Briefwechsel Gretha Jünger und Carl Schmitt 1934-1953 9783050061153, 9783050042947

Der Briefwechsel zwischen Gretha Jünger, geborene von Jeinsen, und Carl Schmitt ist ein Dokument von großem Interesse fü

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Briefwechsel Gretha Jünger und Carl Schmitt 1934-1953
 9783050061153, 9783050042947

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Briefwechsel Gretha Jünger - Carl Schmitt

Briefwechsel Gretha Jünger Carl Schmitt (1934-1953)

Herausgegeben von Ingeborg Villinger und Alexander Jaser

^ f f p / A k a d e m i e Verlag

Der Gerda Henkel Stiftung danken Herausgeber und Verlag für die finanzielle Förderung der editorischen Arbeiten an diesem Briefwechsel

Bibliografische Information der Deutschen

Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

I S B N 978-3-05-004294-7

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 2007

Abdruck der Briefe von Gretha und Ernst Jünger aus »Ernst Jünger - Carl Schmitt. Briefe 1930-1983. Herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort von Helmuth Kiesel, Klett-Cotta, Stuttgart 1999« mit freundlicher Genehmigung der J. G. Cotta'schen Buchhandlung Nachfolger GmbH.

Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach D I N / I S O 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Ubersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Einbandgestaltung: breutypo. Christopher Breu, Berlin Satz: Werksatz Schmidt & Schulz, Gräfenhainichen Druck und Bindung: Druckhaus »Thomas Müntzer«, Bad Langensalza Printed in the Federal Republic of Germany

Inhalt Einleitung

1

Zeittafel

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Gretha Jünger - Carl Schmitt. Briefe 1934 -1953

21

Anhang I Anhang II Anhang III

Hans Michael Müller an Carl Schmitt am 28.3.40 zu Ernst Jüngers >Marmorklippen< 187 Gretha Jünger an Armin Möhler am 26.5.59 über das Ende ihrer Korrespondenz mit Carl Schmitt . 190 Gretha Jünger an Duska Schmitt und andere Briefe . . 193

Abbildungen

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Editorisches Nachwort

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Apparat

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1. Verzeichnis der Briefe 2. Quellenverzeichnis 3. Literaturverzeichnis a) Primärliteratur b) Sekundärliteratur 4. Abbildungsnachweis

213 219 219 219 222 229

Personenverzeichnis

231

Danksagung

241

Einleitung Anfang und Ende eines Briefwechsels Der Briefwechsel zwischen Gretha Jünger (1906-1960) und Carl Schmitt (1888-1985) umfaßt einen Zeitraum von fast zwei Jahrzehnten: vom März 1934 bis zum Oktober 1953. Er beginnt mit einem Brief von Carl Schmitt am 15. März 1934, in dem er Gretha Jünger seine Glückwünsche zur Geburt des zweiten Sohnes Carl Alexander übermittelt. Der letzte Brief ist von Gretha Jünger an Carl Schmitt am 8.10.1953 - er wird von ihm nicht mehr beantwortet und markiert zugleich den Abbruch des Briefwechsels zwischen beiden. Die am 14. März 1906 in Hannover geborene Gretha von Jeinsen, erste Ehefrau von Ernst Jünger - er nennt sie in seinen Tagebüchern »Perpetua« - , starb sechs Jahre später, am 20. November 1960. Die Familien Jünger und Schmitt lernten sich um die Jahreswende 1929/30 in Berlin kennen - Carl Schmitt war zu dieser Zeit Professor an der dortigen Handelshochschule. Im Juli 1930 beginnt die zunächst spärliche Korrespondenz zwischen Ernst Jünger und Carl Schmitt; mit Dezember 1933 wechselt zwischen beiden die förmliche briefliche Anrede in das vertraulichere »Lieber Herr« und der Briefaustausch wird intensiviert. Im ersten Brief von Gretha Jünger 1 , in dem sie Schmitt für seine Glückwünsche zur Geburt des Sohnes, den er mit einer Ekloge von Vergil begrüßt, dankt, bittet sie ihn - unter Hinweis auf seine »Freundschaft mit dem Vater« - um Übernahme der Patenschaft. 2 Mit dieser Aufgabe, der Carl Schmitt ganz offensichtlich gerne nachkommt, entsteht zwischen beiden ein sehr freundschaftlicher Briefwechsel, den insbesondere um die Zeit des Bombenkrieges, in der Nach-

1 Gretha Jünger ist - neben Corinna Sombart - die einzige Frau, die einen eigenständigen Briefwechsel mit Carl Schmitt führte. In seinem Nachlaß befindet sich von Corinna Sombart ein Briefkonvolut von 26 Briefen und Postkarten. 2 Carl Alexander wurde evangelisch getauft. Der spätere A r z t scheidet 1993 in Berlin durch Freitod aus dem Leben. Gretha Jünger stellte zu Carl Schmitts Patenschaft fest: »Er ist der Pate des Kleinen, und selten fand ich eine Zuneigung natürlicher und gottgegeben, als ich sie zwischen ihm und dem Kinde feststellen kann.« In: Gretha von Jeinsen: Die Palette. Tagebuchblätter und Briefe, Hamburg 1949, S. 54; gewidmet ihrem 1944 bei Carrara gefallenen Sohn Ernst Jünger jun.

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kriegszeit sowie im Verlauf von Krankheit und Tod von Duska Schmitt (gest. am 3.12.1950) eine große persönliche Nähe und gegenseitige Sorge kennzeichnet. Der Briefwechsel selbst läßt sich in drei Phasen einteilen, wobei die erste, die nur einen geringen Briefbestand aufweist, den Zeitraum von 1934 bis 1939 umfaßt, die zweite reicht vom Kriegsausbruch 1939 bis zum Ende des zweiten Weltkrieges und die dritte Phase intensiven Austausches geht von 1945 bis zum Ende des Briefwechsels im Jahre 1953. Die Briefe drehen sich thematisch - neben den Berichten über den Patensohn, die Sorge um den ältesten Sohn, Ernst Jünger jun.,3 Anima und Duska Schmitt, sowie die Ernährungslage im Verlauf des Krieges - um gemeinsame Gespräche und Besuche, Beurteilungen der politischen und gesellschaftlichen Situation der Zeit, Kriegserfahrungen, den Austausch von Lektüren, die bei Ernst Jünger und Carl Schmitt entstehenden Werke, Gäste und Ereignisse im Hause Jünger und Schmitt. Bei aller Ubereinstimmung und Nähe der beiden Briefpartner, die immer wieder im ebenso häufig wie dringend geäußerten Wunsch nach einem persönlichen Gespräch zum Ausdruck kommt, zeigt sich doch im Verlauf vor allem der letzten Jahre des Briefkontaktes eine recht unterschiedliche Textur der Wahrnehmung Dritter, die schließlich zum Abbruch der Korrespondenz führt. Denn Gretha Jüngers »désinvolture« und ihre »psychische Hellsichtigkeit«, von Carl Schmitt mehrfach geradezu bewundernd erwähnt, kam in einigen Fällen zu einer dezidiert anderen Beurteilung von Personen ihres gemeinsamen Lebensumfeldes als er selbst. So beispielsweise hinsichtlich des langjährigen Freundes und Briefpartners von Ernst Jünger, Gerhard Nebel, der häufig Gast im Hause Jünger wie auch bei Schmitt war. Während Schmitt auf ihre von Emotionen nicht freien Ausführungen zumeist mit Bewunderung oder doch Anerkennung für den Kritisierten reagiert, versucht Gretha Jünger ihre Position damit zu verteidigen, daß sie Schmitt gegen dessen »Einflüsterungen« bei Ernst Jünger in Schutz nehmen wolle. Im Falle Gerhard Nebels schließlich teilt sie Schmitt im Februar 1950, nachdem er bereits mehrfach bedauerte, von Nebel schon lange nichts mehr gehört zu haben, mit, daß sie nunmehr Nebel, den »Fürchterlichen«, endgültig aus ihrem Kreis verbannt habe.4 Mit diesem Schritt verfolgt sie - wie auch in anderen Fällen - sehr konsequent ihr eigenständiges und unabhängiges Urteil über Personen auch des gemeinsamen

Ernst Jünger jun., genannt >Atelregimekritischer Äußerungen und Bildung eines Widerstandskreises< zusammen mit dem späteren Verleger Wolf J o b s t Siedler verhaftet, zu einer Gefängnisstrafe und schließlich zur >Frontbewährung< verurteilt. Er ist dabei am 11. Nov. 1944 bei Carrara gefallen (siehe dazu A n m . 2 zum Schreiben Carl Schmitts an Gretha Jünger v o m 5.3.44). 4 A m 27.1.49 zeichnen sich in Schmitts >Glossarium< erstmals die zwischen Jünger und Schmitt entstehenden Spannungen ab, die im Nov. und Dez. 1949 einen ersten Höhepunkt erreichen. Auch der Eintrag Schmitts v o m 20.4.49 zu Gerhard Nebel zeigt, daß er dessen Verehrung von Jünger vor dem Hintergrund dieser Spannungen situiert: »Guter Gerhard Nebel, das Gold, das Deiner Liebe reiche Deutung an Deinem Jünger-Bild verschwendet, ist eigener Reichtum, eigener Uberfluß.« Carl Schmitt: Glossarium, S. 231. 3

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Freundeskreises. Ihre »Unbestechlichkeit«, die sich der »Wahrheit« ebenso wie der unbedingten »Offenheit« 5 verpflichtet fühlt, weicht auch nicht selten von der Wahrnehmung Ernst Jüngers ab: so setzte er seinen Briefwechsel mit Gerhard Nebel bis zu dessen Tod im Jahre 1974 unverändert fort. Eine ähnliche Differenz zeigt sich auch in ihrem negativen Urteil über Carlo Schmid, bei dem sie allerdings Carl Schmitt auf ihrer Seite weiß: während sie bereits 1948 Schmitts »Namensvetter« heftig kritisiert, intensiviert sich dessen freundschaftliche Beziehung mit Ernst Jünger nach dem Krieg und »blieb zeitlebens erhalten.« 6 Wirklich einschneidend für alle Beteiligten aber waren die Folgen der Vorgänge um Armin Möhler, die, wenn nicht die Ursache, so doch der Anlaß waren, der zum Abbruch des Briefkontaktes zwischen Gretha Jünger und Carl Schmitt führte und schließlich auch den Briefwechsel zwischen ihm und Ernst Jünger in Tonlage wie Intensität deutlich und nachhaltig veränderten. Uber einen längeren Zeitraum hinweg versuchte Gretha Jünger zunächst mit Nachdruck und Verve bei den zwischen Ernst Jünger und Carl Schmitt entstandenen Spannungen, an denen Armin Möhler offenbar nicht ganz unbeteiligt war, zu vermitteln. Sie appellierte an ihre langjährige Freundschaft, die durch alle »Dissonanzen« hindurch trage und imstande sei, deren »Grundakkord wieder aufklingen« zu lassen. Doch hier bewirkte ihre mit Offenheit gepaarte »désinvolture« das Gegenteil: Schmitts Reaktion auf ihre Schilderung von Möhlers Äußerungen im Hause Jünger war derart, daß sie letztendlich feststellen mußte, Schmitt habe ihre »Warnung« vor Möhler als »nicht anerkannt« (Brief vom 8.10.53) verworfen. Ihren nächsten und letzten Brief beantwortet Schmitt nicht mehr; seinen Briefwechsel mit Ernst Jünger behält er zwar bei, doch die entstandene Distanz zwischen beiden bleibt auch durch den höflichen Ton hindurch spürbar. Mit Armin Möhler hielt Schmitt den Kontakt und den regen Briefwechsel noch bis 1980, fünf Jahre vor seinem Tode, weitgehend unverändert aufrecht, wenn auch nach 1968 mit geringerer Intensität. Daß die durch den Kontaktabbruch entstandene Situation für die Beteiligten nicht einfach war, zeigt fünf Jahre später ein Brief (22.11.58) von Ernst Jünger an Carl Schmitt. Dort heißt es (im Kontext einer Erwähnung von Möhler) unvermittelt: »Mir wäre es wichtiger, wenn Sie sich mit meiner Frau Gretha wieder vertragen würden - ich sehe doch in unserem Kreise alles das, was uns verbindet, so unendlich viel stärker als das, was uns trennt.« 7 Doch Schmitt nimmt keinen Kontakt zu ihr mehr auf und wird sie auch bis zu ihrem Tode im November 1960 in seinen Briefen an Ernst Jünger nur noch wenige Male

Gretha Jünger vergleicht sich am 9.10.51 mit der für ihre derbe Offenheit berühmten Schauspielerin Adele Sandrock. 6 In: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 585. Der letzte Brief von Gerhard Nebel an Carl Schmitt ist aus dem Jahre 1953. 7 In: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 355. Auf Jüngers Bitte bezüglich seiner Frau geht Schmitt nicht ein. 5

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formell erwähnen. Auch auf die Nachricht ihres Todes (Jünger übersandte ihm eine gedruckte Todesanzeige) schreibt er am 30.11.60 an den Witwer Ernst Jünger lediglich folgende knappe Zeilen: »Lieber Ernst Jünger, / Diese Trauernachricht ist uns eindringliche Mahnung; ich höre sie deutlich und verstehe sie gut - capisco et obmutesco. / Ihr Carl Schmitt.« Schmitt wiederholt mit der Formulierung »capisco et obmutesco« eine Wendung, die er kurz vor dem Abbruch des Briefwechsels am 25.6.53 an Gretha Jünger schrieb - das heißt, er bestätigt damit noch einmal seine Entscheidung. 8 Unmittelbar nach ihrem Tod wird der Briefwechsel zwischen Schmitt und Jünger für acht Jahre unterbrochen; Schmitt nimmt erst am 16.7.68 den brieflichen Kontakt mit Ernst Jünger mit einer äußerst knappen Gratulation zu dessen Geburtstag wieder auf. Daß Gretha Jünger dieses Schweigen von Carl Schmitt offenbar sehr belastete, zumindest jedoch anhaltend beschäftigte, geht aus ihrem - im Anhang II des vorliegenden Briefwechsels abgedruckten - Schreiben an Armin Möhler hervor, das sie auf den 26.5.59 datierte. 9 In diesem Brief, der auch Carl Schmitt am 9.12.60, also wenige Wochen nach ihrem Tode, in maschinenschriftlicher Kopie zugesandt wurde, rekapituliert sie detailliert den Verlauf der spannungauslösenden Konflikte zwischen Jünger und Schmitt und beschreibt die Rolle, die Armin Möhler dabei spielte.10 Ihre Darstellung der Abläufe beruht uneingeschränkt auf der Wahrnehmung, daß es ausschließlich Möhlers »Fähigkeit zur Intrigue« war, die die Spannungen zwischen beiden verursachte. Die Einträge von Carl Schmitt im >Glossarium< sprechen allerdings eine etwas andere Sprache - sie lassen sehr genau den doch recht abrupten Umschwung seiner Wahrnehmung von Ernst Jünger erkennen, dem er noch am 20.8.48 bescheinigte, daß »Sie in Ihren >Strahlungen< sehr viel Sinn und Gerechtigkeit für mich gezeigt haben.« Doch bereits am 27.1.49 hält er dort fest: »Ernst Jünger wird reifer und reifer. Jetzt ist er bald reif für den Nobelpreis.« 11 Gegen Ende dieses Jahres, ab Anfang November 1949, nimmt in Schmitts >Glossarium< die Kritik an Jünger eine erstaunliche Schärfe an, die bis zum Ende der Einträge 1951 nicht mehr abklingt. Im Kontext der Frage, was diesen Umschwung veranlaßt

8 »Ich verstehe und verstumme.« Erstaunlich ist die Ambivalenz von Carl Schmitt gegenüber Gretha Jünger hinsichtlich des ja von ihm selbst abgebrochenen Briefwechsels, denn am 15.12.56, also zwei Jahre nach dem Abbruch, klagt er bei Möhler, daß Gretha Jünger (wie noch zehn andere Bekannte) ihm zum Todestag von Duska »natürlich« nicht geschrieben hat. Siehe: >Carl Schmitt - Briefwechsel mit einem seiner Schülers hrsg. v. Armin Möhler, Berlin 1995, S. 230. 9 In diesem Brief nimmt sie eingangs auf einen von ihr früher verfassten und an Möhler versandten Brief Bezug, den dieser allerdings wieder zurückgesandt hat. 10 Aus Armin Möhlers Brief vom 10.12.60 an Carl Schmitt geht hervor, daß auch er das Schreiben »in dem Sie mit mir >abrechnetGlossarium< ins Auge: »E.J. hatte für meine Lage als Outlaw weder Gefühl noch Verstand noch einen Blick. Entsetzliche Sparsamkeit der ihre Einfalle restlos verwertenden Monade. Weder ein Fenster noch eine Tür zum Mitmenschen.« Dieser Eintrag markiert den eigentlichen Auftakt zu einer Form von Kritik, die mit Fug und Recht als Invektive bezeichnet werden kann. Der Stellenwert von Armin Möhlers Einflußnahme - über das von Gretha Jünger Beschriebene hinaus - im Rahmen der sich zwischen Jünger und Schmitt entwickelnden Spannungen, läßt sich nicht mehr vollständig rekonstruieren, sondern lediglich skizzieren. Erschwerend dabei ist, daß Möhlers Briefwechsel mit Carl Schmitt nur in einer von ihm gekürzten Version vorliegt.12 Unzweifelhaft jedoch ist, daß Möhler, der von Herbst 1949 bis Sommer 1953 Privatsekretär von Ernst Jünger war, Carl Schmitt im Januar 1949, also zur Zeit der zwischen Jünger und Schmitt entstehenden Konflikte, bereits kannte: sie begegneten sich im Sommer des Jahres 1948 in Plettenberg. 13 Die dabei rasch entstandene Freundschaft zwischen beiden stand von Anfang an im Zeichen des Verhältnisses von Schmitt und Jünger - symbolisiert durch ihre, an gegenüberliegenden Wänden in Möhlers Zimmer aufgehängten Fotos. H Das heißt, Möhlers schwierige Rolle im Verhältnis zu dieser Dyade war die des Dritten, denn er bewegte sich von Anfang an im Gravitationsfeld zweier sich zwar gegenseitig schätzenden, jedoch auch stets stark konkurrierenden Persönlichkeiten. Weiter fällt auf, daß Möhler im Kommentar zu seinem Brief vom 11.6.49 an Carl Schmitt den Umstand, daß in seinem »späteren Leben Ernst Jünger mehr als ein Jahrzehnt den Verkehr« zu ihm abgebrochen hat, explizit ausschließlich damit begründet, daß er »öffentlich gegen Jüngers Selbstverstümmelung, vorgenommen an seinem Frühwerk, protestiert« habe, weil das »dem Meister zuviel Erziehung von Seiten des Sekretärs« gewesen sei.15 Neben dieser Uberblendung der eigentlichen Konfliktlage zeigt sich, daß Möhlers Briefe an Carl Schmitt nicht selten einen stets auf Jünger bezogenen Hinweis enthalten, wie: Schmitt wisse ja, daß es viel »Unausgesprochenes« gebe, das »auf unserem Briefwechsel« lastet.16 Das heißt, im Laufe der Jahre wurden in persönlichen Kontakten Dinge zur Sprache gebracht, die im schriftlichen Austausch stets nur angedeutet werden - ob aus Mißtrauen gegen den

Vgl. dazu Möhlers editorischen Hinweis »Was der Leser wissen muß«, in dem er die Kürzungen der Briefe von Carl Schmitt und seiner eigenen erläutert. In: Carl Schmitt - Briefwechsel mit einem seiner Schüler, S. 10. 13 Ab 19.9.49 tragen Armin Möhlers Briefe an Carl Schmitt den Absender »Ravensburg«. Möhler suchte Schmitt im August d. J . im Rahmen der Recherchen zu seiner Dissertation >Die konservative Revolution in Plettenberg auf und blieb »gleich zwei Tage«; auf Wunsch von Schmitt kehrte er »auf der Rückreise nochmals zwei Tage bei ihm ein.« In: Carl Schmitt Briefwechsel mit einem seiner Schüler, S. 23 u. ebenda Anm. 1. 14 Siehe dazu: Carl Schmitt - Briefwechsel mit einem seiner Schüler, S. 75. 15 Carl Schmitt - Briefwechsel mit einem seiner Schüler, S. 59, Anm. 50. 16 So ζ. B. am 2.6.50, siehe: Carl Schmitt - Briefwechsel mit einem seiner Schüler, S. 76, 82 u. a. 12

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Empfänger oder aufgrund einer >inneren Selbstkontrolle< im Hause Jüngers, dem Ort, an dem Möhlers Briefe bis 1953 entstanden sind. Es ist jedoch unübersehbar, daß diese Kultur der Andeutungen, die den Briefwechsel durchzieht, versucht, eine gegenseitige Verbindung im Sinne einer verschwörerischen Gemeinschaft Eingeweihter herzustellen, die der Stabilisierung seiner prekären Situation zwischen den beiden »Panzerschiffen« 17 dient. Diese Konstellation bestätigt Gretha Jüngers Annahme von Möhlers wechselseitiger »Intrigue« (bei Jünger und bei Schmitt), denn seine Loyalität galt beiden Seiten. Die angesichts der Heftigkeit der Spannungen auffallende Leerstelle in seinen Briefen an Schmitt, wird m. E. nur einmal im Hinblick auf Gretha Jüngers Bewertung transparent, die genau seiner konkreten Situation als Bote in der konkurrierenden Dyade entspricht: Er schreibt an Schmitt anläßlich eines Treffens zwischen Carl Schmitt und Ernst Jünger, daß damit beide sich »wieder einmal jenseits der Sphäre der Zwischenträgerei getroffen und gemessen haben.« 18 Anderseits scheint Schmitt seine kritische Wahrnehmung von Jünger - zumindest in der Anfangsphase der Konflikte - auch vor Möhler verborgen zu haben, was dafür spricht, daß er nicht ihr eigentlicher Auslöser war: trotz seiner bereits Anfang November 1949 im >Glossarium< festgehaltenen harschen Kritik an Jünger, teilt Schmitt drei Wochen später, am 30.11.49, Möhler paradoxerweise mit, daß seine »Liebe zu Jünger gross« ist »und demgemäss auch meine Hellhörigkeit für Gefahren.« 19 Eine Formulierung, in der bereits die ganze Ambivalenz seines Verhältnisses zu Jünger zum Ausdruck kommt. Insgesamt legen die Textbefunde die Annahme nahe, daß der Konflikt zwischen Schmitt und Jünger über die aktive Beteiligung von Möhler deutlich hinausreicht und unabhängig von ihm entstanden ist. Er wurde vermutlich ausgelöst durch die sehr asymmetrische Situation der beiden konkurrierenden Protagonisten in der Nachkriegszeit, in deren Folge der Blick für inhaltliche Differenzen verschärft wurde. Es ist jedoch auch davon auszugehen, daß der Konflikt durch Möhler nicht gedämpft, sondern eher verstärkt wurde. Gretha Jüngers Lage in dem beschriebenen Gravitationsfeld sah anders aus, denn neben ihrer Loyalität zu Ernst Jünger wie zu Carl Schmitt, versuchte sie zunächst auch noch der Bitte Möhlers, Schmitt gegenüber die Vorgänge zu verschweigen, Rechnung zu tragen. Dem kam sie ganz offenbar nach, denn erst nach dem Weggang von Möhler nach Paris äußerte sie sich erstmals offen kritisch über ihn in einem Brief an Schmitt vom 29.6.53. Diesen Schritt kün-

Jünger fand für seine Gespräche mit Schmitt die treffende Formulierung, daß man dabei »wie in Panzerschiffen an einander vorbeidefiliert, wenngleich mit blumengeschmückten — doch erhöht auch das die Sympathie.« Diese, aus einem Brief von Ernst Jünger an einen nicht erwähnten Dritten stammende, Passage übermittelt Armin Möhler am 16.11.49 an Carl Schmitt. In: Carl Schmitt - Briefwechsel mit einem seiner Schüler, S. 70. 18 Ebenda. 19 Ebenda, S. 72. 17

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digte sie Möhler vorher an - so jedenfalls die Darstellung in ihrem posthum versandten Schreiben, das später von Möhler etwas salopp als »Brief aus dem Jenseits«, in dem mit ihm »abgerechnet« werde, abgetan wird. 20 Ihre Darstellung der Vorgänge in diesem Schreiben zeigt, daß der eigentliche Antrieb dafür die zerstörte Freundschaft mit Carl Schmitt war. Obwohl ihre Rolle zwischen den beiden Protagonisten ausschließlich die einer Vermittlerin war, wurde sie ihr doch zum Verhängnis, denn sie war diejenige, die Schmitts »Bannstrahl« traf, weshalb sie von der Rolle der Vermittlerin in die des Sündenbocks vertrieben wurde. Gretha Jünger erkannte sehr hellsichtig die Motivation, die Schmitt dabei leitete: »Er zog es vor, einen >jungen Mann, den er brauchtes seiner alten, und in vielen schweren Situationen seines Lebens erprobten und bewährten Freundin vorzuziehen, deren Wort allein ihm genügt haben sollte. Das muss er mit sich abmachen.« 21 Das heißt, in der virilen Welt der beiden »Panzerschiffe« kommt den von ihr ins Feld geführten, eher >weiblichen< Verhaltensnormen kein tragender Stellenwert zu. Zwar konnte Gretha Jünger aufgrund ihrer Intellektualität und Eigenständigkeit, bei gleichzeitigem Bemühen um eine die Spannungen überwölbende Kontinuität, in das Terrain der männlich codierten Freundschaften eintreten. Doch ihrer ungewöhnlichen Unabhängigkeit, die den Briefwechsel mit Carl Schmitt erst ermöglichte, kommt in diesem Feld keine stabile, sondern nur eine höchst fragile Position zu.

Gretha J ü n g e r - Briefpartnerin, Ehefrau und Schriftstellerin Da der Briefwechsel zwischen Gretha Jünger und Carl Schmitt als eindrucksvolles, wenn auch von Inhalt und Umfang her sehr viel knapperes Seitenstück des Briefwechsels zwischen ihm und Ernst Jünger angesehen werden kann, soll sich der Schwerpunkt der Darstellung auf ihre Person konzentrieren. Denn zum Verhältnis Ernst Jünger - Carl Schmitt liegen ausführliche Publikationen vor - hingewiesen sei hier vor allem auf die informativen Ausführungen von Helmuth Kiesel, dem Herausgeber des Briefwechsels zwischen beiden im Nachwort der Briefausgabe. 22 Mit dem vorliegenden Briefband wird erstmals ein Konvolut von Briefen Gretha Jüngers der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. 23 Zu ihrer Person liegen im Wesentlichen bisher nur die biographischen Er-

Möhler an Schmitt am 10.12.60, in: Carl Schmitt - Briefwechsel mit einem seiner Schüler, S. 297. 21 So Gretha Jünger an Armin Möhler am 26.5.59, abgedruckt in Anhang II des hier vorliegenden Briefwechsels. 22 Helmuth Kiesel (Hrsg.): Ernst Jünger - Carl Schmitt. Briefe 1930-1983, Stuttgart 1999, Nachwort S. 851-885. Neben dem umfangreichen Schrifttum über Carl Schmitt sei ferner hingewiesen auf: Paul N o a c k : Carl Schmitt. Eine Biographie, Frankfurt a. M., Berlin 1996. 23 Im Literaturarchiv in Marbach befinden sich noch weitere Briefe von Gretha Jünger mit anderen Adressaten. 20

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kenntnisse vor, die aus ihren 1949, unter ihrem Mädchennamen Gretha von Jeinsen publizierten Tagebuchblättern >Die PaletteSilhouettenSilhouetten< zurück bis in Kindheit und Jugend und enden mit ihrem Umzug nach Württemberg. 26 Auffallend in den >SilhouettenDuschka< (Schmitts Ehefrau), noch an anderer Stelle erwähnt wird. Dagegen finden sich in den Tagebuchblättern von 1949 zahlreiche Eintragungen zu »Carolus«, wie sie Carl Schmitt nennt.27 In Tonlage und Wahrnehmung entsprechen sie dem Eintrag vom 17.5.42: »An Gästen Carolus, den ich immer mehr lieben lerne.« 28 Über >Die Palette< schreibt sie am 29.10.49 an Carl Schmitt: »Ich bin bewusst sehr sparsam im Ausdruck geblieben, weil ich vermeiden wollte, einem vielleicht grösseren Leserkreis Einblick zu geben. Die Neugierde der Menge, mir unerträglich, sollte enttäuscht werden, wenn sie nach den Strahlungen die Gestalt E.J. ausführlich zu sehen hoffte, und Manches mehr. Daher meine grosse Reserve, die Sie spüren werden, und die dem Büchlein vielleicht Abbruch tut.« Mit dem in der Tat nur in einigen Bibliotheksbeständen vorhandenen Buch, versuchte sie unter ihrem Mädchennamen und mit Mitteln des »sparsamen Ausdrucks« als Autorin zu reüssieren und eine eigene, von Ernst Jünger unabhängige, Öffentlichkeit zu erreichen. Aufgewachsen in Hannover, lebte Gretha Jünger in einer Familie, die über mehrere Generationen hinweg gegen einen ihrer Vorfahren prozessierte, weil er in einer einzigen Nacht seinen gesamten, drei Güter umfassenden Besitz an seine jüngeren Brüder verspielte. Die Prozesse haben demnach für ihre Familie »zwar zur Armut«, aber »zu keinem Richterspruch« geführt. 29 Ihre Schilderung von Kindheit und Jugend betont ihre große Vorliebe für alles, was mit dem Landleben verbunden ist, die Stadt dagegen war ihr verhaßt. Ebenso wenig zugetan war sie der Schule - sie schien ihr »ärger als die Hölle selber« zu sein und bis zu ihrem frühzeitigen Abgang vom Lyzeum (einige Jahre vor dem Abitur) galt sie dort »als wildes Element.« 30 Im Verhältnis zwischen den von ihr verachteten Lehrerinnen, den »Goldzwickerdamen«, und dem distinguier-

Gretha von Jeinsen: Die Palette. Tagebuchblätter und Briefe, Hamburg 1949, gewidmet ihrem 1949 bei Carrara gefallenen Sohn Ernst Jünger jun. 25 Gretha von Jeinsen: Silhouetten. Eigenwillige Betrachtungen, Pfullingen 1955. 26 Da im Kontext des Umzuges der Wein betont wird, ist anzunehmen, daß es sich um den Umzug nach Ravensburg im Jahre 1949 handelt. 17 So z. B. gleich eingangs unter dem Namen »Carolus« anläßlich einer gemeinsamen Fahrt nach Quedlinburg, siehe: >Die Palette«, S. 8. In ihrem Brief v o m 1 6 . 3 . 4 8 übermittelt sie Schmitt, daß sie in den Tagebuchblättern diesen Namen f ü r ihn verwendet. 28 Gretha von Jeinsen: Die Palette, S. 55. 29 von Jeinsen: Silhouetten, S. 9. 30 von Jeinsen: Silhouetten, S. 12. 24

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ten Direktor mit »grauer Lockenperücke«, sollte sich schon früh zeigen, daß sie dem »männlichen Geschlecht gewogener war« 3 1 als dem eigenen - ein Motiv, das sich auch noch durch den Briefwechsel mit Carl Schmitt hindurch zieht. Zutritt zur männlichen Welt erhielt sie sehr früh durch ihren Bruder Kurt: Dank ihm konnte sie den »läppischen Mädchenspielen« entkommen, denn er erzog sie nicht nur »soldatisch«, sondern sorgte auch dafür, daß sie als einziges weibliches Mitglied in den Männerbund »Gruppe Wumbo« aufgenommen wurde. Der Gruppe und dem Vaterland in » N o t und Gefahr« beizustehen, war dafür die Voraussetzung. 32 Nach einem zeitlichen Intermezzo im elterlichen Haus, kam die Schulabgängerin in den »ländlichen Haushalt eines Pfarrers«, um - so jedenfalls die Erwartung ihrer Mutter - »ein Jahr lang den Haushalt zu erlernen.« Die geschilderten Impressionen aus diesem Pfarrhaus, die auch die Probleme der täglichen Lebensführung nach dem ersten Weltkrieg anschaulich vor Augen führen, zeigen, daß die mütterliche H o f f nung, sie wandle sich hier in »einen Engel an Vernunft und Sitten«, vergeblich war. 33 N a c h der Zeit im Pfarrhaus kehrte sie wieder zu ihren Eltern nach Hannover zurück, wo sie kurze Zeit später, im Jahre 1922, in der Georgstraße »an einem Herbstnachmittag« Ernst Jünger kennen lernte: »Es tauchte in der Ferne auf: ein wehender Militärmantel, eine Reichswehrmütze, ein schleppender Säbel. A m Kragenausschnitt, weithin leuchtend: ein blauer Stern.« Damit - so Gretha Jünger - begann der »eigentliche Abschnitt meines Lebens.« 3 4 Diese Annahme sollte sich bestätigen, denn mit ihrer Heirat beginnt - und endet zugleich - bis heute ihre offizielle Biographie: » A m 3. August 1925 ehelicht Jünger in Hannover die neunzehnjährige Lindy Toni Margarete Anni von Jeinsen, genannt Gretha« - so die typische Formulierung in den meisten Publikationen über den gemeinsam vollzogenen Akt der Eheschließung. Sie zieht kurze Zeit darauf zu ihm nach Leipzig, wo beide ein bewegtes Leben mit zahlreichen Besuchern, nächtlichen Gesprächen und Festen führen; kurz vor dem U m z u g nach Berlin wurde 1926 Ernst Jünger jun. geboren. In Berlin bewohnten beide zunächst ein Gartenhaus, zogen dann in die Steglitzer Straße, bevor sie ein Jahr später im Osten der Stadt eine eigene Wohnung in der Stralauer Allee mit Blick auf die Spree erwarben. Ihre Schilderung des täglichen und nächtlichen Besucherchaos, ihre Profilierung der einzelnen Personen und ihrer Weltanschauungen, wie auch ihrer politischen Haltungen - die in der nicht seltenen stundenlangen Belagerung ihres Hauses durch Polizeiposten zur Uberwachung ihren Niederschlag findet - vermittelt einen lebhaften Eindruck von den Abläufen im Hause Jünger. Sie verdeutlicht aber auch, daß Gretha Jünger

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von von von von

Jeinsen: Jeinsen: Jeinsen: Jeinsen:

Silhouetten, Silhouetten, Silhouetten, Silhouetten,

S. 13 ff. S.ll. S. 20 u. 32. S. 70 f.

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sich nie am Rande des Geschehens befand, sondern daß sie - obwohl viele ihr mütterliche Attribute zusprachen und Unterstützung und Hilfe von ihr erwarteten und auch bekamen - stets im Zentrum des turbulenten Geschehens war und bald ein eigenständiger Ansprechpartner für viele Besucher und Freunde wurde. In der politischen Atmosphäre der »unruhig drängenden Anspannung aller Kräfte im Schatten des Versailler Vertrages«, die sie - so Gretha Jünger - bald ein neues, »von ferne heranziehendes Verhängnis« wahrnehmen ließ, versuchte sie »viele der damals Verfolgten und Verfemten«, jenseits »ihrer politischen Wirksamkeit«, zu betreuen. 35 Die Namen der in den >Silhouetten< auftauchenden Personen reichen in alle kulturellen und politischen Bereiche der Berliner Jahre von 1926 bis 1933 hinein - im Jahr 1933 hatten die Jüngers bereits die erste Hausdurchsuchung hinter sich gebracht. Als die Unruhen und die Atmosphäre der Denunziation für sie spürbar zur Belastung wurde, treffen die Jüngers »Anstalt, Berlin zu verlassen und nach Goslar überzusiedeln« 36 , wo bald darauf der zweite Sohn Carl Alexander, für den Carl Schmitt die Patenschaft übernimmt, geboren wird. Angesichts von Gretha Jüngers mit Furchtlosigkeit gepaartem Eigenwillen, der auch in ihren Erinnerungen häufig aufscheint, vermag es nicht wenig zu erstaunen, daß sie von Ernst Jünger in den >Silhouetten< stets als ihrem »Gebieter« spricht. Diese Beobachtung wirft die Frage auf, welches Selbstverständnis sie der Rolle der Frau zuspricht - eine Frage, die auch durch ihre zahlreichen Anmerkungen und Sentenzen zum Thema Frauen und Weiblichkeit in ihren beiden Publikationen, wie im Briefwechsel mit Carl Schmitt nahe gelegt wird. So findet sich in den >Silhouetten< anläßlich eines Besuches von Gertrud und Friedrich Hielscher (alias Bogumil) 37 folgende Anmerkung: »Siehe da: auch Bogumil lässt sich sehen mit seiner jungen Frau, die mir recht gut gefällt bis auf die schweigende Anbetung, die sie ihrem Gemahl zollt, mit der sie jedes Wort von ihm als ein sakrales deuten und empfinden mag. Dies ist gewiss eine lobenswerte Eigenschaft, vor der mich lediglich meine Unzulänglichkeit bewahrt, denn trotz heftiger Selbstermahnungen bringe ich es nicht über mich, dem unvergleichlichen Geschlecht die ihm gebührende Hochachtung in dieser Form darzubringen. Bogumil indessen bekam sie sehr gut.« 38 Diesem ironischen Hinweis auf die Überlegenheit des Mannes sowie die Betonung ihrer Eigenständigkeit und ihre Situierung auf »Augenhöhe«, entsprechen auch einige Äußerungen in den Briefpassagen an Carl Schmitt, wie beispielsweise ihr Hinweis auf Adele Sandrock (9.10.51 ), sowie in ihrem Brief vom 29.10.49, in dem sie ihr Vergnügen darüber zum Ausdruck bringt, daß Carlo Schmid sie für »eine höchst gefährliche Frau« hält.

von Jeinsen: Silhouetten, S. 95 u. 97. von Jeinsen: Silhouetten, S. 141. 37 Zu Friedrich Hielscher siehe Anm. 3 zum Schreiben Carl Schmitts an Gretha Jünger vom 18.5.52. 38 von Jeinsen: Silhouetten, S. 233. 35 36

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Andererseits sieht sie aber sehr deutlich, daß die Unabhängigkeit der Frau im Kontext des anderen Geschlechts grundsätzlich bedroht ist. So heißt es in >Die Palette< am 17.1.43: »Wenn die Frauen wüssten, dass Ihre Niederlage eine wahrhaftige ist, so würden sie den Augenblick ihrer Hingabe lange Zeit hinauszögern.« 39 Angesichts dieser Diagnose des offenbar Unvermeidlichen bleibt die Frage, wie sich diese drohende Unterlegenheit - die in deutlichem Kontrast zu ihrer eigenen Rolle steht - in Gretha Jüngers Frauenbild niederschlägt. Im Briefwechsel mit Schmitt wird dazu folgendes erkennbar: Angesichts von Jüngers Entscheidung, sich für den Frontdienst zu melden, teil sie Schmitt am 7.11.39 mit, daß sie die Haltung der Zurückbleibenden »ein wenig beschämend« findet, »dennoch muss ich es als Frau vermeiden, das richterliche Wort über sie zu sprechen.« Diese Beschränkung des Urteils auf ihren eigenen Bereich steht in der Tat bei Gretha Jünger im Kontext einer durchgehenden Zurücknahme der Frau hinter die Bedürfnisse ihres »Gebieters«. Sie zeigt sich erneut bei der Diskussion eines Briefes von Hans Michael Müller 40 zu den >MarmorklippenWeib< so wichtig?« Daß mit dieser Marginalisierung des >Weiblichen< auch dessen latente Abwertung einhergeht, zeigen die folgenden Passagen: Anläßlich einer Lektüre von Byron schreibt sie am 29.10.49 an Schmitt: sie habe ihn ausgewählt, um dem faustischen Menschen wieder einmal zu begegnen. Sie sei aber nicht Faust, sondern »Narzissus mit dem Bocksfuss begegnet. (...) Die Dämonie in seinem Charakter ist weibischer Natur« und über Bettina von Arnims Briefe klagt sie am 18.5.52 bei Schmitt über die sich ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellenden Frauen: »Die schreckliche Bettina ist da ein grosses Vorbild, wie es scheint; als ich neulich die berühmten Briefe wieder las, wurde mir ganz übel vor so viel seelischer Schaumschlägerei und Eitelkeit.« Dem entspricht ferner eine Abwehr der Zuschreibungen weiblicher Attribute, wie sie in ihrem Dialog mit Carl Schmitt über die äußere Erscheinung von Frau Grüninger erkennbar wird: Am 4.1.43 erwidert sie - für Schmitt offensichtlich erwartbar - auf seine Feststellung: »Frau Grüninger ist Bildhauerin und hat einen Kopf von Ernst Jünger gemacht, Sie ist Hamburgerin, sehr schön (das sagt auch Frau Schmitt, um Ihrem skeptischen Lächeln zuvorzukommen), und im Wesen sehr sympathisch« - »Dass Frau Grüninger einen so günstigen Eindruck hinterließ, macht mich neugierig auf ihre Bekanntschaft; übrigens erstreckt sich mein skeptisches Lächeln< niemals auf die Schönheit der Frauen, sondern auf das, was sie uns zu sagen haben, und wie sie das tun. Ich sehe, Sie sind gütiger als ich, doch ist das kein Verdienst in diesem Fall, denn Sie stehen im anderen Lager.« Und aus Anlaß eines bevorstehenden Besuches von Schmitts Tochter Anima, mit der sie ein sehr herzliches Verhältnis verbindet, schreibt sie an Schmitt am 9.7.51: »Anima besucht mich«. Das ist

39 40

Gretha von Jeinsen: Die Palette, S. 62; vgl. dazu auch ihre Ausführungen auf S. 126ff. Siehe diesen im Anhang I des vorliegenden Bandes.

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»mir sehr lieb, denn ich glaube, dass sie bei all ihrer grossen Selbständigkeit dennoch des mütterlichen Zuspruches oder Rates bedarf; ich bin auch ganz offen zu ihr in meiner Ansicht, dass sie zu ausschliesslich aus dem Intellekt heraus lebt. In diesem Alter geht das auf Kosten der mädchenhaften Substanz. Sie ist zu skeptisch, zu überlegen, und sie übt sich in der ironischen Betrachtung mit so grosser Meisterschaft, dass sie auf der anderen Seite verlieren muss.« Bereits diese Textbefunde zeigen, daß Gretha Jünger einerseits die kulturellen Zuschreibungen >weiblicher< Attribute wie Eitelkeit, äußere Schönheit und das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit deutlich kritisch bewertet. Anderseits wehrt sie jedoch auch die Inanspruchnahme >männlicher< Attribute wie Intellekt und Überlegenheit ab. Ferner beharrt sie auf einer Bereichstrennung zwischen den Geschlechtern und einer Nachordnung der Frau hinter den »Gebieter«, die für sie offenbar im Geschlechterverhältnis angelegt ist. Dies bestätigt auch ihre Ermahnung an die Adresse von Anima Schmitt, die für diesen weiblichen Entwicklungsgang ihrer Meinung nach nicht über die nötigen Grundlagen verfügt. Diesem deutlich männlich codierten Blick auf die Frau, den Gretha Jünger sich zu Eigen macht und mit dem sie tatsächlich im Ergebnis dem »männlichen Geschlecht gewogener war« (s.o.) als dem weiblichen, steht andererseits eine deutlich davon abweichende, eigene Verhaltensweise gegenüber. Denn ihre Autonomie des Urteils, ihre Eigenwilligkeit und Selbstbehauptung in der stark männlich dominierten Umgebung ihres Hauses und seiner anhaltenden Besucherströme, die auch Voraussetzung und Grundlage für ihren Briefwechsel mit Carl Schmitt waren, läßt ihre eigene Lebensgestaltung in einem deutlich anderen Licht erscheinen. Bindeglied und Brücke zwischen den beiden widersprüchlichen Positionen scheint zunächst die von ihr vielfach betonte und auch praktizierte Aufgabe mütterlicher Zugewandtheit zu sein, die in ihrem Brief über Anima ebenso aufscheint, wie in ihrem Verhältnis zu Carl Schmitt in der Nachkriegszeit; dem mütterlichen Aspekt kommt auch in ihren beiden Publikationen ein deutlicher Stellenwert zu. Dennoch bleibt zwischen den beiden >Frauenwelten< eine deutliche Differenz bestehen, die vermutlich durch eine Passage in >Die Palette< etwas erhellt werden kann. Dort heißt es am 4.8.41 »Über die Kaste der Witwen berühmter Männer«: »Die Sucht nach Berühmtheit ist eine der stärksten menschlichen Begierden, und die Frauen sind es, die sich notgedrungen auch mit dem Schattenriß begnügen.« Die damit sichtbar werdende Ambivalenz zwischen den beiden Positionen von Weiblichkeit, in der auch ihre Selbstaussage zur Gestaltung der >Palette< siedelt (29.10.49), läßt - trotz aller Adaption der männlichen Welt bei Gretha Jünger eine genderkritische Wahrnehmung ihrer Zeit und Lebenssituation erkennen. Diese Kritik beantwortete sie für sich selbst mit Eigenständigkeit - auch gegenüber dem »Gebieter«. Sie leitete daraus jedoch keine Veränderung der Geschlechterrollen ab.

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Gretha Jünger und Carl Schmitt - der Briefwechsel In der ersten Phase des Briefwechsels von 1934-1939, in der der Briefbestand sehr klein ist, dominiert zunächst der Austausch über den 1934 geborenen zweiten Sohn Carl Alexander. Dabei wird deutlich, daß Schmitt seiner Patenschaft mit regem Interesse nachkommt. Er spricht davon, daß die »astronomische Verbindung« zwischen ihm und dem »neuen Erden-Soldaten« Carl Alexander sehr gut sei und erkundigt sich nach dessen Befinden, nimmt an Taufe, Konfirmation und Geburtstagen Anteil, schreibt ihm Briefe, sendet Geschenke und trifft sich gerne mit ihm. Ferner werden Ernst Jüngers Reisen und die gegenseitigen Verabredungen zu Besuchen thematisiert; einige Briefe enthalten einen Passus von Ernst Jünger, in denen er zumeist auf seine gerade entstehenden Arbeiten hinweist. Ein immer wieder angesprochenes Thema in dieser Zeit sind geomantische Studien, graphologische Gutachten und astronomische Konstellationen, die nicht nur als Argument bei der Übernahme von Schmitts Patenschaft eine Rolle spielen, sondern auch im Kontext seiner ersten Parisreise im Hinblick auf sein Verhältnis zu Gretha Jünger.41 Vor allem von Ernst Jünger werden aktuelle Lektüren mitgeteilt, wie beispielsweise die der Werke von Prince de Ligne, wobei Gretha Jüngers >Die Palette< zeigt, daß sie sich diesen Lektüren ebenfalls anschließt, was auf einen regen Austausch zwischen beiden schließen läßt. Im Verlauf des Jahres 1939 wird - mit Beginn des 2. Weltkrieges - deutlich, daß die Entwicklung von Ernst Jünger jun. immer mehr in Richtung des Soldatischen geht: zunehmend dem »Mars verfallen«, eifert er seinem Vater nach und beneidet ihn ob seines Kriegseinsatzes. In der zweiten Phase des Briefwechsels, ab Ende 1939 bis 1945, bildet das Kriegsgeschehen den Hintergrund des Austausches. Im Spiegel von Alfred Kubins >Die andere SeiteMarmorklippenBabo< als Chiffre für die Kriegssituation und die Auseinandersetzung mit ihr über einen längeren Zeitraum durch den Briefwechsel hindurch zieht. Ab August 1941 wird Jüngers Aufenthalt in Paris im Stab des damaligen Oberbefehlshabers in Frankreich, Otto von Stülpnagel, zu dem auch Oberst Hans Speidel und Ernst Jünger gehörten, erörtert. Carl Schmitts Vortragsreisen sind in dieser Zeit ebenfalls regelmäßiger Gegenstand des Briefwechsels. 44 Im Vordergrund steht dabei die Reise, deren Urheberin Gretha Jünger 45 war: sie führte ihn 1941 ans >Deutsche Institut< in Paris. 46 Im April 1942 unternimmt Duska Schmitt eine Reise nach Kroatien, die Carl Schmitt mit deutlicher Sorge erfüllt. Immer wieder teilen sich die Briefpartner gegenseitig Beobachtungen über den gegenwärtigen Zustand der Zeit mit: über die »wegorganisierte« Öffentlichkeit, die Situation im Osten, die mit einer Hieronymus Bosch-Landschaft 47 verglichen wird, die sich überstürzenden politischen Ereignisse, den Verlust von Sicherheit, das veränderte Verhältnis der Menschen untereinander, die öffentlichen Parolen und Transportmittel u.a. Mit Erscheinen seiner Schrift >Land und Meer< (Leipzig 1942) übersendet Carl Schmitt ein Exemplar an Gretha Jünger, dessen Lektüre sie auch in ihren Tagebuchblättern erwähnt. Die frühen Kriegsereignisse werden in den Briefen nicht direkt angesprochen, sondern z.T. nur am Rande erwähnt. Erst mit Beginn des Ostfeldzuges und der Schlacht von Stalingrad schimmert die »Katastrophe« des Krieges stärker durch. Im Verlauf des Jahres 1943 werden der Bombenkrieg und seine Zerstörungen in Berlin und Hannover in der Korrespondenz der beiden Briefpartner intensiv thematisiert. 48 Der Briefwechsel erhält dadurch einen neuen Charakter, da der alltägliche Schrecken des Krieges spürbar wird, was sich in der gegenseitigen Sorge um das jeweilige Wohlergehen und Befinden der Briefpartner niederschlägt. Gretha Jünger erweitert ihre Wahrnehmung stets auch

Weitere, erwähnte Reiseziele neben Frankreich (Paris, Bordeaux) waren Spanien (Madrid, Salamanca), Ungarn (Budapest) und Portugal; siehe dazu Anm. 3 zum Schreiben Carl Schmitts an Gretha Jünger vom 3.9.41. 45 Vgl. dazu Carl Schmitts Brief an Gretha Jünger vom 25.10.41 und die dortige Anm. 1. 46 Im Rahmen dieses Aufenthaltes fand seine Kahnfahrt mit Ernst Jünger in Rambouillet einen besonderen Nachhall. 47 Siehe dazu auch Carl Schmitt: Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, Hamburg 1938, S. 40. 48 Am 26.8.1943 wird die Wohnung der Familie Schmitt in Dahlem zerstört, was er ihr aus Plettenberg, das von nun an immer häufiger sein Domizil werden wird, mitteilt. Gretha Jünger bietet ihm Kirchhorst gleichfalls als Domizil an. Im Okt. 1943 bezieht die Familie Schmitt eine Villa in Schlachtensee. 44

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auf Duska Schmitt, deren schwierige Lage in Berlin ihr sehr bewußt ist. Ab Sommer 1943 rückt für Gretha Jünger noch ein anderes Problem in den Vordergrund, das in ihrer Bezeichnung der Stadt Paris, die sie bereits mit Beginn von Ernst Jüngers Aufenthalt »Babylon« nannte, als »Morbidezza« zum Ausdruck kommt. Mit diesem Begriff spielt Gretha Jünger auf Ernst Jüngers Liebesaffäre mit der Pariser Kinderärztin Sophie Ravoux an, die mit dem Rückzug der deutschen Besatzungstruppen aus Paris im August 1944 zunächst endet. Schmitt, der darüber auch durch Gespräche mit Gretha Jünger informiert war, erwähnt die »Morbidezza« noch im März 1944. In der Nachkriegszeit wird die Affäre erneut Gegenstand ihres Briefwechsels sein, wie ihre Bitte an Schmitt um Auskunft über den Inhalt eines Schreibens von Ernst Jünger im Januar 1950 zeigt.49 Carl Schmitt, in dessen Briefwechsel mit Ernst Jünger sich die Affäre in einem kurzen »Schlagabtausch« niederschlägt, übermittelt ihr in seinem Antwortschreiben einen tröstlichen Vers von Angelus Silesius.50 Der Jahreswechsel 1943/44, in dem der Briefwechsel zwischen Gretha Jünger und Carl Schmitt trotz der Kriegswirren fortgesetzt wird, hielt für sie noch weitere, gravierende Einschnitte bereit: Im November 1943 stirbt ihr einziger Bruder Kurt 5 1 , im Februar 1944 wird ihr ältester Sohn, Ernst Jünger jun., in Wilhelmshaven wegen regimekritischer Äußerungen interniert; er fällt im gleichen Jahr, im November 1944, beim Fronteinsatz bei Carrara. Insbesondere Gefangenschaft und Verlust des Sohnes findet in ihren Briefen an Schmitt einen deutlichen Widerhall. Auch in den Kriegsjahren bleibt durchgehend der lebhafte Wunsch erkennbar, den gegenseitigen Austausch durch Besuche und Briefe zu erhalten. »Mich verlangt es recht« - so Gretha Jünger an Carl Schmitt - »nach einem Abend an Ihrem Kamin; der grosse Leerlauf hat eingesetzt, und die Luft wird so dünn, so dünn, dass man nach einem guten Gespräch hungriger ist, als nach einem Korb frischen Austern« (14.8.42). Der Briefwechsel dieser zweiten Phase endet mit einem Schreiben von Carl Schmitt an Gretha Jünger vom August 1945, von dem er hofft, daß es sie als Lebenszeichen durch die Nachkriegswirren hindurch erreicht. Diesem Brief folgt allerdings erst zwei Jahre später eine Antwort, die sie offenbar an den ihrer Meinung nach immer noch in Nürnberg Inhaftierten adressiert. Am Beginn der dritten Phase des Briefwechsels, die den umfangreichsten Briefbestand aufweist, steht das oben erwähnte Schreiben von Gretha Jünger, das sie zwei Monate nach Schmitts Entlassung aus der Zeugenhaft nach Nürnberg sendet (1.6.47). 52 Sie erinnert darin an ihre gemeinsame Berliner Zeit und

Siehe dazu die Briefe Gretha Jüngers vom 12.3.44 und 12.1.50 an Carl Schmitt. Vgl. dazu die Briefe vom 13.1.50, 16.1.50 u. 5.2.50, in: Briefejünger-Schmitt, S. 246ff. 51 Kurt von Jeinsen fiel am 4.11.1943. 52 Der Brief ging an sie zurück und sie übergab ihn schließlich fünf Jahre später (am 13.2.52) Carl Schmitt. 49 50

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bietet ihm mit Nachdruck an, als Entlastungszeugin für ihn einzutreten. In den ersten Monaten werden in dieser Phase des Briefwechsels die neuen Lebenslagen der Briefpartner erörtert und Fragen nach dem Verbleib des gemeinsamen Bekannten- und Freundeskreises gestellt. Bei Schmitt steht sein neues von ihm als »heraklitische Gegenwart« und zugleich als »ewiger Advent« bezeichnetes - Domizil in Plettenberg im Vordergrund, bei dessen Schilderung bereits die Motive auftauchen, die er fortan auch in Publikationen mit seiner Heimatregion verbinden wird.53 Er erwähnt im Verlauf des Briefwechsels mehrfach die ihn umgebenden Bilder von Emil Nolde, Walter Gilles, Ernst Wilhelm Nay und Werner Heidt, sowie die große Bedeutung, die sie für seinen Lebensalltag haben. Bereits im Dezember 1947 taucht bei Schmitt der im Weiteren mehrfach verwendete Begriff der »obscurité« auf und zwar im Zusammenhang mit Carlo Schmid, den in der kommenden Zeit auch Gretha Jünger mehrfach zum Anlaß von kritischen Anmerkungen nimmt. Seit diesem Zeitpunkt zeigt sich bei beiden Briefpartnern eine anhaltend kritische, oft nicht unpolemische Reflexion über das Verhalten von Personen, die vielfach bereits in der Kriegs- und Vorkriegszeit zu ihrem Lebensumfeld oder zur allgemeinen Öffentlichkeit gehören. Zu nennen sind hier vor allem Ernst Niekisch und Martin Niemöller. Ferner finden Personen Erwähnung, die beispielsweise Ernst Jünger vor dem »Forum« der Öffentlichkeit verteidigen. Im Vordergrund stehen jedoch bei beiden Briefpartnern Beobachtungen über die gegenwärtige Zeit und den als massiv empfundenen Eingriff in die »geheimsten Kammern unseres Begriffes an Freiheit«, so Gretha Jünger. Sie betont dabei explizit die Fortsetzung der seit 1933 praktizierten »Erpressung« und »Sklaverei«, die sie - wie auch die vorangegangene Diktatur - in den Kontext der Technisierung des 20. Jahrhunderts stellt, mit der auch ein Verlust an Stille und Besinnung einhergehe. Diese negativ wahrgenommene Entwicklung der westlichen, zivilisatorischen Welt grenzt sie mehrfach gegen die ihr angenehmere, weil elementare Welt des Ostens ab, die Ernst Jünger jedoch nur wie ein Insekt betrachte und »nicht liebt« (4.5.48). Gretha Jünger erwähnt ferner mehrfach, daß sie Menschen ihrer Umgebung, die sich »unpassend« mit Schmitt »beschäftigen« in die »Flucht schlage«. Er schildert ihr die Beschränkungen seines jetzigen Alltages, der ihm kaum Bewegungsfreiheit in Form von Reisen ermögliche. Zugleich sieht er sich Angriffen ausgesetzt, die das »Geheimnis der Feindschaft zwischen den Menschen« offenbaren. Plettenberg skizziert Schmitt im Verlauf des Jahres 1949 als gegenwärtig vorhandenes Gesprächsasyl, aus dem er jedoch jederzeit vertrieben werden könne. Im Januar 1949 stellt Gretha Jünger bei Carl Schmitt erstmals einen »Geist der Fremdheit« fest, den er in seinem Antwortschreiben auf seine isolierte Situation des »Unglücks« und der »Verfolgung« zurückführt, wobei er betont, Gretha

Siehe dazu beispielsweise Carl Schmitt: Welt großartigster Spannung, in: Merian, VII, 9, H a m b u r g September 1954, S. 3 - 9 . 53

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Jünger unverändert nahe zu stehen und auch nicht auf bewährte Freunde verzichten zu wollen. Ihrer Beobachtung der Resignation bei Schmitt fügt sie den Rat zum Bau einer inneren Zitadelle und die Prophezeiung hinzu, er werde in zwei Jahren mit der gleichen Beharrlichkeit zum Reden aufgefordert, wie er jetzt zum Schweigen gebracht werden solle. Sie schildert ferner die Folgen ihres Wechsels von der englischen in die französische Besatzungszone für Ernst Jünger und dessen Möglichkeiten zur Publikation, der sich wie ein »Dammbruch« auswirke. Uber die bald darauf erfolgte Drucklegung der >Strahlungen< und deren öffentliche Aufnahme berichtet sie mehrfach. Schmitts Situation dagegen sah deutlich anders aus als die von Ernst Jünger, auch wenn Gretha Jünger ihm gegenüber immer wieder versucht, beide Ausgangslagen als gleichwertig schwierig darzustellen. Carl Schmitt aber fühlt sich verfolgt und klagt beispielsweise, daß sein >Nomos der Erde< durch Fritz Pringsheim 54 in London inzwischen als »undeutsch« abqualifiziert werde. Personen, die in der Zeit von 1949 bis zum Ende des Briefwechsels Erwähnung finden sind u.a.: Gerhard Nebel, Armin Möhler, der Verleger Günther Neske, Karl Korn, Paul Adams, Nicolaus Sombart, Constantin Cramer von Laue, Vittorio Klostermann, Max Kommereil, Benno Ziegler, Erich Kaufmann, Hans Fleig, Alfred Andersch, Johannes Winckelmann, Heinrich Gremmels, Javier Conde, Ernst von Salomon, Hans Schneider, Mathias Wieman, Heinrich Oberheid, Hans Barion, Hanno Kesting, Piet Tommissen, Heinrich Popitz, die Familie von Stauffenberg, Eugen und Helma Ott. Ebenfalls ab Januar 1949 thematisiert Schmitt erstmals die Krebserkrankung seiner Frau, deren Tod Anfang Dezember 1950 für ihn ein schwerer Verlust sein wird.55 Im Oktober 1949 erfolgte ihr erster Krankenhausaufenthalt, im Dezember 1949 in Heidelberg die erste Operation. Etwa zur gleichen Zeit lernt er über Ernst Jünger den Fabrikanten und Kunstsammler Klaus Gebhardt kennen. In der Folgezeit leihen ihm sowohl Gebhardt, als auch Peterheinrich Kirchhoff, mit dem er durch Vermittlung von Gretha Jünger Kontakt findet, für Behandlung und Krankentransport seiner Frau Duska, Geld. Wie außerordentlich prekär und demütigend für Schmitt in diesem Kontext die Unzulänglichkeit eigener finanzieller Mittel war, zeigt sich deutlich im Mai 1952, ein halbes Jahr nach ihrem Tode, wenn er mit Gretha Jünger erörtert, in welcher Weise er Gebhardt die für Duska Schmitts Behandlung geliehene Geldsumme von 400 Mark zurückgeben kann, da dieser sich offenbar verleugnen läßt und den Kontakt mit Schmitt inzwischen meidet. In der Zeit nach dem Tod von Duska Schmitt intensiviert sich der Austausch mit Gretha Jünger über seine Tochter Anima, deren Entwicklungsgang sie mit großem Interesse begleitet. Zu Fritz Pringsheim siehe Anm. 6 zum Schreiben Carl Schmitts an Gretha Jünger vom 15.5.52. 55 Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, daß Carl Schmitts Spannungen mit Ernst Jünger zur gleichen Zeit im >Glossarium< erkennbar werden, in der seine Frau schwer erkrankte, was vermutlich die Wahrnehmung der Asymmetrie im Verhältnis zu Ernst Jünger noch verstärkte. 54

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Zugleich ist ab Januar 1950 auch Ernst Jüngers Meskalin-Experiment Gegenstand des Briefaustausches, das sich für Gretha Jünger mit der o. e. krisenhaften Situation ihrer Ehe überschneidet. Sie sieht sich deshalb in einer Situation, in der am Spieltisch nicht nur die »höchsten Einsätze« gewagt, sondern auch versucht werde, die »ganze Bank zu sprengen.« Sie dankt Schmitt für seinen brieflichen Zuspruch, die Gespräche in Plettenberg und seinen Brief an Ernst Jünger, der viel »Rang und Würde« verrate (9.2.50). Angesichts der auf beiden Seiten vorhanden Belastungen und der »Wüste«, von der sich beide umgeben sehen, intensiviert sich zwischen Gretha Jünger und Carl Schmitt die wechselseitige Anteilnahme. Ab Mitte Februar 1950 ändert Gretha Jünger ihre briefliche Anrede »Lieber Herr Professor« in »Lieber Carl Schmitt« und bezeichnet ihn als ihr »Sorgenkind«. Ferner schildert sie fortlaufend das aktuelle Schaffen ihres Mannes, wobei auffällt, daß Carl Schmitt darauf nicht wirklich reagiert. Er thematisiert jedoch seine eigenen Veröffentlichungen (wie >Ex captivitate salus< und die Schrift zu Donoso Cortés) und die Stellungnahmen seiner »Verteidiger«. In dieser Phase des Briefwechsels ist die Auseinandersetzung mit literarisch-intellektuellen Fragen insgesamt am stärksten. Über einen längeren Zeitraum hinweg werden auch Überlegungen zu dem von Anima Schmitt übersetzten Hamlet-Buch von Lilian Winstanley, für das Carl Schmitt ein >Vorwort< und den >Hinweis für den deutschen Leser< verfaßte, ausgetauscht. Im Herbst 1952 rät Gretha Jünger Carl Schmitt Plettenberg zu verlassen und wegen der dort von ihm beklagten Einsamkeit nach Frankfurt oder Köln zu ziehen. Ab November 1952 stehen im Vordergrund des Briefwechsels, insbesondere auf Gretha Jüngers Seite, die zwischen Carl Schmitt und Ernst Jünger entstandenen Spannungen, die sie mit Appellen an deren langjährige Freundschaft abzubauen versucht. Das recht abrupte Ende des Briefaustausches bilden die eingangs ausführlich dargestellten, mit den Spannungen zwischen Ernst Jünger und Carl Schmitt zusammenhängenden, Auseinandersetzungen um Armin Möhler. Das Ende des Briefwechsels steht in deutlichem Kontrast zu seinem über zwei Jahrzehnte hinweg freundschaftlichen, ja herzlichen Ton, der insbesondere mit Beginn des Jahres 1950 von großer Nähe und Anteilnahme der Briefpartner und regem intellektuellen Austausch geprägt ist. Ingeborg Villinger

Zeittafel Die Familien Schmitt und Jünger kannten sich seit dem Jahreswechsel 1929/30 in Berlin 1

Gretha

Jünger

1906 A m 14. M ä r z in Döhren nahe Hannover geboren

Carl Schmitt 1888 A m 11. Juli in Plettenberg (Westfalen) geboren

1925 Heirat mit Ernst Jünger 1926 A m 1. Mai Geburt des Sohnes Ernst 1927 Die Familie Jünger zieht nach Berlin

1926 In zweiter Ehe mit Duska Todorovic verheiratet 1928 Professor an der Handelshochschule Berlin 1931 Geburt der Tochter Anima Louise

1933 Im Dezember U m z u g der Familie von Berlin nach Goslar

1933 Professor in Köln. Im Oktober Wechsel an die Universität in Berlin

1934 A m 9. März Geburt des Sohnes Carl Alexander. Carl Schmitt wird Patenonkel 1936 Im Dezember U m z u g nach Uberlingen am Bodensee 1939 Die Familie Jünger zieht im April nach Kirchhorst bei Hannover Ernst Jünger erhält im August den Einberufungsbefehl

1936 Angriffe aus der SS führen zur Niederlegung seiner Amter in der NS-Hochschulpolitik

1940 Militärische Verwendung Ernst Jüngers seit Januar am Westwall, dann in Ostfrankreich 1941 Ernst Jünger seit Juni beim Militärbefehlshaber Frankreich in Paris

1941 Vortragsreise nach Paris und Treffen mit Ernst Jünger

1942 Ernst Jünger seit Oktober für drei Monate in den Kaukasus abkommandiert

1942 Im Mai Vortragsreise nach Ungarn, im November nach Frankreich und Belgien

1 Die Zeittafel orientiert hauptsächlich über einige in den vorgelegten Briefen wiederholt erwähnte Ereignisse, bietet also keine darüber hinausgehende biographische Aufstellung.

20

Zeittafel 1943 Im Mai/Juni Vortragsreise nach Spanien Im August Zerstörung des Wohnhauses in Berlin-Dahlem. Umzug der Familie nach Berlin-Schlachtensee Erneute Reise nach Ungarn im November

1944 Der Sohn Ernst wird im Februar ver-

1944 Im Mai/Juni Vortragsreise nach Spanien

haftet. Zur »Frontbewährung« nach Italien

u. Portugal

versetzt, fällt er dort im November Ernst Jünger wird im Sept. aus der Wehrmacht entlassen 1945 Schmitt wird nach Kriegsende

aus

seiner Professur entlassen und im Sept. von den amerikanischen Behörden bis zum Okt. 1946 in Berlin inhaftiert 1947 Erneute Inhaftierung von März bis Mai in Berlin und Nürnberg. Nach der Freilassung endgültiger Wohnsitz in Plettenberg 1949 Im Januar Umzug der Familie nach Ravensburg Gretha Jünger publiziert das Tagebuch >Die Palette< 1950 Die Familie nimmt ihren endgültigen

1950 Carl Schmitt veröffentlicht die Schrif-

Wohnsitz

dort

ten >Der Nomos der Erde im Völkerrecht

zunächst für kurze Zeit im Schloß der Fami-

des Jus Publicum EuropaeumDie Lage der

lie Stauffenberg, ehe sie in die Oberförsterei

europäischen Rechtswissenschaft sowie >Do-

zieht

noso Cortés in gesamteuropäischer Interpre-

in

Wilflingen.

