Die Dunkelheit des politischen Horizonts. Salzburg 1933 bis 1938 in den Berichten der Sicherheitsdirektion: Band 3: Der Sturm bricht los. Vom Juli 1936 bis März 1938 [1 ed.] 9783205232131, 9783205232117

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Die Dunkelheit des politischen Horizonts. Salzburg 1933 bis 1938 in den Berichten der Sicherheitsdirektion: Band 3: Der Sturm bricht los. Vom Juli 1936 bis März 1938 [1 ed.]
 9783205232131, 9783205232117

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DIE DUNKELHEIT DES POLITISCHEN HORIZONTS SALZBURG 1933 BIS 1938 IN DEN BERICHTEN DER SICHERHEITSDIREKTION Band 3: Der Sturm bricht los. Vom Juli 1936 bis März 1938 HERAUSGEGEBEN VON ROBERT KRIECHBAUMER

Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg

Herausgegeben von Robert Kriechbaumer · Franz Schausberger · Hubert Weinberger Band 70,3

Robert Kriechbaumer

Die Dunkelheit des politischen Horizonts Salzburg 1933 bis 1938 in den Berichten der Sicherheitsdirektion Band 3   : Der Sturm bricht los. Vom Juli 1936 bis März 1938

Böhlau Verlag Wien · Köln · Weimar

Veröffentlicht mit Unterstützung durch den Zukunftsfonds der Republik Österreich und das Amt der Salzburger Landesregierung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http  ://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2020 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien, Zeltgasse 1, A-1080 Wien Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung  : Walter Leitner führt das Jungvolk beim nationalen Fackelzug an, unmittelbar hinter ihm marschiert mit der Landesknechtstrommel der 14-jährige Erich Kirsch (21. Februar 1938). Stadtarchiv Salzburg, Fotoarchiv Franz Krieger. Korrektorat  : Philipp Rissel, Wien Einbandgestaltung  : Michael Haderer, Wien Satz  : Michael Rauscher, Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-205-23213-1

All jenen gewidmet, die in bedrängter Zeit zu Österreich gestanden sind.

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   9

TEIL I VOR SONNENUNTERGANG – HISTORISCHE ­E NTWICKLUNGSLINIEN 1. »Dieser Staat ist kein Staat. Sein Volk gehört zu uns und wird zu uns kommen.«. Außenpolitik in einer Phase des Endes der kollektiven Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  15 2. »Wir haben den Führer verstanden.« Die österreichische NSDAP vom Juliabkommen bis zum Anschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  39 2.1 Chaos und Rivalitäten – die österreichische NSDAP am Vorabend des Juliabkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2.2 Das Juliabkommen – Das trojanische Pferd der NSDAP . . . . . . . . . 46 2.3 Quo vadis NSDAP  ? Unterschiedliche Persönlichkeiten, unterschiedliche Konzepte, gemeinsames Ziel – Josef Leopold versus Arthur Seyss-Inquart. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2.4 Berchtesgaden – Der Durchbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 2.5 Vier Wochen im Februar und März 1938 – Doppelherrschaft und Dammbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 3. »Die erste Aufgabe der illegalen Bewegung ist es, die Masse in sozialistischer Gesinnung zu halten. Die revolutionären Sozialisten . . . . . 111 4. Volksfront und österreichische Nation statt Diktatur des Proletariats. Wandlungen einer stalinistischen Partei – die KPÖ . . . . . . . . . . . . . . 147 5. Landespolitik im Zeichen der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 »Nationalsozialisten, wir sind so weit  !« – Die Salzburger NSDAP . . . 5.2 »Arbeitslose und hungrige Personen sind bekanntlich eine Quelle der Unruhe und durch die Not geneigt, verderblichen Einflüsterungen von regierungsfeindlicher Seite ein williges Ohr zu leihen.« – Die Bemühungen um die Arbeitsbeschaffung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 »Wenn das amerikanische Publikum Österreich entdeckt hat, so hat es dies auf dem Weg über Salzburg getan …« – Die Tourismuswirtschaft in der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

5.4 »Hier in Salzburg ist das Ewig-Schöne, … all das Erhabene, das die Völker zu versöhnen und zu einigen vermag.« – Die singuläre Bedeutung der Salzburger Festspiele als Kampfansage gegen den Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 5.5 »Die Verchristlichung der Gesellschaft erfordert einen christlichen Staat.« – Die Forderung nach einer Rekatholisierung des Landes . . . . 264 Tafeln.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

TEIL II DIE BERICHTE 1. »… ist für mich Österreich erst dann wieder vollwertige Heimat, wenn der Nationalsozialismus regiert.«. Stimmungen und Befindlichkeiten . . . . 299 2. »… und wurde im Allgemeinen die Taktik verfolgt, nur das zuzugeben, was seitens der Behörden nachgewiesen werden konnte.«. Die NSDAP . . . 386 3. »Es wird hervorgehoben, dass zwischen revolutionären Sozialisten und Kommunisten (…) praktisch kein Unterschied mehr besteht.«. Die revolutionären Sozialisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 4. »… konnte festgestellt werden, dass die Tätigkeit der kommunistischen Partei im Lande Salzburg sich in sehr engen Grenzen bewegte …«. Die KPÖ.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 5. »Der Landesverband Salzburg verfügt nur über sehr geringe Ressourcen und ist einigermassen verschuldet.«. Der Heimatschutz. . . . . . . . . . . . 542 6. »Sämtliche Amtswalter werden hiermit dringend ersucht … darauf zu achten, dass die Frontmitglieder möglichst zahlreich das Abzeichen der Vaterländischen Front tragen.«. Die Vaterländische Front . . . . . . . . . . 555 Quellen- und Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567 Abbildungsnachweis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576 Personenregister.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577

Vorwort

Das Jahr 1936 fungierte in der Geschichte des autoritären ständestaatlichen Regimes sowohl innen- wie außenpolitisch als Wendejahr. Der 1935 von Mussolinis imperialen Ambitionen motivierte Abessinienkrieg und die – ohnedies lediglich verhaltenen – Reaktionen des Völkerbundes, vor allem Frankreichs und Großbritanniens, bewirkten eine außen- und wirtschaftspolitische Hinwendung der italienischen Politik zum Deutschen Reich, die in der Achse Berlin-Rom mündete, mit erheblichen Folgen für Österreich. In diesem Bündnis der ungleichen Partner kam das faschistische Italien durch seine weitreichenden außenpolitischen und militärischen Ansprüche, die jedoch mit seinen Möglichkeiten nicht korrespondierten, in zunehmende wirtschaftliche und militärische Abhängigkeit von Berlin. Die Folge war 1936 der Rückzug Italiens von seiner bisherigen Schutzmachtfunktion für Österreich. Die sich seit dem Abessinienkrieg abzeichnende Änderung der außenpolitischen Konstellationen und der daraus resultierenden Großwetterlage wurde in Wien genau und mit zunehmender Sorge verfolgt. Da weder Großbritannien noch Frankreich zu einem, notfalls auch militärischen, Engagement zugunsten des zunehmend von einem immer aggressiver auftretenden Deutschen Reich bedrängten Österreich bereit waren, schien als Lösung der Causa Prima der österreichischen Außenpolitik, der Sicherung der Unabhängigkeit des Landes, nur die Option eines Ausgleichs mit Berlin gegeben. Mit dem Juliabkommen 1936, so schien es der überwältigenden Mehrheit der in- und ausländischen Zeitgenossen und Kommentatoren, war das Maximum des Möglichen erreicht worden. Die Mahner, die zurecht von einem »Trojanischen Pferd« des Nationalsozialismus sprachen, blieben in der Minderheit. Den österreichischen Verhandlern des Abkommens kann jedoch auch a posteriori nicht Naivität bescheinigt werden, denn sie waren sich der Probleme und Fallstricke durchaus bewusst. Man nahm sie jedoch in der Hoffnung in Kauf, mit dem bilateralen Vertrag Zeit gewonnen zu haben und dass sich in dieser die außenpolitische und damit auch sicherheitspolitische Situation wiederum zugunsten Österreichs ändern konnte. Und man hoffte, die keineswegs homogene sog. nationale Opposition in Österreich spalten und deren gemäßigten Flügel für eine Mitarbeit im Staat gewinnen zu können. Beide Hoffnungen sollten nicht in Erfüllung gehen. Innenpolitisch gelang Bundeskanzler Kurt Schuschnigg die Eliminierung der Heimwehr aus der Bundesregierung und die Eingliederung ihrer Verbände in die Frontmiliz der Vaterländischen Front, womit die Heimwehr als innenpolitischer Faktor ausgeschaltet war. In einem weiteren Schritt wurde die Frontmiliz der Kontrolle des Bundesheeres unterstellt, das durch die Einführung der Allgemeinen

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Vorwort

Wehrpflicht sowie der Aufrüstungsbemühungen als Reaktion auf die deutsche Außen- und Militärpolitik eine deutliche Aufwertung erfuhr. Der die Regierungspolitik über Jahre bestimmende Gegensatz zwischen Christlichsozialen und Heimwehr, die nunmehr durch die Wende der italienischen Außenpolitik auch die Rückendeckung Mussolinis verloren hatte, war damit beendet. Nur mehr die Gruppe der zum Großteil aristokratisch-konservativen und legistischen Heimwehrvertreter bildeten ab dem Jahr 1936 einen Teil des Machtapparats Schuschniggs, der sich zunehmend auf das deutlich aufgewertete Bundesheer, die Exekutive, die Bürokratie, regimetreue Verbände, den regimetreuen Kern der Vaterländischen Front, vor allem Angehörige der ehemaligen Christlichsozialen, und die Katholische Kirche stützte. Die Vaterländische Front verfügte zwar durch den freiwilligen und unfreiwilligen Massenbeitritt über eine imponierende Zahl von Mitgliedern, konnte jedoch aufgrund ihrer Organisation von oben die in sie gesetzten Erwartungen letztlich nie erfüllen. Die große Zahl der Mitglieder machte sie noch zu keiner dynamischen Massenbewegung wie die Faschistische Partei Italiens oder die NSDAP. Trotz aller Erfolge, ihrer keineswegs zu unterschätzenden Mobilisierungsfähigkeit und allen Engagements eines Teils ihres Funktionärskaders blieb sie, jenseits eines letztlich christlichsozialen Kerns, ein politisches Kunstgebilde, dem viele nur aus ökonomischen oder sozialpolitischen Gründen beitraten, wie sich aus zahlreichen Berichten der Sicherheitsdirektionen folgern lässt und wie es die dramatischen Ereignisse bereits im unmittelbaren Vorfeld und während des Anschlusses dokumentieren sollten. Gerhard Botz hat auf die Änderungen des ständestaatlichen Regimes hingewiesen und bezeichnete dessen letzte Phase vom Juliabkommen 1936 bis zum März 1938 als partielle Defaschisierung und ständischen Pluralismus. Parallel zum verhängnisvollen außenpolitischen »Deutschen Kurs« mit seinen innenpolitischen Auswirkungen auf das Erstarken des Nationalsozialismus verfolgte die Regierung Schuschnigg, wenn auch zögerlich und letztlich mit zu wenig Entschlusskraft, eine partielle Demokratisierung ständestaatlicher Organisationen wie der Einheitsgewerkschaft und der Sozialen Arbeitsgemeinschaft innerhalb der Vaterländischen Front. Es gehört zu der Tragödie der dramatischen Ereignisse nach dem Treffen Schuschniggs mit Hitler auf dem Obersalzberg am 12. Februar 1938, dass der Bundeskanzler, Gefangener seiner Persönlichkeitsstruktur und seiner ideologischen Prägungen, die sich bietenden Möglichkeiten der Gewinnung der lange in oppositioneller Ablehnung und Distanz stehenden illegalen Arbeiterbewegung nur zögernd ergriff. Die Frage, ob der Dammbruch im März 1938 in dem außenpolitisch völlig isolierten Österreich durch einen Schulterschluss mit der nunmehr ohnedies nur mehr halb illegalen Arbeiterbewegung hätte verhindert werden können, ist nur schwer zu beantworten. Diese außen- und innenpolitischen Entwicklungslinien warfen auch ihre mächtigen Schatten auf die Salzburger Landespolitik. In der unmittelbaren Nachbarschaft

Vorwort

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des nationalsozialistischen Wallfahrtszentrums Obersalzberg mit seinem bereits zum Mythos gewordenen Bewohner, im Sog der medial verbreiteten Strahlkraft des deutschen Wirtschafts- und Beschäftigungswunders, der außenpolitischen Erfolge des zum nationalen Heilands stilisierten Führers und vor dem Hintergrund der seit dem Beginn der Ersten Republik mentalen Wirksamkeit großdeutscher Orientierungen bei einem erheblichen Teil der Bevölkerung wurde der Kampf gegen den Nationalsozialismus zu einer kaum zu bewältigenden Sisyphos-Aufgabe. Das Repertoire der Gegenstrategien war durch finanzpolitische Parameter – die dominante Hartwährungspolitik (im Gegensatz zum Deutschen Reich mit lediglich 1 Prozent waren 38 Prozent des Notenumlaufs durch Gold- und Devisenbestände gedeckt) und das Dogma des ausgeglichenen Budgets – eingeschränkt. Die trotz aller Arbeitsbeschaffungsprogramme und staatlicher Interventionen auf dem Agrarsektor dominante Kultur der Armut bildete den Nährboden für die wachsende Attraktivität des Nationalsozialismus vor allem auch in den agrarischen Gebieten. So sehr die sommerliche Festspielstadt und ihre Festspiele die internationale Bedeutung Salzburgs hervorhoben und neben dem Sommer- und Wintertourismus als Devisenbringer fungierten, so sehr die 1935 eröffnete Großglockner Hochalpenstraße als Symbol österreichischer Ingenieurskunst medial gefeiert wurde, die durchaus erfolgreichen Bemühungen von Landeshauptmann Franz Rehrl um Arbeitsbeschaffungsprogramme, die Förderung des von der Agrarkrise nach wie vor schwer getroffenen ländlichen Raums, den Ausbau der Infrastruktur und des Tourismus vermochten die Schatten der Kultur der Armut nur zu mildern, nicht zu vertreiben. Der Nationalsozialismus wurde, gefördert durch das schrittweise Zurückweichen der Bundesregierung im Juliabkommen 1936 und dem Berchtesgadener Abkommen vom Februar 1938, zur halb-illegalen Massenbewegung, die bereits ab Februar 1938 eine Art Doppelherrschaft etablierte, bevor sie – bereits vor dem Einmarsch deutscher Truppen – in den Abendstunden des 11. März die Macht ergriff. Das im abschließenden Band der Trilogie über Salzburg 1933 bis 1938 in den Berichten der Sicherheitsdirektion publizierte Archivmaterial enthält zum Teil auch Bestände aus dem Archiv des Generalsekretariats der Vaterländischen Front, die sich im Archiv des Forschungsinstituts für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek und im Archiv der Republik befinden. Sie wurden deshalb berücksichtigt, weil der die Berichte der Sicherheitsdirektion Salzburg betreffende Aktenbestand im Archiv der Republik mit Ende 1937 massiv ausdünnt und zu den dramatischen Ereignissen im Februar und März 1938 gar keine Berichte vorliegen. Ob diese nach dem Anschluss »gesäubert« oder aber mit Blick auf einen möglichen Regimewechsel keine Berichte mehr verfasst wurden, lässt sich nicht mehr feststellen. Der in diesem Band publizierte Aktenbestand beruht auf den neuesten Recherchen, auch von Mitarbeitern des Archivs der Republik. Dies schließt jedoch nicht aus, dass neue, bisher unbekannte, Bestände noch gefunden werden. In diesem Zu-

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Vorwort

sammenhang gilt mein Dank Herrn Mag. Stefan Semotan für seine Hinweise auf das Archiv der Vaterländischen Front sowie Frau Dr. Aisa Henseke, die sich der Mühe des Korrekturlesens des Manuskripts unterzogen hat. Robert Kriechbaumer Salzburg, im Frühjahr 2020

TEIL I VOR SON N EN U N TERGA NG – HISTOR ISCHE EN TW ICK LU NGSLI N IEN

1. »Dieser Staat ist kein Staat. Sein Volk gehört zu uns und wird zu uns kommen.« Außenpolitik in einer Phase des Endes der kollektiven Sicherheit

1937 bemerkte Otto Leichter, »dass vielleicht in keinem anderen faschistischen Lande die Beziehungen zwischen außenpolitischer Konstellation und innenpolitischer Machtverteilung so unlösbar eng sind wie in Österreich.«1 Im internationalen Kräftefeld der Staaten und ihrer Beziehungen zueinander vermögen Kleinstaaten, wenn sie im Krisenfall dem Druck einer aggressiven Großmacht ausgesetzt sind, ihre Souveränität nur durch die Rückendeckung einer anderen oder mehrerer Großmächte zu sichern. Eine solche Allianz birgt jedoch die Gefahr der Abhängigkeit von der Schutzmacht, die in der Regel nicht uneigennützig handelt, in sich. Aus dem Eigeninteresse der schützenden Großmacht resultiert die weitere Gefahr der Volatilität der Beziehung. Ändert sich die Interessenlage der Großmacht und kommt es infolgedessen zu einem Revirement ihrer Außenpolitik, verliert auch der Kleinstaat die bisher gewährte Rückendeckung. Eine, wenn auch nicht so wirkungsvolle, Alternative bildet das System einer kollektiven Sicherheit durch das Bündnis mehrerer Kleinstaaten, das – im günstigsten Fall – wiederum durch eine Großmacht als Protektor über eine machtpolitische, d. h. vor allem militärische, Rückversicherung verfügt. Den Idealfall der Sicherung der Souveränität von Kleinstaaten bildet das durch Verträge gesicherte System der kollektiven Sicherheit, das eingebundene Großmächte an klar definierte Regeln einer internationalen Rechtsordnung bindet. Die Versailler Friedenskonferenz 1919 bildete insofern einen Bruch in der Kultur der Friedensschlüsse zwischen dem Westfälischen Frieden von Münster und Osnabrück 1648 und dem Wiener Kongress 1814/15, als sie anstelle des Versuchs, »Machtungleichgewichte durch territoriale Verschiebungen auszubalancieren und sie durch Dynastien sowie die revolutionsprophylaktische Wirkung des monarchischen Prinzips einzuhegen, (…) Nationalstaat, Völkerbund und einen international abgesicherten Minderheitenschutz in den Vordergrund« rückte. Damit wurde erstmals der Anspruch manifestiert, staatliche Souveränität sowie die internationalen Beziehungen »unter Berufung auf übergeordnete Prinzipien zu durchbrechen.«2 Die Hoffnungen, die mit der Versailler Friedensordnung und dem wenig später gegrün1 Heinrich Berger (Otto Leichter)  : Drei Jahre Illegalität. – In  : Der Kampf 2/1937. S. 43–49. S. 45. 2 Jörn Leonhard  : Der überforderte Frieden. Versailles und die Welt 1918–1923. – München 2018. S. 1265f.

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Vor Sonnenuntergang – Historische Entwicklungslinien

deten Völkerbund verbunden waren, sollten sich jedoch nicht erfüllen. Für Europa wurde entscheidend, dass sich die USA aus ihrem weltpolitischen Engagement weitgehend zurückzogen und nicht Mitglied des Völkerbundes wurden, die Beziehungen zwischen Großbritannien und Frankreich, den Garanten der Versailler Nachkriegsordnung, von Spannungen geprägt waren, Italien, das offiziell zu den Siegermächten des Ersten Weltkrieges und letztlich, trotz der Verachtung durch Woodrow Wilson, Lloyd George und Georges Clémenceau während der Verhandlungen,3 zu den Profiteuren der Versailler Friedensordnung gehörte, von einem »verstümmelten Sieg« sprach, weil man behauptete, zu wenig gewonnen zu haben, und Deutschland in dem Frieden ein Diktat sah, das man ihm, gegen Wilsons Postulat eines gerechten Friedens, aufgezwungen hatte. Hinzu trat die emotionale Aufladung der Vertragsunterzeichnung mit einer Politik der Symbole, die in der Behandlung der deutschen Delegation deutlich wurde, der von der deutschen militärischen Führung gepflegte Mythos der Unbesiegtheit im Felde und die daraus zum politischen Kampfbegriff gewordene Dolchstoßlegende. Deutschland, das trotz Gebietsverlusten und hohen Reparationslasten nach wie vor der mächtigste Staat Kontinentaleuropas war, wurde – vor allem nach 1933 – zusammen mit dem ab 1922 faschistischen Italien zu den führenden Exponenten einer expansionistischen Revisionspolitik in Mitteleuropa, in deren Schnittpunkt sich Österreich, zumindest bis 1936, befand und die schließlich zum Ende der Versailler Friedensordnung führen sollte. Das Juliabkommen 1936 wurde am Ballhausplatz keineswegs so optimistisch gesehen, wie die offizielle Interpretation und die dieser folgenden Verlautbarungen glauben machen wollten. Man hatte das Abkommen aufgrund der sich aus der geänderten außenpolitischen Konstellation ergebenden Notwendigkeit, nicht jedoch aus einem freien Entschluss abgeschlossen. Und man war sich der Fallstricke durchaus bewusst, hing jedoch der sich letztlich als verhängnisvolle Irrtum erweisenden Hoffnung an, diese durch eine Spaltung der nationalen Opposition entschärfen zu können. Schließlich, dies schien der größte Vorteil des Abkommens zu sein, hatte man Zeit gewonnen und hoffte auf eine zwischenzeitliche Änderung der europäischen politischen Großwetterlage. Die Intentionen Berlins zielten hingegen auf die EntInternationalisierung der Österreich-Frage in Richtung einer bilateralen und letztlich innerdeutschen Angelegenheit, wobei man vor allem auf britische Äußerungen setzte, sowie eine weitere Lockerung der österreichisch-italienischen Beziehungen. Die sich infolge des Abessinienkonflikts bildende Achse Berlin-Rom, die bereits die Aufgabe der bisherigen italienischen Garantie der österreichischen Unabhängigkeit – zumindest indirekt – beinhaltete, sollte in Richtung eines Bündnisses weiter ausgebaut werden, das dem Deutschen Reich in der Anschlussfrage freie Hand ließ. 3 Margaret MacMillan  : Die Friedensmacher. Wie der Versailler Vertrag die Welt veränderte. – Berlin 2015. S. 371ff.

Außenpolitik in einer Phase des Endes der kollektiven Sicherheit

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Der Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs am 18. Juli 1936 durch die Erhebung der Truppen General Francos in Marokko führte zu einer weiteren Festigung der sich bildenden Achse Berlin-Rom. Dabei war eine Parallele der Entscheidungsstrukturen bemerkenswert. Sowohl Mussolini, unterstützt lediglich von Ciano,4 wie Hitler entschieden sich gegen den Rat ihrer führenden Diplomaten und Militärs für das spanische Engagement, wobei Mussolini die ablehnende Haltung des Königs einfach ignorierte und seine Berater nicht einmal konsultierte. Die Putschisten wandten sich bereits wenige Tage später an Rom und Berlin um Hilfe und sollten sie erhalten, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß. Mussolinis anfängliche Zusage von einigen Flugzeugen und Freiwilligenverbänden erreichte bald eine expansive Eigendynamik, sodass Ende 1937 bereits rund 70.000 weitgehend reguläre Verbände sowie eine Vielzahl von Flugzeugen sowie entsprechende Ausrüstung in Spanien im Einsatz waren. Hitler hingegen beschränkte sich auf die Entsendung der »Legion Condor«, die schließlich eine Stärke von rund 5.000 Mann erreichte und unter kriegsmäßigen Bedingungen das Zusammenwirken von Luft- und Landstreitkräften übte. Das ständig steigende Engagement Italiens in Spanien erschöpfte bereits im Laufe des Jahres 1937 dessen wirtschaftliche Möglichkeiten und bewirkte eine zunehmende Entfremdung der ohnedies seit dem Abessinienkrieg angespannten Beziehungen zu Großbritannien und Frankreich. Roms Handlungsfreiheit wurde dadurch deutlich eingeschränkt und band es, vor allem auch aufgrund der zunehmenden wirtschaftlichen Abhängigkeit – das militärische Engagement Italiens kostete 14 Milliarden Lire, das Doppelte des jährlichen Militärhaushalts des Landes, sowie ein Drittel des gesamten italienischen Kriegsmaterials –, an Berlin. Hitler beschied in der Nacht des 25. Juli 1936 in Bayreuth den beiden Abgesandten Francos seine positive Antwort gegen den Rat und die Bedenken der Diplomaten und Militärs wie Joachim von Ribbentrops und Hermann Görings. Ribbentrop befürchtete Komplikationen mit England und Göring reagierte entsetzt, um allerdings später zum begeisterten Befürworter des deutschen Engagements zu mutieren. Das eigentliche Motiv für die Intervention im Spanischen Bürgerkrieg ist sowohl bei Mussolini wie bei Hitler im ideologischen Bereich zu sehen. Bei beiden spielte der Antikommunismus eine zentrale Rolle, der zudem durch das Engagement der UdSSR noch seine Bestätigung erhielt. Bei Mussolini kam noch die Absicht hinzu, seine imperialen Interessen im Mittelmeer abzusichern, wobei sein abessinischer Erfolg ihn »in der grotesken Illusion bestärkt (hatte), ein genialer Condottiere zu 4 Am 24. Juli 1936 baten die Abgesandten der Aufständischen, Antonio Goicoechea und Pedro Sainz Rodriguez, unter Hinweis auf eine bereits 1934 mit Mussolini getroffene Vereinbarung Galeazzo Ciano um Intervention. (Manuel Tuñón de Lara  : Strukturelle Ursachen und unmittelbare Anlässe. – In  : Ders., Julio Aróstegui, Ángel Viñas, Gabriel Cardona, Josep M. Bricall  : Der Spanische Bürgerkrieg. Eine Bestandsaufnahme. – Frankfurt am Main 1987. S. 7–64. S. 57).

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Vor Sonnenuntergang – Historische Entwicklungslinien

sein und über ein effektives Heer zu verfügen.«5 Hitler wollte vor allem verhindern, dass Spanien mit der Etablierung einer Volksfrontregierung eine ähnliche Entwicklung wie Frankreich nahm, da dies für seine expansive Ostpolitik eine (kommunistische) Bedrohung im Rücken gewesen wäre. Wenn hingegen Franco siegte, etablierte sich in Spanien ein autoritär/semi-faschistisches Regime, womit Frankreich in eine äußerst prekäre Lage geriet. Gleichzeitig bemühte er sich um eine Allianz mit Großbritannien mit dem Argument, das Deutsche Reich sei ein Bollwerk gegen den aggressiven Bolschewismus. London solle ihm daher durch bewusste Neutralität oder indirekte Unterstützung den Rücken im Westen freihalten und ihm freie Hand im Osten gewähren. Doch die britische Regierung verweigerte sich den deutschen Avancen, weshalb Hitler verstärkt auf ein Bündnis mit Rom, das ursprünglich nur als Ergänzung zum britischen gedacht war, setzte. Am 25. Oktober erfolgte die Unterzeichnung des deutsch-italienischen Vertrags, der ein einheitliches Vorgehen in der spanischen Frage sowie die Anerkennung der Regierung Francisco Franco vorsah. Die »Achse«, so der von Mussolini am 1. November auf eine Rede in Mailand gebrauchte Terminus, war geboren. Am 30. August 1937 erklärte er in Palermo  : »Man kommt nicht nach Rom unter Umgehung von Berlin oder gegen Berlin, und man kommt nicht nach Berlin unter Umgehung Roms oder gegen Rom.«6 Es war jedoch nicht so sehr der gemeinsame ideologische Nenner des Antibolschewismus, der beide Staaten aneinanderbinden sollte, wie Hitler dem italienischen Außenminister und Schwiegersohn Mussolinis, Galeazzo Ciano, bei seiner ersten offiziellen Auslandsreise in das Deutsche Reich bei dessen Besuch auf dem Berghof am 24. Oktober 1936 erklärte, sondern ihre expansiven territorialen Interessen  : Deutschland sollte sich in Osteuropa ausbreiten, Italien auf dem Balkan und im Mittelmeer bis in den Nahen Osten.7 Das historische Vorbild des Römischen Imperiums zumindest in einem Großteil des Mittelmeerraums als Blaupause für die Errichtung eines faschistischen Imperiums mit deutscher Rückendeckung faszinierte Mussolini

5 Giovanni de Luna  : Benito Mussolini. Reinbek bei Hamburg 1978. S. 104. 6 Zit. bei Christian Goeschel  : Mussolini und Hitler. Die Inszenierung einer faschistischen Allianz. – Berlin 2019. S. 91. 7 Galeazzo Ciano hatte vor seinem Besuch bei Hitler auf dem Berghof in Berlin Gespräche mit Außenminister Konstantin von Neurath geführt, die in einem anschließend veröffentlichten gemeinsamen Kommuniqué zu der bereits auf imperiale Interessensphären hindeutenden Feststellung führten, dass beide Staaten in Fragen des Donauraums künftig gemeinsam vorgehen werden. Dies führte bei der Wiener Konferenz der Römischen Protokollstaaten vom 9. bis 12. November 1936 zur Beunruhigung Österreichs und Ungarns. Staatssekretär Guido Schmidt und der ungarische Außenminister Kálmán von Kánya protestierten gegen diese Erklärung, da vorher beide Unterzeichnerstaaten der Römischen Protokolle nicht kontaktiert worden seien und dies daher dem Geist der Verträge widerspreche. Daraufhin sicherte Ciano zu, dass in »Hinkunft bezüglich der Frage des Donauraumes nichts ohne (…) vorherige Kenntnis« der beiden Unterzeichnerstaaten unternommen werde. (ADÖ 11/1699.)

Außenpolitik in einer Phase des Endes der kollektiven Sicherheit

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zunehmend und ließen seine Bedenken gegenüber der Gestalt seines deutschen Pendants zurücktreten. Zusammen mit ihm und der neuen dynamischen Macht in der Mitte Europas, die die auch von ihm bekämpfte Nachkriegsordnung bereits nachhaltig verändert hatte, konnte er Geschichte schreiben und wirkliche Größe erlangen. Es war daher nur folgerichtig, dass er den deutschen Avancen, die sich in vermehrten Rom-Besuchen deutscher Politiker und öffentlichen Erklärungen Hitlers manifestierten, erlag. Im September 1936 besuchte Hans Frank, der Präsident der Akademie für Deutsches Recht, Mussolini in Rom und überbrachte ihm im Namen Hitlers eine offizielle Einladung zu einem Deutschland-Besuch. Mussolini hatte stets mit dem Argument, Italien sei ein so wichtiges Land, dass ausländische Staatsmänner ihn in Rom aufsuchen müssten, Einladungen ins Ausland abgelehnt. Hinter diesem bewusst zur Schau gestellten an die einstige Größe Roms anknüpfenden imperialen Selbstverständnis verbarg sich jedoch auch eine Unsicherheit aufgrund seiner frühen Erfahrungen als Regierungschef bei Auslandsbesuchen, vor allem bei der Locarno-Konferenz 1925, bei der er lächerlich gewirkt hatte. Doch nun akzeptierte er die Einladung unter der Bedingung, dass die zweite Begegnung mit Hitler mehr sein müsse als ein Staatsbesuch, nämlich ein Ereignis von symbolhafter Bedeutung, das die in Europa angebrochene neue (faschistische) Ära, die von der Freundschaft zweier großer Nationen getragen und geprägt sei, zum Ausdruck bringen müsse. Als er Frank seine positive Antwort bekannt gab, konnte er sich wohl nicht mehr an eine kleine Begebenheit des Jahres 1927 erinnern, als ihn eine Bitte des Leiters der Italienischen Handelskammer in Berlin, Major Giuseppe Renzetti, erreichte, dass ein gewisser Adolf Hitler, der 37-jährige Führer der NSDAP, die damals über rund 49.000 Mitglieder verfügte, ihn aus Bewunderung über seine Person um die Ehre der Signierung eines Porträtfotos gebeten hatte. Mit großen Buchstaben hatte er damals auf den Brief geschrieben  : »Gesuch abgelehnt  !«8 Die Bewunderung des Führers der NSDAP für Mussolini war auch nach dessen Ernennung zum Reichskanzler ungebrochen. Die Gattin des italienischen Botschafters in Deutschland, Elisabetta Cerruti, berichtete vom alljährlichen Bankett des Diplomatischen Korps im Präsidentenpalais, zu dem der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg geladen hatte und bei dem der neue Reichskanzler Adolf Hitler anwesend war. Waren bisher der italienische Botschafter und dessen Gattin meistens am Ende der Protokollliste gestanden, so geleitete sie diesmal der neue Reichskanzler als Tischnachbar zum Bankett. Sie hatte von ihrem Gatten den Auftrag bekommen, Hitler genau zu beobachten und seine Äußerungen anschließend zu berichten. Während des gesamten Essens, so Elisabetta Cerruti, habe sich Hitler in immer steigender Erregung gegen all jene geäußert, die seiner Machtergreifung im Wege gestanden seien. Er habe sich im Laufe seines Redeschwalls derart in Rage gesteigert, dass seine Stimme zu8 Richard Collier  : Mussolini. Aufstieg und Fall des Duce. – München 1983. S. 94.

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nehmend in hysterisches Schreien überschlug, weshalb sie sich taktvoll bemühte, ihn zu beruhigen und die Sprache auf Mussolini brachte. Der Effekt war erstaunlich, einer magischen Beschwörung gleich. Seine Augen hätten einen sanften Glanz bekommen, seine Stimme sei tief und warm geworden und er habe gesagt  : »Ich hatte zu viel Respekt vor diesem Mann. Ich wollte ihn nicht belästigen, bevor ich nicht positive Ergebnisse erzielt hatte. Aber jetzt ist es anders. Ich freue mich auf ein Treffen mit ihm  !«9 Das folgende Treffen in Venedig im Juni 1933 verlief nicht nach den Vorstellungen Hitlers, der Duce trat ihm mit sichtlicher Distanz und als Protektor Österreichs gegenüber. Doch in der Zwischenzeit hatten sich die Verhältnisse geändert. Der in Venedig – vor allem auch aufgrund seines Dresscodes – noch linkisch wirkende und von dem ein »Heimspiel« spielenden Gastgeber zwar freundlich, aber letztlich herablassend behandelte Reichskanzler, hatte sich in der Zwischenzeit zur dynamischsten und erfolgreichsten politischen Führungspersönlichkeit Europas entwickelt. Im Gegensatz zu Mussolini, der den imperialen Machtanspruch, zum Erstaunen der Militärs, auf Fantastereien begründete, war das Dritte Reich tatsächlich eine Militärmacht geworden, bei der zwischen Anspruch und Realität nicht Welten lagen. Mussolinis Besuch im Deutschen Reich erfolgte erst ein Jahr nach der von Frank überbrachten Einladung im September 1937. Dazwischen erfolgte noch ein Besuch Hermann Görings und seiner Frau in Rom Mitte Jänner 1937 mit einem ungewöhnlich aufmerksamen Programm seitens der italienischen Gastgeber, das Audienzen beim König und Gespräche mit Mussolini und Ciano, eine Jagd und einige Urlaubstage auf Capri einschloss. Dabei gab Göring die Erklärung ab, das Deutsche Reich sei bereit, die Brennergrenze und damit Südtirol als Teil Italiens anzuerkennen. Ferner wurde er nicht müde zu betonen, dass in Österreich, gegen den Geist des Juliabkommens, der nationale Bevölkerungsteil verfolgt und schikaniert werde, um hinzuzufügen, dass Österreich früher oder später mit dem Reich vereint werden müsse.10 Am 16. Jänner berichtete der deutsche Botschafter in Rom, Ulrich von Hassell, nach Berlin, Göring habe nach der Besprechung mit Mussolini ihm gegenüber erklärt, er habe die Frage Österreich »nur ziemlich allgemein behandelt, aber doch zum Ausdruck gebracht, dass uns Österreich einmal zufallen müsste  ; Mussolini habe nicht Stellung genommen, sondern sich vorbehalten, sich zu der Frage zu äußern.«11 Am 30. Jänner berichtete er über ein längeres Gespräch mit Göring am 17. Jänner in der Villa Madama, bei der ihm dieser unter Bezugnahme auf sein Gespräch mit Mussolini erklärt habe, es müsse in der Österreich-Frage Klarheit geschaffen werden, »wenn die deutsch-italienische Freundschaft wirklich fest begründet werden solle, und wenn  9 Collins  : Mussolini. S. 117. 10 Goeschel  : Mussolini und Hitler. S. 90. 11 ADAP Serie D I/199.

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Italien darauf rechnen wolle, dass Deutschland in kritischen Stunden, wie sie sich aus der italienischen Mittelmeerpolitik ergeben könnten, zu Italien stände. Er habe dabei (…) ausdrücklich hervorgehoben, dass die Frage des Anschlusses und dergleichen nicht akut sei  ; ebenso habe er erklärt, dass Deutschland im Rahmen eines festen deutsch-italienischen Freundschaftsverhältnisses die Frage nur in Fühlung mit Rom aufrollen würde.«12 Die Äußerungen des preußischen Ministerpräsidenten und Bevollmächtigten für den Vierjahresplan lösten in der österreichischen Diplomatie Beunruhigung aus und wurden vom österreichischen Gesandten in Rom, Egon Berger-Waldenegg, in einem Gespräch mit Ciano als »Taktik der Brunnenvergiftung« charakterisiert.13 Ciano berichtete Berger-Waldenegg, dass Göring bei seinen Äußerungen über Öster­reich vorbeugend betont habe, er spreche »nur theoretisch und akademisch« und bringe lediglich »seine persönliche Auffassung zum Ausdruck (…) Dabei hat er den Gedanken entwickelt, dass der Zustand, dass ein 5 Millionen-Volk deutscher Rasse vor den Toren Deutschlands steht, ohne Einlass zu erhalten, direkt gegen jede nationale Moral ist.«14 Der österreichische Militärattaché in Rom, Oberst Emil Liebitzky berichtete am 23. Jänner 1937 vertraulich an Bundeskanzler Schuschnigg von einem Gespräch mit Mussolini, in dem eine deutlich distanziertere Haltung des Duce gegenüber Österreich zum Ausdruck gekommen sei. Man stelle, so Mussolini zur inneren Lage in Österreich, eine wachsende italienfeindliche Haltung fest. Die Österreicher würden Italien noch immer als Erbfeind betrachten. »Da müssen wir uns fragen, ob wir königlicher als der König und österreichischer als Österreicher sein sollen und dort helfen sollen, wo man unsere Hilfe gar nicht zu wollen scheint. Die ›Berliner Faktoren‹ sagen uns immer  : Eure Politik in Österreich ist verfehlt, die Österreicher wollen Euch gar nicht  ! Die Mehrheit der Bevölkerung ist nationalsozialistisch und will zu Deutschland, will den ›Zusammenschluss‹ …« Mussolini habe zwar in weiterer Folge ein Lippenbekenntnis zur »Wacht am Brenner« abgegeben, jedoch hinzugefügt, Österreich müsse »mit Deutschland (…) zu wirklicher Klärung kommen. Die Berliner müssen den Bestand Österreichs und seine innere Unabhängigkeit klar und deutlich anerkennen und eine aufrichtige Politik machen.«15 Auf der Konferenz von Venedig am 22. und 23. April 1937, dem letzten offiziellen italienisch-österreichischen Treffen, erklärte Bundeskanzler Schuschnigg gegenüber Mussolini, die von Rom registrierte zunehmend italienfeindliche Haltung der österreichischen Bevölkerung sei von der NSDAP inszeniert, um die guten österreichischitalienischen Beziehungen zu stören. Österreich suche mit dem Deutschen Reich 12 Ebda. I/207. 13 ADÖ 11/1716. 14 Ebda. 15 ADÖ 11/1719.

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gute Beziehungen, doch könne es dessen Methoden der Politik und Kulturpolitik in Österreich nicht akzeptieren. »Die Voraussetzung für gute Beziehungen Öster­ reichs zu Deutschland bleibe die Anerkennung der Unabhängigkeit Österreichs.« Mussolini antwortete verständnisvoll, »dass Österreich die besten Beziehungen zu Deutschland nur unter der Voraussetzung pflegen kann, dass die Unabhängigkeit Österreichs restlos respektiert werde. Diese Respektierung der Unabhängigkeit sei eine conditio sine qua non. Österreich müsse fest auf dem Grund des Abkommens vom 11. Juli 1936 stehen (…) Bekanntlich habe die österreichische Frage den einzigen Reibungspunkt zwischen Italien und Deutschland dargestellt und er halte die von Österreich geführte Politik gegenüber Deutschland für richtig.«16 Der deutsche Botschafter Ulrich von Hassell berichtete am 24. April nach Berlin über ein Gespräch, das er mit Ciano unmittelbar nach dessen Rückkehr von den Gesprächen in Venedig führte und in dem ihm der italienische Außenminister berichtete, dass Mussolini seine österreichischen Gesprächspartner eindringlich darauf hingewiesen habe, dass es eine »Notwendigkeit« für Österreich sei, den »wichtigen Faktor, österreichischen Nationalsozialismus, zu gewinnen und einzuschalten.«17 Die Besprechung in Venedig hinterließ auf dem Ballhausplatz einen zwiespältigen Eindruck. Das Amtliche Abschlusskommuniqué erging sich in allgemeinen Formulierungen und enthielt keine einzige Passage einer Sicherheitsgarantie Italiens für Österreich, sondern nur die – durchaus gefährliche – Feststellung, dass »ohne die aktive Mitwirkung des Deutschen Reiches« eine friedliche und erfolgversprechende Entwicklung des Donauraums und damit Mitteleuropas nicht erreicht werden ­könne.18 Mussolini und Ciano waren in Venedig nicht über Formulierungen mit dehnbarem Interpretationsspielraum hinausgegangen. Der Palazzo Venezia war zunehmend unter den Einfluss des Palazzo Chigi geraten, wo nun Mussolinis eitler 35-jähriger Schwiegersohn Galeazzo Ciano, sehr zum Missfallen der traditionellen Beamten, als Außenminister fungierte. Böse Zungen behaupteten, nicht zu Unrecht, Mussolini habe die Ernennung seines in außenpolitischen Fragen völlig unerfahrenen Schwiegersohns nur aus Liebe zu seiner Tochter Edda vollzogen. Ciano forcierte eine aggressiv-faschistische Außenpolitik und zu deren Absicherung eine Anlehnung an Berlin. Unter seinem Einfluss spielte Rom 1937 bereits mit gezinkten Karten. Am 30. Jänner 1937 ließ nämlich der deutsche Botschafter in Rom, Ulrich von Hassell, Göring wissen, Ciano habe ihm in einem vertraulichen Gespräch erklärt, dass »das Abkommen vom 11. Juli keinen Ewigkeitswert beanspruchen könne.« Und am 14. Mai berichtete er an das Auswärtige Amt, der italienische Außenminister habe den Gedanken zurückgewiesen, dass die »österreichische Frage jemals« die 16 ADÖ 11/1746. Vgl. dazu auch ADÖ 11/1748. 17 ADAP Serie C VI/2/333. 18 ADÖ 11/1747.

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»deutsch-italienische Freundschaft stören könnte.«19 Mit besonderer Aufmerksamkeit und Beunruhigung wurde in Österreich der 1937 deutlich zunehmende Strom deutscher Delegationen nach Italien registriert, u. a. erfolgte ein neuerlicher Besuch Görings sowie von Außenminister Konstantin von Neurath im April und Mai. Neurath hielt am 3. Mai in seinen Aufzeichnungen über die Unterredung mit Mussolini fest, er habe dem Duce gegenüber erklärt, dass man in Berlin »mit der Ausführung des Abkommens vom 11. Juli österreichischerseits nicht zufrieden sei. Insbesondere sei das uns gegebene Versprechen der Aufnahme nationaler Minister in das Kabinett nicht eingehalten worden. Bei der andauernd feindseligen Einstellung der österreichischen Regierung gegen die Nationalsozialisten in Österreich sei es uns schwer, diese Kreise zu beruhigen. Mussolini meinte darauf, er habe Schuschnigg darauf aufmerksam gemacht, dass er in dieser Beziehung rascher vorwärts machen müsse.«20 Hitlers außen- und militärpolitische Sicht war von raum- und bevölkerungspolitischen Parametern bestimmt, deren offensiv-militärischer Charakter aufgrund seiner außenpolitischen Erfolge im Jahr 1937 immer stärker hervortrat, wie in seiner durch das Hossbach-Protokoll bekannt gewordenen Geheimrede am 5. November 1937 deutlich wurde. Um den deutschen Raum- und Rohstoffbedarf unter Berücksichtigung des noch bestehenden Rüstungsvorsprungs für die Zukunft zu sichern, müsste dieser bis spätestens 1943/45 in Ost- und Südosteuropa unter Einsatz von Gewalt gesichert werden. Sollten Großbritannien und Frankreich durch innenpolitische Krisen oder kriegerische Auseinandersetzungen im Mittelmeerraum in Anspruch genommen sein, könnte die Lösung des Problems in einem ersten Schritt in Richtung Österreich und der Tschechoslowakei auch bereits 1938 in Angriff genommen werden. Dabei wurde deutlich, dass er nicht in der klassischen großdeutschen nationalen Tradition des 19. Jahrhunderts dachte, sondern eines erheblich weiter ausgreifenden Lebensraum-Konzepts in Osteuropa. Das Nicht-Engagement Großbritanniens im Spanischen Bürgerkrieg und die nur indirekte Unterstützung der Volksfrontregierung Frankreichs für die Spanische Republik bestärkten Hitler in der Annahme, dass im Fall eines mitteleuropäischen Konflikts vor allem Großbritannien nicht intervenieren und damit auch Frankreich diesen Schritt nicht wagen würde. Bei dem zweiten, über die mitteleuropäische Sphäre hinausgehenden Schritt in Richtung Lebensraum im Osten würde Großbritannien vor der inzwischen erreichten Stärke des Reiches vor einer Intervention zurückschrecken. Am 31. Juli 1937 eröffnete Hitler das Deutsche Sängerbundfest in Breslau, an dem rund 30.000 Teilnehmer aus Österreich und der Tschechoslowakei mitwirkten, und begrüßte unter dem Jubel von 100.000 dicht gedrängten Menschen bei der »Weihestunde des Deutschen 19 Zit. bei Georg Christoph Berger-Waldenegg  : Hitler, Göring, Mussolini und der »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich. In  : Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 2/2003. S. 147–182. S. 168f. 20 ADAP Serie C VI/2/350.

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Sängerbundfestes« die Teilnehmer »im Namen der 68 Millionen, die innerhalb des Reiches leben«, vor allem diejenigen aus den »Gebieten, die nicht innerhalb seiner Grenzen liegen. (…) Es ist fast stets das Unglück gerade unseres Volkes gewesen, nicht politisch geeint zu sein, Millionen Deutsche leben heute außerhalb des Reiches.« Die deutsche Sprache werde nicht nur von jenen 68 Millionen gesprochen, die innerhalb des Reiches lebten, sondern von 95 Millionen.21 Goebbels, der Hitler begleitete, notierte am 1. August in seinem Tagebuch  : »Triumphale Fahrt mit dem Führer zur Friesenwiese. 100.000 Menschen. (…) Ich rede. Kann minutenlang nicht fortfahren. Die Österreicher rufen immerfort im Sprechchor  : ›Ein Reich, ein Volk  !‹ (…) Und dann redet der Führer. (…) Von ungeheuren Jubelstürmen begleitet. Die Tränen kommen einem.« Am 2. August erfolgte der Eintrag  : »Um 10.30 Uhr mit dem Führer zu Fuß zum Festplatz. Der Festzug beginnt. Er dauert an die 4 Stunden, die Sonne brennt heiß, aber es herrscht eine unbeschreibliche Stimmung. Haben schon die reichsdeutschen Sänger ihrer Begeisterung Luft gemacht, so wird das geradezu phantastisch, als die Auslandsdeutschen, vor allem die Österreicher kommen. Ein Zug von jubelnden und weinenden Menschen. Wir sind alle tief ergriffen und keiner schämt sich der aufsteigenden Tränen. Es spielen sich vor dem Führer unbeschreibliche Szenen ab. (..) Wenn wir später mal über die Grenze marschieren, was wird von den heutigen Unterdrückern dieses urdeutschen Volksteils übrigbleiben  ? Da fällt kaum ein Schuss.« Am Abend flog Goebbels mit Hitler nach Berlin zurück, wo Hitler noch ein Gespräch im privaten Rahmen mit seinem Propagandaminister führte, der am 3. August in sein Tagebuch notierte  : »Nur kalte Vernunft und nackte Interessen regieren die Weltpolitik. Danach müssen wir uns richten. In Österreich wird der Führer einmal tabula rasa machen. Hoffentlich erleben wir das alle noch. Er geht dann aufs Ganze. Dieser Staat ist kein Staat. Sein Volk gehört zu uns, und es wird zu uns kommen. Des Führers Einzug in Wien wird einmal sein stolzester Triumph werden.«22 Ende September 1937 erfolgte der seitens der deutschen Gastgeber sorgfältig choreografierte Staatsbesuch Mussolinis mit dem Höhepunkt der gigantischen, von Lichterdomen umrahmten Massenveranstaltung auf dem Maifeld und im Olympiastadium in Berlin am 28. September, die allerdings außer Protokoll von Regengüssen begleitet wurde. Hitler hatte alles aufgeboten, um seinen Gast zu beeindrucken – mit Erfolg. Der Duce gab sich von der gebotenen Leistungsschau tief beeindruckt und geriet nunmehr seinerseits in den Bann Hitlers, dessen Durchsetzungskraft und Entschlossenheit er bewunderte und beschloss, Versatzstücke des Gebotenen zu übernehmen. So zeigte er sich bei einer Parade der Wehrmacht auf der Charlottenburger 21 Max Domarus  : Hitler. Reden 1932 bis 1945. 4 Bde. München 1965. Bd. I/2. S. 711. 22 Ralf Georg Reuth (Hg.)  : Joseph Goebbels Tagebücher 1924–1945. 5 Bde. 2. Auf. – München/Zürich 2000. Bd. 3  : 1935–1939. S. 1108ff.

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Chaussee von deren Stechschritt so beeindruckt, dass er ihn auch für die italienische Armee als »Passo Romano« einführte.23 Auf dem Ballhausplatz war man bemüht, Auskünfte über die hinter verschlossenen Türen und ohne offizielle Verlautbarungen geführten politischen Gespräche des Staatsbesuchs zu erhalten. Gesandter Stephan Tauschitz wusste jedoch lediglich zu berichten, dass nichts über den Inhalt der politischen Gespräche zu erfahren sei. Fest stehe lediglich, dass es zu keinem Vertragsabschluss und keinem Protokoll gekommen sei.24 Am 2. Oktober meldete allerdings der österreichische Gesandte in Rom, Egon Berger-Waldenegg, ihm habe Ciano bei einer Aussprache über den Deutschland-Besuch Mussolinis mitgeteilt, die Achse sei »in Berlin zu Stahl geschmiedet worden.« Die österreichische Frage sei weder von Hitler noch Neurath angeschnitten worden, lediglich Göring habe »pessimistische Äußerungen über unsere Lage« gemacht. »Italienischer Außenminister sagte mir klipp und klar, dass im Verhältnis Italiens zu Österreich durch Berliner Besuch keine Änderung eingetreten ist.«25 Vor allem dieser Satz war mit Skepsis zu lesen, denn Mussolini erklärte am 27. Oktober gegenüber seiner Geliebten Clara Petacci, Italien und Deutschland könnten zusammen die Welt erobern. Man sei miteinander eng verbunden, Italien stehe nicht mehr an der Seite Frankreichs und Englands.26 Italien trat am 6. November auf Vorschlag Joachim von Ribbentrops dem ein Jahr zuvor geschlossenen Antikominternpakt bei und am 17. Dezember aus dem Völkerbund aus, womit die Idee der kollektiven Sicherheit und die von dieser getragenen Nachkriegsordnung schwer erschüttert wurde. Hinter Cianos Bemerkung, lediglich Göring habe pessimistische Äußerungen zur Lage Österreichs gemacht, verbarg sich ein Ereignis, das Mussolini und ihn wegen seiner aggressiv-imperialen Direktheit unangenehm berührte. Der Reichsmarschall hatte in Karinhall, seinem Gut 65 km außerhalb Berlins, vor seinen Besuchern wortlos eine Europakarte ausgerollt, auf der auch Österreich – wie das Deutsche Reich – in roter Farbe angemalt war. Mussolini war sichtlich überrascht und irritiert und bemerkte, diese Darstellung der politischen Geografie sei doch wohl etwas voreilig. Göring antwortete verschmitzt und mit scheinbar unschuldiger Miene, die Karte zeige nur, »wie die Lage einmal sein wird. Und ich bin zu arm, als dass ich mir dauernd neue Landkarten kaufen könnte.«27 Angesichts der zunehmenden innenpolitischen Spannungen zwischen einem mit deutscher Rückendeckung immer aggressiver auftretenden, unter dem Deckmantel des schwammigen Begriffs der »nationalen Opposition« nach der Macht strebenden 23 Walter Rauscher  : Hitler und Mussolini. Macht, Krieg und Terror. – Graz/Wien/Köln 2001. S. 245. 24 ADÖ 12/1782 und 1783. 25 ADÖ 12/1786. 26 Goeschel  : Mussolini und Hitler. S. 111. 27 Collier  : Mussolini. S. 141.

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Nationalsozialismus und dem sich versteifenden Widerstand des regierungstreuen Lagers sowie der geänderten außenpolitischen Situation durch den immer offensichtlicher werdenden Verlust der italienischen Rückendeckung gegenüber Berlin und den sich verdichtenden pessimistischen Meldungen über die Weigerung Großbritanniens, sich in einem mitteleuropäischen Konfliktfall zu engagieren, fasste Schuschnigg den Entschluss zu einer Änderung seiner bisherigen Politik. Innenpolitisch war er zu der Erkenntnis gelangt, dass sich seine in das Juli-Abkommen gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt hatten, weshalb einer Verständigung mit der nationalen Opposition im Interesse der Erhaltung der Selbstständigkeit Österreichs und der ideologischen Basis des Ständestaates deutlich Grenzen gezogen werden mussten. Außenpolitisch wollte man sich zwar weiterhin um ein entspanntes Verhältnis zum Deutschen Reich bemühen und auch gegenüber Italien bilaterale Freundschaft bekunden, jedoch unter wirtschafts- und vor allem sicherheitspolitischen Aspekten eine vorsichtige Neuorientierung in Richtung der Nachfolgestaaten der Donaumonarchie vornehmen. Dass es sich dabei angesichts der bestehenden Rivalitäten und Animositäten sowie der Bestimmungen der Römischen Protokolle um einen Gang über heiße Kohlen handelte, dessen war man sich durchaus bewusst. Es bestand allerdings die Hoffnung auf die letztliche Dominanz des gemeinsamen Interesses an der kollektiven Sicherheit gegenüber einem immer aggressiver auftretenden Deutschen Reich. Ein Irrtum, wie sich herausstellen sollte. Franz von Papen meldete in einer Geheimdepesche am 14. September 1937 an Hitler, aus der jüngsten Entwicklung in Österreich sowie aus Gesprächen mit dem Bundeskanzler sei »zu folgern, dass mit der Regierung Schuschnigg an eine etappenweise und friedliche Weiterentwicklung des deutsch-österreichischen Verhältnisses nicht zu denken ist. Wir haben aber durchaus die Möglichkeit, die Regierung Schuschnigg, deren Basis ohnehin im Lande äußerst schmal geworden ist, zum Rücktritt zu zwingen. Aber die ganze Frage der Fortentwicklung unserer Beziehungen, des Ersatzes der Regierung Schuschnigg und des von uns als nächste Etappe zu Erreichenden bedarf m. E. einer eingehenden Aussprache mit Rom. Der Berliner Besuch des Duce bietet dazu die erwünschte Gelegenheit. Es dürfte nicht unbillig sein, wenn das Reich als Gegenleistung für die außenpolitische Rückenstärkung der italienischen Position auch seine nächstliegenden Forderungen zu realisieren trachtet. (…) Es müsste vor allem betont werden, dass die Fortdauer der bisherigen völlig negativen Einstellung der Politik Schuschniggs eine äußerst schwere Gefährdung des deutsch-österreichischen Verhältnisses darstellt und somit auch die deutsch-italienische Politik auf das Stärkste belastet.« Da mit der gegenwärtigen österreichischen Regierung eine Durchsetzung des von Berlin gewünschten Programms einer Zollund Währungsunion sowie einer weitgehenden Militärkonvention »nicht möglich ist, müsste die Zustimmung Mussolinis erzielt werden, durch gemeinsamen Druck

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beider Regierungen eine Änderung in der Zusammensetzung des österreichischen Kabinetts herbeizuführen. (…) Ich betone dabei, dass es durchaus nicht notwendig und nicht einmal wünschenswert wäre, für diesen Übergang ein rein nationalsozialistisches Kabinett aufzustellen. Es genügte, die Portefeuilles von Krieg, Sicherheit und Handel verlässlichen Persönlichkeiten anzuvertrauen.« Und zu den Zielen der deutschen Politik gegenüber Österreich, die mit der gegenwärtigen Regierung in Wien nicht zu realisieren seien  : »Es liegt auf der Hand, dass, wenn wir erst einmal ein gemeinsames Wirtschaftsgebiet mit angeglichener Währung haben, die Möglichkeiten auch der geistigen Durchdringung Österreichs ganz außerordentliche sein werden. Zusammen mit der militärischen Angleichung würde die endgültige Lösung der österreichischen Frage von innen heraus sichergestellt sein.«28 Hitler übernahm die Anregung Papens gegenüber dem britischen Lordsiegelbewahrer und späteren Außenminister Lord Halifax Mitte November 1937 bei dessen Besuch auf dem Berghof. In der von Halifax angefertigten vertraulichen Denkschrift über diese Begegnung hielt er fest, Hitler habe ihm gegenüber erklärt, er hoffe, dass das Abkommen vom 11. Juli 1936 zur Überwindung aller bilateralen Spannungen führen werde. »Deutschland wünsche Österreich nicht zu annektieren oder in politische Abhängigkeit zu bringen – seine Bestrebung sei es, mit friedlichen Mitteln eine umfassende Wirtschafts-, Kultur-, Handels- und möglicherweise Geld- und Währungsunion mit Österreich herbeizuführen und in Österreich eine Regierung vorzufinden, die gegenüber Deutschland wirklich freundschaftlich eingestellt und bereit sei, zum gemeinsamen Nutzen beider Zweige der germanischen Rasse Hand in Hand zu arbeiten.«29 Im Dezember 1937 antwortete er Papen auf dessen Andeutungen eines Sturzes der Regierung Schuschnigg aufgrund ihres anhaltenden Widerstandes gegen eine Regierungsbeteiligung der NSDAP und damit einer weiteren Penetration Österreichs, er wolle, solange dies angebracht sei, im Fall Österreich die Anwendung direkter Gewalt vermeiden, um internationale Verwicklungen zu vermeiden.30 Am 14. Oktober 1937 meldete der Botschaftsrat der deutschen Botschaft in Wien, der überzeugte Nationalsozialist Otto Freiherr von Stein, nach Berlin, seitens der führenden Funktionäre des Regimes werde die Selbständigkeit Österreichs betont. »Als wesentlichen, ja als einzigen gefährlichen Feind (dieser Pläne) hat der Bundeskanzler den Nationalsozialismus erkannt.« Dieser werde nach wie vor »auf das Schwerste verfolgt. Es vergeht kein Tag, an dem nicht Verurteilungen von Nationalsozialisten wegen verbotener politischer Betätigung erfolgen. Nach einem beispiellosen, mehr als vierjährigem Kampf ist es nur die Kraft der Idee und dem unerschütterlichen Glauben an den Führer zuzuschreiben, dass die nationalsozialistische Bewegung in 28 ADAP Serie C VI/2/551. 29 Zit. bei Kershaw  : Hitler 1936–1945. S. 111. 30 ADAP Serie D I/80.

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Österreich immer noch in wahrhaft erstaunlicher Kraft besteht.«31 Am 22. Oktober meldete er eine Besprechung mit Glaise-Horstenau, der ihm vertraulich mitteilte, »er habe einen erschütternden Einblick in die politische Mentalität des Bundeskanzlers in den letzten Tagen erhalten. Der Bundeskanzler habe erklärt, außen- wie innenpolitisch sei der Nationalsozialismus der Feind für eine friedliche Entwicklung Österreichs. Das Juliabkommen habe nicht seine Erwartungen erfüllt, die dahin gegangen seien, außenpolitisch eine verhältnismäßig enge Zusammenarbeit mit dem Reich herzustellen, dagegen innenpolitisch völlige Freiheit für eine völlig selbständige österreichische – lies klerikal-legitimistische Politik zu erhalten.« Er werde sich zwar außenpolitisch nicht gegen das Reich wenden, wolle aber für Öster­reich eine engere Verbindung mit den Nachfolgestaaten der Donau-Monarchie einschließlich Polen anstreben.«32 Dies schien sich durch eine Meldung Ulrich von Hassells aus Rom am 5. November 1937 zu bestätigen. Der deutsche Botschafter berichtete, ihm lägen vertrauliche Berichte aus dem Palazzo Chigi, dem Sitz des italienischen Außenministeriums, vor, dass sich Österreich bemühe, »eine Verständigung unter den Donaustaaten herbeizuführen (…). Österreich wolle damit eine breite Basis für die Garantierung seiner Unabhängigkeit schaffen, da es seiner Ansicht nach von Italien keinen genügenden Schutz in dieser Hinsicht mehr zu erwarten habe.«33 Die österreichischen Bemühungen scheiterten an den warnenden Vorstellungen Roms, vor allem jedoch an den negativen Reaktionen aus Belgrad und Budapest. Vor allem Budapest sprach sich als einer der Verliererstaaten des Ersten Weltkrieges, der eine vom Revisionismus dominierte Außenpolitik betrieb, gegen eine solche Kooperation aus. Das Land war im Friedensvertrag von Trianon auf 38 Prozent seiner Bevölkerung und ein Drittel seines Staatsgebietes des Jahres 1910 reduziert worden und strebte parteiübergreifend eine Rekonstruktion der Länder der Stephanskrone, allerdings ohne Kroatien-Slawonien, an, womit das Land in Gegensatz zur Kleinen Entente und dessen Schutzmacht Frankreich geriet. Ungarn betrieb daher zur Verwirklichung seiner außenpolitischen Ziele eine Pendelpolitik zwischen Italien und dem Deutschen Reich, weshalb Ministerpräsident Gyula Gömbös bereits am 16. Juni 1933 als erster ausländischer Regierungschef nach Berlin reiste, um mit Adolf Hitler ein außenpolitisches Orientierungsgespräch zu führen.34 Bei diesem sicherte Hitler seinem ungarischen Gast die deutsche Unterstützung gegen die Kleine Entente, vor allem die Tschechoslowakei, zu. Im September 1935 erfolgte der zweite Besuch von Gömbös bei Hitler, bei dem auch die Revisionspolitik Ungarns Gegenstand der Ge31 Ebda. I/263. 32 Ebda. I/264. 33 Ebda. I/268. 34 Lajos Kerekes  : Abenddämmerung einer Demokratie. Mussolini, Gömbös und die Heimwehr. – Wien/ Frankfurt am Main/Zürich 1966. S. 147ff.

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spräche war. In der Budgetdebatte im Mai 1935 im ungarischen Abgeordnetenhaus hatte der Ministerpräsident die Grundsätze der Schaukelpolitik Budapests zwischen Rom und Berlin sowie seiner Revisionspolitik erklärt. Die österreichische Frage als Spannungsfeld zu Berlin müsse liquidiert werden und Ungarn stehe zwar solidarisch zu Italien und Österreich, hege aber auch »Sympathien für das Deutsche Reich«. Im Bereich der Revisionspolitik verwendete er Argumente, deren sich auch Hitler für die von ihm vertretene deutsche Variante der Revisionspolitik bedienen sollte. Ungarn habe im Karpatenbecken 12 Millionen Bürger und diese hätten einen Anspruch auf mehr als 90.000 km², weshalb Budapest jede Stabilisierung der bestehenden ungerechten Grenzen ablehne. Nach seinem Berlin-Besuch im September 1935 bemerkte er, die ungarische Revisionspolitik sei zwar derzeit nicht hundertprozentig zu verwirklichen, da jedoch die Kleine Entente das größte Hindernis für die Erreichung dieses Ziels darstelle, müsse »man alles daransetzen, sie zu sprengen.«35 Im Sommer 1936, nach dem Abschluss des Juli-Abkommens, das die deutsch-österreichischen Beziehungen zu Bedingungen regelte, für die Ungarn stets eingetreten war, ergriff der ungarische Reichsverweser Miklós Horthy die Gelegenheit eines Gesprächs mit Hitler auf dem Berghof. Es sollte den Charakter eines inoffiziellen Gedankenaustausches haben, weshalb Horthy einen Aufenthalt bei den Salzburger Festspielen im August benutzte, um unauffällig die österreichisch-deutsche Grenze in Richtung Berchtesgaden zu passieren. Am Vorabend des geplanten Treffens verfasste der ungarische Reichsverweser ein ausführliches Memorandum, in dem er die Notwendigkeit der Bekämpfung des Bolschewismus betonte und für eine Revision der Friedensverträge plädierte, wobei die feindselige Haltung gegenüber den Ländern der Kleinen Entente deutlich zum Ausdruck kam. Besonders in der Verachtung der Tschechoslowakei, die Horthy als »Krebsgeschwür«, das von seinen Nachbarstaaten beseitigt werden müsse, bezeichnete, waren sich Hitler und Horthy einig. Eine Meinung, die auch von Mussolini geteilt wurde. Im Laufe des Gesprächs gesellten sich auch Außenminister Konstantin von Neurath und Verteidigungsminister General Werner von Blomberg hinzu. Als das Gespräch schließlich auf Österreich kam, riet der ungarische Reichsverweser zur Geduld, denn der Anschluss sei nur eine Frage der Zeit. Wenngleich sich die ältere Generation überwiegend geistig gegen den Anschluss sperre, so befürworte ihn die Jugend fast einstimmig – und sie werde sich schließlich durchsetzen.36 Trotz aller offizieller Beteuerungen der Freundschaft zu Österreich wandte sich Ungarn ab der zweiten Jahreshälfte 1936 stärker Berlin zu, in dem es aufgrund der gemeinsamen Interessen einen immer mächtiger wer35 Arnold Suppan  : Jugoslawien und Österreich 1918–1938. Bilaterale Außenpolitik im europäischen Umfeld. – Wien/München 1996. S. 1186. (Veröffentlichungen des Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Instituts Band XIV. Herausgegeben von Arnold Suppan.) 36 Thomas Sakmyster  : Miklós Horthy. Ungarn 1918–1944. Wien 2006. S. 191.

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denden Verbündeten für seine politische Causa Prima, die Revision der Nachkriegsordnung, erblickte. Die Position Ungarns wurde in einem Gespräch von Baron Gábor Apor mit dem österreichischen Gesandten in Budapest, Eduard Baar-Baarenfels, nach dem Bekanntwerden des Berchtesgadener Abkommens am 15. Februar 1938 deutlich. »Baron Apor fasste zum Schluss seine Meinung dahingehend zusammen, dass die endgültige innerpolitische Entwicklung in Österreich, aber auch in Ungarn, schließlich von der großen Außenpolitik und zwar davon abhänge, ob und inwieweit sich der Einfluss Englands politisch in Europa in Hinkunft durchsetzen werde. Derzeit könnten sich so kleine Staaten wie Österreich und Ungarn im Hinblick auf die durch innerpolitische Momente hervorgerufene außenpolitische Lähmung Frankreichs und Russlands, sowie durch das Engagement Englands im Fernen Osten und im Mittelmeer, sowie durch die ungenügende Aufrüstung desselben, dem gegenwärtig überragenden politischen Einfluss des Deutschen Reiches kaum entziehen.«37 Ähnlich äußerte sich der ungarische Außenminister Kálmán Kánya bei einem Diner am 22. Februar gegenüber Baar-Baarenfels. Der österreichische Gesandte berichtete, er wolle »an den Eingang« seines Berichtes »die mit einer gewissen Bitterkeit gemachte Feststellung Herrn v. Kánys setzen, dass Österreich (wie auch Ungarn) im entscheidenden Augenblick allein dastehe und dass sich beide Staaten im gegebenen Falle auf niemanden verlassen können. Von Rom werde zwar weiterhin noch versichert, dass die Unabhängigkeit Österreichs und Ungarns für Italien wichtig, wenn nicht eine Lebensfrage sei  ; er habe jedoch diesen Zusicherungen nie geglaubt …«38 Kánya wusste, wovon er sprach. Ciano hatte nämlich im Mai 1937 ihm gegenüber erklärt, »Italien werde in Zukunft nicht mit der Waffe in der Hand für Österreichs Unabhängigkeit kämpfen, denn Italien habe, neben der Wahrung des äußeren Scheines, pro foro interno Österreich schon fallengelassen.«39 Und Göring hatte ihm anlässlich der Beisetzungsfeierlichkeiten für den ungarischen Ministerpräsidenten Gyula Gömbös im Oktober 1936 in Budapest unmissverständlich erklärt, »das Deutsche Reich werde Österreich über kurz oder lang anschließen.«40 Als der ungarische Außenminister zusammen mit dem neuen Ministerpräsidenten Kálmán Darányi vom 22. bis 25. November 1937 Berlin besuchte, bestimmten zwei Parameter ihre politische Position bei den Gesprächen mit Hitler und Göring  : die nüchterne realpolitische Analyse der Sicherheitslage in Mitteleuropa angesichts der bereits existierenden deutschen Hegemonie infolge des offensichtlichen Desinteresses Großbritanniens und damit auch Frankreichs sowie die eigenen revisionistischen außenpolitischen Ziele. Zur Überraschung der Ungarn sprach Hitler offen 37 ADÖ 12/1895. 38 ADÖ 12/1929. 39 Suppan  : Jugoslawien und Österreich 1918–1938. S. 1188. 40 Peter Longerich  : Hitler. Biografie. – München 2015. S. 490.

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über seine Absichten im Donauraum, die auf eine Zerschlagung der Tschechoslowakei zielten, wobei er an die Erfüllung der ungarischen Gebietsansprüche in der Slowakei denke. Und Göring ergänzte, dass Hitler zwar im Moment militärische Schritte gegen Rumänien ablehne, jedoch grundsätzlich den ungarischen Gebietsansprüchen gegenüber Bukarest aufgeschlossen gegenüberstehe. Deren Realisierung müsse allerdings auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.41 Vor allem diese die ungarischen Wünsche erfüllenden Erklärungen stießen bei Horthy auf helle Begeisterung. Gegenüber dem deutschen Gesandten in Budapest, Otto von Erdmannsdorff, erklärte er am 1. Dezember 1937, er gehe davon aus, dass Österreich nicht erst in zwanzig oder dreißig Jahren, »sondern schon sehr bald« an das Deutsche Reich angeschlossen werde. Und in imperial-revisionistischer Begeisterung betonte er gegenüber dem Leiter der NSDAP-Auslandsorganisation, Ernst Wilhelm Bohle, Anfang Februar 1938, er sei entschlossen, dem Deutschen Reich bei seinen Plänen im Donauraum beizustehen und mit ihm »durch dick und dünn zu gehen«.42 An Hitler schrieb er, dass Österreich zum Deutschen Reich gehören sollte.43 Als Österreich beim letzten Treffen der Außenminister der Signatarstaaten der Römischen Protokolle am 11 und 12. Jänner 1938 in Budapest den vergeblichen Versuch unternahm, im Kommuniqué eine Formulierung über die Betonung seiner Unabhängigkeit zu platzieren, war klar, dass das Land jede Rückendeckung der beiden anderen Unterzeichnerstaaten verloren hatte. Kánya sandte am 13. März 1938 ein Glückwunschtelegramm nach Berlin, in dem er zur »unblutigen Durchführung« des Anschlusses gratulierte, der regierungsnahe »Pester Lloyd« sprach von einem Sieg der großdeutschen Idee über die »unsinnige und verfehlte Ordnung, die die Friedensverträge geschaffen haben« und der »Pesti Hirlap« betonte unter direkten Hinweis auf die eigenen revisionistischen Ansprüche, »dass die Ungarn am ehesten verstehen, welche seelischen Kräfte in einem zerrissenen Volke wohnen und wie diese auf Vereinigung drängen.«44 Die durch die Pariser Vororteverträge neu gegründeten oder vergrößerten Staaten Ostmittel- und Südosteuropas waren, wenngleich sie ihre Gründung mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker argumentierten, aufgrund der historischen und ethnografischen Entwicklung dieses Großraums keine Nationalstaaten, sondern Vielvölkerstaaten mit all den sich daraus ergebenden inner- und zwischenstaatlichen Problemen mit ihrem erheblichen Konfliktpotenzial, die einer ökonomischen, vor allem aber auch politischen Kooperation im Wege standen. Ein besonderes ­Problem bildete Ungarn, das, in deutlichem Gegensatz zu Österreich, aufgrund seiner groß41 Sakmyster  : Miklós Horthy. S. 201. 42 Ebda. S. 202. 43 Suppan  : Jugoslawien und Östzerreich 1918–1938. S. 1188. 44 Ebda. S. 1189.

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ungarischen Ambitionen zu den revisionistischen Staaten zählte und daher den politischen Avancen Berlins erliegen sollte. Frankreich hatte als Spiritus rector der gegen die revisionistischen Bestrebungen Ungarns sowie einer Restauration der Habsburger gerichteten Kleinen Entente, in der es vor allem nach 1933, auch durch ein Bündnis mit Polen, einen militärischen Faktor gegen die deutsche Politik sah, fungiert.45 Mit der folgenlosen Besetzung des Rheinlandes schwand das Vertrauen der Staaten der Kleinen Entente in Frankreich als Garanten ihrer Sicherheit gegenüber einem sich deutlich zeigenden deutschen und italienischen Imperialismus, weshalb sie ihre Außenpolitik durch eine Änderung ihrer Beziehungen zu Ungarn zu modifizieren begannen, jedoch letztlich an den ungarischen Revisionsbestrebungen scheiterte. Sowohl Berlin wie Rom unterstützten die ungarischen Revisionsbestrebungen und instrumentalisierten sie für ihre expansionistischen Pläne in Ost- und Südosteuropa. Ziel der Außenpolitik der drei Staaten war die Auflösung der Kleinen Entente durch die Herauslösung ihrer Mitglieder Jugoslawien und Rumänien. In diesem Bemühen waren sie durchaus erfolgreich, da der jugoslawische Ministerpräsident und Außenminister Milan Stojadinović ab 1936 eine Annäherung an das Deutsche Reich, Italien, Bulgarien und Ungarn vollzog und 1937, ohne vorherige Kontaktaufnahme mit der Tschechoslowakei und Rumänien, Freundschaftsverträge mit Bulgarien und Italien abschloss. Bei einem Gespräch mit dem österreichischen Gesandten in Belgrad, Lothar Wimmer, am 20. April 1937 erklärte Stojadinović, Jugoslawien sei mit dem Deutschen Reich »besonders befreundet« und die jugoslawisch-italienische Freundschaft vermeide »Komplikationen in dieser Richtung.«46 Hitler hatte ihm bei seinem letzten Besuch in Berlin die Grundzüge der deutschen Außenpolitik auf dem Balkan erklärt. Dabei versicherte er ihm, dass das Deutsche Reich zwar mit Ungarn gemeinsame Interessen in Richtung Tschechoslowakei habe, nicht jedoch bezüglich Jugoslawien und Rumänien. Belgrad habe somit, ebenso wie Bukarest, von ungarischen Revisionsbestrebungen nichts zu fürchten, da diese nicht die Unterstützung Berlins hätten.47 Am 26. Februar 1938 berichtete der österreichische Gesandte, dass die jugoslawische Einstellung gegenüber Österreich von dem Axiom beherrscht werde, »dass sowohl der Anschluss an Deutschland als auch die Restauration der Habsburger unerwünscht sei, dass jedoch zwischen diesen zwei Übeln der Anschluss das geringere Übel darstelle. Die dritte Möglichkeit, die Bewahrung der Selbständigkeit Österreichs, tritt bei dieser Alternativfragestellung in den Hintergrund und es ist vor allem der Ministerpräsident, Herr Stojadinović, von dem es aus vollkommen verlässlicher Quelle verlautet, dass er den Anschluss für unvermeidlich halte und ihn nur solange wie möglich hinauszuschie45 Magda Ádám  : Richtung Selbstvernichtung. Die Kleine Entente 1920–1938. – Wien 1988. S. 60ff. 46 ADÖ 11/1743. 47 Ádám  : Richtung Selbstvernichtung. S. 120.

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ben trachte. Mit dieser Einstellung hat Herr Stojadinović seine letzte Reise nach Berlin angetreten und ist mit Eindrücken zurückgekommen, die ihn dazu veranlasst haben dürften, die Angleichung Österreichs an Deutschland zu eskomptieren und seine Freundschaftspolitik gegenüber Deutschland demgemäß einzurichten. (…) es dürfte als sicher angenommen werden können, dass die jugoslawische Regierung der deutschen Regierung bei ihrem Vorgehen gegen Österreich vollkommen freie Hand zu gesichert habe (…) Die (…) Bedrohung der Selbständigkeit Österreichs wurde von maßgebender Stelle mit elegischem Bedauern registriert und zugleich festgestellt, dass man von Jugoslawien nicht verlangen könne, dass es für die Selbständigkeit Österreichs mehr tue als die Großmächte, und vor allem Italien.«48 Frankreich hatte in Versailles aufgrund des im Gedächtnis der Nation als schwelende Wunde wahrgenommenen Deutsch-Französischen Krieges 1870/71, der direkten Erfahrungen der Folgen des soeben beendeten Weltkrieges im eigenen Land und der veröffentlichten und öffentlichen Meinung eine auch von Emotionen geprägte Politik der Revanche und Abrechnung mit und der Sicherheit und Hegemonie gegenüber dem mächtigen Gegner an seiner Ostgrenze verfolgt. Großbritannien hingegen setzte auf eine Politik der Re-Integration Deutschlands, die bereits in den frühen Zwanzigerjahren als »Appeasement« bezeichnet wurde. Dieses Konzept basierte auf eine Reihe von Überlegungen  : 1. Im Sinne der nach wie vor verfolgten Linie der Gleichgewichtspolitik wollte man eine (kontinental)europäische Hegemonie Frankreichs verhindern. 2. Eine weitgehende Destruktion Deutschlands als politischer und ökonomischer Ordnungsfaktor hätte in Mitteleuropa ein Machtvakuum geschaffen, das eine angestrebte Eindämmung (Containment) des Bolschewismus verhindert hätte. 3. London konnte seine durch die USA bedrohte Position als Finanz- und Handelszentrum nur in Kooperation mit Deutschland als Handelspartner und Reparations-Schuldner verteidigen. Da die eigenen Ressourcen durch das nach wie vor weltweite Engagement überbeansprucht waren, kam einer leistungsfähigen deutschen Wirtschaft und damit deren Fähigkeit der Begleichung der Reparationsschulden eine zentrale Bedeutung zu. 4. Um dieses Ziel zu erreichen, sollten auch eine Reihe von Bestimmungen des Versailler Vertrages, die man in führenden Kreisen der britischen Diplomatie ohnedies als überzogen betrachtete, nach einer gewissen Zeit revidiert werden.

48 ADÖ 12/1939. Vgl. dazu auch Arnold Suppan  : Anschluss und Anschlussfrage in Politik und öffentlicher Meinung Jugoslawiens. – In  : Anschluss 1938. Protokoll des Symposiums in Wien am 14. und 15. März 1978. – Wien 1981. S. 68–85. (Wissenschaftliche Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1918 bis 1938. Veröffentlichungen Band 7. Herausgegeben von Rudolf Neck und Adam Wandruszka.)

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5. Aufgrund seines weltweiten Engagements, das erhebliche ökonomische und vor allem auch militärische Ressourcen in Anspruch nahm, war man nicht bereit, sich besonders stark in Europa zu engagieren, sondern zog es vor, sich auf dem Kontinent auf die Rolle eines uneigennützigen und unparteiischen Schiedsrichters zu beschränken. Diese weitgehend passive Rolle Londons, die Großbritannien als Bündnispartner vor allem für europäische Kleinstaaten weitgehend ausschloss, war somit das Ergebnis seines primären Interesses als weltweite Handelsmacht, die ihre Handelsrouten auf den Weltmeeren kontrollieren wollte. Sie verfolgte daher klar definierte geopolitische und geostrategische Schwerpunkte, die sich nicht in Mitteleuropa befanden. Hinzu trat das immer aggressivere Auftreten Japans, das die britischen Interessen in Ostasien zunehmend herausforderte. 6. Außenpolitik ist stets auch von innenpolitischen Entwicklungen und Stimmungen abhängig. Der Erste Weltkrieg hatte in der britischen Öffentlichkeit aufgrund seines hohen Blutzolls sowie seiner ökonomischen Folgen traumatisch gewirkt. Dieses Trauma führte zu einer pazifischen Grundstimmung, die die Labour Party und die linken und linksliberalen Intellektuellen dominierten, und bewirkte eine isolationistische Grundstimmung in Form der Tendenz zu einer stärkeren Abschottung von Kontinentaleuropa, der sich keine Regierung entziehen konnte. Die Ablehnung von Winston Churchills Warnungen vor der deutschen Aufrüstung wurde von allen britischen Politikern in geradezu seltener Einmütigkeit quer durch die Parteien vorgetragen. Sie vertraten, auch mit Blick auf die angespannte Wirtschafts- und Finanzlage des Landes – die Arbeitslosigkeit sank zwischen 1932 und 1935 von 17,5 Prozent auf 13 Prozent, erreichte jedoch in den klassischen Industriegebieten bis zu 50 Prozent, lediglich die Bau-, Auto-, Elektro- und Chemieindustrie gehörten zu den Wachstumsbranchen49 –, die Auffassung, dass Abrüstung und nicht Aufrüstung der Königsweg zum Frieden sei. Als Churchill 1934 vorschlug, in Reaktion auf die deutsche Aufrüstung die Royal Air Force auszubauen, bezeichnete dies Herbert Samuel im Namen der Liberalen als eine gefährliche Phrase und Sir Stafford Cripps erklärte ironisch-spöttisch für die Labour Party, man könne sich Churchill gut als einen mittelalterlichen Baron vorstellen, der bis auf die Zähne bewaffnet auf seinen Gütern herumlaufe, um für sich und seine Kühe für Sicherheit zu sorgen. Und auch der konservative Premierminister Stanley Baldwin erwiderte seinem Parteikollegen, er sehe derzeit keinen Grund zu übertriebener Unruhe oder gar Panik. Der Schwerpunkt der britischen Politik müsse auf der Rüstungsbegrenzung und nicht auf der Aufrüstung liegen.50

49 Charles Kindleberger  : Die Weltwirtschaftskrise 1929–1939. – München2019. S. 276. 50 Zit. bei Henry A. Kissinger  : Die Vernunft der Nationen. Über das Wesen der Außenpolitik. – Berlin 1994. S. 321f.

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7. Großbritannien war aus dem Ersten Weltkrieg als geschwächte Weltmacht hervorgegangen, dessen zunehmende außereuropäischen Probleme die finanziellen und ökonomischen Fähigkeiten des Empire überbeanspruchten. Man war nicht mehr in der Lage, mehreren Krisenregionen gleichzeitig dieselbe Aufmerksamkeit, die stets mit entsprechenden Ressourcenverbrauch verbunden ist, zuzuwenden. So sehr man die Fiktion des Empire noch aufrechterhielt, so sehr war man gezwungen, hinter dem Paravent einstiger Größe zu jonglieren. Dabei spielte Mitteleuropa nur eine Nebenrolle, die im Ernstfall kein militärisches Engagement zu rechtfertigen schien. Es waren nicht nur die die militärischen Fähigkeiten Großbritanniens überbeanspruchenden Engagements in Nahen und Fernen Osten sowie im Mittelmeerraum, die London in den Dreißigerjahren von einem Engagement in Mitteleuropa und damit auch von einem massiven Eintreten für die Unabhängigkeit Österreichs abhielten, sondern die dominante Meinung in der politischen Elite und der öffentlichen Meinung des Landes. Über diese war man am Ballhausplatz ebenso informiert wie über die Haltungsänderung Roms und die immer deutlicher werdende Hinwendung Ungarns und Jugoslawiens zum Deutschen Reich. Am 1. Juni 1937 berichtete Franz von Papen nach Berlin, er habe anlässlich des 70-jährigen Jubiläums des »Union-Club« ein Gespräch mit dem neuen britischen Botschafter in Wien, Sir Neville Henderson, geführt, der ihm über das deutsch-österreichische Problem erklärt habe, er vertrete, im Gegensatz zu seinem Vorgänger, die Ansicht, »dass England die historische Notwendigkeit einer Lösung dieser Frage im reichsdeutschen Sinne schon aus der geschichtlichen Perspektive vollkommen begreife.«51 Am 22.November 1937 berichtete der österreichische Gesandte in London, Georg Franckenstein, an Staatssekretär Guido Schmidt, der einflussreiche Herausgeber des »Observer«, James Louis Garvin, habe eine Artikelserie veröffentlicht, »in der er für die volle Verständigung zwischen Großbritannien und Deutschland eintritt, weil sie der Schlüssel zum Weltfrieden sei. (…) Sein Leitartikel vom letzten Sonntag ist vornehmlich dem Nachweise gewidmet, dass der Prozess deutscher Einigung noch nicht zu Ende geführt sei und das unverrückbare Ziel Hitlers, des Propheten des größeren Deutschlands, bilde. Die Eingliederung Österreichs in irgendein System engerer Einheit mit den anderen Deutschen sei nicht weniger natürlich und unvermeidlich als der Zusammenschluss der deutschen Staaten unter Bismarcks Führung. Ohne eine Wiedervereinigung mit der Masse des Volkes hätten die Österreicher keine große und sichere Zukunft. Diese bedeutungsvolle Frage müsse zwischen den Deutschen selbst entschieden werden. Großbritannien habe damit nichts zu tun. Es wäre ein Wahnsinn, sich da einzu51 ADAP Serie D I/228.

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mischen und unter keinen Umständen würde die britische Regierung wegen Österreich in den Krieg ziehen, schon deshalb nicht, weil ein solches Vorgehen von den Dominions nicht gebilligt werden würde und daher die Grundlagen des britischen Reiches erschüttern könnte. Die Tschechoslowakei bezeichnet er als einen unnatürlichen und unhistorischen Staat, für dessen Erhaltung Großbritannien auf gar keinen Fall zu den Waffen greifen würde. Der ›Manchester Guardian‹ veröffentlicht heute einen Bericht seines diplomatischen Korrespondenten in Berlin, in dem dieser erklärt, die deutschen maßgebenden Kreise seien zu der Überzeugung gekommen, dass der Anschluss nur eine Frage der Zeit sei, wobei die schrittweise Aufsaugung Österreichs den sichersten und besten Weg bilde. Die allgemeine europäische Lage werde für diesen Plan als sehr günstig angesehen. (…) Frankreich könne und wolle gegen eine friedliche Aufsaugung Öster­reichs durch Deutschland nicht intervenieren. Großbritannien sei an der österreichischen Frage nicht vital interessiert.«52 Noch am selben Tag übermittelte Franckenstein einen Bericht über seine Eindrücke, die er aus zahlreichen Gesprächen über das Thema Österreich gewonnen hatte. »Es kann kein Zweifel bestehen, dass Garvins These derzeit seitens der weit überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung – wenn diese befragt würde – Billigung fände. Wie mir hochstehende Generale sagten, die mit früheren Kriegsteilnehmerverbänden in engem Kontakt sind, herrscht unter diesen eine fanatische Abneigung gegen jeden Krieg, ein Gefühl, das auch von weiten Kreisen der Bevölkerung geteilt wird.«53 Dass Großbritannien nicht zur Verteidigung der österreichischen Unabhängigkeit bereit sein würde, hatte Lord Halifax, der am 22. Februar 1938 den gegenüber Berlin und Rom auf eine härtere Linie drängenden Antony Eden als Außenminister ablöste, bei seiner Begegnung mit Hitler am 19. November 1937 auf dem Berghof bereits deutlich gemacht. Halifax signalisierte Hitler ein weitgehendes Entgegenkommen Großbritanniens bei einer Revision der Versailler Ordnung. Deutschland sei ein »Bollwerk des Westens gegen den Bolschewismus« und solle zusammen mit Großbritannien, Frankreich und Italien den Frieden sichern. London sei bereit, die Frage des deutschen Rechts auf Kolonien zu diskutieren und ebenso jene einer Änderung der europäischen Ordnung, die wahrscheinlich früher oder später eintreten werde. Dies betreffe Danzig, Österreich und die Tschechoslowakei. Änderungen könnten jedoch nur »im Wege friedlicher Evolutionszustände« und »einer vernünftigen Regelung« erfolgen.54 Das britische Angebot entsprach der vom Auswärtigen Amt und einem Großteil der Wehrmacht vertretenen konservativ-gemäßigten deutschen 52 ADÖ 12/1805. 53 ADÖ 12/1806. 54 Hanns Haas  : Die Okkupation Österreichs in den internationalen Beziehungen. – In  : Anschluss 1938. S. 16–43. S. 21f.

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Großmachtpolitik.55 Doch diese Auffassung entsprach nicht dem Konzept von Hitlers Außenpolitik, die zu diesem Zeitpunkt »keineswegs nur den Status einer Großmacht im bestehenden internationalen System anstrebte.« Die nationalsozialistische Außenpolitik plante »die gewaltsame Eroberung und Beherrschung eines Großraumes, statt informeller Herrschaft nackte Gewalt.«56 Hitler hatte bei der Besprechung mit Halifax genau registriert, dass ihm Großbritannien bei Österreich und der Tschechoslowakei freie Hand lassen werde. Bei einem britisch-französischen Gipfeltreffen am 29. und 30. November 1937 in London über die Ergebnisse der Mission von Halifax und die gegenseitige Abstimmung des künftigen Vorgehens betonten beide Regierungen ihre Bereitschaft zur friedlichen Kooperation mit dem Deutschen Reich unter der Bedingung einer friedlichen und umfassenden Regelung der anstehenden Probleme. Die entscheidende Frage allerdings, ob man im Fall einer Verletzung der friedlichen Regelung zu militärischen Maßnahmen gegen einen Aggressor bereit sei, blieb unbeantwortet. Die sich in der Österreich-Frage nach dem Berchtesgadener Abkommen dramatisch zuspitzende Situation veranlasste die französische Regierung am 17. Februar zur Übersendung eines Memorandums nach London, in dem eine gemeinsame Démarche in Berlin über die Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit Österreichs und des status quo in Mitteleuropa vorgeschlagen und im Fall einer Änderung des bestehenden Zustandes Widerstand angekündigt wurde. Doch es war eine Politik der starken Worte, denn an einen militärischen Widerstand dachte auch Paris nicht, es sei denn, London würde sich zu einem solchen Schritt entschließen. Durchaus zutreffend analysierte am 7. März 1938 der österreichische Gesandte in Paris, Alois Vollgruber, die Haltung Frankreichs  : »Zu den Positionen in Europa, die die französische Regierung für die Stellung Frankreichs von vitalem Interesse hält, gehören der Bestand der Tschechoslowakei und die Unabhängigkeit Österreichs. Die maßgebenden Stellen Frankreichs sind felsenfest überzeugt, dass Deutschland über kurz oder lang in irgendeiner Form einen neuen Coup gegen die Unabhängigkeit Österreichs führen wird und dass nach einer eventuell gelungenen Unterjochung Österreichs die Reihe an die Tschechoslowakei kommt. Frankreich scheint gegenwärtig im Prinzip bereit, zur Verteidigung jeder der beiden Positionen nötigenfalls den Säbel zu ziehen. In der Praxis muss es aber darauf sehen, dass dieser extreme Einsatz unter den möglichst günstigen Bedingungen erfolge, die natürlich in der gesicherten Teilnahme Englands liegen. Wäre England bereit, die Unabhängigkeit Österreichs nötigenfalls auch mit den Waffen in der Hand zu verteidigen, dann würde Frankreich auch schon zur Erhaltung der Unabhängigkeit Österreichs einen Krieg führen (…)

55 Hans-Ulrich Thamer  : Verführung und Gewalt. Deutschland 1933–1945. – Berlin 1998. S. 557. 56 Thamer  : Verführung und Gewalt. S. 559.

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Da aber Frankreich hofft, dass der Krieg vielleicht doch noch vermieden werden kann, wenn es gelingt, Deutschland den ganzen Ernst der Lage schon für den Fall einer Vergewaltigung Österreichs vor Augen zu führen, wird es zunächst weiter versuchen, England zu einer aktiven Interessennahme an dem Status quo in Österreich zu bewegen.«57 In London herrschte zu diesem Zeitpunkt jedoch eine Regierungskrise, ausgelöst durch unterschiedliche Auffassungen über die von Premierminister Neville Chamberlain vertretene Appeasement-Politik, die von Außenminister Eden abgelehnt wurde. Eden trat am 22. Februar zurück und ihm folgte Halifax, von dem, ebenso wie von Chamberlain, die Androhung militärischer Schritte nicht zu erwarten war. Erst am Höhepunkt der Krise, als auf Druck von Berlin Schuschnigg zum Rücktritt aufgefordert wurde, entschloss sich London, dem mit Paris bereits am 17. Februar vereinbarten Memorandum zuzustimmen. In beinahe identen Noten protestierten beide Mächte am Nachmittag des 11. März in Berlin gegen die offensichtliche Gewaltanwendung gegen einen unabhängigen Staat und erklärten, dass ein solches Vorgehen geeignet sei, schwerwiegende Folgen nach sich zu ziehen. Da allerdings London einer militärischen Intervention völlig abgeneigt war und Paris seine Entscheidung von jener Londons abhängig machte und von sich aus wenig Neigung zeigte, die Anwendung militärischer Mittel ernsthaft in Erwägung zu ziehen, blieb es bei einer Politik der Worte, die in Berlin wenig Eindruck machte.

57 ADÖ 12/1956.

2. »Wir haben den Führer verstanden.« Die österreichische NSDAP vom Juliabkommen bis zum Anschluss

2.1 Chaos und Rivalitäten – die österreichische NSDAP am Vorabend des Juliabkommens Die österreichische NSDAP war durch den Abschluss des Juliabkommens sichtlich irritiert und musste erst versuchen, ihren Mitgliedern und Sympathisanten durch den im selben Monat als Wochenzeitung gegründeten »Österreichischen Beobachter« eine Klärung der zukünftigen Position der Partei zu vermitteln. Dabei pochte man auf den Alleinvertretungsanspruch der illegalen Parteiführung, tappte jedoch bei der Interpretation des Abkommens, vor allem der inzwischen bekannt gewordenen Details der Amnestiebestimmungen des Gentlemen’s Agreement selbst noch weitgehend im Dunkeln. Vor allem versuchte man die aus dem Text des Juliabkommens nicht ableitbare Auffassung einer bevorstehenden politischen Gleichberechtigung des Nationalsozialismus zu verbreiten. »Das zwischen der Reichsregierung und Österreich geschlossene Abkommen hat von Anfang an in gewissen Kreisen so viel Widersprüche und Beunruhigung hervorgerufen, dass hier einiges festgestellt werden muss. Es ist sicher und allgemein bereits bekannt, dass außer den drei veröffentlichten Punkten das Wesen des Vertrages in den in Aussicht gestellten Ausführungsbestimmungen enthalten sein muss. Die von ›vaterländischer‹ Seite vertretene Ansicht, Adolf Hitler habe mit Schuschnigg einen Freundschaftsvertrag auf Kosten des nationalsozialistischen Volkes in Österreich geschlossen, ist bis zur Lächerlichkeit unwahrscheinlich.«1 Wenngleich die österreichische Bundesregierung nicht beabsichtige, das Deutsche Reich zu täuschen, so würden untergeordnete Organe doch alles daransetzen, um dessen Durchführung zu sabotieren, so vor allem der Wiener Polizeidirektor Michael Skubl,2 der »ganz offen alle Bestrebungen des Bundeskanzlers« behindere, »mit dem Reich zu einem Ausgleich zu kommen.« Anstelle mit den Führern der NSDAP suche er Kontakte zu ehemaligen Nationalsozialisten wie

1 Österreichischer Beobachter 14.8.1936. S. 1. 2 Michael Skubl (1877–1964), Dr. jur., war 1934 bis 1938 Leiter der Bundespolizeidirektion Wien und 1937 bis 13. März 1938 gleichzeitig Staatssekretär für Sicherheit in den Regierungen Schuschnigg und Seyß-Inquart. Sein Nachfolger in dieser Funktion wurde Ernst Kaltenbrunner. Er galt als entschiedener Gegner des Nationalsozialismus und wurde 1938 bis 1946 zu einem Zwangsaufenthalt in Kassel verurteilt. 1946 konnte er nach Wien zurückkehren.

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Walter Riehl, die bereit seien, mit der Regierung bedingungslos zusammenzuarbeiten. Doch »eine Befriedung in Österreich kann niemals über Personen wie Doktor Walter Riehl und noch einige solche missliebige Doktoren kommen. Ein Kabinett, das mit solchen Leuten den Ausgleich herbeiführen will, fände an uns fanatische und unversöhnliche Gegner. Es gibt eben keinen Ausweg durch Hintertüren, es gibt lediglich den e h r l i c h e n Frieden auf dem Boden der G l e i c h b e r e c h t i g u n g .«3 Eine Woche später erklärte der »Österreichische Beobachter«, die Nebel der Meinungen über das Juliabkommen würden sich nunmehr allmählich lichten und die europäische Bedeutung des Vertragswerkes werde immer deutlicher sichtbar. »Adolf Hitlers ungeheurer Wille hat … den Zusammenbruch des gegendeutschen Kurses in Österreich e r z w u n g e n und hat die führenden Männer dieses Staates von der Dollfuß-Straße weg auf s e i n e n Weg zu deutscher Macht und zum Frieden in der Welt geführt. Und sie werden ihn auch gehen, denn sie m ü s s e n ihn gehen  ! Wir haben den F ü h r e r verstanden, haben seine große Linie erkannt. Was sind Staatsgrenzen, wenn das Ziel Sieg der nationalsozialistischen Weltanschauung und damit Weltfrieden heißt  ? (…) Mit dieser Erkenntnis sind wir mitten auf dem neuen Weg. Wir gehen nun tatsächlich auf eigenen Füßen, kämpfen als Österreicher für Österreich um Freiheit, Recht und Frieden und in Österreich als Nationalsozialisten um unser politisches Recht und unsere Gleichberechtigung.«4 Trotz aller vor Selbstsicherheit strotzenden Erklärungen, die österreichische NSDAP befand sich seit dem gescheiterten Juliputsch in einem desaströsen Zustand. Selbst der »Österreichische Beobachter« musste Ende August 1936 feststellen  : »Niemals noch, seit wir im Kampfe stehen, ist der Bestand unserer Bewegung so in Abrede gestellt worden wie gerade jetzt. Jeden Tag kann man hören, wir seien ja schon gestorben, zumindest gründlich gespalten, hätten drei Landesleitungen, Gemäßigte lägen im Streit mit den radikalen, kurzum wir seien ein wüster Sauhaufen.«5 Dieser Zustand war das Ergebnis mehrerer Entwicklungen  : 1. Die Partei war durch Massenverhaftungen und die Flucht zahlreicher Funktionäre sowie aktiver Kämpfer und Sympathisanten in das Deutsche Reich ihrer Organisationsstruktur zu einem erheblichen Teil beraubt. 2. Sie verfügte nach dem Scheitern Theo Habichts über keine zentrale und allgemein anerkannte Führung. 3. Sie entbehrte nach der Entscheidung Hitlers, der mit Rücksicht auf die internationale Lage und die Leugnung jeglicher Involvierung Berlins in die Ereignisse in Österreich die finanziellen und politischen Verbindungen zur österreichischen 3 Österreichischer Beobachter 14.8.1936. S. 2. 4 Österreichischer Beobachter 21.8.1936. S. 2. 5 Österreichischer Beobachter 28.8.1936. S. 1.

Die österreichische NSDAP vom Juliabkommen bis zum Anschluss

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Partei kappte, der massiven Unterstützung durch das Deutsche Reich bzw. die deutsche NSDAP. Die aufgrund der neuen politischen Lage einsetzende Diskussion über die taktischen Konsequenzen führte zu einander widersprechenden Konzeptionen. Dabei war den verbliebenen Kadern die Überzeugung gemeinsam, dass ein Anschluss in absehbarer Zeit nicht realisierbar sei. Die Frage, welche Konsequenzen aus dieser Entwicklung zu ziehen seien, wurde allerdings unterschiedlich beantwortet. Die Antworten reichten von einer Absage an terroristische Methoden und der Propagierung des evolutionären Wegs, d. h. einer Verständigung mit der österreichischen Regierung mit dem Ziel einer Legalisierung – in welcher Form auch immer – der NSDAP und einer allmählichen Unterwanderung der staatlichen Institutionen, der Schaffung von Tarnorganisationen und der Rekonstruktion der Partei in der Illegalität als revolutionäre Elite nach dem Muster der Bolschewiki zur Zeit der Russischen Revolution bis hin zur Aufrechterhaltung der Massenpartei und der Fortsetzung terroristischer Aktivitäten. Im Oktober 1936 sah sich der »Österreichische Beobachter« angesichts der divergierenden Auffassungen innerhalb der Partei zu einem Aufruf an alle zum Aktionismus neigenden (vor allem jüngeren) Parteimitglieder und Sympathisanten veranlasst, indem er darauf hinwies, dass es auch im Weltkrieg an den am meisten umkämpften Frontabschnitten wie Flandern oder dem Isonzo »Zeiten der Ruhe« gegeben habe, »Wochen zur Sammlung neuer Kräfte, Ruhe vor dem Sturm. Auch Ruhe aus taktischen Gründen hielt manchmal brennende Kampflust zurück und doch hat damals n i e m a n d befürchtet, es könnte darüber der Kampfgeist ersterben, das Ziel und der Wille zum Sieg verschwinden und damit gar der Kampf eingestellt werden. Wer wagt über unsere Lage von heute anders zu denken  ? Nur Schwächlinge und Miesmacher hoffen oder erzählen, es werde abgeblasen und der Kampf für immer eingestellt. N i c h t s v o n a l l e d e m . Nach drei Jahren des härtesten Kampfes halten wir heute mitten in einem Abschnitt taktischer Ruhe. Ein Staatsvertrag vom F ü h r e r gezeichnet ist uns Befehl. Wir sind vom Kampffeld verschwunden und stehen entschlossen und einsatzbereit im Hintergrund, das Gewehr bei Fuß, mit ungebrochenem Kampfgeist und zähem Willen zum Siege. Fragt nicht nach Wann und Wo eines Aufrufes, sondern wisset  : Unsere Geschlossenheit und freudige Bereitschaft zu Kampf und Opfer sind Bürge für die Erfolge unserer Unterhändler auf dem Wege der Befriedung, sie bringen uns aber auch den Erfolg im kurzen und harten Endkampf, wenn etwa unser guter Wille, in Ruhe zu einem guten Ende zu kommen, scheitern sollte.

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Kameraden, verlangt von euren Führern nicht, dass sie euch den Weg der nächsten Entwicklung ankündigen oder aufzeigen. Das hieße, dem Gegner in die Pläne Einblick geben und müsste böse Folgen haben. (…) Jetzt hat nur Wert, wer g l a u b e n und v e r t r a u e n kann. Dazu sei gesagt  : Die heutige Führung der NSDAP-Hitlerbewegung sieht klar die Lage und weiß Bescheid über die nötigen Schritte zum sicheren Erfolg. Da es unmöglich ist, den weiteren Weg und unsere nächsten Maßnahmen öffentlich bekanntzugeben, so soll hier noch einmal unser Ziel aufgezeigt werden  : Als E n d z i e l unseres Kampfes gilt nach wie vor die Erringung der Macht in diesem Staate.«6 Edmund Glaise-Horstenau bemerkte in seinen Erinnerungen, dass das Juliabkommen »im nationalsozialistischen Lager … eher innere Ablehnung als begeisterte Aufnahme« gefunden habe. »Es gehörte von nun an zur offizielle These der österreichischen Partei, dass der Führer im Abkommen den ›österreichischen Nationalsozialismus‹ durch dessen Erwähnung ausdrücklich als fortbestehend betrachtete, aber gleichzeitig zu erkennen gegeben habe, dass es nun an diesem Nationalsozialismus sei, sich selbständig auf dem Boden des unabhängigen Österreichs durchzusetzen. Wohl hielt sich die Bewegung … in den nächsten Monaten bemerkenswert zurück, aber an ein Aufgeben ihrer Organisation und von deren Gliederungen dachte sie nicht im Entferntesten. Schon in dieser Zeit hatte der 11. Juli höchstens einen Waffenstillstand, nie aber einen Friedensschluss bedeutet.«7 5. Einer erfolgreichen Rekonstruktion der Partei standen schließlich auch die nicht gelöste Führungsfrage und die Rivalitäten der Führungskader entgegen. Hatten zunächst mit Anton Reinthaller und dessen Nachfolger Heinrich Neubacher Exponenten des evolutionären Flügels die Führung der Partei übernommen, so fiel diese nach heftigen innerparteilichen Turbulenzen im März 1935 an deren Widerpart Josef Leopold,8 den am Konzept der gewaltsamen Machtergreifung festhaltenden Gauleiter von Niederösterreich. Der SA-Mann Leopold hatte sich in einem von der Kärntner NSDAP vermittelten Kompromiss bereit erklärt, in seiner neuen Funktion als Landesleiter den von ihm abgelösten Neubacher als Stabschef in der Parteiführung zu behalten. Als jedoch Leopold und Neubacher im Mai 1935 verhaftet wurden, ging die provisorische Führung – Leopold blieb trotz seiner Inhaftierung offiziell Landesleiter – an einen Leitungsausschuss unter der Führung des Kärntner Landesleiters Hubert Klausner. 6 Österreichischer Beobachter 21. 10. 1936. S. 1. 7 Peter Broucek (Hg.)  : Ein General im Zwielicht. Die Erinnerungen Edmund Glaises von Horstenau. 3 Bde. – Wien/Köln/Graz 1980/1988. Bd. 2. S. 119f. 8 Vgl. Ludwig Jedlicka  : Gauleiter Josef Leopold (1889–1941). – In  : Geschichte und Gesellschaft. Festschrift für Karl R. Stadler zum 60. Geburtstag. – Linz 1974. S. 143–159.

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Die innerparteiliche Situation wies zu diesem Zeitpunkt eine klare Frontlinie auf  : Die Gaue Wien und Niederösterreich waren die Hausmacht Leopolds, der sich zudem auf die aktionistische SA stützen konnte, während die südlichen und westlichen Gaue stärker unter dem Einfluss der SS standen und zunehmend eine Front gegen Leopold bildeten. In dieser alpenländischen Gruppierung rückte der Kärntner Gauleiter Hubert Klausner in den Vordergrund, der nach einer neuerlichen Verhaftung Leopolds auf einer Tagung der Gauleiter und deren Stellvertreter am 20./21. Juli 1935 in Villach zum Leiter des neu geschaffenen Gauleiterkollegiums avancierte, das – bei offizieller Anerkennung Leopolds als Landesleiter – die provisorische Leitung der Partei übernahm. Klausner war es gelungen, in der dem missglückten Juliputsch folgenden kurzen Phase der Aktion Reinthaller, die für die schwer angeschlagene NSDAP eine Erholungsphase brachte, die Kärntner Partei zu reorganisieren und zu festigen. Die Kärntner Landesgruppe hielt sich geschickt aus den ausbrechenden Führungsstreitigkeiten heraus und vermittelte den Eindruck der Geschlossenheit, weshalb Klausner auf der Villacher Tagung im Juli 1935 zum Vorsitzenden des Gauleiterkollegiums gewählt wurde. Hinter Klausner standen zwei der zukünftigen führenden Persönlichkeiten der österreichischen NSDAP  : der junge, in der nationalen Turnbewegung aktive Notariatskandidat und SS-Mann Friedrich Rainer9 und der aus Triest stammende Odilo Globočnik, seit 1. September 1934 auf Wunsch von SS-Gruppenführer Reinhard Heydrich Mitglied der SS.10 Über die Vermittlung des in der Partei bereits tätigen Globočnik traf Rainer den Kärntner Gauführer Klausner zu einem mehrstündigen Gespräch, als dessen Ergebnis Rainer Mitglied der Gauführung und mit dem Aufbau der Presse- und Propagandaarbeit betraut wurde. Rainer hatte bereits unmittelbar nach dem gescheiterten Juliputsch eine Analyse der Ursachen durchgeführt und machte nunmehr mit Zustimmung Klausners deren Ergebnisse zur Grundlage seiner politischen Arbeit. Die Partei könne in der Form, wie sie vor dem Juliputsch bestanden habe, nicht wiederaufgebaut werden. Man müsse sich auf wenige Kernbereiche, die für den politischen Kampf von entscheidender Bedeutung seien, konzentrieren und zu diesem Zweck eine kleine illegale Kaderorganisation schaffen. Keineswegs dürfe man unter den Bedingungen der Illegalität der Illusion der Errichtung einer Massenpartei nachhängen, denn nicht die Zahl der Mitglieder, sondern deren Qualität sei entscheidend. Während die SA mit ihrem aktionistischen Profil vorwiegend jugendliche Aktivisten anspreche, sei die SS eine Organisation der Intellektuellen. Man müsse in der Parteiarbeit beide Gruppen berücksichtigen. Da  9 Maurice Williams  : Gau, Volk und Reich. Friedrich Rainer und der österreichische Nationalsozialismus. Eine politische Biographie nach Selbstzeugnissen. – Klagenfurt 2005. 10 Siegfried J. Pucher  : »… in der Bewegung führend tätig.« Odilo Globočnik – Kämpfer für den »Anschluss«, Vollstrecker des Holocaust. – Klagenfurt 1997  ; Johannes Sachslehner  : Odilo Globočnik. Hitlers Manager des Todes. – Wien/Graz/Klagenfurt 2014 & 2018.

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in absehbarer Zeit ein Anschluss nicht realistisch sei, müsse man auf die mittel- und langfristige Perspektive setzen. Dies bedeute, die Kontakte zum Deutschen Reich einzuschränken und sich vor allem auf die geschickte Propagierung völkischen Gedankenguts, die Betonung des deutschen Charakters Österreichs, zu konzentrieren, um so eine öffentliche Meinung für die Naturgemäßheit des Anschlusses zu schaffen. Er stand daher der Aktion Reinthaller ablehnend gegenüber, da er in ihrer Philosophie des Ausgleichs einen Ausverkauf der Prinzipien der Partei an das Regime sah. Rainer lehnte sowohl direkte Verhandlungen mit der Regierung wie auch gewaltsame Aktionen ab, sondern plädierte für die Infiltration des Systems auf breiter Ebene, wobei man sich vor allem Persönlichkeiten bedienen sollte, die über ein gewisses öffentliches Ansehen verfügten und mit der NSDAP sympathisierten, jedoch nicht als Parteimitglieder galten und durch ihr Wirken den Boden für eine breite Akzeptanz des Nationalsozialismus aufbereiten konnten.11 Die NSDAP musste daher eine Doppelstrategie verfolgen  : einerseits den Aufbau einer illegalen Kaderpartei und andererseits die Instrumentalisierung von öffentlich bekannten Personen, die Kontakte mit der Bundesregierung suchen sollten, jedoch nicht mit dem Zweck, eine Legalisierung der NSDAP zu erreichen, sondern eine einflussreiche Gruppierung innerhalb der Regierung und des Regierungsapparats zu bilden. Dabei war es wichtig, dass diese Personengruppe nicht mit der illegalen Parteiorganisation in Verbindung gebracht werden konnte.12 Mit der Villacher Tagung der Gauleiter und der Bestellung Klausners zum Leiter des provisorischen Leitungsgremiums der österreichischen NSDAP begann auch der Aufstieg von Rainer und Globočnik, die nunmehr zunehmend die Politik bestimmten, auf nationaler Ebene. Als Klausner im Februar 1936 verhaftet wurde, fiel die Parteiführung de facto in ihre Hände. Globočnik, der über Organisationstalent verfügte 11 In seinem Bericht an Gauleiter Josef Bürckel vom Juli 1935 bemerkte Friedrich Rainer über die Lage der österreichischen NSDAP im Jahr 1936  : »Die Grundgedanken des Aufbaues waren  : Die Organisation als Trägerin des illegalen Kampfes und Treuhänderin der Idee kompromisslos als Geheimorganisation nach dem Ausleseprinzip und auf die allereinfachste Weise aufzubauen, dass sie zu jedem Einsatz bereit, in der Hand der illegalen Landesleitung liegt, daneben alle vorhandenen politischen Möglichkeiten durch das politische Amt wahrzunehmen und hierbei insbesondere illegale Leute und legale Möglichkeiten heranzuziehen, ohne jedoch eine Verbindung mit der illegalen Parteiorganisation sichtbar herzustellen  ; die Zusammenarbeit der illegalen Parteiorganisation mit den vorgeschobenen politischen Helfern wurde deswegen in der obersten Spitze der Parteileitung verankert  ; schließlich alle Verbindungsmöglichkeiten mit den Parteistellen des Altreiches geheim unter Wahrung der vom Führer befohlenen offiziellen Fernhaltung des Deutschen Reiches von den inneren Vorgängen in Österreich aufzubauen, sowie auch im übrigen Ausland rings um Österreich herum Hilfsstellen für Propaganda, Hilfswerk, Pressedienst, Flüchtlingsfürsorge usw. zu errichten.« (Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Nürnberg 14. November 1945 – 1. Oktober 1946. 23 Bde. – München/Zürich 1984. Bd. 2. S. 415.) 12 Williams  : Gau, Volk und Reich. S. 41ff.

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und bereits mehrere Sympathisanten im Staatsapparat wie den Vorstand des »Kärntner Heimatbundes« und Beirat der Landesführung der Vaterländischen Front, Alois Maier-Kaibitsch,13 sowie in den Reihen der Exekutive, die er in einem eigenen »SSPolizeisturm« organisierte, gewonnen hatte, übernahm nach der Villacher Tagung die (Re)Organisation der Partei, während Rainer die politischen Agenden an sich zog. Dabei ließ er sich von seinen taktischen Überlegungen einer doppelbödigen Politik leiten. Die Partei sollte in der Tagespolitik zugunsten der Gewinnung nationaler Persönlichkeiten, die bereits einflussreiche Stellungen im Staatsapparat hatten oder anstreben sollten, in den Hintergrund treten. Parallel sollte der revolutionäre Elitecharakter der Partei gestärkt werden. Diese Taktik war jedoch nur bedingt erfolgreich, die Partei befand sich aufgrund der sehr erfolgreichen Maßnahmen der österreichischen Exekutive in einer schwierigen Lage. Im August 1935 wurden Rainer und Globočnik verhaftet. Rainer wurde in Klagenfurt der Prozess gemacht. Er wurde wegen Förderung der illegalen NSDAP zu einer zwölfmonatigen Kerkerstrafe verurteilt und sein Name wurde aus der Liste der Notariatskandidaten gestrichen. Die folgenden Monate illustrierten, dass Rainers Taktik der Infiltration der nationalen Kreise zumindest in Kärnten durchaus erfolgreich war. Nicht nur Rainers Frau Ada intervenierte brieflich wiederholt für die vorzeitige Freilassung ihres Mannes und zeichnete dabei ein die Tatsachen verzerrendes Bild der Bedürftigkeit, sondern auch das ehemalige Mitglied der »Nationalständischen Front«, Staatssekretär für Justiz in der Regierung Dollfuß und nunmehrige Staatsrat, Franz Glas, der ehemalige Heimwehr-Bundesminister Guido Jakoncig und der ehemalige Vizekanzler und Landbundobmann Vinzenz Schumy. Rainer wurde aufgrund eines ärztlichen Attests am 18. Februar 1936 vorzeitig aus der Haft entlassen. Kurz vor seiner Entlassung waren Gauleiter Klausner und rund 60 Nationalsozialisten von den Kärntner Sicherheitsbehörden verhaftet worden. Die Verhaftungen im August 1935 hatten den unter Klausners Leitung stehenden Führungsausschuss massiv geschwächt, sodass sich der in Haft befindende Landesleiter Josef Leopold veranlasst sah, den im Juli 1935 aus der Haft entlassenen ehemaligen Rittmeister und nationalsozialistischen Bundesrat Franz Schattenfroh mit der kommissarischen Landesleitung zu betrauen. Als Schattenfroh im Frühjahr 1936 13 Alois Maier-Kaibitsch (1891–1958) galt im Oktober 1937 neben Friedrich Rainer als aussichtsreicher Kandidat für die Funktion des Leiters des Volkspolitischen Referats in der Vaterländischen Front Kärntens. Er hatte dem Kärntner Landeshauptmann Arnold Sucher 1935 sein Offiziersehrenwort als Regimentskamerad gegeben, dass er kein Nationalsozialist sei und auch nie sein werde. Aufgrund dieser Erklärung nahm ihn Sucher in den Beirat der Kärntner Vaterländischen Front auf, in dem auch die Mitglieder Josef Friedrich Perkonig, Ludwig Hülgerth, Ferlitsch und Hans Gruber als Vertreter der nationalen Richtung galten. (August Walzl  : »Als erster Gau …« Entwicklungen und Strukturen des Nationalsozialismus in Kärnten. – Klagenfurt 1992. S. 43.) Im Oktober 1937 wurde Josef Friedrich Perkonig Leiter des Volkspolitischen Referats der Kärntner Vaterländischen Front.

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neuerlich verhaftet wurde, folgte ihm der Linzer Industrielle Oskar Hinterleitner in dieser Funktion. Hinterleitner nahm Kontakt mit den aus der Haft entlassenen Rainer und Globočnik auf. Der neue kommissarische Landesleiter stimmte mit Rainer in dessen Analyse und politisch-organisatorischen Schlussfolgerung überein und ernannte ihn zum politischen Berater, der sich vor allem der Aufgabe der Gewinnung von einflussreichen Persönlichkeiten mit deutschnationaler (nationalsozialistischer) Ideologie widmen sollte. Kurz vor seiner Ernennung zum politischen Berater hatte Rainer in Baden bei Wien den mit dem Nationalsozialismus sympathisierenden deutschnationalen Rechtsanwalt Arthur Seyß-Inquart, Mitglied der Deutschen Gemeinschaft, des Deutschen Klubs und des Deutsch-Österreichischen Volksbundes, getroffen, mit dem er ein ausführliches Gespräch über die Situation der österreichischen NSDAP führte. Seyß-Inquart betonte dabei seine Ansicht, dass der evolutionäre Weg einer Annäherung an das Regime und dessen Beeinflussung erheblich wichtiger sei als der Aufbau einer illegalen Kaderpartei. Wenngleich Rainer Seyß-Inquarts Geringschätzung der Parteiarbeit nicht teilte, so stimmten sie doch in der Bedeutung der Gewinnung mit dem Deutschnationalismus sympathisierenden Persönlichkeiten als intellektuelle Speerspitze der Anschlussidee überein. Die Partei musste jedoch nach Auffassung von Hinterleitner und Rainer eine Doppelstrategie verfolgen, d. h. ihr Augenmerk auch dem Auf- und Ausbau der der Kaderpartei widmen, eine Aufgabe, die Globočnik übernahm. Die Situation änderte sich neuerlich zur Jahresmitte 1936 grundlegend. Zu Pfingsten wurde Hinterleitner verhaftet und die kommissarische Landesleitung fiel an Rainer, während Globočnik die aufgrund der Verhaftung Klausners vakante Position des Kärntner Gauleiters übernahm. Anfang Juli erhielt Rainer, der sich auf dem Weg nach Prag zu seiner Familie befand, eine Nachricht Seyß-Inquarts, der ihn aufforderte, unverzüglich nach Wien zu kommen. In Wien wurde ihm von Seyß-Inquart mitgeteilt, dass er von Guido Zernatto über ein bevorstehendes Abkommen zwischen Österreich und Deutschland informiert worden sei, das sowohl die bilateralen Beziehungen zwischen Wien und Berlin wie auch die innenpolitische Situation in Österreich grundlegend verändere.

2.2 Das Juliabkommen – Das trojanische Pferd der NSDAP In der internationalen Wahrnehmung und Kommentierung sowie den offiziellen Verlautbarungen der österreichischen Bundesregierung war das Juliabkommen 1936 ein Erfolg der österreichischen Diplomatie, da das Deutsche Reich die Unabhängigkeit Österreichs anerkannte und sich nicht in dessen innere Angelegenheiten einzumischen versprach. Diese positiven Bestimmungen wurden jedoch durch das nicht publizierte Geheimabkommen (Gentlemen’s Agreement), das sich in der Folgezeit

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als Trojanisches Pferd des Nationalsozialismus erweisen sollte, unterlaufen. In ihm verpflichtete sich Österreich, eine weitgehende politische Amnestie für verhaftete Nationalsozialisten durchzuführen, von der allerdings schwere Delikte ausgenommen waren, und zum Zweck einer inneren Befriedung in absehbarer Zeit Vertreter der nationalen Opposition zur politischen Mitwirkung heranzuziehen, wobei es sich um Persönlichkeiten handeln musste, die das Vertrauen des Bundeskanzlers genossen und deren Auswahl er sich vorbehielt. Der US-amerikanische Botschafter in Wien, George Strausser Messersmith, berichtete sorgenvoll nach Washington, dass die Bestimmungen des Gentlemen’s Agreement, vor allem die Amnestie für verhaftete Nationalsozialisten und die Aufnahme von Vertretern der nationalen Opposition in die Regierung, es in Zukunft »noch schwieriger machen« werde, »eine wirksame Polizei- und Gerichtsaktion gegen die Nazis zu erreichen, und zwar aus Furcht vor Vergeltungsmaßnahmen der kommenden Nazi-Regierung jenen gegenüber, die gegen Nazis vorgehen, selbst wenn sie es in der Erfüllung ihrer Pflicht tun.«14 Schuschnigg war sich der Problematik des Juliabkommens durchaus bewusst, sah in ihm jedoch die einzige Möglichkeit, angesichts des internationalen Desinteresses an Österreich, durch ein bilaterales Abkommen die Unabhängigkeit des Landes – zumindest vorläufig – zu sichern und Zeit zu gewinnen. Angesichts der immer deutlicher werdenden aggressiven Außenpolitik des Deutschen Reiches wären sowohl die Westmächte wie auch die Kleine Entente gezwungen, das Konzept einer kollektiven Sicherheitsarchitektur zu entwickeln, in dem auch Österreich aufgrund seiner geopolitischen Lage eine zentrale Stellung einnehmen werde. Die zweite Kalkulation basierte auf den erheblichen Differenzen innerhalb der österreichischen NSDAP. Durch genau kalkulierte Konzessionen an die den Terrorismus ablehnenden BetontNationalen sollte ein Keil in die NSDAP getrieben und diese gespalten werden. Diese Strategie sollte sich jedoch, wie Schuschnigg in seinen Erinnerungen einbekannte, als Irrtum erweisen. »Österreichischerseits zeigte es sich, dass zwei wesentliche Prämissen, die man als gegeben angenommen hatte, nicht stimmten. Einmal erwies sich, dass es tatsächlich keine nennenswerte nationale Opposition im Lande gab, die bereit gewesen wäre, Abstand zum Nationalsozialismus zu halten. Und dann stellte sich der Glaube als utopisch heraus, dass es möglich sein könnte, die Verbindung zwischen der österreichischen und deutschen NSDAP zu unterbrechen und der Hitler-Hörigkeit der österreichischen Hakenkreuzgläubigen ein Ende zu setzen.«15 Es ist erstaunlich, dass Schuschnigg im Vorfeld des Juliabkommens die durchaus vorhandenen warnenden Signale bezüglich seiner Einschätzung der Nationalen Opposition nicht erkannte oder beiseiteschob. So berichtet Edmund Glaise-Horste14 Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbreche. Bd. 2. S. 426. 15 Kurt Schuschnigg  : Im Kampf gegen Hitler. Die Überwindung der Anschlussidee. Wien/München/ Zürich 1969. S. 199.

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nau in seinen Erinnerungen von einem Gespräch mit Schuschnigg und Zernatto im Mai 1936, bei dem auch über den Begriff »national« diskutiert wurde. »Während ich unter einem national gesinnten Österreicher nur den verstehen wollte, der sich grundsätzlich zum Anschlussgedanken bekenne und die Selbständigkeit Österreichs im Sinne von St. Germain höchstens aus realpolitischen Gründen, das heißt im Hinblick auf eine den Anschluss unmöglich machende Weltlage gelten lasse, verlangte Schuschnigg, von Zernatto unterstützt und nicht ohne leisen Unterton der Kränkung, das Epitheton ›national‹ für jeden Österreicher, der sich zum deutschen Volkstum bekannte, also auch unter Umständen für die radikalsten Separatisten. Denn es gehörte gerade zu den Thesen, die man in diesem Lager zu hören bekam, dass wir Österreicher sicherlich Deutsche, ja sogar die besten Deutschen seien, aber unsere besondere deutsche Mission nur als selbständiger, zumal auch vom Dritten Reich völlig unabhängiger Staat zu erfüllen vermöchten.«16 Ein halbes Jahr nach dem Juliabkommen erklärte der »Österreichische Beobachter« in Richtung Schuschniggs Bemühungen um eine Spaltung der nationalen Opposition, es gebe keine Gruppe, »die es billiger geben« werde. » E s m a r s c h i e r t d i e g e s a m t e › n a t i o n a l e Opposition‹ geschlossen und einig und sie besteht aus Nationals o z i a l i s t e n u n d a u s s o n s t n i c h t s   ! « 17 Die im Gentlemen’s Agreement vereinbarte Amnestie wurde bereits im Juli 1936 für 17.450 Nationalsozialisten wirksam, bis zum Jänner 1937 sogar für 18.648, unter ihnen die meisten Führungspersönlichkeiten der Partei. Trotz dieses Erfolges waren die Reaktionen der österreichischen Nationalsozialisten auf das Juliabkommen völlig unterschiedlich. Ein Teil fühlte sich von Hitler verraten und in einem Pamphlet wurde die Lage der österreichischen NSDAP mit jener der deutschen SA im Juni 1934 verglichen. Ein anderer sah in dem Eingeständnis Hitlers, die Unabhängigkeit Österreichs zu akzeptieren, die Rückgewinnung des politischen Handlungsspielraums der österreichischen Partei, die nun unter den neuen Bedingungen ihren Kampf um ein nationalsozialistisches Österreich fortsetzen müsse. Die Gruppe der auf eine evolutionäre Entwicklung Setzenden vertrat die Ansicht, dass ein Wechsel der Parteitaktik in Richtung einer Kooperation mit dem Regime das Gebot der Stunde sei. Mittelfristig müsse man auf eine Volksabstimmung über den Anschluss hinarbeiten und in der Zwischenzeit den Boden dafür vorbereiten. Eine kleine Gruppe ging sogar so weit, sich von der politischen Betätigung zu verabschieden und den Dingen ihren Lauf nehmen zu lassen. Die divergierenden Meinungen blieben Berlin nicht verborgen, wo man sich durch unbedachte Aktionen der österreichischen Nationalsozialisten nicht in Verlegenheit bringen lassen wollte. Hitler bestellte daher Rainer und Globočnik, die 16 Broucek (Hg.)  : Ein General im Zwielicht. Bd. 2. S. 69. 17 Österreichischer Beobachter 15. 12. 1936. S. 1.

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zu diesem Zeitpunkt einzigen NS-Funktionäre, die sich auf freiem Fuß befanden, nach Berchtesgaden, um ihnen den Zweck des Juliabkommens und die von ihm gewünschte Politik der österreichischen Partei zu verdeutlichen. Bereits am 10. Juli hatte er gegenüber Edmund Glaise-Horstenau bei dessen Besuch auf dem Obersalzberg unter Bezugnahme auf das am folgenden Tag geschlossene Juliabkommen erklärt, die aktionistisch-terroristische Aktivität Habichts sei »der schwerste Fehler in seiner politischen Karriere« gewesen. Wenn er mit Starhemberg oder Dollfuß ein Abkommen über einen »mittleren Weg« geschlossen hätte, »dann wären wir schon längst weiter.«18 Gegenüber Rainer und Globčnik, denen er aufgrund der zahlreichen negativen Berichte über die chaotischen Führungsverhältnisse in der österreichischen NSDAP nicht, wie erwartet, freundlich, sondern distanziert gegenübertrat, erklärte er am 16. Juli, er habe das Abkommen nicht wegen der österreichischen NSDAP geschlossen, sondern aus außen- und militärpolitischen Gründen. Er benötige nämlich zwei Jahre Zeit, um in einer ruhigen außenpolitischen Lage die Aufrüstung der Wehrmacht voranzutreiben und sich mit der durch den Abessinienkrieg entstandenen neuen Situation zu befassen. In seinem Bericht vom 30. Juli 1939 an Joseph Bürckel über die Geschichte der österreichischen NSDAP bis zur Machtergreifung schrieb Rainer, Hitler habe ihn und Globočnik »angefahren« und »klar und eiskalt« erklärt  : »Meine außenpolitischen Aktionen vertragen diese Belastung mit Österreich nicht. Ich bekomme dauernd Demarchen über Paris und London und muss ein freundschaftliches Verhältnis zu Italien ausbauen und brauche Zeit, die deutsche Wehrmacht auszubauen … So lange hat die Partei in Österreich Disziplin zu bewahren. Sie hat sich zu fügen, sie hat mit allen Mitteln Politik zu machen und auf dem Boden der Tatsachen zu stehen.« Auf die Frage Rainers, ob Hitler wünsche, dass die Partei im Rahmen der Vaterländischen Front Politik mache, habe dieser mit »Jawohl« geantwortet.19 Um die Durchführung seiner politischen Direktiven zu gewährleisten, ernannte Hitler seinen Wirtschaftsberater, SS-Gruppenführer Wilhelm Keppler, zu seinem Verbindungsmann zur österreichischen Partei und stattete ihn mit weitreichenden Kompetenzen aus. Die außenpolitischen Interessen des Deutschen Reiches machten eine nunmehr stärkere Einmischung in die Angelegenheiten der österreichischen NSDAP notwendig. Am 17. Juli informierten Rainer und Globočnik die österreichischen Gauleiter in Anif bei Salzburg über die Besprechung vom Vortag und gaben die Weisung friedliche Agitation, Disziplin, Anerkennung der bestehenden politischen Realitäten und Zusammenarbeit mit der Vaterländischen Front aus. Die Partei und deren Organisation war im Hintergrund zu halten, während die politische Arbeit durch prominente 18 Ebda. S. 82. 19 Zit. bei Wolfgang Rosar  : Deutsche Gemeinschaft. Seyss-Inquart und der Anschluss. – Wien/Frankfurt/Zürich 1971. S. 94f.

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Personen erfolgen sollte, deren Funktion in Punkt IX. des geheimen Zusatzabkommens definiert wurde, in der Schuschnigg zugesichert hatte, Vertreter der nationalen Opposition in sein Kabinett zu berufen. Der Schwerpunkt der politischen Arbeit müsse auf der Durchdringung des Staatsapparats und der Vaterländischen Font liegen. Sechs Tage nach der Anifer Tagung wurde Josef Leopold aufgrund der im Rahmen des Juliabkommens vereinbarten Amnestie aus der Haft entlassen, womit wiederum die Führungsfrage gestellt wurde, da sich Leopold nach wie vor als legitimer Landesleiter sah. Aufgrund der durch die Berchtesgadener Besprechung im 16. Juli neu entstandenen Situation erklärte er am 30. Juli gegenüber dem von Schuschnigg am 11. Juli zum Minister ohne Portefeuille mit der besonderen Aufgabe der inneren Befriedung ernannten Exponenten der Betont-Nationalen, Edmund Glaise-Horstenau, er sei bereit, sich »im Geiste des Abkommens vom 11. Juli 1936 … vollkommen loyal zum Staate einzustellen und mit allen … Kräften am Aufbau Österreichs mitzuarbeiten« unter der Bedingung, dass die Nationalsozialisten als gleichberechtigte Bürger betrachtet werden. Man werde »aus realpolitischen Gründen die Unabhängigkeit Österreichs zur Kenntnis nehmen« und sich »auf ihren Boden stellen. Diese Erklärung gilt auch bezüglich der Verfassung 1934 sowie des Gesetzes über die Vaterländische Front, neben der wir keine Partei bilden wollen.«20 In seinen Erinnerungen berichtet Glaise-Horstenau von einem Gespräch mit dem Kulturreferenten der deutschen Gesandtschaft, Hans Bernd von Haeften, und dem den Reichspropagandaministerium mit dem Sonderauftrag Österreich zugeteilten Journalisten Karl Megerle während des Festspielsommers im Salzburger Café Glockenspiel am 5. August 1936. In diesem teilten ihm seine Gesprächsteilnehmer mit, dass in Berlin der inzwischen aus der Haft entlassene Landesleiter der österreichischen NSDAP, Josef Leopold, »als erster nationalsozialistischer Vertrauensmann zu gelten hätte.«21

20 Zit. bei Rosar  : Deutsche Gemeinschaft. S. 97. Diese Erklärung Leopolds bedeutete keineswegs eine radikale Kehrtwende seines politischen Konzepts. Bereits im Frühjahr 1935 hatte Leopold gegenüber Franz von Papen ähnliche Äußerungen getätigt, die der deutsche Gesandte am 17. Mai 1935 in einem Brief Hitler mitteilte. Man müsse versuchen, Schuschnigg und die einer Dominanz der Heimwehr ablehnend gegenüberstehenden Christlichsozialen gegen Starhemberg und die Heimwehr auszuspielen und auf diesem Weg die NSDAP als neuen Partner ins Spiel zu bringen. »Nach der überzeugenden Meinung des Führers der NSDAP in Österreich, Hauptmann Leopold, muss man an die Stelle es Totalitätsgedankens der NSDAP in Österreich zunächst eine Kombination zwischen dem großdeutsch eingestellten Teil der Christlichsozialen und der NSDAP setzen. Wenn Deutschland die staatliche Unabhängigkeit Österreichs anerkennt und sich verpflichtet, der österreichischen nationalen Opposition volle Freiheit zu lassen, dann würde als Ergebnis eines solchen Ausgleichs zunächst eine Koalition dieser Kräfte die österreichische Regierung bilden.« (Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher. Bd. 2. S. 420.) 21 Broucek (Hg.)  : Ein General im Zwielicht. Bd. 2. S. 115.

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2.3 Quo vadis NSDAP  ? Unterschiedliche Persönlichkeiten, unterschiedliche Konzepte, gemeinsames Ziel – Josef Leopold versus Arthur Seyss-Inquart Leopold, der die offizielle Rückendeckung Berlins besaß, agierte geschickt, indem er auf den neuen Kurs des Juliabkommens einschwenkte und gleichzeitig seinen Führungsanspruch erhob. Zunächst durchaus erfolgreich, wie es schien, denn am 31. Juli versicherten Rainer und Globočnik Leopold in dessen Wohnung in Krems, sie würden seine Position als Landesleiter anerkennen. Leopold reagierte, in der Erkenntnis des Organisationstalents der beiden jüngeren Funktionäre und ihrer Verdienste um den Bestand der Partei in den letzten Monaten sichtlich um einen Konsens bemüht, indem er die Bildung eines Kabinetts vorschlug, in dem Rainer für die politische und Globočnik für die organisatorische Arbeit zuständig sein sollten. Er selber wollte nur als »Bundespräsident« des »Kabinetts Rainer« fungieren und sich die Letztentscheidung vorbehalten. Die Übereinkunft sollte jedoch nur wenige Wochen Bestand haben. Zu unterschiedlich waren die Beurteilung des Juliabkommens und die daraus resultierenden taktischen Konzeptionen der beteiligten Personen. Hinzu traten persönliche Rivalitäten, da Leopold – wohl nicht zu Unrecht – vermutete, dass Rainer und Globočnik in Verbindung mit dem im Berliner Exil für die beiden wirkenden steirischen Gauleiter Walter Raffelsberger nach der ganzen Macht strebten, um ihr politisches Konzept zu realisieren. Raffelsberger fungierte sowohl in Berlin wie auch in München als Kontaktmann von Rainer und Globočnik zum außenpolitischen Büro der NSDAP, führenden Persönlichkeiten der SS wie Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich sowie Hermann Göring. Es war Hermann Göring, der auf Betreiben Globočniks Anfang September die Ernennung seines Mitarbeiters im Rahmen des Vierjahresplans, SS-Gruppenführer Wilhelm Keppler, zum Mitglied des sechsköpfigen deutsch-österreichischen Ausschusses zur Durchführung des Juliabkommens durchsetzte. Keppler spielte als Österreichagent der SS in der Folgezeit eine erhebliche Rolle, wobei seine Sympathien seinen SS-Kameraden Rainer und Globočnik galten. Rainer und Globočnik hatten sich zudem der Unterstützung des von dem ehemaligen Kärntner Abwehrkämpfer Hans Steinacher geleiteten Berliner »Vereines für das Deutschtum im Ausland« (VDA) versichert, der sich vor allem um nationale Vereine wie den Turnerbund, den Alpenverein und den Deutschen Schulverein kümmerte. Es ging darum, die Deutungshoheit über die Ereignisse in Österreich sowie die Rolle der österreichischen NSDAP zu erlangen.22 Leopold, der in Berlin über ein von Paul Rauscher geleitetes Büro verfügte, erfuhr von diesen Kontakten, die er durchaus berechtigt als gegen ihn gerichtet interpretierte und entließ Mitte September die 22 Rosar  : Deutsche Gemeinschaft. S. 104.

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Mitglieder seines Kabinetts ohne nähere Erklärung. Am 9. Oktober folgte auch die Entlassung des Kärntner Gauleiters Klausner. Die keineswegs ohne Widerspruch mancher Gauleiter erfolgte Entmachtung der mächtigen Kärntner Gruppe schien vollständig, da Leopold Rainer ausdrücklich jede Parteitätigkeit sowie das Verfassen von Artikeln und das Auftreten als Redner untersage. Wenngleich beide Gruppen in der nach dem Juliabkommen im Interesse Berlins gebotenen Taktik der friedlichen Durchdringung und evolutionären Machtergreifung übereinstimmten, so bestanden in der Frage der Rolle der österreichischen Partei in diesem Prozess sowie den Modalitäten der Penetration des Regierungslagers erhebliche Unterschiede.23 Leopold stützte sich auf die rund 40.000 Mitglieder umfassende SA und die Wiener und niederösterreichische NSDAP und sah in der Erhaltung bzw. dem Ausbau der (Massen-)Basis der Partei eine Absicherung seiner Führungsfunktion. Deshalb sollte die NSDAP en bloc in die Vaterländische Front übertreten mit dem Ziel der Bildung einer Koalitionsregierung und damit der Weichenstellung in Richtung Anschluss. Dabei hatte Leopold die Unterstützung Franz von Papens, der am 1. September 1936 an Hitler schrieb  : »In Besprechungen sowohl mit Regierungsmitgliedern wie mit den Führern der illegalen Partei (Leopold und Schattenfroh), die durchaus auf dem Boden des Abkommens vom 11. Juli stehen, versuche ich, die nächste Entwicklung dahin vorzubereiten, dass eine korporative Vertretung der Bewegung in der Vaterländischen Front angestrebt, jedoch auf Eingliederung von führenden Nationalsozialisten in entscheidenden Stellungen vorläufig verzichtet wird. Dahingegen sollen in solche Positionen nur Persönlichkeiten berufen werden, die die Unterstützung und das Vertrauen der Bewegung genießen. An dem Minister Glaise-Horstenau finde ich in dieser Beziehung einen bereitwilligen Mitarbeiter.«24 Glaise-Horstenau unterstützte Leopold, da er der – damals durchaus berechtigten – Meinung war, der österreichische Landesleiter habe das volle Vertrauen Hitlers. Wie sehr sich Leopold im Herbst 1936 auf die Unterstützung der deutschen Botschaft in Wien stützen konnte, wird aus einer Aufzeichnung eines Gesprächs deutlich, das der deutsche Botschaftsrat Otto Freiherr von Stein am 29. November 1936 während eines Empfanges von Bundespräsident Wilhelm Miklas zu Ehren des ungarischen Reichsverwesens Miklós Horthy in Schönbrunn mit Schuschnigg führte. Stein drückte bei diesem Gespräch sein Missfallen über die Rede des Bundeskanzlers am 26. November in Klagenfurt aus, in der er den Nationalsozialismus als innenpolitischen Feind bezeichnet hatte.25 »Es werde nicht 23 Vgl. dazu Alfred Elste, Dirk Hänisch  : Auf dem Weg zur Macht. Beiträge zur Geschichte der NSDAP in Kärnten von 1918 bis 1938. – Wien 1997. S. 307. (Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit. Band 8. Herausgegeben von Anton Pelinka und Helmut Reinalter.) 24 Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher. Bd. 2. S. 429. 25 Zur Rede Schuschniggs in Klagenfurt am 26. November 1936 vgl. Ludwig Reichhold  : Kampf um

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verstanden werden, dass er den Nationalsozialismus als den eigentlichen Gegner bezeichnet habe, wo doch gerade die nationale Opposition, welche zumeist aus Nationalsozialisten bestehe, zur Mitarbeit im Staate herangezogen werden solle.« Der Kanzler habe geantwortet, er werde sich weiterhin bemühen, die nationale Opposition zur Mitarbeit im Staate heranzuziehen, doch gebe es bei dieser so viele Gruppen, »dass er eigentlich nicht wisse, an welche Gruppe er sich halten solle.« Stein habe darauf hingewiesen, dass sie »wirklich große nationale oppositionelle Bewegung im Lande (…) die hinter Leopold stehenden Nationalsozialisten« seien. »Leopold sei eine nationale, gerade und m. E. auch fähige Führungspersönlichkeit, die die Erfordernisse der Lage richtig einschätze.«26 Rainer lehnte hingegen, wie auch der in der Gruppe der Betont-Nationalen allmählich immer stärker hervortretende Wiener Rechtsanwalt Arthur Seyß-Inquart, Leopolds taktisches Konzept eines korporativen Beitritts der NSDAP zur Vaterländischen Front als illusorisch ab. Die illegale Partei konnte niemals eine Massenpartei sein. Die Politik der Partei musste eine Trennung zwischen Parteiorganisation und nationaler Politik berücksichtigen. Dies bedeutete, dass die Partei als Kaderorganisation kleingehalten und die Machtergreifung über die individuelle Infiltration der Regierung und der Vaterländischen Front erfolgen sollte. Trotz des sich 1936 festigenden Bündnisses zwischen Rainer und Seyß-Inquart, der in diesem Jahr von Schuschnigg in den Staatsrat berufen wurde, da der Bundeskanzler in dem Katholisch-Nationalen die Persönlichkeit sah, mit deren Hilfe er die angestrebte innere Befriedung erreichen könnte, existierten zwischen beiden Auffassungsunterschiede im Detail. Rainer war durch und durch Nationalsozialist und sah daher in allen nationalen Persönlichkeiten, die in führende Positionen gelangten, ausschließlich politische Vertreter der NSDAP, während Seyß-Inquart für seine Person die deutliche Punzierung als nationalsozialistischer Parteigänger (noch) ablehnte und sich bewusst als zwar nationaler, aber parteiunabhängiger Akteur verstand, der sogar so weit ging, der Parteiorganisation lediglich eine vernachlässigbare Rolle im politischen Ringen zuzubilligen. Politik ausschließlich im Rahmen der Legalität war seine Devise. Der im Rahmen der Legalität erfolgende allmähliche Transformationsprozess hatte die Realisierung eines selbstbestimmten österreichischen Nationalsozialismus im Rahmen der großdeutschen (nationalsozialistischen) Volksgemeinschaft zum Ziel. In der angesichts der unterschiedlichen Interessen sowohl innerhalb der NSDAP wie auch im innenpolitischen Kräftefeld unübersichtlichen Situation vermied der eher zurückhaltende und scheue Intellektuelle ohne jede Begabung für das politische TaÖsterreich. Die Vaterländische Front und ihr Widerstand gegen den Anschluss 1933–1938. Eine Dokumentation. – Wien 1984. S. 234ff. 26 Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918–1945. (ADAP) Serie D (1937–1945). Bd. I. Von Neurath zu Ribbentrop (September 1937 – September 1938). – Baden-Baden 1950. Nr. 190.

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gesgeschäft, geschweige denn für das vor allem bei der NSDAP gefragte Gehabe des Volkstribunen, jede eindeutige Stellungnahme. »Mit guten Umgangsformen suchte er wettzumachen, was ihm an wirklicher Kontaktfähigkeit fehlte. Wer seine Höflichkeit spürte, hatte nie das Gefühl, ihm menschlich viel näher gekommen zu sein. Er machte den Eindruck eines hochmütigen und seinem Wesen nach kühlen Mannes. Vielleicht handelte es sich seinerseits eher um einen fundamentalen Mangel an Interessen für Menschen, die anders oder weniger dachten als er selbst. Auffallend war das Übergewicht, das in seiner Persönlichkeit die Reflexion gegenüber der Entschlusskraft hatte  ; eine Wahl treffen und den Knoten durchhauen waren Dinge, die er scheute. Er riskierte es lieber, doppelzüngig genannt zu werden, als dass er von seiner hohen Warte theoretischer Objektivität herabstieg und sich mitten in die Menge stellte. Daneben war in seinem Charakter ein Zug, der vielleicht nicht als typisch für den Intellektuellen überhaupt, wohl aber für den Intellektuellen vom Schlage Seyß-Inquarts gelten darf. Ihn überkam ein Gefühl der Ohnmacht, wenn er Menschen der Tat begegnete, die keinen Moment schwankten und niemals das Gefühl hatten, dass sie, indem sie wählten, ein Stück ihrer Persönlichkeit preisgaben.«27 Diese mentale Dispositionen Seyß-Inquart ließ daher nie eine Nähe zu dem eher hemdsärmeligen »Macher« Odilo Globočnik entstehen, der mit dem katholisch-nationalen Rechtsanwalt, der zudem nicht einmal offiziell Parteimitglied war, nichts anzufangen wusste und ihn innerlich ablehnte. Als er schließlich an die Spitze gelangte, akzeptierte er jedoch den nach wie vor Ungeliebten.28 Im Herbst 1936 schien jedoch der Stern Leopolds aufzugehen, da sein taktisches Ziel eines en bloc-Beitritts der NSDAP zur Vaterländischen Front in der modifizierten und erweiterten Gewandung einer nationalen Sammelbewegung vor der Realisierung zu stehen schien. Dabei kamen ihm äußere Umstände zugute. Im Zuge der im Herbst 1936 erfolgten Entmachtung der Heimwehr und ihrer Auflösung als Wehrverband hatte Bundeskanzler Kurt Schuschnigg am 3. November eine Regierungsumbildung auch mit dem Ziel eines nunmehr leichteren Ausgleichs mit dem nationalen Lager vorgenommen. Um die Heimwehr nicht völlig zu vergrämen, folgte der dem nationalen Flügel der Heimwehr angehörende Ludwig Hülgerth dem Heimwehrangehörigen Eduard Baar-Barenfels als Vizekanzler und der ebenfalls dem nationalen Flügel der Heimwehr zuzuzählende Odo Neustädter-Stürmer wurde Bundesminister für das Sicherheitswesen, während Edmund Glaise-Horstenau vom Minister ohne Portefeuille zum Bundesminister für die Leitung der inneren Verwaltung avancierte. Der ebenfalls als Vertreter der nationalen Opposition geltende Schuschnigg-Vertraute Guido Schmidt gehörte bereits seit 11. Juli als Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten der Bundesregierung an. 27 H. J. Neumann  : Arthur Seyß-Inquart. – Graz/Wien/Köln 1970. S. 67f. 28 Sachslehner  : Odilo Globočnik. S. 52.

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Leopold griff bei seiner Initiative zur Schaffung einer nationalen Sammelbewegung, die in einem weiteren Schritt korporativ der Vaterländischen Font beitreten sollte, auf Konzepte zurück, die zwischen 1933 und 193429 und letztlich auch von Rainer und Globočnik noch im Frühsommer 1935 entwickelt worden waren. Ehe sich die beiden endgültig von der Vorstellung einer engen Verbindung von Partei und politischer Mitbestimmung verabschiedeten, hatten sie die Idee eines »Nationalsozialen Volksvereins Österreich« entwickelt, nach der die Vaterländische Front eine Dreigliederung in einen christlichsozialen, Heimwehr- und betont nationalen Flügel in Form eines »Nationalsozialen Volksvereins Österreich« erfahren sollte. Der außerhalb der Vaterländischen Front konstituierte Nationalsoziale Volksverein Österreich sollte nach seiner Konstituierung und einem Loyalitätsbekenntnis der Vaterländischen Front korporativ beitreten und die Integration des nationalen Lagers bewirken. Leopold griff nun bei seiner Initiative zur Schaffung eines »Deutsch-Sozialen Volksbundes« auf dieses Konzept, das jenem der Aktion Reinthaller glich, zurück. In seinem Vorhaben wurde Leopold durch Glaise-Horstenau bestärkt, der ihm versicherte, dass die Bundesregierung durchaus zu Verhandlungen über eine solche Option bereit wäre. Und der neue Sicherheitsminister Neustädter-Stürmer sprach sich Anfang 1937 in einem aufsehenerregenden Interview für eine innere Befriedung und die Heranziehung von Vertretern der Nationalen Opposition zur politischen Mitarbeit aus.30 Die Heimwehren bzw. deren Reste schienen »als Ansprechpartner der nationalen Opposition auf den ersten Blick geradezu prädestiniert. Ein Gutteil gerade der mittleren Führungsschicht der Heimwehren hatte – wie vielfach bekrittelt – aus freisinnigen Bürgerlichen bestanden, die zwar dem Kulturkampf vorerst abgeschworen hatten, aber den ›Schwarzen‹ nach wie vor skeptisch gegenüberstanden. Die Selbständigkeit Österreichs stand vorerst außer Streit, seit sie von der Reichsregierung offiziell anerkannt worden war. Als Faschisten hatten sich gerade die Heimwehren betrachtet (dieses ›epitheton ornans‹ den Nationalsozialisten gern vorenthalten). Wenn Starhemberg in Wiener Neustadt von der National-Faschistischen Front geschwärmt hatte, dann war Neustädter-Stürmer bereit, dieser Idee nachzugehen. Schon vor seiner Ernennung hatte er Schmidt seine diesbezüglichen Vorstellungen vorgetragen, dann auch Starhemberg selbst, der in seinen Memoiren schreibt, er habe sich über so viel Offenheit gewundert, denn Neustädter-Stürmer verschwieg ihm nicht, das Endziel einer solchen Strategie müsse im Sturz Schuschniggs bestehen.«31

29 1933 wurden die Konzepte einer »Nationalen Kampffront«, einer »Nationalständischen Front«, 1934 jene einer »Nationalfaschistischen Front« und Reinthallers »Nationaler Front« entwickelt. 30 Zu Neustädter-Stürmers Initiative einer Befriedung der Nationalen Opposition vgl. ADAP Serie D/I/194. 31 Lothar Höbelt  : Die Heimwehren und die österreichische Politik 1927–1936. Vom politischen »Kettenhund« zum »Austro-Fascismus«  ? – Graz 2016. S. 389.

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Sowohl die auf eine die Grenzen der NSDAP überschreitende nationale Sammelbewegung zielenden Bestrebungen Leopolds wie auch das Interview Neustädter-Stürmers lösten heftige Betriebsamkeit aus. Vor allem Teile der österreichischen NSDAP sahen in dem Plan Leopolds, der offensichtlich das Wohlwollen der Regierung besaß, die Gefahr einer politischen Marginalisierung. Im Jänner 1937 sah sich daher der »Österreichische Beobachter« zu einer offiziellen Festlegung des Standpunkts der NSDAP veranlasst, indem er betonte, die nationale Opposition werde in Österreich »einzig und allein durch die NSDAP verkörpert« und die Führer der nationalen Opposition seien daher »niemand anderer … als eben die Führer der illegalen NSDAP.«32 Und  : »Es gibt neben der NSDAP keinerlei Gruppen oder politische Faktoren, die als ›nationale Opposition‹ zu bezeichnen wären. Die alleinige Vertretung liegt somit eindeutig in Händen der NSDAP. (…) Die NSDAP lehnt jede Art von Überführung ihrer organisierten Massen in die VF ebenso grundsätzlich ab wie den organisierten Einzeleintritt in diese politische Sammelbewegung.«33 Ungeachtet dieser Querschüsse kamen Papen und Glaise-Horstenau bereits am 9. Jänner 1937 in einer Besprechung darin überein, so rasch als möglich die Statuten des Vereins »Deutsch-Sozialer Volksbund« der Bundesregierung zu überreichen und dessen politische Breite durch ein entsprechendes Proponentenkomitee, dem neben Nationalsozialisten zahlreiche deutsch-völkische Persönlichkeiten angehören sollten, zu dokumentieren. Die nunmehr einsetzende Aktion verlief äußerst erfolgreich, die Unterschriftenliste umfasste schließlich beinahe 500 Namen, die die gesamte Bandbreite des nationalen Lagers repräsentierten. Am 24. Jänner 1937 fand in der Wiener Wohnung des publizistischen Beraters Leopolds, Gilbert In der Maur, ein Treffen der Landesleitung mit allen Gauleitern und deren Stellvertretern statt, bei dem es Leopold vor allem darum ging, auch von seinen innerparteilichen Gegnern wie der Kärntner Gauführung einen demonstrativen Vertrauensbeweis und die Anerkennung seiner Führungsposition zu erlangen. Rainer befand sich bei diesem Treffen in einer schwierigen Situation, da er angesichts des sich abzeichnenden Erfolges Leopolds dessen taktischem Konzept sowie Führungsanspruch keinen offenen Widerstand entgegensetzen konnte. Er erreichte jedoch angesichts des in der Partei nach wie vor vorhandenen Widerstandes gegen den Plan Leopolds, die NSDAP in die Vaterländische Front zu integrieren, dass die Landesleitung in Zukunft die Gauleiter stärker in ihre Entscheidungen einbinden und auch anderen Meinungen stärker Gehör leihen werde. Die Unterschiede zwischen Leopold und der vor allem von der Kärntner Gruppe geführten innerparteilichen Opposition waren jenseits der Beurteilung der Integration der Partei in die Vaterländische Front nicht sehr groß, sondern bestanden vor allem in der Frage der Bewertung der Rolle Berlins. 32 Österreichischer Beobachter Folge 2,3/Jänner 1937. S. 1. 33 Österreichischer Beobachter Folge 4/Jänner 1937. S. 2f.

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»Beide hofften, eine Gleichschaltung zu erreichen, indem die Nationalsozialisten in die österreichische Regierung eintraten. Beide waren bereit, dem Konzept einer allmählichen ›friedlichen Durchdringung‹ treu zu bleiben. Hauptsächlich waren sie sich darüber uneinig, wer die Durchdringung ausführen sollte. Die Kärntner sahen die Deutschen in der Schlüsselrolle, mit einzelnen österreichischen Nationalsozialisten in der Rolle von Nebendarstellern. Für Leopold und die SA würden die österreichischen Nationalsozialisten allein die Initiative ergreifen, auch wenn sie gelegentlich Unterstützung durch das Reich benötigten.« Doch »bei allen Differenzen zwischen den nationalsozialistischen Führern muss betont werden, dass keiner von ihnen wollte, dass Österreich einfach von einem vergrößerten Deutschen Reich verschlungen werde. Es ist daher irreführend und unfair, Österreicher in ›Patrioten‹ und ›Verräter‹ zu teilen, wobei alle Schuschnigg-Anhänger dem ersten Lager zuzuordnen wären und die Nationalsozialisten und ihre Sympathisanten dem zweiten. Tatsächlich wollten alle Österreicher eine gewisse Autonomie für ihr Heimatland gewahrt wissen. Sie fassten eine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen Deutschland und Österreich ins Auge und erwarteten, dass ›Hitler als Österreicher diesen Plan ausführen werde.‹ Deshalb betrachteten sich nicht einmal die fanatischsten und irregeleitetsten Nationalsozialisten in irgendeiner Weise als Verräter. Sie dachten naiv, sie könnten ihre Loyalität zu Österreich mit ihrer Loyalität zur Partei in Einklang bringen. Leopold gab bei einer Gelegenheit Alfred Persche gegenüber zu, dass die österreichischen Nationalsozialisten Schuschniggs Ansicht teilten, dass Österreich eine besondere Mission hätte. Sowohl er als auch Persche waren gleichermaßen überzeugt, dass Österreicher die besten Führer der Österreicher seien. Er legte den Führerbefehl hinsichtlich der Nichteinmischung der Parteiämter im Reich in österreichische Angelegenheiten wortwörtlicher aus, als Hitler beabsichtigte.«34 Leopold konnte sich zu diesem Zeitpunkt gegen seine innerparteilichen Kritiker auf die offizielle Unterstützung Berlins berufen. Ende Jänner/Anfang Februar 1937 traf er während seines Berlin-Besuches Heinrich Himmler, der bei diesem Treffen die österreichische SS der Landesleitung der NSDAP unterstellte, Hermann Göring und Adolf Hitler, der ihn sogar zu einem fast zweistündigen Gespräch in der Reichskanzlei empfing. Der einer höheren Bildung entbehrende Bauernsohn mit seinem oft als rüpelhaft empfundenen Auftreten und seiner, dem revolutionären Umbruch geschuldeten subalternen Offiziersstellung von vielen von oben herab beurteilte Landesleiter schien politische Fortune zu haben. Nach seiner Rückkehr aus Berlin gaben Franz von Papen und Edmund Glaise-Horstenau am 4. Februar Leopold den Rat, ein Komitee aus Vertretern der Proponenten des »Deutsch-Sozialen Volksbundes« 34 Bruce F. Pauley  : Der Weg in den Nationalsozialismus. Ursprünge und Entwicklung in Österreich. – Wien 1988. S. 174f.

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zu bilden, das die geplanten direkten Verhandlungen mit Schuschnigg – Gründung des Deutsch-Sozialen Volksbundes, dessen Eingliederung in die Vaterländische Front sowie eine Einbindung von Nationalsozialisten bzw. Repräsentanten der Nationalen Opposition in die Regierung und damit eine Revision der Regierungspolitik – begleiten sollte. Leopold befolgte diesen Rat und ernannte das sog. »Siebenerkomitee«, dem neben den Mitgliedern der NSDAP-Landesleitung Leopold Tavs, Hugo Jury und Gilbert In der Maur der Ministerialrat im Bundeskanzleramt, Egbert Mannlicher, als Vertrauensmann von Bundesminister Edmund Glaise-Horstenau, der ehemalige Kärntner Landesamtsdirektor Ferdinand Wolsegger, ein Konfident Rainers, sowie der Herausgeber der Linzer Tageszeitung »Neue Zeit« und Mitglied des Bundeswirtschaftsrates, Stefan Berghammer, als Vertrauensmann von Bundesminister Odo Neustädter-Stürmer und der als Schuschnigg-nahe geltende national-katholische Oswald Menghin, Mitglied des CV und Wiener Universitätsprofessor, als offizieller Vorsitzender angehörten. Das Komitee beschloss in seiner konstituierenden Sitzung am 5. Februar, alle Mitglieder der Bundesregierung zu ersuchen, im Rahmen der geplanten Befriedungsaktion ausschließlich mit den Mitgliedern des Komitees zu verhandeln. Leopolds Kalkül zielte auf direkte Verhandlungen mit Schuschnigg, in denen er dessen Einwilligung zur Bildung des Deutsch-Sozialen Volksbundes und dessen Überführung in die Vaterländische Front sowie in weiterer Folge seinen persönlichen Eintritt in die Bundesregierung erreichen wollte. Er wusste vom Widerstand vor allem des radikalen Flügels der NSDAP gegen seine Pläne, in denen dieser nur einen Ausverkauf der Partei sah.35 Er musste daher im Vorfeld der Verhandlungen diesen Eindruck zu vermeiden suchen, weshalb er seinem Gesprächspartner ein auf sieben Seiten zusammengefasstes Forderungsprogramm übermittelte, das über die Bestimmungen des Juliabkommens weit hinausging und im Fall seiner Akzeptanz Österreich in einen nationalsozialistischen Satellitenstaat verwandelt hätte.36 35 In seinem Bericht an Hitler vom 14. Jänner 1937 kam Franz von Papen auf diese innerparteilichen Spannungen im Zusammenhang mit den Bemühungen um die Errichtung des Deutsch-Soziales Volksbundes zu sprechen. In illegalen Parteikreisen sei durch diese Bemühungen neues Misstrauen hervorgerufen worden, »und sogar darüber hinaus in den Kreisen der Nationalen im Allgemeinen, dass diese ›Aktion‹ nur den Zweck habe, den Widerstand der Nationalen umzubringen, und dass das Ganze in einer neuen Verfolgungswelle enden würde. (…) Durch all diese Ereignisse ist für die illegale Partei eine sehr heftige Krise entstanden. Es ist allgemein bekannt, dass schwere Meinungsverschiedenheiten über die Haltung, die in Hinkunft eingenommen werden soll, zwischen der gegenwärtigen Führerschaft und einem großen Teil der Partei, besonders der Gauführerschaft, bestehen. Es wurde klar, dass der Optimismus der Führerschaft, dass sie bald die volle Anerkennung erreichen würden und direkt an der Regierung teilnehmen könnten, ungerechtfertigt war. Besonders in SA-Kreisen (…) ertönten die heftigsten Angriffe gegen die Führerschaft.« (Zit. bei Reichhold  : Kampf um Österreich. S. 282.) 36 Die Forderungen beinhalteten die Erweiterung der im Gentlemen’s Agreement vereinbarten Amnestie auf Schwerverbrechen, wenn diese aus rein politischen Gründen begangen wurden und die

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Einem ersten Gespräch von drei Mitgliedern des Siebenerkomitees – Egbert Mannlicher, Hugo Jury, Oswald Menghin – mit Schuschnigg am 11. Februar 1937 folgte wenige Stunden später ein zweites, an dem auf Ersuchen der drei Mitglieder des Siebenerkomitees auch Leopold teilnahm. Bereits im Vorfeld des Treffens hatte das Bundeskanzleramt signalisiert, dass die von Leopold formulierten, über die Bestimmungen des Juliabkommens weit hinausgehenden, Forderungen nicht Gegenstand der Verhandlungen sein können, doch sei der Kanzler bereit, über andere Anliegen zu sprechen. Dabei wurde deutlich, dass der Bundeskanzler nach wie vor der irrigen Meinung anhing, durch Konzessionen an die Betont-Nationalen und auch an die als gemäßigt geltenden Nationalsozialisten die von ihm angestrebte innere Befriedung zu erreichen. Dementsprechend nachgiebig reagierte Schuschnigg auf den Forderungskatalog seiner Gesprächspartner. Der deutsche Botschafter Franz von Papen berichtete am 13. Februar sichtlich zufrieden nach Berlin, dass »die Bemühungen der österreichischen NSDAP, die Illegalität zu überwinden, (…) in ein entscheidendes Stadium gekommen zu sein« scheinen. Die Gespräche »von nationalsozialistischen Persönlichkeiten mit den Ministern Glaise-Horstenau und Neustädter-Stürmer sind zu Beginn dieser Woche abgeschlossen worden.«37 Schuschnigg habe gegen die – an sich bereits im Juliabkommen fixierte – Anerkennung der Unabhängigkeit und der Ständischen Verfassung Österreichs die Errichtung von Vereinigungen nach dem Vorbild des Siebenerkomitees in den Bundesländern, die Etablierung von Vertrauensmännern der Nationalen Opposition nach dem Muster der Sozialen Arbeitsgemeinschaft (SAG) in der Vaterländischen Front sowie die Amnestierung weiterer 145 Nationalsozialisten zugestanden und die Bereitschaft signalisiert, der Nationalen Opposition größeren Einfluss im Verwaltungsbereich einzuräumen. Um die innere Befriedung voranzutreiben, werde die Bundesregierung die Errichtung eines eigenen Büros des Siebenerkomitees in der Teinfaltstraße gestatten. Damit wurde der NSDAP die Errichtung einer inoffiziellen Parteizentrale zugestanden, wobei sich Schuschnigg allerdings auch von dem Gedanken leiten ließ, durch dieses offizielle Büro die Tätigkeit der NSDAP besser überwachen zu können. Auf die in der zweiten Besprechung erhobene Forderung nach Gründung des DeutschSozialen Volksbundes, der einer indirekten Legalisierung der NSDAP gleichgekomAnerkennung des Prinzips, dass die nationalsozialistische Überzeugung und die daraus folgenden Aktivitäten keinen staats- oder regierungsfeindlichen Charakter hatten. Sämtliche Einschränkungen im Bereich der Zulassung von deutschen Zeitungen und Büchern sollten fallengelassen werden, eine Erklärung des gemeinsamen Rassenursprungs die Grundlage des politischen Lebens bilden und ein Verbot der »Judenpresse« ausgesprochen werden. Neue Minister waren nur mit Zustimmung beider Parteien zu ernennen, ein Verteidigungsbündnis mit dem Deutschen Reich war abzuschließen und dem Deutsch-Sozialen Volksbund die volle Handlungsfreiheit zu gewähren. (Pauley  : Der Weg in den Nationalsozialismus. S. 176.) 37 ADAP Serie D/I/201.)

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men wäre, ging Schuschnigg allerdings aufgrund des massiven Widerstandes in der Vaterländischen Front nicht ein.38 Papen war vom Verhalten des Kanzlers sichtlich enttäuscht und sah seine Anfang Dezember 1936 erstellte Analyse des Charakters der Vaterländischen Front bestätigt. Am 2. Dezember 1936 hatte er nach Berlin berichtet, er habe gegen Schuschnigg immer wieder betont, dass der Aussöhnung der Vaterländischen Front mit der Nationalen Opposition eine entscheidende Rolle bei der Erfüllung des Juliabkommens zukomme. Doch sei dabei kein Fortschritt zu bemerken. »Dieser in den Jahren des Kampfes gegen das Reich geschaffene politische Körper zeige keinerlei Neigung, sich der neuen Lage anzupassen. Im Gegenteil schiene mir, dass von hier aus im Verein mit dem schwarzen Klerikalismus ein erbitterter Kampf gegen die Einführung der nationalen Elemente in das politische Leben Österreichs geführt werde.«39 In seiner mit Spannung erwarteten Rede vor rund 1.500 Amtswaltern der Vaterländischen Front erteilte Schuschnigg dem Ansinnen der Gründung des Deutsch-Sozialen Volksbundes eine Absage. Man sei in Österreich auf dem Gebiet des Vereinsrechtes sehr großzügig, doch wenn sich bei Neugründungen »politische Tendenzen zeigen, so brächte dies zweifellos die Gefahr einer neuerlichen parteimäßigen Gruppierung, die dem Grundcharakter der Verfassung widerspräche. (…) In unserer Zeit muss v o l l e K l a r h e i t sein. Alles, was zu Missdeutungen führen könnte und was zu unrichtigen Kombinationen Anlass gibt, muss von vornherein vermieden werden. Ich halte dafür, dass Vereinsgründungen derzeit die Öffentlichkeit in Österreich nicht von den wirklich dringenden Problemen des Tages ablenken und beunruhigen dürfen. Bekanntlich waren Proponenten aus verschiedenen Kreisen in der Absicht, der Befriedung zu dienen, darangegangen, Statuten für einen ›Deutsch-Sozialen Volksbund‹ auszuarbeiten, in dessen Reihen sich die vorwegs national eingestellten Kreise Österreichs, und zwar von der extremst aktivistischen Richtung bis herüber zu denen, die längst den Weg zum Staat gefunden oder die innere Verbindung mit ihm nie verloren hatten, zu gemeinsamer Arbeit finden sollen. Ich nehme hierbei gerne an, dass diese Aktion von dem begrüßenswerten Vorsatz getragen war, Trennendes zurückzustellen, um bisher Abseitsstehende für die Mitarbeit im Staate und in der Gemeinschaft zu gewinnen. Wenngleich dieser Vereinsgedanke also nicht gegen die Front gerichtet war, könnten doch allzu leicht Missverständnisse entstehen, die geeignet wären, d i e A t m o s p ä r e z u t r ü b e n , s t a t t s i e z u v e r b e s s e r n . Ich bin daher der Auffassung, dass diese oder ähnliche Vereins-

38 Anton Hopfgartner  : Kurt von Schuschnigg. Ein Staatsmann im Kampf gegen Hitler. – Wien 1988. S.  122f.; Lucien O. Meysels  : Der Austrofaschismus. Das Ende der ersten Republik und ihr letzter Kanzler. – Wien/München 1992. S. 176f.; Rosar  : Deutsche Gemeinschaft. S. 115. 39 ADAP Serie D. I/191.

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gründungen n i c h t z w e c k m ä ß i g sind.«40 Der »Österreichische Beobachter« kommentierte die Rede Schuschniggs mit der Bemerkung, bei der Gegnerschaft gegen die Vereinsbildung hätten »die ewig Gestrigen und Unbelehrbaren, die unverbesserlichen Saboteure des 11. Juli – die niemals in den Reihen der NSDAP, sondern stets in jenen der Gegner zu finden waren – wahre Orgien der Quertreiberei gefeiert. Judenschaft, Finanzkapital, Asphaltpresse, hysterische Angstweiber beiderlei Geschlechtes, Sicherheitssadisten und all die kleinen Seelen, deren Berater Hass und Angst sind, stehen fassungslos und entrüstet vor der Tatsache, dass in Österreich der beste Teil des Volkes dieses Landes aktiv in die politischen Geschehnisse eingriff.«41 Die auf die große Rede folgenden Ereignisse bewirkten bei Schuschnigg eine zusätzliche Ernüchterung. Die von der NSDAP organisierten hysterischen Massendemonstrationen von rund 100.000 Anhängern, die sich in »Heil Hitler  !« und »Heil Großdeutschland  !«-Rufen anlässlich des Besuchs des deutschen Außenministers Konstantin von Neurath am 22. Februar ergingen, veranlassten den »Österreichischen Beobachter« zum Bericht über einen politischen Freudentag. »Noch nie seit Bestand des ›autoritären‹ Österreich hatte das unterdrückte und entrechtete Volk dieses Staates am Besuch auswärtiger Staatsmänner freudigen Anteil genommen. Österreich genoss in aller Welt den anrüchigen Ruf, der einzige europäische Staat zu sein, in dem Ehrengäste der Regierung unter demonstrativer Abwesenheit der Bevölkerung empfangen und durch die Straßen geführt werden. Dies hat sich mit einem Schlag geändert. Die Ankunft des Reichsaußenministers Neurath, des ersten offiziellen Staatsbesuches aus dem neuen Deutschland Adolf Hitlers, führte zu einer F r e u d e n k u n d g e b u n g , wie sie Wien bei ähnlichen Anlässen noch nicht erlebt hat  !«42 Zu diesem verheerenden Eindruck der Stimmungslage in Österreich trat seit der Jahreswende 1936/37 noch eine verstärkte propagandistische und terroristische Tätigkeit der NSDAP, die neben dem offiziellen Quartier des Siebenerkomitees in der Teinfaltstraße hinter dem Burgtheater in der nahegelegenen Helfersdorfer Straße eine illegale Parteizentrale errichtet hatte, die die wiederum einsetzende regierungsfeindliche Propaganda und Demonstrationen koordinierte. Bei Schuschnigg verstärkte sich der Verdacht, dass es sich beim Großteil der Proponenten des »DeutschSozialen Volksbundes« um Persönlichkeiten handelte, die in der Organisation nichts anderes sahen als ein getarntes Mittel zur Wiederherstellung der NSDAP und Bundesminister Odo Neustädter-Stürmer nichts anderes als deren willfähriges Werkzeug sei. Als am 23. Februar ein Dankschreiben Leopolds an die Proponenten des »Deutsch-Soziales Volksbundes« publiziert wurde, schien sich der Verdacht einer 40 Reichspost 15.2.1936. S. 3. 41 Österreichischer Beobachter Sonderfolge Februar 1937. S. 2. 42 Österreichischer Beobachter Folge 8/März 1937. S. 1.

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Doppelgleisigkeit der Akteure zu bestätigen. Der Bundeskanzler drängte Neustädter-Stürmer zum Rücktritt, der am 21. März erfolgte. Anfang Mai erfolgte eine Razzia der Wiener Polizei gegen die illegale Parteizentrale der NSDAP, die zahlreiche Beweise für die engen Beziehungen zwischen der österreichischen und deutschen Partei sicherstellte. Anstatt, wie der deutsche Botschafter Papen fürchtete, mit diesem erdrückenden Beweismaterial offensiv in die Öffentlichkeit zu treten und die deutsche Regierung der Verletzung des Juliabkommens zu überführen, beharrte Schuschnigg auf seiner Meinung, dass doch noch ein Ausgleich möglich sei. Man müsse nur die richtigen Persönlichkeiten, die, im Gegensatz zu Leopold, das Vertrauen des Kanzlers besaßen, zur Mitarbeit heranziehen. Bestärkt wurde er in diesem Bestreben durch das ernüchternde Treffen mit Mussolini in Venedig am 23. April, bei dem die wachsende Distanz Mussolinis gegenüber Österreich deutlich spürbar und auch seitens der österreichischen Delegation genau registriert wurde und zudem der Schwiegersohn des Duce und italienische Außenminister, Graf Galeazzo Ciano, einer möglichen Regierungsbeteiligung der Nationalsozialisten das Wort redete. Dabei machte er sich zum Sprachrohr und Fürsprecher einer Denkschrift, die ihm im Vorfeld der Besprechung im Namen der österreichischen NSDAP von Landesleiter Josef Leopold übermittelt worden war.43 Es war wohl, neben der Erkenntnis des endgültigen Verlustes der italienischen Rückendeckung und der internationalen Isolation, diese direkte Intervention Leopolds über Ciano, die Schuschnigg zum Handeln veranlasste. Dabei klammerte er sich an Punkt IX des Gentlemen’s Agreement, das die politische Mitwirkung nur jener Persönlichkeiten festhielt, die das persönliche Vertrauen des Kanzlers besaßen. Leopold besaß dieses Vertrauen nicht, hingegen gewann es in zunehmendem Ausmaß der katholisch-nationale großbürgerliche Wiener Rechtsanwalt Arthur Seyß-Inquart. Guido Zernatto hatte am 12. Februar 1937 ein erstes Gespräch Schuschniggs mit Seyß-Inquart ermöglicht, in dem Seyß-Inquart seine politischen Grundsätze, die, ähnlich wie jene Schuschniggs, auf dem (monarchistischen) Reichsgedanken basierten, darlegte. In seinen Erinnerungen bezeichnete Zernatto die Ausführungen SeyßInquarts als gegliedert und durchdacht. »Am Anfang und am Ende seines politischen Weltbildes, führte Seyß aus, stehe der Reichsgedanke. Die Idee, alle Deutschen in einem Volksreich zu vereinigen, über dessen Form es verfrüht sei zu diskutieren. Es stehe aber für ihn fest, dass Österreich in diesem Reich eine außerordentlich wichtige Rolle zu spielen berufen sei. Aus seinen Reden war zu entnehmen, dass er an eine förderative Gestaltung des Reiches dachte, für das er die Schaffung einer monarchischen Spitze für wünschenswert hielt. Für Österreich lehnte er jede Gleichschaltungspolitik ab. Der Gedanke eines selbständigen Österreich gehörte für ihn nach seinen Ausführungen zu den selbstverständlichen Dingen. 43 Der Hochverratsprozess gegen Dr. Guido Schmidt. S. 44.

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Er sei, wenn er mit der Aufgabe der Heranführung nationaler Kreise an die VF betraut werde, gegen jede Tarnung illegaler Arbeit, sondern für ehrliche Mitarbeit, Mitgestaltung, Mitverantwortung. Dieses Gespräch hinterließ bei Dr. von Schuschnigg einen sehr günstigen Eindruck.«44 In seiner zwei Tage später gehaltenen Rede erteilte Schuschnigg der beabsichtigten Bildung des »Deutsch-Sozialen Volksbundes« eine Absage, betonte jedoch die Bereitschaft der Vaterländischen Front, den bisher abseits Stehenden »die Mitarbeit in ihren Reihen zu ermöglichen.« Diese Bereitschaft sei jedoch an bestimmte Prämissen gebunden. »Wer die Grundlagen von Staat und Front anerkennt und wer das ausschließliche Recht der Front, in Österreich die Politik zu führen zur Kenntnis genommen hat, ist als Weggefährte willkommen. Auch für den früheren österreichischen Nationalsozialisten gilt als e r s t e s u n d u n e r l ä s s l i c h e s E r fordernis das Bekenntnis zur Realität der Unabhängigkeit und S e l b s t ä n d i g k e i t d e s ö s t e r r e i c h i s c h e n Va t e r l a n d e s , d i e A n e r k e n n u n g d e r M a i v e r f a s s u n g in allen ihren Teilen, die Anerkennung der Vaterländischen Front in ihren gesetzlich festgelegten Funktionen und der Verzicht auf jede politische Tätigkeit außerhalb ihres Rahmens. (…) Wir werden in allernächster Zeit durch S c h a f f u n g e n t s p r e c h e n d e r R e f e r a t e b e i d e n l e i t e n d e n F ü h r u n g s s t e l l e n d e r F r o n t das unsrige dazu tun, um die Befriedungsarbeit im Lande auch nach der ehemals nationalsozialistischen Seite weiter zu fördern.«45 Unter Bezugnahme auf die Rede Schuschniggs vom 14. Februar unterbreitete Seyß-Inquart nach Besprechungen mit Zernatto dem Kanzler am 25. März einen ersten Entwurf für die »Richtlinien der Referenten bei der Vaterländischen Front im Sinne der Rede des Frontführers vom 14. Februar 1937«, in denen er die Bezeichnung »Volkspolitisches Referat« und für sich persönlich jene eines »Bundesbevollmächtigten« vorschlug. Die Aufgaben des Volkspolitischen Referats sollten in der Mitwirkung bei der politischen Willensbildung innerhalb der Vaterländischen Front, der Mitwirkung bei der innenpolitischen Befriedung und der Zusammenarbeit mit allen Stellen, Personen oder Vereinigungen, die der Erreichung dieses Ziels dienen, bestehen. Mit dem Fehlschlag des »Deutsch-Sozialen Volksbundes« und der zunehmenden Bedeutungslosigkeit des Siebenerkomitees als Verbindungsglied zur Regierung begann der Stern von Landesleiter Leopold zu sinken. Diese negative Entwicklung verstärkte sich noch durch die erfolgreiche Razzia der Wiener Polizei im Mai 1937. Der alte Kämpfer Leopold sah sich von den Ereignissen und komplexen Machtkonstellationen sowie den alten und neuen Personen, die, wie im Fall Seyß-Inquarts,

44 Guido Zernatto  : Die Wahrheit über Österreich. – New York/Toronto 1938. S. 178f. 45 Reichspost 15.2.1937. S. 3.

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nicht einmal Parteimitglied waren46 und die Zeichen der Zeit anders interpretierten, in seiner mühsam errungenen und behaupteten Stellung zunehmend bedroht. Vor allem registrierte er, dass Franz von Papen zunehmend auf Distanz zu seiner Person ging und auf Seyß-Inquart setzte. Die Berichte Papens nach Berlin begannen

46 Die Frage nach der frühen Parteimitgliedschaft Seyß-Inquarts ist nach wie vor nicht eindeutig zu beantworten. Während die zeithistorische Literatur eine frühe Parteimitgliedschaft Seyß-Inquarts verneint, schrieb dieser in einem Brief vom 19. August 1939 an Heinrich Himmler  : »Was meine Parteizugehörigkeit betrifft, so bemerke ich, dass ich niemals aufgefordert wurde, der Partei beizutreten, aber ich habe im Dezember 1931 Dr. Klier gebeten, mein Verhältnis zur Partei in Ordnung zu bringen, da ich in der Partei die Grundlage für die Lösung der österreichischen Frage sehe. (…) Ich habe daraufhin meine Beiträge bezahlt, und zwar, wie ich glaube, unmittelbar an den Gau Wien. Die Überweisungen erfolgten noch über die Verbotszeit hinaus. Dann später kam ich in unmittelbare Verbindung mit der Ortsgruppe in Dornbach. Die Beiträge zahlte meine Frau, doch war sich im Hinblick auf die Höhe der Beiträge, S 40,– im Monate, der Blockwart niemals im Zweifel darüber, dass dies eine Leistung für meine Frau und mich war, und ich wurde in jeder Beziehung als Parteigenosse behandelt. (…) Ich habe mich also in jeder Beziehung als Parteigenosse gefühlt und als der Partei zugehörig angesehen und zwar, wie gesagt, schon vom Dezember 1931 an.« Wie weit diese Behauptungen aus Karrieregründen einer imaginierten Rekonstruktion der Parteizugehörigkeit entsprechen, lässt sich nicht einwandfrei klären. Es ist jedoch bemerkenswert, dass von einer Parteizugehörigkeit Seyß-Inquarts in der Landesleitung offensichtlich nichts bekannt war. Im Gegenteil. Seyß-Inquart galt vor allem bei Leopold und einem Großteil der SA als hochmütiger intellektueller politischer Mitspieler außerhalb der Partei, bestenfalls in deren Nahbereich ohne nennenswerten Anhang. Am 10. Dezember 1945 unterschrieb Seyß-Inquart auf Anraten seines Verteidigers vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg eine Erklärung, in der er lediglich von einer temporären Unterstützung der NSDAP, nicht jedoch von einer Parteimitgliedschaft, sprach. »Im Jahre 1918 wandte sich mein Interesse der Anschlussfrage Österreichs an Deutschland zu. Von diesem Jahre an bemühte, plante und arbeitete ich zusammen mit anderen, die gleicher Ansicht waren, um einen Anschluss Österreichs mit Deutschland zustande zu bringen. Es war mein Wunsch, diesen Zusammenschluss der zwei Staaten in evolutionärer Art und mit legalen Mitteln zu schaffen. (…) Ich unterstützte auch die Nationalsozialistische Partei, solange sie legal war, weil diese mit besonderer Entschiedenheit für den Anschluss eintrat. Vom Jahre 1932 ab machte ich der Partei geldliche Zuwendungen, hörte aber mit dieser finanziellen Unterstützung auf, als sie im Jahre 1934 verboten wurde. (…) Vom Juli 1936 an bemühte ich mich, den Nationalsozialisten zu einer legalen Betätigungsmöglichkeit zu verhelfen, und schließlich, ihnen eine Teilnahme an der Regierung zu verschaffen. Ich wusste, dass vor allem in der Zeit des Parteiverbots bis Juli 1934 das radikale Element in der illegalen Partei terroristische Akte ausführte, z. B. auf Eisenbahnen, Brücken, Telefonanlagen usw. Ich wusste, dass die Regierung beider Kanzler, Dollfuß und Schuschnigg, obwohl sie grundsätzlich auf gesamtdeutschem Standpunkt standen, im Hinblick auf das nationalsozialistische Regime im Reich damals gegen den Anschluss waren. Ich sympathisierte mit den Anstrengungen der österreichischen Nationalsozialisten, zu politischer Betätigung und entsprechendem Einfluss zu kommen, weil sie für den Anschluss waren.« (Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher. Bd. 5. S. 379ff.) Offiziell wurde Seyß-Inquart am 13. März 1938 Mitglied der NSDAP.

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zur Jahresbeginn 1937 ein zunehmend negatives Bild des österreichischen Landesführers zu zeichnen. In seinen Erinnerungen charakterisierte er Leopold als einen Mann, der »im Ersten Weltkrieg wegen Tapferkeit ausnahmsweise aus der Mannschaft zum Offizier befördert worden« sei. »Seine Erziehung war beschränkt gewesen, sein Charakter widerspenstig und verbissen, der Typ eines unintelligenten Unteroffiziers.«47 Leopold versuchte dieser Entwicklung durch einen Leitartikel über seine Person und deren Verdienste um die österreichische NSDAP und die Anerkennung seiner Stellung im Deutschen Reich im »Österreichischen Beobachter« zu begegnen. Lange habe »die jüdische Weltpresse aller Schattierungen« die »Sekundantenrolle« der österreichischen Regierungspropaganda übernommen, den österreichischen Nationalsozialismus gebe es nicht, er werde lediglich »vom Dritten Reich durch Geldzuwendungen und bezahlte Agentenarbeit … vorgetäuscht.« Dieser Erzählung habe das Juliabkommen ein Ende bereitet und heute müsse die internationale (Juden)Presse das Erstarken des Nationalsozialismus in Österreich feststellen. In den Berichten der internationalen Presse tauche »immer wieder ein Name eines Mannes auf, der für das Erstarken der österreichischen NSDAP verantwortlich gemacht wird, der Name J o s e f L e o p o l d . Hauptmann Leopold (…) wird übereinstimmend als der Führer der österreichischen Nationalsozialisten bezeichnet. Selbst Blätter, die im Übrigen ihrem Hass keine Zügel anlegten, gaben zu, dass er ein vielfach ausgezeichneter Frontsoldat und überaus mutiger und kühner Offizier sei. In langen Artikeln wurde berichtet, dass Hauptmann Leopold seit seiner Entlassung aus der Haft zweimal im Deutschen Reich war und dabei von den maßgebendsten Führern des Dritten Reiches – beidemals vom Führer und Reichskanzler – in überaus herzlicher Weise empfangen wurde. (…) Hauptmann Leopold, der schon in der Zeit vor dem Parteiverbot der rangälteste Gauleiter war, ist vor 10 Jahren – 1927 – als einziger österreichischer Gauleiter durch ein Handschreiben des Führers Adolf Hitler zum Gauleiter von Niederösterreich ernannt worden. Er hat sein Amt, in das ihn das Vertrauen des Führers berief, trotz Not und Verfolgung nicht verlassen. Er hat in der Zeit des furchtbarsten Terrors unser Schicksal geteilt, verlor Brot und Existenz wie unzählige tausende unserer Kameraden, nahm alle Schikanen eines blindwütigen Systems, das uns vergeblich zu beugen versuchte, auf sich und verbrachte 30 Monate in den Anhaltelagern und Kerkern des Regimes. Er hat uns stets das Leben eines nationalsozialistischen Führers vorgelebt. Grenzenloses Vertrauen und untrennbare Gefolgschaft danken wir ihm dafür, in hingebender Treue steht die gesamte NSDAP Österreichs zu diesem ihren Führer Hauptmann Leopold. In dem Vertrauen, dass sich Hauptmann Leopold durch seine aufrechte, unbeugsame Haltung als Mann und Nationalsozialist in den Stürmen der Zeit errungen hat, steht die nationalsozialistische Bewegung und mit ihr die gesamte nationale Op47 Franz von Papen  : Der Wahrheit eine Gasse. – München 1952. S. 434.

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position Österreichs (…), den Garanten jener Entwicklung in Österreich, die dem Nationalsozialismus die ihm zukommende Geltung erkämpfen wird. (…) Er ist es, der die Befriedungsvorschläge der Regierung zu prüfen hat. An ihm ist es, sie anzunehmen oder abzulehnen. Ob er zum Kampf oder zum Frieden ruft  : immer steht die geschlossene Wucht des deutschen Volkes in Österreich hinter ihm.«48 Leopold versuchte, den Druck auf die österreichische Bundesregierung durch eine direkte Intervention beim italienischen Außenminister, Graf Galeazzo Ciano, im Vorfeld des Treffens Schuschniggs mit Mussolini in Venedig im April 1937 zu erhöhen. Ciano, der eine Revision der italienischen Außenpolitik in Richtung Berlins und zulasten Österreichs wesentlich mitgestaltet hatte, unterbreitete bei den Besprechungen Staatssekretär Guido Schmidt aufgrund eines von Prinz Karl Anton Rohan49 im Auftrag Leopolds überreichten Memorandums den Vorschlag, drei Nationalsozialisten in die Regierung aufzunehmen und damit die Regierungsbasis zu verbreitern.50 Leopold sah in dieser Aktion die Chance, die äußerst schwierige Situation der NSDAP, deren Lösung zunehmend der Quadratur des Kreises glich, doch noch zu meistern. Prinzipiell war er Verhandlungen mit der Regierung und damit einem evolutionären Kurs nicht abgeneigt, nur sollten dabei die Partei und deren nach wie vor offizieller Landesführer und nicht parteiferne oder -halbnahe Intellektuelle vom Schlage eines Seyß-Inquart die Karten in der Hand haben. Im März 1937 hatten sich Teile der Partei, vor allem der SA, gegen jede Form der inneren Befriedung ausgesprochen und offen gegen Leopold revoltiert. Der Landesleiter sah sich daher gezwungen, einen spektakulären Erfolg vorzuweisen und damit die Richtigkeit seines Kurses unter Beweis zu stellen. Nicht die ohnedies die Parteistruktur und deren kampferprobte Mitglieder als sekundär betrachtenden intellektuellen Betont-Nationalen jeglicher Spielart vom Schlag Seyß-Inquarts, die auf eine mittel- bis langfristige Perspektive setzten, sondern die Partei und deren Führung mussten als 48 Österreichischer Beobachter Folge 11/März 1937. S. 1–3. 49 Karl Anton Prinz Rohan (1898–1975) stammte aus dem gleichnamigen Adelsgeschlecht und war Gutsbesitzer in Loosdorf in Niederösterreich. 1924 gründete er den »Europäischen Kulturbund« als Verband für kulturelle Zusammenarbeit und gab 1925 bis 1936 die »Europäische Revue« heraus, in der er ein elitär-konservatives Konzept des Abendlandes propagierte, das er als Gegenpol zur christlichsozialen Paneuropa-Idee von Richard Coudenhove-Kalergi, mit dem er persönlich verfeindet war, positionierte. In den Dreißigerjahren gehörte er neben Bischof Alois Hudal zu den Brückenbauern zwischen Christentum/Katholizismus und Nationalsozialismus, trat jedoch auch für ein selbstständiges nationalsozialistisches Österreich ein. Dennoch begrüßte er 1938 den Anschluss und wurde am 1. Mai Mitglied der NSDAP. Da er jedoch an seinem Konzept eines vereinten Europas auf katholisch-aristokratischer Grundlage und an der Idee eines selbstständigen Österreich festhielt, geriet er in Gegensatz zur NSDAP. Während des Zweiten Weltkrieges arbeitete er im Nachrichtendienst und nach 1945 verfasste er Beiträge für die Zeitschriften »Aula« und »Neue Ordnung«. 50 ADÖ 11/1746  ; Zernatto  : Die Wahrheit über Österreich. S. 180  ; Der Hochverratsprozess gegen Dr. Guido Schmidt. S. 44.

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Akteur in die politische Arena steigen und durch eine direkte Beteiligung an der politischen Macht den Weg zur »Machtergreifung« nach deutschem Muster beschreiten. Obwohl in Venedig von Schmidt dieses Ansinnen zurückgewiesen wurde, erschien im »Giornale d’Italia« ein auf einer Meldung der offiziellen italienischen Nachrichtenagentur »Stefani« basierender Artikel, in dem berichtet wurde, dass die Aufnahme mehrerer Nationalsozialisten in die österreichische Regierung Gegenstand der Verhandlungen in Venedig gewesen sei. Wenngleich Rom auf Intervention des Ballhausplatzes den Artikel im »Giornale d’Italia« als Privatmeinung bezeichnete, war das internationale Echo doch erheblich. Auf dem Ballhausplatz war man sich des Umstandes bewusst, dass man im Kampf gegen den Nationalsozialismus auf sich allein gestellt war und deshalb Zeit gewinnen musste in der Hoffnung auf eine Änderung der internationalen Konstellation. Dennoch, Leopolds Initiative hinter den Kulissen war nicht erfolgreich und er sah sich zunehmend in die Defensive gedrängt, zumal Franz von Papen nunmehr merklich auf Distanz zu seiner Person ging, sah er doch in dem österreichischen Landesleiter einen Störfaktor der von ihm mit dem Juliabkommen eingeleiteten Politik der evolutionären Entwicklung. Papen qualifizierte Leopold als »schwachsinnigen Hauptmann« ab. Als der deutsche Botschafter, der, ebenso wie Rainer und Globočnik, zunehmend auf Seyß-Inquart setzte, im Mai 1937 die Unterstützung Leopolds für eine evolutionäre Politik, die Kreise außerhalb der NSDAP inkludierte und in der Errichtung des Volkspolitischen Referats innerhalb der Vaterländischen Front einen wichtigen Etappensieg errang, gewinnen wollte, stieß er auf dessen heftige Ablehnung. Seyß-Inquart, den Leopold nur ein paarmal persönlich getroffen hatte und der nicht einmal Mitglied der Partei war, war in den Augen des Landesführers das Instrument der Ausschaltung der Landesleitung der NSDAP und des von ihr beherrschten nach wie vor existenten Siebenerkomitees. Beide verband eine sich vertiefende Abneigung, die sowohl aus ihrer unterschiedlichen sozialen Herkunft und Persönlichkeitsstruktur wie auch ihrer politischen Ansichten resultierte.51 51 In einer Denkschrift an Hitler vom 1. Dezember 1938 hob ein von seiner nach dem Anschluss unterbliebenen Karriere enttäuschter Leopold durchaus selbstbewusst seine Verdienste um die NSDAP in Österreich hervor und erklärte zu den gegensätzlichen politischen Konzeptionen nach dem Juliabkommen, die von Franz von Papen und – ohne ihn direkt beim Namen zu nennen – Arthur SeyßInquart sowie ihm vertreten wurden  : »Seit Abschluss des Vertrages vom 11. Juli 1936 standen sich in Österreich zwei Ansichten gegenüber  : die eine des Herrn Botschafters von Papen und die meine. Herr von Papen fasste den Vertrag vom 11. Juli so auf, dass auf lange Jahre, vielleicht Jahrzehnte, keine Möglichkeit mehr besteht, Österreich heimzuführen ins Reich  ; aus diesem Grunde müssen die Nationalsozialisten Österreichs, die (nach der Auffassung Papens) nun einmal erlegen sind, sich in ihr Schicksal ergeben und danach handeln, das heißt, die illegale NSDAP müsse aufgelöst, jeglicher Kampf eingestellt und die brauchbaren Anhänger in die Vaterländische Front überführt werden, um so Ruhe und Ordnung im Inneren und eine gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Reich zu schaffen. –

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Leopold ging im Mai zum Gegenangriff über, indem er für die österreichische NSDAP den Abbruch des Kontaktes mit Papen anordnete, der daraufhin am 3. Juni mit einer Verfügung an alle Botschaftsmitarbeiter den Kontakt mit Leopold untersagte.52 In einem Brief In der Maurs an einen Parteigenossen in Berlin hieß es, der Grund für den Schritt Leopolds liege »im Intrigenspiel des Herrn Papen (…), das ihm zur zweiten Natur wurde.« Als ein Beispiel führte In der Maur das Eintreten Papens für Seyß-Inquart als Leiter des Volkspolitischen Referats in der Vaterländischen Front an, obwohl dieser für diese Funktion von Leopold als ungeeignet abgelehnt worden sei. »Herr von Papen wollte eben erweisen, dass es in Österreich ohne NSDAP leichter, ja überhaupt gehe, deren Dasein sonach bloß ein Erschwernis für die staatliche Verständigung zwischen dem Reich und Österreich bilde.«53 Leopold veröffentlichte im »Österreichischen Beobachter« einen »Offenen Brief an den Herrn Bundeskanzler«, in dem er seinen Führungsanspruch untermauerte und betonte, der im Juliabkommen erwähnte Begriff der »Nationalen Opposition«, die zur Beteiligung an der politischen Willensbildung herangezogen werden solle, meine ausschließlich die österreichische NSDAP. Es sei dem Bundeskanzler unbenommen, Persönlichkeiten der nationalen Opposition, die sein Vertrauen hätten, auszuwählen, doch können diese »nur aus dieser selbst und nur im E i n v e r s t ä n d n i s u n d n a c h R ü c k s p r a c h e m i t d e m F ü h r e r derselben« berufen werden. »Der Vo r s c h l a g solcher Personen liegt also ganz zweifellos bei dem Führer der nationalen Opposition, die A u s w a h l aber bei Ihnen, Herr Bundeskanzler. Man kann also, und dies ist der durch das Staatsabkommen geforderte Vorgang, Nationale zu Ministern, nicht aber umgekehrt, wie es bisher versucht wurde, Minister zu Nationalen ernennen.«54 Bundeskanzler Schuschnigg sei im Irrtum, wenn er glaube, mit der Errichtung eines Volkspolitischen Referats in der Frontführung der Vaterländischen Front »dem Staatsvertrag vom 11. Juli 1936 und dem Volksverlangen Genüge getan zu haben. Nach diesem Staatsvertrage besteht Ihrerseits die Verpflichtung,

Meine Ansicht war, den Vertrag vom 11. Juli als Grundlage zum Sammeln und Ordnen der illegalen NSDAP zu nützen, für den Augenblick bereit zu sein, um dem Reich jederzeit das sittliche Recht zum Eingreifen (in Österreich) zu geben. Diesen Standpunkt vertrat ich auch anlässlich meines ersten Besuches bei Ihnen, mein Führer, am 29. September 1936. Diese zwei Ansichten standen sich nun auch in der Folgezeit immer schroff gegenüber, wohl mit dem Unterschied, dass die Ansicht des Herrn von Papen in Österreich nur einige sogenannte nationale intellektuelle Parteigänger teilten und an deren Seite Schuschnigg mit dem ganzen Machtapparat des Staates stand, während ich die gesamten Nationalsozialisten Österreichs, die sogenannte ›nationale Opposition‹ , für mich hatte.« (Zit. bei Friedrich Funder  : Als Österreich den Sturm bestand. Aus der Ersten in die Zweite Republik. – Wien/München 1957. S. 270f.) 52 ADAP Serie D. I/229. 53 Ebda. I/232. 54 Österreichischer Beobachter Sonderfolge/Mai 1937. S. 5.

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Vertreter der bisherigen sogenannten Nationalen Opposition zur M i t w i r k u n g a n d e r p o l i t i s c h e n Ve r a n t w o r t u n g und dann erst zur M i t w i r k u n g a n d e r p o l i t i s c h e n W i l l e n s b i l d u n g heranzuziehen. Trotz aller ihrer und sonstiger Regierungsmitglieder gegenteiligen Behauptungen ist durch ein Volkspolitisches Referat in der Frontführung allein zwar die Möglichkeit einer Mitwirkung an der politischen Willensbildung, nicht aber an der politischen Verantwortung gegeben. Eine ›politische Verantwortung‹ tragen nach der Maiverfassung 1934 ausschließlich v e r a n t w o r t l i c h e M i n i s t e r.« Auch die Behauptung des Bundeskanzlers, bei der Leitung des Volkspolitischen Referats könne es sich selbstverständlich nicht um einen Vertreter der NSDAP handeln, entspreche nicht dem Juliabkommen. »Wir glauben, es sind sich wohl alle politisch Denkenden darüber einig, dass in den letzten Jahren jede nationale Regung zur ›illegalen‹ Handlung gestempelt wurde und dass es sich daher bei der sogenannten Opposition n u r um die illegalen Nationalsozialisten handeln kann und nicht vielleicht um Menschen, die sowieso schon in der Front tätig sind oder nur allein ihr Vertrauen genießen. J e d e r l e i Ve r t r e t e r d e r n a t i o n a l e n O p p o s i t i o n m ü s s e n a l s o l e t z t e n E n d e s Ve r t r e t e r d e r i l l e g a l e n N a t i o n a l s o z i a l i s t e n s e i n . Nur mit solchen Vertretern allein können die Verpflichtungen des Staatsvertrages vom 11. Juli 1936 erfüllt werden.« Es sei sehr wohl bekannt, dass Schuschnigg die falsche Hoffnung auf eine Spaltung der nationalsozialistischen Bewegung hege und ein Aufsaugen von kooperationswilligen Teilen in der Vaterländischen Front anstrebe. Die NSDAP als einzig legitime Vertreterin der Nationalen Opposition fordere »als einheitlicher, geschlossener Faktor der österreichischen Innenpolitik, über dessen Führung und verantwortliche Vertretung keinerlei Zweifel darin bestehen kann und der in den letzten Monaten seine Schlagkraft und Disziplin und die Unmöglichkeit, ihn zu spalten, eindeutig bewiesen hat, den (ihr) gebührenden Anteil sowohl an der politischen Willensbildung wie auch an der politischen Verantwortung, um endlich als der mächtigste Volksteil Österreichs den Aufbau unserer Heimat, unseres deutschen Österreich, zu ermöglichen.«55 Die Ereignisse gingen jedoch über die Einwände Leopolds hinweg. Am 17. Juni 1937 wurde Seyß-Inquart, sehr zur Freude Franz von Papens, von Schuschnigg in den Staatsrat berufen und mit der Aufgabe betraut, bisher abseitsstehende nationale Persönlichkeiten zur Mitarbeit zu gewinnen. Gleichzeitig erfolgte die Gründung des »Volkspolitischen Referats« in der Vaterländischen Front, das jedoch nicht, wie ursprünglich erwartet, Arthur Seyß-Inquart, sondern der ehemalige Innsbrucker Großdeutsche und Bekannte Schuschniggs, Walter Pembauer, leitete. Seyß-Inquart hatte Schuschnigg mitgeteilt, dass er das Volkspolitische Referat nicht persönlich übernehmen wolle, da er seine Mittlerposition behalten und nicht in einer organisatorischen Fixierung seine Bewegungsfreiheit aufgeben möchte. Er stehe zu dem von 55 Ebda. S. 6f.

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ihm vorgeschlagenen Plan, wolle sich jedoch auf die Überwachung der Tätigkeit des Referats beschränken, für dessen Leitung man so rasch als möglich eine Persönlichkeit finden müsse. Mit dem von seiner Berufung völlig überraschten Pembauer hatte man jene Persönlichkeit gefunden, die alle Parteien suchten  : nicht stark, in seinen Entscheidungen von Seyß-Inquart abhängig, dem Schuschnigg in einem Schreiben am 16. Juni mitteilte, dass mit der Schaffung des Volkspoltischen Referats die Existenz des Siebenerkomitees, das ohnedies nicht sein Vertrauen habe, obsolet sei und er erwarte, dass er nunmehr Farbe bekenne und als bevorzugter Ansprechpartner der Regierung für die wünschenswerte innere Befriedung Mitglied der Vaterländischen Front werde, wobei dieser Beitritt keineswegs öffentlich bekannt gegeben werden müsse. Am folgenden Tag antwortete Seyß-Inquart positiv, womit seiner Berufung in den Staatsrat und der offiziellen Gründung des Volkspolitischen Referats nichts mehr im Wege stand. Leopold reagierte in der Juninummer des »Österreichischen Beobachters« zunächst zurückhaltend auf diese Entwicklung. Dem aufmerksamen Beobachter der innenpolitischen Entwicklung Österreichs sei klar gewesen, dass die Regierung durch eine spektakuläre Tat einen Schritt in Richtung Erfüllung des Juliabkommens setzen werde. Durch »Reisen von berufenen und unberufenen Vermittlern sollte die kommende Lösung maßgeblichen Personen im Deutschen Reich schmackhaft gemacht werden.« Nunmehr habe sich der Bundeskanzler entschlossen, »ein Volkspolitisches Referat zu schaffen, dessen Geschäftsumfang und Stellung bisher noch keineswegs geklärt sind. Für die Besetzung dieses Referates war ursprünglich der Wiener Rechtsanwalt Dr. Seyß-Inquart in Aussicht genommen«, eine Lösung, »die einen wertvollen Mann auf einen falschen Posten stellt« und die von der Nationalen Opposition beeinsprucht wurde. Anstelle Seyß-Inquarts habe daher Schuschnigg den ehemaligen großdeutschen Innsbrucker Vizebürgermeister Pembauer zum Leiter des Referats berufen und Seyß-Inquart zum Staatsrat mit der besonderen Aufgabe ernannt, die bisher abseits stehenden Kreise der Nationalen Opposition zur Mitarbeit heranzuziehen. Die Zukunft werde weisen, ob diese Aufgabe unter den gegenwärtigen politischen Verhältnissen lösbar ist. Ihn begleiten jedenfalls die besten Wünsche. Ihm und der Regierung müsse jedoch klar sein  : »Die Nationale Opposition und die sie tragende NSDAP-Hitlerbewegung in Österreich ist ein unzertrennbarer Block, der den Lebenswillen des deutschen Volkes in Österreich verkörpert.«56 Eine politische Lösung könne nur durch eine »Legalisierung der wider jegliches Recht und Gesetz verbotenen NSDAP in Österreich« und die »Bestellung einer Regierung, die dem tatsächlichen Willen des deutschen Volkes in Österreich entspricht«, erreicht werden, so die in derselben Nummer veröffentlichte »Denk-

56 Österreichischer Beobachter Folge 23/Juni 1937. S. 1f.

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schrift der NSDAP Österreichs an die Weltöffentlichkeit«.57 Der Titel des Grundsatzartikels über die Gründung des Volkspolitischen Referats, »Divide et impera  !«, sowie die Denkschrift der Landesleitung der österreichischen NSDAP deuteten den wenig später ausbrechenden Konflikt zwischen Seyß-Inquart und Leopold an. Seyß-Inquart erfreute sich in diesem Konflikt nicht nur des Wohlwollens Schuschniggs und der Unterstützung Papens, sondern auch von Wilhelm Keppler, den Hitler zu seinem Österreich-Bevollmächtigten mit der besonderen Aufgabe, sich um die österreichische NSDAP zu kümmern, ernannt hatte. Der 1882 in Heidelberg geborene Techniker und Industrielle, seit 1927 Mitglied des NSDAP und seit 1933 der SS, hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine steile innerparteiliche Karriere hinter sich. 1931 war er Wirtschaftsberater der NSDAP, 1934 Wirtschaftsbeauftragter Hitlers mit der von wehrpolitischen Zielsetzungen bestimmten Sonderaufgabe Deutsche Roh- und Werkstoffe, 1936 Berater Hermann Görings für den Vierjahresplan. In dieser Funktion war er vor allem für den Rohstoffbereich zuständig. Es waren u. a. Kepplers Hinweise, die Göring darauf aufmerksam machten, dass Österreich über Ressourcen verfügte, die die durch die forcierte Aufrüstungspolitik überstrapazierte deutsche Wirtschaft dringend benötigte  : qualifizierte Arbeitskräfte, Wasserkraft, Ölvorräte und die begehrten Währungsreserven.58 Keppler, der sich des Vertrauens von Hitler, Göring, Himmler und Bormann erfreute, war zudem Mitglied der österreichisch-deutschen Kommission zur Überwachung der Durchführung der wirtschaftlichen Bestimmungen des Juliabkommens und gewann in dieser Funktion einen sehr guten Einblick in die Struktur und Leistungsfähigkeit der österreichischen Industrie. Angesichts der in Berlin genau registrierten Spannungen innerhalb der österreichischen NSDAP ernannte Hitler Keppler am 12. Juli 1937 zum Bevollmächtigten für die Beziehungen zwischen der deutschen und der österreichischen NSDAP in der Hoffnung, dass es ihm gelingen werde, die als störend empfundenen und von der Öffentlichkeit registrierten innerparteilichen Differenzen innerhalb der österreichischen NSDAP zu beseitigen. Für Leopold sollte sich als nachteilig erweisen, dass Keppler seit Ende 1936 die evolutionäre Politik von Papen und Seyß-Inquart unterstützte. Er verbrachte seinen Sommerurlaub in Mattsee, wo auch die Familie Seyß-Inquart ihr Sommerquartier aufgeschlagen hatte. Es war Keppler, der Anfang Juli 1937 eine Reise von Seyß-Inquart nach Berlin initiierte, wo dieser von Göring und Hess zu GespräRainer, Friedrichchen empfangen wurde, in deren Verlauf er sein politisches Konzept darlegte. Die Reaktionen seiner Gesprächspartner waren unterschiedlich. Göring verhielt sich sichtlich reserviert, wobei seine Haltung auf einer auch ihr weiteres Verhältnis be57 Ebda. S. 3. 58 Vgl. Norbert Schausberger  : Der Griff nach Österreich. Der Anschluss. 2. Aufl. – Wien/München 1979. S. 360ff.

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stimmenden persönlichen Antipathie gegenüber Seyß-Inquart beruhte.59 Erheblich freundlicher begegnete ihm Hess, der ihn sogar zu einem zweiten Gespräch bat und ihm versicherte, er werde seine weitere Politik mit großem Interesse verfolgen. Gegenüber seinen Berliner Gesprächspartnern erklärte Seyß-Inquart, die von Leopold vertretene Ansicht widerspreche den realpolitischen Möglichkeiten. Es könne nicht das Ziel der Politik sein, die NSDAP in ihrer alten Form wiederherzustellen, sondern man müsse versuchen, ihren Einfluss innerhalb der Vaterländischen Front auszudehnen. Dadurch wären die Nationalsozialisten in der Lage, auf völlig legalem Weg und ohne internationale Störungen die Bindungen Österreichs unter Beibehaltung von dessen Selbstständigkeit an das Deutsche Reich maximal auszudehnen. Als Vorbild könnte die sog. »Saarfront« des Jahres 1935 dienen, die alle Parteien umfasst und die Rückkehr des Saargebietes in das Deutsche Reich erfolgreich betrieben habe.60 Diese Darstellung stieß vor allem bei Göring auf Skepsis, der eine weitgehende strukturelle Auflösung der österreichischen NSDAP zugunsten einer nicht genau definierten und fassbaren Nationalen Opposition ablehnte, sondern lediglich eine größere Flexibilität der Führungsebene befürwortete. Diese Haltung Berlins wurde auch am 15. Juli 1937 deutlich, als im Anschluss von deutsch-österreichischen Gesprächen über die Durchführung des Juliabkommens in Wien im Auswärtigen Amt in Berlin eine Besprechung über die Ergebnisse der Wiener Verhandlungen stattfand, in der ausdrücklich festgehalten wurde, die Verbindungen zu den österreichischen Parteistellen nicht abzubrechen, doch sollte Leopold die Bemühungen Seyß-Inquarts nicht sabotieren. Genau dies war jedoch in der Zwischenzeit eingetroffen, als Leopold Ende Juni aus Verbitterung über die bekannt gewordene Reise Seyß-Inquarts nach Berlin allen Parteimitgliedern den Kontakt mit dem neuen Staatsrat, der nichts anderes als ein Komplize Schuschniggs zur Zerstörung der NSDAP sei, sowie Pembauer und damit auch jede Mitarbeit im Volkspolitischen Referat untersagte. Leopolds emotionale Reaktion war keineswegs irrational, sondern entbehrte nicht einer gewissen Logik, hatte er doch genau registriert, dass Seyß-Inquart, unterstützt 59 Der Kunsthistoriker und Nationalsozialist Kajetan Mühlmann, der Göring sehr gut kannte, erklärte im Prozess gegen Guido Schmidt, dass Göring bei Bekanntschaften sehr impulsiv war. »Bei Bekanntschaften war für ihn die anfängliche Sympathie entscheidend. War ihm jemand von Anfang an sympathisch oder unsympathisch, so blieb er es dauernd. (So war ihm beispielsweise Seyß-Inquart im ersten Augenblick unsympathisch und blieb es weiterhin, trotz dessen loyalen Verhaltens.)« (Der Hochverratsprozess gegen Dr. Guido Schmidt. S. 246f.) 60 Die Gruppe um Seyß-Inquart hatte zu diesem Zeitpunkt bereits enge Beziehungen zu Josef Bürckel, der 1935 die Volksabstimmung im Saarland erfolgreich organisiert hatte. Wahrscheinlich bestand schon zu diesem Zeitpunkt in Gesprächen zwischen Mitgliedern der Gruppe um Seyß-Inquart, Rainer, Globočnik, Kaltenbrunner u. a. und jener um Bürckel darin Übereinstimmung, dass im Falle eines Anschlusses nur Bürckel als administrativer Leiter für diese Aufgabe infrage komme.

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von der Kärntner Gruppe um Rainer und Globočnik, dem Führer der österreichischen SS Ernst Kaltenbrunner, dem Führer der nationalsozialistischen Bauernschaft Anton Reinthaller, dem Leiter des NS-Hilfswerkes Franz Langoth, dem Kunsthistoriker und SS-Offizier Kajetan Mühlmann, dem Schwager Görings Franz Hübner und seinem früheren stellvertretenden Landesleiter Hans Jury zunehmend eine Partei in der Partei bildete mit dem Ziel einer grundlegenden Strategieänderung und einer Änderung an der Spitze der Partei. Zudem hatte diese Gruppe ein immer dichteres Beziehungsnetzwerk zu Berliner Stellen und zahlreichen nationalen und nationalsozialistischen Vereinen und Organisationen (Turn-, Sing- und Kulturvereinen) sowie Persönlichkeiten in Österreich geknüpft. Sie verband die Überzeugung, dass angesichts der nach wie vor vorhandenen Bereitschaft Schuschniggs, die vermeintlich gemäßigt nationalen Kräfte zur politischen Mitarbeit und damit die nötige Zeit gewinnen zu können, die Errichtung einer legalen Basis innerhalb der Vaterländischen Front als Hebel zur Errichtung eines nationalsozialistischen Österreich die einzig realpolitische Option sei.61 Eine Reorganisation und Stärkung der NSDAP sei dabei kein vorrangiges Ziel, sondern eher ein störender Faktor. Angesichts der anhaltenden Spannungen innerhalb der österreichischen NSDAP beauftragte Hitler Keppler mit einer Klärung der Lage. Zu diesem Zeitpunkt hatte Hitler keine klare Meinung über den innerösterreichischen Richtungsstreit sowie, sieht man von Leopold ab, über die darin verwickelten Personen. In seinen Erinnerungen berichtet Glaise-Horstenau über ein Gespräch mit Hitler anlässlich seines Berlin-Besuches am 19. April 1937. »Sehr interessierte mich bei dem unablässigen Führerstreit in Österreich, wer von den dortigen Leuten eigentlich den Segen Hitlers hatte. Es war doch Leopold, in welchem Hitler zwar keinen großen Staatsmann erblickte, aber einen guten Demagogen, womit er recht hatte. Dagegen konnte er

61 Edmund Glaise-Horstenau, der nicht zur Gruppe um Seyß-Inquart gehörte, bemerkt in seinen Erinnerungen, er habe bereits wenige Wochen nach seiner Ernennung zum Minister ohne Portefeuille erkannt, dass das Juliabkommen nicht »zu einer dauernden Entspannung führen könne (…) Die Kluft war zu tief, die Volksgemeinschaft zu gespalten, die Lage zu verworren, die Dynamik der das Dritte Reich tragenden Bewegung zu stark, der Druck der deutschen Wirtschaft auf die schwächliche, keuchende österreichische zu gewaltig – als dass man selbst mit einer nur halbwegs dauerhaften Zwischenlösung hätte rechnen können. Höchstens eine Evolution war noch denkbar und dieser zu dienen, soweit es in meinen schwachen Kräften lag, betrachtete ich fürderhin als meine Aufgabe. Diese Evolution sollte in zweifacher Hinsicht eingeleitet werden. Zum ersten war es wichtig, dem nationalen Teil der Bevölkerung Lebensraum zu schaffen. Dabei kamen zunächst weniger die eigentlichen Nazis in Betracht, die bei Schuschnigg auf keinen Fall durchzusetzen waren, als vielmehr die Zwischenschichte der nicht parteimäßig punzierten Nationalen (…) Damit fand ich bei den wirklichen Parteigenossen natürlich nur beschränkte Gegenliebe. Aber bei der allgemeinen Situation und der Sturheit Schuschniggs war bestenfalls nur das von mir Geplante zu erreichen, sehr wahrscheinlich auch das nicht.« (Broucek (Hg.)  : Ein General im Zwielicht. Bd. 2. S. 120.)

