahmenrechtsakt enthaltenen Durchführungsermächtigungen stecken den im Durchführungsrechtsakt zu erlassenden Regelungsinhalt oft nur sehr vage ab. Zum einen würde ein zu enger Handlungsspielraum der Kommission die Flexibilität in der Reaktion auf Marktgeschehnisse nehmen und zum anderen mangelt es dem Gesetzgeber schlicht an der technischen Expertise zur genaueren Eingrenzung. Ebenfalls eine Rolle spielt die zeitliche Komponente, denn je präziser ein Rechtsakt formuliert sein soll desto mehr Zeit wird dessen

162 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

der Entscheidung über die Rechtssache Rey Soda4 hinsichtlich der „alten Delegationsnorm“ des Art. 155 EWGV klar, dass es bei der Frage der inhaltlichen Grenzbestimmung nicht sklavisch auf den Inhalt der Ermächtigung ankomme. Zwar entsprechen sich Art. 155 EWGV und Art. 290 AEUV nicht, doch erlaubte es Art. 155 EWGV dem Gesetzgeber, festzulegen, „von welchen Voraussetzungen die Ausübung der der Kommission verliehenen Befugnis im einzelnen abhängt“5. Ebenso wie durch Art. 290 AEUV konnten damit auch nach alter Gesetzeslage die Modalitäten der Befugnisübertragung festgelegt werden. Das Gericht entschied, dass die „Grenzen nach den allgemeinen Hauptzielen der Marktorganisation und weniger nach dem Buchstaben der Ermächtigung zu beurteilen [sind].“6 Dies schwächt natürlich die Bedeutung der Festlegungspflicht genannter Modalitäten gewollt oder ungewollt ab. 2. Die Beschränkungen der inhaltlichen Leistungsfähigkeit der delegierten Rechtsetzung Die inhaltliche Leistungsfähigkeit der delegierten Rechtsetzung wird nach Art. 290 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV dadurch begrenzt, dass der delegierte Rechtsakt darauf beschränkt ist, seinen Basisrechtsakt in nicht wesentlichen Vorschriften zu ändern oder zu ergänzen. Die inhaltliche Möglichkeit der Kommission auf den Basisrechtsakt durch delegierte Rechtsetzung zuzugreifen, wird damit auf den ersten Blick in doppelter Hinsicht begrenzt. Zum einen durch das Merkmal des „Änderns oder Ergänzens“ und zum anderen durch das Merkmal der Wesentlichkeit,7 das mit zwei verschiedenen Bezugspunkten in Art. 290 AEUV Einzug gefunden hat. Der delegierte Rechtsakt darf und kann also nur innerhalb der Reichweite des Merkmals „Änderung oder Ergänzung“ auf seinen Basisrechtsakt einwirken und Wesentliches nicht selbst zum Regelungsgegenstand haben. Im Weiteren sollen diese, die äußerste inhaltliche Grenze der delegierten Rechtsetzung ziehenden Merkmale, weiter untersucht werden.

Ausarbeitung in Anspruch nehmen, vgl. Leixner, BMF Working Paper: Komitologie und Lamfalussyverfahren im Finanzdienstleistungsbereich, S. 12. 4 EuGH, Urteil v. 30. 10. 1975, Rey Soda/Cassa Conguaglio Zucchero, C-23/75, EU:C:1975:142. 5 EuGH, Urteil v. 30. 10. 1975, Rey Soda/Cassa Conguaglio Zucchero, C-23/75, EU:C:1975:142, Rn. 10/14. 6 EuGH, Urteil v. 30. 10. 1975, Rey Soda/Cassa Conguaglio Zucchero, C-23/75, EU:C:1975:142, Rn. 10/14. 7 So Schoo, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 290 AEUV Rn. 10; Hetmeier, in: Lenz/ Borchardt, EU-Verträge, Art. 290 AEUV Rn. 3, 5 f.; wohl auch Kotzur, in: Geiger/Khan/ Kotzur, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 4.

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

163

a) Merkmal „Ergänzung oder Änderung“ Art. 290 Abs. 1 AEUV kennt zwei Alternativen des Zugriffs auf den Inhalt des Basisrechtsakts durch einen delegierten Rechtsakt. Zum einen die Ergänzung des ermächtigenden Rechtsakts und zum anderen seine Änderung. Was hierunter genau zu verstehen ist, und vor allem wo genau die inhaltlichen Grenzen dieser Zugriffsmöglichkeiten im Hinblick auf die delegierte Rechtsetzung liegen, soll durch Untersuchung der Literaturstimmen, insbesondere aber durch Analyse der Rechtsprechung und der Praxis, also deren Handhabung, Umgang und Verständnis, erfolgen. aa) Meinungsbild der unterschiedlichen Quellen und Praxisbefund (1) Auffassungen der Literatur zum Inhalt von „Ändern oder Ergänzen“ Nach allgemeiner Meinung8 umfasst das Ergänzen Maßnahmen der inhaltlichen Ausfüllung und Konkretisierung des Basisrechtsakts. Sie können von der ausfüllenden Spezifizierung von Inhalten, die bereits unbestimmt im Basisrechtsakt angelegt sind, bis zur Ausgestaltung von Bereichen, die im Rahmenrechtsakt noch keine Anlage gefunden haben, reichen. Ergänzen bedeutet also, den Basisrechtsakt in seinem Regelungsumfang zu erweitern oder zu vervollständigen. Dies kann insofern durch Detaillierung, Konkretisierung, aber auch durch neuartige Erweiterung erfolgen, beispielsweise durch Hinzukommen von Worten und Wortfolgen, Sätzen bzw. Satzfolgen, Absätzen oder Tabellen. Demgegenüber umfasst der Begriff der Änderung Maßnahmen, die auf den normativen Gehalt des Rahmenrechtsakts einwirken und diesen formell abändern. Sie bedeutet also eine Ersetzung bestimmter (nicht wesentlicher) Regelungen durch etwas anderes. Eine Änderung des Wortlautes liegt etwa vor, wenn Worte, Wortfolgen, Sätze, Absätze oder Tabellen gestrichen oder ersetzt werden. Die Änderung

8 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 34; F. Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 290 AEUV Rn. 13; Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 290 AEUV Rn. 6; Schoo, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 290 AEUV Rn. 2; Sydow, JZ 2012, 157, 159; Kröll, ZÖR 2011, 253, 266 ff.; Ilgner, Die Durchführung der Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers durch die Europäische Kommission, Diss., 2014, S. 256 f.; Bueren, EuZW 2012, 167, 171; Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 22 f.; Edenharter, DÖV 2011, 645, 649; so auch schon Europäischer Konvent: Schlussbericht der Gruppe IX „Vereinfachung“ v. 29. 11. 2002, CONV 424/02, S. 10; Fabricius, ZEuS 2011, 567, 570; König, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, § 2 Rn. 102; Greiner, Die Reform der Komitologie durch den Vertrag von Lissabon, Diss., 2018, S. 67 f.; Fischer, Vertrag von Lissabon, 1. Aufl. 2008, Art. 290 AEUV Rn. 1; Fischer, Vertrag von Lissabon, 2. Aufl. 2010, Art. 290 AEUV Rn. 1.

164 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

dient insbesondere der Anpassung und Aktualisierung der Rahmenrechtsakte an aktuelle Entwicklungen und damit auch der Entlastung des Gesetzgebers.9 Kröll10 stimmt grundsätzlich mit der Definition der Änderung überein, ist aber darüber hinaus der Ansicht, dass der Ergänzung keine eigenständige über den Gehalt der Änderung hinausgehende Bedeutung zukomme. Eine Änderung erfolge zum einen auch dann, wenn die den Basisrechtsakt ergänzenden Vorschriften ausschließlich im delegierten Rechtsakt enthalten seien und deshalb der Wortlaut des Gesetzgebungsakts nicht geändert werde. Es liege allerdings trotzdem eine Änderung vor, da der Inhalt des Rahmenrechtsakts abgeändert werde. Zum anderen entspreche eine solche Auslegung auch dem Regelungszweck von Art. 290 AEUV. Hiernach übe die Kommission im Fall der Befugnisübertragung eine Zuständigkeit aus, die grundsätzlich dem Gesetzgeber vorbehalten sei. Sie werde an seiner statt tätig und verfüge dabei deshalb über ein gewisses Ermessen bei der Ausgestaltung des delegierten Rechtsakts. Die Kommission werde also bei der abgeleiteten Rechtsetzung i.S.d. Art. 290 AEUV dazu ermächtigt, Gesetzgebungsakte durch eine Änderung bestimmter, nicht wesentlicher Vorschriften oder durch Ergänzung bestimmter, nicht wesentlicher Vorschriften gegenüber der Fassung im Zeitpunkt der Annahme durch den Gesetzgeber inhaltlich zu verändern. Alle sonstigen Ergänzungen des Rahmenrechtsakts, die keine inhaltliche Veränderung gegenüber der Fassung im Zeitpunkt der Annahme durch den Gesetzgeber bewirken, sondern lediglich der Umsetzung seiner Bestimmungen durch deren Konkretisierung dienen, seien Durchführungsmaßnahmen i.S.d. Art. 291 AEUV. Stelkens11 hingegen schlägt einen anderen Ansatz zur Bestimmung des Merkmals des Änderns und Ergänzens vor. Der Zweck der Ermächtigung zur delegierten Rechtsetzung sei wortlautgemäß die Ergänzung oder Änderung nicht wesentlicher Vorschriften des delegierenden Gesetzgebungsakts. Die Ermächtigung sei deshalb auf den Inhalt bezogen, der ohne den delegierten Rechtsakts unvollständig sei. Erst durch die Änderung und Ergänzung des delegierten Rechtsakts werde der Gesetzgebungsakt vollzugsfähig bzw. bleibe es. „Ändern und Ergänzen“ sei also das Vervollständigen einer unvollständigen Regelung. Wie weit die Möglichkeit der inhaltlichen Vervollständigung reicht, beibt unklar. Es scheint aber eine umfängliche inhaltliche Gestaltungskompetenz zu sein. Auffällig bei der Begriffsbestimmung ist zum einen, dass weniger die inhaltliche Leistungsfähigkeit in den Fokus der Definitionen gerückt wird, sondern die Begriffe eher anhand ihrer formellen Zugriffsmöglichkeiten umrissen werden. Darüber 9 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 7; Nettesheim, in: Grabitz/ Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 34; Schusterschitz, in: Hummer/Obwexer, Der Vertrag von Lissabon, S. 217; BT-Drs. 15/4900, S. 262; Stelkens, EuR 2012, 511, 537; Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 290 AEUV Rn. 6; Bueren, EuZW 2012, 167, 171. 10 Kröll, ZÖR 2011, 253, 267 f.; Kröll, Artikel 290 und 291 AEUV, 2011, S. 201, in diese Richtung auch Schütze, MLR 2011, 661, 684. 11 Stelkens, EuR 2012, 511, 536 ff.

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

165

hinaus wird vorrangig versucht, die beiden Zugriffsfunktionen voneinander abzugrenzen. Dies mag aus Sicht des Gesetzgebers sinnvoll sein, hilft bei der Frage der inhaltlichen Leistungsfähigkeit bzw. der inhaltlichen Grenze der delegierten Rechtsetzung insgesamt aber weniger. Ebenso wenig hilfreich sind die zahlreichen Meinungen zur Abgrenzung der delegierten Rechtsetzung von der Durchführungsrechtsetzung. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass im Grunde von der h.M. eine Wortlautauslegung vorgenommen wird, die die Vergangenheit der damals einheitlichen Durchführung berücksichtigt. (2) Ansicht der Kommission zum Inhalt von „Ändern oder Ergänzen“ Nach Auffassung der Kommission12 wollten „die Verfasser des neuen Vertrags“ durch die Verwendung des Begriffs „Änderung“ alle hypothetischen Fälle abdecken, in denen der Kommission die Befugnis übertragen werde, einen Basisrechtsakt förmlich zu ändern. Diese förmliche Änderung könne den Wortlaut eines oder mehrerer Artikel des verfügenden Teils oder den Wortlaut eines Anhangs betreffen, der rechtlich gesehen Teil des Gesetzgebungsakts sei. Dabei sei unerheblich, ob der Anhang rein technische Maßnahmen enthalte. Werde der Kommission die Befugnis zur Änderung eines Anhangs mit Maßnahmen von allgemeiner Geltung übertragen, gelange das Verfahren delegierter Rechtsakte zur Anwendung. Zum Merkmal des Ergänzens führt die Kommission aus, dass „dessen Sinn und Tragweite weniger explizit“ seien. Um zu ermitteln, ob eine Maßnahme den Basisrechtsakt „ergänzt“, soll der Gesetzgeber prüfen, ob die künftige Maßnahme konkret neue nicht wesentliche Vorschriften hinzufüge, die den Rahmen des Gesetzgebungsakts verändern und der Kommission einen Ermessensspielraum lassen. Wenn dem so sei, könne die Maßnahme als „Ergänzung“ des Basisrechtsakts betrachtet werden. Hingegen sollen Maßnahmen, die lediglich darauf abzielen, geltenden Vorschriften des Basisrechtsakts Wirkung zu verleihen, nicht als ergänzende Maßnahmen angesehen werden. Diese erste Einschätzung der Kommission im Jahre 2009 wurde durch die Guidelines for the services of the Commission13 von 2011 weiter konkretisiert. „Ändern“ sei eine formelle Abänderung des Gesetzestextes etwa durch Löschen, Ersetzen oder Hinzufügen nicht wesentlicher Teile.14 Zum Merkmal des Ergänzens wird ausgeführt, dass der ergänzende delegierte Rechtsakt eine vom Gesetzgeber bewusst nicht umfassend geregelte Materie ausgestalt, also „mit Leben füllen“15 soll.16 Der Unterschied zwischen der hinzufügenden Kompo12 Ziff. 2.3. der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, KOM(2009) 673 endg. v. 9. 12. 2009, S. 4 f. 13 Implementation of the Treaty of Lisbon, Delegated Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2011) 855. 14 Ziff. 34 der Implementation of the Treaty of Lisbon, Delegated Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2011) 855. 15 In der originären Sprache der Veröffentlichung: „flesh out“.

166 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

nente des Änderns und des Merkmals des Ergänzens sei die Wirkungsform. Der ändernde delegierte Akt wirke auf den Bestand des Basisrechtsakts ein, während der ergänzende delegierte Rechtsakt seinen Rahmenrechtsakt nicht formell beeinflusse, sondern immer ein gesonderter Rechtsakt bleibe.17 Beiden gemein sei aber ihre Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Basisrechtsakts.18 Die Kommission nähert sich den Begriffen mit ihrem Ansatz der förmlichen Änderung und der unterschiedlichen Wirkungsformen ebenfalls eher mit einem formellen Ansatz, der sehr große Ähnlichkeit mit den Begriffsbestimmungen der vorherrschenden Meinung hat, lässt allerdings ebenso Tendenzen erkennen, von einer umfangreichen inhaltlichen Gestaltungsmöglichkeit auszugehen. Im Common Understanding vom April 2016 verständigten sich die drei Organe zwar darauf, nach Inkrafttreten dieser Vereinbarung unverzüglich Verhandlungen aufzunehmen, um die Verständigung durch nicht bindende Kriterien für die Anwendung der Artt. 290 und 291 AEUV zu ergänzen.19 Eine solche Ergänzung hat jedoch, soweit ersichtlich, (noch) nicht stattgefunden. (3) Die Ansicht des EuGH zum Inhalt der Merkmale des Änderns und Ergänzens Der EuGH selbst definiert, soweit ersichtlich, den Inhalt der Änderung oder Ergänzung nicht, sondern umreißt die Begriffe lediglich kurz in einer Nichtigkeitsklage20 zwischen den drei Organen der EU wie folgt: „Mit der Übertragung der Befugnis, einen Gesetzgebungsakt zu ,ergänzen‘, soll der Kommission lediglich erlaubt werden, diesen Rechtsakt zu konkretisieren. Übt die Kommission eine solche Befugnis aus, ist ihre Ermächtigung darauf beschränkt, nicht wesentliche Elemente der betreffenden Regelung, die der Gesetzgeber nicht definiert hat, unter Beachtung des vom Gesetzgeber erlassenen Gesetzgebungsakts in seiner Gesamtheit im Einzelnen auszuarbeiten.“21 „Mit der Übertragung der Befugnis, einen Gesetzgebungsakt zu ,ändern‘, soll der Kommission hingegen erlaubt werden, die vom Gesetzgeber in diesem Rechtsakt festgelegten nicht wesentlichen Elemente abzuändern oder aufzuheben. Macht die Kommission von einer solchen Befugnis Gebrauch, ist

16

Ziff. 40 der Implementation of the Treaty of Lisbon, Delegated Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2011) 855. 17 Ziff. 34 der Implementation of the Treaty of Lisbon, Delegated Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2011) 855. 18 Ziff. 40 der Implementation of the Treaty of Lisbon, Delegated Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2011) 855. 19 Ziff. 28 Abs. 5 der Interinstitutionellen Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. Nr. L 123 v. 12. 5. 2016, S. 6. 20 EuGH, Urteil v. 17. 3. 2016, Parlament/Kommission, C-286/14, EU:C:2016:183. 21 EuGH, Urteil v. 17. 3. 2016, Parlament/Kommission, C-286/14, EU:C:2016:183, Rn. 41.

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

167

sie nicht verpflichtet, die Elemente zu beachten, deren „Änderung“ durch die ihr eingeräumte Ermächtigung gerade bezweckt wird.“22 Auch diese Begriffsbestimmung deckt sich wohl letztlich mit der der vorherrschenden Meinung. Wie weit allerdings der inhaltliche Zugriff ist, den die beiden Einwirkungsmöglichkeiten des Ändern und des Ergänzens zulassen, lässt sich auch hier nicht konkret entnehmen. (4) Befund der Praxis Die Begriffsbestimmungen des Merkmals „Ergänzung oder Änderung“ können die Frage nach der inhaltlichen Leistungsfähigkeit des Merkmals und damit verbunden, welche inhaltliche Reichweite des Zugriffs durch die Möglichkeit, einen Basisrechtsakt zu ändern oder zu ergänzen, verbunden sind, nicht hinreichend beantworten. Der im Grunde unumstrittenen Definition kann letztlich nicht entnommen werden, welche Reichweite des inhaltlichen Zugriffs durch beide Formen der Einwirkung vor allem in ihrer Gesamtheit eröffnet wird. Wenngleich sie darauf hindeutet, dass mit beiden Zugriffmöglichkeiten gemeinsam eine umfängliche inhaltliche Gestaltungsmöglichkeit gegeben ist. Dass die verschiedenen Fallbeispiele, die zu den jeweiligen Begriffen aufgeführt werden, eine inhaltliche Grenze aufzeigen wollen, wird nicht angenommen. Klarheit wird im Weiteren von der Untersuchung und Bewertung der Rechtsetzungsaktivität der Kommission bzw. des Ermächtigungsverhaltens des Gesetzgebers erhofft.23 (a) Die Funktionen der delegierten Rechtsetzung Kollmeyer24 konnte zeigen, dass Ergänzungen und Änderungen durch delegierte Rechtsakte nicht nur in den unterschiedlichsten Politikbereichen stattfinden, sondern auch Funktionen in so unterschiedlicher Weise erfüllen, dass diese „nicht abschließend abstrakt beschrieben werden können.“25 So reichen etwa die Wirkungen der ändernden delegierten Rechtsakte von der Anwendung von vorgegebenen Berechnungsgrundlagen, über die Gewährleistung der Kohärenz des Unionsrechts mit dem Völkerrecht, die Effektivierung gemeinsamer Verwaltungsverfahren, die allgemein geltende Zulassung von Stoffen in Anbetracht des Standes der Wissenschaft, bis hin zur Funktion als eigentliche Harmonisierungsmaßnahmen im Binnenmarkt. Die Funktion der ergänzenden delegierten Rechtsakte ist dabei ebenso mannigfaltig. Ihnen kommt unter anderem die Aufgabe der Konkretisierung und Auslegung von Rechtsbegriffen zu.26 Auch dienen sie in vielen Fällen der Organisation und Kooperation im Verhältnis zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten durch 22 23 24 25 26

EuGH, Urteil v. 17. 3. 2016, Parlament/Kommission, C-286/14, EU:C:2016:183, Rn. 42. Damals schon vorschlagend Schlacke, JöR 2013, 293, 318. Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 140 ff. Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 152. Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 162 f.

168 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

die Festlegung institutioneller Strukturen und Verfahren.27 Kollmeyers Untersuchung konnte darüber hinaus zeigen, dass der Ergänzung eine ganz ähnliche Funktion zukommt wie der Änderung.28 Der grenzenlose Einsatzbereich der delegierten Rechtsetzung legt eine umfängliche Leistungsfähigkeit nahe. (b) Die inhaltliche Leistungsfähigkeit der delegierten Rechtsetzung in der Praxis So zahllos und verschieden die Funktionen sind, so divers ist tatsächlich auch die inhaltliche Einwirkungsweise der ändernden oder ergänzenden delegierten Rechtsakte auf ihren Basisrechtsakt. Durch delegierte Rechtsakte werden beispielsweise Anhänge neu hinzugefügt29, erweitert30, verändert31 (in teils enormen Umfang32), gänzlich ersetzt33, angepasst34, Vorschriften gestrichen, eingefügt35, ab27

Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 179. Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 162 f. 29 Delegierte Verordnung (EU) 2018/32 der Kommission vom 28. September 2017 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards für die standardisierte Unionsterminologie für die repräsentativsten mit einem Zahlungskonto verbundenen Dienste, ABl. Nr. L 6 v. 11. 1. 2018, S. 3; Delegierte Verordnung (EU) 2017/2100 der Kommission vom 4. September 2017 zur Festlegung wissenschaftlicher Kriterien für die Bestimmung endokrinschädigender Eigenschaften gemäß der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. Nr. L 301 v. 17. 11. 2017, S. 1; Delegierte Verordnung (EU) Nr. 1391/2013 der Kommission vom 14. Oktober 2013 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 347/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur in Bezug auf die Unionsliste der Vorhaben von gemeinsamem Interesse, ABl. Nr. L 349 v. 21. 12. 2013, S. 28. 30 Delegierte Verordnung (EU) 2017/67 der Kommission vom 4. November 2016 zur Änderung des Anhangs II der Verordnung (EU) Nr. 652/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates mit Bestimmungen für die Verwaltung der Ausgaben in den Bereichen Lebensmittelkette, Tiergesundheit und Tierschutz sowie Pflanzengesundheit und Pflanzenvermehrungsmaterial durch Ergänzung der Liste der in jenem Anhang aufgeführten Tierseuchen und Zoonosen, ABl. Nr. L 9 v. 13. 1. 2017, S. 2. 31 Delegierte Verordnung (EU) 2017/2268 der Kommission vom 26. September 2017 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 428/2009 des Rates über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr, der Verbringung, der Vermittlung und der Durchfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck, ABl. Nr. L 334 v. 15. 12. 2017, S. 1; Delegierte Verordnung (EU) 2018/179 der Kommission vom 25. September 2017 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1233/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anwendung bestimmter Leitlinien auf dem Gebiet der öffentlich unterstützten Exportkredite, ABl. Nr. L 37 v. 9. 2. 2018, S. 1; Delegierte Verordnung (EU) 2016/1969 der Kommission vom 12. September 2016 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 428/2009 des Rates über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr, der Verbringung, der Vermittlung und der Durchfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck, ABl. Nr. L 307 v. 15. 11. 2016, S. 1. 32 Delegierte Verordnung (EU) 2018/1100 der Kommission vom 6. Juni 2018 zur Änderung des Anhangs der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf 28

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

169

geändert36, erweitert37, näher konkretisiert38 bzw. inhaltlich ausgefüllt39 oder dem Basisrechtsakt ergänzend „zur Seite gestellt“40, die dann die Regelungen des Baberuhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen, ABl. Nr. L 199 v. 7. 8. 2018, S. 1; Delegierte Verordnung (EU) 2018/179 der Kommission vom 25. September 2017 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1233/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anwendung bestimmter Leitlinien auf dem Gebiet der öffentlich unterstützten Exportkredite, ABl. Nr. L 37 v. 9. 2. 2018, S. 1. 33 Delegierte Richtlinie 2014/18/EU der Kommission vom 29. Januar 2014 zur Änderung der Richtlinie 2009/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die Liste der Verteidigungsgüter, ABl. Nr. L 40 v. 11. 2. 2014, S. 20; Delegierte Verordnung (EU) 2016/ 1611 der Kommission vom 7. Juli 2016 zur Überprüfung der Erstattungstabelle für Dienstreisen der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Union in den Mitgliedstaaten, ABl. Nr. L 242 v. 9. 9. 2016, S. 1. 34 Delegierte Richtlinie (EU) 2018/740 der Kommission vom 1. März 2018 zur Änderung – zwecks Anpassung an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt – des Anhangs III der Richtlinie 2011/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich einer Ausnahme für Blei als Legierungselement in Aluminium, ABl. Nr. L 123 v. 18. 5. 2018, S. 106; Delegierte Verordnung (EU) 2018/179 der Kommission vom 25. September 2017 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1233/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anwendung bestimmter Leitlinien auf dem Gebiet der öffentlich unterstützten Exportkredite, ABl. Nr. L 37 v. 9. 2. 2018, S. 1; Delegierte Verordnung (EU) 2015/2420 der Kommission vom 12. Oktober 2015 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 428/2009 des Rates über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr, der Verbringung, der Vermittlung und der Durchfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck, ABl. Nr. L 340 v. 24. 12. 2015, S. 1. 35 Delegierte Verordnung (EU) 2018/829 der Kommission vom 15. Februar 2018 zur Änderung und Berichtigung der Delegierten Verordnung (EU) 2015/208 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 167/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Anforderungen an die funktionale Sicherheit von Fahrzeugen für die Genehmigung von landund forstwirtschaftlichen Fahrzeugen, ABl. Nr. L 140 v. 6. 6. 2018, S. 8. 36 Delegierte Verordnung (EU) 2017/2188 der Kommission vom 11. August 2017 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Freistellung bestimmter gedeckter Schuldverschreibungen von den Eigenmittelanforderungen, ABl. Nr. L 310 v. 25. 11. 2017, S. 1; Delegierte Verordnung (EU) 2017/ 750 der Kommission vom 24. Februar 2017 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 673/2005 des Rates zur Einführung zusätzlicher Zölle auf die Einfuhren bestimmter Waren mit Ursprung in den Vereinigten Staaten von Amerika, ABl. Nr. L 113 v. 29. 4. 2017, S. 12. 37 Delegierte Verordnung (EU) Nr. 622/2014 der Kommission vom 14. Februar 2014 über eine Ausnahmeregelung in Bezug auf die Verordnung (EU) Nr. 1290/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Regeln für die Beteiligung am Rahmenprogramm für Forschung und Innovation „Horizont 2020“ (2014 – 2020) sowie für die Verbreitung der Ergebnisse für das Gemeinsame Unternehmen „Initiative Innovative Arzneimittel 2“, ABl. Nr. L 174 v. 13. 6. 2014, S. 7. 38 Delegierte Verordnung (EU) 2015/2446 der Kommission vom 28. Juli 2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates mit Einzelheiten zur Präzisierung von Bestimmungen des Zollkodex der Union, ABl. Nr. L 343 v. 29. 12. 2015, S. 1. 39 Delegierte Verordnung (EU) 2017/86 der Kommission vom 20. Oktober 2016 zur Erstellung eines Rückwurfplans für bestimmte Fischereien auf Grundfischarten im Mittelmeer, ABl. Nr. L 14 v. 18. 1. 2017, S. 4; Delegierte Verordnung (EU) 2017/79 der Kommission vom 12. September 2016 zur Festlegung detaillierter technischer Anforderungen und Prüfverfahren

170 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

sisrechtsakts komplettieren. Darüber hinaus ersetzen delegierte Rechtsakte in der Praxis auch lediglich einzelne Worte, Sätze oder Teile einer Vorschrift.41 Die Änderungen beschränken sich dabei nicht nur auf den inhaltlichen Teil des Rahmenrechtsakts, sondern können sogar dessen Titel betreffen.42 Einwirkungen erfolgen auch, ohne dass überhaupt direkt auf den Basisrechtsakt zugegriffen wird, indem der Anwendungsbereich der Richtlinie oder zumindest von Teilen erweitert43 wird oder indem exekutive Maßnahmen, die auf den Basisrechtsakt einwirkten und durch die

für die EGTypgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich ihrer auf dem 112-Notruf basierenden bordeigenen eCall-Systeme, von auf dem 112-Notruf basierenden bordeigenen selbstständigen technischen eCall-Einheiten und Bauteilen und zur Ergänzung und Änderung der Verordnung (EU) 2015/758 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die Ausnahmen und die anzuwendenden Normen, ABl. Nr. L 12 v. 17. 1. 2017, S. 44. 40 Delegierte Verordnung (EU) 2017/1798 der Kommission vom 2. Juni 2017 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 609/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der besonderen Zusammensetzungs- und Informationsanforderungen an Tagesrationen für gewichtskontrollierende Ernährung, ABl. Nr. L 259 v. 7. 10. 2017, S. 2; Delegierte Verordnung (EU) 2017/653 der Kommission vom 8. März 2017 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (PRIIP) durch technische Regulierungsstandards in Bezug auf die Darstellung, den Inhalt, die Überprüfung und die Überarbeitung dieser Basisinformationsblätter sowie die Bedingungen für die Erfüllung der Verpflichtung zu ihrer Bereitstellung, ABl. Nr. L 100 v. 12. 4. 2017, S. 1; Delegierte Verordnung (EU) 2017/654 der Kommission vom 19. Dezember 2016 zur Ergänzung der Verordnung (EU) 2016/1628 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich technischer und allgemeiner Anforderungen in Bezug auf die Emissionsgrenzwerte und die Typgenehmigung von Verbrennungsmotoren für nicht für den Straßenverkehr bestimmte mobile Maschinen und Geräte, ABl. Nr. L 102 v. 13. 4. 2017, S. 1. 41 Delegierten Beschlusses (EU) 2018/1102 der Kommission vom 6. Juni 2018 zur Änderung von Anhang III des Beschlusses Nr. 466/2014/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über eine Garantieleistung der Europäischen Union für etwaige Verluste der Europäischen Investitionsbank aus Finanzierungen zur Unterstützung von Investitionsvorhaben außerhalb der Union in Bezug auf Iran, ABl. Nr. L 199 v. 7. 8. 2018, S. 11; Delegierten Beschlusses (EU) 2016/1455 der Kommission vom 15. April 2016 zur Änderung des Anhangs III des Beschlusses Nr. 466/2014/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über eine Garantieleistung der Europäischen Union für etwaige Verluste der Europäischen Investitionsbank aus Finanzierungen zur Unterstützung von Investitionsvorhaben außerhalb der Union, im Hinblick auf Belarus, ABl. Nr. L 238 v. 6. 9. 2016, S. 5. 42 Vgl. Art. 4 Abs. 1 des delegierten Beschlusses (EU) 2016/309 der Kommission vom 26. November 2015 über die Gleichwertigkeit des in Bermuda geltenden Aufsichtssystems für Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen mit dem in der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates festgelegten System, und zur Änderung des Delegierten Beschlusses (EU) 2015/2290 der Kommission, ABl. Nr. L 58 v. 4. 3. 2016, S. 50. 43 Delegierten Beschlusses (EU) 2016/310 der Kommission vom 26. November 2015 über die Gleichwertigkeit des japanischen Solvabilitätssystems für Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen mit dem in der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates festgelegten System, ABl. Nr. L 58 v. 4. 3. 2016, S. 55.

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

171

Neuregelung des delegierten Rechtsakts obsolet geworden sind, durch den delegierten Rechtsakt aufgehoben44 werden. Die Einwirkungsformen sind so verschieden und zahlreich in ihrer Wirkungsweise, dass diese kaum mit Worten abschließend beschrieben werden können. Auffallend ist, dass das Ergänzen in inhaltlicher Hinsicht in einer ebenso variantenreichen Wirkungsweise genutzt wird, wie dies beim Ändern der Fall ist. Gezeigt hat die Analyse der Praxis darüber hinaus, dass sich die formale (und nicht die inhaltliche) Wirkungsreichweite des ergänzenden Rechtsakts auf einen gesonderten Rechtsakt beschränkt.45 Der ergänzende Rechtsakt greift den formalen Bestand seines Basisrechtsakts nicht an, sondern wird stets in einem gesonderten Rechtsakt erlassen und bleibt auch in formeller Hinsicht abgesondert. Der Befund deckt sich damit tatsächlich mit den Feststellungen der Kommission. Der ergänzende delegierte Rechtsakt kann allerdings einen anderen ergänzenden delegierten Rechtsakt, der auf derselben Ermächtigungsgrundlage des Basisrechtsakts erging, sowohl in formeller als auch inhaltlicher Hinsicht in „ändernder Art und Weise“ beeinträchtigen46 und sogar aufheben47.

44

Vgl. Art. 2 des delegierten Beschlusses (EU) 2018/1007 der Kommission vom 25. April 2018 zur Ergänzung der Richtlinie 2009/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates bezüglich der Hafenliste und zur Aufhebung der Entscheidung 2008/861/EG der Kommission, ABl. Nr. L 180 v. 17. 7. 2018, S. 29. 45 Vgl. Delegierte Verordnung (EU) 2016/698 der Kommission vom 8. April 2016 zur Berichtigung der Delegierten Verordnung (EU) 2016/341 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Übergangsbestimmungen für bestimmte Vorschriften des Zollkodex der Union, für den Fall, dass die entsprechenden elektronischen Systeme noch nicht betriebsbereit sind, und zur Änderung der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446, ABl. Nr. L 121 v. 11. 5. 2016, S. 1. 46 Delegierte Verordnung (EU) 2019/396 der Kommission vom 19. Dezember 2018 zur Änderung der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2205, der Delegierten Verordnung (EU) 2016/592 und der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1178 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich des Zeitpunkts, ab dem die Clearingpflicht für bestimmte Arten von Kontrakten wirksam wird, ABl. Nr. L 71 v. 13. 3. 2019, S. 11. 47 Delegierte Verordnung (EU) 2018/772 der Kommission vom 21. November 2017 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 576/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich präventiver Gesundheitsmaßnahmen zur Kontrolle von Echinococcus-multilocularis-Infektionen bei Hunden und zur Aufhebung der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 1152/ 2011, ABl. Nr. L 130 v. 28. 5. 2018, S. 1; Delegierte Verordnung (EU) 2018/625 der Kommission vom 5. März 2018 zur Ergänzung der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Unionsmarke und zur Aufhebung der Delegierten Verordnung (EU) 2017/1430, ABl. Nr. L 104 v. 24. 4. 2018, S. 1.

172 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

bb) These zur Bedeutung des Eingriffsmerkmals der „Ergänzung oder Änderung“ für die Grenzbestimmung delegierter Rechtsetzung und möglicher dogmatischer Hintergrund (1) These zur inhaltlichen Leistungsfähigkeit delegierter Rechtsetzung Es ist zunächst festzustellen, dass der Befund die Auffassung nahelegt, dass dem Merkmal des Änderns und Ergänzens bei der Bestimmung der inhaltlichen Grenze der Regelungsbefugnis der Kommission weder auf der Delegationsebene noch auf der Ausübungsebene eine Begrenzungswirkung zukommt, da die Leistungsfähigkeit der delegierten Rechtsetzung in inhaltlicher Hinsicht (bis auf den Zugriff auf wesentliche Inhalte) in der Praxis umfänglich erscheint. Durch die Gesamtheit der Zugriffsmöglichkeiten des Art. 290 AEUV soll nicht etwa die kommissionellen Gestaltungsmöglichkeiten eingeschränkt werden, sondern auf die Stellung der Kommission als Ersatzgesetzgeber aufmerksam gemacht werden: Im Falle des Art. 290 AEUV rückt die Kommission in die Stellung des Gesetzgebers und wird deshalb quasi-legislativ tätig. Die Handlungsformen des Quasi-Gesetzgebers werden mit den Begriffen des Änderns und Ergänzens beschrieben. Ebenso wie der europäische Gesetzgeber, kann auch die Kommission an seiner statt in inhaltlicher Hinsicht in umfänglicher Weise auf den Rechtsakt einwirken. Allein das Unvermögen Wesentliches zu regeln unterscheidet damit die Kommission vom ordentlichen Gesetzgeber, wenn sie in Ausübung delegierter Befugnisse Recht setzt. (2) Dogmatischer Hintergrund (a) Keine Erforderlichkeit für eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit delegierter Rechtsetzung aus der Struktur der Legitimation Neben dem Wesentlichkeitsvorbehalt ist eine weitere Beschränkung der Kommission in ihrer Stellung als Ersatzgesetzgeber in Ansehung der Organstruktur der EU in den Verträgen nicht erforderlich. Gem. Art. 10 EUV muss sich die demokratische Legitimationsidee in allen Tätigkeitssphären und Entscheidungsbereichen abbilden.48 Die Union und alle ihre getroffenen Entscheidungen beruhen ausschließlich auf zwei Legitimationssträngen. In dieser dualistischen demokratischen Legitimationsstruktur verbinden sich einerseits der auf die demokratisch verfassten Mitgliedstaaten rückführbare nationale Legitimationsstrang in Form des Europäischen Rats bzw. des Rats i.S.d. Art. 16 EUV und andererseits der über das die Bürger der Union repräsentierende Europäische Parlament vermittelte unionale Legitimationsstrang, Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 EUV, miteinander.49 Eine Delegation von

48 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 10 EUV Rn. 42; Haag, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 10 EUV Rn. 5; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 10 EUV Rn. 5. 49 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 10 EUV Rn. 5 ff.; Huber, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 10 EUV Rn. 25; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

173

Rechtsetzungsbefugnissen auf ein anderes als diese beiden Organe bedeutet deshalb einen Verzicht auf die demokratische Legitimationsleistung durch den europäischen Gesetzgeber.50 Dieses Legitimationsdefizit wird im Falle der delegierten Rechtsetzung zunächst durch zwei Mechanismen angemessen ausgeglichen. Zum einen findet durch die in Art. 290 Abs. 2 AEUV verankerten und vom Gesetzgeber ausdrücklich festzulegenden Übertragungsbedingungen (Widerruf und Evokationsrecht) als Instrumente der Kontrolle durch den Gesetzgeber eine demokratische Rückbindung der delegierten Rechtsetzung statt.51 Zum anderen vermag die Bindung der Kommission an das vom Gesetzgeber festzulegende konkrete Ziel, den Inhalt, den Geltungsbereich und die Dauer der Befugnisübertragung sowie das Delegationsverbot für Wesentliches eine demokratische Entscheidung des delegierten Rechtsetzers zu gewährleisten.52 Besondere Bedeutung bei der Bindung des Gesetzgebers und bei der Erfüllung verwaltungsspezifischer Legitimationsanforderungen kommt eben diesem Delegationsverbot bzw. dem Regelungszwang für wesentliche Aspekte zu. Das Primärrecht trennt und unterwirft Gesetzgebung und Administrativaufgaben unterschiedlichen Verfahren. So übt die Kommission nach Art. 17 Abs. 1 S. 5 EUV nach Maßgabe der Verträge Koordinierungs-, Exekutiv- und Verwaltungsfunktionen aus. Im Gegensatz dazu werden Europäisches Parlament und Rat gemeinsam als Gesetzgeber tätig, Artt. 14 Abs. 1 S. 1, 16 Abs. 1 S. 1 EUV. Hierdurch wird aber zugleich auch anerkannt, dass Organe der Union, die administrative Aufgaben der Rechtsanwendung erfüllen, über eine abgeleitete Legitimation verfügen müssen.53 Die Kommission erhält personelle Legitimation durch den Europäischen Rat und insbesondere über das Europäische Parlament (vgl. Art. 17 Abs. 7 EUV) und sachlich-inhaltliche Legitimation durch das anzuwendende Primärrecht und das Sekundärrecht der Union, das wiederum auf den dualen Legitimationspfad der Rechtsetzung (Parlament und Rat) verweisen kann.54 Wenn nun aber das Verwaltungshandeln der Kommission sachlich-inhaltlich durch das i.S.d. Art. 10 Abs. 2 EUV repräsentativ-demokratisch gesetzte Recht legitimiert ist, wird ein Vorbehalt des Gesetzes zwingend, da sich die Kommission durch eine unbegrenzte Rechtsetzungsmöglichkeit nicht selbst legitimieren kann und darf. Die Kompetenz der primären Gesetzgebungsorgane, Rechtsetzungsbefugnisse auf die Kommission zu übertragen, muss deshalb begrenzt sein. Dies geschieht gerade durch das Verbot der Delegation wesentlicher Teile, Bereiche und Aspekte der Rechtsetzung an die Kommission (Wesentlichkeitsvorbehalt). So wurde schon vor der LisEU, EUV/AEUV, Art. 10 EUV Rn. 65 ff.; Gärditz, DÖV 2010, 453, 455; Haag, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 10 EUV Rn. 9. 50 von Achenbach, in: Bergmann, Handlexikon der Europäischen Union, S. 587; Möllers/ von Achenbach, EuR 2011, 39, 47. 51 von Achenbach, in: Bergmann, Handlexikon der Europäischen Union, S. 587. 52 Gärditz, DÖV 2010, 453, 456; von Achenbach, in: Bergmann, Handlexikon der Europäischen Union, S. 587. 53 Gärditz, DÖV 2010, 453, 455. 54 Gärditz, DÖV 2010, 453, 455 f.

174 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

sabonner Verfassungsänderung vom EuGH festgestellt, dass ein Durchführungsrechtsakt den ihn ermächtigenden Basisrechtsakt nicht ändern darf, sofern dadurch die Parlamentsbeteiligung bei der Änderung ausgehöhlt würde.55 Das Parlament wird immer dann übergangen, wenn es bei wesentlichen Änderungen nicht an deren Verfahren beteiligt wird, da der Gesetzgeber nach ständiger EuGH-Rechtsprechung Wesentliches selbst zu regeln hat. Allein entscheidend für den Erhalt des Legitimationsgrundsatzes ist also, dass wesentliche Aspekte und Bereiche dem Zugriff der Kommission versperrt sind, mithin in der Kompetenz des Gesetzgebers verbleiben. Wie ein solcher Zugriff erfolgt, spielt deshalb keine Rolle. Ein Ändern oder Ergänzen, also allgemein ein (inhaltliches) Einwirken auf den Regelungsgehalt des Basisrechtsakts ist nur insoweit möglich, als Wesentliches unangetastet bleibt. Eine inhaltliche Eingrenzung durch weitere Komponenten („Ergänzung oder Änderung“) ist weder erforderlich noch naheliegend und würde die Flexibilität der Kommission über das erforderliche Maß hinaus einschränken. (b) Effektivität Eine weitergehende Einschränkung der kommissionellen Befugnisse ohne Erforderlichkeit wäre nicht nur aus praktischer Sicht, sondern auch im Hinblick auf den Zweck der abgeleiteten Rechtsetzung bzw. seine besonderen Ausprägung im Finanzdienstleitstungsbereich in Form des Lamfalussyverfahrens verfehlt. (aa) Zweck von Lamfalussy Das Verfahren von Lamfalussy legitimiert sich durch Problemlösefähigkeit und Pareto-Effizienz,56 da die Kommission hierdurch effektiv und schnellstmöglich auf alle Arten von Marktgeschehnissen reagieren kann.57 Die Komitologie als Werkzeug der legislativen Arbeitsteilung zwischen Gesetzgeber und Exekutive sollte darüber hinaus den Rat so weit wie möglich entlasten. Der Prozess der delegierten Rechtsetzung, der aus dem Regelungsverfahren mit Kontrolle hervorging, und Lamfalussy müssen so flexibel wie möglich ausgestaltet sein. (bb) Effet utile Die Annahme einer inhaltlichen Begrenzung im Wege einer Zugriffsbeschränkung durch das Kriterium des Ergänzens oder Änderns widerspräche dem effet utilePrinzip. Der von der europäischen Rechtsprechung zur Auslegung herangezogene58 55

EuGH, Urteil v. 16. 6. 1996, Parlament/Rat, C-303/94, EU:C:1996:238, Rn. 23 ff. So ausdrücklich Haltern, Europarecht I, § 3 Rn. 526 für die Komitologie. Lamfalussy ist allerdings nicht anderes als ein besonderes Komitologieverfahren, sodass diese Feststellung hierfür ebenso gelten muss. 57 So zum Zweck der Komitologie der EuGH, Urteil v. 12. 7. 2005, Alliance for Nataral Health u. a./Secretary of State for Health, verb. Rs. C-154/04 u. C-155/04, EU:C:2005:449, Rn. 78. 58 Müller/Christensen, Juristische Methodik Europarecht, Band II, Rn. 439. 56

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

175

Effektivitätsgrundsatz fordert die größtmögliche praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts. Der Effektivitätsgrundsatz ist in der Systematik der Verträge begründet; die Verträge sind mehr als ein Abkommen, das nur wechselseitige Verpflichtungen zwischen den vertragschließenden Staaten schafft.59 Die Systematik des Gemeinschaftsrechts ist darauf ausgerichtet, von den übertragenen Kompetenzen in möglichst effizienter Weise Gebrauch zu machen.60 Der genaue Inhalt des Prinzips ist nicht bestimmbar, da ihm eine gewisse Elastizität gegeben ist.61 So sind auch die unterschiedlichen Ansichten der Literatur zum möglichen Inhalt des effet utile abundant. Teilweise wird vertreten, dass nach dem effet utile die betreffende Vorschrift so ausgelegt werden müsse, dass damit am ehesten zum Gelingen des Integrationsvorhabens beigetragen werde.62 Andere sehen seine Bedeutung in einer Auslegung, die dem Zweck der Vorschrift nach Möglichkeit voll zur Geltung verhelfe, sodass sie ihre Nutzwirkung ganz entfalten könne.63 Ähnlich verfährt auch der Ansatz, der das Effektivitätsprinzip als Optimierungsgebot hinsichtlich der Verwirklichung der Vertragsziele sieht.64 Auch der Rechtsprechung lässt sich der Inhalt des Prinzips nicht ausdrücklich entnehmen. So lässt sich kein Urteil des EuGH finden, in dem er explizit zum Inhalt des Effektivitätsgrundsatzes Stellung nimmt; er lässt allerdings in einigen Entscheidungen sein diesbezügliches Verständnis erkennen.65 So fordert er etwa in der Rechtssache Adidas66, dass „bei der Auslegung einer Gemeinschaftsvorschrift nicht nur deren Wortlaut zu berücksichtigen [ist], sondern auch der Zusammenhang, in dem sie steht, und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden. Dabei ist von mehreren möglichen Auslegungen einer Gemeinschaftsvorschrift diejenige zu wählen, die allein geeignet ist, ihre praktische Wirksamkeit zu sichern.“67 Ähnlich formulierte der EuGH in der Rechtssache Schilling und Nehring68, dass „unter verschiedenen möglichen Auslegungen diejenige zu wählen [ist], die die praktische Wirksamkeit der Bestimmung zu wahren geeignet ist.“69 Diese Formulierung taucht in der Rechtsprechung des EuGH immer wieder auf.70

59

Urteil, EuGH v. 5. 2. 1963, van Gend & Loos, C-26/62, EU:C:1963:1. Müller/Christensen, Juristische Methodik Europarecht, Band II, Rn. 441. 61 Seyer, Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH, Diss., 2008, S. 273. 62 Zuleeg, EuR 1969, S. 107. 63 Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaft, Diss., 1998; Müller/Christensen, Juristische Methodik Europarecht, Band II, Rn. 358. 64 Schmidt-Aßmann, DVBl 1993, 924, 931. 65 Siehe etwa EuGH, Urteil v. 17. 11. 1983, Merck, C-292/82, EU:C:1983:335, Rn. 12; EuGH, Urteil v. 21. 2. 1984, St. Nikolaus, C-337/82, EU:C:1984:69, Rn. 10; EuGH, Urteil v. 24. 2. 2000, Kommission/Frankreich, C-434/97, EU:C:2000:98, Rn. 21. 66 EuGH, Urteil v. 14. 10. 1999, Adidas, C-223/98, EU:C:1999:500. 67 EuGH, Urteil v. 14. 10. 1999, Adidas, C-223/98, EU:C:1999:500, Rn. 23 f. 68 EuGH, Urteil v. 16. 5. 2002, Schilling und Nehring, C-63/00, EU:C:2002:296. 69 EuGH, Urteil v. 16. 5. 2002, Schilling und Nehring, C-63/00, EU:C:2002:296, Rn. 24. 60

176 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

In methodischer Hinsicht lässt sich sagen, dass der Effektivitätsgrundsatz nur dann zur Anwendung gelangen kann, wenn die betreffende Vorschrift mehrere Auslegungsmöglichkeiten zulässt.71 Durch die Auslegung darf die Norm keinen Sinn erhalten, den sie aufgrund des Wortlautes nicht haben kann oder der ihm sogar entgegenstünde.72 Weiterhin ist davon auszugehen, dass die Durchsetzung der praktischen Wirksamkeit nicht zu Widersprüchen mit dem Zweck der auszulegenden Norm führen darf.73 Die Analyse von Seyer über die Urteile des EuGH, die die Auslegung des Primärrechts zum Gegenstand haben, ergab, dass das Gericht in diesen Fällen weniger auf den Zweck der einzelnen Bestimmungen, als auf die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts insgesamt Bezug nimmt.74 Dies wohl deshalb, weil es im Primärrecht aufgrund der abstrakten Formulierung der Normen darum gehe, allgemeine Prinzipien oder Grundsätze des Gemeinschaftsrechts zu entwickeln.75 Es scheint im Primärrecht so zu sein, dass der praktischen Wirksamkeit eine herausragende Stellung bei der Auslegung zukommt.76 Die Frage, ob die Berufung auf die Berücksichtigung der Auslegung nach der praktischen Wirksamkeit gerechtfertigt ist, lässt sich am besten durch einen Vergleich mit der Situation ohne ihre Berücksichtigung beantworten.77 Eine Auslegung der Merkmale Ändern und Ergänzen, die ihnen Bedeutung als Begrenzung der inhaltlichen Reichweite der Kompetenz der Kommission zum Erlass delegierter Rechtsakte gibt, schmälert die Flexibilität und damit die Effektivität der unionalen Rechtsetzung. Die Komitologie wurde, wie bereits dargelegt, gerade dafür entwickelt, den Gesetzgeber weitestgehend zu entlasten, damit sich dieser auf Grundsatzfragen konzentrieren kann. Eine solche Einschränkung ist weder durch den Wortlaut, den Zweck noch durch das Primärrecht selbst erforderlich oder angelegt. Im Gegenteil, eine begrenzende Auslegung der inhaltlichen Reichweite der Zugriffsarten („Ergänzung oder Änderung“) würde den Zweck der Norm negativ beeinträchtigen, sodass auch und gerade das effet utile-Prinzip eine wie hier vertretene Ansicht gebietet. (cc) Zwischenergebnis „Ergänzung“ und „Änderung“ schränken den inhaltlichen Zugriff auf den Basisrechtsakt durch delegierte Rechtsetzung insgesamt nicht ein, sondern formulieren in ihrer Gesamtheit jede denkbare Art des Inhaltszugriffs. Delegierte Rechtsetzung ist inhaltliches Modifizieren des Basisrechtsakts. Die Grenze der inhaltlichen Ein70 Siehe etwa EuGH, Urteil v. 4. 10. 2001, Italien/Kommission, C-403/99, EU:C:2001:507, Rn. 28. 71 So auch Ziff. 85 der Schlussanträge des Generalanwalts Léger, Schlussanträge, v. 28. 9. 2004, Schulte, C-350/03, EU:C:2004:568. 72 Seyer, Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH, Diss., 2008, S. 293. 73 Seyer, Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH, Diss., 2008, S. 293. 74 Vgl. auch Tomasic, Effet utile, Diss., 2013, S. 34 ff. 75 Seyer, Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH, Diss., 2008, S. 294 f. 76 Tomasic, Effet utile, Diss., 2013, S. 41. 77 Seyer, Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH, Diss., 2008, S. 298.

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wirkungsmöglichkeit der Kommission kann damit nicht durch das Merkmal des Änderns und Ergänzens bestimmt werden, da es gerade die inhaltliche Einwirkung als solche beschreibt. Allein die Wesentlichkeit, deren Bestand für den inhaltlichen Zugriff nicht offensteht, bildet eine Schranke. Die gängige Definition insbesondere mit deren Bespielen der Eingriffsformen wird dem Befund der Praxis delegierter Rechtsetzung mit deren Vielfalt an inhaltlichen Einwirkungsweisen auf den Basisrechtsakt zumindest in inhaltlicher Hinsicht nicht gerecht. Diese Beispiele beschreiben nur den Zugriffsweg, nicht aber die inhaltliche Leistungsfähigkeit des Kriteriums als solches. Der Inhalt der Merkmale wird in der Literatur getrennt beschrieben und deren Leistungsfähigkeit stets in Zusammenhang mit ihrer formalen Reichweite untersucht.78 Löst man sich jedoch von der getrennten Beschreibung, so gelangt man zu der Feststellung, dass die beiden Merkmale alle denkbaren Möglichkeiten der legislativen respektive inhaltlichen Modifikation des Basisrechtsakts umfassen und deshalb bereits aus diesem Grund kein die inhaltliche Reichweite der Rechtsetzungskompetenz der Kommission beschränkendes Kriterium sein können. Interessanterweise unterlässt es der EuGH in seinen die Abgrenzung der beiden kommissionellen Rechtsetzungsarten betreffenden Urteilen die Begriffe der „Ergänzung“ und „Änderung“ inhaltlich zu definieren, sondern bemerkt schlicht, dass „der Kommission nach Art. 290 Abs. 1 AEUV in Gesetzgebungsakten die Befugnis übertragen werden [kann], Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsakts zu erlassen. Nach Unterabs. 2 dieser Bestimmung müssen in dem Gesetzgebungsakt, mit dem diese Delegation vorgenommen wird, Ziele, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer der Befugnisübertragung ausdrücklich festgelegt werden. Dieses Erfordernis impliziert, dass die Übertragung einer delegierten Befugnis dem Erlass von Vorschriften dient, die sich in einen rechtlichen Rahmen einfügen, wie er durch den Basisgesetzgebungsakt definiert ist.“79 Nach Ansicht des EuGH muss sich der delegierte Rechtsakt in den vom Rahmenrechtsakt vorgegeben Grenzen bewegen („einfügen“), die vom Gesetzgeber festgelegten Vorgaben i.S.d. Art. 290 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV beachtet werden. Eine weitere Grenze wird der Kommission durch das Ändern oder Ergänzen nicht auferlegt. Nun stößt man in der Literatur auf Stimmen, die von einer inhaltlichen Begrenzung der Zugriffsmöglichkeiten der Kommission im Rahmen der delegierten

78

So bemerkt auch Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 2 Fn. 7, zutreffend, dass „eine formalisierte Abgrenzung zwischen delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten schwierig [ist]“. 79 EuGH, Urteil v. 16. 7. 2015, Kommission/Parlament und Rat, C-88/14, EU:C:2015:499, Rn. 29; EuGH, Urteil v. 18. 3. 2014, Kommission/Parlament und Rat, C-427/12, EU:C:2014:170, Rn. 38.