Sie

lebt

tation. Vier Aufsätze< und >Ex captivitate salus. Erfahrungen der Zeit 1945/47< Am 3. Dezember Tod der seit der Jahreswende 1948/49 schwer erkrankten Ehefrau Duska 1951 Abitur der Tochter Anima, die anschließend zu Ausbildung und Studium in München, Hamburg, Darmstadt und Heidelberg weilt Im Mai Vortragsreise nach Spanien 1952 Der Sohn Carl Alexander wechselt zur

1952 Regelung der Pensionsansprüche von

Vorbereitung auf das Abitur nach München

Carl Schmitt Mit Beiträgen von Carl Schmitt erscheint von Lilian Winstanley: >Hamlet. Sohn der Maria Stuarts Aus dem Englischen übersetzt von Anima Schmitt

1955

Gretha

Jünger

veröffentlicht

die

>Silhouetten. Eigenwillige Betrachtungen 1960 Gretha Jünger stirbt am 20. November

1985 Carl Schmitt stirbt am 7. April

Gretha Jünger - Carl Schmitt Briefe 1934-1953

C A R L S C H M I T T AN G R E T H A J Ü N G E R

PLETTENBERG-BHF., DEN 15. März 1934.1 Sehr verehrte Frau Jünger! Die Nachricht von der glücklichen Geburt Ihres zweiten Sohnes 2 erhielt ich heute, hier im Sauerland, wo ich ein paar Tage Urlaub verbringe. Ich habe mich sehr gefreut und kann mich auf den Wanderungen auch dem hochdankbar überlassen, zu dem eine solche Freude Anlaß gibt; das ist besonders schön. Nach allen Regeln der Astrologie werden meine Beziehungen zu dem Jungen vorzüglich sein; aber das hat ja noch gute Weile. Grüßen Sie den neuen ErdenSoldaten bestens. Ich will Ihnen doch lieber Rheinwein (statt Burgunder) schicken lassen und ihn vorsichtshalber von Köln aus besorgen. Sagen Sie bitte Herrn Jünger, er möchte sich doch einmal die berühmte 4. Ekloge von Virgil ansehn, aber womöglich den lateinischen Text vergleichen. Es ist das Schönste, was man zur Geburt eines Knaben sagen kann, wenn man für ihn ein goldenes Zeitalter erhofft, wozu vor allem gehört, daß das Gold kein Geld ist, sondern eine so schöne Sache wie Gold. 3 Nochmals meine herzlichen Grüße und Glückwünsche Ihnen und Ernst Jünger von Ihrem Carl Schmitt. 1 Das Schreiben findet sich auf dem Briefpapier des »Hotel Hanebeck / >Deutsches Haus< / Leitung: F. Schlegel«. Die Ortsangabe ist gedruckt. 2 Der Sohn Carl Alexander wurde am 9. März 1934 geboren. Der erste Sohn Ernst im Jahre 1926. 3 Schmitt verweist hier auf die »Deutung des neuen Weltjahres« in den >Bucolica< des Vergil. Nach dem L o b der »Taten des Vaters« heißt es dort zuletzt: »Auf denn, Knabe, du kleiner, erkenne mit Lachen die Mutter! / Lange Beschwerde doch brachten die Monate zehn deiner Mutter. / Auf denn, Knabe, du kleiner: wer nicht anlachte die Mutter, / nimmer würdigt ein Gott ihn des Mahls, eine Göttin des Lagers.« Siehe: Vergil: Landleben. Bucolica - Geórgica - Catalepton, ed. v. Johannes u. Maria Götte. Viten, ed. ν. Karl Bayer, München 1981, S. 23-27, hier S. 25. u. 27.

24

1934

GRETHA JÜNGER AN C A R L SCHMITT

Ernst Jünger

Berlin-Steglitz, den 31.3.1934. 1

G 9 Albrecht 3860

I l u l i e i i / u l l e i i i s l i . 6 pL

Sehr verehrter Herr Professor! Ich möchte Ihnen ganz besonders für Ihren Glückwunsch und den köstlichen Wein danken, den wir zu Ehren des Sohnes Alexander und am Geburtstage seines Vaters tranken und den wir ganz vorzüglich fanden. Ich erkannte sogleich Ihre Wahl. 2 Auch Ihrer Gattin danke ich noch sehr für ihren Brief an mich, ich werde ihn bald beantworten. In diesen ganzen Tagen Hessen mir die neuen Mutterpflichten wenig Zeit. Der kleine Sohn bereitet uns viel Freude. Er ist recht verschieden von seinem schon so grossen Bruder und im Gegensatz zu ihm ein kleiner Philosoph. Wir sind oft sehr erheitert, weil ihn so garnichts aus seiner beschaulichen Ruhe reissen kann. Ich möchte Sie bitten, da Sie selber glauben, dass Ihre Beziehungen zu ihm rein astronomisch gesehen - gute sind, die Freundschaft für den Vater auch auf ihn zu übertragen und die Patenschaft zu übernehmen. Ich hoffe, Sie sagen nicht nein. Alle Welt erwartete von mir eine Tochter. Ich habe es vorgezogen, alle zu enttäuschen und dem so eitlen Vater seinen Wunsch, einen zweiten Sohn zu besitzen, zu erfüllen. Da aber in Goslar 3 die Kinder so prächtig gedeihen, denke ich, das nächste und dritte Kind wird endlich ein Mädchen werden. Ich brauche noch eine Tochter als Partnerin, damit ich den Kampf gegen drei so schwierige männliche Wesen im Hause mit der Aussicht auf Erfolg aufnehmen kann. Sie, Frau Schmitt, und die kleine Anima 4 grüssen wir alle herzlich und wünschen Ihnen ein frohes Osterfest. Ihre Gretha Jünger. Die Anschrift auf dem Briefpapier ist hs durchgestrichen. Ernst Jünger feierte am 29. März den 39. Geburtstag. Zu seinem Werk siehe: Martin Meyer: Ernst Jünger, München, Wien 1990. 3 Im Dezember 1933 zog die Familie Jünger von Berlin nach Goslar, w o sie bis zum Dezember 1936, dem Datum der Ubersiedlung nach Uberlingen am Bodensee lebte. 4 Eine kurze Erinnerung von Gretha Jünger an die Gattin Carl Schmitts findet sich unter dem Titel >Duschka< in: Gretha von Jeinsen: Silhouetten. Eigenwillige Betrachtungen, Pfullingen 1955, S. 1 7 2 - 1 7 5 (neu als Teilausgabe: Isernhagen 2005). Anima Louise Schmitt war das einzige Kind der beiden. 1

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C A R L S C H M I T T AN G R E T H A J Ü N G E R PREUSSISCHER STAATSRAT1 PROFESSOR C A R L SCHMITT

BERLIN-STEGLITZ, SCHILLERSTR. 2 4. April 1934.

Sehr verehrte Frau Jünger! Für Ihren Brief vom 31. März, den ich heute bei der Rückkehr aus Westfalen, erhielt, danke ich Ihnen vielmals. Die Patenschaft für den kleinen Alexander nehme ich mit ganz besonderer Freude an. Ich hoffe, im Lauf der nächsten Woche noch einmal Zeit zu einer kleinen Reise zu finden und würde mir dann das Patenkind gern ansehn. Lassen Sie mir bitte ein Wort darüber zukommen, ob ich Sie aufsuchen darf. Auch Frau Schmitt hat sich über Ihren Brief sehr gefreut. Sie läßt herzlich grüßen und ist natürlich höchst neugierig. Wir haben das Haus noch voll von Osterbesuch. Grüßen Sie bitte Ernst Jünger bestens von uns und sagen Sie den Kindern guten Tag von Ihrem Carl Schmitt. 1 Der Titel eines »Preußischen Staatsrates< wurde Carl Schmitt am 1 1 . 7 . 1 9 3 3 vom schen Ministerpräsidenten Hermann Göring verliehen und von ihm bis zum Ende des Reiches geführt, obgleich das beratende Gremium seit 1936 nicht mehr einberufen Siehe: Andreas Koenen: Der Fall Carl Schmitt. Sein Aufstieg zum >Kronjuristen des Reiches«, Darmstadt 1995, S. 4 2 7 - 4 4 8 .

preußiDritten wurde. Dritten

G R E T H A J Ü N G E R AN C A R L S C H M I T T

Goslar, 14./V.34. Nonnenweg 4. Sehr verehrter Herr Professor! Eine lange und langweilige Erkältung hielt die ganze Familie Jünger im Bett, sodass unsere Briefschuld Ihnen gegenüber uns schwer aufs Gewissen fällt. Mein Mann liegt noch, es ist aber der letzte Tag, und schon etwas Faulfieber dabei. Ich werde ihn morgen zum Sommerschlucken in die Berge schicken. Ich muss einer kleinen Familienrücksicht wegen die Taufe schon auf den Pfingstsonntag ansetzen, also in wenigen Tagen. Ich hoffe, Sie sind nicht böse, dass ich Ihnen erst so spät diese Mitteilung mache, ich selber habe mich erst gestern dazu entschlossen. Wir hoffen sehr, dass es Ihnen und der lieben Frau Schmitt, für deren Brief ich noch herzlichst danke, möglich ist, zu kommen. Sie werden bei dieser Gelegenheit die gesamte zahlreiche Familie meines Mannes kennen lernen, die zu diesem wichtigen Ereignis einmal vollzählig versammelt zu sein

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wünscht. Ich nehme an, dass Sie am Sonnabend oder Sonntag Früh ankommen werden, bitte Sie aber, mir noch einen kurzen Bescheid zu senden. Die kirchliche Feier findet um 2 oder 3 Uhr Mittags statt. Alexander wird mit der Zeit ein ganz fröhlicher kleiner Kerl. Wir unterhalten uns schon sehr vergnügt. Der kleine Ernst ist wieder auf. Wie geht es Anima und Ihrem Puch? 1 Grüssen Sie Frau Schmitt herzlich, mein Mann lässt Ihnen sagen, dass er den Artikel über die Unterwerfung mit Vergnügen gelesen hätte.2 Er wird Sie wieder von der Bahn abholen. Mit herzlichen Grüssen Ihre Gretha Jünger. Puch hieß ein Kater der Familie Schmitt. Gemeint ist Schmitts >Die Logik der geistigen Unterwerfung< (in: Deutsches Volkstum. Halbmonatsschrift für das deutsche Geistesleben, Hamburg 1.3.1934, S. 1 7 7 - 1 8 2 ) aus der 1934 in Hamburg erschienenen Studie >Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches Der Sieg des Bürgers über den SoldatenDie Palette. Tagebuchblätter und Briefe< (Hamburg 1949, S. 8 f.; künftig zitiert mit >Die PaletteGlossarium. Aufzeichnungen aus den Jahren 1947—1951< (hrsg. v. Eberhard Freiherr v. Medem, Berlin 1991), S. 260. 2 Ein Schreiben Carl Schmitts an Ernst Jünger vom 3.5.36 (Briefe, Jünger - Schmitt, S. 57f.) zeigt, daß es sich um den Vetter André Steinlein handelt. In der Bibliographie der Werke Ernst Jüngers< von Hans Peter des Coudres und Horst Mühleisen (Stuttgart 1996) ist dieser jedoch nicht zu finden. Jüngers >Das Abenteuerliche Herz. Aufzeichnungen bei Tag und Nacht< erschien erstmals 1929 in Magdeburg, die zweite Fassung mit dem Untertitel >Figuren und Capriccios« 1938 in Hamburg. Eine erste Ubersetzung ins Französische erschien erst 1942 in Paris unter dem Titel >Le coeur aventureux, 2. vers.< von Henri Thomas. Die >Capriccios< erschienen als Auszug im Jahre 1953 in Stuttgart. 5 Mit den »Capriccios im Stile des Hieronymus Bosch«, also Phantasiestücken, spielt Jünger hier auf das wahre Feuerwerk von Motiven und Figuren, d. h. auf die phantastische Vielfalt in den Gemälden des niederländischen Malers an. 4 Ernst Jünger unternahm von Oktober bis Dezember 1936 eine Reise nach Brasilien. Das Tagebuch der Reise erschien unter dem Titel >Atlantische Fahrt< (Zürich 1948).

GRETHA UND ERNST JÜNGER AN C A R L SCHMITT

Uberlingen, d. 9. Januar 1939. Lieber Herr Professor! Da Carl-Alexander die Kunst des Schreibens noch nicht erlernt hat, muss seine Mutter dem Patenonkel herzlichsten Dank für den Weihnachtsbrief und das Geschenk sagen; reich wie ein kleiner König im Märchen kam er sich vor, und suchte sich im Spielwarenladen alle die schönen Dinge aus, die sein Herz begehrte. Er sendet Ihnen viele liebe Grüsse, ich muss ihm oft von Ihnen und

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Anima erzählen. Wir hoffen sehr, dass Sie das Patenkind in diesem Jahre aufsuchen werden; er hat sich zu unserer Freude entwickelt, und führt auf seine Art ein recht beschauliches Leben. So begleitet er den Vater auf weiten Feldspaziergängen, mit einem Täschchen für den Käferfang umgehängt, dem er mit wahrer Leidenschaft nachgeht. Man kann sich bereits recht gut mit ihm unterhalten. Anfang oder Mitte März verlassen wir das Ufer des Bodensees, und eine Landschaft, die uns lieb geworden ist; die grosse Feuchtigkeit aber zwingt uns zu einem abermaligen Umzug. Nach langem Suchen fanden wir an der Stadtgrenze Hannovers ein ländliches Pfarrhaus mit 14 Zimmern und grossem Garten, das wir gemietet haben.1 Die Entfernung zwischen uns wird also geringer, und wir hoffen, Sie und Frau Schmitt dort im Frühling einmal begrüssen zu können. Mit herzlichen Grüssen an Sie Alle Ihre Gretha Jünger und Carl-Alexander. Lieber Herr Staatsrat! Unsere Bekannten wundern sich, daß wir vom Bodensee in das Moor ziehen. Es bedarf indessen geomantischer Studien, 2 um festzustellen, welcher Punkt auf dem Planeten unserem Wohlbefinden am besten entspricht. Mir scheint doch die Nähe des Brocken-Gebirges wichtig zu sein, wenigstens für das StandQuartier. Auch im Jahr 1939, das interessant zu werden verspricht, gedenke ich vom guten Beobachtungsstande aus meine Studien weiter zu treiben. Die Dinge treten erst in ihrer wahren Mathematik hervor, wenn alle Staaten, die man als Aspiranten zur Herrschaft betrachten kann, sich mit der neuen Armatur an Ideen, Einrichtungen und Apparaten versehen haben. Dann werden die Bewegungen so schön und übersichtlich wie in einem See-Gefecht. Beim Prince de Ligne lese ich übrigens gerade, daß man noch im 18. Jahrhundert glühend gemachte Kugeln nur gegen türkische Schiffe, nicht aber innerhalb der christlichen Seefahrt, verschoß. 3 Ihr Ernst Jünger Die Familie Jünger zog am 1. April 1939 nach Kirchhorst bei Hannover. Heute ist Kirchhorst ein Ortsteil der Gemeinde Isernhagen. 2 Geomantik heißt die Kunst jenes Wahrsagers, der aus Linien und Figuren im Sande lesen kann. 3 Charles Joseph, Prince de Ligne ist literarisch vor allem als Verfasser von aphoristischessayistischen und autobiographischen Schriften bekannt geworden. Siehe: Philip Mansel: Le charmeur de l'Europe. Charles Joseph de Ligne (1735-1814), Paris 2002 (deutsche Ausgabe Stuttgart 2006). 1

32 GRETHA JÜNGER AN C A R L SCHMITT,

1939 Berlin-Dahlem [Kirchhorst, 11.7.1939] 1

Lieber Herr Professor! Ich fürchte, mein Mann hat die Verbindung nach hier nicht deutlich genug beschrieben. Gegenüber dem Bahnhof, rechts an der Hauptpost, hält um 1 Uhr der Landautobus mit der Aufschrift Hannover-Burgdorf. Sie werden gegen 2 Uhr in Kirchhorst eintreffen, wir erwarten Sie an der Haltestelle. Auf ein frohes Wiedersehen! Ihre Gretha Jünger. Die Datierung und die Ortsangabe folgen dem schwer lesbaren Poststempel der Karte. Ernst Jünger schrieb am 11.7. aus Kirchhorst, er freue sich, »daß Sie unser neues Domizil einmal ansehen wollen« und beschrieb ihm die Anfahrtsroute von Hannover aus. Siehe in: Briefe, Jünger-Schmitt, S. 84f., hierS. 84. Der Besuch Carl Schmitts fand am 15. Juli statt. 1

GRETHA JÜNGER AN C A R L SCHMITT

Pfarrhaus Kirchhorst, d. 6. Sept. 1939. Lieber Herr Professor! Wir danken herzlich für Ihren Kartengruss, und freuen uns besonders, dass Ihre Gattin mit Anima glücklich in Berlin eingetroffen ist. Mein Mann besuchte uns ganz überraschend am vorletzten Abend, leider nur kurz; er ist nach Blankenburg im Harz zum Ausbildungskurs mit einigen anderen Offizieren versetzt. Von dort aus wird er wohl an die Front gehen; Sie können sich denken, dass es mir nicht leicht ums Herz ist. Der Sohn Ernst jedoch ist Mars gänzlich verfallen und beneidet seinen Vater sehr.1 CarlAlexander sagt fröhlichen Gesichtes >Mein Papa haut die Polen durch< und ahnt nichts von den Schrecken eines Krieges. - Dieser Winter wird einsam genug werden, dennoch bin ich froh, auf dem Lande zu wohnen; sollte Ihre Gattin mit Anima im Laufe der kommenden Monate Berlin für einige Zeit verlassen wollen, so steht unser Gastzimmer immer gerüstet. Die Verpflegungsmöglichkeiten sind allerdings auch hier gering, wir leben recht bescheiden bei Tomaten und Kost, die uns der Garten liefert. Mein Schwager ist noch hier, erwartet jedoch täglich seine Einberufung. 2 - Mit allen guten Wünschen, für Sie Alle und herzlichen Grüssen! Ihre Gretha Jünger. 1 Im September absolvierte Jünger einen Offizierslehrgang in Blankenburg am Harz, sein erster Kriegseinsatz führte ihn an den Westwall am Oberrhein. Der Sohn wurde Anfang 1943 zur Flak nach Bremen eingezogen. 2 Gemeint ist Friedrich Georg Jünger.

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C A R L SCHMITT AN GRETHA JÜNGER

Berlin-Dahlem den 16. Oktober 1939. Liebe und verehrte Frau Jünger! Diese Woche geht es mir, wie es Seite 97/98 in Ernst Jüngers Marmorklippen beschrieben ist: die Arbeit des »zugemessenen Berufes« gibt eine merkwürdige Selbstgenügsamkeit. 1 Bei mir sind es die ganz erstaunlich interessanten Fragen des Seekriegsrechts, die mich absorbieren. 2 So kommt es, daß ich Ihnen noch nicht einmal auf Ihren letzten Brief geantwortet habe. Schreiben Sie uns aber trotzdem bald, wie es Ihnen und Carl Alexander geht. Auch die Feldpostadresse von Ernst Jünger wüßte ich gern, um ihm ein Wort des Dankes für die MarmorKlippen zu schreiben, obwohl das wunderbare Werk jedes Wort des Dankes übersteigt. Anima hat seit 2/3 Tagen Keuchhusten, das ist die Signatur unseres momentanen Haushaltes. Leider ist die großartige Wirkung der serbischen Schweinchen und Hühnerbeinchen schon fast ganz dahin. Sonst ist das Leben im verdunkelten Berlin nicht ungemütlich, solange der Weinkeller nicht leer ist; viele überflüssige Geselligkeit hat aufgehört. Bei Ihnen im Pfarrhaus muß es jetzt wohl noch stiller sein als sonst. Haben Sie sich rechtzeitig ein Schwein angeschafft? Das interessiert uns alle sehr. Vorläufig geht es trotz der vielen Bezugscheine noch leidlich. Ihre freundliche Einladung hat uns sehr gerührt. Vielen herzlichen Dank! Aber vorläufig geht es nicht wegen des Keuchhustens, der, wie der Arzt sagt, noch 4 Wochen dauert. Und dann würden wir unsern Mundvorrat mitbringen, wenn wir können. Sollten Sie aber nach Berlin kommen, so müssen Sie sich bei uns melden. Einen schönen Abend kann man für einen erwünschten Gast immer noch einrichten. Alles gute für Sie, liebe Frau Jünger und für mein liebes Patenkind! Wir grüßen alle drei herzlichst und denken an Sie in alter Freundschaft. Stets Ihr Carl Schmitt. 1 In der Erstausgabe von >Auf den Marmor-Klippen< (Hamburg 1939) heißt es dort: »Wir Menschen, wenn wir so in den uns zugemessenen Berufen am Werke sind, stehen im Amt und es ist seltsam, daß uns dann sogleich ein stärkeres Gefühl der Unversehrbarkeit ergreift. Wir hatten das bereits im Feld erfahren, wo der Krieger, wenn die Nähe des Todes an ihm zu zehren droht, sich gern den Pflichten widmet, die seinem Stande vorgeschrieben sind. In gleicher Weise hatte uns φ ε Wissenschaft gar oft gestärkt.« Nach dem Krieg erschien das Buch 1951 im Neske Verlag in Pfullingen. 2 Siehe hierzu das Kapitel >Der Grundsatz der Sicherheit der Verkehrswege des Britischen Weltreiches< in Schmitts Schrift Völkerrechtliche Grossraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte< (erstmals Berlin, Leipzig 1939). Dort heißt es in der Ausgabe von 1941 (S. 29) als Fazit zu der Frage, ob die militärische Sicherung der Seehandelswege im Commonwealth durch Großbritannien völkerrechtlich gedeckt ist: »Im übrigen ist die Frage

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nur, wie lange jene wunderbare Harmonie von britischem Interesse und Völkerrecht ihre Evidenz noch in das 20. Jahrhundert hinein zu bewahren mag.« Die Beschäftigung mit der Stellung Englands als Weltmacht mit einem räumlich weit ausgreifenden Kolonialreich zeigt auch Schmitts Artikel >Die Raumrevolution. Durch den totalen Krieg zu einem totalen Frieden< (in: Das Reich. Deutsche Wochenzeitung, Nr. 19, Berlin 29.9.1940, S. 3), in dem er es als das Besondere bezeichnet, daß im gegenwärtigen Kriege »für und gegen eine neue Raumordnung gekämpft wird.« Dabei meint er für Großbritannien den Verlust seiner Machtstellung voraussehen zu können und erklärt, es werde sich aus den bisher beherrschten geographischen Räumen zurückziehen müssen. Beide Texte siehe: Carl Schmitt: Staat, Großraum, Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1916-1969, hrsg. v. Günter Maschke, Berlin 1995, S. 269-371 u. 388-394.

G R E T H A JÜNGER AN C A R L SCHMITT

Pfarrhaus Kirchhorst, d. 7. November 1939. Lieber Herr Professor! Mit meinem Dank für Ihren letzten Brief übermittle ich Ihnen die Grüsse meines Mannes, der uns am Freitag verliess, um sich an die Front zu begeben; des ewigen Kasernendienstes müde, meldete er sich mit 3 anderen Offizieren hierzu, als eine bescheidene Rundfrage an alle erging. 1 Die Haltung der vielen Kameraden, die zurückblieben, finde ich ein wenig beschämend, dennoch muss ich es als Frau vermeiden, das richterliche Wort über sie zu sprechen. Wir verbrachten den letzten Abend in Hannover; der Heimweg durch die nächtliche Stadt erschien uns unwirklich, und erinnerte fast an Kubins »Andere Seite«. 2 Die Gestalten, die aus dem Dunkel hervor schlüpften, wuchsen ins Riesenhafte, sobald sie in dem schmalen Lichtstreifen der geöffneten Türen auftauchten; ich fühlte mich bedrückt, nicht nur, weil die Stunde der Trennung gekommen war, und sehe nun, dass es mir ganz unmöglich sein wird, Wald und Garten jemals zu verlassen, um wiederum in den grossen Städten zu leben. Die Eremitage 3 ist nun verlassen; wir empfinden es alle mit grossem Schmerz. Bisher war es ihm möglich gewesen, uns an den Abenden aufzusuchen; frühmorgens verliess er uns, nicht eben heiter, denn der Dienst Hess ihm keine Stunde für sich, und diese Umstellung empfand er doch recht schwer. Nun aber müssen wir warten, wann er zurückkehren wird, und darüber kann es Frühling werden. Ich lebe recht einsam mit Carl Alexander; er hat sich vom Nachbarn einen Stall bauen lassen und füttert nun täglich die jungen Häschen darinnen, 11 an der Zahl. Auch ein grosses und grunzendes Borstentier wurde angeschafft, damit wir im Januar Schlachtfest halten können; die Bauern versorgen mich gut, der Keller ist wohl gefüllt, wir haben 20 Zentner Obst und Gemüse geerntet, Nüsse und Weintrauben, sodass ich unseren Einzug ins Pfarrhaus immer wieder begrüssen muss. Mein Schwager weilt noch hier, seine Kriegsverletzung ist wohl

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zu schwer; er wird in wenigen Wochen heiraten, und führt mir nun seine junge Frau zu, die in der Landschaft der Marina zuhaus ist, und uns in ihrer heiteren Art den langen Winter im Moor ertragen hilft.4 Die 1. Auflage der Marmorklippen ist nun bereits verkauft; dieser Erfolg war nicht voraus zu sehen, er erstaunt mich in der heutigen Zeit. Auch bei Ihnen ist es nun stiller geworden; grüssen Sie Anima und Frau Schmitt recht herzlich. Wenn meine Gedanken gar zu sehr an der Westfront hängen, werde ich ein paar Tage nach Berlin kommen, um mich abzulenken, und hoffe dann sehr, Sie Alle bei bester Gesundheit wiederzusehen. In freundschaftlichem Gedenken Ihre Gretha Jünger. Die neue Anschrift meines Mannes ist mir noch unbekannt, ich werde sie Ihnen in den nächsten Tagen zusenden. 5 1 Den Mobilmachungsbefehl erhielt Ernst Jünger am 26.8., am 30. trat er in Celle seinen Dienst an. 2 Alfred Kubin: Die andere Seite. Ein phantastischer Roman. Mit einer Selbstbiographie des Künstlers, 2. Aufl., München [1917]. Jetzt neu als Reprint nach der Erstausgabe von 1909: München 1990. Siehe zu Kubin von Peter Assmann (Hrsg.): Kubin, die andere Seite der Wirklichkeit. Ein Symposium zu Aspekten des Unheimlichen, Phantastischen und Fiktionalen, [Salzburg] 1995. Siehe weiter den Briefwechsel Ernst Jüngers mit Alfred Kubin in: Ernst Jünger / Alfred Kubin: Eine Begegnung, Frankfurt a. M., Berlin, Wien 1975. Siehe auch Carl Schmitts >Glossarium% S. 122. 3 Gemeint ist das Arbeitszimmer, die Eremitenklause, auf dem Boden des Pfarrhauses in Kirchhorst. 4 Gemeint sind Friedrich Georg Jünger und seine zukünftige Frau Anna Maria Citta Weickhardt. Die Formulierung von der »Landschaft der Marina« ist eine Anspielung auf Ernst Jüngers Erzählung >Auf den Marmor-KlippenDie Paletten S. 34f. 2 Am 31.12.39 vermerkte Ernst Jünger in seinem Tagebuch: »[a]uf Urlaub in Kirchhorst.« Der folgende Eintrag vom 4. Januar zeigt, daß der Urlaub »nach zwei Tagen durch ein Telegramm beendet wurde. Perpetua brachte mir die Nachricht in die Klause, in der ich gerade eine schöne Sternocera aus Djibouti betrachtete. Nachher fand ich sie traurig in der Küche.« Siehe: Ernst Jünger: Gärten und Strassen. Aus den Tagebüchern von 1939 und 1940, Berlin 1942, S. 72 f. Erneut hielt sich Jünger laut Tagebuch vom 17. bis 29.1.1941 in Kirchhorst auf.

G R E T H A JÜNGER AN C A R L SCHMITT

Kirchhorst, d. 16. März 1940. Lieber Herr Professor! Wir danken Ihnen herzlichst für Ihren Glückwunsch und das Geschenk für Ihr Patenkind; er war recht erfreut darüber. 1 Eine grosse Kinderschar war im Pfarrhaus versammelt, sehr gern hätten wir Anima dabei gesehen. Vielleicht bringt Sie der Sommer uns als Gäste; wenn es möglich ist, komme ich mit Carl Alexander Ende April nach Berlin, um Ihnen Allen rasch Guten Tag zu sagen, bevor wir nach Süddeutschland reisen.2 Da er recht zart und empfindlich ist, hat ihn der Arzt noch 1 Jahr von der Schule befreit, und mir zu einem längeren Aufenthalt im Hochgebirge geraten. Wahrscheinlich werden wir einige Wochen in Mittelberg verbringen. 3 Mein Mann überraschte mich an meinem Geburtstag mit seinem Besuch; 4 mitten in der Nacht ertönte die Hausglocke, und ein rauher Krieger im Stahlhelm begehrte Einlass. Leider blieb er nur 24 Stunden bei uns, aber wir sind bescheiden geworden, und freuten uns auch über diese kurze Zeitspanne. Seine

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Gesundheit ist ausgezeichnet, er hat sich nunmehr an das martialische Leben gewöhnt, und gewinnt ihm wiederum versöhnliche Seiten ab. Ich soll Ihnen seine besten Grüsse ausrichten. Seine Feldpost Nr. ist: 35 187 C. Gern wären wir einmal zusammen nach Berlin gefahren, aber die Urlaubstage sind kurz, und so müssen wir es auf friedlichere Zeiten verschieben. Ihnen Allen die herzlichsten Grüsse! Carl Alexander spricht oft von Ihnen. Ich soll Ihnen schreiben, dass er ein Milchschaf geschenkt bekommen hat, das uns in diesen Tagen einige Lämmer bringen wird; er hat die Fütterung übernommen, und pflegt die Tierchen mit grosser Liebe. So widmen wir uns ganz dem Landleben, und sind zufrieden dabei. Stets die Ihrige! Gretha Jünger. Carl Alexander hatte am 9. März Geburtstag. Zum Besuch Gretha Jüngers in Berlin bei Carl Schmitt siehe ihre Schilderung in: >Die Palette«, 13.4.40. 3 Gretha Jünger reiste am 3. Mai über München nach Oberstdorf und brachte »den kleinen Schatz in das Kinderheim.« Siehe den Eintrag von diesem Tag in: >Die Palette«. 1

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Gretha Jünger feierte am 14. März ihren 34. Geburtstag.

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Kirchhorst, d. 29. III. 1940. Lieber Herr Professor! Meinen besten Dank für Ihren Kartengruss! Wie schade, dass Sie nicht Zeit zu einem Besuch in Kirchhorst fanden. Wenn es Ihnen und Ihrer Gattin angenehm ist, so melde ich mich für Donnerstag d. 4. April für einige Tage bei Ihnen an, und teile Ihnen dann noch meine genaue Ankunft mit.1 Bitte schreiben Sie mir noch kurz darüber. Animas Karte hat uns sehr erfreut, Carl Alexander lässt ihr danken. Mit herzlichen Grüssen für Sie Alle Ihre Gretha Jünger. 1

Die Ankunft erfolgte erst am 13. April. Siehe auch das folgende Schreiben Carl Schmitts.

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1. April 1940. Sehr verehrte, liebe Frau Jünger! Uber Ihren Brief und auch Ihren Besuch freuen wir uns sehr; wir halten Sie auch bei Ihrem Versprechen, eine Woche zu uns zu kommen, fest. Leider ist gestern insofern eine Störung eingetreten, als das zum 1. April festangestellte

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Zweitmädchen, das gestern (Sonntag) den Dienst antreten sollte, einfach nicht gekommen ist, und die Köchin, die heiratet, heute ebenfalls weg geht. Frau Schmitt hofft auf ihr bisheriges Glück in solchen Dingen und telefoniert schon den ganzen Tag mit Arbeitsamt und anderen Stellen herum, sodaß der Schrecken hoffentlich in wenigen Tagen überwunden ist. Deshalb schlagen wir Ihnen vor, wenn es Ihnen nichts ausmacht, die Reise um einige Tage zu verlegen. Wir geben Ihnen sofort telegrafisch Nachricht, wenn der Haushalt wieder erträglich funktioniert und Sie, als Gast, von dieser Art Störung nichts mehr zu befürchten haben, sodaß wir dann die ungetrübte Freude, auf die wir schon lange gewartet haben, Sie endlich einmal bei uns zu haben, hoffentlich ohne nennenswerte Verspätung doch noch bald erleben werden. Herzliche Grüße, auch an Carl Alexander und seine Lämmchen, und auf Wiedersehen! Immer Ihr Carl Schmitt.

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Sehr verehrte, liebe Frau Jünger! Der äußere Anlaß dieses Schreibens ist für mich beschämend: seit Ende März wollte ich Ihnen die Seifendose, die Sie bei uns vergessen haben, nachsenden, und erst heute kommt es wirklich dazu. Ferner schicke ich eine Abschrift des Briefes von Michael Müller, den Sie damals bei uns lasen. Der Brief hat einen großen Einfluß ausgeübt, besonders auf viele Frauen, die vorher ganz von den Marmorklippen begeistert waren. Ich überlasse es Ihnen, die Abschrift, wenn es Sinn u. Zweck haben sollte, an Ernst Jünger weiter zu geben.1 Vielen Dank für Ihre Karte und Ihr Schreiben! Von Ernst Jünger erhielt ich auch 2 schöne und sehr interessante Briefe, die uns gut taten.2 Grüßen Sie Carl Alexander herzlich von mir. Hoffentlich sehen wir uns bald einmal wieder. Inzwischen viele Grüße, auch von Duska und von Anima! Unveränderlich und allezeit Ihr Carl Schmitt. Eben wurde ich von Frau Schmitt gescholten: sie will die 2 Schinne, die noch hier sind, Ihnen bald schicken und sucht dafür noch einen Karton (das ist also die große Ausrede); jedenfalls schicke ich die nun einmal eingepackte Seife jetzt. Siehe hierzu den folgenden Brief Gretha Jüngers und den Abdruck des Schreibens von Hans Michael Müller in Anhang I. 2 Nach Briefe, Jünger - Schmitt (S. 91 u. 93f.) wären dies die Schreiben Ernst Jüngers vom 8. und 24.4.40. 1

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Kirchhorst, d. 17. Mai 1940. Lieber Herr Professor! Ihr Päckchen fand ich mit Ihrem Brief bei meiner Heimkehr vor, und danke Ihnen herzlich; auch die Regenschirme werden noch kommen, - schelten Sie Frau Schmitt nicht, sie hat genug Arbeit, und kann nicht für meine Vergesslichkeit verantwortlich gemacht werden! Den Brief Michael Müllers habe ich noch einmal gelesen, er ist mir angenehm, wenngleich ich den wesentlichen Vorwurf darin als allzu christlich ablehnen muss. Ich finde die »unsagbare Verlassenheit inmitten all der Pracht von Sprache« nicht; was prächtig ist, entfaltet sich aus seinem inneren Kern, und die »Sprengkraft keimenden Lebens unter Trümmern« wurde wohl in keiner Gestalt so deutlich wie in der seinen, wenn wir unsere Zeit betrachten. Möglich, dass er ihn zu wenig kennt; bei ihm kommt der Theologe zum Wort. Ist diese Geschöpflichkeit »Weib« so wichtig? In einem Leben, wie wir es bei E.J. vor Augen haben, kann und darf die Frau nicht diese mir zu allgemeine Bedeutung finden; gewiss ist er einsam, aber gerade in dieser Einsamkeit liegt seine besondere Kraft. Ich werde sie immer zu achten wissen, denn ein jeder Lösungsversuch würde eine Schwächung für ihn bedeuten.1 Gestern erwarteten wir ihn, leider vergeblich; die letzten Ereignisse werden diesen Urlaub wohl sehr hinauszögern. Ich gestehe, dass sie auf mich einen unauslöschlichen Eindruck gemacht haben, und das englische Wort des motorisierten Attila empfinde ich nicht einmal als Beschimpfung; 2 ein Volk, dessen Söhne sich auf den grossen Schlachtfeldern wie diese bewähren, darf niemals aufgegeben werden, ich lerne es wiederum lieben und verzeihe ihm viel. Carl Alexander ist in Oberstdorf, Ernst jun. in Salem, - so ist unsere kleine Familie zerstreut, und ich lebe recht einsam. Ihnen Allen, besonders meiner kleinen Freundin Anima, die herzlichsten Grüsse; sie würde ihre Freude an den kleinen Küken und Lämmern haben, die hier umher springen, und muss uns bald einmal besuchen. Allzeit Ihre Gretha Jünger. 1

Hans Michael Müllers Schreiben v o m 2 8 . 3 . 4 0 an Carl Schmitt siehe in Anhang I.

Gretha Jünger spielt hier auf die Besetzung Norwegens und Dänemarks durch die Wehrmacht seit dem 9. April und die am 10. Mai begonnene Westoffensive, also die Besetzung Frankreichs, Belgiens und der Niederlande, an. Seinen symbolischen Höhepunkt erreichte dieser Feldzug mit der Besetzung von Paris am 14. Juni. Die Redewendung des »motorisierten Attila« konnte nicht nachgewiesen werden. Der Verweis auf England legt jedoch nahe, daß hiermit die deutsche Wehrmacht und Hitler selbst gemeint sind. Vor allem im Ersten Weltkrieg wurden die Deutschen von britischer Seite als »Hunnen« bezeichnet, deren König Attila war. Die Motorisierung kann in Verbindung mit der deutschen Blitzkriegstaktik gesehen werden, die sich v. a. durch schnell vorstoßende Panzerverbände auszeichnete. Beispielhaft für den Umgang mit den von der Wehrmacht und der SS begangenen Kriegsgreuel können die Reden 2

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Winston Churchills seit dem Ausbruch des Krieges genannt werden, in denen er »die ärgsten Tücken Hitlers und seiner Hunnen« immer wieder der Öffentlichkeit vor Augen stellte. Siehe: Winston S. Churchill: Reden 1938-1940. Ins Gefecht, Gesammelt v. Randolph S. Churchill, Zürich 1946, hier S. 226. Im Denken Ernst Jüngers spielt der Begriff der Motorisierung (oder Mobilität) als ein wesentliches Merkmal des Zeitalters der Technik eine zentrale Rolle. Siehe hierzu seine Essays >Die totale Mobilmachung« (1931) und >Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt« (1932).

C A R L UND D U S K A SCHMITT AN G R E T H A J Ü N G E R

Berlin-Dahlem 29. Juni 1940. Liebe und verehrte Frau Jünger! Gestern erhielt ich eine Postkarte von Ernst Jünger vom 19. Juni aus Frankreich.1 Unsere Freude ist sehr groß, wir hoffen, daß wir uns bald alle Wiedersehen werden. Heute morgen begegnete mir in meiner deutschen Ausgabe von G. Vico eine kleine Bleistiftbemerkung von G. F. Jünger, zu Vicos Meinung, die deutsche Sprache sei eine »Ursprache«, was sich in ihrer Fähigkeit zu substantivischen Verbindungen zeige: Völker-Rechtliche Großraum-Ordnung mit InterventionsVerbot für raum-fremde Mächte. 2 G. F. Jüngers Buch »Illusionen der Technik« habe ich gelesen. Es tut mir zwar leid, daß es nicht veröffentlicht wird.3 Aber die »Öffentlichkeit« ist heute teils wegorganisiert, teils eine Krypta. 4 Ich habe mir abgewöhnt, sie noch aktiv zu wenden. Das Buch ist da und die weiteren Prozeduren sind gegenüber diesem höchst dynamischen Faktum, daß es bereits gesendet ist, ziemlich belanglos. Das weiß auch F. G. J. Ich verliebe mich immer mehr in die Novellen von Andric, besonders »Die Brücke über die Zepa.« 5 Nächstens erhalten Sie ein Exemplar. Was hören Sie von Carl Alexander? Anima ist gestern wegen einer ungefährlichen Nasengeschichte operiert worden und nützt das gründlich aus. Geben Sie bald einmal reiche Nachricht und seien Sie herzlich gegrüßt von Ihrem alten Carl Schmitt. Liebe Frau Jünger, sobald ich etwas mehr Ruhe habe schreibe ich ausführlich. Für heute viele herzliche Grüße von Ihrer Duska Schmitt. Siehe: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 97. So der Titel einer Studie Carl Schmitts: Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte. Ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht, Berlin 1939. Es handelt sich weiter um die >Principi di una scienza nuova« (erstmals 1725 in 2 Bänden, deutsch erstmals 1822, dann 1903 u. 1911) des italienischen Philosophen und Historikers Giambattista Vico. Siehe: Ders.: Die neue Wissenschaft über die gemeinschaftliche Natur der 1

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Völker, Übers, nach d. Ausgabe v. 1744 v. Erich Auerbach, 2. Aufl., Berlin, N e w York 2000. Es heißt dort über die Entstehung der Sprachen auf S. 194 f.: »Allmählich entstanden die Nomina oder Hauptwörter; auch bei ihnen sind die ältesten und ursprünglichsten einsilbig; wie ohne Zweifel die deutsche Sprache, die eine Muttersprache ist, weil dort niemals fremde Völker eindrangen und herrschten, nur einsilbige Wurzeln hat.« Weiter schreibt Vico (S. 204): »Überhaupt bewahrt die deutsche Sprache ihre heroischen Ursprünge ganz rein, so daß sich die zusammengesetzten Worte des Griechischen glücklich in ihr wiedergeben lassen; es müssen solche Zusammensetzungen ganzer Worte, wie sie sich auch im alten Latein vielfach finden, eine allgemeine Eigentümlichkeit aller Ursprachen gewesen sein, die, bevor sie die Verben erfanden, sich durch Zusammensetzung von Hauptwörtern halfen. Es sei dies ein Beweis für unsere Bemerkung in den Grundsätzen: daß, wenn die Gelehrten der deutschen Sprache nach diesen Prinzipien ihre Ursprünge zu erforschen versuchten, sie die herrlichsten Entdeckungen dabei machen würden.« Georg Friedrich Jüngers Abhandlung Illusionen der Technik< erschien erst 1946 unter dem Titel >Die Perfektion der Technik< in Frankfurt a. M. (jetzt 7. Aufl., 1993), da die Hanseatische Verlagsanstalt in Hamburg eine Veröffentlichung des Ende 1939 fertiggestellten Manuskriptes zunächst aufgeschoben hatte. Bereits während des Krieges war die Studie interessierten Kreisen jedoch als Abschrift zugänglich. Zudem erschienen 1940 und 1941 zwei Auszüge in der Zeitschrift >Corona< und in der >Monatsschrift für das deutsche Geistesleben«. Nachdem bereits 1942 eine gesetzte Fassung des Werkes durch einen Bombenangriff in Wandsbek vernichtet wurde, ging schließlich auch eine für den Klostermann Verlag gedruckte Erstausgabe beim Bombenangriff auf Freiburg/Brsg. am 27.11.1944 verloren. Siehe zur Geschichte der Drucklegung: Ulrich Fröschle: Friedrich Georg Jünger (1898-1977). Kommentiertes Verzeichnis seiner Schriften, Marbach a. N . 1998, S. 58f. 3

Also verborgen und schwer zu finden. Schmitt meint hier wohl den 1939 in Wien erschienenen Band >Die Novellen« von Ivo Andric. Als Einzelausgabe erschien >Die Brücke über die Zepa< in einer Übersetzung von Milo Dor erneut 1963 in Hamburg. Am 9.10.60 schrieb Ernst Jünger hs aus Wilflingen an den Vater des Herausgebers, Rudolf Jaser (Brief in Privatbesitz), zu dem serbischen Schriftsteller: »An Ivo Andric erinnere ich mich. Er ist ein guter Erzähler. Ich lernte ihn kennen bei Duschka Schmitt, die Serbin war. Er war damals Attaché in Berlin.« Ivo Andric war von 1939-1941 jugoslawischer Botschafter in Berlin. Siehe hierzu: Vanita Singh Mukerji: Ivo Andric. A Critical Biography, Jefferson, London 1990, S. 35ff. 4 5

G R E T H A J Ü N G E R AN C A R L S C H M I T T H a n n o v e r , St. V i n c e n z - S t i f t 1 A m Neuen Haus. 26.8.1940. L i e b e r H e r r P r o f e s s o r ! Ihr P a t e n k i n d hat eine schwere B l i n d d a r m - O p e r a t i o n h i n t e r s i c h , u n d erst h e u t e b e g i n n e n w i r w i e d e r z u h o f f e n . 4 T a g e l a n g b e s t a n d unmittelbare G e f a h r f ü r das kleine L e b e n , d e n n die B a u c h h ö h l e w a r bereits vereitert, u n d der A r z t blieb bedenklich. M e i n M a n n w a r bei mir im K r a n k e n h a u s , f ü r m i c h allein w ä r e d i e P r ü f u n g w o h l s e h r h a r t g e w e s e n . W i r h a b e n s c h l i m m e N ä c h t e hinter u n s , u n d e r k e n n e n erst a m K r a n k e n b e t t eines g e l i e b t e n K i n d e s , wie sehr innerhalb einer kleinen F a m i l i e das L e b e n des E i n e n mit d e m d e s A n d e r e n v e r b u n d e n ist.

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Zu übertriebener Hoffnung besteht noch kein Anlass, aber die letzte Nacht war gut, das Fieber ist gesunken, und so ist mein Mann ein wenig beruhigter abgefahren. Am 12. September wird er bis auf weiteres beurlaubt, wir hoffen dann auf ein Wiedersehen mit Ihnen.2 Bei gutem Ausgang muss unser kleiner Patient noch 6 Wochen hier bleiben, ich verbringe noch die Zeit bei ihm, bis jede Gefahr vorüber ist; in 10 Tagen etwa erhalten Sie noch einmal Nachricht. Bis dahin herzliche Grüsse Ihnen Allen Ihre Gretha Jünger. Ein Krankenhaus. Die Besorgnis angesichts der Operation von Carl Alexander schildert Gretha Jünger in: >Die Palette«, 7.9. und 1.10.40. An Alfred Kubin schrieb Ernst Jünger am 10.9.40 zu seinem Urlaub: »Ich werde morgen wieder nach Kirchhorst gehen, mit Urlaub auf unbestimmte Zeit. Zunächst habe ich einige Erholung nötig, da mich der Vormarsch durch Frankreich recht anstrengte, nicht so sehr physisch als durch eine Fülle von Bildern, die die Augen überschütteten.« Siehe: Ernst Jünger / Alfred Kubin: Eine Begegnung, Frankfurt a.M., Berlin, Wien 1975, S. 65f., hier S. 66. 1

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GRETHA JÜNGER AN CARL SCHMITT, P l e t t e n b e r g II, W e s t f a l e n

[Kirchhorst, 31.8.1940.] 1 Lieber Herr Professor, mein Mann war bei uns, wurde jedoch vorzeitig wieder abberufen, und so wird leider nichts aus unserem geplanten Treffen; aber wir warten noch ein wenig damit, es bleibt zu hoffen, dass der September noch einmal einige Urlaubstage bringt. Herzliche Grüsse Ihre Gretha Jünger. 1 Ort (»Hannover«) und Datum nach dem Poststempel der Karte. Zu Carl Schmitt und seiner Heimatstadt Plettenberg im Sauerland siehe: Verortung des Politischen. Carl Schmitt in Plettenberg, hrsg. v. d. Stadt Plettenberg, bearb. v. Ingeborg Villinger, Hagen 1990.

G R E T H A J Ü N G E R AN C A R L S C H M I T T

Kirchhorst, d. 10.12.1940. Lieber Herr Professor! Bei Ankunft Ihres Zuges nehmen Sie am Besten eine der Taxen, die vor dem Bahnhof ihren Warteplatz haben; es ist indessen notwendig, dass Sie dem Chauffeur sagen, dass sich Kirchhorst noch innerhalb der 15 klm. Grenze befindet, denn oft trifft man auf aengstliche Gemüter, die sich ganz und gar dem Wort des Gesetzes verschrieben haben.

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Sollten Sie u n v e r h o f f t Schwierigkeiten finden, so genügt auf jeden Fall ein tel. A n r u f unter der Nr. 6 1 8 4 8 , hierauf meldet sich unser eigentlicher Fahrer Lohmann, mit dem Sie Zeit und Treffpunkt sogleich verabreden können. 1 W i r erwarten Sie gegen Mittag, und wünschen Ihnen Beiden eine gute Reise. A n i m a muss uns im Sommer einmal aufsuchen. Mit herzlichen Grüssen f ü r Sie alle, auf ein gutes Wiedersehen! 2 Ihre Gretha Jünger. 1 Am 20.12.40 schrieb Ernst Jünger an Gerhard Nebel: »In der verflossenen Woche weilte Carl Schmitt einige Tage bei mir, auch da wurde mancher gute Schluck getan.« Siehe: Ernst Jünger / Gerhard Nebel: Briefe (1938-1974), hrsg. v. Ulrich Fröschle u. Michael Neumann, Stuttgart 2003, S. 38. Siehe auch das Schreiben Carl Schmitts an Ernst Jünger vom 17.11.40 in: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 109. 1 Der letzte Satz ist hs. Zusätzlich finden sich zu diesem Brief in der Nachlaßakte hs Notizen. Diese lauten u. a.: »Frau Jünger / 1. Besen / 2. Schulranzen / 3. Sanostol / 4. Taschenbatterie / 5. Zigaretten. / Leider schwer erkrankt / Ankunft verschoben.«

CARL SCHMITT AN GRETHA JÜNGER [9.-16.2.1941]1 Sehr verehrte, liebe Frau Jünger! W i r sind jetzt einige Wochen ohne Nachricht v o n Ihnen und machen uns einige Sorge. Schreiben Sie uns also ein Wort, wie es Ihnen allen geht. Ich habe inzwischen mehrere kleine Reisen gemacht und dabei, vorigen Sonntag in Nürnberg Ernst Jüngers Tagebuchnotizen im »Reich« getroffen, eine wunderschöne Begegnung. 2 Ich möchte Ihnen f ü r E.J. ein Buch von Melville schicken; wohin soll ich es adressieren? Was macht Carl Alexander. A n i m a hatte Ziegenpeter, ist aber wieder gesund. U h l e 3 hat wieder etwas guten Wein; soll ich f ü r Sie bestellen und wieviel? Herzliche G r ü ß e v o n uns allen! Ihr alter und unveränderlicher Carl Schmitt. 1 Datierung der Karte mit einem Motiv aus Nürnberg nach dem in der folgenden Anmerkung genannten Zeitungsartikel. 2 Es handelt sich um Auszüge aus Ernst Jüngers Tagebuch >Gärten und StrassenDas Reich< (Beilage Literatur - Kunst - Wissenschaft, Nr. 6, Berlin 9.2.1941, S. 1/2) unter dem Titel >Aus den Tagebüchern von 1939/40Benito CerenoDas Erste Pariser Tagebuchs das mit einem Eintrag aus Sars Poteries vom 18. Februar beginnt. Ein hs Brief Gretha Jüngers an Duska Schmitt vom 7.3.41 aus Kirchhorst (Brief in Privatbesitz) gibt einen Einblick in den Abschied: »Mein Mann ist wieder in Frankreich, und so lange ich ihn dort weiss, bin ich beruhigt; das letzte Quartier im Weserbergland war denkbar unglücklich gewählt, eine nüchtern-melancholische Atmosphäre, in der wir uns nicht wohl befinden konnten. Zu allem Übel mussten wir einen gemeinsamen Abschiedstrunk im Dorfkrug mit den Offizieren, Unteroffizieren und ihren Frauen zu uns nehmen; die Unterhaltung können Sie sich denken. Gottlob, dass mir dies und jenes für die Friedenszeiten erspart bleibt, ich würde kurz über lang revoltieren. Sehr viel wohler fühle ich mich da in der Gesellschaft einfacher Bauern.« 1

Ein erster Bombenangriff auf die Stadt Hannover im Zweiten Weltkrieg erfolgte am 10. Februar 1941.

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G R E T H A JÜNGER AN C A R L SCHMITT, B e r l i n - D a h l e m [März/April 1941]1

Lieber Herr Professor, die Konfirmation ist auf den 6. April verlegt worden, dies rasch zu Ihrer Benachrichtigung. Schreiben Sie mir, ob wir Sie erwarten dürfen. Ich hoffe Sie Alle wohlauf. Herzlichste Grüsse Ihrer Gretha Jünger. 1 Die Datierung erfolgt nach der Konfirmation des Sohnes Ernst am 6. April 1941. An diesem Tag schrieb Carl Schmitt an den Vater: »Leider konnte ich heute nicht nach Hannover reisen. Aber wir denken mit der Liebe guter und getreuer Nachbarn an Kirchhorst und an Ihren Sohn Ernst, der heute eingesegnet wird.« Siehe: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 118.

C A R L SCHMITT AN G R E T H A JÜNGER

PREUSSISCHER STAATSRAT PROFESSOR CARL SCHMITT

BERLIN-DAHLEM K A I S E R S W E R T H E R S T R . 17

den 10. V I I . 1 9 4 1 . Sehr verehrte, liebe Frau Jünger! Uber das sehr schöne Bild von Carl Alexander habe ich mich von Herzen gefreut. Meine Sehnsucht nach dem lieben Jungen ist dadurch noch größer geworden. Wir überlegen, ob wir Ende Juli zu dritt - ich mit Frau Schmitt und Anima - einige Tage zu Ihnen nach Kirchhorst kommen sollen. Schreiben Sie uns bitte in aller Offenheit, ob Ihnen das nicht ungelegen käme. Wir würden dann noch näher Mitteilung machen.1 Besten Dank für die neue F[eld] P[ost] N[umme]r von Ernst Jünger! Ich habe ihm vor etwa 10 Tagen an die alte Nr. geschrieben, in Beantwortung eines Briefes vom 22. Juni aus Paris.2 Dieser Brief war guter Stimmung und überlegen. Er enthielt auch ein neues französisches Buch von J. Giono über Melville, das ich an Sie weitersenden werde.3 Haben sie eigentlich inzwischen Benito Cereño von M[elville] gelesen? Sehr wichtig! Ich hatte im Frühjahr ein Expl. an Jüngers Feldpostadresse geschickt.4 Wir haben seit 6 Wochen Logierbesuch von dem Maler Werner Gilles.5 Maler sind meist angenehme Gäste, jedenfalls Gilles, der herrliche Bilder aus Calabrien mitgebracht hat. Frau Schmitt geht im Haushalt auf und schleppt den Roller in rollendem Einsatz täglich vom Markt nach Hause. Wir alle freuen uns, Sie bald wiederzusehen.

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Herzliche Grüße, liebe Frau Jünger an Sie, Carl Alexander und Ihr ganzes Haus! In alter Freundschaft Ihr Carl Schmitt. Carl Schmitts Besuch kam nicht zustande. Siehe Ernst Jüngers Brief vom 22.6. und Carl Schmitts Antwort vom 4.7. in: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 1 1 9 f f . 3 Es handelt sich um den Roman >Pour saluer Melville< des französischen Schriftstellers Jean Giono, erstmals 1940 in Paris erschienen. Siehe jetzt die deutsche Übersetzung Jean Giono: Melville zum Gruß, Roman, Aus dem Franz. übers, v. Walter Gerull-Kardas, München 1999. 4 Herman Melvilles »Benito Cereno< erschien erstmals 1856. Carl Schmitt sandte es am 6.4.41 an Ernst Jünger - mit dem gleichen Kommentar: »Haben Sie B. Cereño inzwischen gelesen? Sehr wichtig, (...).« Siehe: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 118. Von den deutschen Ubersetzungen sind heute zwei Ausgaben hervorzuheben: Herman Melville: Benito Cereño, Mit Anm. hrsg. v. Kurt Wächtler, 3. Aufl., Frankfurt a. M., Berlin, Bonn 1967 sowie: Ders.: Benito Cereño. Mit einer Dokumentation, hrsg. v. Marianne Resting, Frankfurt a. M. 1983. Als zeitgenössische Ubersetzung ist zu nennen: Ders.: Benito Cereño, Erzählung, Deutsch v. R. Kraushaar, Berlin, [1935], 5 Der Maler Werner Gilles war mit Carl Schmitt eng befreundet. Siehe: Alfred Hentzen: Werner Gilles, Köln 1960, bes. S. 77 f., 81 u. 100. 1

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GRETHA JÜNGER AN C A R L SCHMITT

Kirchhorst, d. 13. Juli 1941. Lieber Herr Professor! Meinen Dank für Ihren Brief; ganz besonders freute mich die Ankündigung Ihres Besuches für Ende Juli, wie schön - dass wir nun einmal miteinander unter den Buchen sitzen können! Wenn wir Glück haben, so trifft der Hausherr Anfang August bei uns ein, und wir können den Willkommenstrunk gemeinsam leeren; ein solcher Abend wäre ein wahres Fest, nicht wahr! 1 Lassen Sie mich zeitig Ihre Ankunft wissen, denn unser guter Lohmann ist eingezogen, und wir sind auf einen Autobus Nachmittags 3/4 5 Uhr angewiesen, der gottlob täglich fährt und uns mitnehmen wird. Ich hole Sie von der Bahn ab. Samstags ist der Abfahrts-Termin schon um V4 2 Uhr Mittags; hiernach können Sie sich einrichten, hoffe ich. Alles Weitere - und viel wird es zu erzählen geben - spare ich mir bis zu dem Tag unseres Wiedersehens auf; grüssen Sie Ihr ganzes Haus, auch Gilles, dessen Wiederankunft ich mit Freuden höre. Auf Anima wartet eine Schar junger Hasen, Küken und Kätzchen, viel Kleinvolk - das gefüttert werden möchte, besonders aber Carl-Alexander, der sie noch garnicht kennt.

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Der rollende Einsatz von Frau Schmitt hat mich sehr amüsiert, ich selber betätige ihn im Garten, der mir eine üppige Ernte und somit viel Arbeit bringt. Auf ein gutes Wiedersehen! Ihre Gretha Jünger. 1

Ein Besuch Carl Schmitts in Kirchhorst kam im Juli/August 1941 nicht zustande.

C A R L SCHMITT AN G R E T H A JÜNGER

27.7.1941. Liebe Frau Jünger! Vor 8 Tagen wurde Anima krank, mit Hals- und Ohrenschmerzen, sodaß wir erst etwas Sorge hatten; dann wurde auch Frau Schmitt ein paar Tage bettlägrig. Jetzt geht es wieder, aber wir müssen am 1. August in Plettenberg bei meinen Eltern sein, sodaß wir den Besuch in Kirchhorst auf die 2. Hälfte des August vertagen müssen. Hoffentlich paßt Ihnen diese Zeit und ist Ernst Jünger dann noch zu Hause. Anima ist sehr traurig, daß sie noch nicht zu Ihnen kommen kann; aber es handelt sich ja nur um einen Aufschub von 2 oder 3 Wochen. Vorgestern hatten wir wieder einmal Fliegeralarm; ein Vorzeichen für das, was im September einsetzen wird. Wie war es bei Ihnen in Hannover? Gilles ist noch bei uns; die Genehmigung für die Rückreise nach Italien läßt auf sich warten. Frau Schmitt ist mit Haushaltsorgen, Geleé-Einkochen und ReiseVorbereitungen in Anspruch genommen. Sie läßt herzlich grüßen und freut sich, Sie und die Ihrigen bald wiederzusehen. Wenn wir nicht zu müde sind (in Plettenberg ist täglich Alarm) könnten wir vielleicht auf der Rückreise über Hannover bei Ihnen vorsprechen. Jedenfalls fragen wir noch rechtzeitig bei Ihnen an. Unsere Plettenberger Adresse ist: Plettenberg II, Westfalen, Brockhauserweg 10. Viele herzliche Grüße an Sie, Carl Alexander und Ihr ganzes Haus! Stets Ihr alter und unveränderlicher Carl Schmitt

C A R L SCHMITT AN G R E T H A JÜNGER

29/7 1941. Liebe Frau Jünger, Ihre Karte vom 28.Juli hat sich anscheinend mit meinem Brief vom 27.Juli gekreuzt. Wir wollen am Freitag, den 1. August nach Plettenberg reisen. Den Schulranzen für Carl Alexander will Frau Schmitt mit der Post schicken. Ich fürchte aber, er kommt dann nicht mehr vor dem 7. August an, denn die Paket-

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post ist sehr unzuverlässig geworden. Deshalb dachte ich, wir könnten ihn am Freitag mittag, wenn wir über Hannover kommen, dort am Bahnhof abgeben. Ob das aber (bei 10 Minuten Aufenthalt) klappt, ist eine große Frage. Bei der Krankheit und der vielen Arbeit dieser letzten Tage sind wir etwas ins Gedränge geraten. Ich wollte Sie nun bitten, für den Fall, daß Sie lieber die Abgabe in Hannover am Bahnhof wünschen, uns Donnerstag (oder, wenn der Brief schon Mittwoch bei Ihnen ist Mittwoch) gegen Abend, etwa 7-9 oder 10, anzurufen (76 2914), um die Einzelheiten zu besprechen. Sonst geht das Paket am 1. August ab. Das französische Buch über Melville tun wir in den Ranzen. 1 Hoffentlich kann ich Ernst Jünger noch Mitte August sehen. Grüßen Sie ihn herzlich von uns! Und sagen Sie Carl Alexander, daß der schöne Ranzen pünktlich eintrifft. Stets Ihr Carl Schmitt. 1

Also Jean Gionos Roman >Pour saluer Melville< (Paris 1940).

GRETHA UND ERNST JÜNGER AN C A R L SCHMITT

2.8.1941. Lieber Herr Professor! Der Anruf bei Ihnen sollte am Donnerstag Abend erfolgen; die Freude des Wiedersehens hier war indessen zu gross, und ich vergass meinen Vorsatz. Inzwischen ist der schöne Tornister bereits angelangt, das Patenkind ist sehr entzückt, und wir danken herzlich. Hoffentlich geht es Ihrer Gattin wieder gut, wir wünschen Ihnen Allen die beste Erholung im Sauerland; da die Rückreise Sie vermutlich wieder über Hannover führt, so hoffen wir auf Ihren Besuch. Es ist notwendig, dass ich Sie von der Bahn abhole, denn die Verbindungen sind immer schwieriger geworden, und wir müssen einen Autobus benutzen, der um 3/4 5 Uhr Nachmittags fährt; lassen Sie mich daher bitte zeitig Ihre genaue Ankunft wissen. 1 Die folgende Seite ist für meinen Mann reserviert; ich schliesse daher mit den herzlichsten Grüssen für Sie und die Ihrigen! Ihre Gretha Jünger. Lieber Herr Schmitt! Für einige Tage bin ich wieder einmal in Kirchhorst. Ich bin jetzt im Stabe des Oberbefehlshabers von Frankreich, und zwar im besonderen beim Oberst v. Speidel, einem sehr gebildeten Offizier. 2 Wohne ganz in der Nähe der Place de l'Étoile, nämlich Hôtel Lapérouse, Rue Lapérouse. Ich schreibe das in der Hoffnung, Sie dort bald einmal zu begrüßen; könnten Sie nicht einmal einen Vortrag halten. Es vermittelt dies das deutsche Institut, das der Botschaft ange-

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schlossen ist. 3 Zur Zeit bin ich immer noch bei der Lektüre von M o b y Dick, den ich in der franz. Ubersetzung von Giono lese. 4 Wie ergeht es Ihnen? Ich höre, daß Sie Ihre Ferientage mit Ihrer Familie in Plettenberg verbringen und wünsche Ihnen Allen beste Erholung. Stets Ihr Ernst Jünger. Was sagen Sie zur Entwicklung des Krieges? Ich finde, daß ihm eine streng dämonische Architektonik innewohnt, wir schreiten durch eine Reihe von Stockwerken. 5 Ein Besuch Carl Schmitts kam nicht zustande. Gemeint sind Otto von Stülpnagel und Hans Speidel. Siehe zu den beiden den Kommentar in: Briefe, Jünger-Schmitt, S. 561 f. u. 647. Zur Zeit Speidels und Jüngers in Paris siehe Speidels >Briefe aus Paris und dem Kaukasus< in: Armin Möhler (Hrsg.): Freundschaftliche Begegnungen. Festschrift für Ernst Jünger zum 60. Geburtstag, Frankfurt a. M. 1955, S. 181— 195. Siehe weiter die Memoiren des Generals >Aus unserer Zeit. Erinnerungen« (Berlin 1977) und das Geleitwort zu seinem Buch >Invasion 1944. Ein Beitrag zu Rommels und des Reiches Schicksal· (Tübingen, Stuttgart 1949, S. 9-11) von Ernst Jünger. Jetzt in: Ders.: Sämtliche Werke, Bd. 14, S. 165f. Siehe auch: Walter Bargatzky, Hotel Majestic. Ein Deutscher im besetzten Frankreich, Freiburg i. Brg. 1987. 3 Das Deutsche Institut in Paris. Siehe: Eckard Michels: Das Deutsche Institut in Paris 1940-1944. Ein Beitrag zu den deutsch-französischen Kulturbeziehungen und zur auswärtigen Kulturpolitik des Dritten Reiches, Stuttgart 1993. 4 Jean Gionos französische Moby Dick-Ubertragung erschien 1940 in Paris. Der amerikanische Schriftsteller Herman Melville wurde in Europa lange Zeit kaum wahrgenommen, in Deutschland erschien erst 1927 eine erste Übersetzung, eine tiefere Rezeption des erstmals 1851 publizierten Romans fand hier erst mit den Neuübersetzungen seit den 1940er Jahren statt. Siehe: Herman Melville: Moby Dick, Trad, de l'anglais par Lucien Jacques, Joan Smith et Jean Giono, Paris 1940. Jetzt neu: Ders.: Moby Dick, Préface de Jean Giono, Trad, de Lucien Jacques, Joan Smith et Jean Giono, Paris 1996. Die erste deutsche Moby DickÜbersetzung siehe: Ders.: Moby Dick, Deutsch ν. Wilhelm Strüver, hrsg. v. Thomas Mann, Berlin 1927. Siehe weiter beispielhaft: Ders.: Moby Dick, Deutsch v. Fritz Güttinger, Zürich 1944. 5 Zu denken ist hier in erster Linie an den Rußlandfeldzug. Ohne Kriegserklärung griffen die deutschen Truppen am 22. Juni die Sowjetunion an. Die Heeresgruppe Nord Schloß die sowjetischen Truppen im Baltikum ab, besetzte am 1. Juli Riga und erreichte am 6. August den Finnischen Meeresbusen östlich von Reval. Dem Durchbruch durch die sowjetischen Stellungen zwischen limen- und Peipussee folgte schließlich am 8. September die Einschließung Leningrads. Die Heeresgruppe Mitte schlug bis zum 9. Juli im Raum Bialystok-Nowogrodek große sowjetische Truppenverbände und erreichte Mitte Juli Smolensk. Anfang August kam es zu einer erfolgreichen Schlacht zwischen Orscha und Witebsk. Die Heeresgruppe Süd stieß im Juli auf Kiew und den Dnjepr vor, die Stadt Kiew wurde am 19. September besetzt. Der Angriff auf die Sowjetunion bedeutete nicht nur einen außerordentlich hohen Verlust von Menschenleben auf sowjetischer Seite und hunderttausende von gefangenen sowjetischen Soldaten, sondern auch den eigentlichen Beginn des Vernichtungskrieges gegen die Juden in Europa. Zum Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion siehe auch den Abschnitt über den »Lebensraumkrieg und die Ermordung der europäischen Juden« in Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen II. Deutsche Geschichte 1933-1990, München 1990, S. 84-98. Siehe weiter: Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1990. 1

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CARL UND DUSKA SCHMITT AN GRETHA JÜNGER 3. September 1941. Sehr verehrte, liebe Frau Jünger! Es hat mir so leid getan, daß ich Sie während des Aufenthaltes von Ernst Jünger in Kirchhorst nicht besuchen konnte. U m s o m e h r freue ich mich, mit Frau Schmitt und Anima, auf Ihren Besuch Anfang Oktober. Sie sind immer bei uns von H e r z e n willkommen und es bedarf nur der Anmeldung, damit wir das Fremdenzimmer vorbereiten können. Das wollte ich Ihnen heute nur schnell sagen, weil das weltberühmte Schreib-Tempo von Frau Schmitt Ihren letzten Brief 1 - in der Einmach-Zeit! - zwar in Gedanken und Gefühlen, aber nicht so schnell auf dem Papier oder gar in der Postbeförderung beantwortet werden läßt. Ich selber reise noch einmal für 8 Tage ins Sauerland. Die Sehnsucht nach dem Sauerland N i m m t plötzlich in mir überhand. Sie sehen, daß das Sauerland auch unmusische Gemüter in poètische Schwingungen versetzt. Jetzt ist mir alles ganz egal, jetzt fahre ich ins Lennetal. 2 Ich freue mich darauf, einmal Carl Alexander dieses verschlossene Land zu zeigen. Von Ernst Jünger erhielt ich vorgestern einen Brief aus Paris. Hoffentlich wird etwas aus meiner Reise. 3 Auf Wiedersehen, liebe Frau Jünger, anfang O k t o b e r ! Viele Grüsse von uns allen für Sie und Carl Alexander! Stets Ihr Carl Schmitt. Viele herzliche Grüße Ihre Duschka Schmitt. Wohl das Schreiben vom 27.7.41. In einem Schreiben vom 26.12.47 wird Schmitt betonen, welche Bedeutung das Lennetal bei Plettenberg, also seine Heimat, für ihn hat. 3 Am 24. September 1941 erhielt Schmitt eine Einladung des Deutschen Institutes in Paris zu einem »Vortrag in französischer Sprache« über »Staatliche Souveränität und Freies Meer« am 16. Oktober. Ein erstes Mal hielt er diesen Vortrag bereits auf der Hochschullehrertagung für mittlere und neue Geschichte vom 7./8.2.1941. Siehe den Druck in: Ders.: Staatliche Souveränität und freies Meer. Über den Gegensatz von Land und See im Völkerrecht der Neuzeit, in: Paul Ritterbusch (Hrsg.): Das Reich und Europa, Leipzig 1941, S. 79-105. Jetzt in: Carl Schmitt: Staat, Großraum, Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1916-1969, S. 401-430. Siehe auch die Einladung nach Paris in: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 567. Zu seinem Aufenthalt dort im Oktober 1941 siehe zudem das hier folgende Schreiben vom 25.10. In einem Brief vom 2.8.41 an Carl Schmitt schlug Ernst Jünger erstmals eine Reise seines Freundes nach Paris zu einem Vortrag im Deutschen Institut vor. Am 28.8.41 wiederholte er diesen Gedanken erneut schriftlich. Beide Schreiben in ebd., S. 123 u. 126ff. Die Pariser Fassung des Vortrages siehe: Ders.: Souveraineté de l'État et liberté des Mers, in: Quelques aspects du Droit allemand, Cahiers de l'Institut allemand, publiés par Karl Epting, H. VI., Paris 1943, 1

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S. 137-189. Jetzt in: Ders.: Du Politique. >Légalité et légitimité et autres essaisErsten Pariser Tagebuchc »Besucher, darunter Carl Schmitt. Er weilte f ü r zwei Tage hier.«

G R E T H A JÜNGER AN C A R L SCHMITT

[13.1.42] 1 (...) Berlin zurück, ich hoffe sehr, Sie noch anzutreffen, und gedenke spätestens am 3. III. bei Ihnen zu sein. Leider nur auf 2 Tage, da ich nach Kirchhorst nur zu einem bestimmten Termin Verbindung habe.2 Wie gut, dass es noch ein Wiedersehen unter Menschen gibt! Das ist ein Geschenk, vergessen wir es nicht. Aus Paris erhalte ich gute Nachrichten; Nebel, der Fürchterliche, muss jedoch seinen Posten verlassen, er hat es wohl zu arg getrieben, und damit ist niemand geholfen. Ich kenne ihn nicht, halte ihn jedoch für allzu sichtbar; man darf den Zipfel des Mantels lüften, doch nicht »das rote Futter weisen!« 3 Ihnen Allen die herzlichsten Grüsse, besonders an Frau Schmitt! Ihre Gretha Jünger. 1 Datierung nach einer hs N o t i z auf dem letzten Blatt des Briefes. D e r vorhergehende Briefteil fehlt. 2 Carl Schmitts Schreiben v o m 3 . 4 . 4 2 zeigt, daß im M ä r z ein Besuch G r e t h a Jüngers mit Carl Alexander in Berlin stattfand.

