Der lange Umweg zur Macht: Die Geschichte der Grünen in Salzburg bis 2013 9783205206507, 3205206509

Der in westlichen Industriegesellschaften sich vollziehende Wertewandel bewirkte nicht nur eine Konjunktur postmateriali

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Der lange Umweg zur Macht: Die Geschichte der Grünen in Salzburg bis 2013
 9783205206507, 3205206509

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Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg

Herausgegeben von Robert Kriechbaumer · Franz Schausberger · Hubert Weinberger Band 61

Robert Kriechbaumer · Michael Mair

Der lange Umweg zur Macht Die Geschichte der Grünen in Salzburg bis 2013

2017 Böhlau Verlag Wien · Köln · Weimar

Veröffentlicht mit Unterstützung durch das Amt der Salzburger Landesregierung, Abteilung Wissenschaft

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: www.wildbild.at

© 2017 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A–1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Philipp Rissel, Wien Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Michael Rauscher, Wien Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf chlor- und säurefrei gebleichtem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-205-20650-7

Inhaltsverzeichnis

Robert Kriechbaumer Von der Protestbewegung zur Regierungspartei Die Geschichte der Grünen in Salzburg Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   11

TEIL I 1. »Es ist unmöglich, sich um Salzburg nicht Sorgen zu machen« – Ein Mahnruf mit Folgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   23 2. Der Konflikt um Salzburgs Süden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Das Stadtentwicklungsmodell 1970 und der Generalverkehrsplan 1971 . 2.2 Der Kampf um Freisaal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Von den Bürgerinitiativen zur Bürgerliste 1976/77. . . . . . . . . . . . .

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Tafelteil 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   65

TEIL II 3. Die Bürgerliste 1977 bis 1982 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Der Kampf um die Stadt.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Das Jahr 1979. Grenzen des Erfolgs und neue personelle Konstellationen bei den etablierten Parteien . . . . . . . . 3.1.2 Die »irreguläre Opposition« . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Ökologie – Ein neues Generalthema der Politik.. . . . . . . . . . 4.1 »Umwelt schützen, Radl benützen.«. . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Gegen die Wegwerfgesellschaft – Müll und Müllentsorgung . 4.3 »Bruder Baum« – Das Waldsterben . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Für eine saubere (grüne) Salzach . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Hainburg – Die Geburt eines »Erinnerungsortes« . . . . . . . 4.6 Wackersdorf – Die Apokalypse vor der Haustür  ?. . . . . . . .

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4.7 »Der Auspuff Europas« – Der Kampf gegen den Transit und die zweite Tunnelröhre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 5. In der Stadtregierung. Gestalten und Widerstand. Die Bürgerliste 1982 bis 1987. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 5.1 Eine herbe Enttäuschung – Die Gemeinderatswahl 1987 . . . . . . . . . 187 6. Der vom Chaos begleitete »Salzburger Weg« – Die GABL . . . . . . . . . . 194 7. Ein neuerlicher Anlauf. Die Landtagswahl 1989.. . . . . . . . . . . . . . . . 212 8. 1989 – Eine folgenschwere Zäsur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Politische Veränderungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Umweltpolitische Kontroversen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Gegen »Bleifüßler« und die Lärmbelastung durch den Flugverkehr . 8.2.2 Das Dauerthema Verkehr.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.3 Die Kontroverse über die 380 KV-Leitung im Oberpinzgau . . . . . 8.3 Der WEB-Skandal. Ein politisches Erdbeben und spektakuläre Rücktritte – Die Chance zur Profilierung . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Unerwartete Ergebnisse und Konstellationen. Die Gemeinderatswahl 1992 und der »politische Slalom« der Bürgerliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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9. Enttäuschte Hoffnungen – Die Landtagswahl 1994. . . . . . . . . . . . . . . 277 9.1 Die günstige politische Großwetterlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 9.2 Eine Enttäuschung – Sieger sehen anders aus . . . . . . . . . . . . . . . . 303 10. 1994 bis 1999 – Eine Phase der Verwirrung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Personelle und inhaltliche Differenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Zwischen Sachpolitik und einer Politik der Gefühle. . . . . . . . . . . 10.3 Profilierung in stadt- und landespolitischen Kontroversen – Verkehr, Stadion, Guggenheim (Museum im Berg), Erste Olympiabewerbung . 10.4 Abermalige heftige personelle Turbulenzen im Vorfeld der ­Gemeinderatswahl 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5 7. März 1999  : Der Super-Wahlsonntag – Mit einem blauen Auge ­davongekommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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TEIL III 11. Politik in einer geänderten politischen Landschaft.. . . . . . . . . . . . . . 407 11.1 Das Gentechnikvorsorgegesetz – eine erfolgreiche Initiative . . . . . . 412 11.2 Konsolidierungsbemühungen – Organisatorische Reform und ­Professionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 12. Die Bürgerliste Salzburg zwischen inoffizieller Koalition mit der SPÖ und politischen Kontroversen.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 12.1 Kulturpolitische Kontroversen – Das Haus für Mozart und das Museum der Moderne am Berg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 12.2 Trübungen des Koalitionsklimas.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 13. Erfüllte und unerfüllte Hoffnungen. Die Nationalrats-, Landtags-, Gemeinderats- und Europawahlen 2002 bis 2004 . . . . . . . . . . . . . . . 452 14. Die (anhaltenden) Mühen der politischen (Oppostions-)Ebene 2002 bis 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 14.1 »Angesichts eines so lockeren Umgangs mit Steuergeldern kann man nur das Schlimmste bei einer neuerlichen Kandidatur befürchten.« Die neuerliche Bewerbung um die Olympischen Winterspiele 2014 .. 470 14.2 Der neuerliche Kampf um die Grünlanddeklaration. . . . . . . . . . . 492 15. Fern der Regierungsbeteiligung. Die anhaltende Rolle des politischen Außenseiters  : Die Wahlen 2006 bis 2009. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 16. »Ich erhebe den Anspruch, dass wir früher oder später Regierungsverantwortung übernehmen.«. Die Jahre 2009 bis 2012. Die Ruhe vor dem Sturm.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 17. Annus mirabilis 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1 Ein politisches Erdbeben – Finanzskandal und Untersuchungsausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2 Die Landtagswahl am 5. Mai 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3 Das Wahlergebnis – Ein politisches Erdbeben . . . . . . . . . . . . . . 17.4 Die Regierungsverhandlungen. Auf dem Weg zu ­ schwarz-grün-orange. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.5 Ein bisher einmaliges politisches Experiment. Das Versprechen einer »neuen Politik« und eines »neuen politischen Stils« . . . . . . . . . .

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Quellennachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598

Michael Mair Gezähmte Rebellen Die Geschichte in Berichten von Zeitzeugen Einige persönliche Bemerkungen zu Beginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609 1. Bürger im Aufruhr. Eckehart Ziesel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611 2. Ein Savonarola für Salzburg   Johannes Voggenhuber . . . . . . . . . . . . . . 621 3. Die Realos übernehmen. Johann Padutsch, Helmut Hüttinger.. . . . . . . . 637 4. Im Schatten der Sonnengötter. Roswitha Müller, Michael Schallaböck, Ulrike Unterbauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 652 5. Der letzte Alleinherrscher. Christian Burtscher . . . . . . . . . . . . . . . . . 664 6. Auf leisen Sohlen an die Macht. Cyriak Schwaighofer, Astrid Rössler . . . . . 679 7. Ist das noch die Bürgerliste  ? Johannes Padutsch, Heinz Schaden . . . . . . . 698 Epilog. Zu Fronleichnam in Tracht – Gernot Himmelfreundpointner . . . . . . 717

Bildnachweis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 720 Personenregister.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 721 Die Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 729

Robert Kriechbaumer

Von der Protestbewegung zur Regierungspartei Die Geschichte der Grünen in Salzburg

Einleitung

1982 erschien die von Fritz Plasser und Peter A. Ulram auf der Basis eines umfangreichen empirischen Materials verfasste bahnbrechende Studie über die politische Kultur Österreichs unter dem Titel »Unbehagen im Parteienstaat«,1 in dem die durch den gesellschaftlichen Modernisierungsprozess und die mit diesem einhergehende Wandlungsdynamik der politischen Kultur einer ersten umfassenden Analyse unterzogen wurde. Die vor allem von der amerikanischen Politikwissenschaft initiierte Forschung zur politischen Kultur widmet sich den individuellen Einstellungen, Werthaltungen und Orientierungen der Bevölkerung gegenüber der institutionellen Politik und dem politischen System. Dabei wird zwischen kognitiven, affektiven und wertenden Einstellungen gegenüber dem politischen System als Ganzem (Systemkultur), dem politischen Prozess (Prozesskultur) und konkreten Politikfeldern (Politikfeldkultur) unterschieden. Einen weiteren Bereich bildet das Selbstverständnis der Bürger im jeweiligen politischen System – aktiv mitgestaltend (in den traditionellen Parteien), passiv, distanziert bis entfremdet, und aktiv (in den Bürgerinitiativen oder neuen Parteien) – unterschieden. Und schließlich wurde die Dialektik des Fortschritts zu einem bestimmenden Faktor der Politik und der Politischen Kultur. Das Zeitalter ökonomischer Zuwachsraten implizierte steigenden Wohlstand, vermehrte Lebenschancen, höhere Bildung, eine Individualisierung der Lebensentwürfe und eine »Abschwächung kollektiver Selbsterfahrung«,2 d. h. einen Abschied von der Prägekraft traditioneller Sozialisationsinstanzen wie Elternhaus, Schule oder Religionsgemeinschaften. »Der Wandel vollzieht sich schrittweise. Darin spiegelt sich wider, dass die einzelnen Generationen während ihrer formativen Jahre von unterschiedlichen Erfahrungen geprägt wurden. So sind traditionelle Wertvorstellungen und Normen in der älteren Generation nach wie vor weit verbreitet, während sich bei den jüngeren Menschen neue Einstellungen immer mehr durchsetzen. In dem Maße, wie die jüngere Generation in einer Gesellschaft nachrückt und die ältere Generation ablöste, verändern sich die vorherrschenden Anschauungen.

1 Fritz Plasser, Peter A. Ulram  : Unbehagen im Parteienstaat. Jugend und Politik in Österreich. – Wien/ Köln/Graz 1982. (Studien zu Politik und Verwaltung. Herausgegeben von Christian Brünner, Wolfgang Mantl, Manfried Welan. Band 2.) 2 Gerhard Schulze  : Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. – Frankfurt am Main/New York 1993. S. 409.

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Einleitung

Darüber hinaus ist die jüngere Generation zum Teil aufgrund ihres höheren Bildungsniveaus politisch kompetenter. Die Jüngeren können aktiver und sachgerechter an der Politik partizipieren als die Menschen früherer Generationen. Diese Veränderungen haben weitreichende Folgen. Der kulturelle Wandel beeinflusst die wirtschaftlichen Wachstumsraten in den einzelnen Gesellschaften und die Art der angestrebten wirtschaftlichen Entwicklung. Der kulturelle Wandel verändert die sozialen Ursachen politischer Konflikte, die Gründe, weshalb Menschen eine politische Partei unterstützen, welche Arten von Parteien sie unterstützen und wie sie versuchen, ihre politischen Ziele durchzusetzen. (…) Die Wertvorstellungen in den westlichen Gesellschaften haben sich signifikant verschoben  : während früher materielles Wohlergehen und physische Sicherheit ganz im Vordergrund standen, wird heute mehr Gewicht auf die Lebensqualität gelegt. … In den westlichen Gesellschaften sind inzwischen mehr Menschen als je zuvor in außergewöhnlicher ökonomischer Sicherheit aufgewachsen. Wirtschaftliche und physische Sicherheit werden zwar auch weiterhin positiv bewertet, aber ihre Bedeutung im Verhältnis zu anderen Werten ist geringer als in der Vergangenheit. … Die gegenwärtigen Veränderungen eröffnen den Menschen … die Möglichkeit, eine aktivere Rolle bei der Formulierung von politischen Programmen zu spielen und sich in einer Weise politisch zu betätigen, die man im Gegensatz zu Elitengelenktem Verhalten als Eliten-herausfordernd bezeichnen könnte. Politische Partizipation ist dann von Eliten gelenkt, wenn diese durch etablierte Organisationen wie politische Parteien, Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften usw. die Unterstützung der Massen mobilisieren. Durch den neuen politischen Stil, bei dem die Eliten herausgefordert werden, nehmen die Bürger mehr Einfluss auf konkrete Entscheidungen  ; ihre Partizipationsmöglichkeiten beschränken sich nicht mehr auf die Wahl zwischen zwei Gruppen von Entscheidungsträgern.«3 Sydney Verba und Norman H. Nie haben in ihrer 1972 am Beispiel der USA vorgenommenen Untersuchung über politische Partizipationsverhalten auf die durchgehende Dominanz des sozioökonomischen Status hingewiesen. Höhere materielle Ressourcen und höhere Bildung korrelieren mit einer höheren Bereitschaft zur politischen Information und Partizipation.4 Politische Partizipation war und ist vor allem ein Mittel- und Oberschichtenphänomen. In beiden sozioökonomischen Segmenten befindet sich auch die weitaus größte Zahl von Postmaterialisten. 1989 kam Ronald Inglehart in seiner Studie über den Wertewandel und das Phänomen neuer sozialer Bewegungen zu einem ähnlichen Ergebnis. Effektive politische Partizipation 3 Ronald Inglehart  : Kultureller Umbruch. Wertwandel in der westlichen Welt. – Frankfurt am Main/New York 1989. S. 11f. 4 Sydney Verba, Norman H. Nie  : Participation in America. Political democracy and social equality. – New York 1972.

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und Handeln setzt, jenseits informeller Netzwerke und Organisationen, »gewisse Fähigkeiten voraus. Selbst schwerwiegende Probleme und eine perfekte Organisation reichen unter Umständen nicht aus, um eine Bevölkerung von Analphabeten und apolitischen Menschen zu mobilisieren. Der Begriff ›kognitive Mobilisierung‹ bezieht sich auf die Ausbildung der politischen Fähigkeiten, die jeder braucht, der sich in der Politik einer großen Gesellschaft zurechtfinden will.«5 Wissen gilt somit als Voraussetzung politischer Partizipation, gut und sehr gut informierte Bürgerinnen und Bürger neigen signifikant mehr dazu, sich politisch zu beteiligen.6 Zunächst bezieht sich politische Partizipation, wenngleich vom ökonomischen Status und Bildung abhängig, »auf die Rolle der Menschen als BürgerInnen und Privatpersonen und nicht als Erwerbstätige (z. B. als Berufspolitiker). Zweitens sind Aktivitäten, die als politische Partizipation definiert werden, in der Regel freiwillige Tätigkeiten. Darüber hinaus werden unter politischer Partizipation im Sinne des Wortes Aktivitäten verstanden und keine Tätigkeiten wie das Anhören, Ansehen oder Lesen politischer Nachrichten im Radio, Fernsehen oder in Tageszeitungen. Nicht zuletzt ist politische Partizipation weder auf spezifische Phasen des politischen Prozesses noch auf spezifische Bereiche des politischen Systems beschränkt … Darüber hinaus sind in erster Linie drei Partizipationsdimensionen zu nennen, die von der Beteiligung an Wahlen abzugrenzen sind …  : Aktivitäten in Parteien und Wahlkämpfen, problemspezifische Partizipation und Protestaktivitäten.«7 Politisches Wissen ist die Voraussetzung für die bewusste Definition der eigenen Interessen und deren Übersetzung in politische Aktivitäten. Dabei sind jedoch, abhängig von der Partizipationsform, »unterschiedliche Ressourcen und Kenntnisse mitzubringen. Genau wie es freie Zeit erst erlaubt, an Demonstrationen teilzunehmen, die Ausstattung mit monetären Mitteln erst ermöglicht, Kampagnen finanziell zu unterstützen, oder Kommunikationsfähigkeiten dabei helfen, einer wertvollen Beitrag zu einer politischen Debatte zu leisten, so können auch spezifische politische Kenntnisse unterschieden werden, die eine bedeutende Ressource für bestimmte Formen politischer Partizipation darstellen.« Im Bereich des politischen Wissens ist zwischen einem Wissen über die Spielregeln des politischen Systems, d. h. die Mechanismen des Politik- und Verwaltungsbetriebes, und Wissen über politische Akteure, Politikerinnen und Politiker und Parteien, zu unterschieden. Während Kenntnisse über die politischen Akteure bei Wahlen eine wichtige Rolle spielen, spielen die erheblich komplexeren Kennt-

5 Inglehart  : Kultureller Umbruch. S. 462. 6 Max Kaase  : Partizipation. – In  : Dieter Nohlen (Hg.)  : Wörterbuch zu Staat und Politik. – Bonn 1995. S. 521–527  ; Markus Steinbrecher  : Politische Partizipation in Deutschland. – Baden-Baden 2009. 7 David Johann  : Spielregeln und AkteurInnen  : Politisches Wissen als Ressource verschiedener Formen politischer Partizipation. – In  : Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft (ÖZP) 4/2011. S. 377–394. S. 378.

