Apokalyptische Jahre: Die Tagebucher Der Therese Lindenberg. 1938 Bis 1946 (German Edition) [Aufl. ed.] 9783412201586, 3412201588

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Apokalyptische Jahre: Die Tagebucher Der Therese Lindenberg. 1938 Bis 1946 (German Edition) [Aufl. ed.]
 9783412201586, 3412201588

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L’HOMME Archiv. Quellen zur Feministischen Geschichtswissenschaft Band 2 Herausgeberinnen: Caroline Arni, Basel; Gunda Barth-Scalmani, Innsbruck; Ingrid Bauer, Salzburg; Mineke Bosch, ­Groningen; Susanna Burghartz, Basel; Božena Chołuj, Warschau; Krassimira Daskalova, Sofia; Ute Gerhard, Frankfurt a. M.; Hanna Hacker, Wien; Christa Hämmerle, Wien; Hana Havelková, Prag; Ulrike Krampl, Tours; Margareth Lanzinger, Wien; Sandra Maß, Freiburg; Edith Saurer, Wien; Regina Schulte, Bochum; Gabriela Signori, Konstanz; Claudia Ulbrich, Berlin.

Christa Hämmerle / Li Gerhalter (Hg.)

Apokalyptische Jahre Die Tagebücher der Therese Lindenberg 1938 bis 1946

Unter Mitarbeit von Ingrid Brommer und Christine Karner

2010 Böhlau Verlag Köln · Weimar · Wien

Gedruckt mit Unterstützung durch das österreichische Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, die Universität Wien im Rahmen der Forschungsplattform „Neuverortung der Frauen- und Geschlechtergeschichte im veränderten europäischen Kontext“

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Montage aus dem Schriftbild von Therese Lindenbergs Tagebuch aus 1945 und ihrem Porträt (Familienarchiv Ruth Steiner)

© 2010 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Druck und Bindung: Strauss GmbH, Mörlenbach Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20158-6

Dank

An der Entstehung dieser Tagebuchedition waren im Laufe des langen Zeitraums, in dem die Idee dazu entstanden ist und schließlich realisiert werden konnte, viele Personen beteiligt. Ihnen allen möchten wir danken – für ihre Ermunterung und Unterstützung, ihre Neugierde und ihr Nachfragen, das kritische Probelesen und Kommentieren, das zur Verfügung stellen von Informationen und finanziellen Mitteln und, nicht zuletzt: für ihre Geduld. An erster Stelle gilt unser Dank den Nachfahrinnen von Therese Lindenberg, insbesondere der Enkelin Ruth Steiner. Sie hat, in Übereinkunft mit ihrer damals noch lebenden Mutter Mona Lisa Steiner, im Jahr 1995 nicht nur in die Übergabe der vielen Tagebücher ihrer Großmutter an die Sammlung Frauennachlässe eingewilligt, sondern in der Folge auch unsere Arbeit immer wieder aktiv unterstützt; insbesondere durch das Überlassen zusätzlicher Schriften und Dokumente aus dem Familienarchiv sowie das persönliche Gespräch, die vielen gegebenen Hinweise und das „Teilen“ ihrer Erinnerungen an die Großmutter mit uns. Gerald Stourzh, der mit Ruth Steiner in einem Projekt zur Revitalisierung jüdischer Gräber am Wiener Zentralfriedhof zusammenarbeitet, hat diese Begegnung initiiert. Ihm möchten wir daher ebenso danken wie Edith Saurer, auf deren großes Engagement für die Frauen- und Geschlechtergeschichte die wenige Jahre zuvor erfolgte Gründung der Sammlung Frauennachlässe und des L’Homme-Archivs, in dem diese Edition nun erscheinen kann, zurückgeht. Auch was Edith Saurer darüber hinaus, durch die für sie so kennzeichnende, stets aufs Neue motivierende Freude am wissenschaftlichen Dialog in das Projekt eingebracht hat, ist keinesfalls selbstverständlich. Im Studienjahr 2004/05 wurde der Nachlass von Therese Lindenberg zum Material eines von Christa Hämmerle geleiteten und Li Gerhalter betreuten Forschungsseminars am Institut für Geschichte der Universität Wien, in dem unter dem Motto „Leben texten?“ auch erste Transkriptionen der hier edierten Tagebücher erstellt wurden. Dafür sowie für ihre über die Erfordernisse eines solchen Seminars weit hinausgehenden Forschungsleistungen auf der Basis dieses Nachlasses danken wir – in alphabetischer Reihenfolge – Ingrid Brommer, Nicola Edelmann, Manuela Hauptmann, Christine Karner, Sonja Kofler, Andrea Rabong, Olivera Stajic, Bernhard Tuider, Eleonore Weber und Eva Weidinger-Vols. Die vielen Seminarsitzungen und Gespräche mit ihnen über Therese Lindenberg und deren fast lebenslanges Schreiben, und all die Fragen und Erkenntnisse, die dabei aufgeworfen, zum Teil wieder verworfen und neu formuliert werden konnten, haben der Edition viele wichtige Impulse vermittelt. Sie legten einen unverzichtbaren Grundstock, auf dem wir in der Folge aufbauen konnten. Ingrid Brommer und Christine Karner haben uns dabei weiterhin unterstützt, nicht nur durch die Erarbeitung des umfangreichen Personen-, Orts- und Werkregisters zu dieser Edition. Auch dafür unseren besonderen Dank!

VI   Dank

Die Finanzierung der für die Edition notwendigen Recherche, die weiteren Vorbereitungen dazu und die nunmehrige Drucklegung wurden möglich im Rahmen einer 2006 an der Universität Wien eingerichteten Forschungsplattform zur „Neuverortung der Frauen- und Geschlechtergeschichte im veränderten europäischen Kontext“, die sich unter anderem der Erschließung von Frauentagebüchern aus dem 19. und 20. Jahrhundert widmet. Unser Dank gilt daher auch dem Rektorat der Universität Wien, insbesondere dem Vizerektor Heinz Engl, für die finanzielle Unterstützung unserer Archivierungs-, Editionsund Forschungsarbeiten. Dass das seitens der Universität Wien neu geschaffene Instrumentarium einer über einen längeren Zeitraum hindurch etablierten Forschungsplattform jene Gestaltungsräume eröffnet, die notwendig sind, um auch aufwendigere Vorhaben durchführen und dabei einzelnen Fragen mit der gebotenen Beharrlichkeit nachgehen zu können, sei in diesem Zusammenhang besonders unterstrichen. Unsere Forschungen zu Frauentagebüchern konnten so vor Ort auch leichter in einen breiteren interdisziplinären Diskussionszusammenhang gestellt werden, vor allem durch die Einbindung von Juliane Vogel und Ruth Wodak. Namentlich danken wollen wir auch jenen Personen, die durch ihr Lesen der Tagebücher und/oder der wissenschaftlichen Einleitung dazu ebenfalls an der Fertigstellung der Edition mitgewirkt haben. Ihre auch kritischen Kommentare, Hinweise, Gedanken und Fragen dazu haben das Manuskript nochmals wesentlich verbessert. Es sind dies, wiederum in alphabetischer Reihenfolge: Ingrid Brommer, Maria Fritsche, Karin Hausen, Christine Karner, Johannes van Ooyen, Till van Rahden und Edith Saurer. Außerdem danken wir Jürgen Ehrmann, Nikola Langreiter und Brigitte Rath für ihre Hilfe beim Lektorat und der Vereinheitlichung des Anmerkungsapparats sowie Paul Habart für die Bildbearbeitung und Alexander C. T. Geppert für seine Hinweise zum Thema Spiritismus. Der Abschluss der wissenschaftlichen Einleitung von Christa Hämmerle konnte angeregt durch die überaus inspirierenden Diskussionen am von Ute Frevert geleiteten Forschungsbereich „Geschichte der Gefühle“ des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin erfolgen, wofür ihr und den dortigen Kolleginnen und Kollegen ebenfalls herzlich zu danken ist. Christa Hämmerle und Li Gerhalter

Inhalt

Vorwort von Edith Saurer ........................................................................................................ IX Trost und Erinnerung. Kontexte und Funktionen des Tagebuchschreibens von Therese Lindenberg (März 1938 bis Juli 1946) von Christa Hämmerle . .............................................................................................. 1 Edition Die Tagebücher der Therese Lindenberg 1938 bis 1946 ...................................... 61 Die apokalyptischen Jahre. 1938–1946 (Typoskript aus 1975) ............................. 63 Tagebücher 4. März 1938 bis 25. August 1946 ..................................................... 111 Register von Ingrid Brommer und Christine Karner .................................................................. 343 Personenregister .................................................................................................... 345 Ortsregister ........................................................................................................... 369 Film-, Aufführungs- und Werksregister ................................................................. 386 Abbildungsverzeichnis ............................................................................................... 389 Register auf CD-ROM (Beilage)

Vorwort

Das Tagebuch der Therese Lindenberg eröffnet einen dichten Einblick in das Wien der Jahre 1938 bis 1946; es ist von Lebensbedingungen bestimmt, die primär durch gesellschaftlichen Ausschluss und Verfolgung gekennzeichnet waren. Therese Lindenberg lebte in einer sogenannten „Mischehe“, die einzugehen nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich nicht mehr möglich war. Zuvor konnten jüdisch-christliche Ehen nur unter kalkulierter Umgehung von Verboten geschlossen werden, da es in Österreich die Zivilehe nicht gab und das kanonische Eherecht Religionsverschiedenheit als Ehehindernis verstand. Nur kirchliche Dispense oder Religionsübertritte beziehungsweise -austritte konnten eine Eheschließung möglich machen. Es dominierte demnach das Verbot, wenn es auch Ausweichmöglichkeiten gab. Mit dem Nationalsozialismus wurde in der „Ostmark“ zwar die Zivilehe eingeführt, aber fast zeitgleich auch das „Blutschutzgesetz“ mit dem Verbot rassisch bestimmter „Mischehen“ – eine Konstellation, die als Dialektik der Säkularisierung bezeichnet werden kann: Die Zivilehe hatte eine Verbindung zwischen Angehörigen aller religiösen Gruppen geöffnet, die durch die Kategorie Rasse im „Blutschutzgesetz“ sogleich zerschnitten wurde. Therese Lindenberg und ihr Mann, der Jude war, hatten unter dem alten österreichischen Eherecht geheiratet und unter dem neuen waren sie zunehmender Verfolgung ausgesetzt. Das Ziel der Nürnberger Gesetzgebung war die Entrechtung der jüdischen Bevölkerung und ihr gesellschaftlicher Ausschluss. Da Ehe Verwandtschaft stiftet und einen Bereich von Vertrauen und Intimität herstellt, galt ihr von Seiten der nationalsozialistischen Machthaber ein besonderes Augenmerk. Wenn diese auch eine generelle Aufhebung von „Mischehen“ erwogen, so wurde das dennoch nicht durchgeführt. Die Rechtsverhältnisse sollten beibehalten werden unter ihrer gleichzeitigen Unterhöhlung und Pervertierung. So wurde die Scheidung der „Mischehen“ durch extensive Rechtsauslegungen erleichtert und befördert. Der soziale Druck, der auf den nichtjüdischen Partner von Parteileuten, aber auch von Familienangehörigen ausgeübt wurde, war häufig folgenreich. Scheiterten diese Vorhaben, so war das Ehepaar Verfolgungen, Diskriminierungen und Schikanen ausgesetzt. Zwar – das wissen wir heute – verhinderte die Ehe meistens die Deportation des jüdischen Partners in ein Vernichtungslager, aber der Ausschluss von zahlreichen Rechten, so nicht zuletzt jenem der Freizügigkeit, die Brandmarkung durch den „Judenstern“, der Verlust der Erwerbsarbeit sowie die gesellschaftliche Marginalisierung setzten das Paar kontinuierlichen Verfolgungen und Schikanen aus. Das Tagebuch der Therese Lindenberg stellt diesen zunehmenden Verlust an Selbstbestimmung dar, etwa in Hinblick auf die Zwangsübersiedlung in ein „Judenhaus“, das Annähen des „Judensterns“, die Konsequenzen für den Ehemann, seinen zunehmend engeren Bewegungs- und Lebensradius.

X   Vorwort

Therese Lindenberg ist keine Analytikerin, die die Veränderungen von Sprache, Gestus und Kommunikation, die Auswirkungen des Herrschaftssystems auf das Sozialleben darstellt, wie das Victor Klemperer in seinem Tagebuch getan hat. Vielmehr sind es die Auswirkungen auf ihre Sprache selbst, die – durch Codierungen und Verkürzungen charakterisiert – das Interesse der Lesenden erwecken. Die Einsamkeit der Worte verstärkt ihre Aussagekraft. „Schneeschaufeln“ zum Beispiel lässt an Deportationen denken, die in Wien im vollen Umfang im Februar 1941 eingesetzt haben. Die Auswirkungen beziehen sich jedoch ebenso auf Therese Lindenberg selbst, die sich zunehmend dem Katholizismus zuwandte und für die Naturerlebnisse einen zentralen Stellenwert einzunehmen begannen, einen größeren als dies zuvor schon der Fall war. Mit der Veröffentlichung des Tagebuchs der Therese Lindenberg und seiner wissenschaftlichen Aufarbeitung haben Christa Hämmerle, Li Gerhalter, Ingrid Brommer und Christine Karner daher einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des Nationalsozialismus, insbesondere zu jener der „Mischehen“ als geächtete Beziehungen, zu (Frauen-)Tagebüchern, die auf die Bedeutung des Schreibens und der Zeugenschaft verweisen, und zu mentalen Veränderungen in Zeiten der Verfolgung geleistet; und sie haben das Leben jener Frau erforscht, die auch unter schwierigen Bedingungen auf das Schreiben nicht verzichten wollte. Edith Saurer

Trost und Erinnerung Kontexte und Funktionen des Tagebuchschreibens von Therese Lindenberg (März 1938 bis Juli 1946) Christa Hämmerle

Wien, im Frühjahr 1975. Therese Lindenberg, eine 83-jährige Frau, führt auch in diesen Monaten Tagebuch – so wie sie es viele Jahrzehnte hindurch getan hat.1 Parallel zu ihren Aufzeichnungen entsteht, getippt auf Schreibmaschine, ein längerer, ebenfalls in Tagebuchform strukturierter Text mit dem Titel „Die apokalyptischen Jahre. 1938–1946“. Er ist Therese Lindenberg offenbar besonders wichtig, da sie in ihrem Tagebuch mehrfach darauf Bezug nimmt. „Die apokalyptischen Jahre begonnen“, notiert sie erstmals am 9. April 1975, und wenige Tage später, an einem Sonntag, dem 13. April, schreibt sie: „Apokalyptische Tage, Wochen – Jahre schreiben für Hans.“2 In den folgenden Einträgen zu diesem Thema ist dann, abgesehen von lakonischen Verweisen auf die Weiterarbeit am Manu1

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Insgesamt liegen in der Sammlung Frauennachlässe (im Folgenden zitiert als SFN) am Institut für Geschichte der Universität Wien (im Folgenden zitiert als IfG), in der heute ein großer Teil des schriftlichen Nachlasses von Therese Lindenberg (im Folgenden zitiert als NL 3) archiviert ist, neben anderen Selbstzeugnissen und Dokumenten 64 handschriftliche Tagebuchbände und tagebuchähnliche Texte mit chronologischen Einträgen. Das früheste Tagebuch begann sie, als knapp Achtzehnjährige, im Oktober 1910, das letzte endet wenige Tage vor ihrem Tod am 21. April 1980. Ein solches in der Jugend beginnendes Tagebuchschreiben ist, wie andere Bestände der Sammlung Frauennachlässe belegen, keinesfalls unüblich; vgl. dazu in Hinblick auf dieses Archiv Li Gerhalter, „Ich werde von nun an mehr hereinschreiben …“ Schreiben im Alltag, Schreiben als Alltag. Beispiele von Frauen- und Mädchentagebüchern aus der Sammlung Frauennachlässe, in: PetraMaria Dallinger, Li Gerhalter u.a. Hg., (M)Ein Tagebuch. Überlegungen zum autobiographischen Schreiben an ausgewählten Beispielen, Linz 2008, 12–51; dies., Geschichten und Voraussetzungen. Die Bestände der Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien, in: Unsere Heimat. Zeitschrift für Landeskunde von Niederösterreich, 81,1 (2010) (im Druck); Christa Hämmerle, Ein Ort für Geheimnisse? Jugendtagebücher im 19. und 20. Jahrhundert, in: Peter Eigner, Christa Hämmerle u. Günter Müller Hg., Briefe – Tagebücher – Autobiographien. Studien und Quellen für den Unterricht, Wien 2006, 28–45; dies., Fragmente aus vielen Leben. Ein Portrait der „Sammlung Frauennachlässe“ am Institut für Geschichte der Universität Wien, in: L’HOMME. Z. F. G., 14, 2 (2003), 375–378; dies., Nebenpfade? Populare Selbstzeugnisse des 19. und 20. Jahrhunderts in geschlechtervergleichender Perspektive, in: Thomas Winkelbauer Hg., Vom Lebenslauf zur Biographie. Geschichte, Quellen und Probleme der historischen Biographik und Autobiographik, Krems 2000, 135–167, bes. 151–163. Gemeint ist hier Hans Steiner, der Schwiegersohn von Therese Lindenberg; vgl. dazu die Ausführungen weiter hinten in diesem Text.

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Abb. 1: Therese Lindenberg an ihrem 80. Geburtstag, 1972

skript, auch davon die Rede, dass dieses Schreiben vom Lesen alter Tagebücher und Briefe begleitet war und dadurch viel an innerer Bewegung, an neuen Einsichten auch in die eigene Vergangenheit provoziert hat: „Wie gut geht es mir! Briefe von Lisl 1927–31. Tagebuch 1940!“ (25. April 1975) „Was mir in diesen Erinnerungstagen durch Kopf und Herz geht!“ (5. Mai 1975) „Schreiben. Der Garten so schön! Dank! Das Tagebuch 43–45. Ich habe so viel sehen dürfen! Der Mann ausgeschlossen! Zu viel für mich. Die Natur, die er so liebte – für ihn tabu! Ich muß in mich gehen! Viel Klarheit.“ (21. Mai 1975) „Schreiben an Apok. Ich staune immer mehr! Immer bin ich wo gewesen! Und Dich allein gelassen! Anstatt mich zu Dir zu setzen! Mehr! O Herr! Gib ihm Freude!“ (23. Mai 1975) „Immer mehr eingesponnen in die Vergangenheit. Alles gut, wie es kam …“ (10. Juni 1975) Schließlich bilanziert Therese Lindenberg noch die Fertigstellung des Typoskripts am 18. Juni 1975: „Die apokalyptischen Jahre beendet. Dieser Glaube, dieser Dank, diese Hingabe.“3

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Alle diese Zitate in: SFN, IfG, NL 3/6a, Tagebuch XXXVII, geführt vom 27. 1. bis 7. 11. 1975.

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Abb. 2: Erste Seite des Typoskripts „Die apokalyptischen Jahre. 1938–1946“ (1975)

„Was mir in diesen Erinnerungstagen durch Kopf und Herz geht.“ Was ist das demnach für ein Text, der damals entstand und dieser Frau solche Worte, solche Fragen und Zweifel, aber auch solche Gewissheiten über ihre Vergangenheit entlockte? Warum dieser Titel, warum überhaupt dieses Typoskript, das in der vorliegenden Edition – den Originaltagebüchern vorangestellt – veröffentlicht wird? Und wer war Therese Lindenberg, die unter dem so schwerwiegenden Motto „Apokalyptische Jahre“ noch im hohen Alter gewissermaßen innerlich zurückkehrte in längst vergangene, ihr vermutlich aber sehr präsente

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Kriegsjahre, in denen ihr Mann „ausgeschlossen“ war, sie selbst hingegen „viel sehen durfte“? Was davon hat sie in ihren bereits 1938 bis 1946 geschriebenen und Jahrzehnte später, im Zuge der Verfassung der „Apokalyptischen Jahre“ wieder gelesenen Tagebuchaufzeichnungen festgehalten, was im 1975 neu entstandenen Text – der weitgehend eine Kompila­ tion daraus darstellt? Welche Beziehung besteht zwischen diesen beiden unterschiedlichen Tagebuchfassungen sowie anderen Texten, die Therese Lindenberg im Laufe ihres Lebens geschrieben hat? Der Versuch, einige mögliche Antworten auf solche Fragen zu entwickeln, ist das Ziel der folgenden Ausführungen. Sie stellen die in diesem Band edierten Tagebücher von Therese Lindenberg über den Zeitraum vom März 1938 bis zum Juli 1946 in einen biographischen, historischen und genrebezogenen Kontext und erläutern sie anhand formaler und inhaltlicher Aspekte. Dabei war zu berücksichtigen, dass wir es mit zwei im Abstand von (weit) mehr als 30 Jahren entstandenen, nicht nur von ihrem Umfang her verschiedenen Tagebuchfassungen zu tun haben, die auch als unterschiedliche Erinnerungsformen gefasst werden können – was wohl die besondere Brisanz und Bedeutung dieser Edition ausmacht. Der Vergleich der beiden Textfassungen dokumentiert die Differenz von Möglichkeiten und Grenzen des Sagbaren in konkreten historischen Situationen: in der Zeit der NS-Herrschaft, als Therese Lindenberg, ihre nächsten Angehörigen sowie viele ihrer Verwandten, Freundinnen und Freunde von Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung bedroht waren einerseits, und in jener der 1970er Jahre andererseits, als das so schreckliche Ausmaß und Ende all dessen längst bekannt war. In Österreich hatte damals eine öffentliche Diskussion des Holocaust kaum eingesetzt und auch die (geschichts-)wissenschaftliche Aufarbeitung war erst in den Anfängen; dazu sollte es, ausgelöst durch die sogenannte Waldheim-Affäre, erst ab den späten 1980er Jahren kommen.4 Nicht von ungefähr schrieb Therese Lindenberg ihr im Original 39 Schreibmaschinenseiten umfassendes Typoskript „Die apokalyptischen Jahre“ daher noch primär für ihre 1965 aus der Emigration zurückgekehrte Tochter Mona Lisa (Lise Monika) und den Schwiegersohn Hans Steiner, denen sie im Frühjahr 1975 wohl davon erzählt hatte, dass sie in den letzten Wochen über die Zeit des Nationalsozialismus zwei kurze Texte mit reli-

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Vgl. dazu etwa Barbara Tóth u. Hubertus Czernin Hg., 1986. Das Jahr, das Österreich veränderte, Wien 2006; Gerhard Botz u. Gerald Sprengnagel Hg., Verdrängte Vergangenheit, ÖsterreichIdentität, Waldheim und die Historiker, Frankfurt a. M. 1994; Meinrad Ziegler u. Waltraud Kannonier-Finster, Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit, Wien/Köln/Weimar 19972; Heidemarie Uhl, Zwischen Versöhnung und Verstörung. Eine Kontroverse um Österreichs historische Identität fünfzig Jahre nach dem „Anschluß“, Wien/Köln/Weimar 1992, bes. 15–35.

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giös-historischem Inhalt5 bearbeitet habe und nun an einer „Genealogie“6 schreibe. „Ich soll noch schreiben von Verwandten! Krieg 1938–1945“ lautete daraufhin ihrem Tagebuch zufolge deren Aufforderung an sie.7 Die Hoffnung, dass das Manuskript „Die apokalyptischen Jahre“ später einmal veröffentlicht werde könnte, mag sie ebenfalls dazu motiviert haben. Denn Therese Lindenberg wäre zeit ihres Lebens gerne eine anerkannte Schriftstellerin gewesen und hat neben ihren vielen Tagebüchern und Briefen auch literarische Manuskripte hinterlassen, die manchmal stark auto/biographische Züge aufweisen.

Zur Biographie von Therese Lindenberg, geb. Trestl (1892–1980)8 Der Lebenslauf von Therese Lindenberg ließe sich, wie Biographien generell, aus vielen Perspektiven erzählen. Er stellt, so wir den zum Teil in mehreren Fassungen vorliegenden (Ego-)Dokumenten dazu folgen, ein selbst für die Historikerin mitunter nur schwer zu ordnendes Ineinander verschiedener Namen, Lebensphasen und -linien, Zäsuren, Selbstund Fremdbilder dar, da sich in der Zusammenschau dieser Quellen häufig Vielstimmig-

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SFN, IfG, NL 3/6a, Tagebuch XXXVII, Einträge vom 27. 1., 29. 1., 31. 1. und 1. 2. 1975. Dabei handelt es sich vermutlich um zwei in Abschrift auch in der Sammlung Frauennachlässe archivierte Texte, von denen eine erste Fassung schon viel früher entstanden war: Therese Lindenberg, Höre Israel. Geschrieben März 1934, als im Nachbarland der Antichrist … Religionsphilosophische Abhandlung, Typoskript, 5 Seiten, sowie das vermutlich im März 1945 entstandene Gedicht: dies., Jesus in Wien 1938–1945. Politisch-historisch-metaphorische Abhandlung in Versform, Typoskript, 4 Seiten; beides in SFN, IfG, NL 3/15. Der zweitgenannte Text ist veröffentlicht in: Ruth Steiner, Was ich dich noch fragen wollte ... Eine Christin auf der Suche nach ihrer jüdischen Identität, Wien 2006, 89–93. SFN, IfG, NL 3/6a, Tagebuch XXXVII, Einträge vom 14. und 21. 3. 1975. Bei dieser „Genealogie“ handelt es sich höchstwahrscheinlich um ein im Nachlass nur als Fragment überliefertes Typoskript ohne Titel, in dem Therese Lindenberg über ihre mütterliche (ca. sechs Seiten) und väterliche Linie (ca. zwei Seiten) schrieb; vgl. SFN, IfG, NL 3/7. Die darin gemachten biographischen Angaben sind zum Teil inkorrekt, was wohl auch mit dem hohen Alter der Autorin zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Textes zusammenhängt. SFN, IfG, NL 3/6a, Tagebuch XXXVII, Eintrag vom 1. 4. 1975. Viele der Informationen, die in diesem Teilkapitel zur Person von Therese Lindenberg gegeben werden können, verdanken sich der Aufarbeitung ihres in der Sammlung Frauennachlässe archivierten Nachlasses im Rahmen eines von mir geleiteten und von Li Gerhalter als Tutorin begleiteten Forschungsseminars am Institut für Geschichte der Universität Wien im Studienjahr 2004/05. Das Engagement der Studierenden – namentlich von Ingrid Brommer, Nicola Edelmann, Christine Karner, Sonja Kofler, Andrea Rabong, Bernhard Tuider, Eleonore Weber und Eva Weidinger-Vols – war außergewöhnlich groß und führte diese auch in verschiedene Wiener Archive. Die daraus resultierenden Seminararbeiten zu einzelnen Aspekten der Biographie von Therese Lindenberg liegen heute in der Sammlung Frauennachlässe zur Ansicht und Benützung auf.

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keiten und Widersprüche ergeben.9 Außerdem ist ihr Lebenslauf besonders eng mit der krisenhaften Geschichte des 20. Jahrhunderts verknüpft, was ebenfalls dazu führt, dass Fragen offen bleiben müssen – auch wenn Nachfahrinnen weitere Auskünfte geben können, es über das Leben von Therese Lindenberg administrative Spuren in diversen Archiven gibt und sie selbst immer wieder eigene biographische Angaben hinterlassen hat. Das geschah zuletzt in Form der schon erwähnten, im hohen Alter verfassten „Genealogie“, die eine Art bruchstückhafte Familienchronik darstellt, sowie verstreut in verschieden­ sten Selbstzeugnissen und anderen Texten aus ihrem umfangreichen (Familien-)Nachlass.10 Dennoch kristallisiert sich aus der Fülle und Gemengelage an auto/biographischem Material kein kohärentes Lebensnarrativ – wohl aber die Möglichkeit für Blickweisen auf Therese Lindenberg, die zwar den immer wiederkehrenden Leitthemen nachgehen, jedoch gleichzeitig Inkongruenzen und Ambivalenzen nicht auflösen und ebenfalls zum Konstituens ihrer Lebensgeschichte machen. Erst in der Überkreuzung verschiedener Perspektiven entsteht so das Bild einer Frau, deren Leben in mancherlei Hinsicht geradezu paradigmatisch scheint für die (begrenzten und immer wieder aufs Neue eingeschränkten) Chancen und Handlungsräume von Frauen ihrer Zeit. Das gilt etwa für eine mir besonders wichtig scheinende Perspektive auf die Biographie von Therese Lindenberg, die von Aufstieg und Erfolg, ihrem starken Bildungsdrang erzählt. Sie kontrastiert die geradezu prekär anmutenden Verhältnisse, in die diese Frau am Ende des 19. Jahrhunderts hineingeboren wurde, mit einer schon früh erlangten bemerkenswerten (Aus-)Bildung, die ihr, wie es scheint, keinesfalls schon „in die Wiege gelegt“ war. Denn Therese beziehungsweise Theresia, wie sie amtlich hieß,11 wurde unter 19 Im Forschungsseminar „Leben texten? Der Nachlass von Therese Lindenberg (1892–1980)“, wie Anm. 8, wurde folglich versucht, unterschiedliche Biographisierungen entlang ausgewählter thematischer Felder zu entwickeln. Aus der Perspektive einer Enkelin geschrieben bzw. als innerer Dialog mit der Großmutter gestaltet ist das Buch von Ruth Steiner, Was ich dich noch fragen wollte …, wie Anm. 5. 10 Neben ihren heute in der Sammlung Frauennachlässe im Original überlieferten Tagebüchern und tagebuchähnlichen Aufzeichnungen (vgl. Anm. 1), zu denen auch ein retrospektiv verfasstes Erinnerungstagebuch sowie mehrere Reisetagebücher gehören, enthält dieser Nachlass zahlreiche Korrespondenzen und Dokumente sowie mehrere auto/biographische und literarische Manuskripte, die teilweise ­in verschiedenen Fassungen vorliegen. Das gilt etwa für das nach dem Tod des Ehemannes Ignaz Lindenberg (1952) entstandene autobiographische Typoskript „Stärker als der Tod, ist die Liebe. Nicht getrennt – neu verbunden. (Ein Denkmal)“ oder den auch ihre eigene Kindheit thematisierenden Romanentwurf „Sehnsüchtiges Weib“; vgl. SFN, IfG, NL 3/14. Zu erwähnen ist außerdem ein von A. Carolo (als Pseud. für den Wiener Lehrer Karl Haudek) verfasstes Porträt: Therese Lindenberg. Schattenriss einer Künstlerin. Wien 1930, in: SFN, IFG, NL 3/7, das weitere Angaben für die Zeit bis 1930 enthält. Manche Teile des Lindenberg-Nachlasses liegen im Original in anderen Archiven, v. a. dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) und dem Familienarchiv ihrer Enkelin Ruth Steiner. 11 Da sie selbst sich Therese nannte und auch von Angehörigen und Freunden so bezeichnet worden sein dürfte, folge ich dieser Namenspraxis.

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Abb. 3: Rosalia Trestl (später verh. Lang) mit ihrer Tochter Therese, 1892

dem Familiennamen Trestl am 4. März 1892 in Wien als lediges Kind in der sogenannten „Gratisklasse“ der „Niederösterreichischen Landes-Gebär- und Findelanstalt“ geboren. Das Protokoll dieser Institution, die einst gegründet wurde, um dem noch Ende des 18. Jahrhunderts grassierenden Kindsmord und der hohen Säuglingssterblichkeit in den sozialen Unterschichten vorzubeugen,12 verzeichnet ihre damals 21-jährige Mutter Rosalia Trestl als mittellose „Magd“.13 Daher kann vermutet werden, dass diese, wie viele 12 Das Wissen über diese gesellschaftlich besonders geächtete Form der ledigen Geburt wird in ihrem Nachlass an keiner Stelle explizit erwähnt, auch ihren Nachkommen war sie nicht bekannt. Sie wird von Therese Lindenberg indirekt im Romanentwurf „Sehnsüchtiges Weib“, wie Anm. 10, der demnach stark auto/biographische Züge trägt, verarbeitet. Meine Kenntnis davon verdankt sich der minutiösen Recherche von Ingrid Brommer und Christine Karner im Rahmen des Forschungsseminars „Leben texten? Der Nachlass von Therese Lindenberg (1892–1980)“, wie Anm. 8. Zum Wiener Findelhaus vgl. Verena Pawlowsky, Mutter ledig – Vater Staat. Das Gebär- und Findelhaus in Wien 1784–1910, Innsbruck/Wien 2001. Allein im Jahr 1892 wurden weitere 8.972 Kinder dort geboren; vgl. ebd., 291. 13 Wiener Stadt- und Landesarchiv (WrStLA), Findelhausprotokoll 1892, Nr. 1541.

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andere Frauen in ihrer Lage auch, nach der Überstellung von der Klinik ins angeschlossene Findelhaus dort als Gegenleistung für die unentgeltliche Geburt Ammendienste leisten musste, bevor sie wieder entlassen wurde. Ihre kleine Tochter Theresia hingegen kam als zwei Monate alter Säugling zunächst zu einer „Pflegepartei“ in Kost; in ihrem Fall war das die Witwe Anna Mrozek in der Wiener Hütteldorferstraße. Nach 33 Tagen wurde dieser Frau jedoch die Pflegschaft wieder entzogen, zugunsten der Großmutter des Mädchens, einer Wagnermeistersgattin in Groß-Riedenthal bei Kirchberg am Wagram in Nieder­ österreich.14 Ab nun wuchs Therese Trestl in relativ gut situierten Familienverhältnissen auf. Sie blieb zunächst, bis sie sechs Jahre alt war, im Kreis mehrerer jüngerer Geschwister der Mutter bei den amtlich als Wagner und Hausbesitzer ausgewiesenen Großeltern auf dem Land;15 den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend bezogen diese dafür noch Pflegegeld vom Findelhaus. Als die Mutter Rosalia Trestl, die nun gelernte „Kleidermacherin“ war,16 am 11. April 1898 den aus Hodság in Ungarn (heute: Odžaci/Serbien) stammenden Angestellten Mathias Lang heiratete,17 kam Therese jedoch nach Wien, wo die Familie in der Novaragasse im zweiten Gemeindebezirk wohnte. Sie bekam in den folgenden Jahren zwei Halbgeschwister, Emma (1899) und Mathias (1902),18 besuchte die Volks- und Bürgerschule und war danach als „Comptoiristin“ in einem Büro tätig.19 Zusätzlich erhielt 14 Es handelt sich dabei um Anna Trestl; vgl. WrStLA, Findelhausprotokoll 1892, Nr. 1541. 15 Vgl. Pfarre Rossau, Trauungsbuch Tomus (im Folgenden Tom.) 1898, Folio (im Folgenden Fol.) 99, Reihezahl (im Folgenden Rz.) 51 (Mathias Lang – Rosa Trestl). Die Großeltern mütterlicherseits hatten insgesamt 9 Kinder, die Mutter Rosalia Trestl war die Drittgeborene. 16 Vgl. Pfarre Rossau, Trauungsbuch Tom. 1898, Fol. 99, Rz. 51 (Mathias Lang – Rosa Trestl). Auch Therese Lindenberg schrieb in ihrer „Genealogie“, wie Anm. 6, dass ihre Mutter Rosalia Trestl – nachdem sie gleich nach dem Schulaustritt zunächst zur verwandten Familie Lehnhofer in der Wiener Nussdorferstraße gekommen war, um dort „feine Manieren“ zu lernen – mit erspartem Geld und Unterstützung von daheim als „Zahlende“ in einem „Salon Schuck“ die Schneiderei erlernte und später auch die Meisterprüfung ablegte. Das geschah vermutlich erst nach der Geburt der ledigen Tochter Theresia, für deren Abgabe im Findelhaus u. a. ein Armenattest notwendig war. Die dort erfolgte Taxierung von Rosalia Trestl als „Magd“ könnte durchaus bedeuten, dass diese in jener Zeit schlecht verdiente bzw. irgendwo im Dienst stand. Näheres dazu ist unbekannt. 17 Im Trauungsbuch der Pfarre Rossau, Tom. 1898, Fol. 99, Rz. 51, ist Mathias Lang, der Sohn eines Gerbermeisters, als „Privatbeamter“ ausgewiesen. 18 Pfarre St. Leopold, Taufbuch Tom. 1899, Fol. 68, Rz. 50 (Emma Amalia Rosa Lang); Pfarre St. Nepomuk, Taufbuch Tom. 1902, Fol. 78, Rz. 231 (Mathias Lang). 19 Belegt ist eine solche Tätigkeit vom Sommer 1910 bis ins Frühjahr 1912 beim Repräsentanten inund ausländischer Textilfabriken Heinrich Friedmann in der Augartenstraße 5 im 2. Wiener Gemeindebezirk; vgl. Arbeitsbestätigung von Herrn Friedmann, ausgestellt am 1. Mai 1912, in: SFN, IfG, NL 3/12: „Liebes Fräulein! Ihrem dringenden Wunsche zufolge, verlassen Sie mit heutigem Tage nach fast 2 Jahren meine Firma, damit Sie sich ganz Ihrem Studium widmen können.“ Dass sie mit dieser (vielleicht nur teilzeitigen) Tätigkeit keinesfalls gut verdient hat, dokumentiert ein in ein Tagebuch (SFN, IfG, NL 3/2, Tagebuch VIII, 1. 5. 1912 bis 4. 8. 1913) eingelegtes „Armuts-

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Abb. 4: Therese Trestl (später verh. Lindenberg), 1907

sie, da ihr musikalisches Talent schon früh erkannt worden war und sich offenbar besonders die Mutter eine solche Karriere der Tochter erhoffte, eine Ausbildung zur Konzertsängerin, unter anderem bei Hermine [Minna] Singer-Burian, der späteren Leiterin der Staatsakademie für Musik. Schon als 17-Jährige trat Therese Trestl erstmals öffentlich auf; in der Folge sang sie – solo oder im Verein mit anderen – etwa in der Wiener Urania und im Volksbildungsverein, im Musikverein und im Konzerthaus sowie im Rahmen von AltZeugnis“ aus jener Zeit, das vom Magistrat Wien, Abteilung XI. am 26. Juni 1911 bestätigt wurde; damit hat Therese Trestl vermutlich um Freifahrt angesucht. Sie soll in dieser Zeit als „Comptoiristin“ 40 Kronen pro Monat verdient haben, und war folglich als „arm zu betrachten“. Auch bei einer Firma Hofmann soll Therese, gegen weit geringere Bezahlung, nach ihrem Schulaustritt gearbeitet haben; vgl. dazu die Auflistung von Einnahmen aus 1898–1909, in: SFN, IfG, NL 3/5, Tagebuch XVIII, 25. 4. 1953 bis 25.12. 1955.

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Wiener-Liederabenden, in Kirchenchören etc.20; sie hatte wiederkehrende Engagements, spielte auch Klavier und gab schon früh selbst Gesangstunden.21 Daneben besuchte sie häufig verschiedenste Vorträge und bildete sich autodidaktisch weiter, zum Beispiel an der Wiener Urania oder als außerordentliche Hörerin an der Universität Wien, wo sie insbesondere Vorlesungen des Pädagogen und Philosophen Wilhelm Jerusalem mitverfolgt haben soll.22 Bereits ihre frühen Tagebücher belegen eine intensive Beschäftigung mit Literatur und Fragen der Philosophie, begleitet von ersten dichterischen Versuchen schon in der Jugend, die später intensiviert wurden.23 Vor allem in der Zwischenkriegszeit, aber auch in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden eine Reihe unveröffentlicht gebliebener Roman- und Dramenmanuskripte, die Therese Lindenberg (im Einzelfall mit bezahlter Unterstützung anderer) mehrfach bearbeitete und immer wieder an verschiedene Verlage und sogar Filmgesellschaften einsandte – wenn 20 Vor allem in der Zwischenkriegszeit dürfte sie als Sängerin einem breiteren Publikum bekannt gewesen sein; vgl. dazu das 1930 in Wien gedruckte, geradezu verklärend anmutende Porträt „Therese Lindenberg. Schattenriss eines Künstlerlebens“, von A. Carolo (Pseud.), wie Anm. 10, und die im Nachlass (SFN, IfG, NL 3/8) enthaltenen Korrespondenzen, Programme und Zeitungsausschnitte sowie ein umfassendes Verzeichnis ihrer Soloauftritte: Verzeichnis, 18. 12. 1909 bis 23. 8. 1964: Konzerte. Mitwirkung (solo). Therese Lindenberg sang Arien ebenso wie Beethoven- oder Volksund Kirchenlieder; sie erhielt dafür häufig, aber keinesfalls immer ein Honorar und trat, abgesehen von den oben genannten Orten, oft auch in verschiedenen Genossenschafts-, Arbeiter- und Versorgungsheimen, Gast- und Kaffeehäusern, Kasernen, Schulen, Kirchen und Kinos auf. Als Ort ihres ersten und zweiten Auftritts 1909 und 1910 wird der Neue Wiener Frauenklub angegeben, als besonderer Auftritt die Teilnahme an einer (Probe-)Radiosendung für die 1924 gegründete RAWAG. 21 Vgl. dazu die Auflistung von Einnahmen aus 1898–1909, in: SFN, IfG, NL 3/5, Tagebuch XVIII, 25. 4. 1953 bis 25. 12. 1955. 22 Vgl. Carolo, Therese Lindenberg, 3. Laut ihren damaligen Tagebüchern besuchte Therese Lindenberg auch häufig die Wiener Universitätsbibliothek. Wilhelm Jerusalem (1854–1923) lehrte seit 1891 als Privatdozent an der Universität Wien, nach dem Ersten Weltkrieg wurde er zum außerordentlichen Professor und 1923 zum ordentlichen Professor ernannt. Er setzte sich u. a. für die Einführung der Soziologie an den Universitäten ein und gründete 1907 zusammen mit Rosa Mayreder, Max Adler, Ludo Hartmann, Karl Renner, Josef Redlich und anderen namhaften Liberalen und Sozialdemokraten die „Soziologische Gesellschaft“. Außerdem vertrat Jerusalem ein reformpädagogisches Programm und stand als Philosoph dem Pragmatismus nahe. 23 Ausgelöst wurde das Bedürfnis zu schreiben vermutlich durch ihre Freundin Rosl Szilagyi (verh. Ratislav), die 1910 und 1911 im engen Kontakt mit Therese Trestl zwei Romanmanuskripte erstellte und 1912 den Erzählband „Donauwellen“ veröffentlichte. Als frühestes Manuskript der Zweitgenannten kann ein Romanentwurf aus 1913 gelten, mit dem Titel „Geschwisterroman“, dessen Urfassung allerdings nicht erhalten ist; vgl. aber als Nachbearbeitungen: „Entwürfe einer Erzählung“ (Handschrift – im Folgenden HS), datiert 28. 9. 1943, in: SFN, IfG, NL 3/14, sowie „Geschwister Tragödie“ (Maschinschrift – im Folgenden MS), 31 Seiten, in: SFN, IfG, NL 3/15. Literarische Versuche jener frühen Zeit finden sich vor allem in Therese Lindenbergs Tagebücher integriert; vgl. zu ihren Jugendtagebüchern Ulrike Moser, Herzensbildung, Ausbildung, Moral und Sexualität in den Tagebüchern junger bürgerlicher Frauen um 1900, Wien (Univ. Diss.) 2006.

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auch vergeblich.24 Hingegen veröffentlichten einige Zeitschriften, darunter insbesondere „Die Unzufriedene“25 sowie „Bettauers Wochenschrift“26, zwischen 1924 und 1933 kürzere Texte von ihr;27 diese können als Beleg dafür gelten, dass Therese Lindenberg, die in den 1920er Jahren auch in der Sozialdemokratie engagiert war,28 damals in vielerlei Hinsicht frauenpolitische und gesellschaftskritische Positionen einnahm – etwa in der Kontroverse um den Abtreibungsparagraphen 144 oder in ihrem schriftlichen Eintreten für die Rechte der Arbeiterfrauen und das sozialistische Konzept der „Kameradschaftsehe“.29 Überhaupt

24 Die in ihrem Nachlass vorhandene Verlagskorrespondenz ist mit 68 Schreiben relativ umfangreich; vgl. SFN, IfG, NL 3/8. Literarische Manuskripte sowie ein von ihrer Tochter Mona Lisa Steiner angefertigtes Schriftenverzeichnis außerdem ebd., 3/14, 3/15, 3/16. 25 „Die Unzufriedene. Eine unabhängige Wochenschrift für alle Frauen“ war das von 1923 bis 1934 erscheinende Wochenblatt der Sozialdemokratinnen, worin ein durchaus ambivalentes, stark „verbürgerlichtes“ Frauenbild propagiert wurde. Die Zeitschrift erreichte eine Auflagenstärke von mehr als 100.000 Exemplaren. Vgl. dazu zuletzt Renate Billeth, Die Ambivalenz im Frauenbild in der sozialdemokratischen Frauenzeitschrift „Die Unzufriedene“, Wien (Univ. Dipl. Arb.) 2003, 1–10. 26 „Bettauers Wochenschrift“ erschien, als zweite Zeitschrift ihres Gründers, zwischen dem 15. Mai 1925 und dem 26. August 1927. Der Schriftsteller und Journalist Hugo Bettauer (1872–1925) war ein besonders heftig umstrittener Kämpfer gegen den Antisemitismus und die bürgerliche Sexualmoral; er trat in seinen Leitartikeln etwa für das Recht auf Abtreibung und gleichgeschlechtliche Beziehungen ein. Am 26. März 1925 erlag Bettauer dem Schussattentat durch den Nationalsozialisten Otto Rothstock. 27 Für diesen Zeitraum konnten bislang außerdem wenige andere Veröffentlichungen Therese Lindenbergs in den sozialdemokratisch ausgerichteten Zeitschriften „Der Abend“ und „Die Stunde“ sowie in „Die Woche“ (erschienen in Hodság) und „Deutsche Zeitung“ (erschienen in Sambor) nachgewiesen werden. Carolo, Therese Lindenberg, 3, nennt im Rückblick von 1930 außerdem explizit die Wochen- und Monatszeitschriften „Neue Jugend“, „Bühne“ und „Bergland“; zudem habe Therese Lindenberg mittlerweile auch in Tageszeitungen veröffentlicht und sei seit 1929 Mitarbeiterin des „Berliner Tagblattes“ – was zu überprüfen wäre. 28 Auf ihr Engagement in der Sozialdemokratie, als Schriftführerin in der 12. Sektion der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei im 12. Wiener Gemeindebezirk sowie als Fürsorge- bzw. Armenrätin, deuten neben vereinzelten Korrespondenzen im Nachlass (vgl. SFN, IfG, NL 3/8, 3/12) auch Einträge in ihren Tagebüchern. Therese Lindenberg hatte nachweislich von Jänner 1919 bis März 1925 sogar persönlichen Kontakt zum von ihr sehr bewunderten Parteisekretär Friedrich Adler, einer Leitfigur der damaligen Sozialdemokratie. Sie bot ihm mehrfach ihre Mitarbeit an und schrieb ihm Briefe, die zum Teil überliefert sind; vgl. Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung (VGA), AdlerArchiv, Mappen, M 198/T1, M 200/T1, M 201/T1, M 202/T1. Ein anderer Teil der an Friedrich Adler adressierten Briefe wurde offenbar im Tagebuch von Therese Lindenberg zwar entworfen, aber nie abgeschickt; ihr Tenor ist besonders verehrend. 29 Vgl. dazu etwa Therese Lindenberg, Frauenleid im Gebirge, in: Die Unzufriedene, 5, 53 , 31. 12. 1927, 4; dies., Die Proletariermutter, Leitartikel in: Die Unzufriedene, 6, 36, 8. 9. 1928, 1f., sowie zur Forderung nach einer „Kameradschaftsehe“ zwischen einem sozialistischen Ehemann und seiner Ehefrau: dies., Die Ehemänner und die „Unzufriedene“, in: Die Unzufriedene, 7, 27, 6. 7. 1929, 3f.; dies., Aus dem Alltag einer Arbeiterhausfrau, in: Die Unzufriedene, 10, 19, 7. 5. 1933, 7.

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war ihr nicht nur die Erziehung der „Proletarierin“ zu Klassen- und Selbstbewusstsein,30 sondern generell das Anschreiben gegen die vielfach triste Situation von Frauen aus den sozialen Unterschichten wichtig, auch um so – in der Fiktionalität als Fluchtpunkt – das „Stigma“ ihrer ledigen Geburt im Wiener Findelhaus zu verarbeiten.31 Die näheren Umstände ihrer Geburt, von der wenn überhaupt, außer ihrer Mutter nur wenige ihr nahestehende Menschen gewusst haben dürften, stand als (impliziter) Brennpunkt der (literarisierten) Selbst- und Fremdthematisierungen dieser Frau nicht allein. Eine weitere Determinante ihres auto/biographischen Schreibens stellt Therese Lindenbergs Verbindung zum Judentum dar, die ebenfalls bereits mit der Geburt begann. Denn ihr in kein amtliches Dokument eingetragener lediger Vater namens Ferdinand Spiegel war Jude; das dürfte ihrer katholischen Mutter Rosalia Trestl, die ihn im Jahr 1891 als 19-Jährige kennengelernt hatte, entgegen der späteren Beteuerung der Tochter auch zu schaffen gemacht haben – obwohl Spiegel, dessen Familie aus Lemberg in Galizien stammte und gegen Ende der 1880er Jahre nach Wien gekommen war, in der Darstellung von Therese Lindenberg deren „große Liebe“ war.32 Heiraten konnten die beiden dennoch nicht, angeblich weil insbesondere die Eltern von Ferdinand Spiegel, als „gläubige Juden“, „alle Einwände“ gegen eine solche Ehe hatten und Rosalia Trestl sich nicht bereit erklärte, wie von ihnen verlangt zum Judentum überzutreten.33 Ferdinand Spiegel dürfte aber immer wieder Alimente für seine ledige Tochter bezahlt und diese ab etwa 1903/04 auch sporadisch getroffen haben – was deren Tagebücher sowie die im Nachlass erhalten gebliebenen Korrespondenzen mit Ferdinand Spiegel und seiner Frau Karolina [Lina, geb. Brandeis] dokumentieren.34 Die von Therese Lindenberg im hohen Alter verschriftlichte Darstellung ihres leiblichen Vaters als sehr wohlhabender, beruflich erfolgreicher Mann, der zunächst als „Secretaer“ von Emil Jellinek-Mercedes im Versicherungs- und Automobilgeschäft tätig 30 Vgl. dazu etwa Therese Lindenberg, Die Kleidermode der Arbeiterin, in: Die Unzufriedene, 6, 34, 25. 8. 1928, 7; dies., Das schöne Heim, in: Die Unzufriedene, 7, 22, 1. 6. 1929, 7. 31 Dies geschah insbesondere in Form des in mehreren Fassungen erarbeiteten Romanmanuskripts „Sehnsüchtiges Weib“ bzw. „Die uneheliche Tochter“, an dem Therese Lindenberg ab 1929, nach dem Tod ihres leiblichen Vaters, arbeitete und das sie mehreren Verlagen zur Veröffentlichung anbot. Es erzählt die Geschichte eines Dienstmädchens namens Rosa, das ihre uneheliche Tochter im Wiener Findelhaus zur Welt bringt; vgl. dazu die Manuskripte in SFN, IfG, NL 3/14. 32 Vgl. die „Genealogie“ Lindenbergs in SFN, IfG, NL 3/7, 7f. Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Antisemitismus in Wien stärker spürbar; vgl. dazu etwa Marsha L. Rozenblit, Die Juden Wiens, 1867–1914: Assimilation und Identität, Wien 1988; Gerhard Botz, Ivar Oxaal, Michael Pollak, Nina Scholz Hg., Eine zerstörte Kultur. Jüdisches Leben und Antisemitismus in Wien seit dem 19. Jahrhundert, Wien 20022. 33 Vgl. die „Genealogie“ Lindenbergs in SFN, IfG, NL 3/7, 8. „Genügt“ hätte nach den rechtlichen Bestimmungen jener Zeit ihr Austritt aus der katholischen Kirche. Später, nach dem Tod seiner Eltern, heiratete Ferdinand Spiegel doch eine nichtjüdische Frau namens Karolina Brandeis; die Ehe blieb kinderlos. 34 SFN, IfG, NL 3/2, 3/3 (Tagebücher aus 1911 bis 1929), NL 3/10 (13 Schreiben aus 1906 bis 1928).

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war und dann als Hausbesitzer und „Privatier“ mit eigener Villa in Wien-Döbling lebte,35 scheint jedoch wenig realistisch – vor allem nicht für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, dessen Folgen den Kriegsteilnehmer Ferdinand Spiegel gesundheitlich wie wirtschaftlich ruiniert haben dürften. Als er im Mai 1928 verstarb, war das Haus längst wieder verkauft und sein restliches Vermögen, so noch vorhanden, jedenfalls so gering, dass in der Verlassenschaftsabhandlung „keine Gegenstände, die eine besondere Anzeige erforderten“, ausgemacht wurden.36 Zu ihrer großen Enttäuschung erbte auch Therese Lindenberg nichts; offenbar hatte sie sich diesbezüglich Hoffnungen gemacht, ungeachtet der Tatsache, dass illegitime Kinder nach dem Vater nicht erbberechtigt waren.37 Zu jener Zeit war sie längst selbst mit einem dem assimilierten jüdischen Bürgertum zugehörigen Mann verheiratet. Kennengelernt hatte sie den um 17 Jahre älteren Ignaz Lindenberg, geboren 1875 in Wien,38 im September 1913, als dessen erste, damals bereits schwer tuberkulosekranke Frau Linda (geb. Löw, 1879)39 noch lebte. Zunächst gegen den Willen ihrer Mutter und ihres Stiefvaters, traf sie sich bald öfter mit ihm und pflegte schließlich sogar seine Ehefrau bis zu deren Tod im Februar 1914. Nicht ganz ein Jahr später, am 9. Januar 1915, gingen Therese Trestl und Ignaz Lindenberg – trotz mancher religiös oder auch antisemitisch motivierter Vorbehalte im Verwandten- und Freundeskreis40 – vor dem Wiener Magistrat eine sogenannte Notzivilehe ein.41 Um den dafür notwendi35 Vgl. „Genealogie“ Lindenbergs in: SFN, IfG, NL 3/7, 7. Das Haus in der Blaastraße kaufte Spiegel 1906, dort lebte ab 1907 auch sein Bruder Moritz Spiegel, seines Zeichens kaiserlicher Rat und 1901 als Sekretär der „Kaiser Franz Josph-Jubiläumsstiftung für Volkswohnungen und Wohlfahrtseinrichtungen“ sowie Prokurist der Firma „Gemeinnützige Aktiengesellschaft f. Kleinwohnungsbau“ ausgewiesen; vgl. WrStLA, Meldearchiv, Meldezettel des Ferdinand Spiegel vom 24. 12. 1906; Lehmann’s Personen- und Adressverzeichnis, Wien 1901. 36 Vgl. WrStLA, Verlassenschaftsabhandlung Ferdinand Spiegel, Bezirksgericht (BG) Döbling, 1 A 521/28. 37 Diese Diskriminierung lediger Kinder wurde in Österreich erst durch die große Familienrechtsreform der 1970er Jahre beseitigt. 38 Sein Vater Hermann Lindenberg, geb. 1848, stammte aus Triesch-Mähren, seine Mutter Franziska, geb. Probstein, 1853, aus Wien. Ignaz Lindenberg hatte drei Geschwister: Robert, geb. 1877 in Wien, Elsa, geb. 1880 in Wien, und Otto, geb. 1882 in Wien; vgl. WrStLA, Israelitische Kultusgemeinde Wien (im Folgenden zitiert als IKG Wien), Matrikenabteilung, Geburtenbuch 1875, Nr. 1058 am 14. 3. 1875, Geburtenbuch 1877, Nr. 6266 am 30. 8. 1877, Geburtenbuch 1880, Nr. 7067 am 2. 12. 1880, Geburtenbuch 1882, Nr. 4302 am 24. 7. 1882. 39 Vgl. WrStLA, IKG Wien, Matrikenabteilung, Trauungsbuch 1901, Nr. 83/II am 27. 5. 1901. 40 Zu Konflikten führte etwa die Frage, ob Therese Trestl eine Zivil- oder Konvertitenehe eingehen sollte; mit Letzterem wäre vor allem die Mutter von Ignaz Lindenberg günstig zu stimmen gewesen, hingegen rebellierte dagegen ihre eigene Familie und Verwandtschaft. Dazu sowie zu antisemitisch motivierter Ablehnung ihrer Eheschließung vgl. v. a. ihr Tagebuch IX (Einträge vom 2. 9. 1913 bis 15.4.1915, 1952 retrospektiv geschrieben), in: SFN, IfG, NL 3/2; sowie zum Antisemitismus im damaligen Wien etwa Botz u. a., Eine zerstörte Kultur; Rozenblit, Die Juden Wiens. 41 Pfarre Baumgarten, Trauungsbuch Bd. XIV, Fol. 73 (Ignaz – Therese Lindenberg), sowie die Ko-

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gen Erfordernissen zu entsprechen, war Therese aus der katholischen Kirche ausgetreten und konfessionslos geworden42 – was sie, wie ihre während dem nationalsozialistischen Regime entstandenen Tagebücher nahelegen, erst viele Jahre später bereuen sollte. Vorerst wurde, dem Wunsch des Vaters Ignaz Lindenberg folgend, auch die am 30. Oktober 1915 geborene Tochter Lise [Lise Monika, Mona Lisa] bei der Jüdischen Kultusgemeinde eingeschrieben43 und konfessionell erzogen, wenn auch keinesfalls in einem orthodoxen Sinn.44 Es folgte eine Zeit des familiären Glücks und relativen Wohlstands, ungeachtet der ersten Ehejahre im Weltkrieg, dem gegenüber Therese Lindenberg eine ebenso ablehnende bis pazifistische Haltung einnahm wie ihr sozialdemokratisch organisierter Mann. Dieser war, als Absolvent einer Handelsakademie gut ausgebildet, zunächst als Kassier, dann als Beamter und Prokurist bei der österreichischen Credit-Anstalt tätig und von daher finanziell recht gut gestellt, wenigstens bis zu seiner frühen Pensionierung im Jahr 1925.45 Die Familie konnte winters wie sommers regelmäßig auch längere Reisen unternehmen46 und zeitweise sogar eine Haushaltshilfe bezahlen; sie lebte zuerst in der Rosenhügelstraße im 12. Bezirk und dann, von 1933 bis zum Oktober 1939, als ihre ökonomische Situation jedoch schon schlechter war, in einer Wohnung mit Garten in der Sandrockgasse im damaligen 13. Bezirk.47

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pie der Heiratsurkunde in SFN, IfG, NL 3/17. Eine solche „Notzivilehe“ war, aufgrund des im § 64 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) von 1811 allgemein festgeschriebenen „Ehehindernis[ses] wegen Religionsverschiedenheit“, in Österreich damals die einzige Möglichkeit zur Eheschließung zwischen einem christlichen und nichtchristlichen Partner; die genaue Regelung dafür ging auf die „Maigesetze“ vom 25. Mai 1868 zurück; vgl. Ulrike Harmat, Ehe auf Widerruf? Der Konflikt um das Eherecht in Österreich 1918–1938, Frankfurt a. M. 1999, 12. Laut Philomena Leiter, Assimilation, Antisemitismus und NS-Verfolgung. Austritte aus der jüdischen Gemeinde in Wien 1900–1944, 2 Bde., Wien (Univ. Diss.) 2003, 46, lag das Verhältnis zwischen rein jüdischen Ehen und „Mischehen“ zwischen einem jüdischen und einem konfessionslosen Partner im Zeitraum von 1911 bis 1914 bei 5 zu 1. In absoluten Zahlen bedeutete dies 1.015 rein jüdische Ehen und 204 zwischen Juden und Konfessionslosen geschlossene Ehen. WrStLA, IKG Wien, Matrikenabteilung, Geburts-Buch 1915, Rz. 2523. Hier ist nur der Vorname Lise eingetragen. Bei der katholischen Taufe im Jahr 1938 wurde dieser Vorname auf den Taufnamen Lise Monika erweitert; so heißt sie auch im in dieser Zeit ausgestellten Pass; vgl. die Kopie desselben in SFN, IfG, NL 3/17. Mona Lisa wiederum ist der nach der Emigration auf die Philippinen verwendete Vorname. Vgl. dazu im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) die auto/biographischen Aufzeichnungen von Lise Monika Lindenberg, unnummeriert, undatiert, Akt Nr. 51.242/C1. Vgl. WrStLA, IKG Wien, Matrikenabteilung, Trauungsbuch 1901, Nr. 83/II am 27. 5. 1901; Lehmann´s Personen- und Adressverzeichnis, Wien 1930. Sie werden in den laufenden Tagebüchern immer wieder thematisiert, aber auch in eigenen Reisetagebüchern abgehandelt; vgl. SFN, IfG, NL 3/6b; dazu auch Eva Weidinger-Vols, „Bin ganz eingesponnen in die ägyptische Reise.“ Die Reisen Marianne Mayerhofers und Therese Lindenbergs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die Geschichte zweier Ägypten-Reisetagebücher, Wien (Univ. Dipl. Arbeit) 2007. Heute ist das die Sambeckgasse im 14. Wiener Gemeindebezirk.

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Abb. 5: Therese Lindenberg, 1920er Jahre

Abb. 6: Ignaz Lindenberg, 1920er Jahre

Die Tagebücher Therese Lindenbergs aus der Zwischenkriegszeit, als die einzige Tochter heranwuchs und schließlich an der Universität Wien Botanik studierte, beinhalten vor diesem Hintergrund wiederum stark fluktuierende und disparate Selbstentwürfe und Positionierungen. Das Bild der liebenden und fürsorglichen, sich aufopfernden Ehefrau und Mutter konkurriert hier mit der Thematisierung von Ehekrisen und ihrem Freiheitssehnen, dem Drang nach anderen, egalitäreren und leidenschaftlicheren Geschlechter- und Liebesbeziehungen; das Bild der gebildeten und wissensdurstigen, künstlerisch wie politisch aktiven Frau, die äußerst kontaktfreudig war und oft in Konzerte oder ins Theater ging, mit jenem der (Sprache wie Erfolg) Suchenden, an sich Zweifelnden, nie Ankommenden. Therese Lindenbergs nach außen gelebte Anpassung an gesellschaftliche Wert- und Ordnungsvorstellungen wird so nachhaltig konterkariert – selbst wenn sie das „Geheimnis“ ihrer ledigen Geburt weiterhin hütete beziehungsweise nur literarisch bearbeitete. Sie hatte außerdem, ungeachtet der vielen Ausflüge, Reisen und Ferienaufenthalte mit der Familie, mit Verwandten, Freundinnen und Freunden, immer wieder akute Geldsorgen in Bezug auf ihre persönlichen Ausgaben, die sie mitunter geradezu verzweifelt ihrem Tagebuch, nicht aber ihrem Mann Ignaz Lindenberg anvertraute. Das scheint sich in den frühen 1930er Jahren, als ihre Musikkarriere fast zum Erliegen gekommen war48 48 Vgl. dazu das von ihr selbst retrospektiv verfasste Verzeichnis ihrer Soloauftritte, in: SFN, IfG, NL 3/8. Darin sind für die Zeit von Jänner 1930 bis Weihnachten 1937 48 Auftritte verzeichnet; der

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und Hoffnungen auf eine Veröffentlichung literarischer Texte sich mehrfach zerschlugen, noch gesteigert zu haben und stellt in dieser Zeit eine immer wiederkehrende Konfliktlinie des insgesamt seltener und knapper gewordenen diaristischen Schreibens von Therese Lindenberg dar.49 Ausschweifend lesen sich nun, neben vielen telegrammartig gehaltenen Passagen, nur mehr die langen romantisierend beschriebenen Natur-, Ausflugs- oder Wandererlebnisse, die auch mit Glücklichsein assoziiert wurden, sowie ihre Liebe zur Tochter, dem immer wieder adressierten „Kind“. Daneben macht sich im Vergleich zu den älteren Tagebüchern verstärkte Religiosität und damit verbunden eine beginnende Auseinandersetzung mit Religion bemerkbar, und eine Haltung des Duldens und Ausharrens, der intensivierten Erinnerung an frühere, bessere Zeiten; dazu trug im Januar 1935 offenbar zusätzlich ein besonders belastendes Ereignis bei, das im Zusammenhang mit der damaligen Liebesbeziehung der Tochter gestanden haben dürfte, im Tagebuch jedoch nicht entschlüsselt wird.50 Einige Zitate mögen die Krisenhaftigkeit dieser Lebensphase in den 1930er Jahren veranschaulichen:51 „Ich bin sehr fromm geworden. Ich bete, ich gehe zur Kirche. Ich flehe, wenn ich Sorgen habe.“ (5. März 1933) „Ich sage nichts mehr von Geld, denn es ist fast aussichtslos aus meinen Sorgen herauszukommen. Da müßte ich mein Leben, meine Ehe ändern und das kann ich nicht. Die ist stärker als alles – vorläufig – Ich ergebe mich nun – endlich, ganz. Ich vergrabe alle Träume vom Schönheitserleben, von Macht, von Ruhm.“ (4. Mai 1934) „… ich denke mit Wehmut an die Menschen, die mich geliebt haben, ich denke mit schmerzlicher Sehnsucht an meine dichterischen und künstlerischen Erfolge, die ich nicht in dem Maße erreichte, als ich dies einstens glaubte – ich lebe also in Summa: schmerzvoll und immer immer in wehmütiger Sehnsucht. Das Leid der Menschheit. Wie drückt mich das, jetzt in diesen Zeiten der Unruhe, der politischen Dilettanterei –“ (7. Juli 1934) „Was wird das neue Jahr bringen – Ich bin demütig und denke: nichts Schlechteres soll es uns bringen als

Großteil davon fiel in die Jahre vor 1933 und war, folgt man der Rubrik „E“ [Einnahmen], offenbar unbezahlt. Hingegen sind für die Zeit von 1919 bis Ende 1929 alles in allem 322 Auftritte angeführt, für die meist ein Honorar eingetragen wurde. 49 Nur vor diesem Hintergrund kann gedeutet werden, dass Therese Lindenberg in den Jahren des Nationalsozialismus, als allein sie für das Aufbringen von Geld und Lebensmittel zuständig war, im Tagebuch mehrfach so positiv vermerkt hat, nunmehr „keine Geldsorgen“ mehr bzw. diesbezügliche „Freiheit“ (29. Oktober 1942) zu haben; vgl. dazu den folgenden Abschnitt. 50 Auch in ihren Tagebüchern der Jahre 1938 bis 1945 nimmt Therese Lindenberg nur indirekt darauf Bezug und konnotiert ihr nunmehriges „Büßen müssen“ für eine wiederholt apostrophierte „tiefste Schuld“ mit einer Last und Sünde von damals; vgl. etwa, besonders eindringlich dazu, ihren eingetragenen Briefentwurf an den ehemaligen Freund der Tochter, Karl [Mantler], datiert 21. September 1939. 51 Verstärkt wurde dies zeitweise durch den gerichtlich erzwungenen Verlust der alten Wohnung im Sommer 1933 und den Selbstmord des Schwagers Otto Lindenberg im Dezember 1934 sowie den Freitod von dessen Ehefrau Steffi im Oktober des Folgejahres; vgl. dazu, neben dem Tagebuch aus dieser Zeit, „Das kleine Blatt“ vom 28. 12. 1934 respektive 20. 10. 1935.

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dieses Jahr. Ich bin für jede Sonnenstunde dankbar. Schutz für mein geliebtes Kind.“ (Neujahr 1937) Der eben zitierte vage Hinweis auf die so dramatische politische Entwicklung jener Zeit, vor allem im nationalsozialistischen Deutschland, aber auch im austrofaschistischen österreichischen Ständestaat, ist repräsentativ für die alles in allem äußerst knappe und selektive Art und Weise, wie Therese Lindenberg damals auf diese Themen Bezug nahm. Kaum, dass sie in ihrem Tagebuch je konkreter würde, schrieb sie etwa im Februar 1934, während es in Österreich zum Bürgerkrieg kam und die Sozialdemokratische Partei verboten wurde, nur davon, dass es „Aufruhr – Schießerei“ gab und „alle Freiheit zu Ende“ ging (13. und 24. Februar 1934). Und die schon mehr als ein Jahr vorher, am 30. Januar 1933 stattgefundene Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland hat sie erst am 3. März 1933 mit der alleinigen Aussage kommentiert, dass es dort „wilde politische Kämpfe“ gebe und sie persönlich nun „vom Sozialismus, vom Klassenkampf“ weggehe zur „Nährpflichtlehre“.52 Am 13. März 1933 folgte dann ein singulär bleibender Eintrag zum Thema Nationalsozialismus, der auch Angst und Sorge konnotiert: „In Deutschland furchtbar – Wenn ich den Hakenkreuzburschen in unserem Garten seh – wird mir elend. Ich glaube, das ist der einzige Mensch, der mich haßt.“ Ungeachtet der Kürze solcher insgesamt äußerst seltenen Tagebuchverweise haben Therese Lindenberg und ihr Ehemann, aber auch ihre (jüdischen) Bekannten und Verwandten, die für sie besonders bedrohliche politische Entwicklung mit Sicherheit genau beobachtet – vor allem in Hinblick auf die im Dritten Reich rasch begonnene Entrechtung und Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung.53 Formulierungen wie „Schutz für mein geliebtes Kind“, wie oben zitiert, oder „Mitleid mit meinem Mann. Judenfrage. Beten“ (15. Juni 1933)54 weisen auf ihre wachsende diesbezügliche Sorge hin, die dennoch nur angedeutet bleibt, ebenso wie die im Prinzip schon damals 52 Diese Lehre geht zurück auf den österreichischen Ingenieur und Sozialphilosoph Josef Popper (1838–1921), der – nach schon früher veröffentlichten Vorarbeiten dazu – unter seinem Schriftsteller-Pseudonym Lynkeus im Jahr 1912 ein Buch über „Die allgemeine Nährpflicht als Lösung der sozialen Frage“ veröffentlicht hat. Popper alias Lynkeus distanzierte sich darin dezidiert vom wissenschaftlichen Sozialismus und entwickelte den sozialreformerischen Vorschlag, allen Menschen eines Staates ein in natura gewährtes Existenzminimum zu sichern. Als Gegenleistung sollte eine „allgemeine Dienstpflicht“ – für Männer wie für Frauen – eingeführt werden, u. a. zur Arbeit in einer nötigen Anzahl zu gründender landwirtschaftlicher und industrieller Großbetriebe. 53 So verweist der einzige Eintrag aus 1937, in dem das Thema Nationalsozialismus explizit erwähnt wurde, auf einen „große[n], entscheidende[n] Disput über Nationalsozialismus“ mit ihrer Freundin Edith Flamm, die selbst jüdischer Herkunft war (20. Mai 1937). Und am 1. Jänner 1938, den das Ehepaar Lindenberg, wie jedes Jahr, mit einer Gruppe im Schiurlaub verbrachte, schrieb sie: „Trüb – Auf der Sattelalm. Schöne Abfahrt. Nachm. Diskussion über Ostjuden – …“ Am 21. Jänner 1938: „Gestern große politische Diskussion. – Ansonsten nett.“ Vgl. SFN, IfG, NL 3/3, Tagebuch 10 (Einträge vom 9. 1. 1937 bis 25. 5. 1940). 54 Am 15. Juni 1933 fand in Wien das Begräbnis des drei Tage zuvor bei einem NS-Bombenattentat getöteten jüdischen Juweliers Futterweit in der Meidlinger Hauptstraße statt. In dieser Zeit kam es mehrfach zu solchen politisch motivierten Brand- und Bombenanschlägen.

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eingeleitete Machtverschiebung im Verhältnis der beiden zueinander: „Der arme Mann macht oft so einen hilfsbedürftigen Eindruck. Die Augen flehen. Nur wenn er opponiert und herrisch ist, ist er der alte – …“ (2. August 1937)

„Mischehe“ und „Judenhaus“ – Zum historischen Kontext der edierten Tagebücher Schließlich kam der März des Jahres 1938, der von einem Judenpogrom begleitete „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich.55 Damit setzen jene Tagebuchaufzeichnungen ein, die hier, in den zwei vorliegenden Fassungen, ediert werden. Sie beginnen konkret am 4. März 1938, dem 46. Geburtstag Therese Lindenbergs, und nehmen gleich eingangs auf manche Geschehnisse rund um den Einmarsch der deutschen Truppen Bezug (vgl. auch Abb. 2, 11).56 Für die Familie Lindenberg bedeutete diese Situation das Ende jeglicher Sicherheit sowie den Beginn ihrer Entrechtung, Ausgrenzung und Bedrohung – was von ihren steten Versuchen und Strategien begleitet war, dem zu entkommen, sich zu retten, zu überleben. Dass das schließlich überhaupt gelingen konnte, ist wohl vor allem der Verdienst von Therese Lindenberg, deren Ehe mit einem jüdischen Mann nun als „Mischehe“ im natio­ nalsozialistischen Sinne galt, mit allen damit verbundenen Implikationen.57 Nicht zuletzt davon zeugen, in komplexer, vielfach nur andeutender Art und Weise, ihre Tagebücher. Ehe darauf einzugehen ist, soll zunächst gezeigt werden, wie die Lindenbergs auf die neue Situation reagierten – noch bevor in der neuen „Ostmark“ die Nürnberger Gesetze eingeführt wurden. Sie versuchten sich, wie viele andere Betroffene auch, durch mehrere Maßnahmen zu schützen: Therese Lindenberg selbst gelang dies, weil ihr Stiefvater 55 Zu diesem Pogrom ab dem 11. März 1938, den damit einhergehenden öffentlichen Misshandlungen und Drohungen, Plünderungen und Erpressungen jüdischer Bewohner und Bewohnerinnen Wiens, und einer stark erhöhten Anzahl von Selbstmorden unter ihnen vgl. Gerhard Botz, Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme und Herrschaftssicherung 1938/39, Buchloe 1988, 93–105; ders., Ausgrenzung, Beraubung und Vernichtung. Das Ende des Wiener Judentums unter der nationalso­ zialistischen Herrschaft (1938–1945), in: Botz u. a., Zerstörte Kultur, 315–339, bes. 319f. 56 So erwähnt Therese Lindenberg die von Bundeskanzler Schuschnigg für den 9. März 1938 angesetzte Volksabstimmung über die Souveränität Österreichs, die dann jedoch, unter massivem Druck der Nationalsozialisten, widerrufen werden musste. Schuschnigg demissionierte zwei Tage später, am 12. März marschierten unter dem Jubel breiter Bevölkerungskreise deutsche Truppen ein. Die Großkundgebung mit Hitler auf dem Wiener Heldenplatz am 15. März, mit der Proklamation des „Anschlusses“, wird im Tagebuch ebenfalls erwähnt. Erst am 10. April 1938 fand dann eine Volksabstimmung unter den von den Nationalsozialisten diktierten Rahmenbedingungen statt, sie brachte 99,73 % Ja-Stimmen für den „Anschluss“; vgl. Wolfgang Benz, Hermann Graml u. Hermann Weiß, Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 20075, 403f. 57 Der Begriff „Mischehe“ wurde zwar schon seit dem 19. Jahrhundert zur Beschreibung von Ehen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit verwendet, bekam aber erst im Nationalsozialismus seine rassistische Konnotation und Dimension.

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Mathias Lang dazu bereit war, sie rechtlich als sein Kind anzuerkennen. Das war nur möglich, weil ihr leiblicher jüdischer Vater nie amtlich eingetragen worden war, wodurch diese Herkunft den nationalsozialistischen Machthabern verborgen blieb; ansonsten hätte sie in der rassistischen Terminologie des Regimes als „Mischling ersten Grades“ beziehungsweise als „Halbjüdin“ gegolten.58 Außerdem trat sie am 19. April 1938 wieder in die katholische Kirche ein und schloss noch am selben Tag die Ehe mit Ignaz Lindenberg nach kanonischem Recht59 – wohl ebenfalls in der trügerischen Hoffnung, diesen dadurch schützen zu können. Ihre Tochter Lise Monika hatte sich, nach dem Austritt aus der Israelitischen Kultusgemeinde,60 schon am 31. März 1938 katholisch taufen lassen; ungeachtet dessen schwebte auch über ihr, nach Tagen des in den Aufzeichnungen ihrer Mutter angesprochenen Bangens und Hoffens, das Damoklesschwert der am 20. Mai 1938 in Österreich eingeführten Nürnberger Rassengesetze. Ihnen zufolge galt Lise Monika Lindenberg nunmehr als Jüdin, da sie Mitte November 1935, als das sogenannte „Blutschutzgesetz“ („Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“) und das „Reichsbürgergesetz“ im Deutschen Reich erlassen wurden, noch eingetragenes Mitglied der Jüdischen Kultusgemeinde gewesen war.61 Damit war die Tochter nun ebenso bedroht wie ihr Vater und musste, gemäß den schon ab April 1938 einsetzenden Beschränkungen für jüdische Hochschüler, die am 14. November desselben Jahres in 58 Benz/Graml/Weiß, Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 643f. Therese Lindenberg konnte sich aufgrund der Legitimierung durch ihren Stiefvater sogar einen Ahnenpass ausstellen lassen. 59 Vgl. die entsprechenden pfarramtlichen Einträge auf der Rückseite des Geburts- und Taufscheins von Therese Lindenberg, abgebildet in Steiner, Was ich dich noch fragen wollte …, 134; oder die Rückseite des amtlichen Trauungsscheins, als Auszug aus dem Trauungsbuch Bd. XIV. Fol. 73 der Pfarre Baumgarten, ausgestellt am 28. März 1941, als Kopie in SFN, IfG, NL 3/17. Das Eingehen einer kirchlichen „Mischehe“ zwischen religionsverschiedenen Partnern war aufgrund des am 1. Mai 1934 zwischen dem österreichischen Ständestaat und der katholischen Kirche geschlossenen Konkordat möglich geworden; vgl. Österreichisches Episkopat Hg., „Österreichische Ehe-Instruktion“, erlassen vom österreichischen Episkopat zur Durchführung des Artikels VII des Konkordats vom 1. Mai 1934, Graz 1936, bes. 4–6. Die Anerkennung dieses Konkordats durch den Nationalsozialismus währte freilich nur sehr kurz; vgl. DÖW Hg., Widerstand und Verfolgung in Wien 1934–1945, Bd. 3, Wien 19842, 6. 60 Vgl. WrStLA, IKG Wien, Matrikenabteilung, Geburts-Buch 1915, Rz. 2523. Zur drastisch gestiegenen Zahl der damaligen Austritte vgl. die Tabellen in Leiter, Assimilation, 2. Bd., 379–383. 61 Die Nürnberger Rassengesetze bestanden aus den genannten beiden Teilgesetzen, die Bestimmungen zur Frage, wer als Jude zu gelten habe, fanden sich im § 5 des Reichsbürgergesetzes formuliert; vgl. Benz/Graml/Weiß, Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 679. In Bezug auf diesen § 5 regelte dann der § 4 der Verordnung über die Einführung der Nürnberger Rassengesetze in Österreich, dass auch hier „als Tag des Erlasses des Reichsbürgergesetzes der 16. September 1935 und als Tag des Inkrafttretens des Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre der 17. September 1935 anzusehen“ sei: Helfried Pfeiffer Hg., Die Ostmark. Eingliederung und Neugestaltung. Historisch-systematische Gesetzessammlung vom 16. April 1941, Wien 1941, 168, zit. nach Leiter, Assimilation, 2. Bd., 391.

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Abb. 7: Lise Monika Lindenberg (später verh. Steiner), 1930er Jahre

deren gänzlichen Ausschluss von der Universität mündeten,62 ihr Studium abbrechen – kurz bevor sie es abgeschlossen hätte. Auch in der folgenden Zeit überstürzten sich die Ereignisse: Lise Monika Lindenberg gelang, nachdem sie sich einem Bekannten mit einem Affidavit für Manila angeschlossen hatte, Anfang Oktober 1938 die Emigration63 – während ihre Eltern in Wien blieben und hier Schritt für Schritt den nach dem „Anschluss“ in rascher Folge erlassenen Unrechtsbestimmungen gegen die jüdische Bevölkerung beziehungsweise gegen jene Ehepaare unterworfen wurden, die wie sie in einer nunmehr nur noch rassistisch definierten „Mischehe“ lebten.64 Das bedeutete bis Ende 1938 ganz generell, dass der jüdische Partner oder die 62 Botz, Nationalsozialismus in Wien, 243. 63 Vgl. dazu ihre nach der Flucht schon in Manila verfassten auto/biographischen Aufzeichnungen, in: DÖW, Akt Nr. 51.292/C2. 64 Die Nationalsozialisten eliminierten in der Definition von „Mischehe“ das frühere Kriterium der

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jüdische Partnerin in einer solchen Ehe von den Ausgrenzungs- und Verfolgungsmaßnahmen des Regimes ebenso betroffen war wie alle anderen nunmehr als „Juden“ klassifizierten Menschen; erst danach, ab Dezember 1938, wurde eine Unterteilung in „privilegierte“ und „nichtprivilegierte Mischehen“ gemacht, die jenen Paaren, die in Ehen der erstgenannten Kategorie lebten, einige Ausnahmeregelungen brachte.65 Das traf jedoch nicht für die Lindenbergs zu, da ihre Ehe als „nichtprivilegiert“ galt66 – wodurch der Schutz, den diese für Ignaz Lindenberg bedeutete, umso fragiler wurde. Als besonders drastischen Einschnitt in ihre Lebenssituation erfuhren Therese und Ignaz Lindenberg jedenfalls, dass ihnen „gemäß § 1 des Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden vom 30. April 1939“ und „im Auftrage d. Wohnungsamtes d. Stadt Wien“, per 31. Oktober 1939 ihre Wohnung in der Sandrockgasse 13 gekündigt wurde.67 Das Paar musste daraufhin in ein „Judenhaus“ beziehungsweise, wie Therese Lindenberg es im Typoskript „Die apokalyptischen Jahre“ nannte, in ein „Mischehenghetto“ 68 ziehen –

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Religionsverschiedenheit gänzlich, stattdessen wurde „der Unterschied des Blutes und damit der Rasse eingeführt“ und das künftige Eingehen solcher „Mischehen“ mit dem „Blutschutzgesetz“ vom September 1935 als „Rassenschande“ verboten. Dadurch kam es auch zu einem abrupten Ende der in den Jahrzehnten zuvor stetig gestiegenen interkonfessionellen Eheschließungen zwischen Juden und Christen; vgl. Edith Saurer, Verbotene Vermischungen. „Rassenschande“, Liebe und Wiedergutmachung, in: Ingrid Bauer, Christa Hämmerle u. Gabriella Hauch Hg., Liebe und Widerstand. Ambivalenzen historischer Geschlechterbeziehungen, Wien/Köln/Weimar 2005, 341–361, hier 343; Nathan Stoltzfus, Widerstand des Herzens. Der Aufstand der Berliner Frauen in der Rosen­ straße 1943. Aus dem Amerikanischen von Michael Müller, München/Wien 1999, 19. Paare, die in einer „privilegierten Mischehe“ lebten, konnten mit ihrer Familie eher in ihrer bisherigen Wohnung bleiben, und der jüdische Partner konnte sein Vermögen auf den nichtjüdischen Partner oder gemeinsame Kinder übertragen. Auch musste er/sie vielerorts, nach dessen Einführung, keinen „Judenstern“ tragen. Vgl. dazu und zu den Unterscheidungskriterien zwischen beiden Formen einer „Mischehe“, die jedoch nie rechtlich fixiert wurden und regional durchaus verschieden ausgelegt und gehandhabt wurden: Beate Meyer, „Jüdische Mischlinge“. Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933–1945, München/Hamburg 1999, 30f. Zur Situation in Wien, wo auch Ehepaare in „privilegierter Mischehe“ aus ihren Wohnungen vertrieben wurden und der jüdische Teil in diesen Ehen ebenfalls den „Judenstern“ tragen musste, vgl. DÖW Hg., Jüdische Schicksale. Berichte von Verfolgten, Wien 1992, 302–335, bes. 312–316 (Bericht von Elisabeth Beran), 316–319 (Bericht von Eveline Carruthers-Wlach), 326–332 (Bericht von Otto Horn, der auch von der Gründung einer „Mischlingsorganisation“ im Jahr 1943 bzw. der im Widerstand aktiven „Mischlingsliga Wien“ erzählt). Dies wiederum, weil ihre gemeinsame Tochter nicht als „Mischling“, sondern als „Jüdin“ galt: vgl. Meyer, „Jüdische Mischlinge“, 30 f. Lokal galten auch hier mitunter Sonderregelungen. Vgl. dazu die Kopie der gerichtlichen Aufkündigung, ausgestellt vom Amtsgericht Hietzing am 1. August 1939, Geschäftszahl 1024/39, im Auftrag von Primus Hofmann als Kündigender, in: SFN, IfG, NL 3/17. Insbesondere im zuletzt genannten Haus in der Großen Schiffgasse 21 dürften damals in der Tat vor allem in einer „Mischehe“ lebende Paare gelebt haben – waren es doch ab der Zeit der großen Deportationen der jüdischen Bevölkerung Wiens in die Vernichtungslager fast nur noch in einer

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zunächst, von Oktober 1939 bis Oktober 1940, in die Haidgasse im zweiten Wiener Gemeindebezirk, dann bis November 1941 in die Sandwirtgasse im sechsten Bezirk und schließlich, bis Kriegsende, in die Große Schiffgasse wiederum im zweiten Bezirk. Das bedeutete zum einen viel Mühe und Sorge in Verbindung mit der Organisation dieser erzwungenen Wohnungswechsel, und zum anderen zunehmend schlechtere bis desolate Lebensverhältnisse: Die Lindenbergs lebten nun in vollkommen überbelegten Wohnungen mit Durchgangszimmern, was kaum mehr die Möglichkeit zum Rückzug bot.69 Viele ihrer Möbel und persönlichen Gegenstände hatten sie, so diese nicht beschlagnahmt wurden,70 während dieser Zeit in einem dafür angemieteten Magazin oder bei der Mutter von Therese Lindenberg, anderen Verwandten und Bekannten untergebracht; ein Tagebucheintrag vom 2. März 1941 vermerkt auch eigens die „Trennung vom Klavier“. Zum Teil schon vor, zum Teil nach dem Auszug aus der früheren Wohnung, betrafen Ignaz Lindenberg all jene von der Forschung mittlerweile gut aufgearbeiteten Stationen und Maßnahmen zur Entrechtung und Stigmatisierung der gemäß den Nürnberger Rassengesetzen als „jüdisch“ kategorisierten Bevölkerung, die hier auch nicht annähernd aufgelistet werden können. An die 2000 antisemitische Gesetze, Verfügungen, Erlässe und Anordnungen sollen reichsweit dazu beigetragen haben,71 als in immer stärkerem Maße umgesetztes solchen Ehe lebende Juden und Jüdinnen, die noch in der Stadt waren. Vgl. dazu auch den in Steiner, Was ich dich noch fragen wollte …, 34–70 abgedruckten, erst nach 1969 fertig gestellten Text Therese Lindenbergs mit dem Titel „Die Leopoldstadt unter Hitler“, wo mehrfach darauf Bezug genommen wird, so 38, 41: „Im Herbst 1941 wurde ein richtiges Ghetto für Mischehen geschaffen, das sich in der Großen Schiffgasse, um Karmeliterplatz und Floßgasse befand. Natürlich war für ein Ehepaar nur ein Raum bestimmt, der Zins hoch.“ Alles in allem gab es in Österreich mit Stichtag 31. Dezember 1942 4.803 „Mischehen“, gegenüber 27.774 im gesamten Deutschen Reich; vgl. Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, Bd. 2, Frankfurt am Main 1994, 445–449. Vgl. auch Botz, Ausgrenzung, 335 f., der für den 15. April 1943, als in Wien insgesamt nur noch 7.544 Juden lebten, angibt, dass davon knapp 3.900 in einer sog. „privilegierten“ und etwa 1.550 in einer sog. „nichtprivilegierten“ Mischehe lebten. 69 Das alles wird in den Tagebüchern wiederkehrend angedeutet, am deutlichsten in einigen eingetragenen Briefentwürfen – vermutlich an Carl Lehnhofer –, in denen Therese Lindenberg bezeichnenderweise von sich in der dritten Person schreibt. Erst im mehrere Jahre nach dem Krieg bzw. nach dem Tod von Ignaz Lindenberg (1952) verfassten Typoskript „Stärker als der Tod“, wie Anm. 10, beschreibt die Autorin die Wohnverhältnisse während der NS-Zeit ein wenig ausführlicher. Hier erfahren wir etwa über das Wohnen in der „Ghettozeit“, wie Lindenberg die NS-Zeit nun nennt, dass das Paar „immer wieder (…) von ,Wohnung‘ zu ,Wohnung‘ gehetzt“ wurde und dabei die Möbelstücke und Gegenstände „immer weniger“ wurden; auch lebten sie „mit vielen Menschen“ in einer solchen „Wohnung“; ebd., 141, 144. 70 Im Tagebuch angesprochen ist die Beschlagnahme von Silber am 10. November 1938 im Zuge einer Hausdurchsuchung, gegen die dann die Mutter von Therese Lindenberg mit einer Eingabe nach Berlin, später an die Gestapo in Wien vorging, mit dem Argument, dass es sich hierbei um „arisches Silber“ handle. Nach langem Warten konnte Therese Lindenberg daraufhin gemeinsam mit der Mutter am 30. April 1940 Silbergegenstände bei der Gestapo am Kai abholen. 71 Michael Wildt, Angst, Hoffen, Warten, Verzweifeln. Victor Klemperer und die Verfolgung der

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„entwürdigendes Sonderrecht“,72 das in die millionenfache Deportation und Ermordung der meisten Juden und Jüdinnen des „Dritten Reiches“ münden sollte. Es wurde von den lokalen NS-Machthabern und -schergen unterschiedlich umgesetzt beziehungsweise durch zusätzliche Repressionen häufig noch erweitert73 und galt teilweise auch für die sogenannten „Mischlinge“. Seine Bandbreite ist äußerst umfassend; sie beinhaltet neben der politischen Entrechtung durch den Verlust der Reichsbürgerschaft auch die Enthebung aus dem öffentlichen Dienst, den Ausschluss aus den öffentlichen Schulen und Universitäten, freien Berufen und Berufsorganisationen der Ärzte, Apotheker, Rechtsanwälte und Notare,74 sowie die Schließung jüdischer Geschäfte und den Zwang zur Anmeldung von „jüdischem Vermögen“ über 5.000 Reichsmark.75 Hinzu kamen zahlreiche immer weiter reichende Ausgehverbote sowie Verbote des Besuchs von Kinos, Theatern, Konzerten, Bibliotheken, öffentlichen Gärten, Parkanlagen, Sportplätzen, Badeanstalten etc. – alles Maßnahmen, die in Wien schon in den ersten Monaten nach dem „Anschluss“ in Gang gesetzt wurden.76 Etappenweise wurde außerdem ebenfalls bereits 1938 das Diktat der öffentlichen Brandmarkung als „Jude“ oder „Jüdin“erlassen, zunächst durch die Einführung einer PersonalKennkarte für alle über 15-Jährigen, dann durch die Bestimmung, den diskriminierenden Vornamen „Israel“ oder „Sara“ annehmen zu müssen; bald darauf erfolgte auch die zwangsweise Stempelung der jüdischen Reisepässe mit einem großen „J“.77

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deutschen Juden 1933 bis 1941, in: Hannes Heer Hg., Im Herzen der Finsternis. Victor Klemperer als Chronist der NS-Zeit, Berlin 1997, 49–72, hier 50, nach Joseph Walk Hg., Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat. Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien – Inhalt und Bedeutung, Hamburg 19962. Botz, Nationalsozialismus in Wien, 405. Vgl. Wildt, Angst, 58–60. Für Wien, wo solche Maßnahmen offenbar besonders radikal und durchgreifend umgesetzt wurden und das daher für andere Gebiete des Dritten Reiches sogar zum nachgeahmten „Modellfall“ wurde: Dieter J. Hecht, Eleonore Lappin, Michaela Raggam-Blesch, Lisa Rettl u. Heidemarie Uhl Hg., 1938. Auftakt zur Shoa in Österreich. Orte – Bilder – Erinnerungen, Wien 2008; Botz, Ausgrenzung. Alle diese Maßnahmen erfolgten in Wien schon in den ersten Monaten nach dem „Anschluss“; vgl. etwa Botz, Nationalsozialismus in Wien, 243f.; ders, Ausgrenzung, 319–322. Vgl. dazu Wildt, Angst, 62; Meyer, „Jüdische Mischlinge“, 30. Die Vermögensanmeldung von Ignaz Lindenberg ist im Österreichischen Staatsarchiv (ÖStA) einzusehen: Archiv der Republik (AdR) 06, Vermögensverkehrsstelle (VVSt), VA 08761, datiert mit 10. 7. 1938. Darin wird ein „Einlagebuch der Creditanstalt von S 977,81 = 651,87 RM“ angegeben, sowie eine jährliche Rente von 2.544 RM („seit Jänner 1925“). Weiters befindet sich in diesem Akt ein Brief von Ignaz Lindenberg vom 12. 12. 1938 an die VVSt, in dem es heißt: „Im Verfolgen der Vermögensanmeldung stelle ich den Antrag den kapitalisierten Betrag meiner Pension von monatlich Reichsmarkt 212.außer Ansatz zu bringen. Gleichzeitig berichte ich, daß ich für die Auswanderung meiner 23-jähr. Tochter Lise nach Manila den Betrag von RM 800.- verausgabt habe, wodurch meine geringen jetzt angeführten Ersparnisse vollkommen erschöpft sind.“ Botz, Nationalsozialismus in Wien, 243f., ders., Ausgrenzung, 319–328. Botz, Nationalsozialismus, 244. Im Nachlass Lindenberg, SFN, IfG, NL 3/17, sind auch Kopien

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Das alles erhielt eine weitere Steigerung und Ausdehnung im Zuge des Novemberpogroms vom 9. und 10. November 1938,78 für den – im Kontext einer vom NS-Regime geschickt inszenierten Schuldzuschreibung – der gesamten jüdischen Bevölkerung zusätzlich als Kollektivstrafe eine „Sühneleistung“ in Höhe von einer Milliarde Reichsmark auferlegt wurde.79 Danach erfolgte – bis zum Herbst 1941, als die Auswanderung zugunsten der schon beschlossenen „Endlösung“ verboten wurde80 – der Übergang zur forcierten Ghettoisierung und Vertreibung der Juden und Jüdinnen sowie ihre definitive Enteignung – alles mit dem Ziel einer „vollständigen ‚Entjudung‘ des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft“81. Außerdem hatten Juden und Jüdinnen, so sie sich zu dieser Zeit überhaupt noch in der Öffentlichkeit bewegen konnten oder (vor allem bedingt durch Zwangsarbeit) ­­mussten, aufgrund einer Polizeiverordnung ab dem 19. September 1941 „auf der linken Brustseite der Kleidung“ und „fest angenäht“ den „Judenstern“ zu tragen – was Zeugnissen zufolge als besonders tiefer Einschnitt, als besonders entwürdigende „Einschnürung“

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der Reisepässe von Ignaz und Lise Monika Lindenberg sowie von Hans Steiner archiviert, auf die ein solches „J“ gestempelt wurde. Im Pass von Hans Steiner heißt es außerdem als „Nachtrag“: „Der Paßinhaber führt laut Verordnung v. 17. 8. 1938 ab 1. Jan. 1939 den zusätzlichen Vornamen ‚Israel‘“, während ein solcher Hinweis auf die „Annahme des Zusatznamens Israel“ in den Pass von Ignaz Lindenberg eingestempelt wurde. In dieser „Reichskristallnacht“ zerstörten SA und NSDAP-Mitglieder, aber auch Angehörige der HJ und weiterer NS-Organisationen, zahlreiche Wohnungen, Synagogen und etwa 7.000 Geschäfte jüdischer Einzelhändler; es kam dabei zu massenhaften Plünderungen. Nach offiziellen Angaben wurden 91 Personen getötet, und etwa 26.000 jüdische Männer und Jugendliche wurden in die KZs Buchenwald und Dachau verschleppt; vgl. Benz/Graml/Weiß, Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 742, sowie für Österreich im Detail etwa: Hecht u. a., 1938. Auftakt zur Shoah, 34–39. Die „Durchführungsverordnung über die Sühneleistung der Juden“ vom 21. November 1938 regelte den Modus der Umlage dieser Summe auf alle jüdischen „Bürger“ auf der Grundlage der Vermögenserklärung vom Frühjahr 1938. Alle, die mehr als 5.000 RM Vermögen angegeben hatten, mussten 20 % davon bis zum 15. August 1939 in vier Raten an das Finanzamt abgeben, später wurde noch eine 5. Rate verlangt, die am 15. November 1939 fällig wurde. Fraglich ist, ob die von Therese Lindenberg als „Juden-Steuer“ bezeichneten Auslagen (1939 Mk. 242.-, 1940 138.-, 1941 746.-, 1942 487.05 und 1943 549.-), die sie nach Kriegsende – wohl im Zuge eines Ansuchens um Kriegsopferfürsorge – aufgelistet hat (vgl. SFN, IfG, NL 3/17, in Kopieform), solche Raten darstellten, da die Vermögenserklärung von Ignaz Lindenberg (vgl. Anm. 75) ja ein Vermögen von unter 5.000 RM aufwies. Es könnte auch bedeuten, dass seine Creditanstalt-Rente weiterbezahlt und entsprechend besteuert wurde. Ab 7. August 1941 wurde jüdischen Männern zwischen dem 18. und dem 45. Lebensjahr verboten auszuwandern, ab 23. Oktober 1941 allen Juden und Jüdinnen. In Wien sollen schon bis Ende November 1939 126.445 jüdische Menschen emigriert sein; vgl. wiederum Botz, Nationalsozialismus in Wien, 248–254; ders., Ausgrenzung, 326; für die der Jüdischen Gemeinde angehörigen Juden und Jüdinnen Leiter, Assimilation, 459f. Botz, Nationalsozialismus in Wien, 405.

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empfunden wurde82 und ihren auch mit zahlreichen Gewaltexzessen, Terror und Schikane durchgesetzten „sozialen Tod“ besiegelte.83 „Abends nähte ich den Stern an meines Mannes Brust. Ich werde vielleicht davon einmal meinen {Enkel}Kindern erzählen“, schrieb daher auch Therese Lindenberg, das Reden über diese Zäsur in die Zukunft setzend, am 18. September 1941 in ihr Tagebuch84 – und wusste damals vermutlich schon, dass es noch viel schlimmer kommen würde. Denn zu dieser Zeit knapp vor der systematischen Planung und Umsetzung des millionenfachen Völkermordes, die mit der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 besiegelt wurde,85 war es schon zu breiter angelegten Deportationen jüdischer Menschen gekommen – besonders auch in Wien, wo schon das Ausmaß der „Arisierungen“ größer gewesen und die „Reichskristallnacht“ heftiger und blutiger verlaufen war als anderswo im sogenannten „Altreich“.86 Das NS-Regime unter dem damaligen Reichskommissar Josef Bürckel begann hier früh mit Zwangsumsiedlungen und Deportationen, indem erste Transporte jüdischer Männer nach dem Generalgouvernement bereits am 20. und 23. Oktober 1939 abgingen;87 wichtige Vorarbeiten dafür hatte – gezwungenermaßen – sogar die Jüdische Kultusgemeinde zu leisten.88 Danach kam es, unter Baldur von Schirach, vom 15. Februar bis zum 12. März 1941 zu fünf weiteren Transporten, die ab Oktober desselben Jahres in 82 Benz/Graml/Weiß, Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 589. Erlassen wurde die entsprechende Polizeiverordnung am 1. September 1941; sie galt für alle jüdischen Menschen ab dem 6. Lebensjahr. Als „Einschnürung“ bezeichnete Victor Klemperer die ihm widerfahrende sukzessive Einengung seines Lebensraumes; die Einführung des „Judensterns“ erlebte er als besonders schlimm. Vgl. dazu Jan Philipp Reemtsma, „Buchenwald wird von anderen geschildert werden; ich will mich an meine Erlebnisse halten“. Stenogramme aus der Vorhölle, in: Heer Hg., Im Herzen der Finsternis,170–193, 178; Wildt, Angst, 49, bzw. die in Anm. 121 zitierten Tagebücher von Victor Klemperer. 83 Vgl. Wildt, Angst, 70; Reemtsma, „Buchenwald wird von anderen geschildert werden“, 178; Benz/ Graml/Weiß, Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 589. Dazu gehörte auch die Verpflichtung zur Kennzeichnung jüdischer Wohnräume mit dem „Judenstern“. Dieser „soziale Tod“ ging der physischen Vernichtung voran. 84 Eine ähnliche Formulierung findet sich, bezogen auf seine deutsch-arische Frau, im Tagebuch von Victor Klemperer, der damals schrieb: „Gestern, als Eva den Judenstern annähte …“, und fortsetzte: „… tobsüchtiger Verzweiflungsanfall bei mir.“; zitiert nach Wildt, Angst, 49. 85 Vgl. Benz/Graml/Weiß, Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 864f. Die zentrale Bedeutung der „Wannsee-Konferenz“ vom 20. Januar 1942 für die systematische Planung der „Endlösung“ ist in der Forschung allerdings umstritten. 86 Botz, Ausgrenzung, 323–325, 327. 87 Leiter, Assimilation, 473–475, mit dem Hinweis darauf, dass der Großteil der damals deportierten 912 und 669 Männer nach ihrer Ankunft in Nisko ermordet wurden; sowie Stefan Moritz, Grüß Gott und Heil Hitler. Katholische Kirche und Nationalsozialismus in Österreich, Wien 20022, 198. 88 Das gilt für viele der hier erwähnten Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung; vgl., am Beispiel der Auswanderung und der Registrierung für die späteren Deportationen aus Wien wiederum Leiter, Assimilation, 417–458, 472­–500.

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großem Rahmen weitergeführt wurden; die größte Deportationswelle fand in Wien vom Frühjahr bis Oktober 1942 statt.89 Von den „Judenhäusern“ in der Sandwirtgasse und in der Großen Schiffgasse aus musste das Ehepaar Lindenberg, an dessen Tür ebenfalls „der gelbe Davidstern [prangte]“,90 diese „Polenstransporte“ mit ansehen; immer mehr Bekannte und Verwandte wurden „abgeholt“, kamen zum Teil sogar zur persönlichen Verabschiedung, um dann in die Sammellager beziehungsweise nach dem „Osten“ transportiert zu werden.91 Therese Lindenberg war in großer Sorge, ob der relative Schutz, den ihre aufrecht erhaltene „Mischehe“ dem Ehemann bot, halten würde – mit gutem Grund. Denn das „Damoklesschwert“ der Deportation, wie sie es selbst nannte, drohte mit Sicherheit auch ihm, selbst wenn die mit der „Endlösung“ befassten NS-Machthaber sich im Zuge ihrer Vorbereitungen des Genozids ab der Wannsee-Konferenz uneinig darüber blieben, wie mit „Mischehen“ umzugehen sei, das heißt ob für die „arischen“ Partner in solchen Ehen eine Zwangsscheidung angeordnet und die betroffenen Juden und Jüdinnen in die Massendeportationen einbezogen werden sollten. Man sah schließlich (noch) davon ab, um „nicht den gesamten Vernichtungsprozeß durch öffentliches Aufsehen“ zu gefährden und Teile der involvierten „arischen“ Bevölkerung gegen das Regime aufzubringen.92 Dennoch kam es in mehreren Städten immer wieder zu gezielten Verhaftungswellen gegen in einer („privilegierten“ wie „nichtprivilegierten) „Mischehe“ lebende Juden und Jüdinnen, und teilweise sogar zu ihrer (versuchten) Deportation in die Vernichtungslager – je länger der Krieg dauerte umso häufiger.93 Das alles schuf unter den betroffenen Ehepaaren und Familien jedenfalls ein Klima der steten 89 DÖW Hg., Widerstand und Verfolgung, Bd. 3, 200f; Leiter, Assimilation, 472–494; Botz, Ausgrenzung, 335. Allein im Jahr 1942, dem Höhepunkt der Massenvernichtung, wurden reichsweit etwa 2.700.000 Juden und Jüdinnen ermordet, gegenüber rd. 1.100.000 im Jahr 1941 und rd. 500.000 im Jahr 1943; vgl. Stoltzfus, Widerstand des Herzens, 16. 90 Davon schrieb Therese Lindenberg erst im nach 1969 fertiggestellten Manuskript „Die Leopoldstadt unter Hitler“, wie Anm. 68, 75. 91 Das von Ingrid Brommer und Christine Karner erstellte Personenregister zu dieser Tagebuchedition bietet dazu – soweit solche Todesorte eruiert werden konnten – zahlreiche genauere Hinweise. Im nach 1952 entstandenen Typoskript „Stärker als der Tod“, wie Anm. 10, 144f., schrieb Therese Lindenberg – gerichtet an ihren verstorbenen Ehemann – genauer über die damaligen Deportationen: „Immer wieder, immer schneller gingen die Deportationen vor sich. Du sahst elend aus. Wir sprachen darüber kein Wort. Wir wohnten mit vielen Menschen in einer Wohnung zusammen. Bald waren wir allein. Die übrigen Insassen wurden fortgeschleppt, im vollsten Sinne des Wortes.“ Und: „Die Deportationen gingen weiter. In der Nacht hörten wir die rollenden Lastwagen, auf denen die Menschen verfrachtet wurden. Mein Herz barst fast vor Mitleid. In unserer unmittelbaren Nähe war die Sammelstelle …“ 92 Meyer, „Jüdische Mischlinge“, 52; vgl. auch Hilberg, Vernichtung, 436–449. 93 Beispiele dafür in: Meyer, „Jüdische Mischlinge“, 33–36, 40f, 43, 57–62. Noch am 14. Februar 1945 wurden in Hamburg 194 in Mischehe lebende Juden deportiert. Vgl. auch Hilberg, Vernichtung, 446, für Berlin, wo es schon nach der dritten Endlösungskonferenz vom 27. Oktober 1942 zu solchen Deportationen kam.

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Angst und Einschüchterung, wodurch sich einerseits eine erhöhte Scheidungsrate erklären lässt,94 andererseits aber auch – gleichwohl singulär bleibend – jener am 27. Februar 1943 begonnene, später berühmt gewordene öffentliche Protest „deutschblütiger“ Ehefrauen und anderer Verwandter in der Berliner Rosenstraße, der nach einigen Tagen mit der Freilassung von ungefähr 1.700 in einer „Mischehe“ lebenden Berliner Juden endete.95 Die gerade angesprochene, von der Gestapo, der SS und anderen NS-Teilorganisationen mittels zahlreicher Terrormaßnahmen bewusst vorangetriebene Einschüchterung mussten auch die Lindenbergs erfahren. So wurde schon am 10. November 1938, dem Tag nach der „Reichskristallnacht“, ihre Wohnung durchsucht und im Zuge dessen die Drohung ausgesprochen, dass man Ignaz Lindenberg holen würde. Später, in den „Judenhäusern“ beziehungsweise im „Mischehenghetto“, kamen dann öfter NS-Schergen, die das Paar schikanierten und bedrohten; zudem wurde dieses dort regelmäßig von den sogenannten „Aushebern“ aufgesucht, die als Mitarbeiter der Israelitischen Kultusgemeinde zuständig waren für die Zusammenstellung der Deportationslisten.96 Parallel dazu wurden immer wieder gezielt Gerüchte lanciert „daß auch die Mischehen nicht auf Dauer unbehelligt gelassen würden und daß die Zermürbungstaktik gegen die Mischehefrauen nicht vernachlässigt werden dürfte“.97 Im Tagebuch bezeugt sind zumindest drei dramatische Vorfälle in diese Richtung, nämlich für die Nacht vom 17. auf den 18. Juli 1942, als die „Ausheber“ die Dokumente der Lindenbergs prüften, und für den 27. August 1942, als Ignaz Lindenberg tatsächlich abgeholt wurde, aber nach wenigen Stunden wieder zurückkam. Das wiederholte sich exakt so am 10. März 1944, verbunden mit einer wohl unmissverständlichen, von The94 Vgl. Meyer, „Jüdische Mischlinge“, 68–94, wo u. a. frühere Schätzungen, dass im „Altreich“ von 1933 bis 1938 etwa 7 bis 10 % der „Mischehen“ geschieden wurden, in Hinblick auf das Beispiel Hamburg korrigiert werden; vermutlich betrug diese Scheidungsrate etwa 20 %. 95 Meyer, „Jüdische Mischlinge“, 57f; sowie die berührende Monografie von Stoltzfus, Widerstand des Herzens. Umstritten in der Forschung ist das von Stoltzfus sehr hoch gewertete Protestpotential dieser einmalig gebliebenen, von hoher Zivilcourage zeugenden Widerstandsaktion, bzw. ob die Deportation der im Gebäude der jüdischen Gemeinde in der Berliner Rosenstraße inhaftierten jüdischen Menschen aus „Mischehen“ überhaupt geplant war; vgl. dazu etwa Wolf Gruner, Widerstand in der Rosenstraße. Die Fabrik-Aktion und die Verfolgung der „Mischehen“ 1943, Frankfurt a. Main 2005; Antonia Leugers Hg., Berlin, Rosenstraße 2–4: Protest in der NS-Diktatur. Neue Forschungen zum Frauenprotest in der Rosenstraße 1943, Annweiler 2005. Das Thema wurde von Margarethe von Trotta unter dem Titel „Rosenstraße“, mit Katja Riemann und Maria Schrader in den Hauptrollen, auch verfilmt. 96 Botz, Ausgrenzung, 334f. sowie Leiter, Assimilation 484, mit den Hinweis darauf, dass diese „jüdischen Ordner“ die zur Deportation Bestimmten aus ihren Wohnungen abzuholen und in die Sammellager zu führen hatten; die Aufsicht über die Sammellager führten vier bis fünf SS-Leute. Am 1. November 1942 wurde die Jüdische Gemeinde in Wien geschlossen, danach übernahm der „Ältestenrat der Juden in Wien“ diese Funktion. 97 Das schrieb Therese Lindenberg im Manuskript „Die Leopoldstadt unter Hitler“, wie Anm. 68, 53, selbst im Rückblick auf jene Zeit.

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rese Lindenberg ungewöhnlich ausdrücklich notierten Todesdrohung gegen ihren Mann: „Plötzlich zum Mann: ‚Sie müssen in ¼ Stunde gepackt haben.‘ Ich sagte: ‚Wir leben schon 30 Jahre zusammen.‘ Antwort: ‚Lange genug.‘ Ich: ‚Der Mann ist 69 Jahre alt.‘ Antwort: ‚Er ist alt genug geworden.‘“ Zusätzlich und einer ebenfalls gängigen Praxis im offiziellen Umgang mit „Mischehen“ entsprechend 98 versuchte man mehrfach, Therese Lindenberg zur Trennung von ihrem jüdischen Ehemann zu bewegen. Das zu erreichen erschien am 15. Februar 1941 eigens ein „Parteimann“, um sie, wie sie nur in den im Alter bearbeiteten „Apokalyptischen Jahren“ hinzufügte, „zur Scheidung zu überreden“ – vergeblich.99 Sie hielt diesem wiederkehrenden äußeren Druck stand100 und opponierte auch, wenn ihr nahe gelegt wurde, doch wenigstens aus dem „Mischehenghetto“ zur Mutter zu ziehen, um ihre eigene Lage zu verbessern. Denn Therese Lindenberg scheint genau gewusst zu haben, dass dies für ihren Ehemann das Todesurteil bedeutet hätte und notierte – weniger in den zeitgenössischen Tagebüchern als im Typoskript „Die apokalyptischen Jahre“ – explizit Fälle von Deportationen jüdischer Männer, die von ihren Frauen allein gelassen worden waren: „Sonntag 16. [November 1941] Frau Brandl beleidigte mich schwer. Sie sagte: ‚Warum ziehen Sie nicht zur Mutter?‘ Ich: ‚Ohne Mann – niemals, niemals.‘ ‚Wollen Sie damit sagen, daß ich meinen Mann‘ – der extra wohnt – ‚nicht schütze.‘ Ich nickte … Und – in einigen Tagen darauf wurde er nach Riga verschleppt und sie hat ihn nie mehr gesehen …“ „Die Mischehen gaben den jüdischen Partnern nicht Schutz vor Verfolgung, wohl aber vor Vernichtung“, hat Edith Saurer resümiert.101 Dies traf auch auf Ignaz und Therese Lindenberg zu und hat wohl Letztere zur eben zitierten Kritik an jenen Frauen, die ihre Männer damals dennoch verlassen haben, motiviert. Denn trotz der dokumentierten Fälle, in denen auch jüdische Ehepartner aus aufrechten „Mischehen“ deportiert und ermordet wurden, überlebten vor allem solche Juden und Jüdinnen den Holocaust.102 198 Nach § 37 des nationalsozialistischen Ehegesetzes konnten „Rassenmischehen“ auch aufgehoben werden; vgl. Meyer, „Jüdische Mischlinge“, 81–86. 199 Vgl. wiederum auch „Die Leopoldstadt unter Hitler“, wie Anm. 68, 46, wo Lindenberg davon schrieb, dass man die in einer „Mischehe“ lebenden Frauen „mürbe machen“ wollte und dass deswegen u. a. „Goldfasane“, d.h. höhere Nationalsozialisten, in die Wohnungen dieser Frauen geschickt wurden, die ihnen „ausmalten“, „daß sie verschickt würden und viele Quälereien zu erwarten hätten …“; sowie ebd., 51, wo es heißt: „Für die Frauen, die in Mischehe lebten, kamen nun immer schwerere Tage. Man holte ihre Männer, um sie nach Stunden wieder zurückzuschicken. Das war eine Attacke auf die Nerven dieser Frauen, um sie endlich zur Scheidung zu bewegen.“ Bestätigt wird die stete Taktik der Einschüchterung der betroffenen Paare in Wien etwa von Leiter, Assimilation, 506 f., 509–515. 100 Vgl. auch Leiter, Assimilation, 506, sowie das Beispiel der Eltern von Eveline Carruthers-Wlach aus Wien, die davon erzählte, dass „[d]ie Nazis natürlich meiner Mutter hunderttausendmal die Tür eingerannt [haben], sie sollte sich scheiden lassen …“; zit. in DÖW Hg., Jüdische Schicksale, 317. 101 Saurer, Vermischungen, 347; vgl. auch Leiter, Assimilation, 511f., 516. 102 Für Deutschland gibt Stoltzfus, Widerstand des Herzens, 17, an, dass zu Kriegsende 98 % jener Juden und Jüdinnen laut NS-Rassegesetzen, die überlebten, mit Deutschen verheiratet waren; zur

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Das war nur möglich, weil sie von ihren „arischen“ Ehefrauen und -männern nicht verlassen, dem Völkermord daher nicht unmittelbar ausgesetzt wurden. Verfügbare Statistiken verweisen diesbezüglich auf einen Geschlechterbias, da das ganz offensichtlich mehr Frauen als Männer taten – aus komplexen Gründen, die damit zusammenhängen, dass im gesamten Deutschen Reich weit mehr christliche beziehungsweise „arische“ Frauen mit jüdischen Männern verheiratet waren als umgekehrt jüdische Frauen mit christlichen beziehungsweise „arischen“ Männern; so gesehen „ist die Geschichte des Widerstands in Mischehe lebender Deutscher gegen das Regime – wenn auch nicht ausschließlich, so doch weitgehend – die Geschichte deutscher Frauen, die mit jüdischen Männern verheiratet waren“.103 Unklar bleibt in der Forschung hingegen, ob sich „arische“ Männer damals tatsächlich leichter von ihren jüdischen Ehefrauen trennten,104 während christliche Frauen dem NS-Druck meist standhielten – wie es Therese Lindenberg Jahrzehnte später als Beobachtung angemerkt hat.105 Allemal gilt, dass sich die Mehrheit der betroffenen Frauen nicht scheiden ließ und dass es vielfach Frauen waren, die in diesen Beziehungen versuchten, sich und ihren jüdischen Ehepartner durch stete Bemühungen und Arbeit über Wasser zu halten, die notwendigsten Lebensmittel und Bedarfsgüter zu organisieren, um so den Hungerrationen, die auf „Judenkarten“ überhaupt noch zu bekommen waren, etwas entgegensetzen zu können.106 Therese Lindenberg dürfte das immer wieder gelungen sein, was in Verbindung mit der tristen Situation ihres Mannes, der kaum mehr die Wohnung verlassen konnte und in der Alltagsbewältigung von ihr abhängig war, wohl zu einer weitgehenden Verkehrung oder

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Entwicklung dieser Zahl während des NS-Regimes vgl. ebd., 21. In Hinblick auf Österreich bzw. Wien vgl. Leiter, Assimilation, 494–505, 516; Botz, Ausgrenzung, 336: In Wien lebten im März 1938 laut Zählung 169.978 „Glaubensjuden“, wozu eine nicht genau zu schätzende Zahl von „Nichtglaubensjuden“ bzw. „Rassejuden“ kam; alles in allem könnten sich damals in dieser Stadt bis zu 220.000 Juden und Jüdinnen laut Nürnberger Gesetze befunden haben. Am 31. Dezember 1944 zählte man davon laut Bericht des „Ältestenrats der Juden in Wien“ nur mehr 5.799 als „Juden“ eingestufte Personen, von denen 3.338 in einer „privilegierten“ und 1.358 in einer „nichtprivilegierten“ Mischehe“ lebten; das waren gut vier Fünftel aller in der Stadt noch anwesenden Juden und Jüdinnen. Alles in allem überlebten in Wien schließlich weniger als 5.700 Juden und Jüdinnen das „Dritte Reich“. Stoltzfus, Widerstand des Herzens, 20f.; vgl. auch Mayer, „Jüdische Mischlinge“, 24f, ebenfalls mit dem Hinweis darauf, dass jüdische Männer häufiger nichtjüdische Frauen heirateten als Jüdinnen nichtjüdische Männer. Stoltzfus, Widerstand des Herzens, 20; hingegen für Hamburg im Detail: Mayer, „Jüdische Mischlinge“, 73, 76, 94. Vgl. „Die Leopoldstadt unter Hitler“, wie Anm. 68, 46f. Geteilt wurde diese Einschätzung etwa von Emil Gottesmann, einem ehemaligen Mitarbeiter der „Aktion Gildemeester“ und bei der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ beschäftigt; vgl. DÖW Hg., Jüdische Schicksale, 214f. So das nicht möglich war, litten die Betroffenen damals großen Hunger. Das verdeutlicht eindringlich das Beispiel Victor Klemperers, der aufgrund immer geringer werdenden Lebensmittelzuteilungen ab dem Frühjahr 1942 davon berichtet; vgl. Wildt, Angst, 67.

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gar Umkehr des bisherigen Machtgefüges in ihrer Beziehung führte; in Bezug auf ihre neu gewonnene finanzielle Unabhängigkeit hat sie das damals sogar selbst vermerkt: „Dankbar für die gewisse materielle Sorgenlosigkeit. Eigentlich sorgenlos wie nie noch in meiner Ehe.“ (29. Jänner 1940) Dazu trug vor allem eine Vielzahl von verschiedensten, zum Teil sehr ermüdenden Tätigkeiten bei, die sie in ihren Tagebüchern jedoch kaum als bezahlte Arbeiten ausweist. Sie führten Therese Lindenberg in verschiedenste Bezirke der Stadt, sodass sie auch deshalb häufig weite Wegstrecken zurücklegte,107 und wurden ihr vermutlich insbesondere durch Freunde, Bekannte und Verwandte ermöglicht oder vermittelt; ihre Bandbreite reicht von Haushaltsarbeit in anderen Wohnungen über die Pflege einer alten Frau108 bis hin zum Orgelspiel und Gesang in katholischen Messfeiern, wofür ihr Pfarrer dann vermutlich etwas Geld zusteckten. So könnte zumindest erklärt werden, dass sie Hunger in ihrem Tagebuch erst in den ersten Monaten nach der Befreiung Wiens thematisiert hat, wie am 9. September 1945: „Hunger, Hunger – ich fand die Pulverschokolade. Nun weiß ich, was Hunger ist; doch muß ich an die in Theresienstadt, in Auschwitz denken.“ Der Verweis auf die Vernichtungslager beziehungsweise den „Zivilisationsbruch Auschwitz“ (Dan Diner)109 relativierte somit auch für Therese Lindenberg ihre eigenen leidvollen Erfahrungen in jener Zeit. Sie und ihr Mann hatten zwar über Jahre in der „Vorhölle“110 gelebt, den Holocaust111 selbst aber überlebt – anders als mehr als 65.000 österreichische Jüdinnen und Juden laut Nürnberger Gesetze, die damals ermordet wurden.112 Auch die ab April 1944 einsetzenden Bombardierungen Wiens, die von Therese Lindenberg in ihrem Tagebuch zunächst gezählt und oft beschrieben werden, hatten die beiden schließlich überstanden, wenn auch körperlich sehr geschwächt und mehrmals krank. Dennoch konnte sie am 8. Mai 1945 in großer Sperrschrift und dick unterstrichen vermerken: „Der Krieg ist zu Ende!“ Noch einen Tag vorher hatte es hier, den Titel ihres späteren Typoskripts 107 Vgl. dazu das Ortsregister im Anhang dieser Tagebuchedition und die dort abgebildete Karte des damaligen Groß-Wien. 108 In dieser Zeit schrieb Therese Lindenberg deren Reisetagebücher zu zwei in den Jahren 1909 bis 1911 unternommenen Ägyptenreisen ab; vgl. Weidinger-Vols, „Bin ganz eingesponnen in die ägyptische Reise.“ 109 Dan Diner, Den Zivilsationsbruch erinnern. Über Entstehung und Geltung eines Begriffs, in: Heidemarie Uhl Hg., Zivilisationsbruch und Gedächtniskultur. Das 20. Jahrhundert in der Erinnerung des beginnenden 21. Jahrhunderts, Innsbruck/Wien/München/Bozen 2003,17–34. 110 Als „Vorhölle“ analysiert Reemtsma, „Buchenwald wird von anderen geschildert werden“, die Erfahrungen des „Juden“ Victor Klemperer in Dresden; vgl. auch dessen in Anm. 121 genau zitierten Tagebücher. 111 Dass Auschwitz bzw. der Genozid in den Vernichtungslagern im Topos der Hölle erfasst wird, belegt u. a. Magdalena Heuser, Holocaust und Gedächtnis: Autobiographien, Tagebücher und autobiographische Berichte von verfolgten Frauen, in: Ortrun Niethammer Hg., Frauen und Nationalsozialismus. Historische und kulturgeschichtliche Positionen, Osnabrück 1996, 83–99, 84–88. 112 Hecht u. a., 1938. Auftakt zur Shoah, 45 (Chronologie der Verfolgung); im Detail die Angaben und Opferdatenbanken auf der Homepage des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands: http://www.doew.at/

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vorwegnehmend, geheißen: „Diese Zeit, in der wir leben, ist wahrlich ein apokalyptische. Ein Totentanz, ein Ruinenfeld. Wird maiengrün die Menschlichkeit aus ihnen sprießen?“ Neben solchen Fragen beschäftigte sie damals selbstverständlich nach wie vor die Sorge um die emigrierte Tochter und deren Familie. Diese Sorge sollte noch bis in das Jahr 1946 hinein anhalten und ist ein Grund dafür, dass die hier vorgelegte Edition der LindenbergTagebücher sich über das Kriegsende hinaus erstreckt. Denn sie wusste zwar, dass Lise Monika in Manila 1940 den gleichfalls aus Wien geflüchteten jüdischen Rechtsanwalt Hans Steiner geheiratet und 1942 eine Tochter namens Helen geboren hatte.113 Doch war der Kontakt mit ihr, nach einer zunächst noch möglichen und von Therese Lindenberg intensiv unterhaltenen Korrespondenz, in der sich die Tochter unter anderem für eine Auswanderung der Eltern engagierte,114 lange unterbrochen: Vor dem 27. Februar 1943, als die Lindenbergs in Form eines Telegramms vom Japanischen Roten Kreuz endlich Nachricht von der Geburt ihrer Enkelin erhielten, waren das fast 68 Wochen oder, wie sie an diesem Tag notierte, exakt 465 Tage gewesen. Danach sollte es erneut bis zum 13. Februar 1946 dauern, als wiederum ein Telegramm das Überleben der „Kinder“ und nunmehr zweier Enkeltöchter bekannt gab. Besonders in der langen Zeit dazwischen durchzieht inständiges Flehen und Beten, Warten und die Sehnsucht auf Nachricht vom „Kind“ oder den „Kindern“ die Tagebücher von Therese Lindenberg wie ein roter Faden; darauf wird noch zurückzukommen sein. Sie wusste genau darüber Bescheid, dass nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbour am 7. Dezember 1941 der Krieg auch auf die Philippinen übergegriffen hatte und wähnte die junge Familie Steiner seither in großer Gefahr – zu Recht, wie sie später erfahren sollte.115 Doch letztlich wurde ihr Warten, ihr Durchhalten, ihr intensives Beten und Abbitten, vom Schicksal beziehungsweise von Gott „belohnt“, wie sie es deutete. Jedenfalls überleb113 Noch im Krieg, 1944, wurde die zweite Tochter des Paares, Ruth, geboren, und 1948 die dritte, Bethly. Lise Monika Lindenberg hatte in Manila ihr Studium der Botanik neuerlich aufgenommen; nach dem Bachelor-Abschluss war sie mehrere Jahre hindurch Lehrbeauftragte an der Universität Manila. Hans Steiner, dessen Vater Facharzt für Orthopädie in Wien gewesen war, hatte in Wien nach dem Jus- und Welthandelsstudium schon als Rechtsanwalt gearbeitet und wurde als „Jude“ nach dem „Anschluss“ mit Berufsverbot belegt. Er emigrierte zunächst nach Dänemark, dann auf die Philippinen. In Manila unterrichtete er während des Krieges an der dortigen Universität Sprachen und Kunstgeschichte; außerdem war er schon in dieser Zeit bei der Firma Unilever beschäftigt. Vgl. zur Biographie der beiden auch Steiner, Was ich dich noch fragen wollte …, 21–25, sowie die Autobiografie von Hans Steiner, Nie wieder Wien? Erinnerungen an Jugend und Exil, hg. von Ruth Steiner, Wien 2009. 114 Diese stark von der Zensur determinierte Korrespondenz ist, soweit erhalten geblieben, heute im DÖW unter der Aktennummer 51.242, A1–A17, einsehbar. Alles in allem stammen aus der Zeit der Emigration der Familie Steiner an die tausend Briefe, geschrieben von 1938 bis 1962; vgl. Steiner, Was ich dich noch fragen wollte …,16. 115 Vor allem im Zuge der dortigen Kämpfe zu Anfang des Jahres 1945 wurden die Steiners unmittelbar bedroht und fast umgebracht, vgl. dazu die Aufzeichnungen „Die Hölle von Manila“ von Mona Lisa Steiner, veröffentlicht in Steiner, Was ich dich noch fragen wollte …, 112–127.

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Abb. 8 und 9: Therese und Ignaz Lindenberg, um 1950

ten auch die Steiners in Manila den Krieg und es kam zum Wiedersehen, zum Wiederzusammenkommen der Familie: zunächst, als Mona Lisa Steiner im November 1950 und dann nochmals kurz vor dessen Tod im Dezember 1952 an das Krankenbett ihres Vaters kam,116 der die letzten Jahre seines Lebens zusammen mit seiner Frau in der früheren Wohnung hatte verbringen können,117 und danach, ab 1965, als die Steiners wieder nach Wien zogen.118 Die folgenden Jahre bis zu ihrem Tod am 21. April 1980 lebte Therese Lindenberg daher in enger Verbindung mit ihrer Tochter, ihrem Schwiegersohn und ihren Enkelinnen, die teilweise bei ihr lebten; so erklärt sich, warum sie im Alter schließlich von der Familie zur Neubearbeitung ihrer ehemaligen Tagebücher angeregt wurde, wodurch uns heute zwei Textfassungen vorliegen. Um sie soll es im Folgenden gehen, ausgehend von einigen generellen Anmerkungen zum Tagebuchschreiben im Holocaust. 116 Ignaz Lindenberg verstarb am 5. Dezember 1952 im Wiener Hanusch-Krankenhaus; vgl. die Sterbeurkunde in Kopie in: SFN, IfG, NL 3/17. Zwei Jahre danach, 1954, reiste Mona Lisa Steiner erneut von Manila aus nach Österreich, um hier ihr Rigorosum abzulegen, wodurch sie ihr vor dem Krieg begonnenes Doktoratsstudium der Botanik an der Universität Wien abschloss. 117 Zeitweilig lebte dort nach dem Krieg auch Rosalia Lang, die Mutter von Therese Lindenberg. 118 Schon vorher hatten die Töchter, insbesondere Ruth Steiner, teilweise in Wien gelebt, auch bei der Großmutter, während Mona Lisa und Hans Steiner von 1962 bis 1965 noch in Deutschland wohnten; vgl. dazu Steiner, Was ich dich noch fragen wollte …, 21–26; Steiner, Nie wieder Wien?

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Abb. 10: Familie Steiner in Manila, um 1950

Tagebuchschreiben, Krieg und Holocaust Dass Therese Lindenberg all die langen Jahre des nationalsozialistischen Terrorregimes hindurch ein Tagebuch führte, ist an sich nichts Außergewöhnliches. Gerade für Krisenund Kriegszeiten lässt sich ­– wie auch die am popularen Schreiben orientierte Tagebuchforschung gezeigt hat – ganz generell eine verstärkte Hinwendung zur Diaristik ausmachen.119 Das gilt sowohl für das intensivierte Fortführen von schon zuvor praktiziertem Tagebuchschreiben, wie bei Therese Lindenberg der Fall, als auch für den Beginn, die Neuaufnahme eines Tagebuchs im Jugend- oder Erwachsenenalter. Auf Seiten der entrechteten und verfolgten (jüdischen) Menschen stehen dafür, geradezu symbolhaft für den Holocaust, in der Öffentlichkeit heute vor allem die Tagebücher von Anne Frank120 und 119 Vgl. dazu etwa, in Hinblick auf die Diaristik von im Nationalsozialismus verfolgten Menschen, die im Zentrum der folgenden Ausführungen stehen werden: Saul Friedländer, Die Jahre der Vernichtung. Das Dritte Reich und die Juden. Zweiter Band 1939–1945. Aus dem Englischen übersetzt von Martin Pfeiffer, München 2006, bes. 23f. Dieses Buch basiert immer wieder auf Aufzeichnungen jüdischer Tagebuchschreiber, ebenso wie: Nicholas Stargardt, „Maikäfer, flieg!“ Hitlers Krieg und die Kinder. Aus dem Englischen von Gennaro Ghiradelli, München 2006, wo neben solchen Beispielen auch Texte von deutsch-arischen Kindern behandelt werden. 120 Das Tagebuch der Anne Frank erschien 1947 auf Niederländisch. Vgl., als deutsche Ausgabe etwa: Anne Frank, Tagebuch. Fassung von Otto H. Frank und Mirjam Pressler. Aus dem Niederländischen von Mirjam Pressler, Frankfurt a. Main 2001.