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Ernst Jünger schreibt zur Versetzung Gerhard Nebels nach Etampes am 1.2.42 im >Ersten Pariser Tagebuchc »Am Morgen Besuch von Nebel, der wegen des Vorfalles, den er auf einer Abhörstelle hatte, kam. Er konnte freilich nicht sagen, daß man ihn nicht gewarnt hätte. Nachdem er durch seinen Aufsatz über die Insektenmenschen, den Suhrkamp veröffentlichte, sich schon verdächtig machte, gab er jetzt Anlaß zur unmittelbaren Denunziation. Doch tut der Abzug eines so glänzenden Geistes aus dieser Stadt mir leid.« Zur Versetzung Gerhard Nebels von Paris auf eine britische Kanalinsel siehe die Erläuterungen zu dessen Brief an Ernst Jünger vom [12.3.42] in: Jünger / Nebel: Briefe (1938-1974), S. 518. Dort wird Nebels Aufsatz >Auf dem Fliegerhorst< vom Oktober 1941 (in: Die Neue Rundschau, 52. Jg., Heft 10, Berlin 1941, S. 606-608) neben politischen Äußerungen als Grund für die Versetzung genannt. In dem kurzen Text schreibt er, das Leben habe »Züge angenommen, die die Vermutung nahelegen, daß der Mensch sein altes Wesen ablegen und sich ein neues errichten will, dessen Bausteine zu einem beträchtlichen Teil aus dem Reich der Insekten stammen.« Weiter führt er den Umgang mit dem Tod als Beispiel hierfür an: »Mit dem Vorbild des Kerbtieres hängt jenes eigentümlich kalte und leere Verhältnis zum Tode zusammen, das Ernst Jünger als >mechanische Todesverachtung< bezeichnet hat und das man heute oft antreffen kann.« (S. 606 f.) 3

Siehe auch Gerhard Nebels Aufsatz >Der weiße Mann und die Tropen< in der >Neuen Rundschau (52. Jg., Heft 3, Berlin 1941, S. 132-141). Er prophezeit hier spätestens für die Zeit nach dem Kriege, daß »die Deutschen wieder in eine machtmäßige Berührung mit der tropischen Landschaft und ihren Lebensformen« (S. 132) kommen und geht davon aus, »daß der Schwarze viel stärker als bisher in den Prozeß der Zivilisation einbezogen werden wird.« (S. 133) Der von Nebel postulierte Gegensatz der weißen und schwarzen Rassen gipfelt in der Beurteilung der Einheimischen als »dumpf, schwer, unterirdisch« (S. 139). Nebel setzt sie im Folgenden mit den Termiten gleich, »bedürfnislosesten Wesen, deren niederes Sorgen, Entstehen und Sterben in einem Dunkel vor sich geht, das von keinem Strahle erhellt wird.« (S. 139) Siehe auch: Erhart Kästner: Meine erste Begegnung mit Gerhard Nebel und Ernst Jünger, in: Sinn und Form. Beiträge zur Literatur, 56. Jg., Heft 2, Berlin 2004, S. 170-174. Siehe dort ebenfalls: Erhart Kästner - Gerhard Nebel: Briefwechsel, Vorbemerkung v. Sebastian Kleinschmidt, S. 175-199. Im Jahre 1939 erschien in Hamburg eine umfangreiche Studie Gerhard Nebels, die sich u.a. mit dem Werk Ernst Jüngers auseinandersetzt, vor allem mit den Schriften >Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt< (Hamburg 1932) und >Das abenteuerliche Herz. Figuren und Capriccios< (Hamburg 1938), unter dem Titel >Feuer und Wasser. Eine metaphysische Ehrung des Elementaren in der Landschaft, in der antiken Philosophie und im Denken Ernst JüngersDas ReichPhilosophie des Abenteuers< (Nr. 11, Berlin 4.8.1940, S. 21), die Studie könne »wohl als die bisher beste Analyse und Deutung« des Werkes Jüngers bezeichnet werden. Zu Peter Suhrkamp siehe: Siegfried Unseld: Peter Suhrkamp. Zur Biographie eines Verlegers in Daten, Dokumenten und Bildern, Unter Mitwirkung v. Helene Ritzerfeld, Frankfurt a. M. 2004.

C A R L SCHMITT AN GRETHA JÜNGER,

Oberstdorf 22/1 42.

Sehr verehrte, liebe Frau Jünger! Wir waren doch alle 3 etwas enttäuscht, als wir Ihren Brief erhielten, in dem Sie mitteilen, daß Sie im Januar nicht kommen. Nun hoffen wir umsomehr auf den März. Um den 6. März herum bin ich einige Tage im Sauerland, wegen des

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89. Geburtstages meines Vaters. Sonst bin ich da und hoffe, Sie und Carl Alexander gut erholt zu sehen. Von Ernst Jünger erhielt ich vorige Woche einen schönen Brief aus Paris.1 Ich habe noch nicht geantwortet, weil ich so schlimm Ischias habe und nur mit Mühe schreiben kann. Heute nachmittag erwarten wir Ihren Schwager Hans, der in Steglitz im Lazarett liegt.2 Frau Schmitt läßt herzlich grüßen. Der Haushalt macht immer noch Mühe. So wird man zur Feldküche erzogen. Ihre neuen Hauspläne finde ich sehr schön. Frau Schmitt natürlich stellt noch viele Fragen. Ich wollte Ihrem Schwager Hans die Erzählung von Melville »Benito Cereno« geben. Wenn Sie sie noch nicht kennen, soll er sie Ihnen nach Oberstdorf schicken. Mir liegt sehr daran, daß Sie es lesen. Mit herzlichen Grüßen und eine gute Reise! Immer Ihr alter und unveränderlicher Carl Schmitt. 1 2

Das Schreiben Ernst Jüngers vom 12.1.42 in: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 143. Siehe die Postkarte Hans-Otto Jüngers an Carl Schmitt vom 31.12.41 im Anhang III.

C A R L UND DUSKA SCHMITT AN G R E T H A JÜNGER, PREUSSISCHER STAATSRAT PROFESSOR CARL SCHMITT

Oberstdorf

BERLIN-DAHLEM KAISERSWERTHER STR. 17 15. Februar 1942.

Sehr verehrte, liebe Frau Jünger! Also am 27. Februar! Wir erwarten Sie mit großer Freude. Das Kätzchen erwartet Sie mit Neugierde; es ist tatsächlich sehr lieb und entzückend verspielt. Ihr Brief über Bfenito] Cfereno] hat meine Freude an einem Gespräch mit Ihnen noch sehr vertieft.1 Solche Symbole vereinfachen die sonst oft schwierige Verständigung. Ernst Jüngers »Gärten und Straßen« sind nun auch als Buch eingetroffen; das Buch sieht gut aus, die Kriegsverhältnisse würden eine andere Art des Kostüms als stillos erscheinen lassen.2 Ihr Schwager Hans war vorigen Mittwoch bei uns; es würde uns sehr freuen, Sie einmal mit ihm zusammen bei uns zu sehen. Von Paris habe ich lange nichts mehr gehört. Die letzten Wochen in Berlin waren mit Arbeit, Besuchen und Erkältungen ausgefüllt. Jetzt scheint das Wetter anders zu werden. Den Geburtstag von Carl Alexander feiern wir dann einige Tage im voraus. Hoffentlich erholen Sie sich weiter gut in Oberstdorf und haben Sie eine erträgliche Reise. Auf Wiedersehen und herzliche Grüße an Sie beide von uns allen dreien! Immer Ihr Carl Schmitt.

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Liebe Frau Jünger wir freuen uns Alle auf Ihr Kommen, aber ganz besonders, daß Carl Aleksander seinen Onkel zum erstenmal besucht. Augenblicklich haben wir sehr viel Schnee; wenn es so bleibt kann Anima mit Carl Aleksander viel rodeln. Wenn ich es könnte, würde ich noch als besonderen Schmuck für seinen Besuch, Raureif bestellen. Viele herzliche Grüße von Ihrer Duska Schmitt. 1 Der Brief ist nicht erhalten, möglicherweise handelt es sich um den verlorenen Abschnitt des Schreibens von Gretha Jünger vom [13.1.42] 2 Ernst Jüngers Tagebuch >Gärten und Strassen. Aus den Tagebüchern von 1939 und 1940< schildert u. a. den Vormarsch der deutschen Truppen in Frankreich. Nach seinem Verständnis gehört es als Erstes unmittelbar in die Reihe der Tagebücher aus der Kriegszeit von Februar 1941 bis April 1945, die in den >Strahlungen< (Tübingen 1949) erst nach dem Kriege veröffentlicht wurden. (Sämtliche dort publizierten Tagebücher, also >Das erste Pariser Tagebuchs die >Kaukasischen Aufzeichnungen* sowie >Das zweite Pariser Tagebuch* und die >Kirchhorster BlätterJahre der Okkupation* (Stuttgart 1958) wurden schließlich die Tagebücher des Zeitraumes von April 1945 bis Dezember 1948 publiziert.) Hinsichtlich der Ausstattung des Buches ist z.B. das stark holzhaltige Papier zu nennen.

C A R L SCHMITT AN GRETHA JÜNGER PREUSSISCHER STAATSRAT PROFESSOR C A R L SCHMITT

BERLIN-DAHLEM K A I S E R S W E R T H E R STR. 17

3. April 1942, Karfreitag. Liebe und verehrte Frau Jünger! Hoffentlich feiern Sie dieses Osterfest in weitester Entfernung vom großen Welttheater zufrieden für sich in Ihrem schönen Kirchhorst! Man muß sich schon mit vielen Abwehrmitteln versehen, um den Teufelslärm der Zeit nicht in seine Seele dringen zu lassen. Aber wir lernen ja auch die Kunst der psychischen Maskenbildungen. Jedenfalls denken wir alle an Sie und Carl Alexander und freuen uns, daß Sie nicht in der Verlassenheit einer Stadt wie Berlin die Karwoche und das Auferstehungsfest zu begehen brauchen. Ich fühle mich immer noch in der Schuld des guten Carl Alexander, der bei seiner Abreise aus Berlin fragte, warum wir denn die von mir angekündigte »vorzeitige« Feier seines Geburtstages 1 nicht veranstaltet haben. Das war eine berechtigte Frage. Ich wollte ihm ein Geschenk schicken, aber Frau Schmitt hat das, was sie zu bekommen hoffte, doch nicht erhalten (soviel ich mich erinnere war es ein Schlafanzug). Jetzt bleibt mir also wieder nichts übrig, als ihm Geld zu schicken. Ich wäre Ihnen aber sehr dankbar, wenn Sie ihm den Zusammenhang klar machen wollten. Bei solchen Gelegenheiten empfindet man die Jämmerlichkeit der Zeit noch mehr als sonst.

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Dank Ihrem Hühnerfutter haben wir von unsern Hühnern endlich einige hier, sodaß wir Ostern nicht völlig tierlos feiern. Frau Schmitt läßt vielmals danken, sie wird Ihnen ausführlich schreiben (übrigens auch einen schönen Traum). In der letzten Woche waren die Marktverhältnisse so erbärmlich und hat die Beschaffung der bescheidensten Dinge für Ostern soviel Zeit und Arger gekostet, daß sie nicht zum Schreiben gekommen ist. Außerdem mußte sie für ihre Reise nach Kroatien einen Paß besorgen, was ebenfalls ganze Vormittage in Anspruch nahm.2 Lassen wir uns aber nicht die Freude über den auferstandenen Gott verderben und feiern wir dieses Ostern in Erwartung besserer und schönerer Wiederkünfte dieses Festes! Wir alle drei wünschen Ihnen und den Ihrigen in treuer Freundschaft ein segens- und hoffnungsfrohes Fest. Von ganzem Herzen Stets Ihr Carl Schmitt. 1 2

Am 9. März. Duska Schmitt reiste nach Kroatien, da ihr Bruder dort inhaftiert war.

G R E T H A JÜNGER AN C A R L SCHMITT

Kirchhorst, d. 7. IV. 1942. Lieber Herr Professor, meinen Dank für Ihre guten Wünsche zum österlichen Fest, die ich von Herzen erwidere, auch wenn sie verspätet anlangen. Wir sind in der Erwartung Jüngers, der am Ende dieser Woche in Kirchhorst eintreffen, und einen mehrwöchentlichen Urlaub bei uns verbringen wird. Das ist ein unerwartetes Geschenk des Oberst Sp[eidel] an mich, der nunmehr Babel 1 verlässt, und - wie ich hoffen will - nicht alle guten Strömungen mit sich davonträgt; da wir die saugende Kraft des grossen Wirbels in immer grösserer Nähe spüren, so ist mir jeder Augenblick des Beisammenseins kostbar.2 Die schärfste Probe wird erst gestellt werden; Alles Andere war nur ein Vorspiel. 3 Hier kommt es uns zugute, wenn wir die letzten Reserven nicht ausgegeben haben, trotz höchster Belastung. Man muss nicht nur ein guter Schwimmer sein, sondern auch die Kunst des Tauchens beherrschen können, um mit Cereño, oder in seinem Sinne zu sprechen. Mit dem einfachen Sprung von Bord ist nichts getan, man lernt das in allen Schwimmbädern von Jugend an. Oft frage ich mich, ob wir nach diesem Aderlass noch Kraft zu einem stillen Leben finden, oder ob wir nicht bereits zu sehr verbraucht sind; hat ein langes Fieber den Körper erst zu sehr geschwächt, so schenkt uns auch der Schlaf wenig Erquickung mehr.

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Gestern Nacht sass ich bis gegen 3 U h r M o r g e n s mit einer Berlinerin auf, die während der Ostertage bei mir war, u m dem rein physischen w i e geistigen Hungertode zu entgehen; ich rechne es mit (sie!) z u m Verdienst, dass man die Menschen u m sich nur gestärkt aus seinem Hause entlässt; es ist der einfache Samariterdienst, den man auf sich nimmt, und niemand verweigert, auch w e n n der Betreffende uns langweilt, was ich im Allgemeinen niemals verzeihe. 4 W i r h o f f e n , Sie Ende A p r i l oder A n f a n g Mai bei uns zu sehen; schreiben Sie uns doch, w i e Sie über Ihre Zeit verfügen können. Frau Schmitt w i r d nach Kroatien reisen, ich darf d a r u m nicht mit ihrer Begleitung rechnen, das betrübt mich. 5 Sagen Sie ihr bitte, dass in diesen Tagen 4 0 P f u n d Futter in einer Kiste abgehen, das w i r d wieder etwas weiterhelfen. Carl A l e x a n d e r ist w o h l a u f ; die Röntgenaufnahme w a r negativ; ich w a r doch recht besorgt darum. Er dankt Ihnen sehr f ü r die Grüsse aus Westfalen, über die er sich freute; Sie d ü r f e n ihn nicht ganz v e r w ö h n e n , er hat sein Geburtstagsgeschenk bereits v o n Tante Schmitt erhalten, sie schenkte ihm z u m Abschied 1 0 Übrigens sprach er mir gestern v o n dem bösen Babo, der die Menschheit peinigt, und den er darum nicht lieben kann; »und ich fühle es M a m a - D u kannst es auch n i c h t ! « 6 Leben Sie w o h l , Ihnen A l l e n die herzlichsten Grüsse v o n Haus zu Haus! Ihre Gretha Jünger. Damit ist Paris gemeint. Jünger hielt sich vom 10. April bis zum 20. Mai in Kirchhorst auf. Hans Speidel wurde im März 1942 zum Chef des Generalstabes des V. Armeekorps an der Ostfront ernannt, Ende April trat er den Dienst an. Mit der Formulierung über »die saugende Kraft des grossen Wirbels« spielt Gretha Jünger auf Edgar Allan Poes Erzählung >Sturz in den Malström< an. Siehe: Edgar Allan Poe: Ausgewählte Werke, 1. Bd., Erzählungen und Skizzen, hrsg. v. Günter Gentsch, Frankfurt a. M. 1990, S. 420-441. Zur Interpretation siehe: Ulrike Brunotte: Hinab in den Maelstrom. Das Mysterium der Katastrophe im Werk Edgar Allan Poes, Stuttgart 1993. Siehe auch Ernst Jüngers >Strahlungen< (S. 9). Dort schreibt er in der Einführung zu seinen Kriegstagebüchern: »Das sind Notizen auf der Fahrt durch Meere, in denen der Sog des Malstroms fühlbar wird und Ungeheuer auftauchen.« Weiter weist er darauf hin, man werde u. a. Poe häufig »beschworen finden« als einen der »Auguren der Malstromtiefen, in die wir abgesunken sind.« 3 Möglicherweise eine Anspielung auf die Kriegslage im Osten. Dort war es nach der Schlacht von Rshew und nach einem sowjetischen Vorstoß in die deutsche Front bei Issjum am Donez der Wehrmacht gelungen, zwischen Januar und April 1942 die Ostfront wieder zu festigen. 4 Um wen es sich bei der Berlinerin handelt, ist auch aus dem Tagebuch >Die Palette« nicht ersichtlich. 5 Die >Strahlungen< Ernst Jüngers vermerken in dieser Zeit keinen Besuch Carl Schmitts in Kirchhorst. 6 Babo ist eine Figur aus Herman Melvilles Erzählung >Benito CerenoSan Dominick< scheinbar der ergebene Diener seines Herrn, des Kapitäns Benito Cereño, tatsächlich aber der Anführer der meuternden Schiffsbesatzung, die ihn schließlich überwältigt. Als der Amerikaner Delano das Schiff betritt, »begegnet er einem seit1

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sam gehemmten Kapitän. Das Schiff ist nicht mehr sein Schiff, aber das darf er keinesfalls zu erkennen geben. Die Menschen dieses Schiffes navigieren nicht, reisen nicht, haben kein Ziel, befinden sich weder auf dem offenen Meer noch im Hafen. Sie sind einfach >an BordMeer von Geschichtlichkeit*.« Vgl. hierzu: Enrique Tierno Galvan: Benito Cereño oder der Mythos Europas, in: Hans Barion u.a. (Hrsg.): Epirrhosis. Festgabe für Carl Schmitt, 2 Bde., Bd. 1, Berlin 1968, S. 345-356, das Zitat auf S. 351. Siehe weiter: Sava Klickovic: Benito Cereño - Ein moderner Mythos, in: ebd., S. 265-273. Dazu auch: Martin Tielke: Der Schmerz als Währung unserer Zeit. Ernst Jünger in Wilhelmshaven, in: Heinrich Schmidt u. a. (Hrsg.): Tota Frisia in Teilansichten, Aurich 2005, S. 438 ff. Helmuth Kiesel schließlich schreibt in seinem Nachwort zu Briefe, Jünger - Schmitt auf S. 874f. hinsichtlich der Nachkriegszeit: »Schmitt sah in der >San Dominick< das orientierungslos gemachte und dem Untergang geweihte Europa, in ihrem Kapitän die von den Massen überwältigte europäische Elite, der er sich zugehörig fühlte.«

C A R L UND D U S K A SCHMITT AN GRETHA JÜNGER

15. April 1942. Sehr verehrte, liebe Frau Jünger! Seit über einer Woche ist unsere inner-häusliche Gesamtlage durch die Reisevorbereitungen von Frau Schmitt bestimmt. Morgen, Donnerstag früh, wird sie nach Kroatien fahren, für einige Wochen, und was alles an Genehmigungen zu einer solchen Reise gehört, ist kaum glaublich. Ich lasse sie nur mit großer Sorge in dieses Räuberloch hinein, aber Sie kennen ja die Festigkeit ihrer Entschlüsse. Aus dem Zustand einer solchen Reisevorbereitung erklärt es sich [auch], 1 daß Sie erst heute und nur durch mich Nachricht erhalten. Ihr Brief vom 7. April hat uns große Freude gemacht, nicht nur wegen der Kiste Hühnerfutter, obwohl das auch eine unschätzbare Hilfe ist. Hoffentlich kommt sie gut an. Ich habe vor, Ende April, am 29. oder 30. für 10 Tage nach Ungarn zu reisen.2 Vorher käme ich gern für einen oder 2 Tage zu Ihnen nach Kirchhorst. Ich dachte an Freitag, den 24. April. Würden Sie so gut sein, mir zu schreiben, ob das geht und wie es mit dem Autobus steht? Schlimmstenfalls mache ich mir auch aus dem 2stündigen Spaziergang über die [Chaussee] 3 ein Vergnügen und eine Jugendübung. Es wäre für mich ein guter, menschlicher Trost, Sie, Ernst Jünger und Carl Alexander wiederzusehen. Jüngers Brief aus Paris (vom 3. April) habe ich erhalten. 4 Hoffentlich auf gutes Wiedersehen! Viele Grüße von Haus zu Haus! Stets Ihr Carl Schmitt. Liebe Frau Jünger, über Ihren Brief haben wir uns sehr gefreut besonders daß Carl Alexander wieder gesund ist. Auf das Hühnerfutter freuen wir uns sehr; wir halten täglich Ausschau nach dem Briefträger. Hoffentlich verschwindet das Paket nicht -

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zeitgemäß. Für die Reise hatte ich viele Laufereien; heute kann ich endlich packen. Es tut mir leid, daß ich Anima und Carl Schmitt zurücklassen muß; ich hoffe heil wiederzukommen. Ihnen alles Gute und viele herzliche Grüße von Ihrer Duska Schmitt. Im Original steht »aus«. Im Mai 1942 reiste Schmitt auf Einladung der Juristischen Fakultät der Universität Budapest nach Ungarn und referierte dort und am Deutschen Institut über Verwaltungsrecht. Siehe: Christian Tilitzki: Die Vortragsreisen Carl Schmitts. 3 Nicht sicher lesbar. 4 Die >Strahlungen< Ernst Jüngers vermerken für den genannten Zeitraum zwar keinen Besuch Schmitts in Kirchhorst, die folgenden drei kurzen Briefe belegen jedoch einen Aufenthalt bei der Familie Jünger. Weiter ist wohl ein Schreiben Ernst Jüngers vom 2.4.42 gemeint. Siehe: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 146ff. 1

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G R E T H A J Ü N G E R AN C A R L SCHMITT

Kirchhorst, d. 18.4.1942. Lieber Herr Professor, wir erwarten Sie mit sehr viel Freude; bitte lassen Sie mich zeitig wissen, wann Ihr Zug am Freitag eintrifft, damit ich unseren Chauffeur verständigen kann, der Sie hoffentlich fahren wird. Der Sohn Ernst wird Sie dann an der unteren Sperre des Bahnhofes erwarten; bitte halten Sie Ausschau nach ihm. Ueber alles Weitere dann mündlich; ich habe Angst um Frau Schmitt, sie ist recht wagemutig.1 Sehr herzliche Grüsse, in aller Eile für heute. Wir hoffen auf ein gutes Beisammensein, wie immer. Ihre Gretha Jünger. 1

Dies bezieht sich auf die Reise Duska Schmitts nach Kroatien.

C A R L SCHMITT AN G R E T H A J Ü N G E R

21.4.1942 Sehr verehrte, liebe Frau Jünger! Vielen Dank für Ihr Schreiben! Ich habe vor, Freitag, den 24. April, 16.23 in Hannover einzutreffen. Sollte das aus irgendeinem Grunde nicht passen, so könnte ich auch schon um 12.49 ankommen; doch würde ich für diesen letzten

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Fall um telegraphische Nachricht bis Donnerstag abend bitten. Sonst soll es bei 16.23 bleiben. Daß Ihr Sohn Ernst mich abholen will, ist besonders lieb. Ich freue mich sehr, Sie alle zu sehen, besonders mein Patenkind. Immer Ihr Carl Schmitt.

C A R L S C H M I T T AN G R E T H A J Ü N G E R PREUSSISCHER STAATSRAT PROFESSOR CARL SCHMITT

BERLIN-DAHLEM K A I S E R S W E R T H E R S T R . 17 den 30. April [1942]

Sehr verehrte, liebe Frau Jünger! In der Eile der Vorbereitungen zur Reise nach Ungarn, 1 die heute abend beginnt, schnell ein Wort des Grußes und des Dankes, um Ihnen zu sagen, daß ich gut zu Hause angekommen bin. Ein griechischer Schwamm geht heute an Sie ab. Das graphologische Gutachten habe ich bestellt. Herzliche Grüße Ihnen, Ernst Jünger, dem jungen Ernst und insonderheit dem lieben Carl Alexander von Ihrem dankbaren Gast und getreuen Patenonkel Carl Schmitt. 1

Siehe hierzu die Ausführungen in: Christian Tilitzki: Die Vortragsreisen Carl Schmitts.

C A R L UND D U S K A S C H M I T T AN G R E T H A J Ü N G E R

Berlin-Dahlem den 22. Mai 1942. Sehr verehrte, liebe Frau Jünger! Zum Pfingstfest wünschen wir alle drei Ihnen und den Ihrigen, besonders natürlich Carl Alexander, von Herzen Glück und Segen. Es muß jetzt so schön in Ihrem Pfarrhaus sein, daß man nur wünschen möchte, der innere und äußere Zustand der Menschheit und der Erde würde einigermaßen dieser beglückenden Pracht eines Frühlingstages entsprechen. Jetzt habe ich lange nichts mehr von Ihnen gehört. Der Urlaub von Ernst Jünger wird inzwischen abgelaufen sein. Ich war 10 Tage in Ungarn, ein märchenhaft schöner Aufenthalt in Budapest. Als ich nach Berlin zurückkam, war weder Frau Schmitt noch eine Nachricht von ihr da, sodaß ich mir große Sorgen machte. Aber in der Nacht vom 16. zum 17. Mai erschien sie plötzlich wieder

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in Berlin, wohlgenährt und wohlbehalten, strahlend nach der siegreichen Rettung ihres Vaters und ihrer Sippe. »Gesund und Heil an Leib und Seele, kommt sie aus einer Räuberhöhle.« 1 Wir waren alle sehr froh. Am 7. Juni wollen Frau Schmitt und Anima nach Cloppenburg in Oldenburg reisen. Frau Schmitt hätte große Lust, Sie zu besuchen. Mit Anima ist das aber schwierig, weil sie keine Ferien hat. Ich überlasse das weitere Frau Schmitt und begnüge mich heute mit diesem Pfingstgruß als Lebenszeichen. Viele herzliche Grüße Ihres alten und unveränderlichen Carl Schmitt. Frohe Pfingsten und viele herzliche Grüße von Ihrer Duska Schmitt. 1 Möglicherweise eine Anspielung auf die geglückte Flucht der entführten Prinzessin aus der Räuberhöhle im Volksmärchen >Der Sohn des KohlenbrennersGärten und Strassen< geht Jünger im Vorwort der >Strahlungen< (S. 15) kurz ein: »Durch manche Begegnung erfuhr ich, daß dieser erste Ab-

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schnitt unter dem Titel >Routes et Jardins< auch in Frankreich bald Freunde fand. Der gute Gedanke der Freundschaft hat durch schlechte Kräfte sein Ansehen verloren, doch viel hängt davon ab, ob er es wiedergewinnen wird.« Es handelt sich um: Ernst Jünger: Jardins et routes. Pages de journal 1939-1940, Trad, de Maurice Betz, Paris 1942.

G R E T H A JÜNGER AN C A R L SCHMITT

Kirchhorst, d. 14.8.1942 Lieber Herr Professor, wir danken herzlich für den Gruss aus dem Sauerland; ich hatte immer gehofft, Frau Schmitt mit Anima in Kirchhorst zu sehen, wie steht es damit? Am 7. September fahre ich über Berlin nach Bad Elster zur Kur; schreiben Sie mir doch, ob Sie um diese Zeit dort sind. Ich habe vor, einige Tage zu bleiben, und würde mich sehr freuen, Sie Beide anzutreffen; keinesfalls etwa möchte ich Frau Schmitt zu einer vorzeitigen Rückkehr von ihrer Reise veranlassen, sondern würde in diesem Fall bei meiner Freundin um Quartier bitten. Mich verlangt es recht nach einem Abend an Ihrem Kamin; der grosse Leerlauf hat eingesetzt, und die Luft wird so dünn, so dünn, dass man nach einem guten Gespräch hungriger ist, als nach einem Korb frischen Austern. Ihr Patenkind war recht krank an Masern, das nahm meine Pflege für den ganzen Juli in Anspruch, und somit auch meine Zeit, sonst hätte ich schon eher an Sie geschrieben. Aus Babylon kommen gute Nachrichten, ich hoffe meinen Mann Ende Oktober bei mir zu sehen.1 Das immerwährende Allein-Sein ist schlimmer als Ehelosigkeit; das erstere ist erzwungen, das letztere ein freier Entschluss. Jedoch, was hilft's! Herzliche Grüsse Ihnen Allen. Ihre Gretha Jünger. Meinem lieben Patenonkel sende ich herzliche Grüsse. Carl Alexander. 1 Ernst Jünger hielt sich seit Ende Oktober bis zum 12. November in Kirchhorst auf. Anschließend reiste die Familie bis zum 17. nach Berlin, wo sie bei Carl Schmitt wohnte. Mit »Babylon« ist die Stadt Paris gemeint.

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C A R L SCHMITT AN GRETHA JÜNGER

Berlin-Dahlem den 17. August 1942. Sehr verehrte, liebe Frau Jünger! Kommen Sie auf jeden Fall am 7. September für einige Tage zu uns! Frau Schmitt kommt wahrscheinlich schon in einer Woche zurück. Wir freuen uns alle, Sie wiederzusehn und haben den gleichen Wunsch nach einem Gespräch wie Sie.1 Hoffentlich ist der liebe Carl Alexander wieder ganz gesund. Uber seinen eigenhändigen Gruß habe ich mich ganz besonders gefreut. O f t habe ich große Sehnsucht nach ihm. Ich bin Ende Juli mit Anima durch den Harz nach Westfalen gefahren, sodaß wir nicht über Hannover kamen. Das Reisen ist heute ein schwieriges Problem. Wir mußten, um überhaupt eines Platzes sicher zu sein, mit dem beschleunigten Personenzug fahren. Die Rückreise habe ich über Hildesheim-Braunschweig gemacht. Frau Schmitt reist heute von Plettenberg nach Cloppenburg. Sie hofft dort einiges zur Ergänzung unseres Haushaltes zu finden. 3 Zuchtenten, die sie das vorige Mal dort besorgt hatte, ließen sich in Berlin nicht halten. Nach einigen Wochen waren die armen Tiere in unserm Hühnerstall so mager geworden, daß Sie nicht einmal mehr den Schatten eines Entenbratens abzugeben imstande waren. Anima hat sich im Sauerland bei den Großeltern gut erholt. Die vielen Fliegerangriffe im Westen lassen die kleinen Nester verhältnismäßig ungestört. Von Ernst Jünger habe ich lange nichts mehr gehört. Ist seine Feldpostnummer noch dieselbe? 2 Dies nur als schnelle Antwort auf Ihren Brief. Kommen Sie also bald! Wir erwarten Sie mit großer Freude, und Frau Schmitt wird Ihnen dann wohl ein Dutzend geplanter aber nicht geschriebener Briefe mündlich mitteilen können. Stets Ihr alter und getreuer Carl Schmitt. 1 Der Besuch Gretha Jüngers fand, trotz ihrer folgenden Zeilen, wohl nicht statt. Siehe das Schreiben Carl Schmitts an Ernst Jünger vom 5.10.42 in: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 148. 2 In Briefe, Jünger - Schmitt stammt der letzte Brief Ernst Jüngers vom 2.4., der nächste erst vom 10.10.42.

G R E T H A JÜNGER AN C A R L SCHMITT

Kirchhorst, d. 26.8.1942. Lieber Herr Professor, ich danke Ihnen sehr für Ihren Brief und die liebenswürdige Einladung; am 7.9. werde ich Nachmittags am Bahnhof Zoo eintreffen, die genaue Zeit gebe ich Ihnen noch bekannt. Wäre es möglich, dass Marie mich an der Sperre erwarten würde, um einiges Gepäck an sich zu nehmen, das in Gestalt von

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Hühnerfutter und 2 Enten für Frau Schmitt bestimmt ist? Ich habe, bevor ich nach Dahlem fahre, noch eine Besorgung zu erledigen; so wäre mir diese Hilfe sehr lieb. Ihr Patenkind wird mich begleiten; er freut sich ganz besonders auf das Wiedersehen mit Ihnen. E.J. ist im Begriff, Babylon mit dem Kaukasus zu vertauschen, um - wie er sagt - die hohe Civilisation durch ein wenig Eis zu dämpfen, und das leuchtet mir ein; vorerst gilt es nur auf einige Monate. Ich fühlte schon, dass ihn die Lust, ein wenig vom Osten zu schmecken, angekommen war, und habe hier ebenso wenig abgeraten, wie bei dem Sohne Ernst, der die Musterung nicht erst abwarten, sondern sich bald zu den Fallschirmjägern melden will.1 Sehen wir zu, wie es den Beiden bekommen wird! Ich hatte mich auf einige Urlaubstage im September gefreut, nun wird es wohl Winter darüber werden. Mir fällt ein, dass ich recht in Ihrer Schuld bin, denn bislang vergass ich in jedem meiner Briefe, mich für den schönen Schwamm zu bedanken, den Sie mir uebersandt haben; das ist gewiss unverzeihlich, und ich hole es erst sehr spät nach. Leben Sie recht wohl; auf ein gutes Wiedersehen! Es erstaunt mich immer wieder, dass es damit immer noch beim Alten bleibt, ein halbes Jahr nach dem anderen vergeht, und nichts hat sich verändert. Herzlichste Grüsse an das ganze Haus, besonders an die liebe Frau Schmitt, deren Schweigsamkeit ich gern verzeihe, denn ich weiss, wie sehr sie beschäftigt ist. Ihre Gretha Jünger 1 Im Anschluß an den Berlinbesuch der Familie Jünger vom 12.-17. November, reiste Ernst Jünger nach einem mehrtägigen Aufenthalt im ostpreußischen Lotzen am 21.11. nach Kiew. Bis zum 10. Januar hielt er sich im Kaukasus auf, ehe er nach Aufenthalten in Kirchhorst und Berlin am 18.2.1943 nach Paris zurückkehrte. Die Zeit an der Ostfront ist in den k a u k a sischen Aufzeichnungen Jüngers festgehalten. Mit Babylon ist die Stadt Paris gemeint. Z u m Wechsel in den Kriegserfahrungen durch den Aufenthalt an der Ostfront siehe: Martin Tielke: Der Schmerz als Währung unserer Zeit. Ernst Jünger in Wilhelmshaven, in: Heinrich Schmidt u.a. (Hrsg.): Tota Frisia in Teilansichten, Aurich 2005, S. 433ff.; ders.: Der stille Bürgerkrieg, Berlin 2007, S. 64f.

C A R L S C H M I T T AN G R E T H A J Ü N G E R

21. Oktober 1942. Liebe und verehrte Frau Jünger! Ihr Brief vom 6. Oktober scheint sich mit unserm, am gleichen Tage nach Bad Elster (eingeschrieben) geschickten Päckchen gekreuzt zu haben. Ich will das nur kurz feststellen, weil die von Frau Schmitt geplante Beantwortung Ihres Briefes das Tempo und Schicksal aller derartigen Pläne Frau Schmitts zu teilen scheint.

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Sind Sie wieder in Kirchhorst? Wie geht es meinem lieben Patenkind? Wir denken oft an ihn und sprechen viel von ihm; alle, auch die Mädchen, Marie und Anne, haben ihn sehr lieb gewonnen. Der blinde Dr. Ahlmann 1 gab mir neulich eine wunderbar anschauliche Schilderung davon, wie der kleine Carl Alexander am Tisch sitzt »wie ein Liliputaner-Herrscher.« Von Ernst Jünger erhielt ich eine kurze Mitteilung, nach der wir seinen Besuch in Berlin wenigstens als Durchgangsmeldung erwarten. Ich treffe am 31. Oktober in Paris ein; dann wird er wohl nicht mehr dort sein.2 Das tut mir besonders leid, aber eine so schöne, märchenhafte Reise, wie meine von Ihnen bewirkte Pariser Fahrt des vorigen Jahres, läßt sich eben nicht wiederholen. Valentiner ist sein Chargé d'affaires in Paris.3 Ich bin leider nur 3 Tage dort, und fahre dann weiter nach Bordeaux. Wenn Sie Zeit haben, müssen Sie bald wieder Nachricht von sich geben. Heute gilt nur, was man selber persönlich sieht, hört oder erfährt. Es ist merkwürdig, wie in derselben Zeit, in der die menschlichen Nachrichten- und Kommunikationsmittel ihre fabelhafteste Steigerung erreicht zu haben scheinen, der einzelne denkende Mensch mit ungeheurer Wucht auf sich selbst zurückgeschleudert wird, auf seine einzelne, einsame Einzigkeit und den Kontakt mit anderen ebenso einsamen Einzelnen. Das ist die von der Technik bewirkte »Vergemeinschaftung« und »Sozialisierung«; darüber müßte G.F. Jünger auch ein besonderes Kapitel schreiben.4 Anima hat angefangen französisch zu lernen, aber sie zieht immer noch englisch vor. Mühle spielt sie immer noch mit Leidenschaft. Hat Carl Alexander ein schönes Mühlespiel? Von gemeinsamen Bekannten weiß ich nur, daß Herr von Niedermayer Generalmajor geworden ist und eine asiatische Division erhalten hat. Ein Freund G.Nebels besuchte mich neulich, ein gescheiter junger Mann vom Kolonialpol[itischen] Amt, und erzählte, Nebel werde jetzt Offizier. 5 Frau Schmitt und Anima lassen herzlich grüßen und rufen: auf baldiges Wiedersehen! Ich tue das gleiche und bleibe in Allem Ihr getreuer und unveränderlicher Carl Schmitt. Der aus einer Kieler Bankiersfamilie stammende einstige Referent im Preußischen Kultusministerium Wilhelm Ahlmann war zu Beginn des Dritten Reiches noch überzeugter Nationalsozialist. Von seinem Amt aus betrieb er 1933 maßgeblich den Aufbau der regimekonformen sogenannten >Kieler Schule< an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der dortigen Universität. Später wandte er sich Widerstandskreisen zu und nahm sich nach dem 20. Juli 1944 das Leben. 2 Ernst Jünger hatte Paris am 23. Oktober verlassen. 3 Gemeint ist Claus Valentiner. Die Brüder Claus und Max Valentiner gehörten zu Ernst Jüngers Bekanntenkreis in Paris. Siehe auch die Eintragungen zu diesen in seinen >Pariser Tagebüchern« sowie das Schreiben an Carl Schmitt vom 10.10.42 in: Briefe, Jünger — Schmitt, S. 148f. 4 Schmitt spielt hier auf Friedrich Georg Jüngers bereits abgeschlossene, aber erst 1946 erschienene >Perfektion der Technik« an. In der 4. Auflage (Frankfurt a. M. 1953) ist als zweites Buch die Schrift >Maschine und Eigentum« hinzugefügt. Zu dem von Schmitt ange1

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stoßenen Gedanken siehe hier das Kapitel 17 (S. 290-297), in dem es auf S. 296 u.a. heißt: »Das technische Kollektiv ist ein Zwangskollektiv, ist ein mechanisches Kollektiv, in dem pariert werden muß, pariert auf die mechanischen Anweisungen, welche die Funktionäre des Kollektivs und die ungeheure Bürokratie, die sie sich geschaffen haben, jedem geben.« Siehe auch die Ausführungen zu Carl Schmitts Schreiben vom 29.6.40. 5 Zu Oskar Ritter von Niedermayer siehe: Hans-Ulrich Seidt: Berlin, Kabul, Moskau. Oskar Ritter von Niedermayer und Deutschlands Geopolitik, München 2002. Gemeint ist weiter das Kolonialpolitische Amt der Reichsleitung der NSDAP.

G R E T H A UND ERNST JÜNGER AN C A R L SCHMITT

Kirchhorst, d. 25.10.1942. Lieber Herr Professor, meinen besten Dank für Ihren Brief; seit gestern ist mein Mann in Kirchhorst, und wir hoffen, dass diese Zeilen Sie noch vor Ihrer Reise nach Frankreich erreichen werden. 1 Am 12. November begleite ich ihn nach Berlin, von dort aus tritt er die Weiterfahrt nach dem Osten an, und es wäre uns eine rechte Freude, wenn wir Sie antreffen würden. 2 Lassen Sie uns bitte noch wissen, ob ein Wiedersehen möglich ist; wenn das Fremdenzimmer von Frau Schmitt nicht an andere Gäste vergeben ist, so melden wir uns hiermit mit den herzlichsten Grüssen an sie für wenige Tage an. Das Päckchen erreichte mich noch im Augenblick meiner Abreise von Bad Elster und erfreute uns sehr; leider war das Patenkind auf der Heimfahrt recht krank, und mit grosser Mühe wurde Kirchhorst erreicht. Das erklärt mein Schweigen, das Frau Schmitt entschuldigen wird; erst heute geht es dem kleinen Patienten besser, und die entomologischen Studien mit dem Papa können wieder beginnen. Ich schreibe in Eile; der Brief soll noch zur Post gegeben werden. Wir wünschen Ihnen eine gute Fahrt, und hoffen auf ein baldiges Wiedersehen! Ihnen Allen herzlichste Grüsse Ihre Gretha Jünger. Lieber Herr Schmitt, leider sehen wir uns nicht während Ihres Pariser Aufenthaltes, dafür aber vielleicht in Berlin. Bitte grüßen Sie in Lutetia 3 die Bekannten von mir. Ich komme aus dem Lazarett, wo ich wegen eines Magen-Katarrhs lag. Im nächsten Monat hoffe ich in den Kaukasus zu gehen, der als prometheisches Gebirge ja für diese Titanen-Zeit seine besondere Bedeutung hat.4 Ihnen und den Ihren wünsche ich alles Gute. Ihr Ernst Jünger 1 Carl Schmitt hielt sich im November 1942 in Paris, Bordeaux, Lille sowie Brüssel auf und hielt dort Vorträge zur Fortbildung deutscher Soldaten im Rahmen der Wehrmachtsbetreuung. Siehe hierzu: Christian Tilitzki: Die Vortragsreisen Carl Schmitts.

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Die Familie Jünger hielt sich bis zum 1 7 . 1 1 . in Berlin auf. Also in Paris. 4 Anspielung auf Prometheus, den Sohn des Titanen Iapetos, der am Gipfel des Kaukasos befestigt, den Diebstahl des Feuers unter furchtbaren Qualen büßen muß. Siehe: Karl Kerenyi: Die Mythologie der Griechen. Die Götter- und Menschheitsgeschichten, Zürich 1951, S. 2 0 2 232. 2 3

C A R L SCHMITT AN G R E T H A JÜNGER

29. Oktober 1942. Liebe und verehrte Frau Jünger! Morgen, den 30. abends reise ich nach Paris; meine Hoffnung, Ernst Jünger vielleicht doch noch dort zu treffen, wird sich also nicht erfüllen. Aber am 12. November bin ich wahrscheinlich wieder zurück und so hoffe ich Sie dann beide bei Ihrem Besuch in Berlin zu sehen. Das Zimmer steht für Sie bereit. Wir alle freuen uns herzlich auf den Besuch. Meine diesmalige Frankreich-Reise wird anstrengender als die vorige, die durch Ihre schutzengelhafte Intervention zustande kam. Die Grüße Ernst Jüngers für seine Bekannten in Paris werde ich ausrichten. Vorgestern war ich in Hamburg und habe den 60. Geburtstag Stapels mitgefeiert. Davon erzähle ich Ihnen beiden wenn Sie bei uns in Berlin sind.1 Um den lieben guten Carl Alexander machen wir uns Sorgen. Grüßen Sie ihn herzlich und sagen Sie ihm, wir würden bald zusammen Mühle spielen. Auf Wiedersehn! Herzlich Ihr getreuer Carl Schmitt. 1 Das ist der Publizist und Journalist Wilhelm Stapel. Siehe: Siegfried Lokatis: Wilhelm Stapel und Carl Schmitt - Ein Briefwechsel, in: Piet Tommissen (Hrsg.): Schmittiana. Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts, Bd. V, Berlin 1996, S. 2 7 - 1 0 8 , bes. S. 77.

C A R L SCHMITT AN G R E T H A JÜNGER

10/XII 1942. Liebe und verehrte Frau Jünger! Vielen Dank für die Adresse von Ernst Jünger! Ich habe ihm gleich einige Zeilen geschrieben. Wir denken viel an Sie, und das nahende Weihnachtsfest legt einem viele nachdenkliche Überlegungen nahe. Anima genießt sorglos Ihre herrlichen Äpfel. Frau Schmitt macht Besorgungen; ich stecke schon wieder in dem Stumpfsinn des Berliner Betriebes und muß befürchten, daß dieser Brief ein Dokument davon wird.

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Neulich war P. Adams 1 aus München hier. Er ist so mager und alt geworden, daß ich ihn nicht wiedererkannt habe. Eine französische Bekannte von ihm, deren Namen ich vergessen habe, war einige Tage in Berlin und wollte unbedingt die Frau von Ernst Jünger sehen. Speidel soll krank sein; er war in Berlin und ist, wie ich höre, jetzt wieder in Paris. Der Geburtstag von Popitz (6/12) ist gebührend gefeiert worden. 2 Einige durchreisende Besuche haben uns darüber vergewissert, daß es in Berlin doch noch eine Spur trauriger ist als anderswo. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder! Für heute sage ich nur noch unsere herzlichsten Grüße, bitte mein liebes Patenkind von mir zu küssen und bleibe in treuer Verbundenheit Ihr alter Carl Schmitt. 1 Der Journalist Paul Adams war seit den 20er Jahren eng mit Carl Schmitt befreundet. Siehe hierzu die Aufzeichnungen Schmitts in seinem >GlossariumGlossariumLand und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung«, erschienen 1942 in Reclams Universal-Bibliothek in Leipzig. Bereits am 9.3.1941 erschien in >Das Reich. Deutsche Wochenzeitung. Beilage Literatur, Kunst, Wissenschaft« (Nr. 10, Berlin S. 1/2) sein Artikel >Das Meer gegen das Land«, ein Hinweis auf die frühe Beschäftigung mit dem Thema der Studie. Siehe den Artikel nun in: Ders.: Staat, Großraum, Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1 9 1 6 - 1 9 6 9 , S. 3 9 5 - 4 0 0 . Siehe auch Carl Schmitts »Glossarium«, S. 141. 1

Nicht sicher lesbar. Hauptmann Horst Grüninger. Ein Offizier aus dem Pariser Kreis um Hans Speidel und Ernst Jünger. Er war seit Mai 1941 mit Jünger persönlich bekannt. Siehe zu Grüninger: Hans Speidel: Aus unserer Zeit. Erinnerungen, Berlin, Frankfurt a.M. 1977, S. 147f. Siehe auch: >Das erste Pariser Tagebuch« in den »Strahlungen« Ernst Jüngers, 24. u. 30.5.41. Der Kunsthistoriker und Schriftsteller Clemens Graf Podewils-Juncker-Bigatto gehörte ebenfalls zu Jüngers Pariser Kreis. Von ihm erschienen immer wieder Gedichte in der Wochenzeitung >Das Reich«. Siehe zu ihm auch den Eintrag Ernst Jüngers in: >Das erste Pariser Tagebuch«, 2 4 . 5 . 4 1 . 2

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GRETHA JÜNGER AN C A R L SCHMITT

Kirchhorst, d. 30.12.1942. Lieber Herr Professor, das Jahr neigt sich seinem Ende zu, und ich möchte nicht versäumen, dem Hause Carl Schmitts die herzlichsten Wünsche für das kommende Jahr zu senden. Möge es uns den Frieden bringen! Ich will jedoch kein Prophet mehr sein, denn meine Voraussage für den vergangenen Herbst hat sich als trügerisch erwiesen. 1 Europa beginnt mich nicht mehr zu interessieren; meine Gedanken konzentrieren sich nur noch auf die ersten Tage des Februar 1943, wo ich Ernst Jünger bei Ihnen treffen will, und das ist entschuldbar. Gestern erhielt ich nach längerer Zeit wiederum die erste Nachricht; danach wird er sich am l.II. auf die Rückfahrt begeben, und wie ich denke, nach etwa 8 Tagen in Berlin eintreffen. Melden Sie mich doch bitte für diesen Termin bei Frau Schmitt an, die ich hierdurch wieder einmal um das liebenwerte Plätzchen im Fremdenzimmer bitte, uns nun schon ganz vertraut im Lauf dieser Jahre. 2 Unser stolzer Hahn wird für diesen Besuch sein Leben lassen müssen, wie ich dann überhaupt dafür sorgen möchte, dass bei dieser Heimkehr aus der Wüste ein üppig gedeckter Tisch den müden Wanderer erwartet, und zu diesem Zweck habe ich den Ihnen bereits bekannten Kirchhorster Schuster mehrere Stunden lang auf meine Art unterhalten. Es hätte nicht viel gefehlt, und ich hätte Skat mit ihm gespielt; so entwickelt man Talente ganz erschröcklicher Art.

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Haben Sie herzlichen Dank für Ihren schönen Brief, wie »Land und Meer«, in dessen Lektüre ich in diesen Tagen vertieft bin, und auch das Patenkind bekommt einige Abschnitte daraus vorgelesen.3 Es geht ihm im Übrigen wieder recht gut; er hat diese böse Krankheit rasch überstanden, und ich bin recht froh darum. Auf ein frohes und gutes Wiedersehen! Ich bin recht glücklich, daran denken zu können. Ihnen Allen die herzlichsten Grüsse Ihrer Gretha Jünger. 1 In den Briefen an Carl Schmitt ist diese Voraussage Gretha Jüngers zum Kriegsverlauf nicht überliefert. 1 Ernst Jünger traf am 24.1.1943 zu einem kurzen Besuch in Berlin ein, wo er bei Carl Schmitt wohnte. 3 Schmitt stellte der Betrachtung >Land und Meer« die Widmung »Meiner Tochter Anima erzählt« voran.

C A R L SCHMITT AN G R E T H A JÜNGER PREUSSISCHER STAATSRAT PROFESSOR C A R L SCHMITT

BERLIN-STEGLITZ, SCIIILLERSTR. 2'

Dahlem, den 2. Januar 1943. Sehr verehrte, liebe Frau Jünger! Heute morgen kam Ihr Brief vom 30. Dezember gleichzeitig mit einem Brief Ernst Jüngers vom 23. Dezember bei uns an.2 Hoffentlich kommen Sie nun im Februar beide ebenso pünktlich und gleichzeitig bei uns an! Wir freuen uns sehr darauf und ich bin voll Vertrauen. 3 Der Brief Jüngers schildert die Situation in den verschlammten Wäldern des Ostens sehr anschaulich als eine H. Bosch-Landschaft, ein prachtvolles Dokument seines [physisch] 4 und geistig gleich sicheren Auges. Unsere Briefe hat er noch nicht erhalten. 5 Das Paketchen für Carl Alexander soll nun endlich fertig gemacht werden. Sie kennen das weltberühmte Tempo von Frau Schmitt, die eine 100% ige Verkörperung der Devise »Langsam aber sicher« darstellt. Wir haben mit großer Freude gehört, daß es unserem lieben Patenkind jetzt wieder gut geht, dafür verdient er eine Extra-Belohnung. Die 4 Wochen bis zum Februar werden schnell vergehen. Die Weihnachtswoche ist wie im Traum vergangen. Wir hatten ziemlich viel Besuch und zum Glück reichte der Wein. Am Mittwoch den 23. Dezember war Hptm. Grüninger mit seiner Frau nachmittags und Abends bei uns. Er kann glänzend erzählen. Zur Zeit macht er einen Generalstäbler-Kurs in Berlin mit. Die Frau ist Bildhauerin und hat einen Kopf von Ernst Jünger gemacht, im Profil sehr gut, im

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Gesicht zu knabenhaft. Sie ist Hamburgerin, sehr schön (das sagt auch Frau Schmitt, um Ihrem skeptischen Lächeln zuvorzukommen), und im Wesen sehr sympathisch. Viele herzliche Grüße von Haus zu Haus und auf ein schönes Wiedersehen anfang Februar! Immer Ihr getreuer Carl Schmitt. Lesen Sie bitte gelegentlich einmal wieder Kleists Aufsatz über das Marionettentheater, auch wenn Sie ihn schon lOOmal gelesen haben sollten! 6 Die Adresse »Berlin-Steglitz, / Schillerstr. 2« wurde von Schmitt hs gestrichen. Ernst Jüngers Schreiben in: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 152f. 3 Ernst Jünger hielt sich am 24. Januar zu einem Kurzbesuch bei Schmitt auf. 4 Nicht sicher lesbar. 5 Schmitt illustriert diese Hieronymus Bosch-Landschaften in seinem 1938 erschienen Band >Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols« (Hamburg 1938, S. 40; neu: Köln 1982) sehr anschaulich: »Bei H. Bosch (um 1500) ist der mittelalterliche Dämonenglaube noch ungebrochen; seine Teufel sind ontologische Wirklichkeit, nicht Produkte einer Schauerphantasie; die Landschaft ist eine Hölle, deren Feuer an vielen Punkten durch den Schleier irdischer Farben durchbricht, keine bloße Szene oder Bühne für ein exzentrisches Figurenspiel.« Das letzte Schreiben Carl Schmitts an Ernst Jünger stammte vom 10.12.42. Siehe: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 151. 6 Heinrich von Kleists Essay >Uber das Marionettentheater« erschien erstmals vom 12.-15. Dezember 1810 in den >Berliner Abendblättern«. Jetzt in: Heinrich von Kleist: Erzählungen, Anekdoten, Gedichte, Schriften, hrsg. v. Klaus Müller-Salget, Frankfurt a.M. 1990, S. 555-563. In seiner Publikation >Ex captivitate salus. Erfahrungen der Zeit 1945/47« (Köln 1950) schreibt Schmitt im Text >Zwei Gräber« auf S. 39f. über den Essay: »Ein Jahr vor seinem Tode hat Kleist den unerschöpflichen Aufsatz >über das Marionettentheater« geschrieben. Darin erscheint am Schluß ein Bär, der mit unbeirrbarem Instinkt jeder, auch der intelligentesten Technik überlegen ist. Er ermüdet die besten Florettfechter, einfach weil er auf Finten nicht reagiert. Dieser Träger unbewußter Kräfte ist ein mythisches Symbol und steht bereits in den Linien eines tiefen Gegensatzes von Westen und Osten.« Gemeint ist hier der für Schmitt von Kleist verkörperte Gegensatz zwischen der französischen und slawischen Kultur. Siehe weiter: Erich Heller: Die Demolierung eines Marionettentheaters oder: Psychoanalyse und der Mißbrauch der Literatur. Zur Ehrenrettung Kleists im Jahre der 200. Wiederkehr seines Geburtstags, in: Walther Müller-Seidel (Hrsg.): Kleists Aktualität. Neue Aufsätze und Essays 1966-1978, Darmstadt 1981, S. 261-280. 1

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GRETHA JÜNGER AN CARL SCHMITT Kirchhorst, d. 4 . 1 . 1 9 4 3 . Lieber H e r r Professor, auch mit Ihrem heutigen Brief langte zugleich eine Nachricht Ernst Jüngers an, das muss ich Ihnen rasch berichten. E r meldet sich, wenn nichts dazwischen kommt, womit man in diesem Land der tausend Möglichkeiten 1 ja immerhin

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rechnen muss, für Ende Januar bereits an. Sie sehen, der Wind der dort weht, muss ein schlechter sein. Ich werde ein Telegramm erhalten, und Sie sogleich davon ebenfalls telegraphisch verständigen. Hoffentlich ist Frau Schmitt und Ihnen dieser frühere Termin angenehm! 2 Dass Frau Grüninger einen so günstigen Eindruck hinterliess, macht mich neugierig auf ihre Bekanntschaft; übrigens erstreckt sich mein »skeptisches Lächeln« niemals auf die Schönheit der Frauen, sondern auf das, was sie uns zu sagen haben, und wie sie das tun. 3 Ich sehe, Sie sind gütiger als ich, doch ist das kein Verdienst in diesem Fall, denn Sie stehen im anderen Lager. Auf ein gutes Wiedersehen! Ich bin bereits mit allen meinen Gedanken bei Ihnen! Herzlichste Grüsse Ihrer Gretha Jünger. Also dem Kaukasus. Jünger traf am 17.1. in Kirchhorst ein. 3 Siehe hierzu Gretha Jüngers Ausführungen vom 4.8.41 »[üjbcr die Kaste der Witwen berühmter Männer« in: >Die Paletten Siehe weiter die Ausführungen hierzu im Abschnitt >Gretha Jünger - Briefpartnerin, Ehefrau und Schriftstellerin in der Einleitung zum vorliegenden Band. 1

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ERNST UND G R E T H A JÜNGER AN C A R L SCHMITT

Kirchhorst, 17.1.1943. Lieber Herr Schmitt, aus dem Kaukasus zurückkehrend, fand ich in Woroschilowsk ein Telegramm vor, das mir die schwere Erkrankung meines Vaters mitteilte. Ich flog, gewissermaßen in Biedenhorns Schosse, über Rostow hinweg und kam noch rechtzeitig, um den aufgebahrten Toten zu sehen.1 Nun bringe ich einige Tage in Kirchhorst zu. Wir sehen uns also, worauf ich mich sehr freue, am Sonnabend in Berlin. 2 Hoffentlich blieben Sie von dem heute gemeldeten Luftangriffe verschont. Ich gedenke dann, etwa Mittwoch, nach Kirchhorst zurückzufahren, falls mir noch ein Urlaub zugebilligt wird und werde Mitte Februar mich nach Paris zurückbegeben. Gerade weilt der Astrologe Lindemann bei mir.3 Alles Weitere mündlich! Mit herzlichen Grüßen an Sie und die Familie Stets Ihr Ernst Jünger. Lieber Herr Professor, wir freuen uns sehr auf das Wiedersehen mit Ihnen Allen! Gegen 6 - 7 Uhr Abends werden wir in Dahlem sein. Herzliche Grüsse für Frau Schmitt und Anima, Ihre Gretha Jünger.

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1 Ernst Jüngers Vater starb am 9. Januar 1943. Siehe hierzu die >Kaukasischen Aufzeichnungen in den >Strahlungen< vom 10. und 21.1.43. Zu »Biedenhorn«, einem klugen Söldnerführer aus Jüngers Erzählung >Auf den Marmor-Klippen< siehe S. 153 f. in der Ausgabe von 1939 und die Erläuterung in: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 590. 2 Die beiden trafen am 24.1. in Berlin zusammen. 3 Fritz Lindemann, Bankbeamter i. R., ein Freund aus Goslar und der »Meister« in Gretha Jüngers Büchern. Siehe neben den zahlreichen Tagebucheinträgen in >Die Palette« auch die dort abgedruckten Briefe an ihn.

G R E T H A J Ü N G E R AN C A R L SCHMITT

Kirchhorst, d. 18. III. 1943. Lieber Herr Professor, wir danken sehr herzlich für das treue Gedenken des Patenonkels zum 9. März; der Geburtstag wurde herzlich gefeiert, bei Torten und Kasperletheater, und die kleine Welt war glücklich. Möchte sie es immer sein, es geht ihr leider so viel verloren. Wir hoffen, dass Sie Alle wohlauf sind, und schöne Tage im Sauerland verbrachten; beim letzten Grossangriff haben wir uns Sorgen um Sie gemacht, und froh war ich, als ich Ihre vertraute Handschrift bei der morgendlichen Post erkannte. Welch eine Zeit! Ernst jun. ist bereits seit mehreren Wochen zur Flak in Bremen abkommandiert, längst eingekleidet und bei den preussischen Gamaschen angelangt;1 das Abitur liegt in weiter Ferne, und sicherlich ist die Rettung des Vaterlandes notwendiger als die lateinische Vokabel, dieses überflüssigste geistige Möbelstück, inmitten des totalen Aufmarsches. 2 Sie haben allnächtlich Alarm, schlafen daher gestiefelt und gespornt in ihren Betten, dafür dürfen sie den Stahlhelm ablegen, der sie behindern würde. Am Tage sind sie 16jährige, und werden hiernach eingeschätzt, in der Nacht an den Geschützen ganze Männer, und diese Art der Halbheit ist ihnen recht verdriesslich. Inzwischen hat sich das kaleidoskopische Weltbild wieder ein wenig verändert;3 warten wir ab, welche endgültige Form es annehmen wird. Ich denke, dass das nächste Wiedersehen zwischen E.J. und mir das bleibende ist, und dass uns ein neuerlicher Abschied erspart bleibt. Es ist nicht unmöglich, dass wir in absehbarer Zeit Nachbarn werden; Anfang April besichtige ich im Spreewald ein Restgut, d. h. einen Landsitz in der Nähe von Cottbus, und nur 100 klm. von Berlin entfernt, den man mir angeboten hat. Den Plänen nach bin ich sehr zufrieden, und erledigt sich alles weitere reibungslos, so schliesse ich sofort ab. Wie schöne wäre es, wenn wir dort nach Kriegsende unsere berühmte 8 Tagesfeier abhalten könnten! 4 Ihnen Allen das Beste, und herzlichste Grüsse! Ihre Gretha Jünger.

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Viele herzliche Grüsse an meinen guten Patenonkel, Tante Schmitt und Anima von Carl Alexander. 1 Das heißt, er ist beim Militärdienst: >Gamaschendienst< war ein abschätziger Begriff für einen pedantischen Dienstbetrieb. 2 Gretha Jüngers Formulierung vom >totalen Aufmarsch erinnert an Ernst Jüngers Essay >Die totale Mobilmachung< (Berlin 1931), doch steht ihre Wortwahl schon aufgrund der zeitlichen Nähe eher in Verbindung mit Joseph Goebbels' am 18.2.1943 gehaltener Durchhalterede im Berliner Sportpalast, in der es hieß: »Die Engländer behaupten, das deutsche Volk wehrt sich gegen die totalen Kriegsmaßnahmen der Regierung. Es will nicht den totalen Krieg, sondern die Kapitulation. Ich frage euch: Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt noch vorstellen können?« Siehe hierzu: Lothar Gruchmann: Totaler Krieg. Vom Blitzkrieg zur bedingungslosen Kapitulation, München 1991. Hier auf S. 247-249 die wichtigsten Passagen der Rede.

Gemeint ist wohl die Stabilisierung der deutschen Südfront im Osten im Februar und März 1943 nach der Kapitulation der 6. Armee in Stalingrad am 31. Januar. 4 Der Kauf des Gutes kam nicht zustande. Es ist nicht klar welche Feierlichkeiten hier gemeint sind. Ein Hinweis könnte eine Eintragung von Duska Schmitt in ihrem Gästebuch sein, der zeigt, daß sich die Einladungen in das Haus der Familie anläßlich des 50. Geburtstages ihres Gatten über acht Tage hinzogen. 3

C A R L SCHMITT AN GRETHA JÜNGER

28/3 43. Liebe und verehrte Frau Jünger! Vielen Dank für Ihren Brief, der uns sehr erleichtert hat, denn da wir mehrere Wochen ohne Nachricht von Ihnen waren, hatten wir uns schon Sorgen gemacht, daß es Ihnen vielleicht nicht gut ginge. Und der besorgten Phantasie fehlt es ja heute nicht an Motiven und Ansatzpunkten. Umso größer war unsere Freude darüber, daß bei Ihnen alles in Ordnung ist und Carl Alexander einen so schönen Geburtstag gehabt hat. Von Ernst Jünger erhielt ich aus Paris einen schönen Brief, den ich mit einem durch Valentiner nach Paris überbrachten Schreiben beantwortet habe. Hoffentlich ist auch der Geburtstag in Paris gut verlaufen. 1 Gestern nacht saßen wir wieder im Luftschutzkeller und haben wieder Glück gehabt. Jetzt packen wir aber schon wieder die Koffer für eine Reise nach Plettenberg, und zwar diesesmal aus einem traurigen Anlaß. Meine Mutter ist gestern Nachmittag gestorben. Bei der Feier des 90. Geburtstages meines Vaters war sie noch sehr munter, trotz ihrer 80 Jahre. 2 Inzwischen hat sie eine Lungenentzündung bekommen und ist schnell gestorben. Ich habe die Stunde ihres Todes mit exakter Deutlichkeit gefühlt und der Abschied war wie eine Zusammenfassung der vielen Erinnerungen, die eine Mutter mit ihrem Sohn und einen Sohn mit seiner Mutter verbinden. Die Zukunft dieser Verbindung ist dabei ebenso wirklich wie die Vergangenheit.

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Herzliche Grüße, liebe Frau Jünger, für Sie und den lieben Jungen, von Frau Schmitt, Anima und Ihrem getreuen Carl Schmitt. Alle guten Wünsche für den Hauskauf! 1 Gemeint ist Ernst Jüngers 48. Geburtstag am 29. März. Sein letzter Brief an Carl Schmitt stammt vom 8.3., dessen letztes Schreiben vom 21.3.43. Siehe: Briefe, jünger - Schmitt, S. 1Í6ff. 2 Der 90. Geburtstag des Vaters Johann war am 6. März 1943.

CARL SCHMITT AN GRETHA JÜNGER 22. Mai 1943. Samstag Liebe und verehrte Frau Jünger! Leider läßt sich die Reise nicht mehr einrichten; eben kam Ihre Karte an, und das ist für dieses Wochenende zu spät, und Freitag früh 7.50 fährt das Flugzeug nach Madrid. 1 Wie lange bleibt E . J . in Kirchhorst, und k o m m t er bei dieser Gelegenheit nicht nach Berlin? Jetzt werden persönliche Begegnungen mit jedem Tage wesentlicher. Die Briefe aus N o r w e g e n habe ich vor einigen Tagen erhalten, vielen D a n k ! 2 Ihnen allen und besonders Carl Alexander herzliche Grüße, in der Hoffnung, daß es doch noch bald zu einem guten Wiedersehen kommt. Stets Ihr getreuer Carl Schmitt. 1 Zu Carl Schmitts Reise nach Madrid Ende Mai siehe Carl Schmitt an Ernst Jünger, 14.5.43, in: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 162f. Besonders gespannt war er dort auf eine »Wiederbegegnung mit meinen Schülern« (S. 163). Siehe zu diesen Anm. 78 in: Alvaro D'Ors: Das >Glossarium< von Carl Schmitt, in: Piet Tommissen (Hrsg.): Schmittiana. Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts, Bd. VII, Berlin 2001, S. 219-275, hier S. 245. Siehe auch: Christian Tilitzki: Die Vortragsreisen Carl Schmitts, S. 230 ff. Am >Instituto des Estudios politicos< in Madrid sprach er am l.Juni zum Thema >Cambio de estructura del derecho internacional·. Siehe: Carl Schmitt: Cambio de estructura del derecho internacional, Instituto des Estudios políticos, Madrid 1943. 2 Es handelt sich um 13 Briefe Ernst Jüngers an seinen Bruder Friedrich Georg, unter dem Titel >Myrdun. Briefe aus Norwegen^ zunächst 1943 als Feldausgabe erschienen, schließlich 1948 im Verlag Arche in Zürich.