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nisse über die Spielregeln des politischen Systems beim Engagement in Protestformen wie z. B. Bürgerinitiativen eine entscheidende Rolle. »Ein geringes Verständnis des politischen Systems lässt die BürgerInnen im Unklaren darüber, welche Möglichkeiten des Engagements und der Einflussnahme es gibt und warum bestimmte Partizipationsformen in manchen Situationen einträglicher sein können als andere. Wenn ein Bürger oder eine Bürgerin nicht erkennt, dass z. B. die Mitarbeit in einer Bürgerinitiative oder die Teilnahme an einer Online-Protestaktion in bestimmten Situationen eine adäquate Option sein kann, seine/ihre Meinung oder sein/ihr Anliegen darzulegen, wird er/sie nicht nutzen. Da Kenntnisse über die Spielregeln des politischen Systems das Bewusstsein für weniger leicht zu entdeckende politische Partizipationsformen stärken, ist davon auszugehen, dass sich entsprechende Kenntnisse positiv auf die Teilnahme an Partizipationsformen jenseits des Wählens auswirken.«8 Neue soziale und politische Bewegungen wie etwa Bürgerinitiativen sind daher in der Regel das Werk lokaler Honoratioren wie Ärzte, Rechtsanwälte, Kulturschaffender, Lehrer usw.9 Ab den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts manifestierte sich die auf der Kenntnis der Spielregeln des politischen Systems basierende politische Partizipation in einer Politisierung des Umweltthemas, wurde die Krise der Ökologie nicht nur als eine reine Störung der Umwelt, sondern als Krise des politischen Systems interpretiert, die das Verhältnis von Natur und technischem Fortschritt jenseits der etablierten Parteien thematisierte.10 Sonja Puntscher-Riekmann sah in der gesellschaftlichen Entwicklung und dem mit ihr einhergehenden Wertewandel, der zu einer Politisierung der Umweltfrage führte, die Ursachen der Neuformierung des politischen Systems ab den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts. Das Unbehagen an der Kultur des Fortschritts zu Beginn der Siebzigerjahre sei keineswegs neu gewesen, sondern »auf neue Weise virulent« geworden. »Als konstante – teils latente, teils sichtbare – Begleiterschei  8 Johann  : Spielregeln und AkteurInnen. S. 381.   9 Auf das Phänomen der Honoratiorenbewegung hat erstmals Anton Pelinka am Beispiel der Salzburger Bürgerliste hingewiesen. Vgl. Anton Pelinka  : Bürgerinitiativen und Ökologiebewegung in Österreich. – In  : Werner Katzmann (Hg.)  : Umdenken – Analysen grüner Politik in Österreich. – Wien 1984, S. 149– 155. S. 151. Sechzehn Jahre später bemerkte Peter A. Ulram aufgrund eines in der Zwischenzeit zahlreich vorliegenden Datenmaterials  : »Bürgerinitiativen, Demonstrationen und Boykottaktionen sind die Domäne der oberen Bildungsschichten und qualifizierter Berufe, teilweise auch jüngeren Menschen und Leute aus dem urbanen Bereich. … Umgekehrt zeigen Angehörige der unteren Sozial- und Bildungsgruppen, insbesondere auch weniger qualifizierte Berufe (Arbeiter, Landwirte) eine deutlich unterdurchschnittliche Bereitschaft, sich an unkonventionellen Partizipationsformen zu beteiligen.« (Peter A. Ulram  : Civic Democracy. Politische Beteiligung und politische Unterstützung. – In  : Anton Pelinka, Fritz Plasser, Wolfgang Meixner (Hg.)  : Die Zukunft der österreichischen Demokratie. Trends, Prognosen und Szenarien. – Wien 2000. S. 103–140. S. 113.) 10 Kristina Dietz, Bettina Engels  : Immer (mehr) Ärger wegen der Natur  ? – Für eine gesellschafts- und konflikttheoretische Analyse von Konflikten um Natur. – In  : ÖZP 1/2014. S. 73–89.

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nung der Moderne von Anbeginn ist es nun Resultat der Ubiquität des Hässlichen, der immer geschwinderen Deformation tradierter Räume und Bilder, des angsterfüllten Gefahrenpotentials durch unsichtbare, unbegreifliche Wirkungen von technischen Erfindungen, des Zweifels an einer Ökonomie, die trotz hoher sozialer und ökologischer Kosten keine Stabilität gewährleistet. Es ist aber auch das Resultat des Verlustes von Sinn, Identität und Glauben an beständig neue Entwurfsmöglichkeiten der Moderne …«11 Die in den frühen Siebzigerjahren erfolgende breite, über den engeren Naturbezug hinausgehende Thematisierung des Ökologiethemas – Umwelt, Lebensqualität, Transparenz, Partizipation, Systemkritik – sei keineswegs neu gewesen, sondern nur dessen Politisierung. Die Umweltverhältnisse der vorangegangenen Jahrzehnte seinen keineswegs besser gewesen, aber die Kritik beschränkte sich auf den überschaubaren Bereich der akademischen Ebene. Erst die 1972 erschienen »Grenzen des Wachstums« des Club of Rome hatten die Wirkung eines »politischen Fanals«.12 Auch Ronald Inglehart kam zu einem ähnlichen Befund. »Die Öko-Bewegung lässt sich … nicht einfach darauf zurückführen, dass es heute mehr Umweltprobleme gibt als früher. Es ist nicht einmal klar, dass die Probleme heute tatsächlich größer sind. Die Öko-Bewegung ist nicht zuletzt deshalb auf dem Vormarsch, weil die Öffentlichkeit heute sensibler auf die Qualität der Umwelt reagiert als noch vor einer Generation. Ebenso ist keineswegs klar, dass Frauen heute benachteiligter sind als vor zwanzig oder dreißig Jahren, allerdings legen sie in der entwickelten Industriegesellschaft mehr Wert auf Selbstverwirklichung in einer Berufstätigkeit außerhalb der Familie.«13 Die in der versäulten österreichischen Konkordanzdemokratie ausgeprägten politischen Lager, Lebenswelten und Werthaltungen verloren in der Generationenfolge zunehmend an Bedeutung und wichen einem neuen politischen Feld, das durch Unübersichtlichkeit und zunehmende Unberechenbarkeit gekennzeichnet war. Die politische Kultur Österreichs zeigte in den Achtzigerjahren ein widersprüchliches Bild. Einem nach wie vor hohen Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des politischen Systems und der politischen Institutionen stand ein zunehmendes politisches Entfremdungsgefühl gegenüber, das sich vor allem in einer moralisch aufgeladenen Kritik an den politischen Eliten und etablierten Parteien sowie im Vorwurf mangelnder Bereitschaft oder Fähigkeit, neue Themenbereiche wie Umweltschutz oder erweiterte Partizipationsmöglichkeiten zum Gegenstand der politischen Agenda zu machen, äußerte.14 Diese Entwicklung manifestierte sich in der Konjunktur des Um-

11 Sonja Puntscher-Riekmann  : Die Grüne Alternative. – In  : Wolfgang Mantl (Hg.)  : Politik in Österreich. Die Zweite Republik. Bestand und Wandel. – Wien/Köln/Graz 1994. S. 405–428. S. 405. 12 Puntscher-Riekmann  : Die Grüne Alternative. S. 406. 13 Inglehart  : Kultureller Umbruch. S. 463. 14 Fritz Plasser, Peter A. Ulram  : Das österreichische Politikverständnis. Von der Konsens- zur Konfliktkultur  ?  – Wien 2002. S. 111. (Schriftenreihe des Zentrums für angewandte Politikforschung. Band 25.

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weltthemas. Hielten 1982 noch 40 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher die Umweltmaßnahmen für ausreichend oder sogar übertrieben, so reduzierte sich dieser Prozentsatz bereits zwei Jahre später auf die Hälfte. Im Gegenzug stieg der Prozentsatz derjenigen, die die getroffenen Maßnahmen im Umweltbereich für ungenügend erachteten, von 60 auf 75 Prozent.15 1987 kam Fritz Plasser zu dem Befund, die traditionellen Parteien seien angesichts der gesellschaftlichen Wandlungsdynamik und der Auflösung der traditionellen politischen Lager sowie der Bereitschaft zur politischen Neuorientierung »unter Stress« geraten.16 Plasser übernahm in seiner Analyse das Konzept der »kritischen Wahl« (realigning elections) der amerikanischen Politikforschung. Unter einer »kritischen Wahl« werden nur jene Wahlen verstanden, die zu einer dauerhaften neuen Wählerund Wertekoalition führten. Kritische Wahlen könne durch zwei Entwicklungslinien, die einander bedingen und in Wechselwirkung stehen, bewirkt werden  : 1. Durch die entlang einer Zeitachse sich entwickelnde gesellschaftliche Wandlungsdynamik, die in ihren soziostrukturellen Auswirkungen zum Abschmelzen von Kernwählerschichten der traditionellen Lagerparteien führt und der diese aufgrund des Bedeutungsverlustes traditioneller Konfliktmuster (cleavages) nur sehr bedingt zu begegnen wissen  ; 2. Durch eine krisenhafte Dynamik, die durch ein emotional hoch aufgeladenes Thema, das die etablierten Parteien und Eliten nicht zu lösen vermögen, einen Konflikt erzeugt, der nicht mehr entlang der traditionellen Lagergrenzen, sondern quer zu diesen verläuft und damit eine neue Wählerkoalition entstehen lässt. Dabei spielen die negativen Folgeerscheinungen des unbegrenzt scheinenden Wachstums eine zentrale Rolle. Die lange geltende und weitgehend akzeptierte Argumentation des materiellen Nutzens als Entschädigung für unwiederbringlich Verlorenes verlor angesichts des Wertewandels in Richtung Lebensqualität und Lebenschancen, die sich im »ökologische Protest« manifestierten, an Zustimmung.17 Dieser bildete den Nukleus der sich formierenden neuen Wählerkoalitionen, die entweder zu einer temporären (Bürgerinitiativen) oder dauerhaften Neuordnung (Grün-Parteien) des Parteiensystems führten. In einer ersten Analyse der Frühphase der Formierung von Bürgerlisten und Grün-Alternativen Parteien in Österreich wies Herbert Dachs auf die methodischen Schwierigkeiten eines solchen Unterfangens hin. Wenn man sich einer solchen Aufgabe unterziehe, sei man »dabei mit verschiedenen Schwierigkeiten konfrontiert, 15 Peter A. Ulram  : Hegemonie und Erosion. Politische Kultur und politischer Wandel in Österreich. – Wien/Köln/Graz 1990. S. 141. (Studien zu Politik und Verwaltung. Herausgegeben von Christian Brünner, Wolfgang Mantl, Manfried Welan. Band 35.) 16 Fritz Plasser  : Parteien unter Stress. Zur Dynamik der Parteiensysteme in Österreich, der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten. – Wien/Köln/Graz 1987. (Studien zu Politik und Verwaltung. Herausgegeben von Christian Brünner, Wolfgang Mantl, Manfried Welan. Band 23.) 17 Plasser, Ulram  : Unbehagen im Parteienstaat. S. 138.

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deren größte wohl darin besteht, dass es sich hier nicht um Parteien im landläufigen Sinne mit überschaubarer Geschichte, klarer Organisation, Programmatik und kontinuierlicher politischer Praxis handelt, sondern um mehr oder weniger locker organisierte, aus oft heterogenen Gruppen gebildete Quasi-Parteien und Wahlplattformen, deren Profil und Politik noch lange nicht klar ausformuliert sind.«18 Bürgerinitiativen bilden seit den frühen Siebzigerjahren besondere Formen der instrumentellen politischen Partizipation, die auf die Erreichung eines bestimmten Ziels ausgerichtet und deren Adressaten politische Entscheidungsträger sind.19 Wenngleich der Aktionsbereich von Bürgerinitiativen ein breites Feld umfasst, so dominieren die Bereiche Umwelt, Wohnen, Verkehr vor anderen spezifischen kommunalpolitischen Themen von Freizeiteinrichtungen bis Bildungs- und Kulturangeboten. Sie sind vor allem ein regionales bzw. lokales Phänomen, das überwiegend aus der Kritik an tatsächlichen oder behaupteten Mängeln, Defiziten oder Bedrohungsszenarien vor Ort entsteht.20 Raum-Identität als Beheimatung und zentrales Konstruktionselement der Ich- und Gruppenidentität sowie des lebensweltlichen Ambientes bilden die Triebfeder einer reaktiven Partizipation.21 Engagement erfolgt hier vorwiegend auf lokaler Ebene, da hier die Probleme unmittelbar erfahrbar werden und damit eine Mobilisierung der Betroffenen leichter erfolgt. Die Akteure lösen sich aufgrund einer unmittelbaren Betroffenheit aus ihrem bisher passiven politischen Verhalten und politisieren sich aus Sorge um die eigene Lebenswelt. Diese sich in einer neuen Form des (politischen) Engagements manifestierende Mobilisierung und Politisierung ist jedoch aufgrund ihrer lokalen Begrenztheit auf einen Stadtteil oder einen Straßenzug, selten auf eine ganze Stadt, oftmals nur von beschränkter Dauer. Werden die Forderungen der Bürgerinitiative teilweise oder vollständig von Politik und Verwaltung erfüllt, sinkt das Engagement gegen null. Zudem ist das Phänomen der lokal begrenzten Bürgerinitiativen nicht frei von orts- und gruppenspezifischen Interessen (Egoismen). So kann z. B. die Forderung nach einer Verkehrsberuhigung in einem bestimmten Straßenzug oder Stadtteil zu einer erheblichen Mehrbelastung 18 Herbert Dachs  : Bürgerlisten und Grün-Alternative Parteien in Österreich. – In  : Anton Pelinka, Fritz Plasser (Hg.)  : Das österreichische Parteiensystem. – Wien/Köln/Graz 1988. S. 181–207. S. 181. (Studien zu Politik und Verwaltung. Herausgegeben von Christian Brünner, Wolfgang Mantl, Manfried Welan. Band 22.) 19 Beate Hoecker  : Politische Partizipation  : systematische Einführung. – In  : Dies. (Hg.)  : Politische Partizipation zwischen Konvention und Protest. Eine studienorientierte Einführung. – Opladen 2006. S. 3–20. S. 4. 20 Anton Pelinka  : Bürgerinitiativen, gefährlich oder notwendig  ? – Freiburg im Breisgau/Würzburg 1978. S. 8. 21 Klaus Raimund Schreiner  : Die Entstehung der Bürgerliste in der Stadt Salzburg in den 1970er-Jahren. Motive für das politische Partizipationsverhalten und der Einfluss lokaler Kontexteigenschaften. Diplomarbeit. – Graz 2013. S. 28f.

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von anderen Straßenzügen oder Stadtteilen führen. Die Sorge um das Allgemeinwohl ist kein generelles Charakteristikum der Bürgerinitiativen. Thematische und personelle Fluktuation charakterisieren lokale Bürgerinitiativen und stehen damit einer organisatorischen Zusammenfassung in Form einer politischen Plattform oder Partei entgegen. »Bürgerinitiativen sind die größtmögliche Regression des gesellschaftlichen Widerstandes. Sie sind Regungen, nicht Bewegungen … Sie sind Regungen im Sinne von Erregungen und Aufregungen, die sich als konjunkturelles Phänomen kurzzeitig in einem Personenkonglomerat verdichten. … Bürgerinitiativen können Vorstufe von Bewegung sein, einen Automatismus von der Bürgerinitiative zur Bewegung gibt es nicht.«22 Aufgrund des Variantenreichtums sowie der raschen Fluktuation der personellen Konstellation und Erscheinungsbildes sowie des Vorhandenseins zahlreicher Mischformen existiert keine einheitliche Typologie der Bürgerinitiativen. Dennoch lassen sich vier Gegensatzpaare als allgemeine Definitionsmerkmale formulieren  : lokal versus national, reaktiv versus aktiv, gesellschaftsverändernd (systemverändernd/revolutionär) versus gesellschaftsimmanent bzw. gesellschaftsmodifizierend (reformistisch), Honoratioreninitiativen versus Masseninitiativen.23 Während reaktive Bürgerinitiativen auf gesetzliche oder planerische Vorhaben reagieren und deren Zurücknahme oder Modifikation fordern, formulieren aktive eine oder mehrere Forderungen, die im Leistungsangebot der kommunalen, regionalen oder nationalen Politik und Administration nicht enthalten sind. Jenseits dieser methodischen Trennung existieren in der Realität oftmals fließende Übergänge zwischen beiden Formen, sodass Bürgerinitiativen auch eine Mischform beider Elemente präsentieren können. Dies trifft z. B. auf zahlreiche Umweltinitiativen zu, die aus ihrem Protest gegen die Atomkraft einen Forderungskatalog alternativer Technologien und ökologisch-nachhaltigen Wirtschaftens entwickelten. Die sich in Salzburg in den frühen Siebzigerjahren formierenden Bürgerinitiativen repräsentierten eine solche Mischform, da sie aus dem Protest gegen bestimmte Entwicklungen (Verbauung der Stadtlandschaft, Altstadtschutz) im Vorfeld der Gemeinderatswahl 1977 zu einer Wahlplattform (»Bürgerliste«) mutierten, die mit einem konkreten Forderungsprogramm für sich warb und damit den Schritt weg von der One-Issue-Orientierung zu einem sich in den Folgejahren immer mehr verbreitenden klassischen politischen Programm setzte. Die Salzburger Bürgerinitiativen

22 Franz Schandl, Gerhard Schattauer  : Die Grünen in Österreich. Entwicklung und Konsolidierung einer politischen Kraft. – Wien 1996. S. 120. 23 Vgl. dazu Renate Platzer  : Bürgerinitiativen in Salzburg. Eine vergleichende Untersuchung der Bürgerinitiative »Schützt Salzburgs Landschaft« mit der »Initiative für mehr Lebensqualität in Lehen«. – München 1983. S. 31ff.; Schreiner  : Die Entstehung der Bürgerliste in der Stadt Salzburg in den 1970er-Jahren. S. 44ff.