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Rechtsetzung durch das Merkmal des Änderns und Ergänzens ausgehen.80 Aus dieser Begrenzung des Einwirkens auf den Basisrechtsakt folge, dass eine vollständige Änderung des Basisrechtsakts ausgeschlossen wäre und zudem der Basisrechtsakt nicht in seiner Zielsetzung in Frage gestellt werden könne. Dem lässt sich entgegnen, dass eine vollständige Änderung immer auch wesentliche Vorschriften und damit auch wesentliche Aspekte eines Bereiches betreffen würde, stellt also zugleich auch immer einen Zugriff auf die wesentlichen Teile des Gesetzgebungsakts dar. Ein solcher Zugriff kann der Kommission aber nicht zustehen, ganz gleich, ob sie die wesentlichen Teile des Grundrechtsakts grundlegend oder nur „unwesentlich“ modifiziert oder letztlich auf diese nur strukturell einwirkt, sodass der materielle Gehalt unverändert bleibt. Denn nach Art. 290 AEUV kommt es nicht darauf an, welche Intensität die Änderung oder Ergänzung hat. Die Kommission kann nur zur Modifizierung „bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften“ ermächtigt werden. Ein wie auch immer wirkender Eingriff in die wesentlichen Aspekte eines Bereiches ist „ausgeschlossen“, Art. 290 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 AEUV. Ebenso verhält es sich, wenn die Kommission die Zielsetzung des Basisrechtsakts modifiziert. Die mit dem Gesetzgebungsakt verfolgte Steuerung eines Sachverhaltes obliegt dem Gesetzgeber, da es sich hierbei um einen, wenn nicht den wesentlichen Teil eines Rechtsakts handelt,81 sodass auch in diesem Fall keine inhaltliche Beschränkung der Leistungsfähigkeit durch das Kriterium des Ergänzens oder Änderns vorliegt, sondern allein durch den Wesentlichkeitsvorbehalt. Letztlich zeigt diese Ansicht selbst die Redundanz des Begriffspaares für die inhaltliche Grenzbestimmung. Die hier aufgestellte These einer Sichtweise, die bei der Begriffsbestimmung zunächst rein inhaltlich vorgeht und die Begriffe (zunächst) als Einheit behandelt, vermag auch Hilfestellung in einem weiteren Problem zu geben. So weist im Grunde die gesamte Literatur in mehr oder weniger abgeschwächter Form darauf hin, dass eine Abgrenzung zwischen Durchführungsrechtsetzung und delegierter Rechtsetzung anhand der Kriterien der Änderung oder Ergänzung kaum möglich sei.82 Ins80

So Hetmeier, in: Lenz/Borchardt, EU-Verträge, Art. 290 AEUV Rn. 5; Schoo, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 290 AEUV Rn. 10; Scharf, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht: Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, S. 18. 81 Vgl. EuGH, Urteil v. 22. 6. 2016, DK Recycling und Roheisen GmbH/Kommission, C540/14 P, EU:C:2016:469, Rn. 49. 82 Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 179 f.; Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., Art. 291 AEUV Rn. 2; Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 291 AEUV Rn. 2; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/ AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 34; F. Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 290 AEUV Rn. 13; Kotzur, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 3; Kröll, ZÖR 2011, 253, 266; Craig, Lisbon Treaty, S. 277 ff.; Dougan, CML Rev. 2008, 617, 649; Schusterschitz, in: Hummer/Obwexer, Der Vertrag von Lissabon, S. 229; Craig, ECLN 2008, 98, 98; Kröll, in: Eilmansberger/Griller/Obwexer, Rechtsfragen der Implementierung des Vertrages von Lissabon, S. 332; BT-Drs. 15/4900, S. 262; Ilgner, Die Durchführung der Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers durch die Europäische Kom-

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besondere taucht diese Problematik mit der Auslegung des Begriffs der Ergänzung auf, da eine Durchführung i.S.d. Art. 291 Abs. 2 AEUV stets auch als Ergänzung des Rahmenrechtsakts verstanden werden könne, da dem Basisrechtsakt auch hier etwas hinzugefügt werde. Wenn man nun der hier vertretenen Ansicht folgt, dass Art. 290 AEUV durch das Begriffspaar jede inhaltliche Art des Eingriffes in den Rahmenrechtsakt beschreibt, kommt man zu dem Ergebnis, dass der Unterschied zwischen delegierter und Durchführungsrechtsetzung nicht in der Einwirkungsform als solche liegen kann, sondern nur in der Qualität ihres Zugriffs. Der Unterschied zwischen delegierter Rechtsetzung und Durchführungsrechtsetzung liegt damit im Merkmal des Änderns und Ergänzens in der hier verstandenen Weise.83 Das Merkmal ist das entscheidende Abgrenzungskriterium zur Durchführungsrechtsetzung für die Frage der inhaltlichen Grenze, da hier der legislative Gestaltungsspielraum der Kommission als „Ersatz-EU-Gesetzgeber“ zum Ausdruck kommt, der der Kommission bei der Durchführungsrechtsetzung als „Ersatzgesamtmitgliedstaat“ nicht zustehen kann. Dieser Gedanke soll hier allerdings nicht weiter entwickelt werden, wird aber im Rahmen der Bestimmung der inhaltlichen Reichweite der Durchführungsrechtsetzung wieder aufgegriffen. Es soll allerdings schon an dieser Stelle die These aufgestellt werden, dass der Durchführung ein Inhaltszugriff verwehrt sein muss. (c) Ergebnis zur Frage der Grenze der delegierten Rechtsetzung Durch die inhaltliche Leistungsfähigkeit des Merkmals ist damit hinsichtlich des inhaltlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Kommission im Rahmen delegierter Rechtsetzung keine (zusätzliche) Eingrenzung gesetzt als die des Wesentlichkeitsvorbehalts,84 sodass das Ergänzen und Ändern zusammen gesehen für die Bestimmung dieses inhaltlichen Gestaltungsraumes unbeachtlich ist. Maßgeblich ist allein, dass die Kommission durch die exekutive Normsetzung nicht auf wesentliche Vorschriften des Basisrechtsakts einwirken darf und kann. Der Basisrechtsakt ist also nur für einen Zugriff auf nicht wesentliche Teile geöffnet. Das Merkmal der Wesentlichkeit fungiert damit als alleinige Grenze inhaltlicher Leistungsfähigkeit der delegierten Rechtsetzung, die der Gesetzgeber bei der Übertragung von quasi-legismission, Diss., 2014, S. 257; Edenharter, DÖV 2011, 645, 649; Fabricius, ZEuS 2011, 567, 595; Stelkens, EuR 2012, 511, 536; Peers/Costa, ELJ 2012, 427, 442; Kröll, Artikel 290 und 291 AEUV, 2011, S. 201; Hofmann/Türk, ZG 2012, 105, 115; Craig, ELR 2011, 671, 673; Greiner, Die Reform der Komitologie durch den Vertrag von Lissabon, Diss., 2018, S. 66 ff.; Wörner, Rechtlich weiche Verhaltenssteuerungsformen Europäischer Agenturen als Bewährungsprobe der Rechtsunion, Diss., 2017, S. 235. 83 Im Ergebnis auch EuGH, Urteil v. 18. 3. 2014, Kommission/Parlament und Rat, C-427/ 12, EU:C:2014:170, Rn. 35; Ilgner, Die Durchführung der Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers durch die Europäische Kommission, Diss., 2014, S. 256; Daiber, EuR 2012, 240, 241 ff.; Edenharter, DÖV 2011, 645, 649; Töller, Integration 2013, 213, 222; Craig, ELR 2011, 671, 672 ff.; Bueren, EuZW 2012, 167, 170 f.; Kröll, ZÖR 2011, 253, 266 f.; vorsichtig, allerdings schon früh in diese Richtung Streinz/Ohler/Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, § 10 III. 3. a.E. 84 So im Ergebnis auch Gaitzsch, Tertiärnormsetzung in der Europäischen Union, Diss. 2014, S. 164 f., allerdings ohne jede Begründung.

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lativen Befugnissen an die Kommission beachten muss und die die Kommission ihrerseits beim Erlass delegierter Rechtsakte nicht überschreiten kann. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Kommission in einer erst kürzlich in einem Prozess geäußerten Bemerkung, in der sie annimmt, dass „der Unionsgesetzgeber bei der Ausgestaltung einer Befugnisübertragung nur dadurch eingeschränkt sei, dass er nicht den Erlass wesentlicher Aspekte des betreffenden Bereichs übertragen dürfe.“85 Der EuGH wies diese Aussage zwar zurück,86 nannte aber als weitere Grenzen des Gesetzgebers das in Art. 290 AEUV normierte Erfordernis, Ziele, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer der Befugnisübertragung ausdrücklich festzulegen,87 sowie das Bestimmtheitsgebot88. Letzteres bildet allerdings keine materielle Übertragungsgrenze, sondern nur eine formelle. Ebenso bilden zwar die vom Gesetzgeber festzulegenden Modalitäten einen konkret abgesteckten inhaltlichen Rahmen für die Kommission, betreffen aber ebenso wenig die Frage, was der Gesetzgeber in inhaltlicher Hinsicht imstande ist, an die Kommission zu delegieren. So stimmt auch der EuGH mit seinen Feststellungen letztlich ungewollt mit der Kommission und der hier vertretenen Auffassung überein. (d) Die jeweilige (formelle und inhaltliche) Leistungsfähigkeit des Änderns und die des Ergänzens in der Einzelbetrachtung Es stellt sich nun die Frage, ob nicht jede Zugriffsart für sich betrachtet in ihrem inhaltlich eröffneten Gestaltungsmöglichkeiten limitiert ist. Da es in der vorliegenden Arbeit allerdings nur um die grundsätzliche Frage gehen soll, wo die Grenze der inhaltlichen Leistungsfähigkeit delegierter Rechtsetzung als solche liegt, soll dieser Frage nur kurz nachgegangen werden. Hierzu soll noch einmal auf das oben geschilderte EuGH-Urteil eingegangen werden, dass sich nicht nur zum ersten Mal mit dem Inhalt des Merkmals, sondern vor allem mit dem Unterschied von „Ergänzung“ und „Änderung“ auseinandersetzt. Aus der bereits weiter oben geschilderten Definition der Begriffe ergeben sich allerdings direkt noch keine inhaltlichen Grenzen der verschiedenen Einwirkungsmöglichkeiten. Ebenso wenig aus der Feststellung des Gerichts, dass „sich aus den Ausdrücken „ergänzen oder ändern“ [ergibt], dass sich die beiden in Art. 290 Abs. 1 AEUV vorgesehenen Kategorien delegierter Befugnisse deutlich voneinander unterscheiden.“89 Dieser Unterschied könnte nämlich auch rein formeller Natur sein. 85 EuGH, Urteil v. 26. 7. 2017, Tschechische Republik/Kommission, C-6896/15 P, EU:C:2017:595, Rn. 50. 86 EuGH, Urteil v. 26. 7. 2017, Tschechische Republik/Kommission, C-6896/15 P, EU:C:2017:595, Rn. 50. 87 EuGH, Urteil v. 26. 7. 2017, Tschechische Republik/Kommission, C-6896/15 P, EU:C:2017:595, Rn. 48. 88 EuGH, Urteil v. 26. 7. 2017, Tschechische Republik/Kommission, C-6896/15 P, EU:C:2017:595, Rn. 49. 89 EuGH, Urteil v. 17. 3. 2016, Parlament/Kommission, C-286/14, EU:C:2016:183, Rn. 40.

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Diesen Eindruck gewinnt man in der Tat, wenn das Gericht zu den Unterschieden auf die Leitlinien der Kommission Bezug nimmt und davon ausgeht, dass ein Ändern vorliege, wenn der delegierte Rechtsakt formelle Änderungen an einem Text vornehme,90 während ein ergänzender Rechtsakt in Form eines vom Gesetzgebungsakt gesonderten Rechtsakts ergehen müsse und ihn nicht formell ändern dürfe, mithin keine Bestimmung in den Text des Basisrechtsakts selbst hinzufügen könne.91 Damit sind tatsächlich erst einmal nur formelle Grenzen gesetzt. Der ändernde Rechtsakt wirkt hiernach formell auf den Basisrechtsakt ein, der ergänzende dagegen nicht. Dieses Ergebnis lieferte auch die Untersuchung des Befundes. (aa) Der ändernde delegierte Rechtsakt Bzgl. der inhaltlichen Leistungsfähigkeit geht der EuGH im Einklang mit Kommission und Parlament92 davon aus, dass der Kommission im Wege des Änderns nicht nur das Ersetzen oder Streichen von Bestimmungen, sondern gerade auch, das Hinzufügen zustehe.93 Diese Gestaltungsmöglichkeit muss in allein inhaltlicher Hinsicht deckungsgleich mit der Befugnis sein, die der Kommission auch beim Ergänzen eines Basisrechtsakts zusteht, da der EuGH betont, dass die „Ausübung einer Befugnis, einen Gesetzgebungsakt zu ,ergänzen‘, keine Bestimmung in den Text dieses Rechtsakts selbst hinzufügen kann.“94 Dies sei, so ausdrücklich das Gericht, dem ändernden delegierten Rechtsakt überlassen.95 Es scheint damit lediglich formelle Leistungsunterschiede zu geben. So kommen, wie bereits weiter oben festgestellt,96 den ergänzenden delegierten Rechtsakten ähnliche oder identische Funktionen zu wie den ändernden delegierten Rechtsakten.97 Ergänzen scheint deshalb eine andere Form des Änderns zu sein, wie schon Kröll vermutete. Allerdings bestehen in formeller Hinsicht die oben genannten Unterschiede. Die umfängliche Leistungsfähigkeit des Änderns, die in inhaltlicher Hinsicht auch das Hinzufügen (Ergänzen) einschließt, hängt wohl mit der Entstehungsgeschichte des Art. 290 AEUV zusammen. Die Bestimmung wurde aus dem Regelungsverfahren mit Kontrolle entwickelt und übernahm damit auch seinen Anwendungsbereich.98 Die Definitionen der Anwendungsbereiche beider Rechtsakte sind 90

EuGH, Urteil v. 17. 3. 2016, Parlament/Kommission, C-286/14, EU:C:2016:183, Rn. 45. EuGH, Urteil v. 17. 3. 2016, Parlament/Kommission, C-286/14, EU:C:2016:183, Rn. 53, 57, 58. 92 Vgl. Ziff. 4 der Schlussanträge v. 1. 10. 2015, Parlament/Kommission, C-286/14, EU:C:2015:645. 93 EuGH, Urteil v. 17. 3. 2016, Parlament/Kommission, C-286/14, EU:C:2016:183, Rn. 45. 94 EuGH, Urteil v. 17. 3. 2016, Parlament/Kommission, C-286/14, EU:C:2016:183, Rn. 53. 95 EuGH, Urteil v. 17. 3. 2016, Parlament/Kommission, C-286/14, EU:C:2016:183, Rn. 45. 96 Siehe oben unter A. I. 2. a) aa) (1). 97 Vgl. Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 162 f. 98 So auch Daiber, EuR 2012, 240, 241; Schusterschitz, in: Hummer/Obwexer, Der Vertrag von Lissabon, S. 229 f.; Bueren in EuZW, S. 173; Epiney, NVwZ 2013, 614, 617; Chamon, 91

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allerdings nicht identisch, weil Art. 2 Abs. 2 des Komitologiebeschlusses zu detailliert war, um als primärrechtliche Bestimmung aufgenommen zu werden. Der Anwendungsbereich des Art. 290 AEUV ist deshalb abstrakter formuliert.99 Nun waren nach Art. 2 Abs. 2 des Komitologiebeschlusses die Streichung und vor allem das Hinzufügen nach dem Wortlaut („einschließlich“) Teilbereiche des Änderns. Diese Formulierung ist auch nicht zufällig gewählt. Das Europäische Parlament bestand darauf den Begriff des Hinzufügens („compléter“) in die Definition des Art. 2 Abs. 2 aufzunehmen, da viele vorher ergangenen Bestimmungen der Lamfalussy-Rechtsakte den Elementen ihrer Basisrechtsakte etwas hinzufügten. Aufgrund unterschiedlicher Meinungen wurde der Begriff als Ausprägung des Änderns, über deren Gehalt größere Einigkeit herrschte, aufgenommen.100 Selbst wenn man aufgrund der bewusst unterschiedlichen Definitionen in Art. 2 Abs. 2 des Komitologiebeschlusses und Art. 290 AEUV davon ausgeht, dass eine derartige Verbindung zwischen den Normen nicht gegeben ist, so kann man schwer leugnen, dass nach den Omnibusvorschlägen der Kommission zur Anpassung der vor Lissabon erlassenen Rechtsakte, in denen auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle Bezug genommen wird, deren entsprechende Verweise auf dieses Verfahren in eine Befugnisübertragung zur delegierten Rechtsetzung der Kommission überführt werden sollen.101 Zumindest in tatsächlicher Hinsicht decken sich also die Anwendungsbereiche des Regelungsverfahrens und des delegierten Rechtsakts. Da der Anwendungsbereich CML Rev. 2013, 849, 856; Schlacke, JöR 2013, 293, 307; Fischer, Vertrag von Lissabon, 1. Aufl. 2008, S. 399; Möllers/von Achenbach, EuR 2011, 39, 41; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 7; Greiner, Die Reform der Komitologie durch den Vertrag von Lissabon, Diss., 2018; Ohler, JZ 2006, 359, 361; tendenziell auch Scharf, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht: Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, S. 23 f.; so auch die Ansicht der Kommission und wohl auch der anderen Organe der EU damals und heute, vgl. damals Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung von Rechtsakten, in denen auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle Bezug genommen wird, an Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, COM(2013) 451 final v. 27. 6. 2013; Ziff. 6 der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 25. Februar 2014 zu den Folgemaßnahmen in Bezug auf die Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen und die Kontrolle der Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse durch die Mitgliedstaaten, P/_TA(2014)0127; und in neuerer Zeit: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung von im Bereich Justiz erlassenen Rechtsakten, in denen auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle Bezug genommen wird, an Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, COM(2016) 798 final v. 14. 12. 2016, S. 4 f. Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council adapting a number of legal acts providing for the use of the regulatory procedure with scrutiny to Articles 290 and 291 of the Treaty on the Functioning of the European Union, COM(2016) 799 final v. 14. 12. 2016, S. 2 f. 99 Schusterschitz, in: Hummer/Obwexer, Der Vertrag von Lissabon, S. 229 f. Es war Österreich, das in den Verhandlungen der Regierungskonferenz angeregt hatte, die Definition des Anwendungsbereiches des Regelungsverfahrens mit Kontrolle (Art. 2 Abs. 2 des Komitologiebeschlusses) zu übernehmen. Doch ist diesem Wunsch aus genannten Gründen nicht nachgekommen worden. 100 Schusterschitz, Europa-Blätter 2006, 176, 178. 101 Siehe oben unter Kapitel 2 E. II. 3.

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grundsätzlich gleich geblieben ist, spricht viel dafür, dass das „Hinzufügen“ im „Ändern“ enthalten ist. (bb) Der ergänzende delegierte Rechtsakt In inhaltlicher Hinsicht wird bzgl. des ergänzenden delegierten Rechtsakts weder von Rechtsprechung, Literatur noch Kommission eine Grenze genannt. Das jedoch von allen anerkannte Unvermögen des ergänzenden delegierten Rechtsakts, den Basisrechtsakt formell zu modifizieren, führt allerdings auch unweigerlich zu inhaltlichen Grenzen. So wird der ergänzende Rechtsakt seinem Basisrechtsakt inhaltlich nicht widersprechen können, da er die entsprechenden Passagen im Basisrechtsakt nicht löschen oder umändern kann. Die Befugnis zur Ergänzung erlaubt es allerdings, den auf derselben Befugnis erlassenen ergänzenden delegierten Rechtsakt vollumfänglich zu modifizieren oder durch Aufhebung zu ersetzen. Dies muss deshalb so sein, weil der modifizierte ergänzende delegierte Rechtsakt auf Grundlage der Ermächtigung im Basisrechtsakt auch direkt in dieser Form, die er durch die Modifikation erhält, hätte erlassen werden können. Eine Ausnahme hiervon soll nach der Rechtsprechung des EuGH aber dann vorliegen, wenn der ergänzende delegierte Rechtsakt einen „integralen Bestandteil“ seines Basisrechtsakts bildet; eine formelle Modifikation, z. B. in Form einer Ersetzung oder Streichung von Worten oder Teilen, soll dann nur noch im Wege eines ändernden delegierten Rechtsakts möglich sein.102 Wann allerdings eine solche Verbindung zwischen Basisrechtsakt und ergänzendem delegierten Rechtsakt vorliegen soll, bleibt offen. Ebenso, ob in einer solchen Konstellation eine erneute Ergänzung des hinzugefügten Teils denkbar ist. Denn das Gericht verbietet in seiner Entscheidung nur eine Ersetzung oder Streichung.103 (cc) Ergebnis Es kann also festgehalten werden, dass beide Arten delegierter Rechtsetzung inhaltlich in der Lage sind, umfänglich auf einen Rechtsakt einzuwirken. Gefordert wird lediglich bei der Ergänzung von der Rechtsprechung (im Einklang mit der Auffassung der Kommission), dass der ergänzende Rechtsakt als gesonderter Rechtsakt erlassen wird. Die Befugnis zur Ergänzung erlaubt es zwar nicht, den ermächtigenden Basisrechtsakt formell zu modifizieren, allerdings können bereits auf dieser Ermächtigungsgrundlage erlassene ergänzende delegierte Rechtsakte auf diese Art verändert werden. In dieser Hinsicht ist der ergänzende delegierte Rechtsakt inhaltlich so flexibel wie sein änderndes Pendant, solange das Ziel der Einwirkung ein ergänzender delegierter Rechtsakt ist. Was den Zugriff auf den Basisrechtsakt angeht, stehen dem ergänzenden delegierten Rechtsakt nur diejenigen 102

EuGH, Urteil v. 17. 3. 2016, Parlament/Kommission, C-286/14, EU:C:2016:183, Rn. 55 f. 103 Wovon jedoch auszugehen ist, sofern die erneute Ergänzung keinen formellen Zugriff vornehmen würde, weder am Basisrechtsakt noch am nun ergänzten integralen Teil.

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Grenzen entgegen, die aus seinem Unvermögen resultieren, den Basisrechtsakt formell zu modifizieren. Die Änderung hingegen modifiziert den Regelungstext des Basisrechtsakts selbst, und sei es nur durch Hinzufügen oder Abändern eines Anhangs.104 Die inhaltliche Leistungsfähigkeit der ändernden delegierten Rechtsetzung ist in Gänze umfassend (bis auf wesentliche Elemente des Basisrechtsakts) und damit weiter als die des ergänzenden delegierten Rechtsakts. b) Das Wesentlichkeitskriterium als Grenze Die zentrale Grenze der inhaltlichen Leistungsfähigkeit der delegierten Rechtsetzung bildet also der Wesentlichkeitsvorbehalt bzw. das Kriterium der Wesentlichkeit, deren Gehalt im Folgenden untersucht wird. aa) Einheitlicher Wesentlichkeitsbegriff In Art. 290 AEUV finden sich zwei Wesentlichkeitsvorbehalte mit unterschiedlichen Anknüpfungspunkten, die die Befugnisübertragung begrenzen. Nach Art. 290 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV „kann der Kommission die Befugnis übertragen werden, Rechtsakte […] zur Änderung oder Ergänzung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsakts zu erlassen.“ Nach Art. 290 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 AEUV sind „die wesentlichen Aspekte eines Bereiches […] dem Gesetzgebungsakt vorbehalten und eine Befugnisübertragung ist für sie deshalb ausgeschlossen.“ Das Wesentlichkeitskriterium des Art. 290 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV bezieht sich auf den konkreten Basisrechtsakt. Anders ist dies beim Wesentlichkeitsbegriff in Art. 290 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 AEUV. Bezugspunkt sind hier die „wesentlichen Aspekte eines Bereiches“. Es stellt sich daher Frage, ob sich hieraus ein jeweils unterschiedlicher Inhalt des Wesentlichkeitskriteriums ergibt oder ob es sich um denselben, also inhaltsgleichen Begriff handelt. Die unterschiedliche Wortwahl, respektive die verschiedenen Bezugspunkte der Wesentlichkeit werden von der Literatur allerdings, soweit ersichtlich, äußerst selten thematisiert. (1) Denkbare Funktionen der doppelten Kodifizierung Bereits zum Europäischen Verfassungsvertrag bemerkt Härtel, dass die „Begriffe ,wesentlich‘ […] in beiden Sätzen des Art. I-36 Abs. 1 VV synonym zu verstehen [sind].“105 Die zweifache Erwähnung habe Klarstellungsfunktion. Ebenso misst Vedder den Begriffen keine unterschiedliche Bedeutung zu, da auch wenn „sich die erste Regelung auf die Wesentlichkeit der Vorschriften des ermächtigenden Gesetzesakts, die zweite dagegen auf die Wesentlichkeit der Regelung in der europäischen 104 So auch Ziff. 34 der Implementation of the Treaty of Lisbon, Delegated Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2011) 855. 105 Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, § 11 Rn. 63.

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

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Verordnung bezieht, […] das Verhältnis der Gesetzgebungsakte zu den delegierten Europäischen Verordnungen entscheidend durch den Grundsatz der Wesentlichkeit gesteuert [wird].“106 Zum selben Ergebnis gelangt Schoo, der von einer Wiederholung dieses Kriteriums spricht.107 Auch Hetmeier gelangt zu dem Schluss, dass „Sinn und Zweck der [beiden] Vorschriften […] offensichtlich darin [liegen], dass grundlegende Entscheidungen von der legislativen Gewalt selbst getroffen und nicht auf die Exekutive delegiert werden sollen.108 Endlich spricht noch Nettesheim die unterschiedlichen Bezugspunkte an und stellt fest, dass der Wortlaut der Norm keinen Aufschluss darüber gibt, ob es aufgrund der unterschiedlichen Bezugspunkte einen inhaltlichen Unterschied bei den Wesentlichkeitsmerkmalen gibt. Angesichts der Tatsache, dass „der Gesetzgeber des Primärrechts explizit zwei verschiedene Bezugspunkte […] gewählt hat“, erscheine es vorzugswürdig, anzunehmen, dass sich die Wesentlichkeit des Art. 290 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 AEUV „nach ihrer Bedeutung für die jeweilige Unionspolitik beurteilt“, während es bei Art. 290 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV um die „Frage der Wesentlichkeit innerhalb der Regelungssystematik des Basisrechtsakts“ geht.109 (2) Einheitlicher Begriff aus unterschiedlicher Sichtweise Die Annahme eines einheitlichen Wesentlichkeitsbegriffs ist vorzugswürdig. Das Delegationsverbot regelt den Wesentlichkeitsvorbehalt aus Sicht des Gesetzgebers, indem ihm untersagt wird, Wesentliches zu delegieren. Das Wesentlichkeitskriterium des Art. 290 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV mit der Bezugnahme auf die „wesentlichen Aspekte eines Bereiches“ beschreibt den Wesentlichkeitsvorbehalt aus Sicht der Kommission, indem ihr die Befugnis zugesprochen wird, nicht Wesentliches an Stelle des Gesetzgebers zu regeln. Das Wesentlichkeitskriterium wird also einmal aus Sicht des Delegierenden und einmal aus der des Empfängers beschrieben. Es handelt sich dabei aber um denselben Wesentlichkeitsvorbehalt mit demselben Inhalt. Für die Frage der inhaltlichen Leistungsfähigkeit bedeutet das zum einen, dass die Kompetenz der Kommission zur delegierten Rechtsetzung nicht weiter reichen kann als die Grenze dessen, was ihr zur Regelung hätte übertragen werden können. Immer dann, wenn die Kommission durch den Erlass delegierter Rechtakte Regelungsbereiche tangiert, deren Delegation dem Gesetzgeber untersagt sind, überschreitet die Kommission die äußerste Grenze ihrer im Rahmen der delegierten Rechtsetzung gegebenen Möglichkeiten. Zum anderen ist es der Kommission auch 106

Vedder, in: Vedder/Heintschel von Heinegg, Europäischer Verfassungsvertrag, Art. I-36 Rn. 3. Diese Auffassung hat Vedder auch beibehalten, siehe Vedder, in: Vedder/Heintschel von Heinegg, Europäisches Unionsrecht, Art. 290 AEUV Rn. 3; ebenso auch Gaitzsch, Tertiärnormsetzung in der Europäischen Union, Diss. 2014, S. 56 f. 107 Schoo, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 290 AEUV Rn. 12. 108 Hetmeier, in: Lenz/Borchardt, EU-Verträge, Art. 290 AEUV Rn. 5; so auch Edenharter, DÖV 2011, 645, 646 f. 109 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 53.

186 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

ausdrücklich selbst untersagt, wesentliche Inhalte selbst zu regeln. Die Wahl der unterschiedlichen Bezugspunkte des Wesentlichkeitskriteriums hat nicht das Ziel einen anderen Inhalt der Wesentlichkeitsvorbehalte zu konstatieren, sondern soll die Gültigkeit des Wesentlichkeitsmerkmals im Großen wie im Kleinen betonen. Wesentliche Teile und Aspekte des Basisrechtsakts werden auch wesentliche Teile des unionalen Regelungsbereiches sein und umgekehrt. Darüber hinaus lässt sich der Wesentlichkeitsvorbehalt aus Sicht der Kommission am besten aus Sicht des konkreten Basisrechtsakts beschreiben, da sich dessen Legislativbefugnis in Form des Änderns und Ergänzens auf den konkreten Rechtsakt beziehen muss. bb) Rückgriff auf die Rechtsprechung vor der Normierung des Wesentlichkeitskriteriums Mit der Aufnahme des Wesentlichkeitsvorbehalts in Art. 290 AEUV hat der Gesetzgeber zwar die Rechtsprechung des EuGH zum Verbot der Delegation wesentlicher Entscheidungen auf die Exekutive primärrechtlich verankert,110 jedoch nicht definiert, was unter der Wesentlichkeit zu verstehen ist. Dass Art. 290 AEUV die gefestigte EuGH-Rechtsprechung widergibt,111 kann diese zur Bestimmung des Begriffes herangezogen werden.112 Es wird nun im Weiteren die Rechtsprechung des EuGH zum Merkmal der Wesentlichkeit untersucht und sodann der Versuch unternommen, hieraus einen abstrakten Wesentlichkeitsbegriff zu entwickeln. (1) Anwendbarkeit auf die Rechtslage von Lissabon Zwar befindet sich mit Art. 290 AEUV zum ersten Mal ein ausdrücklich im Primärrecht geregelter Anknüpfungspunkt des Wesentlichkeitserfordernisses, doch war das Kriterium, wie schon erwähnt, bereits vor seiner Normierung in der Rechtsprechung anerkannt. Diese Rechtsprechung gilt unabhängig von der Gesetzeslage, da es sich um ein von dieser entwickeltes, allgemeingültiges und dem EU110 So etwa ausdrücklich Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 23. 12. 2015, Philip Morris Brands SARL, C-547/14, EU:C:2015:853, Rn. 245. 111 Statt aller Gundel, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/ AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 8. 112 Vgl. etwa die Darstellung bei Hetmeier, in: Lenz/Borchardt, EUV/EGV, Art. 290 AEUV Rn. 5; er stellt zutreffend fest, dass eine Interpretation und Konturierung des Merkmals letztlich allein vom EuGH vorgenommen werden kann; Schoo, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 290 AEUV Rn. 11; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 36 ff.; F. Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 290 AEUV Rn. 25 ff.; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 9; Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, § 11 Rn. 9 ff.; Schlacke, JöR 2013, 293, 308; Seifert, EL Working Paper: Die Durchführung des Gemeinschaftsrechts durch die Europäische Kommission, S. 41 ff.; Fabricius, ZEuS 2011, 567, 571 ff.; Bueren, EuZW 2012, 167, 169 f.; Ilgner, Die Durchführung der Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers durch die Europäische Kommission, Diss., 2014, S. 50 ff.; Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 25 ff.; Gaitzsch, Tertiärnormsetzung in der Europäischen Union, Diss., 2014, S. 56 ff.

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Recht immanentes Prinzip handelt, das nun primärrechtlich verankert worden ist.113 Die Aufnahme der Wesentlichkeitsschranke in Art. 290 AEUV ist für deren Gültigkeit im Rahmen der delegierten Rechtsetzung letztlich nicht erforderlich gewesen. (2) Rechtsprechungsanalyse Die Rechtsprechung wird insgesamt in chronologischer Ordnung analysiert. Es wird hierbei zunächst untersucht, ob sich aus der Rechtsprechung zur Wesentlichkeit vor ihrer Normierung Rückschlüsse ziehen oder Erkenntnisse zum Inhalt des Kriteriums gewinnen lassen. Sodann soll die „post-Lissabonner“ Rechtsprechung analysiert werden.114 (a) Rechtsprechung zur Wesentlichkeit vor Normierung durch Lissabon (aa) Erste Konturen: Pflicht zur Regelung „wesentlicher Grundzüge“ Bereits 1970 ließ der EuGH in der Rechtssache ACF Chemiefarma/Kommission115 durchscheinen, dass es für den Gesetzgeber nicht möglich sei, sich seiner gesamten (Rechtsetzungs-)Kompetenzen zu begeben, indem er sie an die Kommission übertrage. Dabei erwähnte der Gerichtshof das Merkmal der Wesentlichkeit nicht ausdrücklich, sondern stellte lediglich allgemein fest, dass die Regelungen von Einzelheiten des betreffenden Anhörungsverfahrens, „so wichtig sie auch sein mögen, Durchführungsmaßnahmen“ darstellen.116 Ausdrücklich zum materiell rechtlichen Umfang der Delegation von Durchführungsbefugnissen auf die Kommission nahm das Gericht noch im selben Jahr in seiner Entscheidung Köster117 Stellung. In der Sache ging es zwar um die Vereinbarkeit des Verwaltungsausschussverfahrens mit dem EWG-Vertrag bzw. die Zulässigkeit der Komitologie. Der Gerichtshof äußerte sich jedoch in diesem Zusammenhang allgemein zum Rechtsetzungssystem der Gemeinschaft, insbesondere zur Durchführungsrechtsetzung und stellte fest, dass „das Rechtsetzungssystem des 113 So auch Hofmann/Türk, ZG 2012, 105, 108; Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, § 11 Rn. 18 stellte schon zum Verfassungsvertrag fest, dass die Rechtsprechung des EuGH zur Wesentlichkeit weiterhin eine große Rolle spielen würde und zwar sowohl für delegierte Rechtsakte als auch Durchführungsmaßnahmen. Siehe auch Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 23. 12. 2015, Philip Morris Brands SARL, C-547/14, EU:C:2015:853, Rn. 245; Kröll, Artikel 290 und 291 AEUV, 2011, S. 198; Schlacke, JöR 2013, 293, 308; Gundel, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 8. 114 Vgl. auch die ausführliche Rechtsprechungsanalyse bei Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss. 2015, S. 235 ff., auf dessen Ergebnis an entsprechenden Stellen als orientierungsgebende Analyse hingewiesen wird. Der Aufbau der Analyse ist streng chronologisch. 115 EuGH, Urteil v. 15. 7. 1970, ACF Chemiefarma/Kommission, C-41/69, EU:C:1970:71. 116 EuGH, Urteil v. 15. 7. 1970, ACF Chemiefarma/Kommission, C-41/69, EU:C:1970:71, Rn. 63, 67. 117 EuGH, Urteil v. 17. 12. 1970, Einfuhrstelle/Köster, C-25/70, EU:C:1970:115.

188 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

[EWG-]Vertrages, wie es insbesondere in Art. 155 letzter Gedankenstrich zum Ausdruck kommt, […] zwischen den Maßnahmen, die ihre Grundlage unmittelbar im Vertrag selbst finden, und dem abgeleiteten Recht, das zur Durchführung dieser Maßnahme dienen soll [unterscheidet].“118 Hieraus ergebe sich deshalb auch, dass „der Rat [nicht] alle Einzelheiten“ zu regeln hat, vielmehr sei es ausreichend, „wenn die wesentlichen Grundzüge der zu regelnden Materie […] [im Basisrechtsakt] festgelegt worden sind.“119 Was unter den wesentlichen Grundzügen zu verstehen und wie diese zu bestimmen sind, blieb jedoch offen. (bb) Politikbereichsspezifische Wesentlichkeit Eine Idee hinsichtlich des Inhalts der Wesentlichkeit lieferte das Gericht erst fünf Jahre später in seiner Entscheidung 1975 in der Rechtssache Rey Soda120. Es ging um die Frage der Gültigkeit einer Durchführungsmaßnahme der Kommission im Agrarsektor. Der EuGH entschied, dass sich aus Art. 155 EWG und „aus dem Gesamtzusammenhang des Vertrages, in den dieser Artikel gestellt werden muß, sowie aus den Anforderungen der Praxis [ergibt], daß der Begriff ,Durchführung‘ weit auszulegen ist.“121 Im Agrarsektor kann der Kommission eine „weitgehende Beurteilungs- und Handlungsbefugnis […] übertragen“ werden, da „nur die Kommission in der Lage ist, die Entwicklung der Agrarmärkte ständig und aufmerksam zu verfolgen und mit der durch die Situation gebotenen Schnelligkeit zu handeln“122. Damit gewährte der EuGH dem Gesetzgeber zumindest im Agrarbereich einen weiten Ermessensspielraum für die Delegation von Durchführungsbefugnissen und damit auch weite Grenzen hinsichtlich der Delegationsmöglichkeiten. Dieses weite Verständnis mag wohl auch dem in dieser Zeit entwickelten Prinzips des effet utile geschuldet sein. Der EuGH nutzte nämlich zur Auslegung der Durchführung den Gesamtzusammenhang der Verträge, in deren Systematik ebenfalls der Effektivi118

EuGH, Urteil v. 17. 12. 1970, Einfuhrstelle/Köster, C-25/70, EU:C:1970:115, Rn. 6. EuGH, Urteil v. 17. 12. 1970, Einfuhrstelle/Köster, C-25/70, EU:C:1970:115, Rn. 6. So auch EuGH, Urteil v. 27. 9. 1979, SpA Eridania – Zuccherifici nazionali und SpA Società italiana per l’industria degli zuccheri gegen Minister für Landwirtschaft und Forsten, Minister für Industrie, Handel und Handwerk und SpA Zuccherifici Meridionali, C-230/78, EU:C:1979:216, Rn. 7. 120 EuGH, Urteil v. 30. 10. 1975, Rey Soda/Cassa Conguaglio Zucchero, C-23/75, EU:C:1975:142. 121 EuGH, Urteil v. 30. 10. 1975, Rey Soda/Cassa Conguaglio Zucchero, C-23/75, EU:C:1975:142, Rn. 10/14. Bestätigt etwa durch EUGH, Urteil v. 15. 7. 2004, Di Lenardo Adriano Srl und Dilexport Srl/Ministero dil Commercio con l’Estero, verb. Rs. C-37/02 und C38/02, EU:C:2004:443, Rn. 55; EuGH, Urteil v. 4. 2. 1997, Belgien und Deutschland/Kommission, verb. Rs. C-9/95 und C-23/95 und C-156/95, EU:C:11997:50, Rn. 36. 122 EuGH, Urteil v. 30. 10. 1975, Rey Soda/Cassa Conguaglio Zucchero, C-23/75, EU:C:1975:142, Rn. 10/14. Bestätigt etwa durch EUGH, Urteil v. 15. 7. 2004, Di Lenardo Adriano Srl und Dilexport Srl/Ministero dil Commercio con l’Estero, verb. Rs. C-37/02 und C38/02, EU:C:2004:443, Rn. 55; EuGH, Urteil v. 4. 2. 1997, Belgien und Deutschland/Kommission, verb. Rs. C-9/95 und C-23/95 und C-156/95, EU:C:11997:50, Rn. 36. 119

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

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tätsgrundsatz begründet ist.123 Diese Rechtsprechung wurde sowohl 1987 in der Rechtssache Rau/Balm124 als auch 1989 in der Rechtssache Vreugdenhil125 bestätigt.126 Der Gerichtshof verdeutlichte hierbei, dass es bei der Frage der Reichweite der inhaltlichen Grenze tatsächlich auf das jeweilige Regelungsgebiet ankomme, da eine solch weite Auslegung der Befugnisse der Kommission nur im Rahmen der Regelungen über Agrarmärkte in Betracht komme.127 (cc) Keine grundrechtlich geprägte Wesentlichkeit 1992 verlieh der EuGH dem Wesentlichkeitskriterium weitere Konturen. In der Rechtssache Deutschland/Kommission128 wollte Deutschland zwei Bestimmungen in Basisrechtsakten für nichtig erklären, die der Kommission Durchführungsbefugnisse (unter Anwendung des Verwaltungsausschussverfahrens) verliehen, mit denen sie Sanktionen eingeführt hatte, die nationale Behörden unter den dort aufgeführten Voraussetzungen gegenüber den Wirtschaftsteilnehmern verhängen mussten. Die Bundesregierung vertrat bei ihrer Nichtigkeitsklage unter anderem die Ansicht, dass „Sanktionen, die […] über die bloße Erstattung einer unrechtmäßig gewährten Leistung hinausgingen und somit in die Grundrechte der einzelnen [sic] eingriffen“,129 nur vom Gesetzgeber selbst geregelt werden könnten. Das Gericht folgte diesem Vorbringen jedoch nicht und stellte klar, dass wesentlich nur „solche Bestimmungen [sind], durch die die grundsätzlichen Ausrichtungen der Gemeinschaftspolitik umgesetzt werden.“130 Dies sei bei den streitigen Sanktionen nicht der Fall, da sie lediglich die Absicherung der grundsätzlichen Entscheidung und der ordnungsgemäßen Verwaltung der Gemeinschaftsmittel bezwecken.131 Dem von der Bundesregierung vorgebrachten Argument der Grund123

EuGH, Urteil v. 5. 2. 1963, van Gend & Loos, C-26/62, EU:C:1963:1. EuGH, Urteil v. 21. 5. 1987, Rau/Balm, verb. Rs. C-133 bis 136/85, EU:C:1987:244. 125 EuGH, Urteil v. 29. 6. 1989, Vreugdenhil und Douane/Minister van Landbouw en Visserij, C- 22/88, EU:C:1989:277. 126 EuGH, Urteil v. 29. 6. 1989, Vreugdenhil und Douane/Minister van Landbouw en Visserij, C- 22/88, EU:C:1989:277, Rn. 16; EuGH, Urteil v. 21. 5. 1987, Rau/Balm, verb. Rs. C-133 bis 136/85, EU:C:1987:244, Rn. 31. Ebenso bestätigt durch Urteil v. 17. 10. 1995, Niederlande/ Kommission, C-478/93, C-478/93, EU:C:1995:324, Rn. 30. 127 EuGH, Urteil v. 29. 6. 1989, Vreugdenhil und Douane/Minister van Landbouw en Visserij, C- 22/88, EU:C:1989:277, Rn. 17; EuGH, Urteil v. 21. 5. 1987, Rau/Balm, verb. Rs. C-133 bis 136/85, EU:C:1987:244, Rn. 31. Später allerdings hat der EuGH die für das Agrarmarktrecht exklusiv entwickelte Rechtsprechung sowohl für das Außenwirtschaftsrecht als auch für das Zollrecht übernommen. 128 EuGH, Urteil v. 27. 10. 1992, Deutschland/Kommission, C-240/90, EU:C:1992:408. 129 EuGH, Urteil v. 27. 10. 1992, Deutschland/Kommission, C-240/90, EU:C:1992:408, Rn. 32. 130 EuGH, Urteil v. 27. 10. 1992, Deutschland/Kommission, C-240/90, EU:C:1992:408, Rn. 37. 131 EuGH, Urteil v. 27. 10. 1992, Deutschland/Kommission, C-240/90, EU:C:1992:408, Rn. 37. 124

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rechtsbeeinträchtigung schenkte das Gericht keine Beachtung und offenbarte damit, dass es bei der Frage der Wesentlichkeit nicht auf eine solche ankommt, sondern allein auf die politische Tragweite der zu regelnden Materie.132 Damit weitete der Gerichtshof den Handlungsspielraum von Gesetzgeber und Kommission im Rahmen der Durchführung mittelbar weiter aus, indem nun feststand, dass zumindest in diesem Fall nicht einmal die Grundrechte der Übertragung von Durchführungsbefugnissen bzw. der Durchführung durch die Kommission im Wege stehen können. Bemerkenswert erscheint auch die Tatsache, dass die Kommission im Basisrechtsakt nicht ausdrücklich auch zur Regelung von Sanktionen, sondern nur für Vorschriften über eine Prämiengewährung ermächtigt wurde. Die im Agrarmarktrecht übliche, allgemein gehaltene Übertragung der Zuständigkeit zum Erlass „aller zur Durchführung erforderlichen Maßnahmen“ reichte offensichtlich aus, um auch alle erforderlichen Sanktionsvorschriften zu erlassen.133 Auch dieser Befund verdeutlicht die Weite des Spielraums, in dem sich die Kommission in zulässiger Weise bewegen kann. (dd) Restriktive Auslegung der Wesentlichkeit Obwohl der EuGH in mehreren Fällen betonte, dass die von ihm praktizierte sehr weite Auslegung der Durchführungsbefugnisse der Kommission im Agrarmarktrecht nur wegen dessen bereichsspezifischen Besonderheiten gelte, wurde die hierfür entwickelte Argumentation in der Rechtssache Portugiesische Republik/Kommission134 für das Außenwirtschaftsrecht übernommen. In der Sache ging es um die Nichtigkeitserklärung einer Durchführungsmaßnahme der Kommission im Zusammenhang mit der Verwaltung der Höchstmengen bei der Einfuhr von Textilwaren und Bekleidung mit Ursprung in Drittländern in die Gemeinschaft. Das Gericht stellte hierzu fest, dass es dem Rat zustehe, der Kommission weitgehende Durchführungsbefugnisse zu übertragen, da „nur die Kommission in der Lage ist, die internationale Marktentwicklung ständig und aufmerksam zu verfolgen und mit der durch die Situation gebotenen Schnelligkeit zu handeln“135 und verweist dabei explizit auf die zum Agrarsektor ergangene Rechtsprechung. Ebenfalls mit Verweis auf diese Rechtsprechung erging ein Jahr später das Urteil in der Rechtssache Söhl & Söhne136, in der es in einem Vorabentscheidungsverfahren um die Frage der Auslegung einer Ermächtigungsregelung im Bereich des Zollrechts ging. Hier wird das Ergebnis allerdings nicht ausdrücklich mit Hinweis auf die Besonderheiten des Rechtsgebietes begründet. Interessant bei beiden Entscheidungen ist, dass die 132

So auch Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 240 f.; Möllers/ von Achenbach, EuR 2011, 39, 49. 133 Pache, EuR 1993, 173, 181. 134 EuGH, Urteil v. 19. 11. 1998, Portugal/Kommission, C-159/96, EU:C:1998:550. 135 EuGH, Urteil v. 19. 11. 1998, Portugal/Kommission, C-159/96, EU:C:1998:550, Rn. 41. 136 EuGH, Urteil v. 11. 11. 1999, Söhl & Söhne/Hauptzollamt Bremen, C-48/98, EU:C:1999:548.

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

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Rechtsprechungsverweise mit dem Hinweis versehen sind, dass es sich dabei um Urteile aus dem „Gebiet der Landwirtschaft“137 bzw. „Bereich der Landwirtschaft“138 handelt. Dies bekräftigt den Eindruck, dass der EuGH das Wesentlichkeitskriterium mit Blick auf das jeweilige Regelungsgebiet bestimmt. (ee) Grundrechtsbezogene Wesentlichkeit? Im Jahr 2000 wurde sodann die vorherige Rechtsprechung in der Rechtssache Deutschland/Kommission139 vom Gericht erneut bestätigt.140 Umso mehr verwunderte es, als der EuGH fünf Jahre später in der Rechtssache Alliance for Natural Health141 im Bereich der Grundfreiheiten (Warenverkehrsfreiheit) zu entscheiden hatte und eine deutlich restriktivere Linie erkennen ließ. In der Sache ging es um die Frage, ob der Kommission eine Befugnis zur Aktualisierung einer Positivliste im Wege der durch das Regelungsverfahren mit Kontrolle zu erfolgenden Durchführungsrechtsetzung übertragen werden kann, in der alle Nahrungsergänzungsmittel aufgeführt waren, die nicht unter das Verkehrsverbot des Basisrechtsakts fallen sollten. Das Gericht stellte zunächst fest, dass es für die Gültigkeit der Verbotsmaßnahme und damit für die Zulässigkeit des Eingriffes in die Warenverkehrsfreiheit allein auf die Rechtmäßigkeit des im Basisrechtsakt angeordneten Komitologieverfahrens ankomme.142 Wenn der Gesetzgeber nämlich die Regelungsart eines grundsätzlichen Verbotes mit ausdrücklichen Ausnahmen wählt, muss er „ein Verfahren vorsehen, das die Aufnahme […] in diese Liste ermöglicht und den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts […] entspricht.“143 Dazu gehöre neben einer gewissen Schnelligkeit des Verfahrens144 und der gerichtlichen Überprüfbarkeit145 auch, „dass der Gemeinschaftsgesetzgeber, wenn er seine Befugnis zur Abänderung von Bestandteilen des betreffenden Rechtsetzungsakts übertragen will, sicherzustellen hat, dass diese Befugnis genau umgrenzt ist und ihre Ausübung einer strengen Kontrolle im Hinblick auf die Beachtung von ihm festgesetzter Kriterien 137

EuGH, Urteil v. 19. 11. 1998, Portugal/Kommission, C-159/96, EU:C:1998:550, Rn. 41. EuGH, Urteil v. 11. 11. 1999, Söhl & Söhne/Hauptzollamt Bremen, C-48/98, EU:C:1999:548, Rn. 34. 139 Siehe unter (3). 140 EuGH, Urteil v. 6. 7. 2000, Molkereigenossenschaft Wiedergeltingen eG/Hauptzollamt Lindau, C-356/97, EU:C:2000:364. 141 EuGH, Urteil v. 12. 7. 2005, Alliance for Natural Health/Secretary of State for Health, verb. Rs. C-154/04 und C-155/04, EU:C:2005:449. 142 EuGH, Urteil v. 12. 7. 2005, Alliance for Natural Health/Secretary of State for Health, verb. Rs. C-154/04 und C-155/04, EU:C:2005:449, Rn. 75. 143 EuGH, Urteil v. 12. 7. 2005, Alliance for Natural Health/Secretary of State for Health, verb. Rs. C-154/04 und C-155/04, EU:C:2005:449, Rn. 72. 144 EuGH, Urteil v. 12. 7. 2005, Alliance for Natural Health/Secretary of State for Health, verb. Rs. C-154/04 und C-155/04, EU:C:2005:449, Rn. 79 ff. 145 EuGH, Urteil v. 12. 7. 2005, Alliance for Natural Health/Secretary of State for Health, verb. Rs. C-154/04 und C-155/04, EU:C:2005:449, Rn. 83. 138

192 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

unterliegt.“146 Andernfalls „würde den ermächtigten Stellen ein Ermessensspielraum eingeräumt, der, soweit es um Rechtsvorschriften über das Funktionieren des Binnenmarkts für Waren geht, den freien Verkehr der betreffenden Waren übermäßig und auf nicht transparente Art und Weise einschränken könnte.“147 Der EuGH verweist dabei ausdrücklich auf seine sogenannte Meroni-Rechtsprechung und führt dabei mit der Verbindung der Wesentlichkeitsrechtsprechung zwei unterschiedliche Rechtsprechungen zusammen.148 Das Gericht prüft dann letztlich, ob der Gesetzgeber der Kommission in einem in die Warenfreiheit eingreifenden Bereich durch die Vorgaben im Basisrechtsakt keinen zu weiten Ermessenspielraum eingeräumt hat. Es kommt zu dem Ergebnis, dass „der Gemeinschaftsgesetzgeber hier die wesentlichen Grundzüge der zu regelnden Materie zu Zwecken der Ausübung der so übertragenen Befugnisse festgelegt hat“149, indem er der Kommission durch die Basisrichtlinie so genaue Vorgaben machte, dass diese ihre Befugnisse lediglich in einem klaren, genau definierten Bereich wahrnehmen konnte.150 Das Gericht spricht von „gebundenen Kriterien“151, sodass der Schluss nahe liegt, dass der Kommission kein eigener Spielraum mehr verbleiben darf.152 Unklar bleibt allerdings, ob diese Kriterien nur für die Warenverkehrsfreiheit gelten, auf deren potentielle übermäßige und nicht transparente Einschränkung sich der EuGH explizit bezieht oder ob davon alle Grundfreiheiten umfasst sind,153 sodass generell im Bereich der Grundfreiheiten eine Übertragung von Durchführungsbefugnissen nur möglich ist, wenn der Kommission „gebundene“ Entscheidungen anvertraut werden. Ob die Anforderungen an die Ermächtigung tatsächlich deshalb deutlich strenger als bei „einfachen“ Befugnisübertragungen sind, weil der Kommission im Bereich der Warenverkehrsfreiheit kein Raum gelassen werden darf, da es sich bei Regelungsmaterien in Verbindung mit zumindest dieser Grundfreiheit um einen wesentlichen Aspekt handelt oder ob der EuGH hier lediglich bemüht war, die bisher sehr vorsichtige und „gewährende“ Rechtsprechung zur Wesentlichkeit mit der restriktiven Meroni-Rechtsprechung in Einklang zu bringen, lässt sich ebenfalls an dieser Stelle nicht sagen. Hierfür spricht 146

EuGH, Urteil v. 12. 7. 2005, Alliance for Natural Health/Secretary of State for Health, verb. Rs. C-154/04 und C-155/04, EU:C:2005:449, Rn. 90. 147 EuGH, Urteil v. 12. 7. 2005, Alliance for Natural Health/Secretary of State for Health, verb. Rs. C-154/04 und C-155/04, EU:C:2005:449, Rn. 90. 148 So auch Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 243. 149 EuGH, Urteil v. 12. 7. 2005, Alliance for Natural Health/Secretary of State for Health, verb. Rs. C-154/04 und C-155/04, EU:C:2005:449, Rn. 92. 150 EuGH, Urteil v. 12. 7. 2005, Alliance for Natural Health/Secretary of State for Health, verb. Rs. C-154/04 und C-155/04, EU:C:2005:449, Rn. 91 f. 151 EuGH, Urteil v. 12. 7. 2005, Alliance for Natural Health/Secretary of State for Health, verb. Rs. C-154/04 und C-155/04, EU:C:2005:449, Rn. 92. 152 So auch Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 243, der die Rechtsprechung dahingehend versteht, dass der Gesetzgeber nach Ansicht des Gerichts für Vorgaben im Rahmenrechtsakt zu sorgen hat, „die es der Kommission nicht ermöglichen, ihre eigene Wertung in diesem Bereich an die Stelle des Gesetzgebers zu setzen.“ 153 So aber Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 243.

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

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allerdings, dass der EuGH in der Rechtssache Rey Soda feststellte, dass die Grenze der Durchführung „nach den allgemeinen Hauptzielen der Marktorganisation und weniger nach dem Buchstaben der Ermächtigung zu beurteilen [ist].“154 Die Grenze der Durchführung sei nicht dem Wortlaut der ermächtigenden Norm des Basisrechtsakts, sondern dem Regelungsbereich insgesamt zu entnehmen, um nun in der hier beschriebenen Rechtssache auf die Meroni-Rechtsprechung aufbauend den Standpunkt zu vertreten, dass bei einer Delegation die entsprechende Befugnis nicht nur „genau umgrenzt“ sein, sondern ihre Ausübung auch „einer strengen Kontrolle im Hinblick auf die Beachtung […] festgesetzter objektiver Kriterien“ unterliegen müsse.155 Erklärbar wäre der Befund nur, wenn in den einzelnen Politikbereichen oder Grundfreiheitsbereichen nicht nur jeweils ein anderer Maßstab für die Frage des Inhalts der Wesentlichkeitsgrenze anzulegen wäre, sondern auch hinsichtlich der Voraussetzungen an die Ermächtigungsgrundlage im Rahmenrechtsakt. Der Aufbau der hier zitierten Stelle bestätigt beides. Denn erst werden allgemein die Voraussetzungen der Befugnisübertragung im Lichte von Meroni festgestellt und danach auf die Konsequenzen im konkreten Fall unter Beachtung, dass es „um Rechtsvorschriften des Binnenmarkts für Waren geht“, hingewiesen. Man wird deshalb sagen können, dass der EuGH zum einen beide Rechtsprechungen zusammenführen wollte. Zum anderen ist er der Ansicht, dass es sich zumindest bei der Warenfreiheit um einen wesentlichen Bereich handelt, deren Ausgestaltung der Kommission nicht zustehen kann. So geht es letztlich im Urteil nicht nur um das Merkmal der Wesentlichkeit, sondern vor allem auch um die Pflicht des Gesetzgebers, festzulegen, „wie die Kommission ihre Befugnis […] auszuüben hat.“156 Ihre Übertragung muss insbesondere bestimmt und genau abgegrenzt sein, wie es nun primärrechtlich in Art. 290 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 1 AEUV geregelt ist. Insofern ist nicht nur die Rechtsprechung zur Wesentlichkeit in Art. 290 AEUV normiert worden, sondern auch die Festlegung der Übertragungsmodalitäten („Ziele, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer der Befugnisübertragung“). Eine „Generalermächtigung“ in Form der Übertragung der Zuständigkeit zum Erlass „aller zur Durchführung erforderlichen Maßnahmen“, wie sie noch 1992 in dem in der Rechtssache Deutschland/Kommission in Frage stehenden Rechtsakt enthalten war, kann wohl nicht mehr erteilt werden. Es kann also insgesamt eine, wenn auch nur angedeutete, Abkehr von dieser Rechtsprechung festgestellt werden.