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G R E T H A UND ERNST JÜNGER AN C A R L SCHMITT

Kirchhorst, d. 23. Mai 1943. Lieber Herr Professor, wir bedauern Ihre so frühe Abreise nach Madrid, und möchten Sie bitten, uns wissen zu lassen, wann Sie wieder in Berlin eintreffen werden; E.J. ist bis zum 15. Juni in Kirchhorst, und vielleicht ist daher doch noch ein Wiedersehen möglich. 1 Wir würden uns ganz besonders freuen, Sie und Frau Schmitt unter den schönen Buchen bewirten zu können, und Sie müssen mir auch versprechen, sie auf jeden Fall mit zu dieser Reise nach Kirchhorst zu bewegen, die so lang schon verabredet ist. Die besten Weine aus Paris, und der beste Spargel sollen eigens dazu aufgehoben werden. Ich hoffe, dieser Brief erreicht Sie noch rechtzeitig vor Ihrem Abflug; er soll Ihnen auch noch unsere Wünsche für diese Reise überbringen. Ihnen Allen die herzlichsten Grüsse, von Haus zu Haus, Ihre Gretha Jünger. Lieber Herr Schmitt, auch von mir herzliche Grüße! Sollten Sie länger in Madrid bleiben, so hoffe ich, Sie dann jedenfalls in Paris zu sehen, wo Sie doch wohl Halt machen werden. Ich bin sehr neugierig auf Ihre spanischen Eindrücke. 2 Alles Gute Ihr E.J. 1 Ernst Jüngers Kirchhorster Einträge im >Zweiten Pariser Tagebuch< vom 20.5.-16.6. vermerken keinen Besuch von Carl Schmitt. 2 Schmitt reiste nicht über Paris nach Deutschland zurück.

C A R L SCHMITT AN GRETHA JÜNGER

5/7 1943 Liebe und verehrte Frau Jünger! Lange habe ich nichts mehr von Ihnen gehört, aber auch lange selber nichts mehr von mir hören lassen. Ich habe eine sehr schöne Reise nach Spanien gemacht und war 14 Tage in Madrid und Salamanca, wo es geradezu paradiesisch war. Uber Paris bin ich nicht gekommen, weil ich mit dem Flugzeug die Strecke Madrid-Barcelona-Lyon-Stuttgart benutzt habe.1 Wie geht es Ihnen und Carl Alexander? Ich habe auf meiner Reise in Spanien viel an Sie gedacht und hatte besonders in dem schönen Salamanca den Wunsch, daß er dort einmal ein Semester studieren müßte. Bei uns zu Hause geht es von einem Tag zum andern weiter, mit dem Gefühl einer Galgenfrist. Frau Schmitt macht sich viele Arbeit mit ihren armen Schützlingen. 2 Anima bekommt bald

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Ferien und weiß nicht wohin. Die Nachrichten aus dem Westen, Köln und Westfalen, sind grauenhaft. 3 Von Ernst Jünger habe ich monatelang nichts mehr gehört. Mitte Juni kam ein Aufsatz über die englische Auffassung vom Soldaten von ihm an; sonst nichts. 4 H p t m . Grüninger schrieb dieser Tage, daß er Jünger aus dem Morbidezza von Paris für kurze Zeit in den Osten einladen wolle, wofür Sie, Frau Jünger, ihm wie er meint wohl dankbar sein würden. Mich will er auch nach C h a r k o w einladen, w o er jetzt als I c bei Speidel ist. 5 Es hat uns beiden, Frau Schmitt und mir, so leid getan, daß wir im Juni nicht nach Kirchhorst kommen konnten. Im August will ich nach München fahren, um einige alte Freunde endlich wiederzusehen; im September-Oktober möchte ich wieder nach Spanien und Portugal. 6 Das alles schreibe ich nur, um endlich wieder ein Zeichen zu geben und bald auch etwas von Ihnen und Carl Alexander zu hören. Immer Ihr getreuer Carl Schmitt. 1 Schmitt, der sich im Mai/Juni 1943 in Spanien aufhielt, sprach in Madrid auf Einladung des dortigen >Instituto des Studios Politicos< über den Strukturwechsel des Völkerrechts, in Salamanca bei der Juristischen Fakultät der Universität über die Grundlagen des Völkerrechts. 2 Gemeint ist ihre »Arbeit für serbische Zwangsarbeiterinnen, denen sie gute Behandlung und Nachricht von ihren Kindern erwirkt.« Siehe Carl Schmitt an Ernst Jünger, 14.5.43, in: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 162f. hier S. 163. 3 Am 25.6.43 notierte Gretha Jünger hierzu in: >Die Palettec »Die Angriffe auf das Ruhrgebiet, die unter der Bevölkerung wahres Entsetzen hervorrufen, die Berichte von Augenzeugen, die diesem Inferno entrinnen konnten, und die bange Frage jedes Einzelnen: wann kommen wir daran? / Man benutzt die Pausen zwischen den einzelnen Angriffen, um sich des Lebens in seiner Vielgestalt zu erinnern, das Krieg und Alltag in ein graues Kleid hüllen.« 4 Das letzte Schreiben Ernst Jüngers an Carl Schmitt in Briefe, Jünger - Schmitt stammt vom 8.4.43 (S. 161 f.). 5 Der I c war als Generalstabsoffizier für Aufklärung und Abwehr zuständig. Mit dem Begriff Morbidezza, der hier für sittlichen Verfall steht, spielt Gretha Jünger möglicherweise auch auf die Liebesaffäre ihres Mannes mit der Pariser Kinderärztin Sophie Ravoux an, die mit dem Rückzug der deutschen Besatzungstruppen aus Paris im August 1944 endete. Siehe: Felix Johannes Krömer: Der Tiger maskiert das Lämmchen. Wie Ernst Jünger eine Liebesaffäre aus den Pariser Jahren in den Tagebüchern verfremdete, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 2, 3.1.2006, S. 35. Zu Sophie Ravoux siehe auch Carl Schmitts >GlossariumZweites Pariser Tagebuchc »Unter der Post ein Brief von Grüninger, der anfragt, ob ich in einer bestimmten Aufgabe, die General Speidel für mich hat und die das Schicksal der Kämpfer von Stalingrad betrifft, in den Osten kommen will.« Die 6. Armee hatte am 31.1. bzw. 2.2. im Raum Stalingrad kapituliert. Dabei gerieten etwa 90000 deutsche Soldaten in sowjetische Gefangenschaft. Mit welcher Aufgabe Ernst Jünger durch Hans Speidel beauftragt werden sollte, zeigt ein Brief Horst Grüningers vom 28.6.43 an Ernst Jünger, in dem es u.a. heißt: »Wir hätten eine Aufgabe für Sie, die sich lohnen würde. Wir haben die Propaganda-Kompagnie der ehemaligen 6. Armee bei uns und da ein ungeheures Fotomaterial, das Sie einmal nach Ihren Gesichtspunkten auswerten könnten.« Siehe: Jünger / Nebel: Briefe 1938-1974, S. 521. 6 Eine Spanienreise Carl Schmitts im Sept./Okt. 1943 ist nicht weiter belegt.

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C A R L SCHMITT AN GRETHA JÜNGER

Sonntag, den 8. August [1943] 1 Liebe und verehrte Frau Jünger! Vielen Dank für Ihren Brief an Frau Schmitt, das freundschaftliche Angebot und für die Grüße, die Frau Sch[oo]r 2 übermittelt hat. Ich antworte heute nur, um ein Wort des Dankes zu sagen und Ihre Grüße herzlich zu erwidern. Frau Schmitt ist mit Anima nach Cloppenburg ins Oldenburgische gereist, um das Kind dort unterzubringen, Mittwoch will sie zurück sein und dann schreibe ich nochmals. 3 Ich bin von Ihrer Güte und Hilfsbereitschaft sehr gerührt. Zur Zeit sitze ich allein hier im Hause, mit unserer angsterfüllten Köchin Anne. Ganz Berlin flüchtet, Zehntausende von Wohnungen stehen einfach leer, die Parole »erst siegen, dann reisen« scheint auf den Kopf gestellt. 4 Ich kann mich nicht entschließen, mitzuflüchten und genieße die Einsamkeit am Schreibtisch. 5 Claus Valentiner war vorige Woche hier, Graf Podewils vor einigen Tagen, beide haben Ernst Jünger in Paris gesehen und erzählen übereinstimmend, daß eine große Ruhe von ihm ausgeht. Von meinem Patenkind hörte ich durch Frau Sch[oo]r, daß er ein großer und unternehmender Junge wird, worüber ich sehr erfreut bin. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder. Ich grüße Sie und Carl Alexander herzlich in treuer Freundschaft und bleibe [stets] 6 Ihr alter und unveränderlicher Carl Schmitt. 1 Datierung nach dem Schreiben Carl Schmitts an Ernst Jünger vom 4.8.43 in: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 163f. 2 Schmitt schreibt »Schur«. Es handelt sich jedoch wohl um die in den >Kirchhorster Blättern< Ernst Jüngers am 1.1.45 erwähnte Hilde Schoor, eine Freundin von Gretha Jünger. Siehe: >StrahlungenDie Palette< (S. 68) fest: »Das Berliner Haus von Carolus von einer Luftmine zerstört, aber die beiden konnten sich retten. Wieviele Erinnerungen beginnen und enden am Tore dieses Gartens dort für mich!« 2 Gretha Jüngers Freundin Hilde Schoor. 3 Nach der Zerstörung seiner Wohnung zog Schmitt mit seiner Frau zunächst nach BerlinSchlachtensee, nach dem Krieg schließlich nach Plettenberg. 4 Ernst Jüngers Schreiben vom 24.8.43 in: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 164ff. 5 Gemeint ist Benno Ziegler, bis 1946 Chef der Hanseatischen Verlagsanstalt in Hamburg und ein einflußreicher Verleger im Dritten Reich. Siehe: Siegfried Lokatis: Hanseatische Verlagsanstalt. Politisches Buchmarketing im »Dritten Reichs Frankfurt a. M. 1992.

C A R L UND D U S K A SCHMITT AN GRETHA JÜNGER

Plettenberg II (Westfalen) den 2. Oktober 1943. Liebe und verehrte Frau Jünger! Bei der Nachricht über die Luftangriffe auf Hannover haben wir viel an Sie gedacht. 1 Vielen Dank für Ihre Karte! Wir warten noch auf den Rest unserer Möbel; der Möbelwagen soll am 5. Oktober von Berlin nach Plettenberg abgehen. Frau Schmitt hat hier noch viele Laufereien. Ich war eine Woche in

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Berlin und 3 Tage bei Dr. Schranz 2 in Siedlinghausen. Die Luftangriffe auf Hagen konnten wir von unserm Fenster aus gut beobachten. Duska war eine Woche in Cloppenburg bei Anima, der es sehr gut geht. Was macht unser liebes Patenkind? Haben Sie Nachricht von Ernst Jünger? 3 Herzlich Ihr Carl Schmitt. Liebe Frau Jünger, sobald ich mehr Ruhe habe werde ich Ihnen ausführlich schreiben wie wir uns hier eingerichtet haben. Es war so vieles vorzubereiten für diesen kleinen Umzug. Nun hoffen wir, daß der Möbelwagen von Berlin planmäßig abfahren kann und hier gut ankommt. Mit dem auspacken der Bücher werde ich wohl eine Woche zu tun haben. Wenn das erledigt ist werde ich verschiedene kleine Reisen machen. Alles Gute für diese böse Zeit und viele herzliche Grüße für Sie und Carl Aleksander von Ihrer Duska Schmitt. 1 Die Großangriffe vom 22. und 27. September vermerkt Gretha Jünger in >Die Palette< am 2.10.43. 1 Der Arzt Franz Schranz lud seit den dreißiger Jahren zahlreiche Intellektuelle in sein Haus nach Siedlinghausen im Sauerland ein. Siehe: Veronica Runte-Schranz: Dr. Franz Schranz und sein Siedlinghauser Kreis, in: Piet Tommissen (Hrsg.): Schmittiana. Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts, Bd. III, Berlin 1991, S. 63-88. 3 Den letzten Brief Ernst Jüngers an Carl Schmitt vom 30.8.43 und den nächsten vom 20.11.43 siehe in: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 168f. u. 171 f f .

C A R L UND D U S K A S C H M I T T AN G R E T H A J Ü N G E R , K i r c h h o r s t

26/XI.[1943] 1 Liebe und verehrte Frau Jünger, wieder sitzen wir auf dem Hagener Bahnhof und schreiben Ihnen dort einen Gruß. Ihren Brief fand ich in Plettenberg vor, vielen herzlichen Dank! Ich war die 1. Hälfte November in Ungarn; 2 was es jetzt weiter gibt, weiß ich nicht. Von Ernst Jünger bin ich seit Ende August ohne Nachricht. Was macht mein liebes Patenkind? Geben Sie uns bald Nachricht! Alle guten Wünsche Ihres alten und getreuen Carl Schmitt Liebe Frau Jünger, heute vor acht Tagen sind wir von Berlin zurückgekehrt. Ich war drei Wochen in Berlin, und habe zum 1. Dez. eine Villa in Schlachtensee gemietet. In Dez. wollte ich nach B[erlin] um die Wohnung einzurichten und den Umzug zu machen. Eben ist Alarm, wir sitzen im Bunker. Wir haben Sehnsucht sie alle wiederzusehn. Herzlich Ihre Duska Schmitt Weihnachten wollen wir in Plettenberg sein. 1 Das Jahr nach dem Poststempel der an »Frau Hauptmann Jünger« adressierten Kane und dem folgenden Brief vom 12.12.43. Das Datum findet sich am Ende des Textes.

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2 Im November 1943 sprach Carl Schmitt an der Universität Budapest auf Einladung der Juristischen Fakultät über >Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft (Druck: Tübingen 1950) und im dortigen Deutschen Institut über das Völkerrecht des Krieges, speziell des Luftkrieges. Siehe: Christian Tilitzki: Die Vortragsreisen Carl Schmitts.

G R E T H A U N D ERNST JÜNGER AN C A R L SCHMITT

GRETHA JÜNGER

KIRCHHORST / ÜBER HANNOVER 1 12.12.1943.

Lieber Herr Professor, Ihre Karte aus Hagen war über 14 Tage an mich unterwegs; das nenne ich im Zeitalter der Organisationen eine Fehlzündung. Hoffentlich treffen unsere Weihnachtswünsche auf diesem Wege rechtzeitig ein, und erreichen Sie in Plettenberg im Familienkreise; nicht ohne Sorge habe ich an Sie während der Berliner Grossangriffe gedacht, die Nachrichten, die ich von dort erhielt, waren übler Natur. Umso bewunderungswürdiger ist die Unbeirrbarkeit, mit der Frau Schmitt den Umzug nach Schlachtensee leisten will, und wenn ich die Beschwörungsformel kennen würde, mit der ich die guten Geister dem Möbelwagen folgen lassen könnte, so wäre sie gleich hiermit ausgesprochen. Sobald die Bahnhöfe wiederhergestellt, die Geleise frei sind, die Sperre für den Zivilverkehr aufgehoben ist, und die An- und Verordnungen künftigen Paragraphen und Änderungen weichen sollten, - dies alles vorausgeschickt, - melde ich mich als Gast für irgendeine Feldmatratze bei Ihnen an. Kirchhorst hat einstweilen alle Schrecknisse überstanden, die das arme Patenkind in seiner Abneigung gegen alles Kriegerische nur noch bestärken konnten; im Augenblick sind der Papa und der grosse Bruder auf Urlaub hier, und dieses doppelten Schutzes gewiss, ist er wieder sehr zuversichtlich. 2 Wir hätten Sie gern bei uns gesehen, doch wusste ich bis gestern nicht, wo ich Sie erreichen sollte, und nun nähern sich die Urlaubstage bereits wieder dem Ende zu. Wie geht es Anima? Ich wollte ihr schreiben, dass die geliebte Schmurzel ihr Grab im Garten gefunden hat, sie war sehr krank, und musste erschossen werden; das wird sie betrüben wie uns alle, sie war ein sanftes und zärtliches Geschöpf. Der weisse Kater dagegen entwickelt sich prächtig, er ist gross und stark; sie muss ihn einmal besuchen. Ihnen allen wünschen wir gute Weihnachtstage, und werden am 24. Dezember mit unseren Gedanken bei Ihnen sein. Herzlichste Grösse Ihrer Gretha Jünger.

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Lieber H e r r Schmitt, Sie schrieben an meine Frau, daß Sie seit August keine Nachricht von mir erhalten hätten. Inzwischen aber haben Sie hoffentlich den Brief gelesen, den ich vor meiner Abreise von Berlin nach Plettenberg schrieb. 3 Ich lese gerade in der Geschichte des »Jüdischen Krieges« von Flavius Josephus, dort fiel mir auf im V. Buch, Kapitel 13, Abschnitt 6. 4 Mit herzlichen Grüßen für Sie alle Ihr Ernst Jünger. Hier benutzt Gretha Jünger ein eigenes Briefpapier. In der Nacht vom 8. auf den 9. Oktober erlebte die Stadt Hannover den schwersten Bombenangriff des Krieges, der den Stadtkern weitgehend zerstörte. 3 Carl Schmitt hatte also Ernst Jüngers Brief vom 20.11.43 noch nicht erhalten. Siehe: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 171 f f . 4 Es handelt sich um das Kapitel >Judäische Überläufern Dort heißt es unter 6. über Joannes aus Gischala, des Levi Sohn: »Unterdessen verlegte sich Joannes, als beim Volk nichts mehr zu holen war, darauf, den Tempel zu berauben. Eine Menge der dort befindlichen Weihegeschenke, gottesdienstliche Geräte, Mischgefäße, Schüsseln und Tische ließ er einschmelzen; auch die von Augustus und seiner Gemahlin gestifteten Weinkrüge schonte er nicht. Die römischen Caesaren hatten den Tempel stets in Ehren gehalten und seinen Schmuck vermehrt; jetzt raubte ein Judäer die Geschenke der Ausländer. Gottgeweihte Gegenstände, sagte er zu seiner Umgebung, dürfe man ohne Bedenken zu Ehren der Gottheit verwenden, und es sei nicht mehr als recht, daß die, die für das Heiligtum kämpfen, auch von ihm versorgt würden. So holte er das im inneren Tempel befindliche heilige Ol und den heiligen Wein, den die Priester aufbewahrten, um ihn über die Brandopfer zu gießen, und verteilte beides unter seine Leute, die jeder mehr als ein Hin davon versalbten und vertranken. Ich kann nicht verschweigen, was ich dabei fühle: Wenn die Römer das Gesindel nicht vernichtet hätten, so wäre die Stadt, glaube ich, von der Erde verschlungen, von einer Sintflut überschwemmt oder, wie Sodom, vom Feuer des Himmels verzehrt worden; denn sie beherbergte ein viel gottloseres Geschlecht, als das war, über das jene Strafgerichte hereinbrachen. Der Wahnsinn dieser Frevler stürzte das ganze Volk ins Verderben.« Siehe: Flavius Josephus: Geschichte des judäischen Krieges, Ubers, v. Heinrich Clementz, Leipzig 1978, S. 415f. Mit »Hin« wird ein jüdisches Hohlmaß benannt. 1

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>Der jüdische Krieg« des Flavius Josephus, ein ca. 71-79 n. Chr. entstandenes Geschichtswerk, schildert in sieben Büchern die Ursachen und den Verlauf des Krieges der jüdischen Bevölkerung Palästinas gegen die römische Besatzungsherrschaft. Der Krieg der Jahre 66—70 (bzw. 74) n.Chr. führte zur Zerstörung Jerusalems und des Tempels durch die römischen Truppen. Siehe auch Ernst Jüngers Schreiben an Carl Schmitt vom 10.2.45 in: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 187ff.

CARL SCHMITT AN GRETHA JÜNGER, K i r c h h o r s t 19/1 1944. 1 Liebe und verehrte Frau Jünger! Nachstehend unsere neue Adresse. 2 Frau Schmitt wohnt schon da; ich erst nächste Woche. Wann sehen wir uns wieder? Wie geht es bei Ihnen und was

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macht unser lieber Carl Alexander? Von E. J. bekam ich einen schönen, langen Brief vom 10. Januar.3 Herzliche Grüße von Duska und von Ihrem getreuen Carl Schmitt. Die Datierung findet sich am Ende des Textes auf der Karte. Sie lautet auf der Karte: »Abt. Prof. Carl Schmitt / Berlin-Schlachtensee / Schönererzeile 19 / Tel. 85 27 29.« Schmitt adressiert »An Frau Hptm. Jünger«. Die Schönererzeile (heute Kaiserstuhlstraße) war benannt nach dem österreichischen antisemitischen Politiker Georg Ritter von Schönerer. 3 Ernst Jüngers Schreiben in: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 176f. 1

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C A R L SCHMITT AN G R E T H A J Ü N G E R

Berlin-Schlachtensee Schönererzeile 19 den 5.3.1944. Liebe und verehrte Frau Jünger! Der Besuch von Ernst Jünger hatte einen traurigen Anlaß, aber es war für uns eine Freude, ja eine Stärkung, ihn wiederzusehen. Inzwischen habe ich seinen Brief aus Kirchhorst mit Ihren Zeilen erhalten.1 Vielen herzlichen Dank. Frau Schmitt ist bis 13. März nach Plettenberg und Cloppenburg gereist. Wir beide bitten Sie, uns zu besuchen, wenn Sie Berlin nicht fürchten. Wenn Sie es mit den Angriffszeiten richtig treffen (vom 16. Feb.-3. März hatten wir schönste Ruhe) können Sie sich bei uns geradezu erholen. Herr Dr. Siedler aus Dahlem hat heute wieder bei mir angerufen; wie er mir sagte, hat er Ihnen auch geschrieben. Ich kenne ihn nur telefonisch, habe aber aus der Art seines Sprechens einen guten Eindruck gewonnen. Da die Akten noch nicht in Berlin eingetroffen sind, geht es anscheinend mit der Bestätigung des Urteils nicht sehr eilig.2 Für meinen lieben Carl Alexander füge ich eine Kleinigkeit zu seinem 10. Geburtstag bei. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder, liebe Frau Jünger. Sie haben soviel Leid und Sorge gehabt, daß wir Ihnen gern ein Zeichen unserer Freundschaft geben möchten. Wie soll man das heute realisieren? Am besten kommen Sie einmal zu uns.3 Wir wohnen wieder sozusagen bei uns selbst. Aber ohne jede sécurité. Das ist jedoch das Richtige. Grüßen Sie bitte auch Frau Scho[o]r 4 herzlich von uns! Mit allen guten Wünschen bleibe ich stets Ihr alter und unveränderlicher Carl Schmitt. Das letzte erhaltene gemeinsame Schreiben von Ernst und Gretha Jünger an Carl Schmitt stammt vom 12.12.43. 1

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Ernst, der Sohn der Jüngers, war im Februar 1944 wegen angeblicher »regimekritischer Äußerungen und Bildung eines >Widerstandskreises< verhaftet« worden. (Briefe, Jünger Schmitt, S. 608). Er wurde in einem ersten Urteil zu einer Gefängnisstrafe, schließlich zur »Frontbewährung« {ebd.) verurteilt. Der Vater erfuhr am 12. Februar 1944 in Paris von der Verhaftung des Sohnes in Wilhelmshaven. Nach der Vorbereitung einer Berlinreise trat er diese schließlich am 29. desselben Monates an. Er wohnte während seines Berlinaufenthaltes bei Carl Schmitt in Schlachtensee. Am 17. September wurde Ernst Jünger jun. aus der Haft entlassen und folgte am 25. Oktober seiner Versetzung zum Fronteinsatz bei einer Panzereinheit in Italien, wo er am 29. November »durch Kopfschuß bei einer Spähtruppbegegnung im Marmorgebirge von Carrara« (ebd.) fiel. Die Eltern erfuhren erst am 11. Januar 1945 vom Tode des älteren Sohnes, wie ein Tagebucheintrag Ernst Jüngers in den >Kirchhorster Blättern< vom folgenden Tage zeigt. Siehe auch Joseph Groben: Ernst und Gretha Jünger. Ernstel - ein Opfer für den Frieden, in: Ders.: Requiem für ein Kind. Trauer und Trost berühmter Eltern, Köln 2001, S. 385-392. 2

Der Jurist Wolf Jobst Siedler war der Vater des mit Ernst Jünger jun. verhafteten späteren Verlegers Wolf Jobst Siedler in Berlin. In >Die Palette< (S. 81) notierte Gretha Jünger am 21.4.44 zu ihm: »Mit ihm inhaftiert wurde sein Klassenkamerad und Freund Wolf Siedler; beide gelten als die >AnführerVerhaftung und Gefängnis< in Wolf Jobst Siedlers >Ein Leben wird besichtigt. In der Welt der Eltern< (Berlin 2000, S. 153-183). Weiter siehe: Ders.: Wir waren noch einmal davongekommen, München 2004. 3 Ein Schreiben Ernst und Gretha Jüngers an Carl Schmitt vom 26.3.44 zeigt, daß es zu einem Zusammentreffen in Berlin kam. Siehe: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 181-183. 4 Schmitt schreibt »Schor«.

GRETHA JÜNGER AN CARL SCHMITT Kirchhorst, d. 1 2 . 3 . 1 9 4 4 . Lieber H e r r Professor, Ihr Brief, für den ich herzlich danke, ist vom 5. März; am 6. war der Angriff auf Schlachtensee, und ich bin in Sorge um Ihr Haus. Wenn möglich, unterrichten Sie mich doch sogleich davon, wie alles steht. Gestern Abend kehrte ich von Wilhelmshaven zurück, w o ich Ernst ein zweites Mal aufsuchte; 1 an ihm wird mir deutlich, in welch hohem Masse wir unseren Kindern gegenüber verantwortlich sind, wenn sich zwei entgegengesetzte Temperamente, wie es das von E . J . und mir ist, vereinigen. Es ist eine Last, die wir ihm damit auferlegen, an der [er] 2 als Siebzehnjähriger schwer zu tragen hat. Die Melancholie, die Reserve einerseits, und die Lebensfülle und Neigung zur Rebellion auf der anderen Linie: was soll dabei herauskommen, wenn man sich wie er noch inmitten allen Stürmens und Drängens befindet? So gleiche ich oft dem Blinkfeuer am Eingang des Hafens, das nach West und N o r d hin sein Zeichen gibt: dieses vergangene Jahr war nicht leicht. Neben dem Kampf gegen die westliche Morbidezza, der mit einem triumphalen Siege für mich endete,

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(jetzt sehe ich Sie lachen, und Grüninger sein spöttisches Gesicht aufsetzen,) 3 dem Tod meines einzigen Bruders im Osten, 4 die Verhaftung des Sohnes. Sie werden mir zugeben, dass das Blinkfeuer da nicht immer die nötige Nahrung erhält. Jedoch: »ich halte die Stellung,« und gedenke sie weiterhin zu halten. In Wilhelmshaven begann ich die Fortsetzung unseres damaligen Rennens um den Pass nach Paris, - es war diesmal eine Gewaltleistung auf wenige Stunden zusammen gedrängt: ich bin, dem Himmel sei Dank, mit menschlichen Wesen zusammen getroffen, und nicht mit Feldwebeln. Von diesen war es nur ein einziger, und ihn habe ich im sofortigen Angriff zertrümmert. Der Sohn sass dabei, mit der gleichen, etwas hilflosen Verlegenheit, wie sie sein Vater zeigt, wenn seine Frau die gesetzlichen Barrieren niederrennt, und dieser Anblick rührte mich, und liess mich meinen Erfolg nicht auskosten. Im Ganzen glaube ich, ist das Wohlwollen, das man dort der Sache entgegenbringt, allgemein, und meine beiden Reisen haben ein gutes Resultat gehabt. Hoffen Sie mit mir, dass der arme Junge diesen ersten Abschnitt seines Ausfluges in die Welt mit guter, seelischer Kraft überdauert. Alles Andere ist unwichtig. Im Gegensatz zu Carl-Alexander, dessen Weg immer ein natürlicher, friedfertiger und heilsamer sein wird, weil er zu den Menschenkindern zählt, denen niemand etwas zu Leide tun kann, ohne erröten zu müssen, wird der unseres Aeltesten immer ein beschwerlicher sein. Das Patenkind freute sich sehr über den Brief und die Geschenke, und wird Ihnen selber noch schreiben. Oft denke ich an Anima, wie sie fern von Ihnen ihr kleines Leben lebt, was ihre Gedanken sind, und wie sie die Trennung empfindet. Senden Sie mir doch ihre Anschrift. Ich hoffe auf ein Wiedersehen; vielleicht wähle ich einen Sonnabend in nächster Zeit, um nach Berlin zu kommen. Alle guten Wünsche für Sie! In treuem Gedenken Ihre Gretha Jünger. Der Sohn war dort wegen regimefeindlicher Äußerungen inhaftiert. Siehe die Ausführungen zum Schreiben Carl Schmitts an Gretha Jünger vom 5.3.44. 2 Ergänzt. 3 Siehe zur Morbidezza von Paris auch das Schreiben Carl Schmitts an Gretha Jünger vom 5.7.43. 4 Kurt von Jeinsen fiel am 4.11.1943. In: >Die Palette< notierte Gretha Jünger hierzu am 26.12.43: »Am 22. die Nachricht, daß mein Bruder am 4. November am Dnjepr gefallen ist, dieser gute und unvergeßliche Bruder, der Zeit seines Lebens mein bester und mich innig liebender Freund war. / Mir ist zumute, als sei ein Stück von mir selbst mit ihm fortgegangen. Aller Frohsinn, alle Scherze der Kindheit sind verklungen, alle Freude des Wiedersehens in den kurzen Urlaubstagen für immer vorbei, und alle Tränen rufen ihn nicht mehr zurück. Der Gedanke, daß er dort draußen liegt, irgendwo, irgendwo, ohne daß ich in seiner letzten Stunde bei ihm war, ist unerträglich in seiner Qual.« Das Schreiben trägt eine ms Notiz unbekannter Herkunft: »an Prof. Carl Schmitt gerichtetes Schreiben der Frau Gretha Jünger - von Jeinsen«. 1

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C A R L SCHMITT AN GRETHA JÜNGER

Berlin-Schlachtensee Schönererzeile 19 den 16.3.44; vorm. 10 Uhr Liebe und verehrte Frau Jünger! Eben kam Ihr Brief vom 12. März an; tausend Dank! Ich beantworte ihn sofort, um Ihnen vorzuschlagen, nächstes Wochenende (24.-26. März) zu uns zu kommen; dann bin ich nämlich noch in Berlin, am 28. März soll ich nach Spanien und Portugal reisen.1 Sie sind immer willkommen, aber ich hätte Sie gern wiedergesehen. An Ernst Jünger habe ich nach Paris vorgestern geschrieben. 2 Mit Dr. S[iedler] habe ich Sonntag vor 8 Tagen zuletzt telefoniert; er ist ein verständiger Mann, ein großes Glück. Unsere Wohnung ist bei dem Tagesangriff am 6. März etwas demoliert worden, aber bewohnbar geblieben. Frau Schmitt ist vorgestern abend von Plettenberg und Cloppenburg zurückgekommen. Der Zug fuhr nur bis Wustermark; von dort bis Schlachtensee mußte sie noch 6 mal umsteigen, fand aber immer gute Leute, die ihre schweren Koffer trugen. Hoffentlich können wir uns alles weitere mündlich erzählen. A propos »westliche morbidezza« nur noch: die Jeux africaines habe ich in der Übersetzung von Henri Thomas dieser Tage gelesen; das Buch ist in französischer Sprache ganz anders, für mich unendlich schöner, mythischer sogar, als im deutschen. Auch darüber hoffentlich bald mündlich mehr! 3 Grüßen Sie mir mein liebes Patenkind, an das ich bei der Lektüre der Jeux africaines oft gedacht habe; grüßen Sie auch Frau Scho[o]r 4 und seien Sie selber von Frau Schmitt und mir herzlich gegrüßt. Stets Ihr alter und getreuer Carl Schmitt.

1 Schmitt hielt sich im Mai/Juni 1944 auf Einladung des Madrider >Instituto des Studios Politicos< in der spanischen Hauptstadt, Granada und Barcelona auf, wo er Vorträge über >Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft< (Druck: Tübingen 1950), über Francisco de Vitoria und die Geschichte seines Ruhmes< (siehe: Die Neue Ordnung. Zeitschrift für Religion, Kultur, Gesellschaft, III, 4, Heidelberg 1949, S. 289-313) und >Donoso Cortés in gesamteuropäischer Interpretation (siehe: Die Neue Ordnung, III, 1, Heidelberg 1949, S. 1-15) in spanischer Sprache hielt. Auf Einladung der Juristischen Fakultäten im portugiesischen Coimbra und Lissabon hielt er dort ebenfalls den Vortrag zur Lage der Rechtswissenschaft bzw. über Francisco de Vitoria. Siehe: Christian Tilitzki: Die Vortragsreisen Carl Schmitts. 2 Das Schreiben vom 14.3.44 in: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 180. 3 Siehe: Ernst Jünger: Jeux Africains, Trad, de l'allemand par Henri Thomas, Paris 1944. Siehe auch den in der vorhergehenden Anm. genannten Brief Carl Schmitts an Ernst Jünger. 4 Schmitt schreibt »Schor«.

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E R N S T UND G R E T H A J Ü N G E R AN C A R L S C H M I T T

26.3.1944. 1 Lieber Herr Schmitt, eine der angenehmen Seiten meines kurzen Aufenthaltes im Berliner Schutthaufen war der Besuch bei Ihnen in Schlachtensee. 2 Es war erstaunlich zu sehen, wie wenig sich Ihr Haushalt verändert hat. Er ist Ihnen also zugeordnet; Sie führen ihn gleich einer Muschel im Secretum mit. Auch meine Frau freute sich sehr, als ich es ihr berichtete. Ich hoffe, daß Dr. Siedler Sie angerufen hat. Seine Anwesenheit in Berlin ist ein Glücksfall, da er real an der Ordnung des Falles beteiligt ist. Uebrigens fand ich ihn von erfreulicher Kaltblütigkeit, mehr auf Zeitgewinn als auf alles andere bedacht. Es kommt heute in der Tat alles darauf an, ob jemand Zeit hat und warten kann. Außerdem: ob er 3 nur zwei Möglichkeiten oder auch die dritte Möglichkeit sieht. Man muß auf der Seite des Bankhalters stehn.4 Auf der Rückfahrt las ich im Bruno Bauer und fand bedeutende Stellen in seiner kleinen Schrift. Er regte mich an, mich näher mit Philo zu beschäftigen, dessen Opus ich in Paris nachstellen will. Es kommt mir so vor, als ob ich durch Unterhaltungen mit Friedrich Georg ein Vorurteil gegen diesen Philosophen gefaßt hätte. Läßt sich der Einfluß Bruno Bauers auf Nietzsche nachweisen? Und erwähnt Nietzsche dessen Schriften in seinen Briefen oder in seinem Werk? Bauer und seine Brüder waren doch bekannt genug, hatten auch Aktualität. Es freut mich, daß ich Sie gerade in diesem Zusammenhange auf Schubart verweisen kann. 5 Ich dachte noch über unser Gespräch auf dem Bahnhof von Schlachtensee nach. Die Jugend, die Sie da erwähnten, ist alt und geht bis auf die Steinzeit zurück. Das Land hat vielleicht niemals so wenig eine Jugend gehabt; nach kurzem Larvenstande sind wie bei den Insekten sogleich die ausgewachsenen Imagines da. Mein Verhältnis zu diesen Leuten kommt mir vor wie das eines Briefträgers, der ihnen eine wichtige Botschaft zu bringen hat; statt sie in Empfang zu nehmen, streiten sie über seine Knöpfe und über die Farbe seiner Uniform. Wenn diese mein Leben zu führen hätten, würden sie es natürlich viel flachen anlegen - davon bin ich überzeugt, da sie weder wissen, was Mut, noch was Geist, noch was Würde ist. Ihr Mut ist subaltern; sie weichen den eigentlichen Gefahren aus. Im Geistigen stehen sie noch tief unter den Wandervögeln, 6 noch unter den Burschenschaftlern, noch unter dem Jugendstil. Ethisch endlich gab es noch nie Dickhäuter dieser Sorte, die einem so unglaublichen Maß an fremdem Leiden benachbart sein können, nicht nur ohne an ihm teilzunehmen, sondern auch ohne es überhaupt zu sehen. Daher auch ihre Verwechslung zwischen Dickhäuterei und heroischem Stil. Es hat noch keine Generation gegeben, die so ohne metaphysische Absichten war. Daher sucht auch der Schmerz sie auf; sie haben die Existenz verdient, in der sie stehen und verbraucht werden. Sie wären gewiß bescheidener, wenn sie die Rolle kennten, für die sie zugeschnitten sind.

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Der Vers v o n Baudelaire, den ich zitierte, ist der neunte im »Vin de l'Assassin«: »Cette crapule , . . « 7 Ich fahre Sonnabend Mittag nach Paris zurück. Hoffentlich sehen w i r uns bald einmal wieder dort oder in Berlin, w e n n nicht in Kirchhorst. Bis dahin w ü n sche ich Ihnen und den Ihren weiterhin alles Gute in dieser Zeit. Ihr Ernst Jünger Lieber Herr Professor, es freute mich sehr, nach langer Zeit so viel Gutes über Sie zu hören, v o r Allem, dass es Ihnen gelungen ist, in den Ruinen die Oase zu finden. Berlin aufzusuchen, ohne Sie Beide und Ihr Haus dort zu wissen, wäre doch ohne Verlockung f ü r mich. Wie es in Kirchhorst aussieht, haben Sie erfahren; »man lebt«, und das ist viel, aber w o h l nicht Alles. Der Strom, den w i r durchqueren, ist breiter geworden, dennoch sind die U f e r erkennbar. Frau Schoor wollte gern noch nach Schlachtensee hinausfahren, doch fehlte es an der Zeit. Wann sehen w i r uns wieder? Ihnen und Frau Schmitt getreuliche Grüsse Ihrer Gretha Jünger. 8 Die Monatsangabe ist hs aus »2« korrigiert. Zum Besuch Ernst Jüngers in Schlachtensee siehe Carl Schmitts Schreiben an Gretha Jünger vom 5.3.44. 3 hs korrigiert aus »man«. 4 Der Absatz bezieht sich auf die Inhaftierung von Ernst Jünger jun. in Wilhelmshaven. 5 Es handelt sich um »Philo, Strauß und Renan und das Urchristentum< (Berlin 1874) des evangelischen Theologen und Philosophen Bruno Bauer, der in Verbindung mit Ludwig Feuerbach, Karl Marx, Max Stirner und David Friedrich Strauss stand. Mit seinem Ziel der Zerstörung des Christentums kann der Antijudaist als ein Vorläufer Friedrich Nietzsches gesehen werden, dessen Kritik an der christlichen Glaubenslehre in dem Satz »Gott ist Tot« gipfelte. Mit Philo ist der jüdisch-griechische Philosoph Philo Judaeus, auch Philon von Alexandrien, gemeint. Bauer sieht Philo und Seneca in seiner Schrift aus dem Jahre 1874 anstelle von Jesus Christus und Paulus als Ahnherren des Christentums. Siehe: Die Werke Philos von Alexandria, In deutscher Ubersetzung, hrsg. v. Leopold Cohn u. I. Heinemann, 4 Bde., Breslau 1909-23. Weiter spricht Jünger von dem Juristen und Philosophen Walter Schubart. Siehe von diesem die Schriften >Europa und die Seele des Ostens< (Luzern 1938) sowie >Religion und Eros< (München 1941; neu: München 2001). Zu Schmitts kritischer Einschätzung Max Stirners siehe: >Ex captivitate Salus. Erfahrungen der Zeit 1945/47Friedrich Nietzsche. Biographie* (2. Bd., München, Wien 1978, S. 104) bestätigt, wenn er schreibt, Bauer sei von »Nietzsche hauptsächlich aus Anlaß der I. >Unzeitgemäßen Betrachtung* (D. Fr. Strauß) beeindruckt« gewesen. Zur Stellung Nietzsches gegenüber David Friedrich Strauss, einem der »Brüder« Bauers, siehe: >David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller« in Nietzsches >Unzeitgemässen Betrachtungen I< (in: Friedrich Nietzsche: Kritische Studienausgabe, 1, hrsg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari, München 1988, S. 157-242). Ernst Schulin weist im Zusammenhang mit der Wagnerverehrung des Philosophen auf Nietzsches Ablehnung von Strauss hin: »Nietzsche sah damals seine Propaganda für Wagner als seinen Vorschlag zur Lösung des Kulturproblems im neuen Deutschen Reich an. Dieser Staat hatte ja bei all seinen gefährlichen politischen, sozialen, nationalen und konfessionellen Problemen keine einheitliche Kultur, keine Sendungsidee, und Nietzsche lehnte die anderen Vorschläge ab: ausdrücklich etwa den >neuen Glauben« von David Friedrich Strauss, aber auch die >deutsche Religion« von Lagarde und nicht zuletzt den historischen Sinn der Historiker.« Siehe: Ernst Schulin: Zeitgemäße Historie um 1870. Zu Nietzsche, Burckhardt und zum »Historismus«, in: Historische Zeitschrift, Bd. 281, Heft 1, München 2005, S. 33-58, hier S. 48. Als Jugendlicher trat Ernst Jünger 1911 in Wunstdorf der Wandervogelbewegung bei. »Cette crapule invulnérable / Comme les machines de fer / Jamais, ni l'été ni l'hiver, / N'a connu l'amour veritable, / (...)« heißt es in Charles Baudelaires erstmals 1857 erschienenen >Garten des Bösen«. Die Zeilen aus >Der Wein des Mörders« lauten in Carlo Schmids Übertragung: »Dies liederliche Weib, gebannt / Vor Wunden wie Getrieb aus Stahl, / Hat nie im Jahr ein einzig Mal / Der Liebe wahres Maß gekannt.« Aus: Charles Baudelaire: Die Blumen des Bösen, Übertragen v. Karl Schmid, Tübingen, Stuttgart, [1947], S. 163. Siehe auch Gretha Jüngers Schreiben vom 18.2.48. 8 Die Zeilen Gretha Jüngers sind hs. 6

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CARL SCHMITT AN GRETHA JÜNGER Berlin-Schlachtensee den 24. September 1944. Liebe und verehrte Frau Jünger! Als ich gestern von meiner Reise zurückkam, hörte ich von der Nachricht, die Ihre Freundin uns übermittel hat. Wir sind sehr glücklich, jetzt etwas von Ihnen erfahren zu haben und wären dankbar, wenn wir noch Weiteres von Ihnen allen hörten. Ich habe Anima aus dem Oldenburgischen Land geholt, aber wir wissen noch nicht, was wir endgültig mit ihr tun sollen. N a c h meinem Patenkind habe ich große Sehnsucht. Frau Schmitt will das Geschenk aus Spanien mit der Post zu schicken versuchen. Wir hatten gehofft, Frau S.1 käme einmal vorbei und könnte es mitnehmen. Neulich rief Dr. Epting 2 aus Paris, der jetzt hier ist, bei mir an und erzählte einiges von dem Schicksal gemeinsamer Bekannter, ebenso ein früherer Assistent von mir, der dort war. Wir hatten in der vorvorigen Woche oft Fliegerangriffe. Die letzte Woche war es ruhig. Meine Reisen waren sehr anstrengend; zwei Nächte der letzten Woche habe ich

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im Wartesaal verbracht; Aussteigen war nur durch das Fenster möglich. Aber trotz solcher Beschwerden freuen wir uns jedes Tages, den wir in unserer jetzigen Wohnung verbringen können und hatten im Sommer sogar Anima mit 3 Kusinen da, die sich großartig erholt haben, sodaß es mir leid tat, mein Patenkind nicht dabei zu haben. Schreiben Sie also bald ein Wort der Nachricht, liebe Frau Jünger, und seien Sie mit den Ihrigen herzlichst gegrüßt von Frau Schmitt und Anima und von Ihrem alten und unveränderlichen C. S. Möglicherweise Hilde Schoor. Der Romanist Karl Epting war während der deutschen Besatzung in Frankreich Leiter des Deutschen Institutes in Paris. Die Stadt wurde im August 1944 befreit. Zu Eptings Rolle in dieser Zeit, in der er mehrere antifranzösische Hetzschriften unter dem Decknamen Mathias Schwab herausgab, siehe die entsprechenden Abschnitte in: Wolfgang Geiger: L'image de la France dans l'Allemagne nazie 1 9 3 3 - 1 9 4 5 , Rennes 1999. Siehe weiter: Eckard Michels: Das Deutsche Institut in Paris 1 9 4 0 - 1 9 4 4 . Ein Beitrag zu den deutsch-französischen Kulturbeziehungen und zur auswärtigen Kulturpolitik des Dritten Reiches, Stuttgart 1993. Zudem: Kathrin Engel: Deutsche Kulturpolitik im besetzten Paris 1 9 4 0 - 1 9 4 4 : Film und Theater, München 2003. 1

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E R N S T UND G R E T H A J Ü N G E R A N C A R L S C H M I T T

[Kirchhorst], 17.12.1944. Lieber Herr Schmitt, wir hatten gehofft, Sie noch vor dem Feste hier zu sehen, doch kennen wir auch die Impedimenta 1 der Zeit. Hin und wieder freilich kommen Besucher - so war vorgestern Ihr Schüler Cramer von Laue hier, der sich nach einer zweiten schweren Verwundung auf Krücken fortbewegt. Er fragte mich, ob er wohl wagen könne, Ihnen eine Flasche französischen Cognacs zu übersenden? Ich glaubte ihm versichern zu können, daß Sie das nicht allzu übel nehmen würden. Ich lese jetzt eifrig Léon Bloy, der in seinem Werk doch ein rechtes Trostelexier für betrübte Zeiten hinterlassen hat. Die Geldmisere seines Lebens drückte im Grunde nicht minder als unsere Total-Kalamität, ja, war vielleicht noch unangenehmer, weil weniger konkret. Die odiösen 2 Stellen bei ihm stören mich jetzt garnicht mehr, gehören sie doch wesentlich dazu. Mein vor einigen Jahren gefälltes Urteil »Zwillingskristall von Diamant und Kot« halte ich auch heute noch aufrecht, doch sah ich damals noch nicht, daß darin eine Definition des Menschen überhaupt enthalten ist. Und Bloy ist in einem bedeutenden Sinne Mensch. Licht und Schatten dieses Zustandes treten stärker an ihm hervor.3 Gestern erhielt ich ein Exemplar der »Perfektion der Technik« meines Bruders Friedrich Georg, das zu den bibliophilen Raritäten gehört, insofern nur die Autorenstücke versandt wurden. Die Auflage soll bei dem Brande der Stadt

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Freiburg, die in tausend Jahren gebaut und in zwanzig Minuten zerstört wurde, in Flammen aufgegangen sein.4 Dies ist die dritte Einäscherung, denn zwei mal verbrannte die Schrift bereits in Hamburg - man darf also sagen, daß die Technik ihr nicht günstig ist. Wir denken oft an Sie und Ihre Familie. Vor allem wünschen wir Ihnen ein gutes Weihnachten und bessere Zeiten im neuen Jahr. Herzlich Ihr Ernst Jünger. Lieber Herr Professor, Ihnen, Frau Schmitt und Anima, die herzlichsten Weihnachtsgrüsse! Wir haben Sie vergeblich erwartet, und können nur hoffen, dass es Allen wohl ergeht; das Fieber dieser Monate und Wochen hat großen Verzehr gehabt. Ernst jun. steht bei Bologna, die Nachrichten treffen spärlich ein; das Patenkind schreibt Ihnen heute Abend, wir waren entzückt über das schöne Geschenk aus Spanien, und es zählt mit zu den gewichtigen Dingen des Luftschutzkoffers, der von Carl Alexander sofort in den Bunker getragen wird. Die liebe Eitelkeit! Wir geht es Frau Schmitt, ich würde gern von ihr hören. Mit vielen herzlichen Wünschen Ihre Gretha Jünger. Impedimenta: Behinderungen. Odios, odiös: gehässig. 3 Peter Weiß schreibt in seiner Nachbemerkung zur von ihm besorgten Herausgabe zweier Werke Bloys: »Auch der von Carl Schmitt zu Bloy geführte Ernst Jünger erlag der prophetischen Tiefe und Verve des Textes: >Ich habe mindestens zweimal die Schrift Das Heil durch die Juden gelesen. Das ist ein Text, der in die >Arcana< einer magischen heiligen Macht führt, wo mir vorkommt, daß Bloy wie ein Elektrotechniker auf zu sorglose Weise mit Kabeln und Drähten hantiert, die unter Hochspannung stehen. Man hat den Eindruck, daß jeden Augenblick eine Entladung eintreten und alles in Flammen setzen könnte.«< Siehe: Léon Bloy: Das Heil durch die Juden, Deutsch v. Clemens ten Holder, Unveränd. Nachdr. der Ausg. v. 1953, Jeanne d'Arc und Deutschland. Zwei Schriften, hrsg. v. Peter Weiß, Wien, Leipzig 2002, S. 198. Siehe zu Ernst Jüngers Urteil über Léon Bloy auch die Anmerkungen zu dessen Brief an Carl Schmitt vom 17.12.47 in: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 642f. 4 Große Teile der Freiburger Altstadt wurden bei einem Bombenangriff am 27.11.1944 zerstört. 1

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ERNST u n d GRETHA JÜNGER AN C A R L SCHMITT

Kirchhorst, 10.2.1945. Lieber Herr Schmitt, Ihr Kärtchen hat mich besorgt gemacht. Auch deutet es darauf hin, daß Sie sich in Verhältnissen befinden, die Ihnen nicht angemessen sind. Wenn ich recht gelesen habe, hausen Sie im »Teerofen«. 1

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Auch ich mache jetzt im Volkssturm mit, da ich nolens volens für Kirchhorst und die umliegenden Dörfer zum Kompagniechef ernannt worden bin. Doch macht mir dergleichen sicher weniger als Ihnen aus. Meine Lektüre setzt sich in der Hauptsache aus Berichten über Schiffsbrüchige zusammen - ich legte mir davon in Paris eine Sammlung an, die mir hier als Fundgrube dient. Staatsrechtlich gesehen verbirgt der Schiffbruch ja eine Fülle von Aufschlüssen. Er enthält alle Elemente der Katastrophe und offenbart sowohl die menschlichen Qualitäten, die mit der Ordnung versinken, als auch jene, die von ihr unabhängig sind. Die neueste Geschichte fängt mit dem Untergang der Titanic an,2 man sah schon damals darin ein Vorzeichen. Ernstel entbehre ich sehr. Wir hatten während der Urlaubstage der letzten Jahre auf unseren Moorwanderungen manches bedeutsame Gespräch. Zuweilen komme ich an einem Waldstücke vorüber, in dem er mir sagte: »Die Neugier nach den jenseitigen Dingen ist oft so stark, daß man den Tod kaum erwarten kann.« Den kurzen Berichten, die ich erhielt, entnehme ich, daß er ihm zum mindesten nicht aus dem Wege gegangen ist. Ich hoffe, daß mir dem Jungen ein Denkmal zu setzen vergönnt sein wird. In den letzten beiden Jahren verlor ich den Vater, den Sohn und die Vaterstadt. Wir sind jetzt in den tiefsten Ringen des Malstromes. 3 Bekannte, Freunde, Brüder sind in höchster Gefahr. Dennoch gedenke ich diese Monate dereinst in ihren Einzelheiten bei einem guten Tropfen mit Ihnen zu erörtern. Es ist mir überhaupt das Unangenehmste an dieser Zeit, daß man kaum jemand findet, mit dem man ihre Hintergründe besprechen kann. Die gesamte Intelligenz geht im Pro und Contra auf, lichtlos im Rauch. Entsetzlich ist die metaphysische Verarmung der Jugend; Cramer von Laue bildet übrigens eine gute Ausnahme. Mit herzlichen Wünschen für Sie und Ihre Familie Ihr Ernst Jünger. P. S. Man müßte jetzt auch wieder im Flavius Josephus lesen; die Hartnäckigkeit der Juden bei der Belagerung von Jerusalem ist außerordentlich. Zu den Erfahrungen dieser Zeit gehört, daß es eine Rückkehr zum Heidentum, zur Vorväterbindung nicht gibt. Es gibt nur die Wahl zwischen dem Alten und dem Neuen Testament - jeder Angriff auf das Neue kommt dem Alten zugute. Dies ist einer der Gründe für die ungeheure Ausbreitung der jüdischen Moral, abgesehen davon, daß diese Moral durch die Exterminierung 4 der Juden, an die sie gebunden war, nun frei und virulent geworden ist. Es hat etwas Gespenstisches, wie der blinde Wille5 sich ad absurdum führt. EJ. Lieber Freund, wir gedenken Ihrer täglich, und Alles was wir wünschen können, ist das »Dennoch«. Mögen Sie Alle diesen letzten Abschnitt bestehen, und mögen wir uns Wiedersehen. Ich verliere nicht den Glauben daran.

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U n s e r K i n d hat n u n A l l e s h i n t e r sich gebracht, w a s u n s dieser V e r l u s t b e deutet, w i s s e n Sie w o h l , es w a r d e r härteste Schlag, d e r u n s t r e f f e n k o n n t e . D e m g e g e n ü b e r v e r l i e r t A l l e s , w a s u n s u m g i b t , seine S c h r e c k e n ; ich f i n d e k e i n e n Trost. Schreiben Sie uns immer, w i e es Ihnen ergeht, w i r w a r e n o f t in Sorge. Ihnen A l l e n das Beste! V o n H e r z e n Ihre G r e t h a Jünger. 1 Dies bezieht sich auf eine Postkarte Carl Schmitts an Ernst Jünger, zu der dieser am 6.2.45 in seinem Tagebuch festhielt, sie trage »[a]ls Absender: Volkssturmmann S. Albrechtsteerofen«. Siehe: >StrahlungenJona< des Alten Testamentes verweigert sich der Prophet dem Gebot des Herrn, der Stadt Ninive ihre Bosheit zu predigen, denn er weiß um dessen Güte, die der Stadt Schonung bringen wird. U m der Strafe für seine Weigerung zu entgehen, flieht er vor dem Angesicht Gottes auf ein Schiff. Von der Besatzung im Sturme ins Meer geworfen, wird er von einem großen Fisch verschlungen. Nach der Rettung aus dem Bauche des Tieres ist er nun bereit, in der Stadt zu predigen und tatsächlich werden König und Volk von Ninive verschont, da sie Buße tun. Jona jedoch, verbittert über diese Schonung der Sünder, geht vor die Stadt und zürnt. Als der Herr einen Rizinusbaum, den er zum Schutze des Jona wachsen ließ, verdorren läßt, wünscht sich Jona, von Hitze gepeinigt, den Tod. »Da sprach der Herr: Dich jammert des Rizinus, um den du doch keine Mühe gehabt und den du nicht großgezogen hast, der in einer Nacht geworden und in einer Nacht verdorben ist. Und mich sollte der großen Stadt Ninive nicht jammern, in der über 120000 Menschen sind, die zwischen rechts und links noch nicht unterscheiden können, dazu die Menge Vieh?« Siehe: Jona, 3, lOf. Siehe auch dessen Erwähnung in Schmitts >Gesang des Sechzigjährigen< in >Ex captivitate salus. Erfahrungen der Zeit 1945/47Glossarium< vom 12.1.48. Hinsichtlich der Leviathan-Formulierung Schmitts ist an seinen Weg im Dritten Reich und die beiden Festnahmen 1945 und 1947 zu denken.

Von Gerhard Nebel sind beispielhaft zu nennen: >Von den Elementen. Essays< (Wuppertal 1947) sowie >Griechischer Ursprung, I. Bd.< (Wuppertal 1948). Weiter sind gemeint: Friedrich Georg Jüngers >Griechische Götter. Apollon - Pan - Dionysos< (Frankfurt a. M. 1943) und der von Carl Schmitt verehrte Theodor Däubler mit der >Hymne an Italien< (München 1916) und der >Attischen Sonette< (Leipzig 1924). Siehe hierzu auch die Schreiben Carl Schmitts an Walther Rathenau vom 12. und 24.4.12 in »Walther Rathenau: Briefe 1871-1913< (Walther Rathenau-Gesamtausgabe, Bd. V 1, hrsg. v. Alexander Jaser u.a., Düsseldorf 2006), S. 1079ff. u. 1083 ff. Zu Däubler siehe: Friedhelm Kemp / Friedrich Pfäfflin (Bearb.): Theodor Däubler 1876-1934, Marbacher Magazin Nr. 30, Marbach a. N. 1984. Siehe weiter: Thomas Rietzschel: Theodor Däubler. Eine Collage seiner Biographie, Leipzig 1988. 3

Eine Anspielung auf das »pánta rhei« (»Alles fließt«) des Heraklit, also den ewigen Fluß aller Dinge, in dem zugleich alle gegensätzlichen Eigenschaften und Kräfte des Daseins existieren, sich ständig gegenseitig ablösen und in fortwährendem Kampfe liegen. Siehe den

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Abschnitt >Der Fluß aller Dinge< in: Die Vorsokratiker. Die Fragmente und Quellenberichte, Übers, u. eingel. v. Wilhelm Capelle, Stuttgart, [1952], S. 132 f. Siehe auch Anm. 4 zu Gretha Jünger an Carl Schmitt, 21.9.50. Der Abschnitt in [ ] findet sich in gekürzter Form im >Glossarium< Carl Schmitts unter dem Datum des 27.12.47. 5 Gemeint ist möglicherweise der mit Carl Schmitt bekannte Journalist Veit Rosskopf (er führte mit Schmitt am 1.2.1933 ein Rundfunkgespräch, dieses in: Piet Tommissen (Hrsg.): Over en in zake Carl Schmitt, Schriftenreihe Ecléctica, V, 2, Brüssel 1975, S. 113-119.). Rosskopf war wie Schmitt und der von ihm sehr verehrte nachexpressionistische Schriftsteller Konrad Weiss ein regelmäßiger Gast bei Franz Schranz in Siedlinghausen. Das mangelnde Verständnis gegenüber den Gefahren der nationalsozialistischen Herrschaft bei Konrad Weiss, der dem politischen Katholizismus nahe stand, belegt dessen Schrift >Der christliche Epimetheus< (Berlin 1933), in der er unter Berufung auf Carl Schmitt die parlamentarische Demokratie und den Liberalismus ablehnt. Die Drucklegung der Schrift wurde unter Vermittlung von Carl Schmitt durch Franz Schranz finanziert. Siehe: Friedhelm Kemp (Bearb.): Der Dichter Konrad Weiss 1880-1940, Marbacher Magazin 15, Marbach a.N. 1980. 6 Schmitt meint Hans-Otto Jünger. 7 Frz. für Dunkelheit, Unscheinbarkeit. 8 Der »Namensvetter« ist der sozialdemokratische Politiker Carlo Schmid. Zu seinem Verhältnis gegenüber Carl Schmitt siehe auch die Erläuterungen zu den Schreiben Gretha Jüngers vom 29.10.49 und Carl Schmitts vom 15.5.52. Ernst Jünger stand - im Gegensatz zu Gretha Jünger - mit Carlo Schmid in freundschaftlicher Beziehung. Siehe: Briefe, Jünger - Schmitt, S. W.

GRETHA JÜNGER AN CARL SCHMITT Kirchhorst, d. 18.11.1948. Lieber H e r r Professor, Ihr Brief zum Jahresbeginn hat mich herzlich erfreut; unsere Gedanken waren oft bei Ihnen. Es wäre sehr schön gewesen, wenn wir die Sylvesternacht zu Viert in Kirchhorst oder Plettenberg verbracht hätten; gewiss ist, dass wir die Konfirmation des Patenkindes 1 1949 gemeinsam begehen werden, falls die verschiedenen Winde unsere notdürftig geflickten Segel bis dahin noch zusammen halten. Ich bin da aber guten Mutes. Wir sind sehr froh, Sie in Westfalen zu wissen; Berlin ist eine tote Stadt, trotz des Reklamegeschreis der Presse und einiger Unentwegter, zu denen Niekisch zählt. E r glaubt zudem nicht, wie es den Anschein hat, an die Historie der Laternenpfähle. 2 In diesen Tagen traf ein B u c h von Nikolaus Sombart ein, das sich Capriccio Nr. I benennt, und sicherlich bereits in Ihrem Besitz ist; Jünger lobt es, ich nahm es skeptischer auf. D e r ganze Nikolaus, so wie er sich in meiner Erinnerung darstellt, hat denn überhaupt etwas herausforderndes an sich, zu viel Bewusstheit und tönende Intelligenz; die rote Farbe herrscht bei ihm vor. Ich mag die Jugend weniger, wenn sie dem Hahne gleich sich zu brüsten und zu kolleren 3 beginnt, als wenn sie bereits ganze Hühnerhöfe lahmgelegt, und die Alten mit der Kraft ihrer Stimme verjagt hat. 4

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Heute fand ich in einer Zeitschrift das Bild v o n Niemöller; er hat das Aussehen eines Filmschauspielers, der »auf Charme« engagiert ist, und ich finde es so grotesk, dass ich es Ihnen beilegen muss. A b e r ! A b e r ! Was alles haben w i r uns nur seinerzeit gedacht, als w i r bei Ihnen in Dahlem sassen?! Die Sympathie f ü r seinen Widerstand schwindet sichtlich beim Lesen seiner unentwegten Schuldbekenntnisse; ich bin nicht f ü r Asche zu haben, sondern f ü r die Flamme. Es scheint mir doch, w i r waren allesamt kindlich-gläubigen Gemütes. 5 Mitte April fährt E.J. nach Carrara, um die Uberführung Ernsteis einzuleiten, dessen Grab v o n unbekannten Lesern liebevoll geschmückt wird; von dort aus zu Stefan Andres nach Positano. Kirchhorst hat einen gewaltigen Andrang an Gästen zu verzeichnen, das ist nicht immer zu vereinigen mit Zeit und notwendigen Ruhestunden, und ich wünsche ihm sehr einige Wochen der Erholung. Nebel wird uns zum Märzbeginn aufsuchen; diese Vitalität ist so ausserordentlich wie seine Intelligenz, und trotzdem liebe ich ihn garnicht, was nichts besagen muss. N o c h weniger aber liebe ich Ihren Namensvetter, dem ich diese A r t der Gleichheit nicht einmal verzeihe; er ist ein eitler und tönender Wanst, v o r dessen Anblick mir graut. Haben Sie ihn einmal Baudelaire rezitieren hören? Der Himmel bewahre Sie d a v o r ! 6 Tausend Grösse f ü r Sie und Frau Schmitt, und wie immer Ihrer Beider getreue Gretha Jünger. Gemeint ist die Konfirmation von Carl Alexander. Die Formulierung von der »Historie der Laternenpfähle« spielt auf die erste Hymne der französischen Revolution aus dem Jahre 1790 an, in der es heißt »Les aristocrats à la lanterne« (Die Aristokraten an die Laterne!). Dieses berühmte Beispiel für den Umgang mit den Gegnern der Revolution wurde auch in späteren Umbruchsphasen der Geschichte in den verschiedensten Varianten immer wieder aufgegriffen. Gretha Jünger spielt auch auf Ernst Niekischs erstmals 1946 erschienene Schrift »Deutsche Daseinsverfehlung< an, in der er scharf mit Schmitts Denken und seinen Folgen im Dritten Reich ins Gericht geht. Siehe: Ernst Niekisch: Politische Schriften, Köln, Berlin 1965, S. 61-146. Zu Niekischs vermeintlicher Rolle bei der Inhaftierung Schmitts im März 1947 siehe das Schreiben Duska Schmitts an Gretha Jünger in: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 626-629. Siehe auch die Abschnitte zu Carl Schmitt in Niekischs Erinnerungen »Gewagtes Leben. Begegnungen und Begebnisse< (Köln, Berlin 1958) sowie in >Das Reich der niederen Dämonen. Eine Abrechnung mit dem Nationalsozialismus< (Reinbek b. Hamburg 1953, S. 210ff.; neu: Berlin 1980). Zu seinen teilweise fragwürdigen Aussagen über Carl Schmitt siehe Armin Möhler (Hrsg.): Carl Schmitt - Briefwechsel mit einem seiner Schüler, Berlin 1995, S. 159. Uber Niekisch siehe: Michael Pittwald: Ernst Niekisch. Völkischer Sozialismus, nationale Revolution, deutsches Endimperium, Köln 2002. 3 Veraltet für: einen Koller haben, knurrig sein. 4 Nicolaus Sombart: Capriccio Nr. 1, Frankfurt a. M. 1947. Jetzt in einer Neuausgabe: Ders.: Capriccio Nr. 1, Baden-Baden 1995. Siehe auch den Abschnitt >Spaziergänge mit Carl Schmitt< in: Ders.: Jugend in Berlin. 1933-1943. Ein Bericht, Frankfurt a.M. 1987, S. 238-265. Das Verhältnis nach 1945 schildert Sombart im Kapitel >Der Mann aus Plettenberg< in: Rendezvous mit dem Weltgeist. Heidelberger Reminiszenzen 1945-1951, Frankfurt a. M. 2000, S. 193-216. 5 Hier ist u.a. an das im Oktober 1945 veröffentlichte »Stuttgarter Schuldbekenntnis» von einstigen Mitgliedern der Bekennenden Kirche (zu der auch der Mitautor Martin Niemöller 1

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gehörte) zu denken. Es heißt dort in der »Erklärung des Rates der Evangelischen Kirchen in Deutschland gegenüber den Vertretern des Ökumenischen Rates< u. a.: »Wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.« Das Schuldbekenntnis in: Herbert Michaelis / Ernst Schraepler (Hrsg.): Ursachen und Folgen. Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staatlichen Neuordnung Deutschlands in der Gegenwart, Bd. 23, Berlin o.J., S. 307f. Siehe beispielhaft weiter: Martin Niemöller: Uber die deutsche Schuld, Not und Hoffnung, Zollikon-Zürich 1946. Ders.: Ach Gott vom Himmel sieh darein. Sechs Predigten, München 1946. 6 Carlo Schmids Übersetzung der >Blumen des Bösen< von Charles Baudelaire erschien erstmals 1947 in Tübingen und Stuttgart. In der Titelei hieß es allerdings »Ubertragen von Karl Schmid«. Neuauflagen erfolgten unter dem korrekten Namen 1959 (in München) und 1976 (in Frankfurt a. M.).