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der frühen Siebzigerjahre repräsentierten in beinahe idealtypischer Form den Typus der gesellschaftsimmanenten Honoratiorenbewegung. Im Unterschied zu den Anfängen der Grünbewegung in der Bundesrepublik Deutschland sowie in Wien, bei der zahlreiche Mitglieder unterschiedlicher K-Gruppen aktiv wurden und unter dem Deckmantel von Basisdemokratie und Friedenspolitik eine Kapitalismus- und Systemkritik mit dem Ziel der Systemüberwindung formulierten, bewegten sich die Salzburger Bürgerinitiativen im Rahmen des bestehenden politischen Systems, das nur in Teilbereichen modifiziert werden sollte. Während sich von (ehemaligen) K-Gruppen unterwanderte und oftmals dominierte Bewegungen auch als außerparlamentarische Opposition im Sinne der radikalen 68er-Studentenbewegung verstanden, bewusst zu illegitimen Mitteln griffen und die Anwendung von Gewalt – zunächst nur gegen Sachen, dann auch gegen Personen – rechtfertigten, lehnten dies die Salzburger Bürgerinitiativen strikt ab. Ihre Konzeption als kommunalpolitische und erst später als landespolitische Kraft war überwiegend auf Sachpolitik ausgerichtet, wobei sie als Kampfmittel zur Propagierung und Durchsetzung ihrer Anliegen auf eine gezielt und oftmals auch provokant eingesetzte Form der symbolischen Politik sowie die direkte oder indirekte Unterstützung der Medien, in deren Redaktionsstuben zunehmend deren Parteigänger oder Sympathisanten Einzug hielten, setzte. Die Salzburger Bürgerinitiativen verdienen insofern auch besondere Beachtung, als es ihnen gelang, sich schließlich als Partei zu konstituieren und damit die politische Wettbewerbslogik zunächst auf lokaler und schließlich auch auf Landesebene zu verändern. Eine dauerhafte Neuordnung des Parteiensystems im Sinne einer Erweiterung und damit einer Veränderung der politischen Wettbewerbslogik tritt nur dann ein, wenn die mit einem plebiszitären/elektoralen Mandat ausgestatteten neuen politischen Eliten in der Lage sind, eine organisatorische Verfestigung inklusive einer weitgehenden personellen Kontinuität in den Führungsgremien zu erreichen und ein über den unmittelbaren Anlassfall (One-Issue) hinausgehendes alternatives Politikprogramm mit attraktiven, auf breite Resonanz stoßende Themen als »neue Politik« zu formulieren. 1990 kam Peter A. Ulram mit Blick auf die Entwicklung des politischen Systems zu dem Schluss, dass »substanzielles Politikversagen (nicht nur) angesichts neuer Themen, Ansätze einer partizipatorischen Revolution, Unbehagen an traditionellen Verhaltensweisen und Mentalitäten, Kritik am politischen Personal und schließlich eine Art generalisierendes Misstrauen gegenüber den Großparteien … – in Verbindung mit einer fortschreitenden politischen Säkularisierung und Mobilisierung der Wählerschaft – einen weiten Spielraum für neue politische Kräfte eröffnen.«24 Die Prognose Ulrams sollte sich bestätigen. Unter den in den folgenden Jahrzehnten sich formierenden neuen politischen Kräften sollte sich jene der 24 Ulram  : Hegemonie und Erosion. S. 279.

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Grünen als erfolgreichste und dauerhafteste erweisen. Ihre Geburtshelfer waren die zahlreichen Bürgerinitiativen, unter denen jene in Salzburg eine besondere Rolle spielte.

TEIL I

1.

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Zu Beginn der Neunzigerjahre des 20. Jahrhunderts bemerkte Karl Heinz Ritschel mit Blick auf Salzburg, das Bild einer Stadt sei stets auch das Abbild einer Gesellschaft. »Wenn … in einem Ensemble, das heißt also, in dem In-Beziehung-Stehen vieler Objekte, auch Beziehungsräume aus der Geschichte erhalten sind, so verlangt das umso mehr Sensibilität für jeden baulichen Eingriff. Diese wenigen beziehungsreichen Ensembles und Kerne aus einer Zeit, in der es eben Ensembles gegeben hat, nämlich städtebauliche Gliederungen aufgrund der gesellschaftlichen Wirklichkeit, wie eben in Salzburg Mönchsstadt, Fürstenstadt, Bürgerstadt, sind als bauliches Relikt der früheren gesellschaftlichen Ensembles bewahrenswert.«1 Diese Forderung schien in der Salzburger Altstadt fünfzehn Jahre zuvor nicht erfüllt. Angesichts der Dominanz des zur universellen Ideologie gewordenen Postulats der Modernisierung und der daraus resultierenden fortschreitenden Zerstörung der historischen Bausubstanz begann sich Widerstand zu artikulieren. War 1963 die mit Blick auf die fortschreitende Zerstörung der historischen Bausubstanz besorgte Frage »Wie lange noch Salzburger Altstadt  ?« des Salzburger Landeskonservators Theodor Hoppe ohne öffentliche und politische Resonanz geblieben, so bewirkte die zwei Jahre später von dem Kunsthistoriker Hans Sedlmayr publizierte Schrift »Die demolierte Schönheit. Ein Aufruf zur Rettung der Altstadt Salzburgs« das notwendige Echo in Form eines nunmehr einsetzenden öffentlichen Diskurses. Sedlmayr hatte all jenen, die mit bisher stummer Besorgnis diese Entwicklung verfolgten, eine Stimme gegeben. Dabei griff er auf den Mitbegründer der Wiener Kunsthistorischen Schule, Max Dvořák, zurück, der bereits 1918 missverstandene Fortschrittsideen neben Habsucht, Unwissenheit und Indolenz sowie künstlerische Unbildung als Hauptgefahrenquellen für die Erhaltung des kulturellen Erbes genannt hatte. Sedlmayrs Schrift begann mit der Feststellung, es sei »unmöglich, sich um Salzburg nicht zu sorgen. Eine der schönsten Altstädte, die es auf der ganzen Welt gibt, bröckelt ununterbrochen ab.« An diesem Ort komme es »nicht nur auf die berühmten Gebäude an, sondern auf die vielen einfachen Häuser, die alle zusammen die 1 Karl Heinz Ritschel  : Über das Bauen in der Stadt Salzburg. Gedanken zur Architektur- und Altstadtpolitik in den achtziger Jahren. – In  : Erich Marx (Hg.)  : Stadt im Umbruch. Salzburg 1980 bis 1990. – Salzburg 1991. S. 37–53. S. 38. (Schriftenreihe des Archivs der Stadt Salzburg Nr. 3.)

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Schönheit und den Zauber der Altstadt ausmachen.« Doch in dem halben Jahr, das er nun seit seiner Berufung an die Universität Salzburg in dieser Stadt vollbringe, seien »schon mindestens fünf oder sechs dieser alten Häuser verschwunden oder zum Abbruch verurteilt.«2 Die Demolierung der Altstadt erfolge plötzlich und ohne Information der Öffentlichkeit. »Eines Tages geht man durch die Getreidegasse und findet an Stelle des guten alten Hauses Nr. 24 ein klaffendes großes Loch in der Straßenwand. Davon, dass das Haus abgebrochen werden sollte, hat die Öffentlichkeit wenig oder nichts erfahren. Von der Enormität des Entschlusses, in eine der schönsten und geschlossensten Altstadtgassen, die es irgendwo auf der Welt gibt, einzubrechen, hat – soviel ich weiß – keine Zeitung berichtet.«3 Die derzeitige, von einem falschen Fortschrittswahn und Ökonomismus bestimmte, Politik in der Stadt habe letztlich zur Folge, »dass das, was am Schluss herauskommen muss – wenn nicht vorher etwas geschieht – einer Totalzerstörung der Altstadt durch Bomben gleichkommen wird …«4 Die von vielen Akteuren so oft in den Mund genommene Modernisierung und damit im Zusammenhang stehende Verschönerung der Stadt sei oftmals nichts anderes als der Paravent, hinter dem sich das Gewinnstreben der Baulöwen zum Schaden der Allgemeinheit verberge. »Nicht nur die Gemeindeverwaltung, auch jeder private Bauherr, der in das Stadtbild von Salzburg eingreift, hat zu wissen, dass dessen Erhaltung im Interesse der Allgemeinheit gelegen ist und dass dieses Interesse seinem Eigenwillen Grenzen setzt.«5 Die Stadtverwaltungen müssten einen Paradigmenwechsel hin zu einem modernen Denkmalschutz mit dem Ziel der Bewahrung des historisch-kulturellen Erbes vollziehen. Dafür seien allerdings »drei Dinge notwendig  : Erstens, dass die Stadtverwaltungen die Verpflichtung zum Denkmalschutz nicht als eine Auflage betrachten, sondern sie zu ihrer eigenen Sache machen. Zweitens, dass die mit der Aufgabe der restaurativen Sanierung nur dafür wirklich geeignete Architekten betrauen. Drittens, dass die Baupolizei und die Bauämter mit den städtischen wie mit den Bundesinstanzen des Denkmalschutzes und mit den betrauten Architekten zusammenarbeiten.« … Die Stadtverwaltungen »müssen durch Beiziehung der geeignetsten Architekten von Fall zu Fall den Ausgleich zwischen dem optimalen Schutz des Alten und der optimalen Verwirklichung des gegenwärtigen Lebens suchen und finden.«6 Zur Realisierung dieses Ziels müsse Politik »vom richtigen Geist getragen« sein, dessen Basis die Überzeugung ist, »dass das schöne alte Salzburg etwas Erhaltenswürdiges … ist, dass es nicht für einzelne

2 Hans Sedlmayr  : Die demolierte Schönheit. Ein Aufruf zur Rettung der Altstadt Salzburgs. – Salzburg 1965. S. 5. 3 Sedlmayr  : Die demolierte Schönheit. S. 8. 4 Ebda. S. 13. 5 Ebda. S. 17. 6 Ebda. S. 27.

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Liebhaber alter Kultur erhalten werden muss …, sondern für die ganze Bevölkerung, für ganz Österreich, für die ganze Welt. Aber eben diese Überzeugung fehlt bei vielen von denen, auf die es am meisten ankommt. Im tiefsten Grunde ihres Herzens sind allzu viele der Verantwortlichen davon gar nicht überzeugt. Sie wagen das nur nicht offen auszusprechen, um nicht als Banausen dazustehen, und ziehen sich mit einem Lippenbekenntnis aus der Affäre.«7 Ist angesichts dieses Umstandes Resignation angesagt  ? Nein, denn »man ist erstaunt, bei längerem Herumhorchen zu hören, wie viele Menschen in Salzburg sich dieses Unheils bewusst sind  : weit mehr, als man erwarten dürfte. In allen Ständen, in allen Altersklassen, in allen Berufen – keineswegs nur unter den sogenannten ›Gebildeten‹ – gibt es Unzählige, die traurig, resigniert, verärgert oder verzweifelt den langsamen Ruin ihrer Stadt sehen und fragen, ob es denn keine Instanz gibt, die dem Einhalt gebietet … Es kommt darauf an, dieser Stimme, die nicht laut zu sprechen wagt, Gehör und Wirkung zu verschaffen.«8 Sedlmayrs Auf- und Weckruf folgten 1967 Aufsätze von Friedrich Achleitner und Wilhelm Holzbauer, in denen die generelle Baugesinnung und Baukultur in der Stadt einer schonungslosen Kritik unterzogen wurde. Achleitner kritisierte im Jahr 1967 den völlig sorglosen Umgang mit der Altstadt, die nur mehr dem Geschäft und der touristischen Vermarktung ohne Rücksicht auf die historische Bausubstanz diene. »Salzburg lebt heute davon, dass es einmal weitsichtige Bauherren zur modernsten Stadt nördlich der Alpen gemacht haben. Salzburg geht daran zugrunde, dass es kurzsichtige Krämer des 20. Jahrhunderts zu einer letztrangigen alpenländischen Provinzstadt machen. In der Getreidegasse, um nur ein krasses Beispiel zu nennen, hat man es schon geschafft. Die ›Portalbauten‹, die man dort in den letzten zehn Jahren durchgeführt hat, kann man in jeder mitteleuropäischen Kleinstadt finden, viele sogar besser, weil man andernorts weniger vom Tourismus belastet ist, weil man dort nicht die Möglichkeit hat, vor Mozart oder Paracelsus, vor Karajan oder Jedermann Schuhe und Mehlspeisen aufzubauen. Es geht in diesem Zusammenhang nicht um die Tatsache der ›Mozartkugel‹, sondern um den Geist der ›Mozartkugel‹, der offenbar die Salzburger Geschäftswelt beherrscht. Es geht um den Geist, der mit einer unglaublichen Blindheit jene Werte missbraucht und zerstört, aus denen er Kapital schlägt. … Glaubt man ernsthaft, dass jemand nach Salzburg fährt, um das geboten zu bekommen, was er unter Umständen daheim besser hat  ? Schöne Teile der Stadt sind bereits diesem Irrtum zum Opfer gefallen. Wer heute durch die Getreidegasse geht, hat eine traurige Demonstration, was Dummheit, Gewinnsucht, Brutalität, Spekulation, Kitschbedürfnis und Engstirnigkeit anzurichten vermögen. … 7 Ebda. S. 34. 8 Ebda. S. 39f.

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Prinzipiell wäre ja nichts dagegen zu sagen, dass Salzburg, das viele, gern begangene Durchhäuser besitzt, diese typischen städtischen Fußgängerzonen für Werbung und Geschäft benützt, und dass in Verbindung mit diesen Bereichen Passagen entstehen. Das Problem ist nur, dass diese Eingriffe mit einer unglaublichen Taktlosigkeit und Brutalität durchgeführt werden, dass man glaubt, sie ohne Zusammenhang mit der gegebenen Bausubstanz durchführen zu können und erst in der verkitschten Ausführung von Details (Schmiedeeisen und eloxiertes Barock) glaubt, sich einem (falsch verstandenen ) Milieu anpassen zu müssen.« Ein anschauliches Beispiel für die hoffnungslose Baugesinnung in der Stadt bilde der sogenannte Griesbogendurchbruch und vor allem der »Neubau des Museums Carolino Augusteum … Diese ganze Zone ist für Salzburg ein echtes architektonisches und städtebauliches Katastrophengebiet.« Es seien nun aber die Bürger, »die ihre Stadt ruinieren … Wie man aber auf dieses Bürgertum Einfluss nehmen kann, darüber gibt es nur vage Vorstellungen. Wenn wir einmal so weit sind, dass jemand, der ein Haus innerhalb eines städtischen Ensembles zerstört oder verschandelt, auf Grund seiner Haltung gegenüber der Gemeinschaft von ihr ausgeschlossen wird, wie ein Dieb oder Betrüger, wenn die Zerstörung unwiederbringlicher Werte nicht mehr Kavaliersdelikt ist, dann haben wir einiges gewonnen.«9 Für Wilhelm Holzbauer war das Salzburg jenseits der Altstadt eine »hässliche Agglomeration von ungegliederten Bauten, ohne jede Beziehung zueinander oder zur Stadt, große Aussatzflecken bildend, die das Land vereitern und den Zugang zur Stadt trostlos, hässlich und enttäuschend machen.«10 Altstadterhaltung, Stadtplanung und Baugesinnung wurden zu Themen des öffentlichen Diskurses, dem sich auch die Politik nicht verschloss. Landeshauptmann Hans Lechner griff das dringende Problem Altstadterhaltung 1965 mit einer Enquete auf, der 1966 ein Symposium zur Vorbereitung eines geplanten Altstadterhaltungsgesetzes folgte. Zur Eröffnung der Enquete am 12. Juni 1965 erklärte er  : »Die Frage, ob wir dieses wunderschöne und bedeutende Stadtbild erhalten wollen oder nicht, steht nicht zur Diskussion. Zur Diskussion kann nur stehen, wie wir das Ziel praktisch erreichen können und welche gesetzlichen, welche organisatorischen, welche finanziellen Maßnahmen dazu notwendig sind. … Wir können die Aktionen nicht zu einem Zeitpunkt vornehmen, in welchem sie schon hinfällig sind, weil der Althausbestand nicht mehr oder nur noch in unbedeutendem Umfang zu erhalten ist. Der Zeitpunkt für die Aktion, für die notwendige Hilfeleistung ist uns durch die Realität des Tages vorgeschrieben.«11 Beim folgenden Symposium zur Altstadt  9 Friedrich Achleitner  : Festspielstadt auf Mozartkugeln. – In  : Ders.: Nieder mit Fischer von Erlach. Architekturkritik. – Salzburg/Wien 1986. S. 172–175. 10 Wilhelm Holzbauer  : Gedanken zur Salzburger Stadtplanung. – In  : Das Salzburger Jahr 1967/68.Salzburg o. J. S. 38–42. S. 38. 11 Eberhard Zwink (Hg.)  : DI DDr. Hans Lechner. Zitate und Bilder. Zum 70. Geburtstag des Landes-