154 EuGH, Urteil v. 30. 10. 1975, Rey Soda/Cassa Conguaglio Zucchero, C-23/75, EU:C:1975:142, Rn. 10/14. 155 EuGH, Urteil v. 12. 7. 2005, Alliance for Natural Health/Secretary of State for Health, verb. Rs. C-154/04 und C-155/04, EU:C:2005:449, Rn. 90. 156 EuGH, Urteil v. 12. 7. 2005, Alliance for Natural Health/Secretary of State for Health, verb. Rs. C-154/04 und C-155/04, EU:C:2005:449, Rn. 92.

194 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

(ff) Abkehr von der restriktiven Auslegung der Wesentlichkeit Klarer wird der Gehalt des vorangegangenen Urteils auch nicht durch die Entscheidung in der Rechtssache Raucharomen157 aus demselben Jahr, in der es ebenfalls um die Gültigkeit eines Basisrechtsakts ging, der die Befugnis zur Erstellung und Aktualisierung einer Positivliste im Regelungsverfahren durch die Kommission übertrug. Das Gericht stellt nochmals allgemein dar, was der Gesetzgeber bei der Befugnisübertragung zu beachten hat.158 Leider liefert der EuGH auch hier keine abstrakte Definition des Inhalts des Wesentlichkeitskriteriums, sondern zählt verschiedene Elemente des Rahmenrechtsakts auf, aus denen sich ergebe, dass „die streitige Verordnung die […] wesentlichen Elemente enthält.“159 So werden etwa grundlegende Anforderungen an die Sicherheit der Produkte, detaillierte Bedingungen, die erfüllt werden müssen160 oder die Festlegung der Wirkungen der erteilten Zulassung und die daraus ergebenden Rechten und Pflichten genannt.161 Ebenso wie im vorangegangenen Urteil nimmt das Gericht in der Sache letztlich, eine Abwägung zwischen der Grundfreiheit der Warenverkehrsfreiheit und dem Schutz der menschlichen Gesundheit vor. Darüber hinaus prüft das Gericht (zum zweiten Mal) die Wesentlichkeitsfrage anhand eines strengeren Maßstabs in Abkehr der einst sehr großzügigen Rechtsprechung im Bereich der Agrarmarktorganisation.162 Eine Erklärung hierfür wäre, dass sich der Gerichtshof, wie Generalanwältin Juliane Kokott in der Rechtssache bemerkte, „bei der weiten Auslegung des Begriffs der Durchführung einerseits auf den Gesamtzusammenhang des EG-Vertrags und andererseits auf die Anforderungen der Praxis, insbesondere im Agrarmarkt und beim Außenhandelsrecht [stützt]“163 und ebenso in „Übereinstimmung mit dieser Linie […] bislang an den Grad der Bestimmtheit einer Delegation von Befugnissen an die Kommission regelmäßig nur sehr geringe Anforderungen [stellt].“164 Im vorliegenden Fall ginge es aber „nicht um schnelllebige und zugleich von intensiven Interventionen der Gemeinschaft geprägte Bereiche wie den Agrarmarkt“, sondern vielmehr um eine Abwägung zwischen der 157 EuGH, Urteil v. 6. 12. 2005, Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland/ Parlament, C-66/04, EU:C:2005:743. 158 EuGH, Urteil v. 6. 12. 2005, Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland/ Parlament, C-66/04, EU:C:2005:743, Rn. 48 f. 159 EuGH, Urteil v. 6. 12. 2005, Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland/ Parlament, C-66/04, EU:C:2005:743, Rn. 58. 160 EuGH, Urteil v. 6. 12. 2005, Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland/ Parlament, C-66/04, EU:C:2005:743, Rn. 56. 161 EuGH, Urteil v. 6. 12. 2005, Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland/ Parlament, C-66/04, EU:C:2005:743, Rn. 57. 162 So auch Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 245. 163 Ziff. 53 der Schlussanträge v. 8. 9. 2005, Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland/Parlament, C-66/04, EU:C:2005:520. 164 Ziff. 54 Schlussanträge v. 8. 9. 2005, Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland/Parlament, C-66/04, EU:C:2005:520.

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

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wirtschaftlichen Handlungsfreiheit von Unternehmen und dem Schutz von Gesundheit und Verbrauchern im Binnenmarkt, „die nicht Flexibilität und Schnelligkeit, sondern eine sorgfältige Erhebung und Bewertung aller einschlägigen Informationen [erfordert].“165 Diese Einschätzung verstärkt den Eindruck, dass der EuGH (politik-)bereichsbezogen entscheidet. Es erscheint zuweilen auch so, dass der EuGH nicht strikt zwischen den Anforderungen des Gesetzgebers bzgl. der Regelung wesentlicher Elemente und denen bzgl. der Ausgestaltung der Modalitäten der Befugnisübertragung trennt. So wird etwa im Urteil auch bei der Modalitätenfrage auf die zahlreichen Bedingungen und Kriterien eingegangen,166 nach denen sich die Entscheidung der Kommission zu richten hat. Man wird allerdings auch sagen müssen, dass die Festlegung gewisser Kriterien sowohl hinsichtlich des Wesentlichkeitsvorbehalts als auch zur Erfüllung der Bestimmtheit der Ermächtigungsgrundlage geboten ist. (gg) Erneute Frage nach der Relevanz der Grundrechte für den Inhalt der Wesentlichkeit Leider konnte die Beziehung, respektive der Zusammenhang zwischen Grundfreiheiten/Grundrechten und Wesentlichkeit ebenfalls nicht durch die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Volker und Markus Schecke GbR167 beantwortet werden. In der Sache ging es im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens im Wesentlichen um die Gültigkeit von zwei Regelungen in einer Verordnung über die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik, die einmal eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Veröffentlichung von Informationen über Empfänger von Geldern aus europäischen Agrarfonds festlegte und zum anderen die Kommission im Wege der Durchführungsrechtsetzung dazu ermächtigte, diese Bestimmung des Basisrechtsakts im Einklang mit den bestehenden gemeinschaftlichen Datenschutzvorschriften auszugestalten. Das vorlegende Gericht hegte Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit der Bestimmungen mit den Grundrechten auf Achtung des Privatlebens und dem Schutz personenbezogener Daten aus Art. 7 und 8 GRCh. Zwar erklärte der EuGH die Bestimmungen des Basisrechtsakts für ungültig, weil das Transparenzinteresse im Verhältnis zu den betroffenen Grundrechtspositionen nicht ausgewogen gewichtet wurde.168 Doch kann man dieser Entscheidung nicht entnehmen, welche für die Grundrechtsausübung wesentlichen Elemente der Basisrechtsakt enthalten muss, um dem Wesentlichkeitsgebot zu genügen, da der EuGH 165 Ziff. 55 der Schlussanträge v. 8. 9. 2005, Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland/Parlament, C-66/04, EU:C:2005:520. 166 EuGH, Urteil v. 6. 12. 2005, Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland/ Parlament, C-66/04, EU:C:2005:743, Rn. 61 f. 167 EuGH, Urteil v. 9. 11. 2010, Volker und Markus Schecke GbR/Hessen, verb. Rs. C-92/09 und C-93/09, EU:C:2010:662. 168 EuGH, Urteil v. 9. 11. 2010, Volker und Markus Schecke GbR/Hessen, verb. Rs. C-92/09 und C-93/09, EU:C:2010:662, Rn. 86 ff.

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dogmatischen Fehlern bei der Überprüfung der Unionsvorschriften unterliegt.169 Das Gericht prüft eine der Regelungen des Basisrechtsakts zusammen mit der ihn präzisierenden Durchführungsverordnung als regelungstechnische Einheit auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundrechten.170 Ebenso wird bei der Untersuchung der Frage, ob eine ausgewogene Gewichtung der Interessen vorgenommen wurde, konsequenterweise, aber nicht weniger richtig auf beide Organe abgestellt. Die Gültigkeit der die Kommission ermächtigenden Norm des Basisrechtsakts kann logischerweise nicht vom Inhalt der auf ihr beruhenden Durchführungsmaßnahme abhängen, da andernfalls schon die Normen des Rahmenrechtsakts bis zum Erlass der exekutiven Regelungen schwebend unwirksam wären und gültig oder ungültig werden würden, je nachdem ob die Kommission ihre Kompetenzen überschreitet oder nicht.171 Natürlich müssen Basisrechtsakt und zusammenhängende Durchführungsmaßnahmen getrennt voneinander nach ihrer Gültigkeit überprüft werden. Hätte der EuGH dies getan, wäre nun erkennbar, ob die Angaben der Basisrechtsakte, die letztlich nur Mindestangaben enthielten und der Kommission insofern einen weiteren Gestaltungsspielraum überließen, aus tatsächlich diesem Grund für ungültig erklärt wurden oder ob der Nichtigkeitsgrund nicht eher in der Ausgestaltung der exekutiven Normen der Kommission lag. So aber kann nur gemutmaßt werden. (hh) Zwischenergebnis Zunächst lässt sich allgemein feststellen, dass wesentlich solche Bestimmungen sind, durch die die grundsätzlichen Ausrichtungen der Gemeinschaftspolitik umgesetzt werden. Darüber hinaus lässt sich allerdings wenig Allgemeingültiges sagen. Das hängt damit zusammen, dass der EuGH sehr einzelfallorientiert entscheidet. So wird immer wieder etwa auf den Agrarsektor abgestellt und ein anderes Mal explizit auf „Rechtsvorschriften über das Funktionieren des Binnenmarkts für Waren“.172 Des Weiteren legt der EuGH den Begriff tatsächlich nicht „flächendeckend“ gleich und allgemeingültig aus, sondern fasst den Inhalt des Wesentlichkeitsvorbehalts bereichsspezifisch, sodass der Gesetzgeber etwa im Agrarsektor einen größeren Spielraum hinsichtlich der Möglichkeiten von Kompetenzübertragungen auf die Kommission aufgrund dessen Besonderheiten genießt als im Bereich des Warenverkehrs. Schon in der Rechtssache Vreugdenhil wurde klargestellt, dass eine sehr weite Auslegung der Befugnisse der Kommission nur im Rahmen der Rege-

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So zu Recht Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 248 f. EuGH, Urteil v. 9. 11. 2010, Volker und Markus Schecke GbR/Hessen, verb. Rs. C-92/09 und C-93/09, EU:C:2010:662, Rn. 77 ff. 171 Zutreffend Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 248. 172 EuGH, Urteil v. 12. 7. 2005, Alliance for Natural Health/Secretary of State for Health, verb. Rs. C-154/04 und C-155/04, EU:C:2005:449, Rn. 90. 170

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

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lungen über Agrarmärkte in Betracht komme.173 Ebenso scheint dies im Bereich der Außenwirtschaft der Fall zu sein. So orientiert sich die Begründung der Entscheidung des Gerichts oftmals an den Besonderheiten der Politikbereiche.174 Ebenso ist im Agrarsektor im Einklang mit der Generalanwältin Kokott zu sagen, „dass der Gerichtshof den Begriff der ,wesentlichen Grundzüge der zu regelnden Materie‘ sehr eng auslegt und darunter nur die Vorschriften zählt, durch die die grundsätzlichen Ausrichtungen der Gemeinschaftspolitik umgesetzt werden sollen. Entsprechend legt er den Begriff der ,Durchführung‘ in ständiger Rechtsprechung sehr weit aus und ermöglicht damit dem Rat, der Kommission weitgehende Befugnisse zu übertragen.“175 Der Gerichtshof stützt sich bei der weiten Auslegung des Begriffs der Durchführung insbesondere auf die Anforderungen der Praxis im Agrarmarkt.176 In anderen Bereichen ist der Handlungsspielraum des Gesetzgebers bei der Befugnis zur Übertragung von Gesetzgebungskompetenzen und damit auch der der Kommission bei der Reichweite der Rechtsetzungsmöglichkeiten merklich kleiner, nicht nur hinsichtlich eines engeren Verständnisses der Wesentlichkeit, sondern der Grundrechtsrelevanz. Diese scheint im Agrarsektor keine Rolle zu spielen, in anderen Bereichen wohl schon. Abschließend lässt sich also sagen, dass das Merkmal der Wesentlichkeit zumindest vor dem Vertrag von Lissabon eher funktional und nicht demokratietheoretisch bestimmt wurde.177 (b) Die Rechtsprechung nach dem Vertrag von Lissabon (aa) Das erste Lissabonner Urteil: Grundrechtswesentlichkeit Die erste „Lissabonner Entscheidung“ fiel in der Rechtssache Schengener Grenzkodex178, in der es um die Nichtigkeitsklage des Parlaments gerichtet gegen eine Durchführungsmaßnahme zur Ergänzung des Schengener Grenzkodex hinsichtlich der Überwachung der Seeaußengrenzen ging. Das Parlament vertrat die Auffassung, dass die angefochtene Maßnahme über die durch den Basisrechtsakt verliehenen Befugnisse hinausgehe und im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren

173 EuGH, Urteil v. 29. 6. 1989, Vreugdenhil und Douane/Minister van Landbouw en Visserij, C- 22/88, EU:C:1989:277, Rn. 17. 174 Ebenso Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 39. 175 Ziff. 52 der Schlussanträge v. 8. 9. 2005, Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland/Parlament, C-66/04, EU:C:2005:520. 176 Ziff. 53 der Schlussanträge v. 8. 9. 2005, Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland/Parlament, C-66/04, EU:C:2005:520. 177 So auch Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 39. 178 EuGH, Urteil v. 5. 9. 2012, Europäisches Parlament/Rat und Kommission, C-355/10, EU:C:2012:516.

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hätte erlassen werden müssen.179 Die Durchführungsmaßnahme wurde zwar nicht direkt auf Grundlage des Art. 290 AEUV erlassen, jedoch im Regelungsverfahren mit Kontrolle, das seinen Anwendungsbereich mit der heutigen delegierten Rechtsetzung teilt.180 Der EuGH gibt in seiner Entscheidung zunächst seine bisherige Rechtsprechung wieder, dass dem Gesetzgeber eine Übertragung solcher Bestimmungen nicht möglich sei, „deren Erlass politische Entscheidungen erfordert, die in die eigene Zuständigkeit des Unionsgesetzgebers fallen“181 und bemerkt weiterhin, dass die Frage, welche „Aspekte einer Materie als wesentliche einzustufen sind, […] nicht in der alleinigen Beurteilung durch den Unionsgesetzgeber [liegt], sondern sich nach objektiven Gesichtspunkten richten muss.“182 Bemerkenswert hingegen ist sodann die Feststellung, dass bei der Beurteilung der Wesentlichkeitsfrage „die Merkmale und die Besonderheiten des betreffenden Sachgebiets zu berücksichtigen [sind]“183, gibt sie doch einen klaren Hinweis, dass der EuGH, wie bereits angenommen, das Wesentlichkeitsmerkmal tatsächlich bereichsspezifisch auslegt.184 Aufschlussreich ist auch die Begründung, weshalb der EuGH erstmals wegen Missachtung des Wesentlichkeitsvorbehalts eine Maßnahme für nichtig erklärt. Die Durchführungsmaßnahme enthalte Regelungselemente, die „Eingriffe in die Grundrechte der betroffenen Personen in einem Umfang erlauben, der das Tätigwerden des Unionsgesetzgebers erforderlich macht.“185 Zum ersten Mal stellt der EuGH die Relevanz von Grundrechten im Bereich der Wesentlichkeit ausdrücklich heraus186 und bestätigt damit, was sich bereits in den Urteilen zur Warenverkehrs-

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EuGH, Urteil v. 5. 9. 2012, Europäisches Parlament/Rat und Kommission, C-355/10, EU:C:2012:516, Rn. 2. 180 So etwa auch Chamon, CML Rev. 2013, 849, 856. Hierzu schon oben unter A. I. 2. a) bb) (2) (d) (aa). 181 EuGH, Urteil v. 5. 9. 2012, Europäisches Parlament/Rat und Kommission, C-355/10, EU:C:2012:516, Rn. 65. 182 EuGH, Urteil v. 5. 9. 2012, Europäisches Parlament/Rat und Kommission, C-355/10, EU:C:2012:516, Rn. 67. 183 EuGH, Urteil v. 5. 9. 2012, Europäisches Parlament/Rat und Kommission, C-355/10, EU:C:2012:516, Rn. 68. 184 Unzutreffend daher die Feststellungen von Riedel, EuR 2006, 512, 518, der der Bereichsspezifität der Entscheidungen keine Bedeutung zumisst. 185 EuGH, Urteil v. 5. 9. 2012, Europäisches Parlament/Rat und Kommission, C-355/10, EU:C:2012:516, Rn. 77. 186 F. Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 290 AEUV Rn. 28; Chamon ist etwas verhaltener und bemerkt diese Grundrechtsrelevanz lediglich beiläufig in einem Absatz und schlussfolgert, dass Fragen, die Grundrechte betreffen, nicht Inhalt von delegierten Rechtsakten sein und diese deshalb nur geringfügig berühren dürften, CML Rev. 2013, S. 859. Unzutreffend ist allerdings die Behauptung von Gundel, in: Pechstein/ Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 8, der EuGH hätte das Kriterium der Grundrechtsrelevanz bisher nicht explizit herangezogen.

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freiheit andeutete.187 Da der EuGH jedoch bereichsspezifisch entscheidet, kann zweierlei bereits jetzt festgestellt werden: Erstens wird die hier festgestellte Grundrechtsrelevanz nach der Rechtsprechung des EuGH nicht für alle Politikbereiche188 gelten, sondern erst einmal nur für den betreffenden Politikbereich, und zweitens lässt sich die hier bestehende Grundrechtsrelevanz deshalb nicht auf andere Politikbereiche übertragen.189 Sicher gilt die Beachtung der Grundrechtsbetroffenheit für die Frage der Wesentlichkeit deshalb erst einmal nur für den hier entschiedenen Bereich der Zwangsmaßnahmen von Grenzschutzbeamten (Festnahme aufgegriffener Personen, Beschlagnahme von Schiffen und die Rückführung der aufgegriffenen Personen).190 Es lässt sich allerdings noch nicht einmal sicher sagen, ob die Grundrechtsrelevanz nun grundsätzlich für staatliche Zwangsmaßnahmen oder grundsätzlich im Bereich der Außengrenzsicherung gilt. Nicht zutreffend ist die Behauptung von Epiney, dass dem Urteil weiterhin zu entnehmen sei, dass eine Delegation nicht nur bei Grundrechtsrelevanz, sondern auch immer dann ausgeschlossen ist, „wenn bei der Durchführung widerstreitende Interessen zur Debatte stehen, die gegeneinander abzuwiegen sind“.191 Zwar ist in der Urteilsbegründung zur Nichtigkeit auch von der „Abwägung der widerstreitenden Interessen“192 die Rede, doch geht es hierbei um solche im Kontext von politischen Entscheidungen, wie mehrmals im selben Absatz zu lesen ist. Politische Entscheidungen sind nach ständiger Rechtsprechung stets dem Unionsgesetzgeber vorbehalten.193 Nicht das Erfordernis einer Abwägung, sondern die politische Brisanz führt damit zum Entzug der Regelungsmaterie. Im Übrigen gilt es nahezu in jeder Entscheidung widerstreitende Interessen in Einklang zu bringen, sodass die Möglichkeit der Delegation bei einer solchen Sichtweise extrem eingeschränkt werden würde. Der EuGH erklärte die Maßnahme zum einen wegen des Erfordernisses einer politischen Entscheidung und zum anderen wegen der Grundrechtsrelevanz für nicht von der Kommission regelbar und damit nichtig. Zutreffend ist daher die Feststellung von von Danwitz, der Gerichtshof habe zur Bestimmung der Wesentlichkeit einer Re-

187 Überholt deshalb auch die Feststellungen von Möllers/von Achenbach, EuR 2011, 39, 49, die die Grundrechtsrelevanz damals noch für eine Konstruktion der Generalanwältin hielten. Ebenso die Ausführungen von Bueren, EuZW 2012, 167, 170, der auf Möllers/von Achenbach verweist und von König, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, § 2 Rn. 102. 188 Vgl. insbesondere EuGH, Urteil v. 27. 10. 1992, Deutschland/Kommission, C-240/90, EU:C:1992:408. 189 Ebenso Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 252. 190 EuGH, Urteil v. 5. 9. 2012, Europäisches Parlament/Rat und Kommission, C-355/10, EU:C:2012:516, Rn. 77. 191 Epiney, NVwZ 2013, 614, 617. 192 EuGH, Urteil v. 5. 9. 2012, Europäisches Parlament/Rat und Kommission, C-355/10, EU:C:2012:516, Rn. 77. 193 EuGH, Urteil v. 5. 9. 2012, Europäisches Parlament/Rat und Kommission, C-355/10, EU:C:2012:516, Rn. 77.

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gelung sowohl auf die grundrechtliche wie auch auf die demokratische Wurzel zurückgegriffen.194 (bb) Die jüngste Rechtsprechung zur Wesentlichkeit Die in jüngerer Zeit getroffenen Urteile zum Wesentlichkeitsmerkmal wie etwa in den Rechtssachen DK Recycling und Roheisen GmbH/Kommission195, Dyson/ Kommission196 und Tschechische Republik/Kommission197 bringen zwar keine neuen Facetten des Merkmals, bestätigen jedoch die bisher ergangene Rechtsprechung. (cc) Zusammenfassung der Rechtsprechung zur Wesentlichkeit durch Kokott Generalanwältin Kokott fasst die Rechtsprechung des EuGH zum Inhalt des Wesentlichkeitsmerkmals, insbesondere die jüngeren Ereignisse, in den Schlussanträgen zur Rechtssache Philip Morris Brands198 prägnant zusammen: Zunächst weist sie darauf hin, dass nach dem nun in Art. 290 AEUV enthaltenen Wesentlichkeitsvorbehalt wesentliche Vorschriften in den Basisrechtsakt selbst Eingang finden müssen und deshalb nicht Gegenstand der Befugnisübertragung sein können.199 „Welche Aspekte einer Materie als wesentlich einzustufen sind, richtet sich nach objektiven Gesichtspunkten, die einer gerichtlichen Kontrolle zugänglich sein müssen. Zu berücksichtigen sind dabei die Merkmale und Besonderheiten des betreffenden Sachgebiets.“ Zutreffend wird bemerkt, dass das Gericht den Begriff der Wesentlichkeit stets eng ausgelegt und darunter solche Vorschriften verstanden habe, durch die die grundsätzliche Ausrichtung der Unionspolitik umgesetzt werde.200 Konsequenz sei das Anlegen eines großzügigen Maßstabs bei der Kontrolle der Übertragung von Regelungsbefugnissen auf die Kommission gewesen, bei dem der Gerichtshof ein funktionales Verständnis erkennen und sich deshalb besonders von den Anforderungen der Praxis habe leiten lassen.201 In Fortsetzung und Verfeinerung seiner Rechtsprechung habe der EuGH in der Rechtssache Schengener Grenzkodex entschieden, „dass Regelungen von einer Befugnisübertragung ausgeschlossen sind, deren Erlass politische Entscheidungen erfordert, die einer Abwägung der widerstreitenden Interessen bedürfen und deshalb in die eigene Zuständigkeit des Uni194

von Danwitz, EUGRZ 2013, 253, 258. EuGH, Urteil v. 22. 6. 2016, DK Recycling und Roheisen GmbH/Kommission, C-540/14 P, EU:C:2016:469. 196 EuGH, Urteil v. 11. 5. 2017, Dyson/Kommission, C-44/16, EU:C:2017:357. 197 EuGH, Urteil v. 26. 7. 2017, Tschechische Republik/Kommission, C-696/15 P, EU:C:2017:595. 198 Kokott, Schlussanträge v. 23. 12. 2015, Philip Morris Brands, C-547/14, EU:C:2015:853. 199 Kokott, Schlussanträge v. 23. 12. 2015, Philip Morris Brands, C-547/14, EU:C:2015:853, Rn. 245. 200 Kokott, Schlussanträge v. 23. 12. 2015, Philip Morris Brands, C-547/14, EU:C:2015:853, Rn. 247. 201 Kokott, Schlussanträge v. 23. 12. 2015, Philip Morris Brands, C-547/14, EU:C:2015:853, Rn. 247. 195

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onsgesetzgebers fallen.“202 Ebenso stellt die Generalanwältin zutreffend fest, dass das Gericht dem Wesentlichkeitsbegriff Konturen verliehen hatte, „indem er das Tätigwerden des Unionsgesetzgebers als erforderlich erachtete, wenn mittels der Verleihung von Befugnissen der öffentlichen Gewalt in größerem Umfang in die Grundrechte Einzelner eingegriffen werden soll,“ mithin er eine gewisse Grundrechtsrelevanz feststellte. Diese Grundrechtsrelevanz für die Wesentlichkeit deutete sich allerdings, wie gezeigt, bereits früher an und nicht erst in der genannten Rechtssache, in der sie dann offensichtlich, weil ausdrücklich, eine tragende Rolle spielte. Leider hielt das Gericht in dieser Rechtssache die Fragen bzgl. der delegierten Rechtsakte für unzulässig203 und musste sich somit nicht damit auseinandersetzen. (c) Ergebnis der Untersuchung der Rechtsprechung zur Wesentlichkeit Gesetzesakte sind nach Art. 289 Abs. 3 AEUV solche Rechtsakte, die von den demokratisch legitimierten Organen, Parlament und Rat, im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren angenommen werden. Art. 289 AEUV definiert den Begriff des Gesetzesakts aus rein formeller Sichtweise. Art. 290 AEUV enthält mit dem Wesentlichkeitsvorbehalt die materielle Komponente der Gesetzgebungsaktsdefinition.204 Ein Gesetzgebungsakt beinhaltet immer auch die wesentlichen Bestandteile einer Regelungsmaterie bzw. eines Bereichs und diese müssen deshalb vom Gesetzgeber selbst im Gesetzgebungsakt geregelt werden. Die Regelung des Wesentlichen kann dementsprechend nicht in die Hände der Kommission gelegt werden. Bei der Untersuchung der Rechtsprechung zur Frage, welchen Inhalt dieser Wesentlichkeitsvorbehalt hat, kann zunächst festgestellt werden, dass eine Beschränkung der Übertragbarkeit von Gesetzgebungsbefugnissen auf die Kommission in der Rechtsprechung nur sehr zurückhaltend stattfindet. Der EuGH zieht mit seiner inhaltlichen Bestimmung der Wesentlichkeit die Grenzen der Regelungsreichweite der Kommission sehr weit und gewährt ihr damit einen relativ großzügigen Ermessensspielraum bei der Festlegung der wesentlichen Aspekte eines Bereiches.205 So hat das Gericht bis dato noch keinen Rechtsakt auf der ersten Stufe des Lam202 Kokott, Schlussanträge v. 23. 12. 2015, Philip Morris Brands, C-547/14, EU:C:2015:853, Rn. 248. 203 Vgl. EuGH, Urteil v. 4. 5. 2016, Philip Morris Brands u. a./Secretary of State for Health, C-547/14, EU:C:2026:325, Rn. 46. 204 Hummer, in: Busek/Hummer, Die Konstitutionalisierung der Verbandsgewalt in der (neuen) Europäischen Union, S. 37; Greiner, Die Reform der Komitologie durch den Vertrag von Lissabon, Diss., 2018, S. 80. 205 So etwa auch Greiner, Die Reform der Komitologie durch den Vertrag von Lissabon, Diss., 2018, S. 83 f.; Ilgner, Die Durchführung der Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers durch die Europäische Kommission, Diss., 2014, S. 66; Fabricius, ZEuS 2011, 567, 573; Seifert, EL Working Paper: Die Durchführung des Gemeinschaftsrechts durch die Europäische Kommission, S. 42; Chamon, CML Rev. 2013, 849, 856, Kokott, Schlussanträge v. 23. 12. 2015, Philip Morris Brands, C-547/14, EU:C:2015:853, Rn. 245.

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falussyprozesses wegen Unvereinbarkeit mit dem Wesentlichkeitskriterium für nichtig erklärt,206 auf der zweiten Stufe des Verfahrens hingegen schon. Das Gericht versteht unter wesentlichen Vorschriften nur solche, durch die die grundsätzliche Ausrichtung der Unionspolitik umgesetzt wird. Damit beantwortet der EuGH die Frage der Wesentlichkeit stets im Lichte der Verwirklichung der Unionsziele.207 Es geht um politische Leitentscheidungen. Es hat sich ebenfalls gezeigt, dass bei der Frage der Wesentlichkeit eine gewisse Grundrechtsrelevanz zu beachten ist. Die Beachtung von Grundrechten bedeutet allerdings nicht, wie die Rechtssache Alliance for Natural Health208 zumindest angedeutet hat, dass der Kommission überhaupt keine Befugnisse im Bereich von Grundrechtseingriffen übertragen werden können, sondern dass die Reichweite des Grundrechtseingriffs bereits im Basisrechtsakt festgelegt sein muss und die Kommission ihre Befugnisse durch genaue Vorgaben des Basisrechtsakts lediglich in einem klaren, genau definierten Bereich wahrnehmen kann. Anders gesagt, muss der Gesetzgeber selbst regeln, anhand welcher Kriterien Grundrechtskonflikte abzuwägen bzw. zu lösen sind. Wie stark politische und grundrechtliche Aspekte allerdings das Wesentlichkeitskriterium prägen, kann nicht allgemeinverbindlich festgestellt werden, sondern ist bereichsspezifisch. So wird der Wesentlichkeitsbegriff etwa im Agrarsektor oder im Bereich des Außenwirtschaftsrechts deutlich enger ausgelegt und lässt der Kommission damit einen größeren Gestaltungsspielraum.209 Auch die Grundrechte scheinen hier weniger bis keine Relevanz zu besitzen, ganz anders etwa im Bereich des Warenverkehrs oder hoheitlicher polizeilicher Maßnahmen beim Grenzschutz. Begründet wurde dieser Befund im Fall des Agrarsektors mit seiner Besonderheit als schnelllebiger und zugleich von intensiven Interventionen der Gemeinschaft geprägten Bereich.210 Der Wesentlichkeitsbegriff ist also lebendig und richtet sich in erster Linie funktional nach den Bedürfnissen des einzelnen Politikbereiches. Man gewinnt den Eindruck, der EuGH möchte dem politischen Prozess jene Spielräume belassen, die notwendig sind, um die Gemeinschaftsziele effektiv und schnell verwirklichen zu können. Hier spielt sicher auch, obwohl nie ausdrücklich genannt, der Effektivitätsgrundsatz (effet utile) eine Rolle. Ein weiterer Handlungsspielraum für 206

Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 40. 207 So etwa auch Ilgner, Die Durchführung der Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers durch die Europäische Kommission, Diss., 2014, S. 60; Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 26. 208 EuGH, Urteil v. 12. 7. 2005, Alliance for Natural Health/Secretary of State for Health, verb. Rs. C-154/04 und C-155/04, EU:C:2005:449. 209 Weiß, EWS 2010, 257, 259, sieht einen solchen großen Gestaltungsspielraum grundsätzlich im ganzen wirtschaftspolitiscen Bereich, wofür die untersuchte Rechtsprechung allerdings keine Hinweise liefert. 210 Vgl. Ziff. 55, Kokott, Schlussanträge v. 8. 9. 2005, Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat, C-66/04, EU:C:2005:520.

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Gesetzgeber und Kommission wird dadurch geschaffen, dass die Rechtmäßigkeit eines Rechtsakts der Union nach ständiger Rechtsprechung des EuGH anhand der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seines Erlasses zu beurteilen ist,211 sodass letztlich „lediglich“ eine ex-ante- und keine ex-post-Kontrolle stattfindet. Grundsätzlich lässt sich, insbesondere unter Berücksichtigung der Untersuchung der Rechtsprechung, als grober Versuch den Bereich des Wesentlichen abstrakt zu umreißen, feststellen, dass die Relevanz der Grundrechte und das Gewicht der politischen Einfärbung der Regelungsmaterie umso geringer ist, je flexibler Gesetzgeber und Kommission in dem jeweiligen Politikbereich und im jeweiligen konkreten Fall sein müssen. Letztlich lässt sich die Wesentlichkeit jedoch nicht allgemein bestimmen. Kaum in einem anderen Bereich besteht allerdings ein solch großes Bedürfnis, durch Delegation und Arbeitsteilung eine effektive und schnelle Reaktionsfähigkeit zu schaffen wie im Kapitalmarktrecht, sodass in diesem Sektor sogar ein spezielles Verfahren exekutiver Rechtsetzung in Form des Lamfalussyverfahrens entstanden ist. In der Folge ist dieser Politikbereich durch zahlreiche gemeinschaftliche Interventionen geprägt. Es erscheint deshalb nur konsequent, dass im Kapitalmarktrecht, entsprechend dem Agrarsektor, ein besonders weiter Spielraum des Gesetzgebers für die Delegation und damit der Kommission für die Ausgestaltung delegierter Rechtsakte bestehen muss. Gleiches müsste für den Banken- und Versicherungssektor gelten, auf die der Anwendungsbereich des Lamfalussyprozesses erweitert wurde. Abschließend sei noch erwähnt, dass ein Verstoß gegen die nach Art. 290 AEUV durch den Gesetzgeber festzulegenden Ziele und Inhalte der Befugnisübertragung nicht immer auch ein Verstoß gegen den Wesentlichkeitsgrundsatz darstellt. Wesentlich sind natürlich grundsätzlich die Ziele, die ein Gesetzgebungsakt hauptsächlich verfolgt,212 die oftmals auch ihren Eingang in die Zielfestlegung der Befugnisübertragung finden. Dennoch ist selbstverständlich streng zwischen Kompetenzüberschreitungen hinsichtlich des Wesentlichkeitsmerkmals und solchen hinsichtlich der festgelegten Modalitäten zu trennen. Diese Trennung wird manchmal in der Rechtsprechung des EuGH nicht ganz klar herausgearbeitet. So etwa in der Rechtssache Dyson/Kommission,213 in der zunächst die Frage aufgeworfen wird, ob sich die Kommission innerhalb der durch den Gesetzgeber festgelegten Modalitäten durch den Erlass eines delegierten Rechtsakts bewegt.214 Untersucht werden jedoch 211 EuGH, Urteil v. 3. 9. 2015, Inuit Taparit Kanatami u. a./Kommission, C-398/13 P, EU:C:2015:535, Rn. 22 (m.w.N.); EuGH, Urteil v. 11. 5. 2017, Dyson/Kommission, C-44/16, EU:C:2017:357, Rn. 57. 212 EuGH, Urteil v. 22. 6. 2016, DK Recycling und Roheisen GmbH/Kommission, C-540/14 P, EU:C:2016:469, Rn. 49; Hetmeier, in: Lenz/Borchardt, EUV/EGV, Art. 290 AEUV Rn. 9. 213 EuGH, Urteil v. 11. 5. 2017, Dyson/Kommission, C-44/16, EU:C:2017:357. 214 EuGH, Urteil v. 11. 5. 2017, Dyson/Kommission, C-44/16, EU:C:2017:357, Rn. 50 und 53.

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dann die allgemeinen Ziele des Basisrechtsakts, die zutreffend als wesentlicher Aspekt des Rahmenrechtsakts ausgemacht werden.215 Weiterhin zutreffend wird ein Verstoß gegen dieses Wesentlichkeitskriterium festgestellt. Es ging allerdings in der Ausgangsfrage nicht um die Beachtung der Wesentlichkeit, sondern um die Frage der Überschreitung der vom Gesetzgeber festgelegten Modalitäten der Befugnisausübung. 3. Vorläufiges Endergebnis und Zusammenfassung der Ergebnisse zur Untersuchung der inhaltlichen Leistungsfähigkeit der selbstständigen delegierten Rechtsetzung Das Merkmal „Ergänzung oder Änderung“ stellt für den Gesetzgeber keine inhaltliche Grenze oder Beschränkung der Delegationsmöglichkeit von Rechtsetzungsbefugnissen auf die Kommission dar. Beide Elemente umfassen in ihrer Gesamtheit jede denkbare Form des inhaltlichen Zugriffs auf den (nicht wesentlichen) Gehalt des Basisrechtsakts und in formeller Hinsicht den Zugriff sowohl durch Einwirken auf den Basisrechtsakt selbst als auch durch Einwirkung auf diesen durch einen gesonderten Rechtsakt, sowie mittelbar durch Einwirken auf den den Basisrechtsakt beeinflussenden, gesonderten delegierten Rechtsakt. Damit bildet die alleinige inhaltliche Grenze der Kompetenzverlagerung auf die Kommission der Wesentlichkeitsvorbehalt. Aus Sicht der Kommission heißt dies, dass sie inhaltlich zur Regelung der gesamten, nicht wesentlichen Materie ermächtigt werden kann. Der Wesentlichkeitsbegriff des Art. 290 AEUV ist einheitlich. Die doppelte Nennung des Wesentlichkeitskriteriums in Art. 290 AEUV hat nicht zum Zweck, einen anderen Inhalt der Wesentlichkeitsvorbehalte zu konstatieren, sondern beschreibt ein und dasselbe Merkmal, einmal aus Sicht des Gesetzgebers und einmal aus Sicht der Kommission. Ebenso entsprechen sich der Wesentlichkeitsbegriff vor und nach seiner Normierung durch den Vertrag von Lissabon in Art. 290 AEUV inhaltlich. Welche Aspekte einer Materie als wesentlich einzustufen sind, liegt nicht in der alleinigen Beurteilung durch den Unionsgesetzgeber, sondern muss sich nach ständiger Rechtsprechung des EuGH216 nach objektiven Gesichtspunkten richten, die Gegenstand einer gerichtlichen Kontrolle sein können. Der EuGH legt den Begriff grundsätzlich eng aus und gewährt damit Gesetzgeber und Kommission inhaltlich einen weiten Handlungsspielraum hinsichtlich Delegation bzw. inhaltlicher Ausgestaltung des Basisrechtsakts. Wesentlich ist das, was der Umsetzung der grundsätzlichen Ausrichtung der Unionspolitik dient; es handelt sich um politische Leitentscheidungen für die Durchführung der Gemeinschaftspolitik bzw. für das Funktionieren des Binnenmarkts. Wesentlich sind auch solche Fragen, bei denen in 215

EuGH, Urteil v. 11. 5. 2017, Dyson/Kommission, C-44/16, EU:C:2017:357, Rn. 64. Siehe nur Urteile v. 5. 9. 2012, Parlament/Rat, C-355/10, EU:C:2012:516, Rn. 67 und 68, und v. 22. 6. 2016, DK Recycling und Roheisen GmbH/Kommission, C-540/14 P, EU:C:2016:469, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung, v. 26. 7. 2017, Tschechische Republik/Kommission, C-696/15 P, EU:C:2017:595, Rn. 77. 216

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die Grundrechte Einzelner eingegriffen werden soll. Eine Befugnisdelegation ist hier jedoch nicht völlig ausgeschlossen, sondern dann möglich, wenn der Gesetzgeber der Kommission in dem grundrechtsrelevanten Bereich selbst so genaue Vorgaben im Basisrechtsakt gemacht hat, dass diese ihre Befugnisse lediglich in einem klaren, genau definierten Bereich wahrnehmen und anhand der im Basisrechtsakt festgelegten Kriterien den Grundrechtskonflikt lösen kann. Der Inhalt der Wesentlichkeit ist darüber hinaus nicht generell für alle Politikbereiche der Gemeinschaft gleich, sondern stets durch die Merkmale und Besonderheiten des betroffenen Sachgebietes modifiziert, sodass in gewissen Bereichen das Interesse an einem inhaltlichem Handlungsspielraum des delegierenden Gesetzgebers bzw. der ausgestaltenden Kommission überwiegen und die Grundrechtsrelevanz in den Hintergrund treten kann. Die Intensität des Inhalts des Wesentlichkeitskriteriums ist also bereichsspezifisch und umso geringer, je flexibler Gesetzgeber und Kommission in dem jeweiligen Politikbereich und im jeweiligen konkreten Fall sein müssen, um die Ziele der Union zu verwirklichen. Da im Finanzdienstleistungsbereich ein erhebliches Bedürfnis nach Flexibilität und Geschwindigkeit herrscht, ist davon auszugehen, dass Gesetzgeber und Kommission in diesem Bereich weniger stark durch den Wesentlichkeitsvorbehalt eingeengt werden als in anderen Politikbereichen. Die Frage, ob eine Materie als wesentlich einzustufen ist, ist zum Zeitpunkt des Erlasses des betroffenen Rechtsakts zu beantworten.

II. Reichweite der inhaltlichen Regelungskompetenz der Kommission bei der „einfachen“ Durchführungsrechtsetzung Anders als bei Art. 290 AEUV, der das Wesen delegierter Rechtsetzung umschreibt, sind bei Art. 291 AEUV weder eine Definition der Durchführung noch deren Grenzen normiert. So besteht insbesondere kein Verweis darauf, dass wesentliche Festlegungen dem Gesetzgeber vorbehalten sind bzw. von der Kommission im Wege ihrer Rechtsetzung nicht angetastet werden können. Die bisherige (vorLissabonner) Rechtsprechung zur Bestimmung der inhaltlichen Grenze zulässiger Durchführungsrechtsetzung lässt sich grundsätzlich nicht heranziehen, da die ursprünglich durch die Komitologie geprägte Durchführungsrechtsetzung keinen Unterschied zwischen delegierter Rechtsetzung und Durchführungsrechtsetzung i.S.d. des AEUV kannte.217 Auch die Rechtsprechung hat sich bereits an die Anforderungen des Vertrages von Lissabon angenähert,218 und damit verdeutlicht, dass die Rechtslage nicht identisch ist.

217 Siehe zum „alten“ Durchführungsbegriff Seifert, EL Working Paper: Die Durchführung des Gemeinschaftsrechts durch die Europäische Kommission, S. 8 ff. 218 Bueren, EuZW 2012, 167, 170.

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1. Geltung des Wesentlichkeitskriteriums für die Durchführungsrechtsetzung Die alte Rechtsprechung besitzt jedoch insoweit Geltung, als sie die Grenze der Wesentlichkeit betrifft, denn diese Grenze gilt auch weiterhin für die Durchführungsrechtsetzung.219 In einer jüngeren Entscheidung stellte der EuGH klar, dass eine zulässige Durchführung dann vorliegt, „wenn die Bestimmungen des Durchführungsrechtsakts, den sie erlässt, zum einen die mit dem Gesetzgebungsakt verfolgten wesentlichen allgemeinen Ziele beachten und zum anderen für die Durchführung des Gesetzgebungsakts erforderlich oder zweckmäßig sind und ihn nicht ergänzen oder ändern.“220 Die Nichterwähnung des Delegationsverbotes wesentlicher Elemente bzw. die Geltung des Prinzips bei Art. 291 AEUV lässt sich historisch erklären. Wie ausgeführt, war die Ausgestaltung und Umsetzung des Unionsrechts nicht in zwei unterschiedliche Kategorien kommissioneller Rechtsetzung geteilt, sondern allgemein Durchführung. Der jahrzehntelange Streit der Organe um mehr Einfluss und Mitsprache in der Komitologie führten zu immer neuen Verfahren und schließlich zum Kompromiss, der im Vertrag von Lissabon als Artt. 290 und 291 AEUV normiert ist und auf dem nicht in Kraft getretenen Europäischen Verfassungsvertrag beruht. Die Normen sind also immer im Kontext der jeweils anderen Norm zu würdigen, sodass das Wesentlichkeitskriterium auch für beide Arten der exekutiven Rechtsetzung gilt. Dieses Ergebnis kann auch unproblematisch mit einem Erst-Recht-Schluss begründet werden. Wenn der Kommission primärrechtlich schon durch delegierte Rechtsetzung wesentliche Regelungen nicht offen stehen, obwohl sie in diesen Fällen als Ersatzgesetzgeber fungiert, können solche Regelungen erst recht nicht in Durchführungsrechtsakten getroffen werden, zu deren Erlass der Kommission „noch nicht einmal“ abgeschwächte Legislativbefugnisse übertragen werden. In formeller Hinsicht wird man wohl ebenso davon ausgehen können, dass die Ermächtigung zur Übertragung von Durchführungsbefugnissen, wie bei den delegierten Rechtsakten, hinreichend bestimmt sein muss.221 Ebenso muss sich der Durchführungsrechtsakt an die Vorgaben des zu seinem Erlass ermächtigenden Rahmenrechtsakts halten.222

219

Bueren, EuZW 2012, 167, 170. EuGH, Urteil v. 15. 10. 2014, Parlament/Rat, C-65/13, EU:C:2014:2289, Rn. 46; siehe auch EuGH, Urteil v. 23. 9. 2015, Niederlande/Kommission, T-261/13, EU:C:2015:671, Rn. 44. 221 So auch Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, § 11 Rn. 142. 222 Bereits zum Verfassungsvertrag Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, § 11 Rn. 142. 220

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2. Leistungsfähigkeit der Durchführung Dass wesentliche Aspekte des Gesetzgebungsakts nicht von der Kommission als Durchführungsgesetzgeber geregelt werden können, wird zwar oft nicht explizit herausgestellt, allerdings, soweit ersichtlich, ebenso von niemandem bestritten.223 Das Parlament verpflichtet sich etwa in seiner Geschäftsordnung, besonders darauf zu achten, dass die Kommission bei der Ausübung seiner Durchführungsbefugnisse nach Art. 291 AEUV den Rechtsakt nicht in wesentlichen Teilen ändert oder ergänzt.224 Richtigerweise muss der Durchführungsrechtsetzung allerdings, wie schon im Rahmen der Untersuchung der inhaltlichen Leistungsfähigkeit des Merkmals „Ändern“ und „Ergänzen“ angedacht, eine deutlich engere Grenze als die der Wesentlichkeitsschranke gesetzt sein. Da der Durchführungsrechtsakt, anders als der delegierte Rechtsakt, nicht als quasi-legislative Entscheidung ausgestaltet ist,225 darf er nicht nur nicht wesentlich auf den Basisrechtsakt einwirken, sondern ihn lediglich „durchführen“. Was hierunter allerdings zu verstehen ist, bleibt offen. Die Frage nach dem Inhalt der Durchführung wird fast ausschließlich mit der Frage der Abgrenzung zur delegierten Rechtsetzung behandelt, sodass Aufschluss hierüber die Untersuchung der verschiedenen Auffassungen der Literatur zur Abgrenzung zwischen delegierter und Durchführungsrechtsetzung liefern könnte. Die Rechtsetzungsarten könnten sich gegenseitig in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtigen. Es muss allerdings im Auge behalten werden, dass den Abgrenzungsversuchen unter Umständen ein anderes Verständnis der Leistungsfähigkeit der delegierten Rechtsetzung zugrunde liegt als dem hier vertretenen. Besonderes Augenmerk wird aber, wie bereits zuvor, der Rechtsprechung des EuGH zur Anwendung der Durchführungsrechtsetzung und vor allem dem Befund der Praxis geschenkt werden. a) Meinungsspektrum der unterschiedlichen Quellen und Praxisbefund aa) Auffassungen der Literatur zur Grenze und zum Inhalt der Durchführungsrechtsetzung Die Abgrenzung der Rechtsetzungsarten ist wohl das zentrale Problem der Lissabonner Ausgestaltung der Komitologie. Aus diesem Grund existieren hierzu zahlreiche Thesen und Vorschläge. 223 So wurde hinsichtlich der Einheitlichen Europäischen Akte davon ausgegangen, dass eine Regelung von wesentlichen Grundsatzentscheidungen durch Durchführungsrechtsakte nicht möglich ist, Seifert, EL Working Paper: Die Durchführung des Gemeinschaftsrechts durch die Europäische Kommission, S. 59; Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, § 11 Rn. 141; siehe auch Hofmann/Türk, ZG 2012, 105, 108 Fn. 12. 224 Vgl. Art. 40 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments v. Januar 2017. 225 Siehe hierzu bereits unter A. I. 2. a) bb) (2) (b) (cc).

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Schon kurz nach Inkrafttreten des Lissabonner Regimes stellte Scharf fest, dass es sich bei delegierter Rechtsetzung um solche Maßnahmen handelt, die den Basisrechtsakt ändern; Art. 291 AEUV hingegen betreffe solche Regelungen, die durch eine einheitliche Festlegung von Detailregelungen die einheitliche Anwendung des Rahmenrechtsakts in den Mitgliedstaaten gewährleisten solle.226 Ebenso früh äußern Streinz/Ohler/Herrmann recht vorsichtig den Gedanken, dass der Unterschied zwischen delegierter Rechtsetzung und Durchführungsrechtsetzung wohl darin liege, dass nur erstere bestimmte Vorschriften ihres Basisrechtsakts ändern und ergänzen könne, während letztere lediglich zur Durchführung von Unionsrechtsakten – vor allem ohne Abänderungsmöglichkeit – dienen könne.227 Diese Ansicht vertritt auch Kröll, der bemerkt, dass die Kommission im Rahmen des Art. 290 AEUV dazu ermächtigt werde, bestimmte nicht wesentliche Vorschriften gegenüber der Fassung im Zeitpunkt der Annahme durch den Gesetzgeber inhaltlich zu verändern; alle sonstigen Ergänzungen des Rahmenrechtsakts, die keine inhaltliche Veränderung gegenüber der Fassung im Zeitpunkt der Annahme durch den Gesetzgeber bewirken, sondern lediglich der Umsetzung seiner Bestimmungen durch deren Konkretisierung dienen, seien Durchführungsmaßnahmen i.S.d. Art. 291 AEUV.228 Ebenso vertreten wird diese Ansicht wohl auch von Frenz229 und (neuerdings) von Ruffert230. Edenharter untersucht zur Abgrenzung der Normen deren Wortlaut.231 Unter Änderung i.S.d. Art. 290 AEUV falle jede förmliche Änderung des Basisrechtsakts, die relativ einfach festzustellen sei. Problematisch sei der Begriff des Ergänzens, da auch Durchführungsrechtsakte immer etwas ergänzen, sei es durch eine Definition oder Konkretisierung. Sie kommt deshalb zu dem Schluss, dass der Anwendungsbereich des Art. 291 AEUV immer dann eröffnet sei, wenn die Legislative den gesamten Bereich in die Breite selbst regeln möchte, sodass insoweit kein Raum mehr für die Rechtsetzung der Kommission verbleibe. Möchte der Gesetzgeber den gesamten Bereich jedoch nicht selbst regeln, sei Raum für ergänzende delegierte Rechtsetzung. In eine ähnliche Richtung geht auch die Auffassung, dass die Delegation nach Art. 290 AEUV einen Ermessenspielraum der Kommission eröffne, da dieser die Regelung einer Materie anvertraut werde, die der Gesetzgeber qua seiner legislativen Zuständigkeit selbst regeln könnte.232 Demgegenüber fehle ein solcher Ermessens226 Scharf, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht: Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, S. 21. 227 Streinz/Ohler/Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, § 10 III. 3. a.E. Dem zustimmend Bueren, EuZW 2012, 167, 170 f. 228 Kröll, ZÖR 2011, 253, 267 f.; Kröll, Artikel 290 und 291 AEUV, 2011, S. 201 (in diese Richtung auch Schütze, MLR 2011, 661, 684). 229 Frenz, Handbuch Europarecht, Band 5, Rn. 634. 230 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 2. 231 Edenharter, DÖV 2011, 645, 649. 232 Greiner, Die Reform der Komitologie durch den Vertrag von Lissabon, Diss., 2018, S. 71 f.; Ilgner, Die Durchführung der Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers durch die

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spielraum bei der Wahrnehmung der Durchführung nach Art. 291 AEUV. Eine Durchführung macht den Basisrechtsakt deshalb etwa im Wege der Erstellung eines Formulars für den Verwender handhabbar. Für Möstl hingegen liegt der Schlüssel zur Lösung des Abgrenzungsproblems nicht in einem möglichen Ermessensspielraum, sondern in der Frage, ob der Gesetzgeber seine Normen selbst für legislativ unvollständig halte.233 Übertrage der Gesetzgeber die Vervollständigung der Kommission, so habe er sie zur delegierten Rechtsetzung zu ermächtigen. Sei eine Materie hingegen legislativ abschließend geregelt, so komme nur die Durchführung der Regelungen durch die Kommission in Betracht.234 Kollmeyer gelangt bei seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass sich die Funktionen von delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten zum Teil nicht unterscheiden lassen, es also eine gewisse Schnittmenge gebe. Er beschreibt die unterschiedlichen Rechtsetzungsarten dann in ihrer spezifischen Leistungsfähigkeit der Handlungsform und versucht sie so voneinander abzugrenzen.235 So könne der delegierte Rechtsakt keine Einzelfallentscheidungen regeln und sei deshalb dem Anwendungsbereich der Durchführung zuzurechnen. Ebenfalls schlägt er vor, dass der Durchführungsrechtsakt keine Außenrechtswirkung gegenüber Privaten herbeiführen können sollte. Solche Rechtsakte seien als delegierte zu erlassen. Insbesondere vertritt er auch eine neue Interpretation der Handlungsform der Richtlinie, wenn sie als Durchführungsrechtsakt erlassen wird.236 Er stellt jedoch selbst fest, dass sich diese Theorien (teilweise) nicht mit der Praxis decken.237 In der vorliegenden Arbeit soll allerdings gerade untersucht werden, ob ein dogmatischer Ansatz gefunden werden kann, der vor allem in Einklang mit Rechtsprechung und Praxis steht. Letztlich zum selben Ergebnis wie Kollmeyer gelangt Gundel, der von einem breiten Feld von Zweifelsfällen spricht und deshalb eine vollzugsbezogene Auslegung vorschlägt.238 So sollen sich der ergänzende delegierte Rechtsakt und der Durchführungsrechtsakt darin unterscheiden, dass es sich bei Durchführungsrechtsakten ausschließlich um Regelungen zur Vereinheitlichung des Verfahrensvollzugs durch die Mietgliedstaaten handle. Er merkt jedoch selbst an, dass dieser Maßstab zu Abgrenzungsproblemen führe und dieser nicht der derzeitigen Rechtsetzungspraxis entspreche.

Europäische Kommission, Diss., 2014, S. 257; Jacqué, in: Auby/Dutheil de la Rochère, Droit Administratif Européen, S. 47; F. Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 290 AEUV Rn. 14. 233 Möstl, DVBL 2011, 1076, 1081. 234 In diese Richtung auch Christiansen/Dobbels, ELJ 2013, 42, 44. 235 Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 193 ff. 236 Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 196. 237 Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 197. 238 Gundel, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 20.