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Victor Klemperer,121 neben anderen, zum Teil sogar in den Konzentrationslagern versteckt und unter großer Gefahr geschriebenen Aufzeichnungen, die in letzter Zeit von der Forschung (wieder-)entdeckt und publiziert wurden.122 Sie belegen eindringlich, wie eminent wichtig das diaristische Schreiben, in welcher Form auch immer es überhaupt erfolgen konnte, in diesen Extremsituationen vielfach war – was unter ganz anderen Vorzeichen auch für die Seite der „arischen“ Bevölkerung gilt, die damals angesichts der Kriegsentwicklung ebenfalls zunehmend häufiger zum Tagebuch griff.123 121 Die Erstausgabe erschien 1995: Victor Klemperer, Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten: Tagebücher 1933–1945. Bd. I–VIII, Berlin 1995. Die Tagebücher von Victor Klemperer sind besonders gut erforscht; vgl. etwa Johannes Dirschauer, Tagebuch gegen den Untergang. Zur Faszination Victor Klemperers, Gießen 1997; Hannes Heer Hg., Im Herzen der Finsternis. Victor Klemperer als Chronist der NS-Zeit, Berlin 1997. 122 Vgl. etwa die Beispiele in Friedländer, Jahre der Vernichtung; Stargardt, „Maikäfer, flieg!“, sowie einige (hier in Ausschnitten wieder abgedruckte) Texte in Barbara Bronnen Hg., Geschichten vom Überleben. Frauentagebücher aus der NS-Zeit, München 1998; weiters als Editionen: Hanna LévyHass, Vielleicht war das alles erst der Anfang. Tagebuch aus dem KZ Bergen-Belsen, hg. von Eike Geisel, Berlin 1979; Das denkende Herz. Die Tagebücher von Etty Hillesum 1941–1943, Reinbek 1990; Renata Laqueur, Bergen-Belsen Tagebuch 1944/1945. Aus dem Niederländischen übersetzt von Peter Wiebke, Hannover 1983; dies., Schreiben im KZ. Die Tagebücher 1940 bis 1945, Bremen 1992; Drahomír Bárta, Tagebuch aus dem KZ Ebensee, hg. von Florian Freund u. Verena Pawlowsky, Wien 2005; Willy Cohn, Kein Recht. Nirgends. Tagebuch vom Untergang des Breslauer Judentums 1933–1941, hg. von Norbert Conrads. 2 Bände, Köln/Weimar/Wien 2007; „Auch wenn ich hoffe“. Das Tagebuch des Mosche Flinker, mit einem Vorwort von Saul Friedländer. Aus dem Niederländischen von Birgit Erdmann, Berlin 2008; Ruth Maier, „Das Leben könnte gut sein.“ Tagebücher 1933 bis 1942, hg. von Jan Erik Vold. Aus dem Norwegischen von Sabine Richter, München 2008; Hélène Berr, Pariser Tagebücher 1942–1944. Mit einem Vorwort von Patrick Modiano und einem Nachwort von Mariette Job. Aus dem Französischen von Elisabeth Edl, München 2009. 123 In der Forschung diskutiert wird in Bezug auf die große Fülle solcher Tagebücher v. a. auch die Frage, inwieweit diese primär von Anpassung und Identifikation mit der nationalsozialistischen Ideologie zeugen (was darin in der Tat oft zum Ausdruck kommt), und/oder auch Regimekritik und Widerständigkeit dokumentieren; von der Literaturwissenschaft wurde in Bezug auf Letzteres der Topos von der „Inneren Emigration“ geprägt. Vgl. als Beispiele für Editionen und Forschungsbeiträge: Heinrich Breloer Hg., Mein Tagebuch. Geschichten vom Überleben 1939–1947, Köln 1984; Ruth Andreas-Friedrich, Der Schattenmann. Tagebuchaufzeichnungen 1938–1945, Berlin 1986 (eine erste Fassung davon erschien bereits 1946); Lothar Blum, Das Tagebuch zum Dritten Reich. Zeugnisse der Inneren Emigration von Jochen Klepper bis Ernst Jünger, Bonn 1991; Bronnen, Geschichten vom Überleben; Wolfgang Hardtwig, Der Literat als Chronist. Tagebücher aus dem Krieg 1939–1945, in: ders. u. Ernst Schütz Hg., Geschichte für Leser. Populäre Geschichtsschreibung in Deutschland im 20. Jahrhundert, Stuttgart 2005, 147–180; in Hinblick auf Frauen weiters: Susanne zur Nieden, Alltag im Ausnahmezustand. Frauentagebücher im zerstörten Deutschland 1943–1945, Berlin 1992; Ingrid Hammer u. Susanne zur Nieden Hg., Sehr selten habe ich geweint. Briefe und Tagebücher vom Zweiten Weltkrieg von Menschen aus Berlin, Zürich 1992; Anonyma, Tagebuchaufzeichnungen vom 20. April bis zum 22. Juni 1945, Frankfurt a. M. 2003, sowie aufgrund der Jahrzehnte später erfolgten kritischen Reflexion und Aufarbeitung beson-

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Selbstverständlich knüpfte eine solche dichte Tagebuchproduktion – auf beiden Seiten – gleichzeitig an Traditionen und Kulturen des privaten Schreibens an.124 Zudem ist sie von Formvielfalt und unterschiedlichsten materiellen Realisierungen auf einer großen Bandbreite von Textträgern gekennzeichnet, was der Hybridität des Genres Tagebuch entspricht. Dieses lässt sich, wie die neuere Forschung betont, kaum idealtypisch festmachen,125 sondern tritt in vielen Ausformungen und Verflechtungen mit Gattungselementen anderer Selbstzeugnisse, wie dem Brief oder der Autobiographie, auf. Außerdem kennt das Tagebuch, bedingt auch durch seine Nähe zum Alltag, eine weitgehende „Unabhängigkeit von Formzwängen“126 und „spielt“ verwoben damit dennoch häufig mit literarischen Konventionen und anderen Traditionen der Diaristik – wozu zum Beispiel das Rechen- und Wirtschaftsbuch oder die kalendarische Notiz, die Chronik, die Beichte, das pietistische Tagebuch, das Journal intime und das Kriegstagebuch gehören.127 Alles in allem konstituiert sich das Genre Tagebuch somit jedenfalls an Schnittstellen, ist weder ausschließlich dem ‚Privaten‘ zuordenbar, wie enge Gattungsdefinitionen lange vorgaben,128 noch der Dominanz einer narrativen Fokussierung auf Subjektivität, Selbsterkundung, Ich-Zentriertheit und damit: Authentizität oder Unmittelbarkeit; seine Gren-

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ders interessant: Lore Walb, Ich die Alte – Ich, die Junge. Konfrontation mit meinen Tagebüchern 1933–1945, Berlin 1997. Vgl. für das private Tagebuch, als Versuch einer Forschungssynthese: Christa Hämmerle, Diaries, in: Benjamin Ziemann u. Miriam Dobson Hg., Reading Primary Sources. The Interpretation of Texts from 19th and 20th Century History, Routledge 2008, 141–159. Vgl. dazu jüngst, für das literarische Tagebuch, v. a. die Dekonstruktion gängiger Gattungsdefinitionen durch Arno Dusini, Tagebuch. Möglichkeiten einer Gattung, München 2005; für solche Tagebücher aus der NS-Zeit auch Bluhm, Das Tagebuch zum Dritten Reich, 15–24, 288ff. Maßgeblich beteiligt am innerwissenschaftlichen Prozess der Öffnung und Auflösung tradierter Genredefinitionen war auch die feministische Tagebuchforschung; vgl. etwa Felicity A. Nussbaum, Towards Conceptualizing Diary, in Trev Lynn Broughton Hg., Autobiography. Critical Concepts in Literary and Cultural Studies. Vol. 4, London u. a. 2007, 3–13 (Reprint eines erstmals 1988 erschienenen Beitrages); Margot Brink, Ich schreibe, also werde ich. Nichtigkeitserfahrung und Selbstschöpfung in den Tagebüchern von Marie Bashkirtseff, Marie Lenéru und Catherine Pozzi, Königstein/Taunus 1999. Gerade das diente – darauf weist auch Sigrid Weigel hin – als Argument, um das Tagebuch als vorwiegend ‚weibliches‘ Genre zu definieren; vgl. Sigrid Weigel, „Der Mensch meines Lebens bin ich“? – Tagebücher und Ich-Texte, in: dies., Die Stimme der Medusa. Schreibweisen in der Gegenwartsliteratur von Frauen, Reinbek bei Hamburg 1989, 97–197, 101. Vgl. die vielen eindrucksvollen Beiträge und Beispiele dazu im Ausstellungskatalog @bsolut privat!? Vom Tagebuch zum Weblog, hg. von Helmut Gold u. a., Heidelberg 2008; bes. Christiane Holm, Montag Ich. Dienstag Ich. Mittwoch Ich. Versuch einer Phänomenologie des Diaristischen, in: ebd., 10–50. Angesichts der unauflösbaren Verschränkung von ‚privat‘ und ‚öffentlich‘ meint etwa Dusini, Tagebuch, 70f, dass der Topos des ‚Privaten‘ für eine Gattungsbestimmung des Tagebuchs „letztendlich untauglich sei“; er plädiert nachdrücklich dafür, ihn als ein „Gespenst unserer Köpfe“ endlich ad acta zu legen.

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zen zum fiktionalen Schreiben sind auch von daher fließende.129 Das gilt ebenso für die hier zu behandelnde Zeit des nationalsozialistischen Regimes, ungeachtet dessen, dass gerade damals das Bedürfnis nach einer schriftlichen Be- und Verarbeitung der Ereignisse und eigenen Erfahrungen besonders groß war. Dennoch konnten die diaristischen Aufzeichnungen dieser Zeit in ihrem Stil, ihrer Ausrichtung sehr verschieden sein. Sie wurden in Schulhefte, gebundene Lederbände oder Tagebuchvorlagen, Notizblöcke und Jahreskalender ebenso eingetragen wie auf losen, zufällig gefundenen oder versteckten Blättern notiert – je nachdem.130 Und sie konnten eher telegrammartig protokollieren und dokumentieren, das äußere Tagesgeschehen sowie das eigene, gelebte Leben nur andeuten, oder dieses ins Zentrum der Darstellung rücken und damit das subjektive Erleben, das eigene „Ich“, ausführlich thematisieren – sei es Tag für Tag, in größeren zeitlichen Abständen, sehr sporadisch. Überliefert sind auch Tagebücher, die weitgehend aus Zeichnungen, (selbst verfassten) Gedichten, Briefentwürfen und -abschriften oder der Widergabe von Zeitungsmeldungen bestehen und so das auszudrücken versuchen, was eigene Worte nicht konnten oder wollten.131 Damit verbunden ist eine Vielfalt an Funktionen des damaligen Tagebuchschreibens. Denn auch innerhalb der vielen von den Nationalsozialisten ausgegrenzten, verfolgten und mit der Ermordung bedrohten Menschen war es von verschiedenen Faktoren abhängig, warum, mit welcher Bedeutung und welchen Zielen in diesen Jahren jemand ein Tagebuch (weiter-)führte; das differierte selbstverständlich – je nach biographischer, sozialer und politischer Herkunft und Situation, dem Bildungsgrad, dem Geschlecht, dem Lebensalter, der Berufstätigkeit etc. Die mit all diesen Aspekten eng verwobenen Funktionen eines Tagebuchs konnten sich zudem immer wieder verändern, sie waren ebenso verknüpft mit den konkreten Alltags- oder Überlebensbedingungen und dem Ausmaß der Betroffenheit von Krieg und Holocaust. In dieser Zeit verfasste Tagebücher haben daher viele möglichen Funktionen, die es jeweils zu entschlüsseln und mit den bereits angedeuteten, längerfristig wirksamen diaristischen Schreib- oder Formtraditionen in Verbindung zu setzen gilt – und zwar unter Berücksichtigung des Umstands, dass „Tagebuchschreiben

129 Vgl. etwa Hämmerle, Diaries, 142–147; Nicole Seifert, Tagebuchschreiben als Praxis, in: Renate Hof u. Susanne Rohr Hg., Inszenierte Erfahrung. Gender und Genre in Tagebuch, Autobiographie, Essay, Tübingen 2008, 39–60, bes. 48–51. 130 Besonders eindringlich zeigen Letzteres die von Fritz Solmitz, einem Bürgerschaftsmitglied in Lübeck und Redakteur der sozialdemokratischen Parteizeitung „Lübecker Volksbote“, während seiner Gestapo-Haft heimlich auf Zigarettenpapier festgehaltenen Tagebuchaufzeichnungen, die v. a. seine Folter dokumentieren, bevor er so in den Tod getrieben wurde; vgl. den Ausstellungskatalog @bsolut privat!? 82f. 131 Vgl. dazu wiederum Beispiele im Ausstellungskatalog @bsolut privat!? sowie in Breloer, Mein Tagebuch. Auch in der Sammlung Frauennachlässe sind solche unveröffentlichten Tagebücher archiviert.

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eine Praxis ist“ und daher „der Akt des Schreibens für den Diaristen größere Bedeutung haben kann als der dabei entstehende Text“.132 Das trifft für im Nationalsozialismus Verfolgte in besonderem Maße zu, vor allem wenn wir davon ausgehen, dass ihnen ihr Tagebuchschreiben, individualpsychologisch gesehen, „in extremen Lebenssituationen zur Überlebenshilfe“133 diente. Die Art und Weise, wie das versucht wurde, konnte wiederum sehr verschieden sein. Sie stellte vielfach eine Strategie dar, mit der man aller Ungewissheit, Angst und Todesdrohung zum Trotz im anhaltenden Ausnahmezustand eine Art von „Normalität“ und „Alltäglichkeit“ zu wahren suchte oder in Erinnerungen, Imagination, Poesie eintauchte, um sich so seiner selbst, der eigenen Würde und Integrität, auch des einst erfahrenen Schönen in der Welt und der Chance auf eine Zukunft zu versichern.134 Im Vordergrund stand damit ein Verständnis des Tagebuchschreibens als Selbstschutz und Selbstbehauptung sowie als Durchhaltestrategie und Möglichkeit, Kraft zum Überleben zu gewinnen135 – beschreibend und (an-)klagend oder betend, hoffend und sehnend, Trost in der Literatur, in der Natur schöpfend … wie auch immer; die in den bislang veröffentlichten Holocaust-Tagebüchern dokumentierte „Innenseite der Verfolgung“136 kennt verschiedene Facetten. Von der Forschung besonders hervorgehoben und untersucht wurde vor allem die Schreibfunktion des „Bezeugens“ beziehungsweise, wie der bekannteste „Chronist der Verfolgung“137 Victor Klemperer es programmatisch formuliert hat, des „Zeugnis Ablegens“138 – für vielleicht überlebende Angehörige und Freunde wie für die Nachwelt generell. Gerade das Anliegen, für spätere Generationen aufzuzeichnen, was man im nationalsozialistischen Herrschafts- und Terrorsystem erlitt und beobachtete, mitunter auch in Hinblick auf jene, die für die Verbrechen 132 Seifert, Tagebuchschreiben als Praxis, 40. Zu verschiedenen an der Lebenspraxis orientierten Funktionen von popularen Frauen- und Mädchentagebüchern generell vgl. Hämmerle, Nebenpfade; 158–163; dies., Ein Ort für Geheimnisse? 35–45. 133 Bluhm, Tagebuch, 26. 134 Vgl. dazu v. a. die in Anm. 122 zitierten Tagebücher von Anne Frank, Etty Hilsum, Renata Laqueur u. a. 135 Vgl. auch Susanne zur Nieden, Aus dem vergessenen Alltag der Tyrannei. Die Aufzeichnungen Victor Klemperers im Vergleich zur zeitgenössischen Tagebuchliteratur, in: Heer, Im Herzen der Finsternis, 110–121, 115. 136 Wildt, Angst, 50. 137 Zur Nieden, Aus dem vergessenen Alltag der Tyrannei, 114–117. 138 Das steht in der Tat vor allem für Klemperer, dessen edierte Tagebücher diesen Titel tragen. Vgl. aber etwa auch das Beispiel von Cohn, Kein Recht, nirgends, als das Tagebuch eines Breslauer Juden und Historikers, der damals schrieb, um „für spätere Geschlechter“ zu bezeugen, „was ein jüdischer Mensch in dieser Zeit gelebt und gelitten hat“; zit. nach der Einleitung von Norbert Conrads, Bd. 1, IX-XXX, XV. Auch Heuser, Holocaust und Gedächtnis, 99, sieht eine Funktion autobiographischer Texte über den Holocaust ungeachtet der Konstruktivität jeglichen Erinnerns jedenfalls in ihrem „Bezeugen“, ebenso wie Friedländer, Jahre der Vernichtung, Zweiter Band, 23f., sowie zur Nieden, Aus dem vergessenen Alltag, 115, in Hinblick auf die von Renata Laquers zusammen getragenen KZ-Tagebücher.

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im Einzelnen verantwortlich waren, ist demnach überliefert – selbst wenn das wohl kaum jemand sonst so detailreich und analytisch tat wie der von seiner Universität in Dresden entlassene und später zur Zwangsarbeit verpflichtete, jüdische Romanistikprofessor Victor Klemperer, der gerade zitiert wurde. Er lebte damals mit seiner „arischen“ Ehefrau namens Eva, wie Therese und Ignaz Lindenberg, in einer „Mischehe“, und hat all diese Jahre über ungeachtet der großen Gefahr, die das für ihn bedeutete,139 in seinem Tagebuch unablässig und präzise, klar und umfassend festgehalten, was mit ihm geschah, wie sich der weiter vorne skizzierte, von zahlreichen antisemitischen Demütigungen und Schikanen begleitete Prozess der Entrechtung und Ausgrenzung in seinem konkreten Fall im Detail vollzog und welche Angst, Ohnmacht und Verzweiflung das auslöste; als Intellektueller war er in Verbindung damit auch an einer Dokumentation der erschreckenden Funktionsweise der „Lingua Tertii Imperii“ interessiert.140

Verschlüsselung und Apostrophe – Das Tagebuchschreiben von Therese Lindenberg Das in jenen Jahren verfasste Tagebuch von Therese Lindenberg ordnet sich zum Teil in ein solches Spektrum an möglichen Funktionen zwar durchaus ein, weist jedoch gleichzeitig Spezifika auf, die unser Wissen um das private Schreiben im Holocaust zu erweitern vermögen. Das ist nun zunächst für ihre originalen Tagebücher auszuführen – für jene Hefte also, die von der Autorin im Jahr 1975 wieder gelesen und zu einem neuen Text kompiliert wurden. Es handelt sich dabei um Aufzeichnungen, die sie einst in fünf verschieden kartonierte gebundene Hefte unterschiedlichen Formats eingetragen und später, wie alle ihre Tagebuchhefte, selbst nummeriert und mittels der Angabe zu den darin insgesamt erfassten Tagen quantifiziert hat.141 Die ersten zwei davon haben einen schwarzen Einband, die drei weiteren einen grün-schwarz marmorierten. Bis auf eines sind sie alle liniert und ähneln Schulheften,142 ihr Format und ihr Gewicht erlaubten, dass das jeweils 139 Spätestens seit November 1938 rechnete Klemperer ständig mit Hausdurchsuchungen, später auch mit Überfällen der Gestapo. Am 27. Mai 1942 hielt er nach einer Hausdurchsuchung explizit fest: „Aber ich schreibe weiter. Das ist mein Heldentum. Ich will Zeugnis ablegen, und exaktes Zeugnis!“; zitiert nach zur Nieden, Aus dem vergessenen Alltag, 114. 140 Zur Nieden, Aus dem vergessenen Alltag, 118. Victor Klemperers Analyse der Sprache des Dritten Reiches erschien – teilweise unter starker Bearbeitung der Originaltagebücher – schon 1947; vgl. als Neuausgabe: ders., LTI. Notizbuch eines Philologen, Stuttgart 2007. 141 Konkret stammen die in diesem Band edierten Tagebuchaufzeichnungen aus den Bänden 10 (Einträge vom 9. 1. 1937 bis 25. 5. 1940), 11 (Einträge vom 25. 5. 1940 bis 1. 1. 1943), 12 (Einträge vom 1. 1. 1943 bis 26. 9. 1944), 13 (Einträge vom 1. 10. 1944 bis 12. 1. 1946) und 14 (Einträge vom 12. 1. 1946 bis 8. 5. 1947); alle in: SFN, IfG, NL 3/3, 3/4. 142 Genauere Angaben zu Format, Aussehen und Schriftbild befinden sich in der Edition am Beginn jedes Tagebuchs sowie im dortigen Anmerkungsapparat.

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aktuelle Tagebuch stets leicht mitgetragen und verstaut werden konnte – wo immer Therese Lindenberg hinging oder sich aufhielt. Offensichtlich hat sie das auch getan; denn viele Einträge belegen, dass sie – nicht selten mehrmals am Tag – im Zuge ihrer langen Wege durch Wien und seine Umgebung etwa auf einer Wiese oder am Straßenrand, einer Parkbank, neben einer Kirche sitzend in ihr Tagebuch eintrug oder dieses mit auf mehrtägige kleinere Reisen nahm, die sie teilweise weit über die Stadtgrenzen hinaus führten.143 Immer scheint ihr Heft mit dabei gewesen zu sein, ungeachtet der Gefahr, die das im Falle einer Kontrolle bedeutet haben könnte;144 als sie einmal in der Straßenbahn die Handtasche vergessen hatte und diese am nächsten Tag wieder bekam, notiert sie gerade diese Gefahr jedoch nicht, sondern nur ein lakonisches „Danke“ (17. Dezember 1944). Im Unterschied zur „Weite“ draußen war ihr Schreibplatz „daheim“, vor allem in der Wohnung in der Großen Schiffgasse, deren Zustand sie beim Einzug zur „Verzweiflung“ gebracht hatte (28. November 1941), äußerst reduziert; wir erfahren darüber im Tagebuch, dass sie sich dort zum Schreiben „ein verbreitertes Fensterbrett“ einrichtete (14. Dezember 1941) – was schließlich positiv konnotiert wurde: „Von einem ganzen Zimmer, das ich hatte, bin ich auf 80 cm2 ‚herabgekommen‘. Es genügt.“ (16. Jänner 1942) „Ich sitze auf meinem Plätzchen und schaue die Straße hinab. Ich müßte lügen, wenn ich mit meiner Lage {hier} unzufrieden wäre. Das Durchgehen durch das Zimmer ist wohl nicht angenehm. Aber immer denke ich an die anderen Armen.“ (24. Jänner 1942) An allen diesen verschiedenen Orten schrieb Therese Lindenberg oft hastig und wechselhaft, so dass enger beschriebene Teile des Tagebuchs neben Passagen stehen, in denen nur wenige Worte in eine Zeile, relativ wenige Sätze oder Satzstücke auf eine Seite passten. Überhaupt ging sie mit Platz immer wieder großzügig um, verwendete ihn für viele und teilweise lang gezogene Gedankenstriche, nur angefangene Zeilen, so wie sie der Angabe des Datums – der Konvention entsprechend – meist eine eigene Zeile zugestand; ihr besonders wichtige, durch Unterstreichung, Vergrößerung oder andere Markierungstechniken hervorgehobene Einträge erscheinen mitunter sogar (fast) allein auf einer ganzen Seite. Umgekehrt hat sie – nachträglich, das heißt nachdem ein Tagebuch voll geschrieben war – auch die Innenseiten des Einbandes beziehungsweise der vorderen und hinteren Deckblätter genutzt, primär um Todesanzeigen bekannter Soldaten oder tabellarische Verzeichnisse einzutragen. Einlagen gibt es hingegen selten.145 Das Schriftbild variiert teilweise stark; den kontinuierlichen Eintragungen in mehr oder weniger gleichmäßiger Schrift, die meist in Tinte erfolgt sind, stehen so, auf der visuellen Ebene, an vielen Stellen 143 Solche Reisen unternahm Therese Lindenberg, gemeinsam mit anderen, jährlich im Sommer auf die Rax im Semmeringgebiet, wo sie vor dem Krieg auch oft mit ihrem Mann gewesen war, und in das „Land ihrer Kindheit“ nach Riedenthal. Im Originaltagebuch erwähnt sie an keiner Stelle, dass sie damit auch Kontrollpunkte an der Stadtgrenze passieren musste; vgl. dazu aber den Eintrag vom 14. 5. 1940 in den „Apokalyptischen Jahren“, wo das explizit dargelegt wird. 144 Vgl. dazu u. a. Bluhm, Tagebuch, 24f. 145 Auch das ist in der Edition jeweils vermerkt.

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Abb. 11: Der „Anschluss“: Tagebucheinträge 13. bis 19. März 1938

Abb. 12: Das Kriegsende: Tagebucheinträge 11. und 14. April 1945

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auffallende Einbrüche in dieses Kontinuum entgegen – durch die Wiedergabe eines (auch selbst verfassten) Gedichts oder eines Briefentwurfs/einer Briefabschrift, einen Wechsel des Schreibgeräts oder deutlich abgehobene, im Nachhinein getätigte Durchstreichungen und Ergänzungen146 sowie besonders ausfahrende Schreibbewegungen, extra stark markierte Ausrufe- oder Fragezeichen etc. In der Edition gehen alle diese Spuren, die vielfach auch Spuren einstiger Emotionen der Diaristin sind, selbstverständlich weitestgehend verloren, so wie überhaupt die besondere und oft faszinierende Materialität und „Sinnlichkeit“ eines originalen Tagebuchs nicht in Drucklettern zu übersetzen ist – ungeachtet aller diesbezüglichen Hinweise in unserem Anmerkungsapparat.147 Das Gleiche gilt für alle haptisch wahrnehmbaren Stellen des Originals, wie verwischte Tinte und deutlich sichtbare Wasserflecken, die auf einstige Tränen während des Schreibens oder Wiederlesens eines Eintrages hinweisen, oder – in Lindenbergs Fall ebenso möglich – auch auf Regen und Schnee, den Schweiß des Sommers, erlebte Erregung und Angst. In Bezug auf solche Spuren schweigt das gedruckte Tagebuch ebenfalls beharrlich, so wie dort wo, deutlich erkennbar, als Akt der Selbstzensur im Original einzelne Seiten herausgerissen wurden. Doch auch auf der inhaltlichen Ebene stellen das Kodieren oder Aussparen beziehungsweise Selbstzensur, ein in meinen bisherigen Ausführungen bereits mehrfach angesprochenes Andeuten und Umschreiben, ein ganz wichtiges Charakteristikum der LindenbergTagebücher dar. Dieses soll daher genauer erläutert werden, als erstes von einigen Themen, die ich nun behandeln will, um die Leserinnen und Leser auf die Edition einzustimmen und zukünftige Forschungen dazu anzuregen. Denn die spezifische Art und Weise, in der Therese Lindenberg ihre Erlebnisse und Erfahrungen mit dem Holocaust verschlüsselt, springt ins Auge (und wohl auch ins Herz). Sie spricht ihr so entstehendes „Schweigen“ dazu auch selbst immer wieder an, wie in der oben formulierten Passage über das Annähen des „Judensterns“ auf die Kleidung ihres Mannes, wovon sie – vielleicht – erst später einmal ihren (Enkel-)Kindern erzählen wollte, oder mittels mitunter ähnlich klingender, konkret darauf Bezug nehmender Formulierungen: „Schnee, viel Schnee. Und Krieg. Und Schwere, Schwere. Was ließe sich darüber alles sagen! Eingemauert in meinem Herzen ist alles.“ (29. Jänner 1940) „Meine Seele schweigt.“ (18. Februar 1940) „Frau Brandl beleidigt mich schwer. Aber ich gehe in mich und sage: Wieder Erziehung. Erziehung zum Schweigen.“ (16. November 1941) „Ich weiß, wie ich mir viel verdienen kann, durch Schweigen, Geduld und Demut im Ertragen von Unbill.“ (14. August 1944) „Und täglich mußte ich meinem Herzen zuschreien: „Schweige und leide.“ (26. November 1944) Bewirkt wird ein solches „Schweigen“, das sich bei genauerer Analyse vielmehr als ein Verschlüsseln und Umschreiben brisanter und beängstigender Inhalte offenbart, durch 146 Diese könnten teilweise auch erst lange nach dem Krieg, beim Wiederlesen der Tagebücher, eingefügt worden sein; vgl. auch Anm. 149. 147 Vgl. zu dieser besonderen „Verletzbarkeit von Tagebüchern“ Dusini, Tagebuch, 49–55; Hämmerle, Diaries, 149 f.; Nikola Langreiter, Wetti Teuschls Tagebuch – einige Vorbemerkungen, in: dies. Hg., Tagebuch der Wetti Teuschl (1870–1885), Köln/Weimar/Wien 2010, 7–17.

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ein ganzes Bündel narrativer Strategien. Sie stellen teils eine Fortsetzung des spezifischen Schreibstils Therese Lindenbergs schon aus der Zeit vor dem „Anschluss“ Österreichs an das Dritte Reich dar, wurden jedoch unter den Auspizien des NS-Terrorregimes verdichtet, oder nahmen auch neue Ausrichtungen an. Das gilt vor allem für ihre so häufige, mitunter ganze Seiten dominierende Verwendung von Satzellipsen, einem dadurch bewirkten telegrammartigen Stil, der sich in besonders dramatischen Zeiten steigerte und zur fast gänzlichen Aneinanderreihung von Substantiva gerinnen konnte: „M ä r z , d e r F r ü h l i n g s m o n a t ! Ach, und wir Alarm über Alarm. Die Trümmerhaufen! Schutt. Meine schöne, meine geliebte Stadt! Gestern 7 Stunden im Keller. Nicht Baum noch Strauch gesehen, keine Wallfahrt – nichts.“ (2. März 1945) Und es gilt in Hinblick auf die immer wiederkehrende Adressierung ihrer erwachsenen Tochter als „Kind“ sowie ihres Ehemannes als „Mann“, was sich ebenfalls bereits in den Tagebüchern aus den Jahren davor abzeichnete,148 nun aber auch zu einer bewusst gewählten Strategie zum Schutz der beiden vor der NS-Verfolgung wurde. Neu ist in der Zeit des Holocaust zudem die auffallende Verschiebung der Quantität dieser Nennungen: Während „das Kind“ beziehungsweise, seltener gewählt, „Lisl“, die emigrieren konnte, über weite Strecken des Tagebuchs fast Tag für Tag angesprochen wird, geschieht dies im Falle von Ignaz Lindenberg selten und meist in äußerst knapper Form – was eben auch eine Schutzfunktion hatte. Außerdem wird er an keiner einzigen Stelle bei seinem Vornamen genannt, und mehrfach wurde der Hinweis auf ihn erst nachträglich (wohl erst nach dem Krieg)149 mit Bleistift eingefügt: „Mein armer Mann. (…) Mein Mann voll Trauer und Sorge.“ (19. März 1938) „Der Mann noch immer nicht gesund. Wohl auf, aber deprimiert, am Divan liegend.“ (30. Jänner 1941) „Mein Mann besser. Die Polenaktion.“ (6. Februar 1941) „Tiefste Verzweiflung. Vielleicht Trennung von meinem Mann.“ (19. Februar 1941) „Strahlender Tag. Gestern im Häuschen {mit Mann}.“ (2. Juni 1941) „Im Maurer Wald. Laab. Kalksburg {mit meinem Mann}.“ (8. September 1941). „Der Mann leidend. Kann nicht ausgehen. Sieht elend aus. Mich schmerzt das Herz, wenn ich ihn ansehe.“ (19. Februar 1942) „Mein armer Mann! Ich liebe ihn sehr.“ (9. Juni 1942) „Mein Mann wartet auf die Registrierung.“ (23. August 1942) „Bitte, daß der Mann ins Freie darf. (Wieder Aushebungen. Ich wollte zur Mutter gehen, bleibe da.)“ (25. März 1943) „Der Mann nervös, nörgelnd, quälend.“ (10. Juli 1943) „Neue Sorge wegen des Mannes. Es war in der letzten Zeit sehr schwer mit ihm.“ (26. November 1944) Diese Zitatauswahl verdeutlicht auch, dass die weiter vorne zitierte Passage vom 10. März 1944, in der Therese Lindenberg von der Abholung ihres Mannes schrieb, hinsichtlich ihrer Ausführlichkeit eine Ausnahme darstellt. Denn üblicherweise widmete sie diesem Thema kaum mehr als ein bis zwei Worte oder Sätze, so wie sie überhaupt ihre 148 Solche auf das konkrete Verwandtschaftsverhältnis, die soziale oder familiale Funktion oder Position einer nahestehenden Person fokussierenden Bennennungen waren und sind gängig. 149 Möglich wäre sogar, dass solche Einfügungen mit Bleistift erst im Jahr 1975 erfolgt sind, als Therese Lindenberg ihre alten Tagebücher wieder gelesen und das Typoskript „Die apokalyptischen Jahre. 1938–1946“ erstellt hat.

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Abb. 13: Der „Judenstern“: Tagebucheintrag 18. April 1943

Bezugnahmen auf die gesellschaftliche Ausgrenzung und Verfolgung, Deportation und Ermordung der jüdischen Bevölkerung nur äußerst sporadisch in den Text einstreute und vage hielt, auf euphemistische Signalwörter wie „Gemieden werden (…)“ (19. März 1938), „Suchung“ (für Hausdurchsuchung, 10. November 1938), „Transport“ (8. Oktober 1941), „Die Aushebungen“ (18. Jänner 1942), „Schneeschaufeln. Transporte“ (ersteres für jüdische Zwangsarbeit, 15. Februar 1942), „die Ausheber“ (17. Juli 1942) und „Registrierung“ (23. August 1942) reduzierte. Oder sie schrieb – häufiger und für spätere Leserinnen und Leser des Tagebuchs dadurch umso bedrückender – nur davon, dass Wohnungsnachbarn, Freunde und Bekannte sie verließen, zur Verabschiedung kamen, wegfuhren oder fort kamen, und verdichtete das zum Beispiel so: „Alle müssen weg. Schicksal.“ (12. Juli 1942) „Alle sind schon weg. Gisi am 24.“ (27. September 1942). Einmal ließ sie sogar nur ein Zeichen sprechen statt konkret auszusagen, dass ihr Mann bei den seltenen gemeinsamen Ausgängen den „Judenstern“ tragen musste: „Seit Donnerstag ist es unwahrscheinlich heiß und schön, die blühende Welt! Donnerstag in Sievering. In der Frühe zur Mutter (…) mit dem Mann. Ich denke, weil ich allein so froh durch Gassen gehe, muß ich dies dulden {}.“ (18. April 1943)

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Ein solches Umschreiben, Verdichten und Verschlüsseln150 liest sich vordergründig so, als hätte die mit dem Nationalsozialismus einhergehende Gewalterfahrung das Sprachvermögen reduziert oder sogar weitgehend zerstört. Doch ist in diesem Kontext mit Nachdruck an die strenge Zensur und Strafbarkeit von NS-kritischen Aufzeichnungen zu erinnern – was wohl auch erklärt, warum die hoch kodierte Sprache Therese Lindenbergs in bestimmten Phasen, in denen die Gefahr besonders groß war, noch eine Steigerung erfuhr. Das war insbesondere im Spätwinter 1941 der Fall, als die Lindenbergs zwischen der Hoffnung, vielleicht doch noch zur Tochter nach Manila auswandern zu können, und der schockierenden Kenntnis vom ersten Höhepunkt der Massendeportationen aus Wien hin und her schwankten; zudem verstärkte sich in jener Zeit der Druck auf Therese Lindenberg, sich scheiden zu lassen. In ihrem Tagebuch setzte sie folglich, einer Art von Flaschenpost gleich, gehäuft begriffliche Label wie „Die Polenaktion“ (6. Februar 1941) oder „Die Polentransporte“ (22. Februar 1941), „der Parteimann“ (15. Februar 1941) und „die Karte“ und bezeichnete letztere, da der Erhalt einer solchen Karte die Ausweisung ihres Mannes eingeleitet hätte, als „Damoklesschwert“ (9. März 1941). Dazwischen beziehungsweise in Verbindung damit steht, ähnlich geballt und wiederkehrend, der Ausdruck starker Emotionen: „Abends tiefste Depression.“ (15. Februar 1941) „Tiefste Verzweiflung. Vielleicht Trennung von meinem Mann.“ (19. Februar 1941) „Schweres Herz, schweres Herz. (…) Täglich, stündlich die Frage: Muß ich fort. Und alles betrachte ich mit abschiednehmenden Blicken {mit Mann}.“ (27. Februar 1941). „Schwer, schwer. Manchmal so erdrückend, daß ich glaubte, nicht mehr weiter zu können.“ (2. März 1941) Das ist die Art und Weise, wie in diesem Tagebuch die erfahrene Angst und Sorge, das Entsetzen, die Verzweiflung, auch sonst meist in Worte gekleidet werden; die Rede ist dann, lakonisch auf einen gefühlskonnotierten Begriff reduziert, etwa von „Kränkungen“, „Demütigung“ und „Betrübt sein“, ohne dass dies weiter ausgeführt würde; oder es heißt einfach: „Ich hätte nie gedacht, daß man solches Herzweh haben kann.“ (4. November 1938) „Es ist jetzt manchmal ganz schwer.“ (9. November 1941) „Gestern und diese zwei Tage, so schwer.“ (13./14. November 1941). Vor allem der Verweis auf das Herz, welches „oft, fast immer schmerzt“ (12. Juni 1938) und „ganz schwer“ (19. Oktober 1941) ist, kreist im Text unaufhörlich, ist ihm so sehr eingeschrieben, dass die Diaristin selbst am 6. September 1945, als sie wieder in ihrer früheren Wohnung leben und gemeinsam mit ihrem Mann den Spätsommer genießen konnte, festhielt: „… so wunderbar, daß mir das Herz vor Glück wehtat. Einmal darf ich’s ja sagen – denn wie oft hat das Herz vor Weh geschmerzt.“ Daneben oder in Verbindung mit dieser somatischen Dimension ihrer Emotio-

150 Eine Durchbrechung dieser Tendenz findet, verkleidet in das Schreiben über eine dritte Person namens Therese, partiell in einigen wenigen in ihr Tagebuch eingetragenen Briefentwürfen (v. a. vom 16. Oktober und 17. November 1941) statt, die höchstwahrscheinlich an Carl Lehnhofer, einen Freund und entfernt verwandten Zoologen und Schriftsteller, gerichtet waren. Zu ihm hatte Therese Lindenberg in jener Zeit ein sehr enges Verhältnis.

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nen151 stoßen wir beim Lesen der Aufzeichnungen während des Krieges ebenso häufig auf ihre Tränen, ihr Weinen; dieses ist ähnlich wiederkehrend wie der Verweis auf das Herz als körperliches Gravitationsfeld der Gefühle, und in verschiedene narrative Kontexte eingestreut; häufig sind solche Tränen religiös konnotiert (worauf ich noch zurückkommen werde). „Wenn ich auf der Gasse gehe, strömt mir das Leid überall entgegen. Tränen rinnen mir übers Gesicht. Ich kann nicht mehr lachen. Das Herz schmerzt. Und heute flehte ich: Sieh, Herr, sieh – und hilf!“ (23. April 1938) „Wo werden die Tränen gesammelt?“ (23. September 1939) „Herr ich bin kleinmütig, denn ich verzweifle. Ich weiß, Du beschützt uns – und doch strömen die Tränen. O Herr, beschütze meinen Mann.“ (15. Februar 1941) Alles in allem, so ließe sich erstmals resümieren, beschreibt Therese Lindenberg ihr Umfeld, das beobachtete Geschehen um sie herum über Jahre hindurch kaum oder nur sehr beiläufig. Hingegen vermerkt sie die durch den Holocaust evozierten Gefühlslagen durchaus und mit Vehemenz – gerade auch durch die plakative, verkürzte oder kodierte Art der Darstellung. Gleichzeitig werden diese Emotionen in eine Sprechweise übersetzt, die sie abstrahieren, ins Bild- und Formelhafte heben, wodurch dieses Tagebuch dem in Hinblick auf die Literatur zur Judenvernichtung im Holocaust häufig vermerkten „Unsagbarkeitstopos“ in gewisser Weise entspricht.152 Auch über den Krieg, das Kriegsgeschehen, die Politik und die damit verbundenen Ängste und Hoffnungen wurde nur sehr reduziert geschrieben, in Bezug darauf schwieg Therese Lindenberg ebenfalls weitgehend, so wie im Übrigen andere Diaristinnen und Diaristen ihrer Zeit auch.153 Den nationalsozialistischen Herrschaftsapparat erwähnte sie, von den wenigen bereits gegebenen Hinweisen darauf abgesehen, überhaupt nicht, und die lakonisch wiederholte Chiffre „Krieg“ musste ihr für Vieles stehen. Sie taucht im Verlauf des Tagebuchs meist als bloßes Faktum auf, das nicht ausgeführt, erläutert und erklärt wird; die Wirkung des Begriffs „Krieg“ steigert sich allein durch Personifizierung und Wiederholung, das Hinzufügen eines Adjektivs, den Kontrast: „Und Krieg und Krieg draußen.“ (14. Mai 1940) „Das Antlitz des Krieges gesehen in der Wochenschau. Werde ich noch lachen können, solange es Krieg gibt?“ (12. Juni 1940) „Ach, dieser fürchterliche Krieg!“ (23. Jänner 1942) „Draußen der Krieg, der totale. Die Sonne scheint wie eh und je.“ (31. Jänner 1943) „Der Krieg rast.“ (25. Jänner 1945) Dabei wusste Therese Lindenberg, wie Hinweis auf die nationalsozialistische „Wochenschau“ zeigt,154 über den Kriegsverlauf sehr wohl genau Bescheid – umso mehr, als ab 151 Vgl. grundsätzlich zur Konzeptualisierung einer Geschichte der Gefühle: Ute Frevert, Angst vor Gefühlen? Die Geschichtsmächtigkeit von Emotionen im 20. Jahrhundert, in: Paul Nolte, Manfred Hettling, Frank-Michael Kuhlemann u. Hans-Walter Schmuhl Hg., Perspektiven der Gesellschaftsgeschichte, München 2000, 95–111, in Hinblick auf deren somatische Dimension ebd., 98. 152 Vgl. Heuser, Holocaust und Gedächtnis, 83. 153 Vgl. Bluhm, Tagebuch, 284f. 154 Die „Deutsche Wochenschau“ diente den Nationalsozialisten zur Propaganda und offiziellen Darstellung des Kriegsgeschehens. Sie wurde in den Kinos ausgestrahlt.

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dem Dezember 1941 auch „Krieg beim Kind“ herrschte, wie sie in jenen Tagen mehrfach konstatierte. Ihrer Darstellungsweise entsprechend, taucht dieses Wissen jedoch im Text wiederum nur als Formel auf, und vor allem ohne Verweis darauf, dass nur eine Niederlage des Dritten Reiches ihre und ihres Mannes Befreiung bedeuten könnte. „Paris gefallen.“ (14. Juni 1940) „{Von Montag auf} Dienstag Nacht Invasion. Die Kinder denken her.“ (8. Juni 1944) „Heute Paris aufgegeben.“ (28. August 1944) Konkreter wurde diese Rede vom Krieg erst ab 1944, als Wien und Manila stark bombardiert wurden, und dann in der Zeit um das Kriegsende und die Befreiung Wiens, als die Stadt weitgehend zerstört wurde: „Die Leute liefen, ich rannte die 50 m zum Luftschutzkeller, atemlos stürzte ich hinein! Alarm war gewesen und ich hatte nichts gewusst! Endlich, von ½ 11 bis ½ 12h hatte der Angriff gedauert, konnte ich zur Tramway gehen. Sie fuhr nicht! So ging und ging ich zu Fuß bis nach Hause! 2 ½ Stunden. Was ich da sah! Brennende Häuser, {glas}splitterübersäte Straßen, Obdachlose, ein Jammer! Der Krieg.“ (10. September 1944) „Am Hietzinger Platz kaufte ich mir die Abendzeitung und las darin, daß am Donnerstag Manila von 500 amerikanischen Bombern bombardiert wurde. O, wie schwer lag mein Herz in der Brust! Am Montag werden es s e c h s Jahre sein, daß mein Kind fortfuhr.“ (22. September 1944) „Die Menschen grau. Innen und außen grau. Beim Polizeiamt lag eine Hitlerbüste. Der Bezirk devastiert. Doch was ich am Nachmittag sah, läßt sich nicht beschreiben. Wir gingen zur Hilda. Die Brücken gesprengt. Bei der Johanneskapelle lag ein toter Soldat. Bei der Rossauerkaserne Tierkadaver. Und die Straßen! Kein ganzes Haus auf der Oberen Donaustraße! Doch das Schrecklichste sollte ich erst sehen: Die Ringsstraße! Bei Hilda hörte ich von den Ausschreitungen. Ich bin traurig gewesen, daß sich die russischen Soldaten nicht einwandfrei benehmen und benommen haben. Doch sie haben so viel zu rächen! Ach, die Ringstraße. Das Burgtheater ausgebrannt. Und der Stephansdom innen ausgebrannt. Alles devastiert. Wien – ein Schutthaufen! Armes Wien!“ (16. April 1945) Gerade der Kontrast zwischen der zuletzt zitierten Stelle vom April 1945, in der Therese Lindenberg das Geschehen einmal ­­ausführlich beschrieben hat, und der skizzierten Apostrophierung des Zustandes „Krieg“ in den Jahren zuvor verdeutlicht, dass es ihr – ganz anders als dem männlichen Intellektuellen Victor Klemperer – in ihrem damaligen Tagebuch nicht um ein Dokumentieren, ein auf die Nachzeit gerichtetes „Zeugnisablegen“ ging, weder in Hinblick auf den erfahrenen Krieg noch in Hinblick auf die erfahrene rassistische Verfolgung. Für sie bedeutete das Schreiben in jener Zeit primär etwas anderes; vor dem Risiko, dem sie sich und vor allem auch ihren Mann dadurch aussetzte, schreckte sie offenbar zurück – wie sie selbst viele Jahre später im Typoskript „Die apokalyptischen Jahren“ aussagen sollte, indem sie dort für den 18. Juni 1941 notierte, dass sie sich der Gefahr von Hausdurchsuchungen durchaus bewusst war: „Ich wage dies alles nicht ins Tagebuch zu schreiben, hüte mich vor Namensnennungen – Vielleicht Hausdurchsuchung.“ Dennoch kann gleichzeitig gesagt werden, dass diese Frau, die in der Intention der NS-Machthaber eigentlich hätte verstummen sollen, der wie vielen anderen ein Redeverbot auferlegt war, nicht gänzlich schwieg – sie hat ihr Tagebuch, trotz der Angst, dass es entdeckt werden könnte, weitergeführt und damit dieses Sprechverbot, diese Form einer Ausmerzung von

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Sprache unterwandert; so gesehen zeigte Therese Lindenberg in ihrem Schreiben auch Mut. Ihr Tagebuch diente ihr während dieser Zeit dazu, den Terror und die dadurch provozierte Angst innerlich zu bearbeiten und vor allem: Trost zu schöpfen. Dazu verhalfen ihr einerseits die Erinnerung und andererseits – damit häufig verknüpft – Naturerleben und insbesondere ihre starke Religiosität, auch Spiritualität. Diese inhaltlichen Tendenzen sollen daher, wiederum primär im Sinne einer Einstimmung und Anregung zur weiteren Erforschung, noch etwas ausgeführt werden.

Erinnerung, Religion und Natur Tagebücher sind auf komplexe Art und Weise Erinnerungsspeicher. Sie balancieren, wie es Felicitas Nussbaum formuliert hat, immer zwischen Vergangenheit und Zukunft,155 selbst wenn das Genre Tagebuch – wesentlich stärker als andere autobiographische Textsorten – primär durch den periodischen Ablauf von Zeiteinheiten beziehungsweise den Tag, das konkrete Datum strukturiert ist.156 Vergangenheit und damit auch Erinnerung schreiben sich dennoch stets ein, vor allem in Form von Rückblenden auf das eigene Leben, die besonders häufig am Beginn eines Tagebuchs oder nach einer längeren Schreibpause, am Anfang eines Eintrages stehen, oder indem der im diaristischen Text konstruierte „Tag“157 als Texteinheit realiter die Erzähleinheit für mehrere schon vergangene Tage darstellt, sogar ganz der selektierenden Erinnerung gewidmet wird – was bei Therese Lindenberg besonders häufig der Fall war. Sie schrieb oft explizit davon, dass sie sich innerlich aus der so schweren Gegenwart zurückzog, insbesondere in die Erinnerung an bessere Zeiten (die auch in die Zukunft weisen sollte): „O, wie denke ich jetzt der herrlichen Tage, die ich erleben durfte!“ (19. August 1938) „Immer, immer denke ich an das Kind. Ich lebe fast ganz in der Vergangenheit.“ (9. Juli 1940) „Ich grub mich in Erinnerungen ein.“ (16. Juli 1940) „Ich bin hier, ich bin hier! Bäume, Erde, Himmel, Berge und grüne, grüne Wiesen! Ich kann es fast nicht glauben. Ich sitze im Liegestuhl und schaue zum roten Häuschen hinüber, das Lisl gemalt hat. Die Erinnerungen! Und jetzt sage ich mir: präge es Dir ein. Die Wiesen, der Schwung der Berge und die Tannen, die Tannen!!! Ich lebe wieder – in den schönsten Dingen.“ (26. August 1940, im Zuge eines mehrtägigen Aufenthalts auf der Raxalpe) „Vor 6 Jahren. Immer zurückdenken, auch ein wenig vorwärts.“ (29. Dezember 1940) „Ich lebe jetzt fast 155 Nussbaum, Conceptualizing, 9. 156 Vgl. Philippe Lejeune u. Catherine Bogaert, Le journale intime. Histoire et anthologie, Paris 2006, 23: „La base du journal, c’est la date.“; sowie v. a. Dusini, Tagebuch, 83–108, der hier das Tagebuch als eine „auf den Tag gereimte Gattung“ definiert. 157 Dusini, Tagebuch, 93f, der davon schreibt, dass der Tag im Tagebuch stets eine Erzählfigur, das Ergebnis von Selektion darstellt, denn: „Die Zeit des Tagebuchs ist textierte Zeit.“ Dusini schlägt daher vor, dies mit TAG zu kennzeichnen: „Im TAG verleiht das Tagebuch dem Tag eine eigene Figur.“

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nur in Erinnerungen.“ (2. August 1941) „Einst schrieb ich: Mittsommertag, Jugend und Liebe gehören zusammen. Ach, das war vor 32 Jahren! Wladzko158, wie schön. Wo bist du? Beschützt Du mich? Ich habe Dich sehr geliebt.“ (21. Juni 1942) Das zuletzt gegebene Zitat aus 1942 zeigt, dass zur Verlebendigung solcher Erinnerungen auch die früheren Tagebücher dienten, die Therese Lindenberg häufig hervorzog und wieder las – was generell eine viel dokumentierte Erinnerungsfunktion des Tagebuchs darstellt. In der Zeit des Krieges, der gewaltsamen Trennung einander liebender Menschen, des Massentodes und der anhaltenden Todesdrohung, scheint diese Funktion umso wichtiger geworden zu sein; so wurden nicht nur Erinnerungen wachgerufen, sondern auch Vergleiche zwischen „Damals“ und „Heute“ provoziert: „Ich blättere oft in meinen Büchern und das Herz ist froh und traurig ob der schönen Dinge, die ich erlebte.“ (4. August 1940) „Ich las jetzt die Bücher von 31–35! Mein Gott, wie gut ist es mir gegangen!“ (16. Dezember 1940) „Ich habe meine alten Tagebücher in die Lade gegeben; da lese ich oft nach und lebe in der alten Zeit.“ (7. Jänner 1943) Außerdem diente die Re-Lektüre ihrer Tagebücher Therese Lindenberg zur religiösen Selbstvergewisserung; sie waren somit auch in dieser Hinsicht ihr ständiger Begleiter: „Ich habe die Tagebücher von den letzten 3 Jahren gelesen. Ich sah zum Himmel und schloß die Augen. Seine Segnende Hand!“ (26. April 1943) Die mehrdimensionale Erinnerungsfunktion des Tagebuchs scheint sich im Falle Therese Lindenbergs im Laufe der NS-Zeit noch gesteigert zu haben – insbesondere ab dem Kriegsausbruch auf den Philippinen, der den Postverkehr mit ihrer emigrierten Tochter lange verunmöglichte und daher das für sie so wichtige Briefschreiben blockierte. Auf einen solchen Zusammenhang deutet zum einen die Zunahme der Länge und Quantität der Einträge in jenen Jahren, was der Diaristin selbst bewusst war, wenn sie festhielt, dass sie „jetzt so gerne in das Buch“ schreibe und das „in den genussreichen Jahren auch tun [hätte] sollen“ (26. April 1943). Im Zuge ihrer langen Gänge durch die Stadt suchte sie nun außerdem wiederholt auch Orte auf, an denen sie mit Mann und Tochter einst gewohnt, ein besonderes Erlebnis gehabt hatte; Hinweise darauf finden sich zuhauf in ihren Tagebüchern. Zum anderen verstärkte sich gerade in dieser Zeit ihre Tendenz zur rechnerischen Bilanzierung von Erinnerung in auffallender Weise159 – wodurch das Tagebuch auch zu einer Art Memoria wurde. Therese Lindenberg rechnet darin ständig die Zeit beziehungsweise das für sie so langsame und belastende Verrinnen von Zeit auf, und markiert einzelne Tage durch ihr Gedenken an Vergangenes. „Gestern Hochzeitstag. 27 Jahre!“ konnte es dann zum Beispiel heißen (10. Jänner 1942), oder „Schönbrunn (…) Auf der Bank vor 29{19} Jahren.“ (9. Juni 1942) und „Gestern Messe in der Antonius Kapelle. Ich gedachte sehr Trestl Großvater, dessen Todestag (40) war.“ (12. Dezember 1945) 158 Wladzko meint hier Vladimir Czarniawsky, einen damals bereits verstorbenen Jugendfreund Therese Lindenbergs. 159 Wobei Rechenhaftigkeit von Therese Lindenberg, ihrem Nachlass zufolge, überhaupt häufig praktiziert wurde. In den Tagebüchern tritt sie etwa auch auf, indem immer wieder genaue Angaben zur herrschenden Kälte – den Kältegraden – gemacht werden.

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Primär widmete sie ihr Memorieren jedoch – schier unaufhörlich – der über alles geliebten Tochter, ihrem „Kind“. Über Seiten hinweg gibt es kaum einen Eintrag, in dem die Erinnerung an Lise Monika nicht wachgerufen würde; die Sehnsucht nach ihr scheint unendlich, gleichzeitig „unbeschreiblich“ (4. August 1940). So werden nicht nur regelmäßig die Jahrestage der Emigration der Tochter oder deren Geburts- und Namenstag vermerkt, sondern – viel konkreter noch und mit der Zeit zunehmend häufiger – auch Tage, Wochen und Monate gezählt, die seit deren Eheschließung, dem Erhalt einer Nachricht von ihr vergangen sind; andere Einschnitte werden in dieses Aufrechnen von Zeit ebenfalls integriert. „Gestern waren es genau 12 Wochen, daß ich direkt von Lisl Nachricht erhielt. Einmal meinte ich schon: 4 Wochen seien untragbar.“ (30. November 1939) „Heute sind es 5 Monate, daß ich vom Kinde Nachricht bekam – und 4 Jahre, seit meiner Heimkehr in die Kirche.“ (19. April 1942) „Heute ist Lisl 20 Monate verheiratet und morgen sind 6 Monate seit ihrem letzten Brief vergangen.“ (18. Mai 1942) „Am Donnerstag 18. Lisls 2 ½. Hochzeitstag.“ (21. März 1943) „Und heute in zwei Monaten werden es 5 Jahre, daß das Kind fort ist.“ (2. August 1943) „Das Kind 3 ½ Jahre verheiratet. Und 55 Wochen seit der letzten Nachricht.“ (19. März 1944) „Vor sechs Jahren fuhr mein Kind fort. Ein Sonntag war es, strahlend das Kind, der Tag – ach, wie weh tut das alles! Und morgen, dem Datum nach 6 Jahre.“ (1. Oktober 1944) Hier wird Erinnerung demnach immer wieder angerufen und festgeschrieben. Es geht primär um ein sich Vergewissern, auch um ein Anhalten von Erinnerung, da diese bedroht scheint und sich angesichts der so schweren Gegenwart verändern, in Zweifel gezogen werden könnte – was im Tagebuch jedoch nur selten angesprochen wird: „Ach, hat es wirklich eine Zeit gegeben, da ich mit dem Kinde war? Ja, ja – viele, und schöne Jahre, fast 23 Jahre! Mir ist so bang, so bang nach dem Kind. Wo es wohl sein mag und – lebt mein Enkelkind? Was ist es, ein Bub, ein Mädel, wie sieht es aus? In einigen Tagen werden es vier Jahre.“ (8. März 1942). Um solche Ängste vor einer durch Krieg und Holocaust gänzlich zerstörten Zukunft einzudämmen oder nicht allzu virulent werden zu lassen, verbindet Therese Lindenberg im Text des Tagebuchs stattdessen die in ihre Erinnerung an die Tochter stets eingelagerte Imagination derselben, das innerlich „nach dem Osten schauen“, wie sie selbst es mehrfach formulierte, ebenso ständig wiederkehrend mit der Anrufung Gottes, dem Gebet. „Mein Auge ist immer nach dem Osten gerichtet, hin zu meinem Kinde, dessen Herzblut in meinem kreist – und nach oben, nach oben zu Dir, Herr, der mich manchmal an seinem Herzen hält.“ (25. Mai 1940). Damit sind wir bei jenem Thema angelangt, das sich, wie die gegebenen Beispiele schon demonstriert haben, vom Beginn bis zum Ende durch die hier edierten Tagebücher zieht – nämlich ihre stark religiöse Ausrichtung. Diese Tendenz ist ihnen mehr eingeschrieben als alles andere, was bislang behandelt wurde, beziehungsweise eng damit verschränkt – so die starke Frömmigkeit Therese Lindenbergs den Text nicht überhaupt über weite Stre­ cken hindurch allein determiniert. „Schwere Tage, und ich fasse mich. Denn ich, der Herr Dein Gott, bin es, der Deine Hand erfasst und zu Dir spricht (…)“ heißt es daher etwa schon am 8. April 1938, und wenige Einträge danach: „Sieh, Herr, sieh – und hilf!“ (27. April 1938) Nach der Emigration der Tochter tritt dann die stets aufs Neue formulierte

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Bitte um deren Schutz in den Vordergrund, in verschiedenen Variationen, die auch Ignaz Lindenberg, den Schwiegersohn Hans Steiner, das Enkelkind oder die Enkelkinder mit einbeziehen und häufig in Verbindung mit der Thematisierung ihrer vielen Wallfahrten sowie den unzähligen im Tagebuch wenigstens indirekt vermerkten Kirchen-, Mess- und Friedhofbesuchen stehen.160 „Ich hoffe und flehe zu Gott: Beschütze mein Kind, beschütze mein Kind!“ (3. Oktober 1938) oder „O Herr – verlasse mein Kind nicht! O Herr beschütze es, beschütze es!“ (4. November 1938) „Ich will geduldig sein, sagte ich heute bei der Kommunion. Und immer: Schutz für mein Kind.“ (29. Jänner 1940) „Und immer Bitte um Schutz für die Kinder.“ (10. November 1940) „Deine strafende Hand segnet mich. O, beschütze mein Kind und meinen Mann!“ (27. Februar 1941) „Herr, Du bist gerecht. Finde ich Gnade mit meiner Bitte? Beschütze mein Kind, mein Enkelkind.“ (24. Dezember 1943) „O, Herr, ich vertraue Dir – ewig. Segne mich, segne den Mann an meiner Seite und beschütze meine Kinder, beschütze uns!“ (3. April 1945) Die Bandbreite solcher Zitate könnte etwa um jene vielen Einträge erweitert werden, in denen Therese Lindenberg auch Dank an Gott ausdrückt, zum Beispiel wenn sie Nachricht aus Manila erhielt. Oder um ihre wohl ebenso häufigen Thematisierungen intensiver religiöser Erlebnisse, die vielfach mit Tränen, einem dadurch ausgelösten Weinen assoziiert werden – sei es im Zuge einer der so häufig unternommenen Wallfahrten oder allein im Wald, während einer Messfeier oder vor einem Gnadenbild. Das Tagebuchschreiben diente ihr zum Gebet und zum Gotterleben sowie zur religiösen Gewissenserforschung; es war praktizierte Religiosität. Das beinhaltete, wie wir gesehen haben, ein in den inneren Dialog, das Zwiegespräch mit Gott Treten ebenso wie ein Flehen und Zweifeln ob der Tiefe ihrer religiösen Hingabe – und zusätzlich ein stetes Buße tun für ihre frühere Lebenshaltung beziehungsweise eine nur vage angedeutete tiefe Schuld, die sie angeblich einst auf sich geladen und die nun, durch Gottvertrauen, Schweigen und das Ertragen von viel Leid, vergeben werden sollte. Therese Lindenbergs Haltung, „Schuldner beim Schicksal“ zu sein (1. Jänner 1943), wird im Text markiert durch die schon am 29. Mai 1938 erstmals notierte, dann mehrfach wiederkehrende Formel „Tiefster Schuld wird auch Erlösung“ oder die fast gleichlautende, ebenfalls öfters verwendete Formulierung „Vergebung wird gewiß der größten {tiefsten} Schuld“. Auch Einträge wie „Buße. Ich neige mich tief in schuldbewußtem Schweigen. Bitte um Kraft und endliche Erhörung.“ (20. Juni 1941)“ oder „Ach, immer denke ich an das Kind. Reue. Ich habe mich gelabt und gespiegelt und dennoch viel versäumt. Ich habe Ihn verleugnet und dem Kinde nicht zugeführt.“ (12. November 1944) verweisen auf ihre Verwurzelung im christlichen Prinzip der Schuld vor Gott und eine Deutung des damaligen Geschehens als „Strafe Gottes“,161 die heutigen Leserinnen und Lesern mitunter nur schwer verständ160 Vgl. dazu das Ortsregister im Anhang zur Tagebuchedition. 161 Moritz, Grüß Gott und Heil Hitler, 167f. verweist darauf, dass eine solche Deutung des Krieges damals auch von der Kirche vertreten wurde, etwa in Kirchenblättern, und schon im Ersten Weltkrieg eine gängige Argumentation darstellte.

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lich ist – vor allem wohl in Hinblick auf ihren so ausgeprägten Schicksalsdeterminismus. Wir sind angehalten, das als eine Bewältigungsstrategie zu sehen, die dieser Frau das Leben in der bereits skizzierten „Vorhölle“ des Holocaust erträglich, zumindest aushaltbar machte, und ihre stete Suche nach Führung durch eine im Tagebuch immer wieder imaginierte Hand Gottes beziehungsweise dessen Gnade als inneren Ausweg aus dem sie umgebenden Elend zu deuten; ihre starke Religiosität vermochte so jedenfalls ihre Angst einzudämmen, Gott selbst die Tränen der Verzweiflung zu stillen: „Ich war wohl recht übermütig, Herr. Doch rechne ich dennoch auf Deine Gnade! Deinen Schutz! Deine Liebe! Nimm mich an Deine Hand und führe mich! Führe mich durch das Dunkel, ich fürchte mich. O bitte, lasse die Hand nicht von mir.“ (28. September 1939) „Ich ging den Weg, den das Kind gegangen war. Und ich weinte. Da hörte ich die Stimme, die mir zurief: Weine nicht, sonst zeihst Du mich des Unrechts. O, Herr! Und nun redete ich mit tränenüberströmtem Angesicht zu Ihm, lachte und fühlte Seine Nähe. Er ging neben mir und ich redete. Es war herrlich. Dank, Dank! (6. März 1942) Dass religiöse Praxis, religiös motiviertes Bitten und Beten hier als die zentrale Funktion des Tagebuchschreibens von Therese Lindenberg in den Jahren des Holocaust gedeutet wird, korreliert einerseits mit einer weiter vorne schon erwähnten, langen Tradition der (popularen) Diaristik, die im deutschsprachigen Raum vor allem im Pietismus des 18. Jahrhunderts wurzelt, aber auch im Katholizismus häufig praktiziert wurde und uns noch im „säkularen“ 20. Jahrhundert immer wieder begegnet.162 Sie ist von daher gar nicht so außergewöhnlich wie es hier scheinen mag, und manifestiert sich im konkreten Fall auch im Umstand, dass Therese Lindenberg ihr Schreiben beim Anbruch eines neuen Heftes häufig „MG“ [„Mit Gott“] begann, es so – einer älteren Konvention entsprechend – gleichsam religiös widmete.163 Andererseits verbindet sich diese Funktion ihres Tagebuchschreibens im Holocaust mit jener erneuten Hinwendung zur katholischen Religion, die sie ­– nach Jahren einer vielleicht auch inneren Distanz dazu164 – schon vor dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich im März 1938 vollzogen hatte. Ihren daraufhin rasch erfolgten, mit der kirchlichen Trauung verbundenen Wiedereintritt in die katholische Kirche, für den sie wahrscheinlich auf die Unterstützung

162 In Hinblick auf das populare Tagebuchschreiben vgl. etwa Hämmerle, Nebenpfade, 158–163; dies., Jugendtagebücher, 30–32. 163 Vgl. dazu auch das Beispiel des von Nikola Langreiter edierten und kommentierten Tagebuchs von Wetti Teuschl aus 1870–1885, wie Anm. 147. 164 Diesbezüglich besteht ein Spannungsverhältnis zwischen der retrospektiven Deutung Therese Lindenbergs und der Familienerzählung, wie dargelegt in Steiner, Was ich dich noch fragen wollte …, 87f., 130–134 einerseits, und den Lindenberg-Tagebüchern aus der Zeit von 1915 bis um 1930, in denen Religiosität kaum thematisiert wird andererseits. Als „Konfessionslose“ folgte sie jedenfalls, wie dargelegt, dem Wunsch ihres Mannes in Hinblick auf eine jüdische Religionszugehörigkeit der Tochter. Inwieweit oder wie stark sie in jener Zeit interreligiös orientiert war, lässt sich nach derzeitigem Quellenstand nicht feststellen.

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eines NS-kritischen Pfarrers bauen konnte,165 wertete sie daher, wie vorne zitiert, nicht von ungefähr als „Heimkehr“ – was sie in der Folge mehrfach betonen und in ihre spezifische Sinnstiftung integrieren sollte.166 Der Wiedereintritt in die katholische Kirche war gleichzeitig ein Akt, der längerfristig vermutlich weitere Hilfe brachte. Denn ihre Tagebücher und einzelne nach dem Krieg verfasste auto/biographische Texte167 lassen vermuten, dass Lindenberg in jenen Jahren nicht nur – so lange es möglich war – in eine Gemeinschaft von in „Mischehe“ lebenden jüdisch-christlichen Ehepaaren integriert war, vor denen sie offenbar sogar mehrfach gesungen hat, sondern darüber hinausgehend auch in ein katholisches Netzwerk, das materielle Unterstützung leistete. So könnte beispielsweise gedeutet werden, dass sie ab dem Oktober 1943 ­Orgelspielen lernte und daraufhin tatsächlich von Pfarrern als Organistin engagiert wurde, oder dass sie immer wieder dieselben Kirchen und Wallfahrtsstätten aufsuchte. Das alles genauer zu erforschen und in unser Wissen um die Rolle und Bedeutung der zwischen Akzeptanz, Widerstand und Verfolgung changierenden katholischen Kirche im Nationalsozialismus einzubauen,168 stellt meines Erachtens eine der besonderen Herausforderungen dar, die durch die Edition dieser Tagebücher an die zukünftige Geschichtsschreibung gestellt werden. Außerdem ermöglicht es das Beispiel Therese Lindenbergs, ihre damaligen Praxen katholischer Frömmigkeit mit jener für viele Juden und Jüdinnen des Dritten Reiches konstatierten „Rückwendung zur Religion“169 165 Belegt ist, dass katholische Pfarrer und Pfarrämter damals immer wieder bereit waren, Dokumente zu fälschen oder wenigstens besonders rasch zu taufen, zu trauen etc., um die Rassengesetze des Nationalsozialismus zu unterwandern – ungeachtet der offiziellen Haltung der österreichischen Bischöfe, die den „Anschluss“ in einer „Feierlichen Erklärung“ begrüßten; vgl. dazu etwa Widerstand und Verfolgung in Wien 1934–1945. Eine Dokumentation, Bd. 3, Wien 19842, 6, 69f.; Erika Weinzierl, Zu wenig Gerechte. Österreicher und Judenverfolgung 1938–1945, Graz/Wien/Köln 1997 (4. erw. Aufl.), 114f.  166 Ähnlich enthusiastisch wurde im Tagebuch die schon am 31. März 1938 erfolgte Taufe der Tochter begrüßt – ein Thema, das in der Folge immer wieder aufgenommen und mit tiefer Reue darüber verbunden wird, dass sie es verabsäumt hatte, ihr Kind schon früher katholisch zu erziehen. 167 Dies gilt insbesondere für „Die Leopoldstadt unter Hitler“, wie Anm. 68, bes. 53, 58–61, wo sie von einem Pfarrer Poch erzählt, zu dem die in einer „Mischehe“ lebenden Frauen stets gehen konnten. 168 Vgl. etwa Moritz, Grüß Gott und Heil Hitler, sowie einige Beiträge in: Maximilian Liebmann, Hans Paarhammer, Alfred Rinnerthaler Hg., Staat und Kirche in der „Ostmark“, Frankfurt am Main 1998. Ältere Forschungen betonten hingegen stärker den von Vertretern der katholischen Kirche getätigten Widerstand gegen das NS-Regime; vgl. v. a. Erika Weinzierl, Prüfstand. Österreichs Katholiken und der Nationalsozialismus. Unter Mitwirkung von Ursula Schulmeister, Mödling 1988; dies., Zu wenig Gerechte, bes. 99–170.  169 Vgl. Trude Maurer, Vom Alltag zum Ausnahmezustand: Juden in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus, in: Marion Kaplan Hg. im Auftrag des Leo Baeck Instituts, Geschichte des jüdischen Alltags in Deutschland, München 2003, 347–470, 421, mit dem Hinweis darauf, dass diese Rückwendung nicht von Dauer war. Vgl. auch Meyer, „Jüdische Mischlinge“, 33–36.

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zu vergleichen, die vielleicht auch für ihren Ehemann galt – selbst wenn die hier edierten Tagebücher dazu keinerlei Aussagen machen.170 Damit sind wir erneut auf die schon angesprochene Trostfunktion von Religion verwiesen, die in diese Tagebücher so stark eingeschrieben ist und vermutlich für viele Frauen damals besonders relevant war. Therese Lindenberg ging diesbezüglich sogar noch ein Stück weiter als es die katholische Kirche billigte, indem ihre Religiosität in der letzten Zeit des Krieges und insbesondere in den ersten Nachkriegsjahren auch eine Richtung einnahm, die vom offiziellen Katholizismus kaum je akzeptiert worden wäre – was für sie aber ganz offensichtlich keinen Widerspruch darstellte. Jedenfalls existierten in ihrer individuellen Frömmigkeit auch sogenannte „Weltraumstimmen“, die sie im Tagebuch während des Krieges erstmals in einem Briefentwurf vom 1. September 1940 erwähnt und dann manchmal nur kurz thematisiert171 – bis zum 21. Dezember 1944, als sie plötzlich die „Stimme“ einer „Seele“ namens „Rosa“ notiert, die Folgendes gesagt haben soll: „{Rosa}: Ich bin das kleine Kind, das klein gestorben ist. Ich kenne Dich, Du hast ein Kind, das fern ist, das mit seinen Gedanken immer bei Dir ist. Es lebt glücklich, es lebt für sein Kind und für Dich, es wird nach dem Geschehen in Deine kleinen Hände wieder zurückkommen. Habe Geduld, habe Trost im Herzen durch uns. Wir werden Euch mit ganzer Kraft schützen, damit Du und der Mann, der kein Wort sagt, sein Glück wieder findet. Liebe wird groß sein, Liebe wird vermehrt durch die große Trennung zweier Seelen, die sich lieben. Mache keinen Tränenstrom, lache, Du hast Grund dazu. Ich werde durch Deine Gedanken groß werden und Dich schützen wie ein Kind, das seine Mutter mit aufgehaltenen Armen umfängt. Lebe froh, Du wirst Rache sehen an den Verbrechern, aber Du wirst nie das Unheil wünschen, da Du eine fromme Seele bist. Ich hüte Dein Kind, ich hüte Euch alle. {Gott zum Gruß.}172 Schönheit wird größer mit den Jahren, sie erblüht zu einer Rose, die strahlt nach allen Seiten. Freue Dich mit ihr. {Gott zum Gruß!}“ In der Folge tauchen solche „Stimmen“ aus dem Jenseits, vor allem von ebendieser Rosa, Therese Lindenbergs verstorbenem Jugendfreund Wladzko und einer lebensgeschichtlich nicht identifizierbaren Frau namens Valerie, im Tagebuch zunehmend häufiger auf – und 170 Formulierungen wie „Mein Mann kommt zu keiner Gnade.“ (21. 3. 1943) sind vage. Nur angedeutet wird außerdem im Tagebuch, dass Ignaz Lindenberg mitunter gegen die häufigen Wallfahrten seiner Ehefrau opponierte. Der Familienüberlieferung und einem an Hans Steiner nach Manila adressierten Brief aus 1946 zufolge soll Therese Lindenberg aber auch mit ihrem Mann, der früher „scheinbar keine Beziehung zum religiösen Judentum“ hatte, in der Zeit des Holocaust „zum Gottesdienst nach seiner Konfession“ gegangen sein. Dieser fand, nach der Zerstörung der betreffenden Synagoge in der Reichskristallnacht, in einem provisorischen „Tempel“ in der Seitenstettengasse im 1. Wiener Gemeindebezirk statt; vgl. Steiner, Was ich dich noch fragen wollte …, 130f. 171 Vgl. das in einen Briefentwurf eingearbeitete Gedicht „An Lisl“ vom 26. Mai 41, das am 1. August 1941 eingetragene Gedicht, den Briefentwurf im Eintrag vom 27. September 1941 sowie den Eintrag vom 9. Dezember 1941. Religiös gedeutete „Weltraumstimmen“ dürften Therese Lindenberg schon in ihrer Kindheit beschäftigt haben; vgl. Steiner, Was ich dich noch fragen wollte …, 82. 172 Mit dunkler Tinte nachgetragen.

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wohl nicht von ungefähr: Dies geschieht just zu einer Zeit, als Therese Lindenberg mehr denn je Trost suchte und benötigte, da der Krieg noch immer andauerte, Wien verstärkt bombardiert wurde, die meisten Juden und Jüdinnen in die Vernichtungslager deportiert und ermordet waren und sie seit fast zwei Jahren keinerlei Nachricht von ihrer Tochter erhalten hatte. In diesen Monaten um den Jahreswechsel 1944/45 herum dürfte zudem ihr zweiter so wichtiger „Quell“ des Trostes, nämlich das bis hierher noch nicht ausgeführte, im Tagebuch aber sehr dicht beschriebene Naturerleben, kaum mehr funktioniert haben. Lindenbergs Wunsch nach Schutz und Führung und ihr Hoffen, ihr damit eng verbundenes religiöses Denken und Fühlen, bedurften daher einer erneuten Intensivierung, auch einer Erweiterung. So gesehen scheint geradezu logisch, dass sie – hier verstanden im Sinne einer Bewältigungsstrategie – auf Spiritismus zurückgriff, selbst wenn sich diese Entwicklung in ihren Aufzeichnungen nicht ankündigt und textbezogen wohl nicht deuten lässt. Denn es gibt darin keine Hinweise darauf, wodurch und von wem Therese Lindenberg konkret dazu inspiriert worden sein könnte, dass ihr nun wiederkehrend „Stimmen“ mehrerer mit Namen versehener „Seelen“ das Wohlergehen der fernen Tochter und deren Familie, Erlösung und ein gutes Ende verhießen. Und so vor allem zum weiteren Vertrauen auf Gott anleiteten und ihr (religiöses) Selbstbewusstsein stärkten. Wir wissen demnach nicht, ob sie in dieser Zeit ein Buch dazu gelesen hatte, (vielleicht schon früher) Mitglied eines spiritistischen Zirkels war oder Kontakt zu einem solchen Kreis hatte, was angesichts der in mehreren Konjunkturen erfolgten Verbreitung des Spiritismus173 ab der Mitte des 19. Jahrhunderts durchaus möglich gewesen sein kann – ungeachtet des schon angesprochenen Antiklerikalismus der vielfach vereinsmäßig organisierten spiritistischen Bewegung,174 die sich vor allem in den Großstädten ausbreitete.175 In der kargen geschichtswissenschaftlichen Literatur dazu wird als „herausragendes soziales und diskursives Merkmal des Geisterglaubens“ gerade „seine Flexibilität und grenzüberschreitende Integrationskraft“ hervorgehoben, sowie der Umstand, dass seine „Axiome (…) unspezifisch genug [waren], um eine unübersehbare Zahl konfessioneller Varianten, indivi173 Mit Spiritismus wird eine spezifische Form des neuzeitlichen Geisterglaubens bezeichnet, die sich ab 1848 ausbreitete, respektive der Glaube an Erscheinungen der Geister Verstorbener; vgl. Alexander C. T. Geppert u. Andrea B. Braidt, Moderne Magie: Orte des Okkulten und die Epistemologie des Übersinnlichen, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (ÖZG) 14, 4 (2003), 7–36, hier 17, wo außerdem dafür plädiert wird, dass Spiritismus „innerhalb des Systems von Religion und religiöser Praxis verortet werden“ muss; sowie Diethard Sawicki, Leben mit den Toten. Geisterglauben und die Entstehung des Spiritismus in Deutschland 1770–1900, Paderborn 2002, 13. 174 Sawicki, Leben mit den Toten, 350–352. Eine spiritistische Bewegung formierte sich erstmals nach 1880. 175 In der Forschung wird angesichts dessen kontrovers diskutiert, ob Okkultismus und Spiritismus im Zusammenhang mit einer „Entmodernisierung“ zu sehen sind, oder als genuines „Kind der Moderne“; vgl. dazu insbes. Geppert/Braidt, Moderne Magie, sowie die einzelnen Beiträge der von den beiden herausgegebenen ÖZG 14, 4 (2003) zu „Orte des Okkulten“.

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dueller Aneignungsstrategien und zweckgebundener Aktualisierungen zu ermöglichen“.176 Außerdem waren Okkultismus und Spiritismus schon um die Wende zum 20. Jahrhundert kaum mehr „randständige, umstrittene Denksysteme“, sondern wurden – verknüpft mit anderen „richtungsweisenden Strömungen in Wissenschaft, Kunst und Kultur“ – weit breiter diskutiert als lange angenommen; spätere Hochkonjunkturen der Beschäftigung damit gab es dann während des Ersten Weltkrieges und in der Zwischenkriegszeit.177 Daher ist es, selbst wenn einschlägige Forschungen über die Bedeutung und Praxis von Spiritismus in der Zeit des Zweiten Weltkrieges noch fehlen, keinesfalls unplausibel anzunehmen, dass Therese Lindenberg damals damit in Berührung kam – wann und in welcher Form auch immer178 und obwohl die „Stimmen“ mehrerer „Seelen“ aus dem Jenseits für die Leserinnen und Leser ihrer Tagebücher ab Ende 1944 im Text ganz unvermittelt auftauchen. Sie erscheinen hier als fein säuberlich notierte spiritistische „Mitteilungen“, die ­– darauf deutet einiges hin – einem von ihr aufgesuchten Medium diktiert worden sein könnten.179 Denn die entsprechenden Einträge sind, vom übrigen Text klar abgehoben, fast durchgehend in besonders gleichmäßiger Schrift notiert und konnotieren so den im Spiritismus vertretenen Glauben daran, dass die Geister verstorbener Menschen die Hand des Mediums führen, um ihre Nachrichten aus dem Jenseits zu übermitteln; Therese Lindenberg könnte solche Niederschriften dann ins Tagebuch übertragen haben. An manchen Tagen notiert sie sogar mehrere dieser „Stimmen“ hintereinander, und dankt ihnen gegen Ende des hier edierten Tagebuchtextes mehrfach für ihre stete Hilfe, ihren Zuspruch in Zeiten der Angst, des Wartens auf Nachricht von den Kindern, des Zweifelns auch an deren Überleben: „Doch m{M}eine Seelen, wie haben mir die geholfen!“ (16. Juni 1945) „Ich danke Euch meine Seelen, ich danke Euch.“ (21. Juli 1945) „Gott, ich danke Dir. Ich danke Euch Seelen. Ich neige mich vor Euch.“ (5. Juli 1946) Wir haben uns nach intensiver Diskussion dazu entschlossen, alle diese Textpassagen in der Edition der Tagebücher in voller Länge wiederzugeben, insbesondere da ­ihre Trostfunktion so stark ins Auge springt und ein sie Eliminieren oder Kürzen die zentrale Bedeutung der Lindenberg-Tagebücher jener Jahre verwässert hätte: Sie stellen, gerade auch aufgrund dieser Zuspitzung, in der Tat primär ein Trostbuch dar – wie zwei letzte Beispiele, diesmal aus dem Feld der vielen oft geradezu beschwörend anmutenden und stark romantisierenden Wetter- und Naturschilderungen Therese Lindenbergs nochmals 176 Sawicki, Leben mit den Toten, 358. 177 Geppert/Braidt, Moderne Magie, 9f. Zum Ersten Weltkrieg vgl. Jay M. Winter, Sites of Memory, Sites of Mourning. The Great War in European Cultural History, Cambridge 20089, 54–77. 178 Geppert/Braidt, Moderne Magie, 13f., listen unter den möglichen Medien für die Verbreitung des Spiritismus u. a. auch das Kino auf. 179 Anhand der verfügbaren Unterlagen kann eine im weiteren Familien- und Bekanntenkreis tradierte Erzählung, dass Therese Lindenberg in jener Zeit gemeinsam mit Freundinnen bzw. Bekannten an spiritistischen Sitzungen teilhatte, weder bestätigt noch ausgeschlossen werden. In diesen soll es vor allem darum gegangen sein, „Nachricht“ über durch Krieg und Holocaust bedrohte Familienangehörige zu erhalten; als Medium fungierte angeblich eine Frau namens Sophie Garai.

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illustrieren sollen: „Heute früh {½ 8h} war ich im Prater. Vor dem Vivarium setzte ich mich nieder und sah die lange Allee hinab. Menschenleer. Die Kerzen auf den Kastanienbäumen leuchteten. Es war wieder so schön. Mein Herz brannte vor Weh und Freude. Am Mittwoch {22.} war ich mit Edith und Jolan im Wienerwald. Es war herrlich. Die jungen Buchen, das Licht dazwischen, es leuchtete so jung, so frisch, so maiengrün. Ich war restlos glücklich.“ (25. Mai 1940) „Wie soll ich das alles sagen? Heute sind es vier Jahre, daß das Kind weggefahren ist. Ich war in Maria Enzersdorf, zum 15. Mal, und sitze nun an der Straße nach Gaaden. Es ist ein unwahrscheinlich schöner Tag – einer, den ich so liebe, mit sanftem Sonnenlicht und italischblauem Himmel. Stille ringsum. Ich präge mir alles ein. Dank, Dank! Dieser Frieden! Kein Mensch, Tier – nichts – nur die Natur um mich. Der Duft des Herbstes, mir so unendlich lieb.“ (2. Oktober 1942) Dass sich solche Naturbeschreibungen oder -erlebnisse, und vor allem das nach der erhaltenen Nachricht vom Überleben der Tochter und deren Familie neu konnotierte Thema Dank gegen Ende der hier edierten Originaltagebücher von Eintrag zu Eintrag zu einer wahren Apotheose des Glücks steigern sollten, sei hier nur noch erwähnt. Religiosität und Spiritismus, Naturerleben, Glück und Dankbarkeit scheinen nun geradezu symbio­ tisch verbunden, was wohl mit zu jenen Besonderheiten dieses Tagebuchs gehört, die es von anderen abheben und neue Dimensionen des (inneren) Überlebens im Holocaust er­schließen.

Jahrzehnte später: „Die apokalyptischen Jahre“ Kehren wir damit am Ende dieser Einleitung in die Edition der Lindenberg-Tagebücher noch einmal an deren Beginn zurück – nämlich zum sehr viel später angefertigten Typoskript „Die apokalyptischen Jahre. 1938–1946“, das wie eingangs erwähnt weitgehend eine Kompilation aus originalen Tagebucheinträgen ist. Bei dessen Erstellung im Jahr 1975 hatte sich die Autorin unter anderem gefragt, ob sie in der Zeit des Nationalsozialismus nicht zu viel unterwegs gewesen sei, ihren zum „Juden“ gestempelten Mann nicht allzu oft allein gelassen habe. Die durch die Lektüre der alten Tagebücher wachgerufene Erinnerung verschob demnach offenbar frühere Deutungen und Perspektiven, jedenfalls zum Teil. Außerdem trat diese Erinnerung nun in die vorgenommene Neubearbeitung der während des Krieges verfassten Aufzeichnungen ein; das Ergebnis war ein Text, der umso mehr zwischen Tagebuch und Autobiographie changiert und somit die schon angesprochenen, fließenden Grenzen zwischen diesen beiden auto/biographischen Genres erneut belegt.180 Denn einerseits behielt Therese Lindenberg auf der syntaktischen Ebene die Tendenz ihres früheren Tagebuchs weitgehend bei, vor allem was deren elliptischen, sich oft 180 Vgl. dazu auch Bluhm, Tagebuch, 22, der davon spricht, dass nachträglich überarbeitete literarische Tagebücher aufgrund des stärkeren Einfließens von Erinnerung an die Autobiographie heranrücken.

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zum Telegrammstil steigernden Erzählduktus anbelangt, der immer wieder Dramatik erzeugt. Auch nutzte sie noch rund 30 Jahre später die dem Genre Tagebuch inhärente „Authentisierungsstrategie“,181 um mittels formaler Aspekte wie Datierung und IchPerspektive den Anschein der Unmittelbarkeit und Originalität der Aufzeichnungen zu wahren ­– was ihr, wie die Lektüre der „Apokalyptischen Jahre“ zeigt, jedenfalls gelang. Es scheint einem sogar beim Lesen, dass in diesem Typoskript die „Diskrepanz zwischen gelebtem und im Tagebuch beschriebenem Leben“,182 und damit die auch jedem auto/ biographischen Text eingeschriebene Tendenz zur Fiktionalität, geringer ist als in den originalen Tagebüchern, in denen sie einst so viel literarisiert, verschlüsselt und nur angedeutet oder in eine Apostrophierung ihres Sehnens nach der emigrierten Tochter, ihrer Religiosität und ihres Naturerlebens gekleidet hatte. Und das, obwohl sich in die „Apokalyptischen Jahre“ – wohl aufgrund des nunmehr hohen Alters von Therese Lindenberg – immer wieder offensichtliche Fehler eingeschlichen haben, insbesondere in Hinblick auf vom Original abweichende Datumsangaben und Wiederholungen sowie bei der Datierung der Einführung des „Judensterns“.183 Zudem ist diese spätere Tagebuchkompilation sehr viel kürzer als die früheren Aufzeichnungen; sie findet, wie eingangs erwähnt, Platz auf 39 Seiten eines engzeilig beschriebenen Typoskripts, das sich leicht liest und als solches schon in den 1970er Jahren hätte veröffentlicht werden können. Andererseits haben wir es hier daher auch mit einem neuen Text zu tun, der einer neuen Perspektive auf die erlebte Zeit im Holocaust folgt – ungeachtet der exakten Übernahme vieler Einträge aus den früheren Tagebüchern. Denn Therese Lindenberg ging bei der Erstellung des Typoskriptes „Die apokalyptischen Jahre“ gleichzeitig darüber hinaus; sie kürzte nicht nur massiv, vor allem durch Auslassung oder indem sie ehemals unter mehreren Tagen firmierende Einträge zu einem einzigen Tagebuch-Tag zusammenzog, sondern fügte an bezeichnenden Stellen auch ein und schrieb überhaupt manche Einträge neu. Alles in allem erfahren wir so vielfach erst durch diese Neubearbeitung, was einst ­aus Angst selbstzensuriert oder auf die skizzierte Art und Weise nur vage angedeutet und verschlüsselt worden war – wie ein Vergleich der beiden Textfassungen rasch zeigt. Gerade in Hinblick auf die dargelegten Tagebuchpassagen zu den erfahrenen Repressionen, den Deportationen und dem Leben im „Mischehenghetto“ konnte das beispiels­ weise bedeuten, dass aus „Der Parteimann“ im Eintrag vom 15. Februar 1941 nun „Der Parteimann kam, um mich zur Scheidung zu überreden.“ wurde, oder aus „Schneeschaufler“ und „Schneeschaufeln. Transporte“ (8. und 15. Februar 1942) „Die Juden müssen Schnee­ schaufeln. Mein Mann auch.“ und „Die Schneeschaufler. Nur Juden. Eine schöne, elegante Frau stand auf dem Sammelwagen. Das feine Gesicht! Welch strahlende Frau muß sie gewesen sein. …“ Auch Formulierungen wie „Die Polentransporte“ (22. Februar 1941) wurden 181 Seifert, Tagebuchschreiben, 50. 182 Seifert, Tagebuchschreiben, 41. 183 In den „Apokalyptischen Jahren“ datiert die Autorin diese NS-Maßnahme auf September 1940 statt auf September 1941.

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nun zusätzlich erläutert, hier durch „Wir, in der Sandwirtgasse, sind 8 Personen. Einer nach dem anderen muß weg! Litzmannstadt, ‚Umsiedlung‘ heißt es. Polen …“ Besonders viel zu diesem Thema ergänzte Lindenberg in der folgenden Stelle, die einerseits eine Kompilation aus mehreren originalen Einträgen vom 23. Jänner bis 3. Februar 1940 darstellt, wo unter anderem neben dem Hinweis auf herrschende 14–16° Grad minus von „Depression“, „Briefe[n] der Schwester Waitzenkorns“, „Druck und Qual“ daheim und „Kohlen“ beziehungsweise „Keine[r] Kohle. Erniedrigung. Demütigung“ die Rede war, andererseits nun aber folgendermaßen lautete: „Wir hören von Verschickungen der Juden. Herr Waizenkorn, mein Schüler, macht einen ‚Abschiedsbesuch‘. ‚Ich muß verreisen‘, sagte er zu uns und – der alte Höflichkeitsmensch. ‚Wohin?‘ ‚Nach Polen.‘ Er findet es für richtig, daß die Juden jetzt zusammenrücken müssen, weg von dem Tyrannen. O, er wird sie auch dort erreichen. Polen gehört ja jetzt zum Teil ihm … Große Kälte. 14–16 Grad minus. Irgendwie habe ich Kohle aufgetrieben. Das Zimmer ist warm. Wir wohnen im 3. Stock. Und der Mann muß die Kohlen vom Keller holen. Er ist so geduldig. Ich kann ihn nur lieben und – schützen. (… ) So unwirklich erscheint alles. Jüdische Freunde besuchen uns … (…) Viele Freunde konnten emigrieren nach Amerika … Schwager Robert und Maschka sind drüben, Paul Lindenberg … Viel Schnee. Schwere, Schwere. Keine Kohlen. Sibirischer Winter. Und doch hier sein können!! Trotz Demütigungen.“ (10. Februar 1940) Auch wenn sich aus den „Apokalyptischen Jahren“ noch andere wohl ebenso eindring­ liche Beispiele für dieses veränderte Darstellungsprinzip im Kontext des Themas Holocaust und Verfolgung zitieren ließen, kann das hier nicht mehr weiter ausgeführt werden. Es dürfte deutlich geworden sein, dass Therese Lindenberg im Typoskript von 1975 bevorzugt solche Tagebuchpassagen übernommen und bearbeitet hat, die ihre erfahrene Ausgrenzung und die Judenverfolgung im Dritten Reich dokumentieren. Das gilt zusätzlich für ihre vielen Verweise auf die Tochter beziehungsweise die stete Sorge und Angst um ihre nahen Angehörigen, die als Leitlinie des Erzählens im Prinzip ebenfalls beibehalten wurden – wenn auch mit teilweise anderer Nuancierung, wie im Falle von Ignaz Lindenberg. Hingegen sind die Themen Natur und Religion, aber auch die Darlegung von Bezieh­ungsnetzwerken, in ihrer Bedeutung nun auffallend zurückgestellt, ebenso wie tröstende „Weltraumstimmen“ in diesem Typoskript nur sehr selten vorkommen. Und von jenen Geistern im Sinne eines einst praktizierten Spiritismus, deren plötzliches und häufiges Auftauchen im Originaltagebuch so sehr zu irritieren vermag, ist darin überhaupt nicht mehr die Rede – obwohl die relevante Zeit zwischen Dezember 1944 und August 1946 in den „Apokalyptischen Jahren“ auf über 16 Seiten thematisiert wurde. Doch ist offensichtlich, dass es der Autorin im hohen Alter kein Anliegen mehr war, das genauer zu erinnern und an ihre Nachkommen weiterzugeben, selbst wenn sie sich nun noch einmal intensiv auf ihre Vergangenheit einließ und der auch traumatischen Erinnerung erneut stellte. Dabei entschlüsselte sie, wie wir gesehen haben, einstige Kodierungen und öffnete so – bildlich gesprochen – jene Flaschenpost, die sie im Holocaust aus Angst vor einer Ent­ deckung des Tagebuchs und den Folgen, die das hätte haben können, ausgesetzt hatte. Das

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Abb. 14: Letzte Kriegstage und Kriegsende im Typoskript „Die apoka­lyp­tischen Jahre. 1938–1946“ (1975)

ging mit ihrem neuen oder anderen Anliegen des Bezeugens einher, wodurch sich diese spätere Fassung ihrer Tagebücher in die Reihe jener stellt, die weiter vorne am Beispiel Victor Klemperers und anderer Betroffener dargelegt wurden.184 Sie will aus der Perspektive einer Frau, die einst in der bedrohten Situation einer „Mischehe“ leben musste, zum 184 Vgl. die in Anm. 122 zitierten Beispiele. Auch Heuser, Holocaust und Gedächtnis, 84, hat darauf hingewiesen, dass das Bezeugen eine dominante Absicht vieler autobiographischer Holocaust-Texte ist.

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Verständnis und zur Dokumentation des Holocaust beitragen – motiviert vielleicht auch durch einen Gedanken, den sie vermutlich nur wenige Jahre zuvor erstmals notiert hatte: „Noch ist kein Buch über diese tapferen Frauen geschrieben worden, die bei ihren Männern ausharrten, ihnen wahrhaftig in Tod und Not beistanden, verachtet und verspottet wurden, sich aber nicht abhalten ließen, für ihre Männer zu sorgen, sie zu trösten und zu stärken.“185 Damit hatte das Schreiben für Therese Lindenberg im Jahr 1975 eine gänzlich andere Funktion gewonnen als von 1938 bis 1945/46, als sie so sehr des Trostes bedurft und aus Angst so viel verschwiegen hatte. Außerdem war dieses Schreiben, das leider um keinerlei zeitgenössische Aufzeichnungen von Ignaz Lindenberg erweitert werden kann,186 nun dezidiert an ihre Nachfahrinnen und Nachfahren, und vermutlich auch an eine breitere Öffentlichkeit adressiert. Das hat uns als Herausgeberinnen dazu motiviert, in der Edition den Abdruck des so bewegenden Typoskripts „Die apokalyptischen Jahre“ vor jenen der originalen Tagebücher zu stellen: Während letztere zukünftig wohl primär für die NS-Forschung interessant sind, die sich – gerade im Vergleich der beiden Fassungen – beispielsweise für Sinnstiftungen, Möglichkeiten und Grenzen des Sagbaren, Religion oder Konfessionalität und Geschlechterverhältnisse, Leben und Überleben in sogenannten „Mischehen“ interessiert, stellt der Text „Die apokalyptischen Jahre“ außerdem ein bewusst gestaltetes Vermächtnis von Therese Lindenberg an die Nachwelt dar. Dieses tritt heute zwar – anders als sie es um 1970 vermutet hat – bereits neben erste historische Studien und wenige bekannte Berichte zur Ausgrenzung und Verfolgung solcher Ehepaare.187 Als Tagebuch einer betroffenen Frau ist es aber einzigartig.

185 Therese Lindenberg in: „Die Leopoldstadt unter Hitler“, wie Anm. 68. Dieser Text wurde erst nach 1969 fertiggestellt. 186 Im Typoskript „Stärker als der Tod, ist die Liebe“ schreibt Therese Lindenberg davon, dass ihr Mann in jenen Jahren intensiv Englisch lernte; ebd. 139. Hingegen gibt es zahlreiche Briefe im DÖW, die von der zukünftigen Forschung auch mit dem Augenmerk auf Ignaz Lindenberg ausgewertet werden könnten; vgl. Anm. 114. 187 Neben den Tagebüchern von Victor Klemperer, genau zitiert mit Anm. 121, den von Meyer, „Jüdische Mischlinge“ vor allem mittels lebensgeschichtlicher Interviews rekonstruierten Fallgeschichten (über Eltern, die in einer „Mischehe“ lebten) und fünf weiteren, auch mittels Oral History erhobenen Lebensberichten von Betroffenen aus Wien im vom DÖW herausgegebenen Band Jüdische Schicksale, 302–335, konnte ich nur wenige andere auto/biographische Texte dazu recherchieren: Susanne Wallerstein, Alle meine Jahre. Erinnerungen 1910–1988, Rosengarten (Tötensen) 1989; Elly Kapperer, Eine Berliner Mischehe. Unveröffentlichtes, mit 1961 datiertes Manuskript des Leo Baeck Instituts im Jüdischen Museum Berlin, MM43 (Mikrofilm); Helmut Krueger, Der Halbe Stern. Die Geschichte eines Mischlings ersten Grades im Dritten Reich und seiner Eltern, der Mischehe eines deutschblütigen Theaterleiters und seiner jüdischen Ehefrau. Unveröffentlichtes Manuskript des Leo Baeck Instituts im Jüdischen Museum Berlin, MM II 2 (Mikrofilm).

Therese Lindenberg

Die apokalyptischen Jahre. 1938–1946

Der im Folgenden gedruckte Text liegt im Original als Typoskript vor und stellt eine im Frühjahr 1975 entstandene Neubearbeitung der zeitgenössischen Tagebücher von Therese Lindenberg dar. Sie traf dabei die Entscheidung, mit dem Datum 4. März 1938 zu beginnen und mit einem Eintrag vom 25. August 1946 zu enden. Dem folgt die Edition, deren Zeitraum damit auch die letzten Tage vor dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich sowie die unmittelbare Nachkriegszeit inkludiert. Im Typoskript „Die apokalyptischen Jahre. 1938–1946“ hat Therese Lindenberg ihre originalen Tagebuchaufzeichnungen stark gekürzt, neu kompiliert und teilweise ergänzt – vor allem um so besser dokumentieren zu können, was sie und ihr jüdischer Ehemann sowie die nach den Philippinen emigrierte Tochter im Holocaust erleben und erdulden mussten. Diese nachträglich erarbeitete Tagebuchfassung kann demnach als ein bewusst gestaltetes Vermächtnis der Autorin an die Nachwelt gelesen werden, in dem sie ihre früheren Aufzeichnungen gewissermaßen „entschlüsselte“ und damit verstehbarer gestaltete. Aus diesem Grund wird der Text aus 1975 der Edition der Originaltagebücher vorangestellt. Das 39 Seiten umfassende, einzeilig beschriebene Typoskript haben wir im Folgenden möglichst originalgetreu ediert. Nur offensichtliche Tipp- oder Schreib- und Satzfehler wurden nicht übernommen und Korrekturen der Autorin stillschweigend berücksichtigt. Im Falle von Wortauslassungen, die leicht zu entschlüsseln waren, haben wir unsere Ergänzung gekennzeichnet. (Beispiel: gegen [die] Sorge) Ebenso wurde in seltenen Fällen, wo es vom Sinnzusammenhang her erforderlich schien, ein Komma eingefügt. Aufgrund der besseren Lesbarkeit haben wir außerdem die von Therese Lindenberg mehrfach gesetzten Gedankenstriche in der Edition reduziert auf jeweils einen Strich. Auch Doppelungen von Satzendpunkten wurden nicht übernommen, hingegen drei Punkte und mehr als Gedankenpunkte (…) gesetzt. Die Anzahl der gesetzten Rufezeichen hält sich jedoch exakt an das Typoskript, ebenso wie die von der Autorin jeweils gewählte Art der Hervorhebung einzelner Wörter oder Textpassagen. Eine Anpassung an die Neue Rechtschreibung ist nicht erfolgt. Absätze folgen dem Original, nicht jedoch der Zeilenumbruch und der Seitenumbruch. Dialoge und Zitate sind im Typoskript meist ohne Anführungszeichen wiedergegeben. Das wurde, der besseren Lesbarkeit willen, teilweise geändert – vor allem bei der textlichen Inszenierung von Dialogen mit anderen. Gedichte wurden eingerückt gesetzt. Tages-, Monats- und Jahresangaben sind im Typoskript uneinheitlich und wurden so belassen; lediglich mitunter gesetzte Punkte nach der Datumsangabe wurden weggelas-

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sen. Korrigiert sind hingegen in Abgleichung mit den Originaltagebüchern offenkundige Irrtümer in Datumsangaben, etwa wenn Monatsnamen vertauscht waren. Um die (erste) Lektüre des Textes möglichst offen zu halten, haben wir uns für eine nur sehr spärliche Kommentierung durch Verweise in Fußnoten entschieden, auch in Hinblick auf eine zeitgeschichtliche Einbindung dieser Aufzeichnungen. Solche Angaben wurden nur dort eingefügt, wo es für das Verständnis unmittelbar notwendig schien. Ansonsten verweisen wir auf die wissenschaftliche Einleitung zur Edition sowie auf das umfassende Personen-, Orts- und Film-, Aufführungs- und Werkregister im Anhang, das auch in Form einer CD beiliegt und daher leicht ausgedruckt werden kann.

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Die apokalyptischen Jahre. 1938–1946 4. März 1938 Mein Geburtstag. Matthäuspassion. Das Kind ist da. Mein über alles geliebtes Kind – mein Denken. 10. März Überraschung. Volksabstimmung. Wieder an Politik denken. Ich spüre das Aufatmen. Arbeiterhäupter recken sich hoch und traurige Herzen schlagen rascher. 11.–12. März In der Lüge vielleicht – zur Wahrheit. 13. März Stark beeindruckt mich das Geschehen. Ich wage nicht bis zu den äußersten Konsequenzen zu denken. Darf meinen Vater nicht verleugnen, meine Mutter auch nicht. Mann und Kind nicht. Ich fühle mich – vorläufig – stark. 14. März 1938 Österreich – zu Ende. 19. März Mein armer Mann. Heute bin ich fast – innerlich – zusammengebrochen. Aber ich sehe überall Gesetze und Zusammenhänge – also mußte es so kommen. Jetzt – kurz – die Ereignisse: Freitag abends: Volksabstimmung findet unter allen Umständen statt. ¾ 5 h, 6 Uhr – Abstimmung abgesagt. 8 Uhr: Schuschnigg verabschiedet sich. Ich war bei Edith. Fuhr sofort nach Hause. Sehe die Menschen auf den Straßen marschieren. Mein Herz schmerzt, weil ich nicht weiß, was ist. Mein Mann voll Trauer und Sorge. Er weint. Noch nie habe ich ihn weinen gesehen. Wohl – vor Freude, als er Lisl zum 1. Mal sah – in der Klinik ... Samstag, 12. früh, 7 Uhr: Das national[sozial]istische Wien grüßt den Führer! 6 Uhr abends: Hitler in Linz. Begeisterung. Sonntag 13. Proklamation: Österreich in Groß-Deutschland aufgegangen. Militär überall. Deutsches Militär! Die Frauen!! Man soll zu ihnen gesagt haben: Ja haben Eure Männer keine …

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Montag 14. ¾ 5 Uhr – Hitler in Wien. Wahn über der Stadt. Dienstag 15. 11 Uhr: Proklamation von der Burgterrasse … 1 Die Wiener in Scharen mit erhobenen Hitlergrußhänden. Wahn – überall Wahn und Trauer. 2 Uhr Nachm. Truppenparade. Herrlicher, frühlingshafter Tag. 8. April Schwere Tage. Ich fasse mich. Israel, 11,13 sagt: „Fürchte Dich nicht, ich stehe Dir bei, denn ich der Herr, Dein Gott bin es, der Deine Hand umfaßt und zu Dir spricht!“ Die Menschen, die ich liebe, will ich stützen. „Fürchte Dich nicht, ich helfe Dir.“ Das ist mein Trost, aus dem schöpfe ich. Und der Frühling leuchtet über die Lande. 19. April Heute kehrte ich in die katholische Kirche zurück. Bis jetzt galt ich seit meiner Heirat als – konfessionslos … Am 31. März wurde mein Kind getauft. Warum doch nur? Um den strengen national[sozial]istischen Gesetzen zu entgehen … Und für mich – zum Kinderglauben … zurück? Und nun die „Mischehe“ mit meinem geliebten Mann … Alles so merkwürdig: Gewollt, „heimgekehrt“ … 23. April Wenn ich auf, durch die Gassen gehe, strömt mir das Leid überall entgegen. Tränen rinnen mir über das Gesicht. Ich kann nicht mehr lachen. Und daneben Fahnen, Fahnen, rauschhaftes Geschrei, das Jubeln sein sollte. Und [ich] flehe: „Sieh Herr, hilf!“ 13. Mai Oft denke ich: Es wird immer ärger. Dann sehe ich Blüten, wie die z. B. auf unserem Apfelbaum und bin irgendwie innerlich – froh. Ich möchte es jetzt so haben: Wort und Gefühl und alles, soll sich vollständig decken, also wahr sein, bestehen. 29. Mai Tiefster Schmerz. Die Nürnberger Gesetze. Nach Ma. Enzersdorf. Am Weg zum Wällischhof: Tiefster Schuld wird auch Erlösung …

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Hier ist wohl der Balkon der am Heldenplatz gelegenen Hofburg gemeint, von wo Hitler am 15. März 1938 unter großem Jubel den „Anschluss“ Österreichs an das Dritte Reich verkündete.

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3. Juni Die Nürnberger Gesetze gelten also doch – vom 16. Sept. 1935!!! Ich atme schwer und will aushalten! 10. Juni Das Kind hat heute inskribiert. Dienstag 7. kam die Nachricht von der UNI. Mann und ich weinten vor Freude … Mittwoch, 1. hieß es: Es geht nicht mehr. Bestürzung. Gestern aber wieder: Es geht doch. Und heute zahlte sie. 12. Juni Es wird Sommer. Langsam schaue ich um mich und gewinne Verstehen. Das Herz schmerzt immer, fast immer. Manchmal will ich der Subjektivität um mich entweichen. Es geht nicht. Und dann die Erkenntnis, daß ich nur stärker werden kann durch Duldung und Beherrschung. 19. Juni Je einsamer ich werde, desto mehr kann ich mich auf mich besinnen … Doch die wahren Freunde sind da. Doch die meisten von ihnen haben auch ihren Nürnberger Kummer. 30. Juni Heute legitimierte mich Vater Lang. Es war für ihn nicht leicht, den „Schmäh“ zu verzapfen, daß während er bei den Husaren war, es meiner Mutter „passierte“, sie wegen seiner so jungen Jahren erst später heiratete und es nicht für nötig fand – mich in die Ehe einzuschreiben 1898 … 29. Juli Lisl ist heute mit Tommy Ertl am Feuersang gefahren. Wenn das Kind wegfährt, wird mir immer so bang. 31. Juli Heute kam Rübenfeld mit dem Affidavit2 von Manila. 11. August Mein Herz schmerzt mich oft so unerträglich. Vorgestern war Rü. bei mir. Er weinte, weil er das Kind so liebt und sie … Unerträglich schmerzt mich das, weil ich ihr Herzweh spüre. Ich denke ununterbrochen an sie. An das Geschehen ringsum. Keinem Menschen kann man sein Glück behüten. Ich lese die Stelle in diesem Buch am 11. XI.: „Mein Kind wird

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Schriftliche, eidesstattliche Erklärung, für den Unterhalt eines Flüchtlings aufzukommen.

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es schaffen!“, [geschrieben] nach der Lektüre des Buches „Madame Curie“. Merkwürdiges Erlebnis. Fast körperlich spüre ich den Zuspruch. Ich denke viel an die Philippinen. Halb mit Sorge, halb mit Freude. 15. August Lisl hat sich für Manila entschieden. Vielleicht erlebte das Kind die schöne Kinder- und Jugendzeit, um viel Erinnern mit sich zu tragen? Bin dankbar für jedes Fünkchen Freude, Hoffnung. Und will doch nicht murren … Turbulente Tage. Geldbeschaffung! Vater3 konnte nicht in die Bank, weil bei der Schiffskartenbestellung man sagte: Sofortige Bezahlung, denn dann Kartenausgabe unmöglich. Hilda: Telefonat – sie hatte das Geld daheim. Lisl bat bis 3 Uhr Zeit – es war Samstag 2. Okt. – Bank gesperrt – und das 1. Wunder – Lisl bekam die Karte und konnte wegfahren. Ohne Visum – es gab keines mehr … Montag 3. Oktober 1938 Unser Kind fuhr gestern abends fort nach – Asien. Ziel Manila – aber ohne Visum, Geld nur 10 Mark … Ich habe nach Kairo Porges geschrieben, sie möge in Alexandrien Lisl Geld geben … Wie alles, alles zurückkommt, wie ich immer sage! Porges Tochter unterrichtete ich in Gesang – machte große Karriere und Eltern waren mehr als dankbar. Sandten uns für Kairoreise Schiffskarten und Vater lehnte ab, weil er – das war Jänner 1938 – nicht seefest ist! Fr. Porges schrieb: „Sie wollen immer Gutes tun und lassen andere nicht dazu.“ Ich: „Liebste Frau P. Ich bin noch nicht gestorben, vielleicht brauche ich Sie.“ Nun brauche ich sie … 20. Oktober Am 10. der 1. Brief. Heute der 2. Brief. Noch kein Visum. Noch Sorge. Vielleicht Shanghai? Am Abend wieder Brief. Vorläufig Bombay. Allein? Hoffentlich gesund. Das andere Klima! 25. Oktober 1938 Wo wird unser Kind sein? In Bombay oder schon vor Manila? 30. Oktober Wo wird Lisl sein? In Bombay oder – vor Manila? Immer denken wir daran. Ein so schweres Herz. Und dann wieder: Das Kind sieht so viel. Der Kummer der Hiergebliebenen. Wie werde ich das geistig verkraften können? Wie die Zusammenhänge sehen, erklären, erkennen? 3

Gemeint ist hier mit „Vater“, wie in manchen Fällen weiter hinten im Text auch, der ansonsten als „Mann“ bezeichnete Ehemann Ignaz Lindenberg.

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4. November Eine schreckliche Nacht. Ich hätte nie gedacht, daß man solches Herzweh haben kann. Gestern bei Rübenfelds Mutter. Glaube und Hingabe und die höchste Kraft. Das ist die einzige Hilfe. 7. November Lisl ist in Bombay ausgestiegen. Hermann hat geschrieben. Sie hat ihn verlassen. 10. November 1938 Heute früh 7 Uhr – Suchung4. Sie haben das ganze Silber genommen. Lisl hat noch nicht geschrieben. Warten auf Post. Die Suchmänner sagten zum Mann: „Machen Sie sich für 6 Uhr bereit.“ Um 6 Uhr abends läutete es Sturm … Unsere Herzen sanken, ganz tief, ganz tief. Der Briefträger stand draußen und brachte uns Brief von Lisl, daß sie in Manila angekommen ist. Wir umarmten uns – sprachlos … Nur Tränen. O Dank, Dank!! 11. November Ein Brief noch aus Colombo. Vielleicht, schrieb sie – nach Kaschmir. Märchenwiese. 22. November 1938 Gestern war ich die einzige Begleitperson bei einem Begräbnis. Eine ukrainische Jüdin wurde begraben. Wenn ich kann sitze ich in Lisls Zimmer und schaue in den Garten. 26. November Ein Brief aus Manila. Lindenberg aus London schickt ein Geschenk. Am Weihnachtsabend 1938 Brief. Freude! Weihnachtsgeschenk! Sie ist Assistentin an der Universität. Dieses Dankgefühl!! Neujahr 1939 Immer Gedankensendung nach Manila. Briefe und Bilder! 22. Jänner 1939 „Vater und Mutter gehen mir halt furchtbar ab.“ 4

Kürzel für: Hausdurchsuchung.

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29. Jänner 1939 Wieder Briefe. 8 Heiratsanträge. Vortrag von Prof. Kisser über Lisls Arbeit. Glücklichste Stunde meines jetzigen Lebens. Verdiene ich sie? Wo so viel Kummer ist? 5. Februar Ich schreibe, schreibe. Heute der 31. Brief. Lisl schrieb: „Mutter ist die bravste Mutter, die man sich denken kann und sie weiß, daß sie mir mit ihren Briefen ungeheure Freude macht. Die Briefe sind hier meine größte [Freude] und die Aufregung, wenn Briefe da sind, ist sehr, sehr groß.“ … Die Sonne, die Sterne, das Gemeinsame mit dem Kinde. 6. III. Briefe. Brief und Ring erhalten. Tränen der Freude! Das Zeitungsbild. 18. März 1939 Hitler in der Tschechoslowakei. Ich spürte sehr mein Herz. Gestern sah ich ihn. Der Überprototyp der Masse und Gewöhnlichkeit. 16. April Lisl schrieb, daß sie abgenommen hat und nicht gut ausschaut. Der Stein in der Brust und doch immer, immer: Ich vertraue – ewig! Ich spreche, man erhält keine Antwort. Ich werde verachtet. Dann sage ich sofort: Wie oft aber wurdest Du geachtet und merktest vielleicht gar nicht darauf. – Bilder von Lisl! Dank und Dank! Ein – darf ich es ausdrücken? – gemeinsamer Brief von Rübenfeld, an uns. Tribut für Lisls Schutz. Pfingstsonntag 28. Mai Schreiben, Schreiben, meine liebste Beschäftigung. Von Lisl ein herrlicher Muttertagsbrief. Und Mai, Mai! Die Blüten! Ich höre oft Lisls Stimme … 10. Juli Das Kind schreibt oft. Wenn ich das nur festhalten könnte, was da an grenzenlosem Kummer, Demut und Dank in mir ist! Diese falschen Schlüsse, verblendete Menschen – was wird das für ein Erwachen sein!! Ich habe Mutter in Au am Kraking besucht. Wie rührt mich doch ein Wald, wenn er auf Hügeln steht! Diese Linien! Noch sitze ich in Lisls Zimmer. Wie lange noch? Ich denke, daß ich jetzt noch intensiv im „Heim“ leben muß, denn ich fürchte, daß ich es bald werde verlassen müssen.

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„Mutter beschützt Deinen Traum, Deinen Schlaf. Ich ziehe mit meinem Herzen die Quellen des Glücks aus dem All, damit sie zu Dir rinnen und Du daraus schöpfst und Du Dich für immerwährende Zeiten daran stärken kannst …“ So schrieb ich an unser Kind. Lisl schreibt oft. Mein Herzblut strömt. Ach, wenn ich das alles nur festhalten könnte, was da an Kummer, Demut, Dankbarkeit in mir ist. Ich sitze oft in Lisls Zimmer. Dort schreibe ich den Brief an sie. Wie lange noch? ... 1. August 1939 Wir müssen ausziehen. 3. August Heute bekamen wir die Kündigung. Ich sitze in Lisls Zimmer, umfasse alles mit meiner Seele, um es mir für immer einzuprägen. Der Abendhimmel mit leichten, graublauen Wölkchen, die Blumen vor dem Fenster und die Bäume. Als wir einzogen, in das eben fertiggestellte Haus – war es eine Wüste, jetzt ein – verlorenes Paradies. Doch nein, tapfer sein. Ich nehme die Hand, die mich führt zwischen meine Finger und neige mein Haupt. Immer etwas schaffen wollen. Nein, ich muß es dem Kind überlassen. Es bleibe dann für sie nicht viel übrig … 27. August 1939 Keine Flugpost mehr. Krieg in Sicht. Alles so nett in der Wohnung, die ich verlassen muß – an Lisls Geburtstag – nein wir müssen schon am 13. Oktober übersiedeln in die Haidgasse 5. 15. Oktober Viel Kränkungen, viel, viel – doch – „Nimm mich an Deine Hand, und führe mich durch das Dunkel! Ich fürchte mich, o, bitte, lasse DEINE Hand nicht von mir!“ Vorgestern Abschied von der Wohnung. Ich saß eine Viertelstunde in Lisls Zimmer und starrte in den herbstlichen Garten … 27. Oktober Heute lernte ich Hildas Tante kennen. 93. Jahre alt. Ich soll die Korrespondenz führen, ihr Gesellschaft leisten. Also auch eine Aufgabe. Wir leben mit einem Ehepaar zusammen. Herrschmann. Er ist kein gemütlicher Mensch … Immer zu mir: Bewähre Dich, bewähre Dich, schlucke alles hinunter. 10. Dezember Heute vor den Menschen, die in kein Konzert gehen dürfen, gesungen. Ich war so glücklich. Du hast so viele Talente, sagte ich zu mir, sei dankbar … Mutter schrieb nach Berlin wegen des Silbers. Arisches Silber.

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Weihnachtsabend 1939 Das schönste Weihnachtsgeschenk! Drei Briefe von Lisl und eine Karte. Ich danke Gott! ER führt uns so gut. Und so beuge ich mich über die Hand, die mich führt und flüstere: „Beschütze unser Kind!“ Draußen Krieg und die Länder werden überrannt … Ich suche nach den Ursachen, wie immer nach jeglichem Geschehen. Und erschrecke vor den Lebensgesetzen. Das Kind sieht so viel. Ist das ein Ausgleich? 9. Jänner 1940 Heute – Silberner Hochzeitstag. In der Haidgasse. Überdenken alles. Viel bekommen. Immer Schutz fühlen, immer danken – für uns – nie hassen. Als Kind sagte ich: Der liebe Gott wird schon wissen, warum. Ich fühle mich als SEIN Kind. 10. Und so geht das Leben seinen wilden Trab … Wir hören von Verschickungen der Juden. Herr Waizenkorn, mein Schüler, macht einen „Abschiedsbesuch“. „Ich muß verreisen“, sagte er zu uns und – der alte Höflichkeitsmensch. „Wohin?“ „Nach Polen.“ Er findet es für richtig, daß die Juden jetzt zusammenrücken müssen, weg von dem Tyrannen. O, er wird sie auch dort erreichen. Polen gehört ja jetzt zum Teil ihm … Große Kälte. 14–16 Grad minus. Irgendwie habe ich Kohle aufgetrieben. Das Zimmer ist warm. Wir wohnen im 3. Stock. Und der Mann muß die Kohlen vom Keller holen. Er ist so geduldig. Ich kann ihn nur lieben und – schützen. Ich gehe täglich zur Mutter in die alte Wohnung und da ging ich vor 30 Jahren … Als ich in der Blumauergasse bei Friedmann arbeitete. So unwirklich erscheint alles. Jüdische Freunde besuchen uns … Und täglich gehe ich zu Tante Marianne in der Währingerstraße. Hilda ist uns eine große Stütze … Viele Freunde konnten emigrieren nach Amerika … Schwager Robert und Maschka sind drüben, Paul Lindenberg … Viel Schnee. Schwere, Schwere. Keine Kohlen. Sibirischer Winter. Und doch hier sein können!! Trotz Demütigungen. 14. Februar 1940 Es schneit, schneit ununterbrochen. Seit Weihnachten. Als ich gestern den Atlas einsah. Tiefer Schmerz. Auf der anderen Seite der Erde – unser Kind … Seit 8 Wochen kein Brief. 19. März Vom Kind einen Brief. Sie schreibt etwas von – Phil. Wird sie heiraten? Mutter schrieb an die Gestapo wegen des Silbers! Es sei arisches Silber hatte sie betont.

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30. April Heute bekam ich das Silber zurück. Ich habe immer Buch geführt, konnte genau die Stücke angeben. Ich sollte bezeugen, daß es mein Silber wäre. Doch – ich hatte kein rostfreies Silber und nun bekam ich rostfreies zurück – also – gleichsam – Zinsen. Wie war mir zumute, als Mutter und ich ins Gestapohaus kamen, am Kai, einem ehemaligen Großhotel. Hinter uns wurde zugesperrt … Vorgestern war ich bei Professor Kisser, um Lisls Arbeit zu holen. Wie dankbar müssen wir sein. Er hatte sie großartig korrigiert und das Kaiser Wilhelm Institut ließ es drucken … Dank und Dank! 14. Mai 1940 Von Lisl Brief. Und draußen Mai, Frühling. Die Blüten, das junge Grün! Und der Krieg draußen… Das schmale Essen?! Mutter ist mit Vater in Riedenthal und ich habe sie einmal besucht. Konnte mich sattessen, aber wegen der strengen Bahnkontrolle nichts mitnehmen. Ein bisserl Schmalz nahm ich in einer Aluminiumdose mit und strich drüber Marmelade, die der Gendarm lächelnd betrachtete. Fett, Butter, Schmalz zu „transportieren“ strengstens verboten. Und ich bin – die Hitlergesetze betreffend unsagbar genau. Denn es träfe ja nur meinen geliebten Mann. Der müßte weg. Und ich sinne und sinne. Das Gesetz des Lebens ist wohl das komplizierteste, weil es mit der Umwelt in fortwährender Wechselwirkung steht. Deshalb erscheint es manchmal so undurchsichtig. Aber immer in Gedanken – bin ich beim Kind. Ich bewache es gleichsam. 20. Mai 1940 Krieg im Westen … Mein Auge ist immer nach dem Osten gerichtet zum Kind, dessen Herzblut auch in mir kreist. 26. Mai „In stolzer Trauer“ las ich heute. „Unvergeßlich.“ Das Wesen des Krieges und der Tod durch ihn macht – stolz? Was für eine Welt! Heute ein Paketchen von Lisl. Tee und Seife. Ich barg mein Gesicht darin. Und ich schreibe täglich. 2. Juni Heute ein Brief. Dank. Sie hat einen Aufsatz über Mutter geschrieben. Die Lehrerin las ihn vor und alle waren so gerührt und begeistert, so daß sie ganz weg gewesen ist. Ach, das alles wirklich verdienen wollen. 12. Juni Das Antlitz des Krieges in einer Wochenschau gesehen. Werde ich noch lachen, ja lächeln können, so lange es Krieg gibt?

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11. Juni Paris gefallen. Tiefstes Beeindrucktsein. Die flüchtenden Franzosen. Wenn ich denke: Hitler in Paris!!!! Unausdenkbar. Ich sehne mich krank nach einer Wiese. Wie habe ich meine Reisen so selbstverständlich hingenommen!! 12. Juli 1940 Brief. Lisl ist graduiert. B. Sc. Es ist so merkwürdig in mir. Erwartung, Einfügen, Freude, Trauer. Lisl schreibt von Hans Steiner … Phantastischer Mensch. Eine Nachbarin kommt öfters herüber, um zu plaudern. „Dr. Steiner von der Praterstraße. Ein Sohn ist in Manila.“ … „Doch nicht der schöne Hans?“ sagte die Frau … „Ich denke wohl.“ Im Innern erzitterte ich vor Glück. Vielleicht ein Gefährte? ... 8. September Ein Brief von Dr. Hans Steiner … Wunderbar. Er hält um Lisls Hand an. Sie werden im November heiraten. Mir wird dunkel vor Glück. 9. September 1940 London wird bombardiert … Ich kann jüdische Freunde besuchen, und ihnen Lebensmittel bringen, die ich mir erbettelte. 19. September5 Gestern baten mich Ingenieur Spitz und noch 6 Personen, Dr. R. von der Rettungsgesellschaft und Frau, ich möge mit ihnen ausgehen – als Schutz, denn seit einem Jahr dürfen die Juden keinen Wald besuchen, sich nicht außerhalb der Stadt aufhalten. Mit Freuden sagte ich zu … Was für ein Tag!! Wir fuhren nach Kritzendorf, gingen nach Hadersfeld. Es war Mittag … Frau Dr. R. sagte: „Ich rieche Schwämme.“ Nun – als dies mein Mann hörte – an der Spitze der Schar zog er etwa 100 m, vielleicht waren es 50 – ich stand mitten im Wald und wartete … Hörte noch die Stimmen. Ein bisserl Angst im Herzen, denn Späher, Aufpasser gab es überall und Menschen, die nicht arbeiteten, mitten in der Woche spazieren gehen, die waren gefährlich ... Und während ich so horchte, hörte ich in meinem Ohr eine Stimme: „Knie nieder, ich segne Dich!“ Fassungslos kniete ich mich nieder, mit den Tränen hätte ich den Boden waschen können – Was war das nur? Die Freunde kamen zurück, starrten auf mein tränenüberströmtes Gesicht und ich stotterte herum: „Diese Grausamkeit, daß Ihr nicht mehr in den Wald gehen könnt, denn morgen gilt ja das Gesetz des Gelben Sternes!!!“ Aber ich blieb fassungslos und erzählte nichts Vater, denn ich 5

Die unter diesem Datum erfolgte Neubearbeitung mehrerer Einträge aus den Originaltagebüchern vom September 1940 und 1941 legt die Einführung des „Judensterns“ irrtümlicherweise auf den 20. September 1940 statt auf den 19. September 1941.

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war sicher, daß er von einer Halluzination sprechen würde. Wenn ich nicht die Stimme gehört hätte, deutlich, ich hätte auch an eine Vorspiegelung geglaubt … 13. Oktober Heute vor einem Jahr zogen wir in die Haidgasse und nun müssen wir wieder ausziehen. Wohin – das wissen wir noch nicht. Wir erhielten heute den Termin: Am 30. Oktober – also am Geburtstag des Kindes. 23. Oktober Brief vom Kind. Heirat im November. Gleiches Schicksal. Hochgebildeter Gefährte ... 30. Oktober Lisls Geburtstag. Wir ziehen um, VI. Sandwirtgasse 14. 3. November Binnen 2 Tagen mußten wir die „Wohnung“ räumen. Frau Goldmann hat uns das Zimmer verschafft. Die Tochter war mit dem Sohne des Wohnungsgebers Fürst verheiratet. Wir hatten in der Haidgasse ein Magazin gemietet, wo wir verschiedene Sachen, die wir in unserem Zimmer nicht unterbringen konnten, eingestellt haben, und für Goldmann, ein Freund Vaters, haben wir dort auch Platz gemacht. Aus Dankbarkeit bat Frau G., uns in ein Zimmer aufzunehmen. Herr Fürst war Juwelenhändler, das Haus gehörte ihm und wir waren 12 Personen in der Wohnung, die aus 5 Zimmern bestand. Unser Zimmer war ein Durchgehzimmer, 5 Personen mußten täglich [durchgehen]. 4. November 1940 Lisl hat g e h e i r a t e t , damals als ich in Lourdes war und die Weltraumstimme sprach: „Knie nieder, ich segne Dich!“ Zu der Stunde, wo sie wartend im Standesamt saß, dachte sie: Ob Mutter wohl ahnt, dass ihr einziges Kind jetzt heiratet!!!! Dank und Dank und Dank! ... 10. November Im neuen Zimmer. Man bringt sich mit. Man mußte die Möbel umstellen, weil sich der Boden gesenkt hat. Zimmer warm – bis auf das Durchgehen „gemütlich“. Eine Zusammenlegewand vor die Betten gestellt. Ich brauche kein Geschirr waschen. Freude auch für diese Vergünstigung. Herr Fürst hat noch eine Hilfe und wir kochen in der Küche. Für alles Dank und immer Bitte um Schutz für das junge Paar! Für alles Leid bezahlt man, für jede Freude wird man bezahlt! Heute vor 2 Jahren erfuhr ich, daß Lisl in Manila gelandet ist! Und der 10. November!!! Die Kristallnacht.6 6

Für: Reichskristallnacht.

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Diese Übersiedlung: Binnen 24 Stunden, so kam der Befehl, mußte die Wohnung geräumt werden. Das Besorgen des Wagens, die „Einrichtung“ – viel Arbeit, aber frohgemut, weil [wir] in Wien bleiben dürfen! Welche Belohnung für den Sept. 1938!? 19. November 1940 Heute kam ein Brief vom Schwiegersohn. Er stellte sich vor. Entzückend! 14. Dezember 1940 Schreck! Wohnungsamt! Vorläufig dableiben! Dank! ABER WIE LANGE? Wieder wandern. Briefe vom Kind – noch und noch! Lebe mit ihnen! Und außen! Dienstag 24. Dezember 1940 Weihnachten. Ich überdenke alles. Lese die Briefe vom Kinde. Ich schreibe ihnen, nun – meine Kinder! Hans! Eine neue Seelenwelt für mich … 2. Februar 1941 … Gestern Weihnachtswunschbrief von Dr. Gomez. Von Lisl 7 Wochen keine Nachricht. Der Krieg geht weiter. Das Leid. Die Polenaktion … 11. Februar Heute einen Trupp Gefangener gesehen. Unauslöschlicher Eindruck. Sie kamen vom Spital. An der Spitze ein Kranker geführt – zwei französische Offiziere, Polen, Belgier. 15. Februar Der Mann noch immer krank – seit 16. Jänner. Husten, Fieber, kein Arzt. Der Parteimann kam, um mich zur Scheidung zu überreden. Tiefste Verzweiflung. Und doch – Schutz empfinden. Das Erlebnis mit dem Ring. Ich hatte noch Holundertee fürs Singen. „Ich werde Dir [Tee] kochen“, sagte ich und schüttete den Rest des Tees in die Kanne. Ein schwacher Klang. Ein RING. Amethyst! Welch ein Zeichen!! Ich lachte, ich weinte – und dem Manne wurde besser – 10 Wochen keine Nachricht aus Manila!! Sachte, sachte, sagte ich zu meinem Herzen – denke an den Ring!!! Wahrscheinlich hatte der Verkäufer – es war 1 Kilosack – durch das Hineinstreuen den Ring verloren, konnte ihn in der Teemenge nicht finden! Ein Talisman, ein Omen!!! Sonntag, 22. Februar 1941 Morgen 11 Wochen seit Lisls letztem Brief. Die Polentransporte. Wir, in der Sandwirtgasse, sind 8 Personen. Einer nach dem anderen muß weg! Litzmannstadt,7 „Umsiedlung“ heißt es. Polen … 7

In Litzmannsstadt (Łódź) befand sich das größte jüdische Ghetto in den vom Deutschen Reich eingegliederten polnischen Gebieten. Dorthin gingen zunächst zahlreiche Deportationen von Juden

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27. Februar Schweres Herz, schweres Herz. Muß, müssen wir fort? ... 2. März 1941 Der Brief vom Kind!! Welch ein Geburtstagsgeschenk! Heute vor 12 Wochen war der letzte gekommen … In der Ägidikirche ist ein Bild vom Kremser Schmidt – ein Kindlein, das Kindlein Jesu. Ich denke an ein kommendes Enkelkind – so blond, so lieb! Und dieses Kindbild lächelte in mein Herz … Die Tage seit dem 19. Februar schwer, schwer – manchmal so erdrückend, so daß ich glaubte, nicht weiter zu können. Doch – mein Herz ist offen, ich vertraue ewig – Am 5. März Trennung vom Klavier – ich übergab es den Eltern in der Novaragasse … Und die Sorge um den Mann wird immer größer, stärker … Ich bete. 9. März Jeden Tag denke ich: Kommt heute die Karte zur Ausweisung? Ein Damoklesschwert. 10. März Zwei Briefe von Lisl. Eingeschlossen ein Brief von Hans! Entzückend. Welch ein Mensch – mein Schwiegersohn! Er schreibt von seinen Verwandten die noch in Wien leben. Ich werde sie aufsuchen … Lisl schwanger! O – Ich schrieb direkt an Hans. Ich fühlte mich als Gold – vom Feuer gehärtet! Ich sandte ihnen das Bildchen von dem Kindlein des Kremser Schmidt … 27. März Heute auf der Hohen Warte bei Hans’ Verwandten Kalman! Die Frau eine junonische Erscheinung. Sie sind im Blindeninstitut. Ein blinder Onkel. Wir fanden sofort Kontakt … Ihr Geschäft in den Händen einer Angestellten. Haus in Mödling-Hinterbrühl … Ich kann mich kümmern. Ein Bild von Hans [und] Lisl – welch schönes Paar! 2. Mai Kein Kindlein! Lisl wieder unwohl … Wenn ich Blumen, Blüten sehe – verzaubert! Werde ich dies nächstes Jahr noch sehen? Abschiedsstimmung. 24. Mai Ein Brief von Lisl aus Baguio8 …

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und Jüdinnen aus dem „Altreich“. Die Stadt Baguio liegt im Norden der philippinischen Insel Luzon, auf der auch die Hauptstadt Manila ist.

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18. Juni Hochzeitstag von Lisl. 9 Monate! Blumen vor den Bildern. Dreimal in der Woche gehe ich zu Hildas Tante, 92 Jahre, um sie zu betreuen. Ich wage dies alles nicht ins Tagebuch zu schreiben, hüte mich vor Namensnennungen – Vielleicht Hausdurchsuchung. Ich sang bei Sp. (Spitz Ing.) Sie waren fast alle dort versammelt, die in kein Konzert mehr gehen durften und nach Musik hungerten. Kein Radio – nichts … Wieder Wohnungsfrage akut. 22. Juni Sonntag Einmarsch in Russland!!!! Genau an demselben Tag wie Napoleon!!!!! Ich besuche Hans’ Verwandte, oft. Sie freuen sich über meine Anteilnahme. Tante W. (Weinberg) besonders lieb. Onkel kann sich die Möglichkeit des Fortmüssens nicht ausdenken, wehrt ab, da Akademiker … Tante (besaß Geschäft in der Leopoldstadt, wo Mutter Gänse kaufte) in der Türkenstraße mit krankem Mann. Als ich kam, wusch sie Wäsche auf dem Tisch … Ich „darf“ Wäsche waschen lassen, nahm sie mit … Habe Arbeit. Übersetze Tante Mariannes Ägyptische Reise.9 Bin ganz eingesponnen … 17. September Brief von Lisl. Morgen Hochzeitstag. Ich zitterte um das Werdende! Hochzeitstag … Mit Mutter nach Kierling … Bitte, Bitte. Ich lehne mich an das Herz des Allvaters … 2. Oktober Lisl 3 Jahre weg. Brief. Hans und ich – Ähnlichkeit – Bücher. Lesen. Wissen. Dank und Dank dafür! 10. Oktober 1941 Heute die Karte für den Transport von der Nichte und Schwester unseres Wohnungsgebers … Ich sinne, sinne – denn nach meiner Ansicht ist das Lebensgesetz unerbittlich, wie wir überhaupt von den strengsten Gesetz[en] – so wie das All – dirigiert werden! Die Sonne! Welch ein Gesetz. Sie könnte ja herunterfallen! Vielleicht fällt sie einmal! Der Wohnungsgeber sieht furchtbar elend aus. Er hat noch [ein] Haus und ist – Juwelenhändler. Er denkt daran, dass – Viele Freunde verlassen uns. – Ich habe keine Worte für die Schwere. Und dann der sanfte Dank des N o c h h i e r b l e i b e n s , vielleicht – der Krieg so wie ich denke, daß er ist. Nemesis. Katastrophe. 9

Therese Lindenberg bezieht sich hier auf Anna Maria Mayerhofer, eine alte Tante ihrer Freundin Hilda Ertl, die im Tagebuch als „Tante Marianne“ aufscheint. In der Zeit ihrer Pflege schrieb sie deren Reisetagebücher zu zwei in den Jahren 1909 bis 1911 unternommenen Ägyptenreisen ab.

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Abschied von Onkel Bernhard … 30. Oktober Lisls Geburtstag. Und wir bekamen die – Karte – zur Räumung unseres Zimmers. Am 25. November müssen wir ausziehen. Merkwürdig. Dieser Tage träumte mir: Du mußt am 1. Dezember von der Sandwirtgasse weg … Es ist jetzt g a n z schwer. 14. November Noch keine Wohnung. Ins Rothschildpalais, Gildemeester.10 Am 25. November ausziehen in die Große Schiffgasse 21. Mischehengetto. Samstag 15. November 1941 Besser ein Loch und gesund, als krank im Palast … Sonntag 16. Frau Brandl beleidigte mich schwer. Sie sagte: „Warum ziehen Sie nicht zur Mutter?“ Ich: „Ohne Mann – niemals, niemals.“ „Wollen Sie damit sagen, daß ich meinen Mann“ – der extra wohnt – „nicht schütze.“ Ich nickte … Und – in einigen Tagen darauf wurde er nach Riga verschleppt und sie hat ihn nie mehr gesehen … Mittwoch 19. November Lisl: Das Kommende bewegte sich!!! Am Freitag 1. September zum 1. Mal. Am Dienstag 25. November Übersiedlung. Große Schiffgasse 21. Alles ganz schwer. Doch leises Klopfen: Hab Geduld … Heute mit Tante Mariannes Tagebuch fertig geworden. Seit Mai daran gearbeitet … Freitag, 28. November Drei Tage schwere Arbeit. Fast verzweifelt wegen des Zustandes der „Wohnung“. Bitte, sagte ich aufblickend – kein Bauchweh, kein Klosettgehen. Das letzte Zimmer – durchgehen. Und doch und doch … Wer hat darinnen gewohnt? Vorher – in – Zeiten? Ich vernahm es … Fritz KREISLER!!!!! Musik strömt aus den Mauern. Eckzimmer. Und vor uns – über 30 Personen, Ostjuden, die wieder nach Polen mussten. Die Nägel an der Wand ersetzten die Kästen. Und ich sah zum Himmel. Trostreiche Ströme kamen herab. 10 „Gildemeester“ bezeichnet die nach dem holländischen Pastor Frank van Gheel-Gildemeester benannte „Aktion Gildemeester“. Sie stand nach ihrer Einrichtung im Frühjahr 1938 in Wien als Ausreise-Hilfsaktion in erster Linie vermögenden Juden und Jüdinnen (gemäß NS-Rassegesetzen) offen. Mit dem Vermögen, das diese in den Hilfsfonds einzuzahlen hatten, wurde die Auswanderung von nicht vermögenden und nicht der Israelitischen Kultusgemeinde angehörigen, aber als Juden oder Jüdinnen klassifizierten Österreichern und Österreicherinnen finanziert. Das „GildemeesterAuswanderungsbüro“ befand sich damals, wie die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“, im Palais der enteigneten Familie Rothschild in der Prinz Eugen-Straße im vierten Wiener Gemeindebezirk; seine Aktivitäten waren in dieser Zeit gezwungenermaßen bereits äußerst begrenzt.