C A R L SCHMITT AN GRETHA JÜNGER

Plettenberg, den 24. Februar 1948. Liebe und verehrte Frau Jünger! Ihr Brief verdient eine schnelle Antwort. Wann findet die Konfirmation von Carl Alexander statt? Ich möchte gern dabei sein, wenigstens für einige Stunden und ohne Ihnen hauswirtschaftlich zur Last zu fallen. Heute ist es hier so schön, der Blick von meinem Schreibtisch auf die Berge und den Fluss so herrlich, dass ich grosse Sehnsucht nach Ihnen habe und mir ausmale, wie wir hier im Sommer einmal schöne Spaziergänge in diesen Bergen machen könnten. Von der Italien-Reise Ernst Jüngers hörte ich neulich durch Gerhard Nebel, den ich in Wuppertal traf, mit der geheimen Hoffnung, dort auch Ernst Jünger zu treffen. Mich kann Nebel immer wieder geradezu begeistern. Der Mut, mit dem er für Ernst Jünger eintritt, ist grossartig, dazu seine erstaunliche Intelligenz und sein fülliges Wissen. Der Parmenides-Vortrag, den ich gehört habe, war in jeder Hinsicht bedeutend. Er hat mich gewonnen, nachdem ich früher ebenfalls einige Bedenken hatte, die mit gewissen rheinischen Unbedenklichkeiten seines Auftretens zusammenhingen. Seine Frau ist sehr sympathisch. 1 [Das Portrait von N[iemöller] 2 das Sie mir schickten ist ein aufschlussreiches Dokument. Ich lese zufällig in einer Zeitung, dass ihm seine 0 [ p f e r ] d[es] F[aschismus]-Karte durch Herrn Dr. Epstein, den Vorsitzenden der OdF, entzogen worden ist, eine nützliche Belehrung über die zugrundeliegenden Begriffe, insbesondere den des Opfers. 3 Von Ihrem Berliner Freund N[iekisch] fand ich einige Briefe, insbesondere einen vom 25. September 1933 über meinen »Begriff des Politischen«. Das ist von dem, was er heute dazu sagt so verschieden, dass es wie ein Bruch mit jeder Kontinuität des Denkens und des Wesens, ja, wie eine Geisteskrankheit wirkt. Denn Diskontinuität ist doch schliesslich Geisteskrankheit, mag im übrigen die Wandlungsmöglichkeit noch so gross und das Fest der Metamorphosen noch so phantastisch sein.] 4

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F r a u S c h m i t t lässt h e r z l i c h g r ü s s e n u n d I h r e W ü n s c h e e r w i d e r n . E s ist ihr g e l u n g e n , hier i m S a u e r l a n d e einen e c h t e n M i k r o k o s m o s z u s c h a f f e n . U m m i c h h e r u m sind die Bilder v o n Werner Gilles, E r n s t Wilhelm N a y u n d Werner H e i d t , 5 d a z u einige u n v e r t r e t b a r e B ü c h e r , d e r e n F a t u m sie ü b e r j e d e a n d e r e A r t v o n D i n g e n o d e r M ö b e l n erhebt. I c h d e n k e nicht a n die Z u k u n f t , d e n n ich k e n n e u n s e r e O h n m a c h t . I c h s u c h e a u c h nicht die V e r g a n g e n h e i t , d e n n ich will nicht, ü b e r m i c h s e l b e r r e f l e k t i e r e n d , m i c h s e l b e r ü b e r l e b e n . W a s s u c h e u n d t u e ich a l s o ? I c h s u c h e d a s A c c i d e n s 6 m e i n e r G e g e n w a r t in reiner G e d a n k l i c h k e i t z u bestellen. I m m e r u n d in a l l e m I h r g e t r e u e r Carl Schmitt. 1 Ernst Jüngers Reise nach Italien kam nicht zustande, wie ein Schreiben Gerhard Nebels an diesen vom 23.4.48 zeigt. Siehe: Jünger / Nebel: Briefe (1938-1974), S. 198f. Zu seinem »Einsatz« für Ernst Jünger nach dem Dritten Reich siehe beispielhaft Ernst Jüngers Schreiben vom 8.1.46 in: ebd., S. 57-59. Zum Parmenides-Vortrag Gerhard Nebels siehe dessen Schreiben an Ernst Jünger vom 27.10.47 in: ebd., S. 152 f. und Nebels gleichnamigen Aufsatz in: Der Bund. Jahrbuch 1947, hrsg. v. Hans-Jürgen Leep, Wuppertal 1948, S. 87-119. 2 Siehe zu Pastor Niemöller auch das vorhergehende Schreiben Gretha Jüngers an Carl Schmitt. 3 Der im Juni 1945 durch den Berliner Magistrat gegründete Ausschuß >Opfer des Faschismus«, aus dem im Januar 1948 die SED-dominierte Bereinigung der Verfolgten des Naziregimes« ( W N ) hervorging, sorgte sich um die soziale Versorgung (ζ. B. Wohnungen, Hausrat und gesundheitliche Betreuung) anerkannter Opfer der NS-Diktatur. 4 In seinen Erinnerungen >Gewagtes Leben. Begegnungen und Begebnisse« (Köln, Berlin 1958) schildert Ernst Niekisch seine Reaktion auf die Schmittsche Schrift und schreibt darüber auf S. 243: »Wurde aber das Politische so aufgefaßt, dann wurde die Ermordung des politischen Gegners Übung des Alltags. Schmitts Schrift war die Legitimierung der SS-Verbrechen, die später begangen wurden.« Nach einer Mitteilung von Gerd Giesler zeigen hingegen für den Januar/Februar 1933 Tagebucheintragungen Carl Schmitts noch Niekischs Zustimmung zu dessen Positionen. (Das von Wolfgang Schuller editierte Tagebuch wird im Jahre 2008 erscheinen). Zu Schmitts eigener Einschätzung seiner erstmals 1928 in Berlin-Grunewald erschienenen Studie >Der Begriff des Politischen« (2. erw. Aufl., München, Leipzig 1932; 3. gek. Aufl., Hamburg 1933) nach 1945 siehe seinen Brief aus dem Jahre 1950 an den Juristen Paul Bockelmann mit den Erläuterungen von Niels Werber in: Andreas Bernard / Ulrich Raulff (Hrsg.): Briefe aus dem 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2005, S. 183-188. Der Abschnitt in [ ] findet sich in leicht abgewandelter Form im >Glossarium< Carl Schmitts unter dem Datum des 24.2.48. So heißt es dort u.a.: »Das Portrait von Niemföller], das Sie mir schickten, ist ein aufschlußreiches Dokument.« 5 Zentrales Motiv im Werk des Berliner Malers Werner Heidt sind die Straßen und Gebäude seiner Heimatstadt. Siehe: Wieland Schmied: Werner Held. Mit einem Werkkatalog von Eberhard Seel, Köln 1976. 6 Lat. für das Unwesentliche.

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G R E T H A J Ü N G E R AN C A R L S C H M I T T

Kirchhorst, d. 16.III.1948. Lieber Herr Professor, herzlichen Dank für Ihren Brief. Ich wollte ihn längst beantworten, allein die ständige Anfahrt unserer Gäste bringt mich selbst um den Schlaf. Ich weiss nicht mehr, wie man diesem Ansturm fremder Geister begegnen soll, besonders derjenigen, die mich langweilen, und der anderen, denen ich keine Sympathie entgegen bringe. Frau Schmitt weiss aus Erfahrung, dass es keinerlei Nutzen bringt, wenn man diese letzteren mit Kälte empfängt; sie glauben, dass ein [Lot] Kaffee als Präsent, oder ein holländischer Zwieback besänftigend auf unsere Gemüter einwirken können, aber dem ist nicht so, und wir zählen Beide, sie wie ich, zu den Unbestechlichen in dieser Hinsicht. Auch Nebel war wieder hier; da ich höflich bin, so beginne ich diesen Vermerk mit einem neuen Satz, und füge ihn nicht dem letzten an. Sie haben Recht in Ihrer Vorliebe für ihn, wie ich in meiner Vorsicht, mit der ich ihn aus weitem Abstand beobachte. Sein Enthusiasmus für E.J. ist von einer Leidenschaft diktiert, die eines Tages mit der gleichen Vitalität in das Gegenteil verwandelt sein kann; seine geistige Verführungskunst ist gross, aber ich erliege ihr nicht, weil ich während meiner Unterhaltungen in ein Auge blicke, das von grosser Kälte ist, und mich über den Hinterhalt, in dem man ihm zu einem gegebenen Augenblick begegnen kann oder wird, nicht zu täuschen vermag. Ich bin keine Moralistin, allein ich liebe ein Wasser ohne Schlingpflanzen und moorigen Grund. Keineswegs sollte man ihm gegenüber jemals das Feuer seiner Beredsamkeit mit dem der Freundschaft verwechseln; er kann ein ebenso glühender Anhänger wie Gegner sein, niemals jedoch Freund. Das ist es, was ich Ihnen zu diesem Thema sagen wollte. Die Konfirmation Ihres Patenkindes findet erst im kommenden Jahr zu Ostern statt, und ich hoffe, dass wir dieses Fest miteinander in Kirchhorst begehen können, und nicht jenseits des Kanals. Der 14. Geburtstag verging bei einer fröhlichen Tafelrunde; Ihr Brief löste grosse Freude aus, und wird bald beantwortet werden. Am 29.3. findet ein Herrenfrühstück statt zu Ehren des Hausherrn; 1 haben Sie nicht Lust, daran teilzunehmen? Ein guter Wagen müsste Sie rasch nach hier entführen. Rechnen Sie mich nicht zu den literarisch Ehrgeizigen, wenn ich Ihnen bekenne, dass bei Dulk 2 in Hamburg meine Tagebücher 1934-44 in Druck sind; sie stellen nichts als ein kleines [ ] 3 der Erinnerung an Ernstel dar. Da ich Ihrer jedoch unter dem Namen Carolus darin gedenke, so bitte ich wegen dieser Vermessenheit um Entschuldigung. Ich hatte Neigung zu dieser Arbeit, und der Entschluss, sie zu veröffentlichen, erfolgte so spontan, wie all meine Entschlüsse es zu sein pflegen, die guten wie die schlechten. Wir wollen sehen, wohin dieser führt.

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Grössen Sie meine liebe Frau Schmitt, die beste unter den Frauen. In herzlichem Gedenken Ihre Gretha Jünger. 1 Siehe hierzu das Schreiben Ernst Jüngers an Carl Schmitt vom 31.3.48 in: Briefe, Jünger Schmitt, S. 221 f . 2 Gemeint ist der Hans Dulk Verlag in Hamburg. 3 Ein nicht lesbares Wort.

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C A R L SCHMITT AN G R E T H A J Ü N G E R

Plettenberg, den 9. April 1948 Liebe und verehrte Frau Jünger! Ich vertraue darauf, dass kein Gedanke und keine Gefühlsregung verloren geht und deshalb auch die vielen Gespräche, die ich mit Ihnen in Gedanken geführt habe, irgendwie angekommen und irgendwo aufgehoben sind. Dadurch, dass ich sooft mit Frau Schmitt über Sie, Carl Alexander und Ernst Jünger gesprochen habe, sind ja sogar Schallwellen in Bewegung gesetzt worden, an deren Wirkung kein Zweifel bestehen kann. Die moderne Physik mutet einem noch weit phantastischere Vorstellungen zu. Eigentlich ist jeder Brief von Ihnen, auch wenn er nach einer längeren Pause eintrifft, eine Bestätigung und Bekräftigung meiner Gewissheit, dass wir fortwährend und unabhängig von [mikro]physikalischen 1 Materialisierungen miteinander korrespondieren. Ihr Brief vom 16. März enthält eine ganz starke Bestätigung und Bekräftigung, sodass er mich, weit über seinen Einzel-Inhalt hinaus, auch in meinem Lieblingszitat bestätigt und bekräftigt hat: tout ce-qui arrive est adorable.2 Bei jedem Ihrer Briefe haben Duska und ich uns schon seit Jahren über Ihre psychische Hellsichtigkeit und Ihre sprachliche désinvolture 3 gefreut und gewundert. Die Nachricht, dass wir bald von Ihnen ein gedrucktes Tagebuch der Jahre 1934-44 erhalten werden,4 trifft uns also in schönster und fruchtbarster Aufnahmebereitschaft, auch wegen Ernstel, den wir nicht vergessen haben. Sorgen Sie bitte dafür, dass wir das Buch gleich zugeschickt bekommen. Dann kommt hoffentlich auch eine Stunde, die es uns möglich macht, mit Ihnen mündlich darüber zu sprechen und uns in einem Gespräch von den Schwingungen einer solchen Botschaft tragen zu lassen. Ich habe oft grosse Sehnsucht nach Ihnen allen und bin von den meisten anderen Menschen schnell ermüdet. Nicht nur, weil es mich anstrengt, vor Schwerhörigen zu sprechen, sondern auch wegen meiner akustischen Empfindlichkeit, die mich zwingt, vor Fremden GehörSchutzmasken zu tragen, und zwar nicht nur vor dem Schwall des lizenzierten öffentlichen Geredes.

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Aus Ernst Jüngers Brief v o m 31. März entnahm ich zu meiner grossen Freude, dass der Geburtstag schon gefeiert worden ist. Mein jetziger Brief wird wohl in die Vorbereitungen zu der Reise nach Italien hineinfallen. Deshalb will ich nicht zu viel schreiben. Anima ist seit Ostern hier, hat ein sehr hübsches Z i m merchen mit schönen Bildern (darunter das entzückende Geschenk von Emil N o l d e ) 5 und geht hier zur Oberschule, auf Obersekunda. Sie ist lieb und verständig, sodass sich die völlig unvergleichbare Vater-Tochter-Beziehung bei mir aufs intensivste steigert. Latein kann sie schon genug, u m mein Mitteilungsbedürfnis in dieser Hinsicht mit einigem Verständnis entgegennehmen zu können. Ist es wirklich ganz unmöglich, dass Sie uns hier besuchen? Ich muss doch auch Carl Alexander in einige Arcana dieser sonst so verschlossenen Landschaft einführen. Mit herzlichen Grüssen und Wünschen immer Ihr Carl Schmitt. Das Wort in [ ] Klammer ist nicht sicher lesbar. »Tout ce qui m'arrive est adorable« heißt es in Léon Bloys Tagebuch >Le mendiant Ingrat< (Paris 1898). »Alles, was geschiebt, ist anbetungswürdig, ich halte es aufrecht mit der ganzen Autorität meines Elends, das vollkommen ist, wie Gott vollkommen ist, und also selbst anbetungswürdig. Wir mögen uns, die einen wie die anderen, noch so viel beklagen, wir können diesem Gesetz nicht entrinnen, und es gelänge uns niemals, eine annehmbare Beschwerde gegen die Vorsehung fertigzubringen.« Siehe: Léon Bloy: Der beständige Zeuge Gottes. Eine Auswahl aus dem Gesamtwerk, hrsg. v. Raissa Maritain, eingel. v. Jacques Maritain, Salzburg 1953, S. 320 f., hier S. 320. 3 Désinvolture, lat.-frz. für eine Ungezwungenheit in der Haltung oder eine Ungeniertheit im Stil. 4 Das unter ihrem Mädchennamen Gretha von Jeinsen veröffentlichte Buch >Die Palette. Tagebuchblätter und Briefe< enthält Tagebuchauszüge aus den Jahren 1936-45 und Briefe der Jahre 1945/46. 5 Der Maler Emil Nolde war mit Carl Schmitt befreundet. In Schmitts Nachlaß befindet sich ein Telegramm von Ada und Emil Nolde aus dem Jahre 1938. Die Briefe Ada Noldes an die Familie Schmitt sind verlorengegangen. Noldes Nachlaß befindet sich in der >Stiftung Seebüll Ada und Emil NoldeKritik der Zeit< Walther Rathenaus von 1912. Es heißt dort: »Das bleibt das Wesentliche des mechanischen Zeitalters, daß es seelenlos ist. Und diese Kritik [Rathenaus, d. Hrsg.] führt es aus, daß uns die Seele fehlt.« Siehe: Carl Schmitt: Über Rathenau. Kritik der Zeit, in: Die Rheinlande, Düsseldorf, 22. Jg., Jan.-Dez. 1912, S. 323 f., hier S. 324. >Zur Kritik der Zeit« in: Walther Rathenau: Hauptwerke und Gespräche, Walther Rathenau-Gesamtausgabe, Bd. II, hrsg. v. Ernst Schulin, München, Heidelberg 1977, S. 17-103.

Uber den Gegensatz zwischen Russen und Deutschen hielt Gretha Jünger am 5.11.44 in ihrem Tagebuch fest: »Die deutsche Hinneigung zum Westen, zu seiner Kultur, aber auch zu seiner Dekadenz. Dagegen die Überheblichkeit dem Osten gegenüber. Es ist angenehmer in Paris als in Moskau zu leben, und doch könnte man das russische Volk als jung gegenüber den greisenhaften Verfallserscheinungen des Westens ansprechen. Auch fehlt es ihm nicht an metaphysischer Kraft.« Siehe: >Die Palettes S. 102. In den Ausführungen zur »Dekadenz« des Westens klingen die >Ideen von 1914< an, die den ersten Weltkrieg zu einem Kulturkampf zwischen deutschem Geist und westlichem Materialismus und Sittenverfall erklärten. 2

So in einem Eintrag vom 26.10.37 in: >Die Palette«, anläßlich eines Besuches des GoetheHauses in Frankfurt a. M.: »Immer überkommt mich ein Gefühl der Wehmut, wenn ich die Luft vergangener Jahrhunderte einatme; der Ausspruch Montaignes: >Da ich mich in diesem, meinem Jahrhundert, nicht mehr zurechtfinde, flüchte ich mich in die vergangenen zurück,< ist nur zu wahr für mich. Der moderne Staat gleicht einer Maschine, deren Fangarme von Eisen die Individualität umklammern und ersticken. Dieses 20. Jahrhundert ist in seiner Wut der Enthüllungen unerreicht; es zerreißt jeden Schleier, jeden Hauch, der auch die letzten Dinge umgibt, und legt selbst die Wurzeln der Erde bloß. Wehe Dir, wenn Du das Wort Muße auszusprechen wagst! Es wird Dir wie ein Kainsmal auf die Stirne gebrannt.« Die Formulierung Montaignes konnte nicht nachgewiesen werden. Siehe: Michel de Montaigne: Essais [Versuche] nebst des Verfassers Leben, nach d. Ausgabe von Pierre Coste ins Deutsche übers, v. Johann Daniel Tietz, 3 Bde., Zürich 1992. 3

G R E T H A J Ü N G E R AN C A R L SCHMITT R a v e n s b u r g , d. 5 . 1 . 1 9 4 9 . W i l h . H a u f f s t r a s s e 18. Lieber H e r r Professor, der I h n e n seit l a n g e m z u g e d a c h t e B r i e f ist n u n m e h r fällig; er w a r es bereits z u I h r e m 6 0 . G e b u r t s t a g , 1 u n d ich gestehe I h n e n offen, dass d e r G e d a n k e , ihn

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zwar nicht vergessen, aber auch nicht durch ein Wort an Sie begangen zu haben, mir noch heute unangenehm ist. Dieser letzte Sommer in Kirchhorst brachte indessen so vielerlei Aufgaben und Abhaltungen für mich, so viel Verdriessliches und Störungen der eigenen Gesundheit, dass ich um Ihre Absolution bitten muss. Sie wissen, dass ich Ihnen dafür in Gedanken immer sehr nahe bin, und dass meine Wünsche Sie ständig begleiten. Der Wechsel nach Süddeutschland ist räumlich vollzogen; die Kirchhorster Luft war aufgebraucht, und die vielen Menschen die sich zuguterletzt unter diesem Dach versammelt hatten, verwandelten die frühere Eremitage in einen Kraft durch Freude Dampfer, der mit offenen Luken und viel Lärm an Bord eine wesentlich andere Richtung bevorzugte. Der Einsichtige macht sich in diesem Falle davon. Ich weiss nicht recht, welche Art der Kajüten uns die Vorsehung noch bestimmt hat für den Rest dieses Jahrhunderts, von dem Sie behaupten, dass es dem 18. vorzuziehen sei; aber ich weiss, dass sie mir in ihrer barbarischen Enge so unangenehm sein werden wie die Gehirne, die sie ausgebrütet haben. Hier bewohnen wir, ein Vorgeschmack davon, eine winzige Etage, die grosse Vorzüge besitzt ausser dem einen: sich nicht allzu häufig umwenden zu können. Ein lebhaftes Temperament fühlt sich schlecht am Platze, und die langen Beine des Sohnes verhindern fortgesetzt die mütterliche Ungeduld, etwa an den Nähkasten zu gelangen, der am Fenster steht. Für heutige Begriffe ist es ein Palais natürlich; ich beging aber den Fehler, 1906 auf die Welt zu kommen. Das Allein-Sein dagegen, die verschlossene Haustüre, und das Gefühl der Freiheit sind Dinge, die zu den angenehmsten zählen. Ravensburg selbst ist eine relativ kleine Stadt und als Stammsitz der Weifen mir bedeutsam; die Menschen sind aufgeschlossen, freundlich, und verstehen auf eine gute Art zu leben: sie lieben den Wein und den Überfluss. Ich hätte nicht geglaubt, den Norden jemals wieder zu verlassen, allein der Zufall führte uns nicht fort, und so muss man auch in diesem Wechsel seine Bedeutung sehen.2 Wie ergeht es Ihnen? Besucht Nebel Sie noch? Ich weiss nicht, welcher Geist der Fremdheit bei Ihrem letzten Kirchhorster Besuch aus Ihnen sprach, aber ich empfand ihn dennoch, und er betrübte mich.3 Sie sehen, dass ich nicht zu bessern bin. Ich bin aber gewiss, dass es immer nur fremde Einflüsse sind, die der Bösartigkeit, wie seinerzeit bei der unvergleichlichen Berliner Freundin, und die des Ungeschickes, oder des Mangels an Form. Aber! sich nicht beeinflussen zu lassen! das ist es! Ich bin bereit und war es auch, ganze Regimenter in die Flucht zu schlagen, die sich mit Ihnen auf eine Art beschäftigen, die mir nicht passend erscheinen will. Trinken wir auf diese schöne Gemeinsamkeit zwischen uns das nächste Glas, das wir für Ihr Kommen aufbewahren! Wir hoffen sehr, Sie und Frau Schmitt im April in Ravensburg zu sehen, um auch das zweite kirchliche Fest des Patenkindes mit uns zu begehen. Fünfzehn Jahre sind seit seiner Taufe in Goslar vergangen, und was alles schliessen sie in sich ein, für Sie und für uns!

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Ziegler ist an seiner schrecklichen Krankheit gestorben; wir erhielten gestern die Nachricht. Das ist ein grosser Verlust, denn er war ein ausgezeichneter Mensch, was mehr besagen will, als dass er ein guter Verleger war. Wäre die Reise nicht endlos, so würde E.J. zur Beisetzung nach Hamburg gefahren sein, aber er fühlt sich nicht wohl genug zu dieser Strapaze. Jetzt beginnt das neue Sichten unter den Verlegern, das übel ist; von allen verdient Neske in Pfullingen den Vorzug, der in den Verlag Otto [Reichel] eintrat. Sie werden ihn bei uns kennen lernen. 4 Leben Sie wohl! Wir alle grüssen Sie herzlichst und in alter Verbundenheit. An Frau Schmitt geht mit gleicher Post ein Brief ab. Ihre Gretha Jünger. Am 11. Juli 1948. Der Stammsitz des schwäbischen Adelsgeschlechtes der Weifen war die Veitsburg südlich über Ravensburg. In der Stadt lebte die Familie Jünger vor dem endgültigen Umzug nach Wilflingen im Juli 1950 für 1V 2 Jahre. 3 Der Besuch Schmitts fand im September 1948 statt, wie ein Brief Gerhard Nebels vom 30.9.48 an Ernst Jünger zeigt, in dem es heißt: »Carl Schmitt fand ich noch ganz in seiner alten, erlesenen Geistigkeit. Es war für mich eine höchst angenehme Überraschung, ihn bei Ihnen zu sehen. Man sollte diese gemeinsamen Geburtstagsfeiern kultivieren, auf alle Fälle hoffe ich Sie bei meinem nächsten Fest zu sehen.« Siehe: Jünger / Nebel: Briefe (1938-1974), S. 235-237, hier S. 236f. 4 Ernst Jüngers Werke erschienen nach 1945 zunächst v. a. im Verlag der Arche in Zürich, im Tübinger Heliopolis Verlag und schließlich im Frankfurter Klostermann Verlag, ehe Jünger endgültig zum Stuttgarter Klett Verlag wechselte. Zum Verlag Günther Neske siehe: Brigitte Neske (Hrsg.): Vierzig Jahre Verlag Günther Neske 1951-1991, Pfullingen 1991. Der Verlag wurde am 1. Januar 1993 von Klett-Cotta in Stuttgart übernommen. Siehe zu Neske und Carl Schmitt auch: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 733. 1

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C A R L SCHMITT AN GRETHA JÜNGER

Plettenberg] 24/1 49. Liebe und verehrte Frau Jünger! Ihr Brief vom 5. Januar ist noch nicht beantwortet, wenigstens noch nicht schriftlich und auf dem Papier. Das soll jetzt endlich geschehen. In Gedanken ist er zum Ausgangspunkt vieler Gespräche geworden, auch zum Gegenstand vieler Gespräche mit Frau Schmitt, die herzlich grüssen lässt (aus ihrer Haushaltsarbeit heraus) und sich sehr gefreut hat, Nachricht von Ihnen und den Ihrigen zu erhalten. Ich bin glücklich über Ihren Brief und danke Ihnen sehr dafür, dass Sie das Wort gefunden und die Hemmungen der Niederschrift nicht gescheut haben. Immer von neuem freue ich mich an der désinvolture Ihrer Sprache und Ihrer Gedanken, und erquicke mich daran. Ich hoffe, dass sich die grössere Humanität der Landschaft, in der Sie jetzt leben, auch in den täglichen

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Besorgungen und Problemen des Haushalts auswirken wird und Ihnen allen, Ernst Jünger und Carl Alexander zugute kommt. Bei uns ist es nicht sehr human und Frau Schmitt macht mir Sorgen. Vorige Woche ist sie nach Hagen zu einem Arzt gefahren, aber es kommt für sie doch nur unser alter Freund, Prof. Richard Siebeck in Heidelberg in Betracht; dorthin wird sie aber erst im Mai und nur wenn eine Kette wunderbarer Glücksfälle zustande kommt, reisen können. Unser Reisepotenzial ist winzig. Dieses Faktum steht drohend auch über meinen Reiseplänen, leider auch über denen, die einen Besuch bei Ihnen zum Ziele haben. Ich bin seit Monaten nicht einmal nach Wuppertal gekommen und habe von Gerhard Nebel seit November nichts mehr gehört. Das alles ist aber natürlich und meiner Lage angemessen. Sie schreiben von den Leuten, die Sie bereit sind in die Flucht zu schlagen, wenn sie sich unpassend mit mir beschäftigen. Das tut mir gut zu hören. Doch dürfen Sie nicht vergessen, dass ein unglücklicher Mensch (ich meine: einer von dem man glaubt, dass er Unglück hat, und deshalb wehrlos ist), eine gewisse Anziehungskraft auf posthume Helden ausübt. Das wirkt sich oft in ganz praktischen Dingen aus, sodass ich schon zufrieden bin, wenn man mich nicht beachtet und ich das Glück einer vollen obscurité geniesse. Warum soll das Elend und die Entrechtung meines Landes nicht auch meine Heimat sein? On a bien torts de survivre à son pays. 1 Lassen Sie also jenen Leuten ihre Selbstbestätigungen auf meine Kosten, was wären sie, wenn ich nicht das wäre, was sie von mir denken? Das muss man sich in solchen Fällen immer fragen. Es ist ein absolut sicherer Schlüssel, auch zu dem Geheimnis der Feindschaft zwischen den Menschen. Neulich habe ich einen Maler Wilhelm Wessel (Iserlohn) kennen gelernt, der ein grosser Däubler-Verehrer und zugleich ein F. G. Jünger-Verehrer ist.2 Diese Verbindung ist mir das erste mal begegnet, aber durchaus sympathisch. Mir wird es schwer, in die Welt F. G. Jüngers einzudringen, in die lyrische Welt, nicht in seine Gedanken und seine Prosa. [Däubler geniesst hier im industriellen Westen ein grosses Ansehen, besonders bei den Malern. Ich spreche gern über ihn, sodass ich hier ein kleines Asyl für Gespräche habe, solange das anhält. Es genügt ja ein Pfiff und bedarf nur eines Lumpen, um mich auch daraus zu vertreiben.] 3 Von Vittorio Klostermann erhielt ich einen sympathischen Brief und 2 Bücher von Max Kommerell, den ich in guter Erinnerung habe. Der Tod von Benno Ziegler ist mir nahe gegangen. Ecce quomodo moritur justus; so sterben heute die Gerechten, und die Verfolger singen dazu das Niederländische Dankgebet. 4 Soll man da noch traurig sein, dass man nicht in der heutigen Art von Öffentlichkeit steht? Ist es nicht eher ein Privileg, in der obscurité verbleiben zu können, in der geliebten Einsamkeit, die einem zur Heimat werden kann? Da ich seit November weder von Gerhard Nebel noch sonstwie von früheren Bekannten Nachricht habe, weiss ich auch nichts von dem publizistischen Schicksal von Ernst Jüngers Strahlungen. Sind sie schon erschienen oder werden sie bald erscheinen? 5 Von Ihrem Tagebuch schreiben Sie nichts, so will ich auch nicht weiter danach fragen.

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Anima geht es gut; sie ist fleissig und bescheiden, das Beste was wir, Frau Schmitt und ich, noch haben; ihre philosophischen und literarischen Interessen sind gross und haben die rührende A r t von Frische, die einem 17jährigen Mädchen ansteht. Ihr Interesse am Theater, d. h. an der Bühnenbildnerei, ist immer noch unvermindert. Das ist noch ein Glück, denn an eine Universität würde sie nicht zugelassen. Schliesslich noch ein Wort zu Ihrer Äusserung über den Geist der Fremdheit, den Sie bei mir feststellen wollen. Ich fühle mich Ihnen nicht fremd, liebe Frau Jünger und verzichte nicht auf bewährte Freunde. Dass Unglück und Verfolgung einen isolieren, ist selbstverständlich, aber noch dringt Ihre Stimme zu mir, und ich hoffe, auch meine zu Ihnen. Ihr Brief hat mich beglückt. Ich kann nicht solche Briefe schreiben, aber Sie hören und vernehmen mich trotzdem. Schreiben Sie mir also bald wieder, wenn Sie Zeit haben und seien Sie mit vielen Wünschen für Ihr neues Domizil herzlich gegrüsst von Ihrem alten und unveränderlichen Carl Schmitt. Es ist von Schaden, das eigene Land zu überleben. Die Bekanntschaft Carl Schmitts mit dem Maler Wilhelm Wessel schildert sein Schreiben an Armin Möhler vom 17.1.49 in >Carl Schmitt - Briefwechsel mit einem seiner SchülerGlossarium< unter dem Datum des 27.1.49. 4 Gemeint ist der Verleger Vittorio Klostermann, in dessen Verlag in Frankfurt a.M. 1946 die zweibändigen >Beiträge zu einem deutschen Calderon< und 1948 >Die Gefangenen< Max Kommereils erschienen. Zu Kommereil siehe: Walter Busch u.a. (Hrsg.): Max Kommereil. Leben - Werk - Aktualität, Göttingen 2003. Zu Klostermann siehe: Frank-Rutger Hausmann: Ein Verleger und seine Autoren: Vittorio Klostermann im Gespräch mit Martin Heidegger, Ernst und Friedrich Georg Jünger, Frankfurt a. M. 2002. Das lateinische Zitat (»Siehe, wie die Gerechten sterben«) ist berühmt durch die gleichnamige Motette des österreichischen Komponisten Jakob Handl, die später auch von Georg Friedrich Händel aufgegriffen wurde. Gemeint ist weiter das Dankgebet für die Siege der Niederlande gegen die Spanier im Jahre 1597, beginnend mit »Wilt heden nu treden voor God den Heere, (...).« Die erste Strophe lautet in deutscher Ubersetzung: »Wir treten zum Beten / Vor Gott den Gerechten. / Er waltet und haltet / Ein strenges Gericht. / Er läßt von den Schlechten / Die Guten nicht knechten; / Sein Name sei gelobt / Er vergißt unser nicht. / Herr, laß uns nicht!« Siehe: Eberhard Nehlsen: Materialien zum Lied >Wir treten zum Betenc Das Altniederländische Dankgebet, [Oldenburg] 2004. 5 Ernst Jüngers >Strahlungen< waren noch nicht im Druck erschienen. Ein erstes Mal kam Schmitt wohl im folgenden April bei Gerhard Nebel mit dem Manuskript in Berührung. Dieser teilte Ernst Jünger am 29.1.48 brieflich mit, daß die >Strahlungen< bei ihm eingetroffen seien. Siehe: Jünger / Nebel: Briefe (1938-1974), S. 166f. Siehe zudem das Schreiben Carl Schmitts an Ernst Jünger vom 26.4.48 in: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 225. 1

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GRETHA JÜNGER AN C A R L SCHMITT

Ravensburg, d. 8. II. 1949. Lieber Herr Professor, Ihr Brief enthält so viel Resignation, dass ich versucht war, mich auf den fliegenden Teppich zu setzen, um auf die schnellste und zauberhafteste Art zu Ihnen zu gelangen und mit Ihnen zu plaudern; aber es gibt weder Märchen noch Teppiche mehr, und anstatt der Zauberer treffen wir Schnapsbrenner an. Sehen Sie, was von diesem Zeitbild, das Sie und E. J. bejahen, übrig bleibt. Die Einsamkeit von der Sie sprechen, ist vielleicht eine unserer letzten Inseln, und wir lernen sie umso mehr lieben, als die Welt an Schaubuden und Gauklern zunimmt; aber warum wollen Sie auch zugleich das Schweigen auf sich nehmen? Ich möchte Ihnen prophezeien, dass Sie nach Ablauf von zwei Jahren mit der gleichen Beharrlichkeit verfolgt werden, die Sie zum Reden bringen soll, als man jetzt bemüht ist, das Gegenteil zu behaupten. Das ist an sich völlig gleichgültig, denn wir kennen ja sowohl den Rang all dieser Schauspieler, als auch den der Stücke, die aufgeführt werden. Nicht gleichgültig ist Ihr Wort, ist Ihre Bewegung oder Teilnahmslosigkeit; ich darf Ihnen das in aller Bescheidenheit, aber mit der Eindringlichkeit, unter der E.J. so oft zu leiden hat, wiederholen. Es erscheint wichtiger, dass Sie den Bau einer Zitadelle mit beginnen, als dass Sie die Zelle eines Klosters wählen, in der für Ihr achtes Jahrzehnt auch noch Platz sein wird, wenn Sie ihn 60 Jahre lang nicht belegten. Was kann es Ihnen im Grunde ausmachen, dass eine Herde von Elefanten auftritt, nachdem wir die Schakale überdauert haben? Frau Schmitt wird Ihnen ein Gleiches sagen, und vielleicht sind sie und ich in unserer Unbeirrbarkeit, die Person und Aura betrifft, stärker, als Sie und E.J. in Ihrer Sensibilität; wenn das ein Vorzug ist, so kann er in beiden Fällen nur Euch zugute kommen. Wie geht es Frau Schmitt, ich bin ihretwegen in Sorge, nachdem Sie mir geschrieben haben, dass sie sich in ärztliche Behandlung begeben muss; ist es das alte Leiden, oder haben sich neue Übel angemeldet? Von ganzem Herzen wünsche ich ihr baldige Genesung, und wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich von Zeit zu Zeit über ihren Zustand unterrichten würden. Sagen Sie ihr meine Grüsse und mein Gedenken, das unveränderlich ist. Die Strahlungen sind mit der Friedensschrift in Tübingen in Druck gegeben; man wird zu Ostern mit ihrem Erscheinen im Buchhandel rechnen können. 1 Die Franzosen haben in literarischen Dingen nicht nur die bessere Witterung als die Engländer, sie sind auch grosszügiger; 2 das Ganze gleicht nun einem Dammbruch, der nach vier Jahren planmässiger Stauung einsetzt, und sicherlich mit elementarer Kraft. Ich könnte Ihnen manch Ergötzliches berichten, was meine Studien bei den hiesigen Besuchern aus dem Westen anbetrifft; ihre Bewunderung der »nordischen Rasse« ist so echt wie sie jemals bei den Nazis zu finden war, und in Wirklichkeit hat sich seit dem Einzug der Garde Wilh. I.

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in Paris an diesem Gefühl nichts verändert. 3 Es ist jedoch ein gewisser Zug kindlicher Naivität daran, der liebenswürdig, und nicht peinlich wirkt, wie bei uns. So liebt man auch den grossen Freund, gleichgültig wen er infolge seiner physischen Stärke über das Knie legt, in einem gewissen Alter mehr als den kleinen, der das Abitur mit I besteht. E. J. grüsst Sie herzlich, und wird Ihnen bald selber schreiben; die letzten Kapitel von »Heliopolis« werden noch im Februar beendet sein, und diese Art der Geburtswehen damit auch, die ihn in den letzten Monaten in Atem hielten. 4 Danach ist eine längere Zeit der Erholung notwendig. Die Konfirmation endlich findet bereits am 3. April statt. Wir würden Sie schmerzlich vermissen, und Ihr schüchternes Patenkind lässt durch mich anfragen, ob es Ihnen die eigene Reise-Sparkasse zur Verfügung stellen darf. Ich beruhigte ihn völlig, denn zwischen Ihnen beiden ist so wenig ein Unterschied wie zwischen Vater und Sohn. Wenn Sie ihm eine grosse Freude bereiten wollen, so sagen Sie zu. In herzlicher Verbundenheit Ihre Gretha Jünger. P. S. Mein kleines Tagebuch erscheint in den nächsten 14 Tagen und geht Ihnen sogleich zu; lesen Sie es als Freund und nicht als Kritiker, denn nichts lag mir ferner als literarischer Ehrgeiz. Es stellt eine Erinnerung an Ernstel und die Jahre in Kirchhorst dar, beides für mich untrennbar, und darum auch den persönlichen Freunden zugänglich. 1 Neben den >Strahlungen< Ernst Jüngers ist seine Schrift >Der Friede. Ein Wort an die Jugend Europas und an die Jugend der Welt< (Tübingen 1949) gemeint. 2 Während Kirchhorst zur englischen Besatzungszone gehörte, in der Jünger mit einem Publikationsverbot belegt war, lag Ravensburg in der französischen Zone. 3 Gemeint ist der Einzug deutscher Truppen in Paris am 28.Januar 1871, dem Tag der Kapitulation der französischen Hauptstadt. Zuvor war am 18. Januar der preußische König Wilhelm I. zum deutschen Kaiser proklamiert worden. 4 Ernst Jünger arbeitete an >Heliopolis. Rückblick auf eine Stadt< (Tübingen 1949) von Januar bis März 1949. Im Herbst erschien das Werk dann im Druck.

ERNST UND GRETHA JÜNGER AN CARL SCHMITT, Plettenberg II Sauerland

[Ravensburg, 16.5.49] 1 Lieber Herr Schmitt, Gerhard Nebel ist hier für einige Tage auf Besuch. Wir trinken guten Wein und machen Spaziergänge; vermissen Ihre Gesellschaft dabei. Mit herzlichem Gruss an Ihre Gattin Ihr Ernst Jünger

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Caro Don Capisco! Ich bin sehr glücklich, hier zu sein, u. werde Ihnen gleich nach der Rückkehr berichten. Herzlich Ihr Gerhard Nebel Wir gedenken Ihrer, wie immer, und bedauern es, dass Sie nicht auch mit hier sind. Ich habe mit Carl Alexander den Plan gefasst, Sie im August von Hannover aus zu besuchen, denn es ist an der Zeit, dass wir uns einmal Wiedersehen. Hoffentlich geht es Frau Schmitt gesundheitlich erträglich, ich denke viel an sie, und wünsche das Allerbeste. Herzliche Grösse Ihnen Allen Ihre Gretha Jünger 1

Der Ort nach dem Poststempel, das Datum nach dem Druck.

GRETHA JÜNGER AN C A R L SCHMITT

Goslar, d. 22.1 \ 0.1949. Dr. Nieperstr.10. b/Haccius. Lieber Herr Professor, ich hatte die Freude, Frau Schmitt in Heidelberg zu sehen, doch bin ich nicht ohne Besorgnis weitergereist; Sie werden den Stand der Dinge wissen, ich warte jetzt noch auf den Bericht über die Diagnose der Blutungen. Im Wesentlichen fand ich meine alte Freundin unverändert, lebendig in der Unterhaltung, und ihr Aussehen gut; aber der Augenblick ist wohl gekommen, in dem sie mit ihren Kräften haushälterisch umgehen muss, und ich habe versucht, sie ernstlich darauf hinzuweisen. In unserem Alter können wir nicht mehr alle Lasten des Haushaltes mit denen der Gastgeberin vereinen, ohne Ermüdung zu empfinden; sie benötigt eine Hilfe, und ich hoffe von Herzen, dass es gelingen wird, in Zukunft noch andere Quellen zu erschliessen, die Sie unabhängiger sehen werden. Im übrigen stellte ich fest, dass die Jahre der Trennung zwischen uns keinen Schatten mit sich brachten, und bin darüber glücklich. Goslar sieht mich Ihnen räumlich näher als Ravensburg, und im Laufe des Winters werde ich mit dem Patenkind eine Gelegenheit finden, Sie in Plettenberg aufzusuchen. 1 Die nordische Stadt der Türme beherbergt viele Freunde, wir fühlen uns wohl, und ich will die kommenden Wochen benutzen, um gesundheitlich neue Reserven zu schaffen; Dr. Hörstel meinte nicht zu Unrecht, dass ich ihm stets als ein Licht, eine Kerze, erschienen sei, die von beiden Seiten angezündet war. Wenn

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man sich der Mitte der Vierzig nähert, verlangt die Vernunft, dass man sie sparsamer ausbrennen lässt. Mit dieser löblichen Betrachtung beginne ich meine Ferien, - ob das Temperament Schritt hält, wissen wir noch nicht. Zehn Stunden zu verschlafen, mit Carl Alexander an den Berghängen herumzustreifen, und Abends im Byron zu lesen, ist so übel nicht, und Jedes für sich ganz ungewohnt; ich habe Frau Schmitt geschrieben, an die ich oft denke. Wir sprachen über den jungen Sombart, und ich erzählte ihr einiges aus den Beobachtungen von Stefan Andres über ihn; seine Mutter war so aufmerksam, Chianti zu meinem Krankenhausbesuch zu spenden; Sie sehen, wie sehr es sich herumgesprochen hat, dass ich den Wein liebe wie das Gespräch mit Freunden. 2 Wie ertragen Sie Ihre Einsamkeit, ist Anima Ihre erheiternde und verständige Gesellschafterin? E.J. will Sie noch im Laufe dieser Wochen aufsuchen; Sie haben ganz Recht, wenn Sie ihm Einiges nachtragen, Frau Schmitt nannte mir die Ursache, und da ich sie nun kenne, muss ich Ihnen beipflichten. Nur weiss ich, dass es ein Versäumnis delikater Natur bei ihm war, und dass er fürchtete, Sie in Ihrer Situation als Gast zu belasten; das mag töricht sein, aber es ist nicht oberflächlich, wie es wohl den Anschein hatte. 3 Auch über die Strahlungen haben wir gesprochen; die Wirkung ist eine sehr verschiedene, und die Diskussionen darüber wollen nicht enden. Goslar hat am 25. einen grossen Abend dafür anberaumt, und überall empfangen mich die Plakate mit der Ankündigung: »Für und Wider.« Ich werde mich, inmitten von getreuen Vasallen, an einen Eckplatz begeben, um einmal zu hören und zu sehen, welcher Art die Fronten sind.4 Carl Alexander hat sehr viel Angst, dass ich »aktiv« werde. Er lässt Sie recht herzlich grüssen, und will Ihnen noch selber schreiben. Ein herzliches Gedenken Ihrer Gretha Jünger.

1 Der Besuch fand wohl im Januar 1950 statt. Siehe Gretha Jüngers Schreiben an Carl Schmitt vom 30.12.49. 2 Nicolaus Sombart beschreibt in seiner autobiographischen Schrift >Pariser Lehrjahre 1 9 5 1 1954. Leçons de Sociologie< (Hamburg 1994, S. 27) sein Zusammentreffen mit dem Schriftsteller Stefan Andres in dessen italienischer Wahlheimat anläßlich einer Italienreise vor den Pariser Jahren: »Positano, wo ich in dem magischen Dreieck zwischen Stefan Andres, Armin T. Wegner und Kurt Crämer in das ewige Streitgespräch von Malern und Schriftstellern hineingerissen wurde: Verstehen die Maler mehr von Literatur als die Schriftsteller von der Malerei oder umgekehrt?« Zu Stefan Andres siehe: John Klapper: Stefan Andres - der christliche Humanist als Kritiker seiner Zeit, Bern 1998. 3 Zum Zusammentreffen der beiden siehe Carl Schmitts Schreiben an Gretha Jünger vom 22.11.49. 4 Zu den Reaktionen auf Jüngers >Strahlungen< und zur Rezeptionsgeschichte seines Werkes siehe: Neaman Y. Elliot: A Dubious Past. Ernst Jünger and the Politics of Literature after Nazism, London 2000.

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C A R L SCHMITT AN GRETHA JÜNGER

Plettenberg den 25. Oktober 1949. Liebe und verehrte Frau Jünger! Schon seit langem sollte ich Ihnen schreiben, besonders nach dem wunderschönen Bericht, den Duska mir über Ihren Besuch in Heidelberg geschickt hat. Aber inzwischen ist vieles eingetroffen, was mir die Feder immer wieder aus der Hand schlug. Vorige Woche war ich für eine Stunde in Heidelberg in der Klinik (ich hatte Gelegenheit, mit einem fremden Wagen mitzufahren) und hörte nun von Prof. Siebeck die Mitteilung über die traurige Weiterentwicklung. Es wird eine schwierige Dickdarmoperation nötig sein. Wir können zufrieden sein, wenn Duska bis Weihnachten zurückkehrt. 1 Heute morgen erhielt ich Ihren Brief aus Goslar vom 22. Oktober. Tausend Dank, liebe Frau Jünger. Ihre Briefe sind für mich immer eine Quelle der Stärkung gewesen und auch dieser Brief kam im rechten Augenblick um mich zu trösten. Ich freue mich besonders darüber, dass Sie den Plan, einmal mit Carl Alexander nach Plettenberg zu kommen, nicht aufgegeben haben und dass Sie im Laufe des Winters zu uns kommen wollen. Vielleicht ist die arme Duska Weihnachten wieder hier, dann könnte das schon in den Weihnachts- oder Neujahrstagen sein. Das wäre natürlich am schönsten, aber es ist auch jeder andere Zeitpunkt recht. Für Ende Oktober-Anfang November warte ich auf das Erscheinen von Ernst Jünger in Wuppertal. Ein Werdohler Freund hat ihn mit Gerhard Nebel für einige Tage nach Werdohl eingeladen. Da Werdohl nur 8 km von Plettenberg entfernt ist und ausserdem ein Auto zur Verfügung steht, dürfen wir hoffen, dass auch ein Besuch in Plettenberg zustande kommt. 2 Über den Verlauf der Goslarer Disputation müssen Sie mir berichten. Ich bin neugierig, ob Sie nicht doch »aktiv« geworden sind. Heute, am 26. Oktober, abends 8 Uhr, während ich diese Zeilen schreibe, geht es vielleicht gerade los. Duska hat mir von Ihrer »Palette« erzählt und versprochen, sie bald zu schicken. Ich habe Ihnen schon vor über einem Jahr, als ich zuerst davon hörte, gesagt, wie sehr ich mich oft an Ihrer sprachlichen désinvolture erfreut habe, an der Unmittelbarkeit Ihrer Briefe und Ihres Gesprächs. Wenn das auch in Ihrem Tagebuch zur Geltung kommt, steht mir ein grosser Genuss bevor. Hoffentlich können Sie sich in Goslar gut erholen. Der Schlaf ist die beste Medizin, die Byron-Lektüre nicht. Ich habe Byron lange nicht mehr gelesen und möchte zu gerne wissen, welchen Eindruck er heute auf Sie macht. Sind Sie zufällig auf ihn gestossen (wobei es natürlich keine sinnlosen Zufälle gibt) oder ist der Wunsch nach dieser Lektüre aus irgendeinem Grunde plötzlich in Ihnen erwacht?

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A n i m a f r e u t sich mit mir, Sie beide bald z u sehen. Sie ist sehr fleissig in d e r Schule. V o n ihrer Italienreise ist sie i m m e r n o c h b e g e i s t e r t . 3 W i r h a b e n seit 14 T a g e n eine f r ü h e r e S e k r e t ä r i n 4 aus B e r l i n bei u n s , d i e i m H a u s h a l t hilft u n d u n s auf d i e s e Weise v o r d e r s c h l i m m s t e n V e r w a h r l o s u n g s c h ü t z t , d e n n A n i m a s i t z t die g a n z e Z e i t an i h r e m A r b e i t s t i s c h u n d liest o d e r z e i c h n e t o d e r m a c h t S c h u l arbeiten. D u s k a z e i g t e m i r in H e i d e l b e r g eine s e h r s c h ö n e P h o t o g r a p h i e v o n I h n e n u n d Carl Alexander. H e r r G e b h a r d aus Wuppertal schickte zwei P h o t o s v o n Ernst J ü n g e r , die ich a n D u s k a w e i t e r g e g e b e n h a b e . K e n n e n S i e sie vielleicht? V o n A r m i n M ö h l e r h a b e ich l a n g e n i c h t s m e h r g e h ö r t ; a b e r er w i r d j e t z t w o h l auf d e r H o c h z e i t s r e i s e sein. 5 G e b e n Sie m i r b a l d w i e d e r N a c h r i c h t , liebe F r a u J ü n g e r u n d seien Sie, m i t vielen h e r z l i c h e n W ü n s c h e n v o n A n i m a u n d m i r f ü r Sie u n d C a r l A l e x a n d e r in alter F r e u n d s c h a f t g e g r ü s s t v o n Ihrem Carl Schmitt.

1 Duska Schmitt war an Darmkrebs erkrankt und starb am 3. Dezember 1950. Die folgenden Briefe zeigen die Anteilnahme Gretha Jüngers an ihrem Schicksal und die Trauer Carl Schmitts über ihr Leiden. 2 Der Werdohler Freund ist Peterheinrich Kirchhoff. Gretha Jünger schildert in einem hs Brief an Duska Schmitt vom 11.11.49 aus Goslar (Brief in Privatbesitz) das Treffen: »Inzwischen war E.J. in Werdohl und Plettenberg mit C.S. zusammen; leider war auch der unumgängliche Nebel immer dabei. Mein Instinkt hat mich immer vor ihm gewarnt, obgleich er mich mit Versicherungen seiner Freundschaft überhäufte; und jetzt finde ich, dass er die Rolle des Zwischenträgers weiterspielt, und kann nur immer wieder vor ihm warnen. Mein Gespräch mit Ihnen in Heidelberg war ihm teilweise bekannt, ich vermute, dass er sich aus einer gelegentlichen Äusserung von C. S. das Seinige zusammen suchte, und er hatte nichts Eiligeres zu tun, als es an E. J. weiterzuberichten. Dies alles muss man wissen, und darf ihm nicht das Geringste anvertrauen; es ist nicht das erste Mal, dass ich ihm zusehen muss, wie er die Karten mischt und gegeneinander ausspielt.« Siehe auch das Schreiben Gretha Jüngers an Carl Schmitt vom 9.2.50.

Die erste Italienreise der Schülerin Anima Schmitt erhielt sie von ihrer Nenntante Margarete Oberheid geschenkt. Deren Mann Heinrich Oberheid baute damals die deutschen Filialen der portugiesischen Eisen- und Stahlhändler Coutinho, Caro & Co. mit Stammsitz in Kanada auf. Während sich die Manager des Unternehmens in Düsseldorf trafen, organisierte Frau Oberheid die Reise. 4 Anni Stand. Siehe zu ihr ausführlich die Widmung in Armin Möhlers >Carl Schmitt Briefwechsel mit einem seiner Schülers S. 4 f. 5 Der letzte Brief von Armin Möhler an Carl Schmitt war nach >Carl Schmitt - Briefwechsel mit einem seiner Schüler< vom 19.9.49. 3

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GRETHA JÜNGER AN C A R L SCHMITT

Goslar, d. 29.10.1949. Dr. Nieperstr. 10 b/Haccius. Lieber Herr Professor, Ihr Brief hat mich sehr erfreut; mit gleicher Post traf ein ausführlicher Bericht von Frau Schmitt bei mir ein, und ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr mich alles bewegt. Die Operation wird in diesen Tagen stattfinden; ich besitze nicht Duskas Frömmigkeit, doch die Wünsche des Herzens um ihre Genesung werden wohl dennoch von Gott angenommen. Sie sollen wissen, dass ich in diesen Stunden und Tagen ganz bei Ihnen bin, und dass ich gemeinsam mittragen möchte, an allen Gedanken um sie, an Allem, was Sie Beide betrifft. Es bedrückt mich, dass sie allein ist; ihre Tapferkeit ist gross, aber wir Alle kennen die Einsamkeit und jenen Augenblick grosser physischer Schwäche, in dem wir ihr nicht immer gewachsen sind. So versuche ich denn, ihr wenigsten innerlich so nahe zu sein, dass sie es spüren wird. Ich habe sie gebeten, mir nach Möglichkeit durch eine Krankenschwester über den Verlauf der Operation Nachricht geben zu lassen, und bin sehr unruhig, wann diese wohl eintreffen kann. Frauen wie Duska sind in unserem Zeitalter so seltene Erscheinungen, dass man ihr Niemand zur Seite stellen möchte; darum berührt mich ein jedes Wiedersehen mit ihr so stark, als wäre sie mir Mutter, Freundin und Schwester zugleich, und sie leidend zu wissen, ist mir sehr schmerzlich. Die Berliner Jahre sind wie ein ferner Traum; das Haus in Dahlem aber, das abendliche Feuer am Kamin, das sie mit dem Buchenholz von Popitz anzündete, - das Frühstück in ihrem Zimmer, diese Erinnerung bleibt lebendiger als der Strom der Zeit. Ich hoffe, wir werden in den Weihnachtsferien zu Dritt und mit den Kindern zur Seite, bei Ihnen in Plettenberg Genesung und Heimkehr feiern. Was die »Palette« betrifft, so geben Sie sich keinen grossen Erwartungen hin; ich bin bewusst sehr sparsam im Ausdruck geblieben, weil ich vermeiden wollte, einem vielleicht grösseren Leserkreis Einblick zu geben. Die Neugierde der Menge, mir unerträglich, sollte enttäuscht werden, wenn sie nach den Strahlungen die Gestalt E.J. ausführlich zu sehen hoffte, und Manches mehr. Daher meine grosse Reserve, die Sie spüren werden, und die dem Büchlein vielleicht Abbruch tut. Byron wählte ich mir aus dem Bücherschrank eines Freundes, weil ich dem faustischen Menschen in ihm begegnen möchte; im Herbst kommt man leider auf so dumme Gedanken. Ich begegnete aber nicht Faust, sondern Narzissus mit dem Bocksfuss, der sich selber einen Tempel errichtet, und die unfreiwilligen Opfer die ihm dargebracht werden, registriert. Das sind halbe Gottheiten, deren Anspruch nicht gütig sein kann. Die Dämonie in seinem Charakter ist weibischer Natur; das ist es, aber ich mag die halben Männer so wenig wie die künstlichen Triumphe. 1

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Übrigens gelten gewisse Eigenschaften an ihm: der snobistische Schauspieler, Eitelkeit, die grosse Geste, auch f ü r C a r l o Schmid. Da es mir unmöglich ist meine Gefühle zu verbergen, so hat er auch sogleich mein Urteil über ihn begriffen, und zu Speidel geäussert, dass ich eine höchst gefährliche Frau sei, v o r der man Angst haben müsse. Stellen Sie sich mein Vergnügen vor, als er mir davon berichtete! 2 Meine herzlichsten Grüsse f ü r Sie und Anima! Immer Ihre Gretha Jünger. 1 Bei der Lektüre handelt es sich wohl um Lord Byrons dramatische Dichtung >ManfredFaust< Goethe gewidmet ist. Siehe: George Gordon Lord Byron: Manfred, in: Ders.: Sämtliche Werke, Bd. III, Dramen, hrsg. v. Siegfried Schmitz, München 1978, S. 5-47. Zu Lord Byron selbst, der mit Goethe in brieflichem Kontakt stand, siehe: Fiona MacCarthy: Byron. Life and legend, London 2002. Worauf Gretha Jünger mit der Formulierung von »Narzissus mit dem Bocksfuss« bei Lord Byron anspielt, ist recht deutlich: zum einen auf den romantischen Weltschmerz des Dichters, zum anderen auf seinen verkrüppelten Fuß. Zum Mythos von Narcissus siehe: Almut-Barbara Renger (Hrsg.): Mythos Narziß. Texte von Ovid bis Jacques Lacan, Leipzig 1999. 2 Den Gegensatz zwischen Carl Schmitt und Carlo Schmid, »dem brillantesten Redner des Parlamentarischen Rates« bei der Entstehung des Grundgesetzes stellt Heinrich August Winkler in seinem Werk >Der lange Weg nach Westen II< dar. Schmids Forderung nach »Mut zur Intoleranz denen gegenüber (...), die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen«, (Bd. 2, S. 132) scheint ihm eine klare Lehre des Rates aus dem Scheitern von Weimar zu sein. Winkler sieht jedoch zugleich in der Umkehr von Schmitts Positionen aus der Weimarer Zeit auch dessen Denken bei den Beratungen des Rates stets präsent, »etwa wenn sie sich für eine konsequente repräsentative und gegen eine plebiszitäre Demokratie, für ein Staatsoberhaupt mit überwiegend repräsentativen Funktionen und gegen einen präsidialen >Hüter der Verfassung« entschieden. Auch was die Gegnerschaft zum Weimarer Werterelativismus anging, waren die Väter und Mütter des Grundgesetzes >Schmittianer< - freilich mit einer wichtigen Einschränkung: Sie dachten naturrechtlich und sahen in der >Entscheidung< keinen Selbstzweck; sie waren Normativisten und keine Dezisionisten.« (S. 133) Siehe auch Schmids Vortrag >Weimar - Chancen und Risiken einer Verfassung« aus dem Jahre 1958 in: Carlo Schmid: Politik und Geist, Stuttgart 1961, S. 41-50. Siehe zudem von Carlo Schmid: Erinnerungen, Bern, München 1979.

CARL SCHMITT AN GRETHA JÜNGER Plettenberg, den 22. November 1949. Liebe und verehrte Frau Jünger! Sie haben mir einen wunderschönen Brief geschrieben, eine wahre Stärkung. Ich habe ihn an Duska weitergegeben, die noch in Heidelberg in der Chirurgischen Klinik ist. W i r hoffen, dass sie bis Weihnachten zurückkommt. Ich schreibe Ihnen heute, weil ich besorgt bin, dass Sie und Carl Alexander vielleicht nicht

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nach Plettenberg kommen wollen. Das wäre sehr schade und würde Anima und mir sehr leid tun. Ernst Jünger, der mich von Wuppertal aus in Werdohl und für eine Stunde auch in Plettenberg traf, erzählte, dass Sie Weihnachten wieder in Ravensburg wären. Ich hatte dabei den Eindruck, dass Sie nicht nach hier kommen wollten. Nun ist das allerdings ein Umweg, von Goslar über Plettenberg nach Süddeutschland, und die Anziehungskraft von Plettenberg ist klein, ja, wenn Duska nicht da ist, so gut wie nichts. Trotzdem wage ich es, Sie zu fragen, ob Sie doch für einen oder zwei Tage kommen wollen. Liebe und verehrte Frau Jünger! Heute, am 30/XI fahre ich mit diesem Brief fort. Duska wird in 8-14 Tagen wieder hier sein. Es wäre wunderbar, wenn wir uns hier treffen könnten. Es ist unendlich viel zu erzählen und zu besprechen. Anima soll diesen Samstag, 3. Dezember, nach Heidelberg reisen, um ihre Mutter auf der Heimreise zu begleiten. Diese Heimreise wird langsam gehen, über Mainz. Ich hoffe aber, dass sie nicht länger als eine Woche dauert. Geben Sie bald Nachricht und seien Sie mit Carl Alexander aufs herzlichste gegrüsst von Anima und von Ihrem alten unveränderlichen Carl Schmitt.

GRETHA JÜNGER AN CARL SCHMITT, Plettenberg II / Westfalen

Goslar, d. 9./12.1949. Lieber Herr Professor, meinen Dank für Ihren Brief! Ich suche Sie auf der Rückreise von Ravensburg, Anfang Januar auf; Carl Alexander muss hier noch bis Ostern das Gymnasium besuchen, und ich will ihn nicht in Pension geben. Aus Ravensburg schreibe ich Ihnen dann noch den genauen Termin der Ankunft, ich denke, dass Gebhard mir ab Wuppertal seinen Wagen zur Verfügung stellen wird. 1 Sehr freue ich mich über die Rückkehr von Frau Schmitt; umarmen Sie sie für mich bei ihrem Einzug! Das wird ein fröhliches Weihnachtsfest für Sie bedeuten, nachdem alle Krankheit überwunden ist. Ich werde ihr noch vor meiner Abreise von hier, die am 18. erfolgen soll, schreiben. Ihnen Allen die herzlichsten Grüsse! Ihre Gretha Jünger. 1 Der Wuppertaler Textilfabrikant Klaus Gebhard besuchte Carl Schmitt oft gemeinsam mit Gerhard Nebel, wobei die beiden meist mit dem Auto des Unternehmers anreisten. Gemeinsam mit Heinrich Gremmels und Gerhard Nebel gründete Klaus Gebhardt den Gesprächskreis >Der Bund« mit dem gleichnamigen Jahrbuch. Die genaue Anschrift in Plettenberg lautet auf der Karte: »Brockhauser Weg 10.«

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GRETHA JÜNGER AN C A R L SCHMITT, P l e t t e n b e r g II / W e s t f a l e n

[Ravensburg], 30.12.1949. 1 Lieber Herr Professor, soeben kommt Ihr Brief, für den ich herzlich danke. Meine Abreise verschiebt sich des grossen Andranges von Gästen wegen um einen Tag; ich werde am Sonnabend d. 7. von Frankfurt aus weiterfahren, kenne indessen noch nicht die Reiseroute; so werde ich Ihnen in Frankfurt noch telegraphieren, wenn ich in Finnentrop eintreffe. 2 Sollte es Ihnen Schwierigkeiten bereiten, mich dort abzuholen, so hoffe ich, ein Taxi zu bekommen, das mich nach Plettenberg bringen wird. Am Montag Morgen muss ich nach Hannover reisen. Noch einmal alles Gute zum Jahreswechsel! Ich freue mich sehr auf unser Wiedersehen. Die herzlichsten Grüsse Ihrer Gretha Jünger. Der Ort nach dem Poststempel der Karte. Zu dem Besuch siehe Gretha Jünger an Duska und Carl Schmitt, 12.1.50. Siehe zudem das Schreiben Carl Schmitts an Ernst Jünger vom 10.1.50 in: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 243-245. 1

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GRETHA JÜNGER AN C A R L SCHMITT, P l e t t e n b e r g II / W e s t f a l e n

[Ravensburg], 2./I.1950.1 Lieber Herr Professor, man sagt mir, dass ab Frankfurt ein D.-Zug um IV9 abgeht, der um \604 in Finnentrop einläuft. Also Sonnabend 16°·*! Hoffentlich habe ich ab Finnentrop eine Taxi-Verbindung; sparen Sie sich den Weg, ich werde irgendeine Möglichkeit finden. Auf Wiedersehen, und herzlichste Grüsse an Ihr Haus! Ihre Gretha Jünger. 1

Der Ort nach dem Poststempel der Karte.

GRETHA JÜNGER AN D U S K A UND C A R L SCHMITT

Goslar, d. 12./I.1950. Dr. Nieperstr. 10. Meine liebe Frau Duska, lieber Carl Schmitt, ich habe Ihnen nicht nur für die schönen Tage in Plettenberg, sondern vor Allem für die Liebe zu danken, mit der Sie mich empfangen haben; sie ist und bleibt die tragende Kraft meines Lebens, und wo sie mir begegnet, stärkt sie

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mich und die Aufgaben, die mir vom Schicksal gestellt sind. Ich sagte einmal zu Neske, dass meine Situation der eines Menschen gleicht, der sich an einem Spieltisch befindet, wo es nicht nur um die höchsten Einsätze geht; die verschiedenen Teilnehmer bemühen sich auch, die Bank zu sprengen. Ich sehe diesem Spiel zu in dem Bewusstsein, das Gold in der Tasche zu tragen, und ich bewahre es bis zu dem Augenblick, in dem der Unglückliche, der Alles verlor, das Gold vom Kupfer zu unterscheiden versteht. Es wäre mir unmöglich diesen Weg bis zu seinem Ende zu gehen, wenn ich nicht wüsste, dass sich hinter all diesen Irrungen und Wirrungen, dem roten Segel des Piraten und dem dunklen Kreis der Magie, eine edle Gestalt verbirgt; so handelt es sich nicht nur um die einfache Rettung eines Schiffsbrüchigen, sondern um den Kampf mit dem Teufel um eine Seele, und ich nehme ihn immer noch auf. Wenn ein Brief von E . J . abgehen sollte, so wüsste ich gern, was er zum Ausdruck brachte; ich bin noch ohne Antwort auf den meinigen, und gänzlich unwissend, wie sie ausfallen wird. 1 Dieses Barometer wechselt so häufig in seinen Stimmungen und der Aufnahmebereitschaft, dass ich nichts voraussagen kann. Die Reise verlief unter Schwierigkeiten, weil das Hautübel sagenhafte Fortschritte machte, und ich erreichte Goslar mit letzter Anstrengung. Das Gesicht war geschwollen, Hände und Füsse in einem Zustand, dass ich den Professor Schulze kommen liess, einen langjährigen Mitarbeiter und Oberarzt von Siebeck; er wusste mir jedoch nur zu sagen, dass er als Arzt gegen diese Nervenentzündung machtlos sei, da ich ja nicht aus meiner Haut heraus könne, und das ist richtig. Ruhe, Ruhe! Aber sie entspricht weder meinem Schicksal noch der Art, wie ich auf die Menschen und Dinge reagiere, und so sehe ich keine Besserung voraus. Wichtig war mir die wiedergewonnene Gesundheit unserer lieben Duska, und auch darin ist sie mir Vorbild. Der Spaziergang war schön mit ihr, und ich denke an jede Stunde in Ihrem Hause und den Bergen gern zurück. Dies für heute; ich bin noch nicht wiederhergestellt, und liege den Tag über zu Bett. Ihnen Allen meine herzlichsten Grüsse! In Dankbarkeit Ihre Gretha Jünger. 1 Anspielung von Gretha Jünger auf ihre Ehekrise. Zum Verständnis dieses Briefes siehe Carl Schmitts Schreiben an Gretha Jünger vom 14.1. und ihre Antwort vom folgenden Tage. Siehe auch Ernst Jüngers Briefe an Carl Schmitt aus Ravensburg vom 13. und 16.1. sowie vom 8.2.50 in: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 246-249.

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CARL SCHMITT AN GRETHA JÜNGER Plettenberg, den 14/1 50. Liebe und verehrte Frau Gretha Jünger! Wir sind in Sorge u m Ihre Gesundheit und hoffen, dass Sie sich in Goslar gut schonen und sammeln können. Wenn Ihnen das gelingt, ist alles gewonnen. Alles kommt dann von selbst auf Sie zu. U m Dich ist gross Gedräng, so sei darum nicht bange. Es läuft Dir alles zu, dass es zu G o t t gelange. 1 Vielen Dank für Ihren Brief! A u c h wir denken noch viel an die schönen Stunden Ihres Besuches, und Duska macht mir immer noch Vorwürfe, dass ich Sie in unserm nächtlichen Gespräch so wenig schonend attackiert habe wegen der überweisen Enkelin Nathan, des Weisen, an der Sie doch unschuldig sind. Ich habe E . J . gleich am 10. d . M . einen Brief geschrieben, an die Besprechung von Karl K o r n in der F r a n k f u r t e r ] Allgemeinen] Z[ei]t[un]g anknüpfend, die Sie wohl kennen, und hoffe, dass der Brief noch vor dem Meskalin-Experiment eintrifft. Ich habe ihm auch gesagt, dass er ärger gefährdet ist als ich, trotz der Meute, die hinter mir her ist. 2 Ruhen Sie gut aus, liebe Frau Jünger, und seien Sie von uns allen nochmals herzlichst bedankt für Ihren Besuch in Plettenberg. Grüßen Sie auch mein Patenkind bestens von mir. Wir alle drei - Duska, Anima und ich - denken in treuer Liebe und Anhänglichkeit an Sie. Ich bleibe Ihr alter und unveränderlicher Carl Schmitt. (Mit fürchterlichem Rheumatismus und Schmerzen im rechten O b e r a r m geschrieben). 1 Im »Cherubinischen Wandersmann< (I, 275) des Angelus Silesius heißt es unter dem Leitwon »Der Mensch bringt alles in Gott«: »Mensch alles liebet dich; um dich ists sehr gedrange: / Es lauffet alls zu dir / daß es zu Gott gelange.« Siehe: Angelus Silesius (Johannes Scheffler): Cherubinischer Wandersmann, Kritische Ausgabe, hrsg. v. Louise Gnädinger, Stuttgart 1984, S. 67. Dieser Trost Schmitts für Gretha Jünger bezieht sich auf deren vorhergehenden Brief, in dem sie unausgesprochen die eheliche Untreue ihres Mannes in dessen Pariser Zeit beklagt. Hierzu schrieb Ernst Jünger am 16.1.50 an Carl Schmitt: »Meine gute Frau hat mit Recht viel zu klagen über mich. Aber sie kennt mich doch, über die Schönheitsflecke hinaus. Das ist es, was ich von einer Frau und von Freunden voraussetze. Sonst bleibts doch nur Soziologie.« Im Kommentar zu dieser Briefstelle wird darauf hingewiesen, daß Jüngers Liebschaften durch die Publikation der >Strahlungen< 1949 bekannt wurden. Siehe: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 248 u. 680. 2 Hinsichtlich der Diskussion über die »Enkelin Nathan[s]« schrieb Carl Schmitt am 10.1. an Ernst Jünger: »Wir hatten ein sehr heftiges Nachtgespräch, bei dem für mich die Figur der Parsin zum spitzesten Stein des Anstosses wurde, während Frau Jünger gerade diese Figur in der rührendsten Weise zu verteidigen suchte. Ich trank dabei soviel Wein, dass ich gar nicht bemerkte, wie sehr das alles Ihre Frau anstrengen und angreifen musste, bis mir Frau Schmitt deshalb Vorwürfe machte, die ich jetzt auch selber gegen mich erhebe.« Die Parsen stehen in

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Ernst Jüngers Roman >Heliopolis< für das Judentum. Der Held des Romanes, Lucius de Geer, schützt einen parsischen Buchbinder und dessen Tochter vor Verfolgungen. Hier ist die Parallele zu Lessings >Nathan der Weise< offensichtlich, wird dort doch Recha, die Tochter Nathans, von einem christlichen Tempelherrn vor dem Feuertode gerettet. Das Drama in: Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise, in: Ders.: Werke, hrsg. v. Herbert G. Göpfert u. a., München 1971, S. 205-347. Zu dem Werk selbst siehe: Helmut Goebel (Hrsg.): Lessings Nathan. Der Autor, der Text, seine Umwelt, seine Folgen, Berlin 1993. Weiter ist Karl Korns Rezension >Der Sprung ins Wunderbare. Zu Ernst Jüngers neuem Buch >Heliopolis« in der frankfurter Allgemeinen Zeitung< (Nr. 46, Weihnachten 1949, o. S.) gemeint. Als Fazit zu diesem Werk schreibt er in seiner äußerst kritischen Besprechung: »Das Buch bestätigt die Befürchtung, Ernst Jünger könnte sich ausgeschrieben haben, er könnte vielleicht gar steril geworden sein.« Die Formulierung hinsichtlich der Gefährdung Schmitts und Jüngers bezieht sich auf eine »freundschaftliche Warnung« Ernst Jüngers in einem Briefe vom 28.11.49 (Briefe, Jünger Schmitt, S. 242f.). Dort heißt es hinsichtlich des anonym erschienenen Schmittschen Aufsatzes >Franciso de Vitoria und die Geschichte seines Ruhmes< (in: Die neue Ordnung, III, 4, Heidelberg 1949, S. 289-313): »Sehr deutlich geworden ist mir die Gestalt des Vitoria. Sowohl Ihre Ubersicht als auch Ihre Umsicht und Vorsicht haben in einer Weise zugenommen, die den Eindruck von höchster geistiger Macht erweckt. Nur hinsichtlich der Parsen seien sie freundschaftlich gewarnt. Sie kennen doch sonst die neuralgischen Punkte gut.« (S. 242.) Dies weist Schmitt deutlich zurück: »Jeder von uns beiden hat einen Namen und eine Sache, echten Ruhm und ein Gesicht, und jeder von uns beiden kann alles das verlieren. Ich mache meinen Fall auf meine Weise ab und ziehe Sie nicht hinein. Ihr Fall liegt ganz anders, einfacher und doch so, dass Sie ärger gefährdet sind als ich mit aller der Meute hinter mir.« (Siehe: Carl Schmitt an Ernst Jünger, 10.1.50, in ebd., S. 244 ». 245.) Wie Schmitt seinen »Fall« unmittelbar nach dem Ende des Dritten Reiches mit sich abmachte, erläutert Wolfgang Schivelbusch in seiner >Kultur der Niederlage< (Berlin 2001, S. 13 f.). Er sieht dort zwei Arten des individuellen »Niederlagendenkens«, und zwar »die >betroffene< Selbstreflexikon des Verlierers und die beobachtende Reflexion des unbeteiligten Dritten.« Carl Schmitts Essay >Historiographia in Nuce: Alexis de Tocqueville< (in: >Ex captivitate Salus. Erfahrungen der Zeit 1945/47Der Sound der Väter. Gottfried Benn und seine Zeit< (Berlin 2006, hier S. 237-257) anhand des Beziehungsgeflechtes des Dichters zu Carl Schmitt und Ernst Jünger in der Nachkriegszeit »Schmitts Traum vom Dreigestirn, das geschlossen der Schuldkultur die Stirn bietet« (S. 248). »Öffentliche Zeichen der Scham gehören für Schmitt zu einem von den Besatzungsmächten vorgeschriebenen Ritual. Vornehmheit verbietet es, daran teilzunehmen.« (S. 245.) Doch schon früh zerbricht für Schmitt diese Trias: »Die erste Enttäuschung bereitete ihm Ernst Jünger, als er das Manuskript der Strahlungen liest. Jüngers >Selbstbespiegelungen< sind ihm unerträglich.« (S. 247.) Siehe den Fortgang der brieflichen Auseinandersetzung bis zu den Zeilen Ernst Jüngers an Carl Schmitt vom 8.2.50 in: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 249. Insgesamt steht dieser Konflikt auch für die seit den 1950er Jahren stärker werdenden Spannungen zwischen Ernst Jünger und Carl Schmitt, die sicher auch auf Jüngers langsame Rückkehr und Anerkennung in der

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Öffentlichkeit bei der fortdauernden Isolation Schmitts zurückzuführen sind. Der Fortgang des vorliegenden Briefwechsels zeigt, daß Gretha Jünger immer wieder versuchte, als Vermittlerin zwischen beiden zu wirken. Zu Ernst Jüngers Meskalinerfahrungen siehe dessen Schrift >Annäherungen. Drogen und Rausch< (Stuttgart 1970).