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Mit einem „formalen Modell“ versuchen sich auch Hofmann und Türk.239 So wird auch hier bemerkt, dass delegierte Rechtsakte nur abstrakt genereller Natur sein können. Änderungen von Gesetzgebungsakten seien nur dem delegierten Rechtsakt möglich, ebenso wie „weitreichende Ergänzungen“. Andere Formen der Ergänzung von Unionsgesetzen können mit beiden exekutiven Rechtsetzungsarten erlassen werden. Der Bereich, in dem sowohl die Handlungsform des delegierten Rechtsakts als auch des Durchführungsrechtsakts in Betracht komme, bestehe damit bei allen abstrakt generellen Akten, die eine Ergänzung eines Unionsgesetzes vorsehen. Auch diese Feststellungen liefern keine für die inhaltliche Grenze der Durchführung relevanten Anhaltspunkte, bis auf die These, der Durchführungsrechtsakt sei zu keiner „weitreichenden Ergänzung“ fähig und überschneide sich bei anderen Formen der Ergänzung hinsichtlich seiner Leistungsweite mit der delegierten Rechtsetzung. Was allerdings weitreichende Ergänzungen sind, bleibt offen. Wenig hilfreich für die vorliegende Untersuchung erscheint der zusätzliche Hinweis von Achleitner/Soetopo/Wutscher, die ebenfalls versuchen, die Anwendungsbereiche nach Tragweite und Wirkung der Rechtsetzungsarten zu bestimmen, dass delegierte Rechtsgebung quasi-legislative Befugnisse betreffe und Durchführungsbefugnisse exekutiver Natur seien.240 Dies ist zwar zutreffend, allerdings bleiben weitere Schlussfolgerungen aus. Endlich vertritt Stelkens,241 dass es Aufgabe der Durchführung sei, bestimmte Anforderungen an mitgliedstaatliche Behördenorganisation und Verfahrensabläufe aufzustellen. Dies soll der Kommission unabhängig davon möglich sein, ob der Basisrechtsakt selbst bereits derartige Regelungen enthalte oder ob hiervon zunächst abgesehen wurde. Im Wege der Durchführungsrechtsetzung sei es allerdings nicht möglich, den Inhalt der in dem Basisrechtsakt bereits enthaltenen Regelungen zu konkretisieren oder unbestimmte Rechtsbegriffe klarzustellen. Die endgültige Auswertung zum Meinungsspektrum soll weiter unten erfolgen, um sie im Lichte der Auffassung der Kommission, der Rechtsprechung des EuGH und vor allem des Befundes der Praxis der Durchführungsrechtsetzung untersuchen zu können.242 bb) Auffassung der Kommission Da der Durchführungsrechtsakt nach Auffassung der Kommission seinen Basisrechtsakt noch nicht einmal in formeller Hinsicht verändern könne,243 was allein 239

Hofmann/Türk, ZG 2012, 105, 112 ff. Achleitner/Soetopo/Wutscher, Der neue Rechtsrahmen für die Komitologie nach dem Vertrag von Lissabon, S. 24. So auch Driessen, ELR 2010, 837, 843. 241 Stelkens, EuR 2012, 511, 538 ff. 242 Siehe hierzu unter A. II. 2. b) aa). 243 Ziff. 35, 40, 41 der Implementation of the Treaty of Lisbon, Delegated Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2011) 855. So wohl auch schon Scheel, ZEuS 2006, 521, 535. 240

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dem ändernden delegierten Rechtsakt vorbehalten sei,244 bestehe die Abgrenzungsproblematik allein zwischen Ergänzung i.S.d. Art. 290 AEUV und Durchführung.245 Dass diese Auffassung von der formellen Leistungsfähigkeit des ergänzenden delegierten Rechtsakts zumindest hinsichtlich des Praxisbefundes zutrifft, hat sich bereits gezeigt. Ein delegierter Rechtsakt, der seinen Basisrechtsakt ergänzt, wird in formeller Hinsicht in einem gesonderten Rechtsakt erlassen und schreibt in materieller Hinsicht neue, nicht wesentliche Regeln und Normen vor.246 Der Rechtsakt vervollständige den Basisrechtsakt, da Prämisse des Gesetzgebers bei einer Delegation sei, keine umfassende, abgeschlossene Gesetzgebung erlassen zu haben. Im Gegensatz dazu bestehe der Anwendungsbereich der Durchführung in solchen Fällen, in denen es nicht notwendig sei, neue Regeln oder Normen festzulegen; der Rechtsakt sei vollständig und der einzige Zweck eines späteren Durchführungsrechtsakts bestehe darin, die bereits festgelegten Regeln umzusetzen.247 Der Durchführungsrechtsakt erwecke die Gesetzgebung zum Leben, ohne ihren Inhalt zu ändern; er setze lediglich die Vorschriften in Kraft. Als Beispiel einer Durchführung bzw. deren Grenzen führt die Kommission an,248 dass, wenn ihr etwa die Befugnis im Wege der Durchführungsrechtsetzung erteilt werde, die Verwendung eines chemischen Produkts auf der Grundlage der im Gesetzgebungsakt festgelegten Kriterien zu genehmigen, ihre Aufgabe dann darin bestehe, sich der bereits bestehenden gesetzlichen Bestimmungen zu bedienen und sie auf die konkreten Situationen anzuwenden. Wenn die Kommission allerdings berechtigt sein soll, dem technischen oder wissenschaftlichen Fortschritt Rechnung zu tragen, indem sie weitere Kriterien der Genehmigung festlegen soll, so könne dies nur im Wege der delegierten Rechtsetzung möglich sein, da die von der Kommission zu treffenden Entscheidungen, neue Regeln der Anwendung hinzufügen und damit den Inhalt des Basisrechtsakts ändern oder ergänzen. Hilfe bei der Unterscheidung zwischen „Ergänzung“ und „Durchführung“ könne die Frage leisten, ob die der Kommission übertragene Befugnis darin bestehe, zu bestimmen, „was“ die Mitgliedstaaten tun müssen, oder „wie“ sie bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Basisrechtsakt handeln sollen.249 Das „Was“ bedeute in der Regel, dass der zu erlassende Rechtsakt zusätzliche materielle Regeln all244 Ziff. 34 der Implementation of the Treaty of Lisbon, Delegated Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2011) 855. 245 Ziff. 39 der Implementation of the Treaty of Lisbon, Delegated Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2011) 855. 246 So auch Ziff. 40 der Implementation of the Treaty of Lisbon, Delegated Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2011) 855. 247 Ziff. 41 der Implementation of the Treaty of Lisbon, Delegated Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2011) 855. 248 Ziff. 42 der Implementation of the Treaty of Lisbon, Delegated Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2011) 855. 249 Ziff. 43 der Implementation of the Treaty of Lisbon, Delegated Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2011) 855.

212 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

gemeiner Geltung schaffe, was Befugnisse i.S.d. Art. 290 AEUV erfordere. Umgekehrt verändere eine Entscheidung über das „Wie“ die durch die Rechtsvorschriften festgelegten Kernverpflichtungen grundsätzlich nicht, sodass diese Entscheidung grundsätzlich im Anwendungsbereich von Art. 291 AEUV liege. Diese Aussage wird ebenfalls durch ein Beispiel verdeutlicht. So könne ein Basisrechtsakt, der eine grundlegende Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Verfügungstellung von Informationen normiere, nur im Wege der delegierten Rechtsetzung konkretisiert werden, wenn die Kommission die Art der Informationen bestimmen solle („was“), zu deren Mitteilung die Mitgliedstaaten verpflichtet sein sollen. Eine Befugniserteilung der Kommission zur Erstellung eines Standardformulars für die Erteilung der Informationen („wie“) falle hingegen in den Anwendungsbereich der Durchführungsrechtsetzung. Auch hier soll entsprechend dem Meinungstand der Literatur eine Auseinandersetzung erst nach Darstellung der Rechtsprechung und des tatsächlichen Befundes stattfinden.250 Bemerkenswert erscheint, dass diese Guidelines der Kommission in der Literatur weder inhaltliche Auseinandersetzung erfahren noch je auch nur erwähnt werden, obwohl sie – wenngleich in wesentlichen Teilen ohne Begründung – zumindest aus Sicht der Praxis ein handhabbares Instrument der Anwendung zu sein scheinen. Sie wurden offenbar schlichtweg übersehen. cc) Rechtsprechung des EuGH zur Grenze und zum Inhalt der Durchführungsrechtsetzung Der Gerichtshof stellt in der Rechtssache Kommission/Parlament und Rat zunächst fest, dass „Art. 291 AEUV […] keine Definition des Begriffs des Durchführungsakts [enthält], sondern […] in seinem Abs. 2 nur darauf [verweist], dass die Kommission oder in bestimmten Sonderfällen der Rat bei Bedarf einen solchen Akt erlassen müssen, um sicherzustellen, dass ein verbindlicher Rechtsakt der Union unter in der Union einheitlichen Bedingungen durchgeführt wird.“251 Der „Begriff des Durchführungsakts im Sinne von Art. 291 AEUV [ist deshalb] im Verhältnis zum Begriff des delegierten Akts, wie dieser sich aus Art. 290 AEUV ergibt, zu beurteilen.“252 Der Gerichtshof nahm auch kurz Stellung zu der Frage, was Inhalt der Durchführungsrechtsetzung sein kann und stellte hierzu fest, dass, wenn „der Gesetzgeber der Kommission […] eine Durchführungsbefugnis auf der Grundlage von Art. 291 250

Siehe hierzu unter A. II. 2. b). EuGH, Urteil v. 18. 3. 2014, EU:C:2014:170, Rn. 33. 252 EuGH, Urteil v. 18. 3. 2014, EU:C:2014:170, Rn. 35. 251

Kommission/Parlament

und

Rat,

C-427/12,

Kommission/Parlament

und

Rat,

C-427/12,

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

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Abs. 2 AEUV [überträgt], […] diese den Inhalt dieses Gesetzgebungsakts zu präzisieren [hat], um seine Umsetzung unter einheitlichen Bedingungen in allen Mitgliedstaaten sicherzustellen.“253 Eine solche Präzisierung hat zu erfolgen, „ohne dass [der Basisrechtsakt] in nicht wesentlichen Teilen zu ändern oder zu ergänzen wäre“254. Die Präzisierung darf den Rahmenrechtsakt also weder ändern noch ergänzen i.S.d. Art. 290 AEUV, der als Definitionshilfe der Durchführung dient. Von einer Präzisierung und nicht von einer Ergänzung wird im vorliegenden Urteil deshalb ausgegangen, weil der Unionsgesetzgeber selbst einen „vollständigen rechtlichen Rahmen“255 hinsichtlich der zu konkretisierenden Regelungsmaterie gebildet hatte.256 Der Gesetzgeber konnte deshalb nach Ansicht des Gerichts zu Recht davon ausgehen, dass der Basisrechtsakt nicht mehr der legislativen Ausgestaltung, sondern lediglich der exekutiven Umsetzung bedarf. Unerheblich war ebenfalls, dass der Kommission ein gewisser Ermessensspielraum in der Ausgestaltung der Durchführung verblieb. Der Gerichtshof führte diese Feststellung in der Rechtssache Parlament/Kommission weiter aus und stellte fest, dass „die der Kommission übertragene Durchführungsbefugnis sowohl durch Art. 291 Abs. 2 AEUV als auch durch die Bestimmungen der Verordnung […] begrenzt ist. Der Gerichtshof hat nämlich entschieden, dass die Kommission, wenn ihr eine Durchführungsbefugnis auf der Grundlage von Art. 291 Abs. 2 AEUV übertragen wird, den Inhalt des betreffenden Gesetzgebungsakts zu präzisieren hat, um seine Umsetzung unter einheitlichen Bedingungen in allen Mitgliedstaaten sicherzustellen.“257 „Angesichts der vorstehenden Ausführungen ist davon auszugehen, dass die Kommission einen Gesetzgebungsakt […] präzisiert, wenn die Bestimmungen des Durchführungsrechtsakts, den sie erlässt, zum einen die mit dem Gesetzgebungsakt verfolgten wesentlichen allgemeinen Ziele beachten und zum anderen für die Durchführung des Gesetzgebungsakts erforderlich oder zweckmäßig sind und ihn nicht ergänzen oder ändern.“258 Kurz gesagt, darf der Durchführungsrechtsakt seinen Basisrechtsakt nach der Rechtsprechung des EuGH lediglich präzisieren, aber nicht ändern oder ergänzen. Da der EuGH sich allerdings mit der Bestimmung der Zugriffsreichweite durch 253 EuGH, Urteil v. 18. 3. 2014, Kommission/Parlament und Rat, C-427/12, EU:C:2014:170, Rn. 39. Bestätigt durch EuGH, Urteil v. 23. 9. 2015, Niederlande/Kommission, T-261/13, EU:C:2015:671, Rn. 43. 254 EuGH, Urteil v. 18. 3. 2014, Kommission/Parlament und Rat, C-427/12, EU:C:2014:170, Rn. 40. 255 EuGH, Urteil v. 18. 3. 2014, Kommission/Parlament und Rat, C-427/12, EU:C:2014:170, Rn. 48, 51. 256 EuGH, Urteil v. 18. 3. 2014, Kommission/Parlament und Rat, C-427/12, EU:C:2014:170, Rn. 48 ff. 257 EuGH, Urteil v. 15. 10. 2014, Parlament/Kommission, C-65/13, EU:C:2014:2289, Rn. 43. 258 EuGH, Urteil v. 15. 10. 2014, Parlament/Kommission, C-65/13, EU:C:2014:2289, Rn. 46.

214 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

„Ergänzung oder Änderung“ bzw. der Leistungsfähigkeit der delegierten Rechtsetzung zurückhält, bleibt offen, wie genau eine solche Abgrenzung aussieht. Im Übrigen bestätigt der EuGH die Aussage der Kommission und der entsprechenden Literaturstimmen, dass es bei der Durchführung um die Umsetzung eines aus Sicht des Gesetzgebers vollständigen Rechtsakts geht, d. h. einer vollständig durchgeregelten Materie. Ebenso wird die These im Ergebnis bestätigt, dass das Merkmal des „Änderns“ und „Ergänzens“ i.S.d. Art. 290 AEUV als Mittel der Abgrenzung zur Durchführungsrechtsetzung taugt, indem der EuGH durchblicken lässt, dass auch er eine Abgrenzung anhand des Merkmals vornimmt. Die Untersuchung der Rechtsprechung und deren Folgen für die inhaltliche Leistungsfähigkeit der Durchführungsrechtsetzung soll allerdings, wie auch bei den anderen Quellen, erst nach der vollständigen Darstellung aller Erkenntnisquellen stattfinden.259 dd) Die inhaltliche Leistungsfähigkeit der Durchführungsrechtsetzung in der Praxis (1) Die Funktionen der Durchführung Kollmeyer untersuchte nicht nur die Funktionen der delegierten Rechtsetzung anhand der Praxis, sondern auch die der Durchführungsrechtsetzung. Er stellt hier zunächst fest, dass auch Durchführungsrechtsakte Funktionen der Änderung und Ergänzung i.S.d. Art. 290 AEUV erfüllen.260 Außerdem ergab seine Analyse, dass Durchführungsrechtsakte im Vergleich zu delegierten Rechtsakten immer etwas „ergänzen“; teilweise bestehe hierbei auch kein qualitativer Unterschied zur Ergänzung durch den ergänzenden delegierten Rechtsakt,261 sodass eine Unterscheidung der Rechtsetzungsarten anhand des Regelungsinhalts oft nicht möglich sei. In formeller Hinsicht zeige sich jedoch, dass der Durchführungsrechtsakt den Basisrechtsakt formell nicht abändere. (2) Untersuchung der Praxis (a) Befund zur formellen Leistungsfähigkeit der Durchführung (aa) Die gefundene Gesetzmäßigkeit Die Analyse der Praxis im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit der Durchführungsrechtsetzung zeigt tatsächlich, dass Durchführungsrechtsakte i.S.d. Art. 291 AEUV formell nicht auf den Bestand ihres Basisrechtsakts zugreifen. Zwar gibt es etliche Durchführungsverordnungen, die ausweislich ihres Titels andere Verordnungen, Richtlinien oder Beschlüsse tatsächlich formell abändern, doch handelt es sich bei den geänderten Verordnungen selbst um Durchführungsrechtsakte und eben 259 260 261

Siehe weiter unten unter A. II. 2. b). Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 163. Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 179 ff.

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

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nicht um Basisrechtsakte. Hier sind unterschiedliche Konstellationen auffindbar: Die Kommission ist sowohl Urheber des ändernden als auch des zu ändernden Rechtsakts;262 der Rat hat sowohl die einwirkende als auch die beeinflusste Durchführungsmaßnahme erlassen263 und die Urheberschaft der beiden Durchführungsmaßnahmen ist unterschiedlich, d. h. aufgeteilt zwischen Rat und Kommission.264 262 Siehe etwa beispielsweise Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1044/2013 der Kommission vom 25. Oktober 2013 zur Änderung von Anhang IV der Verordnung (EU) Nr. 206/ 2010 betreffend die Musterveterinärbescheinigung für Sendungen mit Bienenköniginnen und Hummelköniginnen, ABl. Nr. L 284 v. 26. 10. 2013, S. 12; Durchführungsverordnung (EU) 2018/941 der Kommission vom 2. Juli 2018 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 669/2009 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf verstärkte amtliche Kontrollen bei der Einfuhr bestimmter Futtermittel und Lebensmittel nicht tierischen Ursprungs und zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 885/2014 der Kommission, ABl. Nr. L 166 v. 3. 7. 2018, S. 7; Durchführungsverordnung (EU) 2015/1821 der Kommission vom 9. Oktober 2015 zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1106/2013 des Rates zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls und zur endgültigen Vereinnahmung des vorläufigen Zolls auf die Einfuhren von bestimmtem Draht aus nicht rostendem Stahl mit Ursprung in Indien und zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 861/2013 des Rates zur Einführung eines endgültigen Ausgleichszolls und zur endgültigen Vereinnahmung des vorläufigen Zolls auf die Einfuhren von bestimmtem Draht aus nicht rostendem Stahl mit Ursprung in Indien, ABl. Nr. L 265 v. 10. 10. 2015, S. 4; Durchführungsverordnung (EU) Nr. 254/2013 der Kommission vom 20. März 2013 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 340/2008 der Kommission über die an die Europäische Chemikalienagentur zu entrichtenden Gebühren und Entgelte gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), ABl. Nr. L 79 v. 21. 3. 2013, S. 7; Durchführungsbeschluss (EU) 2018/115 der Kommission vom 24. Januar 2018 zur Änderung des Durchführungsbeschlusses (EU) 2016/413 zur Festlegung der Standorte der Bodeninfrastruktur des aus dem Programm Galileo hervorgegangenen Systems und zum Erlass der zur Sicherstellung seines Betriebs erforderlichen Maßnahmen sowie zur Aufhebung des Durchführungsbeschlusses 2012/117/EU im Hinblick auf den Standort der Galileo Sicherheitsüberwachungszentrale, ABl. Nr. L 20 v. 25. 1. 2018, S. 14; Durchführungsrichtlinie (EU) 2018/100 der Kommission vom 22. Januar 2018 zur Änderung der Richtlinien 2003/90/EG und 2003/91/EG mit Durchführungsbestimmungen zu Artikel 7 der Richtlinie 2002/53/EG des Rates und Artikel 7 der Richtlinie 2002/55/EG des Rates hinsichtlich der Merkmale, auf welche sich die Prüfungen mindestens zu erstrecken haben, und der Mindestanforderungen für die Prüfung bestimmter Sorten landwirtschaftlicher Pflanzenarten und Gemüsearten, ABl. Nr. L 17 v. 23. 1. 2018, S. 34; Durchführungsrichtlinie 2011/38/EU der Kommission vom 11. April 2011 zur Änderung von Anhang V der Richtlinie 2004/33/EG betreffend die pH-Höchstwerte von Thrombozytenkonzentraten bei Ablauf der Haltbarkeit, ABl. Nr. L 97 v. 12. 4. 2011, S. 28. 263 Siehe beispielsweise Durchführungsverordnung (EU) 2017/2459 des Rates vom 5. Dezember 2017 zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. Nr. L 348 v. 29. 12. 2017, S. 32; Durchführungsverordnung (EU) Nr. 307/2014 des Rates vom 24. März 2014 zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 875/2013 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren von bestimmtem zubereitetem oder haltbar gemachtem Zuckermais in Körnern mit Ursprung in Thailand im Anschluss an eine Interimsüberprüfung nach Artikel 11 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 1225/2009, ABl. Nr. L 91 v. 27. 3. 2014, S. 1; Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1269/2012 des Rates vom 21. Dezember 2012 zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 585/2012 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren

216 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

(bb) Ausnahmen dieser Gesetzmäßigkeit Es scheint jedoch auf den ersten Blick Ausnahmen zu geben, bei denen tatsächlich Durchführungsmaßnahmen des Rates ihren Basisrechtsakt formell ändern. Es handelt sich dabei um die Rahmenverordnungen Nr. 881/2002/EG265, 314/04/EG266, 1183/05/EG267 und 329/07/EG268.269 Die Basisrechtsakte stützen sich auf ex-Art. 60, 301 EGV, und die zwei zuerst genannten Verordnungen zusätzlich auf ex-Art. 308 EGV. Jeder der vier Basisrechtsakte enthält eine Liste von Personen, Einrichtungen und Organisationen, deren finanzielle und wirtschaftliche Mittel eingefroren werden. Der Kommission wurde hierbei die Befugnis verliehen, diese Listen nach Feststellungen des Sanktionsausschusses oder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zu ändern. Hierbei handelt es sich eigentlich um delegierte Rechtsetzung außerhalb des vertraglich vorgesehenen Rechtsregimes. Deren heutige Rechtsgrundlage würde Art. 75 Abs. 1 AEUV bilden, wonach die entsprechenden Verordnungen allerdings von Rat und Parlament gemeinsam erlassen werden.270 Wie auch immer diese Rechtsakte zu qualifizieren sind, ist unerheblich. Entscheidend ist nur, dass es sich hierbei nicht um Durchführungsrechtsetzung i.S.d. Art. 291 AEUV handelt. Ebenso verhält es sich bei den Durchführungsverordnungen (EU) Nr. 52/2013271 und mehbestimmter nahtloser Rohre aus Eisen oder Stahl mit Ursprung unter anderem in Russland im Anschluss an eine teilweise Interimsüberprüfung nach Artikel 11 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 1225/2009, ABl. Nr. L 357 v. 28. 12. 2012, S. 1. 264 So etwa Verordnung (EG) Nr. 192/2007 des Rates vom 22. Februar 2007 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf Einfuhren bestimmter Polyethylenterephthalate mit Ursprung in Indien, Indonesien, Malaysia, der Republik Korea, Thailand und Taiwan nach Durchführung einer Überprüfung wegen bevorstehenden Außerkrafttretens und einer teilweisen Interimsüberprüfung gemäß Artikel 11 Absätze 2 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 384/ 96, ABl. Nr. L 59 v. 27. 2. 2007, S. 1. 265 Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates vom 27. Mai 2002 über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen, und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 467/2001 des Rates über das Verbot der Ausfuhr bestimmter Waren und Dienstleistungen nach Afghanistan, über die Ausweitung des Flugverbots und des Einfrierens von Geldern und anderen Finanzmitteln betreffend die Taliban von Afghanistan, ABl. Nr. L 139 v. 29. 5. 2002, S. 9. 266 Verordnung (EG) Nr. 314/2004 des Rates vom 19. Februar 2004 über bestimmte restriktive Maßnahmen gegenüber Simbabwe, ABl. Nr. L 55 v. 24. 2. 2004, S. 1. 267 Verordnung (EG) Nr. 1183/2005 des Rates vom 18. Juli 2005 über die Anwendung spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen Personen, die gegen das Waffenembargo betreffend die Demokratische Republik Kongo verstoßen, ABl. Nr. L 193 v. 23. 7. 2005, S. 1. 268 Verordnung (EG) Nr. 329/2007 des Rates vom 27. März 2007 über restriktive Maßnahmen gegen die Demokratische Volksrepublik Korea, ABl. Nr. L 88 v. 29. 3. 2007, S. 1. 269 Siehe hierzu ausführlich Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 173 ff. 270 Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 173 f. 271 Durchführungsverordnung (EU) Nr. 52/2013 der Kommission vom 22. Januar 2013 zur Änderung von Anhang XIb der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates in Bezug auf

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

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reren Durchführungsverordnungen272 zur Änderung der Anhänge der Verordnung (EG) Nr. 73/2009273, die allerdings alle nicht mehr in Kraft sind. Hier werden Anhänge des Basisrechtsakts und somit dessen Teile abgeändert. Die Anhänge der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 wurden Dutzende Male geändert.274 Dies erfolgte in nicht nachvollziehbarer Weise sowohl durch Durchführungsrechtsetzung, delegierte Rechtsetzung275 und Gesetzgebungsakte276. So wurde etwa der Anhang IV des Basisrechtsakts sowohl im Wege der Durchführungsrechtsetzung,277 als auch durch einen Gesetzgebungsakt geändert.278 Dies mag damit zusammenhängen, dass der Basisrechtsakt selbst sehr oft modifiziert und schließlich auch an die neue Rechtslage angepasst worden ist. Die Anpassung geschah jedoch recht unübersichtlich. Aus diesen Umständen lassen sich viele Ungereimtheiten aufklären. So stützen sich alle der genannten Durchführungsrechtsakte, die nach Lissabon erlassen wurden, auf den alten Komitologiebeschluss 1999/468/EG, der

Perlwein, Perlwein mit zugesetzter Kohlensäure und rektifiziertes Traubenmostkonzentrat, ABl. Nr. L 20 v. 23. 1. 2013, S. 44. 272 Verkürzt dargestellt: Verordnung (EU) Nr. 307/2011 der Kommission; Durchführungsverordnung (EU) Nr. 313/2012; Durchführungsverordnung (EU) Nr. 524/2012; Durchführungsverordnung (EU) Nr. 287/2013; Durchführungsverordnung (EU) Nr. 929/2013; Durchführungsverordnung (EU) Nr. 320/2014. 273 Verordnung (EG) Nr. 73/2009 des Rates vom 19. Januar 2009 mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1290/2005, (EG) Nr. 247/2006, (EG) Nr. 378/2007 sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003, ABl. Nr. L 30 v. 31. 1. 2009, S. 16. 274 Vgl. EUR-Lex-Datenbank unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/de/ALL/?uri= CELEX:32009R0073 (zuletzt abgerufen am 30. 4. 2020). 275 Etwa durch die delegierte Verordnung (EU) Nr. 994/2014 der Kommission vom 13. Mai 2014 zur Änderung der Anhänge VIII und VIIIc der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 des Rates, des Anhangs I der Verordnung (EU) Nr. 1305/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Anhänge II, III und VI der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. Nr. L 280 v. 24. 9. 2014, S. 1. 276 Etwa durch Verordnung (EU) Nr. 1310/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 mit bestimmten Übergangsvorschriften betreffend die Förderung der ländlichen Entwicklung durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER), zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1305/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die finanziellen Ressourcen und ihre Verteilung im Jahr 2014 sowie zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 des Rates und der Verordnungen (EU) Nr. 1307/2013, (EU) Nr. 1306/2013 und (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich ihrer Anwendung im Jahr 2014, ABl. Nr. L 347 v. 20. 12. 2013. 277 Durchführungsverordnung (EU) Nr. 313/2012. 278 Verordnung (EU) Nr. 671/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2012 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 des Rates hinsichtlich der Gewährung von Direktzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe für das Jahr 2013, ABl. Nr. L 204 v. 31. 7. 2012, S. 11.

218 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

noch keine Trennung zwischen den Rechtsetzungsarten kannte, und dennoch die Bezeichnung „Durchführungsverordnung“ tragen.279 Dies allein vermag jedoch als Erklärung nicht auszureichen. Was die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 52/2013 angeht, so hat bereits Kollmeyer zutreffend festgestellt, dass auf Grundlage deren Rahmenrechtsakts, Verordnung (EG) Nr. 1234/2007280, täglich wiederkehrende Durchführungsrechtsetzung stattfindet.281 Allein 2011 wurden so 1625 Durchführungsrechtsakte erlassen.282 Diese Rechtsakte erscheinen weder in der Statistik der Jahresberichte der Kommission über die Tätigkeit der Ausschüsse noch wird in diesen, wie üblich, der beteiligte Komitologieausschuss genannt,283 sodass zu Recht davon ausgegangen werden kann, dass es sich hierbei nicht um Durchführungsrechtsetzung handelt. Schon allein die kurzen Zeitspannen zwischen den Rechtsakten, macht die Beteiligung eines Ausschusses unmöglich. Dies mag zwar hinsichtlich der Einordnung der zahlreichen, täglich erschienenen anderen Durchführungsrechtsakte auf Basis der Verordnung (EU) Nr. 1234/2007 helfen, kann allerdings die Ausnahmeerscheinung eben jener Durchführungsverordnung (EU) Nr. 52/2013 nicht erklären, da sie zum einen nicht den täglich wiederkehrenden Rechtsakten angehört und zum anderen in ihrem Erwägungsgrund 5 auf den beteiligten Regelungsausschuss hinweist. Neben diesen lassen sich zahlreiche weitere Durchführungsrechtsakte finden, die den Anhang oder Anhänge ihrer Basisrechtsakte zwecks Anpassung an technische, gesellschaftliche oder rechtliche Entwicklungen formell abändern.284 So etwa die Durchführungs-

279

Die Verweisungen sind unübersichtlich. So gelangt man etwa nach Art. 8 Abs. 2, Art. 40 oder Art. 142 oder nach dem später eingefügten Art. 57a Abs. 7 der Verordnung (EG) Nr. 73/ 2009 zur Anwendung des alten Komitologiebeschlusses 1999/468/EG. 280 Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates vom 22. Oktober 2007 über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte und mit Sondervorschriften für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse (Verordnung über die einheitliche GMO), ABl. Nr. L 299 v. 16. 11. 2007, S. 1. 281 Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 226. 282 Bericht der Kommission über die Tätigkeit der Ausschüsse im Jahr 2011, COM82012) 685 final v. 23. 11. 2012, S. 13. 283 Vgl. Bericht der Kommission über die Tätigkeit der Ausschüsse im Jahr 2011, COM82012) 685 final v. 23. 11. 2012, S. 5. 284 Es seien beispielhaft genannt: Durchführungsverordnung (EU) Nr. 532/2012 der Kommission vom 21. Juni 2012 zur Änderung von Anhang II der Entscheidung 2007/777/EG und Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 798/2008 hinsichtlich der Einträge für Israel zur hochpathogenen Aviären Influenza in den Listen von Drittländern und Teilen von Drittländern, ABl. Nr. L 163 v. 22. 6. 2012, S. 1; Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1001/2013 der Kommission vom 4. Oktober 2013 zur Änderung von Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif, ABl. Nr. L 290 v. 31. 10. 2013, S. 1; Durchführungsrichtlinie 2014/22/EU der Kommission vom 13. Februar 2014 zur Änderung von Anhang IV der Richtlinie 2006/88/EG des Rates in Bezug auf die infektiöse Anämie der Lachse (ISA), ABl. Nr. L 44 v. 14. 2. 2014, S. 45.

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

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richtlinie (EU) 2017/1920285, die im Wege des Regelungsverfahrens nach dem Komitologiebeschluss 2006 erlassen wurde und insbesondere den Anhang ihrer Basisrichtlinie 2009/119/EG286 und damit zusammenhängende Verweise im Rechtsakt selbst durch formelle Änderungen anpasst. Ebenso werden durch sie Verweise auf andere Rechtsakte der EU eingefügt, die Definitionen der einzelnen Wörter oder Worte des Basisrechtsakts enthalten. Ein weiteres Beispiel für eine solche formelle Änderung ist etwa auch die Durchführungsrichtlinie (EU) 2016/11287, die ebenfalls nach dem Regelungsverfahren erlassen wurde und den Anhang ihres Basisrechtsakts abändert. Diese Basisrichtlinie 2002/57/EG288 erlaubt es der Kommission, in ihrem Art. 24 im Wege der Durchführungsrechtsetzung aufgrund wissenschaftlicher oder technischer Entwicklung notwendig gewordene Änderungen der Anhänge vorzunehmen. Diesen Durchführungsakten ist, wie bereits erwähnt, allen gemein, dass sie nach altem Regime im Wege des Regelungsverfahrens erlassen und ihren Basisrechtsakt an neue Entwicklungen anpassen oder aktualisieren. Dem alten Regime war eine Unterscheidung nach formeller Reichweite der Rechtsakte, die durch das Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen wurden (entsprechen nach neuem Regime den delegierten Rechtsakten) und den im Wege der übrigen Verfahren erlassenen Rechtsakten, fremd. So war es gerade nicht nur den nach dem Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassenen Durchführungsrechtsakten möglich, „eine Änderung von nicht wesentlichen Bestimmungen dieses Rechtsakts [des Basisrechtsakts] [zu] bewirken“289, sondern es war gerade auch den im Wege des (einfachen) Regelungsverfahrens erlassenen Durchführungsrechtsakten möglich, dass „bestimmte nicht wesentliche Bestimmungen des Rechtsakts im Wege von Durchführungsverfahren angepaßt oder aktualisiert werden können“290. Im Wege dieses Regelungsverfahrens sind eben jene oben genannten Durchführungsrichtlinien erlassen worden, die die Anhänge ihrer Basisrechtsakte aktualisieren. Bevor das Regelungsverfahren mit Kontrolle in den Komitologiebeschluss von 1999 eingefügt wurde, war und musste es selbstverständlich möglich gewesen sein, auf den Bestand des Basisrechtsakts zuzugreifen. Es ist in der Entstehungsgeschichte 285 Durchführungsrichtlinie (EU) 2018/1581 der Kommission vom 19. Oktober 2018 zur Änderung der Richtlinie 2009/119/EG des Rates in Bezug auf die Methoden zur Berechnung der Bevorratungsverpflichtungen, ABl. Nr. L 263 v. 22. 10. 2018, S. 57. 286 Richtlinie 2009/119/EG des Rates vom 14. September 2009 zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Mindestvorräte an Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen zu halten, ABl. Nr. L 265 v. 9. 10. 2009, S. 9. 287 Durchführungsrichtlinie (EU) 2016/11 der Kommission vom 5. Januar 2016 zur Änderung von Anhang II der Richtlinie 2002/57/EG des Rates über den Verkehr mit Saatgut von Öl- und Faserpflanzen, ABl. Nr. L 3 v. 6. 1. 2016, S. 48. 288 Richtlinie 2002/57/EG des Rates vom 13. Juni 2002 über den Verkehr mit Saatgut von Öl- und Faserpflanzen, ABl. Nr. L 74 v. 20. 7. 2002, S. 74. 289 Art. 2 Abs. 2 des Komitologiebeschlusses von 2006. 290 Art. 2 Abs. 1 b des Komitologiebeschlusses von 2006.

220 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

nicht ersichtlich, dass die Einführung des neuen Verfahrens (Regelungsverfahren mit Kontrolle) dazu führen sollte, dass nur im Rahmen seines Verfahrens erlassene Rechtsakte den Basisrechtsakt formell zu beeinflussen vermögen sollten. Im Gegenteil ging es den Beteiligten und insbesondere dem Parlament mit der Einführung des Regelungsverfahrens mit Kontrolle um inhaltliche Mitspracherechte bei der Komitologie. So war es auch im Wege des Verwaltungsverfahrens möglich, den Basisrechtsakt formell zu ändern, wofür sich auch vereinzelt Beispiele finden lassen.291 Endlich existieren noch Durchführungsrichtlinien, die den Basisrechtsakt formell ändern, insbesondere deren Anhänge, und nicht im Wege des Regelungsverfahrens (oder Verwaltungsverfahrens) erlassen wurden. So etwa Durchführungsrichtlinien die Richtlinie 2000/29/EG292 betreffend.293 Diese Durchführungsrichtlinien sind allerdings keine gewöhnlichen und werden nicht nach Verfahren der Komitologieverordnung erlassen, sondern nach einem im Basisrechtsakt selbst festgelegten Komitologieverfahren.294 Untersucht man hingegen nur jene Durchführungsrechtsakte, deren Basisrechtsakte nach Einführung des neuen Regimes erlassen wurden, so stellt man fest, dass Durchführungsrechtsakte tatsächlich immer in einem gesonderten Rechtsakt ergehen, der seinen Rahmenrechtsakt (einschließlich seiner Anhänge) nicht formell beeinflusst.295 In dieser Hinsicht sind der Durchführung damit die gleichen Wir291 Durchführungsrichtlinie (EU) 2015/1955 der Kommission vom 29. Oktober 2015 zur Änderung der Anhänge I und II der Richtlinie 66/402/EWG des Rates über den Verkehr mit Getreidesaatgut, ABl. Nr. L 284 v. 30. 10. 2015, S. 142. 292 Richtlinie 2000/29/EG DES RATES vom 8. Mai 2000 über Maßnahmen zum Schutz der Gemeinschaft gegen die Einschleppung und Ausbreitung von Schadorganismen der Pflanzen und Pflanzenerzeugnisse, ABl. Nr. L 169 v. 10. 7. 2000, S. 1. 293 So etwa die Durchführungsrichtlinie (EU) 2017/1920 der Kommission vom 19. Oktober 2017 zur Änderung von Anhang IV der Richtlinie 2000/29/EG des Rates hinsichtlich der Verbringung von Samen von Solanum tuberosum L. mit Ursprung in der Union, ABl. Nr. L 271 v. 20. 10. 2017, S. 34 und die Durchführungsrichtlinie (EU) 2017/1279 der Kommission vom 14. Juli 2017 zur Änderung der Anhänge I bis V der Richtlinie 2000/29/EG des Rates über Maßnahmen zum Schutz der Gemeinschaft gegen die Einschleppung und Ausbreitung von Schadorganismen der Pflanzen und Pflanzenerzeugnisse, ABl. Nr. L 184 v. 15. 7. 2017, S. 33; Durchführungsrichtlinie 2014/83/EU der Kommission vom 25. Juni 2014 zur Änderung der Anhänge I, II, III, IV und V der Richtlinie 2000/29/EG des Rates über Maßnahmen zum Schutz der Gemeinschaft gegen die Einschleppung und Ausbreitung von Schadorganismen der Pflanzen und Pflanzenerzeugnisse, ABl. Nr. L 186 v. 26. 6. 2014, S. 64. 294 Siehe Art. 17 der Richtlinie 2000/29/EG. 295 Siehe etwa als Beispiele Durchführungsrichtlinie (EU) 2015/2392 der Kommission vom 17. Dezember 2015 zur Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Meldung tatsächlicher oder möglicher Verstöße gegen diese Verordnung, ABl. Nr. L 332 v. 18. 12. 2015; Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 der Kommission vom 25. Mai 2011 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Liste zugelassener Wirkstoffe, ABl. Nr. L 153 v. 11. 6. 2011, S. 1; Durchführungsverordnung (EU) 2017/373 der Kommission vom 1. März 2017 zur Festlegung gemeinsamer Anforderungen an Flugverkehrsmanagementanbieter und Anbieter von Flugsicherungsdiensten sowie sonstiger Funktionen des Flugverkehrsmanagementnetzes und die Aufsicht hierüber sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 482/2008,

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

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kungsschranken gesetzt, denen auch der ergänzende delegierte Rechtsakt unterworfen ist. Diese formelle Komponente bzw. Beschränktheit der Leistungsfähigkeit exekutiver Normsetzung ist, wenn man den tatsächlichen Befund betrachtet, erst mit der Einführung des Lissabonner Vertrags entstanden. Für diese Besonderheit erscheint in diesem Stadium der Untersuchung allerdings kein Grund ersichtlich.296 Ebenso findet sich hierfür weder bei der Kommission eine Begründung, noch wird dieser Effekt während der Konzeption der Lissabonner Verfassung diskutiert oder erwähnt. (b) Befund zur inhaltlichen Leistungsfähigkeit der Durchführung (aa) Die gefundene Gesetzmäßigkeit In materieller Hinsicht lässt sich allerdings ein qualitativer Unterschied zwischen (ergänzender) delegierter Rechtsetzung und Durchführung in der Praxis ausmachen. So zeigt sich nicht nur in all den von Kollmeyer untersuchten Fällen, sondern in allen weiteren untersuchten Fällen, dass der Kommission im Rahmen der Durchführung keine inhaltliche Modifikation möglich ist. So kann die Kommission etwa in der Elektro-Gefahrstoff-Richtlinie297 mittels delegierter Rechtsakte Ausnahmen vom Verwendungsverbot für bestimmte Stoffe zur Anpassung an den wissenschaftlichen Fortschritt durch Änderung der Anhänge bestimmen.298 Mittels Durchführungsrechtsetzung soll sie hingegen ein einheitliches Format sowie Leitlinien für solche Anträge ausarbeiten.299 In qualitativer Hinsicht besteht der Unterschied der verschiedenen Befugnisse darin, dass es der Kommission im Wege der delegierten Rechtsetzung erlaubt ist, den Basisrechtsakt durch Änderung inhaltlich zu modifizieren, indem sie neue Regelungen etablieren kann. Während es ihr im Rahmen der Durchführung nur möglich ist, die bestehenden Regelungen anwendbar zu machen, ohne ihre inhaltliche Substanz zu berühren. Ganz ähnlich verhält es sich bei den Ermächtigungen der Emissionsleistungsverordnung300. Konkret enthält der Rahmenrechtsakt die Befugnis, der Kommission im Wege delegierter Rechtsakte durch Änderung des betreffenden Anhangs, die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, bestimmte Arten von Daten über durchschnittder Durchführungsverordnungen (EU) Nr. 1034/2011, (EU) Nr. 1035/2011 und (EU) 2016/ 1377 und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 677/2011, ABl. Nr. L 62 v. 8. 3. 2017, S. 1. 296 Siehe aber unter A. II. 2. b) ee) (2). 297 Richtlinie 2011/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 zur Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten, ABl. Nr. L 174 v. 1. 7. 2011, S. 88. 298 Vgl. Art. 5 Abs. 1 – 7, Art. 6 der Richtlinie 2011/65/EU. 299 Vgl. Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie 2011/65/EU. 300 Verordnung (EU) Nr. 510/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2011 zur Festsetzung von Emissionsnormen für neue leichte Nutzfahrzeuge im Rahmen des Gesamtkonzepts der Union zur Verringerung der CO2-Emissionen von Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen, ABl. Nr. L 145 v. 31. 5. 2011, S. 1.

222 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

liche Emissionswerte der Hersteller an diese zu übermitteln, an die durch die Anwendung der Verordnung gewonnenen Erfahrungen anpassen zu können.301 Daneben enthält der Basisrechtsakt die Ermächtigung zum Erlass von Durchführungsrechtsakten für die Überwachung und Datenübermittlung sowie für die Anwendung des genannten Anhangs.302 Diese Ermächtigungslage entspricht beinahe dem Beispielfall, den die Kommission nutzt, um ihre Ansicht zu verdeutlichen.303 Mittels delegierter Rechtsetzung wird bestimmt, „was“ die Mitgliedstaaten mitteilen müssen, während die Frage des „Wie“ im Wege der Durchführung zu präzisieren ist. Kollmeyer versucht hingegen einen Unterschied in der Wahl des Adressaten auszumachen.304 Während der delegierte Rechtsakt den Hersteller betreffe, soll die Durchführung allein das Verhältnis zwischen Kommission und mitgliedstaatlicher Behörde regeln. Dass es einen derart ausgeformten Leistungsunterschied zwischen den Rechtsetzungsarten gibt, konnte allerdings im Rahmen der Untersuchung nicht festgestellt werden. Ebenso beispielhaft für die Feststellungen der Kommission ist die Befugnisübertragung zur exekutiven Normsetzung der NEAFC-Verordnung.305 Durch delegierte Rechtsakte werden der Kommission Befugnisse zu diversen inhaltlichen Änderungen des Basisrechtsakts eingeräumt.306 Gegenstand der Durchführungsrechtsetzung dagegen ist der Erlass von Regelungen über bestimmte Listen, Formate und Muster, die bei der Übermittelung von Daten zu verwenden sind.307 Im Übrigen enthält der Rahmenrechtakt Durchführungsbefugnisse, die sich nicht an Behörden, sondern natürliche Personen richten.308 Erneut hat die Kommission im Wege der Durchführung allein das „Wie“ zu bestimmen, während ihr ein inhaltliches Einwirken versagt bleibt. Die weitere Untersuchung innerhalb der fast siebentausend Durchführungsverordnungen, fast einhundert Durchführungsrichtlinien und mehr als zweitausend Durchführungsbeschlüssen, deren Basisrechtsakte zum neuen Regelungsregime erlassen wurden, bestätigt weiterhin die These, dass der Durchführungsrechtsakt keine neuen Regeln oder Normen schafft, also inhaltlich auf den Bestand des Ba-

301

Vgl. Art. 8 Abs. 9 Unterabs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 510/2011. Vgl. Art. 8 Abs. 9 Unterabs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 510/2011. 303 Vgl. Ziff. 43 der Implementation of the Treaty of Lisbon, Delegated Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2011) 855. 304 Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 164 f. 305 Verordnung (EU) Nr. 1236/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2010 zu einer Kontroll- und Durchsetzungsregelung, die auf dem Gebiet des Übereinkommens über die künftige multilaterale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Fischerei im Nordostatlantik anwendbar ist, und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2791/1999 des Rates, ABl. Nr. L 348 v. 31. 12. 2010, S. 17. 306 Vgl. Art. 51 der Verordnung (EU) Nr. 1236/2010. 307 Vgl. etwa Art. 4 Abs. 5, Art. 5 Abs. 2, Art. 9 Abs. 4, Art. 10 Abs. 3, Art. 16 Abs. 2, Art. 24 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 1236/2010. 308 Vgl. Art. 24 der Verordnung (EU) Nr. 1236/2010. 302

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

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sisrechtsakts zugreift, sondern lediglich Modalitäten zu regeln vermag, wie bereits vorhandene Regelungen des Basisrechtsakts anzuwenden sind. Beispielhaft für diesen Befund sei etwa die im Kapitalmarktrecht prominente Marktmissbrauchsverordnung genannt. Hier kann die Kommission mittels Durchführungsrechtsakt Verfahren zur Meldung von Verstößen gegen die Basisrechtsverordnung, deren Nachverfolgung und Maßnahmen zum Schutz personenbezogener Daten festlegen.309 Auf Grundlage dieser Ermächtigung erging ein Jahr später die Durchführungsrichtlinie (EU) 2015/2392310, die, wie im Basisrechtsakt vorgesehen, im Wesentlichen Verfahren für die Entgegennahme von Verstößen und deren Nachverfolgung enthält und hierfür spezielle Kommunikationskanäle vorsieht. Ferner ermächtigt etwa, um im Kapitalmarktrecht zu bleiben, die Verordnung (EU) Nr. 600/2014 (MIFIR)311 die Kommission Durchführungsbeschlüsse im Wege des Prüfverfahrens zu erlassen, mit denen festgestellt wird, dass in einem Drittland gewisse rechtliche Mindeststandards hinsichtlich der dort zugelassenen Handelsplätze erfüllt werden, die sich aus bereits erlassenen europäischen Gesetzgebungsakten ergeben, was zur Anerkennung als Handelsplatz für Derivate führt.312 Der einzige bis heute erlassenen Durchführungsbeschluss (EU) 2017/2238 erkennt eine solche Gleichwertigkeit der Handelsplätze der Vereinigten Staaten von Amerika mit solchen in der Union niedergelassenen Handelsplätzen an, da sie die Anforderungen erfüllen, die sich aus der Richtlinie 2014/65/EU und der Verordnung (EU) Nr. 596/ 2014 ergeben.313 Hier ist die Kommission also wiederum gerade nicht befugt, den Basisrechtsakt inhaltlich zu bereichern oder zu modifizieren, sondern soll lediglich anhand bereits vorgegebener Kriterien prüfen, ob diese erfüllt sind oder nicht. Der bloße exekutive Charakter der Durchführung wird auch am Beispiel der Verordnung (EU) 2016/1036314 besonders schön ersichtlich. In der genannten Basisverordnung werden der Kommission zahlreiche Ermächtigungen verliehen, um unter anderem zum Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur EU gehörenden 309

Art. 32 Abs. 5 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014. Durchführungsrichtlinie (EU) 2015/2392 der Kommission vom 17. Dezember 2015 zur Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Meldung tatsächlicher oder möglicher Verstöße gegen diese Verordnung, ABl. Nr. L 332 v. 18. 12. 2015, S. 126. 311 Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012, ABl. Nr. L 173 v. 12. 6. 2014, S. 84. 312 Art. 28 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 600/2014. 313 Durchführungsbeschluss (EU) 2017/2238 der Kommission vom 5. Dezember 2017 über die Gleichwertigkeit des Rechts- und Aufsichtsrahmens für anerkannte Kontraktmärkte und Swap-Ausführungssysteme in den Vereinigten Staaten von Amerika gemäß der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. Nr. L 320 v. 6. 12. 2017, S. 11. 314 Verordnung (EU) 2016/1036 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Union gehörenden Ländern, ABl. Nr. L 176 v. 30. 6. 2016, S. 21. 310

224 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

Drittländern nach Prüfung der Sachlage freiwillige Verpflichtungsangebote nach den in der Basisverordnung festgelegten Modalitäten durch Durchführungsrechtsakt anzunehmen, mit denen sich ein Ausführer verpflichtet, seine Preise zu ändern oder die Ausfuhren zu Dumpingpreisen zu unterlassen, sofern die Kommission davon überzeugt ist, dass die schädigenden Auswirkungen des Dumpings auf diese Weise beseitigt werden.315 Auch kann etwa die Kommission durch Durchführungsbeschluss nach Prüfung der Sachlage nach den im Basisrechtsakt vorgegebenen Voraussetzungen Befreiungen von Zöllen gewähren.316 Ferner ist es der Kommission möglich, endgültige Antidumpingmaßnahmen zu treffen.317 Es ergingen bis jetzt über hundert Durchführungsmaßnahmen der Kommission in Zusammenhang mit dem Antidumpingschutz.318 Im Rahmen dieser Maßnahmen wird deutlich, dass die Kommission im Rahmen der Durchführung lediglich Normen anwendet, ausführt oder anwendbar macht, aber keine eigene (quasi-)legislative Leistung erbringt. (bb) Ausnahmen dieser Gesetzmäßigkeit Eine tatsächliche Abweichung des bis hierhin einheitlichen Befundes findet sich in der Abfallrichtlinie.319 In Art. 11 Abs. 3 der Richtlinie werden Befugnisse zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen der vorliegenden Richtlinie durch Ergänzung im Rahmen des Regelungsverfahrens mit Kontrolle verliehen. Der Anwendungsbereich des Regelungsverfahrens mit Kontrolle entspricht grundsätzlich dem der delegierten Rechtsetzung i.S.d. Art. 290 AEUV. Der daraufhin ergangene Durchführungsbeschluss 2011/753/EU320 ergänzt die Richtlinie nicht inhaltlich, sondern präzisiert sie und macht sie anwendbar, ohne neue Regeln zu schaffen. Sie hätte also nach der hier vertretenen Auffassung321 der inhaltlichen Reichweite der exekutiven Normsetzungsarten als Durchführungsrechtsakt erlassen werden können. Hinsichtlich des Inhalts der Befugnisnorm wird die Kommission ermächtigt, die in Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie genannten Zielvorgaben für die Entwicklung einer europäischen Recyclingsgesellschaft mit einem hohen Maß an Effizienz der Ressourcennutzung zu konkretisieren und die Berechnungsmethode zur Überprüfung ihrer Einhaltung festzulegen. Andererseits enthält die Regelung auch die Befugnis, 315

Vgl. Art. 8 der Verordnung (EU) 2016/1036. Vgl. Art. 13 der Verordnung (EU) 2016/1036. 317 Vgl. Art. 11 der Verordnung (EU) 2016/1036. 318 Für eine Aufzählung der Maßnahmen siehe unter https://eur-lex.europa.eu/search.html? qid=1547500458950&DTS_DOM=ALL&type=advanced&DB_IMPLEMENTING=3201 6R1036&lang=de&SUBDOM_INIT=ALL_ALL&DTS_SUBDOM=ALL_ALL (zuletzt abgerufen am 30. 4. 2020). 319 Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien, ABl. Nr. L 312 v. 22. 11. 2008. 320 Beschluss der Kommission vom 18. November 2011 mit Vorschriften und Berechnungsmethoden für die Überprüfung der Einhaltung der Zielvorgaben gemäß Artikel 11 Absatz 2 der Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. Nr. L 310 v. 25. 11. 2011, S. 11. 321 Siehe sogleich unten unter A. II. 2. b) cc). 316

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

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Übergangsfristen zu regeln, was Inhalt eines delegierten Rechtsakts sein müsste. Es handelt sich also letztlich um eine Ermächtigung, die beide Arten der Rechtsetzungsbefugnis beinhaltet, also hybrider Natur ist. Die weitere Historie der Richtlinie vermag diesen Ausnahmecharakter aufzuklären. Die Regelung des Art. 11 Abs. 3 der Abfallrichtlinie, die zur delegierten Rechtsetzung ermächtigte, wurde 2018 durch die Richtlinie (EU) 2018/851322 zur Änderung der Abfallrichtlinie aufgehoben und im eingefügten Art. 11a Abs. 9 inhaltlich entsprechend nachgebildet. In Art. 11a Abs. 9 werden der Kommission allerdings für die Anwendung des Artikels und der Festlegung einer Berechnungsmethode zur Überprüfung und Übermittelung bestimmter Daten „lediglich“ Durchführungsbefugnisse i.S.d. Art. 291 AEUV (im Rahmen des Prüfverfahrens i.S.d. der bestehenden Komitologieverordnung) verliehen. Weggefallen ist allerdings die Befugnis zur Regelung der Übergangsfristen, die wohl nach 2018 überflüssig geworden war. Im Vorschlag der Kommission zur Änderung der Abfallrichtlinie323 selbst war sie in Art. 11 Abs. 6 des Vorschlags für die oben genannten Tätigkeiten noch mit der Befugnis zur delegierten Rechtsetzung für die Ausübung genannter Tätigkeiten ausgestattet worden, wie sie auch in Art. 11 Abs. 3 der Abfallrichtlinie vor der Änderung zu finden war. Auf Wunsch des Parlaments wurde dies jedoch geändert und stattdessen Durchführungsbefugnisse erteilt.324 Dies zeigt, dass auch dem Gesetzgeber das „Zuviel“ an Befugnis, das sich die Kommission in ihrem Vorschlag erhalten wollte, obwohl die Fristenregelungskompetenz weggefallen war, auffiel und er nun der Auffassung ist, dass Durchführungsbefugnisse ausreichen. Im Übrigen wird im Nachfolgenden zur weiteren Aufklärung dieses Falles beigetragen.325 Wenn weitere Ausnahmen der festgestellten Regelmäßigkeit gefunden werden, d. h. Durchführungsrechtsakte, die tatsächlich inhaltlich auf ihren Basisrechtsakt einwirken, dann sind das solche Durchführungsrechtsakte, die im alten Regime erlassen wurden und ihren Basisrechtsakt lediglich an eine neue Rechts- oder Sachlage anpassen oder aktualisieren. Dies war und ist, wie bereits bei der Untersuchung des Befundes hinsichtlich der formellen Möglichkeiten der Durchführungsrechtsetzung angesprochen, im Rahmen des „einfachen“ Regelungsverfahrens (und des Verwaltungsverfahrens) durchaus möglich. Bemerkenswert ist allerdings, dass die Befugnisse zur Änderung von Anhängen des Basisrechtsakts, insbesondere zwecks Anpassung oder Aktualisierung, bei Rahmenrechtsakten, die nach der 322

Richtlinie (EU) 2018/851 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 zur Änderung der Richtlinie 2008/98/EG über Abfälle, ABl. Nr. L 150 v. 14. 6. 2018, S. 109. 323 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2008/98/EG über Abfälle, COM(2015) 595 final v. 2. 12. 2015. 324 Ziff. 63 des Standpunkt des Europäischen Parlaments festgelegt in erster Lesung am 18. April 2018 im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie (EU) 2018/… des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2008/98/EG über Abfälle, P8_TC1COD(2015)0275 v. 18. 4. 2018. 325 Siehe unten unter A. II. 3.