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den Namen des Hauptrivalen Seyß-Inquart überhaupt nicht aussprechen  ; er zeigte sich gegenüber dieser Persönlichkeit noch ziemlich unvertraut.«62 Am 7. August reiste Keppler nach Kontaktaufnahme mit Guido Schmidt von Berlin nach Salzburg, um in der Villa des Salzburger Nationalsozialisten Albert Reitter einen Ausgleich zwischen den rivalisierenden Gruppierungen zu vermitteln. Der Landesleiter antwortete auf die Vorhaltung Kepplers, man habe sich doch vor einem Monat bei einem Gespräch in der deutschen Botschaft in Wien darauf geeinigt, dass Leopold die Bemühungen Seyß-Inquarts nicht stören solle, dieser bilde eine Partei in der Partei und verfolge eine völlig falsche Politik, da er die Bereitschaft Schuschniggs zu einem Ausgleich mit den sog. Nationalen als viel zu optimistisch beurteile und mit dieser Politik die Geschlossenheit der Partei gefährde. Kepplers Entgegnung, dass die Politik Seyß-Inquarts die Billigung Hitlers besitze und er, Keppler, der Beauftragte des Führers sei, wurde von Leopold ungläubig vom Tisch gewischt. Die erregte Diskussion endete ergebnislos, lediglich ein zweites Treffen am 13. August in der Villa des Universitätsprofessors Fritz Schalk am Mondsee, an dem auch Seyß-Inquart teilnehmen sollte, wurde vereinbart. Bei diesem zweiten Treffen agierte SeyßInquart gegenüber Leopold verbindlich und defensiv, die emotionale und direkte persönliche Konfrontation entsprach nicht seinem Naturell. Er sei an einer guten Zusammenarbeit durchaus interessiert und schlage daher vor, in Zukunft spätestens alle vier Wochen ein Treffen zu veranstalten, um Missverständnisse zu beseitigen bzw. gar nicht entstehen zu lassen. Das Gespräch endete mit einem Kompromiss. Seyß-Inquart sollte in seinen politischen Bemühungen eine gewisse Bewegungsfreiheit genießen, während Leopold die Führung der Partei oblag und alle politischen Maßnahmen, die einen Einfluss auf die Organisation der Partei hatten, der Zustimmung des Landesleiters bedurften.63 Der Kompromiss war jedoch brüchig, da in der von beiden Gruppierungen so unterschiedlich beurteilten Frage, was denn unter dem Begriff »Nationale Opposition« zu verstehen sei – nur Nationalsozialisten oder auch außerhalb oder im Nahebereich der Partei stehende Gruppierungen und Persönlichkeiten – keine Entscheidung gefallen war. Der in Mondsee erzielte Kompromiss hielt daher nur kurz. Leopold ging bereits wenige Tage später gegen die Seyß-Inquart unterstützende Gruppe vor. Am 18. August schloss er sogar Globočnik aus der Partei aus und nannte in einem Wutanfall die Gruppe um Seyß-Inquart »Verräter, Schurken und Lumpen.«64 Und er vertraute nach wie vor auf die Unterstützung Hitlers. In zwei Briefen am 22. August und 8. September wandte er sich direkt an den Führer, schilderte ihm seine Ver62 Broucek  : Ein General im Zwielicht. Bd. 2. S. 172. 63 Zum Treffen von Mondsee und die von Leopold erhobenen Vorwürfe gegen Seyß-Inquart und seine Unterstützer vgl. ADAP Serie D. I/248/249. 64 Sachslehner  : Odilo Globočnik. S. 52.

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sion der Ereignisse und erbat dessen Unterstützung. Die Gruppe um Seyß-Inquart, Rainer, Globočnik u. a. sei zahlenmäßig überschaubar und nichts anderes als eine Ansammlung von Intellektuellen, die mit Unterstützung deutscher Sympathisanten wie Keppler Gerüchte über seine Person verbreiten und damit seiner Autorität und der Geschlossenheit der Partei schweren Schaden zufügten. Allerdings sei es dieser Gruppe gelungen, einen gewissen Einfluss auf die österreichische Regierung und den Sicherheitsapparat zu nehmen. Er stehe jedoch felsenfest zur vom Führer festgelegten Österreich-Politik und bestehe als Landesleiter darauf, die Politik der Partei in innerösterreichischen Angelegenheiten zu bestimmen. Sollte dies nicht geschehen, sei eine Katastrophe für die Partei zu befürchten. Um seinem Standpunkt den entsprechenden Nachdruck zu verleihen und damit de facto ein Ende der Politik von Seyß-Inquart zu erreichen, reiste Leopold Ende September nach Berlin in der Hoffnung auf ein persönliches Gespräch mit den führenden NS-Größen Hitler, Göring, Goebbels und Außenminister Konstantin von Neurath. Die mit großen Erwartungen verbundene Berlin-Reise Leopolds wurde aufgrund der raschen und äußerst effektiven Reaktion seiner innerparteilichen Gegner zum politischen Desaster. Als die Absicht einer Berlin-Reise Leopolds bekannt wurde, flog Keppler zu einer Krisenbesprechung mit Seyß-Inquart nach Wien, um eine Gegenstrategie zu entwickeln. Diese sollte sich als äußerst wirksam erweisen, denn Leopold erhielt weder bei Hitler noch bei Konstantin von Neurath mit dem Hinweis auf den gleichzeitig stattfindenden Deutschlandbesuch Mussolinis einen Gesprächstermin. Lediglich Göring empfing ihn, allerdings in Gegenwart Kepplers. Dieser hatte im Vorfeld dieses Gesprächs ein Treffen mit Martin Bormann am 30. September. In seinen Aufzeichnungen über dieses Gespräch hielt Keppler fest, er habe zunächst »die Schwierigkeiten« geschildert, die er mit Leopold habe. Bormann sei »sich darüber klar, wie schwierig es ist, mit Leopold zu arbeiten« und empfahl ihm, »von Leopold unbedingte Disziplin zu verlangen und ihm mit der Abberufung als Landesleiter zu drohen, falls er nicht pariere.«65 Ähnlich argumentierte Göring, der zum Abschluss des Gesprächs resümierte, Leopold könne die Führung der Partei weiterhin behalten, müsse sich jedoch jeder Einmischung in den Tätigkeitsbereich von Seyß-Inquart und seiner Gruppe enthalten, sondern diese sogar unterstützen, da sie im Interesse einer vom Reich gewünschten Entwicklung läge. Die Forderung Bormanns aufgreifend, betonte Göring, Leopold müsse strikte Disziplin bewahren.66 Damit waren, mit massiver Unterstützung des SS-Mannes Wilhelm Keppler und seines Adjutanten, des SD-Mannes Edmund Veesenmayer, die Würfel zugunsten von Seyß-Inquart gefallen, der Mitte Oktober – mit Wissen und Billigung Schusch-

65 ADAP Serie D. I/255. 66 Ebda. I/260.

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niggs – nach Berlin reiste und von Göring und Hess empfangen wurde, die ihm beide ihrer Unterstützung für seine Politik der schrittweisen Subversion versicherten. Doch auch die Politik Papens und der von ihm unterstützten Gruppe um Seyß-Inquart entwickelte sich nicht in die gewünschte Richtung, da Schuschnigg unter dem Druck des regierungstreuen Kerns der Vaterländischen Front und dessen Bekenntnis zur Österreich-Ideologie mit erheblicher politischer Finesse zwischen den unterschiedlichen Begehrlichkeiten lavierte und – trotz seiner prinzipiell großdeutschen Grundhaltung – einer nationalsozialistischen Durchdringung des Staatsapparats Widerstand leistete. Am 1. September 1937 berichtete Papen an Außenminister Neurath sichtlich irritiert, sein letztes Gespräch mit Schuschnigg über eine Änderung der Lage der Nationalen Opposition sei » v ö l l i g n e g a t i v « verlaufen. »Es entsteht nun die Frage, die ich auch dem Führer bereits vorgelegt habe, ob – wenn wir zu der Überzeugung gelangt sind, dass die Linie des 11. Juli mit dem Bundeskanzler Schuschnigg nicht ausgebaut werden kann – wir nicht unter Zusammenwirken der äußeren und inneren Faktoren die Herbeiführung eines Kurswechsels ins Auge fassen sollen  ?« Papen dachte dabei an Otto Ender, den ehemaligen Bundeskanzler, der in seinen Augen nicht so fanatisch an die Österreich-Ideologie gebunden war wie der amtierende, daher einem Ausgleich mit der Nationalen Opposition offener gegenüberstehe, zudem den Vorteil habe, bundesweit bekannt zu sein und sich daher hervorragend als Galionsfigur eigne.67 Die kontraproduktiven Tendenzen schienen sich auch Anfang 1938 fortzusetzen. Am 25. Jänner 1938 erschien in der »Reichspost« die Teilwiedergabe eines Interviews, das der Wiener Gauleiter Leo Tavs der in Prag erscheinenden slowakischen Zeitung »Slovansky blas« wenige Tage zuvor in den Räumen des Siebenerkomitees in der Teinfaltstraße gegeben hatte. Darin hatte der Stellvertreter Leopolds erklärte, alle Gerüchte über eine Zersplitterung der österreichischen NSDAP seien falsch. »Diese Bewegung ist einheitlicher als jemals früher und stärker.« Und alle Mitglieder würden nur Hauptmann Leopold als Führer anerkennen. Die Situation in Österreich sei paradox. »Ist es z. B. nicht paradox, dass ich hier hinter dem Schreibtisch sitze, ich, einer der Chefs der ›illegalen‹ und ›staatsfeindlichen‹ Partei und dass im gleichen Hause hier Hauptmann Leopold amtiert  ? (…) Würde die Regierung mit uns verhandeln, so entstünde eine legale österreichische Oppositionspartei (…), es würde sich eine normale politische Situation ergeben. Wir werden das Abkommen vom 11. Juli 1936 heilighalten. Vo m A n s c h l u s s i s t j e t z t ü b e r h a u p t n i c h t d i e R e d e  – solange ein Anschluss einen bewaffneten Konflikt in Europa hervorrufen könnte. Wir wollen unter keinen Umständen einen Krieg, wir überlassen diese Dinge der Zeit.«68 Die »Reichspost« druckte zwar die Aussage von der offensichtlich 67 ADAP Serie D. I/251. 68 Reichspost 25.1.1938. S. 3.

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paradoxen Situation ab, dass sich im selben Haus, in dem nach wie vor das Siebenerkomitee residierte, sich auch das Hauptquartier der illegalen NSDAP befinde, vermied es jedoch, die provokantesten Passagen des Interviews widerzugeben, in denen Tavs erklärt hatte, die Regierung Schuschnigg würde angesichts der drohenden deutschen Reaktionen es nicht wagen, einen entscheidenden Schlag gegen die österreichischen Nationalsozialisten und deren (in)offizielles Hauptquartier zu führen. Tavs Bemerkung, man wolle einen europäischen Krieg verhindern, war nicht nur eine rhetorische Floskel, sondern basierte auf einer der Öffentlich nicht bekannten dramatischen Entwicklung jüngeren Datums. Am 5. November 1937 hatte Hitler in einer vier Stunden dauernden Besprechung in der Reichskanzlei den Spitzen von Heer, Luftwaffe und Marine sowie Außenminister Konstantin von Neurath und Kriegsminister Werner von Blomberg seine Gedanken über die künftige Politik dargelegt, die fünf Tage später vom Adjutanten Hitlers, Oberst Friedrich Hossbach, in einem Protokoll festgehalten wurden. Im Zentrum seiner Ausführungen stand die Lebensraumfrage. Diese sei wiederum mit der Wirtschaft des Reiches eng verbunden. Deren Sicherung und Entwicklung sei theoretisch durch das Streben nach Autarkie oder durch eine stärkere Integration in die Weltwirtschaft möglich. Beide Optionen seien jedoch nicht realistisch. Eine wirtschaftliche Autarkie sei nicht möglich und der Integration in die Weltwirtschaft seien deutliche Grenzen gesetzt. Die Gegenwart sei aufgrund der wirtschaftlichen Notwendigkeiten durch das Bestehen oder das Streben nach wirtschaftlichen Imperien gekennzeichnet, wobei das Verfügen über oder die Gewinnung von Rohstoffen ein zentrales Motiv staatlichen Handelns sei. Für das Deutsche Reich bedeute dies, dass dessen völkische und wirtschaftliche Zukunft nicht im Gewinn von Kolonien, sondern in der Erweiterung des unmittelbaren Lebensraums sowie der Rohstoffbasis liege. Dieses lebensnotwendige Ziel sei jedoch aufgrund des zu erwartenden Widerstandes der betroffenen Territorien sowie der europäischen Mächte nicht auf friedlichem Weg, sondern nur unter Einsatz von Gewalt erreichbar. Die Frage sei, wo größter Gewinn unter geringstem Einsatz zu erreichen sei und wann und wie man diesen ersten Schritt setzen werde. Den größten Gewinn bei einem relativ geringen Einsatz bzw. Risiko bildeten Österreich und die Tschechoslowakei,69 deren Anschluss einen erheblichen wirtschaftlichen und militärpolitischen Vorteil brächte. 69 Hitler kam zu dieser Überzeugung nach einem Besuch des britischen Lordsiegelbewahrers Lord Edward Wood Halifax Mitte November 1937, dem engen Vertrauten des britischen Premierministers Neville Chamberlain, Halifax, der kurze Zeit später britischer Außenminister werden sollte, hatte eine enge Zusammenarbeit zwischen Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland zur Sicherung des Friedens in Europa vorgeschlagen. Dieses Konzept stieß auf heftige Ablehnung Hitlers. In der weiteren Diskussion erklärte Halifax, dass es vermutlich früher oder später zu gewissen Änderungen in der europäischen Nachkriegsordnung kommen werde, vor allem in Bezug auf Danzig, Österreich und die Tschechoslowakei. Seine Regierung lege nur Wert darauf, dass dies auf friedlichem Wege geschehe.

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Die Realisierung dieses ersten Schrittes müsse bis spätestens 1943/45 erfolgen, da der momentane Rüstungsvorsprung der Wehrmacht bis dahin von den Gegenmaßnahmen Englands, Frankreichs und der direkt betroffenen Länder, d. h. Österreich und der Tschechoslowakei, aufgeholt würden. Er sei daher bereit, bereits ab dem kommenden Jahr jede sich bietende Gelegenheit zu nützen, um dieses Ziel des ersten Schrittes – Österreich und die Tschechoslowakei – zu erreichen.70 In der anschließenden Diskussion merkten Außenminister Neurath, Kriegsminister Blomberg und der Oberbefehlshaber des Heeres, General Werner von Fritsch, kritisch an, dass ein gewaltsames Vorgehen gegen Österreich und die Tschechoslowakei mit ziemlicher Sicherheit zu einer militärischen Intervention Frankreichs und Großbritanniens führen würde und dass die Wehrmacht, trotz aller Aufrüstungsbemühungen der letzten Jahre, für einen solchen Waffengang wohl noch nicht gerüstet sei. Zudem seien, fügte ein sichtlich erregter Blomberg hinzu, die deutschen Verteidigungsanlagen im Westen gegen Frankreich nur rudimentär ausgebaut. Es waren keine prinzipiellen Einwände, sondern lediglich militärische, die die anwesenden Spitzen der militärischen Macht vorbrachten. Hitler reagierte auf diese Einwände durch die Inszenierung der Blomberg-Fritsch-Krise Ende Jänner/Anfang Februar 1938, indem beide offiziell aus gesundheitlichen Gründen aus dem Dienst schieden, Hitler selber die Befehlsgewalt über die Wehrmacht übernahm und der ihm willfährige Wilhelm Keitel im Rang eines Reichsministers Chef eines neu geschaffenen Oberkommandos der Wehrmacht wurde.71 Ende November 1937 informierte ein besorgter Blomberg den in Berlin weilenden Josef Leopold bei einem Treffen während des Berlin-Besuchs des österreichischen Landesleiters über die geheime Besprechung in der Reichskanzlei am 5. November. Dabei betonte er, dass eine Realisierung von Hitlers Gedanken das Deutsche Reich in einen Vielfrontenkrieg verwickeln würde, den es nicht gewinnen könne. Für Leopold ergab sich aus dieser Information sowie der Auffassung, dass man mit Schuschnigg zu keinem politischen Ausgleich kommen könne – der Kanzler hatte zu Jahresbeginn 1938 in einem Interview mit dem »Daily Telegraph« erklärt, den Nationalsozialismus und Österreich trennten Welten –, nur eine Option  : Das Deutsche Reich sollte durch eine Demarche die Erfüllung des Juliabkommens fordern und falls die österreichische Bundesregierung diesem Verlangen nicht nachkam, Truppen an die gemeinsame Grenze verlegen. Gleichzeitig sollten die österrei-

Hitler war nunmehr davon überzeugt, dass London im Fall eines Vorgehens gegen Österreich nichts unternehmen werde. 70 Ian Kershaw  : Hitler. Bd. 2. 1936–1945. – Stuttgart 2000. S. 108  ; Peter Longerich  : Hitler. Biographie. – München 2015. S. 559ff. 71 Longerich  : Hitler. S. 567ff.; Richard J. Evans  : Das Dritte Reich. Diktatur. Band 2/II. – München 2006. S. 776ff.

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chischen Nationalsozialisten eine bürgerkriegsähnliche Situation herbeiführen, die Schuschnigg zum Rücktritt veranlassen und damit den Weg zur Bildung einer Regierung unter einem Übergangskanzler sowie zur Abhaltung einer Volksabstimmung freimachen würde. Zur Erreichung der bürgerkriegsähnlichen Zustände wurde auch die Ermordung des deutschen Botschafters Franz von Papen durch als Monarchisten und Mitglieder der Vaterländischen Front getarnte Nationalsozialisten erwogen, um den auch bei den Nachfolgestaaten negative Reaktionen verursachenden Vorwand einer angeblichen Restauration in Österreich scheinbar zu bestätigen. Berlin hatte die europäischen Staatskanzleien bereits mehrmals wissen lassen, dass ein legitimistischer Staatsstreich oder eine seitens der Bundesregierung initiierte Restauration der Habsburger als Provokation betrachtet würde, die eine militärische Intervention zur Folge hätte. Beide Szenarien isoliert sowie in Kombination hätten den Vorwand für einen Einmarsch deutscher Truppen zur Wahrung des inneren Friedens sowie der europäischen Nachkriegsordnung gegeben und den Anschluss als vor allem innerösterreichisches Ereignis präsentiert, womit internationalen (militärischen) Reaktionen, die einen europäischen Krieg auslösen könnten, die Begründung entzogen wäre. Solche seien aber angesichts der internationalen Lage – Italien sei auf die Freundschaft des Deutschen Reiches angewiesen, Frankreich befinde sich in einer schweren inneren Krise und Russland (durch die Säuberungen, Anm. d. Verf.) im Chaos, England sei in Ostasien, Indien und im Mittelmeer gebunden – ohnedies unwahrscheinlich, weshalb für das Deutsche Reich die volle Aktionsfreiheit bestehe.72 Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Franz von Papen, dessen Ermordung sogar im Kalkül der österreichischen Landesführung eine Rolle spielte, ähnliche Überlegungen erwogen hatte. Bei einem Berlin-Besuch entwickelte er im Dezember 1937 gegenüber Hitler einen Plan zum Sturz Schuschniggs und zur Einsetzung einer dem Nationalsozialismus erheblich aufgeschlosseneren Regierung, wobei er wahrscheinlich an Seyß-Inquart als Bundeskanzler dachte. Gegenüber Ernst von Weizsäcker, dem Leiter der politischen Abteilung im Auswärtigen Amt, betonte er, dass »aus europäischen Gründen«, einer befürchteten militärischen Reaktion von Frankreich und Großbritannien, eine »Brachiallösung«, d. h. eine direkte militärische Intervention, vermieden werden müsse.73 Papen referierte mit seinem Vorschlag Teile des mit dem »Tavs-Plan« konkurrierenden sog. »Klausner-Plans«, der von Rainer und Globočnik entwickelt worden war und durch eine systematische Erhöhung des Drucks auf die Regierung Schuschnigg diese zu permanenten Zugeständnissen zwingen und damit auf evolutionärem Weg die Regierungsbeteiligung und schließliche 72 Zum Text des »Aktionsprogramms 1938« vgl. Rot-Weiß-Rot-Buch. Gerechtigkeit für Österreich  ! Darstellungen, Dokumente und Nachweise zur Vorgeschichte und Geschichte der Okkupation Österreichs. Erster Teil (Nach amtlichen Quellen). – Wien 1946. S. 61. 73 Longerich  : Hitler. S. 572.

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Machtübernahme des Nationalsozialismus ohne militärische Intervention des Deutschen Reiches erreichen wollte. Das »Aktionsprogramm 1938« trug die Unterschrift von Leopolds Stellvertreter Tavs und wurde daher auch unter dem Namen »Tavs-Plan« bekannt, stammte jedoch sicherlich nicht nur aus seiner Feder, sondern war das Ergebnis von taktischen Überlegungen eines auserwählten Kreises der Landesleitung unter Einschluss Leopolds, stammte wahrscheinlich sogar zum Großteil von ihm.74 Dafür spricht auch das innerparteiliche Ziel des Plans, die Überrumpelung und Ausschaltung der Gruppe um Seyß-Inquart durch eine mögliche Kanzlerschaft Leopolds, dessen Stellung als Führer der österreichischen NSDAP damit nicht nur gefestigt gewesen, sondern auch gegenüber Berlin, d. h. vor allem Hitler, eindrucksvoll demonstriert worden wäre. Mit einem einzigen spektakulären Zug hätte Leopold verlorenes Terrain in Berlin nicht nur gutgemacht, sondern seine innerparteilichen Rivalen und Kritiker in der Gunst der Reichskanzlei und des Braunen Hauses überholt. Ob deutsche Stellen von diesen konkreten Überlegungen in Kenntnis gesetzt wurden, ist mangels direkter Quellen umstritten. Der Wiener Polizeipräsident Skubl vertrat aufgrund der vorgefundenen Dokumente, die auch die Initialen »R. H.« enthielten, die Auffassung, dass Rudolf Hess in die Pläne nicht nur eingeweiht war, sondern diese auch mitgestaltet hatte. Zweifellos war man in Berlin entschlossen, den Druck auf Österreich zu Jahresbeginn 1938 zu verstärken, wie aus verschiedenen Äußerungen führender Parteifunktionäre und Politiker geschlossen werden kann. Vor allem Hermann Göring machte aus seinem Herzen keine Mördergrube. So präsentierte er am 28. September 1937 bei dessen Besuch in Carinhall eine Europakarte, in der Österreich bereits als deutsches Territorium eingezeichnet war. Zwei Monate später wiederholte er diese Provokation gegenüber Guido Schmidt bei dessen Besuch.75 Schmidt berichtete Schuschnigg umgehend von dieser bewussten Provokation.76 Spätestens ab diesem Zeitpunkt konnte man somit auf dem Ballhausplatz keine Zweifel über die Absichten der deutschen Außenpolitik hegen. Am 21. Jänner 1938 berichtete der österreichische Generalkonsul in München, Ludwig Jordan, an Staatssekretär Guido Schmidt streng vertraulich, ihm sei am Vortag »von ganz verlässlicher Seite noch folgende (…) Nachricht zugegangen  : Ein Parteifunktionär 74 Gerhard Jagschitz hat daher wohl zurecht vorgeschlagen, den als »Tavs-Plan« in die Geschichte eingegangenen Putschplan als »Leopold-Plan« zu bezeichnen. Vgl. Gerhard Jagschitz  : Thesen zum Konzept der NSDAP. – In  : Anschluss 1938. Protokoll des Symposiums in Wien am 14. und 15. März 1978. – Wien 1981. S. 173f. S. 173. (Wissenschaftliche Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der Geschichte der Jahre 1918 bis 1938. Veröffentlichungen Band 7. Herausgegeben von Rudolf Neck und Adam Wandruszka.) 75 Volker Ullrich  : Adolf Hitler. Die Jahre des Aufstiegs. – Frankfurt am Main 2013. S. 783. 76 Der Hochverratsprozess gegen Dr. Guido Schmidt. S. 50  ; Kurt Schuschnigg  : Ein Requiem in RotWeiß-Rot. – Wien 1978. S. 30.

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aus der unmittelbaren Umgebung des Herrn Reichskanzlers habe in einem Privatgespräch erzählt, es werde im Frühjahr ›ein Stoß gegen Österreich‹ unternommen werden. Sollte der Herr Bundeskanzler hierbei ›nicht Vernunft annehmen‹, dann würde er das Schicksal weiland des Herrn Bundeskanzlers Dr. Dollfuß zu teilen haben.«77 In demselben Schreiben berichtete der österreichische Generalkonsul über ein Gespräch mit dem britischen Generalkonsul in München D. St. Clair Gainer. Diesen habe vor einigen Tagen ein Mr. Spranklin, der Sekretär des englischen Faschistenführers, Sir Oswald Ernald Mosley, aufgesucht. Spranklin habe an einer nationalsozialistischen Führertagung in der Ordensburg Sonthofen teilgenommen und sei auch in Österreich gewesen, wo er mit Hauptmann Leopold gesprochen habe. »Dieser habe ihm mitgeteilt, dass im Frühjahr in Österreich mit Unterstützung aus Deutschland eine bewaffnete Aktion der NSDAP stattfinden werde. (…) Mr. Spranklin hat im Laufe seines Gespräches mit Mr. Gainer weiter erwähnt, Hauptmann Leopold habe ursprünglich die Befürchtung gehegt, dass er bei der erwarteten Machtübernahme der NSDAP in Österreich nicht an die Spitze der Regierung gestellt werde. Er habe jedoch in der Folge entsprechende Zusicherungen des Herrn Reichskanzlers erhalten.«78 Einen Tag später berichtete der österreichische Gesandte in Berlin, Stephan Tauschitz, über ein Gespräch mit Reichsaußenminister Konstantin von Neurath in den Abendstunden des 21. Jänner, in dem dieser erklärte, er hege »bezüglich Österreich nach wie vor die größten Besorgnisse (…) Die Entwicklung Österreichs bzw. die innenpolitische Befriedung ging so langsam oder gar nicht vonstatten, dass er fürchten müsse, es werde einmal zu einer Explosion kommen.«79 Es waren diese sich verdichtenden Hinweise sowie der Umstand, dass den Sicherheitsbehörden der Chiffreschlüssel für den Verkehr des Siebenerkomitees mit deutschen Stellen in die Hände gefallen war, die die Bundesregierung veranlassten, am 25. Jänner eine Razzia in den Räumen des Siebenerkomitees in der Teilfaltstraße vorzunehmen, die neben dem »Tavs-Plan« zahlreiches belastendes Material sicherstellte und am 26. Jänner zu einer nächtlichen Ministerratssitzung führte, die eine Ausweitung der Verhaftungen beschloss. In Krems erfolgte die Durchsuchung des Büros und der Wohnung Leopolds. Da jedoch kein belastendes Material gefunden werden konnte – unter dem »Aktionsplan 1938« stand nur der Name Tavs –, wurde er wiederum auf freien Fuß gesetzt, während Tavs wegen Hochverrats in das Wiener Landesgericht eingeliefert wurde.80 77 ADÖ 12/1860. 78 Ebda. 79 ADÖ 12/1861. 80 In seinen Erinnerungen bemerkt Papen zum Siebenerkomitee  : »Schuschniggs Bemühungen um die nationale Opposition hatten die Gründung des Siebenerkomitees zur Folge, durch dessen Vermittlung er vertrauenswürdige Personen der Opposition für die Regierung und die Vaterländische Front gewinnen wollte. Mein Freund und intimer Mitarbeiter Freiherr Wilhelm von Ketteler hatte die Aufgabe, die

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Es war kein Aufsehen erregendes Rauschen im Blätterwald, sondern eher eine sachliche Meldung der »Wiener Zeitung« am 29. Jänner 1938, die in einer Verbindung mit einer Rede des Generalsekretärs der Vaterländischen Front, Guido Zernatto, am 26. Jänner 1938 in Salzburg auch von der am 25. Jänner durch die Wiener Polizei vorgenommenen Hausdurchsuchung in den Räumlichkeiten der illegalen NSDAP in der Teinfaltstraße Nr. 4 berichtete. »Es gibt Beweise dafür, dass Vertreter dieser Zirkel [Gegner der Versöhnungspolitik, Anm. d. Verf.] – freilich vergeblich – bemüht waren, Kräfte, die außerhalb Österreichs liegen, dazu zu veranlassen, die innenpolitische Entwicklung in Österreich durch Drohung oder Gewalt zu beeinflussen. Die Elemente, von denen hier die Rede ist, suchten sogar Einrichtungen, die der Versöhnung dienen sollen, dazu zu missbrauchen, um in der angedeuteten Weise gegen die Befriedungspolitik zu wirken. Die Feststellungen, die anlässlich der Anhaltung eines Mitgliedes des sog. Siebenerkomitees gemacht werden mussten, sind ein entsprechender Beweis dafür.«81 Am 28. Jänner nahm der Bundeskommissär, Oberst Walter Adam, in einer Rede in Klagenfurt auf die Ereignisse Bezug und betonte, dass man sehr wohl zwischen jenen Nationalen, die an der Befriedungspolitik mitzuwirken bereit seien, und den diese ablehnenden radikalen Nationalsozialisten unterscheiden müsse. Der Bundeskanzler und die Bundesregierung seien mit der Einrichtung des Siebenerkomitees »um des lieben Friedens willen bis an die äußerste Grenze der Toleranz gegangen (…), hart heran an jene Grenze, wo die Gefahr entsteht, in den eigenen Reihen missverstanden zu werden. (…) In den letzten Tagen konnte nun einwandfrei festgestellt werden, dass zumindest ein hervorragendes Mitglied des Siebenerkomitees sein Versprechen [der Loyalität, Anm. d. Verf.] in gröblichster Weise verletzt hat.« Dennoch werde der Bundeskanzler »nicht um Daumenbreite« von seinem Weg abrücken (…) Unser Kanzler ist aus g u t e m ö s t e r r e i c h i s c h e n S t a h l , b i e g s a m u n d h a r t . Er wird sich auch durch gewisse Erscheinungen, die in den letzten Wochen zu beobachten waren, in seiner P o l i t i k d e s F r i e d e n s und der i n n e r e n Ve r s t ä n d i g u n g nicht beirren lassen.«82

Fühlung mit dem nationalen Lager aufrechtzuerhalten. Er hatte aus diesem Anlass sich mit einer Gruppe von Herren befreundet, deren gemäßigtes und kluges Urteil er schätzte. Neben dem derzeitigen Rektor der Wiener Universität, Professor Dr. Menghin, sah er häufig die Herren Seyß-Inquart, Dr. Jury, Rainer, Reinthaller und andere. Diese Herren standen in offenem Gegensatz zur illegalen Partei und deren Führer Leopold. Leider hatte der Bundeskanzler bei der Auswahl des Siebenerkomitees nur den Professor Menghin zum Obmann bestellt, die der anderen Herren aber der Entscheidung des Parteiführers Leopold überlassen. Bei der sich damit ergebenden Zusammensetzung konnte es nicht ausbleiben, dass im Laufe des Jahres 1937 dieses Komitee nicht zu einer Hilfe für den Kanzler sich entwickelte, sondern zu einem Stützpunkt für die illegale Partei wurde.« (Papen  : Der Wahrheit eine Gasse. S. 444.) 81 Wiener Zeitung 29.1.1938. S. 1  ; Wiener Zeitung 30.1.1938. S. 2. 82 Ebda. S. 2  ; Neue Freie Presse 29.1.1938. S. 3.

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Die österreichische Bundesregierung scheute vor einer entsprechenden propagandistischen Verwertung des bei der Razzia sichergestellten belastenden Materials zurück, um die ohnedies gespannten Beziehungen zum Deutschen Reich nicht weiter zu belasten und auch auf die innenpolitische Situation beruhigend zu wirken. Staatssekretär Guido Schmidt teilte lediglich am 27. Jänner 1938 dem österreichischen Gesandten in Berlin, Stephan Tauschitz, »zur allgemeinen Orientierung« die Sicht der Bundesregierung über die Ereignisse mit und betonte, man werde sich »unter keinen Umständen provozieren lassen, so dass nicht etwa nachträglich ein Vertragsbruch durch Österreich konstruiert werden könnte. Sie wird alles daransetzen, um Verschärfungen der Lage nach Möglichkeit zu verhindern (…) Sie kann jedoch im Grundsätzlichen keinerlei Konzessionen machen (…), noch können Drohungen und Einschüchterungen Änderungen dieses unverrückbaren Standpunktes im Gefolge haben.«83 83 Die Sicht der Bundesregierung lautete  : »Das sogenannte Siebenerkomitee, dem auch Dr. Tavs angehörte, hatte die Aufgabe, bei der allmählichen Überführung illegaler nationalsozialistischer Kreise in die Legalität mitzuwirken. Zur Erfüllung dieser Aufgabe war es selbstverständlich notwendig, dem Siebenerkomitee eine gewisse Bewegungsfreiheit einzuräumen und ihm den Kontakt mit Personen der illegalen Bewegung zu gestatten. Zu diesem Zwecke wurde auch das Büro in der Teinfaltstraße errichtet. Die Bundesregierung war sich dabei von Anfang an im Klaren, dass die Duldung dieses Büros und der Parteienverkehr, der sich dort abspielte, in der Bevölkerung zu mancherlei Missdeutungen Anlass geben werde. Dieser Übelstand musste jedoch in Kauf genommen werden, da man auf andere Weise alle Fäden zum Nationalsozialismus in Österreich abgeschnitten hätte, was aus innen- und außenpolitischen Gründen unerwünscht war. Die erste und unerlässliche Voraussetzung für die Tätigkeit des Siebenerkomitees und für alle anderen Befriedungsmaßnahmen war aber die vollkommene Loyalität der handelnden Personen gegenüber dem Bundeskanzler und der Vaterländischen Front, wozu sich dieselben ausdrücklich und schriftlich verpflichtet hatten. Es konnte niemals die Aufgabe des Siebenerkomitees oder einzelner Personen des Komitees sein, eine ›nationale Opposition‹ in irgendeiner Form und mit irgendeinem von den Grundsätzen der Vaterländischen Front abweichenden Programm zu organisieren. In allen Unterhaltungen mit Vertretern der ›nationalen Opposition‹ hatten die Forderungen der Bundesregierung eindeutig Ausdruck gefunden  : Vollkommener Verzicht auf jede illegale Betätigung, Anerkennung der Maiverfassung 1934 und der Vaterländischen Front als einziger legaler Organisation der politischen Willensbildung. Die Bundesregierung war sich seit geraumer Zeit nicht im Unklaren, dass unter der Flagge der ›Nationalen Befriedung‹ ein doppeltes Spiel getrieben wurde. Die Beweise hierfür verdichteten sich immer mehr, sodass sich der Herr Bundeskanzler am 25. d. M. veranlasst sah, dem Treiben in der Teinfaltstraße ein Ende zu setzen. Einer der engsten Mitarbeiter des Herrn Leopold, Dr. Tavs, der sich selbst als ›Gauleiter für Wien‹ bezeichnet, ließ in ausländischen Blättern ein Interview veröffentlichen, das ein klares Bekenntnis zur Illegalität enthielt. Er wurde daraufhin verhaftet. Eine sofort vorgenommene Durchsuchung seines Büros ergab den schlüssigen Beweis, dass Dr. Tavs Hochverrat betrieben hat. Man fand unter seinen Papieren einen detaillierten Plan, der auf eine zumindest beabsichtigte enge Zusammenarbeit mit der NSDAP im Deutschen Reich schließen lässt. (…) Es ist vorauszusehen, dass diese Vorkommnisse der nationalsozialistischen Propaganda innerhalb und

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2.4 Berchtesgaden – Der Durchbruch Schuschnigg bemerkt in seinen Erinnerungen, dass man die deutschen Pressemeldungen über die Ereignisse in der Teinfaltstraße genau beobachtet habe. So habe die gewöhnlich sehr gut informierte »Essener National-Zeitung« berichtet, man sei in der deutschen Botschaft über die Funde bei der Razzia sichtlich sehr beunruhigt, weshalb die Annahme berechtigt sei, dass man in der Botschaft sehr wohl von dem belastenden Material Kenntnis gehabt habe. »Daraus ergab sich für die österreichische Regierung die Folgerung, dass ein Weiterführen der bisherigen Politik eine neuerliche Fühlungnahme mit Deutschland unerlässlich machte, und zwar zum Zweck der Ausschaltung jener Einflüsse, die offensichtlich daran waren, das Abkommen vom 11. Juli 1936 mit Gewalt zu beseitigen. Dabei würde es auch notwendig sein, auf der Entfernung der illegalen Führer der NSDAP, Leopold und Tavs, aus Österreich zu bestehen. Damit war der Boden vorbereitet für die nun folgenden Gespräche mit dem deutschen Botschafter von Papen, an deren Ende die Einladung nach Berchtesgaden stand.«84 Noch in den Abendstunden des 26. Jänner hatte man Seyß-Inquart in das Kanzleramt bestellt. In diesem fanden sich schließlich neben Seyß-Inquart Bundeskanzler Kurt Schuschnigg, die Staatssekretäre Guido Schmidt und Guido Zernatto, der Wiener Polizeipräsident und Staatssekretär für das Sicherheitswesen, Michael Skubl, und Bundesminister Edmund Glaise-Horstenau zu einem »kleinen Ministerrat« ein. In seinen Erinnerungen bemerkt Glaise-Horstenau, der zu Seyß-Inquart und der ihn

außerhalb unserer Grenzen neue Stichworte geben werden. Der Vorwurf, dass die Befriedungsaktion nicht ernst gemeint wäre, wird in verstärktem Maße auftauchen, gewiss in Verbindung mit der Behauptung, dass dadurch das Abkommen vom 11. Juli in Frage gestellt sei. Ich beehre mich daher, Sie im Einvernehmen mit dem Herrn Bundeskanzler zu ersuchen, bei Erörterungen dieses Themas folgende Gesichtspunkte mit besonderem Nachdruck hervorzuheben  : 1. Im Abkommen vom 11. Juli hat sich das Deutsche Reich verpflichtet, auf jede Einmengung in innerösterreichische Angelegenheiten zu verzichten. Dabei wurde ausdrücklich auch der österreichische Nationalsozialismus als eine innere österreichische Angelegenheit anerkannt. (…) 2. Die nationale Opposition gliedert sich seit jeher in viele einander gegenseitig befehdende Gruppen, die in politischer Hinsicht vom Bekenntnis zu loyaler Mitarbeit bis zur Organisation von Terroraktionen abgestuft sind. (…) 3. Die Bereitschaft der Bundesregierung, die ›nationale Opposition‹ zu positiver Mitarbeit zu gewinnen, besteht unverändert fort. Ebenso unverändert und unveränderlich ist jedoch die Ablehnung jedweder Partei und jedweder politischen Sektionierung der Vaterländischen Front. Eine ernsthafte Zusammenarbeit mit nationalen Kreisen ist nach wie vor nur dann möglich, wenn diese auf jede illegale Betätigung und auf jede Verbindung zur Illegalität verzichten.« (ADÖ 12/1866.) 84 Schuschnigg  : Im Kampf gegen Hitler. S. 215.

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unterstützenden Gruppe um Rainer und Globočnik in deutlicher Distanz stand,85 zur Bekanntgabe des Tavs-Plans, ihm sei »die Sache nicht ernst« vorgekommen und er »habe sie daher auch in dem Rumpfministerrat, der da zusammengetreten war, stark bagatellisiert als lächerliche Hirngespinste. Seyß hielt sich, wie immer, zurück und assistierte mir lediglich, als ich einer Verhaftung Leopolds (Tavs war schon inhaftiert) widerriet. Auch die Auflösung des ›Siebenerkomitees‹, das in Wirklichkeit längst nur mehr aus den vier nationalsozialistischen Mitgliedern (Leopold, Tavs, In der Maur und Jury, letzterer nur bedingt) bestand und eine Art illegaler Parteileitung darstellte, widerrieten wir aus Zweckmäßigkeitsgründen, wobei allerdings Seyß, dessen Gegner im Komitee saßen, nur zögernd folgte.«86 Schuschnigg zog aus der Polizeiaktion in der Teinfaltstraße zwei Konsequenzen, wobei die zwei Wochen zuvor (10. bis 12. Jänner) in Budapest durchgeführte Konferenz der Unterzeichnerstaaten der Römischen Protokolle eine Rolle spielte. Die Gespräche des Bundeskanzlers und Guido Schmidts mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Kálmán Darányi und dem ungarischen Außenminister Kálmán Kánya sowie 85 In seinen Erinnerungen bemerkt Glaise-Horstenau zu dieser Distanz  : »Ich habe mich bereits 1932 in der Wehrzeitung für Neuwahlen eingesetzt, weil ich in ihnen die einzige Möglichkeit einer evolutionären Entwicklung in Österreich erblickte. Aus dem Blickfeld der österreichischen Außenpolitik betrachtet, wäre es gar nicht ausgeschlossen gewesen, dass der dann legal auftretende österreichische Nationalsozialismus die ganzen Krisen des deutschen nicht durchgehalten hätte. Als wir im Juli 1936 das Abkommen abschlossen, hielt ich dieses von Anbeginn für einen frommen Selbstbetrug des österreichischen Regimes. Es war, zumal bei der ›religionsstifterischen‹ Einstellung Hitlers, undenkbar, mit Hilfe eines diplomatischen Abkommens die nationalsozialistische Bewegung in Österreich auszuradieren  ; wer es glaubte, war ein Phantast. Wie ich schon Ende August 1936 dem damaligen Vizekanzler Baar von Baarenfels schrieb, konnte das Problem nicht lauten, den Nationalsozialismus umzubringen, wozu wir gegenüber dem gewaltigen Schatten Deutschlands zu schwach waren, sondern nur ihn irgendwie zu legalisieren, wobei ich an eine Art Henlein-Bewegung dachte, wie es sie im Sudetenland gab. Die Gegenkräfte in Österreich konnten dann zeigen, was sie vermochten. Nur die Legalisierung in irgendeiner Form machte eine praktische Realpolitik möglich, jede andere Lösung war unaufrichtig. Demgegenüber vertrat Seyß und sein geistiger Mentor, der kleine brotlose Notariatssubstitut aus Kärnten, Friedrich Rainer, die Auffassung, dass es nicht auf eine Organisation ankäme, sondern auf ›Ideenträger‹, die als Einzelpersonen die ihnen gebührenden Machtpositionen im Staate zu erobern hätten. Dieser Ideologie setzte ich die Auffassung entgegen, dass Ideenträger wohl eine Angelegenheit weniger Intellektueller sein könne, nicht aber der Masse, die Schulteranlehnung an Gleichgesinnte bedürfe und ohne diese erst wieder in die Illegalität gedrängt würde. Im Übrigen muss ich beifügen, dass weder Seyß noch ich an eine sklavische Gleichschaltung dachten oder sie auch nur wünschten. Dazu war schon die Partei in Österreich absolut unfähig, ganz abgesehen von unserer Überzeugung, dass der Nationalsozialismus preußisch-bayrischer Prägung uns für Österreich unbrauchbar erschien. (…) Den ›Leopoldinern‹ [Anhänger von Landesleiter Leopold, Anm. d. Verf.] war – darin trafen sie sich übrigens mit ihrem Todfeind Seyß – der Anschluss ziemlich Nebensache  ; das Wesentliche war ihnen die Machteroberung, verbunden mit Gleichschaltung, ohne die jene ja undenkbar gewesen wäre.« (Broucek (Hg.)  : Ein General im Zwielicht. Bd. 2. S. 218f.) 86 Broucek  : Ein General im Zwielicht. Bd. 2. S. 217f.

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dem italienischen Außenminister Galeazzo Ciano waren keineswegs so harmonisch verlaufen, wie das nach längerem Ringen veröffentlichte Kommuniqué vermittelte. Vor allem die Feststellung, dass »die Vertreter Österreichs und Ungarns ihrer Sympathie mit der innigen Zusammenarbeit der zwei ihnen befreundeten Großmächte, Italien und Deutschland, Ausdruck geben, die in der Achse Rom-Berlin verankert ist und ein wichtiges Unterpfand des Friedens und des Wiederaufbaues darstellt«,87 bedeutete für den Ballhausplatz die Anerkennung der außen- und sicherheitspolitischen Isolation gegenüber dem Deutschen Reich und verstärkte angesichts des Mangels von außen- und sicherheitspolitischen Alternativen die Bereitschaft, nach dem Juliabkommen zu einer neuerlichen Übereinkunft mit Berlin zu kommen. Diese hatte aus der Sicht Wiens vor allem zwei Ziele  : Zeit zu gewinnen in der Hoffnung auf eine baldige Änderung der internationalen Rahmenbedingungen und eine neuerliche Anerkennung der Unabhängigkeit Österreichs durch Berlin. Um dieses Ziel zu erreichen, dessen war man sich bewusst, musste man zu weiteren Konzessionen an die Nationale Opposition bereit sein, wobei man nach wie vor der (illusionären) Hoffnung nachhing, das nationale Lager entlang der Spannungslinie Gemäßigte versus Radikale spalten zu können. Das Mittel zum Zweck sah man in Arthur Seyß-Inquart. Der mit der Gewinnung und dem Einbau der nationalen Kreise in die Vaterländische Front beauftragte Staatsrat hatte empört auf die von Schuschnigg und Zernatto mit der Begründung der notwendigen inneren Konsolidierung verkündete Aufnahmesperre der Vaterländischen Front mit 1. November 1937 reagiert, da er in dieser Maßnahme ein entscheidendes Hindernis für seine Aufgabe sah. Am 29. Oktober wurde bei einer Führertagung der Vaterländischen Front über Vermittlung Schuschniggs ein Kompromiss erzielt. Gegen die Akzeptanz der primären inneren Konsolidierung wurde ein späterer verstärkter Einbau von Nationalsozialisten vereinbart. Seyß-Inquart erarbeitete in der Folgezeit den Plan einer »Volksdeutschen Gemeinschaft«, einer Zentralstelle für die Gewinnung der ganzen Bandbreite möglicher neuer Mitglieder aus dem nationalen (nationalsozialistischen) Lager. Am 18. Dezember überreichte er der Bundesregierung seine »Anregungen und Vorschläge«, die die Grundlage seines Forderungsprogramms für das Jahr 1938 bildeten. Die »Anregungen und Vorschläge« enthielten vier politische und ein personelles Forderungspaket  : 1. Forcierung des zwischenstaatlichen Angleichungsprozesses durch eine stärkere Harmonisierung der Außenpolitik vor allem im südosteuropäischen Raum, weitgehende militärische Angleichung und Erhöhung des bilateralen Handelsvolumens. 2. Umfassende Aktivierung der nationalen Kräfte im berufsständischen Aufbau durch Bindung des Wahlrechtes ausschließlich an die Standeszugehörigkeit und Übernahme von Funktionen in den berufsständischen Körperschaften. 87 ADÖ 12/1844.

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3. Maßnahmen zur Vermeidung der Diskriminierung durch Sicherung der Aufnahme in die Vaterländische Front, die Errichtung von Interventions- und Schlichtungsstellen und Zulassung von Presseorganen. 4. Eine umfassende Amnestie durch Freilassung der noch inhaftierten Juliputschisten, und Wiedergutmachung bei Maßregelungen im Pensionsbereich. Im personellen Bereich wurden folgende Ernennungen gefordert  : Dr. Arthur Seyß-Inquart  : Berufung in den Bundestag sowie Außen- und Verfassungsausschuss. Ing. Anton Reinthaller  : Berufung in den Bundeswirtschaftsrat. Dr. Franz Hueber  : Ernennung zum Stellvertreter des Obersten Sportführers Starhemberg. Dr. Hugo Jury  : Berufung in den Staatsrat. MR Dr. Hans Schauer-Schoberlechner  : Ernennung zum Vizepräsidenten der Beamtenkammer. Univ. Prof. Dr. Oswald Menghin  : Ernennung zum Bundeskulturrat. Univ. Prof. Dr. Friedrich Plattner  : Rückberufung als Ao. Prof. für Physiologie. Schuschnigg reagierte defensiv und erklärte Seyß-Inquart, er könne angesichts des zu erwartenden massiven Widerstandes in der Vaterländischen Front noch keine Entscheidung treffen. Er möge sich noch in Geduld üben. Das zu Jahresbeginn 1938 erscheinende Interview des Kanzlers im Londoner »Daily Telegraph« mit dem Kernsatz, Österreich trenne ein Abgrund vom Nationalsozialismus, sowie die nach wie vor nicht erfolgte Antwort auf die »Anregungen und Vorschläge« ließen SeyßInquart vorübergehend resignieren. Gegenüber Rainer hatte er im Dezember im Zusammenhang mit der Überreichung seiner »Anregungen und Vorschläge« erklärt, er werde im Fall einer negativen Reaktion »in die Doppelreihe zurücktreten«.88 Auch gegenüber Zernatto und Keppler äußerte er sich zu Jahresbeginn 1938 ähnlich, erhielt jedoch von Keppler am 8. Jänner im Auftrag Görings einen Brief, in dem dieser ihm den Wunsch des Generalobersten mitteilte, von diesem Schritt abzusehen. Die Auffindung des Tavs-Plans veranlassten Schuschnigg und Zernatto zur sofortigen Aufnahme von Verhandlungen mit Seyß-Inquart über dessen »Anregungen und Vorschläge«. Grund für diesen Sinneswandel war ein Besuch Franz von Papens in den Abendstunden des 26. Jänner, in dem der deutsche Botschafter nochmals die Möglichkeit eines persönlichen Treffens des Bundeskanzlers mit Hitler als zielfüh88 Zit. bei Rosar  : Deutsche Gemeinschaft. S. 186.

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rende Lösung der Spannungen andeutete. Papen hatte eine solche Möglichkeit bereits im Dezember 1937 und bei einem neuerlichen Gespräch am 7. Jänner 1938 erwähnt. Der Vorschlag Papens, der auch Glaise-Horstenau89 und Globočnik90 als Väter hatte, stieß bei Schuschnigg unter gewissen Voraussetzungen91 auf Zustimmung. Im Fall einer Zustimmung deutscherseits zu diesen Bedingungen – diese Zustimmung lag noch nicht vor – wollte Schuschnigg mit einem mit Seyß-Inquart als dem Repräsentanten der Nationalen Opposition fertig ausverhandelten Papier die Verhandlungen mit Hitler bestreiten. Bevor jedoch Seyß-Inquart die direkten Verhandlungen mit Zernatto aufnahm, reiste er aufgrund einer bereits länger akzeptierten Einladung des deutschen Reichssportführers Hans von Tschammer noch zu einem Winterurlaub nach Garmisch, wo es zu ausführlichen Gesprächen mit Rainer und dem angeblich zufällig anwesenden Papen kam. Bei diesen Gesprächen brachte Rainer den sog. »Klausner-Plan« zur Sprache, ein von ihm und Globočnik entwickeltes Konzept, das nach ihrem gemeinsamen Mentor, dem ehemaligen Kärntner Gauleiter, benannt wurde, und der sich nur in Nuancen – vor allem dem geringeren außenpolitischen Risiko – vom »Tavs-Plan« unterschied. Durch eine planmäßige Verschärfung der innenpolitischen Lage auch mithilfe von Parteiformationen sollte eine bürgerkriegsähnliche Situation erzeugt werden, die in einem ersten Schritt zu einer nationalsozialistischen Regierungsbeteiligung und in weiterer Folge zur Übernahme der Macht führen sollte. Eine direkte Intervention des Deutschen Reiches könnte so vermieden werden und sei nur die ultima ratio. Sichtlich in Kenntnis des »Klausner-Plans« erklärte Seyß-Inquart in den Gesprächen, Schuschnigg müsse den Einbau der Nationalen in die Vaterländische Front endlich in Gang setzen und die Nationalsozialisten müssten auch in die Regierung eingebaut werden, wobei er besonders die Besetzung des Innenministeriums ansprach. Damit ging er bereits deutlich über seine »Anregungen und Vorschläge« vom 18. Dezember hinaus, betonte je89 In seinen Erinnerungen berichtet Glaise-Horstenau, es sei Papen gewesen, der auf seine »alte Idee zurückkam, eine Zusammenkunft zwischen Hitler und Schuschnigg zu veranstalten.« (Broucek (Hg.)  : Ein General im Zwielicht. Bd. 2. S. 212.) 90 1941 berichtete Rainer, Globočnik habe, da die Kärntner Gruppe die politische Situation als unbefriedigend empfand, die Idee eines Treffens Schuschniggs mit Hitler entwickelt. »Wir haben in Berlin vorsichtig diesen Gedanken überprüft, und Keppler hat ihn Ribbentrop vorgetragen, und Papen erhielt den Auftrag, diese Besprechung vorzubereiten. Papen war eingeschärft worden, diesen Auftrag vertraulich zu behandeln. In Österreich wussten nur Schuschnigg, Schmidt und Zernatto davon. Diese waren der Meinung, dass von unserer Seite nur Papen informiert war, aber wir waren auch informiert und haben mit Seyß-Inquart Besprechungen darüber abgehalten.« (Zit. bei August Walzl  : »Als erster Gau …« Entwicklung des Nationalsozialismus in Kärnten. – Klagenfurt 1992. S. 44.) 91 Es müsse sich um eine deutsche Einladung handeln und das Abkommen vom 11. Juli 1936 erneut bekräftigt werden. Entsprechend den diplomatischen Gepflogenheiten sei ein Sprechprogramm sowie ein Pressekommuniqué einvernehmlich und im Voraus festzulegen und strikte Geheimhaltung einzuhalten.

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doch, dass im Gegenzug zu diesen Zugeständnissen die Unabhängigkeit Österreichs sowie jene der österreichischen NSDAP von der Reichspartei betont werden müsse. Während Rainer nach Berlin weiterreiste und Keppler sowie das Außenministerium umgehend von dessen Inhalt informierten, reiste Seyß-Inquart nach Wien zurück, um die Gespräche über die nunmehr von ihm erweiterten »Anregungen und Vorschläge« mit Zernatto aufzunehmen. In diese Gespräche platzte am 4. Februar die Nachricht von den Abberufung Blombergs, Fritschs und Neuraths sowie Papens von seinem Botschafterposten in Wien. Papen war überrascht, akzeptierte jedoch Hitlers Entscheidung. Er bestieg »den nächsten Zug nach Salzburg, um Hitler auf seinem Berghof adieu zu sagen und, wenn möglich, in der österreichischen Frage ein Unheil abzuwenden. Hitler schien geistesabwesend und mit etwas beschäftigt. Er versuchte, meine Entlassung mit Entschuldigungen zu verdecken. Ich sagte ihm aber dennoch, dass ich mein Scheiden bedaure, weil ich überzeugt war, dass meine Politik die einzig richtige war. Sogar der Bundeskanzler, sagte ich zu Hitler, wünsche nun eine persönliche Aussprache mit dem Führer des Deutschen Reiches und hoffe, es würde dies eine weitere Verständigung und Klärung der Ansichten mit sich bringen. Als Hitler dies hörte, zeigte er plötzlich starkes Interesse. Ich sagte ihm von den vielen Bemühungen, Herrn Schuschnigg für solch eine Zusammenkunft im Geiste gegenseitigen Vertrauens zu gewinnen, was seine zurückhaltende Natur bisher abgelehnt hatte. Ich sagte Hitler, dass der Bundeskanzler erst in den letzten paar Tagen sich dazu durchringen konnte, dass ein offener Austausch der Ansichten wenigstens nicht schaden könnte. Hitler stürzte sich darauf. ›Aber das ist herrlich. Ich bitte Sie, kehren Sie sofort nach Wien zurück und verabreden Sie mit dem Bundeskanzler hier in den nächsten Tagen eine Zusammenkunft. Ich werde mich sehr freuen, ihn zu sehen und alles mit ihm offenherzig zu besprechen.‹ Ich erwiderte, dass das im Hinblick auf meine Entlassung etwas schwierig sei, die ja in der Weltpresse veröffentlicht worden ist. ›Das macht gar nichts. Ich bitte Sie, die Leitung der Gesandtschaft wieder aufzunehmen, bis unsere Zusammenkunft stattgefunden hat.‹ In der Tat, eine merkwürdige Art, auswärtige Politik zu betreiben. Aber tatsächlich war ich sehr froh, dass es mir noch gegönnt war, dazu zu helfen, die zwei extremen Meinungen zusammenzubringen.«92 Am 7. Februar kehrte Papen nach Wien zurück und bat um eine Unterredung mit Schuschnigg. In dieser erklärte er, »er habe sich in Berchtesgaden bei Hitler persönlich vergewissern können, dass es bei der Besprechung nur um eine Diskussion der Schwierigkeiten gehen würde, die sich aus der Durchführung des Abkommens von 1936 auf beiden Seiten ergäben. Er habe den ausdrücklichen Auftrag mitzuteilen, 92 »Papen-Memorandum«. – In  : Der Hochverratsprozess gegen Dr. Guido Schmidt. S. 345–386. S. 378. Vgl. dazu auch Papen  : Der Wahrheit eine Gasse. S. 460.

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dass Hitler an der Erneuerung und Vertiefung des Abkommens vom Juli 1936 und an dessen weiterem Fortbestand interessiert sei und dass keine neuen Forderungen gestellt würden. Es bestehe auch Einverständnis darüber, dass auf den Fortbestand des Abkommens vom Juli 1936 im Schlusskommuniqué ausdrücklich hingewiesen werde. Schließlich fügte der Botschafter an, dass er von Hitler beauftragt sei mitzuteilen, dass sich die Beziehungen zwischen dem Reich und Österreich, wie immer die Verhandlungen im Einzelnen verlaufen, auf keinen Fall zum Nachteil des österreichischen Standpunktes verändern und zur Erschwerung der österreichischen Lage führen würden. Herr Papen meinte, alles, was passieren könne, sei, dass man – schlimmstenfalls – keinen Fortschritt erziele und alles beim Alten bleibe. Er fügte als seine persönliche Meinung an, dass der Zeitpunkt zur Beseitigung aller Schwierigkeiten und zu einem echten Ausgleich besonders günstig sei  : Hitler sehe sich einer schwierigen inneren Lage gegenüber  ; die Umbesetzung der Führungsstellen in der Wehrmacht habe ­ernste Probleme geschaffen  ; Hitler brauche Ruhe nach außen und werde vielleicht nie mehr wieder zu Kompromissen bereit sein, wie sie ihm im Augenblick als nützlich und nötig erschienen. Als Termin wurde der 12. Februar vereinbart  ; ein österreichischer Versuch, die Begegnung um etwa 14 Tage hinauszuschieben, wurde mit dem Hinweis darauf abgelehnt, dass für Hitler ein späterer Zeitpunkt besonders wegen einer für Februar in Aussicht genommenen Reichstagsrede über den Stand der Nation nicht mehr in Frage komme. Damit waren die Würfel gefallen. Die Einladung nach Berchtesgaden für den 12. Februar wurde angenommen, schon deshalb, weil es österreichischerseits unvertretbar schien, den internationalen, zumal aus London zu erwartenden Vorwurf zu riskieren, man habe die zur Versöhnung ausgestreckte Hand zurückgewiesen.«93 93 Schuschnigg  : Im Kampf gegen Hitler. S. 219f. Ähnlich berichtet Nicolaus von Below, 1937 bis 1945 Hitlers militärischer Adjutant, in seinen Erinnerungen. Am 4. Februar 1938 war die Einberufung des Reichstages zum 20. Februar bekanntgegeben worden, vor dem Hitler eine »Erklärung der Reichsregierung« zu den jüngsten personellen Revirements an der Spitze der Wehrmacht und des Außenministeriums abgeben werde. Um diese vorzubereiten, begab sich Hitler auf den Obersalzberg. »Er war deshalb ärgerlich, als sich Papen, der soeben im Rahmen des großen Revirements als Botschafter in Wien abgesetzt worden war, zu einem Besuch ansagte. Hitler fühlte sich verpflichtet, ihn zu empfangen, wohl um ihn über seine ohne Vorankündigung erfolgte Entlassung hinweg zu helfen. Das Gespräch fand unter vier Augen statt und dauerte länger als erwartet. Es war nicht schwer, daraus die Tatsache abzuleiten, dass beide eingehend das Österreich-Problem besprachen. Die österreichischen Nationalsozialisten drängten an die Macht, was gleichbedeutend mit dem ›Anschluss‹ Österreichs an das Reich war. Die Selbständigkeit Österreichs war in Gefahr. Die Besprechung zwischen Hitler und Papen endete in Harmonie. Die Verabschiedung wirkte herzlich. Die Gründe behielt Hitler nicht für sich. Papen hatte vorgeschlagen, dass Hitler in Kürze Schuschnigg zu einem Gespräch über die anstehenden Probleme auf dem Obersalzberg empfangen sollte. Hitler griff den Vorschlag spontan auf, setzte Papen wieder als Botschafter in Wien ein und beauftragte ihn, sofort mit der Regierung in Wien in Verbindung zu treten, um einen Termin zu vereinbaren. Hitler

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Die nunmehr unter Zeitdruck geführten Verhandlungen zwischen Zernatto und Seyß-Inquart führten am 11. Februar zu einer Punktation, die Schuschnigg als geheimes Grundlagenpapier, das die äußersten Zugeständnisse enthielt, für die Verhandlungen auf dem Obersalzberg dienten. Wie weit man bereit war, im Bereich ideologischer Positionen den in der Nationalen Opposition versammelten Nationalsozialisten entgegenzukommen, wurde in Punkt 7 der Punktation deutlich, der die Funktion eines ideologischen Einfallstors des Nationalsozialismus erfüllte. »Es gibt zweifellos wesentliche Grundauffassungen des nicht parteigebundenen National­ sozialismus, die sich in die Staatsideologie des neuen Österreich organisch eingliedern lassen. Diese Grundauffassungen von den historischen und ideologischen Begleitgedanken und Erscheinungen, die dieser Feststellung zu widersprechen scheinen, zu trennen, ist durchaus möglich. Eine endgültige Formulierung wird gesucht und gefunden werden.« Gordon Brook-Shepherd hat zurecht darauf hingewiesen, dass es bei einem Blick auf die Geschichte der NSDAP und der Entwicklung im Deutschen Reich seit 1933 offensichtlich sein musste, dass es so etwas wie einen ›nicht parteigebundenen Nationalsozialismus‹ weder gab noch jemals geben konnte. Und nach vier Jahren ununterbrochener Einmischung in Österreich hätte es ebenso klar sein müssen, dass die einzige Partei, an die die österreichischen Nationalsozialisten gebunden waren, eben die NSDAP in Deutschland war. Diese seltsame Illusion – dass der österreichische Nationalsozialismus bei allen diesen Verhandlungen als eine von Hitler getrennte Kraft behandelt werden konnte – verurteilte Zernattos ›Punktationen‹ von vornherein zum Scheitern. Denn Schuschnigg war von der Grundvoraussetzung ausgegangen, Seyß-Inquart und die ›gemäßigten‹ Nationalsozialisten seien unabhängig und stünden auf seiner Seite  ; vom Standpunkt des Bundeskanzlers aus gesehen war der ganze Zweck der Bemühungen Zernattos, Seyß-Inquart fester als je vorher als Führer der ›Gemäßigten‹ und als Hauptverbindungsmann mit Deutschland einzusetzen. Theoretisch war natürlich der Versuch, das nationalsozialistische Lager zu spalten, den verdaulichen Teil in die Vaterländische Front einzugliedern und die Fanatiker zu isolieren, logisch haltbar – obwohl er in der politischen Praxis (…) illusorisch war.«94 Die Punktation beinhaltete daher, der Philosophie der Spaltung des nationalsozialistischen Lagers folgend, weitgehende Zugeständnisse an die in die Vaterländische Front einzugliedernden Mitglieder der Nationalen Opposition bzw. der Nationalsozialisten, wobei Seyß-Inquart als Bundesleiter des Volkspolitischen Referats funsprach weder von einem Einmarsch in Österreich noch von einem Anschluss Österreichs an das Reich. Er wollte fordern, dass die Nationalsozialisten in Österreich an der Regierung beteiligt werden müssten.« (Nicolaus von Below  : Als Hitlers Adjutant 1937–45. – Mainz 1980. S. 83f.) 94 Gordon Brook-Shepherd  : Der Anschluss. – Graz/Wien/Köln 1963. S. 69.

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gieren sollte. Darüber hinaus sollte Seyß-Inquart neben den offiziellen Behörden als einzig legitimer Ansprechpartner im Bereich der bilateralen Beziehungen dienen, eine schrittweise Amnestie für alle noch inhaftierten Nationalsozialisten, die Erlaubnis für Mitglieder der Nationalen Opposition zur Vereinsgründung erteilt, eine enge militärische Kooperation und die Besetzung von Regierungsämtern mit Vertretern der Nationalen Opposition (namentlich genannt u. a.: Hugo Jury, Franz Langoth, Heinrich Srbik, Anton Reinthaller, Hans Schauer-Schoberlechner, Franz Hueber, Friedrich Rainer, Felix Kraus, Oswald Menghin) erfolgen. Zum Schluss erklärte Schuschnigg sogar noch seine Bereitschaft, ohne dass dies in die schriftliche Form der Punktation Eingang fand, Seyß-Inquart zum Innenminister zu ernennen. Im Bereich der für die politische Tätigkeit heranzuziehenden Personen wurde in Punkt 2 der Punktation betont, dass diese »ihrer verfassungsmäßigen Verantwortung und aus ihrer Zugehörigkeit zur Vaterländischen Front sich ergebenden disziplinären Verpflichtung« erklären, »dass sie sich in allen Angelegenheiten des Punktes 9, b, den Weisungen des Dr. Seyß unterstellen und keinerlei sonstigen Verpflichtungen unterliegen.« Als weitere Gegenleistung seitens der Nationalen Opposition wurde in Punkt 11 der Punktation im Sinne der angestrebten inneren Befriedung festgehalten  : »Dr. Seyß wird im Augenblick des Inkrafttretens dieser Besprechungen eine öffentliche Erklärung abgeben, in der zum Ausdruck gebracht wird, dass er auf Grund der nunmehr gegebenen Verhältnisse mit seinen Vertrauenspersonen jede illegale Betätigung ablehnt, insbesondere solche, die auf Störung der friedlichen Zusammenarbeit oder auf Vernichtung von Sachwerten zu politischen Demonstrationszwecken abzielt.«95 Im Regierungslager regte sich lediglich bei Guido Schmidt entschiedener Wider­ stand und Skepsis gegen eine Reihe von Formulierungen der Punktation. Am 11. Februar, als Zernatto seine Verhandlungen mit Seyß-Inquart aus Termingründen abschließen wollte, hatten ihn seine Mitarbeiter aufgrund der alarmierenden Nachrichten über die Formulierung einzelner Passagen gedrängt, sich einzuschalten. 1947 erklärte er  : »Ich habe wiederholt an diesem Tage mit Zernatto telefoniert und möchte einzelne Punktationen zur Erörterung stellen. Vorweg einen Punkt, den ich gleich das erste Mal heftig, mit kaum zu übertreffendem Temperament, bekämpfte, nämlich d i e Ve r e i n b a r k e i t n a t i o n a l s o z i a l i s t i s c h e n D e n k e n s m i t e i n e r B e t ä t i g u n g i m R a h m e n d e r Va t e r ländischen Front. Ich habe der Frage der Volkspolitischen Referate große Skepsis entgegengebracht. Es bedeutete nichts anderes als die Betreuung der national Gesinnten in der Vaterländischen Front. Es war klar, wenn Bundeskanzler Schuschnigg zu einer Verstän95 Zum Text der Punktation vgl. Schuschnigg  : Im Kampf gegen Hitler. S. 406–408  ; zu den Verhandlungen Zernattos mit Seyß-Inquart vgl. Zernatto  : Die Wahrheit über Österreich. S. 203–205.

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digung kommen wollte, dass er entgegenkommen musste der nationalsozialistischen Opposition, deren Auswahl er sich vorbehielt. Es gibt unter meinen Mitarbeitern Zeugen, die bekunden können, dass ich heftig Stellung gegen die Textierung genommen habe. Mit solchen Dingen wollte ich nicht Politik machen. (…) An diesem Papier, das ich von Zernatto bekommen habe, hängt sehr viel Unglück. Ich erhielt es kurz vor der Abreise. Zernatto sagte, er sei nicht mehr zu Ende gekommen damit. Was dann in Berchtesgaden von Hitler als Forderung erhoben wurde, war geschöpft aus diesem Papier.«96 Seyß-Inquart behandelte die Verhandlungen mit Zernatto nicht, wie vereinbart, streng vertraulich, sondern informierte insgeheim Friedrich Rainer, Kajetan Mühlmann und Wilhelm Keppler, sodass man deutscherseits bereits vor Beginn der Verhandlungen genau über die geheime Punktation und die von Schuschnigg festgelegten Roten Linien informiert war.97 Bereits am 4. Februar 1938 berichtete Papen an Hitler, Seyß-Inquart sei bei den Verhandlungen mit Schuschnigg »nahegelegt« worden, »einen Ministerposten im Kabinett anzunehmen.« Er habe »ihn gebeten, sich vorläufig jeder Zusage zu enthalten, da wir – falls die Aussprache auf dem Obersalzberg zustande kommt – eine Reihe vorher zu vereinbarender Forderungen erheben würden.«98 Und Keppler schrieb am 7. Februar an Ribbentrop zur Information über die Lage in Österreich, Schuschnigg sei nunmehr offensichtlich bereit, »eine weitgehende Umbildung seines Kabinetts vorzunehmen, wobei teilweise ausgesprochene Vertreter unserer Weltanschauung einzelne Ressort übernehmen könnten. (…) m. E. muss es nun Ziel einer eventuellen Aktion sein, innerhalb der Regierung (…) Fuß zu fassen. (…) Wenn dieses Ziel erreicht ist, werden wir uns bei einigermaßen ge-

96 Der Hochverratsprozess gegen Dr. Guido Schmidt. S. 57f. 97 Zur Information Seyß-Inquarts über die Verhandlungen an Keppler bereits am 2. Februar 1938 vgl. ADAP Serie D. I/282. In einem undatierten, wahrscheinlich am 11. Februar verfassten Bericht des Berliner SD-Hauptamtes, waren die Einzelheiten der Verhandlungsergebnisse zwischen Seyß-Inquart und Zernatto/Schuschnigg mit dem Hinweis auf die direkte Information Seyß-Inquarts enthalten. (ADAP Serie D. I/293.) Franz von Papen bemerkt in seinen Erinnerungen, dass »die Weitergabe der Punktationen von Seyß an Keppler (…) ein Vertrauensbruch gewesen« sei. »Dadurch war Hitler in die Lage versetzt, die Konzessionen seines Gegenspielers kennenzulernen und sie durch seine Forderungen zu übertrumpfen.« Er selber sei jedoch »in völliger Unkenntnis gelassen worden, wie weit der Bundeskanzler gehen wollte. Dr. Rainer sagte 1943 in einer Rede, die er vor österreichischen Parteiführern hielt und in der er bemüht war, seinen eigenen Anteil an den Berchtesgadener Beschlüssen zu glorifizieren  : ›Der einzige, der auf dem Berghof nicht unterrichtet war, war der Botschafter von Papen. Wir anderen waren über jede Einzelheit unterrichtet, die im österreichischen Kabinett diskutiert wurde. Unsere Beziehungen reichten bis in Schuschniggs Schlafzimmer.‹« (Papen  : Der Wahrheit eine Gasse. S. 466.) 98 ADAP Serie D. I/284.

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schickter Politik bestimmt mehr und mehr durchsetzen können, zumal doch ein sehr großer Teil der Bevölkerung fest hinter uns steht.«99 Keppler erarbeitete nunmehr in Kenntnis der zwischen Seyß-Inquart und Zernatto verhandelten Punktation für die Gespräche auf dem Obersalzberg ein weitergehendes Forderungsprogramm (Keppler-Plan), das am Nachmittag des 12. Februar Schuschnigg und Schmidt als deutscher Protokollentwurf überreicht wurde und unter der Voraussetzung der Berücksichtigung der österreichische Verfassung die Vereinbarkeit des Nationalsozialismus mit dem Bekenntnis zur Vaterländischen Front, eine enge Abstimmung der beiden Staaten in Fragen der Außen- und Militär- und Wirtschaftspolitik, eine allgemeine Amnestie, die Aufhebung aller Diskriminierungen von Nationalsozialisten und die Ernennung Seyß-Inquarts zum Innenminister inklusive der Unterstellung des Sicherheitswesens sowie dessen alleinige Zuständigkeit für die Fragen des Nationalsozialismus (Punkt II.2 des Protokollentwurfs) vorsah.100 Einen wesentlichen Nebenaspekt der Verhandlungen am 12. Februar 1938 bildete die Klärung der Führungsfrage und der Politik der österreichischen NSDAP zugunsten der Gruppe der sog. »Gemäßigten« um Seyß-Inquart, Rainer, Globočnik, Kaltenbrunner u. a., die zu diesem Zeitpunkt die Unterstützung Papens und Kepplers hatte. Im Prozess gegen Guido Schmidt erklärte der Salzburger Kunsthistoriker, höhere SS-Offizier und SD-Mann Kajetan Mühlmann, ein Vertrauter von Seyß-Inquart und Du-Freund Zernattos, er sei am 11. Februar noch während der Verhandlungen um die Punktation um 17 Uhr auf Wunsch Seyß-Inquarts im Zimmer Zernattos im Hauptquartier der Vaterländischen Front erschienen. Dort habe ihm Seyß-Inquart erklärt, dass die Verhandlungen sehr günstig verlaufen seien und mit dem Kanzler völlige Übereinstimmung erzielt worden sei. Bei dieser Gelegenheit habe er auch Schuschnigg darüber informiert, dass seine engsten Mitarbeiter, trotz der strengen Geheimhaltung, sehr wohl über das bevorstehende Treffen in Berchtesgaden informiert seien. Der Bundeskanzler sei keineswegs von dieser Mitteilung überrascht gewesen. Seyß-Inquart habe sodann erklärt, »nun sei es aber notwendig, dass jemand von unserer Gruppe sogleich nach Berchtesgaden fahre und Sorge trage, dass nicht in letzter Stunde Störungen versucht werden, da wir solche vom Lager Leopold befürchten mussten. Seyß-Inquart beauftragte mich also, noch in dieser Nacht nach Berchtesgaden zu fahren, Fühlung mit Keppler und Papen zu nehmen und allfällige störende Einflüsse auszuschalten. Ich fragte, ob Zernatto von dieser Fahrt wisse, Seyß-Inquart sagte, dieser wisse davon und sei einverstanden. Zernatto wurde nun geholt und sagte  : ›Also du fährst nach Berchtesgaden  ; mach deine Sache gut, Glück auf  !‹«101  99 Ebda. I/285. 100 Zum Text des deutschen Protokollentwurfs vgl. Schuschnigg  : Im Kampf gegen Hitler. S. 413f. 101 Der Hochverratsprozess gegen Dr. Guido Schmidt. S. 249.

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Die Unterredung in Berchtesgaden diente sowohl Schuschnigg wie auch der Gruppe um Seyß-Inquart auch dem Zweck einer endgültigen Lösung der Führungsfrage und der Politik der österreichischen NSDAP. Dabei war beiden bewusst, dass eine Klärung nur mit einem Machtwort Hitlers, der bisher an Leopold als Landesführer festgehalten hatte, erfolgen konnte. Papen und Keppler hatten durch ihre Berichte versucht, die Stellung Leopolds zu erschüttern. Am 10. Februar 1938 schrieb Keppler an Ribbentrop zu dessen Information über die innenpolitische Lage in Öster­reich und die Politik der österreichischen NSDAP  : »Die österreichische Partei arbeitet fast ausschließlich in Richtung der Illegalität, obgleich der Führer wiederholt sich dahin ausgesprochen hat, dass wir weniger nach der illegalen Seite kämpfen müssen, sondern sehen sollten, unsere Arbeit mehr nach dem legalen Sektor zu verlegen. Landesleiter Leopold hat infolgedessen den ganzen Bemühungen, die nicht nur vom Auswärtigen und Dr. Seyß-Inquart, sondern auch von mir ausgingen, immer entgegengearbeitet. (…) Leopold hat offensichtlich von den zurzeit schwebenden Verhandlungen Wind bekommen und hat nun in der letzten Woche mit großen Demonstrationen begonnen. Es sind infolgedessen vor zwei Tagen 400 Mann wieder verhaftet und etwa 400 Hitlerjungen relegiert worden. Die Hitlerjugend hat – offensichtlich dem Willen Leopolds entsprechend – mit Randalieren usw. angefangen, sodass sehr, sehr viele Relegationen von Schulen eingesetzt haben. Gestern hatte ich eine Aussprache mit dem Stabsleiter des Reichsjugendführers, Pg. Lauterbacher, der über diese Entwicklung sehr wenig erfreut ist und nun nach Rücksprache mit mir Schritte unternimmt, um diese Missstände abzustellen.«102 Schuschnigg war daran gelegen, Leopold und dessen engste Mitarbeiter im Zuge des geplanten Abkommens mit Hitler aus Österreich zu entfernen und die Führung der österreichischen NSDAP in die Hände der kooperationsbereiten Gemäßigten um Seyß-Inquart übergehen zu lassen, denn nur dann, davon war er überzeugt, hätten die von ihm zugestandenen weitgehenden Konzessionen auch die erhoffte Wirkung, die innenpolitische Befriedung zu erreichen. »Seyß-Inquarts Mitarbeit war nur sinnvoll und erfolgversprechend, wenn er, wie die Dinge nun einmal lagen, von den österreichischen Nationalsozialisten und deren Freunden, also den anschlussfreudigen Deutschnationalen, als ihr Sprecher anerkannt und als solcher von Reichsregierung und Reichspartei mit Ausschließlichkeitsrecht akzeptiert werden würde.«103 Auch die Gruppe um Seyß-Inquart sah in dem Berchtesgadener Treffen die Chance, die als untragbar empfundene Situation an der Spitze der NSDAP endgültig zu klären. Leopold hatte in ihren Augen seine Politikunfähigkeit durch seine kontraproduktive aktionistische Politik während der Gespräche zwischen Zernatto und Seyß-Inquart 102 ADAP Serie D. I/289. 103 Schuschnigg  : Im Kampf gegen Hitler. S. 230.

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neuerlich unter Beweis gestellt. Nun galt es, darin waren sich seine innerparteilichen Gegner einig, ihn durch eine konzertierte Aktion bei Hitler endgültig in Misskredit zu bringen, wobei sie allerdings mit dem Problem zu kämpfen hatten, dass Hitler Seyß-Inquart – vor allem auch aufgrund der Berichte Leopolds – distanziert bis ablehnend gegenüberstand. Es galt somit, ihn zu einer Meinungsänderung zu bewegen. Eine wichtige Rolle bei diesem Vorhaben spielte Mühlmann, der sich im gleichen Zug wie Schuschnigg und Schmidt in den Abendstunden des 11. Februar auf den Weg nach Berchtesgaden machte. Während Schuschnigg und Schmidt in Salzburg Station machten, reiste Mühlmann direkt nach Berchtesgaden weiter, wo er in den Morgenstunden des 12. Februar ankam und mit Keppler und Papen eine erste Besprechung führte, um anschließend in Gegenwart der beiden Joachim von Ribbentrop, den neuen Außenminister, der über die österreichischen Verhältnisse noch weitgehend uniformiert war, zu treffen. In dem einstündigen Gespräch mit Ribbentrop war er bemüht, die Person Seyß-Inquarts als am besten geeignet für die Durchführung einer allfälligen Vereinbarung hervorzuheben. Am Schluss des Gesprächs erklärte der Außenminister gegenüber Mühlmann, er möge sich bereithalten, denn es sei durchaus möglich, dass ihn Hitler heute noch rufen lasse. Tatsächlich wurde er nach dem Ende der Gespräche mit Schuschnigg und Schmidt um 18 Uhr zu Hitler gerufen, der nunmehr auch die Frage der österreichischen NSDAP einer endgültigen Lösung zuführen wollte. Keppler und Papen hatten bereits versucht, die Entscheidung zugunsten von Seyß-Inquart vorzubereiten, ein keineswegs einfaches Unterfangen, da Hitler den altgedienten Kämpfer Leopold in der Vergangenheit wiederholt in seiner Funktion als Landesleiter bestätigt und gegenüber dem (angeblichen) Nicht-Parteimitglied Seyß-Inquart Vorbehalte hatte. Doch nun hatte sich nach der Unterzeichnung des Berchtesgadener Abkommens, das in den Augen Hitlers den Weg einer evolutionären Entwicklung in Richtung Machtübernahme bereitet hatte, die Situation grundlegend geändert. Schuschnigg hatte erklärt, dass zur Durchführung des Abkommens eine Abberufung Leopolds und seiner engsten Mitarbeiter in das Deutsche Reich wünschenswert sei, da Leopolds Politik als kontraproduktiv empfunden wurde, eine Auffassung, die auch von maßgeblichen Kreisen im Reich vertreten wurde. Wenngleich die Ablöse Leopolds im Berchtesgadener Abkommen nicht direkt erwähnt wurde, so konnte sie aus der Formulierung des Punktes III indirekt geschlossen werden. »Die Reichsregierung anerkennt, dass der künftige Innenminister Seyß-Inquart die alleinzuständige Persönlichkeit für die Durchführung der Ziffer II, 2 dieses Protokolls [Ausbau des Volkspolitischen Referates auf Grund der Vereinbarkeit von Nationalsozialismus und Gegebenheiten Österreichs, Anm. d. Verf.] ist.« Im »Papen-Memorandum« bemerkte der ehemalige deutsche Botschafter in Wien  : »Als ich Hitler den Namen Seyß-Inquart bei den Unterhandlungen am Berghof nannte, fuhr er erschrocken auf. ›Was ist das für ein Mensch  ? Ich habe nie von

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ihm gehört. Ist er überhaupt ein Nationalsozialist  ?‹ Ich hatte diese Schwierigkeiten erwartet und hatte mir daher den Beistand eines bekannten österreichischen Nationalsozialisten [Mühlmann, Anm. d. Verf.] gesichert, der imstande war, dem Führer ein Alibi Seyß-Inquarts zu geben, da mein Urteil in Parteiangelegenheiten dem Führer absolut nicht kompetent war.«104 Papens Hinweis auf den »bekannten österreichischen Nationalsozialisten« verdankte Mühlmann seine Audienz. Hitler habe sich in einer außerordentlich aufgeregten Stimmung befunden und sofort erklärt  : »›Ich habe Sie zu mir gebeten, um Sie als österreichischen Nationalsozialisten zu fragen, ob dieses Abkommen, das mir Schuschnigg vorschlägt, für euch Nationalsozialisten in Österreich gut ist oder nicht. Ich bin entschlossen, die österreichische Frage zu lösen, und zwar heute noch und wenn es sein muss, blutig.‹ Er drehte sich um, ging auf und ab und sagte nach einigen Minuten  : ›Wird Schuschnigg überhaupt einen Vertrag halten  ? Ich glaube nicht daran.‹ Ich sagte  : ›Ich kenne ihn zwar nicht persönlich, sondern nur die Meinung Seyß-Inquarts über ihn, und Seyß-Inquart ist absolut davon überzeugt, dass Schuschnigg seine Zusagen und Anträge halten wird. (…) selbstverständlich unter der Voraussetzung der Selbständigkeit Österreichs.‹ Wieder Schweigen, dann sagte ich  : ›Allerdings müsste etwas erfolgen, das ist die Ablöse Leopolds.‹ Hitler drehte sich sehr brüsk gegen mich, maß mich von oben bis unten, äußerte sich aber nicht dazu. Dann wurde ich über Seyß-Inquart befragt, ob er im nationalen Lager genug Rückhalt habe, um den Befriedungskurs durchzuhalten, ob er nicht ein Kathole sei und dergleichen. Ich sagte, die Sehnsucht nach Befriedung sei im österreichischen Volk außerordentlich stark, gleichgültig, ob es sich um Nazis oder Anhänger der Vaterländischen Front handle und dass Seyß-Inquart meine, gerade dieses Abkommen würde den Grundstein dazu bilden.«105 Wenngleich Hitler sowohl gegenüber Papen wie auch Mühlmann keine definitive Zusage machte, so fielen die Würfel auf dem Obersalzberg endgültig gegen Leopold. Hitler teilte nämlich am Ende der Gespräche einem sichtlich zermürbten österreichischen Bundeskanzler mit, er werde demnächst Leopold als Landesleiter abberufen, denn es sei nach Abschluss des Abkommens unmöglich, weiterhin eine politische Linie zu verfolgen, die dessen Geist völlig widerspreche.106 In seinen Erinnerungen bemerkt Papen, für den Schwenk Hitlers in Richtung Seyß-Inquart sei wohl der Umstand entscheidend gewesen, dass »Leopold zu viel von einem Elefanten im Porzellanladen an sich hatte.«107 Das von Schuschnigg unter massivem Druck geschlossene Berchtesgadener Abkommen ging durch die in ihm enthaltenen Zuge104 Der Hochverratsprozess gegen Dr. Guido Schmidt. S. 379. 105 Ebda. S. 250. 106 Pauley  : Der Weg in den Nationalsozialismus. S. 191. 107 Franz von Papen  : Der Wahrheit eine Gasse. – Innsbruck 1952. S. 456.

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ständnisse an die Nationalsozialisten in der Einschätzung Hitlers so weit, dass sich die österreichische Frage in Kürze von selbst im Sinne Berlins ohne die von einem Teil der militärischen Führung und des Auswärtigen Amtes befürchteten internationalen (militärischen) Reaktionen lösen werde. Er war seit dem Gespräch mit dem britischen Lordsiegelbewahrer Lord Halifax (Edward Fredrick Lindley Wood) am 19. November 1937 auf dem Berghof davon überzeugt, dass Großbritannien im Fall einer Revision der Nachkriegsordnung unter entsprechenden Rahmenbedingungen zu keiner militärischen Intervention in Mitteleuropa bereit war. 108 Halifax hatte in diesem Gespräch erklärt, die britische Regierung werde über alle Streitfragen mit sich reden lassen. Vorausgesetzt, deren Lösung erfolge mit friedlichen Mitteln.109 Nun schien dieses Ziel zum Greifen nahe. Das europäische Sicherheitssystem der Nachkriegszeit war in Auflösung begriffen und Österreich war durch die Bestimmungen des Berchtesgadener Abkommens und die sofort einsetzende »parasitäre Zersetzung des ›autoritären Ständestaates‹« in den Status eines Satellitenstaates herabgesunken.110 Das Verhalten Schuschniggs am Berghof hatte nicht nur bei Hitler, sondern vor allem auch bei führenden österreichischen Nationalsozialisten wie Rainer und Globočnik die feste Überzeugung hinterlassen, dass er unter massivem Druck nachgab, weshalb man diesen bei Bedarf jederzeit erhöhen konnte, um die gewünschten Ziele zu erreichen. Die Straße der evolutionären Machtergreifung war frei und sollte auf keinen Fall durch die nach wie vor gewaltbereiten SA-Kohorten Leopolds und seiner Getreuen gestört werden. Seyß-Inquart reiste daher – bereits in seiner neuen Eigenschaft als österreichischer Innenminister – am 17. Februar nach Berlin, um von Hitler die Bestätigung der Abberufung Leopolds und seiner engsten Mitarbeiter als Voraussetzung für das Gelingen seiner Politik der evolutionären Entwicklung zu erhalten und ihm die Grundzüge seiner beabsichtigten Politik zu erläutern. Von der rund zweistündigen Besprechung in der Reichskanzlei existiert kein Protokoll, sondern lediglich die Schilderung von Seyß-Inquart, die auf Notizen beruht, welche er unmittelbar nach der Unterredung in Kurzschrift auf der Rückseite eines Briefes festhielt und später seiner Sekretärin in die Maschine diktierte. Im Nürnberger Prozess erklärte er, er habe Hitler gegenüber seine Mittlerposition erklärt, die bei diesem auf Zustimmung gestoßen sei.111 108 Volker Ullrich  : Adolf Hitler. Jahre des Aufstiegs. – Frankfurt am Main 2013. S. 783. 109 Kershaw  : Hitler 1936–1945. S. 111. 110 Gerhard Botz  : Gewalt in der Politik. Attentate, Zusammenstöße, Putschversuche, Unruhen in Österreich 1918–1938. 2. Aufl. – München 1983. S. 290f. 111 Seyß-Inquart verlas vor dem Nürnberger Tribunal seine Notizen  : »Voraussetzung für Bundeskanzler Dr. Schuschnigg ist, dass ich auf dem Boden des selbständigen und unabhängigen Österreichs stehe, das heißt Verfassung, weitere Entwicklung einschließlich Reich als Ziel – von da aus. Willensbildung in Österreich unabhängig nach heutigen Verfassungsmöglichkeiten. Ich muss für Dr. Schuschnigg der

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Am 17. Februar, als in der Reichskanzlei über die weitere Parteikarriere Leopolds der Stab gebrochen wurde, reagierte der österreichische Landesleiter in einer Art und Weise, die Hitler in seiner Absicht bestärkte, ihn und seine engsten Mitarbeiter in das Reich zu berufen und damit politisch zu entmachten. Der Landesführer hatte in Reaktion auf das Berchtesgadener Abkommen, das ohne seine Information, geschweige denn Konsultation, zustande gekommen war, eine Machtdemonstration seiner nach wie vor dominanten Stellung in der österreichischen NSDAP beabsichtigt und eine Konferenz aller hohen Parteifunktionäre einberufen, der jedoch nur der SA-Führer Alfred Persche und die Gauleiter von Niederösterreich, Salzburg und dem Burgenland Folge leisteten. Am 17. Februar erließ er einen Runderlass, in dem umfassende Terroraktionen gefordert wurden. Tavs, der am Tag zuvor aufgrund des Berchtesgadener Abkommens aus der Haft entlassen worden war, forderte sogar das Einschlagen der Fenster der deutschen Botschaft in Wien. Durch das Einsetzen von Terroraktionen sollte Seyß-Inquart, der nunmehr auch Sicherheitsminister war, zum massiven Einschreiten gegen Nationalsozialisten provoziert und damit in der Partei als Verräter denunziert werden. Die Nachrichten von Leopolds eigenmächtigem und kontraproduktivem Verhalten erreichten Berlin, wo man den Landesleiter für den 21. Februar zum Rapport in die Reichskanzlei befahl. In seinen Aufzeichnungen berichtete Keppler über das von Emotionen geprägte Gespräch, bei dem neben Hitler und ihm als dessen persönlichem Österreich-Beauftragten auch Göring anwesend war  : »Alsdann wird Leopold gerufen. Der Führer erklärt, dass die Tätigkeit der Landesführung wahnwitzig gewesen sei. (…) Er habe nun die österreichische Politik auf eine andere Basis gestellt, und die neue Politik erfordere neue Kräfte. Es sei daher sein unerschütterlicher Beschluss, Leopold abzuberufen und zu ersetzen. (…) Alsdann wurde Klausner gerufen. Der Führer teilte ihm sofort mit, dass er ihm die Nachfolge Leopolds übertragen wolle und gab längere Erklärungen über die Art und Weise, wie die Partei in Österreich geführt werden solle. Man müsse von dem illegalen auf das legale Feld  ; er führte als Beispiel die geniale Arbeit des Gauleiters Bürckel an der Saar an.«112 Die Ernennung von Major Hubert Klausner, dem Förderer von Rainer und Globočnik, zum neuen Landesleiter war auf Vorschlag von Seyß-Inquart, der keinerlei Ambitionen auf die Führung der Partei hatte, und Keppler erfolgt. Seyßlebendige Garant des evolutionären Weges sein im Sinne dieser Erklärung, kein trojanischer Pferdeführer. Die Partei und Bewegung darf keine kulturkämpferische Haltung einnehmen. Keine Totalität der Partei und Bewegung, das heißt, das nationalsozialistische Gedankengut unter Anerkennung und Berücksichtigung der Gegebenheiten Österreichs verwirklichen, nicht mit Gewalt den anderen aufzwingen. Partei wird nicht ohne weiteres verschwinden, Personenverband, keine verbotene Betätigung, keine staatsfeindlichen Bestrebungen, alles Handeln im legalen Raum  ; wer dies verletzt, ist einzusperren.« (Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher. Bd. 15. S. 675.) 112 ADAP Serie D. I/318.

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Inquart hatte die Ernennung Klausners vor allem aus zwei Gründen forciert  : Er war, im Gegensatz zu ihm, nicht nur langjähriges Parteimitglied, sondern hatte als Gauleiter eines der mächtigsten NS-Gaue auch eine entsprechende innerparteiliche Reputation. Und er hatte die Unterstützung Hitlers, genoss somit höchste Autorität. Seyß-Inquart sah sein politisches Kalkül einer dualen Führerschaft verwirklicht. Während Klausner auf der Parteiebene agierte, betrieb Seyß-Inquart Staatspolitik.

2.5 Vier Wochen im Februar und März 1938 – Doppelherrschaft und Dammbruch Das Berchtesgadener Abkommen hatte mit seinen weitgehenden Zugeständnissen – Ernennung Seyß-Inquarts zum Innen- und Sicherheitsminister, allgemeine Amnestie für noch inhaftierte Nationalsozialisten inklusive der Juliputschisten, Ermöglichung der legalen Betätigung in der Vaterländischen Front und allen übrigen österreichischen Einrichtungen, Rücknahme aller Maßnahmen im Bereich des Pensions-, Renten- und Unterstützungswesens, Beseitigung aller wirtschaftlichen Diskriminierungen, enge Zusammenarbeit im Bereich der Außen-, Wehr- und Wirtschaftspolitik113 – den Weg zu einer nunmehr beginnenden Doppelherrschaft freigemacht, an deren Ende die nationalsozialistische Machtübernahme stehen sollte. Diese Theorie vertrat Friedrich Rainer, der zusammen mit Odilo Globočnik von Hubert Klausner in seiner neuen Funktion als Landesleiter nach Wien berufen und mit der Leitung der politischen Agenden betraut wurde, während Globočnik die organisatorischen übernahm. Hitler hatte den neuen Landesleiter beauftragt, unter Wahrung der Einheit und Geschlossenheit der Partei eng mit Seyß-Inquart zusammenzuarbeiten, die zu Gewalttaten neigenden Radikalen in der Partei zu zügeln und die Politik der evolutionären Entwicklung nach dem Muster von Gauleiter Josef Bürckel im Saarland zu unterstützen. Doch die Theorie war das eine, die politische Praxis das andere. In seinen Erinnerungen berichtet Glaise-Horstenau über sein erstes Treffen mit dem Landesleiter. »Als sich Klausner (…) bei mir als Führer der österreichischen Nazi meldete, sagte er feierlich, seine vornehmste Aufgabe im Sinne des Abkommens sei die Auflösung aller Parteiorganisationen und ihrer Gliederungen, also auch der SA und der SS  ; er habe die ersten Weisungen in diesem Sinne bereits erlassen.«114 Klausner hatte die neue Parteiführung zu einer ersten Sitzung nach Wien einberufen, in der unter 113 ADÖ 12/1887. 114 Broucek (Hg.)  : Ein General im Zwielicht. Bd. 2. S. 230.

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der geschickten Regie von Rainer der Beschluss gefasst wurde, unter gewissen Bedingungen die bisherigen Parteiformationen in legale Repräsentativformationen zu überführen. Der Beschluss inklusive der Bedingungen wurde Seyß-Inquart von Rainer schriftlich mitgeteilt. Der Auflösung der illegalen Parteiformationen musste die Übergabe von Mandaten in den Gemeinde- und Landtagen, den berufsständischen Körperschaften, den vorberatenden Organen der Bundesgesetzgebung, von Amtswalterstellen in der Vaterländischen Front sowie im Presse- und Vereinswesen vorausgehen. In diesem Brief, dessen Forderungen dem Berchtesgadener Abkommen widersprachen, wurde die vor allem von Rainer und Globočnik nunmehr zielstrebig verfolgte Doppelstrategie deutlich  : Er desavouierte Seyß-Inquart und dessen Bemühungen um eine evolutionäre Entwicklung, indem er die von diesem intendierte Politik des Einbaus der gemäßigten Nationalsozialisten in die Vaterländische Front de facto ins Leere laufen ließ. Seyß-Inquart hatte in Realisierung des Berchtesgadener Abkommens die Leitung des Volkspolitischen Referats in der Vaterländischen Front übernommen und Hugo Jury zu seinem Stellvertreter ernannt, während Walter Pembauer als geschäftsführender Leiter des Referats fungierte. Während Seyß-Inquart, Jury und Pembauer die Politik der evolutionären Entwicklung durch die Legalisierung der Tätigkeit der gemäßigten Nationalsozialisten in der Vaterländischen Front verfolgten, hatte sich Rainer von dieser Option verabschiedet und unter Rückgriff auf den Klausner-Plan und unter Umgehung Seyß-Inquarts sich für die Aktivierung der politischen Kader der NSDAP und die politische Aktion entschieden. Die Betätigung in der Vaterländischen Front setzte den Abschied von der NSDAP und das Bekenntnis zur ständestaatlichen Verfassungsordnung voraus. Dies implizierte das Abgehen von einer nationalsozialistischen Machtergreifung. So hieß es in einer am 19. Februar veröffentlichten amtlichen Erklärung  : »Auf Grund der am 12. Februar in Berchtesgaden zwischen dem österreichischen Bundeskanzler und dem deutschen Reichskanzler beschlossenen Abrede wird nunmehr der österreichische Nationalsozialist die Möglichkeit legaler Betätigung im Rahmen der Vaterländischen Front und aller übrigen österreichischen Einrichtungen haben. Diese Betätigung kann jedoch nur auf dem Boden der Verfassung, die politische Parteien nach wie vor ausschließt, in Gleichstellung mit allen anderen Gruppen erfolgen.« Gleichzeitig erfolgte eine Erklärung des Amtes des Frontführers, in der darauf hingewiesen wurde, »dass eine politische legale Betätigung in Österreich nur innerhalb der Vaterländischen Front und daher entsprechend dem Inhalt der Verfassung von 1934 möglich ist. Die Grundsätze der Vaterländischen Front verlangen von ihren Mitgliedern das ehrlich abgegebene Bekenntnis zum selbständigen, unabhängigen, christlichen, deutschen, ständisch gegliederten und autoritär geführten Staat.« Es sei keineswegs möglich, dass die NSDAP als Partei in Form einer Sektion in der Vaterländischen Front existieren könne. Es sei daher »nicht möglich, Sektionen zu bilden, die auch nur entfernte Ähnlichkeit mit früheren Parteien oder Ansatzpunkte für frühere Parteien

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haben könnten.«115 Die Partei, so Rainer, durfte nicht durch eine Eingliederung in die Vaterländische Front aufgelöst, sondern musste als schlagkräftige und disziplinierte Organisation erhalten werden, um in Form von Demonstrationen Druck auszuüben. Akkordierte Massenaufmärsche und Agitationen sollten den Eindruck der wachsenden Gefahr eines Bürgerkrieges entstehen lassen und damit entweder zu einer militärischen Intervention des Deutschen Reiches oder einer autonomen Machtübernahme der österreichischen NSDAP führen. Nicht die Unterwanderung der Regierung, des Regierungsapparats und der Vaterländischen Front mit dem Ziel einer evolutionären, sondern eine revolutionäre Machtübernahme nach dem Vorbild der Ereignisse in St. Petersburg im Oktober 1917 war nunmehr seine Devise. Dieses Konzept basierte auf einer Reihe von Prämissen. 1. Hatten bereits im Zuge des Juliabkommens 1936 rund 18.000 Nationalsozialisten ihre Freiheit erlangt, so führte nunmehr in einer zweiten Welle die Anwendung der Generalamnestie der Partei Hunderte von Aktivisten, unter ihnen auch Juliputschisten, zu.116 Es waren vor allem die ehemals Inhaftierten, die jeden Kompromiss mit der Regierung ablehnten und eine gewaltsame Lösung befürworteten. 2. Hatte Hitler in seiner am 20. Februar gehaltenen Reichstagsrede, die auch in ­Österreich ausgestrahlt wurde, Schuschnigg für das Abkommen von Berchtesgaden gedankt, so erklärte er, Berlin sehe »auch die schmerzlichen Folgen der durch den Versailler Wahnsinnsakt durcheinandergebrachten europäischen Landkarte, der wirtschaftlichen und bevölkerungspolitischen Lage. Allein zwei der an unseren Grenzen liegenden Staaten umschließen eine Masse von über 10 Millionen Deutschen. Sie waren bis 1866 mit dem deutschen Gesamtvolk noch in einem staatsrechtlichen Bund vereinigt. Sie kämpften bis 1918 im Großen Krieg Schulter an Schulter mit dem deutschen Soldaten des Reiches. Sie sind gegen ihren eigenen Willen durch die Friedensverträge an einer Vereinigung mit dem Reiche verhindert worden. Dies ist an sich schmerzlich genug. Über eines aber darf in unseren Augen kein Zweifel bestehen. Die staatsrechtliche Trennung vom Reiche kann nicht zu einer volkspolitischen Rechtlosmachung führen, d. h. die allgemeinen Rechte einer völkischen Selbstbestimmung, die übrigens in den 14 Punkten Wilsons als Voraussetzung zum Waffenstillstand feierlich uns zugesichert worden sind, können nicht einfach missachtet werden deshalb, weil es sich hier um Deutsche handelt  ! Es ist auf die Dauer für eine Weltmacht von Selbstbewusstsein unerträglich, an ihrer Seite Volksgenossen zu wissen, denen aus ihrer Sympathie oder ihrer Verbundenheit mit dem Gesamtvolk, seinem Schicksal und seiner Weltauffassung fortgesetzt schweres Leid zugefügt wird  !«117 115 Wiener Zeitung 19.2.1938. S. 1. 116 Wiener Zeitung 19.2.1938. S. 2. 117 Domarus  : Hitler. Reden 1932 bis 1945. Bd. I/2. S. 801.

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Diese Passage der Rede stieß bei einem Großteil der österreichischen Nationalsozialisten und NS-Sympathisanten auf erhebliche Resonanz und löste vor allem in Wien und Graz, das sich immer mehr zur »Hauptstadt der Bewegung« entwickelte, Massenkundgebungen für einen Anschluss aus. Nach der Übertragung der Reichstagsrede Hitlers trugen viele Demonstranten offen das Hakenkreuz, es gab sogar mit dem Hakenkreuz geschmückte Autos, verbrüderten sich Nationalsozialisten mit Angehörigen des Bundesheeres, riefen »Heil Hitler  !« und sangen deutschnationale Lieder. Am Tag zuvor hatte ein Fassadenkletterer auf dem Grazer Rathaus die Hakenkreuzfahne gehisst. Doch nicht nur in der Landeshauptstadt, sondern auch in Gleisdorf, Knittelfeld, Mürzzuschlag, Gösting, Leoben, Deutschlandsberg, Leibnitz, Radkersburg und Fürstenfeld gab es Demonstrationen mit jeweils über 1.000 Teilnehmern.118 In Wien formierte sich ein Zug von rund 12. 000 Teilnehmern, die »Heil Hitler  !« schrien, in Linz waren viele Häuser beflaggt und am Abend brannten zahlreiche Hakenkreuzfeuer rund um die Stadt, in Innsbruck formierte sich ein Fackelzug von rund 4.000 Teilnehmern und in Salzburg marschierten rund 15.000 Nationalsozialisten in einem Fackelzug mit dem Spruchband »Österreich ist erwacht  !« durch die Stadt. Rainer und Globočnik waren keineswegs gewillt, auf das zur Erreichung ihres Ziels der Machtübernahme wichtige Instrument einer gut organisierten und zum Handeln entschlossenen Partei zu verzichten. Dies wäre aber im Fall der Eingliederung der Parteimitglieder in das Volkspolitische Referat der Vaterländische Front der Fall gewesen, da dies die Auflösung der Partei und die Unterstellung ihrer Mitglieder unter die Befehlsgewalt von Seyß-Inquart zur Folge gehabt hätte. Wie wenig sie bereit waren, Seyß-Inquarts Anordnungen Folge zu leisten, wurde nach der Übertragung der Reichstagsrede Hitlers deutlich, als Seyß-Inquart ab 22. Februar ein vierwöchiges Versammlungsverbot mit Ausnahme der Vaterländischen Front erließ. Am 22. Februar verfasste Rainer im Namen der Landesleitung der NSDAP eine Stellungnahme, in der er betonte, ein einseitiges Versammlungsverbot sei unmöglich, da es die Vaterländische Front nur stärke und zu enttäuschten Reaktionen bei den Parteimitgliedern führen würde. Um eine innere Befriedung zu erreichen, seien personelle Maßnahmen wie »Beurlaubungen, Versetzungen besonderer Scharfmacher im vaterländischen Sinne« unbedingt notwendig, »um der nationalsozialistischen Bevölkerung den Einfluss« der nunmehr auch mit Nationalsozialisten besetzten »Einrichtungen vor Augen zu führen.«119 3. Rainer und Globočnik hatten aus den Verhandlungen in Berchtesgaden den Schluss gezogen, dass Schuschnigg erpressbar war und unter Druck nachgab. Der Bundeskanzler hielt am 24. Februar in der Bundesversammlung eine Rede, die als 118 Stefan Karner  : Die Steiermark im Dritten Reich 1938–1945. Aspekte ihrer politischen, wirtschaftlich-sozialen und kulturellen Entwicklung. – Graz/Wien 1986. S. 44f. 119 Rosar  : Deutsche Gemeinschaft. S. 228f.

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kämpferische Antwort auf die Reichstagsrede Hitlers vom 20. Februar gedacht war und in der er unter dem Motto »bis hierher und nicht weiter« nochmals die Bedingungen und Grenzen politischer Betätigung nannte sowie ein Bekenntnis zur Lebensfähigkeit Österreichs ablegte.120 Im Gegensatz zu den euphorischen Reaktionen in der Bundesversammlung und im Regierungslager, in dem man die Hoffnung schöpfte, dass nunmehr dem immer offensiver auftretenden Nationalsozialismus entschieden entgegentreten werde,121 sah Rainer, der die Rede von der Galerie aus beobachtete, seine negative Meinung über den Bundeskanzler bestätigt. Schuschnigg war kein Mann mit eisernen Nerven und großer Entschlossenheit, sondern einer des diplomatischen Parketts, der den gewaltsamen Konflikt scheute und daher erpressbar war. Man musste ihn nur entsprechend unter Druck setzen. Und dies war durchaus möglich, wenn man die sich immer mehr radikalisierende und zum Aktionismus neigende Parteibasis mobilisierte. Es galt, jenseits tatsächlicher politischer Stärkeverhältnisse, den Kampf um die Straße zu gewinnen. Die Ereignisse am selben Tag in Graz bestärkten Rainer in dieser Annahme. Die Vaterländische Front plante hier, wie in allen größeren Städten, die Übertragung der Rede Schuschniggs mittels Lautsprecher vom Rathaus zum Hauptplatz, während die Nationalsozialisten für denselben Tag zu einer Massendemonstration aufriefen. In einem Flugblatt hieß es  : »Nationalsozialisten  ! Ihr seid aufgerufen, eurer Gesinnung und eurem Willen durch eine gewaltige Kundgebung Ausdruck zu verleihen  ! Ihr werdet in eiserner Disziplin, aber in unbedingter Entschlossenheit für unsere gerechten Forderungen eintreten  ! Ein Zurückweichen gibt es für uns nicht. Am heutigen Tag, dem 24. Februar, schmücken wir ab 16 Uhr alle Häuser mit Hakenkreuzfahnen  ! In Graz versammelt sich die ganze nationalsozialistische Bevöl­ kerung mit Hakenkreuzarmbinden zur Rundfunkübertragung auf dem Freiheitsplatz.«122 Tausende Nationalsozialisten leisteten dieser Aufforderung Folge, zerrissen die rot-weiß-rote Fahne und erzwangen durch Störungen der Übertragung und das Singen von deutschnationalen und NS-Liedern wie dem Horst-Wessel-Lied die Abschaltung der Lautsprecher. Damit gaben sie sich jedoch nicht zufrieden, sondern forderten die Hissung der Hakenkreuzfahne auf dem Rathaus, was schließlich auch geschah. Doch auch die Ereignisse in Linz signalisierten die kommenden Ereignisse. In der oberösterreichischen Landeshauptstadt formierte sich im Anschluss an die Rede Schuschniggs ein nationalsozialistischer Fackelzug mit angeblich 40.000 Teil120 Text der Rede Schuschniggs vgl. Wiener Zeitung 25.2.1938. S. 1–7. 121 So kommentierte die »Salzburger Chronik« die Kanzlerrede mit Euphemismus, diese habe eine »abschließende Klärung gebracht, deren es bedurfte, um die Wolken von Zweifeln und Unklarheiten zu beseitigen.« (Salzburger Chronik 25.2.1938. S. 5.) 122 Eduard Staudinger  : Zur Entwicklung des Nationalsozialismus in Graz von seinen Anfängen bis 1938. – In  : Friedrich Bouvier, Helfried Valentinitsch (Hg.)  : Graz 1938. Historisches Jahrbuch der Stadt Graz Band 18/19. – Graz 1988. S. 31–74. S. 67.

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nehmern, während bei vaterländischen Veranstaltungen lediglich rund 3.000 Teilnehmer gemeldet wurden. Es waren vor allem die spektakulären Ereignisse in Graz, die Rainer in seiner Taktik bestärkten und als Motor der sich nunmehr beschleunigenden Entwicklung hin zu einer nationalsozialistischen Machtübernahme fungierten. Am 1. März erreichten die nationalsozialistischen Demonstrationen anlässlich eines Besuchs von Innenminister Seyß-Inquart ihren Höhepunkt und leiteten die letzte Phase der nationalsozialistischen Machtergreifung ein. Seyß-Inquart hatte in seiner neuen Eigenschaft als Leiter des Volkspolitischen Referats in der Vaterländischen Front diesen Besuch zu einer Aussprache mit dem Leiter des steirischen Volkspolitischen Referats, dem 37-jährigen Professor an der TH Graz Armin Dadieu, vor Tagen geplant. Zweck der Reise war es, mit Dadieu, der als Befürworter des evolutionären Befriedungskurses galt, die Möglichkeiten einer Kalmierung der diesen Intentionen zuwiderlaufenden Entwicklung in der Steiermark zu erörtern. SeyßInquart und Keppler hatten mit zunehmender Beunruhigung die Entwicklung in der Steiermark registriert, dem mitgliederstärksten NS-Gau. In ihrem Auftrag war der Stabschef der österreichischen SA, Hans Ivo Lukesch, mehrmals nach Graz gereist, um mäßigend im Sinne des Programms von Seyß-Inquart, das auch die Billigung Hitlers bekommen hatte, auf die dortigen SA-Formationen einzuwirken, vergeblich, wie er resignierend Anfang März feststellte. Die Begeisterung und der Fanatismus der steirischen SA hinterließ bei ihm den Eindruck, wie er dem Chef der österreichischen SA, Alfred Persche, mitteilte, dass die von Seyß-Inquart, Keppler und auch Klausner vertretene evolutionäre Politik realitätsfern sei, da sie mit der Partei, deren Radikalisierung eine zunehmende Eigendynamik gewann, nicht realisierbar sei. Diese Erfahrung musste auch Seyß-Inquart bei seinem Graz-Besuch am 1. März machen. Die steirische NSDAP, vor allem die SA, hatte in den Abendstunden eine Massendemonstration vor dem Haus Dadieus veranstaltet, in das sich Seyß-Inquart mit dem Führungskreis der steirischen NSDAP zu Beratungen zurückgezogen hatte. Angesichts der vorbeiziehenden Massen, die ununterbrochen »Heil Hitler  !« und »Heil Deutschland  !« schrien, öffnete Dadieu das Fenster und grüßte die Vorbeimarschierenden mit dem verbotenen Hitler-Gruß. Schließlich, ob aus Berechnung oder von der Stimmung mitgerissen, trat auch Seyß-Inquart ans Fenster und grüßte mit dem Hitler-Gruß.123 Damit unterlief er eine Verordnung, die er als zuständiger Minister am 19. Februar selbst erlassen hatte. Bei deren Anordnung wurde jedoch in kontraproduktiver Weise den Sicherheitsorganen empfohlen, aus staatspolitischen Gründen gegen Verstöße lediglich mit Abmahnungen und Verwarnungen und erst 123 Eine genaue Schilderung der Ereignisse erfolgt bei G. E. R. Gedye  : Als die Bastionen fielen. Die Errichtung der Dollfuß-Diktatur und Hitlers Einmarsch in Wien und den Sudeten. Eine Reportage über die Jahre 1927 bis 1938. – Wien 1981. S. 245f.

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im Wiederholungsfalle mit Geld- und Arreststrafen vorzugehen. Damit signalisierte die Regierung Schuschnigg nicht jene entschlossene Haltung, die notwendig gewesen wäre, sondern für die zu Aktionen entschlossenen Nationalsozialisten Schwäche und die Bereitschaft zum Zurückweichen. Für Seyß-Inquart bedeuteten die Ereignisse in Graz die Erkenntnis seiner Machtlosigkeit und das Scheitern seines Plans einer evolutionären Entwicklung durch den Einbau der zur Mitarbeit bereiten Nationalsozialisten in die Vaterländische Front. Seine Heerscharen waren überschaubar. Nach seiner Rückkehr nach Wien erklärte er sichtlich resigniert gegenüber Zernatto, »er zweifle daran, ob es möglich sei werde, seinen Plan gegen die Partei zu verwirklichen. (…) Er hatte für seine Person begriffen, dass ein von Hitler gezeichneter Vertrag noch lange nicht genügt, um die Parteistellen von eigenen Aktionen abzuhalten. Er hatte begriffen, dass im nationalsozialistischen Olymp neben Zeus noch mancher andere Gott wohnt, oder aber, dass dieser Zeus das Haupt des Janus trägt.«124 Noch während der abendlichen Demonstration in Graz verkündete Dadieu, dass – in Absprache mit Seyß-Inquart – der Hitler-Gruß und das Tragen des Hakenkreuzabzeichens nunmehr legal seien. Schuschnigg widersetzte sich diesem eigenmächtigen Vorgehen und verbot die Veröffentlichung der Grazer Erklärung im Bundespressedienst. Der Bundeskanzler leistete zunächst noch Widerstand, um jedoch am Vorabend des Besuchs Seyß-Inquarts in Linz am 5. und 6. März nachzugeben. Die Ereignisse in Linz zeigten, dass Seyß-Inquart sowie die noch auf den evolutionären Weg eingeschworenen oberösterreichischen NS-Führer zunehmend die Kontrolle über die Partei verloren. Zur Beruhigung der sich vor allem auch aufgrund der Grazer Ereignisse radikalisierenden Stimmung der oberösterreichischen Parteimitglieder und Sympathisanten reiste Seyß-Inquart am 5. März nach Linz, wo er vor 500 nationalsozialistischen Vertrauensmännern eine vom Rundfunk übertragene Rede zur Notwendigkeit und zu den Prinzipien der evolutionären Entwicklung hielt, bei der er mit Zustimmung Schuschniggs u. a. erklärte, dass der Hitler-Gruß »für den privaten Gebrauch« erlaubt sei und auch das Deutschland-Lied dürfe gesungen werden, wenn zuvor die erste Strophe der österreichischen Bundeshymne gesungen werde. Bereits bei seiner Ankunft wurde er von rund 20.000 begeisterten Nationalsozialisten empfangen und nahm nach einer Unterredung mit Landeshauptmann Heinrich Gleißner eine Parade der SA ab. Bei seiner Abreise am folgenden Tag bildeten als Zeichen der bereits etablierten Doppelherrschaft Mitglieder der Sicherheitswache und der SS den Kordon.125 Der oberösterreichische Sicherheitsdirektor, 124 Zernatto. S. 254. 125 Thomas Distal  : Das »braune Netzwerk« in Linz. Die illegalen nationalsozialistischen Aktivitäten zwischen 1933 und 1938. – In  : Fritz Mayrhofer, Walter Schuster (Hg.)  : Nationalsozialismus in Linz. 2 Bde. – Linz 2001. Bd. 1. S. 21–136. S. 132f.

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Graf Peter Revertera, hatte am 2. März resignierend gegenüber Landeshauptmann Heinrich Gleißner erklärt, man sei genötigt, den Nationalsozialisten Konzessionen zu machen, denn »die derzeitige Lage ist für uns absolut ungünstig und, wenn die Nationalen wirklich wollen und wenn das Reich dies decken würde, wäre es heute schon um die Unabhängigkeit Österreichs geschehen.«126 Die Schwäche des Regimes wurde durch ihr schrittweises Zurückweichen und die sich deutlich breitmachende resignative Stimmung ihrer Anhänger deutlich. Man musste nur den Druck auf Schuschnigg erhöhen, davon war Rainer aufgrund der jüngsten Ereignisse überzeugt, um in absehbarer Zeit durch eine Machtergreifung von innen ein nationalsozialistisches Österreich zu erreichen. Der Grazer Bürgermeister Hans Schmid zog sich bereits am folgenden Tag der turbulenten Ereignisse in der steirischen Landeshauptstadt von der Verantwortung zurück und ließ sich beurlauben. Alfons Gorbach, der Landesleiter der Vaterländischen Front und Gegner der Nationalsozialisten, wurde von einem zurückweichenden Schuschnigg, der nach wie vor um eine Beruhigung der nationalen und NS-Kreise bemüht war, ebenso abgelöst wie Landeshauptmann Karl Maria Stepan, der ebenfalls als entschiedener NS-Gegner galt. Im steirischen Landesdienst bekannten sich zu diesem Zeitpunkt in verschiedenen Abteilungen 85 bis 100 Prozent der Beamten zum Nationalsozialismus.127 Wenn auch diese Zahlen von der politischen Konjunktur beeinflusst waren, so dokumentieren sie doch die schwindende Autorität der Regierung und des Vertrauens in ihre Fähigkeit der Krisenbewältigung. Während der Ereignisse in Linz hielt sich Keppler in Österreich auf, um Verhandlungen über die Durchführung des Berchtesgadener Abkommens zu führen und neuerlich Druck auf die Bundesregierung auszuüben. Am 4. März führte er ein Gespräch mit Außenminister Guido Schmidt und am folgenden Tag mit Schuschnigg und Schmidt in der Wohnung des Bundeskanzlers. Keppler hielt in seinen Aufzeichnungen fest, dass nach einer kontrovers geführten Diskussion das Gespräch in sehr ruhigen Bahnen verlaufen sei und »in durchaus konzilianter Weise« geendet habe. Der Kanzler sei bereit, bei einer entsprechenden vernünftigen Behandlung auf die deutschen Wünsche weitgehend einzugehen.128 In seinen Erinnerungen entwirft Schuschnigg von dieser Unterredung allerdings ein anderes Bild. Keppler habe ein Bündel von Forderungen auf den Tisch gelegt, die die österreichische Delegation in Berchtesgaden aus dem Protokoll herausverhandelt hatte, so die sofortige Ernennung des NS-Wirtschaftsfachmanns Hans Fischböck zum Finanzminister, die Zulas126 Zit. bei Francis L. Carsten  : Faschismus in Österreich. Von Schönerer zu Hitler. – München 1978. S. 293. 127 Kurt Bauer  : Die dunklen Jahre. Politik und Alltag im nationalsozialistischen Österreich 1938 bis 1945. – Frankfurt am Main 2017. S. 40. 128 ADAP Serie D. I/333/334/335.

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sung von bis dahin verbotenen deutschen Zeitung wie des »Völkischen Beobachters« und die formale Legalisierung des Nationalsozialismus.129 Es war das Bewusstsein der sich offensichtlich verfestigenden sicherheitspolitischen Isolation des Landes, der ständig steigende Druck der immer offensiver auftretenden österreichischen NSDAP sowie der wachsende Druck aus Berlin – die turbulenten Ereignisse in Graz und Linz sowie das Gespräch mit Keppler –, die Schuschnigg zur Flucht nach vorn veranlassten. »Mit dem Gedanken befasste ich mich erstmals in den allerletzten Februartagen, als sich die bedrohlichen Nachrichten aus Graz und Umgebung (›Stadt der Volkserhebung  !‹) verstärkten. Der Entschluss reifte in mir um den 3. März, als die ersten Anzeichen passiver Resistenz in Grazer Ämtern und Schulen sich zeigten, die Verhandlungen mit der ›nationalen Opposition‹ aber immer deutlicher im Sande verliefen, weil jedes abgeschlossene Ergebnis binnen vierundzwanzig Stunden widerrufen wurde, jedes Entgegenkommen eine Lawine neuer, unerfüllbarer Forderungen auslöste und sich Seyß-Inquart immer mehr darauf beschränkte, mit gekreuzten Armen zuzuschauen.«130 Der Entschluss »wurzelte in der begründeten Überzeugung, dass eine praktisch immunisierte Minorität nationalsozialistischer Aktivisten zum gewaltsamen Umsturz in naher Zukunft rüstete.«131 Die Entscheidung, kurzfristig eine Volksbefragung – eine Volksabstimmung wäre nach Artikel 65 der ständestaatlichen Verfassung nicht verfassungskonform gewesen – durchzuführen, hatte Schuschnigg endgültig am 6. März, dem Tag nach dem Gespräch mit Keppler, seinem engsten Mitarbeiterkreis – Außenminister Guido Schmidt und Staatssekretär Guido Zernatto – unter dem Siegel größter Verschwiegenheit mitgeteilt und am 9. März in Innsbruck auf einer vom Rundfunk übertragenen Massenversammlung mit dem Tiroler, an Andreas Hofer angelehnten, Aufruf »Mander, s’ischt Zeit  !« publik gemacht. Die dramatischen Ereignisse der folgenden Tage sind in der historischen Literatur ausführlich dargestellt und nicht Gegenstand dieser Schilderung. Es waren Rainer und Globočnik, die, auch gegen den partiellen Widerstand von Seyß-Inquart, den Gang der Ereignisse bestimmten und die Mobilisierung der Parteiaktivisten durchsetzten. Durch eine Agentin im Büro Zernattos vom Plan der Volksbefragung informiert, schlug Rainer in einer Besprechung mit Seyß-Inquart, Klausner, Jury und Globočnik eine sofortige Verständigung Hitlers vor, da die Volksbefragung dem Berchtesgadener Abkommen widerspreche und damit, wie er später erklärte, »dem Führer eine Gelegenheit zur Intervention zu geben.«132 Mit Unterstützung von Seyß-Inquart verfasste er ein Protestschreiben an Schuschnigg, in dem er auf den 129 Schuschnigg  : Im Kampf gegen Hitler. S. 292. 130 Schuschnigg  : Ein Requiem in Rot-Weiß-Rot. S. 61. 131 Schuschnigg  : Im Kampf gegen Hitler. S. 295. 132 Zit. bei Williams  : Gau, Volk und Reich. S. 90.

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Bruch des Berchtesgadener Abkommens hinwies und Globočnik mit einer Kopie des Schreibens nach Berlin sandte. Schuschnigg hatte in den Augen Rainers mit seinem Entschluss zur Volksbefragung einen entscheidenden Fehler begangen, da er damit der NSDAP die Möglichkeit bot, auf eine Vertragsverletzung hinzuweisen, womit ein Grund gefunden war, der sowohl die Mobilisierung der Partei im Inneren wie den Aufbau eines Drucks von außen durch entsprechende – auch militärische – Maßnahmen Berlins rechtfertigte. Hitler beurteilte nach Erhalt des von Rainer verfassten Briefes diesen als »ein politisches Meisterwerk«, gab der österreichischen NSDAP die volle Handlungsfreiheit und versicherte, dass das Deutsche Reich sie in allen Belangen unterstützen werde.133 Bei den sich nunmehr überstürzenden Ereignissen spielten Klausner und Seyß-Inquart nur mehr Statistenrollen. Klausner übertrug Rainer und Globočnik am 11. März die Führung der Parteiaktivitäten und beide agierten nunmehr völlig autonom. Rainer verfasste den Text der Rede Klausners, die dieser am 12. März um 13.00 Uhr im Radio verlas und in der die Machtübernahme der NSDAP in Österreich angekündigt wurde. Er saß während der Rede neben ihm und ergänzte dessen Parole »Ein Volk, ein Reich« mit dem Zusatz »Ein Führer«, womit jener Propagandaruf geschaffen war, den anschließend eine siegestrunkene jubelnde Menge in ganz Österreich skandierte. Seyß-Inquart wurde weitgehend beiseitegeschoben und von Befehlen, die in seinem Namen erteilt wurden, erst im Nachhinein, wenn überhaupt, informiert. Er spielte in dem turbulenten Gang der Ereignisse nur mehr eine Rolle, als er gemeinsam mit Rainer das Ultimatum verfasste, das Schuschnigg zur Absage der geplanten Volksbefragung aufforderte und stattdessen ein verfassungskonformes Referendum einige Wochen später anzuberaumen. Bei den entscheidenden Ereignissen des 11. März fungierte er nur mehr als Befehlsempfänger Görings, der in Berlin die Initiative in Richtung Anschluss ergriffen hatte. Die im ganzen Land in den Nachmittagsstunden einsetzenden, aufgrund des sichtlichen Zurückweichens der Exekutive immer selbstbewusster und aggressiver werdenden nationalsozialistischen Massendemonstrationen, zu denen sich die politischen Konjunkturritter gesellten, führten in den Landeshauptstädten Graz, Linz, Salzburg, Innsbruck und Klagenfurt wenige Stunden später zur Übernahme der Regierungsgewalt. In Wien erfolgte dieser Prozess mit einer zeitlichen Verzögerung von drei Stunden gegen 22.00 Uhr. Die Ereignisse waren von der Führung der österreichischen NSDAP noch in der Hoffnung vorangetrieben worden, durch eine demonstrative Machtübernahme einen drohenden deutschen Einmarsch obsolet werden zu lassen. Das Drohszenario eines militärischen Einmarsches der Wehrmacht war als Druckmittel gegenüber der Regierung Schuschnigg willkommen, schien jedoch durch die de facto-Machtübernahme nunmehr seine Schuldigkeit getan zu haben. 133 Ebda. S. 91.

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Doch bereits in den frühen Nachmittagsstunden des 11. März 1938 während des Telefonats mit Hermann Göring hätte Seyß-Inquart klar sein müssen, dass sich die Auffassung der führenden Persönlichkeiten der österreichischen NSDAP, so unterschiedlich auch ihre politisch-taktischen Ansichten waren, durch eine Machtübernahme in Österreich die Selbständigkeit des Landes, wenn auch unter enger Anbindung an das Deutsche Reich, erhalten zu können, als Illusion erwies. Göring sah in den Ereignissen die willkommene Gelegenheit, den Anschluss Österreichs zu bewerkstelligen und sich die für den Vierjahresplan und die Aufrüstung so wichtigen Devisen- und Goldreserven, die Rohstoffe und Humanressourcen Österreichs einzuverleiben. Der »Anschluss« war die Resultante dreier paralleler, jedoch von deren nationalsozialistischen Haupt-Protagonisten keineswegs in ihrer letztlich realisierten Form beabsichtigten Entwicklungslinien  : 1. Dem Zurückweichen der Regierung vor dem wachsenden und virtuos inszenierten Druck der Straße, 2. der damit verbundenen nationalsozialistischen Machtergreifung von unten und 3. dem Druck von außen, d. h. der militärischen Einmarschdrohung durch das Deutsche Reich.

3. »Die erste Aufgabe der illegalen Bewegung ist es, die Masse in sozialistischer Gesinnung zu halten Die revolutionären Sozialisten

Für die illegale Sozialdemokratie bedeutete das Juliabkommen 1936 die Eingliederung Österreichs in den faschistischen Block und die Gefahr der nationalsozialistischen Machtübernahme durch die Hintertür der Regierungsbeteiligung der Betont-Nationalen. In einer wahrscheinlich aus der Feder Otto Bauers stammenden Artikelserie1 kommentierte die »Arbeiter-Zeitung« das Abkommen als wichtigen Bestandteil nicht nur einer innenpolitischen, sondern einer weltpolitischen und damit auch historischen Entwicklung  : »Dollfuß hat die Unabhängigkeit Österreichs an Italien verschachert. Schuschnigg öffnet jetzt den Naziführern breit die Tore und gibt damit die Unabhängigkeit Österreichs an Deutschland preis. Die Schwarzen und die Grünen geraten jetzt in eine Front mit den Braunen. Die Einheitsfront des Faschismus ist geschlossen. Es ist in der Welt die Einheitsfront der faschistischen Mächte gegen die Volksfront in Frankreich und gegen die Proletarierherrschaft in Russland. Es ist in Österreich die Einheitsfront des schwarzen und des braunen Faschismus gegen die sozialistische Arbeiterschaft.«2 Der Kampf der organisierten Arbeiterschaft gegen die drohende Machtübernahme des Nationalsozialismus und die damit einhergehende Gleichschaltung Österreichs mit dem Deutschen Reich benötige Verbündete. Doch die demokratischen Gruppen im Bürgertum und der Bauernschaft, die die Unabhängigkeit gegen Hitler verteidigen wollen, seien weitgehend atomisiert und unorganisiert. »Ihre Führer, alle die Reither, Ender, Kunschak, Staud, die ›Demokraten‹ von vorgestern, die im Jahre 1934, alle ihre Treueschwüre für die Demokratie brechend, feig und verräterisch zum Faschismus übergelaufen sind, sind weder fähig noch willens, den Kampf gegen den Faschismus aufzunehmen, der jetzt den Nazi die Tore öffnet. (…) Die nazifeindlichen Bürger und Bauern, die an der Unabhängigkeit Österreichs festhalten, sich nicht mit Deutschland gleichschalten, sich nicht Hitler unterwerfen wollen, sind daher n i c h t imstande, den Kampf gegen die drohende Gefahr der Hitlerisierung Österreichs selbständig zu führen. Sie können den Kampf gegen 1 Zur Gesamtanalyse Otto Bauers vgl. Otto Bauer  : Die Einheitsfront des Faschismus. – In  : Der Kampf 8/1936. S. 301–304. 2 AZ 19.7.1936. S. 2.

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diese Gefahr nicht anders führen, als i n d e m s i e s i c h u m d i e s o z i a l i s t i s c h e Arbeiterschaft scharen, mit der sozialistischen Arbeiterschaft v e r b ü n d e n .« Da die sozialistische Arbeiterschaft den Kern dieses Kampfes bilde, müsse wiederum ihr Selbstbewusstsein geweckt werden. Es gelte, »i h r e n K a m p f e s m u t w i e d e r z u b e l e b e n «, denn nur sie könne »d i e v e r r a t e n e U n a b h ä n g i g k e i t Ö s t e r r e i c h s r e t t e n .«3 Ihre Rolle in diesem Kampf könne sie jedoch nur dann erfüllen, wenn sie »G e s i n n u n g s - u n d O r g a n i s a t i o n s f r e i h e i t h a t .«4 In ähnlichem Sinn veröffentlichte die Bundesleitung der illegalen Freien Gewerkschaften einen Beschluss, in dem darauf hingewiesen wurde, dass das Juliabkommen eine neue Etappe der politischen und historischen Entwicklung bedeute. »Außenpolitisch bedeutet das auf Geheiß Mussolinis zustande gekommene Übereinkommen die Herstellung eines F a s c h i s t i s c h e n B l o c k e s Rom-Wien-Berlin-Budapest-Warschau und damit die Einreihung Österreichs in die Front der faschistischen Mächte, die den F r i e d e n E u r o p a s u n a u s g e s e t z t b e d r o h e n , die sich gegen die demokratischen Staaten im Westen, die Kleine Entente und die Sowjetunion, also g e g e n a l l e a n d e r E r h a l t u n g d e s F r i e d e n s i n t e r e s s i e r t e n M ä c h t e richten. Innenpolitisch bedeutet der Pakt eine n e u e C h a n c e f ü r d i e N a z i und eine weitere Verschärfung der inneren Gegensätze. Denn beide Vertragspartner glauben, den anderen zu betrügen. So werden die Nazi ihre Agitation verschärfen und die Regierung wird, wenn sie sich von den Nazi nicht überrennen lassen will, den Kampf gegen sie neuerlich aufnehmen und sogar intensivieren müssen.« Andererseits bedeute die Verschärfung der Lage auch eine mögliche innenpolitische Auflockerung, »die in einer bestimmten Situation auch der Arbeiterschaft zugutekommen kann. Die Arbeiterschaft darf daher der Entwicklung n i c h t u n t ä t i g g e g e n ü b e r s t e h e n , sondern sie muss m i t g e s t e i g e r t e r A k t i v i t ä t eingreifen und die Entwicklung in die Bahn lenken, die zur Befreiung der österreichischen Arbeiterklasse vom faschistischen Joch führt.« Dabei könne sie sich aber mit keiner der um die Macht ringenden Gruppierungen verbünden, da sie ein unversöhnlicher Gegner jeglichen Faschismus ist. »Unser Ziel ist und bleibt  : Ein freies Volk in einem wirklich freien und unabhängigen Österreich  ! Der einzige Weg zu diesem Ziel ist  : Eine antifaschistische Volksregierung, die alle fortschrittlichen, jeden Faschismus ablehnenden Volkskräfte umfasst, eine Volksregierung, die sich hinter die Forderungen der breiten Volksmassen der Arbeiter und Angestellten, der durch den Faschismus auch wirtschaftlich 3 AZ 2.8.1936. S. 1f. 4 AZ 9.8.1936. S. 1.

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auf das schwerste geschädigten Kleinbauern, Pächter und Landarbeiter, der Gewerbetreibenden und Intellektuellen stellt …«5 Die Enunziationen korrespondierten allerdings nicht mit der politischen und organisatorischen Realität. Die in Wortkaskaden beschworene Macht der organisierten sozialdemokratischen Arbeiterschaft entsprach in immer geringer werdendem Ausmaß den tatsächlichen Verhältnissen. Die Stärke der illegalen Partei und auch der illegalen Freien Gewerkschaften war überschaubar, ihre Kader durch die erfolgreiche Tätigkeit der Sicherheitsbehörden geschwächt, die Verbindungen in die Bundesländer mangelhaft. Z. B. bildete der Zeitungsschmuggel eine der Schwachstellen der illegalen Partei. Desorganisation und mangelnde Professionalität führten zu zahlreichen Pannen. Die effektive Arbeit des Sicherheitsapparats führte zu zahlreichen Verhaftungen und damit massiven Schwächungen der Infrastruktur. So wurden Anfang 1936 Organisationsleiter Karl Holoubek und wenig später dessen Nachfolger Franz Lettner sowie die Landesleiter von Oberösterreich und Salzburg, Karl Schachinger und Josef Pfeffer, Mitte 1936 Buttingers engster Mitarbeiter, der Provinzreferent Josef Podlipnik (Deckname  : Krainer) verhaftet. Lediglich in Wien und einigen insularen Industriebezirken der Bundesländer verfügte man noch über eine halbwegs funktionierende Infrastruktur. Im Februar 1937 bemerkte Otto Leichter kritisch zum Erfolg der illegalen Arbeit der Revolutionären Sozialisten, man möge bei deren Beurteilung »nicht in himmelblauen Illusionismus« verfallen. »Halten wir uns auch vor Augen, was in diesen drei Jahren n i c h t zustande gebracht wurde  : der österreichische Faschismus regiert weiter – trotz unserer illegalen Arbeit und die Aussicht, ihn in der nächsten Zeit zu stürzen oder der marxistischen Arbeiterbewegung eine legale Form und Betätigungsmöglichkeit zu erzwingen, besteht auch drei Jahre nach dem Februar 1934 noch nicht.«6 Hinzu trat noch die mit Vorwürfen aufgeladene Verachtung der neuen Führung der Partei in Österreich, der Revolutionären Sozialisten unter Joseph Buttinger, gegenüber der alten Partei und deren Kader. Auch das ALÖS und die von ihr redigierte »Arbeiter-Zeitung« blieb von der Kritik nicht verschont. Die einst geschlossene SDAP bildete keine Einheit mehr. Otto Bauer erhob im Wissen um diese Spannungen »keinen Führungsanspruch auf die illegale Partei nach der Februarniederlage« und trug damit »der zum Teil heftigen Abneigung der Illegalen gegen die Führung der geschlagenen ›alten Partei‹ Rechnung und verhinderte eine Spaltung der Partei.« Indem er die Aufgabe des Auslandsbüros der österreichischen Sozialdemokraten (ALÖS) in Brünn »ausdrücklich auf publizistische und finanzielle Unterstützung festschrieb und sie den Bedürfnissen der illegalen Inlandspartei unterordnete, ermöglichte er nicht nur die Entwicklung und Konsolidierung der Revolutionären So5 AZ 16.8.1936. S. 1. 6 Heinrich Berger (Otto Leichter)  : Der Jahre Illegalität. – In  : Der Kampf 2/1937. S. 43–49. S. 45.

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zialisten (RS), sondern auch das Überleben der Exilgruppe in Brünn.«7 Er erkannte, dass eine illegale Partei nicht vom Ausland aus geführt werden konnte und war auch im Interesse eines Brückenschlags zur Führung der illegalen Partei in Österreich zu einem gewissen Maß an Selbstkritik bereit. Damit gelang es ihm, trotz der nach wie vor in regelmäßigen Abständen ausbrechenden Differenzen zwischen ALÖS und der Führung der Inlandspartei einen gewissen Einfluss auf die Führung der Revolutionären Sozialisten zu bewahren. Anfang 1936 bemerkte Otto Bauer im Rückblick auf die zweite Wiederkehr der Februarereignisse des Jahres 1934 unter Ausblendung der erheblichen innerparteilichen Spannungen nach der Niederlage, die Partei habe nach der Zerschlagung ihrer Organisation und dem Verbot der Freien Gewerkschaften gewusst, dass sie auf die illegale Tätigkeit zurückgeworfen war. Sie habe die Geschichte früherer illegaler Bewegungen gekannt und gewusst, »dass der illegale Kampf eine Hilfsorganisation, einen Hilfsdienst im Auslande nicht entbehren kann. Aber wir kannten auch die Gegensätze, die sich so oft zwischen illegalen revolutionären Bewegungen im Lande und ihren Helfern in der Emigration entwickelt haben  ; wir haben aus der Geschichte anderer illegaler Parteien den Schluss gezogen  : die Hilfsorganisation im Auslande kann und soll die Bewegung nicht führen, sie darf nur ihr Hilfeorgan sein  ! Geführt werden kann die Bewegung nur von Genossen, die im Lande selbst tätig sind, die alle Gefahren einer illegalen Tätigkeit täglich selbst beobachten können. (…) So ist es geworden. Junge Genossen, zumeist solche, die sich in den Partei- und Arbeiterschulen der alten Partei breites und tieferes sozialistisches Wissen angeeignet hatten, und solche, die durch die Schule der Jugendorganisation der alten Partei gegangen waren, haben die Kader der neuen Partei gebildet. (…) Diese junge Generation geschulter, überzeugter, begeisterter, zu jedem persönlichen Opfer für die Idee bereiter Genossen hat die Führung übernommen. Wir haben ihr geholfen. Wir haben die Verbindung zwischen ihr und der großen sozialistischen Welt vermittelt. Wir haben ihr vom Auslande aus jene technischen Dienste geleistet, deren jede illegale Bewegung bedarf. Aber Politik und Ideologie, Organisation und Taktik hat diese junge Generation selbst bestimmt.«8 Die illegale Organisation habe bisher Propaganda vor allem durch das gedruckte Wort betrieben, es komme aber in Zukunft vor allem auch darauf an, »die Gesinnung der Massen, ihr sozialistisches Fühlen und Denken lebendig zu halten. Wenn die Masse nur sozialistisch fühlt und denkt, dann wird sie in entscheidenden Stunden auch sozialistisch zu handeln fähig sein.« Daher müsse die illegale Organisation enge Bindeglieder zur Masse knüpfen, 7 Helene Maimann  : Otto Bauer und das Exil. – In  : Otto Bauer (1881–1938). Theorie und Praxis. Beiträge zum wissenschaftlichen Symposion des Dr.-Karl-Renner-Instituts, abgehalten von 20. bis 22. Oktober 1981 in Wien. – Wien 1985. S. 231–237. S. 231. 8 Otto Bauer  : Nach zwei Jahren. – In  : Der Kampf. Februar 1936. S. 45–52. S. 47f.

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um diese »wieder kampffähig zu machen, wieder in Bewegung zu setzen.«9 Die mit revolutionärer Rhetorik viel beschworenen Massen waren jedoch mehr Fiktion als Wirklichkeit. So schrieb am 26. Juli 1935 der ehemalige Wiener Landesparteisekretär Paul Richter an Friedrich Adler  : »Die illegale Bewegung in Wien erfasst höchstens 10.000 Menschen und hat nach meiner Überzeugung nur den Sinn, die Vertrauensmänner zusammenzuhalten, für die Zeit aufzusparen, bis durch außenpolitische Einflüsse eine Wandlung sich vollziehen wird.«10 Otto Bauers, auch die Funktion einer Selbstrechtfertigung erfüllender Artikel zur dritten Wiederkehr des Februaraufstandes, illustriert die verklärende und illusionäre Sicht der Emigration, die post festum unter eschatologischer Anleihe an einer endzeitlichen Entscheidung und Erlösung dem eigenen Versagen und der Niederlage historischen Sinn zuschrieb. »Aus ihrem blutigen Kampfe, aus den Blutopfern der im Kampfe gefallenen Helden und der an den Galgen des christlichen Staates gestorbenen Märtyrer der österreichischen Arbeiterklasse sind die ungeheuren moralischen Energien erwachsen, die die m ä c h t i g e i l l e g a l e B e w e g u n g d e s ö s t e r r e i c h i s c h e n S o z i a l i s m u s geboren haben. (…) N i r g e n d s i n d e r We l t i s t d i e i l l e g a l e s o z i a l i s t i s c h e Bewegung so ausgebreitet, so stark, ihr Einfluss auf die Massen s o g r o ß w i e i n Ö s t e r r e i c h . «11 1936 war die Situation der illegalen Sozialdemokratie keineswegs rosig. Die alte Garde der Partei um Karl Renner, Robert Danneberg, Heinrich Schneidmadl, Oskar Helmer, Adolf Schärf u. a. hatte sich in Warteposition begeben und traf sich in verschiedenen Cafés oder in Renners Wohnung in der Taubstummengasse. Sie, die parteiintern als die Parteirechte galten, hielten sich – auch als Vorsichtsmaßnahme vor der Entdeckung durch die österreichischen Sicherheitsbehörden – vom Brünner Auslandsbüro (ALÖS) und der Tätigkeit der Revolutionären Sozialisten fern. 1937 schrieb Karl Renner, Illegalität, so notwendig und geboten sie auch unter den ge 9 Bauer  : Nach zwei Jahren. S. 49. Vgl. dazu auch Otto Bauer  : Die illegale Partei. – In  : Otto Bauer. Werkausgabe. Bd. 4. – Wien 1976. S. 347–583. S. 359  : »Der Klassenfriede, den der Faschismus erzwingt, ist nur der Siegfriede der herrschenden Klassen, die den Klassenkampf zu beenden versuchen, indem sie den beherrschten Klassen alle gesetzlichen Mittel des Kampfes rauben. Aber wie das besiegte, aller Kampfmittel beraubte deutsche Volk sich eben darum dem Faschismus in die Arme geworfen hat, um anderthalb Jahrzehnte nach seiner Niederlage durch den Bruch der Verträge, durch Bruch des internationalen Rechts, also illegal, die Fesseln des Siegfriedens zu sprengen, den die kapitalistischen Klassen der Siegernationen ihm auferlegt hatten, so wird das besiegte und seiner gesetzlichen Kampfmittel beraubte Proletariat der faschistischen Länder früher oder später im illegalen Kampfe die Fesseln des ihm von den herrschenden Klassen auferlegten Siegfriedens sprengen. Diesen illegalen Kampf vorzubereiten und ihn zu führen, wenn erst geschichtliche Ereignisse die Massen in Bewegung setzen, das ist die Aufgabe der illegalen proletarischen Parteien in den faschistischen Ländern.« 10 Zit. bei Manfred Marschalek  : Untergrund und Exil. Österreichs Sozialisten zwischen 1934 und 1945. – Wien 1990. S. 172. 11 AZ 3.2.1937. S. 1f. S. 2.

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genwärtigen Umständen sei, könne nicht von Leuten praktiziert werden, die vierzig Jahre legal gearbeitet und in der Legalität ergraut seien. Von diesem Geschäft, zu dem er und manche andere nicht taugten, sollten sie sich fernhalten. Sie hielten sich fern, standen jedoch für Verhandlungen mit der Regierung Schuschnigg für den Fall der Bereitschaft einer Änderung der innenpolitischen Situation durch die Bildung einer anti-nationalsozialistischen Front bereit. Und Schuschnigg spielte ab 1936, als man am Ballhausplatz die Änderung der italienischen Haltung zu Österreich infolge der entstehenden Achse Berlin-Rom genau registrierte und unterstützt vom Arbeitnehmerflügel der ehemaligen Christlichsozialen, durchaus mit diesem Gedanken, schreckte jedoch vor dessen Realisierung aus zwei Gründen zurück  : Er fürchtete den Widerstand des rechten Flügels der Vaterländischen Front und damit deren Auseinanderbrechen und er erhielt von italienischer Seite regelmäßig Warnungen vor einer »Volksfrontpolitik«, die den sofortigen Rückzug Roms als Schutzmacht Österreichs zur Folge hätte. Sowohl in Rom wie auch in Berlin sprach man nach dem Juli-Abkommen auch von der Möglichkeit eines regierungsinternen Putsches der auf einen Ausgleich mit der Sozialdemokratie drängenden Kräfte, die den Wiener Bürgermeister Richard Schmitz12 zum neuen Kanzler einer Volksfrontregierung berufen und gegen den Nationalsozialismus entschieden Front machen würde. Trotz der warnenden Stimmen vor allem aus Rom unternahm Schuschnigg mit der Demokratisierung der Wahl der Vertrauensmänner in der Einheitsgewerkschaft zwi12 Richard Schmitz (1885–1954) besuchte das Elisabethgymnasium in Wien und studierte anschließend Rechtswissenschaften und Nationalökonomie an den Universitäten Wien und Innsbruck. Nach seiner Promotion zum Dr. jur. arbeitete er für die »Christlichsoziale Arbeiterzeitung« und den »Allgemeinen Tiroler Anzeiger«, dessen Chefredakteur er 1908 wurde. 1910 wurde er Redakteur der christlichsozialen »Reichspost« und 1911 Direktor der wissenschaftlichen Zentralstellen des Volksbundes der Katholiken Österreichs. Im Ersten Weltkrieg diente er als Offizier und wandte sich nach dessen Ende der Politik zu. 1919 bis 1920 war er christlichsozialer Gemeinderat und 1920 bis 1923 Abgeordneter zum Wiener Landtag. 1920 bis 1934 war er zudem christlichsozialer Abgeordneter zum Nationalrat, 1922 bis 1924, 1930 und 1933 bis 1934 Bundesminister für Soziale Verwaltung, 1926 bis 1929 Bundesminister für Unterricht, 1930 Vizekanzler. 1932 publizierte er »Das christlichsoziale Programm« und 1933 die Schrift »Die berufsständische Ordnung«. 1934 bis 1938 fungierte er als Bürgermeister von Wien sowie als Landesführer der Vaterländischen Front und gehörte als Vertreter Wiens dem ständestaatlichen Länderrat und Bundestag an. Schmitz bemühte sich um einen Ausgleich mit der sozialdemokratischen Arbeiterschaft und die Bildung einer gemeinsamen Abwehrfront gegen den Nationalsozialismus, doch scheiterten seine Bemühungen an der Ablehnung durch die Führung der Revolutionären Sozialisten. 1938 wurde Schmitz verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau, später nach Flossenbürg, gebracht, 1945 in das Lager Reichenau bei Innsbruck transportiert, um nach Südtirol gebracht zu werden. Er wurde am 4. Mai 1945 von US-Truppen befreit, zog sich nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Politik zurück und war als Generaldirektor des Herold-Verlages tätig. (Enderle-Burcel  : Mandatare im Ständestaat 1934–1938. S. 208ff.)

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schen 1. Oktober und 31. Dezember 1936 einen Schritt in Richtung Öffnung zur illegalen Arbeiterbewegung, der zu heftigen ideologischen und daraus folgenden taktischen Kontroversen zwischen Revolutionären Sozialisten und Kommunisten, jedoch schließlich zum gemeinsamen Beschluss der Teilnahme führte.13 Wenngleich 13 Die Position der Revolutionären Sozialisten formulierte Joseph Buttinger (Gustav Richter). Gustav Richter  : Die Stellung der RS zu den legalen Organisationen. – In  : Der Kampf 12/1936. S. 474–483. Vgl. dazu auch Bauer  : Die illegale Partei. S. 581ff.: »Die erste Aufgabe der illegalen Bewegung ist es, die Massen in sozialistischer Gesinnung zu erhalten (…) Es hängt von den konkreten Umständen ab, ob diese Aufgabe durch den Boykott der faschistischen Arbeiterorganisationen oder durch die Arbeit in ihnen wirksamer erfüllt werden kann. (…) Wo es dem Faschismus gelingt, größere Arbeitermassen in seinen Organisationen zu vereinigen, dort darf sich die illegale Partei allerdings von diesen Organisationen nicht abwenden  ; dort muss sie in ihren Reihen arbeiten. Aber der Sozialist geht in diese Organisationen nicht wie der Versöhnler, um in ihnen loyal mitzuarbeiten, sondern um sie als Kampfboden gegen das faschistische System zu benützen. Er muss, soweit er es vermag, die Arbeiterschaft verstehen lehren, dass diese Organisationen nicht ihre Organisationen, sondern Herrschaftsmittel des Faschismus sind. Er muss die Gefahr bekämpfen, dass sich die Arbeiterschaft den Agenten des Faschismus, die die Diktatur mit der Führung dieser Organisation betraut hat, gläubig und willig unterwirft. Er muss die Führer dieser Organisationen vor den Arbeitermassen als Agenten des Faschismus entlarven und die Arbeiterschaft zum Kampf gegen die Schranken, die der Faschismus der Wirksamkeit dieser Organisationen setzt, zu ermutigen und anzuleiten versuchen. Wie kann die illegale Partei diese Aufgabe erfüllen  ? Als der österreichische Faschismus die SAG (Soziale Arbeitsgemeinschaft, Teilorganisation der Vaterländischen Front. Anm. d. Hg.) gegründet und den Arbeitern als Ersatz für die aufgelöste Partei empfohlen hat, haben die Kommunisten die Arbeiter aufgefordert, in die SAG einzutreten und in ihr zu wirken. Sie haben tatsächlich die Bemühungen der Versöhnler erleichtert, die den Arbeitern einzureden versuchten, dass die SAG zu einer wirksamen Vertretung ihrer politischen Interessen werden könnte. Jeder Versöhnler, der in der Arbeiterschaft für die SAG warb, konnte sich darauf berufen, dass auch die Kommunisten die Arbeiterschaft aufforderten, sich der SAG anzuschließen. Die Revolutionären Sozialisten dagegen haben ihre Aufgabe darin gesehen, die trügerischen Illusionen der Versöhnler über die Entwicklungsmöglichkeit der SAG zu zerstören, sie vor den Arbeitermassen als ein Mittel des Faschismus, die Arbeiterschaft in seine Gefolgschaft zu bringen, zu entlarven. Sie haben damit erreicht, dass die Arbeiter, wenn überhaupt, so nur voll Zweifel und Misstrauen der SAG beitraten, in einer Stimmung, die von Anfang an die Entwicklung einer Arbeiteropposition innerhalb der SAG erleichterte und sie von Anfang an unter den Druck einer gegen ihre Führung kritisch gestimmten Arbeiterschaft setzte. Es kann, wie dieses Beispiel zeigt, nicht die Aufgabe der illegalen Partei sein, für den Beitritt zu den Arbeiterorganisationen des Faschismus Massenpropaganda zu betreiben, ihnen die Massen zuzuführen. Wohl wird es aber in der Regel notwendig sein, dass die illegale Partei einzelne Beobachter in die faschistischen Arbeiterorganisationen abordnet, die die illegale Partei über die Vorgänge in diesen Organisationen informieren sollen. Und erst wenn diese Organisationen größere Arbeitermassen erfassen, dann ist es allerdings notwendig, dass der illegale Kader oder Teile des illegalen Kaders in diese Organisationen entsandt werden, um in ihnen in der ihnen organisierten Arbeiterschaft für die illegale Partei zu wirken. Die Illegalen sollen innerhalb der legalen Organisationen die Opposition der Arbeiter gegen die ihnen aufgezwungene, dem Faschismus dienstbare Führung anregen, ermutigen und leiten. Dies werden sie aber in der Regel nicht tun können, wenn sie selbst führende Funktionen in den legalen Organisatio-

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die Interpretation des Ergebnisses, d. h. die politische Zuordnung, der vor allem von Otto Bauer als »Versöhnler« bezeichneten freigewerkschaftlichen Betriebsräte, die 1934 in ihrer Funktion belassen wurden – waren sie nur unter dem Druck der Umstände Mitglieder der Einheitsgewerkschaft geworden oder hatten sie sich auch aus Vernunftgründen, die in den letzten beiden Jahren stärker wurden, nunmehr neuerlich der Wahl gestellt – umstritten ist, so dürfte die Wahrheit, wie so oft, eher in der Mitte zu finden sein. Z. B. standen in den vor 1934 erfassten Großbetrieben, in nen übernehmen, zu einem Bestandteil der den Arbeitern von der Diktatur aufgezwungenen Führung werden und die Mitverantwortung für diese Führung vor den Arbeitern übernehmen. (…) Allerdings, wenn an die Stelle der Ernennung der Funktionäre der legalen Arbeiterorganisationen ihre Wahl durch die Mitgliedschaft tritt, dann werden vielleicht auch Illegale die Annahme wichtiger, unter Umständen führender Funktionen in den legalen Arbeiterorganisationen nicht ablehnen können.« Das kommunistische Zentralorgan »Die Rote Fahne« betonte, im Gegensatz zu den Revolutionären Sozialisten, bei den Vertrauensmännerwahlen sei es »notwendig, in den Betrieben eine einheitliche Front aller dem Faschismus feindlich gesinnten Arbeiter herzustellen. Dazu gehören heute nicht mehr allein die kommunistischen, sozialistischen und freigewerkschaftlichen Arbeiter, sondern auch viele EG-Funktionäre und Angehörige der Christlichen Gewerkschaften, auch diese werden gewählt werden, wenn sie den anderen Voraussetzungen entsprechen. Die Freien Gewerkschaften wären falsch beraten, wollten sie die Wahlen bloß als ihre besondere Organisationsangelegenheit betrachten, nein, gerade die Freien Gewerkschaften haben die Aufgabe, die Gesamtfront aller Arbeiter zu schaffen. Entscheidend für die Herstellung einer solchen lückenlosen und festen Front ist die Einheitsfront der proletarischen Organisationen, der Kommunisten, der Revolutionären Sozialisten und der Freien Gewerkschaften. In ihrer Hand liegt es, alle Versuche zur Zerklüftung und Spaltung der Betriebsbelegschaften in Freigewerkschaftlicher und Einheitsgewerkschafter, in christliche und freidenkende, in illegale und legale, in sozialistische und kommunistische zum Scheitern zu bringen. Die Einheitsfront der proletarischen Organisationen muss Herz und Hirn der Gesamtheit der Arbeiterklasse sein  ; an ihr liegt es zu erreichen, dass sie alle Teile und Organe des ganzen Klassenkörpers durchflutet und deren Handlungen zielbewusst beeinflusst.« (Die Rote Fahne 1.10.1936. S. 2.) Im Aufruf zum 1. Mai 1937 betonten die Revolutionären Sozialisten, sie würden für die Freiheitsrechte der Arbeiter, die ihnen vom Faschismus genommen worden seien, unerbittlich kämpfen. Aber dabei müssten sie »es lernen, diesen Kampf noch wirksamer zu führen als bisher. In Kampfgemeinschaft mit der Kommunistischen Partei und den Freien Gewerkschaften treten wir ein für den Boykott und die Sabotage der faschistischen Organisationen, wo der Terror des Regimes bisher nicht vermochte, in sie hineinzuzwingen. Wo ihm das gelungen ist, kämpfen wir mit allen Mitteln innerhalb der legalen Organisationen, benützen wir jeden Verein, jede Organisation, jede Versammlung, jede Redemöglichkeit, jede legale Position, um die wirtschaftlichen und politischen Forderungen der Arbeiter zu vertreten. Sie sollen keine Ruhe haben  ! Der alte Kampfgeist der österreichischen Arbeiter wird sich gegen ihre Sklavenherrschaft auf die Dauer durchsetzen. Jeder Meter Boden, den wir gewinnen, ist ein Fortschritt, jede Massenaktion gegen eine Schandtat eines Unternehmers, jeder Schlag gegen die Frechheit eines Bürokraten oder Überläufers ist heute eine politische Tat. (…) Am Ende dieses Ringens wird die Erhebung des arbeitenden Volkes gegen Faschismus, Ausbeutung und Krieg stehen - die siegreiche Revolution, die den Frieden, den Wohlstand für die Massen und die wahre Freiheit bringt.« (AZ 28.4.1937. S. 3.)

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denen die Freigewerkschafter ihre stärksten Positionen hatten, 1.336 alten, d. h. neuerlich gewählten Vertrauensmännern, 743 neue gegenüber. Rund 2/3 der gewählten Vertrauensmänner waren somit bereits 1934 von der Einheitsgewerkschaft als Vertrauensmänner eingesetzt worden, unter ihnen viele ehemalige Freigewerkschafter. In welchem Ausmaß es sich bei dieser Gruppe um nach wie vor überzeugte Freigewerkschafter handelte, kann nicht mehr verifiziert werden.14 Ludwig Reichhold wies in seiner Geschichte der Christlichen Gewerkschaften darauf hin, dass »einerlei durch welche Umstände bedingt (…) mehr und mehr auch Mitglieder der ehemaligen Freien Gewerkschaften15 beigetreten sind, viele von ihnen auch in der Erkenntnis, dass die eigentliche Gewerkschaftsarbeit nun einmal von den legalen Gewerkschaften geleistet werden musste, deren Schwäche, wenn sie weiter bestehen blieb, nur zu Lasten der Arbeitnehmer gehen konnte, wobei sicher auch früher anerzogene Überzeugungen von der Notwendigkeit starker Arbeiterorganisationen eine Rolle gespielt haben mögen.«16 Doch selbst bei vorsichtiger Schätzung muss die Wahl der Vertrauensmänner als politischer Erfolg der illegalen Freien Gewerkschaften gelten, die damit erstmals an der Jahreswende 1936/37 vor allem den Revolutionären Sozialisten, teilweise jedoch auch den Kommunisten, den indirekten organisatorischen Zugang zu einer Massenbasis eröffneten. Im Kontext der Massenbasis ist jedoch der in den Publikationen und der Propaganda der Revolutionären Sozialisten und Kommunisten verwendete Begriff der Masse und d e r »Arbeiterschaft« und das dieser unterstellte sozialistische/marxistische Klassenbewusstsein zu differenzieren und problematisieren. Joseph Buttinger 14 Fritz Klenner bemerkt in seiner Geschichte der Österreichischen Gewerkschaften, dass von den 9.358 gewählten Vertrauensmännern bereits vor der Wahl 5.719 Mandate innehatten. Die neu hinzugekommenen 3.639 Vertrauensmänner seien zur Hälfte auf Betriebe zurückzuführen, die gewerkschaftlich neu erfasst wurden. Die zeitgenössischen Kommentare zur politischen Interpretation des Wahlergebnisses seien sehr widerspruchsvoll. »Einheitsgewerkschaft und Regierung behaupteten selbstverständlich, dass sie einen Erfolg ihres Kurses darstellten. Die illegale Gewerkschaftspresse hob hervor, dass viele ehemalige Freie Gewerkschafter als Vertrauensmänner gewählt wurden.« (Fritz Klenner  : Die Österreichischen Gewerkschaften. Vergangenheit und Gegenwartsprobleme. 3 Bde. – Wien 1953/1979. Bd. 2. S. 1175.) Otto Leichter schätzt die Zahl der Freigewerkschafter unter den wiedergewählten Vertrauensmännern auf 2/3. (Otto Leichter  : Österreichs Freie Gewerkschaften im Untergrund. – Wien 1963.) Ludwig Reichhold bemerkt hingegen in seiner Geschichte der Christlichen Gewerkschaften, dass »die politische Zuordnung dieser Gruppe (…) nicht ohne weiteres durchzuführen« sei. (Ludwig Reichhold  : Geschichte der Christlichen Gewerkschaften Österreichs. Wien 1987. S. 548.) 15 Zu den Freien Gewerkschaften im Ständestaat vgl. Leichter  : Österreichs Freie Gewerkschaften im Untergrund  ; 63  ; Josef Hindels  : Die österreichischen Gewerkschaften im Widerstand 1934–1945. – Wien 1976  ; Manfred Wondra  : Zur Politik der illegalen Gewerkschaften im Ständestaat 1934–1938. Phil. Diss. – Wien 1982. 16 Reichhold  : Geschichte der Christlichen Gewerkschaften Österreichs. S. 501.

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bemerkte zum Begriff der Masse ironisch  : »Mit nichts hatten sich Sozialisten und Kommunisten in den Diskussionen der vier Jahre Illegalität mehr beschäftigt als mit den sogenannten Massen, über die sie unausgesetzt redeten wie Hungrige über das Essen. Wie die meisten ihrer politischen Begriffe wurde bei diesem Reden auch der Begriff ›Masse‹ immer ungenauer. Ein ›ungeschulter‹ Fremder in ihrer Mitte musste die ›Massen‹ schließlich für den gemeinsamen Gott aller Illegalen halten, von dem jede der beiden streitenden Richtungen behauptete, dass er auf ihrer Seite stehe und den alle unausgesetzt anflehten, sich zu ihren Gunsten zu bewegen.«17 Die Massen hätten jedoch diesem Wunsch nicht entsprochen. Auch d i e Arbeiterschaft existierte nicht, sondern war eine rhetorische Floskel, ein einen Alleinvertretungsanspruch suggerierendes Fahnenwort des revolutionären Klassenkampfes. Wenngleich ein erheblicher Teil der Arbeiterschaft in den Großbetrieben Ostösterreichs – 1930 befanden sich 27 von insgesamt 31 Industriebetrieben mit mehr als 1.000 Beschäftigten in Wien, Niederösterreich und der Steiermark18 – vor 1934 in den Freien Gewerkschaften organisiert war, so traf dies auf die in den Klein- und Mittelbetrieben sowie den landwirtschaftlichen Betrieben Beschäftigten nicht zu. Von den rund 900.000 Arbeitskräften in Industrie und Gewerbe waren 1934 mindestens 500.000 der Kleinproduktion, d. h. kleinen Betrieben mit einer Relation von Selbstständigen und Arbeitern bzw. Lehrlingen von 1  : 1 bis 1  : 2, zuzurechnen. Hinzu trat, bedingt durch die Folgen der Weltwirtschaftskrise, das Sinken der unfallversicherungspflichtigen Industriearbeiter, deren Zahl zwischen 1929 und 1934 von 565.000 auf 368.000 sank. Wie sehr Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit das stets beschworene revolutionäre Klassenbewusstsein und die Bereitschaft zum Klassenkampf selbst bei freigewerkschaftlich organisierten Arbeitern reduzierte und in Passivität verwandelte, ging aus den Untersuchungen von Marie Jahoda über die Arbeitslosen in Marienthal hervor und manifestierte sich in der weitgehenden Verweigerung des Generalstreiks in den Februartagen des Jahres 1934. Von den 1,223.361 in der Land- und Forstwirtschaft 1934 Tätigen waren 347.480 Arbeiter und 373.350 Mithelfende (meist Familienangehörige), die sich ebenfalls einer freigewerkschaftlichen Organisation weitgehend entzogen.19 Die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder war in der Ersten Republik stark 17 Josef Buttinger  : Am Beispiel Österreichs. Ein geschichtlicher Beitrag zur Krise der sozialistischen Bewegung, – Wien 1953. S. 489. 18 Die Großbetriebe waren von der Weltwirtschaftskrise besonders hart betroffen. Die Zahl der Betriebe mit mehr als 1.000 Beschäftigten sank von 1929 (= 100 Prozent) auf 39 Prozent, die Zahl der in ihnen beschäftigten Arbeiter sogar auf 33 Prozent. Arbeiteten 1930 in Betrieben mit mehr als 500 Beschäftigten noch 127.000 Menschen, so fiel diese Zahl bis 1934 auf 57.000. Aus diesen Zahlen wird deutlich, dass zwei Drittel der in Großbetrieben Beschäftigten während der Weltwirtschaftskrise ihre Arbeitsplätze mit entsprechenden Auswirkungen auf ihre Bereitschaft zur gewerkschaftlichen Organisation und Streikbereitschaft verloren. 19 Ernst Bruckmüller  : Sozialgeschichte Österreichs. – Wien/München 1985. S. 478 und S. 488f.

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von Konjunkturen – ökonomischen und politischen – geprägt. Die sozialdemokratischen Freien Gewerkschaften erlebten unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1921 ihren Höhepunkt mit 1,080.000 Mitgliedern, um allerdings bis 1933/34 auf 433.000 Mitglieder zu fallen. Die Mitgliederzahl der Christlichen Gewerkschaften stieg hingegen im gleichen Zeitraum von 80.000 auf 130.000. Der 1934 in Form einer Einheitsgewerkschaft geschaffene Gewerkschaftsbund wies 1936 353.000 und Ende August 1937 401.413 Mitglieder auf und umfasste damit zu einem erheblichen Teil auch die ehemals in den ehemaligen Freien Gewerkschaften organisierten Arbeiter und Angestellten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in der Gewerkschaft nur die Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft erfasst wurden. Wenngleich bei der relativ hohen Organisationsdichte der Einheitsgewerkschaft die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen mitberücksichtigt werden müssen, ist die steigende Akzeptanz vor allem auch auf die Mitarbeit und – zumindest teilweise – Integration ehemals freigewerkschaftlicher Betriebsräte zurückzuführen. Die Christlichen Gewerkschaften, die in der Einheitsgewerkschaft dominierten, standen der ständestaatlichen Verfassungsordnung durch ihren ideologischen Bereich der berufsständischen Ordnung, in der sie das gesellschafts- und sozialpolitische Modell zur Überwindung des Klassenkampfes durch die Sozialpartnerschaft sahen, nahe. Sie repräsentierten jedoch auch durch ihre demokratische Tradition und ihr Bestreben, die neue Einheitsgewerkschaft zu einer echten Arbeitnehmerorganisation auszubauen, den Widerstand gegen Bestrebungen, die Einheitsgewerkschaft zu einem Instrument des autoritären Staates zu gestalten. Ihr Bestreben richtete sich darauf, in deutlichem Gegensatz zur faschistischen Konzeption der Auflösung der Gewerkschaft in den einzelnen Berufsständen, als autonomes und unabhängiges Instrument der Arbeitnehmer zu fungieren. Dies implizierte auch die Implementierung des demokratischen Prinzips der freien Wahlen, das erstmals bei der – wenn auch eingeschränkten – Wahl der Betriebsvertrauensmänner Ende 1936 realisiert wurde und mit den vor dem Anschluss vereinbarten freien Wahlen im Gewerkschaftsbund vollends realisiert werden sollte. Sozialminister Josef Resch bemerkte zu den bevorstehenden freien Wahlen im Gewerkschaftsbund, die ihm auch eine erheblich breitere Legitimationsbasis sichern sollten, die Arbeiterschaft in Österreich sei mündig und brauche keinen Vormund. Die bevorstehenden freien Wahlen würden den Vorwurf entkräften, die Arbeiter hätten in Österreich keine wirklich gewählte Interessenvertretung.20 Diese Entwicklung der Einheitsgewerkschaft sorgte vor allem bei den Revolutionären Sozialisten, jedoch auch beim ALÖS in Brünn, für Beunruhigung, da sie von einer wachsenden Zahl ehemaliger Funktionäre der Freien Gewerkschaften begrüßt wurde und die Bereitschaft zur Mitarbeit deutlich zunahm. Verstärkt wurde 20 Ludwig Reichhold  : Opposition gegen den autoritären Staat. Christlicher Antifaschismus 1934–1938. – Wien/Köln/Stuttgart/Zürich 1964. S. 40.

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diese Tendenz durch die taktische Wende der KPÖ zur Volksfrontpolitik, die eine Zusammenarbeit auf breiter Basis zur Abwehr des Nationalsozialismus propagierte. Damit bestand die Gefahr des Abgleitens eines Teils der sozialdemokratischen Gewerkschafter in das Regierungslager, der mit einem ideologischen Kampf gegen das Modell der Sozialpartnerschaft und gegen die wachsende Gruppe der »Versöhnler« oder »Legalisten« begegnet werden musste. Verlor man diesen Kampf, so war die so herbeigesehnte Verbindung zu den Massen und deren ideologische Immunisierung mit dem Serum des Klassenkampfes Illusion. Im Vorfeld der Vertrauensmännerwahl erschien 1936 das Buch »Der Sozialist im Dollfuß-Österreich« des Sekretärs der Linzer Arbeiterkammer und späteren Ersten Präsidenten des Nationalrates der Zweiten Republik Alfred Maleta. Es war der Versuch, wie er in seinen Erinnerungen bemerkte, aus der sozialistischen Arbeiterschaft jene Kräfte zu gewinnen, »die von Haus aus nicht sozial-revolutionär, sondern sozial-evolutionär dachten.«21 Otto Bauer unterzog es in der »Arbeiter-Zeitung« einer vernichtenden Rezension und bezeichnete es als ideologischen Offenbarungseid des von ihm und den Revolutionären Sozialisten so verachteten »Versöhnlertums«. Vom marxistischen Standpunkt des notwendigen Klassenkampfes wandte er sich gegen die beiden auf der Katholischen Soziallehre basierenden Kernthesen Maletas, die Sozialpartnerschaft als Versöhnung von Arbeit und Kapital sowie die Entproletarisierung des Proletariats durch die Bildung von Vermögen in Arbeitnehmerhand. Beiden Positionen liege die Absicht zugrunde, die Arbeiterschaft in den Status von Kleinbürgern überzuführen und ihres Klassenbewusstseins und der damit verbundenen Bereitschaft zum Klassenkampf durch ein falsches Bewusstsein zu entfremden. »We r ( … ) A r b e i t u n d K a p i t a l , Wa s s e r u n d F e u e r v e r s ö h n e n w i l l , g e h t d a r a n i m m e r z u g r u n d e . (…) Wo steckt die Wurzel alles Versöhnlertums  ? Im k a p i t a l s t i s c h e n G r o ß b e t r i e b stehen Arbeiter und Kapitalisten einander gegenüber. Sie erfahren täglich, dass ihre Interessen einander entgegengesetzt sind. Sie wissen, dass nur unerbittlicher Kampf zwischen ihnen entscheiden kann. Anders der K l e i n b ü r g e r. Er ist Arbeitender und Besitzender, Arbeiter und Unternehmer in einer Person. Was in der kapitalistischen Welt in zwei gegensätzlichen Klassen getrennt ist, das ist in ihm vereinigt. Deshalb ist er immer geneigt, den Klassenkampf zwischen Kapitalisten und Arbeitern für ein bloßes ›Missverständnis‹, für eine ›Verirrung‹ anzusehen  ; wenn beide nur brav und gescheit wären, meint er, müssten sie sich doch miteinander vertragen können. A l l e s Ve r s ö h n l e r t u m i s t K l e i n b ü r g e r e i . «22 Die von der Katholischen Soziallehre vertretene Forderung nach dem gerechten Lohn als Basis der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand und damit der Entproletarisierung sei 21 Alfred Maleta  : Bewältigte Vergangenheit. Österreich 1932–1945. – Graz/Wien/Köln 1981. S. 106. 22 Otto Bauer (anonym)  : Die Theorie des Versöhnlertums. – In  : AZ 20. 12. 1936. S. 1–3. S. 1.

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nichts anderes als eine Illusion, denn es gebe »i n d e r k a p i t a l i s t i s c h e n G e sellschaftsordnung keinen ›gerechten‹ Lohn, weil diese Gesells c h a f t s o r d n u n g s e l b s t n i c h t g e r e c h t i s t . Zwischen Kapital und Arbeit besteht ein Gegensatz der Interessen, den keine Schlichtungsstelle und kein Schiedsgericht nach Grundsätzen der ›Lohngerechtigkeit‹ austragen kann, über den vielmehr nur im K a m p f zwischen Kapital und Arbeit entschieden werden kann.« Die These von der Entproletarisierung des Proletariats durch die Bildung von Vermögen in Arbeitnehmerhand sei nichts anderes als eine »kleinbürgerliche Quacksalberei«, denn es gebe zur Erreichung dieses Ziels »nur e i n e n Weg  : die Aufhebung des kapitalistischen Privateigentums, die Enteignung der Kapitalisten, die Überführung der Betriebe in das Eigentum der Gesamtheit derer, die in den Betrieben arbeiten  ! Das ist das Ziel des S o z i a l i s m u s . Denn erst wenn die Arbeitenden selbst Eigentümer alles dessen sind, was man zur Arbeit braucht und was ihre Arbeit hervorbringt, erst dann ist das Proletariat entproletarisiert  !«23 Für die Revolutionären Sozialisten und das ALÖS galt es, der durch die Vertrauensmännerwahl entstehenden Gefahr einer zunehmenden Integration der ehemaligen sozialdemokratischen Gewerkschafter in das System der Einheitsgewerkschaft und auch der Akzeptanz der Grundprinzipien der Katholischen Soziallehre entgegenzutreten. Besorgt stellte Otto Leichter zu Jahresbeginn 1937 die Frage, ob die nunmehr gewählten ehemaligen freigewerkschaftlichen Vertrauensmänner imstande seien, »die Rufer im Kampfe gegen das faschistische System und gegen die Einheitsgewerkschaft zu sein,« vor allem dann, »wenn diese die neuen Vertrauensmänner in ihren Apparat einzugliedern versucht  ?«24 Dies führte vor allem auch bei Joseph Buttinger zur Beunruhigung, musste er doch bereits Anfang 1937 feststellen, dass anstelle der von den Revolutionären Sozialisten durch die Teilnahme an der Vertrauensmännerwahl vorgesehenen Untergrabung des Ansehens der Einheitsgewerkschaft sich die ehemaligen Freigewerkschafter gegen die Aufrechterhaltung der illegalen Arbeit und, unterstützt von der KPÖ, für eine konstruktive Mitarbeit in den ständestaatlichen Arbeitnehmerorganisationen – Einheitsgewerkschaft (EG) und Soziale Arbeitsgemeinschaft (SAG) in der Vaterländischen Front – aussprachen. »In der österreichischen Arbeiterbewegung wuchsen seit Anfang 1937 die ersten gewichtigen Zweifel an (…) dem weiteren Sinn des illegalen Kampfes – nicht so sehr wegen der geringen Aussicht auf eine baldige ›Befreiung‹, sondern paradoxerweise als Frucht der Erfolge, die trotz der hoffnungslosen Lage insbesondere auf dem gewerkschaftlichen Boden erzielt wurden. Je entschiedener die gewählten Betriebsvertrauensmänner auftraten, je erfolgreicher die illegalen ›Drahtzieher‹ das Ansehen der legalen Gewerkschaftsbürokratie untergruben, je öfter diese in ihrer Bedrängnis 23 Ebda. S. 2f. 24 Berger  : Drei Jahre Illegalität. S. 44.

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wichtige Wortführer des legalen Widerstandes mit Sekretärsstellen zu kaufen versuchte, umso fragwürdiger wurde in den Augen der früheren freigewerkschaftlichen Sekretäre die Fortsetzung des illegalen Kampfes. Als die Felle davonzuschwimmen drohten, nach denen sie, nicht ohne sich Gefahren auszusetzen, so lange vergeblich gefischt hatten, nannten viele unter ihnen die Illegalität immer häufiger nur mehr die ›sinnlose Illegalität‹. (…) Zu den trügerischen Erwartungen, die bereits seit den Vertrauensmännerwahlen in den Betrieben von vielen Wortführern des legalen Kampfes an ihre Bemühungen in der Regierungsgewerkschaft geknüpft wurden, trat nun eine besondere ›legalistische Illusion‹. Sie äußerte sich in der Behauptung der alten Sekretäre, dass der Kampf um die Gewerkschaftsfreiheit auch durch die Übernahme von bezahlten Sekretärsposten innerhalb des legalen Gewerkschaftsbundes gefördert werden könne. Der frühere Bauarbeiterobmann (Johann) Böhm25 vertrat diese neue Kampfesweise am frühesten und offensten. (…) Gleichzeitig drohte (…) der Widerstand gegen jede Mitarbeit in der Vaterländischen Front zu erlahmen. Diese Entwicklung zeigte sich, als die Regierung ihre sogenannte Soziale Arbeitsgemeinschaften durch die ›Versöhnler‹ als eine Art politisches Zugeständnis an die Arbeiter darstellen ließ, das angeblich ein Gegengewicht zu den Zugeständnissen an die Nationalsozialisten bildete (…) Unterstützt von dem Glauben, dass Schuschnigg einen politischen Kurswechsel früher oder später vornehmen müsse, dessen erste Phase neben gewerkschaftlichen Zugeständnissen wahrscheinlich ein Ausbau der Sozialen Arbeitsgemeinschaften sein werde, wurde auch diese Propaganda des Regimes zu einer Gefahr, zumal sie von neuen, nicht mehr ganz unvernünftigen Bemühungen der Regierung begleitet war, die alte Kultur- und Sportorganisa25 Johann Böhm (1886–1959) absolvierte nach dem Besuch der Volks- und Bürgerschule in Waidhofen an der Thaya die Maurerlehre in Wien, trat der Gewerkschaft der Maurer bei, wurde 1912 Obmann der Vereinigung der Wiener Ortsgruppen der Gewerkschaft der Maurer und 1905 Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. 1918 wurde er Sekretär, 1921 Leiter der Ortsgruppe Wien der Bau- und Holzarbeitergewerkschaft, 1929 bis 1934 war er deren Obmann und 1927 wurde er Vorsitzender der Baugewerkschaft. 1927 bis 1930 war er sozialdemokratischer Gemeinderat in Wien und gehörte 1930 bis 1934 dem Nationalrat an. 1934 wurde er verhaftet und in das Anhaltelager Wöllersdorf gebracht, aus dem er im September 1934 wieder entlassen wurde. 1934 bis 1938 war er in der illegalen Gewerkschaftsbewegung tätig, wurde während der NS-Herrschaft mehrmals verhaftet und arbeitete zwischenzeitlich immer wieder als Polier. 1945 bis 1959 gehörte er als sozialdemokratischer Abgeordneter dem Nationalrat an und fungierte in dieser zeit als Zweiter Nationalratspräsident. Er gehörte 1945 zu den Gründungsmitgliedern des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, als dessen Präsident er bis 1959 wirkte. Als Präsident der ÖGB bildete er eine legendäre Achse zu Julius Raab und gilt als einer der Väter der Sozialpartnerschaft. Vgl. Johann Böhm  : Eine Auswahl aus seinen Reden. – Wien 1951  ; Ders.: Erinnerungen aus meinem Leben. – Wien 1986  ; Karin Holzer  : Johann Böhm. Eine Biografie. 2. Aufl. – Wien 1998.

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tion der Arbeiterschaft unter vaterländischer Aufsicht zu ›reaktivieren‹. Es war nicht schwer vorauszusehen, wohin diese Entwicklung führen musste, auch wenn es erst im Herbst 1937 zu den ersten Verhandlungsversuchen mit dem Arbeiterflügel der Regierung kam, nutzlosen Versuchen, bei denen auch der alte Gegenspieler Otto Bauers, Karl Renner, wieder auf der politischen Bühne erschien – in der gleichen Rolle, die er in der Schlussszene des alten Stückes, am 12. Februar 1934, gespielt hatte.«26 Trotz dieser Bedenken bot sich die Revolutionären Sozialisten mit dem Ergebnis der Vertrauensmännerwahlen zu Jahresende 1936 ein Licht am Ende des Tunnels, denn im Laufe des Jahres hatte sich die Position des Auslandsbüros in Brünn und der sozialdemokratischen Emigration in der Tschechoslowakei merkbar verschlechtert. Waren sie noch im Februar 1934 willkommen geheißen worden, so begann die Stimmung 1936 merkbar zu kippen. Die Prager Regierung, angesichts der zunehmenden Bedrohung durch die deutsche Außenpolitik auch um engere Beziehungen zu Öster­reich bemüht, reagierte auf die wiederholen Interventionen aus Wien und verhielt sich gegenüber den nunmehr Ungebetenen immer restriktiver, drohte für den Fall weiterer illegaler Handlungen mit dem Verlust des Asylrechts. Man war immer weniger bereit, die Tätigkeit der österreichischen sozialdemokratischen Emigration im Land zu dulden. Ministerpräsident Milan Hodža und Innenminister Jan Černy erwogen Anfang November 1936 sogar das Verbot der Herstellung der »Arbeiter Zeitung«. Als Kompromiss wurde schließlich das Erscheinen der Zeitung von wöchentlich auf vierzehntägig akzeptiert. Eine Methode, die man in den Bundesländern angesichts der Schwierigkeiten und immer größer werdenden Gefahren des Vertriebes bereits 1935 praktizierte. Am 22. November 1936 erschien die wöchentliche Ausgabe der Zeitung zum letzten Mal unter dem Titel »Abschied«, in dem die Leser darauf hingewiesen wurden, dass man gezwungen sei, die wöchentliche Ausgabe der »Arbeiter-Zeitung« in der Tschechoslowakei einzustellen. »Da die österreichische Regierung die Verbreitung der ›Arbeiter-Zeitung‹ selbst nicht zu unterdrücken vermochte, versuchte sie es, durch d i p l o m a t i s c h e Ve r h a n d l u n g e n ihre Einstellung zu erreichen. Die Veränderung der i n t e r n a t i o n a l e n L a g e i m D o n a u r a u m , die auch die auswärtige Politik der Tschechoslowakischen Republik bestimmt, war diesem Versuch günstig. So kann denn nunmehr in der Tat die › A r b e i t e r – Z e i t u n g ‹ a u f d e m B o d e n d e r Ts c h e c h o s l o w a k i s c h e n R e p u b l i k n i c h t m e h r a l l w ö c h e n t l i c h e r s c h e i n e n . « Die Zeitung werde vor allem auch dank des Mutes und der Organisationskraft der Revolutionären Sozialisten nunmehr eben vierzehntätig erscheinen und den Mitgliedern und Sympathisanten in Österreich als Informationsquelle zur Verfügung stehen. Die Revolutionären Sozialisten seien die einzige Partei in Österreich, die sowohl gegen den klerikalen wie braunen Faschismus kämpfe. Dies sei umso notwendiger, als Österreich durch 26 Buttinger  : Am Beispiel Österreichs. S. 421f.

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die Politik Schuschniggs zum Bindeglied zwischen dem italienischen und deutschen Faschismus wurde und sich durch den angekündigten Besuch des Kardinals Pacelli in Berlin die A l l i a n z d e s k l e r i k a l e n F a s c h i s m u s m i t d e m b r a u n e n F a s c h i s m u s ankündigt.« In diesem Moment »gewinnt der Kampf der österreichischen Arbeiterklasse gegen den in den Tross des Nazifaschismus geratenen österreichischen Klerikofaschismus erhöhte internationale Bedeutung und hat darum Anspruch auf verstärkte solidarische Unterstützung des intern a t i o n a l e n P r o l e t a r i a t s u n d d e r i n t e r n a t i o n a l e n D e m o k r a t i e . «27 Vier Monate später wurde auch das legale vierzehntägige Erscheinen der »Arbeiter Zeitung« verboten. Die Produktion übersiedelte daraufhin offiziell nach Paris, blieb jedoch insgeheim in der Tschechoslowakei, wo weiterhin die Matrizen hergestellt und anschließend nach Österreich zum Druck geschmuggelt wurden. In tschechoslowakischen Regierungskreisen stand man der sozialdemokratischen Emigration wegen deren offensichtlicher Nähe zur KP immer kritischer gegenüber. Selbst der sozialdemokratische Minister Ludwig Czech sah in den österreichischen Emigranten eine langsam unerträgliche finanzielle Belastung, da seiner Auffassung nach viele der Emigranten die ihnen gewährte Flüchtlingshilfe immer mehr als Fürsorgeeinrichtung betrachteten. Die Zahl der zu versorgenden Flüchtlinge sank allerdings durch die Weihnachtsamnestie 1935, die viele unterstützte Emigranten 1936 zur Rückkehr nach Österreich veranlasste. So sank deren Zahl zwischen Dezember 1935 und März 1936 von 121 auf 63. Otto Bauer wurde in der Brünner Emigration nicht müde, an der von ihm bereits unmittelbar nach dem Scheitern des Februaraufstandes entwickelten großen Erzählung des heldenhaften Aufstandes der österreichischen Arbeiter mit seinen Märtyrern, die nicht umsonst gestorben seien, und an dessen zentraler Stellung im revolutionären Widerstand der Arbeiterschaft gegen den Faschismus zu arbeiten. Die von Pathos geprägte Arbeit am Februarmythos, die zunehmende Unschärfe zwischen Diktatur des Proletariats und Demokratie mit sich verstärkender Akzentuierung der Diktatur des Proletariats nach bolschewistischem Vorbild diente mehreren Zielen  : 1. der intellektuellen Bewältigung der Niederlage und der eigenen keineswegs heldenhaften Rolle  ; 2. der mit dem Februar- und Heldenmythos verbundenen Bestätigung der Revolutionären Sozialisten als legitime Erben der in den Februarkämpfen untergegangenen alten Partei, die durch das Blut der Märtyrer ihre quasi-religiösen Weihen erhielten  ; 3. der Rechtfertigung einer Aktionsgemeinschaft mit den Kommunisten als Vorstufe zur Vereinigung der beiden Parteien in Form eines integralen Sozialismus. Dabei verbarg sich hinter Wortkaskaden und intellektueller Akrobatik seine zuneh27 AZ 22.9.1936. S. 1f.

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mende Hinwendung zum Begriff der Diktatur des Proletariats als Notwendigkeit im welthistorischen Ringen zwischen Sozialismus und Kapitalismus/Faschismus. Die intellektuelle Bewältigung der Niederlage und der eigenen keineswegs heldenhaften Rolle in den Februartagen des Jahres 1934 ist nicht Gegenstand dieser die Geschichte der Revolutionären Sozialisten skizzierenden Analyse, die sich daher auf die beiden anderen Ziele der Arbeiten Otto Bauers konzentriert – die Rechtfertigung der Revolutionären Sozialisten als Nachfolgepartei der alten Sozialdemokratie und die Theorie des integralen Sozialismus als Grundlage der letztlich erfolgenden Vereinigung von Revolutionären Sozialisten und Kommunisten. Wenngleich Otto Bauer die Leitung der illegalen Partei nicht angestrebt und auch nie beansprucht, sondern das sich bildende Zentralkomitee der Revolutionären Sozialisten in Wien als Leitungsgremium der illegalen Partei letztlich akzeptiert hatte, so nahmen er und das ALÖS in Brünn die Funktion einer quasi höchsten Autorität in Anspruch. Dies wurde auch durch die weitgehend von Otto Bauer redigierte »Arbeiter-Zeitung« als nach wie vor offizielles Organ der Partei deutlich. Im Laufe des Jahres 1936 und vor allem 1937 wurden jedoch die ideologischen und taktischen Spannungen zwischen Brünn und Wien immer ausgeprägter, wobei sich das ALÖS in der schwächeren Position befand und Otto Bauer sich gezwungen sah, im Februar 1937 in einem Artikel über den 12. Februar 1934 die Revolutionären Sozialisten als legitime Nachfolger der alten Sozialdemokratie zu proklamieren. Das Pathos der Februarerzählung, mit religiösen Versatzstücken versehen und als welthistorische Vorbildfunktion für die Arbeiterklasse postuliert, sowie die imaginierte revolutionäre proletarischen Massenpartei prägten auch diese Arbeit. Zunächst galt es Selbstversicherung und Selbsttröstung zu wiederholen, dass trotz der Niederlage » d e r H e l d e n k a m p f u n s e r e r S c h u t z b ü n d l e r n i c h t v e r g e b e n s « war. »Aus ihrem blutigen Kampfe, aus den Blutopfern der im Kampfe gefallenen Helden und der an den Galgen des christlichen Staates gestorbenen Märtyrer der österreichischen Arbeiterklasse sind die ungeheuren moralischen Energien erwachsen, die die m ä c h t i g e i l l e g a l e B e w e g u n g d e s ö s t e r r e i c h i s c h e n S o z i a l i s m u s geboren haben. Vergebens hat der österreichische Faschismus die illegale Bewegung zu unterdrücken versucht. Vergebens sind alle seine Verbote, seine Polizeibüttel, seine Kerker. (…) N i r g e n d s i n d e r We l t i s t d i e i l l e g a l e s o z i a l i s t i s c h e B e w e g u n g so ausgebreitet, so stark, ihr Einfluss auf die Massen so groß wie i n Ö s t e r r e i c h . Das ist das Werk der aus dem glorreichen Februarkampf geborenen Energien. Unzerstörbar beweist sich heute, nach drei Jahren Illegalität, die neue Partei der R e v o l u t i o n ä r e n S o z i a l i s t e n , die das große Erbe der im Februar vom Faschismus zertrümmerten Sozialdemokratie angetreten hat (…)

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Der heroische Kampf der österreichischen Schutzbündler im Jahre 1934 war der erste Schritt auf der neuen Bahn des revolutionären Widerstandes der Arbeiterklasse gegen die faschistische Gewalt. (…) Unsere österreichischen Toten vom Februar 1934 waren die ersten Blutzeugen dieser neuen Entwicklung. Sie sind gefallen für unsere Freiheit. Sie sind gefallen für die Freiheit aller vom Faschismus bedrohten Völker. S i e d ü r f e n n i c h t u m s o n s t g e f a l l e n s e i n . Ihr Vermächtnis haben wir zu vollziehen. Ihr Vermächtnis lebt in unserer Partei, in den Reihen der illegalen Kämpfer der R e v o l u t i o n ä r e n S o z i a l i s t e n .«28 1936 unternahm Otto Bauer in seiner Schrift »Zwischen zwei Weltkriegen  ?« den Versuch, mit seinem Konzept des integralen Sozialismus, das auf der französischen Volksfront, der von ihm bereits in mehreren Schriften geäußerten Hoffnung auf eine Demokratisierung der Sowjetunion, der Analyse des Aufstiegs des Faschismus und der Niederlage der mitteleuropäischen Arbeiterbewegung basierte und die Bildung von Aktionsgemeinschaften und Einheitsfronten forderte, die Brücke zwischen Sozialdemokratie und Kommunismus zu schlagen.29 Im »Nachwort an Österreich« richtete er sich an die Revolutionären Sozialisten, die bei ihrem Aufbau einer illegalen revolutionären Partei »an die Erfahrungen, die Lehren, das Vorbild der ruhmreichsten und sieghaftesten unter allen illegalen revolutionären Parteien, der russischen Bolschewiki« anknüpften. »Die Revolutionären Sozialisten haben im Feuer der Februarkämpfe die Schranken der bürgerlichen Demokratie, die Funktion der Diktatur in der Entwicklung der Klassenkämpfe verstehen gelernt. Von der faschistischen Diktatur verfolgt und gehetzt, schöpfen sie Zuversicht und Hoffnung, Kraft aus den Siegen der proletarischen Diktatur in der Sowjetunion. Aber wenn sie von den Gefühlen der Solidarität mit der proletarischen Revolution in der Sowjetunion erfüllt sind, so sind sie andererseits doch auch den demokratischen Arbeiterparteien des Westens eng verbunden geblieben.« Es waren vor allem die sozialdemokratischen Parteien des Westens, die der österreichischen Partei in den Stunden ihrer Niederlage beistanden. »Fühlen sich in den Methoden und in der Zielsetzung die Revolutionären Sozialisten dem revolutionären Sozialismus des Ostens verwandt, so erleben sie es doch jeden Tag, dass sie die solidarische Hilfe, den Schutz, die Unterstützung des demokratischen Sozialismus des Westens nicht entbehren können. So erwächst ihnen aus ihren Kampfbedingungen selbst der Wunsch nach der Überbrückung der Gegensätze, die das Weltproletariat zerrissen haben. 28 Otto Bauer  : 12. Februar. – In  : AZ 3.2.1937. S. 1–3. S. 2f. 29 Otto Bauer  : Zwischen zwei Weltkriegen  ? – In  : Werkausgabe. Bd. 4. S. 49–331. Zur problematischen, die Realitäten in Wunschdenken auflösenden Sichtweise Otto Bauers in seiner Schrift »Zwischen zwei Weltkriegen  ?« vgl. Ernst Hanisch  : Der große Illusionist. Otto Bauer (1881–1938). – Wien/Köln/Weimar 2012. S. 344ff.

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Die englischen Arbeiter werden nicht Bolschewiken, die russischen Arbeiter nicht Labouristen werden. Die Überwindung der Gegensätze kann nicht erreicht werden durch einen Siegfrieden einer der beiden großen Richtungen des Weltsozialismus über die andere. Sie kann nur erreicht werden durch eine Synthese, die die geschichtlich gewordenen Gegensätze in sich aufhebt. Nicht indem wir Kommunisten werden, aber auch nicht, indem wir in reformistische Illusionen zurückfallen, sondern nur, indem wir an der Synthese, an der Integration des Weltsozialismus arbeiten, können wir um das Ziel ringen, das unsere Kampfbedingungen in Österreich uns stellen. So entspricht denn, wie ich glaube, die ganze Konzeption, die ich den integralen Sozialismus nenne (…), der Tradition, der Entstehungsgeschichte und den Kampfbedingungen der Revolutionären Sozialisten in Österreich.«30 Sie erfüllt, so Otto Bauer zum Schluss, mit der Realisierung dieses Konzepts, eine wichtige Funktion in einer geschichtlichen Bewegung. »Wir österreichischen Sozialisten haben der sozialistischen Welt etwas gegeben. Wir haben dem sozialistischen Reformismus die große Leistung des Roten Wien, wir haben dem revolutionären Sozialismus die heroische Tat des Februaraufstandes der Schutzbündler gegeben. Ich glaube, dass wir auch heute, besiegt, zersprengt, geächtet und verfolgt, der sozialistischen Welt noch etwas zu geben haben. Die österreichische Stimme darf auch heute nicht fehlen in der großen Menschheitssymphonie des internationalen Sozialismus. Was wir ihr zu geben haben, das quillt aus der ganzen Geschichte des Sozialismus in Österreich. Das ist die Konzeption eines integralen Sozialismus, der sich über die Gegensätze erhebt, die das Proletariat der Welt gespalten haben, um sie zu überwinden.«31 Die Theorie des integralen Sozialismus wurde zum Leitmotiv der politischen Analysen Otto Bauers in dessen letzten Lebensjahren. Sie bestärkte ihn in seiner Verteidigung der Sowjetunion, der von Illusionen geprägten Beschreibung der Terrorherrschaft unter Ausblendung des gigantischen GULAG-Systems und der bis dahin in ihrem Ausmaß einzigartigen menschlichen Opfer und Tragödien.32 Allein zwischen 1935 und 1941 wurden in der Sowjetunion knapp 20 Millionen Menschen verhaftet und 7 Millionen erschossen,33 davon fielen allein in der Ukraine zwischen 30 Bauer  : Zwischen zwei Weltkriegen  ? S.  322f. 31 Ebda. S. 326. 32 Zum GULAG-System vgl. Anne Applebaum  : Der GULAG. – Berlin 2003. Der von oben verursachten und organisierten Hungersnot folgte 1937/38 aufgrund des Befehls 00447 (»Über die Operation zur Repression ehemaliger Kulaken, Krimineller und anderer antisowjetischer Elemente«) vom 30. Juli 1937 die Erschießung von 70.868 Bewohnern der Ukraine, unter denen sich zahlreiche sog. »Nationalisten« befanden. 33 Zum Terror vgl. Robert Conquest  : Der große Terror. Sowjetunion 1934–1938. – München 1992  ; Karl Schlögel  : Terror und Traum. Moskau 1937. – München 2008  ; Jörg Barberowski  : Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt. 3. Aufl. – München 2012.

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1929 und 1933 der Entkulakisierung und Kollektivierung der Landwirtschaft mindestens rund 3,9 Millionen dem Hungertod zum Opfer und führte bei den Hungernden zum Phänomen des Kannibalismus. Die Zahl der Hungertoten in der gesamten Region inklusive des Wolgagebietes wird zwischen 6 und 8 Millionen geschätzt.34Als Kardinal Theodor Innitzer 1935 um Lebensmittelhilfe für die Hungernden bat, entgegneten die sowjetischen Behörden zynisch, in der UdSSR gebe es weder Kardinäle noch Kannibalen. Der polnische Völkerrechtler Raphael Lemkin, Schöpfer des Begriffs »Genozid«, nannte den Fall Ukraine den klassischen Fall eines bewusst herbeigeführten sowjetischen Genozids. Die Ukraine und die »weiter östlich liegenden ukrainischen und kosakischen Territorien der Sowjetunion – ein großes Gebiet mit über 40 Millionen Einwohnern – glichen einem einzigen riesigen Bergen-Belsen. Ein Viertel der Landbevölkerung – Männer, Frauen und Kinder – war tot oder lag im Sterben. Die Übrigen hatte der Hunger teilweise so entkräftet, dass sie nicht einmal ihre Angehörigen oder Nachbarn begraben konnten. Zur selben Zeit überwachten – wie in BergenBelsen – wohlgenährte Polizei- oder Parteiverbände ihre Opfer.«35 Begleitet wurde dieser Holodomor von der Unterdrückung und Liquidierung der ukrainischen intellektuellen, kulturellen und politischen Elite mit dem Ergebnis einer weitgehenden Sowjetisierung des Landes. Otto Bauer glaubte »dennoch, trotz alledem (…) an den Sozialismus in der Sowjetunion. Nicht daran, dass er schon ist, aber daran, dass er wird. Dort ist das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln bereits verwirklicht. Das schnell steigende Kulturniveau der russischen Arbeiter, die Gewöhnung der Bauern an die Selbstverwaltung in den Kolchosen, die sozialistische Ideologie, zu der seit zwanzig Jahren die ganze Jugend der Sowjetvölker erzogen wird, die erzieherische Wirkung des geheimen Wahlrechts (…) bürgen uns dafür, dass die Völker der Sowjetunion es lernen werden, den politischen Überbau der Sowjetgesellschaft ihrer sozialistischen ökonomischen Basis anzupassen. (…) Die Entwicklung zu einer wahrhaft sozialistischen Gesellschaft geht dort durch Furchtbares und Hässliches hindurch. Sie geht dennoch ihren Weg. Emile Vandervelde hat jüngst in demselben Zusammenhange, aus derselben Überzeugung an das Wort des Hippokrates erinnert  : ›Zwischen Kot und Urin wird der Mensch geboren.‹« Trotz aller Kritik im Einzelnen bleibe die Sowjetunion »doch das Land des werdenden Sozialismus, das das ganze Proletariat der Erde gegen jeden Feind mit 34 Roy Medwedew  : Das Urteil der Geschichte. Stalin und Stalinismus. 3 Bde. – Berlin 1992. Bd. 1. S. 246ff.; Dmitri Wolkogonow  : Triumph und Tragödie. Politische Porträt des J. W. Stalin. 2 Bde. In 2 Teilbänden. – Berlin 1990. Bd. ½. S. 21ff. 35 Robert Conquest  : Ernte des Todes. Stalins Holocaust in der Ukraine 1929–1933. – München 1988. S. 9. Zur Ukraine vgl. auch Timothy Snyder  : Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin. – München 2011. S. 43–78  ; Anne Applebaum  : Roter Hunger. Stalins Krieg gegen die Ukraine. – München 2019.

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seiner ganzen Kraft verteidigen muss.«36 Bauer befand sich bei seiner Sicht der Sowjetunion in durchaus prominenter Gesellschaft. So diskreditierte der Pulitzer-Preisträger und Moskau-Korrespondent der »New York Times«, Walter Duranty, die Berichte des Journalisten Gareth Jones über die Hungerkatastrophe in der Ukraine und anderen Teilen der Sowjetunion als »großes Gräuelmärchen«.37 Es gebe nämlich, so Duranty in einer direkten Übernahme des sowjetischen amtlichen Sprachgebrauchs, keine echte Hungersnot, sondern »nur verbreitete Todesfälle durch Krankheiten, die aus Unterernährung folgen.« Und obwohl Duranty durchaus wusste, dass Millionen Menschen verhungert waren, vertrat er die Auffassung der historischen Notwendigkeit. Der Hunger diene eben einem höheren Zweck. Und wo im Sinne der historischen Notwendigkeit »gehobelt wird, da fallen Späne.«38 Bauers Plädoyer für die Bildung einer Volksfront, das blendende historische Analyse und hohe literarische Qualität mit erschreckenden Fehlurteilen und ideologischen Illusionen verband, fand bei ihren bevorzugten Adressaten, den Revolutionären Sozialisten, kaum Gehör. Dies vor allem deshalb, weil ihr Verhältnis zur KP distanziert blieb und sie vor allem die gleichberechtigte Einbeziehung von bürgerlichen und bäuerlichen Schichten, wie im Konzept der KP vorgesehen, mit der Begründung des Rückfalls in den reformistischen Illusionismus der alten Sozialdemokratie und des damit drohenden Vertrauensverlustes in revolutionäre Losungen ablehnten. Dies führte zwischen Mai und Dezember 1937 zu einer heftigen ideologischen Kontroverse,39 die vor allem im theoretischen Organ »Der Kampf« und – etwas abgeschwächt – in der »Arbeiter-Zeitung« – ausgetragen wurde. Otto Bauer 36 Otto Bauer  : Nach zwanzig Jahren. – In  : Der Kampf 11/1937. S. 409–412. S. 411. 37 Dabei verwendete Duranty die Terminologie St 38 Snyder  : Bloodlands. S.  76. Alins, der es sogar ablehnte, »die Hungersnot auf den Sitzungen des Politbüros zu erörtern. Als z. B. B. R. Terechow, Sekretär des ZK der KP(B) der Ukraine, Stalin über die schwierige Lage in den Dörfern des Charkower Gebietes informierte und darum bat, wegen der Missernte Getreide für das Gebiet zur Verfügung zu stellen, reagierte Stalin sehr seltsam auf diese Information über Schwierigkeiten auf dem Lande. Er unterbrach den Berichterstatter schroff und sagte  : ›Man sagt, Sie, Genosse Terechow, seien ein guter Redner. Aber wie sich herausstellt, sind Sie ein guter Geschichtenerzähler. Sie haben sich dieses Märchen über den Hunger ausgedacht, um uns zu erschrecken  ! Aber daraus wird nichts  ! Wäre es nicht besser, sie verließen Ihren Posten des Sekretärs des Gebietskomitees und des ZK der KP der Ukraine und gingen in den Schriftstellerverband  ? Dort können Sie weiter Märchen für Dumme schreiben …‹« (Medwedew  : Das Urteil der Geschichte. Bd. 1. S. 247.) 39 Zur Kontroverse, die als Gegensatz zwischen Pessimisten (Revolutionären Sozialisten) und Optimisten (Brünner Gruppe um Otto Bauer) in die Parteigeschichte eingegangen ist, vgl. Buttinger  : Am Beispiel Österreichs. S. 426ff. und S. 4457ff.; Otto Bauer  : »Optimismus« und »Pessimismus« in der illegalen Partei. – In  : Der Kampf 6/1937. S. 209–216  ; Heinrich Berger (Otto Leichter)  : Der Pessimismus – eine politische Theorie  ? – In  : Der Kampf 9/1937. S. 338–344  ; Gustav Richter (Josef Buttinger)  : Der Pessimismus – eine Erfindung Heinrich Bergers. – In  : Der Kampf 10/1937. S. 386–396  ; Ders.: Die umstrittenen Illusionen. – In  : Der Kampf 12/1937. S. 427–434  ; Marschalek  : Untergrund und Exil. S. 200ff.; Anton Pelinka  : Erbe und Neubeginn. Die Revolutionären Sozialisten in Österreich

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wurde in dieser Konfrontation mit dem Hinweis auf die marxistische Geschichtsauffassung als »soziales Naturgesetz« und den Aufstieg der Bolschewiki zur Macht zum Wortführer der »Optimisten« und zum beredten Verfechter der Volksfront, wobei er an seine 1936 erschienene Schrift »Zwischen zwei Weltkriegen  ?« anschloss. Sowohl in Frankreich wie in Spanien gebe es die Volksfront als »ein Bündnis proletarischer Parteien und Gewerkschaften mit bürgerlich-demokratischen Parteien und Organisationen.« Die Volksfrontregierungen seien Koalitionsregierungen, die sich allerdings wesentlich von den Koalitionsregierungen in den skandinavischen Ländern, Belgien und der Tschechoslowakei unterscheiden. Sie seien kein bloßes Bündnis von parlamentarischen Parteien, sondern das Ergebnis einer Volksbewegung, ihre Basis bilde die »Aktionsgemeinschaft« der proletarischen Parteien, die »Einheitsfront« des Proletariats, im Bündnis mit kleinbürgerlichen und bäuerlichen demokratischen Parteien und Organisationen und das Proletariat sei »sich dessen bewusst, dass der Sieg der Volksfront den Staat unter seine Führung stellt. (…) Die bürgerlichen und bäuerlichen Verbündeten des Proletariats wissen, dass sie diese Massenbewegungen nicht friedlich zu beenden, die aufgewühlten Massen nicht zu beruhigen vermöchten  ; sie sind daher gezwungen, den proletarischen Massen Zugeständnisse über ihre ursprünglichen Absichten hinaus zu machen und die sozialistische Führung, die allein die Massenbewegung zu lenken vermag, zu stützen.«40 Und gegen die Revolutionären Sozialisten gewandt  : »Nicht wenige Sozialdemokraten sind der Volksfront abgeneigt, weil sie die Aktionsgemeinschaft der proletarischen Parteien voraussetzt. Sie werfen der Volksfront vor, dass sie die Kommunisten weit mehr stärke als die Sozialisten. (…) Aber wie immer dies sei, können und dürfen wir die Volksfront nicht danach beurteilen, wie sie das Konkurrenzverhältnis zwischen den proletarischen Parteien beeinflusst, sondern haben sie danach zu werten, was sie für die Klasse, für die Verteidigung des Proletariats gegen den Faschismus, für die Durchsetzung der sozialen Forderungen des Proletariats und vor allem für den Kampf des Proletariats um die Macht bedeutet. (…) Die Trotzkisten und manche dem Trotzkismus geistesverwandte Revolutionäre Sozialisten bekämpfen die Volksfrontpolitik grundsätzlich. Sie bekämpfen sie mit denselben Argumenten, mit denen die Kommunisten bis zum Jahre 1934 jede Koalitionspolitik der Sozialdemokratie bekämpft haben. Sie unterschätzen den Zuwachs an Kraft, Selbstbewusstsein, Kampffähigkeit, den breite Proletariermassen (…) durch die Volksfrontsituation erlangen. Sie übersehen, dass die Volksfront unter Umständen das einzige wirksame Mittel sein kann, sich des Angriffs des Faschismus zu erwehren. Stellen sie der Volksfront die Diktatur des Proletariats entgegen, so 1934–1938. – Wien 1981. S. 234ff. (Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung. Materialien zur Arbeiterbewegung Nr. 20.) 40 Otto Bauer  : Das Wesen der Volksfront. – In  : Der Kampf 5/1937. S. 169–177. S. 171.

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verkennen sie, dass das Proletariat durch viele und vielerlei Etappen, durch viele und vielerlei Übergangsstufen und Kampfesphasen hindurchgehen muss, ehe es die politische Gewalt erobern kann.« Nach der deutlichen Schelte für die vom Zentralkomitee der Revolutionären Sozialisten unter Joseph Buttinger vertretene Ablehnung der Volksfronttheorie war Bauer um einen Brückenschlag bemüht, indem er darauf hinwies, dass die Bildung einer von den Kommunisten empfohlenen Volksfront von den jeweiligen politischen und sozioökonomischen Rahmenbedingungen eines Landes abhängig sei. In den faschistischen Staaten, d. h. auch in Österreich, gebe es »breite kleinbürgerliche und bäuerliche Massen, die die faschistische Despotie hassen. Aber diese Massen werden sich erst dann um das Proletariat scharen, wenn sie das Proletariat so stark, so kampffähig und kampfentschlossen sehen, dass sie hoffen können, im Bunde mit dem Proletariat und unter der Führung des Proletariats die verhasste Despotie zu fällen. Erst wenn das Proletariat wieder stark, wieder kampffähig sein wird, kann es zum Führer des ganzen werktätigen Volkes gegen die faschistische Tyrannei werden. Die Hegemonie kann nur der Starke erringen. Die proletarischen Parteien der faschistischen Länder können daher eine Volksfront gegen den Faschismus nicht dadurch zustande bringen, dass sie sich faschistischen oder halbfaschistischen Führern des Kleinbürgertums anbiedern, ihre Sprache den Sprachgewohnheiten, den Ideologien, den Vorurteilen des Kleinbürgers anpassen, ihre Ziele dem Kleinbürger zuliebe verschleiern. Sie müssen umgekehrt die revolutionierende Sprache des Klassenkampfes sprechen, um das Klassenbewusstsein der durch den Faschismus niedergeworfenen und eingeschüchterten Arbeitermassen, um ihr Selbstbewusstsein, ihr Selbstvertrauen, ihren Glauben an die historische Mission und damit ihren Kampfeswillen wiederzuerwecken.«41 Die von Otto Bauer bestimmte redaktionelle Linie der »Arbeiter-Zeitung« mit ihrer optimistischen Grundhaltung vom bevorstehenden Sieg des Sozialismus wurde vom Zentralkomitee der Revolutionären Sozialisten als fataler Irrtum bezeichnet, an dessen Stelle eine kritische Analyse, die von Otto Bauer und seinem Kreis als »Pessimismus« bezeichnet wurde, treten müsse. Ebensowenig konnte man der theoretischen Begründung der Notwendigkeit einer Volksfront und der Mitarbeit in legalen Organisationen wie der Einheitsgewerkschaft oder der Sozialen Arbeitsgemeinschaft der Vaterländischen Front mit dem Zweck eines antifaschistischen Brückenschlags, wie sie von der KP sowie Teilen der alten Partei vertreten wurde, zustimmen. Die Differenzen zwischen dem ALÖS und dem Zentralkomitee der Revolutionären Sozialisten wurden immer größer, wie auch aus der heftig geführten Kontroverse in der theoretischen Zeitschrift »Der Kampf« deutlich wurde. Um ihre Position in der Auseinandersetzung mit dem ALÖS auch innerparteilich abzusichern, hielten die Revolutionären Sozialisten vom 30. Oktober bis 1. November 1937 eine Partei41 Ebda. S. 175ff.