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erhaltung am 20. Oktober 1966 betonte er, die Wirkung der Fassaden der Salzburger Altstadthäuser sei einzigartig. »Leider haben wir schon ein paar unwiderlegbare Beispiele aufzuweisen für die Unersetzbarkeit jeder, auch der schlichtesten historischen Fassade … (…) Keiner von uns denkt daran, damit ein Freilichtmuseum zu schaffen, sondern wir alle wollen im Inneren der Häuser vom sozialen Stadtpunkt verantwortbare wohn- und arbeitshygienische Verhältnisse herstellen und werden dazu auch alle Möglichkeiten der Wohnbauförderung einsetzen. Wir wollen den urbanistischen Charakter der Altstadt als ein Wohnviertel mit kleinen bis mittleren Geschäften, Werkstätten und gastgewerblichen Lokalen, überdies aber ein kulturelles Zentrum lebendig erhalten, beziehungsweise wiederbeleben.12 Der Wille des Landes, vor allem von Landeshauptmann Hans Lechner, fand im vom Salzburger Landtag am 10. Mai 1967 verabschiedeten Altstadterhaltungsgesetz seinen ersten legistischen Niederschlag. Die Formulierung des Gesetzes ging über die Vorstellungen der Stadt deutlich hinaus, für die Bürgermeister Alfred Bäck lediglich von der Erhaltung des Charakters der Altstadt sprach und betonte, dass viele Objekte nicht mehr sanierbar seien und daher dringend erneuert, d. h. abgerissen werden müssten. Dies implizierte die Gefahr von historisch stilisierten Neubauten in der Altstadt, einer drohenden kitschig-pseudohistorischen Fassadenarchitektur, vor der Sedlmayr und Achleitner gewarnt hatten.13 In der Einleitung des Gesetzes wurde daher betont, dass »der Erhaltung des Stadtbildes der Altstadt von Salzburg … ein vorrangiges öffentliches Interesse« zukomme. § 3, Abs. 1 des Gesetzes verpflichtete die Liegenschaftseigentümer im Schutzgebiet lediglich zur Erhaltung der äußeren Gestalt der Gebäude. »Insbesondere ist, soweit dies allgemein wirtschaftlich vertretbar erscheint, die Demolierung solcher Bauten aus anderen als aus Gründen der Einsturzgefahr oder der technischen Unmöglichkeit der Behebung der Baufälligkeit unzulässig.« § 6, Abs. 1 und 2 legten die Schaffung einer Sachverständigenkommission fest, der der Landesbaudirektor, drei vom Gemeinderat zu bestellende Mitgliehauptmannes der Jahre 1961 bis 1977. – Salzburg 1983. S. 159f. (Schriftenreihe des Landespressebüros. Serie »Salzburg Dokumentationen« Nr. 74.) 12 Zwink (Hg.)  : DI DDr. Hans Lechner. S. 164 13 Friedrich Achleitner wies auf den Konflikt zwischen Baumaßnahmen zur Verbesserung und Erneuerung des städtischen Lebensraums und dem Bemühen um die Erhaltung der historischen Stadt hin. »Die Kompromisse, die daraus entstehen, sind bekannt  : Erneuerung hinter den Fassaden oder Errichtung neuer Fassaden mit altem Aussehen. Sichtbar werden die Konflikte in jenen Zonen, wo sich neu und alt aneinander stoßen, wo das Alte das Neue nicht verdecken kann, wo also das Alte nur mehr wie Kosmetik wirkt. Die Schwierigkeiten werden noch größer, wenn man versucht, sich mit falschen Mitteln dem Alten anzupassen (das falsche Neue) oder mit falschen Materialien und Formen das Alte zu ersetzen sucht. Das Auge lässt sich nicht auf die Dauer betrügen, ein derart eingeleiteter Erneuerungsprozess muss auf lange Sicht eine Stadt entwerten, also zerstören.« (Friedrich Achleitner  : Salzburg und die moderne Architektur. Aus der Sicht eines Architekturkritikers. – In  : Das Salzburger Jahr 1974–75. – Salzburg o. J. S. 27–35. S. 27.)

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der, der Präsident des Bundesdenkmalamtes und drei von der Landesregierung zu nominierende Mitglieder angehören sollten.14 Mit diesem ersten Schritt war jedoch die Gefahr nicht gebannt, denn das Altstadterhaltungsgesetz schützte nur die Fassade und nicht das Innere der Gebäude und schloss die historisch wertvolle Bausubstanz des 19. Jahrhunderts nicht ein. Die Sachverständigenkommission blieb weitgehend untätig, weshalb neuerliche Bausünden – AVA-Haus am Hanuschplatz und weitgehender Abriss des Alten Borromäums – begangen wurden. Eine Novellierung des Altstadterhaltungsgesetzes sowie eine Neuformierung der Sachverständigenkommission waren dringend geboten. Fünf Jahre nach Hans Sedlmayr erhob der Chefredakteur der »Salzburger Nachrichten«, Karl Heinz Ritschel, in einem aufsehenerregenden Artikel Anklage gegen die nach wie vor herrschende Baugesinnung und sprach von der »vermurksten Stadt«. Die Stadt Salzburg lebe von ihrer Einzigartigkeit. Erzbischof Wolf Dietrich habe nach dem Brand des mittelalterlichen Doms zum Entsetzen der Bürger beinahe ein Drittel der damaligen Stadt niederreißen lassen, um die großartige Fürstenstadt zu errichten. »Niederreißen, umgestalten und bauen ist also dann eine Kulturtat, wenn dahinter ein entscheidender Formungsgedanke steht, der über den Zweck und die Rationalität hinaus dem Ideal der Schönheit dient.« Das ausgehende 19. und das beginnende 20. Jahrhundert hätten sich jedoch an ein Zerstörungswerk gemacht und es sei stets nur einigen wenigen Männern, »die gegen den Strom der Zeit schwammen«, zu verdanken gewesen, »dass nicht mehr passiert ist.« Nach 1945 habe ein 14 Am 15. Jänner 1968 folgte eine Durchführungsverordnung zum Altstadterhaltungsgesetz und am 1. April 1975 nach dem Vorbild des Altstadterhaltungsgesetzes ein Ortsbildschutzgesetz. »Das … Salzburger Ortsbildschutzgesetz verpflichtet einerseits die Gemeinden generell, das jeweilige Ortsbild nach Kräften zu pflegen und es in seinem für die örtliche Bautradition charakteristischen Gepräge zu bewahren, andererseits räumt es die Möglichkeit ein, historische Ortsbereiche, die besonders erhaltenswürdig sind, durch Verordnung zu Schutzzonen zu erklären. In diesen Bereichen steht der Baubehörde – also dem Bürgermeister – eine fünfköpfige Sachverständigenkommission zur Seite, die ihn bei geplanten Um- oder Neubauten zu beraten und ein Gutachten abzugeben hat. Bewilligungen dürfen nur dann erteilt werden, wenn die beabsichtigte Maßnahme dem Ortsbild nicht abträglich ist. … Offen ist … die Frage, ob die städtebauliche Krise, die längst die größeren Orte wie Hallein, Zell am See, Saalfelden, Tamsweg, aber auch kleinere ländliche Gemeinden erreicht hat, von deren Bürgern noch rechtzeitig erkannt wird. Bedarf doch ein solches Gesetz in der Demokratie zu seiner Vollziehung eines möglichst breiten Konsenses in der Bevölkerung. Vielfach scheint man sich aber der Probleme noch nicht bewusst zu sein. Weithin herrscht die Meinung, dass ›auf dem Lande‹ eigentlich noch alles in Ordnung sei, dass der Abbruch so mancher ›alten Bude‹ überfällig wäre und die bisherigen zahlreichen Neubauten doch allesamt zur Verschönerung eines Ortes beitrügen.« (Herbert Schmid  : Mit Geschichte leben. Zum Salzburger Ortsbildschutzgesetz 1975. – In  : Das Salzburger Jahr 1975–76. – Salzburg o. J. S. 25–29. S. 25. Vgl. dazu auch Gerhard Sumereder  : Fünf Jahre Dorferneuerung in Salzburg. Entwicklung, Konzept, Beispiele und Ausblicke. – In  : Herbert Dachs (Hg.)  : Das gefährdete Dorf. Grundsätzliches zur Dorferneuerung am Beispiel Salzburgs. – Salzburg/Wien 1992. S. 65–94.)

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neuerlicher Demolierungsprozess der Schönheit eingesetzt, sodass man »heute … mit Bitternis von der vermurksten Stadt reden« müsse, »weil allzu viele Sünden die Register füllen.« Gegen den nach wie vor dominierenden Modernisierungswahn in der Altstadt gerichtet, rief er, ähnlich wie Sedlmayr und die Formulierungen Hans Lechners anlässlich der Eröffnung des Symposiums zum Altstadterhaltungsgesetz aufgreifend, die Zivilgesellschaft zum Widerstand auf. »Altstadtsanierung heißt vor allem Belebung, kein Museum zu errichten, sondern die alte Stadt lebendig zu erhalten. Sanieren heißt modernes Schaffen und Wohnen, jedoch im Einklang mit dem alten Baukörper. Dass so viele Geschäftsportale entstanden, wie sie in Düsseldorf oder sonst wo gebaut werden, zeigt die fehlende Auffassung moderner Verkaufswerbung. … Keine Anstrengung ist zu hoch, keine Bemühung zu gering, um an der Erhaltung des Salzburger Stadtbildes zu arbeiten.«15 Ritschels Warnungen und Aufforderungen an den engagierten Bürger waren durchaus berechtigt, bestimmten doch zwei architektonische Bausünden der Sonderklasse, die dem Altstadterhaltungsgesetz Hohn sprachen und die Untätigkeit der Sachverständigenkommission illustrierten, die öffentliche Diskussion  : der Neubau des AVA-Gebäudes am Hanuschplatz und der drohende Abriss des historischen Primogenitur Palastes von Erzbischof Paris Lodron, einer der bestimmenden Bauten der rechten Salzachseite. Mit diesem drohenden Abriss ging eine Entwertung eines ganzen Stadtviertels einher. Das aus der Zeit des Historismus stammende Gebäude der Realschule am Rande der Altstadt hatte zwar bereits in der Zwischenkriegszeit durch das Abschlagen der Zierelemente entlang der langen Fassaden – nur die Eingangsfront blieb noch im ursprünglichen Zustand – an architektonischem Wert verloren. Doch das Gebäude der Realschule befand sich an einem städtebaulich prominenten Platz und erforderte eine besonders sensible architektonische Hand. Durch die Übersiedlung der Realschule in ein neues Gebäude in der Akademiestraße stand das Gebäude leer, weshalb die Frage seiner weiteren Verwendung und eventuellen Neugestaltung aktuell wurde. Nachdem Pläne für die Errichtung eines Kaufhauses und eines Ausstellungsgeländes nicht realisiert wurden, verkaufte die Stadt unter für den Käufer äußerst interessanten Zugeständnissen wie der Beibehaltung der Bauhöhe und der Überdachung der Gehsteige am 5. November 1969 die Liegenschaft an die AVABank. Der neue Besitzer plante einen massigen Neubau mit historisierender Fassade und Überbauung der Gehsteige durch die beiden Architekten Karl Appel und Hermann Rehrl. Als die von der Altstadtkommission gebilligten Pläne sowie die Zugeständnisse der Stadt an die AVA-Bank 1970 bekannt wurden, erhob sich ein Sturm der Entrüstung. Der Galerist Friedrich Welz startete eine Bürgerinitiative, die die 15 Karl Heinz Ritschel  : Die vermurkste Stadt. – In  : SN 5./6.12.1970. S. 1f.

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Reduktion des massigen Baukörpers und eine völlige Neuplanung forderte. Clemens Holzmeister legte im November 1970 einen Alternativplan vor, die öffentliche Erregung war erheblich. Unter dem Druck der sensibilisierten Öffentlichkeit erklärte sich die AVA bereit, die Verträge mit der Stadt gegen eine Entschädigung von 16 Millionen Schilling zu ändern. Die Stadt zahlte, die Bauhöhe wurde reduziert und die Überbauung der Gehsteige zurückgenommen. Da auch die modifizierten Pläne der beiden Architekten Appel und Rehrl keinen Gefallen fanden, ging der Auftrag 1971 an den Salzburger Architekten Otto Prossinger, der jedoch ebenfalls mit seiner die Altstadthäuser imitierenden Fassadenarchitektur letztlich scheiterte. Dennoch hatte ein sich artikulierender öffentlicher Protest und eine sich formierende Bürgerinitiative das Ärgste verhindert. Eberhard Zwink schrieb prophetisch Ende November 1970 in den »Salzburger Nachrichten«, Kommunalpolitik sei ab nun wohl nicht mehr nur die Angelegenheit der Mandatare, Beamten und Journalisten. »Die Verantwortlichen werden sich darauf einstellen müssen, zukünftig auch genauer Beobachtung durch engagierte Bürger … ausgesetzt zu sein.«16 Vier Jahre später wurde Friedrich Welz in der Causa Altes Borromäum neuerlich aktiv. Unmittelbarer Anlass war der bekannt gewordene geplante massige, unsensible und weitgehend misslungene Neubau der Mirabellgartenseite des völlig entkernten und auf seine Fassade reduzierten ehemaligen Primogenitur Palastes Paris Lodrons. Auch die Altstadtkommission kam neuerlich unter massiven Beschuss. Anstelle des seit den späten Fünfzigerjahren leer stehenden Gebäudes wurde 1961 die Situierung eines Banken- und Versicherungsgebäudes geplant. Zwei Jahre ergab sich eine neue Konstellation, als die Stadt die Errichtung eines Kulturzentrums plante und zu diesem Zweck die Aufhebung des Denkmalschutzes durch das Unterrichtsministerium anstrebte. 1963 erfolgte die Aufhebung des Denkmalschutzes, worauf die Stadtgemeinde den Primogenitur Palast hinter der Fassade weitgehend abreißen ließ. 1965 forderte Hans Sedlmayr mit dem Hinweis auf die Bedeutung des Alten Borromäums und seiner beeindruckenden Renaissancefassade wenigstens deren Erhaltung im Originalzustand. Ebenso sollte die kleine Karl-Borromäus-Kirche, das qualitativ wertvollste Werk der Neoromantik in Salzburg, auf dem Areal des Alten Borromäums unbedingt erhalten bleiben. Aufgrund der von Sedlmayr inszenierten Pressekampagne schreckte die Stadt vor dem Abriss der Renaissancefassade zurück und verschonte auch die Karl-Borromäus-Kirche. 1966 erwarb der Bund das Areal mit dem Ziel, einen Großteil des Mozarteums sowie das in der benachbarten Kast-Villa untergebrachte Historische Institut in das neue Universitätsgebäude zu übersiedeln. 16 Zit. bei Wilfried Schaber  : Bauen und Baugesinnung nach dem Wiederaufbau. – In  : Eberhard Zwink (Hg.)  : Die Ära Lechner. Das Land Salzburg in den sechziger und siebziger Jahren. -Salzburg 1988. S. 509–526. S. 519. (Schriftenreihe des Landespressebüros. Serie »Sonderpublikationen« Nr. 71. Hg. V. Eberhard Zwink.)

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Angesichts des geplanten weitgehenden Abrisses des Alten Borromäums, der auch mit wirtschaftlichen Gründen, d. h. den erheblichen Kosten im Fall einer weitgehenden Erhaltung der Bausubstanz, begründet wurde, erhob Friedrich Achleitner seine warnende Stimme. Es sei ein bedauerlicher Zug der Zeit, dass man offensichtlich nur mehr in Legislaturperioden und kurzfristigen Programmen, oftmals geprägt von wirtschaftlichen Argumenten, denke und handle. »So verlernt man es immer mehr, sich auch auf Arbeiten einzustellen, deren Früchte erst in einigen Generationen geerntet werden können. Jedenfalls die Verfahren, mit denen wir (ausgestattet mit Argumenten und Kalkulationen) unsere Städte ruinieren, zeigen eine Kurzsichtigkeit, die in keiner Weise den Perspektiven unseres Jahrhunderts entspricht. So gilt es zum Beispiel allen Ernstes als unwirtschaftlich, wenn die Erhaltung und Sicherung eines Kubikmeters Renaissancemauerwerk die Kosten von einem Kubikmeter neuem Mauerwerk überschreitet. Nach solchen ›Maßstäben‹ könnte man sich heute leicht ausrechnen, wie viel Rom, Venedig oder Konstantinopel wert sind. Vielleicht sollte man aber einmal andere Rechnungen anstellen  ? Tatsache ist, dass Salzburg aufgrund seiner baulichen Einmaligkeit eine Sonderstellung innerhalb der touristischen Ziele einnimmt. Daran ist jeder Kubikmeter der Altstadt beteiligt. Diese bauliche Substanz bildet die Grundlage, ohne die alles, was die Welt heute mit Salzburg verbindet, nicht möglich wäre. Es soll den Salzburgern selbst überlassen bleiben, auszurechnen, wie viel ein Kubikmeter ihrer Altstadt heute im Jahr Zinsen trägt und wie viel es, solange die Stadt bestehen wird, noch zu tragen fähig ist. Diese Leistung (also der tatsächliche Kubikmeterpreis) sollte die Grundlage für Kalkulationen sein, wenn man daran geht, aus ›Baufälligkeitsgründen‹ ein Haus abzubrechen. Genauso könnte man auch ausrechnen, wie viel heute ein Kubikmeter des Alten Borromäums wert ist. Mit dem Abbruch dieses Renaissancepalastes werden nicht nur der Stadt einige tausend Kubikmeter ihrer baulichen Substanz geraubt, sondern es wird damit gleichzeitig ein ganzes Viertel der Altstadt rechts der Salzach entwertet. Der Abbruch des Borromäums bedeutet, abgesehen von dem historischen und architektonischen Wert des Baues, einen starken Eingriff in das städtebauliche Ensemble um den Mirabellplatz und die Dreifaltigkeitskirche.«17 Die warnenden Stimmen verhallten weitgehend ungehört. Die 1971 von Architekt Eugen Wörle vorgelegten Umbaupläne sahen allerdings den Abriss des vom Maler Georg Pezolt, dem ersten Landeskonservator Salzburgs, entworfenen neoromantischen Juwels der kleinen Karl-Borromäus-Kirche vor, da an ihrer Stelle die Einfahrt für eine – später nie realisierte – Tiefgarage vorgesehen war. Der Skandal um das Alte Borromäum eskalierte, als 1974 die voluminösen und hässlichen, die 17 Friedrich Achleitner  : Ein Kubikmeter Altstadt. Das Alte Borromäum in Salzburg. – In  : Ders.: Nieder mit Fischer von Erlach. S. 150–152. S. 151.