226 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

Einführung des Lissabonner Regimes erlassen wurden, nun stets mit der Ermächtigung zur delegierten Rechtsetzung einhergehen. Konsequenterweise hätte dies auch in alter Rechtslage im Wege des Regelungsverfahrens mit Kontrolle stattfinden müssen und nicht, wie tatsächlich vorgefunden, durch das (einfache) Regelungsverfahren.326 Der post-Lissabonner Befund bestätigt darüber hinaus die Behauptung der Kommission in ihren Guidelines, dass auch eine Änderung der Anhänge nach dem Lissabonner Regime in den alleinigen Anwendungsbereich delegierter Rechtsakte falle.327 Es erscheint sowohl hinsichtlich der hier aufgestellten These, dass Durchführungsrechtsetzung nicht inhaltlich modifizieren kann als auch für den hier dargestellten Befund auf den ersten Blick völlig widersprüchlich, wenn Durchführungsrechtsakte alten Regimes existieren, die nicht im Wege des Regelungsverfahrens mit Kontrolle erlassen wurden und inhaltlich auf ihren Basisrechtsakt einwirken, deren Aufgabe nach Einführung des Lissabonner Regimes nun aber die delegierte Rechtsetzung wahrnimmt. Zur Aufklärung muss man sich den Schaffungsprozess des Regelungsverfahrens mit Kontrolle vor Augen führen.328 Mit ihm sollte die Definition quasi-legislativer Maßnahmen eingeführt und dem Parlament eine Teilhabe am Komitologieprozess gewährt werden. Notwendig war hierzu neben der schwierigen Frage, wie das Parlament nach damals geltender europäischer Verfassung überhaupt beteiligt werden konnte, bei Beibehaltung aller anderen Verfahrensarten eine Abgrenzung gegenüber rein exekutiven Maßnahmen vorzunehmen. Daher wurde vorgesehen, dass die geplante Maßnahme „von allgemeiner Tragweite“329 sein330 und „eine Änderung von nicht wesentlichen Bestimmungen

326 So etwa Delegierte Verordnung (EU) 2018/1629 der Kommission vom 25. Juli 2018 zur Änderung der Liste der Seuchen in Anhang II der Verordnung (EU) 2016/429 des Europäischen Parlaments und des Rates zu Tierseuchen und zur Änderung und Aufhebung einiger Rechtsakte im Bereich der Tiergesundheit („Tiergesundheitsrecht“), ABl. Nr. L 272 v. 31. 10. 2018, S. 11; Delegierte Verordnung (EU) 2017/849 der Kommission vom 7. Dezember 2016 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1315/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Karten in Anhang I und der Liste in Anhang II der Verordnung, ABl. Nr. L 128 v. 19. 5. 2017, S. 1; Delegierte Richtlinie (EU) 2016/585 der Kommission vom 12. Februar 2016 zur Änderung – zwecks Anpassung an den technischen Fortschritt – von Anhang IV der Richtlinie 2011/65/ EU des Europäischen Parlaments und des Rates bezüglich einer Ausnahmeregelung für Blei, Cadmium, sechswertiges Chrom und polybromierte Diphenylether (PBDE) in Ersatzteilen, die aus medizinischen Geräten oder Elektronenmikroskopen ausgebaut und für die Reparatur oder Wiederinstandsetzung von derartigen Geräten oder Mikroskopen verwendet werden, ABl. Nr. L 101 v. 16. 4. 2016, S. 12; Delegierter Beschluss (EU) 2018/1102 der Kommission vom 6. Juni 2018 zur Änderung von Anhang III des Beschlusses Nr. 466/2014/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über eine Garantieleistung der Europäischen Union für etwaige Verluste der Europäischen Investitionsbank aus Finanzierungen zur Unterstützung von Investitionsvorhaben außerhalb der Union in Bezug auf Iran, ABl. Nr. L 199 I v. 7. 8. 2018, S. 11. 327 Vgl. Ziff. 35 der Implementation of the Treaty of Lisbon, Delegated Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2011) 855. 328 Siehe hierzu auch oben unter Kapitel 2 C. II. 2. 329 So deshalb Art. 2 Abs. 2 des Komitologiebeschlusses von 2006.

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

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[…] bewirken [musste], einschließlich durch Streichung einiger […] Bestimmungen oder Hinzufügung neuer nicht wesentlicher Bestimmungen“331. Den Terminus „Maßnahmen von allgemeiner Tragweite“ enthält jedoch auch das einfache Regelungsverfahren, sodass die Abgrenzung wenig gelungen ist.332 Das Regelungsverfahren erklärt sich darüber hinaus auch für anwendbar, wenn es um die Anpassung oder Aktualisierung von Basisrechtsakten geht. Diese unglückliche Absteckung des Anwendungsbereichs resultiert wohl daher, dass zwar bei der Ausgestaltung der Definition des Anwendungsbereichs des Regelungsverfahrens mit Kontrolle Einigkeit darüber geherrscht hatte, dass die Änderung nicht wesentlicher Elemente des Basisrechtsakts von der Definition umfasst sein sollte, allerdings Meinungsverschiedenheiten bestanden, was das „Hinzufügen“ betrifft. Es wurde vereinbart, Hinzufügungen im quasi-legislativen Sinne im Basisrechtsakt nur aufzunehmen, wo sie als Änderungen des Gehalts des Elements des Basisrechtsakts angesehen werden konnten.333 Im geänderten Vorschlag der Kommission zur Einführung des Regelungsverfahrens mit Kontrolle, deren nachfolgende Formulierung jedoch, wohl aus den im Zusammenhang mit dem Terminus des Hinzufügens erwähnten Gründen, nicht in die erlassene Fassung aufgenommen worden ist, wurde der Anwendungsbereich des Regelungsverfahrens mit Kontrolle noch umrissen mit dem Erlass von „Durchführungsmaßnahmen normativen Inhalts, die somit der Durchführung wesentlicher Bestimmungen oder der Anpassung konkreter Bestimmungen der Basisrechtsakte dienen, beispielsweise der Anpassung von Richtlinien an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt oder der Änderung bestimmter Richtlinienanhänge.“334 Es wird mit dieser Formulierung zweierlei deutlich: Zum einen wurde bereits zutreffend erkannt, dass eine inhaltliche Änderung des Anhangs eines Basisrechtsakts eine normative Tätigkeit ist und zum anderen, dass diese quasi-legislative Tätigkeit (eigentlich) im Anwendungsbereich des Regelungsverfahrens mit Kontrolle liegen sollte. Erstere Erkenntnis vermag nicht nur zu erklären, weshalb nun nach Lissabon Anhänge mittels delegierter Rechtsakte angepasst und aktualisiert werden, sondern bestätigt letztlich auch die hier vertretene Auffassung von der Leistungsfähigkeit delegierter Rechtsakte, die jeden (nicht wesentlichen) inhaltlichen Zugriff auf den Basisrechtsakt umfasst und damit auch die inhaltliche Änderung der Anhänge. Es haben also die zahlreichen Kompromisse aus dem Tauziehen der Organe dazu geführt, dass Unklarheiten oder gar Überschneidungen bei den exe330 So etwa Ilgner, Die Durchführung der Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers durch die Europäische Kommission, Diss., 2014, S. 135; Schusterschitz, Europa-Blätter 2006, 176, 178. 331 Art. 2 Abs. 2 des Komitologiebeschlusses von 2006. 332 Im Übrigen enthält auch die Komitologieverordnung von 2011 in Art. 2 Abs. 2 a) diese Formulierung, die für eine Abgrenzung ungeeignet ist, da es auch exekutive Maßnahmen gibt, die nicht individualisiert sind. 333 Schusterschitz, Europa-Blätter 2006, 176, 178. 334 Ziff. 2 des geänderten Vorschlags für einen Beschluss des Rates zur Änderung des Beschlusses 1999/468/EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, KOM(2004) 324 endg. v. 22. 4. 2004, S. 2.

228 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

kutiven und normativen Verfahren des alten Komitologiesystems letztlich unvermeidbar waren, obwohl eine solche nicht beabsichtigt war. Letztlich mag das Unvermögen, klare Verhältnisse zu schaffen, auch damit zusammengehangen haben, dass man sich bei der Einbindung des Parlaments in den Grenzen der Möglichkeiten bewegen musste, die die „alten“ Verträge vorgaben.335 Im Rahmen der Verfassungsreform konnte nun, was auch der „post-Lissabonner“ Befund zeigt, Klarheit geschaffen werden. Konsequenter- und auch richtigerweise existiert in der aktuellen Komitologieverordnung kein Verfahren mehr zur Änderung von Basisrechtsakten zwecks Anpassung oder Aktualisierung, deren Aufgabe, und es sei nochmals erwähnt, die der delegierten Rechtsetzung (Regelungsverfahren mit Kontrolle) ist und schon vor Lissabon immer war. Die Streitigkeiten um den Begriff des Hinzufügens bei der Definition des Anwendungsbereiches des Regelungsverfahrens mit Kontrolle und dem damit ungewollten Überschneidungsbereich der Durchführungsarten ist wohl auch einer der Gründe für die besonderen Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen „Ergänzen“ und „Durchführen“ im neuen Regime und den Stimmen, die von einem Überschneiden der Anwendungsbereiche delegierter Rechtsetzung i.S.d. Art. 290 AEUV und der Durchführungsrechtsetzung i.S.d. Art. 291 AEUV ausgehen.336 Festzuhalten ist also, dass Durchführungsrechtsakte ihren Basisrechtsakt nicht nur nicht formell modifizieren, sondern auch nicht inhaltlich abändern können. Durchführungsrechtsakte können allerdings andere Durchführungsrechtsakte nicht nur, wie bereits gezeigt, formell modifizieren, sondern auch materiell, etwa durch Änderung337, Berichtigung338 oder sogar Aufhebung339. 335

Siehe hierzu unter Kapitel 2 C. II. 2. b) bb). So setzte etwa schon Ruffert, in: Calliess, Verfassung der Europäischen Union, Art. I-36 Rn. 5 Ergänzung und Durchführung gleich. Siehe auch Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 291 AEUV Rn. 1. 337 Siehe etwa Durchführungsverordnung (EU) 2018/1017 der Kommission vom 18. Juli 2018 zur Änderung der Durchführungsverordnungen (EU) 2017/366 und (EU) 2017/367 zur Einführung endgültiger Ausgleichs- und Antidumpingzölle auf die Einfuhren von Fotovoltaikmodulen aus kristallinem Silicium und Schlüsselkomponenten davon (Zellen) mit Ursprung in oder versandt aus der Volksrepublik China sowie der Durchführungsverordnungen (EU) 2016/184 und (EU) 2016/185 zur Ausweitung des endgültigen Ausgleichs- und Antidumpingzolls auf Einfuhren von Fotovoltaikmodulen aus kristallinem Silicium und Schlüsselkomponenten davon (Zellen) mit Ursprung in oder versandt aus der Volksrepublik China auf aus Malaysia und Taiwan versandte Einfuhren von Fotovoltaikmodulen aus kristallinem Silicium und Schlüsselkomponenten davon (Zellen), ob als Ursprungserzeugnisse Malaysias oder Taiwans angemeldet oder nicht, ABl. Nr. L 183 v. 19. 7. 2018, S. 1. 338 Siehe etwa Durchführungsverordnung (EU) 2017/835 der Kommission vom 12. Mai 2017 zur Berichtigung der schwedischen und der slowenischen Sprachfassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 923/2012 zur Festlegung gemeinsamer Luftverkehrsregeln und Betriebsvorschriften für Dienste und Verfahren der Flugsicherung und zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1035/2011 sowie der Verordnungen (EG) Nr. 1265/2007, (EG) Nr. 1794/2006, (EG) Nr. 730/2006, (EG) Nr. 1033/2006 und (EU) Nr. 255/2010; ABl. Nr. L 124 v. 17. 5. 2017, S. 35; Durchführungsrichtlinie (EU) 2018/1028 der Kommission vom 19. Juli 2018 zur Berichtigung der Durchführungsrichtlinie (EU) 2016/2109 zur Änderung der 336

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

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Im Übrigen hat die Untersuchung der Praxis weiterhin ergeben, dass die Durchführungsrechtsetzung auch nicht auf gewisse Themengebiete oder Politikbereiche beschränkt ist. b) Ergebnis bezüglich der inhaltlichen Leistungsfähigkeit der Durchführungsrechtsetzung aa) Untersuchung der unterschiedlichen Ansätze der Literatur im Lichte der Praxis und Rechtsprechung Wenn man das Meinungsbild der Literatur betrachtet, so stellt man fest, dass die Ansätze zur Analyse der Leistungsfähigkeit des Durchführungsrechtsakts bzw. zu seiner Abgrenzung gegenüber dem delegierten Rechtsakt für die vorliegende Frage nicht weiterhelfen. Manchmal, wie etwa bei Möstl, ist die Sichtweise auch eine andere. Die Fragen werden aus Sicht des Gesetzgebers beantwortet: Wann hat er zu welcher Rechtsetzungsart zu ermächtigen. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Ansatz, der nach der Unvollständigkeit des Regelungsrahmens fragt. Hier kommt zusätzlich zur Problematik der Sichtweise, die der Praktikabilität. Ob der Gesetzgeber einen Bereich vollumfänglich geregelt oder ob er der Kommission noch Gestaltungsraum belassen hat, lässt sich wohl in den meisten Fällen erst nach Erlass des Basisrechtsakts beurteilen.340 Die Ermächtigungen zugunsten der Kommission zum Erlass exekutiver Rechtsakte müssen im Basisrechtsakt allerdings schon bei dessen Ausarbeitung eingefügt werden. Ebenso wenig hilfreich für die Frage der denkbaren inhaltlichen Leistungsfähigkeit der Durchführungsrechtsetzung sind Ansätze, die versuchen mithilfe der formellen Leistungsfähigkeit einen Anwendungsbereich abzustecken. Darüber hinaus widersprechen einige Ansätze dem praktischen Befund, wie etwa der Ansatz von Kollmeyer, der dies allerdings auch selbst feststellt. Ebenso weicht auch der Ansatz von Stelkens von der vorgefundenen Praxis exekutiver Rechtsetzung ab. Die Herangehensweise durch die Frage, ob sich die Kommission beim Zugriff auf den Basisrechtsakt innerhalb eines Ermessensspielraums bewegt hat und bewegen darf,341 geht zunächst zutreffend davon aus, dass mit der Befugnisübertragung nach Richtlinie 66/401/EWG des Rates hinsichtlich der Aufnahme neuer Arten und der botanischen Bezeichnung der Art Lolium x boucheanum Kunth, ABl. Nr. L 184 v. 20. 7. 2018, S. 7. 339 Siehe etwa Durchführungsbeschluss (EU) 2018/1203 der Kommission vom 21. August 2018 zur Ermächtigung der Mitgliedstaaten, eine vorübergehende Ausnahme von bestimmten Vorschriften der Richtlinie 2000/29/EG des Rates in Bezug auf Eschenholz zu gewähren, dessen Ursprung die Vereinigten Staaten von Amerika sind oder das dort verarbeitet wurde, und zur Aufhebung des Durchführungsbeschlusses (EU) 2017/204 der Kommission, ABl. Nr. L 217 v. 27. 8. 2018, S. 7. 340 So auch Edenharter, DÖV 2011, 645, 649. 341 In diese Richtung andenkend etwa Ilgner, Die Durchführung der Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers durch die Europäische Kommission, Diss., 2014, S. 257; Greiner, Die Reform der Komitologie durch den Vertrag von Lissabon, Diss., 2018, S. 66 ff.

230 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

Art. 290 AEUV naturgemäß ein Ermessensspielraum der Kommission gegeben ist. Die Kommission kann sich als delegierter Gesetzgeber als Gesetzgebungsorgan gerieren. Immer dann, wenn die Kommission eine durch den Gesetzgebungsakt geschaffene Lücke durch eigenes Ermessen ausfüllt, handelt sie legislativ. Letztlich erkennt diese Auffassung an, dass es sich bei delegierter Rechtsetzung um inhaltlichen Zugriff handelt. Indes kann aber auch bei der Durchführungsrechtsetzung von einem gewissen Ermessensspielraum gesprochen werden, weil der Kommission offen steht, wie sie die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts ausgestaltet.342 Von einem Ermessensspielraum der Kommission bei der Durchführung geht auch der EuGH aus. In der Rechtssache Kommission/Parlament und Rat bemerkt er, dass „es für die Beantwortung der Frage, ob der von der Kommission zu erlassende Rechtsakt unter Art. 290 AEUV oder unter Art. 291 AEUV fällt, weder auf das Bestehen noch auf den Umfang eines ihr im Gesetzgebungsakt eingeräumten Ermessens an[kommt].“343 Weiterhin stellt das Gericht in der Rechtssache Parlament/Kommission fest, dass „die Kommission nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen ihrer Durchführungsbefugnis, deren Grenzen insbesondere nach Maßgabe der wesentlichen allgemeinen Ziele des fraglichen Gesetzgebungsakts zu beurteilen sind, berechtigt [ist], alle für die Durchführung dieses Gesetzgebungsakts erforderlichen oder zweckmäßigen Maßnahmen zu ergreifen, soweit diese nicht gegen diesen Gesetzgebungsakt verstoßen.“344 Wenn die Kommission berechtigt ist, alle zweckmäßigen Maßnahmen zu treffen, so muss ihr natürlich auch die Entscheidung zustehen, welche Maßnahmen sie als zweckmäßig erachtet und damit einhergehend ein gewisser Ermessenspielraum. Selbst wenn man die Auffassungen betrachtet, die, wie hier angenommen, eine Abgrenzung anhand des Änderns und Ergänzens vornehmen wollen, so muss man doch feststellen, dass diese Ansichten nicht begründet werden345 und vor allem entweder kein Verständnis vom Inhalt des Begriffspaares mitgeteilt wird346 oder eine andere Ansicht hinsichtlich der Definition des Kriteriums besteht,347 sodass auch von 342

So ist es beispielsweise der Kommission nach Art. 32 Abs. 5 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 selbst überlassen, wie genau sie das Verfahren nach Art. 32 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 ausgestaltet. Ebenso für einen solchen, wenn auch geringen Normierungsspielraum der Kommission Möstl, DVBL 2011, 1076, 181; Schusterschitz, in: Hummer/ Obwexer, Der Vertrag von Lissabon, S. 217. 343 EuGH, Urteil v. 16. 7. 2015, Kommission/Parlament und Rat, C-88/14, EU:C:2015:499, Rn. 32. 344 EuGH, Urteil v. 15. 10. 2014, Parlament/Kommission, C-65/13, EU:C:2014:2289, Rn. 44. 345 So bei Frenz, Handbuch Europarecht, Band 5, Rn. 634; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 2; Streinz/Ohler/Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, § 10 III. 3. a.E. 346 So bei Frenz, Handbuch Europarecht, Band 5, Rn. 632 f.; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 2, 5 ff.; Streinz/Ohler/Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, § 10 III. 3. 347 So bei Kröll, ZÖR 2011, 253, 253 ff.; Kröll, Artikel 290 und 291 AEUV, 2011, S. 195 ff.

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

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dieser Seite für die hier untersuchte Frage keine Hilfestellung zu erwarten ist. Auch der EuGH äußert sich zu der Frage wohl bewusst nur sehr vorsichtig. Seine Feststellungen dienen jedoch als Anhaltspunkte und geben wiederum zusammen mit dem Befund die (Ergebnis-)Richtung vor. In dieser Hinsicht dienen auch die Feststellungen der Kommission, die durch den Befund bestätigt werden, als weitere Richtschnur. bb) These und dogmatischer Hintergrund (1) These Im Rahmen der Inhaltsbestimmung des Begriffspaares wurde bereits festgestellt, dass die Kommission im Rahmen der delegierten Rechtsakte anstelle des Gesetzgebers tätig wird und ihr damit legislative Befugnisse zukommen. Solche können ihr allerdings im Rahmen der Durchführungsrechtsakte nicht übertragen werden. Ein quasi-legislatives Handeln ist im Wege der Durchführungsrechtsetzung nicht möglich, sodass die Grenze der Durchführungsrechtsetzung bereits dann überschritten ist, wenn die Kommission (quasi-)legislativ tätig wird und nicht erst durch Überschreiten der Wesentlichkeitsgrenze. Denn in diesem Fall nimmt sie gesetzgeberische Befugnisse wahr, die ihr im Rahmen der Durchführungsrechtsetzung nicht zustehen können. Ausdruck der legislativen Befugnis ist die inhaltliche Modifikation des Basisrechtsakts, namentlich dessen Änderung oder Ergänzung i.S.d. Art. 290 AEUV. Änderung und Ergänzung erfassen jegliche inhaltliche Modifikation des Rahmenrechtsakts. (2) Dogmatischer Hintergrund (a) Die primärrechtliche Ausgestaltung zum Erwerb legislativer Gestaltungsmöglichkeiten Die Erlaubnis zur Gerierung als Quasi-Gesetzgeber findet sich in Art. 290 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV, nach dem es der Kommission gestattet werden kann, nicht wesentliche Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsakts zu ändern oder zu ergänzen. Das Wesentlichkeitsmerkmal ist kein Merkmal des legislativen Ausflusses, sondern die materielle Komponente der Definition der Gesetzgebungsakte, die formal nach Art. 289 Abs. 3 AEUV legal definiert werden als solche Rechtsakte, die von den demokratisch legitimierten Organen, Parlament und Rat, im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren angenommen werden.348 Ausdruck der gesetzgeberischen Gestaltungskompetenz der Kommission ist also allein die Möglichkeit, einen Gesetzesakt zu ändern oder zu ergänzen, Art. 290 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV. Das bedeutet, dass die Kommission ihre Durchführungsrechtsetzungsbefugnisse immer 348 So auch Hummer, in: Busek/Hummer, Die Konstitutionalisierung der Verbandsgewalt in der (neuen) Europäischen Union, S. 37; Greiner, Die Reform der Komitologie durch den Vertrag von Lissabon, Diss., 2018, S. 80.

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dann überschreitet, wenn sie den Basisrechtsakt ändert oder ergänzt i.S.d. Art. 290 AEUV. Unerheblich muss hierbei sein, wie bedeutend oder umfangreich die Änderung oder Ergänzung ist, denn jede Änderung oder Ergänzung ist gesetzgeberisches Gebärden, zu dem die Kommission im Rahmen der Befugniserteilung zur Durchführungsrechtsetzung nicht ermächtigt worden war. Ebenso merkt der EuGH an, dass die Kommission im Rahmen ihrer Durchführungsrechtsetzung den Basisrechtsakt „weder ändern noch ergänzen kann, auch nicht in seinen nicht wesentlichen Teilen.“349 Ein Durchführungsrechtsakt könne den Inhalt des betreffenden Basisrechtsakts nur „präzisieren“350. Ein Durchführungsrechtsakt präzisiert seinen Rahmenrechtsakt, „wenn die Bestimmungen des Durchführungsrechtsakts […] [den Basisrechtsakt] nicht ergänzen oder ändern.“351 (b) Teleologische Erwägungen Zum selben Ergebnis gelangt man auch, wenn man nicht nur mit der deutlichen Mehrheit der Literaturstimmen352, sondern auch mit der Kommission353 davon ausgeht, dass sich die Anwendungsbereiche der Durchführungsrechtsetzung und der delegierten Rechtsetzung trennscharf voneinander abgrenzen lassen (müssen) und sich gegenseitig ausschließen; also insbesondere kein Überschneidungsbereich 349 EuGH, Urteil v. 16. 7. 2015, Kommission/Parlament und Rat, C-88/14, EU:C:2015:499, Rn. 31; EuGH, Urteil v. 15. 10. 2014, Parlament/Kommission, C-65/13, EU:C:2014:2289, Rn. 45. Siehe auch EuGH, Urteil v. 18. 3. 2014, Kommission/Parlament und Rat, C-427/12, EU:C:2014:170, Rn. 40. 350 EuGH, Urteil v. 15. 10. 2014, Parlament/Kommission, C-65/13, EU:C:2014:2289, Rn. 43. 351 EuGH, Urteil v. 15. 10. 2014, Parlament/Kommission, C-65/13, EU:C:2014:2289, Rn. 46. 352 F. Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 290 AEUV Rn. 10; Peers/Costa, ELJ 2012, 427, 441; Sydow, JZ 2012, 157, 159 f.; Scharf, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht: Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, S. 21; Gundel, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/ AEUV, Art. 291 AEUV Rn. 9; Schlacke, JöR 2013, 293, 313, 317; Möstl in DVBl. 2011, S. 1081; etwas missverständlich Wolfram, cep-Studie, Abgeleitete Rechtsetzung durch Komitologieverfahren in der EU, S. 17, der anführt, dass zwar die Begrifflichkeiten in keinem logischen Gegensatzverhältnis stehen, jedoch auch klarstellt, dass die Durchführung „kein Gegenstand delegierter Rechtsetzung sein kann“; Driessen, ELR 2010, 837, 845; Hofmann/ Türk, ZG 2012, 105, 113 ff.; Kröll, ZÖR 2011, 253, 267. Andere Ansicht: BT-Drs. 15/4900, S. 262; Schusterschitz, in: Eilmansberger/Griller/Obwexer, Rechtsfragen der Implementierung des Vertrages von Lissabon, S. 232 f.; Bast, CML Rev. 2012, 885, 920; Kotzur, in: Geiger/Khan/ Kotzur, EUV/AEUV, Art. 291 AEUV Rn. 3; Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 291 AEUV Rn. 2; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 291 AEUV Rn. 1. 353 So Ziff. 2.2. der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat zur Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, KOM 2009 (673) endg. v. 9. 12. 2009, S. 3; Ziff. 25, 28, 39 ff. der Implementation of the Treaty of Lisbon, Delegated Acts: Guidelines for the services of the Commission, SEC(2011) 855.

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beider Rechtsaktformen durch das „Bindeglied“ der Zugriffsart „Ergänzung“ i.S.d. Art. 290 AEUV besteht.354 Prägnantestes Argument für eine solche „saubere“ Abgrenzung ist die Problematik der Umgehung der unterschiedlichen Kontrollregime der exekutiven Rechtsetzungsarten bei einem überlappenden Anwendungsbereich und damit einhergehender Wahlmöglichkeit des Gesetzgebers.355 Darüber hinaus kann die These der ausschließlichen Anwendungsbereiche systematisch, grammatikalisch und teleologisch gestützt werden. Die Regelungen enthalten zwei unterschiedliche Begrifflichkeiten, die in zwei separaten primärrechtlichen Normen kodifiziert sind. Auch Sinn und Zweck der Vorschriften sind verschieden. Im Falle delegierter Rechtsetzung soll die Kommission zur Entlastung von Parlament und Rat an ihrer Stelle als „Gesetzgeber zweiter Klasse“ tätig werden, während die Kommission im Rahmen des Art. 291 AEUV zur Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Durchführung der unionalen Rechtsakte ermächtigt wird.356 Der Kommission, die wegen des Bedürfnisses einheitlicher Bedingungen als Gesamtheit der Mitgliedstaaten tätig wird, können in dieser Funktion keine legislativen Kompetenzen des EU Gesetzgebers zustehen, da die Mitgliedstaaten diese Befugnisse/Hoheitsrechte an die EU übertragen haben.357 Merkmal der delegierten Rechtsetzung ist das Ändern und Ergänzen und kennzeichnet die delegierte Rechtsetzung als quasi-legislative Tätigkeit der Kommission. Damit stellt es auch das Abgrenzungskriterium zur Durchführungsrechtsetzung dar. Dem ist hinsichtlich der Begrenzung des Anwendungsbereiches der Durchführungsrechtsetzung in Richtung quasi-legislative Tätigkeit durchaus zuzustimmen und wird durch den Befund der Praxis untermauert. Ebenso lässt auch der EuGH in seiner Rechtsprechung erkennen, dass er eine Abgrenzung anhand des Merkmals des Änderns und Ergänzens vornimmt, wenn er urteilt, dass „sich aus Art. 290 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 291 Abs. 2 AEUV [ergibt], dass die Kommission bei der Ausübung einer Durchführungsbefugnis den Gesetzgebungsakt weder ändern noch ergänzen kann […].“358 Die delegierte Rechtsetzung wird hierdurch von der 354 Siehe auch Cruz Villalón, Schlussanträge v. 19. 12. 2013, Kommission/Parlament und Rat, C-427/12, EU:C:2013:871, Rn. 53: „[…] der Sinn und Zweck dieser ,Durchführungsrechtsakte‘ [kann] kaum mit dem der ebenfalls von der Kommission erlassenen und weiter oben besprochenen ,delegierten‘ Rechtsakte verwechselt werden“. 355 Sydow, JZ 2012, 157, 159. Siehe hierzu auch Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 125 ff. 356 So auch Schlacke, JöR 2013, 293, 313; Möstl, DVBL 2011, 1076, 181. 357 Für Deutschland siehe etwa Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 23 GG Rn. 61 ff.; Heintschel von Heinegg/Frau, in: Epping/Hillgruber, BeckOK Grundgesetz, Art. 23 GG Rn. 21 ff.; Rathke, in: v. Arnauld/Hufeld, Systematischer Kommentar zu den Lissabon-Begleitgesetzen, § 7 Rn. 22 ff.; Streinz, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 23 GG Rn. 54 ff. 358 EuGH, Urteil v. 16. 7. 2015, Kommission/Parlament und Rat, C-88/14, EU:C:2015:499, Rn. 31; EuGH, Urteil v. 15. 10. 2014, Parlament/Kommission, C-65/13, EU:C:2014:2289, Rn. 45. Vgl. auch EuGH, Urteil v. 15. 10. 2014, Parlament/Kommission, C-65/13, EU:C:2014:2289, Rn. 46.

234 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

Durchführungsrechtsetzung abgegrenzt, aber nicht umgekehrt. Allein aus Sicht der inhaltlichen Leistungsfähigkeit der delegierten Rechtsetzung als abgeleitete Gesetzgeberbefugnis erscheint eine umgekehrte Abgrenzung auch nicht zwingend. Es ist kein auf die Leistungsfähigkeit bezogener Grund ersichtlich, weshalb die delegierte Rechtsetzung nicht leisten kann, wozu die Durchführung imstande ist. Ob die delegierte Rechtsetzung die Durchführungsrechtsetzung tatsächlich in inhaltlicher Hinsicht ersetzen kann, soll an dieser Stelle noch nicht beantwortet werden.359 Relevant ist zunächst einmal nur, dass die Durchführungsrechtsetzung nicht leisten kann, wozu die delegierte Rechtsetzung imstande ist. Somit liegt nicht nur der Unterschied zwischen delegierter Rechtsetzung und Durchführungsrechtsetzung im Merkmal des Änderns und Ergänzens, es ist auch das entscheidende Abgrenzungskriterium, sogar mehr noch: Es ist darüber hinaus, wie auch der EuGH erkennt, Definitionshilfe für den Begriff der Durchführung. Der Anwendungsbereich des Art. 291 AEUV und damit der Inhalt der Durchführung wird maßgeblich durch Art. 290 AEUV bestimmt.360 cc) Zwischenergebnis zur Leistungsfähigkeit der Durchführungsrechtsetzung Die Kommission überschreitet die Grenze der inhaltlichen Leistungsfähigkeit der Durchführungsrechtsetzung immer dann, wenn sie mit dem Erlass des Durchführungsrechtsakts einen inhaltlichen Zugriff auf den ermächtigenden Basisrechtsakt vornimmt. Die Frage, die zur Bestimmung der materiellen Grenze der Durchführungsrechtsetzung beantwortet werden muss, ist also, wann der Durchführungsrechtsakt auf den Inhalt des Rahmenrechtsakts modifizierend einwirkt. Ein inhaltlicher Zugriff liegt immer dann vor, wenn der Regelungsgehalt des Basisrechtsakts durch Erlass des Durchführungsakts verändert wird, indem bereits bestehende Regelungen inhaltlich verändert oder zusätzliche materielle Regeln geschaffen werden. Rechtsnormen enthalten grundsätzlich einen Normbefehl, der sich aus Tatbestand und Rechtsfolge zusammensetzt (konditionales Recht). Eine Veränderung von materiellem Recht durch den exekutiven Rechtsakt ist demnach immer dann zu bejahen, wenn hierdurch Tatbestand oder Rechtsfolge der Regelungen des Basisrechtsakts (inhaltlich) modifiziert werden. Eine Neuschaffung wird immer dann zu bejahen sein, wenn durch den kommissionellen Rechtsakt weitere als die im Basisrechtsakt geregelten Tatbestände und Rechtsfolgen geschaffen werden. Eine handhabbare Methode bzw. Hilfestellung zur Beantwortung der Frage, ob die Kommission inhaltlich tätig geworden ist oder den Basisrechtsakt lediglich „präzisiert“ hat, bieten die Guidelines der Kommission. Immer wenn die Kommission in ihrem Durchführungsrechtsakt bestimmt, „was“ die betroffenen Rechtssubjekte tun müssen, überschreitet sie die inhaltliche Leistungsfähigkeit der 359

Siehe hierzu unten unter A. II. 2. b) ee) (2). EuGH, Urteil v. 18. 3. 2014, Kommission/Parlament und EU:C:2014:170, Rn. 35. Siehe hierzu auch sogleich unter A. II. 2. b) ee). 360

Rat,

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Durchführungsrechtsetzung und damit automatisch ihre Kompetenzen, ganz gleich wie die konkrete Ermächtigung ausgestaltet ist. Wenn sie allerdings lediglich regelt, „wie“ sich die Betroffenen zur Erfüllung der durch den Basisrechtsakt auferlegten Verpflichtungen zu verhalten haben, bewegt sie sich grundsätzlich im Bereich der möglichen Regelungsfähigkeiten der Durchführungsrechtsetzung. Eine Überschreitung ist dann allerdings wegen der konkreten Ausgestaltung der Ermächtigungsgrundlage natürlich nicht ausgeschlossen, sondern dann Frage des Einzelfalls. Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Gesetzgebung werden sich nicht vermeiden lassen. Deshalb hat der EuGH dem Gesetzgeber wohl bei der Auswahl der zutreffenden Rechtsetzungsart einen gewissen Ermessensspielraum zugebilligt und prüft lediglich, ob offensichtliche Beurteilungsfehler bei der Wahl der kommissionellen Ausgestaltungsform vorliegen.361 Ein solcher Spielraum des Gesetzgebers erscheint zwar aus praktischen Gründen sinnvoll, aus den genannten Gründen, die zum Erfordernis einer klaren Abgrenzung vorgebracht wurden, jedoch bedenklich.362 Der zugebilligte Ermessensspielraum ändert allerdings nichts an den hier gefundenen Grenzen der Durchführungsrechtsetzung, da die Wahl der Rechtsetzungsart nur die Art des Verfahrens festlegt, nicht aber seinen Inhalt über die Grenzen des Primärrechts hinaus ausdehnen kann.363 Anders gesagt: Hat der Gesetzgeber seine Wahl getroffen, kann sich die Kommission nur noch innerhalb der Grenzen der gewählten Durchführungsform bewegen, auch wenn eine andere Wahl des Gesetzgebers möglich gewesen wäre. Und diese Rechtsetzungsarten überschneiden sich nicht. Ein inhaltlicher Zugriff mittels Durchführungsrechtsakten ist allerdings dann möglich, wenn das Ziel des inhaltlichen Zugriffs selbst ein Durchführungsrechtsakt ist, der aufgrund derselben Ermächtigungsgrundlage erlassen wurde. Wie auch bei der delegierten Rechtsetzung (ergänzender delegierter Rechtsakt) spricht nichts gegen eine solch weitgehende Einwirkungsmöglichkeit, da der so modifizierte Durchführungsrechtsakt in der Form, die er durch die Einwirkung erhält, auch direkt hätte erlassen werden können. Selbst eine Aufhebung durch einen entsprechenden Durchführungsrechtsakt führt zu keiner Modifikation des Basisrechtsakts durch Verlust der aufgehobenen Regelungsmaterie, da der aufgehobene Durchführungsrechtsakt den Basisrechtsakt inhaltlich nicht modifizierte. dd) Die formelle Leistungsfähigkeit der Durchführung Zwar will sich die Untersuchung mit der inhaltlichen Reichweite der Rechtsetzungskompetenzen der am Lamfalussyverfahren Beteiligten auseinandersetzen, 361 EuGH, Urteil v. 18. 3. 2014, Kommission/Parlament EU:C:2014:170, Rn. 40. 362 Siehe hierzu aber unten unter A. II. 3. 363 Siehe hierzu unten unter A. II. 3.

und

Rat,

C-427/12,

236 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

dennoch soll kurz, wie auch bei Untersuchung der delegierten Rechtsetzung, auf die formelle Leistungsfähigkeit der Rechtsetzungsart eingegangen werden. Die Analyse der Rechtsetzungspraxis ergab, dass Durchführungsrechtsakte grundsätzlich nicht dazu genutzt werden, den Basisrechtsakt formell zu modifizieren, es sei denn, es handelt sich beim Zielrechtsakt um einen Durchführungsrechtsakt. Im altem Regime diente das Regelungsverfahren dazu, Durchführungsrechtsakte anzupassen oder zu aktualisieren, was jedoch im Schaffungsprozess des Regelungsverfahrens mit Kontrolle ursprünglich und auch zutreffend diesem zugewiesen sein sollte. Dies bedeutete allerdings nicht nur einen formellen, sondern auch immer einen materiellen Zugriff auf den Bestand des Basisrechtsakts. Ein inhaltlicher Zugriff kann allerdings durch Durchführung nicht erfolgen, sodass die Anpassung oder Aktualisierung von Anhängen oder des Basisrechtsakts selbst nach Lissabonner Regime durch delegierte Rechtsetzung erfolgt, genauer durch ändernden delegierten Rechtsakt. Eine Aktualisierung oder Anpassung ist demnach also nicht mehr durch Durchführungsrechtsakt möglich. Dies lässt jedoch die Frage aufkommen, ob im Wege der Durchführungsrechtsetzung nicht dennoch formelle Modifikationen möglich sind, sofern sie keine inhaltlichen Veränderungen vornehmen oder ob hiergegen zwingende Gründe sprechen. Nach der hier vertretenen Ansicht von der Leistungsfähigkeit der Rechtsetzungsarten könnte die Durchführungsrechtsetzung einen solchen alleinigen formellen Zugriff allerdings grundsätzlich leisten. Ob allerdings nun doch formelle Änderungen des Basisrechtsakts denkbar sind, die den Inhalt des Basisrechtsakts unangetastet lassen und dennoch als Durchführung bezeichnet werden können bzw. deren Anwendungsvoraussetzung erfüllen, erscheint schwer vorstellbar, sodass man tatsächlich zu dem Ergebnis gelangt, dass die Durchführungsrechtsetzung nicht nur in inhaltlicher, sondern auch in formeller Hinsicht nicht auf den Basisrechtsakt einwirken kann. Endlich sei noch angemerkt, dass nach dem hier vertretenen Verständnis von der (inhaltlichen) Leistungsfähigkeit der Durchführung eine Erwähnung des Wesentlichkeitsvorbehalts in Art. 291 AEUV redundant gewesen wäre. Der Durchführung fehlt es an inhaltlicher Gestaltungsmöglichkeit. Wenn der Gesetzgeber der Kommission im Rahmen der Durchführung jedoch keine Befugnis zum inhaltlichen Zugriff auf den Bestand des Basisrechtsakts gewährt und diese deshalb den Inhalt des Basisrechtsakts nicht modifizieren kann, so ist es für die Kommission unmöglich, Wesentliches zu regeln. Denn wesentliche Fragen sind immer auch und gerade inhaltliche Fragen.

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

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ee) Das Verhältnis von delegierter Rechtsetzung und Durchführungsrechtsetzung Die Frage ist, wie an der vorangegangenen Untersuchung der Grenze der Durchführung ersichtlich wurde, eng mit der Frage der Leistungsfähigkeit verknüpft und soll noch Ungeklärtes beantworten.364 (1) Die horizontale Dimension des Art. 291 AEUV Die Abgrenzung der Anwendungsbereiche der delegierten Rechtsetzung und der Durchführungsrechtsetzung gilt als eines der Kernprobleme der europäischen Rechtsetzungsverfahren.365 Zur Vorgängervorschrift der Artt. 290 und 291 AEUV stellte der EuGH klar, „dass Artikel 202 dritter Gedankenstrich EG zwar die Frage der einheitlichen Umsetzung der Basisrechtsakte des Rates oder des Rates und des Europäischen Parlaments und damit die Aufteilung der Durchführungsbefugnisse zwischen dem Rat und der Kommission regelt, nicht aber die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten.“366 Trotzdem war es natürlich auch nach alter Rechtslage Sache der Mitgliedstaaten, in ihrem Hoheitsgebiet für die Durchführung der Gemeinschaftsregelungen zu sorgen.367 Hinsichtlich des neuen Regelungsregimes liegt jedoch (noch) keine gerichtliche Klärung der Frage vor. Der Wortlaut des Art. 291 AEUV veranlasst jedoch den überwiegenden Teil der Literaturstimmen, anzunehmen, dass Art. 291 AEUV nun auch den Aspekt der vertikalen Kompetenzverteilung enthalte. So bemerkt etwa Nettesheim, dass sich die Organe der EU bei der Tertiärrechtsetzung nach neuem Regime nicht nur in einem horizontalen, EU-verbandsinternen Kräftefeld bewegten, sondern auch eine vertikale Dimension bestehe.368 Manchen Aussagen fehlt es allerdings an Deutlichkeit, wie etwa der von Sydow, der zur neuen Rechtslage und insbesondere zu Art. 291 Abs. 1 AEUV feststellt, dass hierdurch nun die Mitgliedstaaten explizit und nicht nur in allgemeiner Form durch den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verpflichtet 364 Es wurde die These aufgestellt, dass es der delegierten Rechtsetzung eigentlich möglich sein sollte, i.S.d. Art. 291 AEUV durchzuführen. 365 Vgl. Draft Report on follow-up on the delegation of legislative powers and control by Member States oft he Commission’s exercise of implementing powers (2012/2323(INI)), Committee on Legal Affairs, Rapporteur: Jósef Szájer, PE510.803v 01-00, S. 7. So auch Gundel, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 14. 366 EuGH, Urteil v. 18. 1. 2005, Kommission/Rat, C-257/01, EU:C:2005:25, Rn. 66. Dies entsprach auch der Ansicht der Literaturstimmen, Lenaerts/Verhoeven, CML Rev. 2000, 645, 654; Bradley, in: FS Bieber 2007, S. 288 f. 367 Siehe nur EuGH, Urteil v. 21. 9. 1983, Deutsche Milchkontor/BRD, verb. Rs. C-205 bis 215/82, EU:C:1983:223, Rn. 17; Urteil v. 7. 7. 1987, Étoile commerciale und CNTA/Kommission, verb. Rs. C-89 und 91/86, EU:C:1987:337, Rn. 11; Urteil v. 23. 11. 1995, Nutral/ Kommission, C-476/93 P, EU:C:1995:401, Rn. 14; Schütze, CML Rev. 2010, 1385, 1392 ff. 368 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 15.

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seien, alle zur Durchführung erforderlichen Maßnahmen nach innerstaatlichem Recht zu treffen, sodass sich Art. 291 Abs. 1 AEUV insoweit für den Bereich des Gesetzesvollzuges als Spezialausprägung des Grundsatzes loyaler Zusammenarbeit in Art. 4 Abs. 3 EUVerweise.369 Ob und inwieweit Art. 291 AEUV dadurch vertikale Kompetenzabgrenzungsdimensionen zugesprochen werden, kann nicht gesagt werden, da „lediglich“ von einer Verschärfung eines bereits geltenden Prinzips ausgegangen wird. Ebenso bei Kahl, der hinsichtlich des Art. 291 AEUV von einem Übernehmen und Verschärfen des Konzepts des Vollzugsföderalismus spricht.370 Andere sehen in der Klarstellung des Art. 291 Abs. 1 AEUV eine Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips,371 ohne allerdings zu erläutern, was das für konkrete Folgen hat. Es müsste sich für die Annahme einer vertikalen Komponente des Art. 291 AEUV um die Formulierung einer verschärften Form des Subsidiaritätsprinzips handeln. Letztlich kann durch Annahme einer Bezugnahme des Art. 291 AEUV auf den Grundsatz loyaler Zusammenarbeit und/oder auf das Subsidiaritätsprinzip keine vertikale Komponente der Norm abgeleitet werden. Zwar ist es zutreffend, dass einige Beteiligte im Rahmen des Europäischen Konvents bei der Erarbeitung der Vorgängervorschriften forderten, die grundsätzliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten deutlicher im Primärrecht zu formulieren.372 Bei solchen Formulierungswünschen klang allerdings oft die Angst einer „Einbahnstraße des Kompetenztransfers nach Europa“373 mit. So forderte allein Kaufmann, den Abs. 1 zu streichen. Dieser sei missverständlich, weil nicht der Grundsatz formuliert werden solle, wonach die Zuständigkeit für die Durchführung der Rechtsakte bei den Mitgliedstaaten liege. Vielmehr werde die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit kon-

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Sydow, JZ 2012, 157, 159. Kahl, Der Staat 2011, 353, 353. 371 Ruffert, in: Calliess, Verfassung der Europäischen Union, Art. I-37 Rn. 2; Edenharter in DÖV 2011, S. 647 f. 372 So forderte Laeken die Vertragsautoren auf, die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Union und Mitgliedstaaten zu verdeutlichen, vgl. Schröder in JZ 2004, S. 8 und Calliess, in: FS Fischer 2004, S. 20 ff. Siehe etwa auch den Änderungsvorschlag von Joachim Wuermeling und Peter Altmaier, die Formulierungen vorschlugen, die die grundsätzliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten stärker zum Ausdruck bringen sollten und eine Übertragung an die Organe der EU die Ausnahme zu diesem Grundsatz darstelle. Mit gleicher Intention forderte Erwin Teufel die Aufnahme des Zusatzes „ausnahmsweise“ in Abs. 2 der Norm. Ebenfalls wurde von einer Vielzahl der Beteiligten (Brok; Almeida; Garret; Alonso; Altmaier; Azevedo; Basile; Brejc; Cisneros; Cushnahan; Dolores; Fogler; Fredo; Giannakou; Kauppi; Kelami; Kelemen; Korhonen; Krasts; Kroupa; Kutzkova; Lamassoure; Lennmarker; Leouiller; MaijWeggen; Mladenov; Nazarepereira; Piks; Rack; Santer; Stylianidis; Szajer; Tajani; Teufel; van der Linden; van Dijk; Wittbrodt; Zile) die Aufnahme einer ausdrückliche Bezugnahme auf das Subsidiaritätsprinzip in den Wortlaut der Norm gefordert. Alle Änderungsvorschläge sind abrufbar unter http://european-convention.europa.eu/DE/amendments/amendments89b9.html? content=28&lang=DE (zuletzt abgerufen am 30. 4. 2020). 373 So Erwin Teufel beim Konvent und ebenfalls in der Bundesstaatskommission, vgl. unter http://www.bpb.de/apuz/29341/foederalismusreform-und-europapolitik?p=all (zuletzt abgerufen am 30. 4. 2020). 370

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

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kretisiert, wie sie bereits in Art. 9 Abs. 4 geregelt sei.374 Offensichtlich konnte sich keine der beiden Antragsarten durchsetzen. So wurde die Intention der Vorschrift in keine der beiden unterschiedlichen Richtungen verdeutlicht und man übernahm letztlich den Wortlaut der Vorgängervorschrift, die sich auf die horizontale Ebene beschränkte. Zutreffend bemerkt Stelkens, dass es wenig wahrscheinlich ist, dass man mit dem Vertrag von Lissabon die bisher geltende Vollzugsstruktur so grundlegend hätte ändern wollen, was einer Missachtung des bisher erreichten Acquis Communtaire gleichkäme.375 Auch schon in der alten Rechtslage ergab sich durch Art. 10 EGV eine Verpflichtung, aber keine vertikale Kompetenzzuweisung der Mitgliedstaaten zur Durchführung.376 Was nun die Kodifizierung der Loyalitätspflicht der Union in Art. 4 Abs. 3 EUV, neben der bereits in Art. 10 EGV aufgeführten Loyalitätspflicht der Mitgliedstaaten, daran ändern sollte, ist nicht ersichtlich, da sie schon (teilweise) durch Art. 6 Abs. 3 EUV a.F. geregelt wurde.377 Die Ansicht von Kröll ist hinsichtlich der vertikalen Bedeutung von Art. 291 AEUV, im Gegensatz zu den bereits genannten Ansichten, allerdings eindeutig, wenn er schreibt, dass die Aussage des Art. 291 Abs. 1 AEUV, dass die Mitgliedstaaten alle zur Durchführung des Unionsrechts erforderlichen innerstaatlichen Maßnahmen ergreifen, der bisherigen Rechtslage entspreche, sich jedoch aus der systematischen Zusammenschau der Absätze 1 und 2 ergebe, dass die Norm die vertikale Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten betreffe.378 Mit der Aussage von Möllers und von Achenbach hingegen, dass Art. 291 AEUV die Durchführung zum Regelfall mache,379 kann entweder eine Widergabe der alten Rechtslage oder aber das Hinzukommen einer vertikalen Dimension durch das neue Regime gemeint sein. Gaitzsch ist der Ansicht, dass Art. 290 AEUV in erster Linie „demokratische“ und Art. 291 AEUV „föderale“ Werte thematisiere, die Durchführungsnormsetzung die vertikale Beziehung zwischen Union und Mitgliedstaaten betreffe.380 Schütze geht noch weiter und nimmt an, dass es nicht im Ermessen der Europäischen Union liege, die Durchführungsbefugnisse auszuüben, sondern nur dann eine Durchführung durch die Kommission in Betracht käme, wenn die Mitgliedstaaten das europäische Recht nicht in einheitlicher Weise umsetzen (können).381 Er geht allerdings davon aus, dass dies nötig sei, um ein Überlappen der 374 Der Antrag ist abrufbar unter http://european-convention.europa.eu/docs/Treaty/pdf/28/ Art28KaufmannDE.pdf (zuletzt abgerufen am 30. 4. 2020). 375 Stelkens, EuR 2012, 511, 531. 376 Lenaerts/Verhoeven, CML Rev. 2000, 645, 653 f. 377 Hierzu Streinz, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 10 EGV Rn. 6; Streinz, in: Streinz, EUV/ AEUV, 3. Aufl., Art. 4 EUV Rn. 2, 4. 378 Kröll, Artikel 290 und 291 AEUV, 2011, S. 204. So wohl auch Ohler, ZVglRWiss 118 (2017), 163, 170; Möstl, DVBL 2011, 1076, 1081; Scharf, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht: Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, S. 20. 379 Möllers/von Achenbach, EuR 2011, 39, 44. 380 Gaitzsch, Tertiärnormsetzung in der Europäischen Union, Diss., 2014, S. 294. 381 Schütze, CML Rev. 2010, 1385, 1397 ff.

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Anwendungsbereiche von Art. 290 und Art. 291 AEUV zu vermeiden, da der Gesetzgeber seiner Ansicht nach die freie Auswahl zwischen den Rechtsetzungsarten habe. Haselmann vertritt wohl das am weitestgehende Konzept vertikaler Gewaltenteilung. Hiernach liege grundsätzlich die alleinige Kompetenz zur Durchführung bei den Mitgliedstaaten, weshalb eine Übertragung ausscheide, wenn das Erfordernis der Schaffung einheitlicher Bedingungen fehle.382 Eine solche Sichtweise sei auch schon der Entstehungsgeschichte zu entnehmen.383 Der geschichtliche Befund ist jedoch, wie bereits gezeigt, tatsächlich nicht eindeutig und stützt eher die gegenteilige Annahme. Haselmann ist darüber hinaus der Ansicht, dass sich bereits aus Art. 2 Abs. 1 AEUV ergebe, dass schon der Bereich ausschließlicher Unionskompetenz nicht den gesamten Sachbereich erfasse, sondern diesen Sachbereich minus der Durchführung.384 So verwundert es allerdings, dass im Widerspruch hierzu an anderer Stelle davon ausgegangen wird, dass der Basisrechtsakt und damit der europäische Gesetzgeber selbst die Durchführung regeln könne.385 Ebenso vermag die Schlussfolgerung von Haselmann nicht zu überzeugen, dass nicht nur Art. 291 Abs. 1 AEUV verbandskompetentielle Bedeutung zukomme, sondern ebenso auch seinem Abs. 2, der für den Bereich der Durchführung eine begrenzte Einzelermächtigung darstelle. So gehe es bei Art. 291 AEUV, anders als bei Art. 290 AEUV, nicht um eine Übertragung, sondern um eine durch den Basisrechtsakt vorgenommene Aktivierung einer nur ausnahmsweise bestehenden Verbandskompetenz der Union.386 Auch hier sei zunächst wieder auf den Widerspruch mit der Annahme, dass der Gesetzgeber Durchführungsmaterie im Basisrechtsakt auch selbst regeln könnte, hingewiesen. Zu Recht stellt Kollmeyer hierzu fest, dass der europäische Gesetzgeber über das Bestehen einer Verbandskompetenz nicht in einem Gesetzgebungsakt in Form einer „Aktivierung“ entscheiden könne.387 Nun sei noch zum Wortlautargument Stellung bezogen. Es wird von Haselmann nicht bestritten, dass Durchführung i.S.d. Art. 202 EGV nur Durchführung durch die Union bedeutete, sodass Durchführungsbefugnisse damit nach altem Recht Bestandteil der Verbandskompetenzen der Union waren.388 Rechtsdogmatisch und aus der Sicht der Mitgliedstaaten müsse die Durchführung als (quasi-)legislative Tä382 Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, Diss., 2012, S. 154. 383 Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, Diss., 2012, 154 ff. 384 Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, Diss., 2012, S. 157. 385 Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, Diss., 2012, S. 194, 231. 386 Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, Diss., 2012, S. 205. 387 Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 190. 388 Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, Diss., 2012, S. 170.

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

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tigkeit angesehen werden.389 Erst der dieser Durchführungsrechtsetzung nachfolgende Konkretisierungsschritt sei dann der eigentliche Vollzug des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten gewesen, der teilweise ebenfalls als Durchführung bezeichnet wurde. Nach Ansicht von Haselmann scheide jedoch eine solche unterschiedliche Auslegung des Begriffes „Durchführung“ nach dem Vertrag von Lissabon aus; der identische Begriff der Durchführung werde sowohl für unionale (Art. 291 Abs. 2 AEUV) als auch für mitgliedstaatliche Maßnahmen (Art. 291 Abs. 1 AEUV) verwendet.390 Die französische Sprachfassung differenziert hier allerdings, indem der mitgliedstaatliche Vollzug in Art. 291 Abs. 1 AEUV als „mise en œuvre“, die unionalen Normsetzungsbefugnisse der Kommission in Abs. 2 AEUV hingegen als „compétences d’exécution“ bezeichnet werden.391 Auch in dogmatischer Hinsicht kann mit dem Begriff der Durchführung in Art. 291 Abs. 1 und 2 AEUV nicht dasselbe gemeint sein, da es den Mitgliedstaaten bei ihrer Durchführung nicht möglich ist, auf die Handlungsformen des Art. 288 AEUV zurückzugreifen, derer sich die Kommission bei „ihrer“ Durchführung bedient.392 Die Nutzung der unionalen Handlungsformen kann und wird allein auf Grundlage der primärrechtlichen Kompetenzgrundlagen übertragen,393 sodass in dieser Hinsicht doch von einer Delegation gesprochen werden kann und nicht nur von der „Aktivierung“ einer ausnahmsweise bestehenden Verbandskompetenz. In dieser Hinsicht ist es nicht nur möglich und wahrscheinlich, dass mit dem Begriff der Durchführung in Art. 291 Abs. 1 und 2 AEUV Unterschiedliches gemeint ist, sondern sogar zwingend. Zuletzt sprechen noch systematische Argumente gegen eine Verfahrensautonomie der Mietgliedstaaten als „verschärfte Form der Subsidiarität“. Würde die Norm tatsächlich Fragen vertikaler Kompetenzverteilung regeln, wäre eine Platzierung an zentraler Stelle zu erwarten gewesen.394 Zumindest wäre die Regelung des Art. 291 AEUV mit Aussagen zur Einschränkung der Gesetzgebungsbefugnisse an systematisch falscher Stelle normiert.395 Mag es andere Wünsche hinsichtlich der kompetentiellen Funktion von Art. 291 AEUV gegeben haben, so ist letztlich doch mit dem Wortlaut der Vorgängervor-

389 Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, Diss., 2012, S. 169. 390 Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, Diss., 2012, S. 170. 391 Zur Ambiguität des englischen Begriffes siehe Craig, EU Administrative Law, S. 127. 392 Zutreffend Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 190. 393 Kollmeyer, Delegierte Rechtsetzung in der EU, Diss., 2015, S. 190. 394 Gundel, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, Art. 291 AEUV Rn. 5; Krönke, Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten, Diss., 2013, S. 63 ff. 395 Gundel, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, Art. 291 AEUV Rn. 5; Krönke, Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten, Diss., 2013, S. 65 ff.