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konferenz (Oktoberkonferenz) im niederösterreichischen Oberndorf bei St. Christophen ab, in der neben der Bestätigung des Zentralkomitees Beschlüsse zu zentralen taktischen und organisatorischen Problemen gefasst wurden. »Hitler ist der Todfeind des internationalen Proletariats  ; aber die klerikofaschistische Diktatur ist die Wegbereiterin Hitlers in Österreichs. Gegen die klerikofaschistische Diktatur, gegen alle feudal-monarchistischen, sozialreaktionären, klerikalen und faschistischen Strömungen innerhalb des Regimes haben wir auch weiterhin den unversöhnlichen Kampf zu führen, alle Versöhnlerei, daher auch die Mitarbeit in der SAG unversöhnlich zu bekämpfen. Wir führen den Kampf auch in den legalen Organisationen des Regimes, soweit sie uns Kampfmöglichkeiten bieten  ; aber wenn wir in die legalen Organisationen gehen, so tun wir es nicht, um an den Herrschaftsorganisationen des Faschismus versöhnlerisch ›mitzuarbeiten‹, sondern um sie als Kampfboden gegen den Faschismus auszunützen, und tun es in der Erkenntnis, dass der Kampf auf legalem Boden nur in unlösbarer Verknüpfung mit dem illegalen Kampf die diktatorische Klassenherrschaft erschüttern kann.« Zum Verhältnis zur KP sowie zur Forderung nach einer Volksfront wurde betont, dass man der Aktionseinheit mit der KP festhalte und das Ziel die Schaffung »einer Einheitspartei des österreichischen Proletariats, die mit dem russischen Proletariat und der Sowjetunion aufs engste verbündet, aber nicht von den Moskauer politischen Weisungen abhängig ist«, bleibe. »Aber die Taktik der Kommunistischen Partei in Österreich hat uns diesem Ziele nicht nähergebracht. Das Übereinkommen der beiden Parteien vom März 1936 hat nicht lange befriedigend funktioniert. In wichtigen und aktuellen politischen Fragen hat die KP den entgegengesetzten Standpunkt eingenommen wie die RS. So war in den letzten Monaten eine unserer wichtigsten Aufgaben, die Arbeiterschaft gegen die Lockungen der SAG zu immunisieren  ; die KP aber treibt ihre Mitglieder geradezu in die SAG hinein und fördert geradezu versöhnlerische Illusionen über die SAG. Das Streben nach einer ›Volksfront‹ dort, wo alle ihre Voraussetzungen fehlen, verleitet die KP zu einer Taktik, die die Arbeiterschaft nur verwirren, nur die Geschäfte des Versöhnlertums besorgen kann  ; zu Bündnisangeboten an alle möglichen klerikalen Kreise und zur Anknüpfung an schwarz-gelbe Traditionen. In ihrer letzten Nummer rühmt die ›Rote Fahne‹, in Unterkärnten sei schon eine ›Volksfront‹ gegen die Nazi entstanden. ›Das ganze Volk‹ haben sich gegen die Nazi zusammengeschlossen  : ›Arbeiter und Bauern, Sozialisten und Katholiken, Einheitsgewerkschaft, SAG, Frontmiliz.‹ Wodurch unterscheidet sich eine solche ›Volksfront‹ von den Kommunisten bis zur faschistischen Frontmiliz noch von der ›Volksgemeinschaft‹, die der Klerikofaschismus will  ? Es ist klar, dass die RS eine solche Politik nicht mitmachen können.«42 42 AZ 20. 11. 1937. S. 3f. Gegenüber der von der KP nach den Direktiven der Komintern vertretenen »legalistischen Illusion«, d. h. dem propagierten Massenbeitritt in Regierungsorganisationen wie der

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In deutlicher Abgrenzung von der optimistischen Linie des ALÖS wurde betont, dass die Konferenz es abgelehnt habe, »irgendwelche Hoffnungen auf ein Wunder zu setzen, das uns von außen her Befreiung bringen werde, irgendwelche Hoffnungen auf einen ›Kurswechsel‹ des Regimes oder auf irgendwelche Bündnisse mit Fraktionen des herrschenden klerikalen Lagers  ; aber sie hat gezeigt, dass die Partei von den stärksten revolutionären Hoffnungen erfüllt bleibt. (…) In einer Zeit des allgemeinen Kleinmuts, in der selbst die in den Augen der Massen bisher revolutionärste Partei, die KP, der Wirksamkeit revolutionärer Losungen nicht mehr traut, übernehmen wir Revolutionären Sozialisten mit Stolz die Aufgabe, die revolutionären Erkenntnisse der großen Vorkämpfer des wissenschaftlichen Sozialismus und ihren allzeit ungebrochenen revolutionären Optimismus hochzuhalten und zu verteidigen gegen alle Versöhnler und Kompromissler, gegen den Geist der Verzagtheit und Kapitulation. (…) Daher erachten wir RS es als unsere höchste Pflicht, in dem Durcheinander von Angst und geistiger Hilflosigkeit die Wahrheit zu verkünden, dass auch diesmal die Geschichte kein Zurück kennt und dass es nur eine Lösung gibt  : in dem allgemeinen Chaos, das die herrschenden Klassen selbst heraufbeschwören, durch die Diktatur des Proletariats die gesellschaftlichen Grundlagen zu schaffen für die große Epoche der allgemeinen Freiheit, des Friedens und der Erfüllung der großen Menschheitsidee, deren geschichtlicher Träger die Arbeiterklasse ist.«43 Die sog. »Oktoberkonferenz« der Revolutionären Sozialisten war eine deutliche Kampfansage an das ALÖS und Otto Bauer, vor allem auch an die Redaktionslinie der von ihm nach wie vor redigierten »Arbeiter-Zeitung«, deren Auflage von ursprünglich 12.000 im Oktober 1937 auf die Hälfte sank, nachdem das Zentralkomitee der Revolutionären Sozialisten beschlossen hatte, das von ihm herausgegebene Informationsblatt »Revolution« in Konkurrenz zur »Arbeiter-Zeitung« als Massenorgan herauszugeben. Und man ließ das Brünner ALÖS wissen, dass man notfalls auch ohne den Segen Otto Bauers bestehen könne.44

Einheitsgewerkschaft oder der Vaterländischen Front, um diese zu »erobern«, wurde bereits vor dem Zusammentreten der sog. Oktoberkonferenz unter dem Titel »Falsche Parolen« argumentiert, dass diese Taktik die Grenzen des legalen Kampfes völlig verkenne. Die Kommunisten hätten sich »nie die Mühe genommen, darüber ernsthaft nachzudenken und die bisherigen Erfahrungen politisch zu verarbeiten. Wenn die Ausnützung der legalen Möglichkeiten nach dem Schema der KP erfolgt, dann wird der legale Kampf zur größten Gefahr für die Arbeiterbewegung. Bereits heute ist die Wirkung der kommunistischen Arbeit auf diesem Gebiet, dass sich allseits Feiglinge, Überläufer und Versöhnler bei den Arbeitern eine Rückendeckung sichern wollen, indem sie sich bei ihrem Treiben auf die KP berufen. Dafür werden aufrechte Kämpfer von der KP als Sektierer beschimpft, wenn sie sich nicht dazu hergeben, auf diese Weise die Geschäfte der Versöhnlerei und des Reformismus zu besorgen.« (AZ 23.10.1937. S. 2.) 43 AZ 20. 11. 1937. S. 3ff. 44 Buttinger  : Am Beispiel Österreichs. S. 466.

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Otto Bauer befand sich in der Defensive und signalisierte seine Bereitschaft zur Kooperation, indem er Anfang November in der »Arbeiter-Zeitung« einen Artikel veröffentlichte, in dem er die Entwicklung der Revolutionären Sozialisten nicht nur akzeptierte, sondern auch verteidigte. Dabei bestätigte er allerdings die – durchaus berechtigten – Zweifel an der revolutionären Rhetorik der behaupteten Massenbasis der illegalen Partei. Es gebe »noch immer alte Sozialdemokraten und Freigewerkschafter, die der Arbeit und dem Kampfe der Revolutionären Sozialisten verständnislos gegenüberstehen. Es gibt manche, die sagen  : ›Die Revolutionären Sozialisten sind doch nur eine kleine Partei. Sie erfassen nur einen kleinen Teil der Arbeiterklasse.‹ Selbstverständlich kann eine illegale Partei keine Massen-, sondern nur eine Kaderpartei sein  ; aber verglichen mit anderen illegalen Parteien in den anderen faschistischen Ländern oder mit illegalen Parteien in der früheren Geschichte der Arbeiterbewegung sind die Revolutionären Sozialisten keine kleine, sondern eine erstaunlich große Partei und üben sie Einfluss auf einen erstaunlich großen Teil der Arbeiterklasse. (…) Es gibt Genossen, die sagen  : ›Die Revolutionären Sozialisten – das ist doch nicht die alte Partei. Die alte Partei sind wir und wir werden wieder da sein, wenn es wieder losgeht.‹ Gewiss sind die Revolutionären Sozialisten eine neue Partei, neu in ihrer Führung, in ihrem Geist, in ihren Arbeitsmethoden  ; sie sind dennoch aus den besten jungen Elementen der alten Partei hervorgegangen und von ihren besten Traditionen beeinflusst, die Erben und Nachfolger der alten Partei. Nach einer so ungeheuren Umwälzung, wie sie der Faschismus gebracht hat, konnte und kann das Alte nicht unverändert fortleben. Aber in dem neuen wirkt doch die alte Erbschaft der alten Partei fort. Es gibt alte Genossen, die sich daran stoßen, dass die Revolutionären Sozialisten den Namen der alten Partei fallen gelassen haben. Es geschah dies in den ersten Tagen unmittelbar nach der blutigen Februarschlacht. Aber nicht auf den Namen kommt es an, sondern auf die Sache  !«45 So sehr sich auch Otto Bauer bemühte, die Revolutionären Sozialisten unter der Führung Buttingers waren entschlossen, das Ruder selber in die Hand zu nehmen. Und sie waren sich ihrer Machtposition durchaus bewusst. Erst am 25. November reiste Buttinger zu einer Aussprache mit Bauer nach Brünn, wo Bauer und das ALÖS einen Vorschlag unterbreiteten, der den Vorstellungen der Revolutionären Sozialisten entsprach und daher von Buttinger auch umgehend unterschrieben wurde. Die Entwicklung der illegalen Partei in Österreich habe nunmehr einen Punkt erreicht, so der unterbreitete Vorschlag, an dem auch die Redaktion der »Arbeiter-Zeitung« in ihre Hände übergehen könne. Otto Bauer werde dem Redaktionskomitee nur mehr für die Bereiche angehören, die die Auslandsarbeiten betreffen. Die Revolutionären Sozialisten hatten sich auf der ganzen Linie durchgesetzt, doch wurde ihr 45 Otto Bauer  : Die Entwicklung der RS. – In  : AZ 6. 11. 1937. S. 2–4. S. 4.

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innerparteilicher Triumph durch einen nicht minder erfolgreichen Schlag der österreichischen Sicherheitsbehörden zunichte gemacht. An dem Tag, an dem Buttinger Otto Bauer in Brünn traf, wurde de facto die ganze Führungsschicht der Revolutionären Sozialisten – Manfred Ackermann, der »kleine« Otto Bauer, Otto Czernetz, Roman Felleis, Franz Fleck, Franz Olah, Hans Pav, Josef Podlipnik – verhaftet. Lediglich Josef Buttinger und Karl Holoubek und der sog. »Transportleiter« Hubeny befanden sich noch auf freiem Fuß, sodass Buttinger gezwungen war, Otto Bauer zu bitten, die »Arbeiter-Zeitung« weiterhin redaktionell zu betreuen. Der Schlag der Sicherheitsbehörden gegen die Führung der Revolutionären Sozialisten war für diese verheerend. Sie sollten sich von ihm bis zum März 1938 nicht mehr erholen. In dieser Zeit begannen sich jedoch die Ereignisse zu überstürzen und die negative Haltung der Revolutionären Sozialisten zu Verhandlungen der illegalen Freien Gewerkschaften mit der Regierung wurde zunehmend ignoriert. Bereits zu Jahresbeginn 1938 war es unter kräftigem Mitwirken von Karl Renner zu einem Treffen der Freien Gewerkschafter Karl Mantler, Johann Böhm und Adolf Weigelt mit dem Führer der Einheitsgewerkschaft Johann Staud und dessen Sekretären Franz Prinke und Franz Waschnigg in der Wohnung des ehemaligen christlichsozialen Abgeordneten Prälat Karl Drexel gekommen. Renner begann sich 1937 aus seiner passiven Position mit Blick auf die zunehmende außen- und innenpolitische Bedrohung Österreichs durch den Nationalsozialismus zu lösen. In diesem Jahr warb er intensiv während einer Teilnahme an einer internationalen sozialpolitischen Tagung in Paris bei Außenminister Yvon Delbos sowie mehreren französischen Medien für ein stärkeres Engagement Frankreichs für die Sicherheit Österreichs nach dem Rückzug seines bisherigen Protektors Mussolini, wobei er auch auf die wachsende Gefahr der zunehmenden Attraktivität des Nationalsozialismus im Land hinwies. Er wiederholte sein Drängen nach dem Abschluss des Berchtesgadener Abkommens gegenüber dem französischen Botschafter in Wien.46 Zur gleichen Zeit verfasste Berta Zuckerkandl ein Exposé zur Lage in Österreich und zum österreich-französischen Verhältnis, dessen Inhalt sie ihrer Schwester Sofie Clémenceau mitteilte. »Warum hat Frankreich so gar kein Interesse an Österreich  ? Falls es dem Beispiel Englands folgt, hat es unrecht. Seine Rolle in Mitteleuropa ist nämlich von entscheidender Bedeutung, wird aber von Tag zu Tag schwächer. Hitler ist im Begriff, Österreich zu schlucken. Der fabelhafte Widerstand des größten Teils des österreichischen Volkes, früher unter Dollfuß und sogar bis zum 12. Juli 1936 unter Schuschnigg, bröckelt langsam ab. Hitler hat die Methode gewechselt, aber nicht das Ziel. Sein Gesandter Papen ist eine Schlange, die Österreich umzingelt und es ersticken wird. 46 Walter Rauscher  : Karl Renner. Ein österreichischer Mythos. – Wien 1995. S. 295  ; Siegfried Nasko  : Karl Renner. Zu Unrecht umstritten  ? Eine Wahrheitssuche. – Salzburg/Wien 2016. S. 308.

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Und Frankreich lässt es geschehen, obgleich – sobald Österreich zur Gänze Hitler gehört, der einen Gewaltstreich wie am Rhein nicht scheuen wird – die Tschechoslowakei ihrerseits verloren ist.«47 Um im Inneren der wachsenden Gefahr des Nationalsozialismus wirkungsvoll begegnen zu können, vertrat Renner die Auffassung, dass die illegale Partei den Kampf gegen die legalen Organisationen – Einheitsgewerkschaft und Soziale Arbeitsgemeinschaft – zugunsten einer Mitarbeit aufgeben sollte. Durch eine legale Mitarbeit würde die Partei auch zunehmenden Einfluss auf die Politik gewinnen und damit die Basis des Kampfes gegen den Nationalsozialismus verbreitern. Und Renner stieß mit dieser Auffassung in Kreisen der ehemaligen Funktionäre der Freien Gewerkschaften zunehmend auf Zustimmung. Das Ergebnis war das Gespräch der führenden Freigewerkschafter Mantler, Böhm und Weigelt mit Staud in der Wohnung Drexels, in dem als Bedingung für die Mitarbeit der Freigewerkschafter freie Wahlen im Gewerkschaftsbund genannt wurden. Wenngleich Staud von der Notwendigkeit der Bildung eines breiten geschlossenen Gewerkschaftsblocks gegen den Nationalsozialismus überzeugt und auch zu entsprechenden Zusagen bezüglich freier Wahlen bereit war, so konnte er diese ohne die Rückendeckung des Bundeskanzlers nicht geben, weshalb das Gespräch ergebnislos verlief. Das Berchtesgadener Abkommen wirkte auf die ehemaligen christlichen Gewerkschafter wie ein Schock, der sogar Überlegungen in Richtung einer Absetzung des Bundeskanzlers und die Berufung des Wiener Bürgermeisters Richard Schmitz zu dessen Nachfolger auslöste.48 Wenngleich diesen Überlegungen keine Taten folgten, so war sich Schuschnigg der Stimmung durchaus bewusst, weshalb er bei der am 15. Februar folgenden Regierungsumbildung neben der Ernennung von Seyß-Inquart zum Innenminister die Gewerkschafter durch die Ernennung des bisherigen Staatssekretärs für Arbeiter- und Angestelltenschutz, Hans Rott, zum Bundesminister im Bundeskanzleramt und des freigewerkschaftlichen früheren Leiters des Wiener Arbeitsamtes, Adolf Watzek, zum Staatssekretär im Bundesministerium für Soziale Verwaltung einen deutlichen Akzent des Machtausgleichs setzte. Um die Bedeutung der Unterstützung der Arbeiterschaft in dem sich nunmehr verschärfenden innenpolitischen Ringen um die Selbstständigkeit Österreichs zu betonen, berief Staud am 17. Februar eine Versammlung der der legalen und illegalen Gewerkschaft angehörenden Hauptvertrauensmänner der Wiener Großbetriebe ein, die in einer Resolution dem Kanzler ihrer Unterstützung beim Kampf um die Bewahrung der Unabhängigkeit des Landes versicherten.49 Ihrer Forderung nach einer persönlichen Aussprache verweigerte sich allerdings der Kanzler, 47 Gertrude Enderle-Burcel (Hg.)  : Berta Zuckerkandl – Gottfried Kunwald. Briefwechsel 1928–1938. – Wien/Köln/Weimar 2018. S. 266f. 48 Christl Kluwick-Muckenhuber  : Johann Staud. Ein Leben für die Arbeiterschaft. – Wien/München 1969. S. 141. 49 Reichspost 18.2.1938. S. 1.

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obwohl ihm Freunde zu einer solchen rieten. Schuschnigg fürchtete in Kenntnis der wiederholten Warnungen aus Rom die heftigen Reaktionen Mussolinis auf einen solchen Schritt, wobei er von der letztlich irrigen Hoffnung geleitet wurde, dass im äußersten Krisenfall Italien doch noch eine Rückenstärkung gegenüber Berlin bieten würde. Zudem fürchtete er den Widerstand gegen eine Aussöhnung mit der Sozialdemokratie und den Kommunisten in der Vaterländischen Front. Die Demonstrationen der Nationalsozialisten nach der von der Ravag übertragenen Reichstagsrede Hitlers am 20. Februar veranschaulichten eindringlich die nationalsozialistische Gefahr und veranlassten die auch in der Einheitsgewerkschaft tätigen freigewerkschaftlichen Funktionäre am folgenden Tag zur Abhaltung von Vertrauensmännerversammlungen, die die Unterstützung der Regierung in ihrem Kampf gegen den Nationalsozialismus an vier von dem ehemaligen Freigewerkschaftern Eduard Stark, dem parteiungebundenen Angestelltengewerkschafter Fried­rich Hillegeist sowie dem AZ-Redakteur Otto Leichter formulierten Bedingungen knüpfte, so u. a. neben der Gewährung der weltanschaulichen Freiheit, zumindest in dem den Nationalsozialisten gewährten Ausmaß, die Selbstverwaltung in allen Arbeiterinstitutionen sowie die Zusicherung eines sozialen Regierungskurses. Die Entwicklung hatte damit eine Eigendynamik gewonnen, die auf die Positionen der Revolutionären Sozialisten, deren Führungsstruktur durch die umfangreichen Verhaftungen ohnedies marginalisiert war, keine Rücksicht nahm und von Buttinger nur mehr zur Kenntnis genommen werden konnte. »In den vier Wochen zwischen dem Berchtesgadener Abkommen und dem deutschen Einmarsch gab es eine seit 1934 nicht mehr gesehene breite Aktivierung der Arbeiterschaft, deren Schwerpunkt nicht bei den politischen Parteien, sondern bei den unorganisierten oder nur freigewerkschaftlich erfassten Betriebsangehörigen lag.«50 Die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit bemerkte am 26. Februar 1938 in einem Bericht zur Lage der »marxistischen Bewegung«, die KPÖ werde verstärkt ihre Forderung nach der Bildung einer Volksfront erheben. »Welchen Standpunkt die Revolutionären Sozialisten zur neugeschaffenen Lage einnehmen werden, ist dermalen noch nicht abzusehen. Angeblich haben die im Auslande lebenden ehemaligen sozialdemokratischen Führer an die Revolutionären Sozialisten in Österreich die Weisung erteilt, sich bedingungslos hinter Bundeskanzler Dr. Schuschnigg zu stellen und jede illegale Tätigkeit aufzugeben. Es ist jedoch sehr zu bezweifeln, ob die Anhänger der revolutionär-sozialistischen Bewegung dieser Parole Folge leisten werden. Von den Revolutionär-Sozialisten am 23. Februar 1938 verbreitete Flugzettel lassen darauf schließen, dass sie so wie bisher die Bildung einer Volksfront ablehnen werden.«51 50 Pelinka  : Erbe und Neubeginn. S. 246f. 51 Widerstand und Verfolgung in Wien 1934–1945. Eine Dokumentation. Hg. v. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. 3 Bde. 2. Auf. – Wien 1984. Bd. 1. S. 162.

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Die Revolutionären Sozialisten blieben in den dramatischen Wochen vor dem Anschluss vor allem auch deshalb Zaungäste des Geschehens, da Buttinger vom bevorstehenden Zusammenbruch des ständestaatlichen Regimes überzeugt war. Auch erfolgreiche Verhandlungen mit der Arbeiterschaft würden daran nichts ändern, die Nationalsozialisten würden siegen, es sei, trotz aller Kampfbereitschaft und Hoffnungen der illegalen Freien Gewerkschaft, nur eine Frage der Zeit, d. h. von einigen wenigen Wochen. Die sich abzeichnende Verhandlungsbereitschaft der Gewerkschafter, die auf Zugeständnisse der Regierung hofften und in einer Art Volksfrontideologie die Rettung Österreichs erblickten, sei Illusion. Es ging ihm vielmehr darum, die Kader der Revolutionären Sozialisten durch rechtzeitige Emigration zu retten. Buttinger untersagte daher den im Zuge der Februaramnestie Freigelassenen die Wiederaufnahme der illegalen Tätigkeit, da jede Aufklärungsarbeit der Sicherheitskräfte der Gestapo in ihrem Vernichtungskampf gegen die sozialistische Bewegung zugutekommen werde. Man müsse die wenigen, die noch unentdeckt seien, schützen. Den Funktionären in den Bundesländern wurde empfohlen, ihren Wohnsitz zu wechseln und, sollten sie durch polizeiliche Erkenntnisse schwer belastet sein, sofort zu emigrieren. Für den Fortbestand der Partei sei nicht das Weiterbestehen der Organisation wichtig, sondern das Überleben ihrer Kader. Am Vorabend der Rede Schuschniggs am 24. Februar vor dem Bundestag, die als Antwort auf die Reichstagsrede Hitlers gedacht war, versicherte die Führertagung der christlichen Arbeiterbewegung ihre »erhöhte und restlose Einsatzbereitschaft« für den »Aufbau und die Unabhängigkeit eines freien, christlichen, deutschen und sozialen Österreich« und die leitenden Funktionäre der Landesstellen der Gewerkschaft Salzburg betonten in einer Entschließung, » w i e e i n M a n n f ü r Österreichs Freiheit und Unabhängigkeit wie auch für die Aufrechterhaltung der Eigenständigkeit unseres österreichischen Va t e r l a n d e s e i n z u t r e t e n . « 52 Die Treueschwüre der christlichen Arbeiterschaft ersetzten jedoch noch keine für den Kampf gegen die außen- und innenpolitische Bedrohung so notwendige geschlossene Front der gesamten Arbeiterschaft. Und Schuschnigg machte in seiner Rede am 24. Februar, so kämpferisch sie sich auch in manchen Passagen gab, keinerlei Angebot in diese Richtung. Zu sehr blieb er seinem engen ideologischen Korsett verhaftet. Zu sehr war er in seiner Entscheidung für eine klare politische Linie unentschlossen. Erst am 3. März, nach einer nutzlos verstrichenen Pause von zwei Wochen, fand das Gespräch Schuschniggs mit den illegalen Gewerkschaftern statt. Auch jetzt blieb der Kanzler angesichts der ihm präsentierten Forderungen der Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses in der Gewerkschaftsbewegung, der Abhaltung freier Wahlen im Gewerkschaftsbund, der Zulassung eines sozialistischen Mittei52 Reichspost 23.2.1938. S. 3.

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lungsblattes und der Aufhebung wirtschaftlicher Notverordnungen unverbindlich. Er erkannte sofort, dass die Erfüllung dieser Forderungen die Weiterführung des Aufbaus der ständischen Gesellschaft infrage stellte und beauftragte Staud, Rott und Watzek mit der Fortführung der Gespräche. In diesen stand Johann Staud, der die politischen Notwendigkeiten eines Brückenschlags zur illegalen Sozialdemokratie durchaus erkannte, jedoch ohne Zustimmung des Kanzlers nicht agieren konnte, vor der Quadratur des Kreises. Ohne Zustimmung Schuschniggs konnte er keine Zusagen machen, doch dieser zögerte. Die ihm in diesem Zusammenhang vor allem von sozialdemokratischer Seite gemachten Vorwürfe, die bis zur absoluten Priorität der eigenen Position im Gewerkschaftsbund reichten, verkennen die tatsächliche Problemsituation, mit der sich auch der kompromissbreiteste Verhandler in dieser Situation konfrontiert sah. Schuschnigg hatte am 3. März lediglich einer Forderung sofort zugestimmt  : der Einberufung einer Vertrauensmännerkonferenz, um, gleichsam als erster Schritt zur angestrebten Legalität, der nicht christlich organisierten Arbeiterschaft die Möglichkeit zu geben, über die jüngste politische Entwicklung informiert zu werden und ihre Meinung zu äußern. Am Tag zuvor hatte der Wiener Bürgermeister Richard Schmitz in einem Appell der Betriebsorganisation der Vaterländischen Front im großen Konzerthaussaal erklärt, dass, wenn im Zuge des Februarabkommens »dem nationalsozialistisch eingestellten Teil der Bevölkerung gewisse Zugeständnisse gemacht wurden, (…) dann glaube ich auch, dass die bekannten Wünsche der Arbeiterschaft, betreffend die Selbstverwaltung ihrer kulturellen Vereinigungen, mit Aussicht auf Erfolg vertreten werden können.«53 Bei der Aussprache Schuschniggs mit dem Arbeiterkomitee am 3. März wurde seitens des Bundeskanzlers diese Forderung bestätigt, deren Modalitäten der Umsetzung in den folgenden Verhandlungen festgelegt werden sollten. Im Vorfeld der Vertrauensmännerkonferenz waren die Revolutionären Sozialisten zum Handeln gezwungen. Wenngleich man von der Richtigkeit der eigenen pessimistischen Sicht der Entwicklung überzeugt war, so konnte man sich doch nicht dem Vorwurf der völligen Tatenlosigkeit im Angesicht der drohenden Katastrophe aussetzen und damit nicht nur jeden Einfluss auf den Gang der Ereignisse, sondern auch die Legitimität für den Neubeginn verlieren. Josef Buttinger entschloss sich zum Verfassen von Richtlinien des Zentralkomitees für die Parteigenossen auf der bevorstehenden Floridsdorfer Vertrauensmänner-Konferenz. In diesen wandte er sich nicht gegen die in den Gewerkschaftskreisen dominante Legalisierungstendenz, ein angesichts der dominanten Stimmung ohnedies zum Scheitern verurteiltes Unterfangen, sondern gegen die Bereitschaft, sich mit halben Zugeständnissen zufriedenzugeben. Nur die volle gewerkschaftliche und politische Freiheit bilde die Voraussetzung, sich 53 Reichspost 3.3.1938. S. 3.

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dem Nationalsozialismus mit aller Macht entgegenzustellen, wenn notwendig auch mit Gewalt. Dies müsse sofort geschehen, da jede Verzögerung nur dem Nationalsozialismus in die Hände spiele. Die Parole der gewerkschaftlichen und politischen Freiheit als Voraussetzung für einen Schulterschluss mit der Regierung im Kampf gegen den Nationalsozialismus wurde von allen ehemals sozialdemokratischen Vertrauensmännern geteilt, die pessimistische Sicht des Zentrakomitees von der Unausweichlichkeit der Katastrophe hingegen nicht. Die überwältigende Mehrheit der versammelten Vertrauensmänner war vom unmittelbar bevorstehenden Wiederauferstehen einer demokratischen Gewerkschaftsbewegung ebenso überzeugt wie von der Wirksamkeit des gemeinsamen Kampfes gegen den Nationalsozialismus. Dass die pessimistische Sicht des Zentralkomitees der Revolutionären Sozialisten letztlich Recht behalten sollte, war zu diesem Zeitpunkt keineswegs klar, sondern vielmehr das Ergebnis eines letztlich mutlosen Zurückweichens Schuschniggs vor einer Konfrontation, die auch die Züge eines Bürgerkriegs annehmen konnte. Die von Schuschnigg akzeptierte Konferenz von rund 350 Vertrauensmännern fand am 7. März im Floridsdorfer Arbeiterheim statt, bei der zu Beginn ein Bericht von Friedrich Hillegeist über die Aussprache mit Schuschnigg am 3. März gegeben wurde. In den vierstündigen Beratungen wurden die Auffassungsunterschiede zwischen den Kommunisten, die sich allerdings in einer Minderheitenposition befanden, und den sozialdemokratischen Freigewerkschaftern in der Frage der Unterstützung der Regierung deutlich. Während die Kommunisten für die bedingungslose Unterstützung der Regierung eintraten, forderte die überwiegende Mehrheit der sozialdemokratischen Vertrauensmänner die Erfüllung von Bedingungen als Voraussetzung für die Unterstützung der Regierung in ihrem Bestreben, die F ­ reiheit Österreichs zu verteidigen. »Mit Freiheit (…) ist aber nicht nur die staatsrechtliche Freiheit Österreichs nach außen gemeint, sondern auch die Freiheit für die Arbeiterschaft, innerhalb des Staates e b e n s o w i e a n d e r e ohne Gesinnungsopfer frei und unbehindert in ihren w i r t s c h a f t l i c h e n , k u l t u r e l l e n u n d s p o r t l i c h e n O r g a n i s a t i o n e n . Zugleich mit der Wiederherstellung der genannten Organisationen braucht die Arbeiterschaft das Recht, ihre Zugehörigkeit zu diesen Organisationen auch d u r c h s i c h t b a r e u n d e r l a u b t e A b z e i c h e n kundzutun. Die Arbeiterschaft steht bereit im Kampfe für die österreichische Freiheit, die gegenwärtig nicht an einer äußeren Grenze am gefährlichsten bedroht ist. Die Arbeiterschaft w ü n s c h t n i c h t s s e h n l i c h e r, als dass sie durch Freigabe all ihrer Kräfte zum wirklich voll wirksamen Einsatz dieser Kräfte für ein innen und außen freies Österreich kommen kann.«54 54 Reichspost 8.3.1938. S. 3. Zur Konferenz im Floridsdorfer Arbeiterheim vgl. auch Georg Wieser (Otto Leichter)  : Ein Staat stirbt. Österreich 1934–38. – Wien 2018. S. 184ff  ; Buttinger  : Am Beispiel Österreichs. S. 512f.

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Mit der geforderten politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Freiheit waren jedoch die Prinzipien des autoritären Staates, der die Organisation der Bevölkerung in Parteien ablehnte, infrage gestellt. Es galt, eine staatsrechtliche (Übergangs-)Lösung zu finden. Die Verhandlungen des Arbeiterkomitees, das seinen Sitz im Café Meteor im 3. Bezirk in unmittelbarer Nähe der Wohnung von Robert Danneberg hatte, mit den Regierungsbeauftragten begann am 8. März und fand bereits am folgenden Tag eine Lösung. Die SAG sollte in eine freie politische Organisation umgestaltet und mit ihrer Leitung Sozialdemokraten betraut werden. Karl Hans Sailer, der Vorsitzende der Revolutionären Sozialisten bis zu seiner Verhaftung 1935,55 war für die Übernahme der Funktion des Bundesleiters vorgesehen, Ferdinand Strasser für jene des Bundessekretärs und der Kreisleiter der Revolutionären Sozialisten Franz Olah, der bei der Konferenz im Floridsdorfer Arbeiterheim mit seinen temperamentvollen Ausführung für Furore gesorgt hatte, für jene des Landesleiters für Wien.56 Schuschniggs Entschluss zur Volksabstimmung beschleunigte die weiteren Verhandlungen, da die Regierung die Unterstützung der sozialdemokratischen Arbeiterschaft benötigte. Das Zentralkomitee der Revolutionären Sozialisten spielte in dieser Phase aufgrund seiner von Buttinger formulierten pessimistischen Position keine Rolle, da man die eigenen Kader von politisch brisanten Verhandlungen fernhielt und damit deren Exponiertheit im Interesse ihrer Sicherheit vermeiden wollte. Die im Café Meteor tagenden illegalen Gewerkschafter mussten sich daher mit der bloß beobachtenden Teilnahme des Zentralkomitee-Mitglieds Manfred Ackermann begnügen. Auch sollten sich keine Kader, die gleichzeitig führende Positionen in der illegalen Gewerkschaftsbewegung innehatten, für legale Führungspositionen bewerben, um sie vor künftiger Verfolgung zu schützen. Buttinger bemerkte in seinen Erinnerungen, er habe zu diesem Zeitpunkt gewusst, dass auch der beste Verhandlungsabschluss an dieser Entwicklung (zur Katastrophe, Anm. d. Hg.) nichts ändern konnte.« Er habe gar nicht »gewagt zu zeigen, wie gleichgültig ihn ließ, was er über den Verlauf der Verhandlungen erfuhr.«57 Am 11. März wurde Einigung darüber erzielt, dass nach der Volksabstimmung freie Wahlen im Gewerkschaftsbund stattfinden sollten. Fast zeitgleich, in der Nacht vom 10. auf den 11. März, beschloss angesichts der Innsbrucker Rede Schuschniggs vom 9. März eine eilig einberufene Parteikonferenz

55 Josef Buttinger erklärt in seinen Erinnerungen, er habe als Obmann der Revolutionären Sozialisten der Ernennung des von ihm nicht geschätzten Sailer nicht aus »politischer Großzügigkeit« zugestimmt, sondern aus »politischer Geringschätzung« für dessen Person und die Vaterländische Front. (Buttinger  : Am Beispiel Österreichs. S. 524.) 56 Franz Olah  : Die Erinnerungen. – Wien/München/Berlin 1995. S. 67. 57 Buttinger  : Am Beispiel Österreichs. S. 525.

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der Revolutionären Sozialisten, mit »Ja« zustimmen. Noch in den Abendstunden des 9. März hatte das Zentralkomitee in Reaktion auf die neueste Entwicklung die sofortige Einberufung einer Parteikonferenz beschlossen, um das weitere Vorgehen abzustimmen. Es beschloss ferner einen positiven Aufruf zur Volksabstimmung, dessen Konzept Buttinger erarbeiten und das der Parteikonferenz zur Beschlussfassung unterbreitet werden sollte. Buttinger berichtet in seinen Erinnerungen, ihn habe »ein ohnmächtiger Zorn gegen Schuschnigg« daran gehindert, bereits am Abend des 9. März auf der Sitzung des Zentralkomitees »die Unvermeidbarkeit einer Abstimmungsparole zugunsten Schuschniggs (…) zuzugeben. Schuschnigg war für ihn noch immer der Mann, der nichts lieber getan hätte, als die Hand zu küssen, die ihn an der Gurgel hielt. Er traute ihm zu, die zu Hilfe gerufene Arbeiterbewegung für eine neue, von Hitler gewährte Galgenfrist auch noch in letzter Minute zu verraten.« Er war jedoch gezwungen, einen positiven Aufruf bis zum folgenden Tag zu verfassen. In dieser schwierigen Lage sei ihm aus einem »klugen Kindermund« der nötige Anstoß gekommen, nachdem er sich mehrere Stunden gegen eine positive Stellungnahme innerlich gesträubt hatte. Während des Mittagessens bei seiner amerikanischen Lebensgefährtin Mary und deren 7-jähriger Tochter Connie und deren Kindermädchen Finni Wodak habe sich ein Gespräch über die bevorstehende Volksabstimmung entwickelt. Auf die Frage von Finni Wodak, wie sie denn abstimmen solle, habe Buttinger geantwortet, er zerbreche sich auch den Kopf darüber. Daraufhin habe Connie erklärt, dies sei doch sehr einfach. »Für den Hitler magst du nicht stimmen, für dich selbst kannst du nicht stimmen, also bleibt die nichts anderes übrig als für den Schuschnigg zu stimmen.«58 Eine Stunde später habe er den Aufruf der Revolutionären Sozialisten für die Volksabstimmung mit der »Ja«-Parole verfasst gehabt. In den Nachtstunden vom 10. auf den 11. März entschlossen sich die Revolutionären Sozialisten nach heftigen Diskussionen auf ihrer eilig einberufenen Partei­ konferenz in Wien-Landstraße, am 13. März mit »Ja« zu stimmen. In der dem Beschluss vorausgehenden Diskussion machte jedoch Buttinger aus seinem Herzen keine Mördergrube. Der Untergang Österreichs sei besiegelt, denn die Nationalsozialisten würden noch vor der Volksabstimmung zuschlagen, um diese zu verhindern. Hitler werde mit einem militärischen Einmarsch drohen und Schuschnigg vor diesem zurückschrecken. Selbst wenn er zum Kampf entschlossen sei, was kaum der Fall sein dürfte, werde es zu keinem ernsthaften Kampf kommen, da die Vaterländische Front bereits zu schwach sei und ein erheblicher Teil der Exekutive auf der Seite der Nationalsozialisten stehe. Wer glaube, die Arbeiterschaft, die über keine Waffen verfüge, zu gewaltsamen Gegenmaßnahmen bewegen zu können, der täusche sich über die wahre Stimmung. Die Stellung Österreichs sei international isoliert, keine der 58 Buttinger  : An Beispiel Österreichs. S. 526.

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europäischen Großmächte werde dem Land zu Hilfe kommen, selbst im Fall eines inneren Widerstandes nicht. Daher werde sich der Anschluss Österreichs weitgehend unblutig vollziehen.59 Da die Befürworter eines Ausgleichs mit der Regierung und einer folgenden vollkommenen Demokratisierung der Gewerkschaft nicht anwesend waren, kam lediglich von zwei Anwesenden – Hans Gasteb und Karl Czernetz – Widerspruch. Bei der Abstimmung über die Volksabstimmungsparole gab es lediglich eine Gegenstimme (des Liesinger Bezirksleiters Jakob Weikhart) und zwei Enthaltungen (Franz Rauscher und Rosa Jochmann). In dem Aufruf hieß es, ein Sieg Hitlers würde »nicht nur die blutige Unterdrückung und grenzenlose Ausbeutung der österreichischen Arbeiter« nach sich ziehen, sondern bedeute auch »eine Niederlage der Arbeiter der ganzen Welt und eine Festigung der unmenschlichen Diktatur, die der Nationalfaschismus über die deutschen Arbeiter aufgerichtet hat. Die österreichische Arbeiterschaft darf daher am Sonntag n i c h t m i t › N e i n ‹ s t i m m e n , weil sie dadurch den Hitlerfaschismus begünstigt. Sie kann an diesem Tag dem autoritären Regime nicht heimzahlen, was dieses an der Arbeiterklasse Österreichs im Februar 1934 und seither verbrochen hat  ; sie würde sich damit in ein noch größeres Verderben stürzen. D e r 1 3 .   M ä r z i s t n i c h t d e r Ta g d e r A b r e c h n u n g d e r A r b e i t e r m i t d e n A u s t r o f a s c h i s t e n . Darum muss die Arbeiterschaft am Sonntag, den 13. März mit › J a ‹ s t i m m e n . Die Ja-Stimme des österreichischen Arbeiters, der keine andere Wahl hat, ist keine Stimme für das autoritäre Regime und Schuschnigg, sondern sie ist eine Stimme gegen Hitler und die Gleichschaltung.«60 Die von den Revolutionären Sozialisten mit der Abstimmungsparole versehenen 200.000 Flugblätter waren am 11. März bereits zur Verteilung bereit, als Schuschnigg unter dem Druck Berlins die Volksabstimmung absagte. Sie mussten verbrannt werden. Es war nicht Karl Hans Sailer und dessen Aufruf zur positiven Stimmabgabe bei der Volksabstimmung, 59 Ebda. S. 527. Über Buttingers Rede existieren außer seinen Erinnerungen keine Quellen. Ob sie daher in diesem prophetischen Ton gehalten wurde, lässt sich nicht verifizieren. Es spricht allerdings aufgrund seiner vorhergehenden politischen Analysen eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Wiedergabe in den Erinnerungen Buttingers. 60 Widerstand und Verfolgung in Wien. Bd. 1. A. 163f. Gleichzeitig publizierte der Vorstand des Bundes katholischer Arbeiter Österreichs und die Zentralkommission der christlichen Arbeiter- und Angestelltenorganisationen Österreichs eine Erklärung, in der darauf hingewiesen wurde, dass es bei der bevorstehenden Volksabstimmung um die Selbstständigkeit Österreichs gehe. » D i e s e s Ö s t e r r e i c h m u s s l e b e n , u n s e r e t w i l l e n , als Garant unserer und des ganzen Volkes glücklicher Zukunft. Dieses Österreich muss leben u m s e i n e r e u r o p ä i s c h e n K u l t u r m i s s i o n w i l l e n . Dies aber vermag es nur in voller Freiheit und untemperierter Unabhängigkeit, nicht als Protektorats- und schon gar nicht als Vasallenstaat, weder annektiert, noch okkupiert. D i e s e s Ö s t e r r e i c h w i r d l e b e n , w e n n w i r e s w o l l e n , w e i l w i r e s w o l l e n   ! B e i G o t t u n d u n s e r e r E h r e   ! W i r w o l l e n e s    ! « (Reichspost 11.3.1938. S. 4.)

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den die Österreicher/innen am 11. März in der Ravag hörten, sondern Schuschniggs Abschiedsworte, deren berühmter Schlusssatz »Gott schütze Österreich  !« durch ein gnädiges Schicksal nach der Katastrophe der Jahre 1938 bis 1945 doch noch in Erfüllung gehen sollte.

4. Volksfront und österreichische Nation statt Diktatur des Proletariats Wandlungen einer stalinistischen Partei – die KPÖ

Trotz des nach dem Februar 1934 erfolgten Zuzugs ehemaliger Schutzbündler und vor allem jüngerer Sozialdemokraten befand sich die KPÖ in der zweiten Jahreshälfte 1936 keineswegs in der in der Literatur immer wieder behaupteten aufstrebenden Lage. Kurt Dernberger, ehemaliger niederösterreichischer radikaler Schutzbundfunktionär und über die Tschechoslowakei nach Moskau emigriert, seit Mai 1934 KP-Mitglied mit einer aufgrund des Kadermangels steilen Politkarriere, bereiste als Organisationsleiter der KPÖ im Februar/März 1936 die österreichischen Bundesländer und berichtete an den KPÖ-Vorsitzenden Johann Koplenig über die darniederliegenden Parteiorganisationen, die durch die effektive Polizeiarbeit sowie unprofessionelles Verhalten in der illegalen Arbeit immer wieder erheblich geschwächt würden. Die Versorgung mit Parteipropaganda sei äußerst mangelhaft. In den Bundesländern verfüge lediglich die Grazer Bezirksorganisation über eine regelmäßige Verbindung mit Wien. Aufgrund der schwachen Infrastruktur in den Bundesländern sowie der oftmals unprofessionellen illegalen Parteiarbeit mit der Folge von Verhaftungen wertvoller Kader, die zu einer Ausdünnung der ohnedies dürftigen Infrastruktur führten, wurden die Landesleitungen aufgelöst und deren Kompetenzen auf Kreisleitungen übertragen sowie die Versorgung mit Parteizeitungen und Broschüren über Kuriere eingeführt. Anfang Juni 1936 bemerkte Dernberger in seinem Referat im Sekretariat der Komintern über die KPÖ, dass man angesichts der sehr erfolgreichen Arbeit der Sicherheitsbehörden1 die Lehren aus den sehr schmerzlichen Verhaftungswellen ziehen müsse. Die Kader müssten angesichts der ständigen Gefahr der Entdeckung und deren psychischer Auswirkungen in bestimmten Zeitabschnitten ausgetauscht werden, d. h. auch außer Landes gebracht werden. Zum Zeitpunkt des Juliabkommens konnte somit von der propagandistischen Behauptung der Entwicklung der KPÖ zu einer Massenpartei keine Rede sein, auch nicht zu einer Mittelpartei. Die Reichskonferenz der KPÖ im September 1937 musste feststellen, »dass die Kraft der Partei bei der Organisierung und Entfaltung des Kampfes für die wirtschaftlichen und sozialen Forderungen der Massen und des Freiheitskampfes des werktätigen Volkes heute noch nicht genügend in Erscheinung tritt.«2 Sie blieb, trotz 1 1937 gelang den Sicherheitskräften die Zerschlagung des zentralen Apparats der KPÖ in Österreich, sodass das Sekretariat des Polbüros in Österreich sowie die Provinzkommission aufgelöst werden mussten. Die KPÖ war vor dem Anschluss kadermäßig weitgehend »ausgeblutet«. 2 Die Rote Fahne 15.9.1937. S. 3.

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des Zuzugs von linken Sozialdemokraten, letztlich eine Minderheit. Im Juli 1937 betrug die Zahl der Parteimitglieder rund 11.000. Leo Trotzkis, allerdings vor dem Februar 1934 getroffene, ironische Bemerkung, die KPÖ führe »eine jammervolle Existenz in den Hinterhöfen der Arbeiterbewegung«, fand ihre Bestätigung.3 Die Gründe für diese der Propaganda völlig widersprechenden Stagnation lagen vor allem in der Entwicklung der Sowjetunion, der KPdSU, der Komintern und damit auch der KPÖ als moskauhöriger Partei. Die KPÖ präsentierte sich als säkulare Kirche der Gläubigen, übte sich in Disziplin und Gehorsam und folgte konsequent den Weisungen der Komintern. Bereits 1923 hatte Georg Lukács in »Geschichte und Klassenbewusstsein« betont, dass Disziplin und Gehorsam die unverzichtbare Haltung gegenüber einer langfristig gesehen objektiv richtigen Politik sei.4 1945 wies er darauf hin, dass Treue zur Partei heiße, »dem Wesentlichen auch dann anzuhängen, wenn die Erscheinungen des Augenblicks dem zu widersprechen scheinen.« In diesem Sinn sei »Parteidisziplin eine höhere, abstrakte Stufe der Treue.«5 Charles S. Maier hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass »selbst die faschistischen Parteien und die NSDAP (…) die Parteimitgliedschaft nicht zu einem dermaßen zentralen Aspekt der völligen Hingabe an die Sache machten.«6 Der englische Historiker Eric Hobsbawm, der 1936 während seines Studiums in Cambridge Mitglied der Kommunistischen Partei wurde, bemerkt in seinen Erinnerungen, dass sich das Charakteristikum einer kommunistischen Partei in wenigen Worten zusammenfassen lasse  : »Entscheidungen müssen ausgeführt werden« und »Parteidisziplin«. Die Partei »war eine Verbindung aus Disziplin, (…) einer extremen emotionalen Identifikation und einem Gefühl der totalen Hingabe. (…) Unser Leben drehte sich um die Partei. Wir gaben ihr alles, was wir hatten. Dafür bekamen wir von ihr die Gewissheit unseres Sieges und das Erlebnis der Brüderlichkeit.«7 Die Wirkungen der Schauprozesse und des Massenterrors, der auch vor den Weggefährten Lenins sowie den Spitzenkadern der Partei nicht haltmachte, wirkten auf mögliche neue Parteimitglieder und Koalitionspartner kontraproduktiv.8 »Der 3 Zit. bei Fritz Keller  : Gegen den Strom. Fraktionskämpfe in der KPÖ – Trotzkisten und andere Gruppen 1919–1945. – Wien 1978. S. 106. (Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung. Materialien zur Arbeiterbewegung Nr. 10.) 4 Georg Lukács  : Geschichte und Klassenbewusstsein. Studien über marxistische Dialektik. – Neuwied/ Berlin 1968. S. 486. 5 Georg Lukács  : Marxismus und Stalinismus. Politische Aufsätze. Ausgewählte Schriften IV. – Reinbeck bei Hamburg 1970. S. 91. 6 Charles S. Maier  : Leviathan 2.0. Die Erfindung moderner Staatlichkeit. – In  : Akira Iriye, Jürgen Osterhammel (Hg.)  : Geschichte der Welt 1870–1945. Weltmärkte und Weltkriege. – München 2012. S. 33–286. S. 237. 7 Eric Hobsbawm  : Gefährliche Zeiten. Ein Leben im 20. Jahrhundert. – München 2006. S. 160f. 8 98 der insgesamt 139 Mitglieder des Zentralkomitees, 1108 der 1966 Delegierten des 17. Parteitags

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Kommunismus war die einzige Bewegung der jüngeren Geschichte, die mehr ihrer eigenen Führer, Funktionäre und Mitglieder selbst umgebracht hat, als das ihre Feinde taten.« So fielen dem Stalinismus der Dreißigerjahre mehr als eine Million Kommunisten zum Opfer.9 Die KPÖ befolgte die Weisungen aus Moskau, dass es sich bei den Verhafteten um Trotzkisten, ausländische Agenten, die im Auftrag von Geheimdiensten Anschläge auf die Mitglieder des Politbüros geplant hätten, Saboteure und Konterrevolutionäre handle. Sie entsprach damit der allgemeinen Entwicklung der in der Komintern vereinten kommunistischen Parteien »hin zu einem eher strenggläubigen, hyperzentralistisch strukturierten, militärischen ›Orden‹ mit entsprechend angepassten Funktionären. (…) Kommunistische Funktionäre waren nach außen, gegenüber ihrem politischen Kontrahenten und Feind, mutig und einsatzbereit bis hin zur Selbstaufopferung. Aber innerhalb der eigenen Partei benahmen sie sich wie abhängige Befehlsempfänger, wie gehorsame Untertanen, ihre ›Parteidisziplin‹ bewies Mangel an Zivilcourage.«10 So bemerkte Dernberger bei seinem Bericht in Moskau, die Berichte von den Moskauer Schauprozessen hätten bei der KPÖ-Führung in Prag »wie ein Blitz aus heiterem Himmel« gewirkt und einen »verwirrenden Eindruck« gemacht. Inzwischen habe man aber entsprechendes Material über die Prozesse und den Trotzkismus nach Österreich geschickt, sodass bei den Parteimitgliedern der Eindruck vorherrsche, »die Russen wissen schon, was sie machen.«11 Mit der Stalinisierung war der Prototyp eines Funktionärs entstanden, der alle Wechselfälle der politischen Linie aus einem unkritischen Bekenntnis zur Sowjetunion und der Partei gehorsam mitmachte und jeder kritischen oder abweichenden Meinung mit den Schlagworten der »Konterrevolution« und des »Antibolschewismus« begegnete. Daher stießen plötzliche Kooperationsangebote an die politischen Gegner von gestern bei diesen auf berechtigtes Misstrauen und Ablehnung. Ein propagandistisches Meisterstück gelang der KPdSU und der Komintern mit der Kreation des Fahnenworts »Antifaschismus«,12 den sie im öffentlichen Diskurs der KPdSU im Jahr 1934, 5 Mitglieder und Kandidaten des Politbüros, mehr als ein Drittel der Volkskommissare sowie etwa die Hälfte ihrer Stellvertreter und Abteilungsleiter sowie die Führungsspitze der Roten Armee fielen dem Terror zum Opfer. Die Zeitgenossen hatten kaum eine Vorstellung vom Ausmaß des Massenterrors. In den Jahren 1937 und 1938 wurden 3,14 Millionen Menschen verhaftet, davon 1,57 Millionen wegen angeblicher politischer Verbrechen. 1,34 Millionen Menschen wurden aus politischen Gründen verurteilt, davon 682.000 zum Tode und rund 663.000 zu Lager- und Gefängnisstrafen. (Dietmar Neutatz  : Träume und Alpträume. Eine Geschichte Russlands im 20. Jahrhundert. – München 2013. S. 275.)  9 Hermann Weber  : Zur Rolle des Terrors im Kommunismus. – In  : Ders.; Ulrich Mählert (Hg.)  : Verbrechen im Namen der Idee. Terror im Kommunismus 1936–1938. – Berlin 2007. S. 11–41. S. 28. 10 Weber  : Zur Rolle des Terrors im Kommunismus. S. 29ff. 11 Barry McLoughin  : Die Partei. – In  : Ders.; Hannes Leidinger, Verena Moritz  : Kommunismus in Österreich 1918–1938. – Innsbruck/Wien/Bozen 2009. S. 259–369. S. 360. 12 Der Begriff »Antifaschismus« bildete noch unmittelbar nach der Machtergreifung Hitlers keinen Bestand-

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und der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend zu monopolisieren vermochten. Der Faschismus wurde als Ausdruck der kapitalistischen Konterrevolution gegen die revolutionären Kräfte in Europa, vor allem die Oktoberrevolution und deren historischen Ort, die Sowjetunion, interpretiert. Diese Konterrevolution beschränkte sich jedoch nicht nur auf die Klasse der Kapitalisten, sondern umfasste auch die die Revolution verratende reformerische Sozialdemokratie, die sich damit als stabilisierender Faktor in das kapitalistische System integrierte und daher als »Sozialfaschisten« diffamiert wurde. Eine Änderung dieses engen, nur auf die Kommunisten beschränkten Konzepts des Antifaschismus trat auf Anweisung Stalins mit dem VII. Kongress der Komintern im Sommer 1935 mit einer Modifikation des Antifaschismus-Begriffs und der teil der sowjetischen Außenpolitik und Propaganda. Noch im Frühjahr 1933 erklärte Stalin die Vernichtung der KPD durch die NSDAP als innerdeutsche Angelegenheit. Und auf dem XVII. Parteitag der KPdSU im Jänner 1934 bemerkte er, man sei in Moskau weit davon entfernt, vom faschistischen System in Deutschland entzückt zu sein. Doch handle es sich bei der nunmehr eingetretenen Verschlechterung der bilateralen Beziehungen nicht um eine Frage des Faschismus, »wie allein die Tatsache zeigt, dass der Faschismus zum Beispiel in Italien für die UdSSR kein Hindernis war, die besten Beziehungen zu diesem Land herzustellen.« (Zit. bei Leonid Luks  : Geschichte Russlands und der Sowjetunion. Von Lenin bis Jelzin. – Regensburg 2000. S. 317.) Es war somit eine Änderung der deutschen Politik gegenüber der Sowjetunion, die von den freundschaftlichen Beziehungen zur Zeit der Weimarer Republik abwich. Stalin richtete an Hitler die Aufforderung, seine Außenpolitik nach dem Muster Mussolinis zu gestalten, mit dessen faschistischem Italien man trotz aller ideologischer Unterschiede ein pragmatisches und flexibles Verhältnis habe. Im Gegensatz zu Stalin vertrat Außenminister Maxim Litwinow die Auffassung, dass eine versöhnliche Haltung gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland der falsche Weg sei, weshalb er für eine Verbesserung der Beziehungen zum Völkerbund und eine sicherheitspolitische Annäherung an Frankreich plädierte. Im Frühjahr 1934 änderte allerdings Stalin seine Position und erkannte, dass angesichts der sich verstärkenden antikommunistischen Propaganda Berlins und seiner gegen die Sowjetunion gerichteten Außenpolitik Zugeständnisse an das Dritte Reich sinnlos seien. Nur mit Gewalt und nicht mit Kompromissen könne man dem Faschismus begegnen, erklärte er im Sommer 1934 gegenüber dem englischen Schriftsteller H. C. Wells. Deutschland wurde seiner Meinung nach durch die Nationalsozialisten wiederum zum aggressivsten Staat in Europa, weshalb man sich mit dem ebenfalls bedrohten Frankreich verbünden sollte. Im Oktober 1934 trat die Sowjetunion dem Völkerbund bei und warb gemeinsam mit Frankreich für die Stärkung des kollektiven Sicherheitssystems in Europa. Neben der zwischenstaatlichen Ebene suchte man in Moskau auch auf der gesellschaftspolitischen Ebene nach einem Bündnis gegen das nationalsozialistische Deutschland, wobei an eine Kooperation der in der Komintern vereinten kommunistischen Parteien mit anderen Parteien und politischen Gruppierungen unter dem Schlagwort »Antifaschismus« gedacht war. Dies erforderte allerdings im Fall der Sozialdemokratie einen Abschied von der Sozialfaschismus-These. Die erste Bewährungsprobe für diese neue Taktik bildete Frankreich, wo bereits am 23. Juni 1934 die KPF der Sozialistischen Partei Frankreichs die Bildung einer antifaschistischen Einheitsfront vorschlug. Obwohl das Angebot bei den Sozialisten gemischte Gefühle auslöste, stimmten sie am 15. Juli auf einer Parteikonferenz mit absoluter Mehrheit für das Angebot. Parteiführer Léon Blum erklärte, die proletarische Einheitsfront sei der beste Garant gegen den Sieg des Faschismus. Am 14. Juli 1935 wurde unter Einschluss der linksgerichteten »bürgerlichen Radikalen« die Volksfrontbewegung gegründet und zu Jahresbeginn 1936 ein Wahlbündnis für die bevorstehenden Parlamentswahlen abgeschlossen, das im April 1936 die absolute Mehrheit erreichte.

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neuen Theorie der Volksfront ein. Georgi Dimitrow engte den Faschismusbegriff auf die reaktionärsten, imperialistischsten und chauvinistischsten Teile des Kapitals ein, wodurch die Gleichung Faschismus = Kapitalismus nicht mehr galt, sondern Teile der kapitalistischen Klassen inklusive der Sozialdemokraten – zumindest potenziell – in das Lager der Antifaschisten wechselten. Angesichts des durch die Machtergreifung Hitlers immer bedrohlicher werdenden Faschismus in Europa sei, so die neue Devise, ein antifaschistisches Bündnis der Kommunisten mit den zuvor geschmähten Sozialdemokraten sowie antifaschistischen agrarischen und bürgerlichen Schichten notwendig. Den Kern der Volksfront sollte ein Wahlbündnis der Kommunisten mit den Sozialdemokraten sowie den von ihnen kontrollierten Gewerkschaften bilden mit dem Ziel der Bildung einer »Massenpartei der werktätigen Klasse«.13 Verschwiegen wurde, dass diese unter der Kontrolle der Kommunisten stehen sollte. Die Volksfront bildete den (unausgesprochenen) Königsweg zur Realisierung des Sozialismus sowjetischer Prägung. Obwohl »der Schauplatz der höchsten Schrecken des modernen Totalitarismus von Orwellschen Ausmaßen,« wurde die Sowjetunion, die außer »einer abscheulichen Heuchelei nicht viel zur moralischen Sache einer antifaschistischen Koalition beitragen« konnte, in der kommunistischen Propaganda als Hort des Antifaschismus propagiert.14 In der Sowjetunion sei der Sozialismus weitgehend verwirklicht. Wenn es dabei zu Exzessen gekommen sei, so beruhe dies auf dem Umstand, dass die Bolschewiki ein unterentwickeltes Land übernommen hätten, dessen Modernisierung eben gewisse Opfer erforderte. Für François Furet war es eine der herausragendsten Leistungen des Sowjetregimes, »die eigene Geschichte zum Mythos zu machen.«15 An der Wiege dieser Entwicklung stand auch das Scheitern der Revolution in Berlin, das nicht, wie erwartet, zu deren erfolgreichen Zentrum geworden war, sondern St. Petersburg und Moskau. Mit dem Scheitern der deutschen Revolution verlagerte sich der Schwerpunkt des Weltkommunismus nach Osten und die KPD wurde nicht zu dessen führender Partei, sondern die Bolschewiki, nicht Deutschland, sondern die Sowjetunion das gelobte Land. Damit ging nicht nur eine – finanzielle, organisatorische und ideologische – Abhängigkeit von Moskau einher, sondern auch eine sich ständig verstärkende Moskauhörigkeit. Die Sowjetunion wurde infolge des Scheiterns der Revolution im eigenen Land – nicht nur für die deutschen Kommunisten – zur »säkularisierten Variante eines proletarischen Himmelreiches auf Erden (…) Gerade weil sie ein ferner Mythos war, ließ sie sich propagandistisch als Projektionswand aller proletarischen Wünsche einsetzen und gewissermaßen als kom13 Stéphane Courtois (Hg.)  : Das Handbuch des Kommunismus. Geschichte-Ideen-Köpfe. – München/ Zürich 2010. S. 442. 14 George F. Kennan  : Sowjetische Außenpolitik unter Lenin und Stalin. – Stuttgart 1961. S. 421. 15 François Furet  : Das Ende der Illusion. Der Kommunismus im 20. Jahrhundert. – München/Zürich 1996. S. 195.

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munistisches Disneyland präsentieren, wo sich all jene Hoffnungen erfüllten«, die die je eigene Revolution nicht einzulösen vermocht hatte.16 Diese Kombination von sowjetischer Propaganda, Heilserwartung der jeweiligen kommunistischen Gegenwelten und illusionärer Wunschvorstellung erklärt den erstaunlichen Erfolg bei vielen linken Intellektuellen im Westen, die in Scharen die Sowjetunion bereisten, wo sie an potemkinschen Propagandaausflügen teilnahmen, die ihre eigenen utopischen Vorstellungen und Projektionen zu bestätigten schienen. Die im Zuge dieses neuen »Massentourismus« – allein 1935 reisten mehr als 200 französische Intellektuelle in die Sowjetunion – publizierten Tage- und Reisebücher sind Legion. So versicherte z. B. das von den englischen Sozialisten Beatrice und Sidney Webb erstmals 1935 publizierte mehr als tausend Seiten umfassende Werk über die Sowjetunion seinen Lesern, man dürfe die Sowjetunion keineswegs als Diktatur bezeichnen, sondern als neue Zivilisation. Es war eine kollektive »Lähmung des Urteilsvermögens«17 vor allem derjenigen, die nicht deklarierte Kommunisten waren. An mangelnder Information über die Fakten konnte es nicht liegen, denn diese lagen vor. Man konnte Bescheid wissen, wenn man wollte, doch nur wenige der Russland-Pilger wollten, zu sehr waren sie bereit, um der linken Illusion Willen den kritischen Blick zu meiden und machten sich damit zu Propagandisten einer schrecklichen Diktatur. Die Wirksamkeit der Volksfrontideologie wurde bei der Bildung der Volksfront in Frankreich und im Engagement zahlreicher Linker und Liberaler aller Schattierungen im Spanischen Bürgerkrieg manifest. Der Spanische Bürgerkrieg bildete jenes Ereignis, in das »die gesamte sozialistische und liberale Welt (…) mehr als in irgendein anderes Ereignis der modernen Geschichte ihre Hoffnungen und ihren Enthusiasmus setzte. Man projizierte in den spanischen Kampf alle Hoffnungen und Träume des Liberalismus, die man seit der Jahrhundertwende genährt hatte – Träume, die durch die Weltwirtschaftskrise eine große Enttäuschung erlitten hatten und nun von dem Vormarsch des europäischen Faschismus erneut enttäuscht wurden.«18 Viele Linke hingen der Illusion an, entweder dem Faschismus zu unterliegen oder gemeinsam mit den Kommunisten Widerstand zu leisten. Der Wille, Hitler den Weg zu versperren, verhalf so dem Kommunismus zu seiner höchsten Anziehungskraft.19 In Österreich folgte die Beziehung zwischen Kommunisten und Revolutionären Sozialisten diesem für Frankreich und Spanien gültigen Schema nicht, wenngleich die Bildung der Volksfrontregierung in Frankreich mit großem Interesse verfolgt wurde und sowohl Revolutionäre Sozialisten wie auch Kommunisten strömten als Freiwillige 16 Klaus Mallmann  : Kommunisten in der Weimarer Republik. Sozialgeschichte einer revolutionären Bewegung. – Darmstadt 1996. 230. 17 Furet  : Das Ende der Illusion. S. 197. 18 Kennan  : Sowjetische Außenpolitik unter Lenin und Stalin. S. 418. 19 Furet  : Das Ende der Illusion. S. 289.

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in die Internationalen Brigaden des Spanischen Bürgerkriegs, um gemeinsam gegen die faschistische Gefahr zu kämpfen.20 Sowohl Revolutionäre Sozialisten wie Kommunisten organisierten Sympathiekundgebungen und Spendenaktionen für die bedrängte Spanische Republik. Die Beziehungen zwischen beiden illegalen Arbeiterparteien waren hingegen in der zweiten Jahreshälfte 1936 äußerst angespannt und standen kurz vor dem Bruch. Dieser konnte zwar angesichts der zwischen Oktober und Dezember stattfindenden Vertrauensmännerwahlen durch eine gemeinsame Erklärung über eine verstärkte Zusammenarbeit in den Betrieben im November notdürftig vermieden werden, doch verschlechterten sich die Beziehungen 1937 neuerlich, hörten de facto zu bestehen auf und führten zu einem sich in regelmäßigen Abständen wiederholenden heftigen ideologischen und verbalen Schlagabtausch in den jeweiligen illegalen Medien. Otto Bauer nahm mit seinen nach wie vor deutlichen Sympathien für die Sowjetunion, in der er unbeirrt das Land der sozialistischen Verheißung erblickte, eine Vermittlerposition ein, die mit seiner Konstruktion des integralen Sozialismus den Brückenschlag zwischen beiden Parteien versuchte. Die Vorbehalte der Revolutionären Sozialisten gründeten im auf Geheiß der Komintern erfolgten patriotischen Schwenk der KPÖ und ihrer damit verbundenen neuen Formel der Volksfront, der nicht vorhandenen innerparteilichen Demokratie und der völligen Abhängigkeit der KPÖ von den Direktiven aus Moskau, dem mehr oder weniger offen formulierten Führungsund Machtanspruch der KPÖ und dem Misstrauen der Revolutionären Sozialisten gegenüber einem Bündnispartner, dem man ob seiner Haltung zu den in der Sowjetunion stattfindenden Schauprozesse und Säuberungen nicht über den Weg traute. Am 15. Juli 1936 publizierte die KPÖ eine Deklaration, in der sie zum Kampf für eine demokratische Republik aufrief. Das Zentralkomitee der Partei hatte sich Anfang Juli nach heftiger Diskussion zu einer Revision der bisherigen ideologischen Position durchgerungen, um den Anweisungen der Komintern in Richtung Volksfront zu entsprechen. Wenngleich vordergründig das Bekenntnis zur »Demokratischen Republik« und zu einem klassenübergreifenden Bündnis eine Abkehr von der bisherigen Klassenkampflinie zu bedeuten schien, so sprach der lange Text auch das nach wie vor primäre Ziel, die Sowjetrepublik, an. Nur sollte dieses nicht mehr durch eine Revolution, sondern über den Zwischenschritt eines Bündnisses mit anderen sozialen Gruppen in Form der Errichtung einer »Demokratischen Republik« erreicht werden. Nach einem Hinweis auf die bedrohliche außenpolitische Lage Österreichs nach dem Juliabkommen und einer drohenden Habsburgerrestauration 20 Für Spaniens Freiheit. Österreicher an der Seite der Spanischen Republik 1936–1939. Eine Dokumentation. Hg. v. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. – Wien/München 1986. Zu den österreichischen Kommunisten im Spanischen Bürgerkrieg vgl. die KP-Publikation von Lisl Rizy, Willi Weinert  : Bin ich ein guter Soldat und guter Genosse gewesen  ? Österreichische Kommunisten im Spanischen Bürgerkrieg und danach. Ein Lesebuch. – Wien 2008.

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wurde darauf hingewiesen, dass die Mehrheit der Bevölkerung – hier wurden neben den Arbeitern im Sinne der Volksfrontparole die Bauern, Handwerker und kleinen Gewerbetreibenden genannt – gegen eine Habsburgerrestauration sei, da sie Frieden, Freiheit und innere Ruhe wolle. »So denkt auch die große Masse jener, die heute in den verschiedenen vaterländischen Organisationen freiwillig oder unfreiwillig eingeschrieben sind und arbeiten, so denkt das Volk. Die Kommunistische Partei erblickt ihre Aufgabe heute darin, das Volk vom gemeinsamen Denken zum gemeinsamen Handeln zu bringen. Was das g a n z e Volk erstrebt und wünscht, nur das kann heute der Inhalt des Kampfes der Arbeiterklasse und ihrer Organisationen sein. Schluss mit der ständigen Zersplitterung des Volkes, endlich Ruhe und Arbeit und Brot, Friede, Freiheit und Demokratie – das sind die Wünsche des ganzen Volkes. Es ist unser Programm. Darum kämpfen wir um jedes Stück Freiheit, um jeden Schritt Demokratisierung im täglichen Leben, darum verbünden wir uns im Kampfe um die Forderungen des Volkes mit jedem, dem es ehrlich um die Interessen des Volkes zu tun ist  ; wir kämpfen mit ihm auch auf dem kleinsten Teilabschnitt. Alle diese Tages- und Teilkämpfe erhalten Sinn und Inhalt durch das gemeinsame Ziel, dem sie dienen, durch das gemeinsame Ziel, das das ganze Volk vereinigt  : die Demokratische Republik. (…) Eine solche Demokratische Republik entfernt uns nicht vom Endziel des Sozialismus, sondern bringt uns diesem Ziele näher. Die Demokratische Republik, für die wir kämpfen und für die wir das Volk aufrufen, sehen wir heute in der Volksfront in Spanien und Frankreich, in ihren Taten und Zielen verwirklicht. U n s e r Z i e l bleibt weiter die Sowjetrepublik, die Sowjetdemokratie als höchste Form der Demokratie, wie sie verwirklicht ist in der Sowjetunion und niedergelegt ist in der Verfassung der Sowjetrepublik, in der es weder Ausbeuter noch Ausgebeutete gibt, in der jedem Bürger ein Recht auf Studium, Arbeit, Erholung und Versorgung im Alter garantiert wird. (…) Wir wenden uns an alle Österreicher, soweit die nicht der kleinen Schichte von Abenteurern und Finanzmagnaten angehören, und fordern alle, die sich zum Volke bekennen, auf, zu diesem Programm des Volkswillens Stellung zu nehmen und ihre Kräfte in den Dienst der Einigung des Volkes zum Kampfe für ein selbständiges, freies, friedliches und demokratisches Österreich zu stellen. Wir wenden uns an die Bauern, an die Kleingewerbetreibenden, an die Intellektuellen, an die junge Generation, die alle unter der Diktatur der Großgrundbesitzer, der Herren des Finanzkapitals und der adeligen Blutsauger schmachten und denen weder das gegenwärtige, noch ein monarchistisches und schon gar nicht ein nationalsozialistisches Regime Linderung ihrer Not und einen Ausweg aus ihrer Ausweglosigkeit bringen können. Wir wenden uns an die katholischen Werktätigen, die nicht das Schicksal ihrer deutschen Kollegen teilen wollen. Sie

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stellen alle zusammen mit der Masse der Arbeiterschaft jene Kraft dar, die jeden Widerstand brechen und Österreich vor der Katastrophe retten wird.«21 Zwei Wochen später erfolgte ein erneuter Aufruf zum Kampf für Österreich, der sich vor allem an die katholischen Arbeiter und Bauern richtete, in dem jedoch nicht mehr von einer Sowjetrepublik die Rede war. »Christliche Arbeiter, Bauern  ! Ihr könnt Eure Wünsche und Ziele nur im gemeinsamen Kampf mit der Arbeiterschaft erreichen. Ihr müsst Euch mit den Arbeitern zu einer kraftvollen Volksfront vereinigen mit dem Ziel der Errichtung einer demokratischen Republik. (…) Die demokratische Republik sichert Euch den Boden, auf dem Ihr für Eure Bestrebungen und Ziele im Volke frei werben könnt, sie sichert der Arbeiterschaft den Boden, auf dem sie frei für ihre Rechte kämpfen und für ihre Endziele werben kann. Die Demokratie sichert dem Volke die freie Entscheidung über sein eigenes weiteres Schicksal. Die Lehre des 11. Juli muss in letzter Stunde vom Volke beherzigt werden  : Zusammenschluss zu einer Volksfront gegen die faschistischen Verschwörer und Abenteurer aller Farben und Schattierungen. Gegen Habsburg und Hitler, für die demokratische Republik  !«22 Die Politik Schuschniggs als Erfüllungsgehilfe des Abkommens vom 11. Juli 1936 mit seiner schrittweisen Kapitulation vor dem Nationalsozialismus führe Österreich nur in die Katastrophe und diene keineswegs der Sicherung von dessen Selbständigkeit und Unabhängigkeit. Dieses Unterfangen könne nur das österreichische Volk selber bewerkstelligen, wobei es sich dabei auf niemanden verlassen könne, sondern selber handeln müsse. »Das Volk muss seine Rechte wiederbekommen, das Land muss demokratisiert werden  ! Das ist die Lösung, das ist die Rettung für Österreich  ! Ein freies Volk, das seinen eigenen sozialen und nationalen Interessen dient, wird seine Freiheit zu sichern und seine Unabhängigkeit zu wahren wissen  ; es wird die Kettung an das Dritte Reich zerreißen, sich unabhängig machen von Hitler und Mussolini und sich mit jenen Mächten verbünden, die ihm Hilfe und Unterstützung bei der Verteidigung seiner Unabhängigkeit und des Friedens bieten können  ! Wie soll es dazu kommen  ? Durch die Bildung und den Kampf der Volksfront muss dies erreicht werden  ! Von der Diktaturregierung ist nichts zu erwarten (…) Nur das Volk selbst kann sich seine Freiheitsrechte erkämpfen. Es kann dies nur, wenn es alles, was heute noch trennend zwischen den verschiedenen Schichten des Volkes steht, zurückstellt und sich auf das Gemeinsame der Interessen einigt. Und dieses Gemeinsame, alles Überragende ist heute die Erringung des Selbstbestimmungsrechtes des Volkes, die Sicherung der Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Landes. (…) Wir Kommunisten sagen den Bauern und den Katholiken, die den Weg der Nazifizierung Österreichs nicht mitmachen wollen  : Wir sind bereit, alles zu unter21 Die Rote Fahne 15.7.1936. S. 1–3. S. 2f. 22 Die Rote Rahne 30.7.1936. S. 2.

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stützen, was der tatsächlichen Demokratisierung des Landes und der Verdrängung der autoritären Diktatur, alles, was der Sicherung der Unabhängigkeit und Selbständigkeit Österreichs gegenüber der Bedrohung durch Hitler, alles, was der Hebung der Lebenshaltung der Volksmassen dient. Wer immer in Österreich für die Freiheitsrechte des Volkes eintritt, in einem einzelnen Falle oder im gesamten Landesmaßstab, kann in diesem Bestreben auf unsere Unterstützung rechnen.«23 Die von der KPÖ vorgenommene Wende in Richtung Volksfront und Verteidigung der Selbstständigkeit Österreichs implizierte auch eine Neudefinition der nationalen Frage, die von den Kommunisten, ebenso wie von den Sozialdemokraten, nur im großdeutschen Kontext, d. h. der »deutschen« Österreicher, diskutiert worden war. Nunmehr folgte die KPÖ den Wendungen der sowjetischen Außenpolitik, die noch unmittelbar nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und damit der einsetzenden Machtergreifung der NSDAP von einem in absehbarer Zeit bevorstehenden Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich ausging. So rechnete Außenminister Maxim Litwinow im März 1933 mit einem nunmehr einsetzenden »aggressiven Vorgehen Berlins«, das auf eine »Angliederung Österreichs« ziele. Der Anschluss werde, in welcher Form auch immer, früher oder später kommen. Im Mai 1933 vertrat David Štern von der 2. Westeuropäischen Abteilung des sowjetischen Außenministeriums in einem Schreiben an den sowjetischen Botschafter in Wien, Adolf Marković Petrovskij, die Auffassung, dass die Rückendeckung Italiens nicht ausreichen werde, um Berlin von einem Anschluss Österreichs abzubringen – diesen zumindest durch die Herbeiführung einer innenpolitischen Entwicklung zu erreichen.24 In Moskau betrachtete man 1933/34 den Anschluss Österreichs als einen Bestandteil der nationalsozialistischen Außenpolitik, die sich mit der Einverleibung Österreichs keineswegs zufriedengeben werde, sondern darüber hinaus ziele. Der Erste Sekretär der sowjetischen Botschaft in Wien, Pavel Nekundé, bilanzierte Ende 1933 in seinem Bericht über Österreich pessimistisch, der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich sei angesichts der aktuellen internationalen Großwetterlage das wahrscheinlichste Zukunftsszenario für Öster­ reich. Nur eine massive Unterstützung des mitteleuropäischen Kleinstaates durch Frankreich und Großbritannien könnte dem entgegenwirken, da die italienische Rückendeckung für Wien letztlich im Kräfteverhältnis zwischen dem Deutschen Reich und Italien zu schwach sei.25 Noch ein Jahr später spielte das Schicksal Österreichs in 23 Die Rote Fahne 1.3.1937. S. 2. 24 Verena Moritz  : Vom »gerechtfertigten Streben des deutschen Volkes nach Vereinigung«  : Sowjetische Perspektiven auf den »Anschluss« 1918–1933. – In  : Stefan Karner, Peter Ruggenthaler (Hg.)  : 1938. Der »Anschluss« im internationalen Kontext. – Graz/Wien 2020. S. 91–106. S. 102f. (Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann Institutes für Kriegsfolgenforschung, Graz-Wien-Raabs. Begründet von Stefan Karner. Herausgegeben von Barbara Stelzl-Marx. Sonderband 20.) 25 Julia Köstenberger  : Sowjetische-österreichische Beziehungen und die »Anschlussfrage« 1933/34– 1938. – In  : Karner, Ruggenthaler (Hg.)  : 1938. S. 107–120. S. 107.

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der sowjetischen Außenpolitik keine Rolle. Auf die Frage des Korrespondenten der »Neuen Freien Presse«, Nikolaus Basseches, im Jänner 1935, warum die Sowjetunion nach der Abberufung von Botschafter Petrovskij im November 1934 noch immer keinen Nachfolger bestellt habe, antwortete der stellvertretende Außenkommissar Nikolaj Krestinskij, die Sowjetregierung sei gegenwärtig in dieser Angelegenheit nicht aktiv, da man Österreich bereits als deutsche Provinz betrachte.26 Erst im April 1935 wurde die sowjetische Botschaft wiederum besetzt. Zur Jahresmitte 1935 trat allerdings eine Änderung in der sowjetischen Außenpolitik ein, die auf die Bildung eines antifaschistischen Blocks gegen die expansive Außenpolitik Berlins zielte und dieses Ziel durch die Bildung von Volksfrontregierungen sowie selektiv, wo dies notwendig schien wie im Fall Österreichs, eine Stärkung des Nationalbewusstseins erreichen wollte. Dies bedeutete im Fall Österreichs, dass dem bisher weitgehend nicht beachteten mitteleuropäischen Kleinstaat erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet wurde, wobei man aus geopolitischen Gründen der Erhaltung seiner Selbstständigkeit, völlig unabhängig von dessen politischem System, absolute Priorität einräumte. Dementsprechend trat der VII. Kongress der Komintern vom 25. Juli bis 20. August 1935 für die nationale Unabhängigkeit von kleinen und daher schwachen Staaten gegenüber Aggressionen von imperialistischen Großmächten und für die Zusammenarbeit unterschiedlicher politischer Gruppierungen zur Sicherung dieser Unabhängigkeit ein. Auf besonderes Interesse stießen dabei die Äußerungen des Wiener Vizebürgermeisters Ernst Karl Winter, der zu den vehementesten Kritikern im Regierungslager des Juliabkommens 1936 zählte. Er erkannte die Gefährlichkeit des Juliabkommens, das er als Schicksalsdatum der jüngsten österreichischen Geschichte sah. »Nach unserer Auffassung ist der 11. Juli 1936, falls es bei ihm bleibt, der entscheidendste Tag der österreichischen Geschichte seit dem 12. November 1918. (…) das österreichische Volk wird aus der politischen Apathie, in die es versunken ist, in den nächsten Monaten überraschend aufwachen. Die politischen Kräfte in diesem Land rüsten sich zum letzten Absprung (…) entweder finis Austriae, der Untergang Österreichs im Dritten Reich, oder eine nova creatura, eine Neuschöpfung Österreichs, durch die wir der Mittelpunkt des Weltkampfes gegen das Dritte Reich werden. Tertium non datur.«27 Winter plädierte für einen Brückenschlag zur Sozialdemokratie und die Bildung einer Art Volksfront, um das gesamte österreichische Volk gegen den Nationalsozialismus zu vereinen und zu mobilisieren. Es sei ein Fehler der von der Regierung propagierten Österreich-Ideologie, Österreich als zweiten deutschen Staat zu bezeichnen, da man das Land damit zu einem Vasallen des Deutschen Reiches degradiere. Vor allem stellte 26 Köstenberger  : Sowjetische-österreichische Beziehungen. S. 109f. 27 Zit. bei Norbert Leser  : Ernst Karl Winter. – In  : Ders.: Grenzgänger. Österreichische G ­ eistesgeschichte in Totenbeschwörungen. Band 1. – Wien/Köln/Graz 1981. S. 141–166. S. 151.

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er in seiner Argumentation gegen den Nationalsozialismus erstmals auf den Begriff einer österreichischen Nation als Voraussetzung für einen selbstständigen österreichischen Staat ab.28 Wenngleich Winter mit der nach ihm benannten Aktion sowie seinen theoretischen Ausführungen im Ständestaat nicht zu reüssieren vermochte, so wurden seine Überlegungen in Moskau genau registriert, da sie der nunmehr vorgenommenen ideologischen und sicherheitspolitischen Wende entsprachen. Es war wahrscheinlich Georgi Dimitrow, der den in Moskau an der Internationalen LeninSchule lehrenden stellvertretenden Chefredakteur der »Roten Fahne« Alfred Klahr beauftragte, auf der Basis des Stalin’schen Nationsbegriffs und unter Verwendung der Gedanken Winters das Konzept der österreichischen Nation zu entwickeln.29 Nach längeren kontroversiellen Diskussionen in der nach Prag emigrierten Parteiführung erschienen im März und April 1937 in der theoretischen Zeitschrift »Weg und Ziel« zwei Artikel Alfred Klahrs zum Thema der österreichischen Nation.30 Damit brach die KPÖ in Befolgung der Weisungen der Komintern mit ihrer bisherigen ideologischen Tradition und begab sich auf gefährliches Terrain, da sie sich damit der zuvor noch bekämpften Österreich-Ideologie des Ständestaates näherte. Die Redaktion von »Weg und Ziel« stellte daher dem ersten Aufsatz die Erklärung voran, dass die von der Regierung vertretene Österreich-Ideologie das Land als »zweiten deutschen Staat« erkläre. Dies sei jedoch angesichts der jüngsten politischen Entwicklung mit Gefahren verbunden, weshalb vom marxistischen Standpunkt aus eine historisch-kritische Überprüfung des Verhältnisses der deutschen Österreicher zur deutschen Nation dringend notwendig sei. Klahr stützte sich bei seiner Darstellung der nationalen Frage in Öster­reich auf Stalins 1912/13 in Wien verfasste Broschüre »Marxismus und nationale Frage«, die eine historisch gewachsene stabile Gemeinschaft der Sprache, des Territoriums, der Wirtschaft und Kultur als konstitutive Merkmale einer Nation definierte. Klahr kam in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass Österreich aufgrund seiner spezifischen Geschichte eine eigene, von der deutschen Nation unterschiedliche Entwicklung genommen habe und daher eine eigene Nation darstelle. Der Kampf um die staatliche Unabhängigkeit sei daher auch ein Kampf um die eigene nationale Identität und die nationale Selbstbestimmung. Wenngleich Klahrs Artikel eher im akademischen Arkanum Wirkung entfachten und von der Parteibasis weitgehend nicht zur Kenntnis genommen wurden, so kam ihnen bereits mittelfristig Bedeutung zu. Ernst Fischer berichtet in seinen Erinnerungen, dass er in Moskau Klahrs Ausführungen gelesen und sich »ernsthaft mit der zweideutigen, zwielichtigen, widerspruchsvollen Geschichte Österreichs zu befassen« begann und »mehr und mehr mit Klahr« 28 Vgl. dazu Karl Hans Heinz  : Ernst Karl Winter. Ein Katholik zwischen Österreichs Fronten 1933– 1938. – Wien/Köln/Graz 1984. S. 88–157. 29 Ebda. S. 113. 30 Alfred Klahr  : Zur österreichischen Nation. Hg. v. d. KPÖ Wien. – Wien 1994.

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übereinstimmte.31 Johann Koplenig sah sich auf der Reichskonferenz der KPÖ gezwungen, Klahrs originellen Beitrag zur nationalen Frage gegen die sich nach wie vor kritisch artikulierenden Stimmen zu verteidigen. Er hatte erkannt, dass das Bewusstsein der eigenen nationalen Identität einen wichtigen Bestandteil des Abwehrkampfes gegen den Nationalsozialismus bildete. In seinem Referat erklärte er, es sei bisher die vorherrschende Meinung gewesen, dass es in Österreich keine nationale Frage gebe, da die Österreicher ein Bestandteil der deutschen Nation seien. Es komme aber nunmehr darauf an, die neue Entwicklung zu erkennen, die den Abschied von manchen Traditionen erfordere. »Vor einigen Jahren wäre es keinem von uns eingefallen, die Losung von der Verteidigung der Unabhängigkeit auszugeben, doch jetzt haben sich die Gegensätze der Imperialisten verschärft, der Hitlerfaschismus will Österreich gleichschalten, greift die Unabhängigkeit des Landes an, jetzt muss man sich mit solchen Fragen beschäftigen, jetzt muss man die Selbstbestimmung geltend machen, und zwar nicht wie früher in der Form des Anschlusses, sondern in einer neuen Form, in der Form der völligen politischen und nationalen Unabhängigkeit des Landes.«32 Der Begriff der »österreichischen Nation« wurde 1937 zum Hauptmotiv der zum nationalen Abwehrkampf modifizierten Volksfrontpolitik. Sowohl die Revolutionären Sozialisten wie auch die Trotzkisten lehnten diesen Begriff vehement ab, weshalb in der KPÖ diejenigen, die gegen diese nationale Wende opponierten, als Trotzkisten bezeichnet wurden. Auch die Revolutionären Sozialisten als erste Adressaten der von der KPÖ forcierten Volksfrontpolitik wandten sich ebenso gegen dieses Konzept wie gegen die Propagierung der österreichischen Nation. Die Devise der Volksfront symbolisierte die Unterordnung der Komintern unter die Interessen der Außenpolitik Moskaus, das durch diese taktische Wende hin zu einem Bündnis mit ehemals verschmähten Sozialdemokraten und den bürgerlichagrarischen Zentrumsparteien der zunehmenden Bedrohung durch den Faschismus, vor allem den deutschen Nationalsozialismus, entgegenwirken wollte. Die von Georgi Dimitrow im Auftrag Stalins durchgeführte Politik stieß jedoch innerhalb der Komintern auch auf heftige Kritik. Viele Komintern-Mitglieder, unter ihnen zahlreiche Mitglieder der von Trotzki in den Zwanzigerjahren geführten Linksopposition, hielten diesen Schwenk für einen Verrat am internationalen revolutionären Sozialismus, der nur durch eine Einheitsfront von Kommunisten und Sozialdemokraten vorangebracht werden konnte. Durch den Einschluss der Zentrumsparteien komme es zu einem Verrat am Ideal der Weltrevolution. Stalin wurde daher gegenüber der Komintern misstrauisch, ordnete bereits 1935 eine radikale Umbildung ihrer Führung an und hegte ein pathologisches Misstrauen gegen jede oppositionelle Haltung gegenüber seiner Politik, die er als Trotzkismus abquali31 Ernst Fischer  : Erinnerungen und Reflexionen. 2. Aufl. – Reinbek bei Hamburg 1970. S. 361. 32 Zit. bei West  : Die Linke im Ständestaat Österreich. S. 256f.

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fizierte. Schließlich sah er sich überall von Verrätern umgeben. Im Februar 1937 schrieb er z. B. an Dimitrow  : »Ihr alle in der Komintern arbeitet dem Feind in die Hände.«33 Es war daher nur folgerichtig, dass die KPÖ die Opposition der Revolutionären Sozialisten gegen die Volksfrontparole, die sich der Argumente der Komintern-Opposition bediente, als Trotzkismus bezeichnete. Ebenso die parteiinterne Opposition im Jugendverband, die am Dogma des unversöhnlichen Klassenkampfes festhielt und jedes Bündnis mit Teilen des Klassengegners als realpolitische Option im Kampf gegen den Faschismus/Nationalsozialismus ablehnte. Sie wandte sich daher gegen die ideologisch-taktische Wende seit dem VII. Weltkongress der Komintern und gab sich als Linksopposition den Namen »Revolutionäre Kommunisten«, deren Auslandsvertretung von dem nach Prag geflüchteten Josef Hindels34 wahrgenommen wurde. Im April 1937 erklärte eine Entschließung des Zentralkomitees der KPÖ, dass der Trotzkismus in Österreich zwar zahlenmäßig bedeutungslos sei, dennoch müsse »der konterrevolutionären Tätigkeit der trotzkistischen Agenten die größte Aufmerksamkeit geschenkt werden.« Das Zentralkomitee des Kommunistischen Jugendverbandes lancierte daher auftragsgemäß das Gerücht, die Oppositionellen seien »bezahlte Agenten der Polizeidirektion.«35 Die Bezeichnung »Trotzkismus« lehnte eine oppositionelle Gruppe im Kommunisti-

33 Zit. bei Orlando Figes  : Die Flüsterer. Leben in Stalins Russland. 3. Aufl. – Berlin 2008. S. 346. 34 Josef Hindels arbeitete bei dem in Zürich hergestellten Organ der Revolutionären Kommunisten der Schweiz und der Tschechoslowakei sowie des Internationalen Sekretariats der Bewegung für die IV. (trotzkistische) Internationale »Der einzige Weg« mit und kritisierte unter dem Decknamen »Bruno« nicht nur die Volksfront-Politik der KP heftig, sondern auch das Konzept des Integralen Sozialismus Otto Bauers. Josef Hindels (1916–1990) war Mitglied der Vereinigung sozialistischer Mittelschüler, wurde 1930 Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes, absolvierte 1930 bis 1933 eine kaufmännische Lehre und war Mitglied des Zentralvereins der kaufmännischen Angestellten Österreichs. 1935/36 war er Gründungsmitglied der Revolutionären Kommunisten Österreichs, verbüßte 1936 eine mehrmonatige Haftstrafe und floh 1937 in die Tschechoslowakei, wo er das Auslandszentrum der Revolutionären Kommunisten aufbaute und den Decknamen »Karl Popper« annahm. 1939 floh er nach Norwegen und 1940 nach Schweden, wo er sich von den Revolutionären Kommunisten trennte und eine Vortragstätigkeit bei der Sozialistischen Jugend Schwedens aufnahm sowie die Mitarbeit in einer Gruppe exilierter österreichischer Gewerkschafter begann. 1946 kehrte er unter dem Namen »Karl Popper« nach Wien zurück. 1946 bis 1951 war er Schulungs- und Bildungsreferent der Sozialistischen Jugend Österreichs, 1951 bis 1970 Zentralsekretär der Gewerkschaft der Privatangestellten. Ab 1970 war er als freie Publizist im Verlag des ÖGB tätig und Stellvertretender Vorsitzender des »Bundes Sozialistischer Freiheitskämpfer und Opfer des Faschismus«. Vgl. Josef Hindels  : Vor der Ersten Republik zum Zweiten Weltkrieg. – Wien 1947  ; Ders.: Hitler war kein Zufall. Ein Beitrag zur Soziologie der Nazibarbarei. – Wien 1962  ; Ders.: Das Gesellschaftsbild des Sozialismus. – Wien 1966  : Ders.: Österreichs Gewerkschaften im Widerstand 1934–1945. – Wien 1976  ; Ders.: Erinnerungen eines linken Sozialisten. Hg. vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes/Bund sozialdemokratischer Freiheitskämpfer und Opfer des Faschismus. – Wien 1996. 35 Keller  : Gegen den Strom. S. 132 und 144.

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schen Jugendverband um Christian Broda,36 Eduard Rabofsky,37 Georg Scheuer38 36 Christian Broda (1916–1987), Dr. phil., Dr. jur., war der Sohn des Rechtsanwalts Ernst Broda und der Schauspielerin Viola Broda, geb. Pabst. Sein Onkel war der Filmregisseur Georg Wilhelm Pabst. Zusammen mit seinem Bruder, dem bekannten Chemiker Engelbert Broda, wuchs er in einem bürgerlichen Milieu auf, in dem sein Taufpate Hans Kelsen und der Soziologe Max Adler verkehrten. Er besuchte das Akademische Gymnasium in Wien und schloss sich unter dem Eindruck der Juliereignisse des Jahres 1927 den Sozialistischen Mittelschülern an, trat 1931 zur Kommunistischen Jugendbewegung über, wurde im Februar 1934 wegen »kommunistischer Tätigkeit« verhaftet und musste eine Haftstrafe verbüßen. 1934/35 hielt er sich bei seinem Onkel Georg Wilhelm Pabst in Santa Monica in Kalifornien auf und begann 1936 das Studium der Rechtswissenschaften und der Geschichte an der Universität Wien. In dieser Zeit engagierte er sich wiederum im Kommunistischen Jugendverband, gehörte jedoch der oppositionellen Gruppe der sog. »Trotzkisten« an. 1940 promovierte er im Fach Geschichte über den verfassungsrechtlichen Aufbau des Zweiten Deutschen Reiches und wurde anschließend zur Wehrmacht eingezogen. 1943 wegen der Unterlassung einer Anzeige einer hochverräterischen Unternehmung angezeigt, verhaftet und zu einer dreimonatigen Haft verurteilt, erlebte er das Kriegsende im Innviertel. Bei der Nationalratswahl 1945 unterstützte er die KPÖ, brach jedoch wenig später mit der Partei wegen deren antidemokratischen Tendenzen. 1947 schloss er das Studium der Rechtswissenschaften mit der Promotion zum Dr. jur. ab, legte 1948 die Rechtsanwaltsprüfung ab und eröffnete eine eigene Kanzlei. Politisch wandte er sich der SPÖ zu, wurde 1949 Vorstandsmitglied der Vereinigung Sozialistischer Juristen und 1957 bis 1959 Bundesrat. 1959 bis 1983 war er Abgeordneter der SPÖ zum Nationalrat, 1960 bis 1966 und 1970 bis 1983 Bundesminister für Justiz. Vgl. Christian Broda  : Demokratie-Recht-Gesellschaft. – Wien 1962  ; Michael Neider (Hg.)  : Christian Broda zum 70. Geburtstag. – Wien 1986  ; Béla Ráksy  : Christian Broda. – In  : Herbert Dachs, Peter Gerlich, Wolfgang C. Müller (Hg.)  : Die Politiker. Karrieren und Wirken bedeutender Repräsentanten der Zweiten Republik. – Wien 1995. S. 87–93  ; Maria Wirth  : Christian Broda. Eine politische Biografie. – Göttingen 2011. 37 Eduard Rabofsky (1911–1994), Dr. jur., war Mitglied der Sozialistischen Arbeiter-Jugend (SAJ) und Funktionär für den Lehrlingsschutz, lernte des Beruf des Autoschlossers und wurde in den 1930erJahren arbeitslos. Beim Besuch von Volkshochschulkursen wurde er mit dem Marxismus und Austromarxismus bekannt und wechselte zum Kommunistischen Jugendverband (KJV), in dem er in den Folgejahren tätig war. 1941 wurde er aufgrund von Sabotageakten in den Saurerwerken verhaftet und gefoltert und anschließend zur Wehrmacht eingezogen. Bei Kriegsende desertierte er zur Roten Armee und unterstützte sie bei der Donauüberquerung. 1945 legte er die Matura ab und begann das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien, an der er 1948 zum Dr. jur. promovierte. Sein Spezialgebiet wurde das Arbeitsrecht, das er vom Standpunkt der marxistischen Rechtsphilosophie betrieb. Aufgrund seiner wissenschaftlichen Leistungen wurde er 1976 Honorarprofessor für Arbeits- und Strafrecht. Vgl. Johann J. Hagen, Peter Römer, Wolfgang Seiffert (Hg.)  : Rechtswissenschaft und Arbeiterbewegung. Festschrift für Eduard Rabofsky. – Köln 1976  : Eduard Rabofsky  : Wider die Restauration im Recht. Aufsätze aus vier Jahrzehnten. – Wien 1991  ; Gerhard Oberkofler (Hg.)  : Eduard Rabofsky (1911–1994)  : Jurist der Arbeiterklasse. Eine politische Biografie. – Innsbruck/Wien 1997. 38 Georg Scheuer (1915–1996) wurde früh Mitglied des Verbandes Sozialistischer Mittelschüler (VSM) und der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ), war 1930 Gruppenführer der Roten Falken und trat 1931 zum Kommunistischen Jugendverband über. 1935 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Revolutionären Kommunisten Österreichs, wurde 1936 verhaftet und 1937 im sog. Wiener Trotzkistenprozess zu fünf Jahren schweren Kerkers verurteilt. Bis zur Generalamnestie im Februar 1938

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und Karl R. Stadler39 für ihre Kritik am Kurs der Partei, vor allem an den ­Begriffen war er im Gefängnis, floh nach dem Anschluss aus Österreich und bildete zusammen mit Karl Fischer die österreichische Delegation bei der Gründung der trotzkistischen IV. Internationale in Paris im September 1938. Aufgrund ideologischer Differenzen trennten sich jedoch die Revolutionären Kommunisten kurze Zeit später von der IV. Internationale. Scheuer wurde bei Kriegsbeginn in Frankreich interniert und floh 1940 in das unbesetzte Frankreich, wo er bis 1944 in der Résistance tätig war. Seine Eltern, Heinrich und Alice Scheuer, wurden von den Nationalsozialisten 1942 in das Vernichtungslager Maly Trostinez gebracht und ermordet. Scheuer blieb nach dem Krieg in Frankreich, wo er als Journalist und Korrespondent verschiedener Zeitungen, u. a. der Arbeiter-Zeitung, arbeitete. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er zusammen mit seiner Frau, der Publizistin und Übersetzerin Christa Scheuer-Weyl, in Wien. Vgl. Georg Scheuer  : Von Lenin bis …  ? Die Geschichte einer Konterrevolution. – Berlin 1957  ; Ders.: Oktober 1917. Die Russische Revolution. – Hannover 1967  ; Ders.: Nur Narren fürchten nichts. Szenen aus dem Dreißigjährigen Krieg 1915–1945. – Wien 1991  ; Ders.: Vorwärts – schnell vergessen  ? Jahrhundert zwischen Traum und Trauma. – Wien 1992. 39 Karl R. Stadler (1913–1987), wurde als Karl Rudolf Stavaritsch in Wien geboren, verbrachte seine Jugend im Wiener Arbeiterbezirk Favoriten und begann nach der Matura 1931 das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien, wechselte jedoch nach drei Semestern zu den Fächern Anglistik und Germanistik. Im Wintersemester 1936/37 verließ er die Universität ohne Abschluss. Bereits in den 1920er-Jahren wurde er beim Verband Sozialistischer Mittelschüler politisch sozialisiert, trat jedoch 1931/32 zum Kommunistischen Jugendverband über. Unzufrieden mit der Politik der Parteiführung und der Entwicklung in der Sowjetunion gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Revolutionären Kommunisten und ihres Organs »Ziel und Weg« und wurde wegen Trotzkismus aus der KPÖ ausgeschlossen. Wenige Tage nach dem Anschluss floh Stadler aufgrund seines politischen Engagements zusammen mit seiner Freundin Regina Friedmann, die Jüdin war, nach Großbritannien, wo er sein Anglistikstudium fortsetzte und 1940 an der Universität Bristol den Bachelor erwarb. Aufgrund der allgemeinen Angst vor einer deutschen Invasion wurde er bis Jahresende 1940 interniert und fand nach seiner Entlassung eine Stelle als Erwachsenenbildner in Derby. 1946 erhielt er eine Lehrstelle an der Universität Nottingham und schloss sein Studium der Geschichte extern an der Universität London ab. 1962 wurde er Senior Lecturer an der Universität Nottingham. 1964 bis 1966 wurde er beurlaubt, um auf Einladung von Bruno Kreisky das »Wiener Institut für Entwicklungsfragen« aufzubauen und als Gastprofessor am Institut für Höhere Studien zu wirken. Im Auftrag von Bundesminister Christian Broda wurde er Mitarbeiter am Projekt der wissenschaftlichen Darstellung des »Beitrags Österreichs zu seiner Befreiung im Sinne der Moskauer Deklaration« und unternahm in diesem Zusammenhang über Vorschlag des Projektleiters Ludwig Jedlicka den Themenbereich »Emigration«, für den er umfangreiche Studien in US-amerikanischen Archiven durchführte. Nach seiner Rückkehr nach Österreich führte er den Namen Stadler. 1968 erfolgte der Ruf an die neu gegründete Universität Linz als Professor für Zeitgeschichte und Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung. Vgl. Karl R. Stadler, zus. mit Maria Szécsi  : Die NS-Justiz in Österreich und ihre Opfer. – Wien/ München 1962  ; Ders.: Österreich 1938–1945 im Spiegel der NS-Akten. – Wien/München 1966  ; Ders.: Opfer verlorener Zeiten  : Geschichte der Schutzbund-Emigration 1934. – Wien 1974  ; Ders. gem. mit Inez Kykal  : Richard Bernaschek. Odyssee eines Rebellen. – Wien 1976  ; Ders.: Adolf Schärf  : Mensch, Politiker, Staatsmann. – Wien/München/Zürich 1982  ; Ders. (Hg.)  : Kontinuität und Bruch

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»Demokratische Republik« und »Volksfrontpolitik« ab. Sie verstanden sich als Kommunisten und lehnten den Trotzkismus entschieden ab, wie sie betonten. Allerdings nahmen sie sich die Freiheit, den Kurs der KPÖ heftig zu kritisieren. Der Begriff der »Demokratischen Republik« schaffe nur Verwirrung, da er das Ziel der Politik der Partei, die Diktatur des Proletariats als Demokratie der Werktätigen, verschleiere und undeutlich mache. Eine »Demokratische Republik« als bürgerliche Demokratie sei nichts anderes als eine Diktatur der Bourgeoisie. Besonders heftig wurden die Volksfrontpolitik und die Wende zur österreichischen Nation angegriffen. Das Bestreben, z. B. Katholiken als Bundesgenossen zu gewinnen, sei für einen Kommunisten ebenso absurd wie der Begriff der österreichischen Nation. Der österreichische Kommunist kämpfe im Bündnis mit den deutschen Genossen gegen Hitler und Schuschnigg für die Diktatur des Proletariats und sei daher ein Mitglied der proletarischen Klasse, nicht jedoch des eigenen Volkes. Da die Gruppe ihre oppositionelle Haltung nicht in den Parteiorganen, vor allem dem theoretischen Organ »Weg und Ziel«, publizieren konnte, gründete sie eine eigene Zeitschrift mit dem Titel »Ziel und Weg«. Obwohl sie sich gegen den Trotzkismus aussprach, wurde gegen sie aufgrund der Tatsache, dass sie eine eigene Zeitschrift herausbrachte und offen gegen die Parteilinie revoltierte, der Vorwurf des »Fraktionismus«, den sie nur schwer abstreiten konnte, erhoben. Wenig später folgte jener des »Trotzkismus« und damit der Parteiausschluss. Die Revolutionären Sozialisten opponierten auch heftig gegen den Begriff der österreichischen Nation und bezeichneten Klahrs Ausführungen als »schwer zu überbietende Zusammenstellung theoretischen Unsinns.«40 Otto Bauer bemerkte Anfang 1937, die »gesamtdeutsche Sozialdemokratie« habe »1918 auf den Trümmern des alten Österreich die deutsche Einheit zu verwirklichen versucht. Sie ist gescheitert am Imperialismus der großen Siegermächte. Heute verteidigen die österreichischen Sozialisten die Unabhängigkeit Österreichs gegen die Anziehungskraft Hitler-Deutschlands. (…) Aber wenn die österreichischen Sozialisten heute gegen Hitler-Deutschland stehen, so aus ganz anderen Gründen als die österreichischen Klerikalen (und Klahr, Anm. d. Hg.). Wir österreichischen Sozialisten haben nichts zu schaffen mit dem Spuk des aus Katholizismus, Habsburgertradition und feudaler Barockkultur zusammengebrauten österreichischen Menschen, den klerikale-schwarzgelber Separatismus der nationalen Gemeinschaft des deutschen Volkes entgegenstellt. (…) Wir haben ebenso wenig zu tun mit der Verherrlichung der österreichischen Kleinstaa1938–1945–1955. Beiträge zur österreichischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte. – Wien/München 1988  ; Ders. (Hg.)  : Vertriebene Vernunft I. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft 1930–1940. – Wien/München 1987  ; Ders. (Hg.)  : Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft 1988. 40 McLoughlin  : Die Partei. S. 363.

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terei (…) Wir sind heute todfeind jeder Bindung Österreichs an Deutschland, weil wir das österreichische Volk vor dem brutalsten aller Faschismen bewahren wollen.« Aber in einem künftigen sozialistischen Europa werde sich der Fehler des Jahres 1918 korrigieren lassen und »das deutsche Volk im Reich und in Österreich vereinigt werden.«41 Für Peter Roberts handelte es sich bei der »österreichischen Nation« und dem »österreichischen Menschen« um nichts anderes als Legendenbildung. »Es ist ein altes Spiel, in Österreich die romantisch-historische Note der ›österreichischen Nation‹ anzuschlagen, wenn man es sich ›richten‹ will. Und es gibt immer Kinder, die das gerne hören. Die großen Massen der Arbeiterschaft sind allerdings von dieser Lockung dank ihrer Erziehung zur Nüchternheit und ihrem ungebrochenen Erinnerungsvermögen unberührt geblieben. Aber die österreichischen Kommunisten, Neulinge des Opportunismus, und darum in ihm umso eifriger, haben jetzt tatsächlich diese Tradition als Volksstimmung entdeckt und glauben mit ihr mitlaufen zu müssen.« In der Argumentation für eine österreichische Nation »gelangt man endlich und glücklich dorthin – wo die habsburgische, feudale, klerikale Propaganda das Ziel gesteckt hat. Nehmen wir alle die Argumente vor, die hier (…) angeführt werden, so sehen wir  : dasselbe sagt ja der Jesuitenpater (im Kreise seiner Kalksburger) auch, und nicht einmal mit anderen Worten.«42 Und Joseph Buttinger (Gustav Richter) erklärte im Anschluss an eine Parteikonferenz der Revolutionären Sozialisten im Oktober 1937 in einem Artikel in der theoretischen Zeitschrift »Der Kampf«, die Revolutionären Sozialisten führten ihren Kampf nicht nur gegen das ständestaatliche Regime und alle seine Unterstützer, sondern auch gegen die von den Kommunisten propagierte Vorstellung der »schönen blauen Donau«43 und von der »Eigenart und Selbständigkeit der österreichischen Kultur«. Man werde ihnen auf diesem Weg sicher nicht folgen und der eigenen »Propaganda nicht die Quadragesimo Anno, den Prinzen Eugen, den Johann Strauß und das Traditionsgewäsch eines reaktionären Österreichertums beimischen …«44 In einem undatierten, wahrscheinlich gegen Ende 1936 geführten, Interview erklärte Leo Trotzki zur Frage, ob die österreichischen Arbeiter die Unabhängigkeit Österreichs verteidigen sollten  : »Die sogenannte Unabhängigkeit ist eine Lüge. In Wahrheit ist Österreich ein Vasall des italienischen Imperialismus. Wenn RS und KP sich nach der ›Unabhängigkeit‹ Österreichs die Lungen ausschreien, so kenn41 Otto Bauer  : Der Sozialismus und die deutsche Frage. – In  : Der Kampf 1/1937. S. 1–7. S. 6f. 42 Peter Roberts  : Österreichische Legende. – In  : Der Kampf 10/1937. S. 392–396. S. 395f. 43 Ernst Fischer schrieb in Befürwortung der Position Klahrs in der Aprilnummer 1937 der theoretischen Zeitschrift der KPÖ »Weg und Ziel« einen Artikel unter dem Titel »An der schönen blauen Donau«, in der er den Begriff der österreichischen Nation aus der österreichischen Kulturtradition ableitete. 44 Gustav Richter  : Die Parteikonferenz der Revolutionären Sozialisten. – In  : Der Kampf 12/1937. S. 456–465.

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zeichnet das nur ihr Bestreben, Österreich vor dem Anschluss zu bewahren und es zum Vasallen des mit der Sowjetunion verbündeten, aber darum nicht minder imperialistischen Blocks Frankreich-Kleine Entente zu machen. Ihre Politik geht von der Auffassung aus  : Der Hauptfeind der Arbeiter, sowohl der österreichischen wie der russischen, ist Hitler. Es geht vor allem darum, Hitler zu schlagen, aus diesem Grund ist es notwendig, das Proletariat mit allen ›antifaschistischen Kräften‹, unter welchem schamhaften Namen die ›demokratische‹ Bourgeoisie in Österreich und außerhalb Österreichs figuriert, zu verbünden, was natürlich nur möglich ist unter vollkommene Zurückstellung des Klassenkampfes. Auf einer anderen Grundlage ist ja ein Bündnis zwischen Proletariat und Bourgeoisie nicht denkbar. (…) Unser Weg ist ein ganz anderer. (…) Man muss den (kommenden, Anm. d. Hg.) Krieg ausnutzen, um die proletarische Revolution in allen Ländern zu entfesseln. Das aber ist nur möglich durch schärfste Opposition und Kampf gegen die kriegführende Gewalt. Nur auf diesem Wege kann man im Verlauf des Krieges die unteren Schichten des Kleinbürgertums und entscheidende Teile der Armee um das Proletariat sammeln und die Revolution durchführen. (…) Wenn aus der gegenwärtigen Lage nicht wieder ein Krieg mit dem schließlichen Siege einer imperialistischen Gruppierung hervorgehen soll, sondern die proletarische Revolution in möglichst vielen Ländern, dann muss man die Hoffnungen der Arbeiter nicht auf den Klassenfeind lenken, wie immer er sich auch gibt, sondern auf die eigene Kraft, auf ihre revolutionäre Aktion gegen die eigene Bourgeoisie.«45 Die im österreichischen linken Biotop völlig marginalisierten Trotzkisten beharrten auf dem Primat der klassischen revolutionären Doktrin des Klassenkampfes und der revolutionären Machtergreifung, dem alle anderen Überlegungen und daraus eventuell resultierenden Alternativen untergeordnet wurden. Gravierende und bis zuletzt nicht beseitigte Meinungsunterschiede bestanden zwischen Kommunisten und Revolutionären Sozialisten in der im Vorfeld der Vertrauensmännerwahlen heftig diskutierten Frage der Mitwirkung in der von der Regierung installierten Einheitsgewerkschaft sowie anderen Regierungs- oder regierungsnahen Organisationen. Für die KPÖ ergab sich aus ihrer taktischen Wende Richtung Volksfront und österreichische Nation die positive Stellungnahme zu den sich öffnenden Mitwirkungsmöglichkeiten. Es gehe darum, die Interessen der eigenen Mitglieder und Sympathisanten in den jeweiligen Organisationen, vor allem der Einheitsgewerkschaft, zu vertreten und die Arbeiter zum Kampf für ihre Forderungen zu mobilisieren, die auch eine Demokratisierung der Gewerkschaftsbewegung und deren Freiheit einschließen. Die Revolutionären Sozialisten vertraten hingegen zunächst den Boykott- und ab Mitte 1935 den Zersetzungsstandpunkt. Im Fall einer 45 Leo Trotzki  : Schriften über Deutschland. 2 Bde. – Frankfurt am Main 1971. Bd. II. S. 709f. (Gesammelte Werke Bd. 1/2.)

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Mitgliedschaft oder der Übernahme einer Funktion in der Einheitsgewerkschaft gebe man sich nicht der Illusion hin, man könnte »die Einheitsgewerkschaft durch ›Eroberung‹ in ein brauchbares Kampfinstrument der Arbeiterklasse umgestalten  ! Im Gegenteil  : Was wir wollen, ist, durch unsere Arbeit den Beweis zu liefern, dass die Einheitsgewerkschaft nichts wert sein kann, selbst wenn nicht Halb- und Ganzfaschisten, Lumpen und Verräter, sondern ehrliche Kämpfer um Arbeiterinteressen sie führen würden.«46 Trotz der Differenzen einigten sich Kommunisten und Sozialisten zur Teilnahme an den Vertrauensmännerwahlen. Diese Einigung war die logische Folge des im Sommer 1935 erfolgten Zusammenschlusses der kommunistischen »Kommission zum Wiederaufbau der Freien Gewerkschaften« und des von den Revolutionären Sozialisten gegründeten »Siebenerkomitees« zu einer einheitlichen illegalen Freien Gewerkschaft und einer einheitlichen Bundesleitung. Die illegalen Freien Gewerkschaften waren angesichts der Vertrauensmännerwahlen zu einer einheitlichen Stellungnahme gezwungen, die aus Gründen der Realitäten der Gewerkschaftsarbeit kein Boykottaufruf sein konnte. Für den Standpunkt der KPÖ, dass man die Möglichkeit ergreifen müsse, Positionen in der Einheitsgewerkschaft zu erlangen und in deren legalem Rahmen sowohl sozialpolitische wie auch politische Forderungen der Demokratisierung und des Selbstbestimmungsrechtes aufzustellen und zu realisieren, sprachen die Realitäten, denen sich letztlich auch die Revolutionären Sozialisten nicht zu verschließen vermochten. Im Wahlaufruf des Zentralkomitees der KPÖ hieß es, die Arbeiter und Angestellten »werden in ihren Abteilungs- und Betriebsversammlungen nur solche Kandidaten vorschlagen, die ihr Vertrauen genießen, sie werden diese Vertrauensmänner nicht nur aufstellen, sondern auch mit der ganzen Kraft für ihre Anerkennung kämpfen. (…) Die Wahlen müssen im Zeichen des Kampfes gegen die faschistische Regierung stehen, die jede Freiheit, jedes Recht, jede menschenwürdige Lebensmöglichkeit genommen hat, sie müssen im Zeichen des Kampfes gegen die Hitlerpest (…) stehen. (…) Die Vertrauensmännerwahlen müssen zu einer siegreichen Schlacht gegen das faschistische Regime in Österreich werden  !« In einem Kommentar zur Wahl griff die KPÖ, in deutlichem Gegensatz zu den Revolutionären Sozialisten, auf die von ihr propagierte Volksfrontideologie zurück  : »Es ist notwendig, in den Betrieben eine einheitliche Front aller dem Faschismus feindlich gesinnten Arbeiter herzustellen. Dazu gehören heute nicht mehr allein die kommunistischen, sozialistischen und freigewerkschaftlichen Arbeiter, sondern auch viele EG-Funktionäre und Angehörige der christlichen Gewerkschaften  ; auch diese werden gewählt werden, wenn sie den anderen Voraussetzungen entsprechen. Die Freien Gewerkschaften wären falsch beraten, wollten sie die Wahlen bloß als ihre besondere Organisationsangelegenheit 46 Zit. bei Pelinka  : Erbe und Neubeginn. S. 159.

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betrachten, nein, gerade die Freien Gewerkschaften haben die Aufgabe, die Gesamtheit aller Arbeiter zu schaffen.«47 Bis zum Anschluss wurden die gewählten kommunistischen Vertrauensmänner, in deutlichem Gegensatz zu jenen der Revolutionären Sozialisten, als sog. »Versöhnler« zu den Befürwortern einer Unterstützung der Regierung Schuschnigg in ihrem Kampf gegen den Nationalsozialismus auch ohne vorherige Erfüllung der Forderungen der illegalen Gewerkschaft, womit sie allerdings eine Minderheitenposition vertraten, wie auf der Vertrauensmännerkonferenz im Floridsdorfer Arbeiterheim deutlich wurde. Angesichts der von Schuschnigg angekündigten Volksabstimmung am 13. März 1938 waren jedoch die Positionen von Kommunisten und Revolutionären Sozialisten deckungsgleich, indem beide zu einer positiven Stimmabgabe aufriefen, wobei auch sie, wie die Revolutionären Sozialisten, betonten, dass dies keineswegs ein positives Votum für die Regierung Schuschnigg sei. »A r b e i t e r, A r b e i t e r i n n e n , Ö s t e r r e i c h e r    ! Die Kapitulations- und Verratspolitik Schuschniggs einerseits, der Druck Berlins andererseits hat Österreichs Unabhängigkeit in tödliche Gefahr gebracht. Am Sonntag, den 13. März, wird darüber abgestimmt, ob Österreich eine P r e u s s i s c h e P r o v i n z oder ein unabhängiger Staat sein soll. Hier gibt es kein Schwanken. Jeder freiheitlich gesinnte Arbeiter, jeder ehrliche Österreicher s t i m m t a m S o n n t a g m i t J a   ! Jede Stimmenthaltung nützt den Hauptkriegsbrandstiftern, den Würgern der deutschen Arbeiterklasse, der Freiheit, des Fortschritts und der Demokratie. Mit dem Ja am Sonntag stimmen wir nicht für die Politik Schuschniggs, sondern geben unsere Entschlossenheit, mit allen Mitteln für ein freies, unabhängiges, demokratisches Österreich zu kämpfen Ausdruck.«48 Obwohl Kommunisten und Revolutionäre Sozialisten in ihrer grundsätzlich positiven Haltung zur Sowjetunion und deren Entwicklung übereinstimmten, für die Solidarität der internationalen Arbeiterschaft gegen deren Bedrohung durch »imperialistische Mächte«, vor allem das Dritte Reich eintraten und in der Diktatur des Proletariats eine historische Notwendigkeit im Übergang zum Sozialismus erblickten, so zeichnete die Haltung der Revolutionären Sozialisten vor allem zur Sowjetunion und der Entwicklung der KPdSU eine deutlich kritischere Haltung aus. Sie kritisierten vor allem die ausgeprägte, der sozialistischen Demokratie widersprechende, bürokratisch-zentralistische Tendenz der Herrschaft der KPdSU, die mangelnde demokratische innerparteiliche Diskussionskultur, die Diffamierung oppositioneller Meinungen als Trotzkismus, Konterrevolution oder Rechts- bzw. Linksabweichlertum sowie den ausufernden Personenkult um Stalin. Vor allem die 47 Die Rote Fahne 1.10.1936. S. 1f. 48 Widerstand und Verfolgung in Wien. Bd. 1. S. 305f.

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jedem juristischen Verfahren Hohn sprechenden Moskauer Schauprozesse mit ihrer medialen Inszenierung und aggressiven Rhetorik führten zu einer Entfremdung zwischen Revolutionären Sozialisten und Kommunisten. Letztere erwiesen sich durch die direkte Übernahme der sowjetischen Propaganda und Verteidigung der absurden Vorwürfe, die »Dehumanisierung der Angeklagten«,49 sowie die völlige Unterordnung unter die Beschlüsse der Komintern als bolschewisierte Partei im Sinne Stalins. Der »Informationsdienst der Revolutionären Sozialisten« bemerkte daher bereits im September 1936 in Reaktion auf den ersten Moskauer Schauprozess, die österreichische Arbeiterschaft erwarte sich von beiden Arbeiterparteien eine Stellungnahme »zu dem erschütternden Ereignis von Moskau« und man halte es für seine »selbstverständliche Pflicht«, seine kritische Meinung zu äußern. Die KPÖ habe jedoch das Zentralkomitee der Revolutionären Sozialisten wissen lassen, dass man in einer »Stellungnahme, die das Vorgehen der Sowjetbehörden gegen die Opposition in der KP Russlands kritisiert, eine unfreundliche Handlung erblickt …«50 Selbst die von Otto Bauer ohnedies nur sehr verhalten vorgetragene Kritik an den Moskauer Schauprozessen wurde wütend als Ausdruck des Trotzkismus bekämpft. Die KPÖ bezeichnete in ihren Publikationen die Moskauer Prozesse als notwendige Abrechnung mit Verrätern und zu den Agenten in ausländischen Diensten mutierten ehemaligen Kommunisten. Ernst Fischer, erst 1934 von den Sozialdemokraten zu den Kommunisten gewechselt, schrieb in revolutionärer Autosuggestion, dass auch Diplomaten und Berichterstatter aus den kapitalistischen Ländern, die den Prozessen beiwohnten, von der Richtigkeit der von den Angeklagten abgelegten Geständnisse völlig überzeugt seien. »Die Diplomaten und Berichterstatter sahen, in welch guter körperlicher Verfassung sich die Angeklagten befanden, wie ungezwungen sie sich bewegten, wie ungehindert sie sprachen und diskutierten, wie höflich sie behandelt wurden. (…) Und sie stellten sich schließlich die Frage  : Welchen Grund hätte die Sowjetunion, Volkskommissare, leitende Wirtschaftsmänner, weltbekannte Parteimitglieder solcher Verbrechen anzuklagen, der Öffentlichkeit dieses furchtbare Schauspiel zu bereiten, wenn die Anklage nicht hundertfach begründet und erhärtet wäre  ? Dass Stalin, dass die Führung des Staates und der Partei aus ›Rachsucht‹ einen derartigen Prozess veranstalteten – einen solchen Blödsinn kann man idiotischen Spießern einreden, die Diplomaten und Berichterstatter wussten zu gut, dass das nichts als Blödsinn ist.«51 Im selbstkritischen Rückblick versuchte er die Frage zu beantworten, warum jemand, der weder dumm noch bösartig sei, zu solchen Äußerungen kommen könne. Seine Antwort  : »Wenn er aufhört, kritisch zu sehen, zu hören, zu denken, um nicht 49 Karl Schlögel  : Terror und Traum. Moskau 1937. – München 2008. S. 118. 50 Zit. bei West  : Die Linke im Ständestaat. S. 229. 51 Fischer  : Erinnerungen und Reflexionen. S. 384f.

Wandlungen einer stalinistischen Partei – die KPÖ

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an der Sache, der er dient, zu zweifeln, bereit, seinen Intellekt dem ›Credo quia est absurdum‹ zu unterwerfen« und daher »diesen unterworfenen Intellekt missbraucht, um den Irrtum in fadenscheinige Syllogismen zu hüllen.«52 Diese »Deformation des Bewusstseins« war das Ergebnis eines fürchterlichen »atmosphärischen Drucks (…) Auch die absurdesten Behauptungen, die verrücktesten Lügen beeinflussen, wenn sie Tag für Tag wiederholt werden, das Bewusstsein. Verhaftungen, Beschuldigungen in solchem Ausmaß konnten doch nicht pure Willkür sein – und Willkür wessen  ? Gewiss  : wenn ein Apparat in Bewegung gerät, beschleunigt sich diese Bewegung nach eigenem Gesetz, ist sie so leicht nicht zu regulieren. Wachsamkeit  ! Seid ihr denn blind  ? Sehr ihr den Feind nicht  ? Jeder kann ein Feind sein, es sei denn, du kennst ihn bis ins Verborgenste. Ein Wettbewerb der Wachsamkeit beginnt  : Ihr habt noch keinen Feind entdeckt  ? Eure Organisation soll die einzige ohne einen Feind sein  ? Wie seltsam, wie verdächtig  ! Nur deine Nachbarin ist eine Hexe  ? Nur der im Zimmer nebenan weiß nichts von schwarzer Magie  ? Und dann  : warum hat der die Wohnung, nicht ich, da Wohnungen so rar sind  ? Und der die gute Stellung, nicht ich  ? Und der das Ohr des Chefs und nicht ich  ? Dass derlei mit im Spiel war, dachte ich schon damals, in diesem schrecklichen Halblicht. Doch alles zu Ende zu denken, war niemand fähig, der nicht zu denken wagte, dass Stalin der Urheber des methodischen Wahnsinns war (…) Da dieser Gedanke jenseits des für mich Vorstellbaren war, da ich das Ausmaß und das System des Terrors nicht einmal zu ahnen vermochte, (…) tappte ich ratlos umher, klammerte mich an jede nur halbwegs plausible Erklärung …«53 Diese mentale Deformation war kein Spezifikum Ernst Fischers, sondern das Leitmotiv der meisten Kommunisten, innerhalb und außerhalb der Sowjetunion, die sich als Angehörige einer säkularen Kirche im Besitz der Heilsgewissheit sahen. Diese vor allem im Stalinismus sich ausweitende dogmatische Verengung realisierte im Kollektiv der Gläubigen das Wort Juri Pjatatows  : »… wenn die Partei es verlangt, (…) werde ich Schwarz sehen, wo ich Weiß zu sehen vermeinte (…), denn für mich gibt es kein Leben außerhalb der Partei.«54

52 Ebda. S. 383. 53 Ebda. S. 369f. 54 Zit. bei Martin Malia  : Vollstreckter Wahn. Sowjetunion 1917–1991. – Berlin 1998. S. 315.

5. Landespolitik im Zeichen der Krise

5.1 »Nationalsozialisten, wir sind so weit  ! « – Die Salzburger NSDAP Zum Jahreswechsel 1937/38 schrieb die »Salzburger Chronik« prophetisch  : »Das Zeitgeschehen, das unseren Schritt in das Jahr 1938 begleitet, lässt uns nur ahnen, dass wir wirklich an einer Zeitenwende stehen. Wir können Österreich nicht losgetrennt von den Ereignissen betrachten, welche die Entwicklung der ganzen Welt sprunghaft vorwärtstreiben. Wir können auch keine kommende Gestaltung andeuten, denn ein Jahr in unserem Zeitalter kann Entscheidungen in sich bergen, die von geschichtlicher Bedeutung sind.«1 Der Bundeskommissär des Heimatschutzes und Chef des Bundespressedienstes, Oberst Walter Adam, erklärte in einer Rundfunkansprache zum Jahreswechsel zuversichtlich, dass sich Bundeskanzler Schuschnigg »auch im Jahre 1938 (…) durch keine List und keine Drohung beirren lassen« und Österreich weiterhin sicher »auf dem Weg« führen werde, »den uns Dollfuß gewiesen hat.«2 Der Leitartikel in der »Salzburger Chronik« sollte 1938 Wirklichkeit werden, die Ankündigung Adams sich bereits sechs Wochen später vor den Toren Salzburgs als Makulatur erweisen. In der (sicherheits)politischen Landschaft Salzburgs gingen um die Jahreswende 1937/38 die Wogen hoch. Ursache der allgemeinen Erregung waren ein Artikel des Leiters des Volkspolitischen Referats in der Salzburger Vaterländischen Front, des Rechtsanwalts Albert Reitter, sowie der Fund von 14 Tonnen illegalen nationalsozialistischen Propagandamaterials auf dem Bahnhof in Salzburg. Bei einer von der Sicherheitsdirektion Salzburg anschließend durchgeführten Hausdurchsuchung wurde zudem ein Tätigkeitsbericht der Salzburger illegalen NSDAP sichergestellt, der auch eine Angabe über die Parteimitglieder in der Stadt, deren Zahl sich zwischen 1936 und 1938 von 500 auf 1.100 erhöht hatte, enthielt. Ironisch kommentierte die »Salzburger Chronik« diese Zahl mit dem Hinweis, dass die Vaterländische Front in der Landeshauptstadt über 29.224 Mitglieder verfüge und dieses Zahlenverhältnis die politische Realität widerspiegle.3 Gleichzeitig nannte ein NSDAP-interner Bericht über die Kreise I bis V, die den politischen Bezirken entsprachen, mit Stichtag 31. Jänner 1938 rund 8.000 Mitglieder, von denen 435 als Aktivisten bezeichnet

1 Salzburger Chronik 31. 12. 1937. S. 1. 2 Ebda. 3 Salzburger Chronik 10.2.1938. S. 4.

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wurden.4 Bei oberflächlicher Betrachtung eine im Vergleich mit den rund 120.000 Mitgliedern der Vaterländischen Front im Bundesland, auf die Bernhard Aicher in einer Rede im Jänner 1938 verweisen konnte, verschwindend geringe Zahl. Sowohl den Sicherheitsorganen wie den regimetreuen politischen Eliten war jedoch bewusst, dass der Mythos der großen Zahl keineswegs der politischen Realität und der politischen Kultur des Landes entsprach, die Zahl der NS-Sympathisanten in Stadt und Land Salzburg erheblich höher und das politische Kräfteverhältnis keineswegs so eindeutig war, wie es die »Salzburger Chronik« – wohl auch aus Zweckoptimismus – behauptete. In einer undatierten, wahrscheinlich Ende 1937 verfassten, internen Analyse über die Situation der Vaterländischen Front seit der offiziellen Etablierung der Volkspolitischen Referate am 17. Juni 19375 hieß es  : »Im Übrigen verdient die Tätigkeit der Volkspolitischen Referate oder wenigstens einzelne von ihnen gesteigerte Aufmerksamkeit. Es sind Anzeichen dafür vorhanden, dass seitens einer Gruppe der illegalen Nationalsozialisten alles darangesetzt wird, um im Wege der volkspolitischen Referenten ihren Einfluss auf die Front zur Geltung zu bringen und – die Annahme ist bei der bekannten Mentalität der Nationalsozialisten wohl nicht fehl – wohl mit der Absicht, die Front zu zersetzen.«6 4 Oskar Dohle  : Bomben, Böller, Propaganda. Der Aufstieg der NSDAP in Salzburg 1918–1938.  – In  : Peter F. Kramml, Ernst Hanisch (Hg.)  : Hoffnung und Verzweiflung in der Stadt Salzburg 1938/39, Vorgeschichte-Fakten-Folgen. – Salzburg 2000. S. 74–123. S.114. 5 Dem mit der Führung des Volkspolitischen Referats betraute Walter Pembauer – Arthur Seyß-Inquart, der Vertrauensmann Kurt Schuschniggs in der Frage der inneren Befriedung in Richtung nationales Lager, weigerte sich zunächst noch, an die Spitze des Referats zu treten – finalisierte aufgrund von Widerständen in der Vaterländischen Front erst im Oktober die Besetzung der Landesreferenten des Volkspolitischen Referats. Dabei gelang es der NSDAP, einzelne Landesreferenten mit Parteigängern zu besetzen und damit das Tor für die Infiltration der staatlichen Monopolorganisation zu öffnen. Odilo Globočnik bemerkte, dass mit der Errichtung der Volkspolitischen Referate die Gruppe um Rainer und Seyß-Inquart »ihre ersten legalen Positionen errungen« hatte. (Zit. bei Elste, Hänisch  : Auf dem Weg zur Macht. S. 308.) Die in der amtlichen »Wiener Zeitung« veröffentlichte Erklärung zur Bildung des Volkspolitischen Referats sollte sich bereits am Tag ihrer Publizierung als Makulatur erweisen. »Die heute vollzogenen Maßnahmen geben neuerlich einen Beweis der Entschlossenheit, allen Staatsbürgern, die guten Willens sind, den Weg zur Vaterländischen Front und zur Mitarbeit an der Neuorganisation des Staates offenzuhalten. Es gilt nicht die Frage, woher einer kommt, sondern die Frage, wo er steht und wohin er gehen will. Wer die Grundlagen des neuen Staates und der Front anerkennt, auf alle offene oder geheime Mitarbeit verzichtet und in großem und kleinem Wirkungskreise seine Kräfte dem Vaterlande zur Verfügung stellt, ist willkommener Weggenosse auf der Dollfußstraße. Ein großer Irrtum ist es aber, wenn die anderen, die abseitsstehen, die österreichische Toleranz so auffassen, als könnte sie eine Duldung der Illegalität einschließen, oder wenn sie glauben, dass die Front geneigt sei, auf faule Kompromisse einzugehen.« (Wiener Zeitung 18.6.1937. S. 1.) 6 Kriechbaumer (Hg.)  : Österreich  ! und »Front Heil  !, S.  394.

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Am 31. Dezember 1937 erschien im deutschnationalen »Salzburger Volksblatt« ein Artikel des Salzburger Rechtsanwalts Albert Reitter unter dem Titel »Frontbekenntnis und Nationalsozialismus«, der einerseits die Position von NS-Landesleiter Leopold vertrat und andererseits deutlich über die im Juli-Abkommen festgelegten Positionen hinausging. Bereits am 20. November 1937 hatte Reitter in einem Interview mit dem »Salzburger Volksblatt« erklärt, dass die von Schuschnigg mit der Installierung der Volkspolitischen Referenten angestrebte Verständigung dann möglich sein werde, wenn die Vaterländische Front »darüber hinausgelangt, ein Ausläufer der Christlichsozialen Partei zu sein und wenn sie es verhindert, dass Österreich zu einem Gegenpol des Dritten Reiches gemacht wird, wenn sie sich weiters bemüht, das Verhältnis der beiden deutschen Staaten immer inniger zu gestalten, dann wird die Verständigung möglich sein. (…) Es wird auch die Erkenntnis immer mehr zum Durchbruch kommen, dass man national und selbst betont national sein kann und doch ein guter Österreicher.« Und auf die Frage nach der Definition der »nationalen Opposition« bemerkte er, man gehe »um diesen Begriff herum wie die Katze um den heißen Brei. Offenheit ist auch in dieser Sache nur nützlich. Die nationale Opposition, und nur von dieser soll hier die Rede sein, besteht zum geringeren Teil aus ehemaligen Nationalen, denen national und freiheitlich wesensgleich sind. Es sind dies meist ältere Leute, die in den Anschauungen des Liberalismus großgeworden sind und sich von ihnen nicht freimachen können und wollen. Sie lehnen christlichständische, faschistische und nationalsozialistische Gedankengänge in gleicher Weise als der Freiheit des Individuums entgegenstehend ab. Weitaus der überwiegende Teil der Opposition besteht aber aus Leuten, die dem Nationalsozialismus innerlich mehr oder weniger nahestehen, wobei die Kerntruppe aus den überzeugten Nationalsozialisten besteht. Dass der Großteil dies aus Furcht vor Bestrafung nicht zugibt, ändert nichts an der Tatsache, dass es so ist.«7 In seinem für Aufsehen und erhebliche Erregung sorgenden Artikel zur Jahreswende 1937/38 wiederholte Reitter seine Position, indem er betonte, bei der nationalen Opposition handle es sich »im Wesentlichen um Nationalsozialisten, wobei man sich klar sein muss, dass mit diesem Wort nicht nur die Mitglieder der NSDAP gemeint sind, sondern darüber hinaus jener große Personenkreis begriffen werden muss, der sich, ohne einer Partei anzugehören, dem nationalsozialistischen Gedankengut weltanschauungsmäßig verbunden fühlt und in Adolf Hitler den vom Schicksal bestimmten Führer der Nation erblickt. Die Volkspolitischen Referenten sind Vertreter der nationalen Opposition und daher gesinnungsmäßig in ihrer Mehrheit Nationalsozialisten. Sie haben mit der Übernahme ihres Amtes die Frage, ob ein Nationalsozialist ein Bekenntnis zum Programm der Vaterländischen Front ablegen kann, bejaht. (…)

7 Salzburger Volksblatt 20.11.1937. S. 2.

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Es ist möglich und muss möglich sein, dass Männer unserer Gesinnung gerade und aufrecht und voller G l e i c h b e r e c h t i g u n g am Aufbau Österreichs wirken. In die Vaterländische Front können alle Bundesbürger aufgenommen werden, die sich zum selbständigen, christlichen, deutschen, berufsständisch geordneten Bundesstaat Österreich bekennen. Eine weitere weltanschauliche Bindung wird von den Mitgliedern n i c h t verlangt. Die frühere Zugehörigkeit zu einer politischen Partei oder politischen Bewegung welcher Art immer bildet kein Hindernis für die Mitgliedschaft in der Vaterländischen Front. Dagegen ist nach wie vor die Betätigung für eine der verbotenen politischen Parteien u n t e r s a g t und wird wie bisher verfolgt und bestraft. Nationalsozialismus als G e s i n n u n g und weltanschauliches Bekenntnis ist mit dem Bekenntnis zum selbständigen, christlichen und deutschen Österreich in Einklang zu bringen. (…) Wir, die wir die Waffenbrüderschaft mit dem Deutschen Reiche im Kriege erlebt haben, wir, die wir wissen, dass so gut wie alle Österreicher vierzehn Jahre lang nur eine gemeinsame politische Plattform gekannt haben, nämlich den Anschluss, wir brauchen uns unserer Gefühle für diese Idee nicht zu schämen und uns ihretwegen nicht zu Staatsfeinden stempeln zu lassen.« Österreich habe sich im Juliabkommen als deutscher Staat bekannt und es sei daher durchaus legitim, dass sich die nationale Opposition vor allem mit dem »Schicksal der deutschen Nation, mit der wir als zweiter deutscher Staat auf Gedeih und Verderben verwachsen sind,« verbunden fühle. »Da es keine Politik g e g e n Deutschland und keine o h n e Deutschland für Österreich geben kann, so ist die klar vorgezeichnete Linie eine Politik im engsten Anschluss an das Deutsche Reich. Wir sagen das in dem Bewusstsein, dass wir damit das Beste für unser Österreich wollen, das uns Heimat ist, so gut wie allen jenen, die uns durch den Missbrauch des Wortes vaterländisch davon ausschließen möchten.«8 Albert Reitter, wenn auch formell nicht Parteimitglied, hatte über Auftrag des NSDAP-Gauleiters Anton Wintersteiger die Leitung des Volkspolitischen Referats übernommen und benutzte diese Position unter dem Deckmantel einer vom Regime angestrebten Mitarbeit der nationalen Opposition innerhalb der Vaterländischen Front zu einer sich immer deutlicher abzeichnenden nationalsozialistischen Propagandatätigkeit. Die »Salzburger Chronik« sprach von einer »schweren Entgleisung des volkspolitischen Referenten der Vaterländischen Front«, der die völlig irrige Meinung vertrete, dass ein Nationalsozialist »gleichzeitig gut vaterländisch eingestellt sein könne, dass Nationalsozialismus als Gesinnung und weltanschauliches Bekenntnis mit dem Bekenntnis zum selbständigen, christlichen und deutschen Österreich in Einklang zu bringen sei.« Reitter wolle offensichtlich »sein Amt als Nationalsozialist ausüben« und wende sich »im Wesentlichen an die Nationalso8 Albert Reitter  : Frontbekenntnis und Nationalsozialismus. – In  : Salzburger Volksblatt 31.12.1937. S. 2.

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zialisten.« Nationalsozialismus und VF-Bekenntnis seien unvereinbar. »Wirkliche österreichische Nationalsozialisten, die Dr. Reitter vertreten möchte, werden die Grundlagen des österreichischen Staates (…) leugnen und bekämpfen (…) Derartige (…) Stellungnahmen sind mit der Aufgabe eines volkspolitischen Referenten in der Vaterländischen Front u n v e r e i n b a r (…) Ein weltanschaulich nationalsozialistischer Österreicher wird immer ein Feind des neuen Österreich sein. Die Schaffung des weltanschaulichen V F. – N a z i ist ein Widerspruch in sich (…)«9 Nachdem der Artikel Reitters auch in deutschen nationalsozialistischen Zeitungen Beachtung fand, sah sich die »Salzburger Chronik« nochmals zu der offiziellen Feststellung veranlasst, dass es nach dem Juliabkommen 1936 keinen österreichischen Nationalsozialismus, keine nationalsozialistische Partei oder deren Anhänger in Österreich gebe, »die unter Beibehaltung der bisherigen Ziele der Partei und Weltanschauung als befriedeter Sektor in der Vaterländischen Front tätig sein könnten.«10 Der Artikel Reitters und dessen erhebliches Echo riefen die Vaterländische Front auf den Plan, die für den 26. Jänner im Stadtsaal des Festspielhauses zu einer Großveranstaltung aufrief. In Anwesenheit von Weihbischof Johannes Filzer, Landesstatthalter Alois Wagenbichler und mehrerer Mitglieder der Landesregierung, Bürgermeister Richard Hildmann und der gesamten Landesführung der Vaterländischen Front hielt der Generalsekretär der Vaterländischen Front, Staatssekretär Guido Zernatto, das mit Spannung erwartete Hauptreferat, das auch als eine deutliche Antwort auf die Ausführungen Reitters angekündigt wurde. In seinem Einleitungsreferat forderte der Salzburger Landesführer, Bernhard Aicher, unter dem Beifall der Anwesenden für das kommende Jahr eine klare politische Linie. »Unter allen Umständen ist zu verhindern, dass von irgendjemandem oder von irgendeiner Seite der Versuch unternommen wird, die D o l l f u ß s t r a ß e a u s z u b u c h t e n . (…) Wir müssen uns klar sein, dass es in unserem Staate nach wie vor Gruppen gibt, die a u ß e r h a l b d e r Va t e r l ä n d i s c h e n F r o n t s t e h e n und die wir in die Besonnenen und Unbesonnenen einteilen. Die letztere Gruppe ist für die Vaterländische Front gar nicht aktuell (…) Es muss aber der Weg zur Vaterländischen Front jenen versperrt werden, die glauben, sich da und dort e i n n i s t e n z u k ö n n e n u n d d a b e i d o c h e i n e s e l b s t ä n d i g e o d e r g a r a n t i ö s t e r r e i c h i s c h e P o l i t i k betreiben.« Und es galt auch, die eigene nationalpolitische Position gegenüber dem pangermanischen Nationalsozialismus zu betonen. »Wir haben es wahrlich nicht notwendig, in jeder Kundgebung zu betonen, dass wir Deutsche sind, es wirkt schon lächerlich, dies immer wieder zu betonen. Wir Österreicher sind Deutsche von Geburt und werden Deutsche bleiben, allerdings d e u t s c h ö s t e r r e i c h i s c h e r P r ä g u n g . Zu dieser österreichischen Prägung gehört aber auch ein Ö s t e r r e i c h b e w u s s t s e i n . «  9 Salzburger Chronik 3.1.1938. S. 1f. 10 Salzburger Chronik 5.1.1938. S. 2.

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Guido Zernatto definierte in seiner Rede das Wesen und den Aufgabenbereich der Volkspolitischen Referate als das Bemühen, diejenigen, die sich zwar zum Programm der Vaterländischen Front bekennen, aber bisher noch nicht zu einer aktiven Mitarbeit bereit gewesen seien, für eine solche zu gewinnen. »Wer ehrlich ist und mitarbeiten will, hat gleichberechtigten Platz in unseren Reihen. Wir stellen aber auch mit der gleichen eindringlichen Klarheit fest  : Unsere offenen Arbeiten auf dem Gebiete der Heranführung aller aufbauwilligen Kreise zum Dienst an Österreich können nie ein Tummelplatz für R o s s t ä u s c h e r und für Menschen sein, die hinter jedem Gedanken auch noch einen Hintergedanken und hinter jeder Tür auch noch eine Hintertür in Bereitschaft haben. Es ist gerade heute Zeit festzustellen, dass mit den Zweideutigkeiten, dort, wo sie vorhanden sind, r a d i k a l S c h l u s s gemacht werden muss. Unsere Geduld ist zu Ende. Hier in Österreich gibt es nur einen Willen und nur einen Weg  : den Willen des Frontführers, den Willen der Vaterländischen Front und den Weg, den Dollfuß uns gewiesen hat.« Einen zentralen Bereich seiner Rede widmete Zernatto dem kontrovers diskutierten Begriff der »nationalen Opposition«. »Unter dem Begriff (…) verstehen wir, dem gesamten Wortsinn nach, eine Gruppe von Menschen, die nationaler Gesinnung ist und zum österreichischen Regime in Opposition steht. Ich habe früher gesagt, dass sich die Tätigkeit der Volkspolitischen Referenten n u r a u f M i t g l i e d e r d e r F r o n t erstrecken kann, also auf Menschen, die ihre Bereitschaft zur Mitarbeit erklärt haben. Das können naturgemäß nicht Oppositionelle sein. Es sind im Gegenteil Menschen, die erklärt haben, dass die positive Mitarbeit das einzige Rezept für Befriedung in diesem Lande ist. Ich möchte also umgekehrt formulieren  : Die Tätigkeit des Volkspolitischen Referenten richtet sich g e g e n die nationale Opposition und wirkt für die Mitarbeit auch nationaler Kreise im Rahmen der Front zum Aufbau des Landes. D a s B e k e n n t n i s z u m N a t i o n a l s o z i a l i s m u s l ä s s t s i c h n a t u r g e m ä ß m i t d e m B e k e n n t n i s z u r Va t e r l ä n d i s c h e n F r o n t n i c h t v e r e i n e n .«11 Die politischen und ideologischen Pflöcke schienen damit eingeschlagen. Für die »Salzburger Chronik« wirkten die Erklärungen Zernattos »in der Verwirrung und Unklarheit – um nicht zu sagen Unsicherheit, die durch die Auseinandersetzungen um die Volkspolitischen Referenten entstanden waren – (…) wie eine Erlösung.«12 Etwas mehr als zwei Wochen später folgte das für alle Salzburger Akteure völlig überraschende Treffen Schuschniggs mit Hitler auf dem Berghof und die Unterzeichnung jenes Abkommens, das, wie Papen nicht zu Unrecht behauptet, »nur in der Frage der Neubesetzung des Innenministeriums samt der Polizei ein wesentliches Zugeständnis« enthielt, »das über die von Schuschnigg vorgesehenen Kon11 Salzburger Chronik 27.1.1938. S. 1f. 12 Salzburger Chronik 28.1.1938. S. 1.

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zessionen hinausging.«13 Zernatto und Schuschnigg hatten bereits in ihrer geheimen Punktation kapituliert und die Tore für die Machtübernahme der NSDAP geöffnet. Schuschnigg kehrte in den späten Abendstunden deprimiert nach Salzburg zurück und hatte vor seiner Weiterreise nach Wien im Chiemseehof mit Landeshauptmann Rehrl eine Aussprache, in der er die Ergebnisse der Verhandlungen referierte. Der Direktor der deutschen Abteilung im Außenministerium, Franz Hofinger, der sich auf Weisung Guido Schmidts in Salzburg aufhielt, wurde Zeuge der Ereignisse im Chiemseehof. Er sei, so seine Zeugenaussage im Prozess gegen Guido Schmidt, im Laufe des Abends »bereits unruhig über das Schicksal des Kanzlers« geworden, da dieser noch immer nicht in Salzburg eingetroffen war. Endlich kam Guido Schmidt mit dem Kanzler. »Beide befanden sich in einer derart vernichteten Stimmung, wie ich kaum sonst jemanden je gesehen habe. Sie zogen sich sofort mit Landeshauptmann Dr. Rehrl zurück. Dieser trat kurz nachher einen Augenblick auf mich zu und sagte mir nur im Vorbeigehen  : ›E n t s e t z l i c h   ! E n t s e t z l i c h   ! ‹«14 Ob sich das Urteil Rehrls nur auf das Ergebnis der Verhandlungen oder auch auf deren Verlauf bezog, ist aufgrund der mangelhaften Quellenlag nicht feststellbar. Wahrscheinlich auf beides. Schuschnigg hatte offensichtlich die Situation im Vorfeld der Besprechung völlig falsch eingeschätzt. So ging er davon aus, dass, den diplomatischen Usancen entsprechend, ein Sprechprogramm eingehalten werde. Papen hatte ihm allerdings erklärt, dass dies nicht der Fall sein werde. Max Hoffinger bestätigte im Hochverratsprozess gegen Guido Schmidt, dass deutscherseits keine Zustimmung zu einer solchen Forderung gegeben worden sei.15 Schuschnigg hätte somit entweder die Besprechung absagen oder aber alternative Szenarien, vor allem den worst case, in seine Vorbereitungen einkalkulieren und entsprechende Strategien vorbereiten müssen. Die Einschätzung Friedrich Rainers, dass der österreichische Kanzler aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur einer nervlichen Belastungsprobe letztlich nicht standhalten könne, bewahrheitete sich bei der inszenierten militärischen Drohgebärde am Berghof. Der österreichische Kanzler hatte zwar hinhaltenden Widerstand geleistet, letztlich jedoch entscheidende Positionen geräumt und damit den kommenden Ereignissen den Boden bereitet. Papens Behauptung, dass, »hätte Schuschnigg Hitler besser gekannt« und wäre »ihm als gleichberechtigter Vertreter eines souveränen Landes mit gleicher Grobheit und Entschlossenheit entgegengetreten, so würde die Unterhaltung einen weit weniger dramatischen Verlauf genommen haben,« ist wohl zutreffend.16 13 Papen  : Der Wahrheit eine Gasse. S. 476. 14 Der Hochverratsprozess gegen Dr. Guido Schmidt. S. 139. 15 Ebda. 16 Papen  : Der Wahrheit eine Gasse. S. 476.

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Abgesehen von Rehrl, den Schuschnigg noch in den späten Abendstunden des 12. Februar über den Verlauf und die wichtigsten Ergebnisse des Treffens informiert hatte, tappte man in Salzburg, wie in ganz Österreich, weitgehend über dessen Inhalt und Ergebnis im Dunkeln. Die »Salzburger Chronik« berichtete zwar von dem Ereignis, nicht jedoch – mangels Information – von dessen Inhalt und Ergebnis. In einem Kommentar wies sie mit Zweckoptimismus darauf hin, dass das Treffen auf Wunsch des deutschen Reichskanzlers zustande gekommen sei, da dieser vor seiner großen Reichstagsrede mit dem österreichischen Bundeskanzler die bilateralen Beziehungen und Probleme zu besprechen wünschte. Dass dies »nur im Rahmen des J u l i a b k o m m e n s erfolgen kann, dass die volle S o u v e r ä n i t ä t Ö s t e r r e i c h s garantiert, liegt klar auf der Hand. Dafür sind alle Erklärungen des Bundeskanzlers im Laufe seiner Kanzlerschaft bis hinein in die letzten Tage eindeutige und klare Bürgschaft.«17 Nach der Regierungsumbildung am 15. Februar und der Ernennung von Seyß-Inquart zum neuen Innenminister, dem zudem auch die bisher zum Bundeskanzleramt ressortierende Exekutive unterstellt wurde (allerdings mit Michael Skubl als Staatssekretär), sowie der von einem Großteil der regierungstreuen Bevölkerung mit Kopfschütteln und Unverständnis quittierten allgemeinen Amnestie wurde das Ausmaß der in Berchtesgaden gemachten Zugeständnisse einer breiten Öffentlichkeit deutlich. Die österreichische Seite sei im Interesse der Befriedung sehr weit gegangen, kommentierte die »Salzburger Chronik«, weshalb man nun entsprechende Schritte deutscherseits erwarte. Die von Berlin zu erwartenden Maßnahmen können nur in der v o l l s t ä n d i g e n L i q u i d i e r u n g der österreichischen I l l e g a l e n bestehen und in der restlosen Absage an die Versuche, die innerpolitische Entwicklung Österreichs durch irgendwelche Ermutigung und finanzielle Unterstützung zu stören. Österreich muss nunmehr in absolut ungestörter Souveränität seine Aufgabe erfüllen können, die in der Maiverfassung und in den Gesetzen über die Front niedergelegt sind. (…) Abzuwarten bleibt also jetzt die G e g e n l e i s t u n g . Die österreichische Regierung ist bis an die Grenze des Entgegenkommens gegangen – denn an die Grundlinien unseres Staates kann und darf nicht gerüttelt werden. Wir sind keine Utopisten, wir glauben nicht, dass es ab morgen keine nationale Opposition und keine illegalen Nationalsozialisten mehr geben wird.« Man erwarte jedoch, »dass jede Unterstützung des innerösterreichischen illegalen Nationalsozialismus von außen her ihr Ende findet (…) Wie es heißt, wird die Reichstagsrede Hitlers am Sonntag in dieser Hinsicht aufklärend sein.«18 17 Salzburger Chronik 14.2.1938. S. 1. Ähnlich bemerkte die »Neuere Freie Presse«  : »Die österreichische Öffentlichkeit befasst sich begreiflicherweise sehr lebhaft mit dem Ereignisse vom Samstag. Es hat die feste Überzeugung, dass die Verfassung und die Vaterländische Front außer Diskussion stehen, dass also die volle Souveränität unseres Staates gewahrt bleibt.« (Neue Freie Presse 15.2.1938. S. 1.) 18 Salzburger Chronik 17.2.1938. S. 1.

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Die Reichstagsrede Hitlers am 20. Februar, die auch von der Ravag übertragen wurde, wirkte tatsächlich aufklärend, allerdings nicht in dem von der »Salzburger Chronik« erhofften Sinn. Während sich am Abend des 21. Februar im mit rot-weißroten Fahnen und Schuschnigg-Bildern geschmückten Kurhaussaal in einem Amtswalterappell der Salzburger Vaterländischen Front »die Auslese des vaterlandstreuen Salzburg um ihre Führer« versammelte und schließlich an den Bundeskanzler und Frontführer ein Treue-Telegramm absandte,19 formierte sich in der Auerspergstraße und deren Nebenstraßen ein Fackelzug mit rund 19.000 Teilnehmern, so die Angaben des nationalen »Salzburger Volksblattes«, während rund 15.000 Salzburger/ innen, sei es aus Sympathie oder Neugier, den Marschweg, der am Residenzplatz endete, säumten. Offiziell hatten nationale Vereine zu dem Zug aufgerufen, tatsächlich organisierten ihn die verschiedenen nationalsozialistischen Organisationen, von der Betriebszellenorganisation über die Hitler-Jugend bis zur SA und SS. Der um 20 Uhr startende Fackelzug bildete eine beindruckende Heerschau des »nationalen« Salzburg, das zu diesem Zeitpunkt wohl mit dem nationalsozialistischen ident war. Und er demonstrierte nicht nur die bereits erfolgte Penetration staatlicher Institutionen durch die NSDAP und deren Sympathisanten, sondern auch die eindeutige Position des Volkspolitischen Referenten der Salzburger Vaterländischen Front Albert Reitter. machte aus seinem Herzen keine Mördergrube und schilderte im »Salzburger Volksblatt« den Fackelzug in einer nationalen Erweckungseloge  : »Um etwa 20 Uhr setzte sich die Spitze des Zuges in (…) Bewegung. Voran die Kolonnen von HitlerJugend und BdM, dann die viele Tausende von Arbeitskameraden aus den Salzburger Betrieben, Teile der nationalsozialistischen Frauenschaft, kleine Abteilungen von Bundesheer und Gendarmerie, die völkischen Vereine, darunter die bündischen Turner des Bezirkes Groß-Salzburg allein mit 700 Mann und den wuchtigen Abschluss bildeten die Stürme der SA und SS. Eine endlose Feuerschlange, aus der das Rot der Hakenkreuzfahnen und -fähnchen grell hervorleuchtete und die sich in einem Orkan der Begeisterung durch die Spalier bildenden Menschenmassen hindurchwand. (…) Der grenzenlose Jubel der Marschierenden fand gleich starken Widerhall bei den Zusehern. Immer wieder brandeten die Rufe auf  : ›Sieg Heil  !‹ und ›Heil Hitler  !‹. Und links und rechts der Straße ein endloser Wall emporgereckter Hände. Und dazwischen die Weisen der Musik und die Lieder der Nation. Zahlreiche Spruchbände wurden getragen wie ›Heil Hitler  !‹, ›Österreich erwache  !‹, ›Wenn andere welken, werden wir ein Volk  !‹ usw. (…) Nach einem Hornsignal betrat der Volkspolitische Referent der Vaterländischen Front, Dr. Albert Reitter, das Gesimse des ersten Stockes des Hauses Residenzplatz 5, hob die Hand zum deutschen Gruß und sprach  : ›Nationalsozialisten, wir sind so weit  !‹ (Nicht endenwollende Sieg-Heil- und Heil-Hitler-Rufe.) ›Wir gedenken in 19 Salzburger Chronik 22.2.1938. S. 4.

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einer Minute des Schweigens der Toten der Bewegung‹. Eine lautlose Stille senkte sich auf den großen Platz. Eine ergreifende Trauerkundgebung  ! Dann rief Dr. Reitter aus  : ›Wir grüßen den Führer Adolf Hitler, Sieg Heil  !‹ (Ungeheurer Jubel.) ›Den Bundeskanzler Dr. Schuschnigg, Sieg Heil  ! Den Bundesminister Dr. Seyß-Inquart, Sieg Heil  !‹ Tausende Arme recken sich hoch, jubelnd braust dies ›Sieg Heil  !‹ auf, feierlich und zutiefst gläubig klingen das Deutschland- und das Horst-Wessel-Lied zum sternenübersäten Himmel empor. (…) Fürwahr ein einzigartiges Erlebnis der Volkwerdung und der Volksgemeinschaft.« Die Masse der Teilnehmer habe eine echte Volksgemeinschaft repräsentiert und absolute Disziplin bewahrt, sodass die Polizei keinen Grund zum Eingreifen hatte. »Dies war vielleicht der größte Sieg des gestrigen Tages, ein Sieg, an dem auch der Führer eine stolze Freude haben wird und der Bewegung tausende neue Anhänger gewann.«20 Angesichts der massiven nationalsozialistischen Demonstrationen im Anschluss an die Reichstagsrede Hitlers sah sich der neue Innenminister Seyß-Inquart gezwungen, am 22. Februar in einer Rundfunkansprache ein vierwöchiges Kundgebungsverbot zu verkünden, von dem nur Versammlungen der Vaterländischen Front ausgenommen waren. Gleichzeitig erinnerte er die Nationalsozialisten daran, dass das Berchtesgadener Abkommen eine legale politische Betätigung nur im Rahmen der Vaterländischen Front und auf dem Boden der Maiverfassung vorsehe. »Wir müssen von Anfang an unsere Aufgabe darin sehen, in diesen österreichischen Staat und seine Einrichtungen hineinzugehen, nicht um ihn zu bekämpfen, sondern daran m i t z u w i r k e n , um ihn nach unserem Willen mitzugestalten. (…) Am 24. dieses Monats wird Bundeskanzler Dr. von Schuschnigg als verantwortlicher Leiter der österreichischen Politik zu den Ergebnissen des 12. Februar Stellung nehmen. Dann wird der Zeitpunkt gekommen sein, alle Kräfte für das gesamte deutsche Volk und für das österreichische Vaterland zum Einsatz zu bringen.«21 Mit besonderer Spannung wurde die Rede Schuschniggs, die ebenfalls von der Ravag auch in das Deutsche Reich übertragen wurde, vor allem von der aufgrund des offensiven Auftretens der Nationalsozialisten zunehmend verunsicherten Anhängerschaft der Regierung erwartet. Die Rede wurde daher bereits im Vorfeld zum Politikum und zum Kampfplatz der Symbole. Am 22. Februar wandte sich der Landesführer der Salzburger Vaterländischen Front, Bernhard Aicher, mit einem Aufruf an die Salzburger Bevölkerung, in der er betonte, die Rede des Bundeskanzlers sei von grundlegender Bedeutung und werde »eine neue Epoche österreichischer Geschichte einleiten. Kameraden und Kameradinnen  ! Feiern wir diesen Tag  ! Bezeugen wir unserem Bundeskanzler und Frontführer unsere Treue und geschlossene Gefolgschaft  ! 20 Robert Mimra  : Lodernde Fackeln – lodernde Herzen. – In  : Salzburger Volksblatt 22.2.1938. S. 5. 21 Neue Freie Presse 23.2.1938. S. 4  ; Salzburger Volksblatt 23.2.1938. S. 1.

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Alle Fenster unserer schönen Stadt müssen am Donnerstag Flaggenschmuck tragen  ! Alle Wohnungsinhaber hissen an ihren Fenstern unsere Farben  ! Alle Hausbesitzer beflaggen ihre Häuser mit großen Fahnen  ! Unser Rot-weiß-rot und unser Kruckenkreuz muss leuchten in allen Straßen und auf allen Plätzen der Stadt  ! Es lebe Österreich  !«22 Im Bundeskanzleramt wie im Generalsekretariat der Vaterländischen Front war man sich der Lage und der hohen Erwartungen des regierungstreuen Teils der Bevölkerung durchaus bewusst, weshalb der Entschluss gefasst wurde, der Rede eine betont kämpferische Note zu geben. »Es war Gefahr im Verzuge – und zwar innen-, außenund wirtschaftspolitisch –, wenn das Rätselraten über Österreichs künftige Haltung in aller Welt nicht ehestens sein klares Ende fand. Was Hitler letzten Endes wollte, war bekannt. Nicht durchwegs aber, wie Österreich sich im Prinzip dazu stellte (…) Daher war für mich mit dem 24. Februar 1938 in der Tat der Moment des Hic Rhodus – hic salta gekommen.«23 Tatsächlich vermochte Schuschnigg mit seiner ungewohnt kämpferischen Rede, die in den Sätzen »Bis hierher und nicht weiter  !« und »Bis in den Tod Rot-weiß-Rot  ! Österreich  !« gipfelte, die Erwartungen seiner Anhängerschaft zu erfüllen.24 Begeistert kommentierte die »Salzburger Chronik« die Rede des Kanzlers. »Der 24. Februar 1938 wird ein Schicksalstag des neuen Öster­ reich bleiben. Es war ein Tag der Ehre und der Freiheit, ein Tag der Gewissheit und des Sieges. Nur wer von den bangen Sorgen des österreichischen Volkes in den letzten zwei Wochen wusste und den lähmenden Druck auf der eigenen Brust lasten fühlte, kann den erlösenden Jubel begreifen und die Begeisterung verstehen, der Öster­reichs Volk erfasste, als es aus dem Munde seines Kanzlers (…) das erlösende Wort hörte  : ›W i r s i n d u n d b l e i b e n f r e i   !‹«25 Doch es war nicht das österreichische Volk, das jubelte, sondern nur jener Teil, der das Regierungslager bildete. Dessen war sich auch Schuschnigg bewusst, der im Rückblick bemerkte  : »Die Wirkung war klar übersehbar. Leidenschaftliche Zustimmung im eigenen Lager und darüber hinaus in breiten Schichten politisch Gedankenloser und Indifferenter  ; momentane Unschlüssigkeit in der Masse des Gegners …«26 In Salzburg hatten Landesregierung und Vaterländische Front beschlossen, den am 21. Februar hingeworfenen Fehdehandschuh der Salzburger NSDAP aufzuhe22 Salzburger Chronik 22.2.1938. S. 5. 23 Schuschnigg  : Ein Requiem in Rot-Weiß-Rot. S. 58. 24 Zur Rede Schuschniggs vgl. Reichhold  : Kampf um Österreich. S. 343–346. 25 Salzburger Chronik 26.2.1938. S. 1. 26 Schuschnigg  : Ein Requiem in Rot-Weiß-Rot. S. 59.

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ben und mit einem noch imponierenden Fackelzug der eigenen Anhängerschaft, die aus dem ganzen Land mit Bussen in die Landeshauptstadt gebracht wurde, zu beantworten.27 Landeshauptmann Rehrl ordnete an, dass alle Beamten und Angestellten des Landes an der Demonstration teilzunehmen hätten, da es immerhin um den Bestand eines freien Österreich gehe. Am Abend des 25. Februar zogen rund 24.000 Teilnehmer, begleitet von 28 Musikkapellen, in einem Fackelzug, »einem traumhaft schönen Meer von Lichtern«, so die »Salzburger Chronik« in ihrem Bericht, durch die Straßen der Stadt Salzburg. Bei der Abschlusskundgebung auf dem Residenzplatz, wo vor vier Tagen Albert Reitter noch erklärt hatte, »Nationalsozialisten, wir sind so weit  !«, jubelte die inzwischen auf rund 35.000 Menschen angewachsene Menge der Rede Bernhard Aichers zu, die mit dem aus Schuschniggs Rede vom Vortag geborgten Satz »Rot-weiß-rot bis in den Tod  !« endete.28 In der Phase der auch in Salzburg sich deutlich etablierenden Doppelherrschaft war der Kampf um die Straße und politische Deutungshoheit voll entbrannt. In diesem war, wie Schuschnigg retrospektiv bedauernd feststellte, »der Gegner klar in der Vorderhand, weil Polizei und Verbände nicht ernstlich eingreifen durften«,29 um den Eindruck eines Bürgerkrieges zu vermeiden, der dem Deutschen Reich den Vorwand zum militärischen Eingreifen geboten hätte. Das Regierungslager befand sich Ende Februar/Anfang März 1938 gegenüber einer sich immer mehr radikalisierenden NSDAP in der Defensive. Rainer und Globočnik wurden in dieser Phase immer mehr zu den eigentlichen Akteuren der Politik der österreichischen NSDAP,30 die Seyß-Inquarts Bemühungen um eine evolutionäre Entwicklung ignorierten. Begünstigt durch die Radikalisierung der Basis infolge des Zuzugs von amnestierten Nationalsozialisten drängten sie auf verstärkte Demonstrationen und Akte zivilen Ungehorsams mit dem Ziel einer Machtübernahme, wobei sie auch mit der passiven Haltung oder auch heimlichen Unterstützung von Teilen der Exekutive und Bürokratie rechneten, die bereits von Nationalsozialisten durchsetzt waren. Wenngleich es keine exakten Zahlen über das Stimmungsbild der Salzburger Bevölkerung im Februar/März 1938 gibt, so ist davon auszugehen, dass der Nationalsozialismus vor allem aufgrund historischer Überhänge bei den deutschnationalen Eliten sowie der Propagandawirkung der Rüstungskonjunktur im Dritten Reich über erhebliche Anziehungskraft verfügte. Die NSDAP hatte bereits bei der letzten Landtagswahl 1932 einen Aufstieg zur Mittelpartei vollzogen. Für Salzburg dürfte auch die für Österreich vorgenommene Schätzung von 25 (bis maximal 30 Prozent) 27 Zum März 1938 vgl. auch Erika Weinzierl  : März 1938 in Salzburg. – In  : Franz Danimann (Hg.)  : Finis Austriae. Österreich, März 1938. – Wien/München/Zürich 1978. S. 145–152. 28 Salzburger Chronik 26.2.1938. S. 1 und 11. 29 Schuschnigg  : Ein Requiem in Rot-Weiß-Rot. S. 59. 30 Pucher  : »… in der Bewegung führend tätig«. S. 37.

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Prozent zutreffen, die Schuschnigg angeblich Anfang 1938 in einer Einschätzung der innenpolitischen Lage vorgenommen hat. Rund ein Viertel der Bevölkerung sei vaterländisch, ein Viertel nationalsozialistisch, der Rest verhalte sich indifferent und richte sich danach, »wie der Hase läuft.« Der italienische Luftattaché in Budapest, Oberst Natale Palotta, kam Ende März 1938 nach einem Besuch in Wien zu dem Schluss, es gäbe in Österreich eine patriotisch/legitimistische und eine, allerding sehr gut organisierte, nationalsozialistische Minderheit. Dazwischen befände sich die große Masse der politisch Passiven, die die politischen Ereignisse nur als Zuschauer erlebten. »Tatsächlich sollte im März nicht so sehr zählen, wie viele (oder auch wenige) Österreicher für den Nationalsozialismus eintraten, sondern wie viele nicht bereit waren, dagegen zu sein.«31 Es erhebt sich allerdings die Frage, ob sich nicht Ende Februar/Anfang März 1938 diese Relation im Sinne des »Herr-KarlPhänomen« zugunsten des Nationalsozialismus verschoben hatte. »Daran jedenfalls kann es kaum einen Zweifel geben, dass im März 1938 das dynamische Zentrum, die mobilisierten Energien bei den Nationalsozialisten lagen, und die Anziehungskraft der durch die Rüstungsindustrie auf Volldampf arbeitenden deutschen Volkswirtschaft wirkte im Westen besonders intensiv. Genügend vorhandene negative Informationen über das Dritte Reich wurden in der Wahrnehmung gefiltert und als nebensächlich abgetan.«32 Es waren bereits vor dem Anschluss nicht so sehr großdeutsche Mentalitäten und Sehnsüchte, sondern der Glaube an den Führermythos Adolf Hitler, die personifizierte Hoffnung auf ein besseres Leben in einem mit dem Dritten Reich eng verbundenen nationalsozialistischen Österreich oder aber in einem durch den Anschluss entstandenen Großdeutschland, die die Attraktivität des Nationalsozialismus bei einem Großteil der Bevölkerung begründeten und die Partei immer offener nach der Macht streben ließ. Besorgt konstatierte die »Salzburger Chronik«, es wäre töricht »nicht zu sehen, dass ein Teil der Nationalsozialisten sich mit dem Erreichten und dem, was die nächste Zukunft an praktischen Auswirkungen der Zusammenarbeit bringen wird, nicht begnügen, sondern a u f s G a n z e g e h e n will. Menschen mit vaterländischer Gesinnung wird von solchen Elementen heute schon Rache angedroht oder auch gut zugeredet, sich doch nicht mehr so zu exponieren, weil ja doch über kurz oder lang der Nationalsozialismus auch in Österreich zur Herrschaft gekommen sein wird. Dass die Tendenz, nicht stehen zu bleiben, sondern zur nationalsozialistischen Totalität weiter zu schreiten, bei einem nicht unerheblichen Teil der 31 Erwin A. Schmidl  : März 38. Der deutsche Einmarsch in Österreich. Wien 1987. S. 75. Die Prozentangaben dürften sich in der Steiermark und in Kärnten allerdings zugunsten der Nationalsozialisten verschoben haben. 32 Ernst Hanisch  : Westösterreich. – In  : Emmerich Tálos, Ernst Hanisch, Wolfgang Neugebauer (Hg.)  : NS-Herrschaft in Österreich 1938–1945. – Wien 1988. S. 437–456. S. 442.

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Nationalsozialisten vorhanden ist, kann man im persönlichen Kontakt mit Menschen dieser Richtung immer wieder hören und dürfte auch gar nicht geleugnet werden.«33 Es gebe »gewisse, allerdings zumeist jugendliche und unreife nationalsozialistische Kreise, die sich die Lösung aller schwebenden Probleme einfach als M a c h t e r g r e i f u n g vorstellen. Nach ihrem Konzept war die Unterredung auf dem Obersalzberg eine Neuauflage des Gewaltfriedens von Versailles, allerdings in deutscher Übersetzung, also ein Diktatfriede, dessen Zweck und Ende die Gleichschaltung Österreichs zu sein hat. Der deutsche Reichskanzler, so argumentieren sie, verzichtet aus gewissen Gründen auf einen formellen sofortigen Anschluss, hingegen hat die österreichische Regierung sich selbst und alle leitenden Stellen in Politik und Wirtschaft, in allen Zweigen der Verwaltung usw. in nationalsozialistische Hände auszuliefern, die sodann nicht zögern werden, ein zweites Drittes Reich im österreichischen Miniaturformat aufzurichten.« Ein erster Schritt in diese Richtung sei die immer wieder erhobene Forderung der Nationalsozialisten, in allen Institutionen eine ihrer Stärke entsprechende Repräsentation zu erhalten.34 Am 2. März erhielt die Bezirkshauptmannschaft Tamsweg einen Brief, der von Exponenten der »nationalen Bevölkerung des Lungaus« verfasst worden war und in dem die Abberufung von NS-Gegnern in der Exekutive sowie der Vaterländischen Front als Voraussetzung für die Bereitschaft zur von der Regierung angestrebten Mitarbeit gefordert wurde. »Die nationalsozialistische Bevölkerung des Lungaus hat mit Freuden die Nachrichten vom Übereinkommen von Berchtesgaden vernommen. Insbesonders begrüßt sie die Zusicherung der vollen Gleichberechtigung auf allen Gebieten, besonders deswegen, weil sie die Überzeugung hat, dass sie die erhebliche Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hat. (…) Die nationalsozialistische Bevölkerung hat durch zwei von vielen Hunderten besuchter Fackelzüge ihre Freude über die Lösung als auch ihren Willen zur Mitarbeit ausdrücklich bekundet. Es hat sich aber in letzter Zeit herausgestellt, dass vor allem in Mauterndorf eine friedliche Entwicklung nicht möglich erscheint, solange der Postenkommandant Rev. Insp. Prammer dort seinen Dienst versieht. Die nationalsozialistische Bevölkerung von Mauterndorf verlangt daher eine Versetzung des gesamten Exekutivorgans. Ebenso erscheint eine Zusammenarbeit mit dem bisherigen Bezirksführer-Stellvertreter der Vaterländischen Front, Oberlehrer Trattler, in der Zukunft unter den neuen Voraussetzungen unmöglich. Die nationalsozialistische Bevölkerung erwartet eine baldige befriedigende Lösung in dieser Angelegenheit und erklärt sich nach derselben bereit, ihren Teil an der Aufbauarbeit des neuen Österreich zu übernehmen und für dieselbe ihre ganze Kraft 33 Salzburger Chronik 3.3.1938. S. 1. 34 Salzburger Chronik 4.3.1938. S. 1.

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einzusetzen.«35 Am 8. März 1938 schrieb der Zeller Rechtsanwalt Ludwig Margreiter an Landeshauptmann Rehrl, er habe von vertrauenswürdiger Seite erfahren, dass sich »die nationalsozialistische Gruppe für den Einzug in den Gemeindetag in Zell am See« rüste. »Sie sprechen von mehr als der Hälfte der Vertreter, weil nach ihrer Meinung diese Anzahl ihren Gesinnungsgenossen in Zell am See entspricht.«36 Angesichts der sich immer mehr zuspitzenden Lage und um eine Konzentration der regierungstreuen Kräfte zu erreichen, ernannte Schuschnigg den Salzburger Landeshauptmann am 27. Februar zum Landesführer der Vaterländischen Front. In einem von der »Salzburger Chronik« veröffentlichten Aufruf an die Salzburger Bevölkerung erklärte Rehrl in seiner neuen Eigenschaft, der Bundeskanzler und Frontführer Schuschnigg habe ihn »in schicksalsharter Zeit zum Landesführer der Vaterländischen Front in Salzburg bestellt. Im Bewusstsein der Verantwortung gegenüber dem Vaterlande und gegenüber unserem herrlichen Lande Salzburg, in treuer Gefolgschaft zum Kanzler und Frontführer« sei er »diesem Rufe gefolgt.« Wenn es sich darum handle, »mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln den Frieden im Lande zu sichern«, könne sich niemand dieser Verantwortung entziehen. Mit einem Bekenntnis zur Konsenspolitik und dem Hinweis auf seine Rolle als Konsenspolitiker in der Vergangenheit appellierte er an die Salzburger Bevölkerung, die in der politischen Kultur des Landes immer stärker zum Vorschein kommende politische Fragmentierung im Interesse der Zukunft des Landes zu beseitigen oder zumindest zu reduzieren. »Durch fast 20 Jahre habe ich mich als freigewählter Landeshauptmann redlich und ehrlich bemüht, alle Kräfte unseres Landes zusammenzufassen, Gegensätze auszugleichen, das Wohl des Landes immer über jedes Parteiinteresse zu stellen. (…) Dem klaren Rufe unseres Frontführers ›Nun soll Friede sein  !‹ folgend, fordere ich alle Salzburger zu friedlicher Arbeit auf. Dieser Friedenswille hat selbstverständlich die uneingeschränkte Voraussetzung das Bekenntnis zum f r e i e n u n d u n a b h ä n g i g e n Ö s t e r r e i c h und zu den G r u n d s ä t z e n d e r Va t e r l ä n d i s c h e n F r o n t . (…) Salzburger, Salzburgerinnen  ! Wir wollen nicht dulden, dass politischer Hass unser Land zerreiße, dass Zwietracht neue Not und neues Elend in unser Land und in unsere Familien, besonders jener, die eben durch die hochherzige Amnestie von hartem Leid befreit wurden, trage.«37 Der Appell des Landeshauptmanns und nunmehrigen Landesleiters blieb ungehört, wobei vor allem die durch die Amnestie freigekommenen Nationalsozialisten eine Radikalisierung der politischen Aktionen vorantrieben. In seiner Eigenschaft als Landesführer der Vaterländischen Front wurde Rehrl am 7. März vom Bundeskanzler unter dem Siegel der Verschwiegenheit von sei35 SLA Rehrl P 1938/0008. 36 SLA Rehrl P 1938/0030. 37 Salzburger Chronik 28.2.1938. S. 1.

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nem Beschluss informiert, am 13. März eine Volksbefragung durchzuführen, um die Weltöffentlichkeit über die tatsächliche Stimmung in Österreich zu informieren. Er werde seinen Entschluss, zu dessen Realisierung die Vorbereitungen bereits im Laufen seien, am 9. März in einer großen Rede in Innsbruck bekannt geben. Der Zug, mit dem Schuschnigg zu seiner Rede nach Innsbruck reiste, hielt gegen Mittag auf dem Salzburger Hauptbahnhof, wohin sich auch Rehrl begeben hatte. Er hatte in den Vormittagsstunden die Nachricht erhalten, dass an der Grenze bei Mühldorf eine deutsche Panzerdivision stehe und auf bayerischer Seite Mobilmachungsmaßnahmen eingeleitet worden seien. Das von Rehrl gewünschte Gespräch kam allerdings nicht zustande, da Schuschniggs Sekretär, Baron Viktor Fröhlichsthal, dem Salzburger Landeshauptmann beschied, der Kanzler habe die Nacht über an seiner Innsbrucker Rede gearbeitet und auf der Fahrt eine Schlaftablette genommen, um bis Innsbruck schlafen zu können. Angesichts der staatspolitischen Wichtigkeit der Rede müsse er in Innsbruck ausgeschlafen sein, weshalb er nun nicht geweckt werden könne. Rehrl, ohnedies leicht erregbar, sah sich in seiner nunmehrigen Doppelfunktion als Landeshauptmann und Landesführer der Vaterländischen Front, eine Funktion, die er nur auf Drängen des Kanzlers übernommen hatte, desavouiert und ließ eine Protokollnotiz verfassen.38 Schuschniggs Kalkül, durch Geheimhaltung der Vorbereitungen der geplanten Volksbefragung die NSDAP zu überraschen, sollte nicht in Erfüllung gehen, da eine Sekretärin im Büro Zernattos, die als NS-Spitzel agierte, den in den Abendstunden des 8. März in den Räumen des Generalsekretariats der Vaterländischen Front mit führenden Funktionären besprochenen Plan bereits um 22.30 Uhr an Hugo Jury weitergab, der umgehend Seyß-Inquart verständigte, in dessen Büro am folgenden Morgen die wichtigsten Mitglieder der NSDAP-Landesleitung – Klausner, Jury, Rainer, Globočnik und Seyß-Inquart selbst – zu einer Besprechung zusammenkamen. Nach eingehender Diskussion verfasste Seyß-Inquart in Abstimmung mit den Anwesenden einen Brief an den Generalsekretär der Vaterländischen Front, Guido Zernatto, den er auch bat, Schuschnigg von dessen Inhalt zu informieren. Darin forderte er einleitend die Bildung einer de facto-Koalitionsregierung mit den Nationalsozialisten durch den »Einbau in alle behördlichen und politischen Funktionsstellen des Staates und der Vaterländischen Front«. Erst wenn dies geschehen sei, wäre es denkbar, »dass die Nationalsozialisten ihre oppositionelle Einstellung nicht zum Staat, sondern zu dem heutigen Zustand aufgeben.« Unter gewissen Bedingungen sei auch eine positive Haltung zur Volksbefragung vorstellbar. Die Art der Volksbefragung sei einseitig und gewähre weder eine freie Meinungsäußerung noch eine freie Wahlwerbung anderer politischen Gruppierungen. Die NSDAP könne nur im 38 Ernst Hanisch  : Gau der guten Nerven. Die nationalsozialistische Herrschaft in Salzburg 1938–1945. – Salzburg/München 1997. S. 21.

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Fall einer völligen Waffengleichheit einer Volksbefragung zustimmen. Die bedeutet  : »Die Abstimmung erfolgt geheim. Für diesen Zweck steht eine Zelle zur Verfügung. Der Stimmzettel wird in geschlossenen Kuverts übergeben. (…) Sowohl in Detailergebnissen wie im Gesamtergebnis wird die Zahl der Wahlberechtigten, der Wahlbeteiligten, der Ja-, Nein- und ungültigen Stimmen ausgewiesen. Den einzelnen Gruppen steht die Freiheit der Parolenausgabe in Versammlungen und durch Flugschriften zu. Es erfolgt nirgends ein geschlossener Wahlgang, am Wahltag hat jede auf die Wahl bezügliche Kundgebung zu unterbleiben. Den Schutz des Wahlvorgangs übernimmt lediglich die Exekutive. Unter der Voraussetzung, dass der Wahlvorgang sich unter diesen Bedingungen abspielt, bin ich in der Lage, demselben im Sinne der mir gemäß II, 3, der Berchtesgadener Vereinbarung obliegenden Verpflichtungen zuzustimmen, und glaube auch als Sicherheitsminister nunmehr für einen ruhigen Verlauf die Gewähr übernehmen zu können. Da es sich, wie bereits erwähnt, im vorliegenden Fall nicht um ein grundsätzliches Bekenntnis zum Staat, sondern um eine Stellungnahme zur Regierung und zur augenblicklichen Lage handelt, wird mit einer bejahenden Einstellung der Nationalsozialisten nur dann zu rechnen sein, wenn die Regierungszusammensetzung die Voraussetzung für eine solche positive Einstellung der Nationalsozialisten bildet.« Anschließend verfasste er noch einen – allerdings erst mit 10, März datierten – Brief an den Bundeskanzler, in dem er die Verfassungsmäßigkeit der Volksbefragung leugnete, deren Verschiebung auf einen späteren Zeitpunkt unter geänderten Rahmenbedingungen und eine stärkere Repräsentanz der »Österreicher nationalsozialistischer Weltanschauung« in der Bundesregierung forderte.39 Die Landesführung der österreichischen NSDAP befand sich durch die kurzfristige Anberaumung der Volksbefragung in einer sich aus mehreren Faktoren ergebenden schwierigen Situation. Ohne Akkordierung mit Berlin wollte man keine Entscheidungen treffen. Um diese möglichst rasch zu erreichen, flog Odilo Globočnik mit einer Durchschrift des Briefes von Seyß-Inquart an Schuschnigg nach Berlin mit dem Ersuchen um entsprechende Direktiven. Innerhalb der Landesleitung existier39 Zit. bei Guido Zernatto  : Chronologie des Unheils. Drei Tage, an denen Österreich starb. – In  : Thomas Chorherr (Hg.)  : 1938 – Anatomie eines Jahres. -Wien 1987. S. 123–160. S. 125f. In seinem Antwortschreiben an Seyß-Inquart lehnte Schuschnigg die von diesem geforderte Bildung einer Koalitionsregierung mit der Begründung ab, das er Parteien nicht anerkenne und die »Bildung einer zweiten Front neben der Vaterländischen Front (…) nicht in Frage« komme und »ausdrücklich den Grundsätzen des Abkommens von Berchtesgaden« widerspreche. »Jedenfalls hat sich heute deutlich decouvriert, wie die österreichischen Nationalsozialisten sich den deutschen Frieden vorstellen.« Zudem halte er eine Anfechtung der Volksbefragung »aus verfassungsrechtlichen Gründen (…) juristische für untragbar« und widerspreche »dem Geist und Wortlaut der getroffenen Vereinbarungen.« (Zit. ebda. S. 128f.)

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ten unterschiedliche Auffassungen über die einzuschlagende Taktik zwischen dem moderaten Seyß-Inquart und der radikaleren Kärntner Fraktion um Klausner, Rainer und Globočnik. Und schließlich drängten die radikalen Elemente der Parteibasis, vor allem die führenden Vertreter der SA, auf direkte Aktionen. Diesem Verlangen war aber selbst die radikale Kärntner Gruppe nicht bereit nachzugeben, da man sich an die Weisung Hitlers – der Vermeidung bürgerkriegsähnlicher Zustände – gebunden fühlte. Ob diese Weisung allerdings angesichts der jüngsten Entwicklung immer noch Gültigkeit hatte, sollte Globočnik in Berlin in Erfahrung bringen. Bis zu seiner Rückkehr mit den erhofften Weisungen musste die sich radikalisierende Parteibasis diszipliniert werden. Diese Aufgabe fiel Friedrich Rainer und Hubert Klausner zu, die in einer Versammlung von SA-Führern in Wien darauf hinwiesen, dass Hitler zum derzeitigen Zeitpunkt noch keine nationalsozialistische Machtergreifung wünsche, u. a. auch deshalb, weil man nicht wisse, wie das Ausland im Fall eines gewaltsamen Umsturzes in Österreich reagieren werde.40 Daher stehe noch nicht fest, wie man sich in der Frage der Volksbefragung verhalten werde. Vergeblich, die Argumente stießen bei den vor allem durch die Ereignisse in den Bundesländern ermutigten SA-Führern weitgehend auf taube Ohren. Vor allem die steirischen SA-Führer lehnten ein weiteres Zuwarten ab und drängten auf Aktionen mit dem Ziel der direkten Machtergreifung. Gleichzeitig versuchte Seyß-Inquart durch Verhandlungen mit Schuschnigg diesen zu weitgehenden Zugeständnissen zu bewegen und damit, trotz dessen ablehnender Haltung zum Brief des Volkspolitischen Referenten, doch noch den Weg zu einer de facto-Koalitionsregierung und einer von ihm angestrebten evolutionären Entwicklung freizumachen. Am Abend des 10. März empfing Schuschnigg den Innenminister zu einem Gespräch, in dem er erhebliche Kompromissbereitschaft signalisierte, um die NSDAP doch noch für ein »Ja« zur Volksbefragung zu gewinnen. So hatte er bereits vor dem Gespräch erheblichen demokratischen Verbesserungen bei der geplanten Volksbefragung seine Zustimmung gegeben und signalisierte gegenüber Seyß-Inquart sogar seine Bereitschaft zur Aufnahme weiterer Nationalsozialisten in die Regierung. Nach diesem Gespräch begab sich Seyß-Inquart in das in der Nähe der Votivkirche gelegene Hotel »Regina«, in dem sich die Mitglieder der Landesleitung sowie mehrere Gauleiter aus den Bundesländern, unter ihnen auch der Salzburger Anton Wintersteiger, sowie der Chef der österreichischen SS, Standartenführer Ernst Kaltenbrunner, zu einer Besprechung eingefunden hatten, zu der schließlich auch Globočnik stieß. 40 Vor dem Militärgerichtshof in Nürnberg erklärte Friedrich Rainer  : »Die Partei war durch ausdrücklichen Befehl Adolf Hitlers darauf verpflichtet worden, keine revolutionären Schritte zu unternehmen. Dieser Befehl war in den ersten Märztagen neuerdings durch Keppler überbracht worden …« (Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher. Bd. 16. S. 144.)

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Globočnik war in Berlin angesichts der Dringlichkeit sofort in der Reichskanzlei empfangen worden. Hitler war bereits über die geplante Volksbefragung informiert und hatte zunächst unschlüssig und ungläubig reagiert, da er die Nachricht für unglaubwürdig hielt. Erst als ihm sein Österreich-Beauftragter Wilhelm Keppler, der soeben von einer Informationsreise aus Österreich zur Überprüfung der Durchführung des Berchtesgadener Abkommens und zur Koordination der Aktionen der österreichischen NSDAP nach Berlin zurückgekehrt war, die Nachricht bestätigte, löste dies bei ihm einen Wutanfall und die Abkehr von der bisher verfolgten evolutionären Politik aus. Diese Abkehr folgte jedoch in einer raschen Folge von Unsicherheit, die sich in einander widersprechenden Befehlen an die in die Reichskanzlei befohlenen Militärs – Max von Viebahn, Wilhelm Keitel, Ludwig Beck – und cholerischen, eine »neurotische Unsicherheit und Irritation«41 signalisierenden Ausbrüchen manifestierte, einer Atmosphäre hysterischer Gereiztheit, in der lediglich Hermann Göring die Nerven behielt, die Zügel in die Hand nahm und zum bestimmenden Faktor werden sollte. Letztlich wurden die Befehle für einen bevorstehenden Einmarsch der Reichswehr in Österreich erteilt, Prinz Philipp von Hessen mit einem handgeschriebenen Brief nach Rom zu Mussolini geschickt, in dem von einer österreichischer Verschwörung gegen das Reich und der Unterdrückung der nationalen Mehrheit die Rede war und Globočnik mit der Direktive nach Wien zurückgeschickt, dass die österreichische Partei nunmehr völlige Handlungsfreiheit habe. Gleichzeitig wurde ein Kurier an die deutsche Botschaft in Wien mit einem Brief Hitlers an Seyß-Inquart geschickt, in dem dieser aufgefordert wurde, von Schuschnigg die Verschiebung der Volksbefragung zu fordern und im Fall von dessen Weigerung zusammen mit Glaise-Horstenau zurückzutreten und eine provisorische nationale Regierung zu bilden, die zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung die Unterstützung deutscher Truppen anfordern sollte. Globočnik war in den späten Abendstunden mit einem Sonderflugzeug nach Wien zurückgekehrt und unterrichtete im Hotel »Regina« die Mitglieder der Landesleitung sowie die versammelten Gauleiter und der Chef der österreichischen SS, Standartenführer Ernst Kaltenbrunner, über die in Berlin ausgesprochene völlige Handlungsfreiheit der Partei sowie den Umstand, dass am nächsten Morgen ein Kurier aus Berlin eintreffen werde, der die entsprechenden Anweisungen für Seyß-Inquart überbringe. Mit dieser Nachricht aus Berlin ging die Handlungshoheit auf die Gruppe um Rainer, Klausner und Globočnik über, die vor allem in den Bundesländern zur treibenden Kraft der nunmehr einsetzenden Machtergreifung von unten wurde. Kurz nach Mitternacht gab Friedrich Rainer an die versammelten Gauleiter eine Weisung, die drei Szenarien enthielt  :

41 Joachim Fest  : Hitler. Eine Biografie. – Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1973. S. 751.

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Szenario 1  : Schuschnigg entsprach der Aufforderung Hitlers und sagte die Volksbefragung bis 14.00 Uhr ab. In diesem Fall sollte dieser Sieg durch die NSDAP mit einem großen Fahnenschmuck gefeiert werden. Szenario 2  : Schuschnigg tritt zurück. In diesem Fall sollten nationalsozialistische Demonstrationen erfolgen, um die Bildung einer neuen nationalsozialistischen Regierung zu erzwingen. Szenario 3  : Schuschnigg leistet Widerstand. Dieser Fall bedeutete den Bürgerkrieg und jeder Gauleiter sowie Formationsführer hatte in seinem eigenen Wirkungsbereich zu handeln und die Machtübernahme durch unten zu erzwingen. Seyß-Inquart wurde bei den folgenden Ereignissen weitgehend überspielt oder ignoriert. In Nürnberg erklärte er  : »Ich habe an keinen Gauleiter und überhaupt an niemanden ein Telegramm oder mündliche Aufforderung gerichtet, die Macht zu übernehmen. Ich habe später von Globočnik erfahren, dass er die Machtergreifung durchgeführt habe. Er hat mir das mit den Worten gesagt  : ›Wissen Sie, ich habe für Sie die Macht ergriffen und Regierung gespielt, aber ich habe Ihnen nichts gesagt, denn Sie wären dagegen gewesen.‹«42 Noch in den frühen Morgenstunden des 11. März reisten Gauleiter Anton Wintersteiger und der Landesleiter des Volkspolitischen Referats in der Vaterländischen Front, Albert Reitter, nach Salzburg zurück. Landeshauptmann Rehrl hatte am 10. März an die Salzburger/innen in einem Aufruf appelliert, »ihr freies und tatbereites Ja zum Vaterlande zu sprechen. (…) Nicht die lärmende Straße darf das bestimmende Zeichen Österreichs sein. Nicht nach der Aufpeitschung der politischen Erregung und wilder Agitation soll die schicksalsvolle Antwort gegeben werden, sondern aus den Tiefen der österreichischen Seele, aus der tiefgewurzelten Treue zum Herzen, das naturgemäß für Österreich schlägt.«43 Die Worte des Landeshauptmanns verhallten ungehört, zumindest bei den Nationalsozialisten. Die Hitler-­ Jugend marschierte am selben Tag mit Hakenkreuzfahnen und den Rufen »Eins, zwei, drei – Volksabstimmungsschweinerei« und »Eins, zwei, drei – Pfaffenknechterei« durch die Landeshauptstadt zum Dienstgebäude der Vaterländischen Front, wo es zu heftigen Auseinandersetzungen mit Mitgliedern des Jungvolks kam, die mehrere Verletzte forderten.44 Als sich noch am selben Tag das Gerücht verbreitete, die Volksbefragung werde abgesagt, sah sich die »Salzburger Chronik« zu der Meldung veranlasst, die Volksbefragung werde »unbeirrbar durchgeführt«.45 Das nationale »Salzburger Volksblatt« berichtete hingegen aus Wien, den Polizeiorganen sei »im 42 Ebda. Bd. 15. S. 694. 43 Salzburger Chronik 10.3.1938. S. 3  ; Salzburger Volksblatt 10.3.1938. S. 1. 44 Hanisch  : Gau der guten Nerven. S. 23. 45 Salzburger Chronik 11.3.1938. S. 3.

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Laufe des gestrigen Tages eine Weisung zugekommen, die eine Entscheidung des Bundeskanzleramtes wiedergibt. Danach ist das Tragen von H a k e n k r e u z e n a l l g e m e i n g e s t a t t e t , gleichgültig in welcher Form das Abzeichen getragen wird, ob in Verbindung mit einem Vereinsabzeichen oder in Form einer Stanze. Die Polizeiorgane wurden angewiesen, die Träger dieses Abzeichens nicht zu beanstanden. Die Nationalsozialisten haben von dieser Erlaubnis reichlich Gebrauch gemacht.«46 Dies sollte auch in Salzburg am 11. März der Fall sein, als Schuschnigg in den frühen Nachmittagsstunden aufgrund des deutschen Drucks die Volksbefragung absagte und Friedrich Rainer von Wien aus große Demonstrationen anordnete. Während Albert Reitter, noch offizieller Repräsentant der Nationalsozialisten in der Vaterländischen Front, mit einem Widerstand leistenden Sicherheitsdirektor Ludwig Bechinie über eine offizielle Genehmigung der Demonstration verhandelte, erfuhr Landeshauptmann Rehrl gegen 16 Uhr von der Absage der Volksbefragung. Damit war seine für den Abend terminisierte Rundfunkansprache hinfällig und er versuchte sich über die Entwicklung durch ein Telefonat mit Schuschnigg Klarheit zu verschaffen. Zunächst vergeblich. Schließlich erreichte ihn ein Anruf des Bundeskanzlers, der ihm die Dramatik der Ereignisse, die unter dem ständig zunehmenden deutschen Druck zu seiner Demission geführt hatten, bestätigte. In den frühen Abendstunden gewann die organisierte Demonstration der NSDAP an Dynamik, der eine völlig verunsicherte Exekutive weitgehend passiv gegenüberstand. Dass es sich dabei um spontane Demonstrationen handelte, wie die NS-Propaganda a posteriori behauptete, wurde von Seyß-Inquart in Nürnberg dementiert. Auf die Frage, ob die Demonstrationen der NSDAP am 11. März 1938 spontan waren, antwortete er  : »Nein, die waren bestimmt nicht spontan.«47 Die von Rainer entworfenen möglichen Szenarien wurden durch die Gleichzeitigkeit von Szenario 1 und 2 Realität. Das »Salzburger Volksblatt«, nunmehr bereits offen nationalsozialistisch, berichtete am 12. März unter dem Titel »Der Sieg des Hakenkreuzes«  : »Vor dem von Dr. Schuschnigg angesetzten Volksabstimmungstage, dem 13. März, wurde der gestrige Freitag schon der Tag einer Abstimmung, die mit einer Entscheidung von grundlegender Bedeutung verbunden war. Auch der Verlauf war wieder symbolisch für das Wesen der nationalsozialistischen Entwicklung  ; ein kleiner Anfang und dann ein Durchgreifen und Umfassen, das schicksalbestimmend ist. Dazu ein Werden aus einem gewissen ahnungsvollen Gefühle. So war es auch gestern  ; es lag etwas in der Luft. Für abends war dann ein Bummel angesagt. Er wurde zu einer riesenhaften Kundgebung, zu einem alles einbeziehenden Massenstrom, zur Machtergreifung. 46 Salzburger Volksblatt 11.3.1938. S. 2. 47 Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher. Bd. 16. S. 109.

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Um 6 Uhr abends etwa begann der Bummel. Bald sammelten sich Gruppen und Züge auf dem Realschulplatze, um dann von dort durch Griesgasse und Getreidegasse auf den Residenzplatz zu marschieren (…). Das Ganze war getragen und geleitet von einer Kraft, die sich nicht erst seit gestern dessen bewusst ist, dass ihre größte Macht in der disziplinierten Anwendung liegt. Keiner kleinlichen Entladung wurde Raum gegeben. Wo auch die Mengen marschierten, zugleich war mit ihnen die Ordnung. Es wurde die Dollfuß-Büste mit einer Hakenkreuz-Fahne verhängt, am Hause der Vaterländischen Front wurde einfach das Symbol gewechselt, alle Geschäftsläden blieben selbstverständlich unversehrt. Am Hause der Katholischen Pressvereins-Druckerei an der Bergstraße ging eine einzige Scheibe in Scherben, der Ordnungsdienst duldete nirgends Übergriffe. Und die Menge gab ihm auch gar nicht Anlass zu nachdrücklicher Betonung, auch dort nicht, wo die normale Sicherheitswache nicht sein konnte. Die Abstimmungsplakate allerdings mussten an den Protest der Masse glauben  : sie wurden, wo man sie erblickte, abgerissen, manche Anschlagtafeln zeigten sich bald völlig kahl. Unter den Fetzen am Boden lagen auch da und dort die Zettel mit den Schuschnigg-Abstimmungsparolen, die ein Flugzeug noch um etwa 6.30 Uhr abends über der Stadt abgeworfen hatte.«48 Am folgenden Tag berichtete die Zeitung unter dem Titel »Sieg Heil  !« in nationalsozialistischer Parteilyrik von der Massenversammlung auf dem Residenzplatz als einem »Augenblick des großen Umbruches«, der allen Teilnehmern »das Einmalige und Gewaltige dieses Erlebens« in ihren Herzen verewigen werde. Die Menge habe »Sieg Heil  !« gerufen und Hakenkreuzfahnen mit sich geführt. Als Gauleiter Anton Wintersteiger den Rücktritt Schuschniggs verkündete, sei »etwas Elementares, Unerhörtes, in dieser theatralischen Form wohl noch nie Dagewesenes« gefolgt. »Wie ein einziger Aufschrei gellt aus zehntausenden Kehlen ein Dithyrambus der Begeisterung und Freude empor. (…) Man klatscht in die Hände, trampelt auf den Boden, trommelt mit hunderten von Fäusten gegen die Bretterwand des Residenzbrunnens und versucht in geradezu ekstatischen Formen den überflutenden Gefühlen der Entspannung und Erleichterung Ausdruck zu verleihen.«49 Angesichts der Dynamik der Entwicklung vor allem in den Bundesländern erteilte Landesleiter Klausner, ohne Seyß-Inquart zu verständigen, um 20.30 Uhr an alle Gauleiter telefonisch den Befehl zur Machtergreifung.50 Wintersteiger begab sich daraufhin mit einem SA-Sturm in den Chiemseehof, vor dem die Wachen bereits mit »Heil Hitler  !« grüßten, ging in das Arbeitszimmer des Landeshauptmanns, wo er 48 Salzburger Volksblatt 12.3.1938. S. 2. 49 Salzburger Volksblatt 13.2.1938. S. 2. 50 Es war nicht Friedrich Rainer, wie Ernst Hanisch in seiner Darstellung der Ereignisse behauptet, sondern Hubert Klausner, wie Rainer im Nürnberger Prozess angab. (Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher. Bd. 16. S. 144.)

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sich die Telefonanlage erklären und sich mit dem Bundeskanzleramt verbinden ließ. Um 21 Uhr meldete er – vermeintlich Seyß-Inquart – die Machtergreifung in Salzburg. Am anderen Ende der Leitung befand sich jedoch Globočnik, der im Auftrag Klausners im Bundeskanzleramt die Machtergreifung in den Bundesländern organisierte. Er nannte beim Anruf Wintersteigers nicht seinen Namen, sondern jenen von Seyß-Inquart, und nahm die Meldung entgegen.51 Die »Salzburger Chronik«, die nunmehr »Salzburger Zeitung« hieß, meldete am 12. März 1938, die NSDAP habe »gestern um 21 Uhr, wie in den übrigen Bundesländern, die Macht im Lande Salzburg übernommen.«52 Etwa drei Wochen zuvor hatte die Regierung Schuschnigg dem in Henndorf bei Salzburg lebenden Schriftsteller Carl Zuckmayer die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Der mit der Einbürgerung verbundene neue österreichische Pass lag auf dem Polizeipräsidium in Salzburg. Zuckmayer weilte zum Zeitpunkt des Anschlusses in Wien und erlebte hier, wie »die Unterwelt ihre Pforten aufgetan und ihre niedrigsten, scheußlichsten, unreinsten Geister losgelassen hatte. Die Stadt verwandelte sich in ein Alptraumgemälde des Hieronymus Bosch  : Lemuren und Halbdämonen schienen aus Schmutzeiern gekrochen und aus versumpften Erdlöchern gestiegen. Die Luft war von einem unablässig gellenden, wüsten, hysterischen Gekreische erfüllt, aus Männer- und Weiberkehlen, die tage- und nächtelang weiterschrillte.«53 Angesichts dieser Horrorszenarien kehrte Zuckmayer nicht mehr nach Salzburg zurück, sondern emigrierte aus einem Österreich, das es nicht mehr gab und daher auch nicht mehr das seine war. Der neue österreichische Reisepass blieb auf dem Polizeipräsidium in Salzburg liegen. Er lag auch noch bei Kriegsende im Mai 1945 dort mit dem Gestapo-Vermerk »Bei Einhebung sofort zu verhaften.« 5.1.1. Regionale und soziale Milieus – Die Struktur der Salzburger NSDAP am Vorabend des Anschlusses Die Mitgliederzahl der österreichischen NSDAP stieg zwischen Jänner 1933 und Februar 1938 von 43.100 auf 164.300.54 Die Zahl der Mitglieder erfasst jedoch nicht 51 Im Nürnberger Prozess wurde Rainer von seinem Verteidiger gefragt, ob ihm bekannt sei, dass Glo­ bočnik den Namen Seyß-Inquart zur Machtergreifung missbraucht habe. Rainer antwortete  : »Glo­ bočnik erzählte mir, dass verschiedene Anfragen an das Bundeskanzleramt gingen, die ihm ans Telefon zugeleitet wurden, und dass er dabei auch nicht immer seinen Namen genannt habe. Ein spezieller Fall mit Salzburg ist mir genau in Erinnerung.« (Ebda. S. 145.) 52 Salzburger Zeitung 12.3.1938. S. 1. 53 Carl Zuckmayer  : Hexensabbat des Pöbels. Das Getöse des Weltuntergangs durchhallte die Luft. – In  : Chorherr (Hg.)  : 1938. S. 235–261, S. 238. 54 Dirk Hänisch  : Die österreichischen NSDAP-Wähler. Eine empirische Analyse ihrer politischen Herkunft und ihres Sozialprofils. – Wien/Köln/Weimar 1998. S. 110.

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die tatsächliche Stärke der Partei. Berücksichtigt man die Vielzahl der Sympathisanten, der Familienmitglieder sowie der in der Vaterländischen Front getarnten Nationalsozialisten, so verfügte die Partei über ein Reservoir, das das Vielfache der Parteimitglieder umfasste. Am Vorabend des Anschlusses verfügte sie wohl über die Stärke der »Vaterländischen«, d. h. des erklärten und harten Kerns der Regierungsanhänger und -sympathisanten. Bis zum Anschluss war die Verteilung der Mitglieder auf die Bundesländer unter Berücksichtigung der Bevölkerungsstärke der einzelnen Bundesländer im Vergleich zur Gesamtbevölkerung signifikant asymmetrisch. So hatte Oberösterreich 13,35 Prozent Anteil an der Gesamtbevölkerung, jedoch lediglich 1,8 Prozent der Parteimitglieder, Tirol und Vorarlberg einen Anteil von 7,47 Prozent an der Gesamtbevölkerung, aber nur 3,2 Prozent der Parteimitglieder, Salzburg bei einem Anteil von 3,64 Prozent an der Gesamtbevölkerung lediglich 1,3 Prozent der Parteimitglieder. Ein konträres Verhältnis ergab sich bei einem Blick auf die Steiermark und Kärnten. Steiermark wies 15 Prozent der Gesamtbevölkerung auf, stellte jedoch 21,1 Prozent der Parteimitglieder, Kärnten konnte mit einem Anteil von lediglich 6 Prozent an der Gesamtbevölkerung auf 15,4 Prozent der Parteimitglieder verweisen. Lediglich in Wien und Niederösterreich ergab sich bei einem Anteil von 54,5 Prozent an der Gesamtbevölkerung mit 57,2 Prozent Anteil an den Parteimitgliedern eine weitgehende Parallelität von Bevölkerungsanzahl und Parteimitgliedern.55 Gerhard Botz hat in seiner Analyse der regionalen Verteilung der NSDAP-Mitglieder zwischen 1926 und 1945 drei Perioden unterschieden  : 1. Die Aufstiegsphase 1926 bis 1932, 2. Die Phase der erschwerten Expansionsbedingungen in der Illegalität 1933 bis 1938 3. Die Phase der nationalsozialistischen Herrschaft 1938 bis 1945. In der Phase 1926 bis 1933 entwickelten sich überproportional die Steiermark und Kärnten, die im Vergleich zur Gesamtbevölkerung eine Überrepräsentanz von 70 Prozent aufwiesen. In Ostösterreich entsprach die Mitgliedschaft dem gesamtösterreichischen Durchschnitt, während die Partei vor allem in den westlichen Bundesländern deutlich unterrepräsentiert war. Eine signifikante Änderung trat in der Phase der erschwerten Expansion 1933 bis 1938 ein, in der die Partei bei gleichbleibender Stärke in den südlichen und östlichen Bundesländern deutliche Gewinne in Vorarlberg, Tirol und Salzburg erzielte.56 Durch die Zerschlagung der Organisationsstruktur der Sozialdemokratie 1934 erfolgte vor allem in den Bundesländern ein verstärktes Abwandern von jüngeren Sozialdemokraten und ehemaligen Schutzbündlern zur NSDAP. Das in den westlichen Bundesländern minoritäre sozialdemokratische Milieu war zwischen 1933 und 55 Carsten  ; Faschismus in Österreich. S. 284f. 56 Gerhard Botz  : Der Übergang der Mittelstände vom katholischen zum nationalen Lager. – In  : Christliche Demokratie 4/1984. S. 371–384. S. 377.

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Vor Sonnenuntergang – Historische Entwicklungslinien

1938 deutlichen Erosionstendenzen unterworfen. Das kolportierte Bild des deutschen »Wirtschaftswunders« mit seiner bald erreichten Vollbeschäftigung und den sicher scheinenden Arbeitsplätzen – die sinkende oder stagnierende Lohnquote war nicht bekannt oder wurde in der Wahrnehmung ausgeblendet – spielte dabei in einer Welt der Dauerarbeitslosigkeit, geprägt von Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und subjektiv empfundenen Demütigung eine erhebliche Rolle. Die Politik der NSDAP im Dritten Reich mit ihrer »Mischung aus politischer Entrechtung, Festhalten an wesentlichen Gratifikationen des Weimarer Sozialstaats und dem neu hinzugekommenen sozialpolitischen Aktivismus der DAF brachte im Zeichen der Vollbeschäftigung bemerkenswerte Veränderungen am Sozialtypus ›Arbeiter‹ hervor. Wie es scheint, beschleunigten sich sozialkulturelle Nivellierungstendenzen, die auch in anderen westlichen Industrienationen erkennbar wurden und in Richtung auf eine konsumorientierte Massengesellschaft gingen. (…) der einsetzende wirtschaftliche Aufschwung verschaffte (…) der Volksgemeinschafts-Ideologie eine materielle Grundlage. (…) Selbst standhafte Sozialdemokraten, die den Rüstungskurs durchschauten und im vertrauten Kreis kritisierten, vermochten sich immer weniger der allgemeinen Begeisterung für die Schnelligkeit und Gründlichkeit, mit der das Regime die Arbeitslosigkeit abbaute, zu entziehen.«57 Hinzu trat die sich an die Arbeiterschaft richtende nationalsozialistische Propaganda der Statusaufwertung der Arbeit mit Parolen wie »Arbeit adelt« und der Inszenierung Hitlers als des »ersten Vorarbeiters des Reiches«. Während der Anteil der Bauern an den der NSDAP Beitretenden bis 1938 nie mehr als 12 Prozent betrug, stieg dieser bei der Arbeiterschaft auf 29 Prozent. Wenngleich die NSDAP auch durch den verstärkten Zuzug von enttäuschten Sozialdemokraten zwischen 1933/34 und 1938 zu keiner Arbeiterpartei vom Typus der Sozialdemokratie mutierte, so verschoben sich dennoch die innerparteilichen Strukturrelationen vom neuen Mittelstand, dessen Zuzug sich aufgrund der Überwachungsmaßnahmen des Ständestaates reduzierte, hin zur Arbeiterschaft. Die NSDAP entsprach damit strukturell immer mehr ihrem ideologischen Anspruch einer klassenübergreifenden Volkspartei, obwohl sie symmetrische Verzerrungen nie zu beseitigen vermochte. Wenngleich sich das traditionell katholisch-konservative Milieu mit seinen umfassenden Strukturen und engen soziokulturellen Netzwerken lange gegen den Nationalsozialismus immun erwies, so gelang ihm aufgrund der Permanenz der Wirtschaftskrise auch in den ländlichen Regionen, vor allem in den bäuerlichen Unterschichten sowie bei den jüngeren Alterskohorten der bäuerlichen Grundbesitzer, ein deutlicher Terraingewinn. Auch hier spielte neben der anhaltenden Agrarkrise die zunehmende Faszination des Nationalsozialismus mit seiner ideologischen Propagierung und Fixierung auf das Bauerntum als Kern des gesunden Volkstums, als quasi neuer ari57 Norbert Frei  : Der Führerstaat. Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis 1945. 8. Aufl. – München 2007. S. 105f.

Landespolitik im Zeichen der Krise

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scher Adel, der als »Nährstand der Nation« in agrarromantischen und -utopischen Visionen und Inszenierungen publikumswirksam gefeiert wurde, eine wichtige Rolle. Besondere Wirksamkeit erreichte dieses Bild durch die mit Blick auf die notwendige Fähigkeit zur Selbstversorgung im Krieg erfolgte Beseitigung der Mechanismen des Agrarmarktes.58 Die vom Regime ausgerufenen »Ernährungsschlachten« wurden seitens der Bauern mit einem zunehmenden Mangel an Arbeitskräften geschlagen, da Landarbeiter in verstärktem Maße in die besser entlohnten industriellen Beschäftigungsverhältnisse abwanderten. In dem von der Agrarkrise mit ihrer hohen Arbeitslosigkeit heimgesuchten Landwirtschaft Westösterreichs löste der bekanntwerdende Arbeitskräftemangel in der deutschen Landwirtschaft eine erhebliche propagandistische Wirkung vor allem auf bäuerliche Unterschichten aus. Bei Ernst Hanischs Darstellung Salzburgs in der NS-Zeit findet sich eine Tabelle der von der Bezirkshauptmannschaft Zell am See im Jänner 1938 erfassten sog. »extremen« Nationalsozialisten, in der drei für die Struktur der Salzburger NSDAP typische Merkmale aufscheinen  : die relativ hohe Anzahl von Selbstständigen, Gewerbetreibenden und Freien Berufen (Rechtsanwälte, Notare, Ärzte, Apotheker), der hohe Anteil von gelernten und ungelernten Arbeitern sowie die deutliche Unterrepräsentanz der Bauern. Ein ähnliches Bild zeigt die Berufsstruktur von insgesamt 17 im April 1937 in St. Johann im Pongau wegen staatsfeindlicher Handlungen an-

58 »Der Nationalsozialismus setzte der globalen marktliberalen Agrargesellschaft unter britischer Hege­ monie, die sich in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg ausgebildet und danach festgesetzt hatte, die Alternative einer kontinentaleuropäischen, staatsgelenkten Agrargesellschaft unter Führung des Dritten Reiches entgegen. Die Vision eines nationalsozialistischen ›Agrar-Europas‹ leitete etwa die 1942 erschienene Programmschrift Um die Nahrungsfreiheit Europas von Herbert Backe, Staatssekretär und späterer Minister für Ernährung und Landwirtschaft im Deutschen Reich  : Die ›Weltwirtschaft‹ unter dem liberalistischen Regiment der ›unsichtbaren Hand‹ der Marktkräfte führte die bäuerliche Landwirtschaft geradewegs in den Untergang  ; daher müsse die ›sichtbare Hand‹ der Staatsführung als Organ des ›Volkswillens‹ das ›Bauerntum‹ beschützen sowie dessen ökonomisches und ›rassisches‹ Leistungspotenzial zur Entfaltung bringen. Die angestrebte ›Nahrungsfreiheit‹ schien wegen begrenzter Ressourcen im Reichsgebiet allein in einem unter deutscher Führung stehenden ›Großraum‹ unter Einschluss der Agrarüberschussgebiete Ost- und Südosteuropas machbar. (…) Der Nationalsozialismus peilte – trotz seiner agrarromantischen Rhetorik – keine antimoderne Wiederherstellung vorindustrieller Verhältnisse an  ; er suchte seine Antwort auf die ›Agrarfrage‹ nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft einer alternativen Moderne jenseits des liberalistischen Agrarindividualismus und des sozialistischen Agrarkollektivismus. Den Fluchtpunkt bildete das Deutsche Reich als wirtschaftlich und militärisch schlagkräftige Industriegesellschaft im Gravitationszentrum des kontinentaleuropäischen ›Großraums‹ mit davon abhängigen Peripherien. Als tragendes Rückgrat der NS-›Volksgemeinschaft‹ galt das im Reichsnährstand organisierte ›Landvolk‹ als agrarischer Kern einer entwickelten Industriegesellschaft.« (Ernst Landthaler  : Schlachtfelder. Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945. – Wien/Köln/Weimar 2016. S. 17. (Sozial- und wirtschaftshistorische Studien. Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte Universität Wien. Band 38.)