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sensiblen städtebaulichen Gegebenheiten ignorierenden Pläne der mirabellgartenseitigen Verbauung bekannt wurden. Ein Sturm der Entrüstung, an dessen Spitze sich Friedrich Welz und Max Kaindl-Hönig stellten, brach los. In einem offenen Brief an Bautenminister Josef Moser forderte der Galerist und Verleger, dieser möge die Einstellung des Neubaus anordnen. »Sicherlich ist der kapitalste Fehler bereits vor mehr als zehn Jahren von Altbürgermeister Bäck gemacht worden, der den Primogenitur Palast abreißen ließ, um hinter der Renaissancefassade, die durch eine Pressekampagne erhalten blieb, den Baugrund einem Warenhaus zu verkaufen. Es ist bekannt, dass der Bund dann das Gebäude und das Grundstück zurückerworben hat. Was sich aber nun aus diesem Bauvorhaben entwickelt hat, ist unverantwortlich und kann unter keinen Umständen toleriert werden. … Dass auch die Altstadtkommission, die bereits in mehreren Fällen, zuletzt am AVA-Gebäude am Franz-Josefs-Kai, ihre völlige Unfähigkeit bewiesen hat, dem Projekt ›Altes Borromäum‹ ihre Zustimmung gab, beweist aufs Neue, dass ihr profilierte Köpfe und kompetente Fachleute fehlen.«18 Wenig später übertitelte Max KaindlHönig einen Artikel in den »Salzburger Nachrichten« mit »Genug mit der Sünde am Borromäum«. Auch wenn bei diesem Bau rechtlich alles in Ordnung sein möge, so handle es sich dabei doch um eine monströse Bausünde. »Dass ein Architekt sich herbeiließ, in vorgeschriebenen Kubaturen zu denken, statt in Kategorien eines Ortes von einmaliger szenischer und historischer Bedingtheit, hat das entsprechende Resultat gezeitigt.«19 Ernst Wachalovsky bezeichnete im »Kurier« den Neubau des Borromäums als »größten Missgriff« der bisherigen Universitätsbauten.20 Die Bildung einer Bürgerinitiative zur Rettung des Mirabellgartens erhöhte den Druck der Öffentlichkeit zusätzlich, sodass eine Änderung der Planung in Form einer deutlichen Reduktion der Kubatur vorgenommen wurde. Das nach wie vor nicht gelungene, dem Ort nicht entsprechende Gebäude wurde zwar 1979 seiner Bestimmung übergeben, jedoch zur Jahrtausendwende aufgrund gesundheitlicher Probleme der Mitarbeiter des Mozarteums geräumt und durch einen gelungenen Neubau nach den Plänen des Münchner Architekten Robert Rechenauer ersetzt.

18 SN 18.2.1974. S. 3. 19 Max Kaindl-Hönig  : Genug mit der Sünde am Borromäum. – In  : SN 3.4.1974. S. 2. 20 Ernst Wachalovsky  : Existiert ein Missverhältnis  ? Bürger und Universität. – In  : Kurier 19.10.1975. S. 7.

2.

Der Konflikt um Salzburgs Süden

2.1 Das Stadtentwicklungsmodell 1970 und der Generalverkehrsplan 1971 Ein charakteristisches Merkmal des österreichischen Planungsrechts ist aufgrund der erheblichen unterschiedlichen geografischen und kulturellen Gegebenheiten dessen starke föderale Grundierung, d. h. fast alle Rechtsgrundlagen fallen in die Kompetenz der Länder und nicht des Bundes. Die wesentlichen Bereiche der Länderkompetenz bilden das Raumordnungsgesetz (ROG) und das Bebauungsgrundlagengesetz (BGG), gefolgt vom Baupolizeigesetz, dem Bautechnikgesetz, dem Anliegerleistungsgesetz sowie speziellen naturschutz- und ensembleschutzgesetzlichen Regelungen (im Fall Salzburg das Ortsbildschutzgesetz für die Gemeinden und das Altstadterhaltungsgesetz für die Landeshauptstadt). Lediglich im Bereich des Denkmalschutzes und der Bodenbeschaffung erfolgt eine bundesstaatliche Regelung, deren Exekution jedoch den Ländern durch spezifische Durchführungsverordnungen obliegt. Die starke Expansion der Stadt Salzburg erfolgte einerseits durch die in den Jahren 1935 und 1939 stattfindenden Eingemeindungen, die das Stadtgebiet von 9 auf 67 km² erhöhten, und andererseits durch den vor allem unmittelbar nach 1945 erfolgenden Zuzug von Flüchtlingen sowie in weiterer Folge aufgrund der Anwesenheit der USBesatzungsmacht und des beginnenden Wirtschaftswunders von Arbeits- und Wohlstandsmigranten. Bewegte sich die Einwohnerzahl der Stadt zwischen 1900 und 1935 zwischen 33.000 und 40.000, so stieg sie durch die Eingemeindungen 1935 und 1939 auf 77.000. 1945 beherbergte die Stadt aufgrund der Kriegsereignisse bereits 98.000, 1947 durch den anhaltenden Zustrom von Vertriebenen 116.000. Durch das Abwandern der Flüchtlinge sank die Zahl der Einwohner bis 1956 auf 107.000, um bis 1960 zu stagnieren. In den Sechzigerjahren erfolgte eine kontinuierliche Zunahme der Stadtbevölkerung in Folge steigender Geburtenraten sowie vor allem durch Zuwanderung. 1969 verzeichnete Salzburg 122.000 Einwohner und drei Jahre später bereits 133.000. Die deutliche Zunahme der Bevölkerung basierte auf den erheblichen ökonomischen Zuwachsraten vor allem des Zentralraums (zwischen 1959 und 1969 vervierfachten sich die gemeinschaftlichen Bundesabgaben), seiner günstigen verkehrstechnischen Lage, die die Stadt als Dienstleistungszentrum vor allem auch für deutsche Firmen attraktiv machte und die Wandlung der Beschäftigungsstruk-

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tur in Richtung Dienstleistungsgesellschaft beschleunigte. Die im Bundesländervergleich hohen Wohlstandsindikatoren manifestierten sich in der massiven Zunahme der Motorisierung und des Wohnungs- bzw. Eigenheimbaus. Salzburg befand sich 1970 an der Schwelle zur Vollmotorisierung. Waren in Salzburg 1959 rund 64.000 Kraftfahrzeuge registriert, so waren es zehn Jahre später bereits rund 116.500, d. h. um 83 Prozent mehr. Hatte die Zahl der Wohnungen 1945 bei einer Bevölkerungszahl von rund 98.000 ca. 23.700 betragen, so standen 1969 einer Wohnbevölkerung von rund 122.000 bereits rund 49.000 Wohnungen, 1972 einer Wohnbevölkerung von rund 133.000 rund 54.000 Wohnungen zur Verfügung. Die Anzahl der Personen pro Haushalt war zwischen 1945 und 1972 von 4,16 auf 2,46 gefallen. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung beschloss die Stadtgemeinde Salzburg 1960 einen Flächenwidmungsplan, der in Erwartung großer Zuwachsraten der Bevölkerung zu den ohnedies noch reichlich vorhandenen Baulandreserven zusätzlich 10 Quadratkilometer Bauland auswies. In den folgenden 15 Jahren wurden zudem in 620 Ausnahmegenehmigungen 1,7 Quadratkilometer in Bauland umgewidmet. In einem Gutachten der Handelskammer Salzburg zum Flächenwidmungsplan wurde u. a. gefordert, im Sinne einer kontinuierlichen Entwicklung der Stadt sei beiderseits der Hellbrunner Allee großflächig Bauland auszuweisen. Das weitgehende Fehlen jedes planerischen Konzepts einerseits, die Entwicklung der Bevölkerung und des Lebensstandards andererseits sowie die von der wiederbegründeten Universität erhobenen Forderungen nach einer entsprechenden räumlichen Situierung führten über Auftrag des Gemeinderates im Planungsamt der Stadt 1970 zur Erarbeitung eines Stadtentwicklungsplans, der auf dem Flächenwidmungsplan des Jahres 1960 aufbaute. Auf der Basis umfangreicher statistischer Daten wurden allgemeine Zielsetzungen für die Stadtentwicklung in Form eines Stadtentwicklungsmodells formuliert.21 Dabei wurde von der Annahme einer Wohnbevölkerung von 155.000 und einer Arbeitsbevölkerung von 77.000 im Jahr 1985 ausgegangen. Eine Maximalvariante ging sogar von 220.000 Einwohnern und einer Arbeitsbevölkerung von 115.000 aus, wurde jedoch aufgrund des sich erhebenden Bürgerprotestes in den in der Folgezeit erarbeiteten städtebaulichen Strukturplänen nicht mehr berücksichtigt. Der Gemeinderat erklärte am 16. Juni 1970, das Stadtentwicklungsmodell diene der Erarbeitung weiterer Planungen, vor allem eines Flächenwidmungsplans und entsprechender Bebauungspläne sowie eines Gesamtverkehr- und Grünzonenplans.22

21 Diese Zielsetzungen betrafen vier Punkte  : a. Die Erhaltung und Steigerung der zentralen Funktionen der Stadt Salzburg  ; b. die Wahrung der charakteristischen Atmosphäre der Stadt Salzburg unter besonderer Berücksichtigung des historischen Stadtbildes, c. die Sicherung der optimalen Lebensbedingungen für sämtliche Bewohner und d. die Mitwirkung der Öffentlichkeit an den Aufgaben der Stadtentwicklung. 22 Zum Stadtentwicklungsmodell Vgl. Raimund Gutmann  : »Bürgernähe« als neues Handlungsmuster

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Das Stadtentwicklungsmodell hatte für das Bild der Stadt erhebliche Folgen. So waren zahlreiche Flächen im Süden der Stadt, die im Flächenwidmungsplan 1960 noch als Grünland ausgewiesen waren, nunmehr als Bauland definiert, darunter auch Grünflächen links und rechts der Hellbrunner Allee. Im Gebiet der Hellbrunner Allee und in Aigen-Parsch war eine Verbauung mit 200 Personen pro Hektar vorgesehen, wobei in Aigen-Parsch bis 1985 Wohnraum für rund 20.000 Personen, beiderseits der Hellbrunner Allee für ca. 32.000 Personen entstehen sollten. Nur die Hellbrunner Allee und ein 100 Meter breiter Grünstreifen links und rechts waren als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Hatte das Stadtentwicklungsmodell ursprünglich auch ein Verkehrskonzept enthalten, so wurde dieses aus der Präsentation herausgenommen. Am 19. Februar 1971 beauftragte der Salzburger Gemeinderat den Vorstand des Instituts für Verkehrsplanung der TU München, Karl-Heinz Schaechterle, mit der Erarbeitung eines Generalverkehrsplans auf der Basis des Stadtentwicklungsmodells. Am 27. September 1971 legte Schaechterle seine Verkehrsanalyse und die darauf basierende Prognose für das Jahr 1990 vor, die von 400.000 Fahrten pro Tag im Stadtgebiet ausging. Nur durch Ringstraßen durch Mönchs- und Kapuzinerberg, Tangentenbrücken nördlich und südlich der Staatsbrücke und die Forcierung des öffentlichen Verkehrs durch Sonderspuren und eigene Straßenzüge, so die ersten angedeuteten prophylaktischen Maßnahmen, sei dieser Entwicklung zu begegnen. Die Stadtverwaltung betrachtete die vorliegende Verkehrsanalyse als praktikables Instrument für die Lösung der Verkehrsprobleme.23 In seinem im Mai 1972 finalisierten Konzept ging Schaechterle von zwei Prämissen aus  : dem von zahlreichen Architekten unterstützten Wunsch der Stadtverwaltung, die Innenstadt durch die Schaffung einer Fußgängerzone inklusive einer Parkgarage im Mönchsberg weitgehend vom fließenden Verkehr zu befreien24 und einer lokaler Politik am Beispiel der Stadt Salzburg – unter besonderer Berücksichtigung von »Bürgerbeteiligung« an kommunalen Planungsprozessen. Phil. Diss. – Salzburg 1983. S. 66ff. 23 SN 28.9.1971. S. 5. 24 So forderte Wilhelm Holzbauer, dass die Gestaltung der Salzburger Innenstadt »von einem ästhetischen Anspruch gekennzeichnet« sein müsse, »der davon ausgeht dass unsere Zeit am Gesamtkunstwerk der Salzburger Altstadt mitwirkt. … Der Geist der italienischen Renaissance, des Barocks, der die Stadt so geprägt hat, hat die Antike nie vergessen. Und in antiken Zeiten war der Fußboden in mindestens ebensolchem Maß wie die Wände das Hauptbetätigungsfeld der Künstler, wie die Ausgrabungen in Pompeji und Ostia zeigen. Große Könige widmeten Pflastersteine den Göttern. In der Renaissance war die Gestaltung von Pflasterungen öffentlicher Plätze ein Auftrag, um den sich die bedeutendsten Künstler bewarben. … Wir dürfen nicht vergessen, dass bis in die Gegenwart die Höhepunkte der westlichen Architektur nicht in Einzelbauten zu sehen sind, sondern in der Summe von Straßen und Plätzen unserer Städte. Die Altstadt Salzburgs ist daher auch als ein architektonisches Ganzes zu sehen, in dem Sinne, dass die von Gebäuden umschlossenen Straßen und Plätze die eigentliche Realität der Architektur Salzburgs

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massiven Zunahme der Motorisierung. Beiden Prämissen könne man nur durch die Errichtung von Schnellstraßen im Süden und Osten der Stadt, durch Leopoldskron und Aigen, begegnen. Sowohl das Stadtentwicklungsmodell wie auch der Generalverkehrsplan folgten einer Empfehlung Wilhelm Holzbauers aus dem Jahr 1968. Der HolzmeisterSchüler hatte die Salzburger Stadtplanung einer vernichtenden Kritik unterzogen. »Wenn wir uns die Auswirkungen der ungeordneten Stadtentwicklung der letzten fünfzig Jahre, das Ausmaß der Zerstörung des Umlandes und des bestehenden Stadtkörpers vor Augen halten, kann uns der Zustand der Stadt, wie er sich um das Jahr 2000 seinen Bewohnern und Besuchern bieten wird, nur mit äußerster Sorge erfüllen. Die Stadt, oder vielmehr das mit einem solchen Namen bezeichnete Gebiet, das natürlich mit einer urbanen Form nichts mehr zu tun haben wird, dürfte bis dahin von 200.000 bis 250.000 Menschen bewohnt sein. Bei der jetzigen Art der Bebauung entspräche dies einer Ausdehnung der Stadt von den bis dahin wohl abgeholzten Hängen des Plainberges bis zum Fuße des Untersberges, vom Ufer der Saalach bis zum Gaisberg. … Die einzige Rettung vor dem Alptraum einer völligen oder auch nur fleckenweisen Verbauung des ganzen Salzburger Beckens ist ein Planungskonzept auf weite Sicht. Bei diesem Planungskonzept scheint es mir notwendig, eine Reihe von Axiomen sind … Es ist eigenartig, dass gerade in dieser Stadt, die doch so wie kaum eine andere von oben erlebt und besehen werden kann, der Fußboden, ›die dritte Fassade‹, so wenig Aufmerksamkeit erfahren hat.« Über alle Maßnahmen einer zu errichtenden Fußgängerzone müsste ein Leitbild stehen, das »alle Bereiche des historischen Kerns von Salzburg umfasst. … Die Staatsbrücke, deren Verkehrsvolumen fast ständig im Spitzenbereich liegt, ist zu einer echten Barriere zwischen den beiden Altstadtbereichen geworden. Man stelle sich eine völlige Umfunktionierung dieser Brücke vor – zu einer Promenade über den Fluss, teilweise überdacht, vielleicht mit kleinen Läden, eine moderne Version mittelalterlicher Straßenbrücken. Man denke auch an die Möglichkeiten, die sich durch Wegfall des Durchzugsverkehrs entlang den Uferpromenaden ergeben würden. Sicherlich könnte an solch weitreichende Pläne erst nach Schaffung von Ersatzmöglichkeiten für den Verkehr und vor allem nach Schaffung ausreichender Parkmöglichkeiten gedacht werden. Die im Mönchsberg vorgesehenen Parkgaragen könnten später durch Garagen im Kapuzinerberg ergänzt werden. Eine Verlängerung der Franz-Josef-Straße durch den Kapuzinerberg zur Nonntaler Brücke könnte die Imbergstraße vom Verkehr befreien, während eine stadtnahe Südumfahrung wohl teilweise durch den Berg führen müsste.« (Wilhelm Holzbauer  : Fußgängerstadt Salzburg. – In  : Das Salzburger Jahr 1973–74. – Salzburg o. J. S. 28–31. S. 28f.) Im Frühjahr 1972 wurde von Stadt und Land die Salzburger Parkgaragenplanung-Gesellschaft gegründet, die im Sommer 1972 eine erste Studie über alle möglichen Standorte zunächst links der Salzach erarbeitete. Am 11. September 1972 bewilligte der Aufsichtsrat die Vergabe der ersten Arbeiten für die geplanten Tunnelgaragen, die mit einem Fußgängertunnel mit den beiden Festspielhäusern und der Felsenreitschule verbunden werden sollten. Am 24. Mai 1973 wurde eine endgültige Einigung über den Bau der Parkgaragen erzielt. Zu den geplanten Parkgaragen im Mönchsberg Vgl. Hans Freyborn  : Parkraum für die Salzburger Altstadt. – In  : Das Salzburger Jahre 1972–73. – Salzburg o. J. S. 36–39.)