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schrift auch seine Funktion übernommen worden.396 Es sprechen zwingende Gründe für die Ablehnung der Norm in ihrer Bedeutung als Instrument zur vertikalen Kompetenzabgrenzung und damit für ein Verständnis der Regelung in der Kontinuität des EU-Rechts. So vollziehen grundsätzlich die Mitgliedstaaten das EURecht, solange nicht der europäische Gesetzgeber unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips einen Vollzug auf supranationaler Ebene vorsieht.397 (2) Konsequenzen für die Normsetzung der Kommission im Lamfalussyprozess Wenn nun aber die Durchführung nicht die vertikale Gewaltenteilung betrifft, respektive den Mitgliedstaaten die Durchführung nicht als Verbandskompetenz zugewiesen ist, besteht keine Pflicht zur Übertragung von Durchführungsbefugnissen auf die Kommission bei Vorliegen des Bedürfnisses nach einheitlichen Bedingungen.398 Damit verbleibt dem Gesetzgeber selbst die Möglichkeit, Regelungen zu treffen, zu deren Erlass er auch die Kommission im Wege der Durchführung hätte ermächtigen können. Der Gesetzgeber kann allerdings auch im Wege der Ermächtigung zum Erlass delegierter Rechtsakte die Kommission bestimmen, an seiner statt tätig zu werden. Hieraus folgt, dass die Kommission auch durch die Befugniserteilung zur delegierten Rechtsetzung Aufgaben der Durchführung wahrnehmen kann. In inhaltlicher Sicht ergeben sich hierbei keine Bedenken, da die inhaltlichen Grenzen der delegierten Rechtsetzung deutlich weiter sind, als die der Durchführungsrechtsetzung und deren inhaltliche Möglichkeit mitumfassen. Anders gesagt: Der delegierte Rechtsakt kann inhaltlich alles das regeln, was auch der Durchführungsrechtsakt regeln kann. Umgekehrt gilt dies allerdings nicht, da der Durchführung als exekutive Normsetzungsart ohne legislative Befugnisse, wie bereits gezeigt, der inhaltliche Zugriff auf seinen Basisrechtsakt versperrt ist. In anderer Hinsicht können natürlich Grenzen hinsichtlich der Durchführung im Rahmen delegierter Befugnisse bestehen. So müssen die erlassenen Maßnahmen nach dem Wortlaut des Art. 290 AEUV stets genereller Natur sein, was den Erlass von Einzelmaßnahmen, anders als im Rahmen der Durchführungsrechtsetzung, nicht möglich macht. Konsequenterweise hat deshalb der Gesetzgeber, wie der EuGH festgestellt hat, „ein Ermessen, wenn er entscheidet, der Kommission eine delegierte Befugnis nach Art. 290 Abs. 1 AEUV oder eine Durchführungsbefugnis nach

396 So wohl auch Streinz/Ohler/Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, § 10 III. 3. König, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, § 2 Rn. 107, spricht im Hinblick auf den Regelungsgehalt des Art. 291 Abs. 1 AEUV von einer deklaratorischen Natur. 397 So auch Gundel, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/ AEUV, Art. 291 AEUV Rn. 5. 398 In dieser Hinsicht zutreffend Stelkens, EuR 2012, 511, 533 und Epiney, NVwZ 2012, 730, 736, die von einem „übertragen werden können“ sprechen. So auch Ruffert, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 2. Andere Ansicht Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 291 AEUV Rn. 12.

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Art. 291 Abs. 2 AEUV zu übertragen.“399 Dies könnte ohne Beachtung der horizontalen Dimension des Art. 291 AEUV zweierlei bedeuten. Zum einen könnte der Gesetzgeber, wenn dies nach den Voraussetzungen möglich ist, wählen, ob er der Kommission delegierte Befugnisse erteilt, obwohl sie letztlich Durchführungstätigkeiten wahrnimmt. Und zum anderen hätte der Gesetzgeber ein Ermessen, ob er sich überhaupt der Kommission zur Ausgestaltung bedient.400 Wenn der Gesetzgeber immer dann Durchführungsbefugnisse übertragen müsste, wenn ein Bedarf nach einheitlichen Bedingungen besteht, dann gäbe es kein Ermessen. Bei Vorliegen eines solchen Bedürfnisses würde die Pflicht bestehen, Durchführungsbefugnisse zu übertragen. Aus eigener Entscheidung und damit mit Ermessen könnte der Gesetzgeber Durchführungsbefugnisse nur anordnen, wenn ein Fall der delegierten Rechtsetzung im Raum stünde. Da allerdings nicht nur nach der hier vertretenen Ansicht, sondern auch nach der Rechtsprechung des EuGH die Durchführungsrechtsetzung nicht imstande ist, die Aufgabe der delegierten Rechtsetzung wahrzunehmen, nämlich das Ändern und Ergänzen seines Basisrechtsakts, wäre der Gesetzgeber in jedem Fall in seiner Entscheidung gebunden und damit ohne Ermessensmöglichkeit. Dies gilt auch, wenn man das Ermessen nach „deutschem Verständnis“ in Entschließungs- und Auswahlermessen einteilt (was das Europarecht allerdings nicht kennt), da der Gesetzgeber bei einer Pflicht zur Übertragung von Durchführungsbefugnissen (Bedürfnis nach einheitlichen Bedingungen) zum einen tätig werden müsste (Entschließungsermessen) und zum anderen die Wahl der Rechtsetzungsart vorbestimmt wäre (Auswahlermessen). Auch die theoretische Möglichkeit der Subdelegation bestätigt die These der potentiell umfänglichen Leistungsfähigkeit der delegierten Rechtsetzung. Wenn ein delegierter Rechtsakt Durchführungsbefugnisse verleihen kann, sein Regelungsgehalt also durchgeführt werden kann, in einer Rechtsetzungsart, die durch Verleihung von Gesetzgebungsbefugnissen zustande kam, hätte der Gesetzgeber von Anfang an alles selbst regeln können, da dieser ja eigene Befugnisse verliehen hatte. Dies hätte dann aber auch die potentielle Durchführung erfasst, zu der im delegierten Rechtsakt ermächtigt worden ist. Allein hinsichtlich der theoretischen inhaltlichen Leistungsfähigkeit der delegierten Rechtsetzung wäre es möglich, sowohl die inhaltliche Ausgestaltung als auch Umsetzung des Basisrechtsakts durch delegierte Rechtsetzung vorzunehmen, sodass die delegierte Rechtsetzung die Durchführungsrechtsetzung in inhaltlicher Hinsicht ersetzen könnte. 399

EuGH, Urteil v. 18. 3. 2014, Kommission/Parlament und Rat, C-427/12, EU:C:2014:170, Rn. 40; Urteil v. 16. 7. 2015, Kommission/Parlament und Rat, C-88/14, EU:C:2015:499, Rn. 28. 400 So auch schon Stelkens, EuR 2012, 511, 533; Epiney, NVwZ 2012, 730, 736. Andere Ansicht Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 291 AEUV, Rn. 12; Gaitzsch, Tertiärnormsetzung in der Europäischen Union, Diss., 2014, S. 95 f., der sich auf das Urteil des EuGH v. 18. 3. 2014, Kommission/Parlament und Rat, C-427/12, EU:C:2014:170, Rn. 33 bezieht, der an dieser Stelle jedoch noch nichts entscheidet, sondern lediglich den Wortlaut der Norm wiedergibt.

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Da sich Art. 291 AEUV jedoch nach der hier vertretenen zutreffenden Ansicht eben nicht mit der Aufteilung der Kompetenzen im Verhältnis zwischen Union und den Mitgliedstaaten befasst, kann die Norm auch weiterhin, wie die Vorgängervorschrift des Art. 202 EGV, als Instrument zur Organisation innerhalb der EU verstanden werden und damit den Anwendungsbereich der Ermächtigung zur Durchführung i.S.d. Art. 291 AEUV beschreiben. Die Anwendungsbereiche der Normen sind damit im Verhältnis der beiden Rechtsetzungsarten untereinander zu bestimmen und begrenzen einander. Auch der EuGH verfährt bei der Bestimmung der Anwendungsbereiche so, wenn er in seiner Rechtsprechung feststellt, dass „der Begriff des Durchführungsrechtsakts im Sinne von Art. 291 AEUV im Verhältnis zum Begriff des delegierten Akts, wie dieser sich aus Art. 290 AEUV ergibt, zu beurteilen [ist].“401 Ebenso hat der EuGH bereits unter Geltung des Art. 291 AEUV in der Rechtssache Akzo Nobel Chemicals Ltd und Akcros Chemicals Ltd deutlich gemacht, dass der Grundsatz der Verfahrensautonomie den europäischen Gesetzgeber jedenfalls nicht darin beschränke, Verwaltungsaufgaben auf die Kommission zu übertragen und damit dem Anwendungsbereich des nationalen Rechts und der Mitgliedstaaten zu entziehen.402 Der Durchführungsrechtsetzung verbleibt damit ihr eigener Anwendungsbereich, den die delegierte Rechtsetzung zwar potentiell übernehmen könnte, aber aufgrund der horizontalen Dimension des Art. 291 AEUV nicht übernehmen kann. Die Durchführung setzt der delegierten Rechtsetzung Schranken im Umfang ihres eigenen Leistungspotentials. 3. Endergebnis zur inhaltlichen Leistungsfähigkeit der Durchführungsrechtsetzung und deren Abgrenzung zur delegierten Rechtsetzung Delegierte Rechtsetzung ist (quasi-)legislatives Wirken der Kommission und inhaltliches Einwirken auf den Basisrechtsakt. Durchführungsrechtsetzung ist Umsetzung durch Präzisierung und Anwendbarmachen des Inhalts ohne inhaltliche Modifikation des Rahmenrechtsakts. Delegierte Rechtsetzung könnte zwar, wie bereits festgestellt, in inhaltlicher Hinsicht Aufgaben der Durchführung wahrnehmen, die horizontale Dimension von Art. 291 AEUV verbietet es allerdings der delegierten Rechtsetzung in den Anwendungsbereich der Durchführung einzugreifen. Der Anwendungsbereich der delegierten Rechtsetzung ist damit das inhaltliche Einwirken auf den Bestand des Basisrechtsakts (und sei es nur in dessen Anhängen), während in den Aufgabenbereich der Durchführung die Präzisierung oder Anwendung von Rechtsvorschriften des Rahmenrechtsakts ohne dessen inhaltliche Modifizierung fallen. Die Untersuchung hat auch formelle Unterschiede feststellen 401 EuGH, Urteil v. 18. 3. 2014, Kommission/Parlament und Rat, C-427/12, EU:C:2014:170, Rn. 34. Siehe auch EuGH, Urteil v. 15. 10. 2014, Parlament/Kommission, C65/13, EU:C:2014:2289, Rn. 45. 402 EuGH, Urteil v. 14. 9. 2010, Akzo Nobel Chemicals Ltd und Akcros Chemicals Ltd/ Kommission, C-550/07 P, EU:C:2010:512, Rn. 109 ff.

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

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können. So kann der delegierte Rechtsakt seinen Basisrechtsakt sowohl formell abändern also auch ohne formelle Änderung inhaltlich beeinflussen, während dem Durchführungsrechtsakt selbst ein formeller Zugriff verwehrt ist. Ebenso ist damit festzuhalten, dass zwar keine Pflicht des Gesetzgebers zur Übertragung von Durchführungsbefugnissen auf die Kommission bei Vorliegen der Voraussetzungen besteht, er also die Durchführung des Basisrechtsakts selbst vornehmen könnte. Wird sich jedoch für eine Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen entschieden und bedarf es keines inhaltlichen Zugriffs, sondern nur der Umsetzung des Basisrechtsakts, muss der Gesetzgeber Durchführungsbefugnisse verleihen und darf nicht zur delegierten Rechtsetzung ermächtigen. Das hier vertretene Konzept führt dann insgesamt dazu, dass die Anwendungsbereiche der jeweiligen Rechtsetzungsarten klar umrissen sind und es zu keinem Überlappen dieser Bereiche kommt. Aus all dem ergibt sich nun auch die „Größe“ des Ermessensspielraumes, den der EuGH dem Gesetzgeber zubilligt und zu dem oben noch ohne Beachtung der horizontalen Dimension des Art. 291 AEUV festgestellt wurde, dass das Ermessen sowohl das „ob“ als auch das „wie“ beinhalten könnte. Diese vorläufige Feststellung muss nun korrigiert werden. Zwar kann sich der ordentliche Gesetzgeber entscheiden, ob er überhaupt Befugnisse exekutiver Normsetzung an die Kommission überträgt, wenn er dies jedoch tut, so muss er sich an die Anwendungsbereiche der kommissionellen Rechtsetzungsarten halten und kann die Umsetzung nicht delegieren. So formuliert der EuGH in der angeführten Rechtsprechung auch zutreffend mit „wenn403 er entscheidet“ und eben nicht „bei der Entscheidung“ und meint damit, um den deutschen Terminus zu gebrauchen, das Entschließungsermessen. In Anbetracht dessen, dass der EuGH die Rechtmäßigkeit eines Rechtsakts der Union anhand der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seines Erlasses beurteilt,404 und des Umstands, dass es Grenzfälle gibt, bei denen während des Gesetzgebungsverfahrens zum Erlass des Rahmenrechtsakts unklar ist, ob die Befugnis zur Durchführung tatsächlich ausreichend ist, um die Ziele des Basisrechtsakts sinnvoll umzusetzen oder ob es unter Umständen doch einer inhaltlichen Zugriffsmöglichkeit bedarf, ist unter dem Gesichtspunkt der Effektivität und Praktikabilität des Verfahrens dem Gericht zuzustimmen, wenn es seine „gerichtliche Kontrolle auf offensichtliche Beurteilungsfehler in Bezug auf die Frage begrenzt, ob der Gesetzgeber zu Recht davon ausgehen konnte, dass […] der rechtliche Rahmen […] zu seiner Umsetzung lediglich einer Präzisierung bedarf, ohne dass er in nicht wesentlichen Teilen zu ändern oder zu ergänzen wäre […].“ Dies stellt auch unter Beachtung der horizontalen Dimension des Art. 291 AEUV kein Problem dar, da in jedem Falle die Kommission für die Normsetzung ermächtigt werden würde. Lediglich hinsichtlich der Umgehung des Kontrollregimes bestehen bei der Gewährung eines Ermessens in 403 Mit derselben Bedeutung in der englischen Fassung „when“ und in der französischen Fassung mit „lorsque“. 404 EuGH, Urteil v. 3. 9. 2015, Inuit Taparit Kanatami u. a./Kommission, C-398/13 P, EU:C:2015:535, Rn. 22 (m.w.N.); EuGH, Urteil v. 11. 5. 2017, Dyson/Kommission, C-44/16, EU:C:2017:357, Rn. 57.

246 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

Grenzbereichen berechtigte Bedenken, zumindest auf den ersten Blick. Allein das Argument, dass es sich um recht wenige Fälle handeln werde, kann natürlich nicht überzeugen.405 Wenn man allerdings der hier vertretenen Auffassung von der horizontalen Dimension des Art. 291 AEUV folgt, führt dies dazu, dass die Problematik deutlich an Gewicht verliert. Der Gesetzgeber könnte, statt die Materie an die Kommission zur Ausgestaltung zu verweisen, diese auch gänzlich selbst regeln. Das gilt sowohl für die delegierte Rechtsetzung als auch für die Durchführungsrechtsetzung. Da aber gerade bei letzterer nach der hier vertretenen Auffassung keine Pflicht zur Ermächtigung bei Vorliegen der Voraussetzungen besteht, können die Mitgliedstaaten nicht „übergangen werden“, wenn der Gesetzgeber einen (kleinen) Ermessensspielraum inne hat. Wichtig ist deshalb, dass, sobald eine Rechtsetzungsart gewählt ist, diese nicht dazu genutzt werden kann, Befugnisse, die der anderen Rechtsetzungsart zustehen, auszuüben, weil sich die Anwendungsbereiche nicht überschneiden. Die inhaltliche (und auch formelle) Reichweite der beiden Rechtsetzungsarten sind im Vorangegangenen herausgestellt worden, sodass die Anwendungsbereiche selbst handhabbar voneinander abgrenzbar sind. Um nun endlich noch auf den Befund hinsichtlich der Abfallrichtlinie zurückzukommen, kann also gesagt werden, dass es in einem solchen Grenzfall möglich war, der Kommission delegierte Rechtsetzungsbefugnisse zu verleihen. Ebenfalls war es der Kommission inhaltlich möglich, Durchführungsmaterie in einem delegierten Beschluss zu regeln, obwohl aus inhaltlicher Sicht die Übertragung von Durchführungsbefugnissen zum Erlass der gewünschten Normen wohl durchaus genügt hätte. Die Änderung des Gesetzgebers 2018 führte dann doch zu einer klareren Regelung und deckt sich mit der hier vertretenen Auffassung zur inhaltlichen Reichweite der exekutiven Rechtsetzungsarten. Bemerkenswert erscheint abschließend, dass die Kommission bei ihren Feststellungen sowohl zur Leistungsfähigkeit ihrer Rechtsetzungsinstrumente als auch zu deren Abgrenzung zueinander stets zutreffende Feststellungen traf. Die Verwunderung schwindet aber, wenn man bedenkt, dass ihr nach Art. 294 Abs. 2 AEUV das Initiativrecht im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zusteht, in dem die Rahmenrechtsakte erlassen werden. Der dem Gesetzgeber unterbreitete Vorschlag enthält neben dem eigentlichen Regelungsrahmen ebenso bereits die Regelungen zur Befugnisübertragung, sodass die Kommission in der Praxis ihr eigenes Verständnis der exekutiven Rechtsetzung wiederfindet. So verwundert es ebenso wenig, wenn der EuGH bei der Bestimmung der Begriffe auf die Leitlinien der Kommission verweist,406 wenngleich er darum bemüht ist, den Eindruck zu hinterlassen, seine Feststellungen entsprängen einer rein rechtlichen Eigenlogik.

405

So aber in ähnlichem Zusammenhang Stelkens, EUR 2012, 511, 542 f. Vgl. EuGH, Urteil v. 17. 3. 2016, Parlament/Kommission, C-286/14, EU:C:2016:183, Rn. 45. 406

A. Leistungsfähigkeit der kommissionellen Lamfalussyinstrumente

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III. Zusammenfassung zur inhaltlichen Leistungsfähigkeit der kommissionellen Normsetzungsarten unter Berücksichtigung ihres Anwendungsbereichs Delegierte Rechtsetzung ist kommissionelle Ersatzgesetzgebung, Durchführungsrechtsetzung ist dagegen supranationale Umsetzung geltenden Rechts bei Bedürfnis einheitlicher Bedingungen. Bei der delegierten Gesetzgebung kann sich die Kommission als Quasi-Gesetzgeber gerieren und den Basisrechtsakt in inhaltlicher Hinsicht auf jede nur denkbare Art und Weise modifizieren. Alleinige inhaltliche Schranke der delegierten Rechtsetzung bildet der europäische Wesentlichkeitsvorbehalt. Denn nur der Gesetzgeber kann wesentliche Inhalte des Basisrechtsakts selbst regeln. Eine abstrakte Definition der Wesentlichkeit existiert nicht und ist in Ansehung der EuGH-Rechtsprechung (bisher) auch nicht möglich. Wesentlich ist allerdings alles, wodurch die grundsätzliche Ausrichtung der Unionspolitik umgesetzt wird. Es handelt sich um politische Leitentscheidungen für die Durchführung der Gemeinschaftspolitik bzw. für das Funktionieren des Binnenmarkts. Wesentlich sind in der Regel auch solche Fragen, bei denen in die Grundrechte Einzelner eingegriffen werden soll. Eine Befugnisdelegation ist hier jedoch nicht völlig ausgeschlossen, sondern dann möglich, wenn der Gesetzgeber der Kommission im grundrechtsrelevanten Bereich selbst so genaue Vorgaben im Basisrechtsakt gemacht hat, dass diese ihre Befugnisse lediglich in einem klaren, genau definierten Bereich wahrnehmen und anhand der im Basisrechtsakt festgelegten Kriterien den Grundrechtskonflikt lösen kann. Der Inhalt der Wesentlichkeit ist darüber hinaus nicht generell für alle Politikbereiche der Gemeinschaft gleich. Es sind stets die Merkmale und Besonderheiten des betreffenden Sachgebietes zu berücksichtigen, sodass in gewissen Bereichen der inhaltliche Handlungsspielraum des delegierenden Gesetzgebers bzw. der ausgestaltenden Kommission und die Grundrechtsrelevanz in den Hintergrund treten können. Die Intensität des Inhalts des Wesentlichkeitskriteriums ist also bereichsspezifisch. Die Intensität ist umso geringer, je flexibler Gesetzgeber und Kommission im jeweiligen Politikbereich und im konkreten Fall sein müssen, um die Ziele der Union zu verwirklichen. Innerhalb der delegierten Rechtsetzung kann zwischen ändernden delegierten Rechtsakten und ergänzenden delegierten Rechtsakten unterschieden werden. In ihrer inhaltlichen Leistungsfähigkeit gleichen sich die beiden Möglichkeiten zur exekutiven quasi-legislativen Rechtsetzung, in formeller Hinsicht ist der ergänzende delegierte Rechtsakt als gesonderter Rechtsakt zu erlassen, der mit seiner formellen Gestaltungskraft auf diesen gesonderten Rechtsakt beschränkt bleibt (nicht aber mit seiner inhaltlichen Wirkung). Der ändernde delegierte Rechtsakt wird in formeller Hinsicht natürlich ebenfalls als gesonderter Rechtsakt erlassen, entfaltet seine formelle Gestaltungswirkung allerdings innerhalb seines Basisrechtsakts, indem er ihn nicht nur inhaltlich modifiziert, sondern auch dessen Form beeinflussen kann, und sei es auch nur in Bezug auf dessen Anhänge.

248 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

Durchführungsrechtsetzung ist ein inhaltlicher Zugriff auf den Basisrechtsakt gänzlich versperrt, da im Rahmen der Umsetzung des Basisrechtsakts gerade keine Legislativbefugnisse i.S.d. delegierten Rechtsetzung verliehen werden. Durchführung ist Präzisierung ohne jeden inhaltlichen Zugriff. In der Regel beschränkt sich die Tätigkeit der Kommission bei der Durchführung auf das Erstellen von Formblättern, Mustern, dem Einrichten von Informationssystemen oder der Anwendung bzw. Prüfung bereits erlassener Normen. Seine inhaltliche Grenze findet die Durchführung deshalb nicht erst bei der Regelung wesentlicher Inhalte, sondern bereits bei der Änderung oder Ergänzung seines Basisrechtsakts, d. h. also dann, wenn der Basisrechtsakt im Rahmen der Durchführung, gleich in welcher Weise, inhaltlich modifiziert wird, und zwar unabhängig davon, ob von der Modifikation wesentliche oder unwesentliche Teile des Basisrechtsakts betroffen sind. Hinsichtlich der formellen Leistungsfähigkeit gleicht die Durchführung dem ergänzenden delegierten Rechtsakt. Der Durchführungsrechtsakt ist in einem gesonderten Rechtsakt zu erlassen und bleibt mit seinen formellen Gestaltungsmöglichkeiten auf diesen beschränkt. In inhaltlicher Hinsicht kann der Durchführungsrechtsakt allerdings bereits erlassene Durchführungsrechtsakte inhaltlich beeinflussen als wäre er ein delegierter Rechtsakt. Allein in Ansehung der inhaltlichen Leistungsfähigkeit wäre es der delegierten Rechtsetzung durchaus möglich ihren Basisrechtsakt nicht nur legislativ auszugestalten, sondern auch durchzuführen. Denn die Durchführung hätte der Gesetzgeber auch selbst vornehmen und deshalb auch an seiner statt die Kommission dazu ermächtigen können. Die horizontale Dimension des Art. 291 AEUV dient allerdings als Instrument der Abgrenzung gegenüber der delegierten Rechtsetzung. Die Durchführung drängt die viel „potentere“ delegierte Rechtsetzung aus ihrem Anwendungsbereich, sodass delegierte Rechtsetzung nicht leisten kann, was die Durchführungsrechtsetzung zu leisten imstande ist, nämlich verbindliche Rechtsakte umzusetzen. Aus der anderen Sicht ist die Abgrenzung nicht ganz so schwer, denn die Durchführungsrechtsetzung kann naturgemäß gerade das nicht leisten, was die delegierte Rechtsetzung auszeichnet, nämlich inhaltlichen Zugriff. Wenn der Gesetzgeber beschließen sollte, die Kommission zur weiteren Ausgestaltung zu ermächtigen, hat er sich an die Anwendungsbereiche der exekutiven Normsetzungsarten zu halten. Eine Befugnisübertragung ist aber weder in Fällen der inhaltlichen Ausgestaltung noch in Fällen der Umsetzung des Basisrechtsakts zwingend, d. h. der Gesetzgeber entscheidet, ob und was er der Kommission zur Ausgestaltung überlasst. Aus Sicht des Gesetzgebers, der willig ist, Rechtsetzungsbefugnisse zu verleihen, wird nicht immer eindeutig sein, ob es sich bei der von der Kommission gewünschten Tätigkeit um einen Fall delegierter Rechtsetzung oder um bloße Durchführung handelt. Um in diesem System de lege lata die Handhabbarkeit und Praktikabilität zu gewährleisten, wird man der Kommission in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH einen (kleinen) Ermessensspielraum bei der Wahl der Rechtsetzungsart zuerkennen müssen.

B. Möglichkeiten der ESMA zur Rechtsetzung und deren Reichweite

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IV. Rechtsfolgen der Überschreitung der Kompetenz bei der einfachen delegierten Rechtsetzung Ein exekutiver kommissioneller Rechtsakt, der die Grenzen der übertragenen Befugnisse überschreitet, ist ex-tunc und automatisch nichtig.407 Dies muss natürlich ebenso gelten, wenn der Rechtsakt seine natürliche Grenze der Leistungsfähigkeit überschreitet, denn auch hier handelt die Kommission ultra vires. Es bedarf hierzu deshalb auch keiner Feststellung durch den EuGH, der sich allerdings in funktionaler Hinsicht die ausschließliche Befugnis zur Feststellung der Nichtigkeit vorbehält (Verwerfungsmonopol).408

B. Die Möglichkeiten der ESMA zur Rechtsetzung und deren inhaltliche Reichweite Nachdem die inhaltliche Leistungsfähigkeit der kommissionellen Instrumente zur Rechtsetzung besprochen wurde, soll nun im Weiteren die der behördlichen untersucht werden. Dies soll am Beispiel der ESMA erfolgen. Da sich die Verordnungen der europäischen Aufsichtsagenturen in dieser Hinsicht allerdings inhaltlich gleichen, hat die Untersuchung ebenso Geltung für EBA und EIOPA.

I. Die inhaltliche Leistungsfähigkeit der verbindlichen Rechtsetzungsinstrumente der ESMA auf der zweiten Stufe des Lamfalussyverfahrens 1. Die Rechtsetzungskompetenz der ESMA bei der nicht technischen Exekutivnormsetzung der Kommission Bei der einfachen delegierten Rechtsetzung sowie bei der einfachen Durchführungsrechtsetzung muss die ESMA, wie bereits im Rahmen des Verfahrens dargestellt, nicht beteiligt werden.409 Das hindert die Kommission natürlich nicht daran, 407 Ständige Rechtsprechung des EuGH, siehe nur EuGH, Urteil v. 1. 4. 2008, Parlament und Dänemark/Kommission, verb. Rs. C-14/06 und C-295/06, EU:C:2008:176, Rn. 52 ff.; EuGH, Urteil v. 19. 11. 1996, Potugal/Kommission, C-159/96, EU:C:1998:550; Ruffert, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 11; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 57; Gundel, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 11. 408 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 57. 409 Fragen wirft deshalb die Behauptung von Mülbert, ZHR 176 (2012), 369, 375 auf, die ESMA hätte die stärkste Position hinsichtlich der Kommission bei der Durchführungsrechtsetzung, da sie der Kommission hier ihren Willen aufdiktieren könne. Dies ist aber nur beim

250 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

die Behörde um Hilfe zu bitten.410 Die Ratschläge der ESMA sind hierbei allerdings nicht verbindlich und können nur aufgrund ausdrücklicher Aufforderung der Kommission abgegeben werden.411 Allerdings geht von der Möglichkeit eines ersten Entwurfes oder Vorschlags eine große faktische Gestaltungsmacht aus. So hat die Kommission bei der Ausarbeitung „einfacher“ delegierter Rechtsakte zur Konkretisierung der Leerkaufsverordnung412 um Rat gebeten. Die Kommission hat die entsprechenden Vorschläge der ESMA nahezu unverändert übernommen.413 Ebenso wurde die ESMA zur Unterstützung beim Erlass (einfacher) delegierter Rechtsakte und (einfacher) Durchführungsrechtsakte zur Ausgestaltung der Marktmissbrauchsverordnung um Hilfe gebeten.414 Auch die Erfahrung mit der Vorgängerbehörde der ESMA, die im Bereich der Durchführung ebenfalls ein unverbindliches Vorschlagsrecht hatte, hat gezeigt, dass sich die Letztentscheidungskompetenz der Kommission auf ein bloßes Abnicken beschränkt hatte.415 Aufgrund der völligen Unverbindlichkeit solcher von der Kommission geforderten Ratschläge der ESA kann allerdings weder von einer mittelbaren noch von einer Quasi-Rechtsetzungsbefugnis gesprochen werden, sondern allenfalls von einer großen faktischen Einflussnahme, sodass diese Einflussmöglichkeiten der ESMA auf den Rechtsetzungsprozess in der vorliegenden Untersuchung nicht weiter verfolgt werden sollen. Grenze dieser inhaltlichen Gestaltungsmöglichkeit bildet im Übrigen die Leistungsfähigkeit der kommissionellen Rechtsetzungsarten, deren Erlassprozess beeinflusst wird. 2. Die Rechtsetzungskompetenz der ESMA durch die Kommission mithilfe technischer Standards und deren inhaltliche Reichweite Auf der zweiten Stufe des Lamfalussyverfahrens kommen als (verbindliche) Rechtsetzungsmöglichkeiten der ESMA weiterhin noch die Setzung technischer Regulierungsstandards und technischer Durchführungsstandards in Betracht.416 Da die ESMA die Standards zwar nicht erlässt, aber an ihrem Erlassverfahren beteiligt ist, gilt es zunächst zu untersuchen, ob diese Beteiligung derart ausgestaltet ist, dass Erlass technischer Durchführungsstandards und in gleichem Maße beim Erlass technischer Regulierungsstandards möglich. 410 Siehe hierzu auch Kapitel 3 A. II. 411 Klöhn, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, Einleitung Rn. 37. 412 Verordnung (EU) Nr. 236/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 über Leerverkäufe und bestimmte Aspekte von Credit Default Swaps, ABl. Nr. L 86 v. 24. 3. 2012, S. 1. 413 Mülbert, ZHR 176 (2012), 369, 375. 414 Hierzu Klöhn, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, Einleitung Rn. 29. 415 Hierzu Hitzer/Hauser, BKR 2015, 52, 54, Rötting/Lang, EuZW 2012, 8, 10. Vgl. Goldmann/Purnhagen, VersR 2012, 29, 32. 416 Siehe hierzu Kapitel 3 A. II. 1. b) und Kapitel 3 A. II. 2. b).

B. Möglichkeiten der ESMA zur Rechtsetzung und deren Reichweite

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von einer Rechtsetzungskompetenz der Behörde gesprochen werden kann. Sodann soll deren inhaltliche Reichweite bzw. Leistungsfähigkeit untersucht werden. a) Rechtsetzungskompetenz der ESMA bei der Standardsetzung aa) Keine eigene, unmittelbare Kompetenz zur verbindlichen Standardsetzung Nun kann die Behörde zumindest selbst keine verbindlichen Rechtsakte erlassen;417 es fehlt ihr an einer autonomen Rechtsetzungskompetenz. Die Übertragung von weiten legislativen Gestaltungsspielräumen an Behörden, wie sie vor allem die Kommission im Bereich delegierter Rechtsetzung besitzt, widerspricht nach der Rechtsprechung des EuGH den Europäischen Verträgen.418 Deshalb können ihr auch, anders als den Organen der EU, keine Rechtsetzungskompetenzen delegiert werden.419 Selbst wenn eine solche Möglichkeit geschaffen würde, wäre es deshalb erforderlich, dass die Agenturen hierbei rechtlich streng gebunden werden.420 Es wurde zwar bereits im Konvent von 2002 über die Möglichkeit nachgedacht, Behörden legislative Kompetenzen primärrechtlich einzuräumen, jedoch wurde die Idee offensichtlich verworfen.421 Aus diesem Grund ist die Beteiligung der Kommission an der Setzung der Standards rechtlich erforderlich. Die Entwürfe technischer Standards werden von der Kommission an sich gezogen und als ihre Rechtsakte erlassen, entweder nach Art. 290 AEUV oder nach Art. 291 AEUV.422

417 Siehe aber EuGH, Urteil v. 22. 1. 2014, Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat, C270/12, EU:C:2014:18, Rn. 41 ff. Ebenso Ohler, in: Ruffert, Europäisches Sektorales Wirtschaftsrecht, § 10 Rn. 121, der vom Unvermögen der ESA ausgeht, abstrakt-generelle Regelungen zu erlassen. So auch Sauter, EuR 2010, 51, 55; Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Europäische Agenturen – Mögliche Perspektiven, KOM(2008) 135 endg. v. 11. 3. 2008, S. 5. 418 EuGH, Urteil v. 13. 6. 1958, Meroni/Hohe Behörde, C-9/56, EU:C:1958:7; EuGH, Urteil v. 13. 6. 1958, Meroni/Hohe Behörde, C-10/56, EU:C:1958:8; EuGH, Urteil v. 14. 5. 1981; Romano, C-98/80, EU:C:1981:104. So auch Walla, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, § 4 Rn. 27; Wymersch, ZGR 2011, 443, 462 (m.w.N.); Kämmerer, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 65; siehe auch den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung einer Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde, KOM(2009) endg. v. 23. 9. 2009, S. 5. 419 Siehe auch Kröll, Artikel 290 und 291 AEUV, 2011, S. 207. 420 Vgl. EuGH, Urteil v. 13. 6. 1958, Meroni/Hohe Behörde, C-9/56, EU:C:1958:7; EuGH, Urteil v. 13. 6. 1958, Meroni/Hohe Behörde, C-10/56, EU:C:1958:8. Siehe auch Winter, EuR 2005, 255, 263. 421 Vgl. Europäischer Konvent: Schlussbericht der Gruppe IX „Vereinfachung“ v. 29. 11. 2002, CONV 424/02, S. 12. 422 Vgl. Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 und Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 3.

252 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

bb) Verbindliches Entwurfsrecht (1) Einflussnahmemöglichkeiten der Kommission auf den Entwurf der ESMA Eigene Rechtsetzungsbefugnisse stehen der ESMA deshalb zwar nicht zu, doch besitzen ihre Entwürfe regelmäßig Endgültigkeit. Nach Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 5 S. 2 ESMA-VO kann die Kommission den von der ESMA vorgelegten „Entwurf technischer Regulierungsstandards nur dann teilweise oder mit Änderungen billigen, sofern dies aus Gründen des Unionsinteresses erforderlich ist“. Allein aus denselben Gründen kann die Kommission nach Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 4 S. 2 ESMA-VO von den Entwürfen technischer Durchführungsstandards abweichen. Es ist davon auszugehen, dass die Entscheidung zur Änderung eines Entwurfes und damit auch die Prüfung über das Vorliegen von Gründen des Unionsinteresses in den Händen der Kommission liegen. Sobald Gründe die Änderung erforderlich machen, muss423 die Kommission den Entwurf ändern. Ebenfalls ist von der gerichtlichen Nachprüfbarkeit des Vorliegens solcher Gründe auszugehen. Wann genau Gründe des Unionsinteresses vorliegen, die zu einer Änderung berechtigen und verpflichten, lässt der Gesetzgeber in den Erwägungsgründen der Verordnung erkennen. Zwar werden diese im Zusammenhang mit dem technischen Regulierungsstandard genannt, doch ist aufgrund der wortlautgleichen Formulierung424 in Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 5 S. 2 ESMA-VO und Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 4 S. 2 ESMA-VO kein Grund ersichtlich, weshalb die Ausführungen nicht ebenso für die Durchführungsstandards gelten sollen.425 Gründe des Unionsinteresses sind hiernach in den Fällen betroffen, in denen die Standards nicht mit dem Unionsrecht vereinbar wären, gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstießen oder grundlegenden Prinzipien des Binnenmarkts für Finanzdienstleistungen zuwider laufen würden, so wie sie im Besitzstand der Union auf dem Gebiet der Finanzdienstleistungen verankert sind.426 Bei diesem Prüfkatalog handelt es sich im Grunde um den der Kommission bereits durch die Verträge zugewiesenen Aufgabenbereich.427 So ist sie nach Art. 17 Abs. 1 EUV nicht nur zur Wahrung des europäischen 423

Erwägungsgrund 23 S. 3 der ESMA-VO: „[…] Regulierungsstandards müssten in Fällen geändert werden, in denen sie […].“ 424 Ebenso in den englischen und französischen Fassungen der Verordnung. 425 Anders Walla, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, § 11 Rn. 67, der sich allerdings auf Lehmann/Manger-Nestler, ZBB 2011, 1, 11, beruft. Diese vermuten wegen der Erklärung der Kommission in Erwägungsgrund 24, „in der Regel auf die Entwürfe technischer Regulierungsstandards zurückzugreifen“, die hinsichtlich der Durchführungsvariante der Standards fehlt, dass sich die Kommission eine größere Unabhängigkeit von der Behörde eingeräumt hätte. Ob die Kommission von den Entwürfen abweichen kann/muss, liegt aber allein im Vorliegen von Gründen des Unionsinteresses, unabhängig davon, welche Wünsche die Kommission hat. Im Übrigen spricht die Kommission der ESMA in der genannten Erklärung lediglich ihre Akzeptanz aus. 426 Erwägungsgrund 23 S. 3 der ESMA-VO. 427 Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 68. In diese Richtung auch Sasserath-Alberti/Hartig, VersR 2012, 524, 529.

B. Möglichkeiten der ESMA zur Rechtsetzung und deren Reichweite

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Gemeinwohls verpflichtet, sondern hat als „Hüterin des Unionsrechts“ für die Einhaltung des primären und sekundären Unionsrechts Sorge zu tragen.428 Hierzu gehört auch der in den Erwägungsgründen aufgezählte acquis communtaire im Finanzdienstleistungsbereich,429 an den sie im Übrigen auch schon durch Art. 1 der ESMA-VO gebunden ist.430 Auch die Pflicht der Kommission den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, ergibt sich bereits primärrechtlich aus Art. 5 Abs. 4 EUV.431 So verwundert es nicht, dass der Legislativvorschlag zur Behördenverordnung allgemeiner gefasst war und eine Änderung aus „Gründen des Gemeinschaftsinteresses“ vorsah.432 Weitere Gründe, die zu einer Entwurfsabweichung führen, werden nicht genannt. Eine Abänderung des Behördenentwurfes infolge anderer, nicht genannter Gründe ist aufgrund des abschließenden Charakters der Aufzählung auch nicht möglich.433 Hierfür spricht nicht nur der Wortlaut des entsprechenden Erwägungsgrunds und der von Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 5 der ESMAVO, sondern auch die Entstehungsgeschichte der Verordnung. So war der genannte Erwägungsgrund im entsprechenden Kommissionsvorschlag wie folgt formuliert: „Sie müssten beispielsweise geändert werden, wenn sie nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar wären, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht einhalten würden oder grundlegenden Prinzipien des Binnenmarkts für Finanzdienstleistungen zuwider laufen würden, so wie sie im gemeinschaftlichen Besitzstand für Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Finanzdienstleistungen verankert sind.“434 Mit dem Terminus „beispielsweise“ hatte die Kommission seinerzeit lediglich eine demonstrative Aufzählung vorgeschlagen. Dem Entwurf der EBA-Verordnung fehlte sogar gänzlich ein das Unionsinteresse konkretisierender Erwägungsgrund, womit wohl ebenfalls eine größere Flexibilität bei der Abänderung erreicht werden 428 Kugelmann, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 17 EUV Rn. 12, 35; Martenczuk, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 17 EUV Rn. 10, 15; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 17 EUV Rn. 4, 7. 429 Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 68. 430 Lehmann/Manger-Nestler, ZBB 2011, 1, 9. 431 Bast, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 5 EUV Rn. 69 ff.; Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 5 EUV Rn. 43 ff. Siehe auch Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union – Protokolle – Protokoll (Nr. 2) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäbigkeit, ABl. Nr. L 115 v. 9. 5. 2009, S. 206. Siehe zur Anwendung der Verhältnismäßigkeit in der Praxis den Jahresbericht 2016 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, COM(2017) 600 final v. 30. 6. 2017. 432 Vgl. Art. 7 des Vorschlags für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung einer Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde, KOM(2009) 503 endg. v. 23. 9. 2009, S. 28 f. 433 So auch Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 69. 434 Erwägungsgrund 14 der vorgeschlagenen Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung einer Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde, KOM(2009) 503 endg. v. 23. 9. 2009, S. 18.

254 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

sollte.435 Durch die gezielte Streichung (bzw. der Aufnahme der Aufzählung in die Erwägungsgründe der EBA-Verordnung) gibt der Gesetzgeber klar zu erkennen, dass er ein enges Verständnis hinsichtlich der Möglichkeiten einer Entwurfsabänderung hat und es sich bei der Aufzählung der Änderungsgründe um eine abschließende handelt. (2) Ergebnis: Die ESMA als mittelbarer Rechtsetzer durch die Kommission Letztlich ist die Kommission also darauf beschränkt, die Entwürfe auf die Vereinbarkeit mit Unionsrecht zu prüfen,436 und bei einem Verstoß zu ändern. Auch die Verordnung selbst geht davon aus, dass Regulierungsstandards „nur in äußerst begrenzten Fällen und unter außergewöhnlichen Umständen geändert werden dürfen.“437 Allein die Wortwahl („dürfen“) offenbart eine regelmäßige Pflicht zur änderungslosen Annahme. Begründet wird dies damit, dass die „Behörde der Akteur ist, der sich im engen Kontakt mit den Finanzmärkten befindet und deren tägliches Funktionieren am besten kennt“.438 Des Weiteren liefert die Idee von Lamfalussy selbst eine Erklärung. Wenn die Entwürfe der ESMA von der Kommission direkt übernommen werden und diese lediglich eine Prüffunktion übernimmt, wird eine schnelle Umsetzung in bindendes EU-Recht gewährleistet, sodass effektiv auf das Marktgeschehen reagiert werden kann. Die Änderungsmöglichkeiten der Kommission bei Unionsrechtsverstoß schwächen die Verbindlichkeit des Entwurfsrechts der Behörde im Grunde sogar überhaupt nicht ab. Denn ohne eine Änderung würde die Kommission einen Rechtsakt erlassen, der gegen Unionsrecht verstößt und damit wohl aufgrund der Schwere des Fehlers nach der Rechtsprechung des EUGH ohnehin nichtig wäre („Nichtakt“).439 Die Kommission hat also nur dann Mitspracherechte 435 So auch Ohler, in: Ruffert, Europäisches Sektorales Wirtschaftsrecht, § 10 Rn. 125; Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 69. 436 So auch Weber-Rey/Horak, WM 2013, 721, 723; Zülch/Hoffmann/Detzen, EWS 2011, 167, 170. Fabricius beschreibt die Aufgabe der Kommission zutreffend als „Notarfunktion“, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 70. Boegl/Jäger, Die Bank 2014, 40, 43, sprechen davon, dass die Hürde zur Änderung „ziemlich hoch“ ist; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl., § 14 Rn. Andere Ansicht Sasserath-Alberti/Hartig, VersR 2012, 524, 529, die der Ansicht sind, dass Erwägungsgründe keine einschränkende Wirkung für die Kommission entfalten könnten. Die Erwägungsgründe sind aber Teil des Rechtsakts und ein wesentlicher Anknüpfungspunkt der teleologischen Auslegung, vgl. EuGH, Urteil v. 29. 4. 2010, Solgar Vitamin’s France u. a., C446/08, EU:C:2010:233, Rn. 31; Ahmling, Analogiebildung durch den EuGH, S. 115; Lutter, JZ 1992, 593, 600; Veil, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, § 5 Rn. 52; Klöhn, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, Einleitung Rn. 64. 437 Erwägungsgrund 23 S. 2 der ESMA-VO. 438 Erwägungsgrund 23 S. 2 der ESMA-VO. 439 Vgl. EuGH, Urteil v. 4. 3. 1982, Gauff/Kommission, C-182/80, EU:C:1982:78, Rn. 16 ff.; EuGH, Urteil v. 10. 6. 1985, CMC/Kommission, C-118/83, EU:C:1985:308, Rn. 29; EuGH, Beschluss v. 27. 1. 1993, Miethke/Parlament, C-25/92, EU:C:1993:32, Rn. 15 f.; EuGH, Urteil v. 29. 6. 1995, Spanien/Kommission, C-135/93, EU:C:1995:201, Rn. 18; EuGH, Urteil v. 5. 10. 2004, Kommission/Griechenland, C-475/01, EU:C:2004:585, Rn. 19; EuG, Urteil v.

B. Möglichkeiten der ESMA zur Rechtsetzung und deren Reichweite

255

bei der Ausgestaltung der Standards, wenn diese ohnehin in der vorgeschlagenen Form keine Rechtswirkung entfalten könnten. Den Entwürfen der ESMA kommt damit „quasi-finaler“ Charakter zu440 und der Behörde damit mittelbare Rechtsetzungskompetenzen durch die Kommission. Ob eine derart bestimmende Stellung der Behörde mit dem Primärrecht vereinbar ist, soll hier allerdings nicht thematisiert werden.441 b) Reichweite der inhaltlichen Leistungsfähigkeit der technischen Standards Da nun festgestellt wurde, dass die Behörde als eigentlicher Standardsetzer angesehen werden muss, soll nun die Frage beantwortet werden, wie weit die inhaltliche Leistungsfähigkeit ihres Rechtsetzungsinstruments reicht. Die Untersuchung der Leistungsfähigkeit des technischen Regulierungsstandards und der des technischen Durchführungsstandards erfolgen hierbei zusammen. aa) Zuständigkeit der ESMA Hinsichtlich des Tätigkeitsbereiches legt Art. 1 Abs. 2 und 3 ESMA-VO die Reichweite der ESMA-Handlungsformen als solche fest. Die ESMA darf nur innerhalb des Anwendungsbereiches der dort genannten Rechtsakte und in mit ihnen in Zusammenhang stehenden Bereichen tätig werden, sowie im Rahmen aller weiteren verbindlichen Rechtsakte der Union, die der Behörde Aufgaben übertragen.442 bb) Inhaltliche Leistungsfähigkeit des Entwurfsrechts (1) Vorüberlegungen Die Leistungsfähigkeit der mittelbaren Rechtsetzungskompetenz der Behörde wird in inhaltlicher Hinsicht zunächst von zwei „äußeren“ Faktoren begrenzt. Zum 22. 3. 2011, Lettland/Kommission, T-369/07, EU:T:2011:103, Rn. 61; Dörr, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 263 AEUV Rn. 38; Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 263 AEUV Rn. 9. Siehe auch Annacker, Der fehlerhafte Rechtsakt im Gemeinschafts- und Unionsrecht, 1998, S. 81 ff. 440 Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl., § 14 Rn. 14.50. In diese Richtung auch Goldmann/Purnhagen, VersR 2012, 29, die davon ausgehen, dass die Behörden die alleinige Möglichkeit hätten, Standards zu setzen; MangerNestler, Kreditwesen 2012, 528, 529, spricht vorsichtiger von maßgeblicher inhaltlicher Prägung. 441 Schammo, CML Rev. 2011, 1879, 1885, hält etwa die Ausgestaltung für gerade noch vereinbar. Vorsichtiger ist Ohler, in: Ruffert, Europäisches Sektorales Wirtschaftsrecht, § 10 Rn. 125, der das Problem durch eine Auslegung der Verfahrensregeln der ESMA-VO zugunsten der Kommission vornehmen will. Gegen die Vereinbarkeit Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 67 ff. 442 Lehmann/Manger-Nestler, ZBB 2011, 1, 9, sprechen zutreffend von einer Bindung an den acquis communataire im Finanzdienstleistungsbinnenmarkt.

256 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

einen durch die inhaltliche Reichweite ihres Vorschlagsrechts selbst und zum anderen durch die inhaltliche Leistungsfähigkeit der exekutiven Rechtsetzungsarten der Kommission (delegierter Rechtsakt bzw. Durchführungsrechtsakt), da die Kommission die Entwürfe der technischen Standards an sich zieht und als delegierten Rechtsakt i.S.d. Art. 290 AEUV oder als Durchführungsrechtsakt i.S.d. Art. 291 AEUV erlässt. Denkbar sind nun drei Möglichkeiten des Zusammenspiels dieser beiden beschränkenden Faktoren. Erstens könnten die inhaltlichen Möglichkeiten des Vorschlagsrechts für die Standardsetzung weiter reichen als die delegierter bzw. Durchführungsrechtsakte. In diesem Fall könnten die Grenzen der kommissionellen Normsetzung, an die die Kommission gebunden ist, durch das weiterreichende Vorschlagsrecht erweitert werden oder aber selbst die Reichweite der behördlichen Möglichkeiten beschränken. Zweitens könnte das Gegenteil der Fall sein, d. h. das Vorschlagsrecht reicht inhaltlich nicht weiter als die Leistungsfähigkeit der kommissionellen Instrumente; dann wäre Grenze der inhaltlichen Leistungsfähigkeit behördlicher Quasi-Rechtsetzung die Reichweite des eigenen inhaltlichen Entwurfsrechts, und drittens könnten die Grenzen der inhaltlichen Reichweite der Regelungsinhaltsbefugnisse kongruent sein, sodass sie mit den kommissionellen Rechtsetzungsschranken identisch wären. Die erste Möglichkeit der Erweiterung der kommissionellen Befugnisse ist schon aufgrund des Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 S. 1 EUV als eine der grundlegenden Prinzipien der europäischen Integration auszuschließen, an das auch die Behörden gebunden sind.443 Hiernach kann die Union nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten, die ihr von den Mitgliedstaaten übertragen worden sind, tätig werden. Die Rechtsetzungsorgane bedürfen zum Handeln einer ausdrücklichen und speziellen Kompetenzzuweisung in den Verträgen444 und sind daran gehindert, eigenständig über die Art und Weise zu bestimmen, in der sie ihre Befugnisse zum Erlass von Rechtsakten wahrnehmen.445 Ein unionsrechtlicher Sekundärrechtsakt vermag die primärrechtliche Norm, auf deren Grundlage er erlassen worden ist, nicht zu ändern, zu ergänzen oder zu erweitern.446 Ein solches Einwirken auf das Primärrecht kann nur durch das Vertragsänderungsverfahren nach Art. 48 EUV erreicht werden.447 Die nach der sekundärrechtlichen Ermächtigungsgrundlage der ESMA-VO erstellten Entwürfe 443

Ohler, in: Ruffert, Europäisches Sektorales Wirtschaftsrecht, § 10 Rn. 120. Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 5 EUV Rn. 8. 445 Poiares Maduro, Schlussanträge v. 27. 9. 2007, Parlament/Rat, C-133/06, EU:C:2007:551, Rn. 30; von Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 206. 446 Ständige Rechtsprechung des EuGH; siehe nur EuGH, Urteil v. 21. 1. 2003, Kommission/Parlament und Rat, C-378/00, EU:C:2003:42, Rn. 39. Siehe auch EuGH, Urteil v.5. 10. 1978, Viola, C-26/78, EU:C:1978:172, Rn. 9 ff.; EuGH, Urteil v. 10. 9. 1996, Kommission/ Deutschland, C-61/94, EU:C:1996:313, Rn. 52; EuGH, Urteil v. 6. 5. 2008, Parlament/Rat, C-133/06, EU:C:2008:257, Rn. 57 ff. 447 Poiares Maduro, Schlussanträge v. 27. 9. 2007, Parlament/Rat, C-133/06, EU:C:2007:551, Rn. 30. 444

B. Möglichkeiten der ESMA zur Rechtsetzung und deren Reichweite

257

technischer Regulierungsstandards können demnach keine erweiternde Gestaltungswirkung auf Artt. 290 f. AEUV haben. (2) Die möglichen Grenzen inhaltlicher Leistungsfähigkeit des behördlichen Entwurfsrechts Nach Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 2 ESMA-VO und Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 ESMA-VO sind die Standards „technischer Art und beinhalten keine strategischen oder politischen Entscheidungen“. Darüber hinaus sollen die technischen Regulierungsstandards eine „kohärente Harmonisierung“ gewährleiten, Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 1 ESMA-VO; hingegen „dient der Inhalt [der technischen Durchführungsstandards] dazu, die Bedingungen für die Anwendung der genannten Gesetzgebungsakte festzulegen“, Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 ESMA-VO. Es kommen hiernach also drei mögliche Begrenzungen der inhaltlichen Leistungsfähigkeit der Behördenrechtsetzung in Betracht. Erstens muss der Inhalt der Standardentwürfe technischer Natur sein. Zweitens dürfen die Entwürfe weder strategische noch politische Entscheidungen beinhalten und drittens könnten sie durch die ihnen gegebenen Funktionszuweisungen beschränkt sein. Die Untersuchung erfolgt im Einzelnen. (a) Technische Natur der Standards (aa) Keine Standards mit normativem Charakter (a) These Der Frage, was unter der technischen Natur der Standards zu verstehen ist und ob damit sogar eine Einschränkung des Vorschlagsrechts einhergeht, wird sich, soweit ersichtlich, von keiner verfügbaren Quelle ausdrücklich angenommen. Es wird allerdings durch den Hinweis des Verbots, politische Entscheidungen zu treffen sowie der Betonung ihrer stets technischen Natur,448 der Eindruck erweckt, dass es sich um eine inhaltliche Grenze handeln müsse. In Anbetracht der Entstehungsgeschichte könnte man tatsächlich zu dem Schluss kommen, dass mit dem Begriff „technisch“ auf den vollziehenden Charakter der Standards hingewiesen werden soll. Ihnen könnte damit entsprechend den Durchführungsrechtsakten der Kommission keine inhaltliche Ausgestaltungsmöglichkeit zukommen.449 In einem Kommissiondokument zu den Anfängen der Planung der Aufsichtsbehörden lässt sich der Hiweis finden, dass den Befugnissen von Agenturen 448 Wörner, Rechtlich weiche Verhaltenssteuerungsformen Europäischer Agenturen als Bewährungsprobe der Rechtsunion, Diss., 2017, S. 68; Baur/Boegl, BKR 2011, 177, 183; Lehmann/Manger-Nestler, ZBB 2011, 1, 11; Fischer-Appelt, LFMR 2011, 21, 25. 449 Siehe auch die neuere Entscheidung des EuGH, Urteil v. 22. 1. 2014, Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat, C-270/12, EU:C:2014:18, in dem von der Klägerseite „technische Entscheidung“ als Gegenteil von „Entscheidung mit eigenem Ermessen“ verwandt wird und als Synonym für umsetzend im Sinne von Durchführung dient.