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Vor Sonnenuntergang – Historische Entwicklungslinien

gezeigten illegalen Nationalsozialisten, bei denen – trotz der agrarischen Struktur der Gemeinde – keine Bauern aufscheinen. Amtsbekannte »extreme« Nationalsozialisten im Bezirk Zell am See  :59 Beruf

Anzahl

Selbstständige, Gewerbetreibende

35

Gelernte Arbeiter

29

Ungelernte Arbeiter/Hilfsarbeiter

16

Angestellte

 9

Beamte

 4

Bauern

 2

Studenten

 1

Summe

96

Berufsstruktur der illegalen Nationalsozialisten in St. Johann im Pongau  :60 Beruf

Anzahl

Selbstständige

6

Angestellte

2

Lehrer

2

Gehilfen

2

Unbekannt

5

Die Gruppe der Selbstständigen, Gewerbetreibenden und Freien Berufe stellte in der Regel die Funktionseliten, während gelernte Arbeiter und Hilfsarbeiter sowie Angestellte neben der HJ das mit Risiko behaftete Agitationspotenzial der Partei bildeten. So galten 26,9 Prozent der aus den Arbeitermilieus stammenden Bad Gasteiner Nationalsozialisten als engagierte Illegale, aber 40,4 Prozent als fanatische und gewaltbereite Illegale61. Die jeweiligen Milieus der Mitglieder hatten offensichtlich 59 Hanisch  : Gau der guten Nerven. S. 55. 60 Robert Stadler, Michael Mooslechner  : St. Johann/Pg 1938–1945. Das nationalsozialistische »Markt Pongau«. Der »2. Juli 1944« in Goldegg. Widerstand und Verfolgung. – Eigenverlag 1986. S. 29. 61 Laurenz Krisch  : Zersprengt die Dollfußketten. Die Entwicklung des Nationalsozialismus in Bad Gastein bis 1938. – Wien/Köln/Weimar 2003. S. 209. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Wilfried Haslauer, Robert Kriechbaumer, Hubert Weinberger. Band 19.) Thomas Albrich und Wolfgang Meixner kamen in ihrer Untersuchung über die NSDAP-Mitglieder in Tirol und Vorarlberg vor 1938 zu einem ähnlichen Ergebnis. 66,3 Prozent der illegalen NS-Aktivisten

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Landespolitik im Zeichen der Krise

einen erheblichen Einfluss auf ihre Aktivität. Die fanatischsten und gewaltbereitesten Nationalsozialisten stammten aus den Arbeitermilieus. Die in den Akten erfassten 28 Putschisten des Juli 1934 in Seekirchen zeigen ein deutliches Sozialprofil  : Die Putschisten kamen zum überwiegenden Teil aus den Arbeitermilieus (67,9 Prozent) und waren relativ jung. Sozialstruktur der Juli-Putschisten in Seekirchen  :62 Beruf

Anzahl

Gewerbetreibende

 3

Bauern

 4

Angestellte

 2

Handwerksgesellen

14

Knechte

 4

Arbeiter

 1

Summe

28

Auch die Berufstabelle der vor 1938 vom Landesgericht Salzburg vor 1938 zum Tode verurteilten 29 NS-Sprengstoffattentäter zeigt ein ähnliches Bild. Vor 1938 in Salzburg zum Tode verurteilte NS-Sprengstoffattentäter  :63 Beruf

Anzahl

Facharbeiter

18

Hilfsarbeiter

 6

Angestellte

 1

Gewerbetreibende

 1

Beamte

 1

Studenten

 1

Bauern

 1

Summe

29

gehörten den Unterschichten an, 25,1 Prozent der Mittelschicht und 8,7 Prozent der Oberschicht. (Thomas Albrich, Wolfgang Meixner  : Zwischen Legalität und Illegalität. Zur Mitgliederentwicklung, Alters- und Sozialstruktur der NSDAP in Tirol und Vorarlberg vor 1938. – In  : Zeitgeschichte 5–6/1995. S. 149–187. S. 179.) 62 Ernst Hanisch  : »Das wilde Land« – Bürgerkrieg und Nationalsozialismus in Seekirchen. – In  : Elisabeth und Heinz Dopsch (Hg.)  : 1300 Jahre Seekirchen. Geschichte und Kultur einer Salzburger Marktgemeinde. – Seekirchen 1996. S. 323–346. S. 339. 63 Hanisch  : Gau der guten Nerven. S. 55.

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Vor Sonnenuntergang – Historische Entwicklungslinien

Generell lässt sich die Salzburger NSDAP als dominant kleinbürgerlich/bürgerliche Partei mit einem relativ hohen Arbeiter- und geringem bäuerlichen Anteil definieren, deren führende Funktionäre jedoch der Oberschicht und oberen Mittelschicht angehörten. So gehörten von den 553 erfassten illegalen Nationalsozialisten in Bad Gastein 54,7 Prozent den kleinbürgerlich/bürgerlichen Milieus, 41,4 Prozent der Arbeitermilieus und nur 4 Prozent den bäuerlichen Milieus an.64 Für die Stadt Salzburg liegen keine soziostrukturellen Daten der NSDAP-Mitglieder im Allgemeinen vor. Barbara Huber hat allerdings auf der Basis der Amtskalender für die Jahre 1939 bis 1942, der Mitteilungsblätter der NSDAP-Gauleitung Salzburg 1939 bis 1945 sowie der Volksgerichtsakten und der im Zuge der Entnazifizierungsmaßnahmen erstellten Registrierungsblätter den Versuch eines Soziogramms der Amtsträger der Parteiorganisation unternommen. Mit Stichtag 12. März 1938 hatten die späteren Amtsträger der NSDAP Salzburg ein Durchschnittsalter von 39 Jahren. Bezogen auf die drei Organisationseinheiten der Partei – Gau, Kreis und Ortgruppe (Stadt Salzburg) – ergaben sich geringe Differenzen. Im arithmetischen Mittel waren die Gauamtsträger mit einem Durchschnittsalter von 37 Jahren die jüngsten, gefolgt von den Ortsgruppenleitern (Stadt Salzburg) und den Kreisleitern mit einem Durchschnittsalter von 39 bzw. 40 Jahren. Generell dominierten die Alterskohorten der zwischen 1890 und 1899 und 1900 und 1909 Geborenen. Der Großteil der Funktionseliten der NSDAP auf allen drei Organisationsebenen war zur Zeit des Anschlusses zwischen 29 und 48 Jahre alt und erfuhr seine gesellschaftspolitische Sozialisation entweder kurz vor oder während des Ersten Weltkrieges. Dominante Alterskohorten der Salzburger NSDAP-Funktionäre 1938 auf Gau-, Kreisund Ortsgruppenebene  :65 Gau in Prozent

Kreis in Prozent

Ortsgruppe Salzburg Stadt in Prozent

1890 bis 1899

36,5

39,5

27,9

1900 bis 1909

33,3

41,9

44,2

1910 bis 1919

 7,9

 2,0

 7,0

Alterskohorte

Betrachtet man das Alter beim Parteibeitritt, so ergibt sich bei den Mitgliedern des Gaustabs ein Durchschnittsalter von 32 Jahren, bei den Kreisleitern von 35 Jahren 64 Krisch  : Zersprengt die Dollfußketten. S. 208. 65 Barbara Huber  : Die NSDAP Salzburg. Die Politischer Leiter  : Profile, Vernetzungen und Handlungs(spiel)räume. – Salzburg 2019. S. 86f. (Schriftenreihe des Archivs der Stadt Salzburg 54. Die Stadt Salzburg im Nationalsozialismus. Herausgegeben von Peter F. Kramml, Sabine Veits-Falk, Thomas Weidenholzer und Ernst Hanisch. Ergänzungsband 2.)

199

Landespolitik im Zeichen der Krise

und bei den Ortgruppenleitern der Stadt Salzburg von 33 Jahren. Der Großteil der Politischen Leiter und Leiterinnen – 63,4 Prozent – gehörten zur Gruppe der sog. »Alten Kämpfer«, d. h. waren vor dem Verbot im Juni 1933 der Partei beigetreten. Bei den Beitrittsjahren dominierten die Jahre 1932, der große Erfolg der NSDAP bei der Landtagswahl, und die erste Jahreshälfte 1933, nachdem Hitler Reichskanzler geworden war. Altersstruktur der Salzburger NSDAP-Funktionäre zum Zeitpunkt des Parteibeitritts  :66 Alterskohorte

Gau in Prozent

Kreis in Prozent

Ortsgruppe Salzburg Stadt in Prozent

21 bis 30 Jahre

27,0

30,2

37,2

31 bis 40 Jahre

44,4

32,6

37,2

Das Bild der sozialen Milieus der drei Organisationsebenen im Jahr 1938 zeigt eine Dominanz der Oberschicht im Bereich der Gauleitung, während Kreise von der unteren Mittelschicht und die Ortsgruppen der Stadt Salzburg von der unteren Mittelschicht und der oberen Unterschicht dominiert wurden. Soziale Milieus (Schichtzugehörigkeit) der Salzburger NSDAP-Funktionsträger 1938  :67 Soziales Milieu

Gau in Prozent

Kreis in Prozent

Ortsgruppe Salzburg Stadt in Prozent

Oberschicht

31,8





Obere Mittelschicht

 9,5

14,0

 7,0

Untere Mittelschicht

27,0

40,0

41,7

Obere Unterschicht

 7,9

14,0

39,5

Die soziale Differenzierung der drei Organisationsebenen wird auch bei einem Blick auf die Berufsmilieus deutlich. Mit einer deutlichen Dominanz der Gruppe der Angestellten und Beamten auf der Kreis- und Ortsgruppenebene korrespondiert jene der Selbstständigen auf der Gauebene.

66 Huber  : Die NSDAP Salzburg. S. 88f. 67 Ebda. S. 102ff.

200

Vor Sonnenuntergang – Historische Entwicklungslinien

Arbeitsmilieus der Salzburger NSDAP-Funktionsträger 1938  :68 Arbeitsmilieu

Gau in Prozent

Kreis in Prozent

Ortgruppe Salzburg Stadt in Prozent

Selbstständige

28,6

18,6

 4,7

Angestellte

22,2

25,6

34,9

Beamte

20,6

32,8

14,0

Gesellen, Meister

 3,0



26,0

Arbeiter

 1,0



 4,0



 4,0

 9,0

Pensionisten, Hausfrauen

Die in den Akten der Bundespolizeidirektion Salzburg 1937 erfassten 94 Mitgliedern des SA-Sturms in der Stadt Salzburg zeigen aufgrund der stärker auf die sozialen Unterschichten ausgerichteten Struktur der Parteiformation eine Dominanz des Handwerker- und Arbeitermilieus, wobei allerdings der Großteil der Funktionseliten aus dem kleinbürgerlichen Milieu kam. Entsprechend dem jugendlichen Charakter der Gesamtpartei dominierten die Alterskohorten zwischen 20 und 49 Jahren sowie der Ledigenanteil. Signifikant war, im Unterschied zu den vorliegenden Daten aus den Gebirgsgauen, der deutlich über dem Anteil an der Gesamtbevölkerung liegende Anteil des protestantischen Bekenntnisses.69 Soziokulturelles Profil der 1937 in den Akten der Bundespolizeidirektion Salzburg erfassten 94 Mitglieder des SA-Sturms der Landeshauptstadt  :70 Angestellte Beamte Selbstständige Handwerker, Gehilfen

27 4 6 41

Hilfsarbeiter, landwirtschaftliche Arbeiter

7

Keine Angaben

9

Bis 20 Jahre

1

20 bis 29 Jahre

46

30 bis 39 Jahre

37

40 bis 49 Jahre

6

68 Ebda. S. 107ff. 69 Bemerkenswert ist der Umstand, dass von den 1936 erfassten 7 Mitgliedern des SS-Motorsturms der Stadt Salzburg sämtliche Mitglieder den Arbeitermilieus angehörten. (Eigene Berechnungen nach den Akten der Polizeidirektion Salzburg und der Sicherheitsdirektion Salzburg.) 70 Eigene Berechnungen.

Landespolitik im Zeichen der Krise 50 Jahre und darüber römisch-katholisch

201 4 67

evangelisch A. B.

27

ledig

70

verheiratet

19

geschieden

3

Keine Angaben

2

Ernst Hanisch hat mit Blick auf das katholisch-agrarische Milieu und dessen Resistenz gegenüber dem Nationalsozialismus zurecht darauf hingewiesen, dass die für den Zeitraum 1934 bis 1938 zur Verfügung stehenden Zahlen die politische und mentale Realität nur bedingt wiedergeben. Aufgrund der vorliegenden Daten lässt sich die These formulieren, dass der NSDAP im Pinzgau und Flachgau auch ein Eindringen in die bäuerlichen Milieus, vor allem in jene der bäuerlichen Unterschichten, gelang. Bereits bei der Landtagswahl 1932 hatte die Christlichsoziale Partei gegenüber der Nationalratswahl 1930 in diesen beiden Gauen mit 2.738 bzw. 1.146 Stimmen die größten Verluste erlitten. Dies bedeutete, dass der Abstand der NSDAP zur Christlichsozialen Partei im Pinzgau auf rund 2.100 und im Flachgau auf rund 8.300 schrumpfte. Die NSDAP hatte sich bereits 1932 als der eigentliche Gegner der Christlichsozialen erwiesen, »der auch am Mark der Christlichsozialen Partei sog.«71 Die Permanenz der Wirtschafts- und Agrarkrise sowie die Propaganda- und Sogwirkung des von der NSDAP initiierten »deutschen Wirtschaftswunders«, deren erhebliche Auswirkungen bis tief in die traditionellen Lagerkulturen merkbar waren, ließen in zunehmendem Ausmaß vor allem landwirtschaftliche Bedienstete sowie jüngere Bauern, und in geringerem Ausmaß auch deren Elterngeneration, in das Lager der NSDAP abwandern. So berichtete ein damals am elterlichen Hof arbeitender Bauernsohn in einer Oral-History-Publikation über den Ort Leogang  : »In den 30er-Jahren waren viele Bettler da und Handwerksburschen. Für die Arbeiter im Ort hat es wenig Möglichkeiten gegeben, nur das Sägewerk und die Holzarbeit im Wald. Sonst hat sich ja alles bei den Bauern abgespielt. Und die Bauern haben auch zum Teil auf den Hitler gehofft, weil es wirtschaftlich so schlecht war und sie haben gesehen, dass in Deutschland mit’n Hitler bald einmal Arbeit da war und bessere Verhältnisse.«72 Der langjährige Bürgermeister von Leogang und ÖVP-National71 Ernst Hanisch  : Die Christlichsoziale Partei für das Land Salzburg 1918–1934. – In  : Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 124/1985. S. 477–496. S. 493. 72 Alois Schwaiger  : Leogang 1938–1945. Zeitzeugen berichten. – Leogang 1998. S. 23. Ähnlich argumentierten die 72 Interviewpartner – 35 Frauen und 37 Männer – im Rahmen eines Innsbrucker Oral-

202

Vor Sonnenuntergang – Historische Entwicklungslinien

ratsabgeordnete Albert Steidl bemerkte  : »Auch die Armut der Bauern war auffällig. Ich erinnere mich, mit meinem Vater Preiselbeeren pflücken gegangen zu sein und es hat so ausgesehen, als dürften wir nicht pflücken, wenn wir dem Bauern nicht 50 Groschen geben. Diese Armut hat sich auch bei den Kindern in der Schule gezeigt, teils am mangelhaften und fehlenden Schuhwerk, an geflickter und oftmals übertragener Kleidung (…) Insgesamt jedenfalls war diese Zeit von Auseinandersetzungen geprägt und Armut und Arbeitslosigkeit waren der beste Nährboden für den Nationalsozialismus.«73 1935 berichtete der Präsident des Katholischen Bauernbundes, Josef Hauthaler, die Not in den Gebirgsgauen sei so groß, dass die Bauern statt des Kochsalzes das vergällte Viehsalz verwendeten und nur mehr Kleiebrot aßen.74 Wenngleich die Binde- und Mobilisierungskraft des Katholischen Bauernbundes nicht unterschätzt werden darf, so erfolgte zunehmend hinter den Kulissen ein Einbruch der NSDAP in die agrarischen Kernschichten. Ein wachsender Teil der Salzburger Bauernschaft agierte in dem entstehenden Spannungsfeld zwischen Regimetreue und NSDAP-Zustimmung vorsichtig und vermied es, sich politisch außerhalb der traditionellen agrarischen Organisationen zu exponieren. Über ihre tatsächliche mentale Befindlichkeit und die daraus resultierende politische Einstellung lassen sich daher nur Vermutungen anstellen. Dass man sich in den die ständestaatliche Regierung unterstützenden agrarischen Organisationen dieser Problematik durchaus bewusst war, wird aus zahlreichen Protokollen und Interventionen zugunsten einer Verbesserung der ökonomischen Situation der Agrarwirtschaft deutlich. So sehr sich die ständestaatliche Regierung mithilfe von protektionistischen Maßnahmen in Form einer Subventions- und Lenkungspolitik in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Kleingewerbe um Krisenbewältig bemühte – zwischen 1934 und 1937 flossen 96 Millionen Schilling aus Budgetmitteln an Subventionen an die Landwirtschaft –, so sehr war ihr Handlungsspielraum durch die Prämissen im Bereich der Währungsund Finanzpolitik – Geldwertstabilität, Defizitvermeidung zum Erhalt der internationalen Kreditwürdigkeit – eingeengt. Hatte die Bauernschaft Dollfuß noch weitgehend uneingeschränkt unterstützt, so sank die Regimetreue unter Schuschnigg. Wenngleich man in Salzburg anlässlich des Besuches von Schuschnigg im Sommer 1937 eine heile bäuerliche Welt History-Projekts mit Tiroler Arbeiterinnen und Arbeitern über die Faszination des Nationalsozialismus. Vgl. Benedikt Erhard, Bernhard Natter  : »Wir waren ja alle arbeitslos«. NS-Sympathisanten deuten ihre Motive. – In  : Thomas Albrich, Klaus Eisterer, Rolf Steininger (Hg.)  : Tirol und der Anschluss. Voraussetzungen, Entwicklungen, Rahmenbedingungen 1918–1938. – Innsbruck 1988. S. 539–569. (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte. Herausgegeben von Rolf Steininger, Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck. Band 3.) 73 Schwaiger  : Leogang 1938–1935. S. 25ff. 74 Hanisch  : Die Christlichsoziale Partei für das Land Salzburg 1918–1938. S. 490.

Landespolitik im Zeichen der Krise

203

mit Triumphbögen, Fahnen, Schulkindern, Blasmusik und Schützen und – oft auf sanften Druck erfolgten – Ehrenbürgerschaften inszenierte, so hatte der bäuerliche Kosmos mit seiner Trias von Tradition, Heimat- und Kirchen-/Parteitreue bereits deutliche Sprünge erhalten. Den vaterländischen und kirchentreuen Bauern und Waldbesitzern standen bereits die ärmeren und kleineren Bauern und agrarischen Unterschichten (Knechte, Mägde, Landarbeiter) sowie die traditionell antiklerikalen, früher im Landbund organisierten, Bauern gegenüber, die mehr oder weniger offiziell mit dem Nationalsozialismus sympathisierten. Wenngleich der Einbruch des Nationalsozialismus in das agrarische Milieu auf breiter Front erst nach dem März 1938 aufgrund der Marktordungs- und Entschuldungsmaßnahmen und hohen Investitionssummen erfolgte, so hatte sich die Tür für ihn bereits vor dem März 1938 geöffnet. Das Abbrennen von Hakenkreuzfeuern auf Bergrücken, das Mähen des Hakenkreuzes auf Steilhängen durch Knechte und zahlreiche Schmieraktionen kündeten von der zunehmenden Spaltung des agrarischen Milieus. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang der Pinzgau aufgrund seines NS-Hochburgcharakters. Bei der Landtagswahl 1932 erzielte hier die NSDAP bereits in 7 der 35 Pinzgauer Gemeinden einen Wähleranteil von über 30 Prozent. Unter Einbeziehung der Nichtwähler erreichte die NSDAP in Buchleben 32,3 Prozent, in Krimml 37,9 Prozent, in Lofer 31,8 Prozent, in Niedernsill 34,5 Prozent, in Rauris 47,1 Prozent, in Unken 31,4 Prozent und in Zell am See 37,1 Prozent. Berücksichtigt man nur die abgegebenen gültigen Stimmen, erzielte die NSDAP in 8 Gemeinden deutlich über 40 Prozent der Stimmen, in zwei sogar die absolute Mehrheit  : in Buchleben 43,2 Prozent, in Lofer 43,5 Prozent, in Niedernsill 45,7 Prozent, in Unken 48,2 Prozent, in Viehhofen 41,0 Prozent, in Zell am See 43,3 Prozent, in Krimml 50,9 Prozent und in Rauris 54,3 Prozent. Laurenz Krisch hat darauf hingewiesen, dass neben historischen Überhängen – Zell am See hatte zwischen 1922 und 1931 mit dem Steueramtsdirektor Josef Ernst einen nationalsozialistischen Bürgermeister – und den Auswirkungen der Agrarkrise, die von den Nationalsozialisten äußerst geschickt propagandistisch instrumentalisiert wurde, vor allem auch die Persönlichkeiten der regionalen NSDAP-Kandidaten mit ihrer hohen Mobilisierungsfähigkeit eine erhebliche Rolle spielten und in der Werbung für die NSDAP in das bäuerliche Milieu wirkten.75 Die insgesamt 935 Strafen, die von der Bezirkshauptmannschaft Zell am See zwischen dem 20. Juli 1933 und dem 12. Jänner 1938 gegen-

75 Laurenz Krisch  : Intensitätsmessung von politischen Bewegungen – wie nationalsozialistisch war der Pinzgau vor dem Anschluss  ? – In  : Franz Schausberger (Hg.)  : Geschichte und Identität. Festschrift für Robert Kriechbaumer zum 60. Geburtstag. – Wien/Köln/Weimar 2008. S. 161–182. S. 165ff. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 35.)

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Vor Sonnenuntergang – Historische Entwicklungslinien

über 774 Nationalsozialisten verhängt wurden, zeigen einen relativ hohen Anteil des bäuerlichen Milieus, bei einer deutlichen Dominanz von Knechten, Mägden und landwirtschaftlichen Arbeitern. Pinzgauer Nationalsozialisten mit Verwaltungsstrafen 1933 bis 1938 nach Milieus  :76 Milieu

Anzahl

Bäuerliche Milieus

195

Arbeitermilieus

395

Bürgerliche Milieus

175

Die dem Autor aus den Akten der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit vorliegenden Zahlen über den SA-Sturm in St. Martin bei Lofer zeigen ein ähnliches Bild  : Neben einer Dominanz der Arbeitermilieus gab es einen relativ hohen bäuerlichen Anteil. Berufszugehörigkeit der Mitglieder des SA-Sturms St. Martin bei Lofer 1936/37  :77 Milieus

Anzahl

Gelernte Arbeiter, Lehrlinge

6

Gehilfen

1

(landwirtschaftliche) Hilfsarbeiter

2

Bauern

4

Wie stark der Nationalsozialismus im Pinzgau verankert war, geht auch aus der hohen Anzahl von Blutordensträgern – illegale Nationalsozialisten, die Sprengstoffanschläge planten oder durchführten sowie diejenigen, die von Gerichten zu lebenslanger Haft oder zum Tode verurteilt worden waren und im Dritten Reich den »Blutorden« erhielten – hervor. Von den insgesamt 149 Blutordensträgern des Bundeslandes Salzburg lebten 44, d. h. fast 30 Prozent, im Pinzgau, in dem aber nur 16 Prozent der wahlberechtigten Salzburger wohnten.78 Auch der Flachgau, in dem die NSDAP bereits bei der Landtagswahl 1932 den hier stark verankerten Landbund weitgehend beerbt hatte und der das Zentrum der Julirevolte im Bundesland Salzburg bildete, wies 38 Blutordensträger auf. Die berufliche Aufgliederung der insgesamt 61 Beschuldigten des Juli-Putsches in Lamprechtshausen zeigt eine deutliche Dominanz der bäuerlichen Milieus, vor allem 76 Krisch  : Intensitätsmessung von politischen Bewegungen. S. 173. 77 Eigene Erhebungen. 78 Krisch  : Intensitätsmessung von politischen Bewegungen. S. 179.

Landespolitik im Zeichen der Krise

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der bäuerlichen Unterschichten, die zu den Aktivelementen des Putsches gehörten, während die Parteielite (Ärzte, Selbstständige) sich im Hintergrund hielt. Berufe der Beschuldigten von Lamprechtshausen  :79 Beruf Bauer

Anzahl 1

Bauernsohn

10

Knecht

25

Handwerker

4

Gehilfe

2

Hilfsarbeiter

8

Angestellter

3

Selbstständiger

4

Freie Berufe (Ärzte)

2

Ohne Angabe

1

Die Mitglieder und Sympathisanten der österreichischen NSDAP rekrutierten sich keineswegs aus einem engen sozialen Spektrum der unteren Mittelschicht, sondern aus einem erheblich breiter gestreuten. Besondere Unterstützung erhielt die Partei von der Jugend, auf die sie vor allem aus drei Gründen große Anziehungskraft ausübte  : 1. die Partei vermittelte sowohl durch ihr Führungspersonal sowie durch das Durchschnittsalter ihrer Mitglieder, in deutlichem Gegensatz zu den politischen Konkurrenten, den Eindruck der Jugendlichkeit. 2. Sie gab ihren jugendlichen Anhängern und Sympathisanten das Gefühl der Wichtigkeit, des unverzichtbaren Bestandteils der Parteiorganisation und -arbeit und sie bot 3. den jugendlichen Gläubigen eine Ideologie in Form einer säkularen Religion der historischen Auserwähltheit, des moralischen Anspruchs und der damit verbundenen Opferbereitschaft. Dieses, die jugendliche Begeisterungsfähigkeit und Opferbereitschaft ansprechende, ideologische und politische Konstrukt formten HJ und – wenn auch in geringerem Ausmaß – BDM zu einem weiteren Aktivsegment mit der Neigung zu demonstrativen und spektakulären Existenzbeweisen bis hin zur Durchführung von terroristischen Aktionen. Wie stark die HJ vor der Illegalität war, ist nur schwer eruierbar. Ihre Faszination dürfte jedoch überschaubar gewesen sein, denn im Jänner 1932 waren die westlichen Bundesländer Salzburg, Tirol und Vorarlberg im Westgau

79 Erstellt nach Andreas Maislinger  : Der Putsch von Lamprechtshausen. Zeugen des Juli 1934 berichten. – Eigenverlag 1992. S. 103ff.

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Vor Sonnenuntergang – Historische Entwicklungslinien

zusammengefasst, der lediglich über 312 Mitglieder verfügte.80 Die NS-Jugendorganisationen befanden sich in Westösterreich vor dem Verbot der Partei in der politischen Diaspora und waren auf ein begrenztes soziales Rekrutierungsfeld beschränkt. Nach dem Verbot der Partei ging die Führung von HJ und BDM nach München ins Exil und bemühte sich, die illegale Organisationsstruktur in Österreich aufrechtzuerhalten. Einen neuerlich stärkeren Zulauf erhielten HJ und BDM, bewirkt auch durch die zunehmende Faszination und Strahlkraft des Nationalsozialismus nach dessen Machtergreifung im Deutschen Reich, im Vorfeld des Juliabkommens. Nach dem Inkrafttreten des Juliabkommens reisten, begünstigt durch die vereinbarten Reiseerleichterungen, Gruppen österreichischer illegaler HJ- und BDM-Gruppen nach Deutschland. Im August 1936 nahmen BDM-Funktionärinnen an Schulungen in Potsdam teil und im September 1936 HJ und BDM-Abordnungen an einem Hitler-Jugend-Treffen in Berchtesgaden teil und wurden auch von Hitler empfangen. Die dabei gemachten Fotos dienten in Österreich als Propagandamaterial. Infolge der zunehmenden Attraktivität von HJ und BDM wurden im Herbst 1936 die beiden nach München geflohenen Jugendführer Karl Kowarik und Herta Stumfohl zur Reorganisation der inzwischen erstarkten illegalen HJ bzw. BDM nach Österreich zurückgeschickt. Zu diesem Zeitpunkt häuften sich jedoch auch die Erfolge der österreichischen Sicherheitsbehörden zur Aufdeckung der illegalen Organisationen von HJ und BDM. So konnte das Landesgendarmeriekommando Salzburg Anfang Dezember 1936 die völlige Aufdeckung der HJ im Pinzgau, einer der größten in der Phase der Illegalität, melden, ein Jahr später die Bundespolizeidirektion Salzburg jene der HJ von Stadt und Land Salzburg sowie des BDM Salzburg. Die in den Berichten der Salzburger Sicherheitsorgane enthaltenen Sozialprofile der Verhafteten bzw. Beschuldigten HJ-Mitglieder zeigen eine deutliche Dominanz von Lehrlingen, Gehilfen und (bäuerlichen) Hilfsarbeitern gegenüber Schülern und Studenten. Von einer vom studentischen Milieu geprägten Jugendbewegung konnte in Salzburg, vor allem auch wegen des Fehlens einer Universität und einer ausgeprägten Infrastruktur mittlerer Schulen, keine Rede sein. Die HJ hatte, noch stärker ausgeprägt als der BDM, einen ausgeprägten sozialen Unterschichtcharakter.

80 Johanna Gehmacher  : Jugend ohne Zukunft. Hitler-Jugend und Bund Deutscher Mädel in Österreich vor 1938. – Wien 1994. S. 204.

Landespolitik im Zeichen der Krise

207

Berufe der Mitglieder der HJ der Stadt Salzburg Herbst 1937  :81 Beruf

Anzahl

Hochschüler

2

Schüler

15

Handwerker/Gehilfen

25

Lehrlinge

39

Hilfsarbeiter

12

Angestellte

5

Privatier

1

Ohne Berufsangabe

1

Summe

100

Berufe der BDM-Mitglieder in der Stadt Salzburg 1937  :82 Beruf

Anzahl

Schülerin

6

Angestellte

3

Praktikantin

1

Lehrmädchen

2

Hausgehilfin

2

Ohne Angabe Summe

2 14

Berufe der BDM-Mitglieder in Seekirchen, Mattsee und Seeham  :83 Beruf

Anzahl

Kindergärtnerin

1

Im Haushalt der Eltern tätig

3

Hausgehilfin

1

Magd

2

Summe

7

81 Aufgrund der Akten der Bundespolizeidirektion und der Sicherheitsdirektion Salzburg. 82 Nach den Akten der Bundespolizeidirektion und der Sicherheitsdirektion Salzburg. 83 Nach den Akten der Sicherheitsdirektion Salzburg.

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Vor Sonnenuntergang – Historische Entwicklungslinien

Nach dem Juliabkommen forcierte die HJ- und BDM-Führung eine legale Strategie, die sich vor allem in zwei Schwerpunkten manifestierte  : der (durchaus erfolgreiche) Infiltration der legalen Jugendorganisationen mit dem Zweck der Schaffung von getarnten Einflusssphären und der Aktivierung der sog. Dienste, von denen der ideologisch hoch aufgeladene »Landdienst« sowie der Einsatz im Rahmen des illegalen »Winterhilfswerkes« eine zentrale Rolle einnahmen. Bei dem nach deutschem Vorbild organisierten »Landdienst« handelte es sich um eine Anwendung der »Blutund-Boden-Ideologie«, die den Jugendlichen nicht nur die Verbundenheit mit dem Landleben vermitteln sollte, sondern auch in Form einer getarnten illegalen politischen Arbeit der Verbreitung der NS-Ideologie auf dem Land diente.

5.2 »Arbeitslose und hungrige Personen sind bekanntlich eine Quelle der Unruhe und durch die Not geneigt, verderblichen Einflüsterungen von regierungsfeindlicher Seite ein williges Ohr zu leihen.« – Die Bemühungen um die Arbeitsbeschaffung Das Bundesland Salzburg vermittelte auf den ersten Blick in der Phase der allmählichen wirtschaftlichen Stabilisierung in der zweiten Hälfte der Zwanzigerjahre ein relativ günstiges Bild. Die wirtschaftspolitische Maxime des seit 1922 regierenden Landeshauptmannes Franz Rehrl zielte auf eine Modernisierung des Landes vor allem in den Bereichen Verkehrsinfrastruktur und Energiesektor als wichtige Säulen des regionalwirtschaftlichen Exports. Beide Schwerpunkte waren jedoch ohne entsprechende Bundesmittel nicht realisierbar. Die Maxime der Budgetdisziplin zur Vermeidung der Inflation setzte den Ambitionen des ehrgeizigen Salzburger Landeshauptmanns jedoch deutliche Grenzen, wie er beim Scheitern des innovativen, nicht nur für die Salzburger Volkswirtschaft aufgrund der Exportchancen so wichtigen Tauernkraftwerk-Projektes, das über das Planungsstadium nicht hinauskam und erst im Dritten Reich in Angriff genommen werden sollte, erfahren musste. Erheblich erfolgreicher war Rehrl im Bereich des Fremdenverkehrs, in dem er ein Mittel der Verringerung der innerregionalen wirtschaftlichen Disparitäten sah und der sich zu einem Motor der regionalen Wirtschaft entwickelte, sowie in der Positionierung Salzburgs als Kulturmetropole. Dieses Ziel erreichte er in zwei Etappen  : der finanziellen Sicherung der Festspiele 1926 und deren Internationalisierung ab 1935. Während die Bauwirtschaft das Produktionsniveau der Vorkriegszeit nicht erreichte, vermochte sich die im Land allerdings nur spärlich vorhandene Industrie – Papier- und Zellstoffindustrie, das Aluminiumwerk in Lend, die Eisenproduktion in Sulzau-Werfen – aufgrund ihrer Spezialisierung und den damit gegebenen Exportmöglichkeiten positiv zu entwickeln. Von besonderer Bedeutung war die 1927 erfolgte Errichtung der Solvay-Werke in Hallein als exportorientierte Industrie.

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Wenngleich die Landwirtschaft ihre Produktivität vor allem bei Milch, Fleisch und Zucker deutlich zu erhöhen vermochte, so kontrastierte dieser Erfolg bereits vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise mit sinkenden Agrarpreisen infolge der eingetretenen Überproduktion und steigender Verschuldung der landwirtschaftlichen Betriebe. Bereits zwischen 1923 und 1927 stieg der Darlehensstand bei der Raiffeisenkasse um das 13,5-fache auf 11,1 Millionen Schilling.84 Ein strukturelles Problem bildete auch die stark exportorientierte Holzwirtschaft mit ihrer Abhängigkeit vom Weltmarktpreis, dem ungünstigen Steuersystem – hohe Holzausfuhrabgaben, Besitzsteuer statt Ertragssteuer – und ihrem relativ hohen Beschäftigungseffekt. In Österreich fungierte die Holzwirtschaft für rund 500.000 Menschen und damit auch deren Familien als Arbeitgeber. Bereits vor dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise reduzierte sich, trotz steigender Exporte, die Rentabilität in der Holzwirtschaft erheblich und ging – regional unterschiedlich – als Folge von Überschlägerungen, Aufzehrung von Reserven, gestiegenen Löhnen und Soziallasten sowie einer hohen Besteuerung bereits verloren.85 Die regionale Dimension des Ausbruchs der Weltwirtschaftskrise äußerte sich in Salzburg bereits 1929, wohl noch stärker verursacht durch den strengen Winter 1928/29, mit einem deutlichen Anstieg der traditionellen Winterarbeitslosigkeit. Die Wirtschaftskrise schlug sich in der Statistik vor allem in dem für die Salzburger Wirtschaft so wichtigen Fremdenverkehr nieder. Bereits ab der Saison 1929/30 sanken die Übernachtungen signifikant, wodurch zahlreiche Betriebe, die ihre Investitionskredite durch den entstehenden Einnahmenausfall nicht mehr bedienen konnten, in Schwierigkeiten gerieten. In rascher Folge gerieten auch die beschäftigungsintensive Bauwirtschaft, das produzierende Gewerbe und der Handel infolge der sinkenden Nachfrage immer mehr in Schwierigkeiten. Regional dramatische Auswirkungen hatte die einsetzende Industriekrise. 1931 wurde das Mitterberger Kupferbergwerk ein Opfer des dramatischen Einbruchs des Weltmarktpreises für Kupfer, die Eisenhütte in Tenneck musste ihre Produktion 1933 um 60 Prozent kürzen. Die Folge war ein erhebliches Ansteigen der regionalen Arbeitslosigkeit. Hinzu trat noch die für Salzburg aufgrund des hohen Anteils der in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung 84 Gerhard Ammerer  : Vom Feudalverband zum Reichsnährstand. Formen »bäuerlicher Organisation« von der Schwelle des frühmodernen Staates bis zum Zweiten Weltkrieg – Ein Überblick. – In  : Gerhard Ammerer, Josef Lemberger, Peter Oberrauch  : Vom Feudalverband zur Landwirtschaftskammer. Agrarische Korporations- und Organisationsformen in Salzburg vom Beginn der Neuzeit bis heute. – Salzburg 1992. S. 15–242. S. 187. (Schriftenreihe des Landespressebüros. Serie »Salzburg Dokumentationen« Nr. 106. Hg. v. Roland Floimair.) 85 Norbert Weigl  : Die österreichische Forstwirtschaft im 20. Jahrhundert. Von der Holzproduktion über die Mehrzweckforstwirtschaft zum Ökosystemmanagement. – In  : Franz Ledermüller (Hg.)  : Geschichte der österreichischen Land- und Forstwirtschaft im 20. Jahrhundert. Politik, Gesellschaft, Wirtschaft. – Wien 2002. S. 593–740. S. 605.

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Vor Sonnenuntergang – Historische Entwicklungslinien

sich besonders dramatisch gestaltende Agrarkrise und Krise der Holzwirtschaft. Für die Landespolitik entstand damit ein Problemhaushalt, der mit den bescheidenen Mitteln des Landes nicht zu bewältigen war. Es galt daher, in einem innerösterreichischen Konkurrenzkampf Bundesmittel für Krisenbewältigungsstrategien zu lukrieren. Dabei waren diesen Bemühungen jedoch aufgrund der dominierenden ökonomischen und finanzpolitischen Denkschule deutliche Grenzen gesetzt. Bei der Beurteilung der gesamtstaatlichen wie regionalen Finanz- und Wirtschaftspolitik in der Phase der Weltwirtschaftskrise ab 1929 sollte man sich vor der verlockenden Falle des hermeneutischen Zirkels, der Nachher-Klugheit, hüten. Die Akteure handelten in einem komplexen Spannungsfeld verschiedener – vor allem auch externer – Faktoren  : und ökonomischer Grundüberzeugungen von beinahe dogmatischem Bekenntnischarakter.86 1. In den Jahren 1929/30 zeichnete sich noch nicht jene Krise ab, die der folgenden Periode ihren Namen geben sollte. Vielmehr schien es sich um einen jener für die Weltwirtschaft typischen zyklischen Rückschläge zu handeln. 1929 verzeichnete Österreich noch ein Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent, dem 1930 ein Rückgang von 2,8 Prozent und ein massives Ansteigen der Arbeitslosigkeit folgte. Erst die in der Folgezeit einsetzende restriktive internationale Wirtschaftspolitik löste die Katastrophe aus, die in Österreich 1931 mit dem Zusammenbruch der CreditanstaltBankverein das Krisenszenario in vollem Umfang in Gang setzte. 2. Nicht nur die von Ludwig Mises dominierte Wirtschaftskommission der Bundesregierung, sondern auch die Sozialdemokratie, vor allem Otto Bauer, gingen vom Axiom eines ausgeglichenen Budgets aus. Von einer keynesianischen Krisenbekämpfung etwa durch eine Stimulierung der Nachfrage durch Lohnsteigerungen oder eine expansive Budgetpolitik des Staates und die bewusste Inkaufnahme eines größeren Budgetdefizits war vor allem mit Blick auf die Inflation der Nachkriegszeit lagerübergreifend keine Rede. Innerhalb des Rahmens eines ausgeglichenen Budgets variierten die Konzepte zur Krisenbewältigung. Während die Denkschule um Mises in den hohen Produktionskosten, einem überhöhten Preisniveau, zu starren Produktionsstrukturen und Handelshemmnissen die Ursachen sah, denen man mit einer Senkung der öffentlichen Ausgaben, Effizienzsteigerungen im Bereich der Produktion, Senkung der Lohn86 Zur Auswirkung der Weltwirtschaftskrise auf Österreich vgl. Dieter Stiefel  : Die große Krise in einem kleinen Land. Österreichische Finanz- und Wirtschaftspolitik 1929–1938. – Wien/Graz/Köln 1988. (Studien zu Politik und Verwaltung. Herausgegeben von Christian Brünner, Wolfgang Mantl, Manfried Welan. Band 26.) Zur Wirtschaftspolitik des Ständestaates vgl. Siegfried Mattl  : Die Finanzdiktatur. Wirtschaftspolitik in Österreich 1934–1938. – In  : Emmerich Tálos, Wolfgang Neugebauer (Hg.)  : »Austrofaschismus«. Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur 1934–1938. – Wien 1984. S.  133–159  ; Gerhard Senft  : Im Vorfeld der Katastrophe. Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates 1934–1938. – Wien 2002 (Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit Band 15. Herausgegeben von Anton Pelinka und Helmut Reinalter.)

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nebenkosten und einer möglichst weitgehenden Beseitigung der Handelshindernisse begegnen wollte, lehnte Otto Bauer Lohnkürzungen ab und plädierte für verstärkte Bauinvestitionen, die durch ihren hohen Beschäftigungseffekt eine Reduktion der steigenden Arbeitslosigkeit bewirken sollten. Die notwendigen Mittel dafür sollten durch Umschichtungen im Budget und Steuererhöhungen bereitgestellt werden. Angesichts der anhaltenden Wirtschaftskrise und der nach wie vor rasch steigenden Arbeitslosigkeit mit ihren unübersehbaren politischen Folgen – in Österreich waren 1932 im Jahresdurchschnitt 468.000 Personen ohne Arbeit, 1933 stieg die Zahl auf die Rekordhöhe von 557.000, was einer Arbeitslosenquote von 25,9 Prozent entsprach – setzte ab 1932/33 eine Akzentverschiebung in der Budgetpolitik in Richtung Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ein. Zwischen 1932 und 1937 budgetierte die Bundesregierung insgesamt 456 Millionen Schilling für diverse Arbeitsbeschaffungsprogramme, die zum Großteil durch Anleihen gedeckt wurden. Dabei wurde die Dominanz der Finanzpolitik mit ihrem Credo der stabilen Währung über alle anderen wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen deutlich, da vom Anleihenerlös in der Höhe von 882 Millionen Schilling 529 Millionen Schilling für Schuldentilgung und Finanzoperationen verwendet wurden.87 Die 1934 und 1935 von der Bundesregierung mit entsprechender propagandistischer Begleitmusik durchgeführten Beschäftigungsprogramme – 1935 rief Bundeskanzler Schuschnigg den Beginn der »Arbeitsschlacht« aus – brachten eine Reduktion der Arbeitslosen um 10 Prozent und Budgetdefizite von 1,7 bis 2,7 Prozent.88 Diese zarten Ansätze einer expansiven Budgetpolitik wurden jedoch 1936 unter dem Druck des Völkerbundes sowie der von Finanzminister Ludwig Draxler verfolgten Maxime des ausgeglichenen Budgets aufgegeben, die Institution des außerordentlichen Haushalts beseitigt und das Defizit auf 0,4 Prozent reduziert. Vor dem Niederösterreichischen Gewerbeverein erklärte Draxler, nur ein ausgeglichenes Budget und eine gesunde Währung sei die Grundlage einer geordneten Volkswirtschaft. Ebenso wichtig sei »die möglichste Anpassung des Ausgabenniveaus der öffentlichen Haushalte an die Möglichkeiten der Volkswirtschaft. Je schwächer die Wirtschaft ist, umso niedriger muss die Budgetsumme sein.«89 Die Folge dieser Politik sowie des finanzpolitischen Einflusses des Finanzkomitees des Völkerbundes war zwischen 87 Stiefel  : Die große Krise in einem kleinen Land. S. 208. 88 Im Lausanner Protokoll 1932 verpflichtete sich Österreich auf Druck des Völkerbundes, neben Auslandsanleihen auch Inlandsanleihen aufzulegen, deren Erlös auch zur Abdeckung der Verbindlichkeiten der CA bei der Nationalbank dienen sollten. Unter dem Druck der steigenden Arbeitslosigkeit gestattete der Völkerbund ab 1933, einen Teil der Erlöse der Inlandsanleihen für Arbeitsbeschaffungsprogramme zu verwenden. So wurden die Erlöse der ersten Inlandsanleihe 1933, der Trefferanleihe, teilweise zur Finanzierung der Großglockner Hochalpenstraße, der Elektrifizierung der Nordrampe der Tauernbahn und der Wiener Reichsbrücke verwendet. 89 Zit. bei Karl Bachinger  : Eine stabile Währung in einer instabilen Zeit – Der Schilling in der Ersten

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1932 und 1937 die niedrige Investitionsquote des Bundes in der Höhe von lediglich 3,7 Prozent des Budgets, wodurch der propagandistisch immer wieder erhobene Anspruch des Konjunkturimpulses und der damit verbundenen Arbeitsbeschaffung mithilfe der Inlandsanleihen und des Budgets kaum eingelöst werden konnte. Die Zahl der Arbeitslosen verringerte sich zwischen 1933 und 1937 von 557.000 auf 464.000, die Arbeitslosenquote sank von 26,9 Prozent auf 21,7 Prozent, wobei jedoch diese Zahlen nicht die tatsächliche Lage am Arbeitsmarkt widerspiegeln, da sie nicht jene der sog. »Ausgesteuerten« und derjenigen Jugendlichen enthielten, die nach Abschluss der Schulpflicht keine Arbeitsmöglichkeit fanden.90 3. Die Möglichkeiten einer einzelnen, noch dazu kleinen Volkswirtschaft wie jener Österreichs unter den gegebenen internationalen ökonomischen Rahmenbedingungen eine weitgehend autonome Wirtschafts-, Finanz- und Beschäftigungspolitik zu betreiben, waren äußerst begrenzt. Das Land hatte zwei Völkerbundanleihen bzw. -sanierungen hinter sich und stand zumindest bis 1936 unter der direkten Kontrolle der Völkerbundkommission und einer genauen Beobachtung der Finanzmärkte. Betrug die Gesamtfinanzschuld des Bundes bis zur Sanierung der CA 1932 25,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, so stieg diese bis 1936 – vor allem aufgrund der Kosten der CA-Sanierung – auf 42,6 Prozent. Dass sich dieser Prozentsatz 1937 auf 37,6 Prozent reduzierte, war das Ergebnis der teilweise massiven Abwertungen zwischen 14 und 33 Prozent in den Ländern des »Goldblocks« Frankreich, Belgien, Holland, der Schweiz, Italien und Polen. Österreich vollzog diese Abwertung vor allem aus zwei Gründen nicht mit  : aus Furcht vor dem Eintreten inflationärer Tendenzen und der günstigen Auswirkungen der »Hartwährungspolitik« auf die Fremdwährungsschuld des Bundes.91 Die Bundesregierung vertrat die Auffassung, dass die positiven Effekte im Bereich der Gesamtverschuldung die Nachteile mehr als kompensieren würden. Im Salzburger Landtag erklärte der Abgeordnete des Geld-, Kredit- und Versicherungswesens, Alfred Bayr,92 am 17. Dezember 1936, »die Abwertung des franRepublik. – In  : Ders., Felix Butschek, Herbert Matis, Dieter Stiefel  : Abschied vom Schilling. Eine österreichische Wirtschaftsgeschichte. – Graz/Wien/Köln 2001. S. 11–134. S. 130. 90 Unter Berücksichtigung dieser beiden Gruppen lag die Zahl der Beschäftigungslosen 1937 bei rund 620.000. 91 Clemens Jobst, Hans Kernbauer  : Die Bank. Das Geld. Der Staat. Nationalbank und Währungspolitik in Österreich 1816–2016. – Frankfurt am Main 2016. S. 187. Die Verringerung der Auslandsverschuldung und die damit deutlich geringeren Zins- und Tilgungszahlungen sowie die schließlich erreichte Reduzierung des Leistungsbilanzdefizits, 1937 wurde erstmals ein positiver Saldo erreicht, schlugen sich in einer deutlichen Erhöhung der Gold- und Valutabestände der Nationalbank nieder, die zwischen 1932 und 1937 von lediglich 90 Millionen Schilling auf 445 Millionen Schilling stiegen und nach dem Anschluss eine willkommene Beute des unter Devisenmangel leidenden Dritten Reiches bildeten. 92 Alfred Bayr (1904–1970) absolvierte die Hauptschule in Braunau am Inn und besuchte anschließend die Handelsakademie in Linz, an der er 1922 maturierte und anschließend als Beamter der Bank für

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zösischen und des Schweizer Franken sowie des Holländerguldens bedeutete für die Einnahmsquellen des Fremdenverkehres eine schwere Gefährdung.« Um konkurrenzfähig zu bleiben, müsse den Bestrebungen der Fremdenverkehrsbetriebe, entsprechende Preiserhöhungen vorzunehmen, gegengesteuert werden. »Es muss das Aufsichtsrecht des Landes dahin gehen und bestätigt werden, dass man Preiserhöhungen, wenn sie auch vom privaten Standpunkt aus noch so gerechtfertigt wären, unter allen Umständen verhindert, weil (…) die Wirtschaft und der Haushalt des Landes Salzburg geschädigt werden. Salzburg muss unbedingt ein billiges Land bleiben …«93 Wenngleich Nationalbankpräsident Viktor Kienböck zu den prominenten Verfechtern eines ausgeglichenen Budgets und von Geldwertstabilität zählte, so reduzierte die Nationalbank zum Zweck der wirtschaftlichen Stimulierung zwischen 1933 und 1936 den Lombardzinssatz von 7,1 Prozent auf 5,0 Prozent, der Diskontzinssatz fiel im selben Zeitraum von 5,2 Prozent auf 3,5 Prozent. Deflationäre Tendenzen gingen somit weniger von der Nationalbank als vielmehr von den Geschäftsbanken aus, die sich bei der Kreditvergabe äußerst restriktiv verhielten. 4. John Maynard Keynes’ vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise verfasste »Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes« erschien 1936 und bedeutete eine Absage an die klassische liberale Theorie der Selbstregulierung des Marktes sowie einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik. Nicht das Angebot, sondern die Nachfrage, d. h. die gesamtgesellschaftliche Kaufkraft, bildete den Kernpunkt des Verständnisses der Wirtschaftskrise. Da in der Wirtschaftskrise drei von vier Komponenten der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage einbrachen – privater Konsum, private Investitionstätigkeit von Unternehmen und Export –, musste die vierte Komponente, die staatliche Nachfrage, mittels Kreditaufnahme und damit ein Ansteigen der öffentlichen Verschuldung als Motor der Nachfragestimulierung einspringen. Keynes’ Theorie stieß zunächst auf weit verbreitete Skepsis, auch in den USA, wo allerdings Franklin D. Roosevelt mit seinem New Deal beschäftigungspoliOberösterreich und Salzburg arbeitete. Nebenberuflich begann er das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien. 1934 bis 1938 war er Abgeordneter zum ständischen Salzburger Landtag, 1937/38 Landessekretär und Landesfinanzreferent der Vaterländischen Front in Salzburg, 1936 bis 1938 Mitglied des Vorstandes der Salzburger Angestelltenversicherungskassa. 1938/39 verbüßter er aus politischen Gründen eine mehrmonatige Haft und war 1945 bis 1963 Beamter und Filialdirektor der Länderbank in Linz. Vgl. Richard Voithofer  : Politische Eliten in Salzburg. Ein biografisches Handbuch 1918 bis zur Gegenwart. – Wien/Köln/Weimar 2007. S. 17. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 32.) 93 Stenografisches Protokoll der Sitzung des Salzburger Landtages (SLTPR), 3. Tagungsabschnitt, 17. Dezember 1936. S. 44.

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tische Impulse im Sinne von Keynes setzte. Die Erfolge blieben jedoch im Bereich der Beschäftigungspolitik überschaubar. Erst der Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg und die bereits zuvor beginnende Kriegskonjunktur brachten eine Wende am US-Arbeitsmarkt. Einen Sonderfall, der allerdings ob seiner propagandistischen Wirkung für Österreich von besonderer Bedeutung war, bildete das Dritte Reich, in dem durch eine bereits 1933 begonnene ökonomische und finanzpolitische Abkoppelung sowie eine bewusste Rüstungskonjunktur de facto Vollbeschäftigung erreicht wurde.94 »Die nähere Betrachtung der wirtschaftlichen Lage und des wirtschaftlichen Umfeldes ergibt somit, dass der österreichischen Regierung zumindest keine grundlegenden Alternativen offenstanden. Gewiss war die innenpolitische Situation einer kräftigen Wirtschaftsentwicklung nicht günstig und auch die internationale Umgebung nicht sonderlich dazu angetan, die österreichische Wirtschaft zu stimulieren. Die meisten Nachbarn stagnierten selbst, die dramatisch expandierende deutsche Wirtschaft war aus dem internationalen Wirtschaftsverbund weitgehend ausgeschieden.«95 Ob eine Bundesregierung und eine Nationalbank mit einer deutlichen Präferenz für eine expansive Finanz- und Wirtschaftspolitik eine – von kurzfristigen Effekten abgesehen – grundlegend andere ökonomische und soziale Situation hätte herbeiführen können, darf aufgrund der Rahmenbedingungen bezweifelt werden. Vollbeschäftigung wurde vor Ausbruch des als Konjunktur- und Beschäftigungsmotor fungierenden Zweiten Weltkrieges auch nicht in den unter erheblich besseren Voraussetzungen agierenden USA und Schweden, die sich einer präkeynesianischen Politik bedienten, erreicht. In seiner Erklärung an das Finanzkomitee des Völkerbundes am 17. September 1931 zur benötigten Krediterlangung hatte Bundeskanzler Karl Buresch betont, dass die Bundesregierung entschlossen sei, »das Gleichgewicht des Budgets wiederherzustellen und alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die österreichische Währung und den österreichischen Kredit zu erhalten. (…) Mit der gleichen Energie (…) unternehmen auch die Länder und Gemeinden Anstrengungen, um in ihrem Budget das Gleichgewicht herzustellen.«96 Mit dieser Festlegung im Vorfeld der schließlich von seinem Nachfolger Engelbert Dollfuß erlangten Lausanner Anleihe war der Vorrang der Finanzpolitik nicht nur im Bund, sondern auch in den Ländern und Gemeinden festgeschrieben. Die Budgetpolitik des Landes Salzburg sah sich damit in den Dreißigerjahren bei ihren Krisenbewältigungsstrategien der Möglichkeit einer Erhöhung des Bewegungsspielraums durch ein deficit spending beraubt und unter 94 Zur Abkoppelung der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik vgl. Adam Tooze  : Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus. – München 2008. S. 93ff. 95 Felix Butschek  : Österreichische Wirtschaftsgeschichte. Von der Antike bis zur Gegenwart. – Wien/ Köln/Weimar 2011. S. 249. 96 Zit. bei Stiefel  : Die große Krise in einem kleinen Land. S. 167f.

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der Rahmenbedingung des ausgeglichenen Budgets mit der Quadratur des Kreises konfrontiert. Die Permanenz der Wirtschaftskrise erhöhte die sozialen Kosten und damit die politischen Spannungen, die politische Kultur des Landes erfuhr, vor allem nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und dem Einsetzen des deutschen »Wirtschaftswunders« mit seiner zunehmenden propagandistischen Strahlwirkung, einen tiefgreifenden Wandel. Unter diesen Prämissen mutierte, jenseits des historischen Überhangs des Deutschnationalismus in seinen verschiedenen Varianten, Wirtschafts- und Finanzpolitik, die sich in der Beschäftigungsstatistik niederschlugen, zur Gesellschaftspolitik und wurden damit zum entscheidenden Prüfstein der öffentlichen Wahrnehmung der Systeme. Die Salzburger Wirtschaftspolitik war dabei mit einem mehrfachen Problemhaushalt konfrontiert  : 1. Den infolge der anhaltenden Wirtschafts- und Agrarkrise sinkenden Steuereinnahmen, die auch nicht durch eine verstärkte Fremdenverkehrswerbung und deren Erfolge kompensiert werden konnten. 2. Der – trotz aller Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen – anhaltenden hohen Arbeitslosigkeit vor allem in den Bereichen der Industrie- und Bauarbeiter sowie den damit verbundenen sozialen Kosten. 3. Dem innerösterreichischen Kampf um die Zuteilung von Exportkontingenten für die Salzburger Industrie. Im Lauf der Weltwirtschaftskrise verschlechterten sich die handelspolitischen Rahmenbedingungen durch eine allgemein einsetzende verschärfende Zollpolitik inklusive der Importkontingentierung. Den Exporten waren durch jeweils branchenspezifische Kontingentierungen Grenzen gesetzt, weshalb es um die prozentuelle Zuteilung der Kontingente zu einer innerösterreichischen Konkurrenzsituation kam. Ende Dezember 1936 beklagte sich z. B. die Salzburger Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie in einem Schreiben an Landeshauptmann Rehrl über die deutliche Reduktion des Exportkontingents 1937 für Loden um drei Viertel des Exportvolumens des Jahres 1936, von der vor allem die Salzburger Firma Albert Süss und deren größere Zahl von Heimarbeitern existenziell betroffen sei. In den vergangenen Jahren hätten sich, nicht zuletzt auch durch die Werbewirkung der Salzburger Festspiele, die Exportmöglichkeiten für Lodenkonfektion äußerst günstig gestaltet und damit der regionalen Wirtschaft wichtige Impulse gegeben. Dies vor allem auch deshalb, »weil es sich um den Export einer im Lande erzeugten, aus den Rohstoffen des Landes hergestellten Exportware handelt.« Diese günstige Entwicklung sei jedoch in letzter Zeit durch die in den Hauptexportländern verfügten Kontingentierungen beeinträchtigt worden. Nun habe man in Wien auf das Exportansuchen für das Jahr 1937 mit einer unverständlichen Reduktion der Menge um drei Viertel reagiert, womit nicht nur ein schwerer wirtschaftlicher »Schlag gegen die Firma (Albert Süss, Anm. d. Hg.) und deren große Zahl von Heimarbeitern, sondern ebenso (…) gegen die mit vieler Mühe aufgebaute Textilindustrie und gegen

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die heimische Wollproduktion« geführt worden sei. Weder die Interventionen der Firma Süss noch jene der Kammer um eine zumindest gleichbleibende Zuteilung der Kontingentierung waren in Wien von Erfolg gekrönt. Außer der Salzburger Firma sei nur noch eine Tiroler Firma an dem Exportkontingent beteiligt, deren übergroßer Teil an Wiener Firmen vergeben wurde. Dabei handle es sich offensichtlich um »eines jener Grundprobleme, die Sie, sehr geehrter Herr Landeshauptmann, in Ihrer vielbeachteten Rede vor dem Salzburger Landtag angeschnitten haben. Immer wiederum ist wahrzunehmen, dass die Kreise, die näher an den Kontingentverteilungsmöglichkeiten ›sitzen‹, doch immerhin mit größeren Aussichten den Kampf um die mengenmäßig ja wirklich sehr beschränkten Kontingente führen als die Firmen in den Bundesländern. Die gefertigte Kammer wäre Ihnen, hochgeehrter Herr Landeshauptmann, zu besonderem Dank verpflichtet, wenn Sie Ihrerseits Ihren Einfluss in der Richtung geltend machen, dass die Exporteure von Lodenkonfektion aus dem Lande Salzburg mit den gleichen Kontingentanteilen für das Jahr 1937 beteilt werden, wie dies für das Jahr 1936 der Fall war.«97 4. Dem finanzpolitischen Korsett des ausgeglichenen Haushalts, das den Spielraum landespolitischer Initiativen massiv einschränkte. Defizite/Überschüsse des Salzburger Landesbudgets 1929 bis 1937 in Mio. Schilling  :98 1929

– 0,60

1930

– 3,45

1931

– 3,90

1932

+ 0,003

1933

– 2,27

1934

– 2,22

1935

– 0,02

1936

– 0,07

1937

– 0,43

Am 1. Dezember 1936 erklärte Rehrl in der Sitzung des Salzburger Landtages  : »Ich erinnere daran, dass auch in den Budgetberatungen der letzten Jahre von allen Seiten stets immer wieder betont wurde, dass die offenkundig vorhandene Drosselung der Landesausgaben auf das tiefste, eben noch zulässige Maß wohl ein oder das andere Jahr, in Zeiten größten Notstandes vorantwortet werden kann, dass aber eine län97 SLA Präs. Akten 1937/7d. 98 Das Geld. Zeitschrift für Kapitalanlagen 10/1937. S. 3. (SLA Rehrl Briefe 1937/2918.)

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gere Dauer dieses Zustandes für das Wirtschaftsleben des Landes von verderblichen, nicht wieder gutzumachenden Folgen begleitet sein müsste. Beispielsweise müssen der Förderung des Fremdenverkehres, in welchem wir in letzter Zeit mit geradezu minimalen Mitteln in der ganzen Welt anerkannte Erfolge erzielt haben, in nächster Zeit unbedingt erhöhte Mittel zur Verfügung gestellt werden, sollen die erzielten Erfolge nicht nur aufrechterhalten, sondern sogar tunlichst vergrößert werden. Wenn wir sehen, welche Gelder andere Länder der Fremdenverkehrspropaganda zuwenden, tritt uns die Gefahr deutlich vor Augen, dass wir ins Hintertreffen gelangen, wenn wir nicht Schritt halten. Auch die Instandhaltung unserer Landesstraßen war in den letzten Jahren nur ein Notzustand. Hält derselbe länger an, muss er notgedrungen zu einer Verwahrlosung unserer Straßen führen …«99 5. Maßnahmen der Bundesregierung zur Sanierung des Bundeshaushalts oder zur Finanzierung der Aufrüstung auf Kosten der Länder, denen durch diese Maßnahmen Einnahmen entzogen und die gleichzeitig mit neuen Abgaben wie z. B. den Beiträgen zum erhöhten Wehrbudget belastet wurden. Sichtlich erbost erklärte Rehrl zu Beginn der Herbsttagung 1936/37 des Salzburger Landtages, dass »allfällige Steuermehreinnahmen, welche das Land durch eine (…) Konjunkturbesserung zu erwarten hätte, (…) dem Land durch einen einseitigen gesetzgeberischen Akt der Bundesregierung unter Außerkraftsetzung des Abgabenteilungsgesetzes genommen« würden, »indem die Bundesregierung dem Lande einen Beitrag zu den Kosten der Heeresbeschaffungen im Betrage von 400.000 Schilling auferlegt hat. Dieser neuerliche Schlag trifft das Land aufs schwerste und kann von ihm kaum verwunden werden. Ist es doch nur die Fortsetzung einer Reihe von ähnlichen Maßnahmen der Bundesregierung auf Kosten der Länder, durch welche denselben sogar die Mehrerträgnisse von Steuern, die sie durch ihre eigene Tätigkeit erzielen konnten, genommen wurde …«100 6. Für größere Investitionsprogramme zur Verbesserung der Infrastruktur und Reduzierung der lokalen Arbeitslosenrate war die Lukrierung der nur begrenzt zur Verfügung stehenden Bundesmittel notwendig, um die ein Wettstreit der Länder einsetzte. Am 17. Dezember 1936 erklärte Landeshauptmann-Stellvertreter Adolf Schemel im Salzburger Landtag, man habe »im Straßenbudget in besseren Jahren einen Betrag von 1,5 Millionen Schilling gehabt, und dieser Betrag ist um etwas mehr als eine halbe Million Schilling zurückgeschraubt worden. Jetzt geht man in Wien her und verteilt großmütig eine Summe wie vor Jahren, eine Summe von 4 Millionen Schilling für Autostraßen, für Wasserbauten und für landwirtschaftliche Bodenverbesserungen. Zuerst streiten sich diese drei um die Beträge und nachher  99 SLTPR. 3. Tagungsabschnitt, 1. Dezember 1936. S. 20. 100 Ebda.

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die Länder. Es ist ein Streiten und Betteln um die 4 Millionen Schilling, und das alles wäre nicht notwendig, wenn man den Ländern selbst jene Mittel ließe, die sie notwendig brauchen. Aber der Bürokratismus geht darauf aus, alles nach Wien zu ziehen und von Wien abhängig zu machen.«101 Bei dem von Schemel erwähnten Streiten und Betteln nahm Salzburg, äußerst ambitioniert und erfolgreich vertreten von Landeshauptmann Franz Rehrl, aufgrund seiner internationalen kulturellen und touristischen Bedeutung und dem damit verbundenen hohen symbolisch-politischen Charakter im Kampf der Systeme eine Sonderstellung ein. Am 6. Februar 1937 schrieb der Sektionschef im Bundesministerium für Handel und Verkehr, Rudolf Schober, anerkennend an Landeshauptmann Rehrl  : »Wie Du inzwischen im Einzelnen erfahren hast, hat Salzburg hinsichtlich der zusätzlichen Arbeitsbeschaffung verhältnisweise sehr gut abgeschnitten. Dass nun auf einen Anhieb die gesamte Mittelpinzgauerstraße erkämpft werden konnte (8 Millionen), dazu natürlich der Anschluss der Innsbrucker Straße an die Reichsautobahn (0,6 Millionen) ist auf zwei Jahre verteilt wirklich allerhand  ! Es drängt mich, lieber Freund, Dich zu diesem Erfolg, den Du durch Deine persönliche Energie so glänzend vorbereitet hast, aufrichtigst zu beglückwünschen.«102

101 SLTPR. 3. Tagungsabschnitt, 17. Dezember. S. 46. 102 SLA Rehrl Briefe 1937/0174. In seiner Ansprache zum 1. Mai 1937 erklärte Rehrl nicht ohne Stolz  : »Sie haben aus der Presse bereits ersehen, dass im heurigen Jahre im Lande Salzburg mindestens 13 Millionen Schilling der Arbeitsbeschaffung zugeführt werden. Es ist dies wohl der höchste Betrag, der hierzulande jemals hierfür zur Verfügung stand. Dabei glaube ich ruhig behaupten zu können, dass dieser Betrag allen Erwerbszweigen unseres Volkes direkt und unmittelbar gleichmäßig zugutekommt, ganz abgesehen von den mittelbaren Auswirkungen, welche die Investition einer so bedeutenden Summe naturgemäß für die ganze Volkswirtschaft nach sich ziehen muss. (…) Nach jahrelangen Bemühungen ist es gelungen, die Bundesregierung von der Wichtigkeit der Mittelpinzgauer-Landesstraße zu überzeugen, sodass sie sich in dankenswerter Weise entschlossen hat, den Ausbau dieses Straßenzuges zu ermöglichen. Niemand, der die Verhältnisse dort einigermaßen kennt, wird leugnen, dass dieses Projekt schon im allerhöchsten Maße dringlich war. Die Mittelpinzgauer-Landesstraße war ja schon früher eine stark befahrene Verbindungsstraße zwischen zwei großen Bundesstraßen. Jetzt ist sie außerdem noch die Zufahrtsstraße zur Großglockner Hochalpenstraße und damit eine internationale Durchzugsstraße von Norden und Westen Europas nach dem Süden geworden. Die Straße, die auf größere Strecken noch geradezu den Charakter eines besseren Feldweges hat, muss daher ausgebaut werden, sollen nicht Zustände höchster Gefahr bestehen bleiben. Der Gesamtaufwand hierfür einschließlich Grundeinlösungen, Straßenbelag usw. ist mit rund 8 Millionen Schilling festgesetzt und wird in zwei Baujahren verbraucht werden. In einem großen Teil der Bausaison dieser beiden Jahre wird dadurch über 1000 Arbeitern Beschäftigung gegeben. An weiteren Straßenbauten großen Umfangs ist zu nennen  : die Ausfallsstraße aus der Stadt Salzburg im Zuge der Kärntner-Bundesstraße nach Anif, wodurch der Anschluss an die bereits ausgebaute Betonstraße von Anif bis nahe Golling hergestellt wird, der Ausbau der Verbindungsstraße von Maxglan zur Bundesgrenze bei Walserberg an die Deutsche Reichsautobahn. Auch für diese beiden Strecken

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So erfolgreich Rehrl in der Durchsetzung landespolitischer Interessen im Rahmen der Vergabe von Bundesmitteln war, so begrenzt blieben, trotz einer leichten Reduktion der Zahl der unterstützten Arbeitslosen ab 1933, die arbeitsmarktpolitischen Effekte. Daran vermochten auch die Großbauprojekte Großglockner Hochalpenstraße103 und der Umbau des Festspielhauses 1937 nichts zu ändern. Der Umbau des Festspielhauses bildete Rehrls letzten spektakulären bundespolitischen Triumph, den er neben der internationalen Bedeutung der Festspiele und deren Symbolcharakter für den Selbstbehauptungswillen Österreichs gegenüber den Anschlussambitionen Berlins vor allem auch arbeitsmarktpolitischen Argumenten verdankte. Der Salzburger Landeshauptmann argumentierte gegenüber dem Bund äußerst geschickt mit dem Arbeitsbeschaffungsargument und erreichte damit sogar eine Zusatzfinanzierung durch das Bundesministerium für soziale Verwaltung in der Höhe von 200.000 Schilling aus den Mittel der Produktiven Arbeitslosenfürsorge. In einem Schreiben von Sozialminister Josef Resch an Rehrl am 4. Dezember 1937 wurde ausdrücklich nochmals darauf hingewiesen, dass die Beihilfe an die Bedingung geknüpft sei, »dass bei den Arbeiten nur vom Arbeitsamt Salzburg zugewiesene Arbeitslosen beschäftigt werden.« Das Landesarbeitsamt sei zudem ermächtigt, »die Beschäftigung Ausgesteuerter wie bisher zuzulassen. (…) Die Beihilfegewährung erfolgt in diesem Fall ausnahmeweise in Anbetracht der wichtigen öffentlichen Interessen, die mit diesem Umbau in engsten Zusammenhang stehen, es dürfen daher aus diesem Ausnahmefall keinerlei Beispielsfolgerungen gezogen werden.«104 werden rund 1,500.000 Schilling in zwei Jahren verbaut  ; weiter die Fortführung der Belagherstellung an der Großglockner Hochalpenstraße.« (SLA Präs. Akten 1937/9/1549.) Im Bereich der Großglockner Hochalpenstraße erreichte Rehrl von der Casino A.G. für die Eröffnung des Spielbetriebes in Bad Gastein eine Zahlung von 200.000 Schilling, die er zur Finanzierung der Materialseilbahn auf den Fuscherkarkopf zu verwenden beabsichtigte. In der 27. Sitzung des Verwaltungsrates der Großglockner Hochalpenstraße A.G. am 18. Juni 1937 wurde dieses Vorhaben nicht nur einstimmig beschlossen, sondern auch der fertiggestellte Großglockner Promenadenweg auf Antrag des Salzburger Landeshauptmanns, der um geschickte politische Schachzüge nie verlegen war, »Kanzler Schuschnigg-Weg« benannt, um damit, wie das Protokoll vermerkte, »die enge Verbundenheit der Grohag mit der zielbewussten Aufbautätigkeit des Bundeskanzlers Dr. Schuschnigg zum Ausdruck zu bringen und gleichzeitig damit dem Bundeskanzler für die vielfältige Unterstützung zu danken, die er der Grohag angedeihen lässt.« (SLA Präs. Akten 1937/9/2603.) 103 Der saisonale Beschäftigungseffekt des Baus der Großglockner Hochalpenstraße 1933/35 ist umstritten und schwankt zwischen 2.000 und 3.000 Personen. Vgl. dazu Georg Rigele  : Die Großglockner-Hochalpenstraße. Zur Geschichte eines österreichischen Monuments. – Wien 1998. S. 255ff. 104 Zit. bei Robert Kriechbaumer  : Zwischen Österreich und Großdeutschland. Eine politische Geschichte der Salzburger Festspiele 1933–1944. – Wien/Köln/Weimar 2013. S. 176. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 46.)

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Wenngleich die Zahl der Arbeitslosen in den Sommermonaten durch die diversen Arbeitsbeschaffungsprogramme jeweils deutlich sank, so stieg sie wieder im folgenden Spätherbst und Winter deutlich an. Unterstützte Arbeitslose in Salzburg im Jänner des jeweiligen Jahres  :105 1928

4.757

1929

7.351

1930

8.930

1931

9.729

1932

12.020

1933

13.116

1934

12.639

1935

12.695

1936

11.737

1937

10.940

Unterstützte Arbeitslose in Salzburg im Jahr 1936  :106 Jänner

11.737

Februar

11.673

März

10.555

April

8.739

Mai

7.002

Juni

6.417

Juli

5.919

August

6.130

September

5.912

Oktober

6.820

November

8.452

Dezember

10.316

105 Ernst Hanisch  : Die Erste Republik. – In  : Heinz Dopsch, Hans Spatzenegger (Hg.)  : Geschichte Salzburgs. Stadt und Land. Band II/2. Neuzeit und Zeitgeschichte. – Salzburg 1988. S. 1057–1120. S. 1071. 106 Bund der österreichischen Industriellen, Landesverband für Salzburg. Bericht über das Jahr 1936. – Salzburg 1937. S. 6. (SLA Rehrl Briefe 1937/2562.)

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Besonders in den Gebirgsgauen war die Salzburger Wirtschaft und damit auch die Beschäftigungslage in besonders hohem Ausmaß vom Fremdenverkehr und Aufträgen der öffentlichen Hand abhängig. Am 9. März 1936 schrieb die Bezirksleitung Tamsweg der Vaterländischen Front an die Landesleitung, dass durch die »in letzter Zeit erfolgte Kürzung des Budgets (…) für die öffentlichen Arbeiten (…) in der kommenden Arbeitssaison ungefähr nur ein Drittel der im abgelaufenen Jahr in Arbeit Gestandenen wird Beschäftigung finden können. Da im Lungau infolge des Fehlens jeglicher Privatindustrie die Arbeiter lediglich auf öffentliche Arbeiten angewiesen sind (Wildbachverbauung, Agrarstelle), ergibt sich die traurige Folge, dass zwei Drittel Arbeitssuchender in nächster Zeit ohne Arbeit und Verdienst sein werden, wozu noch kommt, dass ein Großteil der Arbeitslosen sehr bald ausgesteuert sein wird, sodass die davon Betroffenen tatsächlich mit ihren Familien vor dem Nichts stehen. Das Überweisen solcher Familien in die Armenversorgung der Gemeinde erscheint vollkommen aussichtslos, weil die Gemeinden heute bekanntlich unter den Armenlasten fast zusammenbrechen und namhafte Spenden überhaupt nicht gewähren können. Es wäre vom politischen Standpunkte ganz verfehlt, wenn diesen Verhältnissen seitens der Vaterländischen Front nicht die gebührende Beachtung geschenkt werden würde. Arbeitslose und hungrige Personen sind bekanntlich eine Quelle der Unruhe und durch die Not geneigt, verderblichen Einflüsterungen von regierungsfeindlicher Seite ein williges Ohr zu leihen. Es geht natürlich auch nicht an, die Arbeitssuchenden bei ihren Vorsprachen – und diese ungezählt – damit zu vertrösten, dass man ihnen wirtschaftliche Vorträge über die Weltwirtschaftskrise hält oder ihnen sagt, dass ›alle erforderlichen Schritte bereits unternommen wurden‹. Denn damit können sie ihren Hunger nicht stillen.« Die Bezirksleitung Tamsweg der Vaterländischen Front übermittelte ihr Schreiben auch an die Bezirkshauptmannschaft mit dem dringenden Ersuchen, »bei der Landeshauptmannschaft Salzburg mit allem Nachdruck dahin zu wirken, dass in der heurigen Arbeitssaison mindestens gleichviel Arbeiter wie voriges Jahr beschäftigt werden können.« Die Bezirkshauptmannschaft wandte sich am 12. März an Landeshauptmann Rehrl mit der Feststellung, dass die von der Bezirksleitung der Vaterländischen Front geschilderten Verhältnisse den Tatsachen entsprechen. »Sowohl bei der Bezirksleitung der Vaterländischen Front als auch bei der Bezirkshauptmannschaft sprechen täglich eine Unzahl Arbeitssuchender vor und bitten flehentlich um Arbeit, wobei sich oft erschütternde Szenen abspielen.« Angesichts der dramatischen Lage stellte die Bezirkshauptmannschaft »daher die ergebenste Bitte, mit Rücksicht auf diese trostlosen Zustände für den Lungau ein außerordentliches Notstandsarbeitsprogramm vorsehen zu wollen, das in absehbarer Zeit zur Verwirklichung gelangt.«107 Am 10. April wandte sich 107 SLA Präs. Akten 1936/13.

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die Bezirkshauptmannschaft Tamsweg neuerlich in einem Schreiben an die Bezirkshauptmannschaft und wies eindringlich darauf hin, dass »die Arbeitsmöglichkeit für Bauarbeiter im Lungau (…) gleich Null« sei. Eine allseits gewünschte politische Beruhigung werde erst dann eintreten können, »wenn die Arbeiter eine entsprechende Arbeit erhalten können. Bei einem Stock von unzufriedenen, womöglich ausgesteuerten Arbeitslosen ist jeder staatsfeindlichen Propaganda Tür und Tor geöffnet.«108 Die Zahl der Arbeitslosen im Lungau, so die Bezirkshauptmannschaft am 23. April in einem Nachtrag zu ihrem Bericht, betrage derzeit 475, wobei allerdings die beachtliche Zahl der Arbeit suchenden Kleinhäusler und Keuschler nicht inkludiert sei.109 Das erhoffte Notstandsarbeitsprogramm blieb aus budgetären Gründen aus. Am 4. Mai schrieb daher die Bezirkshauptmannschaft Tamsweg an Sicherheitsdirektor Bechinie warnend, zahlreiche Vorsprachen von Arbeitssuchenden ließen ­erkennen, »dass unter der Arbeiterschaft des Lungaues die größte Erbitterung darüber herrscht, dass trotz aller Bemühungen ein Notstandsarbeitsprogramm für den Lungau für das heurige Jahr nicht zu erreichen war. Es sind dermalen incl. der Kleinhäusler und Keuschler, die im Sommer gleichfalls auf Arbeit angewiesen sind, weit über 500 Arbeitslose im Lungau, die auch politisch eine große Gefahr bedeuten und zu allen Handlungen fähig sind.« Die Bezirkshauptmannschaft stellte »das Ersuchen, diese Stimmung unter der Arbeiterschaft des Lungaues gütigst an die maßgebenden Zentralstellen berichten und auch vom sicherheitspolitischen Standpunkte aus erwirken zu wollen, dass ehestens irgend ein größeres Arbeitsprogramm für den Lungau vorgesehen wird.«110 Die Permanenz der Krise beflügelte auch den Antisemitismus. In der Denkschrift der Lungauer Gewerbetreibenden, die am 28. Juni 1937 Bundeskanzler Kurt Schuschnigg anlässlich eine Amtswalterappells vom Obmann des Bezirksgewerbeverbandes, Willibald Waldmann, übergeben wurde, hieß es unter der Überschrift »Judentum, Kartellwesen, Warenhäuser«  : »In der letzten Zeit haben sich einige Fälle ereignet, die die Forderung nach einer Einschränkung des Judentums und des Kartellwesens zur brennenden Tagesfrage der Gewerbetreibenden machte. Es zeigt sich immer wieder, dass das Judentum einen unlauteren Einfluss auf das ganze Wirtschaftsleben besitzt und es ist lediglich ein Beweis des gesunden Lebenswillens unserer bodenständigen Bevölkerung, dass sie sich gegen diese Elemente zur Wehr setzt. Die Kartelle, die großen Warenhäuser, die fast ausschließlich in jüdischen Händen sind, lassen sich krasse Übergriffe zu Schulden kommen, die jeder sozialen Gerechtigkeit widersprechen. Die Preispolitik wird in ausschließlich egoistischer Weise betrieben. Eine kleine Erhöhung der Preise auf dem Weltmarkt wird dazu benützt, die 108 Ebda. 109 Ebda. 110 Ebda.

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Preiserhöhung im Inland auf das Zehnfache hinaufzutreiben. Es wolle den Lungauern nicht übelgenommen werden, dass sie die Forderung nach der Beschränkung des Judentums und des Kartellwesens ständig erheben, denn der jüdische Marktkommissär in St. Marx111 verdient das Geld, das der Lungauer Bauer schwer erarbeitet hat. Jüdischer Eigennutz hat kürzlich im Lungau die Stilllegung eines Betriebes mit 32 Arbeitern verursacht. Das Federweißbergwerk in Lessach wurde von Dr. Ellbogen,112 der der österreichische Federweißkönig genannt wird, aufgekauft – aber nicht, um es weiterzuführen, sondern um es stillzulegen, wie der Abtransport der Maschinen deutlich beweist. Der Zweck war, einen unbequemen Konkurrenten auszuschalten, um die Preise allein diktieren zu können.«113 Für die Wirtschaftsstruktur Salzburgs als besonders dramatisch gestaltete sich die anhaltende Agrarkrise sowie jene der Holzwirtschaft. Angesichts des weltweiten Überangebots und des damit verbundenen Preisverfalls unternahmen alle europäischen Industriestaaten in der Weltwirtschaftskrise Anstrengungen, um ihren jeweiligen Agrarsektor aus gut argumentierbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gründen zu schützen. In kaum einem europäischen Land hätte angesichts der Entwicklung der Weltmarktpreise bei einem Akzeptieren des Freihandels der jeweilige Agrarsektor ohne grundlegende Erschütterungen und Verwerfungen mit unabsehbaren Folgen überlebt. Traf dies für die großflächige und damit großindustrielle Landwirtschaft einiger europäischer Staaten zu, so galt dies in noch erheblich größerem Ausmaß für die kleinräumige und kleinbetriebliche Agrarstruktur der Alpenregionen. Hinzu traten gewichtige soziale und politische Aspekte. Wenngleich z. B. der Anteil der Landwirtschaft am österreichischen Brutto-Nationalprodukt 111 Gemeint ist der Wiener Schlachthof St. Marx. 112 Lothar Ellbogen (1900–1941) war nach dem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien, das er mit dem Dr. jur. abschloss, als Industrieller tätig, besaß mehrere Bergwerke und handelte mit Talkum. Als Jude wurde ihm nach dem Anschluss aus politischen Gründen der Doktorgrad aberkannt und er wurde zusammen mit seiner Frau zu 3 Monaten schweren Kerker verurteilt. Der Grund seiner Inhaftierung war seine Weigerung, seine florierenden Firmen zu einem Schleuderpreis zu verkaufen. Die Nationalsozialisten »arisierten« sein Unternehmen, das über Mittelsmänner vom Welfenherzog Ernst August von Braunschweig und Lüneburg nach der schließlich unter Zwang erfolgten Einwilligung Ellbogens günstig erworben wurde. Nunmehr mittellos, konnte Ellbogen die für Juden für die Ausreise geforderte »Vermögensabgabe« nicht mehr bezahlen und floh nach Jugoslawien, wo er jedoch nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht festgenommen wurde und im Lager Zasavica am 12. Oktober 1941 verstarb. 1950 wurde gerichtlich festgestellt, dass das Unternehmen Ellbogens weit unter Wert verkauft wurde und Ernst August von Brauschweig und Lüneburg zu einer Entschädigungszahlung sowie der Überlassung der Hälfte des Unternehmens an die Erben Ellbogens verpflichtet. 1955 verlieh die Universität Wien posthum an Ellbogen wiederum den Doktortitel. 113 SLA Rehrl Briefe 1937/2991.

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nur 12 Prozent betrug, so waren mit 1,7 Millionen Menschen rund 30 Prozent der Gesamtbeschäftigten in der Landwirtschaft tätig. Während es jedoch für Arbeiter mit der 1918 eingeführten Arbeitslosenunterstützung zumindest ein – wenn auch in Krisenzeiten nur bedingt belastbares – soziales Auffangnetz gab, existierte dieses weder für die landwirtschaftlichen Arbeiter noch für die Kleinbauern. Die Politik bewegte sich in einem Minenfeld, das sie angesichts der unterschiedlichen Interessen nicht als allgemein anerkannter Sieger verlassen konnte. Aufgrund einer Marktöffnung sinkende Nahrungsmittelpreise, von denen vor allem die urbane Bevölkerung profitierte, kontrastierten mit den nicht bewältigbaren wirtschafts- und sozialpolitischen Folgen nicht nur für rund ein Drittel der Bevölkerung, sondern auch mit dem Verfall und letztlich dem Ruin des ländlichen Raums, von verlassenen Höfen und einer nicht mehr gepflegten Kulturlandschaft. So sehr manche Kritik am Vordringen der Agrarinteressen und deren Folgen für das heimische Preisniveau berechtigt erscheinen mag, so ist auch die andere Seite der Medaille, dass in komplexen agrarpolitischen Fragen nicht nur rein marktpolitische Parameter entscheiden dürfen, zu beachten. So reduzierte sich im Pongau die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe zwischen 1930 und 1934 von 3.570 auf 2.052, d. h. um mehr als ein Drittel. Die für die Salzburger Agrarstruktur charakteristischen bergbäuerlichen Betriebe mit ihrer kleinen Betriebsgröße und hohen Beschäftigungsdichte von Familienangehörigen114 konnten nur ungenügend durch die sog. »Bergbauernhilfsaktion« mit einem Volumen von 1,7 Millionen Schilling, von denen auf den Pongau 680.000 Schilling und den Pinzgau 540.000 Schilling entfielen, vor den ärgsten wirtschaftlichen Folgen bewahrt werden. Das Hauptproblem der Salzburger Bergbauernhöfe lag in der steigenden Diskrepanz zwischen Gestehungs- und Ertragskosten, die nach einer 114 Für die österreichische Agrarstruktur der Zwischenkriegszeit gilt die Dominanz einer überwiegend kleinbetrieblichen Struktur. 27 Prozent der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe gehörten zur Kategorie bis 2 ha und bearbeiteten eine Gesamtfläche von 110.000 ha, d. h. einen Gesamtflächenanteil von lediglich 1,5 Prozent. Hingegen bearbeiteten die Betriebe in der Größenordnung von 100 ha und darüber, d. h. 1,5 Prozent aller land- und forstwirtschaftlichen Betriebe, von denen die meisten Forstbetriebe waren, 45,7 Prozent der Gesamtfläche. Je kleiner die Betriebsgröße, desto personalintensiver war die Bearbeitung der bewirtschafteten Fläche. Eine strukturell von kleinen Betriebsgrößen geprägte Landwirtschaft war durch eine hohe Arbeitskräftezahl, bei der die Familienmitglieder dominierten, gekennzeichnet. In diesen kleinen Betriebsgrößen gehörten die lohnabhängigen Dienstboten bewusstseinsmäßig enger zum von Engelbert Dollfuß propagierten »ganzen Haus« und damit zur Bauernschaft. Zahl und Größengliederung der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe 1930  : Betriebe insgesamt

0,5–2 ha

2–5 ha

5–10 ha

10–20 ha

20–50 ha

50–100 ha

Über 100 ha

433.360

118.783

98.034

76.004

73.446

52.783

8.290

6.020

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Rentabilitätserhebung der Linzer Buch- und Betriebsberatungsstelle bereits im Jahr 1931 ein betriebswirtschaftlich vernichtendes Bild ergaben. Die Gestehungskosten überstiegen den Ertrag bereits um 82 Prozent  !115 Die Weltwirtschaftskrise führte im Bereich der Landwirtschaft zu einem massiven Preisverfall und damit zu einer deutlichen Minderung der Ertragslage der landwirtschaftlichen Betriebe. Hatte die Landwirtschaftspolitik der Ersten Republik zu Produktionssteigerungen bei Fleisch und Milch geführt – in Salzburg stieg die Menge an verarbeiteter Ablieferungsmilch zwischen 1926 und 1936 von 18 auf 50 Millionen Liter –, so ergab sich in der Weltwirtschaftskrise das Problem von Überangebot und Unterkonsumtion. Diesem Problem, bewirkt durch protektionistische Maßnahmen mit der Folge relativ hoher Agrarpreise bei steigender Arbeitslosigkeit und sinkenden Realeinkommen,116 ver

Beschäftigte Personen nach Betriebsgrößenklassen und Position 1930  : Betriebsgröße



Familienangehörige

Familienfremde

Summe

Unter 2 ha

123.371

110.088

15.620

249.079

2–5 ha

109.543

155.847

30.316

295.706

5–20 ha

171.065

334.458

146.329

651.852

20–100 ha

 70.928

168.628

166.766

406.322

 5.517

 11.787

 97.814

115.118

100 ha und darüber



Betriebsleiter

Beschäftigte je ha Gesamtfläche 1930  : Unter 2 ha

2,24

2–5 ha

0,91

5–20 ha

0,41

20–100 ha

0,19

100 ha und darüber

0,03

Ernst Bruckmüller  : Die Bauern und die Erste Republik. – In  : Christliche Demokratie 2/1985. S.  113–125. S. 117ff. Vgl. dazu auch Ulrich Kluge  : Agrarkrise und Volksernährung in der europäischen Zwischenkriegszeit. Studien zur Agrargesellschaft und -wirtschaft in Republik Österreichs 1918 bis 1938. – Stuttgart 1988. 115 Ammerer  : Vom Feudalverband zum Reichsnährstand. S. 188. In einem Bericht des Salzburger Landeskulturrates an das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft vom 22. Februar 1934 wurde darauf hingewiesen, dass sich im Laufe des Jahres 1933 906 land- und forstwirtschaftliche Betriebe, d. h. 7,5 Prozent aller Betriebe, in Zwangsversteigerung befanden. Davon 140 im Flachland und 766 in den Gebirgsgauen. (Roland Floimair (Hg.)  : Von der Monarchie zum Anschluss. Ein Lesebuch zur Geschichte Salzburgs. – Salzburg 1993. S. 205.) 116 Für die Unternehmerseite bestand eine der Ursachen der Wirtschaftskrise in den zu hohen Produktionskosten, weshalb die Löhne gesenkt werden mussten. Ein Sinken der Löhne wäre jedoch nur im Fall eines gleichzeitigen Sinkens der Lebenshaltungskosten argumentierbar gewesen. Da jedoch

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suchte man seitens der Bundesregierung durch staatliche Agrarmarktregulierungen vor allem in den Bereichen der Vieh- und Milchwirtschaft zu begegnen. Der Erfolg blieb, nicht zuletzt aufgrund der zwischen 1934 und 1937 bescheidenen Mittel in der Höhe von rund 96 Millionen Schilling, überschaubar und die Krisenbewältigungsstrategie des Ständestaates führte vor allem in den alpinen Regionen zu dem immer wieder erhobenen Vorwurf, dass sie eher den größeren Betrieben in den östlichen Regionen Österreichs nütze. In der Budgetdebatte des ständischen Salzburger Landtages am 17. Dezember 1936 erklärte der Saalfeldener Kühmaierbauer Bartholomäus Fersterer117 als Vertreter der Land- und Forstwirtschaft  : »Hier im Lande Salzburg und wie wir hier beisammensitzen, glaube ich, dass keiner darunter ist, der nicht weiß, welche Not und Entbehrungen und Opfer es für den Gebirgsbauern bedeutet, wenn er durchkommen will  ; vielleicht ist man drunten in der Zentrale ein bisschen weniger informiert und wenn schon informiert, desto weniger interessiert. Die Verhältnisse bei den Gebirgsbauern sind so  : gewöhnlich ein sehr spärliches Einkommen, eine große Familie, ein weiter Schulweg für die Kinder und schlechte Bekleidung, viele und schwere Arbeit, das alles wird hingenommen und wird gerne hingenommen, aber das eine, was der Bauer nicht hinnehmen kann, was er nicht begreifen kann, ist, dass er trotz des Sparens und der harten Arbeit nicht sicher sein kann vor der Exekution. (…) es ist heute Tatsache, dass ein Bauer wegen ein paar hundert Schilling in die Gefahr der Exekution kommt und versteigert wird (…) Die Familie muss vom Bauernhof gehen und dann fängt der Bauer an zu denken, ist das gerecht, sind wir in einem Rechtsstaat, sind wir in einem christlichen Staat, habe ich irgendetwas aus meinem eigenen Verschulden dazu getan, oder was für Gründe waren es, dass es so kommen musste  ? Da muss eingeschritten werden und kann auch eingegriffen werden, und es ist nicht wahr, dass dadurch die Finanzen des Bundes erschüttert werden. Ein jeder Bauernhof ist auch eine Festung gegen den Bolschewismus, jeder zugrunde gegangene Bauernhof ist ein verlassener Schützengraben.«118 Ein permanentes wirtschaftliches und soziales Problem bildete die stark exportabhängige Holzwirtschaft. Bereits seit Beginn der Dreißigerjahre hatten sich »Wald die Lebenshaltungskosten durch den Agrarprotektionismus gleichblieben und sich sogar erhöhten, reagierten die Konsumenten mit Unterkonsumtion. 117 Bartholomäus Fersterer (1882–1949) war ab 1912 Bauer am Kühmaierhof in Saalfelden, bis 1938 Obmann des Ortsbauernrates von Saalfelden-Land, 1923 bis 1937 stellvertretender Obmann des Pinzgauer Bauernrates und 1936/37 des Salzburger Bauernbundes, 1929 bis 1936 Bürgermeister der Landgemeinde Saalfelden, 1925 bis 1934 christlichsozialer Abgeordneter zum Salzburger Landtag, 1934 bis 1938 Vertreter der Land- und Forstwirtschaft im ständestaatlichen Salzburger Landtag und wurde zwischen 1938 und 1945 mehrmals von den Nationalsozialisten verhaftet. (Vgl. Voithofer  : Politische Eliten in Salzburg. S. 48.) 118 SLTPR. 3. Tagungsabschnitt, 17. Dezember 1936. S. 38.

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in Not«-Tagungen mit den Ursachen der Krise der Forstwirtschaft beschäftigt und diese vor allem in den zu hohen Produktionskosten, verursacht durch die unabhängig vom Ertrag eingehobene Besitzsteuer, die zu hohe Besteuerung der Exporte und die zu hohen Sozialkosten, verortet. Diesen sollte durch eine grundlegende Reform der Besteuerung, der Förderung der Walderschließung durch Forststraßen, die Erhöhung der Einfuhrzölle auf Holz, die Förderung des inländischen Holzabsatzes (z. B. Hebung des Brennholzverbrauchs, Aufklärung über die Verwendbarkeit von Holz usw.) oder die schließlich 1933 erfolgte Gründung des Holzwirtschaftsrates als zentraler Organisation der Holzwirtschaft119 begegnet werden. Die Krise der Forst- und Holzwirtschaft traf Salzburg mit einer Waldfläche von 234.916 ha (1935) sowie seiner zahlreichen Sägeindustrie besonders in den Gebirgsgauen besonders hart. Allein in der Forstwirtschaft waren 900 Forstarbeiter hauptberuflich und mehrere hundert Kleinbauern und Keuschler nebenberuflich beschäftigt. Im Bereich der Sägeindustrie kam dem Export von arbeitsintensivem Schnittholz sowie dem Export nach Deutschland für die Beschäftigungslage eine zentrale Rolle zu. Die Entwicklung beider Faktoren bildete für die deutsche Seite ein äußerst wirkungsvolles Instrument, wirtschaftspolitischen Druck auszuüben. Hinzu trat die Möglichkeit der Einflussnahme über den Sonderfall der seit der Salinenkonvention 1829 bestehenden bayerischen Saalforste, die mit rund 22.000 Joch Wald im Pinzgau ein Sechstel der Waldfläche dieses Gebirgsgaus besaßen und sich über ihre Forstverwalter Guntram Runge 1932 und Adolf Rosenberger 1936 als – durchaus erfolgreichen – NS-Stützpunkt und NS-Propagandainstitution erwiesen.120 119 In Absprache mit dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft wandte sich der Holzwirtschaftsrat am 29. November 1937 an Landeshauptmann Franz Rehrl mit dem Ersuchen, ihn über die geplante Errichtung einer Landesstelle in Salzburg zu informieren und dessen Zustimmung zu erlangen. (SLA Rehrl Briefe 1937/5153.) 120 Im Vorfeld der Landtagswahl 1932 wurde Landeshauptmann-Stellvertreter Michael Neureiter in einem Schreiben des Unkener Pfarrers Franz Auer auf die politische Agitation des bayerischen Forstverwalters Guntram Runge im Sinne der NSDAP aufmerksam gemacht. Der offensichtlich beträchtliche politische Einfluss Runges manifestierte sich auch in den Gemeindeergebnissen von St. Martin bei Lofer und Unken bei der Landtagswahl 1932. In St. Martin bei Lofer wurde die NSDAP mit 19,7 Prozent zweitstärkste Partei nach den Christlichsozialen, in Unken mit 48,2 Prozent deutlich stärkste Partei vor den Christlichsozialen. 1936 alarmierten die Ortgruppe des Heimatschutzes die Sicherheitsbehörden, dass sich der bayerische Forstamtsleiter von St. Martin, Adolf Rosenberger, im nationalsozialistischen Sinn betätige und nur NSDAP-Sympathisanten oder (illegale) Mitglieder einstelle. Als Rosenberger auf diese Anzeige hin mit der Einstellung des Betriebs drohte, intervenierten sowohl die Ortsgruppe des Bauernbundes, der Vaterländischen Front wie auch der Bürgermeister von St. Martin bei Bauernbundobmann und Landesrat Josef Hauthaler, indem sie die Vorwürfe als nichtzutreffend bezeichneten. In dem Schreiben wurde auch auf die lokale wirtschaftliche Bedeutung der Saalforste hingewiesen. »Was das Forstamt an Verdienst gibt, ergibt sich daraus, dass im Jahr 1935 an Schichtenlöhnen der Betrag von 84.000 Schilling ausbezahlt wurden, ohne Instandhaltungskosten der Gebäude, wo wieder

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Am 15. Februar 1937 erfolgte die Niederschrift eines Aktenvermerks über eine Vorsprache einer Delegation der Salzburger Landesregierung beim Holzwirtschaftsrat in Wien bezüglich der für die Salzburger Holzwirtschaft wichtigen Schwellenlieferungen nach dem Deutschen Reich. Von der ursprünglich in Aussicht genommenen Lieferung von 1 Million Schwellen war eine Reduktion durch Berlin auf 240.000 Stück erfolgt, wodurch sich der auf Salzburg entfallende Anteil von rund 120.000 Stück auf 35.000 Stück reduzierte – mit entsprechenden Folgen für die Salzburger Sägeindustrie.121 Ein besonderes Problemfeld der Holzindustrie und des Holzexports bildete das Verhältnis von Rund- und Schnittholz. Durch die infolge der Förderung der eigenen Sägeindustrie steigende Abnahme von Rundholz anstelle von Schnittholz seitens der Hauptexportländer (Deutsches Reich, Italien, Ungarn, Schweiz) ergab sich 1937 eine Relation zwischen Rund- und Schnittholz von 3 (45.000 Waggons)   : 4 (60.000 Waggons) im Gegensatz zur Relation der früheren Jahre von 1   : 4. Diese Relationsverschiebung hatte für die Sägeindustrie verheerende Folgen, da Schnittholz als Produkt einer Veredelungsarbeit nur in der Säge eine volle Arbeiter-Tagesschicht pro Festmeter erforderte. Bei einem so massiven Rückgang des Schnittholzexports bedeutete dies bundesweit einen Verlust von 2.500 Arbeitern, wobei vor allem die westlichen Bundesländer mit ihren oft in der Sägewirtschaft im Nebenerwerb tätigen Landwirrten besonders betroffen waren. Am 30. Dezember 1937 wandte sich daher die Kammer für Arbeiter und Angestellte in Salzburg an Landeshauptmann Franz Rehrl mit der Bitte, »sich dahingehend verwenden zu wollen, dass bei den kommenden Handelsvertragsverhandlungen mit Deutschland das Holzschnittkontingent, wenn es schon nicht erhöht werden kann, doch keinesfalls gekürzt wird. Die Salzburger Sägewerke sind infolge der völligen Erlahmung des Exportes nach Frankreich und des Rückganges der Ausfuhrmöglichkeiten nach Italien gegenwärtig mehr denn je auf den deutschen Markt angewiesen. Bei der österreichischen Holzausfuhr im November 1937 ergibt sich im Vergleich zum Vormonat ein Rückgang von rund 1.700 Waggon, der fast zur Gänze auf die verminderte Ausfuhr nach Deutschland zurückzuführen ist, das nur 1.594 Waggon aufnahm gegenüber 3.410 Waggon noch im Oktober 1937. Da Deutschland fast ausschließlich nur von den westlichen Bundesländern beliefert wird, ist dieser weitgehende Rückgang bedauerlicherweise nur auf das Konto der westlichen Bundesländer, darunter hauptsächlich Salzburg, zu buchen. die Gewerbetreibenden der Gemeinde ihr Brot separat verdienen. An Fürsorgeabgaben erhielt die Gemeinde annähernd den Betrag von 2.800 Schilling, das gleiche das Landesabgabenamt. Eine Betriebseinstellung trifft die Bevölkerung derart schwer, da zu 70 Prozent nur arme Bergbauern ihren Verdienst im Forstamt haben.« (Alfred W. Höck  : Begrenzte Ressourcen. Salzburg und die Bayerischen Saalforste im Spannungsfeld der Zwischenkriegszeit. – In  : Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 154/155. 2014/2015. – Salzburg 2015. S. 571–598. S. 591.) 121 SLA Rehrl Briefe 1937/0711.

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Eine in der Kontingenthöhe gleichbleibende, besser aber erhöhte Holzschnittausfuhr, ist vor allem deswegen besonders anzustreben, da die Verarbeitung des Holzes in einheimischen Sägewerken auf Schnittholz einen mehrfachen Arbeitslohn ergibt als die Schlägerung und Lieferung von Rundholz. Daher wäre bei Kontingentfestsetzungen ein möglichst großes Quantum Schnittholz besonders wünschenswert, weil dadurch die einheimische Sägearbeiterschaft Arbeit und Verdienst hat, während sie sonst der Arbeitslosigkeit ausgeliefert wird.«122 Auch die Beschäftigungslage im Salzburger Zentralraum war zunehmend von Aufträgen der öffentlichen Hand abhängig. Dabei spielten Flussregulierungen und der Straßenbau eine zentrale Rolle mit allerdings nur temporären Auswirkungen. So schrieb am 20. Jänner 1937 die Bauleitung der Glanregulierung an Landeshauptmann Rehrl, dass bei diesem Bauvorhaben derzeit 156 Arbeiter beschäftigt seien. »Diese verhältnismäßig große Zahl von Arbeitern kann aber nur so lange behalten werden, solange beim Schlagen der Fundierungspiloten Zwei-Schicht-Betrieb möglich ist. Da diese Arbeit Ende des Monats fertiggestellt ist, muss am 30. Jänner 1937 mit der Entlassung einer größeren Zahl von Leuten gerechnet werden.«123 Am 1. März 1937 berichtete die Bauleitung wiederum, dass derzeit immer noch 167 Arbeiter beschäftigt seien, doch werde »eine radikale Standesrestringierung (…) neben technischen vor allem aus finanziellen Gründen in den nächsten Tagen unvermeidlich sein.«124 Und in einem »Bericht über die wirtschaftliche und politische Lage der Stadt Hallein« der Vaterländischen Front/ Bezirksführung Hallein vom 4. April 1937 hieß es im Kapitel »Stand der Arbeitslosigkeit«  : »Im Zuge der großen Regulierung der Salzach, die im Jahre 1931 beendet war, fanden nicht nur fast alle Halleiner Beschäftigung, sondern auch aus der engeren und weiteren Umgebung der Stadt zogen Arbeitskräfte zu, die dann nach Beendigung der Arbeit in der Stadt verblieben. Seit dem Jahre 1931 war in Hallein keine größere Arbeit, besonders in den Jahren 1935 und 1936 nahm die Arbeitslosigkeit ständig zu. Diese Tendenz ist noch im verstärkten Maße auch 1937 festzustellen. Die Stadt Hallein ist wegen ihrer finanziell schwierigen Lage auf die Dauer nicht mehr allein im Stande, durch bloße Unterstützungen den vielen Arbeitslosen zu helfen und hat auch nicht genug Mittel, um selbst Arbeitsgelegenheiten und Verdienst zu schaffen. Die Industrien können weitere Arbeitskräfte nicht mehr aufnehmen und auch die private Bautätigkeit ruht vollständig.«125 Die Landespolitik war sich der Problematik durchaus bewusst und versuchte gegenzusteuern. Die Arbeitsbeschaffung und deren Finanzierung bildete einen zentralen Punkt der alljährlichen Budgetberatungen. Unter den gegebenen Rahmenbedingungen 122 SLA Rehrl Briefe 1937/5161. 123 SLA Rehrl Briefe 1937/0164. 124 SLA Rehrl Briefe 1937/0975. 125 SLA Rehrl Briefe 1937/1300.

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der Finanzpolitik sowie der hohen und ständig steigenden Bundesabgaben glich jedoch eine Lösung der Quadratur des Kreises. Bundesmittel waren vor allem mit dem Hinweis auf die zunehmende internationale Bedeutung des Fremdenverkehrs zu gewinnen. Hier setzten die erfolgreichen Bemühungen Rehrls ein, der nach der Fertigstellung der Großglockner Hochalpenstraße nicht müde wurde, auf den dringend gebotenen Ausbau des umliegenden Straßennetzes der neuen Touristenattraktion sowie der Umgebung der Landeshauptstadt hinzuweisen. Anlässlich des Beginns der Herbsttagung des Salzburger Landtages am 1. Dezember 1936 bemerkte er programmatisch  : »Unsere Bundes- und Landesstraßen haben, wie ja allgemein bekannt ist, starken Verkehr zu bewältigen, der sich besonders in den Sommermonaten zu gewaltiger Höhe steigert. In Salzburg konzentriert sich ein Großteil des österreichischen Fremdenverkehrs, der nicht nur die Hauptlinien stark beansprucht, sondern auch in die Seitenkanäle der Wirtschaft, in die einzelnen Täler eindringt, denn die landschaftlichen Schönheiten des Landes haben allerwärts guten Ruf. Es ist deshalb mit den jeweils nur beschränkten Mitteln nicht möglich, allen Anforderungen des Fremdenverkehres, insbesondere aber der Staubbindung überall Rechnung zu tragen. Es kann nicht oft genug wiederholt werden, dass die Zuweisung größerer Bundesmittel für raschere Instandsetzung des salzburgischen Bundesstraßennetzes im Interesse der Gesamtwirtschaft liegt.«126 Am 8. September 1937 schrieb der österreichische Generalkonsul in New York, Friedrich Fischerauer, an Landeshauptmann Rehrl, er habe sowohl auf seiner Überfahrt von den USA nach Frankreich wie auch seit seiner Rückkehr in die USA »bereits diverse amerikanische Bekannte getroffen, die heuer die Glocknerstraße befahren und an der Eröffnungsvorstellung der Festspiele teilgenommen haben, die alle voll Bewunderung von dem Erleben sprechen. Die Glocknerstraße wird, wie sich zeigt, wohl für immer der größte Anziehungspunkt in Österreich für ein naturbegeistertes Publikum bleiben. Ich hoffe, dass die Zufahrtsstraße durch das prächtige Mölltal in absehbarer Zeit in ebenso ausgezeichnetem Zustande wie die Ausfuhrstraße nach Zell am See sein wird, sodass auch diese kleine Beeinträchtigung der Automobilisten, die man noch häufig zu vernehmen pflegt, behoben sein wird.«127 1937 befand sich die Mittelpinzgauer Landesstraße, welche die nördliche Zubringerstraße zur Großglockner Hochalpenstraße bildete, in der Länge von 37 km im Ausbau, ebenso der Abschnitt Salzburg-Anif, erfolgte die Belagsverbesserung der Großglockner Hochalpenstraße und wurde der Ausbau der westlichen Ausfahrtsstraße von Salzburg Richtung Innsbruck abgeschlossen. Gleichzeitig erfolgte die Elektrifizierung der Bundesbahnstrecke Salzburg-Wien. Vor der Vollversammlung der Salzburger Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie konnte Regierungskommissär Julius Kury unter Hinweis auf diese Bauvorhaben darauf hinweisen, dass 126 SLTPR. 3. Tagungsabschnitt, 1. Dezember 1936. S. 22. 127 SLA Rehrl Briefe 1937/2659.

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es Landeshauptmann Franz Rehrl gelungen sei, Mittel des Bundes für die »Sicherung der wichtigsten Lebensinteressen des Landes« zu sichern.128 Trotz einer allmählichen Verbesserung der wirtschaftlichen Lage und aller Bemühungen der Landespolitik sank die Zahl der Arbeitslosen in nur geringem Ausmaß. Ein Licht am Ende des Tunnels war für die Arbeitslosen und von Arbeitslosigkeit Bedrohten nach wie vor nicht wahrnehmbar. Die Kultur der Armut wurde zum Nährboden für den Nationalsozialismus, der in seiner Propaganda auf das deutsche »Wirtschaftswunder« und in dessen Folge auf den völligen Abbau der Arbeitslosigkeit verwies. Die Verzweiflung der von langer Arbeitslosigkeit Betroffenen wird in einem Schreiben eines arbeitslosen Salzburger Baumeisters vom 7. Februar 1937 an Landeshauptmann Rehrl deutlich, in dem sich dieser über eine persönliche Unterstützung von 50 Schilling bedankte. »Die Not unter den Gewerbetreibenden ist groß, das haben die letzten Tage wieder beweisen, wo sich wieder ein biederer Geschäftsmann aus Not in den Freitod begeben hat. Wenn wir wenigstens die Arbeitslosenunterstützung bekämen  ! (…) Wie lange werden mich die 50 Schilling vor dem Äußersten bewahren  ? Darum bitte ich immer wieder um Arbeit in irgendeiner Form. Mit Freude habe ich Ihr Versprechen vernommen, dass hochverehrter Herr Landeshauptmann trachten werden, mir Arbeit zu verschaffen. Aber bitte, bitte, bitte, bald  !«129 Das Los der Arbeitslosen, vor allem der Ausgesteuerten, wurde auch von engagierten Vertretern des Klerus thematisiert, nicht immer zur Freude der Politik. Am 6. November 1936 berichtete das Gendarmeriepostenkommando Anif an die Bezirkshauptmannschaft, dass eine Predigt des Dorfpfarrers Anton Bäumer bei den Kirchenbesuchern für Aufsehen gesorgt und zu einer Intervention von Bürgermeister Jakob Mayerhofer sowie einigen Gemeindevertretern im Pfarramt geführt habe. »Die Predigt hatte als Grundlage die Liebe der Menschen zu Gott und zueinander. Pfarrer Bäumer wies darauf hin, dass es aller Christen erste Pflicht sei, sich jenen zuzuwenden, die seit Jahren ohne Arbeit und ausgesteuert seien, daher nicht mehr das Nötige zum Leben haben, obwohl sie von Gott zum Leben bestimmt seien, so wie alle anderen Menschen. Er verurteilte schließlich jene, die diese Armen entweder ganz von der Türe weisen oder nur mit Widerwillen ein Almosen geben. Er richtete sodann an alle Funktionäre der Vaterländischen Front den Appell, alles zu unternehmen, um diese Armen wieder einer geregelten Arbeit zuzuführen und sie der bitteren Not zu entreißen, um auf diese Weise den christlichen Staat auch nach außen hin zu rechtfertigen. Schließlich rief der Pfarrer  : ›Ich muss diese Aufforderung zur Hilfeleistung von der Kanzel hinausrufen und scheue mich nicht, dies zu tun und getraue mir, dies auch gegen alle zu tun.‹ 128 Verhandlungsschrift der 2. Vollversammlung der Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie in Salzburg am 26. Februar 1937. S. 22. (SLA Rehrl Briefe 1937/0893.) 129 SLA Rehrl Briefe 1937/0285.

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Der Pfarrer sprach sodann auch davon, dass verschiedene Regierungen gesetzlich die Praktik eingeführt hätten, die Ausgesteuerten nicht mehr zur Arbeit zuzulassen, um hierdurch die Arbeitslosigkeit nach außen hin zu verringern, was aber dem Gesetze der christlichen Nächstenliebe widerspreche.«130

5.3 »Wenn das amerikanische Publikum Österreich entdeckt hat, so hat es dies auf dem Weg über Salzburg getan …« – Die Tourismuswirtschaft in der Krise Die mit der Weltwirtschaftskrise einsetzenden protektionistischen Maßnahmen vieler Länder zwischen 1930 und 1934 hatten bereits negative Auswirkungen auf den österreichischen Fremdenverkehr. Die Weimarer Republik verordnete im Rahmen eines Devisenbewirtschaftungsgesetzes eine Ausreisegebühr von 100 Reichsmark, die sich in einem deutlichen Rückgang der deutschen Gäste bereits in der Saison 1930/31 niederschlug,131 Ungarn verlangte ab 1932 von ausreisewilligen Staatsbürgern ein ärztliches Attest zum Nachweis der Erholungsbedürftigkeit, womit der Auslandsaufenthalt nur mehr für Erholungszwecke gestattet war, Polen verdoppelte im selben Jahr die Gebühren für Reisepässe und ordnete 1933 an, dass Auslandsreisen nur mehr für geschäftliche Zwecke erlaubt waren. 1934 verlangte das Königreich Jugoslawien von allen ins Ausland reisenden Staatsbürgern den Nachweis, dass sie ihre Steuern pünktlich bezahlt hatten.132 Massive Auswirkungen sollte jedoch aufgrund der Dominanz des deutschen Tourismus die vom Deutschen Reich mit Wirksamkeit vom 1. Juni 1933 verkündete Tausend-Mark-Sperre haben. Diese Maßnahme verfolgte den Zweck, die ohnedies unter den Folgen der Weltwirtschaftskrise sowie dem NS-Terror leidende österreichische Fremdenverkehrsindustrie, die vor allem in den westlichen Bundesländern einen wesentlichen Bestandteil der ökonomischen Struktur und Wertschöpfung bildete, zu treffen. Die Fremdenverkehrsbilanz Deutschlands wies 1929, dem letzten Jahr vor dem Einbruch der Wirtschaftskrise, Einnahmen von 16 Millionen Reichsmark auf, denen allerdings Ausgaben von 55 Millionen Reichsmark gegenüberstanden. Für Österreich entsprach dies rund 30 Prozent seiner Fremdenverkehrseinnahmen.133 Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen würden, so die Überlegungen, den Druck auf die 130 SLA Präs. Akten 1936/34a. 131 Die Zahl der deutschen Gäste reduzierte sich zwischen den Saisonen 1929/30 und 1930/31 österreichweit von 4,3 auf 3,6 Millionen, in Salzburg von 502.312 auf 434.440. 132 Senft  : Im Vorfeld der Katastrophe. S. 345. 133 Gustav Otruba  : Hitlers »Tausend-Mark-Sperre« und Österreichs Fremdenverkehr 1933. – In  : Rudolf Neck, Adam Wandruszka (Hg.)  : Beiträge zur Zeitgeschichte. Festschrift für Ludwig Jedlicka zum 60. Geburtstag. – St. Pölten 1976. S. 113–162. S. 114.

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österreichische Regierung dermaßen erhöhen, dass sie den Forderungen der österreichischen NSDAP und auch Berlins nach der Bildung einer Koalitionsregierung und damit der Einleitung einer nationalsozialistischen Machtübernahme nach deutschem Muster entsprechen würde. Die Meldungen der Tageszeitungen sowie die verzweifelten Interventionen der Gast- und Beherbergungsbetriebe und deren Vertretungen bei den Landes- und Regierungsstellen schienen die Richtigkeit dieses Kalküls zu bestätigen. In Salzburg hatte man in den Zwanzigerjahren aufgrund der zunehmenden Attraktivität des Urlaubs in die touristische Infrastruktur massiv investiert und die Werbung professionalisiert. 1926 wurde das Landesverkehrsamt als zentrale Werbeagentur für den Salzburger Tourismus gegründet und zahlreiche Betriebe führten fremdfinanzierte Strukturverbesserungen durch, um den steigenden Ansprüchen der Gäste entsprechen zu können. Zwischen 1926 und 1935 stieg die Verschuldung pro Fremdenbett um mehr als das Fünffache. Und man unternahm, durchaus erfolgreich, den Versuch, die saisonale Einengung auf die Monate Juli und August durch den Ausbau einer Wintersaison zu erweitern. Wenngleich die Sommersaison zahlenmäßig dominierte, so stieg die Zahl der Winter-Übernachtungen kontinuierlich. Salzburg begann, sich aufgrund seiner alpinen Lage auch als Wintersportdestination zu positionieren.134 An dem in den »goldenen« Zwanzigerjahren durch ständig steigende Zahlen florierenden Tourismus hatten die deutschen Gäste einen dominierenden Anteil. Sie stellten bei den ausländischen Gästen zwischen 60 und 70 Prozent und trugen damit zu einem überwiegenden Teil zur erzielten Wertschöpfung bei. Ankünfte und Übernachtungen in Salzburg 1924/25 bis 1928/29  :135 Dtld.

Übernacht. in Tsd.

158.522

118.161

1.266,50

191.610

157.448

1.406,20

232.585

180.092

1.692,20

295.289

228.427

1.909,60

199.725

2.037,80

Saison

Ankünfte

Inland

Ausland

1924/25

354.992

196.470

1925/26

412.281

220.671

1926/27

459.498

226.913

1927/28

512.083

216.794

1928/29

514.922

242.943

271.079

Inland

Ausland

Dtld.

691,10

575,40

380,50

701,60

704,60

528,70

717,20

975,00

728,70

751,20

1.158,40

876,90

879,30

1.158,50

840,00

134 Zum Tourismus im Salzburg der Zwischenkriegszeit vgl. Georg Stadler  : Von der Kavalierstour zum Sozialtourismus. Kulturgeschichte des Salzburger Fremdenverkehrs. – Salzburg 1975  ; Ernst Hanisch  : Wirtschaftswachstum ohne Industrialisierung. Fremdenverkehr und sozialer Wandel in Salzburg 1918–1938. – In  : Hanns Haas, Robert Hoffmann, Kurt Luger (Hg.)  : Weltbühne und Naturkulisse. Zwei Jahrhunderte Salzburg-Tourismus. – Salzburg 1994. S. 104–112  ; Eva Maria Mayrhuber  : Wirtschaftsfaktor Fremdenverkehr. Die Geschichte des österreichischen Tourismus zwischen Wirtschaftskrise und 1.000-Mark-Sperre. Dipl. Arb. – Wien 2010. 135 Mayrhuber  : Wirtschaftsfaktor Fremdenverkehr. S. 112.

234

Vor Sonnenuntergang – Historische Entwicklungslinien

Die Tausend-Mark-Sperre löste in der Salzburger Tourismuswirtschaft Panik aus, wobei sich die vor allem mit der deutschnationalen und auch bereits nationalsozialistischen Gesinnung erklärbaren Reaktionen der betroffenen Betriebe nicht so sehr gegen die deutsche, sondern die österreichische Regierung und auch gegen die Salzburger Landesregierung richteten. Die Salzburger Wirtschaftstreibenden wurden in der Folgezeit zu den vehementesten Befürwortern eines Ausgleichs mit dem Deutschen Reich, von dem man sich die Aufhebung der Tausend-Mark-Sperre und eine Erleichterung der Handelsbeziehungen erhoffte. Tatsächlich waren die Folgen der Tausend-Mark-Sperre durch das Ausbleiben der deutschen Gäste für zahlreiche Salzburger aufgrund der hohen Fremdkapitalquote existenzbedrohend. Zahlreiche kleinere Betriebe mussten schließen. Am 24. März 1935 schrieb die Ortsleitung der Vaterländischen Front Bad Gastein und Böckstein an das Generalsekretariat der Vaterländischen Front  : »Die durch den ständigen, katastrophalen Rückgang des Fremdenverkehrs bedingte Überschuldung der Betriebe, welche im Bestreben, den Gästen möglichsten Komfort zu bieten und so an Gastein zu ziehen, früher große Investitionen getätigt hatten, hat hier in Bad Gastein einen Zustand geschaffen, der milderungswürdig ist  ! (…) Unter der Krise der Hotelindustrie leidet naturgemäß im gleichen Maße Gewerbe und Bauernschaft (…). Die Bauernschaft kann ihre Produkte in den so schwach besuchten Orten nicht mehr absetzen und befindet sich deshalb im Zustande schwerster Erschütterung  ; gerade die Bauernschaft von Dorfgastein ist die am meistbetroffenste und es gibt dort nur mehr einzelne Bauern, bei denen der Exekutor nicht ständig zu Gast ist.«136 Die Gemeinde Golling wandte sich an Landeshauptmann Rehrl um Hilfe, da die vom Berliner Reisebüro Carl Degener, einem der Pioniere des Massentourismus im Deutschland der dreißiger Jahre, veranstalteten preisgünstigen Pauschalreisen, die Salzburger Gemeinde Golling in den Sommer- und Herbstmonaten 1932/33 mit bis zu 7.000 Gästen aus Deutschland beteilten, ausblieben. Die Gollinger waren ihrerseits nicht untätig geblieben und warben vor allem in Berlin mit Schuhplattlern und anderen Darbietungen ein begeistertes Publikum. Der massentouristische Zustrom und der damit verbundene wirtschaftliche Aufschwung wurde jedoch durch die Tausend-Mark-Sperre jäh unterbrochen, das Reisebüro Degener disponierte um und erkor das südbayerische Ruhpolding als neue Destination. Im Jänner 1936 wandte sich der Verkehrs- und Wintersportverein Golling Hilfe suchend an Landeshauptmann Franz Rehrl. »Zu Weihnachten 1932 wurde ein drei136 Robert Kriechbaumer (Hg.)  : Österreich  ! und Front Heil  ! Aus den Akten des Generalsekretariats der Vaterländischen Front. Innenansichten eines Regimes. – Wien/Köln/Weimar 2005. S. 323. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 23.)

Landespolitik im Zeichen der Krise

235

jähriger Vertrag mit Dr. Degener abgeschlossen, der uns allerdings kostspielige Investitionen zur Pflicht machte, dagegen aber eine erhebliche Vermehrung der bisherigen Besucherzahl garantierte. Knapp vor Beendigung unserer Vorbereitungen zur befriedigenden Unterbringung der reichsdeutschen Gäste (…) traf uns zu Pfingsten 1933 das folgenschwere Unglück der Grenzsperre. Als besondere Überraschung war ein Heimatspiel gedacht, dessen bedeutende Anlage und Betriebskosten ohne Risiko für unseren Verein von jedem einzelnen Besucher aus Deutschland durch eine geringfügige Erhöhung des Pauschalpreises für Bahnfahrt und Verpflegung Deckung gefunden hätten. Alle Hoffnung war vernichtet, die namhaften Aufwendungen für Umbau, Möbelkäufe etc. brachten viele Fremdenverkehrsinteressenten in finanzielle Schwierigkeiten und unser Verein, der eine ungedeckte Schuldenlast von rund 20.000 Schilling zu tragen hat, war Mitte 1934 gezwungen, ein Moratorium bis Ende 1936 in Anspruch zu nehmen. Zu diesem äußersten Schritt haben wir uns schweren Herzens entschlossen, um den Ruf bzw. Kredit Gollings und seiner Bürger nicht durch einen gerichtlichen Ausgleich zu schädigen und eine Verschleuderung unserer bescheidenen Werte bzw. die Liquidation des Vereines abzuwenden. Wir waren allerdings noch so optimistisch, an eine absehbare Öffnung der Grenzen und damit an die Möglichkeit einer raschen Schuldenabstattung aus eigenen Kräften zu glauben. Im Hinblick auf den bevorstehenden Ablauf des Moratoriums und die gewiss schon vorher einsetzenden Drohungen der größeren Gläubiger sehen wir keinen anderen Ausweg, als uns an Euer Hochwohlgeboren Herrn Landeshauptmann mit der angelegentlichen Bitte zu wenden, dem Gollinger Verkehrs- und Wintersportverein Ihre entscheidende Hilfe in letzter Stunde nicht versagen zu wollen und uns durch eine Zuwendung aus öffentlichen Mitteln die Abtragung unserer drückenden Verbindlichkeiten zu ermöglichen.«137 Die von Berlin inszenierte Krise des Fremdenverkehrs erzielte jedoch aufgrund der einsetzenden Bemühungen der österreichischen und Salzburger Fremdenverkehrswerbung um Ersatz bei den westeuropäischen und Nachbarstaaten sowie in Übersee, vor allem den USA, die intendierte Wirkung nicht. Verzeichnete die Salzburger Tourismuswirtschaft aufgrund der Weltwirtschaftskrise bereits zwischen 1930 und 1933 rückläufige Zahlen und in den Jahren 1933/34 durch die Tausend-Mark-Sperre einen dramatischen Einbruch, so begann 1935 ein deutlicher Aufwärtstrend durch das verstärkte Zuströmen inländischer, tschechoslowakischer, westeuropäischer und US-amerikanischer Gäste.

137 SLA Rehrl Briefe 1936/944.

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Vor Sonnenuntergang – Historische Entwicklungslinien

Ankünfte und Übernachtungen in Salzburg 1932/33 bis 1936/37  :138 Saison

Ankünfte

Inland

Ausland

Dtld.

Übern. in Tsd.

Inland

Ausland

Dtld.

1932/33

294.612

200.069

94.543

24.544

1.260,80

  819,70

441,10

128,50

1933/34

277.662

213.907

63.755

 6.181

1.266,80

  968,40

298,40

 23,30

1934/35

388.962

264.197

121.579

11.679

1.755,40

1.216,10

539,30

 40,10

1935/36

431.759

264.197

167.562

21.337

1.804,50

1.171,20

633,30

 65,90

1936/37

471.210

271.880

199.330

53.956

1.856,30

1.138,10

718,20

173,80

Wenngleich bis 1937 das Niveau der Saison 1929/30 nicht mehr erreicht werden konnte, so verfügten die neuen Touristen, vor allem jene aus den westeuropäischen Staaten und den USA, über erheblich mehr Mittel als die nunmehr nicht mehr präsenten deutschen und gaben der sommerlichen Festspielstadt ein internationales mondänes Gepräge. Unter den neuen (zahlungskräftigen) Gästen befanden sich viele Juden, die ihren Salzburg-Aufenthalt und vor allem den Besuch der Salzburger Festspiele vor allem aus zwei Motiven wählten  : der Person des Antifaschisten und genialen Maestros Arturo Toscanini und der Unterstützung des Kampfes der ständestaatlichen Regierung sowie des Salzburger Landeshauptmanns Franz Rehrl gegen den Nationalsozialismus. In diesem Sinne wurde Salzburg ab 1935 zur künstlerischen und ideologisch hoch aufgeladenen Frontstadt gegen den Nationalsozialismus. Dadurch erhielt allerdings auch das von den Nationalsozialisten propagierte Schlagwort vom »verjudeten Salzburg«, in dem sich die dekadenten und blutsaugerischen – vor allem jüdischen – Plutokraten tummelten, reichlich Nahrung. Der touristische Aufwärtstrend hatte auch seine Schattenseite, in der sich viele Salzburger bewegten, auch wenn sie von den neuen Gästen lebten und ihnen gegenüber als Bedienstete und Profiteure freundliche Minen machten. Die hohen Erwartungen, die man in der Salzburger Tourismuswirtschaft in die Aufhebung der Tausend-Mark-Sperre infolge des Juliabkommens 1936 setzte, sollten sich nicht erfüllen. Bereits wenige Tage nach dem Juliabkommen bemerkte das »Salzburger Volksblatt«, es bestehe bei der bevorstehenden Aufhebung der TausendMark-Sperre »die Möglichkeit, dass die reichsdeutschen Grenzbewohner mit zehn Mark in der Tasche nach Österreich kommen. Allerdings wird die deutsche Regierung wahrscheinlich Obsorge treffen, dass diese Fahrt z. B. von Freilassing oder Reichenhall nach Salzburg – um eine zu große Ausfuhr von Mark zu verhindern – nicht jeden Tag gemacht wird. Es ist davon die Rede, dass in die reichsdeutschen Pässe ein Geldvermerk über die erwähnten zehn Mark eingetragen werden soll und dass dieser Betrag während eines Monats nicht überschritten werden darf. Das ist nicht viel, 138 Mayrhuber  : Wirtschaftsfaktor Fremdenverkehr. S. 112.

Landespolitik im Zeichen der Krise

237

aber immerhin würde das bedeuten, dass Grenzstädte wie Kufstein, Salzburg, Braunau, Schärding usw. einen Besuch tagsüber von reichsdeutschen Nachbarn erhalten würden, von dem in erster Linie Wirte, Kinos usw. Gewinn hätten.«139 Der erhoffte massenhafte Zustrom deutscher Gäste blieb vor allem aufgrund der anhaltenden restriktiven deutschen Devisenbewirtschaftung sowie einsetzender Kontrollschikanen an der deutsch-österreichischen Grenze aus. Noch am 27. Juli 1936 meldete das Gendarmeriepostenkommando Großgmain (E. Nr. 147 res.) an die Bezirkshauptmannschaft  : »Das Abkommen zwischen Österreich und Deutschland vom 11. Juli 1936 wurde an der Grenze mit großem Beifall aufgenommen. Nur einzelne Unentwegte waren offenbar nicht zufrieden. Die (deutschen) Beamten legen ein viel freundlicheres Verhalten an den Tag als bisher.«140 Am 1. September 1936 meldete das Gendarmeriepostenkommando Wals (E. Nr. 1 res.), dass seit der Aufhebung der Grenzsperre am 28.8. der Verkehr von Deutschland nach Österreich deutlich zugenommen habe. So seien zwischen dem 29.8. und 31.8.1936 136 deutsche Kraftfahrzeuge bei Walserberg nach Österreich eingereist.141 Die anfänglich positive Stimmung wich jedoch bald der Ernüchterung. Am 29. Oktober wies das Gendarmeriepostenkommando Wals in seinem Bericht (E. Nr. 1797) an die Bezirkshauptmannschaft Salzburg darauf hin, dass »der engere Grenzverkehr von Seite der bayerischen Personen nach Österreich (…) ganz unbedeutend« sei. Der Grund dafür seien vor allem »Devisenschwierigkeiten«. Während Österreicher im kleinen Grenzverkehr 20 Schilling und im großen Krenzverkehr 200 Schilling nach Deutschland ausführen können, dürften Deutsche lediglich 10 Reichsmark im Monat nach Österreich einführen.142 Am 1. Jänner 1937 meldete das Gendarmeriepostenkommando Wals, dass im kleinen Grenzverkehr aufgrund der nach wie vor geltenden restriktiven deutschen Devisenbestimmungen kaum eine Änderung eingetreten sei.143 Der Leiter des Landes-Verkehrsamtes, Hans HofmannMontanus, schrieb nach einer Konferenz mit seinen Tiroler Kollegen am 7. Jänner 1937 an Landeshauptmann Rehrl, dass der Winter-Fremdenverkehr aus dem Deutschen Reich sowohl in Tirol wie auch in Salzburg »höchst unbefriedigend, ja sogar unbedeutend« sei.144 Und das Gendarmeriepostenkommando Oberndorf berichtete am 5. Juni 1937 an die Bezirkshauptmannschaft Salzburg, dass sich »in letzter Zeit im Grenzverkehre (…) eine bedeutende Verschärfung bemerkbar macht, welche sich insbesondere in einer rigorosen Behandlung der Devisen- und Passvorschriften be-

139 Salzburger Volksblatt 16.7.1936. S. 1. 140 SLA Präs. Akten 1937/34a/246. 141 Ebda. 142 Ebda. 143 SLA Präs. Akten 1937/34a/261/1-RD. 144 SLA Rehrl Briefe 1937/0496.

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Vor Sonnenuntergang – Historische Entwicklungslinien

merkbar macht. Nach Äußerungen deutscher Staatsangehöriger seien die Befragung nach Devisen beim Grenzübertritte und die Durchsuchungen derart, dass ihnen direkt ein Übertritt nach Österreich verleidet sei.«145 Dieser Bericht entsprach der unter Devisenmangel leidenden deutschen Wirtschaftspolitik. So schrieb der ehemalige Wirtschaftsminister und nunmehrige Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht am 24. April 1937 an Propagandaminister Joseph Goebbels  : »Der Reiseverkehr mit dem Ausland ist seit Beginn der Devisenbewirtschaftung stets überwiegend unter devisenwirtschaftlichen und handelspolitischen Gesichtspunkten behandelt worden. Das ist heute mehr denn je erforderlich. (…) Der Reiseverkehr aus Deutschland nach dem Ausland kann im Zeichen des Vierjahresplans und angesichts der dringenden Notwendigkeit, alle devisenwirtschaftlichen Aktiven soweit als irgend möglich für die Rohstoffdeckung und für den Ernährungsbedarf zu verwenden, nur als eine weniger dringliche und daher möglichst gering zu haltende Devisenausgabe angesehen werden.«146 Wenngleich der Fremdenverkehrswerbung eine durchaus erfolgreiche Gegensteuerung zu den Folgen der Tausend-Mark-Sperre durch den deutlichen Zuwachs von tschechischen, westeuropäischen und US-Touristen sowie Inländern gelang, so wirkte diese Kompensation doch nur selektiv. Die kleinen und weniger bekannten Fremdenverkehrsdestinationen und deren Betriebe profitierten von dieser Entwicklung erheblich weniger als die Festspielstadt Salzburg oder bekannten Ferien- und Kurorte. So schrieb der Obmann des Radstädter Verkehrsvereins am 28. Dezember 1936 an Landeshauptmann Rehrl verzweifelt, dass die Weihnachtssaison in den letzten drei Tagen mit nur 61 Touristen katastrophal verlaufen sei. Radstadt habe im Jahr 1935 erhebliche Mittel für die Fremdenverkehrswerbung aufgebracht und die große Sprungschanze erneuert. »Noch nie hatte Radstadt so günstige Schneeverhältnisse wie heuer, noch nie hatte aber Radstadt eine so schlechte Wintersaison wie gegenwärtige. Die Verzweiflung der Radstädter ist begreiflicherweise eine große und wenn es dem Verkehrsverein nicht gelingt, in den nächsten Wochen und Monaten einen Ersatz für die ausgefallene Wintersaison zu finden, (…) so besteht die Gefahr eines finanziellen Zusammenbruchs der Radstädter Gewerbetreibenden und mit diesem die Arbeitsunfähigkeit des Verkehrsvereines.«147 Der Salzburger Landeshauptmann war sich des unterschiedlichen Problemhaushalts der Fremdenverkehrswirtschaft durchaus bewusst und versuchte durch Interventionen beim Bund eine bessere Auslastung durch binnenwirtschaftliche Maßnahmen zu erreichen. Am 1. Februar 1937 wandte er sich in einem Schreiben an den Generalsekretär der Vaterländischen Front, Guido Zernatto, mit dem Ersuchen, bei der sommerlichen 145 SLA Präs. Akten 1937/34a/261/6-RD. 146 Akten der Reichskanzlei. Regierung Hitler 1933–1945. Bd. IV  :1937. – München 2005. Nr. 79. S. 267. 147 SLA Rehrl Briefe 1937/0066.

Landespolitik im Zeichen der Krise

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Aktion des Kinderferienwerks das Land Salzburg sowohl bei der Zahl der für diese Aktion ausgewählten Kinder wie bei der Zuteilung der Kinderkontingente stärker zu berücksichtigen. Die Länder Vorarlberg und Tirol seien in den vergangenen Jahren gegenüber Salzburg bevorzugt worden, obwohl in Salzburg »das an Gasthöfe bezahlte Pflegegeld wesentlich kleiner ist als in Tirol. (…) Da die Verhältnisse in unseren Gaststätten durch das Ausbleiben der reichsdeutschen Gäste keineswegs besser als in Tirol sind, wäre nach meinem Dafürhalten in dieser Hinsicht eine gleiche Behandlung des Landes Salzburg am Platz. Es sollte daher die für das Land Salzburg vorgesehene Quote aus den für das Ferienwerk bereitzustellenden Mitteln wesentlich erhöht werden.«148 Zernatto antwortet am 10. März bezüglich einer Erhöhung des Salzburger Kinderkontingents ablehnend, blieb jedoch bei der geforderten erhöhten Mittelzuteilung vage. Hier hakte Rehrl ein und forderte neuerlich am 19. April, wenn auch letztlich vergeblich, dass wenigstens »dem Lande Salzburg durch Unterbringung von Ferienkindern aus Wien entgegengekommen werden könnte. (…) In dieser Hinsicht muss sich das Land Salzburg bestimmt als zurückgesetzt fühlen.«149 Eine willkommene Belebung der Wintersaison bedeutete hingegen die Abhaltung der Akademischen Weltwinterfestspiele vom 2. bis 7. Februar 1937 in Zell am See. Rehrl zeigte sich erfreut und teilte in einem Schreiben Unterrichtsminister Pernter mit, dass sich das Land Salzburg mit einer Subvention in der Höhe von 3.000 Schilling an den Kosten beteiligen werde. »Bei der überaus angespannten Finanzlage des Landes Salzburg erscheint dieser Betrag höchstmöglich zu sein und konnte nur deshalb freigegeben werden, weil ich von der Wichtigkeit und von der Bedeutung dieser Winterveranstaltung für den Salzburger und österreichischen Fremdenverkehr überhaupt überzeugt bin.«150 Die positiven Folgen für den Salzburger Wintersportort wurden an einem Vergleich der Anzahl der Fremden und der Fremdenübernachtungen in den Monaten Februar 1936 und 1937 deutlich sichtbar. Hielten sich im Februar 1936 896 Fremde in Zell am See auf, so waren es im Februar 1937 2.794. Betrug die Zahl der Fremdenübernachtungen im Februar 1936 3.410, so im Februar 1937 14.536. Dies entsprach Steigerungen von 211 bzw. 326 Prozent. Die Einnahmen der Schmittenhöhe Bahn A.G. erhöhten sich im Vergleich der Abrechnungsmonate März 1936 und März 1937 von 6.972 auf rund 21.000 Schilling.151 Ein Problem der österreichischen und damit vor allem auch der Salzburger Fremdenverkehrswirtschaft bestand im Festhalten am stabilen Schillingkurs, wodurch der Schilling angesichts des Endes des Goldblocks und der Abwertungen in den 148 SLA Rehrl Briefe 1937/0366. 149 Ebda. 150 SLA Rehrl Briefe 1937/0179. 151 Verwaltungsbericht der Schmittenhöhebahn A.G. an Landeshauptmann Rehrl vom 3.4.1937. (SLA Rehrl Briefe 1937/1088).

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Vor Sonnenuntergang – Historische Entwicklungslinien

USA, Großbritannien, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, der Schweiz und der Tschechoslowakei sowie von protektionistischen Maßnahmen in vielen Ländern zu einer der wertbeständigsten Währungen der Welt wurde.152 Wenngleich die verfolgte Hartwährungspolitik die Belastung des Budgets durch den Schuldendienst – die Gesamtschuld des Bundes stieg zwischen 1932 und 1936 aufgrund der Bankensanierung von 25,9 auf 42,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – erheblich reduzierte, so belastete sie die Attraktivität der Feriendestination Österreich und dessen Fremdenverkehrswirtschaft. So wandte sich am 2. Februar 1937 der Leiter der österreichischen Verkehrswerbung in Prag, Walter Handofsky, in einem geheimen Schreiben an Landeshauptmann Rehrl mit der dringenden Bitte um Intervention gegen die seiner Meinung nach den Fremdenverkehr massiv schädigenden Maßnahmen der Oesterreichischen Nationalbank. Nach den Abwertungen zahlreicher europäischer Staaten und der USA sei Österreich um 20 Prozent teurer, andere Länder wie die Schweiz und Frankreich seien hingegen deutlich billiger geworden. Weiters würde von österreichischer Seite aus unbegreiflichen Gründen die Höhe der mitzunehmenden Beträge von 1.000 auf 300 Schilling herabgesetzt. Rehrl möge »bei der höchsten Regierungsstelle«, d. h. dem Bundeskanzleramt, seine »Autorität in die Waagschale werfen« und darauf drängen, dass »man sich endlich aufraffen und etwas dazu beitragen wird, den Fremdenverkehr, der Österreich in schlechten Zeiten über Wasser gehalten hat, auch in besseren Zeiten zu erhalten und weiter auszubauen.« Hans Hofmann-Montanus schrieb nach einer Unterredung mit Handofsky an Rehrl, dass, »wenn die von der Oesterreichischen Nationalbank« geplanten Maßnahmen »Wirklichkeit werden, (…) allein das Bundesland Salzburg rund 30.000 tschechoslowakische Gäste mit rund 115.000 Übernachtungen« zu verlieren drohe. Dabei dürfe ein innen- und außenpolitischer Aspekt nicht unberücksichtigt bleiben  : »Die Erhaltung unseres tschechoslowakischen Reise- und Fremdenverkehres im bisherigen Volumen ist schon deshalb notwendig, weil jenen Interessentenkreisen, die sich allzu stark auf das Abkommen vom 11. Juli 1936 stützen, die ziemlich weitgehende Unabhängigkeit vom reichsdeutschen Reise- und Touristenverkehr deutlich gezeigt werden muss. Schließlich war es ja vor allem der bürgerliche Fremden- und kleinbürgerliche Touristenverkehr aus der Tschechoslowakei, der ohne politische Gegenforderungen unsere Bergtäler nach der reichsdeutschen Grenzsperre gewissermaßen über Wasser gehalten hat.«153 Der Salzburger Landeshauptmann teilte die Meinung 152 Der valutarische Deckungsgrad an Gold und Devisen stieg zwischen 1933 und 1937 von 193 auf 362 Millionen Schilling, d. h. von 18,5 auf 31,1 Prozent. Dieser Erfolg wurde jedoch durch erhebliche soziale Lasten erkauft. So sanken zwischen 1933 und 1937 die Löhne und Gehälter pro Kopf um 2,9 Prozent, während die Lebenshaltungskosten de facto gleichblieben. Der Anteil der Sozialausgaben am Budget sank zwischen 1932 und 1937 von 23,5 auf 17,2 Prozent. 153 Die Tschechoslowakei stellte 1934 mit insgesamt rund 156.000 Personen das stärkste Kontingent ausländischer Touristen in Österreich.

Landespolitik im Zeichen der Krise

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seines obersten Fremdenverkehrsbeamten. In seiner Eröffnungsrede zur Herbsttagung des Landtages am 1. Dezember 1936 hatte er im Kapitel »Fremdenverkehr« auf die Abwertungen mehrerer Länder hingewiesen, die besondere Anstrengungen bei der Tourismuswerbung erforderten, »zumal geradezu der Fremdenverkehr für unser Land eine der wichtigsten Einnahmequellen bedeutet.« Fünf Wochen zuvor hatte er ein Schreiben des österreichischen Generalkonsuls in Jerusalem, Ivo Jorda, erhalten, in dem ihm dieser mitteilte, ihm sei »beim Verteilen der Salzburger Wintersportprospekte im englischen Sportclub (…) von mehreren Seiten gesagt worden, dass in England die Meinung verbreitet werde, dass die Preise in Salzburg speziell auch in der Sommersaison und bei den Festspielen ›very expensive‹ gewesen ­seien.«154 Rehrl wies auf die zaghafte Erholung des deutschen Tourismus nach der Aufhebung der Tausend-Mark-Sperre hin und gab angesichts der letztlich enttäuschenden Zahl deutscher Gäste seiner Hoffnung Ausdruck, dass »bald eine Vermehrung des reichsdeutschen Gästeverkehres in unseren Gauen eintreten« möge. »Das eine ist aber sicher  : wir dürfen uns weder auf den reichsdeutschen Verkehr, noch auf den Zuzug irgendeiner anderen Nation einseitig verlassen. Die Tausendmarkausreisesteuer war nicht die erste Behinderung der Österreichreisen aus dem Deutschen Reiche. Erinnern wir uns daran, dass 1931 – wir lebten damals im tiefsten Frieden mit der Reichsregierung – die Hundertmarksperre über den Grenzübertritt nach Österreich verhängt wurde. Gerade in den Jahren des so traurigen Konfliktes, in der an Feindseligkeit und Kämpfen so reichen Zeit, vom 1. Juni 1933 bis zum 11. Juli 1936, hat Österreich und in erster Linie Salzburg einen so mächtigen Aufstieg seines internationalen Fremdenverkehres herbeizuführen verstanden. Halten wir an der Internationalität unseres Fremdenverkehres fest, bauen wir auf den unter so großen Anstrengungen errichteten Grundlagen weiter  !«155 Der Salzburger Landeshauptmann intervenierte daher – durchaus im Eigeninteresse – bei Bundeskanzler Schuschnigg und berichtete Walter Handofsky am 4. April, es »habe sich gezeigt, dass der Fremdenverkehr, wenn auch anfangs eine Abnahme festzustellen gewesen sei, sich bald wieder erholt hat und in der letzten Zeit sogar eine Steigerung gegenüber 1936 aufweisen konnte. Die maßgebenden Stellen sind jedenfalls bemüht, den Fremdenverkehr aus der Tschechoslowakei ungeschmälert zu erhalten, nach Möglichkeit aber zu steigern.«156 So sehr man einerseits das – wenn auch überschaubare – Ansteigen der deutschen Touristen nach dem Juliabkommen begrüßte, so war man sich andererseits der damit verbundenen politischen Probleme durchaus bewusst. In Deutschland kursierten Listen mit von NS-Sympathisanten oder -Mitgliedern geführten Hotels, Pensionen 154 SLA Rehrl Briefe 1937/1279. 155 SLTPR, 3. Tagungsabschnitt, 1. Dezember 1936. S. 21 und 30. 156 SLA Rehrl Briefe 1937/1833.

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und Gasthöfen, die daher ausdrücklich empfohlen wurden und es betätigten sich deutsche Touristen auch als Propagandisten des NS-Regimes. Die Bestimmungen des Juliabkommens ermöglichten zudem die Verbreitung deutscher Zeitungen und damit einer indirekten oder direkten NS-Propaganda auch in den Salzburger Fremdenverkehrsbetrieben. Im Landesbefehl vom Juli 1937 der Landesleitung Salzburg der Vaterländischen Front wurde auf Meldungen hingewiesen, »dass in Gaststätten vielfach keine österreichischen, sondern nur reichsdeutsche Zeitungen aufliegen. Es ergeht die Einladung, diese Übelstände abzustellen, und zwar durch folgende Maßnahmen  : 1. Gastwirte, die Mitglieder der Vaterländischen Front sind und nur reichsdeutsche Zeitungen in ihrem Betriebe auflegen, wären mit dem Hinweis auf ihre Pflichten als VF-Mitglieder darauf aufmerksam zu machen, die Vaterländische Front wünsche, dass österreichische Zeitungen oder Zeitschriften in ihrer Gaststätte aufliegen. (…) 2. Gastwirte, die nicht Mitglieder der Vaterländischen Front sind und nur reichsdeutsche Zeitungen auflegen, wären einzuladen, mindestens ebenso viele österreichische wie reichsdeutsche Zeitungen aufzulegen.«157 Am 27. Dezember 1936 schrieb ein anonymer Briefschreiber an Landeshauptmann Rehrl  : »Gestatten Sie mir, dass ich Sie von folgendem in einem Ort Bayerns geführten Gespräch unterrichte. Zwei Lehrer unterhalten sich. Der eine erzählt, dass er im Austauschwege zu einem Sport- (oder sonstigen) Aufenthalte nach Österreich käme und zwar in der Nähe des Dachsteines (er sagte, hinterm Dachstein liegt die Hütte). Die Vermittlungsstelle (jedenfalls im Deutschen Reiche) habe ihn angewiesen, möglichst viele nationalsozialistische Bücher und Schriften mitzunehmen. Ich nehme an, dass dies die österreichische Regierung interessieren wird. Verzeihen Sie, wenn ich meinen Namen weglassen muss, es ist mir zu gefährlich. Es ist dies mein erster anonymer Brief, den ich schreiben muss. Es geht gegen mein Gefühl. Ein treuer Österreicher.«158 In einem Bericht der Vaterländischen Front über die wirtschaftliche und politische Lage der Stadt Hallein vom 4. April 1937 wurde darauf hingewiesen, »dass das Abkommen vom 11. Juli 1936 in wirtschaftlicher Hinsicht für unsere Stadt eine nicht unbedeutende Verschlechterung gebracht hat. Unsere Unentwegten fahren ständig an Sonn- und Feiertagen in das Deutsche Reich, aus dem Reich kommt jedoch fast kein Mensch zu uns. Bei manchen Gasthöfen in Hallein beträgt der Entfall seit dem 11. Juli 1936 an Sonntagen 50 Prozent.«159 Die Salzburger Fremdenverkehrswerbung bedurfte, dessen war man sich durchaus bewusst, neben dem attraktiven kulturellen Werbeträger Festspiele und der traditionellen Sujets und Klischees – Heimat, Natur, Seen und Berge – zusätzlicher Ange157 Kriechbaumer (Hg.)  : Österreich  ! und Front Heil  ! S.  311. 158 SLA Präs. Akten 1937/34a/205. 159 SLA Rehrl Briefe 1937/1300.

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bote wie eine touristisch und verkehrsmäßig entsprechende Infrastruktur, attraktive Events jenseits der Festspiele sowie die internationale Werbewirksamkeit von Prominenz. In all diesen Bereichen gab es aufgrund der anhaltenden Wirtschaftskrise und der knappen Mittel einen entsprechenden Nachholbedarf. Fremdenverkehrspolitik war daher nicht die Realisierung des als notwendig Erkannten, sondern die Kunst des Möglichen. In diesem Sinne betonte Rehrl in seiner Landtagsrede am 1. Dezember 1936, »dass der Fremdenverkehr im Lande Salzburg vom Lande selbst in erster Linie betreut werden muss. Wir dürfen uns hierbei nicht durch allzu fantastische, wenn auch gut gemeinte Ratschläge irre machen lassen. Wir haben unter unendlichen Mühen ohne nennenswerte Hilfe von außen Bedeutendes geschaffen und müssen unter allen Umständen trachten, mit dem Bestehenden so wie bisher tunlichst das Auslangen zu finden. Wir sind uns bewusst, dass unsere Wirtschaft derzeit nicht in der Lage ist, übergroße Summen für Investitionen auszugeben.«160 Der Modernisierung der touristischen Infrastruktur waren aufgrund der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen enge Grenzen gesetzt. Am 1. April 1937 schrieb Hans Hofmann-Montanus an Landeshauptmann Rehrl, dass das bestehende Kurhaus in der Landeshauptstadt »eher ein Schandfleck als eine schätzbare Einrichtung« sei. Der »matte Vor- und Nachsaisonverkehr in der Landeshauptstadt fordert immer dringlicher die Schaffung eines neuen Kurhauses«, das den modernen Anforderungen entspricht. Die Versicherungsgesellschaft Riunione Adriatica habe nun die Absicht, eine repräsentative Niederlassung zu errichten und sei »nicht abgeneigt, dieses Haus auf einem Teil des gegenwärtigen Kurhaus-Grundstückes zu erbauen und sich an der Schaffung eines modernen Kurhauses (…) zu beteiligen.« Rehrl antwortete nach Rücksprache mit Bürgermeister Hildmann prinzipiell positiv, äußerte jedoch Bedenken bezüglich der Finanzierung, da die Stadt Salzburg »so große Lasten auf sich zu nehmen nicht in der Lage ist.« Auch die im Angebot zur Finanzierung vorgesehene Vermietung von Geschäftsräumen im neuen Kurhauskomplex dürfte nicht realistisch sein, da angesichts der anhaltenden schwierigen wirtschaftlichen Lage zahlreiche Geschäftsräume »frei und unvermittelbar sind.«161 Auch ein am folgenden Tag von Hofmann-Montanus an den Salzburger Landeshauptmann gerichtetes Schreiben scheiterte an den finanziellen Rahmenbedingungen. Der Leiter des Landes-Verkehrsbüros übermittelte zustimmend eine Anregung des Salzburger Automobilclubs, zur Hebung der Attraktivität Salzburgs als Tourismusdestination vor allem im anglikanischen Bereich dem Herzog von Windsor Schloss Kleßheim unentgeltlich als Sommerwohnsitz für unbestimmte Zeit anzubieten und dabei die Möglichkeit der Errichtung eines Golfplatzes zu prüfen. Den Vorschlag der Errichtung eines gemeinsamen Golfplatzes Salzburg/Reichenhall im attraktiven Ambiente 160 SLTPR.3. Tagungsabschnitt. 1.12.1936. S. 21f. 161 SLA Rehrl Briefe 1937/1108.

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von Schloss Kleßheim hatte der Reichenhaller Großhotelier Carl A. Seethaler erstmals im Dezember 1936 unterbreitet.162 Der Salzburger Automobil-Club unterbreitete außerdem den – letztlich nicht realisierten – Vorschlag, nach einer dreijährigen Pause 1937 das Gaisbergrennen vor allem unter dem Aspekt der Touristenattraktion wiederum durchzuführen. »Die deutsche Grenze ist nach einer langen Reihe von Jahren erstmalig wieder für den Besuch eines internationalen Rennens offen und ist daher, nicht zuletzt durch die Zunahme des Kraftfahrwesens in Deutschland, mit einem großen reichsdeutschen Besuch des Rennens zu rechnen.«163 Vor allem die internationale Attraktivität der Salzburger Festspiele ab 1935 bewirkte auch eine Zunahme des internationalen Flugreiseverkehrs. Dem 1926 eröffneten Salzburger Flughafen mit seiner technisch unzulänglichen Ausstattung gelang zwar eine Einbindung in das mitteleuropäische Flugnetz, doch bedeuteten der Ausbruch der Weltwirtschaftskrise sowie die Tausend-Mark-Sperre erhebliche Rückschläge in der Passagierfrequenz. Besonders bedrohlich wirkte sich die Konkurrenz des ab 1934 im nahe gelegenen Ainring errichteten modernen deutschen Flughafens aus. Dem verstärkt einsetzenden Zustrom westeuropäischer und US-Touristen und der damit verbundenen Anzahl der Flugbewegungen vermochte der Salzburger Flughafen nur ungenügend zu entsprechen, weshalb sich Landeshauptmann Rehrl und Bürgermeister Neumayr um einen entsprechenden Ausbau des Flughafens (vor allem technische Infrastruktur und Hangars) bemühten. Angesichts der völlig erschöpften Budgets des Landes und der Stadt sollte der Bund die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen, wobei man als Begründung auf das Beispiel Aspern und darauf hinwies, dass im Rahmen der Aufrüstung und der anhaltenden deutschen Bedrohungslage die Ausgestaltung Salzburgs auch zu einem Militärflughafen vorgesehen sei. Am 15. Oktober 1936 richtete die Salzburger Landesregierung ein entsprechendes Ansuchen an Handels- und Verkehrsminister Fritz Stockinger. »Die Bedeutung Salzburgs für den internationalen Reiseverkehr und als eines der wichtigsten österreichischen Fremdenverkehrszentren erfordert seine Ausstattung mit allen Einrichtungen, die notwendig sind, um es als Attraktion für die Fremden auszugestalten und mit dem Ausland konkurrenzfähig zu erhalten. Die lokalen Faktoren, Land und Bürgermeister, sind in dieser Richtung bekanntlich unablässig und mit Erfolg bemüht. Es muss auch das hohe Verständnis des Bundes für die Interessen Salzburgs dankend anerkannt werden. Die beträchtliche Steigerung des Flugverkehres und das damit verbundene Anwachsen der Bedeutung des Flughafens in Salzburg legt allen öffentlichen Faktoren die Pflicht auf, dieser Verkehrseinrichtung besonderes Augenmerk zuzuwenden, zumal in unmittelbarer Nähe Salzburgs in Bayern die Flughäfen Bad Reichenhall und 162 SLA Rehrl Briefe 1937/0495. 163 SLA Rehrl Briefe 1937/0435.

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Ainring mit allen modernen Einrichtungen ausgestattet sind und das Ausland sich die Unzulänglichkeit des Salzburger Flughafens ausgiebig zunutze macht. Wir haben heuer leider wiederholt wahrnehmen müssen, dass Flugzeuge, deren Passagiere Salzburg aufsuchen wollten, infolge unzureichender Garagierungsmöglichkeit den Flughafen in Salzburg vermieden und in das benachbarte Bayern weiterfuhren, wo sie komfortable Unterkunft für ihre Flugzeuge fanden. (…) Die Zahl der Landungen am Flughafen Salzburg belief sich im Jahre 1936 auf rund 1.100, worin sich die planmäßigen Verkehrsflugzeuge mit den übrigen Flugzeugen zu ungefähr gleichen Hälften teilen. Im planmäßigen Verkehr umfasste die Fluggastzahl heuer rund 4.000 Fluggäste, im übrigen Verkehr rund 700 Gäste, sodass Salzburg unmittelbar nach Wien an zweiter Stelle der Flughäfen Österreichs rangiert.« Für die künftige Entwicklung des Flughafens sei die Errichtung einer entsprechenden Flugzeughalle unbedingt erforderlich, deren Kosten sich auf 380.000 Schilling belaufen. »Bezüglich ihrer Aufbringung glaubt die Landesregierung auf das Vorbild des Flugplatzes in Aspern hinweisen zu dürfen. Dort sind dem Vernehmen nach die Einrichtungen durchwegs aus Bundesmitteln geschaffen worden. Die Landesregierung glaubt, dass dieselben Grundsätze, die für den Flughafen in Aspern zur Anwendung gekommen sind, auch für den, wie dargelegt wurde, zweitgrößten Flugplatz in Österreich zu gelten hätten und dass daher die Kosten der Neuanlage einer Flugzeughalle in Salzburg vom Bund zu übernehmen wären. Dies wäre umso mehr gerechtfertigt, als die Anlage einer Militär-Flugplatzes in Salzburg mit oder ohne Einbeziehung des bestehenden Flugplatzes bevorsteht und daher aus Zweckmäßigkeitsgründen gemeinsame Einrichtungen einer Doppelgleisigkeit vorzuziehen wären.«164 Die Bemühungen um den Ausbau des Flughafens wurden ebenso ein Opfer der leeren Kassen und der dem Ständestaat bis zum Anschluss nur mehr kurz zur Verfügung stehenden Zeit wie jene um den Bau der Gerlosstraße, den Rehrl als logische Ergänzung der Großglocknerstraße sah und in seiner Agenda an prominenter Stelle platziert hatte. Am 5. Mai 1937 berichtete Hans Hofmann-Montanus Landeshauptmann Rehrl von der Jahreshauptversammlung des Fremdenverkehrs- und Verschönerungsvereins Krimml. Die Grundstimmung sei pessimistisch gewesen, da die für den Fremdenverkehr notwendige und attraktive Krimml-Gerlosstraße trotz Versprechungen noch immer nicht in Angriff genommen worden sei.165 Diese moderne

164 SLA Präs Akten 1936/41a/5085. 165 Die Errichtung der Gerlosstraße gehörte zu den von den Bundesländern Salzburg und Tirol geplanten Infrastrukturprojekten, um eine für den modernen Autoverkehr geeignete Verbindung zwischen Tirol und dem Oberpinzgau herzustellen. Von Tiroler Seite wurde 1934/35 der 17 km lange Güterweg zwischen Zell am Ziller und Gerlos für den Autoverkehr ausgebaut. Von Salzburger Seite verhinderten die fehlenden finanziellen Mittel den geplanten Bau der Gerlosstraße. 1949 erstellte Franz

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Autostraße wäre vor allem deshalb besonders attraktiv, »weil sie in der Nähe des Unteren Krimmlerfalles vorbeiführen« würde. Der Bau wäre zudem relativ leicht zu bewerkstelligen und für die Entwicklung des Tourismus im Pinzgau von großer Bedeutung.166 Besonderes Ärgernis verursachte in Salzburg die in Österreich seit 1914 geltende Regel des Linksverkehrs. Es war damit neben Ungarn, der Tschechoslowakei und Schweden das einzige kontinentaleuropäische Land, in dem noch diese Regelung herrschte, da in allen anderen Ländern bereits der Rechtsverkehr galt. Lediglich in Vorarlberg galt mit Hinweis auf die inzwischen erfolgte Rechtsregel im Straßenverkehr der Nachbarländer Schweiz und Deutschland die Rechtsfahrordnung. Durch die Einführung der Rechtsregel in de facto allen europäischen Staaten entflammte in den 1920er-Jahren auch in Österreich die Debatte um die Umstellung auf die Rechtsfahrregel, in der jedoch Wien mit dem Hinweis auf die nach der Linksregel verlegten Straßenbahnschienen eine ablehnende Haltung einnahm. 1929 rang sich jedoch der Nationalrat zu einem Grundsatzbeschluss durch, der die bundesweite Einführung der Rechtsfahrordnung mit Wirksamkeit ab dem Jahr 1932 vorsah. Der Ausbruch der Wirtschaftskrise und der damit entstehende finanz- und sozialpolitische Problemhaushalt ließ jedoch die Umsetzung dieses Grundsatzbeschlusses, mit dem erhebliche Kosten verbunden waren167, in den Hintergrund treten, weshalb man in einer Interimslösung die Regelung der Fahrordnung den einzelnen Bundesländern überließ. Diese folgten im Westen dem Beschluss zur (teilweisen) Rechtsfahrordnung – Kärnten und Osttirol mit Verspätung am 15. Juli 1935 –, während die östlichen Bundesländer und die Steiermark die Linksfahrordnung beibehielten. Das Salzburger Straßennetz war durch die LGBl 57/1930 und 58/1930 zweigeteilt. So galt im gesamten Bundesland mit Ausnahme des politischen Bezirks Zell am See, der Dientnertalstraße und des Gasteinertals die Linksfahrordnung. Der jeweilige Fahrbahnwechsel wurde durch Überkopfanzeigen angezeigt. Die Folge war eine für die Autofahrer verwirrende Zweiteilung der Fahrbahnnutzung in Salzburg und Österreich, die vor allem in Salzburg zunehmend zum Politikum wurde, da man in der Perpetuierung dieses Zustandes eine Gefährdung des vor allem in Zeiten der Wirtschaftskrise für das Land so wichtigen Fremdenverkehrs befürchtete. So erklärte Landeshauptmann Franz Rehrl in seiner Rede zur Eröffnung des Landtages am 1. Dezember 1936, bei der Besprechung des Straßenwesens dürfe er »es nicht unterlassen, auf den überaus misslichen Zustand hinzuweisen, Wallack die Pläne für die 12 km lange Straße von Krimml auf den Gerlospass, die allerdings erst 1960 bis 1962 realisiert werden konnte. 166 SLA Rehrl Briefe 1937/1726. 167 Die Kosten der notwendigen Umstellung der Straßenbahnanlagen in Wien wurden mit 20 Millionen Schilling veranschlagt.

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welcher sich bei uns aus der doppelten Fahrordnung, beziehungsweise dem Fahrtrichtungswechsel, in unserem Land ergibt. Die Bundesregierung hat für sich die Zuständigkeit zur Regelung dieser Angelegenheit in Anspruch genommen, weil es sich eben um eine Sache handelt, welche einer einheitlichen Regelung für das gesamte Bundesgebiet bedarf. Nun las man kürzlich in den Zeitungen eine offenbar authentische Veröffentlichung, nach welcher die Erwartung, dass das Bundesministerium für Handel und Verkehr womöglich heuer noch die Rechtsfahrordnung einführen wird, unbegründet ist. Diese Mitteilung, dass ein unmöglicher Zustand noch weiter fortgeschleppt werden soll, kann nicht ohne nachdrücklichen Protest zur Kenntnis genommen werden, da die Forderung nach einer einheitlichen, und zwar der Rechtsordnung, tatsächlich allergrößte Dringlichkeit zukommt. Ein weiteres Aufschieben der Lösung dieses Problems wäre unerträglich  ! Von 25 europäischen Staaten fahren 19 rechts, 5 links und nur ein einziger, nämlich Österreich, rechts und links. Auch die an Österreich grenzenden Linksfahrländer, Ungarn und die Tschechoslowakei, sind für das Rechtsfahren, aber sie lehnen Teillösungen ab. Dem Hinweis (…) auf die gegenwärtige Fahrordnung in Ungarn und der Tschechoslowakei muss (…) nachdrücklich die Tatsache entgegengehalten werden, dass für den Fremdenverkehr gerade die westlichen Alpenländer von ausschlaggebender Bedeutung sind und gerade diese Länder darunter schwerstens zu leiden haben, dass ihre Fahrordnung nicht derjenigen der westlich gelegenen Nachbarländer, welche das Hauptkontingent des Fremdenverkehrs beistellen, angeglichen ist. (…) Es ist (…) ganz und gar unmöglich, dass gerade das Land Salzburg, welches zweifellos den verhältnismäßig dichtesten Straßenverkehr aufzunehmen hat, ausersehen ist, unter den Nachteilen einer geteilten Fahrordnung und des Fahrtrichtungswechsels im Lande leiden zu müssen, welcher sich bereits wiederholt in übelster Weise ausgewirkt hat.«168 In der Debatte am 17. Dezember bemerkte der Abgeordnete Walter Haupolter,169 die Einführung einer einheitlichen Rechtsfahrordnung sei vor allem für das Land Salzburg von besonderer Wichtigkeit. »Bedenken wir, dass der Hauptzuzug von den westlichen Staaten kommt, besonders von Deutschland und Italien, die alle die Rechtsfahrordnung haben (…) Die meisten Unglücksfälle passieren immer wieder gerade wegen der verschiedenen Fahrordnung. Es ist aber auch zu bedenken, dass mancher Automobilist heute eine Scheu hat, nach Österreich zu fahren und besonders nach Salzburg, weil er sich nicht den verschiedenen Unannehmlichkeiten des Fahrtrichtungswechsels 168 SLTPR. 3. Tagungsabschnitt. 1. 12. 1936. S. 25. 169 Walter Haupolter (1891–1966), besuchte nach der Volksschule das Stiftsgymnasium Kremsmünster und studierte anschließend Rechtswissenschaften an den Universitäten Wien und Innsbruck. Nach Ableistung des Kriegsdienstes promovierte er 1918 zum Dr. jur. und war 1924 bis 1966 Rechtsanwalt in Salzburg, 1936 bis 1938 und 1946 bis 1957 Präsident der Salzburger Rechtsanwaltskammer, 1952 bis 1966 Präsident des SAMTC, 1934 bis 1938 als Vertreter der freien Berufe Abgeordneter des Ständischen Landtages. (Voithofer  : Politische Eliten in Salzburg. S. 79.)

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aussetzen will.« Haupolter initiierte einen Antrag des Salzburger Landtages, der die Landesregierung aufforderte, nachdrücklich die Einführung der Rechtsfahrordnung in Österreich zu betreiben, da der herrschende Zustand »zu einer schweren Beeinträchtigung unseres Fremdenverkehres nicht nur im Lande Salzburg, sondern im ganzen Bundesgebiet« führt.170 Fünf Tage später schrieb Rehrl einen Brief an Bundesminister Wilhelm Taucher, in dem er einleitend feststellte, dass »die als kurzfristiges Übergangsstadium gedachte Teilung des Staatsgebietes in eines mit Rechtsfahrordnung und ein anderes mit Linksfahrordnung (…) sich ohne schwerste Schädigung des Fremdenverkehres nicht mehr länger aufrechterhalten« lasse. »Am meisten unter dem bestehenden Zustand leidet das Land Salzburg (…) Es bedarf keines Nachweises, dass in Salzburg, das gegenüber den verschiedenen Einbruchstellen aus dem Deutschen Reich, dann gegenüber Kärnten und sogar im eigenen Landesgebiet einen Richtungswechsel aufweist, die unverzügliche Einführung der einheitlichen Rechtsfahrordnung umso mehr geboten ist, als Salzburg für den internationalen Straßenverkehr in Österreich besondere Bedeutung besitzt und noch höhere Bedeutung gewinnen wird, wenn sich die Öffnung der Grenze gegen Deutschland vom nächsten Jahr an praktisch auswirken wird. Als wichtigstes Einfallstor des internationalen Reiseverkehrs nach Österreich aus dem Westen ist Salzburg in der Lage gewesen, bezüglich der geteilten Fahrordnung reiche Erfahrungen zu sammeln  ; sie sind die denkbar schlechtesten. Nicht nur die Auslands-, sondern auch die Inlandsautomobilisten beklagen die in Österreich eingeführte, mit den einfachsten Forderungen eines modernen Fremdenverkehres unvereinbare Regelung des Straßenverkehres und es sind der Landeshauptmannschaft bereits Mitteilungen zugekommen, dass die Ausländer lieber verzichten werden, Österreich zu besuchen, als die Risken weiter zu übernehmen, die mit dem Richtungswechsel verbunden sind. Die Automobilisten, namentlich des Auslandes, empfinden es sehr misslich, wenn sie, statt sich der Gegend erfreuen zu können, sich immer vergewissern und geradezu vorsagen müssen, welche Straßenseite sie einzuhalten haben. Die Konkurrenz des Auslandes auf dem Gebiet des Fremdenverkehres wird von Jahr zu Jahr drückender. Das Ausland nutzt jeden Anlass, der sich ihm bietet, um den Verkehr an sich zu ziehen, geschickt aus und wir sind bereits informiert, dass die geteilte Fahrordnung in Österreich benutzt werden wird, um im Jahre 1937 zu versuchen, das Reispublikum vor einem Besuch Österreichs abzuhalten. Zur Wahrung wichtigster Interessen des Landes – aber auch des Bundes – muss ich die Forderung erheben, dass mit der provisorischen Verkehrsregelung im Lande und im Bundesstaat bereits im nächsten Jahr vor Beginn der Reisezeit Schluss gemacht und die einheitliche Rechtsfahrordnung eingeführt werde. Wenn die Verhältnisse 170 SLTPR. 3. Tagungsabschnitt. 17. Dezember 1936. S. 57.

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etwa in der Bundeshauptstadt Wien eine Sonderregelung für kurze Zeit erforderlich machen sollten, so möge diese Sonderregelung zu Gunsten Wiens getroffen werden, es darf aber nicht deshalb, weil in Wien die Rechtsfahrordnung jetzt nicht durchgeführt werden kann oder will, das übrige Bundesgebiet geschädigt werden.«171 Rehrls Interventionen bei der Bundesregierung waren vor allem aufgrund der budgetären Engpässe und des Widerstandes von Wien nicht von Erfolg gekrönt. Er sah sich daher, nachdem sich der Salzburger Landtag am 20. Dezember 1937 neuerlich mit dem Thema befasst hatte und unterstützt von der Salzburger Handelskammer, am 17. Jänner 1938 zu einer neuerlichen gleichlautenden Intervention bei Bundesminister Wilhelm Taucher, Bundeskanzler Kurt Schuschnigg, Vizekanzler Ludwig Hülgerth, Bundesminister Edmund Glaise-Horstenau und den Staatssekretären Michael Skubl und Guido Zernatto genötigt. Unter Berufung auf die neuerliche Behandlung des Themas im Salzburger Landtag forderte er »mit allem Nachdruck die rascheste Einführung der einheitlichen Rechtsfahrordnung im ganzen Bundesgebiet zu verwirklichen.« Die »Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zustandes« sei »eine schwere Benachteiligung des Landes und ein völliges Verkennen hochwichtiger gesamtstaatlicher Verkehrsinteressen.«172 Die Salzburger Handelskammer wies in ihrem Schreiben an das Bundesministerium für Handel und Verkehr darauf hin, dass die Situation durch den Entschluss der Tschechoslowakei , zur Rechtsfahrordnung überzugehen, eine neuerliche Verschärfung erfahren habe. »Damit wird der europäische Verkehrsanteil an der Linksfahrregelung so verschwindend klein, dass jeder Tag Verzögerung unabsehbare Schäden mit sich bringen muss.«173 Vor allem der Beschluss der Tschechoslowakei, zur Rechtsfahrordnung überzugehen, bewirkte auch bei der Bundesregierung den Entschluss, die vom Nationalrat bereits 1929 getroffenen Grundsatzentscheidung zur bundesweiten Rechtsfahrordnung zu realisieren. Bundeskanzler Schuschnigg gab bekannt, dass diese Maßnahme nunmehr entschieden in Angriff genommen werde. Die sich überstürzenden politischen Ereignisse bewirkten jedoch, dass die bundesweite Einführung der Rechtsfahrordnung erst durch das Dritte Reich im Laufe des Jahres 1938 erfolgte. Ein weiteres, mit dem motorisierten Fremdenverkehr verbundenes neuartiges Phänomen beschäftigte im Sommer 1937 die Salzburger Beherbergungsindustrie und die Medien  : das Auftauchen von Wohnwägen. So berichtete die »Salzburger Chronik« Mitte August, es sei »kaum zweckmäßig (…), absichtlich die Augen zu schließen und eine Gefahr – wenn wir sie so nennen wollen – zu übersehen, die dem Fremdenverkehr der nächsten Jahre drohen wird  :

171 Zahl 54/13-RD-1936 (22. Dezember 1936). 172 Zahl 28-RD-1938 (17. Jänner 1938). 173 Zahl 1066-II/M (18. Februar 1938).

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d e r Wo h n w a g e n a l s H o t e l e r s a t z . Wenn wir heute die Zeitungen lesen könnten, die nach einigen Jahren auf den Markt gebracht werden, würden wir lebhafte Klagen lesen, die besonders das Hotelgewerbe, aber auch andere Kreise über das unheimliche Überhandnehmen der Wohnwagen (hoffentlich bleibt uns nicht auch hier wieder der englische Fachausdruck hängen ›Camping Car‹) von sich geben werden. Es ist auch gar keine besonders große Kunst, diese Prophezeiung zu riskieren. Denn die Klage über das Überhandnehmen der Wohnwagen h a b e n s c h o n e i n g e s e t z t .« Man solle jedoch nicht in Hysterie verfallen, denn der Fremdenverkehr habe in den vergangenen Jahrzehnten gewaltige Wandlungen durchgemacht und werde vielleicht in den folgenden noch größere durchmachen. In der Vergangenheit seien u. a. Fuhrwerk und Kutsche sowie zahlreiche Gasthöfe entlang der Reiserouten Opfer dieses Wandels geworden und auch die Sommerfrische habe sich demokratisiert, indem immer breitere Bevölkerungskreise diese für sich in Anspruch nehmen und damit eine Strukturänderung des Tourismus bewirkten. »Nun taucht (…) der Wo h n w a g e n auf, das heißt ein Anhängerwagen, den das Auto des Reisenden mit sich führt und der als Wohn- und Schlafraum benützt werden kann. Irgendein kleines Idyll im Grünen, und wenn es auch nur ein öder Sandplatz ist, genügt, man hat, nahezu wie eine Schnecke, sein eigenes Wohnhaus mitgebracht, Motto ›klein aber mein‹, und spart sich die Kosten für Hotel und Nächtigung. Es ist nur eine Frage der Zeit, und der Wohnwagen wird mit einer kleinen elektrischen Küche versehen sein und der Reisende braucht dann auch zum Speisen nicht mehr ins Gasthaus zu gehen. Dass hier dem Gastgewerbe eine gewisse Gefahr droht, lässt sich nicht leugnen.« Man sollte ihr jedoch nicht mit der immer mehr von Interessenvertretungen auftauchenden Forderung nach einschränkenden Bestimmungen begegnen, womit man diese sicherlich wachsende Gruppe von Touristen nur vertreibe. Und man müsse zur Kenntnis nehmen, dass es sich um eine Entwicklung handle, die nicht aufzuhalten sei. »Man handle nicht, solange die Nerven aufgeregt sind. (…) Es werden sich Wege finden und Methoden sich herausbilden, dass auch der Besucher im Wohnwagen, weil er eben vielleicht als Massenware auftreten wird, einen beachtenswerten Faktor im Wirtschaftsleben bedeuten wird. Noch hat man Zeit, sich die Sache durch den Kopf gehen zu lassen, um dann, wenn das ›Unheil‹ kommt, schon beiläufig zu wissen, was zu tun sein wird. Dann wird man auch dem Wohnwagen ohne Angst und Schrecken entgegensehen können.«174 Mit Argusaugen und nicht ohne Misstrauen betrachtete man in Salzburg die Tätigkeit der Österreichischen Fremdenverkehrswerbung, der man eine gewisse WienLastigkeit unterstellte. Dieser Verdacht schien sich im Herbst 1937 zu bestätigen, als 174 Salzburger Chronik 17.8.1937. S. 3.

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durch Pressemeldungen bekannt wurde, dass US-amerikanische FremdenverkehrsUnternehmer bei ihrer Reise durch die europäischen Hauptreiseländer in Wien Station gemacht hatten, um sich in der Bundeshauptstadt über den österreichischen Fremdenverkehr zu informieren. Dies rief Hofrat Hans Hofmann-Montanus auf den Plan, der nach einer Rücksprache mit Landeshauptmann Franz Rehrl an den Leiter der Österreichischen Fremdenverkehrswerbung, Ferdinand Baron Erb, Anfang November 1937 sichtlich erbost schrieb  : »Es berührt uns einigermaßen sonderbar, dass man den amerikanischen Fremdenverkehrs-Fachleuten bloß Wien zeigt, wahrscheinlich in der Annahme, dass Wien den Amerikanern ein Gesamtbild des österreichischen Fremdenverkehrs vermitteln könne. Die Amerikaner werden in Wien den Wiener Fremdenverkehr sehen oder doch die für den Wiener Fremdenverkehr bestimmten Einrichtungen, sie werden aber von dem weitaus größeren Teile des österreichischen Fremdenverkehres, nämlich vom Fremdenverkehr der Alpenländer, nichts sehen. Ich habe über diesen Gegenstand auch mit Herrn Landeshauptmann Dr. Rehrl gesprochen, der durchaus meine Meinung teilt, dass neben Wien mindestens die Stadt Salzburg hätte besucht werden müssen. Wenn das amerikanische Publikum Österreich entdeckt hat, so hat es dies auf dem Wege über Salzburg getan, und die Salzburger Festspiele haben Amerikaner schon zu einer Zeit auf österreichischen Boden gezogen, da man in Amerika von dem übrigen Österreich nur recht unbestimmte Vorstellungen hatte.«175 Man sah sich vor allem als Festspielstadt, die mit Arturo Toscanini als künstlerischem Magneten seit 1935 ein immer breiter werdendes internationales Publikum anzog, zunehmend nicht mehr als Provinz, sondern als zweite Hauptstadt Österreichs. Und das Land besaß in Landeshauptmann Franz Rehrl einen Repräsentanten, der diese Position durchaus selbstbewusst zu vertreten verstand.

5.4 »Hier in Salzburg ist das Ewig-Schöne, … all das Erhabene, das die Völker zu versöhnen und zu einigen vermag.« – Die singuläre Bedeutung der Salzburger Festspiele als Kampfansage gegen den Nationalsozialismus Die Salzburger Festspiele gewannen aufgrund ihrer internationalen Reputation sowie ihres kulturpolitischen Charakters als ideologische Kampfansage an den Nationalsozialismus eine zunehmende Rolle in der österreichischen Diplomatie. War sich doch der Ballhausplatz seit der Jahreswende 1935/36 angesichts der immer deutlicher werdenden deutsch-italienischen Annäherung bewusst, dass er in seinem Ab175 SLA Rehrl Briefe 19374016.

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wehrkampf gegen die Aggression des Nationalsozialismus auf eine Unterstützung Roms immer weniger oder kaum mehr hoffen durfte. Zu deutlich waren die Signale Italiens in Richtung eines Kurswechsels. Die entstehende Achse Berlin-Rom, so ließ man den Ballhausplatz unmissverständlich wissen, erfordere auch einen innen- und außenpolitischen Ausgleich Österreichs mit Deutschland. Die zögerliche und zurückhaltende Haltung sowohl Großbritanniens wie auch Frankreichs auf die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht durch Hitler am 16. März 1935 und dessen Aufkündigung des Locarno-Vertrags des Jahres 1925 am 7. März 1936 sowie die Hinnahme der vertragswidrigen Besetzung des Rheinlandes wurden in Wien mit Besorgnis registriert und steigerten die Bereitschaft zu einem innen- und außenpolitischen Abkommen, wobei man sich durchaus der Gefahren und der Natur des Vertragspartners bewusst war. Das Ergebnis war das vom deutschen Sondergesandten Franz von Papen forcierte Juli-Abkommen 1936, das sich letztlich als Trojanisches Pferd des Nationalsozialismus erweisen sollte. Doch in den Augen der österreichischen politischen Akteure war Realpolitik angesagt und es galt Zeit zu gewinnen, wobei die Hoffnungen auf zwei außenpolitischen und innenpolitischen Zukunftsszenarien beruhten. Die Achse Berlin-Rom war nicht in Stein gemeißelt und es konnten vor allem im südosteuropäischen Raum sehr bald Spannungen entstehen, die zu einer Entfremdung der beiden Partner führten. Die zweite außenpolitische Hoffnung basierte auf einem Ende der passiven Politik Großbritanniens und Frankreichs gegenüber einem immer aggressiver auftretenden Deutschen Reich und der damit einhergehenden Bereitschaft von London und Paris, Österreich entsprechende Sicherheitsgarantien zu geben. Die innenpolitische Hoffnung kalkulierte im Falle eines beschränkten Ausgleichs mit den Nationalsozialisten mit einer Spaltung der Bewegung in einen gemäßigten, zur konstruktiven Mitarbeit bereiten, und einen radikalen Flügel und damit einer massiven Schwächung der österreichischen NSDAP. Und schließlich sollten die mit dem Juli-Abkommen verbundene und von der österreichischen Wirtschaft so vehement geforderte Normalisierung der Handelsbeziehungen und Aufhebung der Tausend-Mark-Sperre eine stärkere wirtschaftliche Erholung des Landes und damit auch einen deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit sowie der Attraktivität des Nationalsozialismus bewirken. Erst im historischen Rückblick wird deutlich, dass sich alle Kalkulationen bzw. Szenarien als Illusion erwiesen. Die aktuellen Akteure wussten jedoch nicht um das Nachher und der Großteil der innen- und außenpolitischen Reaktionen auf das Juliabkommen sahen in ihm nicht das Trojanische Pferd des Nationalsozialismus, sondern letztlich eine Stärkung der Position Österreichs. Tatsächlich trat, wenn auch nur für kurze Zeit, eine Entspannung in den bilateralen Beziehungen ein. Dass es sich dabei nicht um einen Dauerzustand handelte, dessen war man sich auf dem Ballhausplatz bewusst. Die diplomatischen Bemühungen zielten daher in verstärktem

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Maße auf eine Rückendeckung Großbritanniens und Frankreichs, wobei man gleichzeitig den schwierigen Spagat zu meistern versuchte, die besonderen Beziehungen zu den Staaten der Römischen Protokolle, vor allem zu Italien, aufrechtzuerhalten. Ein Mittel, die erhoffte britische und französische Rückendeckung zu erhalten, war die Beeinflussung der öffentlichen Meinung sowie die Gewinnung von Sympathien bei den politischen, publizistischen, kulturellen und ökonomischen Eliten, die in verstärktem Ausmaß vor allem ab 1935 die Salzburger Festspiele frequentierten. Der Salzburger Landeshauptmann Franz Rehrl nutzte diese Situation für seine ambitionierten Pläne geschickt. Am 1. August 1936 schrieb er an den Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten, Guido Schmidt, dass er am 16. August anlässlich der 100. Aufführung des »Jedermann« bei den Salzburger Festspielen in den Räumen der Residenz einen Empfang zu geben gedenke, welcher »als große repräsentative Veranstaltung der heurigen Festspiele gedacht« sei und an den großen Empfang des Vorjahres anlässlich des 15-jährigen Bestehens der Festspiele anknüpfen solle. »Einladungen werden überdies an alle prominenten Persönlichkeiten des In- und Auslandes ergehen, welche zu den Festspielen weilen.« Er »lege auch auf die Teilnahme des in Wien akkreditierten diplomatischen Korps großen Wert« und bitte daher um die entsprechenden Schritte des Außenministeriums.176 Rehrl war sich bewusst, dass er bei diesem Anliegen auf dem Ballhausplatz ein nur zu geneigtes offenes Ohr fand und schlug daher mit Hinweis auf die internationale Bedeutung der Festspiele einen finanziellen Beitrag des Bundes in der Höhe von S 6.000,– vor. Das Bundeskanzleramt stimmte dem zu und übernahm, als der Kostenrahmen aufgrund des erheblichen Zustroms der internationalen Prominenz um rund S 3.000,– überzogen wurde, auch diese Kosten. Der Empfang des Salzburger Landeshauptmanns am 16. August in der Salzburger Residenz erfüllte alle in ihn gesetzten Erwartungen. Neben Bundespräsident Wilhelm Miklas nahmen zahlreiche Mitglieder der Bundesregierung – Bundeskanzler Kurt Schuschnigg, Vizekanzler Eduard Baar-Baarenfels, der Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten Guido Schmidt, Minister ohne Portefeuille Edmund Glaise-Horstenau, die ehemaligen Bundeskanzler bzw. Minister Karl Buresch und Eduard Heinl, die gesamte Salzburger Landesregierung, Fürsterzbischof Sigismund Waitz, Weihbischof Johannes Filzer, Bischof Alois Hudal, Erzabt Petrus Klotz, zahlreiche Vertreter des diplomatischen Korps sowie Festspielkünstler teil. Das Land Salzburg hatte sich alle Mühe gegeben, die Schönheit der Stadt ins rechte Licht zu rücken. So berichtete das »Salzburger Volksblatt«  : »Den zahlreich Geladenen werden die Bilder dieser Nacht zeitlebens in lieber Erinnerung bleiben  : der Domplatz mit dem Brunnen, über den Licht und Wasser fließt, die hunderte mit Kerzen erhellten Fenster, die beleuchtete Festung, die Prunkräume im Kerzenschimmer, (…) 176 SLA Präs. Akt. 1936. 9/4268.

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der gesellschaftliche Glanz (es fehlte fast niemand, der Rang und Namen hat und in irgendeiner Beziehung zur Kunst oder zum Fremdenverkehr steht).«177 Die Internationalität und Elegance des Festspielsommers war bereits am Vortag anlässlich des im Klessheimer Schlosspark stattfindenden Concours d’Élégance deutlich geworden, der elegante Autos und deren Besitzerinnen von den USA bis Großbritannien und die Schweiz vereinte. Beim Festspielempfang am 16. August bemerkte ein sichtlich stolzer Salzburger Landeshauptmann in seiner Festrede einleitend, er begrüße die Festgäste, »welche zwanzig Nationen aus allen Erdteilen vertreten.« Salzburg habe seit dem Ende des Weltkrieges durch die Festspiele eine erhebliche Wandlung erlebt. 16 Jahre nach dem Katastrophen- und Hungersommer der Nachkriegszeit sei »Salzburg, die Festspielstadt, von der Freundschaft der kunstliebenden Nationen verklärt und das Salzburger Land, das Land der Glocknerstraße, der Gasteiner Kurorte und der Salzkammergutseen, (…) zum führenden internationalen Reiseland geworden.« Und es habe seine völkerverbindende Aufgabe wahrgenommen. In der Festspielstadt hätten sich »um die übervollen Quellen salzburgischer Kultur und Kunst (…) alle Nationen einander brüderlich genähert. (…) Hier in Salzburg ist das Ewig-Schöne, das KraftvollErhabene in der Erscheinung und im Wirken, all das Erhabene, das die Völker zu versöhnen und zu einigen vermag. Versöhnung der Menschen war auch der Leitstern des Salzburgers Wolfgang Amadeus Mozart, welcher er in seiner weltberühmten Kantate ›Brüder, reicht die Hand zum Bunde‹ in unvergleichlich ergreifender Weise musikalischen Ausdruck verliehen hat.« Bundespräsident Wilhelm Miklas dankte Rehrl für dessen kulturpolitische Initiative und betonte die überregionale Bedeutung des Empfanges. Rehrl habe damit nicht nur »eine gesellschaftlich-repräsentative Pflicht der unvergleichlichen Festspielstadt Salzburg« erfüllt, sondern »eine gesamtösterreichische Repräsentationspflicht,« die Österreich der »internationalen Kulturwelt schuldet, die alljährlich in den sommerlichen Festspielwochen Österreich besucht.«178 Die Ambivalenz der Bemühungen der österreichischen Außenpolitik wurde, wenn auch eher zufällig, in der Anwesenheit dreier prominenter Persönlichkeiten in Salzburg im August 1936 deutlich  : Der italienische Kronprinz Umberto von Piemont besuchte mit Gemahlin das Festspielhaus und die Felsenreitschule und die 100. »Jedermann«-Aufführung auf dem Domplatz am 15. August, während der englische König Edward VIII. in Begleitung seiner skandalumwitterten späteren Frau Wallis Simpson nur die Festspielstätten besuchte und nach einem kurzen Spaziergang durch die Altstadt Salzburg wieder verließ. Und auch der ungarische Reichsverweser Nikolaus von Horthy machte auf seiner Reise zu einem Jagdaufenthalt in Salzburg Station, um 177 Salzburger Volksblatt 17.8.1936. S. 7. 178 Salzburger Chronik 17.8.1936. S. 8.

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hier die von Toscanini geleiteten »Meistersinger von Nürnberg« zu besuchen, wobei er jedoch vorher noch Hitler auf dem Obersalzberg einen Besuch abstattete. Horthy gehörte auch 1937 neben dem ungarischen Ministerpräsidenten Koloman Daranyi, Sara D. Roosevelt, der Mutter des US-Präsidenten, dem Herzog und der Herzogin von Windsor, zahlreichen Dichtern, Schriftstellern, Filmproduzenten und internationalen Künstlern wie Carl Zuckmayer, Ödön von Horvath, Franz Theodor Csokor, Erich Maria Remarque, William Somerset Maugham, Thornton Wilder, Louis B. Mayer, dem ersten Produktionsleiter von Metro-Goldwyn-Mayer, Marlene Dietrich oder Fjodor Schaljapin zur internationalen Prominenz, die die einzigartige Stellung der Salzburger Festspiele – in deutlichem Gegensatz zur weitgehenden Isolierung Bayreuths durch die Politik des Nationalsozialismus – demonstrierte. Die Salzburger Festspiele mit ihrem musikalischen und kunstpolitischen Leitstern Arturo Toscanini wurden zum Treffpunkt der internationalen High Society, die vor allem von Toscanini dirigierten Opernaufführungen und Konzerte waren heiß begehrt und vielfach überbucht. Am 28. August 1937 schrieb Berta Zuckerkandl an ihren engen Freund, den jüdischen Rechtsanwalt und Finanzexperten sowie ehemaligen Finanzberater von Bundeskanzler Ignaz Seipel, Gottfried Kunwald, sie würde gerne die so heiß begehrten Freisitze oder Stehplätze im Festspielhaus für dessen Schwester Ella beschaffen. »Aber dieses Jahr gibt es für niemanden auch nur den billigsten Freisitz. Und selbst ich, die Mitbegründerin der Festspiele, bin gar nicht im Festspielhaus gewesen, weil man mir keine Karten gab. Im Vorjahr habe ich Peter179 doch Stehplätze durch Direktor Kerber verschafft. Heuer sind diese Plätze aufgehoben. Nichtsdestoweniger ist es Peter gelungen, mir durch seine heißen Bitten einen Brief an Kerber zu entreißen, in welchem ich ihn dringendst bat, Peter irgendwie hineinzubugsieren.«180 Im Festspielsommer 1937 konnte Rehrl – nicht ohne Stolz – darauf verweisen, nach zähen Verhandlungen die Realisierung eines seiner landespolitischen Leuchtturmprojekte durchgesetzt zu haben  : den Umbau des Festspielhauses. In seiner Ansprache zum 1. Mai 1937, die – naturgemäß – neben staatspolitischen vor allem wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen gewidmet war, galt eine ausgesehnte Passage auch den Salzburger Festspielen und dem bevorstehenden Umbau des Festspielhau179 Peter Stadlen (1910–1996) war Komponist. Pianist und Musikwissenschaftler. Als Pianist war er Solist der europäischen Uraufführung von Arnold Schönbergs Klavierkonzert op. 42 und 1937 der Uraufführung von Anton Weberns Variationen für Klavier op. 27 in Wien. Nach dem Anschluss emigrierte er nach Großbritannien und wurde 1946 britischer Staatsbürger. Nachdem ihn eine neurologische Erkrankung zur Aufgabe des Klavierspiels gezwungen hatte, wurde er 1959 Musikkritiker des Daily Telegraph. Als Musikwissenschaftler beschäftigte er sich vor allem kritisch mit den Metronomangaben zu Beethovens Werk. 180 Gertrude Enderle-Burcel (Hg.)  : Berta Zuckerkandl - Gottfried Kunwald. Briefwechsel 1928–1938. – Wien/Köln/Weimar 2018. S. 318.

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ses. Neben der wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Bedeutung der Festspiele und des bis zum kommenden Festspielsommer abgeschlossenen Bauvorhabens betonte er vor allem die zentrale Funktion der Festspiele in der internationalen kulturellen Positionierung Salzburgs. »Nicht allein für die Stadt Salzburg, sondern für das ganze Land von größter Bedeutung sind heute anerkanntermaßen die Salzburger Festspiele. Es mag ja nun wohl vielleicht da und dort Leute geben, denen es behagen würde, wenn das Volk in Elend und Trübsal versinkt, die daher eine ebenso gemeine wie geist- und gewissenlose Propaganda widerlichster Sorte betreiben, um jeden wirtschaftlichen Aufbau zu verhindern, um ihre dunklen Ziele aus der Verzweiflung der Menge heraus zu erreichen. (…) Jeder vernünftig und rechtlich Denkende ist sich heute klar darüber, dass die Festspiele mit dem Gedeihen unseres Fremdenverkehres und damit der Wirtschaft im ganzen Lande untrennbar verbunden sind. Der Aufschwung derselben in den letzten Jahren kann uns mit größter Zuversicht erfüllen. Wir haben nicht vergebens gearbeitet. Die zielbewusste Propaganda, welche betrieben wurde und sich vor allem auf Europa, Nord- und Südamerika, Ost- und Südafrika, Marokko, Ägypten, Japan, Britisch und Niederländisch Indien und Australien erstreckte und u. a. in der Versendung von Prospekten in allen Weltsprachen und von Fotos in die Metropolen der ganzen Welt sowie der Plakatierung auf den großen Eisenbahnlinien und auf den wichtigen Schifffahrtslinien deutscher, englischer und amerikanischer Nationalität erfolgte, trägt eben ihre Früchte. Wir können errechnen, dass die Besucher der Festspiele im Vorjahre weit mehr als ein Dutzend Millionen Schillinge hier im Lande gelassen haben, wobei die Verdienstmöglichkeiten, die die Festspiele der Geschäftswelt, den mitwirkenden Künstlern und dem sonstigen Personale unmittelbar bieten, noch gar nicht eingerechnet sind. Die Entwicklung hat gezeigt, dass das bisherige Festspielhaus, welches seinerzeit rasch und mit geringen Mitteln errichtet werden musste, den heutigen höchstgesteigerten Anforderungen nicht mehr genügte. Diese Überzeugung hatte sich besonders bei den führenden Künstlern durchgesetzt, sodass wir uns zu energischem Handeln entschließen mussten, wollten wir nicht den Verlust dieser Künstler von internationaler Bedeutung riskieren und dadurch die Festspiele selbst auf das Schwerste gefährden. Es ist mir gelungen, die hierfür erforderlichen Mittel, welche unter Zugrundelegung größter Sparsamkeit mit 3 Millionen Schilling ermittelt wurden, aufzubringen. Dieser Betrag dient also ebenfalls unmittelbar der Arbeitsbeschaffung, darüber hinaus aber noch der dauernden Befruchtung unseres Wirtschaftslebens und ist daher einwandfrei als produktive Investition zu bezeichnen.«181 Die internationale Positionierung Salzburgs als kulturelles Zentrum bildete einen Schwerpunkt seiner landespolitischen Bemühungen um eine Entprovinzialisierung 181 SLA Präs. Akten 1937/9/1549.

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der einstigen Fürsterzbistums, das seine Rolle als geistiges und kulturelles ­Zentrum mit der Eingliederung in die Habsburgermonarchie verloren hatte. 1937 schien die Erfüllung seines landespolitischen Ziels zum Greifen nahe. Landschaft, Wissenschaft und Kultur – auch als wirtschaftspolitische Faktoren – bildeten die drei Schwerpunkte seiner diesbezüglichen landespolitischen Bemühungen. Der Fremdenverkehr entwickelte sich, trotz des Rückschlags durch die Tausend-Mark-Sperre, dank internationaler Kompensation zufriedenstellend und mit der Eröffnung der Großglockner Hochalpenstraße verfügte das Land über eine Touristenattraktion erster Klasse, die sich zunehmender Beliebtheit erfreute. Die Bemühungen um die Wiederbegründung der Universität in Form einer Katholischen Universität schienen erfolgreich zu sein, die Weichen seitens der österreichischen Bischofskonferenz, des Benediktinerordens und des Vatikans in Richtung Realisierung gestellt. Ende Jänner 1936 dankte Erzbischof Sigismund Waitz Rehrl in einem Brief für dessen wohlwollende Unterstützung der Bemühungen und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass in der bevorstehenden Finalisierungsphase die »bekannte und allseits hochgeschätzte Energie« des Salzburger Landeshauptmanns »auch in der Universitätssache Großes für das Land Salzburg leisten kann.«182 Für die Festspiele hatte sich die Tausend-Mark-Sperre sowie die Berufung Arturo Toscaninis als Glücksfall erwiesen, setzte damit doch erst deren Internationalisierung und die damit verbundene gestiegene wirtschaftliche Bedeutung ein. Toscanini hatte jedoch, unterstützt von Bruno Walter, auf die Unzulänglichkeiten des Festspielhauses für Opernaufführungen hingewiesen und unmissverständlich sein weiteres Engagement in Salzburg von einer Lösung der problematischen Situation abhängig gemacht. Damit wiederholte sich eine Situation aus dem Jahr 1921, als Max Reinhardt seine weitere Mitwirkung bei den Festspielen von einer wetterfesten Spielstätte abhängig gemacht hatte. Zu diesem Zeitpunkt dominierte in den Plänen der Festspielhausgemeinde noch die Idealvorstellung eines Festspielhauses nach dem Vorbild Bayreuths auf der grünen Wiese in Hellbrunn, für das Hans Poelzig die Pläne schuf und dessen Grundsteinlegung am 19. August 1922 erfolgte. Bis zu dessen Fertigstellung benötigte man jedoch für die verschiedenen Theateraufführungen eine feste Spielstätte, weshalb der Landeskonservator Eduard Hütter 1924 mit dem Umbau der Felsenreitschule beauftragt wurde. Hütter schuf einen hohen, von einem gotischen Bogen dominierten Raum, der im Sommer 1925 mit Hofmannsthals »Großes Welttheater« eröffnet wurde. Bereits in der ersten Spielzeit erwiesen sich jedoch die Unzulänglichkeiten dieses Provisoriums, weshalb Landeshauptmann Rehrl Clemens Holzmeister 1926 mit einem Umbau beauftragte, der unter Einbeziehung des heutigen Karl Böhm-Saals ein erstes Festspielhaus schuf. Dieses verfügte über einen Zuschauerraum mit seitlichen hölzernen Galerien, geschmückt mit Gobelins und Skulpturen, das berühmte Faistauer-Foyer und die prägende stadt182 SLA Präs. Akten 1936/9/1156.

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seitige Fassade, die ein Bürgerhaus paraphrasierte, ließ jedoch in theatertechnischer Hinsicht viele Wünsche offen. Da die durch die Hyperinflation eingetretene Geldentwertung die Realisierung des Poelzig-Projekts in Hellbrunn unmöglich gemacht hatte, entwickelte sich in den Zwanziger- und Dreißigerjahren die Hofstallgasse allmählich zum Festspielbezirk. Die auch im Holzbauer-Projekt 1926 immer noch schmale und zu wenig tiefe Bühne, die mangelhafte Bühnentechnik und die ungenügende Ventilation im letztlich zu kleinen Zuschauerraum entsprachen nicht den künstlerischen Ansprüchen eines internationalen Festivals. Zudem sprachen auch Rentabilitätsgründe für ein größeres Festspielhaus, da vor allem die Aufführungen unter Toscanini regelmäßig überbucht waren. Ein größeres Festspielhaus mit einem größeren Fassungsvermögen erhöhte die Einnahmen und damit den von den Geldgebern stets – und oft kontroversiell – diskutierten Deckungsgrad der Festspiele. Rehrl betrieb den mit einer Fülle von Problemen gepflasterten Umbau des Festspielhauses mit großem Elan, da er, neben der internationalen Reputation Salzburgs, die ständig zunehmende Bedeutung der Festspiele für die Beschäftigungs- und Wirtschaftslage erkannt hatte. Das erste zu bewältigende Problem war Toscanini. Der italienische Maestro plädierte nämlich vehement für den Neubau eines Festspielhauses im Kurpark neben dem Mirabellgarten. Die Kosten eines solchen Vorhabens beliefen sich jedoch auf mindestens 6 Millionen Schilling, ein Betrag, der angesichts der Situation der Staatsund Landesfinanzen nicht aufzubringen war. Somit blieb nur die billigere Variante eines Umbaus, mit der sich jedoch Toscanini zunächst noch nicht anfreunden konnte. Bei dem äußerst temperamentvollen und sensiblen Charakter des Dirigenten bestand die Gefahr, dass er im Fall eines nicht erfolgenden Neubaus seine weitere Mitwirkung absagte und man damit das größte künstlerische Zugpferd zu verlieren drohte – mit allen wirtschaftlichen Folgen. Diplomatie war gefordert und die Fähigkeit, goldene Brücken zu bauen. Das Material für eine solche goldene Brücke lieferte Clemens Holzmeister, den Rehrl 1936 mit der Erstellung eines Entwurfes für einen Umbau des Festspielhauses in der Hofstallgasse beauftragt hatte. In einem Vortrag am 13. Jänner 1937 im Rahmen des VF-Werkes »Neues Leben« im Salzburger Gewerbeförderungsinstitut erklärte er in deutlicher Ablehnung eines Neubaus im Kurhauspark oder in Hellbrunn, das bestehende Festspielhaus habe den Vorteil des Platzes und der Geschichte, der vor allem auf fremde Besucher wirke. Es sollte daher nicht an diesem besonderen Platz gerüttelt werden. Bei einem den modernen Anforderungen genügenden Umbau sollte ein neuer Theaterturm errichtet werden, der den Namen »ToscaniniTurm« tragen könnte. Zusammen mit der Errichtung dieses Turms sollte das Bühnenhaus erweitert und durch eine Nebenbühne ergänzt werden.183 183 Salzburger Chronik 14.1.1937. S. 4.

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In Salzburg selber formulierte sich die Phalanx der Kritiker und Bedenkenträger gegen das Projekt Holzmeisters, die sich in einer am 18. Jänner 1937 vom Salzburger Verschönerungsverein einberufenen Sitzung sämtlicher Salzburger Institutionen zu Wort meldeten und damit das Projekt zum Stillstand oder gar zum Scheitern zu verurteilen schienen. Aus New York langte Ende Jänner 1937 im österreichischen Außenministerium die alarmierende Nachricht des österreichischen Generalkonsuls ein, dass Lotte Lehmann, eine der von Toscanini bevorzugten Sängerinnen und Unterstützerin des Projekts, erklärt habe, sie habe den Eindruck, dass gewisse Salzburger Stellen gar nicht an einem Neu- oder Umbau des Festspielhauses interessiert seien. Das ambitionierte Projekt drohte zu scheitern, weshalb Rehrl rasch handeln musste, wobei seine sprichwörtliche Kreativität und Durchsetzungsfähigkeit gefordert waren. Clemens Holzmeister hatte im Herbst 1936 bei einer Vorsprache bei Bundeskanzler Schuschnigg dessen prinzipielle Bereitschaft einer entsprechende Bundesbeteiligung bei der Finanzierung eines Festspielhausumbaus erfahren. Der Bundeskanzler hatte diese Bereitschaft vor allem unter zwei Gesichtspunkten gegeben  : Das Projekt ließ sich werbewirksam in das Arbeitsbeschaffungsprogramm der Bundesregierung integrieren und stärkte das internationale Ansehen nicht nur Salzburgs, sondern auch Österreichs als Abwehrfront gegen den Nationalsozialismus. Dies waren auch die Hauptmotive Rehrls für sein Engagement und er setzte nunmehr alles daran, vor allem den Widerstand in der Stadt Salzburg so rasch als möglich zu überwinden. Am 6. Februar 1937 veröffentlichte er einen Artikel, bei dem die Wortwahl und der fachkundige Inhalt auf die Unterstützung Holzmeisters hinwiesen, in dem er vehement für den Umbau des Festspielhauses eintrat und der als »Rehrl-Plan« bekannt wurde. Die Gedanken Holzmeisters aufgreifend, plädierte er für den Standort Hofstallgasse bei gleichzeitiger Berücksichtigung des Altstadtbildes. Allerdings müsse sein Geburtshaus, St. Peter Nr. 10, abgetragen und die Mönchsbergstiege um 90 Grade gedreht werden, um damit den für den Neubau der Bühne notwendigen Raum freizubekommen. Der zwischen dem Stift St. Peter und dem Festspielhausbau entstehende Platz sollte den Namen Toscaninis erhalten. Mit diesem Vorschlag durchschlug Rehrl den Gordischen Knoten. Die Salzburger Institutionen konnten sich mit dem Vorschlag anfreunden, Holzmeister begann die Detailplanungen und schuf mit dem Bühnenhausturm eines seiner großartigsten Werke, das Finanzministerium signalisierte die Bereitschaft zur entsprechenden Mitfinanzierung des von Rehrl erarbeiteten Finanzierungsplans,184 Arturo Toscanini 184 Je 750.000 Schilling wurden durch die Stadt, die auch Eigentümerin des Hauses wurde, sowie das Land Salzburg aufgebracht, die restlichen 1,5 Millionen Schilling durch Firmenfinanzierung auf die Dauer von fünf Jahren. Zu diesem Zweck gewährte das Unterrichtsministerium der Festspielhausgemeinde, unabhängig von den laufenden Betriebssubventionen, eine Subvention in der Höhe von 1,5

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rückte Ende März 1937 von seinem Beharren auf einen Neubau ab, gab seine Zustimmung zum Umbau und zeigte sich über die beabsichtigte Namensgebung des Hofes geehrt. Am 14. April stellte ein sichtlich zufriedener Rehrl das Projekt der Presse vor und betonte, dass die neue Bühne des Festspielhauses die Maße jener der Wiener Staatsoper erreichen werde. Der von Holzmeister 1926 geschaffene Saal werde erhalten, doch werde der Zuschauerraum mit einer Länge von 41 m etwas verkürzt, dafür jedoch eine zweite Galerie eingezogen, wodurch sich die Anzahl der Plätze zwischen 250 und 300 vermehre, wovon 200 erstklassige Plätze seien. Zusätzlich werde in der Höhe des ersten Ranges fünf Logen eingebaut.185 Der erste Bauabschnitt wurde bis zum Beginn des Festspielsommers 1937 abgeschlossen, der zweite begann im Herbst 1937 und sollte zu Beginn des Festspielsommers 1938 abgeschlossen sein. Die sich infolge des Berchtesgadener Abkommens überstürzenden Ereignisse verhinderten die Finalisierung des Projekts in seiner geplanten Form. Mit den von den neuen Machthabern angeordneten Umbauten des Festspielhauses durch den Reichsbühnenbildner Benno von Arndt, die Abnahme der Faistauer-Fresken, die durch Alberto Susat gerettet werden konnten und das Abschlagen des von Anton Kolig geschaffenen Mosaiks, das damit unwiederbringlich verloren ging, begann auch eine neue Ära der Salzburger Festspiele, die der Ungeist, gegen den sie fünf Jahre gestanden hatten, überwältigt zu haben schien. In dem von einem internationalen Publikum bisher nicht gekannten Ausmaß und einem von künstlerischen und ideologischen Kampfansagen gegen den totalitären Nationalsozialismus geprägten Festspielsommer 1937 weilte einer der Proponenten dieses Ungeistes, Franz von Papen, bewusst bei den Salzburger Festspielen. Seine Briefe an Hitler im Sommer 1934, in denen er seine Entscheidung mitteilte, seine Karriere in nationalsozialistischen Diensten auch nach dem 30. Juni im Kleinformat fortzusetzen, offenbarten einen »rücksichtslosen Karrierismus.«186 Das Anerbieten war nach dem missglückten Juliputsch der Nationalsozialisten in Österreich erhört worden. Als nunmehriger Sondergesandter hatte er im Sommer 1935 an Hitler in seinem Bericht über die Lage in Österreich geschrieben, dass nach der Ermordung von Bundeskanzler Dollfuß die Ablehnung reichsdeutscher Persönlichkeiten weit verbreitet gewesen sei. Er sei deshalb bei seinem Amtsantritt 1934 auf breites Misstrauen und Ablehnung gestoßen und setze nunmehr alles daran, durch großen persönlichen Einsatz dieses Stimmungsbild zu ändern.187 Papen war in der Folgezeit Millionen Schilling, aufgeteilt auf fünf Jahresraten zu je 300.000 Schilling. Zusätzlich gelang Rehrl mit dem Hinweis auf das Arbeitsbeschaffungsprogramm der Bundesregierung eine Subvention des Sozialministeriums in der Höhe von 200.000 Schilling. 185 Salzburger Chronik 15.4.1937. S. 4. 186 Andre Postert und Rainer Orth  : Franz von Papen an Adolf Hitler. Briefe im Sommer 1934.  – In  : Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 2/2015. S. 259–287. S. 271. 187 ADAP 1918–1945. Serie C 1933–1937. Bd. IV/1. Nr. 232. S. 489.

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unermüdlich in dieser Richtung tätig und versuchte durch seine zur Schau getragene Höflichkeit und seinen Katholizismus die nach wie vor bestehenden Vorbehalte gegen seine Persönlichkeit zu zerstreuen – mit teilweisem Erfolg. In einem weiteren Bericht an Hitler hatte er bemerkt, das von ihm initiierte Juliabkommen 1936 habe auch den Zweck, der geistigen Beeinflussung Österreichs durch das Deutsche Reich den Weg zu ebnen und das Entstehen einer eigenständigen kulturellen Identität zu verhindern. In den folgenden Verhandlungen über die Realisierung der einzelnen Vertragspunkte kam den kulturellen Fragen, vor allem dem Theater, eine zentrale Rolle zu. So standen im Mittelpunkt der 1937 geführten Verhandlungen die Salzburger Festspiele, denen aufgrund ihrer ideologischen und politischen Bedeutung seit 1933 besondere Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Seitens der österreichischen Verhandlungsdelegation wurde dabei der Aufhebung des Auftrittsverbots von an deutschen Bühnen fest engagierten Künstlern/innen bei den Salzburger Festspielen besondere Bedeutung verliehen. Deutscherseits wurde dieses Ansinnen jedoch mit dem Hinweis abgelehnt, dass es sich bei den Salzburger Festspielen um eine Manifestation einer besonderen österreichischen Kultur handle, bei der zudem das jüdische Element besonders hervortrete. Bei den Verhandlungen erklärte Papen, dass zur »Vermeidung unerwünschten Echos in der reichsdeutschen Publizistik und öffentlichen Meinung« im Falle des Auftretens deutscher Künstler bei den Festspielen garantiert werden müsse, dass diese nicht unter der Leitung des Juden Bruno Walter auftreten müssen. Dabei kam auch zur Sprache, dass antinationalsozialistische Künstler wie Arturo Toscanini sich weigerten, Aufführungen mit nationalsozialistisch gesinnten Künstlern zu leiten.188 Aufgrund der nicht vereinbarten Standpunkte konnte in diesem Punkt keine Einigung erzielt werden. Die österreichische Delegation erreichte lediglich die Einwilligung Berlins zum Auftreten von Hans Knappertsbusch und Wilhelm Furtwängler bei den Festspielen 1937. Im Sommer 1937 nutzte Franz von Papen in Verfolgung seiner Strategie des Wolfs im Schafspelz seine diplomatische Position aus, um eine Vorstellung des »Jedermann« zu besuchen und demonstrativ am Festspielempfang der Landesregierung für die Festspielkünstler sowie Vertreter des diplomatischen Korps in der Residenz teilzunehmen. Neben Papen nahmen die Gesandten Frankreichs, Großbritanniens, Italiens, Polens, der Niederlande, Brasiliens und des Malteserordens sowie die österreichischen Gesandten in London, Belgrad und dem Vatikan teil. Der Großteil der Festspielkünstler war erschienen, so u. a. Helene Thimig-Reinhardt, Bruno Walter und dessen Frau, Lotte Lehmann, Arturo Toscanini und seine beiden Töchter, Hans Knappertsbusch, Hilde Konetzni, Alexander Kipnis, Jarmila Novotna, Kerstin Thorberg, Marino Stabile an der Spitze des gesamten italienischen Ensembles von Verdis 188 Gabriele Volsansky  : Pakt auf Zeit. Das Deutsch-Österreichische Juli-Abkommen 1936. – Wien/Köln/ Graz 2001. S. 170.

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»Falstaff«, Ewald Basler, Paula Wessely  ; ebenso die Witwe Hugo von Hofmannsthals, Clemens Holzmeister und Bernhard Paumgartner sowie zahlreiche weitere Prominenz. Stolz berichtete die »Salzburger Chronik«  : »Ein Blick auf diese glänzende Namensliste , deren sich eine Großstadt ersten Ranges rühmen dürfte, genügt, um die große gesellschaftliche Bedeutung dieses Abends zu kennzeichnen.«189 Berta Zuckerkandl berichtet in ihren Erinnerungen von diesem glanzvollen Abend in der Salzburger Residenz  : »Allmählich nehmen ungefähr 50 Auserwählte ihre Plätze ein, unter ihnen Bruno Walters Frau. Der Sitz zu ihrer Rechten ist noch leer. Sie liest den auf dem Kuvert verzeichneten Namen. Ohne Aufsehen steht sie auf und bittet einen Gast, mit ihr zu tauschen. Sie lehnt den ihr zugewiesenen Ehrenplatz ab. Warum  ? Einstweilen bemühen sich Toscaninis Nachbarinnen, ihn bei guter Laune zu halten. Das von Helene Thimig angeschlagene Thema erweist sich als glücklich gewählt. Sowie sie von Verdi zu sprechen beginnt, verklärt sich Toscaninis Gesicht. Bewegt spricht er von dem Genie, das er anbetet. (…) Von meinem Auslug her bemerke ich, dass ein verspäteter Gast in Toscaninis Nähe Platz nimmt. Sein Kommen erregt Aufsehen. Der Herr trägt ein herausfordernd bescheidenes Wesen zur Schau. Man spürt die Treuherzigkeit des Fuchses, der sich dem Hühnerstall nähert. Die Stimmung wird eisig. Es ist Herr von Papen, dem die Regierung mit profunder Takt- und Charakterlosigkeit einen Ehrenplatz angewiesen hat. Deshalb hatte Bruno Walters Frau ihren Platz abgelehnt. Aus noch gröberer Unkenntnis der Situation hatte der Arrangeur Herrn von Papen nur um ein weniges entfernt von Toscanini platziert. Des Meisters Reaktion ist ein wundervolles, elementares Schauspiel. Sein Lächeln verschwindet, er stockt, bricht mitten im Satz ab. Vergebens suchen Helene und Lotte, ihn abzulenken. Lotte Lehmann schneidet gerade vorsorglich Schinken in kleine Stücke, wie er es liebt, und reicht ihm den Teller. Er aber schiebt ihn mit einer heftigen Bewegung von sich. ›Non mangio, non mangio‹ sagt er. Es ist, als künde ein fernes Donnergrollen ein Gewitter an. Die dramatische Spannung erreicht endlich ihren Höhepunkt. Toscanini springt auf. Wütend starrt er auf Herrn von Papen, dann schreit er, zu einem verblüfften Regierungsmitglied gewandt  : ›Mai piu  ! Mai piu  ! Mai piu  !‹ Und fort ist er.«190 In diesem sich immer stärker internationalisierenden Umfeld war Rehrl bemüht, die Stellung Salzburgs durch eine diplomatische Aufwertung in Form der Errichtung von (Honorar)Konsulaten zu betonen. Vor allem bemühte er sich in Anlehnung an den Konsultativ- und Wirtschaftspakt zwischen Italien, Österreich und Ungarn vom 189 Salzburger Chronik 17.8.1937. S. 2. 190 Bertha Zuckerkandl  : Österreich intim. Erinnerungen 1892–1942. – Frankfurt am Main/Berlin 1970. S. 208f.