G R E T H A J Ü N G E R AN C A R L S C H M I T T

Goslar, d. 15.1.1950. Lieber Herr Professor, Ihr Brief hat mir sehr wohl getan; mit gleicher Post rief mich E. J. nach Ravensburg zurück. Ich werde am 1. Februar hier abreisen, weil ich fühle, dass er mich braucht, und dass unser gemeinsamer Anruf von ihm aufgenommen wurde. Ich empfinde sehr stark die Bedeutung unseres Wiedersehens in Plettenberg, und dass Sie es sind, der das künstliche Gebäude um ihn sprengte; bislang brachte Niemand den Mut dazu auf, und ich befand mich allein. So darf ich Ihnen auch sagen, dass ich Ihnen mehr verbunden bin als je zuvor, und dass Ihr Bibelwort eine grosse Stärkung für mich bedeuten wird in den kommenden Wochen. Meine Gesundheit ist schlecht, aber das will nichts besagen; ich kenne den Einsatz, ich kenne auch den Lohn. Wenn es Ihnen und mir gelungen ist, das rechte Wort im rechten Augenblick auszusprechen, so ist Alles gewonnen, und ich glaube bereits sagen zu können: es ist so. Das Meskalin-Experiment hat stattgefunden; die eigentliche Auswirkung kenne ich noch nicht, doch schrieb mir Mathias Wieman, der anwesend war: » E . J . band mir beim Abschied ganz dringlich, in einer seltsam leuchtenden Mischung von Heiterkeit und Melancholie auf die Seele, Ihnen zu schreiben, und wörtlich zu sagen: Sie möchten nie an ihm zweifeln. In diesem >entmaterialisierten Zustand< in dem er sich befand, war für mich noch deutlicher und sichtbarer als in Ravensburg, wie tief Ihrer beider Zusammengehörigkeit ist.« 1 Ich zweifle nicht, lieber Herr Schmitt, und auch Sie dürfen, was das Wesentliche anbelangt, nicht zweifeln. Vielleicht gibt es das Viele, das uns fremd ist, Vieles, das wir nicht deuten können; dennoch bleibt die echte Substanz. Bleiben Sie ihm wie mir verbunden; ich weiss, dass er Ihnen innerlich die Treue bewahrte, so weit er sie zu geben imstande ist. Sie alle grüsse und umarme ich herzlichst! In treuer Anhänglichkeit Ihre Gretha Jünger. 1 Zu dem Schauspieler Mathias Wieman siehe: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 254 u. 690. Im Nachlaß Carl Schmitts befinden sich zwei Briefe Wiemans aus dem Jahre 1951.

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G R E T H A J Ü N G E R AN C A R L S C H M I T T

Ravensburg, d. 9. II. 1950. Lieber Herr Professor, heimgekehrt, fand ich die Situation zwischen Ihnen und E . J . als unglückliche Spannung vor, die mich so sehr betrübte, dass ich den wahrhaft Schuldigen in diesem Fall, Gerhard Nebel, für immer aus dem engeren Kreis verbannt habe, zu dem er sich einen zu gewaltsamen und unerlaubten Zutritt verschafft hatte. Ich übersehe am Besten, wie sehr er durch ständige und falsche Wiedergabe Ihrer Gespräche bei E . J . den Eindruck zu erwecken verstand, Sie hätten nur noch Gegnerschaft und härteste Kritik für ihn; wie weit er auch bei Ihnen mit diesen bösartigen Einflüsterungen Gehör fand, kann ich nicht entscheiden. Ich weiss nur Eines: dass eine solche Gestalt zweiten Ranges nicht auf die Ebene zwischen Ihnen und E . J . gehört, und dass eine Freundschaft von Jahrzehnten wie die unsrige, - gleichgültig ob sie durch ein gelegentliches Ressentiment, die Fehler des Einen oder Anderen, getrübt werden konnte, im tiefsten, im absoluten Sinne, echt geblieben ist und bleiben wird. 1 Ich habe es, von meiner inneren Bindung an Sie abgesehen, sowohl bei Ihnen als auch bei E . J . erkannt, und das selbst im Augenblick der Kritik, des Vorwurfes, der berechtigten Hinweise. Das gab mir den Mut zu hoffen; Ihre letzte Antwort an E . J . verrät soviel Rang und Würde, dass er der Erste war, der es anerkannte und Ihnen wohl auch gleich zum Ausdruck brachte. 2 Ich war so von Herzen froh darüber, dass ich Sie Beide am liebsten in die Arme geschlossen hätte. Es geht hier um Wesentliches, um die Bedeutung der geistigen, der politischen, der menschlichen Begegnung zwischen Ihnen; man kann sie so wenig leugnen, dass dem gegenüber Alles Andere schweigen muss. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Ihre beiderseitigen Aufgaben gemeinsame Stärkung voraussetzen und dass ein jedes Abweichen davon naturgemäss den Einen wie den Anderen schwächen muss; ich fühle aber auch, dass die »letzte Instanz« nicht angerufen werden muss und dass ein Wiedersehen zwischen Ihnen heilsam sein wird. Mit meinem vollen Herzen bin ich bei Ihnen und Duska, bin ich bei meinem Mann, um bis zum letzten Tage der eigenen Aufgabe wie den Freunden getreu zu bleiben. In der Wüste die uns umgibt, in den Bedrohungen von aussen her, müssen wir uns wie in einer Festung zusammen schliessen! Seien Sie beide meiner Liebe und Dankbarkeit immer fest versichert, auch der Zuneigung von E . J . der sie nicht so ausschliesslich zu zeigen imstande ist, aber dass sie in allen Wirbeln der Zeit in Wahrheit unverletzt bleibt - dafür möchte ich mich verbürgen. Ich bin und bleibe: Ihre Gretha Jünger. 1 Ein Hinweis auf das Zerwürfnis mit Gerhard Nebel findet sich in einem späteren Brief Armin Möhlers an Carl Schmitt vom 10.12.50 in >Carl Schmitt - Briefwechsel mit einem seiner Schüler< (S. 93). Es heißt dort: »Nebel unterlässt keine Gelegenheit, Sie in widerlicher

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Weise schlecht zu machen und vor allem über Ihr schönes Buch >Ex captivitate Salus« herzuziehen. Er steht nicht an, Sie laut einen potentiellen Massenmörder« (wörtlich) zu nennen. Vor drei oder vier Wochen noch, als ihm der Zustand von Frau Schmitt längst bekannt war, hat er - und das trage ich ihm am meisten nach - sich noch in widerlicher Weise über Frau Schmitt lustig gemacht. Nun höre ich von Frau Gretha, dass er sich unter Berufung auf Frau Schmitts Schicksal wieder bei Ihnen eingeschlichen hat. Damit er sein Wort einhalten konnte, irgendjemandem den >alten Schmitt« vorzuführen. Um durch den Wein Ihre Wachsamkeit einzuschläfern und Sie Dinge sagen zu lassen, die er dann wieder gegen Sie verwenden kann. Um auf Sie einzupoltern und nachher, da Lautstärke nicht Ihre Sache ist, zu sagen: dem Schmitt habe ich es aber wieder einmal gegeben.« Siehe weiter das Schreiben Ernst Jüngers an Gerhard Nebel vom 21.1.50, in dem es zum Zerwürfnis u.a. heißt: »Ohne Zweifel reden Sie zuviel, besonders wenn Sie getrunken haben, und das schafft Ihnen dann viel Verdruß.« In: Jünger / Nebel: Briefe (1938-1974), S. 350-353, hier S. 351. Siehe dort (S. 354-357) auch das Antwortschreiben Gerhard Nebels vom 23.1. [50] sowie das Schreiben Gretha Jüngers vom 18.5.52 im vorliegenden Band. 2

Gemeint sind Carl Schmitts Zeilen vom 5.2. und die kurze Antwort Ernst Jüngers vom

8.2.50. Siehe: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 248f.

GRETHA JÜNGER AN C A R L SCHMITT

Wilflingen, d. 15.11.1950. Lieber Carl Schmitt, ich schrieb soeben an die Sekretärin von Prof. Siebeck, die mich benachrichtigen soll, wenn Duschka erlöst ist. Unsere Reise an Ernsteis Grab nach Carrara, die wir dieses zu erwartenden Unglücks wegen hinauszögerten, muss der Pässe wegen am Montag angetreten werden; wir werden ca. 8 - 1 0 Tage unterwegs sein, und ich gebe die Anschrift eines Freundes in Basel an, der mich in einem solchen Falle verständigen wird. Ich würde die Rückfahrt von Italien dann benutzen, um zu Ihnen zu eilen. Wie es Duschka ergeht, wage ich kaum noch zu fragen, und ich kann auch Ihnen nur von meinem treuesten Gedenken an Sie Beide sprechen. Hier starb nach schwerem Leiden Baron Stauffenberg, unser Gönner und Hausherr, und sein Sohn bezieht zum Februar das Schloss; wir werden den bisherigen Wohnsitz des alten Herrn übernehmen, die Oberförsterei, die uns gegenüber liegt. Wieder ein Wechsel, der hier alles mit grosser Unruhe erfüllte, denn hundert Trauergäste kamen nach Wilflingen; das ist mit der Grund unseres Schweigens.1 E.J. war verreist, und fand bei der Rückkehr Ihr Buch vor, das uns alle erfreute.2 Ihnen und Anima von Herzen alles Gute und getreue Grüsse! Ihre Gretha Jünger. Gemeint ist der Tod von Franz Freiherr Schenk von Stauffenberg. Wohl >Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft« (Tübingen 1950). Siehe zu Carl Schmitts Publikationen im Jahre 1950 auch sein Schreiben an Gretha Jünger vom 12.8.50. 1

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G R E T H A J Ü N G E R AN C A R L SCHMITT, P l e t t e n b e r g I I , W e s t f a l e n

[Ravensburg,] 23.4.1950. 1 Lieber Herr Professor, Möhler teilte mir mit, dass Frau Schmitt wieder nach Heidelberg gereist ist, und dass es ihr seit einigen Wochen schlechter ging. Das beunruhigt mich sehr. Bitte teilen Sie mir ihre Anschrift mit, ich weiss nicht, ob sie bei Prof. Siebeck oder Prof. Bauer untergebracht ist. In all den Wochen habe ich intensiv an Sie Beide gedacht, war nur durch vielerlei Umstände vom Schreiben abgehalten; ein längerer Brief soll in Kürze folgen. Hoffentlich haben Sie keine schlechten Nachrichten; nichts liegt mir mehr am Herzen, wie der Zustand meiner lieben Duschka. Ihnen und Anima die herzlichsten Grüsse. Immer Ihre Gretha Jünger. 1

Der Ort nach dem Poststempel der Karte.

G R E T H A J Ü N G E R AN C A R L SCHMITT

Ravensburg, d. 14./6.1950. Lieber Carl Schmitt, von Duschka bin ich noch ohne Nachricht auf meinen Brief hin; ich kann nur hoffen, dass der Heidelberger Aufenthalt im günstigen Sinne verlaufen ist, dass sie sich wohl fühlt, und dass zu Befürchtungen kein Grund vorliegt. Ich bin innerlich zu sehr an Allem beteiligt was Sie betrifft, daher machte ich mir auch Sorgen, und hätte gerne etwas über ihr Befinden gehört. In all den Wochen, Monaten, die vergangen sind, wollte ich Ihnen schreiben; aber die Aura des geschriebenen Wortes ist eine andere wie die der persönlichen Aussprache. Da wir uns indessen so bald nicht sehen werden, muss ich versuchen Ihnen das nahe zu bringen, was mich beschäftigt. Unsere Unterhaltung in Plettenberg hat bei E.J. den Eindruck eines Forums erweckt, das sich an den Richtertisch begab; er verzeiht darum weder Ihnen noch mir den Hinweis auf Dinge, die er als nebensächlich, als untergeordnet empfindet, und die, seiner Wertung nach, in keinem wesentlichen Verhältnis zu seiner Erscheinung stehen können. Er erblickt in ihnen Schwächen, aber keine Gefährdungen; er glaubt, dass es nicht Zuneigung und Sorge, sondern Ressentiment und heftige Kritik waren, die den Plettenberger Abend bestimmten.1 Er glaubt fernerhin, dass Sie aus einem wohlwollenden Freunde zum Ankläger und Richter wurden, und macht mir den Vorwurf, diese Anklage geteilt, und dadurch eine zwanzigjährige Freundschaft zerstört zu haben. Ich muss diese Dinge offen aussprechen, weil mir alles Zwiespältige zuwider ist, und weil ich nur den einen Wunsch besitze, Menschen wie Sie und E.J. wieder einander zu nähern und Missverständnisse dieser Art zu beseitigen; es ist nicht

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nur die Freundschaft, die Zuneigung, die mich dazu führt, es ist das Bewusstsein Ihrer Zusammengehörigkeit im menschlichen, geistigen wie politischen Sinn, mögen noch so viele verschiedenartige Strömungen davon ausgehen. Die Tiefe Ihrer Beziehung zueinander ist für mein Gefühl so klar wie die Tiefe des Wassers; sie konnte getrübt werden, sowohl durch Dritte, durch Menschen zweiten Ranges, 2 als auch durch eigene Unvorsichtigkeiten, durch Kälte, Entfremdung. D a ich mir über das Wesen Ihrer Kritik im Klaren bin und sie dem Freunde im Gegensatz zu der Ansicht E . J . zubilligen muss, weil ich darin Besorgtheit und nicht Antipathie erkenne, da ich bei ihm nur die Empfindsamkeit sehe, mit der er diese Kritik als Gegnerschaft empfindet, so erscheint mir das Ganze nicht als unlösbar. Es kommt auf die Echtheit einer Bindung an, und ich glaube an sie. Die Aufgabe, die Möhler und mir hier erwachsen ist, zwei Lehnsherren die Treue zu bewahren, und weder den Einen noch den Anderen zu verletzen sondern zu stärken, müsste schwer fallen, wenn nicht der Glaube an diese Echtheit vorhanden wäre. Ich hoffe, dass ein Wiedersehen zwischen Ihnen die Dissonanzen beseitigen, und dass der Grundakkord wieder aufklingen wird; ich hoffe es nicht nur, ich glaube es zu wissen. Dieses Leben unserer Zeit ist wirklich nur zu ertragen, wenn es noch den Anruf in der Wüste gibt; wir haben keine Illusionen mehr, aber wir unterscheiden immer noch zwischen dem Kommando, das den Schussbefehl erteilt, und dem Menschen, der sich in einem solchen Augenblick neben uns an die Mauer stellt. In dieser Situation stehen wir alle, meine ich; vielleicht müssen wir darum versuchen, die Empfindsamkeit abzulegen, mit der wir auf so Manches reagieren, was unseren Stolz oder unser Gefühl für die Linie verletzt. Ich gebe die Mühe nicht auf, auch wenn mein Temperament oft genug so stark ist wie die Heftigkeit, mit der ich ablehne oder zustimme; es ist nicht der Zufall, der uns einen Partner zuführt. Wir haben uns also zu bewähren, Jeder nach seiner Art, aber doch so, dass an der letzten Zollstation kein Zweifel über Wert und Unwert bestehen kann. Als ich mit Ihnen über E . J . sprach, wussten wir Beide, wo wir standen, und ich habe daher kein Schuldbewusstsein; weder Sie noch ich könnten so viele Jahre der Gemeinsamkeit auslöschen, noch wollten wir es. Wenn ein Gefühl des Schmerzes dabei mitsprach, so beweist es nur die innere Anteilnahme. Die endgültige Antwort kann nur E . J . selber geben; er sagt mir immer wieder, dass ich nicht zweifeln dürfe, und darin liegt wohl der für ihn tiefste Sinn. A m 15. Juli siedeln wir nach Wilflingen in das Schloss von Frh. v. Stauffenberg über; Möhler wird es Ihnen berichtet haben. 3 Ich erhoffe viel von der Ruhe dort, dem Räume, über den wir endlich wieder verfügen können, und ich will noch einmal wie in der Anfangszeit von Kirchhorst, an den Ausbau einer Insel gehenf.] 4 Gemeint ist der Besuch Gretha Jüngers bei Carl Schmitt im Januar 1950. Zu denken ist hier an Gerhard Nebel. 3 Der Brief Armin Möhlers vom 2.6.50 in: >Carl Schmitt - Briefwechsel mit einem seiner Schüler«, S. 82 f. 4 Der Rest des Schreibens fehlt. Es trägt Schmitts hs N o t i z »b. 12/8 50«. 1

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C A R L SCHMITT AN GRETHA JÜNGER

Plettenberg 12. August 1950. Liebe und verehrte Frau Jünger! Ihren Brief vom 14. Juni habe ich oft gelesen und oft zu beantworten versucht. Ich fand aber in allen diesen letzten Wochen niemals die Sammlung, die dazu gehört. Duska war die ganze Zeit schwer krank und litt Tag und Nacht an fürchterlichen Schmerzen, von denen man nicht wusste, ob sie reine Nervenschmerzen oder Metastasen (als Folge des Darmkrebses) sind. Schliesslich ist sie dann am 30.Juli wieder nach Heidelberg in die Siebeck'sche Klink gegangen. Aber die bisherigen Nachrichten sind traurig. Vielleicht fahre ich nächste Woche hin, wenn ein Besuch aus Paris, der sich angemeldet hat, mich mit dem Wagen mitnehmen kann. Gleichzeitig musste ich in diesen letzten Wochen die schwierigen Korrekturen meines neuen völkerrechtlichen Buches erledigen, neben den Korrekturen der beiden kleineren Schriften Ex captivitate und Donoso Cortés. Ex captivitate ist jetzt fertig. Ich schicke Ihnen ein Exemplar für Carl Alexander. Im September will der Verlag auch die beiden andern Bücher (Nomos und Donoso) herausbringen. 1 Die Wut meiner Verfolger, besonders von Prof. Erich Kaufmann ist unbeschreiblich, die Hetze unglaublich, sodass ich meine Bekannten nicht gerne mit mir belaste und meine Sache lieber allein absolviere. Dazu kommt, dass der »Nomos « durch die weltpolitische Entwicklung eine plötzliche, ungeahnte Aktualität erhält und ich wirklich wie der kleine David antrete, zwar mit einer guten Schleuder, aber gleich gegen zwei Goliathe und vom eignen Volk im Rücken beschossen.2 Aber besser so, als, sich selbst überlebend, verwesen. Sie sind also nun inzwischen umgezogen und ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute für Ihre neue Wohnung. Schreiben Sie einmal an Duska, wie es Ihnen jetzt gefällt (Heidelberg, Klinik Prof. Siebeck, Privat Abt. Bergheimerstr. 58); sie hat oft von Ihnen gesprochen und mich oft daran erinnert, dass ich Ihnen schreiben soll. Grüssen Sie bitte auch Armin Möhler von mir, der mir vor einigen Wochen einige Gedichte und neulich den Beitrag Ernst Jüngers zur Heidegger-Festschrift geschickt hat. Ich hoffe, dass er bald die früher einmal geplante Reise in unsere Gegend machen wird. 3 Sonst bin ich hier ziemlich vereinsamt, trotz gelegentlicher Besuche von Neugierigen. Anima führt den Haushalt, kocht und hält die Wohnung in Ordnung; sie lässt herzlich grüssen. Auf die Vorwürfe gegen mich, die Sie in Ihrem Brief mitteilen, antworte ich nicht. Wer mir Vorwürfe machen will, wird leicht Material und Beweise und Bundesgenossen genug finden. Mir bleibt jetzt nichts übrig, als den letzten Rest meiner Kraft zusammen zu nehmen und die drei Dokumente, mit denen ich mich jetzt stelle und mein Recht auf Gehör geltend mache, in einer guten

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Form herauszubringen. Ich habe oft heftig den Wunsch nach einem Gespräch mit Ihnen, doch werden Sie jetzt durch den Umzug in Anspruch genommen sein. Schreiben Sie mir bald wieder, liebe Frau Jünger. Ich habe mich nicht geändert und könnte das auch nicht, selbst wenn ich wollte. Immer Ihr Carl Schmitt. 1 Es handelt sich um die 1950 im Kölner Verlag Greven erschienenen Publikationen >Ex captivitate Salus. Erfahrungen der Zeit 1945/47< (2. Aufl., Berlin, 2002), »Donoso Cortés in gesamteuropäischer Interpretation. Vier Aufsätze« und >Der Nomos der Erde im Völkerrecht des lus Publicum Europaeum< (2. Aufl., Berlin 1974). Siehe zur erstgenannten Schrift nun von José Rafael Hernández Arias: >Donoso Cortés und Carl Schmitt. Eine Untersuchung über die staats- und rechtsphilosophische Bedeutung von Donoso Cortés im Werk Carl Schmitts« (Paderborn, München, Wien, Zürich 1998). 2 Von Erich Kaufmann siehe: Autorität und Freiheit. Von der konstitutionellen Monarchie bis zur Bonner parlamentarischen Demokratie, Göttingen 1960. Schmitts Ablehnung des Modells des bürgerlichen Rechts- und Verfassungsstaates, dessen nach Schmitt nur fingierte souveräne Stellung nach Kaufmanns Urteil nicht aus politischen Erwägungen heraus ausgehöhlt werden darf, kommentiert er hier auf S. 579: »Also der bürgerliche Rechtsstaat beruht auf einer Reihe von Fiktionen. Hier zeigt sich mit aller Deutlichkeit der Teufelsfuß dieses glänzenden und verführerischen Schriftstellers. Er schildert den bürgerlichen Rechtsstaat, um ihn ad absurdum zu führen, um ihn von innen so auszuhöhlen. Das ist ihm bei vielen Gelehrten, die seinem Irrlicht folgten, trefflich gelungen. So ist er der Wegbereiter der totalitären Diktatur geworden.« Zu denken ist hinsichtlich der weltpolitischen Entwicklung an die Korea-Krise und den sich zuspitzenden Kalten Krieg zwischen den Atommächten USA und UdSSR. Den Kampf des David gegen den Philister Goliath, den er allein führen muß, da das Volk Israel angesichts des Riesen verzagt und sich sehr fürchtet, siehe in: 1. Samuel, 17. 3 Es handelt sich um Ernst Jüngers >Über die Linie« in der Festschrift >Anteile. Martin Heidegger zum 60. Geburtstag« (Frankfurt a. M. 1950, S. 245-283). In der von Armin Möhler herausgegebenen Festschrift zum 60. Geburtstag Ernst Jüngers findet sich Heideggers Erwiderung ebenfalls unter dem Titel >Uber die Linie«. Siehe: Armin Möhler (Hrsg.): Freundschaftliche Begegnungen. Festschrift für Ernst Jünger zum 60. Geburtstag, Frankfurt a.M. 1955, S. 9-45. Jünger hielt sich vom 7. September ab für einige Tage in Wuppertal auf und schlug selbst am 6.9.50 ein Treffen in Plettenberg vor. Siehe: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 249.

GRETHA UND ERNST JÜNGER AN CARL SCHMITT, Plettenberg II, Westfalen [Wilflingen über Riedlingen/Württ., 14.8.1950] 1 Lieber Herr Schmitt, von der Wilflinger Tafelrunde, an der wir Sie vermissen, Ihnen und Duschka getreuliche Grüsse Ihrer Gretha Jünger. Ich schliesse mich meiner Frau an Ihr Ernst Jünger Gleichfalls Ihr Gerhard Nebel

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135 Herzlich grüsst Sie alle drei Ihr Armin Möhler

Anna Luise v. Katte Hans Obrist 2 Lieber Patenonkel: Dir, Carl Schmitt und Anima sende ich die herzlichsten Grüße. Dein Carl Alexander. 1 2

O r t und Datum nach dem Absender sowie dem Poststempel der Karte. Von Hans Obrist befindet sich im Nachlaß Carl Schmitts ein Brief aus dem Jahre 1953.

G R E T H A JÜNGER AN C A R L SCHMITT

Wilflingen Ü/Riedlingen Krs. Saulgau. 14b 15./8.1950. Lieber Herr Professor, Ihr heutiger Brief stimmte mich sehr traurig; ich sehe Duska in Lebensgefahr, und ich weiss Sie vereinsamt, mit der Sorge um sie, wie der Bitterkeit Ihrer Betrachtungen überlassen. Wäre der Weg nicht so weit, und die Anforderungen in diesem grossen Hause nicht so belastend und aussergewöhnlich hoch für mich, so würde ich nach Plettenberg kommen, nur um bei Ihnen zu sein. Vor Ende August ist es mir nicht möglich nach Heidelberg zu reisen, und dieser Weg liegt mir doch so sehr am Herzen! Mit gleicher Post schreibe ich an Duska; meine Gedanken sind unausgesetzt bei ihr. Möge es Ihnen erspart bleiben, sie jemals zu verlieren, das ist mein teuerster Wunsch und auch mein Gebet. Dass Ihre Gegner sich auf Sie stürzen: was tut es? Bleiben sie unbeirrt. Der Verfolgte ist besser daran als der Verfolgende; er darf seinen Schritt nicht wechseln und nicht beschleunigen, denn seine Sicherheit liegt in ihm selbst. Und die Freunde, die zu Ihnen stehen, wissen warum sie es tun. Das politische Feld kennt immer nur zwei Farben; es wäre seltsam, wenn Sie in unserer Zeit unbehelligt blieben, die weder Ubersicht noch Klarheit kennt. Sie müssen einmal nach Wilflingen kommen, um sich auszuruhen; E.J. reist Anfang September nach Wuppertal, verabreden Sie dann ein Wiedersehen im Schloss, wo wir dann zu Dritt und gemeinsam mit Möhler die Abende verbringen wollen. 1 Die Zeit ist gekommen, so meine ich, wo Beide sich wieder finden müssten! Unseren Kartengruss werden Sie erhalten haben; missverstehen Sie

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die Anwesenheit Nebels nicht, der trotz unseres anhaltenden Schweigens plötzlich hier eintraf. Sie wurden vermisst, wir hatten das Bedürfnis, Ihnen zu schreiben; ich sprach von meiner Ansicht, dass jegliche Empfindsamkeit angesichts unserer alten Freundschaft, aber auch im umfassenden politischen Sinn als töricht anzusprechen ist in diesem Fall. Miteinander können Sie wie E.J. nur gewinnen; bei gegenseitigem Misstrauen wird die Stellung eines Jeden geschwächt werden. Wir befinden uns im Bürgerkriege; dieser Augenblick ist nicht danach angetan, dass sich die bedeutendsten Köpfe in ihre jeweiligen Forts zurückziehen, wir haben uns für das Kommende zu rüsten, gegenseitig zu stärken, und wenn ich die Pfeiler der Brücke zwischen Ihnen mit ganzer Kraft zu halten bereit bin, so hoffe ich, dass die Wiederbegegnung eine umso festere sein wird. E.J. hat sich sogleich in Ihr Buch vertieft, und mit hoher Anerkennung davon gesprochen; 2 Ihr Patenkind wartet brennend darauf, dass der Vater es aus der Hand legt. Er will Ihnen morgen schreiben; seine Freude über Ihre schöne Widmung war ganz ausserordentlich, er liebt Sie und Duska sehr, und die Nachricht dass es ihr nicht gut geht, versetzt ihn in die gleiche Sorge wie mich. Ich sinne nur darüber nach, wie wir Sie in den folgenden Wochen zu Ihrer Erleichterung betreuen könnten! Bleiben Sie stark! Nichts darf imstande sein, Sie zu beirren; zweifeln Sie auch nicht an diesem Volk, das geschlagen, gedemütigt und ausgeplündert wurde und plötzlich wieder all die Eigenschaften entwickeln soll, die man ihm als Verbrechen vorwarf. 1933-1950, das bedeutet ein einziges Narrenhaus, und nur die wenigsten befinden sich ausserhalb seiner Mauern. Die Zahl Ihrer Gegner kann nicht grösser sein als Ihre Kraft, sie zu überdauern. Grüssen Sie Anima ganz besonders; wie schön ist es, dass sie Ihnen jetzt eine Stütze sein und die Mutter vertreten kann. Ich bin und bleibe mit herzlichen Wünschen und in treuem Gedenken Ihre Gretha Jünger A m 16.8. schrieb Gretha Jünger hs an Duska Schmitt aus Wilflingen (Brief in Privatbesitz): »E.J. reist Anfang September nach Wuppertal und wird C . S . in Plettenberg aufsuchen und nach Möglichkeit mit nach Wilflingen bringen; ich hoffe, diese Wiederbegegnung wird das Trennende beseitigen und den alten Geist unserer Freundschaft wieder aufleben lassen. Es war mir immer deutlich, dass auch die grösste Verschiedenheit nichts an dem eigentlichen Wesen dieser Freundschaft ändern konnte und durfte; der Augenblick, in dem wir in dem schönen Wilflinger Schloss gemeinsam das erste Glas wieder leeren, wird f ü r mich sehr glücklich, und nur dadurch getrübt sein, dass Sie dann fern von uns sind.« Die von Gretha Jünger vorgeschlagene Zusammenkunft in Wilflingen kam jedoch nicht zustande. 1

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Gemeint ist >Ex captivitate salus. Erfahrungen der Zeit 1945/47Glossarium< vom 1.5.48 und die dort genannten weiteren Einträge. »Don Capisco« lautete auch der Deckname Carl Schmitts in den Tagebüchern Ernst Jüngers. 4 Siehe das Schreiben Carl Schmitts an Armin Möhler vom 3.10.50 in: >Carl Schmitt - Briefwechsel mit einem seiner SchülerDer Nomos der Erde im Völkerrecht des lus Publicum EuropaeumDie griechische Philosophie. Zugleich eine Einführung in die Philosophie überhaupt (Bremen o.J., S. 56 f.) unter Voranstellung des heraklitischen Zitates: »>In dieselben Flüsse steigen wir und steigen wir nicht, wir sind und wir sind nicht< (49a), d. h. so wie zwar beispielsweise der Fluß Kayster (an dem Ephesos liegt) derselbe bleibt, aber seine Wasser unaufhörlich Wechseln, so sind wir zwar heute nach Namen und Art die gleichen wie gestern, aber unsere Stoffe wechseln unablässig, und darum sind wir zugleich nicht, sondern wir werden. In diesem Werden ist sowohl Sein wie Nichtsein enthalten. Der Strom des Werdens ist ein wichtiges Symbol Heraklits; (...). Die Lehre vom ewigen Fluß der Dinge hat sich dem Gedächtnis der Menschen sogar als die eigentliche Heraklitische eingeprägt, und man hat sie im späteren Altertum in einem >Immer ist alles im Flusse< (Panta rhei) zusammenfassen wollen.« (Kranz folgt bei der Heraklit-Ubersetzung Hermann Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker, Hamburg 1957, S. 26.) Goethe greift den antiken Gedankengang in seinem Gedicht >Dauer im Wechsel aufDeutschen Christen«. Diese bekannten am 13. November 1933 in einer »Entschliessung der >Glaubensbewegung Deutsche Christen««, »dass der einzige wirkliche Gottesdienst für uns der Dienst an unseren Volksgenossen ist, und fühlen uns als Kampfgemeinschaft vor unserm Gott verpflichtet, mitzubauen an einer wehrhaften und wahrhaften völkischen Kirche, in der wir die Vollendung der deutschen Reformation Martin Luthers erblicken und die allein dem Totalitätsanspruch des nationalsozialistischen Staates gerecht wird.« Siehe die Entschließung als Dok. 67b in Walther Hofer (Hrsg.): Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933-1945, Frankfurt a.M. 1957, S. 132. Von Oberheid, der ähnlich wie Hans Barion, nach 1945 aller kirchlichen Amter verlustig ging, siehe: Unpolitisches deutsches Christentum: ein Wort über das »Politische Christentum« des Prof. Paul Althaus, Bonn 1936. Zu Oberheid siehe: Heiner Faulenbach: Ein Weg durch die Kirche. Heinrich Josef Oberheid, in: Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, 105, Köln 1992. Siehe weiter: Thomas Marschler: Kirchenrecht im Bannkreis Carl Schmitts. Hans Barion vor und nach 1945, Bonn 2004. Von Barion siehe: Kirche und Kirchenrecht. Gesammelte Aufsätze, Paderborn, München, Wien, Zürich 1984. 1 Der Rest des Schreibens fehlt.

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G R E T H A UND ERNST J Ü N G E R AN C A R L SCHMITT, P l e t t e n b e r g II / W e s t f a l e n

[Genau,] 24.11.50. 1 Lieber Carl Schmitt, wir senden Ihnen unsere Grüsse von unserem Weg nach Carrara, und danken herzlich für Ihr Telegramm zu unserer Abreise, das mich besonders rührte. Das Grab Ernsteis fanden wir sogleich, eine magische Kraft führte mich an den vielen Kreuzen vorbei zu ihm. Dieser Anblick war schwer für uns. Wir gedenken Ihrer und Duska's! Ihre Gretha Jünger. Im Hintergrunde dieser Karte die verhängnisvollen Berge. 2 Herzlich Ihr Ernst Jünger Der Ort nach dem Poststempel der Karte. Das Marmorgebirge von Carrara, wo Ernst Jüngers Sohn im Kriege fiel und zunächst begraben wurde. 1

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G R E T H A J Ü N G E R AN C A R L SCHMITT

Wilflingen, d. 13.12.1950. Lieber Carl Schmitt, während ich im Zuge sass, fand ich Zeit genug, um über Sie und Ihre Situation nachzudenken, an der ich nach Duschkas Tode noch stärkeren Anteil nehme, denn sie ist nicht mehr da, um die Kraft der Gegner zu schwächen. 1 Sie nehmen die Angriffe zu ernst, und legen ihnen - für mein Empfinden - zu grosse Wichtigkeit bei; es kann uns doch aber nichts daran erstaunen, denn wir wissen ja, in welch einer Zeit wir leben. Wichtig allein ist nur die Sicherheit in uns selbst; die Ausstrahlung wird umso grösser sein, wenn wir den Vernichtungswillen der Anderen nicht wahrnehmen. Eine Gefährdung, von der ich nicht schweigen will, kann ich darin erblicken, dass der Kreis ehemaliger P[artei] G[enossen] 2 Sie auf Grund Ihrer Lage einbeziehen möchte, um den eigenen Vorwürfen und Klageliedern Rang zu verleihen; man wird Sie als einen der ihrigen bezeichnen, je stärker man wahrnimmt, dass Sie es eben Ihrem Range nach nicht sein können. Lassen Sie sich nicht von dem Unrecht das man Ihnen zufügt, dazu verleiten, dies zu übersehen. Es steht Ihnen Ihre grosse geistige Macht und Sprache zur Verfügung, um Ihre Position allein zu halten; Sie bedürfen der Anhängerschaft nicht aus diesem Raum, und auch nicht der Zustimmung. Wenn Ihr Weg schwierig ist, so bin ich dennoch gewiss, dass Sie ihn meistern werden; nichts darf Sie darin beirren, und der Name Hübinger 3 oder Kaufmann muss Ihnen so gleichgültig sein wie der des Adam Riese.

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Schweigen Sie nicht, wie man es wünscht, sondern sprechen Sie, schreiben Sie, so oft und so viel wie nur möglich; wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, so kann es nur dieser sein. Schmerzlich bleibt mir die Stunde der Dämmerung am 7. Dezember, 4 die Lichter an den Bergen, die verschneiten Tannen, und unser Abschied von Duschka. Anima ist sehr stark das Kind beider Eltern; sie verbirgt noch Manches unter einer gewissen spöttischen Haut und Sprödigkeit, und man muss dieses Alter kennen um zu wissen, wie sehr alles nach Entwicklung drängt. Ich hoffe, dass sie uns mit ihrem Vater im Frühling einmal aufsuchen wird in meinem neuen Haus. Alle meine Wünsche und guten Gedanken sind bei Ihnen, lieber Herr Schmitt. Immer Ihre Gretha Jünger. 1 2 3 4

Duska Schmitt war am 3. Dezember gestorben. Carl Schmitt war seit Mai 1933 Mitglied der NSDAP. Es muß offen bleiben, wer hier gemeint ist. Der Tag der Beerdigung von Duska Schmitt in Plettenberg.

C A R L SCHMITT AN G R E T H A JÜNGER

Plettenberg den 28. Februar 1951. Liebe und verehrte Frau Jünger! Gestern bin ich von einer 14tägigen Reise aus Hamburg hierher zurückgekehrt. Die letzten Wochen und Monate waren für mich traurig. Weihnachten, Neujahr, der Tag des Hauspatrons von Duskas Familie am 20. Januar, dann der 8. Februar, an dem wir silberne Hochzeit gefeiert hätten, dann der Geburtstag am 13. Februar waren kritische Tage für mich. Armin Möhler hat sich in seiner treuen Weise nicht abhalten lassen, mir zu schreiben. Ernst Jünger hat mir aus Basel einen schönen Katalog und Photos, die ich mir gewünscht hatte, geschickt. Sie werden mir nicht böse sein, dass ich Ihnen noch nicht geantwortet habe. Jetzt kommen bald die Geburtstage von Carl Alexander, von Ihnen und von Ernst Jünger. [Ich werde an Sie denken, auch wenn die Lähmung, die mich oft befällt, mich am Schreiben hindert. Die Lähmung erklärt sich aus plötzlichen Einsichten in meine wahre Situation, der gegenüber Trost ein absurdes Wort ist. Achselzuckend, schnell wegschauend, vielleicht sogar ein beleidigendes Almosen anbietend, sehen die Menschen einem Ritualmord zu. Für Kafkas »Prozess« zeigen sie viel literarisches Interesse, an den unerhörten Prozessen und Prozeduren der heutigen Wirklichkeit gehen sie lieber vorbei.] 1 Wenn ich aber in diesem Ton Briefe an Sie schreibe, ist das auch nicht das Richtige. Deshalb benutze ich einen Augenblick der

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Ruhe, um Ihnen von Anima zu erzählen, die am 16. März ihr mündliches Examen2 macht und dann (wenn sie das erwartete Stipendium erhält) nach München gehen will, um dort Bühnenbildnerin zu werden. Ich habe schon an Podewils geschrieben, der uns freundlicherweise einige Lehrer (Preetorius, Blocherer) genannt hat. Das Semester an den in Betracht kommenden Schulen soll schon Anfang April beginnen. Anima ist sehr unternehmend und ich will sie nicht desillusionieren. Wenigstens ein Semester will sie es einmal versuchen. Haben Sie in München Bekannte oder Freunde, denen man zumuten könnte, eine bescheidene Pension oder eine ähnliche Unterkunft für die ersten Tage zu besorgen, damit Anima sich eine Wohnung, d.h. ein Zimmer, suchen kann? Ich kenne leider niemand mehr in München, ausser entfernten Bekannten, bei denen ich nicht sicher bin, ob ich sie nicht mit solchen Fragen belästige. Das Kind ist mutig und wird sich schon zurecht finden. Es handelt sich nur um die ersten Tage. Die Frage soll auch nicht etwa ein Geldproblem betreffen. Paul Adams, der einzige Freund in München, ist schwer krank und in einer geradezu elenden Situation. An sich helfen die Menschen einem jungen Mädchen wie Anima in dieser Lage gern. Es ist also keine verzweifelte Angelegenheit, und Sie brauchen sich keine grossen Sorgen zu machen, liebe Frau Jünger. Grüssen Sie Ernst Jünger, Carl Alexander und Armin Möhler herzlich von mir. Anima, die jetzt viel für die Schule arbeiten muss, lässt ebenfalls grüssen. Wenn Sie oder Armin Möhler uns bald einmal wieder Nachricht geben, werden wir uns von Herzen freuen. Immer Ihr alter Carl Schmitt. Viel Glück zur neuen Wohnung! 1 Carl Schmitt setzt hier sein Schicksal nach 1945 in eine Parallele zum dem des Josef K. aus Franz Kafkas Roman >Der Prozesse Josef K. bleibt dort bis zuletzt der tiefere Grund für seine Verhaftung und Verurteilung verborgen. Der Abschnitt in [ ] findet sich in Carl Schmitts >Glossarium< unter dem Datum des 28.2.51 in leicht veränderter Fassung. Er setzt dort fort: »Der Mord an Christus war ein Ritualmord. Im Mittelpunkt des christlichen Glaubens steht der Glaube daran, daß unser Aon durch einen Ritualmord eröffnet ist. Trost ist ein absurdes Wort, bis der Tröster kommt. Der Kaspar-Hauser-Mythos ist der Mythos eines Ritualmordes. Der Sohn wird rituell geschlachtet (wie Isaak), der Vater wird einfach erschlagen. Darin liegt der wesentliche Unterschied von Odipus-Mythos und Kaspar-Hauser-Mythos. Anfang des Christentums: Apostelgeschichte Kapitel 7: Ihr habt den Erben ermordet.« In der Apostelgeschichte, 7, 52/53 spricht Stephanus, der erste Märtyrer der chrisdichen Kirche, vor seiner Steinigung durch das Volk: »Welche Propheten haben eure Väter nicht verfolgt? Und sie haben getötet, die zuvor verkündigten das Kommen des Gerechten, dessen Verräter und Mörder ihr nun geworden seid. / Ihr habt das Gesetz empfangen durch Weisung von Engeln und habt's nicht gehalten.« Siehe auch das Schreiben Carl Schmitts an Gretha Jünger vom 27.8.50 sowie die Ausführungen zum Kaspar Hauser-Mythos in seinem >Vorwort< zu: Lilian Winstanley: Hamlet. Sohn der Maria Stuart, Aus dem Englischen übers, v. Anima Schmitt, Pfullingen 1952, S. 20 f. Die Studie erschien erstmals 1921 in Cambridge unter dem Titel >Hamlet and the scottish successions Zur Wirkungsgeschichte des Lebens von Kaspar

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Hauser bis in die Gegenwart siehe: Ulrich Struve (Hrsg.): Der imaginierte Findling. Studien zur Kaspar-Hauser-Rezeption, Heidelberg 1995. Der Odipus-Mythos ist seit der Zeit Homers in der griechischen Antike bekannt. Bis in unsere Zeit immer wieder in der Literatur bearbeitet, ist er jedoch in klassischer Form durch Sophokles überliefert. Siehe mit Erläuterungen zu diesem Drama: Sophokles: König Odipus, Stuttgart 2003. 2 Für die Abiturprüfung.

GRETHA JÜNGER AN C A R L SCHMITT

Wilflingen, d. 15.4.1951. Lieber Carl Schmitt, Arminius 1 hat Sie bereits davon unterrichtet, von der Arbeit dieser Wochen, und dass ich nicht selber zum Schreiben kam; es liegen ganze Schubfächer an unbeantworteten Briefen vor mir, meine Müdigkeit war und ist noch gross, und ich muss notwendig im Mai eine Pause eintreten lassen um einige Wochen in Goslar zu verbringen. Das ist für mich der Ort, wo ich immer wieder frische Reserven sammele. Von Ihnen haben wir oft gesprochen, auch hoffe ich, dass die Vermittlung bei Podewils Anima zu einem glücklichen Start in München verholfen hat; es schien uns der beste Weg zu sein, nur konnte ich ihr leider nicht mehr persönlich schreiben. Dafür war ich in Gedanken an manchen Abenden bei ihr und ihrem Vater, auch an dem stillen Grab oben auf dem Bergfriedhof. Der Frühling wird die Düsterkeit dieser vergangenen Wintermonate ein wenig für Sie aufhellen; das ist mein Wunsch. Es wäre sehr gut, wenn Sie die Reise nach Spanien antreten könnten, ich sehe Sie nur ungern allein in Plettenberg, denn es fehlt Ihnen dort alles; 2 besonders aber der tägliche Austausch an Gedanken. Es ist nicht gut, wenn man in einer solchen Situation nur den eigenen nachhängt, sie können zu einer Meute werden, und diese Jagd zieht sich ins Endlose hin; ich weiss es zu gut von mir selbst. Wüsste ich nur, dass Sie die alte Sicherheit nicht verlieren! Ich fühle sie ganz untrüglich in mir, was die kommenden Jahre und Sie betrifft; auch glaube ich immer, dass wir zu intensiv leben, und das grosse Theater »Welt« zu ernst nehmen. Kurz vor unserem Tode wird das anders sein, und wir werden selbst unsere Häscher mit anderen Augen sehen. Von Wilflingen ist zu berichten, dass sich der Umzug in die Oberförsterei als sehr glücklich erwies; es ist ein schönes altes Haus mit guter Atmosphäre, und es umgibt uns nicht wie im Schloss der Stauffenberg'sche Reichtum, der mich stets ein wenig bedrückte. Die einfache Luft ist mir lieber, weil sie klarer ist. Möhler bleibt nach wie vor ein lieber Hausgenosse; er schlug einen Posten in Rom aus um bei uns zu bleiben, das ist ein echter Zug von ihm für seine Anhänglichkeit.

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Nebel bleibt uns gottlob fern, aber in erzwungener Distance, die er auf die Dauer seiner Natur nach durchbrechen wird, fürchte ich. E . J . plante grosse Reisen, fühlt sich jedoch in seinem Wilflinger Garten so wohl, dass er vorerst verzichten will auf die französischen Küsten. Wir alle grüssen Sie herzlichst! Ich bin und bleibe Ihre Gretha Jünger. 1 2

So wurde Armin Möhler von Carl Schmitt und dem Ehepaar Jünger genannt. Schmitt reiste am 25. April nach Spanien ab. Siehe sein folgendes Schreiben.

C A R L SCHMITT AN G R E T H A J Ü N G E R

Plettenberg, den 20. April 1951. Liebe, gute und verehrte Frau Jünger, es sieht jetzt tatsächlich so aus, als sollte meine Spanien-Reise gelingen. Wenn nicht noch in letzter Sekunde ein Querschuss kommt (freilich bedarf es dazu nur irgendeines Köters), werde ich am Mittwoch den 25. April mittags 13.05 von Frankfurt mit der holländischen Linie nach Madrid fliegen und bin 19.30 am gleichen Tage in Madrid. Am 24. April fahre ich nach Frankfurt. Die letzten Wochen waren angefüllt von Schikanen, Querschüssen, Tracasserien und Tribulationen 1 aller Art. Ich habe Anima am 4. April bis nach Frankfurt begleitet; sie ist jetzt in München, hat aber noch keine Wohnung und übernachtet bei der Witwe eines Camp-Genossen, 2 Frau Karl Durst in Allach bei München, Bahnweg 30. Die Aufnahme-Examen an der Kunst-Akademie hat sie bestanden, aber ihre Freude an München ist durch die unaufhörliche Wohnungssuche sehr beeinträchtigt. Sonst ist sie mutig und lebendig. In Frankfurt haben wir am Abend des 5. April (Geburtstag von Thomas Hobbes) eine Leviathan-Feier veranstaltet, die ganz entzückend verlaufen ist. Nicolaus Sombart, Alfred Andersch vom Hessfischen] Rundfunk, Winckelmann und Frau (von Rechenberg, die langjährige Managerin Furtwänglers, ich glaube Sie kennen sie) und einige andere Bekannte waren zur 300Jahr-Feier des Leviathan präsent. Der Aufsatz zu diesem Anlass ist prompt am 5. April in der »Tat« erschienen, dank dem Mut von Hans Fleig.3 Von den Einzelheiten der oben angedeuteten Schikanen will ich lieber schweigen. Ihr Brief vom 15. April hat mich mit grosser Freude erfüllt. Ich wünsche Ihnen Glück für Ihre neue Wohnung, die Sie mit soviel Arbeit eingerichtet haben. Von Ernst Jünger erhielt ich eine Karte, als Antwort auf meine Geburtstagskarte.4 Auch darüber habe ich mich sehr gefreut. Von Carl Alexander schreiben Sie nichts. Wie mag es ihm gehen?

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A r m i n Möhler w i r d durch Hans Fleig über einiges unterrichtet w o r d e n sein. Ich weiss, dass er mir mein langes Schweigen nicht verargt. Seine Zusendungen (Abschrift des Briefwechsels mit Korn, mit Rychner, »Tat« v o m 7. April mit dem Aufsatz v o n H. Fl[eig]) 5 habe ich dankbaren Herzens erhalten. Es ist unbedingt nötig, dass w i r uns im Sommer sehen. Ich gestehe Ihnen, dass ich unter dem Verhalten von Gremmels weit mehr leide, als unter den Takt- und Geschmacklosigkeiten Nebels, v o r allem leide ich unter dem Mangel an O f f e n heit, bei einem jungen Menschen, der während des Krieges meine Gastfreundschaft als Hausgast ohne jedes Bedenken akzeptiert hat und nun plötzlich »juristisch« wird, als ob mein Haus in Dahlem ein Hotel gewesen wäre. Das ist sehr bitter, aber der Einzige, mit dem ich darüber sprechen möchte, ist A r m i n Möhler. 6 Zu Duskas Tod habe ich aus allen Gegenden viele ganz unerwartete Briefe erhalten; es ist ganz erstaunlich, wieviele Menschen sich ihrer v o n einer einzigen Begegnung, einem einzigen W o r t her noch nach Jahrzehnten erinnern. A b e r das alles macht ihre Abwesenheit f ü r mich noch drückender. Das G r a b ist ein Trost (Trost ist kein absurdes W o r t ) ; 7 der Hügel über der Lenne erscheint mir wie ein sauerländisches Volterra, in der Etymologie » v o n der Erde auffliegen«, 8 eine Etymologie, die die Italiener ihrer toskanischen Stadt Volterra geben. Für Goslar wünsche ich Ihnen gute Erholung. Auf unser Wiedersehen im Sommer bin ich voller Erwartung. Grüssen Sie Ernst Jünger und Carl Alexander von mir, auch A r m i n Möhler und seine Frau! Ich bleibe stets Ihr alter und »unvergesslicher« Carl Schmitt. Tracasserie, frz. für Quälerei. Tribulation, lat. für Drangsal, Quälerei. Gemeint ist das Camp Wannsee/Berlin, in dem Carl Schmitt inhaftiert war. 3 Carl Schmitts Aufsatz dreihundert Jahre Leviathan. Zum 5. April 1951Die Tat. Schweizerische unabhängige Tageszeitung< unter dem Kürzel »C. S.« Wiederabgedruckt in: Ders.: Staat, Großraum, Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1916-1969, S. 152-155. Zur Leviathan-Feier siehe: Carl Schmitt, Glossarium, S. 314. Heinz Friedrich schreibt in seiner Autobiographie »Erlernter Beruf: Keiner. Erinnerungen an das 20.Jahrhundert< (München 2006, S. 321) zu einer Radiosendung mit Carl Schmitt vom 12. April 1955 im Hessischen Rundfunk mit dem Titel >Land und Meer - Die geschichtliche Bedeutung des Gegensatzes von terraner und maritimer Existenz. Ein Gespräch zu dritt von Carl Schmittc »Sogar der machiavellistische Pragmatismus des umstrittenen Völker- und Verfassungsrechtlers Carl Schmitt erweckte seine [d. h. Anderschs, d. Hrsg.] Neugier. Carl Schmitt damals, Anfang der fünfziger Jahre, in das Programm eines Senders aufzunehmen (mit seinem Werk >Land und Meerbösen Mann< von hohem geistigem Rang, dessen verführerische Rationalität nicht über den irrationalen Hintergrund seines Denkens hinwegtäuschen durfte.« Der Text der Sendung wurde mit einigen Änderungen unter dem Titel >Gespräch über den neuen Raum< abgedruckt in: Carl Schmitt: Staat, Großraum, Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1916-1969, S. 552-572. Siehe 1

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auch Schmitts Gesprächstext >Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber« (Pfullingen 1954) zu einer Sendung des Hessischen Rundfunks vom 22. Juni 1954, bei der Heinz Friedrich die Fragen stellte. 4 Der Briefband Jünger - Schmitt vermerkt keine Karte für diese Zeit. 5 Max Rychner war in dieser Zeit wie Hans Fleig Mitglied der Chefredaktion der Zürcher Tageszeitung >Die TatHerz und Hirn< in der >Kölnischen Zeitung< (Nr. 272, Köln 20.5.1933, S. 1) über die Situation der Intellektuellen im Deutschland des Jahres 1933 zu verweisen. Auf diesen antwortete Carl Schmitt im Westdeutschen Beobachter« (Ausgabe Köln, Nr. 126, Köln 31.5.1933, S. 1/2) mit seiner scharfen Stellungnahme >Die deutschen Intellektuellen«, in der er den im Exil lebenden Intellektuellen jahrzehntelangen »Landes- und Volksverrat« vorwarf und anregte, ihnen die Staatsbürgerschaft zu entziehen, denn »[z]um deutschen Volk haben sie niemals gehört.« Siehe den Artikel jetzt in: Joseph u. Ruth Becker (Hrsg.): Hitlers Machtergreifung. Dokumente vom Machtantritt Hitlers 30. Januar 1933 bis zur Besiegelung des Einparteienstaates 14. Juli 1933, München 1983, S. 323-325, hier S. 323. Siehe weiter von Gangolf Hübinger: Gelehrte, Politik und Öffentlichkeit. Eine Intellektuellengeschichte, Göttingen 2006, S. 211 u. 243 f. Siehe zudem das Schreiben Carl Schmitts an Armin Möhler vom 15.6.51 in >Carl Schmitt - Briefwechsel mit einem seiner Schüler«, S. 97 f. Hans Fleig setzte sich in seinem Artikel >Krieg und Frieden« (in: Die Tat. Schweizerische unabhängige Tageszeitung, 16. Jg., Zürich, 7.4.1951, S. If., hier S. 1) mit der inhaltlichen Bedeutung der beiden Begriffe auseinander und stellte fest: »Friede hängt zusammen mit einfrieden«, >einzäunen«. Friede war und ist immer ortsgebunden, lokalisiert, konkretisiert: im Mittelalter als Stadtfrieden, Burgfrieden, Landfrieden. Ein globaler, universaler Friede widerspricht dem tiefsten, dem Wort eingeborenen Sinn der Begrenzung. Frieden kommt zustande durch Verträge zwischen zweien oder zwischen einer eng begrenzten Anzahl, durch gerechte Abkommen, die mit ganz bestimmten, konkreten Zielinhalten geschlossen werden. (...) Wenn aber Frieden und Recht ihrem tiefsten Wortsinn nach an Ort und Raum gebunden sind, wie es soeben wieder Carl Schmitt in seinem großartigen Buch >Der Nomos der Erde« (Greven-Verlag, Köln 1950) bewiesen hat, dann wird man alle Weltfriedensbewegungen«, ob sie von Stockholm oder von sonstwo ausgehen, mit Skepsis betrachten.« Zuletzt bezieht sich Fleig auf die Friedenskonferenz des Jahres 1950 in Stockholm, auf der durch den Weltfriedensrat am 6. April u. a. die Ächtung der Atombombe gefordert wurde. Heinrich Gremmels, 1939-1941 ein Regimentskamerad Ernst Jüngers, wurde 1940 promoviert. Sein Doktorvater war Carl Schmitt. Seine Korrespondenz mit ihm siehe: Christian Gremmels (Hrsg.): Carl Schmitt - Heinrich Gremmels. Briefe 1938-1956 in: Piet Tommissen (Hrsg.): Schmittiana, Bd. VII, S. 51-109. Sein im obigen Brief erwähntes »Verhalten« ist jedoch nicht Gegenstand der Korrespondenz. Von dem mit Gerhard Nebel befreundeten Gremmels selbst siehe: Der Leviathan und die totale Demobilmachung, Wuppertal 1948. 7 Siehe zur Äußerung über den Trost auch den Brief an Gretha Jünger vom 28.2.51. 8 Die toskanische Stadt Volterra liegt mit über 500 M. ü. M. nahe dem Küstenflusse Cecina. Das deutsche Substantiv Erde steht als Erdkreis etymologisch für orhis terrarum, also die bewohnte Erde. 6

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1951 CARL SCHMITT AN GRETHA JÜNGER, W i l f l i n g e n ü b e r R i e d l i n g e n

Sevilla, 30/5 51 Ihnen, liebe und verehrte Frau Jünger und allen Wilflingern sende ich herzliche Grüsse aus Andalusien. Mein Freund aus Madrid, Prof. Javier Conde, will Sie Mitte oder Ende Juni in Wilflingen besuchen. Ich will am 8. Juni von Madrid nach Frankfurt fliegen (4 Stunden). 1 Anima 2 scheint in einer Krise zu stehn. Auf ein gutes Wiedersehen im Sommer! Stets Ihr getreuer Carl Schmitt 1 Das Motiv der Karte lautet: »Sevilla. Museo Prov. de Bellas Artes. Santa Inés (Zurbarán), ciglo XVII«. A n Armin Möhler schrieb Carl Schmitt am 15.6.51, er werde Conde Ende Juni in Wiesbaden treffen. Siehe: Carl Schmitt - Briefwechsel mit einem seiner Schüler, S. 97 f. 2 Zu dieser Zeit in München.

GRETHA JÜNGER AN CARL SCHMITT, P l e t t e n b e r g II, W e s t f a l e n

Wilflingen, d. 17.6.1951. Lieber Carl Schmitt, wir Alle haben an Ihrer Spanienreise in Gedanken teilgenommen, und waren glücklich über diese für Sie so notwendigen Ferien und neuen Eindrücke. Sehr freuen wir uns auf Ihren in Aussicht gestellten Besuch, vielleicht kommt Anima aus München mit, sie schrieb mir darüber. E J. kehrt am 25./26. etwa zurück, wie er gestern mitteilte, ich hoffe, es lässt sich so einrichten, dass Sie mit Prof. Conde Anfang nächster Woche die Fahrt antreten, und bitte noch um einen kurzen Bescheid. 1 Auf ein gutes Wiedersehen! In immer gleicher Zuneigung: Ihre Gretha Jünger. 1 Der Besuch kam wohl nicht zustande. Die Karte trägt den korrigierten Aufdruck »Ernst Jünger / 14b Ramisbuig / Wilhelm Hauff Suafie 16«.

C A R L S C H M I T T AN G R E T H A J Ü N G E R

Plettenberg den 21. Juni 1951. Liebe und verehrte Frau Jünger, vielen Dank für Ihre Karte! Ich warte hier auf Nachricht von Conde, den ich Ende Juni in Mainz oder Wiesbaden treffen soll. Es ist dann aber nicht mehr wahrscheinlich, dass er noch nach Wilflingen kommen kann. Vielleicht ist es

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auch in Verbindung mit meinen Besuchsplänen richtiger, wenn ich allein (oder nur mit Anima) komme, zumal auch Frau Conde dabei ist, die kein Wort deutsch und nur wenig französisch kann. Anima hat auch noch nicht geschrieben (seit 14 Tagen). Sobald ich etwas Sicheres weiss, gebe ich Ihnen gleich Nachricht. Heute möchte ich nur den Empfang Ihrer Karte bestätigen und Ihnen ein paar Zeilen schreiben, als Ausdruck meines heftigen Wunsches, Sie bald wiederzusehn. Wenn Armin Möhler am 9. Juli von Kassel zurückfährt, könnte er ins Sauerland kommen. Es wäre doch sehr schön, wenn wir uns z.B. in Siedlinghausen bei Schranz träfen. Ich bin immer noch wie gelähmt von dem Eindruck, den Deutschland jetzt nach meiner Rückkehr aus Spanien auf mich macht. Aber auch in Spanien, wo ich eine wirklich grossartige Aufnahme gefunden, schöne Vorträge1 gehalten und entzückende Gespräche mit spanischen Freunden geführt habe, in Madrid, in Santiago, Barcelona, Sevilla und Murcia, war ich oft halb wahnsinnig wegen der Abwesenheit von Duska, und die Landungen auf dem Erdboden sind nach solchen Abschweifungen oft schwierige Kunststücke. Die Krankheit Armin Möhlers macht mir grosse Sorge. Von Carl Alexander habe ich lange nichts mehr gehört. Ernst von Salomons »Fragebogen« habe ich mit Vergnügen gelesen; es ist ein erquickendes, oft sogar belebendes und am Schluss in der Schilderung Ludins, ein erhebendes Buch, dem es zur hohen Ehre gereicht, dass es von demselben Hass verfolgt wird, der auch Ernst Jünger zu Schächten suchte.2 Es ist unendlich viel zu erzählen, woraus folgt, dass es jetzt Zeit wird, uns wiederzusehen. Herzliche Grüsse und Wünsche Ihnen allen! Ich gebe also bald weitere Nachricht und bleibe immer Ihr alter Carl Schmitt. In Madrid und Murcia sprach Carl Schmitt über >Donoso Cortes in gesamteuropäischer Interpretation (Druck: Die Neue Ordnung, III, 1, Heidelberg 1949, S. 1-15) und hielt den Vortrag >La unidad del mundo< (Druck: Madrid 1951). 2 Ernst von Salomons >Der Fragebogens eine kritische Auseinandersetzung mit den Entnazifizierungsverfahren im Nachkriegsdeutschland, erschien erstmals 1951 in Hamburg. Den Abschnitt zu Hanns Ludin, seit 1941 Gesandter des Deutschen Reiches in der Slowakei, in dem dieser verharmlosend als eher bedauernswerter badischer Provinzmensch geschildert wird, siehe auf S. 762 ff. 1

GRETHA JÜNGER AN C A R L SCHMITT

Wilflingen, d. 9.7.1951. Lieber Carl Schmitt, zu diesem einsamen Geburtstage, den ich Sie in Gedanken lieber in Siedlinghausen 1 als in Plettenberg wissen möchte, meine ganz besonderen, freundschaftlichen und getreuesten Wünsche! Ihr letzter Brief hat mich so sehr be-

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trübt, weil Duskas N a m e sichtbar und unsichtbar hinter jedem Ihrer Worte stand; diese schmerzliche Verlassenheit ist es, die mir immer aufs neue Sorgen um Sie bereitet, die ich mit Ihnen teilen möchte, auch wenn es keinen Trost für Sie bedeuten kann. Aber lebt sie nicht ewig? Für Sie und mit Ihnen? Nie wird sie dieses Haus dort verlassen, und nie die Herzen der Menschen, die sie liebte. Ich umarme Sie, lieber Carl Schmitt, und wünsche, dass sich das neu beginnende Lebensjahr erträglicher gestalten möge als dieses vergangene, das reich an Schmerzen war. Sie werden Arminius getroffen haben; dieser gute Junge bereitet mir auch Kummer, denn sein Zustand ist ernster, als er es nach aussen hin zu erkennen gibt. Zwei schlimme Anfälle in diesen Wochen; mit seiner Reise war ich garnicht einverstanden, weil ich die Anstrengung bedachte. Ich glaube nicht, dass er alt wird mit seiner Nierentuberkulose, und es fällt mir nicht leicht das auszusprechen, denn ich habe ihn als einen Sohn liebgewonnen. Anima besucht mich zwischen dem 12. und 20. Juli; sie schreibt mir oft, es ist also möglich, dass ich einen Winkel dieses so sehr versteckten Herzens gewonnen habe. Das ist mir sehr lieb, denn ich glaube, dass sie bei all ihrer grossen Selbständigkeit dennoch des mütterlichen Zuspruches oder Rates bedarf; ich bin auch ganz offen zu ihr in meiner Ansicht, dass sie zu ausschliesslich aus dem Intellekt heraus lebt. In diesem Alter geht das auf Kosten der mädchenhaften Substanz. Sie ist zu skeptisch, zu überlegen, und sie übt sich in der ironischen Betrachtung mit so grosser Meisterschaft, dass sie auf der anderen Seite verlieren muss; ich glaube, dass sie es fühlt und weiss, und darum nicht glücklich ist, dass sie es aber verbirgt. Wenn sich dieser rein intuitive Schlüssel als der richtige erweisen sollte, so werde ich keine Mühe haben, die verschlossene Kammer zu öffnen, und ich werde in Duskas Sinne Gespräche mit ihr führen und ihr zu helfen suchen. Für mich bedeutet sie ein unmittelbares, mir von ihrer Mutter hinterlassenes Pfand, das ich immer hüten werde wie den eigenen Sohn. Dieser Sohn ist in dem kritischen Stadium angelangt, das der viel zu häufige Schulwechsel der letzten Jahre heraufbeschwor; es will absolut nicht gehen. Darüber hinaus müsste er die Luft des elterlichen Hauses notwendig mit einer anderen vertauschen, denn sie ist viel zu drückend für ihn. Wir überlegen, ob wir ihn auf ein halbes Jahr nach Frankreich in eine bekannte Familie geben. Sie sehen, an Sorgen fehlt es nicht, aber damit will ich Sie heute nicht belasten, sondern Ihnen noch einmal sagen, dass ich Ihrer immer gedenke, und dass ich mit fester Zuversicht glaube, das breite und tiefe Tal wird von Ihnen überwunden. Ihre Gretha Jünger. 1

Also bei Franz Schranz.

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G R E T H A J Ü N G E R AN C A R L S C H M I T T , P l e t t e n b e r g II, W e s t f a l e n

[Goslar, 25.8.1951] 1 Dr. Nieperstr. 10. b /Haccius. Ihnen und Anima herzliche Grüsse aus meinem unveränderten und immer geliebten Goslar; die Ruhe nach dem Wilflinger Bienenstock ist wohltuend. Wie geht es Vater und Tochter in Plettenberg, und wie lauten Ihre Reisepläne? Ich werde bis Mitte September hier bleiben, dann noch Hannover und Celle besuchen, und um den 28./9. spätestens zu Haus sein. Animas Bilderbogen im Gästebuch wurde allseitig bewundert. Getreulich: Ihre Gretha Jünger. 1

Das Datum nach dem Poststempel der Karte.