258 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

nach der geltenden Rechtsordnung „klare und deutliche Grenzen gesetzt sind.“450 „Den Agenturen dürfen keine Befugnisse zum Erlass allgemeiner Regulierungsmaßnahmen übertragen werden. Die Agenturen dürfen lediglich Einzelentscheidungen in spezifischen Bereichen, die eine genau definierte technische Sachkenntnis erfordern, treffen und verfügen über keine wirkliche Ermessensbefugnis.“451 Die Kommission gibt damit die Meroni-Rechtsprechung wieder, nach der Behörden „nur Ausführungsbefugnisse übertragen werden [dürfen], die genau umgrenzt sind und deren Ausübung von der Hohen Behörde452 in vollem Umfang beaufsichtigt wird.“453 Namentlich wird die Meroni-Rechtsprechung sogar in Zusammenhang mit Überlegungen im Vorfeld der ESMA-Gründung, die Behörde mit Aufsichtsbefugnissen über Ratingagenturen auszustatten, erwähnt.454 Die Vorgängerinstitution CESR war im Rahmen der Ratingagenturenverordnung (EG) Nr. 1060/2009 als eine der ersten Initiativen auf die Finanzkrise mit eher schwach ausgestalteten Aufsichtskompetenzen ausgestattet worden. Im Rahmen der Neuordnung der Finanzmarktaufsicht wurde vom Rat der Wunsch geäußert, diese Kompetenzen bei der Nachfolgeagentur (ESMA) zu stärken und auszubauen. Hierzu beauftragte sie die Kommission, dafür Sorge zu tragen, die Ratingagenturenverordnung entsprechend anzupassen.455 In den ersten Stellungnahmen der Kommission wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die in Frage stehenden Kompetenzen mit dem aquis communtaire und der Meroni-Rechtsprechung vereinbar sein müssten.456 Läge man der Begrifflichkeit der technischen Natur also ein von Meroni geprägtes Verständnis zugrunde, würde es die technische Natur der Standards verbieten, Rechtsakte mit normativem Charakter zu erlassen. Ungeachtet dessen, wie eng oder weit man die Grenzen einer Befugnisübertragung nach diesen Grundsätzen bewertet,457 ist die Meroni-Rechtsprechung bei der 450 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Europäische Agenturen – Mögliche Perspektiven, KOM(2008) 135 endg. V. 11. 3. 2008, S. 5. 451 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Europäische Agenturen – Mögliche Perspektiven, KOM(2008) 135 endg. V. 11. 3. 2008, S. 5. 452 Die Hohe Behörde war das Exekutivorgan der Gemeinschaft für Kohle und Stahl und Vorgängerin der Kommission. 453 EuGH, Urteil v. 13. 6. 1958, Meroni/Hohe Behörde, C-9/56, EU:C:1958:7, S. 44. Siehe auch EuGH, Urteil v. 13. 6. 1958, Meroni/Hohe Behörde, C-10/56, EU:C:1958:8. Fortgeführt in EuGH, Urteil v. 14. 5. 1981, Romano, C-98/80, EU:C:1981:104, Rn. 20. 454 Impact Assessment Board, DG MARKT – Impact Assessment on: Proposal for Amending Regulation 1060/2009 on Credit Rating Agencies v. 8. 4. 2010, Ref. Ares(2010) 205437; Impact Assessment Board, DG MARKT – Impact Assessment on: Proposal for Amending Regulation 1060/2009 on Credit Rating Agencies v. 9. 2. 2010, Ref. Ares(2010) 108790. 455 Vgl. Erwägungsgrund 5 der ESMA-VO. 456 Ziff. C (3) der Stellungnahme des Impact Assessment Board, DG MARKT – Impact Assessment on: Proposal for Amending Regulation 1060/2009 on Credit Rating Agencies v. 8. 4. 2010, Ref. Ares(2010) 205437 und v. 9. 2. 2010, Ref. Ares(2010) 108790. 457 Zum Meinungsspektrum siehe Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 13 EUV Rn. 53 ff. und Wittinger, EuR 2008, 609, 618 ff.

B. Möglichkeiten der ESMA zur Rechtsetzung und deren Reichweite

259

Standardsetzung ohne Relevanz.458 Denn bei ihrem Erlass werden den Behörden keine unmittelbaren Rechtsetzungbefugnisse verliehen. Denn allein die Kommission erlässt die technischen Standards. Das bloße Entwurfsrecht, so änderungsresistent es auch ist, unterliegt damit nicht den Grundsätzen dieser Rechtsprechung. Die Bedenken der Kommission betrafen wohl vielmehr Fälle, wie sie nun etwa in Artt. 9 Abs. 5, 17 Abs. 6, 18 Abs. 3 und 4, 19 Abs. 3 und 4 der ESMA-VO geregelt sind. Hier stehen der Behörde tatsächlich (eigene und unmittelbare) Befugnisse zum verbindlichen Maßnahmenerlass zu. Diese sind ganz im Sinne von Meroni einzelfallbezogen und deren Erlassvoraussetzungen eng umgrenzt.459 Das System der Billigung von Entwürfen der ESMA durch die Kommission, insbesondere zum Erlass von delegierten Rechtsakten, diente gerade dazu, abstrakt-generelle Maßnahmen der Behörde unter Beachtung der Vorgaben der Rechtsprechung erlassen zu können.460 So verlieh auch die Änderung der Ratingagenturverordnung der Behörde lediglich Ausführungsbefugnisse, da der Weg über ein Organ der EU wie bei den Standards nicht gegangen wurde.461 Es scheint eher so, dass das Kriterium keine inhaltliche Schranke normieren will. (b) Befund der Praxis Es finden sich zahlreiche Ermächtigungen zum Erlass technischer Regulierungsstandards, die Befugnisse normativer Natur verleihen462 und deren Ausführung allein durch delegierte Rechtsetzung möglich ist. So hat die ESMA etwa nach Art. 23 Abs. 4 der Ratingagenturenverordnung463 der Kommission Entwürfe technischer Regulierungsstandards zur Billigung vorzulegen, die unter anderem den Inhalt regeln sollen, den eine Ratingagentur zur Registrierung und zur Beantragung einer Zertifizierung und Bewertung ihrer systembezogenen Bedeutung für die finanzielle Stabilität oder Integrität der Finanzmärkte vorlegen muss, sowie den Inhalt der 458 Anders wohl Holznagel/Schumacher, in: FS Säcker 2011, S. 752, die die Voraussetzungen der Meroni-Rechtsprechung erläutern und gleichzeitig in Fn. 126 einen Bezug zur technischen Regulierungsstandardsetzung der EBA herstellen. 459 Siehe hierzu auch EuGH, Urteil v. 22. 1. 2014, Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat, C-270/12, EU:C:2014:18. 460 Vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Europäische Agenturen – Mögliche Perspektiven, KOM(2008) 135 endg. v. 11. 3. 2008, S. 5; Moloney, EBOR 2011, 41, 73; in diese Richtung auch Schammo, CML Rev. 2011, 1879, 1884; Busuioc, ELJ 2013, 111, 113 f.; Walla, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, § 4 Rn. 27; Kämmerer, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 65 (der die Meroni-Rechtsprechung allerdings auch bei der Zustimmungslösung für anwendbar hält). 461 Vgl. insbesondere Art. 1 Nr. 11 der Verordnung (EU) Nr. 513/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. Nr. L 145 v. 31. 5. 2011, S. 30. 462 So auch Wörner, Rechtlich weiche Verhaltenssteuerungsformen Europäischer Agenturen als Bewährungsprobe der Rechtsunion, S. 67. 463 Verordnung (EU) Nr. 513/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über Ratingagenturen, ABl. Nr. L 145 v. 31. 5. 2011, S. 30.

260 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

periodischen Übermittlung von Ratingdaten, zu der die Ratingagenturen für die Zwecke der laufenden Beaufsichtigung durch die ESMA aufzufordern sind. Gleiches kann auch bei der im Wege der Omnibus-I-RL an das Lamfalussyverfahren angepassten MIFID464 festgestellt werden. Der Behörde kommt nach dem eingefügten Art. 10a Abs. 8 der Richtlinie die Aufgabe zu, Entwürfe für Regulierungsstandards zu entwerfen, die abschließend regeln sollen, was für Informationen von einem Investor vorzulegen sind, damit die Behörde darüber entscheidet, ob der Erwerb einer qualifizierten Beteiligung an einem Wertpapierunternehmen zulässig ist. Ebenso ermächtigt der durch die Omnibus-RL eingefügte Art. 16 Abs. 3 der Prospektrichtlinie465 die ESMA, Regelungen zu entwickeln, wann ein wichtiger neuer Umstand oder eine wesentliche Unrichtigkeit oder Ungenauigkeit in Bezug auf die im Prospekt enthaltenen Angaben die Veröffentlichung eines Prospektnachtrags erforderlich macht. Es handelt sich also, wenn man die Standardformel der Kommission zur Unterscheidung von inhaltlichen und umsetzenden Maßnahmen heranziehen will, immer um Fragen, die das „Was“ und nicht nur das „Wie“ betreffen, mit denen die ESMA im Rahmen des Entwurfes eines technischen Regulierungsstandards betraut wird.466 Von einer ausschließlichen Einzelfallbezogenheit der übertragenen Regelungsmaterie kann auch nicht gesprochen werden. (c) Zwischenergebnis Sowohl Befund, Entstehungsgeschichte als auch konzeptionelle Argumente sprechen gegen die Lesart der technischen Natur als Verbot von Entwürfen mit normativem Inhalt. (bb) Kein allgemeiner Regelungsgehalt Nun könnte „technisch“ auch noch in der Weise verstanden werden, dass die Behörde lediglich bei komplexen Fragen, die die Kommission nicht ohne Hilfe der Agentur lösen könnte, beteiligt werden darf. Indes spricht auch hier der Befund gegen diese Annahme. In der Praxis werden solche Fragen nämlich auch ohne Beteiligung der ESMA im Wege einfacher delegierter Rechtsetzung oder Durch464 Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates, ABl. Nr. L 145 v. 30. 4. 2004, S. 1. Hierzu auch Walla, BKR 2012, 265, 268. 465 Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl. Nr. L 345 v. 31. 12. 2003, S. 64. 466 Schon Walla, BKR 2012, 265, 268 f., bemerkt zutreffend, dass es sich bei Regulierungsstandards, anders als bei den Durchführungsstandards, um Rechtsakte handelt, „bei denen ein gewisser legislativer Spielraum ausgefüllt wird.“

B. Möglichkeiten der ESMA zur Rechtsetzung und deren Reichweite

261

führungsrechtsetzung geregelt. So ist es, wie bereits in der Darstellung des Verfahrens erwähnt,467 schon des Öfteren vorgekommen, dass die Kommission die Behörde im Rahmen des Erlasses delegierter Rechtsakte um technical advice bittet, weil sie auf den Sachverstand der Behörde zurückgreifen muss. Nach der genannten Lesart wären das gerade Fälle, bei denen eine Einbindung der ESMA erfolgen sollte. So wird es der Kommission etwa durch von Art. 19 Abs. 13 erlaubt, (einfache) delegierte Rechtsakte für die Festlegung von Ausnahmen für das Handelsverbot von Eigengeschäften von Führungskräften innerhalb geschlossener Zeiträume zu erlassen. Diese Thematik erfordert zweifellos eine gewisse Marktkenntnis. Eine Beteiligung der ESMA erfolgte aber offensichtlich nicht. (cc) Ergebnis Es scheint, dass mit der Erwähnung der technischen Natur der Standards keine inhaltliche Schranke für das Entwurfsrecht der ESMA in dem Sinne gesetzt wird, dass der Behörde ein inhaltliches Wirken gänzlich verwehrt sei oder nur gewisse (nicht normative) Bereiche eines Themengebietes zur Gestaltung offen stünden. Vielmehr soll der Gesetzgeber und vor allem die Kommission als Inhaberin des gesetzgeberischen Initiativrechts nach Art. 294 Abs. 2 AEUV an die Fähigkeiten der ESMA und den Grund ihrer Einbeziehung in das Lamfalussyverfahren erinnert werden. In den Erwägungsgründen der ESA-Verordnungen finden sich etwa folgende Ausführungen:468 „Als ein Organ mit hochspezialisierter Sachkenntnis, ist es wirksam und angemessen, die Behörde in vom Unionsrecht genau festgelegten Bereichen mit der Ausarbeitung von Entwürfen technischer Regulierungsstandards zu betrauen, die an keine politischen Entscheidungen geknüpft sind.“ Ebenso weist der Erwägungsgrund 12 der Omnibus-I-Richtlinie darauf hin, dass sich die Einbeziehung der Behörden auf solche Aspekte beschränken soll, „die das Fachwissen von Aufsichtsexperten erfordern.“ Die ESMA sollte immer dann in den Gesetzgebungsprozess involviert werden, wenn es gerade aufgrund der hochtechnischen Natur des Themengebiets auf ihr Expertenwissen ankommt. Letztlich würde eine (unnötige) inhaltliche Einschränkung des Vorschlagsrechts der Behörde auch ihrem Zweck widersprechen. Die ESMA soll im Rahmen des Lamfalussyverfahrens mit ihren Standards möglichst effektiv auf das Marktgeschehen reagieren können. Darüber hinaus soll sie im Wege der Standardsetzung zur Harmonisierung des Kapitalmarktrechts und der Schaffung eines einheitlichen Aufsichtsrechts (single rulebook) entscheidend Mithilfe leisten.469 467 468

VO. 469

Siehe unter Kapitel 3 A. II. Erwägungsgrund 22 der ESMA-VO und der EBA-VO; Erwägungsgrund 21 der EIOPA-

Vgl. Ziff. 2 der Stellungnahme der Europäischen Zentralbank vom 8. Januar 2010 zu drei Vorschlägen für Verordnungen des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung einer Europäischen Bankaufsichtsbehörde, einer Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung und einer Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde, ABl. Nr. C 13 v. 20. 1. 2010, S. 1; Boegl/Jäger, Die Bank 2014, 40, 40;

262 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

(b) Der Funktionszuweisung als inhaltliche Grenze (aa) These Der technische Regulierungsstandard soll als delegierter Rechtsakt i.S.d. Art. 290 AEUV der einheitlichen Harmonisierung und der technische Durchführungsstandard als Durchführungsrechtsakt i.S.d. Art. 291 AEUV für die Schaffung einheitlicher Bedingungen für die Anwendung des Basisrechtsakts dienen. Die Behörde kann hierfür die Standards mittels der kommissionellen Rechtsetzungsarten entwickeln.470 Das Entwurfsrecht wird mit der inhaltlichen Reichweite der kommissionellen Rechtsetzungsarten verknüpft. Deutlicher als bei der englischen Fassung471 wird dies bei der französischen Fassung der Regelung zum technischen Regulierungsstandard (Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 1 ESMA-VO). Hier soll die Behörde ihre Entwürfe „en vertu de“ („in Übereinstimmung mit“) Durchführungsrechtsakten entwickeln. Dies deutet daraufhin, dass das Entwurfsrecht der ESMA nicht weitergehen soll als die Befugnis der Kommission zum Erlass der entsprechenden Rechtsakte; allerdings deutet der Wortlaut auch darauf hin, dass das Entwurfsrecht ebenfalls nicht enger sein soll als die Leistungsfähigkeit des kommissionellen Rechtsetzungsinstruments. Interessant ist, dass in der deutschen, in der englischen sowie in der französischen Sprachfassung die Grenzwirkung der kommissionellen Rechtsetzungsarten für die inhaltliche Reichweite des Entwurfsrechts stets am Wortlaut des technischen Durchführungsstandards deutlich wird. Dies könnte damit zusammenhängen, dass ein solcher Verweis auf die Beschränktheit nur bei den Durchführungsstandards Bedeutung besitzt, da letztlich, zumindest nach der hier vertretenen Ansicht, die Modifikationsmöglichkeiten der delegierten Rechtsetzung ganz im Gegensatz zur Durchführungsrechtsetzung gewissermaßen unbeschränkt sind. (bb) Befund der Praxis (a) Der technische Regulierungsstandard Bemerkenswert erscheint, dass in der Praxis in Bezug auf den Basisrechtsakt lediglich ergänzende technische Regulierungsstandards existieren.472 Diese verhalOhler, in: Ruffert, Europäisches Sektorales Wirtschaftsrecht, § 10 Rn. 124; Schammo, CML Rev. 2011, 1879, 1880, 1883. 470 Der Wortlaut hinsichtlich des technischen Durchführungsstandards ist insofern deutlicher als beim Regulierungsstandard. 471 Hier wird die Verknüpfung durch den Terminus „by means of“ hergestellt. 472 Siehe etwa Delegierte Verordnung (EU) 2018/389 der Kommission vom 27. November 2017 zur Ergänzung der Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards für eine starke Kundenauthentifizierung und für sichere offene Standards für die Kommunikation, ABl. Nr. L 69 v. 13. 3. 2018, S. 69; Delegierte Verordnung (EU) Nr. 447/2012 der Kommission vom 21. März 2012 zur Ergänzung der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates über Ratingagenturen durch Festlegung technischer Regulierungsstandards für die Bewertung der Normgerechtheit der Ratingmethoden, ABl. Nr. L 140 v. 30. 5. 2012, S. 14; Delegierte Verordnung (EU) 2017/

B. Möglichkeiten der ESMA zur Rechtsetzung und deren Reichweite

263

ten sich hinsichtlich formeller und inhaltlicher Leistungsfähigkeit wie die einfachen ergänzenden delegierten Rechtsakte der Kommission.473 Sie werden als gesonderte Rechtsakte erlassen, die formell nicht auf den Basisrechtsakt einwirken. Ein formeller Zugriff lässt sich allerdings dann beobachten, wenn das Zugriffsziel selbst ein auf derselben Rechtsgrundlage erlassener delegierter Rechtsakt ist.474 In inhaltlicher Hinsicht hingegen beeinflusst der ergänzende delegierte Rechtsakt seinen Basisrecht. Dieser Befund verwundert und lässt sich allein in Ansehung der Funktion und Rechtsnatur des Regulierungsstandards nicht erklären. Technische Regulierungsstandards werden als delegierte Rechtsakte erlassen, denen die Möglichkeit gegeben ist, ihren Basisrechtsakt zu ändern.475 Es scheint also so, als ob der Gesetzgeber bzw. die Kommission nicht das volle Potential der Behörde ausschöpfen.476 Zur Zeit der Untersuchung kann also gesagt werden, dass der technische Regulierungsstandard in der Praxis die Funktion eines ergänzenden delegierten Rechtsakts erfüllt und damit auch seine Leistungsfähigkeit besitzt. Ein besonders anschauliches Beispiel liefert die Prospektverordnung.477 Art. 9 Abs. 14 der Prospekt-VO verleiht der Kommission mittels ergänzender delegierter Rechtsetzung, Kriterien für die Prüfung und Überprüfung des einheitlichen Registrierungsformulars, das Angaben zu Organisation, Geschäftstätigkeiten, Finanzlage, Ertrag und Zukunftsaussichten, Führung und Beteiligungsstruktur des an einem geregelten Markt oder MTF zugelassenen Emittenten enthält, und etwaiger Änderungen und die Verfahren für die Billigung und Hinterlegung dieser Dokumente sowie die Bedingungen, unter denen der Status eines Daueremittenten aberkannt wird, auszugestalten. Ähnliches ist der Kommis579 der Kommission vom 13. Juni 2016 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates über Märkte für Finanzinstrumente durch technische Regulierungsstandards in Bezug auf unmittelbare, wesentliche und vorhersehbare Auswirkungen von Derivatekontrakten innerhalb der Union und die Verhinderung der Umgehung von Vorschriften und Pflichten, ABl. Nr. L 87 v. 31. 3. 2017, S. 189. 473 Siehe oben unter Kapitel 4 A. I. 2. a) bb) (2) (dd) (c). 474 Siehe etwa Delegierte Verordnung (EU) 2017/104 der Kommission vom 19. Oktober 2016 zur Änderung der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 148/2013 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister bezüglich technischer Regulierungsstandards für die Mindestangaben der Meldungen an Transaktionsregister, ABl. Nr. L 17 v. 21. 1. 2017, S. 1; Delegierte Verordnung (EU) 2016/1608 der Kommission vom 17. Mai 2016 zur Änderung der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 1222/2014 durch technische Regulierungsstandards zur Festlegung der Methode zur Bestimmung global systemrelevanter Institute und zur Festlegung der Teilkategorien global systemrelevanter Institute, ABl. Nr. L 240 v. 8. 9. 2016, S. 1. 475 Auch Hitzer/Hauser, BKR 2015, 52, 55 gehen grundsätzlich davon aus, dass eine Änderung des Basisrechtsakts durch den Regulierungsstandard möglich ist. 476 Eine entsprechende Anfrage des Verfassers sowohl an den Legal Service der Kommission als auch an die ESMA am 9. 2. 2019 blieb unbeantwortet. 477 Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/EG, ABl. Nr. L 168 v. 30. 6. 2017, S. 12.

264 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

sion nach Art. 13 Abs. 1 der Verordnung erlaubt. Hiernach hat die Kommission ergänzende delegierte Rechtsakte in Bezug auf die Aufmachung des Prospekts, des Basisprospekts und der endgültigen Bedingungen sowie die Schemata für die in einen Prospekt aufzunehmenden spezifischen Angaben zu erlassen, kurzum die genaue Form und den konkreten Inhalt des Prospektes festzulegen. Mittels technischem Regulierungsstandard sollen etwa nach Art. 21 Abs. 12 die Anforderungen hinsichtlich der Veröffentlichung des Prospektes weiter präzisiert werden oder nach Art. 21 Abs. 13 in der Verordnung genannte Daten und Modalitäten weiter spezifizieren, nach denen eine Klassifizierung der Prospekte erfolgt. In allen Fällen geht es um die weitere inhaltliche Ausgestaltung der vorhandenen Normen. Ein qualitativer oder funktioneller Unterschied zu den einfachen ergänzenden delegierten Rechtsakten ist nicht erkennbar. Auch hinsichtlich des Adressatenkreises konnte kein diesbezüglicher Unterschied festgestellt werden. Sie richten sich sowohl an Behörden als auch an die Markteilnehmer. Abschließend soll noch auf die Besonderheit in Art. 19 Abs. 4 der Prospekt-VO hingewiesen werden. Hier soll die ESMA auf Verlangen der Kommission Entwürfe technischer Regulierungsstandards zur Aktualisierung der in Absatz 1 dieses Artikels genannten Liste von Dokumenten durch Aufnahme weiterer Arten von Dokumenten ausarbeiten. Sollte diese Aktualisierung im Basisrechtsakt selbst erfolgen, wäre eine Befugnis zur Änderung notwendig, um den Basisrechtsakt formell zu modifizieren. Damit ist der erste ändernde technische Regulierungsstandard zu erwarten. (b) Der technische Durchführungsstandard Der technische Durchführungsstandard verhält sich hinsichtlich formeller wie inhaltlicher Leistungsfähigkeit wie ein Durchführungsrechtsakt. In aller Regel werden hierdurch Verfahren oder Formulare für den Informationsaustausch oder zur Meldung von Sachverhalten festgelegt oder erstellt.478 Eine Modifikation des Basisrechtsaktes findet, wie zur Durchführung bereits festgestellt,479 weder in formeller 478 Vgl. etwa Durchführungsverordnung (EU) 2018/292 der Kommission vom 26. Februar 2018 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards im Hinblick auf Verfahren und Formulare für Informationsaustausch und Amtshilfe zwischen zuständigen Behörden gemäß der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates über Marktmissbrauch, ABl. Nr. L 55 v. 27. 2. 2018, S. 34; Durchführungsverordnung (EU) 2017/1110 der Kommission vom 22. Juni 2017 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards für die Standardformulare, Muster und Verfahren für die Zulassung von Datenbereitstellungsdiensten und die damit zusammenhängenden Mitteilungen gemäß der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über Märkte für Finanzinstrumente, ABl. Nr. L 162 v. 23. 6. 2017, S. 3; Durchführungsverordnung (EU) 2015/2451 der Kommission vom 2. Dezember 2015 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards im Hinblick auf die Meldebögen und die Struktur für die gemäß der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates von den Aufsichtsbehörden offenzulegenden Informationen, ABl. Nr. L 347 v. 31. 12. 2015, S. 1224. 479 Siehe unter Kapitel 4 A. II. 2. b) cc).

B. Möglichkeiten der ESMA zur Rechtsetzung und deren Reichweite

265

noch inhaltlicher Weise statt, es sei denn, es handelt sich bei dem Zielrechtsakt um einen Durchführungsrechtsakt. In solchen Fällen ist es dem Durchführungsrechtsakt möglich, Änderungen i.S.d. Art. 291 AEUV vorzunehmen.480 (cc) Zwischenergebnis Die (formelle und) inhaltliche Leistungsfähigkeit der einfachen Rechtsetzungsarten der Kommission entspricht der der Standards. Insoweit setzt die Funktionszuweisung eine inhaltliche Grenze. Dieses Ergebnis wird nicht nur, wie bereits oben angenommen, durch den Wortlaut der ESMA-VO vorgegeben, sondern ergibt sich auch aus teleologischen Überlegungen. Eine Unterstützung der Kommission durch die Agentur bei deren Rechtsetzung auf der zweiten Stufe des Lamfalussyverfahrens kann dann am effektivsten gewährleistet werden, wenn die Behörde die ganze Leistungsfähigkeit der kommissionellen Rechtsetzungsarten bei ihren Entwürfen berücksichtigen und bei Erlass nutzen kann. Die Funktionszuweisung setzt dem behördlichen Entwurfsrecht damit den einfachen Rechtsetzungsarten der Kommission kongruenten, inhaltlichen Grenzen, stattet die Behörde allerdings, soweit dies zum jetzigen Zeitpunkt der Untersuchung gesagt werden kann, auch mit diesen (relativ weiten) Spielräumen aus. (c) Keine strategischen oder politischen Entscheidungen (aa) These Was unter dieser Einschränkung zu verstehen ist und wie weit das Initiativrecht hierdurch begrenzt wird, wird weder in der Verordnung, deren Erwägungsgründe noch aus deren Entstehungsverfahren ersichtlich. In der Literatur findet sich allerdings die vor allem von Fabricius formulierte Vermutung, dass „der europäische Gesetzgeber mit diesen speziellen Regelungen die Maßgaben umsetzen wollte, die aus der sog. ,Meroni‘-Rechtsprechung des EuGH abzuleiten sind.“481 Oft wird al480 Vgl. etwa Durchführungsverordnung (EU) 2016/818 der Kommission vom 17. Mai 2016 zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1030/2014 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards in Bezug auf einheitliche Formate und Daten für die Offenlegung der Werte zur Bestimmung global systemrelevanter Institute gemäß der Verordnung (EU) Nr. 575/ 2013 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. Nr. L 136 v. 25. 5. 2016, S. 4; Durchführungsverordnung (EU) 2018/1844 der Kommission vom 23. November 2018 zur Änderung und Berichtigung der Durchführungsverordnung (EU) 2015/2450 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards hinsichtlich der Meldebögen für die Übermittlung von Informationen an die Aufsichtsbehörde gemäß der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. Nr. L 299 v. 26. 11. 2018, S. 5. 481 Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 72. In diese Richtung wohl auch Kämmerer, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 65; Dickschen, Empfehlungen und Leitlinien als Handlungsform der Europäischen Finanzaufsichtsbehörden, Diss., 2017, S. 214; Michel, DÖV 2011, 728, 732. Ebenso Busuioc, ELJ 2013, 111, 115, die die Präsenz der Meroni-Rechtsprechung bei der Ausgestaltung wahrnimmt. Die Andeutung einer Einschränkung ist auch bei Walla, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, § 4 Rn. 15, zu finden.

266 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

lerdings nur durch Widergabe des Gesetzeswortlauts auf das Gebot der unpolitischen und nichtstrategischen Natur der Standards hingewiesen.482 Weder von den „Meronisten“ noch von denen, die mit Wiederholung des Wortlauts auf eine mögliche Beschränkung hinweisen wollen, wird aber in irgendeiner Weise eine Begriffs- oder Inhaltsbestimmung von „politisch“ oder „strategisch“ angeboten. Das Verbot, strategische oder politische Entscheidungen zu treffen, hätte demnach wohl aber eine ähnliche Funktion, der auch dem Abstellen auf die technische Natur der Entscheidungen zukommt: Jede subjektive, politisch gefärbte Bewertung (eigenes Ermessen) der Agentur soll ausgeschlossen sein.483 Entscheidungen, die sich nicht allein auf wissenschaftliche Erwägungen stützen, wären hiernach nicht möglich. Ermessen i.S.d. EU-Rechts ist weit zu verstehen und umfasst alle Entscheidungen, die ein Organ aus eigener Machtvollkommenheit beschließt.484 Indes ist die Meroni-Rechtsprechung hinsichtlich des behördlichen Entwurfsrechts der Standards, wie bereits zuvor erwähnt,485 nicht anwendbar.486 Zu diesem Schluss kommt auch Fabricius, jedoch deshalb, weil die Rechtsprechung allein für Ausführungsbefugnisse und nicht für legislative Befugnisse gelte.487 Selbst wenn man sich der Ansicht der liberaleren Stimmen in der Literatur488 anschließen sollte, die einen gewissen Ermessensspielraum der Behörden für möglich halten, so geht es doch bei der Meroni-Rechtsprechung immer um die Frage der Reichweite der behördlichen Befugnisse bei Erlass zwingender (und bindender) Maßnahmen.489 Die Befugnis zum Erlass der Standards steht jedoch der Kommission und nicht den Agentur zu. Die tatsächliche Normierung der Meroni-Doktrin in den Vorschriften zum Erlass der Standardentwürfe wäre letztlich ein Eingeständnis des Gesetzgebers, dass die ESMA nicht nur die Standards entwirft, sondern quasi auch

482 Walla, BKR 2012, 265, 267; Baur/Boegl, BKR 2011, 177, 183; Lehmann/MangerNestler, ZBB 2011, 1, 11; Hitzer/Hauser, BKR 2015, 52, 54; Walla, BB 2012, 1358, 1359. 483 Kohtamäki in EuR 2014, S. 328; Fischer-Appelt, LFMR 2011, 21, 25. Siehe nur EuGH, Urteil v. 22. 1. 2014, Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat, C-270/12, EU:C:2014:18, in dem von der Klägerseite „technisch“ als Gegenteil von „politisch“ verwandt wird. 484 Kämmerer, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 66. 485 Siehe B. I. 2. b. bb. b. i. (1) (a). 486 Anders wohl Kämmerer, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 65 f., allerdings ohne Begründung. 487 Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 74. 488 Ausführlich zum Meinungsspektrum Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 13 EUV Rn. 53 ff. 489 Siehe nur Streinz, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 7 EGV Rn. 36 ff.; Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 13 EUV Rn. 36 ff.; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 13 EUV Rn. 46 ff.; Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 13 EUV Rn. 47 ff.; Wittinger, EuR 2008, 609, 617 ff.

B. Möglichkeiten der ESMA zur Rechtsetzung und deren Reichweite

267

erlässt. Das wäre allerdings, wie bereits ausgeführt, rechtlich sehr bedenklich,490 weshalb man sich für die heute geltende Ausgestaltung des Erlassverfahrens entschied.491 Es ist also nicht ersichtlich, weshalb durch oben genanntes Kriterium ein Unvermögen der Agenturen normiert sein soll, Ermessensentscheidungen oder Entscheidungen in bestimmten Themengebieten oder Politikbereichen nicht vornehmen zu können. (bb) Befund der Praxis In der Praxis lassen sich ebenso Rechtsakte mit normativem Charakter identifizieren.492 Zwar hat der EuGH in einer jüngeren Entscheidung die strengen Fesseln der alten Rechtsprechung gelockert und entschieden, dass es unter gewissen Voraussetzungen möglich sei, Agenturen die Befugnis zum Erlass von Rechtsakten mit normativem Charakter zu erlassen.493 Die Behördenverordnungen wurden jedoch noch mit einem anderen Verständnis geschaffen. Dies zeigt nicht zuletzt der Entstehungsprozess, bei dem die Kommission immer wieder auf die Grenzen hinwies, die bei der Befugnisverleihung an Behörden einzuhalten sind. Sie ging stets davon aus, dass allein Durchführungsbefugnisse an Behörden verliehen werden können.494 Darüber hinaus lassen sich zahlreiche Ermächtigungen zugunsten der ESMA finden, die Entscheidungen verlangen, bei denen man von politischer Tragweite bzw. politischem Ermessen sprechen kann.495 So werden der ESMA etwa nach Art. 13 Abs. 4 Unterabs. 2 der Transparenzrichtlinie Befugnisse zur Erstellung von Ausnahmetatbeständen verliehen. Ebenso werden der ESMA nach Art. 2 Abs. 3 der Prospektrichtlinie Befugnisse zur Ausgestaltung der Ausnahmen von der Veröffentlichung eines Prospektes erteilt. In derselben Richtlinie soll sie nach Art. 7 Abs. 1 Verfahren zur Billigung von Prospekten entwickeln und nach Art. 15 Abs. 7 wird ihr die Aufgabe übertragen, Bestimmungen zur Verbreitung von Werbeanzeigen zu

490 Schammo, CML Rev. 2011, 1879, 1885; Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 67 ff. 491 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Europäische Agenturen – Mögliche Perspektiven, KOM(2008) 135 endg. v. 11. 3. 2008, S. 5; Busuioc, ELJ 2013, 111, 113 f.; Moloney, EBOR 2011, 41, 73; Walla, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, § 4 Rn. 27. 492 Siehe oben unter B. I. 2. b) bb) (2) (a) (aa) (b). 493 EuGH, Urteil v. 22. 1. 2014, Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat, C-270/12, EU:C:2014:18, Rn. 64. 494 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Europäische Agenturen – Mögliche Perspektiven, KOM(2008) 135 endg. v. 11. 3. 2008, S. 5. 495 Auch Walla, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, § 11 Rn. 66, kommt zu dem Schluss, dass es sich bei den Regulierungsstandards um Rechtsakte handelt, „bei denen ein gewisser legislativer Spielraum ausgefüllt wird.“ Außerdem sei im Hinblick auf einfache delegierte Rechtsetzung ein „Unterschied in Bezug auf die Bedeutung der angesprochen [sic] Regelungsmaterien […] nicht ersichtlich“, Walla, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, § 4 Rn. 17.

268 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

spezifizieren. In der PRIIP-VO496 werden den europäischen Aufsichtsbehörden gemeinsam Befugnisse in Zusammenhang mit Anlageprodukten für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukten verliehen, mit Hilfe derer sie etwa die Einzelheiten zum Inhalt eines Informationsblattes festlegen,497 Bedingungen für deren Überarbeitung und Überprüfung ausarbeiten,498 und Bedingungen für die Bereitstellung der Informationen festlegen sollen.499 Hier verdeutlicht schon allein die Zusammenarbeit der europäischen Aufsichtsbehörden die Bedeutung der Maßnahmen. All diesen Befugnissen ist gemein, dass den Behörden ein Ermessensspielraum bei der Ausgestaltung gegeben ist und diese Bereiche aufgrund der Regelungsmaterie und der Eigenheit des Regelungsgebiets nicht frei von politischen und strategischen Gestaltungsräumen sind/sein können. Insbesondere die Normierung von Ausnahmetatbeständen ist regelmäßig eine politisch sehr heikle Entscheidung. Nicht zuletzt das Vereinigte Königreich war der Ansicht, dass der EBA durch Art. 94 Abs. 2 der CRD-IV-RL Befugnisse verliehen werden, die politische und strategische Ermessensspielräume enthalten.500 (cc) Zwischenergebnis Das Verbot strategischen und politischen Inhalts der Entwürfe hat nicht zum Ziel, jegliche Ermessensentscheidungen der Behörde auszuschließen, wofür nicht zuletzt auch das Kontrollregime der Standardsetzung streitet. Die ESMA wird bei der Regulierungsstandardsetzung durch Rat und Parlament kontrolliert, die ihre Befugnisübertragung nach Art. 12 ESMA-VO jederzeit widerrufen können.501 Dies entspricht dem System, das auch im Rahmen der „einfachen“ delegierten Rechtsetzung nach Art. 290 AEUV gilt. Ein solcher Gleichlauf ist deshalb erforderlich, um das institutionelle Gleichgewicht zu wahren. Der technische Regulierungsstandard kann ebenso wie der „einfache“ delegierte Rechtsakt den von Parlament und Rat erlassenen Gesetzgebungsakt inhaltlich modifizieren. Im Gegensatz dazu haben Parlament und Rat im Rahmen der Durchführungsstandardsetzung keine Kontrollrechte. Es scheint hier sogar auf den ersten Blick überhaupt kein Kontrollmechanismus zu geben, obwohl diese Art der Rechtsetzung konsequenterweise entsprechend der „einfachen“ Durchführungsrechtsetzung durch die Mitgliedstaaten kontrolliert werden müsste. Ein entsprechendes Ausschusswesen ist allerdings nicht erforder-

496 Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (PRIIP), ABl. Nr. L 352 v. 9. 12. 2014, S. 1. 497 Art. Art. 8 Abs. 5 PRIIP-VO. 498 Art. 10 Abs. 2 PRIIP-VO. 499 Art. 13 Abs. 5 PRIIP-VO. 500 Vgl. Jääskinen, Schlussanträge v. 20. 11. 2014, Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat, C-507/13, EU:C:2014:2394, Rn. 52 ff. 501 Siehe hierzu auch unter Kapitel 3 A. II. 1. a) aa).

B. Möglichkeiten der ESMA zur Rechtsetzung und deren Reichweite

269

lich, weil sich das Gremium, das die Entwürfe erlässt, bereits aus nationalen Vertretern zusammensetzt.502 Das Kontrollregime spricht darüber hinaus dafür, dass die Reichweite des Entwurfsrechts der Behörde in inhaltlicher Hinsicht mit der Leistungsfähigkeit der Kommission bei der delegierten bzw. Durchführungsrechtsetzung kongruent ist. Im Übrigen wird auch im Erwägungsgrund 12 der Omnibus-I-Richtlinie503 von der Möglichkeit der Ergänzung und Änderung des Basisrechtsakts i.S.d. Art. 290 AEUV durch den technischen Regulierungsstandards ausgegangen. Zutreffend bemerkt Walla deshalb, dass eine Unterscheidung zwischen autonomer delegierter Rechtsaktsetzung und Regulierungsstandardsetzung in Ansehung der Praxis nicht möglich ist und die unterschiedlichen Befugniserteilungen eher zufällig anmuten,504 obwohl nach der Konzeption des Lamfalussyverfahrens ein kleinerer Spielraum bei der Setzung von Regulierungsstandards als bei der von einfachen delegierten Rechtsakten bestehen sollte.505 Bemerkenswert ist auch, dass die Begrifflichkeiten „politisch“ und „strategisch“ ausdrücklich in den Meroni-Urteilen und dessen Weiterführung nie genannt werden. Selbst in der genannten Entscheidung die ESMA betreffend ist hiervon nicht die Rede. Allein die Klägerin sowie Parlament, Rat und Kommission sprechen lediglich in fünf Fällen von (wirtschafts-)politischen Entscheidungen/Erwägungen, die der ESMA wohl nicht möglich seien;506 von „strategisch“ ist auch hier nie die Rede. Die Begriffe tauchen vielmehr wörtlich oder sinngemäß in einer anderen Reihe von Entscheidungen auf, nämlich der Rechtsprechung zum Wesentlichkeitskriterium,507 das nun in Art. 290 AEUV normiert ist. Hiernach sind dem Gesetzgeber eine Übertragung solcher Bestimmungen und damit eine Regelung der Materie durch die Kommission nicht möglich, deren Erlass politische Entscheidungen und die Festlegung der Leitlinien der Union erfordern. Bereits Gurlit vermutete,508 dass die 502 Vgl. Art. 40 ESMA-VO. Zwar setzt sich der Rat der Aufseher auch aus anderen Vertretern zusammen; diese sind aber nicht stimmberechtigt. Zur Beschlussfassung siehe Boegl, Die Bank 2012, 14, 15. 503 „In den als delegierte Rechtsakte erlassenen technischen Standards sollten die Bedingungen für die kohärente Harmonisierung der Bestimmungen weiterentwickelt, erläutert und festgelegt werden, die in den vom Europäischen Parlament und vom Rat erlassenen Basisrechtsakten enthalten sind, durch Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Teile des Rechtsakts.“ 504 Walla, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, § 4 Rn. 16 f. Zu einem ähnlichen Schluss kam hiernach auch Kämmerer, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 59. 505 Er bezieht sich hierbei aber auf Fabricius, der, wie bereits oben ausgeführt, allerdings davon ausgeht, dass die Meroni-Rechtsprechung bei der Regelung der Entwurfsausarbeitung normiert worden sei. 506 EuGH, Urteil v. 22. 1. 2014, Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat, C-270/12, EU:C:2014:18, Rn. 30, 31, 34, 35, 40. 507 Siehe hierzu unter A. I. 2. b) bb) (2). 508 Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 872 Fn. 46.

270 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

primärrechtliche Verankerung der Pflicht der Kommission, sich rechtsetzend nur auf unwesentliche Angelegenheiten zu beschränken, in Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 2 der ESA-Verordnungen aufgenommen wäre. Ebenso äußert sich Generalstaatsanwalt Niilo Jääskinen in seinen Schlussanträgen zu einem Fall,509 der nicht entschieden wurde, weil die Klägerseite ihren Antrag Ende November 2014 zurückzog.510 In der Sache ging es um eine Nichtigkeitsklage des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland gegen mehrere Bestimmungen der CRD-IV-Richtlinie511. Relevant für die vorliegende Untersuchung ist Art. 94 Abs. 2 der CRD-IV-Richtlinie, der der EBA die Befugnis zur Ausarbeitung von Entwürfen technischer Regulierungsstandards erteilt. Inhalt der Entwürfe soll unter anderem die Bestimmung quantitativer und qualitativer Kriterien zur Ermittlung bestimmter Kriterien sein. Es handelt sich also um eine quas-legislative Tätigkeit. Die Kläger gingen davon aus, dass eine solche Befugnis gegen das in Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 2 EBA-VO normierte Verbot politischer oder strategischer Entscheidungen der Agentur verstoße.512 Nach Ansicht des Generalanwalts bezwecke die Richtlinie den Erlass von Vorschriften, die sich in einen rechtlichen Rahmen einfügten, wie er durch den Basisgesetzgebungsakt definiert sei. „Die strategischen und politischen Entscheidungen wurden daher im Basisgesetzgebungsakt getroffen und nicht in den Maßnahmen, die von der EBA ausgearbeitet und von der Kommission erlassen wurden.“513 Dieser Begründungsinhalt klingt nicht nur nach den Voraussetzungen, die stets im Rahmen von Art. 290 AEUV erwähnt werden, sondern sie sind damit auch gemeint. Der Feststellung des Generalanwalts ist nämlich ein Verweis auf ein Urteil des EuGH beigefügt, in dem es an der verwiesenen Stelle wie folgt lautet: „Überträgt der Unionsgesetzgeber der Kommission in einem Gesetzgebungsakt eine delegierte Befugnis nach Art. 290 Abs. 1 AEUV, obliegt ihr der Erlass von Vorschriften, die die nicht wesentlichen Vorschriften dieses Akts ergänzen oder ändern.“514 Im Übrigen wird auch vom Generalanwalt zur Verteidigung der Rechtmäßigkeit der Befugnisübertragung an die EBA vorgebracht, dass der Behörde durch die Ermächtigung zur Ausarbeitung eines Entwurfes im Basisrechtsakt, „keine Befugnis zum Erlass bin-

509 Jääskinen, Schlussanträge v. 20. 11. 2014, Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat, C-507/13, EU:C:2014:2394. 510 Vgl. EuGH, Beschluss v. 9. 12. 2014, Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat, C-507/ 13, EU:C:2014:2481. 511 Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG, ABl. Nr. L 176 v. 27. 6. 2013, S. 338. 512 Jääskinen, Schlussanträge v. 20. 11. 2014, Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat, C-507/13, EU:C:2014:2394, Rn. 53. 513 Jääskinen, Schlussanträge v. 20. 11. 2014, Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat, C-507/13, EU:C:2014:2394, Rn. 62. 514 EuGH, Urteil v. 18. 3. 2014, Kommission/Parlament und Rat, C-427/12, EU:C:2014:170, Rn. 38.

B. Möglichkeiten der ESMA zur Rechtsetzung und deren Reichweite

271

dender Entscheidungen“ verliehen wird und damit die Meroni-Rechtsprechung nicht anwendbar ist.515 Zwar dachte man also bei der Schaffung der Behörde an die Grenzen der MeroniRechtsprechung, doch wurden deren Gebote nicht in den Normen zur Standardsetzung kodifiziert, sondern durch die Zweigliedrigkeit des Erlassverfahrens durch Ausarbeitung der ESMA und Billigung der Kommission umgangen. Weitergehende als die der kommissionellen Rechtsetzungsinstrumenten auferlegten Grenzen sind somit weder durch die Meroni-Rechtsprechung noch durch den Wortlaut der Agenturverordnung notwendig und widersprechen auch dem vorliegenden Befund der Praxis. c) Endergebnis Die Reichweite der denkbaren inhaltlichen Gestaltungsmöglichkeit der ESMA bei der Setzung technischer Standards entspricht der ihrer kommissionellen Erlassarten ohne Behörden-Beteiligung. Die inhaltliche Leistungsfähigkeit des Regulierungsstandards ist kongruent mit der des einfachen delegierten Rechtsakts, während sich die inhaltliche Leistungsfähigkeit des Durchführungsstandards mit der des Durchführungsrechtsakts deckt. Nur eine unabhängige und flexible Behörde, von der auch Art. 298 Abs. 1 AEUV ausgeht, kann den Finanzmarkt effektiv beaufsichtigen. Eine zu starke Rücksichtnahme auf die Meroni-Rechtsprechung konterkariert diese essentiellen Eigenschaften einer Agentur.516 Durch die besondere Ausgestaltung der Beteiligung der Kommission bei der Standardsetzung, bei der sie praktisch keine Abweichungsmöglichkeit hinsichtlich des Entwurfes der ESMA hat, kommt den Agenturen eine leistungsstarke quasiRechtsetzungskompetenz zu. Dies macht aus Gesichtspunkten einer effizienten Kapitalmarktregulierung durchaus Sinn, wenngleich damit auch immer Fragen nach einer hinreichenden demokratischen Legitimation verbunden sind. Betrachtet man allein die starke Einbindung der ESMA und die Fülle an bereits gesetzten Standards,517 kann man die Agentur durchaus als wichtiges Rechtsetzungsorgan bezeichnen.518

515 Jääskinen, Schlussanträge v. 20. 11. 2014, Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat, C-507/13, EU:C:2014:2394, Rn. 56. 516 Kämmerer, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 65; Moloney, EBOR 2011, 41, 74. 517 Eine vollständige Liste der bereits erlassenen Standards bietet die ESMA auf ihrer Selbstdarstellung im Internet an unter https://www.esma.europa.eu/convergence/guidelinesand-technical-standards (zuletzt abgerufen am 30. 4. 2020). 518 Schon zu Anfängen der Behörden konnte man deren stetig wachsende Bedeutung ausmachen, siehe Mülbert, ZHR 176 (2012), 369, 374, 378; Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 62.

272 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

3. Rechtsfolge der Überschreitung der inhaltlichen Grenzen des Entwurfrechts bei der Standardsetzung Entwürfe, die inhaltlich ihre Regelungsreichweite überschreiten, sind zwar rechtwidrig, da sie zumindest gegen die ESMA-VO verstoßen, allerdings nicht nichtig. Für eine solche Einordnung spricht das Änderungsrecht der Kommission. Wäre der Entwurf nichtig, müsste die Kommission diesen nicht ändern, sondern die Behörde müsste erneut einen (rechtmäßigen) Entwurf vorlegen.

II. Die inhaltliche Leistungsfähigkeit der verbindlichen Rechtsetzungsinstrumente der ESMA auf der dritten Stufe des Lamfalussyverfahrens Abschließend soll nun noch die Grenze der inhaltlichen Rechtsetzungsmöglichkeiten der Agenturen auf dritter Stufe des Lamfalussyprzesses beleuchtet werden. Auf dieser Ebene des Verfahrens erlassen die ESA Leitlinien und Empfehlungen. Auch hier soll die ESMA wieder stellvertretend für ihre beiden anderen europäischen Aufsichtsbehörden im Finanzbereich stehen. Es soll zunächst untersucht werden, ob die ESMA durch ihre Leitlinien und Empfehlungen überhaupt Recht setzen kann, das eine zwingende Befolgungspflicht beinhaltet. Unstreitig519 rechtlich unverbindlich waren die Maßnahmen der Vorgängerin schon deshalb, weil deren Gründungsbeschluss keine Ermächtigungsgrundlage hierfür enthielt. Anders nun die ESMA-VO mit Art. 16. Nach Untersuchung der rechtlichen Verbindlichkeit soll sodann die Grenze der inhaltlichen Leistungsfähigkeit dieser behördlichen Instrumente ermittelt werden. Es herrscht allerdings äußerste Quellenarmut hinsichtlich Leitlinien und Empfehlungen der ESA oder deren Vorgänger, insbesondere was Charakter und Funktion angeht520 und es ist praktisch keine Literatur zu den hier untersuchten Fragen der inhaltlichen Leistungsfähigkeit vorhanden. Da es, wie bereits dargestellt,521 neben der Bezeichnung selbst keinen auszumachenden Unterschied zwischen Leitlinien und Empfehlungen gibt,522 soll die Untersuchung der Behördeninstrumente zusammen erfolgen.

519

Veil, ZGR 2014, 544, 592. Zutreffend Dickschen, Empfehlungen und Leitlinien als Handlungsform der Europäischen Finanzaufsichtsbehörden, Diss., 2017, S. 57. 521 Siehe oben unter Kapitel 3 A. III. 522 Ebenso Veil, ZGR 2014, 544, 589; Frank, Rechtswirkungen der Leitlinien und Empfehlungen, Diss., 2012, S. 157 f. 520

B. Möglichkeiten der ESMA zur Rechtsetzung und deren Reichweite

273

1. Rechtsetzungskompetenz der ESMA durch Leitlinien und Empfehlungen a) Keine rechtliche Verbindlichkeit Nach Art. 16 ESMA-VO steht der Agentur die Befugnis zu, Leitlinien und Empfehlungen zu erlassen. Die Verordnung enthält allerdings keine Aussage hinsichtlich der Rechtsnatur und damit zusammenhängend deren Bindungskraft. Die Rechtsnatur der Empfehlungen der ESMA wird zum Teil an der Regelung des Art. 288 Abs. 5 AEUV festgemacht, aus der sich die rechtliche Unverbindlichkeit ergebe.523 Ob Art. 288 AEUV tatsächlich auch für die Empfehlungen der ESMA gilt, darf bezweifelt werden. Art. 288 Abs. 1 AEUVerfasst explizit die Handlungsformen der „Organe“. Organe in diesem Sinne sind die in Art. 13 Abs. 1 EUVabschließend524 aufgezählten.525 Deshalb ist hinsichtlich der behördlichen Maßnahmen von einer Rechtsform eigener Art auszugehen.526 Eine vertiefte Befassung mit der Rechtsnatur der Maßnahmen ist aber für die Verbindlichkeit der Leitlinien und Empfehlungen der ESMA unerheblich, da im Falle der Nichterfassung von Art. 288 Abs. 5 AEUV die Leitlinien und Empfehlungen der ESMA als primrechtlich nicht benannte Handlungsformen keine Wirkung als Rechtsnormen entfalten können.527 Die Verträge regeln die rechtsverbindlichen Handlungsformen (mit Außenwirkung) und das Verfahren ihres Erlasses abschließend.528 Zwar kann eine Behörde nach der neuesten Rechtsprechung des EuGH auch 523 So etwa Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 875; Frank, Rechtswirkungen der Leitlinien und Empfehlungen, Diss., 2012, S. 121; Ohler, in: Ruffert, Europäisches Sektorales Wirtschaftsrecht, § 10 Rn. 122; Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 875 f.; Michel, DÖV 2011, 728, 732; Rötting/ Lang, EuZW 2012, 8, 10; Frank, ZBB 2015, 213, 215; von Graevenitz, EuZW 2013, 169, 169. Andere Ansicht Lehmann/Manger-Nestler, EuZW 2010, 87, 13 (anders allerdings MangerNestler, Kreditwesen 2012, 528, 530); wohl auch Veil, ZGR 2014, 544, 594. 524 Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 13 EUV Rn. 5; Calliess, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, Art. 13 EUV Rn. 4; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 13 EUV Rn. 5; Lenz, in: Lenz/Borchardt, EU-Verträge, Art. 13 EUV Rn. 2. 525 Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 288 AEUV Rn. 6, 14; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 288 EUV Rn. 2. 526 In diese Richtung auch Lehmann/Manger-Nestler, EuZW 2010, 87, 13; Wörner, Rechtlich weiche Verhaltenssteuerungsformen Europäischer Agenturen als Bewährungsprobe der Rechtsunion, Diss., 2017, S. 230; wohl auch Veil, ZGR 2014, 544, 594, 599. 527 Zutreffend Frank, ZBB 2015, 213, 215; Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 875. Allerdings gilt dies nach Ansicht der genannten Autoren nur für Leitlinien, da nach ihrer Ansicht Empfehlungen von Art. 288 Abs. 5 AEUV erfasst werden. Andere Ansicht Wörner, Rechtlich weiche Verhaltenssteuerungsformen Europäischer Agenturen als Bewährungsprobe der Rechtsunion, Diss., 2017, S. 160. 528 Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 288 AEUV Rn. 12; Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 875; Manger-Nestler, Kreditwesen 2012, 528, 529; Lecheler, DVBl 2008, 873, 875 f.; Lenaerts/van Nuffel, CDE 2005, 13, 84; so wohl auch Frenz, WRP 2010, 224, 224; diese Richtung andeutend EuGH, Urteil v. 6. 5. 2008, Parlament/Rat, C-133/06, EU:C:2008:257.

274 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

verbindliche abstrakt-generelle Normen erlassen, doch ergehen diese auch in den verbindlichen Handlungsformen des Art. 288 AEUV.529 Der Schaffung neuer Maßnahmetypen steht zwar Art. 288 AUEV nicht entgegen, da Art. 288 AEUV keinen numerus clausus der unionalen Handlungsformen enthält.530 Die Schöpfung neuer Typen von verbindlichen Rechtsakten (mit Außenwirkung) verstieße allerdings sowohl gegen das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung aus Art. 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 EUV als auch gegen das Rechtsstaatsprinzip, das für verbindliche Rechtseingriffe aus Gründen der Rechtssicherheit eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage fordert.531 Es bleibt also lediglich die Möglichkeit der Schaffung unverbindlicher Instrumente. Missverständlich aber ohne Bedeutung ist deshalb auch die Bezeichnung der Leitlinien und Empfehlungen in Art. 44 Abs. 1 Unterabs. 2 ESMA-VO als „Rechtsakte“. Nach Ansicht derer, die Art. 288 Abs. 5 AEUV auf die Empfehlungen der ESMA anwenden, sei das deshalb so, weil mit dieser Bezeichnung an die Nomenklatur532 des Art. 288 AEUV angeknüpft werde, der als Rechtsakte auch die unverbindliche Empfehlung nennt.533 Es ist aber vielmehr ein Übersetzungsfehler. Im englischen werden Rechtsakte i.S.d. Art. 288 TFEU genau genommen als „legal acts“ widergegeben. In der englischen Fassung des Art. 44 Abs. 1 Unterabs. 2 ESMA-VO werden die Handlungsformen der Art. 10 bis 16 ESMA-VO gesammelt nicht als Rechtsakte, sondern lediglich als „acts“ bezeichnet. Ebenso werden im französischen die Rechtsakte i.S.d. Art. 288 TFUE als „actes juridiques“ bezeichnet, in der streitigen Fundstelle der ESMA-VO ist jedoch nur von „actes“ die Rede. Die Terminologie wird allerdings auch in den anderen Sprachen nicht immer streng exerziert. Es handelt sich mithin um ein redaktionelles Versehen. Zutreffender wäre wohl „Maßnahmen“ als Übersetzung der „acts“ bzw. „actes“ gewesen. Gegen die Verbindlichkeit von Leitlinien und Empfehlungen spricht zudem das Fehlen eines Kontrollregimes, das sowohl bei der einfachen Rechtsaktsetzung der Kommission als auch bei der Setzung technischer Standards etabliert ist. Endlich kann auch noch der comply-or-explain-Mechanismus534 ins Feld geführt werden als

529 Im vorliegenden Fall ging es um einen von ESMA erlassenen Beschluss, vgl. EuGH, Urteil v. 22. 1. 2014, Vereinigtes Königreich, Parlament und Rat, C-270/12, EU:C:2014:18, Rn. 28. 530 Geismann, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 288 Rn. 22; Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 288 AEUV Rn. 12; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 98. 531 EuGH, Urteil v. 21. 9. 1989, Hoechst/Kommission, verb. Rs. C-46/87 und C-227/88, EU:C:1989:337, Rn. 19; Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 288 AEUV Rn. 12. 532 Vgl. auch die Systematik des Art. 288 AEUV: Die Norm befindet sich im „Abschnitt 1. Rechtsakte der Union“ des „Kapitel[s] 2. Rechtsakte der Union, Annahmeverfahren und sonstige Vorschriften“. 533 Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 875. 534 Hierzu auch Kapitel 3 A. III.