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17. März bzw. 14. Mai 1934, den sog. Römischen Protokollen, um die Errichtung eines ungarischen Honorarkonsulats, nachdem Italien mit Oberstleutnant Floro Bernardo bereits über einen Konsul verfügte. Ende 1936 schienen seine Bemühungen von Erfolg gekrönt, als der ungarische Gesandte in Wien am 16. Dezember dem Salzburger Landeshauptmann mitteilte, das Außenministerium in Budapest habe seinen Antrag auf »die Aufstellung eines königlich-ungarischen Honorarkonsulates in Salzburg in Aussicht genommen. Man lege jedoch in Budapest »großen Wert darauf, dass die Auswahl des zu ernennenden Honorarkonsuls im beiderseitigen Einvernehmen erfolge.« In Anbetracht »der Wichtigkeit des zu errichtenden Amtes«, das »kein Scheindasein« führen dürfe, sei jedoch die Bedingung, »dass neben dem Honorarkonsul ein in allen Zweigen des Auswärtigen Dienstes bewandter Kanzleileiter bestellt wird«, für den nur ein pensionierter Beamter des ungarischen Außenministeriums infrage komme. Um diesem einen »standesgemäßen Lebensunterhalt« zu ermöglichen, müsste der Salzburger Honorarkonsul diesem einen monatlichen Zuschuss in der Höhe von 500 Schilling aus eigenen Mitteln gewähren und zudem »einen entsprechenden Amtsraum zur Verfügung (…) stellen.«191 Rehrl möge geeignete Kandidaten bekannt geben, aus denen man den zu ernennenden Honorarkonsul auswählen werde. Der Salzburger Landeshauptmann begab sich sogleich auf die Suche nach möglichen Kandidaten – jedoch vergeblich. Am 13. März 1937 musste er dem ungarischen Gesandten Ludwig Rudnay von Ruduo und Divékujfalu mitteilen, dass er nicht in der Lage sei, »eine entsprechende Persönlichkeit für diese Funktion namhaft zu machen.«192 Salzburgs Bürgertum verfügte offensichtlich nicht über die erforderlichen Mittel oder war nicht willens, für die Funktion eines Honorarkonsuls tief in die Tasche zu greifen. Die wirtschaftliche Lage des Landes war, trotz einer leichten Erholung seit dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise im Jahr 1933, keineswegs rosig, die Zahl der Arbeitslosen nach wie vor relativ hoch und auch der sommerliche internationale Glanz der Festspiele vermochte die nach wie vor dominierende Kultur des Mangels und der Armut nicht zu übertünchen. So beschwerte sich Bernhard Paumgartner im Sommer 1937 in einem Schreiben an Landeshauptmann Rehrl über den zur Festspielzeit »bereits wieder maßlos überhand nehmenden Straßenbettel (…), der besonders den Angehörigen der anglikanischen Sprachgebiete abstoßend auffällt und das Prestige unserer schönen, musterhaft aussehenden Stadt sehr herabsetzt. Auf meinem Weg ins Mozarteum von der Markus-Sittikus-Straße, also auf kaum 500 Schritten, wurde ich selbst vorgestern viermal, gestern dreimal angebettelt und auf dem Residenzplatz ist eine ganze, Hand in Hand arbeitende, Kinderbrigade tätig,

191 SLA Rehrl Briefe 1937/0130. 192 SLA Rehrl Briefe 1937/853.

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die auch auf dem Kapitelplatz und Alten Markt ihre Kräfte aufgestellt hat usw. Bei allen Autoparkplätzen treiben sich bettelnde Kinder herum.«193

5.5 »Die Verchristlichung der Gesellschaft erfordert einen christlichen Staat.« – Die Forderung nach einer Rekatholisierung des Landes Die Katholische Kirche spielte seit der Gründung der Christlichsozialen Partei am 7. Dezember 1918 aufgrund der dominanten Struktur des katholischen Vereinswesens im 19. und frühen 20. Jahrhundert im katholisch-christlichsozial-konservativen Sozialmilieu eine zentrale Rolle.194 Es waren die Delegierten der verschiedenen katholischen Vereine, die im Paulusstübl von St. Peter auf Initiative des Obmanns des Katholischen Bauernbundes, Johann Lackner, die Gründung der Partei als Zusammenschluss des christlichen Volkes gegen die aggressiv und kulturkämpferisch auftretende Sozialdemokratie beschlossen. Man wollte das Land, so die allgemeine Überzeugung, nicht der österreichischen Variante des Bolschewismus überlassen. Es gab jedoch nicht nur die Fragmentierungslinien gegenüber der in den Anfangsjahren der Republik stark wachsenden Sozialdemokratie, sondern auch gegenüber dem im Land, vor allem in den Städten und Märkten, stark vertretenen Freisinn, dessen Antiklerikalismus und Kulturkampfpositionen nicht nur ein Stadt-Land-Gefälle, sondern auch einen innerurbanen Frontverlauf von Milieus und deren jeweiligen Lebenswelten schuf. Quer zu den traditionellen sozialen und milieumäßigen Trennlinien kam es jedoch in Salzburg als einzigem Kronland der Habsburgermonarchie zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Bildung eines antiklerikalen Kartells, bestehend aus vornehmlich alldeutschen und sozialdemokratischen Antiklerikalen, an deren Spitze der Parteiobmann der Sozialdemokraten, Robert Preußler, stand. Die Katholische Kirche Salzburgs tendierte im Rahmen des »zunehmend päpstlich-zentrierten Katholizismus des 19. Jahrhunderts« zu einer Abschottung von der sich ausbildenden bürgerlichen Gesellschaft. Dem auf den Idealen der Französischen Revolution und dem durch kritische Wissenschaft bedingten säkularen Fortschrittsglauben setzte sie vor allem unter Papst Pius X. den platonischen Kosmos der unwandelbaren Wahrheit entgegen, als dessen Hüterin sie sich verstand und den sie in ihrem spezifischen Lehrgebäude als Damm gegen die Moderne (den Mo-

193 SLA Rehrl Briefe 1937/3249. 194 Vgl. dazu Rupert Klieber  : Politischer Katholizismus in der Provinz. Salzburgs Christlichsoziale in der Parteienlandschaft Alt-Österreichs. – Wien/Salzburg 1994. (Veröffentlichungen des Internationalen Forschungszentrums für Grundfragen der Wissenschaften Salzburg. Neue Folge Band 55.)

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dernismus, auch innerhalb der Katholischen Kirche195) zu objektivieren versuchte.196 »Begleitet wurde dieser Prozess von der Ausprägung subtiler Frömmigkeitsformen (Herz-Jesu- und Herz-Mariä-Kult, eucharistische Andachten, neue Formen der Marienverehrung etc.) und der tendenziellen Abkoppelung vom allgemeinen Kunstschaffen in Musik, Architektur und Bildender Kunst. Die zusehends als feindlich interpretierte Umwelt provozierte in vielen Katholiken wahre Verfolgungsängste, wie manche Charakterisierungen von ›Kirchen‹- bzw. gar ›Christusfeinden‹ (…) und die in Fantasiegeburten über freimaurerische oder jüdische Weltverschwörungen kulminierten.«197 Das katholische Milieu widerstand – zumindest auf dem Land – dem Wehen des Zeitgeistes. Hier verfügte der Klerus, der 1918 487 Welt- und 150 Ordenspriester, 107 Laienbrüder und 1.143 Schwestern umfasste, noch über die Deutungshoheit. Die Schulkinder küssten dem Priester die Hand und im Schulbetrieb war das postulierte religiöse Erzielungsziel noch fester Bestandteil des pädagogischen Wirkens. Hinzu trat die katholische Festtagskultur mit ihren zahlreichen Ausprägungen, die eine Heerschau des Milieus – inklusive deren politischer Prominenz – beinhaltete. Das in der Provinz dominante katholische Milieu war jedoch, beginnend in der liberalen Ära im 19. Jahrhundert, zunehmend Herausforderungen ausgesetzt. Dem Kulturkampf um die 1870 erfolgte Auflösung des 1855 geschlossenen Konkordats 195 Zum Modernismusstreit in der Katholischen Kirche vgl. Michael Davies  : Partisanen des Irrtums. Der hl. Papst Pius X. gegen die Modernisten. – Stuttgart 2004  ; Claus Arnold  : Kleine Geschichte des Modernismus. – Freiburg im Breisgau 2007  ; Peter Neuner  : Der Streit um den katholischen Modernismus. – Frankfurt am Main 2009. 196 »Eine Religion, die sich als ein unveränderlicher Komplex von Dogmen begreift, deren wörtliche Formulierung selbst unantastbar ist, kann mit der Wissenschaft, die von Natur aus in ständiger Entwicklung ist, nur in Konflikt geraten. Die Modernismuskrise, die unter Pius X. ihren Höhepunkt erreichte, ist also nur eine der Erscheinungsformen jener Konfrontation, die sich immer dann ergibt, wenn wissenschaftliche Fortschritte Denkgewohnheiten in Frage stellen, die als ewige Wahrheiten angesehen werden.« Die Vertreter der modernen Theologie wie Alfred Loisy, Joseph Schnitzer, Friedrich Freiherr von Hügel, Ernesto Buonaiuti u. a., die die Erkenntnisse der modernen Wissenschaft auf eine kritische Analyse der Schriften und das gesamte theologische Lehrgebäude anwenden wollten, wurden abgelehnt. »Das ›brave‹ Volk, das die Hörsäle nicht besucht, das sein alltägliches Kreuz zu tragen und folglich das Bedürfnis hat, sich an solide und beruhigende Wahrheiten zu klammern, sieht es nicht gern, wenn man ›seine Religion ändert‹. Es will festen Boden unter seinen Füßen, einen sicheren Himmel über sich, bevölkert von Heiligen, die einst glaubten, was es heute glaubt und wovon es wünscht, dass es seine Kinder morgen glauben sollen, um im Leben auf dem rechten Weg zu gehen. Kurzum, es will unangreifbare Gewissheiten. Jeder Landpfarrer weiß das  ; und Pius X., der nicht aufgehört hatte, Landpfarrer zu sein, brachte allem Neuen ein instinktives Misstrauen entgegen. Daher rief er die Kirche, die kaum ihre Schützengräben verlassen hatte, in ihre Unterstände zurück. Dem vertrauensvollen Fortschreiten zog er den ängstlichen Rückzug vor, der Öffnung die Isolation, Sicherheit zuerst  !« (Jean Mathieu-Rosay  : Die Päpste im 20. Jahrhundert. – Darmstadt 2005. S. 51f.) 197 Klieber  : Politischer Katholizismus in der Provinz. S. 14.

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sowie die Verabschiedung des Reichsvolksschulgesetzes 1869198 folgte zu Beginn der Ersten Republik mit der offensiv antiklerikalen Politik der Sozialdemokratie, die sich vor allem auf die Bereiche Schule, Ehe und Kultur inklusive einer einsetzenden Kirchenaustrittspropaganda199 konzentrierte, ein zweiter, der die Gräben zwischen den politischen Lagern vertiefte. Die Katholische Kirche, nunmehr des Schutzes des Kaiserhauses entbehrend, suchte – vor allem auch mit Blick auf die Russische Revolution und die Räterepubliken in München und Budapest, die sie mit dem Antichrist gleichsetzte200 – zunehmend Halt in der Christlichsozialen Partei. Der damit entstehende Politische Katholizismus umfasste die katholische Hierarchie und den Klerus, die breit gestreute katholische Vereinsstruktur und den überwiegenden Teil der Christlichsozialen Partei. Die Ideologie des Politischen Katholizismus basierte auf einem umfassenden politisch-kulturellen bolschewistischen Bedrohungsszenario, dem ein konträrer Missionsauftrag korrespondierte  : die Rettung des Glaubens, d. h. der Lehre der Kirche, und Österreichs vor dem Ansturm des zerstörerischen Bolschewismus.201 So warnte der spätere Salzburger Erzbischof Sigismund Waitz 1927 in einem Aufruf zur Nationalratswahl die Katholiken mit Anspielung auf die Sozialdemokratie davor, eine »religionsfeindliche Partei« zu wählen und der Linzer Bischof Johannes Gföllner erklärte 1930, die Sozialdemokratie versuche in Österreich »ganz nach russischem Muster (…) die Religion zu verdrängen.«202 Einen Monat nach den turbulenten Ereignissen im Nationalrat am 4. März 1933, die von der Regierung als »Selbstausschaltung« des Parlaments interpretiert wurden, erklärte Bundeskanzler Engelbert Dollfuß vor der Hauptversammlung der katholischen Männervereine Wiens im Sophiensaal, dass angesichts der geänderten innenpolitischen Situation es Aufgabe der Katholiken sei »alles daranzusetzen und jede Gelegenheit zu nützen, um aus unseren öffentlichen Leben den freimaurerischen Geist, der ihm in der Nachkriegszeit eingepflanzt wurde, wieder auszuschalten.«203 198 Peter Leisching  : Die Römisch-Katholische Kirche in Cisleithanien. – In  : Adam Wandruszka, Peter Urbanitsch (Hg.)  : Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Band IV. – Wien 1985. S. 1–247. S. 47ff. 199 Seit 1919 traten aufgrund der sozialdemokratischen antiklerikalen Propaganda zwischen 6.000 und 8.000 Personen jährlich aus der Kirche aus. 1923 aufgrund der Propaganda des sozialdemokratischen Abgeordneten Karl Leuthner sogar 22.000. Den absoluten Höhepunkt bildete das Jahr 1927, in dem aufgrund der massiv einsetzenden sozialdemokratischen Agitation gegen Ignaz Seipel als »Prälat ohne Milde« rund 29.000 Austritte verzeichnet wurden. 200 Ernst Hanisch  : Die »große Angst« der Katholischen Kirche und die Akkomodation an die Republik 1918–1920. – In  : Robert Kriechbaumer, Michaela Maier, Maria Mesner, Helmut Wohnout (Hg.)  : Die junge Republik. Österreich 1918/19. – Wien/Köln/Weimar 2018. S. 187–195. 201 Ernst Hanisch  : Die Ideologie des Politischen Katholizismus in Österreich 1918–1938. – Wien/Salzburg 1977. S. 2. 202 Zit. bei Erika Weinzierl  : Kirche und Politik. – In  : Dies.; Kurt Skalnik  : Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik. 2 Bde. – Graz Wien/Köln 1983. Bd. 1. S. 437–496. S. 459. 203 Reichspost 3.4.1933. S. 1.

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Wenige Tage später betonte der Kanzler vor einer Parteikonferenz der Wiener Christlichsozialen Partei unter dem lauten Jubel seiner Zuhörer, man werde nunmehr Schritt für Schritt vorgehen und »den Revolutionsschutt wegräumen.«204 Einen wesentlichen Bestandteil dieses »Revolutionsschutts« bildete die von der Sozialdemokratie vehement erhobene Forderung nach einer strikten Trennung von Kirche und Staat und unter dem Schlagwort »Religion ist Privatsache« zur Abdrängung der Religion in den Privatbereich. Dies rief die österreichischen Bischöfe auf den Plan, die in einem Hirtenbrief im Jänner 1919 besorgt bemerkten, die Realisierung dieses »Kriegsrufs« wäre ein tödlicher Schlag gegen die Religion.205 Der von der Sozialdemokratie offensiv geführte Kulturkampf veranlasste die Katholische Kirche zum politischen Engagement mit dem Ziel des Haltens der Bastionen gegen den austromarxistischen Antiklerikalismus. Die Ereignisse des 4. März 1933 und die immer deutlicher werdenden Absichten der Regierung Dollfuß in Richtung einer neuen Verfassung befreiten die Katholische Kirche aus ihrer bisherigen Defensivstellung und eröffneten ihr ungeahnte neue Möglichkeiten, auf die zukünftige politische Gestaltung des Landes im Sinne einer Rechristianisierung Einfluss zu gewinnen. Anfang April 1933 erklärte Kardinal Theodor Innitzer vor dem oben bereits erwähnten Generalappell der Katholischen Männervereine Wiens, der Bolschewismus – womit auch der Austromarxismus gemeint war – habe die Zerstörung von Religion und Kirche und damit der gesamten christlichen Kultur auf seine Fahnen geschrieben. Die Kirche begrüße es daher, dass »tatkräftige katholische Männer an der Spitze des Staates den Kampf gegen die Bolschewisierung (…) der menschlichen Gesellschaft (…) aufgenommen haben.«206 Der Politische Katholizismus schien am 5. Juni 1933 mit der Unterzeichnung des Konkordats einem zentralen Anliegen seines Missionsauftrags einen großen Schritt nähergekommen. Angesichts der durch die Trabrennplatz-Rede von Engelbert Dollfuß anlässlich des Allgemeinen Deutschen Katholikentages am 11. September immer deutlicher werdenden Entwicklung in Richtung einer grundlegenden verfassungsmäßigen Neuordnung nach den Grundsätzen der päpstlichen Enzyklika »Quadragesimo anno« entschloss sich die Bischofskonferenz am 30. November zum Rückzug aller Geistlichen aus allen politischen Funktionen innerhalb einer Frist von 14 Tagen.207 Ohne die Unterzeichnung des Konkordats, wenn auch noch ohne par204 Reichspost 9.4.1933. S. 4. 205 Zit. bei Maximilian Liebmann  : Kirche und Politik in der Ersten Republik von 1918 bis 1938.  – In  : Christliche Demokratie 1/1984. S. 20–41. S. 25. 206 Reichspost 3.4.1933. S. 2. 207 Betroffen von diesem Entschluss waren 5 Nationalrats- und 3 Bundesratsabgeordnete sowie ein Dutzend Landtagsabgeordnete. In Salzburg war von diesem Beschluss der Klubobmann der christlichsozialen Landtagsfraktion und Landeshauptmann-Stellvertreter, Dechant Michael Neureiter, betroffen. Landeshauptmann Franz Rehrl ersuchte Erzbischof Ignaz Rieder, für Neureiter einen Aufschub zu

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lamentarische Bestätigung, und ohne die deutlichen politischen Signale der Trabrennplatz-Rede wäre dieser Schritt, der zudem eine wesentliche Schwächung der Christlichsozialen Partei bedeutete, nicht erfolgt. Der vom Salzburger Erzbischof Sigismund Waitz, dem zweifellos politischsten unter den österreichischen Bischöfen, wesentlich mitgestaltete Weihnachtshirtenbrief der österreichischen Bischöfe vom 21. Dezember 1933 lieferte die Begründung für die drei Wochen zuvor verkündete Rückberufung der Priester aus der Politik. Die Regierung Dollfuß sei ein Garant für die Berücksichtigung der Interessen der Kirche. Dadurch entfielen die Gründe, »weshalb Geistliche Mandate oder sonstige politische Stellen annahmen.« Die Kirche behalte sich allerdings das Recht vor, nach einer Neugestaltung der staatlichen Ordnung »ihre Priester wieder zur Verfügung zu stellen, wenn und wie es ihr nach ihrem Urteil erscheint.«208 Und die Einleitung der ständestaatlichen Verfassung vom 1. Mai 1934 vorwegnehmend, erklärte der Weihnachtshirtenbrief, Verfassung und Regierung eines jeden Volkes stammten »in letzter Linie von Gott« und stünden »allseits unter Gottes Gesetz. Die Phrase von der falsch verstandenen Volkssouveränität ist nicht nur gedankenlos, sondern auch unchristlich, ja im tiefsten Grunde atheistisch, d. h. gottesleugnerisch (…) kein staatliches Recht entsteht und besteht ohne und gegen Gott.«209 Bereits am 29. September 1933 hatte der Episkopat in seinem Promemoria an den Hl. Stuhl seiner Überzeugung Ausdruck gegeben, dass die Regierung Dollfuß vollkommen legal und korrekt handle und »ihre ganz in christlichem Geiste gehaltene Reformarbeit nur von Herzen« begrüßt und gefördert werden müsse. »Eine Reihe von kirchen- und religionsfeindlichen Bestimmungen und Verordnungen wurde bereits aufgehoben, besonders auf dem Gebiete der Schule und hinsichtlich der Abfallspropaganda durch Freidenker und Sozialdemokraten  ; die staatsfeindliche Partei des Kommunismus und die illegalen Schutzformationen des sozialistischen sogenannten Schutzbundes wurden verboten  ; die politische Verhetzung der studierenden Jugend

erwirken, da er ihn für die bevorstehenden Budgetdebatten des Landtages dringend benötige. Erzbischof Rieder erwirkte einen Aufschub und Neureiter schied erst am 19. Jänner 1934 aus der Politik. Im Gegensatz dazu konnte der Priester Dr. Leonhard Steinwender in seiner Funktion als Chefredakteur der »Salzburger Chronik« bleiben und wurde zudem 1934 noch Werbeleiter der Vaterländischen Front und Herausgeber des Mitteilungsblattes »Die Front in Salzburg«. 208 Zit. bei Maximilian Liebmann  : »Heil Hitler – Pastoral bedingt«. Vom Politischen Katholizismus zum Pastoralkatholizismus. – Wien/Köln/Weimar 2009. S. 33. Nach der Verabschiedung der ständestaatlichen Verfassung am 1. Mai 1934 sah der Episkopat geänderte Voraussetzungen und entsandte 7 Priester von den der Römisch-Katholischen Kirche zustehenden 8 Vertretern in den Bundeskulturrat und in den Staatsrat den Abt-Koadjutor des Schottenstiftes Hermann Peichl. 209 Zit. bei Alfred Rinnerthaler  : Fürsterzbischof Sigismund Waitz, 1934–1941 – Ein Tiroler Patriot auf dem Salzburger Bischofsstuhl. – In  : Helmut Alexander (Hg.)  : Sigismund Waitz. Seelsorger, Theologe und Kirchenfürst. – Innsbruck/Wien 2010. S. 363–428. S. 370.

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wurde eingedämmt  ; wahrhaft soziale Fürsorgemaßnahmen wurden getroffen zur Behebung der Arbeitslosigkeit und Schaffung von Arbeitsgelegenheiten  ; aber namentlich begrüßenswert ist der offen bekundete Wille der Regierung, eine soziale Neuordnung des Staates auf berufsständische Grundlage im Sinne und Geiste des Rundschreibens ›Quadragesimo anno‹ zu schaffen und so die Intentionen des Apostolischen Stuhles in vorbildlicher Weise und erstmals zu verwirklichen. Auch die Heeresmacht wurde ganz im katholischen Geiste reorganisiert und durch Wiedereinführung des Kruzifixes in den Kasernen und Anbringung von Marienbildern an den Bändern militärischer Fahnen der christliche Charakter offenkundig betont.«210 Die Präambel der ständestaatlichen Verfassung vom 1. Mai 1934 – »Im Namen Gottes des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht, erhält das österreichische Volk für seinen christlichen, deutschen Bundesstaat diese Verfassung« – bestätigte diese Analyse. Diese neue Verfassung, so Austriacus in der Katholischen Kirchenzeitung Salzburgs, sei eine »wirkliche Errungenschaft« und lasse »alles Überlebte der Vergangenheit (…) überlebt und vergangen« sein. Bundeskanzler Dollfuß habe als »politischer Testamentsvollstrecker« Seipels, der sich noch ein Jahr vor seinem Tod der Enzyklika »Quadragesimo anno« als Grundlage für eine neue österreichische Verfassung gewidmet habe, dessen Initiative vollendet. Die neue Verfassung sei durch zwei Merkmale gekennzeichnet  : »durch ihre Übereinstimmung mit dem Konkordat« und »durch den verfassungsrechtlichen Einbau des neuen gesellschaftspolitischen Ordnungsprinzips der Berufsstände an Stelle der bisherigen demokratischen (richtiger  : pseudodemokratischen) Formen.« Sie sei »eine rettende Tat (…) und die einzig mögliche Radikalkur für ein hoffnungslos krankes Staats- und Gesellschaftssystem, wie jeder beherzte Patriot bekennen, glauben und hoffen wird, weil er sich sagt, dass p o l i t i s c h alle Möglichkeiten der spezifisch neuzeitlichen, im Grunde religionslosen und gottfremden, nur anscheinend volksfreundlichen und gemeinwohlfördernden, in Wahrheit unechten Demokratie heute ziemlich erschöpft sind und dass s o z i a l die Zeit für unfruchtbare, ohnehin nur künstlich zu züchtende, wilde Klassenkämpfe endgültig vorbei ist.«211 Die neue Verfassung durch ihren betont christlichen (katholischen) Charakter erforderte daher für Peter Adamer das Engagement des Klerus. »Wir Priester Österreichs sind dem Vaterland gegenüber gerade jetzt besonders streng verpflichtet. (…) Wenn einmal eine ruhige Geschichtsschreibung die jetzige grandiose Periode Österreichs behandelt, soll sie vermelden können  : Die Priesterschaft hat ihre Stunde erkannt und entscheidend am großen Werk mitgeschafft.«212 Das gleichzeitig mit der ständestaatlichen Verfassung rati210 Zit. bei Liebmann  : »Heil Hitler – Pastoral bedingt«. S. 40. 211 Austriacus  : Österreichs neue Verfassung. – In  : Katholische Kirchenzeitung vormals Salzburger Kirchenblatt 3.5.1934. S. 137. 212 Peter Adamer  : Priesterdienst am Vaterlande. – In  : Katholische Kirchenzeitung 7.6.1934. S. 178f.

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fizierte Konkordat bildete die zweite Säule des Politischen Katholizismus, denn mit ihm sei »Österreich (…) aus einem interkonfessionell verfassten und verwalteten oder konfessionslosen Staat ein c h r i s t l i c h e r Staat geworden. Die Fesseln und Bande des unglückseligen J o s e f i n i s m u s , der rund 150 Jahre lang das katholische Leben beengt und vielfach sehr verwässert hat, sind endlich in sehr fühlbarem Maße gesprengt worden.«213 Der Linzer Bischof Johann Gföllner erklärte vor der Generalversammlung des Katholischen Volksvereines in Linz am 10. November 1935, die Katholische Kirche leihe »dem Staate und der Regierung« die wertvolle Kraft und »Macht des Vertrauens«. Sie vertraue sowohl auf die »Vorsehung Gottes« wie auch auf dessen menschliches Werkzeug, (…) das ist unsere Regierung. Es vertraut auf sie der Papst. (…) Wenn darum der Papst und die Bischöfe der Regierung voll und ganz vertrauen, dann vertrauen auch der Klerus, der mehr als einen Grund hat, sich zu einer Regierung zu bekennen, die durch Verfassung und Konkordat die Rechte und Interessen der Kirche garantiert und in jeder Weise fördert.«214 Mit diesem neuen christlichen Staat war auch eine freudig begrüßte neue politische Festkultur verbunden. Die Erste Republik war eine Republik ohne kollektive Erinnerungsorte und parteiübergreifende allgemeine Festtage. Wenngleich die Proklamierung der Republik am 12. November als Staatsfeiertag am 25. April 1919 durch den Nationalrat konsensual erfolgte, so vermochte er nie der ihm zugedachten Rolle gerecht zu werden. Am 25. April 1919 erfolgte auch die Proklamierung des sozialdemokratischen Festtages des 1. Mai zum zweiten offiziellen Staatsfeiertag. Die Sozialdemokratie wurde in der Folgezeit nicht müde, trotz der damit verbundenen völlig unterschiedlichen Assoziationen in den Lagerkulturen der Republik, beide Tage durch Massenaufmärsche ihrer Anhänger für ihre politischen Anliegen zu instrumentalisieren. Die parteipolitische Vereinnahmung beider Festtage durch die Sozialdemokratie reduzierte und deformierte sie in den Augen der politischen Kontrahenten zu Festen einer politischen Teilkultur, die durch ihre Rhetorik und Rituale die Fragmentierung der Gesellschaft betonte und vertiefte.215 »Die Neuordnung unseres Vaterlandes wird uns auch eine Neuordnung der Staatsfeiertage bringen«, jubelte die Salzburger Katholische Kirchenzeitung. Der »neue Geist, oder besser gesagt, die Erneuerung des alten österreichischen Geistes« erfordere die diesen Wandel symbolisierenden Feste und die mit ihnen verbundene Fest213 Franz Simmerstätter  : Zum neuen Konkordatsrecht in Österreich. – In  : Katholische Kirchenzeitung 31.5.1934. S. 170f. S. 170. 214 Katholische Kirchenzeitung 21. 11. 1935. S. 373f. 215 Vgl. Robert Kriechbaumer  : Die großen Erzählungen der Politik. Politische Kultur und Parteien in Österreich von der Jahrhundertwende bis 1945. – Wien/Köln/Weimar 2001. S. 131ff. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Band 12.)

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kultur, in welchen das Gemeinschaftsgefühl sowie die Verbundenheit und Liebe zur Heimat deutlich werde. »Was wir seit dem Kriege in Österreich an Staatsfeiertagen kennenlernten, vermag wohl diesen Sinn des Feiertages ebenso wenig gerecht zu werden wie die tosenden Festestumulte, die wir in nächster Nachbarschaft unter der Bezeichnung Staatsfeiertage erblicken. Hier wir dort politische Trutzfeste, in denen im suggestiven Taumel von Trommeln und Trompeten, Fahnen und dröhnenden Phrasen eine Menge in den Machtrausch versetzt und andere bedroht werden sollen. (…) Die Feste, die Österreich nach dem Umsturze unter dem Titel Staatsfeiertage in den Kalender – niemals aber in die Herzen des Volkes – geschrieben hatte, gehören zu dem Revolutionsschutt, den die Regierung nun in so dankenswerter und tatkräftiger Weise wegräumt.« Die neuen Staatsfeiertage werden nun einen »völlig anderen Charakter tragen und Staatsf e i e r tage werden, die im Herzen des ganzen Volkes als solche lebendig sind.« Dies vor allem aus zwei Gründen  : »Das Ruhen der Arbeit und untrennbar davon – das feierliche Glockengeläute – der Kirche. Und daran hat es bisher gefehlt. Am Morgen des 1. Mai und des 12. November haben uns Blechkapellen geweckt  ; wohl ruhte die Arbeit, aber die Kirche rief uns nicht und sie hatte und konnte uns zu diesen Tagen nichts sagen und auch bei denen, die da mittun wollten und zu feiern glaubten, waren es keine Feiertage, denn Dank, Freude, Hoffnung – das große Gemeinschaftserlebnis der Liebe war an diesen Tagen nicht zu finden. Das neue Österreich wird seine Staatsfeiertage anders feiern, im neuen christlichen Staat der Liebe wird man verstehen, dass nur d e r Festtag ein Feiertag sein kann, den das festliche Geläute der Kirchenglocken am Morgen begrüßt, wenn die Sammlung und Besinnung der Feier in der Kirche ihren Anfang nimmt und ›Dank, Freude, Hoffnung‹ erst vor dem Throne des Höchsten im hl. Messopfer ihren Ausdruck gefunden haben.«216 Die Errichtung des Ständestaates wurde vom Salzburger Erzbischof Sigismund Waitz vor dem Hintergrund eines die Gegenwart prägenden weltweiten Kampfes zwischen Christentum und dem Antichrist interpretiert. Zu Jahresbeginn 1936 nahm der Erzbischof die Gefangennahme von Papst Pius VI. auf Anordnung des Französischen Direktoriums und dessen Deportation nach Frankreich, wo er wenig später in Valence verstarb, zum Anlass, darauf hinzuweisen, dass damals »die Stimmung der katholischen Bevölkerung über die Behandlung des Papstes einen vielsagenden Ausdruck« gefunden habe. »Man hieß den Papst (…) den ›Gefangenen des Antichrist‹.« Auch im Jahr 1936 führe der Antichrist seinen Kampf gegen die Kirche Christi. Sie sei in Russland, Mexiko und Deutschland bedroht. »Wo Gottlosigkeit sich ausbreitet, ist der Antichrist am Werk. (…) Unzweifelhaft wird das Jahr 1936 ein Jahr der Entscheidung zwischen Christus und seiner Kirche und dem Treiben der feindlichen Mächte der Hölle sein«, aus dem jedoch die Kirche Christi als Sieger hervorgehen 216 Katholische Kirchenzeitung 19.4.1934. S. 121.

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werde.217 Ein Jahr später betonte er unter Bezugnahme auf die Weihnachtsbotschaft von Papst Pius XI., in der dieser die katholische Welt an ihre Aufgabe erinnert hatte, diese liege in der »Ve r c h r i s t l i c h u n g d e r g a n z e n We l t «, um das drohende Unheil von Weltrevolution und Weltkrieg abzuwenden. »Derzeit stehen zwei Weltmächte einander gegenüber  : Die Macht der katholischen Kirche und die Macht des Unglaubens, der Gottlosigkeit. Der Gegensatz ist so scharf, wie er kaum je gewesen ist. Selten einmal war das Wort des göttlichen Heilandes über den Gegensatz so klar verständlich wie jetzt  : ›Wer nicht mit mir ist (…) ist wider mich. Wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.‹ (Matth. 12,30.) Wer derzeit nicht für Christus offen hervortritt, den betrachtet der göttliche Heiland als seinen Gegner, als einen Anhänger seines Widersachers, des bösen Feindes. Wer nicht mitarbeitet an der Verchristlichung der Gesellschaft, stärkt die Macht des Feindes.« In diesem Kampf stehen einander der gottlose und der christliche Staat gegenüber. »Ich brauche den gottlosen Staat nicht näher zu bezeichnen. Wir sehen ihn hervortreten in seinem Unheil und seiner Grausamkeit, in seiner Verderblichkeit, in seiner Herzlosigkeit und in seinem furchtbaren Verderben. Wo er herrscht, ist es wie ein Wetterleuchten aus der Hölle. Das zeigt uns Russland, das zeigt Mexiko, das zeigt Spanien. (…) Dem steht nun die Aufgabe gegenüber, den christlichen Staat zu errichten. Und was ist der christliche Staat  ? D e r Staat ist als christlicher Staat zu bezeichnen, d e s s e n R e g i e r u n g s i c h o f f e n z u C h r i s t u s b e k e n n t . D e r Staat ist christlich, dessen Regierung in der Staatsverfassung erklärt, dass alle Gewalt, dass alles Recht, dass alle Gerechtigkeit von Gott ausgehe, dass es überhaupt keine Gewalt auf Erden geben könne, auch keine Regierungsgewalt, die nicht von Gott ausginge. D e r Staat ist ein christlicher Staat, dessen Regierung sich als Dienerin der göttlichen Majestät erachtet, wie der hl. Paulus es bezeichnet und sich vor Gottes Majestät verantwortlich weiß. Eine solche Regierung wird, so kann man sagen, von den Strahlen göttlicher Majestät umleuchtet. In einem solchen Staate fühlen sich die Staatsbürger selbst auch im Gewissen verpflichtet, staatliche Gesetze zu beobachten. D e r Staat kann als christlicher Staat bezeichnet werden, der ferner seine ganze s t a a t l i c h e G e s e t z g e b u n g mit dem ewigen göttlichen Gesetze, wie es in den 10 Geboten verkündet wird, in Einklang bringt. (…) D e r Staat ist als ein christlicher Staat zu bezeichnen, der weiterhin die ganze S c h u l g e s e t z g e b u n g nach christlichen Grundsätzen regelt. (…) Die Verchristlichung der Gesellschaft erfordert einen christlichen Staat und erfordert eine christliche Familie, erfordert aber auch, dass die einzelnen Menschen christliche Menschen seien.«218 217 Sigismund Waitz  : Der Gefangene des Antichrist. – In  : Katholische Kirchenzeitung 2.1.1936. S. 1f. 218 Sigismund Waitz  : Zeitübel und Zeitgebote. – In  : Katholische Kirchenzeitung 7.1.1937. S. 9–12. S. 9 und S. 11.

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In der Errichtung des Ständestaates sah man die Chance, durch einen umfassenden Pastoralkatholizismus eine Rekatholisierung der Menschen und damit des Landes zu erreichen, hatte doch nach der neuen Verfassung der Staat die Aufgabe, über das religiös-sittliche Leben zu wachen (Artikel 26 b, Artikel 31, Absatz 6). Beamte und Lehrer hatten bei kirchlichen Feiern mit vaterländischem Charakter anwesend zu sein, Lehrer kirchliche Übungen der Kinder zu überwachen. Die Trennung von Kirche und Staat wurde nicht vollzogen, im Gegenteil, Staat, Bürokratie und Exekutive sollten als Transmissionsriemen der intendierten Rekatholisierung dienen. Dabei kam der Schule, vor allem dem Pflichtschulwesen, um dessen Gestaltung seit Beginn der Ersten Republik ein erbitterter ideologisch-politischer Kampf tobte, zentrale Bedeutung zu. 1921 hatte Otto Glöckl das österreichische Pflichtschulwesen »in der Gewalt der schwärzesten Klerikalen« gesehen219 und für die »Arbeiter Zeitung« begann der Kampf um die Generation der Vollendung mit der Zurückdrängung und völligen Ausmerzung des klerikalen Einflusses, an dessen Stelle eine sozialistische Erziehungsarbeit treten müsse.220 Kardinal Gustav Piffl erklärte in Reaktion in dem anbrechenden neuerlichen Kulturkampf vor dem Katholikentag 1919, die Sozialdemokratie als Agentin der Entchristianisierung des kulturellen und öffentlichen Lebens ziele auf die völlige Vertreibung »des göttlichen Kinderfreundes aus der Schule.«221 Mit dem Konkordat und der ständestaatlichen Verfassung vom 1. Mai 1934 schien dieser Kampf im Sinne des Aufrufs von Ignaz Seipel auf dem 4. Katholikentag 1927 – »Christus vincit, Christus regnat, Christus imperator  !« – entschieden zu sein. Für die Salzburger »Katholische Kirchenzeitung« lag in diesem Sieg und dem damit verbundenen pädagogischen Anspruch ein unverzichtbarer und daher zentraler Bereich der pastoralen Aufgabe der Kirche. »Wir die Kirche die Gründerin der Schulen und Vorkämpferin der Volksbildung ist, so kämpft sie auch unablässig für den richtigen christlichen Geist in den Schulen. Sie erstrebte als Ideal die Bekenntnisschule, fordert unnachgiebig den katholischen Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen«, da die Religion »die Grundlage und Krönung des ganzen Unterrichtswerkes« ist. »Wenn die Kirche Einfluss nimmt auf die Schule, so ist das nicht ungehörige Einmischung, noch weniger ›Politik‹, sondern einfach eine Forderung ihrer gottgegebenen Sendung, die Wahrheit zu verkünden und die Menschen die Wege zum wahren Glück zu lehren.«222 Auch die geplante Errichtung einer Katholischen Universität in Salzburg sollte diesem Ziel dienen. Fürsterzbischof Ignaz Rieder erklärte in einem Hirtenbrief Ende 219 Arbeiter Zeitung (AZ) 5.4.1921. S. 5. 220 AZ 7. 12. 1922. S. 5. 221 Zit. bei Herbert Dachs  : Schule und Politik. Die politische Erziehung in den österreichischen Schulen 1918 bis 1938. – Wien/München 1981. S. 41. 222 Katholische Kirchenzeitung 3.1.1935. S. 5.

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September 1934  : »Wollen wir ein wahrhaft katholisches Österreich, dann muss eine ›Pflegestätte katholischer Wahrheiten‹ geschaffen werden, wie der Papst die Katholische Universität nennt. Der Bolschewismus in Russland hat als seine Hauptzentralen wie Satansburgen eine Reihe von Gottlosen-Universitäten errichtet, die Hochschule mit dem ragenden Christuskreuz ist starke Wehr und siegreicher Angriff zugleich gegen das moderne Heidentum. Blicken wir dann hin auf die Gebildeten in den verschiedenen Ständen und Berufen. Wahrlich, nicht als harter Ankläger und Richter, sondern als liebender Vater mit wehem Herzen muss ich es sagen  : verhältnismäßig sehr wenige derjenigen, die höhere Studien genossen haben, sind tief gläubig, durch und durch katholisch. Und auch das kommt meist von dem Gift, das diese Bedauernswerten in jungen Jahren auf den hohen Schulen eingesogen haben. Wie ganz anders muss doch die Entwicklung des Geistes und Charakters jener sich gestalten, die hohe Wissenschaft in sich aufnehmen können ohne Beimischung weltanschaulicher Irrtümer, die neben der Bereicherung des Wissens auch der Seelenpflege sich widmen. Katholisches Volk, du tust ein überaus großes Werk der Seelsorge, wenn du im Bunde mit den Bischöfen und Priestern eine Pflegestätte der katholischen Wahrheit und des katholischen Lebens errichten hilfst  !«223 1937 erklärten die österreichischen Erzbischöfe und Bischöfe in einem Aufruf zur Unterstützung der Realisierung der Katholischen Universität Salzburg, diese werde »kein engherziges katholisches Ghetto« errichten und auch nicht »gegen irgendjemand oder gegen irgendetwas sein«, sondern »nur gegen einen Geist und sein dämonisches Werk (…)  : gegen alle Gottlosigkeit und Gottwidrigkeit, gegen jede Art von Gottesleugnung, Gotteshass, gegen allen Dämonismus und Satanismus, woher immer er aufsteigen und seinen vernichtenden Kampfruf erschallen lassen mag. (…) So wird die Katholische Universität aus ihrer innersten Zielsetzung heraus nicht gegen, sondern für ein wahrhaft christliches Österreich, für eine wahrhafte Erneuerung des deutschen Volkes aus seinem innersten Wesenskern, für einen Neuaufbau des Abendlandes aus seinen wesenhaften Grundlagen wirken und fruchtbar werden.« So sehr das Volk das tägliche Brot benötige, so sehr benötige es auch das Wort Gottes. »Ein starkes und sieghaftes Organ dieses in die Zeit gesprochenen Wortes Gottes ist die Katholische Universität. Ihre Gründung ist so in Wahrheit ein gottgewolltes Werk. Gott will es  ! War der Ruf, der einst abertausend heldenhafte Christen aus unseren Gauen aufbrechen ließ zu opferreichem Kreuzzug, um die Befreiung und Wiedereroberung des Heiligen Landes. Gott will es  ! Sei der Ruf, mit dem wir Bischöfe alle katholischen Männer, Frauen, vor allem die katholische Jugend von Österreich aufrufen zu einem neuen Kreuzzuge des Volksopfers, in dem es wieder heiliges Land des Gottes-

223 Katholische Kirchenzeitung 27.9.1934. S. 305.

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glaubens und der Christusliebe zurückzugewinnen, zu erobern gilt im Herzen, in den Seelen unseres deutschen Volkes und seiner Jugend.«224 Die katholische Gegenreformation mit ihrer Vielzahl von Maßnahmen und Erscheinungsformen kontrastierte jedoch mit der Lebenswirklichkeit der agrarischen Gesellschaft und den Wirkungsfeldern der Säkularisierung, die auch das Dorf erreichten. Vor allem das von der Kirche und auch von Engelbert Dollfuß verwendete romantische Bild des »ganzen Hauses«, des gerechten Hausvaters, der das Brot am gemeinsamen Tisch segnete und gerecht an alle verteilte, blendete die Schattenseiten aus. Vor allem in den alpinen und voralpinen Landgemeinden standen rund 60 Prozent aller Fünfzehn- bis Vierzigjährigen in fremden Diensten, die bäuerliche Welt mit ihrer dominanten Gesindestruktur war eine Welt für sich, in der Lohnarbeit die Ausnahme und nicht die Regel war und enge paternalistische Bindungen an den Hofbesitzer dominierten. Oft lebenslange Ehelosigkeit, sehr hohes Heiratsalter, eine hohe Zahl von unehelichen Kindern, die als Ziehkinder in fremden Haushalten aufwuchsen, Mägde, die für ihre unehelich geborenen Kinder die gesellschaftliche Stigmatisierung fürchteten, Knechte, die sich als Väter nicht um ihre Kinder kümmerten und sich oftmals um die Zahlung von Alimenten drückten, bildeten die Rückseite des Bildes, die allzu gerne verschwiegen wurde. Der Pfarrer von Greutschach ob Griffen, Josef Fritzer, schrieb in einem Beitrag über die Situation in seiner Gemeinde zum Synodalbericht der Diözese Gurk in der Katholischen Kirchenzeitung, das Phänomen der Konkubinate sei kaum zu lösen. »Wenn man drei auflöst, entstehen in derselben Zeit fünf, begünstigt von den Zeitverhältnissen. Viele möchten heiraten und können nicht, weil sie einfach die Mittel nicht haben und manche könnten und hätten die Mittel, mögen aber nicht.«225 Diese spezifisch vorindustriell-agrarische Mikrokosmos war, beginnend in der zweiten Hälfte der Zwanzigerjahre, in den sich etablierenden alpinen Fremdenverkehrsgemeinden durch das Eindringen der Modernisierung einem soziokulturellen Wandel unterworfen. Der Fremdenverkehr wirke, wie ein Seelsorgebericht aus Hof feststellte, »puncto Sittlichkeit und Glauben überall, wenn auch verschleiert, negativ und destruktiv.« Vor allem »durch die Samstagabend-Veranstaltungen hat man Ausreden, die Sonntagsmesse zu schwänzen.«226 In einem Beitrag zur Katholischen Kirchenzeitung zum Wandel des bäuerlichen Milieus vor allem durch den Fremdenverkehr wurde auf die Gefahr der Auflösung der traditionellen Familie und Dorfgemeinschaft hingewiesen, wodurch das Heimatgefühl verloren zu gehen drohe. »Ein Feind des Heimatgefühls ist z. B. das Fahrrad, besonders das Damenrad. Wenn wir Volk haben wollen, dann brauchen wir Frauen aus dem Volk für das Volk. Der Frem224 Wir bauen die Katholische Universität Salzburg. 1. Flugblatt. SLA Rehrl Briefe 1937/0822. 225 Katholische Kirchenzeitung 6.2.1936. S. 43. 226 Zit. bei Hanisch  : Wirtschaftswachstum ohne Industrialisierung. S. 110.

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denverkehr als Überfall auf das Dorf kann in wenigen Jahren die ganze Dorfgemeinschaft auflösen.«227 Mitte März 1936 beklagte sich Kardinal Theodor Innitzer mit dem Hinweis auf die Beobachtung, dass während der Fastenzeit getanzt werde und in den Kinos und Theatern die »ausschweifende Kultur der Nachkriegszeit« vorherrsche, der christliche Ständestaat habe offensichtlich noch immer nicht sein Versprechen des Wachens über ein sittlich-religiöses Leben eingelöst.228 Auch der Salzburger Erzbischof Sigismund Waitz stellte zu Jahresende 1936 besorgt fest, »dass in der sittlich-religiösen Erneuerung seit der Neuordnung in Österreich kaum Fortschritte erzielt worden sind. Der Kirchenbesuch ist, wie erfahrene Seelsorger sagen, eher zurückgegangen, auch die sittlichen Verhältnisse des Ehe- und Familienlebens, diese untrüglichen Zeichen seelsorglichen Erfolges oder Misserfolges, sind nicht besser geworden. (…) Ein Fortschritt ist eigentlich nicht erzielt worden, obwohl die ungeheuren Hindernisse, die namentlich von Seiten des Marxismus aufgetürmt worden waren, wenigstens im Äußeren weggefallen sind.«229 Am 30. Mai 1936 wandte sich das Erzbischöfliche Ordinariat Salzburg an die Landeshauptmannschaft mit der Bitte, die Anregungen der Pfarrausschüsse des Dekanats Hallein der Landesregierung zu unterbreiten und entsprechende Maßnahmen anzuregen. Zum Schutz von Ehe und Familie wurde u. a. die »Aufhebung von Jugendkonkubinaten und die Überprüfung von Konkubinaten älterer Personen« gefordert.230 Unter der Überschrift »Schutz der Kinder vor Kinderverführung durch Kino und Badeunsitten« hieß es  : »Der Titel ›jugendfreier Film‹ gibt absolut keine Gewähr dafür, dass der Film für unsere alpenländische Jugend einwandfrei wäre. Wir verlangen von der Landesschulbehörde genaue, strenge Zensur. – In öffentlichen Bädern, Strandbädern etc. muss eine dem Ernste der Sittlichkeit entsprechende Badebekleidung verlangt werden. Im Badekostüm den anschließenden Gastgarten besuchen zu dürfen, muss unbedingt verboten werden.« Im Kapitel »Schule und Erziehung« wurde die Einführung eines »familien-wirtschaftlichen Brautexamens« gefordert. »das Wichtigste über Kinderpflege, Hausarbeit, sparsames Kochen soll 227 Katholische Kirchenzeitung 20.8.1936. S. 267. 228 Hanisch  : Die Ideologie des Politischen Katholizismus. S. 25. 229 Sigismund Waitz  : Zuständereform und Gesinnungsreform in Österreich. – In  : Katholische Kirchenzeitung 17. 12. 1936. S. 401f. S. 401. 230 Die Wirtschaftskrise ließ die Zahl der Konkubinate deutlich ansteigen, da im Fall einer Heirat einer der Partner die Arbeitslosenunterstützung verloren hätte. In der Arbeiterpfarre Lend bestanden allein 50 Konkubinate, in der Eisenbahnergemeinde Bischofshofen hatten von 20 Brautpaaren 16 bereits vor der Hochzeit zusammengelebt, die Zahl der unehelich geborenen Kinder stieg deutlich. Vgl. Ernst Hanisch  : Der Politische Katholizismus als ideologischer Träger des »Austrofaschismus«. – In  : Emmerich Tálos, Wolfgang Neugebauer (Hg.)  : »Austrofaschismus«. Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur 1934–1938. – Wien 1984. S. 53–73. S. 64.

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von jeder Braut gefordert werden können. Das Unberechtigte des unehelichen Verkehres würde dadurch dem Bewusstsein des Volkes nähergebracht werden.«231 Am 13. Dezember 1936 wandte sich das Erzbischöfliche Ordinariat Salzburg neuerlich an die Landeshauptmannschaft und übermittelte die Forderungen der »Pfarrgruppen der Katholischen Aktion, welche auf Wiederverchristlichung des öffentlichen Lebens hinarbeiten und dabei auf die Unterstützung der öffentlichen Behörden rechnen dürfen (…) 1. Es wird eine Anweisung an die Sicherheitsorgane (Gendarmerie) erbeten, dass dieselben die Verordnung des Landeshauptmannes vom 5.4.1923, LBGl. 41 aus 1923, betreffend den Schutz der heranwachsenden Jugend vor Verwahrlosung, besonders mit Rücksicht auf die Bestimmungen über Teilnahme an Tanzunterhaltungen ex offo handhaben, nicht erst, wenn mancherorts geklagt wurde, über Beschwerde von Teilnehmern den Ausschluss Jugendlicher durchführen. (…) 2. Dass Badeordnungen nur genehmigt werden, wenn sie den Aufenthalt der Badenden im Badekostüm außerhalb der Baderäume, auf umliegenden öffentlichen Wegen, in Restaurants und Kaffés verbieten, und dass die Sicherheitsorgane die Nichteinhaltung der Badeordnung auch wirklich abstellen. Dass Badekonzessionen nur an solche erteilt werden, welche in der Badeordnung auch wenigstens bestimmte Tageszeiten für das baden getrennter Geschlechter freihalten. 3. Dass gegen die Nacktkultur im Verordnungswege nach dem Beispiele Vorarlbergs vorgegangen werde und auch Fremde angehalten werden, sich den christlichen Sitten zu fügen. Dass die Regierung bei allen Bauten, die sie in Eigenregie durchführt, nackte und halbnackte Arbeiter nicht dulde, auch von den Baufirmen, an welche sie Arbeit vergibt (…) Besonders abgelegene Gemeinden beklagen es, dass die Nacktkultur von Arbeitern öffentlicher Bauten nun auch in ihre Täler getragen werde. (…) 5. Dass die Landeshauptmannschaft für das Landesgebiet die Abhaltung von Veranstaltung öffentlicher Lustbarkeiten und von Tanzunterhaltungen im Advent und Fastenzeit verbiete und keine Ausnahme gestatte. 6. Dass Gemeinden, die zur Wahrung katholischen Brauchtums für Samstage oder Vorabende keine Lizenz für Tanzunterhaltungen erteilen, nicht durch Stattgebung der oberen Behörden im Falle der Berufung gehindert werden, katholisches Brauchtum zu erhalten. Viele christliche Gemeinden sehen in der Wahrung katholischen Brauchtums die Erfüllung einer Kulturaufgabe, bei der sie nicht behindert werden wollen. 7. Wo die Gemeinde in Handhabung der Sittlichkeitspolizei ihre Anordnungen trifft, mögen dieselben nicht durch die Behörden deshalb außer Kraft gesetzt und annulliert werden, weil an anderen Orten das Sittlichkeitsgefühl schon sehr abhanden231 SLA Präs. Akten 1936/24e.

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gekommen ist. Das Sittlichkeitsempfinden ist auch nach Orten graduell verschieden und soll nicht das höhere Sittlichkeitsempfinden dem minderen durch Entscheidung der Behörden angeglichen werden. Das katholische Volk, eins mit seiner Regierung in der Absicht und dem Bestreben nach Wiederverchristlichung des öffentlichen Lebens wird eine wirksame Unterstützung in diesem Belangen zur Kenntnis nehmen.«232 Im April 1937 beinhaltete der Verhandlungskatalog einer Abordnung der Stadtgemeinde Hallein mit Bürgermeister Anton Stütz und Dechant Oberwallner an der Spitze mit der Landeshauptmannschaft auch die »Klage über das Überhandnehmen der Konkubinate, besonders bei Jugendlichen.«233 Auf welche Resonanz diese Interventionen bei Landeshauptmann Rehrl stießen, ist quellenmäßig nicht belegt. Wenngleich Rehrl sich zur katholischen Weltanschauung bekannte und seine Politik als Realisierung ihrer Prinzipien verstand – die Salzburger Landesregierung ernannte 1934 als einzige den Erzbischof zum beratenden Mitglied des Landtages –, so verstand er sich, trotz seiner tiefen Gläubigkeit, nicht als politisches Vollzugorgan der Kirche. Er kritisierte 1933 die deutschfreundliche Linie der »Schöneren Zukunft« ebenso wie er der Befürwortung einer christlichen Heimwehr durch Erzbischof Sigismund Waitz distanziert bis ablehnend gegenüberstand. Auch die enge Verbindung des 1934 zum Erzbischof von Salzburg gewählten Sigismund Waitz mit dem Ständestaat und dessen Ideologie stieß keineswegs auf die ungeteilte Zustimmung des Salzburger Landeshauptmanns. In Richtung des katholischen Ultramontanismus bemerkte er beim Hochschulwochenempfang 1932, der Katholizismus müsse für die Gläubigen eine praktische Orientierungshilfe bieten, »ein Stück praktischer Lebensbetätigung«. Er sei keineswegs lebensfeindlich und »wenn die Träger der katholischen Ideen auf die lebendig pochenden Herzen der Menschheit einwirken wollen, müssen sie die Menschheit in ihrer Lebensfülle zu erfassen trachten.«234 Im Mai 1937 regte das fürsterzbischöfliche Ordinariat in einem Schreiben an Rehrl unter Hinweis auf die verstärkte Zuwanderung von »Konkubinariern aus Deutschland« in die Salzburger Grenzgemeinden aufgrund des Verbots des Konkubinats in Deutschland an, dieser Entwicklung »durch eine Regelung auf Grund der den Ortsgemeinden zustehenden Sittlichkeitspolizei Abhilfe zu schaffen.« Der Landeshauptmann antwortete, dass in diesem Fall die »der Gemeinde zustehenden Machtmittel« beschränkt seien. »Das Verbot des Konkubinats ist übrigens eine Bundesangelegenheit« und man werde daher »die Anregung des Ordinariats, die unter 232 Ebda. 233 SLA Rehrl Briefe 1937/1014. 234 Zit. bei Hans Spatzenegger  : Franz Rehrl und die Kirche. – In  : Wolfgang Huber (Hg.)  : Franz Rehrl. Landeshauptmann von Salzburg 1922–1938. – Salzburg 1975. S. 43–76. S. 66.

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besonderer Berufung auf den verfassungsmäßig betonten christlichen Charakter Österreichs gegeben wird,« den Bundesstellen zur Kenntnis bringen.235 Die Erfolge der Rekatholisierungsbemühungen inklusive ihres antimodernen Miefs blieben bescheiden, die starke politische Stellung der Kirche schwächte ihr moralisch-intellektuelles Ansehen, der Antiklerikalismus als Kennzeichen der illegalen Sozialdemokratie verschwand keineswegs, sondern wurde auch zu einem Instrument des Nationalsozialismus, der sich seiner propagandistisch virtuos bediente.

235 SLA Rehrl Briefe 1937/5189.

Tafeln

1  : Zollamt Walserberg am 7. Juli 1937 mit Blick in Richtung Deutschland und Österreich. In Deutschland galt Rechtsverkehr, in Österreich zum Großteil noch Linksverkehr. Die Fahrzeuge mussten daher beim Passieren der Grenze einen Fahrbahnwechsel vornehmen.

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Tafeln

2  : In Salzburg galt zum Großteil noch Linksverkehr, während in Kärnten und Osttirol bereits 1935 die Rechtsfahrordnung eingeführt wurde, wodurch die Fahrzeuge auf dem Katschberg einen Fahrbahnwechsel vornehmen mussten. In Salzburg befand sich in Lend die Grenze zwischen Links- und Rechtsverkehr. Nicht alle Fahrzeuge schafften den Fahrbahnwechsel problemlos. So war der Wagen Arturo Toscaninis 1935 hier beim Fahrbahnwechsel in einen Unfall verwickelt.

Tafeln

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3  : Marlene Dietrich besucht mit ihrem Gatten Rudolf Sieber die Salzburger Festspiele im August 1937.

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Tafeln

4  : Der ungarische Reichsverwesen Admiral Miklós Horthy mit seiner Gattin und Prinzessin Maria José von Italien bei einer »Jedermann«-Aufführung im August 1937.

Tafeln

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5  : Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl begrüßt Franz von Papen vor einer »Jedermann«-Aufführung auf dem Domplatz im August 1937.

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Tafeln

6  : Karikatur. Franz von Papen, der »Herrenreiter« als Trojanisches Pferd des Nationalsozialismus.

Tafeln

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7  : Umbau des Festspielhauses 1937. Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl, Bürgermeister DI Richard Hildmann und Prof. Dr. Clemens Holzmeister mit Bauarbeitern.

8  : Blick auf die Baustelle des Festspielhauses 1937.

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Tafeln

9  : Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl und Bundeskanzler Dr. Kurt Schuschnigg vor dem Festspielhaus 1937.

Tafeln

10/11  : Zell am See 1936/37.

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12  : In Salzburg beliebte Propagandapostkarte der NSDAP vom Obersalzberg. Rechte Seite  : 13  : Beflaggung mit NS-Fahnen in der Linzergasse während der auch von der Ravag in Österreich übertragenen Rede Adolf Hitlers im Deutschen Reichstag am 20. Februar 1938.

Tafeln

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Tafeln

14/15  : »Nationaler Fackelzug« des Volkspolitischen Referats der Vaterländischen Front am 21. Februar 1938, der mit 13.000 bis 19.000 Teilnehmern zu einer Demonstration der illegalen Nationalsozialisten wird.

Tafeln

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16  : Abschlusskundgebung des »Nationalen Fackelzugs« am Residenzplatz mit einer Ansprache des Leiters des Volkspolitischen Referats, Dr. Albert Reitter, am 21. Februar 1938.

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Tafeln

Tafeln

17/18  : Plakate für die Volksabstimmung am 13. März 1938.

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Tafeln

19  : Die Machtergreifung von Innen. Demonstration der Nationalsozialisten am Residenzplatz, Abendstunden des 11. März 1938.

TEIL II DIE BER ICHTE

1. »… ist für mich Österreich erst dann wieder vollwertige Heimat, wenn der Nationalsozialismus regiert.« Stimmungen und Befindlichkeiten

Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien 23. Mai 1934 Geschäftszahl  : 145.057-GD/St.B. (Vorzahl  : 144.768-St.B./34  ; Nachzahlen  : 183.623-St.B./34.) Gegenstand  : Spionagevorwurf Margarethe Rosenkranz. Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 25. März 1934. Zl. 4264. Betreff  : Margarethe Rosenkranz und Genossen, § 67 St.G. An die Staatsanwaltschaft in Salzburg. Die Bundespolizeidirektion brachte im vertraulichen Wege in Erfahrung, dass die reichsdeutsche Angehörige Margarethe Rosenkranz (geb. Häufler, am 4.8.1902 in Hallein geb., deutsche Staatsbürgerin, r. k., verw., in Hallein-Burgfried Nr. 185 wohnhaft)1 sich für die NSDAP betätige und auffallenderweise oft nach Deutschland ausreise. Margarethe Rosenkranz wurde am 23. März 1934 einer Perlustrierung unterzogen und wurde unter ihren Effekten ein Schriftstück vorgefunden, welches die Dislozierungen und Stärke der im Halleiner Grenzgebiete stationierten Truppen und Heimwehr-Formationen aufwies. Bei ihrer Einvernahme gestand Rosenkranz sofort zu, dass sie von einem Reichsdeutschen in Reichenhall namens Kiener ersucht wurde, die Stellungen und Stärke der Grenzschutz-Formationen auszukundschaften und das Resultat ihm bekanntzugeben. Sie gab weiters an, dass sie sich in dieser Angelegenheit an den als Nationalsozialisten bekannten Fleischhauer und Gastwirt Rudolf Lackner (am 13.12.1899 in Maxglan bei Salzburg geb. und zust., ev., verh., in Hallein Nr. 281 wohnhaft) gewandt habe, welcher ihr tatsächlich das verlangte Material lieferte und auch das bei ihr vorgefundene Schriftstück verfasste. 1 Margarethe Rosenkranz wurde durch Heirat deutsche Staatsbürgerin.

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Die Berichte

Aufgrund dieser Aussagen wurde Rudolf Lackner verhaftet, welcher zugab, die Aufzeichnungen und Aufstellungen für Rosenkranz angefertigt zu haben, doch bestreitet er, irgendeine böse Absicht verfolgt zu haben, sondern will lediglich aus Sorglosigkeit und in Unkenntnis seiner Handlung dies getan haben. Aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes beehrt sich die Bundespolizeidirektion gegen Margarethe Rosenkranz die Strafanzeige im Sinne des § 67 St G., gegen Rudolf Lackner im Sinne der §§ 5, 67 St.G. zu erstatten und die Vorgenannten unter einem wegen Flucht- und Kollusionsgefahr dem Gefangenenhause des Landesgerichtes Salzburg einzuliefern. Während Margarethe Rosenkranz bis nun polizeilich und gerichtlich unbescholten erscheint, ist bezüglich Rudolf Lackner zu bemerken, dass dieser ein radikaler Nationalsozialist ist, der wegen Betätigung für die NSDAP zwei Mal polizeilich bis zu 3 Wochen Arrest vorbestraft ist. (…) Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 19. Oktober 1934. Zl. 52/2-res/34 Betr.: Rosenkranz Margarethe, Spionageaffäre. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit - St. B. in Wien. Zum Erlasse vom 11. September 1934, Zl. G.D. 240-077-St.B., beehrt sich die Bundespolizeidirektion zu berichten, dass Margarethe Rosenkranz unter Zl. 11 Vr. 589/34 wegen Verbrechens nach §§ 67 und 265a St.G. zu 8 Monaten schweren Kerker und Rudolf Lackner wegen §§ 67, 5 und 265a St.G. zu 7 Monaten schweren Kerker verurteilt wurden. Der Strafakt befindet sich laut Mitteilung des Landesgerichtes Salzburg seit 25.8.1934 beim Obersten Gerichtshof, da Lackner die Nichtigkeitsbeschwerde eingereicht hat.

Stimmungen und Befindlichkeiten

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 10. August 1936. Zl. 4699/1 Betr.: Margarethe Rosenkranz, Flüchtlingskorrespondenz. An das Bundeskanzleramt St. B. in Wien. Laut Bericht des Gendarmeriepostenkommandos Hallein vom 15.7.1936, Zl. 4187, wurde gelegentlich der Überprüfung der Auslandspost auch ein Brief der Margarethe Rosenkranz, derzeit wohnhaft in Söcking bei Starnberg in Deutschland, an ihre Mutter Anna Häufler in Hallein bzw. an ihren Schwager Johann Rathgeb vorgefunden. Beiliegend wird dem Bundeskanzleramt ein diesbezüglicher Briefauszug (…) zur Kenntnis vorgelegt (…) Söcking, 12.7.1936 Liebe Eltern  ! Gestern um 21 Uhr brachte Parteigenosse Dr. Goebbels die Nachricht, dass Deutschland und Österreich wieder am Versöhnungswege sind, wenn Österreich die Bedingungen, die unser Führer stellen wird, eingeht. Ich habe mich einerseits wie ein kleines Kind darüber gefreut, doch ist für mich Österreich erst dann wieder vollwertige Heimat, wenn der Nationalsozialismus regiert. Umsonst haben wir nicht gekämpft und werden niemals verzichten  ! Was sagt ihr dazu  ? Wie ist die allgemeine Stimmung  ? Das Telegramm, das Schuschnigg an den Führer gesendet hat, war fabelhaft.2 Unser Führer, mein vielgeliebter Adolf Hitler, weiß, was er will. Unter seinen Händen kann man berechtigt seinem Schicksal, der Wendung entgegengehen. Nun werden bald alle unsere Kameraden aus den Gefängnissen kommen, was wirklich zu begrüßen ist. 2 Bundeskanzler Kurt Schuschnigg richtete am 11. Juli 1936 an den deutschen Reichskanzler Adolf Hitler folgendes Telegramm  : »Der Abschluss des Übereinkommens, dessen Ziel es ist, die freundnachbarlichen Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten wiederherzustellen, bietet mir die willkommene Gelegenheit, Euer Exzellenz als Führer und Kanzler des Deutschen Reiches zu begrüßen und gleichzeitig der Überzeugung Ausdruck zu geben, dass die Auswirkungen des Übereinkommens Österreich und dem Deutschen Reich zum Nutzen und damit dem ganzen deutschen Volk zum Segen gereichen werden. Ich glaube mich mit Eurer Exzellenz darin einer Meinung zu wissen, dass wir darüber hinaus mit dem Übereinkommen unserer Staaten zugleich dem allgemeinen Frieden einen wertvollen Dienst erweisen.« (ADÖ 10/1641.)

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Die Berichte

Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 30. März 1935. Geschäftszahl  : 320.803 G.D./St.B. 35 (Vorzahl  : 300.685/35  ; Nachzahlen  : 330.785-St.B./35.) Gegenstand  : Deutschvölkische Turnvereine im Bundesland Salzburg  ; Wiederaufnahme des Betriebes, Grünwald Vinzenz  ; Brandauer Kuno, Erhebungen. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 21. März 1935. Zl. 16/Res. Betr.: Deutschvölkische Turnvereine, Wiederaufnahme des Betriebes, Grünwald Vinzenz, Brandauer Kuno, Erhebungen. An das Bundeskanzleramt G.D./St.B. in Wien. Zum dä. Erlass vom 7.1.1935, Zl. G.D. 300.685-St.B., wird berichtet, dass vor Wiederzulassung der Wiederaufnahme des Betriebes der deutsch-völkischen Turnvereine entsprechend den herabgelangten Weisungen bei denselben Regierungskommissäre eingesetzt wurden, wobei der Grundsatz gehandhabt wurde, dass die hierfür eingebrachten Personenvorschläge die Zustimmung der lokalen vaterländischen Verbände zu finden und aufzuweisen hatten. Darauf ist wohl zurückzuführen, dass die nach Säuberung des Mitgliederstandes der Turnvereine durch Ausschluss aller wegen politischer Delikte Vorbestraften die Wiederaufnahme des Betriebes zu keinen Konflikten Anlass gegeben hat. Beigefügt mag werden, dass auch hinsichtlich der Tätigkeit der Turnvereine selbst nach ihrer Wiederzulassung bisher keine unliebsamen Wahrnehmungen gemacht wurden. Im Allgemeinen hat allerdings die durch die Tagesblätter verlautbarte Nachricht bezüglich der Wiederzulassung der deutsch-völkischen Turnvereine bei der Bevölkerung geteilte Aufnahme gefunden. Während der Salzburger Heimatschutz, der in seinen Reihen vielfach bürgerliche Intelligenz national-freiheitlicher Richtung vereinigt, insbesondere in der Stadt und in den größeren Märkten die Gelegenheit wahrnahm, um in den Turnvereinen wieder Fuß zu fassen, hat die in den Ostmärkischen Sturmscharen, christlich-deutschen Turnern und zum Teil im Ortsschutz repräsentierte christlichsoziale Richtung in mehrfachen Protestschreiben ihre absolute Gegnerschaft und den völligen Mangel an Verständnis für die höheren Ge-

Stimmungen und Befindlichkeiten

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sichtspunkte zu erkennen gegeben, von denen die Abstandnahme von der Auflösung der Turnvereine zum Zwecke ihrer Eingliederung in die Österreichische Sport- und Turnfront ausgegangen war. Diese sich ablehnend verhaltenden Bevölkerungskreise erblicken in den deutsch-völkischen Turnvereinen die Stützpunkte der nationalsozialistischen Bewegung und die Brutstätten, von denen die staatsfeindliche Propaganda, vom Zettelstreuen bis zum Kanzlermord, ihren Ausgang genommen hatte.3 In Salzburg mag auch mitgespielt haben, dass die Turnhalle des christlich-deutschen Turnvereines durch einen Sprengstoffanschlag zerstört wurde, dessen Täterschaft nicht eruiert, aber Mitgliedern deutsch-völkischer Turnvereine zugeschrieben wurde. Bis zum Wiederaufbau, dessen Mittel durch Terrorschäden-Ersatzvorschreibungen von hieraus hereingebracht wurden, war eine Turnhalle des deutsch-völkischen Salzburger Turnvereines den Ostmärkischen Sturmscharen zur Benützung zugewiesen worden und musste nach der Wiederherstellung zwecks Rückgabe an den Eigentümer wieder geräumt werden, welcher Maßnahme nur mit Widerwillen Folge geleistet wurde. Seither hat sich die Stimmung jedoch wieder beruhigt. Oberrevident Kuno Brandauer der Landeshauptmannschaft Salzburg war seinerzeit eingeschriebenes Mitglied der NSDAP, behauptet aber, bereits vor dem Verbot aus der Partei ausgetreten zu sein. Er wurde im Laufe des Jahres 1934 wiederholt von vaterländischen Kreisen der unentwegten nationalsozialistischen Einstellung und abfälligen Kritik an österreichischen Einrichtungen bezichtigt, weshalb er auch von hieraus zur Ersatzleistung für Terrorschäden herangezogen wurde. Ein Strafverfahren wurde gegen ihn nicht durchgeführt. Amtsrat Grünwald der Landeshauptmannschaft Salzburg war ursprünglich deutschnational, ist in den Jahren nach dem Umsturz Sozialdemokrat geworden, hat sich aber auch mit dieser Partei überworfen und gesinnungsmäßig der NSDAP zugeneigt. Die Mitgliedschaft bei dieser Partei ist jedoch nicht nachweisbar. Jedenfalls ist er als Sudentendeutscher ausgesprochen national, außerdem ein nervöser und

3 Anmerkung der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit vom 9. Jänner 1935  : »Es war vorauszusehen, dass die vom obersten Sportführer verfügte Wiederzulassung eines Teiles der deutschen Turnvereine sowie die Erhaltung des Turnerbundes selbst bei der christlichen deutschen Turnerschaft und der ihr nahestehenden ehemaligen christlichsozialen Presse Widerstand auslösen wird. Eine unter Zusicherung zugelassene Betätigung dürfte jedoch der vollständigen Ausschaltung vorzuziehen sein, da mit einem Eintritt der ehemaligen deutschen Turner bei der christlich-deutschen Turnerschaft kaum zu rechnen sein wird. Während nun so die gemäßigten Momente unter die Führung von vaterlandstreuen Personen kommen, besteht bei einer vollständigen Eliminierung die Gefahr, dass die radikalen Anhänger im Geheimen arbeiten und auch diejenigen Turner mitreißen, die für eine positive Mitarbeit am Aufbau Österreichs gewonnen werden könnten.«

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Die Berichte

rechthaberischer, stets nörgelnder Mensch, der keinen dauernden Anschluss findet. Er ist politisch nicht vorbestraft.4 Vaterländische Front Hauptdienststellenorganisation der Bezirkshauptmannschaft Salzburg Salzburg, 28. Jänner 1935. An die Vaterländische Front in Wien. Die gefertigte Dienststellenorganisationsleitung beehrt sich Folgendes zu berichten. Der wirkl. Amtsrat bei der Landeshauptmannschaft Salzburg, Vinzenz Grünwald, weigert sich, der Vaterländischen Front beizutreten mit der ganz offiziellen Begründung, dass diese eine Judenorganisation sei  ! Dabei ist zu bemerken, dass Grünwald bis vor wenigen Jahren Obmann des sozialdemokratischen Beamtenbundes der Landesregierung war und erst vor wenigen Jahren Nationalsozialist wurde. Wenn er also jetzt seinen angeblichen Antisemitismus als Grund des Nichtbeitrittes angibt, kann dies wirklich nur als Verhöhnung aufgefasst werden. Grünwald macht auch aus seiner Abneigung gegen jedes österreichische Staatsbewusstsein kein Hehl. Nach vaterländischen Massenkundgebungen etc. spöttelte er darüber, dass die Beteiligung ohnehin nur erzwungen sei u. ähnl. In den letzten Tagen hat er sich darüber bei seinem Amtsvorstand beschwert, dass ein Aspirant (!) während der Amtsstunden bei der Landesbuchhaltung die Mitgliedsbeiträge der Vaterländischen Front einhebe. Da er schon ein höherer Beamter ist, ist sein Einfluss auf die jüngeren Rechnungsbeamten der Landesbuchhaltung natürlich entsprechend groß. Es ist auch unverkennbar, dass er sich sehr bedeutend ausgewirkt hat. Sein Verhalten erregt nicht nur bei der vaterländisch gesinnten Beamtenschaft der Landeshauptmannschaft, sondern auch bei der Bevölkerung seines Wohnortes Morzg bei Salzburg berechtigte Empörung und alles fragt sich, wie es möglich ist, dass gegen ihn als Staatsbeamten bisher noch nicht eingeschritten wurde. Die Dienststellenorganisationsleitung ist der Überzeugung, dass dieser Mann im Staatsdienste unter keinen Umständen am Platze ist, am allerwenigsten auf einem wichtigen und verantwortungsvollen Posten, der in seiner Dienstklasse entsprechend zukommt und gestattet sich die Anregung, durch den Bundeskommissär für Personalangelegenheiten hier ein Einschreiten zu veranlassen.

4 Vernehmungsprotokoll von Kuni Brandauer und Vinzenz Grünwald vgl. Bericht vom 5. August 1934 des Gendarmeriekommandos Salzburg, E. Nr. 2411.

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Wirkl. Amtsrat Vinzenz Grünwald ist am 10. Februar 1878 geboren und dient im Staatsdienste seit 31. Oktober 1898. Mit Rücksicht auf das allseits vorhandene Ärgernis hält die Dienststellenorganisation der Landeshauptmannschaft tunlichste Beschleunigung für geboten. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 6. Mai 1935 Zl. Res Nr. 16/IV Betr.: Deutsch-völkische Turnvereine im Bundesland Salzburg, Wiederaufnahme des Betriebes, Grünwald Vinzenz, Brandauer Kuno, Erhebungen. An das Bundeskanzleramt G.D. – ST.B. in Wien. Zum Erlass vom 29.3.1935, Zl. G.D. 320.803/St.B., wird berichtet, dass von der Bundespolizeidirektion Salzburg aufgrund der in ihrem Berichte vom 4.5.1934 enthaltenen Belastungsmomente gegen Amtsrat Vinzenz Grünwald und Oberrevident Kuno Brandauer ein Strafverfahren mangels hinreichenden Tatbestandes nicht durchgeführt wurde. Auch die von der Landeshauptmannschaft eingeleiteten Erhebungen haben keine genügenden Grundlagen für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens ergeben. Grünwald und Brandauer, die bis heute der Vaterländischen Front nicht beigetreten sind, wurden jedoch von der Landeshauptmannschaft unter Hinweis auf diesen Umstand dem Bundeskanzleramte anlässlich der Vorlage der Verzeichnisse jener Beamten, deren Entfernung aus dem öffentlichen Dienste wünschenswert wäre, namhaft gemacht. Unter 10.4.1935 hat die Landeshauptmannschaft auf eine hä. Anfrage über das dienstliche Verhalten der Genannten anher mitgeteilt, dass über eine kürzlich erfolgte Anzeige der Hauptdienststellenorganisation an das Generalsekretariat der Vaterländischen Front in Wien wegen besorgniserregenden Verhaltens des Amtsrates Grünwald neuerlich an das Bundeskanzleramt mit der Bitte um Weisung herangetreten wurde, ob und wie gegen ihn vorzugehen sei.5 (…) Sowohl Grünwald als auch Brandauer sind der Beobachtung durch die in Betracht kommenden Sicherheitsdienststellen unterstellt.

5 Amtsrat Vinzenz Grünwald wurde im Mai 1935 unter Kürzung seiner Bezüge auf zwei Drittel vom Dienst enthoben (Zl. 124.807-BKP/35).

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Die Berichte

Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 1. September 1936. Zl. 4883/2 Betr.: Brandauer Kuno, (…) politisches Verhalten. An das Bundeskanzleramt – G.D. – St.B. in Wien. Zum Erlass G.D. 351.402-St.B. vom 23.8.1936 beehre ich mich zu berichten, dass die über die Anzeige gepflogenen Erhebungen der Bundespolizeidirektion Salzburg nachstehendes Resultat ergeben haben  : Die in der (…) Anzeige gegen den Rechnungsoberrevidenten der Landesregierung in Salzburg, Kuno Brandauer, 27.5.1895 in Hellbrunn geb., Salzburg zust., röm. kath., verh., für Gattin und 4 minderjährige Kinder zu sorgen, Salzburg-Kleingmain Nr. 60 wohnhaft, erhobenen Anschuldigungen entsprechen den Tatsachen und gab der Genannte die ihm zur Last gelegten Tatbestände offen zu. Er erklärte, dass die für Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß von der Vaterländischen Front veranstalteten Trauerfeierlichkeiten ihn nichts angehen, da er nicht Mitglied der Vaterländischen Front ist. Aus diesem Grunde habe er schon im Vorjahre und auch heuer nicht an der Trauerfeier teilgenommen und habe am 24. Juli 1936 abends seine Wohnungsfenster nicht beleuchtet, da er mit seiner Gattin weggegangen sei. Kuno Brandauer steht hieramts als Nationalsozialist in Evidenz, wurde wiederholt wegen Verdachtes der illegalen Betätigung für die NSDAP in Untersuchung gezogen, doch musste jedes Mal das Verfahren mangels an Beweisen eingestellt werden. Im August 1934 erhielt Brandauer von der Sicherheitsdirektion Salzburg eine Ersatzvorschreibung im Betrage von 250 S, die er auch bezahlte. (…) Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 5. Mai 1936. Zahl  : 242/1 res 1936. Betreff  : Kulturverein Dante Alighieri, Vortrag mit Lichtbildern von Joseph August Lux. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit in Wien I., Herrengasse 7. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich zu berichten, dass am 28. April l. J. um 8 Uhr abends im Vortragssaal des Hotels Bristol ein Vortrag des Schriftstellers Joseph August Lux über die kulturellen Beziehungen Deutschlands, Italiens und Österreichs

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Stimmungen und Befindlichkeiten

in geschichtlicher Beleuchtung im Rahmen des Kulturvereines »Dante Alighieri« stattfand. Der Vortrag war von 30 Personen besucht und verlief ohne Anstand. An Hand von zahlreichen Lichtbildern der schönsten Bau- und Kunstdenkmäler der Antike und der Jetztzeit wies Joseph August Lux die einflussreichen Beziehungen der drei Staaten Italien, Deutschland und Österreich nach und betonte, dass gerade heute diese kulturellen Beziehungen des sich hinter feindlichen Mauern absperrenden Nationalsozialismus wieder aufgenommen werden müssten, um auf diesem Wege eine friedliche Zusammenarbeit wenigstens auf kulturellem Gebiete zu ermöglichen. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 12. August 1936. Zahl 1367/6. Betr.: Strafverzeichnis über abgeführte Strafamtshandlungen wegen politischer Delikte im Monat Juli 1936. An das Bundeskanzleramt – G.D. – St.B. in Wien. Strafbehörden und begangene politische Delikte im Juli 1936 im Bundesland Salzburg  : 1

2

BP Salzburg

1

BH Salzburg

2

3

4

BH St. Johann i. Pg.

Summe

2

1

4

8

9

1 5

1 2

7

1 6

BH Tamsweg

6

4

BH Hallein

BH Zell am See6

5

1

1

1

1

1

7

1

2 35

1

1

1

2

2

48

1

2

1 Beleidigung der Bundesregierung 2 Demonstratives Verhalten 3 Demonstratives Singen und Rufen 4 Flugschriften/Klebezettel 5 Verbotene Parteibetätigung 6 Verbotene Abzeichen

6 Zur großen Zahl der verbotenen Parteibetätigung im Juli 1936 siehe als Erklärung die nachfolgende Meldung der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit vom 30. August 1936.

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Die Berichte

7 Verbotene Grußformen 8 Unbefugter Grenzübertritt 9 Beihilfe zur Flucht nach Deutschland

Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 30. August 1936. Geschäftszahl  : 354.326 G.D./St.B. 36. Gegenstand  : Nationalsozialistische Demonstrationen in Zell am See anlässlich der Rückkehr amnestierter Sprengstoffverbrecher. Das Büro des Herrn Bundesministers Dr. Glaise-Horstenau (Sektionsrat Dr. Bareck) gibt am 28.8.1936 telefonisch bekannt, dass dem Herrn Bundesminister vom Notar Robert Eduard Wolf in Saalfelden die Mitteilung zugekommen sei, dass in Zell am See zahlreiche Personen, die amnestierte Gerichtshäftlinge bei ihrer Rückkehr in die Heimat begrüßt hätten, bestraft worden seien. Die Strafen (es handelt sich vermutlich um Geldstrafen) würden nunmehr im Exekutionswege durch Versteigerung von Anwesen eingetrieben, was unter der Bevölkerung in Zell am See große Aufregung verursache. Bundesminister Glaise, der in dieser Angelegenheit mit dem Herrn Bundeskanzler Rücksprache gepflogen hat, ersuche dringend um einen Bericht, da auch der Herr Bundeskanzler ein derart scharfes Vorgehen nicht wünsche. Der Sicherheitsdirektor für Salzburg, der telefonisch mit dieser Angelegenheit befasst wurde, gibt bekannt, dass anlässlich der Rückkehr von 6 Sprengstoffverbrechern, die größtenteils zu lebenslänglichen Kerkerstrafen verurteilt worden waren, vom Cafetier Riegler in Zell am See im Café Vinn ein festlicher Empfangsabend, an dem etwa 60 Personen teilnahmen, veranstaltet wurde. Riegler brachte, während an die 6 Sprengstoffverbrecher eine Ansprache gehalten wurde, ein großes Hitler-Bild in den Saal, das dort aufgehängt wurde. Aufgrund dieser Vorgänge wurde Riegler mit 3 Monaten Arrest bestraft. Überdies wurde ihm die Konzession zum Café- und Restaurationsbetrieb entzogen. Die 6 Sprengstoffverbrecher erhielten jeder je 3 Wochen Arrest, die sie am 25.8.1936 verbüßt hatten. Überdies läuft gegen 26 Personen, die an der Feier teilgenommen und sich demonstrativ verhalten haben, ein Strafverfahren, das in den nächsten Tagen mit der Bestrafung dieser Personen beendigt werden wird. In Aussicht sind Freiheitsstrafen bis zu 14 Tagen Arrest und Geldstrafen bis 50 S genommen. Zu irgendwelchen Versteigerungen im Zusammenhange mit dieser Amtshandlung ist es nicht gekommen. Von einer Beunruhigung der Bevölkerung in Zell am See ist dem Sicherheitsdirektor nichts bekannt.

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Gendarmeriepostenkommando Hofgastein Bezirk St. Johann i. Pg. Salzburg Hofgastein, 9. September 1936. Ee Nr. 2053 Betr.: Vorfallenheiten gelegentlich einer Radioübertragung. An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Land Salzburg in Salzburg. Am 9. September 1936 zwischen 12 Uhr und 14 Uhr befanden sich etwa 25 oder 30 Kurgäste im Spielzimmer der hiesigen Wandelhalle. Zur gleichen Zeit erfolgte die Übertragung der Rede des deutschen Reichskanzlers Adolf Hitler auf dem Parteitage in Nürnberg.7 Unter diesen Kurgästen befanden sich 6 oder 7 Reichsdeutsche. Im fraglichen Spielsalon befindet sich ein Radioapparat, dessen Bedienung der Garderobefrau der Wandelhalle namens Lafenthaler obliegt. Die Lafenthaler wurde von einer reichsdeutschen Kurgastdame schon um 10 Uhr Vormittag ersucht, sie möge eines Vortrages wegen München einstellen. Von dem Parteitage und der Rede des Reichskanzlers hatte die Lafenthaler keine Ahnung. Um 12 Uhr 30’ kam Sektionsrat Dr. Anton Pilat aus Wien auf den Posten und erstattete dem Inspektionsgendarmen Ray. Insp. Friedrich Schweiger die Anzeige, dass im Spielhause der Wandelhalle soeben eine nationalsozialistische Rede übertragen werde, was verboten sei. Ray. Insp. Schweiger begab sich sofort in die Wandelhalle und verfügte die Abstellung des Radios, was bei den reichsdeutschen Gästen eine bedeutende Erregung verursachte und zu Protesten führte. Von den anwesend gewesenen inländischen Kurgästen hat sich aber niemand eingemengt. Die Reichsdeutschen verlangten, dass ihnen die Rede ihres Führers auch in Öster­ reich nicht vorenthalten werde, widrigenfalls sie abreisen und diesen Umstand in ihrer Presse allgemein bekanntmachen werden. Ray. Insp. Schweiger erklärte diesen Kurgästen ganz richtig, dass ihnen die Rede ihres Führers auch in Österreich nicht vorenthalten wird, falls dies in einem geschlossenen Raume und nur unter deutschen Staatsangehörigen möglich ist.8 Damit gaben sie sich aber nicht zufrieden und erklärten, sich in Österreich nicht kontumazieren zu lassen. Drei Personen dieser Reichsdeutschen begaben sich dann zur Kurkommission und Gemeinde, wo sie über das Einschreiten der Polizei gleichsam Beschwerde ge7 Am 8. September 1936 begann in Nürnberg der »Parteitag der Ehre«, eine Bezeichnung, die von Hitler persönlich stammte. Am 9. September hielt er seine große Eröffnungsrede, in der er das vergangene Jahr als die Krönung des Aufstiegs der deutschen Nation bezeichnete. Vgl. Domarus  : Hitler. Reden 1932 bis 1945. Bd. I/2 (1935–1938). S. 637ff. 8 Der Hinweis bezog sich auf Punkt V des Gentleman-Agreement vom 11. Juli 1936.

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Die Berichte

führt haben. Ob es zu Abreisen dieser wegen kommen wird, ist noch nicht bekannt. Gegebenenfalls würde hierüber Anzeige bzw. Meldung erstattet werden. Das Radio ist Eigentum der Kurkommission, die die erste Gelegenheit wahrnehmen wird, dieses aus der Wandnische zu entfernen, um derart schwierige Angelegenheiten, die sich zu einem großen Schaden für den Kurort auswirken könnten, vorzubeugen. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 30. Oktober 1936. Geschäftszahl  : 364.658 G.D./St.B. 36 (Vorzahl  : 363.853/36). Gegenstand  : Aufführung eines nationalsozialistischen Propagandafilms im deutschen Grenzgebiet. Der Sicherheitsdirektor Sehr dringend   ! für das Bundesland Salzburg Salzburg, 19. Oktober 1936. Zahl 5602/1. Betr.: Aufführung eines nationalsozialistischen Propagandafilms im deutschen Grenzgebiet. An das Bundeskanzleramt – G.D./St.B. zu Handen des Herrn Sektionsrates Dr. Krechler oder dessen Stellvertreter in Wien. Wie bereits am 14. Oktober 1936 telefonisch (Herrn Dr. Nagy) berichtet wurde, finden in Reichenhall derzeit jeden Sonntag um 10 Uhr, 13 Uhr und 15 Uhr Aufführungen des nationalsozialistischen Propagandafilmes »Triumph des Willens« statt.9 9 Leni Riefenstahl hatte von der NSDAP den Auftrag bekommen, einen Film über den Nürnberger Reichsparteitag der NSDAP im September 1934 zu gestalten, der als Propagandafilm auch in den deutschen Kinos gezeigt werden sollte. Riefenstahl schuf mit revolutionären Ideen und technischen Neuerungen – so fuhr sie mit einem Kran einen Fahnenmast hoch, um die Massen von oben zu filmen, verlegte Schienen in der Stadt für die genau geplanten Kamerafahrten und ließ Hitler mit der Kamera umkreisen, sodass dieser den Eindruck einer lebenden Statue vermittelte – eine Faszination der Bilder, der sich das Publikum vor allem auch aufgrund der verwendeten Musik kaum zu entziehen vermochte. Der Film galt bereits kurz nach seiner Premiere im März 1935 als einer der zehn besten Filme der Welt und wurde mit Preisen überschüttet. Noch heute gilt er, jenseits seiner propagandistischen und manipulativen Wirkung, als Beispiel jener Ästhetik, die die Massen mitzureißen und in hohem Maße zu emotionalisieren vermochte. Die Inszenierung und Verschmelzung von Führer und (imaginierter rassisch homogener) Volksgemeinschaft schuf einen heroischen Reportagefilm, eine für totalitäre Systeme typische Form des dokumentarischen Films. Im Fall des Dritten Reiches wurde das Sujet auch Grundlage der Kriegsreportagen. Der Film, ein technisches Meisterstück, schuf einen quasi-religiösen Führerkult, weshalb er 1945 von

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Diese Aufführungen werden von Österreichern aus dem Grenzgebiet, insbesonders aus der Stadt Salzburg, in Massen besucht, sodass sogar zwei Autobusunternehmungen, wie bereits berichtet wurde, Gelegenheitsfahrten nach Reichenhall um 9 Uhr und 12 Uhr ansetzten, die stark besetzt waren und fast ausschließlich von Besuchern des Filmes benützt wurden. Es wurde auch durch vertrauliche Mitteilung festgestellt, dass in den nationalsozialistisch eingestellten Bevölkerungskreisen der Stadt Salzburg für diese Aufführungen und die Benützung dieser Sonderfahrten besonders rege Propaganda gemacht wird. Die propagandistische Wirkung dieses Filmes unter der österreichischen Grenzbevölkerung ist zweifellos sehr groß. Wie in Erfahrung gebracht wurde, soll der Film weiterhin in allen Grenzorten, die über Kinos verfügen, so in Freilassing und Berchtesgaden, zur Aufführung gelangen. Vielleicht wäre es möglich, auf die deutschen Amtsstellen Einfluss zu nehmen, dass von der weiteren Aufführung dieses Filmes, der von den Bewohnern Reichenhalls, da er seit Wochen gespielt wird, fast überhaupt nicht mehr besucht wird und somit ausschließlich der nationalsozialistischen Propaganda unter der österreichischen Bevölkerung dient, abgesehen würde oder wenigstens die Sonderaufführungen außerhalb der normalen Betriebszeit des Kinos eingestellt würden. Auch die Bevölkerung Reichenhalls selbst sieht diese Propagandaaufführungen sehr ungern, da sie mit Recht befürchtet, dass es seitens der österreichischen Besucher zu nationalsozialistischen Demonstrationen kommen könnte, die dann zu einer Beschränkung des österreichischen Reiseverkehrs seitens der österreichischen Behörden führen würde. Falles es auf diesem Wege nicht möglich sein sollte, die weiteren Aufführungen des Filmes im bisherigen Umfang abzustellen, sehe ich mich gezwungen, die Abreise nach Reichenhall über die Grenzkontrollstelle Walserberg für österreichische Staatsangehörige am Sonntag für die Zeit von 9 bis 11 Uhr zu sperren, um auf diesem Wege den aufreizenden Massenbesuch dieses Filmes zu unterbinden. Ich erbitte mir hierbei ehestens die Mitteilung, ob dieser Verfügung zugestimmt würde.



den Siegermächten verboten wurde. Inzwischen kann er in einer kommentierten Fassung wieder gezeigt werden. Vgl. dazu Peter Zimmermann  : Die Parteitagsfilme der NSDAP und Leni Riefenstahl. – In  : Ders.; Kay Hoffmann (Hg.)  : Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland. Bd. 3  : »Drittes Reich« (1933–1945). – Stuttgart 2005. S. 511–529  ; Stefanie Grote  : »Objekt« Mensch. Körper als Ikon und Ideologem in den cineastischen Werken Leni Riefenstahls. Ästhetischer Despotismus oder die Reziprozität von Auftragskunst und Politik im Dritten Reich. – Frankfurt a. d. Oder 2004  ; Philipp Stiasny  : Vom Himmel hoch. Adolf Hitler und die »Volksgemeinschaft« in »Triumph des Willens«. – In  : Hitler und die Deutschen. Volksgemeinschaft und Verbrechen. – Dresden 2010. S. 82–88.

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Die Berichte

Stellungnahme der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit Wien, 22. Oktober 1936. Aus dem Berichte des Sicherheitsdirektors für Salzburg ist zu ersehen, dass die Vorführung des nationalsozialistischen Propagandafilmes »Triumph des Willens« in den reichsdeutschen Grenzgebieten offensichtlich nur aus propagandistischen Zwecken erfolgt. Vom staatspolizeilichen Standpunkt muss dieser Vorgang als Fall einer nationalsozialistischen Propaganda bezeichnet werden, der aufgrund des Abkommens vom 11. Juli 1936 und der dadurch bedingten Freizügigkeit im Verkehr zwischen Österreich und Deutschland vom Deutschen Reich in die österreichische Bevölkerung getragen wird. Es ist selbstverständlich, dass diese Art der Propaganda, die sich nicht nur auf die Grenzbezirke, sondern in weiterer Folge indirekt auf das ganze Hinterland auswirkt, mit polizeilichen Maßnahmen nicht entgegengetreten werden kann. Zur wirtschaftlichen Seite wäre noch zu bemerken, dass nach telefonischen Berichten des Sicherheitsdirektors für Salzburg an allen Sonn- und Feiertagen der größte Teil des österreichischen Ausflugsverkehres nach Deutschland geht, während der Reiseverkehr vom Deutschen Reiche nach Österreich als sehr gering bezeichnet wird. Das Geschäftsstück ist im Einsichtswege der Abteilung 13 pol. unverzüglich mit dem Ersuchen zur Kenntnis zu bringen, bei den reichsdeutschen Stellen darauf hinwirken zu wollen, dass die Aufführung von nationalsozialistischen Propagandafilmen im deutschen Grenzgebiet, die offensichtlich nur aus dem Grunde ständig prolongiert werden, um der österreichischen Bevölkerung die Möglichkeit zu geben, den Vorführungen beizuwohnen, unterbleibt. Stellungnahme der Abt. 13 pol. Wien, 24. Oktober 1936. Gesehen in der Abt. 13/pol., die sich im Einvernehmen mit dem Herrn Staatssekretär für die Auswärtigen Angelegenheiten10 mangels irgendeiner rechtlichen Grundlage außerstande erklärt, in dem gewünschten Sinne bei reichsdeutschen Stellen zu intervenieren. Nach h. o. Auffassung bleibe nur der Weg gangbar, die in Betracht kommenden Autobusunternehmungen in entsprechender Weise von den Sonderfahrten abzureden oder abzuhalten.

10 Guido Schmidt.

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 2. Jänner 1937. Geschäftszahl  : G.D. 377.070/St.B.36 (Vorzahl  : 368.613 St.B./36). Gegenstand  : Aufdeckung der Organisation der HJ im Pinzgau durch die Erhebungsgruppe Salzburg. NSDAP Österreich Gauleitung Salzburg 28. Juli 1936 Weisungsblatt der Landesleitung Juli 1936. (Information) 1. Der Vertrag, den Adolf Hitler mit der österreichischen Regierung geschlossen hat, stellt unsere Bewegung vor eine gänzlich neue Lage. An dem Gefüge der Partei wird grundsätzlich nichts geändert. Die NSDAP/Hitlerbewegung in Österreich bleibt nach wie vor eine illegale Kampfbewegung mit dem Ziele, ein nationalsozialistisches Österreich zu schaffen. Lediglich die Kampftaktik wird geändert und der neuen Lage angepasst. Die Umstellung soll Hand in Hand gehen mit einer Reinigung der Partei und einer dadurch möglichen Straffung der Organisation. Ausbau der Schulung. 2. Die Partei stellt sich nunmehr gänzlich auf den Boden des Staates Österreich, bekämpft das heutige System und seine Entwicklungen wie beispielsweise die VF, verlangt Gleichberechtigung für die nationalsozialistische Gesinnung, eine gerechte Verfassung und Neuwahlen bzw. Volksabstimmung. (…) 4. Die Propaganda arbeitet künftighin mit legalen Mitteln. Grundsätzliche Richtlinien hierbei sind  : Kampf den Friedensstörern im eigenen Lager, ganz besonders aber im gegnerischen Lager. Die Partei als Hüterin des Vertrages vom 11. Juli 1936. Kampf gegen internationale Gefahrenherde des Friedenswerkes wie Kommunismus, Habsburg und Judentum. (…)

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Die Berichte

Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 13. März 1937. Zl. 1612. Betr.: Überwachung der Skifahrer am Untersberg, politische Umtriebe. An das Bundeskanzleramt St.B. in Wien. Ich beehre mich zu berichten, dass mit Rücksicht auf den im Monat März stark einsetzenden Skiverkehr auf dem Untersberg von der Erhebungsgruppe des Landesgendarmeriekommandos Salzburg am Sonntag, den 3. März 1937, eine Skipatrouille auf den Untersberg entsendet wurde. An diesem Tage waren dort annähernd 1500 Skifahrer anwesend. Da sich unerwarteterweise die Wetterlage verschlechterte, entschloss sich ein Großteil jener Skifahrer, die im Schutzhaus Zeppezauer keine Unterkunft fanden, zur vorzeitigen Abfahrt. Da die ungünstige Witterung den zahlreichen Skifahrern das sonst übliche Verweilen am sonnigen »Negerdörfl« vereitelte, war eine Gelegenheit zu politischen Demonstrationen nicht gegeben. Die Skipatrouille konnte keine Wahrnehmungen machen, die auf politische Umtriebe schließen ließ. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 13. Juli 1937. Geschäftszahl  : 375.865-G.D.5/36 (Miterledigte Zahlen  : 376.411-G.D.5/36 und 329.567-G.D.5/37) Gegenstand  : Schachtner Herbert, Oberoffizial der Landeshauptmannschaft Salzburg, Ansuchen um Freigabe eines beschlagnahmten Radioapparates. Interner Bericht Die Bundespolizeidirektion Salzburg hat mit Erkenntnis vom 9. Juli 1936, Z. 9.438/2, den Oberoffizial der Landeshauptmannschaft Salzburg Herbert Schachtner, am 21.10.1892 in Salzburg geb. und zust., kath., ledig, in Salzburg, Auerspergstr. Nr. 11 wh., wegen Übertretung nach § 1 der Vdg., BGBl. Nr. 185/1933, mit S 50,–, eventuell 5 Tagen Arrest, bestraft. Außerdem hat sie mit Bescheid vom 1.7.1936, Z. 9.438/2, den Radioapparat Schachtners im Wert von ungefähr S 570,– gemäß § 2 des BG. BGBl. II Nr. 71/1934 für beschlagnahmt erklärt. Diesen beiden Erkenntnissen der Bundespolizeidirektion Salzburg liegt folgender Tatbestand zugrunde  :

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Schachtner hat am 17. Juni 1936 um ungefähr 21 Uhr 45’ eine von München ergangene Sendung des Horst-Wessel-Liedes derart laut eingeschaltet, dass trotz geschlossener Fenster die Übertragung von einem Kriminalbeamten der Bundespolizeidirektion Salzburg auf der Straße gehört wurde. Der gegen den Beschlagnahmebescheid von Schachtner erhobene Einspruch wurde mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 2.12.1936, Z. 9.438/8, abgewiesen. Gegen diesen Bescheid hat Schachtner an den Sicherheitsdirektor berufen. Für den Vollzug der Geldstrafe wurde im Zuge der Verwaltungsamnestie aufgrund eines Antrages der Bundespolizeidirektion Salzburg dem Schachtner ein unbefristeter bedingter Strafaufschub gewährt. Der Sicherheitsdirektor hat über die Berufung Schachtners noch nicht entschieden. Die Bundespolizeidirektion Salzburg hat sich für die Abweisung der Berufung ausgesprochen und hat darauf hingewiesen, dass Schachtner als öffentlicher Beamter zur besonderen Vorsicht bei seinem Verhalten verpflichtet war. Der Sicherheitsdirektor hat den gesamten Akt mit der Bitte um weitere Weisung anher vorgelegt. Im Einspruch bzw. in der Berufung Schachtners sowie in einem an den Bundesminister Neustädter-Stürmer11 gerichteten Schreiben wird im Wesentlichen gleichlautend von Schachtner geltend gemacht, dass er seinerzeit über die Beanstandung seitens des Kriminalbeamten, der die Übertragung auf der Straße gehört und Schachtner gleich nachher von der Anzeigeerstattung verständigt hat, erstaunt war, da er nicht das Bewusstsein hatte, dass das Spiel des Radioapparates auf der Straße hörbar sein konnte, zumal sich sein Zimmer im 2. Stock befindet und das Fenster geschlossen war. Er beruft sich darauf, dass er bezüglich der Lautstärke seines Apparates sich im Irrtum befand, was darauf zurückzuführen war, dass er den Apparat erst vor kurzer Zeit gekauft und noch nicht oft Gelegenheit zur Betätigung des Apparates hatte. Er stellt jede demonstrative Absicht entschieden in Abrede und weist auf seine 25-jährige unbeanstandete Tätigkeit als öffentlicher Beamter hin (Z. 375.865-G.D.5/36). Im Nachhang hat der Sicherheitsdirektor am 17. Dezember 1936 eine neuerliche Eingabe Schachtners vorgelegt, in der er ungefähr gleichlautende Darlegungen zur Unterstützung seiner Berufung vorbringt (Z. 376.411-G.D.5/36). Mit Schreiben vom 8. Mai 1937, Z. 4.867/10, betreibt der Sicherheitsdirektor die von hier erbetene Weisung (Z. 329.587-G.D.5/37). Das Staatspolizeiliche Büro hat die Einlaufstücke der ho. Abt. mit dem Beifügen abgetreten, dass im Hinblick auf die seinerzeitige Mitgliedschaft des Herbert

11 Der der Heimwehr angehörende Odo Neustädter-Stürmer war vom 6. November 1936 bis 20. März 1937 Bundesminister für die sachliche Leitung der Angelegenheiten des Sicherheitswesens und der Vorbereitung der Gesetzgebung über die berufsständische Neuordnung im Kabinett Schuschnigg III.

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Schachtner bei der NSDAP eine Aufhebung der Beschlagnahmeverfügung nicht befürwortet werden kann. Es dürfte aus grundsätzlichen Erwägungen nicht zweckentsprechend sein, dem Sicherheitsdirektor eine bestimmte Weisung zu erteilen, wie über die vorliegende Berufung des Herbert Schachtner gegen den Beschlagnahmebescheid der Bundespolizeidirektion Salzburg zu entscheiden ist, weil der instanzenmäßigen Entscheidung nicht vorgegriffen werden soll. Es dürfte sich am besten empfehlen, die Entscheidung über die Berufung dem Sicherheitsdirektor selbst zu überlassen. Ergänzende Anmerkung des Büros des Bundeskommissärs für Personalangelegenheiten12 am 26. Juni 1937 (Z. 161.088-BKP/37). Gesehen. Von hieraus ist den Ausführungen des Staatspolizeilichen Büros nichts hinzuzufügen. Wegen der weiteren disziplinären Verfolgung der Angelegenheit wird unter einem mit der Dienstbehörde (Landeshauptmannschaft Salzburg) und dem zuständigen Sicherheitsdirektor mittelbar Fühlung genommen. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 12. Juli 1937. An den Herrn Sicherheitsdirektor für Salzburg in Salzburg. Anverwahrt wird der Berufungsakt betreffend Herbert Schachtner mit folgendem Bemerken rückgestellt  : Gegen die Ausfolgung des Radioapparates an den Genannten bestehen Bedenken. Schachtner hat in seiner Eingabe vom 15. Dezember 1936 als Beamter der Landeshauptmannschaft Salzburg die unrichtige Angabe gemacht, er habe sich politisch nie betätigt. Nach den h.o. Evidenzen war er nämlich Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 1,088.133). Seine weiteren Ausführungen, dass er seinen Radioapparat nur benützt habe, um im Familienkreise Opern und Konzerte zu hören, erscheinen auch nicht glaubhaft, da er sonst als Beamter der Landesregierung Salzburg bei der Sendung des Horst Wessel-Liedes, das ja bekanntlich nur am Schlusse der Tagesübertragung und anlässlich von politischen Kundgebungen in Deutschland gespielt wird, den Radioapparat abgestellt hätte. Da überdies der Apparat auf eine derartige Lautstärke eingestellt war, dass er auf der Straße gehört werden konnte, hat er – wenn schon von 12 Mit Erlass des Bundeskanzleramts vom 26. Februar 1935 wurde die Sektion V für Personalangelegenheiten geschaffen. Sie bestand aus 6 Referaten und wurde von Sektionschef Dr. Josef Arbogast Fleisch geleitet.

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einer politischen Demonstration abgesehen wird – sicherlich die jedem Bundes- oder Landesbeamten obliegenden Pflichten gröblichst vernachlässigt. Der Berufung Schachtners ist daher keine Folge zu geben. Bundeskanzleramt Büro des Bundeskommissärs für Personalangelegenheiten Wien, 12. April 1937. Dienstzettel Anliegend erlaube ich mir auftragsgemäß ein dem ho. Amte von verlässlicher Seite zugekommenes Stimmungsbild über die Akademischen Welt-Winterspiele in Zell am See 1937 behufs Kenntnis zu übermitteln. An das Staatspolizeiliche Büro. Die 5. Akademischen Welt-Winterspiele in Zell am See 1937 (1. bis 7. Februar) Die 5. Akademischen Welt-Winterspiele und die Akademischen Skimeisterschaften 1937 wurden in Zell am See, eines unserer schönsten Wintersportorte, aber zugleich einer unserer bekanntesten Nazi-Gegenden abgehalten. Bis auf wenige der Zeller Bewohner, die das Rot-Weiß-Rote Band aus Überzeugung und Idealismus tragen, hat man nach längerem Aufenthalt sofort den Eindruck gewonnen, dass der Großteil der Einwohner nur aus Angst um den Verlust der Existenz oder anderweitiger Verdienstmöglichkeiten dem vaterländischen Gedanken huldigen und im Moment, wo sie sich untereinander befinden, aus ihnen fanatische Nationalsozialisten werden, mag der oder jener auch eine Funktion in der Vaterländischen Front innehaben. So wurde die Ankunft der reichsdeutschen Wettkämpfer, so auch deren 7-tägiger Aufenthalt in Zell zu gewissen Demonstrations- und Propagandaumzügen benützt und hat auch die vorerwähnte Mannschaft durch das ungestörte Absingen (von Seiten der Behörde) der uns bekannten Nationallieder wie Deutschland-Lied, Horst Wessel-Lied udg. mehr ein gewisses Maß dazu beigetragen, die österreichischen Nationalsozialisten in Zell am See aus ihrer Lethargie aufzumuntern. Hier wären noch die täglich spätabends durchgeführten Bummel zu erwähnen, bei denen sich außer der italienischen auch die österreichische Mannschaft in großer Zahl anschloss. Die Wettkämpfer der Grazer Universität sangen bei ihren täglichen Trainingsfahrten auf die Schmittenhöhe in der Seilbahn ein neues, bisher unbekanntes Trutzlied der Nationalsozialisten, ohne dass die Behörde irgendwie eingeschritten wäre. Bei der Abfahrt der reichsdeutschen Mannschaft hatten sich sämtliche Wettkämpfer eingefunden und war während des Anmarsches am Bahnhofe Gendarmerie zu

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sehen, als aber, bevor der Zug anlangte, nationale Lieder abgesungen wurden, war von der löblichen Gendarmerie nichts mehr zu sehen noch zu hören. Mit diesem Abschied von den Reichsdeutschen war wieder die »sogenannte politische Ruhe« eingetreten  ! Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 31. Mai 1937. Zl. 566/5. Betr.: Akademische Winterspiele in Zell am See 1937, bedenkliche Wahrnehmungen. An das Bundeskanzleramt G.D. St.B. in Wien. Zum Erlass G.D. 323.694-St.B. vom 21.4.1937 beehre ich mich zu berichten, dass die in der Beilage gegebene Schilderung bedenklicher Vorfälle in keiner Weise den Tatsachen entspricht. Von den angeführten Umzügen, Bummeln, Singen des Deutschland-Liedes und Horst Wessel-Liedes seitens der reichsdeutschen Kampfmannschaft sowie dem Singen nationalsozialistischer Trutzlieder durch Grazer Studenten wurden keine Wahrnehmungen gemacht. Desgleichen wurde von keiner Seite, obwohl es an vaterländischen Personen bei dieser Veranstaltung nicht fehlte, eine Klage geführt. Die Darstellung über die Vorgänge bei der Abreise der reichsdeutschen Mannschaft ist schon deshalb vollständig unrichtig, weil diese nicht geschlossen auf einmal, sondern in kleinen Gruppen zu verschiedenen Zeiten abgereist ist.

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 8. April 1937. Geschäftszahl  : 320.943-G.D./St.B.37 (Vorzahl  : 346.875-St.B./36). Gegenstand  : Reichsdeutsche Zeitungen  ; Überprüfung durch die Bundespolizeidirektion Salzburg. Bundesministerium für Handel und Verkehr Generaldirektion für die Post- und Telegrafenverwaltung Zl. 12185/1937. Betr.: Überprüfung der reichsdeutschen Zeitungen durch die Bundespolizeidirektion Salzburg. Die Post- und Telegrafendirektion Linz legt mit Bericht vom 25. März i. J., Zl. 17.561, eine an das Postamt Salzburg 2 gerichtete Zuschrift der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 23. März l. J., Zl. 253/2-105-37, vor, in der bekanntgegeben wird, dass über Weisung des Sicherheitsdirektors für Salzburg die reichsdeutschen Zeitungen vor ihrer Auslieferung zur Einsichtnahme an die Bundespolizeidirektion Salzburg zwecks Einholung der Entscheidung des Sicherheitsdirektors vorzulegen und vom Postamt Salzburg 2 bis zur Entscheidung des Sicherheitsdirektors zurückzuhalten seien. Über diesen Bericht wurden von der Post- und Telegrafendirektion (Hofrat Fröstl) fernmündlich Aufklärungen eingeholt, aus denen hervorging, dass beim Postamte Linz 2 hinsichtlich der Überprüfung aller ausländischen Zeitungen ein Vorgang beobachtet wird, der dem damit verbundenem Zwecke entspricht, ohne dass sich daraus Unzukömmlichkeiten für die Post ergebe. (…) Die Post- und Telegrafendirektion Linz wurde am 26. und auch am 27. März l. J. ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass gegen die Einhaltung eines ähnlichen Vorganges wie beim Postamte Linz 2 auch beim Postamte Salzburg 2 unsererseits keine Einwendung erhoben würde, d. h. dass auch beim Postamte Salzburg 2 die Überprüfung aller ausländischen, dort zur Abgabe eingelangten Zeitungen durch ein Organ der Bundespolizeidirektion ohne wesentliche Verzögerung zu erfolgen hätte. Wie aus dem Berichte der Post- und Telegrafendirektion Linz vom 27. März l. J, Zl. 18.039/3 (B.M.Zl. 12.185/37) hervorgeht, erklärte jedoch der Sicherheitsdirektor für Salzburg, mangels verfügbaren entsprechend geschulten Personals den beim Postamte Linz 2 beobachteten Vorgang in Salzburg nicht durchführen zu können  ; er schlug vielmehr vor, dass ein Motorradfahrer je ein Stück der einlangenden reichsdeutschen Zeitungen beim Postamte Salzburg 2 abhole und nach Durchsicht angeblich in ungefähr einer halben Stunde wieder zurückbringe. Die Post- und Tele-

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grafendirektion Linz lehnte weisungsgemäß diesen Vorschlag des Sicherheitsdirektors unter Hinweis darauf ab, dass es unzulässig erscheine, Postsendungen während der Postbeförderung aus Posthänden zu geben und Pflichtexemplare für Zwecke der Sicherheitsbehörden der Post nicht zur Verfügung stehen. Daraufhin erklärte der Sicherheitsdirektor für Salzburg, den Fall bei der am 31. März l. J. stattfindenden Konferenz der Sicherheitsdirektoren dem Herrn Bundeskanzler vortragen zu wollen. Bereits im Juli 1936 hat der Sicherheitsdirektor für Salzburg ein ähnliches Ersuchen an das Postamt Salzburg 2 gerichtet. Das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, hat über unser Ersuchen den genannten Sicherheitsdirektor laut Mitteilung vom 5. August 1936, Zahl G.D. 346.875-St.B., angewiesen, sein an das Postamt Salzburg 2 gestelltes Ersuchen sofort zu widerrufen. Zwecks Erörterung der aus der neuen Sachlage sich allenfalls ergebenden Fragen wäre das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit (Sektionsrat Dr. Kreis), hiervon mit dem Ersuchen in Kenntnis zu setzen, in geeigneter Weise (allenfalls Beistellung geeigneten Personals) die Überprüfung der ausländischen Zeitungen beim Postamt Salzburg 2 in einer Weise zu ermöglichen, die den Interessen der Post genügend Rechnung trägt. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 8. April 1937. An den Herrn Sicherheitsdirektor für Salzburg in Salzburg. (…) Euer Hochwohlgeboren werden eingeladen, die mit dem h.o. Erlass vom 5. August 1936, Zahl G.D.-346.875-St.B./1936, in der gleichen Angelegenheit bereits ausgegebenen Bestimmungen zu befolgen, die Überprüfung aller ausländischer Zeitungen durch einen geeigneten Beamten beim Postamte Salzburg 2 durchführen zu lassen. Dieser Vorgang wird in Linz mit gutem Erfolg gehandhabt.

Stimmungen und Befindlichkeiten

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 8. Juni 1937. Geschäftszahl  : 333.559-G.D./St.B.37 (Vorzahl  : 331.880-St.B.37). Gegenstand  : Hermann Buchberger, Verfasser eines Briefes österreichfeindlichen Inhaltes. Österreichische Brown Boveri-Werke A.G. Wien Ingenieurbüro Salzburg Herrn Franz Wimmer, Maschinenhändler, Perwang. Lieber Herr Wimmer  ! Ich wünsche Ihnen von Herzen ein recht gutes Neujahr. Hoffen wir, dass es bald anders wird. Die Kanonen werden bald sprechen, dann wird auch unsere Stunde kommen. Nach Hof bin ich leider noch nicht gekommen. Herzliche Grüße Ihr ergebener Buchberger Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 29. Mai 1937. Zl. 3097. Betr.: Hermann Buchberger, Verfasser eines Briefes österreichfeindlichen Inhaltes. An das Bundeskanzleramt G.D./St.B. in Wien. Zum Erlass G.D. 331.880-St.B. vom 22.5.1937 beehre ich mich zu berichten  : Durch eine Vertrauensperson erhielt das Gendarmeriepostenkommando Seeham Kenntnis von dem abschriftlich beigeschlossenen Brief (siehe oben, Anm. d. Hg.), der an den ausgebürgerten ehemaligen Legionär Franz Wimmer gerichtet war. Wimmer hält sich derzeit angeblich in Middelburg bei Hamburg auf. Als Schreiber des Briefes wurde der Vertreter der Österreichischen Brown BoveriWerke A.G. Wien, Hermann Buchberger, Elektrotechniker, am 10.12.1890 in Pfaffenhofen, Tirol, geboren, nach Kirchdorf, Bezirk Kitzbühel, Tirol, zuständig, röm.

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Die Berichte

kath., verh., Salzburg, Solaristraße Nr. 10 wohnhaft, ausgeforscht. Bei ihm wurde eine Hausdurchsuchung vorgenommen, welche jedoch ergebnislos verlief. Zu dem Schreiben einvernommen gab Buchberger an, dass er mit Wimmer in Geschäftsbeziehung stehe und in diesem Schreiben auch einen Firmenkalender beilegte. Um mit Wimmer in geschäftliche Beziehungen treten zu können, habe er sich dieser Schreibweise bedient, weil ihm bekannt war, dass Wimmer ein verbissener Nationalsozialist sei. Auch die Mitteilung betreffend Hof war geschäftlicher Natur und handelte es sich hierbei um eine Geschäftsvermittlung von Seite Wimmers. Buchberger scheint in der Evidenz der Bundespolizeidirektion Salzburg unter Zl 3498/34 vom 8.3.1934 wegen »Heil Hitler«-Rufens mit 3 Tagen Arrest vorbestraft auf, gab jedoch seit dieser Zeit keinen Anlass zu einer neuerlichen Beanstandung. Derselbe wurde längere Zeit seitens der Bundespolizeidirektion Salzburg unter Beobachtung gestellt, doch hat er nie ein Verhalten an den Tag gelegt, dass gegen ihn hätte mit Erfolg ein Strafverfahren durchgeführt werden können. Die Staatsanwaltschaft Salzburg wurde von dem Schreiben in Kenntnis gesetzt, ebenso die Bundespolizeidirektion Wien verständigt, um den Dienstgeber Buchbergers, die Brown Boveri-Werke A.G., von der Methode ihres Vertreters in Kenntnis zu setzen. Nach telefonischer Mitteilung der Staatsanwaltschaft ist diese noch nicht schlüssig geworden, ob eine Anklage gegen Buchberger erhoben werden wird.13 Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 9. Oktober 1937. Geschäftszahl 358.545-G.D./St.B.37 (Vorzahl  : 336.751-St.B.37). Gegenstand  : Hermann Buchberger  ; Entlassung aus der Brown Boveri-Werke A.G. Der Eingangsakt enthält einen Bericht der Vaterländischen Front, Landesführung Wien, aus dem zu entnehmen ist, dass über Intervention der Landesführung Wien die Brown Boveri-Werke A.G. das Dienstverhältnis mit Hermann Buchberger bereitwilligst gelöst hat.

13 Die Voruntersuchung gegen Hermann Buchberger wegen Verbrechens nach § 5 Staatsschutzgesetz und § 308 St.G. wurde vom Landesgericht Salzburg am 1. Juni 1937 gemäß § 90 St.P.O. eingestellt. (Mitteilung des Sicherheitsdirektors für das Bundesland Salzburg vom 11. Juni 1937 an das Bundeskanzleramt/Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, Zl. 2211/2.)

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 14. Februar 1935. Geschäftszahl  : 309.915-G.D./2/35 (Nachzahlen  : 316.161-G.D.2/1935). Gegenstand  : Blum Anton in Salzburg, Schadenersatz aus einem Terroranschlag. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 15. Jänner 1935. Zl. 5312/21. Betr.: Firma Anton Blum, Hutfabrik Salzburg, Schadenvergütung. Bescheid. Die Firma Blum, deren Inhaberin Elisabeth Wiesinger und gewerbebehördlicher Geschäftsführer Karl Blum ist, hat ha. einen durch den am 30.7.1934 in der Dreifaltigkeitsgasse 13 erfolgten Sprengstoffanschlag erlittenen Schaden von rund S 25.000,– zur Anmeldung gebracht. Spruch. Die Vergütung des Schadens nach § 3 der Vdg. der Bundesregierung vom 12.1.1934, BGBl. Nr. 20, wird abgelehnt. Gegen diesen Bescheid ist ein Rechtsmittel nicht zulässig. Dr. Franz Eidlitz Leitender Sekretär des Niederösterreichischen Gewerbevereines Wien  ; 21. Jänner 1935. Euer Hochwohlgeboren  ! Sehr geehrter Herr Bundesminister  !14 In meiner Eigenschaft als Syndikus des Verbandes der österreichischen Hutindustriellen beehre ich mich an Sie, sehr geehrter Herr Bundesminister, in folgender Angelegenheit zu wenden  : Der Hutfabrikant Anton Blum in Salzburg, Dreifaltigkeitsgasse 13, hat durch ein im Zuge der Juliereignisse stattgefundenes Bombenattentat schwersten wirtschaftlichen Schaden erlitten. Es wurde nicht nur sein ganzes Geschäft samt dem Waren14 Bundesminister Major Emil Fey. Ein weiteres Schreiben ging an Kommerzialrat Fritz Stockinger, Bundesminister für Handel und Verkehr.

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Die Berichte

lager vernichtet, was einem amtlich festgestellten Schaden von mehr als S 25.000,– entspricht, sondern es wurde überdies infolge des Umstandes, dass die Firma keine Ware zur Verfügung hatte, das für Salzburg besonders wichtige Sommergeschäft schlechthin zerstört. Die Firma wandte sich nun an den Sicherheitsdirektor von Salzburg mit dem Ersuchen um eine Schadensgutmachung aufgrund der Verordnung der Bundesregierung vom 12.1.1934, BGBL. Nr.20, welches Ersuchen jedoch vom Sicherheitsdirektor abgelehnt wurde. Die Firma wandte sich nun in ihrer Bedrängnis an meinen Verband mit dem in beiliegender Abschrift mitfolgenden Schreiben (…) Anton Blum Hutfabrikant Salzburg. Dreifaltigkeitsgasse 13 Salzburg, 23. Jänner 1935. An den Verband der österreichischen Hutindustriellen, Wien. Wie dem P.T. Verbande bereits bekannt sein dürfte, wurden wir am 30. Juli v. J. das Opfer eines verbrecherischen Terroranschlages, bei welchem unsere Firma durch eine schwere Bombe vollständig vernichtet wurde. Es wurde nicht nur die gesamte Einrichtung wie Materialien, sondern auch fast die ganze Ware total vernichtet und standen wir in wenigen Augenblicken vor einem Nichts. Der Anschlag erfolgte um ½ 8 Uhr abends und sind wir durch höhere Fügung dem Tode knapp entronnen  ; nur dem Umstand ist es zu danken, dass die Firmeninhaberin, Frau Elise Wiesinger, nicht wohl ward, so wurde die Abrechnung nach Geschäftsschluss um 7 Uhr abends auf den nächsten Tag verlegt und verließen wir um 7 Uhr das Geschäft. Hätten wir die Abrechnung vorgenommen, so würden wir zweifelsohne total zerrissen worden sein. Die sofort vorgenommenen polizeilichen Erhebungen ergaben, dass der Anschlag dem Fremdenverkehr, somit dem Hotel Bristol, gegolten haben musste, da dieser brisante Sprengkörper im Hofe des Hotels Bristol gelegen hatte, knapp an unserer Mauer (…) Durch die Gewerbebehörde und Landesinnung wurde der gesamte Sach- und Materialschaden aufgenommen, welcher die Summe von S 25.035,– ergab und mittels einer Eingabe und Bitte an die Sicherheitsdirektion vorgelegt. Zum Glück war das angrenzende Geschäftslokal frei und wurde uns dieses, welches nur notdürftig hergerichtet, da es ebenfalls schweren Schaden litt, zur vorläufigen Benützung zugesprochen, bis unsere Ruine wiederaufgebaut ist. Wir standen ca. 3 Wochen ohne Lokal und Waren, folglich auch ohne Einnahmen da, bis uns einige Fabrikanten hilfsbereit etwas Ware zur Verfügung stellten.

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Natürlich war inzwischen die Saison, auf welche wir alle Hoffnungen gesetzt haben, zu Ende, und wir konnten nur mit aller Zähigkeit und Willensstärke bis jetzt durchhalten, aber wenn nicht sehr rasche Hilfe kommt, wissen wir nicht, was werden wird. Der Schaden hat sich bis jetzt wesentlich erhöht, da wir keine Ware hatten, wir einerseits täglich so und so viel Kunden fortschicken mussten, weil wir keine Hüte bzw. keine Auswahl hatten, was bei uns die Kunde gewöhnt war, andererseits hatten wir trotz vieler Vorsprachen und Bitten wie Eingaben an die Sicherheitsdirektion von dieser keine Unterstützung erhalten, um eventuell Ware nachschaffen zu können, um wenigstens einen Teil unserer Lieferanten befriedigen zu können. Nach Aufnahme und den Erhebungen haben wir mittels Rundschreiben alle Fabrikanten von unserem schweren Unglück verständigt und auch vorläufig bis zur Schadensgutmachung alle Zahlungen eingestellt. Hat ohnedies die Firma durch die schwere Wirtschaftskrise wie Schmutzkonkurrenz als Spezialgeschäft schon schwer gelitten, musste diese weltbekannte und älteste Firma auch noch diesen schweren Schlag mitmachen, um bis zur Vernichtung vollkommen zertrümmert zu werden. Leider trifft uns noch ein zweiter großer Schlag, die vollständige Abweisung des Schadenersatzes durch die Sicherheitsdirektion (…) Wir bitten den geehrten Verband der österreichischen Hutindustriellen höflichst wie dringend, im Ministerium um rasche Hilfeleistung vorzusprechen, denn ich hoffe, dass unser geehrter Handelsminister, Herr Kommerzialrat Stockinger, nicht duldet, dass man die älteste und beliebteste Hutfirma in Salzburg dem vollständigen Ruin preisgibt (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 13. Februar 1935. An den Herrn Sicherheitsdirektor für Salzburg in Salzburg. Beim Herrn Bundesminister für Handel und Verkehr und beim n.ö. Gewerbeverein in Wien wurde in der Angelegenheit der Firma Anton Blum, Hutfabrik in Salzburg, interveniert, (…) Es wird ersucht, unter Anschluss der dortigen Verhandlungsschriften über den Sachverhalt umgehend antragstellend anher zu berichten. (…)

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 28. Februar 1935. Zl. 5312/29. Betr.: Blum Anton, Salzburg Schadenersatz aus einem Terroranschlag. An das Bundeskanzleramt G.D.2 in Wien. In Entsprechung des dä. Erlasses vom 13.2.1935, Zl. 309.915-G.D.2, wird berichtet  : Aus dem Bericht der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 22.9.1934 geht klar hervor, dass sowohl die Firmeninhaberin, Frau Wiesinger, als auch der Geschäftsführer, Karl Blum, nationalsozialistisch eingestellt sind. Die nationalsozialistische Einstellung der Firmeninhaberin geht auch aus dem in Abschrift angeschlossenen Brief einer Angestellten Blums an ihren nach Deutschland geflüchteten Bräutigam hervor (Der Brief wurde von der Polizei beschlagnahmt). Mit hä. Bescheid vom 15.1.1935, Zl. 5312/21, wurde die Schadensvergütung an die Firma Blum ohne Begründung abgelehnt, um zu verhindern, dass die Firma auf Grund der amtlichen Bestätigung der nationalsozialistischen Einstellung ihre Schadenvergütung durch die NSDAP bekommt, wie Versuche hierzu im Brief der Angestellten bereits angedeutet sind. Bei der Bundespolizeidirektion Salzburg erfolgten im Jänner 1935 neuerliche Zeugeneinvernahmen, die die nationalsozialistische Einstellung der Firma einwandfrei bestätigten. Mit Rücksicht auf diese Einstellung der Firma wurde die Schadensvergütung abgelehnt und könnte auch die Zuerkennung eines noch so kleinen Schadenersatzbeitrages im Gnadenwege nicht befürwortet werden. (…) Abschrift Salzburg, 27.11.1934 Mein lieber Loisl  ! (…) manchmal bin ich schon ganz verdrossen über diese Lage, aber wenn ich an Dich denke, ertrage ich wieder alles leichter, es gebe Gott, dass auch für uns wieder einmal die Sonne scheint, denn jetzt ist es sehr finster bei unserem Leben. (…) Denn unsere Firma steht vor dem Ruin, denn sie bekommt keine Entschädigung, weil es heißt, sie sind zu nationalsozialistisch eingestellt. Somit müssen sie, wenn keine Erlösung kommt, in Konkurs gehen. Auch ich verliere meine Ansprüche und habe 12 Jahre nur für die Organisation gearbeitet. Das kann niemand verantworten, was an unserer Firma verbrochen wurde, meine Chefin ist ganz fertig, wenn es so weiter geht, wird es ihr Herz nicht mehr mitmachen. Sie ist jetzt 66 Jahre, steht vor ihrem

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Geschäftsuntergang, kannst Dir vorstellen, was das für eine Frau, die ihr Leben lang gearbeitet hat, heißt. Es ist ein Werk dieser Bomber und Böller, die doch nichts genützt, nur geschadet und Unglück gestiftet haben. Über diesen Fall werde ich Dir viel erzählen. Auch meine Nerven sind fertig, denn auch ich habe bis heute keine Ruhe, immer wieder werde ich verhört. Weißt, man weiß, wie ich eingestellt bin, aber nachweisen können sie mir doch nichts, auch bin ich Gott sei Dank nicht am Mund gefallen, dass ich mich nicht verteidigen kann, aber immer wieder die Fragen und doch eine Angst, sie könnten einen auch unschuldig einsperren wie es so vielen geht, macht einen schon sehr fertig. Darum sind Deine Zeilen für mich immer ein Trost. Denn unser Führer wird auch bei uns noch alles recht machen, nur der Glaube an ihn kann einen aufrecht erhalten. Werde ja versuchen, wenn ich hinaus komme, ob ich für unsere Firma etwas erreichen kann. Kannst Du, Loisl, nichts machen bei deinem Chef, es ist nur eine Frage. Ich weiß ja nicht, ob Du mit ihm darüber sprechen kannst, denn wenn sie nur einige 1.000 Schilling bekommen würden, könnten sie sich über Wasser halten. Da könnte meines Erachtens schon geschehen, denn ich weiß doch, von wo es kam. Auch Du weißt, wie sie eingestellt ist, die Frau Blum, nur Mitglied war sie keines, nur aus Rücksicht, weil wir doch in dem schwarzen Haus drinnen unser Geschäft haben. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 11. Juni 1937. Geschäftszahl  : 333.845-G.D.2/37 (Vorzahl  : 316.161-G.D.2/1935). Gegenstand  : Blum Anton in Salzburg, Schadenersatz aus einem Terroranschlag. In einem an den Herrn Bundeskanzler gerichteten und von der Landesführung Salzburg der Vaterländischen Front sowie der Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie in Salzburg befürworteten Ansuchen werden Elise Wiesinger als Inhaberin und Karl Blum als Geschäftsführer der Firma Anton Blum in Salzburg unter Hinweis auf das Fälligwerden der Verbindlichkeiten aus Anlass des seinerzeit erfolgten Sprengstoffanschlages, durch den das Unternehmen zu Schaden gekommen war, neuerlich um Unterstützung bittlich.15 Zu einer Verfügung im Gegenstande besteht im Hinblicke auf die aus den Vorakten ersichtlichen Umstände weder eine Handhabe noch eine Möglichkeit. Überdies wäre mit Rücksicht auf die gegenwärtige innenpolitische Situation selbst bei Anspruchsanerkennung eine Schadloshaltung im Wege neuerlicher Ersatzvorschreibungen nicht mehr denkbar. 15 Am 18. Mai 1937 wandte sich Anton Blum in einem Schreiben an Bundeskanzler Kurt Schuschnigg mit der Bitte, sich seines Ansuchens um Schadensersatzleistung positiv anzunehmen.

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Das Ansuchen wäre daher, da der Sachverhalt unverändert gleichgeblieben ist, dem Sicherheitsdirektor für Salzburg abzutreten. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 26. Oktober 1937. Zl. 3577/2. Betr.: Blum Anton, Hutfabrikant, Bitte um Schadenersatz. An das Bundeskanzleramt G.D., St.B., in Wien. Zum Erlass G.D. 359.090-St.B. vom 28.9.193716 beehre ich mich zu berichten  : Wie bereits mit dem h. a. Bericht Zl. 5312/29 vom 1.3.1935 dem Bundeskanzleramt (…) gemeldet wurde, wurde die Bitte der Firma Blum um Ersatz des Schadens, der durch den Bölleranschlag am 30.7.1934 in dem Geschäftslokal verursacht worden war, abgelehnt, da die politische Einstellung der Firmeninhaberin Frau Elisabeth Wiesinger, geb. Blum, verw. Dörfler, 18.11.1868 in Salzburg geb. und zust., als auch des Geschäftsführers Karl Blum, 18.3.1895 in Salzburg geb. und zust., eine Berücksichtigung untunlich erscheinen ließ. Insbesondere wurde die nationalsozialistische Einstellung der Firmeninhaberin durch ein von der Bundespolizeidirektion Salzburg beschlagnahmtes Schreiben einer Angestellten Blums an ihren nach Deutschland geflüchteten Bräutigam erwiesen. (…) Frau Elisabeth Wiesinger ist auch heute nicht Mitglied der Vaterländischen Front, jedoch Mitglied des Gewerbebundes. Karl Blum gilt auch heute noch als überzeugter Nationalsozialist  ; er wurde am 19.9.1937 von der Bundespolizeidirektion Salzburg wegen »Heil-Hitler  !«-Rufens in einem öffentlichen Lokal mit S 50,– bestraft. Mit Rücksicht auf diese offensichtlich bedenkliche politische Einstellung der Besitzerin sowie des Geschäftsführers kann die vorgebrachte Bitte nicht befürwortet werden.

16 Aufgrund der neuerlichen Intervention von Anton Blum bei Bundesminister Edmund Glaise-Horstenau am 2. August 1937 wandte sich das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, an den Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg mit der Bitte um Informationen über Anton Blum. (Geschäftszahl  : 359.090-St.B.)

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 10. November 1937. Zl. 3577/3. Betr.: Blum Anton, Hutfabrikant, Salzburg, Bitte um Schadenersatz. An das Bundeskanzleramt St.B. in Wien. Zu Erlass G.D. 365.252-St.B. vom 3. November 1937  :17 (…) Die Wiesinger war laut Bericht der Polizeidirektion aus dem Jahre 1934 regierungsfeindlich eingestellt, bezeichnete den Tod des Bundeskanzlers Dr. Dollfuß als Erlösung der nationalen Kreise und beschuldigt den Heimatschutz des Sprengstoffanschlages am 30. Juli 1934. Karl Blum gehörte der Großdeutschen Volkspartei an, war 1 Jahr Mitglied des Heimatschutzes, kehrte zur Zeit, als die NSDAP Deutschlands zur Macht kam, dem Heimatschutz den Rücken und verhehlte niemandem seine geistige Zugehörigkeit zur NSDAP. Mitglied der Partei war er nicht. Die von der Polizei im Jahre 1934 eingehend gepflogenen Erhebungen bestätigten die nationalsozialistische Einstellung von Mutter und Sohn. (…) Zum Sachverhalt selbst beehre ich mich weiters zu berichten  : Das Geschäft, ein kleiner unansehnlicher Laden, befand sich am Tage des Anschlages im Hause des Katholischen Pressvereines, Dreifaltigkeitsgasse Nr. 13. Der Sprengsatz kam im Kellergewölbe nach Geschäftsschluss, als niemand mehr im Geschäft war, zu Explosion. Die Hauptgeschädigten waren das Hotel Bristol mit S 12.463,– und der Pressverein mit S 9.478,–. Deren Forderungen wurden mit 75 Prozent befriedigt, hingegen die kleineren Schäden zur Gänze gutgemacht wurden. Blum meldete damals einen Gesamtschaden von S 25.000,– an, den der Vorsteher der Innung Ludwig Zapf und dessen Stellvertreter Franz Scherzer bestätigten. Beide standen und stehen der NSDAP nicht ferne. So hatte beispielsweise Zapf beim Eintreffen des Erzherzogs Eugen in Werfen auf seinem Hause die deutsche Reichsflagge aufgezogen. Der Schaden wurde um sicher 50 Prozent zu hoch angenommen. Eine Überprüfung der Schadenshöhe wurde damals nicht veranlasst, da nie beabsichtigt war, Blum infolge seiner Einstellung den Schaden zu ersetzen. Blum wurde 17 Am 3. November wandte sich das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, neuerlich an den Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg mit der Bitte um Mitteilung, ob der von Anton Blum in seinen Interventionsschreiben angeführte Sachverhalt den Tatsachen entspreche. (Geschäftszahl  : 365.252-G.D./St.B./37.)

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vielfach des Anschlags verdächtigt. Der Hauseigentümer hat mit dem vom Sicherheitsdirektor empfangenen Betrag im Jahre 1935 das Haus bei Berücksichtigung zeitgemäßer Ansprüche adaptiert. Die Firma Blum hat heute im selben Haus ein dem verwöhnten Geschmack entsprechend eingerichtetes vergrößertes Geschäftslokal. Es ist nicht ausgeschlossen, dass er mit Parteigeldern seinen Betrieb vergrößerte und verschönerte. Ich glaube empfehlen zu können, Blum, der in seiner Unverfrorenheit alle möglichen Stellen beschäftigt hat, kurz abzuweisen. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 17. Juli 1937. Geschäftszahl  : 335.698-G.D.5/37. Gegenstand  : Raiffeisenkasse in Bramberg, Antrag auf Enthebung von politisch unzuverlässigen Funktionären. Die Landesführung der Vaterländischen Front verlangt in einem Schreiben an die Landeshauptmannschaft von Salzburg, diese möge als Aufsichtsbehörde die notwendigen Schritte unternehmen, um den Gastwirt Johann Fürschnaller, der als Zahlmeister der Raiffeisenkasse Bramberg fungiert, dieser Funktion zu entheben und das Lokal der Raiffeisenkasse aus dem Gasthaus Fürschnaller wegzuverlegen. Dieser Antrag wird damit begründet, dass Fürschnaller früher Ortsgruppenführer der NSDAP war,18 später in ein Anhaltelager abgegeben und schließlich Ende 1936 wegen seiner nationalsozialistischen Gesinnung aus der Vaterländischen Front ausgeschlossen wurde. Die Landeshauptmannschaft in Salzburg hat die Eingabe der Vaterländischen Front unter Anschluss eines Berichtes des Gendarmerie-Postenkommandos Bramberg, E.Nr. 1399, vom 25. August 1936 zur zuständigen Verfügung vorgelegt. Aus dem Gendarmeriebericht geht hervor, das Fürschnaller im Jahr 1933 wegen Verdachtes des Hochverrates, im Jahr 1934 wegen Verdachtes der Aufwiegelung beim Bezirksgericht Mittersill in Untersuchungshaft und im Jahr 1934 4 Wochen lang in Wöllersdorf angehalten war. Außerdem wurde er wiederholt der Bezirkshauptmannschaft Zell am See (offenbar wegen verbotener illegaler Betätigung) angezeigt und bestraft und vom Sicherheitsdirektor für Salzburg zu einer Ersatzleistung verhalten. Er gilt nach wie vor als radikal nationalsozialistisch eingestellt. Die Leitung der Raiffeisenkasse liegt nach dem erwähnten Bericht vollständig in den

18 Fürstaller hatte die NSDAP-Mitgliedsnummer 1,388.282.

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Händen des Johann Fürschnaller, zumal der Obmann der Kasse ein Laie und auf den Zahlmeister angewiesen ist. In dem Gendarmeriebericht wird dargelegt, dass die Verhältnisse innerhalb der Raiffeisenkasse unbedingt eine Änderung erheischen und zur Abhilfe vorgeschlagen, dass 1. das Kassenlokal in ein politisch verlässliches Haus verlegt, 2. der Zahlmeister Fürschnaller durch eine politisch einwandfreie Person ersetzt und 3. ein gewisser Markus Arnsteiner vom Aufsichtsrat ausgeschieden und an seine Stelle ein vaterländisch eingestellter Mann berufen wird. Der erwähnte Markus Arnsteiner wird in dem Bericht als einer der einflussreichsten Nationalsozialisten von Bramberg bezeichnet,19 dem wegen seiner politischen Unzuverlässlichkeit die Tabaktrafik entzogen wurde. Er wurde im Jahr 1933 wegen Beleidigung des Bundeskanzlers der Bezirkshauptmannschaft Zell am See angezeigt. Der Einlauf wäre dem Sicherheitsdirektor zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens zu übermitteln, der nach Einholung der Stellungnahme des zuständigen Revisionsverbandes im Einvernehmen mit der Landeshauptmannschaft die notwendigen Anträge zu stellen hätte. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 9. Oktober 1937. Geschäftszahl  : 359.9054-G.D./St.B.37 (Vorzahl  : 343.571-St.B./37). Gegenstand  : Nationalsozialistische Beeinflussung des Fremdenverkehres in Bad Gastein. Vaterländische Front, Landesführung Salzburg Salzburg, Dollfußplatz Nr. 7. Salzburg, 9. Juli 1937. An das Generalsekretariat der Vaterländischen Front, Dienstgruppe I, Wien. Von der Hauptgruppe Bad Gastein der Vaterländischen Front erhalten wir heute beiliegende Abschrift einer Liste, welche in allerletzter Zeit in den Zügen Freilassing-Salzburg an nach Gastein reisende Kurgäste verteilt wurde und eine offene Aufforderung zum Boykott der vaterländischen oder jüdischen Unternehmungen in Gastein enthält. Die Richtigkeit dieser Mitteilung wird durch Augenzeugen erhärtet. Interessant ist, dass der Betrieb des Bezirksführerstellvertreters, Bürgermeister Obrutschka (Hotel Tauernbahn in Böckstein) gleich zweimal unterstrichen und das

19 Lt. Bericht des Sicherheitsdirektors für Salzburg war Markus Arnsteiner im Jahr 1933 Mitglied der NSDAP.

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Kurhaus des Hauptgruppenführers von Bad Gastein (»Gruberhaus«) unterstrichen und mit einem Rufzeichen versehen ist. Dieser Boykott stellt eine ungeheure Herausforderung der vaterländischen Bevölkerung, nicht nur Bad Gasteins, dar und zwingt uns, alle irgendwie möglichen Schritte zu unternehmen, um demselben wirksam zu begegnen. Das Vorgehen der NSDAP ist umso unverständlicher, als es die Hauptgruppenführung Bad Gastein bisher unterlassen hat, eine energische Gangart gegen die nationalsozialistischen Kreise in Bad Gastein einzuschlagen und durchaus im Sinne einer Befriedung arbeitet. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 11. Juli 1937. Zl. 4104/2. Betr.: Fremdenverkehrsschädigende Propaganda in Bad Gastein. An das Bundeskanzleramt G.D./St.B. zu Handen des Herrn Ministerialsekretärs Dr. Nagy in Wien. Am 9. Juli 1937 ist mir zur Kenntnis gelangt. Dass in Bad Gastein dadurch fremdenverkehrsschädigende Propaganda betrieben wird, dass in letzte Zeit gedruckte Flugzettel mit der Aufschrift »Volksbewusste deutsche Gäste des Kurtortes Bad Gastein« herumgezeigt werden, in welchen den Kurgästen geraten wird, welche Hotels, Kurhäuser, Geschäfte, Ärzte etc. zu meiden oder besonders zu bevorzugen sind. Als besonders zu Bevorzugende scheinen in diesen Zetteln die nationalsozialistisch Eingestellten auf. Sofort nach Erhalt dieser Nachricht habe ich die entsprechenden Erhebungen eingeleitet, welche bisher folgendes Ergebnis hatten  : Der am 15.10.1877 in Zwickau in Sachsen geborene reichsdeutsche Staatsangehörige Friedrich Emil Grimm, Bankdirektor in Greiz, Thüringen wohnhaft, verheiratet, welcher in der Zeit vom 20. Juni bis 10. Juli 1937 in der Villa Mühlberger in Bad Gastein als Kurgast gewohnt hat, hat nach eigener Aussage zwei gleichlautende Exemplare der gegenständlichen Flugzettel am 19. Juni 1937 im Zuge auf der Fahrt von Salzburg nach Bad Gastein von einem unbekannten Manne erhalten. Vor einiger Zeit hat der Genannte im Bozner-Stüberl im Hotel Wildbad in Bad Gastein, wo er oft verkehrte und mit anderen reichsdeutschen Kurgästen zusammentraf, einen dieser Flugzettel einem reichsdeutschen Geheimrate namens Josef Kress (München, Maria-Theresien-Straße Nr. 10 wohnhaft) gezeigt, welcher den Zettel aber mit dem Bemerken, dass er ihn schon kenne, zurückgab.

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Zeuge dieses Vorfalls war der in Bad Gastein angestellte und wohnhafte Volksschullehrer Rudolf Stäuble. Dieser hat hiervon dem Gemeinderate Wilhelm Schlosser Mitteilung gemacht und hat sich über dessen Ersuchen ein Exemplar der gegenständlichen Flugzettel verschafft, welches dann dem Bürgermeister der Gemeinde Bad Gastein, Fritz Obrutschka, übergeben wurde. Auf diese Weise ist diese Angelegenheit in der Öffentlichkeit bekannt geworden und trug dieselbe wesentlich zur Beunruhigung der Geschäftswelt bei. Das zweite Exemplar dieser Liste hat Bankdirektor Grimm am 9. Juli l. Js. dem Sekretär der Gasteiner Hotel- und Kuranstalten A.G. (deutscher Besitz), Hans Günther Paech, ausgefolgt. (…) Diese beiden gleichlautenden Flugzettel (…) wurden nunmehr beschlagnahmt und liegt ein Exemplar (…) bei. Da die Effektendurchsuchung im Zimmer des Bankdirektors Grimm vollkommen negativ verlaufen ist und der Kommandant des Gendarmeriepostens Bad Gastein, Revierinspektor Schlager, bei der Einvernahme und den Erhebungen vom Genannten einen sehr günstigen Eindruck gewonnen hat sowie zu der Überzeugung gelangt ist, dass dessen Angaben den Tatsachen entsprechen und derselbe keinerlei Propaganda betreiben wollte, sondern nur in einer gewissen Weinstimmung, in der er sich nach den Erhebungen des Öfteren befand, das gegenständliche Verzeichnis gezeigt hat und vorläufig kein erwiesener strafbarer Tatbestand gegeben erscheint, habe ich verfügt, dass von einer weiteren Anhaltung des Genannten vorläufig Abstand zu nehmen ist. Ich habe ferner dem Genannten die Weiterreise nach Pörtschach am Wörthersee (Kärnten), wo derselbe seinen weiteren Urlaub verbringen will und bereits ein Zimmer bestellt hat, gestattet, zugleich aber die intensive weitere Untersuchung bzw. Verfolgung dieser Angelegenheit angeordnet, deren Ergebnis ich seinerzeit nachberichten werde. Im Zuge der gegenständlichen Erhebungen wurde Altbürgermeister und Hotelbesitzer Mühlberger20 in Bad Gastein einer eingehenden Berichterstattung über österreichische Verhältnisse an deutsche führende Männer überwiesen. In dieser Hin20 Der großdeutsche Hotelier und bisherige Vizebürgermeister Josef Mühlberger wurde als Spitzenkandidat des nationalen Bürgerblocks bei der Gemeindevertretungswahl 1931 Bürgermeister und beendete damit die zwölfjährige Ära der sozialdemokratischen Bürgermeister. Mühlberger übte die Funktion des Bürgermeisters bis zum Parteiverbot der NSDAP 1933 aus. Er wurde wegen seinem ab 1932 deutlich gewordenen ideologischen Schwenk zur NSDAP seines Amtes enthoben und verbüßte vom Juni bis Oktober 1934 eine Haft im Anhaltelager Wöllersdorf. Das Ende der demokratischen Gemeindevertretung Bad Gasteins erfolgte am 23. September 1933. An diesem Tag scheiterten der Heimatschutz und die Christlichsozialen mit ihrem Antrag im Gemeinderat, Ernst Rüdiger von Starhemberg und Engelbert Dollfuß zu Ehrenbürgern zu ernennen. Daraufhin legten die Gemeinderäte beider Fraktionen ihre Mandate zurück und lösten eine Krise aus. Die Landesregierung löste die Gemeindevertretung auf und ernannte Landesregierungsrat Dr. Herbert Del-Negro zum Regierungskommissär.

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sicht sind die Erhebungen noch nicht abgeschlossen. Auch scheint Mühlberger den Verfassern der erwähnten Listen nicht ganz ferne zu stehen. (…) Volksbewusste deutsche Gäste des Kurortes Bad Gastein Bevorzugen Meiden Hotels und Kurhäuser De l’Europe, Grand Hotel Astoria, Hotel Der Kaiserhof, Hotel Austria, Hotel Germania, Hotel Bellevue, Hotel Hirt, Haus Elisabethhof, Hotel Mozart, Hotel Gasteinerhof, Hotel Söntgen, Hotel Hiß’, Diätkuranstalt (jüdisch) Habsburgerhof Lothringen, Hotel Helenenburg, Evang. Hospiz Bismarck, Kurhaus Krone, Hotel Straubinger, Hotel Moser, Hotel Bristol, Kurhaus (jüdisch) Mühlberger Cäcilia, Kurhaus Oberhummer, Kurhaus Carmen, Kurhaus Rheinland, Villa Eden, Kurhaus Schider, Villa Dr. Gruberhaus Schillerhof, Hotel Hindenburg, Hotel Sonnwendhof Imperial, Hotel Viktoria, Villa Königsvilla, Hotel Alpenblick Meranhaus Erzherzog Johann Wassing, Villa, Dr. (jüdisch) Glückauf, Villa Anna, Villa Tannenburg Christophurshof Bacher, Kurhaus Echo, Gasthof Bergfriede, Villa Erna. Kurhaus Eder, Pension Grabenwirt, Kurhaus Endlich, Miethaus Grammer, Kurhaus Erlach, Miethaus Hochland, Kurhaus Friedrichslaube Hubertus, Villa Lainerhaus Trude Pyrkershöhe, Kurhaus Katic, Villa Wien, Café In Böckstein Hotel Böckstein

Pension Gruber

Stimmungen und Befindlichkeiten

Hotel Kurhaus (Rader) Gasthof Radhausberg Villa Tirol (…) Ärzte Dr. Ernst Fischbach Dr. Karl Mild Primarius Dr. Alois Thaler Dr. Alois Windischbauer Dr. Otmar Huber Dr. Fred Röder (Jude) Dr. Josef Schneyer (Jude) Dr. Anton Wassing (Jude) Dr. Leo Wikullil (…)

Villa Bader Hotel Tauernbahn

Dr. Hans Bachrach (Jude) Dr. Guido Brecher (Jude) Dr. Siegfried Altmann (Jude) Dr. Otto Eisenschimmel (Jude) Dr. Karl Hiss (Jude)

Verschiedene Geschäfte Kaufhaus Alois Rainer Appenzeller Salomon (Jude) Kaufhaus Hans Oberhummer Böhm, Karl, Teppiche (Jude) Kaufhaus Mittermayer, Böckstein Bürgmann, Julie, Feinkost Kaufhaus Kartlieb, Böckstein Bischoff, Werner, Loden (Jude) Blumensalon Meisinger Eckstein, Jutta, Wäsche (Jude) Blumensalon Treutlein Goldschmiedekunst (Jude) Elekrowaren Ing. Rudolf Schurk Horowitz & Co., Pelze (Jude) Edelstein. Kessler T.W. Söhne Heymerle, Galanterie Kunstgewerbe  : Elise Staab Kiederer, Strümpfe und Wäsche Modistin  : Anny Noest König A., Konfektion (Jude) Modistin  : Schifferer Vilma Munk K., Galanterie (Jude) Molkerei  : Anna Herbeck Prunar H., Pelze (Jude) Selcherei  : Robert Krisch Rubin, Teppiche (Jude) Obsthandlungen  : Schmeidler, Bandagist (Jude) Auer Wetti Steininger, Susi (Jude) Brettschuh »Roselle« Feige Tronbach (Jude) Freund Stone & Blyth (Jude) Mehr Wienermelkerei Oberhuber Haus Fortuna Obsthandlung Franz Eder Schreiber Foto  : Wolfbauer Paetzel, Elisabeth, Galanterie Sib Zobel, Pelze (Jude) Optiker und Uhrmacher  : Franz Karl Wildfelle  : Höhn, Böckstein Fotowaren  :

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Die Berichte

Papierhandlung Wlaschek Papierhandlung Haas (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 21. Juli 1937. Zl. 4206. Betr.: Mühlberger Josef, Kurhausbesitzer in Bad Gastein, wirtschaftsschädigendes Verhalten durch österreichfeindliche Auslandskorrespondenz. An das Bundeskanzleramt St.B. in Wien. Am 10. Juli d. Js. wurde vom Gendarmerieposten Bad Gastein bei dem reichsdeutschen Kurgast Emil Friedrich Grimm wegen Verdachtes eines wirtschaftsschädigenden Verhaltens und verbotener Propaganda für die NSDAP eine Effektendurchsuchung vorgenommen und bei diesem ein Brief des Kurhausbesitzers Josef Mühlberger vorgefunden, aus welchem zu entnehmen war, dass Mühlberger sich bei seiner Korrespondenz mit Reichsdeutschen einer sehr österreichfeindlichen Schreibweise bedient. Bei der nunmehr sofort vorgenommenen Hausdurchsuchung bei Josef Mühlberger wurden eine Anzahl von Briefdurchschriften an prominente Reichsdeutsche vorgefunden und beschlagnahmt. Ich beehre mich, die interessanteren und wichtigeren Briefabschriften hiermit zur Kenntnisnahme mit dem Beifügen vorzulegen, dass Mühlberger auch mit dem seinerzeit wegen politischer Betätigung aus Österreich ausgebürgerten Notar Riegele21 (Schwager des deutschen Ministerpräsidenten Göring22) in Korrespondenz stand. Die Antwortbriefe der Reichsdeutschen, die nicht in Abschrift genommen worden sind, sind durchwegs in sehr anständigem Ton gehalten und findet man keine ab21 Muss heißen Rigele. Friedrich (Fritz) Rigele (1878–1937) war Notar in Saalfelden und ein hervorragender Alpinist, der als der Erfinder des Eisenhakeneinsatzes gilt. 1912 heiratete er Olga Göring, die Schwester Hermann Görings. In seiner Kanzlei in Saalfelden war auch Franz Hueber beschäftigt, der hier Olga Görings Schwester Paula kennenlernte und sie später heiratete. Rigele war glühender Antisemit und betrieb den Ausschluss der jüdischen »Sektion Deutschland« aus dem Deutschen und Österreichischen Alpenverein. 1936 trat er an die Spitze des vom NS-Regime geschaffenen »Reichsdeutschen Sektionstags«, der die Interessen des nationalsozialistisch orientierten Deutschen Bergsteigerverbandes gegenüber dem Deutschen und Österreichischen Alpenverein vertrat. 1937 verunglückte er in den Berchtesgadener Alpen tödlich. 22 Muss heißen preußischer Ministerpräsident.

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fälligen Bemerkungen über die österreichische Regierung oder über österreichische Verhältnisse. Aus sämtlichen Briefen ging allerdings hervor, dass die Deutschen den politischen Zwist zwischen Deutschen und Österreichern sehr schmerzlich empfinden. Antwortschreiben des Notars Riegele wurden bei der Durchsuchung nicht vorgefunden. Josef Mühlberger wurde im Jahre 1933 wegen seiner fanatisch nationalsozialistischen Einstellung vom Posten des Bürgermeisters in Bad Gastein enthoben und wurde auch einige Zeit später in das Anhaltelager nach Wöllersdorf abgegeben. (…) Brief vom 29. Dezember 1934 an Frau Kampfmeyer. Sehr geehrte gnädige Frau  ! (…) Ich war bei meiner Rückkehr im Oktober23 über die Frequenzziffer und noch mehr über die finanzielle Auswirkung entsetzt.24 Wie mir meine arme Frau, die ja während meiner Abwesenheit alle möglichen Schikanen ertragen musste, erzählte, haben ja die bisherigen Sommergäste gegen unsere Häuser eine offene Boykottbewegung betrieben25 und sogar alte, nur jüdisch aussehende Hausstammgäste, wurden auf der Promenade befragt, wie sie denn in so einem Haus wohnen könnten. (…) Neujahrsbrief 1935 an alle Gäste. Wissend, dass viele unserer alten Gäste sich auch für unser persönliches Befinden ebenso wie für die Ereignisse im Kurort interessieren, will ich Ihnen nachstehende zusammenfassende Schilderung meinem heutigen Brief beischließen. (…) Wirtschaftlich geht es uns Gasteiner (…) denkbar schlecht. Oben beliebt man die abgelaufene Saison als eine überraschend gut verlaufene zu bezeichnen und zieht im-

23 Aus dem Anhaltelager Wöllersdorf. 24 Gemeint sind die Auswirkungen der Tausend Mark-Sperre vom 1. Juni 1933 auf den vor allem von deutschen Gästen abhängigen Fremdenverkehr in Bad Gastein. Die Gesamtzahl der Sommergäste sank von 31.000 (1932) auf 19.697 (1933) und schließlich auf 15.261 (1934). Jene der deutschen Sommergäste im gleichen Zeitraum von 16.141 auf 1.909 und schließlich auf 354. Hatte der Anteil der deutschen Sommergäste 1932 an der Gesamtzahl der Sommergäste noch 52,1 Prozent betragen, so sank dieser Wert 1934 auf 2,3 Prozent. Der dramatische Rückgang der deutschen Sommergäste bereits im Jahr 1933 bewirkte, dass zahlreiche Kurhaus- und Hotelbesitzer die laufenden Gemeindeabgaben für Trinkwasser, Thermalwasser und Fremdenzimmer nicht mehr bezahlen konnten. Vor allem die deutschnationalen Hotel- und Kurhausbesitzer litten am stärksten unter dem Ausbleiben der deutschen Gäste, da ihre Häuser von jüdischen Gästen gemieden wurden. Vgl. Krisch  : Zersprengt die Dollfußketten. S. 94f. 25 Angesichts des wachsenden Antisemitismus in Bad Gastein boykottierten jüdische Gäste deutschnationale und als nationalsozialistisch geltende Hotels, Kurhäuser und Restaurants.

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mer Vergleiche mit dem Sommer 1934.26 Es ist aber eine Selbsttäuschung, wenn ich den Katastrophensommer 1934 als Basis für die Besserung der Verhältnisse nehme, denn auch im Jahre 1935 dürfte in Bad Gastein keiner der Betriebe in der Lage gewesen sein, seine Zinsen aufzubringen und ohne Verlust abzuschneiden. Nun wird die Beschränkung bei der Schutzmaßnahme der Geschäftsaufsicht manchen Fall hoffnungslos machen.27 Ein Teil der bedrängten Gasteiner bekam ja im Vorjahre von der Regierung (Hotelsanierung) Darlehen, doch meist auch nur im ungenügenden Maße. Meine Frau und ich waren damals – wegen meiner Internierung in Wöllersdorf – als staatsgefährlich betrachtet, leer ausgegangen. Unter dem internationalen jüdischen Publikum wurde in den letzten Sommern vor dem besuche der Villa Mühlberger direkt gewarnt. Politisch lässt sich nicht viel erzählen, denn heute läuft man ja bei einem Brief ins Reich gleich in Gefahr, in Hochverratsverdacht zu kommen. Sind doch alle Ausdrücke wie »Julfeier« nicht gestattet.

26 Wenngleich die Sommergästezahl 1935 mit 21.040 mit rund 10.000 jene des Jahres 1932 unterschritt, so zeigte sich doch gegenüber 1934 mit einem Zuwachs von rund 6.000 eine deutliche Steigerung. Es gelang der österreichischen und Salzburger Fremdenverkehrswerbung, wenn auch in regional unterschiedlichem Ausmaß, den massiven Rückgang im Fremdenverkehr 1933 allmählich durch die Gewinnung neuer Touristensegmente vor allem aus dem westlichen Ausland auszugleichen. Ab 1934/35 fand eine – vor allem auch jüdische – Solidarisierung statt, die sich in einem verstärkten Anteil jüdischer Touristen niederschlug. Im Fall von Bad Gastein nahmen die jüdischen Gäste vor allen in den jüdischen und sog. vaterländischen (christlichsozialen) Betrieben Quartier. Da die deutschnationalen und nationalsozialistischen Betriebe überdurchschnittlich von den deutschen Gästen frequentiert wurden, litten sie besonders unter der Tausend Mark-Sperre. Die im Jahr 1937 auftauchende Liste der empfohlenen und zu meidenden Hotels, Kuranstalten, Geschäfte und Ärzte für »volksbewusste deutsche Gäste« nannte 56 Prozent der Gasteiner Hotels und Kuranstalten als empfehlenswert. Laurenz Krisch hat in seiner Untersuchung über den Nationalsozialismus in Bad Gastein darauf hingewiesen, dass sich 1937 40 Prozent aller klassifizierten Gastronomen als illegale Nationalsozialisten betätigten. Damit gab es mehr illegale Nationalsozialisten unter den Hotel- und Gastwirten als sog. »vaterländisch« Gesinnte. Noch stärker war die Diskrepanz bei den Geschäftsleuten. Von den insgesamt 69 Geschäftsleuten wurden nur 11 Prozent als »vaterländisch« beurteilt, 28 Prozent als »jüdisch« deklariert. (Krisch  : Zersprengt die Dollfußketten. S. 102f.) 27 In den Dreißigerjahren waren insgesamt 151 Bad Gasteiner Gewerbetreibende aufgrund ihrer finanziellen Schwierigkeiten existenziell bedroht, bei 66 Betrieben wurde ein Ausgleich durchgeführt. Zudem wurden bei 69 Betrieben 103 gerichtliche Versteigerungen durchgeführt, 10 Betriebe befanden sich 1934 unter Zwangsverwaltung und für 39 Betriebe wurde die Geschäftsaufsicht beantragt, von den 27 gerichtlichen Konkursen wurden 16 mangels Masse abgewiesen. In den Genuss der Hotelsanierungsaktion 1934 kamen nur 20 Hoteliers und Kurhausbesitzer, da deren Vergabe an eine vaterländische Gesinnung gebunden war. (Krisch  : Zersprengt die Dollfußketten. S. 104.)

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Die Kontraste, die zwischen unseren Regierungen bestehen, lassen uns leider nicht viel Hoffnung für die nächste Zukunft schöpfen und wir getrauen uns schon gar nicht mehr zu hoffen, in noch halbwegs gesicherter Existenz den Tag zu erleben, der uns wieder freie, offene Grenzen bringt. Brief vom 26. Jänner 1937 an Admiral Albertus Petruschky28 in Kiel. Sehr verehrter Herr Admiral  ! Die Verhältnisse in Gastein sind bedrückend, denn durch die vierjährige Sperre, die ja durch die Devisenschwierigkeiten29 eigentlich derzeit noch besteht, sowie durch die politischen Verhältnisse ringen fast alle alten Gasteiner Familien schwer um die Erhaltung ihrer Elternhäuser. Wir hoffen, dass, wenn auch in beschränktem Umfange, im kommenden Sommer doch ein Teil der lieben treuen Gäste aus dem Reich wiederkommen kann und uns dadurch nicht nur finanziell, sondern auch moralisch neue Hoffnung bringt. Meine Frau war zwei Sommer allein im Betrieb, denn im Jahre 1934 lernte ich im Sommer das Anhaltelager Wöllersdorf kennen, wo ich mich als Geisel über drei Monate befand und als Folgeerscheinung hatte ich dann im nächsten Sommer eine Knochenmarkseiterung, die mich wieder über drei Monate vom Betrieb fernhielt. Leider glaubt man im Reich, Österreich sei seit dem 11. Juli vergangenen Jahres befriedet. Dem ist aber nicht so, denn alles, was für den Wiederaufstieg des Reiches ehrlich und rückhaltlos begeistert ist, bleibt Staatsbürger zweiter Güte. So wurde uns erst vor einigen Tagen der Pass abgenommen, da wir mit vielen anderen (ca. 25.000) Österreichern die Veranstaltungen des 9. November in München ansahen.30 Wie sehr wir uns natürlich auf die Wiederkehr unserer lieben deutschen Gäste aus dem Reich freuen, können Sie, sehr verehrter Herr Admiral, sich denken, denn 28 Albertus Petruschky (1866–1943) war Konteradmiral der Kaiserlichen Deutschen Kriegsmarine. 29 Auch nach der offiziellen Aufhebung der Tausend Mark-Sperre infolge des Juliabkommens 1936 blieb der Zustrom deutscher Urlauber infolge der deutschen Devisenbeschränkung deutlich hinter den Erwartungen zurück. Infolge der deutschen Devisenknappheit durften deutsche Sommerurlauber bei ihrer jeweiligen Devisenstelle nur 250 Reichsmark umwechseln. Mit diesem Betrag war jedoch ein nur mittelfristiger Kuraufenthalt nicht zu finanzieren. Dadurch blieb die wirtschaftliche Lage für die meisten Gasteiner Betriebe weiterhin kritisch. 30 Der 9. November, der Tag des gescheiterten Hitler-Putsches 1923, wurde als »Volkstrauertag« zu einem zentralen Bestandteil des nationalsozialistischen Festkalenders und Kults um die 16 »Gefallenen der Bewegung« einerseits und die sog. »Blutordensträger«, die Überlebenden des Putsches, die »Alte Garde«. Vgl. Hans Günter Hockerts  : Mythos, Kult und Feste. München im nationalsozialistischen »Feierjahr«. – In  : Münchner Stadtmuseum (Hg.)  : München – »Hauptstadt der Bewegung«. – München 1993. S. 331–341  ; ders.: Parteikult. – In  : ebda. S. 349–354.

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letzten Endes entwickelte sich ja die politische Spannung, die heute noch unvermindert besteht, im Kampf um die deutschen Gäste, die auf der anderen Seite als braune Bolschewiken bezeichnet wurden. Brief vom 10. Februar 1937 an Admiral Albertus Petruschky in Kiel. Sehr verehrter Herr Admiral  ! Für Ihr freundliches Schreiben ergebenst dankend, versichere ich Sie der aufrichtigen Freude, die meine Frau und ich über Ihr Wiederkommen haben. Die im nun wieder herrlich groß gewordenen Reich lebenden Deutschen können gar nicht ermessen, was für uns die Wiederkehr der alten Gäste, vor allem in seelischer Beziehung, bedeutet. Wir sind ja so bescheiden geworden und opferbereit geblieben. Das einzige, über die täglich notwendigen Bedürfnisse Hinausgehende, was wir uns leisteten, war die Reise zum 9. November nach München. Dafür wurden uns nun wegen demonstrativer Teilnahme am »Volkstrauertage« die Reisepässe entzogen. (…) Brief vom 11. Februar 1937 an Herrn Jaacks, München. Sehr geehrter Herr Jaacks  ! (…) Ihr Brief war für uns sehr interessant, denn in Österreich hört man manches nicht, wenn wir auch in Vielem trotz Verbot orientiert sind. Z. B. wird über alles, was den abgedankten englischen König betrifft,31 der Mantel der christlichen (jüdischen) Nächstenliebe gebreitet, außer es handelt sich vielleicht um seinen Schimmel oder ähnliches. Unsere München-Reise hat schon ihren echt österreichischen Nachklang gefunden. Wegen Teilnahme am Volkstrauertag, bewiesen durch die Anwesenheit in München am 9. November, wurden uns die Reisepässe entzogen  ! Und wenn Neurath in diesem Monat nach Wien kommt, werden wohl auch wieder die Arreste überfüllt werden, und das nennt sich dann Freundschaft und Verständigung.32 Von diesem 31 Am 20. Jänner 1936 starb König Georg V. Ihm folgte sein Sohn, der Herzog von Windsor, als Edward VIII. (1894–1972), der durch seine Absicht, seine Geliebte, die bereits zweimal geschiedene US-Amerikanerin Wallis Simpson, zu heiraten, eine Verfassungskrise auslöste. Aufgrund des massiven Widerstandes von Premierminister Stanley Baldwin und der öffentlichen Meinung verzichtete Edward VIII. am 10. Dezember 1936 auf den Thron. Ihm folgte sein Bruder George VI. (1895–1952). Edward erhielt nach seinem Thronverzicht den Titel »Duke of Windsor« und heiratete 1939 Wallis Simpson. Die Ehe hielt bis zu seinem Tod 35 Jahre später im Jahr 1972. 32 Am 22./23. Februar 1937 besuchte der deutsche Außenminister Konstantin von Neurath Wien. Auf dem Weg vom Westbahnhof über die Mariahilfer Straße zur deutschen Gesandtschaft demonstrierten Tausende

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Gesichtspunkte aus fürchten wir eben sehr, dass wirkliche Devisenerleichterungen auf sich warten lassen werden. Wir haben in letzter Zeit schon einige Anmeldungen für den kommenden Sommer aus dem Reich und wie ich hörte, soll die Devisenzuteilung doch etwas leichter gehandhabt werden. Übrigens hatte ich auch im Vorjahre Gäste aus Berlin, die dann zu wenig Geld bekommen hatten, den angeforderten Betrag aber, nachdem die Aufenthaltsverlängerung durch einen hiesigen Arzt als dringend notwendig bestätigt worden war, ohne besondere Schwierigkeiten nachträglich bewilligt bekamen. Allerdings ist dabei nicht ohne Belang, in welchem Betrieb man wohnt und welcher Arzt dies bestätigt. (…) Brief vom 3. Juli 1937 an Notar Friedrich Rigele. Lieber, verehrter Herr Notar  ! (…) Ich hatte Mitte Juni 22 Gäste und alle waren, einschließlich der zwei Schweden, Gesinnungsgenossen. Wie wohl das tut, merken wir erst jetzt, wo die Hebräer, hanillegaler Nationalsozialisten mit »Heil Deutschland  !« und »Heil Hitler  !«-Rufen in Anwesenheit des österreichischen Bundeskanzlers Kurt Schuschnigg und des Staatssekretärs für Äußeres Guido Schmidt. Die Bundesregierung hatte im Sinne einer angestrebten außenpolitischen Entspannung im Vorfeld des Besuches auf entsprechende Maßnahmen gegen die illegale NSDAP verzichtet und sah sich nunmehr mit einer Massendemonstration konfrontiert, die im Ausland auch ein entsprechendes Presseecho auslöste. Um diesem verheerenden Eindruck entgegenzuwirken, mobilisierte die Regierung am kommenden Tag Tausende Angehörige der Frontmiliz und Mittelschüler, die auf dem Weg Neuraths zum Westbahnhof rot-weiß-rote Fahnen schwenkten und »Heil Schuschnigg  !« und »Nieder mit Hitler  !« riefen. Am 25. Februar erließ Gesandter Max Hoffinger einen Zirkularerlass an alle österreichischen Gesandten und Geschäftsträger im Ausland, in dem er abschließend auch auf die Vorfälle einging und diese herunterspielte. »Schließlich wird zu Ihrer Orientierung noch bemerkt, dass die Störung des Empfangs des Herrn Reichsaußenministers durch unverantwortliche Elemente, die auf beiden Seiten als unerwünscht und peinlich empfunden wurde, sich in mäßigen Grenzen gehalten hat und in ihrer Bedeutung nicht überschätzt werden darf. Es hat sich im Wesentlichen darum gehandelt, dass einige größere Gruppen von Angehörigen der aufgelösten Nationalsozialistischen Partei im Vertrauen darauf, dass behördlicherseits bei der Begrüßung des Gastes Repressivmaßnahmen nach Tunlichkeit vermieden werden würden, die Kundgebungen zu Ehren des Reichsministers zu Demonstrationen für die Nationalsozialistische Partei missbraucht haben, was zu einigen Zusammenstößen mit der über diese Taktlosigkeit empörten vaterländischen Bevölkerung und der staatlichen Exekutive geführt hat. Gegenüber den vielfach in der Auslandspresse erschienenen maßlos übertriebenen Ziffern kann festgestellt werden, dass die Zahl der Demonstranten nach den reichlicheren Schätzungen 10–15.000 nicht überstiegen hat und dass in dieser Ziffer zahlreiche aus den umliegenden Orten eigens herbeigeholte Personen, ferner die bei jedem Anlass lärmlustigen Elemente des Großstadtmobs inbegriffen sind, sodass die an der parteipolitischen Kundgebung beteiligte Menge nur einen verschwindenden Prozentsatz der bodenständigen Bevölkerung Wiens darstellt, die sich in ihrer weitaus überwältigenden Mehrheit völlig korrekt verhalten hat. Vorstehendes zur Regelung Ihrer Sprache, auch gegenüber der dortigen Regierung.« (ADÖ 11/1725.)

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delnd und preisdrückend, angemauschelt kommen.33 Leider sind die für die nächste Zeit vorgemerkten Bestellungen aus dem Reich wieder storniert, denn die Devisenknappheit scheint sich sehr vergrößert zu haben. Der Sommer wird also wieder recht mager werden. Die »Victoria« wurde uns nun vom ersten Satzpostgläubiger verpachtet, Motivierung war, dass wir ja, bei unserer nationalsozialistischen Gesinnung von Juden zum Teil boykottiert, nicht reüssieren können und bisher – einerseits bin darüber befriedigt – schneidet der Betrieb schlechter ab als im Vorjahr. Im Herbst wird das Elternhaus meiner Frau wohl über den Damm gehen müssen  ! Wir können’s nicht ändern und sind froh, uns in meinem Haus zu halten. Es wird bei uns eben nicht anders, bevor die große Veränderung nicht gekommen ist. Ich vergleiche die Verhältnisse zwischen hüben und drüben  ! Die große Freundschaft zwischen Feuer und Wasser kann nur zu Gunsten des einen oder anderen Elements enden. Wann  ? Wenn nicht morgen oder übermorgen, so doch noch zu unserer Kinder Lebzeiten. Stehen wir einmal auf eigenen Füßen, dann bin ich der großen Sorgen frei und werde lieber weiterwursteln als dies heute der Fall ist. (…) Meine Gattin holt heute Arnulf in Kremsmünster34 ab. Sind Sie froh, Ihren Jüngeren in keine österreichische Lehranstalt schicken zu müssen. Arnulf lernt brav und hält sich wacker, obwohl er als Nazi-Bub heute noch für meinen Wöllersdorf-Aufenthalt büßen muss. Erst unlängst gab’s einen großen Krach  ! Die Obergymnasiasten sahen dem Fußballwettspiel zwischen völkischem Turnverein Wels und Kremsmünster zu  ! Fazit eine Verwarnung, denn österreichischer Jugend ist nicht nur die Teilnahme an einem »solchen« Verein verboten, sondern es lässt der Besuch einer derartigen Veranstaltung sehr auf die Einstellung schließen und führt mindestens zu einer schlechteren Sittennote. Nun ist aber interessant, dass nur die als national geltenden Buben gemaßregelt wurden und all die anderen nicht gesehen worden waren  ! Ein Beispiel von vielen. (…) Wir bekommen eine Spielbank.35 Bedingung  : Rehrl musste S 200.000,– für seine Festspiele bekommen. Über Nacht erledigt. Wird im Kurkasino schon eingerichtet, kein Ton in der Presse  ! Wer sonst noch aller bekam  ? (…) 33 Ein Teil der jüdischen Gäste rief bei der einheimischen Bevölkerung vor allem nach der Verkündung der Tausend Mark-Sperre eine weit verbreitete Missstimmung hervor, die durch ein aus einer Position der Stärke geführtes offensives Preisverhandeln verursacht wurde. 34 Humanistisches Stiftsgymnasium. 35 Um die Attraktivität des Fremdenverkehrsortes zu erhöhen und die Finanzlage der Gemeinde zu verbessern, erfolgte 1937 die Eröffnung eines Spielkasinos. Die Berichte der Bundespolizeidirektion Salzburg über den Casinobetrieb in Bad Gastein im Sommer 1937 wiesen darauf hin, dass die erhofften finanziellen Erfolge, bedingt auch durch die äußerst schlechte Wetterlage, nicht eintraten. In der letzten Augustwoche verzeichnete das Casino lediglich einen Gewinn von S 100,–, weshalb die Betriebseinstellung des Spielcasinos durch den Spielbankenbetrieb im September 1937 erfolgte. (Vgl. Bundeskanzleramt/Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit. Geschäftszahl  : 349.343/37.)

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 26. Oktober 1937. Zl. 4206/9. Betr.: Mühlberger Josef, staatsfeindliches Verhalten. An das Bundeskanzleramt G.D./St.B. in Wien. Zum Erlass G.D. 349.990-St.B. vom 21.8.1937 beehre ich mich zu berichten, dass Josef Mühlberger mit Urteil des Bezirksgerichtes Bad Hofgastein vom 4.9.1937 rechtskräftig gem. § 308 StG. mit 14 Tagen strengen Arrestes bestraft wurde. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 13. November 1937. Geschäftszahl  : G.D. 368.660 St.B./37 (Vorzahl  : 365.253-St.B./37). zu Zahl 4206/9 vom 26. Oktober 1937. An den Herrn Sicherheitsdirektor für Salzburg in Salzburg. Da die Voraussetzungen für eine Maßnahme nach § 22 O.G. (Entzug der Gewerbeberechtigung) mit Rücksicht auf den Zeitpunkt der strafbaren Tat nicht gegeben sind, wird es dem d.o. Ermessen überlassen, die Gewerbebehörde damit zu befassen, die allenfalls den Wegfall der Unbescholtenheit und Verlässlichkeit feststellen und sonach auf Grund des § 57 Gewerbeordnung die Zurücknahme der Gewerbeberechtigung verfügen könnte. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 16. August 1937. Geschäftszahl  : 350.230-G.D./St.B.37. Gegenstand  : Professor Franz Scubitz, Beschwerde des deutschen Generalkonsuls in Salzburg. Der Einlaufakt enthält eine Note des deutschen Konsuls in Salzburg, in der ausgeführt wird, dass am Freitag, den 2. Juli 1937, in der öffentlichen kaufmännischen Wirtschaftsschule in Salzburg anlässlich der Zeugnisverteilung der Direktor-Stellvertreter Professor Dr. Franz Scubitz eine Rede hielt, in der er angeblich ausführte, dass der Nationalsozialismus eine Seuche sei, die Hundspeitsche für den Führer zu schade und dass man uns »ein besseres Deutschtum« nicht lehren brauche. Professor

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Scubitz habe angeblich diese Erklärung mit den Worten geschlossen, »er sei sich bewusst, dass dies Folgen nach sich ziehen werde.« Die Landeshauptmannschaft in Salzburg hat Professor Dr. Scubitz zu der Beschwerde einvernommen. Scubitz gab an, dass die von ihm gehaltene Ansprache nicht anlässlich der Zeugnisverteilung gehalten wurde, dass er aber tatsächlich über die maßlose Gewissenlosigkeit der illegalen Jugendverführer gesprochen, jedoch in keiner Weise auf die deutschen Verhältnisse oder den Reichskanzler und Führer angespielt habe. Die Abt. 13 pol. ersucht die Landeshauptmannschaft in Salzburg, den deutschen Generalkonsul in Salzburg zu verständigen, dass einwandfrei festgestellt werden konnte, dass die Person des deutschen Reichskanzlers von Professor Scubitz weder direkt noch indirekt erwähnt wurde, die Rede des genannten Professors richtete sich einzig und allein gegen die Anhänger der illegalen nationalsozialistischen Bewegung in Österreich, deren Machenschaften mit Recht gegeißelt werden. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 20. August 1937. Geschäftszahl  : 350.598-G.D./St.B.37 (Nachzahlen  : 356.158-St.B.37). Gegenstand  : Konzert im »Sternbräu« in Salzburg  ; nationalsozialistische Demonstration. Abschrift  : Salzburg, 28. August 1937 An die Direktion der Vaterländischen Front. Sonntag, den 25. Juli 1937, fand in Salzburg im vollbesetzten Saale des »Sternbräues« ein Konzert statt, bei welchem ein Bekannter mit seiner Frau zugegen war. Als die Kapelle plötzlich einen Marsch anstimmte, sprang das Publikum, das darauf schon gewartet zu heben schien, wie elektrisiert in die Höhe, umarmte und küsste sich, schrie und war wie toll. Als sich mein Bekannter und auch einige Fremde nach dem Grunde dieses eigenartigen Benehmens erkundigten, bedeutete man ihm, dies wäre der »Hitler-Marsch«. Und dies am Todestag unseres verstorbenen Kanzlers. Armes Österreich  !«

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Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 11. September 1937. Zahl  : 16.778/1. Betreff  : Konzert im »Sternbräu« in Salzburg. Nationalsozialistische Demonstration. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St.B., in Wien I., Herrengasse 7. Zum Erlass vom 19. August 1937, Zahl  : G.D. 350.598-St.B., beehrt sich die Bundespolizeidirektion Nachstehendes zu berichten  : Bei der Vaterländischen Front, Landesführung Salzburg, wurde anfangs August eine fast gleichlautende Mitteilung gemacht wie sie der Generaldirektion für öffentliche Sicherheit, St.B., zugekommen ist. Die Bundespolizeidirektion hat sofort nach Einlangen dieser Mitteilung seitens der Vaterländischen Front umgehende Erhebungen eingeleitet und konnte Nachstehendes feststellen  : Im Gasthof »Sternbräu« in Salzburg finden regelmäßig Konzerte unter der Leitung des Kapellmeisters Josef Pfleger, 14.7.1893 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., verh., Getreidegasse 52 wohnhaft, statt. Die Kapelle selbst wurde aus arbeitslosen Musikern gebildet. Am kritischen Tage ersuchte ein Reichsdeutscher, der unter den Gästen anwesend war, dass er einige Stücke dirigieren dürfe. Pfleger räumte dem Reichsdeutschen dies ein. Dieser dirigierte den Marsch »O, Du mein Österreich« und dann den BadenWeiler-Marsch. Dieser Reichsdeutsche, welcher durch seine Gestalt schon lächerlich wirkte, wirkte bei dem Dirigieren der Musikstücke noch lächerlicher, sodass das Publikum tatsächlich sich sehr belustigte. Die Bundespolizeidirektion hat nach Rücksprache mit der Vaterländischen Front dem Kapellmeister Pfleger eine strenge Verwarnung erteilt und ihm angedroht, dass, falls sich der geringste Anstand nochmals ergeben sollte, ihm die Befugnis als Konzertmeister zu wirken, entzogen werde. Dass sich das Publikum umarmt, geküsst und geschrien hätte, beruht nicht auf Wahrheit, weil der Kriminal-Revierinspektor Taferner der Bundespolizeidirektion bei diesem Konzert als Gast anwesend war und dies unbedingt hätte wahrnehmen müssen. Revierinspektor Taferner ist zuverlässig vaterlandstreu eingestellt, stand seit jeher im christlichen Lager und ist auch ein emsiger Förderer der katholischen Bühne im Gesellenhaus.

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Bundespolizeidirektion Wien Wien, 7. April 1929. Pr.Z. IV-741/29. Betreff  : Chwoyka Wilhelm Reinhold, Direktor der »Österreichischen Sicherheitsdienstgesellschaft m.b.H.« in Salzburg  ;36 Konzession zum Betriebe eines Privatbewachungsunternehmens in Wien. An das Bundeskanzleramt, Abteilung 9, in Wien.37 Unter Bezugnahme auf die Berichte Pr.Z. IV-741/29 vom 12. und 19. Februar 1929 beehrt sich die Bundespolizeidirektion in der Anlage eine zusammenfassende Information über die Verleihung der Konzession zum Betriebe eines Privatüberwachungsunternehmens an die »Österreichische Sicherheitsdienstgesellschaft m.b.H.« mit dem Beifügen in Vorlage zu bringen, dass es nach dem hieramtlichen Dafürhalten empfehlenswert wäre, diese Konzession im Hinblick auf die in den Vorberichten wie auch in der zuliegenden Information dargelegten Umstände ihrer Verleihung außer Kraft zu setzen.38 Dem Bundesministerium für Handel und Verkehr wurde unter Einem im Gegenstande berichtet. W.R. Chwoyka Bewachungsunternehmen I. Am 25. Jänner 1929 hat die Österreichische Sicherheitsdienstgesellschaft m.b.H. vom Magistrate Wien unter Mag. Abt. 53, Zl. 13.865/27 die Konzession für ein Bewachungsunternehmen mit dem Standorte Wien V., Margarethengürtel Nr. 100-110 erhalten. Gleichzeitig wurde die Bestellung des Herrn Wilhelm Reinhold Chwoyka 36 Der sich bis zum März 1938 erstreckende Akt über die Firma Österreichische Sicherheitsdienst Ges.m.b.H. und deren Inhaberfamilie Chwoyka ist deshalb von besonderem Interesse, da es sich dabei um eine der wenigen Salzburger Firmen mit bundesweiten Aktivitäten, d. h. Niederlassungen in zahlreichen Bundesländern, handelte. Zudem verfügte die 1906 gegründete Firma vor dem Zweiten Weltkrieg bereits über rund 500 Mitarbeiter. Aus dem Familienunternehmen entwickelte sich nach 1945 der Österreichische Wachdienst (ÖWD), der 2016/17 rund 2.400 Mitarbeiter beschäftigte und einen Jahresumsatz von rund 58 Millionen Euro erwirtschaftete. 37 Im Bundeskanzleramt ist der Akt unter der Geschäftszahl 129.799–29 verzeichnet. 38 Wilhelm Reinhold Chwoyka stand während der Verhandlungen ständig in enger Verbindung mit der Bundespolizeidirektion Wien, die daher über den Vertrag genau informiert war.

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als Stellvertreter (Geschäftsführer) im Betriebe dieses Gewerbes gewerbebehördlich genehmigt. (…) II. Neben dieser Konzession wurde zwischen Herrn Chwoyka und der (in den Vordergrund geschobenen) »Gemeinde Wien-Städtische Versicherungsanstalt« ein Vertrag abgeschlossen (de dato Salzburg, 5. Jänner 1929), dem Verhandlungen vorausgingen, die mehr als ein Jahr dauerten. Der Abschluss dieses Vertrages war die unerlässliche Vorbedingung für die Erteilung der Konzession. In diesem Vertrage musste Herr Chwoyka Bedingungen auf sich nehmen, die sowohl bei der Konzessionserteilung wie auch bei Abschlüssen betreffend Versicherungsübertragungen durchaus nicht üblich sind und für die auch ein mit dem Geschäftsbetriebe nur halbwegs in Verbindung zu bringender Anlass vergeblich gesucht würde. Der Vertrag enthält folgende Bedingungen  : 1) Herr Chwoyka verpflichtet sich, alle aus dem Betriebe sich ergebenden Versicherungen ausschließlich der Gemeinde Wien-Städtische Versicherungsanstalt zu übertragen, wofür ihm eine entsprechende Provision zukommt. 2) Da die Gemeinde Wien-Städtische Versicherungsanstalt »naturgemäß ein weitgehendes Interesse daran hat, dass die von ihr versicherten Objekte von einem besonders achtsamen und verlässlichen Personale bewacht werden, leiten sie für sich das Recht ab, die Auswahl aller bei diesem Unternehmen in Wien zu beschäftigenden Angestellten sowie insbesondere des Wachpersonales ausschließlich sich vorzubehalten. Chwoyka darf nur solche Angestellten und solches Wachpersonal beschäftigen, welches die Gemeinde Wien-Städtische Versicherungsanstalt ausdrücklich bewilligt (Punkt 1a) und hat binnen drei Tagen jeden Angestellten und Wächter zu entlassen, wenn es die Gemeinde Wien-Städtische Versicherungsanstalt fordert (Punkt 1b). Die Nichteinhaltung dieser Bestimmung ist mit einer Konventionalstrafe belegt (Punkt 4a). (…) 3) Die Gemeinde Wien-Städtische Versicherungsanstalt hat die Befugnis, den Betrieb jederzeit auch in Bezug auf die Personalanstellung und -entlassung zu kontrollieren (Punkt 4c). 4) Herr Chwoyka hinterlegt bei der Gemeinde Wien-Städtische Versicherungsanstalt eine von ihm ordnungsgemäß ausgestellte und unterschriebene, jedoch mit keinem Datum versehene Erklärung, gerichtet an den Wiener Magistrat, nach welcher er die Konzession zurücklegt. Die Gemeinde Wien-Städtische Versicherungsanstalt ist berechtigt, dieses ihr zu »treuen Händen« behändigte Konzessionsrücklegungsgesuch dann zu überreichen, wenn die Österreichische Sicherheitsdienstgesellschaft m.b.H. eigenmächtig Perso-

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nen im Betriebe anstellt oder angestellte Personen nicht binnen drei Tagen nach Aufforderung der Gemeinde Wien-Städtische Versicherungsanstalt entlässt. 5) (…) Der vorstehende Vertrag wurde Herrn Chwoyka am 24. Jänner 1929 in der Rechtsanwaltskanzlei des Dr. Emil Postelberg mit der Erklärung vorgelegt, dass von der Unterfertigung die Erteilung der Konzession abhängig ist. III. Daneben läuft weiters ein Schiedsgerichtsübereinkommen, welches Herr Chwoyka ebenfalls am 24. Jänner 1929 unterschreiben musste, da er andernfalls die Konzession nicht erhalten hätte. Dieses Schiedsgerichtsübereinkommen geht noch weiter als der vorstehende Vertrag, indem es den Passus enthält, dass der Gemeinde Wien-Städtische Versicherungsanstalt das Recht zusteht, »die Anstellung jener Personen, welche sie namhaft macht, bei diesem Wach- und Schließunternehmen zu verlangen.« Hier ist die Zahl der Personen, deren Anstellung gefordert werden kann, in keiner Weise beschränkt. (…) IV. Unabhängig von allen diesen Bestimmungen musste Herr Chwoyka noch die Verpflichtung auf sich nehmen, sofort mit Erteilung der Konzession die sogenannte »Fagwö« (Freie Arbeitsgemeinschaft von privaten Wachorganen Österreichs), ein sozialdemokratischen Kreisen sehr nahestehendes Unternehmen, dessen Missstände wiederholt die Behörden beschäftigt haben, mit ihrem ganzen »Inventar«, das hauptsächlich in Schulden besteht, zu übernehmen. V. Von ganz besonderem Interesse sind aber die einzelnen Phasen der Verhandlungen. Dies wurden im Anfange ausschließlich mit Magistratsdirektor Dr. Hartl persönlich gepflogen, durch den sich Herr Chwoyka durch ein vom Salzburger Abgeordneten Witternigg ausgestelltes Empfehlungsschreiben Zutritt verschaffte. Dieses Empfehlungsschreiben erhielt Chwoyka erst, nachdem er sich auf zwei Jahre rückwirkend hatte organisieren lassen. Im ersten Stadium der Verhandlungen wurde der Plan erwogen, dass die Gemeinde Wien selbst dieses Bewachungsunternehmen an sich ziehe und Chwoyka gleichsam als Geschäftsführer fungiere. Diesen Gedanken ließ aber Magistratsdirektor Dr. Hartl, und zwar nach mehreren Rücksprachen mit maßgebenden Faktoren, fallen und es wurde die Städtische Versicherungsanstalt als vertragschließender Teil in den Vordergrund geschoben. (…)

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Die Städtische Versicherungsanstalt sollte anfänglich ihren Einfluss auf das Bewachungsunternehmen darauf gründen, dass sie ein Darlehen von S 30.000,– und S 70.000,–, zusammen S 100.000,–, gibt  ; doch wurde, und zwar gegen Ende der Verhandlungen, davon Abstand genommen, weil Chwoyka fürchtete, dass er dann auf diese Weise ganz in die Hände der Gemeinde kommen könnte. (…) Magistratsdirektor Dr. Hartl äußerte Herrn Chwoyka gegenüber auch die Absicht, dass die Gemeinde Wien-Städtische Versicherungsanstalt auch alle in der Provinz bereits bestehenden Filialen des Bewachungsunternehmens an sich ziehen, das heißt in ihre Einflusssphäre einbeziehen werde und auch noch neue gründen werde. Chwoyka müsse mitarbeiten, damit dieses Ziel erreicht werde  : »Sie werden bei uns noch ein reicher Mann werden, wenn wir uns auf sie verlassen können. Geld spielt bei uns keine Rolle.« Weiters wurde ihm bedeutet, dass die Gemeinde Wien ihm eine Person namhaft machen werde, welche er in Wien als Stellvertreter zu bestellen habe  ; er selbst wohne ja in Salzburg und könne monatlich vielleicht nur einmal kommen. Im Laufe der ganzen Verhandlungen wurde es immer als eine unerlässliche Voraussetzung der Konzession hingestellt, dass die Auswahl der aufzunehmenden Leute einzig und allein der Gemeinde Wien-Städtische Versicherungsanstalt zukomme. Es darf nur aufgenommen werden, wer dieser genehm ist, und es müssen binnen drei Tagen alle jene Personen entlassen werden, von denen es die Gemeinde Wien-Städtische Versicherungsanstalt verlangt. Chwoyka hatte die »Fagwö« zu übernehmen und wurde ihm aber auch die Möglichkeit in Aussicht gestellt, dass er auch die Gemeindewache übernehmen müsse, falls es die Gemeinde Wien verlange. In diesem Falle werde die Gemeinde sämtliche anlaufenden Kosten auf sich nehmen und außerdem an Herrn Chwoyka pro Mann und Monat S 10,– als eine Art Manipulationsgebühr bezahlen. Auch weitere Aufnahmen könnten unter solchen Bedingungen gefordert werden. So seien ja noch ca. 3.400 Mann des Republikanischen Schutzbundes für Anstellungen vorgemerkt, die unterkommen müssen. Die Überwachung besonders großer Gebäude wie der Gemeindebauten, dann von Fabriksgebäuden würde ja ein großes Bewachungskorps erfordern  ; besonders in unruhigen Zeiten (Aufstand) und da könnten nur äußerst verlässliche und gut geschulte Leute verwendet werden. Für solche Fälle würde auch die Gemeinde für die Beistellung der nötigen Waffen aufkommen. Hier wurde auch einmal ausdrücklich von Maschinengewehren gesprochen, die dann zur Sicherung dieser wertvollen Anlagen und Gebäude etwa notwendig sein könnten. Als Herr Chwoyka darauf hinwies, dass bei der Auswahl der Leute auch die Polizei gefragt werden müsse, weil er unter Umständen doch Waffenpässe für einzelne Leute brauchen würde, antwortete ihm Magistratsdirektor Dr. Hartl, darüber möge

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er sich keine Sorgen machen. Die Gemeinde habe bereits das Kinowesen im Wege der Gesetzgebung an sich gebracht, werde in kurzer Zeit auch das Theaterwesen an sich bringen (diese Äußerung fiel noch zu einer Zeit, als das Land Wien noch nicht das neue Theatergesetz erlassen hatte) und werde auch dafür sorgen, dass auch die Ausstellung von Waffenpässen in Kürze dem Lande Wien zufalle. Sollte übrigens die Polizei einmal sich gegen die Aufnahme einer in Aussicht genommenen Person aussprechen, so sei ja immer noch das Land Wien als zweite Instanz da, das dann Ordnung schaffen werde. Aus den ganzen über ein Jahr dauernden Verhandlungen mit Magistratsdirektor Dr. Hartl, mit den Direktoren der Städtischen Versicherungsanstalt und mit dem Rechtsanwalte Dr. Postelberg gewann Herr Chwoyka die Überzeugung, dass im Wege der Konzessionierung seines Bewachungsunternehmens die Gemeinde Wien sich nicht nur in Wien, sondern auch in den einzelnen Bundesländern unter dem Titel einer sogenannten Wach- und Schließgesellschaft eine disziplinierte, zum Teil sogar legal bewaffnete Parteigarde schaffen wolle, die sie je nach Bedarf bis zu einer gar nicht beschränkten Zahl auffüllen und gegebenenfalls mit Waffen versehen kann. (…) Bundespolizeidirektion Wien Wien, 31. Mai 1929. Pr.Zl. IV-741/8/29. Betreff  : Chwoyka Reinhold Wilhelm. An das Bundeskanzleramt, Abteilung 8, Wien. Die Bundespolizeidirektion hat bereits in ihren Berichten vom 12. Februar 1929, Pr.Zl. IV-741, vom 19. Februar 1929, Pr.Zl. IV-741/1, und vom 7. April 1929, Pr.Zl. IV-741/4, über die näheren Umstände berichtet, unter denen Herr Reinhold Wilhelm Chwoyka, Direktor der »Österreichischen Sicherheitsgesellschaft m.b.H.« in Salzburg, um eine Konzession zum Betriebe eines Privatbewachungsunternehmens für Wien angesucht hat, sowie unter welchen Umständen er schließlich vom Magistrate der Bundeshauptstadt Wien (Abteilung 53) im Jänner 1929 eine solche Konzession erhalten hat. Die Bundespolizeidirektion hat in den angeführten Berichten eingehend die Verhandlungen geschildert, die dieser Konzessionserteilung vorhergegangen sind und hat auch jene vertraglich festgesetzten Verpflichtungen aufgezählt, die Herr Chwoyka auf sich nehmen musste. (…) Die Gemeinde Wien-Städtische Versicherungsanstalt übernimmt auch die in den Provinzen bereits bestehenden Betriebe des Herrn Chwoyka und dieser verpflichtet sich weiters, das Unternehmen auf alle größeren Provinzstädte auszudeh-

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nen, wobei selbstverständlich (…) nur jene Personen anzustellen sind, die ihm die Gemeinde Wien-Städtische Versicherungsanstalt zur Aufnahme vorschreibt. (…) Die Besprechungen ergaben klar und deutlich, dass es sich hier durchaus nicht um Bewachungsinstitute im Sinne der Ministerialverordnung vom 27. November 1922, BGBl. Nr. 649, handle, sondern um bewaffnete Parteiformationen, die sich die Gemeinde Wien, d. h. die Sozialdemokratische Partei, diesmal unter dem Deckmantel eines Privatunternehmens zu schaffen sucht und dass sie mit diesem auch in allen größeren Provinzstädten Fuß zu fassen beabsichtigt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Formationen auch automatisch an die Stelle der Gemeindewache wie des Republikanischen Schutzbundes treten sollen, falls diese beiden Formationen aufgelöst werden. (…) Die Bundespolizeidirektion fühlt sich verpflichtet, die Aufmerksamkeit der Regierung auf diese Vorgänge zu lenken und kann sich, wie schon erwähnt, der Überzeugung nicht verschließen, dass hier unter dem Deckmantel eines ganz legalen Unternehmens die neuerliche Gründung bewaffneter sozialdemokratischer Parteiformationen im Zuge ist, die vorläufig als Kader zu dienen haben, um im Ernstfalle als bewaffnete und geschulte Formationen auf den Plan treten zu können. (…) Bundeskanzleramt Wien, Ende März/Anfang April 1929. Geschäftszahl  : 95.329-8/29 (Miterledigte Zahlen  : 98.104-8/1929). Gegenstand  : Chwoyka Wilhelm Reinhold, Direktor der »Österreichischen Sicherheitsdienstgesellschaft m.b.H.« in Salzburg  ; Konzession zum Betriebe eines Privatbewachungsunternehmens in Wien. Amtsinterne Stellungnahme. Der Zweck der in Rede stehenden Konzessionserteilung ist, wie die Polizeidirektion richtig hervorhebt, sehr durchsichtig und vom Standpunkte der staatspolizeilichen Interessen äußerst unerwünscht. Bedauerlicherweise ist im gegenwärtigen Stadium dem Bundeskanzleramt eine Handhabe zum Einschreiten nicht gegeben, doch wird die Angelegenheit im Wege der Einsichtsvorschreibung des Aktes dem Bundesministerium für Handel und Verkehr als oberster Gewerbebehörde und dem Bundesministerium für Justiz zur Kenntnis gebracht, letzteres deswegen, weil der zwischen Chwoyka und der Gemeinde Wien abgeschlossene Vertrag in einzelnen Punkten geradezu gegen die guten Sitten verstößt (…)39 39 Wenngleich die Bundespolizeidirektion Wien von Wilhelm Chwoyka über die Konzessionsverhandlungen mit der Gemeinde Wien informiert wurde, so bestanden erhebliche Bedenken gegenüber dem

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expansiven Salzburger Unternehmen. Diese wurden bereits 1930 wirksam, als die »Österreichische Sicherheitsdienst Ges.m.b.H.« eine einheitliche Uniformierung und vor allem Bewaffnung ihrer Wachorgane in ganz Österreich anstrebte und auf den massiven Widerstand der Sicherheitsorgane stieß. In einem Schreiben vom 23. April 1930 wandten sich die beiden Firmeninhaber, Wilhelm Chwoyka sen. und Wilhelm Reinhold Chwoyka jun., an den Wiener Polizeidirektor Michael Skubl, in dem sie darauf hinwiesen, dass das Unternehmen in ganz Österreich 24 Filialen betreibe und seit ihrem nunmehr 25-jährigen Bestehen »weder gerichtliche noch gewerbebehördliche Anstände irgendwelcher Art« gehabt habe, »was wohl unserem sorgfältigst gewählten führenden Beamtenstand zu danken ist, der sich in der Hauptsache aus ehemaligen Offizieren, bewährten Beamten (vielfach Akademikern) zusammensetzt.« Anschließend kamen die beiden Antragsteller auf die äußerst kritische Konzessionserteilung in Wien zu sprechen. »Anlässlich unserer Konzessionswerbung für Wien wurde an unsere Anstalt das Ansinnen gestellt, das unsererseits benötigte Personal nicht mehr – wie überall und seit jeher unsererseits praktiziert  ! – nach unserem eigenen Gutdünken, sondern unter Berücksichtigung spezieller Wünsche daran interessierter Stellen aufzunehmen. Um in den Besitz der sonst uns versagt gebliebenen Konzession zu gelangen, mussten wir uns zu einem Übereinkommen mit einer dem löblichen Polizeipräsidium bekannten Stelle bereitfinden, das sich jedoch praktisch infolge unserer ausweichenden Haltung bisher überhaupt nicht auswirkte. Ja, wir konnten bisher fast völlig unbehelligt unserer eigenen Wege gehen und Personal anstellen oder entlassen, wie wir es für zweckmäßig empfunden haben.« Man habe jederzeit mit der Polizeidirektion Wien Kontakt gepflogen und diese über den Gang der Verhandlungen genau informiert und beabsichtige nun, den Kontakt zur Exekutive zu intensivieren, indem man für den benötigten Personalausbau vor allem ehemalige Angehörige der Exekutive und des Bundesheeres berücksichtigen wolle, um ein besonders verlässliches Wachkorps zu erhalten, das man jedoch nunmehr auch bundeseinheitlich bewaffnen wolle und ihm darüber hinaus einen quasi-amtlichen Charakter, der die Beantragung eines Waffenpasses für jedes einzelne Wacheorgan ausschließe, zu verleihen beabsichtige. Am 14. Juni 1930 verfasste die Bundespolizeidirektion Wien eine ablehnende Stellungnahme. Es müsse dem »Verlangen, ihren Angestellten amtlichen Charakter zu verleihen, von vornherein zurückgewiesen werden.« Für private Wächter würden die allgemeinen Bestimmungen des Waffen-Patentes gelten. »Folglich ist für jeden einzelnen Mann ein individueller Waffenpass erforderlich, der zum Waffentragen nur in Ausübung des Überwachungsdienstes berechtigt.« (Pr.Zl. II-296/30.) Am 9. Dezember 1930 berichtete die Bundespolizeidirektion Wien an das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, nach ihren Erhebungen »behufs Feststellung der politischen Einstellung« der Wiener Angestellten der Österreichischen Sicherheitsdienst Ges.m.b.H. sei »tatsächlich die Mehrzahl nach sozialdemokratisch orientiert« und gehöre »vielfach auch dem Republikanischen Schutzbund« an bzw. habe diesem angehört. »Einige Angestellte gelten dem Vernehmen nach sogar als Anhänger der kommunistischen Bewegung.« (Pr.Zl. IV-5302/2/30.) Am 5. September 1932 wiederholte die Bundespolizeidirektion Wien in einer Stellungnahme an das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, diese Einschätzung. »Es sollen auch bei der Österreichischen Sicherheitsdienstgesellschaft, welche gegenwärtig etwa 20 Kontrollore, 100 Wächter und zirka 50 Aushilfswächter beschäftigt, fast nur sozialdemokratisch eingestellte Wächter in Verwendung stehen.« (Pr.Zl. IV-4856/32.)

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 20. September 1935. Geschäftszahl  : 320.264-G.D./St.B.35 (Vorzahl  : 219.850-G.D.1/35). Gegenstand  : Wilhelm Reinhold Chwoyka, Direktor des Österr. Sicherheitsdienstes, angeblicher Nationalsozialist. Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 22. März 1935. Zl. 199 res 35. Betr.: Wilhelm Reinhold Chwoyka, Direktor des Österr. Sicherheitsdienstes, angeblich Nationalsozialist. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St.B., in Wien I., Herrengasse 7. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich die Abschrift einer anonymen Anzeige gegen den Direktor des Österreichischen Sicherheitsdienstes, Wilhelm Reinhold Chwoyka, am 12.3.1895 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., verh., Salzburg, Auerspergstraße Nr. 20 wohnhaft, zur gefälligen Kenntnisnahme mit dem Berichte vorzulegen, dass Chwoyka schon seit Monaten überwacht wird, dass aber positive Anhaltspunkte, dass er sich illegal für die NSDAP betätige, bis nun nicht gewonnen werden konnten. (…) Abschrift Betrifft  : Wilhelm Reinold Chwoyka.40 Es wird uns gemeldet, dass Herr Wilhelm Reinhold Chwoyka, Direktor des Österreichischen Sicherheitsdienstes, ein getarnter unentwegter Nationalsozialist ist. Chwoyka ist ein von jedem anständigen Menschen verachteter Konjunktur-Politiker und wissen wir aus bestinformierter Quelle, dass Chwoyka von allen seinerzeitigen Parteien Mitgliedskarten besitzt. Nach Abwirtschaften der NSDAP in Österreich meldete er sich, obwohl engagiertes Mitglied der NSDAP, zur Vaterländischen Front und brachte es durch seine ihm eigene Zungengeläufigkeit so weit, dass er, von den Funktionären der Vaterländischen Front nicht gekannt, sogar zu einer Führerstelle in der Vaterländischen Front gelangte. Ein in seinem Büro gemachter Ausspruch »Besser täglich zwei Stun40 Die anonyme Anzeige stammt wahrscheinlich aus Heimatschutzkreisen.

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den bei der Vaterländischen Front arbeiten als einen Regierungskommissär für meinen Betrieb bekommen« ist wohl typisch für dieses edle Produkt der menschlichen Gesellschaft. Chwoyka ist mit dem als radikalen Nazi bekannten Dr. Guttenberg aus Maxglan intimst befreundet und wäre eine Überwachung des Herrn Chwoyka sicherlich angezeigt. Eine im vorigen Jahr gegen Genannten erstattete Anzeige der Bundesführung des Heimatschutzes ist bis dato unseres Wissens noch nicht erledigt  ; durch sein Mundwerk versteht es Chwoyka, alle Anschuldigungen immer zu entkräften, allein wir hoffen, dass in der neuen Ära diesem Schädling einmal die Larve vom Gesicht gerissen werden kann. (…) Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 9. Jänner 1936. Zl. 199/2 res 1935. Betreff  : Österreichische Sicherheitsdienstgesellschaft m.b.H. in Salzburg, Bewachungsgesellschaft der Industrie Ges.m.b.H. Erhebung. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St.B., zu Handen des Herrn Ministerialrates Bruno Hantsch in Wien I., Herrengasse 7. Zum Erlasse vom 31.12.1935, Zl. G.D. 380.957 St.B.,41 beehrt sich die Bundespolizeidirektion zu berichten, dass gegen die Österreichische Sicherheitsdienstgesellschaft m.b.H. in Salzburg, Schwarzstraße Nr. 7, im Allgemeinen in politischer Hinsicht nichts Nachteiliges vorliegt. Es sind alle Beamten und Angestellten der obgenannten Gesellschaft Mitglieder der Vaterländischen Front. Der Direktor der gegenständlichen Sicherheitsdienstgesellschaft, Wilhelm Chwoyka, am 12.3.1895 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., verh., Salzburg, Auerspergstraße Nr. 20 wohnhaft, ist zwar laut Mitgliedskarte Nr. 702.834 seit 1.12.1933 Mitglied der Vaterländischen Front, aber scheinbar politisch nicht verlässlich ein-

41 Am 21.12.1935 hatte sich das Bundesministerium für Soziales an das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, mit der Bitte um Mitteilung über die staatsbürgerliche Zuverlässigkeit zweiter Sicherheitsunternehmen gewandt, die sich um die Vergabe der Bewachung der Gebäude der Bundesstaatlichen Heil- und Kuranstalten in Baden bei Wien beworben hatten. Es waren dies die Österreichische Sicherheitsdienstgesellschaft m.b.H Salzburg und die Bewachungsgesellschaft der Industrie G.m.b.H. Wien. Die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit forderte die Bundespolizeidirektion Salzburg um Auskunft über das Salzburger Unternehmen auf. (Geschäftszahl 380.957-G.D./St.B.35.)