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Montag – 8. DEZEMBER 1941 K R I E G bei den Kindern! PEARL HARBOUR!!!!11 Dienstag 9. Dezember Nun kann ich nicht mehr schreiben. Ich weinte gegen den Himmel. „Vertraust Du MIR nicht?“ strahlte es zu mir herab. Da wurde ich stumm und stammelte nur: „Verzeihe – ich vertraue DIR e w i g .“ Das Kind in diesem Zustand!!! Die Herzens- und Weltraumstimme redete mir zu und tröstete mich. Mittwoch, 17. Dezember Ich kenne nur ein Flehen: Schutz dem Kind und dem Werdenden. Und nun sitze ich zum ersten Mal auf dem Platz, den ich mir geschaffen habe: Ein verbreitertes Fensterbrett. Graue Häuser, aber ich darf zum Himmel schauen … Weihnachtsabend 1941 Weihnachten und beim Kind ist fürchterlicher Krieg. 16. Jänner 1942 Es schneit fast ununterbrochen … Onkel von Hans besuchte uns. Er und Tante sind ganz kleinlaut geworden. Und ich kann nicht helfen, viel Freundlichkeit und Liebe geben. Allenthalben Aushebungen. Sonntag, 18. Jänner Die schwere Stunde beim Kinde naht. Und ich kann nicht bei ihnen sein … Minus 12 Grad. Ununterbrochener Schneefall. Ich sehe die Gasse hinab. Von einem ganzen Zimmer, das ich besaß, bin ich auf 80 cm² gekommen. Es genügt. Was wird mein Kind machen? Wie man doch in sein Schicksal gedrängt wird. Montag 19. Jänner Ich vermeine heute, das Kind käme jetzt zur Welt! 18 Grad minus. Irgendwer schenkte mir ein Plakatkind. Ein Blondchen. Welches Zeichen! Ich treibe mit dem Plakatkind Unsinn. Es ist soo süß. Ich hing es in den Bücherkasten. Durch das Glas

11 Am 7. Dezember 1941 fand der japanische Luftangriff auf die in Pearl Harbour auf Hawai liegende amerikanische Pazifikflotte statt. Er führte zum Kriegseintritt der USA und zur in der Tat globalen Ausweitung des Zweiten Weltkrieges, u. a. durch die japanische Besetzung der Philippinen bis 1945.

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lächelt es mir ununterbrochen zu …Und Schnee, Schnee. Der fürchterliche Krieg. Russ­ land. Kälte spüren meine Kinder nicht. Und immer nach den Gesetzen des Lebens fahndend. Die tief verschneite Stadt. Hie und da ein Vogelruf. Kommt der Frühling? fragte ich. Ganz gewiß kommt er, sagte ich zu mir. Ununterbrochenes Denken an das Neugeborene. Ist es schon auf Erden? Ich vermeine es – doch ein bisserl zögernd. Im Traume sang ich: „Bäh-Kuckuck-Bäh-Kuckuck“ – „Schäfchen und Vöglein, bewachen mein Kindelein“. Sonntag, 8. Februar Die Juden müssen Schneeschaufeln. Mein Mann auch. Doch der Kommandierende schickte ihn bald nach Hause. Mir wurde direkt leicht ums Herz. Er ist soooo ausgeglichen, ich konnte und kann ihm wirklich „helfen“. Immer sage ich: Wie glücklich bin ich, [daß ich] Dir etwas von dem, das ich durch Dich kennen lernte, „zurückzahlen“ kann. Dadurch nie und nie Mißstimmung. Ausflüchte oder gar Vorwürfe!! Nie und nie!! Jetzt wage ich mehr in die Tiefe hinabzuschauen, dadurch komme ich der Wahrheit näher. Geistiges Leben in mir – dadurch ist die Vergangenheit wahrlich vergangen. 10. Februar Heute Begräbnis von Fr. Dr. Silber. Jene Frau, die an Lisls Hochzeitstag [mit uns] in Hadersfeld war – die ausrief „Schwammerln“ – und ich das unvergeßliche Erlebnis hatte. Heute das Erlebnis – Ich war bei Edith. Die schöne Wohnung. Ich wollte nur ein ganz, ganz wenig traurig werden, weil ich an die Wanzenburg Schiffgasse dachte. Da faßte E s mich bei der Hand: „Ich bin bei Dir, ICH.“ Ich stammelte im Geiste – das AUGE: ES sieht zu mir herunter voll Liebe … Das Zeichen meiner Würdigkeit – Die Kinder, Kindeskind sehen, nicht erpressen, sagte ich zu mir. Wenn die Zeit da sein wird … wenn … nicht weinen, Tränen sparen für Großes. Ach, sagte ich zu mir – es sind ja jetzt Tränen des Glückes – Beschütztwerden … 15. Februar Immer denke ich an die Lieben, immer, voll tiefer, tiefer Sehnsucht. Lisl schreibt: „Vater und Mutter gehen mir sehr ab.“ Die Transporte. Wie legt sich der Gedanke an sie an mein Herz. Und mich schmerzt mein ganzer Körper, wenn ich meinen Mann ansehe. Er sieht so elend aus. Gestern 14 Wochen, als der letzte Brief aus Manila kam. Die Schneeschaufler. Nur Juden. Eine schöne, elegante Frau stand auf dem Sammelwagen. Das feine Gesicht! Welch strahlende Frau muß sie gewesen sein. In dem Möbelwagen, auf dem die „Judenmöbel“ aufgeladen waren, sah ich einmal ein Portrait einer solchen Frau … Ebenholzmöbel standen [herum] und dann ein Wagen mit feinster Wäsche! 2 Mark ein Bündel – um die gerissen wurde – etwa 6 Polster, Leintücher – Hemden – ein Bündel sicherlich mehr als 100–150 Mark wert … Denken, denken – Das Gesetz i n u n s … Wie einfach und doch. Wir haben alles i n u n s und doch schweift alles hinaus, um zu suchen.

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25. Februar Heute taut es. Seit 15 Wochen kein Brief. 30. März Vor meinem 50. Geburtstag … Das Kind denkt her … Immer die Weltraumstimme: „Weine nicht, sonst zeihst Du MICH des Unrechts!“ Wo sie wohl jetzt sein werden? Lebt mein, unser Enkelkind? Ein Bub, ein Mädchen? Es will nicht Frühling werden. 18. März Das Kind 1 ½ Jahre verheiratet. Wie wird Hans zu mir sein, stehen? Er liebt Bücher, er sucht im Weltall – sein Geist. Und sein Herz? Vorgestern der erste L u f t a l a r m ! Bei den Kindern – Kämpfe!! Seit 5 Monaten keine Nachricht!! Kämpfe auf den Philippinen. Wie weh kann das Atmen tun! Wie schwer kann das Herz im Leibe werden! Sonntag 11. Mai Das junge Grün! Ich bin fast vor Freude erschrocken, als ich es sah, die Bäume in Schönbrunn – und mein Liebster, mein Gefährte, ist im Zimmer eingesperrt und übersetzt und ist voll Güte und Dankbarkeit und Kraft. Weil sein heißgeliebtes Kind – ach, er denkt ununterbrochen an Lisl. Ich weiß es. Und wir sprechen niemals von ihr und ihrem Mann, den er nur durch seine Ahnung kennt. Ich glaube, er betet für ihn, weil er Jude ist, sein Wunsch. Der letzte Maitag Ich rezitierte die Sonette Michelangelos, als ich neben dem Schmidtgarten in Pötzleinsdorf ging, zu Hildas Haus am Schafberg. Die schöne Welt, die Blüten. Ruhe, Frieden. Märchenhaft, und immer [die] Bitte: Schutz für die Kinder. Bitte, Bitte, in tiefster Demut. Ich schaute, schaute. Vogelsingen. Daß ich das erleben darf, ich und mein Lieber nicht. Darf ich es? Ich müßte bei ihm immer, immer sitzen. So aber glaube ich, bringe ich Schönheit ins Wanzenzimmer … Mein armer Mann … Ich liebe ihn sehr. Mir träumt so oft vom Kind, als es klein gewesen ist. Darinnen ist mein Herzblut, da ist meine Liebe, nichts ist so wirklich wie dies … Ich schaue die Welt, die We l t an, wie nie! Donnerstag 25. Juni 42 Gestern bei Edith. Ihre Mutter wurde weggeholt. Erster schwerer Schlag für Edith. Vorahnungen von mir, weil oft provozierend. – Wo sind meine Liebsten, wann werde ich Nachricht von ihnen haben? ...

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28. Juni Das Durchgehzimmer. Nie hören wir direkte Dispute wegen des Durchgehens … Aber meine Bitte, niemals nächtens Bauchweh zu bekommen, wurde bis jetzt erfüllt … Man kann nichts „ändern“, bilden, direkt gewollt? Man wird durch das Schicksalsgesetz geführt. Sonntag, 5. Juni Vorgestern zu Lisi über Hietzing. Als ich in den Maxingpark trat, war es mir, als breiteten die Bäume mir ihre Ästearme entgegen. „Du mein Park“, stammelte ich, „Du mein Park!“ – Ich habe Lisls Bild aufgestellt, es lächelt mir zu – direkt ins Herz. Ich bin nun Gesellschafterin bei einer alten Dame. Lieb, aber nicht so lieb wie Tante Marianne von Hilda … Der Hausherr von der Sandwirtgasse mußte weg. Alle müssen weg. Schicksal? Spitz weg … ¼ 1 nachts Um 11 Uhr kamen die „Ausheber“. Dokumente. Ich betete. Um 1 h war alles erledigt … Was ist’s mit unserem Kind, Hans? Schweres Herz. Wo leben sie? So bang ist mir. Ich zittere vor Sorge und wage nicht zu denken. 1. August Heute ein Roter Kreuzbrief von Frau Bächer! Wie freudig bin ich erschrocken. Dann ein wenig enttäuscht. – Schweres Herz, doch bewußte Hingabe an das Schicksal. Marikerl fort! Das fromme Mädchen! Dienstag 11. August Lernen durch das Schwere. Um ½ 9 Uhr saß ich gestern unter dem Kastanienbaum in Sievering. Beim Bachesrauschen. Als ich aus der Straßenbahn stieg, kamen mir beim Anblick eines blühenden Fuchsienstöckchens die Tränen. Ich ging in die Kirche. Ich war allein und kniete vor dem Hochaltar. Ich bot IHM mein tränenüberströmtes Gesicht dar. „Segne mich“, flüsterte ich und schloß die Augen. Als ich sie öffnete, lag ein zarter Glanz über dem Altar. „Dank, Dank“, stammelte ich. Ich war zutiefst erschüttert, sekundenlang schüttelte es mich vor Weinen, zutiefst wie selten ward ich aufgewühlt. – Und dann saß ich beim Bachesrauschen im sanften Sonnenlicht. Es war unendlich friedlich. Kein Mensch auf den Straßen. Ich ging zur Agnesgasse und mietete mir auf Nr. 16 in einem großen Obstgarten einen Liegestuhl! Welches Ausruhen. Diese Erfüllung! Ich hatte sie ähnlich durch 25 Jahre. Manchmal ahnte es mir schon: Wird es immer so fortgehen? Wie oft hatte ich das gedacht! ... Dann zu der alten Frau. Durch das Erlebnis am Vormittag – Geduld … Luxus im eigentlichen Sinn ist für mich bedrückend: Jemand muß für mich arbeiten … Das Sanatorium, in dem die alte Dame lebt – das schöne Haus, das schöne Zimmer. Eigensinn des Alters. Ich war sehr müde.

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Mittwoch 19. August 1942 Die Leute neben uns sind weg. Sie konnten ausziehen, bekamen ein anderes Zimmer im Mischehenghetto. Ein einzelner Herr ist nun neben uns. Manchmal war es ziemlich arg, das Durchgehenmüssen. Ich scheute mich immer davor. Mein Lieber – nicht so sehr … Der Tausch schien fast unmöglich und er gelang. Ich muß sehr danken und – nichts nachreden … Ich bin jetzt mir gegenüber sehr kritisch. Ich muß es ja sein. Sonst würde ER am Ende SEINE Hand von mir ziehen. ER muß kein, soll kein schwieriges Kind führen, wenn auch SEIN Mitleid sehr groß ist. Ich muß dazu tun, mich beherrschen und – nicht richten – nicht richten … Der Mann wartet auf die Registrierung. Donnerstag 27. August Mein Liebster, mein Mann wurde gestern um ¾ 2 Uhr geholt. Ich betete durch. Um ½ 4 Uhr war er wieder daheim. Dank und Stillesein. Sonntag 6. September 1942 Gestern war ein Jahr vergangen, daß sich mein Enkelkind bewegt hatte. Lebt es? Wo ist es? Ich sehe zum Himmel? Hans Geburtstag. Der 4. Bombenalarm … Samstag 27. September Alle sind schon weg. Gisi und Kalmann am 24. … Ich sah sie im Wagen stehend. Und man kann nichts tun. Das ist das Schwerste. Und warten. Hinterbrühl … Freitag, 2. Oktober 1942. ½ 1 Uhr Heute sind es 4 Jahre, daß das Kind weggefahren ist … Ich sitze nun an der Straße nach Gaaden. Es ist ein unwahrscheinlich schöner Tag. Einen, den ich so liebe, mit sanftem Sonnenlicht und italienischem Himmel. Dieser Frieden. Kein Mensch, kein Tier, nichts, nichts – nur Natur. Der Duft des Herbstes, mir so unendlich lieb… Später dann zum Brühler Park vor der Volksschule, wo aus dem Skizzenbuch von Beethoven auf einer Tafel steht: Ein kleines Haus allda, so klein, daß man allein nur ein wenig Raum hat, nur einige Tage in der göttlichen Briel … Dann zum Haus Helmstreitgasse 5. Vor einem Jahr bin ich da auf der Bank vorm Haus gesessen, nicht ahnend, daß das Haus der Tante Gisi von Hans gehört … Sonntag, 4. Oktober In unserem Zimmer hat der Virtuose Fritz Kreisler als Kind gewohnt. Deshalb gleich am Anfang – als ich das Zimmer das erste Mal sah – ein merkwürdig gutes Gefühl trotz der vielen, vielen Nägeln der Frühinsassen, die ihre Kleider dort aufhängen mußten … Die Wände strömten aber Musik aus!!!

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Gugging 30. Oktober Lisls Geburtstag. Wärme, Sonne. Die Purpurröte des wilden Weines. – Ich bete, bete für mein Kind … Schauen, in Ruhe genießen, nicht im Überschwang. Damit alles im Gleichmaß ist und bleibt. Denn – das Übermaß, der Überschwang birgt das Untermaß, den Unterschwang. Mit sehnsüchtigem, bittendem Herzen. Sonntag, 6. Dezember 1942 Mein Gehör nimmt ab. Bin beim Arzt in der Maxingstraße, Soherr … Ich trage Lisls Lodenmantel. Die einzige Verbindung. – Je weher der Schmerz, desto größer die Freude – ich werde es begreifen, dies – einst. Donnerstag, Weihnachtsabend Ich spüre es. Das Kind denkt her! Immer neue Erkenntnisse. Unerbittlich alles und folgerichtig. Ich bitte um Schutz, um das Wiedersehen läßt sich das Schicksal nicht pressen. Es wird sein, wenn es sein darf und sein m u ß ! ! Sylvesterabend 1942 Kind, Sohn, Enkelkind – ich grüße Euch? Wo seid Ihr? Neujahrstag 1943. Freitag Immer mehr erkenne ich das Walten des Lebensgesetzes – der Gesetze überhaupt … Diese Erkenntnis macht mich verstummen. Ich kam vom Pathos her – eigentlich von der Oberfläche. Jetzt steige ich hinab – in die Tiefe. Oben ist es hell – unten – doch weiß ich das Licht dann wahrhaft zu schätzen und ich s e h e w i r k l i c h was Licht i s t ! Ich sah die Schiffgasse hinunter. Kein Mensch geht auf der Straße. Wird es mir heuer das bringen – Nachricht von den Kindern? Am Mittwoch den 6. werden 60 Wochen vergangen sein – seit der letzten Nachricht … Noch ein Wunsch: Ein Zimmer für uns allein. Aber ich muß mir das alles erst verdienen. Noch immer bin ich Schuldner beim Schicksal. In der Heimat bleiben dürfen … 9. Jänner 1943 Das Neue Jahr. Immer, immer auch ohne Denken: Die Kinder. Im Unterbewußtsein in dem Beutel der Känguruseele … Heute mein 28. Hochzeitstag … 10. Jänner Heute Traum vom Kind und von dem Kleinen. Am 27. (26.) kam es zur Welt, sagte es im Traum zu mir. Wie merkwürdig! Ob dies wahr ist!? Wann werde ich Gewißheit haben? –

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Ich muß immer an den Traum denken. Das Kind in weißem Kostüm und ich durfte mein Kind im Laufen stützen … Dienstag 26. Jänner Vielleicht heute, morgen des Kindes Geburtstag?? – Ich denke nur an meine Liebsten … Ich las in der Zeitung beim Zahnarzt über den Krieg auf den Philippinen. In der „Wehrmacht“. Ich spürte direkt mein Blut in den Adern stocken … Und in Europa. Der Kampf um Stalingrad … Schnee, Schnee – Kälte … Samstag 31. Jänner 1943 Vater Lang geht es schlecht. Heute hatte ich tiefes Mitleid mit ihm, als er so dahinlag, dem Ende nahe. Er möge ruhig und in Frieden sterben. Draußen der Krieg, der totale, der sich u n s nähert. Die Sonne scheint wie eh und je. Krieg bei den Kindern, davon ich – ach – nichts weiß. Ist das – „Fürsorge“ für mich – von oben? Wo werden sie sein? Mittwoch 4. Februar 1943 Stalingrad – gefallen. Dienstag 9. Februar Vater Lang ist gestorben. Knapp vor Mitternacht. Am Hietzinger Friedhof wird er begraben. Er war im Tode so schön, jung. Samstag 13. Februar Welche Zeit!!!! Mein Lieber kann mit dem Stern nicht zum Begräbnis kommen. Welche Zeit! Wie schäme ich mich in einer solchen zu leben! Würde man dies in späterer Zeit glauben? Die Sonne schien, es roch nach Frühling. Viele Menschen beim Begräbnis. Große Aufmachung. Das hätte ihn so gefreut. Blumen. Ich ging den alten lieben Weg – Maxingstraße. Den lieben, lieben Weg. Sonntag 21. Februar Welches Erlebnis!! Im Sonnenschein ins Belvedere. Waldmüllerausstellung. Der Ausblick vom Balkon. Frühlingshaft. Dann durch die Marokkanergasse. Ich dachte an Lisl, wie sie da gegangen ist mit dem Schulkollegen Hanzalik! Und – nach Hause kommend las ich in der Nazizeitung: andere gibt es nicht. Aber sie ist klein und billig: „In unsagbarem Leid geben wir die traurige Nachricht, daß unser innigst geliebter Gatte und Sohn Obergefr. Robert Hanzalik, Dipl. Ing., Assistent an der Techn. Hochschule am 7. Dezember 1942, im 28. Lebensjahr,

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kurz nach Einlieferung in ein Kriegslazarett seiner schweren Verwundung erlegen ist. Er wurde auf dem Heldenfriedhof in Stalino12 beerdigt. …“ Ich habe ihn so gerne gehabt. Lisl auch. Er war mit uns auf Urlaub. Mummi hat er zu mir gesagt. Ich war tief ergriffen … Samstag, 27. Februar 1943 Heute, heute – Ich habe keine Worte: Die Post vom Japanischen Roten Kreuz: „Helen, parents allrigth. Hans Lisl“ … 465 Tage, 68 Wochen!!! Dank und Dank und Dank. Ich neige mich tief. Immer Ausgleich … Gestern Erschütterung. Heute aller-allertiefstes Unaussprechliches, wirklich Unsagbares! An mich schrieb einmal Wladzko: „Ich liebe Dich unendlich, unsäglich.“ Also das ist es – „unsäglich“ … Heute habe ich es erlebt … 5. März Heute Doktor, Hetzendorf zu Lisi, für Vater um Tabak gebettelt – Maxingpark – den Bäumen zurufend! Die Kinder haben geschrieben! Sie leben – wir sind Großeltern!!! Mein Dankgedicht. Ich kann nun wieder nichts als Worte schenken, doch sind sie eingefügt in das Geschehen, Gedanken, Wünsche, wenn sie auch verwehen, berühren Ströme, welche Welten lenken. So muß in meinem heutigen Gedenken ich, nun voll Freude sagen, daß mein Flehen zu wissen, was mit Hans und Lisl ist geschehen, und nun mich darf ins Ahnensein versenken. Auf allerschönste Weise ward erhört: denn meinem kleinen Helen-Enkelkind, den Eltern geht es bestens. Dies gewährt das Schicksal mir als Festtagsangebinde … So sind die liebsten Menschen unversehrt – Und draußen weht die Frühlingsluft, die linde …

12 Stalino, heute Donezk, liegt in der Ostukraine.

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Montag 8. März 1943 Ich arbeite jetzt bei einer Bekannten als – Haushilfe. Von 12 bis ½ 7 Uhr. Müde. Doch ich kann verdienen. Ich bin noch nicht würdig, mein Enkelkind zu sehen, sagte ich zu mir. „Doch“, erwiderte die Weltraumstimme: „Du wirst Dein Menschensein besser geben können, wenn Du älter bist.“ Dienstag, 25. Mai Heute Frau Horner weg … Diese reichste Frau und von einer Verwöhntheit! – Ich bin ganz still … Knapp möchte ich alles sagen lernen. Kein Überschwang. Tief, von unten her, soll die Sprache aufblühen, damit sie Dauer hat. Montag, am letzten Maitag 43 In der Zeitung Notiz von Shanghai.13 Heute träumte mir von Lisl. Sie war traurig und – allein. Ach, mein Flehen, Bitten um die Gesundheit der Kinder, um ihren Schutz – sie kennen keine Grenzen. 20. Juni Ein Eckchen Freude: Die Philippinen werden selbständig.14 Dadurch vielleicht bei den Lieben keine kriegerische Handlung mehr … Montag, 2. August 1943 Es ist so heiß. Ich dachte an die Lieben, was sie durch die Hitze mitmachen müssen. Mein Herz ist so schwer. Wie könnte ich es ihnen erleichtern??? ... Ach, ich möchte auch im Alter mit ihnen sein!!! Immer an die Hitze denken. Gestern sandte ich einen Roten Kreuzbrief nach Tokio. 48 Grad in der Sonne, 50 Grad. Im Zimmer 27 Grad. Mein Gott so lebt mein Kind, unser Kind nun schon seit 5 Jahren! Erkennen: Du sollst nichts verlangen. Sonntag 4. September Der Mann – 40 Fieber. Er sieht so schlecht aus. Ich hatte Halsentzündung – habe ich ihn angesteckt? – Ediths Mutter in Theresienstadt gestorben … Hat sich Edith „Verdienste“ erworben um der Mutter willen. Ich war sehr deprimiert. Heute früh: Nachricht vom Waffenstillstand Italiens. 13 Dabei könnte es sich um eine Mitteilung über die im Mai 1943 auf deutschen Druck hin durchgesetzte Ghettoisierung aller nach 1937 in Shanghai eingetroffenen jüdischen Flüchtlinge gehandelt haben. Shanghai war damals eine japanisch besetzte Stadt. 14 Eine Teilautonomie für die Philippinen mit dem Ziel der Unabhängigkeit von den USA bis 1945 wurde schon 1935 beschlossen. Ihre offizielle Unabhängigkeit erhielten sie jedoch erst im Juli 1946.

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Samstag, Gugging, 10. September 1943 Lisls Hochzeitstag. Unvorstellbar schöner Tag. Sanftes Sonnenlicht, tiefblauer Himmel. Draußen Krieg und Krieg und Aushebung noch und noch … Wie bin ich für diese Stunde dankbar! Dank, ja Dank und die Bitte: Mit meinen Kindern einmal doch vereinigt zu werden! Dafür muß ich leiden und arbeiten. Die Bäume rauschen so tröstlich. Ruhe, Ruhe – nirgends eine Menschenseele. Immer Denken an Lisl, an Hans, an mein Enkelkind! Die Bäume jetzt meine liebsten Gefährten. Verbindung mit dem Kind! … Ich habe unter ihnen geschlafen. Wie genußreich – ohne Wanzen schlafen zu dürfen! 20. September Montag In der Nacht träumte mir von Lisl. Es sah schlecht aus und sie sagte: „Mir gehn die Haare aus.“ … Und dann träumte mir von einem süßen, blonden Kind – meinem Enkelkind! Wird es so aussehen? Samstag, 2. Oktober 1943 Heute – vor 5 Jahren ist Lisl weggefahren … 6. Oktober Heute meine erste Orgelstunde. Herrlich! Dank! 12. November Zu Lisi. Für Vater Tabak schnorren … Im Maxingpark … Werde ich nächstes Jahr noch hier sein? Schauen dürfen, die Bäume grüßen! Samstag, 13. November Heute erste Korrepetitionsstunde bei Redlich. Davon werden wir jetzt leben können! Welchen Segen fühle ich ober mir! Aber nicht eitel werden, o, bitte, nicht eitel werden. 18. November Heute Traum vom Kind. Ich ging in ein Zimmer. Es schlief auf einem Diwan. Leise sagte ich: „Liserl.“ Sie erwachte und rief: „Mutter!“ Ach, ich höre noch jetzt ihre Stimme. Nie werde ich den Ruf: „Mutter“ vergessen! Ich fiel auf die Knie und sagte nochmals: „Liserl, Liserl, wie geht es Dir!“ Es war mir, als wäre sie krank. „Besser, Mutter, besser.“ Ach, wo – was ist’s mit dem Kind? Noch ganz benommen von dem Traum. Schwerstes Herz. Elisabeth …19. November Heute las ich vom Taifun in Manila. Montag, 13. Dezember Ich schaue wie immer – die Schiffgasse hinab. Ich denke an den Balkon von Hildas Wohnung. So oft bin ich da gestanden – als ich noch Tante Marianne betreute, und sah zur

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Votivkirche hinüber. Einprägsam, sagte mein Herz, wer weiß, ob es so bleibt. Wieso, fragte ich mich. Wird denn Wien bombardiert werden? Das war im Sommer 1940. Und gestern war schon der 14. Alarm!! 15. Dezember Heute Orgelprüfung. Gut. Dank. Ich jage, hetze mich viel. Bin wenig daheim. Mein Lieber muß soviel allein sein! Er kann gar nichts, gar nichts besorgen. In der Lourdeskirche gestern gesungen. Dann mit Mutter zum Hietzinger Friedhof. Hernach nach Sievering zu Stix. Gutes Mittagessen. ½ 4 Uhr weg, Hungerbergstraße, verschneite Weingärten zur Hohen Warte. In der Nacht träumte mir von Lisl – ich bekam einen Brief von ihr. Absender Lisl von Turner. Merkwürdig. Ist sie wieder verheiratet, fragte ich mich im Traum … Freitag 7. Jänner 1944 14. Luftalarm … Der Traum von Lisl – Turner. Am 6. las ich, daß zwei Zerstörer „Turner“ und „Leary“ gesunken seien! Vor New York … Die Zeit um mich, das Geschehen um mich – wer kann das alles fassen? Die Kinder, das Enkelkind, wo sind sie …? Wo? Allwöchentlich muß ich zum Doktor in die Maxingstraße wegen meiner Ohren … Dienstag, 1. Februar 38 Grad Fieber. Heiser, starker Schnupfen, müde, müde … Vorgestern las ich, daß die Philippinen angegriffen werden sollen!! O – Nun muß ich Verdienst erwerben! Ich verbeugte mich heute vor der Sonne! Daß ich sie noch sehen darf! Freitag 10. März!!!! Heute früh – um ½ 8 Uhr … SS – Dokumente vorzeigen. Der Nachbar Spitz wurde geholt … Plötzlich zum Mann: „Sie müssen in einer Viertelstunde gepackt haben. „ Ich sagte: „Wir leben doch schon 30 Jahre zusammen.“ Antwort: „Lange genug.“ Ich: „Der Mann ist 69 Jahre alt.“ Antwort: „Er ist alt genug geworden.“ Ich war wie abwesend. Packte. Abschied. Schweres, schwerstes Herz … In etwa einer halben Stunde kam er zurück. Alle kamen zurück, außer Spitz. Er lebte von seiner Frau getrennt. Freitag, 17. März Ich liege. Halsschmerzen. Heiser. Der 15. Alarm. – Lisl übermorgen 3 ½ Jahre verheiratet. Seit 55 Wochen – die letzte Nachricht. Und Schnee, Schnee. Es schneit ununterbrochen, der ganze März ein Schauertag. Nicht eine Viertelstunde Sonne. 27. April Am Weg nach Neudegg – Kollaps. Ich legte mich mitten auf die Straße. Kein Mensch weit und breit … Ich habe die Telefonstangen gezählt. 140. Nach einer Weile stand ich auf – ich hatte noch ein Stück Zucker bei mir. Das rettete mich. Ich hatte nicht gefrühstückt … Woll-

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te nur eine Kleinigkeit mitnehmen … Aber am Abend stand der Gendarm am Bahnhof, inspizierte meine Aluminiumdose kleinster Art. Über Schmalz hatte Mutter Marmelade geschmiert … Doch die vielen blühenden Kirschbäume taten dem Herzen sooo wohl … Sonntag 7. Mai Heute Traum von Lisl. Es ging ohne Schuhe … Die tiefste Bitte meines Lebens: Schutz für die Meinen … Ich war in Rekawinkel gewesen … Und dachte an Lisl. Ich kränke mich noch heute darüber, daß ich – ach, es war ein unnennbar schöner Tag. Ich wollte auch hinausgehen. Lisl ging herum, hörte die Vögel singen, sah die Blumen wachsen und ich mußte in der Küche die Vorhänge aufmachen. Ich brummte ein wenig, weil sie mich mit der vielen Arbeit allein ließ, nicht genügend half – o, heute kränke ich mich tief, tief über diesen meinen Neid … Wo werden sie sein? Und jetzt kann ich – allein – die blühende Welt sehen – noch und noch allein – allein!! Alles immer ein Ganzes: Lebensgesetz ein Ganzes: Summe, aus der die Leiden abgezogen, die Freuden dazugezählt werden … 3. Juni Jeden Tag Alarm! Heute sagte man mir: Es ist nicht wahr, daß die Emigranten in Manila interniert werden, wurden … Also diese meine, unsere Sorge nicht unbegründet … Dienstag, 6. Juni Rom gefallen. Heute träumte mir von meinem Schwiegersohn Hans. Ihr denkt her, sagte ich. Ich lese ein wunderbares Werk über byzantinische Baukunst. – Er liebt doch die Kunst, wie er und Lisl schrieben, und – Bücher. – Daß dies mein Schwiegersohn ist! Bücher, jetzt meine einzige geistige Freude und das – Gebet. Dieses Hinlehnen an die Allmacht, denn die Welt ist groß, groß, weit und tief. Daß ich d a s fühlen darf! Meine innere Kraft, meine immerwährende Rettung! Doppelt und dreifach bin ich ergeben, wenn die Angst des Herzens da ist. Das geprüfte Herz. Möge es die Prüfung bestehen, Verdienste sammeln, demütig und dankbar sein … Bombennächte. Alarme. Alarme. Floridsdorf zerstört. Mutter bekam Einquartierung von dort. Sonntag, 16. Juli 1944 Heute in Simmering. In der Luegerkirche Orgel gespielt. Der schwere Angriff. Ich lief in einen Luftschutzkeller. Die hohen Flammen, Rauchsäulen. Zu Fuß nach Hause, zwischen brennenden Häusern, 2 ½ Stunden. Montag 28. August 1944 Heute wurde Paris von den Deutschen aufgegeben … Diese ungeheure Gedankenfülle in mir. Ich will sie glätten, Erkenntnisse sammeln: Warum, wieso, wozu!!! Und glaube auf alles eine Antwort zu finden – welcher Hochmut, welche Selbstüberschätzung!!! Noch immer bin ich eitel!

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Gugging, 18. September 1944 Heute Lisls 4. Hochzeitstag. Die Quelle rauscht, die Bäume flüstern. Vormittag Alarm, wie jeden Tag. Und brennende Stadt. Um ½ 2 bin ich herausgefahren und mit Abständen kam ich nach 3 Uhr hier an. Viel Sorge. Und immer, immer die einzige Bitte: Schutz meinen Lieben! Unter einem Nussbaum. Leben sie? frug ich ihn. Ja, rauschte er laut auf. Ja, und nochmals ja!! Ach – die Gewissheit. Ich schaue ringsum, wann und überhaupt werde ich wiederkommen? Freitag, 22. September Ich kaufte eine Zeitung und las darin, daß am Donnerstag, am 14. – 500 amerikanische Bomber Manila bombardiert hatten. O, wie schwer lag mein Herz in der Brust. Und in 10 Tagen werden es 6 Jahre sein, daß Lisl fort fuhr … O, wie denkt sie her … Ich war in der Japanischen Gesandtschaft gewesen und fragte, ob es eine Verbindungsmöglichkeit gäbe. Man wies mich an das Auswärtige Amt … In Manila schwere Kämpfe. Ich zittere vor Sorge. „Bete für mich, bete für uns“, war es mir, als ob es von oben riefe: „Mutter, bete für uns!“ „O Kind, wo bist Du?“ – Ich stieg in die Straßenbahn und sah zum Himmel: Da oben – ein rosa Wölkchen! Wie linde sah es in mein Herz! Und wenn ich weinen wollte, rief mein Herz: Das rosa Wölkchen! Das rote Wölkchen! Ist es das, vielleicht – daß Hans zu seinen Pflegeeltern kommen darf?15 30. Oktober 1944 Lisls Geburtstag. Wehes Herz. Orgelstunde. Am Zentral[fried]hof 5 Messen gespielt. Veilchensträußchen legte ich auf Schuberts Grab. 12. November 1944 Welch aufregende Tage! Jeder Tag Alarm! Am 5. mußte ich vom Zentralfriedhof 3 Stunden durch die brennende Stadt nach Hause. Ida ausgebombt, Hilda schweren Schaden. Ich half, wo es nur ging. Und immer nach Manila schauen. Südostwärts … Ich vertraue, vertraue ewig. Mir ist es, als ob ich meine Wange in die Händeschale des Ewigen legte … Obwohl das Herz vor Sehnsucht nach dem Kinde brannte. – Die Luegerkirche ist schwer beschädigt, so daß ich dort nicht mehr spielen kann. Schwere Angriffe in Manila … Ich vertraue, ich vertraue … Sonntag 19. November 1944 Heute feiert man den Namen: Elisabeth … Täglich im Keller sitzen.

15 Der Schwiegersohn Hans Steiner flüchtete nach dem „Anschluss“ 1938 zunächst von Wien nach Dänemark zu seinen Pflegeeltern Ragnhild und Rasse Christiansen, bei denen er nach dem Ersten Weltkrieg im Zuge einer damaligen Hilfsaktion für Wiener Kinder Aufnahme gefunden hatte.

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Ich bete für die Kinder. Wenn ich im Keller bin und da spüre ich wahrhaftig mein Sein, das zu ihnen geht. Fast körperlich abwesend. Wie soll man das nennen? Seelenkonzentration? Versenkung. Nirwana? Immer wieder: Die Zeit ist eng und schwer. Sonntag 25. November Heute am Zentralfriedhof! Die Kuppel der Kirche ist schwer getroffen, doch die Kirche steht, die Orgel in Ordnung … Am Nachmittag Besuch von einem Beamten der Kultusgemeinde. Neue Sorgen um den Mann. Am letzten Novembertag Krank. Vollständige Heiserkeit, Husten, Schnupfen … Ich habe in einer ganz kalten Wohnung geräumt. Die Frau ist verschickt, der Mann allein. Große Wohnung. Körperlich ist alles „leicht“ gegen [die] Sorge um die Liebsten. Freitag, 1. Dezember Mir ist schon wohler … Immer ein „Ausgleich“. Meine alte, alte Theorie. Seit Kindheit lebe ich nach diesem ehernen Gesetz. Ich konnte nämlich lesen – im Bett, Essays, hauptsächlich geschichtlichen Inhaltes, meine alte Liebe. – Täglich Alarm. Schwere Schäden. War es Vorahnung? Wie habe ich in der letzten Zeit die Stadt mit verliebten Augen betrachtet – ehe die erste Bombe fiel. Du schöne, alte Stadt, sagte ich oftmals. Auf den Heimwegen. 15. Dezember Drei Stunden mit einem schweren Wäschepack unterwegs. Erst Hietzing, Maxingpark, finster – ein Mann ging vor mir – ich kehrte um. Zu Lisi wegen Tabak. Wäscherei in Hetzendorf gesperrt. Zu Zieger. Stromstörung. 17. Dezember Ich „räumte“ bei Janthe. Bekam 7 Mark. Ich fuhr bepackt heim und vergaß in der Strassenbahn meine – Handtasche. Ich bekam sie wieder! – Alarm um Alarm. 21. Dezember 1944 Der kürzeste Tag. Nach Stammersdorf um Erdäpfel … Ich mußte gehen – keine Straßenbahn. Heute sagte mein Lieber zu mir: Sonst haben wir uns um die Zeit immer schon für den Feuersang vorbereitet. – Ich habe Geduld, ich habe Trost im Herzen. Davon lebe ich … Samstag, 30. Dezember 1944 Das Jahr nähert sich seinem Ende. Das „Geschehen“ rückt immer näher. Ich spielte in der Rustenschacheralleekapelle, in Maria Grün – wie mir da das Herz aufgeht! – Und überhaupt: Verdiene ich es, daß ich überall hingehen darf – schauen, schauen, denken, danken?? Heute z.B.: Um 3 Uhr fuhr ich von daheim weg nach Hietzing! Mit wehem Herzen

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bei Haus Rosenhügelstr. vorbei zu Lisi. Nach Schönbrunn – Unter St. Veit. Die alten Wege. Erst zur Putzerei – ich hatte doch den Pack Wäsche mit. Dann zu Kissers. Der Weg durch die Baumgartnerstraße im Schnee. Vollmondlicht – wundervoll. Baumgartnerkirche – Karmeliterkloster. Zu Jelinek. Keine Straßenbahn … Als ich bei der Sandrockgasse 13 vorüberging, sah ich im Geiste mich, Lisl den langen Gartenweg laufen. Das Herz tat sehr weh. Ich war sehr müde … Und dachte doch – vor 12 Jahren – mit Gert und Lisl nach Radtstadt mich gehen sehend … Wie unvergeßlich dies alles! Sylvester 1944 Ich habe an meine Lieben durch das Rote Kreuz geschrieben. So beende ich das alte Jahr mit Dank, tiefstem Dank und wagte nur die eine Bitte: Nachricht von den Lieben … Neujahr 1945 Ich fasse Deine Hand, Herr, wenn es schwer werden wird. Dir vertraue ich. DU wirst uns schützen. 9. Jänner 1945 Heute unser Hochzeitstag … Und – h e u t e landeten die Amerikaner in LUZON!!!!16 Meine Kinder! Ich darf nur daran denken: Schutz, Schutz, Schutz! Budapest, die schöne Stadt – ein Trümmerhaufen. Die Schmerzlichkeiten des Krieges! Halsschmerzen. 37,5. Es schneit, schneit, schneit … Gestern merkwürdiges Erlebnis. Ich dachte an Wladzko … Jahre ist er tot, aber immer vermeine ich, daß seine „Seele“ in mich flöge. Gibt es das? Wir wissen nichts von dem Geschehen außer unsrer Welt, vielmehr unsrer Erde. Die unsichtbaren Seelenstrahlen. Immer denke ich daran. Seit meiner Kindheit arbeite ich eigentlich an diesem Lebensgesetz … Samstag, 13. Jänner Gestern abends 38 Fieber. Sehr elend. Ich muß doch gesund bleiben. Muß? Belag. Ich habe am Nachmittag geschlafen. Mir träumte von Lisl, sie sah mich nun nach 6 ½ Jahren und war gar nicht froh. Dann probierte sie Skilaufen. Montag 15. Jänner 1945 Heut Großangriff. Unsere Gasse – ein Schutthaufen. Wir büßten zwei Fensterscheiben ein. Krach, Einschlag – wir konnten gar nicht in den Keller. Gerettet! Dank! Sonntag, 21. Jänner Heute ist vielleicht Herzensenkelkindchens Geburtstag. – Drei Alarme. Ich bin ein wenig ängstlich. Krakau, Warschau – gefallen. Der Krieg rast … Wenn Verweise – lächelt mein 16 Größte Insel der Philippinen.

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Herz, weil es mir zuflüstert: Aushalten, immer, immer. Du bekommst die Kraft! Lächle! Du weißt warum! – Wiedersehen!! Samstag 1. Februar Heute träumte mir von Lisl, von Hans. Ich war ihm ganz nahe. Und sagte zu ihm: Schön ist Deine Schwiegermutter nicht, aber sie hat Dich sehr lieb. – Alles liegt im Untergrund. Ich hätte so viel zu sagen. Das Bachspielen. Die Orgel! Welche Freude geht von ihr aus. Sie kann ich dem Mann übertragen. Diese Kraft, diese Kraft … Geduld. Er hat es mit sich so schwer, kann wenig jetzt auf sich nehmen. Ich rede mir zu: Sei ruhig, sei ruhig, dann alles gut. Halte ich nicht stand? Genug? Tränen. Sie werden gesammelt. Wenn ich aber weine, werde ich mir das Wiedersehen mit den Kindern nicht verdienen. 4. März Alarm über Alarm, Trümmerhaufen, Schutt! Meine geliebte Stadt! Geburtstag. 53 Jahre. Die Lebensmitte schon längst überschritten! Gestern 7 Stunden im Keller. Montag, 12. März Gestern 70. Geburtstagsfeier für meinen Mann bei – Hilda! Die liebe, Gute. Ich darf das nicht vergessen. Ich gelobte mir wie sonst: Viel, viel Geduld haben, viel, immer zu schweigen, nur zu lieben – und wenn ich rede – überzeugend und ruhig. Donnerstag 13. März Schwerer, schwerer Angriff – auch unser Haus, unser Zimmer: Aber wir leben. Wir gehen jetzt in die Katakomben – Eingang beim Lugeck. O Gott, laß es genug sein! – Ich kann die Arbeit fast nicht bezwingen. Der viele Staub! Staub, Trümmer … Ich bin sehr müde, doch immer dankbar für Schutz und Liebe. In die Stadt in die Katakomben laufen. Angriff auf die Praterstraße. Meine Orgel! Ich kann darauf nicht mehr spielen. (Nepomukkirche). 22. März O, die täglichen Angriffe. Der Staub! Ich huste, starker Schnupfen. Doch im Keller, in die Katakomben beim Hohen Markt, am Kohlmarkt. Ich mußte zu Bett. 37.7 … Die Kinder im blühenden Land? Blumen? – Die innere Stimme: „Sie werden beschützt. Du wirst sie sehen. Die Zeit rückt, rückt … Dann ist der Himmel ganz blau für Dich!“ „Für mich?“ fragte ich, „für mich allein?“ – Stimme schwieg.

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Ostersamstag, 31. März, Ostersonntag 1. April 1945 Alles ist grün, die Sonne scheint – wir wandern unentwegt in den – Keller. Ich bin noch immer nicht gesund, immer 37.5. Müde. Die Russen haben unsere Grenzen erreicht!! Müde, müde – In der Woche, in der ich [im] Bett lag, wurde alles grün! Das Grün in der zerstörten Stadt, welcher Kontrast! Samstag 6 Stunden in dem luft- und lichtlosen Raum. Ich bin ganz kaputt. Einmal wanderten wir beim Alarm in die Stadt, das zweite Mal in den Keller – 6 Stunden. Jetzt hebt eine ganz ernste Zeit an … Dienstag, 3. April Ich bin noch immer nicht gesund. Fieber nicht mehr viel – aber Halsschmerzen. Wien – Verteidigungszustand! Ich habe nichts gesehen, doch erzählt man mir von Flüchtlingen, von heranrollenden Panzern … Militär, das durch die Stadt fährt – es gibt nur Kampf – keinen Alarm mehr – ununterbrochen im Wahnzustand. Krieg – welch ein Wahn! Und ich vertraue ewig! Schutz für meinen Mann, für mich – für die Kinder! Wo sind sie, was ist mit ihnen? Husten, husten, 2 x Codein. Mittwoch 4. April 1945 Heute schon besser. Noch immer Temperatur, doch nicht mehr diesen Krampfhusten, diese bleierne Müdigkeit. Die Russen stehen vor Baden – also 24 km vor Wien … Freitag 6. April, ¼ 4 Uhr früh Seit gestern 9 Uhr früh Beschießung Wiens. Kanonendonner. Keller. Gestern den ganzen Tag – hinauf, hinunter … Noch Husten, noch Temperatur! Samstag, 7. April Kanonendonner, Kanonendonner. Der 3. Tag der Belagerung. Kein Licht. Um Wasser schlich ich mich der Hausmauer entlang, zu einem Hausbrunnen. Sonntag 8. April Nur im Keller. Keinen Schritt hinauf in die Wohnung. Flieger, Kanonendonner, Maschinengewehrgeknatter … Und – es fiel der Judenstern!!!! Draußen, so sagt man – strahlende Sonne. Wir – Troglodyten.17 17 Als Troglodyten wurden in der Antike Völker bezeichnet, die in Höhlen oder unterirdischen Woh-

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Montag 9. April Schwerer Geschützdonner. Flieger. Um 6 Uhr abends schlug eine Granate in unser Haus ein. Das Zimmer ober uns und das im 3. Stock vollständig zerstört. Bei uns noch nichts zerstört – nur kleine Schäden. Mittwoch 11. April Gestern totaler Keller. In der Nacht – die 2. im Keller – Bombardement um ½ 3 Uhr früh … Die ganze Nacht habe ich gebetet. Ich schreibe im Dunkel. Wütendes Trommelfeuer … Wir hatten einen Mauerdurchlaß zum Nebenhaus. Da wurde uns um 3 Uhr früh durchgesagt: Am Ende, auf der Ecke bei unserem Haus steht eine Stalinorgel18 … Wir müssen gefaßt sein, in die Luft zu fliegen, weil die Munition im Keller – im Nebenkeller, also 1 m von uns entfernt – liegt … Wir warteten. Wir warteten … Mit einem Male Stille … Wir glaubten – es sei zu Ende. Wieder warten. Um 7 Uhr früh wieder Schießerei. Nachmittags war die Schießerei der Stalinorgel so arg, so daß ich meinte, es wäre nicht mehr zu überstehen. Die Kellerluft macht mich dumpf und starr. Kann es möglich sein, daß draußen Sonne scheint, Blumen blühen, Vögel singen? Man kann es nicht ausdenken. Donnerstag, 12. April 1945 Die vierte totale Nacht im Keller. Die Menschen nervös, unleidlich. Als wir uns anfangs im Keller versammelten, meinte der „Blockwart“ – hie Juden, hie Arier. „Nein“, sagte ich, zusammen gelebt, zusammen sterben. So gab es keine Trennung … Die Menschen primitiv – also haben sie das Recht unleidlich zu sein. Jeder Tag scheint mir der Höhepunkt des Dämonenreigens zu sein, aber jeder Tag bringt noch immer Schrecklicheres – diese Perspektiven scheinen unendlich. Was wird mit unserem Haus geschehen? Was ist schon mit ihm geschehen? Freitag, 13. April 1945 ½ 7 Uhr früh – die Russen sind da!!

nungen gelebt haben sollen. 18 Bezeichnung für die Katjuscha, einen sowjetischen Raketenwerfer, der im Zweiten Weltkrieg entwickelt und breit eingesetzt wurde.

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Samstag, 14. April Es ist alles so unwirklich – Sieben volle Jahre tiefes Leid, Schmerz, Druck – und es soll nun – dies zu Ende sein? Gestern noch im Keller, in schrecklicher Pein. Drei Granateinschläge im Haus. Das Gebäude wankte. Es war die 5. Nacht. Und dann – mit einem Male Ruhe und – die Russen sind auf den Straßen. Für uns waren sie wirklich und wahrhaftig die – Befreier!!! Mein Lieber, Lieber konnte sich wieder frei bewegen – was kam dem gleich! Das erschütterte mich am meisten! Wir gingen hinauf in unser Zimmer, das ganz wüst aussah. Aber das Mauerteil stand – im Zimmer – oberhalb unserer Betten und daran hing – Lisls Bild!!! Welch ein Omen! Wir sanken uns in die Arme! Ich habe stark abgenommen, sehe alt und vergrämt aus – und doch ist es mir, als würden wir nahe der Nachricht von den Kindern sein!!! Kein Licht, kein Gas, kein Wasser und fast nichts zu essen. Und doch dankbar, dankbar! Nun liege ich seit 10 Tagen das erste Mal ausgezogen im Bett!! Montag, 16. April 1945 Ja – vorgestern – da lag ich eine halbe Stunde ausgestreckt und dann begann eine fürchterliche Kanonade, so daß es mich nicht mehr im Bette litt und [ich] in den Keller rannte … d.h., dreimal war ich schon im Vorzimmer gewesen, bin wieder umgekehrt, als nach einem fürchterlichen Einschlag wir endgültig den Keller aufsuchten. Dort war es kalt. Alles war schon weggeräumt, keine Sitzgelegenheit – nichts. Um ½ 3 Uhr gingen wir wieder hinauf. Schutt lag wieder auf den Betten. Die Fenster – keine Scheibe mehr – und draußen Sonne. Trüber, trauriger und doch sonnenheller Tag … Dienstag, 17. April In der Frühe um Wasser … Die Menschen – grau. Innen und außen grau. Wir mußten zum Wasserhydrant am Schottenring … Beim Polizeiamt lag eine Hitlerbüste. Eine männliche Leiche lag am Trottoir. Ein zerstörtes Klavier sperrte den Weg. Der ganze Bezirk, nichts als Trümmer, alles devastiert … Doch was wir am Nachmittag sahen, läßt sich nicht beschreiben! Wir gingen zur Hilda. Die Brücken gesprengt. Bei der Johanneskapelle lag ein toter Soldat. Bei der Rossauerkaserne Tierkadaver. Und die Straßen! Kein ganzes Haus auf der Oberen Donaustraße! Doch das Schrecklichste sollte ich erst sehen: Die Ringstraße! – Bei Hilda hörte ich von den Ausschreitungen. Das Burgtheater ausgebrannt – Wien, die Innere Stadt – ein Schutthaufen! Bei der Mutter – das Haus eingestürzt. Die Wohnung ist jedoch benützbar! Und in unserem Haus – ich hatte die große Ankeruhr19 vorbereitet, als es hieß: Urraa, Urra – es kam 19 Wohl eine Uhr mit mechanischem Anker-Uhrwerk.

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niemand … Doch unten im Parterre hörten wir schwere Stiefeln … Wir warteten. Es kam niemand. Neben der Hausbesorgerin waren Frauen eingemietet – die Fenster waren immer bei Tag verhängt und wir vermeinten, die Inwohnerinnen hätten eben Nachtdienst – da alles, was nur heile Hände und Füße besaß zum Arbeitsdienst einbezogen wurde – die Damen hatten tatsächlich Nachtdienst, denn es waren Straßenmädchen … Die Russen wurden sofort in diese Wohnung gezogen und wir waren irgendwie beglückt, daß sie sich bei Weib und Wein, den sie mitgebracht hatten – so gut unterhielten, denn Gesang und Lachen erfüllte das ganze Haus … Wein! Die Weinkeller wurden überall gestürmt, der Wein floß aus Schläuchen auf die Straße und wer nur ein Geschirr besaß – der bediente sich! Überhaupt – alle Geschäfte wurden geplündert, man trug nach Hause, was nur zu ergattern war – auch Unmögliches … Meine Nachbarin schleppte etwa 100 Spicknadeln und einen Karton Zangen mit sich … Das Eisengeschäft Blasser auf der Taborstraße war ihr Ziel gewesen!!! Der Frühling ist da! Der Flieder blüht im Volksgarten! Aber über allem liegt der Flor der Trauer, des Schmerzes, um soviel Verlorenes – an Leben, an Gut – Die Gräber in den Parkanlagen, auf jedem freien Plätzchen in den Häusern. Es gab keine Särge, keine Transportmöglichkeiten. Die Menschen schnitten sich das Fleisch von den Pferdekadavern ab – sie stellten sich an. Wieso, woher die vielen Pferde? Wien hatte seit 1683 keinen Krieg in der Stadt gehabt. Mein lieber, lieber Mann – o, wie schwer geht er schon, wie schlecht sieht er aus. Aber – wir beide – wir sprachen nicht – in uns lebte ein Strahl des Kommenden – Wiedersehen, Nachricht von den Kindern – Im März ward er 70 Jahre gewesen! Wir gingen in die Westbahnstraße zu Fürsts Schwiegertochter! Im 7. Bezirk – verhältnismäßig wenig Schaden. Nur den 10., 12., 15., 16. hatte es arg getroffen. 1. und 2., 3., 5. Bezirk waren total kaputt … Mittwoch, 18. April Ich sitze beim Fenster und schaue die Gasse hinab. Ist’s möglich? Ist es wahr, daß der Krieg zu Ende ist? Träume ich? Kein Alarm, der Mann kann mit mir gehen, wohin er nur mag … Das Zimmer notdürftig vom Schutt geräumt, die Fenster mit Papier verklebt, das uns irgendwer gab – es war ein gegenseitiges Helfen, Freude fast, wieder Mensch zu sein – eine unaussprechliche Zeit! Danke ich genug? Mit tränenerfülltem Blick schaue ich zum Himmel. Ich tue nichts und habe nichts getan, als Mitleid haben mit Freund und Feind … Die Gasse wird aufgeräumt. Ich möchte eine eigene Wohnung haben. Ist das zu viel und das Flehen um Nachricht von den Lieben? Immer muß ich denken: Ist es wirklich Frühling, maienhaft und der Krieg zu Ende?

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Freitag, 20. April Gestern in Döbling – allein – bei Elly. Otto gefallen. Ich war zutiefst erschüttert. Es schien mir unfaßbar, daß dieser saubere, edle junge Mensch, der brave Sohn – die schwergeprüften Eltern. Die Mutter, die einmal sagte: Ich war zu lange Mutter … Welch Schicksalsgesetz!!! Der Mann geht viel, doch wird er so rasch müde … Er, der soviel gegangen ist, konnte durch 7 Jahre das Gehen, mußte es fast verlernen. Sonntag, 22. April Zwei Tage trübe und kalt gewesen und Trübe liegt über mir, ich kann mich so wenig über unsere Freiheit freuen, weil ich – wenn ich durch die Straßen gehe – nichts als Gräber sehe – in allen Ecken und Enden. Doch die Straßen werden reiner, wie eine zertretene Blume hebt sich die Stadt. Berlin ist gefallen. Draußen in Deutschland gibt es mörderische Kämpfe. Die Russen geben eine „Zeitung“ heraus. Samstag, 28. April Ist es möglich? Ich sitze geruhsam beim Fenster und darf ohne Zittern und Zagen die Straße hinabsehen. Wir haben eben davon gesprochen, wohin wir morgen einen – Ausflug!!! machen werden!! Ist es möglich? Der politische Zusammenbruch beeindruckt mich sehr! Welche Lehre! Werden die Menschen sie beherzigen? Unser Kind – ach – Heute Proklamation über die Österreichische Republik! Sonntag, 29. April 1945 Mir ist oft so traumhaft zu Mute … Jeden Tag, wenn ich zum SCHOTTENRING um WASSER gehe, muß ich an den Gräbern auf der Straße vorbeigehen. Ich schreibe an den Märchen für die Kinder. Sie müssen bald fertig sein. Ich wage nicht zu denken. Werden die Kinder kommen, werde ich sie besuchen? Werde ich sie sehen? Ob ich dieser Freude, dieser Gnade würdig bin, wird sich zeigen … Ich knie in stummem Gebet. Aufschauen traue ich mich nicht … Nun erst, da soviel Leid von mir genommen wurde, kann ich nur durch Bescheidenheit danken. Nicht überheben, nicht richten, nicht richten – auch nicht im kleinsten Maß. Nur schauen und denken.

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Dienstag 1. Mai 1945 Politischer Zusammenbruch Deutschlands – Kapitulationsangebot Himmlers. Montag 7. Mai Hitler tot? Eine Kapitulation von Armeen nach der anderen. Nur um Tulln bei uns, so hörte ich sagen, gibt es noch Widerstand. Wenn ich beim Wasserholen bei den Gräbern vorbeigehe, vergesse ich nie, derer zu gedenken, die da unten liegen. Ich liege seit gestern. 38 Grad Fieber. Durchfall. Ruhr. Ärgste Art. Also nichts mit dem – „Ausflug“. Die Zeit in der wir jetzt leben, ist wahrlich eine apokalyptische. Ein Totentanz, ein Ruinenfeld. Dienstag, 8. Mai 1945 Gestern, am 7. Mai 1945 um 2 Uhr 41 nachts, hat Deutschland kapituliert. Der Krieg ist nun wahrlich zu Ende!! Was war es, das meinen Augen entstieg? Trauer, Dank, Bitte? Ich war es, mit meinem ganzen Herzen, Dein Kind, Herr, das so leben will, wie DU unser Leben meinst: In Liebe, Bescheidenheit und Geduld. Noch Fieber. Beim Arzt. Abgenommen. Ich sah heute im Park Gräber schaufeln. Noch keine Möglichkeit zu den Friedhöfen zu kommen, keinen Sarg, keine Fahrtgelegenheit. Donnerstag 10. Mai Mir ist schon besser, nur erhöhte Temperatur. Zum Konsulat durch die zerstörten Gassen. Natürlich keine Auskunft. Diese Ungeduld zu erfahren, was auf den Philippinen vorgeht. Diese Verwüstung! Depression darob! Die schlechte, staubige Luft! Ich spüre aber, wie die Kinder über unsere Freiheit jubeln! Über die Freiheit des Vaters!!! Immer schaue ich in ihre Gegend – und sie her!! Ich spüre es … Der Mann schwach, aber glücklich. Es ist Mai und ich sehe nichts von Blüte und Wald. Pfingstsonntag, 20. Mai Ich sitze vor Hildas Häuschen. Der Mann schaut. Als ich die ersten Bäume sah, standen Tränen in unseren Augen. Wir konnten mit der zusammengeflickten Straßenbahn nach Pötzleinsdorf fahren und dann gingen wir … Der Weg zum Schafberg für uns ein Erlebnis. Und so wurde mein Wunsch, der Mann möge doch die blühende Welt noch einmal sehen – erfüllt!!! Ich kniee.

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Manila ist lange schon frei, hörten wir und wir erwarten die Erfüllung unseres heißesten Wunsches. Wir erwarten, sagte ich. Das klingt wie eine Forderung. Nie, nie fordere ich. Samstag 26. Mai Himmler tot. Von morgen [an] geht eine Stadtbahnlinie Hauptzollamt-Hietzing. Hunger. Die Schutthaufen schwinden. Seit gestern keine Verdunkelung mehr, also der Krieg endgültig zu Ende. Ich bin in der Hauptallee gewesen, habe Holz gesammelt – so wie die anderen, bin beim Vivarium vorbei und rief: „Liserl“, „Liserle“, und nach 4stündigem Marsch – heim. Am Praterstern sah ich neben dem russischen Wegweiser – den englischen. Also – kommen die Alliierten doch nach Wien!!!! Montag, 28. Mai Ich bin in der SANDROCKGASSE, die jetzt SAMBECKGASSE heißt, gewesen. Und gestern war der Mann wieder im Wohnungsamt. Noch immer nichts mit der Wohnung. Die Nazikönige sind geflüchtet, die Russen sind in der Wohnung … Samstag, 2. Juni 1945 Ich war in unserer Wohnung!!!!!! Gestern haben wir die Zuweisung bekommen, doch sitzen noch die Russen darin und [wir] können noch nicht einziehen. Als der Mann zu dem fragenden Russen sagte: Das ist unsere Wohnung, sagte der Offizier: Werden uns andere suchen!!!!! Der Garten ist schön! Seit gestern haben wir Licht, doch noch kein Gas! Samstag, 9. JUNI 1945 Worte? Nein – ich habe sie nicht! Nur Schauen, Hören … In unserem Garten. Die Bäume sprechen zu mir. Gefühle sehen ganz, ganz in die Tiefe, schäumen nicht … Die Russen sind noch da! Im Garten, 16. Juni Dank! Ich wage es nicht mehr, so überschwänglich zu sein wie einst. Aber das, was ich unseres Heimes wegen gelitten, wurde mir reichlichst in Freude zurückgezahlt. Freude? Ich kenne keinen anderen Ausdruck. Tiefer, tiefer …

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Als wir vorgestern nach Tisch herauskamen – die Russen waren weg!!!! Gestern Ordnung gemacht. Sehr müde. Ich bleibe über Nacht. Noch stehen Königs Betten – sonst ist alles weg – bis auf die Küchenkredenz20 und die 2 Kästen im Schlafzimmer. Einstige Judenmöbel … Küche – Kredenz, Tisch, 2 Sesseln – neu. Ich sehe sehr schlecht aus. Aber froh – jeder Tag nun – ein Dankfest. Sonntag, 24. Juni Ich sitze beim Schlafzimmerfenster und sehe ins Grüne. Nicht mehr in die Schiffgasse … Ruhe, Friede. Ich lebe wie im Traume. Noch keine Möbeln. Kein Fahrzeug. Alles so unwirklich. Otto Granditsch in der Zieglergasse durch eine irrende Kugel getötet. Ertl Robert gestorben. Hilda konnte einen Sarg irgendwo machen lassen und in einem Wägelchen wurde er in den Zentralfriedhof geführt!!!! Immer daran denken, sagte ich zu mir, wie es in der Schiffgasse war, nie vergessen. – 2090 Tage bin ich fern gewesen, also fast 5 ¾ Jahre. Donnerstag 5. Juli Heute vor 12 Jahren sind wir hier eingezogen. Noch immer haben wir die Möbel, die zum Teil bei der Mutter stehen und im Magazin in der Haidg[asse] lagern, nicht in der Wohnung. Wir müssen Geduld haben. Wir haben vom Schicksal jetzt soviel bekommen als Wiedergutmachung, daß wir nicht mehr verlangen dürfen … Enkelkind – wann werde ich Dich umarmen? Samstag 14. Juli Gestern. Um 2 Uhr nachts wach. Um 6 Uhr früh zur Mutter. Der Möbelwagen kommt, doch keine Packer. Wir haben die Sachen auf den Gang getragen. Das Klavier natürlich nicht. Sesseln zum Haustor … Wir mußten alles wieder einräumen … Ich bin zuvor in Lisls Zimmer gestanden und habe in ihre Schlafecke geschaut … Mittwoch 18. Juli Sonntag, Montag, Samstag in Ruhe und Frieden. Gestern um ½ 5 Uhr auf, nach Hietzing Stadtbahn, vom Hauptzollamt gehen wie immer zur Mutter. Der Wagen kommt nicht … um ½ 3 Uhr nach Hause. Hunger arg.

20 Kredenz bezeichnet in Österreich auch eine Küchenanrichte bzw. ein Möbelstück mit Ablagefläche und Kästchen.

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Heute früh – um 2 Uhr auf. Nicht mehr schlafen können. Wieder die Jagd. Doch ab heute konnten wir schon zur Schwedenbrücke fahren. Um 7 Uhr bei der Mutter. Der Wagen kommt nicht. Zur Fahrbereitschaft. Müde. Schläfrig. Zu Tögl. Zu Hamburger, wieder zur Fahrbereitschaft. Nichts. Der alte Mann läuft nach Simmering zu Wanko. Ich nach Hause. Samstag 21. Juli Wieder wegen der Möbel interpelliert. Nichts. Geduld. Denken: Genießet Ihr nicht das Schönste, das es jetzt gibt: Luft, Sonne, Herrlichkeit der Grüne. Ja, ja, ja! Dienstag, 24. Juli Heute kam ein Teil der Möbel an. Die von der Schiffgasse. Der Mann arbeitet so viel! Immer noch kein Gas, auf einem kleinen elektrischen Zimmeröfchen „kochen“. Noch immer „Karten“! O, den Weg auf die Kartenstelle haben mir meine Nachbarn abgenommen! Wenn ich an die schrecklichen Kartenerinnerungen in der Sandwirtgasse denke, wo die Hausbesorgerin mir immer die J Karte zuschanzte, um mich zu ärgern und ich dann in die Kartestellen mußte, um den umständlichen Umtausch zu organisieren, in die Jüdische Kartenstelle in die Rote Sterngasse, resp. Glockengasse und, und …21 Die restlichen Möbel von Mutter noch immer nicht da. Seit Montag bei uns im Bezirk – die Franzosen. Donnerstag 2. August Gestern bei Promotion von Schwerer Jolan. Werde ich diese Freude mit dem Kinde erleben?22 Viel Arbeit – aber schön! Ihr Bäume – seid Ihr Seelen? Ja! Immer schon sahen wir uns in die Herzen – immer schon! Der Nußbaum jetzt im Garten. Der Baum meiner Kindheit!! Ein tiefgeliebter Baum!

21 Im Typoskript sind an dieser Stelle noch die Sätze eingefügt: „Gestern Promotion von Schwerer Jolan. Werde ich eine solche mit dem Kinde erleben?“ Die Formulierung kehrt im folgenden Eintrag vom 2. August fast gleichlautend wieder; auch in den Originaltagebüchern wird dieses Ereignis am 2. August beschrieben. Daher wurde die kurze Passage hier weggelassen. vgl. Anm. 22. 22 Vgl. Anm. 21.

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Samstag 11. August 1945 Acht Wochen – seit wir hier sind! Der Krieg mit Japan – zu Ende! Die Atombomben!!!! Am 10. Kapitulation. Waschtag von 7 Monaten. Alles jetzt so sauber. Ich kann mich nicht genug tun an Waschen – an Säuberung! Die Möbel noch immer nicht da – Immer schon habe ich mich über Geduld belehrt! Wie kommt mir das immer zu statten! Mittwoch 15. August Ich konnte nicht schlafen. Zutiefst beeindruckt von dem Prozeß in Charkow!23 Was haben sich die Henker wohl gedacht? Kann etwas, das nicht auszudenken ist – ungerächt bleiben!? Der Krieg mit Japan endgültig zu Ende. Dank! Die Kapitulation ward zuerst nicht von dem Kaiser bestätigt, vom Kaiser, der Gott vertritt. Ist es wahr? Ist es wahr – die Kinder!!! Samstag 18. August Nun kamen die Möbel! Ich arbeitete durch 3 Tage 17 Stunden täglich! Nun alles in schönster Ordnung! Dank und Dank!! Immer Dank! Mein ganzes Leben lang! Heute träumte mir von Lisl. Ich denke an die Halluzination 1938, wo ich das Kind mit geschlossenen Augen, vom Wasser triefend, plötzlich vor mir sah. Es ist Friede! Friede! Man kann es nicht ausdenken – nur – Dank! Danken! Dienstag 28. August Ich bin bei Frau Singer gewesen. Ich darf, kann wieder singen!!!! Donnerstag 30. August Wir haben ein Radio!!! Seit 7 Jahren wieder!! Nur eine Bitte: Wiedersehen – ja, nur Nachricht von den Kindern! Donnerstag, 6. September Heute Hans’ Geburtstag! Die Tage unnennbar schön! So wunderbar, daß mir das Herz vor Glück wehtut! Einmal darf ich es ja sagen, denn wie oft, wie oft hat das Herz vor Schmerz unerträglich weh getan!!

23 Charkow/Charkiw, damals die viertgrößte Stadt der Sowjetunion, wurde im Oktober 1941 von deutschen Truppen erobert und in der Folge mehrfach heftig umkämpft; ihre jüdische Bevölkerung wurde fast zur Gänze ermordet. Im August 1943 erfolgte die Befreiung der Stadt durch die Rote Armee, im Dezember 1943 kam es dort zum ersten Prozess gegen deutsche NS-Täter.

106   Therese Lindenberg: Die apokalyptischen Jahre. 1938–1946

9. September 1945 Frieden, Frieden?! Ich kann es noch nicht fassen. Und Tage sind, die ich nicht beschreiben kann – italienischer Himmel, süße Luft – der Garten! Immer Dank und Dank! Kleinigkeiten: Hunger. Nie noch habe ich gewußt, was Hunger ist. Wir haben das Gras im Garten gekocht! Doch – ich denke an die in Auschwitz, an Theresienstadt! Bald werden es – 7 Jahre, daß Lisl fort ist. Ich fasse mich in Geduld … Ich vertraue … 18. September Heute Lisls Hochzeitstag. Ein Tag von einer Himmelsbläue, wie ich ihn noch nie gesehen habe. 23. September Die schönen, schönen Tage! – Ich habe oft Herzweh, weil mich dünkt, als würde ich sie nicht verdienen und ich muß dafür künftig etwas bezahlen. In einer Woche – 7 Jahre seit Lisls Abreise! Wie sehne ich mich nach ihr! Warten, Geduld, Geduld! – Daß ich da in unserer Wohnung sitzen darf! Danke ich genug? 3. Oktober Heute Nacht träumte mir von einem blonden Mädelchen. Sieht so mein Enkelkind aus? Immer den Gesetzen nachspürend. Gott – über den Gesetzen, selbst das Gesetz? Unausdenkbar … – Mein Lieber hat Angina pektoris. Ich will ihm alles so schön als nur möglich machen. 2. Dezember 1945 Wir können kochen! Wir haben wieder G a s ! 22. Dezember Mir träumt sooft vom Kind – von einem braunen Mädelchen – Noch ein Enkelkind? – O Geduld und Vertrauen, Vertrauen – höchste Hingabe – unsagbare Demut! Sonntag, 30. Dezember 1945 Das Jahr geht zu Ende – für mich das Jahr der Gnade, – o und jetzt welch ein Geschenk! Ab 2. Jänner wird der internationale Postverkehr aufgenommen!!!! Ich habe heute nach Manila einen Brief geschrieben!!!!!! Ich schließe die Augen – es war mir als träufle Segen in mein Herz!! Auf mein Haupt!

1946   107

Donnerstag, 3. Jänner 1946 Heute Nacht Traum von süßem Kind, das wie Liserl aussah, als sie ein 1 ½ jähriges Kind gewesen. Das Naserl, die Locken!!! Donnerstag 17. Jänner 1946 Wir haben nichts zum Heizen und es ist so kalt! Der Mann hat noch etliche Kohlen von dem Schiffgassenkeller mitgebracht – Kein Papier – ich sorge mich um ein Buch für meine Tagebuch[aufzeich]nungen … Minus 10 Grad. Der Mann leidet an seiner Krankheit … Wenn nur ich immer aushalte! Geduld – niemals, niemals, niemals richten! Ich kann nicht genug in die weißverhangene Welt hinausschauen – zu den Bäumen – nicht mehr in die Schiffgasse! Nie vergessen – ich glaube manchmal meine Dankbarkeit sprengt mich! Sonntag, 27. Jänner Nichts zum Heizen! Herr, bitte, laß die Sonne scheinen! Meine Hände sind so geschwollen und voll Wunden! Und trotzdem Dank und Dank!! Immer. Immer. Ein Suchblatt für Lisl beim Roten Kreuz ausgestellt. Samstag, 2. Februar 1946 Die Sonne! Die Sonne scheint! Die Amseln beginnen zu rufen! Donnerstag, 7. Februar HEUTE BRIEFE von LISL – vom April, Juni, November 1941 – also Briefe, die nicht mehr zugestellt werden konnten! Erst die Freude und dann – Enttäuschung – aber doch Dank! Bilder waren im Brief! Mittwoch, 13. Februar 1946 HANS, LISL, HELEN, RUTHY ALLRIGHT. ALL BURNT, MANILA FIRE, LONGING TO SEE YOU SOON. WILL TRY EVERYTHING! MONEY AVAILABLE. KISSES FROM ALL. 419 PARK AVENUE. – LISE/HANS 17. AUGUST 1945. Gibt es Worte? Ich habe keine … Nur – das Herz will mich sprengen. Freitag, 15. Februar Nun weiß ich, daß die Kinder leben, den Krieg überstanden haben. Wie soll ich danken? – Bescheiden sein und helfen. Gut sein, wirklich gut sein und geduldig … Nun sind wir doppelte Großeltern …

108   Therese Lindenberg: Die apokalyptischen Jahre. 1938–1946

Donnerstag 21. Februar Konnte nicht erfahren, wo Pasay ist. Aber Hilda war im Radiographischen Institutbüro in der Renngasse, [sie hat dort erfahren] daß Pasay auf Luzon ist und man in 1–2 Wochen dorthin telegraphieren kann. O Herr, mein Dank kennt wahrlich keine Grenzen. Jetzt – abzahlen … Erstens einmal nie und nie und nie ungeduldig sein, dann höchste Wahrheit und Bescheidenheit … Mir ist jeder Dank zu wenig. 26. März 1946 Heute erster Luftpostbrief nach Pasay … Blüten, Blüten! Der erste Frühling daheim! Ich bin fassungslos vor Entzücken über die Blüten! Es gibt nichts Schöneres als sie – und das Kind dient ihnen!!! Freitag 12. April Heute vor einem Jahr wurden wir befreit! Wie wurden wir belohnt! Ich bete, bete unentwegt. Alles ist mir zu wenig. Die Blüten vor dem Fenster. Ostersonntag 21. IV. Wir haben Pakete erhalten – aus Dänemark – von einer Firma. Von wem? Und dann von Robert aus Providence!! Was das ist! Ich darf essen!! Und dann der Garten, die Bläue des Himmels, die Blüten, wie die Bräute stehen die Apfelbäume rund um mich. Ich sagte zu ihnen: Ihr seid zu schön! Ihr seid ZU schön! Ich darf da bleiben! Vögel singen, Amseln flöten! 2 Orangen konnte ich essen! Sonntag, 5. Mai Ich habe „Die Todesmühlen“ gesehen. Ich werde sie nie vergessen. Dieser Hölle sind wir entronnen!! Ist es deshalb nicht richtig, wenn ich immer hinaufschaue und ununterbrochen fast – murmle: Dank und Dank!!?? Montag, 13. Mai 1946 Ein Tag zum Merken: Heute ein Brief von Lisl! Bild, Bilder von unseren Enkelkindern! Welch ein Muttertagsgeschenk!! Ich neige mein Haupt. Zu reich das Geschenk!! – Unvergeßliches Glücksgefühl. Reizendes Bild von Hans und Lisl – und ich – ich schreibe unentwegt!! Montag, 27. Mai Heute wieder Brief von Lisl. Rübenfeld gestorben. Tief ergriffen.

1946   109

Heute im Amerikanischen Konsulat. Visum erst im Juli … Ich muß noch in die Schicksalskassa einzahlen, dann gibt es ein Wiedersehen. Samstag 8. Juni 1946 Wieder ein Brief von Lisl – wir sollen kommen. Ich denke soviel daran. Vor allem: Ich vertraue, vertraue. Wie es kommt – so ist es gut. Nie, nie werde ich fordern, nörgeln – wie könnte ich? Heute beim Arzt. Die Füße, Herzsache. Schonen … Und die Pakete von den Kindern – strömen daher!! Und – wir dürfen auch helfen, denen, die uns geholfen haben. Mittwoch, 3. Juli Keinen Hunger mehr, baden dürfen – Brief vom Kind – was mußten sie mitmachen??? Die Japaner, das brennende Haus – Was ich alles zu denken, zu fühlen habe! Vorgestern Taifun auf den Philippinen!! Wie ist das nur? Gibt es keine wirkliche Sprache der Liebe, des Herzens? Für mich ist alles zu wenig. Und nur immer und immer das eine Wort: Dank, Dank! Und unaussprechliche Reue: Ich habe das Kind Gott nicht lieben gelehrt. Ich wollte Judentum und Christentum zusammen führen, denn Jesus war doch Jude und deshalb wollte und wollte ich einen Juden heiraten! Und ich habe die „Zusammenführung“ nicht erreicht. Vielleicht, vielleicht – einen Grund gelegt? Momente lang tiefer Gram, wie ich nicht glaube, ihn empfinden zu können – schmerzlichste Reue und zugleich Empfinden SEINER MILDE! SEINEN SEGEN! MÖGE D E R über die Kinder und Kindeskinder fließen! Gib den Menschen die Kraft, dass sie DICH wirklich erkennen! Dann wird wahrer Frieden sein! Diese Gotteserkenntnisse! Manchmal so aufgewühlt – Ist es richtig, daß ich schrieb an Edith: Ich bin so aufgewühlt – Herrgott gibt es ja nur einen und durch welche Konfession man ihm dient, ist ja nur Erziehungssache. Mir ist unser Gottesdienst, die Liturgie – das Genehmste. Ist es recht so? Es beginnen nun die schönen, sanften Tage. Montag, 25. August 1946 Heute Brief von Hans – Lisl. – Wie selbstverständlich nehme ich dies hin und ist doch solch große Gnade!! Dank und Dank und nochmals Dank und nun warte ich auf das ALLERHÖCHSTE: AUF DAS WIEDERSEHEN!!!!!! !‘!‘!‘!‘!‘!‘!‘!‘!‘!‘!‘! 18. VI. 1975.

Tagebücher von Therese Lindenberg 4. März 1938 bis 25. August 1946

Die im Folgenden gedruckten Aufzeichnungen umfassen Einträge aus fünf verschiedenen Tagebüchern, die Therese Lindenberg zwischen dem 9. Jänner 1937 und dem 8. Mai 1947 geführt hat. Es sind dies die von ihr selbst nummerierten Bände 10 (Einträge ab 4. März 1938), 11 (alle Einträge), 12 (alle Einträge), 13 (alle Einträge) und 14 (Einträge bis 25. August 1946) ihrer insgesamt 64 handschriftlichen Tagebücher und tagebuchähnlichen Texte mit chronologischen Einträgen, die heute in der Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien archiviert sind. Die Edition aus diesen Tagebüchern folgt exakt dem Zeitraum des Typoskripts „Die apokalyptischen Jahre. 1938–1946“. In den Originalaufzeichnungen entspricht dies handgeschriebenen Tagebucheinträgen im Umfang von 570 Seiten oder insgesamt 881 einzelnen Einträgen, die an 809 Tagen zwischen dem 4. März 1938 und dem 25. August 1946 verfasst wurden. (Wiederholt hat Therese Lindenberg an einem Tag mehrere Einträge gemacht). Für die Edition wurden diese Tagebuchaufzeichnungen originalgetreu transkribiert. Nur offensichtliche Schreib- oder Satzfehler sowie das Fehlen von Satzendzeichen wurden nicht übernommen. Außerdem haben wir, der besseren Lesbarkeit halber oder wo es vom Sinnzusammenhang her erforderlich schien, an manchen Stellen ein Komma eingefügt und auch die sonstige Interpunktion vereinfacht. So wurden die von Therese Lindenberg im Original häufig mehrfach gesetzten oder lang gezogenen Gedankenstriche nur dann übernommen, wenn sie einen Nebensatz oder einen Worteinschub kennzeichnen. Die Gedankenstriche wurden in all diesen Fällen reduziert auf jeweils ein Schriftzeichen (–). Anführungszeichen wurden exakt übernommen. Eine Anpassung an die Neue Rechtschreibung ist nicht erfolgt. Absätze folgen dem Original, Zeilen- und Seitenumbrüche wurden jedoch nicht berücksichtigt. Hingegen haben wir Ausbesserungen durch die Autorin (meist Durchstreichungen oder Überschreibungen und Einfügungen) gekennzeichnet (Beispiel: [Die]{Das}). Wenn solche Änderungen mit einem anderen Schreibstift vorgenommen worden sind, ist das in einer Fußnote ausgewiesen. Die meisten Änderungen wurden mit Bleistift oder königsblauer Tinte, einzelne mit Kugelschreiber vorgenommen. Da Therese Lindenberg ansonsten für die Einträge zwischen 1938 und 1946 dunkle Tinte oder – nur sehr selten – Bleistift und noch keinen Kugelschreiber verwendet hat, können diese Ausbesserungen als nachträgliche Eingriffe in den Text gedeutet werden. Auch Anmerkungen zu einem auffallend veränderten Schriftbild oder anderen Besonderheiten in den Originaltagebüchern – wie Markierungen oder verwischte Stellen, die von Tränen oder Regen stammen könnten – werden, soweit es möglich schien, in Fußnoten gegeben.

112   Therese Lindenberg: Tagebücher 1938–1946

Hervorhebungen einzelner Wörter oder Textpassagen (im Original zumeist durch große Schrift) sind als g e s p e r r t g e s c h r i e b e n gekennzeichnet, ebenso wurden Unterstreichungen übernommen. Erfolgt die Hervorhebung im Original anders als durch große Schrift oder Unterstreichung, wird die Art und Weise in einer Fußnote ausgewiesen (z.B. „zentriert geschrieben“). Tages-, Monats- und Jahresangaben wurden der uneinheitlichen Schreibweise im Originaltagebuch entsprechend belassen. Eine Vereinheitlichung erfolgte hier lediglich durch eine korrekte Verwendung von Satzzeichen (Punktsetzung nach Zahlenangaben oder Wortabkürzungen, Beistriche nach Ortsangaben, Beistriche zwischen Tages- und Uhrzeitangaben – Beispiel: Allerseelen, 2. Nov.). Die Angaben zum jeweiligen Tag stehen – einer auch im Original meist eingehaltenen diaristischen Konvention entsprechend – in einer eigenen Zeile. Zwischen den Einträgen der einzelnen Tage wurde der besseren Lesbarkeit halber eine Leerzeile gesetzt. Auch wenn an einem Tag mehrere Einträge geschrieben wurden, werden diese jeweils als neuer Eintrag gesetzt: Die Angaben dazu (zumeist Uhrzeitangabe oder Ortsangabe) werden in einer eigenen Zeile vorangestellt. Gedichte sind eingerückt gesetzt. Sie wurden entweder von Therese Lindenberg selbst verfasst oder sind Abschriften von Gedichten verschiedener Autoren. In diesen Fällen wurde eine Übereinstimmung mit dem Original nicht überprüft. Abschriften von Briefen beziehungsweise Briefentwürfe, die Therese Lindenberg in ihr Tagebuch eingetragen hat, sind durch den Einschub [Brief] ausgewiesen und kursiv gesetzt. Abschriften (immer nur kurzer Passagen oder einzelner Zitate) aus Briefen an Therese Lindenberg sind ebenfalls durch kursive Schrift gekennzeichnet. Kursiv gesetzt wurden außerdem klar erkennbare Abschriften aus Zeitungen oder in das Tagebuch eingeklebte Todesanzeigen aus Zeitungen sowie längere Zitate aus gelesenen Büchern, deren korrekte Abschrift nicht überprüft wurde. Die im Tagebuch ab dem 21. Dezember 1944 zunehmend häufiger notierten „Mitteilungen“ von Stimmen aus dem Jenseits werden durch den Einschub [Stimme/n] und durch kursive Schrift kenntlich gemacht. Die Sprecherin oder der Sprecher bzw. die „Seele“ einer oder eines Verstorbenen, der oder dem Therese Lindenberg diese Stimme zuschreibt, ist mittels Unterstreichung namentlich gekennzeichnet. Mehrere an einem Tag notierte „Mitteilungen“ hintereinander sind durch einen Absatz voneinander getrennt. Im Original sind diese Passagen meist in auffallend gleichmässiger, kleinerer Schrift gehalten. Um die (erste) Lektüre des Textes möglichst offen zu halten, haben wir uns für eine nur sehr spärliche inhaltliche Kommentierung durch Verweise in Fußnoten entschieden, vor allem in Hinblick auf eine zeitgeschichtliche Einbindung dieser Aufzeichnungen. Solche Angaben wurden nur dort eingefügt, wo es für das Verständnis unmittelbar notwendig schien. Ansonsten verweisen wir auf die wissenschaftliche Einleitung zur Edition sowie auf das umfassende Personen-, Orts- und Film-, Aufführungs- und Werkregister im Anhang. Das Register liegt auch in Form einer CD bei und kann daher leicht ausgedruckt werden.

   113

Editionszeichen […] oder [aA] aA {…} […]{…}

aA aA

unleserlich durchgestrichen, überschrieben eingefügt überschrieben (in der vorderen Klammer […] stehen das/die als ursprünglich identifizierte/n, in der hinteren Klammer {…} das/die ausgebesserte/n Wort/Buchstaben/Datumsangaben) unterstrichen Hervorhebungen werden durch g e s p e r r t e S c h r i f t gekennzeichnet

114   Therese Lindenberg: Tagebücher 1938–1946

Auszug aus dem Tagebuch Nr. 10 von Therese Lindenberg, 9. Jänner 1937 bis 25. Mai 1940 Dieser Tagebuchband ist ein gebundenes Heft mit schwarzem Einband und linierten Blättern (120 Seiten) im Format 16,2 mal 19,7 cm. Die Einträge sind meist mit dunkelblauer Tinte (einzelne mit Bleistift) und in Lateinschrift geschrieben. Das Schriftbild ist eher wechselhaft. Die ungeraden Seiten sind, beginnend mit „1“, handschriftlich nummeriert. Zwischen den letzten Seiten befinden sich verschiedene Einlagen: eine Landkarte von WienUmgebung, gedruckt auf der Hinterseite eines Kalenderblatts von 1914, ein Kalenderblatt aus der zweiten Jahreshälfte von 1938, zwei Löschblätter sowie ein Einlageblatt mit Einträgen aus 1946 und 1947. Der im Folgenden gedruckte Text aus diesem Tagebuchband korrespondiert nicht mit dem Beginn des Tagebuchs (9. Jänner 1937), sondern mit dem ersten Eintrag im Typoskript „Die apokalyptischen Jahre. 1938–1946“ (4. März 1938) und entspricht 74 Tagebuchseiten.

[äußeres Deckblatt]

101 1937–1938{1940}2 [inneres Deckblatt, rechts]

10 MG3 9. Jänner 1937–25. Mai 1940 1232 Tage.4 [Tagebucheinträge]

(…) 4. März5 Mein Geburtstag. Tränen, Essen, jetzt Matthäuspassion.

1 2 3 4 5

Mit Tinte geschriebene Nummerierung auf einer Klebeetikette. Mit Kugelschreiber vermerkte Jahreszahlen auf einer zweiten Klebeetikette. Ausbesserung mit Bleistift. Auch weiter hinten im Tagebuch verwendetes Kürzel für: Mit Gott. Andere Schreibweise: M. G. (im Tagebuch Nr. 13 und Nr. 14.) Beschriftung des Tagebuches am inneren vorderen Deckblatt. 1938

1938   115

„Blut {Buß’} und Reu“. Ja. Buß und Reu. Nein – das Kind ist da – mein über alles geliebtes Kind – mein Denken. 10. Überraschung. Volksabstimmung. Wieder an Politik denken. Ich spüre das Aufatmen. Stolze, raue Arbeiterhäupter recken sich hoch und traurige Herzen schlagen rascher. 11.–12. März 1938 Von der Lüge – zur Wahrheit. 13. März Stark beeindruckt mich das Geschehen. Ich wage nicht, bis zu den äußersten Konsequenzen zu denken. Darf meinen Vater nicht verleugnen. Und meine Mutter auch nicht. Mann und Kind nicht. Ich fühle mich vorläufig ziemlich stark. Rosl hat geschrieben. 14. März Österreich – zu Ende. 19. März Mein armer Mann. Heute bin ich innerlich fast zusammengebrochen. Aber ich sehe überall Gesetze und Zusammenhänge: Es mußte so kommen. Jetzt kurz die Ereignisse: Am Freitag 11. März abends ¾ 5: Volksabstimmung findet unter allen Umständen statt. Um 6h: Abstimmung abgesagt. Um 8h: Schuschnigg verabschiedet sich. Ich war bei Edith. Fahre sofort nach Hause. Sehe die Menschen auf den Straßen marschieren. Mein Herz schmerzt – weil ich nicht weiß, was ist daheim: Mein Mann voll Trauer und Sorge. Samstag {12.} früh 7h: Das nationalsozialistische Wien grüßt den Führer. Um 6h abends: Hitler in Linz. Begeisterung. Sonntag {14 13.}: Proklamation: Österreich aufgegangen in Großdeutschland. Militär überall. Montag ¾ 5h nachm.: Hitler in Wien. Dienstag 15. 11h: Proklamation vom {von der} Burgterrasse.6 2 h nachm. Truppenparade. Herrlicher, frühlingshafter Tag. 6

Hier ist wohl der Balkon der am Heldenplatz gelegenen Hofburg gemeint, von wo Hitler am 15. März 1938 unter großem Jubel den „Anschluss“ Österreichs an das Dritte Reich verkündete.

116   Therese Lindenberg: Tagebücher 1938–1946

Wir gehen über die Sandleitenhöhen. Heute im Garten. Es ist ein wunderbarer Frühlingstag. Die Welt ist schön, sagte ich immer, wenn ich nur schauen und denken kann. Ja – und nun ist schauen und denken begleitet von tiefer Traurigkeit. Ich will helfen. Und die größte Trauer um das Kind, um des Kindes Zukunft. Keine Freude ohne Leid – ach, ja. Man muß für alles bezahlen. Kein I-Tüpfelchen bleibt geschenkt. Alle Worte scheinen mir so abgebraucht. Und der Frühling kommt. Genau mit denselben Blüten, dem seidigen Himmel wie immer, wie überall. Und ich bin doch dankbar, daß ich hier sitzen darf in Sonne und Frühlingswerden. Die Fröhlichkeit, das Glück – ist wohl für lange Zeit dahin. Arbeiten, schaffen, entbehren, damit ich es wieder verdiene. Gemieden werden, ist schon ein bissel hart. Gabriel. Rosl schrieb wieder. Macht vieles gut. 27. März Welch schwere, schwere Tage! 31. März Heute wurde mein Kind getauft. W i e a l l e t i e f e n Wü n s c h e i n E r f ü l l u n g g e h e n ! Mein geliebtes Kind, Lise Monika, Gott segne dich! 2. April Heute war ich bei Rosl. Es war schön. 8. April Schwere Tage, und ich fasse mich. Denn ich, der Herr Dein Gott, bin es, der Deine Hand erfasst und zu Dir spricht: „Fürchte dich nicht, ich helfe Dir.“ (Js. 41., 13.) Fürchte nichts, ich stehe Dir bei! O.

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[Brief]

am 26. Dezember 19387 an Fr. Reg. Hirschkron. Mit jedem Jahr wird es mir so viel schwerer, das Wort zu finden, das so richtig sagt, wie schön ein Alter ist, das Sie erleben, wenn man so gut und so bescheiden ist wie Sie. Doch glauben Sie: In Wünschen wohnen Kräfte! Und meine besten Wünsche für Ihr Leben sind wirklich stark und werden wohl erhört. Vo n A r b e i t k e i n e S p u r . Mein Stück, meine Sonette. Rosl hat mich für übermorgen zu sich geladen. In Demut leben. Die Menschen, die ich liebe, stützen. Am 12. mit Rosl bei Juliska. Welch wunderlicher Disput. Phrasen. Ich wendete mich ab und doch tat mir das Herz weh. Am 15. April Heute mit Flamms am Cobenzl. Über Kaasgraben, „Himmel“. Der Frühling leuchtete über die Lande.8 am 19. April 1938 Heute kehrte ich in die katholische Kirche zurück – und wurde kirchlich getraut mit meinem geliebten Mann. Und ich sitze daheim und betrachte Blüten und Wolken. 23. April Wenn ich auf der Gasse gehe, strömt mir das Leid überall entgegen. Tränen rinnen mir übers Gesicht. Ich kann nicht mehr lachen. Das Herz schmerzt. Und heute flehte ich: Sieh, Herr, sieh – und hilf! 13. Mai Oft denke ich: es wird immer ärger. Dann sehe ich Blüten, wie z. B. die auf unserem Apfelbaum und ich bin irgendwie innerlich ganz froh. Ich möchte es jetzt so haben, Wort und Gefühl, und alles soll sich vollständig decken also wahr sein, bestehen. Gestern mit dem Auto auf die Höhenstraße mit Robert, Cornelia, Livia. Sinkende Sonne, Sterne, flimmernde Stadt 7 8

Eintrag (Briefabschrift) auf eigene Seite geschrieben. Drei Viertel der Seite bleiben frei.

118   Therese Lindenberg: Tagebücher 1938–1946

29. Mai Tief der Schmerz, heißestes Flehen. Die Nürnberger Gesetze – am 21. Erst froh, dann Angst. Am 26. Mai (Himmelfahrtstag) um ½ 6h nach Maria Enzersdorf. ½ 7h an. Die Sakramente. Dann am Weg zum Wällischhof. Tiefster Schuld wird auch Erlösung. Freitag wieder Sakrament. Und heute – wurde zum Altar hingezogen, flehte um Vergebung und nach dem Empfang fiel mir ein: Frühstück. Entsetzen. Bitte um Verzeihung. Gestern beim Radio. Ich hörte Ba[…]{d}ereporter über [...] {Stadionbad} und ich weinte: Sieh Herr, wie schmähen sie Dich. Ich vertraue. 3. Juni Die Nürnbergergesetze gelten also doch vom 16. Sept. 1935! Ich atme schwer und will aushalten. 10. Juni Das Kind hat heute inskribiert. Am Dienstag 7. kam die Nachricht von der Universität. Mann und ich weinten vor Freude. Mittwoch hieß es, diesmal geht es nicht mehr, Bestürzung. Gestern aber wieder: „es geht doch“. Und heute zahlte sie. 12. Juni Es wird Sommer. Langsam schaue ich um mich und gewinne Verstehen. Das Herz schmerzt oft, fast immer. Manchmal will ich der Subjektivität um mich entweichen. Es geht nicht. Und dann die Erkenntnis, daß ich nur stärker werde durch Duldung und Beherrschung. 19. Juni, Sonntag Ich saß im Garten und las Ferrero. Es war recht schön und ich genieße jede ruhige Minute. Sonne und Luft von reifen Feldern. Nicht zu heiß. Rosl schrieb. Ich bin eigentlich froh über diese Wendung. Ich war schon in Sorge wie ich dieses naive Anschauungswerk durchhalten werde. Und dann dachte ich an die schaurig schöne Jugendromantik und es tat mir ein wenig leid. Je einsamer ich werde, desto mehr kann ich mich auf mich besinnen. Nicht mehr der Ruf: Seele meine Seele, wo finde ich dich!

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30. Juni H e u t e l e g i t i m i e r t e m i c h m e i n Va t e r . Mein Gedicht rührte einen Fremden. 8. Juli Es ist Abend. Ein milder Sommerabend. Und die Tage gehen dahin, mit Leid gefüllt. Und ab und zu eine holde Stunde, wenn ich zum Himmel schaue, die Wolken betrachte und die Ströme der Welt in mich fließen. Gestern – das Kind – es will zum andern. Immer dieser Herzensschreck. Mittwoch, 20. Juli Das Kind – Karl aus. Seit Sonntag weiß ich es schon. Wie weh ist mir! Und erst dem Kinde! Das Leben scheint mir täglich schwerer. Und dann sitze ich wieder beim Schlafzimmerfenster und schau in die vielstimmige Natur hinaus – und ich bin dankbar. 26. Juli Es ist ein schöner geruhsamer Abend. Ich lese Geschichte Roms von Ferrero. Und Schillers Weltgeschichte. 29. Juli Lisl ist heute früh mit Tommy am Feuersang gefahren. Wenn das Kind wegfährt ist mir immer so bang. 31. Juli Heute kam R., mit einem Affidavit von Manila. Gestern las ich das Buch von Francé: war voll Eifer und Glück und dachte an die Philippinnen. Heute und immer flehte ich zum hl. A. Voll Demut erwarte ich die Erfüllung meiner Bitten. Immer wurde mir Hilfe. O Dank. Wenn das würde! Ich wage nicht darüber zu schreiben. Heute vor einem Jahr sind wir nach Gablonz gefahren. 11. August Mein Gott, mein Herz schmerzt mich oft so unerträg{klär}lich. Vorgestern mit R. Er weinte. Wie er das Kind liebt – und Lisl muß sich von Karl lossagen. Unerträglich schmerzt mich das, weil {ich} ihr Herzweh {spüre}. Ich denke unentwegt an das Kind und an dies Geschehen ringsum. Keinem Menschen kann man sein Glück behüten.

120   Therese Lindenberg: Tagebücher 1938–1946

Ich lese die Stelle in diesem Buch nach am 11. XI. „Mein Kind wird es schaffen“ – nach der Lektüre der „Madam Curie“. Merkwürdiges Erlebnis. Fast körperlich spürte ich den Zuspruch. O wenn dies wäre! In tiefer Dankbarkeit harre ich. Ich denke viel an die Philippinen. Halb mit Sorge, halb mit Freude. 15. Ach. Lisl hat sich für Manila entschieden. Ich bin in Sorge, weil sie ein wenig marode ist. Hoffentlich alles gut. Sie schreibt so lieb. Vorigen Sonntag 7. {waren} wir im Irenental. So schön! Der Wald. In den Himmel schauen. Wenn ich denke, daß ich […]{ein}mal die Heimat verlassen muß, oder soll, um zu meinem Kind zu kommen, schmerzt alles. Heimat. Heute regnet es seit langer, langer Zeit, so wie im Vorjahr, als wir zurückkamen. Sonntag, 19. August „Die Frau des Missionars“. Auch mein Kind wird vielleicht in der Fremde sein. Manchmal voll Freude darob, dann wieder schweres Leid. „Wer nur den lieben Gott läßt walten.“ Vielleicht […]{erlebte} das Kind die schöne Kinder- und Jugendzeit, um viel Erinnern mit sich zu tragen? Und ich die schwere Kinderzeit für die schöne junge Mutterzeit? O, wie denke ich jetzt der herrlichen Tage, die ich erleben durfte! Heute ein goldener Sonntag, von unbeschreiblicher Süße {Wehmut} und Herrlichkeit. Der letzte Herbst in der Heimat? Ich denke oft mit scheuer Angst daran, daß ich ins ferne Land muß. Doch wenn das Kind dort sein wird, ist es nicht mehr fremd. Voll Erschauern las ich unlängst in meinem Buche, wie sich der Kirschbaum vorm Schlafzimmerfenster in Hetzendorf schmückte und ich fragte: Schmückst Du Dich zum letzten Mal so für mich. Und ich hörte seine Antwort. Dann denke ich, wie ich immer und immer wieder sagte: Solch ein Frühling, solch ein Herbst wie nun war noch nie. Was wird wohl werden? Mir ist {jetzt} schwer ums Herz. Und war am Vormittag als R. da war, so froh.

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20.9 Ach hatte ich jetzt Herzweh! Ich war in Maskerade. Und sah Karls Cousine mit ihrem Bräutigam. Und dachte an das Kind. Mit Absicht nicht gegrüßt? Auch Schmerz. 22. Das Kind ist daheim. 24. Traum vom Karl. {Mittwoch,} 31. Aug., {Regen} Der heutige Nachmittag! „Ich habe solche Angst.“ Liese, Liebe! Und mit unaussprechlichem Weh denke ich an das Kind, an ihr Verzichtenmüssen. Unterredung mit dem Kinde. 1. Sept. „Bin froh, daß ich nicht so bin.“ 2. Sept. Heute vor 25 Jahren! Mein Gott. Voll Schmerz, Demut und nochmals Weh. Bange schaue ich oft zum Himmel und bin dankbar für jedes Fünkchen Freude, Hoffnung. Und will doch nicht murren. 3. Oktober 1938 {2h früh}10 Mein Kind ist fort – nach Asien. Ich kann es nicht fassen. Wie mir ist. Ich hoffe und flehe zu Gott: Beschütze mein Kind, beschütze mein Kind! mit Lisl’s Feder: 10. Okt. Wie ein Traum – schwer, ungewiß. 9 Eintrag in auffallend unregelmäßiger Schrift geschrieben. 10 Die folgenden Einträge sind mit hellerer Tinte geschrieben.

122   Therese Lindenberg: Tagebücher 1938–1946

Das Kind ist fort. In der Nacht, als sie wegfuhr, schrieb ich: Als Du, mein Kind, in die Weite fuhrst, da war mir so schrecklich zu Mut, ein stählerner Pfeil durchstieß wild mein Herz und senkte Neues ins Blut. Es war Dein schmerzendes Herz, mein Kind, das heiß in das meine geflossen, zurück bleibt Dir nun alle Unbeschwer wie einst, da Du alles genossen. Bis vorgestern nicht übermäßig bang. Aber vorgestern war der Mann bei Herrm. Mutter. Voll Sorge kam er heim, das Visum. Nun war auch ich in höchster Angst. Die Nacht furchtbar. Vorwürfe an mich, daß ich auch mitgehastet habe. Sie hätte die Prüfungen machen sollen, dachte ich, dann fahren. Aber ich hatte ja Angst vor dem Alleinfahren. Und so ging es her und hin. Heute ein unbeschreiblich schöner Tag. Heiß, golden. 20. Okt. Am 10. der erste Brief vom Kind. Fast zu schön. Heute der 2. Brief. Und dann ab und zu Sorge, Shanghai. Bitte, Antonius – am 12. Rosl schrieb am 15. Heute wieder ein Brief. Das Kind bleibt vorläufig in Bombay. Heimlich wünschte ich es. Jetzt Sorge, weil sie alleine ist. Hoffentlich gesund. Ach mein Herr beschütze das Kind! 25. Oktober11 Wo wird mein Kind sein? In Bombay oder schon in Manila? Heute Kommunion. Dann um den Paß. An Lisls 23. Geburtstag Wo wird mein Kind sein? So schweres Herz. Dann denke ich wieder: das Kind sieht so viel – es wird schön sein. Ich lese das, was ich über das Buch von Mad. Curie schrieb. O. 11 Eintrag mit Bleistift geschrieben.

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4. November12 Eine schreckliche Nacht. Ich hätte nie gedacht, daß man solches Herzweh haben kann. Gestern bei Rübenfelds Mutter. Verständnis, gewiß und dann doch Abwehr. Das Kind glänzt und tut dem Jungen weh. Das ist wohl arg. Aber was hatte sie für Schmerzen mitgemacht. Für mich die Unsicherheit wo und wie – fast zermürbend. Und dann wieder Glaube und Hingabe an Gott. Ja, jetzt fand ich dich wieder. Herr. O wie schmählich! Jetzt da ich Dich brauche – jetzt finde ich den Weg zu Dir. O, Herr – in meinem Übermut dachte ich nicht Deiner, da mein Sein die goldenen Tage lebte, Du schenktest mir so viel. O doch neigte ich mich meistens in Demut. Rechnest Du mir dies an? O Herr – verlasse mein Kind nicht. O Herr beschütze es, beschütze es! Lasse es gut sein, kräftig und stark! O Herr. Bitte einer Mutter! Beschütze mein Kind! Sonntag, 6. November, alleine Ich denke und denke. Was habe ich schlecht gemacht? Zu viel an mich, zu wenig an das Kind gedacht? Können meine Tränen Fehler gut machen? Gestern so andächtig das Vaterunser nach der Beichte gebetet wie noch nie. Habe ich das Glück zu sehr gepriesen, anstatt in Ruhe, Bescheidenheit darüber zu schweigen? Wird noch alles gut werden? Ach – nur in Demut leben – und von Dir – o Herr – beschützt werden. Wenn mich ein Strahl deines Herzens träfe – o Herr.13 Montag, 7. Lisl ist in Bombay ausgestiegen. Herrmann hat geschrieben. Sie hat ihn verlassen. {Lisl Nr. bei Gildemeester 41123}14 12 Eintrag zunehmend unregelmäßig geschrieben. Einzelne Wörter sind verwischt, vielleicht durch Tränen. 13 Letztes Wort im Eintrag („Herr“) kaum leserlich, vielleicht durch Tränen verwischt. 14 Am oberen Rand, über den Einträgen geschrieben. „Gildemeester“ bezeichnet die nach dem holländischen Pastor Frank van Gheel-Gildemeester benannte „Aktion Gildemeester“. Sie stand nach ihrer Einrichtung im Frühjahr 1938 in Wien als Ausreise-Hilfsaktion in erster Linie vermögenden Juden und Jüdinnen (gemäß NS-Rassegesetzen) offen. Mit dem Vermögen, das diese in den

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8. Heute ein strahlender Tag. Im Liegestuhl im Garten gesessen. 10. Heute ¼ 8h früh Suchung. Lisl hat noch immer nicht geschrieben. Um 1h kamen sie wieder Und nahmen das ganze Silber weg. Und am Abend kam der Brief von Manila! Das Kind ist dort. O Gott ich danke dir! Hl. Antonius, du hast geholfen! Meine Tränen, mein Gebet wurden gehört. 11. Lise schrieb aus Colombo. Was sah doch das Kind alles! Vielleicht kann sie nach Kaschmir kommen. Märchenwiese. 15. Nov.15 Wie viele haben ein so schweres Leben! 20. Nov. Gestern mit Karl beisammen gewesen. Ich war tief erschüttert und muß heute immerfort daran denken. Ich weinte gestern fast ununterbrochen. Immer, wenn ich den Leib des Herrn empfange mischen sich mit ihm meine Tränen. 22. Gestern war ich die einzige Begleitperson bei einem Begräbnis. Ein erschütterndes Erlebnis, das mich nachhaltig beeindruckte. Ich sitze so gerne in Lisls Zimmer. Vor mir der Ausblick in den Garten – es ist alles so geruhsam. Ausgleich für die schweren Sorgen, die mich bedrücken. Der Brief von Paul Lindenberg aus London ein Lichtblick.

Hilfsfonds einzuzahlen hatten, wurde die Auswanderung nicht vermögender und nicht der Israelitischen Kultusgemeinde angehörigen, aber als Juden oder Jüdinnen klassifizierten Österreicher und Österreicherinnen finanziert. Das „Gildemeester-Auswanderungsbüro“ befand sich damals, wie die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“, im Palais der enteigneten Familie Rothschild in der Prinz Eugen-Straße im vierten Wiener Gemeindebezirk; seine Aktivitäten waren in dieser Zeit gezwungenermaßen bereits äußerst begrenzt. 15 Eintrag mit Bleistift geschrieben.

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26.16 Dem Kinde geht es gut. Ein Brief. Und Ldbg. in London schrieb auch. Schickt Lisl ein Geschenk zu Weihnachten. 1. Dez. Der Weihnachtsmonat. Heute Nacht plötzlich wieder Sorge um das Kind, wie genau vor 4 Wochen. Wird doch nichts sein? Gestern mit Karl. Nicht so schön wie letztes Mal. Ein wenig langweilig. 10. Dez. Ich sandte Lisl „Stolzes Herz“. Wird sie doch eine Freude haben. Heute einen Brief an sie. Und ein Gedicht. Ich steh’ am Weg und seh’ nach meinem Kinde, das geht die lichtervolle Straße hin und sieht nach Sonne, Blumen, allen Dingen und auch der Dornen achtet es, denn ach es weiß, daß alles ist, weil alles sein muß. Und auch zur Mutter sieht es manchmal her. Ein Blick oft nur. Die Mutter hascht nach ihm und hüllt ihn sorgsam ein und […] […] […] {küsst ihn sanft}, damit er bleibt und ja nicht weiterflieht. So stehe ich – und schau nach Dir, mein Kind am Weihnachtsabend Heute kam ein Brief vom Kind, vom 27. XI. Welche Freude! Welch ein Weihnachtsgeschenk! Sie ist Assistentin an der Universität. Gott ich danke Dir! Um Mitternacht Weihnachtsmette. Vorher Bescherung bei Jellinek. Auf einem Kärtchen stand: Weihnachtswünsche von Möwen übers Meer getragen, aus Liesels Herzen bringen Marion und Karl der lieben Mutter Lindenberg. Gesegnete Weihnachten wünschen Lisl, Marion und Karl dem Vater Lindenberg. Rekawinkel, 27. Dezember Wieder hier. Viel Schnee. Ich wollte nicht. Mußte meinen Mann allein lassen.

16 Eintrag mit roter Tinte geschrieben.

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Ich denke immer an das Kind. So Herzweh, wenn ich denke, daß sie so gerne hier war und nach den Blumen ging. {minus 14o.}17 28.18 Es schneit unaufhörlich. Heute schrieb mir mein Mann vom Schwager Robert. Sehr beeindruckt. Am 25. bei Prof. Kisser. Es war irgendwie recht schön. {Auf der Wiese bei den 2 Bäumen.}19 29. Viel Arbeit. Unwillig. Sonne will hervor. Kapelle. Bitte. Tannenzweiglein. Gegen den Waldacker. Lesen „Via Mala“. 30. Die Sonne. Ich sehe sie über dem Wald aufsteigen. Viel Arbeit. Nachmittag Lesen. Gegen Eichgraben. Mit den Skiern. Zu den 2 Bäumen. Um dieser ½ Stunde willen alles leichter zu ertragen. Auf die Obstbaumwiese. 31. Sylvester. Die Sonne. Nachmittags zum Waldacker. Es flüsterten die trockenen Blätter. Zur Kapelle. Beschütze mein Kind. Mitternacht: Sylvester. Ich trinke Wein auf das Wohl des Kindes. Ich schaue gegen Osten. Der Schnee leuchtet. Ich schlafe schlecht und denke. 1. Jänner 1939 Neujahr. Ich denke fast immer an das Kind. Heute Sonne. Beim Zusammenräumen schaue ich in den Wald. Das gibt Mut und söhnt mit Vielem aus. Nach Tisch wieder den Weg zur Kapelle und vorher ein Stück des Weges gegen den Märchenwald. Ich steige auf ein Tannenzweiglein. Ich erhöhe es und lege es auf den Altar. 2. Als ich heimkam. Ein Brief vom Kind, am Sylvestertag gekommen! 17 Nachtrag mit hellblauer Tinte. 18 Eintrag mit hellblauer Tinte. 19 Nachtrag mit Bleistift geschrieben. Von diesem nachgetragenen Satz an bis inklusive zum Eintrag vom 1. Jänner 1939 mit Bleistift geschrieben.

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4.20 Entzückende Briefe vom Kind an Mutter, Hilda und Edith. Sie wird beschützt – und die Religion ist ihr viel. Sie betet. Dank Herr! 6. Jänner Ich habe eine neue Füllfeder. Von Hilda bekommen. Sie ist so lieb. Ich betete heute für sie und empfing die hl. Kommunion. 8. Jeden Sonntag empfange ich den Herrn. 18. Lisl hat wieder geschrieben! Und Bilder geschickt. Botanical Department, University of Philippines. Manila Philippine. 22. Wieder ein Brief. „Vater und Mutter gehen mir halt furchtbar ab.” 29. Wieder ein Brief. 8 Heiratsanträge. Am 26. Vortrag von Prof. Kisser über Lisls Arbeit. Eine der glücklichsten Stunden meines Lebens. 3. Februar Lisl schrieb: Mutter ist {wirklich} die bravste Mutter, die man sich denken kann und sie weiß, daß sie mir mit ihren Briefen ungeheure Freude macht; die Briefe sind hier meine größte Freude und die Aufregung, wenn Briefe da sind, ist sehr, sehr groß. 5., Sonntag Ich schreibe, schreibe meinem Kinde. Heute der 31. Brief! Ein wunderbarer Sonnenuntergang. Die Sonne – das Gemeinsame, das ich mit meinem Kinde habe. 6., Montag Ein Brief! Auch an Emma. Und an Jell. schreibt sie: „Ich bin Ihnen so dankbar, daß Sie so lieb zu meinen Eltern sind; Sie tun damit sehr viel, denn es ist für Vater und Mutter gar nicht so einfach; Wie haben mich die 2 Zettel von Marion und Karli gefreut. Nun sind sie wirklich so weit übers Meer geflogen in einer großen Möwe und haben gezeigt, daß es in D. wirkliche richtige menschliche Herzen gibt, die auch in schweren Zeiten wertvoll bleiben.“ 20 Eintrag mit Bleistift geschrieben.

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20. Schon 14 Tage seit dem letzten Brief. Samstag 18. vorm B. Stuhl21 die Schönheit des tiefen Leides. Flehen um Schutz für das Kind. 27. II. Heute ein Brief. 6. III. B r i e f u n d R i n g e r h a l t e n . Tr ä n e n d e r F r e u d e . Das Bild von der Zeitung! 11. März Heute Lisls Brief von Frau Dr. Gomez! Und dann kramte ich. Erwins Gedichte! Heute vor 16 Jahren! Welch ein Zauber! 18. März Böhmen, Mähren – deutsche Lande! „Deutsches Protektorat!“ Der Führer am Hradschin! Ich spürte sehr mein Herz! Gestern sah ich ihn. Ich begreife vieles, wenn nicht alles. Die Seele der Masse im Überprototyp der Stärke und Gewöhnlichkeit. 28. März Schnee, Regen. Heute regnet es in Strömen! Noch keinen Schritt in den Garten gemacht. Was war doch sonst für eine schöne Sonne im März! Heuer noch kein Sonnentag. Am 23. Brief von Lisl. Der schöne Hanfbrief. Sie war wieder in den Zeitungen. Dank. In Demut glücklich. Nur der Mann. Prüfstein. Ich suche die Prüfungen zu bestehen! 2. April {Am 31. ein Jahr seit Lisls Taufe.} Wieder 2 Briefe am 30. und gestern 1. Die hübschen Bilder! Heute 6 Monate, daß sie wegfuhr. Und trotz allem froh, glücklich. Tiefste Andacht. 15. April Ich sitze in Lisls Zimmer. Es ist Abend. Der Marillenbaum und der süße rosa Pfirsichbaum über und über mit Blüten. Trüb. Es waren heiße, sehr heiße Tage. Vorgestern vom Kind der Brief, in dem sie schreibt, daß sie abgenommen hat und nicht gut ausschaut. Mein Herz stockte und nun kenne ich nur ein Flehen! Gesundheit meinem Kinde! Erhöre mich! Erhöre mich! 21

Wohl Abkürzung für: Beichtstuhl.

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16., Sonntag Siehe, ich rede, man erhält keine Antwort. Siehe, ich werde verachtet. Und die innere Stimme antwortet: Wie oft aber wurdest Du geachtet? Und merktest es nicht auf. Siehe, ich bin bei Dir in Trost und Gut. 21. „Siehe ich bin bei Dir alle Tage meines Lebens.“ „Und wenn Du verfemt und verachtet bist. Siehe, ich war es, ich – Gottes Sohn.“ Der Pfirsichbaum tröstet mich über Nachbarkleinmut. Siehe, mein Herz ist offen, ich vertraue Dir ewig. Gestern am Sommerhaidenweg. Blüten, Blüten überall. Vorgestern in Ober St. Veit mit Dr F{riedmanns}.22 Sonntag, 23. Lisl hat geschrieben. Und wieder viele Bilder geschickt! Dank. 27. Es ist Abend. Wieder sitze ich beim Fenster im Zimmer meines Kindes. 28. Die Amseln singen. Abend. Duft der Blüten. Dank. Ich neige mich tief. Die Rede. 2. Mai Es ist Abend, ich sitze in Lisls Zimmer. Voll Dank der Blüten, des Vogelsingens. Es ist Mai. Mai. 19. Mai Mai. Lisl schreibt oft. Mein Kind, mein Kind! Gestern Brief an Karl. Sie hat so Sehnsucht. Ach, mein Herz schmerzt oft unerträglich. Dann doch wieder Dankbarkeit für alles. Der gemeine Brief an uns von Rübenfeld. Aber der Tribut für Lisls Schutz und Fortkommen. 23. Mai Es regnet seit Tagen. Ich habe zuvor in altem Tagebuch (9) geblättert. Ich klagte manchmal. Das Schicksal zeigte mir wahrhaft Beklagenswertes. Und deshalb voll Demut, voll Dank, Dank für Gesundheit, Wohnung, Nahrung. Ich schaue in Lisls Zimmer beim Fenster in den regennassen Maitag. Dank, Dank. 22 Mit königsblauer Tinte eingefügt.

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Pfingstsonntag, 28. Ich sitze bei der Maschine und schreibe dem Kinde. Meine liebste Beschäftigung. Es regnet, es ist kalt und häßlich. 8. VI. Die schönen, schönen Tage! Seit fast einer Woche ein Tag schöner als der andere. Das liebe Bild vom Kind. Und der herrliche Muttertagsbrief. 20. VI. Das Kind schreibt fleißig. Ich bin oft innerlich heiter. Gestern in Hetzendorf. Gabriel gestorben. Irgendwie berührt, tief. Heute Nacht vom Kind geträumt. Es lag in unserem Bett. Ihre Stimme höre ich oft. Au am Kraking, 28. Juni Wieder Wälder, Himmel und Blumen um mich. Gestern Nachmittag fuhr ich hierher. Tränen kamen mir, als ich die Tannen sah. Abends ging ich dann ein Stück die Straße gegen Fink. Ich sah zum Himmel auf und holte mir Trost. Ihr Bäume, ach wie redet Ihr mit Eurer stummen Sprache sanft zu meinem trostbedürf ’gen Herzen! Wie schaut Ihr tief in meine Seele mit Eurem dunklen tiefen Auge. 10. Juli Das Kind schreibt oft. Mein Herzblut strömt. Ach, wenn ich das alles nur festhalten könnte, was da an grenzenlosem Kummer, Demut und Dank in mir ist. Gestern mit Mann, Fam. Jell. bei Mutter in {in Au am Kr.}. Die Auseinandersetzung mit dem Bruder, welch ein Wahn! Man kann dann den Menschen, den man erst verdammt hat und den man meiden sollte, wieder die Hand reichen, mit ihm freundlich sein, nachdem es sich herausgestellt hat, daß man schlecht sah und falsch schloß? Was wird das für ein Erwachen sein? Ansonsten war der Weg so schön! In der Frühe durch den Wald. Die Linien des Waldes, wenn er auf einem Hügel steht, rühren an mein Herz. Über Wienerberg, Wilhelmshöhe. Wieder sitze ich in Lisl’s Zimmer beim Fenster. Wie lange noch? Der Himmel ist dunkel, wie vor einem Gewitter. Das liebe ich so. Die Bäume rauschen und die Blumen am Fenster blühen. 23. Juli, Sonntag Ich sitze in Lisl’s Zimmer. Es ist abends, ein schöner, geruhsamer Abend. Ich denke daß ich jetzt intensiv im „Haus“ leben muß, denn ich fürchte, daß ich es bald werde verlassen

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müssen. Jetzt war es wahnsinnig heiß und ich dachte an das Kind, an die Hitze, die es leiden muß. Mein Kind – manchmal faßt mich tiefste Sehnsucht und wenn ich ihr schreibe, so rinnt das Herzblut mit. „Mutti beschützt Deinen Traum, Deinen Schlaf. Ich ziehe mit meinem Herzen die Quellen des Glückes aus der Erde, damit sie zu Dir rinnen und Du daraus schöpfst und Du Dich für immerwährende Zeiten daran stärken kannst.“ So schrieb ich ihr gestern. Ich schreibe nochmals: ich sitze in Lisls Zimmer und schaue zum Fenster hinaus – damit ich mir es recht, recht merke. Gestern war ein heftiges Gewitter und es ha[…]t ziemlich abgekühlt. Der Himmel ist so, wie ich ihn liebe: dunkle blauschwarze, schwere Wolken mit einem sanften Glanz. Ich trinke die Welt. Und lehne mich an das Herz Gottes. Segne mich, segne mein Kind, flehe ich – und ich beuge mein Haupt. 27. Juli Gestern abends beim Heimweg größte Erschütterung der Letztzeit – seelisch für mich – überhaupt: Ich fand i{I}hn23, Gott. O, daß ich doch den Menschen fände, rief ich aus. Nach langen Irrwegen fand ich i{I}hn24. Er ist bei mir – er führt mich an der Hand. 1. August Gedicht von Wildgans. Wie ein Leitspruch. Herrlich! Wenn man so etwas schreiben kann! Letzte Erkenntnis. Willst Du gleich die Früchte greifen, hast doch eben erst gesät! Laß sie werden, laß sie reifen, früh ist Arbeit, Ernte spät Läßt kein Wachstum sich beschleunen, ihr Gesetz hat jede Saat, rüste Werkzeug, baue Scheunen, für die Fechsung,25 für die Mahd. 23 Großbuchstabe mit königsblauer Tinte ausgebessert. 24 Großbuchstabe mit königsblauer Tinte ausgebessert. 25 Altösterreichisch für: Ernte, Ernteertrag.

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Heimsen andre Pflüger eher voll Geheimnis ist die Welt sei kein Neider, sei kein Späher nach des Nachbars Ackerfeld. Glaubst Du vor dem Schnitt zu sterben sei nicht bange um die Frucht, kein Ertrag bleibt ohne Erben, keine Tat bleibt ungebucht. Wer im Werk den Lohn gefunden, ist vor Leid und Neid gefeit, denn er hat sich überwunden und kann warten, und hat Zeit. Wir müssen ausziehen. Lisls Zimmer, abends, beim Fenster. Ich umfasse alles mit meiner Seele, um es mir auf immer einzuprägen. Der Abendhimmel mit leichten, graublauen Wölkchen, die Blumen vorm Fenster, und die Bäume. Als wir einzogen, war es eine Wüste, jetzt ein – verlorenes Paradies. Doch nein, tapfer sein. Ich nehme die Hand, die mich führt, fest zwischen meine Finger und neige mein Haupt. 3. August Heute bekamen wir die Kündigung. 10. August Es ist abends. Ich sitze bei Lisl und sehe in den Abendhimmel. Es ist ganz milde. Erstes Herbsterahnen. Vom Kind gute Nachrichten. Tiefste Dankbarkeit und immer die Bitte: Segen. 15. August Ich habe in meinen alten Büchern gelesen. Welche Welt, welche Welt!! Glaubte zu leiden – ach, welch ein Kind war ich! Und immer dieses: etwas schaffen wollen. Dieser dichte Wunsch wurde – ja – wird durch das Kind. Wann werde ich es wieder sehen?

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Sonntag, 20. August Ein milder, milder Abend. Herbsterahnen – ach, und immer Hindenken. Heute wieder ein Brief. Alles was ich wollte, erlebt das Kind. Herrliches Bild. Unter Palmen, mit der Blume im Haar. Sonntag, 27. Aug. Kein Brief, ein wenig Sorge. Krieg in Sicht. Ich betete heute um den Frieden. Keine Flugpost mehr. Alles so nett in der Wohnung, die ich – verlassen muß. Am 13. wird es sich entscheiden. 30. August Kein Brief vom Kind. Ich sitze in ihrem Zimmer und ordne Bilder. Herzschmerzen, wenn ich die Wälder sehe. 2. September Heute vor 26 Jahren. Es ist Krieg. 3. Sept. Von Lisl Brief. Nach 14 Tagen. Ich bin so froh. 7. IX. Ein ganz unaussprechlich schöner Abend. Ich bügle und stehl{e}26 mich von der Arbeit fort. Vom Kind gestern ein Luftpostbrief. Dank, Dank. Und draußen Krieg. am 13. IX. Nun müssen wir also doch ausziehen – an Lisls Geburtstag. Gestern kam das Magazin. 16. Vorgestern ein schwerer Tag. Wohnungsamt. Heute kühl – seit langem. Ich sitze in Lisls Zimmer, genieße die Aussicht vom Fenster. Die Pfirsiche am Baum bei Schilling. Die Sonne wehmütig lächelnd. Ich präge mir alles ein. Die Blumen schauen mich an.

26 Mit köngsblauer Tinte eingefügter Buchstabe.

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Gestern kam Karls Brief. Aus. Mein Herz schmerzt. Manchmal unerträglich. Ich schaue zum Bilde hin. Auf den Divan.27 [Brief]

21. Sept. Lieber Karl,28 ich erlebe jetzt sehr schwere Tage (an Lisl’s Geburtstag müssen wir die Wohnung räumen, wissen aber noch heute nicht – wohin –), aber alle erschienen mir leicht im Vergleich zu dem, der mir Deinen Brief brachte. Heute nun bin ich schon so weit, Dir zu antworten, denn mein Herz ist frei von jedem Groll oder sonst Ähnlichem. Eigentlich gibt es hier keine Antwort, wie es keine Schuld gibt. Wenn man von so etwas sprechen kann, so trage ich sie, denn im Unterbewusstsein, nein, schon bewußt, war mir dieses Ende klar. Es ist die einzige Konsequenz Deines Verhaltens von Anfang an – eine geschlossene Kette. Niemals werde ich das Gespräch auf den Moospolstern des Feuersangs vergessen, damals, als sich Lisl für Dich entschied. Jedes Wort – es war ein Versprechen – das Du zu mir sprachst, liegt noch in mir. Es war nicht möglich, das Versprechen zu halten. Das war für mich schon eine schwere Enttäuschung. Aber ich sagte mir: Leben und Liebe sind stärker als Ehrbegriffe. Ich spüre heute noch die Herzschmerzen, als mir Lisl dies eröffnete. Ihr Glück, ihre Seligkeit entwaffnete mich vollständig. Und ihr grenzenloses Vertrauen. Seit diesem Tag kenne ich keine sorglose Stunde mehr. {Ich hatte deren mehr als genug} Und sie jubelte: Nach der Matura Verlobung! Das ist nun meine Schuld, ihr unsere ganze Hilfe zugesagt zu haben. Dann kam der Sommer 34. Das Zerwürfnis mit Deiner Mutter. Ich atmete auf, sie war auch irgendwie freier. Aber Eure Liebe verband alles und wurde schön und tief und sehr, sehr stark. Dann das Schwerste, für das ich noch heute büße, denn Du weißt, jedes Quäntchen Schuld muß bezahlt werden. Das Kind hat sie, glaube ich, restlos bezahlt. Sie hat sich eingesetzt mit Leib und Leben. Und alles tröstete mich, wenn sie sagte: wir sind das glücklichste Paar auf der W. und nach Karls Doktor die wirkliche Verlobung. Vielleicht hätte Deine Mutter jetzt ein sorgloses Leben, wärst Du mit Lisl gegangen und Du wärst verschont vom Krieg und seinen Nöten. Doch „wenn“ und „hätte“, das soll man nicht sagen. Ich bete für Deine Mutter, daß sie nicht das mitmachen muß, was mir durch sie beschieden wurde: sich vom Kinde zu trennen. Ich beschwöre es: in meinem ganzen Herzen ist kein Atom von Groll. In meinem Gehirn Verstehen für Dich und Deine Mutter. Vielleicht werde ich ihr einmal dankbar sein – wer kann es wissen. Aus tiefstem Herzen heraus sehe ich Dich an. Noch immer betrachte ich Dich als einen Teil von meinem Kinde, das, wie Du weißt, mir alles ist. Und während ich Dich so anschaue lang, 27 Auf dieser Seite ist eine rostige Heftklammer angebracht, die damit vormals befestigte Einlage fehlt allerdings. Auf der vorderen sowie der folgenden Seite im Tagebuch befindet sich ein rostiger Abdruck der Klammer. 28 Dabei handelt es sich um Karl Mantler.

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lang und tief, Karli – sage ich Dir: Ich wünsche Dir für Deine Zukunft das Aller-, Allerbeste. Vergiß nicht und schreibe auch mir. Deine 23. Sept. Ein Tag zum Merken. Im Wohnungsamt. Zuweisung der Wohnung. Ich sitze in Lisls Zimmer. Wenn ich das Schwere überwinde, denke ich, wird es aufwärts gehen. Wo werden die Tränen gesammelt? 28. Sept. Heute vor einem Jahr! Ich ging jetzt Lisls Brief aufgeben. Der Mond leuchtete. Es ist eine kalte Nacht. Was jetzt jeder Tag für Aufregungen bringt? Gestern bei Eli, bei Edith. Alle in ihren Wohnungen. Ich war wohl recht übermütig, Herr. Doch rechne ich dennoch auf Deine Gnade! Deinen Schutz! Deine Liebe! Nimm mich an Deine Hand und führe mich! Führe mich durch das Dunkel, ich fürchte mich. O bitte, lasse die Hand nicht von mir. Freitag, 13. Oktober Wir übersiedeln. Haidgasse 5. 15.29 Mein Namenstag. Viel Kränkungen, viel, viel. 21. Oktober Ich sitze beim Sekretär wie ehedem. Gestern Abschied von der Wohnung. Ich saß eine Viertelstunde in Lisls Zimmer und starrte in den herbstlichen Garten. 27. Oktober Heute lernte ich Hildas Tante kennen. 93 Jahre. Ein Jahrhundert saß neben mir. Rührend. 29. Oktober Am Vorabend von Lisls Geburtstag. Ich habe wenig Grund – und doch schmerzt mein Herz. Die neunte Woche seit Lisls letztem Brief. Die Hand, die mich führt, lässt sie mich manchmal locker! O nein – ich in meiner Zaghaftigkeit glaube sie nicht zu spüren. Und doch ist sie da. Nimm mich an Dein Herz.

29 Eintrag in auffallend unregelmäßiger Schrift geschrieben.

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16. November30 Ich lebe, wie in einem Nebel, einer Narkose. Abwehr und neue Erkenntnisse. Am Sonntag {12.} erfuhr ich, daß Lisl an Ernst’s Brief dran geschrieben hat. Ich war sehr dankbar. Montag {13.} war ich in Maria Enzersdorf. Trüber, grauer Tag. Der Weg gegen Wällischhof. Vor mehr als einem Jahr ging ich dort im Mai. Ti e f s t e r S c h u l d w i r d a u c h E r l ö s u n g .31 Werde ich nochmals diesen Weg gehen? Am Altar kniete ich während der Messe. Tränen überströmten mein Angesicht. Wie oft singe ich im Geiste das Lied: Mit dem Wasser meiner Augen, wasch’ ich dann mein Angesicht. Nun warte ich auf einen Brief. 25. November Heute wieder etwas über Lisl gelesen. „Ich habe 2mal Frl L. besucht. Sie sieht gut aus und ist zufrieden.“ Dank. Was ich dafür an Demütigung erfahre – ach. Da war heute z. B. der Disput mit dem Kochen, dem{n} Schwarzwurzeln, Kot etc. Nachher die Karten von Dürer. „Die schweren Karten schickst Du?“ Es schüttelte mich vor Ekel, vor diesem Neid. Eine böse Familieneigenschaft. Dann wieder: bewähre Dich. Bewähre Dich, schlucke alles hinunter, damit Du belohnt wirst. Ich möchte zum Kinde – heuter lieber als morgen. 30. November Ich bin alleine daheim. Für ein paar Stunden. Wie ist nur jetzt mein Leben? Abwehr, Demütigung, Erkenntnisse und ab und zu eine glückliche Minute durch mein Schauen. Gestern waren es genau 12 Wochen, daß ich direkt von Lisl Nachricht erhielt. Einmal meinte ich schon: 4 Wochen seien untragbar. Es regnet. Ich schaue zum Fenster hinaus. Kein Baum, kein Strauch. 10. Dezember Heute wieder gesungen. Wohl nur daheim. Aber so glücklich. „Du hast so viele Talente“, sagte ich jetzt zu mir, „sei dankbar.“ Spitz waren da gewesen. Vom Kinde vorgelesen. Herzweh. Der Brief an Karl L. Seltsames Begeben. Dieselbe geistige Ebene. Und ein einziges Mal gesehen! Ich schrieb:

30 Ganzer Eintrag in auffallend größerer Schrift geschrieben. 31 Zentriert geschrieben.

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[Brief]

„8. Dez. Verehrter Herr Prof.,32 die leibliche Großnichte Ihres Vaters schreibt dies. Seltsam. Ich war mit Ihrer Schwester Eli so befreundet, bin viele Sonntage in Sievering, später in Döbling bei ihr gewesen, habe Euren Vater sehr verehrt und – sah Sie nur ein einziges Mal, kurz und flüchtig. Und habe doch so oft an Sie denken müssen, als meine Tochter Naturwissenschaften studierte und sie sich diesen Weg seit ihrer allerfrühesten Kindzeit vorzeichnete. Das mußte ich sagen, denn daraus leite ich die Berechtigung her Ihnen schreiben zu dürfen, die noch verstärkt wird durch die Erschütterung mit der ich Orest erlebte. Erlebte, nicht las. Ich habe keine Worte für die Bezeichnung Ihrer Sprache. „Groß, erhaben, edel“ – wie scheint mir dies abgeschmackt, wenn ich daran denke, wie sie tiefgründig neue Perspektiven aufzeigt und Wolken aufreißt, die den Urgrund des Geschehens verhüllten. Ich bin wohl sehr befreundet mit Dr. R., dem Dramaturgen des Burgtheaters, aber es bedarf meines Erachtens nicht des geringsten Hinweises auf Ihr Werk. Und doch würde tief glücklich sein, wenn Ihnen dienlich sein könnte. Ihre“ am Weihnachtsabend 1939 Die schönste Weihnachtsfreude! Lisl schrieb 3 Briefe und gestern kam noch eine Karte. Ich las jetzt alle Aufzeichnungen über Weihnachten, 30 Jahre. Die ich als Mädchen erlebte – welch ein Wust von Gefühlen! Und diese bombastische Sprache! Wie diese Jahre flogen! Wenn ich abends von Hilda nach Hause gehe, da grüßt mich alles, was vor 30 Jahren ich da in diese Nächte hineingedacht habe. Diese Sehnsucht. Streben. Und der Erfolg? Doch – trotz der Tiefe, in der ich bin. Das Kind – welche Fülle sieht sie, was erlebt sie nicht alles! Neujahr 1940 Heute ein schöner aufmunternder Brief von Lisl! Welch ein Neujahrsgeschenk! Ich bin allein daheim. Das war schon lange nicht, allein im gemütlichen Zimmer in Wärme und Sinnen versunken. Es ist schön. Nach all der Hatz hineingehen in sich. Heute Nacht war ich bis 12h auf und schrieb an das Kind. Jetzt kramte ich – so wie einst. Ich hatte Zeit. Das Kind sieht soviel, lernt, plagt sich. Ich danke Gott. Er führt uns so gut. Und so beuge ich mich über die Hand, die mich führt – und führte: beschütze mein Kind, beschütze uns.