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über Bord zu werfen, welche in den letzten Jahrzehnten die Leitbilder für städtische Planungsaufgaben waren, und die beim Neuaufbau der zerstörten deutschen Städte jene unheilvollen Auswirkungen zeigten, mit welchen diese Städte heute zu kämpfen haben. Die von rücksichtslosen Spekulanten in den Großstädten mit untauglichen Mitteln erreichte hohe Wohndichte führte in den Traumvorstellungen idealistischer Planer zu Anlagen von säuberlich aufgereihten Wohnblöcken, alle proper zu den Himmelsrichtungen orientiert, mit Wiesen und Bäumen durchsetzt. So sollte die neue Stadt aussehen. In der Tat ist diese Zeilen- und Blockverbauung noch immer die einzige Bauform in den neuen Wohngebieten.« Salzburg werde in seiner baulichen Substanz in das Umland ausgreifen müssen, doch müsse dies behutsam geschehen. Es sei eine gefährliche, aber landläufige Meinung, dass die Befriedigung zusätzlichen Wohnbedarfs nur durch weiteres Bauen im offenen Land zu erreichen sei, anstatt durch eine Erhöhung des Bauvolumens im bereits bestehenden urbanen Raum. »Ein genereller Verkehrsplan ist vonnöten und dringlich, der nicht großzügig genug geplant werden kann. Er hat aber nur dann einen Sinn, wenn über die kommende Baustruktur, über die Notwendigkeit von Konzentrierung in den neuen Stadtteilen, über die verschiedenen Typen der Straßen und ihre spezifischen Aufgaben ebensolche Klarheit herrscht wie über die detaillierte Führung einer Umfahrungsstraße … Jeder Versuch …, die Verkehrssituation in Salzburg im Jahre 2000 vorauszubestimmen, ist äußerst gefährlich. Pläne, welche noch vor einigen Jahren aufs schärfste abgelehnt wurden, wie die Schaffung einer Fußgängerstadt, finden heute von allen Seiten Zustimmung  ; so kann denn erwartet werden, dass die Tunnelstraßen in den beiden Stadtbergen zusammen mit Parkhallen im Berginneren das brennendste Verkehrsproblem Salzburgs, das in der Altstadt, einer Lösung näherbringe. Auch über die Notwendigkeit eines oder mehrerer Entlastungsringe um den erweiterten Bereich der Stadt besteht kaum mehr Zweifel. Aber jeder Versuch, in diesen Entlastungsring bestehende Straßen einzuschließen, würde nur eine halbe Maßnahme darstellen. Diese Straße kann nur eine kreuzungsfreie Stadtautobahn sein.«25 Hatten sich bereits nach dem Bekanntwerden des Stadtentwicklungsmodells besorgte und warnende Stimmen gegen die massive Verbauung von Salzburg Süd erhoben, so löste der Generalverkehrsplan eine Welle der Empörung bei Honoratioren, Caius Dürfeld, Eugen Csepreghy, Wolfgang Thienen, Christian Walderdorff, Johannes Wieser, und der betroffenen Bevölkerung aus. 1970 war Hans Sedlmayrs »Stadt ohne Landschaft« erschienen, in dem er darauf hinwies, dass »nur ganz wenige Städte … auf Grund ihrer Topographie die an ihnen begangenen baulichen Verbrechen so deutlich erkennen« lassen, »wie dies in Salz25 Holzbauer  : Gedanken zur Salzburger Stadtplanung. S. 38ff.

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burg der Fall ist.«26 Die im Stadtentwicklungsmodell vorgesehene Verbauung um die Hellbrunner Allee drohe zum völligen Verlust eines Natur- und Kulturparadieses, eines überlebenden Wunders der alteuropäischen Kultur und des Landschaftscharakters von Salzburg Süd zu führen. Denn neben der Altstadt sei »die Hellbrunner Allee mit ihrem im Großen und Ganzen noch intakten Bestand mächtiger alter Bäume, daran aufgereiht die einzigartige Kette von Schlössern und Schlösschen, schlechterdings das Wertvollste, das Salzburg überhaupt besitzt.«27 Ein Jahr später verfasste er angesichts des von der Stadt auf der Basis des Stadtentwicklungsmodells ausgeschriebenen zweistufigen nationalen städtebaulichen Wettbewerbs für die Verbauung eines Teils der im Modell als Bauland ausgewiesenen Flächen neben der Hellbrunner Allee einen besorgten offenen Brief an den Europarat, in dem er auf seine in seinem Buch bereits genannten Argumente zurückgriff. Das Motiv seines Briefes, so der Kunsthistoriker, sei die »ernste Sorge« um die bedrohte Kulturlandschaft. Die immer wieder gerühmte Schönheit der Stadt bestehe »ganz wesentlich aus zwei Dingen  : Einmal in dem berühmten und durch Landesgesetz von 1967 generell unter Schutz gestellten Ensemble der Altstadt. Dann aber, nicht minder, in der unvergleichlichen Landschaft, die sich zwischen dem Südrand der Altstadt und den Alpen im Süden ausdehnt und die bis vor kurzem noch relativ gut erhalten war. Den Höhepunkt der Landschaftszone bildet die Hellbrunner Allee mit den in ihr sich anschließenden Lustschlössern und Gärten.« Dieser Zone, einer der schönsten Stadtlandschaften Europas, drohe nun durch den 1970 von der Stadt vorgestellten Entwicklungsplan, der in einem Abstand von lediglich 100 Metern beiderseits der Allee eine dichte Verbauung vorsehe, die Vernichtung. Salzburg bilde ein Musterbeispiel für die vom Europarat unternommenen Bemühungen um die Erhaltung der europäischen Kulturlandschaften und sei es daher besonders wert, von der europäischen Natur- und Denkmalschutzbewegung geschützt zu werden.28 Die warnende Stimme Sedlmayrs erhielt nunmehr durch eine sich im Sommer 1972 formierende Bürgerinitiative gegen die Verbauung von Salzburg Süd und eine Realisierung der im Generalverkehrsplan vorgesehenen, die Landschaft durchneidende Schnellstraße, neuerlich politische Bedeutung. Am 29. Juni, knapp vor der Gemeinderatswahl, trat die Bürgerinitiative »Schützt Salzburgs Landschaft« erstmals mit einem Flugblatt an die Öffentlichkeit, in dem sie in Anlehnung an die Argumente Sedlmayrs ihre politischen Ziele – Erhaltung der Stadtlandschaft im östlichen (Aigen-Parsch) und südlichen (Leopoldskron) Teil der Stadt, Zurücknahme der Verbauung um die Hellbrunner Allee und der geplanten Trassenführung einer Schnellstraße, Unterschutzstellung des gesamten Grüngürtels zwischen Morzg und 26 Hans Sedlmayr  : Stadt ohne Landschaft. Salzburgs Schicksal morgen  ? – Salzburg 1970. S. 11. 27 Sedlmayr  : Stadt ohne Landschaft. S. 20. 28 Hans Sedlmayr  : Brief an den Europarat. – In  : SN 24./25.7.1971. S. 5.

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Hellbrunn, Einbeziehung der betroffenen Bürger in die Stadtplanung – formulierte und um breite Unterstützung der Zivilgesellschaft warb. Der Appell fiel vor allem aus zwei Gründen auf fruchtbaren Boden  : 1. Die Forderungen der Bürgerinitiative fanden die Unterstützung der Salzburger Medien, vor allem der »Salzburger Nachrichten«, deren Chefredakteur und Leiter des Kulturressorts, Karl Heinz Ritschel und Max Kaindl-Hönig, bereits ähnliche Forderungen formuliert hatten und den Initiatoren eine entsprechende publizistische Plattform boten. 2. Die Bürgerinitiative hatte ein Thema formuliert, das sich einer großen allgemeinen Zustimmung nicht nur bei der von den Plänen unmittelbar betroffenen Bevölkerung erfreute, sondern darüber hinaus auf erhebliche Resonanz stieß. Daher gelang es der Bürgerliste, innerhalb kurzer Zeit 21.135 Unterschriften für ihr Anliegen zu sammeln und damit erheblichen Druck auf die Politik auszuüben.29 Die im Gemeinderat vertretenen Parteien reagierten zunächst aufgrund zahlreicher zu berücksichtigender Faktoren zurückhaltend. Am 3. November 1971 hatte eine international besetzte Jury unter dem Vorsitz von Friedrich Achleitner 6 der insgesamt 18 eingereichten städtebaulichen Entwürfe für eine Verbauung von Salzburg-Süd für geeignet erklärt, in die zweite Stufe des Wettbewerbsverfahrens aufgenommen zu werden, unter ihnen das Projekt der Salzburger Architekten Hermann Liebl und Rudolf Scheiber. Am 4. Dezember hatte für die Salzburger Bevölkerung die Gelegenheit bestanden, in einer öffentlichen Forumsdiskussion ihre Meinung zu dem Projekt zu äußern. Anschließend waren die Richtlinien für den zweiten Teil des Wettbewerbs festgelegt worden, der im Sommer 1972 abgeschlossen sein sollte. Mehrere namhafte Architekten wie Wilhelm Holzbauer und Friedrich Achleitner hatten darauf verwiesen, dass Salzburg-Süd bereits seit 10 Jahren Bauland sei. Es gebe bereits nicht wünschenswerte starke bauliche Einbrüche in die Landschaft, 29 Die Unterstützung der Anliegen kam von zahlreichen Gruppierungen und bekannten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die in der Folgezeit als Multiplikatoren wirkten. Am 12. Juni 1972 schrieben acht prominente Salzburger, unter ihnen die Universitätsprofessoren Wolfgang Waldstein und Hans Sedlmayr, einen Brief an Bundeskanzler Bruno Kreisky in seiner Funktion als Vorsitzenden der Österreichischen Raumordnungskonferenz und baten ihn um Unterstützung für ihren Widerstand gegen die geplante Verbauung von Salzburg-Süd. (Platzer  : Bürgerinitiativen in Salzburg. S. 157.) Ende August 1972 nahm die Aktion »Humane Stadtplanung« unter der Leitung der Universitätsprofessoren Wilhelm Revers und Paul Weingartner, des Theologen Wolfgang Huber und des Universitätsassistenten Stephan Landolt gegen die geplante Südtangente Stellung. So sehr die Innenstadt vom Verkehr befreit werden müsse, so sei eine Südtangente der falsche Ansatz zur Lösung des Problems, da dies zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Erholungsraums Salzburg-Süd führe und wie ein Verkehrsmagnet wirke. (SN 29.8.1972. S. 5.)

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wodurch ein architektonischer Wildwuchs durch eine individuelle Bebauung drohe. Um dieser Gefahr zu begegnen, sei eine planmäßige Verbauung wünschenswert. Um dies zu ermöglichen, hatte die Stadtgemeinde dort seit Jahren um rund 100 Millionen Schilling Gründe angekauft, die im Fall einer gewünschten Rückwidmung verloren waren. Sowohl die Bevölkerungs- wie Verkehrsprognosen ließen einen Problemhaushalt erwarten, der aus übergeordneter Sicht nur durch eine Realisierung des Stadtentwicklungs- und Generalverkehrsplans zu bewältigen war. Mit dem erfolgreichen Fortschreiten der Unterschriftenaktion setzte allerdings Bewegung ein. Dies vor allem auch deshalb, weil die Bürgerinitiative nicht die Konfrontation, sondern das Gespräch mit der etablierten Politik – Bürgermeister Heinrich Salfenauer (SPÖ), Vizebürgermeister Franz Kläring (ÖVP), in dessen Verantwortungsbereich das Verkehrsressort fiel, und Gemeinderat Waldemar Steiner (FPÖ), dem Vorsitzenden des städtischen Planungsausschusses – suchte. Bürgermeister Heinrich Salfenauer erklärte am 12. August 1972, ein Abstand von einer Verbauung von Salzburg-Süd komme nur dann infrage, wenn die Stadt außerhalb des Stadtgebietes über genügend Siedlungsraum verfügen würde, wofür allerdings ein Antrag der Stadt an das Land gestellt und anschließend die Aufnahme von langwierigen Verhandlungen mit den Umlandgemeinden erfolgen müsste. Der Bürgermeister versuchte zu lavieren und schob den schwarzen Peter dem Land zu. Diese taktische Variante sollte sich jedoch als erfolglos erweisen. Denn zur allgemeinen Überraschung erklärte Landeshauptmann Hans Lechner in einem ORF-Interview am 14. August, er persönlich sei gegen eine Verbauung von Salzburg-Süd. Damit deutete sich eine folgenschwere politische Wende an. Am 24. August ergriff die FPÖ die Initiative und stellte im Gemeinderat den Antrag, von der geplanten Verbauung Salzburg-Süd Abstand zu nehmen. Das gesamte Gebiet sollte in eine Grün-und Freifläche umgewidmet und der laufende Architektenwettbewerb abgesagt werden. Die Pläne für eine Verbauung sollten sich auf die nördlichen Stadtteile wie z. B. den Salzachspitz konzentrieren. Die ÖVP reihte sich in die Reihe der Bebauungsgegner ein und ging in ihren Vorschlägen noch weiter. In einem Brief der Gemeinderatsfraktion an einen der Initiatoren der Bürgerinitiative, Caius Dürfeld, sprach sie sich gegen die Verbauung der Kulturlandschaft aus und lehnte auch die ebenfalls geplante Errichtung eines Landesssportzentrums im Süden Salzburgs ab. Stattdessen sollte ein Grünflächenplan entwickelt und der Stadtentwicklungsplan grundlegend geändert werden.30 Wie weit die Reaktionen der Parteien vom überraschenden Erfolg der Unterschriftenaktion der Bürgerliste und der bevorstehenden Gemeinderatswahl am 8. Oktober bestimmt waren, ist schwer zu quantifizieren. Ferner sind die Motive von ÖVP und FPÖ für ihren Positionswechsel nicht klar zu definieren. Sicherlich spielte bei dem Positionswechsel beider Parteien im August 1972 der Umstand eine Rolle, dass die 30 SN 25.8.1972. S. 5.

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betroffenen Stadtviertel zu den Hochburgen von ÖVP und FPÖ zählten und daher die Vermutung naheliegt, dass seitens der Bürgerinitiative ein massives Lobbying hinter den Kulissen betrieben wurde. Neben diesen wahltaktischen Motiven dürfte jedoch vor allem bei den politischen Eliten von ÖVP und FPÖ ein Umdenken stattgefunden haben, das die Berechtigung des Anliegens der Bürgerinitiative erkannte und – zumindest teilweise – internalisierte. ÖVP und FPÖ nahmen im Vorfeld der Gemeinderatswahl von der Verbauung zwischen Alpenstraße und Hellbrunner Allee, trotz des de facto abgeschlossenen Architektenwettbewerbs, Abstand. Einen Monat nach der Gemeinderatswahl vergab die Jury des städtebaulichen Wettbewerbs Salzburg-Süd den ersten Preis an den Wiener Architekten und Holzmeister-Schüler Friedrich Kurrent. Dabei kritisierte die Jury die inzwischen angekündigte Aufgabe des Bebauungsplans. Noch 1977 kritisierte Friedrich Achleitner diese politische Entscheidung. »So sehr es zu begrüßen ist, dass in Salzburg Bauprobleme immer mehr öffentliches Interesse erlangen, so alarmierend ist andererseits die Tatsache der völligen Blindheit den Möglichkeiten und Qualitäten einer gegenwärtigen Architektur gegenüber. Groteskerweise verhindern hier sogar Bürgerinitiativen bescheidene Ansätze oder Versuche einer Verbesserung. So sehr man Verständnis dafür haben kann, dass man dem neuen Baugeschehen wenig Kredit gibt, so verhängnisvoll ist doch andererseits auch wiederum dieses Anheizen der öffentlichen Meinung zu Pauschalurteilen. Einfach nein zu sagen, ist der bequemste Weg, wenn man sich mit einem Problem nicht auseinandersetzen will oder kann. Ein Testfall war der mit viel Sorgfalt von der Stadtverwaltung vorbereitete Wettbewerb Salzburg-Süd, der zum Ziel hatte, durch eine sehr behutsame Wohnbebauung das eher chaotische Gebiet um die Alpenstraße gegen die Hellbrunner Allee hin für alle Zeit abzuschließen. Der Preisträger, der in dieser Gegend aufgewachsen und wie kein anderer mit der Bausubstanz vertraut ist, hat ein äußerst zurückhaltendes, in diesen Landschaftsraum eingebundenes Projekt vorgelegt. Statt sich nun mit dieser Arbeit auseinanderzusetzen, hat eine Bürgerinitiative (in Form einer Unterschriftensammlung) mit gefälschten Plänen und Photomontagen gegen diese Verbauung gekämpft und das Ganze zu Fall gebracht. Um es noch einmal zu sagen, Angst und Misstrauen der Bürger sind verständlich, besorgniserregend dagegen aber ist auch die Manipulierbarkeit der öffentlichen Meinung gegen positive Veränderungen, eben auf Grund eines historisierenden Salzburg-Klischees. Sicher wäre es möglich gewesen, durch eine öffentliche Diskussion etwa zu dem Ergebnis zu gelangen, dass es besser sei, im Bereich der Hellbrunner Allee überhaupt nicht zu bauen. Dann hätten aber Garantien für einen generellen Baustopp für dieses Gebiet geschaffen werden müssen. Die gibt es aber nicht, und deshalb wird sich die chaotische Verbauung in der bewährten Salamitaktik weiter ausdehnen.«31 31 Friedrich Achleitner  : Landschaft als Lebensraum. – In  : Ders. (Hg.)  : Die Ware Landschaft. Eine kri-