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gestellt, wiewohl Chwoyka auch in der Werbeabteilung der Vaterländischen Front aktiv tätig war. Er wurde wegen Betätigung für die NSDAP dadurch begangen, dass er im Gasthausgarten der Brauerei Kaltenhausen, wie Zeugen behaupten, einem Bettler, welcher »Heil Hitler  !« rief, 1 Schilling ostentativ schenkte, mit Erkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Hallein vom 12.10.1935 mit 7 Wochen Arrest bestraft und ist das Erkenntnis bereits in Rechtskraft erwachsen. Chwoyka soll auf politischem Gebiete als ausgesprochener Konjunkturmensch zu betrachten sein. (…) Wilhelm Reinhold Chwoyka Direktor der Österreichischen Sicherheitsdienstgesellschaft m.b.H. Salzburg, Auerspergstraße Nr. 20. Vertreten durch RA Dr. Karl Wagner Salzburg, Dreifaltigkeitsgasse Nr. 12. . (…) Berufung gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Hallein. Zl. 7242/10 vom 12.10.1935. (…) Mit dem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Hallein vom 12.10.1935, Zl. 7242/10, gegen welches Wilhelm Chwoyka jun. am 26.10.1935 (in offener Frist) schriftlich berufen hat, wurde er wegen Übertretung nach § 1 der Verordnung der Bundesregierung vom 19.6. 1933, BGBl. Nr. 240, zu sieben Wochen Arrest und zum Ersatze von S 420,– als Kosten des Strafverfahrens sowie zur Bezahlung von 10 Prozent der verhängten Strafe, das sind S 42,–, deshalb verurteilt, »weil er am 15.8.1935 im Gastgarten der Brauerei Kaltenhausen in Hallein einem Bettler, der mehrere Male ›Heil Hitler  !‹ gerufen hatte, 20 Groschen gegeben und ihn überdies eingeladen hat, an seinem Tische Platz zu nehmen.« Als Begründung wurde angeführt  : »Anzeige und verlässliche Zeugenaussage.« Der oben angeführten Berufung des Beschuldigten vom 26.10.1935 an die Bezirkshauptmannschaft Hallein wurde von der Sicherheitsdirektion mit Bescheid vom 13.1.1936, Zl. 3108, keine Folge gegeben und der Beschuldigte von der Bezirkshauptmannschaft aufgefordert (28.1.1936), die Strafe anzutreten. (…) Die in der »Begründung« des (bestätigten) Straferkenntnisses angeführten »verlässlichen Zeugenaussagen« sind unrichtig. Der wahre Sachverhalt ist folgender  :42

42 Für diese Richtigstellung wurden in der Begründung 8 Zeugen namhaft gemacht.

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Um 20.15 Uhr abends kam Chwoyka jun. mit seinen Eltern, seiner Schwester und zwei Brüdern im Kraftwagen in Kaltenhausen bei Hallein an und setzten sich diese sechs Personen infolge Überfüllung des Gastgartens des Kaltenhausener Bräustübels auf den einzigen freien, ganz an der Straße am Eingangseck zum Gastgarten befindlichen sechssitzigen Gartentisch. Noch ehe die Familie Chwoyka das von ihr mitgebrachte Abendessen auspacken oder etwas bestellen konnte, stand ein Mann am Tisch, von dem man zuerst nicht wusste, was er am Tische solle und der über Befragen erklärte, »für Frau und drei Kinder sorgen zu müssen, keine Arbeit zu haben« und um Unterstützung bat, also bettelte. Ihm (dem Bettler) namens Selhofer, dessen Person natürlich niemand kannte und dessen Namen Herr Chwoyka jr. erst aus dem folgenden Strafverfahren erfuhr, gab Chwoyka jr. für den ganzen Tisch (6 Personen) 20 Groschen (2 Zehngroschenstücke). Wo der Mann herkam, wo er im Rummel nach Empfang der 20 Groschen hinging, wer er sei, wusste und bekümmerte niemanden. Die Familie Chwoyka war das erste und einzige Mal und nie früher oder später jemals im etwa 15 km von Salzburg entfernten Kaltenhausener-Stüberl, kannte dort also niemanden. Die Familie Chwoyka unterhielt sich zu sechst vollkommen allein, denn es war ein Familienausflug anlässlich des 41. Hochzeitstages der alten Eltern des Chwoyka jr. und es nahmen an diesem Ausflug auch die erst einige Tage vorher aus Graz zum Ferienaufenthalt bei den Eltern des Chwoyka jr. eingetroffenen Brüder teil. Es wurde nur Familiäres gesprochen und niemand von dieser Familie kümmerte sich um die Vorgänge im großen dichtbesetzten Gastgarten. Chwoyka jr. selbst saß mit dem Rücken gewendet zum Gastgarten, mit dem Gesicht auf die vorbeiführende (1 m entfernte) asphaltierte Straße, auf welcher ununterbrochen Autos und Motorräder vorbeirasten. Um ungefähr 21 Uhr 15 – also nach einstündigem Aufenthalt – als die Familie Chwoyka wieder heimfahren wollte und sich bereits zum Gehen anschickte, hörte sie in entgegengesetzter Richtung von ihrem Tische in den inzwischen etwas gelichteten Gastgarten diagonal am anderen Ende desselben (an der Hausmauer der Brauerei) an einem großen langen Tisch, bei welchem einige Männer saßen, das ist in einer Entfernung von etwa 15 bis 20 Schritte oder Meter, Lärm und Streit und gleichzeitig dabei von diesem Tische einen angetrunkenen Mann weggehen. Er ging offenbar heim, musste also bei unserem am Gartenausgang an der Straße liegenden Tische vorbeikommen und halbwegs, das ist beim Heranhumpeln dieses Mannes, erkannte Chwoyka jr. in ihm jenen Mann, der vor ca. einer Stunde bei seinem Tische für seine Frau und seine drei Kinder gebettelt hatte und das Geld scheinbar vertrunken hat. Chwoyka jr. darüber verärgert, stellte diesen Bettler beim Passieren unseres Tisches deshalb mit den Worten »Schämen Sie sich nicht, zuerst betteln Sie für Frau und drei Kinder, sagen, Sie haben keine Arbeit und dann versaufen Sie das Geld.« Der Mann blieb stehen und antwortete  : »Ich hab eine Frau und fünf Kinder

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und keine Arbeit«, worauf Chwoyka jr. erwiderte  : »Na, jetzt haben Sie plötzlich noch zwei Kinder dazu gekriegt, das ist schnell gegangen.« Chwoyka jrs. Angehörige mussten dazu lachen und der Betrunkene beugte sich über meine 39jährige Schwester als ob er sie umarmen wollte, während meine Schwester vor Schreck aufsprang und schrie  ; ebenso, wütend über die Zudringlichkeit des Bettlers, war die 62jährige Mutter des Chwoyka jr. und letzterer selbst auch. Nun wollte der Betrunkene mit uns einen Diskurs beginnen, griff nach einem hinter ihm stehenden leeren Gartensessel und wollte sich scheinbar zu uns am Tisch setzen. Alle Angehörigen Chwoykas jr. waren darüber empört und wollten ihn loshaben  ; Chwoyka jr. selbst stemmte mit seinem ausgestreckten Arm gegen die Lehne des von dem Betrunkenen erfassten Sessels und ließ ihn nicht zum Tische herstellen. Der stehende Betrunkene muss inzwischen bemerkt haben, das Chwoyka jur. das emailierte Amtswalterabzeichen der Vaterländischen Front im Knopfloche trug und fing sofort an zu schreien und zu schimpfen, wobei man nur aus seinen lallenden Worten den Sinn seines Gespräches beiläufig derart verstehen konnte  : »Wartet, Ihr Starhemberger, wir werden es Euch schon noch zeigen, Ihr werdet alle aufgehängt, es kommt schon noch eine andere Zeit.« Chwoyka jr. und dessen Familie wollte ihn (begreiflicherweise) abwehren, der Bettler schimpfte über die feinen Leute aus der Stadt, die da mit Autos fahren, also auch auf uns und sagte dann halb verhalten weiters  : »Ich war in Wöllersdorf, da (er hatte inzwischen aus der Rocktasche irgendein Schriftstück herausgenommen, das er jedoch nicht öffnete) schreibt mir ein Doktor, mit dem ich gewesen bin, per ›Du‹. Aber das gibt’s bei euch noblen Herren nicht. Ich brauch von Ihnen kein Geld, wenn es Ihnen erbarmt, da haben Sie«, dabei warf er ein Schillingstück auf unseren Tisch. Verärgert darüber und erbost, wollte ihm Chwoyka jr. 80 Groschen auf das Schillingstück herausgeben, fand jedoch in seiner Geldtasche nicht so viel Kleingeld vor  ; Chwoyka jr. schob ihm daher seinen Schilling mit dem Bemerken zurück  : »Schauen Sie, dass Sie weiterkommen, ich verzichte auf die Rückgabe der 20 Groschen, aber lassen Sie uns in Ruhe, sonst werden Sie noch angezeigt (oder ich werde Sie noch anzeigen).« Der Betrunkene nahm hierauf anscheinend den Schilling wieder zu sich, entfernte sich und lallte dabei »Es macht mir gar nichts (wenn Sie mich anzeigen), in Wöllersdorf ist es mir ohnedies besser gegangen  ; machen Sie, was Sie wollen.« Gerade in diesem Augenblick kam die Kellnerin (Zeugin Adler) zum Tische zu uns – sie hatte, wie wir nachträglich erfuhren, von ihrem Dienstherrn inzwischen den Auftrag erhalten, den Stänkerer zu entfernen – und gleich beschwerte sich Chwoyka jr., dessen Mutter und Schwester über die Zudringlichkeit dieses Bettlers und verlangten laut, sie soll ihn auf die Straße setzen, was sie auch tat. Der Bettler ging torkelnd und schimpfend weg (scheinbar nach Hause nach Hallein) und während Chwoyka jr. die Kellnerin fragte, wer denn der Kerl eigentlich sei, sagte sie, dass er öfter komme, zuerst immer bettle, dann saufe und randaliere, wer er sei, weiß sie selbst nicht, sie

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glaube aus dem nahen Oberalm, schrie der Bettler etwa 15 Schritte von unserem Tisch (auf seinem Nachhauseweg befindlich) entfernt »Heil Hitler  !«. Etwa 5 Minuten später fuhr Chwoyka jr. mit seiner Familie heim, ebenso wie die am Nebentisch sitzenden 4 bis 5 Personen, die den Betrunkenen sowohl um 20. Uhr 15 als auch um ungefähr 21 Uhr 20 an unserem Tische gesehen hatten und die alles interessiert und verärgert mit angehört hatten und nun als Zeugen ausfindig gemacht werden konnten. (…) Am 28.1.1936 versuchte der Beschuldigte, Wilhelm Chwoyka jr., beim Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg die Bitte unterbreiten zu dürfen, zur Wiederaufnahme des Verwaltungsstrafverfahrens vortragen zu dürfen, umso mehr, als nicht die Staatsanwaltschaft Salzburg die Untersuchung eingestellt hat, sondern auch vier dem Herrn Chwoyka jr. bis dorthin unbekannte Zeugen bekannt wurden, welche sich dem beschuldigten Chwoyka jr. unaufgefordert zur Zeugenschaft (als damalige Tischnachbarn) erbötig machten, als sie erfuhren, dass der Rekurs Chwoykas jr. vom Herrn Sicherheitsdirektor abgelehnt worden ist. Der Herr Sicherheitsdirektor unterbrach jedoch die Bitte des Herrn Chwoyka jr. mit der kategorischen Erklärung, dass diese Strafangelegenheit eine endgültige sei, es sich hier um keine Untersuchung und sich in seiner (des Herrn Sicherheitsdirektors) Person um keinen Untersuchungsrichter handle, die Strafe also rechtsgültig, endgültig feststehend sei, eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht in Frage kommen könne und der Strafantritt höchstens zu dem Zwecke und kurze Zeit hinausgeschoben werden könne, um dem Beschuldigten dazu Zeit zu geben, der Wirtschaftspolizei des Herrn Sicherheitsdirektors eine Rohbilanz, Gehalts- und Lohnlisten, Schuldenstand und Aktiven der Firma, dessen Gesellschafter und Direktor der beschuldigte Wilhelm Chwoyka jr. sei – mit 30jährigem Bestand und 350 Angestellten – vorlegen zu können, denn, so erklärte der Herr Sicherheitsdirektor  : »Sie wissen ja, dass bei politischen Strafen mit Konzessionsentzug vorgegangen werden kann und darum handelt es sich jetzt.« Chwoyka jr. war nicht wenig erschrocken, als er sofort gefragt wurde, wie hoch die monatlichen Entnahmen, der Netto- und Bruttonutzen seiner Person sowie der Firma überhaupt sei, wie hoch der Schuldenstand ist, woraus er sich zusammensetze, welche ziffernmäßige Aktiven vorhanden wären, da das gesamte Mobiliar der Firma (ca. 80 eingerichtete Büros), hunderte von kompletten Monturen und Waffen der Wächterschaft nichts wert seien, ebenso wenig die etwa 8.000 bestehenden schriftlichen Bewachungs- und Versicherungsverträge und verwirrten diese unerwarteten Fragen des Herrn Sicherheitsdirektors den Beschuldigten, Wilhelm Chwoyka jr., dermaßen, dass er kaum in der Lage war zu denken, genaue Zahlen aus dem Kopfe heraus anzugeben. Der beschuldigte Chwoyka jr. hat sich sofort nach dem Weggehen vom Herrn Sicherheitsdirektor ein Gedächtnisprotokoll angelegt und in dieses verschiedene Fragen und Einwürfe sowie Beschuldigungen festgehalten, worüber sich der Beschuldigte während des Verhörs unter Anklage beim Herrn Sicherheitsdirek-

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tor stenografische Notizen gemacht hat. Aus diesen geht hervor, dass das Verhör 5/4 Stunden dauerte, hiervon jedoch nach der Einleitung (…) höchstens 1 Minute vom Strafverfahren und hierbei nur die absolute Ablehnung der Wiederaufnahme erklärt wurde, nur von der zu entziehenden Konzession gesprochen wurde. Im Gedächtnisprotokoll ist u. a. festgehalten, dass der Herr Sicherheitsdirektor erklärte, dass die seitens des Herrn Chwoyka beiläufig mit S 80.000,–- angegebenen Schulden, welche zudem langfristige Darlehen betreffen, welche nur einjährig kündbar sind und die zudem seit Bestehen der Firma aufgenommen, zum Teil Beteiligungen mit 8,5 bis 10-prozentiger Verzinsung, also keinerlei Gefahr darstellen, dass keine Bankverbindlichkeiten vorhanden sind, dass außerdem sich diese »Schulden« jährlich um rund S 10.000,– vermindern (schon in Jahre 1936 wurden wiederum S 7.000,– abbezahlt), doch keineswegs beängstigend sind, es der ihm unterstellten Wirtschaftspolizei für angezeigt erachtet sein lassen, die Bücher zu untersuchen. Auf die Antwort des Beschuldigten, dass dessen sechsköpfige Familie jährlich – jetzt fallend – ca. S 20.000 bis ca. S 13.000,– entnimmt, dass dazu jährlich, und zwar verschieden für Reisen, Diäten, Barauslagen, Repräsentationsspesen, Haltung des Geschäftsautos, Spenden usw. variierend S 3.000,– bis ca. S 10.000,– pro anno verbraucht werden und dazu noch ca. S 10.000,– jährlich Steuern als Ertrag des Unternehmens für Herrn Chwoyka anzunehmen sind, das Geschäft also bei einem Umsatz von jährlich beiläufig S 900.000,– absolut gesund und ohne weiteres die Lebensexistenz der achtköpfigen Familie der Chwoyka jr., der achtköpfigen Familie des Firmengesellschafters Hauptmann a.D. Wilhelm Chwoyka sen. als an der Firma beteiligter Kommmanditist, weiters die Existenz der Familie des im Geschäfte angestellten Schwiegervaters und seiner fünfköpfigen Familie sowie endlich die Verzinsung des Geschäftskapitals und fremder Einlagen gewährleistet, erklärte der Herr Sicherheitsdirektor den Betrag von S 80.000,– als derart gefährlich für den weiteren Bestand des Unternehmens, dass er nicht zusehen will, wie 350 Angestellte und deren Familien durch die scheinbare sorglose Geschäftsführung der Gesellschaft durch den beschuldigten Chwoyka jr. zu Grunde gehen könnten. Auf die Erwiderung Chwoyka jr., dass er das Unternehmen selbst gegründet, mit drei Wächtern begonnen, alles allein organisiert, den ganzen Beamtenapparat für diese Branche herangebildet und nun das größte Unternehmen dieser Art in Österreich besitzt, dessen Umfang immer noch weiter zunimmt und dessen sich staatliche Betriebe und 8.000 industrielle und gewerbliche Auftraggeber bedienen, Chwoyka jr. daher erst kürzlich vom Herrn Bundesminister Fritz Stockinger zum Vorstandsmitglied der Allgemeinen Innung Österreichs – als einziger in der Bewachungsbranche – ernannt wurde, hieß der Herr Sicherheitsdirektor den Chwoyka jr. einen »Bankrotteur«. Chwoyka jr. war vollkommen gebrochen ob dieser Anwürfe, erklärte, seinen Verpflichtungen stets regelmäßig nachkommen zu können, nie zu viel zu beheben, selbst Tag und Nacht mit Lust und Liebe an seinem Lebenswerk zu hängen und zu arbeiten

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und er müsse ein Narr sein, wenn er seinen aufstrebenden Betrieb ruinieren würde. Der Herr Sicherheitsdirektor antwortete, dass ihm es überlassen bleibe zu beurteilen, ob der Beschuldigte ein Narr sei oder nicht. Auch der Hinweis Chwoyka jr. darauf, dass seine Firma die höchsten Löhne in der Branche und diese trotz Vorschüssen an das Personal stets auf die Stunde pünktlich bzw. einen Tag vor Wochenende der Lohnwoche auszahle, konnte beim Herrn Sicherheitsdirektor nur die Gegenäußerung auslösen, dass Chwoyka jr. mit seinen Erklärungen und Beteuerungen kein Glück habe und sich die Wirtschaftspolizei für die Gesellschaft interessieren werde. Chwoyka jr. führte aus, dass in den letzten 15 Jahren in Österreich 34 Bewachungsunternehmungen, welche miserable Löhne zahlten, dem Wachpersonal keine Uniformen und keine Waffen zur Verfügung stellen konnten, in den diversen Orten zu Grunde gegangen seien, während Chwoyka jr. etwa ¾ dieser Unternehmungen erwarb und an seine Anstalt angliederte, das Personal sozial entlohnt, gut ausrüstet und den Parteien eine gute Bewachung gewährleistet. Trotzdem blieb der Herr Sicherheitsdirektor dabei, die finanzielle Lage der Gesellschaft als unerhört (…) zu bezeichnen und er meinte dazu, dass Chwoyka jr. vielleicht eines Tages abfahren und das Unternehmen zusammenbrechen würde. Chwoyka jr. antwortete, dass er wie seine Eltern und Großeltern Österreich und Salzburg lieben, an seiner sicheren, sich selbst geschaffenen Existenz hänge und gar nicht daran denke, derlei zu beabsichtigen. Chwoyka jr. fügte an, dass er jedoch fest davon überzeugt sei, dass mit seinem Ausscheiden aus der Firma, von welcher er jeden Federstrich und die ganze Organisation kenne, diese d a n n sicherlich zusammenbrechen werde. Es kam nämlich noch jedes Mal zum Zusammenbruch eines Bewachungsunternehmens, wenn dasselbe den Firmeninhaber wechselte. (…) Der Herr Sicherheitsdirektor antwortete auf die wiederholte Frage und Bitte des Chwoyka jr., ihm doch endlich zu sagen, was denn gegen ihn eigentlich vorliege und wer gegen ihn hetze und dass Chwoyka jr. in der Kleinstadt Salzburg neben einer großen Anzahl Freunde auch mindestens dieselbe Anzahl von Feinden, Nörglern, Neidern und Hasser habe, die ihn vielleicht politisch oder wirtschaftlich denunzieren und Chwoyka jr. jederzeit und auch hier auf der Stelle Rede und Antwort stehen möge, mit keinem Worte. Er schrie den Beschuldigten vielmehr an, dass er sich nicht unterstehen sollte, nochmals durch das Innenministerium oder durch das Bundeskanzleramt oder seitens des Herrn Polizeidirektors oder durch den Landesgendarmeriekommandanten oder durch den Erzbischof von Salzburg oder gar durch den Landesleiter der Vaterländischen Front in Salzburg intervenieren zu lassen, denn das könnte ihm (Chwoyka jr.) übelkommen  ! Auf die Erklärung Chwoyka jr., dass er als fast 48-jähriger Mann, der freiwillig in den Krieg einrückte, der Österreich liebt und alle Staatsmänner und leitenden Beamten hoch schätzt (und unter diesen viele Bekannte und Freunde habe), dass er Angehöriger bürgerlicher Selbstschutzorganisationen schon vor dem Jahre 1934 war, der Polizeidirektion Salzburg in den Umsturz-

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tagen 1934 persönlich Uniformsorten und Waffen zur Ausrüstung der staatstreuen militanten Formationen zur Verfügung gestellt, der Bundespolizeidirektion seinen Kraftwagen zur unentgeltlichen Benutzung angetragen habe und es ihm unerklärlich sei, weshalb man gegen ihn, Chwoyka jr., so losgeht, tat dies der Sicherheitsdirektor schweigend damit ab, dass dies auch andere getan haben. Chwoyka jr. beteuerte, dass er scheinbar durch Denunziationen offen oder anonym verfolgt werde, dass ihm Unrecht geschehe und dass er unter solchen Umständen zum Herrn Bundeskanzler oder zum Herrn Bundespräsidenten gehen müsse, um zu seinem Recht zu kommen. Der Sicherheitsdirektor sprang bei diesen Worten auf und schrie  : »Ich bin der Sicherheitsdirektor  ! Kein Bundespräsident und kein Papst, kein Minister und kein Gott kann Ihnen helfen  !« Chwoyka jr. erklärte, sich hierbei empfehlend, dass es in Österreich noch ein Recht geben müsse, er sei Österreicher und werde seinen Weg gehen. (…) Nun bittet der »Beschuldigte« und bereits vor der Haft stehende, bis dato unbescholtene Wilhelm Chwoyka jr. (…) um Gerechtigkeit und Schutz für sich, seine Familie und seine Angestelltenschaft, um Schutz für seine Ehre und, was am dringendsten notwendig ist, um sofortigen Strafaufschubs-Auftrag. Ich danke hierfür im Voraus. Treue um Treue für »Ö S T E R R E I C H   !« Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 30. Jänner 1936. Geschäftszahl  : 306.565-G.D./St.B.36 (Vorzahl  : 320.254-St.B./35  ; Nachzahlen  : 310.154-St.B./36  ; Bezugszahlen  : 301.154-G.D.5/16.) Gegenstand  : Wilhelm Reinhold Chwoyka, Direktor der »Österreichischen Sicherheitsdienst Kommanditgesellschaft« in Salzburg, angeblicher Nationalsozialist  ; Bestellung einer Überwachungsperson. Interne Stellungnahme. Aus dem Akt geht Folgendes hervor  : Der Sicherheitsdirektor sowie der ehemalige Regierungskommissär für die Privatwirtschaft haben für das von Chwoyka geleitete Unternehmen die Bestellung einer Überwachungsperson beantragt, weil dem Unternehmen durch den Gesellschafter (Chwoyka) in politischer und finanzieller Beziehung Gefahr droht und weil sich Chwoyka politischer Umtriebe zu Gunsten der NSDAP schuldig gemacht hat. Worin die Gefahr politischer und finanzieller Natur und das unsoziale Verhalten ge-

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legen ist, wird vom Sicherheitsdirektor nicht näher ausgeführt. Der Angelegenheit liegt folgender Vorfall zugrunde  : Wilhelm Chwoyka (…) wurde von der Bezirkshauptmannschaft Hallein mit Erkenntnis vom 12. Oktober 1935, Zahl 7242/10, wegen Übertretung der Verordnung BGBl. Nr. 240/33 mit 7 Wochen Arrest bestraft, weil er am 15. Juli 1935 im Gastgarten der Brauerei Kaltenhausen in Hallein einem Bettler, der mehrere Male »Heil Hitler  !« gerufen hat, 20 Groschen gegeben und ihn überdies eingeladen hat, an seinem Tische Platz zu nehmen. Aus den vorliegenden Berichten über das Vorleben des Chwoyka ergeben sich Anhaltspunkte, dass der Genannte vor dem Verbote der NSDAP ein Nationalsozialist war. (…) Die Abteilung G.D. 5 bemerkt, dass der inkriminierte Tatbestand besser nach BGBl. Nr. 185/33 (politische Demonstration) zu ahnden gewesen wäre. Sodann wird das Beweisverfahren der Bezirkshauptmannschaft Hallein bemängelt, da diese die Zeugenaussagen der Familienmitglieder des Beschuldigten nicht gewürdigt hat. Überdies wurden wesentliche Beweisanträge des Chwoyka im Berufungsverfahren über seine derzeitige vaterländische Einstellung und Betätigung überhaupt nicht berücksichtigt, sodass das angefochtene Straferkenntnis vom Sicherheitsdirektor für Salzburg mit Berufungsbescheid vom 3. Jänner 1936, Zahl 3108/13, bestätigt wurde und damit in Rechtskraft erwachsen ist. (…) Die Abteilung G.D. 5 nimmt in Aussicht, den Sicherheitsdirektor für Salzburg anzuweisen, die notwendigen ergänzenden Erhebungen zu veranlassen und insbesondere den Landesleiter der Vaterländischen Front, Bernhard Aicher, und andere vaterländische Funktionäre zu befragen und sohin neuerlich zu berichten, ob die Bestellung einer Überwachungsperson unbedingt notwendig ist. Es wird sodann auf die Mangelhaftigkeit des Beweisverfahrens hingewiesen und insbesondere bemängelt, dass wesentliche Beweisanträge Chwoykas (…) unberücksichtigt geblieben sind. Eine allfällige Wiederaufnahme des Verfahrens wird dem Ermessen des Sicherheitsdirektors anheimgestellt. Der in Aussicht genommenen Erledigung der Abteilung G.D. 5 ist von h.o. durchaus zuzustimmen, da nach der Aktenlage ein strafbares Verschulden des Chwoyka keinesfalls als voll erwiesen angenommen werden kann.

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 18. Februar 1936. Geschäftszahl  : 310.154-G.D./St.B.36. (Vorzahl  : 306.565-St.B./36  ; Nachzahlen  : 315.492/36) Gegenstand  : Wilhelm Reinhold Chwoyka, Direktor der »Österreichischen Sicherheitsdienst-Kommanditgesellschaft« in Salzburg  ; Bestrafung wegen nationalsozialistischer Betätigung. Interne Stellungnahme. Es darf empfohlen werden, den Sicherheitsdirektor für Salzburg anzuweisen, das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 69, Abs. 3, AVG wiederaufzunehmen und soferne nicht einwandfreie Schuldbeweise erbracht werden können, mangels erwiesenem Tatbestandes gemäß § 45a VStG. einzustellen. Auf jeden Fall wäre die Aussetzung des Strafvollzuges bis zur endgültigen Klärung der Angelegenheit anzuordnen. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 27. März 1936. Geschäftszahl  : 315.492-G.D./St.B.36. (Vorzahl  : 310.154 St.B./36  ; Bezugszahlen  : 311.564 St  :B./36  ; Miterledigte Zahlen  : 316.668-St.B./36, 316.883-St.B./36, 316.580-St.B./36.) Gegenstand  : Österreichischer Sicherheitsdienst Gesellschaft m.b.H. in Salzburg  ; Direktor Wilhelm Reinhold Chwoyka, Information.43 Interne Zusammenfassung der Informationen. Die »Österreichische Sicherheitsdienstgesellschaft m.b.H.« hat ihren Sitz in Salzburg und unterhält in verschiedenen Orten Österreichs Zweigunternehmungen. Für 43 Gegen die Österreichische Sicherheitsdienstgesellschaft m.b.H. wurden seitens des Konkurrenzunter­ nehmens Bewachungsgesellschaft der Industrie mit Sitz in Wien sowie des Generalsekretariats der Vaterländischen Front in Wien schwere Vorwürfe wegen nationalsozialistischer Parteigänger in den Niederlassungen in Baden bei Wien und in Wien geführt. In Baden war sogar ein uniformierter Wächter des Salzburger Unternehmens in Papierböllerattentate verwickelt. Das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, wurde um eingehende Nachforschungen gebeten. Die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit wandte sich an alle Sicherheitsdirektoren und Leiter der Bundespolizeibehörden mit dem Ersuchen um entsprechende Erhebungen. Die Erhebungen im Bereich der Wiener Filiale ergaben fünf nachweisliche Mitglieder der illegalen NSDAP, unter ihnen der Generalrepräsentant der Firma Dr. Adolf Fischer und der Direktor der Wiener Filiale Edmund Rudolf Praschinger.

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Wien wurde diese Unternehmung (…) vom Wiener Magistrat am 25. Jänner 1929 (…) die Konzession zum Betriebe eines Bewachungsunternehmens nach langwierigen Verhandlungen erteilt. Anlässlich der Verleihung dieser Konzession schloss Wilhelm Reinhold Chwoyka (…), der gegenwärtig als alleiniger Gesellschafter und Direktor des Unternehmens fungiert, mit der für diesen Zweck von der sozialdemokratischen Gemeindeverwaltung in den Vordergrund geschobenen »Gemeinde Wien-Städtische Versicherungsanstalt« einen Vertrag, in den er Bedingungen aufnehmen musste, die bei Konzessionserteilungen und bei Abschluss von Versicherungsverträgen wohl sonst nicht üblich sind. (…) Es war klar, dass die Österreichische Sicherheitsdienstgesellschaft als rein sozialdemokratisches Unternehmen großgezogen werden sollte. Tatsächlich wurden damals in Wien bei dieser Gesellschaft fast nur sozialdemokratisch eingestellte Wächter verwendet, die vielfach auch dem ehemaligen Republikanischen Schutzbunde angehörten. Wilhelm Reinhold Chwoyka, der aus geschäftlichen Interessen den in Rede stehenden Vertrag eingegangen ist, suchte dann allerdings die von ihm übernommenen Verpflichtungen zu umgehen, was ihm aber nur teilweise gelang. Er ließ sich sogar auf 2 Jahre rückwirkend in der Sozialdemokratischen Partei organisieren, um die Konzession zu erlangen. Als Gegenleistung bot die Gemeinde Wien dem Chwoyka an, dass er alle Firmen, welche mit der Gemeinde Wien durch Lieferungen oder sonst in Verbindung stehen, zur Überwachung bekommen werde. Man eröffnete ihm hierbei, er werde auf diese Weise ein schwer reicher Mann werden. Chwoyka fühlte sich zum Vertragsabschluss damals auch deswegen veranlasst, weil ihm bekannt war, dass sich die Gemeinde Wien mit dem Gedanken trage, ein umfassendes Bewachungsinstitut auch für die Provinzen zu gründen, durch das er in seiner Existenz angeblich ernstlich bedroht worden wäre. Als sich späterhin das Bundesministerium für Handel und Verkehr die Verleihung solcher Konzessionen vorbehielt, hoffte Chwoyka, er werde unter gleichzeitiger Zurücklegung seiner vom Magistrat erteilten Konzession eine solche vom Bundesministerium für Handel und Verkehr erhalten. Schon aus dem Gesagten geht hervor, dass Wilhelm Reinhold Chwoyka keine Bedenken trägt, Zugeständnisse an diese oder jene politische Richtung zu machen, wenn dies seinen geschäftlichen Interessen förderlich erscheint. Seine politische Einstellung ist nicht auf innere Überzeugung zurückzuführen, sondern er ist als ein typischer Konjunkturmensch zu bezeichnen, was auch aus folgenden, von der Bundespolizeidirektion in Salzburg festgestellten, Tatsachen hervorgeht  : Zur Zeit der sozialdemokratischen Parteiherrschaft war Chwoyka ein intimer Freund des ehemaligen sozialdemokratischen Nationalrates Josef Witternigg, durch dessen Verbindung er auch die Konzession zur Errichtung einer Filiale des Unternehmens in Wien erlangte.

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Zur Zeit des Aufblühens des Heimatschutzes suchte sich Chwoyka dieser Bewegung zu nähern. Im Jahre 1930 ließ er gelegentlich der Anwesenheit des Herrn Vizekanzlers Fürsten Starhemberg in Salzburg durch einen seiner Angestellten eine Ergebenheitsadresse abgeben, die die Versicherung enthielt, dass alle Angestellten der Österreichischen Sicherheitsdienstgesellschaft einwandfrei heimatschutztreu eingestellt seien. In Wirklichkeit stand damals keiner der Bediensteten des Salzburger Unternehmens dem Heimatschutze nahe. Der Heimatschutz hat die Person Chwoykas auch richtig eingeschätzt und wiederholte Ansuchen um Aufnahme in den Verband abgelehnt. Als die nationalsozialistische Bewegung stärkeren Zulauf bekam, trat Chwoyka mit der Parteileitung in schriftlichen Verkehr. Von einem Akquisiteur des Unternehmens verlangte Chwoyka vor dem Eintritt in seinen Betrieb den Nachweis der Zugehörigkeit zur NSDAP, eine Bestätigung über die regelmäßige Leistung der Mitgliedsbeiträge und über seine Aufführung in der Partei. Im Frühjahr 1933 forderte Chwoyka von dem damaligen SA-Führer Ing. Josef Wohlrab, der seit August 1933 bei der Österreichischen Legion in Deutschland dient, 20 SA-Männer an, um sie in seinem Betrieb einzustellen. Bei den Wahlen zum Salzburger Landtag unternahm Chwoyka in seinem mit Hakenkreuzbändchen geschmückten Auto förmliche Propagandafahrten. Es wurde auch beobachtet, dass seine Kinder in der Wohnung mit Hakenkreuzfahnen spielten.44 Unmittelbar vor der Einführung der Tausend MarkSperre begrüßte Chwoyka nach Angabe eines Zeugen beim Grenzübertritt die reichsdeutschen Grenzorgane mit »Heil Hitler  !« Chwoyka unterhielt bis zur nationalsozialistischen Julirevolte intime Freundschaftsbeziehungen mit dem Bäckermeister Franz Martin, der wegen Teilnahme an der Revolte mit 9 Jahren schweren Kerkers bestraft wurde. Etwa einen Monat vor der Julirevolte wurde über den Auftrag Chwoykas durch den Leiter der Filiale Salzburg, August Lepuschitz, mehreren Wächtern die Waffen mit der Begründung abgenommen, dass seitens der Polizei der Gebrauch von großkalibrigen Faustwaffen verboten worden sei. Zur selben Zeit wurden der genannte Lepuschitz, der SAScharführer war, und der Buchhalter Richard Atzwanger, der gleichfalls der NSDAP angehörte, mit neuen Walter-Repetierpistolen beteilt. Nach der Niederschlagung des nationalsozialistischen Putschversuches suchte Chwoyka in der Vaterländischen Front zu Einfluss zu gelangen. Er gab sich widerrechtlich als Verbindungsoffizier der Vaterländischen Front zwischen Wien und Salzburg aus und trug zu Unrecht das Führerabzeichen der Vaterländischen Front, sodass ihm dessen Tragen von der Salzburger Landesleitung ausdrücklich untersagt wurde.

44 Diese Angaben basierten offensichtlich auf anonymen, nicht überprüften Hinweisen.

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Chwoyka stellte den Angestellten und Bediensteten seines Unternehmens den Beitritt zur Vaterländischen Front zunächst frei. Erst in letzter Zeit, als die maßgebenden Stellen seinem Unternehmen ein besonderes Augenmerk zuwendeten, wurde die Zugehörigkeit zur Vaterländischen Front als Anstellungsbedingung gefordert. Umso mehr Aufsehen musste es daher in vaterländischen Kreisen erregen, dass noch im Frühjahr bzw. Sommer vorigen Jahres drei Nationalsozialisten in das Salzburger Unternehmen eingestellt wurden, obwohl genügend Anwärter aus den Kreisen des Schutzkorps vorhanden gewesen wären. Dass die Österreichische Sicherheitsdienstgesellschaft seinerzeit starken nationalsozialistischen Einflüssen unterworfen war, geht auch daraus hervor, dass im Zuge einer gegen den Angestellten der Filiale in Baden, Josef Petsche, der in Baden in den letzten Monaten eine größere Anzahl von Böllern zur Explosion gebracht hat,45 45 Zum Fall des am 23. Februar 1936 in Baden bei Wien wegen Sprengstoffvergehens verhafteten Wächters Josef Petsche bemerkte die Österreichische Sicherungsgesellschaft in einer Stellungnahme  : »Der für unsere Filiale in Baden verantwortliche Beamte, Hr. Sekretär Alfred Moawetz, nimmt hierzu Stellung wie folgt  : Im April 1935 erhielt diese Filiale vom Heimatschutz in Baden den Auftrag zur Beistellung eines Nachtwachepostens für die Dauer von 14 Tagen zur Bewachung der Heimatschutz-Geschäftsstelle. Da unser Personal infolge der starken Beanspruchung unserer Anstalt in Baden bereits zur vollen Dienstleistung herangezogen worden war, musste für den besagten Bewachungsfall ein Aushilfswächter aufgenommen werden. Nach Umfrage bei den bereits seit 6 Jahren bei unserer Gesellschaft in Baden in ununterbrochenem Dienstverhältnis stehenden Oberwächtern Lehrer und Pointner wurde uns Josef Petsche als verlässlicher Mann bezeichnet. Petsche wurde umso wärmer empfohlen, als er nicht nur Mitglied der Vaterländischen Front, sondern auch Schutzkorpsmann war, der sich bei allen vaterländischen Veranstaltungen meist aktiv betätigte, was allgemein bekannt war. Petsche wurde zur Österreichischen Sicherheitsdienstgesellschaft vorgeladen, berief sich auf maßgebliche Amtswalter als Referenzgeber für ihn, wies einen auf seinen Namen lautenden Waffenpass und auf den Besitz einer eigenen Schusswaffe hin, legte ein Leumundszeugnis sowie eine Legitimation der Vaterländischen Front und des Schutzkorps vor und wurde hierauf als Aushilfswächter für 14 Tage in Dienst gestellt. Die Heimwehr-Dienststelle war mit der Bewachung durch Petsche sehr zufrieden und es gab keinen Anstand. Nach Ablauf dieses Bewachungsauftrages ersuchte uns Petsche, ihn als Reservemann in Evidenz zu halten. Seinem Ansuchen wurde entsprochen  ; er wurde als letzter Reservewächter unter der Nr. 16 im Personalverzeichnis geführt, welches wir resp. die Filiale Baden an den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Niederösterreich (…) mit dem Ersuchen vorlegten, das ›Verzeichnis der Angestellten zu überprüfen.‹ Die genannte Sicherheitsdirektion für Niederösterreich hatte gegen keinen der gesamten Wächter und Aushilfswächter etwas einzuwenden, also auch nicht gegen den Schutzkorpsmann Josef Petsche, der über ein Leumundszeugnis und über einen gültigen Waffenpass verfügte. Unsere Anstalt hat also bei der Aufnahme alle Vorsicht angewendet. Petsche war weiter beim Schutzkorps, versah aber seit seiner Genehmigung bei uns ein-, höchsten zweimal pro Woche in der Stadt Baden Aushilfswächterdienste und hat dieselben stets gewissenhaft durchgeführt. Im Februar 1936 hat Pesche den letzten Dienst in der Nacht vom 15. zum 16. Februar versehen. In der Nacht vom

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durchgeführten Amtshandlung auch ein vom nationalsozialistischen Betriebszellenobmann Scheinbauer gezeichnetes Empfehlungsschreiben der Betriebsleitung der Österreichischen Sicherheitsdienstgesellschaft und ein vom Betriebszellenobmann des Unternehmens, Franz Baier, gezeichnetes Rundschreiben vorgefunden wurde.46

20. zum 21. Februar 1936 – Petsche stand bei uns wegen Arbeitsmangel nicht im Dienste  ! – wurde er angeblich in angeheitertem Zustande von der Gendarmerie in Baden verhaftet. Den wahren Grund seiner Verhaftung kennen wir nicht. Jedenfalls stand Pesche zur Zeit seiner Verhaftung nicht mehr in unseren Diensten, er trug daher bei seiner Verhaftung auch keine Uniform, hatte keine Legitimation von unserer Anstalt in Händen, und es ist gänzlich unwahr und erfunden, dass Pesche »während seiner nächtlichen Revisionen« – wie es in der Anzeige heißt – als »Naziwächter Sprengkörper« gelegt hat. Petsches aushilfsweise Verwendung bei uns als genehmigter Reservewächter (…) wird in Verfolg einer bestimmten Absicht vom Anzeiger unserer Anstalt resp. unsere Anstalt mit dem Josef Pesche (…) in Zusammenhang gebracht.« 46 Österreichische Sicherheitsdienstgesellschaft Wien V., Gartengasse Nr. 19a. Werte Parteigenossen  ! Als Betriebszellenobmann der Österreichischen Sicherheitsdienstgesellschaft, dem das Wohl von Dutzenden bodenständigen Arbeitsmenschen am Herzen liegt, trete ich an Euch mit der Bitte heran, unsere Firma bei der Vergebung von Bewachungsaufträgen nach besten Kräften zu unterstützen. Als einzige, größte, 32 Filialen in allen größeren Städten und Orten Österreichs besitzende arische Firma sind wir in der Lage, zu den möglichst billigsten zeitgemäßen Preisen einen einwandfrei funktionierenden Bewachungsdienst zu stellen, der, abgesehen davon, dass er Sie vor Schäden und Diebstählen und Elementarereignissen aller Art in der besten Art und Weise beschützt, Ihnen Gelegenheit zu wahrer nationaler Aufbauarbeit gibt, da Ihre Aufträge unseren arbeitslosen Volksgenossen Brot und Arbeit verschaffen und Sie für wenig Geld Gelegenheit haben, viel Not und Elend von (…) Parteigenossen zu nehmen. Schenken Sie unseren Vertretern Gehör und geben Sie diesen Gelegenheit, Ihnen zu beweisen, dass Sie mit der Unterstützung unserer Firma auch nationale Aufbauarbeit leisten, dem Wahlspruch unserer Bewegung folgend  : Deutsche helft nur Deutschen  ! Mit Heil Hitler NSBO Wien, Bezirks-Betriebszellenleitung Wien Fünfhaus Franz Baier Werter Volksgenosse  ! Die Betriebsleitung der Österreichischen Sicherheitsdienstgesellschaft tritt an Sie mit der Bitte heran, von dem arischen Bewachungsinstitut, das zu konkurrenzlos niedrigsten Preisen Ihr Hab und Gut betreut und bewacht, gefälligst Gebrauch machen zu wollen. Bitte dem Vertreter einige Minuten Ihrer kostbaren Zeit zu schenken und uns mit Ihrem werten Auftrage zu beehren, wodurch ein arischer, ausgesteuerter Volksgenosse Brot und Arbeit findet, entsprechend dem Motto  : Deutsche helft nur Deutschen  ! Mit einem kräftigen Heil Hitler Der Betriebszellenobmann Scheinbauer

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Diese Rundschreiben stammen offensichtlich aus der Zeit vor dem behördlichen Verbote der nationalsozialistischen Parteitätigkeit. (…) Sowohl der Sicherheitsdirektor für Salzburg als auch der seinerzeitige Regierungskommissär für die Privatwirtschaft haben für die Österreichische Sicherheitsdienstgesellschaft die Bestellung einer Überwachungsperson mit der Begründung beantragt, dass dem Unternehmen durch Chwoyka in politischer und finanzieller Hinsicht Gefahr drohe und sich dieser politischer Umtriebe zu Gunsten der NSDAP und unsozialen Verhaltens schuldig gemacht habe. Der Sicherheitsdirektor für Salzburg wurde eingeladen, die dem Chwoyka bzw. seinem Unternehmen angelastete politische und finanzielle Bedenklichkeit zu konkretisieren und auch eine Stellungnahme des Landesleiters der Vaterländischen Front einzuholen. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 28. September 1936. Zl. 2806/7. Betreff  : Österreichische Sicherheitsdienstgesellschaft m.b.H., Direktor Wilhelm Chwoyka. An das Bundeskanzleramt G.D./St.B. in Wien. Zum Erlass G.D. 340.764-St.B. vom 9.7.1936 beehre ich mich zu berichten  : Die Bundespolizeidirektion Salzburg hat auf Grund neuerlicher Überprüfung des Erhebungsergebnisses nunmehr festgestellt, dass der Direktor der Österreichischen Sicherheitsdienstgesellschaft m.b.H., Wilhelm Reinhold Chwoyka, bei Abschluss der Versicherungsverträge mit der Gemeinde Wien, welche ihm wohl der gewesene Nationalrat Witternigg vermittelt haben dürfte, ständig den früheren Polizeidirektor von Salzburg, Hofrat Steinhäusl, und das Polizeipräsidium Wien (Polizeipräsident Dr. Schober) über die einzelnen Phasen des Vertragsabschlusses laufend informiert hat. (…) Gegen Chwoyka wurde seinerzeit bereits seitens der Konkurrenz, welche vornehmlich in nicht arischen Händen liegt, ein Konkurrenzmanöver entfaltet, welches auch zu verschiedenen Prozessen wegen Übertretung des Gesetzes zum Schutz gegen unlauteren Wettbewerb führte. Chwoyka, welcher in jungen Jahren zu einem großen Unternehmen mit anfangs größerem Reingewinn gelangt war, hat keine feste politische Einstellung bezogen, sondern bei fast allen politischen Parteien seine Mitgliedschaft angemeldet, um hierdurch bei Geschäftsabschlüssen größere Erfolge erzielen zu können.

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Wiewohl Chwoyka auch mit früheren Schulkollegen, welche extreme Anhänger der NSDAP waren (Bäckermeister Martin, Dr. Guttenberg usw.), auch weiterhin intime freundschaftliche Beziehungen aufrechterhielt, will er der NSDAP, trotz mehrfacher Aufforderungen, nie beigetreten sein. In der Kartothek, welche sich beim staatspolizeilichen Büro der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit befindet, soll Chwoyka als Mitglied dieser Partei nicht verzeichnet sein. Die amtliche Kontrolle und Revision des Waffenbestandes der bei der Österreichischen Sicherheitsdienstgesellschaft eingeteilten Wächter hat ergeben, dass die Behauptung, Buchhalter Richard Atzwanger hätte neue Walter Repetierpistolen zur Verteilung gebracht, den Tatsachen nicht entspricht. Zwischen dem früheren Organisationsleiter der Vaterländischen Front, dem derzeit in gerichtlicher Untersuchungshaft befindlichen Direktor der SalzkammergutLokalbahn Emil Richter, und Direktor Chwoyka bestand wegen eines Autozusammenstoßes, welcher angeblich durch ein Verschulden der Gattin Direktor Chwoykas zustande gekommen sein soll und wegen der von Emil Richter gestellten Schadenersatzforderungen ein gespanntes Verhältnis. Als Direktor Richter in Erfahrung brachte, dass die Landesführung der Vaterländischen Front Direktor Chwoyka als Nachfolger Direktor Richters, der unterdessen von der Organisationsleitung der Vaterländischen Front enthoben worden war, in Aussicht genommen hat, verbreitete Direktor Richter das unkontrollierbare und nicht erwiesene Gerücht, dass Chwoyka sich dahin geäußert haben sollte  : »Lieber eine Stunde täglich bei der Vaterländischen Front als den ganzen Tag und Monate hindurch einen Regierungskommissär im Betriebe dulden müssen.« Direktor Chwoyka war tatsächlich einige Wochen hindurch mit Regierungsrat Steinwender bei Versammlungen der Vaterländischen Front in der Provinz aktiv tätig und hat auch bei solchen Versammlungen mehrmals gesprochen. Die Überprüfung der Einstellung abgestrafter nationalsozialistischer Parteigänger hat ergeben, dass der Büroleiter Ferdinand Gietl, welcher wegen Besitzes verbotener illegaler nationalsozialistischer Druckschriften mit 3 Tagen Arrest bestraft und von der Arbeiter-Unfall-Versicherungsanstalt entlassen wurde, über ausdrückliche Empfehlung des Landesführers der Vaterländischen Front und des Landesstatthalters Dr. Wagenbichler aufgenommen wurde. Bei der Bewachungsgesellschaft der Industrie Ges.m.b.H. in Wien I., Seilerstätte Nr. 17, soll gegen Chwoyka, welcher zum Zunftmeister bestellt wurde, ein außerordentlicher Konkurrenzkampf geführt worden sein. Der Vertreter der Generalrepräsentanz Dr. Anton Fischer ist bereits seit ca. zwei Jahren nicht mehr im Dienste der Sicherheitsdienstgesellschaft. Ebenso ist auch der Direktor-Stellvertreter Rudkowski entlassen worden. Direktor Chwoyka hat mit dem ehemaligen Nationalrat Lichtenegger des steiermärkischen Heimatschut-

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zes privat freundschaftliche Beziehungen unterhalten und wurden über Wunsch Lichten­eggers von Chwoyka viele Mitglieder des Heimatschutzes eingestellt. Über die Einstellung des bei der Bezirkshauptmannschaft Hallein wider Chwoyka anhängig gewesenen Strafverfahrens gem. § 45 VStG wurde bereits am 23.6.1936 dem Bundeskanzleramt G.D. 5 berichtet. Derzeit konnten irgendwelche bedenkliche politische Umtriebe in der Zentrale sowie in den im Lande Salzburg gelegenen Filialen der Österreichischen Sicherheitsdienstgesellschaft nicht wahrgenommen werden. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 25. November 1937. Geschäftszahl  : 371.146-G.D./St.B.37 (Vorzahl  : 308.62 9-G.D.5/37). Gegenstand  : Sicherheitsdienstgesellschaft m.b.H. Direktor Wilhelm Reinhold Chwoyka, Information. Aus dem Einsichtsakt ist Folgendes zu entnehmen  : Die weiteren Erhebungen über die Sicherheitsdienstgesellschaft m.b.H. und deren Direktor Wilhelm Reinhold Chwoyka haben nun ein wesentlich anderes Bild ergeben, wie es durch die Information des Staatspolizeilichen Büros vom 30. März 1936, Z. 315.492-St.B., vermittelt wurde. Abgesehen von der ha. bereits bekannten Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens gegen Chwoyka haben auch die über die Angestellten der Sicherheitsdienstgesellschaft in allen Bundesländern durchgeführten Erhebungen ergeben, dass eine Bevorzugung von staatsfeindlichen Elementen in keiner Weise behauptet werden kann. Ein Großteil des in der früher erwähnten Information verwerteten Materials stammt von der Bundespolizeidirektion Salzburg, die (sich) in ihrem Bericht auf unrichtigen Mitteilungen von Vertrauenspersonen stützte. Das Staatspolizeiliche Büro bemerkt dazu, dass diese Mitteilungen, die weder durch amtliche Feststellungen noch durch Zeugenaussagen erwiesen sind, als Grundlage der Information nicht weiter aufrechterhalten werden können. Das Staatspolizeiliche Büro hat daher die früher erwähnte Information nunmehr richtiggestellt und beabsichtigt, hiervon das Amt des Frontführers, alle Sicherheitsdirektoren und Leiter sämtlicher Bundespolizeibehörden sowie die Bundesminister für Handel und Verkehr und für soziale Verwaltung und auch die ho. Abteilung zu verständigen. (…)

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 7. Jänner 1938. Zl. 7910/1. Betr.: Wartbichler Martin, Verhaftung. An das Bundeskanzleramt St.B. im Wien. Martin Wartbichler, Landarbeiter, geb. am 8.11.1920 in Kaprun und dorthin zuständig, war seinerzeit Mitglied der Hitler-Jugend in Kaprun und reiste nach Aushebung dieser Jugendgruppe auf legalem Wege nach Deutschland aus. In Unkenntnis seiner später erfolgten steckbrieflichen Verfolgung durch das Landesgericht in Salzburg kam Wartbichler am Weihnachtstage zu einem kurzen Besuch seiner Eltern nach Kaprun zurück, wobei er vom Gendarmeriepostenkommando Kaprun verhaftet wurde. Anbei beehre ich mich, das mit Wartbichler aufgenommene Einvernehmungsprotokoll, das einen kleinen Ausschnitt über die Verhältnisse in Deutschland gibt, zur Kenntnis vorzulegen. Gendarmerieexpositur Kaprun, Bezirk Zell am See, Salzburg. Zu Sp.f. Nr. 8. Niederschrift über die vom Martin Wartbichler über die Verhältnisse in Deutschland gemachten Angaben. Martin Wartbichler gab an  : A) Politische Lage  : Ich war immer beim Bauer Beno Fortner beschäftigt und hatte keine Zeit und auch kein Interesse für politische Dinge. Ich kenne wohl die Verhältnisse in Geiging, wo ich war. (…) Zum Reichskanzler haben die meisten volles Vertrauen, doch über manche Unterführer wird oft schwer geklagt. Obwohl ich schon fast ein Jahr in Geiging war, wurde ich noch nie befragt, ob ich in Österreich bei der Partei war oder ob ich in Österreich eine Strafe hatte oder zu gewärtigen habe. Und ist es auch unmöglich, dort in die Partei oder in eine ihrer Gliederungen aufgenommen zu werden. Dies kann vielleicht bei solchen möglich sein, die aus Österreich flüchten mussten. Über die Österreichische Legion ist mir nichts näheres bekannt. Ich weiß nur, dass von dieser sehr viele zur SS übergeleitet wurden. Mein Bruder Georg Wartbichler, der im März 1937 aus Österreich geflüchtet ist, dient bei der SS-Standarte Deutschland in München. Diese Standarte soll angeblich 3.000 Mann stark sein. Davon sind

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aber 1.000 Österreicher. Wie in der Bevölkerung erzählt wird, sollen in Bayern nur mehr wenige Legionäre sein. Über Österreich wird dort sehr wenig gesprochen. Sehr auffallend ist, dass seit dem Besuch durch Mussolini der Kampf gegen die katholische Geistlichkeit mehr aufgehört hat. In der katholischen Bevölkerung wird gesprochen, dass Mussolini den Führer zur Vorsicht gemahnt haben soll. Sehr streng sind die Behörden bezüglich der Behandlung der Arbeiter und Dienstboten.47 Falls ein Bauer den versprochenen Lohn nicht bezahlen oder sonst die Dienstboten nur schlecht behandeln oder schlecht verpflegen sollte, dann schreiten sofort die Vertreter und Behörden ein.48 Bauern, die schon in diesem Rufe stehen, werden ständig kontrolliert und wehe, wenn ein Anstand wahrgenommen werden sollte. So mancher Bauer oder Unternehmer in Österreich, der sich die deutschen Verhältnisse so besonders herbeisehnt, würde in ganz kurzer Zeit der größte Gegner sein. Es würde keine Seltenheit sein, dass die Bauern mit Zwangsmaßnahmen ihr Gut bewirtschaften müssten. Ganz besonders wird für kinderreiche Familien gesorgt. So hat zum Beispiel neben unserem Hause ein Landarbeiter mit seiner vierköpfigen Familie sein Eigenheim. Obwohl dieser das ganze Jahr in Arbeit steht und einen guten Verdienst hat, erhält er für seine drei Kinder im Jahre 360 Mark Kinderzuschuss vom Staate. Mein Dienstgeber ist ein ärmerer Bauer und hat vier Kinder. Damit er für seine Kinder

47 Ein Problem der deutschen Landwirtschaft nach 1933 bestand in dem verstärkten Abströmen von Landarbeitern in die städtische Rüstungsindustrie mit deren deutlich höheren Löhnen. So beklagte Walter Darré, der Organisator des »Reichsnährstandes«, 1938 die Abwanderung von 800.000 Landarbeitern. Wenngleich diese Zahl aufgrund neuerer Forschungsergebnisse etwas übertrieben scheint, so traf sie doch einen neuralgischen Punkt der nationalsozialistischen Agrarpolitik und ihrer auf den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs basierenden Ideologie der Ernährungsautarkie, die zumindest so lange gewährleistet sein sollte, bis der entsprechende agrarische »Raum im Osten« erobert war. Dieser Form von Landflucht, die die angestrebte Produktivitätssteigerung der Landwirtschaft massiv bedrohte, begegnete man durch eine erheblich stärkere Inanspruchnahme der mithelfenden Familienangehörigen, vor allem der Frauen, durch das Bemühen, Landarbeiter in den landwirtschaftlichen Betrieben durch bessere Behandlung sowie durch moderate Lohnerhöhungen zu halten, die Effektivität der landwirtschaftlichen Produktion durch den vermehrten Einsatz von Maschinen zu erhöhen und die durch die Landflucht entstandenen Lücken durch Erntehelfer/innen von HJ, BDM und RAD zu schließen. Die Landwirtschaftspolitik der NSDAP war durchaus erfolgreich und näherte sich 1939 ihrem Ziel einer vollständigen Selbstversorgung mit 83 Prozent an. Die deutsche Agrarproduktion lag 1939 um 10 Prozent höher als jene des Jahres 1935. 48 1936 übertrug Hitler vor dem Hintergrund der mäßigen Ernten der Jahre 1934 und 1935 Hermann Göring, dem Leiter der Vierjahresplan-Behörde, auch die Kompetenz der Ernährungswirtschaft. Dies bedeutete eine Entmachtung Walter Darrés, des Organisators des Reichsnährstandes, dessen Staatssekretär Herbert Backe von Göring gefördert wurde. Backe galt als strenger Agrarideologie und Autarkieverfechter, der die Kontrollen der landwirtschaftlichen Betriebe intensivierte.

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anständige Wohnräume schafft, wurden ihm im Wege einer Hilfsaktion zwei Zimmereinrichtungen kostenlos angefertigt. Er hatte nur das Holz beizustellen. B) Wirtschaftliche Lage  : Für die Landarbeiter ist diese sehr gut. Die Löhne sind sehr verschieden, doch unter 6 Mark per Woche wird man keinen männlichen Dienstboten finden. Melker und Schweizer haben sogar Wochenlöhne von 12 bis 18 Mark. An Landarbeitern ist dort große Not. Obwohl der Dienstbotenwechsel dort erst am 2. Februar ist, frugen die Bauern schon im Juni um Dienstboten. Ich wurde mindestens von 10 Bauern gebeten, bei ihnen in den Dienst zu treten. Während des Jahres darf kein Dienstbote ohne ganz zwingenden Grund seinen Dienstplatz verlassen. Und ebenso unmöglich ist es auch, als Landarbeiter in gewerblichen Betrieben unterzukommen. Auch die Bauern sind im Allgemeinen gut gestellt. Je mehr sie aus ihren Gründen herausbringen, desto besser ist es für sie. Für die bestbewirtschafteten Höfe gibt es sogenannte Leistungsprämien. Mit allen möglichen Mitteln werden Bauern angeeifert, immer mehr aus ihren Gründen herauszubringen. Um unnötige Grundvergeudung zu beseitigen, haben sie jetzt das sogenannte Flurbereinigungsgesetz geschaffen. Nach diesem müssen die einem Besitzer gehörenden Grundstücke zusammenhängend sein. Jetzt liegen die Felder ganz zerstreut, und um jedes Grundstück ist der sogenannte Grenzgraben. Durch die Zusammenlegung der Gründe müssen die Grenzgräben alle verschwinden. Jedem Besitzer ist es vorgeschrieben, was er abzuliefern hat. Von der Henne bis zum Pferde sind alle Haustiere amtlich aufgenommen und in ständiger Evidenz. Die amtlichen Kontrollen erstrecken sich auch auf die Reinlichkeit in den Stallungen. An Bauern darf in den Geschäften kein Fett verkauft werden. Der Bauer hat nebst der vorgeschriebenen Milchlieferung sein Gut so zu bewirtschaften, dass er auch seinen Fettbedarf decken kann. Kleider und Schuhe sind sehr teuer. Immer wieder hört man über Rohstoffmangel klagen. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 5. Februar 1938. Geschäftszahl  : 306.607-G.D./St.B.38 (Vorzahl  : 303.749-St.B./38). Gegenstand  : Bein Rudolf  ; Erhebung. Rudolf Bein Tanzlehrer Salzburg, 31. Dezember 1937. Münchner-Hauptstraße Nr. 14, Salzburg. An Se. Exzellenz, den Herrn Bundeskanzler von Schuschnigg. Ich wurde am Vormittag des 4. Dezember 1937 auf die Polizeidirektion Salzburg bestellt. Der mich vernehmende Beamte hieß mich warten indes er bei mir daheim

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eine Haussuchung vornahm. Das Ergebnis war  : zwei reichsdeutsche Winterhilfsabzeichen, Visitenkarten, Adressen. Ich übe schon seit zwei Jahren meinen Beruf als Tanzlehrer in benachbarten bayerischen Orten aus, dadurch kam ich in den Besitz der WHW-Abzeichen, habe sie jedoch auf österreichischem Boden nie getragen. Die Visitenkarten ließ ich mir in Bayern lt. Vorschrift drucken und waren nur für Deutschland bestimmt. Sie trugen meinen Namen, Beruf, Adresse und das deutsche Hoheitsabzeichen. Die vorgefundenen Adressen sind völlig harmloser Natur. Es sind Freunde und Bekannte, zu denen ich freundschaftliche private Beziehungen hatte. Dieses vorgefundene Material veranlasste den vernehmenden Beamten, mich in das Polizeigefängnis zu überführen. Auf dem Wege dorthin konnte ich die Flucht ergreifen und halte mich gegenwärtig in Bayern auf. Die Gründe für meine Flucht waren absolut stichhaltig  : 1) Bin ich schwer nerven- und herzleidend, worüber ich ärztliche Atteste zu erbringen vermag und eine Haft für mich mit schweren, ja lebensgefährlichen Gesundheitsschädigungen verbunden gewesen wäre  ; 2) habe ich als Tanzlehrer ohnehin nur ein Saisongeschäft, welches vom Oktober bis Februar eines jeden Jahres währt und eine Haft hätte mich dadurch um den ganzen Verdienst eines Jahres gebracht und meine Schüler wären durch den Abbruch der Kurse ebenfalls geschädigt gewesen. Ich betone ausdrücklich, dass ich als guter Österreicher meine Heimat liebe, ebenso wie das neue Deutschland. Ich kann einfach nicht glauben, dass die Bewunderung für Deutschland und seinen Führer sowie die anlässlich der Haussuchung vorgefundenen Kleinigkeiten dazu ausreichen, um mich einzusperren. Da ich mich nicht im staatsfeindlichen Sinne betätigt habe, bin ich gerne bereit, mich den österreichischen Behörden zur Verfügung zu halten unter der Voraussetzung, dass es mir gestattet wird, mich auf freiem Fuß zu verantworten. Ich wünsche auf alle Fälle die Rückkehr in meine Heimat, vorherige Rückerstattung des abgenommenen Reisepasses und ich bitte hiermit alles zu veranlassen, dass dieses Gesuch für mich günstig erledigt wird.

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 20. Jänner 1938. Geschäftszahl  : 303.749-G.D./St.B.38. Gegenstand  : Bein Rudolf  ; Erhebung. Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 28. Jänner 1938. Zl. 670/2. Betreff  : Rudolf Bein  ; Erhebung. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St.B., in Wien I., Herrengasse 7. Zum Erlass vom 20.1.1938, Zahl  : 303.749-St.B., beehrt sich die Bundespolizeidirektion Nachstehendes zu berichten  : Der Bundespolizeidirektion kam eine Anzeige zu dahingehend, dass der Tanzlehrer Rudolf Bein, 10.7.1903 in Wien geb. und zust., röm. kath., led., Liefering, Münchner-Hauptstraße Nr. 14 wohnhaft gewesen, sich einer Übertretung der Devisenverordnung schuldig gemacht hat. Da Bein als Nationalsozialist h.a. in Vormerkung steht,49 hat die staatspolizeiliche Abteilung diesen Anlass benützt, um bei Bein eine Hausdurchsuchung zu machen. Diese Hausdurchsuchung förderte Visitenkarten Beins mit einem Hakenkreuz zutage (…) Es bestand kein Zweifel darüber, dass Bein nationalsozialistisch eingestellt ist und auch diese seine Gesinnung durch Visitenkarten zum Ausdruck bringt. Er wurde zum Amte vorgeführt und einvernommen. Zum Zwecke weiterer Erhebungen wurde er in Haft genommen und sollte an das Polizeigefangenenhaus überstellt werden. Während der Kriminalbeamte um den Arrestantenwagen telefonierte, gelang es Bein zu flüchten und konnte er nicht mehr verhaftet werden, obwohl sofort alle Grenzkontrollstellen verständigt wurden. Besondere Vorsichtsmaßnahmen bei der Verhaftung Beins schienen nicht geboten, da Bein h.a. als fluchtgefährlich nicht bekannt ist und auch das Delikt, dessen er sich schuldig gemacht hat, nicht schwerwiegend war, d. h. nur im verwaltungsrechtlichen Sinne zu ahnden war.

49 Am 8.1.1949 teilte das Innenministerium dem Landesgericht Linz auf dessen Anfrage mit, dass Rudolf Bein, der zu diesem Zeitpunkt in Pfarrwerfen wohnte, in der von der amerikanischen Besatzungsmacht zusammengestellten Liste der illegalen Nationalsozialisten als Angehöriger der SA aufscheine.

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Bein hat ein gleichlautendes Ansuchen auch an den Herrn Sicherheitsdirektor gerichtet, doch wurde dieses mit Erlass vom 11.1.1938, Zahl  : 224/1, abgewiesen.50 Schon die Bestellung derartiger Visitenkarten und die Ausgabe solcher Visitenkarten als Österreicher stellt nach h.a. Ansicht eine Betätigung im Sinne der NSDAP dar und ist daher Bein deshalb strafbar. Die äußerst ironisch und zynisch gehaltene Eingabe Beins ist für seine politische Einstellung bezeichnend. Dass Bein schwer herz- und nervenleidend ist, muss denn doch bestritten werden, da er sonst zur Ausübung seines Berufes wohl vollkommen ungeeignet ist und auch bis nun h.a. ein derartiges Leiden nicht bekannt geworden war. Bein steht seit langem als Nationalsozialist in Vormerkung und wurde im Jahre 1934 wegen Besitzes nationalsozialistischer Zeitungen mit 6 Wochen Arrest bestraft. Die Bundespolizeidirektion spricht sich ganz entschieden gegen die Rückgabe des Reisepasses an Bein aus und gegen die Durchführung der Amtshandlung auf freiem Fuß, da ja Bein durch den passlosen Grenzübertritt sich eines neuerlichen Deliktes schuldig gemacht hat. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 5. Februar 1938. An die Bundespolizeidirektion in Salzburg. Es ergeht die Einladung, den in Salzburg, Münchner-Hauptstraße Nr. 14 wohnhaft gewesenen Rudolf Bein, falls er sich nochmals an die Polizeidirektion wenden sollte, in Kenntnis zu setzen, dass seinem an den Herrn Bundeskanzler gerichteten Ansuchen nicht nähergetreten werden kann. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 16. Februar 1938. Geschäftszahl  : 310.234-G.D./St.B.38. Gegenstand  : Wimmer August, Salinen-Oberbergmeister  ; Mitteilung. E.A. des Büros des Bundeskommissärs für Personalangelegenheiten (BKP), Zahl 238.818-BKP/37, vom 24.1.1938  : Laut Bericht der Bezirkshauptmannschaft Hallein vom 18.8.1917, Zahl 6467/4, an den Bundeskommissär für Personalangelegenheiten wurde Irmgard Wimmer, Schü50 Ein Gesuch ging auch an Minister Edmund Glaise-Horstenau, der am 24. Jänner 1938 zugunsten von Rudolf Bein intervenierte, jedoch vom Amt des Sicherheitsdirektors für das Bundesland Salzburg eine ablehnende Antwort erhielt.

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lerin des 2. Jahrganges der Bundesgewerbeschule in Salzburg (am 6.10.1921 geb.), in Hallein Nr. 385 wohnhaft, die Tochter des Salinen-Oberbergmeisters bei der Saline Hallein August Wimmer, mit Erkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Hallein vom 18.8.1937, Zahl 6467/4, wegen Übertretung der Verordnung BGBl Nr. 240/33 mit 8 Tagen Arrestes bestraft. Das Bundesministerium für Finanzen hat am 29.9.1937 zur Zahl 1366/Pr. dem BKP mitgeteilt, dass laut Strafakt der Bezirkshauptmannschaft Hallein Irmgard Wimmer von dem im Landesgericht Salzburg wegen Verbrechens gegen das Staatsschutzgesetz in Haft befindlichen Fachschüler Gustav Aufhauser, 19 Jahre alt, als Mitglied des »Bundes Deutscher Mädchen« (BDM) bezeichnet wurde. Sie selbst leugnete jede Betätigung. Laut einem dem Strafakt beiliegenden Bericht des Gendarmeriepostenkommandos Hallein ist ihr Vater August Wimmer national eingestellt und Mitglied des Deutschvölkischen Turnvereines in Hallein. Seine zweite Tochter ist mit dem deutschen Finanzwachebeamten namens Plattner verlobt, der mit dem Schmuggel illegalen Propagandamaterials von Bayern nach Österreich in Verbindung gestanden ist. Der Gendarmerieposten nahm daher in seinem Berichte an, dass die Aussage des Aufhauser der Wahrheit entspreche. Irmgard Wimmer hat bezüglich ihrer Strafe einen unbefristeten Strafaufschub erhalten. Die durch die Salinenverwaltung Hallein vorgenommenen Erhebungen hatten folgendes Ergebnis  : August Wimmer gab an, dass ihm unbekannt sei, dass seine Tochter Irmgard sich politisch betätigt haben soll. Sie lebt mit ihren Eltern im gemeinsamen Haushalt und ist nur während der Schulzeit nach und von Salzburg mit der Eisenbahn gefahren. Über das politische Verhalten August Wimmers ist der Salinenverwaltung nichts Nachteiliges bekannt. Nach Aussagen des Oberhüttenmeisters Johann Karl und des Oberbergmeisters Michael Gruber (letzterer früher Mitglied der christlichsozialen Volkspartei) habe Wimmer als betont national gegolten, ohne sich jedoch politisch betätigt zu haben. Wimmer selbst hat zugegeben, seiner zeit der NSDAP als Mitglied angehört zu haben, jedoch ausgetreten zu sein. Wimmer ist seit 1.11.1933 Mitglied der Vaterländischen Front (Nr. BNo. 137.310). Auf Grund dieses Erhebungsergebnisses hat die Generaldirektion der Österreichischen Salinen beantragt, August Wimmer zu verwarnen, seiner Tochter ein höheres Augenmerk zuzuwenden, jedoch eine Disziplinaranzeige nicht zu erstatten. Laut einem Bericht der Salinenverwaltung Hallein ist die gegen Irmgard Wimmer beim Landesgericht Salzburg zu Zahl 13 Vr 1314/37 eingeleitete Voruntersuchung wegen Verbrechens nach § 5 Staatsschutzgesetz eingestellt worden. Im Akt 217.394-BKP/37 wird bemerkt, dass aus dem Strafakt ersichtlich sei, dass die belastende Aussage des Gustav Aufhauser dezidiert und glaubwürdig sei. Der Sicherheitsdirektor für Salzburg wurde um Bekanntgabe der politischen Einstellung

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der Führung des Deutschvölkischen Turnvereines Hallein sowie der Einstellung seiner Mitglieder ersucht. Im besonderen sei zu berichten, wie viele Mitglieder bisher abgestraft oder beanstandet wurden bzw. ob und welche öffentlich Bedienstete dem Verein angehören. Der Sicherheitsdirektor für Salzburg hat am 6.12.1937 zur Zahl 2868/16 berichtet, dass sowohl die Leitung des Deutschvölkischen Turnvereines in Hallein als auch die überwiegende Zahl der Mitglieder national eingestellt seien. Eine strafbare illegale politische Tätigkeit innerhalb des Vereines habe nicht festgestellt werden können, wenn auch wiederholt Vereinsmitglieder wegen politischer Delikte bestraft worden seien. Diese seien jedoch sogleich aus dem Vereine ausgeschlossen worden. Im Jahre 1937 seien 7 derartige Fälle vorgekommen. Weiters wird das in Abschrift angeschlossene Verzeichnis der öffentlichen Angestellten, welche Mitglieder des Vereines sind, vorgelegt. Das Büro des BKP beabsichtigt hinsichtlich der öffentlichen Beamten, welche Mitglieder des Deutschvölkischen Turnvereines Hallein sind, mit den zuständigen Dienststellen das Einvernehmen zu pflegen. Dies insbesondere dann, wenn sich bei einzelnen Vormerkungen finden sollten. Das Büro des BKP hat dem Bundesministerium für Finanzen mitgeteilt, dass im Hinblick auf die seinerzeitige Mitgliedschaft August Wimmers bei der NSDAP die Mitgliedschaft bei einem Verein, von dessen Mitglieder allein im Jahre 1937 7 Personen wegen politischer Delikte bestraft wurden, den Verdacht rege gemacht hat, dass Wimmer von dem Treiben des Verlobten seiner älteren Tochter und dem Verhalten seiner jüngeren Tochter Kenntnis gehabt hat, ein Verdacht, der noch nicht entkräftet erscheint. Nach Anschauung der BKP erscheint die Erstattung der Disziplinaranzeige im vorliegenden Falle notwendig. H.o. scheint August Wimmer, Oberbergmeister (am 11.4.1888 in Hallein geb., nach Dürrnberg zust.), als seinerzeitiges Mitglied der NSDAP (Mitgl.Nr. 360.018) auf. (…) Es hätte sohin zu ergehen  : An den Herrn Sicherheitsdirektor für Salzburg in Salzburg Euer Hochwohlgeboren werden eingeladen, dem Deutschvölkischen Turnverein Hallein ein besonderes Augenmerk zuzuwenden und allenfalls bei Vorliegen der entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen die Auflösung des Vereines ins Auge zu fassen. Ve r z e i c h n i s über jene öffentlichen Angestellten, welche Mitglieder des Deutschvölkischen Turnvereines Hallein sind  :

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Angermayer Siegfried, Dr. Obersanitätsrat (ausübend) Bechtold Mathias, Professor der Fachschule (ausübend) Bültemayer Walter, Dr. Gemeinde-Assistenzarzt (ausübend) Dirnberger Robert, Primararzt des Gemeindespitales (unterstützend) Egermann Heinrich, Oberstraßenmeister der Bundesstraßen (unterstützend) Ferlinz Josef, Salinenbeamter (unterstützend) Freudelsperger Rudolf, Steueramtsdirektor (unterstützend) Fürstl Josef, Volksschullehrer (unterstützend) Gattinger Josef, Dr. Bezirkstierarzt (unterstützend) Göttlicher Josef, Hauptschulfachlehrer (unterstützend) Hintze Fritz, Ing. Hofrat der Salinenverwaltung (ausübend) Hänsel Otto sen., Gemeindebeamter (unterstützend) Hänsel Otto jun., Sparkassenbeamter (unterstützend) Karosin Mitzi, Lehrerin (ausübend) Kaserer Mathias, Finanzoberkommissär i.R. (unterstützend) Kaut Alois, Fachlehrer der Hauptschule (Ehrenmitglied) Kohlbacher Franz, Lehrer (unterstützend) Kuschel Viktor, Ing. Direktor der Fachschule (ausübend) Kurz Rudolf, Lehrer (unterstützend) Langer Gustav, Hofrat i.R. der Salinenverwaltung (unterstützend) Lerch Josef, Fachlehrer der Landwirtschaftsschule (unterstützend) Mayer Ferdinand, Ing, Fachlehrer der Landwirtschaftsschule (unterstützend) Moser Ferdinand, Fachlehrer der Fachschule in Hallein (ausübend) Mittermayer Karl, Dr. Bahnarzt (ausübend) Orlich Flora, Kanzleibuchhalterin in der Bundesfachschule (unterstützend) Scherbl Karl, Steueramts-Oberdirektor i.R. (unterstützend) Schaufler Alfred, Amtsleiter des Arbeitsamtes (unterstützend) Stockklausner Franz, Schuldirektor i.R. (unterstützend) Strohmayer Josef, Gemeindebeamter i.R. (unterstützend) Ulrich Rudolf, Ing. Oberforstrat (ausübend) Wierleitner Franz, Fachlehrer (unterstützend) Wimmer August, Salinenbeamter (ausübend) Würtinger Erich, Fachlehrer (unterstützend) Zwang Franz, Fachlehrer der Gewerbeschule (Ehrenmitglied) Bemerkt wird, dass von den d.o. bekanntgegebenen öffentlichen Angestellten, welche Mitglieder dieses Turnvereines sind, ho. Nachstehende als seinerzeitige Mitglieder der NSDAP bekannt sind  :

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Mathias Berthold, Professor (27.5.1886 Feldkirch geb., Adnet, Hallein zust.), Nr. 443.393  ; Walter Bültemeyer, Student der Medizin (24.1.1909 Linz geb., Kitzbühel zust.), Nr. 687.089  ; Heinrich Egermann, Oberstraßenmeister (31.5.1882 Eibenberg, CSR, geb, Hallein zust.), Nr. 686.514  ; Sepp Ferlinz, Oberhüttenmeister (21.4.1889 Tamsweg geb., Hallein zust.), Nr. 1,210.108  ; Sepp Fürstl, Lehrer (22.12.1895 Hallein geb. und zust.), Nr. 1,529.859  ; Dr. Josef Gattinger, Tierarzt (13.12.1886 Walchen geb., Hallein zust.), Parteibeitrittserklärung abgegeben  ; Josef Göttlicher, Hauptschullehrer (4.6.1895 Sandow, Preußen, geb., Hallein zust.), Nr. 900.894  ; Mathias Kaserer, Oberkommissär i.R. (1.11.1867 in Walst geb., Hallein zust.), Nr. 901.415  ; Franz Kohlbacher, Fachlehrer (8.5.1896 St. Georgen geb., Hallein zust.), Nr. 1,301.164  ; Rudolf Kurz, Lehrer (18.6.1896 Dürrnberg geb. und zust.), Nr. 443.433, seinerzeit nationalsozialistischer Bezirksredner  ; Dr. Karl Mittermayer, Arzt (6.2.1907 geb., in Wien wohnhaft gewesen), NSBO 281.912  ; August Wimmer, Oberbergmeister (11.4.1888 in Hallein geb., Dürrnberg zust.), Nr. 360.018  ; Franz Zwang, Fachlehrer (3.10.1883 Groß-Schweinhart geb., Hallein zust.), Nr. 441.820. Oberforstrat Ing. Rudolf Ulrich aus Hallein ist nach einem Bericht der Bezirkshauptmannschaft Hallein vom Jahre 1936, wie seine Familie, nationalsozialistisch eingestellt. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 15. Oktober 1937. Geschäftszahl  : 361.771-G.D./St.B.37. (Vorzahl  : 358.664-St.B.37  ; Nachzahlen  : 366.937-St.B.37.) Gegenstand  : Erhebungen. Vaterländische Front Landesführung Salzburg Salzburg, 8. September 1937. An das Generalsekretariat der Vaterländischen Front, Politische Abteilung, Wien. Von der Bezirksführung Salzburg-Stadt erhalten wir soeben ein von heute datiertes Schreiben nachstehenden Inhaltes  :

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»Der mitgefertigte D.O.-Referent hat aus Anlass seiner Anwesenheit in Freilassing am 4. September 1937 um 16 Uhr 30’ Gelegenheit gehabt zu beobachten, dass an der Mauer des unmittelbar am Bahnhofe befindlichen Postamtes auffallend viele mit Salzburger Erkennungszeichen (Nummerntafeln) versehene Fahrräder angelehnt waren. Aus Interesse begab sich der D.O.-Referent ins Postamt und konnte feststellen, dass 1) in einem mit Buchstaben versehenen drehbaren Ständer eine für das an sich kleine Postamt Freilassing ungewöhnlich große Menge (gewiss einige Hundert) von Lagerbriefen vorhanden war, 2) ausschließlich Salzburger Herren, deren Fahrräder vor dem Postamte lehnten, gegen Vorweis einer Legitimation Lagerbriefe behoben (…) Vaterländische Front Landesführung Salzburg Salzburg, 10. September 1937. An das Generalsekretariat der Vaterländischen Front, Politische Abteilung, Wien. Vorgestern teilten wir Ihnen abschriftlich eine Meldung der Bezirksführung Salzburg-Stadt mit, wonach beim Postamt Freilassing ein reger Postlagerbriefverkehr besteht, der offenbar von illegalen Salzburger Kreisen ausgenützt wird. Wir halten dafür, dass eine schärfere Kontrolle der Grenzübertritte von Österreich nach Deutschland überaus wünschenswert wäre. Es wird uns immer wieder berichtet, dass insbesondere öffentliche Angestellte zahlreiche Reisen nach Deutschland unternehmen und jeden freien Tag draußen verbringen, ohne dass man im Einzelfalle diese Grenzübertritte feststellen kann. Die Reisepässe der von Österreich nach Deutschland reisenden Personen – speziell im Straßenverkehr – werden von unseren Grenzorganen sehr selten abgestempelt, sodass sich die Grenzübertritte auch bei Einsichtnahme in den Reisepass schwer feststellen lassen. Wir bitten daher das Generalsekretariat, falls dies als tunlich erachtet wird, bei der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit anzuregen, dass 1) jede Ausreise nach Deutschland von den Grenzkontrollstellen durch einen Datumstempel im Reisepass des Ausreisenden vermerkt werden, 2) dass die Grenzkontrollstellen über die Ausreisenden Listen führen, die täglich der Sicherheitsdirektion vorzulegen wären. Durch diese Maßnahme würde wahrscheinlich allein schon der übermäßige Reiseverkehr nach Deutschland verringert werden, andererseits wäre eine stichhaltige Kontrolle über die Deutschlandreisenden gegeben, die sich für die Beurteilung der politischen Einstellung gewisser Personen von Bedeutung sein könnte. (…)

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 28. Februar 1938. Zl. 6836/4. Betr.: Reiter Maria, Beschlagnahme eines Radioapparates. An das Bundeskanzleramt G.D. 5 in Wien. Zum Erlass 307.596-G.D. 5/1938 vom 15.2.1938 beehre ich mich bei Rückvorlage zu berichten  : Maria Reiter, Fleischhauermeistersgattin, 5.1.1888 in Michaelbeuern, Bezirk Salzburg, geb., Salzburg zust., röm. kath., Salzburg, Franz-Josef-Straße Nr. 19 wohnhaft, wurde von der Bundespolizeidirektion Salzburg mit dem Erkenntnis Zl. 19.183 vom 14.9.1937 gem. § 5 OG mit S. 50,– bestraft, weil sie in ihrer Wohnung durch ihren Radioapparat das »Horst-Wessel-Lied« so laut übertragen ließ, dass die Sendung auf der Straße gehört wurde. Zugleich wurde der Radioapparat gem. § 13/1 OG für verfallen erklärt. (…) Der gegen letzten Bescheid eingebrachte Einspruch wurde durch den Bescheid der Bundespolizeidirektion Zl. 19.183/2 vom 6.12.1937, die Berufung gegen letzteren Bescheid mit dem ha. Bescheid Zl. 6838/1 vom 8.1.1938 rechtskräftig abgewiesen. (…) Maria Reiter Salzburg, 5. März 1938. Berufung gegen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg. An das Bundeskanzleramt G.D./St.B. Wien I., Herrengasse 7. Unter Hinweis auf meine dorthin gerichtete Zuschrift vom 2.2.1938, mit welcher ich gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 8.1.1938, Zl. 6836/1, B e r u f u n g gegen die Beschlagnahme und den Verfall meines Radioapparates, der von der Bundespolizeidirektion Salzburg unter Zahl 19.138/1937 erfolgte, erhoben habe, gestatte ich mir (…), da bisher an mich kein Bescheid ergangen ist, ergebenst um Behandlung der erwähnten Sache zu ersuchen. Unter Bezugnahme auf die von mir in der ersten dorthin gerichteten Zuschrift angeführten Begründung ersuche ich nochmals, meiner Berufung stattgeben zu wollen.

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Nachdem nun zwischen den Kanzlern Österreichs und Deutschlands das geschichtliche Abkommen vom 12.2.1938 getroffen und durch eine weitgehende Amnestie der Weg zur ersehnten Befriedung geebnet wurde, erlaube ich mir, mich der Ansicht hingeben zu dürfen, dass auch in meinem Falle eine wohlwollende Behandlung Platz greifen dürfte. Nachdem auf meine Berufung an das Bundeskanzleramt bis nun keine Mitteilung an mich erging und daher dort noch nicht endgültig entschieden wurde, ist die Angelegenheit wohl als noch nicht abgeschlossen zu betrachten. Ich bitte daher, meine Eingaben einer geneigten Überprüfung unterziehen lassen zu wollen und die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg sowie jenen der Bundespolizeidirektion Salzburg aufzuheben und mir den beschlagnahmten Radioapparat, Marke Telefunken, Type Weltsuper F.Nr. 21749, wieder auszuhändigen. Ich bitte die Behandlung des Falles im Sinne der von unserem Herrn Bundeskanzler eingeleiteten Befriedung durchführen zu wollen. Indem ich nochmals versichere, dass es mir vollkommen ferne gelegen war, eine verbotene demonstrative Handlung durch das Anhören des fraglichen Liedes zu begehen, gebe ich nochmals meiner treuen österreichischen Gesinnung Ausdruck und bitte, mein Ansuchen wohlwollend zu erledigen. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 5. März 1938. Geschäftszahl  : 313.092-G.D. 5/38 (Vorzahl  : 307.596-G.D. 5/38). Gegenstand  : Reiter Maria, Beschlagnahme eines Radioapparates. Interne Stellungnahme. Aus dem vorgelegten Polizei-Strafakt geht Folgendes hervor  : Maria Reiter hat in ihrer Wohnung am 19. September 1937 eine Sendung von Radio München angehört, wobei auch das Horst-Wessel-Lied gespielt wurde. Die Fenster waren zwar geschlossen, der Apparat war jedoch so laut eingestellt, dass das Lied auf der Straße deutlich hörbar war. Sie gab zu ihrer Rechtfertigung an, dass sie nicht geahnt hatte, dass die Übertragung auf der Straße hörbar ist. Sie habe sich nie politisch betätigt und gehört seit 1933 der Vaterländischen Front an. Sie bestreitet entschieden, absichtlich den Lautsprecher übermäßig laut eingestellt zu haben. Bei einer bei ihr vorgenommenen Hausdurchsuchung wurde keinerlei belastendes Material gefunden. Mit Rücksicht auf die Geringfügigkeit des Deliktes wäre nunmehr die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg anzuweisen, im Zuge der allgemeinen Amnestie für politische Delikte den beschlagnahmten Radioapparat der Marie Reiter

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gnadenweise zurückzugeben. Es erübrigt sich hiermit die Erledigung der anher gerichteten Eingabe der Marie Reiter vom 2. Februar, die von ihr als Berufung bezeichnet wird und die an sich mangels eines zustehenden Berufungsrechtes zurückgewiesen werden müsste. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 5. März 1938. Geschäftszahl  : 312.905-G.D./St.B.38 (Vorzahl  : 366.067-St.B.37, Bezugszahlen  : 379.029-St.B./37.) Gegenstand  : Beyer Anna, Eingabe für Dr. Adalbert Herzog. Anni Beyer Hallein, Postg. 78 Hallein, 12. Februar 1938. An den Herrn Bundeskanzler, Exzellenz von Schuschnigg  ! Euer Exzellenz  ! Legen Sie bitte den Brief nicht gleich beiseite nach Durchsicht der Unterschrift und denken Sie nicht – nur ein Bittschreiben  ! Denn erstens enthält es nicht eigentlich eine Bitte, noch schreibe ich in meinem Interesse. Die Sache betrifft das Verhalten hiesiger Behörden gegen einen Halleiner Arzt, und zwar gegen Herrn Dr. Adalbert Herzog,51 einen unserer besten Ärzte im Lande, einen Mann von großem Können und hoher sozialer Auffassung wie adeligen Charakters. Derselbe wurde im Juli vorigen Jahres verhaftet, und zwar wurde ihm zur Last gelegt, im Vorjahr einmal drei nationalsozialistisch gesinnte junge Männer im Wagen eine Strecke mitgenommen zu haben, wissend, dass selbe auf einem Berge ein Feuer entzünden wollten. Dafür bekam der Arzt acht Wochen Kerker, außerdem wurde er als Salinenarzt entlassen und ihm die Krankenkasse entzogen. Damit nicht genug, aberkannte der Akademische Senat in Graz auf Aufforderung der hiesigen politischen Behörde dem Arzt vor einigen Wochen sein Doktordiplom und machte dem geachteten und beliebten Manne ein Wirken in der Heimat unmöglich. Dieses Vorgehen der Sicherheitsdirektion in Salzburg und der Bezirkshauptmannschaft in Hallein steht wohl in keinem Verhältnis einer gerechten Auffassung

51 Nach dem Anschluss leitete Dr. Adalbert Herzog das Kreisamt für Volksgesundheit.

Stimmungen und Befindlichkeiten

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von Vergehen und Strafe, kann selbst von strengster gegnerischer Anschauung nationalsozialistischen Tuns nicht als richtig empfunden werden. Das Bekanntwerden des Entzuges des Doktordiploms erregte auch einen Sturm der Empörung in allen Schichten der Bevölkerung. Die Arbeiterschaft einiger Betriebe protestierte und leitete Bittschriften um Rückgängigmachung an die Behörden, da sie ihren Arzt nicht verlieren wollte, der für jeden Armen ein gütiges Herz hatte. Exzellenz erfahren ja so manches nicht, wissen wohl auch nicht, dass man in Salzburg voll Groll ist über so mancherlei Behandlung, vor allem der politischen Behörden respektive ihrer Leiter. Soviel ich hörte, gehört dabei die Bevölkerung Salzburgs zu den gutmütigsten in Österreich. Ich meine, wenn mein Schreiben an die hiesigen Behörden zurückgeleitet würde, würde ich eingesperrt, obwohl ich eigentlich der Sache fernstehe, nur eine solche große Ungerechtigkeit gegen einen so guten Menschen nicht ansehen kann und trotz allem hoffe, Exzellenz werden mir und so vielen anderen den Wunsch erfüllen und Herrn Dr. Herzog seine alte Stellung zurückgeben und ihm auch die Krankenkassen freigeben. Ohne dieselben ist eine Existenz derzeit nicht möglich. So manche der besten Söhne Österreichs mussten die Heimat verlassen, auch Herr Dr. Herzog musste es tun. Exzellenz haben die Macht, die Angelegenheit ordnen zu lassen und ich kann den Glauben an die Güte im Menschen nicht verlieren, ich kann es nicht. Aber nur »Gnade« darf es auch nicht sein, das weckt den Stolz zu sehr. O Exzellenz, Güte und Liebe kehren tausendfach zum Geber zurück, Gewalt weckt nur Gewalt. Ich muss dabei an meinen zwölfjährigen Jungen denken  ; auch Sie haben einen Sohn in diesem Alter. Bitte, nehmen Sie mir als Frau meine freien Worte nicht übel und machen Sie mich und viele froh. Mit Hochachtung zeichnet Anni Beyer Lehrersgattin in Hallein, Postg. 78.

2. »… und wurde im Allgemeinen die Taktik verfolgt, nur das zuzugeben, was seitens der Behörden nachgewiesen werden konnte.« Die NSDAP

Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 6. Juli 1936. Geschäftszahl  : G.D. 341.066-St.B./36 (Vorzahl  : 335.428-St.B./36). Gegenstand. Leopold Grießner aus Kaprun  ; Zusendung von nationalsozialistischen Flugschriften. An das Präsidium der Bundespolizeidirektion in Wien. In dem beiliegenden Kuvert wurden dem Leopold Grießner aus Kaprun nationalsozialistische Flugschriften mit der Überschrift »Nationalsozialisten – Deutsche Volksgenossen« von Wien aus zugesendet. Hiervon ergeht im Nachhange vom h. o. Erlass vom 13.6.1936, Zl. 335.428St.B./36, zur weiteren Verfügung die Verständigung. Nationalsozialisten

Deutsche Volksgenossen

Am 19. Juni 1933 wurde die NSDAP (Hitlerbewegung) von einer v e r f a s s u n g s w i d r i g e n und e i d b r ü c h i g e n Regierung verboten und jede Betätigung für sie als staatsfeindlich erklärt. Von allem Anfang an war es uns als Nationalsozialisten klar, dass für uns eine Kapitulation niemals in Frage käme. Wir fassten vielmehr damals den Entschluss, den Kampf aufzunehmen mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben mochten. Der Weg, den wir in diesen drei Jahren gegangen sind, war ein Läuterungs- und Opfergang, wie ihn die Geschichte irgendeines anderen deutschen Stammes noch nicht gesehen hat. Wir wollen heute nicht wehklagen und können es uns ersparen, die furchtbaren Stationen dieses Leidensweges und die von Tausenden gebrachten Opfer im Einzelnen darzustellen. E s i s t d e m B o d e n s t ä n d i g e n d i e s e s L a n des nur zu geläufig, was hier im Namen eines Lippenchristent u m s a n s c h m a c h v o l l e n U n t a t e n begangen wurde. Die Verbrechen, die das System auf dem Gewissen hat, haben sich unserem Gedächtnis für immer eingeprägt.

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In diesen drei Jahren reichten die Kräfte der separatistischen Regierung gerade hin, durch b r u t a l e n E i n s a t z s t a a t l i c h e r M a c h t m i t t e l das wehrlose Volk niederzuhalten. Im Übrigen war das politische Programm dieser Gewaltherrschaft gekennzeichnet durch die k o n s e q u e n t e A n w e n d u n g d e r G r u n d s ä t z e d e s n a t i o n a l e n u n d s o z i a l e n Ve r r a t s . Es konnte daher in diesen drei Jahren nichts anderes geben als Z u s a m m e n b r u c h , E l e n d , U n g l ü c k und dumpfe Resignation und Verzweiflung der Bevölkerung. Diesem »segenvollen« Wirken setzte der größte Korruptionsskandal Europas, der P h ö n i x s k a n d a l ,1 die Krone auf. Fast sämtliche Regierungsmitglieder und maßgebenden Funktionäre des »neuen Österreich« waren in dieses ungeheure Panama verwickelt, dessen Kosten in widerlicher Art und Weise den darbenden Massen des Volkes aufgelastet wurden. Neben der E r s c h ü t t e r u n g s e i n e r i n n e n p o l i t i s c h e n P o s i t i o n durch diesen Skandal hat das System aber auch i n a u ß e n p o l i t i s c h e r H i n s i c h t eine k a t a s t r o p h a l e S c h w ä c h u n g seiner bisherigen Stützen zu verzeichnen. Wohl gelang es der Regierung anfangs durch schamlose Anbiederung und Verrat nationaler Interessen sich in außenpolitischer Beziehung eine gewisse Förderung dieser Politik zu sichern. Im selben Maße aber, in dem die militärische und politische Geltung des Deutschen Reiches in Europa stieg, sank auch das praktische Interesse gewisser Großmächte für die sogenannte österreichische Unabhängigkeit. Diese Entwicklung schreitet in einem für das Regime beängstigenden Tempo fort. Die in Regierungsumbildungen und Ministerreisen zum Ausdruck kommende Rat- und Hilflosigkeit der derzeitigen Machthaber ist ein sicheres Barometer für das Herannahen des für dieses System doch unausbleiblichen Endes. Unbeschadet der Gunst der außenpolitischen Entwicklung führen wir Deutschen Österreichs den Kampf um unsere Freiheit a u s e i g e n e r K r a f t . Nie noch war unserem Stamm vom Schicksal eine größere Aufgabe gestellt als gerade jetzt. Dass wir heute zur Lösung dieser Aufgabe befähigt sind, verdanken wir in nicht geringem Maße dem separatistischen System, das unsere Kampf- und Einsatzbereitschaft auf die schwerste Probe gestellt hat. Die Legende vom weichen und willenlosen Österreicher ist endgültig zerstört  : Drei Jahre Unterdrückung durch die separatistischen Machthaber waren eine h a r t e S c h u l e für das deutsche Volk in Österreich  ; sie haben eine Auslese geschaffen, die zum Träger des Entscheidungskampfes geworden ist. Während die breiten Massen des bodenständigen deutschen Volkes für das System und seine Drahtzieher nur Hass und Verachtung übrig haben, blicken sie voll Hoffnung auf unsere Freiheitsbewegung, die der Garant dafür ist, dass die Gewaltherrschaft der Separatisten gestürzt und durch ein Regime der E h r e , d e s n a t i o n a l e n A u f b a u e s u n d d e r s o z i a l e n G e r e c h t i g k e i t abgelöst wird.

1 Vgl. Die Dunkelheit des politischen Horizonte. Bd. 2. S. 353f.

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So treten wir in das vierte Verbotsjahr ein mit dem festen Entschluss, den Kampf für ein nationalsozialistisches Österreich k o m p r o m i s s l o s und h a r t bis zum Ende durchzustehen. Das separatistische System hat in einzigartiger Weise die deutsche E h r e unseres Volkes so b e s u d e l t und g e s c h ä n d e t , dass wir den Gedanken einer Ve r s ö h n u n g mit diesen notorischen Volksverrätern w e i t v o n u n s w e i s e n m ü s s e n . Die Fronvögte des »neuen Österreich« haben bereits zur Genüge erfahren, dass wir im Bewusstsein unseres unabdingbaren Rechts ihre »Gnadenakte« als niederträchtige Anmaßung empfinden und daher einmütig ablehnen. Unsere Parole heißt  : To d d e m S y s t e m   ! Unser Ziel  : D i e n a t i o n a l s o z i a l i s t i s c h e R e v o l u t i o n i n Ö s t e r r e i c h   ! Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 12. August 1936. Geschäftszahl  : 350137/GD. 2/36 (Nachzahlen  : 367.949/36). Gegenstand  : Bombenanschlag vor dem Postamtsgebäude Salzburg 4, Schadensvergütung an die Postdirektion Linz. Bundesministerium für Handel und Verkehr Generaldirektion für die Post- und Telegrafenverwaltung Wien, 6. August 1936. Zahl  : 25223/1936. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit in Wien. Durch den am 17. Juni 1934 vor dem Postgebäude Salzburg 4 verübten Bombenanschlag sind uns Auslagen im Betrage von 1.142 S 05 g erwachsen. Die Post- und Telegrafendirektion Linz hatte seinerzeit unverzüglich beim Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg um Rückvergütung dieses Betrages aus dem beschlagnahmten Vermögen der NSDAP ersucht. Der Sicherheitsdirektor teilte der Post- und Telegrafendirektion Linz mit Schreiben vom 17. Dezember 1935, Zl. 4882/32, mit, dass der Schaden nur zu 75 v. H., das ist mit 857 S, ersetzt werden kann und ersuchte um Mitteilung, wohin dieser Betrag zu überweisen sei. Trotzdem ist er bis heute nicht eingegangen, die wiederholten Ermahnungen der Direktion blieben erfolglos und überhaupt unbeantwortet. Das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, wird daher ersucht, die ehesttunliche Überweisung dieses Betrages von 857 S an die Postund Telegrafendirektion Linz zu verfügen und hierüber anher eine Mitteilung gelangen zu lassen.

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 28. November 1936. Zl. 4882/36 ex 1934. Betrifft  : Bombenanschlag vor dem Postamtsgebäude Salzburg 4, Schadensvergütung an die Postdirektion Linz. An das Bundeskanzleramt GD. 2 in Wien. Zum Erlass 367.949-GD. 2 vom 14.11.1936 beehre ich mich zu berichten, dass seinerzeit die Absicht bestand, nach Möglichkeit die durch nationalsozialistische Terroranschläge verursachten Schäden durch entsprechende Vorschreibungen gutzumachen und zu hoffen war, dass etwa 75 Prozent dieser Beträge eingetrieben werden könnten. Durch das Überhandnehmen der Schädigungen einerseits, durch die innenpolitische Entwicklung andererseits (Amnestie) wurde es jedoch unmöglich, diese geplante Gutmachung durchzuführen, sodass derzeit keinerlei Geldmittel mehr für diese Zwecke zur Verfügung stehen und auch keine Möglichkeit mehr vorhanden ist, für diese weit zurückliegenden Schäden weitere Beträge zur Gutmachung einzutreiben. Der Forderung der Post- und Telegrafendirektion in Linz kann daher nicht mehr Rechnung getragen werden. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 15. Dezember 1936. Geschäftszahl  : 372.174/GD. 2/36 (Vorzahl  : 367. 949-GD. 2/36.) Gegenstand  : Bombenanschlag vor dem Postgebäude Salzburg 4  ; Schadensvergütung an die Postdirektion Linz. Der aus dem beiliegenden Bericht des Sicherheitsdirektors für Salzburg sich ergebende Sachverhalt wäre dem Bundesministerium für Handel und Verkehr (Generaldirektion für die Post- und Telegrafenverwaltung) zur Kenntnis zu bringen. Streng vertraulicher Bericht der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit an das Bundeskanzleramt über die österreichische NSDAP im Juli 1936. Wien, 29. August 1936.2 Die in nationalsozialistischen Kreisen nach dem Abkommen vom 11. Juli 1936 eingetretene Vertrauenskrise wurde durch eine geschickte Propaganda größtenteils be2 Kriechbaumer (Hg.)  : Österreich  ! und Front Heil  ! S.  369.

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seitigt. Wenn sich auch vereinzelt radikale Gruppen der Kommunistischen Partei, die unter den Nationalsozialisten eine rege Propaganda entfaltet, zugewendet haben, so verharrt doch der größte Teil der Nationalsozialisten auf seinem bisherigen Standpunkte. Es scheint der nationalsozialistischen Propaganda gelungen zu sein, unter den Parteigenossen fast allgemein die Überzeugung zu verbreiten, dass das Abkommen vom 11. Juli 1936 den ersten Schritt für die friedliche Durchdringung Österreichs mit nationalsozialistischem Geist darstelle. Hitler habe auf außenpolitischem Gebiete so große Erfolge errungen, dass er auch das Problem Österreich in absehbarer Zeit meistern werde. Das Übereinkommen würde im Endergebnisse eine völlige Kapitulation der österreichischen Regierung bewirken. Diese Ansicht wird von der Propaganda durch die Verbreitung tendenziöser Gerüchte über eine bevorstehende Regierungsumbildung, bei der nationalsozialistische Führer zum Zug kommen werden, unterstützt. Die Zuversicht der Nationalsozialisten wurde auch durch die im Zusammenhang mit dem Abkommen vom 11. Juli 1936 durchgeführte Amnestie politischer Häftlinge wieder gefestigt. Große Hoffnungen werden ferner auf die Rückkehr der nationalsozialistischen Emigranten gesetzt, die eine wirksame Entfaltung der Partei mit sich bringen werde, sodass die Gleichschaltung an das Deutsche Reich ›auf kaltem Wege‹ erzwungen werden könne. Verschiedene Gruppen erwarten weiterhin eine in Bälde stattfindende Volksabstimmung. Es wird auch davon gesprochen, dass schließlich und endlich eine Sammlung der Nationalsozialisten in einem ›Deutschen Volksbund‹ möglich sein werde, der sozusagen als zweiter Willensträger gemeinsam mit der Vaterländischen Front am Aufbau Österreichs mitarbeiten solle. (…) Berichte des Werbereferats der Vaterländischen an Generalsekretär Walter Adam über die Reaktionen auf das Juli-Abkommen. Salzburg, 5. August 1936.3 Der Bezirk Oberdorf, Salzburg, meldet  : Am 26. Juli fand in Lamprechtshausen anlässlich der Heimkehr der politischen Häftlinge eine Demonstration statt, wobei sich in der kleinen Landgemeinde über 500 Nationalsozialisten versammelten, nach reichlichem Alkoholgenuss zogen sie durch die Straßen des Ortes, wobei es an kräftigen »Heil Hitler  !«-Rufen nicht fehlte  ; die 2 Mann im Ort befindlichen Gendarmen standen der ganzen Situation machtlos gegenüber. (…)

3 Ebda. S. 372f.

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 7. Oktober 1936. Zl. 6646/12. Betrifft  : Klingler Josef, Fletschberger Kasper und Kranabetter Georg aus Embach i. Pzg., Kostenvorschreibungen. An das Bundeskanzleramt GD. 2 in Wien. Zum Erlass vom 10.9.1935, Zl. 356.462-GD. 2, wird berichtet, dass in der Gemeinde Embach im Pinzgau, einer durchaus ländlichen Bauerngemeinde nächst Lend, pol. Bezirk Zell am See, sich die nationalsozialistische Bewegung auch im Jahre 1935 noch wach erhalten und wiederholt durch Abbrennen von Höhenfeuern bemerkbar gemacht hat. Da nachts zum 25. Juli l. Js. die Plakate der Vaterländischen Front mit den Abbildungen des Bundeskanzlers Dr. Dollfuß und der in den Julikämpfen 1934 gefallenen Angehörigen der Exekutive und die Fenster der Wohnung des Obmannes der Vaterländischen Front in Embach, Oberlehrer Franz Doppler, mit schmähenden Aufschriften in roter Farbe besudelt wurden, musste gegen den Nationalsozialismus in dieser Gemeinde, in der kein Gendarmerieposten besteht und deshalb die Ermittlung der Täter der nationalsozialistischen Provokationen nicht gelang, in besonders empfindlicher energischer Weise vorgegangen werden. Als Maßnahmen kamen die Abgabe prominenter Personen ins Anhaltelager gemäß dem Anhaltegesetz BGBl. Nr. 253/1934 und die Vorschreibung von Kostenersätzen für außerordentliche Sicherungsmaßnahmen gem. d. Vdg. BGBL. Nr. 397/1933 bzw. des Bundesverfassungsgesetzes BGBL. II Nr. 254/1934 (Art. II § 1) in Betracht, wobei bei der Auswahl der Personen zwecks Erzielung einer nachhaltigen Wirkung auf gutsituierte und zufolge der bäuerlichen Psyche schon deshalb einflussreiche, aber auch möglichst empfindlich zu treffende Gutsbesitzer gegriffen werden sollte. Als solche wurden über hä. Weisung vom Gendarmerieposten Lend mit Bedacht und bei vorsichtiger Abwägung der Ortsverhältnisse sowie der politischen Einstellung der Betreffenden selbst, ihrer Familienangehörigen und ihres Gesindes der Leitenbauer Josef Klingler, der Bauer und Krämer Kapsar Fletschberger und der Nöcklerbauer Georg Kranabetter aus Embach namhaft gemacht. Bei Sämtlichen sind die Voraussetzungen für Maßnahmen nach § 1 sowohl des Anhaltgesetzes BGBL. Nr. 253/1934 als auch nach Art. II § 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBL. II Nr. 254/1934 vorgelegen. Von den darnach dem Sicherheitsdirektor zu Gebote stehenden Befugnissen konnten daher sowohl die Verfügung der Anhaltung zwecks Abgabe ins Anhaltelager, als auch die Vorschreibung von Kosten für außerordentliche Sicherheitsmaßnahmen gleichzeitig angewendet werden. Aus

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der praktischen Erfahrung heraus wurde aber die wirkungsvollere und empfindlichere Anwendung nacheinander, und zwar in umgekehrter Reihenfolge, vorgesehen und zuerst mit der Erlassung der Vorschreibungsbescheide vorgegangen, während die Abgabe ins Anhaltelager als zweite strengere Maßregel vorbehalten wurde. Die Konzepte der Vorschreibungsbescheide werden angeschlossen. Da letztere zufolge der Höhe der vorgeschriebenen Kostenbeträge keinem weiteren Rechtszuge unterlagen und infolgedessen rechtskräftig waren, innerhalb der eingeräumten Zahlungsfrist aber die Zahlungen nicht erfolgten, wurde am 22.8.1935 die Einlieferung der Zahlungsunwilligen ins Polizeigefangenenhaus nach Salzburg zwecks Anwendung der strengeren Maßregeln nach den Bestimmungen des Anhaltegesetzes angeordnet und durchgeführt. Wenn auch die Anhaltung in einem Anhaltelager bzw. die Androhung der Anhaltung in einem solchen für den Fall der Nichtbezahlung auferlegter Kosten im Anhaltegesetz nicht vorgesehen ist, lagen doch die Voraussetzungen nach § 1 dieses Gesetzes vor und hätten auch die selbständige Verfügung der Anhaltung gerechtfertigt. Die Kenntniserlangung von dieser in Aussicht genommenen Maßregel hat auch zur Folge gehabt, dass Klingler, Fletschberger und Kranabetter sofort die Einzahlung der Hälfte veranlassten und innerhalb weiterer 10 Tage nach ihrer Freilassung den Rest selbst einzahlten.4 Nachdem sie auf diese Weise den Ernst des amtlichen Vorgehens erkannt hatten und angenommen werden kann, dass sie im eigenen Interesse weiteren Umtrieben der nationalsozialistischen Bewegung in Embach energisch entgegenwirken werden, wurde die Absicht, die Maßregel ihrer Abgabe ins Anhaltelager zur Anwendung zu bringen, ha. fallengelassen. Tatsächlich sind seither in Embach nationalsozialistische Propaganda-Aktionen oder Provokationen nicht mehr in sichtbare Erscheinung getreten. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 4. November 1936. Geschäftszahl  : 364.342/GD 2/35 (Vorzahl  : 356.462-GD 2/35). Gegenstand  : Klingler Josef, Fletschberger Kaspar und Kranabetter Georg  ; Terrorschaden. Herrn Sicherheitsdirektor in Salzburg. Der vom Sicherheitsdirektor für Salzburg im vorliegenden Falle beobachtete Vorgang, die Bezahlung einer – wenngleich gesetzmäßig – auferlegten Leistung durch Androhung der Abgabe in ein Anhaltelager zu erzwingen, muss als unzulässig und 4 Die drei Beschuldigten wurden mit Bescheid vom 10. August 1935 zur Zahlung von 1.000 Schilling verurteilt.

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mit den Bestimmungen des Anhaltelagergesetzes als im Widerspruch stehend, bezeichnet werden. (…) Landesgendarmeriekommando für Steiermark Graz, 5. August 1936 Res. Nr. 364/9. Betrifft  : NSDAP-Propaganda in Salzburg. An das Bundeskanzleramt, GD 3 in Wien. Rev. Insp. Valentin Tarra (Gendarmeriepostenkommando Bad Aussee, Anm. d. Hg.) hat von einem Konfidenten, der wiederholt wahrheitsgetreue Berichte brachte und auch mit den Verhältnissen in Salzburg sehr gut vertraut ist, Folgendes erfahren  : Die Landesleitung der NSDAP in Salzburg hat am 11. Juli l. J., wie schon die Versöhnung zwischen Deutschland und Österreich bekannt war, von der NSDAP Hauptleitung in Bayern (Sitz glaublich München) folgende Weisung erhalten  : Die illegale NSDAP-Propaganda wird in gleicher Weise wie früher in Österreich weitergeführt. Die NSDAP-Leitung von Salzburg hat daher auch noch in der Nacht zum 12. Juli 1936 Schmieraktionen wie »Nieder mit der Regierung« und gegen Habsburg vornehmen lassen, jedoch ohne Hakenkreuze. Die Polizei Salzburg war daher der Meinung, dass diese Schmieraktion von den Kommunisten ausging und nahm daher bei diesen am nächsten Tage Verhaftungen vor. Sollte es Rev. Insp. Tarra gelingen, die Namen und Adressen der illegalen Parteileitung in Salzburg zu erfahren, wird er mündlich hierüber dem Sicherheitsdirektor von Salzburg Meldung erstatten. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 5. September 1936. Zahl 4974/1. Betreff  : Schörghofer Max, nationalsozialistische Betätigung. An das Bundeskanzleramt – St.B. in Wien. Am 6. August 1936 wurde von der Konfidentin (Schreibfehler, soll wahrscheinlich heißen »Konditorin«) Maria Kopetzky in St. Gilgen dem Gendarmerieposten St. Gilgen ein Paket mit nationalsozialistischen Flugschriften übergeben, das ihr von dem Autofrächter Max Schörghofer bei Hof in Salzburg zugestellt worden war und mit Bleistift die Aufschrift »Kopetzky IV« trug.

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Es enthielt nebst 14 Exemplaren »Beschreibung des Repetiergewehres M-95« noch 35 Exemplare des »Politischen Berichtes Nr. 14« vom 30.7.1936 und 24 Exemplare des »Schulungsblattes 2« vom 5.7.1936. Die eingeleiteten Erhebungen haben ergeben, dass die aus Wien stammende Konditorin Kopetzky und ihre Angestellten politisch einwandfrei sind und das Paket offenbar irrtümlich in der Konditorei abgegeben wurde. Schörghofer, der in Haft genommen wurde, bestreitet Kenntnis vom Inhalt und dem Auftraggeber. Das Paket sei ihm in Salzburg von jemandem, an den er sich nicht erinnern könne, zur Zustellung übergeben worden. Die Erhebungen hinsichtlich des Auftraggebers und auch Herstellers der Flugblätter sind noch nicht abgeschlossen. In der Beilage werden je 2 Exemplare des politischen Briefes Nr. 14 und des Schulungsblattes 2 sowie 1 Exemplar der Beschreibung des Repetiergewehres M-95 zur Kenntnisnahme vorgelegt. Politischer Bericht Nr. 14.

30. Juli 1936

Zur außenpolitischen Lage. Man kann das Abkommen vom 11. Juli 1936 nur aus der Gesamtpolitik Adolf Hitlers richtig verstehen. Wie ist die politische Lage Europas in diesem kritischen Juli 1936  ? Wir sehen die europäische Politik in zwei Lager geschieden, mit Hitler und gegen Hitler oder anders ausgedrückt, mit Moskau und gegen Moskau. Frankreich und die Tschechoslowakei haben durch ihren Militärpakt Sowjetrussland in die europäische Politik hineingezogen.5 Dem Juden Leon Blum6 war es um eine Front gegen 5 In dem von inneren Unruhen und sich verschärfenden politischen Gegensätzen geprägten Frankreich wurde Pierre Laval im Mai 1935 Ministerpräsident. Vor allem auch aus wirtschaftlichen und finanziellen Gründen zögerte Paris, der mit der nationalsozialistischen Machtübernahme immer aggressiver auftretenden deutschen Außen- und Militärpolitik entschieden entgegenzutreten. Hinzu trat der massive Widerstand der Linken, vor allem der Kommunisten, gegen Aufrüstungspläne. Um den Gordischen Knoten zu durchschlagen, verfolgte Laval eine Politik der Annäherung an Moskau, die bereits Außenminister Louis Barthou vertreten hatte, der die Aufnahme der Sowjetunion in den Völkerbund im September 1934 förderte. Im Mai 1935 reiste Laval nach Moskau und schloss, ebenso wie die Tschechoslowakei, einen Beistandspakt mit der Sowjetunion ab, der sich vor allem gegen die aggressive Politik Berlins richtete. Im Gegenzug unterstützte Stalin demonstrativ den Plan Lavals, der nationalsozialistischen Bedrohung durch ein Rüstungsprogramm zu begegnen. Die französischen Kommunisten vollzogen daraufhin eine Wende von ihrem bisher propagierten Antimilitarismus zu einem militanten Nationalismus, wodurch der Weg für das 1936 entstehende Volksfrontbündnis geebnet wurde. 6 Der aus einer jüdischen bürgerlichen Familie stammende sozialistische Politiker Léon Blum (1872– 1950) war drei Mal französischer Ministerpräsident  : vom 4. Juni 1936 bis 29. Juni 1937, vom 13. März

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das »faschistische« Europa, also gegen Italien und das Deutsche Reich, zu tun. Es gelang ihm, dafür die Engländer weitgehend zu gewinnen. (…) Die alte französischenglische Allianzpolitik ist auf bestem Wege. Nur die furchtbaren Geschehnisse in Spanien machen das englische Volk stutzig. Spanien, das Stalin schon als die zweite Sowjetmacht pries, erlebt blutigsten Bürgerkrieg. Bela Kun, der Massenschlächter, hat dort den Widerstand organisiert.7 Auch wenn die Generäle siegen, was zur Stunde noch nicht sicher ist, bleibt Spanien unruhiger Boden. Kommt Frankreich als nächstes daran  ? Auch dort hat der Kommunismus die gleiche Taktik eingeschlagen. Europa muss mit einem bolschewistischen Frankreich rechnen. Frankreich aber steht, im Gegensatz zu Spanien, das von Deutschland ganz getrennt ist, am Rhein. Die Gefahr des f r a n z ö s i s c h e n K o m m u n i s m u s ist also viel größer. Wird England zur Einsicht kommen  ? Hitler muss vorbauen. Er hat sich mit Italien verständigt, das mit Schrecken die spanische Anarchie sieht. Diese Verständigung ist sehr weit gediehen. Sie begann damit, dass der Deutschenhasser und Überläufer S u v i c h als Außenminister abgesetzt und nach Washington verschoben wurde. Graf Ciano versteht, was Hitler will. Der Streitpunkt zwischen beiden Mächten, Ö s t e r r e i c h , wurde mit dem Abkommen bis 10. April 1938 und vom 16. Dezember 1946 bis 16. Jänner 1947. Er war der erste sozialistische Ministerpräsident Frankreichs und stand 1936 an der Spitze der sog. Volksfrontregierung. 7 Béla Kun (1896–1938) war die führende Figur der ungarischen Räteregierung. Er floh nach deren Sturz nach Österreich und schließlich in die UdSSR, in der er für die KPdSU und die Komintern tätig wurde. Während des Russischen Bürgerkrieges übte er als Kommissar der Roten Armee massenhaften Terror auf der Krim aus, dem zehntausende Weißgardisten und deren Sympathisanten zum Opfer fielen. Der Begriff »Schlächter« bezieht sich wahrscheinlich auf diese Tätigkeit. 1936 hielt er sich im Auftrag der Komintern und im Rahmen der zunehmenden sowjetischen Unterstützung für die republikanische spanische Regierung in Spanien auf. In der Komintern sowie der KPdSU wurde der Spanische Bürgerkrieg nicht nur als antifaschistischer Kampf interpretiert, sondern auch als Klassenkampf der Kräfte des Fortschritts gegen ein reaktionäres Militär, den Klerikalismus, den Landadel und das Großkapital. Ohne das massive Eingreifen der Sowjetunion wäre das Schicksal der republikanischen Regierung bereits 1936 besiegelt gewesen. Moskau lieferte gegen die Überlassung der spanischen Goldreserven nicht nur Waffen, sondern organisierte auch die Aufstellung der internationalen Brigaden, wobei man die zentrale Rolle der kommunistischen Parteien bei dieser Initiative möglichst geheim zu halten versuchte. Der Führer der französischen Kommunisten, Maurice Thorez, reiste im September 1936 nach Moskau, wo er die Komintern aufforderte, von ausländischen Freiwilligen gebildete Truppen aufzustellen. Die erste internationale Brigade ging am 12. Oktober 1936 in Alicante an Land. Béla Kuns Stern in der Komintern befand sich kurze Zeit später im Rahmen des stalinistischen Großen Terrors im Sinken. Kun hatte Anfang 1937 die Ineffizienz der Komintern kritisiert und diese mit der schlechten Vertretung der KPdSU in der Organisation begründet. Er kritisierte vor allem Dimitri Manuilski, der schließlich 1938 auf Anweisung Stalins zum Gegenangriff auf Kun antrat und die Kritik Kuns als Kritik an Stalin bezeichnete. Kun protestierte und bezog seine Kritik ausschließlich auf Manuilski. Beim Verlassen des Sitzungssaals wurde er verhaftet und in der Lubjanka erschossen.

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vom 11. Juli bereinigt. Hitler hat inzwischen die Gesandtschaft in Addis Abbeba aufgehoben und in ein Generalkonsulat verwandelt und damit die Besitzergreifung Abessiniens durch Italien formell anerkannt. Gleichzeitig mit diesem antibolschewistischen Block Berlin-Rom arbeitet die deutsche Wirtschaft und Politik mit größtem Nachdruck in den Oststaaten. Große Erfolge sind in Ungarn, Bulgarien und besonders in Südslawien schon erzielt. Die Staaten, die – als symbolischer Akt – die Olympiafackel durchläuft (die Tschechoslowakei ausgenommen) sehen heute auch politisch schon nach Berlin. Damit baut Hitler ein breites Widerstandsfeld gegen den B o l s c h e w i s m u s auf. Es war durchaus klar und folgerichtig, dass er auch in Österreich durchgriff und die Regierung trotz aller Widerstände zwang, die gefangenen Nationalsozialisten herauszugeben und damit mit der bisherigen Rechtsprechung Nationalsozialismus ist gleich Hochverrat zu brechen. Das Abkommen vom 11. Juli ist aber nicht, wie manche glauben, ein Kompromiss. Zwischen der totalen Weltanschauung des Nationalsozialismus und der totalen Weltanschauung des Katholizismus, aus dem heraus der »christliche« Staat Österreich geschaffen wurde, gibt es keinen Kompromiss. Der Kampf geht vielmehr in seiner ganzen Härte und Unerbittlichkeit weiter. Geändert hat sich lediglich die Art, in der dieser Kampf geführt wird. Diese Erkenntnis ist für jeden Nationalsozialisten in Österreich das Wichtigste. Es gibt keine Zugeständnisse und Konzessionen. Wir dürfen weltanschaulich keinen Schritt von unserer Haltung nachgeben. Wenn die »Reichspost« als ein Endergebnis dieses Abkommens ein »christlich-nationales« Österreich sieht, so wird das ein frommer Wunsch bleiben. Es war leicht, in der Zeit bis zum 11. Juli Nationalsozialist in Österreich zu sein, weil durch die illegale Opposition schon unsere Haltung gegeben war. Viel schwerer ist es, nach dem 11. Juli Nationalsozialist zu sein und sich allen Anfeindungen, Verdrehungen und Verwässerungen gegenüber fest zu behaupten. Wichtig ist für uns, die Haltung der Katholischen Kirche zu durchschauen. Die katholische Politik hat bis zu dem letzten Tage alles getan, um das Zustandekommen des Ausgleiches zu verhindern. Es ist ihr nicht gelungen, weil in Rom seit dem abessinischen Siege wieder Mussolini regiert, nicht der Papst. Es muss die Kirche gute Miene zum bösen Spiel machen. Es ist bezeichnend, dass die katholische Presse in Brüssel, Prag, auch in Rom, vor dem Abkommen warnt, weil es zu einer seelischen Aushöhlung der katholischen Bevölkerung zu Gunsten des »Nationalsozialismus kommen müsse«, wie es die »Reichspost« zitiert. Nun hat ein »hoher österreichischer Kirchenfürst«, vermutlich Herr Innitzer in Person,8 selbst zum Abkommen Stellung genommen (Reichspost-Artikel vom 22. Juli  !). Jetzt auf einmal, nachdem 8 Tatsächlich handelte es sich um den Rektor des deutschen Priesterseminars in Rom Santa Maria dell’Anima, den aus der Steiermark stammenden Bischof Alois Hudal (vgl. Die Dunkelheit des politischen Horizonte. Bd. 2. S.244f.). Hudal veröffentlichte 1936 sein Buch »Die Grundlagen des Natio-

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er zwei Jahre lang die wildeste Hetze gegen uns getrieben hat, unseren Toten das Begräbnis verweigern ließ und uns als braune Bolschewisten verschrie, sieht er ein, »dass diese Zeit eine schwere Belastung für den Katholizismus war, dass Zehntausende zum Protestantismus übergetreten seien und eine seelische Verbitterung gegen die Kirche eingetreten sei  !« Wir antworten darauf  : Z u s p ä t   ! Was geschehen ist, ist geschehen. Wir werden diese Jahre n i e m a l s vergessen. Wir sind dankbar dafür, dass sich die katholische Politik in (ihrer) ganzen brutalen Nacktheit, in bodenlosem Hass, zeigen musste  ! Wir werden nicht, wie die Horden Bela Kuns in Spanien, die Kirchen anzünden und die Altäre plündern, wir werden dem katholischen Himmel keine Märtyrer verschaffen, mit denen er dann kommende Geschlechter betören kann.9 Aber wir werden auf der Hut sein und dafür sorgen, dass nicht, wie Innitzer in diesem Artikel wünscht, »die nationale Erhebung in eine christlich-nationale Bewegung ausmündet«, sondern dass Österreich n a t i o n a l s o z i a l i s t i s c h wird. Das sind wir den Blutopfern unseres Kampfes schuldig, deren wir in diesen Tagen gedachten. Wir haben, dank Ihrer Grausamkeit, Herr Innitzer, auch unsere Märtyrer, Blutzeugen, die uns verpflichten. Das sind wir jenen unserer Kampfgenossen schuldig, die in diesen Tagen dank der entschiedenen Politik des Führers wieder ihre Freiheit gewannen. Wie diese Männer noch entschlossener, kampfbereiter in unsere Reihen zurückgekehrt sind, so wollen wir den Kampf führen, Schritt für Schritt, in eiserner Disziplin, nach dem Willen des Führers und mit der politischen Waffe und der Festigkeit unserer Grundsätze. Es ist ein weiter Weg. Enttäuschungen und Hindernisse erwarten uns. A b e r w i r w e r d e n s i e g e n . nalsozialismus«, in dem er sich für einen gemeinsamen Kampf der Katholiken und Nationalsozialisten gegen den Bolschewismus einsetzte. Bereits gegen Ende des Zweiten Weltkrieges errichtete er, an vatikanischen Stellen vorbei und ohne deren Wissen, eine Fluchthelferorganisation für Nationalsoziasten. 9 Der Spanische Bürgerkrieg wurde durch seine hoch aufgeladene ideologische Komponente auch zu einem Religionskrieg. Dabei wurden vor allem ein Aspekt von besonderer Bedeutung  : der in der spanischen Linken ohnedies vorhandene radikale Antiklerikalismus, der durch das zunehmende Engagement Moskaus und der Komintern noch deutlich verschärft wurde. In der republikanischen Zone Spaniens kam es zu massiven Ausschreitungen und organisiertem Terror gegen den Katholizismus, der Tausende Opfer forderte. Die schockierenden Meldungen über die Folter und Hinrichtung von Priestern, die Vergewaltigung von Nonnen, die Zerstörung von Kirchen usw. lösten eine internationale Gegenbewegung der Katholiken in Ländern wie Frankreich, Großbritannien und den USA aus, die den Krieg zunehmend auch als Religionskrieg, als neuen Kreuzzug, interpretierten. Paul Celan verfasste ein Gedicht an die spanischen Märtyrer und die Katholische Kirche wurde zu einer zentralen Institution des Bürgerkrieges, die das »Heilige Spanien« verkörperte. Diese Sicht wurde durch die ab 1936 massiv einsetzende Intervention Moskaus noch bestärkt. Wie weit Béla Kun bei diesen Ereignissen eine Rolle spielte, lässt sich aufgrund der Quellenlage nicht feststellen. Die Formel »die Horden Bala Kuns« ist wahrscheinlich als Metapher zu interpretieren, um die Adressaten mit einer bekannten Persönlichkeit der Komintern zu emotionalisieren.

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Schulungsblatt 2 5. August 1936 Sozialismus Sozialismus ist gegenüber dem Marxismus, der die Solidarität (Übereinstimmung) des internationalen Proletariats erstrebte, die nationale Solidarität aller Glieder eines Volkes. Sozialismus ist Kameradschaft aller Volksgenossen. Der einzelne gilt nichts, die Gemeinschaft ist alles. Der einzelne hat sich für die Gemeinschaft einzusetzen. Geht das Volk zugrunde, so endet auch der einzelne. Niemand kann sich aus des Volkes Schicksal lösen und sich ihm entziehen. Andererseits  : Was dem Bienenvolke nutzt, nutzt auch der Biene. Unser Körper besteht aus einer gewaltigen Anzahl von Zellen. Wie, wenn eine gegen die andere stehen würde, wenn nicht alle in voller Harmonie zusammenarbeiten  ? Die Gehirnzellen sind weitaus die wichtigsten. Wie, wenn diese Zellen streikten und kein Blut mehr in die Zellen der Hand oder der Füße fließen  ? Dann müssten diese Organe absterben. Daraus ergibt sich  : Einer muss für den anderen einstehen, einer für alle und alle für einen  ! Du hast dich geschnitten. Schmutz ist in die Wunden geraten. Die Gefahr einer Vergiftung ist riesengroß. Da aber entsendet die Regierung des Körpers Kampfkräfte in Gestalt der weißen Blutkörperchen. Sie vernichten die feindlichen Eindringlinge, die Wunde eitert sich heraus und die Heilung kann eintreten. So arbeiten alle Zellen des Körpers zusammen in vollendetem Gemeinschaftsgeist. Unser Volkskörper war in größter Gefahr, dem Geist des Klassenhasses, dem Geist der Zersetzung zu erliegen. Keiner traute mehr dem anderen, einer war des anderen Feind. »Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein« hieß die marxistische Parole, deren Befolgung viele hunderte von Grabhügeln auf deutscher Erde erwachsen ließ. Niemand wollte dienen, alle nur verdienen. Der deutsche Sozialismus Adolf Hitlers, der aus dem Kameradschaftserlebnis des Schützengrabens sich gebar, hat diesem entsetzlichen Zustand ein Ende bereitet. Seine erste Auswirkung fand er in der SA, die damit das Erbe der Frontkameradschaft antrat. In ihr marschierte der Bauernjunge neben dem Städter, der Arbeiter der Faust neben dem Arbeiter der Stirn, der Akademiker neben dem Arbeitslosen, nicht Rang, nicht Stand, nicht Geld und Gut galten mehr, alle einte das Braunhemd, alle der gleiche Geist der Kameradschaft. Einer trat für den anderen ein, wenn es hart auf hart ging, das letzte Stück Brot wurde geteilt, die letzte Zigarette. Mit tausendfach vergossenem Blut besiegelte die SA ihren sozialistischen Geist der Opferbereitschaft. Am 9. November 1923 fielen vor der Feldherrnhalle in München Kameraden, und am 25. Juli 1934 ließen hunderte von Kameraden in Österreich ihr Leben, die den

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verschiedensten Ständen und Berufen angehört hatten (…) Alle getragen von dem gleichen Geist und vom gleichen Glauben. Da war bei ihnen der gleiche Opfergeist und sie waren Sozialisten der Tat und Erfüller des wundervollen Wortes, das ein Arbeiter schrieb  : »Deutschland muss leben, wenn wir auch sterben müssen …« Sozialismus ist auch nicht gleichbedeutend mit sozial, ein Wort, das den üblen Beigeschmack bürgerlicher Fürsorge und Wohltätigkeit hat. »Der Sozialismus ist Gerechtigkeit. Er gibt nicht als Geschenk, sondern als Anspruch« sagt Dr. Goebbels. »Der Volksgenosse, der sein ganzes Sein für die Gemeinschaft einsetzt und unverschuldet in Not gerät, hat Berechtigung, Anspruch auf die Hilfe der Gemeinschaft zu erheben. Nicht aber hat der solchen Anspruch, der durch eigene Untüchtigkeit, Schuld und Unfähigkeit fällt.« Der Sozialismus ist keine Religion der Schwachen, er legt dem Staat nicht die Pflicht auf, einen wachsenden Schweif von Untüchtigen durch wenige Tüchtige mitschleppen zu lassen. Kamerad  ! Du bist S o z i a l i s t   ! Alle Rang- und Standesunterschiede sind in deinen Reihen ausgelöscht. Deine Liebe und Kameradschaft gehört jedem, der mit dir in Reihe steht, sei er arm oder reich. Deine Liebe gehört jedem Volksgenossen, der es ehrlich meint mit Deutschland. Dein Stolz und deine Kraft soll es sein, dich von niemandem übertreffen zu lassen in tätigem Geist sozialistischer Kameradschaft. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 9. November 1936. Geschäftszahl  : 366.433–St.B./1936 (Vorzahl  : 372.886/36). Gegenstand  : Beschlagnahme nationalsozialistischer Druckschriften in Salzburg  ; Johann Mayr und Genossen. Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 30. Oktober 1936. Zahl  : 654/2 res 1936. Betreff  : Aufdeckung einer illegalen NSDAP in Salzburg. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit in Wien I., Herrengasse 7. Auf Grund des organisierten Nachrichtendienstes bekam die Bundespolizeidirektion Mitteilungen, dass im Gasthaus »Zum Elefanten« in Salzburg, Sigmund-HaffnerGasse, Zusammenkünfte von nationalsozialistischen Parteigängern stattfinden und dass dort Propagandamaterial der illegalen NSDAP verwahrt sein soll. Besitzerin des Gasthofes ist die Private Anna Mayr, am 22. August 1881 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., verwt., Salzburg, Sigmund-Haffner-Gasse Nr. 4 wohnhaft. Während sie selbst zu politischen Anständen nie Anlass gegeben hat, sind ihre Söhne Johann Mayr,

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Geschäftsführer im Gasthause seiner Mutter, am 23. Mai 1909 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg. Sigmund-Haffner-Gasse Nr. 4 wohnhaft, und Felix Mayr, Elektrotechniker, am 21. März 1908 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg ebenfalls bei seiner Mutter wohnhaft, extrem national eingestellt. Die Bundespolizeidirektion konnte bedenkliche Zusammenkünfte von nationalsozialistischen Parteigängern wohl nicht feststellen, doch hat eine Hausdurchsuchung die Richtigkeit der vertraulichen Mitteilungen betreffend die Verwahrung staatsfeindlicher Broschüren bestätigt und konnten am 29. Oktober ein illegales Flugblatt der NSDAP Österreichs mit Datum vom 27. Oktober l. J. sowie 60 Schulungsbriefe der NSDAP neuesten Datums sichergestellt werden. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich, dieses illegale Flugblatt sowie ein Exemplar dieses Schulungsbriefes zur geneigten Einsichtnahme in Vorlage zu bringen und zu berichten, dass der eine Sohn der obgenannten Besitzerin des Gasthofes, Felix Mayr, am 29. Oktober l. J. verhaftet werden konnte, während der zweite Sohn, Johann Mayr, flüchtig ist und noch nicht ausgeforscht werden konnte. (…) SCHULU NGSSCHRIF T FÜR ALLE GLIEDERU NGEN DER NSDAP IN ÖSTERREICH. NOV EMBER 1936 Folge 1 Z U M G E L E I T E   ! Kameraden  ! Mit dem Erscheinen der ersten Folge dieser Blätter steigt ein neues Zeichen der kraftvollen Entwicklung des klaren politischen Wollens unserer Bewegung hoch. (…) Wir treten damit in ein neues Stadium der Entwicklung und des Kampfes. (…) Denn Ihr müsst wissen, dass es noch lange nicht genug getan ist, wenn der Einzelne meint, sein bestes auf Grund seines guten Willens zu leisten. D i e g r ö ß t m ö g l i c h s t e L e i s t u n g d e s E i n z e l n e n , d e r e n Vo r a u s s e t z u n g v o r a l l e m d i e F ä h i g k e i t , g e p a a r t m i t d e m e i s e r n e n W i l l e n z u r Ta t i s t , s i e u n d n u r s i e w i r d d i e E n t s c h e i d u n g e r z w i n g e n   ! (…) Dies sei darum die große Aufgabe dieser Schrift  : vor Euer geistiges Auge das Idealbild des Kämpfers für Adolf Hitlers Ideen aufzustellen, jenes Kämpfers, der, fest und sicher auf den Grundpfeilern unserer Weltanschauung von Pflicht, Ehre und Opferbereitschaft stehend, stolz und treu sich zu Führer und Volk bekennt, der nichts haben will, was er sich nicht mit eigener Kraft erkämpft, der lieber in Ehre zugrunde geht, als in Schande zu leben. Jener Kämpfer, den wir im unbekannten deutschen Soldaten des Weltkrieges und später in den gefallenen Helden unserer Bewegung erlebten.

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JENER KÄMPFER SOLL DER GEIST SEIN, DESSEN HAUCH IMMER ÜBER DIESEN BLÄTTERN SCHWEBE, AUF DASS IHR IHM NACHSTREBET UND EIFERT UND GLEICH ZU WERDEN VERSUCHT  : DAS SEI UNSERE PFLICHT  ! Die Landesleitung der NSDAP in Österreich Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 10. Dezember 1936. Geschäftszahl  : 373.613-G.D.-St.B./1936. Gegenstand  : Brentner Engelbert und Genossen, SA-Appell in Hallein. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 4. Dezember 1936. Zl. 6426/18. Betr.: Brentner Engelbert und Genossen, SA-Appell in Hallein. An das Bundeskanzleramt St.B. in Wien. Die Nachtpatrouille des Gendarmeriekommandos Hallein brachte am 6. November 1936 in Erfahrung, dass mehrere Personen ihre Fahrräder in der Wagnerei des Engelbert Brentner, Hallein 311, eingestellt und sich dann in die Salinen-Gärtnerei des Pächters August Stefl begeben hatten. Da mit Rücksicht auf die politische Einstellung der Obgenannten die Annahme gerechtfertigt erschien, dass eventuell im Gewächshaus eine nationalsozialistische Versammlung stattfinde, wurde der ganze Gartenkomplex durch sofort herbeigeholte Beamte in Zivil abgeriegelt. Regierinspektor M. Anderl überstieg in Begleitung eines Gendarmen die 3 bis 4 m hohe Gartenumfassungsmauer und schlichen sich die beiden nun unbemerkt an das Glashaus heran, vor welchem August Stefl, vermutlich als Avisoposten, stand. Beim Eindringen in das Glashaus stießen die Beamten auf weitere acht Mann. Engelbert Brentner und zwei Komplizen entkamen aus dem Glashaus  ; von den außerhalb der Mauer bereitgestellten Gendarmen wurden aber ein gewisser Sebastian Schmuck und Brentner festgenommen, während es einem unbekannten Dritten gelang, über die kleine Salzach zu flüchten. Die Überraschten wurden sofort perlustriert  ; ein Flobertgewehr aus dem Besitze des August Stefl, eine Walterpistole aus dem Besitz des Josef Voglmayer beschlag-

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nahmt und 10 Exemplare des »Österreichischen Beobachters«, Sonderfolge für Oktober 1936, vorgefunden (…) Bei den vorgenommenen Hausdurchsuchungen wurden Anleitungen zum Gebrauch des Mannlicher Repetiergewehres, der Walterpistole, eine Einladung zu einer Bezirkszellenleiter-Besprechung im Gasthause Penninger, Ausweise über »Julspenden«, Aufzeichnungen von Gedichten nationalsozialistischer Tendenz und ein Blatt antikatholischen Inhaltes »Franz Grillparzer in seinen ästhetischen, literarischen und politischen Schriften« gefunden. (…) Durch die vorgefundene Aufforderung zur Teilnahme an einer BezirkszellenleiterVersammlung und durch Aussagen der Beschuldigten wurde einwandfrei festgestellt, dass am 5. November 1936 in einem Fremdenzimmer des Gasthofes »Schrank« in Hallein 77 – Pächterin Margarethe Penninger – eine Zusammenkunft von Anhängern der NSDAP stattgefunden hatte. Die Bezirkshauptmannschaft Hallein hat daher mit Bescheid vom 18. November 1936, Zl. 10.356/3, aus sicherheitspolizeilichen Gründen vorläufig bis auf Widerruf die Sperre des Gasthauses »Schrank« verfügt. Brentner Engelbert, Wagnermeister in Hallein Nr. 311, am 8. November 1897 in Limberg, Kärnten, geboren, Hallein zuständig, Bayer Siegfried, Volksschullehrer in Hallein Nr. 78, am 20. Mai 1898 in Graz geb., Oberalm zuständig, Schluder Johann, Tischlergehilfe in Hallein Nr. 13, am 17. Oktober 1892 in Kötschach, Kärnten, geb. und zuständig, Wohlmuther Josef, Holzmesser in Hallein Nr. 237, am 10. März 1894 in Wald, Steiermark, geb., Hallein zuständig, Stefl August, Handelsgärtner in Hallein Nr. 324, am 11. Februar 1890 in Hallein geb. und zuständig, Voglmayer Josef, Zimmermann in Hallein- Burgfried Nr. 207, am 18. Oktober 1913 in Hallein geb. und zuständig, Schmuck Sebastian, Schlossergehilfe in Oberalm Nr. 214, am 3. Jänner 1898 in Hallein geb. und zuständig, Höllbacher Peter, Knecht in Hallein-Au Nr. 16, am 27. Juni 1909 in Adnet, Bezirk Hallein, geb. und zuständig, Eder Josef, Knecht in Hallein-Au Nr. 37, am 13. September 1911 in Henndorf bei Salzburg geb. und zuständig, Brüggler Rupert, Knecht in Hallein-Au Nr. 37, am 17. Mai 1917 in Scheffau geb., Golling bei Hallein zuständig, Steinlechner Thomas, Knecht in Hallein-Au Nr. 10, am 18. Dezember 1918 in Aschau, Tirol, geb. und zuständig wurden am 6. November 1936 verhaftet und am 7. November dem Landesgericht in Salzburg eingeliefert.

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Die Bezirkshauptmannschaft Hallein hat die Genannten wegen Übertretung der Verordnung der Bundesregierung vom 19. Juni 1933, BGBl. 240, gem. § 2 obcit. Vdg., mit sechs Monaten Arrest, Thomas Steinlechner mit 3 Monaten Arrest bestraft. Da Margarethe Penninger als Pächterin des Gasthauses zumindest von der geheimen Zusammenkunft Kenntnis haben musste, wurde dieselbe ebenfalls am 9. November 1936 dem Landesgerichte übergeben, während ihr Gatte Karl Penninger wegen Verdachtes, die Untersuchung ungünstig beeinflussen zu können, einstweilen im Polizeiarrest in Hallein interniert wurde. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 3. Dezember 1936. Zl. 6883/1. Betr.: Nationalsozialistische Propaganda in Russbach, Bezirk Hallein. An das Bundeskanzleramt St.B. in Wien. Laut Bericht des Gendarmeriepostenkommandos Russbach vom 29. November 1936, Zl. 1073, wurden in der Nacht in der Ortschaft Russbachsag, Gemeinde Russbach, entlang der Landesstraße 7 Papierhakenkreuzfahnen, 21 x 16 cm groß, aufgesteckt. Auf dem Kirchenplatz wurden 3 Hefte mit der Aufschrift »Adolf Hitler rettet den Bauernstand«, herausgegeben von der Gauleitung Salzburg der NSDAP, ausgeworfen. Die Forschung nach dem Täter wurde eingeleitet. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 20. Jänner 1937. Zl. 407 Betr.: Pföss Mathias, nationalsozialistische Betätigung. An das Bundeskanzleramt St.B. in Wien. Laut Bericht des Gendarmeriepostenkommandos Oberndorf vom 13. Jänner 1937, Zl. 152, wurde der Fleischhauergehilfe Mathias Pföss wegen Veruntreuung dem Bezirksgerichte Oberndorf eingeliefert. Bei der Durchsuchung seiner Effekten wurden in einem Koffer ein SA-Schulungsbrief Nr. 4, Brigade Salzburg, mit Datum Wien, am 29. August 1936, und

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ein »Öster­reichischer Beobachter«, Organ der NSDAP in Österreich, 1. Jahrgang, Folge 6 vom Dezember 1936, vorgefunden. Über die Herkunft dieser Exemplare befragt, gab Pföss an, diese seien ihm von einem Unbekannten zur Nachtzeit auf sein Schlafzimmerfenster gelegt worden  ; er habe sie dann zu sich genommen, ohne dieselben bis jetzt gelesen zu haben. Mathias Pföss wurde wegen Beteiligung am Juliputsch 1934 in Lamprechtshausen zu 9,5 Jahren schweren Kerkers verurteilt und hat davon 2 Jahre abgebüßt. Er wurde bedingt entlassen. Pföss wird der Bezirkshauptmannschaft Salzburg wegen nationalsozialistischer Betätigung angezeigt. Ich beehre mich, anbei den bisher unbekannten »SA-Schulungsdienst Nr. 4 – Brigade Salzburg«, Wien am 28. August 1936, in zwei abschriftlichen Exemplaren zur Kenntnis vorzulegen. Brigade Salzburg

Wien, am 28. August 1936

SA-Schulungsdienst Nr. 4. 1. Mitteilung. Die seither ausgegebenen 14-tägigen politischen Berichte entfallen infolge Vereinheitlichung des Pressewesens für das gesamte Bundesgebiet und für alle Gliederungen der Partei. Die nunmehr wöchentlich erscheinende Ausgabe des »Österreichischen Beobachters« kann für jeden SA-Mann geliefert werden. 2. Schulung. Seit unsere Fahnen in Österreich wehen, heißt unser Bekenntnis  : »Österreich wird deutsch sein oder es wird nicht sein. Deutsch sein heißt aber nationalsozialistisch sein  !« Im deutsch-österreichischen Abkommen wurde nur der erste Satz unseres Bekenntnisses von der Bundesregierung feierlich anerkannt. Laut wollen wir nun den zweiten Satz hinausschreien in dieses deutsche Land, das unsere Heimat ist. »Deutsch sein heißt, nationalsozialistisch sein  ! Wir wollen uns die Hände reichen und die Kraft unseres Willens vervielfachen. Denn vor der Kraft unseres Willens wird der Gegner ein zweites Mal kapitulieren.« Was wird nun in erster Linie unsere Aufgabe sein  ? Uns selbst zu hundertprozentigen Nationalsozialisten zu erziehen. Hier beginnt unsere Pflicht, denn der SA-Mann ist der Politische Soldat der Bewegung. Er hat sich daher als Soldat zu geben und zu zeigen. Soldat sein heißt in erster Linie daher als Soldat (sich) zu geben und zu zeigen. Soldat sein heißt in erster Linie Disziplin halten, unbegrenzte Disziplin, und sein Tun und Lassen so einzurichten, wie es die besondere Stellung der Partei es verlangt. Wenn der SA-Mann

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bedingungslos und pünktlich die Anordnungen und Befehle der Vorgesetzten durchführt, so tut er nur so seine Pflicht und kann für sich die Tugend des Gehorsams in Anspruch nehmen. Gegenäußerungen und Vorstellungen haben zu unterbleiben. Warum das  ? Der einzelne Mann hat keine Ahnung, welche besondere Gründe die Führung bewog, diese oder jene Sachen so oder so zu gestalten bzw. anzuordnen. Widergesetzlichkeit bringt die Sache zum Scheitern oder kann nicht minder den Disziplinlosen mit den unangenehmsten Folgen belasten. (…) Oft hängt das Gelingen einer Sache nur von der unbedingten Gefolgschaft, d. h. vom blinden Gehorsam ab. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 9. November 1936. Zl. 6365. Betr.: Nationalsozialistische Druckschriften  : Der deutsche Junge. Zur Kenntnisnahme. An das Bundeskanzleramt St.B. in Wien. Laut Bericht des Gendarmeriepostenkommandos Glas bei Aigen vom 2. November 1936, Zl. 2572, wurde am 16. Oktober 1936 beim Postamt in Aigen ein Paket von einem unbekannten Burschen an einen gewissen Tassilo Eigl, Tischlerei Lirk in Saalfelden, aufgegeben. Dieses Paket kam nach mehreren Tagen als »unzustellbar« zurück, worauf es vom Postamte Aigen der Postdirektion Linz eingesendet wurde. In Linz wurde das Paket geöffnet, wobei 30 Exemplare der nationalsozialistischen Druckschrift »Der deutsche Junge« vorgefunden wurden. Das Paket, das als Absender den Namen Franz Eigl in Glasenbach trug, wurde sodann zur weiteren Amtshandlung der Bezirkshauptmannschaft Salzburg übermittelt. Die Erhebungen, die auch im Einvernehmen mit der Erhebungsgruppe des Landesgendarmeriekommandos Salzburg geführt wurden, haben noch kein abschließendes Resultat ergeben, doch konnte bereits festgestellt werden, dass Tassilo Eigl nach Dornbirn übersiedelt ist und dass ein Franz Eigl (Vater des Tassilo), welcher bei einer Wiener Firma als Reisender beschäftigt ist, dieses Paket wahrscheinlich durch einen jungen Burschen beim Postamt in Aigen aufgeben ließ. Ich beehre mich, anbei drei Exemplare »Der deutsche Junge« zur Kenntnisnahme  … in Vorlage zu bringen (…) Der deutsche Junge Wenn wir mit klarem Blick hineinschauen in die Zeit und die Geschehnisse der Tage zu deuten versuchen, dann erkennen wir, dass uns das Schicksal nicht einen Lebens-

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weg gehen lässt, der von Ruhe erfüllt ist, mit Bequemlichkeit ausgestattet, mit irdischen Genüssen gesegnet ist. Nein, uns erfasst ein Ahnen, dass wir in einer schweren, aber auch großen Zeit leben  ! Wir freuen uns darüber und sind stolz darauf, Träger eines großen Geschehens sein zu dürfen  ! Andere fluchen darüber, in diese Zeit hineingeboren zu sein, viele jammern, das schwere Geschick tragen zu müssen, manche wieder möchten darüber hinwegleben oder die Augen schließen, dass sie die Zeichen der Zeit nicht sehen brauchen  ! Aber sie mögen fluchen oder beten, klagen oder verleugnen – es kann keiner entfliehen  ! Es muss jeder mittragen – so oder so  ! Die hochgehenden Wellen unserer Tage erreichen auch ihn, er kann die Augen nicht so fest schließen, dass ihn die grellen Flammengarben nicht aufschrecken  ! Er kann die Ohren nicht so gut verhalten, dass ihm das Donnern der Zeit nicht vernehmbar wäre  : denn groß sind die Zeichen unseres Heute  ! Großreiche gehen donnernd in Trümmer, stürzen ein und reißen Völker mit in den Abgrund, und auf ihre Ruinen werden, teuflisch ausgeheckt, Staaten gesetzt, die durch ihre Unmöglichkeit zu leben und durch ihre Missachtung der Naturgesetze die Welt beständig in Unruhe halten und sie erschüttern  ! Jahrhundertealte Throne wanken, fallen, Kaiser und Könige werden verjagt, staatliche Organisationen vernichtet und von Anarchie und Chaos abgelöst  ! Völker, von Gott zusammengefügt und naturgewachsen, werden in Teile zerrissen, in fremde Staaten gezwungen, in Zwangsstaaten gesteckt, zum Sterben verurteilt  ! M ä c h t e d e r F i n s t e r n i s halten die Fäden des Schicksals in ihren Fingern und legen ihre kalten Totenhände auf die Menschheit  ! Ganze Völker werden »gefressen«, Millionen von Menschen hingeschlachtet, Intelligenzen ausgerottet, Geschlechter gemordet. Länder, reich an Schönheit und Schätzen, werden in Wüsten verwandelt, Städte und Dörfer gehen in Flammen auf, Stätten der Kultur und des Kultus werden zu Ruinen gemacht  ! D e r A t e m a s i a t i s c h e r W ü s t e n p e s t hat das Abendland befallen  !10 Die Rassen werden vergiftet, ihre Reinheit zerstört, das Gesunde verkrüppelt und das Kranke großgezogen. Die Familie, die Grundzelle der Rasse, wird entheiligt und verspottet, ihre Gründung unmöglich gemacht, die Sittlichkeit wird untergraben, Gott entthront, die Religion für Opium erklärt oder zu dunklen Geschäften missbraucht, alles Große aus der Vergangenheit entweiht und entehrt, alle heiligen Begriffe geschändet  ! 10 Anspielung auf die Gräuel der Russischen Revolution, den Russischen Bürgerkrieg und den radikalen Kampf der Bolschewiki gegen die bürgerliche Kultur und vor allem die Religion. In der Diktion des Nationalsozialismus wurde der Bolschewismus als vor allem auch von Juden geprägte asiatische Barbarei bezeichnet, die in diametralem Gegensatz zu den Werten und Traditionen des christlichen Abendlandes steht.

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D i e B l u t s p i n n e Juda hat ihr Netz über alle Völker gespannt und saugt am Lebensmark der Menschheit  ! Die Wirtschaft wird unterhöhlt und bricht zusammen. Not und Elend sucht die Völker heim – Millionen sind zur Untätigkeit verurteilt, werden an Leib und Seele zermürbt. Die Kunst verarmt, wird zur Dirne, vergiftet und dazu bestimmt, die Leidenschaften der Menschen aufzupeitschen  ! D a s » F e r m e n t d e r D e k o m p o s i t i o n « hat das Leben und die Kultur der Völker angefressen  ! Alle Staatsautoritäten werden untergraben, das Untermenschentum wird mobilisiert, streikt, plündert, entzündet Bürgerkriege oder erhebt als Separatisierung sein Haupt, gestern am Rhein, heute an der Donau (…) Die H e r r s c h a f t d e r W ü s t e n r a s s e , d i e D i k t a t u r d e r M i n d e r w e r t i g e n hat die Völker unter ihre Peitsche genommen  ! (…) A f r i k a s t e h t a m R h e i n 11 und A s i e n a n d e r D o n a u   !12 Afrika blickt über die Vogesen, Asien über die Sudeten in das Herz der Menschheit und bedroht sein Edelvolk  : d e n n o r d i s c h e n M e n s c h e n    ! » U n t e r g a n g d e s A b e n d l a n d e s « steht entmutigend und erschreckend über dem Leben des Okzidents  ! Aber aus dem Getöse der Zeit, aus dem Donnern der Zusammenbrüche, aus den Klagen der Menschheit und aus dem schrillen Schrei der sie verfolgenden Furien hören wir laut und anschwellend  : den harten Schritt des sich sammelnden deutschen Volkes, den ehernen Marschschritt des erwachten nordischen Menschen  ! Er wurde gewogen und schwer genug, reif gefunden  ! Er wurde hart geprüft und doch als befähigt gefunden  ! Und er erhielt den großen Auftrag  ! Es wurde ihm die große Aufgabe anvertraut  ! Er bekam die große Sendung  ! Rufer muss er sein in letzter Stunde und Mahner  ! (…) Die große Scheidung der Menschheit hat begonnen  ! Hier  : Mächte der Zerstörung, des Unterganges, des Todes  ! Hier  : die Kampfheere der Auferstehung, des Lebens  ! (…) D a s Z i e l i s t D e u t s c h l a n d   ! E i n e i n i g e s D e u t s c h l a n d   ! Das alle Deutschen umfasst  ! Das die Heimat, die wahre, die sorgende, schützende Mutter Heimat aller Deutschen ist  ! Das alles Artfremde aus unserem Volke ausscheidet, alles Kranke und Schwache ausmerzt, das die guten Rassewerte hegt und 11 Anspielung auf die französische Armee, in deren Reihen vor allem im Ersten Weltkrieg zahlreiche Truppenkörper aus den afrikanischen Kolonien kämpften und die auch in den französischen Besatzungstruppen während der Saarkrise präsent waren. 12 Synonym für den Bolschewismus und die Rote Armee.

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pflegt, damit die nordische Edelrasse gesunde, sich mehre und stärke und aufsteigt zur ordnenden, befriedenden, beglückenden Herrenrasse der Erde  ! E i n g r o ß e s D e u t s c h l a n d   ! Das nicht mehr die Heimat ist einem »Volk ohne Raum«  ! Das genug Erde hat, um seine Kinder zu ernähren  ! Das dem ihm gebührenden Anteil hat an den Schätzen und Rohstoffen der Erde, damit es die Lebensnotwendigkeiten seiner Bewohner bestreiten kann. (…) E i n g e s u n d e s D e u t s c h l a n d   ! In dem die Wirtschaft für die Lebenserhaltung aller sorgt. Und jedem das Seine gibt  ! In dem nicht wenige Ausbeuter sind und die Arbeiter-Millionenheere um Sklavenlöhne frohnen oder ihre junge Arbeitskraft brach liegen lassen müssen und darben in den Armen der Not  ! In dem es nur eine auf Gedeih und Verderb verschmolzene Lebens- und Kampfgemeinschaft gibt, eine Arbeitskameradschaft, bei der sich jeder nur als Beauftragter der Nation und des großen deutschen Schicksals fühlt  ! (…) So muss Deutschland einst stehen im Herzen der Welt  : eine Schutz- und Trutzburg, unangreifbar und unbesiegbar, ein Hort der Mächte des Lichtes, des nordischen Menschen  ! Es muss Lichtpunkt sein in einer Welt der Finsternis, Kraftpunkt in der Zeit des Verfalls  ! Es muss – so wie einst die Erneuerungsbewegung im deutschen Volk – alle Menschen der nordischen Edelrasse wie ein Magnet anziehen, sie mit stolzem Rassebewusstsein erfüllen, sie über alle Lände und Staaten, Stände und Berufe, Sprachen und Konfessionen hinweg einen in einem Gedanken und ausrichten auf ein Ziel  : die Erhaltung seiner Rassewerte, seiner Erbmasse  ! (…) Der Ruf der Zeit heißt  : Kampf  ! Kampf um die Menschen unseres Blutes. Um die Seele eines jeden Volksgenossen. Um sein Herz, das wir entflammen müssen  ! Um sein Erkennen und Verstehen  ! Um den Einsatz seiner Kraft  ! Kampf um jeden deutschen Mann, der Glied muss werden im Heere des Lichts  ! Kampf um jede deutsche Frau, die teilhaben muss an der Ewigkeit der Deutschheit  ! (…) Kampf ums Dritte Reich der Deutschen und seine Macht. (…)

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 14. Jänner 1937. Zl. 6586/39. Betr.: Aushebung der Hitlerjugend in Thalgau, Neumarkt und Seekirchen. An das Bundeskanzleramt St.B. in Wien. Im Nachhange zur h.a. Zuschrift vom 22. Dezember 1936, Zl. 8656/29, beehre ich mich, beiliegend einen ergänzenden Bericht der Erhebungsgruppe des Landesgendarmeriekommandos Salzburg über die Aufdeckung der Hitlerjugend in Thalgau, Neumarkt und Seekirchen in Vorlage zu bringen. Aushebung der Hitlerjugend in Thalgau, Neumarkt und Seekirchen. Gesamtübersicht. Nach dem vorläufigen Abschluss der von der hiesigen Erhebungsgruppe gemeinsam mit den in Frage kommenden Posten ausgehobenen Hitlerjugendgruppen in Thalgau, Neumarkt und Seekirchen wird nachfolgender Gesamtbericht in Vorlage gebracht. Am Vormittag des 8. Dezember 1936 fand in der Schoberhütte am Schoberberge bei Thalgau ein Appell der HJ-Ortsgruppen Thalgau, Neumarkt und Seekirchen statt, bei dem aus Thalgau 5, aus Neumarkt 6 und aus Seekirchen 5 Mitglieder der genannten Ortsgruppen erschienen. (…) Der am 15. April 1914 in Salzburg-Stadt geborene, nach Thalgau, Bezirk Salzburg, zuständige, zuletzt in Salzburg-Maxglan, Siezenheimerstraße 11a wohnhafte ledige Sägearbeiter Johann Hasenschwandtner war der Kommandant/Scharführer der Ortsgruppen/Kameradschaften Thalgau, Neumarkt und Seekirchen. Hasenschwandtner hat nun im Sommer 1936 zuerst in Thalgau, wo er um diese Zeit noch wohnte, selbst eine Ortsgruppe der HJ gegründet (…) Nach der vollzogenen Organisation dieser Ortsgruppe wandte sich Hasenschwandt­ ner an den in Schalkham Nr. 16, Gemeinde Köstendorf, Salzburg, wohnhaften Sägearbeiter Franz Mayer, den er durch einen gemeinsamen Arbeitsplatz von früher her kannte und forderte diesen auf, in Neumarkt und Köstendorf eine Ortsgruppe/ Kameradschaft der HJ zu gründen. (…) Mayer hat sich nun als ersten Helfer bei der bevorstehenden Gründung den Franz Gaderer geworben, mit dem er auch dann meistens gemeinsam die Mitglieder warb. (…) Für die Errichtung und Organisation der HJ-Ortsgruppe in Seekirchen gewann Hasenschwandtner den in Schöngumprechting Nr. 14, Landgemeinde Seekirchen,

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wohnhaften Bauernknecht Franz Hofer, der auch in der Folge in Seekirchen eine Ortsgruppe gründete. (…) Nachdem nun die einzelnen Ortsgruppen für sich alleine gearbeitet hatten und miteinander nie in Berührung gekommen waren, wollte Hasenschwandtner nun eine gemeinsame Arbeit der Kameradschaften Thalgau, Neumarkt und Seekirchen organisieren. Zu diesem Zwecke berief er für den 8. Dezember 1936, Maria-EmpfängnisFeiertag, einen großen Appell der genannten drei Ortsgruppen zur Schoberhütte am Schoberberge bei Thalgau ein. (…) Nachdem sich am Abend des 7. Dezember 1936 die Mitglieder der einzelnen Ortsgruppen, sofern sie noch am selben Tag aufgestiegen waren, eingefunden hatten, wurden noch nationalsozialistische Lieder gesungen und dann zu Bette gegangen. Am Vormittag des nächsten Tages, 8. Dezember 1936, wurden dann unter Kommando des Hasenschwandtner gymnastische Übungen abgehalten und nationalsozialistischen Lieder gesungen. Hernach hielt Hasenschwandtner einen Vortrag über den Machtaufstieg Deutschlands in der letzten Zeit, über die dort herrschende Ordnung und Arbeitsbeschaffung und über den zu hoffenden baldigen Umschwung in Österreich. Dann klärte er die Anwesenden über die Ziele der HJ dahin auf, dass sich die nationalsozialistische Jugend Österreichs zusammenschließen müsse, dass das Eindringen fremder Rassenelemente zu verhindern sei und dass der nationale Gedanke in jeder Hinsicht hochgehalten werden müsse. Dann forderte er die Anwesenden auf zusammenzuhalten, durch regelmäßige Einzahlung der Mitgliedsbeiträge die Bewegung zu unterstützen, Mitglieder zu werben, den Gottesdienst zu meiden, da dort alles Schwindel und Betrug sei und sich außerdem in keinen Verkehr mit vaterländisch gesinnten Bauernburschen der Umgebung einzulassen. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 2. Jänner 1937. Geschäftszahl  : 377.070 G.D./St.B.36 (Vorzahl  : 368.613-St.B./36). Gegenstand  : Aufdeckung der Organisation der Hitlerjugend im Pinzgau durch die Erhebungsgruppe Salzburg. Die von der Erhebungsgruppe Salzburg bei der Aufdeckung der Organisation der Hitlerjugend im Pinzgau geleistete staatspolizeiliche Arbeit muss als ausgezeichnet bezeichnet werden. Sämtliche Ortsgruppen der Hitlerjugend des Pinzgaues wurden nacheinander aufgerollt. Die Amtshandlung, die sich aus kleinsten Anfängen entwickelte, wurde mit Überlegung und methodisch zu Ende geführt. Der Sicherheitsdirektor für Salzburg wäre aufzufordern, die Namen jener Beamten, die an dieser Amtshandlung beteiligt waren, bekanntzugeben, damit für den leitenden Beamten eine Auszeichnung und für die übrigen eine belobigende Anerkennung bei der Abteilung G.D. 3 beantragt werden kann.

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Erhebungsgruppe des Landesgendarmeriekommandos Salzburg Salzburg, 4. Dezember 1936. E. Nr. 1898. An den Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. Hitler-Jugend – Aktion im Pinzgau Gesamtübersicht Zu den einzelnen, bereits ergangenen Meldungen über die Aushebung der Hitler-Jugend Ortsgruppen in verschiedenen Orten des Bezirkes Zell am See wird nach vorläufigem Abschluss der von den Organen der Erhebungsgruppe unter Mithilfe der in Betracht kommenden Posten gepflogenen Erhebungen ein Gesamtbericht bzw. Übersicht in Vorlage gebracht. (…) Tassilo Eigl, 19. März 1918 in Hart bei Strassgang, Bezirk Graz, Steiermark, geb., nach Graz zust., ev., ledig, Tischlergehilfe, Dornbirn I, Schwefel Nr. 19 wohnhaft gewesen, wurde über hierstelliges schriftliches Ersuchen festgenommen und im Gegenstande einvernommen. Nach anfänglichem hartnäckigem Leugnen, wobei er erklärte, sich nie an einer nationalsozialistischen Verbindung beteiligt zu haben, gab er dem Rev. Insp. Gassner des Postens Dornbirn schließlich zu, dass er der HJ Saalfelden, und zwar der Kameradschaft des August Lirk, angehört habe. Nachdem Karl Meier zu Pfingsten 1935 wegen Waffenschmuggels verhaftet und verurteilt wurde, ruhte die Tätigkeit der HJ in Saalfelden mehrere Monate hindurch, worauf sie dann von August Lirk13 aufs Neue ins Leben gerufen worden sei. Es seien nun wieder Appelle abgehalten worden, die sich zumeist in der Bürgerau, einer Waldung in der Nähe des Marktes Saalfelden, abgespielt haben sollen. Hierbei wurden von Lirk an Hand nationalsozialistischer Propagandaschriften Vorträge gehalten, die den Zweck verfolgten, die Hitlerjungen über die Verhältnisse im Reich und über die Ziele der HJ in Österreich aufzuklären, sie zur weiteren Mitarbeit in der HJ und Durchhalten im Kampfe für die nationale Idee anzueifern, wobei ihnen ferner trotz aller Verbote und Schwierigkeiten der Sieg und leitende Stellungen in der NSDAP in Aussicht gestellt worden seien. (…) In Mittersill konnte festgestellt werden, dass ein gewisser Egidius Ingruber seiner politischen Einstellung nach als HJ-Führer eventuell in Betracht kommen könne. Es wurde jedoch bei diesem noch vorläufig nicht eingeschritten, weil mit Bestimmtheit anzunehmen war, dass die Fäden für dieses Gebiet von Zell am See ausgehen. Der Posten und das Bezirksgendarmeriekommando Zell am See wurden von dem Ergeb13 Der 1920 in Saalfelden geborene Kaufmannslehrling August Lirk war einer der führenden jugendlichen NSDAP-Aktivisten im Pinzgau.

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nis in Kenntnis gesetzt und darauf verwiesen, dass als Führer der HJ in Zell am See nur Robert Rieser14 in Betracht kommen könne und derselbe zur Vergewisserung strengstens überwacht werde. Dem Postenkommando Zell am See war Robert Rieser seiner nationalsozialistischen Gesinnung nach bereits bekannt und stand auch im Verdacht, dass er sich für die NSDAP aktiv betätige, jedoch konnte gegen ihn mangels faktischer Beweise nicht früher eingeschritten werden, bevor nicht sein Name in Verbindung mit den Aushebungen der HJ in Saalfelden genannt wurde. . (…) Am Montag, dem 23. November 1936, wurde nun (…) gegen Rieser eingeschritten, wobei es gelang, bei ihm einen Lageplan über die einzelnen HJ-Ortsgruppen im Pinzgaue vorzufinden und ihn außerdem zu einem teilweisen Geständnis zu bringen. (…) Bei seiner Einvernahme gab er an, dass er glaublich Ende März 1936 von August Lirk aus Saalfelden, der ihn besuchte, nach vorausgegangener Besprechung der außenpolitischen Lage in Österreich angegangen worden sei, wie er sich zur Frage der Gründung einer Hitler-Jugend in Zell am See stellen würde. Lirk wollte dabei gleich den Rieser zum Führer der HJ-Ortsgruppe Zell am See gewinnen. Rieser habe dem Lirk darauf bedeutet, dass er daran nicht viel Freude habe, sei aber dann, als Lirk sagte, er soll die Stelle als Führer nur so lange behalten, bis er einen anderen dazu finde, mit dem Vorschlag einverstanden gewesen. Lirk habe ihm dann die Organisation der HJ zergliedert und ihm gesagt, dass die kleinste Einheit die Kameradschaft mit höchstens 5 bis 9 Mann sei. Die nächste Einheit sei die Schar, die 2 Kameradschaften umfasst. In jedem Ort, in dem sich ein Bezirksgericht befinde, bestehe eine Gefolgschaft, die aus ca. 5 bis 6 Scharen zusammengesetzt ist. Dann sei in den Orten mit dem Sitze einer Bezirkshauptmannschaft ein Unterbann, der die größte Einheit darstellt und ca. 3 bis 4 Gefolgschaften unter sich habe. Weiters gab Lirk dem Rieser noch die Anweisung, dass es seine Aufgabe sei, die Organisation auszubauen und möglichst viele Mitglieder zu werben. Über den Zweck und die Ziele der HJ habe Lirk weiter keine Aufklärung gegeben, weil dies Rieser ohnehin schon aus seiner früheren Zugehörigkeit zur HJ wusste. Nach Ansicht des Rieser verfolge die HJ den Zweck, die österreichische Jugend im nationalsozialistischen Sinne zu erziehen und somit der nationalsozialistischen Idee in Österreich zum Durchbruche zu verhelfen. Auch sei die Rassenreinheit zu lehren und der Kampf gegen das Judentum und das Großkapital wachzurufen. (…) Nun begann Robert Rieser seine illegale Tätigkeit, indem er mit seinen 20 Anhängern im Keller der Pension »Klothilde« des Autounternehmers Friedrich Gmeiner in Zell am See Appelle abhielt. Anfänglich fanden die Appelle in einem Zimmer derselben Pension statt, bis selbes für die Stammgäste benötigt wurde. Es wurden 14 Der 1922 in Zell am See geborene Laufbursche Robert Rieser gehörte dem Führungskreis der illegalen HJ im Pinzgau an.

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insgesamt ungefähr 20 Appelle abgehalten, wobei Rieser politische Vorträge über den Zweck und die Ziele der HJ, Rassenpolitik, Zusammenbruch der ÖsterreichischUngarischen Monarchie infolge der Vermischung des österreichischen Stammes mit fremdsprachigen Völkern und dass die jüdische Presse und das Großkapital schuld am Weltkrieg war, weil sie in ihm ein Geschäft sehen, weiters über die gegenwärtig schlechte wirtschaftliche Lage in Österreich, woran nur die Sozialdemokraten, die Juden, das Großkapital und der Klerus schuld seien u.a.m. hielt. Es wurden bei den Appellen auch nationalsozialistische Marschlieder und das Exerzieren mit deutschen Kommandoworten eingeübt. Bei diesen Anlässen wurde den Mitgliedern eingeschärft, über alle Vorgänge strengstes Stillschweigen zu bewahren und ihnen zur Pflicht gemacht, fleißig Mitglieder zu werben und überhaupt für die nationalsozialistische Idee bei allen Gelegenheiten einzutreten. Auch wurden Propagandaschriften wie  : »Der österreichische Beobachter«, »Das Programm der NSDAP«, gedruckte Hitler-Reden etc. zum Weitergeben verteilt. Friedrich Gmeiner, dessen Frau und das Dienstmädchen Grete Hutter, die streng nationalsozialistisch eingestellt sind, wussten von den Zusammenkünften der HJ und waren auch über die Absichten derselben informiert. Friedrich Gmeiner wurde, da er wissentlich in seinem Hause ein Lokal der HJ zu geheimen Zusammenkünften überließ, unter Sp.f. Nr. 92 vom 24. November 1936 verhaftet und dem Bezirksgericht Zell am See eingeliefert. Gegen Frau Klothilde Gmeiner und das Dienstmädchen Grete Hutter wurde die Anzeige erstattet. (…) Durch die bei den Erhebungen und Einvernahmen in Zell am See gewonnenen Beweise und richtunggebenden Fingerzeige wurden die Nachforschungen auf die (…) Orte Kaprun, Bruck an der Glocknerstraße, Taxenbach, Rauris, Uttendorf und Mittersill ausgedehnt. (…) Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 15. Jänner 1937. Zahl  : 48/1 res 1937. Betreff  : Viktoria Kugler und Genossen. Betätigung für die NSDAP durch die Herstellung des illegalen Flugblattes »Der Österreichische Beobachter« für das Bundesland Salzburg. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St.B., zu Handen des Herrn Sektionsrates Krechler, Wien I., Herrengasse 7. Seit Monaten war die Bundespolizeidirektion bemüht, den Herstellungsort des monatlich erscheinenden illegalen Flugblattes der NSDAP »Österreichischer Beobachter«, Organ der NSDAP in Österreich, festzustellen und hat die Bundespolizeidirek-

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tion den gesamten Nachrichtendienst aufgeboten, um endlich den Herstellungsort bzw. die Hersteller ausfindig zu machen. Trotz aller Bemühungen gelang es vorerst nicht, Licht in die Angelegenheit zu bringen. Am Mittwoch, den 13. Jänner 1937, wollte der Kriminalbeamtenanwärter Franz Frauscher mehrere Burschen, welche sich bei der Staatsbrücke in Salzburg in den Abendstunden einfanden und die ihm bedenklich vorkamen, einer Perlustrierung unterziehen. Als er einschritt, ergriff der ha. als Nationalsozialist in Vormerkung stehende Stefan Apfel, Kontorist (arbeitslos), am 14. Dezember 1914 in Salzburg geb. und zust., evang., ledig, Salzburg, Erhardgässchen Nr. 2 wohnhaft, die Flucht. Frauscher eilte dem Flüchtenden nach und gelang es ihm, diesen nach einiger Zeit festzunehmen. Er unterzog ihn sofort einer genauen Personendurchsuchung. Unter verschiedenem Propagandamaterial wurden zwei Beförderungsscheine der AutoTransportunternehmung Georg Pomeisel in Wien an die Speditionsfirma Hillinger, Salzburg, vorgefunden, welche auf Papiersendungen größeren Gewichtes lauteten, die an die Steinmetzfirma Kugler & Co in Salzburg adressiert waren. Diese Steinmetzfirma steht schon seit langem im dringenden Verdachte, mit den Nationalsozialisten gemeinsame Sache zu machen. Auf Grund dieser Feststellungen wurde bei den Inhabern der Firma Kugler & Co, und zwar Frau Viktoria Kugler, Steinmetzgeschäftsinhaberin, am 22. Juni 1904 in Bad Reichenhall geb., nach Schalchen, Bezirk Braunau OÖ. zuständig, gesch., Salzburg, Nonntaler Hauptstraße 108 wohnhaft, und deren Kompagnon Karl Schlager, Steinmetzgeschäftsteilhaber, am 4. November 1901 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., verh., Salzburg Gneis Nr. 97 wohnhaft, genauer Hausdurchsuchungen vorgenommen und die beiden Vorgenannten in Verwahrungshaft genommen. Abgesehen von Hitlerbildern und anderem Material, welches auf die nationalsozialistische Einstellung der beiden Vorgenannten einen einwandfreien Schluss ziehen lässt, wurde eine Abrechnung über bezogene Papiersendungen vorgefunden sowie das gleiche Papier, wie es bei der Herstellung des »Österreichischen Beobachters« im Lande Salzburg Verwendung fand. Es wurde auch die Schreibmaschine beschlagnahmt, welche bei der Firma Kugler in Verwendung stand und hat die Überprüfung der Schrift dieser Schreibmaschine mit der Schrift, welche bei den jeweiligen monatlichen Ausgaben des »Österreichischen Beobachters« aufscheint, ergeben, dass die Schrift des »Österreichischen Beobachters« die gleiche ist, welche die Schreibmaschine der Firma Kugler abgibt. Die Firma Kugler als Steinmetzfirma hat seit August vorigen Jahres monatlich je 50.000 Bogen dieses Saugpapiers durch den Papiervertreter Silvester Wendlinger, am 28. Dezember 1902 in Eugendorf, Bezirk Salzburg, geb. und zust., röm, kath., verh., Salzburg, Maxglaner Hauptstraße 46 wohnhaft, bezogen. Geliefert wurde das Papier auf die Bestellungen des Vertreters Wendlinger von der Hainburger Papierfabrik A. G. im Wege der Wiener Speditionsfirma Pomeisel, Wien XIV. Bezirk.

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Im Zuge der weiteren Erhebungen konnte durch einwandfreie Zeugen festgestellt werden, dass Kugler wiederholt bei der Papiergroßwarenhandlung Heidel & Co in Salzburg, Bismarckstraße, Tuben schwarzer Farbe für Abziehapparate bezogen hat. Weiters wurde einwandfrei erhoben, dass nur die erste Papiersendung direkt von der Salzburger Speditionsfirma Hillinger, Salzburg, Fürbergstr. Nr. 13, welche die Ware von der Speditionsfirma Pomeisel in Wien übernahm, an die Firma Kugler zugestellt wurde, während betreffend der späteren Sendungen seitens der Frau Kugler die Weisung erteilt wurde, die Sendungen, wenn sie einlangen, nicht zuzustellen, sondern nur zu avisieren, da die Firma Kugler die Sendungen fallweise selbst beim Spediteur abholen werde. Nicht unbemerkt soll bleiben, dass in einem Zigarettenetui der Frau Kugler ein mit Maschine geschriebener Zettel und ein handgeschriebener Zettel vorgefunden wurde, welche eine Bestätigung über die abgeführten bzw. eingehobenen Beträge für die Weihnachtsaktion zu Gunsten der SS darstellen. Im weiteren Verlaufe der Erhebungen wurde wegen Verdachtes der Mitschuld der als Nationalsozialist h. a. in Vormerkung stehende und auch schon wegen illegaler Betätigung bestrafte Beamte der Firma Kugler, Otto Kinchel, Elektrotechniker, am 10. März 1906 in Altmünster, Bezirk Gmunden, geb., nach Kirchdorf, Bezirk Kitzbühel zust., röm. kath., led., Salzburg, Bayerhammer St. Nr. 21 wohnhaft, ebenfalls in Verwahrungshaft genommen. Auf Grund der Erhebungen besteht kein Zweifel darüber, dass bei der Firma Kugler der »Österreichische Beobachter« hergestellt und von dort auch verbreitet wurde. Durch Zeugenaussagen konnte weiters festgestellt werden, dass der eingangs erwähnte Stefan Apfel derjenige war, welcher mit der Abholung des Papiers von der Speditionsfirma betraut wurde. Die Beschuldigten verfolgen bei ihren Einvernahmen jene Taktik, welche den Nationalsozialisten erst in den letzten Weisungen, bei Einvernahmen bei der Polizeibehörde und bei Gericht sich zu verhalten, festgelegt wurde. Sie leugnen glatt alles ab, beschuldigen die einvernommenen Zeugen bei Konfrontierungen der falschen Zeugenaussage oder stellen zumindest die Behauptungen der Zeugen als einen Irrtum hin. Sie wollen glauben machen, dass sie das Papier für einen Unbekannten bezogen haben. Interessant ist auch der Umstand, dass nach der Verhaftung der vorgenannten Personen eine neue Papiersendung am 15. Jänner 1937 aus Wien bei der Speditionsfirma Hillinger eintraf, wieder für die Firma Kugler, offenbar für die Herstellung der Jänner-Nummer oder Februar-Nummer des »Österreichischen Beobachters«. Da die Inhaber der Firma Kugler verhaftet sind, hat ein Unbekannter bereits bei der Speditionsfirma angefragt, ob Papier eingelangt ist und der Speditionsfirma mitgeteilt, dass in den nächsten Tagen das Papier an eine andere Adresse dirigiert wer-

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den wird. Offenbar ist seitens der nationalsozialistischen Leitung für Ersatz gesorgt worden, falls die Firma Kugler als Herstellungsort nicht mehr in Betracht käme. (…) Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 17. Februar 1937. Zahl  : 48/9 res 1937. Betreff  : Viktoria Kugler und Genossen. Betätigung für die NSDAP durch die Herstellung des illegalen Flugblattes »Der österreichische Beobachter« für das Land Salzburg. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St.B., zu Handen des Herrn Sektionsrates Krechler, Wien I., Herrengasse 7. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich im Nachhange zu ihrem Berichte vom 15. Jänner 1937, Zahl 48/1 res 37, (…) noch zu berichten, dass es im Zuge der fortgesetzten Erhebungen noch gelungen ist, drei Personen, und zwar die postenlose Kellnerin Rosalia Stockinger, 30. August 1903 in Neukirchen a. d. Vöckla geb. und zust., röm. kath., led., Gnigl, Josef-Wach-Straße Nr. 13 wohnhaft, den postenlosen Chauffeur und Eisendreher Othmar Glück, 27. Oktober 1911 in St. Pölten geb. und zust., evang., led., Wolf-Dietrich-Straße Nr. 14 wohnhaft, und schließlich den arbeitslosen Chauffeur Franz Huter, am 2. Dezember 1907 in Wien geb., Kals, Bezirk Lienz Tirol, zust., Salzburg, Josef-Wach-Straße Nr. 13 wohnhaft, auszuforschen und sie zu überweisen, dass sie mit den Hauptbeschuldigten Viktoria Kugler, Karl Schlager und Stefan Apfel gemeinsame Sache machten und diesen zweifelsohne bei der Herstellung und Verbreitung des »Österreichischen Beobachters« Hilfe leisteten. Die Vorgenannten wurden der Staatsanwaltschaft beim Landesgerichte in Salzburg nach dem Staatsschutzgesetz und gemäß § 285 StG angezeigt und dem Gefangenenhaus des Landesgerichtes in Salzburg eingeliefert. Nach der alten Methode stellten sie jedes Verschulden in Abrede und bestreiten jede illegale Tätigkeit. Der Wachsamkeit des Arrestantenpostens aber gelang es, einen Kassiber abzufangen (…) Durch diesen Kassiber ist ein sicherer Beweis für die Mittäterschaft erbracht worden.

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 3. Februar 1937. Geschäftszahl  : 302.388 G.D./St.B.37 (Nachzahlen  : 305.695 St.B.37). Gegenstand  : Wiesinger Adolf, Anhaltung durch Bundespolizeidirektion Salzburg  ; Verdacht der illegalen nationalsozialistischen Parteitätigkeit. Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 10. Jänner 1937. Zahl  : 23 res 1937. Betreff  : Adolf Wiesinger, Verhaftung. vermutlich illegaler Parteifunktionär der NSDAP. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St.B., zu Handen des Herrn Sektionsrates Krechler, Wien I., Herrengasse 7. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg erhielt die vertrauliche Mitteilung, dass der Handelsangestellte Adolf Wiesinger, am 9. Juni 1909 in Salzburg geb., Hofkirchen Bezirk Grieskirchen, Oberösterreich, zust., ev., gesch., Salzburg, Kajetanerplatz Nr.3/III wohnhaft, sich mit dem Vertriebe von Fotografien befasse, welche den Fürsten Starhemberg als Präsidenten des Mutterschutzwerkes der Vaterländischen Front in arger Weise verunglimpfen. Da Wiesinger der Bundespolizeidirektion schon seit langem als unbelehrbarer und extrem eingestellter Nationalsozialist bekannt ist, wurde bei Wiesinger eine überraschende Hausdurchsuchung verfügt. Wohl konnten bei dieser Hausdurchsuchung solche Fotografien, wie sie in der vertraulichen Anzeige geschildert wurden, nicht vorgefunden werden, dagegen aber ergab die Hausdurchsuchung ein überaus reichhaltiges Material, welches den Schluss ziehen lässt, dass Wiesinger eine führende Rolle bei der illegalen NSDAP innehatte. (…) Weiters wurde bei Wiesinger ein Dechiffrierapparat vorgefunden und beehrt sich die Bundespolizeidirektion eine Nachbildung dieses Dechiffreurs ebenfalls vorzulegen. Außerdem konnte noch anderes Propagandamaterial (…) sichergestellt werden. (…)

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Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 15. Jänner 1937. Zahl  : 23/3 res 1937. Betreff  : Adolf Wiesinger Verhaftung. Vermutlich illegaler Parteifunktionär der NSDAP. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St.B., zu Handen des Herrn Sektionsrates Krechler, Wien I., Herrengasse 7. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich im Nachhange zu ihrem Berichte vom 10. Jänner 1937, Zahl 23/1 res 1937, nunmehr abschließend zu berichten  : Bei der Durchsicht des bei Wiesinger (…) sichergestellten Schriftenmaterials wurde ein Zettel vorgefunden, auf welchem Decknamen mit Nationale vorgemerkt standen. Dieser Zettel trug die Bezeichnung »SS«. Es bestand kein Zweifel mehr, dass dieser Zettel eine Aufstellung von »SS-Mitgliedern« beinhalte. Die Bundespolizeidirektion hat nun eingehende Erhebungen zur Aufklärung dieses beachtlichen Zettels eingeleitet, welche zu einem vollkommenen Erfolg führten. Es konnten nachstehende Personen identifiziert werden und zwar Johann Adlgasser, Kohlenhändler, 13. Oktober 1908 in Seeham geb., Salzburg zust., röm. kath., verh., Kleingmain Nr. 13 wohnhaft  ; Rupert Mayer, arbeitsloser Spenglergehilfe, 27. August 1901 Salzburg geb. und zust., ev., verh., Salzburg, Lily-Lehmann-Straße Nr. 10 wohnhaft  ; Josef Thiel, arbeitsloser Handelsangestellter, 5. April 1908 in Salzburg geb., Wien zust., ev., verh., Salzburg, Judengasse Nr. 9 wohnhaft  ; Albert Kaltenegger, Student der 8. Kl. B. des Realgymnasiums, 2. März 1918 in Werfen, Bezirk St. Johann im Pongau, geb., Saalfelden zust., röm. kath., led., Salzburg, Merten-Straße Nr. 9 wohnhaft  ; Johann Hufnagl, arbeitsloser Elektriker, 22. Juli 1915 in Schwarzach, Bezirk St. Johann im Pongau, geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Aigen-Abfalter Nr. 141 wohnhaft  ; Ferdinand Stein, Kunstgewerbler, 27. November 1903 in Wien geb. und zust., ev., verh., Salzburg-Parsch Kühberg-Straße Nr. 88 wohnhaft  ; Karl Recz, arbeitsloser Tischlergehilfe, 2. November 1913 in Wien geb. und zust., ev., led., Salzburg, Gaisberg-Straße Nr. 82 wohnhaft  ; Franz Dürnberger, arbeitsloser Wagnergehilfe, 21. August 1902 in Morzg geb., Salzburg zust., ev., verh., Salzburg-Gneis Nr. 92 wohnhaft. Diese vorgenannten Personen wurden ausgeforscht und in Haft genommen. Die Hausdurchsuchungen bei diesen Personen ergaben durchwegs schwerwiegen­ des Beweismaterial für ihre nationalsozialistische Betätigung und Teilnahme an der SS-Formation (…)

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Nach langen Einvernahmen und Konfrontierungen bequemten sich die Verhafteten zu mehr oder minder umfangreichen Geständnissen. Aus diesen Geständnissen geht einwandfrei hervor, dass Wiesinger damit betraut war, die SS in Salzburg neu zu organisieren und die Mitglieder auszubilden. (…) Erhebungsgruppe des Landesgendarmeriekommandos Salzburg Salzburg, 17. Jänner 1937. Zahl  : Nr. 83. Betr.: SA-Trupp aus Mauerndorf. Aushebung. Erhebungsbericht. An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. Nach dem vorläufigen Abschluss der von Rayonsinspektor Albert König und Gendarm Felix Hangl der hiesigen Erhebungsgruppe in der Angelegenheit »Aushebung des SA-Trupps in Mauterndorf« gepflogenen Erhebungen wird nachfolgender Gesamtbericht in Vorlage gebracht. Bereits im Oktober 1936 gelangte dem Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg zur Kenntnis, dass in der nächst Mauterndorf gelegenen Twenger Au von den ehemaligen Anhängern der NSDAP SA-Appelle abgehalten werden. Zufolge Befehl Zl. 289 vom 4. November 1936 des Herrn Sicherheitsdirektors für das Bundesland Salzburg wurde die hiesige Erhebungsgruppe mit der Einleitung der Erhebungen und der notwendig gewordenen Überwachung der Twenger Au beauftragt. (…) Gendarm Wilfried Santner wurde beauftragt, die Twenger Au einer ständigen Überwachung zu unterziehen. Der genannte Gendarm blieb auch einige Tage in Tweng und führte eine unauffällige Überwachung der Twenger Au durch. Nachdem aber zur selben Zeit starker Schnellfall einsetzte, die Überwachung kein positives Resultat zeitigte, so wurde die Überwachung der Twenger Au wegen Kostspieligkeit abgebrochen (…) In der letzten Zeit wurde nun der Gendarmerieposten in Mauerndorf von Vertrauenspersonen in Kenntnis gesetzt, dass sich die nationalsozialistischen Parteimitglieder, insbesonders die SA-Männer, noch immer politisch betätigen und bereits im Laufe des Sommers und Herbstes 1936 in der Twenger Au Appelle abgehalten haben sowie dass sie sich des Öfteren bei geheimen Zusammenkünften zu treffen pflegen. Auf Grund dieser Mitteilung wurde vom Posten Mauerndorf einwandfrei festgestellt, dass am 21. Oktober 1936 in der Twenger Au ein SA-Appell abgehalten wurde, bei welchem Franz Rest als Kommandant fungierte. An diesem Appell beteiligten sich, wie einwandfrei erwiesen ist, nachfolgend angeführte SA-Männer  :

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Franz Rest, 18. September 1913 in Mauerndorf, Bezirk Tamsweg, Land Salzburg, geb. und zust., röm. kath., led., Wagnergehilfe, ohne Vermögen, Mauterndorf Nr. 159 wohnhaft, ist 5 mal vorbestraft  ; Johann Rausch, 8. Juni 1907 in Mauerndorf, Bezirk Tamsweg, Land Salzburg, geb. und zust., röm. kath., led., Hilfsarbeiter, ohne Vermögen, Mauterndorf Nr. 28 wohnhaft, 4 mal politisch vorbestraft  ; Rupert Fanninger, 27. Juli 1910 in Steindorf, Gemeinde Mauerndorf, Bezirk Tamsweg, Land Salzburg, geb. und zust., röm. kath., led., Hilfsarbeiter, ohne Vermögen, im Gemeindehause in Moos wohnhaft, politisch vorbestraft  ; Alois Rexeisen, 16. August 1908 in Wien geb., Mauterndorf, Bezirk Tamsweg, Land Salzburg, zust., röm. kath., led., Hilfsarbeiter, ohne Vermögen, Mauterndorf 100 wohnhaft, 1 mal politisch und 14 mal gerichtlich vorbestraft  ; Josef Fanninger, 26. April 1913 in Steindorf, Gemeinde Mauterndorf, Bezirk Tamsweg, Land Salzburg, geb. und zust., röm. kath., led., Hilfsarbeiter, ohne Vermögen, Moos 26, Gemeinde Mauterndorf, wohnhaft, 2 mal politisch vorbestraft  ; Anton Moser, 14. Dezember 1914 in Landeck, Tirol, geb., Landorf, Bezirk Spittal, Land Kärnten, zust., ev., led., Schuhmachergehilfe, ohne Vermögen, Mauterndorf Nr. 96 wohnhaft, 1 mal politisch vorbestraft, wurde amnestiert  ; Paul Gruber, 14. Juli 1913 in Mauerndorf, Bezirk Tamsweg, Land Salzburg, geb. und zust., röm. kath., led., Schmiedgehilfe, ohne Vermögen, Mauerndorf wohnhaft, unbescholten  ; Konrad Moder, 9. Februar 1914 in Oberweissburg, Bezirk Tamsweg, Land Salzburg, geb. und zust., röm. kath., led., Sägearbeiter, ohne Vermögen, Mauterndorf Nr. 157 wohnhaft, politisch vorbestraft. Des Weiteren wurden von dem Bruder des Franz Rest namens Wolfgang Rest in dessen Schlafzimmer Appelle abgehalten, wobei der Letztgenannte über die Judenfrage (Rassenfrage) Vorträge hielt, sowie über das Verhalten der SA in Österreich sprach und Unterstützungen für die NSDAP einkassiert wurden. Bei diesen Appellen nahmen außer den vorgenannten, mit Nationalen beschriebenen Personen noch folgende SA-Männer teil  : Wolfgang Rest, 3. September 1910 in Mauterndorf, Bezirk Tamsweg, Land Salzburg, geb. und zust., röm. kath. Led., Schmiedgehilfe, ohne Vermögen, Mauterndorf Nr. 159 wohnhaft, 5 mal politisch und 1 mal gerichtlich vorbestraft  ; Bartholomäus Gappmaier, 16. Dezember 1907 in Mauterndorf, Bezirk Tamsweg, Land Salzburg, geb. und zust., röm. kath., led., Zimmermann, ohne Vermögen, Mauterndorf Nr. 28 wohnhaft, politisch vorbestraft  ; Wilhelm Treu, 7. Oktober 1917 in Gmünd, Bezirk Spittal, Land Kärnten, geb. und zust., röm. kath., led., Bäckergehilfe, ohne Vermögen, Mauterndorf wohnhaft, politisch vorbestraft, sowie

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August Rest, 3. November 1911 in Mauterndorf, Bezirk Tamsweg, Land Salzburg, geb. und zust., röm. kath., led., Schmiedgehilfe, ohne Vermögen, Mauterndorf Nr. 159 wohnhaft, politisch und gerichtlich vorbestraft. Sämtliche vorangeführte Personen, die als fanatische Anhänger der NSDAP und SA bekannt sind, wurden vom Gendarmeriepostenkommando Mauterndorf (…) wegen Verbrechens gegen das Staatsschutzgesetz verhaftet und dem Bezirksgerichte in St. Michael im Lungau und Tamsweg eingeliefert. (…) Präsidentschaftskanzlei 23. Oktober 1936 Zl. 13462. Betr.: Theresia Ellmer, Hebamme in Radstadt. Bitte um die Bewilligung zur Einreise ihres Sohnes Rupert Ellmer, Monteur in der Flugzeugfabrik Warnemüde, von Deutschland nach Österreich. Radstadt, am 15. Oktober 1936. An Seine Exzellenz, den Herrn Bundespräsidenten Wilhelm Miklas in Wien. Gefertigte Theresia Ellmer, Hebamme in Radstadt, bittet Euer Exzellenz um die Erteilung der Bewilligung zur Einreise ihres Sohnes Rupert Ellmer von Warnemünde in Deutschland in seine Heimatstadt Radstadt. Die Bitte erlaube ich mir folgend zu begründen  : Mein Sohn Rupert Ellmer ist am 26. Februar 1909 in Radstadt geboren und dahin zuständig und musste wegen Mangel an Arbeit in seinem Berufe in den Jahren 1929 bis 1933 als Lohndiener im Hotel Tauernpasshöhe in Radstadt Arbeit nehmen. Bei dieser Gelegenheit lernte er auch den Direktor der Flugzeugfabrik Warnemünde namens Blume kennen. Bei einem Skiunfall der Frau des Direktors Blume leistete mein Sohn besondere Hilfe. Aus Dankbarkeit versprach Direktor Blume meinem Sohne einen Arbeitsplatz als Monteur in der Flugzeugfabrik in Warnemünde zu verschaffen. Mein Sohn machte von diesem Anerbieten erst Gebrauch, als er im Sommer 1933 wegen Betriebseinschränkung im Hotel Tauernpasshöhe arbeitslos wurde. Als gewesenes Mitglied der damaligen NSDAP15 war mein Sohn darüber im Zweifel, ob er die Ausreisebewilligung zum Arbeitsantritt in Deutschland erhalten würde und fuhr daher im September 1933 ohne Bewilligung nach München. Dort wurde meinem 15 Rupert Ellmer war Mitglied der NSDAP und Angehöriger des SA-Sturms 104.

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Sohn gesagt, dass er vorher 6 Wochen in der Legion dienen müsse, ehe er die Erlaubnis zum Arbeitsantritt in Warnemünde bekommen würde. Aus diesem Grunde trat mein Sohn in die Legion ein, diente dort die verlangten 6 Wochen ab, wurde aus der Legion wieder entlassen und ging sofort nach Warnemünde, wo er nun seit Oktober 1933 in der Flugzeugfabrik als Monteur beschäftigt ist. Mein Sohn hat außer dem unerlaubten Grenzübertritt keinerlei strafbare Handlung begangen. Er ist auch nicht in die Legion eingetreten, um sich in eigendeiner Weise gegen Österreich zu betätigen, sondern nur aus dem Grunde, um sich das Recht auf den ihm bereits zugesagten Arbeitsplatz zu erwerben. Seit Oktober 1933 hat mein Sohn mit der Legion nichts mehr zu tun. Inzwischen – am 10. Jänner 1936 – ist mein Mann gestorben und hat mein Sohn das immer größer werdende Verlangen, das Grab seines Vaters und mich auf einige Tage zu besuchen. Ich bitte daher Euer Exzellenz, die Erlaubnis dafür zu erteilen, dass mein Sohn Rupert Ellmer zum vorübergehenden Aufenthalte – 10 bis 14 Tage – nach Österreich einreisen darf. Ich gebe mich der Hoffnung hin, dass Euer Exzellenz die Bitte einer alten Mutter und Witwe aus Gründen der Menschlichkeit, denen in diesem Falle keinerlei politische Bedenken entgegenstehen, nicht abschlagen werden und zeichnet in besonderer Hochachtung …16 Gendarmeriepostenkommando Radstadt Radstadt, 13. November 1936. Zl. Nr. 3100. Herrn Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg in Salzburg. Zum angeschlossenen dortamtlichen Erlass Zl. 5141 vom 7.11.1936 betreffend Ansuchen um Einreisebewilligung des Rupert Ellmer wird angezeigt, dass die Gesuchsangaben der Mutter Theresia Ellmer im Allgemeinen den Tatsachen entsprechen. Rupert Ellmer war während seines Aufenthaltes am Tauern als Lohndiener und seines Aufenthaltes bei seinen Eltern als arbeitsloser Elektriker als Anhänger der NSDAP bekannt, doch gab er als solcher nie Gelegenheit zum Einschreiten. Seine 16 Die Präsidentschaftskanzlei leitete das Schreiben an das Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) mit dem Ersuchen weiter, entsprechende Erhebungen anzustellen. Die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit erbat vom Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg entsprechende Auskünfte. Dieser forderte vom Gendarmerieposten Radstadt eine Stellungnahme an.

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illegale Ausreise nach Deutschland im Sommer 1933 ist nach den damaligen Angaben seiner Angehörigen nur eine Folge der Arbeitslosigkeit, durch welche er diesen zur Last gefallen wäre, was ihm höchst unangenehm war und er die Ausreise vorzog. Laut Mitteilung des Postens Tweng im Lungau E. Nr. 938 vom 12.11.1936, welcher um Überprüfung der Angaben der Gesuchstellerin hinsichtlich der Hilfeleistung der Direktorsgattin Blume anlässlich eines Skiunfalls ersucht wurde, sind diese richtig. Ellmer steht ob seiner Gefälligkeit und seiner Hilfsbereitschaft heute noch in großem Ansehen bei den Angestellten des Hotels »Tauernpasshöhe«, denen bekannt ist, dass er durch seine damalige selbstlose Hilfsbereitschaft so schnell in Deutschland eine schöne Stellung (erhielt) und so der trostlosen Arbeitslosigkeit entkam. Weiters hat Ellmer im Dezember 1932 anlässlich des nächtlichen Brandes des Hotels »Schaidberg« als erster der Rettungsleute unter sehr schwierigen Verhältnissen das jüngste Kind des Hoteliers Franz Wirnsperger dem sicheren Flammentod entrissen, für welche Heldentat er von einer höheren maßgebenden Stelle ein Anerkennungsdekret erhielt. Wie dem Posten bekannt ist, war Ellmer nicht lange in der Legion in Deutschland tätig, sondern erhielt glaublich nach einigen Monaten Zugehörigkeit zu derselben die Anstellung in der Flugzeugfabrik in Warnemünde, wo er heute noch tätig ist. Er war während seines Aufenthaltes hier und am Tauern als fleißiger und strebsamer Bursche bekannt, welcher Eigenschaft er es jedenfalls zu verdanken hat, dass er so rasch in die genannte Fabrik kam und heute noch in dieser in bevorzugter Stellung arbeitet. Rupert Ellmer hat vielleicht damals bei der Ausreise nach Deutschland unüberlegt gehandelt, denn er hätte wahrscheinlich, so wie sein älterer Bruder Josef Ellmer (ein begabter Holzschnitzer), der im Jahre 1935 legal nach Deutschland ausreiste und dort ebenfalls eine sehr gute Stellung bekommen hat, gleichfalls die Ausreise nach dorthin erhalten. Er hat es aber allen anderen Flüchtlingen nachgemacht, weil er auf diese Art bequemer und schneller hinaus kam, nicht aber erwog, welche Folgen dieser Schritt für ihn brachte. (…) Gegen Rupert Ellmer, der unter hierstelliger E. Nr. 2034 vom 9.9.1933 wegen Hochverrates dem Bezirksgerichte Radstadt angezeigt wurde, hängt beim Landesgerichte in Salzburg unter 12 Vr 1460/33 ein Verfahren wegen dieser Straftat und ist er im I.T.F.Bl. Nr. 202 von 1933, Art. 6783, zur Verhaftung ausgeschrieben.

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Der Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg Salzburg, 11. Dezember 1936. Zl. 5141/2. Betr.: Ellmer Rupert, Ansuchen um straflose Rückkehr nach Österreich. Zu G.D. 365.242-St.B. vom 30.10.1936. Wird dem Bundeskanzleramt G.D.-St.B. in Wien zur Kenntnisnahme mit dem Berichte vorgelegt, dass mit Rücksicht auf beiliegende Gendarmerierelation gegen einen kurzfristigen Aufenthalt des Rupert Ellmer im Bundeslande Salzburg nichts eingewendet wird. Deutsche Gesandtschaft Wien, 29. Dezember 1936. A. 7436. Eilt  ! VERBALNOTE Die Deutsche Gesandtschaft beehrt sich, die Vermittlung des Bundeskanzleramtes – Auswärtige Angelegenheiten – in folgender Angelegenheit zu erbitten  : Der österreichische Emigrant, jetzige deutsche Staatsangehörige Rupert Ellmer, wohnhaft in Warnemünde, früher wohnhaft gewesen in Radstadt (Salzburg), hat durch seine in Radstadt lebende Mutter bei den zuständigen österreichischen Behörden ein Ansuchen um Einreiseerlaubnis und Aufenthaltsbewilligung für die Dauer von 14 Tagen eingereicht, um das Grab seines im Januar d. J. verstorbenen Vaters besuchen und vermögensrechtliche Angelegenheiten regeln zu können. Dieses Gesuch soll die Befürwortung des zuständigen Herrn Sicherheitsdirektors gefunden haben und bereits 2 Wochen vor Weihnachten an das Bundeskanzleramt die Entscheidung weitergeleitet worden sein. Eine Entscheidung ist jedoch bisher noch nicht ergangen. Nach den Angaben der Mutter des Vorgenannten hat Ellmer im Jahre 1933 Österreich ohne Bewilligung verlassen, um eine ihm in Warnemünde zugesagte Arbeitsstelle als Schlosser anzutreten. Sonstige strafbare Handlungen soll er in Österreich nicht begangen haben. Er wurde aber trotzdem in Österreich ausgebürgert und erwarb im Jahre 1935 die deutsche Reichsangehörigkeit. Da sich Ellmer infolge der Befürwortung seines Gesuches durch den Herrn Sicherheitsdirektor bereits seit dem 20. d. M. in Freilassing befindet und seine Einreiseerlaubnis dort erwartet, wäre die Deutsche Gesandtschaft dem Bundeskanzler-

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amt – Auswärtige Angelegenheiten – für eine möglichst umgehende Mitteilung von der Entscheidung auf das Gesuch, das sie wärmstens befürwortet, dankbar. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 13. Jänner 1937. Geschäftszahl  : 301.800 G.D./St.B.37 (Vorzahl  : 374.833-St.B.3617). Gegenstand  : Ellmer Rupert  ; Intervention der deutschen Gesandtschaft wegen strafloser Rückkehr nach Österreich. Das Staatspolizeiliche Büro beehrt sich mitzuteilen, dass Rupert Ellmer im Zen­ tral­polizeiblatt wegen Verdachtes des Verbrechens des Hochverrates ausgeschrieben erscheint. Die Zusicherung einer straflosen Rückkehr nach Österreich kann ihm daher nicht erteilt werden. Sollte Ellmer in Österreich angetroffen werden, müsste er auf Grund der Kurrende verhaftet und dem zuständigen Gerichte eingeliefert werden. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 20. Oktober 1937. Zl. 1251/161. Betr.: Dr. Herzog Adalbert, Beschlagnahme eines Autos. An das Bundeskanzleramt – G.D.5 in Wien. Unter Bezugnahme auf die Rücksprache mit Herrn Sektionschef Dr. Maurer beehre ich mich zu berichten  : Der praktische Arzt Dr. Adalbert Herzog in Hallein, Burgfried 99 wohnhaft, beförderte am 19.4.1937 zwei Angehörige der Halleiner illegalen SS mit seinem Personenauto, als sie vom Abbrennen eines Hakenkreuzfeuers zurückkehrten, um sie so vor einer Verhaftung durch Gendarmeriepatrouillen zu schützen. Dr. Herzog wurde deshalb rechtskräftig gem. § 1 BGBl. Nr. 240/33 mit 2 Monaten Arrest bestraft  ; das von Dr. Herzog benutzte, ihm gehörige Personenauto Marke Steyr 100 wurde rechtskräftig gem. § 2 BG, vom 8.6.1934, BGBl. II/171, beschlagnahmt.

17 Am 15. Dezember 1936 entschied die politische Abteilung der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit unter dieser Geschäftszahl  : »Die Zusicherung der straflosen Rückkehr nach Österreich kann Rupert Ellmer nicht gegeben werden, da er wegen Hochverrates kurrendiert erscheint und überdies in der Österreichischen Legion gedient hat. Das Geschäftsstück ist daher nicht weiter zu behandeln.«

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Die Gattin des Dr. Herzog, Frau Doris Herzog, meldete nun im Sinne des § 6 des BGBl. II/71/34 fristgerecht nachstehende Ansprüche in der Gesamthöhe von S 3.437,05 an. Frau Doris Herzog selbst hatte – aus dem Vermögen ihres Vaters, des Senatspräsidenten a.D. Dr. Assmann – ihrem Gatten den Betrag von S 2.500,– zum Ankauf des Autos vorgestreckt. Ferner wies sie darauf hin, dass auch drei Rechnungen der Autoreparaturwerkstätte Alois Heimberger in Hallein in der Gesamthöhe von S 793,45 und des Malermeisters Karl Erlach in der Höhe von S 43,60, die Reparaturen des Autos betrafen, noch unberichtigt aushaften. Der Wert des Autos wurde im Wege der Landeshauptmannschaft Salzburg mit S 3.400,– bis S. 3.600,– festgestellt. Die Beschlagnahme des Autos kommt einer Beschlagnahme des Gesamtvermögens Dr. Herzogs nahezu gleich, da sein übriger Besitz sich fast nur auf Gegenstände beschränkt, die zur Ausübung seines ärztlichen Berufes notwendig sind. Es wird daher beabsichtigt, in kurzem Wege zur Vermeidung von Härten gegenüber der schuldlosen Familie Dr. Herzogs das Auto gegen Übernahme aller Lasten und den Erlag eines Barbetrages von S 500,– zu Gunsten des Bundesschatzes an Frau Doris Herzog zu überlassen und auf diese Weise das beschlagnahmte Vermögen gem. § 17 BGBl. II/71/34 zu liquidieren. Ich beehre mich, diesen Sachverhalt mit der Bitte um Weisung zu unterbreiten, ob der beabsichtigte Vorgang eingehalten werden kann. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 23. Oktober 1937. z.Z. 1251/161 vom 20. Oktober 1937. An den Herrn Sicherheitsdirektor für Salzburg in Salzburg. Der beabsichtigten Überlassung des rechtskräftig beschlagnahmten Kraftfahrzeuges des Dr. Adalbert Herzog gegen Übernahme aller Lasten und gegen Erlag eines Barbetrages von S 500,– an Frau Doris Herzog wird zugestimmt.

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 18. November 1937. Zl. 1251/177. Betr.: Dr. Adalbert Herzog, Beschlagnahme eines Autos. An das Bundeskanzleramt G.D.5 in Wien. Zum Erlass Zl. 364.268-G.D.5/1937 vom 23.10.1937 beehre ich mich zu berichten, dass nunmehr der beschlagnahmte Kraftfahrwagen des Dr. Adalbert Herzog an Frau Doris Herzog gegen Übernahme aller Lasten und Erlag von S 500,– ausgefolgt wurde. Der obgenannte Betrag von S 500,– wird gleichzeitig an das Postsparkassenkonto A-37.792 94 überwiesen. Brief des Salzburger Schlossers Josef Kober an den Salzburger NSDAP-Gauleiter Karl Scharizer vom 30. März 1937.18 Sehr geehrter Herr Gauleiter  ! Durch eine hiesige sehr kompetente Stelle habe ich in Erfahrung gebracht, dass Sie, Herr Gauleiter, einem armen Salzburger in meiner Lage helfen können. Darum wende ich mich mit der Bitte an Sie, mir zu helfen. Ich, Josef Kober, war vom Jahre 1932 bis zur Auflösung der Partei zuerst bei der SA und dann illegal noch bei der Motorstaffel, bis es auch zur Auflösung kam, da sich alle zerstreuten. Sollte Sie an meinen Angaben zweifeln, so bitte mir zu schreiben, sodann werden Sie als Beglaubigung aus einer kompetenten Stelle ein Schreiben erhalten. Was meine Bitte an Sie betrifft will ich Ihnen kurz schildern  : Ich war früher beim hiesigen Landesbauamt als Schlosser und Maschinist beschäftigt, bis ich entlassen wurde, da ich nicht genug vaterländisch gewesen bin. Da sie mich von früher kannten als Parteimitglied der NSDAP. Und da ich meine Gesinnung bis heute noch nicht geändert habe, ist es mir unmöglich, in jeder Art eine Arbeit zu bekommen. Außer Privatunternehmen, die leider selber keine Arbeit haben. Die öffentlichen Arbeiten werden bei uns von Schutzkorpsangehörigen und Gewerkschaftern aus18 Der Brief fiel durch Zufall in die Hände der österreichischen Gesandtschaft in Berlin, die ihn am 15. April 1937 an das Bundeskanzleramt, Auswärtige Angelegenheiten, übermittelte. (Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, Geschäftszahl  : 326.495-G.D./St.B.37. 26. April 1937.)

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geführt. Und von den allen kann ich nie rechnen eine Arbeit zu bekommen, da ich weder vaterländisch noch gewerkschaftlich noch sonst einer hiesigen Formation angehöre. Keine noch so elende Arbeit bekomme ich. Mir ist hier jede Art genommen, irgendeine Hilfe zu erhalten. Ich habe sogar 3 Berufe, die ich ausführen kann, Schlosser, Maschinist und noch dazu Kleinsteinpflasterer, das ich als letztes erlernt habe. Aber hier ist es trotzdem unmöglich. Ich bin jetzt schon drei Jahre ohne Arbeit. War voriges Jahr schon gezwungen, ins Ausland zu reisen. Hatte auch Erfolg gehabt und habe in Traunstein, Oberbayern, drei Monate gearbeitet beim Pflasterermeister Korflinger, musste aber im Oktober aufhören, da ich keine Aufenthaltsbewilligung bekommen hatte. Hätte noch Arbeit gehabt bis Weihnachten. Bin daher jetzt wieder seit Oktober ohne Arbeit und habe schon die letzte Grüne Karte und habe noch dazu für drei Kinder zu sorgen. Und jetzt ist es Frühjahr und mein Wunsch wäre es nur, dass ich die 20 Wochen zusammenbringe, und die kann ich hier auch nicht zusammenbringen. Darum fahre ich wieder hinaus, wo es Arbeit und Brot gibt. Und wie freut man sich, dort arbeitet alles, ist ein reges Leben, alles ist froh und heiter und wir Armen müssen zusehen und wie ungern muss man den Rückweg wieder antreten (in) das, was wir unsere Heimat nennen. Die kein Gefühl haben für uns, da wir nicht vaterländisch gesinnt sind. Und was nun meine eigentliche Bitte betrifft ist das Ersuchen, dass ich die Aufent­ haltsbewilligung bekommen könnte, für den Bezirk Traunstein. Wenn man wirklich eine Arbeit bekommt, so bekommt man keine Aufenthaltsbewilligung und das ist das Schwere, dass wir Österreicher drüben keine Arbeit bekommen. Es gibt so viel Arbeit als Professionist. Auf der Autobahn und überall, aber überall nur mit der Aufenthaltsbewilligung. Am Salzberg werden so viele benötigt, aber dann muss man eine Bestätigung haben als Österreicher von einer führenden Stelle. Und die habe ich nicht. Und das, Herr Gauleiter, wäre meine innigste Bitte an Sie, dass Sie mir dazu helfen, dass ich eine Aufenthaltsbewilligung und eine kleine Beglaubigungsbestätigung erhalte, dann könnte ich mir die Arbeit schon finden. Ich hätte schon ein paar Mal anfangen können bei verschiedenen Firmen als Schlosser sowie Pflasterer. Aber mir fehlte das Erwähnte. Und besonders heuer ist es besonders streng am Grenzbezirk, da so viele Salzburger hinüberkommen. Es ist ja kein Wunder, alles will arbeiten und wieder einmal leben. (…) Mit der Bitte, dass mein Anliegen erhört wird und um baldige Erledigung bittend zeichnet sich hochachtungsvoll Josef Kober

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 27. April 1937. Geschäftszahl  : 327.150-G.D./St.B.37. A m t s n o t i z   ! Der Sicherheitsdirektor für Salzburg teilt am 23. April 1937 telefonisch mit, dass es gelungen ist, einige Trupps der SA-Standarte 41, die im Pinzgau ihren Standort hat, auszuheben. In Zell am See wurden 32, in Taxenbach wurden 60 und in Mittersill wurden 70 Personen ermittelt, die der SA angehörten. Ein verhafteter Sturmführer hat bereits gestanden, die Propagandaaktionen am 19. und 20. April l. J.19 über höheren Befehl durchgeführt zu heben. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 4. Mai 1937. Geschäftszahl  : 327.397-G.D./St.B.37 (Vorzahl  : 358.174-St.B.36). Gegenstand  : Dr. Rudolf Radauer. Ansuchen um freie Einreise nach Österreich. Dr. med. Rudolf Radauer prakt. Arzt und Geburtshelfer Kurort Oberwiesenthal im Erzgebirge Vierenstr. 182e 5. September 1936 An die Polizeidirektion Salzburg. (…) Da ich anlässlich eines Schisprungschanzenbaues hier wahrscheinlich mit einer Kommission Mitte September nach Garmisch komme hätte ich die Möglichkeit, einen Abstecher nach Salzburg zu machen und meine Angelegenheiten zu ordnen. Jedenfalls hätte ich es sehr eilig und jede Minute müsste eingeteilt sein, da mein Aufenthalt kaum mehr als 24 Stunden betragen könnte, höchstens 48 Stunden. Ich möchte dabei auch meine kranke Mutter besuchen. Ich bitte deshalb nochmals um Einreisebewilligung für diesen Zeitpunkt unter Hinweis auf das immer besser werdende Verhältnis zwischen Deutschland und Österreich und die Notwendigkeit, meine Angelegenheiten in Salzburg in Ordnung zu bringen. Auch ist es klar, dass sich meine 80-jährige Mutter freuen würde, mich wieder zu sehen. Auch halte ich 19 Anlässlich Hitlers Geburtstag am 20. April.

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es für überflüssig, dass ich dauernd mit Hilfe von Konsulaten etc. versuche, meine Einreisebewilligung mit der Zeit zu erreichen, die mir in Wirklichkeit gar nicht begründet verweigert werden kann. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 19. September 1936. Zahl 5638. Betreff  : Dr. Rudolf Radauer, Ansuchen um Einreise nach Österreich. Wird dem Bundeskanzleramt – G.D./St.B. in Wien im Sinne des telefonischen Gespräches mit Herrn Dr. Jäger vom 18. September l. J. vorgelegt. Der ehemalige Sprengelarzt Dr. Rudolf Radauer, 12. März 1899 in Ried i. Innkreis geb., nach Salzburg zuständig gewesen, röm. kath., ledig, zuletzt in Rauris wohnhaft, wurde mit Erkenntnis des Bundespolizeidirektion Salzburg vom 1.11.1933, Zl. 17.001, wegen Betätigung für die NSDAP und Mitschuld an der Übertretung der Verordnung zur Abwehr wirtschaftlicher Schädigungen durch Terrorakte gem. § 1 d. Vdg. der Bundesregierung vom 19.6.1933, BGBl. Nr. 240, und der Vdg. vom 1.7.1933, BGBl. Nr. 295, zu 4 Monaten Arrest und S 1.000,– Geldstrafe verurteilt. Am 28. Februar 1934 verpflichtete sich Dr. Radauer h.a. schriftlich, sich jeder politischen Betätigung zu enthalten, das Stadtgebiet nur mit behördlicher Bewilligung zu verlassen und sich täglich beim Amte zu melden. Am 23. März 1934 flüchtete der Genannte jedoch nach Deutschland, weshalb er mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 30.3.1934, Zl. 612/5, rechtskräftig ausgebürgert wurde. (…) Deutsche Gesandtschaft Wien, 18. April 1937. Zahl  : A.2465, An das Österreichische Bundeskanzleramt, Auswärtige Angelegenheiten, in Wien. Die Deutsche Gesandtschaft beehrt sich dem Bundeskanzleramt, Auswärtige Angelegenheiten, unter Bezugnahme auf dessen Verbalnote vom 31. August 1936, Zl. 194.395-15, ergebenst mitzuteilen, dass der deutsche Staatsangehörige Dr. med. Rudolf Radauer, in Oberwiesnthal im Erzgebirge, Vierenstraße 182e wohnhaft, den Wunsch ausgesprochen hat, im Mai d. J. für 4 Wochen im Unfallkrankenhaus in Wien bei Prof. Böhler zu volontieren, um seine Kenntnisse in der Behandlung von

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Knochenbrüchen zu vertiefen. Die Deutsche Gesandtschaft beehrt sich ergebenst anzufragen, ob der Genannte nach Österreich einreisen kann, ohne Gefahr zu laufen, verhaftet zu werden und ob gegen seinen Aufenthalt in Wien zu der angegebenen Zeit Bedenken bestehen. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 2. Juni 1937. Zahl  : G.D. 336.050-St.B./37 (Vorzahl  : 327.397-St.B./37). Gegenstand  : Radauer Rudolf, Dr. med., Verhaftung. Amtsnotiz. Wie Ministerialsekretär Dr. Nagy mittelt, wurde Dr. Rudolf Radauer am 2. ds. verhaftet. Im Hinblick auf die aufrechte Kurrende wird der Genannte dem Landesgerichte eingeliefert werden. p.d. (…) Dr. Rudolf Radauer wird sohin abgeschafft und nach Rechtskraft des Abschaffungserkenntnisses durch einen Kriminalbeamten über die österreichische Grenze geschafft werden. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) 18. Juni 1935. Geschäftszahl  : 339.133-G.D./St.B./35 (Vorzahl  : 327.301-St.B./35  ; Nachzahlen  : 327.663-St.B./37). Gegenstand  : Mayer Marie, politischer Häftling  ; gewaltsame Befreiung aus dem Bezirksgericht in Hallein. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 19. April 1935. Zl. 3593/4. An das Bundeskanzleramt G.D./St.B. in Wien. Wie bereits fernmündlich berichtet, wurde der Häftling Marie Mayr, Verkäuferin, 18.3.1912 in Hallein geb. u. zust., die eine wegen nationalsozialistischer Betätigung von der Bezirkshauptmannschaft Hallein mit Straferkenntnis vom 3.4.1935 verhängte dreimonatige Arreststrafe verbüßte, aus dem Gefangenenhaus des Bezirksgerichtes Hallein am 14.4.1935, ca. 19 Uhr 45’, durch zwei Unbekannte befreit und konnte bisher nicht wieder ausgeforscht werden.