32 Der Adressat dieses Schreibens ist Carl Lehnhofer.

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Das ist wirklich ein schöner Nachmittag gewesen. So geruhsam. Man bringt sich mit, deshalb ist die Atmosphäre überall die gleiche. Lisl sieht mich an; sie lächelt mir zu, ihr Bild steht auf dem Klavier vor mir. Welch ein Jahr! Und ich hielt mich und halte mich. Und in ganz auserwählten Momenten darf ich am Herzen Gottes ruhen. 9. Jänner 1940 Heute mein silberner Hochzeitstag. 23. Jänner Und so geht das Leben seinen wilden Trab. Wir haben große Kälte. 14–16° minus fast täglich. Heute ein wenig milder. -5°. Gestern im schneeumflossenen Hetzendorf. 29. Jänner Ich las die Seiten vorher. Die geruhsamen Abende im Zimmer des Kindes. Vorbei, vorbei – für immer. Heute Briefe der Schwester Waitzenkorns. Depression. Auf Gnade und Unterstützung angewiesen sein, das ist bitter. Dankbar für die gewisse materielle Sorgenlosigkeit. Eigentlich sorgenlos wie nie noch in meiner Ehe. Nicht mehr lügen und stehlen das wiegt viel auf. Ich will geduldig sein, sagte ich heute bei der Kommunion. Und immer: Schutz für mein Kind. Es soll nicht ihr Schicksal sein, daß sie heiratet um uns zu entlasten, so wie ich es um meiner Eltern willen tat. Nun harre ich bang der Tage, die da kommen. Schnee, viel Schnee. Und Krieg. Und Schwere, Schwere. Was ließe sich darüber alles sagen! Eingemauert in meinem Herzen ist alles. Am Sonntag 26{25.} mit Edith Skifahren. Am Hameau, dann übern Dreimarkstein heim. Wie war mir doch! Früher allsonntags diese Freude. Sie war so selbstverständlich, ja, man sehnte sich nach mehr. Wie habe ich diese Sehnsucht geliebt, in einem fernen Land gleichsam gelebt und doch bin ich dankbar und für Momente sehr glücklich. So heute im Kaffee. Wie ein warmer Quell. Allerdings daheim wieder Druck und Qual. Kohlen. Noch immer ist eine letzte Mauer vor meinem Sagen. Vielleicht finde ich aber Gnade und ich werde sprechen können. 3. Februar P h i l h a r m o n i s c h e s K o n z e r t unter Mengelberg. Die VI. von Tschaikowsky. Eindruck stark, wie schon lange nicht – wie verzaubert. Dann der Schnee. Die Stadt übergossen. Die Konturen. Hingerissen. Muß ich alles so sehen, um es mir für immer einzuprägen? Tanzschule, schauen, schauen. Daneben ein Fünkchen Hoffnung. Keine Kohle. Erniedrigung. Demütigung. Und wieder E{e}indringen in das Wesen der Dinge. Kalt, kalt – sibirischer Winter.

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Sonntag, 11. Februar Ich sehe nun: wenn ich alles phrasenlos betrachte, eröffnen sich mir ungeahnte seelische Ausblicke. So auch: wenn ich phrasenlos schreibe, ist alles von der schönen und einzigen Form beherrscht, die befriedigt. Durch viel Qual mußte ich hindurch gehen, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. 14. Februar Kalt, kalt. 14 Grad minus – eisiger Wind. Seit Weihnachten, ununterbrochen. Und Schneemassen wie noch nie. Skilaufen in Mauer. Schön, schön. 18. Februar Es schneit, schneit unaufhörlich. Ungeheure Schneemengen. Und kalt. Immer 8–10 Grad minus. Ich las eben das Buch vom 29. Immer irgendwie phrasenhaft. Nichts wissen vom eigentlichen Schmerz des Lebens. Ästhetische Fragen immer von Wichtigkeit. Als ich gestern den Atlas ansah, tiefer, tiefer Schmerz. Auf der anderen Seite der Welt – mein Kind. Heute Sonntag. Daheim. Ein warmes Zimmer, Essen. Ich bin sehr bescheiden geworden. Noch zu unbescheiden? Gestern Konzert. Philharmonisches. Nachher mit Edith und Berti. Ich mußte weggehen. Ich war sehr bedrückt. Meine Seele schweigt. Dadurch wird sie fest, glaube ich. VII. Bruckner. Die Nacht vorher: bittere Reue. Heiße Tränen. 3. März, Sonntag Gestern Philharmonisches. IX. Symphonie. Großes Erleben. Ich sagte mir: Dank, Dank. Seit 1. ein wenig wärmer. Noch immer kein Brief. Gestern waren es 8 Wochen. Am 14. Februar Skilaufen mit Käthe in Mauer. Strahlender Himmel. Als ich die Bäume grüßte, weinte ich. Allsonntags im Winter und auch im Sommer sah ich sie. Es war wunderbarer Schnee. 14. März Heute ein milder Vorfrühlingstag. Am 22. II. war ich beim Hübner auf einem Ball – Roswitha, Inge, Edith – heute gehe ich wieder. Was denke ich da alles, wenn ich die Jugend sehe. 19. März Vom Kind ein Brief. Es ist Braut. 25. März, Oster-Sonntag{Montag} Ein junger Mund.

140   Therese Lindenberg: Tagebücher 1938–1946

7. April Am 2. waren es 1 ½ Jahre, daß Lisl weg ist. Heute allein daheim. Ich schrieb an Lisl und kramte. Mein Flehen. Und das Heimgehen. {Von} Jugend umkreist innerlich. Und die Stadt, immer schöner, immer schöner. Oft tiefe Reue. Aber fast immer Segen. 19. April Warm. Es ist Frühling. Vorgestern 17. Mostalm. Die jungen Blätter. Ich war wie verzaubert. Sonne. Ach. Alle die Wege nochmals gehen dürfen, die ich irgendwie jaulend gemacht habe! Welche Gesetzmäßigkeit. Nun bin ich selig, in den Wienerwald gehen zu dürfen. Vorige Woche {10.} am Himmel. Eine Waldinsel. Berückt auf Wiesen schauen. 28. April, Sonntag Brief von Lisl. Mit Phil ist es aus. Herzweh. Und vorgestern bei Prof. K. die Arbeit holen. Großartig. Bitte um Segen und Schutz. 12. Mai, Pfingstsonntag {Am 31.{30}. April bekam ich das Silber zurück.} Am 8. zurück von Riedenthal. Am 3. 6h abends weg. Mit dem Autobus. Der Himmel grau, das Grün frisch, zart, fein. Tulbingerkogel. Dann die Weite des Tullnerfeldes. Die Wolkengebilde. Um ¼ 10h an. In der Nacht nach Neudegg. Der Wind wehte. 4. früh ½ 7h h zur Kirche. Das Land der Kindheit. Andacht. Monika – Lisls Namenstag. Mittags zur Post. Der alte, liebe Weg. Trüb, es regnet. Liebevolle Aufnahme bei Tante Cilli. Um 1h heim. Arbeit. Milchhaus. Immer ins Grüne schauen. 5. Sonntag 8h zur Kirche. Amt. Es regnet. Nachmittag Regen. Montag 6. Ich will heimfahren. Es regnet aber zu sehr. So lese ich den ganzen Nachmittag in alten Zeitungen. Sehr interessant. Dienstag 7. um 10h nach Riedenthal. Zum Friedhof. Großmutters Grab. Immer um Schutz für mein Kind flehen. Es ist trüb, der Weg ungangbar. Um 2h steige ich in den Autobus. Wieder die Weite des Himmels betrachten. Die Wiesenabhänge gegen Tulbing und Katzelsdorf. Wundervoll. Die Blüten! Das junge Grün! Wie ein verlorenes Paradies betrachte ich dies alles. Und heute allein daheim. Einmal ein Tag zum Ruhen, Kramen, ein Tag für mich. Vormittag waren wir fast bis zum Sperrschiff. Beim Rückweg gibt es eine wunderbare Stelle in der Anlage vor der Augartenbrücke, wo man gegen den Donaukanal sieht. Und als Abschluß, nein, als Dominante, der Stefansturm. Herrliches Bild. Vieles ausgeglichen.

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14. Mai33 Von Lisl Brief! Und heute Vormittag das Erlebnis im Augarten. Gott hat mich an sein Herz genommen. Ich muß mich würdig erweisen! Und Krieg und Krieg draußen. Samstag, 25. Mai 1940 Ist es möglich, daß dieses Buch zu Ende geht, das so inhaltsreich ist, so inhaltsreich. Nennen wir es Leiden und Freuden. Immer mehr glaube ich den Gesetzen auf der Spur zu sein. Das Gesetz des {menschlichen} Lebens ist sicher das Komplizierteste, weil es mit der Umwelt in fortwährender Wechselwirkung ist. Deshalb erscheint es manchmal so undurchsichtig. Gestern war ich bei Orpheus und Euri{y}dy{i}ke. Es war himmlisch. Selten noch hatte ich einen solchen Genuß. Bei dem Duett zwischen Orpheus und Eurydike hatte ich direkt das Gefühl im Elysium zu sein. Ein seltener Abend für mich. Absolute Musik. Und als ich aus dem Opernhaus trat – Radio und Blech – und eine andere Musik. Eine andere Zeit, in der wir leben, fern von Musen und Elysium. Heute früh {½ 8h} war ich im Prater. Vor dem Vivarium setzte ich mich nieder und sah die lange Allee hinab. Menschenleer. Die Kerzen auf den Kastanienbäumen leuchteten. Es war wieder so schön. Mein Herz brannte vor Weh und Freude. Am Mittwoch {22.} war ich mit Edith und Jolan im Wienerwald. Es war herrlich. Die jungen Buchen, das Licht dazwischen, es leuchtete so jung, so frisch, so maiengrün. Ich war restlos glücklich. Und die Wege voller Erinnerungen. Der Vater liegt in Steyr im Spital. Es ist alles so merkwürdig von Erinnerungen umschattet, wenn ich zu den Eltern gehe. Jedes Haus birgt tausend Erinnerungen und sie fallen mich an, täglich. Welch ein erinnerungsloses Leben hatte ich doch geführt draußen in Hetzendorf, in Baumgarten. So unwirklich scheint mir heute dies alles und nur was ich jetzt erlebe wahr, als Fortsetzung von früher, als richtige Fortsetzung. Unlängst, am Montag 20., ging ich durch den Maxingpark. Und da wurde es zur Wahrheit das Wort Goethes{Kellers}34: und trinke, was die Wimper hält. Herrlich ist das. Ich trank, trank, die Wimpern fielen mir zu.

33 Eintrag auffallend unregelmäßig geschrieben. 34 Mit königsblauer Tinte ausgebessert.

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Sonett an Martha May35 Des Schmerzes Düsterkeit, die Dich umschließt, sie wird gewiß einmal der Freude weichen; das Glück wird nochmals dir die Hände reichen, denn alles Menschengebundene, es fließt dorthin, wo es im Wechsel sich ergießt in Deines Schicksals tiefen Urgrund Teichen die unruhvolle Fläche birgt das Zeichen die es dann auf Dein Lebensbanner [hießt]. O sieh, die Kind- und Kindeskinder schwenken es vor sich her und ihre Augen leuchten sie wollen Dir die Lebensfreude schenken Du lenkst den Blick zu ihnen hin, den feuchten und wenn Du Deine {die} Blicke hin zu ihnen lenkst, die sie werden helfen Dir Deinen {den} [Schmerz] {Gram}36 zu lenken sie werden’s sein, die Deinen Schmerz {Gram}37 von Dir verscheuchten. [inneres Deckblatt hinten, rechts]

Briefe an Lisl38 1. 3. Oktober 1938 2. 6. Oktober 1938 3. 8. Oktober 1938 4. 11. November 1938 5. 14. November 1938 6. 17. November 1938 7. 21. November 1938 8. 25. November 1938 9. 27. November 1938 10. 30. November 1938 11. 3. Dezember 1938 12. 5. Dezember 1938 35 36 37 38

nach Bombay nach Colombo nach Singapore nach Manila nach Manila nach Manila nach Manila nach Manila nach Manila nach Manila x x

Eintrag auf der letzten Seite des Tagebuches, mit Bleistift geschrieben. Mit Tinte durchgestrichen. Ausbesserung mit Tinte. Die folgenden Datumsangaben wurden als vollständige Angaben transkribiert. In der Auflistung sind sie teilweise verschiedentlich abgekürzt eingetragen. Die Bedeutung des Kürzels „x“ bleibt unklar.

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13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53.

7. Dezember 1938 10. Dezember 1938 20. Dezember 1938 27. Dezember 1938 4. Jänner 1939 7. Jänner 1939 11. Jänner 1939 18. Jänner 1939 29. Jänner 1939 21. Jänner 1939 22. Jänner 1939 26. Jänner 1939 27. Jänner 1939 28. Jänner 1939 31. Jänner 1939 2. II. 1939 4. II. 1939 5. II. 1939 7. II. 1939 11. II. 1939 13. II. 1939 15. II. 1939 18. II. 1939 18. II. 1939 20. II. 1939 23. II. 1939 26. II. 1939 27. II. 1939 28. II. 1939 2. III. 1939 8. III. 1939 6. III. 1939 15. III. 1939 17. III. 1939 18. III. 1939 20. III. 1939 25. III. 1939 29. III. 1939 21.{29.} III. 1939 1. IV. 1939 2. IV. 1939

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Manila

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Tagebuch Nr. 11 von Therese Lindenberg, 25. Mai 1940 bis 1. Jänner 1943 Das Tagebuch ist ein gebundenes Heft mit schwarzem Einband und linierten Blättern (154 Seiten) im Format von 16 mal 19 cm. Die Einträge sind meist mit dunkelblauer Tinte (einzelne mit Bleistift) und in Lateinschrift geschrieben. Das Schriftbild ist wechselhaft. Die geraden Seiten sind, beginnend mit „1“, handschriftlich nummeriert. Mehrere der letzten Seiten sind aus dem Buch herausgeschnitten. Im Buch befinden sich keine Einlagen. [äußeres Deckblatt]

1139 1940–194340 [inneres Deckblatt, rechts]

11 MG begonnen 25. Mai 1940 beendet 1. Jänner 1943 950 Tage [Tagebucheinträge]

Samstag, 25. Mai 1940 Mai, wie immer blühend, duftend. Und draußen Krieg, im Westen. Mein Auge ist immer nach dem Osten gerichtet, hin zu meinem Kinde, dessen Herzblut in meinem kreist – und nach oben, nach oben zu Dir, Herr, der mich manchmal an seinem Herzen hält. Maria-Grün – 1. Mal41 Sonntag, 26. Mai „In stolzer Trauer“ las ich heute. Unvergeßlich. Das Wesen des Krieges und warum Krieg geführt wird. Ich bin allein daheim, krame, nähe – wie in alten Tagen, aber in einem anderen Heim. Freitag, 31. Mai Heute ein Paketchen von Lisl, Thee und Seife. Ich barg mein Gesicht darin.

39 Mit Tinte geschriebene Nummerierung auf einer Klebeetikette. 40 Mit Kugelschreiber vermerkte Jahreszahlen auf einer zweiten Klebeetikette. 41 Mit königsblauer Tinte im Nachhinein unterstrichen.

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Sonntag, 2. Juni Heute ein Brief vom Kind. Dank. Sie hat einen englischen Aufsatz über Mutti geschrieben. „[Alle] Die Lehrerin las ihn vor und alles war so gerührt und begeistert, daß ich ganz weg war.“ Dank und das alles wirklich verdienen wollen. 12. Juni Das Antlitz des Krieges gesehen in der Wochenschau. Werde ich noch lachen können, solange es Krieg gibt? Dann der „Postmeisterfilm“. Tief beeindruckt. 14. Juni Paris gefallen. 28. Juni Michelangelofilm. Wochenschau, das Angesicht des Krieges. Tiefstens beeindruckt. 8. Juli Die Tage laufen. Freude, Glück, Schmerz, Demütigungen. Wir leben in einer aufregenden Zeit. Ich sehne mich krank nach einer Wiese. Es ist heute sehr, sehr heiß. 9. Juli Wie freue ich mich des Regens! Heute ist es kühl und es regnet! Ich war in Lang-Enzersdorf. Wie begrüßte ich die Bäume, die Hügel und Wiesen! Selbst der unansehnlichste Baum wurde ein Erlebnis! Wie habe ich doch meine Reisen so selbstverständlich hingenommen! Nur in Hetzendorf, im Garten liegend, sagte ich mir immer: weißt Du es auch, wie gut es Dir geht? Immer, immer denke ich an das Kind. Ich lebe fast ganz in der Vergangenheit. Gestern Frau B. Die Sterne. Tief beeindruckt, aber doch ablehnend. Das Gefühl, nicht in die Werkstatt der Natur hineinschauen dürfend. 12. Juli 1940 Von Lisl Brief. Sie ist graduiert. B. Sc. Dank.42 Dienstag, 16. Juli Gestern in Maria Enzersdorf. Welch schöner Tag! Ich lag unter einer Föhre und sah in den blauen Himmel. Ich dankte – und bat um nichts als um Schutz für mein Kind. Samstag, {13.} im Stadtpark. Welch ein Erlebnis! Bäumelein, sagte ich zu den Riesenbäumen. Und sie telegraphierten nach Manila. Es ist andauernd kühl. Welche Freude! Der Weg zum Wällischhof. Diese Gedanken, diese Herzschmerzen. Dann über den Rosenhügel. 42 Wasserfleck über dem Eintrag.

146   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

Ich grub mich in Erinnerungen ein. Die Skipartien. Der Weg zur Rosl. Einmal konnte sie{Lisl} im Schnee nicht weiter. Bei Zehendner das Kind. Die Tochter der Ältesten. So hätte ich es auch gewollt. Ich dachte, dachte. Zuletzt Ratschkygasse. Der Schulweg des Kindes. 18. Juli Es regnet fast täglich. 28. Juli, Sonntag Mutter krank. Lisl hat geschrieben, Donnerstag kam der Brief. Dank. Vorgestern in Lang Enzersdorf. Der Teich. Die Atmosphäre. Und denken: Wohnung – die leben in Wohnungen. Gestern auch bei Eli. Und die Herzensstimme flüsterte: „Dafür wohne i{I}ch bei Dir – und Du ruhst an meinem Herzen!“ Wer kann sich dessen rühmen! Sonntag, 4. August Meine Mutter ist seit einer Woche zu Bett und ich bin bei ihr, koche, räume auf. Es war jeden Tag trüb und regnerisch. Aber heute schön, goldene Sonne. Und ich sitze im Zimmer und schaue das kleine Fleckchen blauen Himmel von meinem Fenster. Ich bin sehr allein. Ich wage aber nicht so tönende Worte zu gebrauchen wie einst. Ich blättere oft in meinen Büchern und das Herz ist froh und traurig ob der schönen Dinge, die ich erlebte. Meine Sehnsucht nach dem Kinde ist oft – speziell in den letzten Tagen – unbeschreiblich. Doch heißt es: warten und sich bescheiden. Und meine zweite Sehnsucht ist der Wald. Sonntag, 11. August Gestern ein unerhörter heißer Tag. Sehnsucht nach dem Wald. Vorgestern im Stadionbad, so glücklich! Die Baumgruppen, der Himmel mit den weißen Wolkenbergen. Heute trüb, kühl. Ich bin froh darüber. Am Dienstag {6.} lief ich schnell in den botanischen Garten am Rennweg. Welche Gefühle! Und ich sah zur Kölblgase hinüber. Es ist so merkwürdig in mir; Erwartung, Einfügen, Freude und Trauer. Doch habe ich zu letzterem wenig Grund, aber ich bin manchmal traurig über meine Schwäche von früher. Heute dachte ich in der Kirche: Wie wunderbar sind Gottes Wege! Wie hatte ich mich von allem abgewandt und nun, nun bin ich Ihm ganz nahe. Und so werde ich geduldig sein, warten und schauen. Ich habe durch 14 Tage die Eltern gepflegt. Es war nicht sehr leicht. Donnerstag, 15. August43 Ein unvergeßlicher Nachmittag. Rote Pelargonien, Himmel und die Stimme, die las. 43 Die folgenden zwei Einträge sind in auffallend unregelmäßiger, großer Schrift geschrieben.

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Ich danke tief. Muß diese Gnade verdienen. 18. August Gestern tiefe Erlebnisse. In der Trebitschvilla. Wie oft bin ich dort vorbeigegangen und immer wünschte ich brennend nur einmal da{d}rinnen zu sein. Nun war ich drin. Dann der Maxingpark. Vor der Anhöhe stand ich still. Unvergeßlicher Anblick: die Rundung des Hügels und das Grün der gerundeten Wiese. Ansonsten war es immer die dunkle Föhrengruppe, vom Himmel abstechend. Und als dritter tiefer Eindruck: der Hetzendorfer Schloßpark. Die Birkengruppe. 19. August Heute ein wunderbarer Ausflug auf den Hermannskogel, Kahlenberg. Sanftes Sonnenlicht, Grüne. In der Kirche {mit Spitz}44. Bitte. Brief vom Kind. 20. Heute Regen, Regen. 21. Am Himmel. Villa Lange. Die schönste ästhetischste Villa, die ich in Wien kenne. Ein unvergeßlicher Spaziergang: Am Himmel, zum Bellevue hinüber, die Bellevuestraße entlang. Immer Ausblicke. Bei Schalit vorbei. Erinnern, erinnern. Samstag, 24. Gestern bei Carl. Vorsingen. Wenn etwas sehr schön ist, kann man es so schwer ausdenken. Sorge um das Kind. Schlechte Träume. Waxriegelhaus, Montag, 26. August Ich bin hier, ich bin hier! Bäume, Erde, Himmel, Berge und grüne, grüne Wiesen! Ich kann es fast nicht glauben. Ich sitze im Liegestuhl und schaue zum roten Häuschen hinüber, das Lisl gemalt hat. Die Erinnerungen! Und jetzt sage ich mir: präge es Dir ein. Die Wiesen, der Schwung der Berge und die Tannen, die Tannen!!! Ich lebe wieder – in den schönsten Dingen. Der Heraufweg ein wenig umständlich, alte, verfallene Wege, manchmal war ich schon ein wenig ängstlich. Ich kniete mich nieder, [als]{ehe} ich mich in den Liegestuhl setzte und küßte die Erde. Abends zum Göbl-Kühnsteig. Der Wald!!

44 Mit Bleistift eingefügt.

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27. August Unwahrscheinlich schöner Tag. Vormittag in einem dunklen Wald. Moosmatten. Nachmittag von 2–½ 7h im Liegestuhl. Abends Aufblick zu den Sternen. 8h früh, 28. August In der Sonne. Im Bett ein Sonnenbad. Gestern der Sonnenaufgang mit farbigen Tinten. Dank, Dank. Die Fleckchen unter Tannen mit Moos. Das liebe ich jetzt am meisten. Ich streichelte es. {Heute} Sonne. Dann zum Lärchenbaum. Ich preßte mein Gesicht in das Moos. Die Blumen. Hier sind sie. Gegen die Reißtalerhütte. Herrlich, herrlich im Moose sitzend, die Bäume, alles, alles betrachtend. Nachmittag im Liegestuhl bei der Peilsteinerhütte. Die Aussicht. Immer in [der] {die} Runde sehen. Janthe, lieb, verständig, ein guter Kamerad. 29. Nebel. Wir gehen Sandor und Harry entgegen. Immer fröhlich. Jetzt bin ich allein. Es nieselt, aber die Sonne dringt durch. Janthe und Harry sind spazieren und ich freue mich des Alleinseins. Ich möchte zu meinem Baum gehen. Ich denke viel an C. Dieses warme Gefühl um die Herzgrube herum. Wie einst und doch anders. Nicht mehr so gierig. Wartenkönnen. Rax, 30. August In der Nacht Sturm und Regen. Um ¾ 10h weg zum Ludwigs Haus. Punkt 11h oben. 9 Ecken (Serpentinen). Die letzte Serpentine Sturm, Regen und Schnee. Am Plateau furchtbarer Sturm, um 2h weg, ¾ 3h im Waxriegelhaus. Das Stück vom Karl Ludwigshaus zur 1. Serpentine schrecklicher Sturm. Jetzt im geschützten Haus warm und wohlig. Sonntag, Wien, 1. Sept. Wieder daheim! Gestern um 10h zum Reißtalersteig. Umkehren, da soviel Schnee war. Zum Göbl-Kühnsteig. Abschiednehmen. Um 2h weg, um ¾ bei schönstem Sonnenschein in der Prein. Der Weg durch den Rettenbachgraben. Unvergeßlich. Ein wenig Wegdenken vom Kinde. Nicht mehr so rein. Daheim die Freude des Mannes.

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[Brief]

1. September {1940}45 Ich bin also im Wald, im Hochwald gewesen. Wie eine Geliebte empfing er mich, mit festlichem Sonnenlicht, Blumen und Vogelsang und all den Strömen des Hinneigens. Und er nahm mich in seine Arme und ich stürzte mich an seine Brust. Lautlos hielt er mich umfangen. Er streichelte mich mit sanftem Windeswehen, und löschte alles Schwere, das ich erlebt. Und so lagen wir, Wald und Weib, lange umschlungen. Und dann mußte ich ihn verlassen. Abschied. Laut rauschte er auf, als er mich begleitete. Und dann sah er mir nach. Starr, stumm, dunkel vor Schmerz stand er auf der Höhe und sah er mir nach. Ungezählte Male wendete ich mich und breitete die Arme nach ihm aus. Ich mußte weiter. Und immer, wenn ich die Augen schließe, seh ich den Wald, wie er mir nachsieht, dunkel, stumm, gewordene Sehnsucht. Bist Du sehr allein? Ich bin oft bei Dir und erzähle Dir. Du hörst mich wohl. Manchmal aber sitze ich bei Dir und schweige. Ja, und wenn ich mich dann im Dämmern verabschiede, da drückst Du mir die Hand und ich erspähe ein freundliches Lächeln auf Deinem Angesicht. Dann laufe ich schnell, schnell weg. Warum? Das sage ich Dir einmal, wenn wir so wirkliche Mummelgreise geworden sind, Du 90{92}, ich 80. Ich erinnere mich an einen Dezember{Sonn} tag im Jahre 1905: Draußen war es feucht und trüb. Ich kam zu Euch. Und gerade, als ich im Vorzimmer eintrat, schloß sich Deine Zimmertür. Du bist eben vom Speisezimmer in Dein Zimmer herübergehuscht. Ich sah Dich nur einen Moment im Umriß. Und dann war es dunkel. Ich hatte Herzweh. Es war ja klar. Was sollte so ein kleines, unscheinbares Mädel Dich interessieren, von dem Du nicht einmal wußtest, daß es existiert? Ja, und jetzt ist es so gekommen, daß sich die Türe auftat und Du standest auf der Schwelle und warst so freundlich zu mir, wie Du es damals nicht hättest sein können. Ist das nicht schön? Noch eine Erinnerung verknüpft sich mit Dir, die irgendwie richtungweisend für mich wurde. Ich mochte etwa 10 oder 11 Jahre zählen, da sah ich in Deinem Zimmer die Kopie der H{h} immlischen und irdischen Liebe. Das Bild machte auf mich einen außerordentlichen Eindruck. Als junge Frau erwarb ich eine wunderschöne Kopie. Es war mein erster Einkauf. Sie hing immer über meinem Bett. Ich sah sie wohl tausend Male an und habe es nie vergessen, daß ich sie bei Dir zum ersten Mal erblickte. Siehst Du, Du wußtest eigentlich gar nichts von mir und ich bin doch seit mehr als 35 Jahren mit Dir in Verbindung. Ist das nicht merkwürdig? 45 Adressat dieses Schreibens ist wohl Carl Lehnhofer.

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Momentelang denke ich jetzt, daß es auch merkwürdig ist, daß ich Dir dies ohne Scheu alles sage. Ja aber sage ich leicht mehr noch, wenn ich vor vielen fremden Menschen singe? Liegt da nicht meine ganze Seele {offen} ausgebreitet? Ich hatte noch ein Erlebnis, in dem Du eine Rolle spielst. Dies ist aber ein Erlebnis ganz eigener Art, das erzähle ich Dir ein anderes Mal, denn ich muß erst wissen, erst fühlen, wie Du meine Briefe aufnimmst, ob mit Stirnrunzeln oder mit einem Deiner gütigen Blicke, die Du mir schenktest. O, ich will Deine Freundlichkeit nicht zu sehr ausnützen. So alle 3–4 Wochen ein Brief, ist das zu sehr ausgenützt? Das Wichtigste: Ich will Dir ja Freude bringen, reine Freude. Kein Hauch von Ärgernis oder dergleichen. Manchmal freut es mich ganz mächtig, daß Du da bist und ich Dich weiß. Das darf ich eigentlich nicht sagen. Oh, einmal doch! Ich war auf der Rax so glücklich. Jeder Tag ein einziges Dankgebet. Mir war es, als läge ich am Herzen Gottes und ich dürfte nicht ahnen, damit ich die Weltraumstimme hörte. Hast Du das Manus. schon abgeschickt? Ob meine Wünsche etwas vermögen? Aber jede gedankliche Kraft wirkt und wenn die meinige in den Gesetzen Deines Lebensgefüges vorgesehen ist, so wird ihr sicherlich Erfüllung gewährt.46 6. September Gestern von Lisl Brief. Seit 3. Tagen wunderbarer milder Sonnenschein. Der Herbst in der Stadt. Schön. Überhaupt – nicht klagen. Ich mag nicht mehr vom Kinde wegdenken. Das war das AllerAllerschönste in den 2 Jahren, in diesen schweren Jahren. Gestern wieder Demütigung, Schmerz, Bitte um Vergeltung. Abends die Nachricht von der ev. Wohnungsräumung. Heute vor 1 Jahr. Die Abende in Lisls Zimmer. Sonntag, 8. Sept. Ein wunderbarer warmer Tag. Du altes Volk! Ausstellung. Die Kinder.47 [Brief]

Morgen sehe ich Deine Schwester. Ob es wohl dem kleinen Neffen schon ganz gut geht? Du sahst auch zufällig Thereses Mann. Das freut sie so. Viel wäre über diese merkwürdige, aber ganz außerordentlich glückliche Ehe zu sagen.

46 Den Abschluss dieser Briefabschrift bildet vermutlich die zwischen dem 8. und 9. September eingetragene Briefpassage. Im Original befinden sich diese Einträge auf zwei gegenüberliegenden Tagebuchseiten. 47 Der Eintrag ist von der folgenden Briefpassage durch eine Linie, die über die ganze Seite gezogen ist, abgeteilt. Die folgende Briefpassage schließt an die Briefabschrift auf der gegenüberliegenden, vorigen Seite an.

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Ich könnte so fortschreiben ohne Ende. Aber ich muß doch an Deine Geduld, Deine Zeit u.s.w. denken. Leb wohl, leb recht wohl. 9. September Bombardement London. Herrlicher, sonnengoldener Tag. Im Stadionbad. Zum Himmelschauen. Im Liegestuhl liegen. Das Rauschen der Bäume. Das Zittern der Blätter. Wunschlos glücklich. Seelenreserve. 19. September {Der Walddom bei der Payerhütte. Ich segne Dich.} Wunderbare Sonnentage. Heute Ausflug nach Hadersfeld und Lourdes. Unvergeßlich. Als ich oben beim Obelisk im kurzen Gras lag, in den Himmel schaute – wunschlos glücklich. 25. Sept. Wohnungssorgen. Aber gesegnet sein. Sonntag, 29. Sept. Heute vor 2 Jahren! Das Kind fuhr fort. Gestern ein Brief und Bild! Sonntag, 13. X. Heute vor einem Jahr zogen wir hier ein. Welch bedeutungsvolle Zeit! Und nun müssen wir wieder ausziehen!! Vorgestern erhielten wir den Termin: 31. Okt. – also am Geburtstag des Kindes. [Brief]

Wien, 16. Okt. 1940 Lieber,48 ich habe das Gefühl, daß Dir die Zwischenräume von einem Brief zum andern taugen, daß es Dir recht ist, wenn ich Dir schreibe, unbekümmert darum, ob Du mir antwortest oder nicht, daß Du nicht antworten mußt, ist doch schrecklich schön. Ich stelle mir vor, was ich möchte, daß Du schreiben sollst – das ist schön. Aber schrecklich wird es sein, wenn Du mir … – Doch nein, ich vergesse es nie, was ich Dir in meinem Gedicht sagte: 48 Adressat dieses wie mancher folgenden Briefentwürfe/-abschriften ist wiederum Carl Lehnhofer.

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„Ganz ohne Forderung und ohne Pflicht.“ Und das ist Freiheit und das ist das Allerschönste. Ich war wieder in der Märchenvilla. Herr L. meinte, der Verlag Albert Langen-Georg Müller, Berlin, würde die Herausgabe wagen. Wenn also nichts mit Bruckmann wäre, dann hin zu jenem Verlag, ja? Von meiner Tochter höre ich viel Interessantes. Sie hat einen Zuckerrohrschädling: Fiji [...coses] zu bekämpfen, dann muß sie ein Kolleg über Faserkunde halten. Das ist für sie etwas ganz Neues. Aber sie arbeitet mit so viel Freude. Könnte ich schon bei ihr sein! Wir haben uns geistig immer ergänzt, allerdings im umgekehrten Verhältnis: Sie war die ernste Mutter, die mit dem fröhlichen weitschweifenden Kinde viel Nachsicht haben mußte, so wie es der Mann tat, der auch Vater zugleich war. (Das weißt Du ja, daß ich keinen Vater hatte, resp. kannte, nur einen Stiefvater.) Therese muß in zehn Tagen ihre Wohnung räumen und nachdem sie noch kein Domizil hat, so müßte sie sich eigentlich sehr sorgen. Doch ihre ganze Sorge gilt ihrem Mann, der in seiner unendlichen Liebe immer vermeint, daß ein Zurücktreten seiner Person das ganze Problem lösen würde. Nun hat aber gerade Therese49 durch diesen Mann die unwahrscheinlichste Freiheit gehabt – hat sie noch – und da ist es für sie ganz leicht, diese Guttat mit dieser kleinen Belastung, die für sie im Grunde genommen diese Schwierigkeit im Vergleiche zum Ganzen gestellt, bedeutet, zu vergelten. Gewiß, sie hat riesig viel für ein schönes, gemütliches Heim übrig, aber in der Zeit der Völkerwanderung steht sie ja nicht allein und es ist sehr wichtig, daß man auch hinuntersieht, nicht immer hinauf. Und nun zum beifolgenden Gedichtchen. Ich bitte Dich um Verzeihung, wenn es Dir mißfällt. Aber ich wachte auf und die Worte standen da, keines mehr, keines weniger. Und sie gehörten doch Dir, nicht? Hätte ich sie behalten sollen? Sie ummodeln, schöner machen? Nein, gelt? Gewiß, eine Rose ist an sich schöner als ein Gänseblümchen. Aber wenn Du es nimmst, sieht Dich nicht ein Gänseblümchen viel lieber, inniger an als eine Rose? Ich habe jetzt einige Wälzer gelesen, jeder über 1000 Seiten, aber einer entzückender als der andere. Antonio Adverso von H. Allen (eine Art Gegenstück von dem wunderbaren Roman von der Mitchell: Vom Winde verweht, den Du doch sicher kennst) und dann von Zolt v. Harsanyi: Mit den Augen einer Frau. Den Adverso mußt Du lesen! Man kommt aus dem Staunen nicht heraus. Mit Neid denke ich daran, daß man in der deutschen Literatur nicht einmal Annäherndes dem Roman gegenüberstellen kann. (Allen ist Amerikaner und seine Kenntnis der Geschichte Europas verblüffend.) Darf ich Dir auch Bücher von Dr. Fritz Künkel empfehlen? Es sind die besten über Charakterkunde, die es überhaupt gibt. Sicherlich kennst Du sie auch. Ich denke mir das so: Ich lese riesig viel und – vielleicht kann ich Dir dadurch eine Freude machen, Dir Zeit ersparen wenn ich auf ein Buch hinweise, das besonders wertvoll ist. Ja? Darf ich das? Deine Lieben sind wohlauf, ihre Anteilnahme und Freundlichkeit wirklich rührend, wie ich überhaupt beschämt und beglückt zugleich darüber bin, daß meine, unsre Freunde in geradezu unvergleichlicher Weise ihr Helfenwollen zum Ausdruck bringen. 49 Satzumstellung durch Pfeilzeichen: „Hat aber Therese gerade“.

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Finden meine Grüße den Weg zu Dir? Ich denke wohl, denn sie sind herzlich und aufrichtig. No 3. Ich nummeriere die Briefe, damit Du dadurch einen eventuellen Verlust konstatieren kannst. {No 1: 1. IX., No 2: 25. IX.} 23. Okt. Das Kind hat geschrieben. Es wird heiraten. Am Montag 14. bei Karls Tante gewesen und dort erfahren, daß Karl schon im Dezember 39 geheiratet hat! Tiefster Schmerz, Empörung, Trauer, Weh. Die Wege! Erst in unsere Wohnung! Wie mir da war! Dann zum Dechant. Und heute denke ich: es war gut so. Dank, Bitte, Demut. Ein wenig schweres Herz wegen der Übersiedlung. Doch dafür dem Kinde besser gehen. 26. Okt. Ganz großer philharmonischer Abend. VI. Tschaikowsky. Sauer-Klavierkonzert. O. Schumann. 30. Oktober Lisl’s Geburtstag. Es schneit. Wir ziehen um. Sandwirtgasse 14. Tränen in der Kirche in der Pfarrgasse. Sonntag, 3. November Das war eine Arbeitswoche! Montag erfuhren wir, daß wir Mittwoch {30.}, also in 2 Tagen übersiedeln werden – und heute sind wir schon in Ordnung bis auf ein paar Kleinigkeiten. Es war ganz schrecklich. Erst hatten wir die Möbel so gestellt, daß die Kästen ein Abteil bilden, weil das Zimmer zum Durchgehen ist. Der Boden senkte sich und nun mußte man umstellen. Nun haben wir es wieder halbwegs gemütlich. Ich sitze wieder bei meinem geliebten Sekretär. Die Leute sind so nett, sie tragen mich auf Händen. Heute sang ich so gut. Der alte Mann – wie versunken. 4. November Lisl hat geheiratet – damals, als ich in Lourdes war! Dank, D a n k , D a n k . D a s E r l e b n i s i m Wa l d d o m . Sonntag, 10. November Im neuen Zimmer. Man bringt sich mit, schrieb ich voriges Jahr, als wir in die Haidg. zogen.

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Und jetzt, warmes Zimmer, wieder gemütlich – bis auf das Durchgehen. Ich brauche kein Geschirr waschen. Große Freude über diese Begünstigung. Für alles Dank. Und immer Bitte um Schutz für die Kinder. „Vielleicht werde ich Deiner Mutter noch einmal dankbar sein“, schrieb ich an Karl. Vielleicht, wirklich! Für alles Leid bezahlt werden, für jede Freude bezahlen. Heute vor 2 Jahren erfuhr ich, daß Lisl in Manila gelandet ist. Samstag, 16. Nov. Heute ein Brief vom Schwiegersohn. Entzücken. Sonntag, 17. Nov. Ich las im Tagebuch vom Vorjahr. Am 28. Sept. schrieb ich: „Ich war wohl recht übermütig, Herr, doch rechne ich dennoch auf Deine Gnade, Deinen Schutz, Deine Liebe“. Da strömten nur so die Tränen über mein Gesicht. Und ich sah zum Himmel. Ein silberner Streif zog sich über ihn hin. Wieder kann ich den Himmel sehen. Kein Haus, nur das Dach. Dank. [Brief]

am 17. Nov. Lieber, seit Tagen denke ich daran, Dir zu schreiben. Eine gewisse Unsicherheit jedoch darüber, ob Dir meine Briefe die gewiß nur kleine Freude machen, die ich mit ihnen bezwecke, hieß mich zögern. Heute aber klang es in mir wie ein schwacher, aber lieber Befehl. Hat nun diese Stimme recht? Schließlich kannst Du ja einfach den Brief weglegen und ihn erst lesen, wenn Du sehr gut gelaunt bist oder vielleicht willst Du ihn überhaupt nicht lesen. Dies alles vermagst Du ganz nach eigenem Gutdünken. Gustl erzählte mir von der Abweisung Deiner Gedichte. Du kannst Dir gewiß vorstellen, wie betrübt ich darüber bin und möchte Dir vorschlagen, mir Deine eigenen Gedichte zu übersenden. Ich habe einen Plan, den ich der Schwester werde mitteilen. Vielleicht gelingt der. Versprechen will ich nichts. Aber ich habe Hoffnung. Ich hatte jetzt sehr unangenehme Tage zu überstehen. Therese mußte binnen 24 Stunden übersiedeln und das war keine Kleinigkeit bei den vielen Sachen, die sie besitzt und von denen sie sich so schwer trennen würde. Sie fand nach vielen Mühen ein großes, schönes Zimmer in der Sandwirtgasse 14/13 im VI. Bez. und in dem Zimmer befinden sich nun: Schlaf-, Speise-, Musik-, Schreib- und Vorzimmer in einem. Man hat ihr schon oft gesagt, daß an ihr ein Innenarchitekt verloren ging und die schwierige Einrichtung dieses Raumes hat es wieder gezeigt. Dein Bekannter, Ing. Spi. war bei ihr (Therese hat eine Art Eröffnungskonzert zur Weihe des Zimmers gegeben) und da hatten 10 Personen bequem ihren Platz eingenommen. Da meinte Herr Sp. der auch vor der Übersiedlung steht, daß ihm nun nicht mehr bang sei, wenn man in einem Zimmer so hübsch und bequem wohnen könne. Therese wurde aber vom Schicksal tief belohnt. Am Tage der Übersiedlung kam die Nachricht, daß ihre Tochter seit 18. Sept. verheiratet und sehr glücklich ist. Der Schwiegersohn ist Prof. der Kunstgeschichte und Sprachwissenschaft an der Universität, an der die Tochter arbeitet. Er ist

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Wiener, Dr. phil und Dr. jur., stand in diplomatischen Diensten und beherrscht 11 Sprachen und wurde vor längerer Zeit an die dortige Univ. berufen. (Alter 32 J.). Die einzigen Wiener an dieser Univ., und die fanden sich! Das Wichtigste aber ist, daß die menschlichen Qualitäten des zugeflogenen Sohnes ganz außerordentliche zu sein scheinen. Therese ist darüber sehr glücklich und das Wiedersehen mit ihrem Kinde dadurch näher gerückt. Ich schreibe Dir darüber so ausführlich, weil ich glaube, daß Du ein wenig Anteil nimmst an dem Geschick von Therese und Du Dich auch ein bißchen über ihre Freude freust. So hat ihre innere Stimme recht behalten, die da sagte: „Du mußt alle Widerwärtigkeiten mitmachen, damit Du würdig bist der Freude, die über Dich kommen wird.“ Ansonsten arbeitet sie wieder wie eh und je, frißt Bücher, singt und stopft in einen Tag noch und noch hinein. Darf ich um ein Kärtchen bitten, auf dem nichts steht als: Briefe erhalten? Momentan kommt es mir nämlich in den Sinn: am Ende bekam er keinen Brief und ich schrieb schon deren 4 Stück! Freundlichst gedenke ich Deiner. am 28. Nov. Gestern von Lisl Brief. Sie kann Karl nicht vergessen. Ich war heute darob traurig. Die Nacht. Bittere Reue. Mariahilf. Das Bild in der Haydnkirche. 30. Nov. Schweres Herz wegen Karl. Reue, Schmerz, auch Zorn, fast Haß. Doch ich will es wahr machen: alles in Liebe, auch wenn mir weh geschieht. Der Brief von Carl L. Deprimiert. Sonntag, 1. Dezember Heute herumgekramt, Brief geschrieben, Tagebücher gelesen. Ich zittre wieder um die Wohnung. Herr, o, doch Dein Wille geschehe. Heute in der Kirche, diese Tränen, diese Andacht! Montag, 9. Dezember Heute in Maria-Enzersdorf. Den Weg gegen Wällischhof. Trüb, Schnee, dann wieder Sonne. Mit einem Schlag wurde mir die Erkenntnis, was „es“ damals am 26. Mai 38 meinte: Tiefster Schuld wird auch Erlösung. Wie in Trance schrieb ich damals diese Worte. Erlöst von jener tiefen Schuld. Auch das Kind. Wie ein Wunder der Sonnenstrahl in der Kirche in Mauer. Übern Rosenhügel zur Frau B. Nicht mehr diese Herzschmerzen wie im Sommer. {In der Hetzendorfer Kirche. Ich habe die Mahnung vor 25 Jahren: Lasset die Kindlein zu mir

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kommen, nicht verstanden.} Depression liegt über den Menschen. Gestern ein Brief vom Kind. Dank. Samstag, 7., die Tafel in der Kirche mit meinen Tränen gestreichelt. Es war, als wären es die Kinder. Am 3. sie gesehen. „Demütiger Dank“. Samstag, (13.)/14. Dez.50 Das Jahr geht seinem Ende zu. Am 10. – ein Schreck – Wohnung. Am 11. Wohnungsamt. Vorläufig dableiben. Dank. Aber wie lange? Wieder wandern. Merkwürdig, ich denke, daß ich, weil ich nichts hatte, alles lassen muß – und dies sukzessive geschieht. Ja, ich wich dem Unangenehmen aus, wollte bequem, ohne Stürmen leben. Das Schicksal gleicht es aus. [S]{M}ontag, 16. Dezember 1940 Ich las jetzt die Bücher von 31–35! Mein Gott, wie gut ist es mir gegangen! Leid, wohl, gewiß, daß jetzt der andere tief büßt. Dieses merkwürdige Gelddamoklesschwert. Nie bin ich ausgekommen, konnte es mir schwer einteilen. Jetzt freier. Habe ich immer die Situation richtig erfaßt? Ich glaube, nein. Die Ebene ist gleich. Das Tieferkommen auf der einen Seite ausgeglichen vom Höherkommen auf der anderen. Heute nach langer Zeit allein daheim. Kramen und denken. Ich fühle mich wohl. Bitte um Schutz. Ich lese die Briefe vom Kinde. Dienstag, 24. Dez. 1940, ½ 10h Weihnachten! Ich überdenke alles. Es war nett bei Fürst und nun sitze ich wieder beim Sekretär und schreibe meinem Kinde, nein, meinen Kindern. Es ist sehr kalt seit fast 14 Tagen, fast immer 6–8° minus. Die Weihnachten am Feuersang! 26. Dez. Schreiben an Carl L. Gestern seine Gedichte gelesen. Sehr beeindruckt. Überhaupt gestern! Zu Eli. Ich fuhr bis Heiligenstadt, und ging über eine Stunde spazieren. Es war sehr kalt. Ich atmete tief die gute Luft. Ja, ich wohne in der Stadt und ich spüre sehr die dicke staubige Atmosphäre. Ich weiß nun etwas. Alles, war wahr, ist gegeben, wirklich, wirkt und alles phantastische, gemochte, gewollte, ist nichts. Eine Binsenwahrheit. Und doch – jetzt erst darauf gekommen, es immer gewollt. Schon in meinem ersten Tagebuch klagte ich. Dahinter klingt nichts, vorne viel schwere, verpflichtende Worte. Wie sich alles entschält. Heute geruhsam daheim. 50 Eintrag in auffallend unregelmäßiger Schrift geschrieben.

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29. Dezember Das Jahr geht seinem Ende zu. Vor 6 Jahren. Immer zurückdenken, auch ein wenig vorwärts. Doch genießen erst, was in Hast und Eile erlebt wurde. Die Erinnerung vor 3 Jahren an die Wiese beim Triegl. Wie sich mir damals die Natur zeigte! Dank. 12 Uhr, Sylvester {1940} Das alte Jahr – zu Ende. Gestern schöner Abschluß, Ausflug auf dem Scheiblingstein, orgelnder Wald. Föhnstimmung. Wie war ich glücklich wieder in der Natur zu sein! Nur ging mir Edith zu rasch. Ich konnte mich nicht wie sonst umsehen, stehen bleiben. Aber dennoch, wie bin ich dankbar. Neujahr 1941 Das neue Jahr. Heute in der Kirche: Gefühl, [M]{m}omentelang an Gottes Herzen zu ruhen. Bitte um Verzeihung, feste Zuversicht, niemals zweifeln. Innerlich also schön begonnen. Heute warm, Regen. Jetzt ein wenig Schnee. Alte Bücher gelesen. Das Gefüge des Lebens ist wunderbar. Geld. T i e f s t e E r k e n n t n i s . Wie hätte ich sonst so frei werden können? Dank für Gesundheit. Sonntag, 5. Jänner Seit gestern Schneefall. Schön warm im Zimmer. Dankbar. Heute bei der Kommunion Hingabe. Ich sah mich zu Füßen des Heilandes, in Tränen aufgelöst um Verzeihung flehend. Er sah mich liebreich an und sagte: Wahrlich, wahrlich, ich sage Dir, Deine Sünden sind Dir vergeben. Nie wirst Du über diese[m]{s} Glück vergessen. Ja, ich war restlos glücklich. Der Altar des hl. Josef von Kremser Schmide. Das liebe, süße Kind.51 Ich bete es an. Montag, 6. I. Ach, dieses Erlebnis in der Kirche! Ich sah mich gleich Maria, in Tränen aufgelöst die Füße netzend – und sah auf. Beim Bild des hl. Josef, oberhalb, groß wunderbar: Jesus, Maria die Füße trocknend. Ein Wunder! Nirgends gibt es ein solches Bild in der Kirche und gerade hier und heute!! Das Zeichen: Deine Sünden sind Dir vergeben! Dank, Dank. 51 Dabei handelt es sich um ein Bild des Jesuskindes vom österreichischen Barockmalers Martin Johann Schmidt (genannt Kremser Schmidt) in der Wiener Ägidikirche. Dieses taucht, umschrieben als „Kind“ oder „Kindlein“, auch in vielen folgenden Tagebuchaufträgen auf. Therese Lindenberg hat es in jener Zeit oft aufgesucht, um dort zu beten.

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9. Jänner 1941 Mein 26. Hochzeitstag. Im Wald. Oben auf der Exelberghöhe märchenhaft überzuckerte Bäume. {Mit Fr. Dr. S.}. Dank. Dank. Bist Du für mich so schön fr{s}agte ich zu einem Rauhreifbaum am Straßenrand. Er nickte. Rohrerhütte Mittagessen. Um 5h heim. Früher war das Skifahren, Waldgehen selbstverständlich. Ja, daran dachte ich. 12. Jänner Schon seit 5 Wochen kein Brief vom Kind. Manchmal lähmende, überstarke Sehnsucht. Es ist kalt und viel Schnee. 16. I. „Und er nahm den Kephas und den Jakob und den Johannes und fing an, traurig zu werden und gedrückt zu sein. Und er sprach zu ihnen: Es ist meine Seele betrübt bis zum Tode. Und er entfernte sich ein wenig und fiel auf sein Angesicht auf den Boden und betete, daß, wenn es möglich wäre, die Stunde an ihm vorbeiginge und sprach: Mein Vater, Du kannst alles, laß vorübergehen an mir diesen Kelch, aber nicht mein Wille geschehe, sondern der Deine.“ (Martens). Das las ich gestern wieder im Jung’schen Buch über Christus und war noch nie so erschüttert gewesen über diese Worte wie eben gestern. Heute Nacht schlief ich schlecht, weinte, bereute und flehte um Schutz für das Kind und um ein Wiedersehen. Es ist sehr kalt draußen, immer 5–8°. Der Krieg geht weiter und in mir formt sich ein Werk, ein Lebenswerk, das Gesetz des Lebens. Das Höchste, was man schaffen kann. Werde ich der Gnade teilhaftig werden? 19. I. Welche Rührung in der Kirche heute vor dem Bild des Jesukindes! Ich erwartete Brief, da gestern Stahr {Post} bekam. Wie eilte ich nach Hause, um nichts vorzufinden. Es ist sehr kalt. Heute 9° G{minus}. später: Ich las die Tagebücher aus den ersten Jahren meiner Ehe. O. Und am 2. II. 21 schrieb ich: „Ich bin vorgestern beim Haus vorbei.“ Lebt wohl Ihr Augen, Ihr schönen, blauen Ach, Ihr bereitet mir nur Schmerz, warum kann ich Euch nicht mehr schauen, denn an Euch hing mein ganzes Herz. Ja, und jetzt wohne ich so in der Nähe und gehe fast täglich beim Haus vorbei. Es ist mir aber nichts mehr.

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Aus den Büchern ersehe ich immer mehr meine Angst. Angst vor allem. Jetzt zur Wahrheit gehen. Das Gesetz des Lebens. 25. Jänner Morgen werden es 7 Wochen, daß Lisl schrieb. Heute wärmer, Vorfrühlingsahnen. Es taut und regnet. Der Mann krank, liegt seit 4 Tagen {eigentlich seit 16. I.}. 28{29}. Jänner Mann noch immer krank, aber schon besser. Viele Erkenntnisse. Heute: daß ich wieder zum Glauben zurückkehren konnte – ohne Leid wäre es nicht möglich gewesen. Bei Lisl ebenso. Dank, Hinneigen und Bitte um Schutz. Wie wohlgetan ist alles, was Er tut! 30. Jänner Am 21. April 1939 schrieb ich: „Siehe, mein Herz ist offen, ich vertraue Dir ewig.“ Ich war tief erschüttert, als ich das las. Vielleicht das schönste, das ich je geschrieben habe. Der Mann noch immer nicht gesund. Wohl auf, aber deprimiert, am Divan liegend. Es ist wieder kalt. -4°. Wenn ich wahr bin, ganz wahr, tiefste Einfachheit. Dann die Sprache eins mit dem Gefühl – schön. 2. Februar 1941 Ich las in einem alten Tagebuch die Briefe an Dr. A. Einfach schamlos. Pathologisch. Aber ich erinnere mich gut an alles. Es war da – ich wußte vor Gefühlsreichtum nicht aus noch ein. Für einen Psychologen ein Fressen. Unbefriedigtes Weibsein auch dabei. Eine Schar Kinder und Sorgen [wär]hätten dämpfend gewirkt. Arme Resl! Liebenswerte Resl! Und jetzt geht die Liebe zum Höchsten, zu dem, der mich schuf. Es ist also das Ziel erreicht. Über Stürme und viele, viele Irrwege. Und gerade zu Dr. A. hatte ich gesagt: Wie ist es, wenn man Christus liebt? Man hat ihn auch nicht. Gestern Weihnachtswunsch von Dr. Gomez. Und ich dachte schon, es wäre ein Brief vom Kind. 4. II.52 Es schneit, schneit. Heute bei Edith. Du bist nicht sehr tüchtig – aber Lisl.

52 Die Einträge bis zum 19. Februar 1941 sind in auffallend unregelmäßiger Schrift geschrieben.

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6. II. Vorgestern, gestern kolossaler Schneefall. Heute in Hetzendorf. Maxingpark. Mit Tränen begrüßte ich die Schneegebilde. S{M}it Schnee gehäufte kleine Tannen. Dann heim durch Schönbrunn. Violetter Schleier der untergehenden Sonne. Die Sonne groß, golden {über der Gloriette}. Mein Mann besser. Die Polenaktion. Gestern keine Tramway. Sonntag, 9. II. Gestern Philharmonisches. VII. Bruckner unter Furtwängler. Heute +17° in der Sonne, 10° im Schatten. Es taut. Kein Brief, heute 9 Wochen. Dienstag, 11. II. Heute einen Trupp Gefangener gesehen. Unauslöschlicher Eindruck. Sie kamen vom Spital. An der Spitze ein Kranker, geführt. Zwei französische Offiziere. Polen, Belgier. Samstag, 15. II. Vom Kind noch immer keine Nachricht. Morgen 10 Wochen. Vorgestern – der Parteimann. Abends tiefe Depression, Trauer, das Erlebnis mit dem Ring. Gestern wieder froher. später:53 Herr ich bin kleinmütig, denn ich verzweifle. Ich weiß, Du beschützt uns – und doch strömen die Tränen. O Herr, beschütze meinen Mann. am 19. Februar Tiefste Verzweiflung. Vielleicht Trennung von meinem Mann. Samstag, 22. II. Morgen 11 Wochen, daß Lisl schrieb. Die Polentransporte. Dienstag 18. bei Edith. Vom Rudolfinum kommend hörte ich das Flöten der Amseln in den Gärten. Wie wurde mir da weh ums Herz. 27. Februar Schweres Herz, schweres Herz. Vorgestern am Himmel, dann nach Sievering herunter. Wie ist mir da gewesen. Täglich, stündlich die Frage: Muß ich fort. Und alles betrachte ich mit abschiednehmenden Blicken {mit Mann}54. Heute das Bild zu Hilda getragen. In der Elektrischen streichelte ich es ungezählte Mal und ich weinte – wegen eines Bildes. 53 Eintrag in größerer Schrift geschrieben. 54 Mit Bleistift eingefügt.

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Ja und nun vielleicht daheim sein. Wie ein Alp. Das Schicksal, das ausgleichende. Mit nichts gekommen, leer gegangen. „Mein Herz ist offen, ich vertraue Dir ewig.“ Deine strafende Hand segnet mich. O, beschütze mein Kind und meinen Mann! 2. März 1941 Ein Brief vom Kind! Heute vor 12 Wochen war der letzte gekommen! Dank. Heute in der Kirche lächelte mir das Kind zu. Kindlein, Kindlein sagte ich. O, wie lächelte es in mein Herz! Dank! Die Tage seit dem 19. Februar. Schwer, schwer. Manchmal so erdrückend, daß ich glaubte, nicht mehr weiter zu können. Aber: Mein Herz ist offen, ich vertraue Dir ewig. Und ich wußte mich kleinmütig und bat um Verzeihung. Am 5. März Trennung vom Klavier. 6. März Die Sorge um den Mann wird immer größer und stärker. Ich bete. 9. März Jeden Tag denke ich: kommt heute die Karte? Ein Damoklesschwert. Gestern bei Hilda Hochzeitsfeier. Meine Seele weit weg. Bei den Kindern. Der Brief von Hans – mein Entzücken. 10. 2 Briefe vom Kind. Vom Haus. Wieder Wohnungssorge! 11. Tiefes Flehen für das Kommende. Mein Kind ist gesegnet. Bitte, heute tief innig. Vor 18 Jahren. Vorbei, vorbei. Wie muß ich für dies alles zahlen. Aber ich schrieb an Hans: Schön, schön, wenn man als Gold im Feuer gehärtet wird. am 15. März Ich habe das Bild vom Kindlein!!!! 18. März Heute Lisls Hochzeitstag. ½ Jahr. In Hetzendorf. Sonne. 29. März Heute auf der hohen Warte bei Hans’ Verwandten. Frühlingshaft die Gärten. Amselsang. 4. April Brunn a. Gebirge. Maria Enzersdorf.

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Sandrockgasse. Frühlingshafter Tag. Die Vögel sangen. Gestern im Rathauspark: {die Fliederknospen} fest grüßen und gestern Brief und Bild vom Kind. Welch schönes Paar! 9. April Gestern und heute sehr starker Schneefall. Tiefster Winter – so wie vor 18 Jahren. 10. April Es schneit. Heute daheim im warmen Zimmer. Schreiben, kramen, lesen. Ostersonntag, 13. IV. Heute unbeschreiblich andächtig vor dem Kindlein. Dachte an die hl. Monika, Mutter des hl. Augustinus. Ach, vielleicht eint mein Enkel. Gott segne, segne ihn, auf daß er gesund geboren werde. Am 9. bekam ich die Kassette, geschnitzt von einem Gefangenen im vorigen Krieg. Heimweh, Liebesweh scheint aus den Rosen herauszustrahlen, die in das Holz geschnitzt wurden. Die Briefe des Kindes sind darin verwahrt. Die Briefe als Frau. Am 11. die Uhr – welch schönes Geschenk! am 25. April Gestern um 2h Nachmittag verschied Tante Marianne. Ich war vo[m]{n} Samstag 19. bis gestern abends ununterbrochen von 9h früh bis ½ 9h abends bei Hilda, vorher vom 15.–18. bei Papa, da Mutter in Riedenthal weilte. Wenn ich in der Frühe {in} dieser Woche beim Schmerlingplatz einstieg, grüßten mich allenthalben rote und weiße Blüten. Ich schloß die Augen und sagte immer: Dank, Dank. Grüßt fest die Kinder von mir. Heute Regen, trüb. Ich bin endlich wieder daheim, kramte und nähte. Heute der Brief vom amerik. Konsulat. Freudiger Schreck, vielleicht doch zum Kinde fahren? 2. Mai Gestern im Häuschen.55 Am 27. und 29. Brief vom Kind. Schreck, weil sie wieder unwohl. Das ausgleichende Schicksal. Bitten, Flehen. Ganz darauf eingestellt sein. Am 28. Montag in Hetzendorf. Die Blütenpracht. Herrlicher Tag. Im Maxingpark die Birkenmutter mit ihren 7 Kindern. Im Hetzendorfer Schlosspark. Bei Frau B. Der Hund beißt mich in die Hand. Durch den Schönbrunnerpark, voll Sorge. Nicht viel sehen. Ausgleich für die Hymnusstimmung beim Hingehen. Und Mai ist. Ich

55 Das von Therese Lindenberg in diesen Jahren immer wieder aufgesuchte „Häuschen“ lag auf dem Schafberg, einem bewaldeten Hügel zwischen Neuwaldegg und Pötzleinsdorf, und bezeichnet das dort gelegene Gartenhäuschen der befreundeten Familie Ertl.

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denke an die Stunden im Zimmer des Kindes, den blühenden Pfirsichbaum und an den blühenden Kirschenbaum im Schlafzimmer in Hetzendorf. 6. Mai Heute im Konsulat. Merkwürdige Stimmung. Am 3. in Maria-Grün. Kalt. Durch die Hauptallee. Immer allein im Hymnus. Merkwürdig: Gern allein. Früher ewiges Suchen und Jammern: Seele meiner Seele, wo finde ich Dich? 10. Mai Gestern Ausflug mit Edith von Salmannsdorf. Hameau! Die Wiesen, smaragdgrün. Die blühenden Bäume. Ich war berauscht, verzaubert. Lange hat mich die Natur nicht so entzückt wie gestern. Und dabei {fast} Abschiedsstimmung. Werde ich dies nächstes Jahr noch sehen? Denke und dachte ich. Komme ich zum Kind? Zu Hans? Vor mir das liebe Bild der Kinder. Muttertag, 18. Mai Erst ein schöner, warmer Tag, vorgestern. Heute Regen, kühl. Ich war jetzt in der Oper „Die vier Grobiane“. Nett, freundlich. Aber vor einem Jahr war ich in Orpheus. Unvergesslich. Sphärenmusik. Samstag, 24. Mai Ein Brief von Lisl – aus Baguio.56 Seit 2 Tagen warm, schön. Mai. Sonntag, 25. Mai Sonntag, Sonnentag. Die Amseln flöten. Ich habe das Tagebuch von 31–34 durchgelesen. Fast scheint es mir, als hätte ich bestraft werden müssen, da ich um Dinge jaulte, die mir damals erstrebenswert dünkten. Dann die Wohnungssorgen von damals!! Ach, ich neige mich und kann nur bitten: verzeihe mir, verzeihe mir und nimm mich dennoch an Dein Herz. Montag, 26. Mai Ich war in Maria Enzersdorf. Heute vor 3 Jahren war ich ebenfalls dort gewesen. Wie betete ich für das Kind um Schutz und Stärke! Dann zu meinem Plätzchen! Und dann im Maiengrün nach Gießhübl! Dort schrieb ich dem Kind […] ich schon auf meinem Plätzchen begonnen hatte.

56 Baguio (City) liegt im Norden der phillipinischen Hauptinsel Luzon.

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[Brief]

am 26. Mai in Lang{Maria} Enzersdorf Meine geliebten Kinder, ein wunderbarer Maitag. Ich sitze auf dem Fleckchen, wo ich genau vor 3 Jahren an demselben Tag weilte. Ruhe. Süße, prangende, blühende Welt um mich. Ich bin voll Dankbarkeit. Der Flieder blüht wie nie, die Kastanienkerzen leuchteten ernst. Im vergangenen Sommer war ich da gewesen und lag unter der Föhre unter der ich jetzt sitze. Nur so ein kleines Plätzchen, meinte ich, genügt mir zur Freude. Ich überdenke alles. Ich schaue zum Himmel. Schäfchenwolken tänzeln über ihn hin. O, der Übermut! Wie werden sie von den dunklen Wolken bald verschlungen sein! Aber köstlicher Regen quillt aus ihnen. Ewig dasselbe vor mir, in sanfter Rundung geborgen, Weingärten. Die Luft zittert vor Gesegnetsein. Ich häng im Kreuzgang des Klosters eine {kleine} Reproduktion der Verkündigung von Fra Angelico auf. Dieselbe, die ich beilege und von der ich hoffe, daß sie ankommt. Verkündigung! Gesegnetsein. Und so denke ich, daß die Ströme meiner Wünsche und Bitten zu Deinen Wünschen, Liserle, sich gesellen. Und dann – Kind – ich wünschte tief und so stark, wie ich es nicht auszusprechen vermag, daß Du recht ruhig und sachte werdest. Dir und Hans zur Freude. An Hans dachte ich ganz still, voll tiefer Freude. Bei Dir wird mein Denken, Kind, Leidenschaft, Weh, Glück. Immer ist mein schmerzendes Herzblut dabei. Ich denke, wie ich vor 3 Jahren an demselben Tag mit meinen Bitten das Schicksal bestürmte. Und es kam so anders. Wären meine Bitten, Dich und Lerli betreffend, erfüllt worden – welch Verhängnis! Aber Dir wollte ich Trennung und Weh erspart wissen. Immer weiß ich mich auf den Spuren des menschlichen Lebensgesetzes – aber bei Dir: Die Mutter, die schützen will, die bin ich immer. Jetzt lege ich mich ins Gras, werde in den Himmel schauen und an Euch denken, meine geliebten Kinder. Ich lege den Brief ins Gras, der Heimat Duft und Strom möge Euch grüßen. später: Nun bin ich in Gießhübel. Erinnerst Du Dich an unseren Ausflug mit Paul? Du sangest. „Das hat Deine Schönheit gemacht, die hat mich zum Lieben gebracht mit großem Verlangen.“ Ehe ich vom Platzerl in Enzersdorf wegging, beim Liegen im Gras, beim Schauen in den Himmel, machte ich nachfolgendes Sonett, das ich ununterbrochen beim Heraufgehen memorierte, damit ich es nicht vergäße. An Lisl Erlösung wird gewiß der tiefsten Schuld, so sann ich hier vor Jahren, leidgetroffen. Und doch {so}57 zog in mein Herz ein zartes Hoffen. {Deshalb} 58 die Weltraumstimme sprach: o hab Geduld!

57 Mit Bleistift eingefügt. 58 Mit anderer Tinte eingefügt.

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Ich hab bei Gott um Deinen Schutz gebuhlt, ich stürmt sein Herz und – einmal war es offen! Da sank ich hin vor Glück wie blitzgetroffen. Er nahm mich […] [...] {still an sich} 59 in seiner Huld. Nun geh’ ich sachte übers Lebensfeld und schau um mich und ordne meinen Sinn. Oft, wenn ich dann {oft} 60 ein wenig ängstlich bin, da ist es mir, als ob mich sanft {sanft} {nur} ein Finger hält der Hand, die alles faßt, die ganze Welt und mich durch Schluchten führt zu Euch dahin. Jetzt sitze ich auf einem Wiesenrande, der mit Gänseblümchen übersät ist. Vor mir die Hügelabhänge des Höllensteines im zarten Jungwaldgrün. Dahinter die schwarzen Föhrenwälder. Es ist 1h Mittag. Pan geht durch die Flur. Aber die Vögel singen. Ihr Tag ist kurz. Die Gänseblümchen umdrängen mich. Wie schüchtern sie mich ansehen! Und ihre Augen so leuchtend, so rein, wie Kindesaugen. Vielleicht ist heute für Dich ein bedeutsamer Tag. Immer war dies so, wenn ich feiern ging. Wie friedlich ist die Welt um mich. Ganz versinke ich in Frieden und Ruhe. Wie eine Oase wird mir dieser Tag in der nächsten Zeit sein scheinen. Maikäfer fliegen. Und die Wolken gehen gegen Osten zu Euch, meine herzgeliebten Kinder mit Grüßen, Grüßen, Grüßen von Eurer Mutti Um 2h von dort weg. Abschiednehmen mit meinen ganzen Sinnen. Mit dem Auto nach Petersdorf. Dann Hetzendorf {Hetzendorfer Park} zur Frau B. Und dann durch Schönbrunn. Das schöne Kind. Maiandacht. Die Predigt. Pfingstmontag, 2. Juni Strahlender Tag. Gestern im Häuschen {mit Mann}61 bei Hilda. Später bei Seher. Die Aussicht. Sonne im Verscheiden. Hügel, Wald. Am 30. Freitag in Maria-Grün. Dem Kinde geschrieben. Das goldene Sonnenlicht zwischen den Praterbäumen. 6. Juni Heute nachm. das erste Mal Regen, seit Tagen die erste Abkühlung. Am Pfingstsonntag das Buch Die wunderbare Macht von Lloyd C. Douglas angefangen, heute beendet. Unauslöschlicher Eindruck, direkt richtunggebend.

59 „an sich“ mit anderer Tinte eingefügt. 60 Mit anderer Tinte eingefügt. 61 Mit Bleistift eingefügt.

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10. Juni Gestern in Hetzendorf gewesen. Im Maxingpark gesessen. Auf der Bank wo ich oft mit Strunz gesessen. Intensiv daran gedacht. Vögelsingen. Die Bäume. Der Brief vom Kind. Kein Enkel {noch}. 13. Juni Gestern Ausflug nach Pötzleinsdorf. Es war so herrlich. In einer Blumenwiese gelegen. Dank. Aula. Ich fand das Messer. 17. Juni In Lang-Enzersdorf. Trüb, Regen. Aber die Blumen, der Garten! Den Rhododendronstrauch streichelte ich und bot ihm auf: Grüße, Grüße! 18. Juni Hochzeitstag von Lisl. 9 Monate. Blumen vor ihren Bildern – Pfingstrosen, Jasmin. Nachmittag mit Edith und deren Mutter nach Salmannsdorf. Von dort übers Hameau zu der Wiese wo Träume Wahrheit wurden. Es war unbeschreiblich schön. Hinterm Hameau sitzen und auf die Waldlinien am Horizont schauen. 20. Juni Noch kein Enkelkind. Buße. Ich neige mich tief in schuldbewußtem Schweigen. Bitte um Kraft und endliche Erhörung. Julius Sturm: Über Nacht / kommt still das Leid und bist Du erwacht, o traurige Zeit, Du grüßest den dämmernden Morgen mit Weinen und mit Sorgen. Über Nacht kommt still das Glück und bist Du erwacht o selig Geschick, der düstre Traum ist zerronnen und Freude ist gewonnen! Über Nacht kommt Freud und Leid und eh Du’s gedacht verlassen Dich beide

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und gehen dem Herrn zu sagen, wie Du sie getragen. 24. Juni Ganz herrlicher Tag gestern. In Maria Enzersdorf. Das Bild weg. Dann auf „meinen Platz“. Hernach zum Liechtenstein. Der Wald! Unter einer Linde gesessen. Am Cobenzl auf das südliche Wien geschaut. Mödling, Wildgansvilla. Soviel wild blühende {Hecken}Rosen habe ich noch nie gesehen. Donnerstag, 26. Juni Vorfeier zu Mutters 70. Geburtstag. So schön, gut und klug ist sie. Sehr heißer Tag, wie überhaupt die letzten Tage heiß waren. Nachmittag Gewitter, abends Konzert im Stephansdom. Schön, stimmungsvoll. Sonntag, 29. VI. Heute im Häuschen. Kühl, manchmal Regen. Schön, dankbar. Oft lese ich jetzt in meinen alten Tagebüchern. Ich schäme mich meiner „Sorgen“, die ich hatte. 1. Juli Gestern in Aida. Schöne Aufführung. Ich dachte zurück – vor 20–30 Jahren! […] 4. Juli Heute herrlicher Ausflug auf den Anninger. {mit Goldmann und Freunden}62 ½ 10h ab Mödling. Über das Prießnitztal hinauf zum Anninger. Wilhelmswarte. Herrlicher Weg. Die Sonne, nicht sehr heiß, um ½ 1h oben. Gerade unter die 3 Föhren gelegt, begann es einregnen. Ein kurzer Guß nur. Dann unten bei der Warte trocknen. Herrliche Straße! Bezaubert vom Wald, Blumen und Wolken. Dann Grenzweg! Ich habe meine Augen direkt hineingestoßen in diesen herrlichen Weg, der wie ein gekiester Parkweg ist. Zum Husarentempel. Wieder den Kiesweg/Grenzweg zurück, zur Straße und dann Krauste Linde, Breite Föhre, Goldene Stiege. Ich war sehr müde, aber es war so schön! [s] {S}o schön gewesen! 5. Juli Auseinandersetzung mit Edith vor ihrer Abreise. Ohne shorts kann man nicht sein. Mir wurde bang.

62 Mit Bleistift eingefügt.

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10. Juli Es regnet jeden Tag. Aber nur wenig; immer Gewitterregen. Die Wohnung. Also wieder wandern. Gestern im Kino: Der Weg ins Freie. Die Wochenschau von den Kämpfen im Osten!!! 14. [Aug]{Juli} Heute sehr heiß, seit 2 Tagen. 17. Juli Gestern starker Wolkenbruch, heute kühl. 19. Gestern bei Hilda. Oxfordbewegung. Wunder. Heute Maria-Grün. Golden-grünes sanftes Sonnenlicht. Herrlich. 20., Sonntag Es ist nicht heiß, angenehm. Ich schreibe dem Kinde. Ab und zu ein Duft von Blumen und den Bäumen. Gestern die Praterbäume. Wunderbar. Mein Lieblingsbaum: die Pappel – ihr Zittern gleicht dem meines Herzens. {21. Hetzendorf. Der Park!} Rekawinkel, 24. VII. 63 Auf der Bank vom Bahnhof. Im Walde. Vor 7 Jahren bin ich hier gesessen!!! Wie grüßte ich die Bäume als ich ausstieg und nun den Weg gehe, den lieben, alten. Ich war nicht undankbar, sagte ich, ich habe Euch Bäume so geliebt, die Gegend – aber die Menschen! Die waren Last gewesen. Beide sind aber tief bestraft geworden. Auf dem Balkon bei der Fichte.64 Wieder in einen Wald schauen. Hügel um mich, vor mir. Dankbar, dankbar. Und ich denke an die Zeit, in der das Kind hier herumgegangen ist. Die Bäume, die Wiesen. Grillen zirpen. 26. VII. Gestern in Lang-Enzersdorf, heute bei Hilda am Schafberg. Herrliche, regenlose 2 Sonnentage. 63 Eintrag zunächst in ungewöhnlich unregelmäßiger Schrift geschrieben. 64 Eintrag ab hier wieder gleichmäßiger geschrieben.

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Preiner Gschaid, Mittwoch, 30. Aug{Juli}1941 Nun bin ich wieder da!!! Unbeschreiblich glücklich und dankbar. Mit dem Schnellzug (wie lange schon bin ich in keinem Schnellzug gefahren) um ¾ 12h weg, ½ 2h in Payerbach. Mit dem Taxi zum Hotel Preinerwandhotel. Dann in 50 Minuten zum Preiner Gschaid. Kühl, wunderbar zu gehen. Danken, grüßen! Waxriegelhaus, 31. Juli Die Nacht nicht so gut. Ich schlief ein und eine Stimme sagte vorher: Du ruhst an meinem Herzen. Tränen der Dankbarkeit. Janthe schlief schlecht. Sie muß noch herunter steigen auf der Straße des Lebens. Gestern um 4h weg vom Preiner Gschaid, um ½ 6h im Waxriegelhaus. Ein Umweg zur letzten Serpentine. Ich streichelte Blumen und Moos. Heute vorm. zum Göbl-Kühnsteig. Die Blumen! Eine Parade von Glockenblumen auf dem unvergeßlichen Wiesenplatz neben dem Haus. Nachm. Erdbeer. Freitag, 1. August, 6h früh. Der Himmelsdom so blank, es ist ganz festlich die Blumenaugen all auf mich gerichtet auf einem Platz vom Morgen sanft umlichtet steh ich, der Wind grüßt leise westlich. Und jetzt kommt Sie herauf, so selbstverständlich, so unbekümmert scheint’s und doch gewichtet von ewigen Gesetzen. Wie vernichtet kniet’ ich mich nieder. Wunderherrlich tröstlich erklingt der Glockenblumen süß Geläute. Ich heb’ die Augen als Monstranz empor darinnen ruht die Scheibe meiner Seele Und es strahlt Segen über jede Stelle es tönt’ ein nie Gehörter Weltraumchor. Ich weiß nun, was das ganze Sein bedeute. Am Ludwigshaus (5mal). Um 9h hinauf, um ½ 11h oben. Aussicht herrlich, um ¼ 12h weg, ¼ 1h daheim. Dankbar.

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später:65 Singe, o Göttin das Lob der goldlockigen Köchin Josefa und ihr aber vor allem des Waxriegelhauses still schaltenden Herr{scherin}. [Kremsl], so wird sie im Leben genannt, doch wahrlich im künftigen Dasein als weise waltende Hausfrau des Himmels erkoren. Jetzt laßt uns nur eine genossene Mahlzeit verherrlichen, jene am Freitag den 1. August, anno Domini vierzigundeins: Die köstliche Suppe aus Schwämmen des herrlichen Waldes, so würzig mit allen Gemüsen, sei kurz nur erwähnt. Doch länger laßt mich bei dem leckeren Fische verweilen, der schneeig in weiß, mit Butter sanft goldig gebräunt, von grünem Salate und knusprig gebratenen Kartoffeln umkränzt, den Magen in lautes Entzücken versetzte. Dazu des holdselig errötenden Himbeersafts prickelnde Süße. Es schien wohl des Guten zuviel! Doch wahrlich, es kam noch die Großüberraschung! Marillenknödel! In flaumiger Hülle, kartoffelgeteigt in richtiger Größe und zierlich gerundet, der göttliche Apfel der Venus, die goldne Marille, mit blondzuckrigen Bröseln bestreut, von Frau Gräbeck, der guten, so würdig kredenzt. Fürwahr für die Ertl’s, Frau Wahig und Lindenberg. Unvergeßlich das Mahl! Ich sitze auf der Blumenwiese vorm Hause. Wald und Himmel grüßt mich. Ich neige mich tief, tief. abends: Mond. Der Gang zum Göbl-Kühnsteig. Unwahrscheinlich klarer, königsblauer Himmel. Samstag, 2. August Man nimmt sich zu wichtig. Nachmittag: Ich liege im Liegestuhl und bin allein. Ich schaue, schaue. So wie im Vorjahr. Ich präge mir alles ein. Ich bin sehr froh und vor allem tief, tief dankbar. Ich lebe jetzt fast nur in Erinnerungen. Vormittag Erdbeerensuchen. Nachm. Liegestuhlliegen (das Schönste) und schauen. Hernach Griesleitenweg. Märchenwald mit Dornröschenhecke. Sonntag, 3. VIII. Um 8h weg, ¼ 11h bei der Seehütte. Über Göbl-Kühnsteig. Durch einen Blumenflor gehen. Um 11h weg, 12 Uhr daheim. Nachm. Liegestuhlliegen. Abends um 5h wieder den Göbl-Kühnsteig um den verlorenen Schraubenzieher. Hl. Antonius.

65 Schrift dieses Eintrags ab hier klein und regelmäßig.

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Montag, 4. VIII. Schlechte Nacht. Blitz auf Blitz ohne Donner. Ein wenig geärgert wegen behaupteter Schlaflosigkeit. Strahlender Morgen. Auf der Wiese liegen, dann hereingehen, kalt, trüb, es regnet. Dienstag, 5. VIII. Früh, trüb, ein wenig stürmisch, aber doch Erdbeersuchen. Herrlicher Wald, blaue Markierung. Nachmittag Liegestuhl. Schreiben, schauen! Mittwoch, 6. VIII. Es stürmt, es schneit. Stopfen, Kartenspielen. Abends heitert es sich aus. Donnerstag, 7. Wohl noch Sturm, aber Sonne. Janthe, Tommi, Sandor und noch ein Gast überm Gretchensteig. Hilda und ich zur Reistalerhütte. Heim, angenehmes Plaudern. Nachmittags schreiben, ein wenig vors Haus schauen. Kühl. Freitag, 8. Strahlender Sonnenaufgang. Mit Janthe in Zimmer bis ½ 10h plaudern. Ihr helfen wollen. Wie das jetzt ist, daß ich die Menschen so durchschaue. Keiner will zurücktreten – nur die Armen, deshalb hat Christus sie geliebt. Erdbeerensuchen. Nachmittags Liegestuhl. Schreiben. Abends auf dem „Elfentanzplatz“. Samstag, 9. Früh Muth getroffen. Mit ihnen ein Stück Göbl-Kühnsteig gegangen. Das süße Kind. Ein Mund so reizend, wie ich ihn noch nie sah. An Lisl gedacht. Herzweh. Hätte ich doch die Bequemlichkeit überwunden und ein zweites Kind gehabt! Es ist wechselndes Wetter. Trüb, Sonne. Manchmal finde ich beide Frauen streng und unerbittlich. Sonntag, 10. Trüb, aber doch ab und zu Sonne. Zum Gschaid. Dann von dort den herrlichen, unvergeßlichen Weg zur Reistalerhütte. Das Moos! Der Weg durch den Tann, mit{von} Erlen besäumt. Der Heckenrosenbusch! Ich sah ein Plätzchen und prägte es mir ein. Grünes Moos, {von} Christbäumen im Oval umstanden. Dann die Matte vorm Haus mit den großen, schönen Bäumen. Nachmittag kühl. Schreiben, lesen Kartenspielen. {Abends zur Elfenwiese. Knien. Bitte um Schutz für das Kind.} Montag, 11. Früh Sonne. Dann trüb. Janthe, Tommi, Steige machen. Ein wenig Schwämme suchen gehen. Es beginnt zu regnen. Zurück. Nachmittag Sonne, im Liegestuhl. Abschied neh-

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mend alles umfassen. Nach der Jause den blauen Steig, um Schwämme zu suchen. Wir überstiegen einen Zaun, und am Waldesrand eine Schwammerlplatz. Und meine Augen schweiften und tranken. Märchenwiese. Elfenweg. Dienstag, 12. Die Nacht Bauchkrämpfe, schlaflos. In der Frühe laufen. Ganz schwach. Der Rucksack ist schwer. Abschied. Wieder über den Elfenweg, Abschied von der Glockenblumenwiese. Strahlender Tag. Gölbl-Kühnsteig. Vor der letzten Serpentine ganz elend. Ich breche zusammen. Grün im Gesicht. Ich labe mich, lege mich hin. Es wird besser. Beraten, ob zurückgehen. Wir gehen weiter. Ich ohne Rucksack. Um 11h bei der Seehütte. In einer schwachen Stunde beim Ottohaus. Das Plateau eintönig, aber wunderbare Fernsicht. Im Ottohaus ¼ 1h, großer Betrieb. Ich nehme den Rucksack. Bis zur Bahnstation der Seilbahn. Es wird trüb, gewittrig. Wir wollen uns lagern. Immer drohender das Wetter. Wir beschließen hinunter zu fahren. Wir stellen uns an: „Was geht das Dich an, Therese?“ Dafür muß ich manches einstecken, dachte ich, weil mir soviel geschenkt wurde. Herunterfahren mit der Seilbahn. Drückende Luft, ich kann kaum atmen; beim Aussteigen. Fahrt von Hirschwang bis ReichenauPayerbach. Ein D-Zug fährt ein und wir heim. Wieder daheim. Freude des Mannes! Mittwoch, 13. Ich war also genau 14 Tage weg. Ich denke an die Blumen, an die Wälder und vor allem an den Fleck am Weg zur Reißtalerhütte, da ich mich umwandte und ihn mir tief ins Gedächtnis prägte. Wie sehnte ich mich {einst} krank nach Gesellschaft und Verständnis und wie gerne bin ich allein. Eins schließt immer das andere in sich. Und nun wieder daheim. Arbeit, aber gerne. Alles lieb. Vom Kinde keine Nachricht. Heute Nachmittag lag ich ein wenig, um zu ruhen. Welche Vision! Er nahm mich bei der Hand und sagte: Wahrlich, Du hast eine Aufgabe: zu versöhnen. Ich habe Dich dazu erwählet: Wann, Herr? Warte noch. Heiße Tränen entströmten meinen Augen. Und ich fühlte Seine Hand, Seinen Segen. Freitag, 15. Vorgestern, gestern trüb, heute strahlender, selten schöner Tag. Sehr warm, aber nicht zu heiß. Lüftchen, durchsichtige Luft. Gestern am Heimweg von Spitz: die Silhouetten der Türme, die Farben. Welch schöne Stadt!! Samstag, 17{16}. Wolkenlos strahlender Tag.

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6 ½ Stunden bei der Maschine. Dann zu Frau B. in der Fugbachg. Also vorbei an Hetzendorf. Welch herrliche Stunden waren dies gewesen. Sonntag, 17. Früh schön, aber schon Wind und Wolken. Jetzt Nachmittag trüb, regnerisch, grau. So wie ich es in der Stadt eigentlich liebe. Dienstag, 19. Sehr heiß. Heute vor einer Woche heim. Die ganze Zeit heiß, schön. Gestern bei Carl. Heute im kunsthistorischen Museum. Freitag, 22. {Gestern in Hetzendorf. Frau B. nicht mehr dort. Der Schönbrunnerpark. Der Hetzendorfer Schloßpark!!} Heute in Lourdes. Mit Emma und Tante Fanny. Herrlich. Der Wald! Dort 10h oberhalb der Grotte am Weg nach Andrä-Wördern ein Wald-Dom. Ganz wunderbar. Von Gugging bis Klosterneuburg gegangen. Diese Grüne unterhalb des Haschhofes, wie ich es{sie} noch nie sah. Montag, 25. Wie einst. Zusammenbruch wegen Geld. Unheiliger Zustand. Ich weinte – wie einst, weil ich mich schuldig fühlte. Dienstag, 26. Vorm Kindlein. Ich weinte, aber unselig. Ich schreibe viel und es sind {seit} Donnerstag sehr schöne Tage. Wohnungsfrage akut. Man stumpft ab. Draußen die Menschen. 3. September Gestern: 28 Jahre, daß ich meinen Mann kennen lernte. Heute in Pötzleinsdorf {mit Frau B.}{ergm.}66. Ging die Straße, jene am 1. Mai 1923, in der Nacht. Die weiße Straße. Sonntag, 7. September Bin ganz eingesponnen in die ägyptische Reise.67

66 „ergm.“ wurde in die Einfügung „mit Frau B.“ mit königsblauer Tinte nachgetragen. 67 Therese Lindenberg bezieht sich hier auf die Reisetagebücher von Anna Maria Mayerhofer, einer alten Tante ihrer Freundin Hilda Ertl, die im Tagebuch als „Tante Marianne“ aufscheint. In der Zeit ihrer Pflege schrieb sie die Reisetagebücher dieser Frau zu zwei in den Jahren 1909 bis 1911 unternommenen Ägyptenreisen ab.

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Montag, 8. Sept. Im Maurer Wald. Laab. Kalksburg {mit meinem Mann}68. Stelzer. Bei laubenartigem Weg. Ununterbrochen dachte ich an das Kind. Morgen werden es 13 Wochen, daß ich keine Post habe. Wo Gott, da ist keine Not. Freitag, 12. Sept. Heute die Verordnung.69 Mir war recht schwer. Ich wollte hoch steigen. Dankbar doch, nein, nicht doch, dankbar für alles und Bitte: Schutz, Segen für mein Glück, mein Kind. Vorher ein wenig deprimiert, momentelang das Gefühl: Er läßt die Hand von mir. O nein. Er läßt sie nicht. Ich werde später erkennen, warum das alles. Montag, 14. Sept. Vo m K i n d e i n B r i e f ! ! Dank! Ich zittere um das Werdende! Tiefe Bitte. Mittwoch, 17. September Herrlicher Tag! Herrlich an Sonne, herrlich an Schauen! Nach Perchtoldsdorf. Den Weg nach Kaltenleutgeben. Kugelwiese. Waldandacht Predigtstuhl! Die Aussicht, das sanfte Licht. Die Bäume, die Bäume sahen mir ehrlich in mein Herz. So schön, so schön. Der eine Mann, G., bißchen unleidlich wegen seiner vielen Zeigerei – aber was schadet das! Danken, Danken! Am nackten Sattel in der Sonne liegen. Auf Gießhübel, den Fleck schauend, wo ich im Mai gesessen. Dann ein selten schöner Weg durch das „Jagdrevier“. Hinterbrühl. Mödling. Parkstraße, die schönen Villen. Sehnsucht. Ja, so ist’s, wenn man die Welt stürmen will und nicht viel leistet. Gestern unangenehme Auseinandersetzung wegen Geld. Bächer. Aber unentwegt denke ich an das Kind. Lisls Hochzeitstag, Donnerstag, 18. Sept. Trüber Tag. Nach Lourdes mit der Mutter. Tränen. Beichte. Hingabe wie nie bei der Kommunion. Die Tränen fallen auf die Steine. Bitte, Bitte. Ich schloß die Augen. Intensivstes Danken. Es war, als ob ich das Kind sähe. In einem blauen Kleid. Reue. Ich war ganz aufgelöst. Die Grüne, die Bäume. {Ich durfte Ihn sehen. Er sagte: Seht. Und ließ alle Engel musizieren.} Dann durch Beethovengasse zur Edith. Abends nähte ich den Stern an meines Mannes Brust. Ich werde vielleicht davon einmal meinen {Enkel}Kindern erzählen.

68 Mit Bleistift eingefügt. 69 Gemeint ist hier die Polizeiverordnung vom 1. September 1941, der zufolge alle Juden und Jüdinnen (gemäß NS-Rassegesetzen), die älter als 6 Jahre waren, ab dem 19. September desselben Jahres „auf der linken Brustseite der Kleidung“ und „fest angenäht“ den „Judenstern“ zu tragen hatten.

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Montag, 23. Mittagessen im Maxingpark. Hetzendorf. Für lange. Pan, ging durch die Welt. Vorbei, vorbei. [Brief]

Wien, 27. IX. Lieber C, es wird mir so warm und gut in der Herzgrube, wenn ich mich Deiner erinnere, Deiner Freundlichkeit und Güte gedenke. Ich bin darüber wirklich stolz und glücklich, und weiß ich doch, wie wenig Menschen Du auserwählst, die Du magst. Und dann, mir hast Du Deine Werke gezeigt. Welche Umkehrung! Ich habe Dir (überheblich) Freude machen wollen und jetzt warst Du es, der mich mit Freuden und Schönheit so reich beschenkte, daß ich noch lange davon zehren werde. Du bist nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich sehr lärmempfindlich und deshalb war und bin ich immer so ängstlich, Dich zu irritieren; doch beruhige ich mich gleich denn ich bin sicher, daß Du den richtigen Gleichklang sofort hörst und auch die Quelle, wenn sie gleich in Dir und mir rinnt. Freilich, Du bist ein breiter, stolzer Strom, reich, groß, mächtig – und ich ein kleines unscheinbar sprudelndes Bacherl; aber das Bacherl kann fröhlich sein und der Strom nur ernst und erhaben, doch macht es ihm nichts sehr viel, wenn das Bacherl munter plaudert und immer dabei auf ihrer {beider} Ursprung zurückkommt. Und noch etwas: Niemand aus der ganzen Verwandtschaft 70 hat Großmutters Blick. Nur Du. Manchmal hat mir schon der Atem ausgesetzt, wenn Du mich anschautest, denn sie sah mich an, die mir alles auf der Welt war: Eltern, Heim und vor allem die Zuflucht meines Herzens. Niemand hat so wie sie um die Untiefen des Herzens gewußt und sie ist es, die mich beschützt, segnet, die mir zuredet; sie ist mir Mittlerin zum Weltraum und zum Gesetz des Alls. Durch sie weiß ich es, daß man nicht stirbt, ihr verdanke ich die Lauterkeit, die Freude und vor allem das Verstehen und restlose Verzeihen. Und vielleicht ist es ihr Werk, daß Dich hieß, mich kommen zu lassen, damit ich wieder äußerliche Verbindung mit ihr hätte und wie gerne hätte ich {Dich} umarmt, um sie wieder zu fühlen. Du verstehst mich wohl. Ich bin fast 50 Jahre und eine Backfischschwärmerei stünde mir übel. Auch ist es etwas Lautes, das ich sagte und vielleicht wäre es besser gewesen dies ungesagt zu lassen. Nun steht es aber da. Gewiß wollte sie es so, daß ich es sagte. Ich war viele Jahre bei ihr gewesen und alles, was ich bin, bin ich durch sie, durch ihr Beispiel. Auch sie hatte es schwer, ganz schwer; aber alles wurde ihr immer leicht und nie und nie hatte ich von ihr ein unmutiges Wort gehört. Sie war immer gut, immer fröhlich und die Elastizität ihres Seins kannte keine Grenzen. Bei ihr war ich ganz zu Hause gewesen, vor ihrem Herzen konnte ich meine Seele ausbreiten und alles hatte darinnen Platz, Gutes und Böses, sie war mir Allmutter. Und vielleicht ist es auch deshalb so schön zu wissen, daß Du bist. TL

70 Zwei Worte verwischt.

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Sonntag, 28. IX. Tantes 95. Geburtstag. Heute vor 3 Jahren dem Tage nach Lisl’s Abreise, dem Datum nach, vor dem Telefonhäuschen. Es ist ein trüber Tag, aber die Luft süß und frisch und ich bin so glücklich, daß ich schreiben kann. 2. Oktober {2. VIII. 35, 26. V. 38, 13. XI. 39, 15. VII. 40, 9. XII. 40, 4. IV. 41, 26. V. 41, 24. VI. 41, 2. X. 41, 19. I. 42, 26. V. 42, 20. VII. 42, 27. VIII. 42, 10. IX. 42, 2. X. 42, 19. XI. 42.}71 Heute ist Lisl 3 Jahre weg. Ich war in Maria Enzersdorf. Und dann herrliche Wanderung auf meinen Platz, Gießhübl, Hinterbrühl. Dort saß ich auf einer Bank und sah in die Sonne. Tiefste Stille. Sodann durch die Klausen, Vorderbrühl Mödling: Früh trüb, grau, dann blauer Himmel, Wärme. Die Föhren. 2 Briefe vom Kind, wohl vom Juni, Juli. Unerhörte Ähnlichkeit mit Hans, schreibt sie, {und} meiner Mutter. 6. Oktober Heute die Karte für den Transport für Ada und die Schwester vom Herrn F. Wie ein Schlag. Der Mann sah furchtbar elend aus. In der Schottenkirche. Die Tafel ist schon da. Zur Kapelle Judas Thaddäus. Das Wunder. Ich konnte noch hinein, Altargitter offen und ich flehte kurz aber tief aus meinem weinenden Herzen heraus. Montag, 13. X. Ich war vom 8. bis heute bei den Eltern, die Mutter war weggefahren gewesen. O diese Atmosphäre bei dem alten Mann! Sie war aber immer so. lieblos, egoistisch, ich kenne keinen kälteren, egoistischeren Menschen. Und doch muß ich ihm dankbar sein. Kummer. Der Abschied von Onkel Bernhard. Nun bin ich wieder daheim in meiner Atmosphäre. Sonntag, 19. Viele Freunde verlassen uns. Manchesmal ganz schweres Herz, aber beim Denken an schöne Stunden leichter. Mittwoch, 29. Um 1h nach Pötzleinsdorf.

71 Die Auflistung ist in enger Schrift unter der Datumsangabe, rechts, seitlich vom Eintrag eingefügt. Wahrscheinlich sind hier Wallfahrten Therese Lindenbergs nach Maria Enzersdorf in Niedersöterreich vermerkt; im Laufe des Krieges besuchte sie diesen Wallfahrtsort zunehmend häufiger.

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Es regnet. Neben dem Park. Der sanfte Schwung der Wiese, das Grün! Bezaubert. Dann den Weg zur Ladenburghöhe. Der Blick in den märchenhaft gefärbten Wald. Eingeprägt. Und oben auf der Höhe die Sonne! Ich schaute zum Kahlenberg hinüber. Der Wald brannte unvergesslich. Zum Kirch­lein in Pötzleinsdorf. Denken, Denken an das Kind. Dieses Alleingehen mir so lieb. Und einst wollte ich nur zu zweit sein. Lisls Geburtstag Es regnet. Um ½ 8h Maria-Grün. Verschlossen. Die stummen, feierlichen Bäume, die schönen Vögel. Dann über Laub durch die ganze Hauptallee zur Rustenschacherallee. Auch keine Messe mehr. Zur Johanniskirche. Und endlich – mein Wunsch erfüllt: Kommunion in der Stephanskirche. Das süße Kinderbildnis ober dem Altar. Abends kam ich heim. Die Karte wegen der Wohnung. Freitag, 31. Oktober Es schneite. So wie im Vorjahr. Ins Rotschildpalais. Dann zu Gildemeester.72 Am 25. November müssen wir die Wohnung räumen. Mein Traum vor Monaten: Du mußt am 1. Dezember ausziehen. Sonntag, 9. XI. Es ist jetzt manchmal ganz schwer. Die letzte Woche. Mittwoch, 13., Donnerstag 14. Gestern und diese zwei Tage, so schwer. Noch keine Wohnung. Samstag, 15. Schiffgasse. In der Kapelle Thaddäus: Besser ein Loch und gesund, als krank im Palast. Erkenntnis. Ich werde zur Wahrheit erzogen. Sonntag, 16. Frau Brandl beleidigt mich schwer. Aber ich gehe in mich und sage: Wieder Erziehung. Erziehung zum Schweigen. Noch keine Wohnung. Nur mehr eine Woche hier. Mittwoch, 19. Lisls Namenstag. Kirche, Bitte.

72 Zur „Aktion Gildemeester“ vgl. Anm. 14.

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Und daheim kam ein Brief vom Kind. Das Kommende bewegte sich – am {Freitag} 5. September zum 1. Mal. Wir übersiedeln am Dienstag in die II. Große Schiffgasse 21. Samstag, 22. Vorgestern, gestern ganz schwer. Doch leises Klopfen: „Hab Geduld.“ Heute mit dem Reisetagebuch fertig geworden. Seit Mai arbeite ich daran.73 Dienstag, 25. Nov. Wir übersiedeln. Freitag, 28. 3 Tage Arbeit. Verzweiflung wegen des Zustandes der Wohnung. Aber die neuen Erkennt­ nisse können nur schwer erkauft werden. Viel Dank darob. Montag, 8. Dezember Krieg beim Kind. Dienstag, 9. Nun kann ich nicht mehr schreiben. Ich weinte gegen den Himmel. „Vertraust Du mir nicht?“ strahlte es herab zu mir. Da wurde ich stumm und stammelte [nur]: „Verzeihe mir, ich vertraue Dir ewig.“ Mit der Wohnung so ziemlich in Ordnung. Viel Arbeit. Reiben, Waschen. Was ich so mied, das muß ich nun tun. Einige Tage war ich sehr verzweifelt. Aber die Herzens- und Weltraumstimme redete mir zu und tröstete mich. Ach, und nun muß das Kind in diesem Zustand fliehen. Sonntag, 14.74 Die Sonne scheint. Beim Kind ist Krieg. Ich flehe. Ich sprach zu viel, pries mich immer glücklich. Mittwoch, 17. Dezember Heute in Lourdes. Ich grüßte die Bäume.

73 Damit ist wieder die Abschrift der Ägypten-Reisetagebücher von Anna Maria Mayerhofer gemeint; vgl. Anm. 67. 74 Eintrag mit Bleistift geschrieben.

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Ich betete. Die Landschaft. Das Pferd am Horizont, der Ausblick auf die Straße vom Wald­hof. „Trinke, was die Wimper hält.“ Immer sah ich in die Runde. Stumm stand der Wald. Beschütze das Kind, Schutz meinem Kinde und dem Werdenden. Das war mein Flehen. Und nun sitze ich zum ersten Mal auf dem Platz, den ich mir geschaffen habe – ein verbreitertes Fensterbrett. Graue Häuser – aber ein Stück vom Himmel. Weihnachtsabend 1941, ½ 11h Weihnachten! Jagd und Arbeit. Ich bin froher. Manchmal zittert in mir Ahnung künftiger Konflikte. Dank und Herr! Gestern schaurig schön. Ich ging von Edith die Blaasstraße. Vor mir hängende Goldmondsichel, glitzernde Venus: Grüßt mein Kind, fest, fest rief ich. Hinter mir schwarzer Himmel, mild, unheimlich. Weihnachten, Weihnachten und beim Kind ist fürchterlicher Krieg. Sturm, toller Sturm, wie ich lange keinen erlebte. {Über die Brücke zu Fürst. Sturm!} 26. Dez. Gestern und heute in der Kirche gesungen. Heute das erste Mal Schnee. Gestern bei Eli. Ich dachte daran, wie ich im Vorjahr auch bei ihr war und vorher einen „Ausflug“ machte. Montag, 29. Dezember Herrlicher Ausflug auf den Scheiblingstein. Sonne, Kälte, aber schön. 1 ¾ Stunden hinauf, ½ 1h oben. Wir saßen dann im Haus von Eder. Sonne. Ich grüßte das Kind. Die Aussicht! Um 3h heim. Beim Weg zur Sophienalpe, der Schneeberg mit einer Sonnenaura! Überwältigend. Dann unterhalb des Hameau wieder, blau und märchenfern. Dank, Dank für den schönen Tag, sagte ich zum Himmel. Vielleicht Oase im Denken. am 26. Dez. Gedicht von Carl durch Eli bekommen! Zu kurzer Begegnung. O Gott, der immer noch in einem Blick sich zeugt! O Jubelwelt, die mir ein Laut ins Innere zeigt!

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O ruhevoller Drang ein Blitz der Ewigkeit! O goldner Überfluß für karge Bettelzeit! Und doch vorbei! Wie kaum versuchter Flügelschlag, wie Tauglanz, der auf meinem Herzen lag. Nun geh’ und steigere nur was flüchtigem Bund entsproß, armselig bleibt das Wort Dein einziger Genuß. Sieh’ nicht zurück, so folgt auch Dir das Liebste nach dem dunklen Echo, das aus seiner Seele sprach Neujahr 1942, ½ 1h nachts. Das neue Jahr! Kind, ich grüße Dich! Neujahr abends: Ich war im schneeigen Prater gewesen. Beim Vivarium. Ich dachte immer an das Kind. Welch fürchterlicher Krieg bei ihnen. Doch Herr: ich vertraue Dir ewig – mein Herz ist offen. {Ich grüßte die Birke vor ihrem Fenster.}75 Jede wirkliche Hinwendung zu Gott schließt eine neue Entfaltung und eine neue Lebensform ein. Erst dann steht der Mensch vor Gott, wenn er sich entschieden hat, sein ichgebundenes und allen Begehrungen verhaftetes Sein (momentelang bin ich froh und glücklich, während ich dies schreibe) dem Höchsten zu unterstellen, wenn er bereit ist, sich wandelnd, die Ziele des Ewigen zu bejahen. Er unternimmt das Wagnis, aus der Fülle dieses Geistes heraus zu leben, sehend, bemessend und handelnd. Es ist für den Gottergriffenen bezeichnend, daß er seine Hinwendung zu Gott nie als einen Ausdruck des eigenen Willens erlebt. Oft hat er gerade das Gegenteil erfahren, daß seine höch75 Die vorstehende Passage ist von der folgenden durch eine flüchtige Linie über die Seite getrennt. Dies markiert den Beginn einer zitierten Passage aus dem am Ende des Eintrags angegebenen Buch „Das Anlitz vor Gott“ von Seidel und Tönnies.

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ste sittliche Anstrengung unfähig war, ihn zu wandeln. Daß „das Alte verging und alles neu ward“, geschah durch fremde Gewalt, es ward ihm angetan, er empfing, er erlebte die „Wiedergeburt aus dem Geiste Gottes“. H. Wolfgang Seidel & I. Tönnies. Das Antlitz vor Gott. 3. Jänner, 8h früh76 Beim Lesen obigen Buches das Erlebnis: Ich darf vor Ihm stehen und Ihn anbeten. Erst kniete ich. Sein Blick traf mich leuchtend und herrlich. Da stand ich auf und beugte mein Haupt. am Sonntag, 4. Jänner Das erste Mal seit 6 Wochen … Mittwoch, 7. I. Ich wollte schreiben: daß ich mich das erste Mal so richtig zum Schreiben setzte – und wurde wieder unterbrochen. Es ist nicht sehr kalt. Viel wärmer das Zimmer als in der Sandwirtg. Samstag, 10. I. Gestern Hochzeitstag, 27 Jahre! Es schneit und schneit. Heuer kein Skifahren. Ich gehe mit wachem Auge und mein Herz fleht: Beschütze mein Kind, stehe ihr bei in der schweren Stunde! Heute beim Kindlein. Ich stand stumm und meine Augen umklammerten es. Montag, 12. I. Sehr kalt und viel Schnee. -6–8°. Die schwere Stunde des Kindes naht – und ich kann nicht bei ihr sein. Ich klage nicht, Herr. 13. Jänner Heute bis jetzt der kälteste Tag, -12°. Ich denke ununterbrochen an das Kind. 16. Jänner -12°! Es schneit fast ununterbrochen. Heute wieder beim Kindlein. Mein Flehen kennt keine Worte. Ich sehe die verschneite Gasse hinab. Es ist warm und heimelig. Von einem ganzen Zimmer, das ich hatte, bin ich auf 80 cm2 „herabgekommen“. Es genügt. Ich sehe auf die weißen Dächer, auf die paar vermummten, eilenden Menschen.77 Was wird mein Kind machen? Wie man in sein Schicksal gedrängt wird! 76 Eintrag mit verschmierter Tinte geschrieben. 77 Eintrag ab hier mit anderer Tinte geschrieben.

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Sonntag, 18. Jänner. Die Aushebungen. Seit gestern vermeine ich, das Kind wäre auf der Welt. Heute sehr kalt -14°. Die Sonne scheint in das Zimmer. Montag, 19. I. Nach Maria Enzersdorf. 18° minus. Die Elektrische versagt. Ich kam hinaus (¾ 10h, um 7h50 weg von daheim). Keine Messe. Das Kindlein am Hochaltar. Freude! Gutes Zeichen. Ich war erschöpft vor Kälte. Ich dachte an die Skipartien. Der Weg zum Wällischhof. Ich grüßte mein Plätzchen. Die Sonne. Sie wärmte nicht. Es war bitter kalt. Zur Haltestelle Brunn. Immer denken: vielleicht heute. In Hietzing. Wiedersehen mit dem Bilde. Ich war erschüttert. Damals, als das Kind so krank war, kam ich hierher um Hilfe. Ich breitete die Arme aus. Ich war allein in der Kirche. Ich netzte das Bild mit meinen Thränen. Als ich nach Hause kam, fand ich das Plakatbild vor. Welche Zeichen! Das Kindlein und das Bild! 21. I. Heute 16° minus! Gestern auch. 23. I. Kalt, kalt -17°. Mir wird so bange um das Kind. Herr, erhalte es! Der Neffe vom Kriegsschauplatz zurück. Ach, dieser fürchterliche Krieg! Samstag, 24. Jänner Das erste Mal seit wir hier wohnen, bin ich daheim in Ruhe, krame, nähe, bastle und zum ersten Mal brodle ich. Ich habe z. B. Couverts gezählt! Ich sitze auf meinem Plätzchen und schaue die Straße hinab. Ich müßte lügen, wenn ich mit meiner Lage {hier} unzufrieden wäre. Das Durchgehen durch das Zimmer ist wohl nicht angenehm. Aber immer denke ich an die anderen Armen. Doch das unablässige Denken: Was macht mein Kind, drückt das Herz. Ich lege das Schicksal von den Kindern und mir in Seine Hände! Sonntag, 25. I. Heute in Döbling zur Edith. Verschneite Welt. Du schöne Welt, sagte ich. Ein wenig wieder eitel gewesen, gerade heute am vollkommenen Ablaßtag. Ich brachte mich wieder als Beispiel – einer alten Mutter gegenüber, Ediths Mutter.

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Wohl sagte ich beim Heimweg: Verzeih Vater. Doch zittere ich ein wenig. Ich fand den weißen Rosenkranz wieder. Ein Zeichen? 30. Jänner Kälte, heftige Kälte. So wieder wie vor 2 Jahren. Bis gestern fast immer -15°. Heute etwas wärmer: -8°. Viele Menschen im Jammer. Der Krieg und alles. Resignation. Ich ahne Kommendes mit tiefem Kummer. Das Kind! Ich treibe mit dem Plakatkind Unsinn. Es ist so süß. Ich hatte heute Herzweh, als ich die Tischtücher und Servietten ordnete. Als ich sie noch auflegte. Als wir noch Gäste hatten! 31. Jänner Heute endlich ein wenig wärmer! -8°, mittags -4°. Sonntag, 1. Februar Heute das allererste Mal allein, seit wir hier sind. Ich nähte, ordnete und dachte. Woran? An mein Kind, an die vergangenen Zeiten, an den Krieg, das grausame Elend – kurz, wie immer nach den Gesetzen des Lebens fahndend. Gestern in Maria-Grün. Jause im Lusthaus. Und dann durch die tiefverschneite Hauptallee zur Mutter. Schön, schön. Gesegnete Stunde. Hie und da ein Vogelruf. Kommt der Frühling? fragte ich. Gewiß kommt er. Mir wurde so leicht ums Herz. 6. Februar Schnee, Schnee. Noch immer kein Tauwetter. Heute am Zentralfriedhof beim Begräbnis von Jandis Mutter. Es schneite. Uferlos schien der Schnee, der Friedhof zum Verirren. Gestern und heute träumte mir vom Kind. Heute: es machte Matura und wählte Englisch und Latein. Gestern: das Lied: Bäh Kuckuck, bäh Kuckuck, Schäfchen und Vöglein, bewachen mein Kindelein. Samstag, 7. Februar Heute Philharmonisches. 2. Brahms. Dann etwas Himmlisches: Mozart Konzert für Flöte und Harfe! Heimgang durch die tiefverschneite Stadt. Über der Brücke bezauberndes Bild: Diffuses Dämmerlicht. Unvergeßlich. Sonntag, 8. II. Sehr kalt, 8° minus. Schneeschaufler. Jetzt wage ich schon mehr in die Tiefe hinabzusehen, dadurch komme ich der Wahrheit näher.

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Geistiges Leben bildet sich. Die Vergangenheit ist wahrlich vergangen. 10. II. Heute Begräbnis Fr. Dr. Silber. Der schöne Chor. Tiefe Schneelandschaft, aber die Vöglein beginnen schon leise zu zwitschern. Wird es Frühling? fragte ich sie. 11. II. Heute 0 Grad. Es taut. Wohl langsam nur, aber dennoch leises Frühlingsatmen. Heute das Erlebnis. Ich war bei Edith. Die schöne Wohnung. Ich wollte ein wenig traurig werden. Da faßte es mich bei der Hand. „Ich bin aber bei Dir, Ich!!“ Herr, Herr, stammelte ich im Geiste. Und im Hinaufgehen vorher durch die Gatterburggasse. Das Auge. „Siehst Du zu mir hernieder – voll Liebe? Ja.“ Aber ich bin nicht würdig. Das Zeichen meiner Würdigkeit: Das Kind sehen. Nicht erpressen, sagte ich zu mir. Nicht weinen, Tränen sparen für Großes. Ach, es sind Tränen des Glückes. Sonntag, 15. Februar Immer denke ich an das Kind voll tiefer, tiefer Sehnsucht. „Vater und Mutter gehen mir halt sehr ab.“ An diese Stelle eines Briefes denke ich. Schneeschaufeln. Transporte. 19. Februar Noch immer kalt. 3–4°minus. Wälle von Schnee. Am 16., 17. ungeheure Schneemassen. Der Mann leidend. Kann nicht ausgehen. Sieht elend aus. Mich schmerzt das Herz, wenn ich ihn ansehe. Vorgestern die Frau am Wagen. Das feine Gesicht. Sie kam vom Schneeschaufeln. Heute die Ebenholzmöbeln. Das Portrait der schönen strahlenden Frau. Wo mag die sein? Gestern 14 Wochen, daß kein Brief vom Kinde kam. Sonntag, 22. II. Kalt, strahlender Wintertag. Ich war in Maria-Grün – nun zum 8. Mal – und ging durch die Hauptallee heim. Heute Vormittag, tief in mich versunken. Erkenntnis:78

78 Schrift ab hier größer gehalten.

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Gott kann nicht auf jeden schauen, jeden erhören, deshalb das Gesetz in uns. Er mahnt uns immer. Deshalb beten wir, daß wir das Gesetz einhalten können und es erkennen. Wie einfach und doch – alles schweift hinaus, um zu suchen und wir haben alles in uns. Das Gesetz in uns. 25. Februar Heute taute es +5°. {Heute 15 Wochen, daß das Kind schrieb.} 27. Februar Regen. Hie und da ein Amselflöten. Heute beim Kindlein. „Kindlein, Kindlein“, sagte ich. Sonst nichts. Ich dränge immer die Tränen zurück. Ich bin dankbar und darf nicht weinen. Das Kindlein lächelte mir zu. 3. März Am Vorabend meines Geburtstages. Noch ein paar Stunden und dann bin ich 50 Jahre. Das Kind denkt her. 6. März Vorgestern mein Geburtstag. Gest Im Burgtheater. Iphigenie in Delphi. Herrlich. Gestern bei Edith. Sie ist seit 6 Wochen krank. Disput. Und ich sagte mir: Ich bin betrübt, weil sie nichts Gutes tut. Die von allem Unglück verschont blieb. Ein wenig Ärger. Ich schlief schlecht. Und heute zur Lisi. Dann der Weg über Hetzendorf nach Hietzing. Schneeumflossene Landschaft. Das Erlebnis! Ich ging den Weg, den das Kind gegangen war. Und ich weinte. Da hörte ich die Stimme, die mir zurief: Weine nicht, sonst zeihst Du mich des Unrechts. O, Herr! Und nun redete ich mit tränenüberströmtem Angesicht zu Ihm, lachte und fühlte Seine Nähe. Er ging neben mir und ich redete. Es war herrlich. Dank, Dank! Kein Frühlingskommen. Sonntag, 8. März Ich las im Tagebuch von 38.

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Damals am 29. Dez. 37 der Nachmittag auf der Trieglwiese. „Der weiße Kessel mit den im Abendlicht glühenden Bergspitzen – ein unbeschreiblicher Anblick. Ich weinte. Um 4h sagte ich zu mir: ‚Ja’ – und vorher „Disput mit Lisl wegen Wahrheit.“ Ach, hat es wirklich eine Zeit gegeben, da ich mit dem Kinde war? Ja, ja – viele, und schöne Jahre, fast 23 Jahre! Mir ist so bang, so bang nach dem Kind. Wo es wohl sein mag und – lebt mein Enkelkind? Was ist es, ein Bub, ein Mädel, wie sieht es aus? In einigen Tagen werden es vier Jahre. Heute bin ich einmal daheim, nach langer Zeit. Kein Frühling, Schnee, Kälte. 12. März79 Gestern waren es 17 Wochen, daß ich vom Kinde Nachricht bekam. Vorgestern bei Carl. Er las mir vor. Es war so schön. Heute liege ich zu Bett. Ein wenig verkühlt. Es will nicht Frühling werden. 16. März Ach, ein Glück steigt auf. Darf ich es erleben? Nur von der Ferne. Ich schrieb das Gedicht: Ich sah mich heut im rosenschönen Zimmer vor Freude zitternd, schweigend Dich empfangen. Ein unnennbares, heimliches Verlangen schwebt zauberisch im Raum, wie Mondesflimmer. Ich faßte endlich Deine Hand, und nimmer hätt’ ich geglaubt, daß düster, schmerzverhangen die Welt: daß draußen Ungezählte bangen – ich hab’s vergessen, wie mir schien, auf{für}80 immer. Ich war es nicht, die in Dein Auge sah. {Doch} Wer nur, welch {ein} märchenhaftes Wesen blickt Dich durch mich so an, war Dir ganz nah, hat alles{lang} in dem{Deinem} Seelen[…]{buch}81 gelesen? und schloß die Lider, sank Dir zu? Ach, da erkannt’ ich jäh – ich bin es doch gewesen!

79 Patzer mit königsblauer Tinte bei der Datumsangabe. 80 Mit anderer Tinte ausgebessert. 81 Mit anderer Tinte ausgebessert.

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am 17. März 1942 Vorgestern bei Carl. Ich fühlte mich wie einst, jung, ja schön. Heute in der Kirche: ich soll das Gedicht nicht absenden. Bitte: absenden, dafür immer in der Ferne bleiben. 18. März Ich habe gestern das Gedicht abgesandt. Fünfmal geschrieben. Ach, ich bin bezaubert, verzaubert. Doch ich muß es wegschieben, darf nicht, darf nicht. Heute draußen in Döbling. Trübe, regnerisch. Kein Frühlingskommen. Das Kind 1 ½ Jahre verheiratet. 21. März Frühlingsanfang. Es ist kalt und rauh. Ich erfuhr heute, daß Hans Reich gestorben ist. Tief beeindruckt. Und ich bin verzaubert, sehnsüchtig. Ich darf es nicht. Sonntag, 22. III. Heute der Traum: das dunkle Auge, das wunderliche Gefühl den ganzen Tag im Schoß. {Die Küsse}82 Ach, um Deine feuchten Schwingen. 25. März Gestern, heute frühlingshafter Tag! Ich wusch die Fenster. Die Nächte fast wie früher – sehnsüchtig. Nein, ich will das Kind. Ich habe mich doch wieder, ja? 28. März Wie verzaubert. Gestern mit Eli in Sievering am Friedhof. Dieses alte, sehnsüchtige, geheimnisvolle Gefühl! Vorgestern Nacht vom 26{25.} zum 26. erster Luftalarm! Ich denke zu viel nach Westen.

82 „Die Küsse“ wurde vermutlich zuerst mit anderer Tinte nachgetragen und anschließend wieder durchgestrichen.

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5. April Ostersonntag! Trüb. Am 2. Lisl 3 ½ Jahre fast. Ach, ich denke ununterbrochen an das Kind. Das andere habe ich weggeschoben, verzichtet. Es war momentelang ein betäubendes Glück. am 2. in Hetzendorf. Hietzing. An Großmutter. Ein spätes Glück steigt auf. Wird’s zu mir kommen? Vielleicht nur immer in der Ferne stehen? Ich bin vom süßen Herzensweh betäubt (verzaubert) geliebter Schemen nun siehst Du mich an [...]{denn} endlich hast Du mir ihn doch geschickt83 dem meine Sehnsucht heimlich nachgegangen. Und wär’s nur Trug und Traum, ich danke Dir. Die paar Tage her – irdisch. Nicht in meiner Seligkeit. 8. April Wieder selig, weil verzichtet. Ich weise die Träume von mir. Es ist Frühling geworden. Frömmigkeit ist kein Zweck, sondern ein Mittel um durch die reinste Gemütsruhe zur höchsten Kultur zu gelangen. 14. April Mein Gott, der Traum heute Nacht! Tasten, dann die Küße! Diese Lebendigkeit. Nie habe ich noch so geträumt. Ich bin ganz wirr davon. Dieses Ziehen. Ich spüre es, es kommt nicht von mir. Und mein Kind, mein Kind! Die Kämpfe dort. Schickt mir das Schicksal dieses Süße, Zaubervolle, damit ich nicht vor Leid vergehe? 19. April Heute sind es 5 Monate, daß ich vom Kinde Nachricht bekam – und 4 Jahre, seit meiner Heimkehr in die Kirche. Heute in Maria-Grün {9. x} mit einer fremden Frau. Der Frühling ist da. Die süßen Triebe, das Vogelsingen. Dank!

83 Satzbau mittels Zahlen neu geordnet.

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24. April IX. Symphonie. Carl ist krank. Auch Edith. 3. Mai, Sonntag Ich liege zu Bett. Schnupfen. Ich lese und träume, träume. Ich war die Tage her so gehetzt: beim Vater, da die Mutter wegfuhr – und gestern wieder. Ich schrieb die Gedichte von Carl. Manche herrlich. Ist es noch nicht weggeschoben? Nein. Wieder neu da. Manchmal denke ich: mit Seiner Erlaubnis! Doch bin ich froh wenn ich mich überwinde. Draußen trüb. Keine Maienpracht. Noch kein schöner Sonnentag. 7. Mai Erster herrlicher Maitag! Die blühende Welt! Nach Lang-Enzersdorf. Kein Autobus. Gehen. Die Blüten. Am Fried­ hof. Bei der Taufe, bei der Schulkollegin. Andacht. Wieder den Weg zurück. Rasch. Dann nach Stammersdorf. Mit Eli und dem Kleinen zur Elisabethhöhe. Du junges Grün, Du frisches Gras wie sehr mein Herz, durch Dich genas! Ach, das junge Grün! Nun habe ich es doch noch in der Heimat gesehen. Im nächsten Jahr? Kämpfe auf den Philippinen. Mein Herz ist schwer. Schickst Du, Herr, mir diese linde Freude, Sehnen, Erfüllung eines Jugendtraumes deshalb, um mein Herz nicht zu sehr zu belasten? Ich danke Dir. Manchmal ist es unnennbar schön dieses Hindenken. Auf der Elisabeth­ höhe die Aussicht! Der alte Strom. Der Esel. Ich habe Carls Gedichte abgeschrieben. Manche unbeschreiblich schön. Die Sonette von Michelangelo. Sonntag, 10. Mai Vorgestern wieder Maienerlebnis. Nach Schönbrunn. Das junge Grün der Bäume! Ich bin fast erschrocken vor Freude! Dann in den Hetzendorfer Schloßpark. Vorher bei Lisi. Tivoli! Die blühenden Bäume! Herzweh, Herzweh. Rosenhügel. Fr. Hybel Hanke geheiratet. Maxingpark. Vorher auf einer Bank gesessen. Du herrliche blühende Welt!

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Alles mit den Blicken eingesogen. Café Gröpel. Alles wie einst und doch und doch. Genußreicher Tag. Heute das Erlebnis im Beichtstuhl. Sonntag, 17. Mai Muttertag. Ach, das Kind – wo ist es. Die drei Briefe an Carl geschickt. Ich wollte erst nicht, bat um ein Zeichen: wenn ich das Couvert finde. Seit fast 14 Tagen suche ich es: Und heute fand ich es gleich. Ich sandte die Briefe gleich ab. Nachher ein wenig Reue. Jetzt aber, jetzt aber nicht mehr. Es ist ein milder Abend. Maienabend. Ich schaue die Gasse hinunter und denke an die Sandrockgasse, als ich beim Fenster in Lisls Zimmer saß und in den Abend hinaussah. {Heute im Film „Tosca“. Scarpia beeindruckt.} Siehe, mein Herz ist offen, ich vertraue Dir ewig. Gugging, 18. Mai, Lourdesgrotte. {19. IX. 40, 22. VIII. 41, 18. IX. 41, 17. XII. 41, 18. V. 42, 17 IX. 42, 29. X. 42, 31. XII. 42}84 Ein unnennbar schöner Tag! Fassungslos staune ich die Maienpracht an und höre Vogelsingen, Bachesrauschen. Zwei seltsam schöne Vögel flattern um die Marienstatue. Um 8h weg. Ich sah schon beim Herausfahren die Grüne, den wolkenlos blauen Himmel, die Blütenpracht in den Gärten – und ich meinte mein Herz müsse zerspringen vor übergroßem Wehglück. Als ich ausstieg, ging ich ganz allein hierher. Blühende Obstbäume standen zu beiden Seiten. Ich grüßte, ich jauchzte, ich betete – und weinte. Auf einer Bank am Weg zum Waldhof. Heute ist Lisl 20 Monate verheiratet und morgen sind 6 Monate seit ihrem letzten Brief vergangen. Ich präge mir alles ein: der Buchenwald in zartem Grün, die Himmelsbläue – mein genießendes Alleinsein. Bis nun, bis vor [3]{2} Monaten, habe ich ausschließlich an das Kind gedacht. Nun denke ich auch hin gegen Westen. Darf ich es? Heilige Stille, heiliger Ort. Waldhof. Mittag. Sonne, Stille, Tiere um uns. Ich liege in einem kleinen Holzschlag. Holz, Tannengeruch. Ich denke hin.

84 Die Auflistung ist eng geschrieben und rund um die Datumsangabe eingefügt. Wahrscheinlich sind hier Besuche der Maria Lourdes-Grotte, einer in Anlehnung an den berühmten Marienwallfahrtsort Lourdes errichteten Wallfahrtsstätte in Maria Gugging, Niederösterreich, vermerkt.

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später am Waldrand: Einer der schönsten Augenblicke in meinem jetzigen Leben. Am Wegwaldrand an der Straße nach St. Andrä. Ein Blütenbaum vor mir. Waldhügel begrenzen den Himmel. Buchenblätterzittern ober mir. Unbeschreiblich. Dank, Dank. 21. Mai, Donnerstag Ich liege zu Bett: Halsschmerzen. 373. Früh trübe, jetzt schöner Tag. Ich habe im Bett Gedichte geordnet. Gestern nach der Maiandacht den Priester kennen gelernt. Daß die Erwartung, das Gedankliche, wenn dies einem gewissen Höhepunkt, ein Ideal gleichsam, einer Erfüllung gleichkommt, doch nie mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Ich habe dem Priester mein Bekenntnis: Siehe, mein Herz ist offen, ich vertraue Dir ewig gegeben. {Montag,} 26. Mai {Das Kindlein nicht da, der heilige Geist.} Heute in Maria-Enzersdorf. Herrlich, herrlich! Ich saß wieder auf meinem Plätzchen! Früh trüb, aber um 11h wolkenloser Himmel. Und Blüten, Blüten! Ich dachte nur an das Kind. Ich begrüßte Baum und Gras! Um ¾ 1h saß ich auf dem Platz vom Vorjahr. Gott breitete seine schöne Welt vor mir aus. Wieder umdrängten mich die Gänseblümchen – aber wie! Ich sah auf den Platz hin, wo wir im Herbst lagen. Armer Herr G.! Vielleicht denkt er gerade heute daran. Vöglein sangen. Dann ging ich zum Liechtensteinpark. Unvergeßlich! Der Duft! Erinnern an die Gebirgswälder. Ich lag erst auf dem Waldesrand, dann auf einer Bank, dem schönen Haus gegenüber, das auf mich gleich einen großen Eindruck gemacht hat, als ich es zum ersten Mal sah. Herrlich, herrlich, unvergesslich. Allein der Blick in den Wald und weit hinaus in die Ebene. Dank. {Vor}Gestern im Häuschen. Auch sehr schön! Heute abends Maiandacht. Priester Kon­ trolle. Das Mystische {nicht} wahrnehmen. O, doch, Herr, doch!! Aber Kontrolle. Ja. Etwas Neues, das sicher für mein Umschweifen vom Vorteil sein wird. 28. Heute in Sievering bei Hofrat St. Gestern auch. Erst Himmel. Die Aussicht! Dann Kloster. Gspöttgraben. Ich dachte an 1923. Wir saßen, Mutter und ich, unter der breiten Kastanie und lauschten dem Bach. Der sang so lieblich, wie ich selten noch gehört hatte. Es war so schön ...

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30. V. In Maria-Grün. {10x} Das Sonnenlicht. Kühler süßer Maienabend. Das unsagbar feinzarte Grün! Dank! Die Vögel singen im Chor. Wie ich von Maria-Grün wegging, großer Eindruck: die Allee: Das lichte Grün, die dunklen Stämme! der letzte Maitag, Sonntag Bitte: Beschütze mein Kind! Das Andere weg – aber manches Mal süß. Donnerstag, 4. Juni Herrlicher, herrlicher Tag! Um 10h mit El[y]i nach Rekawinkel. Sonne, strahlender Tag. Den alten, lieben Märchenweg. Grünangerhof. Grüße, Grüße. Mir war, als ginge das Kind mit. Um 1h weg nach Eichgraben. Märchenwaldweg. Zum Kloster, das oft im Abendsonnenschein wie eine Gralsburg herüberwinkte. Alle Wünsche gehen in Erfüllung. Liebe Leute. Jause. Und dann. Durch eine Allee in die Klosterkirche. Ruhe, Frieden … Märchenhaft: Die herrliche, gotische, mit Blumen, im hellen Kerzenlicht strahlende Kirche, die in malerischen, weißen Schleiern gehüllten Nonnen, Engelsstimmen vom Chor nieder- und umströmend. Ich war bezaubert, verzaubert. Dann ging ich allein neben einer Wiese und sah ins Land hinaus. Unvergeßlich. Um 6h vom Hause weg. Wiesen, über und über mit Blumen bedeckt. Herrlicher Sonnenschein, neben der Bahn. Es geht gegen den Mittsommer. Um 8h daheim. Schönbrunn, 9. Juni Auf der Bank vor 29{19} Jahren. Ich vermenge sooft 1923 und jetzt. Seit ein paar Tagen süßes Hindenken. Genießen. Nie kann die Wirklichkeit an diese Träume herankommen. Mittsommer, Mittsommer! Der Duft! Vogelsingen. „Ich bin vom süßen Herzensweh betäubt.“ Am Sonntag, vorgestern am Schafberg. Aber vorher! Unvorstellbar herrlicher Tag von wolkenlosestem Blau und Blütenprächten. Wie war ich doch gesegnet! Ich fuhr nach Pötzleinsdorf. Ich rezitierte, neben dem Schmidtgarten gehend, mein Sonett und jenes von Michelangelo, das mich so ergriff vor 19 Jahren mit Erwin. Ich schaute, schaute. Vogelsingen, Grün. Ich umschlang die Bäume. Und dann ging er mit mir. Ich spürte ihn, wie im Traum. Die weite Straße! Ach die Träume! Immer längs des Gitters. In Neuwaldegg. Wieder längs des Schmidtgartens. Und dann in einer Bierschank.

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Momentelang wieder wie verzaubert mit dem süßen Herzweh. Und nun Schönbrunn. Wie mich Baum- und Blütenduft erregt! Dann: dieses körperliche Spüren einer fremden Sehnsucht. Ich genieße diesmal, dränge nicht. Es ist schön und ich danke. Maxingpark: Ich lese gerade: heute vor einem Jahr war ich hier, saß auf der Bank, wo ich oft mit Strunz gesessen. Ich wollte mich setzen, doch waren 3 alte Männer darauf gesessen. Vögel singen, Kinder spielen. Ich war bei Lisi gewesen. Als ich den Lucasweg zu ihrem Haus ging, war mir körperlich schmerzhaft zu Mute, als ich fühlte, man denkt und sehnt sich her. Das wäre Schmerz – und doch das Schicksal. Ich denke viel. Und mir wird immer klarer, daß ich nichts oder wenig sagen soll. Man entheiligt. Ich lasse mir Zeit. Das ist für mich neu und schön. Ich denke auch oft an die Kämpfe im Jahre 31. Mein armer Mann! Ich liebe ihn sehr. Sonntag, 14. Juni, ½ 5h, im Bett. Ich kann nicht schlafen. Soviel geht mir durch den Kopf: Der Egoismus der Freundin, viele Erkenntnisse, Carl u.s.w. Seit ich in Hetzendorf war, seit dem Lucasweg, fast vollkommen fern und gleichgültig. Alles unwirklich, fern, unbeteiligt. Mir träumt sooft vom Kind, wie es klein war. Da ist mein Herzblut, da ist meine Liebe – nichts ist so wirklich wie dies. Seit einer Woche abends fürchterliche Wetter und Wolkenbrüche. Am Mittwoch 10. mit [Edith] Freundin. Ich war nach Grinzing gefahren. Warmer, schöner Tag. Zum Friedhof „an den langen Lüssen.“ Denken. Am Grab Gustls. Zur Birke. Das Grab des Musikers. Erinnern, wie Juliska und ich vor mehr als 30 Jahren da waren und mit einer Mutter sprachen, die ihre 22 jährige Tochter verloren hat und nun die Gruft betreute. Nie habe ich das vergessen. Ach, mir ist oft so bang! Ich wage nichts auszudenken, wenn ich manchmal mein Herz frage: werde ich mein Kind wiedersehen? Dann ins schöne Bad. Der Ausblick auf den Cobenzl unvergeßlich. Bei der Heimfahrt ein Wolkenbruch, wie ich ihn noch nie erlebte. Sonnenuntergang, Sonntag, 14. VI. Milder, milder Abend! Die Sonne im Verscheiden. Dächer und die obersten Fensterränder in helles Gold getaucht. Schwalben sirren. Tiefblauer Himmel. So geruhsam. Ich sitze beim Fenster und sehe auf die lange Gasse vor mir. Ganz wenige Menschen gehen langsam heim. Nicht ein einziges Auto. Hundegebell. Kinder spielen auf den Straßen. Ich denke an das Kind. Heute der Priester im Beichtstuhl. Ich langte zurück in meine leichtsinnige Zeit.

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Vielleicht alles schon gesühnt? Oder noch Schwereres? Weg? Ach. Ein Tag schöner als der andere. Kein Tag seit Sophie85, an dem es durchregnete. Sonntag, 21. Juni {42}86 Heute der längste Tag. Mittsommertag. Einst schrieb ich: Mittsommertag, Jugend und Liebe gehören zusammen. Ach, das war vor 32 Jahren! Wladzko, wie schön. Wo bist du? Beschützt Du mich? Ich habe Dich sehr geliebt. Die Briefe durch Emma. Verriet ich Dich? Immer das Weiterlaufen. Donnerstag, 25. Juni Gestern bei Edith. Vorgestern ihre Mutter weg. Erster schwerer Schlag für Edith. Vorahnungen, weil oft provozierend. Um 6h zu Eli. Sie ging mit ihrem Mann ins Theater. Ich blieb beim kleinen Gerhard. Wir gingen zur Hohen Warte. Herrlicher Abend. Die Regenhügel grüßten. Leopoldsberg. Die Vögel sangen. Alles steht in wechselvoller, magischer Beziehung. Die Linden dufteten! Da denke ich an den ersten Sommer in Stillfried. Oben bei der Kirche dufteten die Linden, als wir ankamen. Ach, und ich so sommer- und liebesselig. Der Junge an meiner Seite noch liebesseliger. Ich denke jetzt so oft an ihn. Kann er uns beschützen? Ja und dann gingen wir heim. Ich lag im Zimmer neben dem seinen. Aber eine halbe Stunde lag ich mit allen Wünschen in seinem Bett. Ob er sich je verliert? Ach nein, doch es ist schön zu träumen. Das erste Mal fürchte ich die Wirklichkeit. Also nur Wunschträume. Um ½ 5h früh stand ich auf, schrieb an ihn – und las das Wintermärchen. Schöne Sprache, aber irgendwie blutleer. Um ½ 7h ging ich weg, in die Karmeliterkirche. Ach der Duft des reifen Sommertages! Kaffeehaus und dann heim. Und wieder ist es Abend. Die Schwalben sirren. Und ich schaue die Straße hinunter. Der Himmel blau mit rosa Tüllwolken bestickt. O, wo ist das Kind und wann werde ich Nachricht haben? Sonntag, 28. Juni Es ist sehr kühl. Die letzten Tage immer ein wenig kühl, angenehm. Auch wenn die Sonne schien, klar und nicht heiß. Gestern, heute die unhörbaren, d.h. nie direkten Dispute wegen des Durchgehens etc.