C A R L S C H M I T T AN G R E T H A J Ü N G E R

Plettenberg, 11.9.1951 Liebe und verehrte Frau Jünger, seit Anfang September bin ich auf dem Sprung, Ihnen zu schreiben. Erstens um für Ihre Karte aus Goslar zu danken (mit der Frankenberger Kirche, die viele Erinnerungen in mir wachruft), und zweitens, um Ihnen über meine Reisepläne zu berichten. Ich war bisher dadurch behindert, dass ich auf Nachrichten von einem belgischen Freunde wartete, der mich im vorigen Jahr in Plettenberg verfehlt hat, und im September wiederkommen will. Er hat jetzt mitgeteilt, dass er am 15./16. September kommen wird.1 Insofern ist ein Hindernis entfallen und ich könnte über die zweite Hälfte September (sie!) verfügen. Aber meine Hoffnung, mit Dr. Schranz im Wagen nach Süddeutschland zu fahren, hat sich leider nicht erfüllt. Statt dessen hat mir der Club zu Bremen vorgeschlagen, zu Beginn des Herbstes bei ihm einen Vortrag zu halten.2 Das muss ich natürlich wahrnehmen. Und dann kommt schon der Oktober. Unsere schüchterne Frage, ob Sie nicht doch trotz des Umweges auf der Rückreise von Goslar über Plettenberg kommen könnten, wagen wir kaum zu wiederholen, obwohl ein solcher Besuch für uns eine geradezu unglaubliche Freude und Beglückung wäre. Wir hoffen, dass die gute Erholung, mit der Ihr Aufenthalt in Goslar eingesetzt hat, sich auch in den folgenden Wochen fortsetzte und steigerte. Ich habe in diesen letzten Wochen mit Anima ein paar Sprünge in die Umgebung getan, nach Soest, Siedlinghausen und Siegburg zum Beispiel. Wir vertragen uns ganz gut. Im Moment sind wir uns sogar einig, und zwar in der Freude an Ernst von

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Salomons Fragebogen. Ich möchte Salomon gern einmal kennenlernen und bestimmte Seiten seines Buches (nicht einmal die über mich persönlich) mit ihm besprechen.3 Im Literaturblatt der FAZ vom 1.September stand ein Aufsatz von G.Nebel über Thielicke. Nebel fasste dort seine Theologie wörtlich in folgendem Satz zusammen: »Der Mensch ist nicht etwa ein eigenständiger Block, der durch eine Strippe mit Gott verbunden wäre, sondern er lebt und webt nur in dieser Strippe ...« 4 Anima hat diese Strippen-Theologie illustriert, um sie auch weniger Gebildeten verständlich zu machen, und hat je ein Bild an Arminius und an Karl Korn von der FAZ geschickt. Korn gab sein Exemplar sofort an Nebel weiter, der Anima auf einer Postkarte zu der glänzenden Karikatur beglückwünschte. Soweit zum Thema Strippe. Nikolaus Sombart war mit seinem Freunde Kesting auf der Durchreise nach Kampen hier.5 Wir haben uns nur über Geschichtsphilosophie unterhalten. Bei dieser Gelegenheit habe ich mich entschlossen, auch Sammler zu werden. Irgendetwas muss man doch sammeln, und ich hoffe, ein konkurrenzlos originelles Objekt gefunden zu haben. Alle meine Freunde und Bekannten sind eingeladen und aufgefordert, mich durch Hinweise und Zusendungen zu unterstützen. Ich sammle nämlich alle Fälle von irrealen Konditionalsätzen, die bei Historikern vorkommen, z. B. der Satz von Jakob Burckhardt: »Ohne die Kaisergesetzgebung von Konstantin bis Theodosius würde die römisch griechische (sie!) Religion noch bis heute leben.« 6 Das ganze Lenne-Tal wartet sehnlichst auf Mathias Wieman. Ich habe mich mit ihm in Recklinghausen wunderbar unterhalten und freue mich, ihn bald wiederzusehen.7 Aber noch viel lieber würde ich Sie Wiedersehen, liebe und verehrte Frau Jünger. Anima hat mir soviel von der herrlichen, gastlichen Aufnahme erzählt, die sie bei Ihnen gefunden hat, dass ich davon ganz gerührt bin und grosse Sehnsucht empfinde, bald wieder mit Ihnen zu sprechen. Wir grüssen Sie beide aufs herzlichste und bleiben mit allen unseren Wünschen Ihre Anima, (die diesen Brief mit der Maschine geschrieben und damit sozusagen aus dem Nichts geschaffen hat) und Ihr alter und getreuer Carl Schmitt. Gemeint ist wohl Piet Tommissen. Der 1931 entstandene >Club zu Bremen< war erst am 23. Oktober 1952 Veranstaltungsort eines Vortrages zum Thema >Der Nomos der Erde< von Carl Schmitt. Siehe: Ehrenfried Schütte: Meine Kontakte mit Carl Schmitt, in: Piet Tommissen (Hrsg.): Schmittiana, Bd. VII, S. 41-50, hier S. 42 f. 3 Ernst von Salomon schreibt auf S. 248 f. in >Der Fragebogen< zur kritischen Äußerung »Den Carl Schmitt lehnen wir ab!« eines Studenten während eines Vortragsabends in Göttingen: »Dies überraschte mich. Ich lehnte Carl Schmitt durchaus nicht ab. Er war zwar preußischer Staatsrat geworden, ohne dem Staat jemals irgend etwas geraten zu haben, und galt also fälschlich für einen Theoretiker des Nationalsozialismus, - aber er schien mir der einzige 1

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bedeutende moderne Staatsrechtslehrer überhaupt - jedoch froh, eine aussichtsreiche Bresche geschossen, ein Fort gestürmt, eine Bastion genommen zu haben, frage ich voller Eifer: Und weshalb?« 4 Im Textzusammenhang lautet das Zitat in Gerhard Nebels Rezension von Helmut Thielickes >Theologie der Ethik< (1. Bd., Dogmatische, philosophische und kontroverstheologische Grundlagen, München 1951) korrekt: »Was der Mensch außerhalb des Gottesverhältnisses ist, onthische oder psychologische Reserven wie Wille oder Geist, ist theologisch unerheblich, vielleicht sogar im Sinne einer höheren Ontologie unwirklich. Der Mensch ist kein eigenständiger Block, der durch eine Strippe mit Gott verbunden wäre, sondern er lebt und webt nur in dieser Strippe, auch noch in der Abwendung, im Ungehorsam, im Götzendienst. Christsein und Nichtchristsein ereignet sich in dieser Relation, deren der Mensch, da er eben nur Relation und nicht ein Relatum ist, niemals mächtig wird.« Zuvor heißt es bereits: »Reformatorische Grund-Ueberzeugung aber ist, daß der Mensch wesenhaft vor jedem Gesetz versagt - er wird, wenn er nicht zur Freiheit des Evangeliums und zur Rechtfertigung im Glauben durchdringt, gezwungen, sich ständig am Gesetz zu messen und ebenso ständig sein Zurückbleiben, seine Schwäche zu konstatieren.« Siehe: Gerhard Nebel: Zwischen Kirche und Welt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 203,1.9.1951, S. 13. Der evangelische Theologe Helmut Thielicke verlor nach Verfolgungen durch das NS-Regime seine Professur in Heidelberg. 1947 wurde er Professor in Tübingen, 1954 schließlich in Hamburg. Siehe von ihm auch: Zu Gast auf einem schönen Stern. Erinnerungen, München 1998. 5 Zur Freundschaft Nicolaus Sombarts mit dem Schmittverehrer Hanno Resting siehe die einschlägigen Abschnitte in: Nicolaus Sombart: Rendezvous mit dem Weltgeist. Heidelberger Reminiszenzen 1945-1951, Frankfurt a.M. 2000. 6 »Mit Hilfe der staatlichen Gewalt konnte der Buddhismus in Indien durch die Brahminenreligion ausgerottet werden. Ohne die Kaisergesetzgebung von Constantin bis auf Theodosius würde die römisch-griechische Religion noch bis heute leben. Ohne ein wenigstens zeitweises völliges, vom weltlichen Arm gehandhabtes (nötigenfalls mit den äußersten Mitteln verbündetes) Verbot würde die Reformation sich nirgends behauptet haben.« So heißt es im Abschnitt über den »Untergang der Religionen« in: Jacob Burckhardt: Weltgeschichtliche Betrachtungen. Über geschichtliches Studium, in: Ders.: Gesammelte Werke, Bd. IV, hrsg. v. Jacob Oeri, Basel, Stuttgart 1978, S. 41. Zu Carl Schmitts Aufruf, ihm irreale Konditionalsätze (sowie aparte Reime bei Lyrikern) zu nennen, siehe: >Carl Schmitt - Briefwechsel mit einem seiner Schülers S. 105f. (Anm. 227) sowie Ernst Hüsmert: Zwei wenig bekannte Seiten von Carl Schmitt, in: Piet Tommissen (Hrsg.): Schmittiana. Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts, Bd. VI, Berlin 1998, S. 292-302. 7 Siehe hierzu Carl Schmitt an Gretha Jünger, 16.2.52.

GRETHA JÜNGER AN CARL SCHMITT Wilflingen, d. 9 . 1 0 . 1 9 5 1 . Lieber Herr Schmitt, endlich in Wilflingen gelandet, und notdürftig wieder dem arbeitsmässigen Rhythmus anpassend, muss ich Ihnen und A n i m a schreiben und f ü r Ihre Briefe nach Hannover danken. Wenn es nach mir und meinem Gepäck gegangen wäre, so hätte mich Plettenberg als U m w e g eher reizen als abschrecken k ö n nen; so alt und müde sind w i r noch nicht, dass uns 100 Kilometer als Hindernis erscheinen. A b e r E.J. drängte auf Rückkehr, da er nach Florenz reisen wollte; der gute Arminius ist mit Arbeit, und dem ewigen Empfang zahlreicher und

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völlig unwesentlicher Gäste überlastet gewesen. Ich musste ihm also helfen, und bin entschlossen, den weiblichen Cerberus weitaus grimmiger darzustellen, als er es in persona zu tun entschlossen ist; schliesslich: was habe ich zu verlieren? Ich kann die Türe vor der N a s e zuschlagen oder ein Souper von sechs Gängen servieren; die Art von Schaulustigen, die sich hier im Gefolge versammelt, wird so oder so etwas auszusetzen finden. D a ich mir im L a u f e der Zeit, ähnlich wie Adele Sandrock, 1 den Ruf eines Originals erworben habe, mag alles auf Kosten dieses merkwürdigen Freibriefes gehen. Hinaus mit all dem menschlichen Plunder! Wenn Sie und ich von Beginn an diesen Fanfarenstoss getan hätten, so wäre uns manches Ärgernis à la Nebel erspart geblieben. Hier fand ich Animas Geburtstagszeichnung an die Mohlerin vor, und war davon entzückt. Ihre Begabung ist eine so echte und ursprüngliche, dass wir nicht im Geringsten u m ihren Weg besorgt sein müssen. Mit Ihrem Patenkind bestehen da andere Bedenken; entgegen dem Wunsche seines Vaters, der ihn nach Frankreich schicken möchte, versuche ich mit München durchzudringen, w o er das Abitur machen soll. D a s erscheint mir wichtiger, als das Erlernen der französischen Sprache inmitten der M o r b i d e z z a allzu westlicher Salons. Salomon sandte mir einen höchst amüsanten Brief; ich stimme Ihrem Urteil über den »Fragebogen« zu, und kann mich an dem moralistischen Zeter mordio nicht beteiligen, das gegen ihn erhoben wird. Wenn man ihn kennt, so erwartet man keinen Kreuzigungsgang Wiechert'scher Prägung, und die verlogene Asche auf dem H a u p t e würde ihm Ü b e l anstehen, meine ich, abgesehen davon, dass er keine H a a r e mehr hat. 2 Sind Sie viel auf Reisen? Wir denken immer an Sie. Herzlichste Grüsse und Wünsche Ihnen Beiden, Ihrer alten Gretha Jünger. E . J . ist heute in Carrara. 1 Die berühmte Schauspielerin Adele Sandrock war für ihre teilweise derbe Offenheit bekannt. 2 Ein bekanntes Beispiel für Ernst Wiecherts Suche nach Gott, neben der Naturverbundenheit die zweite große Konstante in seinem Werk, ist der Roman >Die Jeromin-K.inder< aus den Jahren 1945/47, der den tiefen Ernst der Geisteshaltung Wiecherts dokumentiert.

G R E T H A J Ü N G E R AN C A R L S C H M I T T

28.11.1951. Lieber Carl Schmitt, z u m ersten Advent meine Grüsse und mein Gedenken an Sie und Duska, das immer von den gleichen Gefühlen der Freundschaft getragen sein wird. Ich bitte Sie, ihr das kleine Tannenkreuz zu bringen, das ich übersenden Hess; hier steht ihr Bild gemeinsam mit Ernstel unter den Blumen des Wilflinger Gartens, Beide unvergessen, und mir immer mehr.

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Ich hätte Sie so gern einmal wiedergesehen; E. J. trifft Sie bald in Frankfurt, 1 ich hoffe ohne Panzerkreuzer und ähnliche Schlachtschiffe der Begleitung, und ich werde unsichtbar dieser Begegnung beiwohnen, die von gutem Geiste erfüllt sein mag. Anima schrieb mir aus München, dass sie Sie dort erwartet; wenn Sie reisen, dürfen Sie uns in Wilflingen nicht vergessen,2 auch Carl Alexander geht am 3.1. nach dort, um sich auf das Abitur vorzubereiten, das sich hier in Wolken zu verflüchtigen droht; unsere Kinder werden sich also in dieser schönen Stadt häufig sehen, und hoffentlich auch lieben, wie wir es tun. Bleiben Sie wohlauf und immer von meinen Wünschen begleitet. Ihre alte Gretha Jünger. Siehe die beiden folgenden Schreiben Carl Schmitts. Carl Schmitt war mit seiner Tochter Anima kurz vor Weihnachten in Wilflingen. Siehe sein Schreiben vom 23.12.51. 1

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C A R L SCHMITT AN GRETHA JÜNGER

Plettenberg, den 6. Dezember 1951 Liebe und verehrte Frau Jünger! Diese Tage der ersten Adventswoche waren und sind doch sehr traurig für mich. Ich bin Ihnen für Ihren Brief und für das schöne Tannenkreuz von Herzen dankbar. Von Ernst Jünger erhielt ich einen freundlichen Brief; ich freue mich sehr, ihn Samstag/Sonntag in Frankfurt zu treffen. 1 Möglicherweise reise ich dann nach Süddeutschland weiter und komme auch, wenn es Ihnen recht ist, einen Tag nach Wilflingen, um Sie alle zu sehen. Anima machte den Vorschlag, dass sie mich von München kommend in Wilflingen trifft und wir dann beide, etwa am 19/20 Dezember, nach Plettenberg fahren. Ich will das noch mit Ernst Jünger in Frankfurt besprechen. Sie können sich kaum denken, welche Freude und Tröstung es für mich sein wird, Sie wiederzusehen. Grüssen Sie alle herzlich von mir und seien Sie vor allem selber herzlich gegrüsst von Ihrem alten Carl Schmitt. »Die Toten wollen uns sagen, dass sie uns weiter wagen.« 1

Ernst Jüngers kurzer Brief vom 3.12.51 in: Briefe, Jünger

- Schmitt,

S. 253.

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[Oberursel-Taunus,] 11.12.51 1 Liebe und verehrte Frau Jünger, mit E . J . habe ich verabredet, dass ich ihn in Stuttgart treffe, von w o wir beide Donnerstag nach Wilflingen kommen. Es wäre wunderschön, wenn das klappte. Anima soll mich dann Sonntag od. M o n t a g abholen. Viele G r ü s s e an ganz Wilflingen, alle Ober- und Unterförster, sowie Forst Adjunkter! 2 Auf ein gutes Wiedersehen! Immer Ihr Carl Schmitt 1 2

Der Ort nach dem Motiv der Karte. Also an alle Gehilfen der Jüngers in Wilflingen, wie z. B. Armin Möhler.

C A R L S C H M I T T AN G R E T H A J Ü N G E R

Plettenberg, den 23. D e z e m b e r [1951] Liebe und verehrte Frau Jünger! Anima und ich schwärmen immer noch von den schönen Tagen von Wilflingen. Wir haben eine sehr interessante Rückreise gehabt, über Zwiefalten, Pfullingen, Darmstadt und wollen Ihnen heute schnell noch einen Weihnachtsgruss senden, der bescheiden genug ausfällt aber aus dankerfülltem Herzen kommt. Die »Schattenrisse« hatte ich Ernst Jünger versprochen; 1 die kleinen Steine sind eine Probe, u m zu wissen, ob ihn dergleichen interessiert. Hoffentlich haben Sie ein schönes Weihnachtsfest und k o m m e n Sie alle gut ins N e u e Jahr! Ich bin sehr glücklich, Sie, Ernst Jünger und Carl Alexander wiedergesehen zu haben und hoffe auf ein gutes Wiedersehen im N e u e n Jahr! Immer Ihr alter und getreuer Carl Schmitt. 1 Es handelt sich um die frühe Schrift >SchattenrisseSchattenrisse< des Johannes Negelinus, Berlin 1995.

G R E T H A J Ü N G E R AN C A R L S C H M I T T , P l e t t e n b e r g II, Westfalen

[Wilflingen, 31.12.1951] 1 Lieber Carl Schmitt, ich danke sehr herzlich für Ihren Weihnachtsgruss und die holländische Trostpackung; etwas muss der Mensch haben, und seien es nur diese kümmerlichen Paradiese des Rauches, nicht des Rausches; sie halten uns

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vor Augen, dass alles so flüchtig ist wie der Rauch. Wir gedenken noch mit Freude Ihres Aufenthaltes, und grüssen Sie und Anima in alter Treue. Ihre Gretha Jünger. 1

Ort und Datum nach dem Poststempel der Karte.

G R E T H A J Ü N G E R AN C A R L S C H M I T T

13.11.1952. Lieber Herr Schmitt, heute nur einen raschen Gruss an Sie, da ich sehr beschäftigt bin; ich fand den einliegenden Brief an Sie in einer ganz vergessenen Schublade, weiss nicht mehr, was er enthält, aber da er Ihnen gehört, sende ich ihn nun nach fünf Jahren erneut auf den Weg.1 Arminius las mir einige Ihrer Worte vor; wir freuen uns, dass es Ihnen gut geht. Längst hätte ich geschrieben, lag aber den Januar hindurch an einer ganz bösartigen Grippe. Ihr Patenkind arbeitet in München mit Erfolg, das ist das Beste, was ich melden kann; er wird am 16. mit Anima hier zum Fest erwartet, und wir werden alle ein Glas auf Ihr Wohl und im Gedenken an Sie leeren.2 Herzlichste Grösse Ihrer Gretha Jünger 1 Es ist anzunehmen, daß damit der Brief Gretha Jüngers vom 1.6.47 gemeint ist. Die Karte zeigt Albrecht Dürers >Ansicht von ArcoDer Waldgang« und >Am Kieselstrand< (beide Frankfurt a. M. 1951). Der zweite Titel gelangte jedoch nicht in den Buchhandel, sondern stellte eine » G a b e des Autors an seine Freunde« dar. 4 Heinrich Oberheid, bereits seit der Schulzeit mit H u g o Stinnes bekannt, wurde von dem Industriellen nach dem Ersten Weltkrieg durch die Aufnahme in seinen Mitarbeiterstab stark gefördert. Seit 1950 war er bei der im Stahlhandel tätigen Firma Coutinho, C a r o & C o . beschäftigt. 5 A m 21. April hielt Schmitt anläßlich der Niederrheinischen Universitätswoche in Duisburg einen Vortrag, der als Aufsatz zum Teil bereits im Januar 1952 unter dem Titel >Die Einheit der Welt< in der Zeitschrift >Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken« (VI. Jg., H e f t 1, Stuttgart 1952, S. 1-11) erschienen war. 3

Zum Rechtshistoriker Fritz Pringsheim, einem C o u s i n von Thomas Manns Schwiegervater Alfred Pringsheim, siehe den Aufsatz >Fritz Pringsheim (1882—1967)< von Tony H o n o r é in: Jack Beatson / Reinhard Zimmermann (Ed.): Jurists Uprooted. German-speaking Émigré Lawyers in Twentieth-century Britain, O x f o r d 2004, S. 205-232. Pringsheim wurde nach der Reichskristallnacht v o m 9. N o v e m b e r 1938 verhaftet und verließ Deutschland im Februar 1939 in Richtung Großbritannien. Er wurde in O x f o r d von einzelnen Kollegen als »strong German nationalist« gesehen, eine Einschätzung die H o n o r é teilt und ergänzt: »but he was also anti-Nazi.« (S. 222) Seit 1947 pendelte Pringsheim als Gastprofessor in Freiburg/Brsg. zwischen Deutschland und O x f o r d , ehe er schließlich 1952 endgültig zurückkehrte. Hinsichtlich der »beil. Karten« siehe Carl Schmitts Zeilen an Armin Möhler v o m 10.5.52 mit einer Bemerkung zur Kritik an ihm in Hessen. Siehe auch seine Äußerung über G o l o Mann in der folgenden Postkarte an Armin Möhler v o m 13.6. Beide in >Carl Schmitt - Briefwechsel mit einem seiner Schüler«, S. 123 f. Eine Beurteilung Armin Möhlers durch G o l o Mann siehe in dessen Schreiben an Möhler vom 12.7.80 in: G o l o Mann: Briefe 1932-1992, hrsg. v. Tilman Lahme u. Kathrin Lüsse, Göttingen 2006, S. 267 ff. 6

Gemeint ist weiter Carl Schmitts >Der N o m o s der Erde im Völkerrecht des lus Publicum Europaeum« aus dem Jahre 1950. 7 Carlo Schmid hielt in Athen an der dortigen Universität den Vortrag »Politik und Geist«. In diesem grenzte er sogenannte »Geisttäter« wie Plato, Augustinus und Machiavelli von den »Utopisten« und den kalten »Denktechniker[n] der Politik« ab. In einer Charakterisierung des letztgenannten Typus durch Schmid kann auch eine Kritik an Carl Schmitt gesehen werden: »(...), jene also, die die beste und wirksamste Methode der Bewältigung der Widerstände untersucht und ausgebildet haben, die jener antrifft, der seinen Gestaltungswillen im Felde der Geschichte, also im Staate, zur Entfaltung bringen will. Auch hierbei kann recht viel Geist zur Auswirkung kommen - es ist aber der »kleine Geist«, der uns das Brot des Lebens reicht.« Der Vortrag in: Carlo Schmid: Politik und Geist, Stuttgart 1961, S. 164-188, hier S. 166 f. D a s Urteil Carl Schmitts über Schmid illustriert ein Eintrag im »Glossarium« vom 11.8.50. Es heißt dort: »Empfehlenswertes Dissertationsthema für strebsame junge deutsche Studenten und Diener der westdeutschen Bundesrepublik des Jahres 1950: Carlo Schmid et les beaux arts.« Zu den Versuchen aus den Reihen der S P D , »die Erwähnung des N a m e n s von C. S. oder die Zitierung seiner Werke zu verbieten« siehe: Ehrenfried Schütte: Meine Kontakte mit Carl Schmitt, in: Piet Tommissen (Hrsg.): Schmittiana, Bd. VII, S. 41-50, hier S. 44. A m 4.12.52 schrieb Carl Schmitt an Armin Möhler (in: Carl Schmitt - Briefwechsel mit einem seiner Schüler, S. 134) zu Angriffen aus der S P D : »[D]er SPD-Arndt schwingt das Schächtmesser und spielt den Hecht im Karpfenteich der Bonner Republik, was angesichts der allgemeinen Verkarpfung nicht schwierig ist.« Sein Gutachten (für die Buderusschen Eisenwerke) gegen die Pläne der hessischen Landesregierung zu Sozialisierungsmaßnahmen erschien im März 1952 in Wetzlar unter dem Titel »Rechtsstaatlicher Verfassungsvollzug«. U m wen es sich bei dem »griechischen Freund« handelt, muß offen bleiben. Carl Decurtins: Kleines Philosophen-Lexikon. Von den Vorsokratikern bis zur Gegenwart, Affoltern a . A . 1952. D o r t auf S. 249ff. auch ein Eintrag zu Carl Schmitt, der neben einer 8

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kurzen Angabe der Lebensdaten Ausschnitte aus der Politischen Theologie< von 1922 enthält sowie einige seiner Werke aus den Jahren 1914-1937 nennt. 9 Der Artikel »Einsamer Bruder< im >Spiegel< (6. Jg., Heft 20, H a m b u r g 1952 S. 17-19) betrifft einen homosexuellen Stockholmer Polizeiarzt, der wegen des Verdachtes falscher Anschuldigungen und des Mißbrauches Minderjähriger in einem Pariser Hotel festgenommen wurde. Für den >Spiegel< ist vor allem von Bedeutung, daß er »zu jenem Kreis der schwedischen Intellektuellen gehört, deren sittliche Korruption eines der ungelösten Rätsel des sonst so musterhaften skandinavischen Staates ist.« (S. 17.)

G R E T H A J Ü N G E R AN C A R L S C H M I T T

Wilflingen d. 18. Mai 1952. Lieber Carl Schmitt, aus München zurückgekehrt, fand ich Ihren Brief vor, den ich gleich beantworten möchte; Arminius hat Ihnen bereits über einige Fragen geschrieben, die Sie beschäftigen. 1 Wenn Sie in der Lage sind, so halte ich es für richtig mir das Geld für Gebhard zu senden; er zählt sicher nicht zu Ihren Freunden, sein Versäumnis, Sie nach Ihren vergeblichen Besuchen auf irgendeine Art davon zu unterrichten wann er anzutreffen ist, beweist das. Ich habe nie daran gezweifelt, dass Duska Sie auch im Tode nicht verlassen wird, und dass sie als Ihr guter Engel in jeder Situation Ihres Lebens gegenwärtig ist. Alle Anfeindungen dürfen Sie nicht beeindrucken; Sie haben die schlimmen Jahre überstanden und Sie werden noch andere überstehen, wie Sie zu den Überlebenden eines Schiffes zählen werden, von dem man eines Tages nicht einmal eine Planke mehr vorfinden wird. Ihre Kräfte sind eher im wachsen, zum Groll aller Gegner; mich erstaunt das garnicht, weil ich dieses Bewusstein immer in mir trug und Ihnen auch stets davon gesprochen habe. Der Verlust Duskas ist für mich in einem ähnlichen Sinne tragend und bedeutungsvoll; wenn wir das Bild vom verlorenen Posten vor Augen haben, so gleicht der Gedanke an Sie einer Fackel, die aufleuchtet. Man setzt den Fuss sicherer in der Dunkelheit. Meine Gesundheit ist sehr schwankend, wie das auch nicht anders sein kann, aber man gewöhnt sich an diesen Umstand. Carl Alexander wird zu meiner grössten Freude von seinen Lehrern gelobt, und zum Sommer in die Prima versetzt, obgleich von zwanzig Mitschülern nur der dritte Teil dazu gehört, und er ja erst seit Januar die Schule besucht. Er ist sogar, was ich nie zu wünschen wagte, in Latein und Französisch der Beste. Das ist ein kleiner mütterlicher Triumph, weil E. J. sich von München garnichts versprach und mir voraussagte, dass sich dort alles nur negativ gestalten würde. Wichtig war, dass der Junge einmal aus der allzu heftigen Aktivität des Elternhauses hinaus kam zu selbständigen Arbeiten und Betrachtungen; mir ist nicht bang um ihn, er hat ein sicheres Gefühl für Menschen und Dinge, und neigt sehr zur Harmonie, einem guten Ausgleich der Spannungen, von denen er ja nicht verschont blieb.

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Das neue Werk von E . J . ist eben erschienen: »Besuch auf Godenholm.« 2 Es wird Ihnen noch zugehen. Für mich sind die mescalinischen Deutungen und der Vorstoss auf die Grenzen darin belastend, weil ich zu sehr Zeuge eines solchen Gesichtes und seiner Wahrnehmungen war, die mich nicht etwa in einem primitiven Sinne erschreckten, sondern mir nur eine Bestätigung meiner Aufgaben waren, die immer grösser werden. Vielleicht war es diese Last, die ich in jenem Augenblick in ihrer Bedeutung erkannte, die mir erdrückend schien; das ist menschlich. Sie sagten bei Ihrem letzten Hiersein, dass Sie Duska so wenig überleben dürften, wie E . J . mich; im Hinblick auf den eigenen Tod kann man nichts prophezeien, aber ich würde nicht anders als von meinen beiden Waisenkindern sprechen können, wie Duska das tat. Anima soll Mathias Wieman aufsuchen, der gerade mit seiner Frau einige Tage bei uns war, und Anfang Juni zurück sein wird; in ihm ist noch echte Menschlichkeit und Güte, man muss ihn sehr lieben. Wann sehen wir uns wieder? Der Wilflinger Garten steht in voller Blüte, und Ihr Stübchen ist immer für Sie bereit. Hielscher war bei uns, den ich von Jugend an schlecht behandelt habe; 3 aber ich stelle fest, dass man im Alter weniger gern Grobheiten sagt, selbst wenn sie verdient sind, und es gibt nur bei Nebel keine Ausnahme. In Bezug auf Sie und Duska bin ich von äusserster Empfindlichkeit und verzeihe nicht.'1 E . J . geht im Juni nach Paris. Haben Sie »Rencontres avec Jünger« von Banine gelesen, das ist ein Buch, über das man sich allgemein belustigt; selbst in der Schweiz wurde ich daraufhin angesprochen. Aber führt es nicht zu weit, mir das im Ton des Vorwurfs zu sagen? Wenn ich für alle weiblichen [ ] 5 und ihre verschiedenen Orden die sie vorweisen, noch verantwortlich sein soll, so wüsste ich nicht wo anfangen und wo enden. Die schreckliche Bettina ist da ein grosses Vorbild, wie es scheint; als ich neulich die berühmten Briefe wieder las, wurde mir ganz übel vor so viel seelischer Schaumschlägerei und Eitelkeit. 6 N o c h ein Wort zu Carlo Schmid; nur die Galerie kann den sozialdemokratischen Bauchredner, der seine öffentlichen Ansprachen mit Heraklit zu beginnen pflegt, um dem Volk die Macht der persönlichen Bildung zu beweisen, mit Ihnen verwechseln; das ist ein Vergnügen, das wir ihr lassen sollten. Ich umarme Sie als Ihre alte Gretha Jünger. Das Schreiben ist in >Carl Schmitt - Briefwechsel mit einem seiner Schüler< nicht enthalten. Ernst Jünger: Besuch auf Godenholm, F r a n k f u n a. M. 1952. 3 Der Schriftsteller Friedrich Hielscher, seit den zwanziger Jahren mit Ernst Jünger befreundet, beschreibt in seinen Lebenserinnerungen »Fünfzig Jahre unter Deutschem (Hamburg 1954) sein Verhältnis zu Ernst Jünger. Siehe zudem: Ernst Jünger / Friedrich Hielscher: Briefe 1927-1985, hrsg., komm. u. mit einem Nachwort v. Ina Schmidt u. Stefan Breuer, Stuttgart 1985. Die starke gegenseitige Ablehnung zwischen Hielscher und Carl Schmitt wird dort auf S. 448 f. erläutert. Siehe zu Hielscher unter dem N a m e n Bogumil auch: Gretha von Jeinsen: Silhouetten. Eigenwillige Betrachtungen, Pfullingen 1955, S. 93 u. 233. 1

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Siehe zum Zerwürfnis mit Gerhard Nebel das Schreiben Gretha Jüngers vom 9.2.50. Ein nicht lesbares Wort. 6 Hier ist zunächst gemeint: Banine (d.i. Umm-el-Banine Assadoulaeff): Rencontres avec Ernst Jünger, Paris 1951. Die »schreckliche Bettina« meint wohl Bettina von Arnim, eine der großen Gestalten der europäischen Briefliteratur. Die bekannteste von ihr besorgte Briefsammlung ist >Goethes Briefwechsel mit einem Kinde. Seinem Denkmal·, ein Briefroman, der erstmals 1835 in Berlin erschien und die fast schon übermäßige schwärmerische Verehrung Bettinas für den Dichter zeigt. Weiter sind v. a. zu nennen >Die Günderode< (2 Bde., Gründberg u. Leipzig 1840) und >Clemens Brentanos Frühlingskranz. Aus Jugendbriefen ihm geflochten, wie er selbst schriftlich verlangte< (Charlottenburg 1844). Siehe nun: Bettine von Arnim: Werke und Briefe, Bd. 1, Clemens Brentano's Frühlingskranz. Die Günderode, hrsg. v. Walter Schmitz u. Sibylle v. Steinsdorff, Frankfurt a.M. 1986. Dies.: Werke und Briefe, Bd. 2, Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde, hrsg. v. Walter Schmitz u. Sibylle v. Steinsdorff, Frankfurt a.M. 1992. Von Bedeutung ist darüber hinaus auch der von ihr selbst nicht publizierte Briefwechsel mit ihrem Gatten Achim von Arnim: Achim und Bettina in ihren Briefen. Briefwechsel von Achim von Arnim und Bettina Brentano, hrsg. v. Werner Vortriede, 2 Bde., Frankfurt a.M. 1988. 4

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C A R L S C H M I T T AN G R E T H A J Ü N G E R Plettenberg, d e n 21. M a i 1952. Liebe und verehrte Frau Jünger, a u f I h r e n s c h ö n e n u n d t r ö s t l i c h e n B r i e f w i l l ich s c h n e l l m i t einer Z e i l e a n t w o r ten, v o r a l l e m u m m i c h z u b e d a n k e n u n d m e i n e r F r e u d e ü b e r d i e N a c h r i c h t e n , d i e C a r l A l e x a n d e r b e t r e f f e n , A u s d r u c k z u g e b e n . Sie h a b e n eine s e h r s c h w e r e A u f g a b e , liebe F r a u Jünger. S o b a l d ich kann, w e r d e ich eine R e i s e nach S ü d deutschland machen und k o m m e dann nach Wilflingen zu Ihnen. Diese A u s s i c h t ist f ü r m i c h ein g r o s s e r T r o s t . 1 A n i m a w i r d w a h r s c h e i n l i c h ü b e r P f i n g s t e n nach Plettenberg k o m m e n , w o r a u f ich m i c h s c h o n freue. M ö h l e r s zwei Briefe h a b e ich d a n k b a r e n H e r z e n s gelesen. G r ü s s e n Sie bitte beide M ö h l e r s herzlich v o n mir. I c h s c h r e i b e A r m i n b a l d w i e d e r . 2 D i e 4 0 0 D M f ü r G e b h a r d habe ich vorgestern d u r c h die hiesige S t a d t s p a r k a s s e a u f E . J . P o s t s c h e c k k o n t o in S t u t t g a r t ü b e r w i e s e n . 3 G e b e n S i e m i r ein W o r t d e r M i t t e i l u n g , w e n n d a s G e l d a n G . z u r ü c k ist, d a m i t i c h m i c h d a n n b e i i h m bedanke. Immer und unveränderlich Ihr Carl Schmitt. 1 Zu einem vorweihnachtlichen Besuch Carl Schmitts in Wilflingen siehe das Schreiben Gretha Jüngers an ihn von Weihnachten 1952. 2 Nach >Carl Schmitt - Briefwechsel mit einem seiner Schüler< handelt es sich um Armin Möhlers Schreiben vom 28.2. und 7.4. aus Wilflingen sowie Carl Schmitts Brief vom 13.6.52. 5 Siehe hierzu Carl Schmitts Schreiben vom 15.5.52.

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1952 G R E T H A J Ü N G E R AN C A R L SCHMITT, Plettenberg II, Westfalen

21.6.[1952]> Lieber Carl Schmitt, für alle Plettenberger Grüsse herzlichen Dank. Die jungen Neskes liebe ich sehr, es freut mich, dass sie auch Ihnen zugetan sind und Sie so gern aufsuchen. Wie geht es Anima in Hamburg, war sie bei Wiemans? E . J . ist in Paris; ich reise Mitte Juli nach Hannover auf vier Wochen mit Carl Alexander. Wann kommen Sie nach Süddeutschland, ich möchte dann unbedingt wieder hier sein. Viele liebe Grüsse! Ihre Gretha Jünger. 1 Das Jahr nach dem Poststempel der Karte, die ein Motiv aus der >Postkartenserie Nr. 51: A. Dürer, Blumen, Landschaften und Bildnisse (I. Folge)< zeigt.

G R E T H A J Ü N G E R AN C A R L S C H M I T T , P l e t t e n b e r g II, W e s t f a l e n

[Wilflingen, 7.7.1952] 1 Lieber Herr Schmitt, zu diesem Geburtstag sieht es ein wenig anders aus; meine Prognose »in zwei Jahren« die ich 1950 stellte, war nicht verfehlt. Ich sage das nur, weil ich darüber glücklich bin. 2 Meine Wünsche, Gedanken, und die alte Zuneigung, dies alles ist am 11. bei Ihnen. 3 Mir geht es im Augenblick nicht gut, und ein Brief, wie er Ihnen zugedacht war, kommt nicht zustande. Verleben Sie den Tag mit guten Freunden. In Gedanken an Sie und Duska: Ihre Gretha Jünger. Ort (»Riedlingen«) und Datum nach dem Poststempel der Karte. Diese zeigt das Motiv »Innsbruck« der >Postkartenserie Nr. 51: A. Dürer, Blumen, Landschaften und Bildnisse (I. F o l g e ) , 2 In den Briefen läßt sich eine Prognose aus dem Jahre 1950 nicht nachweisen. Einzig eine Formulierung in einem Schreiben Gretha Jüngers vom 8.2.49 käme in Betracht. 3 Also am Geburtstag von Carl Schmitt. 1

G R E T H A J Ü N G E R AN C A R L S C H M I T T , P l e t t e n b e r g II (Westfalen)

[Hannover, Sommer 1952] 1 Lieber Carl Schmitt, Ihnen und Anima herzlichen Dank für die Briefe, und die Zeitungsausschnitte; ich verfolge Animas literarische Sprünge mit sichtlichem Wohlwollen und denke, sie wird auch hier ihre Meisterprüfung einmal ablegen. Zu gern wäre ich über Plettenberg gekommen, aber meine Ferienkarte sieht diesen Umweg nicht vor, und ich muss eilen, am Mittwoch zu Haus zu sein,

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1952

weil E.J. nach Italien abreist.2 Wir hatten gehofft, Sie im Herbst in Wilflingen zu sehen, ergibt sich nicht bald eine Gelegenheit für Sie? Bald ausführlich! Ihnen beiden getreue Grüsse Ihrer Gretha Jünger. Der Ort nach dem Poststempel der undatierten Karte, die den »Tristan-Teppich Nr. 1 « im »Kloster Wienhausen« zeigt. Vom Datum ist lediglich eine »2« bei den Wochentagen erkennbar. Die Datierung erfolgt nach den »literarischen Sprünge[n]« Anima Schmitts, womit wohl ihre Arbeit an der Ubersetzung von Lilian Winstanleys Studie >Hamlet and the scottish succession (Cambridge 1921) gemeint ist. Der Vater erwähnt diese in einem Schreiben an Ernst Jünger vom 16.7.52. Siehe: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 257f. 2 Die Reise stand möglicherweise im Zusammenhang mit der Uberführung des 1944 gefallenen Sohnes Ernst von Carrara nach Wilflingen im Dezember 1952. 1

C A R L SCHMITT AN GRETHA JÜNGER

Plettenberg, 11. September 1952. Liebe und verehrter Frau Jünger! Am 31. August habe ich Anima nach Darmstadt gebracht. 1 Im Anschluß daran war ich einige Tage in Heidelberg, traf aber Prof. Siebeck leider nicht. Anfang dieser Woche war ich wieder in Plettenberg. Ich bin jetzt sehr einsam und habe das Herz voll von traurigen Gedanken. Meine Freunde halten mich am Leben. Die Frage ist, wann ich Sie wieder sehe und in aller Ruhe sprechen kann. Wann kommen Sie von Goslar zurück? Ich habe vor, um den 24. September herum nochmals nach Frankfurt zu reisen, zur Buchmesse, wo G. Neske unser neues Hamlet-Buch ausstellen will. 2 Ob ich von dort wieder nach Süddeutschland reisen kann, ist noch nicht sicher. Wie geht es Ihnen und Ihrer Gesundheit? Es freut mich zu hören, daß sich Carl Alexander so gut entwickelt. Ich höre hier sehr wenig von der Welt; Armin, der Treue, versorgt mich mit Speise, sonst wäre ich schon abgestorben. Das Hamlet-Buch war ein letzter Luxus. Ich möchte Sie gern für das Problem des Buches gewinnen. Armin erklärt, er habe keine Beziehung zum Schauspiel. Sehr schade. Übrigens glaube ich ihm das nicht. Vor dem Winter graut mir schon. Aber es ist praktisch unmöglich, von Plettenberg wegzuziehen und in einer Stadt, sei es Köln oder Mainz oder sonstwie zu wohnen. Für einen alten, alleinstehenden Mann gibt es keine passende Lösung; Krup unner, de Welt is di gram, du kannst den Rappel nich mehr hören.3 Schreiben Sie bald einen langen Brief Ihrem alten Carl Schmitt. Scarpa ist im Lande; hoffentlich treffe ich ihn. 4 1 Zu Animas Aufenthalt siehe die Ausführungen zu Carl Schmitts Schreiben vom 16.2.52. Entgegen der sonstigen Gewohnheit Schmitts seit Kriegsende ist dieser Brief in deutscher Schreibschrift.

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Es handelt sich um: Lilian Winstanley: Hamlet. Sohn der Maria Stuart, Aus dem Englischen übers, v. Anima Schmitt, Pfullingen. 1952. Carl Schmitts >Vorwort< findet sich auf den Seiten 7-25. Siehe auch seine >Hinweise für den deutschen Leser< auf S. 164-170. Siehe zudem: Carl Schmitt: Hamlet oder Hekuba. Der Einbruch der Zeit in das Spiel, Düsseldorf 1956. Schmitt vertritt in dieser Arbeit den Standpunkt, daß sich in der Figur von Shakespeares Hamlet Merkmale sowohl von Essex als auch Jakob I. finden. 3 Hier lehnt sich Schmitt an Heinrich Heine an: »Das war ein schwarzer Tag für Sachsenland als Wittekind, sein tapferer Herzog, von Kaiser Karl geschlagen wurde, bei Engter. Als er flüchtend gen Ellerbruch zog, und nun alles, mit Weib und Kind, an den Furt kam und sich drängte, mochte eine alte Frau nicht weiter gehen. Weil sie aber dem Feinde nicht lebendig in die Hände fallen sollte, so wurde sie von den Sachsen lebendig in einen Sandhügel bei Bellmanns-Kamp begraben; dabei sprachen sie: >Krup under, krup under, de Welt is di gram, du kannst dem Gerappel nich mer folgen.« / Man sagt, daß die alte Frau noch lebt. Nicht alles ist tot in Westfalen, was begraben ist.« Siehe: Heinrich Heine: Uber Deutschland. Elementargeister, S. 645, in: Ders.: Sämtliche Schriften, Dritter Bd., hrsg. v. Karl Pörnbacher, München 1971, S. 643-703.

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Das ist der italienische Generalkonsul Gino Scarpa. Siehe: Briefe, Jünger

- Schmitt,

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GRETHA JÜNGER AN C A R L SCHMITT

Wilflingen, d. 16./9.1952. Lieber H e r r Schmitt, Ihr Brief k a m gerade zurecht u m mich zu mahnen; ich hätte häufiger an Sie schreiben müssen, nicht aus Pflichtgefühl, sondern aus einem inneren Bedürfnis heraus, Ihnen immer zur Seite zu stehen. Die vergangenen Wochen waren nur leider von Anstrengungen und viel Arbeit erfüllt, u n d die hannoversche Reise w a r kein Erholungsurlaub, sondern stand unter dem Zeichen Merkurs. 1 Es gab Erbschaftsverhandlungen, tägliche und ermüdende Manöver mit den Kirchhorster Bauern, und den Verkauf unseres dortigen Landbesitzes zu regeln. E.J. behauptet, ein neues Talent in mir entdeckt zu haben, weil ich ihm und seinen Geschwistern das Bestmögliche aus diesem Verkauf erzielen konnte, und sehr einfach w a r das nicht. Wenn man die Kirchhorster kennt, so weiss man, dass jeder halbe Morgen Landes den sie erwerben wollen, auf der Seite des Verkäufers eine Summe von List und Erfahrungen voraussetzt, die astronomisch zu nennen ist; da ich nicht über sie verfügte, griff ich zu den einfachen Regeln meiner Menschenkenntnis, und nahm Jeden von ihnen so, wie er genommen werden musste; das w a r dann der beste Erfolg. Aber ich habe vier Wochen damit zubringen müssen, um alles zu ordnen, und kaum wieder in Wilflingen, musste ich nach München, u m für Carl Alexander ein passendes Zimmer zu suchen; w i r haben jetzt Aussicht, von dem Leiter eines Studentenheimes Entgegenkommen zu finden, und zu diesem Zweck reise ich am 22. noch einmal mit E.J. nach dort. Von A n i m a höre ich seit Langen nichts mehr, grolle aber nicht; sie soll mir gegenüber immer so unbeschwert bleiben w i e sie es war, und hoffentlich noch ist. Darmstadt ist sicher eine gute Stufe ihrer weiteren Entwicklung. 2

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Sie machen mir Sorge, wie Sie ja überhaupt mein Sorgenkind sind, nachdem Duska uns verlassen hat. Plettenberg darf für Sie nur der Punkt sein, an den Sie immer wieder zurückkehren. Die dortige Einsamkeit ist für Sie schädlich, weil Sie nie die Möglichkeit eines Gespräches haben; wie soll ein Kopf wie der Ihrige die vielen dritten Garnituren aushalten? Sie sitzen in diesem Plettenberger Winkel und schenken Handwerkern von Ihrem besten Wein aus, die einen Most ebenso erfrischend finden würden. Nach so langen Jahren erzwungenen Schweigens sollten Sie beweglicher werden; Köln, Frankfurt, beides sagt Ihnen doch zu. Eine Privatpension in der Sie betreut werden, wird sich doch finden lassen! Aber wenn Ihnen das zu wenig häuslich erscheint: versuchen Sie, wenn es wirtschaftlich tragbar ist, eine kleine Wohnung zu finden, nehmen Sie ein weibliches Wesen zu sich, das imstande ist, Ihre Freunde zu empfangen und zu bewirten. Der äussere Rahmen in dem Sie sich bewegen, sollte nach Möglichkeit Ihren alten Gewohnheiten angepasst werden! Ich fühle, wie schwer es ist, Sie von der Last Ihrer Vereinsamung zu befreien; wir müssen alles tun um sie erträglicher zu gestalten, und ich sehe einen Ausweg nur im Wechsel des Wohnortes, in eine Stadt, deren geistige Strömung Ihnen zusagt und Anregung schaffen kann. Das »kup unner, die Welt is Di gram« erschallt zu früh. 3 Schenken Sie Ihren Feinden weniger Beachtung! Sie haben noch vieles zu sagen, mehr als jeder Andere. - Sehr gut wäre doch eine gemeinsame Stadtwohnung mit Anima, und irgendein helfender Geist, der Vater und Tochter betreut. Soll ich mich für Sie umsehen? Sie müssen mir nur schreiben, welche Stadt Sie besonders anzieht, und ob Ihnen ein solcher Plan, der mir eben durch den Kopf schiesst, auch zusagt. Aber was haben Sie in Plettenberg? Dort herrscht kein Rhythmus vor, der Ihnen zuträglich ist. Zu unserem Wiedersehen: ich werde in München zwar nur einige Tage bleiben, will aber am 4. Oktober mit Carl Alexander nach Rom und Carrara; wir wollen Ernsteis Grab aufsuchen und eine baldige Uberführung nach Wilflingen einleiten, die mir ja seit Jahren am Herzen liegt. Mitte Oktober bin ich zurück, und ab dann immer für Sie da. Den November sollten Sie nicht daheim zubringen, es ist der Monat, den man auf Reisen am besten übersteht. Auf den Hamlet bin ich begierig; mit Neske sprach ich gestern telephonisch über die Ausgabe. 4 Wir alle grüssen Sie herzlichst; Arminius' Gesundheit ist schwankend, er darf sich keine grossen Anstrengungen zutrauen, nicht einmal die einer Reise. Ich selber bin auf dieser Leiter einmal oben, dann unter, wie ein Laubfrosch; man gewöhnt sich daran. In alter Treue Ihre Gretha Jünger. Der römische G o t t des Handels. A l s o ihr einjähriges Praktikum am dortigen Schauspielhaus. 3 Siehe zu diesem Zitat Carl Schmitt an Gretha Jünger, 1 1 . 9 . 5 2 . 4 Lilian Winstanleys >Hamlet. Sohn der Maria Stuart< erschien im Günther Neske Verlag in Pfullingen. 1

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GRETHA JÜNGER AN C A R L SCHMITT

23.11.1952. Lieber Carl Schmitt, für Sie ist der November ein so trauriger Monat wie für mich; unsere Gedanken werden dann wohl immer die gleichen sein. Wir erwarten jetzt noch dazu die Überführung Ernsteis, den ich an seinem Todestage, d. 29.11. hier auf dem kleinen Dorffriedhof beisetzen lassen wollte, aber die Unwettermeldungen aus Italien betreffen gerade diese Strecke, und ich warte immer noch auf genauere Nachrichten. Für Duska ging ein Tannengruss an Sie ab, legen Sie ihn auf dieses teure Grab mit meinen Grüssen; 1 nie werde ich den 1. Advent begehen können, ohne an Sie Beide zu denken. Nie auch sollten Sie daran zweifeln, dass ich Ihnen einen, wenn auch geringen Teil, von Duskas Liebe und Sorge um Sie entgegenbringe; ihre Worte an mich in Heidelberg sind mir immer wie ein Vermächtnis erschienen. Ich kenne Ihre Situation, Ihre innere und äussere Lage, und es betrübt mich, nicht in ganz anderer Weise für Sie eintreten zu können. Das Schwierige daran ist weniger die Entfernung, als mein Posten an der Brücke; diese Brücke droht fortwährend einzustürzen, weil nichts daran repariert, und weil nicht mit gegenseitigem guten Willen daran gearbeitet wird. Darin besteht mein Kummer. Ich möchte Ihnen und E.J. immer zurufen: Halt! Aber ich weiss wohl, dass man meine Stimme entweder nicht hören will oder kann. In einem solchen Zustand gewinnen alle Anstrengungen etwas Verkehrtes; man überzeugt weder den Einen noch den Anderen. Worin bestand aber, das frage ich mich oft, der Sinn, das Wesen dieser Freundschaft, die sich über Jahrzehnte erstreckte. Lag in ihrem Beginn schon das Ende? Wäre nicht jetzt, nachdem wir alle in ein Alter gekommen sind, wo wir Freunde als etwas Beglückendes empfinden, viel eher der gute, sichere Boden gefunden als in der Jugend? Aber wozu frage ich das! Wenn erst der Geist dieser Verkehrtheit das Feld beherrscht, so kann man mit Argumenten, mit Fragen, nichts mehr ausrichten. Ich stehe in meiner ganzen Aktivität recht hilflos zwischen den beiden Eckpfeilern der Brücke, und kann nichts tun, als dieses Gewicht zu tragen, und nach Möglichkeit auszubalancieren. In Pfullingen gab man mir den Hamlet. Ich habe das Buch in einem einzigen Zuge gelesen, und es setzte sozusagen das Thema meiner augenblicklichen Lektüre fort, den Philipp v. Commynes, der sich ja auch viel mit den englischen Königen dieser Zeit befasst.2 Ihr Vorwort ist glänzend, die Ubersetzung von Anima, soweit ich es beurteilen kann, da ich ja das englische Manuskript nicht kenne, überraschend gut gelungen, sie fühlt sich ganz in die andere Sprache ein. Vater und Tochter hier vereint zu sehen: welch ein geistiger Genuss! 3 Was den Inhalt, seine Theorie betrifft, so hat die letztere etwas Bestechendes und durchaus Einleuchtendes, was auch die Historiker im Einzelnen dagegen einzuwenden haben. Besonders

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absurd doch der Einwand Kellers! 4 D a s s ein zeitgeschichtlicher M o m e n t wie das Schicksal J a k o b I. eine bedeutende Rolle in diesem D r a m a einnimmt, ist nach dieser Arbeit, wie sie uns vorliegt, garnicht mehr von der H a n d zu weisen. Dabei ist es ja völlig gleichgültig, ob alle Nebenfiguren des Stückes erdacht, oder dem Leben selbst entnommen sind, denn die tragende Gestalt bleibt Hamlet, bleibt überhaupt der Boden, auf dem sie entstehen konnte. Vielleicht geht die Verfasserin zu weit, wenn sie den einzelnen Beweiszügen und Parallelen bei Burleigh 5 u . a . nachspürt; es besteht da die Gefahr des mathematischen Vorganges, wie bei einem Puzzle-Spiel. Wichtig ist Essex neben Hamlet, wichtig auch die Feststellung, oder der Hinweis, dass von beiden Männern, Essex und J a k o b , Züge entnommen sein können, u m den Zwiespalt in Hamlet widerzuspiegeln. Übrigens muss das nicht sein; ich weiss nicht, warum immer wieder, und anscheinend in jeder Generation dieses Raten u m Hamlets Wesen einsetzt, ein Wesen eben, das aus seinen Gegensätzen nicht zu erklären ist, das aber zu allen Zeiten den Menschen begegnete, und viel häufiger angetroffen wird, als es den Anschein haben mag. E s muss das Erschrecken z u m G r u n d e haben, das Jeder für sich empfindet bei dem »Zwei Seelen wohnen ach, in meiner B r u s t ! « 6 E s ist gleichsam der Spiegel, der entgegengehalten wird, und zwingt, in sich selber zu sehen. Es ist aber auch etwas von der Abneigung darin enthalten, die alles gespalten sein hervorruft, natürlich auch die Angst. Dies also war meine heutige Plauderstunde mit Ihnen, lieber Carl Schmitt; in Italien habe ich oft an Sie und Anima gedacht, mein Sohn war von allem was er sah, so sehr beeindruckt. Man sollte nur mit jungen Menschen reisen! Ich wünsche Ihnen Kraft für die kommenden Tage, und bin mit all meinen Wünschen, und im Gedenken an D u s k a , Ihnen treu verbunden. Ihre Gretha Jünger. Am 1. Todestag von Duska Schmitt am 3. Dezember. Siehe hierzu Philippe von Commynes: Memoiren. Europa in der Krise zwischen Mittelalter und Neuzeit, In neuer Übertragung hrsg. v. Fritz Ernst, Stuttgart 1952. 3 Es handelt sich um das >Vorwort< zu Lilian Winstanleys >Hamlet. Sohn der Maria Stuarts 4 Hier bezieht sich Gretha Jünger auf Ausführungen Carl Schmitts in seinem >Hinweis für den deutschen Leser< in Winstanleys >HamletWürde Shakespeare gewagt haben, Hamlet ausrufen zu lassen: O welch ein Schurk und Sklav bin ich! wenn er dabei an den König Jakob gedacht hätte ?< Wenn man bedenkt, was der Graf Essex der Königin Elisabeth ins Gesicht zu sagen wagte, so erscheint dieses Argument Kellers mehr eine Nachwirkung der Majestätsvorstellungen aus der Zeit Wilhelm II. als eine Widerlegung der Parallele Hamlet - Jakob.« Zu den von Carl Schmitt angesprochenen Schriften von Georg Brandes und Karl Silberschlag siehe: ebd., S. 23. Von Brandes siehe: William Shakespeare, in: Ders.: Gesammelte Schriften, 1

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Bd. 7, München 1904. Dort auch auf S. 143f. eine kritische Auseinandersetzung mit: Karl Silberschlag: Shakespeare's Hamlet, seine Quellen und politischen Beziehungen, in: Jahrbuch der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft, hrsg. v. Karl Elze, Bd. 12, Weimar 1877, S. 2 6 1 - 2 8 9 . Kellers Rezension in seiner >Bücherschau< siehe: ebd., hrsg. v. Wolfgang Keller, Bd. 58, Berlin, Leipzig 1922, S. 1 3 2 - 1 3 4 . Das Zitat Schmitts findet sich dort auf S. 133. Es lautet korrekt: »Würde Shakespeare gewagt haben, Hamlet ausrufen zu lassen: >0 welch ein Schurk' und niedrer Sklav' bin ich!Tat< in Paris. 4 Schmitt feierte seinen 65. Geburtstag in Düsseldorf, Gretha Jünger nahm an den Feierlichkeiten nicht teil. 5 Also den Schwestern von Carl Schmitt, mit denen er gemeinsam in einem Haus lebte. 6 Die Familien Jünger und Schmitt lernten sich um die Jahreswende 1929/30 kennen. 1

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C A R L SCHMITT AN GRETHA JÜNGER

Plettenberg, 25.6.1953. Liebe und verehrte Frau Jünger, in Ihrem Ferien-Aufenthalt finden Sie jetzt, wie ich hoffe, die wohlverdiente Ruhe und Erholung von den vielen Mühen und Sorgen der letzten Monate. Ich danke Ihnen herzlich für Ihren lieben Brief und freue mich unendlich darauf, Sie in Kurzem wiederzusehen. Meine Düsseldorfer Freunde scheinen den für den 11. Juli dort geplanten Empfang sehr gut vorzubereiten. Ich nehme an, dass Sie die Einladung der Academia Moralis 1 erhalten haben und möchte Sie um eine Mitteilung darüber bitten, wie Sie die Reise von Goslar oder Hannover einzuteilen gedenken und w o wir uns treffen, ob und wo und wie ich Quartier besorgen soll usw. Ich werde am Samstag 11. Juli in Düsseldorf sein und vielleicht erst Sonntag den 12. wieder nach Plettenberg zurückkehren. Anima scheint für Sonntag in Plettenberg etwas vorbereitet zu haben, doch wird mir alles streng geheim gehalten. Gestern erhielt ich von Armin Möhler die erste Nachricht aus Paris, 2 mit der Abschrift eines an E.J. gerichteten Briefes über Neske. Ich weiss nicht w o ich drin stecke wenn ich diese Art von Streitereien höre oder lese. Mir liegt das: capisco et obmutesco 3 und ich bin viel zu alt um mich auf andere als direkte Klärungen einzulassen. Es ist gut, dass Sie bald kommen und ich mit Ihnen sprechen kann. Anima ist noch in Köln (Kalk, an der Pulvermühle 23); sie kommt zum Wochenende meistens nach Plettenberg; Ihre Beziehungen zu Heinrich Popitz scheinen sich schnell zu intensivieren. Auch darüber möchte ich gern mit Ihnen sprechen. Also auf ein gutes Wiedersehen in 14 Tagen etwa! Erholen Sie sich gut und seien Sie mit vielen Wünschen herzlich gegrüsst von Ihrem alten und unveränderlichen Carl Schmitt. In Bad Godesberg. Armin Möhlers Schreiben an Carl Schmitt vom 22.6.53 in: >Carl Schmitt - Briefwechsel mit einem seiner Schülers S. 140. 3 »Ich verstehe und verstumme«. Ganz ähnlich die Figur des Critilo aus Baltasar Graciáns erstmals zwischen 1651 und 1657 erschienenen Roman >E1 Criticóne Critilo, wie Carl Schmitt ein Rationalist, also ein Don Capisco, führt dort sein Leben unter dem Motto »Sehen, hören und schweigen«. Siehe: Baltasar Gracián: Das Kritikon, Ubers, v. Hartmut Köhler, Nachwort v. Hans Rüdiger Schwab, Zürich 2001. 1

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G R E T H A J Ü N G E R AN C A R L S C H M I T T

Goslar, d. 29./6.1953. Lieber Carl Schmitt, für Ihren Brief, der mir nachgesandt wurde, danke ich herzlich. In meine Vorfreude auf unser Wiedersehen fällt ein Schatten; meine Mutter ist ernstlich erkrankt und ich fahre nach Hannover zurück; wie sich nun meine Reise nach Düsseldorf gestalten wird, kann ich noch nicht absehen, auf jeden Fall erhalten Sie rechtzeitig Nachricht von mir. Es wäre so vieles zwischen uns zu besprechen, dass es mir überaus leid tun würde, wäre ich verhindert zu kommen; auch drängt es mich, an Ihrem Ehrentage mit dabei zu sein. Was Armin Möhler betrifft, so hat mich Ihre Mitteilung nicht mehr überraschen können; 1 ich bin es Ihnen schuldig, hier zur warnen. Leider haben sich in diesen Wochen so viele Beweise seiner Doppelzüngigkeit gefunden, dass kein Zweifel mehr daran besteht. Er spielt Sie gegen E . J . aus, E . J . gegen Sie; mich gegen meinen Mann und ihn gegen mich, er hat über Neske Unwahrheiten verbreitet und E . J . auf das Schlimmste gegen ihn eingenommen, er tut es noch, und er hat auch mir im eigenen Hause sehr geschadet. Der Zweck dieses Doppelspieles ist mir nicht klar, er kann indessen nur auf einem überspitzten Geltungsbedürfnis beruhen, das mit grosser Indiskretion und wenig Überlegung gepaart ist, denn er musste sich sagen, dass dies alles einmal zur Sprache kommt. Meine Bemühungen, das alte Vertrauen zwischen Ihnen und E . J . wieder herzustellen und unermüdlich im Sinne unserer so langjährigen Freundschaft zu wirken, hat er leider nicht unterstützt, wie Sie sehen; wie lässt sich eine solche Handlungsweise mit seiner angeblichen Verehrung für Sie Beide, und mit seiner Ehrlichkeit vereinbaren? Ich habe davon abgesehen, ihm meine Ansicht mitzuteilen und ziehe das Schweigen vor; nach einer vierjährigen häuslichen Gemeinschaft soll man keinen Staub aufwirbeln. Aber ich glaube Ihnen nicht dienlich zu sein, wenn ich Sie in Unkenntnis über die Art seines Vorgehens lasse; Sie müssen wissen, dass viel Ärgernis für uns alle damit verbunden war und sein wird. Wie sehr würde mich, immer im Gedenken an Duska, eine mögliche Verbindung mit H . Popitz freuen! U n d wie selten ist es, dass die Kinder sich mit der gleichen Zuneigung begegnen, die die Eltern verband. Ich bin ganz glücklich bei diesem Gedanken, obgleich ich ihn nicht kenne. Hoffentlich kann ich Sie bald umarmen; eine Karte, die ich eben aus Hannover erhielt, klingt allerdings nicht günstig, ich reise also ab. Vielleicht wäre es ratsam, Möhler gegenüber äusserste Zurückhaltung zu wahren und auf nichts einzugehen; mich beschäftigt die Rolle die er spielt, mehr als mir gut ist; man macht ungern Erfahrungen wie diese, weil immer weniger Menschen und wahre Freunde anzutreffen sind. Wir werden alt dabei. In alter Herzlichkeit Ihre Gretha Jünger. 1

Also Carl Schmitts Ratlosigkeit in seinem Brief vom 25.6.53.

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G R E T H A J Ü N G E R AN C A R L S C H M I T T

Hannover, Stephansplatz 1. 4./7.1953. Lieber Carl Schmitt, der Zustand meiner Mutter erfordert Pflege und damit meine Anwesenheit; zu meinem K u m m e r kann ich Sie also nicht persönlich beglückwünschen, aber Sie wissen, dass ich in Gedanken dort bin und an Ihrem Ehrentage teilnehme. D i e Freunde werden Ihnen ein schönes Fest ausrichten; Professor Barion, der unser damaliges Wortgefecht fortsetzen möchte, bitte ich meinen D a n k für seinen Brief auszurichten. Ich hoffe, dass wir noch Gelegenheit finden werden, ins Tournier zu gehen; er ist ein ungemein beweglicher Geist, mit dem esprit, der den Deutschen im Allgemeinen fehlt. Meine Worte über Armin Möhler fassen Sie bitte nicht als ein vorschnelles Urteil auf; es liegen so viele Beweise dafür vor, dass ich aus seinem Verhalten die traurigsten Konsequenzen ziehen muss. E s wird nicht Böswilligkeit gewesen sein, aber eine unverantwortliche Geschwätzigkeit und der Drang, sich wichtiger zu nehmen als er es in Wahrheit sein kann. Man kann nicht eine solche Stellung innerhalb eines H a u s e s bekleiden, u m mich und meine nächsten Freunde, zu denen Sie und Günther N e s k e zählen, in Misskredit zu bringen. D a s verzeihe ich ihm nicht. Seine A u f g a b e bestand eher darin, zu vermitteln; er hat sie auf eine Art gelöst, die mir nichts als Schwierigkeiten eingebracht, und E. J. zu der Annahme veranlasst hat, Sie seien sein grösster Feind. 1 N i e m a n d würde es glauben, der von seiner Ehrlichkeit überzeugt war; es ist aber in seinem Fall sinnlos, nicht sehen zu wollen und blind zu glauben. Wie geht es Anima? Ich würde gern wieder von ihr hören. Ihre Gegenwart wird Sie erheitern, lieber Carl Schmitt, und sie soll Sie am Morgen Ihres Geburtstages in meinem N a m e n umarmen. Meine Wünsche für Sie und das neue Lebensjahr kennen Sie. Ich bleibe in alter Anhänglichkeit Ihre Gretha Jünger. 1 Tatsächlich zeigen Carl Schmitts Einträge im >Glossarium< auch stärkste Emotionen gegen Ernst Jünger, die erst durch die Publikation der Aufzeichnungen nach seinem Tode in dieser Schärfe bekannt wurden.

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C A R L SCHMITT AN G R E T H A J Ü N G E R

Plettenberg, den 7. Juli 1953 Liebe und verehrte Frau Jünger! Es ist sehr traurig, dass Sie nicht kommen können, und besonders traurig wegen des Anlasses. Hoffentlich überwindet Ihre Mutter die Krankheit bald. Die Erholung, die Sie so dringend brauchten, wird Ihnen jetzt wiederum versagt bleiben. Das tut mir sehr leid. Auch Anima ist sehr traurig, dass Sie nicht kommen. Ich fahre Donnerstag für einige Stunden nach Düsseldorf, um Prof. Barion noch wegen einiger Vorbereitungen zu sprechen. Die Carl-Schmitt-Bibliographie (bei Stalling in Oldenburg schön gedruckt) ist noch rechtzeitig fertig geworden. Die Festgabe wird im Manuskript überreicht werden und erst im Laufe der folgenden Monate gedruckt.1 Ich wäre im Mai ahnungslos in Wilflingen erschienen, wenn Möhler mir nicht geschrieben hätte, dass ich besser nicht kommen soll. Die eigentliche Beleidigung liegt darin, einen Menschen, dessen angebliche oder wirkliche Aussagen einem hinterbracht werden, nicht einmal zu hören, nicht einmal hören zu wollen. Aber auch das gehört zu dem traurigen Augenblick, in dem jeder seiner Wege geht. Ich habe mir - aus Schwäche - die Wirklichkeit, die sich in dem Briefwechsel vom Januar 1950 2 (nach Ihrem Besuch in Plettenberg) enthüllte, nicht folgerichtig genug zu Herzen genommen. Aber diese Schwäche gereicht mir nicht zur Schande, und für die Wahrheit ist es nie zu spät. Vielleicht war die Schwäche auch nur eine Unfähigkeit aus Herzenshärte und Rechthaberei. 3 Gestern ist auch Ihr köstliches Geschenk eingetroffen. Herzlichsten Dank! Es vervollständigt eine Raritäten-Sammlung aus altem griechischem Cognak und spanischem »Moriles« 4 vom Osten her. Ihre Güte und Aufmerksamkeit hat mich sehr gerührt. Und das alles sollen wir tatsächlich nicht zusammen probieren dürfen? Es ist wirklich zu traurig. Stets ihr alter Carl Schmitt. Gemeint ist die erste Auflage von Piet Tommissens > Versuch einer Carl-Schmitt-Bibliographie« (Academia Moralis, Düsseldorf 1953). Siehe nun: Alain de Benoist (Hrsg.): Carl Schmitt. Bibliographie seiner Schriften und Korrespondenzen, Berlin 2003. Die >Academia Moralis< veranstaltete am 11.Juli 1953 eine Feier zu Schmitts 65. Geburtstag. Eine hierfür geplante Festschrift konnte nicht gedruckt werden, Schmitt erhielt daher das einzige Exemplar, das aus den Originalmanuskripten bestand. Einzelne Beiträge wurden dann in die Festschrift >Epirrhosis. Festgabe für Carl Schmitt« (2 Bde., hrsg. v. Hans Barion u.a., Berlin 1968. 2. Aufl., Berlin 2002) aufgenommen. Siehe auch: >Carl Schmitt - Briefwechsel mit einem seiner Schüler«, S. 392 (Anm. 470). Die Teilnehmer nennt Piet Tommissen in seiner >Ergänzungsliste zur Carl-Schmitt-Bibliographie vom Jahre 1959< in: Epirrhosis, Bd. 2, S. 751. 1

Siehe: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 243-248. In >Carl Schmitt - Briefwechsel mit einem seiner Schüler« ist ein Schreiben Armin Möhlers vom Mai 1953 nicht enthalten. Auf den Konflikt geht jedoch ein Schreiben Möhlers vom 22.6.53 (S. 140) aus Paris kurz ein. 4 Ein Wein aus der Region Montilla-Moriles. 2

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G R E T H A J Ü N G E R AN C A R L S C H M I T T

Nordseebad Langeoog, d. 27./7.1953. Mittelstrasse 21 [ ] 1 Adolf Peters. Lieber Carl Schmitt, Günther Neske berichtete mir über den wohlgelungenen Verlauf der Düsseldorfer Feier und so nahm ich wenigsten in Gedanken daran teil; es hat den Anschein, als würde seine Aussprache mit E. J. einen erheblichen Teil dazu beitragen, die sinnlose Arbeit Möhlers gegen eine neue Verständigung zu entkräften, und ich wünsche mir von ganzer Seele, dass ein Wiedersehen zwischen Ihnen und E . J . ganz im Sinne unserer alten Freundschaft erfolgen möge. Was immer ich dazu beitragen konnte, wurde getan, und mehr als jeder Andere war ich daran interessiert. Aber gegen Intriguen bin ich machtlos, vor allem, wenn sie meiner Vorstellung nicht entsprechen, und dem Vertrauen, das ich jeweils in einen Menschen setze. Wir wollen hoffen, dass gerade dieser Intriguen wegen nunmehr alles vergessen wird, was zwischen Ihnen Beiden stand, dass Sie sich aussprechen, und dass es in den folgenden Jahren niemand mehr gelingen wird, Misstrauen zu säen und zu ernten. Duska wird mir hier nahe sein in diesem Wunsch. Haben Sie noch herzlichen Dank für Ihren Brief. Ich wäre so gern gekommen! Diese Ferienwochen habe ich eigentlich nur damit verbracht, meine schlechten Erfahrungen zu sichten, aber man soll seine Gedanken nicht an Tatsachen heften, die nicht zu ändern sind. Seit wenigen Tagen bin ich mit Carl Alexander hier an der See; am 14. will ich heim über Stuttgart, wo ich der Steuern wegen Besprechungen führen muss. Sie sind von Wichtigkeit, sonst hätte ich den U m w e g über Plettenberg gewählt. Aber nun glaube ich, dass der Herbst ein Wiedersehen bringt, und bin in allem zuversichtlich, was das Gemeinsame betrifft. Wie geht es Anima? Ich habe von ihr geträumt. A m Langeooger Strand trifft man nur Hamburger und Friesen; ich habe noch nie ein so langweiliges Temperament in seinem Stammescharakter angetroffen, und die gedehnten Vokale zwingen alleine zum gähnen. Der Pfeffer fehlt gänzlich, und das Überblonde färbt selbst auf die Seele ab. Mein einziger Trost besteht darin, dass ich mich mehrere Male am Tag in die haushohen Wellen stürze, und Abends in die Lektüre. Inseln sind schön, wenn man sie alleine durchstreift, oder mit einem Freund Gespräche führt; aber die vielen Familien mit Badetaschen, Strandkörben, und dem ewigen »Nääch?« sind entschieden keine Gesellschafter für mich. Herzliche Grüsse für Sie und Anima Ihrer alten Gretha Jünger. '

Ein nicht lesbares Zeichen.