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Trotz des im Vorfeld der Gemeinderatswahl 1972 erfolgten Rückzugs von der Bebauung Salzburg-Süd blieb die geplante Südtangente nach wie vor auf der politischen Agenda. Am 18. Jänner 1972 hatte der Planungsausschuss des Gemeinderates einstimmig die Planungen von Karl-Heinz Schaechterle begrüßt, wobei FPÖ-Gemeinderat Waldemar Steiner bemerkte, die Ziele des Plans seien ohne Härten für die betroffenen Anrainer nicht zu realisieren. Der Vorsitzende des Planungsausschusses, SPÖ-Gemeinderat Eduard Kittl, sprach die Hoffnung auf eine endgültige Beschlussfassung noch im Laufe des Jahres 1972 aus. Obwohl dem Verkehrsausschuss des Gemeinderates am 12. April 1972 negative Stellungnahmen der Handelskammer, des Kuratoriums für Verkehrssicherheit und der Landesregierung über die geplante südliche Trassenführung mit dem Argument einer massiven Beeinträchtigung des Stadtbildes und der Gefährdung eines wichtigen Naherholungsgebiets vorlagen, erklärte alle drei Spitzenkandidaten für die Gemeinderatswahl am 13. September bei einer öffentlichen Diskussion übereinstimmend, dass die Verkehrsentlastung in der Altstadt absolute Priorität habe. Zu diesem Zweck sollte 1973 der Durchzugsverkehr aus der Altstadt herausgenommen und durch die Errichtung von Parkgaragen die Parkplatzfrage einer Lösung zugeführt werden. Zur Verkehrsentlastung sei jedoch eine südliche Umfahrung der Altstadt unumgänglich. 1974 sollte mit dem Bau des Kapuzinerbergtunnels und der neuen Salzachbrücke begonnen werden, um 1975 den ersten Teil des Südtangentenrings fertigzustellen.32 Obwohl alle drei Fraktionen des Gemeinderats am Generalverkehrsplan festhielten,33 war es dem flexiblen Reagieren von ÖVP und FPÖ in der Frage der tische Analyse des Landschaftsbegriffs. – Salzburg 1977. S. 127–133. S. 129f. Richard Hörl spricht in seiner Darstellung der Ereignisse von einer »geschickten Fotomontage«. Achleitners Vorwurf ist insofern berechtigt, als die schwarz umrandeten Unterschriftenlisten der Bürgerinitiative anstelle des Kurrent-Projekts eintönige Häuserblocks entlang der Hellbrunner Allee zeigten. (Vgl. Hörl  : Die Salzburger Bürgerrevolte. S. 18.) Acht Jahre später, nach dem Scheitern eines folgenden Versuchs der Verbauung durch die Situierung eines Großteils der Universität in Freisaal, wurde Achleitners Forderung nach einem generellen Bauverbot in dem sensiblen Landschaftsgebiet durch die Verabschiedung der Grünlanddeklaration entsprochen. Mit dieser wurden 3500 Hektar gewidmetes Grünland durch ein Bauverbot auf Dauer erhalten. Am 21. November 2007 wurde die Gründlanddeklaration, die die großen Stadtlandschaften Salzburgs – die Hellbrunner Allee, Leopoldskron, Freisaal, den Mönchsberg und Kapuzinerberg sowie kleinere Flächen in Schallmoos, Lehen und Lieferung umfasst – mit bestimmten Modifikationen in die Stadtverfassung aufgenommen. 32 SN 14.9.1972. S. 5. 33 Der Generalverkehrsplan erfuhr allerdings 1976 aufgrund des Widerstands der Bürgerinitiativen Modifikationen. Am 5. November beschloss der Gemeinderat einstimmig den Gesamtplan, der die Grundlage für die Erarbeitung von Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen bilden sollte. Gegenüber dem ursprünglichen Projekt war die »Fasaneriebrücke« über die Salzach im Norden nicht mehr enthalten, hingegen der Autobahnknoten Nord sowie der Kapuzinerbergtunnel und die Südtangente. Gegen diesen Plan formierten sich neuerlich – durchaus erfolgreich – Bürgerinitiativen.

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Das Stadtentwicklungsmodell 1970 und der Generalverkehrsplan 1971

Verbauung von Salzburg Süd zu verdanken, dass bei der Gemeinderatswahl am 8. Oktober 1972 das traditionelle System der etablierten Parteien noch einmal unter sich blieb. Die Gemeinderatswahlergebnisse 1967 und 1972  :34 Jahr

Partei

1967

Wahlberechtigte (absolut)

Anteil der Stimmen

Anteil der Stimmen in Prozent

Mandate

84.908 SPÖ

30.958

46,3

19

ÖVP

20.883

31,2

13

FPÖ

13.462

20,1

8

1972

92.908 SPÖ

26.557

40,9

17

ÖVP

23.010

35,4

14

FPÖ

14.406

22,2

 9

Die SPÖ war der klare Verlierer der Gemeinderatswahl, ÖVP und FPÖ die Gewinner dieser Wahl, wobei die ÖVP mit einem Gewinn von 4,2 Prozentpunkten den Abstand zur SPÖ von 15,1 auf 5,5 Prozentpunkte zu reduzieren vermochte. Die Gewinne bzw. Verluste der Parteien werden bei einem Blick auf die Stadtteilergebnisse von Aigen-Parsch und Nonntal erklärbar. Die Wahlergebnisse in Aigen-Parsch und Leopoldskron 1967 und 1972  :35 Stadtteil 1967

Gültige Stimmen

SPÖ

ÖVP

FPÖ

Aigen-Parsch

5383

1730

2226

1307

Nonntal

4264

1626

1647

 911

Aigen/Parsch

5854

1510

2707

1562

Nonntal

4706

1541

2007

1047

Stadtteil 1972

Johannes Voggenhuber bemerkte im Rückblick auf das erfolgreiche Agieren der Bürgerinitiative »Schützt Salzburgs Landschaft«, dass ihr das »Scheitern des größten 34 Herbert Dachs  : Über die Verhältnisse von Bürger und Politik. – In  : Heinz Dopsch (Hg.)  : Vom Stadtrecht zur Bürgerbeteiligung. Festschrift 700 Jahre Stadtrecht von Salzburg. – Salzburg 1987. S. 346– 357. S. 348. (Salzburger Museum Carolino Augusteum Jahresschrift Band 33–1987.) 35 Platzer  : Bürgerinitiativen in Salzburg. S. 143f.

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Der Konflikt um Salzburgs Süden

aller je in Salzburg geplanten Stadterweiterungs-Projekte« zu verdanken sei. Durch ihren Widerstand sei »die systematische Stadtverwertung erstmals an ihre Grenzen« gestoßen. »Die Verantwortlichen betrachten dies jedoch lediglich als einen Konflikt mit den Interessen der im Süden ansässigen sozialen Oberschicht. Sie glauben daher, dass durch die Rücknahme des Projektes auch die gewohnte Ruhe wieder einkehren werde. Doch das erweist sich als folgenschwerer Irrtum. Der Widerstand in der Bürgerschaft wird sich nicht nur von Jahr zu Jahr ausweiten, sondern eine unaufhaltsam wachsende politische Dimension entfalten. Die erste Bürgerinitiative verliert zwar tatsächlich nach ihrem bahnbrechenden Erfolg schnell an Bedeutung, bald aber entstehen neue. (…) Durch das Stadtentwicklungsmodell werden nämlich auch andere Großvorhaben bekannt  ; so die geplante Gesamt-Universität auf den Wiesengründen in Freisaal und ein großes Kurzentrum in unmittelbarer Nähe des Schlosses Leopoldskron  ; ein neuer Gesamtverkehrsplan mit einem Netz von Stadtautobahnen, Schnellstraßen, Tunnels und Unterflurtrassen. Sie sollen historische Stadtteile, Wohngebiete, Parks und empfindliche Moorgebiete durchqueren. … Durch die Auseinandersetzungen um die Verbauung an der Hellbrunner Allee wird für viele Menschen offenkundig, wie anfechtbar scheinbar unabwendbare Großprojekte sein können, wie fragwürdig, ja haltlos ihre politischen und fachlichen Grundlagen, wie einäugig ihr Nutzen, wie verheerend ihre allgemeinen Folgen. Dadurch wird auch die Gewohnheit vieler Salzburger erschüttert, irrationale politische Entscheidungen als eine Art höherer Fügung hinzunehmen. Für immer mehr Menschen wird ihre persönliche Betroffenheit durch einzelne Projekte zum Anstoß für ein öffentliches Engagement. … Diese ›neue‹ Legitimation der Betroffenheit äußert sich vor allem in der breiten Beteiligung von Frauen in den Bürgeninitiativen. Durch sie erst wird es möglich aufzuzeigen, welch umfassende Lebensfeindlichkeit die Entwicklung der Stadt erreicht hat  ; auch wenn sich die Frauen mit zunehmender Politisierung der Bürgerinitiativen wieder zurückziehen (zurückgezogen werden  ?).«36

2.2 Der Kampf um Freisaal Für die 1962/64 wiederbegründete Paris-Lodron-Universität standen von Anfang an die erforderlichen finanziellen und räumlichen Erfordernisse im Mittelpunkt der Planungen, in die alle drei Gemeinderatsfraktionen eingebunden waren. Ende 1962 wurde zur Akkordierung der zentralen Fragen – Konzept, Aufbauplan und Raumer36 Johannes Voggenhuber  : Berichte an den Souverän. Salzburg  : Der Bürger und seine Stadt. – Salzburg/ Wien 1988. S. 59f.

Der Kampf um Freisaal

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fordernisse – ein eigenes Universitätsreferat unter dem ÖVP-Stadtrat Walter Vavrovsky eingerichtet. Angesichts der noch nicht konstituierten Universitätsorgane – deren Inauguration erfolgte erst im November 1964 – wurde im Februar 1963 für die Klärung der zentralen Fragen ein Arbeitsausschuss ins Leben gerufen, der in seinen Beratungen von einer im Endausbau vier Fakultäten umfassenden Volluniversität ausging. In einer Pressekonferenz am 25. Juli 1963 erklärte Vavrovsky, im Arbeitsausschuss gebe es durchaus kontroversielle Meinungen über die Frage, ob die Universität ausschließlich in modernen Neubauten außerhalb der Altstadt oder doch zu einem erheblichen Teil durch entsprechende Adaptierungen der historischen Gebäude in der Altstadt untergebracht werden sollte. Der Arbeitsausschuss sei dabei zu der Auffassung gelangt, »dass der Kern der Salzburger Universität sich trotz aller gegenteiliger Vorschläge im Zentrum der Altstadt befinden soll.«37 Im März 1964 begann jedoch eine publizistische Gegenoffensive gegen die geplante Altstadtuniversität, deren Speerspitze Ernst Ziegeleder war. Dieser verfügte als ehemaliger Schriftleiter des »Salzburger Volksblattes«, die über einen vielgelesenen Lokalteil verfügte, über gute Beziehungen zu dieser einflussreichen Tageszeitung, in der er sich in einem Artikel vehement gegen die Altstadtuniversität mit dem Argument aussprach, dass eine moderne Universität nicht in verstreuten Gebäuden untergebracht werden könne, sondern einer großzügigen architektonischen Lösung außerhalb der Altstadt bedürfe. Mit dieser Meinung vertrat er auch die Auffassung eines Teils der Professorenschaft der neu errichteten Universität. Die Diskussion über den Standort der Universität nahm aufgrund der sich häufenden Einsprüche gegen eine Situierung in der Altstadt 1964 eine Wende in Richtung des Sowohl-als-Auch. Im Mai 1964 erklärte Stadtrat Walter Vavrovsky, die räumlichen Bedürfnisse der Universität seien nicht, wie noch im Juli 1963 übereinstimmend festgestellt wurde, in der Altstadt allein zu befriedigen, sondern bedürften zusätzlicher Räumlichkeiten in unmittelbarer Altstadtnähe. Damit erhob sich die Frage nach dem Standort der als notwendig erachteten Neubauten in unmittelbarer Altstadtnähe. Dafür kamen das Nonntal und Hellbrunn infrage. Die Prüfung beider Standorte ergab, trotz aller Probleme, eine deutliche Präferenz für das Nonntal. Anfang 1965 diskutierte der Arbeitsausschuss diese Entscheidung, wobei Stadtrat Vavrovsky die Mitglieder von einem Gespräch mit Roland Rainer, der schon vorher auf das Nonntal als idealen Standort für die Neubauten der Universität hingewiesen hatte, informierte. Sowohl seitens der Stadt wie auch der Universität sprach man sich daraufhin für die Betrauung Roland Rainers mit der Erarbeitung einer städtebaulichen Studie aus. Da die Universitätskompetenzen beim Bund lagen, erteilte das Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau Roland Rainer den Auftrag für eine Studie, die die Errichtung eines Universitätscampus zwischen dem Mönchsberg 37 Salzburger Volkszeitung (SVZ) 26.7.1963. S. 3.

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Der Konflikt um Salzburgs Süden

und Leopoldskron vorsah. Am 9. Februar 1966 präsentierte Roland Rainer vor den Spitzenrepräsentanten von Stadt und Land Salzburg, der Universität und Vertretern des Bundes sein Projekt am Krauthügel. Dabei wurde deutlich, dass im Vorfeld der Planungen die Universität von einer – ursprünglich vorgesehenen – Altstadtuniversität zugunsten von Neubauten am Rand der Altstadt Abstand genommen hatte. Mangelndes Raumangebot sowie die notwendige Entlastung der Altstadt vom Verkehr wurden als Gründe für diese Entscheidung angegeben. Nur die Theologische Fakultät und die Universitätsbibliothek sollten in der Altstadt situiert werden. Übereinstimmend wurde festgehalten, dass der nunmehr deutlich größere Universitätscampus zwischen Mönchsberg, Park Leopoldskron, Almkanal und Donnenbergpark entstehen sollte.38 Bürgermeister Alfred Bäck erklärte im Namen der Stadt, dass gegen diese städtebauliche Konzeption kein grundsätzlicher Einwand bestehe und eine positive Stellungnahme des Gemeinderates zu erwarten sei. Auch Landeshauptmann Lechner sowie die Vertreter der Ministerien signalisierten Zustimmung, sodass einer Realisierung des Projekts nichts mehr im Wege zu stehen schien. Gegen diese Festlegung regte sich allerdings Widerstand. Publizistisch massiv unterstützt vom »Salzburger Volksblatt« formierte sich der Widerspruch um den Galeristen Friedrich Welz und den Architekten Gerhard Garstenauer.39 Beide vertraten die Ansicht, dass das von Rainer vorgesehene Areal mit einer Grundfläche von 25 Hektar für die geplanten 10.000 Studenten zu klein sei. Ein Standort an der Alpenstraße wäre wesentlich besser geeignet, weshalb die Standortfrage neuerlich diskutiert werden müsse. Welz und Garstenauer intervenierten bei Unterrichtsminister Theodor Piffl-Perčević, der in seiner Antwort den Ball nach Salzburg zurückspielte. Eine Änderung der bereits gefassten Beschlüsse müsse von Salzburg ausgehen, ließ er wissen. Obwohl hier die Universität am Projekt Rainers mit einem einstimmigen Beschluss des Akademischen Senats am 27. Oktober 1966 festhielt und auch das Land drei Tage zuvor bezüglich der in seinem Besitz befindlichen 10.000 Quadratmeter der Vereinbarung zwischen Bund, Land und Stadt Salzburg seine Zustimmung gab, begann sich bereits die Mehrheit des Gemeinderats, SPÖ und FPÖ, entgegen der Zusicherung von Bürgermeister Bäck, angesichts des wachsenden Widerstandes der Bevölkerung im Nonntal und der bevorstehenden Gemeinderatswahl 1967 vom Standort Nonntal vorsichtig zu verabschieden. Der Stadt kam bei der Realisierung des Projekts die entscheidende Rolle zu, da sich mit Ausnahme der dem Land gehörenden 10.000 Quadratmeter der Rest der benötigten 25 Hektar in ihrem Besitz 38 Zur frühen Universitätsplanung Vgl. Franz Horner  : Entwicklung der Wissenschaft. – In  : Zwink (Hg.)  : Die Ära Lechner. S. 481–526. S. 487ff. 39 Vgl. dazu vor allem Bernhard Hütter  : So kam es zur Altstadtuniversität. Die Standortfrage der Universität Salzburg im Spiegel der Medien. Phil. Diss. – Salzburg 1980.