85 Die „Heilige“ (oder „kalte“) Sophie ist eine der (regional verschieden 4 oder 5) „Eisheiligen“ und wird am 15. Mai gefeiert. Dem Volksglauben entsprechend gilt das Frühlingswetter erst ab diesem Datum als stabil. 86 Mit königsblauer Tinte nachgetragen.

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29. Man kann nicht „ändern“, bilden, direkt, gewollt. Man wird durch das Schicksalsgesetz geführt. Sonntag, 5. Vorgestern 3. zu Lisi über Hietzing. Als ich in den Maxingpark trat, war es mir, als breiteten die Bäume mir ihre Arme entgegen. Du mein Park, stammelte ich, Du mein Park! Ich habe heute in der Kirche denken müssen, daß ich von Ihm stamme. Ich habe Lisls Bild, auf dem sie mit Karl ist, wieder aufgestellt. Er ist mit dem Graduationsbild ganz verstellt und sie lächelt mir zu, lächelt mir direkt ins Herz. 8. Juli 1942 Dieses süße Denken! Nur denken! Das erste Mal in meinem Leben: träumen und den Traum nicht erleben wollen. Ich erinnere mich daran, daß ich als Mädchen neben dem Augarten ging und träumte: Vom Vater, ich sah mich im Reitkostüm. Von Palmen. Immer träumte ich. Aber ich wollte erleben! Vorgestern von 12h bis 4h Stadionbad. Im Liegestuhl unter Pappeln. Sonne. Die Blätter zitterten. Viele Kleinkinder. Sie schauen mich alle so tief an, schauen mir direkt ins Herz. Ich genoß die Schöne und dachte. Es ist süß zu kosten, ohne auszukosten. Ich lebte, genoß fast mit ganz tiefem Bewusstsein. Ich bin seit heute bei einer alten Dame. Lieb, aber nicht so lieb wie die Tante. Stammersdorf, 9. Juli {Dr. A. Geburtstag.} Unter einer Weide bin ich gesessen. Ich arbeitete, begriff Naturglück. Nie hatte ich es als Kind, als junger Mensch verstanden. Das Fußbad in der Mulde. Die kleine, grüne Welt. Libellen. Dann saß ich auf dem Platz in Stammersdorf hinter der Barocksäule. Sonntag, 12. Juli {Vorvor}Gestern, vorgestern heiß, drückend. Gestern Regen, heute strahlender Tag, aber kühl. Ich denke an den Hausherrn {Fürst}87, der wegfuhr. Alle müssen weg. Schicksal. Freitag, 17. Juli Gestern Rosenhügel. Im Garten gesessen. Das Kind. Maxingpark. Wie immer: Die Bäume breiteten die Arme aus. Heute, ach heute! Doch nein, erst muß ich von Eichgraben erzählen. Dienstag 14. war 87 Mit Bleistift eingefügt.

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ich dort. Früh kühl. Um ½ 9h kam ich an. Ging neben der Bahn. Der Blick um mich. Du schöne Welt! Die lieben Leute. Eli. Das gute Mittagessen. Der schöne Blick {in den Wald}. Ich wäre gerne ganz allein gewesen, um zu jubeln. Die Sonne kommt. Nach Tisch plaudern. Kirche. Wieder beeindruckt. Nach Oberndorf. Um 7h heim. Also heute. Früh bei Spitz. Fort. Traurig. Zu Edith. Nach Salmannsdorf. Von dort nach Weidling am Bach. Marienbad. Ich war restlos entzückt. Die Grüne! Die Berge, Wiesen. Auf der Badewiese tanzen Birken und Tannen einen Reigen. Die Birke auf der anderen Seite. Heimgehen. Die Blicke! Das sanfte … ¼ 1h nachts: So hatte ich geschrieben, als die Ausheber kamen. Es war ½ 11h. Dokumente. Ich betete. Um 12h war alles erledigt. Und jetzt denke ich wieder an den schönen Tag; an das sanfte Sonnenlicht an die Birke am Abhang. Dienstag, 21. Juli Es regnet fast täglich. Nicht heiß. Gestern in Maria Enzersdorf mit Emma. Es beginnt zu regnen. Nach St. Gabriel, dann nach Mödling. Es wird schön. Mit Emma Mittagessen. Wir waren in vier Kirchen. Emma fuhr heim und ich ging allein. Zuerst die schöne Allee zum Liechtenstein. Die Sonne schien. Die Föhren dufteten. Ich saß unter der Linde vom Vorjahr. Fahrt nach Gießhübel. Ein Blick zu den Gänseblümchen. In meinen Wald. Der Duft! Nur des Duftes wegen gehe ich dieses kleine Stückchen Wald. Ich denke an unsere Waldtouren. An den Weg zum Zauchensee. Was ist’s mit dem Kinde? Schweres Herz. Wo lebt es? So bang ist mir. Ich zittere oft vor Sorge und wage nicht zu denken. Dann zu meiner Bank. Dank, Dank. Zum nacketen Sattel. Die Welt um mich! Gedenken an das vorige Jahr! Die Aussicht! Ganz unbeschreiblich! Ich war restlos zufrieden. Dann zu meinem Platz. 4 Jahre sind{ist} es her, daß ich hier war und immer hierher komme. Die Wimper trank! Ich war fast 7 Stunden auf den Beinen gewesen. Sonntag, 26. Juli Heute sehr heißer Tag. Im Film „Große Liebe“ gewesen. Zarah Leander. Bezaubernde Frau. Vorgestern Lang Enzersdorf. „Tante, ein Zeichen“. Es war sehr gewittrig, es regnete. Mit einem Mal, als ich zum Grab kam, wurde es strahlend schön. Das Zeichen? Durch die Kellergasse nach Stammersdorf. Es war wunderbar. Die Weite des Himmels, gesegnete, fruchtbare Erde. Schöner Tag, schöne Welt, sagte ich in einem fort.

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Samstag, 1. August Heute schöner Tag; doch kühl. Süßes, zartes Licht, nicht so prall, wie an wildheißen Tagen. Herbsteskommen? Am Mittwoch 29. ging ich von der Station Cottagegasse zu Edith. Der Himmel, das Grün, machten mein Herz erzittern. „Wie lange, wie oft werde ich noch diesen Weg gehen?“ fragte ich. Ich konnte nur stammeln: Du unsagbar schöner Tag! Heute der Rote-Kreuzbrief von Frau Bacher: wie bin ich freudig erschrocken! Dann ein wenig enttäuscht! Aber dennoch voll Dankbarkeit. Beim Kindlein gewesen. Wie ich mich immer ermahne: Weine nicht! Montag, 3. August, ¼ 6h früh Ich kann nicht schlafen. Das Schicksal Ediths geht mir im Kopf herum. Innerlich fertig – eigentlich schon seit den Jahren der Debatten. Aber schweigen und beobachten. Vielleicht braucht sie mich. Sie braucht immer. Der Prototyp des liebenswürdigen Egoismus, verstärkt durch einen Schuß Frechheit. Sie vermag sich nicht Rechenschaft abzulegen, entzieht man ihr den Boden, in dem der Egoismus wuchert, wird sie sofort unsicher. Alles, was sie ihrer Mutter vorwarf, tut sie selbst. Das ist Schicksalsgesetz. Dienstag, 4. Aug. Heute einmal zu Hause gewesen. Genäht, gekramt. In der Nacht starkes Gewitter. Am Abend sind die Eltern weggefahren. Es war sehr heiß. Heute Disput wegen Fische, Kaffee. Fast wie einst. Ich darf nichts entgegnen. Das Schicksal will es so. Es ist Sehnen in mir, nicht Gott, deshalb unzufriedenes Herz. Ich muß viel an Edith denken, manchmal fast zornig über sie. Sonntag, 9. August Welch ein süßes, zärtliches Licht! Warm, nicht heiß! Man ahnt den Duft der Wiesen. Wieder schweres Herz. Doch heute in der Kirche: Bewußtsein der Hingabe an das Schicksal. Nicht das Geringste fordern. Ruhe, Stille. Ich denke an die Augusttage in der Sandrockgasse. Damals glaubte ich schon zu leiden – immer ist die frühere Zeit die verklärtere. Sehr beeindruckt von Marikerls Schicksal. Mittwoch 5. war ich bei ihr gewesen. Donnerstag fort. Wie froh war ich, daß ich noch bei ihr war! Das letzte Mal war es nicht nett von mir gewesen, daß ich die „Stunde“ maß. Dienstag, 11. Aug., ¼ 7h früh Der gestrige Tag! Aber man soll den Tag wirklich nicht vor dem Abend preisen. Und doch: Dank, Dank für das Schöne, Lernen durch das Schwerere. Um ½ 9h saß ich gestern unter dem Kastanienbaum in Sievering beim Bachesrauschen. Als ich aus der Straßenbahn stieg, kamen mir beim Anblick eines über und über blühenden Fuchsienstöckchens an einem Fenster die Tränen. Dann das Erlebnis in der Kirche: Ich war allein und kniete vorm Hochaltar. Ich bot Ihm mein tränenüberströmtes Angesicht

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dar. Segne mich, flüsterte ich und schloß die Augen. Als ich sie öffnete, lag ein zarter Glanz über dem Altar. Dank, Dank, stammelte ich. Ich war zutiefst erschüttert, sekundelang schüttelte es mich vor Weinen, zutiefst, wie noch selten, war ich aufgewühlt. Nie werde ich dies vergessen. Dank! Und dann saß ich beim Bachesrauschen im sanften Sonnenlicht. Es war unnennbar friedlich. Kein Mensch auf den Straßen. Ich ging zur Agnesgasse und mietete mir auf No 16 in einem großen Obstgarten einen Liegestuhl. Welches Ausruhen! Diese Erfüllung! Ich hatte sie ähnlich durch 25 Jahre. Manchmal ahnte mir es schon: Wird es immer so fortgehen? Wie oft habe ich das gedacht. Es war so herrlich, im Liegestuhl zu liegen, in den weiten Himmel zu schauen. Zum Merken. Es war mir, als ob mir mein ahnendes Herz sagen würde, daß ich daran denken muß, wenn es anders ist. Und am Nachmittag war es nicht sehr schön mit der alten Frau. Aber im Garten war ich unendlich zufrieden und dankbar. Die Sonne glühte nicht. Ab und zu wehte ein sanftes Lüftchen. Der Heckenzaun grenzte den Blick ab. Davor spannte sich ein Wiesenstück. Später, gegen 11h lagerte ich mich unter einen Apfelbaum. Ich mußte an das Gedicht von Uhland denken: Bei einem Wirte wundermild. Um ¾ 1h ging ich weg, nach Neustift hinunter über ein Stück die Straße, dann hinauf die Felix-Dahnstraße und kam zum Döblinger Friedhof. Ich ging hinein und besuchte das Grab der ersten Frau von Ediths Mann. Warum weiß ich eigentlich nicht recht – Vielleicht wollte ich etwas gut machen ... Dann zur alten Dame. Wir saßen im Garten. Ich war sehr müde. Das schöne Haus, das schöne Zimmer. Luxus ist für mich im eigentlichen Sinne bedrückend. Jemand muß für mich arbeiten. Dann im Türkenschanzpark. Plaudern mit einer Frau. Dann schwer müde. Eigensinn der Frau. Bedrückt ging ich um ¼ 8h heim. Aber es war schön gewesen.88 Neudegg, Donnerstag, 13. August Hier, das Land der Kindheit. Um ¾ 7h von Heiligenstadt. Trüb. Es beginnt zu regnen. In Tulln schüttet es. Sorge wegen des Weges. Dann in Kirchberg rasch zur Post. Ich kann mitfahren. Begrüßen. Als die Kirchturmspitze Riedenthals auftaucht. Rührung. Beim Abzweigweg wurde eine Mitfahrerin erwartet. Ich konnte wieder mitfahren. Es ist sehr trübe. Um ¼ 10h war ich an Ort und Stelle. Plaudern, Herumgehen, Schauen. Alles ist so vernachlässigt. Abend in Riedenthal. 14. VIII. {Am Wege der Kindheit von Neudegg.} 88 Herausgerissene Seite.

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Wild, verwachsen ist der Weg. Stille, Stille, die klingt. Ich höre mein Blut rauschen. Ich denke an das Kind. 10h Am Grabe der Großeltern. Traum und Bitte – um Schutz, um Segen. Sonntag, 16. Aug. Ein milder Tag. Freitag 14. nach dem Friedhof nach Riedenthal. Um 12h in Neudegg. Immer schauen. Nachm. lesen und hintenaus einen schönen Weg zur einer Anhöhe. Weite Aussicht. Waldesrand. Um ¼ 8h weg mit dem Milchwagen. Ehe wir zur Abzweigung bei den 2 Kapellen einbiegen, ein ganz grünes Feld mit Bäumen. Eigenartige Bildstimmung. Um 9h in Kirchberg. Gendarm. Heimfahrt. Sehr ungeduldig. Nicht wissen, was war. Um ¼ 12h daheim. Alles in Ordnung. Dank. Die neue Revision. Messe, Dank und Bitte am 22. XI. um 9h. Die am 31. Juli habe ich vergessen. Heute nachm. an Flamm telefoniert. Ein wenig wieder Ärger gemacht. Ich hatte dann das Gefühl, als ich in der Kirche war: mein Herz ist nicht sehr sauber. Es ist nur rein, wenn es bei Ihm ist – im Leid. Karl da. Gestern Eli telefoniert. Mittwoch, 19. August Vorgestern 17. bei Karl. Er sieht schlecht aus. Aber wo kommt die Süße her? Nur aus der Phantasie. Irgendwie bin ich sehr froh: vollständig unverpflichtet. Es war nicht so schön, war nicht so gehobener Stimmung. Aber ich dankte, dankte. Ich muß überhaupt danken. Etwas sehr Unliebsames ist weg: die Leute neben uns konnten ausziehen {15., Samstag}. Manchmal war es ziemlich arg, weil ich mich so scheute, durchzugehen. Es war fast unmöglich, dieser Tausch. Und doch gelang er. Ich muß sehr danken. Und nichts nachreden. Ich redete schon zu viel. Ich bin jetzt mir recht kritisch gegenüber. Ich muß es ja sein. Sonst würde Er mich traurig ansehen und am Ende Seine Hand von mir lassen. Er muß kein schwarzes Kind führen; wenn sein Mitleid auch groß ist – ich muß dazutun: mich beherrschen und nicht richten, nicht richten! Nach Karl zu Edith. Ich sprach wieder. Aber nun nicht mehr, unter keinen Umständen. Ich habe alles getan und ich glaube, ihr Schicksal zu sehen. Doch meine Geduld muß größer werden, noch größer. Ich hatte sie durch 20 Jahre. Oft vernachlässigte ich das Kind darob. Doch darf ich nicht schelten. Ich lernte und sah sehr viel. Ich begreife durch sie die Revolution, das Sterben des Bürgertums. Heute im Gänsehäufl gewesen. Mit Ilse. Als ich das letzte Mal dort war – mit meiner Mutter – war das Kind auch etwa 11 Jahre alt. Herzweh.

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Sonntag, 23. August Am Donnerstag 20. war ich im Häuschen. Ich lag im Liegestuhl und dachte: Über 24 Jahre durfte ich ein solches Leben führen. Nach Tisch bei Sonnenschein im Liegestuhl. Es sind wunderbare Tage seit Donnerstag. Sehr heiß. Heute daheim: Mein Mann wartet auf die Registrierung. Vorgestern bei Lisi. Durch Schönbrunn. Ach. Heute las ich Gedichte von Erwin: Knabe und Göttin. Das Leben hat mir doch alles geschenkt an Freude. Gestern beim Kindlein. Ich sagte nichts als: Kindlein, Kindlein. Dienstag, 25. VIII. Seit Donnerstag heiß. Heute sehr heiß. Ich sehne mich nach dem Wald, nach einem Bad. Nicht murren. Heute zog der neue Mieter ein. Ein anderer kommt nach. Ein wenig deprimiert. Doch immer hinunter denken! Gestern bei Emma. Ich saß im kleinen Park ... Es ist Abend. Ich sitze beim Fenster und schaue, während ich schreibe, die Gasse hinab. Vielleicht am Ende gelöst von allem und allen etwas schaffen können, schaffen dürfen? Ich denke an Rembrandt. Doch mein Talent ist klein, ist gering. Vielleicht segnet e{E}r mich. Donnerstag, 27. VIII. Gestern: mein Mann wurde um ¾ 2 Uhr nachm. geholt. Ich betete durch. Vor ½ 9 Uhr war er schon daheim. Dank und Stillesein. Heute in Maria-Enzersdorf. Dann nach Mödling ins Bad. Der blaue, blaue Himmel. Immer Dank, Dank. Vom Friseur aus sah ich in die Wälder. Montag, 31. August Samstag 29. mit Gustav G. in Hagenbrunn. Heiße Sonne. Gehemmt. Ich saß bei einer Bäuerin und stopfte Socken. Deprimiert über Bettelei und überhaupt. Nachts heim. Wolkenloser Himmel. Gestern holte ich von Eli den Koffer. Am Freitag 28. war ich bei Karl gewesen. Nicht so interessant wie sonst. Ich habe ihn bereits ausgelaufen. Als ich gestern den Koffer holte, kam er im Pyjama – ja – und floh. Ich dachte: er wußte, daß ich komme; warum also nicht sich vorbereiten, anziehen? Das liebe Ich! Also vollständig fertig.

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Wie immer: es war schön gewesen! Es ist noch immer so heiß. Ich sehne mich nach dem Liegestuhl in Sievering. Sievering, 2. September89 Nun bin ich wieder da, im Liegestuhl. Die Welt ist ruhig, friedlich. Ich bin zufrieden. Sonne, und hie und da ein Lüftchen. Hähne krähen, Hennen gackern. Heute vor 29 Jahren lernte ich meinen Mann kennen. Gestern mit Eli in Klein-Engersdorf. Der Weg vom Bisamberg sympathisch, lieb. Sie erzählte vom Bruder, seinen Anforderungen, seinem Egoismus. Theater. Warum ladet er mich nicht ein? Also: ich versprach, nicht mehr das Geringste zu tun. Nur hinzudenken. Das Schicksal wird es schon machen: Lockst Du mich abermals vom linden Lichte, verwegne Lust des schöpferischen Spiels, in Dein Tiefunten, in das dornendichte Gestrüpp des Herzens, Wirrnis des Gefühls? Nur dort, nur dort in töt{d}licher Verstrickung, oh fühls’, sind unsrer Zweiheit wir entrafft. Wach wehren wir uns gegen jede Schickung und fürchten feig den Sturz zur Leidenschaft. Blut glüht und Geist uns kalt geteilter Flamme. Das Schicksal erst gewölkt in dunklen Jahren, schlägt mächtig sie in seinem Sturm zusammen. Wir sind nicht wahr, solang wir uns bewahren, und nur der Blitz, von dem wir ganz entbrennen, läßt Blut im Geist und Geist im Blut sich kennen. Stefan Zweig Vielleicht, der Blitz der Leidenschaft wird alles „gutmachen.“ Das Schicksal, die Hand des Alls wird alles richtig leiten. Sonntag, 6. September Gestern war es ein Jahr gewesen, daß sich mein Enkelkind bewegt hatte. Lebt es? Wo ist es? Ich sehe zum Himmel. 89 Eintrag in auffallend kleiner Schrift geschrieben.

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Hans Geburtstag Vorgestern überm Tag am Schafberg. Wunderbarer Tag. Fröhlich. Geruhsam. Seit mehr als 14 Tagen ein Tag schöner als der andere. Heiß. Manchmal zu heiß. Ich genieße den Sommer, so gut es geht. Tief. Jeder Baum weiß mir etwas zu sagen. Am Donnerstag 3. bei Lisi gewesen. Erst bei Emma. Dann überm Maxingpark am Tivoli. Bäume, Bäume. Und in Schönbrunn saß ich dann abseits auf einer Bank und dachte. Ich sagte zu mir: Merke Dir diese Stunde. Das Süße ganz weg. Ich verstehe es. Es ist nichts. Der Mensch würde mich nur belasten, denn er kennt nur Forderung. Der Gegensatz von meinem Mann. Allerdings – eben deshalb bestand Gefahr. Aber ich sprach – und ich meine dadurch sie gebannt zu haben. Frei, darüber froh. Ich schreibe die Gedichte von Wladzko ab und bin wie verzaubert. Herzweh. Und das Schreckliche: ich kann nichts mehr gutmachen. Dieser Hochmut des Herzens! Diese Eitelkeit und Prahlsucht! O, ich muß noch mehr in mich gehen. Dienstag, 8. Sept. Heute bei Karl. Es war ganz schön, nein, wunderschön. Ich erzählte. Von meiner Jugend. Ich soll sehr sparsam sein, sage ich mir. Von Wladzko sprach ich. Zeigte Gedichte. Ich war irgendwie gelöst. Und noch etwas: Als ich ausstieg, sah ich zum Fenster hinauf. Er blickte auf die Straße, zur Straßenbahn. Also, er erwartete mich. Das macht vieles wieder gut. Das will ich mir merken. Es soll und darf nicht anders mehr sein. Wie könnte ich das erfüllen? Gestern war ich in Maria-Grün {11x}. Vorher saß ich um ½ 5h auf einer Wiese unter alten Bäumen. Es war trüb. Ich hatte die Hausbesorgerin von der Haidg. in ihrem Schrebergarten {besucht}. Drei Wochen hatte die Hitze gedauert. Dann saß ich unterhalb des Stadion auf einer Bank. Herbstlaubduft. Die Sehnsucht meiner Mädchenzeit. Nun weiß ich soviel vom Leben. Ich konnte hineinsehen, es gleichsam abschälen. Dann kam ich um ¾ 6h nach Maria-Grün. Frieden, Ruhe, sanftes Licht, die Trübe war gewichen. Donnerstag, 10. Sept. {Sanft mildes Herbstwetter.} Heute mit Emma in Maria Enzersdorf. Nach Gießhübel. Beim Perlhof Intermezzo mit dem Schutzmann. Vorher dieses süße Herbstempfinden wie vor vielen, vielen Jahren. Ist es die Erfüllung?, die kommt? Von Gießhübel die Straße nach {der} Hinterbrühl über die Römerwand. Welche Merkwürdigkeit! Im Vorjahr, am 2. Oktober, als Lisl wegfuhr (Jahrestag), saß ich auf einer Bank in der Helmstreitgasse. Und heute entdeckte ich, daß es die Villa Steiner gewesen war, vor der die Bank steht! Welche Fügung! Durch die Klausen nach Mödling. Ich danke für alles! Gestern Alarm, der vierte überhaupt. März 2. Alarm, vor etwa 10 Tagen der 3.

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Sonntag abends, 13. IX. Ich schreibe die Gedichte von Wladzko. Armer Junge! Karl. Wieder lieb und süß. Vorgestern in Hagenbrunn mit Emma. Herrlicher, heißer Tag und ein unangenehmer Abschluß, der Schwester wurde schlecht. Das Dörfchen friedlich. Ich saß in einem einfachen Bauernhof und rebelte den Holler. Wunderbare Tage sind. Ich lebe, liebe ... Und immer das Kind. Donnerstag, 17. Sept. Vorabend von Lisls Hochzeitstag. Unerhört schön. Strahlender Tag. Nach Lourdes. Emma mit. Deshalb nicht so wie sonst voll Inbrunst. In der Messe aber schon. Kind, Kind, Segen für Euch. Dann durch den hohen Buchenwald nach St. Andrä-Wördern. Immer als Kind, wenn wir vorbeifuhren, sah ich dahin. Und dann um ½ 4h zu Karl. So schön wie heute war es noch nie. Er ging meine weiße Straße. Sonntag, 20. September 42 Heute ist ein unbeschreiblich milder, sanfter Tag. Ich denke viel, viel hin. Viele Erkenntnisse. Heute in der Kirche Dank für Langer und wegen des Gedichtes. Nicht hergeben. Nun habe ich daraus einen Brief gemacht. Darf ich den hergeben? Er ist unendlich gütig. Er, der mich beschützt, dessen Stimme ich in meinem Herzen höre. Sonntag, 27. IX. Nein, ich gebe das Gedicht nicht her. Dienstag 22. in Sievering bei Hofrat St. Erst in Pötzleinsdorf. Pötzleinsdorferstr. 22. Dann den Larischweg hinauf. Ulmerstr. hinunter nach Salmannsdorf. Unerhört schöner Tag. Denken. Am Freitag 25. nach Lang Enzersdorf. Heiß. Ich sah momentelang zum Leopoldsberg hinüber. Wunschlos glücklich. Der Teich. Die Bank davor. 2 Jahre schon sind es her. Es sind unbeschreiblich schöne Tage. Heute heiß. Abschied bei Sü{bak}90. Alle sind schon weg. Gisi am 24. Sehnsucht, mein reines Herz zu behalten und doch das Blut. Donnerstag, 1. Oktober Am Montag 28. Sept. bei Karl.

90 Mit königsblauer Tinte nachgetragen.

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Erst nach Salmannsdorf. In die Keylwerthg. 13–15. Das gelbe Haus. Dann zu ihm. Er machte mir auf – verlegen. Die Rosen, die ich brachte. Erst allein. Ein wenig müde. Vier Jahre, daß das Kind im Telefonhäuschen stand. Ich sang. Erst gar nicht gut. Das Klavier so tief gestimmt. Dann besser. Suleika. „An der Begleitung hapert’s.“ Weylas Gesang begleitete er. Ich sang es gut. 2x Marias Wiegenlied, sehr gut, zweimal Traum durch die Dämmerung, Freundliche Vision, ganz gut. Andeutungen, im Traum, Märchen Leben. Die Wirklichkeit ist am schönsten. Fazit: Deprimiert und doch Freude. Ich sah mir das Gesicht oft an: nichts. So wie bei Waschak: Sehnsucht und wenn da, in der persönlichen Nähe nicht viel. Gestern telefonierte Eli zur Hilda: „Ich komme Montag erst um ½ 5h nach Hause, komme erst.“ Ich ward fast zornig. Doch: wenn man etwas bekommt, dafür büßen und zahlen. Hinterbrühl, Freitag, 2. Okt., ½ 12h Wie soll ich das alles sagen? Heute sind es vier Jahre, daß das Kind weggefahren ist. Ich war in Maria Enzersdorf, zum 15. Mal, und sitze nun an der Straße nach Gaaden. Es ist ein unwahrscheinlich schöner Tag – einer, den ich so liebe, mit sanftem Sonnenlicht und italischblauem Himmel. Stille ringsum. Ich präge mir alles ein. Dank, Dank! Dieser Frieden! Kein Mensch, Tier – nichts – nur die Natur um mich. Der Duft des Herbstes, mir so unendlich lieb. 12h, Kiental: Dieser schöne Straßenwaldweg! Ich sitze beim Försterhaus. Frieden, Ruhe. Ich habe diese nie so geschätzt, wie jetzt. Wie habe ich in der Kirche gefleht um Schutz für mein Kind, um Kraft das andere von mir zu halten. Sprach ich in dem Blatt vorher nicht von W.? Und heute träumte mir von ihm. Ich streichelte seinen Rücken. {Im Brühler Park vor der Volksschule.} Sommer 1818 aus einem Skizzenbuch Beethovens: Ein kleines Haus allda, so klein, daß man allein nur ein wenig Raum hat, nur einige Tage in dieser göttlichen Briel. Sehnsucht oder Verlangen, Befreiung oder Erfüllung. Vor dem Hause Helmstreitg. 5: Vor einem Jahr bin ich da gesessen, nichtsahnend, daß das Haus Hans’ Tante gehört. Ein Jahr! Rasch vergangen. Ich wage nicht zu denken, was in einem Jahr sein wird. Heute früh Alarm. ¼h hoher Ton um ½ 5h. Diese Stille! Ich denke an das Kind. Ich könnte so sitzen: immer, immer.

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Jetzt noch außen, vielleicht einmal innen? Unter den Akazien am Weg nach Enzersdorf: Es ist wunderbar. Heiß, und doch ein Lüftchen. Ich schaue, schaue, ruhe und danke und d a n k e ! 91 {Um 3h auf meinem Platz.} Hetzendorfer Park, ¼ 5h: Süße, sanfte Sonne. Der schöne, schöne Garten! Sonntag, 4. Okt. Ja, das war vorgestern ein wunderschöner Tag gewesen! Heute geruhsamer Sonntag. Ich bin daheim, nähe, krame, schaue zum Fenster hinaus. In meinem Zimmer hat der Violinvirtuose Fritz Kreisler gewohnt. Irgendwie bin ich so gerne darin. Die Wände strömen die Gedanken des Künstlers aus. Montag, 5. Okt. Bei Carl. Abschied. Ich küsste die Hand, rasch. Ob ich ihn wieder sehen werde? Ich gab die drei Zeilen: Du Eingeschlossner. Die Schwester. Ein wenig unangenehm. Dienstag, 6. Froh, daß vorüber. Anstrengend. Sonntag, 11. Bis {vor}gestern unvorstellbar schöne Tage. Seit Mitte August. Gestern in Hagenbrunn. Ich stand beim Tor eines alten Bauernhauses und sah gegen die Kirchturmspitze, gegen den Himmel. Die Sonne sank. Heute ein Herbsttag. Kühl, trüb. Montag, 12. Abschied am Telefon von Karl. „Ich bin ein einfacher Mann.“ Ich glaube, ich habe hineingeheimnist. Freitag, 16. Vorgestern das Erlebnis mit dem Vater. Tragisch. Angst. Die Mutter kommt heute.

91 Zentriert und in auffallend großer Schrift geschrieben.

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Am Montag 5. den lichtblauen Pullover mit Absicht. Vorgestern, gestern, heute die blaue Küchenschürze. Mittwoch, 21. Sonntag 18. Maria-Grün. Sturm, Regen. Die goldene Hauptallee. Heute süßer Tag. Ich saß auf der Bank vor der Kaasgrabenkirche. Sonne. Schauen. Dann das Haus No 1 Huschkagasse. Eli. Mit ihr nach Sievering. Hungerberg Straße. Sonntag, 25. X. Heute Nacht Alarm. Gugging, Donnerstag, 29. Okt., bei der Grotte {Vortag von Lisls Geburtstag.} Tage, gesegnete Gnadentage. Wärme, Sonne. Die Herbstkleider der Bäume von unvorstellbarer Pracht. Die Purpurröte des wilden Weines. Momentelang sah ich im Stift rote Blätter, wie ich {sie} noch nie gesehen habe. Und nun sitze ich in der Sonne und bete, bete für mein Kind und für uns. Ich war die einzige, die herkam, jetzt sind noch zwei Frauen gekommen. Keine Messe. Stille, Stille. Beim Herweg grüßte mich ein Vöglein. ¾ 11h: Auf der Bank am Weg zum Waldhof. Im Mai bin ich da gesessen. Wie bei blauem Himmel und Herbstfarben ich mich vor Dank und Herzensglück nicht auskannte, sagte es in mir: Schaue, genieße in Ruhe – nicht im Überschwang. Damit alles im Gleichmaß ist und bleibt. Denn das Übermaß, der Überschwang birgt das Untermaß, den Unterschwang. Darf mein Herz danken für diese Erkenntnis? Ich erinnere mich nicht, einen solch goldenen Sonnenherbst erlebt zu haben. {Welch ein Tag zur Besinnung!} Gestern war ich in Hietzing beim Ohrenarzt. In der Dunkelheit ging ich zu Emma. Der Turm der Hietzinger Kirche im klaren Sternenhimmel! Der Weg hinauf zum Maxingpark in Gedanken. Hier lebte ich 19 Jahre und dann den Weg zur Ameisbrücke. 6 ½ Jahre. Und diese 3 Jahre? Sie waren schwer, gewiß, aber: keine Geldsorgen, die Freiheit, das Genießen? Waldhof, 11h: Ich sitze in der Sonne. Niemand ist da, frägt nach meinen Wünschen. Eigentlich habe ich keine. Eine Henne und eine schwarze Katze mit einem verstümmelten Ohr leisten mir Gesellschaft. Ein Fink schlägt. Gottesfrieden. Nur die Menschen kennen ihn nicht. Doch nach außen hin scheint mancher friedlich. Und unter den Tieren des Waldes auch Kampf und Unrast. Die Sonne, die Bäume!

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Ehe ich zuvor auf der Bank saß, bin ich ein Stück den Weg nach Hadersfeld gegangen. Wo mag Sp. weilen? Frau S. tot. Wie dankte sie damals für den Tag! Ja, und bei einer Wegbiegung sah der Wald herunter, violett, Herbstzeitlosenviolett! 12h, im Gasthaus: Ich sitze im Garten in der Sonne. Es ist, als wäre Spätsommer. Auf der Straße nach St. Andrä: Ich bin bis zur Talweite gegangen. Der tiefblaue Himmel, die Färbung der Bäume! Der Schafhirte mit der Axt. Nachher Andacht für 2 Frauen und mich. Sehr ergriffen. Um ¾ 4 h oft Abschied nehmend heim. Lisls Geburtstag, Freitag Sonnentag. Um ½ 8h nach Maria-Grün {12x}. Die Messe hatte eben begonnen. Die Tränen {am Altartuch}. Durch die Alte Lusthausstraße zum{r} Rotundenbrücke. Die Farben der Bäume, die Perspektiven! Manchmal für die Augen nicht zum f{F}assen! Soldaten wurden abgerichtet. Elis Sohn geht nach Afrika. Das Gedicht O bitte, rechne es zum Positiven wenn ich zum Tag, der Deinen Namen trägt, Dir dieses schreibe! Auch das Schicksal legt vielleicht mein Tun nicht ganz zum Negativen. Ich will am Karlstag mich recht in Dich vertiefen. Mein Herz, das stets von Innigkeit bewegt, wird dann, von süßer Leidenschaft erregt, als hätte es des Himmels Tuch ergriffen, sich weit in tiefe Räume schwingen können. Nicht fern der Welt! Von ihr ist er durchdrungen der brausende Akkord der Gnadenzungen wird ganz gewiß zu Dir herübertönen, denn allem ist es aufgetan, bezwungen vom Geringsten, kann es Dir alles gönnen.

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Allerseelen, 2. Nov. Heute strahlender Tag. Mit Hilda in Lang-Enzersdorf am Friedhof. Warm. Ich konnte mich an den Herbstfarben und dem Herbsthimmel nicht sattschauen. 4. Ein herrlicher Tag. Erst nach Gersthof zu Violetta. Über die Scheibenberggasse, Hockegasse, Promenadeweg. Zur Endstation Pötzleinsdorf. Immer habe ich Pötzleinsdorf so geliebt. Es ist mir jetzt am sympathischsten; mehr als Hietzing, Döbling, Sievering, Grinzing. Der rote Wein an dem Haus am Ende der Hockegasse! Warme Sonne. Blauester Himmel. Abends Theater: Viel Lärm um Nichts. Mäßig. 5. Heute zur Lisi. Schönbrunn. Es dämmerte bereits. Trüber Tag. Ich war fast allein in dem großen Park. Ich ging die Allee neben dem Bad. Auf der halben Höhe stand ich still und prägte mir alles ein. Die rotbraunen halb entlaubten Bäume, der Schwung des Weges, die Stille, alles, alles. Ich dachte daran, daß ich alles, das ich mir so einprägte, so nur einmalig sah. Der Augarten. Er ist nicht mehr. Ich ging heute wegen der Kohlen und wollte durch. In Schönbrunn sah ich mich als übermütige Frau. Als ich von Lisi wegging, war es stockdunkel. Die Straße zum Fasangarten. Herzweh, Herzweh. Bei unserem Haus vorbei. „Sieh, ich stand bei Deinem Hause.“ Jedesmal muß ich daran denken. Auf dem Rosenhügel. Das Kind. Nun denke ich immer, immer an Lisl. Mit sehnsüchtigem, bittenden Herzen. Das andere weit weg. Für immer. 15. November Ein wenig froher Hoffnung. Wieder ganz beim Kind. Eine Schülerin ist da. Wie ich das Fernsein spürte! Dank. Alles wird ganz großartig, wenn man es sein lässt. 19. November Heute ist Lisls Namenstag. In Maria Enzersdorf. Kühl, trüb. Die Johannesstraße zum Liechtenstein. Die Allee zum Platz, wo ich das letzte Mal gesessen. Entblättert Baum und Strauch. Zu meinem Platz und dann nach Mauer. Mittagessen. Gestern bei Eli. Brief von Carl. Mir sind nur die zartesten Beziehungen zu Menschen von Wert. Soll ich Rosl schreiben? Seit Tagen zögere ich. Ich schreibe ja nur des Manuskriptes wegen.

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Sonntag, 22. XI. Ich habe eine Waterman92. Einst schenkte ich eine her – nun bekam[m] ich eine. Immer wird bezahlt. Ich habe Rosl nicht geschrieben und will morgen zu ihrem Mann gehen. Ich habe ein wenig Angst. Heute früh Schnee, jetzt Sonne. Mir träumte heute vom Kind. Dienstag, 24. Es ist alles gut gegangen. Das strenge Auge. Ich bin im Vorzimmer gestanden. Eine Bettlerin für einen anderen. Aber ich habe deshalb ein sehr gutes Gefühl. Habe nur Angst, sagte ich mir, dann wird es besser sein als Erwartung. Dank für die Erkenntnisse. Heute vor einem Jahr übersiedelten wir. Auf den Dächern liegt Schnee. Sonntag, 29. Nov., ½ 12h vorm. Ich sitze beim Fenster. Die Sonne scheint. Ich betrachtete mich zuvor im Spiegel; scharf: eine alte, einst sinnliche Frau, wenn sie aber lächelt, jung, verständig, teilnahmsvoll. Ich lese die vorhergehenden Seiten so oft: Viel Glück – aber, immer wird es stiller. Die Sonne! Sonntag, 6. Dez. 1942 Es ist ein so milder Tag. Die Sonne ist im Verscheiden. Vorgestern in Hietzing, beim Doktor. Strahlende Sonne. Durch den Maxingpark. Immer bin ich bei seinem Anblick erschüttert, ergriffen. Die Spuren des Kindes. Mit dem Mantel angetan, den es einst trug. O, mein Herr, wo wird es sein? Wie habe ich so viel, nein, nur an mich gedacht. Es ist die gerechte Strafe für alles. Wie kann ich meinen, ich ruhe am Herzen Gottes? Ich will es, aber ich bin viel zu gering. Ich möchte seine Hand umklammern. Reicht er sie mir, mir der Sündigen wahrlich? Er reicht sie mir, denn außer der Sorge um das Kind, ebnet er mir alle Wege. Vom Dienstag {1.} bis Donnerstag {3.}93 beim Vater. Tragisches Begehren. Das Kind lächelt mir zu. Der Mann hat es hinausgetrieben. Dieser Schmerz, wenn ich daran denke. Tiefster, wehester Schmerz. Die Stimme sagt: „Du wirst es begreifen, einst – und je weher der Schmerz, desto größer die Freude.“ Ich bin nun wieder ganz beim Kind. Das andere ferne, hoffentlich für immer. Dank.

92 Type eines Füllfederhalters. 93 Datumsangaben mit Bleistift eingefügt.

210   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

10. Dez. Vorgestern war ich Vormittag bei Eli. Es war warm, schön, sonnig. Ich fuhr zur Hohen Warte und ging die Haubenbiglstraße-Hungerbergstraße zur Straßenbahn. Du schöne Welt, sagte ich. Der reine sanfte Himmel. Heute Disput mit der Freundin. Tut sie mir wirklich Unrecht, wie ich oft vermeine? Sie lehrte mich schweigen und viel schauen. Ich habe Kiplings „Kim“ gelesen. Der Lama sagt: Ich habe mir Verdienst erworben. Wie war ich eitel! Wie oft meinte ich, ich hätte mir Verdienst erworben! O, du übermütige Frau. Carl kommt am 18. Ich muß büßen für Lüge und Süßigkeit. 20. Dezember Es weihnachtet sehr. Heute war ich bei Fr. Kisser. Und in der Baumgartnerkirche. Ich zerfloß. O, meine Sehnsucht nach dem Kinde! Ich vertraue Dir ewig, ewig, gerecht bist Du, o Herr! Bald steigt der Tag. Ich liebe die letzten abnehmenden Tage, weil ja die aufsteigenden kommen, wahrhaft und wirklich. Es muß doch Frühling werden! Donnerstag, Weihnachtsabend, ½ 9h Ich muß immer an das Kind denken. Jetzt fühle ich zum ersten Mal: es denkt her. Immer neue Erkenntnisse. Unerbittlich und folgerichtig. Gestern in Stammersdorf. Ich bekomme, weil ich gebe, Freundschaft und Güte. Vorvorgestern, am Montag, bei Carl. Merkwürdig: dort, nichts, gar nichts, weg: erfüllende, sehr zarte Sehnsucht. Heute wie immer: allein und doch mit Ihm, dem Herrn und Schöpfer – also nicht allein. Dies also ist wahrscheinlich der Preis für die menschlichen „Unerfülltheiten“. Ich bin eigentlich nicht „unerfüllt“. Erfüllt von Ihm, von Reue und Demut und vor allem von Sehnsucht nach dem Kind. Ich bitte um Schutz; um das Wiedersehen läßt sich das Schicksal nicht pressen. Es wird sein, wenn es sein darf und sein muß. 30. Dezember Vorgestern bei Carl. Schön. Wilhelm war da. Über Juden, Spitz gesprochen. Er ist innerlich Antisemit. Heute Edith. Ausgleichsdebatte. Sie muß arbeiten. Als ich heimging, Schnee – weicher, dichter, wundervoller Schnee.

1942/1943   211

Ich habe viel gesucht und auch gefunden, doch ward mir nie die endliche Erfüllung; nun ist sie da in Schicksals Samtverhüllung und jede Sehnsucht wird durch sie gebunden. Wie oft drängt mich mein Herz es zu erkunden, ob Dir mein Sein die kleinste Lebensstillung Dir je gewährt; es fordert die Enthüllung. Ich wehre [ihm] es ab, sanft in allen Lebensstunden. Denn niemals {niemand} wird es je erfahren ob je das Deinige nach mir verlangt ob einen Augenblick nur Du um mich gebangt. Wohl ist’s [ihm]{mir} oft, als würden still bewahren Geheimnisse der Augen dunkles klaren: {als würd’s ihm} [und] darin [...] gedankt.94 S y l v e s t e r 1 9 4 2 95 1 0 h v o r m . {auf der verschneiten Bank.} L o u rd e s . Di e So n n e , S c h n e e . Da n k . Ic h s c h a u e u n d d a n k e . Ti e f s t e B i t t e f ü r K i n d u n d u n s e r Wo h l e r g e h e n . Waldhof: Die verschneite Landschaft. Ich präge sie mir ein. Der Schneefleck von der Grotte in diesem Buch. 12h nachts: Kind, Enkelkind, Sohn – ich grüße Euch – wo seid Ihr? Heute in der Kirche am Abend: Ich sah mich reuevoll vor Ihm verneigen und tränenüberströmt hob ich mein Antlitz: Er verzieh mir. {Freitag,} am Neujahrstag 1943. Ich sehe immer mehr das Walten jeglichen Gesetzes und das macht mich verstummen. Ich kam vom Pathos her, von oben, von der Oberfläche. Nun steige ich hinab in die Tiefe; oben ist es hell, unten… Doch weiß ich das Licht dann wahrhaft zu schätzen und ich sehe wirklich, was Licht ist. Ich sehe die Gasse hinunter. 94 Das gesamte Gedicht ist in enger Schrift und mit engem Zeilenabstand geschrieben. Die letzte Zeile verschwindet im Rand der Seite. 95 Alle Einträge an diesem Tag sind in auffallend unregelmäßiger Schrift geschrieben und – vielleicht durch Tränen – verwischt.

212   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

Es ist Mittag. Kein Mensch geht auf der Straße. Ich überdenke. Heute der Priester: Man soll nicht zur Ruhe kommen. Dort wo man hingestellt wird, muß man arbeiten. Es ist kein kalter Winter. Heute erst ein wenig kälter. Ich muß oft an die Haidg. denken. Immer wenn ich vorbeigehe, grüße ich die Fenster. Gestern in Lourdes. Schöner Abschluß des Jahres. Wird es mir heuer das bringen, das ich so heiß ersehne: Nachricht vom Kinde? Am Mittwoch werden es 60 Wochen. Ich schreibe da so Belangloses und mein Herz ist voll von Dank, Fragen, Bitten, auch Sehnsüchten und Wünschen. Wünsche, nur zwei: Kind und ein Zimmer für uns allein. Aber ich muß es mir erst verdienen. Noch immer bin ich Schuldner beim Schicksal. Welch ein Übermaß an Überheblichkeit, an Hochmut fast, war mir zu Eigen! Diese Kräfte in einem, die in die Schicksalsstraße einmünden lassen. Unerbittlich. Dunkle Wolken am Himmel. Ein lichter Streifen aber dazwischen. Graues Licht. Gestern die Sonne! Der blaue Himmel! In den früheren Jahren fragte ich: Was wird das neue Jahr bringen? Ach, Herr, immer bei Dir sein dürfen und in der Heimat bleiben. Doch ich gebe mich in Deine Hände. Und so wie gestern, wirst Du milde zu mir herabsehen. Das Schwere wirst Du durch Deine Gnade mir leichter machen. Deine Gnade. Nur die immer besitzen. Es ist mein Streben. Du weißt es. Ich habe viel gesucht und auch gefunden, doch ward mir nie die endliche Erfüllung. Nun ist sie da in Schicksals Samtverhüllung und jede Sehnsucht wird durch sie gebunden. Wie oft drängt mich mein Herz, es zu erkunden, ob Dir mein Sein die kleinste Lebensstillung, Dir je gewährt; es fordert die Enthüllung! Ich weis’ es sanft zurecht in allen Stunden. Denn nie und nimmer wird es wohl erfahren, ob je das Deinige nach mir verlangt, ob einen Augenblick nur Du um mich gebangt.

1943   213

Und doch ist mir’s, als würden still bewahren Geheimnisse der Augen dunklen klaren: darinnen wird mir schwärmerisch gedankt. Sylvester 194296

96 Am Ende des Tagebuches sind einige Seiten herausgeschnitten.

214   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

Tagebuch Nr. 12 von Therese Lindenberg, 1. Jänner 1943 bis 26. September 1944 Das Tagebuch ist ein kartoniertes Heft mit linierten Blättern (156 Seiten) im Format 15,7 mal 20,1 cm. Der Einband ist grün-schwarz marmoriert gemustert, am Deckblatt ist ein schulheftähnliches Etikett angebracht. Das Buch ist mit einer Plastikfolie eingebunden. Die Einträge sind meist mit dunkelblauer Tinte (einzelne mit Bleistift) und in Lateinschrift verfasst. Das Schriftbild ist wechselhaft. Die ungeraden Seiten sind, beginnend mit „2“, mit geraden Zahlen handschriftlich nummeriert. Auf der Innenseite des vorderen Deckblattes ist ein Nachruf eingetragen, daneben ein mit Schreibmaschine beschriebenes Blatt mit Gedichten „An Lisl“ (datiert mit 26. Mai 1941 und 18. September 1947) sowie ein Devotionalienblatt der heiligen Maria eingelegt. [äußeres Deckblatt]

12 beg. 1. I. 1943 – 26. IX. 194497 [inneres Deckblatt, links]

Wien, im Februar 194398 In unsagbarem Leid geben wir die traurige Nachricht, daß unser innigst geliebter Gatte und Sohn, Obergefr. in einem Inf. Reg., Diplom-Ing. Rob. Hanzalik, wissenschaftlicher Assistent der Technischen Hochschule in Wien, Inhaber des Verwundetenabzeichens und der Ostmedaille, am 7. Dez. 1942 im 28. Lebensjahr, kurz nach Einlieferung in ein Kriegslazarett seiner schweren Verwundung erlegen ist. Er wurde auf dem Heldenfriedhof in Stalino beerdigt. In namenlosem Schmerz: Martha H. geb. Michalik als Gattin, Maria Skerle geb. Reschl als Mutter, Dipl. Ing. Robert S. als Stiefvater, Gertrud S. als Schwester, Wilh. Michalik, Emma Michalik, geb. Baier als Schwiegereltern. III. Marokkanerg. 5/Traung. 1

97 Beschriftung am äußeren Etikett des Tagebuches. 98 Eintrag am äußeren vorderen Deckblatt geschreiben. Die Adressangabe wurde über das innere vordere Deckblatt gezogen.

1943   215

[inneres Deckblatt, rechts]

MG No. 12. 1. I. 1943–26. Sept. 1944 635 Tage. [Tagebucheinträge]

Märchen M ä r c h e n f ü r z a r t e , t r ä u m e r i s c h e K i n d e r. Märchen für Wildlinge. M ä r c h e n f ü r g a n z b r a v e K i n d e r . 99 Freitag, 1. Jänner 1943100 Das neue Jahr, das neue Buch. Ich schaue wieder meine Straße hinunter. Es scheint die Sonne. Ich denke an die vielen „Neuen Jahre“ meines Lebens. Hauptsächlich an die in den letzten Jahren. Montag, 4. I. Ich hätte heute zu Karl kommen sollen. Er ist krank. Ich war gestern, vorgestern daheim. Seltenes Begebnis. Der Winter ist heuer milde. Wenig Schnee. Geruhsames Denken. Das Schicksal der Welt. Ich habe jetzt alte Tagebücher gelesen. Nein, ich kann nichts sagen, nur den Kopf schütteln. Aber etwas Eigenartiges, Richtiges am 9. März 1925: „Die Sexualität der Vorhaut. Vielleicht ist das das Einzige, was die Juden hindert, wahrhaft groß zu werden.“ Donnerstag, 7. I. Es ist draußen schön. Sonne. Heute in dem französischen Film: Einmal im Jahr. Durch die Stadt wie einst. Gestern bei Edith. Sie kann zu Hause arbeiten. Froh. Daß ich ganz neidlos sein kann, dankbar. Ich bin heute daheim, nähe, krame. Das Gedicht geschickt. Ich habe meine alten Tagebücher in die Lade gegeben; da lese ich oft nach und lebe in der alten Zeit. Ein wenig froher des Kindes wegen. Hat es vielleicht Nachricht von uns? Die schwersten Tage vom 8.–14. Jänner 1935, an die denke ich. 9. Jänner Mein 28. Hochzeitstag. Schnee, kalt, doch nicht sehr. Ich schreibe jetzt oft. Ich gehe viel in mich. Gestern in Hietzing beim Ohrenarzt. Über den Maxingpark zu Lisi. Pichler Grete. Die schöne Wohnung. Die Träume vom Kind. Immer an der Fasangartenecke sage ich:

99 Einziger Eintrag auf der ersten Seite. 100 Die auf diesen Eintrag folgende Seite ist herausgerissen.

216   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

„Sieh, ich stand bei Deinem Hause.“ Der Schnee, die Landschaft. Viele, viele Jahre da gewesen. 10. Jänner Heute der Traum vom Kind und dem Kleinen. Am 27. (26.) I. kam es zur Welt, sagte es im Traum. Wie merkwürdig! Ob dies wohl wahr ist? Wann werde ich Gewißheit haben? Geduld. Es ist noch immer nicht sehr kalt. -6o war die tiefste Temperatur. Ich muß immer an den Traum denken. Das Kind im weißen Kostüm und ich stützte mein Enkelkind beim Laufenwollen! 11. Jänner Gestern in Maria-Grün zum 13. Mal. Die alte Lusthausstraße. Es war kalt. Durch die Wiese, die mich im Herbst so entzückte. Ein wenig Schnee. Heute sehr kalt. In der Frühe hatte es 9o minus. 12. Jänner -10°. Kältester Tag. 14. Jänner Heute vor 8 Jahren. Das Kind gesundete. Gestern träumte mir von Waschak. Er küßte mich. Seine Frau war weg. Sonntag, 17. I. Vorgestern ununterbrochener Schneefall. Nicht sehr kalt. -1°. Gestern Tauwetter. +5° Quatsch.101 Ich bin heute daheim. Ich wollte in die Oper zu „Don Pasquale“. Ich laufe aber die ganze Zeit herum, komme wenig zum Nähen, fast nicht zum Schreiben und nachdem ich die kommenden Tage wieder wenig daheim sein werde, so entschloß ich mich, daheimzubleiben. Gestern bei Tante Fanny. Emmy weiß meine Geschichte des Lebens. Janthe mir lieb. Ich bin fast alle Samstage bei ihr. Ich schlafe so schlecht. Heute träumte mir von Karl und Lisl. Ach, mein Kind, mein geliebtes. Mit dem 17. Monatstag muß es irgendeine Bewandtnis haben. Ich las in den Tagebüchern und einige Male an diesem Datum: Reue, tiefer Schmerz. Und eben jetzt: Es schüttelt mich im Weinen. Das Kind lächelt mir zu und d e r H i m m e l ! 102

101 Österreichische Bezeichnung für: Schneematsch. 102 Zentriert geschrieben.

1943   217

Samstag, 23. Jänner Heute Philharmonisches! Herrlich, Georges Georgescu. Brahms I., Viotti, Rumänische Tänze und unvergeßlich: Ravels Bolero! Der Rhythmus, der Klang! Vorgestern beim Kindlein. Kindlein, Kindlein, stammelte ich unzählige Male. Kalt, kalt, -4–6°. Aber nicht so arg wie im vorigen Jahr. Immer: das Kind, das Kind und Dein Wille geschehe. Die Mütter, die ihre Kinder draußen haben! Das Ringen um Stalingrad. Auch ich bin eine Mutter, die ihr Kind im Kriege hat. Sonntag, 24. I. Es taut. +7°. Dienstag, 26. I. Heute sehr kalt. -9°. Vormittag Goldeggasse, Nachmittag in Floridsdorf, Töllergasse. Wir können den Vater nicht unterbringen. Ich war sehr durchfroren. Gestern nachm. mit Hilda bei Eli. Karl – aus, ganz. Ohne Herzwärme. Ich denke nur an das Kind. Gestern las ich die Berichte in einer Zeitung über den Krieg auf den Philippinen. In der „Wehrmacht“. Ich hatte ein ganz schweres Herz. Heute in Floridsdorf: Bitte um Schutz für das Kind, für uns. Ich war ganz allein in der Kirche. Jemand übte auf der Orgel. Mittwoch, 27. I. Es schneit sehr, 7° minus. Donnerstag, 28. Tauwetter. Sonne. Grinzing, Friedhof. Durch viele Gassen, Krim, in die Krottenbachgasse. Nach Neustift. Kirche. Versprechen, wenn Nachricht, Spende und Messe. Mittagessen. Der Himmel verdüstert sich. Vom Michaelerwaldweg zum Sommerhaidenweg. Die Aussicht!! Dankbar. Zum (Pötzleinsdorfer) {Neustifter} Friedhof. Über die Pötzleinsdorfer Höhe. Schön, schön, zur Ulmerstraße, Endstation. Sonntag, 31. Jänner Dem Vater geht es schlecht. Heute hatte ich tiefes Mitleid mit ihm, als er so dahinlag, schwach, dem Ende nahe, er, der bis zum letzten Tag voll Widerspruchsgeist war. Ich habe nachgedacht. Er hat alles gutgemacht, was ich durch ihn gelitten. Er möge ruhig und in Frieden sterben. Draußen der Krieg, der totale. Die Sonne scheint wie eh und je. Donnerstag, 4. [Jänner] Februar Gestern: Stalingrad gefallen. Die Sondermeldung. Welch Martyrium! Geistig, körperlich. Dem Vater geht es eigentlich besser. Er hat sehr starke Schmerzen wohl, doch spricht er wieder und ist fordernd wie eh und je. Heute in der Kartenstelle das kroatische wunder-

218   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

schöne Mädchen. So etwas Feines und Liebliches habe ich noch selten gesehen. Es hätte einen Dichter über die Maßen entzückt. Heute war es so schön, so warm! +9°! Sonne. Wohl Quatsch, aber es roch nach Frühling. Sonntag, 7. Februar Dem Vater geht es schlecht. Fieber. Verfall. Ein Leben zieht vorbei. Draußen ist es sehr warm. +9°. Regen, aber doch frühlingshaft. Wo wird das Kind sein? Wann werde ich Nachricht bekommen? Dienstag, 9. Februar Der Vater ist gestorben. Knapp vor Mitternacht. Am Hietzinger Friedhof wird er begraben. Er war so schön im Tode. Der Herr gib ihm die ewige Ruhe und Frieden. Samstag, 13. Februar Gestern um ½ 2h Nachmittag wurde der Vater begraben. Es waren sehr viele Menschen. Das was ihn so gefreut hätte: Blumen, große Aufmachung. Die Sonne schien, es roch nach Frühling. Den alten, lieben, lieben Weg, die Maxingstraße, beim Park vorbei. Die Mutter. Heute wieder das gute Erlebnis: Ich ging die Novaragasse hinauf und sah zum grauen Himmel. Ich dachte daran, daß ich schweigen konnte, wenn man mir Unrecht tat. Und das Auge sah herab zu mir: gütig, voll unendlicher Weltenliebe. Ich war geborgen. 15. Februar Heute linder Tag, +10° in der Sonne. Gestern stürmisch am Friedhof, Vaters Geburtstag. Sonntag, 21. Febr. Vorgestern Klimtausstellung. Leda mit dem Schwan, dann Gasthof am Attersee, die Blumengärten: schön!! Hernach in Sonne zum Friedhof. Blauer Himmel, es war Frühling. Gestern, unwahrscheinlich herrlich im Sonnenschein das Belvedere! Ich ging fast eine Stunde darin spazieren, hernach in die Waldmüllerausstellung!!! Der Ausblick vom Balkonzimmer! Frühlingshaft. Kam durch die Marokkanergasse in die Markthalle. Ich dachte an das Kind, intensiv, wie es da gegangen ist mit dem Robert H. Und heute in der Frühe las ich die Parte. Robert ist am 7. Dez. in Stalino {gestorben und} begraben worden.103 Ich war tief erschüttert.

103 Vgl. dazu die Abschrift der Todesanzeige von Robert Hanzalik am linken inneren Deckblatt dieses Tagebuchbandes. Stalino, heute Donezk, liegt in der Ostukraine.

1943   219

Ich fuhr zur Eli und am Weg dahin machte ich in der Antoniuskapelle Halt und weinte und betete. Friede Deiner Seele, Robert, den das Kind so geliebt hatte. Ach, wie es damals in Hetzendorf zum Rendez-vous rannte! Und als es von dem Sonntag nachm. in Kierling erzählte. Wie schön es gewesen war! Die Vöglein haben gesungen. Deshalb gehe ich so gerne dort hinaus. Wo wird es sein, mein geliebtes Kind? Heute in Sievering. Türkenschanzpark. 22. Februar Heute in Maria Enzersdorf. Unvergeßlich schöner Tag! Heiß! Erst zu St. Gabriel. Dann Liechtenstein. Die schönen Wege durch den Wald. Hernach die Straße nach Gießhübel. Immer das liebe Gießhübel! Die Kirche zu. Rückwärts, beim Haus vorbei zum Liechtensteinwald. Das kleine Stück, das ich so liebe! Auf der Bank, dem schönen Haus gegenüber gesessen. Die Sonne schien, wolkenloser, italischer Himmel. Die Schneeberge! Heiß! Dann mit dem Auto um 1h nach Enzersdorf. Ich war also nicht auf meinem „Platz“ gewesen. Das erste Mal, seit ich ihn kenne {und in E. war}. 26. Februar In der Nacht vom 24. auf 25. Alarm. Der 6. Gestern in Sievering. Die Sonne schien, ich arbeitete im Garten. Es war schön. Heute beim Arzt. Vorher im Friedhof beim Vater. Warm. Die Vögel übten. Ich ging zu dem Platz, auf dem ich und Strunz gesessen. Die Bank fehlte. „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ Und darunter: „Selig, wer ein reines Herz hat.“ Wie merkwürdig! Mein liebster Spruch aus den Evangelien. Und als ich das letzte Mal dort war, suchte und suchte ich den Platz und konnte ihn nicht finden, weil ich: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ suchte. Es ist der Spruch schon ganz verblichen. Ja, und dann saß ich im Maxingpark und dachte vergangener Zeiten. 28 Jahre sitze ich, gehe und schaue in diesem Park, der mir der liebste ist von allen. Was habe ich {in} ihm erlebt und empfunden! Die Sonne war unwahrscheinlich warm, wie im Mai. Es roch stark nach Frühling. 27. Febr uar 1943 O Dank, Dank! H e u t e d i e Po s t v o m Ja p a n i s c h e n R o t e n K r e u z : Helen Eltern gesund. HansLisl. I c h h a t t e k e i n e Wo r t e ! F a s t 6 8 Wo c h e n , 4 6 5 Ta g e ! Dank, Dank! Dank! Ich neige mich über Deine gütige Hand.

220   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

am 3. März. Gestern in Neustift am Walde in der Kirche. Spende. Dank, Dank. Heute fiel mir intensiv ein: Bitte in einer Kirche wird erfüllt, in der man nie gewesen. Am Dienstag 9. März dort Messe. Hernach in Sievering beim Hasen und im Garten. 5. März Gestern Geburtstag. Am Hof in der Kirche (Schotten). Heute Doktor, Hietzinger Friedhof, Hetzendorf, zur Lisi, dann Pichler Grete besucht. Es regnete. Ich dachte ununterbrochen an das Kind. Die Fliederknospen dick. In der Hietzinger Kirche vor dem Theresienaltar Dankgebet. Dem Himmel, den Bäumen sagte ich: Das Kind hat g e s c h r i e b e n ! 104 Heute ein Gedicht an Carl zum Geburtstag. Ich kann nun wieder nichts als Worte schenken, doch sind sie eingefügt in das Geschehen. Gedanken, Wünsche, wenn sie auch verwehen, berühren Ströme, welche Welten lenken. So muß in meinem heutigen Gedenken ich Dir voll Freude sagen, daß mein Flehen zu wissen, was mit Hans und Lisl ist geschehen, ob ich mich darf ins Ahnensein versenken, auf allerhöchste Weise ward erhört: denn meinem kleinen Helen-Enkelkinde den Eltern, geht es bestens. Dies gewährt das Schicksal mir als Festtagsangebinde. So sind die liebsten Menschen unversehrt. Und draußen weht die Frühlingsluft, die linde. Sonntag, 7. März Einmal wieder daheim. Nähen, schreiben, kramen. Kälter, aber der Frühling ist nicht aufzuhalten. Im Vorjahr noch tiefer Schnee.

104 Zentriert in großer Schrift geschrieben.

1943   221

Montag Bei Janthe gearbeitet: von 12h–½ 7h. Müde. Dienstag, 9. März In der Frühe nach Neustift. Um ¾ 8h dort. Mit Violetta. Die Sonne scheint, es ist aber kalt. Die Messe. Ganz Hingegebensein. Wie lieb ist das Kirchlein! Dank. Dank. Ich bin noch nicht würdig, sagte ich zu mir, mein Enkelkind zu sehen. Nein, sagte Er, Du bist es, aber Du wirst Dein Menschensein besser geben können, wenn Du älter bist. Über den Sommerhaidenweg meinen lieben Weg zur Ulmerstraße mit Violetta. Dann allein nochmals zurück über die Pötzleinsdorfer Höhe zum Julienturm; neben den Schrebergärten durch einen schönen Waldweg wieder zur Ulmerstrasse, Büdingergasse. Der Matzleinsdorfer Friedhof, der echte! Vor 23 Jahren! Mit Ernst! Über die Starkfriedgasse, Hartäckerstrasse zu Edith. Aussprache. Viel gelernt, viel geklärt. Nicht verteidigen. 12. März, Freitag Heute im Friedhof. {Sonne.} 4 Wochen seit Vaters Begräbnis. Dann im Maxingpark. Gestern Brief von Gustl: „Versteh’ mich bitte, recht, wenn ich gestehe, zu wünschen, daß meine Frau dereinst so zu schreiben verstünde. …“ Es ist Frühling. Ich gehe in Gedanken den Dingen schon auf den Grund, aber noch immer nicht in der Sprache. 14. März, Sonntag. Heute zum 17. Mal in Mariagrün. Es war warm. Die Knospen. 15. März In Gugging. Lange auf den Autobus gewartet. Es war trüb, aber warm. Nicht sehr. Draußen um ½ 11h. Begrüßung der Bäume, des Himmels, der Statue. Dank. Messespende. Die Bäume setzten Knospen an. Den Weg zum Waldhof. Immer durch die Bäume. Grüße an die Statue. Ich sehe sie lange. Im Waldhof Mittagessen, den Weg gegen Hintersdorf. Es ist ½ 1 Uhr und sehr warm. Kahlenbergerdorf. Die Kirche ist gesperrt. Gegen die eiserne Hand. Der Friedhof gesperrt. Wunderbarer Weg über den Nußberg, Eichhof zur Station Nußdorf. Aber beim Eichhof herrliche Aussicht. {Nach 9 Jahren mit Mann hier!}105

105 Mit Bleistift und unregelmäßig geschrieben eingefügt.

222   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

21. März, Sonntag Heute Frühlingsanfang. Sonne. Ich bin daheim. Gestern mit Janthe, Hermann übern Himmel nach Salmannsdorf, Sommerhaidenweg in die Eroicagasse. Es war schön und kalt. Der Wald! Die Linien der Hügel. Ich und der Mondenschein überm Beethovenhaus! In Neustift in der Kirche. Am Donnerstag 18. Lisls 2 ½. Hochzeitstag. In der Bennogasse. Predigt. Entschuldigung. Heute Beichte. Die schwere Sünde. Ich hätte mit der Kommunion warten sollen. Gleich Generalbeichte. Dafür der Kummer des Kindes wegen Karl. Heute Nachmittag Violetta: das Disput wegen der Bibel. Schweres Herz. Das Gesetz des Leidens um zu Gnade zur kommen. Herz du wirst mir den rechten Weg weisen. Ich vertraue dir ewig, ewig. Mein Mann kommt zu keiner Gnade. Was soll ich tun? Milde, Güte, sagt die sanfte Stimme in mir. Beispiel geben. 25. März Heute in Maria Enzersdorf. Es war so schön! Sonne. Warm. Seit 4 Wochen ein Tag schöner als der andere. Diese andächtige Hingabe beim Gottesdienst! Dank, Dank. Bitte, daß der Mann ins Freie darf. (Wieder Aushebungen. Ich wollte zur Mutter gehen, bleibe da.) Dann nach St. Gabriel. Die Kirche leer, verlassen. Dann den geliebten, schönen Weg nach Liechtenstein. Das erste Veilchen. Die Allee. Die Vöglein sprangen vor mir her und sangen, sangen. Preiset Gott, sagte ich, singt, singt! Ich saß auf der Bank in der Mitteräckerstrasse unweit meines Platzes. Stille, Frieden. Ich sprach zu dir Herr. Mein Mann soll das wiedersehen dürfen: Die Sonne, den Frühling, die weite Welt! Dann auf meinem Platz! Wieder ein Veilchen. Ich legte es zu den Bildern der Kinder. Vor 5 Jahren, in 2 Monaten jährt sich der Tag: Vergebung wird gewiß der größten {tiefsten} Schuld. Sonntag, 28. III. Heute unnennbar schöner, warmer Tag. Im Jubiläumsspital zum Zehendner. Nicht finden. Urania: Geheimnisvolles Tibet. Mich interessiert der Dalai-Lamaismus schon sehr lange Zeit. Gestern bei der Mildenburg in der Urania. Enttäuscht. Alter soll sich so nicht zur Schau stellen. Es regnete gestern stark, seit vielen, vielen Wochen zum ersten Mal. Und heut kam der Frühling über Nacht. Der Hartriegel blüht über und über, die Parkanlagen sind voll zarter Grüne. Jetzt wird man mit den Schauen nicht nachkommen können.

1943   223

Freitag, 2. April Heute Lisl 4 ½ Jahre fort. Ich liege zu Bett. Nicht viel. Schnupfen und 37°. Ich hätte heute nach Hetzendorf/Lisi gehen sollen. Mein Neffe hat sich verlobt. Gestern das Erlebnis Hans Bruck. Er ist in einem Lazarett in Sachsen. Am 17. bat mich seine Mutter für ihn zu beten. Am 18. kam die Nachricht, daß er auf der Heimfahrt sich befindet. Wie soll ich danken, da mein Gebet so erhört wurde? Gestern Regen, Sturm, bei Eli zu ihrem 50. Geburtstag, dann mit der Mutter zu Edith. (Wieder der 17.) Sonntag, 4. April Ich bin noch immer nicht wohl. Heute zu Hause genäht. Fieberblasen. Ich las in einem Stammbuch: Der Mensch ist schöner niemals anzusehen, als wenn er kommt, Verzeihung zu erflehen. Eins nehm’ ich aus, was ihn noch höher weiht, wenn er verzeiht. (Holtei) Und: Es kommt nie etwas so schön, wie man es hofft, es wird nie etwas so schwer, wie man es fürchtet, und es kommt alles anders, als man es glaubt, aber es geschieht alles so wie es am besten ist für den, dem es wohl oder wehe tut. Mittwoch, 7. April Gestern bei Edith. Es ist wieder gut mit ihr. „Siehe mein Herz ist offen“ gegeben. Das Schönste und Wahrste meint sie, was ich je geschrieben habe. Heute mit dem Mann am Friedhof. Erst Sonne, dann um die Mittagszeit Schnee und Regen, dann wieder Sonne. {IV. Tor}106 Vor dem Grabe der Eltern vom Hans tiefe Erschütterung. Beschützt die Kinder, beschützt die Kinder, flehte ich. Der Stein vom Vater stand. Überraschung. Dann Mutter. Sie ist so verloren! Sie tut mir oft ein wenig unrecht, meine ich. Ich muß es aber ertragen, schweigen, schweigen. Es ist manches so verzehrt, sie sieht den anderen Dingen zu, um von sich die Verantwortung abzuwälzen. Schweigen, schweigen.

106 Mit Kugelschreiber eingefügt. Bei dem IV. Tor des Wiener Zentralfriedhofs befindet sich die neue jüdische Abteilung. Hier mussten ab 1941 auch alle Christen und Konfessionslosen, die laut NSRassegesetzen als „Jude“ oder „Jüdin“ galten, begraben werden. Außerdem waren dort die Gräber der Eltern von Hans Steiner.

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Sonntag, 11. April Es war die Tage her sehr kühl. Ja, vorgestern bin ich in Hietzing gewesen, beim Arzt und es schneite. Im Zimmer ist es warm und gemütlich. Am Donnerstag 8. bei der Mutter. Alles wieder gut. Danke dafür. Ich will kein böses Herz haben. Gestern Abend aber wieder Disput wegen des Speisezimmers. Ich kann drum hernach schlecht schlafen. Sie ist oft so wie einst, unduldsam und hart. Doch ich darf nicht hart werden, im Gegenteil: Unrecht leiden, Unrecht leiden. Wer weiß, ob es wirklich unrecht war. Soviele Zeichen des Himmels! Vor 20 Jahren, vor 12 Jahren. Sonntag, 18. April Seit Donnerstag ist es unwahrscheinlich heiß und schön, die blühende Welt! Donnerstag in Sievering. In der Frühe zur Mutter, (die ist jetzt gar nicht lieb zu mir, doch muß ich mich nicht lieb haben und ausharren) mit dem Mann. Ich denke, weil ich allein so froh durch Gassen gehe, muß ich dies dulden {}.107 Um ¾ 9h Weg nach Sievering. Den Weg oberhalb bis zur Agnesgasse. Alles im Begrünen. Vögel sangen. Wie gern hätte ich mich in den Liegestuhl gelegt. In die Kirche. Vorher noch eine Minute unter dem Kastanienbaum. Dann zu Ida. Herumlaufen. Arbeit. Garten. Sehr müde. Noch einmal fast zum Friedhofsgrund. In der Kartenstelle fast Kollaps vor Müdigkeit. In der Thaddäuskirche. Bitte um Bild. Wiedersehen zu viel. Endlich heim. Die blühenden Pfirsichbäume! Alles zart, zart und süß. In der Nacht schlecht. Darmkatarrh. Früh mühselig einkaufen, dann ins Bett. Die Sonne lockte. Ich las und schlief mich aus. Samstag gestern wieder Disput mit der Mutter, wie ich „hundertmal“ sagte. Weh und fast Zorn. Abends kam sie gutmachen. Janthe. Es ist heiß 25° im Schatten. Nachm. Philharmonisches. […]{…}. Heute wieder heiß, strahlend. Palmsonntag. Nachmittag nähen, dann mit dem Manne spazieren. Sonntagsmenge. Montag, 19. April Um 8h früh nach Lang Enzersdorf. Als ich in Jedlesee die ersten blühenden Pfirsichbäume sah, schlug mir das Herz vor Freude. Diese Blühten! Am Friedhof ergriffen. Träumen. Ich hatte Löwenzahn gepflückt. Ich dankte der Tante. Längs der Kellergasse nach Stammersdorf. Blühende Welt! Sonne, heiß. Die lieben Menschen. Heim. Der Mann wartete mit dem Mittagessen. Ein wenig war ich wieder eitel gewesen. Nachmittag Kammermusik. Abends Blindenkonzert. Die wunderbare Sängerin Viktoria Fischer. Der Kirschbaum und der weißblühende Baum bei der Straßenbahnstation Schottenring. 107 Gezeichneter sechszackiger Stern.

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Ostersonntag, 25. April Herrlicher Tag! Der Himmel wie ausgekehrt, es hatte nach einem sehr heißen Tag am Vorabend geregnet, die Luft würzigfrisch. Frühling! Die Mutter war zu Mittag dagewesen, dann nach Tisch mit ihr nach Maria Grün. Der Segen im Freien. Die jungen Blätter. Du junges Grün! Wir saßen fast 2 Stunden im Lusthaus in der Sonne. Die Menge spazierte. Ich sah viele Kinder. Ich schaue alle an. Freitag bei Janthe. Ich arbeitete. Dann auf dem Zentralfriedhof. Wieder die Grüne. Die Gräber verwahrlost, wie … Ich sehe die Gasse hinunter. Kinder spielen. Es ist Frühsommerabend. Vom{n} Carl Brief. Ich soll das Theaterstück holen. Ganz ferne. Doch noch mehr: Innerste stärkste Abwehr. Ostermontag, 26. IV. Ich sehe die Gasse hinab. Ich habe die Tagebücher von den letzten 3 Jahren gelesen. Ich sah zum Himmel und schloß die Augen. Seine Segnende Hand! Ich hatte nur Tränen. Dienstag, 27. April Ich schreibe jetzt so gerne in das Buch. Ich hätte es in den genußreichen Jahren auch tun sollen. Heute ein herrlicher Tag, ein genußreicher Tag. Nach Sievering. Als ich die Apfelbäume in Idas Garten sah, schlug mir das Herz vor Freude. Ich arbeitete im Garten und sah in die Blütenaugen. Körperlich schauten sie. Es war ganz einzigartig. Blüten, Blüten. Der Flieder duftet wie nie. Um 3h in die Agnesgasse. Ab und zu verschwindet die Sonne hinter dicke Wolken, ich liege 1 ½ Stunden im Liegestuhl. Ich sehe die blühende Pracht um mich. Blüten? Am Sommerhaidenweg. Ich geh zum Häuserl am Stoan. Mai, Mai, Mai sage ich in einem fort. Ich komme in einen Jungwald. Zartestes Grün. Ich bin ganz allein. Ein wenig ängstlich, da ein Mann vor mir geht. Endlich beim Häuserl. Lieblich. Ich kam mich vor Schauen nicht fassen. Die Zierleitengasse herunter (am Dreimarkstein die Kapelle), Salmannsdorferstrasse, Mitterwurzergasse – in die Neustifterkirche und dann Heim. ½ 7h. Dankbar. Immer Bitte: Schutz meinen Kindern. Mittwoch, 28. April Heute bei Dr. Ratislav. Ich fürchtete mich. Bitte. Dann denken an Rosl. In der Kapelle Thaddäus wurde mir klar, warum ich das Gedicht nicht hätte absenden sollen. Zuviel. Nur die Entfernung, Reserve und Wahrheit sollen meine Leitsterne sein. auf der Höhe, Neudegg, 1. Mai, Samstag Im Land der Kindheit.

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Gestern um ½ 2h Absdorf. Es regnet. Dann wieder Sonne. Ich schlief die Nacht sehr schlecht, bis 3h dann nicht mehr. Im Waggon stehen. In Kirchberg um ½ 3h. Wir steigen aus, es regnet, gießt. Warten. Tränende Wolken. Ich ängstigte mich der Mutter wegen, daß wir in diesem Wetter schlecht weiter kommen werden. Es wird heller. Wir gehen. Wir begegnen einem Bauern. Er wird uns, wenn er zurückfährt, mitnehmen. Wir gehen langsam vor, die blühende Maienwelt! Es wird strahlend schön, doch ist es kühl. Wir kommen nach Stockstall. Vom Bauern, der Kunstdünger lädt, keine Spur. Wir warten vor der Schmiede 1, fast 2 Stunden. Franz Gaf. kommt mit Holzwagen. Er nimmt die Mutter mit. Jetzt konnte ich gehen, gehen. Nun schritt ich in die prangende Maienwelt. Die ganze Straße mit Apfelbäumen geschmückt. Wie blühten doch die Bäume! Zu jedem sagte ich: du schöner Baum, nein, du bist zu schön! Es war herrlich! Die ersten 3 Bäume auf der Straße {nach Gr. Weikdf.}. Ich war weit voraus dem Wagen. Bei der Kapellenwegkreuzung holte mich ein Ochsenbauer ein den ich noch von früher kannte. Es war ein Straf.,108 wie ich später erfuhr, der zu einem Giftmord hätte helfen sollen. Begrüßung der Tanten. Es ist herrlich. Die Nacht sehr, sehr schlecht geschlafen, fast gar nicht. Müde und Floh. Zu müde. Und heute auf die Auhöhe, hier der höchste Punkt des Neudegger Gebirges. Vögel singen die Welt steht in Blühte. Ruhe, Frieden. Es ist Mai, Mai, Mai. Danke Dir Herr für alles. Auch für die Mühen. Sieh ab und zu auf mich, und schlage meine Hand nicht von der Deinen, wenn ich mich manchmal zu fest anklammere! Beim Abstieg sah ich die erste Schwalbe. Frieden, Ruhe überall. Neudegg, Sonntag, 2. Mai Gestern Nachmittag in Riedenthal mit der Mutter. Sonne. Erst alle besuchen. Dann Friedhof. Nicht so andächtig wie sonst, früher. Um 8h abends Maiandacht. Im Abenddunkel heim. Bessere Nacht. Früh ein wenig trübe. In die Kirche mit Tante Marie. Zurück allein, endlich. Land der Kindheit, Land der Kindheit im Mai. Ich ging durch den Steinfelsenweg. Vögel sangen. Eine Lerche stieg auf. Es war Mittag und mittäglicher Friede. Ich war sehr glücklich – wie gering erschienst Du mir einst, sagte ich zur Landschaft, und nun bist Du mir eine solche Oase geworden! Gutes Mittagessen. Ich legte mich in den Liegestuhl und sah zu den Apfelbäumen und Föhren, da rief die Mutter. Sorge um mich, Verkühlung wegen.

108 Vielleicht Abkürzung für: Straftäter.

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Ich bin der ewigen Zurechtweisungen wegen oft ein wenig widerspruchsvoll. Ich will es nicht sein. Will alles über mich ergehen lassen, damit mir dies mein Kind an mir gutmacht. Aber ich wehre mich doch zu viel. Immer vornehmen Ruhe, Ruhe, nichts sagen. Dann doch sprechen, nur ein wenig – und alles ist schon zu viel! Maria-Grün, 6. Mai 1943, ¾ 9h109 Vögel singen, Sonne, Mai. Ich bin ganz allein. Montag 3. früh trüb, regnerisch. Ich gehe um 10h nach Riedenthal. Abschied am Wege. Eine Lerche stieg auf. Bei Tante Cilli der unangenehme Onkel. Doch bin ich ihm nicht gram. Segen über ihn, damit seine letzten Lebensjahre nicht zu schwer für ihn {sein} werden. Um 2h weg. Ich gehe die Straße. Tante Marie ging ein wenig mit. Der Onkel S. mag mich nicht. Ich war nicht betrübt denn die Blüten der Apfelbäume kosten Aug und Herz. Ihr seid zu schön, mußte ich immer sagen. Von den letzten 3 Bäumen nahm ich unvergeßlichen Abschied. Um 8h wieder daheim. Daheim, noch habe ich ein Daheim. Vorgestern sang ich bei Epst. Die Dame, die mir gleich so sympathisch war. Ich sang, sang gut wie nie. Danke sagte ich, danke für die Gabe. Marias Wiegenlied. Gegen Osten. Für das Kind. Für mein […]{E}nkelkind. Nie noch habe ich das Lied so gesungen. Mein ganzes Herz strömte mit den Tönen aus. Diese Wellen gingen hin zu ihnen – zu meinen Kindern! Auf der Bank vor dem Vivarium, 10h: Ich schaue hin auf den Platz wo Lisl gearbeitet hat – vor 5/6 Jahren. Ich ging jetzt die Hauptallee herauf. Vögelsang begleitete mich. Die Kerzen leuchten. Der Flieder blüht. Ich denke so oft: Es ist zu schön. Ausgleich für das schwere, schwere Leid um mich. Die Allee von Maria-Grün bis zum Viadukt ganz einzig. Das frische Grün, die hohen grauen Stämme über alle Maßen eindrucksvoll und malerisch. Freitag, 7. Mai Nachmittag Doktor, Friedhof. Ich treffe dort die Mutter. Zur Lisi. „Sieh, ich stand bei Deinem Haus.“ Vor 20 Jahren! Wenn ich daran denke, schmerzt mein Herz. Pichler Grete. Es düstert. Mairegen. Unbeschreiblicher Duft. Wir gehen durch Schönbrunn. Sonntag, 9. Mai Ich sang bei Epst. 2 Stunden hindurch. Gestern in Stammersdorf. Tunis. Maiduft.

109 Die Seite vor diesem Eintrag ist herausgerissen.

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Mittwoch, 12. Mai Es ist wundervoller Mai. Sanftes Licht. Ich fuhr um ½ 11h zu Eli nach Hause. Der Duft. Ich dachte an früher – diese Sehnsucht! Der Brief: auch Th. nichts sagen. Ich mußte lächeln. Donnerstag, 13. In Maria-Grün. O diese Allee mit den dunklen Stämmen! Wie schön bist du, stammelte ich, wie schön bist du Wald. Das grüngolden Licht, die milde Wärme – es war zu schön! Bis zur Stadionbrücke gegangen. Montag, 17. Mai Gestern Muttertag. Im Häuschen. Ich schlief nach dem Essen im Liegestuhl. Das hatte ich 25 Jahre (24 ¾). Vormittag kühl, nachmittag Sonne. Donnerstag, 20. Mai Heute Nacht der Traum vom Kind. Es sah schlecht aus und weinte wegen Karl. Als ich aufwachte, war mein Herz so schwer. Ich schlief ein und träumte weiter. Vormittags fuhr ich zu Eli. Ehe ich zu ihr gehe, mache ich immer einen Umweg über die Antoniuskapelle. Durch den Traum war ich im Innersten aufgewühlt. Zuerst ging ich in die Alserkirche. Das erste Mal ging ich zu Ihm. Ich war erschüttert wie nie. Es ist Mai, schön, Sonne, kühl, kein Regen. [Brief]

L. C. ehe ich Deine Arbeit zu schreiben beginne, möchte ich Dir vielmals dafür danke, daß Du mir die Erlaubnis dafür gabst. Ich freue mich unendlich darüber. Ich schreibe Dir so wenig nur aus dem Grunde, weil ich ahne, daß es Dir unlieb ist, daran erinnert zu werden, wie wenig all mein Tun dazu beitrug, Dir bei der Anerkennung Deiner Kinder zu helfen. Und es ist so: je mehr ich mich bemühe, je mehr mein starkes Wollen dahin gravitiert, desto mehr schwinden die Aussichten und alles was damit zusammenhängen könnte. Und so schreibe ich nicht, denke aber viel. Uns geht es gut. Ich bin oft bei Deiner Schwester, oft und oft bei meinen Freunden, deren Liebe und Anhänglichkeit rührend sind. Zweimal in der Woche singe ich jetzt bei Kammermusikabenden. Oft wirkt da der junge Wildgans mit, der in eben solcher Ehe lebt. Es sind fast lauter Leute meines Schlages dort und es ist so schön diesen Menschen vorsingen zu dürfen. Kein größter Konzertabend würde mir diese Befriedigung geben. Ich habe von der Tochter Nachricht gehabt, wie ich Dir schon zu Deinem Geburtstag geschrieben habe. Ich denke an mein Enkelkind Helen mit der allergrößten Zärtlichkeit und es existiert kein Kindlein in diesem Alter, daß ich nicht anspreche oder bis zum Verschwinden anschaue. Und wenn mir ganz bange ist, schaue ich zum Himmel, wo mir so oft Antwort ward. Und immer tönt dann diese sanfte Stimme, die mein ganzes Glück ist: Sei nicht traurig und zeihe

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nicht mich des Unrechts. Unerbittlich sind die Gesetze des Schicksals und gerade Du, mein Kind, gerade Du sollst dies begreifen. Da stammle ich dann: Ja, ja ich vertraue – ewig. Und nun gehe ich zu Deiner schönen, schönen Arbeit. Deine Th. Freitag, 21. (Juni) Mai Heute ein schöner, unvergeßlicher Tag. Doktor. Friedhof. Italischer Himmel. Wolkenlos. Sanftes Sommerlicht. Nicht heiß. Maxingpark: Ich habe die Blätter die mein Angesicht streiften, geküßt. Ich habe jeden Baum begrüßt und saß auf der Bank vor 20 Jahren. 20 Jahre! Hetzendorf, Hetzendorfer Schloßpark. Sonntag, 23. Mai Heute in Maria Enzersdorf. Mit Frau Gar. Es war wunderbar. Ich allein nach Enzersdorf. Kirche. Andacht. Für das kleine Herzenskindchen. Dann nach Mödling. In der Straßenbahn traf ich Frau G. Welch ein Zufall! Zum schwarzen Turm. Die Aussicht! Dann auf eine Wiese oberhalb Liechtenstein. Die Baumgruppe mitten in der Wiese. Überhaupt die Wiesen! Bis 4h dort. Dann Gasthof Liechtenstein. Nachher „meine“ Allee zu den Föhren. Rast. Durch die Johannesg. zur Straßenbahn. Es war wunderbar schönes Wetter. Blauer Himmel, sanftes Sonnenlicht, nicht heiß. Dankbar. Dienstag, 25. Mai Ich wollte heute nach Mr. Enzersdorf, denn morgen am 26., an meinem Gedenktag, habe ich keine Zeit {(Stunde)}, doch es regnete. So blieb ich daheim. Es tut mir leid. Aber ich dachte am Samstag hin. Heute der erste Regentag seit Wochen. Ich sitze beim Fenster. Die Schwalben sirren. Heute sind es genau 1 ½ Jahre, daß wir übersiedelten. Heute Frau Horner weg. Ich kränke mich, daß ich sie nicht besucht habe. später: Immer wenn ich meine alten Tagebücher lese, erfaßt mich Trauer und Abwehr. Nun weiß ich wieso ich soviel „leiden“ mußte wegen Freiheit und Geld. Beides macht{en} mir jetzt keine Schwierigkeiten mehr. Es ist erstaunlich, wie groß meine Vitalität und meine Kurzsichtigkeit waren. Große Worte. Doch daß ich still hielt, dafür werde ich jetzt belohnt.

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Dieses Wollen! Diese fluktuierenden Weibeskräfte! Bis zum 6. Jänner 35. Umkehr. Das große Leid. 26. Mai Es regnete den ganzen Tag. Ich dachte an meine alljährliche Wallfahrt. Knapp möchte ich alles sagen lernen. Kein Überschwung. Tief, von unten her soll die Sprache aufblühen damit sie Dauer hat. Sonntag, 30. Mai 1943 Ich war in Maria-Grün gewesen. Sanftes Sonnenlicht. Maiandacht im Freien. Die Bäume rauschten. Momentelang voll Hingabe. Durch eine neue Allee zur Elektrischen. Einige Stellen mit Gras wie ich es so liebe. Ganz einzig! Diese Schätzchen werde ich aufsuchen in Sonne und Sommer. Kein Mensch auf der Straße. Kein Wagen. Auch die Schwalben sirren nicht. Stille. 11h, Gugging, Montag am letzten Maitag Es ist noch Mai. Als ich ausstieg blühte noch ein Apfelbaum. Er streute Blütenblätter auf meinen Weg. Gräser, Blumen grüßten mich. Sonne mit einem leichten Flor. Die Sakramente. Aufgelöst, erschüttert. Bitte um Vergebung. In der Zeitung die Notiz von Schanghai.110 Heute träumte mir wieder vom Kind. Es war traurig und allein. Ach, mein Flehen um die Gesundheit und den Schutz für meine Kinder kennt keine Grenzen. Ich bin ganz allein bei der Grotte. Das Quellchen rieselt, Vöglein singen, sonst Stille. Dank. auf dem Weg zum Waldhof, ½ 12h: Vögel singen. Der Duft des Maiwaldes. Es trübt sich ein. Ich grüße alle Bäume mit Liebe. Gesegnete Stunde. später, Waldhof: Stille, Stille. Ich schaue gegen den Wald. Ich schreibe auf einem breiten, bequemen Tisch; wie seltsam schön! Eine Lärche steht seitlich, am Weg zur Straße eine Birke. Ich denke oft, daß ich früher mehr hätte schreiben sollen, früher in meinen frohen Tagen. Ich wollte schreiben „glücklichen“ Tagen. Glücklich bin ich jetzt auch – mehr noch als früher, wenn ich Ihm zugewendet bin. Nichts fehlt mir – nur das Kind, das Wissen um sie alle drei.

110 Dabei könnte es sich um eine Mitteilung über die im Mai 1943 auf deutschen Druck hin durchgesetzte Ghettoisierung aller nach 1937 in Shanghai eingetroffenen jüdischen Flüchtlinge gehandelt haben. Shanghai war damals eine japanisch besetzte Stadt.

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Solange ich Nachricht hatte, ich wußte, wo und wie sie leben, war kein Anlaß für Gram und Sorge. Ich vertraue – nur das kann ich sagen und beten, beten, flehen um Schutz. später, ¾ 2h: Ich sitze am Straßenrande, unweit der Stelle, auf der ich im vorigen Jahr am 18. Mai saß. Dunkel, sehnsüchtig steht überall der Wald. Ich las bis jetzt im Gebetsbuch von Janthes Mutter. Manche Stellen habe ich mir angestrichen. Die Ruhe um mich ist unbeschreiblich. I n s o l c h e r A b g e s c h i e d e n h e i t u n d F r i e d e n s s e l i g k e i t w ü r d e i c h g e r n e m e i n e n L e b e n s a b e n d v e r b r i n g e n . 111 Sonntag, 5. Juni Es ist so eine angenehme Kühle. Ich habe mir heute „frei“ gemacht, ich bin zu Hause – gerne, wie immer. Wenn es nur möglich ist, immer möglich ist, daß ich mir ein Plätzchen schaffen darf, auf dem ich schreiben kann und schauen, schauen. Die mir so liebe Gasse und die Himmelsgasse hinauf. Es ist Abend. Ich hatte gestern, vorgestern ein böses Herz wegen der Schwester. Ich bin ruhig, sage nichts, muß mich verleugnen. Dann immer nehmen. Kurz, ich meinte, mir geschehe wieder einmal Unrecht. Ich muß aber bewußt über alles hinwegkommen. Er hilft mir. Jetzt schon wieder froher, unbeschwerter. Gestern in Hetzendorf. Zieger. Der Maxingpark wie eh und je liebevoll, liebevoll. Mittsommer naht. Montag, 7. Juni Heute Brief von Lotte Bäcker. Ihre Mutter ist am 10. Dezember 42 gestorben. Friede sei mit ihr. Ich denke sooft an sie, wenn ich nach Hetzendorf gehe. Alles wird belohnt. Schweigen, schweigen, schweigen. Sandor ist krank. Da werde ich auch noch viel abtragen müssen. Gestern in der Oper „Macbeth“. Sehr schöne Aufführung. Lady Macbeth Elisabeth Höngen. Ganz großartig in Stimme, Auffassung und Erscheinung. „Ich“ dachte ich. Heute Regen. Im Volksgarten bei den Rosen. Ganz herrlich. Abertausende. 10. Juni Heute regnete es den ganzen Tag. Pfingstsonntag, 13. Juni Gestern, heute Regen: Nachmittag wurde es schön. Vormittag in der Ursulinerinnenkirche gesungen. Vor der Wandlung Eingebung: Orgelspielen. Dank. Das wäre schön. Ich will an die Akademie gehen. Nachmittag nähte ich, kramte. Ein Tag daheim. 111 Passage mit vertikalem Bleistiftstrich seitlich markiert.

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Pfingstmontag, 14. Juni Heute schön. Strahlender Himmel, Sonne, ein wenig Wind wie ich ihn liebe: voll sanften Duftes. Sonst eilte ich in den Garten. Heute hätte ich ins Freie, ins Häuschen können und blieb daheim. Ich schaue die Gasse hinab. Ich legte Kartenpatience – das tue ich so gerne. Pantelleria gefallen.112 Heute vor 3 Jahren fiel Paris. Die Gasse ist so still. Man ahnt nicht den Krieg, so ruhig, so sachte geht hier das Leben. 15. Juni Es regnet jeglichen Tag. Heute in Stammersdorf mit Eli. Morgen bin ich bei ihr. Sie geht ins Theater. Morgen hätte ich auf die Rax fahren sollen. 20. Juni Mittsommertag. Es ist kühl und regnet täglich. Gestern im Häuschen. Ich lag im Liegestuhl und dachte in die Wolken hinein. Es war sehr schön, ich ruhig und in einem Eckchen Freude: die Philippinen werden selbständig. Dadurch beim Kinde vielleicht keine kriegerische Handlung mehr. Dank. Heute mit schwerem Herzen beim Tisch des Herrn. Ohne Beichte. Wird Er verzeihen? Wenn ich nicht mehr sündige, ja. Gestern Brief von Lotte B. 23. Juni Heute in Maria-Grün. Auf dem Platz unter der Esche, an dem ich sitzen wollte. Sonne und Vogelsingen. 25. Juni Gestern mit Edith in der Agnesgasse im Liegestuhl. Die Bäume! Schön, doch 2 Mal Regenspritzer. 26. VI. Heute seit 3 ½ Jahren das 1. Mal allein in der Wohnung. Der Mann am Friedhof. abends: Ich war am Friedhof. Rosenhügel, Zehendner. Hetzendorfer Schloßpark. Die 2 Jasminensträucher am Eingange des Maxingparkes. Für mich so schön, für mich. Vorige Woche noch zarte Knospen, heute strahlend weiß, wie eine Braut. Die Schwalben sirren.

112 Die in der Straße von Sizilien gelegene Insel Pantelleria war der Landungsort der Alliierten und damit Ausgangspunkt der Invasion Italiens.

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Sonntag, 27. Juni Gestern Philharmonisches. III. Bruckner. Palestrinavorspiele. Sehr schön, mir sehr gefallen. Dann Edith und Berti G. Ich daneben, unbeteiligt, trennte mich. Ein wenig zornbetrübt. Ging dann wieder hin, wieder Trennung. Unangenehm. Immer drängte ich mich in Freundschaften, die mir unangenehm werden, weil die Verschiedenheit zu groß, zu weit. Heute bei den Ursulinerinnen gesungen. Nicht so froh wie unlängst. Unsicher. Ich möchte wirklich die Organistenschule machen. Sonntag, 3 Juli, 6h früh Ich bin seit 4h auf. Ich war im Land der Kindheit gewesen. Am 30. Juni um ¾ 2 nach Kirchberg. Bei bedecktem Himmel die Straße gewandert. Ich grüßte die Bäume, die Blumen. Mittsommer! Es war wunderbar schön gewesen. Punkt 1h kam war ich in Kirchberg angekommen, Punkt 3h kam ich nach Neudegg. Gewitterwolken waren aufgestiegen. Der weite Himmel ist so schön! Die Ebene ist wirklich gesegnet – vom Himmel. Kaum war ich eingelangt, regnete es in Strömen. So konnte ich nicht mehr weggehen. In der Frühe um 8h nach Riedenthal. Lerchen stiegen. Der Weg duftend. Sonne. Tante Fanny kommt um 1h. Disput mit der Mutter vorher. Um ½ 3h weg. Der Weg nach Kirchberg unvergeßlich. Wie im Sommer 23! Reifer Sommer. Ich saß am Straßenrand vor Oberstockstall und sah in den Sommertag voll Blüte und Duft. Um ¾ 5h in Kirchberg. Im Ort. Berg und Tal. Den Steg oberhalb des Grabens gegangen, wie ich es als Kind immer gewünscht. Warm, aber nicht heiß. Kaum in Kirchberg angekommen, leichter Regen. Gestern am Rosenhügel. Kirschen. Müde. Viel tragen. Die Linden duften so süß in der Schönbrunnerallee! Sonntag, 4. Juli Heute geruhsam daheim. Gekramt, ein Märchen, das vierte, geschrieben, genäht. Es ist ein schöner, milder Abend. Samstag, Waxriegelhaus, 10. Juli 1943, ½ 5h Ich bin wieder da! Ich hätte es nicht geglaubt, daß ich „so brav“ wieder hierher käme. Dank Janthes Freundschaft. Das werde ich ihr nie vergessen können. Die Tage her war Regen, Regen, Regen. Vorgestern, gestern Regengüsse. Ich war ängstlich. Gestern Abend zu Janthe. Ich sollte bei ihr nächtigen, weil wir früh zum Zug mußten (um 4h früh.) Der Mann nervös, nörgelnd, quälend. Ich dachte immer: sei ruhig, Du mußt Dir die Rax verdienen. Ich verdiente. Mir scheint es noch zu wenig für das viele, daß ich bekomme. Um 4h früh auf. Ich schlief gut. Am Montag war Eli bei mir gewesen. Dr. R. hat endlich geschrieben. Eigentlich günstig. Herrlich nannte er die Nachdichtungen Michelangelos.

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Also um 4h früh auf. Wir waren schon um 5h am Südbahnhof. {Strahlender Tag!} Es ging alles glatt. Und wir hatten uns so gefürchtet. Um ½ 9h in Payerbach. Mit dem Bähnchen zur Bergstation. Die Luft. Wir kamen gleich dran. Der Blick ins Kaiserbrunntal! Punkt 10h oben. Und nun übers Plateau. Es war kühl. Wolkenbänke am westlichen Himmel. Es war herrlich zu gehen. Punkt 11h in der Seehütte. Nur eine Stunde waren wir unterwegs. Um ½ 12h, nach einem kleinen Imbiß, weiter. Vorm Schräckenfuchskreuz viele, viele Edelweiß. Den geliebten Göbl-Kühnsteig. Mit einem Mal eine unbeschreibliche herrliche Flora. Meine Glockenblumenwiese hat heuer eine gelbe Blumenrobe an. Nach kleinen Aufenthalten waren wir ein paar Minuten vor 1h im Waxriegelhaus. Begrüßung. Es ist schön, wenn auch wolkig. Essen. Dann in Kühle auf der Wiese neben dem Haus im Liegestuhl. Ich schlafe gut. Es ist kalt. Wir gehen ins Haus. Tommy ist mit. Beim Tisch ein junges Frauchen, dem der Mann im Krieg blieb. Ich sage nichts von den Bäumen, von den Blumen. Sie sprechen zu mir in ihrer ewigen Sprache. Sonntag, 11. Juli Es regnet in der Frühe. Abends noch nett mit dem jungen Sänger. Janthe. Gouvernante. Zündhölzchen. Der Preis. später, um ¾ 11h auf dem schönsten Plätzchen: Ich mußte mir das Buch holen, um die Atmosphäre einzufangen. Beim „Liebesbaum“ vorher. Einige Schritte zur hohen Lerche.113 Der Blick! Das rote Peilsteinhaus im grünen Tannengezack. Eine unvorstellbar hohe Tanne vor mir, mit zartgrünen jungen Spitzen. Ein Stein, damit ich sitzen kann, um die Pracht zu sehen – um dieses Augenblicks willen alles hinnehmen. Nochmals: der Preis. Soviel Knabenkraut. Der Duft. Die Wolken ziehen. Die Blumen grüßten immer. Ich habe jetzt viel mehr Beziehung zu den Gewächsen, als zu den Menschen. Das ist die Verstärkung der Beziehung zum Kinde. Kniend Bitte: der Mann möge mit mir herauskommen. Vorher die Begrüßung mit der Lärche auf der Straße. Ich lehnte meine tränennassen Augen anf seinen{ihren} Stamm. Montag, 12. Juli Wieder daheim. Wie zwei Tage in einer Märchenwelt dünken mir die beiden verlebten Tage. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich den hohen, hohen Tannenbaum, Fichtenbaum, das rote Haus. Um ¾ 4h weg. Um ¾ 6 Hotel Preinerhof. Über die Bachleiten, Königsschußwand sind wir gegangen. Als wir weggingen, nieselte es ein wenig. Unten war Sonne. Das schöne Tal! Vorher im Wald Singstunde. Die staunenden Kühe. Mit dem Fiaker durch die Prein bis zur Bahn. Soviele Wünsche in Erfüllung. Um ¾ 10h daheim. Heute wieder Regen. 113 Diese Seite des Tagebuchs ist an mehreren Stellen verwischt.

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Samstag, 17. Herrliche Tage seit Mittwoch. Besuch Hilgenstock. Dienstag Hochhaus. Trüb doch herrliche Aussicht. Nachm. Schönbrunn, Grinzing, Beethovenhaus, Heiligenstadt. {Vorm. Belvedere, Alpengarten} Mittwoch Kino, Wesselyfilm, die kluge Marianne, Prater, Lusthaus, Maria-Grün. Donnerstag Cobenzl, herrliches Licht, die Wiesen! Freitag singen, Sonne, dann nachher zum Beethoven-Schubertgrab. Und heute Sievering, Liegestuhl, Häuserl am Roan. Salmannsdorf. Die Wiesen, das Licht! Schade, wegen des verlorenen Schirmes. Mißklang. Samstag, [25]{24}. Juli Schöne Tage und ich war noch nicht im Bad gewesen. Immer etwas Anderes. Mit Frau Hilgenstock Montag in der Stadt. Schubertkonvikt, Jesuitenkirche, Dominikanerkirche u.s.w. Zur Bahn. Sonntag im Turm. Die Aussicht! Wolkenloser Himmel. Immer in der Hast. Dankbar jeden Tag, jede Stunde. Gestern beim Doktor. Das Fenster stand offen. Ich sah hinaus. Sah in die Maxingstraße. Schaute mich, wie ich da ging durch 25 Jahre, unbeschwert und glücklich. Du bist so herrlich, hat man mir in dieser Straße gesagt. Die Schwalben sirren. Es ist Abend. Ich denke an das Kind. Lächle ihr zu, mit wehem Herzen. Braumann hat geschrieben, diese Zeit. Sonntag, 25. Juli Ein unvorstellbar schöner Tag. Italischer Himmel, weiche Flockenpölsterchen drauf. Heute zu Hause. Bücherkasten geordnet, gekramt, gewühlt, Braumann das Märchen Herzenskindchen geschickt. Nun lese ich meinen Roman. Wintermärchen. 20 Jahre. Der Sommer in Tamsweg. Ein Roman. Von der Sonne, die über den Tauern ging. 28. Juli Montag 26. Mussolini. Der schöne Tag! Nach Lang-Enzersdorf. Tante. Dank. Um 2h ins Angelibad, schön. Ich sehe in den Himmel. Gestern 27. Mit der Freundin ins Krapfenwaldl. Herrliche Aussicht. Die Wiesen, die langen Schatten. Der Heimweg. Fast unvergeßlich. Sonntag, 1. August Heiße Tage. Gestern in Sievering bei den Liegestühlen mit der fast Blinden. Vor-Vorgestern singen. Gut. Dank dafür.

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abends: Heute war es ganz besonders heiß. Zu hause. Die Mutter war da. Ich sitze nun wieder beim Fenster. Ich denke an Hetzendorf, an die Sandrockgasse. Gestern Disput wegen Fisolen. Ich hatte ein ganz böses Herz. Ich büßte gleich. Versprechen, immer zu schweigen. Montag, 2. August Im Bad Maria-Enzersdorf, Keimgasse. Heute Nacht war es so heiß. Ich dachte an das Kind, was es durch die Hitze durchmachen muß. Mein Herz war sehr schwer. Wie könnte ich es ihr erleichtern? Ich wollte ins Krapfenwaldbad, da dachte ich: „Es ist der 2., heraus.“ Am Weg fiel mir ein: Maria Heimsuchung, Festtag. Vor 8 Jahren, von Rekawinkel! Wie mich das Schicksal führt, weil ich mich ihm ganz und vertrauend überlasse! Ich bin unter einem Nußbaum gewesen, habe geschlafen, ein holdes Kind war bei mir gewesen. Soviel liebe Kinder gibt es! Und nun sitze ich unter dichten Bäumen und schreibe auf einem Schreibtisch. Dank! Fleckenlos italischer Himmel. Seit mehr als 14 Tagen. Um ¾ 4h auf meinem Platz. Vergebung wird gewiß der tiefsten Schuld. Lange, seit 25. März, seit Großmutters Geburtstag, war ich nicht da gewesen. Und heute in zwei Monaten werden es 5 Jahre, daß das Kind fort ist. Stille, Stille. Reifster Sommer. Ich habe es nie empfunden, daß Weingärten so schön sind. Alles eröffnet sich mir, wie mein Herz offen ist. Ein kleines Weizenfeld inmitten eines Weingartens. Das Wiegen der Ähren! Samstag, 7. August Mittwoch bei Carl. Es war nett. Donnerstag Abkühlung, endlich, nach genau 4 Wochen intensivster Hitze. Stammersdorf. Freitag bei Lisi. Ich schlief im sanften Sonnenlicht im Hetzendorfer Schloßpark. Es war unaussprechlich schön. Die Ruhe, die angenehme Wärme – ich war bewußt glücklich. Heute angenehm. Gestern Abend starker Regen. Daheim, kramend, betend. Dienstag, 10. August Kühl, angenehm. Heute bei Frau G. in der Colloredog. Der Blick in den Garten. (Vorher Gustav bei mir wegen Eli. Mann kann den Menschen so schwer ändern, seines Schicksals wegen.) Dann durch die ruhigen, blumenschönen Cottagegassen zur Freundin. Die war nicht da. Ich war wirklich gekränkt, fast zornig. Fertig, sagte ich zu mir. So gar nichts von Freundschaftspflichten. Sei nicht neidig und habe kein böses Herz, ermahnte ich mich. Wieder

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das lüsterne Sein. So schwer, es zu überwinden. Das macht, glaube ich, die Sehnsucht des Alternden. Wieder so eingesponnen, fast wie im Vorjahr. Samstag, 14. Mittwoch 11. Bei Carl. Nett. Er las den „Stoß“. Die Blumen am Fenster sind die schönsten. Donnerstag mit der Mutter in Sievering. {Liegestuhl.} Vo n 1 1 h b i s 3 h . D a n n zum Häuserl am Roan. Denken an das Kind. Ich will auch im A l t e r m i t i h r s e i n . 114 Es war schön gewesen. Gestern im Häuschen. Um 2h Alarm. {7.} Ich lag im Garten, sah in den Himmel. Dann kam Inge. Ich beklagte mich. Heute tut es mir leid. Ich verliere bei Edith die Geduld. Das Schicksal zwingt mich dazu. Ich hatte also wieder ein böses Herz. Ich bin zu wenig bei Ihm. 17. VIII., Dienstag {Krapfenwaldl, angesichts der Stadt, das Cobenzl}. Italischer Himmel. Es ist schön. Dank. Gestern in Sievering. Mit einem Baum auf der Höhe, der bald wie ein Igel, bald wie ein Menschenkind aussah, sprach ich. Ich prägte es mir ein. 4 Stunden lag, las und schlief ich. Heute habe ich wenig Zeit. 1 ½ Stunden. Ich muß zu Hilda. Dafür genieße ich doppelt. Der Blick zum Cobenzl ist unbeschreiblich schön. Die Föhren, die wie Pinien aussehen. Ich lief hinauf, schwitzte sehr. Ich war am Grinzinger Friedhof gewesen, ein Freund des Vaters wurde begraben. Der Katechet meiner Kinderzeit. Ich sehe um mich. {Ida zum ersten Mal gesehen.} 19. August Gestern mit Karl, Eli und Gerhard in Eichgraben. Um ½ 11h in Rekawinkel. Die herrliche Straße nach Kronstein! Vorerst beim Jägerhaus Rast. „Wir wollen nicht von uns sprechen.“ Also nicht. Es war schön, wunderschön durch die Natur, ansonsten: wie häßlich ist er! Und eng. Nur durch das Wort und seinem Ahnen verbunden. Sonst nichts, gar nichts. Aber ich habe mich beobachtet. Dieses Garen und Anschmiegenwollen – wie eh und je. Und doch bin ich nur in der Abwehr reizvoll, wie bei Erwin gewesen. Von Kronstein über Dornberg, die [Winten] zum Stein. Die Rundung der Hänge, die Wälder, manche Momente waren über alle Maßen durch das Schauen gesegnet. Der Ruheplatz beim{oberhalb des} Gasthauses in Kronstein war schon ganz wundervoll. In Oberndorf auf den Zug gewartet. Die Abendschatten. Das war auch sehr schön. In Wien hörten wir, daß wieder Alarm gewesen war, der 8. Vorgestern, im Krapfenwaldbad, lernte ich noch die Dr. B. kennen. Sehr sympathisch.

114 Passage mit vertikalem Bleistiftstrich seitlich markiert.

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21. August Gestern im Gänsehäuflfamilienbad. Ich lag unter einer schönen Weide. Ich sprach mit ihr. Du schöner Baum. Grüßte das Kind. Gestern auch den Roten Kreuz Brief nach Tokio. Es ist sehr heiß. Gestern, vorgestern 48° in der Sonne. Sonntag, 22. August Heute unmäßig heiß. Ich denke an das Kind. Bis 50° C zeigte unser Thermometer, höher zeigte es nicht mehr, es war die Grenze. Im Zimmer hat es 27°. Mein Gott, so lebt das Kind nun schon seit 5 Jahren. Gänsehäufl, 23. August, Mittag Seit ½ 10h bin ich hier. Unweit des schönen Weidebaumes. Die Weiden orgeln im Winde. Ich bin zufrieden. Gestern war es unerträglich heiß. Eine Hitze die mir in der Nacht zu schaffen machte. später: Es war ein wenig trübe. Ersehnte Abkühlung. Als ich zuvor auf dem Platz bei der Weide lag, sah ich in der Ferne zwei Bäume, die sich küßten und unterredeten. Es ist interessant die Menschen im Bad zu beobachten. Viele junge Mädchen. Mittwoch, 25. August Ich liege im Bett. Halsentzündung. 37°. Belag. Starke Schluckbeschwerden. Gestern bei Robert im Häuschen an der Donau. Schon Drüsenschmerzen seit vorgestern im Bad. Der Wind war zu arg gewesen. Gestern in dem Garten Roberts gesessen, im Liegestuhl in den blauen Himmel gesehen. Ich habe zuviel an mich, mein Vergnügen, mein Wohlergehen gedacht. Es ist wieder heiß. Wenn nur mein Mann schon wieder ausgehen könnte! Dienstag, 31. August Ich bin bis Samstag gelegen und fühle mich heute noch immer nicht ganz wohl. Temperatur 37°. Ich habe viel gelesen, auch schon wieder viel gearbeitet. Weil ich noch und noch baden und Naturemotionen genießen wollte. Strafe. Heute ist es trübe, wie überhaupt außer Sonntag jeder Tag trüb und kühl war. Donnerstag, 2. September Ein sanft verschleiertes Licht. Heute 30 Jahre, daß ich meinen Mann kennen lernte. Der Hals ist schon fast gut, aber immer noch ein wenig Temperatur: 371. Ich sehne mich nach Wiesenschauen. Da ich aber die Straße hinabsehe, denke ich, wie froh ich sein muß, daß die Straße noch steht. Überhaupt ein inneres Gebet in dieser schweren Zeit: Du sollst nichts verlangen. Ich denke an das Kind: Segen, Segen über Dich!

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Samstag, 4. September Gestern bei Lisi. Als ich die Grünbergstraße hinaufging: die Bäume! Wie grüßte ich sie. Dann nach Hetzendorf zur Wäscherin. Schweres Herz, süßes Herzweh, wenn ich die alten Wege gehe. Maxingpark. Ich begrüßte die Birkenkinder. Wie sie groß werden! Friedhof. Doktor. Ich war sehr müde, es war mein erster Ausgang nach meiner Krankheit. Gröpl und nach Hause. Der Mann lag zu Bett, er hatte 40° Fieber. Heute ist er wieder fast wohl. Er sieht aber so schlecht aus. Sanfter Tag, es wird Herbst. Donnerstag, 9. Vorgestern bei Carl. Irgendwie schön. Der Nachklang süß. Gestern bei Edith. Schlußdiskussion. Bolschewismus. Trüber Abschied. Die Mutter gestorben. Sie hat sich keine Verdienste erworben um der Mutter willen. Ich konnte heute Nacht nicht schlafen. Ich war sehr deprimiert. Heute früh die Nachricht vom Waffenstillstand Italiens. Donnerstag, 16. Vorgestern bei Carl. Ich war gelöst und er sieht mich. Aber als ich mit Eli auf den Boden ging, erzählte sie mir „Saufratz“, „Fotzen“. Ich wandte mich momentan ab. Gestern schrieb ich die Gespräche. Schön. Namentlich das, was er über Stifter sagt, ist außerordentlich. Heute hätte ich nach Maria-Grün gehen sollen. Es regnete, daheim. Ich bin recht müde, deshalb froh. Gestern das Gespräch mit Inge. Fast so schweres Herz wie bei Lisl. Gugging, 18. September, Samstag Lisls Hochzeitstag. Unvorstellbar schöner Tag! Sanftes Sonnenlicht, tiefblauer Himmel. Ich bin sehr dankbar für diese Stunde. Ohne Rosenkranz. So sprach ich mit dem Herzen. Ich beschaue alles. Das kleine Nachbarkind Liserl hat seinen 3. Geburtstag. Das Schicksal will mir mit diesem Kind eine Gabe darbringen. Dank! Doch Bitte: mit meinen Kindern vereinigt zu werden! I c h m u ß d a f ü r l e i d e n u n d a r b e i t e n . 115 Die Bäume rauschen tröstlich. Ruhe. Ein leises Vögelzwitschern war. auf der Bank zum Waldhof, 11h: Ich genieße die Ruhe, den Frieden. Ich denke immer an das Kind, an Hans, an das Enkelkind.

115 Passage mit vertikalem Bleistiftstrich seitlich markiert.

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Waldhof, 12h: Ich schaue in den Wald. Ein kleines Bäumchen, Straße. Hügelauf, hügelab. Wald. Zwei Birkenbäumchen zittern im Winde. Es ist fast unwirklich. Die Bäume jetzt meine liebsten Gefährten! 2 Stunden später: Ich bin unter einer Föhre gelegen. Ich habe geschlafen. Die Wälder angelten. Wie genußreich ohne Wanzen schlafen zu dürfen. Noch eine kurze Weile, dann … Abschied vom Sommer! Montag, 20. Sept. Gestern mit Carl im Burgtheater. Erfüllung. Er war hübsch und jung. Er begleitete mich nach Hause bis zur Brücke. Gespielt wurde sehr gut. „Alpenkönig und Menschenkönig{feind}.“ In der Nacht träumte mir vom Kind. Es sah schlecht aus. „Mir gehen die Haare aus“, sagte es. Für das süße Gefühl gleich Bezahlung. Schweigen ist wertvoll. Sonntag, 26. Heute Regen, kalt. Im Häuschen. Ich las die goldene Brücke. Gestern schrieb ich Pygmalion ab. Bezaubert. Schrieb: [Brief]

Freitag Abend:116 Du aber bist Dir unbewußt, mir zu verwirkt mit einem Höchsten, das Du gibst und nimmst zugleich (Pygmalion). Ich habe eben Pyg. abgeschrieben, und ich bin ganz verzaubert. Du mußt es vorlesen, wenn ich das nächste Mal zu Dir komme. Zu Dir! Heute Nacht sagtest Du im Traum zu mir: ich bin ganz krank. Und ich lachte und sagte: Ich, ich sehne mich, Du weißt nicht, was Sehnsucht ist. Ich wollte Dich heute anrufen. Hast Du an mich gedacht? Wolltest Du es auch? Also Montag. Und wenn ich zu Dir komme, lasse ich alles andere zu Hause und zu Dir kommt nur die Märchenfrau.117 Süßes Denken. Wieder wie einst. Ich bin vom süßen Herzensweh betäubt. Bahnhof Hütteldorf, Mittwoch, 29. Sept. Ich fahre nach Rekawinkel. Diese 2 Tage her. Montag zu ihm. Ich war gelöst, weich. Jause. Er las P., ich die Hebe. Sprechen, schweigen. Verzaubert. Dann sprach ich – wir wurden unterbrochen. Der Tag war ein Höhepunkt gewesen. Daheim schrieb ich: Wir wurden unterbrochen, ich spreche weiter: 116 Eintrag ab hier in sehr kleiner Schrift gehalten, gedrängt jeweils zwei Zeilen in einer Linie geschrieben. 117 Ab hier Schrift wieder in gewohnter Größe.

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[Brief]

{Montag abends.} 118 Das Schicksal hat mich also in dieses ganz schwere Dasein hineingestellt, weil es als Äquivalent für mich119 etwas aufgehoben hat. Ein spätes ganz, ganz großes Glück – Dich, meine Seele. Dafür verlangt es nur eine Leistung. Schweigen, schweigen, gegen Jedermann. {Immer.} Nur Du und ich dürfen wissen, alles wissen. Dafür dürfen wir uns hineinstürzen mit allem, was wir haben. Ich sage wir. Ja auch Du. Du hast mich, ich habe Dich. Du gehst langsam zu mir – ich fliege zu Dir. Du reichst mir nur Deine Hand – ich drücke Dich an mein Herz. Das muß sein. Niemals dürfen wir dasselbe tun. Das Schicksal lächelt uns zu, es segnet und es wacht über uns, hat uns alles gegeben; mir das übervolle, liebende Herz – Dir – das wirst Du mir einmal sagen. Doch dafür schweigen, schweigen, schweigen. Nicht Märchenfrau, nicht Hebe sondern D e m e t e r 120. Jeden Tag anrufen.121 Gestern aber spürte ich Abstieg. Ich hatte ihm mein Sehnsüchtiges Weib gegeben.122 Er sagte am Telefon: „Ich habe die Hälfte schon gelesen. Die Form gut.“ Irgendwie glücklich über die Anerkennung. Ich nannte es ein „schamloses“ Buch. „Ich bin nicht zimperlich“, hat er geantwortet. Von Dr. R. war er sehr enttäuscht gewesen. Ja, und heute wieder Anruf. Morgen komme ich auf ein Stündchen. Er hat noch 5 Briefe an Studentinnen zu schreiben. Jede hat auch ihre Schmerzen. Ich lebe in einer anderen Welt. Ich verstand, ich verstand. Weil ich von Dir wegging Herr – da ist das Glück immer trügerisch. Doch geschieht mir recht. Damit ich zu Dir zurückfinde. Du gönntest mir das kurze Glück. Ich danke Dir dafür. Verlasse mich nicht. Demeter muss an Persephone denken. Heute morgen und die folgenden Tage vor fünf Jahren. Heute träumte mir von einem blonden, süßen Kind. So wird es vielleicht aussehen – mein Enkelkind.

118 Eintrag ab hier in sehr kleiner Schrift gehalten, gedrängt jeweils zwei Zeilen in einer Linie geschrieben. 119 Hier die Worte „für mich als Äquvalent“ mittels Klammer im Satzbau umgestellt. 120 Zentriert geschrieben. 121 Schrift ab hier wieder in gewohnter Größe. 122 „Sehnsüchtiges Weib“ ist der Titel eines Romanentwurfs von Therese Lindenberg, der sich in mehreren Fassungen in ihrem Nachlass befindet. Sie thematisiert darin, anhand der Geschichte einer ledigen Magd, die ihre Tochter um die Jahrhundertwende im Wiener Findelhaus zur Welt bringen musste, auch die Erfahrungen und Erlebnisse ihrer eigenen Mutter. Das Manuskript, an dem sie ab 1929, dem Tod ihres leiblichen Vaters arbeitete, blieb unveröffentlicht.

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Grünangerhof: Ein schöner Spaziergang zum Waldacker. Die Bäume grüßten mich und Lisl. Ich trug ihren Mantel. Es war so sanft und süß. Donnerstag, 30. September Hätt ich das gewußt, hätt ich das geahnt. Wieder wie einst. Wieder eine Auflage Waschak. Nein, ich mag nicht erzählen, ich muß damit fertig werden. Der Abschied. Tränen. Umarmung. Kurz, einseitig, die von der Handbewegung über meine Schulter ausgelöst wurde. Eigentlich schäme ich mich. Die Strafe. Warum ging ich weg von Dir, Herr, weg von Dir, mein Herzenskind. Ich habe nichts zu suchen, nur bei Euch zu sein. Wieder keine Veranlassung. Dieses Drängen in mir. Wie oft, wie oft stieß es mich da hinein. Ich weiß, ich wollte Leidenschaft erregen, nicht geben. Dafür wurde ich bestraft. Hier auch. Ich wollte ihn aus diesem hochwertigen Gleichgewicht bringen. Vielleicht habe ich ihn gebracht, doch er wird es nie gestehen. Ich gestehe – was nicht ist. Exaltation. Nein, ich kann es nicht fassen, in was ich mich da hineingebracht habe. Morgen fahre ich zur Mutter nach Riedenthal, {Neudegg,} ins Land meiner Kindheit. Das Herz tut ziemlich weh. Kirchberg, Freitag, 1. Okt., 8h Beim Acker. Unauslöschlicher Eindruck: Du bist Erde, Demeter. E r w i r d v e r t r o c k n e n , D u w i r s t b l ü h e n .123 „Nun hast Du gesehen“, sagte Er mir, „daß alles eitel ist.“ Am Wege zur Kirchberger Kirche unterredeten wir uns. Neudegg, 3h nachm.: Ich sitze rückwärts im Garten. Die Sonne scheint. Es ist ganz ruhig. Auch in mir ist es ruhiger geworden. Der Weg von Kirchberg bis her, eine Gnade. Es klärte sich. Als ich den Kirchturm von Riedenthal erblickte, weinte ich. Großmutter, Großmutter.

123 Passage mit vertikalem Bleistiftstrich seitlich markiert.

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Und ich will heute noch weiter, kann ihr Grab nicht aufsuchen. Sie wird mich trotzdem schützen, hüten und segnen. Welche Sehnsucht habe ich nach ihr! Wie würde sie lachen und ein richtiges, humorvolles Wort finden. Doch sie ist ja da, jetzt bei mir, sie tröstet mich. Wie sich alles ausgleicht. Das Aschenbrödeldörfchen wird mir zum Balsam. Ich sah zum Himmel. Großmutter küßte mich. Ich schloß die Augen und bot mein Gesicht dem Himmel dar. Am 28. April sagte ich in diesem Buch wegen C.: Zuviel. Nur die Entfernung, Reserve und Wahrheit sollen meine Leitsterne sein. später daheim: Ich bin also um ½ 5h weg und bei wunderbarer Beleuchtung nach Kirchberg gegangen. Am Wege dort hörte ich, daß in Wien wieder Alarm war, der 9. Diesmal kritischer als sonst. Ich bin sehr müde. Fast 18 km gegangen. Sonntag, 3. Oktober Ein wunderbar schöner Tag. Sanftes Sommerlicht. Ich bin ganz ruhig geworden. Er tröstete mich mit allem, sein unfolgsames, törichtes Kind. Gestern waren es fünf Jahre, daß das Kind weg ist. Auch ein Sonntag wie heute. Mittwoch, 6. Okt. {1943}124 Heute erste Orgelstunde! Herrlich! Freitag, 8. Okt. Das war gestern ein herrlicher Sommertag! Abschluß. Die Augen tranken. Erst Sievering. Stix. Arbeit. Eile. Herrliche Sonne, warm. Ich ging in die Agnesgasse. Jauchzte vor Freude über Sonne und Aussicht. ½ 3–5h im Liegestuhl. Schön – o, wie schön! Ich prägte es mir alles ein. Die Rundung der Wälderhügel, das sanfte Licht. Dann oberhalb zum Friedhof. Vor dem Grabe des Großonkels lange gestanden. Es ist irgendwie schon weg. Der Glaube an seine Gebundenheit. Enge hilft viel. später: Heute sagte ich im Maxingpark zu den Bäumen. Ich liebe euch aus ganzem Herzen. Tränen sind mir dabei gekommen. 124 Mit Bleistift eingefügt.

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Freitag, 27. Okt. Die Zeit rauscht, rauscht. Täglich irgendetwas Schönes. Orgelspiel – auf, ab. Zum Himmel sehen. {Am 21.} Erstes Mal in der Kirche üben. Sonntag 24. in Glaubendorf. Beim Onkel Josef. Mit Eli. Es war so nett! Daheim der 20. Luftalarm. Das Kind, Botanik. Ich aß viel. Um ¾ 12h daheim. Das Andere: weg. Glücklich darüber. Er. Er sorgt für sein törichtes Kind, das sich ganz in seine Hände gibt und Ihn liebt. Nun endet mein Lieben in Gottesliebe. Und doch sah ich nur Gustls junge Augen. Schmidtpark, Donnerstag, 29{28}. Okt. 43 Unvorstellbar schön. Der herbstliche Schmidtpark in Pötzleinsdorf. Es ist ¼ 4h. Die Sonne sinkt an jener Stelle, wo ich genau vor 2 Jahren gestanden bin am Vorabend von Lisls Geburtstag. Die Farben sind mir von damals noch in Erinnerung. Heute bei Prof. S. Vor 2 Jahren meine erste Stunde dort bei Mar{ek}125. 2 Jahre! Noch 2 Jahre? Der Ausblick nach Süden. Die sanfte Wiese, noch grün, tief dunkelgrün. Die Bauminseln darin, rot, gelb. Dass ich in diesem Garten der Sehnsucht sitzen darf. Dank. später: Da ist ein Ausblick auf den Kahlenberg im Park, der mir unvergeßlich sein und bleiben wird. Die Sonne leuchtet auf Kirche und Restaurant, so daß sie aussehen wie eine Grabsburg. Herrlich! {später nach Neuwaldegg auf der weißen Straße,} Freitag, 29. Okt. Heute Lisls Vorfeiergeburtstag. In Maria-Grün. Die Messe. Ich öffnete die Türe und der Priester spendete den Kommunionsegen. Dann der Weg durch die herbstliche Hauptallee. Sonnenselig. Es war ein seltenes Erlebnis. Dank. Der tiefblaue Himmel, die Farben der sterbenden Bäume! Das kleine Liserl ist neben mir. Ich schaue dem Kind in die süßen Augen. Es führt die Feder, das liebe Kind. Lisls Geburtstag, Samstag, 30. Okt. Heute auch – der Priester segnete. Morgen werde ich in der Kirche singen. Ich möchte noch bescheidener werden. später: Ich war in Lang-Enzersdorf. Schöner Herbsttag. Tantes Segen. Mit der Bahn. Der Weg nach Stammersdorf. Die Sonne sank. Die Farben. Gestern und heute ging ich so geruhig. Deine Welt ist schön, Herr! Ich dachte daran, daß ich genau vor einem halben Jahr den Weg gegangen bin, im Blühen.

125 Mit Bleistift eingefügt.

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Sonntag, 31. Okt. Heute in der Kirche Maria Lourdes gesungen. Welcher Zusammenhang! In Lourdes – das Erlebnis – und jetzt. Ich sang gut, Grubermesse und Marias Wiegenlied von Reger. Donnerstag, 4. Okt{Nov.} Dienstag, also vorgestern, wieder Alarm, der 11. Ich war mit Eli am Nu{ß}berg. Wir wollten ursprünglich nach Gugging. Dann am Sieveringer Friedhof. Sonne. Montag, 7{8}. November Samstag Konzert. Alberdingk. Kleiner Musikvereinssaal. Ich dachte an Wladzko. 35 Jahre ist es her, daß ich dort mit ihm gesessen bin. Wehmut. Gestern, heute daheim. Fürst gestorben. Karte. Heute mit dem Mann zur Nordwestbahn {gegen} Kohlenhöfe {Kohle}126. Das Gehen schwer, aber ich will es. Kein Ineinanderverschmelzen. Das andere, Carl, fern, fern. Darüber so froh. Freitag, 12. Nov. Heute ein so schöner Tag. Anstrengend. Durch das Orgelspielen, Singen, Proben, läuft die Zeit so rasch dahin. Heute erst Sp., dann Neubaug., Mariahilferstr. Krankenkassa nach Schönbrunn. Die Bäume, die Bäume! Ich prägte mir das Bild gut ein: die entlaubten Bäume, der aufklärende Himmel, die Stille. Als ich bei Sp. war, regnete es. Immer mehr hörte es auf, als ich meine weiteren Wege machte. Wie oft sah ich dankbar zum Himmel. Immer das Zeichen seiner Liebe und Güte. Und ich bin nicht würdig! Als ich dann von der Lisi den alten Weg ging. Herzweh. „Sieh, ich stand bei Deinem Hause.“ Frau Bächers Haus – und dann der Maxingpark. Vorm Jagdhaus stand ich still, so wie in Schönbrunn, und schaute. Was wird nächstes Jahr im November sein? Werde ich alles schauen dürfen? Geliebte Bäume! Wie groß die Birkenkinder schon waren! Am Friedhof, Doktor und Emma. Dort die Braut Karls kennen gelernt. Dienstag 17{16}. Okt Nov.127 Heute das erste Mal auf der Orgel beim Segen gespielt!!! Nach der 5. Stunde. Präludiert!!! Dank, Dank, tausend Dank!

126 Mit Bleistift eingefügt. 127 Eintrag auffallend unregelmäßig geschrieben.

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Samstag, 14{13}., Korrepetitionsstunde128 bei Redlich. Segen fühle ich über mir – aber nicht eitel werden, o, bitte werde nicht eitel, damit ich mich Ihm dankbar erweise nur durch meine Demut. Donnerstag, 18. Nov. Heute der Traum vom Kind: Ich ging in ein Zimmer, es schlief auf einem Divan. Leise sagte ich: „Liserl.“ Sie erwachte und rief: „Mutter.“ Ach, ich höre jetzt noch ihre Stimme! Nie werde ich das „Mutter“ vergessen. Ich fiel auf die Knie und nochmals: „Liserl, wie geht es dir?“ Es war mir, als wäre sie krank. „Besser Mutter, besser.“ Ach, wo, was ist’s mit dem Kind? Freitag, 19. Nov. Heute in Ma. Enzersdorf. Beichte, St. Gabriel. Nebel. Die Bäume. Leebgasse, den schönen Weg längs des Liechtensteins, die herrliche Villa am Roseggerweg 5. Ein wenig meine alte Waldstraße, Wildgansweg, in der Otmarkirche. Kränze: Ruhe sanft in fremder Erde. Überhaupt erschüttert. Statue der hl. Elisabeth. Noch benommen von dem Traum. Schweres Herz. Und heute las ich von dem Taifun in Manila. O Gott! War ich wieder zu eitel? Sonntag, 21. Nov.129 Heute in der Hetzendorfer Schloßkapelle gesungen! So gut. Die Menschen hatten Thränen in den Augen. Dank, Dank! In der Stadtbahn das Erlebnis: eine liebliche Stimme sprach in mir: „Bist du zufrieden?“ Thränen strömten über mein Angesicht. Er hat mich gesegnet. Dienstag, 23. Heute das 2. Mal Orgelspielen. Alle möglichen Zwischenfälle. Kommunion, ich spiele weiter. Lichtchen brennen lassen. Register nicht einschieben. Gestern schwerer Disput mit Edith {über Intelligenzschicht [...]{ging der} Streit.} Ich schlief deshalb so schlecht. Ich hatte fast ein böses Herz – deshalb auch heute nicht so gesegnet sein. Sonntag, 28. Heute Alarm, der 12. Dienstag, 30. XI. Heute Alarm, der 13. Gestern in Hietzing bei Doktor, zuerst am Friedhof. Sonne schien, es hatte +12°. Die Stunden in Döbling, halb gut, halb im Widerstreit. Wieder Neues kennen lernen. Manchmal recht müde. 128 Mit dunkelblauer Tinte unterstrichen. 129 Eintrag unregelmäßig geschrieben.