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Die Genannte war mit zwei Zellengenossinnen in einem für weibliche Häftlinge errichteten, außerhalb des eigentlichen Gefangenenhauses gelegenen, Notarrest untergebracht. Der zur Unterstützung des Gefängnismeisters Johann Wille zugeteilte Schutzkorpsmann Friedrich Eberharter hatte zuletzt um 17 Uhr die Zelle anlässlich der Abendessenausgabe betreten und befand sich zur Zeit des Vorfalles im Gefangenenhaus, als er aus dem Frauenarrest Hilferufe vernahm und sofort unter Mitnahme von drei männlichen Häftlingen dahin eilte. Der Gefängnismeister Wille befand sich nicht im Hause. Die zwei Vorhangschlösser der Zellentüre lagen am Fußboden und waren offenbar abgezwickt worden. Laut Mitteilung der Zellengenossinnen der Marie Mayr war kurz vorher die Zellentüre gewaltsam geöffnet worden, worauf zwei vermummte Männer die Zelle betraten und der Häftling Marie Mayer von einem derselben aufgefordert wurde mitzugehen. Aus dem Ausrufe der Mayer »Jessas, der Theo« zu schließen muss ihr derselbe bekannt gewesen sein. Sie habe auch sofort ihre Habseligkeiten zusammengepackt und mit den Männern den Raum verlassen. Einen Versuch der einen Zellengenossin, um Hilfe zu rufen, soll der mit Theo angesprochene Eindringling mit gehobener Pistole mit der Drohung unterdrückt haben, sofort zu schießen. Die sogleich vorgenommene Durchsuchung des Gebäudes hatte ebenso wie die nach sofortiger Alarmierung des Gendarmeriepostens Hallein erfolgte Nachforschung nach den Flüchtigen kein Ergebnis. Der eine, von der Marie Mayr als Theo angesprochene Eindringling dürfte mit dem reichsdeutschen Hilfszöllner SS-Mann Theo Steffen des Deutschen Zollamtes in Zilli bei Hallein ident sein, der ein bekannter radikaler Nationalsozialist ist und laut aufgefangener Korrespondenz mit der Marie Mayr bekannt war. (…) Mitzl (Marie) Mayr Bad Furth bei Deisenhofen bei München Münchnerstr. Nr. 30 Furth, 27.4.193720 An das Österr. Bundeskanzleramt, Wien. Ich ersuche Sie, mir zu bewilligen, zu Pfingsten einige Tage straffrei bei meinen Eltern in Hallein bei Salzburg zu verbringen. Ich habe vor, mich in Kürze zu verehelichen und möchte unbedingt bevor noch heim, um Verschiedenes zu erledigen. 20 Bei diesem Schreiben handelte es sich offensichtlich bereits um ein zweites. Das erste Ansuchen erfolgte im Oktober oder November 1936, da vom Bundeskanzleramt am 1. Dezember 1936 entsprechende Erhebungen der Salzburger Sicherheitsbehörden angeordnet wurden.

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Gleichzeitig bitte ich Sie um Auskunft, ob es auf Richtigkeit beruht, dass man Heiratsgut zollfrei über die Grenze bringen kann. Zu Ihrer Aufklärung möchte ich hinzufügen, dass ich mit 15. April 1935 ins Reich geflüchtet bin und in Österreich noch 10 Wochen Kerker zu verbüßen hätte. Bericht des Sicherheitsdirektors für Salzburg vom 16. Dezember 1936 (Zahl Res. Nr. 322/5 u. 6.), basierend auf einem Bericht der Bezirkshauptmannschaft Hallein und des Gendarmeriepostenkommandos Hallein vom 5. Dezember 1936 (E.Nr. 202/res.). Zum Auftrag (…), betreffend Erhebung wegen straffreier Rückkehr österreichischer Emigranten, wird angezeigt wie folgt  : Maria Mayr, Verkäuferin in Hallein Nr. 71, am 18. März 1912 in Hallein geboren und zuständig gewesen, ist nach ihrer am 14. April 1935 um 19 Uhr 45 abends erfolgten gewaltsamen Befreiung aus dem Arreste des Bezirksgerichtes in Hallein geflüchtet und wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Hallein vom 26. April 1936, Zahl 3795/1-151, rechtskräftig ausgebürgert. Die Mayr hat folgende politische Vorstrafen erlitten, und zwar  : 1) Bezirkshauptmannschaft Hallein, Zl. 8345/1 vom 21. Oktober 1934 wegen Versuchs, die Grenze unbefugt zu überschreiten, wo sie eine Zusammenkunft mit dem reichsdeutschen Hilfszöllner Theo Steffen beabsichtigte, mit 7 Wochen Arrest. 2) Bezirkshauptmannschaft Hallein, Zl. 3164/1 vom 2. April 1935 wegen Besitzes von nationalsozialistischen Lichtbildern und Betätigung für die NSDAP mit 3 Monaten Arrest. Die gewaltsame Befreiung erfolgte während der Verbüßung der unter 2 angeführten Strafe. (…) In den nächsten Tagen nach der Flucht kam die Mayr mit ihren in der Legion dienenden Brüdern Anton und Matthias Mayr und anderen Legionären sowie Steffen knapp an die österreichische Grenze heran und provozierte die österreichischen Grenzschutzorgane in höhnischer Weise. Anton Mayr, Käser, am 21. März 1913 in Hallein geboren und zuständig gewesen, ist im Juli 1933, und sein Bruder Matthias Mayr, Elektriker, am 27. März 1914 in Hallein geboren und zuständig gewesen, am 1. Juli 1934 geflüchtet, beide sind ausgebürgert, wegen Hochverrates verfolgt und letzterer überdies noch wegen öffentlicher Gewalttätigkeit. Sie dienten in der Legion. Matthias ist seit einem Jahr zum reichsdeutschen Heere eingerückt, während Anton noch im Herbst 1936 bei der SS im Dienst stand. Marie Mayr war dann später im Bürofach beschäftigt, doch konnte nicht erfahren werden, ob es sich um eine Partei- oder Privatstelle handelte. Sie hat auch schon früher immer im Verdachte gestanden, dass sie sich für Verbindungsdienste verwenden lässt, wenn sie auch nicht überwiesen werden konnte. Es ist auch derzeit wieder mit unzweifelhafter Sicherheit anzunehmen, dass sie sich kaum im vaterländischen Sinn

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umgestellt hat, sondern es ist vielmehr zu erwarten, dass sie auch weiterhin ihrem Gesinnungstriebe Folge leisten wird. (..) Bei objektiver Beurteilung kann sie einerseits mit Rücksicht auf ihre gröblichen Verletzungen und andererseits wegen ihrer Einstellung überhaupt einer Unterstützung nicht empfohlen werden. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien 8. Mai 1937. Geschäftszahl  : G.D. 327.663-St.B./37 Gegenstand  : Mayr Marie  ; Gesuch um unbeanstandete Einreise. Im Hinblick auf die radikale Einstellung der Gesuchstellerin und ihr früheres Verhalten kommt eine unbeanstandete Einreise nicht in Frage. Die Abt. 15 Rs. Wäre im Einsichtswege zu ersuchen, Marie Mayr im Wege der österreichischen Vertretungsbehörden hiervon in Kenntnis zu setzen. Georg Hutter Schrempfbauer Niedernsill, 4. November 1936.21 Sehr geehrter Herr Landeshauptmann  ! Es ist Ihnen sicher schon bekannt, dass man vor 14 Tagen in Niedernsill meinen Bruder Laurenz sowie 2 Bauern und 3 Arbeiter verhaftete und sie ins Landesgericht nach Salzburg überstellte. Die Anklage lautet scheinbar auf Geheimbündelei und fürchte ich, dass die Leute mit bedeutenden Strafen zu rechnen haben. Soviel ich weiß, haben die Leute vor der Wahl der Ortsbauernbünde eine Flugschrift »Der österreichische Beobachter« verbreitet und gehörten mein Bruder und noch einige der sogenannten Befriedungsaktion an. Sämtliche Eingesperrten sind Krieger, die jahrelang im Felde standen und zum Teil als schwer Kriegsinvalide in die Heimat zurückkamen. Besonders mein Bruder Lorenz und Johann Buchner Bacherbauer sind ausgesprochene Krüppel und habe ich die volle Überzeugung, dass bestimmt keiner die Absicht hatte, gegen die Regierung oder das Vaterland aufzutreten. Ich möchte Sie daher heute, wie schon so oft, bitten, für die armen Menschen beim Sicherheitsdirektor ein gutes Wort einzulegen, damit die Strafen nicht allzu hart ausfallen. Ein Bauer ist dabei, dem im Sommer sein Weib bei der Geburt eines Kindes gestorben ist, er hat heute noch 5 kleine Kinder daheim und niemand, der ihm die Wirtschaft führt. 21 SAL Rehrl Briefe 1937/0997.

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Lassen Sie mich für die Armen nicht umsonst bitten. Oberregierungsrat Dr. Fritz Hoch Salzburg, 10. November 1936. An Herrn Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg, Gendarmerieoberst Ludwig Bechinie, Churfürststraße 1, Salzburg. Sehr geehrter Herr Sicherheitsdirektor  ! Ich gestatte mir, Ihnen gegen seinerzeitigen gefälligen Rückschluss ein Schreiben zur Kenntnisnahme zu übersenden, das der Herr Landeshauptmann in Angelegenheit der Verhaftung des Lorenz Hutter in Niedernsill und Genossen erhalten hat und bitte Sie, sehr geehrter Herr Sicherheitsdirektor, um gefällige eingehende Mitteilung über den Sachverhalt, damit ich dem Herrn Landeshauptmann über die Angelegenheit berichten kann. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 13. November 1936. Sehr geehrter Herr Oberregierungsrat  ! Zu Ihrem Brief vom 10. November beehre ich mich Nachstehendes mitzuteilen  : Im Gasthaus des Lorenz Hutter in Niedernsill fand sich anfangs Oktober eine Gruppe nationalsozialistischer Parteigänger ein und gründete – wie aus den Erhebungen der Gendarmerie und der teilweisen Geständnisse der Beschuldigten hervorgeht – eine neue Ortsgruppe der NSDAP, wobei Lorenz Hutter zum Obmann dieser illegalen Organisation bestimmt wurde. Die Schuldtragenden Alois Schönemann, Schlossgehilfe aus Niedernsill, Franz Höttl, Sägearbeiter, Josef Faistauer, Gastwirt aus Zell am See, Alois Buchner, Bauer und Lorenz Hutter aus Niedernsill, später auch Alexander Gföllner aus Uttendorf, wurden verhaftet und dem Gerichte eingeliefert. Lorenz Hutter hat auch die illegale Zeitschrift »Der österreichische Beobachter«, vor der er, wie er zugestand, im Monat Oktober 5 mal je 15 Exemplare von Gföllner erhielt, weiter verbreitet. Da sich die ganze Angelegenheit derzeit im Stadium der gerichtlichen Untersuchung befindet, ist sie der Ingerenz des Herrn Sicherheitsdirektors entzogen  ; das übermittelte Gesuch erlaube ich mir zugleich nach Kenntnisnahme rückzuschließen. (…)

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Georg Hutter Schrempfbauer Niedernsill, 21. Dezember 1936. Sehr geschätzter Herr Landeshauptmann  ! Am Samstag abends ist mein Bruder Lorenz vom Landesgericht in Salzburg zu den Seinen heimgekommen. Ich danke Ihnen im Namen meines Bruders, der derzeit krank im Bett liegt, sowie im Namen seiner Frau und ganz besonders in meinem Namen für Ihre entscheidende Mithilfe bei der Enthaftung dieses schwer kranken Menschen. Sie haben damit einer schwer geprüften Familie den Vater zurückgegeben und meinen Bruder vom sicheren Sterben befreit, Ich bitte versichert zu sein, dass ich nicht gewagt hätte um Ihre Fürsprache anzuhalten, wenn ich nicht die Gewissheit hätte, dass mein Bruder sowie auch die anderen 5 verurteilten Niedernsiller nur ein grausames Geschick in den Kerker brachte. Wie Ihnen ja bekannt, war es Faistauer, der hier war und die Gründung einer NSDAP verlangte, da ja die Zeit deren Erlaubnis in allernächster Zeit eintreffen werde. Alle 6 Niedernsiller haben ausschließlich betont, dass für sie diese Partei erst in Frage komme, wenn sie erlaubt sei. Nur ein unglücklicher Zufall brachte den Richter zu der Ansicht, dass eine solche Partei gegründet worden sei, weshalb auch die Strafen dementsprechend ausfielen. (…) Georg Hutter Schrempfbauer Niedernsill, 5. April 1937. Sehr geschätzter Herr Landeshauptmann  ! Ich danke Ihnen ganz besonders für Ihre freundliche Mitteilung betreffend die Herabsetzung der Freiheitsstrafe meines Bruders Lorenz von 15 auf 12 Monate. Die hiesige Gemeinde sowie die Vaterländische Front und der Ortsbauernrat haben nun an den Herrn Bundespräsidenten für meinen Bruder und Franz Höttl, der ebenfalls 12 Monate Kerker hat, durch Herrn Dr. Margreiter ein Gnadengesuch eingereicht. Vor etlichen Tagen sagte mir Herr Dr. Margreiter, dass er Sie um Ihre Unterstützung bitten werde. So erlaube ich mir auch Sie, sehr verehrter Herr Landeshauptmann, zu bitten, Ihre Fürsprache nicht zu versagen. (…)

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Nicht datierte (wahrscheinlich Anfang April 1937) Aktennotiz der Präsidialabteilung nach einer Besprechung mit Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl. Bitte Herrn Staatsanwalt Dr. Rechfeld22 zu fragen, ob und inwieweit der Bitte Rechnung getragen werden kann. Schriftliche Anmerkung der Präsidialabteilung des Amtes der Salzburger Landesregierung Salzburg, 12. April 1937. Das Urteil gegen Hutter und Höttl wurde vom Obersten Gerichtshof geprüft und die beiden im Sinne der Anklage für schuldig befunden. Lediglich das Ausmaß der Strafe wurde bei Hutter von 15 Monaten auf 12 Monate herabgesetzt. Es wäre irrtümlich zu glauben, dass Hutter irgendeine untergeordnete Rolle in Unkenntnis der Dinge gespielt habe. Hutter musste sich der Tragweite seiner Handlung voll und ganz bewusst sein. Wohl wurde bei Hutter der Strafvollzug gehemmt, da Hutter in der Haft erkrankte. Nach Genesung muss Hutter unbedingt sofort die Strafe antreten. Es bliebe nur noch die Frage offen, ob ein öffentlicher Funktionär ein Gnadengesuch eines Menschen, der sich mit vollem Bewusstsein und in oppositioneller Absicht gegen den Staat vergangen hat, überhaupt befürworten kann. Im Übrigen dürfte ein Gnadengesuch an den Herrn Bundespräsidenten kaum einen Erfolg haben, nachdem der Oberste Gerichtshof das Urteil sowohl in der Frage der Schuld als auch in der Frage der Strafe bestätigt hat. Nach Ansicht des Herrn Staatsrates Dr. Rechfeld kann dieser Bitte des Jörg Hutter um Befürwortung des Gnadengesuches für seinen Bruder nicht Rechnung getragen werden.

22 Albert Rechfeld (1886-  ?) promovierte nach dem Studium der Rechtswissenschaften 1911 zum Dr. iur. und schlug die Richterlaufbahn ein, die durch den Kriegsdienst 1914–1918 unterbrochen wurde. 1919 wurde er Untersuchungsrichter in Ried im Innkreis, 1921 Staatsanwalt-Stellvertreter und 1923 Staatsanwalt am Landesgericht Salzburg. Seit 1933 war er Mitglied der Vaterländischen Front und wurde 1934 Chef der Staatsanwaltschaft Salzburg, 1936 leitender erster Staatsanwalt. 1934 bis 1938 gehörte er dem Staatsrat an und war Schriftführer des Rechtsausschusses. Im März 1938 wurde er verhaftet und in das KZ Dachau gebracht. Vgl. Enderle-Burcel  : Christlich-Ständisch-Autoritär. Mandatare im Ständestaat 1934–1938. S. 192f.

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Georg Hutter Schrempfbauer Niedernsill, 19. April 1937. Sehr geschätzter Herr Landeshauptmann  ! Wie ich von Herrn Dr. Margreiter erfahre, war Herr Bundeswirtschaftsrat Hasenauer23 mit einem Gnadengesuch für meinen Bruder Lorenz sowie Franz Höttl und Sepp Faistauer beim Herrn Bundespräsidenten und hat persönlich gebeten, die 3 Leute begnadigen zu wollen. Hasenauer sagt, dass ihm der Herr Bundespräsident die Begnadigung zugesagt hat, wenn Sie von der obersten Staatsanwaltschaft in Salzburg befürwortet werde. Das Gnadengesuch liegt daher jetzt beim Herrn Staatsrat Dr. Rechfeld in Salzburg und komme ich heute mit der großen Bitte zu Ihnen, mit Herrn Staatsrat zu reden, dass er das Begnadigungsansuchen, das ja auch von der hiesigen Gemeinde sowie von der Vaterländischen Front befürwortet wurde, auch befürworten möge. Ich bin ganz überzeugt, dass das Schicksal dieser 3 Menschen lediglich von der Einstellung des Herrn Staatsrates abhängt und bitte ich Sie in meinem Namen sowie im Namen der Gemeinde als Bürgermeister-Stellvertreter, Ihren Einfluss beim Herrn Dr. Rechfeld zugunsten der armen Verurteilten geltend zu machen. Ich bitte, sind Sie nicht ungehalten, wenn ich heute schon wieder zu Ihnen komme, aber ich weiß, dass nur Sie es sein können, dem die 3 Verurteilten ihre Freiheit verdanken werden. (…) Lorenz Hutter Niedernsill, 26. September 1937. Hoch verehrter Herr Landeshauptmann  ! Da nun meine Strafe im Gnadenwege nachgelassen, drängt es mich nochmals, Ihnen in meinem sowie im Namen meiner Familie für Ihre hochherzigen Bemühungen in dieser Angelegenheit den herzlichsten Dank auszusprechen. 23 Bartholomäus Hasenauer (1882–1980) war nach dem Besuch der Volks- und Landwirtschaftsschule am elterlichen Hof (Stoffenbauer) in Maishofen tätig. Seit 1917 im Gemeinderat, war er 1919 bis 1931 Bürgermeister von Maishofen, 1931 bis 1934 Abgeordneter der Christlichsozialen Partei zum Nationalrat, ab 1933 Obmann des Reichsbauernbundes und 1934 bis 1938 Mitglied des Bundeswirtschaftsrates. 1934 fungierte er für wenige Monate als Staatsekretär für Land- und Forstwirtschaft in der Regierung Dollfuß. 1938 verlor er alle politischen Funktionen und wurde in der NS-Ära mehrmals verhaftet. 1945 bis 1963 gehörte er als Landesrat und Landeshauptmann-Stellvertreter der Salzburger Landesregierung an, war 1945 bis 1963 Obmann des Salzburger Bauernbundes und 1945–1946 Landesparteiobmann der Salzburger ÖVP. Vgl. Franz Schausberger  : Vom Stoffenbauern zum Staatssekretär. Zum politischen Werdegang Barthmä Hasenauers bis 1938. – In  : Salzburg. Geschichte & Politik 3/1993. S. 127–173.

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 3. Mai 1937. Zl. 2551/4. Betr.: Flucher Johann, Besitz Nationalsozialistischer Schulungsbriefe. An das Bundeskanzleramt G.D. St.B. in Wien. Anlässlich einer in der Wohnung des Ing. Johann Flucher in Saalfelden wegen des Verdachtes nationalsozialistischer Umtriebe vorgenommenen Durchsuchung wurden zwei Exemplare des abschriftlich beigefügten Schulungsbriefes (…) gefunden. (…) SCHULUNGSBRIEF Was hat Österreich von den Habsburger zu erwarten  : 1. Eine unbeschränkte Vorherrschaft der Kirche, getragen von Jesuiten als Beichtvater und Ratgeber und von politisierenden Kardinälen (Muster Innitzer) und einer entsprechenden Priesterschaft. Folgen  : Weitgehendes Verschachern des Staates an die Kirche, Verschärfung des Konkordates, Konfessionsschule mit geistlicher Schulaufsicht und Kirchenzwang, weitere Verkirchlichung der Jugend, Klerikalisierung der Staatsämter und des öffentlichen Lebens. Endziel  : Volksverdummung und absolute Hörigkeit von Rom. 2. Eine wirtschaftliche Vormacht des Judentums, das durch den Halbjuden Baron Wiesner die Rückkehr der Habsburger finanzieren will, um dafür »als Dank« dann Österreich vollständig in der Hand haben zu können. Folgen  : Schutz aller zugereisten Juden und Abwehr jeder antisemitischen Bewegung mit wachsender Verjudung, stärkerer Einfluss auf die Hochschulen, Ausbau der jüdischen Intelligenz, Durchdringung aller wichtigen wirtschaftlichen Stellungen. Endziel  : Österreich als jüdische Wirtschaftsposition in Mitteleuropa, Zusammenarbeit mit den Juden der anderen Donauländer, damit Blockierung des deutschen Wirtschaftsdranges nach dem Osten. 3. Eine politische Bevormundung durch den Adel, der mit der Rückkehr des Herrschers seine eroberte Stellung »legitim« ausbauen könnte. Folgen  : Vorrecht des Adels in allen wichtigen Fragen, Standesherrschaft, Patronatssystem (…), zunehmender sittlicher und moralischer Verfall des politischen Lebens durch dekadente, vollkommen verlotterte Adelsgeschlechter (…)

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5. Eine dauernde Verkettung an den Vertrag von St. Germain, denn die Habsburger müssten, um sich überhaupt vor den anderen Mächten halten zu können, feierlich erklären, dass sie sich voll und ganz an den Vertrag von St. Germain halten, also jede Revision aufgeben würden. Folgen  : Österreich würde dann auch völkerrechtlich die ihm genommenen Grenzgebiete (Südtirol, Tarvis, Marburg, Ödenburg usw.) aufgeben, das Sudetendeutschtum, Siebenbürgen, Banat usw. verraten und die politische Fronstellung gegen das Dritte Reich staatsrechtlich unterbauen. Endergebnis  : Österreich als politisches Zentrum aller Reichs- und Volksfeinde, Abriegelung des Deutschen Reiches von der Zusammenarbeit im Donauraum. (…) Warum arbeitet die Regierung Schuschnigg an einer Rückkehr der Habsburger  ? 1. Weil Schuschnigg als Jesuitenzögling in allem vollständig der Politik der Kirche folgt und daher ihre Bestrebung nach einer Rückkehr der Habsburger führt. 2. Weil Schuschnigg weiß, dass das heutige System keine Rechtsgrundlage und auch keinen Rückhalt im Volk besitzt und nur durch die Einsetzung eines »legitimen« Herrschers wieder, wie er glaubt, tatsächlich zur rechtmäßigen Herrschaft würde. 3. Weil Schuschnigg in einer Rückkehr der Habsburger die einzige Möglichkeit sieht, das jetzt herrschende klerikal-jüdische Regime (siehe Phönix) noch länger an der Macht zu halten. Darum heißt es auf der Hut sein  ! Wer für Habsburg ist, ist für die Fortdauer des heutigen Regimes, ist für die dauernde Versklavung an Kirche, Juden und Adel, ist für eine Politik, die von allen Feinden des Dritten Reiches gemeinsam betrieben wird. Nicht diese Österreicher werden unser armes, hungerndes, geknechtetes Land befreien, sondern der Österreicher Adolf Hitler, unserer Heimat größter Sohn, der aller Welt gezeigt hat, dass das deutsche Volk sein Recht und seine Freiheit gegen alle Feinde sich erkämpfen kann, wenn es einig ist, der sein staatsmännisches Werk krönen wird aus einem freien, deutschen Österreich.

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 20. Mai 1937. Geschäftszahl  : 330.360-G.D./St.B.37 (Nachzahlen  : 339.456/37). Gegenstand  : Kirsch Karl und Ruth  ;24 Betätigung für die NSDAP. Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 9. Mai 1937. Zl. 351/2-res-37. Betr.: Karl und Ruth Kirsch, Betätigung für die NSDAP. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit – St.B. in Wien I., Herrengasse 7. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich, über den Kaufmann Karl Kirsch, 23.10.1886 Pilsen geboren, Salzburg zuständig, evang., verh., Salzburg, Müllner Hauptstraße 24 Die Familie Kirsch gehörte zu den Kristallisationspunkten der illegalen NSDAP in der Stadt Salzburg. Der Kaufmann Karl Kirsch betrieb ein Handelsgeschäft mit Leder und Fellen. Nach dessen Konkurs baute er ein Geschäft mit elektrischen Heizkörpern auf und engagierte sich politisch in der NSDAP. In der Salzburger SA stieg er zum Sturmführer auf. Seine 1919 geborene Tochter Ruth und sein 1924 geborener Sohn Erich wurden Mitglieder des BDM bzw. der HJ. Nach dem Verbot der NSDAP blieb die Familie Kirsch in der Partei weiter aktiv. In ihrer Wohnung in Mülln fanden zahlreiche Besprechungen der illegalen SA statt und nach dem gescheiterten Juliputsch halfen Karl und Erich Kirsch zahlreichen Nationalsozialisten aus ganz Österreich zur Flucht in das Deutsche Reich. 1936 bildete der erst 12-jährige Realschüler Erich Kirsch aus mehreren Jungen eine illegale NS-Jugendgruppe (Deutsches Jungvolk) und nahm 1936 mit dieser an einem HJ-Hochlandlager bei Bad Tölz teil. Beim »nationalen Fackelzug« am 21. Februar 1938 marschiert Erich Kirsch als Trommler in der ersten Reihe. Nach dem Anschluss wird Erich Kirsch HJ-Führer im Flachgau, meldet sich nach der Matura 1942 zu den Fallschirmjägern und gerät 1945 in britische Kriegsgefangenschaft, konnte jedoch aus der Internierung fliehen und schlug sich nach Salzburg durch, wo er im Betrieb seines Vaters arbeitete, ehe er 1946 das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Graz begann, das er 1949 mit der Promotion zum Dr. jur. abschloss. Seine weitere Karriere ist typisch für das bestehende Netzwerk der ehemaligen Nationalsozialisten. Albert Reitter arbeitete nach Kriegsende wieder als Rechtsanwalt und nahm Erich Kirsch als Konzipient in seine Kanzlei auf. Kirsch blieb bis 1962 in der Kanzlei Reitter und machte sich anschließend selbstständig. Als Rechtsanwalt wurde er als Verteidiger der Brüder Johann und Wilhelm Mauer, die 1966 wegen ihrer Beteiligung am »Blutsonntag von Stanislau« (Ermordung von rund 12.000 Menschen, vor allem Juden, durch die SS) in Salzburg vor Gericht standen, österreichweit bekannt, da die Brüder von den Geschworenen freigesprochen wurden. Vgl. Johannes Hofinger  : Nationalsozialismus in Salzburg. Opfer, Täter, Gegner. – Innsbruck/Wien/ Bozen 2016. S. 37–39.

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Nr. 14 wohnhaft, und dessen Tochter Ruth, 12.2.1919 in Salzburg geb. und zust., evang., ledig, Schülerin des Mädchen-Realgymnasiums 6. Klasse, nachstehenden Bericht in Vorlage zu bringen. Anlässlich der Verfassungsfeier am 1. Mai l. J. vormittags wurde der Kaufmann Karl Kirsch am Residenzplatze festgenommen, weil derselbe seinen Hut nicht vom Kopfe nahm, als »Zum Gebet« kommandiert und hierauf das unserem verewigten Bundeskanzler Dr. Dollfuß gewidmete Lied »Ich hatt’ einen Kameraden« gespielt wurde. Der Hut wurde Kirsch von einem Zuschauer abgenommen, doch hat derselbe seinen Hut wieder demonstrativ aufgesetzt, was Unwillen und Ärgernis unter den Zuschauern hervorrief. Bei der sofort vorgenommenen Leibesdurchsuchung wurde eine schwarz-weißrote Zigarettendose mit Hakenkreuz und ein Zettel mit Chiffren vorgefunden. Eine in seiner Wohnung vorgenommene Hausdurchsuchung förderte zahlreiches belastendes Material zutage, welches darauf hinweist, dass Kirsch sich intensiv illegal betätigt. Es wurden im Besitze des Karl Kirsch 6 Exemplare des »Österreichischen Beobachters«, 2. Aprilfolge, und anderes politisch verbotenes Schriftmaterial gefunden. Unter seinen persönlichen Aufzeichnungen befand sich auch eine Skizze der näheren Umgebung von St. Koloman bei Hallein mit der Überschrift  : »Zusammenkunft 2223«, über die Kirsch angibt, dass diese Skizze lediglich zur Orientierung für einen beabsichtigten Ausflug dienen sollte. Diese Angaben erscheinen keineswegs glaubwürdig, sondern dürfte es sich um einen geheimen Zusammenkunftsort für illegale Zwecke handeln und wurde diese Skizze dem zuständigen Gendarmerie-Postenkommando Kuchl zwecks Aufklärung und Erhebung übermittelt. Mit Zuschrift vom 5.5.1937, E. Nr. 743, teilte das Gendarmerie-Postenkommando Kuchl mit, dass es sich im gegenständigen Falle um einen Zusammenkunftsort für nationalsozialistische Zwecke im Raume des Gemeindegebietes St. Koloman, Bezirk Hallein, handelt. Wie in der fraglichen Skizze angedeutet erscheint, pflegen oder beabsichtigen zweifellos nationalsozialistische Parteigänger mit ihren Rädern nach Asten zu fahren (dies ist eine Häusergruppe, genannt Astendörfl), welches am Fuße zum Aufstieg nach Wegscheid, Gemeindegebiet St. Koloman, liegt, um von dort zu Fuß nach Wegscheid und weiter zur Wilhelmskapelle und bis Seewaldsee zu gehen. Dieses Seewaldsee liegt in einem größeren Waldgebiet, eignet sich vorzüglich für geheime Zusammenkünfte und befinden sich dort auch mehrere Almhütten, sodass eine Nächtigungsgelegenheit geboten ist. (…) Karl Kirsch steht hieramts als Nationalsozialist in Vormerkung, wurde bereits im Jahre 1934 mit Erkenntnis der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 9.9.1934, Zl. 8472/1, wegen regierungsfeindlicher Äußerungen mit 14 Tagen Arrest bestraft und auf Grund seines Verhaltens am 1. Mai 1937 mit Erkenntnis der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 8.5.1937, Zl. 351/1-res-37, zu 14 Tagen Arrest verurteilt.

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Gegen Karl Kirsch wurde die Anzeige an die Staatsanwaltschaft Salzburg wegen Verbrechens nach dem Staatsschutzgesetz und Geheimbündelei erstattet und Kirsch am 8. Mai 1937 dem landesgerichtlichen Gefangenenhaus eingeliefert.25 Im Besitze der Tochter Ruth Kirsch wurden anlässlich der Hausdurchsuchung Aufzeichnungen und Scharlieder nationalsozialistischen Inhaltes gefunden. Aus der sämtlichen Korrespondenz mit einer Freundin in Deutschland geht eindeutig hervor, dass sie sich in einer Gruppe weiblicher Hitlerjugend (Bund Deutscher Mädchen) illegal betätigt hat. Die Beschuldigte leugnet hartnäckig. Sie wurde wegen Betätigung für die NSDAP mit Erkenntnis der Bundespolizeidirektion vom 4.5.1937, Zl. 352, zu 14 Tagen Arrest verurteilt, doch wurde derselben mit Rücksicht auf die bisherige Unbescholtenheit für die restliche Strafe ein Strafaufschub gewährt. Die Direktion des MädchenRealgymnasiums wurde über den Sachverhalt in Kenntnis gesetzt. 2 Exemplare der vorerwähnten illegalen NSDAP-Aprilausgabe werden gleichzeitig vorgelegt. Österreichischer Beobachter Organ der NSDAP in Österreich 2. Aprilfolge

2. Jahrgang

Die Heimat grüßt den Führer  ! Heil unserem Führer  ! In der Nacht der Verfolgung entsteht uns ein Tag  ! Braunau am Inn – der 20. April 1889. Wiederum jährt sich der Geburtstag des Mannes, der als Schöpfer und Künder unserer Idee am Anfang der nationalsozialistischen Bewegung steht. Der heute des Reiches Kanzler und des ganzen deutschen Volkes Führer. Daher über alle Grenzen hinweg auch u n s e r Führer und leuchtendes Vorbild ist, Adolf Hitler. Ohne Gut und Geld, namenlos, inmitten einer Zeit des Zusammenbruches und der Verzweiflung trat er vor seine Volksgenossen. Totgeschwiegen, lächerlich gemacht, begeifert, verfolgt, in das Zuchthaus geworfen, aber unbeirrbar in seinem Glauben an die deutsche Zukunft und unermüdlich in seinem Kampfe um die Befreiung seines Volkes. So ging der unbeugsame Wille des e i n e n Mannes seinen Weg, der Kleingläubigen und Wankelmütigen u n m ö g l i c h erschienen hatte. Keine Stunde säumte 25 In einem ersten Verfahren vor dem Landesgericht Salzburg wurde Karl Kirsch im Juni 1937 von der Anklage der Weiterverbreitung des »Österreichischen Beobachters« mit der Begründung freigesprochen, dass ihm die absichtliche Weiterverbreitung nicht nachgewiesen werden konnte. In einem zweiten Verfahren wurde Kirsch wegen Verbrechens gegen das Staatsschutzgesetz (Unterstützung der NSDAP) angeklagt und am 22. Juni 1937 mit 4 Monaten Kerker bestraft.

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er, keine Clique, keine Kaste, keine Klasse stand vor seinen Sinnen  ; er kämpfte nur für eines, für sein ganzes deutsches Volk, von dem er kam, dessen Sorgen und Nöte er am eigenen Leib erlebt hatte und für das er keinen halben, sondern nur einen kompromisslosen ganzen Einsatz gab  ! Und alle diejenigen, die in ihren Herzen unbewusst schon das Gleiche gefühlt hatten, schlossen sich ihm an, zu einer auf Leben und Tod verschworenen Kampfund Schicksalsgemeinschaft. Seine Idee, dass N a t i o n a l i s m u s und S o z i a l i s m u s keine Gegensätze, sondern im tiefsten Sinne e i n s , nämlich Verpflichtung für die Gemeinschaft des Volkes seien, rief die besten und aktivistischsten Söhne der Nation in hingebender Begeisterung und fanatischem Kampfesmute unter die roten Fahnen des Hakenkreuzes. (…) »Und ihr habt doch gesiegt« leuchtet von den Mahnmalen an das Gewissen jedes einzelnen Volksgenossen. Dieser Wahlspruch leuchtet auch uns in Österreich, die wir den g l e i c h e n Glauben und die g l e i c h e Zuversicht in g l e i c h e m Blute tragen. Wir wissen, dass wir in der geheiligten Heimat unseres Führers auf hartem Posten stehen. (…) Zu Tausenden sind unsere Kameraden auch heute noch verurteilt, in den Kerkern des christlichen Ständestaates die besten Jahre ihres Lebens zu verfaulen. Wir wissen uns frei von jeder Schuld  ! Niemand hängt mehr an seiner deutschen Heimat als wir und nur deshalb, weil wir aus diesem Grunde nie dulden können, dass volksfremde, eigensüchtige Mächte und Verräter hier ihre Tyrannei g e g e n das ganze deutsche Volk in Österreich aufrichten, werden wir gequält und hat man in schändlichem Missbrauch des Namens Gottes des Allmächtigen uns zu »Hochverrätern« und »Staatsfeinden« erklärt. Für uns aber gibt es n u r e i n e R i c h t s c h n u r, die unverfälschte nationalsozialistische Idee, der felsenfeste Glaube und das beispielgebende Leben unseres Führers (…) Hitler Ihr seid viele tausend hinter mir Und ihr seid ich und ich bin ihr. Ich hab keinen Gedanken gelebt, Der nicht in eurem Herzen gebebt Und formte ich Worte, so weiß ich keins, Das nicht mit eurem Wollen eins. Denn ich bin ihr und ihr seid ich Und wir alle glauben, Deutschland an dich. (…)

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Salzburger Lotterwirtschaft Der Ruin der Festspielstadt – Reinhardt braucht neue Attraktionen. Das Gewerbe als Melkkuh. Seit dem 1. Juli 1935 sind die Vororte Salzburgs dem Gemeindeverband »GroßSalzburg« eingegliedert,26 ihre Einwohner haben die Ehre, nicht mehr Dörfer, 26 Die Eingemeindung von Maxglan und Gnigl in die Stadt Salzburg bildete ein zentrales Anliegen von Landeshauptmann Franz Rehrl. Um diesen Schritt möglichst konsensual zu gestalten, initiierte er eine öffentliche Diskussion in den beiden Vorstädten. Dabei wurde allerdings deutlich, dass vor allem bürgerliche Gruppierungen von der beabsichtigten Eingemeindung keineswegs begeistert waren. In Maxglan regte sich bei Vertretern des Gewerbes, der Hausbesitzer und der Landwirtschaft deutlicher Widerstand. Sogar die örtliche VF und der Heimatschutz votierten gegen eine überstürzte Behandlung der Materie, wie sie in einer Aussendung betonten. Der sich überraschend deutlich regende Widerstand führte zu einer Verschiebung des Beschlusses des Landtages, der den entsprechenden Beschluss im Juni 1935 mit Wirksamkeit 1. Juli 1935 fasste. Mit der Eingemeindung war auch die Verabschiedung eines neuen Stadtrechtes verbunden, das die Position des Bürgermeisters als Oberhaupt der Stadt deutlich stärkte – die Stadträte waren nur mehr Mitarbeiter des Bürgermeisters ohne unabhängigen Wirkungsbereich –, andererseits jedoch der Landesregierung durch das Recht der Amtsenthebung und der Auflösung des Gemeindetages eine dominante Stellung einräumte. Die 36 Mandate des Gemeindetages wurden, entsprechend der Maiverfassung 1934, von den Berufsständen nominiert. Die Aufteilung ergab folgendes Bild  : Berufsgruppen

Mandate

Land- und Forstwirtschaft

1

Kunst und Wissenschaft

1

Elternschaft

1

Schulen

1

Katholische Kirche

2

Evangelische Kirche

1

Freie Berufe

2

Geld-, Kredit- und Versicherungswesen

2

Öffentlicher Dienst

6

Handel und Verkehr

7

Gewerbe

7

Industrie

5

Zwischen Selbstständigen und Unselbstständigen herrschte Parität. Rudolf G. Ardelt hat zurecht darauf hingewiesen, dass das neue Stadtrecht das Öffentlichkeitsprinzip massiv einschränkte und die Stadtregierung und -verwaltung sich auf keinerlei Legitimation durch eine Wahl berufen konnte. Selbst das ständische Prinzip wurde durch das autoritäre Prinzip einer Verwaltungsdiktatur überlagert.

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sondern »Bürger von Groß-Salzburg« zu sein und – was das Wichtigste ist – die ungeheuerlichen Schulden der Stadt Salzburg mitzahlen zu dürfen, die durch die vieljährige schwarze Lotterwirtschaft entstanden sind  ; die Schulden jener einzigartigen »Festspielstadt« zu zahlen, die bereits alle ihre Häuser, alle Schulen, das Schloss Hellbrunn, alle Grundstücke, das Museum usw. für Anleihen v e r p f ä n d e t hat, um alljährlich das Elend ihrer Bewohner durch einen internationalen (lies  : jüdischen  !) Festspielrummel zu übertünchen. Um den vaterländischen Verwaltungskünstlern, deren Budget zum größten Teil aus Schuldendienst besteht, die Fortführung ihrer Katastrophenwirtschaft zu ermöglichen, mussten neue Melkkühe gefunden werden. Die Befürchtungen der neuen »Groß-Salzburger« wurden im vollen Maß erfüllt. Sie müssen bis zum Weißbluten zahlen, viele Gebühren in e r h ö h t e m A u s m a ß e , dafür verfallen ihre Straßen, in vielen, schon dicht besiedelten Gebieten fehlt Kanalisation, Trinkwasser und Straßenbeleuchtung und die Gemeindemitglieder, die mit Beschwerden bestürmt werden, erklären jedermann achselzuckend, dass man da »leider nichts machen« könne. (…) Wie zum Hohn nimmt die Stadtgemeinde Salzburg neuerdings eine neue Anleihe von 75.000 Schilling auf, ebenso viel der Fremdenverkehrsförderungsverband und das Land Salzburg. Zu keinem anderen Zweck, als um das Festspielhaus – umzubauen und zu vergrößern. Damit also einmal im Jahr die schofle Judenmeute, die im August jedem anständigen Fremden den Aufenthalt in Salzburg verleidet, (…) eine neue Reinhardt-Attraktion vorgesetzt bekommt, sollen die Hausbesitzer, Gasthöfe, Hotels und Gewerbetreibenden die ohnedies vor dem Niederbruch stehen, eine neue Last aufgebürdet erhalten  ! Die dadurch unvermeidbaren Preissteigerungen, die zu den schon jetzt bestehenden hinzukommen, werden eine weitere empfindliche Schädigung des Salzburger Fremdenverkehrs zur Folge haben. (…) Au  ! Die Vaterländische Front Salzburg gab die Weisung aus, dass anlässlich der Osterfeiertage möglichst viele Mitglieder und Funktionäre nach Bayern fahren sollen, um sich dort mit dem angesteckten rotweißroten Bändchen recht demonstrativ mit »Heil Österreich« und »heil Schuschnigg« zu begrüßen.

Vgl. Rudolf G. Ardelt  : Die Ära des »Christlichen Ständestaates«. – In  : Heinz Dopsch (Hg.)  : Vom Stadtrecht zur Bürgerbeteiligung. Festschrift 700 Jahre Stadtrecht von Salzburg. – Salzburg 1987. S. 235–247. S. 246. Der »Österreichische Beobachter« wandte sich vor diesem Hintergrund vor allem von Gewerbe, Hausbesitz und Land- und Forstwirtschaft gegen die Eingemeindung an diese Gruppierungen.

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Offenbar sollte das eine furchtbare Rache für das Auftreten der reichsdeutschen Gäste darstellen, die ihre gewohnten Umgangsformen auch in Österreich des Quadragesimo anno nicht ablegen.27 Da die Vaterländische Front aber bekanntlich nicht einmal genug Leute hat, um im Inland eine Demonstration durchzuführen, haben wir uns lebhaft für den Ausgang dieses Rachefeldzuges interessiert. Die Auskunft war erwartungsgemäß. In Bayern hat kein Mensch etwas von dieser komischen Gastspielreise bemerkt. Kenner der Salzburger Vaterländischen Front äußern den Verdacht, dass sie entweder abgesagt wurde, oder dass sich die Teilnehmer beim Grenzübertritt »vorsichtshalber« ihrer Existenzklammern entledigten. Womit wieder mal eine vaterländische Gegendemonstration danebengegangen ist. Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 9. Mai 1937. Zl. 337/3-res-37. Betr.: Alfred Meisnitzer, Betätigung für die NSDAP. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit – St.B. in Wien. Am 19. April 1937 nachmittags wurde von einer Gendarmeriepatrouille des Postens Zell am See der Fleischhauergehilfe Karl Feigl, 6.9.1909 Zell am See geboren und zuständig und auch wohnhaft, dabei betreten, wie er mit noch 2 Burschen in einer Waldlichtung einen Holzstoß zusammentrug, der, wie die Burschen selbst angaben, für ein Feuer anlässlich des Geburtstages Adolf Hitlers bestimmt gewesen wäre. Im Verlaufe der Einvernahme gab Feigl zu, dass er von einem gewissen Engelbert Gassner hierzu den Auftrag erhalten habe. Auf das hin wurde der Hilfsarbeiter Engelbert Gassner, 17.8.1891 Zell am See geboren und zuständig, röm. kath., led., Zell am See, Schmittenstraße Nr. 11 wohnhaft, verhaftet, der sofort ein teilweises Geständnis beim Gendarmerieposten Zell am See ablegte, sodass es möglich war, den gesamten SA-Sturm von Zell am See (32 Mann), dessen Führer Gassner war, zu verhaften. Gassner wurde über Weisung des Herrn Sicherheitsdirektors am gleichen Tage dem Polizeigefangenenhause Salzburg überstellt. Gassner erweiterte sein Geständnis vor dem Herrn Sicherheitsdirektor und später bei der Polizeidirektion und gab an  : 27 Im Generalsekretariat der Vaterländischen Front langten zahlreiche Berichte aus Fremdenverkehrsorten ein, die auf das provokante und bewusst nationalsozialistische Auftreten deutscher Urlaubsgäste hinwiesen.

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Außer dem SA-Sturm in Zell am See (32 Mann) besteht ein Sturm in Taxenbach (54 Mann), in Mittersill im Oberpinzgau (64 Mann), in Maishofen (16 Mann) und in Saalfelden (ca. 30 Mann). An diese Stürme verteilte Gassner regelmäßig im Ganzen sieben Mal die illegale nationalsozialistische Zeitschrift »Der Österreichische Beobachter«, die ihm ein gewisser Meisnitzer aus Salzburg in Zell am See übergab. Auf Grund dieser Angaben konnte in Salzburg am 22. April l. J. um 2 Uhr früh der arbeitslose Radiotechniker Alfred Meisnitzer, 16.5.1913 Golling geboren und zuständig, evang., led., Salzburg, Grillparzerstr. Nr. 2 wohnhaft, verhaftet werden. Die gleichzeitig vorgenommene Hausdurchsuchung verlief jedoch ergebnislos. (…) Auch der Konditor Hugo Lauer aus Saalfelden, 26.1.1889 Miglitz, Bezirk Hohenstadt, CSR, geboren, nach Markt Werfen, Bezirk St. Johann i. Pg. zuständig, altkatholisch, verh., in Saalfelden, Lofererstraße Nr. 14 wohnhaft, der gleichfalls verhaftet wurde, da er nach den Angaben Gassners der Standartenführer war, gab an, als er das Passbild Meisnitzers sah, diesen zu kennen, doch habe sich derselbe ihm gegenüber mit dem Namen »Walter« vorgestellt. Nach wiederholten Einvernahmen legte Meisnitzer am 30. April 1937 für seine Person ein Geständnis ab, in welchem er seine illegale Tätigkeit als Kurier der Gauleitung zugab (…) Niederschrift aufgenommen bei der Bundespolizeidirektion Salzburg am 30. April 1937 mit Alfred Meisnitzer, welcher angibt  : Ich will für meine Person ein Geständnis machen, aber auch die Aussagen Gassners, soweit sie mich betreffen, richtigstellen. Vorerst möchte ich erwähnen, dass ich seit dem Jahre 1929 Mitglied der HJ war und im Jahre 1933, jedoch noch vor dem Verbote der NSDAP, zusammen mit einigen Kameraden ausgeschlossen wurde. Mitte Juni 1934 wurde ich als Geisel eingezogen und kam am 2. Juli 1934 in das Anhaltelager nach Wöllersdorf, wo ich bis glaublich Ende Oktober oder Anfang November 1934 verbleiben musste. Sowohl in der Zeit vor meiner Anhaltung als auch nachher hatte ich mich politisch illegal nicht betätigt, wurde aber wegen Verdacht der Betätigung Anfang des Jahres 1936 zwei Mal angehalten, ohne bestraft zu werden. Erst nach dem Abkommen vom 11. Juli 1936 trat ein Herr der damaligen Gauleitung an mich heran, mich für die NSDAP zu betätigen und leistete ich dieser Aufforderung auch Folge. Mir wurde die Funktion eines Kuriers zugeteilt und hatte ich jeweils die Weisungen der Gauleitung zu übermitteln. Den ersten Auftrag erhielt ich Ende Juli 1936,

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und zwar musste ich nach Saalfelden fahren und mit Lauer (Konditor) in Verbindung treten. Es wurde mir nicht bekanntgegeben, was für eine Funktion Lauer hat. Ich stellte mich dem Lauer als »Walter« (mein damaliger Deckname) vor und verwies mich Lauer an Engelbert Gassner in Zell am See. Meiner Meinung nach war Lauer nur Verbindungsmann zwischen Gauleitung und Gassner. Dass Gassner in Zell am See für die NSDAP tätig ist, erfuhr ich ebenfalls von der Gauleitung, doch wo ich Gassner treffen konnte, brachte ich erst von Lauer in Erfahrung. Die Weisungen der Gauleitung waren teils mündlich, teils schriftlich. (…) Die mündlichen Weisungen lauteten dahin, dass zwar Appelle abzuhalten sind, doch habe der militärische Charakter jedenfalls zu entfallen und sei der Zweck hauptsächlich Schulungszweck, um die Leute über die politische Lage orientieren zu können. Der erste Befehl, den ich überbrachte an Gassner, lautete dahingehend, dass das Exerzieren mit Gewehren, das Behalten und Weitergeben von Sprengmitteln und Waffen strengstens verboten werde und ein Nichtbefolgen dieses Befehls den Ausschluss nach sich ziehe. Über Ersuchen einiger Leute von Zell am See erklärte ich dieselben über den jeweiligen Stand der Verhandlungen auf, da ich sah, dass Gassner in dieser Sache mit den Leuten nicht recht viel ausrichten konnte. Bei diesen Zusammenkünften war jedoch Gassner immer anwesend und handelte es sich hier nur um Zell am See. Es ist richtig, dass ich Gassner wiederholt aufforderte, mit den Leuten Appelle abzuhalten und ich bestand deshalb auf den Weisungen der Gauleitung, die Appelle abzuhalten, damit die Leute über den jeweiligen Stand der Verhandlungen informiert sind und nicht irgendwelche Fehler machen, wodurch eventuell die Verhandlungen in Frage gekommen wären. Die Angaben Gassners, dass ich stets mit dem »Österreichischen Beobachter« nach Zell am See gekommen bin und jedes Mal ca. 250 bis 280 Stück ihm übergeben hätte, sind nicht richtig. Ich hatte wohl die diesbezügliche Verrechnung mit Gassner vorgenommen, aber die Zeitungen wurden überhaupt nicht von mir, sondern von verschiedenen anderen Personen überbracht. Wer diese Personen waren, weiß ich nicht, doch hatten sie bestimmt auch Decknamen. So viel mir bekannt ist, wurden nach Zell am See bzw. an Gassner jedes Mal ungefähr 400 Stück »Beobachter« geliefert, doch bekam ich, obwohl pro Stück 10 Groschen einzuheben gewesen wären, von Gassner immer nur ca. 20 bis 25 Schilling, denn es wurden auch einige Exemplare kostenlos abgegeben oder es wurden einzelne oder mehrere Exemplare beschlagnahmt (Hausdurchsuchungen). Es ist mir bekannt, dass Minister Glaise-Horstenau und Neustädter-Stürmer mit Leuten von der Gauleitung in Fühlung getreten sind und die Verbindung zwischen der Gauleitung und dem Bundeskanzler herstellten bzw. hier über die Stimmung der Bevölkerung (national eingestellte) sondierten und dem Bundeskanzler berichteten.

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Meiner Meinung nach sind die Herren der Salzburger Gauleitung in Wien bekannt, da sie ja mit Minister Glaise-Horstenau und Neustädter-Stürmer verhandelten bzw. in Fühlung standen. (…) Meine ganze Tätigkeit war darauf gerichtet, sich für die angebahnte Befriedung einzusetzen und auf jeden Fall Störungen von nationalsozialistischer Seite, die bewusst falsch informiert waren, zu vermeiden, damit die angebahnte Befriedungsaktion nicht dadurch unterbunden werde. (…) Landeshauptmannschaft Salzburg Salzburg, 22. April 1937. Zl. 1280/1-RVD.28 Bezirksgendarmeriekommando Salzburg am 20.4.1937. E. Nr. 815. Telefonischer Bericht des Postens Itzling (Revierinspektor Fiedler). Am 19.4.1937 ca. 20 Uhr wurde an der Berglehne des Kalvarienberges in Maria Plain ein Höhenfeuer von bis nun unbekannten Tätern angezündet, welches offenbar nationalsozialistische Parteigänger abgebrannt haben. Als Brennstoff wurde ein kleines Häufchen, scheinbar mit Petroleum gefeuchtete Sägespäne, verwendet. Das Feuer wurde bald nach Entdeckung mit Hilfe aufgebotener Hilfsorgane der Lösung zugeführt. E. Nr. 816. Telefonischer Bericht des Postens Gnigl (Revierinspektor Mühlbacher). Am 19.4.1937 um 20 Uhr 30’ brannte am Heuberge oberhalb des Huberbauern, Gemeinde Koppl, ein Hakenkreuz im Ausmaße von ca. 20 m in einer Mulde. Die einzelnen Flammen wurden durch eine aus Torfmull in zylindrischer Form gepresste Masse, die mit Petroleum und Benzin getränkt war, hervorgerufen. (…) Trotzdem die Beamten des Postens unmittelbar am Tatorte erschienen, konnten die brennenden Stöcke nicht gleich gelöscht werden. Um 20 Uhr 30’ brannte dann ein Hakenkreuz im Ausmaße von 17 m am Heuberg unterhalb des Barmleitnergutes nächst dem Waldrande. Auch hier waren die vorbeschriebenen Torfmullstöcke verwendet worden. Trotzdem im ersten Fall die Täter eifrig verfolgt wurden, konnten sie in dem nahen Wald und dem unübersichtlichen Gelände entkommen. (…) Auch am Nockstein hat um 20 Uhr 14’ ein Feuer, aber nicht in Hakenkreuzform, gebrannt.

28 SLA Präs. Akten 1937/34a/1280.

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Nr. 817. Am 19.4.1937 um ca. 21 Uhr wurde außerhalb Anthering ein Reisighaufen angebrannt, der vorher mit Petroleum übergossen worden war. Auf dem brennenden Haufen konnten eine 2 Liter Weinflasche, in welcher sich noch ein kleiner Rest Petroleum befand, weggenommen werden. Revierinspektor Mangelberger stand ungefähr 100 m abseits vom Reisighaufen auf Vorpass und konnte das Abbrennen nicht verhindern, er sah nur im Feuerschein einen Mann weglaufen. (…) Bundesministerium für Unterricht Wien, 29. Mai 1937. Zl. 17.593-II/7 (Präs. Zl. 59/Res./1937). Gegenstand  : Hitler-Jugend Salzburg, Weisung des Gebietsarztes des Gesundheitsdienstes der Hitler-Jugend über Ausbildung von Mitgliedern des Bundes Deutscher Mädel zu Hilfsschwestern in Krankenanstalten.29 An die Landeshauptmannschaft in Salzburg. Im Zuge einer von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg durchgeführten Aktion zur Aufdeckung der Hitler-Jugend im Lande Salzburg wurde unter anderem auch die in Abschrift mitfolgende Weisung des in der Gebietsführung der österreichischen Hitler-Jugend mit der Gesundheitsführung beauftragten Gebietsarztes vorgefunden. Im Hinblick auf die in dieser Weisung ausgesprochene Absicht, Mitglieder der HJ bzw. des BDM in Spitälern für den ärztlichen Hilfsdienst auszubilden, richtet das Bundesministerium für Unterricht an die Landeshauptmannschaft das Ersuchen, falls bei allfälligen dienstlichen Erhebungen in dieser Angelegenheit die Teilnahme von Schülern ha. unterstehenden Lehranstalten als Mitglieder der HJ bzw. des BDM an solchen Ausbildungskursen für »Feldscharen« bzw. »Hilfsschwestern« in Krankenanstalten festgestellt werden sollte, dem Bundesministerium für Unterricht darüber eine Mitteilung zukommen zu lassen. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Zl.: 315.156-G.D./St.B./1937. Der in der Gebietsführung der österreichischen HJ mit der Gesundheitsführung beauftragte Gebietsarzt gibt nachstehende grundsätzliche Mitteilungen. 29 SLA Präs. Akten 1937/34a/1076.

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Folgende Ausführungen sind die ersten Bestimmungen über die ärztliche Tätigkeit in der HJ und werden von jetzt an im Rahmen der fortschreitenden Organisation weiter ausgearbeitet. 1. Ausbildung von besonders geeigneten und befähigten Jungen zu »Feldscheren«, d. h. die Jungen müssen in der Lage sein, im Lager einem Lagerarzt ein vollwertiger Helfer zu sein bzw. eventuell ärztlichen Aufgaben auch allein nachzukommen. Für den BDM ergehen ähnliche Bestimmungen, ebenso für das Jungvolk. 2. Jeder HJ-Arzt bzw. -Ärztin ist verpflichtet, sich eines gründlichen Wissens in allen Zweigen der Rassenkunde und Sportmedizin anzueignen und dieses Wissen in Form von Kursen an HJ und BDM weiterzugeben. 3. Sozialmedizin bedeutet sämtliche ihm anvertrauten Jungen bzw. Mädel, wenn es notwendig ist, auch Bedeutung der Familie dieser Jungen. Aus diesen Gründen werden die Ärzte einen eigenen Dienst einrichten, der außer der häuslichen Behandlung auch eine eventuell notwendige Spitalsaufnahme sicherstellt. Für die Ausbildung des BDM kommt hinzu, dass seine Mitglieder unter Umständen zur Hilfeleistung in Form von Schwesterndienst herangezogen werden, woraus auch die Auswahl der Kursteilnehmer, aber auch auf die Form und Inhalt der Kurse Rücksicht zu nehmen ist. Es ist beabsichtigt, einen Teil der Kursteilnehmer als Hilfsschwestern in Krankenanstalten ausbilden zu lassen. (…) Da Reihenuntersuchungen in gegenwärtigen Zeiten nicht durchführbar sind, werden nur solche Jungens oder Mädels untersucht, die für den Dienst körperlich oder geistig nicht brauchbar erscheinen. Ist ein solcher Junge von dem zuständigen Arzt (nach eingehender Untersuchung am besten in einem Krankenhaus) für unbrauchbar erklärt worden, dann wird unter weitgehender Wahrung der ärztlichen Schweigepflicht der Ausschluss bei der Gebietsführung beantragt. Nach Abschluss der Kurse, die von den zuständigen Bannärzten zu organisieren sind, werden die Teilnehmer einer eingehenden Prüfung unterzogen. Es wird verlangt  : 1. Gute allgemeine Kenntnisse der Anatomie und der Körperfunktion. 2. Kenntnisse der wichtigsten Infektionskrankheiten und ihre Vorbeugemaßnahmen. 3. Erste Hilfe bei Unfällen, Verbandslehre, Hygiene, auch hygienische Maßnahmen bei der Errichtung von Lagern. 4. Grundbegriffe der Rassenlehre. 5. Der Junge und das Mädel müssen geeignet sein, ihr Wissen praktisch zu verwerten und weiterzugeben. (…)

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Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 26. Juni 1937. Zahl  : 484 res 1937. Betreff  : Illegale nationalsozialistische Organisation. Bund deutscher Mädchen in Salzburg. Aufdeckung. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St.B., zu Handen des Herrn Sektionsrates Krechler, Wien I., Herrengasse 7. Durch den Nachrichtendienst und durch Vertrauenspersonen erlangte die Bundespolizeidirektion schon vor längerer Zeit Kenntnis, dass sich im Mädchengymnasium in der Griesgasse eine Zelle der nationalsozialistischen Hitler-Jugend, Bund deutscher Mädchen, gebildet habe und dass diese Zelle immer weiter ausgebaut werde. Schon anfangs Mai schritt die Bundespolizeidirektion bei der vermutlichen Organisatorin dieser Gruppe, der Gymnasialschülerin Ruth Kirsch, am 12.2.1919 in Salzburg geb. und zust., ev., ledig, Salzburg, Müllner-Hauptstraße Nr. 14 wohnhaft, ein. Die vorgenommene Hausdurchsuchung ergab wohl einiges geringfügiges nationalsozialistisches Propagandamaterial, doch keinen wie immer gearteten Beweis für die Organisationstätigkeit der Schülerin Kirsch. Kirsch wurde wegen Besitzes von nationalsozialistischem Propagandamaterial mit 14 Tagen Arrest polizeilich bestraft und ihr über Weisung des Herrn Sicherheitsdirektors für das Bundesland Salzburg, da sie noch Jugendliche ist, ein unbefristeter Strafaufschub gewährt, doch strafweise aus der Schule entfernt. Sie selbst leugnete naturgemäß jede verbotene politische Tätigkeit und wollte das vorgefundene geringfügige Propagandamaterial von einem Unbekannten erhalten haben. In der Annahme, dass Ruth Kirsch tatsächlich im Bund deutscher Mädchen eine führende Stellung einnahm und auch organisatorisch tätig sei, wurde einerseits sie unter Beobachtung gestellt, andererseits bot die Bundespolizeidirektion verlässliche Vertrauenspersonen auf, um endlich in die nationalsozialistische Zelle am Mädchengymnasium Licht zu bringen. Am Sonntag, den 20.6., wurde die Bundespolizeidirektion von einer verlässlichen Vertrauensperson in Kenntnis gesetzt, dass die Gymnasialschülerin der 6. Gymnasialklasse, Hildegard Weiss, am 17.12.1920 in Ort im Innkreis, Bezirk Ried, Oberösterreich, geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Judengasse Nr. 11 wohnhaft, verschiedenes Propagandamaterial bei sich hätte und dieses in ihrer Wohnung eben ordne. Die Bundespolizeidirektion schritt sofort bei Weiss ein und konnte bei ihr nachstehendes Propagandamaterial vorgefunden werden  : (…)

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Außerdem wurde bei Weiss ein Abrechnungszettel mit verschiedenen Taufnamen vorgefunden und ging aus dem Abrechnungszettel hervor, dass regelmäßig je 70 Groschen von den auf dem Zettel verzeichneten Personen bezahlt wurden. Es bestand somit kein Zweifel mehr darüber, dass Weiss der illegalen Organisation des Bundes deutscher Mädchen angehörte und vermutlich auch in dieser Organisation eine führende Rolle innehatte. Weiss wurde verhaftet, leugnete jede illegale politische Tätigkeit und wollte glauben machen, dass sie im Dienste des deutschen Schulvereines tätig sei, Heimabende veranstalte und für den Grenzlanddienst sammle und werbe. Im Zuge der Erhebungen wurde nunmehr festgestellt, dass merkwürdigerweise gerade solche Schülerinnen mit Weiss in Verbindung standen, deren Eltern oder Brüder bereits wegen nationalsozialistischer Betätigung mit der Polizei in Konflikt geraten waren. Schließlich bequemte sich Weiss zu einem umfassenden Geständnis und gab an, dass die vorgenannte Ruth Kirsch Scharführerin des Bundes deutscher Mädchen sei und im Realgymnasium in Salzburg die Organisierung der illegalen nationalsozialistischen Organisation durchgeführt habe. Die Schar des Bundes deutscher Mädchen am Realgymnasium trage die Nummer II und gliedere sich in die Mädchenschaft 1 und Mädchenschaft 2. Jeder Mädelschaft gehören eine Anzahl von Mädchen an, welche allerdings nicht unbedingt Schülerinnen des Gymnasiums sein müssen. Mit der Führung der Mädelschaft 1 wurde Weiss betraut, während die Mädelschaft 2 unter Führung der Abiturientin Helma Dum, am 24.10.1919 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Maxglan, Josef Gruber-Gasse Nr. 2 wohnhaft, stand. Weiss gab weiters an, dass das bei ihr vorgefundene Propagandamaterial von Ruth Kirsch geliefert wurde und auch der Mitgliedsbeitrag von 70 Groschen von Kirsch bestimmt wurde und an sie abgeführt werden musste. Auf Grund des umfassenden Geständnisses der Weiss wurde Helma Dum verhaftet, welche ebenfalls nach längerem Leugnen ein Geständnis ablegte, welches auf gleiche Weise Kirsch belastete. Im Zuge der weiteren Erhebungen gelang es bis nun, nachstehende Mitglieder der Mädelschaft 1 bzw. der Mädelschaft 2 festzustellen  : Mädelschaft 1  : Hildegard Weiss, Schülerin der VI. Klasse Realgymnasium, (…) Tochter des Arztes Dr. Johann Weiss, Ort im Innkreis. Erna Seidl, Handelsschülerin, am 21.1.1921 in Weizenkirchen, Bezirk Eferding, geb., Linz zust., röm. kath., led., Bahnhofstraße Nr. 2 wohnhaft  ; (Tochter des Paul Seidl, Bundesbahnwerksmeister.) Gertrude Seidl, Handelsangestellte, am 14.6.1919 in Weizenkirchen, Bezirk Eferding, geb., Linz zust., röm. kath., led., Bahnhofstraße Nr. 2 wohnhaft  ; (Tochter des Paul Seidl, Bundesbahnwerksmeister.)

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Helmtrude Gelich, Büropraktikantin, am 20.11.1919 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Willibald Hauthaler-Straße Nr. 12 wohnhaft  ; (Tochter des Fachlehrers Eduard Gelich.) Gerda Aufschnaiter, Lehrmädchen, am 27.9.1922 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Rudolf Bibel-Straße wohnhaft  ; (Tochter des B.B. Adjunkten i.R. Franz Aufschnaiter.) Mitzi Roither, Hausgehilfin, 29.5.1919 in Salzburg geb. und zust., Scherzhauserfeldsiedlung G 8 wohnhaft  ; (Tochter des Dienstmannes Jakob Roither.) Grete Hruschka, am 3.5.1921 in Wien geb. und zust., röm. kath., led., Kaigasse Nr. 17 wohnhaft  ; (Tochter des Kanzleioffizials Alois Hruschka.) Mädelschaft 2  : Helma Dum, Abiturientin, 24.10.1919 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Maxglan, Josef Gruber-Gasse Nr. 2 wohnhaft  ; (Tochter der Fachlehrergattin Maria Dum.) Elisabeth Lang, Kassierin, 19.11.1921 in Karlsbad, CSR, geb., nach Haag im Hausruck, Oberösterreich, zust., röm. kath., led., Salzburg, Späthgasse Nr. 4 wohnhaft  ; (Tochter des Kaufmannes Ludwig Lang.) Michaela Neidl, Handelsschülerin, 15.7.1921 in Frankenmarkt geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Siebenstätterstraße Nr. 8 wohnhaft  ; (Tochter des Michael Neidl, Telegrafeninspektor i.R.) Trude Rinke, Lehrmädchen, 25.9.1920 in Klagenfurt geb., Salzburg zust., evang. A.B., led., Solaristraße Nr. 14 wohnhaft  ; (Tochter der Margarethe Rinke.) Anni Scheinecker,30 30.1.1922 in Traun, Oberösterreich, geb. und zust., Itzling, Hauptstraße 34a/I wohnhaft  ; (Tochter des Holzeinkäufers Rudolf Scheinecker.) Die Vorgenannten sind mehr oder minder geständig. Auf Grund der abgelegten Geständnisse wurde nunmehr Ruth Kirsch neuerdings verhaftet und bei ihr eine Hausdurchsuchung vorgenommen, welche allerdings nichts Bedenkliches zutage förderte. Kirsch versuchte wohl zuerst zu leugnen, sah sich dann aber auf Grund der bereits abgelegten Geständnisse und erdrückenden Beweise veranlasst, ein Geständnis über ihre organisatorische Tätigkeit abzulegen, verweigert aber bis nun die Nennung ihrer Auftraggeber und der Oberorganisation. Die Bundespolizeidirektion ist bemüht, auch nach oben hin die Organisation aufzurollen. Im Einvernehmen mit dem Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg hat die Bundespolizeidirektion über die Mädelschaftsführerinnen Hildegard Weiss und Helma Dum je eine vierwöchentliche Arreststrafe wegen illegaler Betätigung für die NSDAP verhängt, während die bloß zahlenden Mitglieder, die ansonst keine Funktion innehatten, mit je 8 Tagen Arrest polizeilich bestraft wurden. 30 Angaben zum Beruf fehlen.

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Gleichzeitig wurde über Weisung des Herrn Sicherheitsdirektors den Vorgenannten ein Strafaufschub gewährt und sie auf freien Fuß gesetzt und den Eltern übergeben. Das polizeiliche Strafverfahren über Ruth Kirsch ist noch nicht abgeschlossen und wird Kirsch weiterhin in Haft gehalten, da, wie vorher erwähnt, die Auftraggeber für Kirsch und die Zusammenhänge mit der Oberorganisation noch zu klären wären. Was Kirsch betrifft, wird mit einer dementsprechenden hohen Polizeistrafe, jedenfalls nicht unter 3 Monate, vorgegangen werden. Im weiteren Einvernehmen mit dem Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg und mit der Staatsanwaltschaft Salzburg werden sämtliche Vorgenannten dem Jugendgericht gemäß § 285 Str.G. und nach dem Staatsgrundgesetz angezeigt, jedoch bis auf Ruth Kirsch, die die Hauptschuldige ist, auf freiem Fuß belassen werden. (…) Die Bundespolizeidirektion beehrt sich noch zu bemerken, dass im Zuge der Amtshandlung noch festgestellt werden konnte, dass die Gymnasialschülerin Helga Müller, 3.11.1920 in Oberndorf a.d. Salzach geb. und zust., röm. kath., led., bei ihrem Vater, dem Rechtsanwalt Dr. Alfons Müller in Oberndorf wohnhaft, bis Juni 1936 Führerin der Mädelschaft 1 war und die Führung im Juni 1936 der eingangs erwähnten Weiss übergeben hat. Dass sich Müller auch noch in der letzten Zeit illegal betätigte, konnte nicht erwiesen werden und wurde sie daher auf freiem Fuß belassen. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 30. Juli 1937. Geschäftszahl  : 346.995-G.D./St.B.37 (Nachzahlen  : 348.850-St.B./37). Gegenstand  : Illegale NSDAP. Aufdeckung der SA-Formation Salzburg, Sturm 1/59. Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 18. Juli 1937. Zahl  : 528/36 res 1937. Betreff  : Illegale NSDAP. Aufdeckung Der SA-Formation Salzburg, Sturm 1/59. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St.B., zu Handen des Herrn Sektionsrates Dr. Hermann, Wien I., Herrengasse 7, Der Bundespolizeidirektion war wohl seit langem bekannt, dass die illegale Organisation der NSDAP in Salzburg ihre SA-Formation in der Stadt Salzburg reorganisiere und neu ausbaue.

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Die Bundespolizeidirektion ist aber aus folgenden Erwägungen nicht sogleich eingeschritten, weil die Erfahrung der letzten Jahre gelehrt hat, dass ein voller Erfolg nur dann erreicht werden kann, wenn es gelingt, genügend Beweismaterial in die Hände zu bekommen, sodass durch das Beweismaterial die Verhafteten gezwungen sind, mehr oder minder sich zu Geständnissen zu bequemen. Ein bloßes Einschreiten auf Grund vertraulicher Mitteilungen hat noch nie den gewünschten Erfolg gebracht, da sich die meisten Parteiangehörigen an die von der Partei herausgegebenen Vorschriften über das Verhalten bei polizeilichen Einvernahmen halten und jede Parteizugehörigkeit oder illegale Tätigkeit von vornherein ablehnen. Da die Vertrauenspersonen unter keinen Umständen preisgegeben werden dürfen, ist der Erfolg derartiger Amtshandlungen meistens in Frage gestellt. Aber auch aus einem zweiten Grund hat sich die Bundespolizeidirektion erst nach genauer Überprüfung der Sachlage entschlossen einzuschreiten, denn die Bundespolizeidirektion beabsichtigte, umso mehr als im Erlasse des Bundeskanzleramtes vom 22.5.1937, Zahl  : G.D. 331.717-St.B., ausgeführt war, dass die SA vor allem die Salzburger Festspiele zu stören beabsichtigte, unmittelbar vor Beginn der Salzburger Festspiele einen vernichtenden Schlag gegen die Salzburger SA-Formation zu führen in der sicheren Erwartung, dass durch die Zerstörung der wichtigsten Formation der illegalen NSDAP Unruhe und Unsicherheit in diese Partei gebracht wird und die Schlagkraft der illegalen NSDAP gerade für die Festspielzeit wesentlich geschwächt wird. Daher hat die Bundespolizeidirektion seit Monaten vorerst ihren ganzen Nachrichtendienst, ihre Vertrauensmänner und die Kriminalbeamten aufgeboten, um die vermeintlichen Mitglieder der SA zu überwachen und Beweise in die Hände zu bekommen. Dass diese Taktik die richtige war, beweist der Umstand, dass die Amtshandlung gegen die illegale SA-Formation der NSDAP, welche in den Morgenstunden des 14. Juli einsetzte, zum vollen Erfolg geführt hat. In den Morgenstunden des 14. Juli l. J. wurde von Seite der Staatspolizei, welche noch durch sämtliche Kriminalbeamte des Sicherheitsbüros und 20 Sicherheitswachebeamte in Zivil verstärkt war, bei sämtlichen bisher bekannt gewesenen Mitgliedern der SA überraschend eingeschritten, Hausdurchsuchungen vorgenommen und alle in Haft gesetzt. Es sei schon jetzt vorweggenommen, dass 99 Prozent der Verhafteten auf Grund der erdrückenden Beweise nach mehr oder minder längerem Leugnen ein umfassendes Geständnis ablegten und dass es gelungen ist, bei den Hausdurchsuchungen wichtiges Beweismaterial in die Hand zu bekommen, über welches in späterer Folge eingehend berichtet werden soll. Es konnte festgestellt werden, dass für die Stadt Salzburg der Sturm 1 aufgestellt ist mit der Bezeichnung 1/59. Dieser Sturm gliedert sich in 3 Trupps und jeder Trupp wieder in 3 Scharen.

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Es gelang, folgende Personen und Funktionäre der SA-Brigade 8, Standarte 59, Sturm 1, zu verhaften und zu überweisen  : Sturmbannführer  : Rudolf Abraham, Handelsangestellter, 2.9.1913 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Nonntaler Hauptstraße Nr. 46 wohnhaft. Adjutant und Verbindungsmann des Sturmbannführers  : Michael Gastberger, Handelsangestellter, 9.2.1909 in Mondsee geb. und zust., evang., led., Fürstenbrunnerstr. Nr. 6 wohnhaft. Sturmführer  : Karl Kirsch, Kaufmann, 23.10.1886 in Pilsen, CSR, geb., Salzburg zust., röm. kath., verh., Salzburg, Müllner Hauptstraße Nr. 14 wohnhaft, derzeit in Strafhaft beim Landesgerichte Salzburg. Sturmführer-Stellvertreter  : Josef Speckbacher, Handelsangestellter, 28.4.1905 in Henndorf-Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Linzergasse Nr. 25 wohnhaft. Auf diesen ist automatisch nach der Verhaftung Kirschs am 1.5.1937 die Führung des Sturmes übergegangen. Truppführer des Trupps 1 und Verwahrer der SA-Bibliothek  : Richard Weletzky, Taschnergehilfe, 26.4.1899 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., verh., Salzburg, Badergasse Nr. 4/IV wohnhaft. Johann Mayerhofer, Buchhalter, 20.11.1902 in Maxglan geb., Salzburg zust., evang., verh., Salzburg, Sylvester-Oberbergerstraße Nr. 13 wohnhaft. Rupert Werner, Handelsangestellter, 14.11.1911 in Amstetten geb., Wien zust., röm. kath., led., Linzergasse Nr. 25 wohnhaft. Scharführer des Trupps 1  : Heinrich Neubauer, Handelsangestellter, 13.12.1909 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Steingasse Nr. 35 wohnhaft. Josef Schmidt, Handelsangestellter, 7.4.1905 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Paracelsusstraße Nr. 7 wohnhaft. Albert Holzhacker, Dachdecker- und Spenglergehilfe, 30.1.1896 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., gesch., Salzburg, Willibald Hauthalerstraße Nr. 1 wohnhaft. SA-Männer der Schar 1  : Engelbert Wiesmayr, Zuckerbäcker, 26.11.1907 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Gstättengasse Nr. 4 wohnhaft. Erwin Schnellinger, Bäckergehilfe, 13.8.1904 in Ried, Oberösterreich, geb., Salzburg zust., röm. kath., led., Gstättengasse Nr. 4 wohnhaft. Johann Peternell, Handelsangestellter, 1.4.1886 in Pola geb., Salzburg zust., röm. kath., gesch., Salzburg, Dr. Franz Rehrl-Straße Nr. 12 wohnhaft. Josef Bradl, Handelsangestellter, 8.1.1918 in Wasserburg, Bayern, geb., Fieberbrunn zust., röm. kath., led., Neutorstraße Nr. 2 wohnhaft.

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Karl Watzek, Versicherungsbeamter, 18.9.1905 in Urfahr geb., Salzburg zust., röm. kath., verh., Salzburg, Dariostraße Nr. 4 wohnhaft. Georg Alphasamer, Kellner, 24.3.1895 in Kirchdorf, Oberösterreich, geb., Rossbach, Oberösterreich, zust., evang., led., Salzburg, Vogelweiderstraße Nr. 28 wohnhaft. Friedrich Neumayer. Handelsangestellter, 19.3.1915 Maishofen geb. und zust., Salzburg, Vogelweiderstraße Nr. 6 wohnhaft. SA-Männer der Schar 2  : Josef Frühwald, Schankbursche, 8.8.1904 in Eggendorf, Niederösterreich, geb., Höbenbach, Niederösterreich, zust., röm. kath., led., Linzergasse Nr. 3 wohnhaft. Josef Kammerer, Hoteldiener, 30.8.1905 in Neuhofen, Oberösterreich, geb., Mehrnbach, Oberösterreich, zust., röm. kath., led., Salzburg, Linzergasse Nr. 9 wohnhaft. Johann Sommerauer, Malergehilfe, 16.5.1908 in Gmünd, Niederösterreich, geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Schallmoser Hauptstraße Nr. 31 wohnhaft. August Luger, Schankbursche, 18.9.1901 in Hofkirchen geb. und zust., röm. kath., verh., Salzburg, Erzherzog Eugen-Straße Nr. 25 wohnhaft. Karl Müller, Chauffeur, 1.3.1908 in Innsbruck geb., Wien zust., röm. kath., led., Salzburg, Bayerhammerstraße Nr. 3/II wohnhaft. SA-Männer der Schar 3  : Eduard Schinagl, Hilfsarbeiter, 15.5.1886 in Friedburg geb., Salzburg zust., röm. kath., led., Gaswerkgasse Nr. 15 wohnhaft. Franz Köppel, Tischlermeister, 1.12.1887 in Pichling, Bezirk Voitsberg, geb., Salzburg zust., röm. kath., verh., Paris Lodron-Straße Nr. 15 wohnhaft. Benedikt Glöcklein, Tischlergehilfe, 21.3.1886 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., verh., Salzburg, Vogelweiderstraße Nr. 20 wohnhaft. Josef Ferschl, Tischlermeister, 25.12.1893 in Wien geb., Salzburg zust., evang., led., Vogelweiderstraße Nr. 161 wohnhaft. Erwin Karl, Privatbeamter, 21.6.1906 Freistadt, Oberösterreich, geb., Wien zust., konfl., led., Salzburg, Stelzhammerstraße Nr. 11 wohnhaft. Andreas Krach, Privatbeamter, 21.7.1907 in Itzling geb., Salzburg zust., evang., verh., Pfeiffergasse Nr. 8 wohnhaft. Johann Pichler, Handelsangestellter, 27.7. 1915 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Franz Neumeister-Straße Nr. 6 wohnhaft gewesen, er befindet sich seit 16.6.1937 in Reichenhall in Arbeit. Weiters wurde der Chauffeur Jakob Herma, 30.4.1905 in Bischofshofen geb., heimatlos, Salzburg, Glockengasse Nr. 10 wohnhaft, verhaftet, da dieser Gastlokalitäten des Gasthauses Torwirt in der Glockengasse Nr. 10, das seiner Lebensgefährtin (gehört), für SA-Appelle zur Verfügung stellte.

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Im Zuge der weiteren Erhebungen wurde noch der SA-Mann Viktor Zauner, Autovertreter, 17.9.1905 in Billitz, CSR, geb., Zell am See zust., röm. kath., led., Getreidegasse Nr. 45 wohnhaft, verhaftet, dessen Funktion in der SA bis nun nicht einwandfrei festgestellt werden konnte, doch scheint er die Funktion des Werbeleiters der SA innegehabt zu haben. (…) Die Bundespolizeidirektion beehrt sich nun im Folgenden im Einzelnen über interessantes Beweismaterial, welches vorgefunden wurde, zu berichten  : So wurde bei dem Truppführer Richard Weletzky nachstehendes Weisungsblatt der Führung der Brigade 8 der SA vom Juni vorgefunden  : We i s u n g s b l a t t (…) 2. Es ist Pflicht eines jeden SA-Führers, den Kritikern und Meckerern energisch entgegenzutreten. Zur Kritik ist nur derjenige berechtigt, der ein altbewährter Kämpfer, ein vorbildlicher SA-Mann ist und der beweisen kann, dass er die Sache besser macht. Damit er nun diesen Beweis erbringen kann, wird ihm der jeweilige SA-Führer Aufgaben zu stellen haben, und zwar wird er ihm einen Schulungsvortrag halten lassen (in diesem Falle) über Nationalsozialismus, Programmerläuterung, Kameradschaft, Treue, Ehre, Blut und Rasse, Verhalten eines SA-Mannes im und außer Dienst, Verhalten bei Aktionen, bei den Verhören im Falle eines Verhöres usw. (…) Es wird sich erweisen, dass bei diesen Aufgaben allein der Meckerer den Rückzug antreten wird. Sollten wir es aber mit einem Gewohnheits-Meckerer zu tun haben, so ist im Dienstwege bis zur Brigade Meldung zu erstatten, so wird dann der Mann beurlaubt oder aus der SA ausgeschlossen, denn wir rechnen nicht mit Quantität, sondern mit Qualität. Die Menge macht es nicht aus, sondern immer nur die festgefügte Masse und hier haben Kritiker und Meckerer nichts zu tun. (…) 5. Noch einmal »Notwehr«. Die Notwehrweisungen bleiben vollinhaltlich aufrecht, keine Provokation  ! Nur blankes Recht der Notwehr zur Funktion bringen, in diesem Fall aber rücksichtslos und fanatisch. (…) 8. Es wird gewarnt, Parteigenossen unvorbereitet ins Reich zu senden, sie kommen in den meisten Fällen zurück, wenn nicht eindeutige Berechtigung zum Abgang (etwa zu gewärtigende Freiheitsstrafe) gegeben ist. Erst nach Zusage kann die Fahrt angetreten werden. 9. Kameraden, Führer der SA, ich weise nochmals darauf hin, dass wir uns alle freiwillig zur SA gemeldet haben, keiner wurde gezwungen. Jeder aber war sich bewusst, was für Aufgaben die SA zu erfüllen hat und dass Disziplin und Gehorsam, Kameradschaft und treue Gefolgschaft gerade in der SA gefordert und besonders gepflegt werden. Es ist daher Pflicht eines jeden SA-Führers, seine SA-Kameraden

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in diesem Sinne zu erziehen, dann wird er auch, wo immer er sei, seine Pflicht und Aufgabe zu erfüllen wissen. (…) Auch wurde ein Schulungsbrief aus dem Mai 1937 sichergestellt, der folgenden Wortlaut aufweist  : SCHULUNGSBRIEF (…) Wir haben nach den Gründen gefragt, die die Kameraden zur Bewegung brachten. Der wichtigste ist noch nicht genannt, der, der auch in allen anderen steckt  : die Stimme des Blutes. Wo einer war, der sich auch im ärgsten Großstadtelend noch einen Rest seiner Vorfahren ererbt, der die Liebe zu seiner Heimat bewahrt hatte, der war eines Tages in der NSDAP und er wusste oft selbst nicht genau wieso. Aber es gibt Zehntausende, in denen dieses Empfinden von Volksverbundenheit im grauen Alltag des Proletarierdaseins schon halb erstickt ist und viele andere wieder, die irgendwelchen, von fremdrassigen Prophetengehirnen ersonnenen düsteren Lehren mehr gehorchen als der Stimme ihres Blutes. In diesen Volksgenossen kann der Sinn für die große Volksgemeinschaft, aus der sie stammen, nur durch mühsame und ausdauernde Aufklärungsarbeit wieder geweckt werden. Das ist in erster Linie Aufgabe des politischen Soldaten. Und hier kommen wir wieder auf unsere Schulung zurück  : Die Schulung wird ihm das geben, was er im Kampfe um die Herzen der Volksgenossen braucht. Die Schulungsbriefe werden dauernd und regelmäßig erscheinen, niemand wird mehr sagen dürfen, es steht ihm kein Material zur Verfügung. (…) Bis zum Juliabkommen haben wir uns wenig mit Schulung abgegeben. Erst Aufmärsche und Demonstrationen und Saalschlachten, dann der lange unterirdische Kampf mit Böllern, Hakenkreuzfeuern und Flugzetteln. Damals sind wir durch die Propaganda im Großen an den Gegner herangekommen und zugleich wurde der Kampf so geführt, dass er innerhalb der Bewegung von jener Auslese getragen wurde, die ausschlaggebend ist. Heute kommt es wieder auf diese Auslese an. Die Schulung darf nicht die Sache der Leute sein, die am schönsten reden können, sondern sie muss eine Angelegenheit der Kämpfer sein. Die bis heute ihren Kameraden vorangeschritten sind, dürfen nun nicht sagen  : so eine Sache ist nichts für uns, wir machen lieber etwas Gefährliches. Die Schulung ist nicht für die Leute mit dem geschickten Mundwerk, die der Kämpfer so wenig achtet, sie wendet sich an den, der am besten kämpft. Das gilt von den Ansprüchen, die sie an den einzelnen stellt, wie von den Zielen, die sie verfolgt. Die Ansprüche  : In der Schulung wird nicht der am meisten leisten, der viel gelernt hat, sondern der, der in seiner Einheit am reinsten das Bild des Nationalsozialisten

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verkörpert, der sich am entschiedensten von allen bürgerlichen und proletarischen Idealen losgesagt hat, in dem das alte Gesetz des Blutes und der Ehre wieder die Herrschaft angetreten hat. Die Ziele  : Wir stehen heute Gegnern gegenüber, die wissen, was sie wollen. (…) Was die NSDAP in Österreich betrifft  : Alle grobklotzigen Behauptungen der Kommunisten und die ganze heimliche Arbeit der Dunkelmänner31 haben an der eindeutigen Haltung der Bewegung zu scheitern. Dies zu erreichen, ist das Ziel der Schulung. Uns ist vom Führer die Aufgabe gestellt, politische Soldaten zu sein. Ein Soldat braucht Waffen, um die Stellung des Gegners zu gewinnen. (…) Die Schulung gibt dem politischen Soldaten seine Ausrüstung. Sie macht ihm Dinge bewusst, die er bisher nur gefühlt hat, sie lehrt ihn politisch denken. Wir übertreffen unsere Gegner an Kampfkraft. Wollen wir siegen, dann müssen wir ihnen auch überlegen sein an Klarheit der Ziele, um die es geht. (...) Außerdem wurde bei Weletzky die Eidesformel über den Eid, welchen die SA-Männer nach ihrem Eintritt in die SA abzulegen haben, sichergestellt und lautet das Treuegelöbnis wörtlich wie folgt  : Tr e u e g e l ö b n i s Ich gelobe meinem Führer Adolf Hitler Treue. Ich verspreche Adolf Hitler und den von ihm bestellten, mir bekannten oder durch ihre Abzeichen mir erkennbaren Vorgesetzten, Achtung und Gehorsam und verpflichte mich, alle Befehle unverdrossen und gewissenhaft zu vollziehen, da ich weiß, dass meine Führer nichts Ungesetzliches von mir fordern. Standarte und Sturmfahnen sollen mir heilig sein  ; ich werde sie niemals verlassen, vielmehr sie stets mutig verteidigen. Ich gelobe, mich allzeit als tapferer und treuer Kämpfer im Dienste der nationalsozialistischen Bewegung zu erweisen und immer so zu benehmen, wie es einem ehrlich liebenden SA-Mann geziemt. (…) Interessant ist es, dass von den Verhafteten nur 6 bisher als Nationalsozialisten vorgemerkt aufscheinen und die Behörde wegen illegaler Betätigung für die NSDAP bereits beschäftigt haben, was ein Beweis dafür ist, dass seitens der illegalen NSDAP das Bestreben vorherrscht, bis nun unbestrafte und unbeanstandete Personen in ihre Stoßformation aufzunehmen, um so die Schlagkraft zu erhöhen. Die Bundespolizeidirektion wird über alle vorgenannten Personen Verwaltungsstrafen wegen illegaler Betätigung für die NSDAP verhängen. 31 Gemeint ist der Politische Katholizismus und vor allem die Katholische Kirche.

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Außerdem werden die Vorgenannten wegen Verbrechens nach dem Staatsschutzgesetz und Geheimbündelei zur Anzeige gebracht und dem Landesgerichte eingeliefert werden. Bundespolizeidirektion Salzburg Nachtragsbericht Zahl  : 528/62 res 1937. Salzburg, 4. August 1937. Betreff  : Illegale NSDAP. Aufdeckung der SA-Formation Salzburg, Sturm I/59, Brigadekommando 8.32 An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St. B. zu Handen des Herrn Hofrates Krechler, Wien I., Herrengasse 7. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich im Nachhange zu ihrem Berichte vom 18. Juli 1937, Zahl  : 528/36 res 1937 über die weiteren durchgeführten Erhebungen zur völligen Aufdeckung der SA-Organisation in der Stadt Salzburg ergänzend Nachstehendes zu berichten  : Bei den wiederholten Einvernahmen des in Haft befindlichen Josef Speckbacher (…) nannte dieser wiederholt einen Mann mit dem Namen »Quartal«, welcher sich damit befasste, Propagandamaterial für die SA zu bringen und dem er auch einkassierte Geldbeträge übergab. Aber auch aus den weiteren wiederholten Einvernahmen des im ersten Berichte genannten Abraham wurde von diesem des Öfteren ein Mann, der den angeblichen Spitznamen »Quarterl« hatte, genannt, der in der SA eine bedeutende Rolle spielte. Die Bundespolizeidirektion konnte nach langen Bemühungen des angeblichen »Quartal« oder »Quarterl« in der Person des tschechoslowakischen Staatsbürgers Karl Chwatal, von Beruf Tapezierer, derzeit postenlos, am 29.10.1898 in Salzburg geb., nach Brilitz zuständig, evang. A B., geschieden, Salzburg, Vogelweiderstraße 14 wohnhaft, ausforschen. Bei der Hausdurchsuchung Chwatal wurde nachstehendes Beweismaterial gefunden  : 2 St. NSDAP Abzeichen (…) 1 Hitler-Bild (…) 1 kleiner Abziehapparat mit Holzkassette 1 Abziehrahmen 44 x 30 Größe (…) 1 Zettel mit Notizen über SA-Formationen 32 OESTA, AdR, Bundeskanzleramt-Inneres, Sonderarchiv Moskau, Fond 514, Konvolut 429, Generalsekretariat der Vaterländischen Front – Aufdeckung einer SA-Formation in Salzburg,

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1 Durchschlagspapier mit Aufzeichnungen über SA-Angehörige (…) Von ganz besonderer Bedeutung erschien das Karbonpapier mit den Aufzeichnungen über SA-Angehörige. Nach langen Bemühungen gelang es unter Verwendung von Hohlspiegeln und der Quarzlampe nachstehende Namen auf dem Karbon-Papier festzustellen  : Otto Schreier August Ficker Rudolf Geretsegger Anton Öhlinger Leonhard Pachinger Friedrich Mindl Friedrich Sprenger Anton Neubacher Richard Heinl Franz Winklmaier Adolf Maier Georg Berger Alois Nedbal. Durch die sofort eingeleiteten Erhebungen konnten die auf dem Karbon-Papier festgestellten Namen bzw. Personen identifiziert und ausgeforscht werden und zwar  : Otto Schreier  : Handelsangestellter, 11.12.1916 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Alter Markt Nr. 1 wohnhaft  ; Eltern  : Moritz und Anna Schreier, Schneidermeisterswitwe, Salzburg. August Ficker  : Bildhauergehilfe, 3.7.1912 in Salzburg geb. und zust., evang., led., Salzburg, Bergstraße 12 wohnhaft. Eltern  : August und Wilhelmine Ficker, Bildhauer, Salzburg. Rudolf Geretsegger  : Tischlermeister, 20.3.1906 in Salzburg geb. und zust., evang., verh., Vogelweiderstraße 17 wohnhaft  ; Eltern  : Karl und Karoline Geretsegger, Tischlermeister, Salzburg. Anton Öhlinger  : Schuhmachergehilfe, 15.1.1907 in Fernach, Bez. Vöcklabruck, geb. und zust., evang., led., Nonntaler Hauptstraße Nr. 20 wohnhaft  ; Eltern  : Franz und Maria Öhlinger, Salzburg. Leonhard Pachinger  : Schlossermeister, 27.9.1903 in Eggenberg, Graz, geb., Salzburg zust., evang., verh., Salzburg, Schallmoser Hauptstraße Nr. 30 wohnhaft  ; Eltern  : Vinzenz und Josefa Pachinger, Schlossermeister, Salzburg. Friedrich Mindl  : Handelsangestellter, 20.10.1905 in Wenig, Bez. Braunau, geb., Linz zust., evang., led., Salzburg, Lasserstraße Nr. 24 wohnhaft  ; Eltern  : Sohn der Rosa Mindl. Friedrich Sprenger  : (…), 1912 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Sylvester-Oberbergerstraße Nr. 13 wohnhaft  : Eltern  : verstorben.

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Anton Neubacher  : Maurergehilfe, 21.2.1907 in Salzburg geb., Lichtenbuch, Bez. Vöcklabruck, zust., Münchner Bundesstraße Nr. 14 wohnhaft. Richard Heiml  : Friseurgehilfe, 15.1.1913 in Timmelkam, Bez. Vöcklabruck, geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Lasserstraße Nr. 7 wohnhaft. Franz Winklmaier  : Elektrikergehilfe, 26.10.1910 in Lengau, Bezirk Braunau, geb., Salzburg zust., evang., Linzer Bundesstraße Nr. 3 wohnhaft  ; Eltern  : Franz und Therese Winklmaier, Bundesbahner, Salzburg. Adolf Maier  : Hilfsarbeiter, 18.12.1913 in Salzburg geb. und zust., evang., led., Salzburg, Linzergasse Nr. 13 wohnhaft  ; Eltern  : Christian und Anna Maier, Salzburg. Georg Berger  : Friseurgehilfe, 11.9.1911 in Tennek geb., Lend zust., röm. kath., led., Salzburg, Auerspergstraße Nr. 71 wohnhaft. Alois Nedbal  : Gärtnergehilfe, 12.3.1900 in Maxglan geb., Salzburg zust., Salzburg-Maxglan, Kuglhofststraße Nr. 7 wohnhaft. Durch die Geständnisse wie auch durch die Einvernahmen wurde festgestellt, dass die Vorgenannten nachstehende Funktionen in der illegalen SA-Formation bekleideten und zwar  : Truppenführer  : August Ficker, Rudolf Geretsegger, Anton Öhlinger. Scharführer  : Otto Schreier. SA-Männer  : Leonhard Pachinger, Friedrich Mindl, Friedrich Sprenger, Anton Neubacher, Richard Heiml, Franz Winklmaier. Adolf Maier, Georg Berger, Alois Nedbal. Von den Verhafteten legten bis jetzt alle mit Ausnahme Geretseggers, Öhlingers und Heimls umfassende Geständnisse ab und sind auch die drei Vorgenannten, welche bis nun noch leugnen, ihrer Mitgliedschaft und ihrer illegalen Tätigkeit in der SA durch die Geständnisse der anderen Verhafteten einwandfrei überwiesen. Karl Chwatal wurde nun neuerlichen, eingehenden Verhören unterzogen und gestand schließlich ein, dass tatsächlich die auf dem Karbon-Papier festgestellten Namen Namen Angehöriger der SA sind. Die Bundespolizeidirektion hatte aber den Eindruck gewonnen, dass Chwatal weit mehr wissen musste, als er bis nun zugab und setzte die Verhöre mit ihm fast ohne Unterbrechung fort. Chwatal erweiterte nun schließlich sein Geständnis dahingehend, dass er über die Zusammensetzung der SA-Formation in der Stadt Salzburg bzw. in den angrenzenden Bezirken der Stadt Salzburg aufschlussreiche Mitteilungen machte. Nach Angaben Chwatals setzt sich die SA-Formation nachstehend zusammen  : SA-Brigadekommando 8  : für Salzburg Stadt und Land (Führer ein gewisser Kern). Standarte 59  :

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Bis vor drei Monaten Führer dieser Standarte Max Auinger, Malergehilfe, 9.8.1904 in Scharnstein, Gemeinde Viechtwang, geb. und zust., evang., verh., Sohn der Cäcilie Auinger, geb. Rieger, Ignaz Harrer-Straße Nr. 77 wohnhaft gewesen. Derzeitiger Führer der Standarte Rudolf Abraham, der vom Sturmbannführer zum Standartenführer ernannt wurde, als Auinger nach Deutschland übersiedelte. Sturmbannführer  : Karl Titze, 18.11.1912 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Nonntaler Hauptstraße Nr. 14 wohnhaft, der von Rudolf Abraham die Führung des Sturmbannes übernahm, als dieser zum Standartenführer ernannt wurde. Adjutant des Standartenführers  : Karl Chwatal. Sturmführer des Sturmes I  : Karl Peterschillnig, Johann Mayerhofer, Josef Speckbacher und ein gewisser Vinzenz Meitski. Die Bundespolizeidirektion hat daraufhin sofort umfassende Erhebungen zur Ausforschung der bis nun nicht genannten angeblichen Kern, Titse, Peterschillnig und Meitski eingeleitet und konnten die Vorgenannten in den Personen des Handelsangestellten Karl Titse, am 18.11.1912 in Salzburg geb. und zust., evang., led., (Eltern  : Vinzenz und Aloisia, geb, Lindpointner, Polizeiinspektorswitwe) Salzburg, Nonntaler Hauptstraße Nr. 14/III wohnhaft  ; des Handelsangestellten Franz Peterschilnig (bei der Firma Mayer & Neumeier), am 16.12.1903 in Klagenfurt geb., staatenlos, evang., led., (Sohn der Florentine Aloisia Peterschilnig) Salzburg, Ignaz-Harrer-Straße Nr. 75 wohnhaft, und des Bonbonkochs Vinzenz Meitski, am 25.12.1899 in Znaim, CSR, geb., tschechoslowakischer Staatsangehöriger, röm. kath., led., (Eltern  : Johann und Juliane, geb. Maier) Salzburg-Aigen, Ignaz-Rieder-Kai Nr. 41 wohnhaft, ausgeforscht und verhaftet werden. Die Ausforschung des angeblichen Brigadeführers Kern hat bis zum Abschluss dieses Berichtes noch nicht zu einem Erfolg geführt und wird intensiv fortgesetzt und hofft die Bundespolizeidirektion auch noch diesen angeblichen Kern ehebaldigst identifizieren zu können. (…) Der verhaftete SA-Mann August Ficker ist vollinhaltlich geständig und gibt insbesondere zu, dass er Schulungsbriefe und Propagandamaterial an seine Kameraden verteilt hat. Bei der vorgenommenen Hausdurchsuchung in der Wohnung Fickers wurde nachstehender Schulungsbrief vorgefunden  : SCHULUNGSBRIEFNR 1 Stellung und Verhalten der Nationalsozialisten in Österreich Die Stellung und das Verhalten des Nationalsozialisten in Österreich ist durch die Tatsache seiner Illegalität bestimmt. Schon seine Weltanschauung allein macht ihn

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nach Auffassung der heutigen österreichischen Machthaber verdächtig. Jeder Versuch aber, seinem Streben Geltung zu verschaffen, stempelt ihn nach vaterländischösterreichischer Rechtsauffassung zum Hochverräter, also zum Verbrecher. Da er aber den unbeugsamen Willen hat, sich unter allen Umständen durchzusetzen und seine nationalen und weltanschaulichen Ziele zu erreichen, steht er in Österreich außerhalb der Gesetze. Aus diesem Grunde kann er seinen Kampf auch nur mit heute ungesetzlichen, d. h. mit illegalen Methoden führen und hat sein Verhalten danach einzurichten. Zwei Aufgaben taktischer Natur hat der österreichische Nationalsozialist in der Gegenwart zu erfüllen. Den Angriff und die Verteidigung. Den Angriff nicht mit Mordwaffen, sondern mit Waffen des Geistes und der Moral. Er hat durch zweckentsprechende Aufklärung von Mund zu Mund und durch sein persönliches Verhalten den Beweis zu liefern, dass der Nationalsozialismus die wahre Gemeinschaft aller ehrlich um das Volk und seine Zukunft besorgten und bestrebten deutschen Menschen in Österreich (ist) und dass in unserer Front nur die anständigen, opferbereiten und ehrlichen Volksgenossen Platz finden. Nur durch eine solche Methode wird das Sinnlose, Zerstörende und Unmoralische des Kampfes gegen uns praktisch bewiesen und alle wirklich Vollwertigen in unsere Reihen geführt werden. Wenn es auch nur verhältnismäßig wenige sind, die in tragischer Verkennung der Umstände den falschen Platz gewählt haben und auf der Seite der Gegner aus ideellen Gründen gegen uns kämpfen, so sind es doch gerade diese wenigen, die dem Feinde den inneren Halt geben. Sie aus dieser Front lösen heißt aber die Basis des Gegners zu verkleinern und ihres inneren Haltes zu berauben. Das ist die Lage, dass uns, der geschlossenen Gemeinschaft aller anständigen, volks- und verantwortungsbewussten Menschen, die Front der Egoisten, nur auf den Augenblicksvorteil bedacht, gegenübersteht. In der Verteidigung hat sich der Nationalsozialist elastisch den Methoden seiner Feinde anzupassen. Auch hier kämpft er nicht mit Pistole und Handgranate, sondern mit einem mit Mut und Entschlossenheit gepaarten Raffinement, Ausnützung aller, natürlich auch der legalen Möglichkeiten, restlose Verschleierung der eigenen Tätigkeit und Absichten sowie absolute Schweigsamkeit sind die Voraussetzungen, möglichste Verkleinerung der eigenen Angriffsflächen bei gleichzeitiger bester Verfolgung der eigenen Pläne sind der Zweck der Verteidigung. Wir wollen nun in dieser Schrift einen kleinen Katechismus des Verhaltens zusammenstellen, dessen sich ein Nationalsozialist in Österreich befleißigen soll, um seine Aufgaben im Sinne des Vorhergesagten am besten und gefahrlosesten erfüllen zu können. Das Verhalten im Einzelfalle wird sich nach den jeweiligen Umständen zu richten haben.

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1. Wie verhält sich ein Nationalsozialist gegen Volksgenossen im Allgemeinen  ? Er verhalte sich so, dass seine Umwelt nur gut über ihn urteilen kann. Aufrecht und mannhaft trete er für seine Überzeugung dort, wo es am Platze ist, und zwar mehr durch seine Handlungen als durch seine Worte ein. Wer sich stets furchtsam zeigt und sich immer feige verkriecht, hat die Achtung seiner Mitmenschen verwirkt. Ehrlich und treu im Handeln, wahrhaft im Wort, soll er Freundschaft üben gegen alle, die dieser wert sind und Helfer sein, soweit es in seinen Kräften liegt, an allen, die Hilfe bedürfen. Er soll immer erst denken, bevor er spricht. (…) Nie soll ein Nationalsozialist einem Andersgesinnten seine Meinung aufzwingen wollen oder ihn gar wegen seiner irrigen Einstellung verhöhnen. Wenn er durch sachliche Beweisführung nichts erreicht, soll er auf eine bessere Gelegenheit warten. Auf keinen Fall darf er wegen einer politischen oder weltanschaulichen Frage einen Streit beginnen. Überhaupt soll er versuchen, jeden wie immer gearteten Streit zu vermeiden. (…) Der wahre Nationalsozialist weiß, dass das Geheimnis des Sieges allein in der Tatkraft und in dem Wollen der Kämpfer liegt. Er kann daher nie mutlos sein, sondern wird in den Tagen der Not durch seine Zuversicht auch den wankenden Glauben der Schwachen stärken. (…) 2. Wie verhält sich ein Nationalsozialist Parteifremden gegenüber  ? Parteifremder ist jeder, von dem man nicht weiß, dass er Nationalsozialist ist, also vor allem jeder Unbekannte. Solchen Leuten muss man, solange ihre politische Zugehörigkeit nicht genau erwiesen ist, mit derselben Vorsicht begegnen, wie erkannten Parteifeinden. Man darf vor Zeugen nichts mit ihnen besprechen, was Schaden bringen könnte, auch dann nicht, wenn diese selbst Verbotenes reden. Es könnte ja sein, dass man ausgehorcht wird. Völlige Zurückhaltung ist vor allem dann geboten, wenn sich ein solches Gespräch um den Nationalsozialismus dreht. Besser ist es in solchen Fällen immer, den Nichtwisser zu spielen, als aus eitler Wichtigtuerei den Wohlunterrichteten. Deshalb braucht man mit der eigenen Meinung nicht völlig hinter dem Berg zu halten. Aufrechtes nationales Bekenntnis und sachliche Kritik an unseren Zuständen ist nicht strafbar. Nur muss man sich hüten, gegen Personen der Regierung und ihre Einrichtungen öffentlich ausfällig zu werden. (…) Man darf sogar gegen die völlige Rechtlosigkeit vor allem der nationalen Bevölkerung protestieren u. a. m. Nur empfiehlt es sich, bei solchen Kritiken immer wieder zu betonen, dass man trotzdem gewillt ist, die bestehenden Gesetze und Verordnungen zu achten. Wir finden es überhaupt empfehlenswert, solche Kritik bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu üben. Spricht aber ein Nationalsozialist mit einem Parteifremden ohne Zeugen, so kann er auch weitergehen, vorausgesetzt, dass er begründetes Vertrauen zu ihm gewonnen

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hat, denselben für unseren Kampf zu interessieren. Immer aber mit der nötigen Vorsicht. (…) 3. Wie verhalte ich mich gegen Parteifeinde  ? (…) Gegner ist jeder, der einer anderen politischen Richtung angehört als der unseren. (…) Feinde sind alle, die den Vernichtungskampf der Regierung gegen uns freiwillig, d. h. ohne Zwang, unterstützen. Nicht alle Angehörigen der Sicherheitsbehörden (Miliz, Gendarmerie, Polizei) sind unsere Feinde, da jene ja unter dem Zwange ihrer Dienstpflicht handeln. Ein englisches Sprichwort sagt  : Recht oder Unrecht – mein Volk. Dieses kann wie kein anderes als Leitgrundsatz für unser Verhalten gegen Parteifeinde gelten. Wer gegen den Nationalsozialismus kämpft, kämpft gegen das Volk. Gegen Volksfeinde aber ist jedes Mittel recht, sofern es nur zum Erfolg führt. Den erkannten Feind muss man unter ständiger Beobachtung halten, um seine Absichten zeitgerecht zu erfahren und vereiteln zu können. Man versuche, einen verlässlichen und geschickten Parteigenossen in seine Umgebung zu bringen, den man mit der Überwachung betraut. Am besten eignen sich hierfür Parteigenossen, die aus Zwangsgründen in der Vaterländischen Front stehen, oder dort gar Führungsstellen bekleiden. Man suche auch Fehler und Schwächen der Feinde zu erkunden und nütze sie aus, um sein persönliches und wirtschaftliches Ansehen zu schädigen und damit einen allfälligen Einfluss zu vernichten. Persönlicher Verkehr mit ausgesprochenen Parteifeinden ist ganz zu unterlassen. Wo dies aber aus irgendwelchen Gründen untunlich ist, wird Verstellung der beste Schutz sein. Man fordere in solchen Fällen nicht heraus, sondern heuchle unter Umständen sogar Einverständnis und Freundschaft. (…) 4. Wie verhält sich ein Nationalsozialist gegen Parteifreunde  ? Als Parteifreund sind alle nationalen Menschen Österreichs anzusehen, welche die gegenwärtige Staatsverfassung als illegal ablehnen und mit uns sympathisieren. Gegen diese verhält sich der Nationalsozialist im Allgemeinen wie gegen Parteigenossen. (…) Es ist die Pflicht jedes Nationalsozialisten, seine Freunde zu Parteigenossen, d. h. zu aktiven Kämpfern, zu erziehen. Hier aber hat er mit Vorsicht und dem nötigen Takt vorzugehen. Wie ein Kind nicht an einem Tag gehen lernt, so kann auch ein Sympathisierender nicht im Augenblick zu nationalsozialistischem Tatwillen und Opfermut erzogen werden. (…) 5. Wie benehme ich mich gegen Parteigenossen und Kameraden  ? Jeder Parteigenosse ist dein Schicksalsgenosse  ! Das vergiss nie  ! Unlösbar seid ihr miteinander verbunden. Alles, was du erstrebst, darum kämpft auch er. (…) Nicht Reichtum noch Ansehen darf deine Stellung zu ihm bestimmen und der ärmste Parteigenosse muss dir gleich sein als der reichste. (…) 8. Wie verhält sich ein Nationalsozialist gegen Polizei und Gendarmerie  ?

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Hier muss vor allem die Erkenntnis leiten, dass Gendarmen und Polizisten bezahlte Beamte und daher verpflichtete Organe der Regierung sind, dass also der größte Teil von ihnen nicht aus eigenem Wollen, sondern nur unter Dienstzwang gegen uns muss handeln. Diesem Umstand müssen wir Rechnung tragen. Höflichkeit, korrekte Freundlichkeit sowie Vermeidung jeglicher Herausforderung wird hier dem privaten Verkehr die richtigen Worte geben, auch dort, wo wir es mit einem vermeintlichen Scharfmacher zu tun haben. Liegt doch oft der Grund polizeilicher Übereifrigkeit ohne gehässige Nebenabsicht allein in gedankenloser Pflichtauffassung und sehr häufig der Grund wirklichen feindseligen Vorgehens in einer durch unüberlegte Drohungen begründeten Angst. Offene oder geheime Drohungen gegen Sicherheitsorgane sind die verkehrtesten Mittel, unsere Lage zu bessern. Wir müssen eines immer bedenken, je freundlicher wir gegen solche Leute sind, desto schwerer wird es ihnen, feindselig gegen uns aufzutreten. Natürlich darf die Freundlichkeit nicht in Kriecherei ausarten. Im dienstlichen Verkehr, also bei Einvernahmen, sind unter allen Umständen folgende Hauptgrundsätze zu beobachten  : Es ist niemand verpflichtet, der Gendarmerie oder Polizei die Wahrheit zu sagen. Das Leugnen ist das Recht der Angeschuldigten. Wir müssen also diesen Organen gegenüber alles verschweigen, was nachteilig sein könnte und immer leugnen, wenn die Wahrheit zur Verurteilung führen könnte. Auch dann müssen wir noch leugnen, wenn der Beweis scheinbar schon erbracht ist. Es ist ein ständiger Trick der Polizei, den Beschuldigten zu erklären, dass die Komplizen schon alles gestanden hätten und dass weiteres Leugnen daher zwecklos, ja schädlich sei. Nie darf ein Parteigenosse auf eine solche Falle hereinfallen, sondern er muss auf seinem Ableugnen beharren. Es ist unwahr, wenn die Gendarmerie erklärt, dass ein offenes Geständnis eine Strafmilderung herbeiführe. Noch immer sind die Parteigenossen, welche gestanden haben, schwer bestraft worden. Die aber, welche standhaft blieben, sind häufig mit milden Strafen oder gar straflos davongekommen. Bei Einvernahmen vermeide man vor allem das viele Reden. Je mehr man redet, desto leichter verwickelt man sich in Widersprüche. Möglichst beantwortet man die Fragen mit »Nein«. Bei allen Fragen aber, die gefährlich werden können, antwortet man mit »Ich weiß es nicht« oder »Ich kann mich nicht erinnern« oder man schweigt. Alle gestellten Fragen und die gegebenen Antworten suche man sich gut zu merken, damit (man) bei späteren Einvernahmen nichts Gegenteiliges sagt. Unter allen Umständen muss man bei seinen Aussagen vermeiden, einen anderen Kameraden zu belasten, auch dann, wenn man daraus scheinbar einen Vorteil zöge. Man lasse sich weder durch Freundlichkeit beeinflussen, noch durch Drohungen oder gar Schläge einschüchtern und vergesse nie, dass die einzig wirksame Abwehr das Leugnen ist. Jedes Protokoll ist vor der Unterschrift genauestens durchzusehen. Im Falle der Nichtübereinstimmung ist die Unterschrift zu verweigern.

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9. Wie benehme ich mich vor Gericht  ? Vor Gericht, sonders aber vor dem Untersuchungsrichter, hat man sich gleich zu verhalten wie gegen die Polizei. Der Angeschuldigte bleibe auch hier unerschütterlich bei seinen ursprünglich gemachten Angaben. Er lasse sich auch nicht durch die klarste Beweisführung von seiner Verantwortung abbringen. Bei Gerichtsverhandlungen trage der Parteigenosse ein mannhaftes Benehmen zur Schau und verheimliche seine nationale Einstellung nicht. Stolz bekenne er sich zu seinem Volke und betone aber dabei, dass er auch sein Vaterland liebe, dass er die Gesetze dieses Staates achte und in Volks- und Vaterlandsliebe keinen Gegensatz sehen könne. Feiges Zurückweichen hat bei Gericht noch keinem geholfen. 10. Wie verhalte ich mich im Gefängnis  ? Hat der Parteigenosse seine Strafe erhalten, so trage er sie mannhaft mit dem Bewusstsein, dass er für sein Volk leide, dass diese Strafe für ihn nichts Ehrenrühriges habe, sondern diese ihn einreihe in die Besten des Volkes, dem er noch durch seine Strafe dient. Er muss sich immer vor Augen halten, dass Tausende seines Volkes noch härter gelitten haben und noch leiden. Er muss daran denken, dass an seinem Mut, seiner Zuversicht, seiner Fähigkeit im Ertragen auch die Leidensgefährten stark werden und dass seine Mutlosigkeit auch die anderen schwächt. Gerade im Gefängnis ist echte Kameradschaft nötig. Was du hast, teile mit deinem Bruder, so wie er es teilen soll mit dir. Wenn dir auch oft die Nerven durchgehen wollen, halte dich stets zurück gegen deinen Kameraden. Immer musst du dir vor Augen halten, dass aus eurem gemeinsamen Leid der Sieg und des Volkes Zukunft erwächst und dass der Tag kommen wird, wo das freie deutsche Österreich euer Opfer lohnen wird. Von besonderer Bedeutung erscheint aber das Geständnis Fickers deshalb, da dieser angab, dass bei einer Zusammenkunft der SA-Führer die Frage aufgeworfen wurde, ob die Salzburger Festspiele zu stören wären. In dieser Sitzung wurde der Plan erörtert, dass zur Festspielzeit die SA eine erhöhte Propagandatätigkeit entwickeln solle und insbesondere die Verteilung von illegalen Flugzetteln in die Autos der Fremden in Aussicht genommen wurde, damit die Fremden sehen, dass die Nationalsozialisten in Österreich tätig sind. Ein endgültiger Entschluss sei einer späteren Sitzung vorbehalten worden. Durch dieses Geständnis ist die Richtigkeit der vertraulichen Mitteilung betreffend Störung der Festspiele einwandfrei nachgewiesen. Ficker bestätigte in seinem Geständnis auch die Angaben Chwatals, dass Peterschillnig die Funktion eines Sturmführers innehatte und konnte durch sein Geständnis ein weiterer Angehöriger der SA, der Handelsangestellte Leopold Aschauer, am 5.6.1913 in Goisern geb. und zust., evang., led., Salzburg, Vierthalerstraße Nr. 6 wohnhaft, ausgeforscht und verhaftet werden. (…)

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Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 22. August 1937. Zahl  : 528/103 res 1937. Betreff  : Illegale NSDAP. Brigade 8.33 An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St. B., zu Handen des Herrn Hofrates Krechler, Wien I., Herrengasse 7.34 Die Bundespolizeidirektion beehrt sich im Nachhange zu ihrem Berichte vom 18.7.1937, Zahl  : 528/36 res 1937 bzw. in Fortsetzung ihres Berichtes vom 4.8.1937, Zahl  : 528/32 res 1937 über die weiters durchgeführten Erkundungen zur völligen Aufdeckung der illegalen SA-Organisation in der Stadt Salzburg ergänzend zu berichten  : Im Berichte vom 7.8.1937 hat die Bundespolizeidirektion berichtet, dass der verhaftete Adjutant des Standartenführers der Standarte Salzburg, Karl Chwatal, eingestand, dass die Brigade 8 der SA von einem gewissen Kern (vermutlich Deckname) geführt werde und unabhängig von diesem Geständnis Chwatals gab der Standartenführer nach neuerlichen Einvernahmen an, dass der Brigadeführer in der Standartenführer in der Stadt Salzburg in einem Hause, Mitterhofgasse, wohne. Auf Grund dieser beiden Geständnisse und der Personenbeschreibung wurden nun alle Vorkehrungen getroffen, um ehestens der Person des Standartenführers habhaft zu werden. Es gelang schließlich, den Brigadeführer in der Person des reichsdeutschen Staatsangehörigen postenlosen Handelsangestellten Georg Gerste, am 11.1.1899 in Hannover, Deutschland, geb., evang. A. B., verh., Eltern bereits gestorben, in Salzburg, Mitterhofgasse Nr. 6 wohnhaft, auszuforschen und zu verhaften. Nach längerem Leugnen bequemte sich Gerste zu einem umfassenden Geständnis und beehrt sich die Bundespolizeidirektion die von Gerste gemachten Angaben, da sie immerhin von Bedeutung sind, wörtlich nachstehend niederzulegen  : »Im April 1936 kam ich nach Salzburg und war ich vorher in Braunau wohnhaft. Im Jahre 1932 trat ich in die NSBO (Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation) ein und hatte ich dort keine Funktion inne. Nach meiner Übersiedlung im Frühjahr 1936 nach Salzburg wurde ich durch Hackl mit dem Lokomotivführer Hofer aus Itzling bekannt bzw. von der SA-Braunau zur SA-Salzburg überstellt und hatte damals Hofer die Brigadeführung inne. Ich sollte die Stelle eines Verbindungs33 OESTA, AdR, Bundeskanzleramt-Inneres, Sonderarchiv Moskau, Fond 514, Konvolut 429, Generalsekretariat der Vaterländischen Front – Aufdeckung einer SA-Formation in Salzburg. 34 Bericht ging in Durchschrift auch an den Generalsekretär der Vaterländischen Front, Staatssekretär Guido Zernatto.

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mannes bekleiden, hatte aber nichts zu tun, da Hofer mir gegenüber sehr skeptisch gewesen ist. Glaublich im Monat Juni oder Juli 1936 wurde Hofer verhaftet. Nach dessen Inhaftierung kam ein Mann aus Wien, es war meiner Vermutung nach ein Adjutant der Stabsführung, den ich jedoch persönlich nicht kannte und dieser mir gegenüber auch nicht seinen Namen nannte, sondern mich nur beauftragte, die Brigadeführung zu übernehmen. Mir war als Stabsführer Alfred Meisnitzer zugeteilt, der auch die Hauptgeschäfte führte, da ich ganz fremd war. Wenn aus Wien die Befehle oder sonstige Weisungen kamen, die vervielfältigt werden mussten oder die Herstellung eigener Weisungsblätter, so übernahm diese Arbeiten Meisnitzer, der zu diesem Zweck ein eigenes Zimmer am Mayburgerkai hatte. (…) Die illegale Schrift ›Österreichischer Beobachter‹ kam meines Wissens durch einen Kurier aus Wien. Ich habe diese Flugschriften jedoch nicht übernommen und weiß auch nicht, wer sie übernahm, nur hatte ich im Allgemeinen die Kenntnis, dass diese Schriften aus Wien kommen. Die Verteilung des ›Österreichischen Beobachters‹ an die Sturmführer wurde durch Meisnitzer durchgeführt. (…) Bei Übernahme der Brigade war Standartenführer Max Auinger und nachher Abraham, Sturmbannführer Abraham und nach diesem Titze. Sonst bin ich innerhalb der SA mit niemandem in Fühlung getreten und kenne auch Chwatal nicht. Als Brigadeführer hatte ich auch die Verbindung mit der politischen Organisation und stand ich zuerst mit einem gewissen Exner in Verkehr und nach dessen Verhaftung mit dem Ing. Wintersteiger.35 Mit diesem hatte ich die letzte Zusammenkunft 35 Anton Wintersteiger (1900–1990) wurde als ältestes von acht Kindern in der Stadt Salzburg geboren. Nach der Matura an der Realschule studierte er an der Technischen Hochschule in Wien, trat einer schlagenden Verbindung bei und wurde 1923 Mitglied der NSDAP und der SA. Er trat jedoch wenig später aus der Partei wieder aus, beendete sein Studium mit der Graduierung zum DI und trat im Zuge seiner Berufstätigkeit als Bautechniker in Bad Gastein 1930 wiederum der NSDAP bei, wurde 1931 Ortsgruppenleiter und Mitglied des Gemeinderates. 1933 wurde er Leiter der NSDAP im Pongau. Als führendes Mitglied der NSDAP wurde er am 9. Jänner 1934 nach Wöllersdorf gebracht, wo er bis Anfang November inhaftiert blieb. Nach seiner Entlassung blieb er in der illegalen NSDAP aktiv und wurde stellvertretender Gauleiter. Nach seiner neuerlichen Verhaftung stellte ihn der Salzburger Sicherheitsdirektor Ludwig Bechinie Anfang Mai vor die Wahl, entweder weiter in Haft zu bleiben oder in das Deutsche Reich zu emigrieren. Wintersteiger entschied sich für die Emigration, kehrte jedoch wenig später aufgrund der im Juliabkommen vereinbarten Amnestie wieder nach Salzburg zurück, wo er ab Jänner 1937 als Gauleiter der NSDAP fungierte. Die Gauleitung der nach wie vor illegalen Salzburger NSDAP befand sich allerdings in Freilassing, wohin Wintersteiger übersiedelte und beruflich beim Bau der Reichsautobahn tätig war. In der Zeit der Doppelherrschaft im Februar/März 1938 koordinierte er die Aktivitäten der Salzburger NSDAP und übernahm am 11. März die Amtsgeschäfte von Landeshauptmann Franz Rehrl. In seiner Doppelfunktion als Landeshauptmann und Gauleiter wechselte er zur SS und leitete die Volksabstimmung am 10. April 1938. Im Mai 1938 musste er allerdings in beiden Funktionen Friedrich Rainer weichen und sich mit der Position des Stellvertreters Rainers begnügen. Als Trostpflaster zog er als Salzburger Abgeordneter

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im Monate Jänner 1937 im Sternbräu, wo wir auch eine Auseinandersetzung hatten, da ich mit seinen politischen Anschauungen und Auffassungen nicht einverstanden war. Ich vertrete eben den Standpunkt, dass er als Gauleiter nicht seine Geschäfte im Ausland (Deutschland) zu führen hat, sondern in Österreich, wenn er sich schon als Gauleiter der NSDAP Salzburg bezeichnen lässt. Aus diesem Grunde hegte man gegen meine Person Misstrauen und gab mir auch keinen weiteren Einblick in die politische Organisation. In meinen Augen war Ing. Wintersteiger eben jener Mann, der seine Ideen gerne im Hinterhalt vertritt und nicht den Mut haben dürfte, dem Feind offen entgegenzutreten. Nach Meisnitzer führte mein Schwager Franz Kier die Geschäfte des Meisnitzer bis zu seiner Ausreise nach Deutschland vor 6 Wochen. Bis zur Verhaftung hatte auch Meisnitzer die Verwaltung der eingehobenen Beitragsleistung der einzelnen SA-Männer inne (…) Meisnitzer wirkte auch als Verbindungsmann zu den SA-Formationen im Pongau und Pinzgau. Mir unterstanden auch die Standartenführer vom Pinzgau und Pongau und war vom Pinzgau der Konditor Lauer und vom Pongau ein gewisser Prammer (dürfte der Deckname sein) der Standartenführer. (…) Als ich mich beobachtet fühlte und die SA-Formation in Salzburg vor ca. 14 Tagen aufflog, habe ich auch alle übrigen Schriften der Brigade sowie die Stampiglien verbrannt. Ich muss auch ehrlich gestehen, dass unsere Arbeit in Salzburg durch die Kriminalbeamten äußerst erschwert wurde und muss ehrlich gestehen, dass nach dem Vernehmen aus anderen Ländern die Kriminalpolizei von Salzburg als gefährlich und bestens hingestellt wird. Als Brigadeführer von Salzburg muss ich auch angeben, dass ich durch einen Kurier der Stabsleitung von Salzburg schon vor langer Zeit in Kenntnis gesetzt wurde, dass keinerlei Störungen durch SA-Angehörige vorgenommen werden dürfen und wenn man mir jetzt vorhält, dass eine Störung der Festspiele geplant gewesen ist, so muss ich sagen, dass ich davon nichts wusste und von meiner Seite bei jedem Anlasse





in den Großdeutschen Reichstag in Berlin ein. In Salzburg bekleidete er zudem die Funktion eines Regierungsdirektors für das Bauwesen in der Reichsstatthalterei, diente mehrmals an der Front und geriet Ende Mai 1945 in US-amerikanische Kriegsgefangenschaft. Er wurde in das Camp Marcus W. Orr (Lager Glasenbach) überstellt, musste sich vor dem Volksgericht in Linz und dem Volksgerichtssenat in Salzburg als »Belasteter« verantworten, das ihn 1948 zu zweieinhalb Jahren schweren Kerker, Vermögensentzug und Berufsverbot verurteilte. Da ihm die Untersuchungshaft angerechnet wurde, wurde er bereits nach wenigen Monaten entlassen. Mit einem Gnadengesuch wandte er sich an Bundespräsident Karl Renner, wobei der Salzburger Landeshauptmann Josef Rehrl, der Bruder von Franz Rehrl, und der Salzburger Weihbischof Johannes Filzer für ihn eintraten. 1950 hob Bundespräsident Renner das Berufsverbot auf und Wintersteiger arbeitete bis zu seiner Pensionierung als Bautechniker im Amt der Salzburger Landesregierung. Vgl. Hofinger  : Nationalsozialismus in Salzburg. S. 62–64.

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der strikte Auftrag hinausging, dass jede Disziplinlosigkeit mit dem Ausschluss aus der SA bestraft wird. Weiters gebe ich noch an, dass ich durch Hans Hackl, der mich zweifellos in Wien bei der Obergruppe vorgeschlagen hat, zum Brigadeführer 8 ernannt worden bin. Die Ernennung erfolgte, wie ich schon gesagt habe, durch einen Herrn der Obergruppe aus Wien und war diese Ende Juni 1936. Es ist auch möglich, dass es Ende Juli 1936 war. Meine Bestellung zum Brigadeführer wurde deshalb durchgeführt, weil Johann Hofer, Lokomotivführer i. P., am 8.2.1902 in Bischofshofen geb. und zust., evang., verh., Werkstättengasse Nr. 6 wohnhaft, festgenommen worden ist. Hofer war bis zu seiner am 23. Juli 1936 erfolgten Festnahme mit der Brigadeführung betraut. Als Hofer von seiner Inhaftierung entlassen worden ist, hätte ich ihm über Auftrag der Obergruppe die Brigadeführung wieder übergeben müssen, was ich jedoch nicht machte. Ich habe meinen Standpunkt bei der Obergruppe vertreten und habe derselben schriftlich mitgeteilt, dass Hofer wegen meiner Ernennung zum Brigadeführer eine Meuterei in der SA in Bewegung setzte. Auf das hin habe ich zweimal meinen Rücktritt bei der Obergruppe in Wien angemeldet, dem jedoch nicht stattgegeben worden ist. Hofer war wegen meines Vorgehens beleidigt und zwar deshalb, weil ich ihm die Führung nicht mehr übergeben habe. Er ist auch nachher mit einigen Kollegen aus der SA ausgetreten. Hofer und sein Anhang waren mit der Befriedungsaktion meines Erachtens nicht einverstanden und wollten wieder irgendetwas unternehmen und äußerten sich, dass sie wieder auf die Straße wollen. Was sie beabsichtigt haben, weiß ich nicht. Ich habe mich streng nach den Weisungen der Obersten Führung gehalten, deren Bestreben es war, unter allen Umständen in der Befriedungsaktion mitzuarbeiten, welche Weisungen ich auch befolgte, was meine engsten Mitarbeiter auch bestätigen können. Ich möchte noch angeben, dass unsere letzte Besprechung bei der Obergruppe in Wien im Mai l. J. stattgefunden hat (…) Bei der Brigadeführerbesprechung wurde vom Stabsleiter über das Juliabkommen vom Jahre 1936 gesprochen und hat derselbe den Auftrag gegeben, dass sich jedermann nach dem Abkommen zu halten hat und dass jede Störung der Befriedungsaktion streng verboten sei. Sollten selbständige Aktionen unternommen werden, so wird jeder Führer zur Verantwortung gezogen und rücksichtslos aus der SA ausgeschlossen und ebenfalls auch aus der Partei. (…) Mitte Juni 1937 kam ein Kurier der Landesleitung nach Salzburg und überbrachte mir mündlich die Weisung, mich an einem bestimmten Tage, der mir nicht mehr erinnerlich ist, ich glaube aber Ende Juni, in Wien (…) einzufinden. (…) So viel ich aus den Besprechungen entnommen habe, beträgt der derzeitige Stand der SA in Österreich ca. 55-60.000 Mann. Die Brigade Salzburg ist die schwächste mit einem Stand von ungefähr 1.500 Mann.«

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Aufgrund der Aussagen Gerstes und der neuerlichen Einvernahme Karl Chwatals und des Standartenführers Rudolf Abraham gelang es, die Führer und Unterführer der Brigade 8, soweit sie die Stadt Salzburg betreffen, restlos auszuforschen und zu verhaften. (…) So wurden noch nachstehende Funktionäre der SA verhaftet und der Staatsanwaltschaft beim Landesgerichte in Salzburg wegen Verbrechens nach dem Staatsgrundgesetz angezeigt und eingeliefert  : Brigadeführer  : Georg Gerste, Handelsangestellter, am 11.1.1899 in Hannover, Deutschland, geb., evang. A. B., verh., deutscher Staatsangehöriger, Salzburg, Mitterhofgasse Nr. 6 wohnhaft  ; Eltern bereits gestorben. Die Sturmführer  : Josef Anzinger, Handelsangestellter, am 9.1.1905 in Salzburg geb. und zust., evang., verh., Salzburg, Rudolf-Biebl-Straße Nr. 29/I wohnhaft. Peter Aschauer, 30.3.1899 in Morzg geb. und zust., röm. kath., led., Morzg Nr. 7 wohnhaft. Franz Eitzinger, Spänglergehilfe, am 25.11.1916 in Salzburg geb., Mehrenbach, Bezirk Ried im Innkreis, zust., evang., led., Liefering, Plainstraße Nr. 19 wohnhaft. Die Truppführer  : Johann Egger, Gärtner, am 2.6.1909 in Aigen geb., nach Abtenau, Bezirk Hallein, zust., evang., verh., Hellbrunnerstraße Nr. 48 wohnhaft. Josef Kraft, Bautechniker, am 21.1.1909 in Niederalm, Gemeinde Anif, geb., nach Kuchl, Bezirk Hallein, zust., röm. kath., led., Niederalm Nr. 32 wohnhaft. Michael Neumayer, Maurergehilfe, am 8.10.1907 in Seekirchen, Bezirk Salzburg, geb. und zust., röm. kath., verh., Maxglan, Gärtnergasse Nr. 19 wohnhaft. Truppführer  : Gottfried Zinober, Handelsangestellter, am 16.3.1913 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Gaswerkgasse Nr. 29 wohnhaft. Die Scharführer  : Karl Berlinger, Glasschleifergehilfe, am 15.9. 1914 in Wien geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Lasserstraße Nr. 10 wohnhaft. Robert Berlinger, Glasschleifergehilfe, am 2.7.1912 in Wien geb. und zust., evang., led., Salzburg, Lasserstraße Nr. 10 wohnhaft. Rudolf Mayer, Schlossergehilfe, am 15.2.1915 in Grödig, Bezirk Salzburg, geb. und zust., röm. kath., led., Grödig Nr. 8 wohnhaft. Karl Koidl, Hilfsarbeiter, am 1.10.1908 in Taxenbach, Bezirk Hallein, geb., nach Anif, Bezirk Salzburg, zust., röm. kath., led., Niederalm Nr. 10 wohnhaft. Johann Kreil, Hilfsarbeiter, am 21.5.1913 in Bergham, Bezirk Vöcklabruck, geb., nach Pöndorf zust., röm. kath., led., Salzburg-Itzling, Winklgasse Nr. 7 wohnhaft. Hermann Reichl, am 5.2.1912 in Grödig geb. und zust., röm. kath., led., Grödig Nr. 70 wohnhaft.

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Mathias Öllerer, Maurer, 20.10.1905 in Liefering geb., nach Siezenheim zust., röm. kath., Liefering, Bonauweg Nr. 6 wohnhaft. Johann Kreins, Buchbindergehilfe, am 11.7.1902 in Klagenfurt geb. und zust., evang., verh., Salzburg-Maxglan, Hauptstraße Nr. 17a wohnhaft. Johann Zackerl, Maurergehilfe, am 16.12.1905 in Liefering, Bezirk Salzburg, geb. und zust., röm. kath., led., Liefering, Münchner-Hauptstraße Nr. 34 wohnhaft. Alois Putz, Schneidergehilfe, 26.11.1913 in Goisern, Bezirk Gmunden, geb. und zust., evang. A. B., led., Salzburg, Straubingerstraße Nr. 14/I wohnhaft. Alois Huber, Beamter der Sternbrauerei, am 23.5.1910 in Oberalm, Bezirk Hallein, geb. und zust., evang., led., Salzburg, Moosstraße Nr. 12 wohnhaft. Peter Kaserer, landwirtschaftlicher Arbeiter, am 3.6.1916 in Leopoldskron, Bezirk Salzburg, geb. und zust., röm. kath., led., Leopoldskron Nr. 93 wohnhaft. Karl Brom, Schlossergehilfe, am 13.6.1917 in Wien geb., nach Kaladay, Bezirk Moldautheim, Tschechoslowakei, zust., evang., led., Salzburg, Bayernstraße Nr. 28 wohnhaft. Felix Winklhofer, Baupolier, am 24.4.1901 in Seekirchen geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Ignaz-Harrer-Straße Nr. 12 wohnhaft. Der Adjutant des Brigadeführers, der Kaufmann Franz Kier, am 8.5.1909 in Triest geb., nach Hermannsdorf, Bezirk Horn, zust., röm. kath., led., Itzling, Schillerstraße Nr. 13 wohnhaft gewesen, und der Verbindungsmann zur politischen Organisation, Johann Pirklbauer, Handelsangestellter, am 22.9.1912 in Burgstall, Bezirk Meran, geb., nach Salzburg zust., röm. kath., led., zuletzt Itzling, Grenzstraße Nr. 7 wohnhaft gewesen, konnten nicht verhaftet werden, da Kier vor ca. 5 Wochen, Pirklbauer im Jänner 1937 nach Deutschland sich auf Arbeit begeben haben. (…) Bei den Einvernahmen sämtlicher Verhafteter wurde der Eindruck gewonnen, dass sie weit nicht mehr so begeistert sind für die Partei wie es früher der Fall war, da ausnahmslos alle Verhafteten umfassende Geständnisse ablegten und sich oft die Verhafteten gegenseitig ermunterten, die Angelegenheit durch ein Geständnis zu bereinigen, da nichts mehr zu retten sei. (…) Die Amtshandlung gegen Ingenieur Anton Wintersteiger, am 30.4.1900 in Salzburg geb., nach Bad Gastein zust., evang., led., Salzburg, Kaigasse Nr. 7 wohnhaft gewesen, ist wegen Verbrechens nach dem Staatsschutzgesetz eingeleitet worden. Ing. Wintersteiger ist der Bundespolizeidirektion keine unbekannte Persönlichkeit mehr und war dieser bereits einmal als leitender Funktionär der politischen Organisation im Lande Salzburg dem Landesgerichte eingeliefert und auch diesbezüglich verurteilt worden. Ing. Wintersteiger, welcher nach seiner Verurteilung mit Bewilligung des Herrn Sicherheitsdirektors zum Zwecke des Stellenantrittes nach Deutschland ausreiste, arbeitet derzeit als Ingenieur bei der Reichsautobahn unmittelbar an der österreichischen Grenze.

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Über sämtliche Vorgenannte wurden wegen illegaler Betätigung für die NSDAP Verwaltungsstrafen verhängt. Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 22. September 1937. Zahl  : 528/152 res 1937. Betreff  : Illegale NSDAP. Brigade 8. Aufdeckung.36 An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St. B., zu Handen des Herrn Hofrates Krechler, Wien I., Herrengasse 7.37 Die Bundespolizeidirektion beehrt sich im Nachhange zu ihrem berichte vom 18.71937, Zahl  : 528/36 res 1937 bzw. in Fortsetzung ihres Berichtes vom 4.8.1937, Zahl  : 528/32 res 1937 bzw. in Fortsetzung des Berichtes vom 22.8.1937, Zahl 528/103 res 1937 über die weiters durchgeführten Erhebungen zur Aufdeckung der illegalen SA-Organisation in der Stadt Salzburg abschließend zu berichten  : Die Bundespolizeidirektion hat nach Verhaftung sämtlicher Führer der SA-Brigade 8 in der Stadt Salzburg und in der näheren Umgebung derselben noch nachstehende einfache SA-Männer der Brigade 8, welche im Stadtgebiete wohnhaft waren, ausgeforscht und verhaftet. Theodor Podzeit, Reklamezeichner, am 27.6.1912 in Klagenfurt geb., nach Salzburg zust., röm. kath., led., Salzburg, Petersbrunnstraße Nr. 17 wohnhaft. Friedrich Dürhager, Uhrmachersohn, am 4.1.1912 in Thalgau geb., nach Salzburg zust., evang., led., Salzburg, Schallmoser Hauptstraße Nr. 6 wohnhaft. Rudolf Twrsnik, Elektromechaniker, am 10.4.1905 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Fürstenallee Nr. 5 wohnhaft. Josef Tischler, Schmiedgehilfe, am 16. 8.1907 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Nonntaler Hauptstraße Nr. 41 wohnhaft. Johann Stocker, Fleischhauergehilfe, am 16.10.1913 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Nonntaler Hauptstraße Nr. 19 wohnhaft. Peter Pacher, Handelsangestellter, am 8.11.1916 in Obervollach geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Petersbrunnstraße Nr. 6a wohnhaft. Georg Leib, Drogeriegehilfe, am 3.12.1917 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Linzergasse Nr. 53 wohnhaft. Josef Aglassinger, Fleischhauergehilfe, am 5.4.1915 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Nonntaler Hauptstraße Nr. 15 wohnhaft. 36 OESTA, AdR, Bundeskanzleramt-Inneres, Sonderarchiv Moskau, Fond 514, Konvolut 429, Generalsekretariat der Vaterländischen Front – Aufdeckung einer illegalen SA-Formation in Salzburg. 37 Abschriftlich an den Generalsekretär der Vaterländischen Front, Staatssekretär Guido Zernatto.

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Gottfried Zinober, Handelsangestellter, am 16.3.1913 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Gaswerkgasse Nr. 29 wohnhaft. Karl Zöllner, Müllnergehilfe, am 14.9.1916 in Salzburg geb. und zust., evang., led., Scherzhauserfeldsiedlung Nr. 4 wohnhaft. Karl Russ, Elektrikergehilfe, am 3.11.1914 in Zell am See geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Gaswerkgasse Nr. 23 wohnhaft. Alois Berndlbauer, am 15.10.1905 in St. Veit, Bezirk Braunau, geb., St. Laurenz zust., röm. kath., verh., Salzburg, Weizensteinerstraße Nr. 7 wohnhaft. Walter Moser, Fleischhauergehilfe, am 31.8.1914 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Villagasse Nr. 2 wohnhaft. Josef Frauenschuh, Geschäftsdiener, am 31.8.1915 in Schleedorf, Bezirk Salzburg, geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Dr. Franz Rehrl-Siedlung Nr. 6 wohnhaft. Josef Lastinger, Schriftsetzer, am 4.12.1911 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Rupertgasse Nr. 22 wohnhaft. August Erbschwandtner, Handelsangestellter, am 22.7. 1914 in Ostermiething, Bezirk Braunau, geb., nach Salzburg zust., röm. kath., led., Salzburg, Ignaz-HarrerStraße Nr. 26 wohnhaft. Johann Wurm, Tischlergehilfe, am 4.2.1902 in Roiden, Bezirk Zwettl, geb., nach Salzburg zust., röm. kath., Salzburg, Lehener Au Nr. 2 wohnhaft. Anton Ristits, Spenglermeister, am 11.7.1888 in München geb., nach Salzburg zust., evang. A. B., verh., Salzburg, Tellhamgasse Nr. 6 wohnhaft. Peter Schneebuchler, Tischlergehilfe, am 26.4.1904 in Neukirchen, Bezirk Braunau, geb. und zust., röm. kath., verh., Salzburg, Paumannplatz Nr. 3 wohnhaft. Michael Pichtl, Hilfsarbeiter, am 30.7.1906 in Liefering geb., nach Siezenheim zust., röm. kath., verh., Salzburg, Dollfuß-Siedlung Nr. III wohnhaft. Franz Eder, Hilfsarbeiter, am 12.6.1902 in Neumarkt, Bezirk Salzburg, geb., nach Strasswalchen, Bezirk Salzburg, zust., evang., verh., Salzburg, Linzer Bundesstraße Nr. 12a wohnhaft. Franz Kothmayer, Tischlergehilfe, am 26.11.1911 in Gmunden geb., nach Salzburg zust., röm. kath., led., Salzburg-Gnigl, Familienhaus wohnhaft. Johann Thayer, am 13.2.1912 in Aigen geb., nach Salzburg zust., röm. kath., led., Salzburg-Gnigl, Grazer Bundesstraße Nr. 32 wohnhaft. Sämtliche verhaftete SA-Mitglieder sind durch Geständnisse ihrer Führer einwandfrei überwiesen und haben bis auf 5 ein umfassendes Geständnis abgelegt. (…)

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 20. September 1937. Geschäftszahl  : 357.118-G.D./St.B.37 (Nachzahlen  : 363.371-St.B./37). Gegenstand  : Nationalsozialistische Umtriebe in Oberalm, Bez. Hallein  ; Erhebungen. 94/30 9. September 1937. Habe von einem Konfidenten Folgendes erfahren  : Vor ca. 14 Tagen hätte ein Bauers­ sohn von Oberalm oder Puch, Bezirk Hallein, Salzburg, wegen Geheimbündelei eine längere Strafe antreten sollen. Vor Antritt der Strafe ist dieser über Anraten eines Gendarmeriebeamten nach Deutschland geflüchtet. Oberalm und Puch gehören zum Postenrayon Puch, Bezirk Hallein. Es müsste sich allenfalls um einen Beamten des Postens Puch handeln. Der geflüchtete Bauerssohn hat ferner in Oberalm Nr. 315 einen Freund namens Johann Hillebrand. Zu diesem hat der Geflüchtete gesagt, dass es höchste Zeit sei zu flüchten, der Gendarmeriebeamte hätte ihn schon verständigt, dass seine Vorführung bevorstehe. Weiters hat dieser Freund (Johann Hillebrand) vom Geflüchteten den Auftrag erhalten, nach seiner Flucht Pferd und Wagen über die Grenze zu schmuggeln. Johann Hillebrand hat diesen Auftrag bereits vollzogen. (…) Dieser Bericht wurde vom Konfidenten aus dem Gespräch des Johann Hillebrand aufgenommen. Wien, 19. September 1937. An den Herrn Sicherheitsdirektor für Salzburg in Salzburg. Nach einer dem Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) zugekommenen vertraulichen Mitteilung soll vor etwa 3 Wochen ein Bauernsohn aus Oberalm, Bezirk Hallein, nach Deutschland geflüchtet sein. Nach einer Äußerung seines Freundes Johann Hillebrand, in Oberalm Nr. 315 wohnhaft, hat der Geflüchtete angeblich von einem Gendarmeriebeamten den Rat bekommen, sich nach Deutschland zu begeben, da seine Vorführung bevorstehe. Hillebrand hat auch über Auftrag des Emigranten Pferde und Wagen über die Grenze geschmuggelt. Hiervor ergeht mit der Einladung die Mitteilung, unverzüglich streng vertrauliche Erhebungen zu veranlassen und über deren Ergebnis zu berichten.

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 14. Oktober 1937. Zl. Res 240/1. Betr.: Nationalsozialistische Umtriebe in Oberalm, Bezirk Hallein, Erhebungen. An das Bundeskanzleramt, St.B., in Wien. Zum d. a. Erlass vom 19.9.1937, Zl. 357.118-St.B., beehre ich mich eine Abschrift des Erhebungsberichtes des Landesgendarmeriekommandos Salzburg vom 10.10.1937, E. Nr. 255 res, zur Kenntnisnahme mit dem Beifügen vorzulegen, dass es bei größeren Aktionen immer einzelnen möglich ist zu flüchten, da die Organisationen einen ausgezeichneten Nachrichtendienst unterhalten. Landesgendarmeriekommando für Salzburg Salzburg, 10. Oktober 1937. E. Nr. 255 res. Betr.: Nationalsozialistische Umtriebe in Oberalm, Bezirk Hallein, Erhebungsresultat. Verschluss  ! Streng vertraulich  ! An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. Auf d. ä. Erlass vom 25.9.1937, Zl. 240 res, wird Folgendes gemeldet  : Im Zuge einer nationalsozialistischen Flugzettelaktion am 18.6.1937 wurden vom Posten Hallein die Fachschüler Albert Peter, Gustav Aufhauser und Otto Rothböck am 19.6.1937 als unmittelbare Täter verhaftet und in der Folge die illegale SS-Formation und die Hitler-Jugend von Hallein und Umgebung aufgerollt. Am 20.6.1937 nachmittags gestand der verhaftete Albert Peter, dass ihn der in Oberalm Nr. 135 wohnhafte Bauernsohn Anton Haberpointner zum Abbrennen eines Hakenkreuzfeuers am 19.6.1937 beauftragt habe. Durch weitere im Laufe des Nachmittags des 20.6.1937 von den Verhafteten abgelegte Geständnisse wurde einwandfrei festgestellt, dass Haberpointner die Funktion des Stellvertreters des SS-Sturmführers von Hallein bekleidet hat, weshalb sofort eine Gendarmeriepatrouille, bestehend aus den Gendarmen Karl Flatscher und Johann Russinger des Postens Hallein, zur Verhaftung desselben abgefertigt wurde. Haberpointner konnte jedoch nicht mehr verhaftet werden, weil er zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr auf österreichischem Boden war. Er hatte, von seinen noch in Freiheit befindlichen Parteigenossen gewarnt, am 20.6.1937 schon vormittags die in Oberalm Nr. 315 wohnhafte Justine Hillebrand

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ohne Angabe irgendwelcher Umstände ersucht, sie möge ihren Gatten Johann Hillebrand, der von 7 Uhr bis 17 Uhr bei den Halleiner Solvay-Werken seine Schicht absolvierte, sagen, er möge ihm sein Pferdegespann gegen 18 Uhr über die Grenze zum Gasthaus »Bayrische Gams« in Bayrisch-Au bringen. Haberpointner verrichtete nämlich seit April 1937 mit seinem eigenen Pferdegespann in Berchtesgaden Fuhrwerksdiente, kehrte meistens an Samstagen samt Fuhrwerk auf der Zollstraße Zill-Dürrnberg nach Oberalm zurück und fuhr an Sonntagen samt Fuhrwerk wieder nach Bayern. Da auch Hillebrand im Frühjahr 1937 in Berchtesgaden gearbeitet hat, kam es öfters vor, dass er für Haberpointner an Sonntagen dessen Pferdespann, für das die zollamtlichen Papiere vorhanden waren, auf der Zollstraße, gleich anderen Fuhrleuten, nach Bayern transportierte. Gegen Hillebrand, der straflos ist, ergaben sich im Zuge der durchgeführten Erhebungen keine Verdachtsmomente der illegalen Betätigung. Die an der Durchführung der Ehebungen beteiligt gewesenen Gendarmeriebeamten stehen über jedem Verdacht der Pflichtwidrigkeit. Nach hieramtlicher Beurteilung erscheint es vollkommen ausgeschlossen, dass irgendein Gendarmeriebeamter dem geflüchteten Anton Haberpointner den Rat gegeben haben sollte, nach Deutschland zu flüchten. Ebenso ist ein Schmuggel des Pferdegespannes des Haberpointner nicht vorgekommen. Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 29. November 1937. Zahl  : 196/117 res 1937. Betreff  : Franz Glawitsch, nationalsozialistischer Kurier. Festnahme. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St.B., Wien I., Herrengasse 7. Unter Bezugnahme auf den am 29.11.1937 bereits mündlich erstatteten Bericht beehrt sich die Bundespolizeidirektion Nachstehendes zu berichten  : Am 28.11.1937 um 19 Uhr abends wurde vom Kriminalbeamtenanwärter Johann Frauscher der bereits wegen nationalsozialistischer Umtriebe vor kurzem vorbestrafte und aus der Realschule strafweise ausgeschlossene Schüler Alois Grabmayer, 12.2.1919 in Strasswalchen geb., Salzburg zust., röm. kath., led., Eichstraße Nr. 68 wohnhaft, beobachtet, wie er sich in Gesellschaft des Lehrlings Franz Glawitsch, 27.9.1920 in Graz geb., nach Villach zust., röm. kath., led., Bad Gastein Nr. 130 wohnhaft, herumtrieb und offenkundig auf einen Zug wartete. Kriminalbeamtenanwärter Frauscher, der die beiden beobachtete, hielt sie in dem Momente an, als Glawitsch den Zug besteigen wollte. Er nahm sofort eine genaue Personendurchsuchung vor, welche ergab, dass nicht nur Grabmayer wieder für die

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NSDAP »Hitler-Jugend« tätig ist, sondern die auch den einwandfreien Nachweis dafür erbrachte, dass Glawitsch als Kurier für die »Hitler-Jugend« tätig ist. In seinem Besitze wurde ein Befehl der »Hitler-Jugend« für einen Appell, der am Sonntag, den 11.12.1937 stattfinden sollte, sowie einige Exemplare neuester Flugblätter der »Hitler-Jugend« vorgefunden (…) Die Bundespolizeidirektion beehrt sich, dies einstweilen zur geneigten Kenntnis zu bringen (…) und hierzu noch zu berichten, dass umfassende Erhebungen eingeleitet sind, um die scheinbar neu erstandene Organisation der »Hitler-Jugend« – die letzte Organisation wurde erst vor wenigen Wochen durch die Verhaftung der Führer zerschlagen – aufzudecken. DIE EWIGE WACHE38 Ein Völkerschicksal von 70 Millionen liegt auf der Waagschale des ewigen Weltgerichtes, und was vielleicht nur an Stunden versäumt wird, vermögen Jahrhunderte nicht mehr gutzumachen. In dieser Überzeugung hielten wir am 8. November 1923 die Stunde für gekommen  ! Ob wir recht gehandelt, wird letzten Endes kein Staatsanwalt und kein Gerichtshof des Augenblicks entscheiden, sondern dereinst die Deutsche Geschichte  ! Adolf Hitler Am 9. November 1923, 12 Uhr 30 Minuten mittags, fielen in der Feldherrnhalle sowie im Hof des ehemaligen Kriegsministeriums zu München folgende Männer im treuen Glauben an die Wiederauferstehung ihres Volkes  : (…) Wenn die Herbststürme die Wolkenfetzen über unser deutsches Land treiben, gedenken wir alle Deutschen der Helden, deren Blutopfer zum Baustein des neuen Reiches wurden. Am 9. November wollte die junge Mannschaft des neuen Reiches das Schicksal mit Gewalt wenden. Das seit der Revolte von 1918 immer tiefer gesunkene deutsche Volk emporreißen und einer lichteren Zukunft entgegenführen, doch die Zeit war noch nicht reif. Von den Kugeln der Reaktion durchbohrt, wälzten sich zu Tode getroffen auf dem Pflaster vor der Münchner Feldherrnhalle (…) Dieser 9. November, dieser Blut- und Trauertag jüngster deutscher Geschichte, wurde uns aber zum Symbol des Einsatzes fürs Ganze, zum Symbol unserer Opferbereitschaft  ! In Trauer und Ehrfurcht und gläubigem Hoffen blicken wir zu den Männern auf, die durch den Einsatz ihres Lebens, des letzten und schwersten, was wir für unsere Idee opfern können, zu den Mahnern und Bausteinen des ewigen Deutschland wurden.

38 Flugblatt der HJ vom November 1937.

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Die Reihe namenloser Helden, die im großen Kriege in den Schützengräben Flanderns, in der weiten Ebene Russlands, im Felsengebirge des Karst und auf den Gletschern der Hochalpen fielen, ziehe stumm an uns vorüber. 2 Millionen Tote mahnen uns  ! Es stehen die Helden des Münchner Bluttages vor uns, die ersten Künder deutscher Auferstehung und vorüber zieht die unsterbliche Gefolgschaft Horst Wessels, die stillen Helden kampferfüllten Alltags. Und vor uns stehen unsere Julikämpfer, die im Ringen um unsere Heimat ihr letztes Opfer brachten  ! Dies große namenlose Heer steht vor uns und mahnt uns. Und in ihrem Gedenken brennt es in uns auf und wir sind glücklich, dass wir für so eine reine und hehre Idee kämpfen dürfen, die wertvoll und groß genug ist, dass Millionen für sie ihr schwerstes Opfer brachten. Und wenn wir in unserem Kampf , in unserem Glauben einmal schwach werden sollten, dann zieht an uns diese große tote Armee des ewigen Deutschland vorüber und ein unbändiger Glaube und eine unerhörte Kraft durchglüht uns zu kämpfen und zu opfern, als Erben und Bannerträger der großen toten Helden, für unser Deutschland  ! (…) Der Gott, den wir verehren, wäre nicht, wenn unsere Seele und unser Blut nicht wären, so würde das Bekenntnis eines Meisters Ekkehart für unsere Zeit lauten. Deshalb ist Sache unserer Religion, unseres Staates, unseres Rechtes alles, was die Ehre und die Freiheit dieser Seele und dieses Blutes schützt, stärkt, läutert, durchsetzt. Deshalb sind heilige Orte alle die, an denen deutsche Helden für diese Gedanken starben  ; heilig sind jene Orte, wo Denkmäler und Denksteine an sie erinnern, und heilige Tage sind die, an denen sie einst am leidenschaftlichsten dafür kämpften  ! So sind die ersten Toten der Bewegung nicht in dumpfe Grüfte versenkt worden, sondern sie liegen in ehernen Sarkophagen unter freiem Himmel, bei Sonne, Sturm oder Regen und halten die ewige Wache mahnend für alle kommenden Geschlechter. Unsterblich werden sie so für alle Zukunft unter uns sein. Uns ist der 9. November kein Tag der weinenden Totenklage, sondern der Tag der Auferstehung des Opfermutes, des Einsatzwillens und des Geistes der Tat  ! Nicht in alten Bahnen ist Gott. Du kannst ihn ahnen, wo die Fahnen des Glaubens wehn  : am Schafott. Dort, wo die Teufel »schwör’ ab, Hund, oder falle  !« Was sie auch Dome schufen uns sind Altar die Stufen der Feldherrnhalle  !

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Baldur von Schirach39 Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 16. Oktober 1937. Zahl  : 196/55 res 37. Betreff  : Aufdeckung der illegalen Organisation der NSDAP »Hitler-Jugend«. An die Generaldirektion für öffentliche Sicherheit, St.B., zu Handen des Herrn Hofrates Krechler in Wien I., Herrengasse Nr. 7. Nach völliger Aufdeckung der illegalen Formation der NSDAP in der Stadt Salzburg war die Bundespolizeidirektion nunmehr bemüht, die Organisation der NSDAP »Hitler-Jugend« aufzudecken umso mehr, als die Bundespolizeidirektion seitens verlässlicher Vertrauenspersonen Mitteilungen bekam, dass die NSDAP bemüht ist, ihre Organisation »Hitler-Jugend« auszubauen und dieser eine besonders verlässliche und gründliche Schulung angedeihen zu lassen. Die Bundespolizeidirektion hat vorerst ihren gesamten Nachrichtendienst organisiert und auch Personen, von denen sie Nachricht erhalten hat, dass sie zuverlässig Mitglieder der Hitler-Jugend sind, unter genaue Beobachtung gestellt. Die Vorkehrungen, welche die Bundespolizeidirektion getroffen hat, führten zu einem vollen Erfolg und konnte die gesamte Leitung der Hitler-Jugend einwandfrei festgestellt und auch bis auf zwei Personen verhaftet werden. Die Leitung der Hitler-Jugend des Landes Salzburg setzt sich wie folgt zusammen  : Bannführer für das Bundesland Salzburg  : 39 Baldur von Schirach (1907–1974) kam bereits 1925 in Kontakt mit Hitler, der ihm 1928 die Leitung der nationalsozialistischen Hochschulbewegung übertrug. 1931 wurde er Reichsjugendführer der NSDAP (HJ, BDM, NS-Schülerbund, Jungvolk), 1933 Jugendführer des Deutschen Reiches, zuständig für die außerschulische Jugenderziehung. Er war der Verfasser des HJ-Liedes »Unsere Fahne flattert uns voran« und erklärte 1935 auf einer HJ-Kundgebung, wer Hitler diene, diene Deutschland und wer Deutschland diene, diene Gott. Die HJ-Trainingslager hatten das von ihm ausgegebene Motto »Wir sind geboren, für Deutschland zu sterben.« Ab 1940 war er Gauleiter und Reichsstatthalter in Wien und Reichsleiter für Jugenderziehung. 1945 verbarg er sich unter dem Namen Richard Falk in Tirol, wurde aber im Juni 1945 festgenommen und vom Internationalen Militärtribunal in Nürnberg 1946 zu 20 Jahren Haft verurteilt. 1966 wurde er aus dem Gefängnis in Berlin-Spandau entlassen und veröffentlichte ein Jahr später seine Memoiren. Zu Schirach vgl. Baldur von Schirach  : Memoiren. – Hamburg 1967  ; Henriette von Schirach  : Der Preis der Herrlichkeit. Erfahrene Zeitgeschichte. – Frankfurt am Main/Berlin 1995  ; Michael Wortmann  : Baldur von Schirach. Hitlers Jugendführer. – Köln 1982.

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Hugo Freinbichler, ehemaliger Lehramtskandidat, 11.5.1916 in Morzg bei Salzburg geb., Aigen, Bezirk Salzburg, zust., röm. kath., led., Glasenbach Nr. 57 wohnhaft  ; Presse- und Propagandaleiter für das Bundesland Salzburg  : Franz Neidl, Gymnasialschüler, 12.2.1917 in Frankenmarkt, Oberösterreich, geb. und zust., röm. kath., led., zuletzt Salzburg, Siebenstättergasse Nr. 12 wohnhaft, flüchtig. Er war in der Hitlerbewegung unter dem Decknamen »Fink« tätig. Das Bundesland Salzburg gliedert sich in vier Unterbanne  : Führer des Unterbannes Gau Flachgau  : Johann Zagler,40 Lehrer, 3.11.1911 in Salzburg geb. und zust., röm. kath. Led., zuletzt Berndorf bei Salzburg wohnhaft, derzeit wegen Oberschenkelbruch im Sanatorium Wehrle in Behandlung. Führer des Unterbannes Gau Tennengau  : Johann List, Handelsangestellter, 2.11.1915 in Salzburg geb., Hallein zust., röm. kath., led., zuletzt Hellbrunner-Kaserne wohnhaft, derzeit im Landesgericht Salzburg in Haft. Führer des Unterbannes Gau Pongau  : Alfred Hold und Martin Ernst. Erhebungen werden von der Gendarmeriegruppe des Landes Salzburg noch durchgeführt. Führer des Unterbannes Pinzgau  : Stelle derzeit unbesetzt. Standortführer für die Stadt Salzburg  : Alfred Reiter, Tischlergehilfe, 15.6.1917 in Gnigl geb., Salzburg zust., Itzlinger Hauptstraße Nr. 46 wohnhaft. Die Stadt Salzburg gliedert sich in drei Scharen. Führer der Schar 1  : Leopold Leibetseder, Handelsangestellter, 31.7.1914 in Maxglan geb., Salzburg zust., röm. kath., led., Salzburg, Gstättengasse Nr. 23 wohnhaft. Führer der Schar 2  : Johann Möseneder, Fotolehrling, 10.7.1920 in Salzburg geb. und zust., evang., led., Salzburg, Ganshofstraße Nr. 19 wohnhaft. Bis Juni l .J. wurde diese Schar von Helmut Schiemann, Gewerbeschüler, 16.7.1918 in Salzburg geb. und zust., Nonntaler Hauptstraße Nr. 10 wohnhaft, geführt, der beurlaubt wurde, da er zum Militär einrücken sollte und von Juni bis September l. J. führte diese Schar Otto Kainz, Tischlergehilfe, 11.7.1916 in Liefering geb., Siezen-

40 Der Volksschullehrer Johann Zagler wurde am 5. Jänner 1938 zusammen mit Hugo Freinbichler vor dem Landesgericht Salzburg nach § 4 Staatsschutzgesetz angeklagt und zu einer mehrmonatigen Kerkerstrafe verurteilt. (Salzburger Volksblatt 5.1.1938. S. 11.)

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heim zust., St. Julien Straße Nr. 4a wohnhaft, zu welchem Zeitpunkte dann Johann Möseneder diese Schar übernahm. Führer der Schar 3  : Konrad Piringer, Elektrikerlehrling, 15.11.1915 in Triest geb., Salzburg zust., röm. kath., led., zuletzt Salzburg, Fanny von Lehnert Straße Nr. 8 wohnhaft gewesen, seit 2 Monaten flüchtig. Derzeit wird die Schar von seinem Stellvertreter Josef Scheinecker, Realschüler, 28.2.1920 in Traun bei Linz geb. und zust., röm. kath., led., Itzlinger Hauptstraße Nr. 34a wohnhaft, geführt. Die Scharen wiederum gliedern sich in Kameradschaften und hat jede Schar mehrere Kameradschaften. Bis jetzt konnten folgende Kameradschaftsführer ausgeforscht werden  : Leopold Lerch, Elekriker, 15.11.1916 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Griesgasse Nr. 33 wohnhaft. Jakob Kaindl, Schlossergehilfe, 8.11.1920 in Salzburg geb., Anif, Bezirk Salzburg, zust., röm. kath., led., Maxglan, Kendlerstraße Nr. 17 wohnhaft. Josef Fissthaler, Handelslehrling, 9.10.1919 in Salzburg geb. und zust., Maxglan, Hauptstraße Nr. 29 wohnhaft. Max Leitner, Hilfsarbeiter, 22.5.1920 in Maxglan geb., Salzburg zust., röm. kath., led., Maxglan, Gärntnerstraße Nr. 55 wohnhaft. Franz Zagler,41 Hilfsarbeiter, 26.2.1919 in Bergheim geb. und zust., röm. kath., led., Itzling, Theodorerstraße Nr. 11 wohnhaft. Als einfache Mitglieder der Hitler-Jugend konnten bisher ausgeforscht werden  : Josef Ansorge, Hauptschüler, 10.6.1922 in Oberndorf, Bezirk Salzburg, geb., Salzburg zust., röm. kath., led., Salzburg, Griesgasse Nr. 21 wohnhaft. Josef Pointecker, Schlossergehilfe, 12.9.1919 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg Maxglan, Schwedenstraße Nr. 5 wohnhaft. Max Janisch, Lehrling, 11.10.1922 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., Salzburg, Ignaz Harrer-Straße Nr. 24 wohnhaft. Gabriel Kostner, Handelslehrling, 30.1.1921 in Gnigl geb., Salzburg zust., Salzburg, Stauffenstraße Nr. 1 wohnhaft. Die Vorgenannten sind größtenteils geständig, doch haben die Hausdurchsuchungen belastendes Material von Bedeutung nicht zutage gefördert. Die Beschuldigten gaben nach langwierigen Verhören zu, dass sie sich für die Hitler-Jugend und im Sinne derselben betätigt und an Appellen teilgenommen haben.

41 Franz Zagler wurde am 18. Jänner 1938 vom Landesgericht Salzburg zu einer Haftstrafe von 5 Wochen schweren Kerker verurteilt.

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Von besonderem Interesse erscheint aber das Geständnis des Scharführers Leibets­ eder dahingehend, dass Mitglieder der Hitler-Jugend in Uniformen am Parteitag 1937 in Nürnberg teilnahmen (…) Auf Grund weiterer Erhebungen wurde festgestellt, dass Franz Neidl unter seinem Decknamen »Hugo Fink« Post an den Verein »Jugendpflege in Österreich«, Bergstraße Nr. 16, senden ließ und auch nationalsozialistisches Propagandamaterial unter diesem Decknamen vom Verein aus zur Versendung brachte. Weiters wurde einwandfrei festgestellt, dass Flugblätter der illegalen Hitler-Jugend auf der dem Verein »Jugendpflege in Österreich« gehörigen Schreibmaschine hergestellt und auf den dem Verein gehörigen Abziehapparat vervielfältigt wurden. Am 4.10.1937 wurde der Realschüler Alois Grabmayer, Realschüler der 6. Klasse, am 12.2.1919 in Strasswalchen geb. und zust., röm. kath., led., Gnigl, Eichstraße Nr. 68 wohnhaft, am Postamte Gnigl verhaftet, da er dortselbst 3 Pakete und zwar an den Lehrer Josef Zagler, Berndorf im Flachgau, an Josef Hold in Radstadt und an Paul Arnsteiner, Bad-Hofgastein adressiert, aufgeben wollte. Diese drei Pakete enthielten Flugblätter der HitlerJugend. Als Absender war auf den Paketen »Hugo Fink« verzeichnet. Nach 10 Tage langem Leugnen gestand endlich Grabmayer ein, dass er von Franz Neidl, den er seit längerer Zeit kannte, ersucht wurde, in der Buchhandlung des vorgenannten Vereines 3 Pakete zu übernehmen und auf der Post zur Aufgabe zu bringen. Fast gleichzeitig mit dem Geständnis Grabmayers legte auch der Bannführer Freinbichler dahingehend ein Geständnis ab, dass »Hugo Fink« ident ist mit Franz Neidl und dieser der Presse- und Propagandaleiter für das Bundesland Salzburg ist und sich insbesondere mit der Herstellung und Versendung des Propagandamaterials zu befassen hatte. Die Bundespolizeidirektion wollte sofort Franz Neidl, der ja der Bundespolizeidirektion schon als führende Persönlichkeit in der Hitler-Jugend im Herbst 1936 aufgefallen war und der auch dem Landesgerichte im Herbst 1936 wegen seiner illegalen Tätigkeit eingeliefert und auch verurteilt wurde, verhaften, doch gelang dies nicht mehr, da Neidl bereits als gegen den Verein »Jugendpflege in Österreich« eingeschritten wurde, (…) flüchtete. Die Bundespolizeidirektion hat die Vereinstätigkeit des Vereines »Jugendpflege in Österreich« eingestellt und die Auflösung beim Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg beantragt und im Zuge dieser Maßnahme auch die Vereinsbuchhandlung geschlossen, da einwandfrei der Nachweis erbracht ist, dass unter dem Deckmantel des Vereines Jugendpflege illegale nationalsozialistische Tätigkeit ausgeübt wurde.

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Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Organisation der Hitler-Jugend im Land Salzburg sehr gut und straff aufgebaut war und dass sowohl die Funktionäre sowie die einzelnen Mitglieder der Hitler-Jugend, soweit bisher festgestellt werden konnte, auch äußerst gut geschult waren und insbesondere sich bei den Einvernahmen streng an die Weisungen der NSDAP betreffend Verhalten bei Verhören vor der Polizei hielten. Wenn schon auf Grund erdrückender Beweise der Verhaftete für sich und seine Funktion ein Geständnis ablegte, so vermied er so lange als möglich die ihm zugeteilten oder untergeordneten Kameraden bekanntzugeben und wurde im Allgemeinen die Taktik verfolgt, nur das zuzugeben, was seitens der Behörde nachgewiesen werden konnte. Die Bundespolizeidirektion hat gegen alle eingangs genannten Funktionäre und Angehörigen der Hitler-Jugend die Strafanzeige nach dem Staatsschutzgesetz und nach § 285 StrG bei der Staatsanwaltschaft beim Landesgerichte in Salzburg erstattet (…) Die Bundespolizeidirektion wird in der nächsten Zeit noch bemüht sein, Einzelmitglieder der Hitler-Jugend auszuforschen und die weitere Unterorganisation der Hitler-Jugend aufzudecken. Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 26. Oktober 1937. Zahl  : 196/78 res 1937. Betreff  : Aufdeckung der illegalen Organisation der NSDAP »Hitler-Jugend«. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St.B., zu Handen des Herrn Hofrates Krechler, Wien I., Herrengasse 7. Im Nachhange zum h.a. Berichte vom 16.10.1937, Zahl 196/55 res 1937, und in Fortsetzung des Berichtes vom 22.10.1937, Zahl 196/70 res 1937, beehrt sich die Bundespolizeidirektion zu berichten, dass noch nachstehende einfache Mitglieder der Hitler-Jugend ausgeforscht und der Teilnahme an der Hitler-Jugend überwiesen werden konnten. Sie sind durchwegs des ihnen zur Last gelegten Tatbestandes geständig. Otto Hofmeister, Mechanikergehilfe, 9.10.1919 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Auerspergstraße Nr. 10 wohnhaft  ; Karl Meiel, Tischlerlehrling, 12.9.1920 in Salzburg geb., Hallein zust., röm. kath., led., Maxglan, Gärtnerstraße Nr. 17 wohnhaft  ; Reinhold Müller, Handelslehrling, 7.9.1920 in Monts-Veteo geb., Salzburg zust., röm. kath., led., Salzburg, Judengasse Nr. 7 wohnhaft  ;

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Wilhelm Schubhart, Mechanikerlehrling, 11.10.1922 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Maxglan, Gärtnerstraße Nr. 25 wohnhaft  ; Anton Tagger, Bäckergehilfe, 23.9.1918 in Pfarrwerfen, Bezirk St. Johann im Pongau, geb. und zust., röm. kath., led., Maxglaner Hauptstraße Nr. 47 wohnhaft  ; Valentin Fritz, Malerlehrling, 30.6.1920 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Maxglan, Gärtnerstraße Nr. 17 wohnhaft  ; Franz Jonak, Elektrikerlehrling, 16.8.1922 in Maxglan geb., Salzburg zust., röm. kath., led., Anton Hall-Straße Nr. 4 wohnhaft  ; Johann Wieder, Hauptschüler, 9.3.1922 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Dr. Franz Rehrl-Siedlung wohnhaft  ; Herbert Fritz, Hafnerlehrling, 8.11.1922 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Maxglan, Mühlbachgasse Nr. 6 wohnhaft  ; Adolf Schubhart, Tischlergehilfe, 5.7.1919 in Dorf Fusch, Bezirk Zell am See, geb., Salzburg zust., röm. kath., Maxglan, Gärtnerstraße Nr. 25 wohnhaft  ; Fritz Salzberger, Fleischhauergehilfe, 25.10.1919 in Elsbethen, Bezirk Salzburg, geb., Salzburg zust., röm. kath., led., Salzburg, Brotgasse Nr. 1 wohnhaft  ; Franz Schlager, Friseurlehrling, 7.3.1921 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Hans-Sachs-Gasse Nr. 17 wohnhaft  ; Mathias Schmid, Friseurlehrling, 10.10.1921 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Ignaz-Harrer-Straße Nr. 14 wohnhaft  ; Karl Krakowitzer,42 Automechanikergehilfe, 14.8.1919 in Itzling geb., Salzburg zust., röm. kath., led., Salzburg, Schlachthofgasse Nr. 11 wohnhaft  ; Johann Kric, Bäckerlehrling, 27.7.1920 in Nussdorf, Bezirk Salzburg, geb., Wien zust., röm. kath., led., Salzburg, Ignaz-Harrer-Straße Nr. 7 wohnhaft  ; Johann Brunner, Hilfsarbeiter, 15.7.1920 in Maxglan geb., Rüstorf, Bezirk Vöcklabruck, zust., röm. kath., led., Salzburg, Wehrgasse Nr. 5 wohnhaft  ; Friedrich Lechner, Handelslehrling, 22.2.1920 in Graz geb., Salzburg zust., röm. kath., led., Salzburg, Ganshofstraße Nr. 11 wohnhaft. (…) Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 9. Dezember 1937. Zahl  : 196/136 res 1937. Betreff  : Aufdeckung des illegalen Organisation der Hitler-Jugend. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St.B., zu Handen Herrn Hofrat Krechler, Wien I., Herrengasse 7. 42 Karl Krakowitzer wurde am 18. Jänner 1938 vom Landesgericht Salzburg zu einer Haftstrafe von 2 Wochen schweren Kerker verurteilt.

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(…) Die Bundespolizeidirektion hat durch ihren Nachrichtendienst in Erfahrung gebracht, dass die NSDAP bemüht ist, insbesondere ihre Organisation »Hitler-Jugend« unter allen Umständen schlagkräftig zu erhalten und jede entstandene Lücke sofort auszufüllen. Aus diesem Grunde hat die Bundespolizeidirektion auch weiterhin ein besonderes Augenmerk der Hitler-Jugend zugewandt umso mehr, als auch Nachrichten dahingehend einliefen, dass der am 16. Oktober 1937 geflüchtete Propaganda- und Presse­chef der Hitler-Jugend, Franz Neidl, ehemaliger Gymnasialschüler, 12.2.1917 in Frankenmarkt, Oberösterreich, geb.- und zust., röm. kath., led., zuletzt Salzburg, Siebenstädtergasse Nr. 12 wohnhaft gewesen, auf Schleichwegen nach Österreich zurückkehrte, weiter für die Hitler-Jugend führend tätig sei und am weiteren Ausbau der Hitler-Jugend sich intensiv beschäftigte. Die Bundespolizeidirektion hat daher auch in den Abendstunden den Bundesbahnhof einer besonderen Überwachung unterzogen und gelang es tatsächlich (…) zwei der Hitler-Jugend angehörige Personen, den Realschüler Alois Grabmayer, 12.2.1919 in Strasswalchen geb., Salzburg zust., röm. kath., led., Eichstraße Nr. 68 wohnhaft, und den Lehrling Franz Glawitsch, 27.9.1920 in Graz geb., nach Villach zust., röm. kath., led., Bad Gastein Nr. 130 wohnhaft, festzunehmen, als Glawitsch eben den nach Gastein abfahrenden Personenzug besteigen wollte. Die beiden Vorgenannten wurden einer sofortigen Personendurchsuchung unterzogen und wurde insbesondere bei Glawitsch äußerst bedenkliches Material vorgefunden, welches keinen Zweifel darüber aufkommen ließ, dass Glawitsch der Kurier für das Gasteinertal war. Bei der näheren Durchsicht des bei Glawitsch vorgefundenen Schriftmaterials zeigte sich, dass dieses Schriftmaterial für verschiedene Organisationen der NSDAP bestimmt war bzw. sich auf solche bezog. Ein Teil dieses Schriftmaterials war bestimmt für die Führerin des »Bundes deutscher Mädchen« in Gastein, während der andere Teil für die Unterführer der Hitler-Jugend im Gasteinertal und im Pinzgau bestimmt war. Am aussichtsreichsten erschien für den weiteren Gang der Erhebungen der Brief, welcher offenkundig an die Führerin des »Bundes deutscher Mädchen« in Gastein geschrieben und mit »Liebe Mitzl« überschrieben war. In diesem Brief fand sich eine Adresse, lautend »L. C. Itzlinger Hauptstraße Nr. 34a« vor. Die sofort in dieser Richtung gepflogenen Erhebungen ergaben, dass im Hause Itzlinger Hauptstraße Nr. 34a eine Frau Anna Scheinecker, geb. Prankel, Lagerführersgattin, 11.4.1894 in Landeck, Tirol, geb., Traun, Bezirk Linz Oberösterreich, zust., röm. kath., verh., mit ihrer Tochter Anna Scheinecker, Hausgehilfin, 30.1.1922 in Traun, Oberösterreich, geb. und zust., röm. kath., led., wohnt. Die Familie Scheinecker steht seit langem h.a. als nationalsozialistisch eingestellt in Vormerkung und befindet sich auch derzeit seit Mitte Oktober der Sohn der Frau Scheinecker namens Josef Scheinecker, 28.2.1920

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in Traun bei Linz geb. und zust., röm. kath., led., wegen Verbrechens nach dem Staatsschutzgesetz in Untersuchungshaft beim Landesgerichte Salzburg. Im Zuge der weiteren Erhebungen konnte festgestellt werden, dass die Familie Scheinecker mit der im gleichen Hause wohnenden Beamtensgattin Babette Chlost, 30.3.1900 in Linz geb., Bad Gastein zust., evang., verh., befreundet ist und dass Frau Babette Chlost derzeit in München weilt, während die Wohnung allein von ihrer Tochter Liselotte Chlost, 15.2.1920 in Bad Gastein geb. und zust., röm. kath., led., bewohnt wird. Da der die Dispositionen enthaltende und für die Führerin des »Bundes deutscher Mädchen« in Gastein geschriebene Brief mit »Liesl« unterzeichnet war, bestand wohl kein Zweifel mehr darüber, dass Liselotte Chlost als Schreiberin dieses Briefes in Betracht kommt, umso mehr, als die weiteren Erhebungen ergaben, dass in den letzten Wochen häufig Burschen und Mädchen in der Wohnung der vorbezeichneten Liselotte Chlost von Nachbarn beobachtet wurden. Die Bundespolizeidirektion ordnete sofort eine Nachschau in der Wohnung der Liselotte Chlost an. Als die Kriminalbeamten beim Haus Itzlinger Hauptstraße Nr. 34a erschienen, bemerkten sie einen Mann, der eilend, ohne Schuh, das Haus Itzlinger Hauptstraße Nr. 34a verließ und in das Nachbarhaus eilte. Da den beiden Kriminalbeamten dieser Mann verdächtig vorkam, nahmen die die Verfolgung auf, doch gelang es diesem Manne, der in der Folgezeit als der seit 16.10. l. J. flüchtige und steckbrieflich verfolgte Propaganda- und Pressechef der Hitler-Jugend, Franz Neidl, identifiziert wurde, in die Wohnung der Frau Therese Eberstaller, geborene Pawel, 20.3.1889 in Budweis, CSR, geb., Salzburg zust., evang. A.B., gesch., Itzlinger Hauptstraße Nr. 34b wohnhaft, zu flüchten. Die Kriminalbeamten verlangten in die Wohnung sofort Einlass, doch wurde diesen der Einlass so lange verweigert, bis es Neidl in abenteuerlicher Flucht über das Dachgesims geglückt war, sich in Sicherheit zu bringen. Nach stundenlangem Suchen konnte Neidl, am Dachboden eines der benachbarten Häuser versteckt, aufgefunden und verhaftet werden. (…) Die Bundespolizeidirektion hat im Zuge der weiteren Erhebungen nachstehende Angehörige der Hitler-Jugend in der Stadt Salzburg verhaftet  : Hermann Koppenwallner,43 Goldschmiedelehrling, 28.1.1919 in Salzburg geb. und zust., evang., led., Salzburg, Adolf-Beck-Straße Nr. 3 wohnhaft  ; Eltern  : Paul und Berta, Goldschmiedegeschäftsinhaber in Salzburg. Bruno Stainer,44 Schlosserlehrling, 22.10.1917 in Maxglan geb., Salzburg zust., röm. kath., led., Leopoldskroner Allee Nr. 3 wohnhaft  ; Eltern  : Ludwig und Anna, Lehrer i.R., Salzburg. 43 Hermann Koppenwallner wurde am 18. Jänner 1938 in einer Schöffenverhandlung vor dem Landesgericht Salzburg zu einer Haftstrafe von 2 ½ Monaten schweren Kerker verurteilt. 44 Bruno Stainer wurde am 18. Jänner 1938 zu einer Haftstrafe von 4 Wochen schweren Kerker verurteilt.

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Ludwig Aspöck, Elektrolehrling, 16.9.1921 in Maxglan geb., Salzburg zust., röm. kath., led., Maxglan, Einiglstraße Nr. 8 wohnhaft  ; Eltern  : Ludwig und Angela, Buchdruckergehilfe (arbeitslos), Salzburg. Matthias Steinkellner, Installateurlehrling, 18.12.1921 in Wien geb. und zust., röm. kath., led., Scherzhauserfeldsiedlung Block H wohnhaft, Eltern  : Mutter Maria Steinkellner, Bedienerin. Walter Matousch, Hilfsarbeiter, 2012.1920 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Scherzhauserfeldsiedlung Block C/4 wohnhaft  ; Eltern  : Josef und Ida, Bauführer. Artur Böhm, ohne Beruf, 21.9.1922 in Prachatitz, CSR, geb., Salzburg zust., röm. kath., led., Salzburg, Scherzhauserfeldsiedlung Block C/1 wohnhaft  ; Eltern  : Franz und Marie, Lackierergehilfe (arbeitslos). Matthias Winzer, landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter, 23.5.1920 in Siezenheim geb. und zust., röm. kath., led., Liefering Fischergasse wohnhaft  ; Eltern  : Matthias und Anna, Landwirt. Karl Beyer, Hilfsarbeiter, 25.9.1918 in Maxglan geb., Salzburg zust., Maxglaner Hauptstraße Nr. 17 wohnhaft  ; Eltern  : Rudolf und Juliane, Gendarmeriebeamtenswitwe, Salzburg. Matthias Glück, Fleischhauergehilfe, 15.2.1920 in Maxglan geb., Salzburg zust., röm. kath., led., Maxglan, Pillweinstraße Nr. 15 wohnhaft  ; Eltern  : Franz und Barbara, Hilfsarbeiter. Stefan Reisch, Privater, 19.10.1923 in Maxglan geb. und zust., röm. kath., led., Maxglan, Prähauserweg Nr. 4 wohnhaft, Eltern  : Karl und Anna, Gärtner. Herbert Feichtner, Kaminkehrerlehrling, 10.7.1921 in Salzburg geb. und zust., evang., led., Salzburg, Getreidegasse Nr. 51 wohnhaft  ; Eltern  : Jakob und Josefine, Kaminkehrermeister. Rudolf Hodurek, Staatsgewerbeschüler des 3. Jahrgangs Elekrofach, 25.4.1920 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Wiesbauerstraße Nr. 8/1 wohnhaft  ; Eltern  : Alfred und Rosa, Steueroberverwalter i.P., Salzbnurg. Josef Lackinger, Tischlerlehrling, 3.6.1921 in Itzling geb., Burgkirchen, Bezirk Braunau Oberösterreich, zust., röm. kath. led., Salzburg, Linzergasse Nr. 29 wohnhaft  ; Eltern  : Franz und Therese, Schneidermeister, Salzburg. Norbert Atzmüller, Schneiderlehrling, 20.9.1920 in Reichenthal, Bezirk Freistadt Oberösterreich, geb., Salzburg zust., röm. kath., led., Salzburg, Straubingerstraße Nr. 10 wohnhaft  ; Eltern  : Norbert und Emilie, Schneidermeister, Salzburg. Alois Schiessl, Schneiderlehrling, 6.6.1920 in Palfing-Perwang geb., Berndorf zust., röm. kath., led., Salzburg, Rochusgasse Nr. 7 wohnhaft  ; Eltern  : Matthias und Elisabeth, Schneidermeister, Salzburg.

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Johann Spiweldiener, Fleischhauerlehrling, 8.3.1920 in Lofer geb. und zust., röm. kath., led., Maxglan, Ganshofstraße Nr. 15 wohnhaft  ; Eltern  : Anna und Johanna, Schuhmachermeister (arbeitslos). Albert Anger, Spänglergehilfe, 11.5.1920 in Siezenheim geb. und zust., röm. kath., led., Siezenheim-Himmelreich 5 wohnhaft  ; Eltern  : Johann und Anna, Nachtwächter. Johann Zellner, Friseurgehilfe, 10.11.1919 in Maxglan geb., Salzburg zust., röm. kath., led., Maxglan, Sebastian Stöllner-Straße Nr. 2 wohnhaft  ; Eltern  : Josef und Marie, Hilfsarbeiter der Firma Roittner. Ernst Schön, Kellner, 18.7.1917 in Fiestritz bei Groß-Sieghart, Waidhofen an der Thaya Niederösterreich, geb., Wien zust., röm. kath., led., Getreidegasse Nr. 38/III wohnhaft  ; Eltern  : Ernst und Malvine, Mutter Näherin. Franz Sterr, Fleischhauergehilfe, 16.11.1914 in Hüttau, Bezirk St. Johann, geb. und zust., evang., verh., Salzburg, Linzergasse Nr. 33 wohnhaft  ; Eltern  : Josef und Anna, Fleischhauergehilfe. Rudolf Strasser, Tischlerlehrling, 1.3.1921 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Guggenmoos-Straße Nr. 4 wohnhaft  ; Eltern  : Eberhard und Wilhelmine, Tischlermeister. Karl Holztrattner, Handelsschüler, 17.9.1919 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Rainerstraße Nr. 4 wohnhaft  ; Eltern  : Alfons und Johanna, Private. Friedrich Kranz, Handelsangestellter, 16.7.1920 in Bad Ischl geb. und zust., evang., led., Salzburg, Mayburgerkai Nr. 28 wohnhaft  ; Eltern  : Johann und Anna, Arbeitsinvalidenrentner, Salzburg. Franz Scherzer, Hutmacherlehrling, 13.2.1921 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Rudolf-Biebl-Straße Nr. 35 wohnhaft  ; Eltern  : Franz und Franziska, Hutmacher, Salzburg. Walter Telsnig, Staatsgewerbeschüler des 3. Jahrganges, 22.11.1920 in Strassburg, Bezirk St. Veit Kärnten, geb., Meiselding, Bezirk St. Veit, zust., röm. kath., led., Salzburg, Hans-Widmann-Straße Nr. 5 wohnhaft  ; Eltern  : Andreas und Mathilde, Hilfsarbeiter. Sämtliche Vorgenannte werden wegen Verbrechens nach dem Staatsschutzgesetz und Geheimbündelei der Staatsanwaltschaft beim Landesgerichte in Salzburg angezeigt. (…)

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Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 14. Dezember 1937. Zahl  : 484/41 res 1937. Betreff  : Illegale Organisation der Hitler-Jugend, »Bund deutscher Mädchen«, Aufdeckung. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St.B., zu Handen des Herrn Hofrates Krechler, Wien I., Herrengasse 7. Im Zuge der Aufdeckung der illegalen Organisation der NSDAP »Hitler-Jugend« wurde, wie schon im Berichte vom 9. Dezember 1937, Zahl  : 196/136 res. 1937, dargelegt wurde, auch die im Haushalte tätige Liselotte Chlost (…) in Haft genommen, da sie in der weiblichen Organisation der Hitler-Jugend »Bund deutscher Mädchen« eine führende Rolle innehatte und auch im Bund deutscher Mädchen organisatorisch tätig war. (…) Die Bundespolizeidirektion hat weitere Erhebungen zur Aufdeckung der Leitung bzw. Führung des »Bundes deutscher Mädchen« eingeleitet und die Handelsangestellte Theresia Hütter, 20.2.1916 in Salzburg geb., nach Laurenz, Bezirk Braunau Oberösterreich, zust., röm. kath., led., Salzburg, Mascagnigasse Nr. 21 wohnhaft, einer eingehenden Perlustrierung unterzogen, da im Besitze der Liselotte Chlost ein Aufgabeschein einer Postsendung an die vorgenannte Hütter vorgefunden wurde. Bei ihrer Anhaltung auf der Straße versuchte Hütter ein aus mehreren Bogen Seidenpapier bestehendes Schriftstück zu vernichten, doch gelang es, sie daran zu hindern. Die Durchsicht dieses Schriftstückes ergab einen genauen, bis ins Detail ausgearbeiteten Schulungsbrief für die Hitler-Jugend. (…) Die Bundespolizeidirektion beehrt sich, eine Abschrift des Schulungsbriefes (…) zur geneigten Einsichtnahme in Vorlage zu bringen (…) Arbeitsordnung des Sozialen Amtes Jede Dienststelle, von der Gebietsführung bis zum Standort, schafft ein »Sozialreferat«, das folgende Aufgaben zu erfüllen hat  : 1. Bildung von Zellen in den Betrieben, Fortbildungsschulen, Gewerkschaften und auch in den technischen Mittelschulen. Die Zellenbildung ist in erster Linie mit jenen Hitler-Jungen vorzunehmen, die aus irgendeinem Grunde an der sonstigen aktiven HJ-Tätigkeit (Appellen, Fahrten, Heimabenden usw.) nicht oder nur schwer teilnehmen können. Diese Kameraden sind zu beauftragen, an ihren Arbeitsstätten, Fortbildungsschulen usw. alle mit uns sympathisierenden Jungen bzw. Mädel zu erfassen, d. h. sie

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in erster Linie zur Bezahlung eines Mitgliedsbeitrages zu bringen und sie mit Zeitungen und Schulungsmaterial zu versorgen, über Tagesereignisse aufzuklären und überhaupt alles zu tun, um aus diesen Mitläufern im Laufe der Zeit zielbewusste Kämpfer zu erziehen. Ein besonderes Gebiet stellen hier die verschiedenen Gewerkschaftsjugendgruppen dar. Es handelt sich hier nicht darum, eine Arbeit dieser Gruppen unmöglich zu machen, vielmehr muss eine geistige Beeinflussung angestrebt werden und zwar hauptsächlich dadurch, dass unsere Beauftragten dort nicht als Saboteure, sondern vielmehr als die aktiven Mitarbeiter am Ausbau dieser Gruppen auftreten. (…) Es sind wohl auch in den Gewerkschaften Zellen zu errichten, die wichtigste Aufgabe besteht aber in der Erreichung möglichst einflussreicher Positionen. Die Aufgabe unserer Organisation in der Gewerkschaftsjugend ist so gedacht  : Die Gewerkschaftsjugend besteht aus zirka dreißig Berufsgruppen, die wiederum in Bezirksgruppen eingeteilt sind (in Wien ca. drei bis vier Bezirke). Verschiedene dieser Berufsgruppen bestehen tatsächlich noch nicht. Es gilt jetzt zu jeder dieser Berufsgruppen und weiterhin zu jeder Bezirksgruppe einen Verbindungsmann zu finden. Diese Verbindungsmänner werben in der Gewerkschaftsjugend, im Betrieb oder in der Fortbildungsschule zwei bis drei Leute, die als Mitarbeiter verwendbar sind, sodass in jeder gewerkschaftlichen Jugendgruppe eine HJ-Zelle entsteht. (…) Diese Zellen dienen nur als Keilorganisationen, mit Hilfe derer in Kreisen geworben wird, in die einzudringen uns bisher schwer war. (…) Alles, was hier über HJ und Jungarbeiter gesagt wurde, gilt gleichzeitig für BDM und Jungarbeiterinnen bzw. Handelsschülerinnen, Wirtschaftsschülerinnen usw. 2. Bei einer objektiven Untersuchung der Struktur der HJ Österreichs müssen wir feststellen, dass durch die Überzahl der studierenden Jugend eine Vernachlässigung des sozialistischen Teiles des Parteiprogrammes, also jenes Teiles, der für die Jungarbeiterschaft von besonderem Interesse ist, Platz gegriffen hat.45 Eine Änderung dieses Zustandes ist für das Erfassen der Jungarbeiterschaft ausschlaggebend. Das Soziale Amt aller Gliederungen hat daher dafür zu sorgen, dass in Presse, Schulung, besonders aber bei Heimabenden, Fahrten usw., das soziale Moment in den Vordergrund gestellt wird. (…) Die Gebietsführung wird das gesamte Führerkorps der HJ von seiner heute fast hundertprozentigen studentischen Zusammensetzung befreien und durch Heranziehung von Jungarbeitern in allen Führerstellen im Laufe der Zeit ein wahrheitsgetreues Abbild der Volksgemeinschaft innerhalb der HJ verwirklichen. (…)

45 Nach den von der Bundespolizeidirektion und der Sicherheitsdirektion 1937 erfassten Daten bildete die Salzburger HJ bildete hier eine Ausnahme.

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4. In den Arbeitsbereich des Sozialen Amtes fällt auch die Organisation des Landdienstes. Der Landdienst hat den Zweck, arbeitslose Jugendliche bzw. während der Ferien Schüler aus den Städten auf das Land zu bringen. Sie werden dort in Gruppen verteilt, bei Bauern untergebracht, haben bei den Feldarbeiten behilflich zu sein und durch Abhalten von Heimabenden, Feierstunden usw. Propaganda zu machen. Der eigentliche Zweck des Landdienstes ist jedoch die Wiederverwurzelung der Stadtjugend mit der Scholle, das Wiedererwecken des Interesses für die Natur und selbstverständlich nebenbei Hilfe für die schwer um das tägliche Brot ringenden Bauern. (…) 5. Landjugend  : Das Agrarpolitische Referat (…) ist nun wieder dem Sozialen Amt unterstellt. Damit steht auch für uns fest, dass die gesamte Jugendarbeit innerhalb des Nährstandes HJ-Arbeit zu sein hat. Die HJ wird daher innerhalb des Sozialen Amtes einen Bauerntumsreferenten bestellen, der alle Fragen der Jungbauernschaft, insbesondere die Werbung und Schulung in diesen Kreisen, zu fördern haben wird. Dieser Bauerntumsreferent wird die Aufgabe haben, die Volkstumsarbeit im Dorf und auf dem flachen Lande in enger Zusammenarbeit mit den Einheitsführern der HJ und allen sonstigen hierfür in Frage kommenden Faktoren auf- und auszubauen. (…) Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 21. Jänner 1938. Zahl  : 6/14 res 1938. Betreff  : Illegale Hitler-Jugend, Aufdeckung einer Kameradschaft. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St.BN., zu Handen des Herrn Hofrates Krechler in Wien. Das Gendarmeriepostenkommando Kuchl hat anher bekannt, dass in der Silvesternacht acht Burschen aus Salzburg einer Perlustrierung unterzogen wurden, welche die Absicht äußerten, im Grenzgebiete Skifahrten zu unternehmen und in der Skihütte des Skiklubs Kuchl zu nächtigen. Die Perlustrierung wurde insbesondere deshalb vorgenommen, weil bekannt geworden war, dass die Nationalsozialisten in der Silvesternacht gemeinsame Skiausflüge planen. Es waren dies  : der Schlossergehilfe Franz Ratgeb, 18.5.1917 in Schwarzach St. Veit geb., Goldegg Salzburg zust., Salzburg, Hofhaymerallee Nr. 28 wohnhaft  ;

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der Schlossergehilfe Bruno Stainer, 22.10.1917 in Salzburg geb. und zust., Salzburg, Leopoldskronallee Nr. 3 wohnhaft  ; der landwirtschaftliche Arbeiter Hans Salzlechner, 27.10.1919 in Berndorf Bezirk Salzburg geb., Lamprechtshausen zust., Maxglan, Kendlerstraße Nr. 25 wohnhaft  ; der Goldschmiedelehrling Hermann Koppenwallner, 28.1.1919 in Salzburg geb. und zust., Salzburg, Adolf-Beck-Straße Nr. 3 wohnhaft  ; der Goldschmiedelehrling Alfred Koppenwallner, 9.8.1921 in Salzburg geb. und zust., Salzburg, Adolf-Beck-Straße Nr. 3 wohnhaft, Eltern  : Paul und Berta Koppenwallner, Juwelier in Salzburg, Alter Markt etabliert  ; der Handelsangestellte Kurt Jentsch, 3.10.1918 in Salzburg geb. und zust., Salzburg, Kaigasse Nr. 27 wohnhaft  ; der Tapeziererlehrling Karl Ortner, 2.8.1920 in Wels, Oberösterreich, geb. und zust., Salzburg, Getreidegasse Nr. 32 wohnhaft, Eltern  : Karl und Elisabeth Ortner, Kaufmann in Wels  ; der Fleischhauergehilfe Friedrich Salzberger, 25.10.1919 in Elsbethen, Bezirk Salzburg, geb. und nach Salzburg zust., Salzburg, Brotgasse Nr. 1 wohnhaft. Die Perlustrierung der Vorgenannten ergab bis auf Franz Ratgeb nichts Bedenkliches. Bei Franz Ratgeb wurde ein Brief vorgefunden, der an ihn adressiert war und als Absender die »Schlosserei O.E. Baumann« in Erfurt trug, und in dem Ratgeb mitgeteilt wurde, dass er für eine Anstellung dortselbst nicht in Frage komme, da das deutsche Arbeitsamt die Arbeitsbewilligung nicht gebe. Gleichzeitig fand sich aber auf dem Brief auch ein Vermerk Franz Ratgebs, in welchem er einen neuerlichen Brief an die Firma Baumann skizzierte und in dem er ausführlich betonte, dass er seit dem Jahre 1933 bei der Hitler-Jugend tätig sei. Das Gendarmeriepostenkommando verständigte von der Perlustrierung die Bundespolizeidirektion, welche die Vorgenannten einer neuerlichen eingehenden Perlustrierung unterzog, da der Verdacht nicht von der Hand zu weisen war, dass es sich um einen Silvesterausflug einer Kameradschaft der Hitler-Jugend gehandelt hat, umso mehr als Hermann Koppenwallner, Bruno Stainer und Friedrich Salzberger erst vor kurzem wegen Betätigung für die Hitler-Jugend der Staatsanwaltschaft beim Landesgericht angezeigt wurden, jedoch das Verfahren gegen sie auf freiem Fuß geführt wird. Um jede Kollusionsgefahr zu vermeiden, wurden sämtliche Teilnehmer an dem Skiausflug nach erfolgter Hausdurchsuchung, welche allerdings bei sämtlichen Vorgenannten kein belastendes Material zutage förderte, sofort in polizeiliche Verwahrungshaft genommen. Nach langwierigen Verhören legten bis auf Hermann Koppenwallner die Vorgenannten umfassende Geständnisse ab und gaben an, dass sie der illegalen HitlerJugend angehören und zwar einer Kameradschaft, welche unter der Führung des vorgenannten Hermann Koppenwallner steht. Stellvertreter des vorgenannten Her-

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mann Koppenwallner war der Schlossergehilfe Bruno Stainer. Die anderen Vorgenannten waren nur einfache Mitglieder der Kameradschaft der Hitler-Jugend. Bezeichnend für die extrem nationalsozialistische Einstellung und für die Unbelehrbarkeit Hermann Koppenwallners, Stainers und Salzbergers ist wohl der Umstand, dass die drei Vorgenannten, obwohl sie in Kenntnis waren, dass gegen sie ein Verfahren beim Landesgericht Salzburg wegen Verbrechens nach dem Staatsschutzgesetz läuft, dennoch ihr verbrecherisches Tun fortsetzten, weiterhin Appelle abhielten und sich für die Hitler-Jugend betätigten. Die Bundespolizeidirektion hat gegen sämtliche Vorgenannte die Strafanzeige wegen Verbrechens nach dem Staatsschutzgesetz erstattet (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 12. Oktober 1937. Zl. 3733/35. Betreff  : Illegale nationalsozialistische Druckschrift »Österreichischer Beobachter« Alpenländische Ausgabe, 1. Septemberfolge, 2. Jahrgang. An das Bundeskanzleramt G.D., St.B., in Wien. Zum Erlass G.D. 359.533-St.B. vom 6.10.193746 beehre ich mich, einen Bericht des Bezirksgendarmeriekommandos Zell am See über den Verlauf des Leichenbegräbnisses des Walter Lauer abschriftlich in Vorlage zu bringen und weiter zu bemerken  : 46 Der von der NSDAP seit 1936 herausgegebene »Österreichische Beobachter« brachte in jeder Ausgabe Berichte über die Verfolgung und das Martyrium von NSDAP-Mitgliedern oder -Sympathisanten mit dem Grundtenor, den tyrannischen Charakter des ständestaatlichen Regimes zu betonen. Um den in diesen Meldungen enthaltenen Entstellungen der tatsächlichen Ereignisse entgegentreten zu können, forderte die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit die jeweiligen Sicherheitsdirektoren auf, über im »Österreichischen Beobachter« enthaltene Berichte, ihre jeweiligen Bundesländer betreffend, Nachforschungen anzustellen und nach Wien zu berichten. In diesem Fall betraf es die Meldung des »Österreichischen Beobachters« über das Begräbnis des NSDAP-Mitglieds Walter Lauer in Saalfelden unter dem Titel »Terror bis in den Tod.« »Am 27. Juli d. J. wurde in Saalfelden der 20jährige Walter Lauer beerdigt, der im Salzburger Landesgerichte an Kinderlähmung gestorben ist. Der Tote durfte nicht, wie üblich, im Trauerhause aufgebahrt werden, sondern wurde in der Leichenhalle des Friedhofs aufgebahrt, damit sich kein Trauerzug formieren konnte. Der Vater des Verstorbenen, der seit April wegen seiner nationalsozialistischen Gesinnung in Haft ist, hat am Begräbnis nicht teilgenommen, weil er nicht gefesselt und unter Bewachung von Kriminalbeamten hinter dem Sarg seines Sohnes gehen wollte. Die Saalfelder Bürgermusik wurde wohl in den Friedhof eingelassen, durfte aber nicht spielen. Der Friedhof wurde von 30 Mann Gendarmerie besetzt, die selben erst ei-

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Der Vater des Verstorbenen befand sich zur Zeit der Erkrankung seines Sohnes in gerichtlicher Haft. Über Bitten seiner Gattin wurde ihm – ohne Vorwissen des Landesgerichtspräsidenten – der Besuch seines bereits isoliert im Spital befindlichen Sohnes gestattet  ; mit Rücksicht auf die eminente Ansteckungsgefahr wurde nunmehr auch der Vater des Verstorbenen isoliert. Der Landesgerichtspräsident wurde nach dem Tode Walter Bauers ersucht, dem Vater des Verstorbenen die Teilnahme am Leichenbegräbnis zu gestatten. Er kam jedoch dieser Bitte nicht nach, da zu befürchten war, dass beim Verlassen der Isolierung durch Lauer sen. eine Weiterverbreitung der Krankheit im gerichtlichen Gefangenenhaus nicht zu vermeiden gewesen wäre. In diesem Sinne wurde auch das Bundesministerium für Justiz vom Landesgerichtspräsidenten informiert. Es war keine Rede davon, dass Lauer sen. gefesselt und unter Bewachung von Kriminalbeamten am Leichenbegräbnis hätte teilnehmen können, daher nahm auch Lauer sen. hierzu nicht Stellung. Unrichtig ist auch, dass der Bürgermusikkapelle das Spielen am Friedhof verboten worden sei oder dass Reichsdeutsche aus dem Friedhof entfernt worden wären. Die beanstandeten Personen wurden ausnahmslos nur verwarnt. Bezirksgendameriekommando Zell am See Zell am See, 27. Juli 1937. E. Nr. 1520. Betr.: Lauer Walter, Nazihäftling, Ableben und Begräbnisverlauf. An das Landesgendarmeriekommando in Zell am See. Am 22. Juli 1937 ist im Inquisitenspitale des Landesgerichtes in Salzburg der 20 Jahre alte Nationalsozialist Walter Lauer aus Saalfelden an spinaler Kinderlähmung gestorben. Er befand sich wegen nationalsozialistischer Betätigung beim Landesgericht in Salzburg in Untersuchungshaft. Mit Bewilligung der Sicherheitsdirektion in Salzburg wurde die Leiche am 24.7.1937 von Salzburg nach Saalfelden überführt. Die Aufbahrung der Leiche erfolgte in Saalfelden in der sogenannten Leichenkapelle des dortigen Friedhofes. Das



nige Stunden nach dem Begräbnis wieder verließen. Ein Einheimischer wurde am Friedhof verhaftet. Die in Saalfelden zufällig anwesenden Reichsdeutschen, die sich zum Begräbnis auf den Friedhof begeben hatten, wurden von der Gendarmerie von dort entfernt. Schergen auf dem Friedhof, Terror bis in den Tod – ein Symptom der klerikalen Minderheitsdiktatur in Österreich  !« (Österreichischer Beobachter 1. Septemberfolge 1937. S. 5.)

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Begräbnis wurde von den Angehörigen des Verstorbenen auf den 27.7.1937, 9 Uhr, angesetzt. Den Beamten des Postens in Saalfelden wurde bekannt, dass die dortigen Nationalsozialisten alle Anstrengungen treffen, zu diesem Begräbnisse eine große Anzahl von Parteigenossen aufzubringen. Inzwischen wurde auch in Saalfelden das Gerücht verbreitet, dass die Gendarmen daran schuld seien, dass der Nazihäftling Walter Lauer an spinaler Kinderlähmung gestorben ist. Der Grund wurde in den Umstande geschöpft, weil Lauer bei seiner Einlieferung und Überstellung nach Salzburg, was an einem schwülen Tage erfolgte, mit keinem Mantel bekleidet gewesen ist. Die Stimmung der Nationalsozialisten richtete sich daher gegen die Beamten des Postens Saalfelden und es war daher mit Sicherheit anzunehmen, dass beim Begräbnisse des Walter Lauer Ausschreitungen oder Demonstrationen zutage treten dürften. Um diesen eventuellen Vorhaben von Haus aus die Spitze zu brechen, hat die Dienstbehörde die Verstärkung des Postens Saalfelden um 26 Beamte angeordnet. Der Landesgendarmeriekommandant, Herr Oberst Johann Kundmann, hat über telefonische Bitte seitens des Gefertigten vorbesagte Konzentrierung in Saalfelden gutgeheißen und genehmigt. Die Dienstbehörde hat überdies angeordnet, dass beim Begräbnisse des Walter Lauer keine Reden gehalten werden. Das Vorhaben, die Leiche vom Friedhof in das Wohnhaus der Lauer zu bringen, damit sie dort kirchlich ausgesegnet werde, wurde von der Dienstbehörde nicht genehmigt. Die Aussegnung und Einsegnung der Leiche hatte somit am Friedhofe zu erfolgen. Die Stimmung der Nationalsozialisten in Saalfelden war daher eine gereizte. Am Begräbnistage hat Gefertigter ab 8 Uhr 30’ eine aus 17 Mann bestehende geschlossene Abteilung in nächster Nähe des Friedhofes aufgestellt, wovon das erste Glied statt dem Säbel mit dem Gummiknüppel bewaffnet war. Das zweite Glied war mit den Stutzen ausgerüstet. 17 Beamte haben im Friedhof, unter den Leidtragenden verteilt, Aufstellung genommen und die Anwesenden überwacht. Am Begräbnisse haben ca. 300 Personen, fast ausnahmslos Nationalsozialisten, teilgenommen. Selbst aus dem Pongau waren vereinzelt Leidtragende zugegen. Zu Ausschreitungen vor, während und nach dem Begräbnisse ist es nicht gekommen. In einem Fall musste ein Beamter gegen einen Mann einschreiten, der angeblich im Namen der Familie Lauer einen Dank für die Beteiligung am Begräbnisse aussprechen wollte. Da ein Redeverbot erging, hat der Beamte das Sprechen verhindert und der Mann hat sich auch den Anordnungen sogleich gefügt. Von dem Sprechverbote hatte er angeblich keine Kenntnis. Über Anweisung des anwesend gewesenen Regierungskommissärs, Herrn Dr. Johann Lang, hatte der Leichenzug den Weg von der Leichenkapelle auf dem kürzesten Wege zum Grabe zu erfolgen. Während die Musikkapelle und die Geistlichkeit diesen Weg einhielt, haben die Kreuzträger einen anderen Weg eingeschlagen und wollten auf diese Weise anscheinend im Friedhofe einen Umzug mit der Leiche zum

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Grabe abhalten. Nach kurzem Wege wurden sie von Gendarmeriebeamten zur Umkehr verhalten und sie trugen dann die Leiche auf dem vorgezeichneten Wege zum Grabe. Während der Einsegnung und nachher hat sich am Grabe nichts Anstößiges ereignet. Wie an Ort und Stelle beobachtet werden konnte, war die Verstärkung des Postens Saalfelden ein Gebot der Notwendigkeit, weil sich ansonsten die Nationalsozialisten um die Verbote und Weisungen, die von der Dienstbehörde ergangen sind, bestimmt nicht bekümmert hätten. Ein Beweis, dass sie mit der Leiche den vorgeschriebenen Weg nicht einhalten wollten. Gegen den Kreuzträger und seine zwei neben ihm gehenden Substituten wurde die vorgeschriebene Amtshandlung eingeleitet. Von diesen wurde der Sattlergehilfe Ernst Kirchmayr und der Tischlerlehrling Josef Grübl festgenommen und der Bezirkshauptmannschaft Zell am See vorgeführt. Gegen den Gerbermeister Johann Platzer wurde die Anzeige erstattet. Sämtliche sind in Saalfelden wohnhaft. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 12. Februar 1938. Geschäftszahl  : 309.747 -G.D./St.B.38. Gegenstand  : Angebliche Flüchtlingsstelle in Salzburg. An den Herrn Sicherheitsdirektor für Salzburg in Salzburg. Wien, 4. Februar 1938 Aktenvermerk (streng vertraulich) Vertraulich wird mitgeteilt  : Die Parteistelle, von der aus Flüchtlinge sicher über die deutsche Grenze gebracht werden, befindet sich in Salzburg. Die Wiener Flüchtlinge erhalten schon in Wien die Adresse, bei der sie sich in Salzburg zu melden haben. Das Fahrgeld bzw. die Fahrkarte erhalten sie nur bis Salzburg. Alles weitere besorgt dann die Salzburger Stelle. Der eigentliche Grenzübertritt erfolgt jedes Mal so, dass die erste deutsche Etappe immer Berchtesgaden ist. Von dort geht es im Allgemeinen nach Bad Aibling bei München.

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Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 14. April 1934. Zl. 612/8. Betr.: Dr. Rudolf Radauer,47 Vermögensbeschlagnahme. Beschlagnahmebescheid  : Die Bundespolizeidirektion Salzburg erlässt an Amts wegen nachstehenden Bescheid  : Spruch  : Die Bundespolizeidirektion Salzburg ordnet gemäß § 2, Absatz 2, und § 4 der Verordnung der Bundesregierung vom 16. August 1933, BGBl Nr. 368, die Beschlagnahme des Vermögens des Sprengelarztes Dr. Rudolf Radauer, 12.3.1899 in Ried im Innkreis geb., Salzburg zust. gewesen, zuletzt Rauris wohnhaft, nach Deutschland geflüchtet und mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 30.3.1934, Zl. 612/5, ausgebürgert, an, und zwar die Beschlagnahme des Hausanteiles des Dr. Rudolf Radauer, Salzburg, Bucklreuthstraße Nr. 15, im Grundbuch eingetragen unter Einlagezahl 69, Katastralgemeinde Stadt Salzburg, Abteilung Riedenburg, sowie der dem Dr. Radauer gehörenden Beiwagenmaschine AJS 800 cm3, welche sich in Verwahrung der Bundespolizeidirektion Salzburg befindet, sowie aller sonstigen Vermögenswerte desselben, auch soweit sie der Bundespolizeidirektion noch nicht bekannt sind. Begründung  : Mit der Verordnung der Bundesregierung vom 19.6.1933, BGBl Nr. 240/33 wurde der NSDAP in Österreich jede Betätigung verboten. Jedermann ist es untersagt, sich irgendwie für diese Partei zu betätigen.

47 Dr. Rudolf Radauer übte seit der Gründung der Rauriser Ortsgruppe der NSDAP am 25. November 1931 die Funktion des Organisations- und Propagandaleiters aus und baute auch die örtliche SA auf. Als Sprengelarzt verfügte er über großen Rückhalt nicht nur in der nationalsozialistisch eingestellten Bevölkerung. Als er wegen politischer Betätigung verhaftet wurde, kam es zu einer Protestdemonstration von ca. 200 Personen. Im Oktober 1933 protestierten 68 Prozent aller Wahlberechtigten in Form einer Unterschriftenaktion gegen das Verbot der ärztlichen Praxis wegen seiner fortgesetzten politischen Betätigung. Radauer saß vom 27. Oktober 1933 bis 24. Februar 1934 wegen politischer Betätigung für die verbotene NSDAP in Haft und verließ anschließend Salzburg in Richtung Deutschland, wo er zunächst zwei Monate im Stab der SA-Brigade Salzburg in Freilassing tätig war. Vgl. Krisch  : Intensitätsmessung von politischen Bewegungen – Wie nationalsozialistisch war der Pongau vor dem Anschluss  ? S. 169  ; Hans Schafranek  : Sommerfest mit Preisschießen. Die unbekannte Geschichte des NS-Putsches im Juli 1934. – Wien 2006. S. 169.

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Es ist bekannt, dass Dr. Rudolf Radauer im Sinne dieser Partei tätig war. Es ist weiters amtsbekannt, dass das Vermögen desselben zum Teil zur Förderung der Bestrebungen der NSDAP offenkundig verwendet wurde. Es sind daher Voraussetzungen gegeben, unter denen gemäß § 2, Absatz 2, der Verordnung der Bundesregierung vom 16. August 1933, BGBl Nr. 368, die Beschlagnahme durch die zuständige Behörde angeordnet werden kann. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 14. September 1935. zu Zahl 5993/4 vom 6.8.1935.48 An die Bundespolizeidirektion Salzburg. Zu dem unter obbezogener Zahl erstattetem Berichte wird Nachstehendes bemerkt  : Der dortige Beschlussbescheid vom 14.4.1934, Zl. 612/8, gründet sich auf die Bestimmungen der Verordnung 368/34 und verweist in der Begründung nur darauf, dass das Vermögen des Ausgebürgerten z u m Te i l zur Förderung der Bestrebungen der NSDAP offenkundig verwendet wurde. Richtigerweise hätte die Beschlagnahme nach den Bestimmungen der Verordnung 369/34 beim Bundeskanzleramt beantragt werden sollen. Dadurch wäre der Nachweis der Verwendung zur Förderung der Bestrebungen einer verbotenen Partei in Wegfall gekommen. Jedenfalls war es verfehlt, von einer nur teilweisen Verwendung zu sprechen, hingegen aber das gesamte Vermögen zu beschlagnahmen. Aus dem dortigen Berichte ist nicht ersichtlich, ob bis zum 31.7.1934 ein Einspruch erhoben worden ist oder noch anderweitige Forderungen zur Anmeldung gelangten. Die Polizeidirektion hat es unterlassen, wenigstens eine genaue Verzeichnung der sonstigen Vermögenswerte zu erstellen und die notwendigen weiteren Liquidierungshandlungen im Sinne des BG II Nr. 71 vorzunehmen. Nach der mitfolgenden Eingabe des Dr. Radauer scheinen auch noch anderweitige Vermögenswerte zu bestehen (Einrichtungsgegenstände in Rauris, Außenstände bei der Invalidenentschädigungskommission). Es ist auch nicht ersichtlich, welche Verfügungen hinsichtlich der beschlagnahmten Liegenschaft und des Kraftfahrzeuges getroffen wurden. Da der dortige Bescheid für weitere ordnungsgemäße Verfügungen keine hinreichend sicheren Grundlagen bildet, ist seine Behebung und die gleichzeitige Hinausgabe eines h. o. Bescheides auf Grund der Verordnung 369/34 beabsichtigt.