B. Möglichkeiten der ESMA zur Rechtsetzung und deren Reichweite

275

prominentestes Argument gegen eine Verbindlichkeit der Behördeninstrumente.535 Wenn sich der Adressat bei Nichbefolgen der Maßnahme erklären muss, muss es folglich auch möglich sein, eine Maßnahme nicht zu befolgen. Im Übrigen ging der Bericht der Weisen selbst davon aus, dass die Maßnahmen auf dritter Stufe unverbindlich seien.536 Ebenfalls geht die ESMA, wie vor ihr der Ausschuss der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde,537 von der Unverbindlichkeit ihrer Leitlinien und Empfehlungen aus.538 Nicht zuletzt die BaFin hält die Maßnahmen der europäischen Aufsichtsbehörden für rechtlich unverbindlich und verhält sich auch dementsprechend (partially-comply).539 Eine rechtliche Bindung ist im Übrigen auch nicht durch den Effektivitätsgrundsatz oder der Pflicht zur Gemeinschaftstreue zu begründen.540 Letzte Zweifel hat nun der Generalanwalt Sánchez-Bordona in einer aktuellen Entscheidung ausgeräumt, in der er ausdrücklich klarstellt, dass Leitlinien und Empfehlungen der Agenturen keine verbindlichen Rechtsakte sind.541 Interessant ist allerdings, dass die Verordnungsvorschläge der Kommission zur Errichtung der Behörden in Erwägungsgrund 15 (EIOPA und EBA) bzw. 16 (ESMA) ausdrücklich von der Unverbindlichkeit der Leitlinien und Empfehlungen sprachen; dieser Hinweis wurde allerdings auf Drängen des Parlaments in der ersten Lesung entfernt542 und findet sich in den erlassenen Behördenverordnungen nun nicht mehr wieder. Aus der angehängten Begründung des Protokolls der ersten Lesung wird allerdings nicht auf die Streichung eingegangen. So kann nur gemutmaßt werden, dass man die Unverbindlichkeit der Leitlinien und Empfehlungen in der Hoffnung auf eine bessere Befolgung der mitgliedstaatlichen Adressaten wohl sprachlich kaschieren wollte. 535 Lehmann/Manger-Nestler, ZBB 2011, 1, 13; Wörner, Rechtlich weiche Verhaltenssteuerungsformen Europäischer Agenturen als Bewährungsprobe der Rechtsunion, Diss., 2017, S. 218. 536 Im Schlussbericht der Weisen wurde das Verhalten der Vorgängerorganisation CESR als rechtlich unverbindlich eingestuft: „Das Ergebnis dieser Arbeiten wäre nicht verbindlich, wenngleich es zweifellos einen maßgeblichen Einfluss hätte“, Schlussbericht der Weisen, S. 47. 537 Introduction – The context and status of this ‘Q and A’, CESR/10-1337 v. 23. 11. 2010, S. 1. 538 Vgl. A Guide to Understanding ESMA, ESMA/2011/009 v. 3. 1. 2011, S. 5. 539 Bafin Journal 12/2010, S. 12: „Leitlinien und Empfehlungen haben zwar grundsätzlich einen unverbindlichen Charakter, ihre Beachtung wird jedoch ähnlich wie die Warnungen und Empfehlungen des ESRB nur mittels politischen Drucks gewährleistet.“ Siehe auch BaFin Journal 8/2018, S. 8. 540 Vgl. EuGH, Beschluss v. 30. 9. 1987, Brothers Industries/Kommission, C-229/86, EU:C:1987:403, S. 3763; EuGH, Urteil v. 13. 12. 1990, Prodifarma/Kommission, T-116/89, EU:T:1990:85, Rn. 79 ff.; Frank, Rechtswirkungen der Leitlinien und Empfehlungen, Diss., 2012, S. 169 f. 541 Campos Sánchez-Bordona, Schlussanträge v. 27. 6. 2018, Berlusconi und Fininvest, C219/17, EU:C:2018:502, Rn. 85. Auch der Generalanwalt verwendet für verbindliche Rechtsakte, die Begriffe „actes juridiques“ und „legal acts“, sodass dies die Richtigkeit oben genannter Feststellung unterstreicht. 542 Vgl. Änderungen des Parlaments in erster Lesung, A7-0169/2010 v. 7. 10. 2010.

276 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

Die Maßnahmen der Behörden auf dritte Stufe werden aufgrund ihrer Unverbindlichkeit auch des Öfteren als soft law bezeichnet.543 b) Keine rechtliche Bedeutungslosigkeit Zwar können die Agenturen durch die Leitlinien und Empfehlungen kein unmittelbar verbindliches Recht setzen, doch sind Leitlinien und Empfehlungen damit nicht rechtlich bedeutungslos. Ihnen kann durchaus eine faktische Bindungskraft oder ähnliche Befolgungskraft zukommen. Dieser Frage soll hier aber nicht weiter nachgegangen werden, da es bei der vorliegenden Untersuchung um die verbindliche Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten gehen soll. Darüber hinaus sind zur Frage der Rechtswirkungen von Leitlinien und Empfehlungen ausführliche Untersuchungen in ausreichender Zahl erschienen.544 Es soll dennoch kurz auf die inhaltliche Leistungsfähigkeit der Leitlinien und Empfehlungen eingegangen werden, insbesondere weil diese Frage, soweit ersichtlich, noch unbeantwortet ist. 2. Inhaltliche Leistungsfähigkeit der Leitlinien und Empfehlungen Die dem Erlass von Leitlinien und Empfehlungen zugrunde liegenden Rechtsvorschriften setzen den Maßnahmen kaum normative Vorgaben.545 Nach Art. 16 Abs. 1 ESMA-VO haben sie der Schaffung einer kohärenten, effizienten und wirksamen Aufsichtspraxis und der Sicherstellung einer gemeinsamen, einheitlichen und kohärenten Anwendung des Unionsrechts zu dienen. Diesen Zweck verfolgen im Grunde nicht nur die Maßnahmen auf Stufe 2 des Lamfalussyprozesses,546 sondern die Regulierung als solche, sodass diese Zweckbestimmung für die Bestimmung einer inhaltlichen Grenze nutzlos ist. a) Zuständigkeitsbereich Die Erwägungsgründe der ESMA-VO selbst geben lediglich einen Hinweis auf den Anwendungsbereich der Leitlinien und Empfehlungen. Nach Erwägungsgrund 26 S. 1 kann die Behörde nur in den von den technischen Standards nicht abgedeckten Bereichen Leitlinien und Empfehlungen zur Anwendung des Unionsrechts 543

So etwa Veil, ZGR 2014, 544, 592 f. Es sei hingewiesen auf Frank, Rechtswirkungen der Leitlinien und Empfehlungen, Diss., 2012; Hänle, Die neue Europäische Finanzaufsicht, Diss., 2012; Dickschen, Empfehlungen und Leitlinien als Handlungsform der Europäischen Finanzaufsichtsbehörden, Diss., 2017; Wörner, Rechtlich weiche Verhaltenssteuerungsformen Europäischer Agenturen als Bewährungsprobe der Rechtsunion, Diss., 2017. 545 Kämmerer, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 67. 546 Veil, ZGR 2014, 544, 598; Sasserath-Alberti/Hartig, VersR 2012, 524, 531; Hartig, BB 2012, 2959, 2960. 544

B. Möglichkeiten der ESMA zur Rechtsetzung und deren Reichweite

277

abgeben.547 Da die Behörden auch im Rahmen von technischen Standards beteiligt sind, sollen sie die hierdurch abgeschlossene Harmonisierung nicht mehr mittels Leitlinien und Empfehlungen beeinflussen können. In den Bereichen, in denen die Legislative bewusst keine Standards vorgesehen hat, sollen die Agenturen allerdings die Möglichkeit haben, durch die Level-3-Maßnahmen die Vereinheitlichung des Regelungsbereichs voranzutreiben.548 Insoweit ist aber, wie auch bei den technischen Standards, Art. 1 Abs. 2 ESMAVO zu beachten, der den Tätigkeitsbereich der ESMA festlegt und insofern Zuständigkeitsschranken setzt.549 Da die ESMA allerdings nach Art. 1 Abs. 3 ESMAVO (Annexkompetenz) auch in Bereichen tätig werden darf, die zwar nicht unmittelbar und explizit in Art. 1 Abs. 2 ESMA-VO genannt sind, aber mit den dort aufgeführten in Zusammenhang stehen, ist auch die Zuständigkeit der ESMA bei Leitlinien und Empfehlungen bzw. deren Anwendungsbereich nicht klar umgrenzt. Ein Tätigwerden innerhalb der Annexkompetenz setzt allerdings voraus, dass die Maßnahmen der Behörde erforderlich sind, um die wirksame und kohärente Anwendung der von der Verordnung genannten Rechtsakte sicherzustellen. In Anbetracht der Funktion liegt der Schluss nahe, dass zumindest bereits Normen existieren müssen, deren Anwendung durch Interpretation harmonisiert wird.550 Indes ist dies in der Praxis häufig551 nicht der Fall. So beschreiben Sasserath-Alberti und Hartig einen Fall der Leitliniensetzung der EIOPA im Bereich der Solvency-II-Richtlinie, bei dem die Behörde Regelungen zur Etablierung eines internen Beschwerdemanagements des Versicherungsunternehmens für Versicherungsnehmer erlassen hat.552 Die entsprechende Richtlinie regelt zwar die Behandlung von Beschwerden und geht von einer Beschwerdestelle aus, fordert jedoch die Errichtung einer internen Einrichtung nicht.553 Die Behörde müsste deshalb innerhalb ihrer Annexkompetenz tätig geworden sein. Für die Erforderlichkeit der Maßnahmen i.S.d. Art. 1 Abs. 3 EIOPAVO ist allerdings nichts ersichtlich, da es gerade keine Regelung gibt, deren einheitliche Anwendung mittels Leitlinien sichergestellt werden müsste.554 So wird entweder der Auftrag in Art. 16 EIOPA-VO, eine einheitliche Anwendung des Unionsrechts zu fördern, nicht als Begrenzung des Anwendungsbereiches verstanden oder aber an den Erforderlichkeitsvorbehalt werden keine allzu strengen Voraussetzungen geknüpft. Welche der Alternativen auch zutreffen sollte, der Behörde ergibt sich letztlich ein großer Anwendungsbereich für ihre Leitlinien und Emp547

Hierzu auch Kapitel 3 A. III. Sasserath-Alberti/Hartig, VersR 2012, 524, 531. 549 Sasserath-Alberti/Hartig, VersR 2012, 524, 531. 550 So zutreffend Sasserath-Alberti/Hartig, VersR 2012, 524, 531. 551 Siehe nur sogleich die Empfehlungen zur Überbrückung während eines Gesetzgebungsverfahrens. 552 Leitlinien zur Beschwerdebearbeitung durch Versicherungsunternehmen, EIOPA-BoS12/069 DE v. 11.2012. 553 Sasserath-Alberti/Hartig, VersR 2012, 524, 531 f. 554 Sasserath-Alberti/Hartig, VersR 2012, 524, 532. 548

278 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

fehlungen. Darüber hinaus ist die ESMA bei der Maßnahmegebung auf Stufe 3 nicht durch ein Ermächtigungserfordernis im Basisrechtsakt gebunden, sondern kann aus eigner Initiative tätig werden. Hierfür liefert die Praxis zahlreiche Beispiele.555 b) Inhaltliche Leistungsfähigkeit der Leitlinien und Empfehlungen aa) Normativer Inhalt der Leitlinien und Empfehlungen In inhaltlicher Hinsicht scheinen den Leitlinien und Empfehlungen in Ansehung des Praxisbefunds keine Grenzen gesetzt zu sein. Die formal unverbindlichen Maßnahmen der Behörde haben oftmals normativen Charakter.556 Es existieren etwa Maßnahmen, die bestehende Normen inhaltlich ausfüllen, wie etwa die Leitlinien zur Marktsondierung557 zur Ergänzung und Ausgestaltung des Art. 11 der Marktmissbrauchsverordnung. Die Leitlinien legen im Wesentlichen fest, wie sich Personen zu verhalten haben, die Marktsondierung erhalten haben, um nicht gegen ein Verbot bzgl. Insiderinformationen und deren Nutzung zu verstoßen.558 In ähnlicher Funktion erstellte die Behörde eine (nicht abschließende) Liste559 zur Ergänzung des Art. 17 Abs. 4 lit. a der MMVO, der einen Aufschub bei der unverzüglichen Offenlegung von Insiderinformationen zulässt, wenn die unverzügliche Offenlegung geeignet wäre, die berechtigten Interessen des Emittenten oder Teilnehmers am Markt für Emissionszertifikate zu beeinträchtigen. Die Liste enthält sowohl Fälle, bei denen berechtigte Interessen des Emittenten einen Aufschub rechtfertigen als auch Fälle, bei denen ein solcher Aufschub geeignet wäre, die Öffentlichkeit irrezuführen.560 Auch auf eigener Initiative sind solche normausfüllenden Maßnahmen erlassen worden. Zur Ergänzung des Art. 12 Abs. 1 der Verordnung über Zentralverwahrer561, der die Beaufsichtigung von Zentralverwahrer den Zentralbanken mit den wich555

Siehe hierzu sogleich unter B. II. 2. b). So auch Kämmerer, in: Kämmerer/Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 67; Sonder, BKR 2012, 8, 11; Lehmann/Manger-Nestler, EuZW 2010, 87, 90; Wörner, Rechtlich weiche Verhaltenssteuerungsformen Europäischer Agenturen als Bewährungsprobe der Rechtsunion, Diss., 2017, S. 257 f.; Dickschen, Empfehlungen und Leitlinien als Handlungsform der Europäischen Finanzaufsichtsbehörden, Diss., 2017, S. 69 f.; Röhl, Regulierungsrecht, § 18 Rn. 120. 557 MAR-Leitlinien: Personen, die Marktsondierung erhalten v. 10. 11. 2016, ESMA/2016/ 1477. 558 MAR-Leitlinien: Personen, die Marktsondierung erhalten v. 10. 11. 2016, ESMA/2016/ 1477, S. 5 ff. 559 MAR-Leitlinien: Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen v. 20. 10. 2016, ESMA/2016/1478. 560 MAR-Leitlinien: Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen v. 20. 10. 2016, ESMA/2016/1478, S. 4 ff. 561 Verordnung (EU) Nr. 909/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Verbesserung der Wertpapierlieferungen und -abrechnungen in der Europäischen Union und über Zentralverwahrer sowie zur Änderung der Richtlinien 98/26/EG und 2014/65/ EU und der Verordnung (EU) Nr. 236/2012, ABl. Nr. L 257 v. 28. 8. 2014, S. 1. 556

B. Möglichkeiten der ESMA zur Rechtsetzung und deren Reichweite

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tigsten Währungen überließ, erließ die Kommission eine delegierte Verordnung.562 Sie legt fest, unter welchen Bedingungen eine Unionswährung als eine der wichtigsten erachtet wird. Diese Berechnung gestaltete sich allerdings schwierig und uneinheitlich, sodass sich die ESMA entschloss, Leitlinien für das Verfahren zur Erhebung, Verarbeitung und Aggregation der für die Berechnung der Indikatoren erforderlichen Daten zur Bestimmung der wichtigsten Währungen zu erlassen.563 Die Maßnahmen auf der dritten Stufe des Lamfalussyverfahrens entsprechen nach der hier vertretenen Ansicht in inhaltlicher Hinsicht zum größeren Teil (ergänzenden) delegierten Rechtsakten. Auch Wörner stellte bei seiner Untersuchung fest, dass die Instrumente in inhaltlicher Hinsicht oft über „die Sicherstellung eines einheitlichen Begriffsverständnisses“ hinausgehen, indem die Behörden die Begriffe nicht nur definieren, sondern „mit eigenen Konzepten aufladen […].“564 bb) Die Aufsichtsbehörde als ordentlicher Gesetzgeber ohne Bindungskraft Bemerkenswerterweise ergingen nicht nur Leitlinien und Empfehlungen, um bereits bestehendes Gemeinschaftsrecht auszulegen oder zu ergänzen, sondern auch im Vorfeld von Gesetzgebungsakten, um die Zeit bis zu deren Erlass mit den Leitlinien und Empfehlungen zu überbrücken.565 Die ESMA veröffentlichte im Dezember 2012 auf Eigeninitiative Leitlinien zu börsengehandelten Indexfonds (ETF) und zu anderen OGAW-Themen.566 Diese Leitlinien galten bis zum 18. Februar 2014 und waren nach eigener Bezeichnung der ESMA „Übergangsbestimmungen,567 um die Zeit bis zum Erlass der entsprechenden Änderung der OGAW-Richtlinie zu überbrücken. Die Leitlinien enthielten zahlreiche und äußerst konkrete Vorgaben darüber, welche Informationen ein Prospekt für die speziellen Investmentfonds enthalten muss. Auch die EBA hat solche Empfehlungen erlassen, die den Zeitraum bis zu einer verbindlichen Gesetzgebung überspannen sollten. Zu nennen sind etwa die EBA562

Delegierte Verordnung (EU) 2017/392 der Kommission vom 11. November 2016 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 909/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards für die Zulassung von und für aufsichtliche und operationelle Anforderungen an Zentralverwahrer, ABl. Nr. L 65 v. 10. 3. 2017, S. 48. 563 Leitlinien zum Verfahren für die Berechnung der Indikatoren zur Bestimmung der wichtigsten Währungen, in denen Abrechnungen vollzogen werden v. 28. 3. 2018, ESMA70708036281-66. 564 Wörner, Rechtlich weiche Verhaltenssteuerungsformen Europäischer Agenturen als Bewährungsprobe der Rechtsunion, Diss., 2017, S. 257. 565 Dickschen bezeichnet in ihrer Untersuchung diese Art der Leitlinien- und Empfehlungssetzung treffend als „Lückenfüller“, siehe Dickschen, Empfehlungen und Leitlinien als Handlungsform der Europäischen Finanzaufsichtsbehörden, Diss., 2017, S. 65, 69 f. 566 Leitlinien zu börsengehandelten Indexfonds (Exchange-Traded Funds, ETF) und anderen OGAW-Themen v. 18. 12. 2012, ESMA/2012/832. 567 Leitlinien zu börsengehandelten Indexfonds (Exchange-Traded Funds, ETF) und anderen OGAW-Themen v. 1. 8. 2014, ESMA/2014/937, S. 3.

280 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

Empfehlungen zur Beaufsichtigung von Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Teilnahme von Banken am Euribor-Panelais aus dem Jahr 2013,568 die zusammen mit der ESMA ausgearbeitet wurden. Wegen erheblicher Mängel bei den Verfahren zur Festsetzung von Referenzzinssätzen in der EU und dem damit einhergehenden Vertrauensverlust der Finanzmärkte in diese Zinssätze sowie aufgrund ihres Manipulationspotentials, sahen sich die Agenturen gezwungen, entsprechende Vorgaben für einheitliche Verfahren zur Festsetzung von Referenzzinssätzen in Europa zu erlassen. Die Behörden werden nach eigener Aussage tätig, weil im „gegenwärtigen institutionellen Rahmen […] die Festsetzung der Referenzzinssätze nicht von der EU reguliert [wird].“569 Die Agenturen übernahmen bewusst die Rolle des (unverbindlichen) Gesetzgebers. Bezeichnend für das Selbstverständnis der Behörde ist auch die Titulierung ihrer Empfehlungen als „Regulierungsrahmen“570. Einen solchen Rahmen erlässt im Lamfalussyprozess eigentlich der europäische Gesetzgeber in Form eines Basisrechtsakts. Auf den Spuren des Gesetzgebers wandelte die EBA auch mit dem Erlass ihrer Empfehlung zur Entwicklung von Sanierungsplänen.571 Die Finanzkrise zog viele Banken in Mitleidenschaft. Um Bankenausfälle auf geordnete Weise handhaben zu können und eine Ansteckung anderer Institute zu vermeiden, wurde ein wirksamer Politikrahmen benötigt, der unter anderem ein Sanierungskonzept vorgeben sollte. Als nun aber bereits mehrere Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften zu Sanierungs- und Abwicklungsplänen erlassen und sogar einige Banken mit der Erstellung von solchen Sanierungsplänen begonnen hatten572 und eine entsprechende Gesetzgebung noch in der Vorschlagsphase steckte,573 kam der Rat der Aufseher der EBA überein, dass die EBA ihren Auftrag aus Art. 25 Abs. 1 der EBA-VO „bis zur Annahme des Vorschlags der Kommission […] am wirksamsten dadurch erfüllt, dass sie gemäß Artikel 16 der EBA-Verordnung […] Empfehlung an die nationalen, für die Entwicklung von Sanierungsplänen zuständigen Behörden, richtet.“574 Die nationalen Aufsichtsbehörden sollten dafür sorgen, dass die im Anhang der Empfehlung genannten Kre568 EBA-Empfehlungen zur Beaufsichtigung von Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Teilnahme von Banken am Euribor-Panel v. 11. 1. 2013, EBA/REC/2013/01. 569 EBA-Empfehlungen zur Beaufsichtigung von Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Teilnahme von Banken am Euribor-Panel v. 11. 1. 2013, EBA/REC/2013/01, S. 4. 570 EBA-Empfehlungen zur Beaufsichtigung von Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Teilnahme von Banken am Euribor-Panel v. 11. 1. 2013, EBA/REC/2013/01, S. 4. 571 Empfehlung zur Entwicklung von Sanierungsplänen v. 23. 1. 2013, EBA/REC/2013/02. 572 Empfehlung zur Entwicklung von Sanierungsplänen v. 23. 1. 2013, EBA/REC/2013/02, S. 3 f. 573 Vorschlag für Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinien 77/91/EWG und 82/891/EG des Rates, der Richtlinien 2001/ 24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG und 2011/35/EG sowie der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010, COM(2012) 280 final v. 12. 6. 2012. 574 Empfehlung zur Entwicklung von Sanierungsplänen v. 23. 1. 2013, EBA/REC/2013/02, S. 3.

B. Möglichkeiten der ESMA zur Rechtsetzung und deren Reichweite

281

ditinstitute Gruppensanierungspläne anhand der ebenfalls in der Empfehlung beigegeben Vorlage erstellen und ihren nationalen Aufsichtsbehörden vorlegen. Diese sollten sodann im Aufsichtskollegium mit den anderen Behörden erörtert werden.575 Auch in diesem Fall wurde kein Geheimnis daraus gemacht, das man als Behörde zwischenzeitlich als außerordentlicher Ersatzgesetzgeber aushilft.576 Die Empfehlung ähnelt sogar durch die Nennung von Rechtsgrundlage und Erwägungsgründen577 formal einem Gesetzgebungsakt. In rein inhaltlicher Hinsicht handelt es sich hier zweifellos nicht nur um normative Gestaltung, sondern auch um politische Lenkung, die Kernaufgabe des europäischen Gesetzgebers. Wenn nun Agenturen durch Leitlinien und Empfehlungen auch politische Entscheidungen treffen,578 lässt dies natürlich an die Grenzen denken, die Behörden mit ihren Maßnahmen im Rahmen der Meroni-Rechtsprechung gesetzt werden. Zwar ist nach neuerer Rechtsprechung des EuGH eine normative Rechtsetzung von Behörden nicht ausgeschlossen. Doch fordert das Gericht, dass die Befugnisse hierzu eng umgrenzt werden.579 Eine solche enge Umgrenzung scheint im Hinblick auf den weiten Anwendungsbereich, der Annexkompetenz, dem Initiativrecht sowie dem gänzlichen Fehlen normierter inhaltlicher Schranken mehr als zweifelhaft. Indes kann die Meroni-Rechtsprechung nicht als Maßstab bzw. Grenze herangezogen werden, da Leitlinien und Empfehlungen keine Maßnahmen mit verbindlicher Rechtswirkung i.S.d. Art. 263 Abs. 1 S. 2, Abs. 4 und Art. 265 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 sind.580 Weiterhin könnte der Wesentlichkeitsvorbehalt dem Handeln der Behörden eine Grenze setzen. Allein Schwarze widmet sich kurz der Frage der Kollision von NichtRechtsakten mit dem Wesentlichkeitsgebot;581 dies allerdings in Bezug auf Maßnahmen der Kommission. Er unterscheidet zwischen normerläuterndem oder -konkretisierendem soft law und gesetzesvorbereitendem, gesetzesersetzendem und gesetzesvertretendem soft law. Bei gesetzesvorbereitenden Maßnahmen sei ein Verstoß gegen das Wesentlichkeitsgebot dann anzunehmen, wenn die vorprägende Wirkung dazu führe, dass der Gesetzgeber in seinem gesetzgeberischen Ermessen 575

S. 9 f.

Empfehlung zur Entwicklung von Sanierungsplänen v. 23. 1. 2013, EBA/REC/2013/02,

576 Vgl. Empfehlung zur Entwicklung von Sanierungsplänen v. 23. 1. 2013, EBA/REC/ 2013/02, S. 5. 577 Empfehlung zur Entwicklung von Sanierungsplänen v. 23. 1. 2013, EBA/REC/2013/02, S. 8 f. 578 So auch ausdrücklich Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 102. 579 EuGH, Urteil v. 22. 1. 2014, Vereinigtes Königreich(Parlament und Rat, C-270/12, EU:C:2014:18, Rn. 64 ff. 580 Dickschen, Empfehlungen und Leitlinien als Handlungsform der Europäischen Finanzaufsichtsbehörden, Diss., 2017, S. 215; in diese Richtung auch Kämmerer, in: Kämmerer/ Veil, Übernahme- und Kapitalmarktrecht in der Reformdiskussion, S. 68. 581 Schwarze, EuR 2011, 3, 17 f.

282 Kap. 4: Kompetenzen zur Rechtsetzung der am Lamfalussyverfahren Beteiligten

bei der Verabschiedung der späteren Normen gebunden sei. Gesetzesersetzendes bzw. gesetzesvertretendes soft law, mit denen wohl auch die zeitüberbrückenden Maßnahmen der Agenturen verglichen werden können, seien nicht zu tolerieren und verstießen gegen das Wesentlichkeitsgebot.582 Nun ist aber festzustellen, dass sich diese Aussage nicht auf rechtlich unverbindliche Maßnahmen bezog, stellt Schwarze doch am Anfang seines Fazits zur Zulässigkeit von soft law klar, dass den „wenigsten rechtlichen Bedenken […] soft law in Form von Empfehlungen und Stellungnahmen [begegnet], die vertraglich ausdrücklich als nicht verbindliche Handlungsformen vorgesehen sind […].“583 Es sind vielmehr Maßnahmen gemeint, deren rechtliche Unverbindlichkeit sehr fraglich ist, so etwa bei den Bußgeldleitlinien584 der Kommission, die auf Art. 101, 102 AEUV gestützt und nach näherer Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 1/2003585 verhängt werden. Das ist bei den Maßnahmen der Agenturen nicht der Fall. Anders als etwa die Bußgeldleitlinien als administrative Selbstbindung besitzen die Maßnahmen der ESA nicht nur eine Innenwirkung, sondern vor allem auch den comply-or-explain-Mechanismus, mit dem von der Maßnahme Betroffenen eine Wahlfreiheit gegeben ist. Grundsätzlich wurde das Wesentlichkeitskriterium für den Erlass verbindlicher Rechtsakte geschaffen. Ein Konflikt kann immer nur dann entstehen, wenn eine andere Quelle quasi-legislative Befugnisse zum Erlass verbindlicher Rechtsakte wahrnimmt. Rechtlich unverbindliche Maßnahmen reichen nicht aus, um dem Gesetzgeber die Regelung der wesentlichen Materie zu entreißen, selbst wenn sie eine gewisse rechtliche Bedeutung oder faktische Bindungskraft besitzen. Eine Ersatzgesetzgeberschaft der ESMA ist mit unverbindlichen Leitlinien und Empfehlungen nicht zu erreichen. Die Behörden können also durch Leitlinien und Empfehlungen auch Entscheidungen treffen, die selbst der Kommission im Wege der delegierten Rechtsetzung nicht zustehen. Einzige Grenze dieser in inhaltlicher Hinsicht umfassenden Leistungsfähigkeit ist damit nur durch das Primär- und Sekundärrecht insofern gegeben, als dass unverbindliche Rechtsakte den Bestand der verbindlichen und höherrangigen Rechtsakte nicht abändern, dem höherrangigen Recht also insbesondere nicht widersprechen können.586 Ebenso haben die Leitlinien und Empfehlungen die Rechtsprechung des EuGH zu befolgen; sie dürfen von dieser nicht abweichen.587 582

Schwarze, EuR 2011, 3, 17 f. Schwarze, EuR 2011, 3, 17. 584 So etwa Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003, ABl. Nr. C 210 v. 1. 9. 2006, S. 2. 585 Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. Nr. L 1 v. 4. 1. 2003, S. 1. 586 EuGH, Urteil v. 28. 1. 1992, Soba/Hauptzollamt Augsburg, C-266/90, EU:C:1992:36, Rn. 19. Ebenso Dickschen, Empfehlungen und Leitlinien als Handlungsform der Europäischen Finanzaufsichtsbehörden, Diss., 2017, S. 216. 587 EuGH, Urteil v. 28. 6. 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, verb. Rs. C-189/02 P, C-202/02 P, C-205/02 P bis C-208/02 P und C-213/02 P, EU:C:2005:408, Rn. 261; Dickschen, 583

B. Möglichkeiten der ESMA zur Rechtsetzung und deren Reichweite

283

Endlich begrenzen noch allgemeine Rechtsgrundsätze588 die inhaltliche Reichweite der Maßnahmen, wie etwa das Verhältnismäßigkeitsprinzip,589 das für jegliche Maßnahmen der Union gilt.590 3. Ergebnis zur inhaltlichen Leistungsfähigkeit behördlicher Rechtsetzung durch Leitlinien und Empfehlungen Leitlinien und Empfehlungen der ESMA sind rechtlich unverbindlich. Gerade deshalb ist es in Ansehung der Verträge und der Rechtsprechung des EuGH nicht erforderlich, die Leistungsfähigkeit der Maßnahmen zu beschränken. Dieses umfängliche inhaltliche Leistungsvermögen kann in der Praxis beobachtet werden. Dort treten die Behörden zeitweise als ordentlicher Ersatzgesetzgeber auf. Grenzen sind der Gestaltungskraft der Leitlinien und Empfehlungen nur dort gesetzt, wo sie gegen bestehendes Recht, die Rechtsprechung des EuGH oder allgemeine Rechtsgrundsätze verstoßen würden. Darüber hinaus werden die Behörden auch in einem weiten Regelungsbereich tätig, da die eigene Zuständigkeit flexibel gehandhabt wird. 4. Rechtsfolge der Überschreitung der inhaltlichen Leistungsgrenze von Leitlinien und Empfehlungen Die Maßnahmen der ESA, die gegen oben genannte Grenzen verstoßen, sind grundsätzlich nicht nichtig, sondern rechtswidrig, sodass sie der EuGH für nichtig erklären kann.591

Empfehlungen und Leitlinien als Handlungsform der Europäischen Finanzaufsichtsbehörden, Diss., 2017, S. 216; Senden, Soft Law in European Community Law, S. 236. 588 Für eine Aufzählung der normierten und unkodifizierten allgemeinen Rechtsgrundsätze siehe Huber, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., Art. 19 EUV Rn. 17. 589 Wörner, Rechtlich weiche Verhaltenssteuerungsformen Europäischer Agenturen als Bewährungsprobe der Rechtsunion, Diss., 2017, S. 352 f.; Dickschen, Empfehlungen und Leitlinien als Handlungsform der Europäischen Finanzaufsichtsbehörden, Diss., 2017, S. 216. 590 Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 5 EUV Rn. 46; Calliess, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, Art. 5 EUV Rn. 44 f.; Bast, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, EUV/AEUV, Art. 5 EUV Rn. 67. 591 Dickschen, Empfehlungen und Leitlinien als Handlungsform der Europäischen Finanzaufsichtsbehörden, Diss., 2017, S. 218.

Kapitel 5

Zusammenfassung der Ergebnisse und Darstellung in Thesen A. Zusammenfassung der Ergebnisse I. Rechtlich verbindliche Lamfalussymaßnahmen Verbindliche Lamfalussy-Rechtsetzungsinstrumente der Kommission sind die delegierte und die Durchführungsrechtsetzung. Die ESMA kann mittels der Standards durch die Kommission als mittelbarer Rechtsetzer verbindliche Rechtsakte schaffen. Ihre Leitlinien und Empfehlungen hingegen besitzen keine rechtliche Verbindlichkeit, was jedoch nicht heißt, dass ihnen keine rechtliche Bedeutung zukommt.

II. Delegierte und Durchführungsrechtsetzung Der delegierten Rechtsetzung der Kommission kommt die größte inhaltliche Leistungsfähigkeit zu. Hier darf sich die Kommission als Quasi-Gesetzgeber gerieren. Ihr kann die Befugnis eingeräumt werden, den Basisrechtsakt auf jede nur denkbare Art und Weise inhaltlich zu modifizieren. Grenze der inhaltlichen Leistungsfähigkeit bildet allein der europäische Wesentlichkeitsvorbehalt. Nur dem ordentlichen Gesetzgeber kann es zustehen, wesentliche Elemente eines Rechtsaktes zu regeln. Was wesentlich in diesem Sinne ist, lässt sich abstrakt nicht ausführen und ist in Ansehung der durch dieses Merkmal kodifizierten Rechtsprechung des EuGH auch nicht möglich. Wesentlich ist allerdings alles, wodurch die grundsätzliche Ausrichtung der Unionspolitik umgesetzt wird. Es handelt sich um politische Leitentscheidungen für die Durchführung der Gemeinschaftspolitik bzw. für das Funktionieren des Binnenmarkts. Wesentlich sind in der Regel auch solche Fragen, bei denen in die Grundrechte Einzelner eingegriffen werden soll. Der Inhalt und die Intensität der Wesentlichkeit ist darüber hinaus nicht generell für alle Politikbereiche gleich, sondern wird vom Gericht bereichsspezifisch bestimmt. Die Anforderungen an den Gesetzgeber hinsichtlich seines zwingenden Regelungsgehalts und -umfangs sind umso geringer, je flexibler Gesetzgeber und Kommission im jeweiligen Politikbereich und im konkreten Fall sein müssen, um die Ziele der Union zu verwirklichen.

A. Zusammenfassung der Ergebnisse

285

Der delegierte Rechtsakt kann in zwei Formen auftreten: Als ändernder delegierter Rechtsakt und als ergänzender delegierter Rechtsakt. In formeller Hinsicht ist der delegierte Rechtsakt als gesonderter Rechtsakt zu erlassen, der mit seiner formellen Gestaltungskraft auf diesen gesonderten Rechtsakt beschränkt bleibt, was jedoch nicht für seine inhaltliche Gestaltungskraft gilt. Die ändernde Alternative wird formell ebenso als gesonderter Rechtsakt erlassen, entfaltet seine formelle Gestaltungswirkung allerdings, indem er seinen Basisrechtsakt nicht nur inhaltlich modifiziert, sondern auch dessen Form umgestaltet. Dem ergänzenden delegierten Rechtsakt ist allerdings ein formeller Zugriff auf seinen Basisrechtsakt nicht möglich. Der Durchführungsrechtsakt hingegen ist nicht imstande seinen Basisrechtsakt inhaltlich zu modifizieren. Die Grenze der inhaltlichen Leistungsfähigkeit ist deshalb nicht erst bei der Regelung wesentlicher Elemente des Basisrechtsakts erreicht, sondern immer dann wenn der Basisrechtsakt inhaltlich verändert wird. So beschränkt sich der Anwendungsbereich der Durchführung auf das Erstellen von Formblättern, Mustern, dem Einrichten von Informationssystemen oder der Anwendung bzw. Prüfung bereits erlassener Normen. In formeller Hinsicht gleicht die Durchführung dem ergänzenden delegierten Rechtsakt. Der Durchführungsrechtsakt ist in einem gesonderten Rechtsakt zu erlassen und bleibt mit seinen formellen Gestaltungsmöglichkeiten auf diesen beschränkt. In inhaltlicher Hinsicht kann der Durchführungsrechtsakt allerdings bereits erlassene Durchführungsrechtsakte insoweit inhaltlich beeinflussen, wie es der Kommission möglich gewesen wäre, den so durch Änderungen entstandenen Rechtsakt auch direkt durch ihre im Basisrechtsakt verliehene Befugnis zu erlassen. Aufgrund ihrer umfänglichen inhaltlichen Leistungsfähigkeit wäre es der delegierten Rechtsetzung ebenso möglich, den Basisrechtsakt durchzuführen und damit die Aufgabe der Durchführungsrechtsetzung wahrzunehmen. Art. 291 AEUV regelt allerdings nicht nur den Inhalt der Durchführung, sondern enthält auch eine horizontale Kompetenzabgrenzung. Hierdurch bleibt der delegierten Rechtsetzung verwehrt, was die Durchführungsrechtsetzung zu leisten imstande ist, nämlich verbindliche Rechtsakte umzusetzen. Sollte der Gesetzgeber also beschließen, die Kommission zur exekutiven Normsetzung zu ermächtigen, hat er sich an die Anwendungsbereiche der exekutiven Normsetzungsarten zu halten. Durchführung kann nicht im Wege der delegierten Rechtsetzung erfolgen und umgekehrt. Der Gesetzgeber ist allerdings weder in Fällen der delegierten noch der Durchführungsrechtsetzung verpflichtet, Befugnisse zu übertragen, wenn eine Übertragung möglich ist. Er kann selbst entscheiden, ob und was er der Kommission zur Ausgestaltung überlässt; er kann die Materie auch gänzlich selbst regeln. Da es aus Sicht des Gesetzgebers nicht immer eindeutig ist, ob es sich bei der von der Kommission auszuführenden Rechtsetzung um einen Fall delegierter Rechtsetzung oder um bloße Durchführung handelt, ist ihm in Grenzfällen ein Ermessensspielraum zu gewähren.

286

Kap. 5: Zusammenfassung der Ergebnisse und Darstellung in Thesen

III. Die technischen Standards Aufgrund der praktisch nicht vorhandenen Möglichkeiten der Kommission, einen Entwurf der ESMA abzuändern, ist sie und nicht die Kommission als Urheber der Standards und damit als Standardsetzer selbst anzusehen. Die inhaltliche Leistungsfähigkeit des behördlichen Entwurfrechts von technischen Regulierungsstandards und technischen Durchführungsstandards entspricht der ihrer kommissionellen Erlassarten. Die inhaltliche Möglichkeit des Entwurfsrechts eines Regulierungsstandards gleicht der inhaltlichen Leistungsfähigkeit der einfachen delegierten Rechtsetzung, während sich die inhaltliche Reichweite des Entwurfsrechts eines Durchführungsstandards mit der entsprechenden Leistungsfähigkeit der Durchführungsrechtsetzung deckt. Eine weitergehende Einschränkung des behördlichen Entwurfsrechts besteht nicht. Die Meroni-Rechtsprechung ist weder anwendbar noch in der sekundärrechtlichen Grundlage der Standardsetzung normiert. Die Kongruenz der Leistungsfähigkeit von behördlichem Entwurfsrecht und kommissioneller Rechtsetzungsart erscheint durchaus sinnvoll, da hierdurch größtmögliche Flexibilität und Effizienz des Lamfalussyverfahrens gewahrt werden.

IV. Leitlinien und Empfehlungen Die Instrumente der ESMA auf dritter Stufe des Lamfalussyverfahrens in Form von Leitlinien und Empfehlungen sind rechtlich unverbindlich. Dies führt dazu, dass eine Leistungsfähigkeitsbeschränkung weder durch die Meroni-Rechtsprechung noch durch das Wesentlichkeitsgebot erfolgt. Die inhaltliche Leistungsfähigkeit der ESMA im Rahmen der Leitlinien- und Empfehlungssetzung ist daher umfänglich. Auch in der Praxis lässt sich beobachten, dass die Behörden zeitweise in der Rolle des ordentlichen Ersatzgesetzgebers auftraten. Grenzen der inhaltlichen Gestaltungskraft der Leitlinien und Empfehlungen sind deshalb lediglich das bestehende Recht, die Rechtsprechung des EuGH und die allgemeinen Rechtsgrundsätze.

B. Ergebnisdarstellung in Thesen 1.

Die in Art. 290 AEUV genannten Zugriffsmöglichkeiten der Kommission auf den Basisrechtsakt („Ergänzung“ und „Änderung“) beschränken die inhaltliche Leistungsfähigkeit der delegierten Rechtsetzung nicht, sondern weisen auf die Ersatzgesetzgeberstellung der Kommission hin.

2.

Die Möglichkeit der delegierten Rechtsetzung, ihren Basisrechtsakt zu ergänzen und zu ändern, umfasst jede nur denkbare Art inhaltlicher Modifikation des Basisrechtsakts. Delegierte Rechtsetzung ist ihrem Wesen nach inhaltliches Einwirken auf den Basisrechtsakt.

B. Ergebnisdarstellung in Thesen

287

3.

Der ändernde delegierte Rechtsakt wird in formeller Hinsicht als gesonderter Rechtsakt erlassen und wirkt sowohl in formeller als auch inhaltlicher Hinsicht auf seinen Basisrechtsakt ein.

4.

Der ergänzende delegierte Rechtsakt wird ebenso in einem formell vom Basisrechtsakt gesonderten Rechtsakt erlassen, besitzt aber keine formelle Zugriffsmöglichkeit auf seinen Basisrechtsakt. Er wirkt jedoch ebenfalls inhaltlich auf diesen ein. Aufgrund seiner formellen Beschränktheit sind ihm allerdings verändernde inhaltliche Modifikationen versagt.

5.

Die inhaltliche Leistungsfähigkeit der Änderung schließt auch die Ergänzung ein, sodass der ändernde delegierte Rechtsakt eine größere Leistungsfähigkeit besitzt als sein ergänzendes Pendant.

6.

Der ergänzende delegierte Rechtsakt besitzt insoweit ändernde Leistungsfähigkeit als sein Zielrechtsakt ebenfalls ein delegierter Rechtsakt ist, der auf der Ermächtigungsgrundlage des Basisrechtsakts erlassen wurde und es der Kommission möglich gewesen wäre, den so durch Änderungen entstandenen Rechtsakt auch direkt durch ihre im Basisrechtsakt verliehene Befugnis zu erlassen.

7.

Einzige Begrenzung der inhaltlichen Leistungsfähigkeit der delegierten Rechtsetzung bildet das Wesentlichkeitskriterium, das durch die Rechtsprechung entwickelt und nach Lissabon in Art. 290 AEUV primärrechtlich verankert wurde.

8.

Die doppelte Nennung des Wesentlichkeitskriteriums in Art. 290 AEUV mit jeweils unterschiedlichen Bezugspunkten hat nicht zum Zweck, einen jeweils anderen Inhalt des Wesentlichkeitsvorbehalts zu konstatieren, sondern beschreibt dasselbe Merkmal, einmal aus Sicht des Gesetzgebers und einmal aus Sicht der Kommission.

9.

Welche Aspekte und Teile wesentlich für einen Rechtsakt sind, lässt sich abstrakt nicht abschließend benennen, da grundsätzlich die Merkmale und Besonderheiten des betreffenden Sachgebietes berücksichtigt werden müssen.

10. Der Begriff der Wesentlichkeit wird jedoch grundsätzlich eng ausgelegt. Wesentlich sind solche Vorschriften, durch die die grundsätzliche Ausrichtung der Unionspolitik umgesetzt wird. Wesentlich sind in der Regel auch solche Vorschriften, mittels derer in größerem Umfang in die Grundrechte Einzelner eingegriffen werden soll. 11. Wie stark politische und grundrechtliche Aspekte allerdings das Wesentlichkeitskriterium prägen, kann nicht allgemeinverbindlich festgestellt werden, sondern ist bereichsspezifisch. Die Intensität des Inhalts des Wesentlichkeitskriteriums ist allerdings umso geringer, je flexibler Gesetzgeber und Kommission in dem jeweiligen Politikbereich und im jeweiligen konkreten Fall sein müssen, um die Ziele der Union zu verwirklichen. Da im Finanzdienstleistungsbereich ein erhebliches Bedürfnis nach Flexibilität und Geschwindigkeit

288

Kap. 5: Zusammenfassung der Ergebnisse und Darstellung in Thesen

herrscht, ist davon auszugehen, dass Gesetzgeber und Kommission in diesem Bereich weniger stark durch den Wesentlichkeitsvorbehalt eingeengt werden als in anderen Politikbereichen. 12. Die Grenze der inhaltlichen Leistungsfähigkeit, die das Wesentlichkeitsgebot der delegierten Rechtsetzung aufzeigt, gilt ebenso für die Durchführungsrechtsetzung. 13. Die Grenze der inhaltlichen Leistungsfähigkeit der Durchführungsrechtsetzung bildet allerdings nicht nur das Wesentlichkeitskriterium, sondern ist stets bereits dann erreicht, wenn die Kommission im Rahmen der Durchführung des Gemeinschaftsrechts quasi-legislativ tätig wird. 14. Quasi-legislativ tätig wird die Kommission, wenn sie den Basisrechtsakt ergänzt oder ändert i.S.d. Art. 290 AEUV, also inhaltlich modifiziert, sodass der Durchführungsrechtsetzung jeglicher inhaltliche Zugriff auf den Basisrechtsakt verwehrt ist. Ein inhaltlicher Zugriff liegt immer dann vor, wenn der Regelungsgehalt des Basisrechtsakts durch Erlass des Durchführungsakts verändert wird, indem bereits bestehende Regelungen inhaltlich verändert oder zusätzliche materielle Regeln geschaffen werden. Durchführung ist damit allein Präzisierung bestehender Regelungen ohne inhaltlichen Zugriff. 15. Ebenso ist es dem Durchführungsrechtsakt, der als formell gesonderter Rechtsakt erlassen wird, nicht möglich, den Basisrechtsakt auch nur formell zu modifizieren. Seine formelle Leistungsfähigkeit entspricht daher der des ergänzenden delegierten Rechtsakts. 16. Ein formeller und inhaltlicher Zugriff auf einen anderen Rechtsakt ist der Durchführungsrechtsetzung allerdings dann möglich, wenn der Zielrechtsakt ein Durchführungsrechtsakt ist. Eine inhaltliche Modifikation ist insoweit denkbar, wie es der Kommission möglich gewesen wäre, den so durch Änderungen entstandenen Durchführungsrechtsakt auch direkt durch ihre im Basisrechtsakt verliehene Befugnis zur Durchführungsrechtsetzung zu erlassen. 17. Hinsichtlich der inhaltlichen Leistungsfähigkeit könnte die delegierte Rechtsetzung die Durchführungsrechtsetzung ersetzen, da sie aufgrund ihrer umfänglichen Gestaltungsmöglichkeit imstande wäre, durchzuführen. 18. Art. 291 AEUV regelt nicht nur den Inhalt der Durchführung, sondern auch die horizontale Kompetenzverteilung zwischen delegierter Rechtsetzung und Durchführungsrechtsetzung. 19. Der Durchführungsrechtsetzung verbleibt damit ihr eigener Anwendungsbereich, den die delegierte Rechtsetzung zwar potentiell übernehmen könnte, aber aufgrund der horizontalen Dimension des Art. 291 AEUV nicht übernehmen kann. Die Durchführung setzt der delegierten Rechtsetzung inhaltliche Schranken im Umfang ihres eigenen Leistungsvermögens.

B. Ergebnisdarstellung in Thesen

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20. Darüber hinaus bedeutet dies, dass der Gesetzgeber keiner Pflicht unterliegt, bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Ermächtigung zur delegierten Rechtsetzung oder Durchführungsrechtsetzung eine entsprechende Befugniserteilung im Basisrechtsakt zu normieren. Er kann über das „Ob“ der Ermächtigung frei entscheiden. Sollte er sich allerdings für eine Ermächtigungserteilung entscheiden, muss er sich an die Anwendungsbereiche und Leistungsfähigkeiten der Rechtsetzungsarten halten, kann also nicht frei über das „Wie“ befinden. 21. Dem Gesetzgeber ist im Grenzbereich zwischen delegierter Rechtsetzung und Durchführungsrechtsetzung ein Ermessensspielraum bei der Entscheidung über die Art der Ermächtigung zuzugestehen. 22. Den Entwürfen der ESMA zu technischen Regulierungsstandards und technischen Durchführungsstandards kommt quasi-finaler Charakter zu. Die ESMA ist deshalb als Standardsetzer anzusehen. 23. Die Leistungsfähigkeit des behördlichen Entwurfsrechts der technischen Regulierungsstandards und der technischen Durchführungsstandards deckt sich mit der Leistungsfähigkeit der jeweiligen kommissionellen Rechtsetzungsart, in der die Standards erlassen werden. Weitergehende Einschränkungen der Leistungsfähigkeit ergeben sich weder aus der Behördenverordnung selbst noch in Ansehung der Meroni-Rechtsprechung des EuGH. 24. Den Leitlinien und Empfehlungen der ESMA als rechtskonkretisierendes Instrument auf dritter Stufe des Lamfalussyverfahrens kommt keine rechtliche Verbindlichkeit zu. 25. Durch rechtliche Unverbindlichkeit der Leitlinien und Empfehlungen der ESMA sind deren Gestaltungsmöglichkeiten weder durch die Meroni-Rechtsprechung noch die Wesentlichkeitsrechtsprechung des EuGH beeinflusst. 26. Die inhaltliche Leitungsfähigkeit der Leitlinien und Empfehlungen ist umfänglich. Die Behörde kann innerhalb ihrer Zuständigkeit quasi-gesetzgeberisch tätig werden. Grenzen ihrer umfänglichen Regelungsmöglichkeiten bilden allein das höherrangige Recht, die Rechtsprechung des EuGH und die allgemeinen Rechtsgrundsätze der Union.

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84

Daul, Joseph 84 de Larosière – de Larosière-Bericht 93 – Jacques de Larosière 41, 93

Delegierter Rechtsakt – Dringlichkeitsverfahren (delegierte Rechtsetzung) 126 – Einspruchsvorbehalt/Einwände 124 – Erlassverfahren 120 – Leistungsfähigkeit 176, 179, 204, 244 – Merkmal Ergänzung/Änderung 163 – Praxisbefund 167 – Subdelegation 36, 243 – Widerrufsrecht/Evokationsrecht 122 Droit de regard 147 Durchführungsrechtsakt – Erlassverfahren 134 – Horizontale Dimension 237 – Leistungsfähigkeit 229, 234, 244 – Praxisbefund 214 effet utile – bei der Prägung des Wesentlichkeitsvorbehalts 188, 202 – beim delegierten Rechtsakt 174 Emissionsprospektrichtlinie 68 Europäische Verfassung/Verträge – Amsterdamer Regierungskonferenz 59 – Europäischer Verfassungsvertrag (EVV) 81 – Römische Verträge 33, 37, 46 – Vertrag von Lissabon 99 Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) 96 – Rat der Aufseher/Board of Supervisors 128 – SMSG 129 – Standing Committees 129 – Technical advice 118, 261 Europäische Zentralbank (EZB) 94, 98 Europäischer Ausschuss für Systemrisiken (ESRC/ESRB) 95 Europäisches System für die Finanzaufsicht (ESFS) 96

Stichwortverzeichnis Forum of European Securities Commissions (FESCO) 68, 74 Guidelines for the service of the Commission 165, 210, 226 Insiderrichtlinie 68 Interinstitutionelle Gruppe zur Überwachung der Wertpapiermärkte (IIMG) 75, 90 Interinstitutionelle Vereinbarung – Common Understanding von 2011 101 – Common Understanding von 2016 102, 110 – Erklärung Nr. 39 101, 115 – Klepsch-Milan-Übereinkunft 55 – modus vivendi 55 – Plumb-Delors-Übereinkunft 54 – Samland-Williamson-Übereinkunft 58 – Vereinbarung über die Modalitäten der Anwendung des Beschlusses 1999/468/ EG 62 – Vereinbarung über die Modalitäten der Anwendung des Beschlusses 2006/512/ EG 86 Kokott, Juliane 194, 200 Komitologie – Beratungsverfahren 48, 64, 141 – Berufungsausschuss 142 – Dringlichkeitsverfahren 146 – Erlass in Ausnahmefällen 145 – Prüfverfahren 142 – Regelungsausschussverfahren 47 – Regelungsverfahren mit Kontrolle 84 – Sonderverfahren für Schutzmaßnahmen 54 – Verwaltungsausschussverfahren 45 Komitologieausschüsse – Europäischer Ausschuss für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPC) 77 – Europäischer Bankenausschuss (EBC) 76 – Europäischer Wertpapierausschuss (ESC) 73 Komitologiebeschluss/-verordnung – Änderungsvorschlag KOM(2017) 85 final 157

307

– Beschluss von 1987 (87/373/EWG) 38, 50 – Beschluss von 1999 (1999/468/EG) 60 – Beschluss von 2006 (2006/512/EG) 81 – Verordnung von 2011 (182/2011) 100, 134 Krise der Finanzmärkte 93 Lamfalussy – Alexandre Lamfalussy 28, 40, 70 – Ausschuss der Weisen 28, 70 – Lamfalussy-II-Verfahren siehe de Larosière-Bericht Leerverkaufsverordnung 105 Leitlinien und Empfehlungen – Bindungswirkung 152, 273 – comply or explain 154, 274, 282 – Erlassverfahren 152 – Leistungsfähigkeit 278, 283 Marktmissbrauchsverordnung (MMVO) 104, 223, 250, 278 OGAW-Richtlinie

68

Prospektrichtlinie

91, 104, 267

Rat der Wirtschafts- und Finanzminister (ECOFIN) 70, 76, 97 Rechtsprechung des EuGH – Alliance for Natural Health 191 – Deutschland/Kommission 189 – Köster 187 – Meroni 192, 266, 269 – Philip Morris Brands 200 – Raucharomen 194 – Rey Soda 188 – Schengener Grenzkodex 197 Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFIR) 105, 223 Technischer Durchführungsstandard – Erlassverfahren 148 – Leistungsfähigkeit 257, 271 – Praxisbefund 264, 267 – Urheber 254

308

Stichwortverzeichnis

Technischer Regulierungsstandard – Einspruchsvorbehalt/Einwände 132 – Erlassverfahren 127 – Leistungsfähigkeit 257, 271 – Praxisbefund 262, 267 – Urheber 254 – Widerrufsrecht/Evokationsrecht 131 Transparenzrichtlinie 104, 267

Wertpapierdienstleistungsrichtlinie 68 Wesentlichkeitsvorbehalt – doppelte Kodifizierung 184 – Inhalt 201 – Inhaltsformung durch die Rechtsprechung 187 Wirtschafts- und Finanzausschuss (WFA) 76

von-Wogau-Bericht

Zwischenberichtsrichtlinie

73

66