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abends: Heute zum 3. Mal beim Segen gespielt. Die liebe Eitelkeit! Ich muß demütiger werden! Nach und nach! Donnerstag, {2. Dez.} Gestern in der Orgelstunde, deprimiert. Immer liegen lassen. Heute aufregender Tag. Vormittag Orgelüben. Auf einmal Licht. Nachm. meinen kleinen neugeborenen Neffen besucht. Dann begleitete ich Platten f. Fr. Redlich. Ich dachte, als ich die Platten hörte: „Ich bin das, die begleitete?“ Schön, künstlerisch, diskret. Ich musste wahrlich staunen. Dann Hilda – wieder sagen, das es nicht so ist. Dann singen in der Nepomukkirche. Alle Seelen ruhn in Frieden. Ich mußte mehrmals in die Sakristei. „Piano zu leise“, meinte der Herr Pfarrer. Geschieht mir recht, warum wollte ich hören, was schmeichelhaft sein sollte. Der Messner war begeistert, hatte aber den Tag vorher den deprimierenden Disput wegen der Zigaretten. Freitag, 3. Dez. Ich las im Tagebuch von 40. „Heute sah ich die Tafel das 1. Mal.“ schrieb ich. Und heute war ich in der Schottenkirche gewesen und habe die Tafel gestreichelt. Sonntag, 12. Dezember Die Zeit fliegt. Orgelspielen. Singen, Stunden – ich bin weniger denn je daheim. Vor der Orgelstunde immer in die Stephanskirche. Und immer sehe ich mich da sitzen im Dezember 34. Jetzt sind es neun Jahre. Unvergeßlich schwere Tage, für die ich noch immer büße. Die Erkenntnis des Leidens. Heuer noch nicht kalt gewesen. Zuvor hat es zum ersten Mal ein wenig geschneit. Ich schaue, wie immer, die Straße hinab. Ich denke an den Balkon von Hilda. Da bin ich oft gestanden und sah zur Votivkirche hinüber. Einprägen, sagte mein Herz, wer weiß, ob es so bleibt. Wieso, fragte ich mich, wird denn Wien bombardiert werden? Das war im Sommer 1940. Dienstag, 14. Dez. Gestern bin ich so geruhsam vom Dr. in den Friedhof, von dort in den Maxingpark nach Hetzendorf zur Lise gegangen. Der kürzeste Nachmittag. Es war trüb und feucht. Ich dachte an Lisl. Und die kahlen Bäume winkten mir zu. 15. Dez. Heute Orgelprüfung. Gut. Dank.

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Freitag, 9h am Weihnachtsabend Ich habe das Bild vom Kind vor mir stehen. Es sieht mich an: ernst, streng. Bist Du glücklich, Kind? Habe ich viel verabsäumt? Alles? Herr, Du bist gerecht. Finde ich Gnade mit meiner Bitte? Beschütze mein Kind, mein Enkelkind. Momentelang dachte ich: „Ich bin sehr allein.“ Gleich stieg es in meinem Herzen auf. Du bist bei mir. Ich jage viel. Am Dienstag Versagen der Orgel. Ja, ich habe immer Sorge und Angst. Es geschieht mir recht. Warum musste ich mich so früh herausstellen? Mich prahlen. Die Tage steigen wieder. 26. Dezember Gestern in der Lourdes Kirche gesungen. Nicht so gut wie sonst, scheint mir. Dann mit der Mutter in den Friedhof. Der Maxingpark grüßte im zauberhaften Sonnenschneelicht. Hernach nach Sievering. Gutes Mittagessen. Um ½ 4h weg, zur Hungerbergstraße. Durch verschiedene Weingärten zur Hohen Warte. Es war so schön, die Sonne im Verscheiden. Ich dachte an meinen „Ausflug“ vor 2, 3 Jahren. Das Jahr geht zu Ende. In der Nacht hat mir geträumt, ich bekäme einen Brief von Lisl. Absender: Lisl von Turner. Merkwürdig. Ist sie wieder verheiratet, fragte ich mich im Traum. später, ½ 10h: Ich habe in den alten Büchern gelesen … Es ist gut, wenn man leidet, man bekommt es in Freude und Erkenntnis zurückbezahlt. Der Winter milde. Noch nicht unter Null. Mittwoch 22. der erste starke Schneefall. Nächsten Tag war er aber schon Quatsch bei uns in der Stadt. Draußen sah ich ihn noch gestern. 28. Dez. Heute Krippenandacht, gut gespielt. Dank. Ich wollte heute nach Lourdes. Es regnete. {In der Bank.} Sylvester, Kirche Maria-Grün. Das Ende eines Jahres – in der Kirche. Immer Dank – und Bitte: Schutz für die Kinder und um Nach … später um ¼ 10h: Nun war ich also in Maria-Grün gewesen. Als ich aus der Kirche heraustrat, dunkelte es schon sehr. ¾ 5h: Ich wollte zuerst durch die Nebenallee zur Hauptallee. Ich kehrte um, denn ich hätte ganz allein gehen müssen. Vorm Lusthaus stand ich still. Der junge Mond hing am Himmel: Heilige Nacht der hohen Sterne. Aber am schärfsten flimmerte Mars. Fast böse blinkte er auf die Erde. Ja, er

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regiert noch immer. Dann fuhr ich heim. Das neue Jahr. Ich danke dem alten, ich danke ihm tief. Es hat mir die allergrößte Freude beschert: Nachricht vom Kinde. Und heute flehte ich wieder: wenn ich würdig wäre, daß ich Nachricht bekäme. Samstag, 1. Jänner 1944 Das neue Jahr! Heute Philharmonisches. Johann und Josef Strauß unter Clemens Krauß. Er ist nicht umsonst der Sohn einer Tänzerin. Heute strahlend schöner Tag. Die eleganten Leute im Konzert. Ich musste viel denken an das, was kommen wird. Ich schaue die Gasse hinunter. Die Sonne scheint. Die Straße ist leer. Am Mittwoch 29. Frau Dr. B. kennen gelernt bei Edith. Tief beeindruckt. Wir hatten noch keine Kältegrade, keinen Schneefall von Bedeutung. Immer möchte ich wiederholen: Die Sonne steigt, die Sonne steigt. Donnerstag, 6. I. Sonne, ein wenig kälter. 2° minus. Heute neue Orgelstunde. Freitag, 7. Heute der 14. Luftalarm. Sonntag, 9. Jänner Heute mein 29. Hochzeitstag. Es war nett. Daheim. Dann bei meinen Schützlingen, dann zur Freundin von Janthe. JSie erwartet ein Kind. Montag, 10. {1944}130 Heute Orgelstunde bei M[…]{lč}och. So nett. Ich kann üben, so lange ich will. (Zwei Stunden wöchentlich habe ich vereinbart.) Oft hörte ich, wenn ich ein wenig deprimiert war, weil ich weiter sein wollte: Habe Geduld, mein Kind. Dienstag, 11. Heute einmal ein paar Stunden daheim. Genäht, Frau Garai war da und jetzt gehe ich in die Kirche Orgelspielen. Immer bin ich so aufgeregt. Am 28{26}. träumte mir von Lisl. Absender eines Briefes: Lisl von Turner. Ich sah genau ihre Schrift. „Hat sie sich scheiden lassen“, dachte ich? Und am 6. [ds] las ich in der Zeitung, daß 2 Zerstörer: „Turner“ und „Leary“ vor New York gesunken sind. Wie merkwürdig!

130 Mit Bleistift eingefügt.

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Samstag, 16{15}. Jänner Heute daheim. Ich habe alles abgewehrt, um daheim bleiben zu können. Ich war in den letzten Tagen sehr müde gewesen. Heute Regen. Das Orgelüben wunderbar. Donnerstag bei Dr. B. Das Gespräch über die alte Dame. Gestern bei Karl. Recht nett. Es ist ¼ 5h nachm. Dämmerung. Ich sehe die Gasse hinab. Heuer keine Kälte, kein Schneefall. Dienstag, 18. Jänner, 5h Seit langer, langer Zeit einmal eine kleine Stunde allein daheim. Der Mann ist zu Epst. Kammermus. und ich muß um ¾ 6h weg in die Kirche, Orgel spielen. Die Zeit um mich, das Geschehen um mich, wer kann das alles fassen? Ich sehne mich in die Natur hinaus. Das Kind, das Kind, wo ist es? Mein Enkelkind! Sonntag, 23. Jänner Heute Vormittag: wunderbar! Ida kam zu mir. Es ist ganz merkwürdig. Ich fühle mich so gelöst, so gut in ihrer Nähe. Direkt Freude über ihre Existenz. Gestern, vorgestern bei Carl. Nett. Aber alles irgendwie gezwungen, erzwungen. Heute träumte mir – sanft umschlungen. Montag, 24. I. Heute war ich wieder beim Dr. und im Maxingpark. Friedhof. Lisi. 6 Wochen sind es, mit Ausnahme des Weihnachtstages am Friedhof, daß ich wieder Baum, Berg und Himmel sah. Momentelang denke ich so gut an Ida. So gut denkst Du131 her. Ich wünsche um nichts mehr (an Freundschaft) Erfüllung bist Du. Die Herztür fällt zu. Wie das merkwürdig ist. Ein Mensch ist mir viel, wie nicht bald. Ich erinnere mich überhaupt nicht, {zu} jemand so hemmungslos „ja“ gesagt zu haben. Samstag, 29. Gestern Nachmittag gelegen. Ich wollte „wallfahrten“ aber es regnete und war stürmisch. Heiser und müde. Gestern Ida geschrieben. Ich könnte immerfort zu ihr sprechen. 131 Die Worte „denkst Du“ sind mittels Klammer im Satzbau umgestellt.

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Es ist sehr warm. Gestern, heute +12–15°. Im vorigen Jahr fast ebenso viele Kältegrade. Die neue, herrliche Erkenntnis: das Kind musste fort, damit es gerettet werde. Also schönes, gutes Opfer. Nichts umsonst, nicht Reue, Schmerz und Anklage. Weil ich Ihm dienen darf. Dienstag, 1. Februar Ich liege. 38° Fieber. Mir war die Tage her schon schlecht. Seit Mittwoch heiser, seit Sonntag starker Schnupfen. Ich bin sehr müde und deprimiert. Ich hätte heute zu Ida gehen sollen, Mittagessen. Wie leid ist mir! Ich habe sie gebeten zu kommen. Freitag, 4. Februar Sie ist gekommen. Und am nächsten Tag auch. Das Buch gegeben. Heute einen Brief geschrieben: Märchenfrau. Das Märchen. Ich bin gestern ein wenig aufgestanden, heute mehr, gearbeitet. Nach Tisch ins Bett – wie Kollaps. Zur Jause kam Stefferl P. Auch sie bangt um das Kind, um ihren Sohn. Bitte um Gesundheit. Es ist draußen sehr warm. Immer +12°! Vorgestern las ich, daß die Philippinen angegriffen werden sollen. O. Nun muß ich Verdienst erwerben. Herr, Du weißt, kennst meine Bitte: Schutz. Lourdes, Freitag, 12. Februar132 Ich bin hier – bei der Gottesmutter. Schnee. Messe. Die Messe für den Vater. Hias. Die Bitte für die Kinder. Ich grüßte alles. Samstag, 13. Februar Es schneit. Dicht und fein. Der Winter ist da. Was war das für ein schöner Tag in Lourdes gewesen! Schön im Erleben. Zuerst das Grüßen. Die Messe. Ich kniete auf dem Tagebuch. Der dicht verschneite Weg zum Waldhof: Geschlossen. Zuletzt der Haselstrauch. Seine Blüten. Dann zur Freundin. Kahlenbergerstraße. Zur Wollergasse. Der Anruf Idas. Das Märchen ist zu schön, sagte sie. Mit dem Brief zu Bett. Lourdes. Zufall. Ich sah an der Kirchentür, daß am 11. das Fest Ma. L.133 gefeiert wird. Ich wollte wah{l}lfahrten gehen. Ursprünglich Na nach Ma. Enzersdorf. Ich bin wieder gesund. Dank. Aber ich war recht schwach. Samstag 5. zum ersten Mal ausgegangen. Einkaufen. Nachmittag in die Kreindlg. Das war zuviel gewesen. Montag wieder in die Orgelstunde. Die Sonne schien. Der Tag bei Ida, 8., so schön gewesen. Ich spielte und sang. 132 Eintrag auffallend unregelmäßig geschrieben. 133 Der Mariengedenktag „Unsere liebe Frau von Lourdes“ bezieht sich auf die erste Marien-Vision von Bernadette Soubirous am 11. Februar 1858 im französischen Lourdes.

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Freitag, 19{18}. Februar Heute in Hetzendorf. Zehentner. Muth. Der Arme! Es schneite, ganz dicht. Schneewehen. Ich dachte an das Kind. Gestern beim schönen Konzert von der Rokyta. Die liebe Hilda. Heute Anruf {Ida}134 Kokstragen. Es fiel mir schwer aufs Herz. Sonntag 13. bei Ritter gesungen. Schneesturm. Montag auf dem Friedhof. Vaters Geburtstag. Zur Schwester und dann zu meinem süßen Neffen. Welch schönes Kind! Vielleicht sieht mein Enkelkind so aus. Sonntag, 20. Februar Heute schön. Sonne, kalt. Bei der Mutter. Sie hat meinen Roman gelesen.135 Sie war entsetzt. Erst wollte es mich bedrücken, dann dachte ich: schweigen, schweigen und leiden. Nicht verteidigen. Gestern um 4h wach. Um 6h in die Kirche zur Messe. Markthalle. Dann zu Ida. Kokstragen, Zimmerbürsten. Ich war irgendwie froh. Nach Hause kommend das Paketchen von Braumann. 24. Februar136 Dafür die Marken von Hilda (Uhr, [...]) Lourdes, 25. Februar, ½ 11h137 Früh -10° Kälte, hier heraußen -17°. Jetzt strahlende Sonne, tiefer Schnee. Keine Messe, ich nüchtern. Das Mutterl. Dank für den herrlichen Tag – für alles. Bitte um Nachricht vom Kind und um Schutz für uns. Samstag, 26. Februar Das war gestern ein schöner, schöner Tag. Ich verbeugte mich vor der Sonne. Um 1105 nach Kierling zur Edith. Um 12h stieg ich aus. Voralarm. Bei Edith nett wie schon lange nicht. Ich war doch vielleicht auch schuld, ich wurde ihr nicht gerecht genug. Heute wieder kalt, aber nicht so sehr wie gestern: -4°. Heute zu Ida. Merkwürdig – ein wenig abgekühlt. Ich fürchtete es, weil es gar zu stark aufrauschte.

134 Mit andersblauer Tinte eingefügt. 135 Vermutlich handelt es sich hier wieder um das Romanmanuskript „Sehnsüchtiges Weib“; vgl. dazu Anm. 123. 136 Eintrag auffallend unregelmäßig geschrieben. 137 Eintrag auffallend unregelmäßig geschrieben.

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Dienstag, 29. Februar Der Samstag bei Ida war schön. Ich sang. Dora W. Das Mädel Barbara. Sonntag, also vorgestern, bei Janthe. Ida auch dort. Sehr schön. Sie nannte mich weise. Dank für alles. Gestern das liebe Bruderkind. Und heute wieder bei Ida. Plaudern, in die Seelengründe hinab steigen. Gutes Essen. Heute gut gespielt in der Kirche. Dank, übergroßer Dank. Sonntag, 5. März Gestern mein Geburtstag. In der Schottenkirche. In der Nacht Halsschmerzen. Stefferl Pronai. Den Tag vorher, Donnerstag, bei ihnen. Auch Ida. So gut gesungen wie selten. Schubert. Als letztes: Du bist die Ruh. Ich schaue die Gasse hinab. Es ist Sonntag. Ich bin allein daheim. Das war schon lange nicht. Vormittag bei der Matthäuspassion. Himmlisch. Clemens Krauß. Staatsopernchor. Hervorragende Solisten. Auch Ida war mit. Edith hat ihr ihre Karte überlassen. Nachts hatte ich Temperatur und Halsschmerzen. Als ich gestern heimging die Bitte. Verzicht auf Nachricht vom Kinde, damit Stefferl Kunde erhält. Ich hätte nichts sagen sollen und sprach doch darüber. Montag, 6. März Heute Nacht starker Schneefall. Freitag, 10. März Heute. Um ½ 8h: Dokumente, Spitz muß weg. Plötzlich zum Mann: „Sie müssen in ¼ Stunde gepackt haben.“ Ich sagte: „Wir leben schon 30 Jahre zusammen.“ Antwort: „Lange genug.“ Ich: „Der Mann ist 69 Jahre alt.“ Antwort: „Er ist alt genug geworden.“ Ich war wie abwesend, packte. Abschied. Allein dachte ich an den gestrigen Tag. Konflikt wegen der Verdunkelungsro[…]{llaou}. Schweres, schweres Herz. In etwa ½ Stunde kam er wieder zurück und alle Nachbarn mit Ausnahme von Sp. Dann ging ich zur Mutter und Ida. Die Liebe. Sonntag, 12. März 44138 Vor 6 Jahren. Es schneit und ist kalt. Das Orgelspielen so viel. Ich denke an das Kind. 138 Eintrag auffallend unregelmäßig geschrieben.

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Montag, 13. März Es regnet. Ich gehe zur Lisi, Friedhof. Doktor. Kein Frühlingkommen. Hohe Schneewälle. Keine Knospen. Dann saß ich beim Gräpl – dachte vergangener Zeiten. Die Aufschnitte, die Eier im Glas.139 Schinkenbrote. Mittwoch, 15. März Es schneit, trüb. Seit Tagen immer ein wenig Halsschmerzen. Und morgen früh soll ich nach Glaubendorf fahren. Ich bin allein daheim. Kam von der Orgelstunde, habe die Probe abgesagt. Es war mir, als wache Er über meine Gesundheit. Ich schrieb die Absage und nachher war der Schmerz besser. Freitag, 17. März Also gestern. Glaubendorf. Irgendwie sehr nett. Um ¾ 8h kam ich an. Der überfüllte Zug. Es schneit. Der Onkel kam. Wie er stehen blieb! Gutes Essen. Nach Tisch zu Anna. Sie und Emma hatten Diphtherie gehabt. Die unbeschreiblich kotigen Straßen. Aprilwetter. Plötzlich blauer Himmel und Sonne. Beim Bahnhof wieder graues Gewölk und prasselnder Schnee. Die Verwandten gut. Der Hals war auch gut geworden. Wieder der Zug überfüllt. Daheim um 7h. Ich begann zu husten. Heute hätte ich zu Ida gehen sollen. In der Nacht h{H}usten, in der Frühe stockheiser. Ich blieb liegen. Mittag Alarm – der 15. Ich las, schlief. Mir träumte von jemand, den ich schicksalhaft lieb haben mußte. Sonntag, 19. März Der Hals ist noch immer nicht gut. Das Kind 3 ½ Jahre verheiratet. Und 55 Wochen seit der letzten Nachricht. Wo ist es? Trüb. Heute Regen als ich zum Margarethengürtel fuhr (Fink). Ja, wie nett haben es die Leute. Wie sich alles ausgleicht! Aus den unbekannten, übersehenen Verwandten werden Freunde und Respektierte! Mittwoch, 22. März Gestern/heute Frühlingsanfang. Es schneit und schneit. 139 „Aufschnitt“ bezeichnet in der österreichischen Küche eine dekorativ angerichtete Jausenplatte mit kalten Fleisch- und Käsewaren samt Gewürzbeilagen. Ein „Ei im Glas“ wird weich gekocht aus der Schale in ein Glas geschlagen.

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Vom Frühling keine Spur. Bis gestern Halsschmerzen, Husten. Heute besser. Gestern bei Ida Bücher geordnet. Sonntag, 26. März Noch immer kalt, stürmisch. Die Luft voll Schnee. Der Hals gut, aber Kopfschmerzen. Husten. Heute voll Scheu in die Kirche. Dann doch gut ausgegangen. Dank. Jetzt eben zuvor die Gasse hinabgesehen. Ich schloß die Augen, fühlte Seinen Segen, s{S}eine Hand auf meinem Scheitel. Dieses tiefe Schauen! Sonntag, 2. April Bis gestern Regen, Regen. Schnee. Der ganze März ein Schauertag. Nicht eine Stunde Sonne. Heute das erste Mal ein wenig Sonne und ein paar Wärmegrade. Große Jagd, Hetze, aber immer Dank. Heute ist das Kind 5 ½ Jahre fort!! Ich bin heuer noch nicht … Char-Samstag, 6{8}. April Gestern in Maria-Grün. Auf dem Plätzchen, das ich so liebe, zwei Bäume in zartester Blüte. Ich war tief gerührt. Ostersonntag, 9. April Gestern der erste wärmere Tag. Heute trübe, aber nicht kalt. Alles jagt sich so. Ich bin fast nie daheim, heute zum ersten Mal seit langer Zeit. Das Orgelspielen. Ida. Und noch und noch laufen, schauen, arbeiten, denken und danken – viel danken. am Weg nach Gießhübl, bei meinem Platz, 14. IV. 1944 Seit vorgestern Frühling! Sonne, Milde. Die Blüten keuchen vor Wachswut. Was haben sie doch einzuholen! Im Februar, März nicht ein warmer, sonniger Tag! Nun bin ich wieder hier. Seit 39 war ich so lange nicht fern. Gesegneter Tag. Die Vögel singen. Ruhe. Frieden. Tiefster Dank. „Vergebung wird gewiß der tiefsten Schuld.“ Auf diesem Platz bin ich wunschlos und eingeschlossen ins All. Strunz hat geschrieben. Die ersten Veilchen. Auf der Bank neben dem Gießhübler Friedhof: Ich sehe nach Perchtoldsdorf hinab. „Ich schau in die weiten Lande.“ Das Mutterl, das zum Schuster schlurfte. Ich gab ihm meine Semmel.

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Schönbrunn, 24. April, Montag Frühling, Frühling, Frühling! Sonne, das junge Grün! Ich wollte zum Doktor, ging aber ins Kino, „Gabriele Drambone“, und sitze nun vor dem Glashaus. Die Kinder – alles voll Sonnenzauber. Nicht zu schildern. Am Freitag 21. war ich in Lang Enzersdorf gewesen. Von dort über die Kellergasse nach Stammersdorf. Nicht so sonnig wie sonst in den vergangenen Jahren. Die Blüten der Marillen und Pfirsichbäume heuer schütter, nicht so reich wie sonst. In der Frühe Disput mit dem Manne wegen des Friedhofgehens. Verzeihe, verzeihe flehte ich in der Schottenkirche. Erkenntnis: Damit ihm Verzeihung wird, muß ich demütig und geduldig sein, ihn anerkennen. Ich kann noch viel gutmachen. Die Vögel singen. Der Duft, der Duft! Duft wirkt auf meine Sinne unvorstellbar süß und sehnsüchtig. Ich denke heute unentwegt an das Kind. Ihre Jacke trage ich – und ihre Wege gehe ich. Das Herz tut sehr weh. Ich schaue, schaue. Donnerstag, Neudegg, 27. Mai April Unter dem Kirschenbaum. Nun bin ich wieder da. Um 8h in Kirchberg. Strahlender Tag. In Heiligenstadt die ersten blühenden Kirschenbäume. Ich blinzle ihnen zu. Der alte, liebe Weg! Die Kirschenbäume blühen – aber die Apfelbäume, die schönen, schönen, tragen erst Knospen. „Schade“, sagte ich in der Bahnhofstraße. Nein nicht schade, dafür die Zärte des Frühlings. Unweit des Ackers, der mich im Frühherbst so erschütterte, kniete ich nieder. Dank. Momentelang dachte ich: Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Ich ging eigentlich sehr schnell. Rastete nicht. Betete, zählte die Telefonstangen: 118. Bei den Kapellen bog ich ein. Einsam. Ich zählte die Wegbäume. Die Kirschenbäume blühten. Beim Baum 13 mit einem Male schlecht. Herzklopfen, Kollaps. Ich war vor Angst ein wenig verwirrt. Niemand weit und breit. {Ich legte mich auf die Straße, atmete.}140 Stückweise schleppte ich mich. Dann besser. Beim Baum 40 schon an Ort und Stelle. Froh. Freitag, 28. April Um ¼ 6h mit dem Milchwagen weg. Ein franz. Kutscher aus Dijon.141 Der Abend milde, ich recht müde. Pünktlich um 9h daheim. Zufrieden. Heute in Sievering bei Ida. Trüb.

140 Mit Bleistift eingefügt. 141 Damit könnte ein französischer Zwangsarbeiter gemeint sein.

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Um 3h schon heim. Viel Plage! Mein Herz noch nicht ganz in Ordnung. Es wird Mai. Gestern auf der Heimfahrt die vielen blühenden Kirschenbäume! Sonntag, 7. Mai Diese aufregende Woche! Montag 1. im Kinderheim. Rührung. Heimkommend, der Nachbarjunge krank. 4 ½ Monate. Valerie kommt. Sorge. Dienstag schlecht, Mittwoch, Donnerstag am schlechtesten, Freitag gerettet. Dienstag beim heiligen Antonius. Ida. Ich spiele mit einem Jungen Flöte. Diese Duplizität des Schicksals! Donnerstag in Stammersdorf. Ein süßer Apfelbaum, wie ein hold errötendes Mädchen. Am Freitag in „Palästrina“ Pfitzners 75. Geburtstag. Ein großer Opernabend. Heute Regen. Die Zeit ist mir immer und immer zu kurz. Orgelspielen, viel. Am Dienstag 2. Mai die erste Maiandacht. Alle Blüten kommen ohne mich. Das junge Grün. Heute Traum vom Kind. Es ging ohne Schuhe. Ach, heute beim Thaddäus. Dank. Dann: die tiefste Bitte meines Lebens: Schutz dem Kinde. Sievering, im Liegestuhl, 12. Mai Um 11h vormittags bin ich hierher gekommen. Die Jahre nach Neustift! Die blühenden Apfelbäume! Und hier der Duft, die Blüten! Vor mir ein zierlicher Kirschenbaum, über und über mit Blüten bedeckt. Hinter mir, Blüten, Blüten, Blüten! Gestern Janthe und ihre Schwester bei uns. Welch ein Verhängnis ist Hochmut, wie fruchtbringend Demut. später, ¼ 5 h: Ich sitze {jetzt} unter den blühenden Apfelbäumen. Ihr seid ja Märchenkinder, habe ich ununterbrochen zu ihnen gesagt. Ich kann es nicht schildern, wie schön die Bäume sind. Es ist trüb. Die Sonne kam nur ab und zu hervor. Dank. Es regnet Blütenblätter. Gestern bei Edith. Sie fand mich gut aussehend. Er: „Seit Du keine Liebschaften hast.“ Strafe für interessant sein wollen, Eitelkeit. Sonntag, 14. Mai Heute in Maria-Grün. Die Kastanienkerzen leuchteten. Dann zu Hilda. Dienstag, 16. Mai142 Heute im Liegestuhl, das 2. Mal in diesem Jahr – mit Ida. Es war so schön! Die Bäume standen wie die Bräute. Der Flieder, die Kastanien, die Obstbäume! Mai Mai.

142 Eintrag auffallend unregelmäßig geschrieben.

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Himmelfahrtstag, 18. Mai, auf d. Fahrt nach Rekawinkel.143 Der Maientag! Sanftes Licht und Blüten, Blüten! Flieder, Apfel, Kastanien, eine Farbensymphonie! 2h unter einem Märchenbaum: O, ich finde keine Worte, wie schön es ist! Die Blüten, die Wiesen. Sonne, Wolkenschiffe. Ich denke an das Kind mit unbeschreiblicher Sehnsucht. Heute träumte mir von ihr – undefinierbar. Es sah schlecht aus. Nach einer Krankheit. O, Herr, meine Bitte! Ein Apfelbäumchen ist da über und über mit Blüten bedeckt, wie ein zartes Bäumchen steht es da […]{v}or mir. bei den 2 Bäumen, später um ½ 8h: „Erinnert Ihr Euch? Erinnert Ihr Euch?“, frage ich ununterbrochen. „An das Kind?“ Ich sitze in ihrem Mantel, mit dem sie hier gewandert ist. Eben als ich bei der Jause saß, dachte ich daran, wie ich die Vorhänge in der Küche aufmachte. Es war ein unnennbar schöner Tag gewesen, und wie ich auch hinauswollte in die Sonne. Das Kind ging herum, hörte die Vögel singen, sah die Blumen wachsen – und ich zankte, weil es mich mit der vielen Arbeit allein ließ, es mir nicht genügend half. Ich kränke mich noch heute darüber. Wo wird es sein? Ich schaue zum Kloster „am Stein“ hinüber, wo ich im vorigen Jahr gewesen. Du schöne Welt! Freitag, 19. Mai, Lourdesgrotte Der herrliche Tag! Sonne und Blüten! Flieder. Apfelblüten! Ein Bäumchen am Wege – ein süßes, kleines Apfelbäumchen, über und über mit Blüten bedeckt – mein kleines Enkelkind. Heute früh die Debatte mit dem Mann wegen Herausfahren. Er lästert. Bitte um Verzeihung, daß es ihm nicht angelastet wird. Für ihn die Sakramente. Er schickt mir diese Prüfung, damit ich standhalten lerne. Für mich die Messe ganz allein. auf der Bank zum „Waldhof“: Vöglein singen. Ruhe. Dank. Waldhof, ½ 12h: Immer ich ganz allein. Hier wieder. später, 1h, Autobus: Ich bin 1h auf einer Betonplatte gelegen und habe geschlafen. Vogelgesang. 143 Eintrag auffallend unregelmäßig geschrieben.

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Auf dem Herweg oberhalb des Bades Fichten von rot- und weißblühenden Obstbäumen umstanden. {Zu schön!} Muttertag, 21. Mai Heute in der Luegerkirche gespielt! Und gesungen. O hast du noch ein Mütterchen. Der junge Organist. So habe ich noch auf keiner Orgel spielen hören! Im Kaffeehaus, Maria Enzersdorf, 26. Mai Es wird jetzt so schwer mir gemacht mit dem Herausfahren. Der Mann kann es nicht verstehen. Doch ich, ich weiß, daß ich dies leiden muß, um damit alles an Freude und überhaupt einzutauschen. Heute die Erkenntnis: Ich bedarf keiner höheren Mathematik {zur Erforschung des Lebensgesetzes}: Summe, aus der die Leiden abgezogen, die Freuden dazugezählt werden – immer sind sie ein Ganzes. Und nun gehe ich auf „meinen Platz“. Es ist keine Sonne, ein leichter Regenschauer. „Auf meinem Platz“: Es stürmt, es regnet! Sechs Jahre! später: Nun ist es ein wenig schöner geworden und ich ging den Weg zum Waldhof, den ich im Jänner 1942 gegangen bin, an dem kalten Wintertag, an dem ich vermeinte, mein Enkelkind würde geboren. Sonntag, 28. Mai In der Luegerkirche gesungen: Marias Wiegenlied. Der unbeschreiblich schöne Tag! (Montag) Dienstag, 30. V. In der Luegerkirche gespielt, gesungen, mitten im Hochamt: Alarm. Schaurig. Dann ins Häuschen. Sonne, Liegestuhl. Die scharfen Konturen des Kahlenberges. Nachts wieder Alarm. Eben jetzt wieder. Mittwoch, 31. Heute in Maria-Grün. Gestern das erste Mal allein die Messe gespielt. Eine Frau kam herein: „Ich möchte Ihnen am liebsten die Hände küssen.“ Soviele innere, tiefe Erlebnisse. Heute sagte man mir, es ist nicht wahr, daß die Emigranten in Manila interniert wurden. Also war meine Sorge nicht unbegründet. Ach, das Kind!

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Sonntag, 4. Juni Am 2. sind die Nachbarn weg. Das arme Kind. Ich denke und danke viel und schaue die Himmelsgasse hinauf. Merkwürdig: Donnerstag war ich bei Edith gewesen. Ich ging zum 40er. Süßer, sanfter Abend. Und ich fühlte mich seit langer, langer Zeit allein und einsam. Die Stimme des Herzens aber flüsterte: „Wie, Du bist allein, da Du doch Ihn kennst? Ihn fühltest, Seine Hand faßtest?“ Ich sah zum Himmel und ich war traurig darüber, daß ich Ihn fast verleugnet hatte. Doch Er kennt und weiß alles. Mahnung war es mir: Wo Gott, da ist keine Not. Doppelt und dreifach bin ich ergeben, wenn die Angst des Herzens da ist. Mahnung. Dienstag, 6. Juni Gestern sanftes Licht in Schönbrunn. Ich saß auf der Strunzbank. Mit schwerem Herzen im Maxingpark. Rom gefallen. Heute vormittag in Neustift. Die Messe. 3 Zuhörerinnen in Andacht. Bitten. Es regnet. Dann zur Freundin. Sie lag zu Bett. Orgelspielen beim Segen. Hernach kam die alte Kaltenborn: „Sie müssen schneller spielen.“ Früher wäre ich ob dieser Zurechtweisung traurig gewesen. Heute Dank dafür. Der Hochmut und die Eitelkeit müssen gezüchtigt werden. Am Montag die Zurechtweisung von Prof. Mlčoch, weil ich soviel vorspielen wollte. Ich kann doch noch so wenig und nehme mich um so viel an. Donnerstag, 8. Juni Gestern mit Hilda in Lourdes. Es war trüb und regnete ein wenig. Messe, Kommunion. Die Hostie bricht, ein Teil fällt auf den Mantel. Der ist nun geheiligt. Ich schaue die Gasse hinunter. Es ist kühl. Heute war ich daheim, seit langem. Ich nähte, las, ein wunderbares Werk über byzantinische Baukunst. Heute Nacht träumte mir von meinem Schwiegersohn Hans. {Von Montag auf } Dienstag Nacht Invasion.144 Die Kinder denken her. Freitag, 9. Juni Es wäre soviel zu sagen. Es ist kühl und angenehm. Die Schwalben beginnen zu sirren. Heute in Stammersdorf, jetzt in Ruhe daheim. Donnerstag, 15. Juni 1944 Heute daheim. Es regnet, dann ist es wieder schön. So viel zu sagen, denn die Welt ist groß und weit – und tief. Die Freundin{e} hat{ben} Sorgen. Wohnung. Ein ganz junges Mädchen und ein Knabe vor meinem Fenster. Sie raufen. Zum Schein. Es ist Liebe.

144 Am 6. Juni 1944 erfolgte die Landung der Allierten auf der Normandie, gemeinhin als Invasion bezeichnet.

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Mittwoch, 20{21}. Juni Gegen Mittsommertag. Heute der längste Tag. Nun schwindet er wieder. Wie merkwürdig. Immer Mahnung. Es regnet jeden Tag. Am Montag in der Hetzendorferkirche. Tränen der Reue. Sonntag, 25. Juni Mittsommer! Heute seit fast 6 Wochen der erste schöne Tag. Aber was für ein Tag! Sanftes Sonnenlicht, nicht heiß, blau-blauer Himmel, ein paar Schäfchenwolken darauf. O, wie schön! Ich bin heute daheim – seit langer, langer Zeit ein geruhsamer Sonntagnachmittag. Ich schaue die Gasse hinab – denke an das Kind, an den Krieg, an die Nachbarn und an das geprüfte Herz. Möge es die Prüfung bestehen, Verdienste sammeln, demütig und dankbar sein. Im Häuschen, Samstag, 1. Juli Wie schön! Der sanfte Wind, der Rosenduft! Ich habe im Liegestuhl geschlafen. Die Bombennacht. Alarme. Vorgestern in Stammersdorf. Die zerstörten Häuser in Floridsdorf. Mutter hat Einquartierung von dort. Vorgestern bei ihr. Viel ungemütlicher Disput. Ich wollte ihr sagen, daß sie oft verlangt, ohne zu geben. Aber man soll nichts sagen, sondern schweigen und geben. Am Samstag, Mutters Geburtstag, die Nachbarn weg. Ich denke seither viel an Schweres. Während ich schreibe, sieht mich ein Gänseblümchen so süß an, daß mir die Tränen kommen. Ich wollte es pflücken und in das Buch legen – nein, es soll die Sonne noch sehen und den Mond, den Strahlungen der Welt teilhaftig sein – bis zu seinem natürlichen Ende. Vielleicht wird es niedergetreten. Ja – aber ich will nicht Schicksal spielen. Sonntag, 2. Juli Das halbe Jahr ist um. Mittsommer. Freitag, 7. Juli Mit Ida in der Kuchelau. Strahlender Tag. Ganz wolkenloser Himmel. Das Kahlenbergerdörfl, der Leopoldsberg. Ich schaue, schaue. Du gesegneter Tag. Die sanfte Luft. Unter eine Silberpappel. Wie Elfengetrappel. später daheim: Wie schön der Tag gewesen! Die Linien! Sonntag, 9. Juli Heute Dr. Luegerkirche gespielt. Mutter war mit. Sanftes Sonnenlicht, leichter Sommer-

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wind – o, es war Frieden und Stille. Aufs Grab von Sandors Eltern. Heute Ertlbácsis145 Geburtstag. Welch ein Zufall! [...] Geburtstag. Gerade heute verlangte es mich, zum Grab zu gehen. Dann noch zu Wodiczka. Der arme Hans! Hernach saßen wir auf einer Bank und frühstückten. Vögel, schöne Vögel flogen zu uns her. Welch schönes Geschöpf ist so ein Vögelchen. Die Schwalben sirren. Das habe ich so gerne. Den dritten Sommer höre ich sie schon so. Montag, 10. Juli Heute die Notiz von den Missionaren auf den Philippinnen. Ich klage mich an. Jetzt um die Zeit werden es 6 Jahre, daß sich Lisl entschied. Warum sind wir nicht mitgegangen? Während ich dies schreibe, seufzt mein Herz: Ich vertraue Dir ewig, Du siehst, Du hast mich, Herr, Dein selbstsüchtiges Kind. Das Du nun Demut gelehrt hast. Du wirst mich nicht zu schanden machen, Du wirst um meiner heißen Reue willen, das Kind beschützen. Heute das Erlebnis mit dem Täschchen. Antonius. (Ich vergaß es in der Stadtbahn.) 12. Juli Gestern mit Edith in der Kuchelau. Ida hätte kommen sollen. Es war trüb und windig. Und dann gingen wir über die Nase auf den Leopoldsberg. Das Kirchlein liebe ich so. Die Aussicht! Über die „Eiserne Hand“ nach Grinzing. Kuchelau, 14. Juli Wieder da. Sanfte, ein wenig verhängte Sonne. Mit Ida. Schön. Sonntag, 16. Juli Heute in Simmering. Gestern viel Orgel gespielt. Wie schön war das! Allein in der großen Kirche! Und heute der schwere Angriff. Ich im fremden Luftschutzkeller. Die hohen Flammen, Rauchsäulen. Ich musste zu Fuß gehen. ½ 2h daheim. Freitag, 21. Juli Heute wieder Kuchelau. Schön! Ich las Ida die Sonette von Michelangelo vor. Und der Leopoldsberg! Sanftes Licht. Der Leichenzug zum Friedhof im Kahlenbergerdorf! Gestern auf Elis Grund! Wie schön!

145 Für: Jakob Ertl.

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Sonntag, 23. Juli Heute Regen, Sturm. Daheim. Noten geschrieben, gekramt. Vormittag Orgel. Ich lebe immer mehr nach innen. 26. Juli Gestern, als ich in die Kirche zur Orgel ging: der Blick auf den Stephansdom. Unvergeßlich! Daß den Menschenhände gemacht haben! Welche Gnade! Freitag, 28. Juli Kuchelau, allein. Sonne. Der Leopoldsberg. Wolkenballen im klaren Licht. Gestern Vormittag bei Eli geholfen. Denken. Nachmittag im Häuschen Ribiselpflücken.146 Ich wollte heute nach Lang Enzersdorf zu Tantes Grab – sie hatte Namenstag gehabt – aber ich meinte, Ida wäre hier. Wieder abhängig? Gestern Edith da – wegen Wohnung. Heute Vormittag dachte ich viel daran: wenig Verdienst erworben. Doch: sei kein Richter, richte nicht, sagte ich zu mir. Dienstag, 1. August Ich war in der Kuchelau gewesen. Wieder allein. Trüb. Ich zögerte erst. Dann ging ich doch. Ida war natürlich nicht da. Mit einem Mal ein starker Guß. Dann saß ich schon auf der Bahn, mehrmals zurück weil ich glaubte, sie wäre da. Einstweilen ein Mann. Dann kam die Sonne. Ich schlief. Wieder trüb. Neben dem Bahndamm nach Nußdorf. Ein verhängter Himmel. Die Donau. Irgendwie sehr schön. Mittwoch, 2. August Heute daheim! Ich las!! Von Ceylon zum Himalaja! Das, was ich durch 25 Jahre täglich durch Stunden getan habe. Ja, ich habe viel Zeit verloren. Wie schön sie war! Es ist trüb. Herbstesahnen. Im vorigen Jahr war ich in Maria Enzersdorf im Bad in der Kleingasse. Sonntag, 6. August Heute ein gnadenreicher Sonnentag. Der Himmel in leuchtendem Blau, nicht grell, nein, wie ein gütig-liebendes Herz. Ich sehne mich nach einem Waldesrand. Doch bin ich zufrieden, die Gasse hinabzuschauen. Heute der erste schöne Tag seit Wochen, seit damals, als ich das erste Mal in der Kuchelau war. 9. August Gestern wieder in der Kuchelau. Das 7. Mal. Von 10 bis ½ 5h. Warm. Sonne. Der Leopoldsberg! Die kleinen weißen Wolkenschiffchen. Mit Ida und einem Jungen.

146 Ribisel ist die in Österreich und Altbayern verbreitete Bezeichnung für Johannisbeeren.

264   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

10. August Gestern mit Hilda in Lang Enzersdorf. Wir gingen in der heißen Sonne. Und saßen dann in einem Garten. Tante. Schutz. Heute in Hietzing bei der Schwester. Zur Berti, die nicht daheim war. Ich saß beim Wun­ derer und sah auf dem Platz zur Kirche. Unvergeßlich das Bild, das Licht. Auf jenem Platz saß ich, wo vor {mehr} als 5 Jahren ich mit Karl gesessen bin. Ach, mein Kind, mein Kind! 11. August Heute im Gänsehäufl. Es war warm und ich bin sehr abgebrannt. Montag, im Lande der Kindheit, Neudegg, 14. Aug. Ich ruhe im Liegestuhl hinter dem Haus. Blaue Wegwarten vor mir. Schmetterlinge. Und die Hügel, darauf die dunklen Föhren träumen. Ruhe, Frieden. Von Kirchberg mit der Mutter nach Oberstockstall gegangen. Dann begegnete uns ein Wagen. Wir fuhren bis Neudegg. Ich saß rückwärts am Wagenende und ließ die Füße herabbaumeln. Sommer. Allerreifster Sommer. Die Wiesenblumen in der schönsten Pracht, damit ich sie noch sehen kann. Vorgestern, gestern sehr heiß, die heißesten Tage. Gestern abends ein wenig abgekühlt. Hier heraußen starkes Gewitter gewesen. Heute angenehm. Sonne, doch nicht sehr heiß. Vorgestern bei Carl. Er freute sich. „Sie ist unverwüstlich“, sagte er zu mir: „Wann sehen wir uns?“ Und am Heimweg ein wunderbares Erlebnis. Ich stieg aus. Über die Salztorbrücke gehend, überflog mich ein wunderbar zartes Glücksgefühl. Ich wehrte ab und sah gegen den Himmel: Nicht dieses, nur eines: mein Kind sehen. Da war es mir, als dürfte ich meine Wange in der göttlichen Handfläche bergen und es flüsterte eine Stimme: „Weil Du nicht batest, bekommst Du Beides.“ „Ich verdiene es nicht“, flüsterte ich zurück. „So verdiene es Dir.“ Wie seinerzeit, als ich Ihn fand. Ich ward zutiefst erschüttert. Wieder eine Begegnung. Ich weiß, wie ich mir viel verdienen kann, durch Schweigen, Geduld und Demut im Ertragen von Unbill. Und ich legte meine tränennasse Wange in Seine Handfläche. Ihr blauen Wegwarten, ich danke Euch, daß Ihr für mich so überreich erblühtet. Ihr blauen Blumenaugen seht mich an. Und ich hab Trost für lange, lange Zeit. Auf Großmutters Grab:147 Es ist Sonne. Ich bitte nur Schutz. Sie gewährt ihn. Sie wacht über uns. Großmutter. 147 Textpassage auffallend unregelmäßig geschrieben.

1944   265

Auf der Höhe am Weg nach Neudegg, 7h: Welch ein Abend. Der Wind spielt. Ich bin den Weg hinab durch die Steinfelsen gegangen. Erinnerungen, Erinnerungen. Wie rehabilitiert seid Ihr, meine beiden lieben Örtchen! Wie hübsch seid Ihr! Unweit von hier stehen 3 Birkenbäumchen! Und der Blick hier oben! Die Krems. Ach, Krems! Mai 1923. Die Blumen! Ich sorgte mich und meinte, der Sommer sei schon vorbei. Er ist noch da! Am Frauentag, 15. August In der Nacht gut geschlafen. Um 6h auf. Nach Riedenthal zur Kirche. Andacht. Kommunion. Tränen – für mich. Sonnentag. Die liebe Frau geht über die Fluren. Bei den Verwandten. Lieb aufgenommen. Auch der Onkel freundlich. Mit der Tante hin und zurück. Immer gutes Essen. Jetzt um 1h wieder im Liegestuhl auf den Platz von gestern. Die blauen Wegwarten. Schmetterlinge. Ruhe, Frieden. Sommer. Am Bahnhof, ¾ 7h abends: Sonne. Ich bin gefahren mit einem [...]. Die Blumen von Staub bedeckt. Aber der Himmel! Weit und italisch. Donnerstag, 17. August, 3h Im Krapfenwaldbad mit Ida. Vor einem Jahr sah ich sie hier zum ersten Mal. Sonntag, 20. August Im Bad war es bald trübe und wir mußten heim. Bei Ida Dr. F. Geburtstagsfeier. Ich zwinge mich ein wenig. Vorgestern {18.} mit Carl und Eli auf ihrem Grund. Es war schön und ich musste mir ununterbrochen zusehen und zureden, ja nichts zu tun, was mein Herz nicht befiehlt. Nochmals: Ich will nur das eine Glück noch: mein Kind sehen. Heute heiß, wolkenloser Himmel. Ich bin ein Stündchen allein daheim. Montag, 21. VIII. Heute im Hietzinger Strandbad. Manche Momente schön und wohlig. Dienstag, 22. VIII. Heute Kuchelau mit Ida, Edith und Inge. Sonne, Sonne. Am Abend hat sich Eva W. vergiftet. Tief, tief beeindruckt. Ich erfuhr es Donnerstag bei Ida. Montag, 28. VIII. Kuchelau. Gesegneter Tag. Allein. Heute Goethes 195. Geburtstag.

266   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

Die Pappeln rauschen. Erzählen. Ich denke mit wehester Sehnsucht an mein Kind. Der Leopoldsberg. Freitag bei Carl, auch Samstag. Donnerstag Anruf! Kommst Du vorbei? Freudiger Schreck. Dann erfuhr ich, daß ich das Manuskript hätte holen sollen, um es nach Reka tragen zu können. Also noch nicht geheilt. Doch, doch – ich nehme mich sehr zusammen. Heute Paris aufgegeben. Sonntag gestern in der Keplerkirche gesungen, dann das Terzett zur Schöpfung begleitet. Fremde Orgel. Den ganzen Tag danach darob deprimiert. Ach, wie schön ist es hier! Dank. Im Liegestuhl, Agnesgasse, 31. August Der letzte Augusttag – der Sommer geht zu Ende. Sanftes Sonnenlicht. Ich liege schon 3 Stunden in diesem friedlichen Garten. Vorgestern das Begräbnis von Eva W. Armes Kind, musste ich immer sagen. Und ich dachte an meine Lebens- und Liebesgier, an den Brief an Waschak, den verrückten – an meinen „Abschiedsbrief“. Ein Schutzengel war über mir und so bin ich nicht in den Abgrund gestürzt. Und dieses Kind hatte niemand, der es liebt. O, ich dachte an mein Kind und eine schwere Last fiel auf mein Herz. Ach, ich schaue in dieses Licht, das zwischen den Bäumen hereinlugt, es ist zu schön! Ein leiser Wind und Blätter fallen! Äpfel vor meinen Augen. Sonntag, 3. Sept. Gestern wurde ein Traum Wirklichkeit: Ich sang in der Hietzinger Kirche. Die Schwester meinte: „Zu schön!“ Noch immer bin ich eitel. Gestern 31 Jahre, daß ich meinen Mann kennen lernte. Heute endlich starke Abkühlung. Mit dem Manne am Zentralfriedhof. Ich spielte Vorund Nachmittag. Die 3 Soldatensärge. Montag, 5. Sept. Heute in der Agnesgasse – unsagbar schön. Italischer Himmel, die Pappeln standen wie Cypressen gegen die blaue Glocke. Donnerstag, 7. Sept., Maria-Grün Welch ein Licht! Als ich herfuhr, die kleinen weißen Wolkenbänke am tiefblauen Himmel sah, wie schön die waren, wie flog mein Herz zu ihnen! Die Grüne ringsum! Heute die erste Orgelstunde! Soviel wäre zu sagen, von den tiefen Gründen. Heute erzählte mir die Nachbarin von Flori. Er ist Bürgermeister. Jene Zeit! 21 Jahre! Sie besuchte ihn über meinen Wunsch. Wenn die Pappeln rauschen, da wird mir so eigen. Ich habe hier um den Schutz für das Kind gefleht – ach, wie leicht hab ich es hergegeben! Leicht? Nein. Er weiß alles. Doch habe ich viel an mich gedacht.

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Sonntag, 10. Sept. Das war heute ein aufregender Tag! Um ½ 9h die Messe in der Keplerkirche. Schön! Das Ave Maria stieg zum Himmel! Maikl, der Kammersänger war da. Ich wieder in eitler Freude. Hernach hetzend nach Simmering. Ich sollte ins Häuschen. Weil ich aber früher fertig wurde, als ich dachte, meinte ich, ich könnte noch die 10h Messe im Zentralfriedhof einschieben. Der Pfarrer war schon am Altar. Ich spielte dennoch, ging aus der Kirche, spekulierte, wie ich am besten ins Häuschen fahren kann – und hörte mit einem Male schießen! Die Leute liefen, ich rannte die 50 m zum Luftschutzkeller, atemlos stürzte ich hinein! Alarm war gewesen und ich hatte nichts gewusst! Endlich, von ½ 11 bis ½ 12h hatte der Angriff gedauert, konnte ich zur Tramway gehen. Sie fuhr nicht! So ging und ging ich zu Fuß bis nach Hause! 2 ½ Stunden. Was ich da sah! Brennende Häuser, {glas}splitterübersäte Straßen, Obdachlose, ein Jammer! Der Krieg. Und daheim viel Vorwürfe. Es war nicht ausgemacht gewesen, daß ich nach Simmering fahre. Er ging weg. Fast wie einst. Nur mit dem Unterschied, daß ich stärker mich fühle. Nun sitze ich wieder beim Fenster und sehe die Gasse hinab. Mittwoch, 13. IX. Der schwere Angriff am Sonntag 10. Und heute wieder Alarm! Agnesgasse, Freitag, 15. Sept. Ich liege seit einer Stunde im Liegestuhl und genieße die späte, gute Sonne. Die Welt versinkt – die um mich {herum} kämpft. Stille, Frieden. Hühner und Enten gehen spazieren. Gestern in der Gatterburggasse: Stätte des Grauens. Bei Eli, Edith Fensterscheiben zerstört, bei Mutter ebenfalls. Viel, viel Elend. Bei uns zog Montag ein neues Ehepaar ein. Sonntag, 17. Heute im Häuschen. Sonne. Herrlich. Kein Orgelspiel in der Luegerkirche wegen Furcht vor Alarm. Und ich wäre so gerne gegangen, wachte zur Zeit auf, die innere Stimme hörend, die sagte: „Du kannst gehen.“ Ach, morgen der Hochzeitstag vom Kind. Wie muß ich an die Zeit vor 6 Jahren denken. {Gugging,} an Lisls Hochzeitstag, 18. IX. 1944, Montag, in der Grotte Nun bin ich wieder da. Und wieder ist es ein herrlicher Tag wie die Jahre her. Nur konnte ich erst um ¾ 2h herausfahren und kam um 3h hier an. Es war Segen. Wir waren 13. Die Quelle rauscht. Die Bäume flüstern. Heute wieder Alarm. Schwerer Traum. Viel Sorge. Und die eine einzige Bitte: Schutz meinen Kindern – und Schutz für uns.

268   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

auf der Bank zum Waldhof, ¾ 4h: Nun ist es am Nachmittag. Nie mehr war ich so spät dahier. Es ist heiße Sonne. Libellen schießen durch die Luft, Mücken, Schmetterlinge. Es ist noch Sommer. Welch tiefblauer Himmel! Waldhof: Ruhetag. Ich ging wieder zur Betonplatte und schlief ein paar Minuten. Die Sonne war warm und süß. Jetzt verschwindet sie hinter Bäumen, aber noch nicht hinter dem Wald. ½ 5h, unter einem Nussbaum: Ich lag unter dem Baum meiner Kindheit. „Lebt das Kind?“, frug ich ihn. „Ja!“, rauschte er laut auf, „ja und nochmals ja!“ Ach, die Gewissheit. Ich schaue ringsum – wann werde ich wiederkommen? Agnesgasse, 19. Sept. Mit Ida im Garten. Ich schlief. Es war warm. Die gute Luft. Donnerstag, 21. September Herbstanfang. Ich bin bei einem sehr schönen Film gewesen: „Der gebieterische Ruf“. Seit langem hat mich kein Film so beeindruckt wie dieser. Ach, heute süße Herbststimmung. Ein sanft grau verhängter Himmel, und der Herbstduft, den ich so liebe, sehr liebe. Ich bin heute daheim. Freitag, 22. Sept. Heute war ich am Friedhof. Zuerst bei der Schwester und wollte von dort auf den Friedhof, trotzdem es schon spät war. Um ¾ 6h kam ich dort an, um 6h war Sperre. Ich eilte zum Grab des Vaters und suchte das von Eva W. Ich konnte es zuerst nicht finden und wollte schon fort gehen. Nochmals und nochmals kehrte ich um – endlich fand ich es und ersah, daß es heute genau ein Monat war, daß sie starb. Merkwürdig. Am Hietzinger Platz kaufte ich mir die Abendzeitung und las darin, daß am Donnerstag Manila von 500 amerikanischen Bombern bombardiert wurde. O, wie schwer lag mein Herz in der Brust! Am Montag werden es s e c h s Jahre sein, daß mein Kind fortfuhr. Als ich vor meinem lieben Theresienbild in der Hietzinger Kirche stand, flehten meine tränenden Augen: Schutz für das Kind, für uns. O wie schön war heute der Maxingpark! Ich bin ganz allein darinnen gewesen und habe immer abwechselnd zum Himmel geschaut und dann wieder den Park betrachtet: Du schöner, schöner Park habe ich zu ihm gesagt! Hernach bin ich schon im Dämmern durch den Tirolergarten zur Lisi. Und dann schon ganz im Dunkeln über die Grünbergstraße zur Haltestelle Schönbrunn.

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Dienstag, 26. Sept. Das war ein Sonntag gewesen! Unvergeßlich! Ein wenig ängstlich die Tage vorher. Ich wollte nicht wegfahren, wegen Alarm und Mann – und dann ist es so schön geworden. Um 6h15 weg. Es regnete. Vor Leobersdorf Aufheiterung. Es wird immer schöner. In Gutenstein Sonne, Sonne. Ich streichelte die Straße mit meinen Blicken. Da bin ich vor 7{9} Jahren um dieselbe Zeit mit Karl und Lisl gefahren. Der Weg am Mariahilferberg! Heiß. Und dann spielte und sang ich. Die alte Orgel! Der Platz vor der Kirche! Mittagessen im Hotel. Das Kind im Ställchen! Und dann den Kreuzweg!!! Die Aussicht beim hl. Grab! Immer an das Kind denken. Die Grüne! Die Wiesen! Um ¼ 6h heim. Hübscher Sonnenuntergang. Und gestern fuhr ich bei Rosls Haus vorbei.148 Es war mir weh zu Mut und ich schrieb ihr heute: [Brief]

Liebe Rosl, als ich heute bei Eurem Wohnhaus vorbeifuhr, bin ich tief erschrocken. Meine mitfühlenden Worte – nicht geschrieben, sondern durch die Luft gesendet, nimmst Du gewiß an. Und … kann ich Dir irgendwie dienlich sein? Mehr wagt doch nicht zu sagen, Deine R Und so ist auch diese Strecke zu Ende.

148 Ab hier auffallend verändertes Schriftbild.

270   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

Tagebuch Nr. 13 von Therese Lindenberg, 1. Oktober 1944 bis 12. Jänner 1946 Das Tagebuch ist ein kartoniertes Heft mit unlinierten Blättern (146 Seiten) im Format 16,1 mal 20,4 cm. 24 Blätter sind (in 2 Teilen) lose. Der Einband ist grün-schwarz marmoriert gemustert, am Deckblatt ist ein schulheftähnliches Etikett angebracht. Das Buch ist mit einer Plastikfolie eingebunden. Die Einträge sind meist mit blauer Tinte (einzelne mit Bleistift) und in Lateinschrift geschrieben. Das Schriftbild ist wechselhaft. Die ungeraden Seiten sind, beginnend mit „2“, mit geraden Zahlen handschriftlich nummeriert. Auf der Innenseite des vorderen Deckblattes ist ein Zeitungs-Nachruf eingeklebt. Im Tagebuch selbst befinden sich keine Einlagen. [äußeres Deckblatt]

XIII 1. Okt. 1944–12. I. 1946149 [inneres Deckblatt, links]

Am 5. Mai 1945 fiel in Oberbayern Herr Studienrat Dr. Gustav Gabriel geb. 8. Juni 1912 und wurde in Granau beerdigt. In tiefer Trauer Karla Gabriel (Mutter) Edeltraud Gabriel (Gattin) Maria Ottilinger (Schwiegermutter) Wien, im Oktober 1945.150 [inneres Deckblatt, rechts]

M. G.151 No. 13 beg. 1. Okt. 1944 beendet 12. Jänner 1946 468 Tage152

149 150 151 152

Beschriftung am äußeren Etikett des Tagebuchs. Todesanzeige aus einer Zeitung, eingeklebt auf der Innenseite des vorderen Deckblatts. Schreibweise des Kürzels für: Mit Gott. Beschriftung des Tagebuches am inneren vorderen Deckblatt.

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[Tagebucheinträge]

Sonntag, 1. Okt. 1944 Ein grauer Regentag. Vor sechs Jahren fuhr mein Kind fort. Ein Sonntag war es, strahlend das Kind, der Tag – ach, wie weh tut das alles! Und morgen, dem Datum nach 6 Jahre! Montag, 2. Oktober Heute vor 6 Jahren! Damals war ein schöner, sonniger Tag, heute regnet, nein, gießt es unaufhörlich. Das Kind lag damals nach Tisch im Liegestuhl im Garten. Ich konnte mich an ihr nicht sattsehen. Habe ich geahnt, wie lange ich es nicht sehen werde? O, wie denkt es her! Am Freitag war ich in der japanischen Gesandtschaft. Ich frug, ob es eine Verbindungsmöglichkeit gäbe. Man wies mich an das auswärtige Amt. Vorgestern mit Hilda in Lang-Enzersdorf. Welch schöner, wolkenloser Tag. Am Mittwoch die Auseinandersetzung mit der Mutter wegen der Matratzen. Eigenartig. Mittwoch, 4. Okt., Agnesgasse Herrlich! Um 3h kam ich herauf. Sonne. Geruhsames Schauen und Liegen. Abschied vom Sommer. Tiefster Dank für diese Stunde{n, zwei}153. Sonntag, 8. Okt.154 Heute – nach 4 Wochen wieder am Zentralfriedhof gespielt. Jetzt in wunderbarer Sonne auf meinem Fensterplatz sitzend und Noten schreibend. Herbsttag, vom Sommer Abschied nehmend. Sonntag, 15. Oktober Mein Namenstag. So gut heute Orgel gespielt. Voll Freude. Doch Tränen. Zu Mittag wegen des Fettes im Gefäß. Ach, und ich mahnte mich immer zur Ruhe. Dafür aber ein wunderbares geistiges Geschenk: Die Erkenntnis, daß das Kind fort mußte, damit ich zu ihr kommen kann – von hier also weg darf. Jeden Tag Alarm. Oft recht ängstlich. Gestern bei Eli. Gustl ist da. Die Jugend! Vorgestern bei Janthe. Ich kann ihr so schwer die Gnade erklären, die von Ihm kommt. Sie meint, das Dogmatische und die Zeremonien ablehnen zu müssen. Heute am Friedhof – in der Schnelligkeit die sich verfärbenden Blätter. Gestern in der Eichendorffgasse das Haus mit dem umsponnenen wilden Wein! Welche Farbenpracht! Unvergeßlich! 153 Mit andersblauer Tinte nachgetragen. 154 Eintrag in kleinerer Schrift geschrieben.

272   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

Sonntag, 22. Oktober Ich bin gestern in Glaubendorf gewesen. In der Frühe Nebel und dann Sonne. Wir gingen zur Lese in den Weingarten. Ich schaute, schaute. Herbst! Die zarten Linien am Horizont, die Farben! Ich ging dann allein zum Bahnhof. Voller Schwermut und Herzweh sah ich auf den schmalen Weg, den ich vor 35 Jahren gegangen bin. Welche Sehnsucht, welches Verlangen war damals in mir gewesen! Sehnsucht nach Liebe, Größe und noch Liebe und noch Liebe! Ach, und nun? Es schien mir, als hätte ich gleich einem Komet eine rasche Bahn gezogen und nun zerstiebe ich ... Und doch immer Hinaufschauen! Am Mittwoch bin ich nach langer Zeit wieder durch den Maxingpark gegangen. Ihr Bäume! Ich habe sie mit Herz und Aug verschlungen. Hernach zur Lisi und durch die finstere Hohenbergsstraße zur fast zerstörten Philadelphia­ brücke. Diese Angriffe! Das Wohl der Technik wird zum ebensolchen Verderben. 27. Oktober Gestern, Trübe, Regen. Um ½ 3h nach Maria Enzersdorf. In der Nacht hatte mir von Fr. Bäcker geträumt. Sie sah so gut aus. So wie vor Tagen ein Traum vom Kind. Es hatte braune runde Wangen. Als ich in der Kirche stand, zutiefst erschüttert, flehend, fiel mir ein, daß es auf den Tag genau 6 Jahre sind, daß Lisl in Manila ankam. Dort schwere Kämpfe. Wie mein Herz zitterte vor Sorge. Und immer schelte ich mich! Du übermütige Frau, überhebliche, hochmütige, die Du warst. Segen{andacht}. Und beim Herausgehen war es mir, als riefe es von oben! Bete für mich, Mutter, bete für mich! O Kind, wo bist Du? Ich stieg in die Straßenbahn und sah zum Himmel. Da – über der Kirche ein rosa Wölkchen! Wie linde sah es in mein Herz – und wenn ich weinen wollte, rief mein Herz: Das rosa Wölkchen! So konnte ich nicht mehr auf meinen Platz gehen, weil es dunkelte und ich noch auf den Rosenhügel mußte. Bei der Riedelgasse stieg ich aus und ging die Allee, die wir immer nach unsren Maurer Skifahrten gingen, bis zum Zehendner. Alles war erfüllt von der Atmosphäre von damals. Die rotglühenden Bäume, der Duft. Und dann in der völligen Dunkelheit zur Lisi. Ich streichelte das Haustor in der Rosenhügelstraße, als ich vorüberging. Immer: damals, damals, damals. Dann durch die stockfinstre Grünbergstraße zur Straßenbahn. Heute Regen. In der Frühe Frühstück und danach Kommunion. Immer für das Kind. Das rote Wölkchen. Ist es das, daß vielleicht Hans zu seinen Pflegeeltern kommen darf?

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Dienstag, 31. Okt. Gestern Lisls Geburtstag. Keine Wallfahrt. Nichts. Mit wehem Herzen. Kein Feiern. Orgelstunde. Erst heute Kirche. Heute Nacht Traum vom Kind und ihrem Karl. Sonntag am Zentralfriedhof. 5 Messen und 1 Segen gespielt. Sehr müde. Vor Beethovens und Schuberts Grab gestanden. Mein erster Weg. Das Veilchensträußchen auf Schuberts Grab. Sonntag, 12. November Ach, welch schwere, aufregende Tage! Am 1. und 2. spielte ich, am 4., 5. An jedem Tag Alarm. Am 5. schwerer Angriff. Ich mußte vom Zentralfriedhof zu Fuß nach Hause gehen. Brennende Stadt. Daheim alles in Ordnung. Ida ausgebombt. Hilda schwere Schäden. Die ganze Woche Arbeit mit Mühe. Ich half bei Ida, bei Hilda. Heute daheim. Meine Kirche ist beschädigt, auch fährt zu ihr keine Straßenbahn. Ach, immer denke ich an das Kind. Reue. Ich habe mich gelabt und gespiegelt und dennoch viel versäumt. Ich habe Ihn verleugnet und dem Kinde nicht zugeführt. Das muß ich jetzt büßen. Mittwoch, 15. Nov. 1944 Heute Regen, Schnee, sehr, sehr unfreundlich. Ich war den ganzen Tag daheim. Gestern war es ein Jahr, daß ich an Dienstagen in der Nepomukkirche spiele. Als ich nach Hause ging (ich hatte Ida telefoniert und Hilda und beide ermöglichten mir, ohne es zu wissen, den heutigen so ersehnten freien Tag), war mir leicht und gut. Ich sah zu Ihm auf und schloß dann die Augen, meine Wange in Seine Händeschale neigend. Ich vertraue, ich vertraue stammelte ich, obwohl mir das Herz vor Sehnsuchtsweh nach dem Kinde brannte, doch ich weine deshalb, weil ich Deiner Gnade nicht wert bin. Das weiß ich ganz allein, ob Du es wert bist, flüsterte es. O. Schwere Angriffe auf Manila. Sonntag, 19. Nov. 1944 Heute Lisls Namenstag. Im Vorjahr war ich in Enzersdorf gewesen. Heuer keine Wallfahrt, nichts als täglich im Keller zu sitzen. Aber ich denke an das Kind, ich bete für sie und alle Kommunionen sind jetzt ausschließlich für Lisl. Ach, was hatte mein Traum vom Vorjahr am 18. November für eine Bedeutung? Ich muß noch immer daran denken. Die Luegerkirche ist beschädigt, da kann ich nicht spielen. Heute war es neblig und kalt. Die Tage werden bald wieder steigen. Die Zeit ist eng und schwer.

274   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

Donnerstag, 23. Nov. Heute trüb, starker Regen. Dafür gestern! Durch das abendliche Schönbrunn zur Lisi. Wie dachte ich an das Kind. Herbst. Die letzten Tage der Sonnenneige. Heute früh Gesang in St. Gertrud. Denken an Marikerl. Immer: wer sich erniedrigt wird erhöht. Dann doch das Terzett singen. Sonntag, 25{26}. Nov. Heute am Zentralfriedhof. Die Kuppel der Kirche ist schwer getroffen. Aber die Kirche steht, die Orgel gesund und heil. Es war gegen 4h. Die Sonne ging im Wolkenbausch unter. Sie schien in die Kirche, die Fenster leuchteten. Ein wunderbares Stimmungsbild. Es war so wie vor 3 Wochen. Die Sonnenuntergänge wecken Sehnsucht und süße Trauer. Doch – sie kommt wieder. Nun ist es mit den Aufregungssonntagen vorbei. Er sorgt für sein Kind, das Ihn ehren will. Nachmittags, als ich heim kam, besuchten uns Sch{achtitz}. Neue Sorge wegen des Mannes. Es war in der letzten Zeit sehr schwer mit ihm. Und täglich mußte ich meinem Herzen zuschreien: „Schweige und leide.“ Donnerstag, am letzten Novembertag Ich liege seit gestern. Heute ist mir schon viel wohler, gestern war mir elend. Schnupfen, Husten, vollständige Heiserkeit. Vorgestern war ich bei Elis Mann und räumte. 6 Gedrehte von Karl. Große Freude! Mir war schon unwohl gewesen. Ich las im Bett, schrieb an Ida, an Carl. Ida weit. Ich habe soviel für mich gelernt – durch sie sah ich manches an mir, was ich früher so genau nicht erkannt habe. Ich danke Ihm für alles. Ich wollte Sonntag nicht singen, ich wollte heute nicht Kohlen führen für I. Die Maschine! Das Herz tut mir weh, wenn ich an sie denke. Freitag, 1. Dezember Der Weihnachtsmonat! Ich bin schon wohl, war schon ein wenig auf, habe mich gut ausgerastet, gelesen. Essays, geschichtlichen Inhaltes, meine alte Liebe. Hauptsächlich der über die Memoiren Talleyrands beeindruckte mich sehr. Und morgen, hoffe ich, kann ich schon wieder meinem Alltag nachgehen. Heute war Sonne und Schöne. Mittwoch, 13. [...]Dezember Die letzten Tage des Jahres. Bald wird die Sonne wieder steigen. Die Zeit rast.

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Fast täglich Alarm. Schwere Schäden. Die schöne Stadt in Grund und Trümmern. Wie oft denke ich daran, daß ich schaute, schaute, mit verliebten Augen die Stadt betrachtete, als ich in der Haidgasse wohnte. Die Heimwege nach den Philharmonischen Konzerten – unvergesslich. Heute schön im warmen Zimmer. Draußen starker Regen. Am 3. merkwürdiges Erlebnis. Ich war noch nicht wohl, hätte in der Greinergasse singen sollen. Schrieb ab, Ritter kam, ich möge nur spielen. Ich sagte halb und halb zu, war aber sicher, nicht zu können. Da sah ich die Adresse: St. Thomas. Wie ein Wunder. In der Kirche, in der man noch nicht war, darf man sich etwas wünschen. Tommy, von dem wir nichts wissen! Ich fuhr also bei Regen hinaus. Ich flehte für Tommy! Es war ein Organist da, ich konnte heimfahren {und kam gerade an, als Alarm war}155. Ich verehre Hilda auf das Tiefste und es war eine meiner innigsten Bitten. Samstag, 16. Dezember Nun war ich also gestern, am kürzesten Nachmittag, in Hetzendorf. Es war nicht so geruhsam wie sonst: vorerst war Alarm. So kam ich spät weg {nach 3h} und kam gegen 4h auf den Friedhof. Ich dachte an die Unterredung mit Hilda am 14. Es war schon ziemlich dunkel; band die weit auseinanderstrebenden Astern zusammen (ich hatte einen großen Wäschepack mit) und begrüßte den Vater. Wie oft habe ich diesen seinen letzten Blick, halb schelmisch, halb drohend, vor meinen Augen. Sonntag, 17. Dez. Ich mußte weggehen, zu Janthe. Aber ich muß noch von dem Hetzendorfer Ausflug sprechen. Am Friedhof wehte ein merkwürdig rauschender, scharfer Wind. Es war ganz dunkel, als ich den Maxingpark hinaufging. Eine innere Stimme warnte mich. Und wirklich, als ich schon auf der Anhöhe war, ging ein junger Mensch vor mir. Ich fürchtete mich und kehrte um. Immer mit dem Wäschepack beladen. Ach, wie dachte ich an das Kind! Oben in Hetzendorf war es schon ganz finster. Die Wäscherei hatte gesperrt. Zu Zieper. Stromstörung. Ich treffe die Nachbarin H., Frau Nicht gestorben. Licht! Im Dunkel zu Lisi. Sieh, ich stand vor Deinem Hause. Ich war 3h unterwegs gewesen. Es war wirklich der kürzeste Nachmittag gewesen. Gestern bei Janthe. So merkwürdig alles. Ich fuhr bepackt heim und vergaß meine Handtasche in der Straßenbahn. Ich bekam sie wieder. Danke. Noch abends um ¼ 10h zur Kirche, die zur Nachtandacht geöffnet war. 155 Mit königsblauer Tinte nachgetragen.

276   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

Heute seit 6 ½ Jahren Sonntag nicht in der Kirche. Nachts schlief ich schlecht, deshalb früh Lampe, {dann Bad, Alarm} und abends Besuch von Tante Fanny, Mutter und Schachtitzs. Donnerstag, 21. Dez. 1944 Heute die längste Nacht. Die Sonne wendet sich. Wintersonnenwende. Gestern in Stammersdorf. Der Abschied vorm Tor. Spontan: „Ich bin alt genug, um Ihnen ein Busserl zu geben“, als Dank für die Gabe. Heute erst zu Ida. Ihre schweren Erlebnisse. Dann zu Edith. Sie war nicht zu Hause. So ging ich – es war gegen ½ 9h – durch die halb zerstörten Gassen, durch die Cottage und dachte an den Abend vor 2 Jahren, als die Venus leuchtete und im Osten düstere schwarze Wolken [...] [dräuten]. Damals war Weihnachtsabend. Heute sagte mein Mann beim Mittagessen: „Sonst haben wir uns um diese Zeit für den Feuersang vorbereitet.“ Ach und dann bei Hilda. Vorher war ich, wie gesagt, bei Edith, ging zu Dr. Kohl. Ich schenkte Inge ein schönes Buch und zu Frau G. Dann eilte ich durch die Sternwartestraße zu Hilda. Ich mußte bis zum Hotel [Anion] gehen. Als ich durch die Löblichgasse ging, dachte ich an den ersten Theaterabend meines Lebens: Mosais Zauberfluch. Vorher waren wir bei einer Verwandten gewesen. Und das Kind dieser Verwandten beschützt mich. Es ist unheimlich. [Stimme]156

{Rosa:}157 Ich bin das kleine Kind, das klein gestorben ist. Ich kenne Dich, Du hast ein Kind, das fern ist, das mit seinen Gedanken immer bei Dir ist. Es lebt glücklich, es lebt für sein Kind und für Dich, es wird nach dem Geschehen in Deine kleinen Hände wieder zurückkommen. Habe Geduld, habe Trost im Herzen durch uns. Wir werden Euch mit ganzer Kraft schützen, damit Du und der Mann, der kein Wort sagt, sein Glück wieder findet. Liebe wird groß sein, Liebe wird vermehrt durch die große Trennung zweier Seelen, die sich lieben. Mache keinen Tränenstrom, lache, Du hast Grund dazu. Ich werde durch Deine Gedanken groß werden und Dich schützen wie ein Kind, das seine Mutter mit aufgehaltenen Armen umfängt. Lebe froh, Du wirst Rache sehen an den Verbrechern, aber Du wirst nie das Unheil wünschen, da Du eine fromme Seele bist. Ich hüte Dein Kind, ich hüte Euch alle. {Gott zum Gruß.}158 156 Ab hier treten jene Stimmen aus dem Jenseits in die Narration des Tagebuchs, deren „Mitteilungen“ an sie Therese Lindenberg in der Folge immer wieder notiert. Im Original sind diese Tagebuchpassagen, die per Namen einer bestimmten Seele eines oder einer Verstorbenen (vgl. auch dazu das Personenregister) zugeschrieben werden, vom sonstigen Text klar abgehoben und meist in kleinerer, auffallend gleichmässiger Schrift gehalten. Sie wurden im Folgenden immer kursiv gesetzt, unter dem Vermerk „Stimme/n“. 157 Mit dunkler Tinte nachgetragen. 158 Mit dunkler Tinte nachgetragen.

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Schönheit wird größer mit den Jahren, sie erblüht zu einer Rose, die strahlt nach allen Seiten. Freue Dich mit ihr. {Gott zum Gruß!}159 Sonntag, am heiligen Abend, vormittag. Es ist nicht das Kind. Das Kind lebt – welches wohl? Hilda schweres Leid. Werde ich … Nein. Vertrauen. am Weihnachtsabend, 9h: Ich denke an die Weihnachten vor 10 Jahren und an das Kind. Schützt dies mich. Das Kind von der Löblichgasse ist es nicht. Ach, mir ist bang und bin doch voll Vertrauen. Der Mann schläft. So bin ich ganz allein. Ich war schon zwei Sonntage nicht in der Kirche. Das fehlt mir. Doch wird mir verziehen. Was wird …? Die Tage steigen. Nun gehe ich zur Ruhe. Ich habe wieder die Weihnachtsabende gelesen – ach, die am Feuersang!! Samstag, 30. Dez. 44 Das Jahr nähert sich seinem Ende. Das Geschehen rückt immer näher. Am Weihnachtstag sang ich in der Rustenschacherallee. Es war sehr kalt und sehr schön. -9°. Am Dienstag, also am Stephanietag, sang ich in Maria-Grün. Es war wieder recht kalt. -7°. Ein Wunsch, dort zu singen, ging in Erfüllung. Beide Male mußte ich spielen. Die Straßen sind am Abend nicht beleuchtet. Es ist Vollmond und das Licht ist bezaubernd. Donnerstag war ich bei Edith. Es war so nett. Sie ist ein guter Mensch. Ida kommt mir fern. Gestern. Um 3h fuhr ich von daheim weg. Hietzing. Auf den Friedhof. Mit wehem Herzen beim Haus vorbei zur Lisi. Nach Schönbrunn. Unter St. Veit. Die alten Wege. Erst zur Putzerei. Dann in die Kirche. Zu Ressers. Der Weg durch die Baumgartnerstraße im Schnee. Vollmondlicht, wundervoll. Wieder Kirche. Kloster. Hernach Jelinek. Als ich zur Straßenbahn ging, nachm. und vorm. ist sie eingestellt und es verkehrt nur die Stadtbahn, kam ich bei No. 13 vorüber. Ich sah Lisl, mich, den langen Gartenweg laufen. Das Herz tat sehr weh. Ich war sehr müde und schlief nicht gut. Bis 9h. Dann erst wieder um 6h. Vor 12 Jahren. Mit Gert nach Radstadt. O wie unvergeßlich! 159 Mit dunkler Tinte nachgetragen.

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Sylvester 1944160 In 1 ½ Stunden beginnt das neue Jahr. Ich habe an Lisl durch das Rote Kreuz geschrieben; so beende ich das alte Jahr mit Dank, tiefstem Dank und wage die Bitte: Gesundheit für uns und Nachricht vom Kinde. „In tiefster Sehnsucht, mit den innigsten Wünschen für Euch beenden wir das Jahr 1944, das ohne Nachricht von Euch. Wir sind gesund. Küsse von Vater und Mutter“ Neujahr 1945161 Heute schneite es. Janthe war da, die Mutter, Hilda und Sandor. Carl hat mir zwei Gedichte geschickt. Schöne Gedichte. Ein neues Jahr. Ich fasse Deine Hand, Herr, wenn es schwer werden wird. Du wirst mich schützen Herr, mein Gott. Dir vertraue ich. Montag, 8. Jänner 1945 Heute habe ich Wladzkos Briefe gelesen. Ich wollte Hilda die zeigen, die sie ihrer jetzigen Einstellung nach interessieren würden. Mir wurde so weh ums Herz. So weh! Warum habe ich diese Liebe nicht so erwidern können! Wie steckte mir der philiströse Waschak im Kopfe. Er{s} war ja nur Schutz gegen die Leidenschaft. O Wladzko, sagte ich, kannst Du mir verzeihen? Ich habe es vor einem Jahr auch gefragt. Könnte ich es gut machen! Du warst ja lieb zu mir, sagte seine Stimme, vielleicht am liebsten von allen Menschen. Dann bei Hilda. [Stimme]

{Wladzko:} Lange habe ich Dich warten lassen, da mein Mund warm werden mußte. Ich kann Dich nicht länger foltern, ich muß Dir sagen, daß Dein Kind ein Mensch geworden ist, der die Bewunderung der Welt empfangen hat. Jetzt, da sie Mutter ist, kann sie nicht mehr so viel leisten, aber wenn das Kind groß ist, wird ihr Thema wieder aufleben. Ich habe sie geschützt durch die Zeit, da Horden die Strafe über das Land gebracht haben. Jetzt ist das Land frei von Horden, da Gott ohne Unterlaß Dein Kind beschützt hat. Freude gibt es in dem Haus, das sie bewohnt, da ihre Schönheit und ihre Klugheit die Menschen anlockt. Das Kind gleicht ihr. Sie wird es erziehen nach gutem alten Brauch, der in Eurer Familie Sitte ist. Fürchte Dich nicht, ihr Leben fließt schön dahin. Gott ist mit Euch. Er liebt das Kind, er liebt die junge Mutter, er wird Euch ohne Sorge diese Zeit überstehen lassen. Dann wird sich für Dich der Himmel auftun, wenn Du Dein Kind wieder sehen wirst. Ich sehe Deinen Mann grübeln, ohne die Liebe einzugestehen, die er für Euch im Herzen trägt. Ohne Worte, ohne Gesten trägt er Euch 160 Eintrag auffallend unregelmäßig geschrieben. 161 Eintrag auffallend unregelmäßig geschrieben.

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im Herzen. Gib ihm öfters ein Wort, das ihn stützt, damit ihm die Zeit nicht schwer wird. Ich wache über Euch. Wolken gehen vorbei. Segne auf {tief und} Euch. Nach der Bitte um Verzeihung: [Stimme]

Ich kann nicht böse sein, dort wo Liebe {gewesen} ist. Mein Wort ist gut: nach Liebe, {nicht nach Haß sieht es aus.} Ich habe mit Liebe gelebt, mit Liebe schütze ich Dich jetzt. Das Leben, das für Dich lang, für mich kurz war. 9. Jänner (Dienstag) An meinem 30. (Geburts)Hochzeitstag. Ach, heute war alles so sanft und versonnen. Wladzko, die Gedichte Karls – alles. Mein Mann so lieb – zauberhaft. Vorgestern, Samstag eigentlich, war ich im Kino: Immensee. So schön. Wie bin ich jetzt jedem süßen Zauber hingegeben. Sparsame Worte! Ich las einen Brief, den ich an Wladzko schrieb: Wie affektiert! Donnerstag, 11. Jänner Es schneit, schneit, schneit. Seit mehr als 24 Stunden schneit es ununterbrochen. Ich schaue zum Fenster hinaus. Die weiße Welt! Ich habe gestern an Karl geschrieben. Kommt der alte Zauber? Nein: Wladzko! Vorgestern Nacht – wie dachte ich hingebend an ihn. Er nahm mich. Gibt es das? Seine Seele flog in mich. Wir wissen nichts von dem Geschehen außer unsrer Erde. Die unsichtbaren Seelenstrahlen. Immer denke ich daran. Seit meiner Kindheit arbeite ich eigentlich an diesem Lebensgesetz. Heute, als ich in der Frühe in die Orgelstunde ging, dachte ich daran, Genzia zu schreiben. Ich werde zuwarten. Ich denke daran, daß ich als Mädchen meine Schrift mit so langen Unterlängen verunzierte. Jetzt schreibe ich einfach, lebe, denke ohne Affektation. An meinem Hochzeitstag landeten die Amerikaner auf Luzon.162 Mein Kind – ich darf nur daran denken! Schutz, Schutz. 12. Jänner, im Bett163 Ich liege. 375 Halsschmerzen. Viele Jahre hat mich der Hals verschont, nun leidet er wieder, seit ich hier wohne, alljährlich. Dabei war ich gestern daheim, bin des Schneefalles wegen nicht zur Probe gegangen, weil {auch} keine Straßenbahn verkehrte.

162 Luzon, die größte Insel der Phillipinen, auf der auch Manila liegt, war seit 1942 von Japan besetzt. 163 Eintrag auffallend unregelmäßig geschrieben.

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Budapest, die schöne Stadt: ein Wüstenei. Ich denke viel an den Krieg, die Schmerzlichkeiten. Samstag, 13. Jänner Gestern abends noch 38° Fieber. Sehr elend. Heute nur 371, aber der Hals schmerzt noch sehr. Belag. Ich habe jetzt am Nachmittag geschlafen. Mir träumte vom Kind. Es sah mich nun nach 6 ½ Jahren zum ersten Mal und war gar nicht froh. Dann probierte es Skilaufen. Bei Manila in der Lingayenbucht landeten die Amerikaner. Dort ist Krieg wie wir ihn haben. Ach, Herr, schütze sie! Sonntag, 14. Jänner Ich stehe jeden Tag Mittag auf, mache Ordnung. Jetzt wieder im Bett. Heute fieberfrei, doch jetzt 371. Montag, 15. Jänner Heute wieder Großangriff. Unsere Gasse, wir 2 Fensterscheiben. Ich bin aufgestanden. Alarm um 12h. Wir aßen noch. Auf einmal schießen. Wir eilen heraus. Schon Krach und Einschlag. Dank Herr, für die Errettung. Mittwoch, 17. Heute schon ausgegangen. Gestern aufgestanden, gründlich gemacht. Heute mein erster Weg in die Kirche. Dank. Ich lese das dreibändige Werk von Graetz „Geschichte der Juden“. Sehr beeindruckt. Sonnntag, 21. Jänner Heute ist vielleicht Herzenskindchens Geburtstag. Die Beichte. Man muß für alles geben. Heute 3 Alarme. Ich bin ängstlich. Freitag beim Arzt. In den verschneiten Friedhof {zu Vater und immer zu Everl}. Wie meine Augen schweifen! Dann über die Maxingstraße, sehnsüchtige Blicke zum Maxingpark, auf den Tivoli zu Lisi. Immer die Weiße um mich. Beim Haus, wie immer, wehes Herz und: „Sieh, ich stand bei Deinem Hause.“ Bei Lisi, müde – mein erster langer Ausgang nach meiner Krankheit. Ich rastete fast ¾ Stunden. Es war nicht kalt gewesen, so um 0 Grad. Da auf einmal sagte jemand, am Stadtrand wäre Alarm! Ich lief die Grünbergstraße hinunter zur Stadtbahn. Doch es war nichts. Ich bin viel daheim. Heute 8° minus. Der Winter flieht. Ich hörte im Fasangarten schon eine Amsel zage üben. Krakau, Warschau, Budapest gefallen und Litzmannstadt. 24. I. Heute sehr kalt. -8°. Immer, seit dem Weihnachtstag unter Null: Der Krieg rast. Tannenbergdenkmal gesprengt. Hindenburg enterdigt.

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29. I. Sehr kalt. Stürmisch. Minus 10°. Ich bin daheim. Beim Fenster. Wie gerne! Heute viele Verweise. Erst wegen der zerdrückten Noten in der Orgelstunde. Dann der Brief vom Ritter und kleine Verweise vom Mann. Mein Herz lächelte, weil Er mir zuwinkte und mir zuflüsterte: „Aushalten, immer, immer aushalten. Du weißt warum.“ Wie demütig legte ich meine [...]Wange in die Schale seiner Hand! Freitag, 2. II. Heute taut es! +5°! Ein Quatsch!164 Gestern Regen. Spiegelnde Eisfläche. Im Heeresbericht wird heute von nordwestlich von Küstrin gesprochen. Die armen Berliner! Sonntag, 4. II. Heute 7°! Die Sonne scheint. O, wie tut sie gut! Montag, 5. II. [Stimmen]

Rosa: Warum nahet Ihr Gott täglich ohne zu ahnen, daß er von jeher Euer Beschützer gewesen ist? In den Zeiten, da Ihr noch glücklich wart, kanntet Ihr Gott wenig; jetzt aber da Gefahren für Euch und die werten Lieben da sind, findet ihr Gott. Wir sind glücklich, daß es so ist, daß Gott von Euch gesucht wurde und seinen Segen gewidmet hat. Vertrauet weiter, nie kann dem Menschen, der Gott vertraut, ein böses Geschick zustoßen. Ihr habt Gott gefunden, ihr werdet ihn nie wieder verlassen. Er wird dafür das, was heute Menschen leiden müssen, von Euch abhalten. Zeit kommt bald, da Ihr erkennt, daß wir nur dafür hier sind, Euch ohne Gefahren zu lassen. Warum warten die Menschen das Treiben der Verbrecher ab, warum lenken sie ihre Schritte nicht zu dem Platz, der Gott geweiht ist? Weil sie irregeführt wurden und weil sie nicht wußten, daß Gott auch für sie da ist. Du warst immer gut, Tag und Nacht hast Du Gott gerufen, nie kam Klage über Deine Lippen, da Dein Geschick ohne Weinen nicht weitergehen konnte. Jetzt aber wird Dein Leben wieder Gottes Wunder schauen, nie brauchst Du eine Träne zu weinen, da Dein Kind glücklich wird und weiß, daß die Mutter glücklich werden muß. Vater wird wieder mehr sprechen, da die Zunge ihm leichtere Seele bringen wird. Ich kannte Dich gut, Du warst schon als Kind ein Mensch, dem die Güte das Herz öffnen mußte. Lache wieder, Weinen ist vorbei! G. z. G.165 Unerschütterlich ist die Liebe zwischen diesen beiden Menschen. Das Kind sieht nur Liebe, nie wird sie versiegen. Maria: Ich kenne Dich, Du hast Lasten getragen, aber jetzt sind sie leicht geworden und werden nie Dir Wunden machen. Du wirst frei von jedem Kummer sein. Ich heiße Maria, die Du gekannt hast. Erinnere Dich, Du wirst es wissen. G. z. G.

164 Österreichisch für: Schneematsch. 165 Im Folgenden wiederholt verwendetes Kürzel für: Gott zum Gruß.

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Sonntag, 11. März{Feb}ruar Am Freitag Doktor, Friedhof, Lisi. Es regnete. Trüber Tag. Durch Schönbrunn. Ich rannte, denn es war finster und ich ganz allein. Heute träumte mir von Lisl, von Hans. Ich war ihm ganz nahe und sagte: Schön ist Deine Schwiegermutter nicht, aber sie hat Dich lieb. Ach Herr, ach Herr, ich neige mich über Deine Hand. Heute bei Gustav. Er erzählte mir viel. Die schönen Gedichte von Carl. 12. Februar [Stimmen]

Valerie sagte zu mir: Ich kannte Dich im Leben gut. Du hast mich nie leiden können, weil ich nicht wollte, daß Du mich Freundin nennst. Aber jetzt wirst Du merken, daß meine Liebe nicht unnütz gewesen ist, da ich Dir sagen will, daß Dein Kind ein Leben voll Freude führt, daß Dein Kind ein Leben ohne diese Sorge, die Du jetzt hast, leben kann. Ich sehe sie im Land, das Spuren des Krieges wohl hat, aber nie nahen sie sich dem Ort, wo Dein Kind jetzt166 ihr Leben wirkt. Das Örtchen dieser Menschen ist umgeben von Palmen, von hohen Bäumen, die Ihr nicht kennt. Das Gärtchen, wo das Kind die Sonne genießt, ist voll von Bäumen, die die saftigsten Früchte tragen. Das Kind gedeiht wie die Frucht des schönsten Baumes. Qualen der Sehnsucht macht Dein Kind durch nach Dir, nach dem Vater, von dem sie nicht weiß, ob er das Leben noch hat. Wir werden ihr im Traum zeigen, was die Sehnsucht im Wachen nie vermag. Freue Dich, meine Freundin, die kleine Enkelin lacht das Bild von Dir an. G. z. G. Fritzi: Du hast die Liebe in Deinem Herzen, welche ohne Mutter da sind. Du denkst ohne Bangen an die Zeit, wo Du Deinem Kinde die Mutter warst, jetzt wärmst Du mit dieser Liebe andere mutterlose Kinder. Rosa: Ohne Mauern lebt Ihr nicht in dieser Zeit. Wir umgeben Euch mit einer dicken Mauer, damit Ihr gepanzert seid vor dem Übel, das die Welt heute birgt. Ohne Licht werdet Ihr nicht{e} leben, da wir Euch mit Licht umgeben, mit einem Licht, das Euer Herz erhellt. Ohne den Thron Gottes braucht Ihr nicht leben, da er hoch über Euch seine Hände deckt. Er wird Euch nie ohne seinen Schutz lassen. Nie, nie, nie. Wünsche erfüllen sich von selbst für Euch. Donnerstag, 15. II. Heute Sonne. +20° in der Sonne, im Schatten 10°. Die schweren Angriffe; vorgestern besonders ängstlich. Maria breit den Mantel aus. Sonntag, 18. II. Soviel hätte ich zu sagen. Alles liegt im Untergrund. Die schönen Gedichte von Carl. Überhaupt ist das sehr schön. Dann das Bachspielen. Die Orgel! Welche Freude von ihr geht da aus. 166 Mit Bleistift unterstrichen.

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Ach, heute war ich so mieselsüchtig und sagte doch, ich sei nie lieblos. Viel Geduld bedarf es zum Mann. Es wird mir gleich eingebracht, aber diese Kraft, diese Kraft! Manchmal schier nicht zu ertragen, wenn er kein Wort auf sich nehmen will. Doch bald alles gut. Ich rede mir zu: „Sei ruhig, sei ruhig.“ Heute beim Haareschneiden fielen die Tränen. Sie werden gesammelt. Doch nein, Herr, Herr, Du kennst mein Herz. Halte ich nicht stand? Ich schaue zum Himmel. Wenn ich weine, werde ich mir das Wiedersehen mit dem Kinde nicht verdienen. Fast ist mir zu Mute wie früher, wenn ich an das Debakel meines Lebens, meiner Ehe glaubte. Das kommt daher, weil ich monatelang Deine Hand ausließ, Herr. Ich flehe Dich an, verzeihe mir, denn es ist doch alles nur verletzte Eitelkeit. Heute früh hatte es geschneit. Und war doch schon so frühlingshaft gewesen! Montag, 19. Februar [Stimme]

Heute Wladzko: Ich kenne Deine schwachen, silbernen, lachenden Worte, die ohne Gewahrsam der Person ihre Worte im Herzen tragen und nicht hinaus strömen wie bei jedem andern Menschen. Rate Dir, nicht nach dem Geschehen in dem kalten Land zu sitzen, da Dein Kind Dich rufen wird. Du wirst sie sehen; die Freude dieses Ereignisses wird die größte Deines Lebens sein. Eine Mutter ist die tragischeste Figur für ihre Kinder. Ihr Herz hängt daran, ihr Leben hat Zweck nur für sie, wenn das Kind froh und glücklich ist. Du hast die rauhe Trennung bald überstanden, dann kehrt die Freude wieder bei Euch ein. Warum soll das Leben für Dich {nicht} noch Wunder bringen? Warum soll Mutterliebe nicht belohnt werden? Warum wird der Mann noch nicht weich? Kummer drückt ihn, aber durch uns wird er fallen, ein großer Stein wird ihm vom Herzen sinken, wenn die laute Stimme tönen wird, die sagen läßt, daß er sein Kind wieder haben wird. Lache kleine Freundin, lache wie in den Zeiten, da wir die junge Welt jung gesehen haben. Klinge mit Deinem Lachen weit hinaus. Klinge, klinge, klinge. Dein Kind hört das. Gott zum Gruß. Ohne Wind wird das Geschehen sein Ende finden. Ihr werdet nichts davon hören oder spüren. Samstag, 27. Endlich einmal daheim: Alarm auf Alarm! Schwere Angriffe. Mittwoch bei uns. Donnerstag die Stadt. O. Schottenring. Ach. Und gestern das schöne Gedicht von Carl. Altersfrühling Ist’s wahr? Gehört mir dieser Tag noch an? Das Veilchen blaut und all das Erstlingsglück

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sproßt hell im Saft und schenkt wie je dem {bereitem} Blick sich wie ein Kuß. Und nicht genug getan! Was früh mein schon erwachtes Herz gewann, unsagbar überhöhtes Frühlingsglück kehrt wie{mir} in seinem ersten Flaum zurück, sein wichtiges Nichts, sein erster goldner verharrschter Wahn. Wunschloses Hoffen löst gespannte Glieder Zu jedem Schreiten laut ein warmes Bleib! Und Licht und Fülle zwingt zur Erde nieder und legt sich wohlig hüllend um den Leib, wie dem (begrünten) {durchfurchten} Acker, der bestellt, um Deiner harrt, Du ewige Werdewelt. 18. II. Freitag, 2. März M ä r z , d e r F r ü h l i n g s m o n a t ! Ach, und wir Alarm über Alarm. Die Trümmerhaufen! Schutt. Meine schöne, meine geliebte Stadt! Gestern 7 Stunden im Keller. Nicht Baum noch Strauch gesehen, keine Wallfahrt – nichts. Sonntag, 4. März Heute mein 53. Geburtstag. 53 Jahre! Die Mitte längst überschritten. Heute war es kalt, es schneite. Ich hatte Probe. Also nicht mehr nach Favoriten, sondern in die Custozzagasse. Dienstag, 6. März Es schneit, schneit. Gestern um 1624 nach Glaubendorf. II. Klasse. Ich bin so ängstlich, ob ich den Weg finden werde! Der echte Wiener, der im Coupé saß! Es ist finster, aber nicht sehr und es schneit. Vor Glaubendorf fuhr der Zug langsam und ich wollte schon aussteigen. Das wäre etwas gewesen! Am Bahnsteig erwartete mich der Onkel mit der Laterne. Der Gute! Sein Gesicht ist voll Humor und Güte. Es schneite dicht, dicht. Um 11h ins Bett. Ich schlafe gut. Um ¼ 5h auf. Alles märchenhaft weiß. Wir gehen zur Bahn. Feld und Rain ein einziges Leintuch. Ich glaube, ich hätte nicht zur Bahn gefunden. Pünktlich der Zug um ¾ 6h, um ¼ 8h in Wien. Die Uhr kaputt. Das Ohrgehänge verloren. Für die guten Sachen. Immer dieses Tauschgeschäft des Schicksals. Wie gerecht! Einst putzte ich den Teppich mit Sauerkraut, heute ist es ein Festessen! Das Enkelkind Josefs: Renée. Ein Lieblingsname von mir.

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Ich schaue beim Fenster hinaus in den Schnee. Ein warmes Zimmer. Und die vielen ohne Zimmer, ohne Wärme. Samstag, 10. März Heute daheim. Wie lange war es nicht gewesen, daß ich so geruhsam kramte, schrieb und zum Fenster hinaussah. Die Gedichte von Carl. Herrlich. L e b e n s b e r i c h t , wunderbar. Das Erlebnis damals am Acker {1. Okt. 43} – der durchfurchte Acker! Karl besserte: vom begrünten Acker zum durchfurchten! O Herr, laß Frieden werden! Ist es noch nicht genug, sind wir noch nicht würdig. Vorgestern überwinden, gestern voll Glut und Leidenschaft. Ach, das Blut peinigt mich oftmals sehr! Die Knospen an den Sträuchern! Ganz zart und es ist doch so kalt und rauh. Montag, 12. März Gestern Vaters Geburtstagsfeier bei Hilda. 70 Jahre! Ich gelobe mir es: viel Geduld zu haben, viel und immer zu schweigen und wenn ich rede überzeugend und ruhig. Donnerstag, 15. III. Ach, wo ahnte ich, als ich die vorher gehenden Zeilen schrieb, daß bald nachher ein schwerer, schwerer Angriff folgen {würde}, bei dem auch wir beschädigt wurden. Aber wir lebten! Welche Angst hatte ich doch! Wie betete ich!! {Am 12. III. der Angriff.} Gestern in den Katakomben das erste Mal. Des Mannes 70. Geburtstag. Heute wieder. Erst ängstlich, dann sicherer. O Gott, o laß es genug sein! Du wirst es wissen wann. O meine Kirche! Ich vergoß bittere Tränen, als ich in die Trümmer starrte! Meine schöne Stadt! Montag, 19. III. Die schwere Woche! Ich kann die Arbeit fast nicht bezwingen. Der Staub! Die täglichen Alarme! Das In-dieStadt-Laufen! Ich bin sehr müde. Doch immer dankbar für den Schutz und die Liebe. [Stimme]

Valerie sagte am 13. zu mir: Meine liebe Freundin, Gott hat Dich mit seinem Schutz bedacht, er kam mit großer Kraft zu Dir. Morgen und die folgende Zeit wird er die Christenheit ohne seinen Segen nicht mehr lassen. Ich warte immer noch mit treuen Worten auf die Begnadigung, die mir durch meine Tugenden versprochen wurde. Du sollst durch mich Schutz und Heilung bekommen, damit Du und der Mann an Deiner Seite nie ein schutzloses Haus bewohnt. Warum machen die Menschen keinen Gebrauch von unsrer Hilfe? Sie werden mit warmer

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Freude von uns begrüßt werden. Alle, die unter unseren Schutz sich begeben, erweisen sich und uns einen großen, immer bestehenden Dienst. Du hast den Weg gefunden, Du wirst ihn weiter gehen; mit der Hilfe von uns werdet Ihr die größte Freude eures Lebens genießen, das ist das Wiedersehen mit dem teuren Kind. Gott hat Euch in die Liebe gehüllt, die Ihr verdient, damit Ihr wißt, daß er hoch über Euch thront, und Euch immer schützt, wo und wann es ist. G. z. G. Am Mittwoch 15{14}. war der schwere Angriff auf der Praterstraße. Meine Orgel!! Ich kann nicht mehr darauf spielen. Wie und was habe ich gedacht, als ich immer an dem Spielen so aufgeregt war! Das Elend um mich. Die Menschen versorgt und voll Kummer. Herr, laß es genug sein! Donnerstag, 22. III. Fr ühlingsanfang! O die täglichen schweren Angriffe! Seit Dienstag 13. in die Katakomben, erst Kohlmarkt 7, jetzt Hoher Markt. Heute liege ich. Ich huste, habe starken Schnupfen, war aber im Keller. Heute wieder schwerer Angriff. Am 15. Frau Singer ausgebombt. Und vorgestern bin ich um 6h früh weg, um nach Hetzendorf zu gehen, die Wäsche zu holen. Durch Staub und über Trümmer zur Bellaria, dann fahren. Zu Fuchsberger. Dann, es ist ¾ 8h früh, durch den jungen frühlingshaften Morgen über die Elisabethallee in den Friedhof. Welche Zerstörung! Das Grab des Vaters in Ordnung. Dann einen Grußblick in den Maxingpark! Vögel singen, Knospen sprießen. Doch die Maxingstraße! Wie sieht die Maxingstraße aus! O meine Straße! Montag, 26. März Ich liege wieder. 376… Ich huste so sehr. Das tägliche Kellerlaufen! Ich bin so müde. Der Staub! Meine schöne Stadt ein Trümmerhaufen! Mittwoch, 28. Ich liege noch immer. Gestern 377. Aber gestern und heute kein Alarm. Wie dankbar bin ich dafür! [Stimme]

Wladzko sagte zu mir gestern: Du hast mich sprechen wollen, ich bin da. Ich bin da. Immer und ewig um Dich, die mein Herz nie vergessen hat. Warum ist die kleine Seele so in Unruhe? Warum kann das Herz nicht ruhig schlagen? Warum, warum, warum? Du hast nicht die kleinste Ursache zu verzagen. Dein Haus hat einen kleinen Schaden erlitten. Was bedeutet er? Was ist er gegen die riesengroßen Lasten, die Menschen heute tragen müssen? Dein Kind lebt im blühenden Land, das die schönsten Blumen und die ärmsten Menschen birgt. Sie ist aber reich. Sie sieht nichts von dem Elend um sie herum. Sie wird auch nie etwas sehen, da ihr

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Kind das reichste und das schönste ist, das im Lande lebt. Sie selbst ist eine reife Frucht, die golden am Baume hängt und strahlt ihren Glanz über das ganze Leben, das in der Familie dort herrscht. Ihr Wort gilt, ihr Ton singt, ihr Lächeln hilft den anderen Menschen zum Leben. Ihr wunderbares Seelchen gleicht dem Deinen. Nie erlischt die Röte dieser Frucht, da sie {von} Gott gesegnet ist. Darum lache auch Du wie in der Zeit der Jugend. Lache immer, lache hell, das Lachen macht gesund. Ich schütze Dich, ich schütze den Mann an Deiner Seite, ich schütze Dein Kind im fernen Land. Du wirst es sehen, die Zeit rückt näher. Dann ist der Himmel wieder ganz blau für Dich. G. z. G. Oster-Samstag, 31. März Ich bin noch immer nicht gesund. Gestern wieder 375. Vormittag Alarm. Müde. Die Russen haben unsere Grenze erreicht! Heute Nacht sehr starkes Husten. 2 Codein genommen. Früh müde, kaputt, wieder Alarm. Zwei sogar. Beim ersten in die Stadt, beim zweiten in unseren Keller. Müde, müde. Nun hebt eine ganz ernste Zeit an. In der Woche, in der ich zu Bette lag, wurde alles grün. Das Grüne in der zerstörten Stadt, welch schmerzlicher Kontrast! Ostersonntag, 1. April Alles ist grün, die Sonne scheint und wir wandern unentwegt in den Keller. Heute wieder 6 Stunden im luft- und lichtlosen Raum. Dienstag, 3. April Ich bin noch immer nicht gesund. Fieber nicht mehr viel, aber Halsschmerzen (371). Ach, und Wien wird in den Verteidigungszustand gesetzt! Ich habe nichts gesehen, aber man erzählt nur von Flüchtlingen, von Panzern, von Militär, das durch die Stadt fährt. Wien, Wien, nur Du allein … Wie liebe ich diese Stadt, diese meine Heimat! Nur in ihr habe ich mich wohl gefühlt. O, Herr, ich vertraue Dir – ewig. Segne mich, segne den Mann an meiner Seite und beschütze meine Kinder, beschütze uns! Mittwoch, 4. IV. Heute schon besser. Noch immer 373, doch nicht mehr so müde und auch der Husten leichter. Heute früh 7h Alarm. Die Russen stehen vor Baden – also 24 km vor Wien. Niemand darf mehr nach Enzersdorf. Ach, ich war heuer {noch} gar nicht dort gewesen – nicht auf meinem Platz. Ich weiß nichts von Frühling und Sonne. Dafür aber die Jahre her! Wie habe ich alles genossen! Wie gut, daß ich alles aufzeichnete! Am Ostermontag 6 ½ Jahre, daß das Kind fort ist – 6 ½ Jahre!

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Freitag, 6. IV., ¼ 4h früh Seit gestern 9h früh Beschießung Wiens. Jetzt bis ½ 2h früh geschlafen – wieder Kanonendonner – Keller. So ging es gestern den ganzen Tag. Hinauf, hinunter. Es geht mir besser. Gott Dank. Vorgestern noch 373. Gestern nur mehr 37. {Doch noch Husten.} Freitag, 6. IV., ½ 6h abends Nun sitze ich bei meinem Fenster und schaue die Gasse hinab. Jedoch – es ist nicht mehr meine Gasse. Schutt und Trümmer. Schwere Kanonendonner. Ich muß das Fenster schließen. Noch immer ein wenig Temperatur. Dank Dir, Herr. Finde ich Gnade und Schutz? Ich vertraue. Es gibt auch unwürdige Kinder, die durch Reue würdig werden. Samstag, 7. IV. Kanon{en}donner, Kanonendonner. Der 3. Tag der Belagerung. Nicht mehr so oft in den Keller, trotzdem mit Bordwaffen und allen möglichen Waffen geschossen wurde. Kein Licht. Um Wasser schlich ich mich der Hausmauer entlang. Heute schon viel wohler. Ich danke dem Herrn. Ich denke viel an Wladzko. Ja, wäre ich bei ihm geblieben, dann wäre vieles anders. S o n n t a g , 8 . I V. 167 Nu r i m K e l l e r. F l i e g e r, M a s c h i n e n g e w e h r, K a n o n e n . Es fiel der Stern. S t r a h l e n d e r S o n n e n t a g . W i r i m D u n k e l n . Tr o g l o d y t e n . 168 Montag, 9. IV. Keller. Schwerer Geschützdonner. Strahlender Tag. Flieger. Um 6h abends schlägt eine Granate in unser Haus, in das Zimmer ober uns und in das im 3. Stock, die beide zerstört wurden. Bei uns alles in Ordnung. O Dank! Ich darf nichts sprechen – nur nie verdammen! Nicht richten – nicht richten! Mittwoch, 11. IV.169 167 Eintrag auffallend unregelmäßig geschrieben. 168 Als Troglodyten wurden in der Antike Völker bezeichnet, die in Höhlen oder unterirdischen Wohnungen gelebt haben sollen. 169 Eintrag zunehmend unregelmäßiger geschrieben.

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Gestern total Keller. In der Nacht (2. im Keller) Bombardement um ½ 3h. Kein Schlafen mehr und auch kein Hinaufgehen mehr. Oben Sonne. Die 3. Nacht schwer. Wachet und betet, damit Ihr nicht in Versuchung fallet. Ich betete durch. Ach, dann das wütende Trommelfeuer. Mauerdurchlaß. Warten. Gegen 2h Stille. Wir glaubten, es sei aus. Um 7h wieder Schießerei. Ich schreibe im Dunkeln. Nachm. war es so arg, daß ich meinte, es wäre nicht mehr zu überstehen. Draußen ist Sonne, strahlender Frühlingstag. Ich bete und bitte. Die Kellerluft macht mich dumpf und starr. Ist es wahr, draußen soll es blühen und Vöglein singen? Donnerstag, 12. IV. Keller. Die 4. totale Nacht. Die Menschen nervös, unleidlich. Primitive Menschen. Also haben sie Berechtigung unleidlich zu sein. Jeder Tag scheint mir der Höhepunkt dieses Dämonenreigens zu sein, jeder Tag bringt aber immer noch schrecklichere Perspektiven. Was wird mit unserem Haus geschehen? Freitag, 13. April ½ 7h früh. Die Russen sind da. Samstag, 14. April Es ist alles so unwirklich. 7 Jahre tiefes Leid, Schmerz, Druck – und es soll nun … Gestern noch im Keller in schrecklicher Pein. Drei Granateinschläge im Haus. Das Gemäuer wankte. Es war die 5. Nacht. Dann mit einem Male Ruhe und die Russen sind auf den Straßen. Ich sah 2 schlanke russische Soldaten, jung und eigen. Sie sahen niemanden an. Aber der Kanonendonner hörte noch nicht auf. Er heulte den ganzen Tag durch mit Maschinengewehrfeuer, mit Bordwaffengeknatter untermischt. Die Nacht blieb ich bis 5h früh im Keller. Den Tag über war ich in der Wohnung, die ganz wüst aussah. Ich habe stark abgenommen, sehe alt und vergrämt aus, wo doch die Freude, vom Kind irgendwelche Nachricht zu bekommen, so nahe ist. Kein Licht, kein Gas, kein Wasser und wenig zu essen. Doch bin ich dankbar für dieses. Und nun liege ich seit zehn Tagen das erste Mal ausgezogen im Bett, um mich gleich anzuziehen, damit ich bereit bin, wenn irgendetwas wäre. Montag, 16. April 1945170 Ja, vorgestern war das. Da lag ich ½ Stunde ausgestreckt – und dann begann wieder eine fürchterliche Kanonade, so daß es mich nicht mehr im Bette hielt und ich in den Keller 170 Eintrag zum Ende hin zunehmend unregelmäßiger geschrieben. Einträge auf den folgenden 7 Seiten sind teilweise (vermutlich durch Regentropfen oder Tränen) verwischt.

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rannte. Dreimal war ich schon in dem Vorzimmer gewesen, bin wieder umgekehrt, als nach einem fürchterlichen Einschlag wir endgültig den Keller aufsuchten. Es war kalt dort und unbequem. Um ½ 3h gingen wir wieder herauf. Sonntag. O, trüber, trauriger, sonnenheller Sonntag. In der Frühe um Wasser. Die Menschen grau. Innen und außen grau. Beim Polizeiamt lag eine Hitlerbüste. Der Bezirk devastiert. Doch was ich am Nachmittag sah, läßt sich nicht beschreiben. Wir gingen zur Hilda. Die Brücken gesprengt. Bei der Johanneskapelle lag ein toter Soldat. Bei der Rossauerkaserne Tierkadaver. Und die Straßen! Kein ganzes Haus auf der Oberen Donaustraße! Doch das Schrecklichste sollte ich erst sehen: Die Ringsstraße! Bei Hilda hörte ich von den Ausschreitungen. Ich bin traurig gewesen, daß sich die russischen Soldaten nicht einwandfrei benehmen und benommen haben. Doch sie haben so viel zu rächen! Ach, die Ringstraße. Das Burgtheater ausgebrannt. Und der Stephansdom innen ausgebrannt. Alles devastiert. Wien – ein Schutthaufen! Armes Wien! Doch Du wirst auferstehen. In neuem Glanz. Bei der Mutter das Haus eingestürzt. Die Wohnung jedoch benützbar. Dienstag, 17. IV. Der Frühling ist da. Der Flieder blüht im Volksgarten. Ach und über allem liegt der Flor der Trauer, des Schmerzes um so viel verlorenes Gut und Leben. Die Gräben in den Parkanlagen. Ja, Wien hat seit 1683 keinen Krieg in der Stadt gehabt. Ich war heute mit dem Mann in der Westbahnstraße. Er geht schon sehr schwer. Wie schlecht sieht er aus! Ja, 70 Jahre! Wieder sahen wir die verwüstete Stadt. Der Schottenring! Im 7. Bezirk wenig Schaden. Mittwoch, 18. April Ich sitze beim Fenster und schaue die Gasse hinab. Ist’s möglich? Ist es wahr, daß der Krieg zu Ende ist? Mir ist es als würde ich träumen. Kein Alarm, der Mann kann mit mir gehen, wohin er nur mag … Danke ich genug? Du hast mich beschützt, Herr – danke ich genug? Mit tränenerfülltem Blick schaue ich zum Himmel hinauf. Sonst habe ich noch nichts getan – als Mitleid haben, Mitleid haben mit Freund und Feind. Die Gasse wird aufgeräumt. Ich möchte eine eigene Wohnung haben. Ist das zu viel und ich erflehe die Nachricht vom Kinde. Es ist so warm, maienhaft – ist es wirklich Frühling und für uns der Krieg zu Ende??

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Freitag, 20. April171 Gestern in Döbling bei Eli. Otto gefallen. Ich war so erschüttert, daß es mir unfaßbar schien, daß dieser saubere, edle junge Mensch nicht mehr ist. Du braver Sohn – diese schwer geprüfte Mutter. Der Mann geht viel, doch ist er müde. Verständlich – er ist um 7 Jahre älter geworden. Heute war ich wieder bei Eli. Sie ist von Manhartsbrunn geflohen, und ich brachte ihr Kleider. Was hat sie, ihr Mann und der kleine Gerhard erleben müssen! Das Kind hat die Mutter beschützt! Heute vor einer Woche! {5 Kleider}172 Sonntag, 22. April173 Es liegt trübe über mir. Jeder Gedanke trägt den Gegenpol in sich, vielmehr erst die Tat! Mittwoch, 25. April Zwei Tage trübe und kalt gewesen, jetzt wieder klar, sonnenhell und frühlingssüchtig. Die Straßen werden reiner, wie eine zertretene Blume hebt sich die Stadt. Berlin soll gefallen sein. Ich bin immer voll Mitleid. Gestern Tante Mariannes Todestag. Sonst ging ich jedes Jahr die Kellergasse mit den Blütenbäumen. Nun kann ich nur an sie denken, und sie mir vorstellen. Der merkwürdige Traum heute Nacht von der zerstörten Stadt. Dann Ertl. Hansi? Er küßte mich. Cornelia, nein ... vielleicht sind sie in Wien. Samstag, 28. April Ist es möglich? Ich sitze geruhsam beim Fenster und darf ohne Zittern und Zagen die Straße hinabsehen. Wir haben eben davon gesprochen, wohin wir morgen einen Ausflug machen werden. Ist es möglich? Es regnet. Der April war wunderschön. Alles blüht und überdeckt die Ruinen. Ich habe noch keinen blühenden Apfelbaum gesehen. Heute der erste Regentag. Der politische Zusammenbruch beeindruckt mich. Welche Lehre! Werden die Menschen sie beherzigen? Mein Kind – ach … Heute die Proklamation über die Österreichische Republik.

171 Doppelseite teilweise (vielleicht durch Tränen) verwischt. 172 Mit Bleistift eingefügt. 173 Datumsangabe seitlich mit Kugelschreiber markiert.

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Sonntag, 29. April Es ist kühl – aber Sonne. Mir ist oft so traumhaft zu Mute. Heute vor 14 Tagen diese unaussprechliche Trauer als wir über den Ring gingen. Jeden Tag, wenn ich am Schottenring um Wasser gehe, muß ich an den Gräbern vorbei. Soviel Opfer. Was habe ich doch seit 1914 alles erlebt! Diese Schmerzensopfer! Ich schreibe an den Märchen. Sie müssen bald fertig sein. Ich wage nicht zu denken: Wird das Kind kommen, werde ich es besuchen? Werde ich sie sehen? Ich denke an das, was die Seelen sagen. Wenn sie für mich auch bitten werden – ich bitte innig, innig, innig. Ob ich dieser Freude, dieser Gnade würdig bin, das wird sich zeigen. Ich knie vor Dir, Herr – im stummen Gebet – aufschauen getraue ich mich nicht. Wie war ich doch auch in meinem Leid unbescheiden, da ich Deine Hand faßte. Und Du in Deiner unaussprechlichen Güte und Langmut wiesest sie nicht ab. Nun erst, da Du soviel Leid von mir genommen hast, kann ich nur durch Bescheidenheit danken. Nicht überheben und nicht richten, nicht richten, auch nicht im kleinsten Maß. Nur schauen und danken. Dienstag, 1. Mai 1945 Zusammenbruch, wie noch keiner war. Kapitulationsangebot Himmlers. Montag, 7. Mai Hitler tot!? Eine Kapitulation von Armeen nach der anderen. Nur bei uns um Tulln herum höre ich sagen, gibt es noch Widerstand. Wenn ich an den Gräbern vorbeigehe, beim Wasserholen oder sonstwo, vergesse ich nie derer zu gedenken, die unten liegen. Der Herr gebe allen, die so gestorben, also wirklich gefallen sind, die ewige Ruhe und das Licht, Sein Licht leuchte ihnen, Herr, laß sie ruhn in Frieden. Ich liege seit gestern. Heute schon besser. Aber gestern! 38° Fieber, Durchfall ärgster Art. Ich war sehr deprimiert. Heute kam die Schwester. Ich wollte zu ihr, konnte aber nicht, weil ich zu Bette lag. Und hätte so gerne Wäsche zu ihr getragen. Haben Sie174 sie mir geschickt? Ich schrieb an Janthe: Hilda hätte vertrauen sollen. (Ihre Wertkoffer sind weggekommen.) Sie haben gesagt: „Kein Laubblatt kommt mehr in ihre Wohnung.“ Sie hat nicht geglaubt, nicht vertraut. Vertrauen ist alles. Sie werden traurig gewesen sein und keinen Einfluß mehr haben können, wenn kein Vertrauen da ist. Gott wird da richten.

174 Vermutlich sind hier mit „Sie“ die Stimmen aus dem Jenseits bzw. die „Seelen“ gemeint.

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Diese Zeit, in der wir leben, ist wahrlich eine apokalyptische. Ein Totentanz, ein Ruinenfeld. Wird maiengrün die Menschlichkeit aus ihnen sprießen? Das Gedicht, das mir Hans Rößler gegeben hat, ist wunderbar und sagt mir aus dem Herzen: Kein Engel wehret dieser Zeit: Denn wo sich Menschen nicht mehr beugen, da sinken Städte in die Knie, wo alte Dome nicht mehr zeugen lebendiger Epiphanie da stürzen Türme und Gewände, zertrümmert von Dämonenhand, und in die Straße fallen Brände, die keine Menschenhand mehr bannt. Was stehst Du im Gericht mit Zittern und siehst nur angstvoll und verstört rings die Vernichtung um Dich splittern, erbarmungslos und unerhört? Wo Leid nicht angenommen und gelitten, wo Liebe taub und Glaube bang, wo Hoffnung schwelgt in falschen Bitten, beklage keinen Untergang: Was todverfallen, muß vergehen, kein Engel wehret dieser Zeit, bis wir entblößt und offen stehen der göttlichen Barmherzigkeit. Rüdiger Syberberg Dienstag, 8. Mai 1945 G e s t e r n a m 7 . M a i u m 2 41 n a c h t s , h a t D e u t s c h l a n d k a p i t u l i e r t . Der Krieg ist zu Ende! Herr, Herr, mein erster Blick zu Dir. Was war es, was meinen Augen entstieg? Dank, Trauer, Bitte? Ich war es, mit meinem ganzen Herzen, Dein Kind, das so leben will, wie Du unser Leben meinst: in Liebe, Bescheidenheit und Geduld. Heute 377, schwach, beim Arzt. Abgenommen. Der Antrag in die [Sulz].175 Immer Seine Hand und die der Seelen. Heute das Grab schaufeln sehen im Park.

175 Bedeutung unklar. Sulz im Wienerwald ist eine Ortschaft in der Nähe von Wien.

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Donnerstag, 10. Mai 45 Seit 9{8}. Mai 0{24} Uhr sind die Kampfhandlungen eingestellt. Es ist Friede! Friede!! Mir ist schon besser. Gestern noch 373. Heute 371. Heute die Konzertkarte gekauft, durch die zerstörten Gassen ins Konsulat, in die Hofmühlgasse, dann durch die Stadt heim. In 3 Kirchen – Maria Hilf, Kapuziner, Barmherzigen. Dank und Bitte. Sonntag, 13. Mai Heute ist Rosls {Mutter}176 Geburtstag. Merkwürdig, daß ich daran denken muß. Oberhollabrunn war eine der letzten Städte, in der gekämpft wurde. Und heute ein Monat nach der Besetzung Wiens. Welch Monat! Wie in einem Traum dünke ich mich noch immer. [Stimme]

Wladzko sagte {11. V.}: Kann meine Freundin nicht mich selbst sprechen, so lasse ich ihr Glück wünschen durch Euren Mund. Panzer haben gehalten auch bei ihr. Sie wird gut leben und das Kind bald sehen, aber noch stehen Pilze vor dem Wiedersehen, da sie wie Hindernisse vor dem anderen Land wachsen. Menschen kommen zurück, Winde wehen ohne Schiff, nach Tagen erst wird das richtige Schiff gehen zu dem Kind, das Freude haben wird über das gerettete Paar der lieben Eltern. Gott zum Gruß! Ein herrlicher Samstag. Mai ist. Ich sah noch wenig von ihm. Dafür habe ich ihn jedes Jahr intensiv genossen! 14. V. Die Schwalben sirren! Gestern im Prater. Depression. Diese Verwüstung! Wladzkos Haus – zerstört! Die schlechte, staubige Luft! Heißes Bitten: Ich möchte in gesündere, reinere Luft! Dänemark – zum Kind. Bin ich würdig?177 17. Mai [Stimme]

Wladzko sagte: Das Hirn arbeitet, die Hände regen sich wieder. Die Menschen leben wieder auf. Du bist gerettet durch unsere schirmende große Kraft. Das Haus steht, Flammen konnten 176 Mit dunkler Tinte eingetragen. 177 Eintrag verwischt.

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es nicht grüßen. Wir haben sie weggeschoben. Kind grüßt Dich von weitem. Sie jubelt über die Freiheit des Vaters, sie jubelt über die Freiheit des Landes, das ihre Heimat ist. Sie jauchzt mit {dem} Kind am Arme. Sie hebt es in die Gegend, wo sie glaubt, daß das Land liegt, das die Eltern birgt. Geborgen sind sie jetzt, geheilt ist die Wunde. Krusten sind abgefallen, Leben dringt durch die ohne Luft geatmeten Poren wieder durch. Ich grüße Dich, Freundin der Jugend! Feuer der Freude sind in Deinem Herzen. Jubel mit Wehmut gepaart wegen des Kindes. Aber das läßt sich nachholen, das Glück; das Unheil läßt sich nicht einholen. Glück wird Dir zu teil. Martern gab es nur im Herzen. Jubel wird vergessen lassen, was nicht g…178 ist. Lebe froh, lebe hundertfach getröstet wegen dem Kind, dem die Sonne wieder im Herzen lacht, da die teuren Lieben Sonne wieder sehen können. G. z. G.! Es ist Mai und ich weiß und sehe nichts von Blüte und Wald. Strahlende Tage; momentan ein wunderbarer Duft. Dank! Pfingst-Sonntag, 20. Mai179 Vorm Häuschen. Niemand ist da. Aber die Waldlinien schwingen wie eh und je. Als ich die ersten Bäume sah, standen Tränen in meinen Augen. Wir fuhren bis Pötzleinsdorf. Der Weg zum Schafberg. später, 2h: Ich sitze im Garten bei Stefferl Pr. Die Sonne scheint, Blumen blühen, eine Amsel ruft sehnsuchtsvoll gegen den Himmel. Mein Wunsch, der Mann möge wieder die blühende Welt sehen, wurde erfüllt. Ich knie vor Dir, Herr. Ein Schuß wurde zuvor nebenan abgegeben. Immer erinnert der Krieg. Manila ist lange schon frei – und ich erwarte die Erfüllung meines heißesten Wunsches. Ich erwarte, sage ich. Nein, das klingt wie eine Forderung, nie, nie fordere ich, Herr. Ich schaue zu Dir – und Du siehst in mein Herz. Du vergißt Dein Kind nicht, das Dir in Demut dient und immer dienen will – und solltest Du es vergessen, so war es eben Deiner Gnade nicht würdig. Pfingstmontag, 21. Mai Wie ein Alltag. Trüb, kühl. Ich bin daheim gewesen und habe genäht. Nun sitze ich beim Fenster. Das war gestern ein schöner Tag gewesen, wenn es auch beim Heimweg kalt und regnerisch blieb. Doch die Bäume und Waldlinien habe ich gesehen! 178 Nach dem einzelnen, klein geschriebenen Buchstaben „g“ ist eine Leerstelle in der Zeile. 179 Eintrag auffallend unregelmäßig geschrieben. Datumsangabe mit blauer Tinte verstärkt.

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Dienstag, 22. Mai Es regnet. Seit Pfingsten trüb. 6 Wochen vorher strahlendes, herrliches Wetter. Mai, April heiß wie selten. Ich las in den alten Tagebüchern. Und nun die Schwere weg. Aber die Sehnsucht nach den Kindern tief wie nie. Samstag, 26. Mai Mein Maitag, den ich alljährlich seit 7 Jahren unter Blumen und Grün verbringe! Mein Platz – Gießhübel, die Wiese mit den Gänseblümchen!! Voriges Jahr trübe – heuer überhaupt keine Möglichkeit! Von morgen ab geht die Stadtbahn Hauptzollamt-Hietzing! Himmler tot. Welch ungeheures Geschehen um uns. Dank und Hunger! Bitte um Schutz für die Kinder, Bitte um Gesundheit, Bitte um Wiedersehen! Heute kühl. Die Schutthaufen schwinden. Seit Mittwoch habe ich meine Maschine180 wieder! Fast ein Jahr war ich ohne sie! Janthe Dank. Nie vergessen! Maria Grün, Sonntag, 27. Mai Das Kirchlein ist schwer bombenbeschädigt. Ein Trichter neben dem andern. Mai. Mai nach dem Krieg. Überall Zerstörung. Seit gestern keine Verdunkelung mehr – also der Krieg endgültig zu Ende! Schweigen und schauen, nicht richten! Als ich durch die Hauptallee ging, erbarmten mir die armen Menschen – ich war mit einem Male froh, auch wenn, wenn auch nicht so arm wie sie zu sein. Grete Riefhaber war bei mir. Sie heiratet nach Dänemark. abends, ½ 8h: Schwalbensirren… Ich bin durch die Hauptallee gegangen, habe Holz aufgelesen wie die anderen armen Leute, bin beim Vivarium vorbei, rief: „Liserle, Liserle!“ und nach 4 stündigem Marsch daheim. Am Praterstern sah ich neben dem russischen Wegweiser den englischen. Ich muß viel an die Zukunft des russischen Volkes denken. Es hat eine große Zukunft. Das arme deutsche Volk. Politisch so instinktlos! 29. Mai [Stimmen]

Rosa: Ich werde nach kleinen Tastversuchen wieder kommen, um meine Seele zu stärken, da ich klein und schwach war, jetzt aber groß und kraftvoll werde. Bald werde ich Dir sagen können, 180 Gemeint ist hier die Schreibmaschine der Tagebuchautorin.

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daß Dein teures Kind Dich umarmen wird. Warte noch eine Weile, dann wird das Glück groß sein G. z. G.! Wladzko:181 Ich kehre gern bei Dir ein, mache mich gern zur Kanzel für Dich! Ich spreche gern zu Dir. Mache für Dich das Geschick, das Dich jetzt mit Rosen bekränzen wird. Kind hat jetzt schon Rosen um sich. Blühende, duftende schmücken ihr Haupt und das des kleinen Kindes. Sie kränzen sich, weil sie wissen, daß das Herz der Mutter jetzt froh sein darf, das Herz, das soviel gelitten hat. Ihr kauft Blumen, aber ihr spürt nicht, daß sie noch gern {ge}wachsen möchten wären. Ihr bekränzt Euch, aber Ihr wißt nicht, daß Blumen auch Lebewesen sind. Nun spürt Ihr, daß Ihr Menschen geworden seid, naht Euch den Blumen, dann werdet Ihr fühlen, daß Ihr Menschen seid. Kind ist eine Blume, Kind blüht, Kind wächst. Tochter offenbart ihr Herz denen, die wußten, daß Vater und Mutter trostbedürftig sind. Jetzt aber fließen Tränen der Freude, Tränen der Liebe über das Land, das das blühendste der Erde ist, nämlich das Herz des Kindes. Gott führt Euch zusammen; er kann es, er schmückt Euch alle mit Kränzen der Liebe. Ein großer allgemeiner Kranz, der Euch umgibt. Freue Dich, Mutterherz, freue Dich Kinderherz. Ihr gehört zusammen! In dem Meer, das Euch noch trennt; ist Ort, wo die Seelen sich finden! G. z. G.! Donnerstag, 31. Mai 1945 Gestern in der Agnesgasse! Es war noch Mai! Der Jasmin blühte, der Holunder! Es duftete! Wolkenberge wiegten sich. Ich war dankbar, glücklich und zufrieden! Immer denke ich nun an die kleine Rosa, die mich unentwegt zur Geduld mahnt. Dank Dir kleiner Engel, mögest Du große Gnade vor Gott finden. Am Montag, 28., bin ich draußen in der Sandrockgasse gewesen! Ach, gestern war mein Mann wieder im Wohnungsamt. Noch immer nichts mit der Wohnung. Klein-Rosa habe ich gebeten und die predigt Geduld! Geduld. Heute Fronleichnamsprozession! Der Kardinal. Samstag, 2. Juni Ich war in unserer Wohnung! Gestern haben wir die Zuweisung bekommen!!!! Dank Klein-Rosa. Deine Predigt zur Geduld hat gewirkt. {Seraph.182} Russen sitzen aber darinnen und wir können noch nicht einziehen. Ich wage nicht noch darum zu bitten. Der Garten ist schön. Doch ich bitte! Bitte, dann wird Dir gegeben werden! Es war so schön draußen. Friede, Friede!!! Wir haben seit gestern Licht!

181 Eintrag zum Teil (vielleicht durch Tränen) verwischt. 182 Wahrscheinlicher Bezug auf die Engelswesen Seraphim/Seraphe.

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Sonntag, 3. Juni183 Heute im Häuschen! Erst nach Pötzleinsdorf. Die Bäume! Bei Pronai nur er. Unfreundlich. Wir gehen. Hilda noch nicht da. Warten. Dann im Liegestuhl. Die Rosen, die Rosen! Dr. C. Wir sitzen im Zimmer rückwärts. Ich schaue hinaus. Strahlender Himmel. Hinten ein kleiner weißer Wolkenbausch. Zufrieden glücklich. [Stimme]

Valerie sagte: Dich innerlich gefestigte Frau kenne ich noch von der Zeit da wir nebeneinander lebten. Jetzt wache ich über Dich und dem Kind das jauchzt vor Freude über die Lösung der bösen Spannung, in der sie leben mußte. Dir wird Glück zu teil. Teure Menschen sind jetzt in dem Banne des neuen Lebens, das Hände schützend über Euch weiter zeigen, der wir Dir sagen, daß Gott oben über Euch seinen Schutz wunderreich strömen läßt. Wolken tragen alles weg, was düster war von Dir, von Deinem Kind. Es kann lachen mit dem kleinen Holden, Originellen, das heute schon hoch begabt ist und die Mutter überflügeln wird an Klugheit und Schönheit. Freue Dich! Tochter, Mutter und Vater, alle kommt Ihr wieder zusammen. Gott führt Euch neben der milden sanften Zusammengehörigkeit der irdischen Familie. Gott zum Gruß. Freitag, 8. Juni Es ist so heiß. Seit mehr als zwei Monaten kein Regentag. Gestern Disput mit Janthe. Sie ist unduldsam. Immer beschwöre ich die kleine Rosa. Heute der Vater draußen. Die Russen noch in der Wohnung. Ich bin heute bewußt daheim geblieben. Die ersten zehn Märchen beendet. Seit fast 4 Jahren arbeite ich daran und will die restlichen zwanzig noch diesen Monat beendigen! Ich schreibe an den Märchen. Seit vier Jahren arbeite ich an den ersten 6 bis 8. Und jetzt will ich sie in einigen Tagen vollenden. Es ist mir, als würde ich sie noch hier fertig machen müssen, wie damals in der Sandwirtgasse die Reisetagebücher. Nun bin ich heute einen ganzen Tag daheim gewesen. Den ganzen Knaur durchgeblättert!184 [N S V A D185] Die Deklaration über Deutschland! Hart, aber gerecht. Doch ich persönlich immer: richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet! 183 Doppelseite teilweise (vielleicht durch Tränen) verwischt. 184 Hier handelt es sich vermutlich um ein Universallexikon, das im Verlag Knaur erschienen ist. 185 Die Bedeutung dieser Abkürzung konnte nicht geklärt werden. V D A war die gebräuchliche Abkürzung für den Volksbund für das Deutschtum im Ausland, der seit 1933 gleichgeschaltet und 1945 verboten wurde.