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GRETHA JÜNGER AN C A R L SCHMITT

Wilflingen, d. 8./10.1953. Lieber Carl Schmitt, hoffentlich hat Ihr langes Schweigen keine ernsthafte Ursache; Anima sandte mir eine Karte aus Paris, für die ich ihr danke. Wenn sie Zeit und die alte Neigung verspürt, so soll sie mir einmal von sich schreiben; ich höre nur leichte Nebengeräusche von Autofahrten, und die Gestalt von Heinrich Popitz wird neben sie skizziert, wie die von Sombart. Aber das sind nur vage Berichte Dritter, während die Hauptperson selber sich garnicht äussert. Was macht Ihre Gesundheit und was sind Ihre Pläne für den Winter? Ich wollte Ihnen längst schreiben, aber etwas hinderte mich daran; wohl die Vorstellung, dass die unglückliche Möhler-Affaire Sie irre führen könnte in ihrer zwiefachen Darstellung und Aussage, und da ich in diesen Dingen empfindlich bin und es zugebe, so musste ich meine Warnung an Sie als »nicht anerkannt« betrachten. 1 Aus diesem Grunde allein komme ich noch einmal auf jenes Thema zurück, das zu begraben besser und weiser erscheint. Aber ich setzte voraus, dass Sie mir eine völlig unpersönliche und neutrale Beurteilung einräumen würden, jenseits eigener Kränkung, und lediglich im Hinblick auf Sie. Wenn ich Sie also vor Möhler warnte, so geschah es, weil seine Darstellung der Wahrheit nicht entsprach. Inzwischen fand ich in seinen Briefen an E.J. die gleiche Formulierung, eigentlich eine Art der Suggestion, mit der er ihn an etwas zu erinnern sucht, das nur in seiner Phantasie besteht. Die damalige Copie, die er Ihnen übersandte, ist der deutlichste Beweis dafür. Was soll man dazu sagen? Ich frage mich, wie weit ein Mensch wie er zu den eigenen Dummheiten steht, und darüber hinaus, wie man sie auf Kosten der Glaubwürdigkeit anderer leugnen mag und kann; das habe ich ihm heute mitgeteilt. Ohne Zweifel ist er Ihnen in den Rücken gefallen, und das auf schlimme Art, in meiner Gegenwart; ich habe ihm das damals mit schonungsloser Offenheit gesagt, aber seine einzige Reaktion war die Bitte an mich, Ihnen das Geschehene niemals mitzuteilen. Ach, und wie sehr hasse ich Feigheit! Dass er indessen die Absage des geplanten Besuches in Wilflingen in jene Form noch kleidete, die E.J. in Ihren Augen sehr belasten musste und ihn selber von jeder Verantwortung hierfür ausschloss, erfuhr ich erst später. Uber eine solche Haltung kann man wohl nur einer Meinung sein. Ich verzeihe ihm nichts davon. Gewiss ist, dass er ein Doppelspiel trieb, und das nicht nur in diesem Fall, und von der sogenannten schweizerischen Geradheit und Ehrlichkeit habe ich nunmehr das Buch meiner Erfahrungen um eine Seite vermehren können. Dazu ist man niemals zu alt, wie es scheint. Verlassen können wir uns nur auf ganz wenige, auf die immer wieder Erprobten. Ehrgeiz, Geltungsbedürfnis, und Überschätzung der eigenen Wichtigkeit mögen bei ihm die Triebfeder gewesen sein; ein junger Mann, der noch vieles zu lernen hat. Genug davon; es musste noch einmal ausgesprochen werden, damit zwischen Ihnen und mir absolute Klarheit besteht.

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Ernst v. Salomon tauchte hier auf in Begleitung von seiner Frau Lena, einer anmutigen, natürlichen und mütterlichen Erscheinung, die mehr zu seinen Gunsten spricht, als es alle Bestseller der Welt 2 jemals vermöchten. Seine Vitalität ist Berge-versetzend, das Haus begann zu wackeln und die Gläser am Tische auch; Anima hätte grosses Vergnügen an ihm und seiner Unterhaltung gehabt. Sein berühmter Zynismus dagegen ist nichts anderes, als die einzig natürliche Reaktion gegen die Aussenwelt, die ihm eine Kenn-Nummer einbrannte und niemals nach dem Menschen forschte, der sich dahinter verbarg. Wir hatten uns seit 1929 nicht mehr gesehen; ich fand ihn hilfsbereit, ehrlich gegen sich selbst und andere. Ist das nicht schon viel in unserer Welt? Wir rüsten uns für den Winter, der Garten ist bestellt, und zur Erhöhung der Behaglichkeit füllte sich der Siamesen-Katzenkorb mit reizenden Jungen. E . J . und ich bitten Sie zu Gast, wann immer Sie vorbeikommen, falls Neske ihn nicht vorher im Wagen nach Plettenberg bringt. Es soll und es wird sich zeigen, lieber Carl Schmitt, dass der alte Geist einer Freundschaft doch wohl stärker ist als alle gelegentliche Unlust und Kritik, oder Entstellung durch Dritte, und hier weiss ich, dass Duska mir zur Seite steht. Mit herzlichen Grüssen und Wünschen für Sie und Anima Ihre Gretha Jünger. Siehe Gretha Jüngers Brief vom 29.6.53. Ernst von Salomons >Der Fragebogen< wird im Briefwechsel zwischen Ernst Jünger und Schmitt mehrfach erörtert. Ernst Jünger und Salomon trafen sich erstmals 1929. Siehe die Schilderungen Ernst Jüngers durch Salomon in: Der Fragebogen, Hamburg 1951, S. 291 ff. Mit diesem Schreiben bricht der Briefwechsel zwischen Gretha Jünger und Carl Schmitt ab. Siehe hierzu die Ausführungen in der Einleitung zu dieser Korrespondenz. 1

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G R E T H A J Ü N G E R AN C A R L S C H M I T T

In herzlichem Gedenken Ihre 1 Gretha Jünger 1 Die Grußkarte mit einem Blumenmotiv ist undatiert und trägt keinen Poststempel. Eine Adressierung fehlt.

Anhang I HANS M I C H A E L M Ü L L E R AN C A R L SCHMITT

z. Zt. Königsberg i. Pr. 28.3.40

Sehr verehrter, lieber Herr Schmitt, der »Katholizismus als politische Form« 1 muß noch irgendwo - vielleicht verpackt - stecken. Aber er wird nicht vergessen. Nach dem 15.4. habe ich einen lokalen Umzug, bis dahin muß ich noch einmal nach Polen. Zu Ostern erhielt ich E. Jünger, Auf den Marmorklippen, geschenkt. Da die Anregung dazu von Ihnen her kam, möchte ich mich hierüber auch Ihnen gegenüber äußern dürfen. Die Kraft der Phantasie, die von den Landschaftsbildern, Personen und Vorgängen um die Marina ausstrahlt, ist groß und nachhaltig. Man weiß nicht recht, woher diese fortzeugende Wirklichkeit ihre Kraft hat. Und eben darin berührt uns der Einschuß der Qualität und wach haltender Prägnanz. Und doch ist dies Wachsein wie ein Traum. Jünger berückt hier durch einen ansteckenden Traum. Die Bilder der Geschehnisse, wie der Dichter sie ersah und weitergab, sprechen für sich selbst und bewegen uns tief. Eines wird hier wunderbar deutlich: Nie vermag man einer Zeit durch Reportage die Wahrheit zu sagen. Der Reporter, und wenn er im Kugelregen stünde, ist ein Nachzügler und Nachschwätzer. Fällt nicht die ganze übliche biographische und historische (Roman)-Literatur unter diese Form der Entartung, bezw. Impotenz? Dichter müssen doch offenbar Platoniker sein, wie umgekehrt Philosophen, die etwas taugen sollen, Aristoteliker. So spiegelt denn Jünger nicht unsere Zeit, wie der Reporter sie kennt und mit ihm alle, die sich die neuesten »symptomatischen« Begebenheiten erzählen. Sondern er spiegelt ein Hintergründiges ab, indem bildhafte Ereignisse vor unser Auge treten, die nicht irgendwie berichtet, sondern wahrhaftig geschaut sind. Die Folge ist, daß diesem Schriftsteller gegenüber nicht mehr gefragt werden kann: Wie wahr hat er die Gegenwart geschildert? Sondern man fragt sich vielmehr selbst: wie wahr hast Du bis jetzt diese Zeit begriffen? Wie weit hat die Gegenwart ihre eigene Wahrheit im Guten und Bösen bereits vollbracht?

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All das steht schon in der angewandten Sprache selber beschlossen - biegsam, federnd, unbestechlich, wach und ergriffen, rauschhaft in freier, edler Luft. Wundervoll, daß es dies gibt! So groß muß ich von Jünger denken, und ich würde dieses Leben, das er ist, gerne leibhaftig kennen. Aber nun kommt hier erst mein eigenes Lebendigsein mit hinzu, wenn ich sagen muß, wo ich die Grenzen des so bedeutend Empfundenen sehe. Die Welt des da Geschauten ist ein Inbegriff von Traum, Rausch und Genuß. Nicht gegeben ist die Würde des Alltäglichen, das ohne den Glanz und ohne die wissend-bewußte Erhabenheit (genossenen Rausches und genossenen Traumes) nun eben überdauert. Wo soll Ernst Jünger hin?, möchte man sagen. Er weiß, wieviel Zeit und Mühen es braucht, bis Ähren reifen und Korn gebacken werden kann. Und doch ist seine Welt ohne das Mysterium der Frau, ohne die Mutter. Darum ist alles wie halbiert und wird wehmutsvoll schief. Es ist eine unsagbare Verlassenheit und Armut inmitten all der Pracht von Sprache, Dingen und Kontrasten. Die Marina-Welt zerbricht und die Schau endet mit der Flucht eines Auszugs. Nichts, aber auch gar nichts ist zu sagen vom Uberdauern im Zusammenbruch, von der Sprengkraft keimenden Lebens unter Trümmern, von der Beständigkeit an Ort und Stelle des unausrottbaren Fortgangs. Das Gesetz des Rausches, die genossenen Düfte, Farben und Lautklänge sind wie ein unfruchtbarer Raub; die Liebe zum Lateinischen und das Bild des Mönchs sind ebenso ausweglos - bei aller Gepflegtheit - wie die Wirklichkeitsfetzen von Frauengebrauch. Immer ist Jünger vornehm. In der Vornehmheit des Genusses liegt etwas ungeheuer Anspruchsvolles. Diese Selbstachtung bestimmt auch den Blick auf die Geschöpflichkeit »Weib«. Doch steht dieses nun in der Reihe von Weinsorten, Rassehunden und blühenden Gärten. Es ist nicht beständiger als der Rausch und der Brand einer Stadt. In Wahrheit ist die Frau aber austragend und fruchtbar, leidüberwindend, stärker als der Alltag - weil stärker als der Rausch. Das alles fehlt. Die unser Leben sicherstellende Wirklichkeit - die wortlose, unästhetische Bejahung des Ungesicherten - fehlt. Was Jünger gibt, gleicht einem Kristall, das sich neigt, um zu zerschellen, - oder um aufgefangen zu werden. Man weiß es noch nicht. Weil aber dies genau dem Stande der europäischen Gegenwart entspricht, bleibt Jünger hintergründig wahr - in einem nun fast schlimmen Sinne wahr. Möge uns die Wahrheit eines guten Uberdauerns geschenkt werdenl ... Hat ihre Gattin die »Marmorklippen« gelesen? Es würde mich sehr interessieren, was Sie beide zu meinem Eindruck sagen - ob ich mich verständlich gemacht, und was der wissende Mannesgeist und was die eindeutige Frau zu unserer Aufgabe meinen; gerade das Wurzelgeflecht des Alltags unverkürzt mannweiblich zu bestehen! Mit herzlichem Gruß Ihr Hans Michael Müller

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Carl Schmitts Schrift >Römischer Katholizismus und politische Form« erschien erstmals 1923 in Hellerau (neu: Stuttgart 1984). Siehe zu Hans Michael Müllers Brief das Schreiben Carl Schmitts an Gretha Jünger vom 2.5. und ihre Erwiderung darauf v o m 17.5.40. D e r Brief von Hans Michael Müller, der dem Briefkopf nach damals als Unteroffizier bei der MlawaStellung in Ostpreußen stationiert war, findet sich im hs Original wie in ms Abschrift im N L Schmitt, RW 265-10014/1 und /2. Von dem evangelischen Theologen, der sich seit 1933 an der Gleichschaltung des Evangelischen Pressedienstes (epd) beteiligte, siehe u.a.: >Macht und Glaube< (München 1933) und >Die Verleugnung Luthers im heutigen Protestantismus« (Stuttgart 1936). 1

Anhang II G R E T H A J Ü N G E R AN A R M I N M Ö H L E R

26. Mai 1959. 1 Lieber Möhler, es gibt Situationen, in denen man die noch offenen Posten auszugleichen sucht, und eine solche scheint mir gekommen. Meinen Brief, den ich Ihnen kurz nach Ihrem Fortgang aus Wilflingen 2 schrieb, sandten Sie wohl aus dem einfachen Grunde zurück, weil Ihnen ein Schweigen besser und günstiger erscheinen mochte, als eine Rechtfertigung, zu der Sie sich ausserstande sahen. Ich will Ihnen heute etwas in Erinnerung rufen, das Ihnen nicht sehr lieb sein wird, aber ich lege Wert darauf, dass Sie, wie auch unsere Freunde wissen, was mich bewegen konnte, jede Beziehung zu Ihnen abzubrechen, nachdem Sie immerhin vier Jahre hindurch so etwas wie ein Sohn des Hauses bei uns waren. Sie kehrten eines Tages von einem Besuche bei Carl Schmitt zurück und berichteten uns, er habe sich während eines langen, nächtlichen Gespräches in geradezu schändlichen Kritiken und Vorwürfen gegen Ernst Jünger ergangen. Volle zwei Stunden hindurch wussten Sie Einzelheiten davon zu berichten, die den Chef in zunehmende Erregung versetzten, und obgleich ich Ihnen zu verstehen gab, dass es sich hier sicherlich um betrunkene Gespräche handelte, und auf jede Art versuchte, Sie an weiteren Details zu hindern, haben Sie in einer Art der Besessenheit kein Ende finden wollen. Das Resultat war, wie Sie wohl wissen werden, dass ich das Bild von C. S. von der Wand nehmen musste, weil der Chef mir den Vorwurf machte, ich hielte zu seinem schlimmsten Feind. Endlich gingen Sie mit Ihrer Frau nach unten. Ich folgte. Ich entsinne mich gut unseres Dialoges, denn ich fragte Sie, wem in aller Welt Sie mit dieser Wiedergabe zu dienen glaubten! Weder mir, C. S. noch dem Chef hatten Sie damit Gutes erwiesen. Ich habe Ihnen ferner gesagt, dass Sie sich wie ein Primaner verhalten hätten, und dass ich gezwungen sei, C. S. mein Erstaunen darüber auszudrücken, in welch gehässiger Form seine Äusserungen erfolgt seien. Angeblich hatten Sie ja sein Zimmer mit der Bemerkung verlassen, es sei Ihnen unmöglich, sich als Sekretär von Jünger das weiter anzuhören.

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Hierauf beschworen Sie mich, Sie nicht in das Licht einer Klatschbase zu setzen und auf jeden Fall C . S . gegenüber zu schweigen. Sie lehnten es also ab, zu Ihren eigenen Worten zu stehen, und man kann hierüber verschiedener Meinung sein. Ich war so anständig, Ihnen das zu versprechen, und ich hielt dieses Versprechen. Kurz danach teilte C. S. uns in völliger Ahnungslosigkeit mit, dass er uns aufsuchen will. Der Chef beauftragte Sie ihm zu erklären, dass ihm unser Haus in Zukunft verschlossen ist.3 Sie tun das in einem Briefe, ohne Angabe der Gründe, ohne ihm zu verraten, dass Sie ja der Urheber einer solchen Massnahme sind, und Sie beeilen sich weiter, C . S. in diesem Briefe zu versichern, dass Sie ihn gern an einem dritten Orte treffen würden, als der getreue Paladin, als den er Sie immer noch betrachtet. Inzwischen fährt C . S . nach Pfullendorf, und entrüstet sich Herrn Neske gegenüber über diese Absage. Mit Recht, denn er wusste ja nichts von dem Dienste, den Sie ihm hier geleistet hatten. Herr Neske, von mir informiert, klärte ihn nunmehr über den eigentlichen Sachverhalt auf. C . S. kann und will nicht glauben, dass Sie sich eines solchen Vertrauensbruches schuldig gemacht haben, und sagt wörtlich: » D a s hat Möhler niemals getan!« Sein Wort in Gottes Ohr, kann man da nur sagen, denn auch ich habe erst durch Erfahrung lernen müssen. Sie hatten bereits unser Haus verlassen. Ich schrieb jetzt endlich an C. S. und schilderte der Wahrheit gemäss das Ganze, wie Sie es hier wiederfinden. Ich erhielt keine Antwort. Dann geschieht das Unglaubliche: Sie schreiben an den Chef, dass »er sich ja wohl erinnern würde, dass Sie lediglich ein paar kurze Bemerkungen über den Abend bei C . S. gemacht hätten, und keinesfalls bösartige Kritik weitergegeben hätten.« Von diesem Brief machen Sie dazu noch eine Abschrift, die an C . S . geht, sodass er der Ansicht sein muss, meine ganze Darstellung beruhe auf Lüge oder Ubertreibung. Wie soll ein Mensch auch auf den Gedanken kommen, dass Sie vor Ihren eigenen Dummheiten die Flucht ergreifen und lieber mich in dem Verdacht lassen, sie begangen zu haben? Zudem: wie können Sie an den Chef selber in dieser Art schreiben, wenn Sie ein schlechtes Gewissen hätten. Diese Fragen wird sich C . S . gestellt, und zu Ihren Gunsten beantwortet haben. N u r ich weiss, dass Sie die Vergesslichkeit Ihres Chefs, wie auch seine Eigenheiten zu gut kannten, um hier nicht eine solche Komödie wagen zu können. Sie gelang Ihnen vollauf. Entweder las er Ihren Brief nicht zu Ende, wie er das ja meistens zu tun pflegt, oder aber er bereute schon die Entfremdung mit C . S. und suchte nun das Ganze nicht noch schlimmer zu machen, indem er Ihnen widersprach. Endlich also hatten Sie gewonnenes Spiel. In meiner Empörung darüber sandte ich Ihnen jenen Brief, den Sie mir zurück schickten. Das war taktisch nicht unklug, denn nun brauchten Sie nichts mehr zu befürchten.

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C. S. beantwortete auch meinen zweiten Brief nicht mehr. Er zog es vor, einen »jungen Mann, den er brauchte«, seiner alten, und in vielen schweren Situationen seines Lebens erprobten und bewährten Freundin vorzuziehen, deren Wort allein ihm genügt haben sollte. Das muss er mit sich abmachen. Er wird darüber nachzudenken haben, ob sein charakterliches Bild seine vielen persönlichen Gegner erklärt, oder das politische. Da unzählige Menschen mit ihm ähnliche Erfahrungen machten wie ich, möchte ich das erstere glauben. Indessen ist das längst von mir abgetan. Mir genügt das Bewusstsein, in meiner Freundschaft zu ihm und Duschka echtere Beweise von ihr gegeben zu haben. Bevor ich diesen Brief ende, will ich Sie in einer anderen, nicht weniger üblen Angelegenheit an Ihr Verhalten erinnern. Sie entsinnen sich wohl, dass Sie eines Tages zu mir kamen, um mir sogenannte details intimes, und das angeblich folgenschwere Verhalten des Chefs dabei aufzuzählen. Sie nannten mir dabei fünf Namen, die angebliche Zeugen waren. Sie beschworen mich, hier einzugreifen, um den Chef im Hinblick auf künftige, ähnliche Situationen, zu warnen. Als ich Sie aufforderte, das selber zu tun, wichen Sie aus und sagten mir, das könne nicht Ihre Aufgabe sein, denn das stünde Ihnen nicht zu. Erst nach Ihrer Abreise von Wilflingen erfuhr ich, dass Sie umgekehrt Ihrem Chef sagten: Niemand würde ihm diese Dinge verübeln, es sei denn, seine Frau. Ich brauche dem Ganzen nichts mehr hinzuzufügen, denn die Rolle, die Sie in beiden Fällen spielten, beweist mehr Ihre Fähigkeit zur Intrigue, als den jugendhaften Ehrgeiz, innerhalb unseres Hauses das Gewicht der Waage darstellen zu wollen. Indem man Ihnen die Schulter klopfte und Sie »Arminius« nannte, indem Sie die durchaus falsche Vorstellung des getreuen Paladin nährten, war Ihnen, zumindest von meiner Seite aus, nicht die Türe zu einem solchen Wechselspiel geöffnet. Als diese ganze Tarnung von Ihnen abfiel, und ich endlich die Machenschaften durchschaute, bombardierten Sie meine Freunde Neske und Klett mit beleidigenden Briefen. Sie haben sich und Ihre Person dabei zu wichtig genommen. Wenn Sie C. S. auf Ihre Seite ziehen konnten, durch welche Manöver und Lügen weiss ich nicht, - so gelingt es Ihnen nicht überall, wie Sie sehen. Es gibt gottlob noch so etwas wie Charaktere.

Gretha Jünger.

D a s D a t u m ist hs. Der Brief trägt eine hs N o t i z von Carl Schmitt: »mit einem Zettel >Abschrift für Carl Schmitts (ohne Unterschrift) erhalten Plettenberg 9/12/60 Postst. Tübing 8/12/60«. Gretha Jünger hat der ms Abschrift die hs N o t i z »Abschrift für Carl Schmitt« vorangestellt. Siehe auch Möhlers Brief vom 10.12.60 in: Carl Schmitt - Briefwechsel mit einem seiner Schüler, S. 297. 2 Im Jahre 1953 nach Paris. 3 Siehe das Schreiben Gretha Jüngers an Carl Schmitt vom 7.7.53. 1

Anhang III G R E T H A J Ü N G E R AN D U S K A SCHMITT

Goslar / Harz, Nonnenweg 4. 2./I.34. Liebe Frau Schmitt! Meine Wünsche zum Jahre 1934 kommen etwas spät, ich hoffe jedoch, sie werden trotzdem noch gut aufgenommen. Das Einleben in einer neuen Wohnung und einer fremden Stadt nimmt immer etwas Zeit in Anspruch, Sie werden es persönlich besser beurteilen können als jeder Andere.1 Ich kann nach den Festtagen endlich etwas aufatmen und froh sein, es gab so viel Arbeit, dass mein Bedürfnis danach auf lange Zeit gestillt ist. Wir sind jedoch mit unserer Wahl sehr zufrieden, und der Gedanke an Berlin hat mir noch keinen heimlichen Seufzer entlocken können. Die Landschaft im Harz ist so prächtig, dass mir dieses Weihnachtsfest erst wirklich weihnachtliche Stimmung brachte. Es ist doch ein Unterschied, ob die Glocken der Kirchen auf dem Lande oder an der Gedächtniskirche schwingen.2 Eine kleine Kapelle, inmitten von Tannen, die von Rauhreif bezogen sind, entzückt mich durch ihre Lage immer aufs Neue. Mein Mann findet hier die notwendige Ruhe zur Arbeit 3 und der kleine Ernst wird hier hoffentlich ganz die Folgen der Diphteritis überstehen. Er macht mir noch Kummer, denn er leidet noch zeitweise darunter und hat auch noch nicht die gewünschten frischen Farben. Vielleicht wird ihn das Brüderchen ermuntern, auf das er sehr hofft, und das wir in einigen Wochen erwarten.4 Die kleine Anima wird inzwischen groß geworden sein und sich über den Tannenbaum in Steglitz gefreut haben. Im Frühjahr schenkt Ernst ihr ein kleines persisches Kätzchen, das ihr Begleiter und Spielkamerad werden soll. Ich höre soeben mit Freude, dass Herr Schmitt uns Ende der Woche besuchen wird. Alles Gute für Sie und die Ihrigen. Ihre Gretha Jünger. 1 Gemeint ist der Umzug der Familie Schmitt von Köln nach Berlin, nachdem der Staatsrechtler, 1933 auf eine Professur in Köln berufen, bereits im Oktober 1933 an die Universität Berlin wechselte. Als Professor an der Berliner Handelshochschule war er zuvor bereits seit

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1928 in Berlin. Zu den wenigen Monaten, die Schmitt in Köln und an der dortigen Universität verbrachte, siehe: Paul Noack: Carl Schmitt, S. 178ff. 2 Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin wurde im historisierenden Stil der Neoromantik 1891-1895 von Franz Schwechten errichtet. Die in großer Pracht gebaute Kirche galt mit ihren Mosaiken zur Erinnerung an Kaiser Wilhelm I. und den deutsch-französischen Krieg von 1870/71 auch als nationales Denkmal für die von Preußen herbeigeführte Einheit Deutschlands. 1943 im Krieg zerstört, wurde sie 1951-1961 nach Entwürfen von Egon Eiermann neu errichtet. Die Ruine des Turmes der alten Kirche wurde als Mahnmal für die Opfer des Krieges und der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik erhalten. 3 1934 erschien von Ernst Jünger in Hamburg >Blätter und SteineBerg< verleiht. Ich finde aber, wenn man in Berlin leben muss, so ist diese Gegend noch am angenehmsten, und sicher dem alten Westen vorzuziehen. Anima wird im Sommer mit ihrem Papa einen Spaziergang in den Botanischen Garten machen, wie es der kleine Ernst auch immer mit Vergnügen tat. Er entwickelt sich hier doch mit der Zeit recht gut und das Skifahren auf überschneiten Abhängen ist doch für ihn eine grössere Freude als das Rollerfahren auf Berlins Asphalt. Mein Mann dankt übrigens für den Zeitungsausschnitt über Sulla, den Herr Schmitt aus Köln sandte. Gerade diesen Artikel hatte er einen Tag zuvor auf der Rückreise von Braunschweig nach Goslar gelesen und mir mitgebracht. Wir fanden ihn beide recht interessant. 3 Ich glaube, Sie denken oft mit Wehmut an Ihr Haus in Köln zurück, liebe Frau Schmitt! Man bekommt das Leben in Berlin so leicht satt. Ich selber habe eigentlich immer für diese Stadt eine Lanze gebrochen, und dass ich auch noch fahnenflüchtig wurde, hat wohl nur seinen Grund in der Erziehung der Kinder und, nicht letzten Endes, in der Veränderung der Menschen, in deren Kreis ich mich sonst jahrelang wohl fühlte. Mit dem Tode der kleinen Frau Schultz begann eigentlich eine Strömung, die mir sehr wenig zusagte und auch nichts mehr geben konnte. Ich bin sicher, dass ich mir instinktiv Goslar, das ich ja garnicht kannte, zum Wohnsitz wählte, um hier einmal frische Luft in die Lungen

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1938

zu schöpfen und erst dann zurück zu kehren, wenn es irgendwie notwendig werden sollte. Es ist möglich, dass wir unseren Ernst in 2 Jahren in das frühere Kadettenkorps nach Potsdam geben. In diesem Fall würde ich wieder einmal Möbel packen wie schon so oft und meinen Mann zu verführen suchen, sich in Potsdams Gassen ein Häuschen zu mieten. Weiss der Himmel, wo wir uns noch in den nächsten Jahren umhertreiben, mein Mann ist ein unruhiger Geist, und ich glaube nicht, dass wir in Goslar unser Leben beschliessen, obwohl es uns hier so ausgezeichnet gefällt. Wie geht es Frau Popitz und ihren Kindern? 4 Bitte richten Sie viele Grüsse von mir aus. Ich hoffe sehr, Ihnen bald die Nachricht von der Geburt unseres neuen Erdenbürgers zukommen lassen zu können. Sie wünschen mir eine Tochter, ich selber weiss nicht, ob ich dem Vater, der so gern noch einen Sohn haben möchte, nicht lieber einen solchen kriegen soll. Alles Gute für Sie und Anima! Die jungen Kätzchen werden in diesen Tagen erwartet und wenn es ihr Freude macht, schicke ich ihr nach 10 Wochen etwa ein ganz besonders hübsches und manierliches. Herzlich grüsst Sie Ihre Gretha Jünger. Die Anschrift auf Ernst Jüngers Briefpapier wurde von Gretha Jünger hs korrigiert. Gretha Jünger schreibt »Fichteberg«. Dort befindet sich die Arno-Holz-Straße, in der die Familie Schmitt vor dem Umzug nach Berlin-Dahlem lebte. 3 Zu L. Cornelius Sulla siehe: Michael Crawford: Die römische Republik, 4. Aufl., München 1990, S. 165-175. 1

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Gemeint ist Cornelia Popitz, die Gattin von Johannes Popitz.

C A R L S C H M I T T AN C A R L A L E X A N D E R J Ü N G E R

Berlin-Dahlem, 26. Dezember 1938 Mein lieber Carl Alexander, diesesmal komme ich etwas spät mit meinem Weihnachtsgeschenk. Das kommt davon, wenn man dergleichen mit seiner Frau überlegt, statt kurzerhand das Richtige zu tun. Das Richtige ist hier der beiliegende Schein. Da das Wesen dem Scheine entspricht, erhältst Du hiermit etwas sehr Wesentliches.1 Frau Schmitt ärgert sich etwas über diese Methode. Ich selbst habe mich über diese Art von Briefen aber immer gefreut. Du bist jetzt schon so groß, daß Du Dir selber etwas kaufen kannst, und jedenfalls nicht mehr so klein, daß man von Berlin aus beurteilen könnte, was Du gerade gut gebrauchen kannst. Ich wünsche Dir also nachträglich ein schönes Weihnachtsfest und alles Gute für das kommende Jahr. Dasselbe wünsche ich Deinen Eltern. Wir freuen uns sehr, wenn Ihr wieder näher bei uns wohnt. Jedenfalls bin ich entschlossen,

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Dich im nächsten Jahr bestimmt einmal in Augenschein zu nehmen, um mich von Deinen Fortschritten zu überzeugen. Deinem Vater danke ich noch besonders für seine Karte und den Hinweis auf das falsche h in den Thermiten. 2 Ich ärgere mich sehr darüber. Das ist die Strafe dafür, daß man seine Bücher halbgebildeten Stenotypistinnen diktiert, statt sie selber zu Papier zu bringen. Sage jetzt Deiner lieben Mutter, Deinem Vater und Deinem Bruder Ernst einen schönen Gruß von mir, von Frau Schmitt und von der kleinen (für 7 Jahre freilich abnorm großen) Anima und sei selber herzlichst gegrüßt von Deinem treuen Patenonkel Carl Schmitt. Mit anderen Worten: Der gute Wille zählt. In einem Brief vom 10.11. schreibt Jünger: »Zum Leviathan wollte ich Ihnen noch die entomologische Mitteilung machen, daß die Termiten, die einige Male erwähnt werden, sich ohne h schreiben; (...).« Siehe: Briefe, Jünger - Schmitt, S. 79f., hier S. 79. Siehe dort auch die Erläuterung auf S. 535. Der Hinweis bezieht sich auf Carl Schmitts >Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols« (Hamburg 1938). Siehe dort beispielhaft S. 57f. Das Werk selbst siehe: Thomas Hobbes: Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, hrsg. u. eingel. v. Iring Fetscher, 4. Aufl., Frankfurt a.M. 1991. 1

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G R E T H A J Ü N G E R AN DUSKA SCHMITT, B e r l i n - D a h l e m

[Kirchhorst,] 27.7.1941. 1 Liebe Frau Schmitt! Leider habe ich Sie vergeblich erwartet in diesen Tagen; nun kommt übermorgen mein Urlauber, und in der folgenden Woche erwarte ich meine Schwiegereltern, die ihren Sohn begrüssen möchten. So müssen wir ein wenig warten, aber ich hoffe doch sehr, dass Sie Ihren Plan noch im Laufe des August ausführen werden, und mir darüber schreiben. Hoffentlich ist alles bei Ihnen wohl, gern hätte ich einmal wieder Näheres von Ihnen gehört. Die herzlichsten Grüsse von Haus zu Haus Ihrer Gretha Jünger. Darf ich wohl im Namen des Patenkindes nach der Schulmappe fragen? Er beauftragt mich hiermit, am 7. August ist der grosse Tag.2 1 2

Der Ort der Karte nach dem Poststempel »Hannover«. Also der Tag der Einschulung von Carl Alexander.

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1943 HANS-OTTO JÜNGER AN CARL SCHMITT, B e r l i n - D a h l e m

Berlin, 31.XII.41» Sehr geehrter Herr Professor! Eine unscheinbare Verletzung der linken Hand mit einer nachfolgenden bösartigen Entzündung hat mich für längere Zeit ausser Gefecht gesetzt. Seit Anfang der Woche sitze ich auf dem Bataillonsrevier. Mit grosser Erheiterung sehe ich, wie die Verletzung einen ganzen Apparat in Bewegung setzt, indem Tatbestände aufgenommen und allerlei Karteikarten ausgefüllt werden. Das erweckt so sehr den Eindruck des allein Wesentlichen, dass ich mich immer wundere, wenn der Arzt Zeit für einen Blick von 3 bis 20 Sekunden Länge findet und der Sanitäter einen neuen Verband macht. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Gattin ein recht frohes und glückliches neues Jahr. Ihr Hans-Otto Jünger 1 Der exakte Absender auf der Karte lautet: »Schütze H - O Jünger / L. Sch. B. 343, 2. Komp. / Berlin-Friedrichsfelde / Rummelsburgerstr. 45«.

GRETHA JÜNGER AN D U S K A SCHMITT

Kirchhorst, d. 5.8.1943. Liebe Frau Schmitt, in aller Eile: wenn Sie Kirchhorst nicht für zu luftgefährdet halten, so sind Sie Alle hier herzlich willkommen. Es lässt sich trotz der Anwesenheit meiner Eltern gut einrichten. Schreiben Sie mir! Die Ereignisse überstürzen sich, »hier ist Ruhe erste Bürgerpflicht« kann man da sagen.1 Ich gedenke, noch Manchen zu überleben, und Sie hoffentlich auch. In alter Verbundenheit immer Ihre Gretha Jünger 1

So der preußische König Friedrich Wilhelm III. nach der Niederlage gegen Napoleon

1806. A m 26. Juli bombardierte die amerikanische Luftwaffe Hannover. War es die englische Strategie, durch Flächenbombardierungen bei Nacht die Moral der Bevölkerung zu zerrütten, flog die amerikanische Luftwaffe zielgenaue Angriffe gegen Industrie- und Verkehrsziele. Seit dem Jahr 1943 flog sie in großen Verbänden am Tage auch schwere Angriffe auf deutsche Städte. So erlitt die Stadt Hamburg in Angriffen vom 24. bis 30. Juli schwerste Zerstörungen und große Opfer unter der Bevölkerung. Siehe zur Kriegsführung der englischen und amerikanischen Luftwaffe: Horst Boog: Der anglo-amerikanische strategische Luftkrieg über Europa und die deutsche Luftverteidigung, in: Ders. u.a. (Hrsg.): Die Welt im Krieg 1941-1943. Bd. I: Von Pearl Harbor zum Bombenkrieg in Europa, Frankfurt a. M. 1992, S. 497-655, hier S. 588-622.

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Abb. 1. Carl und Duschka Schmitt, um 1934

Abb. 2. Carl Schmitt und Ernst Jünger auf dem See von Rambouillet, 1941

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Abb. 3. Gretha und Ernst Jünger, nach 1945

Abb. 4. Ernst Jünger mit seinen Söhnen Ernstel und Carl Alexander während eines Urlaubs im Kirchhorster Garten

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Abb. 5. Ernst Jünger in Paris 1943. Ernstel Jünger als Marinehelfer 1944

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Abb. 6. Kondolenzschreiben Carl Schmitts an Ernst Jünger zum Tod von Ernstel Jünger vom 31. Januar 1945

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Abb. 10. Duschka Schmitt, Ölbild von Pallenberg. Privatbesitz

Abb. 9. Anima Schmitt, Berlin 1933

Abb. 11. Anima Schmitt, um 1952

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Abb. 12. Armin Möhler, Gretha und Ernst Jünger, Wilflingen 1949

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Abb. 13. Schutzumschlag des Buches: Gretha von Jeinsen, Die Palette, Verlag Hans Dulk, Hamburg 1949. Schutzumschlag und Einband Werner Rebhuhn

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Abb. 14. Schutzumschlag des Buches: Gretha von Jeinsen, Silhouetten - Eigenwillige Betrachtungen, Verlag Günther Neske, Pfullingen 1955. Einband und Schutzumschlag Brigitte Neske

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Abb. 15. Brief Gretha Jüngers an Carl Schmitt vom 31.3.1934 (Ausschnitt)

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KIRCHHORST/ UBER HANNOVER ^

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Abb. 18. Brief Carl Schmitts an Gretha Jünger vom 14.12.1941 (Ausschnitt)

Editorisches Nachwort Bei der hier vorgelegten Briefedition zeichnet Ingeborg Villinger, der von den Rechteinhabern Liselotte Jünger und Prof. Dr. Jürgen Becker die Publikationsrechte übertragen wurden, verantwortlich für die Gesamtorganisation und die Einleitung, Alexander Jaser für die Transkription und für die Kommentierung der Briefe, die Zeittafel sowie den wissenschaftlichen Apparat. Die Edition vereinigt im Ganzen 164 Schreiben: im Kern sind es 90 von Gretha Jünger an Carl Schmitt (14 davon gemeinsam mit ihrem Ehemann Ernst Jünger) und 66 Schreiben des Staatsrechtlers an Gretha Jünger. Weiter finden sich in drei Anhängen einige zusätzliche Schreiben, wie sie (bis auf eine Ausnahme) in den beiden Briefkonvoluten in den jeweiligen Archiven vorliegen: zunächst in Anhang I ein durch seinen Inhalt wie den Bezug auf ein Schreiben Gretha Jüngers bedeutsamer Brief Hans Michael Müllers an Carl Schmitt aus dem Jahre 1940 über Ernst Jüngers >MarmorklippenHeliopolisLégalité et légitimité et autres essaiss Textes choisis et présentés par Alain de Benoist, Puiseaux 1990. Schmitt, Carl: Gespräch über den neuen Raum, in: Ders.: Staat, Großraum, Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1916-1969, hrsg. v. Günter Maschke, Berlin 1995, S. 552-572. Schmitt, Carl: Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber, Pfullingen 1954. Schmitt, Carl: Glossarium. Aufzeichnungen aus den Jahren 1947-1951, hrsg. v. Eberhard Freiherr von Medem, Berlin 1991. Schmitt, Carl: Hamlet oder Hekuba. Der Einbruch der Zeit in das Spiel, Düsseldorf 1956. Schmitt, Carl: Jugendbriefe. Briefschaften an seine Schwester Auguste 1905 bis 1913, hrsg. v. Ernst Hüsmert, Berlin 2000. Schmitt, Carl: La unidad del mundo, Madrid 1951. Schmitt, Carl: Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, München, Leipzig 1922. Schmitt, Carl: Staat, Großraum, Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1916-1969, hrsg. v. Günter Maschke, Berlin 1995. Schmitt, Carl: Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches - Der Sieg des Bürgers über den Soldaten, Hamburg 1934. Schmitt, Carl: Uber Rathenau. Kritik der Zeit, in: Die Rheinlande, 22. Jg., Düsseldorf Jan. Dez. 1912, S. 323 f. Schmitt, Carl: Welt großartigster Spannung, in: Merian, VII, Heft 9, Hamburg 1954, S. 3-9. Schubart, Walter: Europa und die Seele des Ostens, Luzern 1938. Schubart, Walter: Religion und Eros, hrsg. v. Friedrich Seifert, München 1941. Schulin, Ernst: Zeitgemäße Historie um 1870. Zu Nietzsche, Burckhardt und zum »Historismus«, in: Historische Zeitschrift, Bd. 281, Heft 1, München 2005, S. 33-58. Schütte, Ehrenfried: Meine Kontakte mit Carl Schmitt, in: Piet Tommissen (Hrsg.): Schmittiana. Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts, Bd. VII, Berlin 2001, S. 41-50. Schwilk, Heimo (Hrsg.): Ernst Jünger. Leben und Werk in Bildern und Texten, Stuttgart 1988. Seidt, Hans-Ulrich: Berlin, Kabul, Moskau. Oskar Ritter von Niedermayer und Deutschlands Geopolitik, München 2002. Siedler, Wolf Jobst: Ein Leben wird besichtigt. In der Welt der Eltern, Berlin 2000. Siedler, Wolf Jobst: Wir waren noch einmal davongekommen, München 2004. Silberschlag, Karl: Shakespeare's Hamlet, seine Quellen und politischen Beziehungen, in: Jahrbuch der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft, hrsg. v. Karl Elze, Bd. 12, Weimar 1877, S. 261-289. Singh Mukerji, Vanita: Ivo Andric. A Critical Biography, Jefferson, London 1990. Sombart, Nicolaus: Capriccio Nr. 1, Baden-Baden 1995. Sombart, Nicolaus: Jugend in Berlin 1933-1943. Ein Bericht, Frankfurt a. M. 1986. Sombart, Nicolaus: Pariser Lehrjahre 1951-1954. Leçons de Sociologie, Hamburg 1994. Sombart, Nicolaus: Rendezvous mit dem Weltgeist. Heidelberger Reminiszenzen 1945-1951, Frankfurt a. M. 2000. Sophokles: König Ödipus, Stuttgart 2003. Speidel, Hans: Aus unserer Zeit. Erinnerungen, Berlin 1977. Speidel, Hans: Briefe aus Paris und dem Kaukasus, in: Armin Möhler (Hrsg.): Freundschaftliche Begegnungen. Festschrift für Ernst Jünger zum 60. Geburtstag, Frankfurt a. M. 1955, S. 181-195.

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4. Abbildungsnachweis

Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Hauptstaatsarchiv Düsseldorf Nachlass Carl Schmitt Abb. 7, 8, 15 und 16 Deutsches Literaturarchiv Marbach Abb. 6, 17 und 18 Archiv Dr. Liselotte Jünger Abb. 4 und 5 Archiv Prof. Piet Tommissen Abb. 9 Archiv Klickovic, Beograd Abb. 10 Archiv Ernst Hüsmert Abb. 11 Archiv der Herausgeber Abb. 3 Archiv des Verlages Abb. 1,2, 12, 13 und 14

Personenverzeichnis Benutzungshinweis: Nur selten genannte Mitglieder der Familien Jünger und Schmitt wurden mit Seitenzahlen versehen. Adams, Paul (1894-1961). Journalist. Zeitweilig Redakteur der Zeitung >GermaniaBayrischen RundfunksDeutschen Krebsforschungszentrums< an der Universität Heidelberg. Behandelte Duska Schmitt 131 Benn, Gottfried (1886-1956). Dichter 127 Betz, Maurice (1898-1946). Französischer Schriftsteller und Jünger-Übersetzer 64 Blocherer, Karl (f 1966). Maler. Seit 1918 mit seiner Frau Wilhelmine (* Boßhardt; t 1964) Leiter der von ihr 1915 gegründeten >Schule für angewandte Kunst< in München. Diese heißt heute >Blocherer Schule< 146

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Personenverzeichnis

Bloy, Léon (1846-1917). Französischer Schriftsteller. Geprägt von starkem christlichen Glauben 93 f., 108 Bockelmann, Paul (1908-1987). Strafrechtler und Kriminologe. Professor in Heidelberg und München 105 Bosch, Hieronymus (1460-1516). Niederländischer Maler. Seine oft grausigen Bildvisionen sind Ausdruck des religiösen Empfindens des ausgehenden Mittelalters 14, 29f., 72f. Brandes, Georg (1842-1927). Dänischer Literaturwissenschaftler und Philosoph 174 Brecht, Franz Josef (1899-1982). Philosoph. Seit 1941 Professor in Heidelberg, 1950-1967 in Mannheim. Seit 1952 auch Honorarprofessor in Heidelberg 164 Burckhardt, Jacob (1818-1897). Schweizer Kulturhistoriker 155 Burleigh, Lord William Cecil (1520-1598). Englischer Staatsmann aus der Adelsfamilie Cecil. 1572-1598 Lordschatzmeister 174 f. Byron, Lord George (1788-1824). Englischer Dichter der Hochromantik 11,118f., 121 f. Carolus. Das ist Carl Schmitt. Churchill, Winston (1874-1965) 40 Comines, Philippe de (auch: Commynes; vor 1447-um 1511). Französischer Diplomat und Schriftsteller 173 Conde y Graupera, Francisco Javier Garcia (1908-1974). Spanischer Staatswissenschafter. In der Zeit des Dritten Reiches mehrere Aufenthalte in Berlin. Bemühte sich in seiner >Caudillaje-Theorie< um eine Übernahme des >Führerprinzipes< für das Francistische Spanien. 1948-1956 Direktor des >Instituto de Estudios Políticos< in Madrid. Anschließend im diplomatischen Dienst 17, 151 Coriolanus (d.i. Gaius Marcius). Held der römischen Sage 137f. Cramer von Laue, Constantin. Hauptmann. Schüler von Carl Schmitt und Freund des Hauses Jünger. Nach dem Kriege Regierungsdirektor im Bundeskanzleramt 17, 93, 95, 108 Crämer, Kurt (1912-1961). Maler 18 Däubler, Theodor (1876-1934). Dichter. V.a. sein Hauptwerk >Nordlicht< (1910) wurde von Carl Schmitt sehr geschätzt 100 f., 113 David. König von Israel 133 f. Decurtins, Carl. Schweizer Jurist 164 Donoso-Cortés, Juan Maria (1809-1853). Spanischer Diplomat und katholisch-konservativer Sozialtheoretiker 133 Douglas, Anna Margarethe (f 1600). Schwester von Alexander Ruthven 174 Dulk, Hans (1892-1969). Verleger in Hamburg 106f. Dürer, Albrecht (1471-1528). Maler und Graphiker 160, 169 Durst, Karl. Rechtsanwalt in München. 1921 dort Mitbegründer der >Bayerischen Glaswerke AGOpfer des Faschismus< beim Berliner Magistrat 104 Epting, Karl (1905-1979). Romanist. Während des Krieges Leiter des »Deutschen Institutes< in Paris. Nach dem Krieg Oberstudiendirektor in Heilbronn 92 f. Ergelet, Heinz (1883-1969). Augenarzt. Professor in Göttingen 98 Essex, Robert Devereux, Graf von (1567-1601). Englischer Staatsmann. Der einstige Günstling von Elisabeth I. wurde nach einer Verschwörung gegen die Königin hingerichtet 171, 174 Feuerbach, Ludwig (1804-1872). Philosoph. Sein Atheismus und Materialismus war von starkem Einfluß auf den Sozialismus 91

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Fischer, Ernst Hugo (1897-1975). Philosoph. In enger Verbindung zu Ernst Jünger. 19251938 Privatdozent an der Universität Leipzig. Floh 1938 nach Norwegen und schließlich nach Großbritannien, da er dem Kreis um den 1937 verhafteten Nationalbolschewisten Ernst Niekisch zugerechnet wurde. 1956 kehrte er nach Deutschland zurück und wurde außerplanmäßiger Professor der Philosophie an der Universität München 27 Fleig, Hans (1916-1988). Schweizer Journalist bei der Zürcher Tageszeitung >Die Tat< 17, 148ff. Friedrich, Heinz (1922-2004). Essayist, Journalist und Verleger. Redakteur beim >Hessischen Rundfunk< und Programmdirektor von >Radio Bremen< 149f. Friedrich Wilhelm III. (1770-1840). 1797-1840 König von Preußen 197 Furtwängler, Wilhelm (1886-1954). Dirigent 148 Gebhard, Klaus (1896-1976). Textilfabrikant aus Wuppertal. Mit Carl Schmitt bekannt 17, 120, 123, 163 f., 166, 168 Geyer, Wilhelm (1900-1968). Maler, Glaskünstler und Graphiker 162 Gilles, Werner (1894-1961). Maler und Graphiker. Von Carl Schmitt sehr geschätzt 16, 45ff., 100, 105 Giono, Jean (1895-1970). Französischer antimilitaristischer Schriftsteller. Von Carl Schmitt und Ernst Jünger sehr geschätzt 45 f., 48 f. Goebbels, Joseph (1897-1945) 76 Goethe, Johann Wolfgang von (1749-1832) 122, 142, 168, 175 Goliath. Biblische Figur. Unterlag im Kampfe gegen König David 133f. Göring, Hermann (1893-1946) 25 Gracián, Baltasar (1601-1658). Spanischer Philosoph 179 Gremmels, Heinrich (1913-1977). Jurist. Carl Schmitt war sein Doktorvater. Seit 1949 Stadtdirektor von Königslutter 17,123, 149f. Gründgens, Gustav (1899-1963). Schauspieler und Regisseur 52 Grüninger, Horst (1900-1945). Hauptmann, später Oberstleutnant. Im Krieg Ordonanzoffizier bei General Hans Speidel. Bekannt mit Ernst Jünger und Carl Schmitt 70ff., 79, 88 Grüninger, Margret. Gattin von Horst Grüninger 11, 70, 72, 74 Günther, Albrecht Erich (1893-1942). Deutschnationaler Publizist und Ubersetzer. In seiner gemeinsam mit Wilhelm Stapel herausgegebenen Zeitschrift »Deutsches Volkstum< veröffentlichten auch Ernst Jünger und Carl Schmitt 28 Haccius. In Goslar 117, 121, 154 Händel, Georg Friedrich (1685-1759). Komponist 114 Handl, Jakob (1550-1591). Österreichischer Komponist 114 Hattingen, Max (1886-1958). Jurist. Während des Krieges im Generalstab im besetzten Paris und dort Leiter der Abteilung >Kriegsgefangene< 99 Hauser, Kaspar (1812-1833). Findling. Galt als Prinz von Baden oder Sohn Napoleons I. und wurde ermordet 146 f. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770-1831). Philosoph 127, 142 Heidegger, Martin (1889-1976). Philosoph 133f. Heine, Heinrich (1797-1856). Dichter 171 Heisenberg, Werner Karl (1901-1976). Physiker. 1932 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet 99 Heidt, Werner (1904-1954). Maler. Von Carl Schmitt sehr geschätzt 16, 105 Heraklit (um 500 v. Chr.). Griechischer Philosoph lOOf., 142,167 Hielscher, Friedrich (1902-1990). Deutschnationaler Schriftsteller und Publizist 10, 167 Hielscher, Gertrud (1917-2003). Ehefrau von Friedrich Hielscher 10 Hitler, Adolf (1889-1945) 39f., 98, 142 Hobbes, Thomas (1588-1679). Englischer Philosoph. Sein Hauptwerk >Leviathan< (1651) spielt eine zentrale Rolle in Carl Schmitts Denken 148 Hölderlin, Friedrich (1770-1843). Dichter 147

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Homer (vermutl. 8. Jh. v. Chr.). Griechischer Dichter 147 Hörstel, Dr. Arzt von Gretha Jünger in Goslar 117 Hübinger 144 Isaak. Biblische Gestalt. Sohn Abrahams und der Sara 146 Jaeckle, Erwin (1909-1988). Schweizer Journalist 150 Jahrreiß, Hermann (1894-1992). Jurist. 1927 Professor in Köln, seit 1932 in Greifswald, 19371974 in Köln. Verteidiger von Generaloberst Alfred Jodl (1890-1946) und Gutachter in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen 98 Jakob I. (1566-1625). Sohn der schottischen Königin Maria Stuart. Seit 1567 als Jakob VI. König von Schottland. 1603-1625 König von England. Durch absolutistische Machtansprüche in starkem Konflikt mit dem Parlament 171, 174 f. Jansen, Cornelius (1585-1638). Niederländischer katholischer Theologe. Mit seiner Morallehre ungewollt Urheber des nach ihm benannten >Jansenismus< 51 Jaser, Rudolf (1896-1981). Arzt 41, 176 Jeinsen, Emmy von (1879-1955). Mutter von Gretha Jünger 9, 178, 180 ff. Jeinsen, Kurt von (1902-1943). Bruder von Gretha Jünger 9, 15, 88 Jessen, Dr. In Göttingen. Verwandt mit Peter Jens Jessen 99 Jessen, Peter Jens (1895-1944). Nationalökonom. Mitglied der Berliner >Mittwochs-GesellschaftMoby Dick< und >Benito Cereno« wurden von Carl Schmitt sehr geschätzt 14, 43, 45f., 48f., 55, 58 Meyer. Ein Lehrer von Carl Alexander Jünger in Kirchhorst 35 Möhler, Armin (auch Arminius; 1920-2003). Rechtsgerichteter Schweizer Schriftsteller und Publizist. 1942 Mitglied der SS. 1949-1953 Privatsekretär Ernst Jüngers. 1953-1961 Korrespondent für die Schweizer Tageszeitung >Die Tat< in Paris. Danach zunächst Sekretär, dann Geschäftsführer der >Carl Friedrich von Siemens Stiftung< in München. Stand über Jahrzehnte auch in engem Kontakt mit Carl Schmitt 3-7, 17f., 120, 129, 131-135, 138f., 141, 143, 145-153, 155f., 159-166, 168, 170, 172, 177-184, 190, 192 Möhler, Edith (* 1921). Gattin von Armin Möhler 157, 161,190 Montaigne, Charles de (1533-1592). Französischer Philosoph 110 Müller, Hans Michael. Evangelischer Theologe. 1929 in Jena habilitiert 11, 38f., 187ff. Münch, Walter. Jurist. 1949-1972 Landrat des Landkreises Wangen, der 1973 mit dem Landkreis Ravensburg vereinigt wurde 162

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Napoleon I. (1769-1821) 142, 197 Nay, Ernst Wilhelm (1902-1968). Maler. Im Dritten Reich mit Ausstellungsverbot belegt. Von Carl Schmitt sehr geschätzt 16, 100, 105 Nebel, Gerhard (1903-1974). Schriftsteller 2f., 17, 43, 53f., 67, lOOf., 103ff., 111-114, 116f., 119f., 123, 129, 132, 134, 136,148 ff., 155ff., 167f. Nebel, Josephine (* Metzmacher; 1911-1999). Seit 1946 mit Gerhard Nebel verheiratet 104 Nerval, Gerard de (1808-1855). Französischer Dichter und Ubersetzer. Vorläufer des Symbolismus 62 f. Neske, Günther (1913-1997). Verleger. U.a. von Werken Ernst Jüngers 17, 112, 125, 164, 169 f., 172,176-181, 183,185,191 f. Neuss, Wilhelm (1880-1965). Katholischer Theologe. 1920-1949 Professor in Bonn 98 Niedermayer, Oskar Ritter von (1885-1945). General, Geograph und Schriftsteller 67f. Niekisch, Ernst (1889-1967). Politiker und Publizist 16, 102-105 Niemöller, Martin (1892-1984). Evangelischer Theologe und Pastor. 1933 Mitbegründer der >Bekennenden Kirche«. 1938-1945 im Konzentrationslager 16, 103 f. Niethammer, Friedrich Immanuel (1766-1848). Professor der Philosophie in Jena und Würzburg. Im bayerischen Staats- und Kirchendienst später für die Organisation des Schulwesens zuständig 142 Nietzsche, Friedrich (1844-1900). Philosoph 90ff. Nolde, Ada (1879-1946). Erste Gattin von Emil Nolde 108 Nolde, Emil (1867-1956). Maler. Vertreter des Expressionismus. Im Dritten Reich seit 1941 mit Malverbot belegt 16,108 Oberheid, Heinrich Josef (1895-1977). Ursprünglich evangelischer Pfarrer. Seit 1928 Mitglied der NSDAP. Von 1929 bis zum sogenannten >Röhm-Putsch< 1934 Mitglied der SA. Auf Beschluß der Evangelischen Kirche der >Altpreußischen Union< am 5.10.1933 zum Bischof des Bistums Köln-Aachen ernannt. Anhänger von Reichsbischof Ludwig Müller (18831945) der >Deutschen Evangelischen Kirche< (DEK). 1946 aus dem kirchlichen Dienst unter Verlust aller Ansprüche entlassen. Bis 1960 im rheinischen Stahlhandel tätig. Freund von Carl Schmitt und Hans Barion 17,120, 143, 161,164 f. Oberheid, Margarete (1896-1977). Gattin von Heinrich Oberheid 120 Obrist, Hans (1903-1956). Fabrikant in Basel-Reinach 10, 135 Ott, Eugen (1889-1977). Offizier. Gehörte zum Umfeld des Generals Kurt von Schleicher. 1938-1942 Deutscher Botschafter in Japan 17, 175 f. Ott, Helma. Gattin von Eugen Ott 17, 176 Parmenides (um 540-um 480 v. Chr.). Griechischer Philosoph 104 f. Paulus. Apostel Jesu Christi 91 Perpetua. Das ist Gretha Jünger. Philo (d.i. Philon aus Alexandrien; um 25 v. Chr.-50 n. Chr.). Jüdisch-alexandrinischer Exeget und Philosoph. Bemühte sich, in seinem Werk die jüdische Religion mit der platonischstoischen Philosophie Griechenlands in Einklang zu bringen 90 f. Plato (427-347 v. Chr). Griechischer Philosoph 165 Plügge, Herbert (1906-1972). Mediziner. Leiter der Poliklinik an der Universität Heidelberg. Behandelte Duska Schmitt 137 Plutarch (um 46-120). Römischer Schriftsteller 138 Podewils-Juncker-Bigatto, Clemens Graf (1905-1978). Nationalkonservativer Schriftsteller, Journalist und Kunsthistoriker 70 f., 80, 146 f. Poe, Edgar Allan (1809-1849). Amerikanischer Schriftsteller 58 Popitz, Cornelia (1890-1936). Gattin von Johannes Popitz 195 Popitz, Heinrich (1925-2002). Soziologe. Promotion bei Karl Jaspers (1883-1969). Seit 1964 Professor in Freiburg/Brsg. Sohn von Johannes Popitz 17, 161, 177,179f., 184 Popitz, Johannes (1884-1945). Finanzwissenschaftler und Politiker. Seit 1922 Professor an der

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Universität Berlin. 1925-1929 Staatssekretär im Reichsfinanzministerium. 1932/33 Reichsminister ohne Geschäftsbereich im Kabinett von General Kurt von Schleicher. 1933-1944 parteiloser Preußischer Finanzminister. 1937 Goldene Ehrennadel der NSDAP. Seit 1938 im Widerstandskreis um Carl Goerdeler (1884-1945) aktiv. Nach dem 20. Juli 1944 verhaftet und am 2.2.1945 in Berlin-Plötzensee ermordet 70, 97f„ 121, 177,195 Preetorius, Emil (1883-1973). Graphiker und Bühnenbildner. Seit 1928 Professor an der >Hochschule für Bildende Künste< in München. 1948-1968 Präsident der >Bayerischen Akademie der Schönen Künste< 146, 162 Pringsheim, Alfred (1850-1941). Schwiegervater von Thomas Mann 165 Pringsheim, Fritz (1882-1967). Rechtshistoriker. Floh vor Verfolgungen durch das NS-Regime 1939 nach Großbritannien. Nach dem Kriege Rückkehr nach Deutschland 17, 164f. Ranke, Leopold von (1795-1886). Historiker 127 Rathenau, Walther (1867-1922). Schriftsteller, Industrieller und Politiker 110 Ravoux, Sophie (1906-2001). Kinderärztin. Geliebte Ernst Jüngers in dessen Pariser Zeit 15, 79 Rechenberg, Freda von. Mitarbeiterin Wilhelm Furtwänglers 148 Reichel, Otto. Verleger 112 Riese, Adam (1492-1559). Rechenmeister 144 Rohttack. Eine Frau in Hamburg 164 Rosskopf, Veit. Nationalsozialistischer Journalist. Im Dritten Reich als Rundfunkredakteur tätig. Nach 1945 bei der >Deutschen GrammophongesellschaftGowrie-Verschwörung< 1600 im Auftrage des schottischen Königs Jakob I. ermordet 174 Rychner, Max (1897-1965). Schweizer Journalist und Literaturwissenschaftler 149f. Salomon, Ernst von (1902-1972). Rechtsgerichteter Schriftsteller. Erlangte mit Werken wie >Die Geächtetem (1930) bereits vor dem Dritten Reich große Bedeutung im nationalistischen Lager. Beteiligt an der Ermordung Walther Rathenaus. Heiratete 1927 Lieselotte Wölben 152,155,157,185 Sandrock, Adele (1863-1937). Bühnen- und Filmschauspielerin 3, 10, 157 Scarpa, Gino (1894-1963). Italienischer Generalkonsul 170 f. Schlegel, F. 1934 Leiter des Hotels >Hanebeck< in Plettenberg 23 Schleicher, Kurt von (1882-1934). Offizier und Politiker. 1932 Reichswehrminister, 1932/33 Reichskanzler. Beim sogenannten >Röhm-Putsch< von den Nationalsozialisten ermordet 176 Schmid, Carlo (1896-1979). Sozialdemokratischer Politiker sowie Schriftsteller und Ubersetzer 3, 10, 16, 92, 100, 102ff., 122, 164f., 167 Schmitt, Anima Louise (1931-1983). Tochter von Duska und Carl Schmitt. Sie heiratete 1957 den spanischen Rechtshistoriker Alfonso Otero (1915-2001), den sie im Vorjahr in Heidelberg kennengelernt hatte. Schmitt, Anna Margarethe (1902-1954). Schwester von Carl Schmitt 178 Schmitt, Auguste (gen. Üssi; 1891-1992). Schwester von Carl Schmitt 178 Schmitt, Carl (1888-1985). Schmitt, Ciaire Louise. Tochter von Joseph und Klara Schmitt 93, 161 Schmitt, Duska (auch Duschka; * Todorovic; 1903-1950). Zweite Ehefrau von Carl Schmitt. Sie stammte aus Serbien. Schmitt, Johann (1853-1945). Vater von Carl Schmitt 28f., 47, 55, 76f. Schmitt, Joseph (1893-1970). Bruder von Carl Schmitt 161 Schmitt, Klara ("' Hamaekers; 1895-1966). Gattin von Joseph Schmitt 161 Schmitt, Louise (* Steinlein; 1863-1943). Mutter von Carl Schmitt 28 f., 47, 76 Schneider, Hans (* 1912). Jurist. Seit 1951 Professor in Tübingen, 1955-1981 Professor für Öffentliches Recht in Heidelberg. Freund von Carl Schmitt. 1952 wurde seine Tochter Dorothee geboren 17,161 f.

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Scholz. Ein Gehilfe der Familie Jünger in Kirchhorst 62 Schönerer, Georg Ritter von (1842-1921). Antisemitischer österreichischer Politiker 86 Schoor, Hilde. Aus Berlin. Wohl eine Freundin Gretha Jüngers. Ihr Mann war im Reichsinnenministerium tätig 80, 82, 86, 89, 91 f. Schranz, Franz (1894-1961). Mediziner. Sein Haus im saarländischen Siedlinghausen war seit den 30er Jahren Treffpunkt zahlreicher Intellektueller, darunter auch Carl Schmitt 83, 102, 152 ff. Schubart, Walter (1897-1941). Jurist und Philosoph. 1933 nach Riga emigriert. 1941 deportiert und ermordet 90 f. Schultz. Möglicherweise die Ehefrau von Edmund Schultz (1901-1965) aus Ernst Jüngers Berliner Kreis 194 Schulz, Gerhard (* 1924). Historiker. Professor in Tübingen 177 Schulz-Popitz, Cornelia (1922-1987). Tochter von Johannes Popitz und Gattin von Gerhard Schulz 177 Schulze, Walther (1893-1970). Mediziner. Professor für Dermatologie in Gießen 125 Schwechten, Franz (1841-1924). Architekt 194 Seilner, Gustav Rudolf (1905-1990). Schauspieler, Regisseur und Theaterleiter. 1951-1962 Intendant in Darmstadt 161 f. Seneca, Lucius Annaeus (um 4 v. Chr.-65 n. Chr.). Römischer Dichter und Philosoph 91 Shakespeare (1564-1616) 100, 138, 171, 174f. Siebeck, Richard (1883-1965). Mediziner. Seit 1924 Professor in Bonn, seit 1934 in Berlin, dann seit 1941 in Heidelberg als Leiter der >Ludolf-von-Krehl-KlinikSan Esteban« in Salamanca 89, 127 Wagner, Richard (1813-1883). Komponist 92 Wegner, Armin Theophil (1886-1978). Pazifistischer Schriftsteller. Nach seiner Inhaftierung im Konzentrationslager 1933 Flucht aus Deutschland nach Italien 118 Weiss, Konrad (1880-1940). Schriftsteller und Essayist. Verwurzelt in christlich-katholischem Denken. Bis 1920 Mitarbeiter der Zeitschrift »Hochland«, dann bis zu seinem Tode Kunstreferent der >Münchener Neuesten Nachrichten«. Eng bekannt mit Carl Schmitt 100, 102 Wessel, Wilhelm (1904-1971). Maler 113 f. Wiechert, Ernst (1887-1950). Schriftsteller. Aufgrund seiner NS-kritischen Haltung (u.a. die Unterstützung für Martin Niemöller) 1938 für mehrere Monate im Konzentrationslager Buchenwald 157

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Wieman, Mathias (1902-1969). Bühnen- und Filmschauspieler. Vor allem in den frühen dreißiger Jahren erfolgreich, konnte er erst in den 50er Jahren wieder größere Erfolge erringen 17,128,155,161,164,167,169 Wilhelm I. (1797-1888). Seit 1861 König von Preußen. 1871 Deutscher Kaiser 115f„ 194 Wilhelm II. (1859-1941). 1888-1918 König von Preußen und Deutscher Kaiser 174 Wilma. Jugendfreundin von Carl Alexander Jünger 35 Winckelmann, Johannes (1900-1985). Jurist und Max Weber-Herausgeber. Mit Freda von Rechenberg verheiratet 17,148 Winstanley, Lilian (1875-1960). Britische Shakespeareforscherin 18, 170, 172, 174 f. Wittekind (auch Widukind). Führte seit 778 die Sachsen im Widerstand gegen die Franken. Unterwarf sich 785 dem späteren Kaiser Karl 171 Ziegler, Benno (1894-1949). Leiter der >Hanseatischen Verlagsanstalt