48 Bericht der Bundespolizeidirektion Salzburg an die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit über den Vermögensentzug von Dr. Rudolf Radauer.

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Zu diesem Zweck ist umgehend ein genaues Vermögensverzeichnis und ein Grundbuchsauszug über die sichergestellte Liegenschaft unter Anschluss der dortigen Akten vorzulegen.49 Über die angeblichen Außenstände bei der Invalidenentschädigungskommission sind Erhebungen einzuleiten und bezüglich der Vermögenswerte in Rauris das Einvernehmen mit der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde zu pflegen. Theresia Radauer Salzburg, 14. Oktober 1935. Gesuch an das Bundeskanzleramt in Wien. Ich erlaube mir die ganz ergebene Bitte um Herausgabe der beschlagnahmten Werte meines Sohnes, Dr. Rudolf Radauer, derzeit Freilassing, Oberbayern. Landhaus Höhne, zu stellen. Mein Ansuchen begründe ich vor allem damit, dass er die Sachen, die zum Teil nicht einmal sein Eigentum, sondern nur entlehnt sind, dringend braucht, um sich wenigstens außerhalb seiner Heimat eine neue Existenz gründen zu können. Ich habe im Juli l. J. meinen Mann verloren, der durch nahezu 40 Jahre hindurch als Richter dem Staate treu gedient hat und mit 89 Jahren erleben musste, dass seine Söhne, die alle zur Verteidigung der Heimat vorzeitig freiwillig eingerückt waren und mehrfach ausgezeichnet und verwundet jahrelang im Feld standen, fern der Heimat den Tod ihres Vaters betrauen mussten. Mein verstorbener Mann hat nahezu 70 Jahre hindurch nur gespart, um seinen fünf Kindern die Gründung einer eigenen Existenz zu ermöglichen. Heute bin ich als Witwe und seit zwei Jahren selbst krank nicht in der Lage, meinem Sohn nochmals etwas zuzuwenden. Die unter anderem beschlagnahmte Wohnungseinrichtung habe ich meinem Sohn seinerzeit leihweise zur Verfügung gestellt, um ihm den Antritt der Sprengelarztstelle in Rauris zu ermöglichen. Ich erlaube mir auch noch zu erwähnen, dass ich als 81-jährige kranke Frau schwer unter der Trennung von meinen Söhnen leide angesichts der Wahrscheinlichkeit, sie vor meinem Tode nicht mehr bei mir haben zu können. Ich bitte darum das Bundeskanzleramt inständigst, mir für meine letzten Lebenstage die Gewissheit zu geben, dass mein Sohn die beschlagnahmten Werte und Gegenstände zurückbekommt und ihm damit die Möglichkeit gegeben wird, sich wenigstens in der Fremde eine neue Existenz zu gründen.

49 Die Bundespolizeidirektion Salzburg entsprach dieser Aufforderung am 1. Dezember 1935 (Zahl 5993/8) unter Einschluss eines Gesuches von Frau Theresia Radauer, der Mutter von Dr. Rudolf Radauer.

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Dr. Rudolf Radauer Wöchnerinnen-Heim Altenburgerstraße Nr. 8-12 Köln, 13. Juni 1935. An das Bundeskanzleramt in Wien. Betrifft  : Ansuchen um Aufhebung der Vermögensbeschlagnahme. Ich bitte um Aufhebung der Beschlagnahme meines Vermögens aus folgenden Gründen  : Ich war im Oktober 1933 mit der Begründung »Verbotene Tätigkeit für eine aufgelöste Partei (NSDAP)« verhaftet und zu 4 Monaten Arrest und S 1.000,– Geldstrafe verurteilt worden, welche Strafen ich auch verbüßt habe. Nach meiner Haftentlassung wurde mir die weitere Ausübung meiner Tätigkeit als Sprengelarzt in Rauris verboten und als Zwangsaufenthalt meine Heimatgemeinde Salzburg bestimmt, wo ich im Hotel zu leben gezwungen war. Da mir auch die Eröffnung einer ärztlichen Praxis in Salzburg verboten wurde, hatte ich in Österreich keinerlei Existenzmöglichkeit mehr. Meine diesbezüglichen Vorstellungen bei den Behörden blieben erfolglos bzw. unbeantwortet, weshalb ich um ein Ausreisevisum nachsuchte. Es wurde mir auch seitens der Sicherheits- und Polizeidirektion in Salzburg zugesagt, dass ich es bekomme. So wartete ich ungefähr 3 Wochen und wurde von einem Tag auf den anderen vertröstet. Als ich meine letzten Geldmittel verbraucht hatte und weiterhin die Hotelrechnung nicht mehr hätte bezahlen können, war ich gezwungen, ohne Erlaubnis die Grenze am 20. März 1934 zu überschreiten, denn ich hatte auch die Hoffnung verloren, das Ausreisevisum zu bekommen. Einige Tage später war ich ausgebürgert und mein Vermögen beschlagnahmt. Von der Ausbürgerung erfuhr ich durch die Landesregierung im Wege der Ärzteorganisation, von der Vermögensbeschlagnahme durch eine Zuschrift des Landesgerichtes Salzburg und durch eine Verständigung seitens der Salzburger Landeshypothekenanstalt. Von der Polizeidirektion selbst erhielt ich keine Mitteilung. In Freilassing lebte ich weiterhin als Privatmann im Hause des dortigen Bürgermeisters gegen spätere Rückzahlung der Kosten meines Aufenthaltes und bemühte mich, wieder eine Anstellung in meinem Beruf zu bekommen.50 Am 1. Februar 1935 wurde ich an der Universitätsklinik hier als Voluntärarzt angestellt und am 1. Juni 1935 als planmäßiger Assistent an einem hiesigen Wöchnerinnenheim.

50 Hier verschwieg Radauer seine Tätigkeit im Stab der SA-Brigade in Freilassing.

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Ich habe mich nachweisbar nicht gegen Österreich betätigt, sondern lediglich vor dem Verbot der NSDAP in dieser Partei im Rahmen des dem Staatsbürger gewährleisteten Rechtes gearbeitet. So wurde auch die über mich verhängte Strafe nur auf Grund von Verdachtsmomenten ausgesprochen, die einer genaueren Untersuchung nicht standgehalten hätten. Hier in Deutschland bin ich nicht in die Legion eingetreten und habe mich ebenfalls nachweisbar von jeder politischen Tätigkeit ferngehalten. Es geht dies schon daraus hervor, dass ich zum Besuche meiner fast 90-jährigen Eltern anfangs Jänner 1935 von der Sicherheitsdirektion in Salzburg deshalb eine zweitägige Einreisebewilligung erhielt, weil Erhebungen ergeben hatten, dass außer des zwar unbewilligten, aber zwangsläufig erfolgten Grenzübertrittes gegen mich nichts vorliegt. Ich sprach damals in Salzburg wegen der Aufhebung der Beschlagnahme mit dem Adjutanten des Sicherheitsdirektors, Herrn Dr. Hirschal, der mir riet, ein diesbezügliches Gesuch an die Sicherheitsdirektion in Salzburg zu richten. Dieses Gesuch ist aber bei heute nicht beantwortet worden. Anfangs April 1935 erhielt ich neuerlich eine zweitägige Einreisebewilligung nach Salzburg zur Goldenen Hochzeit meiner Eltern. Ich erkundigte mich bei dieser Gelegenheit wieder bei Dr. Hirschal, der mir nun mitteilte, dass nur das Bundeskanzleramt darüber entscheiden könnte. Bei der Beurteilung meines Ansuchens bitte ich besonders folgende Umstände zu berücksichtigen  : Ich bin, ohne ein mir bewusstes Verschulden meinerseits, durch das Verbot der weiteren Ausübung meiner ärztlichen Tätigkeit, um meine Existenz gekommen und damit um das Ergebnis zehnjähriger anerkannt idealen Tätigkeit als praktischer Art. Über ein Jahr war ich daraufhin vollständig arbeitslos und verdienstlos. Auch heute habe ich nichts als meinen bescheidenen Gehalt und es wird noch Jahre dauern, bis (ich) wieder eine eigene entsprechende Praxis haben werde. Gegen S 10.000,– Außenstände (ca. S 3.000,– von der Invalidenentschädigungskommission allein) habe ich verloren. Dazu kommen die großen Auslagen während der viermonatigen Haft und meine Beiwagenmaschine mit einem Neuwert von S 6.000,–, die ich der Polizeidirektion für die S 1.000,– Geldstrafe verpfändete. Durch die Beschlagnahme wurden andererseits meine Gläubiger betroffen, die sich meines Wissens bis heute vergeblich bemühen, zu ihrem Eigentum zu kommen. Denn es wurden zum größten Teile Sachen beschlagnahmt, die nie mir gehört haben oder in der letzten Zeit von mir veräußert werden mussten. So habe ich zum Beispiel während meiner Haft den Vertreter mit ärztlichen Einrichtungsgegenständen bezahlt, weil ich wegen meiner Bemühungen, trotz der plötzlichen Verdienstlosigkeit und gesteigerten Auslagen meine finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen, keine Barmittel mehr zur Verfügung hatte. Auch die Gemeinde Rauris wird mein diesbezügliches Bestreben bestätigen können. Die Kücheneinrichtung hatte ich mir nur

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geliehen gehabt, hat also nie mir gehört, eine uralte wertlose Schlafzimmereinrichtung gehört meiner Mutter etc. Mir gehören von den beschlagnahmten Mobilien lediglich Bilder, Bücher und verschiedene Erinnerungsgegenstände. Lauter Dinge, die keinen Verkaufswert besitzen. Ich bitte aus den oben angeführten Gründen um eine wohlwollende Prüfung meines Ansuchens und möglichst baldige Entscheidung. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 25. Februar 1936. Geschäftszahl  : 311.536-G.D. 5/36. (Vorzahl  : 365.042-G.D. 2/35  ; Miterledigte Zahlen  : 378.835-G.D. 2/35, 376.676-G.D. 2/35.) Gegenstand  : Radauer Dr. Rudolf  ; Ausbürgerung  ; Vermögensbeschlagnahme. An die Bundespolizeidirektion in Salzburg. Zu dem unter obbezogener Zahl erstatteten Berichte über die Vermögensbeschlagnahmeangelegenheit Dr. Rudolf Radauer wird Nachstehendes eröffnet  : Da gegen die dortige Beschlagnahmeverfügung kein Einspruch erhoben worden ist und aus den beschlagnahmten Bargeldern bereits angemeldete und anerkannte Forderungen zur Befriedigung gelangt sind, wird von der ursprünglich in Aussicht genommenen Behebung des dortigen Bescheides und Erlasses einer Verfügung nach der Verordnung BGBl Nr. 369/33 Abstand genommen. Es ist daher die Liquidierung der einzelnen Vermögensbestandteile von dortamts unverzüglich durchzuführen. Der beschlagnahmte Liegenschaftsanteil in der Buckelreuthstraße Nr. 15 weist eine Hypothekarbelastung von S 15.126,– auf. Es ist festzustellen, ob diese Schulden nicht etwa durch Rückzahlungen bereits vermindert worden sind. Eine Verwertung dieses Liegenschaftsanteils dürfte wohl nur in der Weise möglich sein, dass er von dem Mitbesitzer (RA Dr. Hermann Radauer in Grieskirchen, Anm. d. Hg.) durch Kauf erworben oder dass die Beschlagnahme desselben gegen Zahlung einer angemessenen Ablöse durch den Mitbesitzer aufgehoben wird. Sowohl die Kauf- als auch die allfällige Ablösesumme wird sich nach dem festgestellten effektiven Schuldenstand richten müssen. Nachdem der Schätzwert der Liegenschaft S 15.000,– beträgt, wird wahrscheinlich mit nur einer ganz geringen Summe gerechnet werden können. Das beschlagnahmte Kraftfahrrad kann dem Ortskommando belassen werden, doch ist ein endgültiger Zuweisungsantrag anher zu stellen.

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Die einzelnen Guthaben des Ausgebürgerten sind einzuziehen und nach Befriedigung allfällig noch anerkannter Forderungen auf das Konto A 37.792 + 94 abzuführen. Die in Rauris befindlichen Mobilien sind nach Ausscheidung jener Einrichtungsgegenstände, für welche das Eigentum der Mutter des Ausgebürgerten glaubhaft gemacht werden kann, zu veräußern und der Erlös wie oben angeführt abzuführen. Die Ausscheidung einzelner Vermögensstücke wird umso leichter möglich sein, als in dem dortigen Bescheid keine Aufzählung der einzelnen Gegenstände erfolgt ist. Über die Durchführung ist zu berichten. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 5. März 1938. Geschäftszahl  : 313.148-G.D. 5/38 (Vorzahl  : 311.536-G.D. 5/36). Gegenstand  : Radauer Dr. Rudolf, Ausbürgerung  ; Vermögensbeschlagnahme. An die Bundespolizeidirektion in Salzburg. In der Angelegenheit der Beschlagnahme des Vermögens des Dr. Rudolf Radauer ergeht die Einladung, nunmehr im Sinne des ho. Erlasses vom 1. März 1938, Z. 311.585-G.D. 5/38,51 die Beschlagnahme des Hausanteiles aufzuheben und die Anmerkung der Beschlagnahme im Grundbuche löschen zu lassen. Von den beschlagnahmten beweglichen Gegenständen sind diejenigen, die bisher noch nicht verwertet wurden, freizugeben. Ein abschließender Bericht über die gegenständliche Beschlagnahmeangelegenheit wolle anher erstattet werden.

51 Hinweis auf die inzwischen erfolgte allgemeine Amnestie für politische Delikte.

3. »Es wird hervorgehoben, dass zwischen revolutionären Sozialisten und Kommunisten (…) praktisch kein Unterschied mehr besteht.« Die revolutionären Sozialisten

Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 24. Juli 1936. Zahl 2901/32. Betrifft  : Sozialistische Streuaktion. An das Bundeskanzleramt – St. B. in Wien. Laut Bericht des Gendarmeriepostenkommandos Maxglan vom 21. Juli 1936, E. Nr. 3643, wurden am 20. Juli 1936 in der Zeit von 22 bis 24 Uhr durch unbekannte Täter in der Alm-, Villa-, Binder- und Mühlbachgasse sowie in der Enigl-, Bayern- und Gärtnerstraße in Maxglan 3 Sorten von illegalen sozialdemokratischen Druckschriften ausgestreut und zwar  : 1. Die »Arbeiter-Zeitung«, Organ der österr. Sozialisten (14-tägige Ausgabe) vom 27.5.1936, Nr. 8, vom 10.6.1936, Nr. 9 bzw. vom 24.6.1936, Nr. 10 – 3. Jahrgang  ; 2. »Revolutionäre Sozialisten vor Gericht«, der große Sozialistenprozess vor dem Wiener Landesgericht, herausgegeben im April 1936 und 3. »Die Wahrheit über den Phönix-Skandal«. Die letztgenannte Druckschrift wurde dem Bundeskanzleramt bereits unterm 18. Mai 1936, Zl. 3361, vorgelegt. Da hieramts angenommen wird, dass die »Arbeiter-Zeitungen« und die Druckschrift »Revolutionäre Sozialisten vor Gericht« bereits dortamts bekannt sind, wird von einer Vorlage derselben Abstand genommen, da die Sicherheitsdirektion vorderhand nur über je ein Exemplar verfügt. Bei der Streuaktion wurden im Ganzen 18 Exemplare beschlagnahmt.

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 30. Mai 1935 Geschäftszahl  : 331.203-G.D.2/35 (Vorzahl  : 325.567-G.D.2/35  ; Miterledigte Zahlen  : 329.648-G.D.2/35.) Gegenstand  : Liquidation der beschlagnahmten Vermögenschaften. Stand der Durchführung im Bundeslande Salzburg. Interner Bericht Um einen Überblick über den Stand und die Durchführung der Liquidierungsarbeiten im Bereiche der Sicherheitsdirektion Salzburg zu gewinnen und Schwierigkeiten, die sich im Korrespondenzwege nicht hinlänglich besprechen ließen, zu beseitigen, hat der Bearbeiter über Auftrag in der Zeit vom 22. bis 25. Mai an Ort und Stelle sowohl mit dem Herrn Sicherheitsdirektor als auch mit dem Polizeidirektor sowie den zuständigen Referenten Rücksprache gepflogen und auch in die vorhandenen Akten Einsicht genommen. Hierbei wurde Folgendes festgestellt  : Der seinerzeitige Sicherheits- und Polizeidirektor Dr. Scholz hat die treuhändige Verwaltung aller im Bundeslande Salzburg beschlagnahmten Vermögenschaften der Sozialdemokratischen Partei und der ihr angeschlossenen Organisationen dem Heimatschutzangehörigen und ehemaligen Bankbeamten Walter Karger übertragen und die Durchführung der Liquidation sich selbst vorbehalten. An diesem Zustande wurde auch nach dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes II Nr. 71/1934 und dem diesbezüglichen h.o. Runderlässen nichts geändert. Die Vereinigung der Treuhänderschaft bei einer Person war in dem nicht großen Bundeslande sicherlich von Vorteil. Es wurden hierdurch Kosten erspart und die Arbeit vereinheitlicht. Direktor Karger erhielt eine monatliche Entschädigung von S 360,– und außerdem als Entschädigung für Mehrdienstleistungen 10 Prozent der bei den kleinen Vereinen beschlagnahmten Barbeträge. Soweit durch die Einschau festgestellt werden konnte, hat Karger die Arbeiten mit Umsicht geführt und mit Ausnahme der Liquidation der Immobilien bereits zum Abschluss gebracht. Als Mangel muss festgestellt werden, dass der Treuhänder die gesamten Liquidierungsarbeiten vollständig allein und ganz unabhängig von den Beschlagnahmebehörden durchgeführt hat. Diese stellten ihm lediglich die Sicherstellungsverzeichnisse und die Beschlagnahmebescheide zur Verfügung. Die Anmeldung und Anerkennung von Forderungen sowie die Befriedigung derselben wurde alleine ihm überlassen. Er ließ sich nur gewisse Endverfügungen über die Sachbestände und Bargeldreste durch den Sicherheitsdirektor legalisieren. Die Belege befinden sich bei dem Treuhänder. Es wurden insgesamt 174 Vereine liquidiert. Wie bereits erwähnt, stehen die diesbezüglichen Arbeiten, soweit es sich um bewegliches Vermögen handelt, unmittelbar vor dem Abschlusse. Über die getroffenen Verfügungen geben die beiliegenden

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Listen Aufschluss. Demnach wurde nur bei den im Bereiche der Polizeidirektion Salzburg liquidierten Vereinen die verfallenen Bargeldbeträge weisungsgemäß an das Konto des Bundeskanzleramtes abgeführt. Bei den übrigen Vereinen des Landes wurden sowohl die Sachbestände als auch das vorhandene Bargeld über Auftrag des Sicherheitsdirektors an den Gewerkschaftsbund übertragen. Diese dem h.o. Richterlass vom 1. Oktober, Zl. 240.240-G.D.2, nicht entsprechende Verwertung des Bargeldes wurde mit der notwendigen Stärkung des Gewerkschaftsbundes und der Förderung der Befriedung der Arbeiterschaft motiviert. Eine Rückgängigmachung dieser Verfügung dürfte sich unter Hinweis auf den 1. Mai-Erlass nicht empfehlen. Dem Gewerkschaftsbund sind auch diese Weise rund S 3.000 in bar zugekommen. Da, wie bereits erwähnt, der Treuhänder alle Liquidierungsverfügungen selbständig und ohne Fühlungnahme mit den Bezirkshauptmannschaften als Beschlagnahmebehörden getroffen hat, ist es nun angezeigt, diese wenigstens mit der Überprüfung des Abschlusses zu beauftragen. Es wurde daher sowohl die Polizeidirektion als auch der Referent des Sicherheitsdirektors angewiesen, nunmehr vom Treuhänder für jeden Verein einen Schlussbericht abzuverlangen, dem alle Belege über die getroffenen Verfügungen beizuschließen wären. Dieser Schlussbericht wäre sodann bei der zuständigen Bezirkshauptmannschaft zu überprüfen, die getroffenen Verfügungen wenigstens nachträglich zu legalisieren und bei der Beschlagnahmebehörde zu hinterlegen. In gleicher Weise wurde der treuhändige Verwalter instruiert. An das Kanzleramt sind demnach aus dem Bundeslande Salzburg bisher nur S 1.482 zur Abfuhr gebracht worden. Dieser Betrag dürfte sich nur mehr um den nach der Liquidierung des Parteivermögens verbleibenden Rest von ungefähr S 10.000 und den allfälligen Überschüssen aus der Liquidation der Liegenschaften vermehren. Auch die Liquidation des Parteivermögens selbst wurde zentral durchgeführt. Die erfassten Geldbeträge wurden auf einem Sammelkonto beim Sicherheitsdirektor zur Einzahlung gebracht und daraus die angemeldeten und anerkannten Forderungen befriedigt. Das Ergebnis war ein Betrag von S 29.100. Alle Angestelltenforderungen und kaufmännischen Schulden sind abgedeckt. Aus dem Parteivermögen wurden auch die bisherigen Liquidationskosten gedeckt. Auch hier können die Arbeiten raschestens abgeschlossen werden, bedürfen aber der Kontrolle und Legalisierung durch die zuständige Beschlagnahmebehörde. Auch die Liquidation nachstehender Liegenschaften ist soweit vorbereitet, dass mit einer endgültigen Verwertung der Objekte vorgegangen werden kann. Es sind dies  : 1) Das Arbeiterheim Bischofshofen. Dieses besteht aus dem sogenannten alten Arbeiterheim mit 14 Fremdenzimmern und 6 Joch Grund mit einem Verkehrswert von rund S 18.000  ; aus dem neuen Arbeiterheim, einem zweistöckigen Gebäude mit Gasthausbetrieb im ungefähren Werte von S 40.000  ; weiters aus einer Turnhalle mit Spielplatz im Werte von rund S 7.000. Schließlich in einer Forderung gegen

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den Touristenverein »Die Naturfreunde« im Betrage von S 20.000. Ein Übernahmeantrag nach § 14 wurde seitens des Gewerkschaftsbundes bisher nicht gestellt, anscheinend deshalb, weil an Hypothekar- und sonstigen Schulden ein Betrag von S 63.000 vorliegt und die Forderung an »Die Naturfreunde« derzeit kaum einbringlich sein wird. Bei einer getrennten Veräußerung der Objekte, für die Anbote vorliegen, dürfte sich ein kleiner Überschuss zu Gunsten des Bundesschatzes erzielen lassen. (…) 2) Das Arbeiterheim Saalfelden. Dieses besteht aus einem Gasthaus mit Moorbadeanstalt im derzeitigen Verkehrswerte von rund S 35.000. Dem stehen Hypothekarund sonstige Schulden im Betrage von S 8.000 gegenüber. Auch hier wird sich die Notwendigkeit ergeben, das Objekt, für welches Interesse besteht, zu veräußern, um die Schulden abdecken zu können. (…) 3) Das Arbeiterheim in Itzling, ehemals Eigentum des sozialdemokratischen Vereines für den Reichsratswahlbezirk Salzburg II. Es besteht aus einem einstöckigen Gebäude mit zwei Zimmern und Hausmeisterwohnung sowie einer modernen Turnhalle im Schätzwerte von S 55.000. Diesem stehen Schulden im Betrage von S 7.000 gegenüber. Ein Teil davon wurde bereits aus dem verfallenen sozialdemokratischen Parteivermögen abgedeckt. Dieses Gebäude steht derzeit für Gendarmeriezwecke (Gendarmerieschule) in Verwendung. Nach Meinung des Herrn Sicherheitsdirektors wäre das Gebäude zur Unterbringung der dem Landesgendarmeriekommando zugeteilten Gendarmerieabteilung vollständig hinreichend, wenn kleine Adaptierungen vorgenommen würden. Durch Abstoßung der restlichen Schuld wäre die Einverleibung des Gebäudes zugunsten des Bundesschatzes möglich. Ein diesbezüglicher Antrag wird erfolgen. 4) Der Sportplatz des Arbeiter-Turn- und Sportvereines in Zell am See. Diese Vermögenschaft ist wesentlich überschuldet und wird die Aufhebung der Beschlagnahme in die Wege geleitet. 5) Der Turn- und Sportplatz in Oberndorf. Diese Liegenschaft mit moderner Turnhalle hat einen Bauwert von S 20.000 und ist mit S 15.000 belastet. Der Gewerkschaftsbund hat eine Übernahme abgelehnt und ist eine allfällige Überlassung an die Hypothekargläubigerin (Sparkasse) in Aussicht genommen, da sich auch kein sonstiger Bewerber findet. 6) Der Sportplatz des Arbeiter-Turn- und Sportvereines in Hallein. Dieser wurde bereits über h.o. Initiative an die Stadtgemeinde Hallein, die ein Rückkaufsrecht hatte, um S 844 veräußert. 7) Das Arbeiterheim in Salzburg ist ein zweistöckiges Gebäude mit ca 400 m2 Garten und Gasthauskonzession (ehemaliges Hotel) in der Paris Lodron Str. und dürfte einen derzeitigen Verkehrswert von S 100.000 bis S 120.000 haben. (…)

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Das Heim wurde unmittelbar nach den Februarereignissen vom Sicherheitsdirektor dem Heimatschutz zur vorläufigen Benutzung überlassen.1 (…) Weiters wurde noch die Verwertung nachstehender Superädifikate besprochen  : Ehemalige Sporthütte des sozialdemokratischen Arbeitersportvereines in Parsch auf Gemeindegrund Aigen. Diese Hütte wird derzeit von »Jung-Vaterland« benützt und auch der Erwerb von dieser Jugendorganisation angestrebt. Turnhalle des ehemaligen sozialdemokratischen Turnvereines in Gnigl. Grundeigentümer ist die Gemeinde Salzburg und wird auch von derselben der Erwerb der Halle angestrebt. Die Liquidierung des Kinderfreundevermögens ist mit Ausnahme der unbeweglichen Sachen im Wesentlichen beendet. Es ergibt sich nunmehr ein Schuldrest von ca. S 5.000, dem realisierbaren Werte im Betrage von S 24.000 gegenüberstehen. Alle kleinen kaufmännischen Schulden sind abgedeckt. Durch Veräußerung des Hauses in Maxglan – Privathaus, das nie für Fürsorgezwecke verwendet worden und hierzu auch nicht geeignet ist – dürfte nicht nur die Abstoßung der restlichen Schulden, sondern einen Überschuss von rund S 10.000 erzielbar sein. (…) Schließlich muss noch eine nach dem Putschistengesetz beschlagnahmte Liegenschaft in Lamprechtshausen (Stadler) erwähnt werden, welche einen Wert von S  60.000 darstellt. Da jedoch die Frau des Genannten Mitbesitzerin zur Hälfte ist, wird getrachtet, für den beschlagnahmten Anteil eine Ablöse von S 20.000 zu erreichen. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 10. Februar 1936. Geschäftszahl  : 377.290-G.D.5/36 (Vorzahl  : 355.053-G.D.2/35). Gegenstand  : Beschlagnahmte Vermögenschaften  ; Stand der Liquidierung im Bundesland Salzburg. Interner Bericht Die Liquidierung des Arbeiterheimes Bischofshofen ist noch im Gange. Durch Abverkauf eines Grundstückes und des sogenannten »Alten Arbeiterheimes« an den Gewerkschaftsbund der österreichischen Arbeiter und Angestellten dürfte die Befriedigung der Privatgläubiger ermöglicht werden. (…) Das Vermögen des Arbeiterheimes in Hallein bestand lediglich in einer Bareinlage bei der »Wahges« (nähere Bezeichnung nicht bekannt) in Hallein. Das Unternehmen befindet sich in Konkurs. Die Forderung wurde namens der Liquidierung angemeldet. Die Bezirkshauptmannschaft Hallein wäre im Wege des Herrn Sicher1 Vgl. Kapitel Heimatschutz.

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heitsdirektors auf die weitere Wahrnehmung der Interessen des Bundes aufmerksam zu machen. Das Arbeiterheim Saalfelden wurde im Zuge der Liquidierung veräußert. (…) Die Beschlagnahme des Vermögens des Arbeiter-Turn- und Sportvereines Zell am See musste wegen Überschuldung aufgehoben werden. (…) Die Übernahme des Arbeiter- und Kinderheimes in Itzling für Zwecke der Bundesgendarmerie ist in die Wege geleitet. (…) Die Vermögenschaften des Arbeiter-Turn- und Sportvereines Gnigl und Salzburg wurden an den Arbeiter-Turn- und Sportverein Salzburg übertragen. (…) Die Beschlagnahme des Vermögens des Arbeiter-Turn- und Sportvereines Oberndorf musste wegen Überschuldung aufgehoben werden. (…) Das Eisenbahnerbad in Wallersee wurde an den Vaterländischen Sportverein von Bediensteten der Österreichischen Bundesbahnen übertragen. (…) Das Kinderfreundeheim Maxglan wurde im Zuge der Liquidierung veräußert. (…) Die Verwertung des Kinderfeundeheimes in Liefering und der dem Verein Freie Schule-Kinderfreunde gehörigen Grundstücke in Grödig erfolgt demnächst. Somit ist die Liquidierung der beschlagnahmten Vermögenschaften im Bundeslande Salzburg in Wesentlichen abgeschlossen. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 4. Mai 1937. Geschäftszahl  : 333.771-G.D.5/37 (Vorzahl  : 316.291-G.D.5/36). Gegenstand  : Beschlagnahme Vermögenschaften im Bundesland Salzburg. Abschluss der Liquidierung. Interner Bericht Mit der Verwertung der Arbeiterheime in Bischofshofen und Salzburg ist die Liquidation beschlagnahmter Vermögenschaften im Bundeslande Salzburg abgeschlossen. An Verfallserlösen gingen ein in bar nach dem BG. BGBL. II Nr. 71/1934 S 10.998 Nach dem BVG BGBl II Nr. 163/1934 S 19.169. Ein Betrag von S 4.000 ging dem Dollfußfonds als Sühnebeitrag zu. Der Verein Arbeiterheim in Hallein hatte bei der Warenhausgesellschaft in Hallein eine Spareinlage von S 60.000. Das Unternehmen ging in Konkurs und ist das Verfahren noch anhängig. Die Forderung dürfte uneinbringlich sein. Der Ausgang des Verfahrens wird in Evidenz gehalten. An Liegenschaften wurden beschlagnahmt nach dem BG. BGBl. II Nr. 71/1934 6. Hiervon wurden 2 im Zuge der Liquidierung veräußert, bei 1 die Beschlagnahme aufgehoben, 2 dem Bundesschatze einverleibt und 1 der Kameradschaft der Bundesbahnbediensteten übertragen.

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Der Schätzwert der ins Bundeseigentum übergeführten Liegenschaften beträgt S 200.000,–. An Fuhrwerken wurden beschlagnahmt 11 Autos und 19 Motorräder. Hiervor wurden 3 Autos und 3 Motorräder der Sicherheitsexekutive zugewiesen, 7 Autos und 16 Motorräder im Zuge der Liquidierung veräußert. Die Verwertung eines Autos ist noch im Zuge. Aus dem streng vertraulichen Lagebericht der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit über den Monat Dezember 1936.2 B) Die revolutionär-sozialistische Bewegung. (…) Nachdem bereits im November 1936 von der Revolutionär-sozialistischen Partei und der Kommunistischen Partei eine Aktionsgemeinschaft vereinbart worden war, erging im Dezember 1936 die Weisung, dass ein Vertreter des Zentralkomitees der Revolutionären Sozialisten mit einem Vertreter des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei, weiters Vertreter der Landesführungen sowie der territorialen Untergliederungen der beiden Parteien miteinander eine ständige Verbindung zu unterhalten haben. Diese Zusammenarbeit soll (…) so weit gehen, dass in jedem Betrieb eine sogenannte »Einserverbindung«, d. h. eine Verbindung eines führenden Vertreters der Revolutionären Sozialisten mit einem Vertreter der Kommunistischen Partei, eingerichtet wird. Ferner haben in Hinkunft die politische Behandlung von Lohnfragen, die Preisgestaltung und die Teuerung, die Fragen der Betriebsmilizen und des Kampfes um die Durchsetzung freier Wahlen von Vertretern der Revolutionären Sozialisten und der Kommunistischen Partei gemeinsam behandelt zu werden. (…) Über die Lage der revolutionär-sozialistischen Bewegung gibt übrigens ein aufgefundener Bericht des Zentralkomitees Aufschluss, in dem dargelegt wird, dass das Gros der Arbeiterschaft zwar passiv geworden, aber gesinnungsgemäß dem Sozialismus treu geblieben sei. Die Arbeiterschaft stelle genügend aktive Kader, um die durch die Verhaftungen entstehenden Lücken wieder aufzufüllen. (…) Im Hinblick auf das Abkommen vom 11. Juli 1936 sei eine Verschärfung des Kampfes der Bundesregierung gegen Rot zu erwarten. Es müsse daher der Grad der Konspiration diesem Umstande angepasst werden, zumal mit einer Beendigung der Illegalität auf evolutionärem oder revolutionärem Wege in absehbarer Zeit nicht zu rechnen sei. Eine Revolution könne nur im Falle des Ausbruches eines Krieges oder einer Änderung der weltpolitischen Situation zum Siege führen. Die Revolutionären Sozialisten hätten daher ihr Verhalten streng konspirativ einzurichten, sich aber 2 Kriechbaumer (Hg.)  : Österreich  ! und Front Heil  ! S.  339ff.

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doch für alle Fälle auf den vielleicht baldigen Eintritt eines Umsturzes vorzubereiten. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 15. Juli 1937 Geschäftszahl  : 342.521 G.D.2/37. Gegenstand  : Schreiben des Präsidenten der GöC,3 Dr. Ludwig Strobl, an den Herrn Staatssekretär.4 Interne Darstellung Die Lebensmittelwerke Union in Salzburg Ges.m.b.H.5 sind ein Unternehmen der GöC und haben mit Schreiben vom 30. Juni 1937 an den Präsidenten der GöC, Dr. Ludwig Strobl, darüber Beschwerde geführt, dass die Bundespolizeidirektion Salzburg dem Unternehmen gegenüber feindselig eingestellt sei. Dem Unternehmen wurde die Fleischlieferung an die Wirtschaftsstelle der Polizeidirektion entzogen und diese Maßnahme damit begründet, weil die Unionwerke die Aufnahme von Schukoleuten (Schutzkorps-Leuten, Anm. d. Hg.) über das Ausmaß der gesetzlichen Verpflichtungen abgelehnt haben. Seitens des Unternehmens wird erklärt, dass es dem Wunsch der Polizei nach Einstellung eines Schukomannes unmöglich entsprechen könne, weil kein Bedarf gegeben sei. Außerdem wird in dem Schreiben darüber Beschwerde geführt, dass die Polizeidirektion Salzburg eine verleumderische Anzeige zum Anlass genommen hat, gegen den Betrieb einzuschreiten, was sich für den Betrieb sicherlich nachteilig auswirken muss. (Es wurde nämlich dem Unternehmen vorgeworfen, dass dort marxistische Waffen versteckt seien.) Der Präsident der GöC, Dr. Ludwig Strobl, hat das ihm zugekommene Schreiben der Unionwerke mit einem Begleitbrief dem Herrn Staatssekretär übermittelt und 3 Großeinkaufsstelle der österreichischen Konsumgenossenschaften. 4 Der Adressat lässt sich nicht mit Sicherheit eruieren. Dem Kontext entsprechend, dürfte es Dr. Michael Skubl, seit 20. März 1937 Staatssekretär für das Sicherheitswesen, gewesen sein. 5 Die Konsum-Unionwerke Salzburg in der Fanny von Lehnert Str. 4 wurden 1921 bis 1923 vom Lebensmittelmagazin, dem Konsumverein »Vorwärts« und der Arbeiterbewegung errichtet. 1925 folgte die Gründung der »Allgemeinen Konsumgenossenschaft Salzburg«, die bald über 21 Filialen verfügte. Die Salzburger Konsumgenossenschaft war Teil der Großkaufstelle der österreichischen Konsumgenossenschaften (GöC), die neben der Arbeiterbank eine der finanziellen Hauptsäulen der SDAPÖ bildete. Am 16. Februar 1934 wurde sie mit der 99. Verordnung der Bundesregierung einer kommissarischen Leitung unterstellt. Am 5. Jänner 1936 erfolgte in freier Wahl die Neubestellung eines Vorstandes und Aufsichtsrates. Mit 1. Jänner 1938 wurde die GöC in die Co-op Industriegesellschaft übergeführt. Nach dem Anschluss erfolgte 1941 die Eingliederung in das Gemeinschaftswerk (GW) der Deutschen Arbeitsfront.

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diesen ersucht, auf die Bundespolizeidirektion Salzburg in geeigneter Weise einzuwirken, um eine Änderung ihrer Haltung gegenüber dem Unternehmen herbeizuführen. In diesem Schreiben wird auch noch darauf hingewiesen, dass die Polizeidirektion es dem Unternehmen unmöglich macht, Lieferungen zu erhalten, um die es sich bewirbt. Dr. Strobl kündigt in seinem Schreiben an, dass die Unionwerke, die ungefähr eine Belegschaft von 100 bis 200 Mann haben und schon seit langer Zeit mit Verlust arbeiten, gesperrt werden müssten, wenn nicht der durch die bewusst feindliche Haltung der Polizeidirektion sicherlich mitbeeinflusste schlechte Geschäftsgang geändert werden könne.6 Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien 29. Februar 1936 Geschäftszahl  : 311.674-G.D.5/36 (Nachzahlen  : 326.910/36). Gegenstand  : Wittauer Johann, Lokomotivführer der Salzkammergut Lokalbahn. Betätigung für die Sozialdemokratische Partei. Interner Bericht Der Bundeskommissär für Personalangelegenheiten hat den Akt des Sicherheitsdirektors für Salzburg Zl. 9.347/1 betreffend Johann Wittauer in Salzburg, Plainstraße Nr. 11 wohnhaft, zur weiteren Veranlassung anher abgegeben, weil es sich um einen Privatangestellten handelt. Dem Akt wurde im Wesentlichen Folgendes entnommen  : Johann Wittauer hat eine illegale sozialdemokratische Flugschrift über die Gehaltskürzungen bei den Bundesbahnen in Ischl an eine andere Person weitergegeben und auch sonstige illegale Flugzettel an einen Mann namens Schmiedlechner weitergegeben, die dieser an der Ischlerbahnstrecke aus dem Zug streute. Weiters hat Wittauer unwahre Behauptungen über Gehaltskürzungen den dort Anwesenden erzählt. Er wurde von der Bundespolizeidirektion Salzburg mit Erkenntnis vom 4. Dezember 1935, Zl. 3.203/12-34 gem. § 1 der Verordnung BGBl. Nr. 78/1934 mit drei Monaten Arrest bestraft. Dieses Erkenntnis wurde durch den Bescheid des Sicherheitsdirektors vom 29. Jänner 1936, Zl. 9.347/1, welches über die eingebrachte Berufung des Wittauer erflossen ist, bestätigt. (…)

6 1937 mussten die Unionwerke Salzburg die Fleischhauerei und Konservenabteilung schließen. In welchem Ausmaß die Haltung der Bundespolizeidirektion Salzburg dem Unternehmen gegenüber für diese Maßgabe bestimmend war, ist nicht feststellbar.

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Wird dem Herrn Sicherheitsdirektor für Salzburg in Salzburg zur umgehenden Veranlassung im Sinne der Verordnung der Bundesregierung betreffend die Entlassung von privaten Arbeit(Dienst-)nehmern wegen staats- oder regierungsfeindlicher Betätigung BGBl. I Nr. 157/1934 (in Fassung des BVG. BGBl. Nr. 473/1935) rückgemittelt. Salzkammergut-Lokalbahn Aktien-Gesellschaft Salzburg Salzburg, 25. April 1936. An den Herrn Bundeskommissär für Personalangelegenheiten der Privatwirtschaft Wien I., Bundeskanzleramt. Laut Mitteilung der Bundespolizeidirektion Salzburg Zl. 2.843/5 vom 11. April l. J. wurde unser Lokomotivführer Johann Wittauer wegen Betätigung für die Sozialdemokratische Partei rechtskräftig zu drei Monaten Arrest verurteilt und wurde der gesagte Verwaltungsstrafakt dorthin vorgelegt. Es wird gebeten, auf Grund der Einsicht dieses Aktes uns gegebenenfalls zur Entlassung des Johann Wittauer zu beauftragen. Wir bemerken, dass wir Wert darauf legen, nur vaterlandstreue Bestienstete im Dienste zu haben, dass wir jedoch aus eigenem nicht mit einer Entlassung des Wittauer vorgehen können, da die Verordnung der Bundesregierung BGBl. Nr. 158/1 aus 1934 mit 31. Dezember 1935 außer Kraft getreten ist. Bundeskanzleramt Min.Rat. Dr. Ewald Mayer Wien, 6. Mai 1936. Geschäftszahl  : 326.910-G.D.5/36. Zum Schreiben vom 25. April 1936. An die Salzkammergut-Lokalbahn A.G. Salzburg. Die Geltungsdauer der Verordnung der Bundesregierung betreffend die Entlassung von privaten Arbeit(Dienst-)nehmern wegen staats- oder regierungsfeindlicher Betätigung BGBl. Nr. 157/1934 (nicht BGBl. I Nr. 158/1934) wurde durch das BVG. BGBl. Nr. 473/1935 bis 31. Dezember 1936 verlängert. Somit können Sie gegen den Genannten mit der Entlassung vorgehen. Es wird sich empfehlen, die Behörde, die das Verwaltungsstraferkenntnis wegen verbotener politischer Betätigung des Johann Wittauer gefällt hat, von Ihrer Verfügung zu verständigen.

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 28. September 1937. Geschäftszahl  : 357.500-G.D.5/37 (Vorzahl  : 311.674/36). Gegenstand  : Wittauer Johann in Salzburg, Gestattung der Wiedereinstellung. Hans (Johann) Wittauer Julius Haagn Straße Nr. 10 Salzburg Wohlgeboren Herrn Dr. Ewald Mayer, Ministerialrat, Wien I., Herrengasse 7. Über Rücksprache mit Herrn Landtagspräsidenten Knosp7 in Salzburg wurde mir mitgeteilt, dass Sie ihm versprochen haben, mir ein persönliches Schreiben darüber zukommen zu lassen, dass seitens der Generaldirektion für öffentliche Sicherheit (gegen) meine Wiedereinstellung bei der Salzkammergut-Lokalbahn keinerlei Einwand besteht. Durch die lange Dauer dieser Angelegenheit bin ich wirtschaftlich in eine sehr triste Lage versetzt und bitte Sie daher, sehr geehrter Herr Ministerialrat, mir das diesbezügliche Schreiben ehebaldigst zukommen zu lassen. (…) Verständigung (…) Gegen die Wiedereinstellung des Johann Willnauer bei der Salzburger-Lokalbahn A.G. oder einem anderen privatwirtschaftlichen Betriebe im Inlande obwalten (…) derzeit vom hierortigen Standpunkte unter der Voraussetzung keine Bedenken, dass die Wiedereinstellung ohne Entlassung von vaterlandstreuen Arbeitern oder Angestellten möglich ist. Anzeige der Bundespolizeidirektion Salzburg gegen Josef Pfeffer und andere wegen Hochverrats und anderer Delikte an die Staatsanwaltschaft Salzburg vom 1. September 1936.8 Am 25. August l. J. konnte auf Grund der Mitteilung des h. a. organisierten Nachrichtendienstes und langwieriger Erhebungen und Beobachtungen die illegale Lei7 Josef Knosp (1891–1953) war seit 1919 bis 1930 als Verschieber bei den Österreichischen Bundesbahnen beschäftigt, 1928 bis 1931 und 1933 bis 1938 Vorsitzender der Salzburger Landeskommission Christlicher Gewerkschaften, Obmann der Christlichen Eisenbahnergewerkschaft, 1933 bis 1936 Landesführer des Salzburger »Freiheitsbundes«, 1934 bis 1938 Präsident des Ständischen Landtages. 8 Widerstand und Verfolgung in Salzburg. Bd. 1. S. 42f.

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tung der revolutionär-sozialistischen Organisation im Gebiete der Stadt und des Landes Salzburg aufgedeckt werden. Im Zuge der durchgeführten Erhebungen und Nachforschungen wurden nachstehende Personen als Hauptbeteiligte dieser illegalen Gruppe festgenommen und dem Polizeigefangenenhaus eingeliefert. Ferner konnte bei den durchgeführten Hausdurchsuchungen unter einem mitfolgendes Material sichergestellt werden. Der Versicherungsbeamte Josef Pfeffer (…) hat sich, wie aus den Aussagen des Mitbeschuldigten (Franz) Brunmair hervorgeht, seit dem Jahre 1935 als 1. Funktionär der aufgedeckten sozialrevolutionären Organisation sowohl in der Stadt wie im Lande Salzburg eifrigst betätigt und dieselbe geleitet. Er hat an mittellose Mitglieder Unterstützungen ausbezahlt und Führerbesprechungen abgehalten. Bei der Hausdurchsuchung wurden zwei verbotene revolutionäre Bücher »Karl Marx« und »Lenin« sowie ein offensichtlich für Organisationszwecke zu verwendender Geldbetrag von S 90,– sichergestellt. Es erscheint einwandfrei nachgewiesen, dass Pfeffer noch nach dem 11. Juli 1936 für diese Organisation an führender Stelle tätig war. Der Tischlergehilfe Anton Barth (…) ist durch das bei der Hausdurchsuchung bei ihm gefundene illegale Propagandamaterial überwiesen, für die sozialrevolutionäre Organisation sich an führender Stelle betätigt zu haben. (…) Der Tischlergehilfe Josef Krenmayr hat sich ebenfalls, wie aus dem bei ihm bei der Hausdurchsuchung vorgefundenen illegalen Schriftenmaterial hervorgeht, für obige Organisation führend betätigt. (…) Der Bäckergehilfe Franz Brunmair (…) ist geständig, für die revolutionärsozialistische Bewegung gearbeitet zu haben, und zwar seinerzeit als Kurier dieser Organisation. Es besteht der begründete Verdacht, dass er diese Tätigkeit trotz seines Leugnens auch in letzter Zeit ausgeübt hat. (…) Bericht des Sicherheitsdirektors für das Bundesland Salzburg an die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit vom 23. Oktober 1936 über die Aufdeckung der Organisation der Revolutionären Sozialisten.9 Die Bundespolizeidirektion Salzburg brachte im Laufe des Frühsommers 1936 in vertraulicher Weise in Erfahrung, dass die Revolutionären Sozialisten einen regen Zulauf zu verzeichnen hätten, diese illegale Partei im Anwachsen begriffen sei, welche Mitteilungen auch darin ihre Bestätigung fanden, dass die Revolutionären Sozialisten in einzelnen Fällen nunmehr auch aktiv auftreten und bald da, bald dort kleinere Streu- und Schmieraktionen durchführten. Vorerst waren alle Bemühungen und Beobachtungen der Polizeidirektion erfolglos, bis sich in den letzten Tagen des Monats August plötzlich der Verdacht gegen 9 Ebda. S. 43ff.

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den Versicherungsbeamten Josef Pfeffer (…), gegen den Tischlergehilfen Anton Barth (…), gegen den Tischlergehilfen Josef Krenmayr (…) und schließlich gegen den Bäckergehilfen Franz Brunmair, 14.12.1909 in Salzburg geb. und zust., derart verdichtete, dass dieselben am 26. bzw. 27. August verhaftet werden konnten. (…) Durch die Aussagen Franz Brunmairs wurde auch in Erfahrung gebracht, dass der postenlose Lehrer Franz Scheichl (…) vor ca. 1 ½ Jahren für die revolutionäre sozialistische Partei gewonnen wurde. Da er des Maschinschreibens kundig war und auch Kenntnisse in der Stenografie besaß, wurde er zum Leiter des Informationsdienstes bestellt. (…) Scheichl hatte insbesondere die Aufgabe, die ihm zugewiesenen Informationsblätter, welche seinem Geständnisse nach aus Wien per Post kamen, zu vervielfältigen und dann zu vertreiben bzw. den obgenannten Barth und Krenmmayr zur Weiterverbreitung zu übergeben. (…) Auf Grund dieser Aussagen hat die Polizeidirektion am 3.9.1936 (Franz) Schmiedhammer verhaftet. Die Hausdurchsuchung ergab nichts Bedenkliches, dagegen wurde bei seiner Personsdurchsuchung ein Zettel mit der Überschrift »Beachte dies« und mit der Unterschrift »Die Sozial. Arbeiterhilfe« vorgefunden, welcher Zettel ganz interessante Instruktionen über das Verhalten bei Verhaftungen und über die getarnte Tätigkeit der revolutionär-sozialistischen Partei enthält. (…) Nach langwierigen Verhören gab Schmiedhammer endlich zu, durch Scheichl zur Mitarbeit in der revolutionären sozialistischen Partei angeworben worden zu sein und den seinerzeit von der Parteileitung erteilten Auftrag einer großen Schmieraktion im Mai 1936 am Einheitsgewerkschaftssportplatz durchgeführt zu haben. Er gestand auch ferner, die Schreibmaschine instruktionsgemäß der Konsumvereinsgenossenschaft »Filiale Wolf Dietrich Straße, Salzburg« übergeben zu haben. Diese Schreibmaschine wurde sodann vom Stiefvater Scheichls, dem Magazinmeister der Österr. Bundesbahnen Josef Radelhammer, am 7.8.1884 in Moosbach geb. und zust., wohnhaft in Salzburg, der bereits seit Jahren als verbissener Sozialdemokrat bekannt ist, von der Konsumvereinsgenossenschaft abgeholt und zur »Gewah« gebracht und dort deponiert. Radelhammer wurde am 3.9.1936 verhaftet. (…) Durch das Geständnis Brunmairs wurde auch festgestellt, dass die Parteileitung, falls dieselbe durch die Polizei einmal auffliegen sollte, sich in der Person des Johann Eichinger bereits einen Ersatzmann geschaffen hatte. Johann Eichinger, Sparkassenbeamter, geb. am 11.1.1909 in Ries im Innkreis, nach Salzburg zust., war Gruppenleiter der Stadt Salzburg und kann wohl als geistiger Führer der Gesamtorganisation angesehen werden. Eichinger wurde am 31.8.1936 verhaftet. Im Laufe dieser Aktion konnten als Mitschuldige noch ausgeforscht werden der Zimmermann Hermann Sperr (…), der Tischlergehilfe Johann Moik, geb. am 27.3.1901 (…), der Maurergehilfe Georg Gurtner, geb. am 3.8.1911 (…) als Verwalter illegalen Propagandamaterials, die Hilfsarbeiterin Maria Maxwald, Bundes-

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bahnpensionistin, am 18.12.1896 in Bad Ischl geb. und zust. als Organisationsleiterin und Kassierin der Ortsgruppe Itzling bei Salzburg (…), der Maurergehilfe Franz Houbicka, geb. am 30.1.1913 (…) als Gruppenleiter von Maxglan, der Malergehilfe Gottfried Haiplik (…), welcher vor dem Jahre 1935 die Leitung der revolutionären sozialistischen Organisation innehatte und auch noch in letzter Zeit unter dem Namen »Fritz« sich rege für die Bewegung betätigte, und endlich der Orgelbaulehrling Wilhelm Kumhart, geb. am 20.5.1918 (…), welcher mit den verschiedenen Mitgliedern im regsten Verkehr stand, überall in der Organisation helfend eingriff und in diesen Kreisen allgemein »der Struppi« genannt wurde. (…) Aus der Urteilsbegründung des Landesgerichtes Salzburg gegen Josef Pfeffer und Genossen wegen Verbrechens nach dem Staatsschutzgesetz vom 28. Dezember 1936.10 (…) Sie (die Organisation der Revolutionären Sozialisten) unterhält enge Verbindungen mit der Sozialistischen Arbeiterinternationale seinerseits und mit den kommunistischen Organisationen andererseits, bemüht sich um die Vereinigung aller Linksströmungen zu einer internationalen Einheitsfront des Proletariates, um letzten Endes allenfalls im Wege einer Weltrevolution anstelle der bisherigen Regierungsformen allerorts, somit auch in Österreich, die Diktatur des Proletariates zu errichten. Dies soll in Österreich durch Reaktivierung des Klassenkampfes in Zusammenarbeit mit illegalen Gewerkschaften, durch Werbung von Organen der Exekutive zur Mitarbeit und Pflichtunterlassung, durch Bauernverhetzung, Streiks, Steuerverweigerung und schließlich durch Entfachung eines allgemeinen Volkswiderstandes gegen das bestehende Regime auf ungesetzliche Weise bewirkt oder vorbereitet werden. (…) Protokoll der Konferenz der Sicherheitsdirektoren am 16. Februar 1937.11 (…) Was die Linksbewegung anlangt, so wird sie als in den meisten Bundesländern sehr lebhaft bezeichnet. Es wird hervorgehoben, dass zwischen revolutionären Sozialisten und Kommunisten, abgesehen von Meinungsverschiedenheiten in der Führungsschicht, praktisch kein Unterschied mehr besteht. Die Werbung, die Parolen und schließlich auch die Ideologie ist beinahe vollständig einheitlich. (…)

10 Ebda. S. 46. 11 Kriechbaumer (Hg.)  : Österreich  ! und Front Heil  ! S.  344.

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Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 12. Oktober 1937. Zahl  : 756/1 res 1937. Betreff  : Franz Pavlovski. Revolutionär-sozialistischer Kurier. Verhaftung. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St.B., in Wien I., Herrengasse 7. Unter Bezugnahme auf den mündlichen Bericht beehrt sich die Bundespolizeidirektion Nachstehendes zu berichten  : Am 4.10.1937 unterzog ein Kriminalbeamter des Sicherheitsbüros den Tischlergehilfen Franz Pavlovski, am 21.5.1893 in Wien geb. und zust., konfl., verh., Wien X., Favoritenstraße Nr. 76/b wohnhaft, in der Linzer Bundesstraße einer genauesten Perlustrierung, da ihm der Vorgenannte äußerst bedenklich vorkam und er vermutete, dass er einen Einbruch plane. Während die Perlustrierung Pavlovskis nur den Nachweis ergab, dass er in Wien ansässig ist und erst vor kurzem aus Wien abgereist ist, erbrachte die Durchsuchung seines immerhin großen Handkoffers den Nachweis, dass Pavlovski im Dienste der Revolutionär-Sozialistischen Partei stehe und zweifellos als Kurier tätig ist. Der Koffer war vollgefüllt mit revolutionärsozialistischem Propagandamaterial neuesten Datums. Pavlovski will glauben machen, dass er von einem Unbekannten ersucht wurde, diesen Koffer nach Salzburg auf den Bahnhof Gnigl zu bringen, wo er von einem ebenfalls ihm unbekannten Manne hätte erwartet werden sollen, dem er den Koffer hätte ausfolgen sollen. Er habe sich nur deshalb zu dieser Fahrt herbeigelassen, da er arbeitslos sei und sich ein wenig Geld verdienen wollte. Die Verantwortung Pavlovskis ist natürlich völlig unglaubwürdig und unwahr, da die Erhebungen der Wiener Polizeidirektion ergaben, dass Pavlovski seiner Frau mitgeteilt habe, er gehe auf wenige Tage zu seinem Bruder in den Schrebergarten, um diesem arbeiten zu helfen. Nach Mitteilung der Bundespolizeidirektion Wien scheint Pavlovski in Wien als politisch bedenklich noch nicht vorgemerkt auf. Pavlovski wurde gemäß § 300 StrG. und wegen Verbrechens nach dem Staatsschutzgesetz der Staatsanwaltschaft beim Landesgerichte Salzburg zur Anzeige gebracht und dem landesgerichtlichen Gefangenenhaus eingeliefert. Polizeilich wurde er einstweilen im Sinne des Ordnungsschutzgesetzes mit 3 Monaten Arrest bestraft. Gleichzeitig beehrt sich die Bundespolizeidirektion, (…) Exemplare der vorgefundenen revolutionär-sozialistischen Propagandaschriften in Vorlage zu bringen (…)

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NACHRICHTEN – DIENST der REVOLUTIONÄREN SOZIALISTEN Nr. 75

23. September 1937

Das Fiasko der Römischen Protokolle. Wenige Wochen nachdem Dollfuß die österreichische Arbeiterklasse niedergeschlagen hatte, wurden die Römischen Protokolle unterzeichnet, in denen Österreich und Ungarn von den großen Freunden wirtschaftliche Hilfe zugesichert wurde. Von dieser wirtschaftlichen Hilfe war schon bisher wenig zu merken. Nun ist aber auch diese Periode zu Ende und obwohl Österreich die Einfuhr aus Italien schon stark forciert hat, was auch mit Verteuerungen wie z. B. beim Reis verbunden war, besteht Italien nun darauf, dass im Handelsverkehr mit Österreich das Verhältnis 1   : 1 hergestellt werden muss. Das heißt, Italien wird aus Österreich nicht mehr kaufen als Österreich von Italien kauft. Damit haben die Römischen Protokolle ihre Bedeutung völlig verloren. In den letzten Tagen verlautet, dass Italien, das sein Abkommen mit Ungarn für den 30. September gekündigt hat, den Vertrag mit Österreich auch Ende 1937 formell kündigt.12 Mussolini will nämlich seine neue Freundschaft mit Jugoslawien wirtschaftlich untermauern und muss daher vor allem dem jugoslawischen Holz den Weg nach Italien in größtem Ausmaß öffnen. Dabei ist das Abkommen mit Österreich im Wege, das darum beseitigt wird. Österreich bemüht sich, wenigstens noch für ein halbes Jahr die bisherige Grundlage des Handelsverkehrs aufrechtzuhalten. So endet die Dollfuß-Politik. Zuerst hat Mussolini Österreich politisch an Hitler preisgegeben, nun gibt er Österreich auch so preis. (…) Nach Nürnberg. Österreich war auf dem Nürnberger Parteitag der NSDAP nicht nur durch den offiziellen Vertreter der Bundesregierung, den Gesandten Tauschitz, sondern auch durch eine besondere »Gruppe Österreich« vertreten  : das sind die Nazi-Emigranten aus Österreich. Die deutsche Nazi-Presse hebt hervor, dass der Jubel über die Österreicher besonders groß gewesen sei. Die Schuschnigg-Presse, namentlich das »Weltblatt«, regt sich über diese »Verletzung des Abkommens vom 11. Juli« im Nachhinein auf und will damit vergessen machen, dass die österreichische Regierung es selbst ist, die den Nazi-Kurs in Österreich fördert. Den Katholiken wird angst und bange. Im katholischen Lager wird wieder einmal heftig intrigiert. Es gibt dort Leute, die den Nazi-Kurs und namentlich die Politik (…) der Annäherung an Berlin sehr ungern sehen und auch gegen Kardinal Innitzer meutern, dem Nazifreundlichkeit 12 Eine Kündigung der Römischen Protokolle durch Italien erfolgte nicht. Sie wurden durch den Anschluss im März 1938 gegenstandslos.

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vorgeworfen wird.13 Es wird angestrebt, dass ihm von Rom aus ein Kurator zur Seite gestellt wird, der ihn allmählich ersetzen soll. Es heißt, dass Bischof Gföllner, der sich in der letzten Zeit als »Volksfrontbischof« gibt, aber auch die Nunziatur hinter diesen Bestrebungen steht.14 (…) Erfolgreiche Streuaktionen der Revolutionären Sozialisten. In der vergangenen Woche haben die Revolutionären Sozialisten in allen Wiener Bezirken Streuaktionen unternommen, bei denen gegen die unsoziale Fahrradsteuer protestiert wurde. Besonders erfolgreich war die Aktion im 5. Bezirk, wo man Tage hindurch die Straßen mit den Streuzetteln belegt hatte. (…)

13 Kardinal Theodor Innitzer wurde ursprünglich als möglicher Verfasser jenes umstrittenen Artikels in der »Reichspost« vermutet, in dem das Juliabkommen als notwendiger Brückenschlag zum Nationalsozialismus befürwortet wurde. Tatsächlich war der Verfasser des Artikels Alois Hudal, Rektor der »Maria del Anima« in Rom, der als einer der prominentesten kirchlichen »Brückenbauer« im Herbst 1936 sein heftig umstrittenes Buch »Die Grundlagen des Nationalsozialismus« beim Verlag Johannes Günther in Wien herausbrachte. Vor allem Verfechter der christlichen Soziallehre, der CV, die Katholische Aktion und die Legitimisten sowie die Zeitschrift »Der christliche Ständestaat« nahmen vehement gegen jeden Versuch einer Annäherung an den Nationalsozialismus Stellung. 14 Der Linzer Bischof Johann Maria Gföllner gehörte zu den führenden Gegnern des Nationalsozialismus in der österreichischen Bischofskonferenz. Als sich die Bischofskonferenz, an deren Spitze der neuernannte Wiener Fürsterzbischof Theodor Innitzer, mit dem von ihm entworfenen Hirtenbrief über den wahren und falschen Nationalismus aus politischen Rücksichten nicht anfreunden konnte, publizierte er ihn im Jänner 1933 im Alleingang in seiner oberösterreichischen Diözese. Unmittelbar vor Hitlers Machtantritt erklärte er darin den nationalsozialistischen Rassenstandpunkt als mit dem Christentum völlig unvereinbar. Gföllner wurde allerdings im September 1933 von Innitzer gebeten, den Entwurf für eine von Papst Pius XI. nach der Ratifizierung des deutschen Reichskonkordats am 20.7.1933 erbetene »Wohlmeinung des österreichischen Episkopates über den Nationalsozialismus im Allgemeinen und insbesondere über seine Tätigkeit und Stellungnahme in Österreich« zu verfassen. Innitzer änderte kaum etwas an Gföllners Entwurf. Der österreichische Episkopat sehe, so hieß es in dem Promemoria an den Papst, keinen Anlass, seine Ablehnung und Verurteilung des Nationalsozialismus zu ändern. Am 21.12.1933 erschien der aufsehenerregende Weihnachtshirtenbrief, der ebenfalls von Gföllner verfasst worden war, in dem der Gegensatz zum Nationalsozialismus neuerlich betont und die Politik der Regierung Dollfuß unterstützt wurde.

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Präsidium der Kammer für Arbeiter und Angestellte Salzburg, 9. März 1938. Zl. 1057/38 Dr.B./Sch. Betrifft  : Rückgabe des Arbeiterheimes Itzling (Salzburg). An das Bundeskanzleramt in Wien. Die gefertigte Kammer sieht sich veranlasst, neuerdings das Verlangen zu stellen, das Arbeiterheim Itzling-Salzburg der Arbeiterschaft wieder zurückzugeben. Bereits im Jahre 1935 wurden diesbezüglich Schritte unternommen, die bedauerlicherweise erfolglos geblieben sind. Obwohl wiederholt betont wurde, dass die Entstehung dieses Heimes dem Opfermute der Arbeiterschaft zu danken ist und die Rückgabe desselben zur Befriedung außerordentlich beitragen würde, verliefen die Verhandlungen bis heute leider vollkommen resultatlos. Dieses Heim befindet sich in einem ausgesprochenen Arbeiterviertel Groß-Salzburgs, ist für volksbildnerische Zwecke sehr geeignet und besteht aus einem Büchereiraum sowie einem großen Vortragssaal mit Bühne, der für Theater- und Kinoaufführungen besonders günstig ist. Das Heim war zuerst behördlich gesperrt und wurde nachher im Zusammenhang mit den Juliereignissen 1934 durch Monate als Häftlingslokal von den Behörden benützt, worunter das Heim sehr gelitten hat. Heute befindet sich im Heim der Posten Itzling ad Salzburg der Gendarmerie. Grundbücherlich erscheint das Heim lastenfrei. In Anbetracht des Umstandes, dass das große Salzburger Arbeiterheim trotz der Bemühungen der Kammer und des Gewerkschaftsbundes nicht an die Arbeiterschaft zurückgegeben, sondern dem 8. Brigadekommando zur Verfügung gestellt wurde, welche Militärbehörde umfangreiche Adaptierungen vorgenommen hat, wird das dringende Ersuchen gestellt, nunmehr wenigstens das Itzlinger Arbeiter- und Kinderheim dem Eigentümer, das ist die Arbeiterschaft Salzburgs, zurückzustellen umso mehr, als leider auch viele Einrichtungsgegenstände im Salzburger Heim verschleppt bzw. verkauft wurden. Gerade im gegebenen Zeitpunkte würde die Rückgabe des Itzlinger Heimes an die Arbeiterschaft eine große Wirkung haben insoferne, als die Arbeiterschaft Salzburgs in dieser Maßnahme eine Tat erblicken würde, wodurch den Wünschen der werktätigen Kreise der Bevölkerung nach Einräumung größerer Betätigungsmöglichkeiten einigermaßen Rechnung getragen würde.

4. »… konnte festgestellt werden, dass die Tätigkeit der kommunistischen Partei im Lande Salzburg sich in sehr engen Grenzen bewegte …« Die KPÖ

Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 12. August 1936. Zl. 2901/36. Betreff  : Kommunistische Flugschrift aus Hallein »Friede mit Deutschland«.1 An das Präsidialbüro der Landeshauptmannschaft in Salzburg. Beiliegend wird eine Abschrift einer vom Gendarmerieposten Hallein am 24.7.1936 vorgefundenen kommunistischen Flugschrift zur Kenntnis mit dem Beifügen übermittelt, dass die im Flugblatt erwähnte Demonstration in Saalfelden bei Einlieferung der Kommunisten nicht stattgefunden hat und frei erfunden ist. So war auch selbstverständlich die Gendarmerie in keiner Weise genötigt, den Säbel zu ziehen und Waffengebrauch anzukündigen. Friede mit Deutschland Nicht die Form oder die Farbe soll hier gemeint sein, sondern das, was sich darunter verbirgt. Worin liegt der Unterschied zwischen beiden  ? Hier Lohnabbau, Unterstützungskürzung, Aussteuerung, erhöhte Steuerlasten für den Kleinen, Militarisierung der Jugend, draußen dasselbe in braun. Um was ging nun der schon seit Jahren mit großer Heftigkeit geführte Kampf zwischen den braunen Lakaien des Kapitalismus und den schwarz-weiß-grünen Sachverwaltern der österreichischen Kolonie  ? War vielleicht das Herz der deutschen Nazis voll von Mitgefühl über das schwere Los ihrer österreichischen Brüder  ? Nein. Der gemeinsame Kampf der österreichischen und deutschen Nationalsozialisten diente allein nur imperialistischen Zwecken mit dem Ziel der Errichtung Großdeutschlands. Mit der Annexion Österreichs wäre Hitler diesem Ziel um vieles 1 SLA Präs. Akten 1936/34a/250.

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näher gerückt. Die Kampagne war vorzüglich organisiert, die Regie klappte ausgezeichnet. Von den höchsten Regierungseliten mit freundlichem Augenzwinkern ermuntert, begannen die Nazi mit einer Terrorwelle das Vorspiel einzuleiten. Böller auf Böller gingen los. Überfälle auf politische Gegner wurden in großem Umfang organisiert. Stöße von Nazizeitungen überschwemmten das Land. Österreich schien für den Nationalsozialismus sturmreif zu sein, nur hieß es, den richtigen Zeitpunkt abzuwarten. Die für Oktober 1933 in Österreich angesetzte Attacke wurde abgeblasen, nachdem die Nazi von ihren Verbindungsmännern in der Regierung erfahren hatten, dass diese in kurzer Zeit zum entscheidenden Schlag gegen den Marxismus ausholen werde. Der Schlag erfolgte im Februar 1934. Die Nazis rechneten damit, dass sie zu dieser Aktion gegen die Rote Gefahr beigezogen werden würden. Die Regierung jedoch schlug den Aufstand ohne ihre Hilfe nieder. (…) Nachdem nun auch im Februar die Nazis den Zeitpunkt verpasst hatten, versuchten sie auf eigene Rechnung im Juli 1934 den Aufstand (…) Sie rechneten mit der österreichischen Arbeiterschaft, mit deren Erbitterung (…) und mit ihrer Unterstützung. Doch sie hatten sich wieder verrechnet. Der alte Hass gegen die Braunen überwog den Hass gegen die Schwarz-Weiß-Grünen und die überwältigende Mehrheit der Arbeiterschaft verhielt sich passiv. Deutschlands Versuch einzugreifen wurde durch Mussolini durch einen Wink mit dem Zaunpfahl abgetan. Und so mussten die österreichischen Nazis für ihre hundertprozentigen Naiven immer wieder ein neues Datum erfinden, an dem sie diesen die Geburt des Dritten Reiches in Österreich ankündigten. Das Braune Paradies ist zwar noch nicht da, aber dafür eine amtliche Erklärung beider Regierungschefs Hitler und Schuschnigg vom 11. ds. M., in dem Hitler die volle Souveränität Österreichs garantiert und sich verpflichtet, sich in keiner Weise in die inneren Angelegenheiten Österreichs einzumengen. Schuschnigg beteuerte in seiner Rede wiederum die enge Verbundenheit Österreichs mit dem Deutschtum. Nun sei der Friede wieder da, so erklärte Schuschnigg. F r i e d e    ?    ? F ü r w e n    ? Die gegnerischen Lager der Bourgeoisie haben sich versöhnt, nachdem auf sie das Sprichwort anzuwenden wäre  : Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Die Zeche bezahlen die Werktätigen, gegen sie und die Kommunistische Partei wird sich in nächster Zeit der Hauptangriff richten. Nur durch die Schaffung einer Einheitsfront aller Antifaschisten kann dem Angriff wirkungsvoll begegnet werden. Die Erkenntnis muss sich Bahn brechen, dass weder Vaterländische noch der braune Faschismus die Rettung bringt. Jeder ist Todfeind des werktätigen Volkes  ! (…) B o l s c h e w i k e n    ! Aus Saalfelden wird uns berichtet  :

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Im Zuge der Massenverhaftung revolutionärer Arbeiter, die im ganzen Lande durchgeführt wurde, kam es in Saalfelden zu folgendem Zwischenfall  : Nach üblicher ergebnisloser Hausdurchsuchung bei als Marxisten verdächtigen Proleten warteten die Gendarmenautos, um aufrecht und ehrlich denkende Arbeiter in die Zwingburg des Kapitalismus »Landesgericht Salzburg« zu führen. Eine große Schar Neugieriger sammelte sich an, um den heute, im besser werdenden Österreich nicht seltenen Vorgang zu beobachten, als man zwei Männer von 74 und 78 Jahren brachte. Da aber nahm die Menge eine drohende Haltung an und mit gellenden Rufen wie »christliche Hunderegierung«, »Freilassung der politischen Gefangenen«, »Nieder mit dem Kapitalismus« versuchten die Saalfeldner die Gefangenen zu befreien. Polizei und Gendarmerie mussten zur blanken Waffe greifen und erst dann gelang es den Autos mit den Häftlingen abzufahren. Ein großer Trost wird es den Gefangenen in ihrer traurigen Lage gewesen sein, die Gewissheit zu haben, dass neue Kämpfer erstanden sind. (…) Der Aufbau Österreichs In den Schaukasten der Vaterländischen Front wird der Aufbau Österreichs in Bildern gezeigt. Immer und immer wieder gibt es Menschen, die an diesen Kasten vorübergehen und mit einer müden Handbewegung kaum hörbar flüstern  : »Schwindel«. Nun aber müssen auch diese Nörgler verstummen, denn nichts kann besser überzeugen als die Jahresbilanz des Versatzamtes in Salzburg. Im Jahre 1935 suchten um 10.000 Personen mehr als im Vorjahre das Versatzamt auf, um ihre letzte Habe, aus reiner Bosheit natürlich, gegen geringes Geld einzutauschen. Seht, hier beginnt der Aufbau Österreichs sich gewaltig bemerkbar zu machen. U n s i t t l i c h i s t    : Im Informationsblatt der Österreichischen Sturmscharen wurde geschrieben  : »Wir wollen eine solide christliche Wirtschaft. Wir wollen, dass der Arbeiter teilhabe an dem, was er schafft, d. h., dass er gerecht entlohnt werde.« Nicht so wie in den Textilwerken oder der Zellulose. Werden keine ordentlichen christlichen Lohnverhältnisse geschaffen, werden bei den Arbeitseinstellungen nicht in erster Linie die Ausgesteuerten berücksichtigt, dann ist das Reden vom Christlichen Ständestaat, von Österreich als dem sozialen Staat, ein leeres Geschwätz. Dann gehören wir alle miteinander ausgelacht. Wir haben genug der Riesenlöhne und Verwaltungsratsstellen bei gewissen Herrschaften. Gehälter über 1.000 Schilling im Monat sind Unsittlichkeit, da so und so viele Tausende ausgesteuert sind. Unsittlich ist, wenn bei Arbeitsvergebung nur unterstützte Arbeitslose berücksichtigt werden, Ausgesteuerte aber zu kurz kommen. Ausgesteuerte aber sind noch ärmer als unterstützte Arbeitslose. Unsittlich ist immer, wenn die jungen Beamten so entlohnt werden, dass sie vor Beendigung des vierzigsten Lebensjahres nicht an eine Familiengründung denken

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können. Das ist ein Verbrechen an Volk und Staat, da an vielen Stellen Mammutgehälter existieren. Nicht bei den Kleinen allein sparen. Auch bei den Großen. Und – die Alten sollen den Jungen nicht allzu lange den Platz versperren, sondern zeitgemäß in Pension gehen  ! Österreichische Sturmschärler  ! Auch wir Kommunisten wollen eine solide Wirtschaft. Es ist ein Verbrechen, wenn von den Steuergeldern in dem kleinen Österreich (…) 32 Generäle mit 4.000 Schilling entlohnt werden. Es ist ein Verbrechen, wenn bei Unternehmungen wie die Donaudampfschifffahrtsgesellschaft ein Dutzend Direktoren einen Gehalt von 8-10.000 Schilling beziehen. Und ist es bei der Bundesbahn anders  ? Österreichische Sturmschärler  ! Aber auch die prominenten Vertreter des Christentums greifen trotz ihrer Demut ganz unverschämt in den Staatssäckel. Österreichische Sturmschärler  ! Eure Rede wird zum leeren Geschwätz genau wie das der Nazis. Drüben sprechen sie von Betrug an Volksgenossen, trotz hoher Löhne auf der einen und bitterer Not auf der anderen Seite. Hat sich etwa inzwischen etwas geändert  ? Auch ihr werdet es nicht ändern, so lange ihr den Industriekapitänen und Führern der Regierung nur Unsittlichkeit vorwerft. Denn die kennen den Begriff »Moral« nicht. Ihr müsst einsehen, dass ihr im Jahre 1934 ein Trugbild verteidigt habe. Nicht den christlichen, sondern den kapitalistischen Staat habt ihr beschützt. Nicht durch Reden, sondern durch Kampf werden wir die Kontrolle an der gesamten Wirtschaft durch frei gewählte Vertreter aller Werktätigen erreichen, Mitbestimmungsrecht bei Arbeitsvergebung und die Alters- und Invalidenrente in dem lebensnotwendigen Ausmaße. Ohne Kampf wird uns das alles nicht gelingen. Wir wollen alle das Gleiche, reicht euch deshalb die Hand. Schafft die Einheitsfront  !  !  ! Gendarmeriepostenkommando Lamprechtshausen, Lamprechtshausen, 14. Dezember 1936 Zl.: 3234. Betrifft  : Flugzettel, kommunistische, wurden gestreut.2 Am 12. Dezember 1936 um ca. 18 Uhr wurden im Orte Bürmoos, Gemeinde Lamprechtshausen, auf der Straße und in die Hausgänge mehrerer Häuser kommunistische Flugzettel gestreut.

2 Ebda.

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Die Flugzettel sind 19.5 mal 21 cm groß, einfach, weißes Papier, mit Maschinschrift doppelseitig beschrieben, beinhalten den Bürgerkrieg in Spanien und fordern zur Geldsammlung auf (…) Auf Grund der sofort vorgenommenen Forschungen konnten von den Gendarmen dies hiesigen Postens in Bürmoos noch 14 Stück Flugzettel aufgefunden und beschlagnahmt werden. Um die angeführte Zeit herrschte in Bürmoos ein reger Verkehr. Der oder die Täter sind gänzlich unbekannt. Eine Verhaftung verlief ohne Ergebnis. (…) A n d i e We r k t ä t i g e n S a l z b u r g s   ! Fast fünf Monate dauert nun schon der Bürgerkrieg in Spanien, es ist der blutigste, den die Geschichte kennt. Hunderttausende Männer, tausende Frauen und Kinder sind dem Moloch Faschismus zum Opfer gefallen  ; wie viele sollen es noch sein  ? Während in Madrid auf Spitäler und wehrlose Frauen und Kinder deutsche Junkerflugzeuge deutsche Bomben abwerfen, während an allen Fronten italienische Tanks und italienische Batterien samt Bedienungsmannschaft Tod und Verderben gegen das tapfere spanische Volk, das um seine Freiheit kämpft, speien, während deutsche Reichswehroffiziere die Offensiven leiten, sitzen in London die Herren des Nichteinmischungskomitees am grünen Tisch, weitab von Schuss und Gefahr und geben der erstaunten Welt bekannt, dass weder Deutschland noch Italien oder Portugal die Nichteinmischung verletzt haben, vielmehr ein anderes Land (gemeint ist Russland) mehr zu tadeln sei als Deutschland oder Italien. Während die Faschisten der ganzen Welt ihr Werkzeug, die Verbrecherbanden und marokkanischen Truppen Francos, mit den modernsten Waffen, Flugzeugen, Brandbomben, Flammenwerfern und anderem Kriegsmaterial versorgen, während deutsche oder italienische Unterseeboote im Hafen von Cartagena spanische Regierungsschiffe torpedieren, alles unter dem Zeichen der »Nichteinmischung«, bestehen die Regierungen der »demokratischen« Länder feige und scheinheilig auf dieser »Nichteinmischung«. Die Faschisten aller Schattierungen stehen gegen das kämpfende, werktätige Spanien, nein, nicht nur gegen Spanien, gegen die Demokratie überhaupt, gegen den Sozialismus der ganzen Welt geht es hier. Hinter diesem Kampfe wollen sie die Ohnmacht ihrer Wirtschaft verbergen, mit diesem Kampf hoffen sie, ihrem sicheren Untergang noch zu entkommen. Die blutgetränkten Felder Spaniens sind der Anfang, es sind bereits Schlachtfelder des Weltkrieges. Doch wir wissen, was die Zeit gebietet  ! Geschlossen müssen wir den Kampf erwarten, geschlossen und einig müssen wir uns gegen den faschistischen Angriff stel-

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len und unsere Freiheit und Rechte, die Rechte aller Werktätigen, gewinnen und verteidigen  ! Wie verhält sich hingegen die II. Internationale  ? Mit feigen Ausreden weicht sie jedem Angebot der III. Internationale zwecks gemeinsamen Vorgehens in der spanischen Angelegenheit aus, behaupten Viktor Adler (…) und andere, sie seien nicht kompetent und verschanzen sich hinter bürokratischen Klauseln und Spitzfindigkeiten, während das heroisch kämpfende spanische Volk verblutet  ! G e n o s s e n d e r R e v o l u t i o n ä r e n S o z i a l i s t e n   ! A r b e i t e r d e r I I . I n t e r n a t i o n a l e   ! We r k t ä t i g e S a l z b u r g s    ! Verlangt von Euren Führern, dass endlich Schluss gemacht wird mit dem Zuwarten, endlich Schluss auch mit dem selbstmörderischen Zurückweichen, verlangt von Euren Führern die Einheitsfront mit der III. Internationale, damit zum einheitlichen Kampf, zum einheitlichen Schlag gegen den Weltfaschismus ausgeholt werden kann. Jede Splitterung ist ein Maschinengewehr mehr für den spanischen Faschisten, hingegen jede gemeinsame Aktion ein Schritt näher (zu) unserem Siege  ! Die Lage ist ernst, darüber müssen wir uns voll im Klaren sein. Jedes weitere Zögern bei der aktiven Hilfe und Unterstützung für das spanische Volk muss die ernstesten Folgen nicht nur für Spanien, sondern für die Sache der Freiheit und Demokratie, für die Sache des Friedens in der ganzen Welt haben. Das spanische Volk und wir alle mit ihm sind voll Zuversicht über den Sieg im Kampf gegen die Faschisten, doch die Zuversicht allein führt nicht zum Sieg, sie v e r p f l i c h t e t . Sie verpflichtet die Arbeiter aller Länder zu breitester Solidarität, einer Solidarität, die an Opfermut hinter den Heldentaten der Volksfrontkämpfer in Spanien nicht zurückstehen soll. Zuversicht, sie verpflichtet alle Freunde der Demokratie und des Friedens in aller Welt alles zu tun für den Sieg der rechtmäßigen Regierung des spanischen Volkes. Genossen der Revolutionären Sozialisten, Genossen der KP, Werktätige Salzburgs  ! Auch wir müssen mit aller Kraft mithelfen, dem spanischen Volk den Sieg zu bringen. Unsere kämpfenden Brüder brauchen Waffen, Munition, Flugzeuge, vor allem s i e b r a u c h e n G E L D   ! Gebe jeder, was er kann, damit die Opfer an Menschenleben nicht umsonst waren für die eiserne Front des Weltproletariats  ! Spanienhilfe der KP Salzburgs

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 9. Juni 1937 Zl. 3008/1. Betr.: Dworazek Rosa, Eingabe wegen ungerechtfertigter Hausdurchsuchung. An das Bundeskanzleramt G.D. St. B. in Wien. Zum Erlass G.D. 329.167-St.B. vom 12.5.19373 beehre ich mich zu berichten, dass bei den Eheleuten Franz und Rosa Dworazek in Bürmoos in der Zeit vom 11.2.1936 bis 11.2.1937 drei Hausdurchsuchungen wegen des Verdachtes kommunistischer Umtriebe durch den Gendarmerieposten Lamprechtshausen gehalten wurden. Der Verdacht gegen das Ehepaar Dworazek gründete sich auf folgende Umstände  : Es wurde wiederholt die Wahrnehmung gemacht, dass im Hause der Dworazek nur solche Personen verkehren, die dem Gendarmerieposten als fanatische Kommunisten bekannt sind. Desgleichen kam dem Posten auch vertraulich zur Kenntnis, dass der im Hause der Dworazek befindliche Radioapparat für politische Zwecke missbraucht werde und Moskauer Sendungen abgehorcht werden. Unter den bei der Dworazek verkehrenden Personen befanden sich auch die Geschwister Franz, Johann und Anna Grobauer, letztere verehelichte und geschiedene Müller. Die Geschwister Grobauer sind als führende Kommunisten bekannt, wurden im Jahre 1936 wegen Besitzes kommunistischen Propagandamaterials verhaftet, dem Gerichte eingeliefert  ; Franz und Johann Grobauer wurden für immer aus dem Bezirk Salzburg abgeschafft. Eine Abschaffung der Anna Müller war nicht möglich, weil sie nach Lamprechtshausen zuständig ist. Weiters beherbergte die Dworazek in ihrem Hause den mit der Kommunistischen Partei sympathisierenden Arbeiter Franz Max, der gleich dem Kommunisten Felix Mackinger, der auch bei Dworazek verkehrt, im Jahre 1937 wegen des Singens der »Internationale« von der Bezirkshauptmannschaft Salzburg bestraft worden war. Weiters wurde dem Posten von verlässlicher Seite die Nachricht zugebracht, dass sich kommunistisches Material nicht im Hause der Dworazek, sondern in einer der Dworazek gehörenden Hühnersteige befinde. Bei der auf Grund dieser Nachricht vorgenommenen Hausdurchsuchung wurde zwar im Hause bzw. dem Hühnerstall der Dworazek nichts Verdächtiges gefunden, doch wurde nachträglich von einer 3 Frau Rosa Dworazek aus Bürmoos hatte sich im April 1937 in einem handschriftlichen Schreiben an Bundeskanzler Kurt Schuschnigg über die von den Salzburger Sicherheitsbehörden durchgeführten Hausdurchsuchungen vor allem auch mit dem Hinweis auf den gesundheitlichen Zustand ihres Gatten beschwert.

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Frau, die mit der Dworazek gut befreundet war, erfragt, dass die Dworazek von der bevorstehenden Hausdurchsuchung Kenntnis erlangte, da damals mehrere Durchsuchungen bei bekannten Kommunisten vorgenommen wurden, und das im Besitze gewesene kommunistische Material in ihren Kleidern und unter ihrem Busen versteckt hatte. Wie auch in Erfahrung gebracht wurde, fährt die Dworazek öfters nach Hackenbuch, Oberösterreich, wo sich der bekannte abgeschaffte Kommunistenführer Johann Grobauer im Aufenthalte befindet. Wie weiters in Erfahrung gebracht wurde, soll sich der Gatte der Beschwerdeführerin namens Franz Dworazek schon öfters aufgehalten haben, dass bei ihm so viele Burschen verkehren und dass auch Moskauer Sendungen abgehorcht würden. Franz Dworazek könne aber dies nicht abstellen, weil nicht er, sondern seine Frau der Herr im Hause sei. Die vorgenannte Anna Müller wurde am 13. Mai 1937 wegen kommunistischer Betätigung verhaftet, weil sie nach Mitteilung der Polizeidirektion Salzburg an einer kommunistischen Geheimsitzung teilgenommen hat. Auch wurde bei der bei ihr vorgenommenen Hausdurchsuchung ein Zettel mit geheimen Aufzeichnungen gefunden. Franz Dworazek ist 75-prozentiger Kriegsbeschädigter und bezieht im Monat eine Invalidenrente von S 236,–. Franz Dworazek ist seit 23.5.1934 Mitglied der Vaterländischen Front, Rosa Dworazek ist nicht Mitglied der Vaterländischen Front und gab an, dass sie keine Veranlassung hätte, der Vaterländischen Front beizutreten, weil sie bis nun keine Arbeit erhalten habe. Über die vaterländische Einstellung des Franz Dworazek konnte nichts Nachteiliges in Erfahrung gebracht werden. Dass bei dem Abhorchen der Radiosendungen nur Nachbarsleute zugegen waren, entspricht nicht den Tatsachen  ; es kamen die Leute, die bei Dworazek anwesend waren, aus der weiteren Umgebung zusammen. Flugblatt der KPÖ Hallein vom Februar 1937.4 Arbeiter und Werktätige von Hallein. Am 3. Jahrestag der Februarkämpfe befindet sich das heldenhafte spanische Volk im schwersten Kampfe gegen die faschistischen Unterdrücker. Die wichtigste Aufgabe der österreichischen Arbeiter ist daher die politische und materielle Unterstützung der spanischen Freiheitskämpfer. Helfet den spanischen Freiheitskämpfern, dann ehrt ihr am besten unsere Toten des Februar. Drei Jahre baut bei uns eine »christliche« Regierung den Ständestaat auf. Das Ergebnis dieses Aufbaues ist  :

4 Widerstand und Verfolgung in Salzburg. Bd. 1. S. 191.

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Die Profite aller Banken, Industrieherren und Großgrundbesitzer sind um Millionen gestiegen. Die Löhne der Arbeiter, die Unterstützung der Arbeitslosen sowie das Einkommen der Bauern und Mittelständler sind um Millionen gesunken  ! Den Arbeitenden wurden neue Steuern und Abgaben auferlegt, während den Reichen die Luxussteuern erlassen wurden  ! Die Lebensmittelpreise steigen, die Löhne fallen  ! Die Parole der Ständechristen ist  : Nimm den Armen, gib den Reichen  ! Hunderte Millionen werden für den Bau von Kasernen und die Erzeugung von Kriegsmaterial verwendet  ! Die österreichischen Faschisten bereiten Hand in Hand mit Mussolini und Hitlerfaschisten den Krieg vor. (…) Am 11. Juli haben sie Österreichs Volk an Hitler verschachert, jetzt bereiten sie es für die Schlachtbank vor. Flugblatt der KPÖ Hallein vom 12./13. März 1937.5 Soll der Freiheitskampf des spanischen Volkes von den deutschen und italienischen Faschisten im Blute erstickt werden  ? (…) Die Arbeiterschaft der ganzen Welt muss (…) alles zur Unterstützung des spanischen Volkskampfes tun. Aus Österreich sind viele Arbeiter zur Verteidigung der Republik nach Spanien gereist.6 Auch Halleiner und Salzburger Arbeiter stehen in den Reihen des spanischen Freiheitskampfes. Genosse Zigleder7 ist verwundet, andere österreichische Arbeiter sind gefallen, aber noch tausende österreichische Arbeiter haben das Verlangen, in der Volksrepublik zu kämpfen. Der Hetzpfaffe Oberwallner bezeichnet es als Schande, für die Freiheit Spaniens zu kämpfen, aber die österreichischen Arbeiter sind stolz auf ihre in Spanien kämpfenden Brüder und erachten es als Ehrenpflicht, dem spanischen Volke zu helfen. Trotz Verfolgung und Terror haben die Halleiner Arbeiter mehr als S 200,– gesammelt für die kämpfende Arbeiterschaft in Spanien. Es ist erst der Anfang, die Arbeiter und damit das ganze freiheitsliebende Volk wissen, was es heißt, unter faschistischem Terror zu leben, daher werden sie alle Kräfte anspannen, um die spanischen Brüder zum Sieg, der auch unser Sieg ist, zu helfen. Jeder Arbeiter  ! Jeder Werktätige  ! Alle schaffenden Männer und Frauen  ! Spendet reichlich für den spanischen Freiheitskampf. 5 Ebda. S. 192. 6 Zur Rolle der rund 1.700 Österreicher im Spanischen Bürgerkrieg vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.)  : Für Spaniens Freiheit. Österreicher an der Seite der Spanischen Republik 1936–1939. Eine Dokumentation. – Wien/München 1986. 7 Richtig Ziegleder. Es handelt sich um den 1899 in Orth im Innkreis geborenen Hilfsarbeiter Johann Ziegleder, der nach seiner Rückkehr nach Österreich und dem Anschluss in das KZ Dachau gebracht wurde.

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Der Sieg der spanischen Helden ist unser Sieg. Komm. Partei Hallein In Hallein verbreitetes Flugblatt der KPÖ und der Revolutionären Sozialisten und ihrer Jugendorganisationen sowie der Freien Gewerkschaften zum 1. Mai 1937.8 Aufruf der antifaschistischen Volksfront zum 1.  Mai  ! (…) Es ist Aufgabe eines jeden freiheitsliebenden Menschen, gegen seine Entrechtung und Unterdrückung zu kämpfen und sich einzureihen in irgendeine proletarische Organisation, wo jeder einzelne seine Pflicht als Freiheitskämpfer erfüllen kann, wofür sich die politischen proletarischen Parteien und die Freien Gewerkschaften einsetzen, die bestrebt sind, die Einigkeit der Arbeiterklasse herzustellen und eine Kampffront gegen Faschismus und internationalen Kapitalismus zu schließen, die imstande ist, die Menschheit aus Knechtschaft und Sklaverei zu befreien  ; und das kann nur eine geschlossene Einheitsfront, eine geschlossene Volksfront von Arbeitern und Bauern  ! Die unterzeichneten Organisationen fordern alle Antifaschisten auf, diese Front zu schließen. Der 1. Mai soll für alle Werktätigen der Tag sein zur Schließung einer antifaschistischen Volksfront in Österreich  ! (…) Kommunistische Partei Österreichs Freie Gewerkschaften Österreichs Revolutionäre Sozialisten Österreichs Beide Revolutionären Jugendorganisationen Österreichs Bezirksgendarmeriekommando Salzburg Salzburg, 18. Oktober 1937. E. Nr. 2393.9 An die Bezirkshauptmannschaft Salzburg. Posten Lamprechtshausen (Revierinspektor Wutka) meldet am 18.10., 9 Uhr  : In der Nacht zum 17. Oktober 1937 wurden in Lamprechtshausen, Bürmoos und Holzhausen 20 Stück kommunistische Flugzettel gestreut und geklebt. Die Zettel sind 29 × 20 cm groß, aus weißem Papier, schwarzer Maschinenschrift, vervielfältigt. Der Text betrifft den Jahrestag des russischen Sowjetstaates und den Kampf gegen den Faschismus. In Bürmoos wurde auch eine Broschüre mit getarntem kommunistischen Inhalte gefunden, die die Aufschrift trägt »Lehrmeisterbücherei Nr. 481. Kleider- und 8 Widerstand und Verfolgung in Salzburg 1934–1945. Bd. 1. S. 195. 9 SLA Präs. Akten 1937/34a/1274.

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Wäschestoffe, ihre Erkennung und Unterscheidung« von Karl Steukart. Das Buch behandelt am Anfang und am Ende die Stoffe und in der Buchmitte verschiedene Kapitel wie »Vernichtung des Trotzkismus«, »Kampf, Freiheit und Frieden in Österreich«, »Die Ständediktatur«, den Faschismus etc. Die Broschüre ist 24 Seiten stark und 19 x 24 cm groß. (…) A U F R U F    ! An alle Arbeiter, Bauern und Angestellte  ! Der 7. Oktober ruft in allen Antifaschisten die Erinnerung auf, denn es ist der Tag, wo in Russland die Sowjets ausgerufen wurden. 20 Jahre liegen zurück, wo damals die Revolutionäre unter Lenins Führung im harten Ringen den Kampf führten, um die Arbeiterklasse aus den Krallen der Ausbeuter zu befreien, was ihnen auch nach heldenhaftem Kampf gelang. Seither sind in Russland Aufbau, Freiheit und Brot, dagegen bei uns in Österreich und allen faschistischen Staaten Elend, Hunger und Not. Hitler, Mussolini und alle Faschisten wollen gegen diesen sozialen Staat den Krieg, wir Proletarier aus allen Ländern werden das soziale Land mit allen Mitteln schützen, nicht Hunger, nicht Kerker schreckt uns zurück, die Kommunistische Partei Österreichs ruft alle Proletarier auf zum Kampf für Freiheit und Brot. Unter dem Banner Sichel und Hammer Wird sich das Volk aller Länder befreien, Es lebe die Weltrevolution. Es leben unsere Führer Lenin und Stalin, Es lebe die Kommunistische Partei Österreichs. Proletarier aller Länder, vereinigt euch  !  !  ! Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 20. Februar 1938. Zahl  : 86/16 res 1938. Betreff  : Aufdeckung der kommunistischen Zentrale in Salzburg. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St.B.,10 Wien I., Herrengasse Nr. 7. Der Bundespolizeidirektion ist es nach langwierigen Erhebungen gelungen, die Landesleitung der Kommunistischen Partei im Lande Salzburg auszuforschen und nachstehende Personen zu verhaften und zu überweisen  : 10 Akt 111.738/38.

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Hermann Rubenkes, Bauschlossergehilfe, 10.7.1901 Wien geb. und zust., mos., led., Liefering, Plainstraße Nr. 5 wohnhaft  ; Franz Matzinger, Krankenpfleger, dzt. arbeitslos, 20.1.1910 in Sulzau bei Werfen geb., Amstetten zust., röm. kath., verh., Linzergasse Nr. 62 wohnhaft  ; Josef Lastinger, Schriftsetzer, 4.12.1911 Salzburg geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Rupertgasse Nr. 22 wohnhaft  ; Franz Randak, Schlossergehilfe, dzt. arbeitslos, 13.5.1917 Neuhofen, Bezirk Prachotitz, CSR, geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Gnigl, Schillinghofstraße Nr. 32 wohnhaft  ; Franz Walkner, Hilfsarbeiter, 18.8.1914 Hallein geb., Salzburg zust., röm. kath., led., Liefering, Plainstraße Nr. 5 wohnhaft  ; Rudolf Ellinger, Tapezierergehilfe, 21.3.1906 in Laakirchen, Bezirk Gmunden, Oberösterreich, geb. und zust., röm. kath., led., Salzburg, Baumannplatz Nr. 3 wohnhaft  ; Anton Mailinger, Hilfsarbeiter, 3.1.1914 in Maxglan geb., Salzburg zust., röm. kath., led., Eichstraße Nr. 68/1 wohnhaft  ; Johann Duben, Schlossergehilfe, 23.4.1911 Itzling geb., Salzburg zust., konfl., led., Siezenheimerstraße Nr. 2b wohnhaft  ; Maria Pöttler, Schlossersgattin, 3.7.1909 Gnigl, Salzburg, geb., Salzburg zust., röm. kath., verh., Neuhauerstraße Nr. 22 wohnhaft  ; Simon Gröbner, Mineur, 22.12.1894 Hallwang, Bezirk Salzburg, geb. und zust., röm. kath., verh., Salzburg-Gnigl, Grazer Reichsstraße Nr. 19 wohnhaft. Die Vorgenannten sind geständig, sich für die Kommunistische Partei betätigt zu haben und wurde auch die Schreibmaschine und der Abziehapparat, mit welchem Nachrichtenblätter regelmäßig hergestellt wurden, sichergestellt und beschlagnahmt. Durch die Geständnisse konnte festgestellt werden, dass die Tätigkeit der Kommunistischen Partei im Lande Salzburg sich in sehr engen Grenzen bewegte und wurden fallweise Ausgaben von Nachrichtenblätter im Ausmaße von 70 Stück in den letzten Monaten hergestellt, die unter die Parteigenossen verteilt bzw. in Umlauf gesetzt wurden. Die Bundespolizeidirektion hat auf Grund der telefonischen Weisung des Bundeskanzleramtes, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, vom 15.2.1918 die weiteren Erhebungen abgebrochen und die Beschuldigten sofort dem landesgerichtlichen Gefangenenhaus überstellt und der Staatsanwaltschaft beim Landesgerichte in Salzburg wegen Verbrechens nach dem Staatsschutzgesetz angezeigt. (…)

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Flugblatt der KPÖ vom Februar 1938, aufgefunden in Salzburg.11 Achtung Österreich  ! Katholische, sozialistische, kommunistische Arbeiter und Angestellte, Gewerbetreibende und Bauern  !  !  ! – Ein ernstes Wort in ernster Stunde. Über Nacht ist Österreich in die schwerste innen- und außenpolitische Krise gestürzt worden, deren böse wirtschaftliche Wirkungen sich bereits überall zu zeigen beginnen. Sie stellten Österreich ein Ultimatum  ! Schuschnigg ließ sich in Verhandlungen über dieses Ultimatum ein, das ihm der deutsche Gesandte Papen nach den großen Veränderungen in der Reichswehr und im Außenamt nach dem 4. Februar überbrachte.12 Der Intrigant Papen, der auch 11 Widerstand und Verfolgung in Salzburg 1934–1945. Bd. 1. S. 198. 12 Am 5. November 1937 beorderte Hitler Außenminister Konstantin Freiherr von Neurath, Kriegsminister Werner von Blomberg, den Oberbefehlshaber der Wehrmacht, Generaloberst Werner von Fritsch, den Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Großadmiral Erich Raeder, und den Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Generaloberst Hermann Göring, zu einer Geheimkonferenz in die Reichskanzlei. Inhalt und Verlauf der Konferenz wurden durch den Wehrmachtsadjutanten Oberst Friedrich Hossbach aufgezeichnet. Hitler erklärte unumwunden, dass er spätestens 1943 seine Absichten, die er in »Mein Kampf« dargelegt hatte, auch in die Tat umsetzen wolle. Sollte sich bereits eine frühere Möglichkeit ergeben, werde er diese ergreifen. Die Zeit dränge, denn die potenziellen Gegner würden ebenfalls aufrüsten und in einigen Jahren wäre die Situation für Deutschland kaum mehr zu beherrschen. Die Ausführungen Hitlers führten bei Neurath, Fritsch und Blomberg zu entsetzten Reaktionen. Sie warnten Hitler vor einer solchen Politik und opponierten, sehr zum Ärger Hitlers, heftig. Joachim Fest bemerkte zu den Folgen der Unterredung vom 5. November  : »So war es eine gegenseitige Desillusionierung, die der Novemberkonferenz von 1937 das Gepräge gegeben hat. Die Konservativen, insbesondere die militärische Führungsspitzen, die nie gelernt hatten, über die engen Grenzen ihrer Zwecke und Interessen hinauszudenken, konstatierten verblüfft, dass Hitler sich selber beim Wort nahm und gleichsam tatsächlich Hitler war, während dieser seine verächtlichen Auffassungen über die konservativen Partner selbst im Hinblick auf diejenigen bestätigt fand, die in den zurückliegenden Jahren der Vorbereitung geschwiegen, gehorcht und gedient hatten  ; auch sie offenbarten nun jene kleinmütige Inkonsequenz, die zwar Deutschlands Größe wollte, aber kein Risiko, die Aufrüstung, aber keinen Krieg, die nationalsozialistische Ordnung, aber nicht die nationalsozialistische Weltanschauung.« (Fest  : Hitler. S. 745.) Am 12. Jänner 1938 heiratete der verwitwete Kriegsminister Blomberg in zweiter Ehe Erna Gruhn, Trauzeugen waren Hitler und Göring. Bereits im Vorfeld der Eheschließung hatte man von »einer gewissen Vergangenheit« der Braut gesprochen und die Ehe vor allem in Offizierskreisen für nicht standesgemäß erklärt. Blomberg war sich der Problematik durchaus bewusst und vertraute sich Göring an, der ihn jedoch, nicht ohne Hintergedanken, in seinem Vorhaben bestärkte. Bereits wenige Tage nach der Hochzeit tauchten Akten der Sittenpolizei auf, die die Gattin Blombergs als ehemalige Prostituierte führten, die sogar auch einmal bestraft wurde, weil sie für Modell für Nacktfotos gestanden hatte. Als Blomberg von seiner Hochzeitsreise zurückkehrte, eröffnete ihm Hitler, dass er zurücktreten müsse.

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1933 Hitler in den Steigbügel geholfen hat, verwickelte Schuschnigg in eine Intrige, deren Ziel es war, ihn zu einer Unterredung nach Berchtesgaden, zu einem Gespräch mit Hitler zu locken. Schuschnigg beging den verhängnisvollen Fehler, der sich zwangsläufig aus seiner ganzen Politik ergab  : um nicht gegen die Nazi kämpfen zu müssen, um sich vor allem nicht mit den Arbeitern gegen die Faschisten verbinden zu müssen, war er gegen Hitler zu schwach  ; er willigte ein, nach Berchtesgaden zu fahren und besiegelte damit schon seine Kapitulation. Und nun sind die Nazi Herren über den Polizeiapparat  ? Nun können sie ungehindert in den Straßen demonstrieren – und die von Beauftragten Hitlers kommandierte Polizei sieht zu  ? Die Nazi rüsten zu entscheidendem Vorstoß  ? (…) Hitler hat in seiner Reichstagsrede13 nicht eine einzige Gegenleistung für die Kapitulation Schuschniggs angekündigt (…), er hat nicht einmal das Wort Unabhängigkeit gebraucht und die Drohungen von Berchtesgaden nicht nur gegen die Tschechoslowakei, sondern auch gegen Österreich wiederholt. Es lebe ein freies demokratisches Österreich  !  !  !

Wenig später wurde Fritsch das Opfer einer von Göring und Himmler eingefädelten Intrige, in deren Rahmen ein Polizeiakt auftauchte, in dem der Oberbefehlshaber der Wehrmacht der Homosexualität bezichtigt wurde. Fritsch wurde in einer theaterreifen Szene in der Reichskanzlei mit einem gedungenen Zeugen konfrontiert, der ihn der Homosexualität bezichtigte. Wenngleich sich wenig später die Beschuldigungen als haltlos erwiesen, so hatte Fritsch inzwischen von Hitler seine Entlassung erhalten und war verbitterter Privatier geworden. 13 Gemeint ist die Reichstagsrede Hitlers am 20. Februar 1938, die auch von der Ravag übertragen wurde. In ihr wies er auf die Erfolge seiner Politik hin, verschleierte er die wahren Gründe der personellen Revirements an der Spitze der Wehrmacht und im Außenministerium, wandte sich vehement gegen die angebliche Pressehetzte des Auslandes und widmete sich schließlich in einer Passage dem Berchtesgadener Abkommen, das er als einen Beitrag zum europäischen Frieden bezeichnete. »Die Schwierigkeiten, die sich im Vollzuge des Abkommens vom 11. Juli ergeben hatten, zwangen dazu, einen Versuch zu unternehmen, Missverständnisse und Hindernisse für eine endgültige Aussöhnung beiseite zu räumen. Denn es war klar, dass eine an sich unerträglich gewordene Lage eines Tages gewollt oder ungewollt die Voraussetzungen für eine schwere Katastrophe hätten entwickeln können. Es liegt dann meist nicht mehr in der Macht der Menschen, einem Schicksal Einhalt zu gebieten, das durch Nachlässigkeit oder Unklugheit erst einmal ins Rollen gekommen ist. Ich bin glücklich, feststellen zu können, dass diese Erkenntnisse auch den Auffassungen des österreichischen Bundeskanzlers, den ich um einen Besuch bat, entsprachen. Der Gedanke und die Absicht waren dabei, eine Entspannung unserer Beziehungen dadurch herbeizuführen, dass dem nach seiner Auffassung und Weltanschauung nationalsozialistisch denkenden Teil des deutsch-österreichischen Volkes im Rahmen der sonst gültigen Gesetze die gleichen Rechte gegeben werden, wie sie auch den anderen Staatsbürgern zustehen.« (Domarus  : Hitler. Reden 1932 bis 1945. Bd. I/2. S. 802.)

5. »Der Landesverband Salzburg verfügt nur über sehr geringe Ressourcen und ist einigermassen verschuldet.« Der Heimatschutz

Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 10. September 1934. Geschäftszahl  : 221.609 G.D. 2/34 (Vorzahl  : 206.531/34. Miterledigte Zahlen  : 213.413/34). Gegenstand  : Arbeiterheim in Salzburg., Zuweisung.1 Heimatschutz-Verband Salzburg, Landesleitung Salzburg, 12. Juli 1934. An das Amt des Bundesführers des Österreichischen Heimatschutzes, z. Hd. des Bundesstabsleiters Major a.D. Maier,2 Wien III. Sehr geehrter Herr Bundesstabsleiter  ! Lieber Kamerad  ! In der Anlage übersende ich Ihnen (…) das Dekret vom 29. März 1934, laut welchem durch den damaligen Sicherheitsdirektor Dr. Scholz3 das ehemalige Arbeiterheim in Salzburg, Paris-Lodron-Straße 21, dem Salzburger Heimatschutz für seine Zwecke zur Benützung übergeben wurde. Daraufhin ordnete die Landesleitung des Salzburger Heimatschutzes die Übersiedlung der Landesleitung und der Stadtgauleitung in

1 Die Auseinandersetzung zwischen regierungsnahen Organisationen um die Zuteilung und Benutzung ehemals sozialdemokratischer Liegenschaften und damit Parteivermögen wirft ein Licht auf die erbittert geführten Kontroversen und die damit deutlich werdenden Spannungen innerhalb des Regierungslagers. 2 Muss heißen Mayer. Friedrich Mayer (1887–1937) absolvierte die Kadettenschule in Prag, rüstete am Ende des Ersten Weltkrieges als Hauptmann ab und wurde 1919 Kommandant einer Volkswehrkompanie in Leonfelden in Oberösterreich, wo er 1919/20 die Orts- und Flurwachen organisierte und 1920 im Rang eines Majors pensioniert wurde. 1921 wurde er Landesstabsleiter der Heimwehr in Oberösterreich, 1933 Bundesstabsleiter und 2. Generalsekretär der Vaterländischen Front. 1934 bis 1937 war er Staatsrat. 3 Polizeidirektor HR Dr. Rudolf Scholz war 1933/34 als Nachfolger von Generalmajor Arthur Wimmer Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg. Sein Nachfolger war 1934 bis 1938 Gendarmerieoberst Ludwig Bechinie.

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dieses Gebäude an, adaptierte die Räume für ihre Zwecke und brachte auch einen Teil des Schutzkorps in den Räumen dieses Hauses unter. Im Laufe des Mai und Anfang Juni d. J. tauchten Gerüchte auf, dass sich das hiesige Landesgendarmeriekommando und das Arbeitsamt um die Zuteilung dieses Hauses bemühen. Daraufhin machte die Landesleitung am 12. Juni d. J. eine Eingabe an den Herrn Vizekanzler a.D. Sicherheitsminister Major a.D. Fey (…), worin sie dem Herrn Vizekanzler ausdrücklich davon Mitteilung machte, dass das ehemalige rote Arbeiterheim der Landesleitung des Österreichischen Heimatschutzes in Salzburg ausdrücklich zugewiesen ist. Am 3. Juli d. J. eröffnete der jetzige Sicherheitsdirektor, Oberst Baron Bechinie, unserem Stabsleiter Elshuber, dass laut Dekret des Sicherheitsministers das ehemalige rote Arbeiterheim dem Landesgendarmeriekommando Salzburg für eine Gendarmerieschule zugewiesen wurde. (…) Am 5. Juli d. J. rief ich den Herrn Bundesminister telefonisch an, legte ihm den Sachverhalt klar und er versprach mir, sich der Sache in unserem Sinne anzunehmen. Heute, am 12. Juli d. J., erschien um 9 Uhr früh Landesgendarmerie-Kommandant Oberst May, um die Räume dieses Hauses für die Übernahme zu besichtigen. Auf meine telefonische Vorsprache beim Herrn Sicherheitsdirektor Oberst Baron Bechinie warf mir dieser Gendarmeriefeindlichkeit vor und er erklärte, dass dieses Gebäude der Gendarmerie zugeteilt werden müsse, da ja der Heimatschutz nur eine vorübergehende Erscheinung sei und man froh sein müsse, wenn man derlei Bewegungen nicht mehr brauche. Ich möchte nur bemerken, dass es dem Heimatschutz Salzburg völlig unmöglich ist, aus diesem Gebäude auszuziehen, da wegen der Furcht vor Böllerwerfern sich jeder Hausbesitzer weigert, die Heimatschutz-Landesleitung zu beherbergen. Heimatschutz-Verband Salzburg, Landesleitung. Salzburg, 7. August 1934. An das Bundeskanzleramt in Wien I.4 Auf Grund unseres Ansuchens vom 5. März 1934 wurde uns mit Schreiben vom 29. März 1934 unter Zahl 1076 vom Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, vorbehaltlich der Zustimmung des Bundeskanzleramtes, das Recht eingeräumt, das ehemals dem sozialdemokratischen Verein »Arbeiterheim« gehörige Haus in Salzburg, Paris-Lodron-Straße 21, für unsere Zwecke benutzen zu können. Vom Tage der Zustellung dieses Dekretes gingen alle mit der Benützung irgendwie verbundenen laufenden Auslagen zu Lasten der Landesleitung des Salzburger Heimatschutzes.

4 Das Schreiben richtete sich an Minister Emil Fey.

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Da ein Einspruch gegen die Beschlagnahme dieses Gebäudes laut Bundesgesetz vom 8. Juni 1934 in der vorgeschriebenen Zeit nicht erfolgt ist, könnten Herr Bundesminister im Einvernehmen mit dem Herrn Bundeskanzler das beschlagnahmte Gebäude endgültig in das Eigentum der Landesleitung des Salzburger Heimatschutzes übertragen. Wir glauben nicht erst betonen zu müssen, dass sich der Heimatschutz moralisch dazu ein Recht erworben hat, erlauben uns aber dagegen nachzuweisen, dass sich das Gebäude bestimmt nicht mehr in der gleichen Verfassung befinden würde, wenn es nicht vom Heimatschutz seit 14. Februar an Tag und Nacht hindurch bewacht worden wäre. Unter Bezugnahme auf unser Ansuchen vom 5. März bitten wir daher um endgültige Übertragung des Gebäudes in das Eigentum der Landesleitung des Salzburger Heimatschutzes. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 30. Mai 1935/1. Juni 1936. Geschäftszahl  : 327.243 G.D 5/36 (Vorzahl  : 314.715 G.D. 5/36). Gegenstand  : Arbeiterheim Salzburg. Beschlagnahme des Vermögens. Übertragung an den Heimatschutzverband Salzburg, grundbücherliche Durchführung. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 28. Mai 1935. Zahl  : 2098/12. Betreff  : Arbeiterheim Salzburg, Übertragung gem. § 14 d. Ges. v. 8.6.1934, BGBl. II Nr.71. An das Bundeskanzleramt G.D. 2 in Wien. Mit Bezug auf den dä. Erlass vom 10.11.1934, Zl. 266.515 G.D. 2, wird unter Vorlage eines Grundbuchauszuges und einer Bilanz per 11.4.1935 über den Stand der Liquidierung des auf Grund des hä. Auflösungsbescheides vom 16.2.1934, Zl. 1076, mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 24.3.1934, Zl. 2241/6-34, beschlagnahmten Vermögens des Vereines »Arbeiterheim« in Salzburg berichtet  : Die Beschlagnahme wurde zufolge Beschluss des Landesgerichtes Salzburg Abt. 8 vom 15.12.1934, GZ. 1680/34, nachträglich grundbücherlich angemerkt. Der Schätzwert des zur Gänze mieterschutzfreien »Arbeiterheim« in Salzburg, Paris-Lodron-Straße Nr. 21, beträgt rund S 140.000, der Verkehrswert kann nicht

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mit der mehr als S 100.000 angelegt werden, da die Realität, seinerzeit ein Gasthof, nur für Kanzlei- oder Hotelzwecke brauchbar erscheint. An Forderungen des beschlagnahmten Vermögens anerkannt  : S 278,04 des städt. Elektrizitätswerkes Salzburg und S 900 des ehemaligen Gastgewerbe-Konzessionspächters August Bixner. Bei allfälliger weiterer Berücksichtigung von Investitionen aus Billigkeitsgründen würde diesem eine Abfertigung von insgesamt S. 3.500 zukommen. Grundbuchmäßig belastet ist die Realität mit einer Hypothek von S 100.000 zuzüglich S. 10.000 Kostenkaution zu Gunsten der Arbeiterbank in Liquidation in Wien, die seinerzeit als Entschädigungsbürgschaft für einen von der sozialdemokratischen Landesparteileitung vermittelten, von der Arbeiterbank Wien der Volkskreditbank in Salzburg eingeräumten Kredit gleicher Höhe übernommen worden war. Da die Einräumung des Kredites anlässlich der Einführung der Goldbilanz5 zur Vermeidung des Konkurses des Salzburger Volkskredites gedient hat und diese Bank ihn bisher in Anspruch zu nehmen nicht in die Zwangslage geraten war, entbehrt die Haftung des Vereines Arbeiterheim derzeit noch der effektiven Begründung. Eine Bestreitung der Forderung der Arbeiterbank seitens der Bundespolizeidirektion als Beschlagnahmebehörde ist bis nun bescheidmäßig nicht erfolgt. Seitens der Salzburger Volkskredit-Bank und des treuhändigen Verwalters des Vereines Arbeiterheim wurden Rechtsgutachten eingeholt, die einander widerstreiten (…) Das Gebäude Arbeiterheim steht seit Ende März 1934 in provisorischer Benützung durch den Salzburger Heimatschutzverband. Sechzehn Räume dienen als Kanzleien der Landesführung und der Stadtgauführung, zwei Säle und neun Schlafräume stehen für die Chargenschule in Verwendung, ein Saal und Nebenraum, Küche und eine zweiräumige Wohnung dienen der an einen Heimatschützer verpachteten Kantine bzw. als Kantineurswohnung. Alle Versuche, den Heimatschutzverband anderweitig unterzubringen, sind mangels greifbarer geeigneter Objekte fruchtlos geblieben. Die Landesleitung des Heimatschutzverbandes hat deshalb um Übertragung des Gebäudes in das Eigentum gem. § 14 des BG vom 8.6.1934, BGBl. II Nr.71, angesucht. (…) 5 Die Einführung der Schillingwährung – ein Schilling wurde auf 10.000 Kronen umgerechnet – am 20. Dezember 1924 beendete nicht nur offiziell die Phase der Inflation, sondern erforderte auch eine Neuordnung der völlig unübersichtlichen Bilanzen der Unternehmen, vor allem der Aktiengesellschaften. In deren Bilanzen war während der Inflationsphase die Devise »Krone ist Krone« ausgegeben worden mit dem Ergebnis, dass es in den Bilanzen keine Vergleichbarkeit auf Grund der völlig unterschiedlichen Handhabung des Kronen-Begriffs gab, der von der Friedenskrone bis zur jeweils aktuellen Inflations-Krone reichte. Die vielen Nullen in den Bilanzen waren daher nichtssagend. Das Goldbilanzgesetz vom 4. Juni 1925 bereinigte diese unhaltbare Situation, indem es allen Unternehmen eine Neubewertung ihrer Aktivs und Passiva in einer in Schilling aufzustellenden Bilanz vorschrieb.

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Hierbei konkurriert er mit dem Gewerkschaftsbund österreichischer Arbeiter und Angestellter, Landeskartell Salzburg (…), welch letzterer durch eine zwischen der Arbeiterkammer als Gläubiger, der Volkskreditbank und der Volkskreditbank bzw. der Arbeiterbank in Liquidation zustande gekommene Vereinbarung ein mögliches Arrangement zur Löschung der Hypothek von S 100.000 für den Fall der Übertragung des Arbeiterheimes an den Gewerkschaftsbund angebahnt hat. Die Bestrebungen, beide Bewerber durch eine Kombination zu befriedigen derart, dass die Übertragung des Eigentums am Gebäude an den Gewerkschaftsbund von diesem dem Heimatschutze ein, entsprechend seinem Bedarfe, langfristiges Benützungsrecht eingeräumt würde, sind daran gescheitert, dass nur eine Frist bis längstens 1. Mai 1936 zugestanden wurde. Der Heimatschutzverband, der nicht mit Unrecht auf seine opfervollen Verdienste um den Staat verweist, fühlt sich bei Aufgabe des Gebäudes in seiner Existenz schwerstens bedroht. Der Landesverband Salzburg verfügt nur über sehr geringe Ressourcen und ist einigermaßen verschuldet. Dagegen würde die Übertragung des Arbeiterheimes an den Gewerkschaftsbund diesem wohl die Möglichkeit bieten, die derzeit in drei Gebäuden, für hiesige Verhältnisse ziemlich weit voneinander getrennt, untergebrachten Kanzleien und Kursäle in einem Heim unterzubringen und dadurch zu einer idealen Verbesserung des gegenwärtigen Zustandes zu gelangen. Bei der Gegenüberstellung des Bedarfes muss wohl jener des Heimatschutzverbandes als der dringlichere bezeichnet werden. Um jedoch bei allenfalls geänderten Verhältnissen den Ansprüchen des Gewerkschaftsbundes den Vorzug vor einer etwaigen anderweitigen Verwertung des Gebäudes zu sichern, wäre ein Vorkaufsrecht desselben zu fixieren und grundbücherlich eintragen zu lassen. Unter diesen Modalitäten wird beantragt, das Arbeiterheim Salzburg (…) an den Heimatschutzverband Salzburg zu übertragen. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 5. Juli 1935. Geschäftszahl  : 335.801 G.D. 2/35 (Vorzahl  : 316.836-G.D. 2/35.) Gegenstand  : Verein »Arbeiterheim Salzburg«. Behördliche Auflösung, Beschlagnahme des Vermögens, Übertragung an den Heimatschutzverband Salzburg nach § 14 des Beschlagnahmegesetzes. Interne Stellungnahme  : Der Verein »Arbeiterheim in Salzburg« wurde im Februar 1934 als sozialdemokratisch eingestellte Organisation behördlich aufgelöst und dessen Vermögen von der Bundespolizeidirektion Salzburg mit Bescheid vom 24. Februar 1934, Z.-2241/6, beschlagnahmt. Der Bescheid ist in Rechtskraft erwachsen.

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Das Vermögen besteht im Wesentlichen in einem zweistöckigen Hause mit 400 m2 Garten und Gasthauskonzession (ehemaliges Hotel) in der Paris-Lodron-Straße Nr. 21. Es repräsentiert einen derzeitigen Verkehrswert von rund S. 100.000 (Schätzwert S 140.000). Die Räume sind mieterschutzfrei und eignen sich nur für Kanzlei- und Hotelzwecke. Der Bauzustand ist gut und das Gebäude auch äußerlich gut erhalten. Das Arbeiterheim ist mit S 100.000 belastet, doch handelt es sich hier um eine Ausfallshaftung hinsichtlich der über die Zulässigkeit der Beanspruchung die Meinungen auseinandergehen. Sie bildet jedoch kein Hindernis zu einer Verfügung über das Heim. Das Haus wurde unmittelbar nach den Februarereignissen vom Sicherheitsdirektor dem Heimatschutzverband Salzburg zur vorläufigen Benutzung überlassen. (…) Nunmehr haben sowohl der Heimatschutzverband als auch der Gewerkschaftsbund der österreichischen Arbeiter und Angestellten in Wien um Übertragung dieser Vermögenschaften nach § 14 des Beschlagnahmegesetzes angesucht. (…) Wägt man die beiderseitigen Interessen ab, so wäre Nachstehendes zu erwähnen. Wenn die sogenannten Arbeiterheime auch nicht direkt Gewerkschaftsvermögen darstellen, so muss immerhin festgehalten werden, dass die ehemaligen Angehörigen der Freien Gewerkschaften oft wesentliche Beiträge zur Errichtung dieser Heime geleistet haben. Wenn nun der Bundesschatz von der Inkamerierung derartiger Vermögenschaften Abstand nimmt und die Übertragung an einen Rechtsnachfolger zugesteht, muss dem Gewerkschaftsbund ein gewisses moralisches Anrecht zugebilligt werden. In Salzburg selbst kommt dazu, dass der Gewerkschaftsbund nicht sonderlich untergebracht ist und daher die Vereinigung in dem ehemaligen Arbeiterheim von großem Vorteil wäre. Hingegen kann der Heimatschutz auf seine opfervollen Verdienste vor und nach den Februarunruhen verweisen und ins Treffen führen, dass ihm bisher kein einziges der beschlagnahmten Objekte überlassen worden ist. Auch in seinen Reihen ist die Arbeiterschaft mit einem wesentlichen Prozentsatz, so dass die Überlassung des Arbeiterheimes nicht als eine Entziehung der früheren Widmung angesehen werden kann. Landesführer-Stellvertreter und Landesstatthalter von Salzburg Dr. Wagenbichler verweist außerdem auf die besonders schwierige Lage des Heimatschutzes in Salzburg. Er erklärt, dass die Nötigung zur Aufgabe dieses Heimes für den Heimatschutz nicht nur eine finanzielle Schädigung (Aufgabe der früheren Büroräume und Kanzleien und vorgenommene Inventarisierungen), sondern vielmehr noch ein derartiger Prestigeverlust wäre, dass er für den Weiterbestand in dem ohnehin von nationaler Seite besonders umstrittenen Salzburg, in welchem sich der nationalsozialistische Einfluss durch die Grenznähe immer noch stark fühlbar mache, fürchte. Festgestellt wird, dass sich der Gewerkschaftsbund in Salzburg trotz mehrfacher Aufforderung um keines der im Lande befindlichen Arbeiterheime beworben hat und

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dass die Möglichkeit bestünde, das ehemalige Gebäude der Graphia (sozialdemokratische Druckerei) aus der Konkursmasse zu erwerben. Der Gestehungspreis dürfte sich zwischen S 25.000 und S 35.000 bewegen, also weniger Kapital erfordern als die Übernahme des Arbeiterheimes. Der Erwerb des Arbeiterheimes in Salzburg scheint daher auch beim Gewerkschaftsbund nur aus Prestigegründen angestrebt zu werden, zumal er sich erst im Februar 1935 zu einem solchen Antrag entschlossen hat. Bei Abwägen dieser Gründe dürfte dem Antrag des Sicherheitsdirektors auf Überlassung des Heimes an den Heimatschutzverband Salzburg zuzustimmen sein, da für den Gewerkschaftsbund der Erwerb der Vermögenschaft, mit dessen Verlust er mehr oder minder bereits gerechnet hatte, weniger existenzgefährdend ist als für den Heimatschutz eine förmliche Evakuierung aus dem bereits ergriffenen Besitz. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 7. Juli 1936. Geschäftszahl  : A.E. 338.485/G.D.5/36 (Vorzahl  : 334.411 G.D.5/36  ; Miterledigte Zahlen  : 340.359 G.D.5/36). Gegenstand  : Arbeiterheim Salzburg  ; Beschlagnahme des Vermögens  ; Übertragung an den Heimatschutzverband Salzburg  ; grundbücherliche Durchführung. Interne Stellungnahme. Der Sachverhalt ist kurz wie folgt  : Dem Heimatschutzverband Salzburg wurde über sein Ansuchen vom 18. März 1935 das gesamte rechtskräftig beschlagnahmte Vermögen des behördlich aufgelösten Vereines »Arbeiterheim« in Salzburg mit hierortigem Bescheid vom 5. Juni 1935, Zahl 335.801 G.G.2/35, gemäß § 14 des Beschlagnahmegesetzes übertragen. Ein Ansuchen des Gewerkschaftsbundes der österreichischen Arbeiter und Angestellten musste unberücksichtigt bleiben, da der Heimatschutzverband in Salzburg den Erwerb des Arbeiterheimes, das er anlässlich der Niederkämpfung der Februarrevolte 1934 besetzt hatte, für seinen Weiterbestand in dem immer noch nationalsozialistisch verseuchten Gebiete als unerlässlich erklärte. Der Heimatschutzverband Salzburg hatte von der auf der Liegenschaft lastenden Bürgschaftshaftung zugunsten der Arbeiterbank A.G., lautend auf S 100.000,–, Kenntnis. Seine Funktionäre wurden wiederholt auf diese Belastung aufmerksam gemacht, bestanden aber dennoch auf einer möglichst raschen bescheidmäßigen Zusprechung des beschlagnahmten Vermögens. Zu einer Untersuchung des Rechtsbestandes und der Höhe der in Frage kommenden Bürgschaftshaftung bestand von hierorts keine Veranlassung.

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Der Heimatschutzverband Salzburg hat das Arbeiterheim in Benützung übernommen, hat es aber auch nach Empfangnahme des Übertragungsbescheides unterlassen, die grundbücherliche Durchführung des Eigentumsrechtes zu veranlassen. Im Grundbuche scheint daher noch immer der behördlich aufgelöste Verein »Arbeiterheim Salzburg« als Eigentümer auf. Es gehört nicht nur zur Ordnung in Grundbuchsangelegenheiten, an der die Allgemeinheit wegen der Rechtssicherheit wesentlich interessiert ist, sondern auch zur Perfektion des hierortigen Übertragungsbescheides, dass der faktischen Besitznahme auch die in den öffentlichen Büchern vorgesehene Richtigstellung folgt. Es ist auch aus politischen Erwägungen nicht als wünschenswert zu bezeichnen, dass als Eigentümer noch immer der alte sozialdemokratische Verein aufscheint. Der Heimatschutz musste bereits vor Übertragung des Objektes wissen, dass er allenfalls zur Bürgschaftsleistung herangezogen werden konnte. Die vom Vertreter des Heimatschutzes, Rechtsanwalt Dr. Aspöck, geltend gemachten Gründe für die bisherige Unterlassung der Eigentumsvormerkung im Grundbuche sind nicht stichhältig,6 Diesbezüglich darf auf das Gutachten der Fi6 Der Rechtsanwalt des Salzburger Heimatschutzes, RA Dr. Robert Aspöck, begründete in einer ausführlichen Stellungnahme am 9. April 1935 die Weigerung des Heimatschutzes, die grundbücherliche Eintragung vornehmen zu lassen. Darin führte er u. a. aus  : »Mit Schreiben vom 24. Juli 1934 hat die Arbeiterbank A.G. in Wien in Liquidation die Forderung gegen den Verein Arbeiterheim im Betrage von S 100.000,– aus dessen Haftung als Bürge und Zahler zur Anmeldung gebracht und gleichzeitig eine undatierte Information sowie die Abschrift einer Erklärung, datiert Salzburg 22. März 1926, beigeschlossen, welche ich im Folgenden kurz mit den Worten ›Information‹ und ›Erklärung‹ bezeichne. Bei der Beurteilung der Rechtslage muss ich auf die Entstehungsgeschichte dieser angeblichen Darlehenstransaktion zurückgreifen und bemerke gleich im Voraus, dass die Rechtslage nach der Information eine wesentlich andere ist als die, welche sich aus der Abschrift des Briefes vom 22. März 1926 ergibt. Ich will weiter vorwegnehmen, dass nach der ›Erklärung‹ vom 22. März 1926 die Volkskreditbank Salzburg einen Abgang von 1,5 Milliarden Kronen, das ist S 150.000,–, hatte und dass daher mit der behördlichen Schließung dieses sozialdemokratischen Parteiinstitutes auf Grund des Konzessionsergänzungs- und des Goldbilanzgesetzes zu rechnen war, da die in Schillingen aufzustellende und vorzulegende Bilanz die Tatsache ergeben hätte, dass seitens der Volkskreditbank ein Betrag von S 150.000,– zum Schaden der Einleger für parteipolitische Zwecke verwendet worden war. Um diesen Abgang zu decken, musste eine Transaktion durchgeführt werden, durch welche die Bilanz halbwegs ins Gleichgewicht gebracht wurde. Dies geschah in der Form, dass die Volkskreditbank in ihren Büchern einfach ein Guthaben gegenüber der Arbeiterbank in Wien im Betrage von S 100.000 auswies, obwohl dieses Guthaben in Wahrheit gar nicht bestanden hat, sodass diese Buchung nur den Zweck haben konnte, die Behörden zu täuschen und in Wahrheit eine gefälschte Bilanz in Vorlage zu bringen, weil die näheren Modalitäten, wie es zu dieser Buchung von diesen S 100.000 kam, ja selbstverständlich in der Bilanz nicht aufscheinen konnten. Nach der ›Information‹ hat die Arbeiterbank der sozialdemokratischen Landesparteileitung ein Darlehen in der Höhe von S 100.000 gewährt und diese S 100.000 sollten der Volkskreditbank in Form einer Zinsen- und Provisionsvergütung für die Graphia-Parteidruckerei zukommen, also ein Geschenk dar-

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nanzprokuratur verwiesen werden.7 Im Übrigen wäre die Liquidation befindliche Volkskreditbank in Salzburg zu einem Ausgleich zu 50 Prozent bereit und übernähme stellen. Für die Forderung der Arbeiterbank gegen die Landesparteileitung trat der Verein Arbeiterheim als Bürge und Zahler auf. Wie sich aus der weiteren zwischen der Arbeiterbank A.G. in Liquidation und Herrn Direktor Karger geführten Korrespondenz ergibt, wurden diese S 100.000 seitens der Landesparteileitung der Volkskreditbank nicht bar ausgezahlt und auch nicht, wie man dies erwarten sollte, bei der Arbeiterbank etwa gutgebucht, sondern lediglich auf ein ›Sperrkonto‹ gutgeschrieben, sodass die Salzburger Volkskreditbank gar nicht in der Lage war, über diese S 100.000 zu verfügen, sondern diesen Betrag nur zur Verschönerung, oder wohl besser gesagt, zur Verschleierung der Bilanz verwenden konnte. Um von diesem Sperrkonto etwas freizubekommen, hätte es selbstverständlich der Zustimmung der sozialdemokratischen Landesparteileitung bedurft, doch wurde dieselbe um diese Zustimmung gar nie angegangen, weil man sich in allen daran interessierten sozialdemokratischen Kreisen (Arbeiterbank, Volkskreditbank, Landesparteileitung und Verein Arbeiterheim) darüber klar war, dass es sich lediglich um ein Scheingeschäft und um Scheinbuchungen handle, weshalb man auch die grundbücherliche Sicherstellung auf dem Salzburger Arbeiterheim bis zur Beschlagnahme des Vermögens im Jahre 1934 nie durchführte, weil man für dieses Scheingeschäft nicht noch beträchtliche Auslagen an Stempeln und Gebühren tragen wollte. (…) Es ergibt sich aus dem Gesagten, dass man bei der ganzen Angelegenheit nie daran dachte, die Schenkung oder das Darlehensgeschäft tatsächlich durchzuführen und dass die Transaktion und die Buchungen lediglich den Zweck hatten, die Behörden über den tatsächlichen Stand der Volkskreditbank hinwegzutäuschen, dass also ein Scheingeschäft vorliegt, welches ungültig ist, woraus sich die Tatsache ergibt, dass die Volkskreditbank heute gegen die Arbeiterbank keinerlei Ansprüche mit Erfolg geltend machen kann, sodass andererseits, wenn die Arbeiterbank nicht herangezogen werden kann, die Bürgschaftshaftung des Vereines Arbeiterheim entfällt und die auf dem Arbeiterheim sichergestellte Forderung einfach zu löschen ist.« 7 Die Finanzprokuratur kam in ihrer Stellungnahme (Zahl 79331/36/III z. Z. 334.411 G.D.5/36) zu dem Schluss, dass »auf Grund der der Prokuratur vorliegenden Akten die Sache in formalrechtlicher Beziehung« beurteilt werden könne. »Zunächst hätte der Liquidator der Salzburger Volkskreditbank den Anspruch dieser Bank gegen die Arbeiterbank A.G. nach Maßgabe der Bestimmungen der Verordnung Nr. 112/1934 II geltend zu machen. Sollte sich hierauf herausstellen, dass die Arbeiterbank A.G. in Liquidation verpflichtet ist, eine Zahlung an die Salzburger Volkskreditbank zu leisten, so hätte die Arbeiterbank A.G. in Liquidation den Heimatschutzverband Salzburg auf Ersatz dieses Betrages zu klagen. Der Heimatschutzverband ist zu diesem Ersatze nach Maßgabe der Bestimmungen des § 1409 ABGB gemäß § 14 des Gesetzes 71/1934 II persönlich verpflichtet, da die Bürgschaftsschuld zum Vermögen des Vereines Arbeiterheim gehörte und dem Heimatschutzverband bei der Übergabe des Vermögens zweifellos bekannt war. Die grundbücherlichen Fragen sind hierbei von sekundärer Natur, da es sich um eine persönliche Verpflichtung des Heimatschutzverbandes handelt und nicht bloß um eine Realhaftung. Die rechtliche Klarstellung der Sache durch einen Prozess ist unabhängig davon, ob der Heimatschutzverband auf der Realität des Arbeiterheimes in Salzburg als grundbücherlicher Eigentümer eingetragen ist oder nicht. Die Arbeiterbank A.G. ist nicht auf die Pfandklage angewiesen, sondern hat eine persönliche Klage gegen den Heimatschutzverband. Die Hypothek gewinnt dann an Bedeutung, wenn es zu einer Exekution gegen den Heimatschutzverband kommt und gewährt natürlich der Arbeiterbank A.G. eine erhöhte Sicherheit. Bis zur Exekution ist es aber noch ein weiter Weg. Wenn hingegen der Heimat-

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auch die Vermittlung des entsprechenden Hypothekardarlehens. Der Heimatschutz geht jedoch jeder Verhandlung aus dem Wege. Außerdem soll der Gewerkschaftsbund bereit sein, auf sein Vorkaufsrecht zu verzichten, da er sich inzwischen entschlossen hat, ein eigenes Kammergebäude zu errichten. Zur Ordnung dieser Angelegenheit wäre es angezeigt, auf den Landesführer des Heimatschutzes in Salzburg, Landesstatthalter Dr. Wagenbichler, mittels eines Schreibens des Herrn Vizekanzlers gütlich einzuwirken. Vizekanzler Eduard Baar von Baarenfels Wien, 10. Juli 1936. z. Zl. 338.485 G.G.5/36. Herrn Landesstatthalter Dr. Alois Wagenbichler in Salzburg. Lieber Kamerad  ! Der Heimatschutzverband Salzburg hat am 18. März 1935 um die Übertragung des rechtskräftig beschlagnahmten Vermögens des behördlich aufgelösten Vereines »Arbeiterheim« in Salzburg angesucht. Eine gleichartige Bewerbung des Gewerkschaftsbundes der österreichischen Arbeiter und Angestellten sowie der Plan, das dem Verein gehörige Gebäude zur Unterbringung der Gendarmerie zu verwenden, mussten unberücksichtigt bleiben, da der Heimatschutzverband Salzburg erklärte, dass er das Heim, das er anlässlich der Niederkämpfung der Februarrevolte 1934 besetzt hatte, für seinen Weiterbestand in dem noch immer gefährdeten Grenzgebiet unbedingt benötige. Aus diesen Erwägungen wurde das Arbeiterheim mit Verfügung vom 5. Juli 1935, Zl. 335.801 G.D.2/35, dem Heimatschutzverband Salzburg gemäß § 14 des Beschlagnahmegesetzes in das Eigentum übertragen. Dieser hat es jedoch bisher unterlassen, die Einverleibung seiner Eigentumsrechte im Grundbuche durchführen zu lassen. Im Grundbuch scheint noch immer der sozialdemokratische Verein als Eigentümer auf. Die Ursache hierfür soll das Vorhandensein einer hypothekarisch sichergestellten Bürgschaftshaftung des aufgelösten Vereines bilden. Nun hat aber der Heimatschutzverband Salzburg bereits vor Einreichung seines Übernahmeantrages von dieser auch in den öffentlichen Büchern aufscheinenden



schutzverband, wie er vermeint, der Arbeiterbank A.G. in Liquidation nichts schulden sollte, so schuldet er auch dann nichts, wenn er auf der Pfandliegenschaft als Eigentümer einverleibt ist. Das Verhalten des Heimatschutzverbandes in der Frage der Intabulation entbehrt daher – ganz abgesehen davon, dass er ordnungswidrig ist –, auch von seinem rein persönlichen Interessestandpunkt aus einer stichhältigen Begründung.«

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Haftung Kenntnis. Es wurde außerdem noch auf den Bestand dieser Bürgschaftshaftung ausdrücklich aufmerksam gemacht und musste sich daher über die Möglichkeit der Heranziehung zur Bürgschaftsleistung bewusst sein. Die Finanzierung der grundbücherlichen Einverleibung des Eigentums an dem erwähnten Objekt scheint mir daher nicht gerechtfertigt zu sein. Die möglichst rasche Bereinigung dieser Angelegenheit ist nicht nur vom Standpunkt der Rechtssicherheit in Grundbuchsachen, an der die gesamte Allgemeinheit interessiert ist, geboten, sondern auch aus politischen Erwägungen unbedingt notwendig. Es geht nicht an, dass eine vom Heimatschutz mit allem Nachdruck angestrebte und schließlich vom zuständigen Bundesminister im Einvernehmen mit dem Bundeskanzler erlassene Verfügung vom Einschreiter nicht perfektioniert wird. Es würde außerdem in der Öffentlichkeit sehr unliebsames Aufsehen erregen, wenn der von der Regierung eingesetzte Liquidator der Arbeiterbank A.G. in Ausübung der ihm obliegenden Pflichten gegen den Heimatschutz mit einer Klage auftreten müsste. Eine solche ist aber nur zu vermeiden, wenn die Grundbucheintragung durch den Heimatschutzverband Salzburg nicht weiter hinausgeschoben wird. Diesfalls liegt bereits ein Rechtsgutachten der Finanzprokuratur vor. Sollte sich der Heimatschutzverband Salzburg nicht innerhalb einer angemessenen Frist zu seinem seinerzeit mit allem Nachdruck angestrebten Eigentum durch Eintragung in das Grundbuch öffentlich bekennen, so müsste die Frage der endgültigen Verwertung des Arbeiterheimes neuerlich aufgerollt und der ergangene Zuweisungsbescheid widerrufen werden. (…) Bundesministerium für Landesverteidigung Wien, 23. November 1936. Zl. 80.048-Bau/1936 (Bundeskanzleramt Zahl 371.637/36). Betr.: Salzburg, 8. Brigade-Kommando – Unterbringung. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit in Wien. Die Unterkunftsverhältnisse in den militärischen Objekten der Garnison Salzburg sind derzeit so beengt, dass das Kommando der 8. Brigade und auch das Kommando des Leichten Artillerieregiments Nr. 8 bisher nur provisorisch in gänzlich unzulänglichen Räumlichkeiten untergebracht werden konnten. Bei dem vom Bundesministerium für Landesverteidigung eingeleiteten Nachforschungen hat sich ergeben, dass das Gebäude des Heimatschutzverbandes Salzburg (ehemaligen Arbeiterheim Salzburg) infolge der Liquidierung des Heimatschutzes für die derzeitigen Benützer größtenteils entbehrlich wird und daher für die Unterbringung der Amtsräume des Kommandos der 8. Brigade und sonstiger militärischer Stellen in Betracht käme. Mit der Liquidierungsstelle des Heimatschutzes wurde wegen der Sicherung von Benützungsrechten der Heeresverwaltung das Einvernehmen gepflogen. (…)

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Generalsekretariat der Vaterländischen Front Liquidierungsstelle des Heimatschutzes Wien, 4. März 1937. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, Wien I. Das gefertigte Generalsekretariat der Vaterländischen Front, Liquidierungsstelle des Heimatschutzes, erklärt hiermit, dass sie auf die Eintragung des Eigentumsrechtes des Heimatschutzes an dem ehemaligen Arbeiterheim Salzburg, Paris-Lodron-Str. Nr. 21, im Grundbuch bzw. auf die Übergabe des ehemaligen Arbeiterheimes an den Heimatschutz hiermit offiziell verzichtet. Bundesministerium für Landesverteidigung Wien, 22. Mai 1937. Zl. 59.328-Bau/1937. Betr.: Salzburg, Heimatschutzkaserne -Erwerbung. An die Arbeiterband A.G. in Liquidation in Wien I., Seitzergasse 1. (…) Dementsprechend gibt das Bundesministerium für Landesverteidigung nunmehr bekannt (…)  : 1. Die Arbeiterbank A.G. im Wien in Liquidation erklärt sich für den Fall, als das Bundeskanzleramt, G.D. 2, den Zuweisungsbescheid vom 15. Juli 1935, Zl. 335.801G.D. 2, an den Heimatschutzverband Salzburg außer Kraft setzt und einen neuen Bescheid erlässt, mit welchem die Liegenschaft »Arbeiterheim« in Salzburg, Paris Lodron Str. 21, dem österreichischen Bundesschatze (Heeresverwaltung) ins Eigentum übertragen wird, bereit, die auf der genannten Realität zugunsten der Arbeiterbank A.G. in Liquidation bücherlich eingetragene Hypothek im Betrage von S 100.000 samt Anhang gegen Entrichtung eines Betrages von S 70.000 durch den österreichischen Bundesschatz (Heeresverwaltung) abgelten zu lassen und zu diesem Zwecke dem Bundeskanzleramte sogleich nach Fällung des Bescheides, wonach die genannte Liegenschaft in das Eigentum des Bundesschatzes überzugehen hat, die ordnungsgemäße Löschungserklärung über die vorgenannte Hypothek einzusenden. (…)8

8 Die Arbeiterbank A.G. erklärte sich in einem Schreiben an das Bundesministerium für Landesverteidigung mit diesem Angebot einverstanden.

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 1. Juni 1937. Geschäftszahl  : 332.634-G.D.5. Gegenstand  : Arbeiterheim Salzburg, Beschlagnahme des Vermögens, Eintritt des Verfalles, Zuweisung an das Bundesministerium für Landesverteidigung. BESCHEID Das Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) erlässt von amtswegen den nachstehenden Bescheid  : Spruch  : Der hierortige Bescheid vom 5. Juni 1935, Zahl 335.801-G.D.2, womit das beschlagnahmte Vermögen des behördlich aufgelösten Vereines »Arbeiterheim Salzburg« gemäß § 14 des Bundesgesetzes BGBl. II Nr. 71/1934 an den Heimatschutzverband Salzburg übertragen wurde, wird gemäß § 68, Absatz 2, AVG von amtswegen behoben. Begründung  : Das Generalsekretariat der Vaterländischen Front, Liquidierungsstelle des Heimatschutzes, in Wien I., Am Hof Nr. 6, hat mit Schreiben vom 4. März 1937 auf die Eintragung des Eigentumsrechtes des Heimatschutzes an dem ehemaligen Arbeiterheim Salzburg, Paris Lodron Str. Nr. 21, im Grundbuch sowie überhaupt auf die Übertragung dieses Objektes an den Heimatschutz verzichtet. Ebenso hat der Gewerkschaftsbund der österreichischen Arbeiter und Angestellten auf die ihm durch den obzitierten Bescheid eingeräumten Vorkaufsrechte mit Schreiben vom 16. März 1937 verzichtet. Einer amtswegigen Behebung dieses Bescheides steht daher nichts im Wege, da die Stellen, denen aus dem aufgehobenen Bescheide Rechte erwachsen waren, auf diese ausdrücklich verzichtet haben. (…)9

9 In einem zusätzlichen Bescheid an das Generalsekretariat der Vaterländischen Front, Liquidierungsstelle des Heimatschutzes, wurde darauf hingewiesen, dass das ehemalige sozialdemokratische Arbeiterheim in der Paris Lodron Str. 21 nunmehr mit Zustimmung des Bundeskanzlers an das Bundesministerium für Landesverteidigung zugewiesen wurde. Das Objekt möge daher umgehend an die Heeresverwaltung übergeben werden. (Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, Zahl 305.181/37.)

6. »Sämtliche Amtswalter werden hiermit dringend ersucht … darauf zu achten, dass die Frontmitglieder möglichst zahlreich das Abzeichen der Vaterländischen Front tragen.« Die Vaterländische Front

Generalkommando der Frontmiliz Milizkommandobefehl Nr. 5 Wien, 25. Mai 1936.1 Vom Herrn Bundeskanzler und Führer der Vaterländischen Front zum Führer der Frontmiliz bestellt, habe ich2 das Kommando übernommen. Ich begrüße alle in den provisorischen Dienststellen und Einheiten der Freiwilligen Miliz – Österreichischer Heimatschutz tätigen Kameraden auf das herzlichste und fordere sie auf, ihre Pflicht wie bisher auch in der Frontmiliz3 zu erfüllen. Kameraden  ! Die einheitliche Zusammenfassung aller freiwilligen Wehrkräfte des Volkes hat einen neuen Abschnitt erreicht. Nunmehr ist die Grundlage dafür ge1 SLA Präs. Akten 1937/18/2494. 2 Eduard Baar Baarenfels (1885–1967) wurde im Jänner 1934 nach dem Sturz des niederösterreichischen Heimwehrführers Albrecht Alberti Landesführerstellvertreter der niederösterreichischen Heimwehr (Heimatschutzverband Niederösterreich), trat im Februar als Vertreter der Heimwehr in die niederösterreichische Landesregierung ein und wurde im Juli desselben Jahres geschäftsführender Landeshauptmann von Niederösterreich. Im Oktober 1935 wurde er als Nachfolger von Emil Fey zum Bundesminister für die innere Verwaltung und das Sicherheitswesen ernannt, im Zuge einer Regierungsumbildung im Mai 1936 als Nachfolger von Ernst Rüdiger Starhemberg Vizekanzler, stellvertretender Vorsitzender des Führerrates der Vaterländischen Front und nach der Auflösung sämtlicher Wehrverbände Generalkommandant der »Frontmiliz«, jedoch im Oktober 1936 auf eigenen Wunsch dieses Kommandos wieder entbunden. Sein Nachfolger wurde Ludwig Hülgerth. 3 Die Auflösung der Wehrverbände bildete einen zentralen Bestandteil der Landesverteidigungspolitik der Regierung Schuschnigg. Vor allem galt es, in Verfolgung der politischen Intentionen seines Vorgängers Dollfuß, den Einfluss der Heimwehren zurückzudrängen und sie schließlich völlig zu neutralisieren, ohne einen Bürgerkrieg im Regierungslager zu riskieren. Eine Politik der vorsichtigen kleinen Schritte war daher gefordert. Im Zuge der 1935 beschlossenen und in die Wege geleiteten Wiederaufrüstung Österreichs angesichts der wachsenden militärischen Bedrohung durch das Deutsche Reich erfolgte am 2. Dezember in einem ersten Schritt in Richtung Aufbau einer Miliz der Zusammenschluss der Wehrverbände zur »Freiwilligen Miliz – Österreichischer Heimatschutz«, der 1936 nach der endgültigen Auflösung der Wehrverbände die Schaffung der »Frontmiliz« als Kern einer neuen Miliz folgte, die 1937 der bewaffneten Macht eingegliedert wurde. Ihre Aufgabe bestand vor allem in der Grenzsicherung und ihre Stärke betrug im Jahr 1938 rund 101.000 Mann.

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schaffen, dass jeder wehrwillige vaterlandstreue Österreicher dem Vaterlande in der Frontmiliz dienen kann. Die enge und ständige Zusammenarbeit der Frontmiliz mit der bewaffneten Macht ist dadurch gesichert, dass bewährte Offiziere des Bundesheeres am Auf- und Ausbau der Miliz mitarbeiten werden. Ein langgehegter Wunsch der gesamten vaterländischen Bevölkerung ist damit in Erfüllung gegangen. Die Frontmiliz übernimmt von den bisherigen Wehrverbänden die Aufgabe, in engster Zusammenarbeit mit den anderen Waffenträgern des Staates das christliche, deutsche, ständisch gegliederte Österreich gegen den Feind zu verteidigen. Die Ideale, für die die Wehrverbände, insbesondere der österreichische Heimatschutz, bisher gekämpft haben, sie werden somit auch in der Miliz Leitstern und unverrückbarer Wegweiser sein. Kameraden der Wehrfront  ! Tretet geschlossen in die Miliz ein. Lasst uns auf dieser neugeschaffenen Plattform aller Wehrhaften im Geiste voller Gleichberechtigung, unerschütterlicher Kameradschaft und wahrer Vaterlandsliebe die Hände reichen. Frei von persönlichen Eitelkeiten und kleinlicher Missgunst wollen wir die Reihen schließen und an den Aufbau der Miliz gehen. Vaterlandstreue Österreicher  ! Erfüllet die Miliz mit dem Geiste, der ihre Vorgänger, das österreichische Aufgebot von 1809 zum Siege von Aspern führte und die freiwilligen Schützen Tirols und Kärntens zu wahren Heldentaten im Weltkriege anspornte. Seid stets eingedenk des Opfermutes und der Pflichttreue jener Kameraden, die im Kampfe um die Erneuerung Österreichs gestanden sind. Gleich diesen Vorbildern soll auch der künftige Milizsoldat kein anderes Ideal kennen, als dem Vaterlande mit dem Einsatz seines Lebens zu dienen, kein anderes Recht, als seine Pflicht zu tun. Ich werde es mir als Führer der Frontmiliz besonders angelegen sein lassen, die in der Notzeit unseres Vaterlandes geschmiedete und bewährte Einheitsfront aller Wehrkräfte des Staates durch ständige Fühlungnahme und loyale Zusammenarbeit mit den berufenen Stellen aufrecht zu erhalten und zu festigen, getreu der Losung  : Mit vereinten Kräften für Österreich  ! (…) Landesbefehl Nr. 14 der Landesleitung Salzburg der Vaterländischen Front vom 12. Juli 1936.4 Die am 11. Juli d. J. vom Herrn Bundeskanzler und Frontführer verlautbarten Vereinbarungen mit der deutschen Reichsregierung stellen ein wichtiges Ereignis sowohl für die innen- wie außenpolitische Gestaltung des neuen Österreich dar. Die von der österreichischen Bundesregierung und der Vaterländischen Front seit jeher betonte Bereitschaft, mit dem Deutschen Reich in Frieden und Freundschaft zu le4 Kriechbaumer (Hg.)  : Österreich  ! und Front Heil  ! S.  366f.

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ben und zu arbeiten, wenn gegenseitig die volle Souveränität in der Innenpolitik, die absolute Gleichberechtigung und die Bereitschaft, sich jeder Einmischung in die innenpolitische Gestaltung zu enthalten, feierlich erklärt wird, hat nunmehr durch die gestrige Vereinbarung zwischen den beiden Regierungen ihre Bestätigung erhalten. Damit müssen nun auch jene Zweifel an dem guten Willen der österreichischen Staatsführung, normale Beziehungen mit dem Deutschen Reiche herzustellen, beseitigt sein, die bei vielen Österreichern von gewisser Seite nur deswegen genährt wurden, um sie an der Mitarbeit am Neuaufbau unseres Vaterlandes zu hindern. (…) Landesbefehl Nr. 18 der Landesleitung Salzburg der Vaterländischen Front vom Juli 1936.5 (…) Tragen der Frontabzeichen  : Sämtliche Amtswalter werden hiermit dringend ersucht, speziell jetzt, während der Fremdensaison, darauf zu achten, dass die Frontmitglieder möglichst zahlreich das Abzeichen der Vaterländischen Front tragen. Das Fremdenpublikum soll sehen, dass die Bevölkerung sich offen zum Vaterland bekennt  ; es wird damit nicht nur die Achtung Österreichs, sondern auch die jedes Bundesbürgers steigen, weil man in aller Welt den achtet, der sein Vaterland hochhält, und nicht denjenigen, der sich seine Heimatliebe nicht unter Beweis zu stellen getraut. Wir legen größten Wert darauf, dass neben den Berufsabzeichen (Bauernbundabzeichen und Gewerbebundabzeichen) unbedingt auch das rot-weiß-rote Bändchen getragen wird, weil nur dieses allein aller Welt bekannt ist. (…) Bericht der Landesleitung der Vaterländischen Front Salzburg über die Ergebnisse der politischen Fragebogen. Salzburg, 15. Juli 1936.6 Die Bearbeitung der von allen Ortsgruppenleitungen Salzburgs bis auf einige ganz wenige Ausnahmen eingelangten politischen Frageborgen ergab die (…) politischen Verhältnisse in den Gerichtsbezirken dieses Landes. Für das Bundesland Salzburg ergibt sich auf Grund dieser Aufstellung folgende politische Schichtung der Wählerschaft  : ca. 40 % verlässlich vaterländisch 8,6 % zur VF neigend 4,2 % scharf nationalsozialistisch 5 Ebda. S. 144. 6 Ebda. S. 332f.

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11,3 % zu braun neigend 2,1 % zu rot neigend 26 % gleichgültig Nach Ansicht der Werbeleitung ist das Verhältnis im Lager der VF seitens der Berichterstatter zu günstig gesehen und dürfte sich wie folgt darstellen  : ca. 25 % verlässlich vaterländisch 24,1 % zur VF neigend Diese Annahme stützt sich auf die zahlreichen Berichten beigefügten Bemerkungen seitens der Bezirksleitung des betreffenden Berichterstatters, wonach die Verhältnisse als zu günstig dargestellt erscheinen. Die meisten Berichte stimmen darin überein, dass in der Bevölkerung infolge der Wirtschaftskrise eine gedrückte Stimmung Platz greife. Viele Berichterstatter erklären, dass für wirkliche Fortschritte der VF die Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse und insbesondere der Absatzmöglichkeiten für landwirtschaftliche Produkte eine unerlässliche Voraussetzung sei. Mehrfach wird hinsichtlich der roten und braunen Elemente gemeldet, dass sich diese Kreise allmählich wieder zu sammeln beginnen. Insbesondere wird mehrfach über die Nationalsozialisten berichtet, dass dieselben sich zwar äußerlich ruhig verhalten, doch innerlich unentwegt an ihren Zielen festhalten, teilweise sogar durch Gerüchte über die bessere Wirtschaftslage im Reich unserer Propaganda hemmend entgegentreten. Im Allgemeinen wird die politische Lage als ruhig und die Haltung der Bevölkerung als abwartend bezeichnet. Bemerkenswert mag noch der Umstand erscheinen, dass die scharf nationalsozialistisch eingestellten Kräfte zahlenmäßig nur um ein ganz Geringes schwächer sind als die militanten Kräfte der Wehrverbände des Landes. Brief der Landesleitung Salzburg der Vaterländischen Front an die Personalabteilung des Generalsekretariats vom 31. Juli 1936.7 Wiederholte Bemerkungen von in Salzburg weilenden Fremden lauten, dass es mit der österreichischen Einstellung der Bevölkerung in Salzburg nicht so bestellt zu sein scheint, wie man es auf Grund verschiedener Zeitungs- und Radioberichte annehmen müsste, da man in den seltensten Fällen das sichtbare Bekenntnis, nämlich das Abzeichen der Vaterländischen Front, sehen kann. Außer diesen gewiss unerfreulichen Bemerkungen der Fremden kommen aber auch von Seiten der vaterländischen Bevölkerung immer wieder Klagen, dass selbst Mandatare der verschiedenen Körperschaften, ferner Bundes-, Landes-, Gemeinde7 Ebda.

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beamte, Lehrer usw. niemals, weder in noch außer Dienst, ein Abzeichen der Vaterländischen Front tragen. In Ämtern, die von den Fremden besonders stark frequentiert werden, wie Post, Festspielhaus, Banken usw., fällt dieser Mangel besonders auf. Wenn sich die Landesführung auch dessen bewusst ist, dass das Tragen des Abzeichens noch keine Gewähr für das Bekenntnis zum Vaterlande ist, so glaubt sie dennoch, dass insbesondere für öffentlich-rechtliche Angestellte sowie für die verschiedenen Mandatare diesbezüglich schärfere Weisungen erlassen werden sollten. (…) Brief des Salzburger Landesstatthalters Dr. Alois Wagenbichler an den Generalsekretär der Vaterländischen Front, Guido Zernatto, vom 20. Juli 1936.8 Hochverehrter Herr Staatssekretär  ! Lieber Herr Kamerad  ! Anlässlich der letzten Führersitzung berichtete ich Ihnen, dass ich als LandesführerStellvertreter der Vaterländischen Front in Salzburg bei der Zusammensetzung des Führerrates im Lande Salzburg seitens des Landesführers der Vaterländischen Front, Bernhard Aicher, vollkommen übergangen worden bin und dass ich die Tatsache der Ernennung des Führerrates in der Zeitung las. Sie, sehr verehrter Herr Kamerad, haben mir sofort zugesagt, an den Landesführer einen Befehl ergehen zu lassen, dass die Zusammensetzung des Führerrates für das Land Salzburg noch nicht verlautbart werden dürfe, sondern dass der Landesführer der Vaterländischen Front sich mit mir noch einmal besprechen müsse. Ich beehre mich Ihnen mitzuteilen, dass der Landesführer der Vaterländischen Front in Salzburg, obwohl er Ihren Befehl am Donnerstag, dem 16.7. schon wissen musste, sich bis heute nicht mit mir besprochen hat und dass die Zusammensetzung des Führerrates laut Beilage in der »Salzburger Chronik« vom 18.7.1936 veröffentlicht wurde. Ich begreife es nun, dass der Herr Landesführer der Vaterländischen Front diese Zusammensetzung mit mir nicht besprechen wollte, weil ich dem nie zustimmen könnte. Sämtliche Standesführer, welche dem Heimatschutze angehörten, sind nicht nominiert, wohl aber alle, welche der früheren Christlichsozialen Partei angehörten. (…) Es ist nun offen und klar, dass (…) ich als Landesführer-Stellvertreter der Vaterländischen Front und als Landesstatthalter von Salzburg, aber auch als Landesführer des Heimatschutzes, in einer Art und Weise brüskiert worden bin, die ich mir unter gar keinen Umständen gefallen lassen kann und werde. (…)

8 Ebda. S. 177f.

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Bericht der Landesleitung Salzburg der Vaterländischen Front über die Lage im Land Salzburg. Salzburg, 14. November 1936.9 1. Arbeiterschaft. Die Arbeiterschaft leidet unter dem Mangel an Arbeitsbeschaffung und sagt nicht zu Unrecht, dass die in der Presse und im Radio verlautbarten Ziffern über die Arbeitslosen nicht den Tatsachen entspringen. Wenn auch, zugegeben, die Arbeitslosen weniger werden, so wächst dafür der Zahl der Ausgesteuerten und bildet diese Gruppe für die Kommunisten das leicht zu bearbeitende Material. Die Kommunistengefahr ist in den Notstandsgebieten und unter den Ausgesteuerten nicht zu unterschätzen und wird insbesondere durch die Ereignisse in Spanien genährt. Es müsste hier in erster Linie Arbeit beschafft werden und vor allem anderen der »Freiwillige Arbeitsdienst« ausgebaut und nicht, wie beabsichtigt, eingeschränkt werden. 2. NSDAP. Es ist klar, dass durch verschiedene Ereignisse, die sich in Deutschland abspielen, die illegale Propaganda der NSDAP nicht aufhört. Die nahe Grenze und der starke Verkehr, der besonders an Sonntagen nach Bayern stattfindet, geben den Anhängern immer neue Impulse. Der Gendarmerie und Polizei ist es gelungen, in der letzten Zeit die neue Organisation aufzudecken und die Führenden zu verhaften. Es lässt sich aber diesem Treiben nur dann energisch entgegentreten, wenn bei der Beamtenschaft irgendeinmal ein Exempel statuiert wird. Zurzeit, als der Film »Triumph des Willens«10 in Reichenhall lief, fuhren die Beamten in Scharen hinüber und haben sich in der unwürdigsten Weise benommen. Die Namen der Herrschaften sind der Polizei bekannt und wäre es unbedingt notwendig, den einen oder anderen zur Verantwortung zu ziehen. (…)

 9 Ebda. S. 334.f 10 NS-Propagandafilm von Leni Riefenstahl über den Reichsparteitag in Nürnberg.

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Streng vertraulicher Bericht der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit auf Grund der Berichte der Sicherheitsdirektoren über den Monat Dezember 1936.11 (…) D) Die vaterländische Bewegung. Es unterliegt keinem Zweifel, dass in den letzten Monaten auf dem Wege zur inneren Befriedung dank der Großzügigkeit der von der Regierung getroffenen Maßnahmen bedeutende Fortschritte erzielt wurden. Der Abbau radikaler Strömungen ist da und dort in ziemlichem Umfang gelungen. Allerdings werden diese Befriedungsbestrebungen, die naturgemäß ein gewisses Maß von Nachgiebigkeit verlangen, in vaterländischen Kreisen vielfach mit Misstrauen betrachtet, wodurch die Tätigkeit der Vaterländischen Front einigermaßen gehemmt wird, zumal gewisse reichsdeutsche Blätter und die Presseerzeugnisse der österreichischen Nationalsozialistischen Partei sowie eine von ihr ausgiebig betriebene Flüsterpropaganda keinen Zweifel darüber lassen, dass die Nationalsozialisten von ihrem Endziele, der totalen Machtergreifung in Österreich, nicht abweichen wollen. Auch bringt es die öffentliche Erörterung der Frage der Eingliederung der sog. betont nationalen Kreise in die vaterländische Bewegung mit sich, dass über den weiteren Kurs der vaterländischen Bewegung in weiten Bevölkerungskreisen Unklarheiten entstanden sind. (…) Bericht des Landesleiters der Vaterländischen Front, Bernhard Aicher, über die Lage in Salzburg. Salzburg, 10. April 1937.12 Die Verhältnisse im Lande Salzburg entwickeln sich VF-mäßig gut. Der Mitgliederstand hat über 100.000 erreicht, obwohl ich überzeugt bin, dass über kurz oder lang eine Säuberung, verbunden mit einer Mitgliedersperre, durchgeführt werden muss. NSDAP  : Die Nähe der Grenze und insbesondere die Arbeiten im benachbarten Bayern lassen vielfach die Meinung aufkommen, dass es in Deutschland bedeutend besser ist als bei uns. Dazu kommt noch, dass bei uns mit den versprochenen Arbeiten noch nicht begonnen wurde und dadurch Amtswalter, Ausgesteuerte und Arbeitslose vollkommen verzagt werden, während die sog. besseren Schichten sich in der Äußerung ergehen, es werde eine Arbeitsanleihe gezeichnet, doch von der

11 Ebda. S. 341f. 12 Ebda. S. 345.

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Arbeitsbeschaffung sehen wir nichts. Für die Vaterländische Front ist es daher von allergrößter Wichtigkeit, dass die Arbeitsschlacht tatsächlich ehestens beginnt. (…) Besonderes Augenmerk ist in Salzburg dem Fremdenverkehr zuzuwenden, da mir bekannt ist, dass von der gegnerischen Seite ein »Fremdenführer« herausgegeben wird, der die Richtlinien für die NSDAP enthält und den Boykott der vaterländischen Gaststätten beinhaltet. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 28. Juni 1937. Geschäftszahl 338.461-G.D.5/37. Gegenstand  : Urdl Franz, Chauffeur der »Albus« in Salzburg, Kündigung. V.F. Werk Österreichisches Jungvolk Bundesjugendführung Wien, 23. Juni 1937. Sehr geehrter Herr Major  !13 Beigeschlossener Brief wurde von einer Kursteilnehmerin bei mir in der Führerinnenschule des Ö.J.V. mit der Bitte hinterlassen, diesen Brief an den Herrn Staatssekretär14 gelangen zu lassen. Mit besten Empfehlungen und Heil Österreich  ! Maria Dvorak Hochgeschätzter Herr Staatssekretär  ! Ergebenst Gefertigter Franz Urdl, verheiratet, unbescholten, kriegsgedient, erlaubt sich folgendes Ansuchen in Vorlage zu bringen. Ich war seit 1935 Chauffeur der Albus A.G. in Salzburg. Im November 1936 wurde mir gekündigt und warf mich auf die Straße. Ich bin Vater von 3 Kindern und habe eine 65-jährige Mutter zu erhalten. Ich war beim Heimatschutz, bin Mitglied der Vaterländischen Front seit 1934, Ortsmilizleiter der Frontmiliz in Aigen bei Salzburg und Ortsjugendführer des Österreichischen Jungvolks. Daher musste ich aus dem Betriebe scheiden.15 Vor meinem Abbau ging ich mit dem Amtswalter 13 Major a.D. Friedrich Mayer, 1934 bis 1937 Zweiter Generalsekretär der Vaterländischen Front. 14 Guido Zernatto. 15 Da in dem Unternehmen angeblich ein der NSDAP gegenüber sehr freundlicher Kurs eingeschlagen worden war.

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der Vaterländischen Front, Herrn Urthaler, zu Herrn Landesleiter der Vaterländischen Front, Aicher, brachte diesem mein Anliegen vor, welcher mir sagte  : solange politisch Vorbestrafte im Betriebe beschäftigt sind, gibt es keinen Abbau. Dies wurde dem Herrn Betriebsleiter der Albus, Sadleder, zur Kenntnis gebracht. Ich wurde trotzdem entlassen. Den Abbau veranlasste Herr Pfleger und Fahrdienstleiter Ebner. Pfleger ist tschechischer Staatsbürger und wurde durch Intervention des Herrn Direktor Fritz Hagemann vom Ministerium die Arbeitsbewilligung bis 15. Mai 1937 erteilt und ohne weitere Verlängerung ist er noch im Betriebe. Pfleger stellte mich als moralisch minderwertigen Menschen hin und beantragte beim Herrn Sadleder meinen Abbau. Trotz Einspruch des Herrn Direktor Hagemann, dass zwei Saisonchauffeure abgebaut werden sollen, wurde ich entlassen und die vorher Erwähnten durften bis heute bleiben. Als Österreicher, welcher immer seine Pflicht erfüllte gegenüber seinem Vaterlande kann ich nicht glauben, dass ich nur wegen meiner Vaterlandstreue in Not geraten muss. Ich hoffe noch immer, dass die Vaterländische Front als einzige politische Willensträgerin in Österreich jederzeit in der Lage ist, brave Verfechter Österreichs auch im Existenzkampfe zu schützen und bitte Euer Hochwohlgeboren um Unterstützung im Kampfe um mein Recht. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 22. Juni 1937. An den Herrn Sicherheitsdirektor für Salzburg in Salzburg. In der Anlage werden die Abschriften von vier dem Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) im Wege des Generalsekretariates der Vaterländischen Front zugekommenen Eingaben betreffend politische Missstände bei dem Autobusunternehmen »Albus« in Salzburg gegen Wiedervorlage mit der Einladung übermittelt, über den maßgeblichen Sachverhalt ehesttunlich zu berichten. Es ist insbesondere darauf Bedacht zu nehmen, ob die Kündigung des Franz Urdl auf politische Motive zurückzuführen ist und in einem solchen Fall zu trachten, die Kündigung unwirksam zu machen bzw. die Wiedereinstellung des Genannten in den Betrieb zu erreichen. (…)

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 26. Juli 1937. Zahl 986/9. Betr.: »Albus« Ges.m.b.H., angeblich nationalsozialistische Umtriebe. An das Bundeskanzleramt – G.D.5 in Wien. Zum Erlass (…) beehre ich mich zu berichten, dass nunmehr zwischen der »Albus« Ges.m.b.H. und der Landesführung der Vaterländischen Front in Salzburg ein Übereinkommen getroffen wurde, durch das die strittigen Punkte bereinigt wurden. Ich beehre mich, eine Abschrift dieses Abkommens zur Kenntnis zu bringen (…) Aktennotiz Über das Ergebnis der Besprechung, die zwischen der Vaterländischen Front, Landesleitung Salzburg, und der Albuslinien-Betriebsunternehmung Ges.m.b.H., die am Dienstag, den 22. Juni 1937 stattgefunden hat. (…) 4) Fahrer Urdl Die Albus verpflichtet sich, die materiellen Voraussetzungen für die Unterbringung des Fahrers Urdl vom 1. Juli bis 30. September 1937 zu schaffen. In erster Linie soll die Unterbringung des Urdl dadurch erreicht werden, dass er als Saisonfahrer bei der »Köb« aufgenommen wird, wogegen die Albus einen dadurch bei der Köb überflüssig werdenden Fahrer übernimmt. Die Vaterländische Front übernimmt es, mit der Köb in Verbindung zu treten. Solle dies nicht möglich sein und Urdl auch keine andere Anstellung erhalten, wird die Albus den Urdl bei sich aufnehmen und ihm seine Bezüge zahlen. Es steht der Albus frei, den Urdl während seiner Anstellung bei ihr zu beurlauben. Die Albus wird weiters, vorausgesetzt, dass sie bis dahin nicht in andere Hände übergegangen ist, Urdl keine andere Arbeit hat und die Vaterländische Front weiterhin auf seine Unterbringung Wert legt, in der Saison 1938 den Urdl als Saisonchauffeur einstellen.

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 18. August 1937. Geschäftszahl  : A.E. 350.160-G.D.5/37 (Vorzahl  : 346.510-G.D.5/37.) Gegenstand  : Evangelischer Verein für innere Mission in Gallneukirchen (Sanatorium Salzburg), Berufung. Interner Bericht Der Sachverhalt ist folgender  : Die Landesregierung Salzburg hat mit Bescheid vom 21. Juni 1935 den umseits genannten Verein auf sein Ansuchen nach § 2 des ReichsSanitätsgesetzes (RGBl. Nr. 68/1870) die Konzession zum Betriebe eines Sanatoriums in Salzburg unter Stellung mehrerer Bedingungen erteilt. Die Vereinsleitung hat gegen einzelne Bedingungen die Beschwerde an den Bundesgerichtshof ergriffen. Insbesondere wandte sie sich gegen die Vorschreibung, dass die Angestellten des Sanatoriums und die zur Behandlung der Patienten zugezogenen Ärzte Mitglieder der Vaterländischen Front sein müssen.16 Der Bundesgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 19. Mai 1936, Z  : A 894/35, ausgesprochen, dass bei der Behandlung des Konzessionsansuchens lediglich sanitäre Gesichtspunkte zu überprüfen waren. Er hat jedoch gleichzeitig den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der Behörde aufgehoben, da zur Entscheidung der Landeshauptmann und nicht die Landesregierung berufen gewesen wäre.17 (…) 16 Der Evangelische Verein für innere Mission wandte sich am 21. Juli 1937 an das Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) mit dem Ersuchen um Stellungnahme, »ob und gegebenenfalls welche Bestimmungen herangezogen werden könnten, um die Aufrechterhaltung der angefochtenen Entscheidung stichhaltig zu begründen. Beigefügt wird, dass auf dem Gebiete des Gesundheitswesens bestehende Bestimmungen hierzu nicht herangezogen werden können, ohne dass ein Widerspruch mit der Auffassung des erwähnten Erkenntnisses des Bundesgerichtshofes zu Tage träte.« (Zl. 97.451-Abt.19/1936.) 17 Entscheidung des Bundesgerichtshofs (A 894/35 und A 895/35) vom 19. Mai 1936  : »Der angefochtene Bescheid vom 21. Juni 1935 wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der Behörde aufgehoben. (…) Der Bundesgerichtshof ist (…) der Ansicht, dass die Landesregierung zur Erlassung des angefochtenen Bescheides überhaupt nicht zuständig war. Die Verfassung 1934 bestimmt in Artikel 36, Absatz 1, Z. 1, dass in den Angelegenheiten der Heil- und Pflegeanstalten, soweit sie nicht unter Artikel 34, Absatz 1, Z. 12, fallen, dem Bunde die Gesetzgebung über die Grundsätze, den Ländern die Erlassung von Ausführungsgesetzen und die Vollziehung zusteht. In Artikel 34, Absatz 1, Z. 12, ist dem Bunde die gesundheitliche Aufsicht über die nicht von ihm verwalteten Heil- und Pflegeanstalten vorbehalten. Nun handelt es sich bei der Bewilligung zur Errichtung und zum Betriebe von Privatheilanstalten im Wesen um die Beurteilung der Frage, ob die sanitären Voraussetzungen gegeben sind. Die Bewilligung darf nach dem Erlasse des ehemaligen k.k. Ministeriums des Inneren vom 2. März 1892, Z. 14.498 aus 1891, nur erteilt werden, wenn die Behandlung nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen und nach genau dargelegten bekannten Methoden durchgeführt wird und wenn

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Erledigung (30. Juli 1937) aus Einsichtsakt des Bundeskanzleramtes, Abteilung 1, betreffend »Evangelischer Verein für innere Mission in Gallneukirchen« (Sanatorium Salzburg)  ; Berufung vom 30. Juli 1937, Zahl 179.321-1/1937. An das Bundesministerium für soziale Verwaltung. Zur Zahl 97.451-Abt.10/1936 vom 21. Juli 1937. Mit Beziehung auf das dortige angeführte Schreiben beehrt sich das Bundeskanzleramt, Verfassungsdienst, mitzuteilen, dass nach seiner Auffassung weder verfassungsrechtlich noch auf Grund des Bundesgesetzes über die »Vaterländische Front« BGBl. Nr. 160/36 in seiner derzeit geltenden Fassung eine Handhabe gegeben ist, durch Bescheid die Bewilligung zur Errichtung und zum Betriebe einer Privatheilanstalt an die Bedingung zu knüpfen, dass die Angestellten der zu errichtenden Privatheilanstalt und die Ärzte, die zur Behandlung der Patienten in der Heilanstalt herangezogen werden sollen, Mitglieder der Vaterländischen Front sein müssen.

die Einrichtung allen sanitären Anforderungen entspricht  ; sollen neue Heilmethoden verwendet werden, so muss die vorherige Stellungnahme des Bundesministeriums für soziale Verwaltung eingeholt werden. Die Privatheilanstalten müssen unter der Leitung und verantwortlichen Überwachung eines zur Praxisausübung berechtigten Arztes stehen. In allen diesen Richtungen handelt es sich um Dinge, die ausschließlich aus dem Gesichtspunkt der gesundheitlichen Aufsicht zu prüfen sind  ; andere als sanitäre Erwägungen treten bei diesen Verwaltungsakten völlig in den Hintergrund. Daher sind Angelegenheiten betreffend die Errichtung und den Betrieb von Privatheilanstalten in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache, die Bewilligung zu ihrer Errichtung und zu ihrem Betriebe ist in Handhabung der sanitären Aufsicht des Bundes vom Landeshauptmann als Organ der mittelbaren Bundesverwaltung zu erteilen (vgl. Adamovich  : Grundriss des österreichischen Staatsrechts. 1935. S. 320.)«

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Gedruckte Quellen Akten der Reichskanzlei. Regierung Hitler 1933–1945. (AdRK) Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918–1945. (ADAP) Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938. 12 Bde. – Wien/München 1993/2016. (ADÖ) Bauer, Otto  : Werkausgabe. 9 Bde. – Wien 1975/1980. Broucek, Peter (Hg.)  : Ein General im Zwielicht. Die Erinnerungen Edmund Glaises von Horstenau. 3 Bde. – Wien/Köln/Graz 1980/1988. Der Hochverratsprozess gegen Dr. Guido Schmidt vor dem Wiener Volksgericht. Protokolle und Dokumente. – Wien 1947. Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg vom 14. November 1945 bis 1. Oktober 1946. 23 Bde. – Nürnberg 1948. Domarus, Max  : Hitler. Reden 1932 bis 1945. Kommentiert von einem Zeitgenossen. 2 Bände in 4 Teilbänden. – München 1965. Enderle-Burcel, Gertrude (Hg.)   : Berta Zuckerkandl – Gottfried Kunwald. Briefwechsel 1918–1938. – Wien/Köln/Weimar 2018. Floimair, Roland (Hg.)  : Von der Monarchie zum Anschluss. Ein Lesebuch zur Geschichte Salzburgs. – Salzburg 1993. Für Spaniens Freiheit. Österreicher an der Seite der Spanischen Republik 1936–1939. Eine Dokumentation. Hg. v. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. – Wien/ München 1986. Heinz, Karl Hans (Hg.)  : E. K. Winter. Ein Katholik zwischen den Fronten 1933–1938. – Wien/Köln/Graz 1984. (Dokumente zu Alltag, Politik und Zeitgeschichte. Herausgegeben von Richard Reiter. Band 4.) Kriechbaumer, Robert (Hg.)  : Österreich  ! und Front Heil  ! Aus den Akten des Generalsekretariats der Vaterländischen Front. Innenansichten eines Regimes. – Wien/Köln/Weimar 2005. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 23.)

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Reichhold, Ludwig  : Kampf um Österreich. Die Vaterländische Front und ihr Widerstand gegen den Anschluss. Eine Dokumentation. – Wien 1984. Reuth, Ralf Georg (Hg.)  : Joseph Goebbels. Tagebücher 1924–1945. 5 Bde. 2. Aufl. – München/Zürich 2000. Rot-Weiß-Rot-Buch. Gerechtigkeit für Österreich  ! Darstellungen, Dokumente und Nachweise zur Vorgeschichte und Geschichte der Okkupation Österreichs. Erster Teil. (Nach amtlichen Quellen) – Wien 1946. Stenografische Protokolle des Salzburger Landtages. (SLTPR) Widerstand und Verfolgung in Salzburg 1934–1945. Eine Dokumentation. Hg. v. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. 2 Bde. – Wien/Salzburg 1991. Widerstand und Verfolgung in Wien 1934–1945. Eine Dokumentation. Hg. v. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. 2 Bde. – Wien 1984/1987.

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Abbildungsnachweis

Fotoarchiv Franz Krieger/Stadtarchiv Salzburg 1, 3, 4, 5 ,8, 13, 14, 15, 16, 19 Fotosammlung Carl Jurischek/Salzburger Landesarchiv 10 Handschriftensammlung/Salzburger Landesarchiv 2 Fotosammlung/Salzburger Landesarchiv 7 Fotosammlung Bezirksarchiv Pinzgau/Salzburger Landesarchiv 11 Fotosammlung Archiv Haslauer-Bibliothek 9, 12 Privatsammlung Dr. Erik Eybl 6, 17, 18

Personenregister

Abraham, Rudolf 458, 463, 466 Adamer, Peter 269 Adam, Walter 82, 170 Adler, Friedrich 115 Adler, Max 161 Adler, Viktor 533 Adlgasser, Johann 418 Aglassinger, Josef 478 Aicher, Bernhard 171 Albrich, Thomas 196 Alphasame, Georg 459 Altmann, Siegfried 335 Anderl, M. 401 Anger, Albert 494 Anger, Anna 494 Anger, Johann 494 Angermayer, Siegfried 379 Ansorge, Josef 487 Anzinger, Josef 476 Apfel, Stefan 414, 416 Apor, Gábor 30 Ardelt, Rudolf G. 445 Arnsteiner, Markus 331 Arnsteiner, Paul 488 Aschauer, Peter 476 Aspöck, Angela 493 Aspöck, Ludwig 493 Aspöck, Robert 549 Assmann, N.N. 426 Atzmüller, Emilie 493 Atzmüller, Norbert 493 Aufschnaiter, Gerda 455 Auinger, Cäcilie 466 Auinger, Max 466 Baar-Baarenfels, Eduard 30, 54, 85, 253, 551, 555 Bachrach, Hans 335 Baier, Franz 367 Baldwin, Stanley 34, 340 Bareck, N.N. 308 Barth, Anton 521, 522 Basler, Ewald 262

Basseche, Nikolaus 157 Bauer, Otto 111, 113 – 115, 118, 122, 125 – 133, 135 – 137, 153, 163, 164, 168, 210, 211 Bäumer, Anton 231 Bayer, Siegfried 402 Bayr, Alfred 212 Bechinie, Ludwig 190, 222, 473, 543 Bechtold, Mathias 379 Beck, Ludwig 188 Beethoven, Ludwig van 255 Bein, Rudolf 373, 375, 376 Berger, Georg 464, 465 Berger-Waldenegg, Egon 21 Berlinger, Karl 476 Berlinger, Robert 476 Bernardo, Floro 263 Berndlbauer, Alois 479 Beyer, Anni 384 Beyer, Juliane 493 Beyer, Karl 493 Beyer, Rudolf 493 Bismarck, Otto von 35 Bixner, August 545 Blomberg, Werner von 77, 78, 89, 540 Blum, Anton 323, 326 – 328 Blum, Léon 150, 394 Bohle, Ernst Wilhelm 31 Böhm, Johann 124, 137, 138 Böhm, Karl 257 Bormann, Martin 71, 75 Botz, Gerhard 193 Bradl, Josef 458 Brandauer, Kuno 302, 305, 306 Brauschweig und Lüneburg, Ernst August von 223 Brecher, Guido 335 Brentner, Engelbert 401, 402 Broda, Christian 161, 162 Broda, Engelbert 161 Broda, Ernst 161 Broda, Viola 161 Brom, Karl 477 Brook-Shepherd, Gordon 91

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Personenregister

Brüggler, Rupert 402 Brunmair, Franz 521 Brunner, Johann 490 Buchberger, Hermann 322 Buchner, Alois 435 Bültemayer, Walter 379 Bürckel, Josef 44, 49, 72, 99, 100 Buresch, Karl 214, 253 Buttinger, Joseph 113, 117, 119, 120, 123, 125, 131, 133, 135 – 137, 139 – 144, 164 Celan, Paul 397 Černy, Jan 125 Cerruti, Elisabetta 19 Chamberlain, Neville 38, 77 Chlost, Babette 492 Chlost, Liselotte 492, 495 Churchill, Winston 34 Chwatal, Karl 463, 465, 466, 472 Chwoyka, Wilhelm jr. 356 – 358, 360, 361 Chwoyka, Wilhelm Reinhold 346 – 352, 354, 355, 359, 361 – 366, 368 – 370 Ciano, Galeazzo 17, 18, 20 – 22, 25, 30, 62, 66, 86, 395 Clair Gainer, St. 81 Clémenceau, Georges 16 Clémenceau, Sofie 137 Cripps, Stafford 34 Csokor, Franz Theodor 255 Czech, Ludwig 126 Czernetz, Karl 145 Czernetz, Otto 137 Dadieu, Armin 105, 106 Danneberg, Robert 115, 143 Darányi, Kálmán 30, 85, 255 Darré, Walter 372 Degener, Carl 234, 235 dell’Anima, Santa Maria 396 Del-Negro, Herbert 333 Dernberger, Kurt 147, 149 Dietrich, Marlene 255, 283 Dimitrow, Georgi 158, 159 Dirnberger, Robert 379 Dollfuß, Engelbert 40, 45, 49, 64, 81, 105, 111, 122, 137, 170, 175, 191, 202, 214, 224, 260,

266 – 269, 275, 306, 329, 333, 391, 438, 442, 479, 525, 526, 555 Doppler, Franz 391 Draxler, Ludwig 211 Drexel, Karl 137, 138 Duben, Johann 539 Dum, Helma 454, 455 Dürhager, Friedrich 478 Dürnberger, Franz 418 Dvorak, Maria 562 Dworazek, Franz 534, 535 Dworazek, Rosa 534, 535 Eberharter, Friedrich 432 Eberstaller, Therese 492 Ebner, Fahrdienstleiter 563 Eden, Antony 36, 38 Eder, Franz 479 Eder, Josef 402 Edward VIII., König 254, 340 Egermann, Heinrich 379 Egger, Johann 476 Eidlitz, Franz 323 Eigl, Tassilo 411 Eisenschimmel, Otto 335 Eitzinger, Franz 476 Ellbogen, Lothar 223 Ellinger, Rudolf 539 Ellmer, Rupert 421, 422, 424, 425 Ellmer. Rupert 424 Ellmer, Theresia 421, 422 Elshuber, N.N. 543 Erb, Baron 251 Erbschwandtner, August 479 Erdmannsdorff, Otto von 31 Erlach, Karl 426 Ernst, Martin 486 Faistauer, Josef 435 Fanninger, Josef 420 Fanninger, Rupert 420 Feichtner, Herbert 493 Feichtner, Jakob 493 Feichtner, Josefine 493 Feigl, Karl 447 Felleis, Roman 137 Ferlinz, Josef 379

Personenregister Ferlitsch, N.N. 45 Ferschl, Josef 459 Fersterer, Bartholomäus 226 Fest, Joachim 540 Fey, Emil 323, 543, 555 Ficker, August 464 – 466, 471 Fiedler, Revierinspektor 450 Filzer, Johannes 253, 474 Fischbach, Ernst 335 Fischböck, Hans 107 Fischer, Anton 369 Fischer, Ernst 164, 168, 169 Fischerauer, Friedrich 230 Fissthaler, Josef 487 Flatscher, Karl 481 Fleck, Franz 137 Fleisch, Josef Arbogast 316 Fletschberger, Kaspar 391, 392 Flucher, Johann 439 Franco, Francisco 17, 532 Frank, Hans 19 Frauenschuh, Josef 479 Frauscher, Franz 414 Frauscher, Johann 482 Freinbichler, Hugo 486 Freudelsperger, Rudolf 379 Friedmann, Regina 162 Fritsch, Werner von 78, 89, 540, 541 Fritzer, Josef 275 Fritz, Herbert 490 Fritz, Valentin 490 Fröhlichsthal, Viktor 185 Fröstl, Hofrat 319 Frühwald, Josef 459 Fürstaller, N.N. 330 Fürstl, Josef 379 Furtwängler, Wilhelm 261 Gappmaier, Bartholomäus 420 Garvin, James Louis 35, 36 Gassner, Engelbert 411, 447 – 449 Gastberger, Michael 458 Gasteb, Hans 145 Gattinger, Josef 379 Gelich, Helmtrude 455 George, Lloyd 16 George VI., König 340

579

George V., König 340 Geretsegger, Rudolf 464 Gerste, Georg 472, 476 Gföllner, Alexander 435, 526 Gföllner, Johann Maria 266, 270, 526 Glaise-Horstenau, Edmund 28, 42, 47, 49, 50, 52, 54 – 59, 73, 84, 85, 88, 100, 188, 249, 253, 308, 328, 376, 449, 450 Glawitsch, Franz 482, 483 Gleißner, Heinrich 106, 107 Globočnik, Odilo 43 – 46, 48, 49, 51, 54, 55, 67, 72 – 75, 79, 85, 88, 94, 98 – 101, 103, 108, 109, 171, 181, 185 – 189, 192 Glöcklein, Benedikt 459 Glück, Barbara 493 Glück, Franz 493 Glück, Matthias 493 Gmeiner, Friedrich 413 Gmeiner, Klothilde 413 Goebbels, Joseph 24, 75, 238, 301, 399 Goicoechea, Antonio 17 Gömbös, Gyula 28, 30 Gorbach, Alfons 107 Göring, Hermann 17, 20 – 23, 25, 30, 31, 51, 57, 71 – 73, 75, 76, 80, 87, 99, 109, 110, 188, 336, 372, 540, 541 Göring, Olga 336 Göring, Paula 336 Göttlicher, Josef 379 Grabmayer, Alois 482, 488 Grießner, Leopold 386 Grimm, Emil Friedrich 336 Grimm, Friedrich Emil 332 Grobauer, Anna 534 Grobauer, Franz 534 Grobauer, Johann 534 Gröbner, Simon 539 Gruber, Hans 45 Gruber, Paul 420 Grübl, Josef 502 Gruhn, Erna 540 Grünwald, Vinzenz 302, 304, 305 Gurtner, Georg 522 Haberpointner, Anton 481 Hagemann, Fritz 563 Haiplik, Gottfried 523

580

Personenregister

Halifax, Lord Edward Fredrick Lindley Wood 27, 36, 77, 98 Hangl, Felix 419 Hanisch, Ernst 191, 195, 201 Hänsel, Otto jun. 379 Hänsel, Otto sen. 379 Hartl, N.N. 348 – 350 Hasenauer, Bartholomäus 438 Hasenschwandtner, Johann 409, 410 Hassell, Ulrich von 20, 22, 28 Haupolter, Walter 247 Hauthaler, Josef 202 Heiml, Richard 465 Heinl, Eduard 253 Heinl, Richard 464 Helmer, Oskar 115 Henderson, Neville 35 Herma, Jakob 459 Hermann, Dr. 456 Herzog, Adalbert 384, 425, 427 Herzog, Doris 426 Hessen, Prinz Philipp von 188 Hess, Rudolf 71, 72, 76, 80 Heydrich, Reinhard 43, 51 Hildmann, Richard 174, 243, 287 Hillebrand, Johann 480, 482 Hillebrand, Justine 481 Hillegeist, Friedrich 139, 142 Himmler, Heinrich 51, 57, 64, 71, 541 Hindels, Josef 119, 160 Hindenburg, Paul von 19 Hinterleitner, Oskar 45 Hintze, Fritz 379 Hiss, Karl 335 Hitler, Adolf 10, 17 – 20, 23 – 32, 35 – 37, 39, 40, 43, 47 – 50, 52, 57, 58, 60, 61, 65, 67, 71, 73 – 75, 77 – 80, 84, 85, 87 – 100, 102 – 109, 111, 130, 134, 137 – 140, 144, 145, 149 – 152, 155, 156, 160, 163, 165, 172, 175 – 180, 182, 187 – 189, 191, 194, 199, 201, 206, 215, 232, 238, 252, 255, 260, 261, 268, 269, 290, 301, 308 – 311, 313, 322, 328, 341, 344, 355, 358, 362, 365, 367, 371, 372, 390, 394 – 396, 398, 400, 403, 411 – 413, 429, 440, 443, 444, 447, 451, 453, 462, 463, 481, 483, 485, 487 – 492, 495, 497 – 499, 525, 526, 529, 536, 538, 540, 541 Hoch, Fritz 435

Hodurek, Alfred 493 Hodurek, Rosa 493 Hodurek, Rudolf 493 Hodža, Milan 125 Hofer, Andreas 108 Hoffinger, Max 176, 341 Hofinger, Franz 176 Hofmann-Montanus, Hans 237, 243, 245, 251 Hofmannsthal, Hugo von 257, 262 Hofmeister, Otto 489 Hold, Alfred 486 Hold, Josef 488 Höllbacher, Peter 402 Holoubek, Karl 113, 137 Holzhacker, Albert 458 Holzmeister, Clemens 257 – 259, 262, 287 Holztrattner, Alfons 494 Holztrattner, Johanna 494 Holztrattner, Karl 494 Horthy, Miklós 29, 31, 52, 254, 255, 284 Horthy, Nikolaus von 254, 255 Hossbach, Friedrich 77, 540 Höttl, Franz 435, 437 Houbicka, Franz 523 Hubeny, Josef 137 Huber, Alois 477 Huber, Otmar 335 Hübner, Franz 73 Hudal, Alois 253, 396, 526 Hueber, Franz 87, 92, 336 Hufnagl, Johann 418 Hülgerth, Ludwig 45, 249 Huter, Franz 416 Hütter, Eduard 257 Hütter, Theresia 495 Hutter, Georg 436 – 438 Hutter, Grete 413 Hutter, Jörg 437 Hutter, Lorenz 435, 438 In der Maur, Gilbert 56, 58, 68, 85 Innitzer, Theodor 130, 267, 276, 526 Jaacks, N.N. 340 Jagschitz, Gerhard 80 Jakoncig, Guido 45 Janisch, Max 487

Personenregister Jentsch, Kurt 498 Jochmann, Rosa 145 Jonak, Franz 490 Jorda, Ivo 241 Jordan, Ludwig 80 Jury, Hans 73 Jury, Hugo 58, 59, 73, 82, 85, 87, 92, 101, 108, 185 Kaindl, Jakob 487 Kainz, Otto 486 Kaltenbrunner, Ernst 39, 72, 73, 94, 187, 188 Kaltenegger, Albert 418 Kammerer, Josef 459 Kánya, Kálmán von 18, 30, 31, 85 Karger, Walter 511, 550 Karl, Erwin 459 Karosin, Mitzi 379 Kaserer, Mathias 379 Kaserer, Peter 477 Kaut, Alois 379 Keitel, Wilhelm 188 Keppler, Wilhelm 49, 51, 71, 73 – 75, 87 – 89, 93 – 96, 99, 105, 107, 108, 187, 188 Kerber, N.N. 255 Ketteler, Wilhelm von 81 Keynes, John Maynard 213 Kienböck, Viktor 213 Kier, Franz 474, 477 Kipnis, Alexander 261 Kirchmayr, Ernst 502 Kirsch, Erich 441 Kirsch, Karl 441 – 443, 458 Kirsch, Ruth 441 – 443, 453, 454, 456 Klahr, Alfred 158 Klausner, Hubert 42 – 45, 52, 79, 88, 99 – 101, 105, 108, 109, 185, 187, 188, 191 Klenner, Fritz 119 Klier, N.N. 64 Klingler, Josef 391, 392 Klotz, Petrus 253 Knappertsbusch, Hans 261 Knosp, Josef 520 Kober, Josef 428 Kohlbacher, Franz 379 Koidl, Karl 476 Konetzni, Hilde 261

581

Kopetzky, Maria 393, 394 Koplenig, Johann 147, 159 Köppel, Franz 459 Koppenwallner, Alfred 498 Koppenwallner, Berta 492, 498 Koppenwallner, Hermann 492, 498 Koppenwallner, Paul 492, 498 Kostner, Gabriel 487 Kowarik, Karl 206 Krach, Andreas 459 Kraft, Josef 476 Krakowitzer, Karl 490 Kranabetter, Georg 391, 392 Kranz, Anna 494 Kranz, Friedrich 494 Kranz, Johann 494 Kraus, Felix 92 Krechler, Dr. 310, 413, 416, 463, 472, 478, 489, 495 Kreil, Johann 476 Kreins, Johann 477 Krenmayr, Josef 521 Kress, Josef 332 Krestinskij, Nikolaj 157 Kric, Johann 490 Krisch, Laurenz 338 Kugler, Viktoria 413, 416 Kumhart, Wilhelm 523 Kun, Béla 395, 397 Kundmann, Johann 501 Kunwald, Ella 255 Kunwald, Gottfried 255 Kury, Julius 230 Kurz, Rudolf 379 Kuschel, Viktor 379 Lackinger, Franz 493 Lackinger, Josef 493 Lackinger, Therese 493 Lackner, Rudolf 299, 300 Lang, Elisabeth 455 Lang, Johann 501 Langer, Gustav 379 Langoth, Franz 73, 92 Lastinger, Josef 479, 539 Lauer, Hugo 448, 474, 500 Lauer, Walter 499 – 501

582

Personenregister

Lauterbacher, N.N. 95 Laval, Pierre 394 Lechner, Friedrich 490 Lehmann, Lotte 259, 261 Leib, Georg 478 Leibetseder, Leopold 486 Leichter, Otto 15, 113, 119, 123, 131, 139, 142 Leitner, Max 487 Lemkin, Raphael 130 Leopold, Josef 42, 43, 45, 50 – 53, 56 – 59, 62, 63, 65 – 68, 70, 72 – 76, 78, 80 – 85, 94 – 99 Lerch, Josef 379 Lerch, Leopold 487 Lettner, Franz 113 Lichtenegger, N.N. 369, 370 Liebitzky, Emil 21 Lirk, August 411, 412 List, Johann 486 Litwinow, Maxim 150, 156 Luger, August 459 Lukács, Georg 148 Lukesch, Ivo 105 Lux, Joseph August 306, 307 Mackinger, Felix 534 Maier, Adolf 464, 465 Maier-Kaibitsch, Alois 44, 45 Mailinger, Anton 539 Maleta, Alfred 122 Mangelberger, Revierinspektor 451 Mannlicher, Egbert 58, 59 Mantler, Karl 137, 138 Manuilski, Dimitri 395 Margreiter, Ludwig 184, 438 Maria José von Italien 284 Matousch, Franz 493 Matousch, Marie 493 Matousch, Walter 493 Matzinger, Franz 539 Max, Franz 534 Maxwald, Maria 522 May, Oberst 543 Mayer, Ewald 520 Mayer, Ferdinand 379 Mayer, Friedrich 542 Mayer, Louis B. 255 Mayer, Marie 431

Mayer, Rudolf 476 Mayer, Rupert 418 Mayerhofer, Jakob 231 Mayerhofer, Johann 458, 466 Mayr, Anna 399 Mayr, Felix 400 Mayr, Johann 399, 400 Mayr, Marie 432, 433 Megerle, Karl 50 Meiel, Karl 489 Meier, Karl 411 Meisnitzer, N.N. 448, 474 Meitski, Johann 466 Meitski, Juliane 466 Meitski, Vinzenz 466 Meixner, Wolfgang 196 Menghin, Oswald 58, 59, 82, 87, 92 Miklas, Wilhelm 52, 253, 254, 421 Mild, Karl 335 Mimra, Robert 178 Mindl, Friedrich 464, 465 Mittermayer, Karl 379 Moder, Konrad 420 Moik, Johann 522 Möseneder, Johann 486 Moser, Anton 420 Moser, Ferdinand 379 Moser, Walter 479 Mosley, Oswald Ernald 81 Mühlbacher, Revierinspektor 450 Mühlberger, Josef 333, 336, 337, 343 Mühlmann, Kajetan 72, 73, 93, 94, 96 Müller, Alfons 456 Müller, Helga 456 Müller, Karl 459 Müller, Reinhold 489 Mussolini, Benito 9, 10, 17 – 26, 28, 29, 62, 66, 75, 112, 137, 139, 150, 155, 188, 372, 396, 525, 529, 536, 538 Mussolini, Edda 22 Nagy, Dr. 310, 332, 431 Nedbal, Alois 464, 465 Neidl, Franz 486, 488, 491, 492 Neidl, Michaela 455 Nekundé, Pavel 156 Neubacher, Anton 464, 465

Personenregister Neubacher, Heinrich 42 Neubauer, Heinrich 458 Neumayer, Friedrich 459 Neumayer, Michael 476 Neumayr, N.N. 244 Neurath, Konstantin von 18, 23, 25, 29, 53, 61, 75 – 78, 81, 89, 340, 540 Neureiter, Michael 227 Neustädter-Stürmer, Odo 54, 55, 58, 59, 61, 62, 315, 449, 450 Novotna, Jarmila 261 Oberwallner, N.N. 536 Obrutschka, Fritz 331, 333 Öhlinger, Anton 464 Olah, Franz 137, 143 Öllerer, Mathias 477 Orlich, Flora 379 Orr, Marcus W. 474 Ortner, Elisabeth 498 Ortner, Karl 498 Pabst, Georg Wilhelm 161 Pacher, Peter 478 Pachinger, Leonhard 464, 465 Paech, Hans Günther 333 Palotta, Natale 182 Papen, Franz von 26, 27, 35, 50, 52, 56 – 60, 62, 64, 65, 67 – 69, 71, 76, 79, 81, 82, 84, 87 – 90, 93 – 97, 137, 175, 176, 252, 260 – 262, 285, 286, 540, 541 Paumgartner, Bernhard 262, 263 Pav, Hans 137 Pavlovski, Franz 524 Pembauer, Walter 70, 72, 101, 171 Penninger, Margarethe 403 Persche, Alfred 57, 99, 105 Petacci, Clara 25 Peter, Albert 481 Peternell, Johann 458 Peterschilnig, Florentine Aloisia 466 Peterschilnig, Franz 466 Peterschilnig, Karl 466 Petrovskij, Adolf Marković 156, 157 Petruschky, Albertus 339, 340 Petsche, Josef 366, 367 Pfeffer, Josef 113, 521 – 523

583

Pfleger, Josef 345, 563 Pföss, Mathias 403, 404 Pichler, Johann 459 Pichtl, Michael 479 Piemont, Umberto von 254 Piffl, Gustav 273 Pilat, Anton 309 Piringer, Konrad 487 Pirklbauer, Johann 477 Pius VI., Papst 271 Pius X., Papst 264, 265 Pius XI., Papst 272 Pius XII., Papst 126 Plattner, Friedrich 87, 377 Podlipnik, Josef 113, 137 Podzeit, Theodor 478 Poelzig, Hans 257 Pointecker, Josef 487 Postelberg, Emil 348 Pöttler, Maria 539 Praschinger, Edmund Rudolf 363 Preußler, Robert 264 Prinke, Franz 137 Putz, Alois 477 Rabofsky, Eduard 161 Radauer, Hermann 508 Radauer, Rudolf 429 – 431, 503 – 506, 508, 509 Radauer, Theresia 505 Raeder, Erich 540 Raffelsberger, Walter 51 Rainer, Friedrich 43 – 46, 48, 49, 53, 58, 72, 82, 85, 88, 89, 92, 93, 98, 99, 101 – 103, 105, 108, 109, 171, 185, 187, 188, 190 – 192, 473 Randak, Franz 539 Ratgeb, Franz 497, 498 Rathgeb, Johann 301 Rausch, Johann 420 Rauscher, Franz 145 Rauscher, Paul 51 Rechfeld, Albert 437, 438 Recz, Karl 418 Rehrl, Franz 11, 176, 177, 181, 184, 185, 189, 190, 208, 215 – 221, 223, 227 – 231, 234 – 246, 248, 251, 253 – 255, 257 – 260, 262 – 264, 267, 275, 278, 279, 285, 287, 288, 342, 434, 437, 445, 458, 473, 474, 479, 490

584

Personenregister

Rehrl, Josef 474 Reichhold, Ludwig 119 Reichl, Hermann 476 Reinhardt, Max 257 Reinthaller, Anton 42 – 44, 55, 73, 82, 87, 92 Reisch, Anna 493 Reisch, Karl 493 Reisch, Stefan 493 Reiter, Alfred 486 Reiter, Maria 382 Reitter, Albert 74, 170, 172 – 174, 178, 179, 181, 189, 190, 293, 441 Remarque, Erich Maria 255 Renner, Karl 114, 115, 125, 137, 138, 474 Renzetti, Giuseppe 19 Resch, Josef 219 Rest, August 421 Rest, Franz 420 Rest, Wolfgang 420 Revertera, Peter 107 Rexeisen, Alois 420 Ribbentrop, Joachim von 17, 25, 53, 88, 93, 95, 96 Richter, Emil 369 Richter, Paul 115 Rieder, Ignaz 267, 268 Riefenstahl, Leni 310 Riehl, Walter 40 Rieser, Robert 412, 413 Rigele, Friedrich (Fritz) 336 Rinke, Trude 455 Ristits, Anton 479 Roberts, Peter 164 Röder, Fred 335 Rodriguez, Pedro Sainz 17 Rohan, Karl Anton 66 Roither, Mitzi 455 Roosevelt, Franklin D. 213, 255 Roosevelt, Sara D. 255 Rosenkranz, Margarethe 299 – 301 Rott, Hans 141 Rubenkes, Hermann 539 Rudnay von Ruduo und Divékujfalu, Ludwig 263 Russinger, Johann 481 Russ, Karl 479 Sadleder, N.N. 563 Sailer, Karl Hans 143

Salzberger, Friedrich 498 Salzberger, Fritz 490 Salzlechner, Hans 498 Samuel, Herbert 34 Santner, Wilfried 419 Schacht, Hjalmar 238 Schachtner, Herbert 314, 315 Schaljapin, Fjodor 255 Schalk, Fritz 74 Schärf, Adolf 115 Schattenfroh, Franz 45, 52 Schauer-Schoberlechner, Hans 87, 92 Schaufler, Alfred 379 Scheichl, Franz 522 Scheinbauer, N.N. 367 Scheinecker, Anna 491 Scheinecker, Josef 487, 491 Schemel, Adolf 217 Scherbl, Karl 379 Scherzer, Franz 494 Scherzer, Franziska 494 Scheuer, Georg 161 Schiemann, Helmut 486 Schiessl, Alois 493 Schiessl, Elisabeth 493 Schiessl, Matthias 493 Schinagl, Eduard 459 Schirach, Baldur von 485 Schlager, Franz 490 Schlager, Karl 416 Schluder, Johann 402 Schmid, Hans 107 Schmid, Mathias 490 Schmidt, Guido 18, 35, 54, 55, 62, 66, 67, 72, 74, 80, 83, 84, 88, 89, 92 – 94, 97, 107, 108, 176, 253, 312, 341 Schmidt, Josef 458 Schmiedhammer, Franz 522 Schmitz, Richard 116, 138 Schmuck, Sebastian 402 Schneebuchler, Peter 479 Schneidmadl, Heinrich 115 Schnellinger, Erwin 458 Schneyer, Josef 335 Schober, Rudolf 218 Scholz, Rudolf 511, 542 Schönberg, Arnold 255

Personenregister Schön, Ernst 494 Schön, Malvine 494 Schörghofer, Max 393, 394 Schreier, Otto 464, 465 Schubhart, Adolf 490 Schubhart, Wilhelm 490 Schumy, Vinzenz 45 Schuschnigg, Kurt von 9, 10, 21, 23, 26, 27, 38, 39, 47 – 50, 52 – 55, 57 – 64, 66, 68 – 81, 84 – 98, 102 – 104, 106 – 109, 111, 116, 124, 126, 137 – 146, 155, 163, 167, 170 – 172, 175 – 182, 184 – 192, 202, 211, 219, 222, 241, 249, 253, 259, 288, 301, 315, 327, 341, 373, 384, 440, 447, 525, 529, 534, 540, 541, 555 Schweiger, Friedrich 309 Scubitz, Franz 343, 344 Seethaler, Carl A. 244 Seidl, Erna 454 Seidl, Gertrude 454 Seipel, Ignaz 255 Seyß-Inquart, Arthur 39, 46, 53, 54, 62 – 64, 66 – 76, 79, 80, 82, 84 – 89, 91 – 101, 103, 105, 106, 108 – 110, 138, 171, 177, 179, 181, 185 – 192 Sieber, Rudolf 283 Simpson, Wallis 254, 340 Skubl, Michael 39, 80, 84, 177, 249, 352, 517 Somerset Maugham, William 255 Sommerauer, Johann 459 Speckbacher, Josef 458, 466 Sperr, Hermann 522 Spiweldiener, Anna 494 Spiweldiener, Johann 494 Spiweldiener, Johanna 494 Spranklin, N.N. 81 Sprenger, Friedrich 464, 465 Srbik, Heinrich 92 Stabile, Marino 261 Stadlen, Peter 255 Stadler, Karl R. 162 Stainer, Anna 492 Stainer, Bruno 492, 498 Stainer, Ludwig 492 Stalin, Josef 130, 131, 150 – 152, 158, 159, 167 – 169, 394, 395, 538 Starhemberg, Ernst Rüdiger von 49, 50, 55, 87, 333, 365, 417, 555 Stark, Eduard 139

585

Stäuble, Rudolf 333 Staud, Johann 137, 138, 141 Stefl, August 401, 402 Steidl, Albert 202 Steinacher, Hans 51 Stein, Ferdinand 418 Stein, Otto Freiherr von 27, 52 Steinkellner, Maria 493 Steinkellner, Matthias 493 Steinlechner, Thomas 402 Steinwender, Leonhard 268 Stepan, Karl Maria 107 Štern, David 156 Sterr, Anna 494 Sterr, Franz 494 Sterr, Josef 494 Steukart, Karl 538 Stocker, Johann 478 Stockinger, Fritz 323 Stockinger, Rosalia 416 Stockklausner, Franz 379 Stojadinović, Milan 32, 33 Strasser, Eberhard 494 Strasser, Ferdinand 143 Strasser, Rudolf 494 Strasser, Wilhelmine 494 Strausser Messersmith, George 47 Strobl, Ludwig 517 Strohmayer, Josef 379 Stumfohl, Herta 206 Süss, Albert 215 Taferner, N.N. 345 Tagger, Anton 490 Tarra, Valentin 393 Taucher, Wilhelm 248, 249 Tauschitz, Stephan 25, 81 Tavs, Leopold 58, 76, 77, 79 – 81, 83 – 85, 87, 88, 99 Telsnig, Andreas 494 Telsnig, Mathilde 494 Telsnig, Walter 494 Thaler, Alois 335 Thayer, Johann 479 Thiel, Josef 418 Thimig-Reinhardt, Helene 261, 262 Thorberg, Kerstin 261

586

Personenregister

Tietze, Aloisia 466 Tietze, Karl 466 Tietze, Vinzenz 466 Tischler, Josef 478 Toscanini, Arturo 236, 255, 258, 259, 261, 262 Treu, Wilhelm 420 Trotzki, Leo 148, 159, 164 Tschammer, Hans von 88 Twrsnik, Rudolf 478 Ulrich, Rudolf 379 Urdl, Franz 562 – 564 Vandervelde, Emile 130 Veesenmayer, Edmund 75 Verdi, Giuseppe 261, 262 Viebahn, Max von 188 Voglmayer, Josef 401, 402 Vollgruber, Alois 37 Wagenbichler, Alois 174, 369, 547, 551, 559 Wagner, Karl 355 Waitz, Sigismund 253, 257, 266, 268, 271, 276, 278 Waldmann, Willibald 222 Walkner, Franz 539 Wallack, Franz 245 Walter, Bruno 257, 261, 262 Wartbichler, Georg 371 Wartbichler, Martin 371 Waschnigg, Franz 137 Wassing, Anton 335 Watzek, Adolf 138, 141 Watzek, Karl 459 Webb, Beatrice 152 Webb, Sidney 152 Webern, Anton 255 Weigelt, Adolf 137, 138 Weikhart, Jakob 145 Weiss, Hildegard 453 – 455 Weizsäcker, Ernst von 79 Weletzky, Richard 458, 460, 462 Wells, H. C. 150 Werner, Rupert 458 Wessely, Paula 262 Wieder, Johann 490 Wierleitner, Franz 379

Wiesinger, Adolf 417, 418 Wiesmayr, Engelbert 458 Wikullil, Leo 335 Wilder, Thornton 255 Wille, Johann 432 Wilson, Woodrow 16 Wimmer, Arthur 542 Wimmer, August 377 – 379 Wimmer, Franz 321, 322 Wimmer, Irmgard 376, 377 Windischbauer, Alois 335 Windsor, Herzogin von 255 Windsor, Herzog von 243, 255 Winklhofer, Felix 477 Winklmaier, Franz 464, 465 Winter, Ernst Karl 157 Wintersteiger, Anton 173, 187, 189, 191, 473, 474, 477 Winzer, Anna 493 Winzer, Matthias 493 Wirnsperger, Franz 423 Wittauer, Johann 518 – 520 Wodak, Finni 144 Wohlmuther, Josef 402 Wolf, Robert Eduard 308 Wolsegger, Ferdinand 58 Wurm, Johann 479 Würtinger, Erich 379 Zackerl, Johann 477 Zagler, Franz 487 Zagler, Johann 486 Zagler, Josef 488 Zauner, Viktor 460 Zellner, Johann 494 Zellner, Josef 494 Zellner, Marie 494 Zernatto, Guido 46 – 48, 62, 63, 66, 82, 84, 86 – 89, 91 – 95, 106, 108, 174 – 176, 185, 186, 238, 239, 249, 472, 478, 559, 562 Ziegleder, Johann 536 Zinober, Gottfried 479 Zöllner, Karl 479 Zuckerkandl, Berta 137, 255, 262 Zuckmayer, Carl 192, 255 Zwang, Franz 379

SCHRIFTENREIHE DES FORSCHUNGSINSTITUTS FÜR POLITISCH-HISTORISCHE STUDIEN DER DR. WILFRIED-HASLAUER-BIBLIOTHEK herausgegeben von Franz Schausberger, Robert Kriechbaumer und Hubert Weinberger

Band 70,1: Robert Kriechbaumer (Hg.) Die Dunkelheit des politischen Horizonts. Salzburg 1933 bis 1938 in den Berichten der Sicherheitsdirektion Band 1: Gewitterwolken. Vom März 1933 bis Februar 1934

Band 70,2: Robert Kriechbaumer (Hg.) Die Dunkelheit des politischen Horizonts. Salzburg 1933 bis 1938 in den Berichten der Sicherheitsdirektion Band 2: Donnergrollen. Vom Februar 1934 bis Juli 1936

2019. 459 Seiten, mit 25 s/w-Abb., gebunden € 49,00 D | € 51,00 A ISBN 978-3-205-23205-6 Auch als eBook erhältlich

2019. 684 Seiten, mit 21 s/w u. farb. Abb., gebunden € 55,00 D | € 57,00 A ISBN 978-3-205-23208-7 Auch als eBook erhältlich

Im Bereich der regionalpolitischen Forschung für die Jahre 1933 bis 1938 bestehen noch erhebliche Defizite.

Der zweite Band der dreiteiligen Edition widmet sich der vor allem vom nationalsozialistischen Terror beherrschten Zeit zwischen dem Februar 1934 und dem Juliabkommen 1936.

Preisstand 1.1.2020