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In meinem Gar ten am 9. Juni 1945, ¾ 3h Wo r t e – n e i n . S c h a u e n . H ö r e n . D i e B ä u m e s p r e c h e n z u m i r. Mein Auge schließt das Herz ein. Maria Enzersdorf, 11. Juni 1945, Montag186 Auf meinem Platz. Sonne. Es geht dem Mittsommer zu. Worte, Gefühle gehen in die Tiefe, schäumen nicht über. Vergebung wird gewiß der größten Schuld. 7 Jahre! Das Weizenfeld inmitten der Weingärten. Die Bitte erhört: Der Mann darf alles wieder sehen. später, ½ 3h, Maxingpark: Über die Gießhüblerstraße wieder nach Enzersdorf. Die Wolken, warm, aber nicht heiß. Nach St. Gabriel. Bis Riedlgasse. Zehendner. Kirschen. Hetzendorfer Schloßpark gesperrt. Wie habe ich ihn geliebt! Friedhof. Nicht übern Maxingpark (Militär) hierher unter meinen geliebten Bäumen. Am 20. III. war ich das letzte Mal hier gewesen! Fast 3 Monate! Was hat sich inzwischen alles ereignet! Wieder im Garten! Die Russen sind noch da. Es regnet leicht.187 Dienstag, 12. Juni [Stimme]

Wladzko sagt: Ein großes Wort spricht man oft aus. Dieses Wort macht den Orgelton der Seele aus. Sie schwingt mit diesem Wort mit, sie wartet nicht auf Weltgebraus’, sie wohnt in höheren Gefilden, wo das tägliche Geschehen sie nicht stört: Solche Worte prägen sich tief ein in die Brust. Sie machen das karge Leben freudig, sie heben über das gewöhnliche Leben. Sie leuchten durch die Finsternis. Ich freue mich, Dir das sagen zu können. Mit neuem Mut durchdringt das Geschehen die heutige Welt. Du wirst weiter das Beste hören von Deinem Kind. Dieses Wort erhellt Deine Seele, Kind lebt neu gestaltet durch die Freude über Euch im Land, das windlos ist. Blumen können gedeihen schöner als hier bei Euch, da Winde säuseln und keine Stürme ihre Blüten rauben. So wird auch von Dir keine Blüte mehr abfallen. Reich den duftenden Blüten ist jetzt Dein Leben. Dein Kind und das ihre blüht wie die schönste Blüte, das sehe ich, das kann ich Dir mit großer Freude berichten. Gott zum Gruß! Im Gar ten, Samstag, 16. Juni Dank. Ich kniete. 186 Eintrag auffallend unregelmäßig geschrieben. 187 Letzter Satz im Eintrag mit dunkler Tinte geschrieben.

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Eine Amsel sang. Ja Vöglein, ja es ist ein Traum. Ich bin wieder da! Seit vorgestern! Ich wage es nicht mehr, so überschwänglich zu sein wie einst. Doch das, was ich wegen meines Heims gelitten, wurde mir jetzt zurückgezahlt. Doch m{M}eine Seelen, wie haben mir die geholfen! Das Plätzchen wo ich jetzt liege ist das Schönste. Der Flieder, der Weichselbaum vor mir. Vorgestern nach Tisch heraus. Vormittag die erste Orgelstunde. Als wir herkamen: die Russen sind weg! Gestern Ordnung gemacht – sehr müde, vorgestern auch! Noch in den Vortrag gelaufen. Heute früh heraus. Ich bleibe über Nacht. Dienstag, 19. VI., ½5h früh Jeder Tag ein Dankfest. Sonntag wunderbares Erleben. Ich gehe zur Kirche. Da, als ich beim Kloster vorbeikomme wird die Türe geöffnet. Ich gehe hinein und bald darauf ganz festliches Hochamt für die Unsichtbaren. Sie sangen von fern her. Überwältigender Eindruck. Tiefste Andacht. Viel Arbeit. Ich sehe sehr schlecht aus. Aber froh wie im Traum. Heute schöner Tag. Die Amseln, sie singen mir zur Freude. Sonntag, 24. Juli Mittsommer! Ich sitze beim Schlafzimmerfenster und sehe ins Grüne. Nicht mehr in der Schiffgasse. Kein Schwalbensirren. Ruhe, Friede. Wie im Traum lebe ich, bete, bete und schaue zum Himmel, an das Kind und an die Seelen denkend. Eine Meise {Fink} singt gegen Nachmittag. Wie im Wald. Der Mond, der volle, steht hoch am Himmel. Samstag, 30. VI. Die Zeit rauscht, rauscht. Wie im Traum lebe ich. Alles ist so unwirklich. Seit vorvorgestern ist die Mutter da {27}. Ein wenig – ich wollte sagen – unbequem, und doch freuend, daß ich etwas tun darf, was Opfer kostet. Gestern beim Begräbnis von Otto {Granditsch}. Erschütternd. Dann Nachricht, daß Ertl Robert gestorben ist. Heute Nacht träumte mir von ihm. Er hatte hohes Fieber und er schwitzte sehr. „Jetzt wird es gut werden, weil er schwitzt“, sagte ich. „Immer daran denken, wie es in der Schiffgasse war“, sage ich mir, „nie vergessen.“ Sonntag, 1. Juli Ich sitze im Schlafzimmer und schaue beim Fenster hinaus wie vor 6 Jahren! 2090 Tage bin ich fern gewesen, also fast 5 ¾ Jahre! Die Sträucher sind schon hoch, wenn ich mich vorbeuge, sehe ich nach Ober St. Veit.

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Donnerstag, 5. Juli Heute vor 15{12} Jahren sind wir hier eingezogen. Noch immer haben wir die Möbel nicht in der Wohnung. Montag, 9. Juli188 Sonnenfinsternis – wenig sichtbar. Ich sitze im Garten und spreche zum Holunderbaum und Weichselbaum. Daß ich Euch nochmals sehen darf! Ich muß Geduld wegen der Möbel haben! Ich habe so viel bekommen vom Schicksal als Wiedergutmachung, daß ich nicht mehr verlangen darf. Die alte Frau Bisenz gestorben, heute sah ich die Tochter. Zum ersten Mal ein Mensch aus Theresienstadt. Eigen, erschütternd. Jetzt ist es merkwürdig. Die Luft so sanft und weich, wie ich sie liebe. Die Bläue des Himmels tief dunkel. Mittsommer! Wladzko! Ich danke Dir Herr! Mein Enkelkind, Du liebes – wann werde ich Dich umarmen? Samstag, 14. Juli Heute war ein unvorstellbar schöner Tag gewesen. Nicht in der Stadt. Dafür gestern! Um 2h nachts wach. Um 6h früh in die Stadt zur Mutter. Der Möbelwagen kommt. Die Packer aber nicht . Wir haben die Sachen auf den Gang getragen. Wieder hinein. Ich war ungeduldig zu der Frau gewesen, weil sie weg gewar und die Schlüssel mit hatte. Deshalb empfand ich dieses Negative als gerechte Strafe, die ich gerne hinnahm. Ich bete unablässig für meine Seelen. Ich habe es jetzt schon ganz nett und ich räume so gerne. Das Kind. Ich bin zuvor in ihrem Zimmer gestanden und habe in ihre Schlafecke geschaut. Jetzt um 10h beim aufabgehenden Mond mit dem jungen Rösner in die Sterne geschaut. Das Siebengestirn! Es gibt nichts Schöneres als eine junge Seele! Sonntag, 15. Juli, ½ 9h abends189 Schöner Abend, Schöner Abend. M i t t w o c h , 1 8 . V I I . 190 Im Garten. Da bin ich glücklich und zufrieden. D a s w a r e n g e s t e r n u n d h e u t e s t a r k e Ta g e ! Sonntag, Montag, Samstag in Ruhe und Frieden ge wesen.

188 Eintrag teilweise – vielleicht durch Tränen – verwischt. 189 Eintrag mit Bleistift geschrieben. 190 Eintrag auffallend ausladend geschrieben.

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Dienstag, also gestern, um ½ 5h auf, um 7h zur Mutter gelaufen. Vorher noch einen Sprung in die Hietzinger Kirche. Gebetet, gebetet. Der Wagen kommt nicht – niemand – um ½ 9h zu Hause. {Hunger.} Noch Sonne liegen, schön. Abends kommt Mathi. Als Ausgleich bringt er zu essen von Mutter! Heute früh. Um 2h auf. Nicht mehr schlafen können. Wieder die Jagd. Man kann aber schon [...]{bis zur} Schwedenbrücke fahren. Um 7h bei der Mutter. Der Wagen kommt nicht. {Zur Fahrbereitschaft.} Zu Tögl. Müde, schläfrig. Zu Hamburger. Wieder zu Tögl. Schlafen. Wieder zur Fahrbereitschaft. Nichts. Der arme Mann muß laufen {nach Simmering}191. Ich nach Hause. Zur Emma, Schlosser und jetzt … Paradies. Der Holunderbaum ist geschnitten worden. Haste nicht, sage ich zu meinem Herzen. Genieße! Ich vertraue auf Ihn, so sehr unendlich ewig. Er schickt seinem Kinde kein Leid, das es nicht verdient. O Herr. Samstag, 21., ¼ 9h Im Garten. Abend. Stille. Heute habe ich wieder wegen der Möbel interpelliert. Nichts. Meine Seelen reden mir zu: Geduld und dann: Genießest Du nicht das Schönste, Luft, Sonne und die Herrlichkeit des Sommers? Dafür wenig Arbeit. Ja. Ja, ja! Ich danke Euch meine Seelen, ich danke Euch. Bete ich genug andächtig? Donnerstag, 26. VII. Heute Großmutters Namenstag und Tante Mariannens ihrer! Ich habe mir am Samstag Geduld gepredigt und siehe: Dienstag {24.} vorgestern kam ein Teil der Möbel {von der Schiffgasse}192 an! Und heute bin ich schon fertig. Heute war Edith bei mir. Das Schlafzimmer ist jetzt das schönste Zimmer! Wieder Ausgleich! Früher am meisten Arbeit und wenig schön! Jetzt wenig Arbeit und so schön! Dankbar, dankbar. Heute, gestern Messe bei den Karmeliterinnen. Ich schweige, wenn der Mann raisoniert, ich schweige, schweige, schweige – oder wie heute, – lege ich mir Buße auf. Er quält manchmal. Da denke ich: „Verdient erworben!“ Und dann: „So viel arbeitet er! Das muß verrechnet werden. Also viel Geduld haben, viel, viel – mehr, immer mehr!“ Donnerstag, 2. August Seit Sonntag sanftes Licht – nicht mehr so heiß. Die schönen Tage, die ich so liebe. Gestern Promotion von Schwerer Jolan. Werde ich dasselbe mit dem Kinde erleben?193 191 Mit Bleistift nachgetragen. 192 Mit Bleistift nachgetragen. 193 Satz markiert mit einem vertikalen Strich seitlich des Eintrages.

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Immer Dank, immer Gebet – beim Gehen. Ich möchte recht andächtig sein und schweife ab. Die restlichen Möbel immer noch nicht da. Geduld haben – Geduld – nur nicht so gierig sein wie einst! Viel Arbeit, aber schön. Bei uns seit Montag {30.} im Bezirk die Franzosen. Weinreben vorm Schlafzimmerfenster und Nußbäume vorm Zimmer und ein wenig ferner von der Küche. Nußbaum – Baum meiner Kindheit. O Ihr Bäume! Seid Ihr Seelen? Ja! Immer schon sahen wir uns in die Herzen, immer schon! Montag, 6. August Du Licht, du sanft goldenes herrliches Licht, Du Himmel, Himmel blau und glatt, und Ihr Bäume, Ihr geliebten, tief geliebten Bäume! Donnerstag, 9. August Heute sind es 8 Wochen, daß wir hier sind! Am Sonntag war ich das erste Mal im Maxingpark. Wir kamen von Hetzendorf. Die Birkenkinder sind weg – tot – ein Bombentrichter an ihrer Stelle. Vorgestern ging ich wieder den Weg. Gruß und Gruß! Ich arbeite viel an und in der Wohnung. Immer voll Dank und Gebet! Samstag, 11. August, ½ 7h Ich sitze das erste Mal geruhsam beim Fenster im Abendschein und nähe. {Der Krieg mit Japan zu Ende!}194 Gestern nach 4h auf – heute auch. Waschtag. Von 7 Monaten. Alles so sauber. Ich kann mich nicht genug tun an Putzen und säubern. Die Möbel noch immer nicht da. Ich muß Geduld haben. Im Garten, Sonntag, 12.195 Japan hat am 10. kapituliert. Frieden, Frieden. Die Welt darf um sich sehen. Nicht mehr töten! Mitwoch, 15. August, ½ 5h früh Ich kann nicht schlafen.

194 Satz mit Bleistift eingefügt und zusätzlich mit Tinte nachgeschrieben. 195 Eintrag mit Bleistift geschrieben.

304   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

Tief beeindruckt von dem Prozeß in Charkow.196 Was haben diese Henker sich gedacht? Daß so etwas, das man nicht ausdenken kann, ungerächt bleibt? Der Krieg mit Japan endgültig zu Ende. Dank Herr! Die Kapitulation war nämlich zuerst nicht bestätigt – durch den Kaiser, der dort doch Gott vertritt, doch jetzt ist es so weit, daß Menschlichkeit die Oberhand bekommt. Welch Wahn hat die Menschen umfangen! Gestern in Hetzendorf. Die Tochter Valerie’s seit 3 Jahren in Wien. Wie im Traum gehe ich durch die Straßen. Ist es wahr, ist es wahr, ich bin da? Die Kinder – o Gott, o Herr – Schutz und Wiedersehen! Samstag, 18. August, 10h abends Ach Dank! Vorgestern Donnerstag {16.}197 kamen die Möbel! Donnerstag, Freitag, heute arbeitete ich 17 Stunden täglich. Doch jetzt! Alles in schönster Ordnung. Schön. Dank, Dank. Heute träumte mir vom Kind. Es schwamm und verschwand. Ich denke an die Halluzination im Jahre 1938, wo ich das Kind mit geschlossenen Augen, von Wasser triefend, plötzlich vor mir sah. Gott, Herr, schütze meine Kinder, schütze uns! Es ist Friede! Der Krieg ist ganz zu Ende! Dank, Dank, Dank! Sonntag, 19. August Im Garten. Die Wohnung ist fertig! O. Gestern Janthe. Die Botschaft von Wladzko. [Stimme]

Wladzko sagt am 16. August: Kaum erlangen die Menschen die Freiheit, so geben sie ihre Worte denen, welche sie nicht verdienen. Sie sollen das Herz mehr dort lassen, wo das Glück herkommt. Ich habe die Worte gefunden, sie der Frau zu geben, diewelche mir teuer war. Sie hat mich nicht wieder gerufen und ich wollte viel sagen, das jetzt ohne Bezug ist. Ich kann nur sagen, daß Tochter das Leben jetzt mit großem Genuß lebt, da sie weiß daß die geliebten Menschen ohne Kummer leben können. Das Wiedersehen wird sein wie ein Hauch, der wunderreiche Düfte trägt dorthin, wo die Liebe zu dem Weltgeschehen, das so reich Euch jetzt bedacht hat, liegt. Mich wird das Weltgeschehen nicht weiter wundern, da ich weiß daß die Menschen endlich zu neuem Leben erwachen müssen. Die teure Frau hat das Erwachen gefunden, sie 196 Charkow/Charkiw, damals die viertgrößte Stadt der Sowjetunion, wurde im Oktober 1941 von deutschen Truppen erobert und in der Folge mehrfach heftig umkämpft; ihre jüdische Bevölkerung wurde fast zur Gänze ermordet. Im August 1943 erfolgte die Befreiung der Stadt durch die Rote Armee; im Dezember 1943 kam es dort zum ersten Prozess gegen deutsche NS-Täter. 197 Datumsangabe mit Bleistift eingefügt und zusätzlich mit Tinte nachgeschrieben.

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muß jetzt das Leben meistern in der Erwartung, daß endlich die weitere Zukunft ihr das Liebste bringt, das die Erde für sie trägt. Freude ist das Motto für diese Familie. Gott zum Gruß. Dank! Montag, 20. August Nun bin ich endlich mit der Wohnung fertig! Wie danke ich für alles! Freitag, 24. Aug. Heute {mit dem Mann}198 in Stammersdorf. Die freie Aussicht auf die Jedlersdorferstraße! Immer gehen die Seelen mit mir. Sie trösten mich, sie stärken mich. Ich kann durch sie Unrecht leicht tragen. Ein bißchen ein böses Herz wegen der Freundin. {(Ihr)} Der Mann sieht schlecht aus. Ich kann ihm nicht so leichten Herzens helfen, wegen der fordernden Ansprüche. Dienstag 28.VIII. Mein Gott. Ich war in der Stadt, bei Frau Singer in ihrer neuen Wohnung am Brahmsplatz. Schön. Ich werde wieder singen. Die Atmosphäre ist ja künstlerisch. Gestern Damenjause. Ich war recht glücklich, einen so schönen Tag geschenkt bekommen zu haben. Heute heiß, doch daheim schön angenehm. O Gott, ich danke Dir. [Stimmen]

Wladzko sagte heute: Die Rosen werden bald welk werden, die Gärten werden bald in weiße Farbe gehüllt werden, die Wälder verlieren ihr Grün. Du aber bleibst wie eine dauernde Blume bestehen, mit Dir Dein Kind, das blüht, rosa, hell wie Farben, {die} wie durch ein buntes Glas gesehen werden. Machen wir für Dich das Leben noch schöner, so wirst Du Dein Kind in Weltwundern sehen können, die für Dich ein Traum sind. Keine Mutter hat diese Tochter wie ein Märchen so zauberhaft. Mache Dich weit auf im Herzen, damit die ganze Freude einströmen kann, damit Du weißt, daß die Zeit der bösen Träume vorbei ist, die Zeit der Wunder begonnen hat. Lebe glücklich in dem Haus, das wir Dir wiedergegeben haben. Freude soll es schauen für Dich und die, welche Dein Leben bedeuten. G. z. G. Dann meldete sich die kleine Rosa: Ich kann nicht anders handeln als Dich zu lieben mit allem, was Dein Leben in Atem hält. Warme Ströme fließen über Euch, die Euch verbinden bis in die weitesten Fernen der Welt. Sie werden zusammen{rück}fließen und Dich mit dem Kind in nahem breiten Strom verbinden. Freue Dich, die Zeit naht! G. z. G.!

198 Mit Bleistift nachgetragen.

306   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

Mittwoch, 29. VIII. Es ist unvorstellbar schön. Der tiefblaue Himmel, die Nussbäume. Wie soll ich danken. Heute Bitte wegen des verlegten Geldes. Wie soll ich danken, da es gefunden wurde? Meine Seelen, meine guten Seelen, helft mir, Gott dienen. Donnerstag, 30. VIII. 1945, ¼ 9h abends Wir haben ein Radio!!! Dank! Seit 7 Jahren kein Radio! Samstag, 1. September Heute Maria Enzersdorf. Nur beim Gottesdienst – als Dank. Ich habe eine Dankmesse gestiftet. Ich wage nicht zu bitten. Ich will Geduld haben. Ich habe ja nur eine Bitte, die größte und die Erfüllung muß ich mehr noch verdienen: Wiedersehen oder auch nur Nachricht v o n d e n K i n d e r n ! ! ! 199 Brunner I und Brunner II befinden sich in Gewahrsam. Heute der Himmel in Enzersdorf. Gestern bei Fr. Singer gesungen, g u t g e s u n g e n . 200 Dank, Dank und immer Dank – Ich ging heute nicht zu meinem Platz. Du hast mir Herr jetzt meine Schuld vergeben denn {über mich fließt} Deine Gnade hin und weil ich jetzt so maßvoll glücklich bin darf meine Augen ich zu Dir erheben. Du weißt es, Herr, mein Herz ist Dir ergeben. so sehr, so überm{M}aßen stürmt es drin (Morgen) Donnerstag, 6. September Heute Hans’ Geburtstag. O, meine Kinder. Gestern habe ich einen Roten Kreuzbrief geschrieben: „Wir sind gesund, leben, erwarten voll Sehnsucht Eure Nachricht, […]{w}ohnen wieder in der alten Wohnung. Küsse Vater und Mutter.“ Die Tage unnennbar schön! GVorgestern im Garten (gestern den ganzen Tag in der Stadt). Rotes Kreuz, Sparkasse, Wohnung, dann bei der Mutter (Probe) so wunderbar, daß mir

199 Zentriert geschrieben. 200 Zentriert geschrieben.

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das Herz vor Glück wehtat. Einmal darf ich’s ja sagen – denn wie oft hat das Herz vor Weh geschmerzt. Ach, nun heißt es Geduld haben. Dann wird auch Nachricht von den Kindern bekommen. Dank den Seelen! Am 2. September Unterzeichnung der Kapitulation Japans. Nun endlich Frieden! Frieden! Ich danke Dir O Herr! Ö f f n e d i e A u g e n d e r M e n s c h e n h e r z e n ! 201 Sonntag, 9. September Tage sind jetzt, die ich nicht beschreiben kann: Italischer Himmel; Süße der Luft. Der Garten, manchmal fasse ich dies alles nicht. Gestern die Märchen fertig – 4 ½ Jahre. Ich dachte, Janthe wird sie mitnehmen, doch sie hat ihre Gedanken nur auf die Zeitung. Doch die Hauptsache ist sie sind fertig. Nun keine Postarbeit mehr, alles geruhsam. Immer Dank. Kleinigkeiten: Hunger, Hunger – ich fand die Pulverschokolade. Nun weiß ich, was Hunger ist; doch muß ich an die in Theresienstadt, in Auschwitz denken. Gestern Chybik bei uns mit Ilse. Nun werden es bald sieben Jahre, daß das Kind fort ist. Ich fasse mich in Geduld. Ich vertraue auf Ihn! Mittwoch, 12. IX. [Stimmen]

Wladzko sagte gestern: Eine neue Welt entsteht für Dich, denn das Haus ist gesegnet durch uns, das Dich birgt. Das Haus, daßs Dein Kind birgt ist hochgesegnet durch uns. Das Haus, das das Kindeskind birgt hat unsern Segen voll und ganz. Deshalb genieße die Liebe, die von uns ausgeht, die auf Dein Kind überströmt, das wir in Rosen betten in ein Bett, das weich erfüllt ist von Rosenblättern, die Duft senden über den Körper, der nie eine Last spürt. Dieser Körper Deines Kindes hebt sich mit seiner Seele hoch empor und schwebt zu Dir wie ein Wölkchen, das in blauen Dunst gehüllt ist. Es grüßt Dich aus der Ferne bei Tag und bei Nacht. Die Seele verschmilzt mit der Deinen voll Liebe. Diese Liebe wirst Du erfahren, wenn der Tag da ist das Kind zu sehen in seiner ganzen Fülle des Glücks, das es Dir bringen wird. Das Kleine sieht dem Engel wie ein Wunder ähnlich; Sie gleichen sich und werden Dich in ihren Mantel hüllen, der gefüttert ist mit Rosenblättern wie das Bett. G. z. G. Valerie: Rasten wirst Du nach dem opferreichen Leben in einem liebevoll erfüllten Haus, das Dich beherbergt. Liebe war das Motiv Deines Lebens, das Dich erfüllt hat, warm umstrahlt Dich das Licht, das von uns ausgeht und das nie verblassen wird. Das will ich Dir sagen und Dich segnen, so wie Du Deinen Segen für Dein Kind hast. G. z. G.

201 Passage in auffallend großer Schrift geschrieben.

308   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

Heute der erste vollständige Regentag. Kühl. Ich arbeite viel, in Mutters Zimmer war der Maler. Immer Dank, immer Dank den Seelen. Sonntag, 16. IX. Ich sitze jetzt im Schlafzimmer immer an der anderen Seite und sehe den Nußbaum, den Baum meiner Kindheit. Das ist so schön! Die Märchen vorgestern in den Stadtschulrat getragen. Ich wage nicht zu hoffen. Heute trüb, Regen, der zweite Regentag seit ich heraußen bin. In der Frühe die Messe in der schönen Kirche. Der Mann mit. Versöhnungstag.202 Abends der Bruder. Es ist sehr unleidlich mit ihm. Dann das Schreien des Mannes wegen des Bügeleisens. Wo findet man Recht? Bei i{I}hm. Mehr schweigen. Ich schweige noch immer zu wenig. Dienstag, 18. September203 Heute Lisls Hochzeitstag. Nicht nach Gugging. Doch ein Tag von einer Bläue wie ich ihn noch selten gesehen habe. Freitag, 21. September Unbeschreibliche Tage. Heute Herbstanfang. Im Garten, Ich kann nicht in die Stadt. Es ist zu schön heraußen! Der Nußbaum winkt mir immer zu. Ich sitze jetzt so, daß ich ihn immer sehe. Sonntag, 23. Sept. Mein Gott, die schönen, schönen Tage, wie danke ich für sie. Oft habe ich Herzweh, weil mich dünkt, als würde ich sie nicht verdienen und ich muß damit künftig etwas bezahlen. Es wird{werden} nun sieben Jahre, daß das Kind weg ist! Wie sehne ich mich nach ihr. Warten, Geduld! Ich lese die ganzen 7 Jahre! Daß ich da sitzen darf! Mittwoch, 26. IX. Heute Tante Mariannens Geburtstag! Es drängte mich in die Kirche, dafür werde ich beten. [Stimmen]

Gestern Wladzko: Tage, die jetzt verlaufen, machen für Dich den Willen stärker als die gewesenen. Jetzt beginnt die Zeit, wo die Tore zu Gott sich strahlend für Dich öffnen und Du nur das 202 Es handelt sich hier wohl um Jom Kippur (= Versöhnungstag), der laut jüdischem Kalender im Jahr 1945 auf den 17. September fiel. 203 Eintrag ausladend geschrieben.

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Glück der Deinen siehst. Sie jagen nicht mehr mit Unruhe durch die Welt; die Seelenruhe ist eingekehrt in die Herzen und wartet nur noch auf die Erfüllung der neuen Tore der Hoffnung, die sich für ein Wiedersehen öffnen werden. Karg kann das Leben Dich nie mehr bedenken, da die Zeit vorbei ist, Tränen Dir zu entlocken. Kehre Dich ab von der irdischen bösen Welt, die Dein Herz nie kennen kann. Lebe den Blumen, lebe der fernen Tochter, die der Mutter harrt, wie ein verhungernder Vogel nach Nahrung der Mutter im Nest wartet. Wiedersehen war Wonne, Wiedersehen wird Glück, Wiedersehen kann nur der fühlen, der sich gesehnt hat. Gott zum Gruß! Valerie: Ich danke Dir für die Gedanken an mich. Dafür ist Dir der Segen Gottes gewiß, denn ein Mensch, der so arm war wie ich, ist glücklich, wenn die irdischen Lieben noch an ihn denken. Ich habe Dich in die Hände genommen, um Dich für alle Zeiten zu schützen und zu lieben. Gitter sind offen für Dich und Deine Lieben. Ihr seid ein Band, das nie zerreißen kann. Es schlingt sich um den Baum des Lebens, der blüht und Früchte trägt, die golden wachsen auf den Ästen. Gott zum Gruß! Mittwoch, 3. Okt. G e s t e r n – 7 Jahre, daß mein Alles fortgefahren ist! Ich ging nur in die Klosterkirche, nicht wie die Jahre her wallfahrten! Seit Samstag schauerliche Kälte, Regen und Sturm. Heute gar arg kalt und Gußregen. Heute Nacht träumte mir von einem kleinen Mädelchen, von Lisl und Anna. Sieht so mein Enkelkindchen aus? Braunes Haar, runde Wangen, Stupsnäschen – ach so süß! Die Seelen waren es, die mir das Kindchen zeigten! Danke. Ach, ich bete viel, viel für sie, wohl nicht immer in Andacht, aber welche Erkenntnisse bin ich ihnen schuldig! Ich sehe mich kritischer, nicht mehr so schönfarbig – und lerne schweigen und Geduld. Gestern Karl geschrieben. Eli dagewesen. Ich darf nicht richten, nur konstatieren, daß sie hart ist – doch alles ist so, wie es einem zukommt. Samstag, 6. Oktober Es regnet, regnet und ist sehr kalt. Ich arbeite viel, nähe und sitze jetzt schon beim beginnenden Abenddunkel beim Schlafzimmerfenster und sehe zum Nußbaum hin! Nicht mehr nach Ober St. Veit! Wie grün der Baum ist! Er winkt und winkt! Donnerstag, 11. X. D a f ü r h e u t e ! Ach, unbeschreiblich! Schöner, warmer Tag! Ich sitze im Garten und denke an das, was vorgestern, 9., die Seelen sagten:

310   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

[Stimmen]

Wladzko: Kann Dich Welt verstehen, so verstehst Du uns. Macht Gott Taten für Menschen, welche ihn lieben, so sind diese in einem Licht, das niemand anders so werten kann wie Du. Ich habe Dich in einem Licht gesehen, das mit hellem Glanz weltverklärend gewirkt hat. Du hast eine große Seele, die nach Zielen strebt, die nur Gott verleiht. Dein Herz ist innerlich geöffnet {für} die Wunder, die es in sich aufnimmt und diese Wunder müssen sich erfüllen an Dir und Deinen Lieben, denn ein so verklärter Mensch muß das erreichen, was er sich ersehnt. Wir haben Dich schon in Taumel der Freude versetzt und die Freude wird nie aufhören, so lange Du lebst. Warme Gefühle für uns zahlen wir mit wundertätigem Segen. Das gilt für Dich! Gott zum Gruß! Und die kleine Rosa sagte: Ich bin nur ein Kind, aber meine Seele ist groß. Ich kam zu Dir, um Dich in dem Leben, das Dir nur Freude bereiten soll, weiter zu beschützen und Dich in Liebe zu hüllen, die von weit her kommt. Diese Liebe strahlt von einem Menschen, der Dir das Liebste der Welt bedeutet. Hell, klar, mit innigen Gefühlen schwebt diese Kindesliebe über das Meer zu Dir, drängt sich in Dein Herz und Du fühlst das Glück, das es Dir bringt, auch wenn die Meterzahl eine unendliche ist, die Euch trennt. Das Weltgetriebe wird das Wellenschlagen dieser Liebe nie versiegen lassen und die Wellen werden hergetrieben, werden so lange, bis das Kind selbst vor Dir steht und die Liebe direkt von ihr Martern vergessen läßt, die die Jahre in Dein Herz gegraben hätten. Sie wird in dem Glanz der Schönheit vor Dir stehen mit dem Kind, das ebenso strahlt wie sie. Die Zeit naht, wenn auch noch Winde wehen werden, die nach Gottes Rat Wünsche nicht gleich erfüllen lassen, so wird der größte Wunsch sich dennoch erfüllen und der Wind trägt sie zu Dir her, wie noch keiner eine Fracht getrieben hat. Diese Fracht wird für Dich sein und Du wirst dem Wind dankbar sein, daß er sie gebracht hat. Jetzt laß Dich noch durch Strahlen stoßen, die bis in Dein Herz vordringen. Die Wirklichkeit kommt bald und Dein Herz wird frohlocken! Gott zum Gruß! Montag, 15. Oktober 45204 Mein Namenstag! Gestern in Favoriten. Diese Verwüstung! Dankbar, dankbar! Seit Mittwoch, 10. Oktober, Mutter bei uns. Besser als ich gefürchtet! Viel Arbeit, doch will ich verdienen, daß ich Gott anschauen darf, wenn auch nur ganz von weitem! Wie eitel und eingebildet war ich doch, da ich vermeinte, Gottes Hände seien meine Wangenschale! Sonntag, 4. Okt. Der Tag – ein Gottesgeschenk! Goldene Sonne – die Farben! Wie liebe ich die Bäume! Ich sehe sie mir mit dem Herzensblute an! Tief in sie, in ihre Seelen schaue ich. Dank, Dank, Liebe. 204 Eintrag ausladend geschrieben.

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Heute in Hetzendorf, dann durch die Gallgasse zur Lynkeusgasse {Zehendner}205. Betend, dankend. Samstag, 27. Okt. Immer wenn ich den Zettelweg heraufgehe, ergreift mich tiefstes Dankbarkeitsgefühl. „Bin ich würdig?“, sage ich mit himmelgerichteten Blicken. Heute herrliche Wärme. Mutters Möbel übersiedelt. Viel Ungemach. Verlorenes Täschchen. Leys Testament. Ganz an Gott hingegeben. Immer den Gesetzen nachspürend. Gott über den Gesetzen ganz unausdenkbar. Wir sind Atomenergien, die zerfallen. Alles so wunderbar und wir denken uns Gott so einfach! Im Garten, Montag, 29. Okt. Gestern, heute – Geschenke des Himmels! Warm, Sonne – strahlende Bläue! Ich sitze im Garten, lese und bin aufgelöst in Dankbarkeit {und Sehnsucht nach Lisl}. [Stimme]

Am 23. sagte Wladzko: Folgende Ereignisse sollen gebucht werden, denn sie werden für Euch die Marksteine mit der Gewalt sein, wie wir sie nur entfachen können. Das Leben für Euch muß sich in den Grundfesten mindestens noch höher an Wert gestalten, wie{als} bisher. Die Mauern, die Euch durch uns umgeben, werden noch höher, noch fester gebaut wie bisher. Dich, Du Gute, haben die Wolken nie bedecken können, sie sind entschwunden und haben der hellen Bläue Platz gemacht, die nun auf Dich herunterschaut. Diese Bläue aber wird auch auf das Liebste schauen, das Dein Herz mit Liebe erfüllt. Mein Kind, Du warst die Frau, der das Lachen so gut stand. Dieses Lachen soll nie aus Deinen Zügen verschwinden. Es soll stehen bleiben auf ihnen Tag und Nacht, es wartet auf das Kind, das für Dich lachend auf Dich zutritt und sich an Deinem Lachen erfreut. Helle Töne der Freude entströmen Deinem Mund, wenn die Nachricht kommt, daß der Wunsch in Erfüllung gegangen ist, die Sonne Deines Lebens wieder zu sehen. Ich mache die Sonne lachen, ich mache die Sterne lachen, ich mache die Welt lachen für Dich immer lächelnde, Du frohe Frau. Gott zum Gruß! Ach ja. Vor einem Jahr das rosa Wölkchen über Enzersdorf! [Stimme]

Valerie sagte: Dich begrüße ich, Dich finde ich gerüstet zu Taten, die Menschen Freude bereiten. Dich lobe ich in jedem Augenblick, für das Wohl, das Du um Dich verbreitest, willenstark für Mut, Tat, Tore den Bedürftigen öffnend, lachend die Meister des Lebens beschenkend. Gott 205 Mit Bleistift nachgetragen.

312   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

lobt Dich, kalte Herzen erwärmest Du, müde Menschen richtest Du auf, Kerzen zündest Du an, welche im Dunkeln leben. Das soll Deine Bestimmung sein auf Erden. Gott wird Dir den Lohn dafür senden durch die Begnadigung, die Dein Kind erfährt. Diese wird auch Deine Wünsche erfüllen. Gott zum Gruß! Ich beobachte wieder das Sinken der Sonne wie vor 12, 11, 10, 9, 8, 7 Jahren. O, als ich oben schrieb. Gott wird Dir den Lohn dafür senden, dachte ich im Herzen: ich verdiene keinen Lohn – und dann gleich: nur das Kind sehen! Das wäre doch der größte Lohn! Ich lese ein Buch von Gulbransson: Das Erbe von Björndal. So wie ich immer denke: Die Guttat = Ablaß. Und daß vorne steht: SS Scharführer. An Lisls Geburtstag Heute in Maria Enzersdorf. Mit Mutter. Nur in die Kirche. Dann sehnsüchtige Blicke in die herbstlichen Wälder. Denken an Erwin und heim. Daheim eine Karte von ihm. Donnerstag, Allerheiligen 1945 Noch immer im Garten gesessen. Warm – sommerlich, 20° im Schatten! Ich muß mich noch immer täglich wegen der Mutter mahnen. Samstag, 3. Nov. Gestern bin ich an Wladzkos Grab gestanden! Abteilung VIII, 3. Ring, Gruppe 6, Grab 70., geb. 29. IX. 1895, gest. 27. XI. 32. Wie war mir da! Frühlingshaft die Sonne und doch süße Trauer. Ich habe gebetet – viel, viel. O Herr, Dein Kind kniet vor Dir. Dienstag, 7. Nov. [Stimmen]

Valerie sagte: Ich peinige Dich nicht durch große Worte. Ich will Dir nur sagen, daß ich Dein Pflänzchen gedeihen sehe. Dort, wo die Sonne so warme Strahlen sendet, daß die großen und kleinen Pflanzen Tag und Nacht bestrahlt werden, damit die Liebe wächst, das Leben kolossal große und wundervolle Taten setzt für Dich, welche Dir am nächsten stehen. Das warme Land wird sich im Traum verwandeln, der für Dich der Nächte Trost und wolkenlosen Sternenhimmel schafft. Wir wollen Dein Kind bald dorthin senden, wo die Mutter ihre ganze Liebe strömen läßt. Die Mutter wartet, die Mutter lebt für den Augenblick, wo das Kind die Schwelle des blumengeschmückten Hauses betreten wird. Der Augenblick wird kommen, gedenke dann meiner Worte, ich habe es gesagt. Die Taten folgen. Der Tag kommt. Warte auf ihn. Er wird

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Dich zu der glücklichsten Frau machen. Jetzt hat das Pflänzchen Triebe angesetzt, das neue treibt wieder eine junge Pflanze empor zum Licht. Freue Dich, Du Gute! Gott zum Gruß! Wladzko: Ich bin der Letzte, aber der, welcher weiß, daß der wirkt, Trost und Hilfe bringt, welcher die letzten Worte spricht. Dich will ich lächeln sehen und werde es bewirken, denn das Lachen mußt Du nie verlernen. Die anderen haben es verlernt, Du nicht, Dich werde ich noch lächelnder machen in dem Moment, wo die Sonne für Dich wieder Strahlen senden wird, die Dein Haus beleuchten werden. Tore werden sich öffnen den Menschen, die Pflanzen und Pflänzchen bringen aus einer Welt, die Ihr noch nicht gesehen habt. Der Garten der schönsten Blumen wird Dich dann umgeben. Weißt Du, wer die Pflanzen sind? Ich lasse Dich raten. Wunder sind es, die Deine Schwelle überschreiten werden. Gott zum Gruß! Donnerstag, 8. Nov. Heute im Kloster Murlingengasse gesungen. Gut. Samstag, 10. Nov.206 {Und …}207 Heute 7 Jahre, daß der Brief vom Kind kam! Mir träumte täglich von ihr. Heute erster Schnee! Bei Prof. Kisser. Ich möchte oft allein sein und denke immer an die Probe, an die Prüfung des Schweigenkönnens! Damals im 34er Jahr zu Weihnacht beten – aber nicht Ihm zuge[...]{führt}208. Es wäre recht gewesen, denn Sept/Nov 35 galt das Gesetz. O, ich habe Ihn nicht verstanden. Ist mein Gebet jetzt Nutzen? Wie danke ich doch den Seelen! Sonntag, 11. Nov. Heute ganz allein daheim! Ich habe gejaust, mich gut angegessen und nun will ich schreiben. Heute träumte mir von einem etwa […]{10} Monate alten, dicken, blonden Baby. Aus einem Brief an Wagner: [Brief]

Ich wünsche mir eines, daß die Völker aus all dem Elend die richtigen Lehren gezogen haben und nun wirklich einem Völkerfrieden entgegengehen. Die menschliche Natur, die wir leider noch zu wenig erforscht haben, geht natürlich andere Wege, deren Gesetzen wir noch nicht auf der Spur sind. Sie sind{ist} absolut besonderen Gesetzen unterworfen und nachdem unsere moralischen Anschauungen metaphysischer und nicht chemischer oder physikalischer Natur sind, wird sich die Sache immer spießen. Wir leben nach mathematischen Gesetzen in unserem äußeren Leben und anarchistisch in psychischem. Daß da schwer Zusammentreffen möglich ist, ist verständlich. 206 Datum mit heller Tinte unterstrichen. 207 Mit heller Tinte eingetragen. 208 Mit königsblauer Tinte überschrieben. Großer Tintenfleck in derselben Farbe am Rand der Seite.

314   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

Sonntag, 17. Nov. Ich lerne aus dem Hiersein der Mutter sehr viel, sehr viel. Immer ist es nicht leicht und ich wünsche mir nur eines: kein böses Herz. Ich habe mich nicht umsonst gefürchtet. Sie ist noch so wie einst: verbogen. Wahrscheinlich als Anschauungsobjekt für mich. O gestern beim Antonius.209 Komm zu mir, sagte er, wenn Dich etwas bedrückt. Die Sache mit der Tante {F}210. Ich soll lächeln, sagt Wladzko. Ich will es. Auch wenn es manchmal schwer geht. In der Ungerechtigkeit liegt viel verborgen an Kraftgesetzen. Der Mann hat Angina pectoris.211 Ich will ihm alles so schön wie möglich machen. Seit Freitag 9. weiß ich es. Am Mittwoch, Differenz wegen Mutters Hineinfahren {Dienstag}. „Ich traue mir schon gar nichts mehr zu tun“, und tut ununterbrochen für sich! Mittwoch, 21. XI. 45 Heute in Hetzendorf gespielt – und nicht gesungen. In Demut leben ... Dann zu Strunz’ Tante Anna. Ein Roman! Nach 37 jährigem Warten fanden sich die 2 Menschen! Und hernach zu Lisi und durch Schönbrunn! Wie dachte ich an einst und wie ich vor einem Jahr dort ging, nicht ahnend, nicht hoffend, daß ich nach einem Jahre wieder heimgehen werde, heim in die Sandrockgasse. Was wird in einem Jahre sein? Ach, ich vertraue auf Ihn und auf die Seelen, denn sie sagen: [Stimmen]

Rosa am 20. XI., Dienstag: Ich kann Dich gut leiden, da ich die Liebe bei Dir fühle, die Du ausströmst. Wenn die Menschen alle so viel Liebe spenden würden wie Du, dann könnte die Welt bereichert werden durch dies göttliche Gefühl. Du wirst belohnt werden wie noch keine Frau. Dir blühen Rosen überall wohin Du trittst. Gott zum Gruß! Wladzko: Dich begrüße ich wieder. Der Tag, der mich zu Dir geführt hat, kann von Gott geliebt und gelobt von mir sein. Du, die das Leben mit Rosen windest, hast mich erwecket von einem Schlaf, der mir wohl getan hat, mich aber reif gemacht hat für Taten und für Worte, die jetzt nur Dir gelten. Ich will für Dich das Leben so gestalten, daß nur mehr Freude wie ein Strahl der Sonne eindringen kann. Mann, der befreit wurde, von der Last der verbrecherischen Welt, kann das Leben nun unter waltenden Geschehnissen, das{ie} Gott gibt, verbringen. Du selbst mußt noch das schauen, was Deine Augen verklären wird. Es gibt ein fernens Land, ein Haus, das birgt den kostbarsten Besitz von Dir, die Rosen ranken sich dort in die Höhe, die Vögel pfeifen dort einen Gesang, der froh das Lächeln erweckt auf Stirnen, die froh, heiter und schön die Sonne erwarten. Diese hohen Stirnen gehören einer treuen Seele an, die lachend das 209 Für: Heiliger Antonius. 210 Mit Bleistift nachgetragen. 211 Mit königsblauer Tinte unterstrichen.

1945   315

Zusammensein wünscht mit Dir und dem Vater. Diese Stirnen vermehren sich nun um wieder eines. Eine kleine, eine größere, die größte aber gehört dem schönen Kind, das der Mutter entgegen lacht, entgegenweint. Du wirst sie schauen, alle, welche Sehnsucht nach Dir haben: Warte noch ein Weilchen, Wind wird Küsse hertragen, Wind wird Dir Liebe herfegen, Wind wird endlich sie selbst herbringen. Dann wird das Glück den Höhepunkt erreichen. Du wirst es fühlen, wie kaum je eine Mutter. Gott zum Gruß! Samstag, 24. XI. Ich bin allein daheim. So schön! Ich grüße den Nußbaum. Gestern mit Hilda im Theater. Die Conways und ihre Zeit. Leider nicht viel gehört, trotz der guten Sitze. Bei Hilda geschlafen. Kalt, Kalt. Die Sache mit Janthe und Frau Dr. C. Ach, wie schrecklich, wenn ich nicht mehr mit Wladzko sprechen könnte! Er wird es aber möglich machen. Die kurzen Tage … Am letzten Novembertag Ich sitze wie einst beim Schlafzimmerfenster und schaue der sinkenden Sonne zu. Ich lerne enorm aus dem Hiersein bei der Mutter. Seit vorgestern Gas!! Mittwoch, 4{5}. Dezember212 Bald werden die Tage wieder steigen. Gestern: [Stimme]

Rosa: Es gibt im Leben eine Kindlichkeit, die nicht abzustreifen ist. Das ist das Vertrauen zu Gott. Von Kindesbeinen an soll das Kind Gott lieben und Gott vertrauen. Der Mensch als Erfahrener, Erwachsener soll dieses kindliche Gefühl beibehalten. Er wird dadurch in allen [...]{L}agen des Lebens willenstark und gefestigt sein. Der Wille, geleitet durch Gottes Liebe wird Ihm das Zeitgeschehen leichter gestalten. Nach dem Gesetz machen die Menschen sich das Leben leichter, die für die Taten der anderen ein verständnisvolles Gefühl haben, für die anderen sich einsetzen, für sich aber die Richter sind, die ihr Urteil fällen über sich selbst. Dann geht das Leben gut vorbei, geleitet durch die Liebe Gottes. Dies wollte ich Dir sagen, es ist gut so. Gott zum Gruß! We l c h e M a h n u n g ! Wie lernte ich! Heiße Tränen weinte ich heute und flehte um Sein Erbarmen, Sein Verzeihen, Seine Hilfe. 212 Eintrag auffallend ausladend geschrieben.

316   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

[Stimme]

Wladzko: Dir geben rote Rosen, nach Weltereignissen Rosen, mein Kind, nur immer Rosen sollen Dich begleiten auf den Wegen, die Du gehst. Keine andere Blume ist für Dich so gewachsen wie die Rose. Ihr Duft weckt Erinnerungen an die Zeit, in der wir beide einen gemeinsamen Weg gewandelt sind. Kurz war er, aber erfüllt vom Duft herrlicher Blumen der Natur. Dich vergleiche ich mit jener Pracht, die einen Kranz von Harmonie über die bringt, welche in Deiner Nähe weilen. Dein Geist, Dein Herz, Dein Sinn sind getaucht in Duft und dieser Duft fließt auch in Länder, die Kind und Kindeskinder bergen. Sie fühlen Deinen Duft, der über sie Ströme der Liebe ausgießt. Ihr Haus muß erfüllt sein von diesem Trost, der von Dir kommt. Sie braucht diesen Trost der Mutter, da die Sehnsucht größer ist, als die Freude. Hoffen Dich zu umarmen und ich sehe die Erfüllung ihrer und Deiner Wünsche. Denn Du bist gesegnet wegen Deines Herzens, wegen Deines Sinnes, Deiner Liebe, die überall hinströmt, wo sie gebraucht wird. Erhaben stehst Du da, geliebt von denen, die Dich kennen. Gott mit Dir. Gott zum Gruß! Samstag, 8. Dezember Es schneit und -6°. Früh -9°. Die kürzesten Tage. Es ist so schön, beim Fenster hinaus zu sehen, wenn die Flocken tanzen. Mittwoch, 13{12}. XII. Heute früh tiefer Schnee, jetzt um ¾ 3h Sonne. Ich sehe ihr zu, wie sie scheidet. Die schönen Gedichte von Karl. Das Zimmer warm. Gestern Messe in der Antonius Kapelle. Ich gedachte sehr Trestl Großvater, dessen Todestag (40) war. Ich bin allein daheim. Die alten Bücher! Daß mir dafür Vergebung wird! Immer schaffen wollen. Nein, Fenster putzen, damit213 die Enkelkinder steigen! Donnerstag, 13. XII. Heute wieder acht Sonette von Karl. Unbeschreiblich schön! Heute las ich in der Schottenkirche: „Achte, wie Du über andere urteilst; gewöhnlich sprichst Du damit Deine eigene Verurteilung aus. Auf die Urteile jener, denen Du zuwider bist, mußt Du besonders achten, denn die sehen genau und urteilen schärfer. Im Übrigen lerne aus Deinen Fehlern. Höre auf jene, die Dich {auf sie} aufmerksam machen und bete für sie als Deine Wohltäter.“ Die kurzen Tage. Dank für alles. Mittwoch, 19. XII. Sonne, schöne, warme Tage, +12°! Bald, bald wendet {sie} sich. 213 Tintenfleck über dem Wort „damit“.

1945   317

Ich habe gestern über Ernst Stahr Nachricht bekommen. Er hatte mit Müh und Not sein Leben gerettet, das Haus in der Taft Avenue brannte, in dem er wohnte. Die Familie, mit der er lebte, Mann, Frau und Kind, wurde von den Japanern mit{durch} Maschinengewehr erschossen. [Stimme]

Rosa sagte gestern:214 Dich hat Gott lieb, da Dir das Höchste gegeben wurde, was Menschen besitzen können, das ist ein Herz, das nie versagt im Kleinen oder im Großen. Weltgeschehen, das die Menschen trifft, für Dich kam das [Ortswerben] wie ein Wunder, da Du den Platz bekommen hast, der Dir zukam. Er wird Dich immer mit Glück umgeben. Das Haus birgt Segen, der Mann kann den Segen empfinden, Du bringst ihn. Für Dich kamen die Wunder wie ein Strom hernieder. Das größte Wunder aber wird geschehen, wenn das Wiedersehen mit dem hell zengenden Kind stattgefunden hat. Dieses Kind hat die reine Seele der Mutter mitbekommen. Wie ein silberner Faden leuchtet diese Seele, wickelt sich in Sehnsucht um Dich und Ihr seid verbunden wie wenn die Gegenwart wäre dieses wundervollen Wesens. Kinder sind rasch erzeugt, nicht rasch erzogen. Zerrungen von bösen Menschen gibt es viele auf der Welt, aber Dein Kind ist frei von jeder Zerrung. Leicht fließt das Wort, leicht fließt das Gebet von ihren Lippen, das Dir gilt. Deshalb mache Dich zollfrei von bösen Gedanken; nie mag ein solcher Deine Seele niederdrücken, da Willen von dem Kind ausgeht, Dich glücklich zu machen. Nie erfährst Du etwas Böses. Dein Geschick ist besiegelt, es lautet: Glück für Dich, für den Mann, Glück für das Kind, Glück für die Kleinen. Was willst Du mehr? Du bist erkoren durch Deine reine Seele, die Menschen glücklich zu machen. Gott zum Gruß! Wahrlich, was will ich mehr? Nur danken und würdig sein. Samstag, 22. Dez. Sonnenwende. Die Mutter fuhr heute nach Neudegg. Ich bin voll tiefstem Dank. Ich habe Ruhe und Essen. Mein Herz ist oft unruhig und nicht gut gewesen. Gebet und Bitte an die Seelen. Mir träumt so oft vom Kind. Ferne, vage. Geduld und Vertrauen! Ich soll Deine Hand nicht auslassen, Herr! O, verzeihe Deinem Kind, verzeihe. ½ 11h, Weihnachtsabend Wir waren bei Jelinek. Vor 7 Jahren. Nacht der hohen Sterne ... Bei Otto am Friedhof. Die arme Eli! Dann zu Edith. An{Bei} dem Haus in der Blaasstraße vorbei. 214 Großer Wasserfleck auf dieser Seite. Eintrag zunehmend ausladend geschrieben.

318   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

Ja, vorbei, vorbei. Beten für Kind, Bitte um Vergebung … Dienstag, Weihnachtstag 25. XII. Heute in der Quellenstr. In der Notkirche gespielt. Frl. F. sang … Mein Herz ist frei. Wie froh bin ich darob! Jetzt schöne Übertragung von „Othello“. Gut und genug gegessen. Ich bin zufrieden. Darf ich das sagen? Für Dich, Herr, als Dank, wenn ich Deinen Segen erkenne, wirst Du doch nicht zürnen. Ich werde mich jedoch vor Überheblichkeit hüten. Da strafst Du erst. Ich gehe immer mehr zurück, um Dich anschauen zu können; ich dränge mich nicht vor – der Strahl Deiner Gnade, o, den wende nicht von mir ... O Herr, ich habe Geduld, ich dränge die Bitte zurück. Du wirst es {mich} wissen lassen, wenn ich es verdiene … Ich warte, ich warte und schaue auf Dich. Ich habe ja schon soviel gebeten. Wohl – bitte, so wird Dir gegeben werden ... Nun, so bitte ich doch, weil Weihnachten ist und brave Kinder beschenkt werde ... Ich bin wohl kein braves Kind, aber unbescheiden, wie eben Kinder sind ... Dein Kind Herr… Sonntag, 30. Dez.215 Der vorletzte Jahrestag und welch ein Geschenk! Der internationale Postverkehr wird ab 2. Jänner aufgenommen! Ich habe heute dem Kind einen Brief geschrieben! Am Mittwoch in der Murlingenstraße! Ich sang nebenher. Frl. F. sang meinen Part. Mein Herz war frei und wahrhaft neidlos. Dann ging ich auf den Hietzinger Friedhof. Die Tage schön und warm.216 Am letzten Jahrestag {1945, ¾ 12h nachts}217 Bis jetzt waren die Jelineks bei uns. Es geht zu Ende dieses schwere Jahr.218 Es schneit. Es kommt ein neues. Gruß den Kindern, Gruß, Gruß. Danke Dir, Herr, Dank, Dank. Sieh in mein demütiges Herz! Neujahr {1946}219 Mit Gebet ins Neue Jahr, da ich nicht in der Kirche gewesen bin. Dafür war ich heute früh in dem schönen Gotteshaus im Kloster und betete, betete. 215 216 217 218 219

Eintrag auffallend unregelmäßig geschrieben. Satz mit dunkler Tinte geschrieben. Datumsangabe mit heller Tinte eingefügt. Eintrag ab diesem Satz mit heller Tinte und in auffallend großer Schrift geschrieben. Mit Bleistift nachgetragen.

1946   319

Ich fühlte mich so wohl dort. Als alle gegangen waren, kniete ich nieder und flehte um Segen. Ich schloß die Augen und Segen träufelte auf mein Herz. Donnerstag, 3. Jänner Heute schneit es. -3°. Gestern war es kalt. Den ganzen Tag in der Stadt. Bei Janthe, Proben. Janthe unduldsam. Daheim gemütlich, heute recht warm. Freitag, 4. Jänner220 Heute Nacht der Traum vom süßen Kind, das wie das Liserl aussah. Das Naserl {die Locken} [...]{alles} so wie damals, als es den Hut der Puppe bei Spiegel aufhatte. Sonntag, 6. Jänner Seit gestern kalt. -9°. Heute ein wenig wärmer, -7°. Doch Sonne bei Tag. Der junge Mond hängt am Himmel. Die Freundin von Emma war mit ihren zwei Kindern bei mir gewesen. Wir haben noch Kohle, nicht viel mehr, doch so viel, daß wir nicht frieren. Mittwoch, 9. Jänner221 Heute mein 31. Hochzeitstag. Kalt. 7° minus. [Stimme]

Gestern sagte Wladzko: Ich führe Dich zu dem Leben wie ein Hirt der die Herde leitet, eine gute Herde, eine feste Herde, eine weite Wiese beherrschende Herde, eine Welt von Panzern, die (Tage) Tor und Tür Deines Hauses öffnet, Tore schmückend um Dich liegend. Meine gute Freundin222, Dich lasse ich zu neuem Geschehen in dieser Welt reif werden, da Deine Stirn tiradenhaft umgeben ist von Reihen von Lorbeeren, die Du Dir im Geschehen der Welt erworben hast. Liebe, Treue, wohltuende Freundschaft, Hilfe zeugen bei Dir für diese unsterbliche Pflanze. Nun kann Dein Haupt sich erheben. stolz kannst Du blicken auf das Ende dieser Ereignisse, die Du mit Tugenden ohnegleichen überstanden hast. Ich werde223 Dich nun in ein tatenreiches neues Leben führen, das für Dich Rosen, Lorbeeren, wohlriechende, duftentfaltende, warm von dem Sonnenlicht bestrahlte Pflanzen umgeben wird. Ziel Deines Lebens ist das Kind. Es naht sich das sieggewohnte Kind den Gestaden der Heimat. Bald rüsten sie zum Aufbruch, das Kleinste muß noch die Brust der Mutter fühlen, dann aber kann diese Holden nichts mehr zurückhalten. Zahlen kann ich Dir nicht angeben, Orte kann ich Dir nicht nennen. Aber ich sehe Wahltreffen für Zeit, für Orte. Dich erwarten dabei die größten

220 221 222 223

Eintrag auffallend unregelmäßig geschrieben. Eintrag zunächst auffallend unregelmäßig geschrieben. Eintrag ab hier gleichmässig geschrieben, Wasserfleck auf der Seite. Eintrag hier – vielleicht durch Tränen – verwischt.

320   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

Freuden. Ich verspreche nichts, was ich nicht halten kann: Das aber kann ich versprechen, daß Du eine hochbeglückte Mutter sein wirst! Gott zum Gruß! 12. Jänner 1946 Seit gestern Tauwetter! Gestern +12°. Heute ebenso +5°, mittags +12°. Gestern Begräbnis des alten Glaßl. Vorgestern so kalt! Das erste Mal sehr gefroren. Wieder Orgelstunde. Gestern Ablehnung der Märchen von Frick. Zu Jugend und Volk. Ich will nichts sagen. Beim Grab von Wladzko.

1946   321

Auszug aus dem Tagebuch Nr. 14 von Therese Lindenberg, 12. Jänner 1946 bis 8. Mai 1947 Das Tagebuch ist ein kartoniertes Heft mit linierten Blättern (82 Seiten) im Format 20,5 mal 25 cm. Der Einband ist grün-schwarz marmoriert gemustert, am Deckblatt ist ein schulheftähnliches Etikett angebracht. Die ungeraden Seiten sind nummeriert (mit geraden Zahlen, beginnend mit „2“). Die Einträge sind meist mit blauer Tinte und in Lateinschrift geschrieben. Das Schriftbild ist sehr wechselhaft. Auf der Innenseite der Deckblätter sind Auflistungen/Abrechnungen eingetragen. Unter dem Titel „Mutter“ werden hier exakt 50 verschiedene Datumsangaben gemacht, deren Zeitraum sich vom 27. April 1945 bis zum 26. Dezember 1955 erstreckt. Da dieser Zeitraum weit über jenen der Edition hinausgeht, die Listen teilweise mit Klebeetiketten überklebt sind und zudem die Hintergründe dieser Einträge nicht restlos geklärt werden können, wurde hier von einer Wiedergabe der Auflistung abgesehen. Im Tagebuch befinden sich gepresste Blumen sowie 3 Korrespondenzstücke aus späteren Jahrzehnen als Einlagen. Der im Folgenden gedruckte Text aus diesem Tagebuchband korrespondert nicht mit dem Ende des Tagebuchs (8. Mai 1947), sondern mit dem letzten Eintrag im Typoskript „Die apokalyptischen Jahre 1938–46“ (25. August 1946) und entspricht 40 Tagebuchseiten. [äußeres Deckblatt]

No. 14 beg. 12. Jänner 1946 beendet 8. Jänner 1947 [inneres Deckblatt, links]

(…)224 [inneres Deckblatt, rechts]

M. G. No. 14 beg. 12. Jänner 1946 beendet 8. Jänner 1947 481 Tg. (…)225

224 Auf den Innenseiten des Deckblattes befindet sich eine doppelseitige Auflistung/Abrechnung. Diese wurde hier nicht übernommen, siehe Legende. Die Innenseiten des Deckblattes sind im Original mit Schulheftetiketten zusammengeklebt. 225 Auflistung wie auf der inneren Deckblattseite, links.

322   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

[Tagebucheinträge]

Samstag, 12. Jänner 1946 Draußen frühlingshaft. Ich höre jetzt im Radio eine Übertragung der Bohème. Welch süße Oper, die{se} Zärtlichkeit der Musik! Es gibt keine Hefte, ich suchte dieses alte Buch beim Mann heraus. Ich sorgte mich die letzten Tage direkt, kein Buch zum Schreiben zu haben. Die Briefe an Carl – welch Erfüllungen! Sonntag, 13. I. Es regnet. Ich sitze beim Fenster und schaue hinaus. Zum Anninger. Im Sommer 41 sah ich von dort herab, nicht ahnend, daß ich im Sommer 45 wieder hinübersehen werde. Der Turm der Gießhübler Kirche! Donnerstag, 17. I. Seit Montag kalt, kalt. -8, 10°. Wir wenig zum Heizen! Sonntag, 20. I. Heut in der Minoritenkirche gesungen. Zurück gewiesen. Es macht aber gar nichts. Nur nicht beleidigt spielen. Schwierigkeiten nicht schwer nehmen. Heute 0°. Doch in der Wohnung kalt. Jetzt allein. Der Mann bei Babek und ich, wie ich es gerne tue und so gerne bin: allein, kramen, schreiben, essen. Der Mann leidet an seiner Krankheit und wird doch nicht sanft. Das ist das Schicksal, das blind macht.226 Wenn nur ich immer aushalte! Die weiße Welt. Ich kann nicht genug beim Fenster hinausschauen, in die weißverhangene Welt! Sonntag, 27. Jänner Kalt, kalt, wir haben fast nichts zum Heizen. In 2, 3 Tagen haben wir nichts mehr. O Herr, laß die Sonne scheinen! Meine Hände! Geschwollen, voll Wunden. Und voll Dank. Immer, immer. Vorgestern ein Suchblatt227 für Lisl ausgestellt (beim Roten Kreuz). Edith hat das Lokal! So nett. Und bei Janthe. Für mich gute Schule. Von Carl Briefe, nette, weniger nette. Die schönen Sonette. Samstag, 2. Februar Am Mittwoch, 30., Brief von Strunz!! Seit gestern warm. Die Sonne scheint! Wir haben nichts zum Heizen.

226 Mit Bleistift unterstrichen. 227 Mit Kugelschreiber unterstrichen.

1946   323

Draußen in der Sonne +20°. Heute wieder einmal in Hetzendorf. Nasse Füsse. Das Kind von Roswitha. Bei Zehendner. Das Haus geht über vorn Kindern. Dann zu den Verwandten von Strunz. Hernach in die Kirche, in der ich morgen spielen soll. Endlich nach Hause. Sehr müde. Ich sah im Garten bei Zehendner eine Meise. Die Amseln rufen, vielmehr, sie beginnen zu rufen. Donnerstag, 7. Februar Heute Briefe von Lisl! Vom April, Juni und November 1941! Erst diese Freude. Dann Enttäuschung? Nein. Doch Freude, Bilder waren im Brief. Dank, Dank Dir Herr – und den Seelen! Samstag, 9. Febr. Gestern Vaters Todestag. Mit Zaudern zur Beichte. Und dann so frei! Dank, immer Dank. Die Bilder vom Kind. Bezaubernd! Warm! +10–12°. Sturm! Gestern bei Janthe. Sprang von Haus zu Haus, Ziegel flogen, Häuser setzten sich in Bewegung. Wie gerne bin ich daheim! Es frühlingt sehr! Mittwoch, 13. Febr. 1946228 [Telegramm]

Lise, Hans, Helen and Ruth allright. All burnt, Manila fire, longing to see you soon. Will try everything. Money available. Kisses from all, Lise, Hans. 4 1 9 Pa r k A v. Pa s a y. 17. August 1945. Dank, Dank, Dank. Freitag, 15. Februar Nun weiß ich, daß die Kinder leben, den Krieg überstanden haben! Wie soll ich danken? Bescheiden sein und helfen. Gut sein, wirklich gut sein und geduldig. Die Seelen! Ihnen auch Dank. Heute frühlingt es nicht mehr, denn es schneite seit gestern. Mittwoch wieder Beichte. Ich soll mich nicht übernehmen, weil ich vermeinte, ich müsse etwas aus Dankbarkeit unternehmen. Rochuskriche.

228 In auffallend großer Schrift geschrieben.

324   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

Wie richtig: sich nicht übernehmen. Man kann und soll immer rechts und links schauen, da gibt es genug zu helfen. Nun bin ich doppelte Großmutter. O Herr, Schutz, Schutz den Kindern und uns. Dienstag, 12. II. [Stimmen]

Rosa: Erwachet, Kerzen zündet an, machet die Herzen auf, wandert nach dem Platz, der Euch von Gott gezeigt wurde. Er wertet Eure Gedanken wie reines Gold. Platz für Euch ist dort, wo Gott mit seinen Kräfteaufwand seine rettenden Wunder für Euch bereit hat. Kind segnet diese Plätze, da sie sieht, daß Gott die liebe Mutter gesegnet hat, den geliebten Vater mit der Kraft der Wunder leben ließ. Kind mittelt Worte siegreich durch den Äther. Werden die Worte kommen, so werden die Tränen der Freude fließen; werden die Tränen fließen, so öffnen sich die Tore des Himmels. Haben die Kinder das Leben erhalten, so öffnen sich die Herzen der Eltern mit Freude, da sie wissen, daß die Gemeinde der Familie größer geworden ist. Du gebe den Menschen Frohsinn, gebe Wohltaten, gebe den großen, hellen, leuchtenden Stern aus Deinen Augen. Sie sollen ewig denen leuchten, die um Dich sind. Gott zum Gruß! Valerie: Meine gute Freundin, ein gutes Haus kann nie einfallen, eine gute Seele kann nie krank werden, ein liebes Menschenkind kann nie in Abgründe fallen. Gott liebt die, welche ihn lieben. Dich {liebt}229 das himmlische Wort mit neuen reifenden Freuden, die für Dich in Wirklichkeit getauscht werden. Untadelbar sind Deine Handlungen wie Deine Worte; deshalb gehst Du ein in die Liebe Gottes, die für Dich nur gute Früchte auf den Tisch des Lebens stellt. Gott zum Gruß! Donnerstag, 21. Febr. Es schneit, es schneit! Montag ein Sturm, wie noch nie! Ein Orkan, 150 km Stunden­ge­ schwindigkeit. Ich in der Stadt, lebensgefährlich. Konnte nicht erfahren, wo Pasay ist. Aber dafür vorgestern erfuhr ich durch Hilda, die im Radiotelegraphischen Büro in der Renngasse war, daß P a s a y a u f L u z o n i s t 230 und man in 1–2 Wochen dorthin telegraphieren kann. Herr, o Herr. Mein Dank kennt keine Grenzen. Jetzt: abzahlen. Erstens einmal nie und nimmer ungeduldig sein, auffahren oder dergleichen, dann: Höchste Wahrheit – und Bescheidenheit.

229 Mit Bleistift eingefügt. 230 In auffallend großer Schrift geschrieben.

1946   325

Dienstag, 26. Februar Gestern der Brief von Carl. Welch herzloser Mensch! Aber arm. Ich möchte am liebsten nichts mehr mit ihm zu tun haben. Ich kann gar nicht antworten. Doch darf ich nicht vergessen, was schön war! Ich bin heute nicht zufrieden mit mir. Ich war nicht so ruhig, als ich es wünschte, bei Hilda ein wenig prahlerisch von wegen Janthes Pelzmantel u.s.w. Wo ich doch so schöne Botschaften bekam, denn es sagte: [Stimmen]

Wladzko: Die Orte, die nun gesegnet sind durch uns, kamen Dir in die Nähe. Sie kamen deshalb, um Dir zu sagen, daß die Menschen, die, wenn noch so fern, den Glauben an ein Mutterherz nie verloren haben. Sie kamen in Träumen, sie kamen im Wachen, sie kamen in Not, in Gefahr, in schöner, blumenbestickter Wiese, den mit sternenartigen, bissigen Blättern besetzten Pflanzen, Wiesen nach Rosen duftend, Perlen der Natur, zarten Pflänzchen, holden Sprossen, guten Geistern, die das umgeben, was Dir lieb ist auf der Welt. Das alles kam zu Dir, Du fühlst es, Du atmest dieselbe Luft in Gedanken. Nun bringen sie Dir bald die Luft an Dich heran und Du genießt das Leben doppelt mit den doppelten Kinderchen, die Dir das Wiesengrün geschenkt hat! Gott zum Gruß! Rosa: Ich werde durch Dich stark. Ich bin auch ein Pflänzchen gewesen, aber ich ging wieder dorthin, von wo ich kam. Deine Pflänzchen gedeihen jetzt auf einem fruchtbaren Boden, später bei Dir. Wenn auch der Boden nicht so fruchtbar sein wird, wie dort, wo sie aus der Erde hervorgingen, so wird doch Dein Wort ein Boden sein, der für sie fruchtbar sein wird. Sie werden hier gedeihen unter der Sonne Deines Lachens, unter der Sonne Deiner Liebe! Gott zum Gruß! So herrliche Botschaften und bin ich dankbar genug? Nein. Also Besserung. Sonntag, 3. März Der Frühlingsmonat, und morgen mein Geburtstag. Die Zeit rast und immer Dank. Die Briefe, die von den Freunden kommen! Donnerstag, 7. März Diese Freude vom Herrn! Immer spüre ich Seinen Segen. Der Frühling kommt, wenn auch zögernd. Aber im Garten singen die Meisen und die Knospen sind dick und fett. Samstag, 9. März Heute frühlingshaft. Sonne, blauer Himmel. In Dankbarkeit erglühendes Herz im Kloster, als ich zu Kisser ging. Wie mir ist, wenn ich die Amseln flöten höre und die alten Wege gehe.

326   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

Ist es möglich, sage ich immer wieder und: danke ich g e n u g ? ! 231 Dienstag, 12. März [Stimmen]

Wladzko: Die Gitter sind offen, die helle Sonne strahlt durch sie, taubenetzt die geschlossenen Blüten der Rosen. Ein Sonnenstrahl, sie brechen auf. Wenn sie aufgebrochen sind, dann erstrahlen die wissenden Augen der teuren Kinder vor Freude, denn dann wissen sie, daß sie das Herz der Mutter bald erschauen dürfen. Ziel ist der Ort, der eingerankt ist vor heimatlichen Pflanzen; sie duften wohl nicht so wie die Blumen in dem fernen Land, aber sie sind ein Stück der geliebten Heimat, die immer ersehnt, erträumt, erschaut wird. Dein Glück naht, Dein Wunder erfüllt sich ganz. Du Frau, die reiner ist als alle Menschen, die das Weltgetriebe erfüllen. Reinheit der Seele, ein seltener Begriff. Dich umfaßt eine Welt der Reinheit, die durch keinen trüben Morast gezogen werden kann. Laß Dich nun so wortreich grüßen wie einst in vergangenen Tagen; wo die Rosen Dich umrankten, die Winde Dir Grüße brachten. Heute bist Du von mir so geliebt wie einst! Gott zum Gruß! Rosa: Ich bin klein, aber nicht meine Seele, die gewachsen ist durch das, was Gott mir eingegeben hat. Die Kraft habe ich erlangt durch die Gedanken von Dir und ich danke Dir und ich werde Dein Leben so führen, daß nie ein Wind durch die Bäume streichen soll, die um Dein Haus stehen. Ruhig soll der Weltwind um Dich sein. Du darfst ihn nie fühlen. Rastlos sind wir mit unserer Kraft bemüht, Lächeln auf Deinem lieben Antli{t}z hervorzurufen. Es gelingt uns, es wird uns immer gelingen. Sonne muß aus Deinen Augen stets leuchten, kein Schatten darf darüber fallen. Sonne bedeutet Leben; Tau bedeutet Weinen. Tau gibt es nicht für Dich, Tränen darfst Du nicht weinen, da Dein Leben Sonnenlicht webt. Mauern, Wände stark, turmhoch umgeben Dich Deine{ihre} Knospen. Zart ist die Pflanze, warm geborgen in der Liebe der Familie. Sehnsucht im Herzen, Erfüllung der Wünsche. Kind wandert bereits in den Gärten Deines Hauses. Siehe, wandeln, wandeln wird sie bald körperlich; jetzt siehst Du ihre Seele, bald den Körper. Gott zum Gruß! Sonntag, 17. März 46232 Ich war heute in Maria Enzersdorf. Die Beichte. Am Abend vorher Gabe an Wladzko, doch mußte ich es sagen, der Lust wegen. Jetzt Bitte an ihn, er möge deshalb für mich bei Gott bitten, er möge verzeihen. Getröstet. In Enzersdorf kalt und rau. Ich ging nicht zu meinem Platz; ich dankte nur. Mir ist jedweder Dank zu wenig und dann, wenn man, wenn Er etwas verlangt, was der Mühe wer ist, Kraft bedarf, dann versage ich doch, ich armes Kind. 231 Zentriert geschrieben. 232 Eintrag auffallend unregelmäßig geschrieben.

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Von Carl sind die Michelangelosonette und „Das höchste Gut“ angenommen worden. Teils große Freude, teils noch nicht die Ungerechtigkeiten verwinden können. Oder doch. Aber ich will wenigstens persönlich nichts mehr für mich und das ist viel. Dienstag, 19. III. Heute das erste Mal im Garten gesessen, gearbeitet, gestrichen. Strahlende Sonne, doch kühl. Wie gerne bin ich daheim, wie ungern fahre ich in die Stadt! Sonntag, 24. März Schöne Tage, Frühling ist’s. Der Garten, der Garten! Ich küsse die Zweige der Bäume. Fest Grüßen! Morgen: Luftpost mit den Philippinen!! 26. III. Heute der erste Luftpostbrief an das Kind! 19,50. [Stimme]

Wladzko sagte heute zu mir: Heute kam ich zu Dir, um Dir die Liebe derer zu tiefst sagen zu können, welche in der neuen Welt Dir Treue und heiße Wünsche schicken. Meine Freundin, Du kannst in die Herzen der Menschen schauen, melden sollen Dir Deine Gedanken, wie ein Herz aussieht. Nicht immer helfen die Worte dem Menschen sich zu {ent}hüllen, sein inneres Leben spiegelt in den Zügen. Oft kann man die Lüge, die Falschheit, Zorn daraus erblicken, oft die Güte, die Liebe, die Hoffnung auf eine Wandlung der Seele. Weil Du ein Mensch bist, der in der Welt den besten Platz einnimmt, deshalb kamen die Worte der Liebe nur immer aus Deinem Mund. Das, was ein Werk der Bösen ist, kann nie {D}eine Straße kreuzen, denn Du hast die Kraft erhalten, das Böse von Dir und denen abzuhalten, die noch in den kleinen Schuhen stecken, die sich nie in große wandeln können. Zorn packt die Menschen, die Gott nicht kennen. Liebe geht von denen aus, die in Gott leben. Du wirst nie ein ortsfremdes Ziel suchen, da Du festgenagelt bist, wo das Gute wohnt. Die fernen Ziele sollten die Menschen lassen, denn sie können keinen Segen bringen. Mein Kind, was ich Dir sage, panzert Dich vor Neuem. Mache Dein Leben nicht anders, weil Tag- und Nachtmensch so sein soll, wie Gott es will. Ein karges Leben kann es für Dich nie geben, da Du reich an Liebe, Würde der Seele bist. Kann ein Reichtum größer sein als dieser? Dein Kind wird Dir gleichen, wenn die weichen Wangen noch voller geworden sind, wenn die Seele reifer geworden [...] ist, dann wird die Rose ihre Farben in noch sattere Töne kleiden. Du wirst die Freude erfassen, Pflänzchen erblühen, Rose erglüht, die Mutter wird sie alle pflücken mit der gütigen Hand. Gott zum Gruß! Sonntag, 31. März Ach heute ein Tag, nicht zu beschreiben! Goldene Sonne, Vogelsang. Den ganzen Tag im

328   Therese Lindenberg. Tagebücher 1938–1946

Garten. Janthe da gewesen. Schöne Gespräche! Dank. Immer Dank – wohl auch Bitte: u m S e g e n ! 233 Freitag, 5. April Diese Tage!! Die Blüten, die Knospen! Alles neu! Am Donnerstag, 28., bei Fr. Singer, die schwer erkrankt ist. Am Montag, 1. April, wieder bei ihr, schwer erschüttert. Ein Teil meines Lebens geht mit ihr dahin. Gestern mit Edith im Votivpark. Gespräche. Heute frühlingshaft. Die zertrümmerte Stadt. Erst bei der Orgel in der Einsiedlergasse. Dann Schallergasse. Hernach bei Fr. Singer. Sie leidet. Berti. Soviel ist da zum Denken. Die Zusammenhänge. Immer die Zusammenhänge! Sonntag, 7. April Blüten, Blüten überall! Ich bin fassungslos vor Entzücken über die Blüten! Es gibt wahrlich nichts Schöneres als sie. Bis gestern heiß, schön, schön! Immer im Garten. Heute wohl Sonne, doch kühl und im Zimmer. Ich bin allein, gehe durch die schöne Wohnung wie einst. Dank, Dank, Dank. Das Blütenwunder vor meinem Fenster! Dank! Heute, gestern, vorgestern, vor einem Jahr! Wie wurden wir belohnt. Ich bete, bete unentwegt. Alles ist mir zu wenig. Heute satt. Kaffee, Konserve – gut. Dank. Bitte um Frieden, dauernden Frieden für die Menschheit. Freitag, 12. April Heute vor einem Jahr wurden wir befreit! Welches dankerfüllte Herz! Die Blüten vor dem Fenster! [Stimmen]

Am 9., Dienstag, sagte Valerie: Eine Seele ohne Fehler thront in Deinem irdischen Körper. Teure Freundin, wisse, daß nie der Glanz aus Deinen Augen verschwinden wird, da Du auserkoren bist, das Glück in Dir strahlen zu lassen und es weiter zu verbreiten. Welt peinigt die Menschheit, Dich aber kann die Pein nie treffen, denn Du stehst abseits von jedem sieglosen Geschehen. Deine Kinder, groß und klein, erobern wie Du das marterlose Leben. Ziel Deines Lebens ist das Lächeln Deiner Augen, die Freude über Dich und die, welche Du liebst. Gott ebnet Dir das zeitliche und örtliche Dasein, damit Du nie einen trüben Nebel vor Deinen lachenden Augen sehen musst. Gott zum Gruß! Rosa: Ein kleines Kind ist nicht immer schwach; ich bin eine Seele, die mit dem Alter gewachsen ist. Du hast mir Kraft gegeben, ich gebe Dir dafür das Geschenk, welches in der Gnade Gottes besteht. Du wirst Dein Leben genießen unter dem Segen einer göttlichen Hand, die das wieder zurückführt, was Deinem Herzen das Nächste ist. Rettung geschah, Rettung war, die Welt 233 Zentriert geschrieben.

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von dem reuigen, tatenlosen, sieglosen Volk zu befreien. Nun hast Du die Beweise bekommen, daß Dich ein Stern bewahrt hat, unter die Massen der gefallenen Menschen zu begraben. Du warst auserkoren, die Nähe Gottes zu empfinden, den Mann für Dich zu haben, der in Gefahr war, die marterreiche Zeit so zu überstehen, wie kein anderer, der verzagt wäre. Die holde Kinderschar, groß und klein, ist Dir wie ein Sonnenstrahl erhalten geblieben. Segen ruht auf Euch; er wird nie vergehen, Du wirst leben mit der Familie, die ein neues Heim bei Dir finden werden. Golden leuchten die Locken der Kleinen! Gott zum Gruß! Dienstag, 16. April Die Blüten, die Blüten! Mein Auge kann sie nicht fassen! Gestern abends im Vollmondschein am Flötzersteig. Sehnsüchtiges Herz. Samstag, 13., in Hetzendorf. Durch den Maxingpark. Wie lange bin ich ihm fern gewesen! Die Birkenkinder wirklich tot. Ein ungeheurer Krater an ihrer Stelle. Heute von Janthe ein Brief aus der Schweiz. Jeden Tag Danksagung, tiefste. Gründonnerstag, 18. IV. Heute Früh in der Klosterkirche. Konnte nicht kommunizieren. Schmerz, Buße. Abends bei Dr. M. Beichte. Welche Erleichterung! Die Tage, Sonne, Sonne, Blüten. Und abends die Sterne. Charfreitag, 19. IV. Das war ein Charfreitag, wie ich ihn noch nie erlebte! Blut und Tränen! Es blutete mein Herz und meine Tränen netzten die Christusstatue am Boden. Ich drückte meine tränenden Augen auf die fünf Wunden! Wie rein muß ich nun mein Herz halten! Wie klar sehen Seine Augen, Herzensaugen! Bete und wache! Bete und wache! Ostersonntag, 21. IV., im Garten Ich kann mich nicht erinnern, einen so schönen, einen so geruhsamen Sonntag erlebt zu haben. Die Bläue des Himmels, wolkenlos, wolkenlos und die Blüten, die Blüten! Wie die Bräute stehen die Apfelbäume rund um mich. In Sievering sagte ich einmal an einem unvergeßlichen Maitag zu den Apfelbäumen: „Ihr seid zu schön, Ihr seid zu schön!“ Und nun muß ich nicht weggehen – ich kann dableiben, ich darf dableiben! Dank, Dank, Dank! Vögel singen, Amseln flöten – es ist zu schön! Und darüber, daneben nichts. Ruhe. Kein Wagen, keine Stimme. Und ich hungere nicht. Am Freitag haben wir 3 Pakete erhalten – bis jetzt alles in allem 8 Pakete! Und 2 Orangen! Es ist sehr warm, doch nicht heiß. Dank Dir, Herr!

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Donnerstag, 25. IV. Vorgestern Frau Singer gestorben. Tief beeindruckt. Meine Jugend ging mit ihr dahin. Es ist herrlich blütenhaft. Doch kühl, in der Frühe kalt. Heute Orgelstunde. Zum ersten Mal ein Bachchoral. Wunderbar. Sonntag, 28., im Garten O Gott, Dank für die Schönheit des Gartensitzens! Gestern das Begräbnis von Frau Singer. Tief, tief beeindruckt, gerührt. Bei Wladzko. Ich werde ihr keine Schande machen. Freitag, also vorgestern, ist die Mutter gekommen. Die Mutter – Bewährung. Ich danke für die Hilfe von oben zur Bewährung. Im Garten, Donnerstag, 2. Mai Blüten. Mai, Mai. Es hat nun seit 6 Wochen nicht geregnet. Immer Sonne, immer unnennbare Schönheit! Mutter – Bewährung. Sonntag, 5. Mai Heute Monika.234 Gestern habe ich Die Todesmühlen gesehen. Ich werde sie nie vergessen. Dieser Hölle bin ich entronnen. Die Mutter – das ist die Bewährung. Oft fällt es mir schwer. Das soll nicht sein. Jetzt Gewitter, Regen. Seit Monaten der erste Regen. [Stimmen]

Am 23. IV. sagte Wladzko: Eltern kennen ihre Kinder oft nicht mehr, da der Tatendrang sie verändert, kennen sie nicht, da die Jahre sie verändern, kennen sie nicht, da die Züge von Leid durchdrungen, andere geworden sind, kennen sie nicht mehr, da Ruhelosigkeit Körper und Seele in andere verwandelt haben, kennen sie nicht mehr, da Hilflosigkeit das Gesicht, das teuer war, verzerrt hat. Diese Wolken, die über diese Kinder gekommen sind, haben Dich nie berühren können. Dich grüßen dieselben Augen, dieselben Haare, dieselben Mienen des Gesichtes, dieselben ruhigen Züge des geliebten Antlitzes Deines Kindes. Unverändert wird sie vor Dir stehen, das was sie war, ist sie geblieben. Dein Lächeln hat sie in der Ferne begleitet und dieses Lächeln ist ihr geblieben für die Zukunft, die sie mit Dir verbringen wird. Die Kleinen fangen dieses Lächeln auch schon auf und wissen, daß sie in den Schoß der geliebten Frau, ein schützendes, teures Gewähren von Liebe finden werden. Liebe strömt aus, Liebe wird 234 Neben dem weiter verbreiteten 27. August gilt auch der 4. Mai als Namenstag der Heiligen Monika. Therese Lindenberg dürfte dieses Datum mit dem 5. Mai verwechselt haben.

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empfangen. Der Ausgleich dieses Lebens, er findet den höchsten Sinn bei Dir. Gott zum Gruß! Rosa: Ich habe die Herzen der Menschen nicht kennen gelernt, da ich jung an irdischen Jahren die Welt verlassen mußte. Ich wurde aber eine Seele, die kennen lernte, daß das irdische Leben in keinem Zusammenhang steht mit dem Alter der Seele. Ich bin erwacht und kenne nun die Kraft der Seele, die imstande ist, das Nachteilige im Leben selbst zu meistern oder Hilfe zu geben, die ein irdischer Mensch braucht, um sich empor zu ringen zu der Einsicht, daß nur Gott die Macht hat, das Leben zu richten nach der einen oder anderen Seite. Vertrauen, Glaube machen den wesentlichen Bestand einer Selbstmeisterung. Gnade Gottes, Liebe machen die Hilfe von außen zu einem nötigen Quell des Schuztes über menschliche Geschehnisse. Du hast Beweise von beiden Seiten, sie bleiben Dir für Dein ganzes Leben. Gott zum Gruß. Dienstag, 7. Mai [Stimmen]

Rosa: Pilze wachsen im grünen Wald. Ich habe sie gerne gepflückt, für mich gab es keine giftigen, da ich ihrer Farbe wegen Gott dankte, daß er so schöne Pflanzen wachsen ließ. Giftige waren mein Entzücken und der Mund kam nicht in Berührung mit ihnen. Aber die Seele, denn wir müssen alle da sein – für die guten und für die giftigen. Menschen sind es alle, die guten und die bösen. Wir müssen uns der Bösen genau so annehmen wie der guten, deshalb sollen die Menschen nie harte Worte machen, denn die Worte der Zornigen kommen auf die verzweifelte Seele wie ein Blitz. Gute Worte würden die Seele läutern. Kein Mensch kann ohne gute Worte leben, denn er braucht sie. Giftige Worte soll der Mensch nicht verspritzen, da rotes Blut aus der gepeinigten Seele hervorspritzt. Du hast die Menschen richtig anerkannt, deshalb wirst Du den schönsten Lohn empfangen: das ist die Liebe aller, die Dich kennen. Gott zum Gruß! Valerie: Ich habe Dir zu sagen, daß Wille das Höchste tat, was eine Mutter an Willen hervorrufen kann. Wille wird von Gott {ein}gegeben. Man hat ihn wie ein Geschenk zu warten, kein Mensch hat das Recht, sich einen Willen mit Kraft seiner eigenen Seele anzueignen, da er nur von Gott verliehen wird. Der Wille kann für gute Taten verwendet werden, aber auch für die bösen Geschehnisse. Deshalb ist es klug, die Kraft so zu gestalten, wie Gott sie gegeben hat. Du hast sie erhalten zur Förderung des Guten; der Andere gibt dem Willen grauenvolle Dinge. Des Segens bist Du gewiß, des Fluches die Anderen. Beide aber sind von Gott gegeben. {Gott zum Gruß!}235 Sonnta Mittwoch, 8. Mai Heute ein Jahr, daß der Krieg zu Ende ist. Alles ist so schön. Ich danke sehr, sehr, sehr. Die Tage her kein freies Herz wegen Mutter. Ich kämpfe, ich bete, bete, bitte, daß ich es frei und gut bekomme. Kein Groll soll in mir sein. Der April seit 143 Jahren der heißeste. +13° Übertemperatur. 235 Mit dunkler Tinte eingefügt.

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Montag, 13. Mai Heute Brief vom Kind!!! Bilder, Bilder von meinen Enkelkindern! Dank, Dank, Dank. O Herr, Herr! Gestern war Muttertag und ich flehte in der Schoberkirche: Wenn ich bitten dürfte, wenn ich würdig sei. Nachricht. Nun bin ich so belohnt, so beschenkt worden! O Herr, ich neige mein Haupt. Ich wage um Deinen Segen zu flehen. Und ich wage zu bitten: Schütze meine Kinder, meine Kindeskinder, schütze meinen Mann! Auch über ihn Freude! Blutdruck 185. Mittwoch, 15. V.236 Unvergeßliche Frühe. Glücksgefühl! Wie danke ich Dir, o Herr! 16. Mai Heute Bild von Hans und Lisl!!! Reizend, reizend. Selig! 17. Mai Roter Kreuzbrief. Und ich schreibe, unentwegt, unentwegt! D e n K i n d e r n .237 Samstag, 18. Mai Heute von einer Seligkeit ohnegleichen. Als ich vom Bad heimging, mein Herz ohne Grenzen. Schön, unnennbar. Nachm. bei Kisser. Lisl könnte eine herrliche Stellung haben. Eine Sekunde nur deprimiert, dann wissend; des Mannes wegen. Auch wegen Mutter – viel, viel leichter, weil ich erkannt habe, warum die Bewährung. Dienstag, 21. Mai Immer im Garten, sooft es mir möglich ist. Die Vöglein: So viele! Schön, Dank, Dank. Gestern Luftpostbrief von Lisl! O mein Dank kennt keine Grenzen! [Stimmen]

Valerie sagte heute: Leben kann Kind Wunder sehen lassen: Rosen, Liebe, Wind, der Blütenstaub 236 Eintrag auffallend ungleichmässig geschrieben. 237 In großer Schrift und zentriert geschrieben.

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bringt, Wissen über Dinge, die andern verborgen bleiben. Ziel eines Kindes ist es aber, Wunsch zu haben, die Perle, die die echteste der Welt ist, an die Brust zu drücken; das ist das Herz der Frau, die Mutter ist ohnegleichen. Zurück ruft das Herz das Kind, der Mund aber darf den Wunsch nicht äußern, da die Glückseligkeit nie von einer Mutter gestört werden darf. Sie fühlt es, sie weiß es, sie macht die Gedanken im Herzen segnend auf für das geliebte Kind, das nie anders leben kann als unter Rosen. Herz wandert nach der Ferne, Liebe zehrt im Herzen; aber das Glück hält die segnende Hand über den vollen reigentanzenden Kindern, die nie Wünsche unerflüllt sehen werden. Was will ein Mutterherz mehr? Gott zum Gruß! Wladzko: Es geben sich die Menschen viel zu wenig Liebe, wenn das Tun weniger herzlich wäre, die Gedanken aber reiner, dann würden die Menschen besser zueinander finden. Die Lüge ist immer noch zu obenauf. Das Herz muß zurückstehen; wenn die Wahrheit aufkommt, lassen die Menschen ihren Worten freien Lauf. Warum geschieht dies alles, warum begegnen sich die Menschen nicht mit größeren Wahrheiten, damit die Lüge ihnen keine bösen Folgen machen kann? Laßt Euch nie mit Menschen ein, die Lügen an sich haben; Ihr steht hoch über ihnen und der Wahrheit, die auch Gott eingibt. Überführt diese bösen Menschen, dann werden sie mit ihren Worten sparsamer umgehen. Ihr sollt Apostel der Wahrheit sein! Gott zum Gruß! Mittwoch, 22.238 Heute Nacht der Traum, die Erklärung: ich darf das Kind nicht rufen! Dank, daß ich erkenne – u n b e s c h r e i b l i c h e r Dank! Sonntag, 26. Mai239 In Maria-Enzersdorf auf meinem Platz! Vor 8 Jahren!!! O Dank, Dank, Dank! später daheim: Es war trüb. Vor 7h früh bin ich weg; 8h Messe. Beichte, Segen des Marienbildes. Dann zum Platz um ½ 10h. Um 11h daheim. Ruhe, Schweigen, Schauen. Montag, 27. Mai Heute wieder Luftpostbrief von Lisl! {Rübenfeld gestorben. Tief ergriffen darob.} Dienstag, 28. Gestern Hunger. Hilda, Dr. Birnbaum. Was Kinder wollen! Immer denken und danken! Heute amerik. Konsulat. Visum erst Mittwoch 20{im} Juli. Heute bei Ida. Antonius Kapelle. Dank. Im Grunde meines Herzens liegt die Bitte um ein Wiedersehen. Sie wird erfüllt werden, wenn die Zeit dazu gekommen ist und ich es verdiene. 238 Gepresste Blume in der Doppelseite eingelegt. Einträge teilweise verwischt. 239 Eintrag auffallend ausladend geschrieben.

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Ich warte und schaue auf I h n . Man muß in die Schicksalskassa einzahlen – dann bekommt man heraus! Sonntag, 2. Juni 1946 Welch ein Tag! Die Vögel singen, im Garten ist alles schön und grün, mein Herz von tiefster Dankbarkeit erfüllt. Heute Erstkommunion der Kinder. Diese Reue, diese Reue! „Was soll ich tun?“, flüsterte ich vor der Marienstatue. Daran dachte ich: 1923, an meine Vergehen. O und dann noch 43! Wollte ich noch Süßigkeit und Zauber! Ich kann nur schwer atmend zum Himmel schauen. Die Mutter! Welch ein Problem! Und wie in der Wohnung: Schweige, schweige, Du wist einmal sehen, warum. Ich versprach es mir – oft schon – doch schwieg ich nicht genug. Gestern aber Exempel. Sie fing wieder an: „Du hättest damals nicht der Emma schreiben sollen, daß wir nach Klausen fahren {wollen}. Das hättest Du nicht tun sollen.“ Es stieg hoch. Ich wollte schon erwidern. Ich schwieg. Das war dann ein wunderbares Gefühl. Und so will ich es halten. Gott stehe mir bei! Wie leicht wird alles, wenn ich an Ihn denke! Doch muß ich zurücktreten, wieder einmal, wenn ich an früher denke. Und diese Vermessenheit – immer wieder, immer wieder! Weil ich nach der Hand fassen will – ich Unwürdige! Dienstag, 4. Juni Disput in der Frühe. Ich schwieg nicht so, wie ich sollte. Dafür Herzschmerzen, Übelkeit. Ich muß alles über mich ergehen lassen – ich muß! Der Preis ist hoch: Das Kind! Das späte Kommen der Mutter. Deshalb versprach ich es heute, Mittwoch, 5. Juni, dem alten, lieben Mutter Gottesbild. Also: „Halte Dein Versprechen“, sage ich zu mir. „Sei nicht spitz.“ Die Mutter ist gut und – was so wertvoll ist – schamhaft. Ihre Empfindlichkeit soll die Mängel decken, wenn sie es wüßte, sie würde danach handeln, denn sie strebt immer aufwärts. Meine Geduld soll uferlos sein. [Stimmen]

Valerie sagte gestern: Finden die Menschen etwas Verlorenes wieder, so stehen sie vor einem Wunder. Tiere finden einen Bissen, kein Wunder ist es ihnen. Ohne Steine gehen die Lebenswege der meisten Menschen nicht zu dem gewünschten Ziel. Welche aber das Glück haben, nie einen Stein zu fühlen, die sehen in diesem Umstand Wunder die Hand Gottes. So gibt es viele Arten von Wundern. Der eine erkennt Wunder in dem plötzlich erscheinenden Glück, der andere erkämpft sich das Wunder. Nun, Du Gute, Du wirst aus Dir selbst heraus erkennen, was ein Wunder ist, denn Du hast es erfahren. Groß und leuchtend stand es da, groß und leuchtend wird es immer wieder zu Dir kommen.

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Gott zum Gruß! Rosa: Mich willst Du gerne hören, deshalb nahe ich mich Dir gerne. Nicht wie ein Kind, sondern wie eine alte, mit Dir groß gewordene Seele. Ja, ich bin eine alte Seele mit einer großen Kraft, die half Dir, das Glück erhaschen, das Du Dir eingefangen hast für Dein ganzes Leben. Sehe nur das Glück, es fließt aus Deinem Mund, es strömt aus Deinen Augen, es lacht über Dein Antlitz, nichts kann es trüben, denn die alten, finsteren Wolken sind abgezogen, weit weg von hier{Dir} und den Lieben, die in der Ferne das Herz der Mutter suchen. Hell ist der Himmel um Euch alle. Welt wird für Euch nur das Beste hergeben. Wie die Gefühle zu Gott sind, so strahlen die heiligen Ströme ihren Glanz wieder auf die zurück, die ganz in Gott aufgehen. Du verstehst es, die Gnade Gottes zu erwerben. Wäre das Menschenvolk auf dieser Stufe, so wären die Wolken nie über sie dahin gezogen. Behalte Dein Vertrauen, Deine Liebe zu Gott, er wird Dich so mit der seinen umgeben, daß Dein Lächeln nie verstummen braucht. Gott zum Gruß! Samstag, 8. Juni {In Hetzendorf gewesen. Bei Lisi. Palmenhaus.} Heute ein Brief vom Kind. Wir sollen hinfahren. Ich denke soviel daran … Schönbrunn. O Herr, ich danke Dir. Du gibst mir Kraft. {Strunz schickt einen englischen Soldaten.}240 Dienstag, 11. Juni241 Gestern. Um 4h früh auf. 520 von daheim weg. Um 9h in Maria Ellend. Orgelspielen. Das Hochamt. Liebe Kirche! Gutes Essen. Reichheit, eigentlich viel. In den Park. Mein erster Blick in einen Pavillon. Schutzengel!! Ich war tief erschüttert. O, Schutzengelein, schütze meine Kinder! Es ist sehr, sehr heiß. Der Student in Geschichte, Geographie. Zur Donau. Irgendwie lieblich, anmutig. Segen. Um ¼ 5h heim. Schwechat. Elektrische. Zentralfriedhof. Wladzkos Grab. Ein Wunder. Rosenblätter lagen darauf. Rosenblätter. Ich konnte es nicht fassen. Kniete nieder. Ging wieder zurück, streute Rosenblätter, die ich von einem Grabe nahm. Ich will einen Rosenstrauch pflanzen. Um 7h daheim. Sehr, sehr müde. Bad. Viele Gäste sind da gewesen. Edith, Eli, der Engländer, Mathi, der Bub. In der Nacht Gewitter; um ¾ 3h sehr übel. Erbrechen, Durchfall. Heute beim Arzt. Herzsache. Die schlechten Füße. Schonen. Sonntag, 16. Juni Heute Jointpackerl.242 Dankbar. Gestern von Lisl 3 P.! O, ich knie vor Dir, Herr. Gestern fast wieder ein Disput. Altersrentnerkarte, Geldvormerkung. 240 Erwin Strunz, ein Freund Therese Lindenbergs, war 1938 nach Irland emigriert; er dürfte nun einen ihm bekannten Soldaten der British Army, der nach der Befreiung in Österreich stationiert war, zu Therese Lindenberg geschickt haben. 241 Eintrag auffallend unregelmäßig geschrieben, teilweise verwischt (vielleicht durch Tränen). 242 Wahrscheinlich eine Hilfssendung des „American Jewish Joint Distribution Committee“, einer Hilfsorganisation US-amerikanischer Jüdinnen und Juden, die seit 1914 vor allem in Europa tätig ist.

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Dienstag243 Dank für diese Erkenntnis. Ausgleich wohl – aber darüber hinaus: Guthaben!! später:244 Immer schweigen können – wie schön und gut! Die neuen und tiefen Erkenntnisse! [Stimmen]

Wladzko sagte heute: Erwartung ist ein momentaner Trost für jeden, der in seinem Herzen einen geliebten Menschen trägt. Erwartung ist Treue für den, der sich naht. Erwartung ist Wunder, wenn sie sich plötzlich erfüllt. Neue Freude quillt aus dem Zweifeln, der gewesen ist, wenn sich nicht sofort das Wunder begibt. Sehe Dich nie enttäuscht, sehe Dich heute vertraut mit Gott, morgen noch vertrauter mit ihm, übermorgen in den höchsten Gefilden, die Gott mit seiner Liebe sehen lässt. Du bist begnadet, hebst Dich empor, heute, morgen, übermorgen. Kein Zurückweichen, kein Nachlassen in der Liebe zu Gott. Er läßt Dich nie die Schwere des Lebens empfinden, lässt Dich nie hinunter gleiten, führt Dich nur immer empor. Gott zum Gruß! Rosa: Wenn die Saat aufgeht, dann peinigen sich nicht mehr die Körner, sondern sie senden die kommende Frucht an die Sonne. Wenn das Kerkergewölbe aufgeht, dann strömen die gepeinigten Körper an die Sonne. Der Vergleich macht die Herzen leichter, denn die Ereignisse, die im Dunkel gewesen sind, sollen jetzt an das Licht kommen, dort gedeihen, dort Früchte tragen. Du hast diese Geschehnisse gefühlt, erlebt, mit Deinem großen Herzen richtig erfaßt. Dafür soll das, was Dir dunkel erscheint an den Menschen ein Beispiel für Deine eigene Seele sein, die sich so entwickelt hat, daß sie Ströme des Lichtes nunmehr gebären kann. Gott zum Gruß! Samstag, 22. VI.245 Gestern ist Mutter nach Neudegg gefahren. Erleichterung. Ich will aber gut durchhalten. Warum wird es mir so schwer? Die Ungerechtigkeiten sind nicht so groß. Wegen meines künftigen Schicksals. Es ist kühl. Gesundheitlich besser. Ruhevoller. Der Bericht an das Kind. abends: Ich ging vom Bad heim. Trüber Abend. Der Blick zu den Bergen. Ich sah zum Himmel. Du tröstetest mich, Herr. Mich, Dein kleines unwürdiges Kind. Mittsommertag, Mittsommertag! Schutz meinen Kindern!

243 Eintrag auffallend unregelmäßig geschrieben. 244 Eintrag ab hier wieder gleichmäßiger geschrieben. 245 Gepresste Blume in der Doppelseite eingelegt.

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Samstag, 29. VI. Sonne und Schöne! Vorgestern Promotion Schindler. Hernach mit Hilda ins Erzbischöfliche Palais. Ehedispens. Sehr, sehr beeindruckt. Mittwoch, 26., am Grabe Robert Ertls. Wieder 2 Pakete. Eines von Hr. Horner, eines von Lisl. Keinen Hunger mehr, Dank, Dank Euch Seelen. Mittwoch, 4{3}. Juli Gestern ein Brief vom Kind an Hr. Horner! Was mußten sie alles mitmachen! Mit den zwei Kindern! O. Ich sah zum Himmel, ich sehe ununterbrochen hinauf – ununterbrochen fleht mein Herz! S c h u t z d e n K i n d e r n !246 Doch grenzenlos ist mein Dank. I m m e r – D a n k !247 [Stimmen]

Valerie sagte gestern: Die ebenen Wege können durch gemeinschaftliche Hindernisse oft unterbrochen werden. Der Sprung darüber kann kurz oder lang sein. Man kann über dieses Hindernis gut hinwegkommen, indem man fest das Ziel im Auge hat. Man kann aber auch straucheln und das Hindernis langsam nehmen, ohne auf das Ziel zu schauen. Kein göttlicher Rat kann in das Herz dringen, wenn man nicht auf das Ziel schaut. Kein Straucheln gibt es, wenn die Ruhe im Herzen herrscht. Du verstehst das Ziel im Auge zu haben, deshalb gibt es für Dich kein Hindernis, kein Straucheln. Andere aber wollen das Ziel gewaltsam nehmen, sie straucheln, sie sehen kein Ziel. Gut ist der Mensch, der nur die Seele so sieht, wie Gott sie ihm gegeben hat. Nicht soll man die Seelen derer wirr machen, die Gott noch nicht ganz kennen. Sie straucheln dann und erreichen das Ziel noch langsamer. Gut ist die Seele, die rein ist, sie geht in Gott ein. Martern bleiben ihr erspart. Menschen sind verschieden, sie können nicht so sein, wie die eigene Seele, denn sie haben ein Schicksal, das anders ist als das eigene. Deshalb machet Euch nicht wirr um das Geschick der Anderen, auch wenn sie die Nächsten sind. Gott zum Gruß! Die Mutter, welche die Söhne erwartet – den Kleinen wird das Auge bald erblicken. Der andere, der von der Lebenssonne beschienen wird, lacht noch mehr, denn seine Sonne scheint durch das ganze Leben. Die Mutter, groß, kolossal im Herzen, gereinigt in der Seele, soll herunterblicken auf die lachenden Kinder und die Seele rein bewahren. Gott zum Gruß. Rosa: Eltern geben den Kindern das Leben, sie geben ihnen den Körper, aber sie geben ihnen nicht die Seele. Du hast eine reine Seele, weißt Du, ob Dein Kind eine hat? Kannst Du in die Seele schauen? Eigene Gedanken hat der Mensch; weiß er von den Gedanken des Nächsten? Darum gibt es keinen Anlaß zu einem Eindringenwollen in fremde Seelen oder Gedanken. Ihr 246 Zentriert geschrieben. 247 Zentriert geschrieben.

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könnt sie nicht beherrschen. Kein göttlicher Rat kann besser sein. Bleibe Du so rein, bleibe Du so groß; Dich kann die Welt nie täuschen. Habe kummerlose Gedanken. Du hast den schönsten Grund dazu. Gott zum Gruß! 9h abends, im Garten: Ich sah jetzt momentelang in die zarten Mondsichel. So tröstlich ist es hinaufzuschauen, zu Dir, Herr, zu Euch, meine Seelen. So tröstlich! Friede ist in meinem Herzen, denn es fließt zu Euch, meine Tiefgeliebten. 5. Juli, ¼ 10h, im Garten Ein Star singt. Ich sitze allein, rückwärts im Garten. Gott, ich danke Dir. Ich danke Euch Seelen. Ich neige mich vor Euch. Ich sehe zur Weide, wie schön! Mein Kind darf unter Blumen sein. Du bist so schön, Weide, so schön! Gestern Hochzeit von Inge und Harry. Ich spielte. Es war sehr schön. Nun ist also Edith in meinem Kreis. Wie merkwürdig! Montag, 8. Juli Die vielen neuen Erkenntisse! Das Bekommene sachte genießen und das Leidvolle absolut murrenlos hinnehmen. Durch die „Sache Harry-Inge“ viel gelernt. Ich nahm das Schmerzvolle von Karl hin und gewann Hans. Von Lisl nicht zu sprechen. Man kann also schwer ausweichen und soll es eigentlich nicht und nur dann, wenn wissentlich niemand belastet wird. Das Schicksal gleicht einem Tuch, das sich selbst zurechtzieht, wenn man es nicht tut. Sonntag, 14. Juli, {nachm.} Unbeschreiblich schöner Tag. Sanftes Sonnenlicht. Ich sitze im Garten. Die Grüne um mich. Gestern ein Brief vom Kind. Auch sie hat Grüne um sich. Dank, tausend Dank. Ich warte und schaue auf Dich, Herr, nur auf Dich. [Stimmen]

{Vorgestern sagte} Wladzko: Ein Kirchlein hast Du Dir errichtet mit Mitteln, die sonst keine Kirche zieren; aber Dein Kirchlein macht Seelen Freude, Dir und dem, der sie betritt. Jedes Gedenken, das ein Kirchlein ziere, kann Segen ausstrahlen. Hier wohnt das friedliebendste, reinste, klagloseste, segenspendende Gedenken, das Rosen wie immer in Deinem Leben wachsen lässt. Diese Rosen wachsen aus jeder Ecke, sie senden ihren Duft, wohin Du gehst. Du betrittst ein Haus, der Duft folgt Dir nach. Seele wohnt in diesem Duft, da er gewachsen ist aus Dir und Du rein wie ein Engel dahinwandelst. Dafür läßt Gott Dich Liebe richtig genießen, empfangen, geben, dort, wo sie nötig ist. Reine Seelen sind selten; Mantel der Reinheit zieht oft mancher an, aber der Mantel ist nicht echt rein. Deine Reinheit erstrahlt in göttlichem Glanz. Der Lohn dafür wird nicht ausbleiben! Gott zum Gruß!

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Rosa: Summieren soll man die guten Taten. Die Summe ist bei den meisten eine winzig kleine, bei den anderen eine alltägliche; bei Dir aber entsteht eine große Summe guter Taten. Du weißt schon nicht mehr, wie viele guten Taten Du den Menschen zugefügt hast. Ich kenne jede einzelne. Die leere Tat ist keine Tat, die richtige Tat ist die, welche mit dem Herzen getan wird, mit Bewußtsein. Teure Menschen sind wenige. Sie nennen sich so – sind es aber nicht. Sie rennen durch das Leben, glauben, einander teuer zu sein, treiben aber das Schiff westwärts gegen die bösen Wetter. Sie schauen dann die Wolken an und glauben sich betrogen, aber sie sehen nicht, daß sie falsch gegangen sind. Du treibst das Schiff nur nach der Sonnenseite, Du kannst nicht betrogen werden und wirst nie betrügen. Das ist der Unterschied zwischen den Menschen, daß sie nach verschiedenen Wetterseiten ihr Schiff treiben. Du gelangst in einen Hafen, der beschickt ist mit der besten Ernte, die ein Leben schenken kann. Keine faulen Früchte, nur die saftigsten von der Sonne gereiften, mit der wundervollsten Hülle beschickte Worte sage ich Dir, die golden sind, sie können nie rosten, da Du sie immer blank hälst. {Gott zum Gruß!} Dienstag, 16. Sept.{17. Juli} Welch schöner, schöner Tag! Sanftes Licht. Ich las die Romreise Graf York’s. Der Mann in der Stadt. Kakao zur Jause. Dank den Kindern und vor allem – Dank Dir, Herr! Freitag, 19. Sep.{Juli} Wieso schreibe ich September? Im Garten, immer im Garten. Dafür unbeschreiblicher Dank. Gestern bei Carl. So nett. Er begleitet mich immer. Vorigen Donnerstag auch. Wie gut das ist – nicht fordern. Ein schrecklicher Brief von Janthe. Ich mag gar nicht daran denken. Fast Zorn. Doch weiß ich, warum alles. Für Vergangenes und Zukünftiges. Ich werde viel vorsichtiger sein müssen. Ich schweige noch zu wenig und weiß doch, daß schweigen so gut ist, wenn man währenddessen betrachtet. Vorgestern der Taifun auf den Philippinen. Mein Gott. Doch Vertrauen und Bitte. O, meine Seelen. Wie schön ist das Leben mit Euch. Freitag, 26. Juli Heute früh in die Kirche. Annentag in der Annenkirche. Wie trat ich vor den Herrn! Mit dem reuevollsten Herzen! Tränen fielen auf die Steine. Samstag, 27. Juli, ½ 7h früh Herr, Du hast mir verziehen! Jetzt muß ich aber Deiner Verzeihung würdig sein, würdig werden und bleiben! Die Verzeihung erflehte ich, daß ich mein Kind den Schöpfer aller Welten nicht lieben lehrte, das ist ein so tiefer Gram, wie ich nicht glaubte, ihn empfinden zu können. Meine Reue ist [das]{die} schmerzlichste. Doch, ich fühle Seine Milde. Er füllt mein Herz mit der Erkenntnis, daß es so kommen mußte. Nie hätte ich dies alles so gewusst und nie wäre meine Liebe und Hingabe an Ihn

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so tief geworden. So kann sie mich nicht mehr verlassen. Ich spüre Seinen Segen. Möge er über die Kinder fließen! Gib den Menschen die Kraft, daß sie Dich erkennen. D a n n w i r d F r i e d e s e i n !248 Dienstag, 30. VII. Am Samstag, abends, kam die Mutter. Ich konnte nett und lieb zu ihr sein – wie freute mich das! Weg das böse Herz! Heute früh fuhr sie weg. [Stimmen]

Am 26., Freitag, sagte Valerie: Dich reinigen die Gedanken, die eine große Kraft haben, ohne daß das, was Du willst, einen minderen Wert bekommt. Lasse die inneren Führer für Dich sprechen, sie geben feste Ordnung für Dich selbst. Jeder Mensch eignet sich ein Distelgewebe an, durch das er muß, um leben zu können. Gerne gebe ich Dir das Versprechen, das gehalten wird: Die ewige Fahrt in das Ozeangewirr kannst Du nicht machen, da Kinder groß und klein Kerzen anzünden, um die Fahrt selbst zu beleuchten über das große Wasser. Gebete gehen zu Gott. Er hört sie und erfüllt sie für Dich. Gott zum Gruß! Wladzko: Blumen dienen für die Flammen der Liebe, rote Rosen färben das Herz rot. Eltern kennen ihre Kinder nicht mehr, aber das Herz ist voll von Liebe zu dem entferntesten Kind in der Welt. Geben Gitter die Freiheit nicht, so geben Nebel keine Aussicht. Haben Menschen die Freiheit nicht, so geben Nebel keine Aussicht. Haben Menschen die Freiheit, so sehen sie keine Nebel mehr, da das Auge vor Freude bis in den fernsten Ort der Welt sieht. So seht Ihr das Kind immer vor Euch. Leben geht für Euch gut weiter. Geben Panzer Schutz, so habt Ihr den besten für Euch, für die Kinder, für das Leben, mit dem Ihr zufrieden sein könnt, denn nie werden Nebel Eure Augen trüben. Pilze sind ein feiner Genuß, Freude ist eine Gabe, die Gott verleiht, Ihr sollt genießen. Freude gleich den Pilzen. Gott zum Gruß! Im Garten, 2. VIII., Freitag Heut Brief vom Kind. O. Pakete vom Joint!249 Dank! Im Garten sitzen, schön, schön, schön! Diese Gotterkenntnisse! Manchmal so aufgewühlt, daß es bis zur Grenze des Frohherz­ erträglichen geht. Das Kind sorgt sich und es ist nicht zum Sorgen! Gestern mit Edith beim Friseur. Es läßt sich jetzt gut plaudern mit ihr. Die Wand des 248 Zentriert geschrieben. 249 Wahrscheinlich eine Hilfssendung des „American Jewish Joint Distribution Committee“; vgl. auch Anm. 242.

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Egoismus fällt sukzessive. Ihr Fundament bleibt. Begründet, bedingt und notwendig. Es beginnen nun die schönen, sanften Tage. Oft ein wenig Sorge wegen der übergroßen Schönheit. Doch immer wird es Schönheit geben. Mit dem Mann muß ich sehr sanft umgehen, beweisen und tun, was ich rede. Sonntag, 4. VIII. [Stimmen]

Wladzko sagte heute: Du gehst den klaren Meisterweg, den Gott seinen Kindern weist, die Gnade gefunden haben bei ihm. Gestrichen bist Du aus der Liste derer, die von Gott gewiesen wurden wegen ihrer Überheblichkeit. Du hast ein Wesen, eine Seele, die bei Gott bleiben muß und die von Gott genährt und beleuchtet wird. Dein Gemüt ist erhellt und gibt denen Licht, die in Deine Nähe kommen. Gitter umschließen die, welche lichtlos leben. Keine Sprache{Strahl} geht von ihnen aus. Du hast das große Leuchten, das wenige Irdische haben. Darum gehen Deine Strahlungen in die weite Ferne hinaus, dorthin, wo eine Familie Deiner gedenkt bei Tag und bei Nacht. Die verwunschene Welt im Märchen ersteht dort und erzeugt leuchtende Farben rund um die, welche Dein Herz erfüllen. Eine Prinzessin mit kleinen Prinzen bewohnt das Schloß, das prangt in Duft. Nie kann es in Nebel getaucht werden, da das Licht alles durchstrahlt. Durch Deine glänzenden Augen siegen die herrlichen Gebilde Deines Herzens. Sie flehen Gott an, die Nähe segensreich atmen zu dürfen. Es wird geschehen. Die Zeit bringt Dir das Märchen in Dein Haus. Gott zum Gruß! Und Valerie: Für das Geschehen, das gewesen ist, soll keine Erinnerung bleiben. Für die zukünftigen Geschehnisse bleibt die Erwartung, die Freude, die Segenssprüche der Mutter, die Liebe des Vaters, die Rosen des Hauses, die Blüten der Unsummen von holden Gewächsen, die weiter bei Dir Zierde bei Dir und dem Kind Segen sind. Du genießt{e} das sorglose Leben, Du erfreue Dich an der Pracht des Tages, der nur für Dich so schön ist, der die Wunder Dir bringt, die Dein Herz erfreuen sollen. Gott macht für Dich keine Wolken, sondern nur einen blauen Himmel, der von Sonne bedeckt ist. Gott zum Gruß! Donnerstag, 8. August Gestern Hochzeit Tante Fanny. Ich sang Ave Maria von Schubert in der Kirche. Alles war sehr gerührt und begeistert. Dank Dir, Herr, Dank. Ist es richtig, wie ich schrieb an Lisl und auch an Edith: Herrgott gibt es ja nur einen und durch welche Konfession man ihm dient, ist ja nur Erziehungssache. Mir ist unser Gottesdienst der Genehmste. Ist es recht so? Dein reiches kleines Kind betet Dich an, Herr. Donnerstag, 15. August Frauentag. Ich sang in der Quellenstr. Alles, was die Eitelkeit trifft, begrüße ich.

Mein Herz will demütig sein. Welche Tage sind, waren! Ein Tag schöner als der andere. Das Licht! Wie liebe ich den Garten! Jetzt am Abend Regen und Abkühlung. Seit Wochen Hitze und Schöne! Sonntag, 18. Aug. Durch die ruhende Stadt in der Frühe. Der Himmel! Peterskirche, Beichte. Herr, was willst Du, daß ich tun soll? O, Dank, Dank. Wir sangen wundergut. Der Pfarrer sagte: „Ich war bis zum Schluß in Eurem Bann.“ Meine Dankbarkeit kennt keine Grenzen. Mittwoch, 21. August Heute das erste Mal Regen. Abkühlung. Schöner Abend. Wagner ist seit vorgestern da. Ich muß immer den Kopf schütteln. Lisl hatte auch so unmögliche Geschmäcker. Ich denke soviel an das Kind. Mir träumt soviel von ihr. Aber immer Dank, immer. Donnerstag, 23{22}. August Es regnet. Ich sitze beim Fenster, lese Tagebücher und die Zeitungen von Janthe. Die Tagebücher. O, die vom Vorjahr. Dank, Dank und wieder Dank. Ich sehe hinauf zu Ihm und mir ist es, als fühlte ich Seine Hand auf meinem Scheitel. Bin ich vermessen? Der kleine Lingner bei den Sängerknaben aufgenommen. Ich freute mich so, will aber nicht prahlen, sondern schweigen. Heute der schöne, weihevolle Gottesdienst im Kloster. Wagner weggefahren. Sonntag, 24{25}. August Vorgestern Brief von Lisl! Wie selbstverständlich nimmt man dies hin und ist solch große Gnade! Dank, Dank und nochmals Dank! Und ich warte auf das Allerhöchste: W i e d e r s e h e n !250 (…) 250 Zentriert geschrieben.

Register erstellt von Ingrid Brommer und Christine Karner

Personenregister   345

Personenregister

Lesehinweis Im Personenregister sind alle im Typoskript „Die apokalyptischen Jahre. 1938–1946“ und in den Originaltagebüchern genannten Personen sowie das Datum des sie betreffenden Eintrags angeführt. Ist die Identität einer Person eindeutig geklärt, wird teilweise auf weitere Informationen verwiesen (zum Beispiel durch → LINDENBERG). Personen respektive Lebensdaten, die nicht eruiert werden konnten, sind mit dem Zusatz „Identität ungeklärt“ oder „?“ gekennzeichnet. Beschränkte sich Therese Lindenberg in ihren Aufzeichnungen auf die Nennung von Nachnamen (Ertl, Flamm etc.), Vornamen (Emma etc.) oder Verwandtschaftsbezeichnungen (meine Kinder, die Tanten, der Onkel etc.), und konnten die derart bezeichneten Personen nicht durch den Kontext identifiziert werden, wurde das entsprechende Datum bei allen Trägern dieses Namens oder Angehörigen des Familien- bzw. Verwandtschaftsverbandes aufgenommen und durch * gekennzeichnet. Ausgenommen davon sind Personen, die auf Grund ihrer Lebensdaten für den Vermerk nicht mehr in Betracht kommen. Aus platztechnischen Gründen wurde beim Registereintrag zu Mona Lisa (Lise Monika) Steiner, der Tochter Therese Lindenbergs, auf eine Aufzählung der auf sie Bezug nehmenden Daten verzichtet. Personen innerhalb einer Familie sind alphabetisch (nach Vornamen) gereiht. Akademische Grade werden – soweit bekannt und von Therese Lindenberg vermerkt – bei den jeweiligen Personen angeführt. Die jüdische Herkunft einer Person wird nicht in allen Fällen eigens vermerkt, da sich diese indirekt durch die Angabe ihrer Emigration, Deportation oder Todesart (Konzentrations- oder Vernichtungslager) erschließt. Abkürzungen TB = AJ = Bez. = dep. =

Originaltagebücher Apokalyptische Jahre Bezirk (Wiener Gemeindebezirk) deportiert

346   Register A., Dr. → ADLER Friedrich Dr. ADLER Friedrich Dr. (1879–1960); österreichischer Politiker, Sohn von Dr. Victor Adler, des Mitbegründers der Sozialdemokratischen Partei in Österreich; erschoss 1916 den österreichischen Ministerpräsidenten Graf Stürgkh, wurde zum Tode verurteilt, 1918 jedoch freigelassen; nach 1923 Sekretär der „Sozialistischen Arbeiter-Internationale“. In dieser Zeit hatte Therese Lindenberg ihn persönlich kennen gelernt. TB 1941: Feb. 2., 1942: Juli 9. Ada → GRÜNFELD Ada ALBERDINGK Erny (1862–1961); Geigerin. Erny Alberdingk und ihr Gatte Karl Walter gehörten zum Freundeskreis von → WILDGANS Friedrich. TB 1943: Nov. 8. ALLEN, William Hervey (1889 –1949); US-amerikanischer Schriftsteller. TB 1940: Okt. 16. Anna → TRESTL Anna Arzt → SOHERR Friedrich B., Frau → BÄCHER Rosa B. Dr., B. Frau Dr. (Identität ungeklärt) TB 1943: Aug. 19., 1944: Jan. 1., 15. Babek (Identität ungeklärt) TB 1946: Jan. 20. Bacher, Frau → BÄCHER Lotte Bächer, Frau → BÄCHER Rosa, BÄCHER Lotte Bächer L., Mutter → BÄCHER Rosa Bäcker Lotte → BÄCHER Lotte BÄCHER Lotte (?–?); Tochter der → BÄCHER Rosa. AJ 1942: Aug. 1. TB 1942: Aug. 1., 1943: Juni 7., 20., Nov. *12., 1944: Okt. 27. BÄCHER Rosa, geb. Hirschkron (?–1942); 1913 vom Judentum zum evangelischen Glaubensbekenntnis konvertiert; wohnte ursprünglich im 12. Bez., wurde dann in eine Sammelwohnung in der Fugbachgasse im 2. Bezirk umgesiedelt; ihr weiteres Schicksal ist ungeklärt. TB 1940: Juli 9., Dez. 9., 1941: Mai 2., 26., Aug. 16., 22., 1943: Juni 7., Nov. *12. Barbara, das Mädel (Identität ungeklärt) TB 1944: Feb. 29. BAUER Franziska, geb. Siebenstein (1871–1942 Theresienstadt); Mutter von → FLAMM Edith. Franziska Bauer stammte – wie ihr 1937 verstorbener Ehemann Richard – aus Mähren. Die Eheleute Bauer – laut Übertrittsprotokoll der evangelischen Kirche HB „mosaisch, dann konfessionslos“ – ließen sich 1902 taufen. Zum Zeitpunkt der Taufe bekleidete Richard Bauer das Amt des stellvertretenden Kanzleidirektors der Wiener Handelskammer, später wurde er zum Vizedirektor der NÖ Handels- und Gewerbekammer bestellt. AJ 1942: Juni 25., 1943: Sept. 4. TB 1941: Juni 18., 1942: Jan. 25., Juni 25., Aug. 3., 1943: Sept. 9. Bergm., Fr. (Identität ungeklärt) TB 1941: Sept. 3. Bernhard, Onkel (Identität ungeklärt) AJ 1941: Okt. 10. TB 1941: Okt. 13.

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Berti G. → GELLNER-WISOKO Berta Birnbaum, Dr. (Identität ungeklärt) TB 1946: Mai 28. Bisenz, alte Frau (Identität ungeklärt); möglicherweise identisch mit der Besitzerin der Eisenwarenhandlung Siegfried Bisenz im 12. Bez. TB 1945: Juli 9. Brandl, Frau → BRANDL Hermine BRANDL Hermine, geb. Zatecky (1882–1957); lebte von ihrem jüdischen Gatten Siegmund Brandl getrennt. Der Handelsvertreter (geb. 1879 in Wien) wurde 1941 nach Riga deportiert und 1948 für tot erklärt. AJ 1941: Nov. 16. TB 1941: Nov. 16. BRAUMANN, Franz (1910–2003); Salzburger Lehrer und Schriftsteller, Träger zahlreicher Literaturpreise (Hans Kudlich-Preis, Staatspreis für Jugendliteratur, Georg Trakl-Preis). TB 1943: Juli 24., 25., 1944: Feb. 20. Bruder → LANG Mathias Bruck Hans, Mutter → BRUCK Valerie BRUCK Hans, Dr. (?–?); Neffe der → ERTL Hilda, Sohn der → BRUCK Valerie; im Zweiten Weltkrieg verwundet. TB 1943: April 2. BRUCK Valerie, Dr. (?–?); Mutter des Dr. Hans Bruck, Schwägerin von → ERTL Hilda; Kinderärztin an der Wiener Universitätsklinik, in den 1920er Jahren Mitarbeiterin von Clemens von Pirquet. Auf Grund der anti-nationalsozialistischen Gesinnung der Familie wurde der Ehemann von Dr. Valerie Bruck 1938 verhaftet und sie selbst von der Klinik entlassen. Nachdem den Brucks auch die Wohnung gekündigt worden war, fanden sie Unterkunft in der Benediktinerabtei zu Unserer lieben Frau zu den Schotten (Schottenstift). Nahm laut einer im weiteren Familien- und Bekanntenkreis tradierten Erzählung vielleicht zusammen mit → ERTL Hilda, → PRONAI Stephanie und Therese Lindenberg an spiritistischen Sitzungen teil, bei denen → GARAI Sophie als Medium gewirkt haben könnte. TB 1943: April 2., 1944: Mai 7. Bruckmann (Identität ungeklärt) TB 1940: Okt. 16. Bruderkind → LANG Erich BRUNNER (I) Alois, (1912–?); SS-Hauptsturmführer, Mitarbeiter Adolf Eichmanns in der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien, Kommandant des Durchgangslagers Drancy in Frankreich; tauchte nach Kriegsende in Syrien unter. TB 1945: Sept. 1. BRUNNER (II) Anton (1911–1946); Mitarbeiter Adolf Eichmanns in der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien und Prag, vorübergehend Kommandant des Lagers Theresienstadt; ab 1944 in Griechenland, wo er die Deportation von Juden vom Festland und den Inseln nach Auschwitz organisierte; im Mai 1946 hingerichtet. TB 1945: Sept. 1. Bub → LANG Erich C., Carl, Carl L. → LEHNHOFER Carl Chybik (Identität ungeklärt) TB 1945: Sept. 9.

348   Register CHYBIK Ilse (?–?), ein ca. 11jähriges Mädchen. TB 1942: Aug. 19., 1945: Sept. 9. Cornelia → ERTL-BEŽAN Cornelia C., Dr., C., Frau Dr. (Identität ungeklärt) TB 1945: Juni 3., Nov. 24. Czarniawsky Vladimir (1895–1932); Jugendfreund von Therese Lindenberg, Bruder von → KASSOWITZ Eugenie; ab 1945 eine der von Therese Lindenberg im Tagebuch notierten Stimmen aus dem Jenseits. AJ 1943: Feb. 27., 1945: Jan. 9. TB 1942: Juni 21., Sept. 6., 8., 13., 1943: Nov. 8., 1945: Jan. 8., 11., Feb. 19., März 28., Mai 13.,14.,17., 29., Juni 12., Juli 9., Aug. 19., 28., Sept. 12., 26., Okt. 11., 29., Nov. 3., 17., 21., Dez. 4.{5.}, 1946: Jan. 9., 12., Feb. 26., März 12., 17., 26., April 28., Mai 5., 21., Juni 11., 18., Juli 14., 30., Aug. 4. Dame, alte (Identität ungeklärt) AJ 1942: Juli 5., Aug. 11. TB 1942: Juli 8., Aug. 11., 1944: Jan. 15. Dora W. (Identität ungeklärt) TB 1944: Feb. 29. DOUGLAS Lloyd C. (1877–1951); US-amerikanischer Schriftsteller; Verfasser von Romanen religiösen Inhalts. TB 1941: Juni 10. EDER → Ortsregister Edith → FLAMM Edith Ediths Mutter → BAUER Franziska Eli/Elly → GRANDITSCH Elisabeth Elis Bruder → LEHNHOFER Carl Elis Mann → GRANDITSCH Gustav Elis Sohn → GRANDITSCH Otto Eli und der Kleine → GRANDITSCH Elisabeth und → GRANDITSCH Gerhard Eltern → LANG Mathias und → LANG Rosalia Emma → GLASSL Emma Emma → LANG Emma Emmy (Identität ungeklärt) TB 1943: Jan. 17. Engländer, englischer Soldat (Identität ungeklärt) TB 1946: Juni 8., 11. Enkelkind → STEINER Helen; ab 1946 auch → STEINER Ruth Epst., Epstein, Frau (Identität ungeklärt) TB 1943: Mai 6., 9., 1944: Jan. 18. Ernst → STAHR Ernst Ertlbácsi → ERTL Jakob ERTL Alexander/Sándor, Dr. (1894–?); Zahnarzt. Verwandter von Therese Lindenbergs Stiefvater, Ehemann von → ERTL Hilda, Vater von → ERTL Heinrich und → ERTL Thomas. TB 1940: Aug. 29., 1941: Aug. 7., 1943: Juni 5., 1946: April *25.

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ERTL Amalia (?–1909); aus Hodság/Ungarn (heute: Odžaci/Serbien) stammende Verwandte von Therese Lindenbergs Stiefvater, Mutter von → ERTL Alexander und → ERTL Robert; verstarb 33-jährig an TBC. TB 1944: Juli* 9. ERTL Heinrich/Harry, Dr. (1922–?); Zahnarzt und Fotograf. 1946 Eheschließung mit → FLAMM Inge; als Trauzeugin fungierte → GELLNER-WISOKO Berta. TB 1940: Aug. 29., 1946: Juli 5. ERTL Hilda, geb. Bruck (1898–1984); Freundin von Therese Lindenberg, Ehefrau von → ERTL Alexander, Mutter von → ERTL Heinrich und → ERTL Thomas. Nahm laut einer im weiteren Familienund Bekanntenkreis tradierten Erzählung vielleicht zusammen mit → BRUCK Valerie, → PRONAI Stephanie und Therese Lindenberg an spiritistischen Sitzungen teil, bei denen → GARAI Sophie als Medium gewirkt haben könnte. AJ 1938: Aug. 15., 1940: Jan. 10., 1942: Mai 31., 1943: Dez. 13., 1944: Nov. 12., 1945: März 12., Apr. 17., Mai 20., Juni 24., 1946: Feb. 21. TB 1939: Jan. 4., 6., Dez. 24., 1941: Feb. 27., März 9., Apr. 25., Juni 2., Juli 19., 26., Aug. 7., 1942: Okt. 1., Nov 2., 1943: Jan. 26., Aug. 17., Dez. 2., 12., 1944: Feb. 18., 24., Mai 14., Juni 8., Aug. 10., Okt. 2., Nov. 12., 15., Dez. 13., 16., 21., 24., 1945: Jan. 1., 8., März 12., April 16., *25., Mai 7., Juni 3., Nov. 24., 1946: Feb. 21., 26., Mai 28. ERTL Jakob, Dr. (1870–1921); praktischer Arzt. Verwandter von Therese Lindenbergs Stiefvater; ursprünglich aus Hodság/Ungarn (heute: Odžaci/Serbien) stammend, übersiedelte er um 1900 mit seiner Familie nach Wien; Vater von → ERTL Alexander und → ERTL Robert. TB 1944: Juli*9. ERTL Johann, Dr. (?–?); Sohn von Johann Ertl und → ERTL-BEŽAN Cornelia. Ab 1922 Generaldirektor der Bindfaden- und Seilfabrik AG. in Hodság/Ungarn (heute: Odžaci /Serbien), Direktionsmitglied der Impex-Jute A.G. in Agram (heute: Zagreb/Kroatien) und Verwaltungsrat der Druckerei- und Verlags-A.G. in Neusatz an der Donau (heute: Novi Sad/Serbien). TB 1945: Apr. 25. ERTL Robert, Ing. (1898–1945); Techniker. Verwandter von Therese Lindenbergs Stiefvater. AJ 1945: Juni 24. TB 1945: Juni 30., 1946: Juni 29. ERTL Thomas/Tommy (?–?); Sohn von → ERTL Hilda und → ERTL Alexander; im Zweiten Weltkrieg vermisst. TB 1938: Juli 29., 1941: Aug. 7., 11., 1943: Juli 4., 1944: Dez. 13. ERTL-BEŽAN Cornelia (?–1945 Ungarn); Verwandte von Therese Lindenbergs Stiefvater; lebte mit ihrem Gatten Johann Ertl (Gründer einer Hanfexportfirma, später Bindfaden- und Seilfabrik AG, Abgeordneter des Wahlkreises) in Hodság/Ungarn (heute: Odžaci/Serbien). Therese Lindenberg lernte die literarisch ambitionierte Cornelia Ertl-Bežan als 16-jährige während eines Sommeraufenthaltes in Hodság kennen. TB 1938: Mai 13., 1945: April 25. ERTL-PETHÖ Livia (?–?); aus Hodság/Ungarn (heute: Odžaci/Serbien) stammende Verwandte von Therese Lindenbergs Stiefvater; Tochter von → ERTL-BEŽAN Cornelia. TB 1938: Mai 13. Erwin → STRUNZ Erwin Eva W. → WIEHART Eva Everl → WIEHART Eva

350   Register F. Dr. (Identität ungeklärt) TB 1944: Aug. 20. F. Frl. (Identität ungeklärt) TB 1945: Dez. 25., 30. FERRERO Guglielmo (1871–1942); italienischer Historiker und politischer Essayist. TB 1938: Juni 19., Juli 26. FINK → Ortsregister Fink (Identität ungeklärt) TB 1944: März 19. Fischer Viktoria, (Identität ungeklärt) TB 1943: April 19. FLAMM Edith, geb. Bauer (1899–1981); ihre Eltern waren jüdischer Herkunft, nach ihrem Austritt aus dem Judentum erst konfessionslos und ab 1902 evangelisch getauft (→ BAUER Franziska). Therese Lindenberg und Edith Flamm lernten einander in den frühen 1920er Jahren kennen, wahrscheinlich über ihre Ehemänner, die beide Angestellte der Creditanstalt-Bankverein waren. Den um 21 Jahre älteren Robert Flamm hatte Edith Bauer 1919 geheiratet; der Ehe entstammte die Tochter → FLAMM Inge. 1946 eröffnete Edith Flamm das Textil- und Strickwaren Erzeugung- und Handelsgeschäft Flamm OHG. Als Geschäftslokal diente ein ehemaliges Süßwarengeschäft. AJ 1938: März 19., 1942: Feb. 10., Juni 25., 1943: Sept. 4., 1946: Juli 3. TB 1938: März 19., April *15., 1939: Jan. 4., Sept. 28., 1940: Jan. 29., Feb. 18., März 14., Mai 25., Dez. 31., 1941: Feb. 4., 22., Mai 10., Juni 18., Juli 5., Sept. 18., Dez. 24., 1942: Jan. 25., Feb. 11., März 6., April 24., Juni 14., 25., Juli 17., Aug. 1., 3., 4., *16., 19., Dez. 30., 1943: Jan. 7., März 9., April 2., 7., Juni 25., 27., Aug. 10., 14., Sept. 9., Nov. 23., 1944: Jan. 1., Feb. 13., 26., März 5., Mai 12., Juni 4., 6., *15., Juli 12., 28., Aug. 22., Sept. 15., Dez. 21., 30., 1945: Juli 26., Aug. 24., Dez. 24., 1946: Jan. 27., April 5., Juni 11., Juli 5., Aug. 2., 8. FLAMM Inge (1924–?); Tochter von → FLAMM Edith und → FLAMM Robert; heiratete 1946 → ERTL Heinrich und führte das von den Eltern gegründete Textil- und Strickwarengeschäft Flamm OHG weiter. TB 1940: März 14., 1943: Aug. 14., Sept. 16., 1944: Aug. 27., 1946: Juli 5. FLAMM Robert (1878–1968); Bankbeamter, Sohn des Handschuhmachers Josef Flamm und seiner Gattin Gertrude. Wie Ignaz Lindenberg war auch Robert Flamm in der Creditanstalt-Bankverein tätig. Da er von seiner ersten Frau → KUTSCHERA Elsa geschieden war und → BAUER Edith kirchlich heiraten wollte, trat er am 16.10.1919 aus der röm.-kath. Kirche aus und zu den Altkatholiken über. TB 1938: April *15., 1942: Aug. *16., 1943: Aug. 25., 1944: Mai 12., Juni *15., 1945: Aug. 24. Flori (Identität ungeklärt) TB 1944: Sept. 7. FRA ANGELICO (ca. 1395/1400 –1455); italienischer Maler. TB 1941: Mai 26. FRANCÉ Raoul Heinrich (1874–1943); österreichischer Botaniker und Naturphilosoph; Verfasser zahlreicher, auch populärwissenschaftlicher Veröffentlichungen. TB 1938: Juli 31. Freunde → FLAMM Edith und FLAMM Robert Freundin → FLAMM Edith Freundin von Emma (Identität ungeklärt) TB 1946: Jan. 6.

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FRICK, Wiener Verlagsbuchhandlung. TB 1946: Jan. 12. FRIEDMANN Heinrich (?–?); Repräsentant in- und ausländischer Textilfabriken, ehemaliger Arbeitgeber von Therese Lindenberg; das Geschäftslokal befand sich im 2. Bez., Untere Augartenstraße 5. AJ 1940: Jan. 10. Fritzi (Identität ungeklärt); eine der im Tagebuch notierten Stimmen aus dem Jenseits. TB 1945: Feb. 12. FUCHSBERGER, Spezereien- und Delikatessenhandlung im 12. Bez., Hetzendorferstraße. TB 1945: März 22. Fürst → FÜRST Friedrich Fürst, Schwiegertochter → FÜRST Johanna Fürst, Schwiegertochter → FÜRST Kitty Fürst, Sohn → FÜRST Erwin FÜRST Erwin (1895–?); Juwelier, Sohn von → FÜRST Friedrich, Ehemann von → FÜRST Kitty. AJ 1940: Nov. 3. FÜRST Friedrich (1866–1942 Theresienstadt); Juwelier, Inhaber der Hirsch & Fürst OHG, Juwelen-, Gold- und Silberwarenerzeugung, Eigentümer des Hauses Sandwirtgasse 14; Vater von → FÜRST Erwin und Wilhelm. AJ 1940: Nov. 3., 10., 1941: Okt. 10., 1942: Juli 5. TB 1940: Dez. 24., 1941: Dez. 24., 1942: Juli 12., 1943: Nov. 8. FÜRST Johanna geb. Spicner (?–?); nicht-jüdische Schwiegertochter von → FÜRST Friedrich. AJ 1945: April 17. FÜRST Kitty, geb. Goldmann (1910–?); Ehegattin von → FÜRST Erwin. Kitty Fürsts Eltern gehörten zum Bekanntenkreis Ignaz Lindenbergs → GOLDMANN Adele und → GOLDMANN Theodor. AJ 1940: Nov. 3. FURTWÄNGLER Wilhelm (1886–1954); deutscher Dirigent, u. a. Leiter der Berliner Philharmoniker und des Leipziger Gewandhausorchesters. TB 1941: Feb. 2. G., Frau → GOLDMANN Adele G., Frau → GARAI Sophie G., Herr → GOLDMANN Theodor Gabriel → GABRIEL Johann GABRIEL Gustav, Dr. (1912–1945); Sohn des → GABRIEL Johann. TB: 1944: Okt. 1. GABRIEL Johann (?–1939); Vater des → Dr. GABRIEL Gustav. TB 1938: März 19., 1939: Juni 20. Gaf. Franz (Identität ungeklärt) TB 1943: Mai 1. Gar., Frau → GARAI Sophie GARAI Sophie (?–?); könnte bei spiritistischen Sitzungen, an denen Therese Lindenberg zusammen mit → BRUCK Valerie, → ERTL Hilda und → PRONAI Stephanie laut einer im weiteren Familien- und Bekanntenkreis tradierten Erzählung teilnahm, als Medium gewirkt haben. TB 1943: Mai 23., Aug. 10., 1944: Jan. 11., Dez. 21. GELLNER-WISOKO Berta (?–?); Tochter von → SINGER-BURIAN Hermine; Gesangspädagogin und Leiterin der Staatsakademie für Musik. Berta Gellner-Wisoko fungierte 1946 als Trauzeugin bei der Eheschließung von → ERTL Heinrich und → FLAMM Inge.

352   Register TB 1943: Juni 27., 1944: Aug. 10., 1946: April 5. Genzia → KASSOWITZ Eugenie GEORGESCU Georges (1887–1964); rumänischer Komponist und Dirigent. TB 1943: Jan. 23. Gerhard → GRANDITSCH Gerhard Gert (?–?); wurde als Kind von Therese Lindenberg betreut. TB 1944: Dez. 30. Gisi → STEINER Gisela Glassl/Glaßl, der alte → GLASSL Josef GLASSL Emma, geb. Lang (1899–1985); Halbschwester von Therese Lindenberg, verheiratet mit dem Bankbeamten Karl Josef Glassl (1889–1962), Mutter von → GLASSL Karl. TB 1939: Feb. *6., 1941: Aug. 22., 1942: Juni 21., Juli *21., Aug. *25., Sept. *6., *10., *13., *17., Okt. *29., 1943: Juni 5., Nov. 12., 1944: Feb. 18., Sept. 3., 22., 1945: Mai 7., Juli *18., 1946: Jan. *6., Juni 2. GLASSL Josef (?–?), Kaufmann im 8. Bez., Schwiegervater von Therese Lindenbergs Halbschwester → GLASSL Emma. TB 1946: Jan. 12. GLASSL Karl, Dr. (1923–?); Neffe von Therese Lindenberg, Sohn von → GLASSL Emma; nach dem Studium der Rechtswissenschaften im Staatsdienst tätig. TB 1942: Jan. 23., 1943: April 2., Nov. 12. Goldmann → GOLDMANN Theodor Goldmann, Frau → GOLDMANN Adele Goldmann, Tochter → FÜRST Kitty GOLDMANN Adele, geb. Klein (1885–1942 Maly Trostinec); Ehefrau von → GOLDMANN Theodor und Mutter von → FÜRST Kitty. AJ 1940: Nov. 3. TB 1941: Juli 4. GOLDMANN Theodor (1879–1942 Maly Trostinec); Ehemann von → GOLDMANN Adele und Vater von → FÜRST Kitty; Inspektor bei den Österreichischen Bundesbahnen, Freund von Ignaz Lindenberg. AJ 1940: Nov. 3. TB 1941: Juli 4., 1942: Mai 26. GOMEZ Lilly, Dr. (1896–?); österreichische Chemikerin und Hochschullehrerin, Kontaktperson in Manila. AJ 1941: Feb. 2. TB 1939: März 11., 1941: Feb. 2. GRAETZ Heinrich (1817–1891); deutscher Historiker, Herausgeber der Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums. TB 1945: Jan. 17. GRANDITSCH Elisabeth/Eli/Elly, geb. Lehnhofer (?–1977); Großcousine von Therese Lindenberg, Schwester von → LEHNHOFER Carl, Ehefrau des Schuldirektors → GRANDITSCH Gustav. Das Ehepaar hatte drei Söhne: → GRANDITSCH Gustav, → GRANDITSCH Gerhard und → GRANDITSCH Otto. AJ 1945: April 20. TB 1939: Sept. 28., 1940: Juli 28., 16. Dez., 1941: 26. Dez., 1942: März 28., Mai 7., Juni 4., 25., Juli 17., Aug. 16., 31., Sept. 2., Okt. 1., 21., Nov. 19., Dez. 10., 1943: Jan. 26., Feb. 21., April 2.,

Personenregister   353

Mai 12., 20., Juni 15., Juli 10., Aug. 10., 19., Sept. 16., Okt. 27., Nov. 4., 1944: Juli 21., 28., Aug. 20., Sept. 15., Okt. 15., 1945: April 20., Okt. 3., Dez. 24., 1946: Juni 11. GRANDITSCH Gerhard, Dr. (?–?).; Arzt, jüngster Sohn von → GRANDITSCH Elisabeth. TB 1942: Mai 7., Juni 25., 1943: Aug.19., 1945: April 20. GRANDITSCH Gustav (?–1975); Schuldirektor, Ehemann von → GRANDITSCH Elisabeth. TB 1942: Juni 25., 1944: Nov. 30., 1945: April 20. GRANDITSCH Gustav, Dr. (?–1987); Sohn von → GRANDITSCH Elisabeth, Cousin 2. Grades von Therese Lindenberg; nach dem Studium der Theologie als Religionsprofessor und Diözesan-Jugendseelsorger tätig. 1967 zum Pfarrer der Pfarre St. Leopold im 2. Bez. bestellt; wirkte später auch als 1. Generalssekretär der Katholischen Aktion. TB 1942: Aug. 31., 1943: März 12., Aug. 10., Okt. 27., 1945: Feb. 11. GRANDITSCH Otto (?–1945); Sohn von → GRANDITSCH Elisabeth; leistete Kriegsdienst in Afrika, kam 1945 durch einen Querschläger zu Tode. AJ 1945: April 20., Juni 24. TB 1942: Okt. 30., 1945: April 20., Juni 30., Dez. 24. GRÖP(E)L → Ortsregister Großmutter → TRESTL Anna Großonkel → LEHNHOFER Michael GRÜNFELD Ada (1895–1941 dep. Litzmannstadt); Nichte von → FÜRST Friedrich. AJ 1941: Okt. 10. TB 1941: Okt. 6. GRÜNFELD Jenny, geb. Fürst (1865–1942 dep. Litzmannstadt, gest. 1942 Chelmno); Schwester von → FÜRST Friedrich. AJ 1941: Okt. 10. TB 1941: Okt. 6. GULBRANSSON Trygve (1894–1962); norwegischer Schriftsteller. TB 1945: Okt. 29. Gustav, Gustav G. → GRANDITSCH Gustav Gustl → GRANDITSCH Gustav H., Frau (Identität ungeklärt) TB 1944: Dez. 17. HAMBURGER, Autotaxiunternehmen im 3. Bez. AJ 1945: Juli 18. TB 1945: Juli 18. Hans → STEINER Hans Hans → Wodiczka Johann Hans, Eltern → STEINER Simon und Helene Hans, Tante → STEINER Gisela Hans, Verwandte → STEINER Josef und Karoline, → STEINER Gisela und → STEINER Kalman. Hansi → ERTL Johann Dr. HANZALIK Robert, Dipl. Ing. (1915–1942); Schulfreund von Mona Lisa Lindenberg, Assistent an der Technischen Hochschule; nahm am Russland-Feldzug teil, wurde verwundet und erlag seinen schweren Verletzungen. Der Leichnam wurde am Heldenfriedhof von Stalino beigesetzt. AJ 1943: Feb. 21. TB 1943: Deckblatt Innenseite, Feb. 21. Harry → ERTL Heinrich

354   Register HARSANYI Zsolt von (1887–1943); ungarischer Schriftsteller, Übersetzer und Journalist; Generalsekretär des ungarischen PEN-Clubs. TB 1940: Okt. 16. Hausherr, Sandwirtgasse → FÜRST Friedrich Helen → STEINER Helen Hermann → RÜBENFELD Hermann Hermann (Identität ungeklärt) TB 1943: März 21. Her(r)schmann (Identität ungeklärt); Ehepaar, Mitbewohner der Sammelwohnung im 2. Bez., Haidgasse 5. AJ 1939: Okt. 27. Hias (Identität ungeklärt); möglicherweise handelt es sich um den zum Kriegsdienst eingezogenen Halbbruder Therese Lindenbergs → LANG Mathias. Hilda → ERTL Hilda Hildas Tante → MAYERHOFER Anna Maria Hilgenstock, Frau (Identität ungeklärt) 1943: Juli 17., 24. HIMMLER Heinrich (1900–1945); Reichsführer SS, Chef der deutschen Polizei, später Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums und (ab 1943) Reichsminister. AJ 1945: Mai 26. TB 1945: Mai 1., 26. HIRSCHKRON Regina (1888–1941 dep. Litzmannstadt); Besitzerin eines Strickwarengeschäfts im 21. Bez. TB 1938: Dez. 26. HOFMANN Primus (?–?); Stadtbaumeister und Eigentümer der Häuser Sandrockgasse (heute Sambeckgasse) 13, 15 und 17. Hofrat St. → STIX Alfred HOLTEI Karl von (1798–1880); deutscher Schriftsteller und Bühnendichter, Schauspieler und Dramaturg. HÖNGEN Elisabeth (1906–1997); deutsche Opernsängerin und Gesangspädagogin, Mitglied der Wiener Staatsoper. TB 1943: Juni 7. Horner, Frau → HORNER Helene HORNER Helene (1868–1944 Theresienstadt); ursprünglich im 2. Bez., Praterstraße 47 wohnhafte Beamtenswitwe, die am 25. Mai 1943 vom Jüdischen Altersheim im 9. Bez. nach Theresienstadt deportiert wurde. AJ 1943: Mai 25. TB 1943: Mai 25. Horner, Herr (Identität ungeklärt); wahrscheinlich der Sohn von → HORNER Helene. TB 1946: Juni 29. HÜBNER Kursalon → Ortsregister Hybel–Hanke, Frau (Identität ungeklärt) TB 1942: Mai 10. Ida → STIX Ida Inge → FLAMM Inge Inge → KOHL Inge

Personenregister   355

Ilse → CHYBIK Ilse Jandis Mutter (Identität ungeklärt) 1942: Feb. 6. Janthe → WALNY Marianne Jell., Fam. Jell. → Jel(l)inek Jelinek/Jellinek/Jellineks (Identität ungeklärt); mit der Familie Lindenberg freundschaftlich verbundene Nachbar(n); möglicherweise handelte es sich um die Familie des Polizei-Revierinspektors Karl Jellinek im 13. Bez., Tiefendorfergasse 4. AJ 1944: Dez. 30. TB 1938: Dez. 24., 1939: Feb. 6., Juli 10., 1944: Dez. 30., 1945: Dez. 24., 31. Jolan → SCHWERER Jolan Josef → TRESTL Josef JUGEND UND VOLK, österreichisches Verlagshaus. TB 1946: Jan. 12. Jüdin, ukrainische (Identität ungeklärt) AJ 1938: Nov. 22. Juliska → ROSENBAUM Julia JUNG Carl Gustav (1875–1961); Schweizer Psychologe und Psychiater. TB 1941: Jan. 16. Käthe (Identität ungeklärt) TB 1940: März 3. Kalman → STEINER Kalman. Kaltenborn, Frau (Identität ungeklärt) TB 1944: Juni 6. Karl → JELLINEK Karl Karl → LEHNHOFER Carl Karl → MANTLER Karl Karl → GLASSL Karl Kassowitz Eugenie/Genzia, geb. Czarniawsky (?–1972); Musikpädagogin, Schwester von → CZARNIAWSKY Vladimir. TB 1945: Jan.11. KELLER Gottfried (1819–1890); Schweizer Schriftsteller und Dichter. TB 1940: Mai 25. Kind, mein Kind → STEINER Mona Lisa Kinder → STEINER Mona Lisa, → STEINER Hans; später auch → STEINER Helen und → STEINER Ruth. Kindlein → Ortsregister KIPLING Rudyard (1865–1936); britischer Schriftsteller, Literaturnobelpreisträger (1907). TB 1942: Dez. 10. Kisser, Prof., Kissers → KISSER Josef KISSER Josef, Dr., Univ. Prof. (1899–1984); Botaniker, Lehrer von Mona Lisa Lindenberg; ab 1936 außerordentlicher Professor und Vorstand des Botanischen Institutes der Hochschule für Bodenkultur in Wien; Ende Mai 1938 aus politischen Gründen des Dienstes enthoben und „vorläufig in den zeitlichen Ruhestand versetzt“, ab 1941 zur Wehrmacht eingezogen. Nach Kriegsende Rückkehr an die Hochschule; 1946 Ernennung zum ordentlichen Professor sowie zum Vorstand des Botanischen Insti-

356   Register tutes und des Botanischen Gartens der Hochschule für Bodenkultur. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit war Josef Kisser auch in der Katholischen Aktion tätig (1. Vizepräsident). AJ 1939: Jan. 29., 1940: April 30., 1944: Dez. 30. TB 1938: Dez. 28., 1939: Jan. 29., 1940: Apr. 28., 1942: Dez. 20., 1945: Nov. 10., 1946: März 9., Mai 18. Kohl Dr. (Identität ungeklärt) TB 1944: Dez. 21. Kohl Inge (Identität ungeklärt) TB 1944: Dez. 21. König (Identität ungeklärt); „Ariseure“ der Lindenberg-Wohnung in der Sandrockgasse (heute Sambeckgasse). AJ 1945: Mai 28. TB 1945: Okt 29. KRAUSS Clemens (1893–1954); österreichischer Dirigent, Direktor der Wiener und der Berliner Staatsoper, Operintendant in München. TB 1944: Jan. 1. KREISLER Fritz (1875–1962 New York); österreichischer Komponist und Violinvirtuose. Der in Wien als Sohn eines jüdischen Arztes und einer katholischen Mutter geborene Kreisler übersiedelte 1938 von Berlin, wo er seit 1924 lebte, nach Paris. 1939 ging er, inzwischen französischer Staatsbürger, mit seiner nicht-jüdischen amerikanischen Ehefrau in die USA. AJ 1941: Nov. 28., 1942: Okt. 4. TB 1942: Okt. 4. Kremser-Schmidt Martin Johann (1718–1801); aus Krems stammender österreichischer Maler, Zeichner und Radierer. Bedeutung erlangte er durch seine Altarwerke. AJ 1941: März 2., 10. TB 1941: Jan. 5. KÜNKEL Fritz, Dr. (1889–1956); deutscher Psychologe, Schüler Alfred Adlers. TB 1940: Okt. 16. KUTSCHERA Elsa, geb. Schrenzl (?–1930); in erster Ehe mit → FLAMM Robert verheiratet, die gemeinsame Tochter Gertrude emigrierte in die Vereinigten Staaten. TB 1942: Aug. 11. L., Herr (Identität ungeklärt) TB 1940: Okt. 16. LANG Emma, geb. Michka (1904–1992); seit 1927 Ehefrau von Therese Lindenbergs Halbbruder → LANG Mathias, Mutter von → LANG Erich. TB 1939: Feb. *6., 1941: Aug. *22., 1942: Juli *21., Aug. *25., Sept. *6., *10., *13., *17., Okt. *29., 1945: Juli 17., 1946: Jan. *6. LANG Erich (1943); Neffe von Therese Lindenberg, Sohn von → LANG Emma und → LANG Mathias. TB 1943: Dez. 2., 1944: Feb. 18., 29., 1946: Juni 11. LANG Mathias (1870–1943); Stiefvater von Therese Lindenberg, Angestellter. Der Sohn des Gerbermeisters Mathias Lang und dessen Frau Julianna wurde in Hodság/Ungarn (heute: Odžaci/Serbien) geboren. 1898 heiratete er Rosalia Trestl, die Mutter von Therese Lindenberg. Im selben Jahr nahm das Ehepaar die sechsjährige Therese, die bis dahin bei ihrer Großmutter gelebte hatte, zu sich nach Wien. 1899 wurde die Tochter Emma, 1902 der Sohn Mathias geboren. Die Familie Lang wohnte ab 1900 in der Novaragasse im 2. Bez.

Personenregister   357

AJ 1940: Mai 14., 1941: März *2., 1943: Jan. 31., Feb. 9. TB 1938: Juni 30., 1940: Mai 25., 1941: Apr. 25., Okt. 13., 1942: Mai 3., Aug. *4., Dez. 6., 1943: Jan. 26., 31., Feb. 4., 7., 9., 13., 15., 26., März 12., 1944: Feb. 12., 18., Sept. 22., 1945: Jan. 21., März 22. LANG Mathias (1902–1981); Halbbruder von Therese Lindenberg, Ehemann von → LANG Emma, Vater von → LANG Erich; Angestellter der Wiener Verkehrsbetriebe. TB 1939: Juli 10., 1945: Juli 18., Sept. 16., 1946: Juni 11. LANG Rosalia, geb. Trestl (1871–1968); Mutter von Therese Lindenberg; als viertes von neun Kindern in Hohenwarth am Manhartsgebirge (NÖ) geboren, wo ihr Vater Wagnermeister war. 1873 übersiedelte die Familie nach Groß-Riedenthal (NÖ). Als junges Mädchen kam Rosalia Trestl nach Wien, wo sie anfangs (wie die ältere Schwester Theresia → WODICKA) bei ihrem Onkel → LEHNHOFER Michael als Dienstmagd arbeitete. Später absolvierte sie eine Lehre als Schneiderin/Kleidermacherin. In Wien lernte sie auch den Vater von Therese Lindenberg kennen → SPIEGEL Ferdinand. AJ 1938: März 13., 1939: Juli 10., Dez. 10., 1940: Jan. 10., März 19., April 30., Mai 14., 1941: März *2., Sept. 18., Nov. 16., 1943: Dez. 15., 1944: April 27., Juni 6., 1945: April 17., Juli 5., 14., 18. TB 1938: März 13., 1939: Jan. 4., 1940: Aug. 4., 1941: Apr. 25., Juni 26., Sept. 18., Okt. 2., 13., 1942: Feb. 1., Mai 3., 28., Aug. *4., 19., Okt. 16., 1943: Feb. 13., März 21., April 2., 7., 11., 18., 25., Mai 1., 2., 7., Juli 3., Aug. 1., 14., Sept. 30., Dez. 26., 1944: Feb. 20., März 10., Juli 1., 9., Aug. 14., Sept. 15., Okt. 2., Dez. 17., 1945: Jan. 1., April 16., Juni 30., Juli 14., 18., Sept. 6., 12., Okt. 27., 30., Nov. 1., 17., 30., Dez. 22., 1946: April 28., Mai 5., 8., 18., Juni 2., 4., 22., Juli 30. Langer, Herr (Identität ungeklärt) TB 1942: Sept. 20. LEANDER Zarah (1907–1981); schwedische Filmschauspielerin und Sängerin. TB 1942: Juli 26. LEHNHOFER Carl, Dr., ao. Univ. Prof. (1882–1954); Sohn des Gemischtwarenhändlers → LEHNHOFER Michael, Bruder von → GRANDITSCH Elisabeth und Großcousin von Therese Lindenberg. Nach dem Studium der Zoologie an der Universität Wien ging Carl Lehnhofer an die Universität Innsbruck, wo er erst als Dozent, später als außerordentlicher Professor lehrte. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit betätigte er sich auch literarisch: Seine Übersetzung von Shakespeares Wintermärchen wurde 1956 im Theater an der Josefstadt aufgeführt. TB 1939: Dez. 10., 1940: Aug. 24., 29., Nov. 30., Dez. 16., 1941: Aug. 19., Sept. 27., Dez. 26., 1942: März 12., 17., April 24., Mai 3., 7., 17., Juni 14., Aug. 16., 19., 31., Sept. 2., 8., 13., 17., Okt. 1., 5., 12., Nov. 19., Dez. 10., 24., 30., 1943: Jan. 4., 26., März 5., April 25., Mai 20., Aug. 7., 14., 19., Sept. 4., 9., 16., 20., 29., 30., Okt., 1., Nov. 8., 1944: Jan. 15., 23., Aug. 14., 20., Okt. 15., 30., 1945: Jan. 1., 9., 11., Feb. 11., 18., 27., März 10., Okt. 3., Dez. 13., 1946: Jan. 12., 27., Feb. 26., März 17., Juli 19. LEHNHOFER Michael (?–1921); Gemischtwarenhändler, Bruder von Therese Lindenbergs Großmutter, Vater von → LEHNHOFER Carl und → GRANDITSCH Elisabeth, Onkel von → STIX Ida. In seinem Geschäft bzw. Haushalt standen sowohl Therese Lindenbergs Mutter Rosalia als auch deren ältere Schwester Theresia → WODICKA im Dienst. TB 1943 : Okt. 8. Leo → WASCHAK Leo(pold) Lerli → MANTLER Karl Ley (Identität ungeklärt) TB 1945: Okt. 27.

358   Register liebes Bruderkind → LANG Erich LINDENBERG Ignaz (1875–1952); Ehemann von Therese Lindenberg, Bankbeamter. Nähere Informationen zu ihm finden sich im einleitenden Beitrag zur Edition. AJ 1938: März 13., 19., Aug. 15., Okt. 3., Nov. 10., 1940: Jan. 10., Mai 14., Sept. 19., Nov. 3., 1941: Feb. 15., März 2., Nov. 16., 1942: Feb. 8., 15., Mai 11., 31., Aug. 19., 27., 1943: Feb. 13., März 5., Sept. 4., Nov. 12., Dez. 15., 1944: März 10., Nov. 25., *30., Dez. 21., 1945: Feb. 1., März 12., April 3., 14., 17., 18., 20., Mai 10., 20., 28., Juni 2., Okt. 3., 1946: Jan. 17. TB 1938: März 13., Okt. 10., 27., Dez. 28., 1939: März 28., Juli 10., 1940: Sept. 1., 1941: Jan. 25., 31., Feb. 6., 15., 27., März 6., Juni 2., Aug. 12., Sept. 3., 18., 1942: Feb. 12., Juni 9., Aug. 23., 27., Sept. 2., 6., 1943: März 21., April 7., 18., 19., Juni 26., Juli 10., Aug. 25., Sept. 2., 4., Nov. 8., 1944: Jan. 18., März 10., Mai 19., 26., Sept. 3., 10., 26., Nov. 26., Dez. 21., 24., 31., 1945: Jan. 9., 21., Feb. 2., 5., 12., 18., 19., März 12., 15., 19., 28., April 3., 17., 18., 20., Mai 17., 20., 29., 31., Juni 3., 8., Juli 18., 26., Aug. 24., Sept. 16., Nov. 17., 21., 1946: Jan. 20., Feb. 12., Mai 13., 18., Juli 17., Aug. 2. LINDENBERG Marie, geb. Weiner (1882–1971 Providence); Schwägerin von Therese Lindenberg, Ehegattin von → LINDENBERG Robert. Nach der NS-Machtübernahme emigrierte das Ehepaar via Großbritannien in die USA, wo es in Providence/Rhode Island sesshaft wurde. AJ 1940: Jan. 10. LINDENBERG Paul, Dr. (1908–1964 New York); Neffe von Ignaz Lindenberg, Sohn von → LINDENBERG Marie und → LINDENBERG Robert. Nach dem Medizinstudium Assistenzarzt an der Universität Wien und Schauspieler bei der Kleinkunstbühne Literatur am Naschmarkt, wo er u. a. das Fiakerlied des Marc Anton kreierte. 1938 emigrierte er in die USA. Hier übernahm er später die Leitung einer Hals-, Nasen- und Ohrenklinik und führte eine Privatpraxis. Seine schauspielerische Tätigkeit setzte er auch in den USA fort, indem er dem Ensemble der Refugee Artists Group beitrat. 1964 erlag er 55jährig in seinem Heim nahe New York einem Herzschlag. AJ 1938: Nov. *26., 1940: Jan. 10. TB 1938: Nov. 22., 26. LINDENBERG Robert (1877–?); jüngerer Bruder von Ignaz Lindenberg, Ehemann von → LINDENBERG Marie, Vater von → LINDENBERG Paul. Bis zur Emigration lebte der Bahnbeamte in Korneuburg bei Wien. AJ 1938: Nov. *26., 1940: Jan. 10., 1946: April 21. TB 1938: Dez. 28. Lingner, kleiner (Identität ungeklärt) TB 1946: Aug. 22. Liserl, Nachbarskind (Identität ungeklärt) TB 1943: Sept. 18., Okt. 29. Lisi (Identität ungeklärt) AJ 1942: Juni 5., 1943: März 5., Nov. 12., 1944: Dez. 15., 30. TB 1942: März 6., Mai 10., Juni 9., Juli 5., Aug. 23., Sept. 6., Nov. 5., 1943: Jan. 9., März 5., Apr. 2., Mai 7., Aug. 7., Sept. 4., Nov. 12., Dez 14., 1944: Jan. 24., März 13., Sept. 22., Okt. 22., 27., Nov. 23., Dez. 30., 1945: Jan. 21., Feb. 11., Nov. 21., 1946: Juni 8. Lisl, Liserl, Liserle → STEINER Mona Lisa/Lise Monika Livia → ERTL-PETHÖ Livia Lotte B. → BÄCHER Lotte Lotte Bäcker → BÄCHER Lotte

Personenregister   359

MAIKL Georg (1872–1951); österreichischer Tenor und Kammersänger. TB 1944: Sept. 10. Mann, der → LINDENBERG Ignaz Mann, Lisls → STEINER Hans MANTLER Karl, Dr. (1912–1981); Sohn des Buchenwald-Häftlings und späteren ArbeiterkammerPräsidenten Karl Mantler (1890–1964), inoffizieller „Verlobter“ von Mona Lisa Lindenberg, mit der er seit Anfang der 1930er Jahre liiert war. Nach Abschluss des Jusstudiums an der Universität Wien (1937) Eintritt bei Siemens & Halske; 1947 Direktor der Arbeiterbank AG, von 1959–1967 der Wien-Kredit-Teilzahlungsbank. 1967 Generaldirektor – Stellvertreter der Zentralsparkasse, 1969–1977 Generaldirektor. Des Weiteren u. a. Vorstand des Hauptverbandes der österreichischen Sparkassen, Vorsitzender des Aufsichtsrates der Girozentrale und Mitglied des Börsenrates der Börsenkammer; 1973 auch Generalrat der Österreichischen Nationalbank und 1980 deren 1. Vizepräsident. TB 1938: Juli 20., Aug. 20., 24., Nov. 20., Dez. 1., 1939: Mai 19., Sept. 16., 21., 1940: Okt. 23., Nov. 10., 17., 30., 1941: Mai 26., 1942: Juli 5., 1943: Jan. 17., März 21., Mai 20., 1944: Sept. 26., Okt. 31., 1946: Juli 8. MAREK Adolf, führte ein Geschäft mit Musikinstrumenten im 19. Bez. TB 1943: Okt. 28. Marianne, Tante → MAYERHOFER Anna Maria Maria (Identität ungeklärt), eine der im Tagebuch notierten Stimmen aus dem Jenseits. TB 1945: Feb. 5. Marikerl (Identität ungeklärt) TB 1942: Aug. 9., 1944: Nov. 23. Marion und Karli (Identität ungeklärt) TB 1939: Feb. 6. MARTENS Kurt (1870–1945); deutscher Schriftsteller, Verfasser von Gesellschaftsromanen und Novellen, Begründer der Literarischen Gesellschaft in Leipzig. TB 1941: Jan. 16. Maschka → LINDENBERG Marie Mathi → LANG Mathias MAYERHOFER Anna Maria (1846–1941); unverheiratete Großtante von → ERTL Hilda. Therese Lindenberg lernte Anna Maria Mayerhofer im August 1939 kennen. Zusammen mit Hilda Ertl pflegte sie die hoch betagte Dame und übertrug dabei deren Reisetagebücher (Ägyptische Reise). Die Grabstätte Anna Maria Mayerhofers befindet sich am Friedhof von Langenzersdorf. AJ 1939: Okt. 27., 1940: Jan. 10., 1941: Juni 18., 22., Nov. 19., 1942: Juli 5., 1943: Dez. 13. TB 1939: Okt. 27., 1941: Apr. 25., Sept. 28., 1942: Juli 8., 26., 1943: April 19., Okt. 30., 1944: Juli 28., 1945: April 25., Juli 26., Sept. 26. MENGELBERG Willem (1871–1951); niederländischer Dirigent, 1895–1945 Chefdirigent des Amsterdamer Concertgebouw-Orchesters. TB 1940: Feb. 3. MILDENBURG Anna von (1872–1947); österreichische Sängerin und Gesangspädagogin. TB 1943: Apr. 2. MITCHELL Margaret (1900–1949); US-amerikanische Schriftstellerin. TB 1940: Okt. 10. MLČOCH, Prof. (Identität ungeklärt); Orgellehrer von Therese Lindenberg. TB 1944: Jan. 10., Juni 6.

360   Register Muth, Herr (Identität ungeklärt) TB 1941: Aug. 9., 1944: Feb. 18. Mutter → LANG Rosalia Mutter, Ediths → BAUER Franziska Mutter, Hans Brucks → BRUCK Valerie Nachbarin H. (Identität ungeklärt) TB 1944: Dez. 17. Nazikönige (Identität ungeklärt) → König Neffe → GLASSL Karl Neffe, kleiner neugeborener → LANG Erich NICHT, Frau (?–1944); Karoline Nicht, eine im 12. Bez., Fasangarten 15 lebende Pensionistin. TB 1944: Dez. 17. Nichte und Schwester von Friedrich Fürst → GRÜNFELD Ada und → GRÜNFELD Jenny Onkel Bernhard (Identität ungeklärt) TB 1941: Okt. 3. Onkel, der unangenehme → SAUER Anton Onkel S. (Identität ungeklärt); wahrscheinlich der Ehemann der → TANTE MARIE Onkel Josef → TRESTL Josef Onkel W. → WEINBERG Emil Otto → GRANDITSCH Otto PETERSILKA Franziska, geb. Trestl (1874–1965); Schwester von Therese Lindenbergs Mutter, Schneiderin; heiratete erst im hohen Alter von 72 Jahren. TB 1940: Aug. 22., 1943: Jan. 17., Mai *1., Juli 3., 1944: Dez. 17., 1945: Nov. 17., 1946: Aug. 8. PFITZNER Hans (1869–1949); deutscher Komponist. TB 1944: Mai 7. Phil (Identität ungeklärt); Freund von Mona Lisa Lindenberg auf den Philippinen. TB 1940: Apr. 28. Pichler Grete (Identität ungeklärt) TB 1943: Jan. 9., März 5., Mai 7. Porges, Frau (Identität ungeklärt) AJ 1938: Okt. 3. Prof. K. → KISSER Josef Prof. S. → SINGER-BURIAN Hermine PRONAI Hans Wolfgang (1923–?); Student, im Zweiten Weltkrieg vermisster Soldat, Sohn von → PRONAI Stephanie und → PRONAI Karl Ludwig. TB 1944: Feb. 4. PRONAI Karl Ludwig, Dr. (1871–1949); Kinderarzt, Ehemann von → PRONAI Stephanie, Vater von → PRONAI Hans Wolfgang. TB 1945: Juni *3. PRONAI Stephanie (1894–1992); Ehefrau von → PRONAI Karl Ludwig, Mutter von PRONAI Hans Wolfgang; nahm laut einer im weiteren Familien- und Bekanntenkreis tradierten Erzählung vielleicht zusammen mit → ERTL Hilda, → BRUCK Valerie und Therese Lindenberg an spiritistischen Sitzungen teil, bei denen → GARAI Sophie als Medium gewirkt haben könnte. TB 1944: Feb. 4., März 5., 1945: Mai 20., Juni *3. R. → RÜBENFELD Hermann R., Dr. → RATISLAV Josef Karl

Personenregister   361

R., Dr., Herr (Identität ungeklärt) AJ 1940: Sept. 19. R., Dr., Frau → SILBER Ella RATISLAV Josef Karl, Dr. (1890–1955); erst Bibliothekar, dann Dramaturg am Wiener Burgtheater, Schriftsteller, Lyriker; in zweiter Ehe (1930) mit Therese Lindenbergs Jugendfreundin Rosl verheiratet → RATISLAV Rosa. TB 1939: Dez. 10., 1942: Nov. 22., 1943: April 28., Juli 10., Sept. 29. RATISLAV Rosa, geb. Szilagyi (1891–?); Freundin Therese Lindenbergs aus Kinder- und Jugendtagen; schriftstellerisch ambitioniert, veröffentlichte bereits 1912 den Erzählband Donauwellen. AJ 1938: März 13., Apr. 2., Juni 19., Okt. 20., Dez. 26., 1940: Juli 16. TB 1938: Dez. 26., 1942: Nov. 19., 22., 1943: Apr. 28., 1944: Sept. 26. REDLICH (Identität ungeklärt); Orgellehrer von Therese Lindenberg. AJ 1943: Nov. 13. TB 1943: Nov. 13., Dez. 2. REICH Hans, Dr. (?–?); Pianist, seit den 1920er Jahren Konzertbegleiter Therese Lindenbergs. TB 1942: März 21. Renée (?–?); Enkelkind von Therese Lindenbergs Onkel Josef Trestl. TB 1945: März 6. Ressers (Identität ungeklärt) TB 1944: Dez. 30. Riefhaber, Grete (Identität ungeklärt) TB 1945: Mai 27. RITTER Ernst, Prof. (?–1957); Dirigent, Opern- und Konzertsänger. TB 1944: Feb. 18., Dez. 13., 1945: Jan. 29. Robert → ERTL Robert Robert → FLAMM Robert Robert, Robert H. → HANZALIK Robert Robert → LINDENBERG Robert Roberts erste Frau → KUTSCHERA Elsa ROKYTA Erika (1899–1985); österreichische Sängerin und Gesangspädagogin. TB 1944: Feb. 18. Rosa, Klein-Rosa (Identität ungeklärt); eine der Stimmen aus dem Jenseits. TB 1944: Dez. 21, 1945: Feb. 5., Mai 29., 31., Juni 8., Aug. 28., Okt. 11., Nov. 21., Dez. 5., 19., 1946: Feb. 12., 26., März 12., April 12., Mai 5., 7., Juni 5., Juli 3., 14. ROSENBAUM Julia (?–?); Jugendfreundin von → RATISLAV Rosa und Therese Lindenberg; besuchte wie Therese Lindenberg die Musikschule der Eltern von → KASSOWITZ Eugenie und → CZARNIAWSKY Vladimir. TB 1942: Juni 14. Rosl → RATISLAV Rosa Rosls Mann → RATISLAV Josef Karl Rosls Mutter → SZILAGYI Josefine Rösner, junger → RÖSNER Günter RÖSNER Günter, Ing. (?–?); Sohn von Berta (1908–2000) und Rudolf Rösner (?–1955), Nachbarn der Familie Lindenberg in der Sandrockgasse (heute: Sambeckgasse). TB 1945: Juli 14.

362   Register Rößler Hans (Identität ungeklärt) TB 1945: Mai 7. Roswitha (Identität ungeklärt) TB 1940: März 14., 1946: Feb. 2. Rü., Rübenfeld → RÜBENFELD Hermann RÜBENFELD Hermann (1914–1946 Manila); Medizinstudent, in Lise Monika Lindenberg verliebter Freund der Familie; ermöglichte ihr, die kein Visum für die Philippinen besaß, die Emigration, indem er sie als seine Verlobte ausgab. Bis 1938 lebte Hermann Rübenfeld im Haushalt der Eltern Aron und Rosa Rübenfeld im 13. Bez., Schwendergasse 57. AJ 1938: April 8., Aug. 11., Nov. 7., 1939: April 16., 1946: Mai 27. TB 1938: Juli 31., Aug. 11., 19., Nov. 7., 1939: Mai 19., 1946: Mai 27. Rübenfelds Mutter → RÜBENFELD Rosa RÜBENFELD Rosa (1886–1941 dep. Riga); Mutter von Hermann Rübenfeld, verheiratet mit dem Marktfahrer Aron Rübenfeld (1886–1941 dep. Riga). Das Ehepaar lebte zuletzt in einer Sammelwohnung im 9. Bez. Am 3. Dezember 1941 wurden die Eheleute und drei weitere Mitbewohner der Wohnung Wilhelm-Exnergasse 9/2 nach Riga deportiert und ermordet. AJ 1938: Nov. 4. TB 1938: Okt. 10., Nov. 4. Ruthy → STEINER Ruth S., Frau Dr. S. → SILBER Ella Sándor → ERTL Alexander Sándors Eltern → ERTL Amalia und ERTL Jakob SAUER Anton (?–?); Onkel von Therese Lindenberg, Ehemann ihrer Tante Cilli → SAUER Cäcilie. TB 1943: Mai 6. SAUER Cäcilie (1876–1958); Schwester von Therese Lindenbergs Mutter, Ehefrau des Weinbauern → SAUER Anton. TB 1940: Mai 12., 1943: Mai *1., 6. SAUER VON AICHRIED Emil (1862–1942); österreichischer Komponist, Pianist und Klavier­ pädagoge. TB 1940: Okt. 26. SCHACHTITZ Anton (?–?); Beamter der Israelitischen Kultusgemeinde, Inhaber einer Handelsagentur. TB 1944: Nov. 26., Dez. 17. SCHALIT Leon (1884–1950); österreichischer Schriftsteller und Übersetzer der Werke John Galsworthys; emigrierte 1938 nach Großbritannien. TB 1940: Aug. 21. SCHILLING (?–?); Baumeister und Eigentümer des Hauses Sandrockgasse (heute: Sambeckgasse) 11. Die Eheleute Schilling waren Nachbarn der Familie Lindenberg. TB 1939: Sept. 16. Schindler, Dr. (Identität ungeklärt) TB 1946: Juni 29. SCHUSCHNIGG Kurt von (1897–1977); christlichsozialer Politiker, österreichischer Bundeskanzler (1934–1938). AJ 1938: März 19. TB 1938: März 19. Schwager Robert und Mar(?)ka → LINDENBERG Robert und → LINDENBERG Marie

Personenregister   363

Schwerer Jolan, Dr. (Identität ungeklärt) AJ 1945: Aug. 2. TB 1940: Mai 25., 1945: Aug. 2. Schwester → GLASSL Emma Schwester, Waizenkorns → WAITZENKORN Alice Schwiegersohn → STEINER Hans SEHER → Ortsregister SEIDEL H(einrich) Wolfgang (1876–1945); deutscher Schriftsteller und evangelischer Pastor. TB 1942: Jan. 1. SILBER Ella (1885–1942); Witwe des Arztes Dr. Max Silber. AJ 1940: Sept. 19., 1942: Feb. 10. TB 1942: Feb. 10., Okt. 29. Singer, Frau → SINGER-BURIAN Hermine SINGER-BURIAN Hermine/Minna (?–1946); Gesangslehrerin von Therese Lindenberg, Professorin und Leiterin der Staatsakademie für Musik. Minna Singer-Burian, Schülerin von Rosa Papier-Paumgartner, wurde von ihrer Lehrerin erst zur Assistentin, dann zur Nachfolgerin gemacht. Hermine Singer-Burian war Mutter der Gesangspädagogin → GELLNER-WISOKO Berta. AJ 1945: Aug. 28. TB 1943: Okt. 28., 1945: März 22., Aug. 28., Sept. 1., 1946: April 5., 25., 28. SOHERR Friedrich, Dr. 1886–1969); Hals-, Nasen- und Ohren-Arzt, im 13. Bez., Maxingstraße 12. TB 1942: Okt. 29., Dez. 6., 1943: Jan. 9., April 11., Mai 21., Juli 24., Sept. 4., Nov. 12., Dez. 14., 1944: Jan. 24., März 13., April 24., 1945: Jan. 21., Feb. 11., Mai 8. Sohn → STEINER Hans Sp. → SPITZ SPIEGEL Ferdinand (1865–1928); leiblicher Vater Therese Lindenbergs. Spiegel war Jude, stammte ursprünglich aus Lemberg (Galizien) und kam Ende der 1880er Jahre nach Wien, wo er enger Mitarbeiter von Emil Jellinek-Mercedes wurde. Nach dem Rückzug Jellineks aus dem Automobil- und Versicherungsgeschäft führte, Spiegel das Leben eines Privatiers. Als seine Mutter gestorben war (1904), heiratete er eine nicht-jüdische Frau und erwarb ein Haus im Wiener Cottage (1905). Die Ehe blieb kinderlos. Der Erste Weltkrieg, an dem Spiegel aktiv teilnahm, ruinierte ihn sowohl gesundheitlich wie auch finanziell. Seine Tochter Therese lernte den Vater, der für sie Alimente bezahlt und auch eine Ausstattungsversicherung auf ihren Namen abgeschlossen hatte, erst um 1903/04 kennen. AJ 1938: März 13. TB 1938: März 13., 1942: Juli 8., 1943: April 7., 1946: Jan. 4. Spitz → SPITZ Max/Miksa Spitz (Identität ungeklärt); vermutlich handelt es sich um ein Ehepaar. TB 1939: Dez. 10. Sp., Herr; vermutlich identisch mit → Sp., Ing. Spitz, Ing. (Identität ungeklärt) AJ 1940: Sept. 19., 1941: Juni 18., 1942: Juli 5. TB 1940: Nov. 17., 1942: Juli 17., Okt. 29., Dez. 30. SPITZ Max/Miksa (1885–1944 dep. Theresienstadt, im selben Jahr nach Auschwitz überstellt); der in Klein Zell (heute: Celldömölk/Ungarn) geborene, allein stehende Mann war Mitbewohner der Sammelwohnung im 2. Bez., Große Schiffgasse 21. AJ 1942: Aug. 19., 1944: März 10., TB 1940: Aug. 19., 1941: Aug. 15., 1943: Nov. 12., 1944: März 10.

364   Register STAHR Ernst (1915–?); Student der Medizin, emigrierte 1938 nach den Philippinen, Sohn des Juweliers → STAHR Wilhelm. TB 1939: Nov. 16., 1945: Dez. 19. STAHR Wilhelm (?–?); Juwelier, Vater von → STAHR Ernst. TB 1941: Jan. 19. Stefferl, Stefferl P. → PRONAI Stephanie Stefferl P. Sohn → PRONAI Hans Wolfgang Steiner, Dr. → STEINER Simon STEINER Gisela (1888–1942 dep. Theresienstadt, 1944 nach Auschwitz überstellt); weiteres Schicksal unbekannt. Ehefrau von → STEINER Kalman, Tante von → STEINER Hans. Das Ehepaar Steiner besaß ein Einfamilienhaus mit Garten in der Hinterbrühl (Helmstreitgasse 5). Nach der Machtergreifung Hitlers wurden Gisela und Kalman Steiner als Juden aus der Hinterbrühl ausgewiesen; einer Aktennotiz der Vermögensanmeldestelle zufolge sollen sie sich dazu „entschlossen“ haben, „die Liegenschaft ihrer langjährigen ehem. Angestellten (Karoline Heider) zu schenken“. Karoline Heider hatte 18 Jahre lang in der Firma von Gisela und Kalman Steiner gearbeitet. AJ 1941: März 27., 1942: Sept. *27., Okt. 2. TB 1942: Sept. *10., 27., Okt. 2. STEINER Hans, Dr. (1908–1980); Ehemann von Mona Lisa Steiner, Rechtsanwalt, Lehrer, Handelsdelegierter. Studierte Rechtswissenschaften in Wien, 1938 mit Berufsverbot belegt. Hans Steiner emigrierte über Dänemark nach Manila, wo er Mona Lisa Lindenberg kennen lernte und heiratete (1940). Bis zu Beginn der japanischen Angriffe auf Manila als Lehrender für Sprachen und Kunstgeschichte an der dortigen Universität tätig, während des Krieges und auch danach bei Unilever beschäftigt. Anfang der 1950er Jahre wurde Hans Steiner zum österreichischen Handelsdelegierten, später zum Generalkonsul ernannt. 1965 kehrte er mit seiner Familie nach Österreich zurück. AJ 1940: Juli 12., Sept. 8., Nov. 19., Dez. 24., 1941: März 10., 27., Okt. 2., 1942: Jan. *19., Mai 11., Juni *25., Juli 5., Sept. 6., Dez. 31., 1943: Jan. *9., *26., Feb. *27., März *5., Juni *20., Aug. *2., Sept. *10., 1944: Jan. *7., Mai *7., Juni 6., Sept. *18., 22., Nov. *19., *30., Dez.*31., 1945. Jan. *9., Feb. 1., März *22., Apr. *3., *14., *18., *29., Mai *10., Aug. *15., *30., Sept. 6., 1946: Feb. *13., *15., Mai 13., Juni *8., Juli *3., Aug. 25. TB 1941: März 9., Mai 10., Okt. 2., 1942: Dez. 31., 1943: Feb. 27., März *21., April *27., Mai *6., *31., Sept. *18., Dez. *31., 1944: Feb.*12., Juni 8., Sept. *18., 1945: Feb. 11., April *3., Mai *22., *26., Sept. *1., 6., Dez *31., 1946: Feb. 13., *15.,*12., April * 12., *13., 16., *17., Juni *11., *23., Juli 8., *17., *27. STEINER Helen (1942); Enkelkind von Therese Lindenberg. AJ 1942: Dez. 31., 1943: Jan. *9., 10., *26., Juni *20., Aug. *2., Sept. *10. 1944: Jan. 7., Mai *7., Sept. *18., Nov. *19., *30., Dez.*31. 1945: Jan. *9., 21., März *22., Apr. *3., *14., *18., *29., Mai *10., Juli 5., Aug. *15., *30., Okt. 3., 1946: Feb. *13., *15., Mai *13., Juli *3. TB 1942: Jan. 16., März 8., Sept. 6., Dez. 31., 1943: Jan. 10., Feb. 27., März 9., April *27., Mai *6., 20., *31., Sept. *18., 29., Dez. 24., Dez. *31., 1944: Jan. 18., Feb. *12., 20., Mai 19., 26., Sept. *18., 1945: Jan. 21., Feb. 12., April *3., Mai 17., *22., *26., 29., Juni 3., Juli 9., Sept. *1., *6., 12., Dez. *31., 1946: Feb. 13., *15., *22., *26., April *12., Mai *5., *13., *17., Juni *11., *23., *29., Juli *17., *27. STEINER Josef (?–?) und Karoline (?–?), Verwandte von → STEINER Hans. TB 1941: März 29.

Personenregister   365

STEINER Kalman (1882–1942 dep. Theresienstadt, 1944 nach Auschwitz überstellt); Kaufmann, Ehemann von → STEINER Gisela, Onkel von → STEINER Hans. Eigentümer einer Handelsfirma für Textil-, Strick- und Wirkwaren, die von der langjährigen Angestellten Karoline Heider übernommen wurde. AJ 1941: März 27., 1942: Sept. *27. TB 1942: Sept. *10. STEINER Mona Lisa/Lise Monika, geb. Lindenberg, Dr., (1915–2000); Tochter von Therese und Ignaz Lindenberg; 1934–1938 verlobt mit → MANTLER Karl. Studium der Botanik; musste die Hochschule kurz vor dem Rigorosum verlassen. Im Oktober 1938 emigrierte sie zusammen mit → RÜBENFELD Hermann, der im Besitz eines Affidavits für Manila war. Auf den Philippinen begann sie neuerlich zu studieren; nach Abschluss (Bachelor of Science) als Lehrbeauftragte an der Universität von Manila tätig. 1940 Heirat mit → STEINER Hans. 1954 vorübergehende Rückkehr nach Wien, um das Rigorosum abzulegen und zu promovieren. 1965 definitive Rückkehr nach Österreich. STEINER Ruth, Mag. (1944); Enkeltochter von Therese Lindenberg, geboren auf den Philippinen, wo sie eine amerikanische Schule besuchte. 1959 Übersiedlung nach Wien, 1962 Konversion zum röm.kath. Glauben; als Taufpatin fungierte → ERTL Hilda. Nach Abschluss des Studiums der Rechtswissenschaften im Personalwesen tätig. Von 1986–2000 Generalsekretärin der Katholischen Aktion Österreich. AJ 1946: Feb. *13., *15., Mai *13., Juli *3. TB 1946: Feb 13., *15., *12., *26., April *12., Mai *5., *13., *17., Juni *11., *23., *29., Juli *17., *27. STEINER Simon, Dr. (1871–1939); Facharzt für Orthopädie. Vater von → STEINER Hans. Die drei Söhne des seit 1922 Verwitweten emigrierten 1938. AJ 1940: Juli 12. TB 1943: April 7. Stelzer (Identität ungeklärt) TB 1941: Sept. 8. Stix → STIX Ida und → STIX Alfred Stix, Hofrat → STIX Alfred STIX Alfred, Dr. (1882–1957); Kunsthistoriker und Generaldirektor der Österreichischen Kunstsammlungen, Ehegatte von → STIX Ida. AJ 1943: Dez. *15. TB 1942: Mai 28., Sept. 27., 1943: Okt. *8. STIX Ida (1885–1958); Cousine von → LEHNHOFER Carl und → GRANDITSCH Elisabeth, Ehefrau von → STIX Alfred. AJ 1943: Dez. *15., 1944: Nov. 12. TB 1943: April 18., 27., Aug. 17., Okt. *8., 1944: Jan. 18., 24., 29., Feb. 1., 4., 13., 18., 20., 26., 29., März 5., 10., 17., 22., April 9., 28., Mai 7., 16., Juli 7., 12., 14., 21., 28., Aug. 1., 9., 20., 22., Sept. 19., Nov. 12., 15., 30., Dez. 21., 30., 1946: Mai 28. STRUNZ Erwin (1904–1995); seit den frühen 1920er Jahren mit Therese Lindenberg befreundet; wie Therese Lindenberg als uneheliches Kind in der NÖ Gebär- und Findelanstalt geboren. Nach dem frühen Tod seiner Mutter Helene (1884–1907) wuchs Strunz bei der Großmutter auf. 1927 Heirat mit einer Frau jüdischer Konfession, Konversion vom katholischen Glauben zum Judentum; 1938 Austritt aus der Israelitischen Kultusgemeinde und Wiedereintritt in die katholische Kirche. Im selben Jahr mit Hilfe der Quäker Emigration nach Irland, wo er bis zu seinem Tod lebte. Strunz korrespondierte über 40 Jahre hindurch mit Therese Lindenberg.

366   Register TB 1939: März 11., 1941: Juni 10., 1942: Juni 9., Aug. 23., 1943: Feb. 26., Aug. 19., 1944: April 14., Juni 6., 1945: Okt. 30., 1946: Feb. 2., Juni 8. STURM Julius (1816–1896); deutscher Dichter der Spätromantik, Verfasser von u. a. Neue Märchen für die Jugend, Das Buch für meine Kinder und Märchen. TB 1941: Juni 20. Sü., Sübak, (Identität ungeklärt) TB 1942: Sept. 27. SYBERBERG Rüdiger (1900–1978); deutscher Schriftsteller. TB 1945: Mai 7. SZILAGYI Josefine, geb. Bauch (1859–1917); Mutter von → RATISLAV Rosa. TB 1945: Mai 13. TALLEYRAND Charles Maurice, Herzog von (1754–1838); französischer Staatsmann, Außenminister und Vertreter Frankreichs beim Wiener Kongress. TB 1944: Dez. 1. Tante → MAYERHOFER Anna Maria Tanten → PETERSILKA Franziska und → Tante Marie Tante Anna (?–1959); Tante von → STRUNZ Erwin. TB 1945: Nov. 21., 1946: Feb. *2. Tante Cilli → SAUER Cäcilie Tante Fanny, T. Fanny → PETERSILKA Franziska Tante Marianne → MAYERHOFER Anna Maria Tante Marie (1865–1955); Schwester von Therese Lindenbergs Mutter → LANG Rosalia geb. Trestl; lebte zuerst in Wien, kehrte dann nach Groß-Riedenthal zurück und heiratete einen Weinbauer aus Neudegg. TB 1943: Mai *1., 2., 6., 1944: Aug. 15. Tante W. → WEINBERG Gabriele Tögl (Identität ungeklärt) AJ 1945: Juli 18. TB 1945: Juli 18. TÖNNIES Ilse (?–?); deutsche Schriftstellerin. TB 1942: Jan. 1. Tommi/Tommy → ERTL Thomas TREBITSCH Siegfried (1869–1956), österreichischer Schriftsteller und Übersetzer, 1938 Emigration in die Schweiz. TB 1940: Aug. 18. TRESTL Anna, geb. Lehnhofer (1841–1924); Großmutter von Therese Lindenberg, Bäuerin in GroßRiedenthal. Aus der Ehe mit dem Wagnermeister Joseph Trestl gingen neun Kinder hervor. Anna Trestl versorgte ihre Enkeltochter Therese bis zu deren 6. Lebensjahr (1898). TB 1940: Mai 12., 1942: April 5., Aug. *14., 1943: Aug. 2., Okt. 1., 1944: Aug. 14., 1945: Juli 26. TRESTL Anna (1867–1881); Schwester von Therese Lindenbergs Mutter, verstarb 13-jährig an Diphtherie. TB 1944: März 17. TRESTL Josef (1841–?); Großvater von Therese Lindenberg, Wagner und Bauer in Groß-Riedenthal. TB 1942: Aug. *14.

Personenregister   367

TRESTL Josef (1878–?); Onkel von Therese Lindenberg, Bruder ihrer Mutter. Der gelernte Wagner heiratete nach Glaubendorf (NÖ), wo er als Gemeindebediensteter tätig war und mit seiner Gattin eine kleine Landwirtschaft betrieb. TRESTL Rosalia → LANG Rosalia Valerie → BRUCK Valerie, Dr. Valerie (Identität ungeklärt); eine der Stimmen aus dem Jenseits. TB 1945: Feb. 12., März 19., Juni 3., Sept. 12., 26., Okt. 29., Nov. 7., 1946: Feb. 12., April 12., März 7., 21., Juni 5., Juli 3., 30. Vater → SPIEGEL Ferdinand Vater → LANG Mathias Violetta (Identität ungeklärt) TB 1942: Nov. 4., 1943: März 9., 21. VIOTTI Gian Battista (1775–1824); italienischer Komponist und Geiger. TB 1943: Jan. 23. W. → WASCHAK Leo(pold) WAGNER Fritz (?–?); Sohn von Therese Lindenbergs Tante Theresia → WODICKA; ließ seinen ursprünglichen Namen in Wagner ändern. TB 1945: Nov. 11., 1946: Aug. 21., 22. WAITZENKORN Alice (1881–?); Buchhalterin, Schwester von → WAITZENKORN Arthur. TB 1940: Jan. 29. WAITZENKORN Arthur (1876–1942 Litzmannstadt); Zeitungsangestellter, Schüler von Therese Lindenberg. AJ 1940: Jan. 10. Waizenkorn, Herr → WAITZENKORN Arthur WALNY Marianne, Dr. (1897–1981); Lektorin und Fotografin, Mitherausgeberin (1949) des von Johanna Spyri verfassten Kinderbuchs Heidi. Freundin der Familie → ERTL. AJ 1944: Dez. 15. TB 1940: Aug. 28., 1941: Juli 26., Aug. 8., 11., 1943: Jan. 17., März 5., 21., April 18., 25., Mai 31., Juli 10., 1944: Jan. 9., Feb. 29., Mai 12., Okt. 15., Dez. 16., 1945: Jan. 1., Mai 7., Juni 8., Sept. 9., Nov. 24., 1946: Jan. 3., 27., Feb. 9., 26., März 31., April 16., Juli 19., Aug. 22. WANKO; Transportunternehmen im 11. Bez. AJ 1945: Juli 18. WASCHAK Leo(pold) (1883–1956); Gymnasiallehrer für Mathematik, während seiner Studienzeit Schwarm Therese Lindenbergs. TB 1942: Okt. 1., 2., 1943: Jan. 14., Sept. 30., 1944: Aug. 31., 1945: Jan. 8., 9. WASCHAK Marianne, geb. Herforth (1888–1960); seit 1926 Ehegattin des Leopold Waschak. Die Ehe blieb kinderlos. TB 1943: Jan. 14. Wladzko/Wlatzko → Czarniawsky Vladimir WEINBERG Emil, Dr. (1874–1942 Theresienstadt); Onkel von Hans Steiner. Am 28.Juli 1942 mit seiner Gattin → WEINBERG Gabriele nach Theresienstadt deportiert, wo er noch im selben Jahr verstarb. AJ 1941: Juni 22., 1942: Jan. 16. WEINBERG Gabriele (1886–1944 Theresienstadt); Tante von Hans Steiner, Geflügelhändlerin. Am 28.Juli 1942 mit ihrem Gatten → WEINBERG Emil nach Theresienstadt deportiert, wo sie im Februar 1944 zu Tode kam.

368   Register AJ 1941: Juni 22., 1942: Jan. 16. WIEHART Eva (1919–1942); beging 23jährig Selbstmord. Eva Wieharts Mutter führte im 13. Bez. ein Lebensmittelgeschäft. TB 1944: Aug. 31., Sept. 22., 1945 Jan. 21., Mai 26. WILDGANS Anton (1881–1932); österreichischer Schriftsteller und Dichter, Direktor des Wiener Burgtheaters (1921–1923 und 1930/31). TB 1939: Aug. 1. WILDGANS Friedrich (1913–1965); österreichischer Komponist und Klarinettist, Sohn des Dichters → WILDGANS Anton; während der NS-Zeit verfolgt und verhaftet. TB 1943: Mai 20. Wilhelm (Identität ungeklärt) TB 1942: Dez. 30. WODICZKA Johann (?–?), Sattlermeister; Gatte von Therese Lindenbergs Patentante Theresia geb. Trestl (1869–1957), Vater von → WAGNER Fritz; 1898 Trauzeuge bei der Eheschließung von → TRESTL Rosalia und → LANG Mathias. TB 1944: Juli 9. WUNDERER → Ortsregister ZEHENDNER/ZEHENTNER, Bäcker im 12. Bez. TB 1940: Juli 16., 1943: März 28., Juni 26., 1944: Feb. 18., Okt. 27., 1945: Juni 11., Okt. 4., 1946: Feb. 2. ZIEGER, Wäschewarengeschäft im 12. Bez. TB 1943: Juni 5. Zieper (Identität ungeklärt) TB 1944: Dez. 17.

Ortsregister   369

Ortsregister Lesehinweis Das Ortsregister führt alle Straßen, Gassen, Plätze sowie Ausflugsziele an, die in den edierten Originaltagebüchern und im Typoskript „Die apokalyptischen Jahre. 1938–1946“ erwähnt werden. In das Verzeichnis aufgenommen wurden auch Kirchen, Kapellen, Wallfahrtsstätten und Friedhöfe, die Therese Lindenberg in dieser Zeit immer wieder aufsuchte. Auf Einträge im Personen- oder Ortsregister, die weitere Informationen zur genannten Örtlichkeit beinhalten, wird ebenfalls verwiesen (zum Beispiel durch → KISSER Josef oder → Neustift am Walde). Die im Register angeführten Bezirkszuschreibungen von Straßen und Gassen entsprechen dem Stand von 1939. Bis 1938 hat Wien 21 Bezirke umfasst; nach der nationalsozialistischen Machtübernahme kam es im Oktober desselben Jahres zur Eingliederung von 97 niederösterreichischen Klein- und Kleinstgemeinden im Umkreis der Stadt. Der so entstandene Ballungsraum erhielt den Namen „Groß-Wien“ (vgl. Abb. 15). 80 dieser Gemeinden wurden 1946/54 an Niederösterreich zurückgegeben, die 17 bei Wien verbliebenen bilden heute den 22. und 23. Bezirk (Donaustadt respektive Liesing). 1938 veränderten sich aber nicht nur die Außengrenzen der Stadt: Innerhalb des Stadtgebietes wurden zahlreiche Straßen und Gassen umbenannt und Bezirksgrenzen verschoben. So verlor zum Beispiel der 13. Bezirk (Hietzing) seine links des Wienflusses gelegenen Gebiete. Aus diesen entstand der neue 14. Bezirk Penzing; der einstige 14. Bezirk wurde mit dem bestehenden 15. zum Bezirk Fünfhaus zusammengeschlossen. Wie viele Wienerinnen und Wiener, nahm Therese Lindenberg diese Neuordnung nur wenig wahr. Sie behielt die Bezirks- oder Flurnamen bei, die ihr seit Kindertagen vertraut waren. Das erklärt, warum manche der von ihr in den Tagebüchern verwendeten Bezirksbezeichnungen von jenen, die im Ortsregister aufscheinen, abweichen. Diesen Unterschiedlichkeiten Rechnung tragend, wurden alle Wien betreffenden Einträge mit der korrekten numerischen Bezirksbezeichnung versehen und in einer eventuell folgenden Klammer der gebräuchlichere Flurnamen angegeben. Dies gilt vor allem für jene von Therese Lindenberg oft aufgesuchten Plätze, Straßen und Gassen des 12., 13., 14., 17., 18. und 19. Bezirks. Zur leichteren Orientierung wurden bei Theatern, Kirchen, Klöstern, Friedhöfen und Gedenkstätten die jeweiligen Adressen angeführt. Führen Orte, Plätze, Straßen und Gassen ein „ß“ im Namen, so wird dies in Versalschrift als „ss“ wiedergegeben.

370   Register

Abkürzungen Bez. CZ NÖ OÖ S

= = = = =

Gemeindebezirk Tschechische Republik Niederösterreich Oberösterreich Salzburg

Abb. 15: Karte des damaligen Groß-Wien (nach den Eingemeindungen vom 15. Oktober 1938), wo Therese Lindenberg an vielen Tagen weite Strecken von einem Bezirk zum anderen oder in die nähere Umgebung der Stadt zurücklegte.

Ortsregister   371

ABSDORF (NÖ): Bahnstation (heute: Absdorf-Hippersdorf ) auf dem Weg nach → Groß-Riedenthal → Krems → Neudegg. ÄGIDIKIRCHE: 6. Bez. (Gumpendorfer Straße 109); Pfarrkirche „St. Aegydius“ mit Gemälden des österreichischen Barockmalers Martin Johann Schmidt, genannt → Kremser Schmidt. Eine in der Fassade eingelassene Gedenktafel erinnert an die feierliche Einsegnung Joseph Haydns im Jahr 1809; deshalb mitunter auch als → Haydnkirche bezeichnet. AGNESGASSE: 19. Bez. (Sievering); östliche Begrenzung von → Neustift am Walde, nahe von → Am Himmel. ALSERKIRCHE: 8. Bez. (Alser Straße 17); Pfarrkirche „Zur Allerheiligsten Dreifaltigkeit“ mit → Antoniuskapelle. ALTE LUSTHAUSSTRASSE → Lusthausstraße AMEISBRÜCKE: 14. Bez., Brücke über einen Frachtenbahnhof. AM FEUERSANG → Feuersang AM HIMMEL: 19. Bez. (Sievering); Anhöhe zwischen Himmelstraße und → Bellevuestraße. Ab 1906 befand sich hier das Kloster der Schwestern vom armen Kinde Jesus → Klosterkirche am Himmel. AM KAI → Franz Josefs Kai ANDRÄ, ANDRÄ WÖRDERN → St. Andrä Wördern ANGELIBAD: 21. Bez., 1920 eröffnetes Sommerbad mit Badestrand an der Alten Donau in → Floridsdorf. ANNENKIRCHE → St. Anna Kirche ANNINGER (NÖ): Hausberg (675 m) von → Mödling mit der → Wilhelmswarte als Gipfel. 1938–1946/54 zu Groß-Wien gehörend. ANTONIUSKAPELLE: 8. Bez. (Alser Straße 17); als Zentrum der Antonius-Verehrung in Wien geltende Kapelle in der Pfarrkirche „Zur Allerheiligsten Dreifaltigkeit“ → Alserkirche. AU AM KRAKING (NÖ): Gemeinde westlich vom → Irenental und nördlich von → Rekawinkel. AUGARTEN: 2. Bez., weitläufige, im Stile des französischen Barocks angelegte Parkanlage mit Palais (Sitz der Wiener Sängerknaben) und Orangerie (Porzellanmanufaktur Augarten). AUHÖHE (NÖ): nicht lokalisierbarer Ort im Umland von → Neudegg. BACHLEITEN (NÖ): nicht lokalisierbarer Ort im Gebiet der → Rax. BARMHERZIGENKIRCHE: 2. Bez. (Taborstraße 16); Klosterkirche der Barmherzigen Brüder, Pfarrkirche „St. Johannes Baptist“ → Johanneskirche/Johanneskapelle. BAUMGARTEN: Teil des 14. Bez. (→ Penzing); 1890/92 in den damaligen 13. Bez. (→ Hietzing) eingemeindet; mit der Bildung Groß-Wiens (1938) dem 14. Bez. zugeordnet. BAUMGARTNERKIRCHE → St. Anna Kirche BAUMGARTNERSTRASSE, eigentlich BAUMGARTENSTRASSE: 14. Bez. (Baumgarten); Wohnadresse von → Kisser Josef. BEETHOVENHAUS, eigentlich EROICA-HAUS: 19. Bez. (Döblinger Hauptstraße 92); im Sommer 1803 wohnte und arbeitete Ludwig van Beethoven (1770–1827) in diesem Haus, in dem ein Großteil seiner 3. Symphonie („Eroica“) entstand. BELLARIA: 1. Bez., Haltestelle der Richtung → Hütteldorf fahrenden Straßenbahn– und Autobuslinien. BELLEVUESTRASSE: 19. Bez. (Sievering); von der Sieveringer Straße zum → Am Himmel führend; Wohnadresse von → Schalit Leon. BELVEDERE, SCHLOSS BELVEDERE: 3. Bez. (Prinz Eugen-Straße, → Rennweg); im 18. Jhd. von Prinzen Eugen von Savoyen errichtete Gartenanlage mit Wasserspielen und zwei Schlössern. Das klei-

372   Register nere Palais (Unteres Belvedere) diente dem Prinzen als Sommerresidenz, das größere (Oberes Belvedere) zu Repräsentationszwecken. Das Belvedere beherbergt mehrere bedeutende Kunstsammlungen. BENNOGASSE: 8. Bez. BISAMBERG (NÖ): Aussichtsberg (360 m) östlich der Donau nahe von → Floridsdorf → Stammersdorf → Langenzersdorf und → Hagenbrunn. 1938–1946/54 zu Groß-Wien gehörend. BLAASSTRASSE: 19. Bez. (Döbling); Gasse im Wiener „Cottage“; ab 1905 Wohnadresse von → Spiegel Ferdinand. BLUMAUERGASSE: 2. Bez.; nahe der Blumauergasse befand sich Therese Lindenbergs erster Arbeitsplatz (1910–1912). BRAHMSPLATZ: 4. Bez., Wohnadresse von → Gellner-Wisoko Berta und → SINGER-BURIAN Minna. BREITE FÖHRE (NÖ): mächtige Schwarzföhre (Naturdenkmal) auf dem Weg von → Mödling zum → Anninger. BRÜHLER PARK (NÖ): Parkanlage in der → Hinterbrühl. Die Parkstraße ist die Verlängerung der → Helmstreitgasse. BRUNN AM GEBIRGE (NÖ): Marktgemeinde unmittelbar an der Wiener Stadtgrenze nahe → Gießhübl. 1938–46/54 zu Groß-Wien gehörend. BÜDINGERGASSE: 19./18. Bez. (Pötzleinsdorf ); kleine Gasse an der Bezirksgrenze, hieß von 1942–1945 „Hans Hirsch-Gasse“. BURGTHEATER: 1. Bez. (Dr. Karl Lueger-Ring 2); Prachtbau an der Wiener → Ringstraße. Arbeitsstätte von → Ratislav Josef. CAFÉ GRÖP(E)L: 13. Bez., traditionelles Wiener Kaffeehaus nahe Schloss → Schönbrunn. COBENZL, KOBENZL: 19. Bez. (Grinzing); an der → Höhenstraße nahe → Himmel und → Grinzing gelegenes Ausflugsziel (492 m) mit Schlosshotel, Cafépavillon und großzügiger Parkanlage. COLLOREDOGASSE: 18. Bez. (Währing); Gasse im Wiener „Cottage“; Wohnadresse von → GARAI Sophie. COTTAGE, COTTAGEGASSE(N): Gassen im Villenviertel („Cottage“) des 18./19. Bez. (Währing/ Döbling); Wohngegend von → Flamm Edith → Spiegel Ferdinand → Garai Sophie. CUSTOZZAGASSE: 3. Bez. DÖBLING: Name für den 19. Wiener Gemeindebezirk, bestehend aus den 1890/92 eingemeindeten Vororten → Döbling → Grinzing → Heiligenstadt → Kahlenbergerdorf → Nußdorf → Sievering und Josefsdorf. → Neustift am Walde und → Salmannsdorf wurden 1938 in den 19. Bez. integriert. DÖBLINGER FRIEDHOF: 19.Bez. → Hartäckerstraße. DOMINIKANERKIRCHE: 1. Bez. (Postgasse 4); barocke Klosterkirche des Dominikanerordens, die 1927 den Titel „Basilica minor“ verliehen erhielt. DORNBERG (NÖ): Gemeinde mit Anhöhe (371 m), nahe → Rekawinkel und zu → Au am Kraking gehörend. DREIMARKSTEIN: 19. Bez. (Salmannsdorf ); Aussichtsberg (454 m) mit Schiwiesen im → Wienerwald beim → Häuserl am Roan. Knapp unterhalb des Gipfels verläuft die → Höhenstraße. EDER (NÖ): Gaststätte am → Scheiblingstein. EICHENDORFFGASSE: 19. Bez. (Döbling); Gasse im Wiener „Cottage“; Wohnadresse der Familie → Flamm. EICHGRABEN (NÖ): Marktgemeinde im → Wienerwald mit → Kloster am Stein, nahe → Rekawinkel.

Ortsregister   373

EICHHOF, eigentlich EICHELHOF: 19. Bez. (Nußdorf ); Gasthof am Abhang des Nußbergs (308 m), mit besonders schöner Aussicht auf Wien und die Donau. Ein Wanderweg führt über → Nußberg und → Eroicagasse nach → Nußdorf oder → Grinzing. EINSIEDLERGASSE: 5. Bez. → Herz Jesu Kirche. EISERNE HAND: 19. Bez. (Kahlenbergerdorf ); Raststation auf der Wanderroute zum → Kahlenberg bzw. nach → Nußdorf und → Grinzing. ELISABETHALLEE: 12./13. Bez. (Hetzendorf/Hietzing); von der Rosenhügelstraße (erste gemeinsame Wohnadresse von Therese und Ignaz Lindenberg) zum → Hietzinger Friedhof führende Allee. ELISABETHÖHE (NÖ): Gipfel und Ausflugsziel am → Bisamberg (360 m) mit Blick auf die Donau. 1938–1946/54 zu Groß-Wien gehörend. EROICAGASSE: 19. Bez., von → Heiligenstadt nach → Nußdorf führend; benannt nach Ludwig van Beethovens (1770–1827) 3. Symphonie in Es-Dur op. 55 („Eroica“) → Beethovenhaus. ERZBISCHÖFLICHES PALAIS: 1. Bez. (Rotenturmstraße 2); in der ersten Hälfte des 17. Jhd. errichtetes Palais in unmittelbarer Nähe des → Stephansdoms, in dem sich u. a. die Residenz des Kardinals und der Verwaltungssitz der Erzdiözese Wien befindet. EXELBERGHÖHE: 17. Bez. (Neuwaldegg); Anhöhe (515 m) im → Wienerwald. ENZERSDORF → Maria Enzersdorf FASANGARTEN: 13. Bez. (Hietzing); ehemals zur Jagd genutzter Teil des Schlossparks von → Schönbrunn. 1938 wurde auf dem Gelände eine Kaserne der Waffen-SS errichtet. FELIX DAHN-STRASSE: 18./19. Bez. (Gersthof/Pötzleinsdorf ); zur → Hartäckerstraße und zum → Döblinger Friedhof führend. FEUERSANG (S): Auf 880 m liegende Gemeinde südwestlich von Altenmarkt (Land Salzburg), wo die Familie Lindenberg bis 1938 alljährlich den Winterurlaub verbrachte. Ausgangspunkt eines Wanderweges zur Anhöhe „Am Feuersang“. FINK (NÖ): Gaststätte nahe → Au am Kraking. FLORIDSDORF: Name für den 21.Wiener Gemeindebezirk am linken Donauufer, bestehend aus sechs eingemeindeten Vororten, unter anderem → Jedlesee (1904) und → Stammersdorf (1954). FLÖTZERSTEIG: 14./16. Bez.; geradlinig verlaufende Straße durch den 14. (→ Baumgarten) und 16. Bez. (Ottakring). FRANZ JOSEFS KAI: 1. Bez. (Innere Stadt); schließt an den → Morzinplatz, wo zwischen 1938 und 1945 der Sitz der GESTAPO war. FRIEDHOF „AN DEN LANGEN LÜSSEN“ → Grinzinger Friedhof. FRIEDHOF (IV. TOR): Neue Israelitische Abteilung des → Zentralfriedhofs. Hier befindet sich die Grabstätte der Eltern von → Steiner Hans. FUGBACHGASSE: 2. Bez., letzte Wohnadresse von → Bächer Rosa. GAADEN (NÖ): An einer alten Wallfahrtsstraße gelegene Marktgemeinde im nördlichen → Wienerwald am Fuße des → Anningers, nahe → Gießhübel und → Hinterbrühl. 1938–1946/54 zu GroßWien gehörend. GABLONZ AN DER NEISSE/JABLONEC NAD NISOU (CZ): Stadt in der ehemaligen Tschechoslowakei an der Grenze zu Polen und Deutschland. Anlässlich eines Begräbnisses war die Familie Lindenberg im August 1937 u. a. in Gablonz gewesen. GALLGASSE: 13. Bez. (Hietzing); zum → Rosenhügel führend. GÄNSEHÄUF(E)L: 22. Bez.; 1907 errichtetes Strandbad an der Alten Donau, das während des Zweiten Weltkrieges total zerstört und 1950 wieder eröffnet wurde. GATTERBURGGASSE: 19. Bez. (Döbling); Wiener Wohnadresse von → Lehnhofer Carl. GERSTHOF: Teil des 18. Bez. (→ Währing); 1890/92 nach Wien eingegliederte Vorortgemeinde.

374   Register GIESSHÜB(E)L, GIESSHÜBLER STRASSE (NÖ): Anhöhe westlich von → Mödling. Ausgangspunkt für Wanderungen nach → Perchtoldsdorf und → Maria Enzersdorf. 1938–1946/54 zu Groß-Wien gehörend. GLAUBENDORF (NÖ): Weinbaugemeinde nördlich von → Großweikersdorf. Wohnort von Therese Lindenbergs Onkel → Trestl Josef. GLORIETTE: 13. Bez. (Hietzing); klassizistischer Kolonnadenbau auf einer Anhöhe gegenüber dem Schloss → Schönbrunn. GÖBL-KÜHNSTEIG (NÖ): Wandersteig im Gebiet der → Rax → Waxriegel. GOLDEGGASSE: 4. Bez., Sitz der Wiener Bestattung. GOLDENE STIEGE (NÖ): Hauptaufstiegsweg zum → Anninger. GREINERGASSE: 19. Bez. (Nußdorf ); von → Heiligenstadt nach → Nußdorf führend; auf Nr. 25 befindet sich die „Nußdorfer Kirche“ → St. Thomas Kirche. GRIESLEITENWEG (NÖ): Wanderweg im Gebiet des → Waxriegel. GRINZING: Teil des 19. Bez. (→ Döbling); 1890/92 nach Wien eingegliederte Vorortgemeinde. GRINZINGER FRIEDHOF: 19. Bez. (An den langen Lüssen 33) → Friedhof „an den langen Lüssen“. GRÖP(E)L → Café Gröp(e)l GR.WEIKDF./GROSSWEIKERSDORF (NÖ): zwischen → Glaubendorf und → Absdorf gelegene Weinbau- und Marktgemeinde. GROSSE SCHIFFGASSE: 2. Bez., dritte „Sammelwohnung“ (Nr. 21) des Ehepaars Lindenberg (1941–1945); letzte Wohnadresse von → SPITZ Max. GRÜNANGERHOF (NÖ): Ausflugsziel im →Wienerwald, nahe → Rekawinkel. GRÜNBERGSTRASSE: 12./13. Bez.; verläuft an der nordöstlichen Seite des Areals von Schloss → Schönbrunn und führt über die → Schönbrunner Allee nach → Hetzendorf oder über → Fasangarten und → Elisabethallee in die → Maxingstraße. GUGGING (NÖ): heute Maria Gugging; Gemeinde und Wallfahrtsstätte zwischen → St. Andrä Wördern und → Kierling. 1925 wurde die → Maria Lourdes-Grotte unter Beisein von rund 60 000 Gläubigen eingeweiht. 1938–1946/54 zu Groß-Wien gehörend. GUTENSTEIN (NÖ): Gemeinde südwestlich von Wien im Voralpenland mit einem Servitenkloster → Mariahilferberg. HADERSFELD (NÖ): hochgelegener Ort (439 m) im → Wienerwald, nahe → Gugging; wegen seiner Aussicht über die Donau bis nach Bisamberg ein viel besuchtes Ausflugsziel. HADIKGASSE: 14. Bez. (Penzing/Baumgarten); parallel zum Wien-Fluss verlaufend → Hietzinger Strandbad → Wunderer. HAGENBRUNN (NÖ): Weinbau- und Marktgemeinde am Fuße des → Bisambergs. 1938–1946/54 zu Groß-Wien gehörend. HAIDGASSE: 2. Bez., erste „Sammelwohnung“ (Nr.5) des Ehepaars Lindenberg (1939–1940). HAMEAU: 17. Bez. (Neuwaldegg); Ausflugsziel und Gastwirtschaft am Rande des Parks von Schloss → Neuwaldegg. HARTÄCKERSTRASSE: 18./19. Bez. (Währing/Döbling); auf Nr. 45 befand sich das Altersheim der Wiener Kaufmannschaft, in dem → Bauer Franziska, die Mutter von Edith Flamm, kurzfristig wohnte; Nr. 65 Eingang zum → Döblinger Friedhof. HASCHHOF (NÖ): Ausflugslokal am Haschberg, einer Anhöhe westlich von → Klosterneuburg. HAUBENBIGLSTRASSE: 19. Bez. (Döbling); Verlängerung der → Hungerbergstraße in Richtung → Hohe Warte. HÄUSCHEN → Schafberg

Ortsregister   375

HÄUSERL AM ROAN: 19. Bez. (Salmannsdorf, Am Dreimarkstein); an der → Höhenstraße gelegenes Ausflugslokal am → Dreimarkstein. HÄUSERL AM STOAN: 19. Bez. (Salmannsdorf, Zierleitengasse 42); Ausflugslokal an der → Höhenstraße. HAYDNKIRCHE → Ägidikirche HEILIGENSTADT: Teil des 19. Bez. (→ Döbling); 1890/92 nach Wien eingegliederte Vorortgemeinde. HELMSTREITGASSE (NÖ): Gasse in der → Hinterbrühl. Zweitwohnsitz von → STEINER Gisela und → STEINER Kalman. HERMANNSKOGEL: 19. Bez. (Sievering); höchste Erhebung der Wiener Hausberge (542 m). HERNALS: Name für den 17. Wiener Gemeindebezirk, bestehend aus den 1890/92 eingemeindeten Vororten Hernals, Dornbach und → Neuwaldegg. HERZ JESU KIRCHE: 5. Bez. (Einsiedlergasse 9); ehemalige Klosterkirche der Schwestern vom Guten Hirten; seit 1939 Pfarrkirche → Einsiedlergasse. HETZENDORF: Teil des 12. Bez. (→ Meidling); 1890/92 nach Wien eingegliederte Vorortgemeinde. HETZENDORFER SCHLOSSKAPELLE: 12. Bez. (Hetzendorfer Straße 7); die einschiffige Kapelle „Zur Allerheiligsten Dreifaltigkeit“ im Schloss Hetzendorf war bis 1909 Pfarrkirche. HETZENDORFERKIRCHE: 12. Bez. (Marschallplatz 6); Pfarrkirche „Zur Hl. Maria, Königin des Hochheiligen Rosenkranzes“ („Rosenkranzkirche“). Während der Bombenangriffe im Jahr 1944 diente die Kirche vielen Menschen als Zufluchtsstätte. HIETZING: Name für den 13. Wiener Gemeindebezirk, bestehend aus den 1890/92 eingegliederten Vorortgemeinden Ober- und Unter St. Veit, Hacking, Speising, Lainz, Teile von Mauer und der Siedlung Friedensstadt. Die Bezirksgebiete links des Wienflusses (Baumgarten, Breitensee, Hadersdorf, Hütteldorf und Penzing) bildeten ab 1938 (Groß-Wien) den neuen 14. Bez. „Penzing“. HIETZINGER STRANDBAD: 14. Bez., aufgelassenes Sommerbad in → Hadikgasse. HIETZINGER FRIEDHOF: 13. Bez. (Hietzing); an der → Maxingstraße und → Elisabethallee liegender Friedhof, in dem sich die Grabstätte von Therese Lindenbergs Stiefvater → Lang Mathias befindet. HIETZINGER KIRCHE: 13. Bez. (Am Platz 1); Pfarrkirche „Mariae Geburt“. Das Gnadenbild der Muttergottes über dem Hochaltar war einst Ziel zahlreicher Wallfahrer. HIMMEL: 19. Bez., Anhöhe in Sievering; „Himmel“ ist der historischer Riedname für hochgelegene Grundstücke → Am Himmel. HINTERBRÜHL (NÖ): Villen- und Luftkurort im → Wienerwald nahe → Mödling → Helmstreitgasse → STEINER Gisela und → STEINER Kalman. 1938–1946/54 zu Groß-Wien gehörend. HINTERSDORF (NÖ): Gemeinde zu → St. Andrä Wördern gehörend, nahe dem Wallfahrtsort → (Maria) Gugging. HIRSCHWANG (NÖ): Gemeinde zu → Reichenau an der Rax gehörend. HOCHHAUS: 1. Bez. (Innere Stadt); 1931/32 errichtetes Wohn-, Geschäfts- und Bürogebäude mit 16 Stockwerken in der Herrengasse 6–8; galt lange Zeit als Nobeladresse von Schauspielern des nahegelegenen → Burgtheaters. HOCKEGASSE: 18. Bez. (Pötzleinsdorf/Gersthof ); vom Pötzleinsdorfer Schlosspark → Schmidtgarten zum → Türkenschanzpark führend; bis 1938 Wohnadresse (Nr. 83) von → BAUER Franziska. HOFMÜHLGASSE: 6. Bez. HOHE WAND, HOHE WAND WIESE: 14. Bez., Wandergebiet und Schiwiese am Westrand von Wien.

376   Register HOHE WARTE: 19. Bez. (Döbling); auf Nr. 32 befand sich das Israelitische Blindeninstitut → STEINER Kalman und → STEINER Gisela; auf Nr. 79 lebten bis 1938 → STEINER Josef und Karoline. HOHENBERGSTRASSE: 12. Bez., zur → Grünbergstraße und zu Schloss → Schönbrunn führend. HOHER MARKT: 1. Bez. (Innere Stadt); ältester Platz Wiens. HÖLLENSTEIN (NÖ): Ausflugsziel im südlichen → Wienerwald. HÜBNER KURSALON: 1. Bez. (Innere Stadt); nach seinem Pächter benanntes beliebtes Tanz- und Veranstaltungslokal im → Stadtpark. HUNGERBERGSTRASSE: 19. Bez. (Grinzing/Döbling); von der Grinzinger Allee entlang der Weingärten zur → Haubenbiglstraße führend. HUSARENTEMPEL (NÖ): Ausflugsziel im Gebiet des → Anninger. HUSCHKAGASSE: 19. Bez. (Döbling); Seitengasse der Grinzinger Allee parallel zur → Hungerbergstraße verlaufend. HÜTTELDORF: Teil des 14. Bez. (→ Penzing); der ehemalige Vorort im Westen Wiens wurde 1890/92 als Teil des 13. Bez. eingemeindet und 1938 (Groß-Wien) dem 14. zugeordnet. IRENENTAL (NÖ): Tal im westlichen → Wienerwald mit Spazier- und Wanderwegen, nahe → Au im Kracking. JÄGERHAUS (NÖ): Gaststätte/Jausenstation im Raum → Rekawinkel. JEDLESEE: Teil des 21. Bez. (→ Floridsdorf ); bis 1904 selbständiger Vorort Wiens am linken Donauufer. JESUITENKIRCHE → Universitätskirche JOHANNESGASSE (NÖ): Im Raum → Mödling → Maria Enzersdorf. JOHANNESKIRCHE/JOHANNESKAPELLE: 2. Bez. (Taborstraße 16); Pfarrkirche „St. Johannes Baptist“ → Barmherzigenkirche; Klosterkirche des Ordens der Barmherzigen Brüder. JUBILÄUMSSPITAL, eigentlich KAISER-JUBILÄUMS-SPITAL: 13. Bez.; 1907 von der Stadt Wien errichtetes und unter deren Leitung stehendes Krankenhaus. JULIENTURM: 19. Bez. (Pötzleinsdorf ); nach der Wohltäterin Julie von Ladenburg benannter Aussichtspunkt auf der Pötzleinsdorfer Höhe. KASGRABEN, eigentlich KAASGRABEN: 19. Bez. (Döbling); historische Flurbezeichnung → Kaasgrabengasse → Kaasgrabenkirche. KAASGRABENGASSE: 19. Bez. (Grinzing/Sievering); von der Grinzinger Allee über Himmelstraße und → Himmel zum → Cobenzl führend. KAASGRABENKIRCHE: 19. Bez. (Stefan Esders-Platz 1); Wallfahrtskirche „Maria Schmerzen“. Das an die Kirche angrenzende Kloster wurde 1945 zur Gänze zerstört. KAHLENBERG: 19. Bez. (Josefsdorf ); einer der Wiener Hausberge (484 m), beliebtes Ausflugsziel mit Aussichtswarte und Jausenstation. KAHLENBERGER STRASSE: 19. Bez. (Nußdorf/Heiligenstadt); führt vom Kahlenberg vorbei an → Eiserner Hand und → Eichelhof nach → Nussdorf und → Heiligenstadt. KAHLENBERGERDÖRFL: umgangssprachliche Bezeichnung für die kleine ehemalige Vorortgemeinde „Kahlenbergerdorf“ am Fuße des → Leopoldsbergs. Seit 1890/92 Teil des 19. Bez. (→ Döbling). KAISERBRUNNTAL (NÖ): von Therese Lindenberg stammende Bezeichnung für jenen Abschnitt des Höllentales, in dem sich der „Kaiserbrunn“ genannte Ortsteil der Gemeinde → Reichenau an der Rax befindet. KALKSBURG: 23. Bez., 1938 nach Groß-Wien eingegliederte Ortsgemeinde, die nach 1946/54 bei Wien verblieb. KALTENLEUTGEBEN (NÖ): ehemaliger Kurort im → Wienerwald, westlich von → Perchtoldsdorf. 1938–1946/54 zu Groß-Wien gehörend.

Ortsregister   377

KAPELLE JUDAS THADDÄUS → Kirche Am Hof KAPUZINERKIRCHE: 1. Bez. (Neuer Markt); Klosterkirche „Zur Hl. Maria von den Engeln“ des Kapuziner Ordens und Beisetzungsstätte des Hauses Habsburg („Kaisergruft“). KARL LUDWIGSHAUS, KARL LUDWIG-HAUS (NÖ): Auf 1804 m gelegenes Schutzhaus im Gebiet der → Rax. KARMELITERKIRCHE: 2. Bez. (Karmeliterplatz); bis 1901 Klosterkirche des Ordens der unbeschuhten Karmeliter, dann Pfarrkirche „St. Josef“. In der Kirche finden sich das Gemälde „Aufnahme Mariens in den Himmel“ und ein Gemälde des Hl. Josef von Martin Johann Schmidt, genannt → KREMSER SCHMIDT. KARMELITERKIRCHE: 19. Bez. (Kardinal Innitzer-Platz); nach 1901 Klosterkirche „Zur Hl. Familie“ des Ordens der unbeschuhten Karmeliter. Das Gnadenbild „Unsere Liebe Frau mit dem geneigten Haupte“ war vor allem während des Ersten Weltkriegs Ziel zahlreicher Bittprozessionen. KATZELSDORF (NÖ): Gemeinde im → Wienerwald nahe → Tulbing. KEIMGASSE (NÖ): Gasse in → Mödling. KELLERGASSE: In Wien und Niederösterreich allgemein gebräuchliche Bezeichnung für von Weinkellern gesäumte Gassen; hier Kellergasse im 21. Bez. am Fuße des → Bisamberges. KEPLERKIRCHE: 10. Bez. (Keplerplatz); Pfarrkirche „St. Johann der Evangelist“. KEYLWERTHGASSE: 19./18. Bez. (Salmannsdorf ); den → Sommerhaidenweg kreuzende und in die → Höhenstraße mündende Gasse. KINDLEIN: Bild des Jesuskindes des österreichischen Barockmalers Martin Johann Schmidt (genannt Kremser Schmidt) in der → Ägidikirche. KIENTAL (NÖ): Anstiegsweg zum → Anninger. KIERLING (NÖ): Gemeinde zu → Klosterneuburg gehörend, nahe → (Maria) Gugging. KIRCHBERG, eigentlich: KIRCHBERG AM WAGRAM (NÖ): Weinbau- und Marktgemeinde nahe → Neudegg. KIRCHE AM HOF: 1. Bez. (Am Hof ); der eigentliche Name des Gotteshauses, das auch einen dem Hl. Judas Thaddäus geweihten Altar beinhaltet, lautet nach dem Altarbild des Hochaltars („Maria und die neun Chöre der Engel“) „Kirche zu den neun Chören der Engel“. KIRCHE IN MAUER: 23. Bez., Pfarrkirche „St. Erhard“ in → Mauer. KIRCHE IN SIEVERING: 19. Bez. (Sieveringer Straße, Ecke Fröschlgasse); Pfarrkirche „St. Severin“. KIRCHLEIN IN PÖTZLEINSDORF: 18. Bez. (Schafberggasse). KLAUSEN, eigentlich: KLAUSEN-LEOPOLDSDORF (NÖ): Gemeinde südwestlich von Wien nahe → Mödling. KLEIN ENGERSDORF (NÖ): Weinort am Fuße des Bisambergs nahe → Hagenbrunn. KLOSTER AM HIMMEL: 19. Bez. (Sievering); Kloster des Ordens der Schwestern vom armen Kinde Jesu mit Herz Jesu- und Waldkapelle → Am Himmel. KLOSTER AM STEIN (NÖ): Annunziata-Kloster im Ortsteil Stein von → Eichgraben. KLOSTERNEUBURG (NÖ): Stadtgemeinde rund 7 km nördlich von Wien; 1938–1946/54 zu GroßWien gehörend. KOBENZL → Cobenzl KOHLMARKT: 1. Bez. (Innere Stadt). KÖLBLGASSE: 3. Bez. (Landstraße). KÖNIGSCHUSSWAND (NÖ): Klettersteig im Gebiet der → Rax. KRAPFENWALD(L), KRAPFENWALDBAD: 19. Bez (Grinzing); Sommer- und Freibad am Rande des → Wienerwaldes. KRAUSTE LINDE (NÖ): Anstieg von → Mödling auf den → Anninger.

378   Register KREINDLGASSE: 19. Bez. (Döbling). KREMS (NÖ): 70 km von Wien und ca. 22 km von → Groß-Riedenthal bzw. → Neudegg entfernte Stadt an der Donau; auch Name des bei der Stadt Krems in die Donau mündenden Flusses. KRIM, IN DER KRIM: 19. Bez. (Döbling); Flurname ungeklärten Ursprungs → Thaddäuskirche. KRITZENDORF (NÖ): zu → Klosterneuburg gehörende Gemeinde an der Donau mit Donaustrandbad. KRONSTEIN (NÖ): Ausflugsziel nahe → Rekawinkel. KROTTENBACHGASSE, eigentlich KrottenbachstraSSe: 19. Bez. (Döbling/Sievering/Neustift am Walde); stadtauswärtsführende Straße → Hameau. KUCHELAU: 19. Bez. (Kahlenbergdorf ), Ufergebiet an der Donau mit Hafen sowie zahlreichen Sommer- und Badehäuschen. KUGELWIESE (NÖ): Raststätte im Wienerwald nahe → Gießhübl → Perchtoldsdorf → Predigtstuhl. LADENBURGHÖHE, LADENBURGGASSE: 18. Bez. (Pötzleinsdorf ); Ausflugsziel und Spazierweg am Höhenrücken des → Schafbergs. LANGENZERSDORF (NÖ): Marktgemeinde am Fuße des → Bisambergs; auf dem Friedhof von Langenzersdorf befindet sich die Grabstätte von → MAYERHOFER Maria Anna. LARISCHWEG: 18. Bez. (Pötzleinsdorf ); heute: Mosenthalweg. LEEBGASSE (NÖ): Gasse im Raum → Maria Enzersdorf. LEOBERSDORF (NÖ): Marktgemeinde südlich von Wien. LEOPOLDSBERG: 19. Bez. (Kahlenbergerdorf ); zweiter Gipfel (425 m) des Kahlenberggebirges und Ende der Wiener → Höhenstraße. LEOPOLDSKIRCHE: 2. Bez. (Große Pfarrgasse); nach der Vertreibung der Juden aus Wien im Jahr 1670 an der Stelle einer Synagoge errichtete Kirche mit der Kopie des Gnadenbildes „Maria, Trösterin der Betrübten“. Das Originalgemälde befindet sich über dem Kaiseralter der → Kapuzinerkirche. Die Pfarrkirche “St. Leopold“ war Wirkungs- und Arbeitsstätte von Therese Lindenbergs Cousin 2. Grades → GRANDITSCH Gustav. LI(E)CHTENSTEIN (NÖ): Anhöhe mit Burgruine nahe → Mödling. LÖBLICHGASSE: 9. Bez., Wohnadresse von Therese Lindenbergs Patentante Theresia Trestl, verehel. → Wodicka. LOURDES, LOURDES-GROTTE → Maria Lourdes-Grotte. LUCASWEG: 12. Bez. (Meidling) → Tivoli, Am Tivoli. LUDWIGSHAUS → Karl Ludwig-Haus. LUEGERKIRCHE: 11. Bez. (→ Zentralfriedhof ); Kirche „St. Karl Borromäus“, im Volksmund nach dem Wiener Bürgermeister Karl Lueger (1844–1910), der dort in der so genannten „Bürgermeistergruft“ bestattet ist, „Luegerkirche“ benannt. LUGECK (W): 1. Bez. (Innere Stadt); Platz nahe → Stephansdom und → Hoher Markt. LUSTHAUS: 2. Bez., Pavillon am Ende des → Praters. Während der Zwischenkriegszeit befand sich hier ein Tanzcafé. Das durch Bombenangriffe fast vollständig zerstörte Lusthaus wurde 1949 wiedereröffnet und beherbergt heute ein Café-Restaurant. LUSTHAUSSTRASSE, ALTE LUSTHAUSSTRASSE: 2. Bez.; 1920 nach dem → Lusthaus benannte Straße im → Prater. LYNKEUS-GASSE: 13. Bez.; 1938–1947 Vernalekengasse. MANHARTSBRUNN (NÖ): Gemeinde im Raum des → Bisambergs. MARGARETEN: Name für den 5. Wiener Gemeindebezirk, bestehend aus fünf ehemaligen Vorstädten, die ab Mitte des 19. Jhd. nach Wien eingemeindet wurden. Der bereits zu Wien gehörende Vorort → Matzleinsdorf kam 1861 zu Margareten.

Ortsregister   379

MARGARET(H)ENGÜRTEL: 5. Bez.; Teilstück des „Wiener Gürtels“, einer ringförmig verlaufenden Straße entlang des ehemaligen Linienwalls. MARIA ELLEND (NÖ): östlich von Wien gelegener Marienwallfahrtsort mit einer Lourdes-Grotte. MARIA ENZERSDORF (NÖ): Wallfahrtsort mit Franziskanerkloster und Kirche „Maria, Heil der Kranken“ nahe → Gießhübl. MARIA GRÜN KIRCHE: 2. Bez. (Aspernallee 1); kleine Wallfahrtskirche im → Prater. MARIA LOURDES-GROTTE (NÖ): Wallfahrtsstätte bei → (Maria) Gugging bzw. in → Maria Ellend. MARIA LOURDES-KIRCHE: 12. Bez. (Tivoligasse). MARIAHILF: Name für den 6. Wiener Gemeindebezirk, bestehend aus fünf ehemaligen Vorstädten, die ab Mitte des 19. Jhd. nach Wien eingemeindet wurden. MARIAHILFERBERG (NÖ): Wallfahrtsstätte in → Gutenstein. MARIAHILFERKIRCHE: 6. Bez. (Mariahilfer Straße, Ecke Barnabitengasse); über dem Hochaltar des Gotteshauses befindet sich das Gnadenbild „Maria hilf“, eine Kopie des Madonnenbildes von Lukas Cranach d. Ä. MARIAHILFERSTRASSE: 6./7./14./15. Bez., hier befindet sich ein Ambulatorium der Wiener Gebietskrankenkasse. MARIENBAD (NÖ): Badeanlage in → Weidling am Bach nahe → Klosterneuburg. MAROKKANERGASSE: 3. Bez. (Landstraße). MATZLEINSDORF: Teil des 5. Bez. (Margareten); seit dem 18. Jhd. nach Wien eingegliederte Vorortgemeinde. MATZLEINSDORFER FRIEDHOF („der echte“): Katholischer Friedhof im 5. Bez., der 1923 geräumt und in eine Parkanlage umgewandelt wurde. MAUER: 23. Bez.; 1938 nach Groß-Wien eingegliederte Ortsgemeinde, die nach 1946/54 bei Wien verblieb. MAURER WALD: Teil des 23. Bez. → Mauer. MAXINGPARK: 13. Bez. (Hietzing); Parkanlage zwischen → Hetzendorf und → Fasangarten. MAXINGSTRASSE: 13. Bez. (Hietzing); Wohnadresse des Schriftstellers → TREBITSCH Siegfried und des Hals- Nasen- und Ohrenarztes → SOHERR Friedrich. Auf Nr. 25 Zugang zum → Hietzinger Friedhof. MEIDLING: Name für den 12. Wiener Gemeindebezirk, bestehend aus den 1890/92 eingemeindeten Vororten Meidling, Gaudenzdorf, Altmannsdorf und → Hetzendorf. MICHAELERWALDWEG: 19. Bez (Neustift am Walde); verbindet → Hameaustraße mit → Sommerhaidenweg. MINORITENKIRCHE: 1. Bez. (Minoritenplatz); die dem Minoritenorden gehörende Kirche „Maria Schnee“, zählt zu den ältesten Wiens. MITTERÄCKERSTRASSE (NÖ): Straße in → Mödling. MITTERWURZERGASSE: 19. Bez. (Neustift am Walde); durch Weingärten führender, parallel zur Hameaustraße verlaufender, Seitenweg der → Agnesgasse. MÖDLING (NÖ): Stadtgemeinde im → Wienerwald nahe Wien. 1938–1946/54 zu Groß-Wien gehörend. MORZINPLATZ: 1. Bez. (Innere Stadt); hier befand sich 1938–1945 ein Untersuchungsgefängnis sowie der Sitz der Gestapo. MOSTALM: 14. Bez., Jausenstation im Gebiet der → Sophienalpe und der → Hohen Wand. MURLINGENGASSE: 12. Bez. (Meidling) → Klosterkirche „Zur Gottesmutter“ der Barmherzigen Schwestern vom Hl. Kreuz.

380   Register NACK(E)TER SATTEL (NÖ): Naturdenkmal im Wienerwald nahe → Gießhüb(e)l. NASE: steiler Anstieg („Nasenweg“) auf den → Leopoldsberg. NEPOMUKKIRCHE: 2. Bez. (Praterstraße); Pfarrkirche „St. Johann von Nepomuk“ mit einer Nachbildung des Gnadenbildes „Maria hilf“ am Kommunionsaltar. Das Gotteshaus, in dem Therese Lindenbergs Halbbruder → LANG Mathias getauft (1902), die Halbschwester → GLASSL Emma getraut wurde (1921), befindet sich in unmittelbarer Nähe der → Novaragasse. NEUBAUGASSE: 7. Bez., Seitengasse der → Mariahilferstraße. NEUDEGG (NÖ): zu Groß-Riedenthal gehörende kleine Weinbaugemeinde; Wohnort von Therese Lindenbergs → Tante Marie. NEUSTIFT, eigentlich NEUSTIFT AM WALDE: Teil des 19. Bez. (→ Döbling); 1938 mit der Bildung von Groß-Wien dem 19. Bez. zugeordnet. NEUSTIFT-KIRCHE: 19. Bez. (Eyblergasse); Pfarrkirche „St. Rochus zu Neustift“. NEUWALDEGG: Teil des 17. Bez. (Hernals); 1892 nach Wien eingegliederte Vorortgemeinde. NOVARAGASSE: 2. Bez, nahe → Praterstern → Praterstraße. Wohnadresse der Familie → Lang und bis zur ihrer Vermählung jene von Therese Lindenberg. NUSSBERG: 19. Bez. (Nußdorf ); Anhöhe in den Wiener Weinbergen nahe des → Eichelhofs. NUSSDORF: Teil des 19. Bez. (→ Döbling); 1890/92 nach Wien eingegliederte Vorortgemeinde. OBERE DONAUSTRASSE: 2. Bez., parallel zum Donaukanal verlaufend. OBERHOLLABRUNN (NÖ): Stadtgemeinde nördlich von Wien. OBERNDORF (NÖ): Gemeinde im → Wienerwald. OBER ST. VEIT: Teil des 13. Bez. (→ Hietzing); 1890/92 nach Wien eingegliederte Vorortgemeinde. OBERSTOCKSTALL (NÖ): Zu → Kirchberg am Wagram gehörende Weinbaugemeinde, nahe → Neudegg und → Groß-Riedenthal. OTMARKIRCHE (NÖ): Pfarrkirche „St. Othmar“ in → Mödling. OTTOHAUS (NÖ): Auf 1650 m gelegenes Schutzhaus im Gebiet von → Reichenau an der Rax. PALMENHAUS: 13. Bez. (Hietzing); monumentale verglaste Gusseisen-Konstruktion des 19. Jhd. im Park des Schlosses → Schönbrunn, die eine bedeutende Sammlung exotischer Pflanzen beherbergt. PAYERHÜTTE (NÖ): Ausflugslokal nahe → Hadersfeld. PEILSTEINHAUS, PEILSTEINHÜTTE (NÖ): Schutzhütten auf dem Peilstein im südlichen → Wienerwald. PENZING: Name für den 14. Wiener Gemeindebezirk, bestehend aus den 1938 links des Wienflusses liegenden Bezirksteilen des damaligen 13. Bez. → Baumgarten → Breitensee → Hadersdorf → Hütteldorf und → Penzing. PERCHTOLDSDORF (NÖ): umgangsprachlich auch „Petersdorf“ genannt, ist eine Marktgemeinde an der südlichen Stadtgrenze zu Wien. Nachbargemeinden sind → Gießhübel und → Kaltenleutgeben 1938–1946/54 war Perchtoldsdorf Teil von Groß-Wien. PERLHOF (NÖ): Ausflugziel im Raum → Maria Enzersdorf. PETERSDORF → Perchtoldsdorf PETERSKIRCHE: 1. Bez. (Petersplatz); der Hl. Dreifaltigkeit und dem Hl. Petrus geweihte barocke Kuppelkirche nahe → Stephansdom. PHILADELPHIABRÜCKE: 12. Bez., Haltestelle an der Südbahnstrecke; heute (mit Meidlinger Bahnhof ): ein Verkehrsknotenpunkt des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs. PORZELLANGASSE: 9. Bez.; bis 1905 Wohnadresse von → SPIEGEL Ferdinand. PÖTZLEINSDORF: Teil des 18. Bez. (→ Währing); 1890/92 nach Wien eingegliederte Vorortgemeinde.

Ortsregister   381

PÖTZLEINSDORFERSTRASSE: 18. Bez. (Pötzleinsdorf ); vom Pötzleinsdorfer Schlosspark → Schmidtgarten nach → Gersthof führend. PRATER: 2. Bez.; von Joseph II. 1766 der Wiener Bevölkerung als Erholungsgebiet zugänglich gemachtes kaiserliches Jagdrevier → Lusthaus → Maria Grün−Kirche → Prater Hauptallee → Rotundenbrücke → Stadion → Stadionbad → Stadionbrücke. PRATER HAUPTALLEE: 2. Bez.; vom → Praterstern zum → Lusthaus führende Kastanienallee. PRATERSTERN: 2. Bez., sternförmiger Kreuzungspunkt von mehreren Verkehrstraßen vor dem Eingang zum → Prater. PRATERSTRASSE: 2. Bez., vom Donaukanal zum → Praterstern führende Verkehrsstraße; bis zu seinem Tod (1939) Wohn- und Ordinationsadresse von → STEINER Simon. PREDIGTSTUHL (NÖ): Ausflugsziel im Wienerwald nahe → Gießhübl → Perchtoldsdorf. PREIN, PREINER GSCHAID (NÖ): Ort und Passhöhe (1070 m) im Gebiet der → Rax. PREINERHOF (NÖ): Gasthof-Pension im Gebiet des → Preiner Gschaid. PRIESSNITZTAL (NÖ): Engtal südlich von → Mödling, Zugang zum → Anninger. PROMENADEWEG: 17. Bez. (Neuwaldegg); Seitenweg der → Höhenstraße. QUELLENSTRASSE: 10. Bez., nahe → Keplerkirche. RADSTADT (S): Stadtgemeinde im Land Salzburg, in der Therese Lindenberg in den frühen 1930er Jahren einen Urlaub verbracht hatte. RATHAUSPARK: 1. Bez. (Innere Stadt); an der → Ringstraße, vor dem Wiener Rathaus befindende Parkanlage. RATSCHKYGASSE: 12. Bez., zur Gartensiedlung am → Tivoli führend. RAX, RAXALPE (NÖ): Berg (2008 m) und Hochplateau im Alpenvorland an der niederösterreichischsteirischen Grenze. Das Gebiet ist mit seinen vielen Wanderwegen und Klettersteigen ein traditionelles Ausflugs- und Reiseziel der Wiener Bevölkerung → Göbl-Kühnsteig → Hirschwang → Karl Ludwig-Haus → Königschusswand → Ottohaus → Preiner Gschaid → Reichenau an der Rax → Rettenbachgraben → Waxriegelhaus. REISSTALERHÜTTE (NÖ): Schutzhaus im Gebiet des → Preiner Gschaid. REKA: Abkürzung für → Rekawinkel. REKAWINKEL: Villenort mit 1905 erbautem Sanatorium im westlichen → Wienerwald. RENNGASSE: 1. Bez. (Innere Stadt); nahe → Schottenkirche. RENNWEG: 3. Bez., Zugang zum → Belvedere. RETTENBACHGRABEN: Wanderroute im Gebiet der → Rax. RIED(E)LGASSE: 12. Bez. (Hetzendorf ) → Rosenhügel. RIEDENTHAL, GROSS-RIEDENTHAL (NÖ): Weinbau- und Marktgemeinde, in der Therese Lindenberg die ersten sechs Lebensjahre verbrachte. RING, RINGSTRASSE: 1. Bez. (Innere Stadt); ringförmige Prachtstraße mit bedeutenden Gebäuden wie Parlament, Universität, Rathaus, Staatsoper und → Burgtheater. ROCHUSKIRCHE: 3. Bez. (Landstrasser Hauptstraße); Klosterkirche „St. Rochus“ des Ordens der Unbeschuhten Augustinereremiten mit dem Gemälde „Anbetung der Hl. Dreifaltigkeit durch Maria“ über dem Hochaltar. ROCHUSKIRCHE → Neustift-Kirche ROHRERHÜTTE: 17. Bez. (Neuwaldegg); Ausflugslokal am Beginn der → Exelbergstraße. ROSEGGERWEG (NÖ): Weg im Raum → Mödling. ROSENHÜGEL, AM ROSENHÜGEL, ROSENHÜGELSTRASSE: 12. Bez. (Hetzendorf ); Wohnumgebung der Familie Lindenberg bis zu ihrem Umzug 1933 in die → Sandrockgasse. ROSSAUERKASERNE: 9. Bez., Polizeikaserne.

382   Register ROTHSCHILDPALAIS: 4. Bez. (Prinz Eugen-Straße); Palais der Familie Rothschild. Nach der Enteignung durch die Nationalsozialisten befanden sich dort die Räumlichkeiten der „Auswanderungsaktion Gildemeester“ und der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“. ROTUNDENBRÜCKE: 1937 errichtete und 1945 zerstörte Bogenbrücke zwischen 3. Bez. und → Prater. RUDOLFINUM: Aus dem Kontext ist zu schließen, dass es sich um die Privatkrankenanstalt „Rudolfinerhaus“ im 19. Bez. handelt. RUSTENSCHACHERALLEE: 2. Bez., Straße am Rande des → Praters. SALMANNSDORF: Teil des 19. Bez. (→ Döbling); 1938 mit der Bildung von Groß-Wien dem 19. Bez. zugeordnet. SALZTORBRÜCKE: 1./2. Bez., Brücke über den Donaukanal. SANDROCKGASSE: 14. Bez. (Baumgarten); Wohnadresse (Nr. 11) der Familie Lindenberg von 1933–1939 und nach 1945; auf Nr. 13 lebte → SCHILLING Karl. 1948 wurde die Sandrockgasse in „Sambeckgasse“ umbenannt. SANDWIRTGASSE: 6. Bez., zweite „Sammelwohnung“ (Nr. 14) des Ehepaars Lindenberg (1940–1941), letzte Wohnadresse von → FÜRST Friedrich → GRÜNFELD Jenny und → GRÜNFELD Ada. SCHAFBERG: 17./18. Bez. (Neuwaldegg/Pötzleinsdorf ), bewaldeter Hügel (390 m) an der Bezirksgrenze zwischen Neuwaldegg und Pötzleinsdorf. Hier besaß die Familie → ERTL ein Gartenhäuschen. SCHALLERGASSE: 12. Bez. SCHEIBENBERGGASSE: 18. Bez. SCHEIBLINGSTEIN (NÖ): Ausflugsziel im Wienerwald → Eder. SCHIFFGASSE → Große Schiffgasse SCHMERLINGPLATZ: 1. Bez. (Innere Stadt). SCHMIDTPARK: 18. Bez. (Pötzleinsdorf ); zum Pötzleinsdorfer Schloss gehörende und nach dessen letzten privaten Besitzer, dem Großindustriellen Max Schmidt, benannte Parkanlage. SCHNEEBERG (NÖ): höchster Berg (2076) des niederösterreichischen Voralpenlandes; neben → Rax (2007 m) und Semmering einer der „Wiener Hausberge“. Die Nähe zu Wien, die zahlreichen Wanderwege und die Möglichkeit des Schifahrens machten das Gebiet zu einem beliebten Ausflugsziel der Wiener Bevölkerung. Rax und Schneeberg werden durch das Höllental → Kaiserbrunntal getrennt. SCHOBERKIRCHE: 23. Bez. (Dr. Schober-Straße); Pfarrkirche „St. Hubertus“. SCHÖNBRUNN, eigentlich SCHLOSS SCHÖNBRUNN: 13. Bez. (Hietzing); von Leopold I. begonnene und unter Maria-Theresia fertig gestellte Residenz der Habsburger → Fasangarten → Gloriette → Palmenhaus → Tirolergarten. SCHÖNBRUNNER ALLEE: 12. Bez. (Hetzendorf/Meidling); von → Hetzendorf zum → Tivoli führend. SCHOTTENRING: 1. Bez. (Innere Stadt); Teilstück der Wiener → Ringstraße; Wohnadresse (Nr. 22) der Familie → PRONAI. SCHOTTENKIRCHE: 1.Bez. (Freyung); die Kirche zu „Unserer Lieben Frau bei den Schotten“ ist Teil des Benediktinerstifts. Unter den Altargemälden befinden sich u. a. Darstellungen der Hl. Anna, der Hl. Maria sowie der Himmelfahrt Mariens. SCHRÄCKENFUCHSKREUZ: Nicht lokalisierbar. SCHUBERTKONVIKT: 1. Bez. (Universitätsplatz, seit 1949 Dr. Ignaz Seipel-Platz); Bezeichnung für die von Franz Schubert während seiner Ausbildung zum Sängerknaben besuchte Konviktschule des → Stephansdoms. SCHWECHAT (NÖ): Stadtgemeinde östlich bei Wien; 1938–1946 zu Groß-Wien gehörend. SEEHÜTTE (NÖ): Schutzhaus im Gebiet des → Waxriegel.

Ortsregister   383

SEHER: 18.Bez. (Pötzleinsdorf ); Gaststätte am → Schafberg. SIEVERING: Teil des 19. Bez. (→ Döbling); 1890/92 nach Wien eingegliederte Vorortgemeinde, Wohnbezirk von → Stix Ida. SIMMERING: Namensgebender Teil des 11. Bez.; 1890/92 nach Wien eingegliederte Vorortgemeinde → Zentralfriedhof → Luegerkirche. SOMMERHAIDENWEG/SOMMERHEIDENWEG: 18./19. Bez. (Neustift am Walde); von der → Höhenstraße parallel zur Hameaustraße verlaufend. SOPHIENALPE: 14. Bez., Hochplateau mit Fernsicht und Wanderweg zur → Mostalm → Wienerwald. STADT: umgangssprachliche Bezeichnung für den 1. Bez. „Innere Stadt“. ST. ANDRÄ WÖRDERN (NÖ): Marktgemeinde nahe → Klosterneuburg. ST. ANNA KIRCHE: 14. Bez. (Linzer Straße); Pfarrkirche „St. Anna“, nach ihrer Lage im ehemaligen Vorort „Baumgarten“ auch „Baumgartnerkirche“ genannt. ST. GABRIEL (NÖ): Missionshaus der „Gesellschaft des Göttlichen Wortes“ mit Hl. Geist-Kirche in → Maria Enzersdorf nahe → Mödling. ST. GERTRUD: 18. Bez. (Gertrudplatz); Pfarrkirche „St. Laurenz und Gertrud“ mit Gnadenbild „Maria hilf“. ST. THOMAS KIRCHE: 19. Bez. (Greinergasse 25); kleine, auch „Nußdorfer Kirche“ genannte Pfarrkirche mit Gemälde der „Madonna mit dem Kinde“ → Greinergasse. STADION: 2. Bez.; 1931 anlässlich der Arbeiter-Olympiade eröffnete Sportanlage im → Prater. STADIONBAD: 2. Bez.; 1931 anlässlich der Arbeiter-Olympiade eröffnetes Schwimmbad im → Prater. STADIONBRÜCKE: 2./3. Bez., Brücke über den Donaukanal → Prater. STADTPARK: 1./3. Bez.; 1862 eröffnete Parkanlage an der → Ringstraße → Hübner Kursalon. Entlang der Spazierwege finden sich Denkmäler von berühmten Musikschaffenden, u. a. das Johann StraußDenkmal. STAMMERSDORF: Teil des 21. Bez. → Floridsdorf; Weinbaugebiet am linken Donauufer nahe → Hagenbrunn. STARKFRIEDGASSE: 18./19. Bez. (Pötzleinsdorf ). STEINFELSENWEG (NÖ): Weg in → Groß-Riedenthal. STEPHANSKIRCHE/STEPHANSDOM: 1. Bez. (Stephansplatz); Dom- und Metropolitankirche „St. Stephan“. STERNWARTESTRASSE: 18. Bez. (Währing). STEYR (OÖ): Stadt in Oberösterreich. STILLFRIED (NÖ): Gemeinde, in der Therese Lindenberg zu Beginn der 1910er Jahre mit Mutter und Geschwistern einen Sommerurlaub verbracht hatte. STOCKSTALL (NÖ) → Oberstockstall THADDÄUSKIRCHE: 19. Bez. (In der Krim 9); 1932 nach Plänen von Clemens Holzmeister errichtete Pfarrkirche „St. Judas Thaddäus“ → In der Krim. TIROLERGARTEN: 13. Bez. (Hietzing); Teil des Areals von Schloss → Schönbrunn. TIVOLI, AM TIVOLI: 12. Bez., Gartensiedlung → Lucasweg → Ratschkygasse. TÖLLERGASSE: 21. Bez., Klosterkirche „Zum Heiligsten Herzen Jesu“. TREBITSCHVILLA: Villa des Schriftstellers und Übersetzers → TREBITSCH Siegfried im 13. Bez., Maxingstraße 20. TRIEGL, TRIEGLWIESE (S): Gipfel (1144 m) im Dachsteingebiet. TULBING, TULBINGERKOGEL (NÖ): Gemeinde und Anhöhe im → Wienerwald.

384   Register TULLN (NÖ): Stadtgemeinde westlich von Wien im Zentrum des → Tullnerfelds. TULLNERFELD (NÖ): topographische Bezeichnung für das sich von → Krems bis vor Wien erstreckende Schwemmland beiderseits der Donau. TÜRKENSCHANZPARK:18./19. Bez. (Gersthof/Döbling); hügeliger, im Stil von englischen Gärten angelegter Park mit Cafés und Musikpavillons im → Cottage. ULMERSTRASSE: 19. Bez. (Pötzleinsdorf ); bis 1938 Julienstraße → Julienturm; ab 1938 Ulmer Straße, seit 1946 Dr. Heinrich Maier-Straße. Universitätskirche: 1. Bez. (Universitätsplatz, seit 1949 Dr. Ignaz Seipel-Platz); zu Beginn des 17. Jhd. von den Jesuiten errichtete repräsentative Kirche → Schuberkonvikt. URANIA: 1. Bez. (Innere Stadt); 1909/10 erbautes Volksbildungshaus mit Sternwarte und Kinosaal. URSULINENKIRCHE/URSULINERINNENKIRCHE: 18. Bez. (Gentzgasse); die Kirche wurde im Zweiten Weltkrieg durch Bomben schwer beschädigt und danach aufgelassen. VILLA LANGE: nicht zu identifizierende Villa im 19. Bez. → Am Himmel. VIVARIUM: 2. Bez.; 1945 zerstörte und nicht wieder aufgebaute biologische Versuchsanstalt im → Prater. VOLKSGARTEN: 1. Bez.; an der → Ringstraße gelegene französische Parkanlage mit Rosengarten nahe dem → Burgtheater. VORDERBRÜHL (NÖ): Teil des „Brühl“-Tals → Hinterbrühl → Mödling. VOTIVKIRCHE: 9. Bez. (Freiheitsplatz); die 1856–1879 aus Dankbarkeit für das Scheitern eines Attentats auf Kaiser Franz Joseph I. (1853) errichtete neugotische Pfarrkirche „Zum göttlichen Heiland“. VOTIVPARK: 9. Bez., Parkanlage vor der → Votivkirche, nahe der Wohnungen von → MAYERHOFER Anna Maria und der Familie → Ertl. WÄHRING: Name für den 18. Wiener Gemeindebezirk, bestehend aus den 1890/92 eingegliederten Vorortgemeinden Währing, Weinhaus, → Gersthof, → Pötzleinsdorf, sowie Teilen von → Neustift am Walde und → Salmannsdorf. WALDANDACHT (NÖ): kleine Kapelle nahe der → Kugelwiese. WALDHOF (NÖ): Gasthof nahe der → Maria Lourdes-Grotte. WÄLLISCHHOF (NÖ): Siedlung im Raum → Maria Enzersdorf. WASAGASSE: 9. Bez.; vom Donaukanal (→ Rossauerkaserne) zu → Votivkirche → Votivpark führende Gasse, nahe → Porzellangasse. WAXRIEGEL, WAXRIEGELHAUS (NÖ): Gipfel (1361 m) und Schutzhaus im Gebiet von → Rax und → Reichenau. WEIDLING AM BACH (NÖ): Weinbaugemeinde nahe → Sievering, 1938–1946 zu Groß-Wien gehörend; heute Ortsteil von → Klosterneuburg. WEIDLINGBACH (NÖ): Kleinstgemeinde im → Wienerwald am Oberlauf des Weidlingbachs, rund 5 km von Weidling am Bach entfernt und zur Gemeinde → Scheiblingstein gehörend. WESTBAHNSTRASSE: 7. Bez., Wohnadresse von → FÜRST Johanna. WIENERBERG (NÖ): Ausflugsziel im Raum → Gießhüb(e)l. WIENERWALD: großes Waldgebirge im Westen von Wien; wichtiges Naherholungsgebiet der Wiener Bevölkerung. WILDGANSWEG (NÖ): Weg in → Mödling. Auf Nr. 4 befindet sich die Villa des Dichters → WILDGANS Anton. WILHELMSHÖHE (NÖ): Aussichtspunkt im Raum → Gießhüb(e)l. WILHELMSWARTE (NÖ): Höchster Punkt des → Anninger mit Aussichtsturm. WOLLERGASSE: 19. Bez. (Heiligenstadt).

Ortsregister   385

WUNDERER: 14. Bez.; Wiener Café in der → Hadikgasse; im November 1938 Gründungslokal der „Großösterreichischen Freiheitsbewegung“. ZENTRALFRIEDHOF: 11. Bez. (Simmeringer Hauptstraße); 1874 eröffneter, in konfessionelle Abteilungen unterteilte größte Friedhof Wiens → Luegerkirche → Simmering. ZETTELWEG: 14. Bez. (Baumgarten); in unmittelbarer Nähe der → Sandrockgasse. ZIERLEITENGASSE: 19. Bez. (Salmannsdorf ). ZUM SCHWARZEN TURM (NÖ): Aussichtsturm an der Grenze zwischen → Maria Enzersdorf und → Mödling.

386   Register

Film-, Aufführungs- und Werkverzeichnis Lesehinweis Dieses Film-, Aufführungs- und Werkverzeichnis enthält die in den edierten Tagebüchern vermerkten Film-, Theater- und Opernaufführungen, die Therese Lindenberg von März 1938 bis August 1946 besuchte, sowie die Titel der von ihr in diesem Zeitraum laut Tagebuch gelesenen (literarischen) Bücher und die Namen der jeweiligen Autoren, Komponisten, Schauspieler etc. Wissenschaftler, Kunst- und Literaturschaffende, die in den Tagebüchern namentlich erwähnt werden, sind im Personenregister aufgenommen (z. B. → ALLEN William Hervey). Auf die Nennung von Persönlichkeiten wie Brahms, Beethoven, Schubert, Waldmüller etc. wurde verzichtet. Aida, Oper in vier Akten von Giuseppe Verdi (1813–1901). Alpenkönig und Menschenfeind, Zauberspiel von Ferdinand Raimund (1790–1836). Antonio Averso, historischer Roman (1933) von → ALLEN William Hervey. Ave Maria, Lied von Franz Schubert (1797–1828). Bäh Kuckuck, bäh Kuckuck, volkstümliches Kinderlied. Das Antlitz vor Gott, religiös-philosophische Aufsatzsammlung (1942) von → SEIDEL H. Wolfgang und → TÖNNIES Ilse. Das Erbe von Björndal, Roman (1936) von → GULBRANSSON Trygve. Das Gesetz des Lebens, naturphilosophisches Werk (1920) von → FRANCÉ Raoul Heinrich. Der Postmeister, deutscher Spielfilm (1940), Regie: Gustav von Ucicky, Darsteller: Heinrich George, Hilde Krahl, Hans Holt. Der Weg ins Freie, deutscher Spielfilm (1941), Regie: Rolf Hansen, Darsteller: Hans Stüwe und → LEANDER Zarah. Der gebieterische Ruf, deutscher Spielfilm (1944), Regie: Gustav von Ucicky, Darsteller: Rudolf Forst, Paul Hubschmid, Rosl Dorena. Die Conways und ihre Zeit (eigentlich: Die Zeit und die Conways), gesellschaftskritisches Theaterstück von John B. Priestley (1894–1984). Die kluge Marianne, österreichischer Spielfilm (1943), Regie: Hans Thimig, Darsteller: Attila Hörbiger, Helli Servi und Paula Wessely. Die Frau des Missionars, biographischer Roman (1936) der US-amerikanischen Literaturnobelpreisträgerin Pearl S. Buck (1892–1973). Die goldene Brücke, Band 7 der Buchreihe Das bunte Leben, Erzählungen aus Kindheit und Jugend. Die Romreise Graf Yorks, Text und Verfasser unbekannt. Die Todesmühlen, deutsch-amerikanischer Dokumentarfilm (1945) über die Befreiung der NS-Konzentrationslager. Die vier Grobiane, Oper in drei Akten von Ermanno Wolf-Ferrari (1876–1948) nach Carlo Goldonis Lustspiel I quattro rusteghi. Die wunderbare Macht, Roman (1937) von → DOUGLAS Lloyd C. Don Pasquale, komische Oper in drei Akten von Gaetano Donizetti (1797–1848).

Film-, Aufführungs- und Werkverzeichnis   387

Du bist die Ruh, Lied von Franz Schubert (1797–1828) nach einem Gedicht von Friedrich Rückert (1788–1866). Einmal im Jahr, französischer Spielfilm (Originaltitel: Caprices, 1941), Regie: Léo Joannon, Darsteller: Danielle Darrieux, Albert Préjean. Gabriele Drambone, deutscher Spielfilm (1943), Regie: Hans Steinhoff, Darsteller: Ewald Balser, Christl Mardayn, Egon von Jordan. Geheimnisvolles Tibet, Lichtbildvortrag im Wiener Volksbildungshaus Urania. Gesang Weylas, Lied von Hugo Wolf (1860–1903) nach einem Gedicht von Eduard Mörike (1804– 1875). Geschichte der Juden, von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, ursprünglich in zwölf Bänden, später auch in einer dreibändigen Volksausgabe erschienene Geschichte des jüdischen Volkes → GRAETZ Heinrich. Große Liebe (eigentlich: Die Große Liebe), deutscher Spielfilm (1942), Regie: Rolf Hansen, Darsteller: Victor Staal, Grethe Weiser, Paul Hörbiger und → LEANDER Zarah. Größe und Niedergang Roms, Geschichte des Römischen Reiches in sechs Bänden von → FERRERO Guglielmo. Grubermesse, Deutsche Messe in D-Dur (für Soli, Chor, drei Hörner und Orgel) oder Hochzeitsmesse in D-Dur (für Soli, Orchester und Orgel) von Franz Xaver Gruber (1787–1863), dem Komponisten des Weihnachtsliedes „Stille Nacht, Heilige Nacht“. Immensee, deutscher Spielfilm (1943) nach Theodor Storms gleichnamiger Novelle. Regie: Veit Harlan, Darsteller: Kristina Söderbaum, Carl Raddatz, Paul Klinger. Iphigenie in Delphi, Tragödie von Gerhart Hauptmann (1862–1946). Kim, Abenteuerroman (1901) des britischen Literaturnobelpreisträgers → Kipling Rudyard. La Bohème, Oper in vier Akten von Giacomo Puccini (1858–1924). Macbeth, Oper in vier Akten von Giuseppe Verdi (1813–1901). Madame Curie, Biographie der Physikerin Marie Curie verfasst von deren Tochter, Eva Curie-Labouisse (1904–2007). Die deutsche Übersetzung erschien erstmals 1937. Marias Wiegenlied (eigentlich Mariä Wiegenlied), Lied von Max Reger (1873–1916) nach einem Gedicht von Martin Boelitz (1874–1918). Maskerade, österreichischer Spielfilm (1934), Regie: Willy Forst, Darsteller: Adolf Wohlbrück und Paula Wessely. Matthäuspassion, Oratorium von Johann Sebastian Bach (1685–1750). Memoiren, des französischen Staatsmannes → TALLEYRAND Charles Maurice. Michelangelo. Das Leben eines Titanen, deutscher Dokumentarfilm (1942) über das Leben Michelangelo Buonarottis, Regie: Curt Oertel. Mit den Augen einer Frau, Roman von → HarsAnyi Zsolt. Moisasurs Zauberfluch, Zauberspiel von Ferdinand Raimund (1790–1836). O hast du noch ein Mütterchen, Lied von Hans Lang (1908–1992), gesungen von der deutschen Schauspielerin und Sängerin Maria Andergast (1912–1995). Orpheus und Eurydike, Oper in drei Akten von Christoph Willibald Gluck (1714–1787). Othello, Oper von Giuseppe Verdi (1813–1901). Palestrina, Oper in 3 Akten von → PFITZNER Hans. Pygmalion, Komödie des irischen Literaturnobelpreisträger George Bernard Shaw (1856–1950). Die Uraufführung fand 1913 in Wien statt. Schäfchen und Vöglein bewachen mein Kindelein, volkstümliches Kinderlied. Sonett an Martha May, Sonett unbekannten Ursprungs, möglicherweise von Therese Lindenberg.

388   Register Stolzes Herz, Roman (1938) der US-amerikanischen Literaturnobelpreisträgerin Pearl S. Buck (1892–1973). Suleika, Lied von Franz Schubert (1797–1828) nach einem Gedicht von Marianne von Willemer (1874–1860). Tosca, italienisch-französischer Spielfilm (1941) nach der gleichnamigen Oper von Giacomo Puccini (1858–1924); Regie: Carl Koch, Jean Renoir, Darsteller: Rossano Brazzi, Michel Simon. Via Mala, Roman (1934) des Schweizer Autors John Knittel (1891–1970). Viel Lärm um Nichts, Komödie von William Shakespeare (1564–1616). Vom Winde verweht, 1937 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneter Roman von → MITCHELL Margaret. Von Ceylon zum Himalaja, Reisebericht (1926) von Erwin Drinneberg mit 41 Aufnahmen des Verfassers. Wien, Wien, nur Du allein, populäres Wienerlied; Text und Musik von Rudolf Sieczynski (1879–1952). Wintermärchen, Komödie von William Shakespeare (1564–1616).

Abbildungsverzeichnis   389

Abbildungsverzeichnis Die Abbildungen 1, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 und 10 sind Reproduktionen von Fotografien aus dem Familienarchiv von Ruth Steiner, Wien. Die Abbildungen 2 und 14 sind Faksimile der Seiten 1 und 28 des Typoskripts „Die apokalyptischen Jahre. 1938–1946“. Das Original befindet sich im Familienarchiv von Ruth Steiner, eine Kopie in der Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien. Die Abbildungen 11, 12 und 13 sind Faksimile einzelner Seiten aus den Originaltagebüchern Nr. 10, Nr. 13 und Nr. 12, die alle in der Sammlung Frauennachlässe aufliegen. Abbildung 15 stellt Groß-Wien nach den Eingemeindungen vom 15. Oktober 1938 dar und wurde entnommen aus: Gerhard Botz, Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme, Herrschaftssicherung, Radikalisierung 1938/39, Wien 2008, 370.

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