Der Kampf um Freisaal

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befand. Am 7. Februar 1967 lehnte das Planungsamt des Magistrats in einer Stellungnahme für den Stadtsenat den Standort Nonntal mit der Begründung ab, »dass in diesem Raume jedwede weitere Verbauung abzulehnen ist. … Die geplante bauliche Konzentration ist nach Ansicht des Amtes städtebaulich im Raume Alpenstraße viel eher zu vertreten als in der so exponierten Lage südlich des Festungsberges auf der Terrasse über dem Nonntal.«40 Während die Universität, unterstützt von der ÖVP-Gemeinderatsfraktion, nach wie vor versuchte, eine Entscheidung zugunsten des Standorts Nonntal herbeizuführen, favorisierten SPÖ und FPÖ den Standort Alpenstraße/Freisaal (Hellbrunn), wo die Stadt in der Zwischenzeit durch systematische Ankäufe über einen erheblichen Grundbesitz in der Größenordnung von 60 Hektar verfügte. SPÖ und FPÖ begründeten ihr Abrücken vom Standort Nonntal damit, dass der Raum Nonntal/Leopoldskron als Grüngürtel und Erholungsraum erhalten bleiben sollte und eine Verbauung zudem das Stadtbild negativ beeinflussen würde. Stattdessen sollte der Universitätscampus in das Gebiet zwischen Alpenstraße und Hellbrunner Allee übersiedeln. Die Idee der Altstadtuniversität hatte zu diesem Zeitpunkt nur mehr wenige Befürworter, unter ihnen den Stadtverein, der im März 1967 in der von ihm herausgegeben Zeitschrift »Bastei« den visionären Vorschlag unterbreitete, alle dafür geeigneten Institute der Universität in der Altstadt »durch Verwendung und Ausbau der vorhandenen historischen Großbauten« zu situieren. »Dabei ist vornehmlich an die zentralen Behörden der Universität sowie an den theologischen, juridischen und geisteswissenschaftlichen Teil der philosophischen Fakultät gedacht.« Dies würde sowohl zu einer Wiederbelebung der Altstadt wie auch zu einer deutlichen Verringerung des Bauvolumens der restlichen im Stadtgebiet zu errichtenden Institute (naturwissenschaftliche und medizinische Fakultät) führen.41 In der nunmehr ins Stocken geratenen Standortdiskussion kamen dem Unterrichts- und Bautenministerium besondere Bedeutung zu, da die Frage der Aufrechterhaltung der Bundesfinanzierung ständig im Raum schwebte. Im Sommer 1967 ließ das Unterrichtsministerium die beteiligten Salzburger Stellen mit sichtlicher Ungeduld wissen, dass es an ihnen sei, die Tauglichkeit neuer Standorte auf eigene Kosten zu prüfen und das Ergebnis dieser Prüfungen mitzuteilen. Man sei durchaus bereit, über einen neuen Standort zu diskutieren, doch müsse man sich zuerst auf einen solchen in Salzburg einigen und die erforderlichen Unterlagen erarbeiten. In Salzburg begann man aufgrund der anhaltenden Differenzen über die Standortfrage nervös zu werden. Landeshauptmann Hans Lechner erklärte im Dezember 1967 mit 40 Zit. bei Hütter  : So kam es zur Altstadt-Universität. S. 62. 41 Zit. bei Hütter  : So kam es zur Altstadtuniversität. S. 91. Dieser Vorschlag ging weiter als die Pläne des Akademischen Senats, der in einer 1967 publizierten Schrift über die Entwicklung der Universität lediglich die Situierung der Theologischen und Juridischen Fakultät in der Altstadt vorsahen.

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Der Konflikt um Salzburgs Süden

Hinweis auf die unterschiedlichen Meinungen in Salzburg und den Umstand, dass im Bundesbudget 1968 keine Mittel für die Universität Salzburg vorgesehen waren, in Wien nehme man offensichtlich die Salzburger Universitätswünsche nicht mehr ernst. Eine positive Entwicklung sei nur mehr bei einer raschen Einigung über den Standort zu erwarten. Diese sollte zu Jahresbeginn 1968 erfolgen. Und auch Bürgermeister Bäck stieß in dasselbe Horn und betonte, die Standortfrage müsse 1968 entschieden werden. Die geforderte Entscheidung sollte 1968 fallen. Im April lehnte ein mit der Landesbaudirektion abgestimmter Amtsbericht des Planungsamtes der Stadt Salzburg den Standort Nonntal ab und schlug stattdessen die von der Gemeinde bereits aufgekauften Gründe in Freisaal vor. In einem Stadt-Land-Gespräch am 16. April wurde auf der Basis des Amtsberichts beschlossen, dem Bund bei Betonung der Unterbringung von Teilen der Universität auch in der Altstadt fünf mögliche Standortvarianten in Altstadtnähe vorzuschlagen, wobei man sich dessen bewusst war, dass von allen Varianten nur jene von Freisaal die Chance auf eine konsensuale Beschlussfassung und damit auch Realisierung hatte. Auch die dem Stadt-Land-Gespräch beigezogene Universität signalisierte ihr Einverständnis mit dieser Variante,42 sodass das Land Salzburg bei den mit den Vertretern des Bundes am 13. Juli in der Stuba Academica geführten Gesprächen Realpolitik betrieb, indem Landeshauptmann Lechner und die ÖVP auf die Position der Stadt einschwenkte und sich ebenfalls für den Standort Freisaal aussprachen. Nur dadurch, dessen war man sich in der ÖVP gewusst, konnte die drohende Gefahr eines Ausbleibens der erforderlichen Bundesmittel in den nächsten Jahren verhindert werden. Am 24. Juni 1969 erfolgte die nächste Weichenstellung, die ein bedeutendes planerisches Novum brachte. In deutlicher Abweichung von den bisherigen Planungen, in denen die Altstadt eine größere Rolle spielte, sollten nunmehr in Freisaal auf einer Fläche von 212.000 m² die Naturwissenschaftliche, der größte Teil der Geisteswissenschaftlichen und die noch zu errichtende Medizinische Fakultät situiert werden. Um die dafür noch notwendigen Gründe anzukaufen, sollten bis 1975 120 Millionen Schilling bereitgestellt werden. Obwohl es sich bei dieser Planung um ein Mammutprojekt handelte, kritisierte die Hochschülerschaft der Universität Salzburg die ihrer Ansicht nach zu geringe Dimension und forderte eine noch extensivere Verbauung. Der von der Bürgerinitiative »Schützt Salzburgs Landschaft« im Vorfeld der Gemeinderatswahl 1972 erstellte Forderungskatalog enthielt auch eine Absage eines noch nicht konkreten Universitätsprojekts in Freisaal. Noch zog allerdings die Karawane der Politik scheinbar unbeeindruckt weiter. Hatte man von der Wohnverbau42 Bereits im Dezember 1967 hatte die Universität Flexibilität in der Standortfrage angedeutet, als Rektor Stephan Rehrl erklärte, man sei auch über andere geeignete Standorte in Altstadtnähe gesprächsbereit, wenn diese angeboten würden.

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ung von Salzburg Süd Abstand genommen, so war man nicht gewillt, diesen Schritt auch bei der Errichtung des Universitäts-Campus zu tun. Die Fronten begannen sich zwischen der Bürgerinitiative und der Politik, massiv unterstützt von der Universität, zu formieren. Der 1972 ausgeschriebene Architektenwettbewerb für den Universitäts-Campus brachte am 25. Mai 1973 ein erstes Ergebnis, als sich die Jury unter Vorsitz des Wiener Architekten Karl Schwarzer unter 27 eingereichten Projekten für den Entwurf der Wiener Planungsgruppe Heinz Ekhart, Stefan Hübner, Georg Ladstätter und Heinz Marschalek entschied. Der zweite Preis ging an Wilhelm Holzbauer. Die Jury begründete ihre Entscheidung damit, dass das Siegerprojekt die Forderung, das Areal westlich des Freisaalweges nicht zu verbauen und eine Verbindung zwischen Landschaft und den Hochbauten, die drei Stockwerke nicht überschreiten durften, herzustellen, voll erfüllt habe. Zudem bliebe eine Fläche für eventuelle Erweiterungsbauten im Ausmaß von 32.500 Quadratmetern übrig.43 Für die Universität gab Rektor Ingo Reiffenstein die Entscheidung der Jury bekannt und lud zu einer öffentlichen Diskussion ein, bei der erstmals auch bekannt gegeben wurde, dass die Universität und die Stadt auch die Errichtung des Landes- und Universitätssportzentrums in Freisaal planten. Die endgültige Entscheidung im Architektenwettbewerb war jedoch noch nicht gefallen, da der Akademische Senat und die Stadt den Entwurf Holzmeisters präferierten und bei Bautenminister Moser mit der Forderung nach einer zweiten Stufe des Wettbewerbs intervenierten. Moser lehnte dies jedoch mit der Begründung ab, das Urteil der Jury sei einstimmig erfolgt und eine zweite Stufe würde eine nicht angebrachte zeitliche Verzögerung bedeuten. In Salzburg drängte man daher – erfolgreich – auf einen Kompromiss  : Im Jänner 1974 kam ein Gespräch von Vertretern aller beteiligten Institutionen unter Vorsitz von Landeshauptmann Hans Lechner zu dem Ergebnis, dass die von der Jury an erste und zweite Stelle gereihten Projekte im Sinne einer Synergie zusammengeführt werden sollten. Am 13. Oktober 1975 präsentierten die Arbeitsgemeinschaft der Architekten Ekhart, Holzbauer, Hübner, Ladstätter und Marschalek das von ihr erarbeitete Projekt in der Salzburger Residenz. Dieses beinhaltete den Neubau der Natur- und Geisteswissenschaftlichen Fakultät sowie des Landes- und Universitätssportzentrums und entsprach in seiner Dimension der Größenordnung von Festung und Nonnberg zusammen, womit im Süden der Stadt ein völlig neuer Stadtteil entstand. Angesichts dieser Dimension stellte Karl Heinz Ritschel, der bereits am 9. August in einem Leitartikel von der »hässlichen Stadt« gesprochen und die Befürchtung geäußert hatte, dass die geplanten Universitätsneubauten das Stadtbild negativ beeinflussen würden, visionär die Frage, ob dies sinnvoll sei, oder ob nicht doch besser an eine Altstadtuniversität, für 43 SN 26.5.1973. S. 7.

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die allerdings weitere Gebäude angekauft und adaptiert werden müssten, gedacht werden sollte. In diesem Fall müsste allerdings die Naturwissenschaftliche Fakultät gesondert situiert werden.44 Nicht nur der Chefredakteur der »Salzburger Nachrichten« äußerte seine Zweifel an dem Projekt, sondern auch eine breite Palette von Organisationen und Initiativen, vom Stadtverein bis zu dem sich formierenden »Landschaftsschutzkomitee Freisaal« unter dem Bäckermeister Richard Hörl und der aus Persönlichkeiten des kulturellen Lebens gebildeten »Aktion Salzburg«. Die Universität unterstützte allerdings in einer Diskussionsveranstaltung im Rittersaal der Residenz am 13. Oktober 1975 das Projekt Freisaal massiv und verteidigte es gegen alle Zweifler. Das Projekt fand in den Salzburger Medien keineswegs begeisterte Zustimmung und auch Landeshauptmann Hans Lechner wie Vizebürgermeister Waldemar Steiner gehörten nicht zu dessen begeisterten Befürwortern. Es gab jedoch auch zahlreiche Befürworter, die in dem neuen Universitäts-Campus eine städtebauliche Bereicherung sahen. So bemerkte Franz Wagner  : »Durch die Symbiose von zwei im Hinblick auf die Bebauungsform vorher gänzlich divergierenden Projekten konnte nicht nur eine außerordentlich positive Entwicklung, sondern auch eine höhere, neue Ganzheit der Planung erzielt werden. Die entscheidende Ausgangsposition war die Priorität des landschaftsgestalterischen Aspektes und städtebaulicher Fragen gewesen. Die Lage des Projektes an einem der besonders ›empfindlichen‹ Punkte des Stadtgefüges, am Übergang des weiten flachen Geländes des südlichen Salzburger Beckens zu den steil aufragenden Stadtbergen mit der krönenden Festung einerseits, das Können und das künstlerische Feingefühl der planenden Architekten andererseits bringen nun die besonders schöne Lösung mit sich, die Schönheit eines Landschaftsraumes dadurch noch zu heben und aufzuwerten, dass die diesen Landschaftsraum umgebenden Bauten hohen architektonischen Wert aufweisen.«45 Monica Riedler, ehemalige Pressereferentin der Universität Salzburg und nunmehrige Salzburg-Korrespondentin des »Kurier«, war voll des Lobes für das Projekt. »Den Architektenteam Ekhart, Holzbauer, Hübner, Ladstätter und Marschalek ist es … gelungen, das Projekt in die Landschaft einzubetten, ohne diese zu zerstören.« Gerhard Lindinger kommentierte die zurückhaltende bis ambivalente Haltung Lechners und Steiners zu dem vorgestellten Projekt mit der sarkastischen Bemerkung, dass, wenn die Diskussion so laufe, was zu befürchten sei, »dieses ›Jahrhundertprojekt‹ schnell wieder umgebracht« werde, dann werde »in der Diskussion derjenige gewogen, der seine Stimme lauter erhebt. Beispiele gibt es in dieser Richtung und vor allem in dieser Gegend genug.«46 44 Karl Heinz Ritschel  : Neuer Stadtteil für Salzburg. – In  : SN 14.10.1975. S. 1f. 45 Franz Wagner  : Der Neubau der Philosophischen Fakultät der Universität Salzburg. – In  : Das Salzburger Jahr 1975–76. – Salzburg o. J. S. 30f. S. 30. 46 Zit. bei Hütter  : So kam es zur Altstadt-Universität. S. 217 und 220.

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Trotz aller Bemühungen in dem nun voll ausbrechenden Kampf um die öffentliche Meinung waren die Universität und die Befürworter des Projekts von Anfang an aus zwei Gründen unterlegen  : 1. Die Universität verfügte nur über eine bescheiden ausgestattete eigene Pressestelle, weshalb die in ihrer Wirkung in universitären Kreisen nach wie vor unterschätzte Öffentlichkeitsarbeit zu geringe Wirkung zeigte. Zudem genoss sie lange Zeit die Unterstützung der Stadt-, Landes- und Bundespolitik. Stadt und Land Salzburg wiesen darauf hin, dass sie in Salzburg Süd bereits Gründe erworben und diese dem Bund mit der Auflage geschenkt hätten, auf diesen die Geistes- und Naturwissenschaftliche Fakultät zu errichten. Der Bund habe dem zugestimmt und man sei mit den Planungen bereits weit fortgeschritten. Jede andere Option würde möglicherweise die vom Bund eingegangene Verpflichtung aufheben und dem Universitätsstandort Salzburg erheblichen Schaden zufügen. Im Gegensatz dazu verfügten die Gegner über die indirekte publizistische Unterstützung der »Salzburger Nachrichten« und die offene des »Salzburger Volksblatts«. 2. Die unmittelbare Betroffenheit von dem in seinen Dimensionen erheblichen Großbauvorhaben einerseits sowie die durch den Wertewandel gewachsene Sensibilität für Themen des Landschaftsschutzes und der Umwelt andererseits erzielten einen erheblichen Mobilisierungseffekt vor allem bei der urbanen Ober- und Mittelschicht. Publizistisch massiv unterstützt vom »Salzburger Volksblatt« gelang es den Initiatoren Richard Hörl, Fritz und Erna Rambauske, Regine Drapa, Otto Lippert sowie den sie unterstützenden Bürgerinitiativen »Rettet Salzburg«, gegründet von Herbert Fux und Alfred Winter, und der von Christian Walderdorff geführten »Schützt Salzburgs Landschaft«, rund 20.000 Unterschriften zu sammeln und damit im Vorfeld der Gemeinderatswahl 1977 neuerlich politischen Druck zu entwickeln. Ähnlich wie 1972 bei der geplanten Verbauung von Salzburg-Süd wurde aufgrund des wachsenden Widerstandes ab dem Herbst 1975 die Errichtung der Universität in Freisaal zum Politikum, bei dem sich ab April 1976 die Waage zugunsten der Gegner des Universitätsbaus in Freisaal neigte. Wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung hatte dabei auch eine vom »Salzburger Volksblatt« an rund 11.000 Haushalte in Salzburg Süd versandte Sondernummer, in der Ernst Wachalovsky zur Rettung von Salzburgs Süden aufrief und Barbara Kutschera für das »Kleinod Freisaal« Stellung bezog.47 Am 6. April 1976 sprachen Vertreter des »Landschaftsschutzkomitees Freisaal« unter der Leitung von Richard Hörl bei SPÖ-Bürgermeister Heinrich Salfenauer 47 Salzburger Volksblatt (SVB) 4.3.1976. S. 1.

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und FPÖ-Vizebürgermeister Waldemar Steiner vor und forderten eine Überprüfung des Raumbedarfs der Universität, wobei sie darauf hinwiesen, dass viele Institute der Philosophischen Fakultät in die Altstadt verlegt werden könnten. Hörl hatte, wie er in seinen Erinnerungen bemerkt, die Idee der Altstadtuniversität, die ein Bestandteil der ursprünglichen universitären Planungen gewesen war und für die zudem ein Plan des Salzburger Architekten Otto Prossinger existierte, in die Diskussion geworfen, war jedoch damit bei Vertretern der Universität auf heftige Ablehnung gestoßen. »Mein Vorschlag, die Uni in den Altstadt-Palästen unterzubringen, wobei die nötigen Gelder der Bund beisteuern muss, wird von allen Repräsentanten der Universität als unrealistisch, weil viel zu klein und zu teuer, abgetan. Die enorme wirtschaftliche Bedeutung, auf die ich immer hinwies, wurde nie diskutiert und nicht das Argument der Revitalisierung der desolaten ehemaligen Prachtbauten der Fürsterzbischöfe und die Belebung der Stadt durch Studenten und Professoren (von mir erhofft und erwünscht). Wohl aber war das Naserümpfen über mich, dieses gewöhnliche Handwerkerlein, das sich in ›sakrosankten Universitäts-Angelegenheiten‹ einmischt, nicht zu übersehen und zu überhören. Eine Frechheit, hört man, ein völliger Laie, außenstehender Niemand, will uns unsere bereits so gut wie vorhandene, jedenfalls fix und fertig geplante Universität streitig machen, uns vom satten Grün, Licht und Luft vertreiben und in finstere AltstadtLöcher pferchen. Schuster bleib bei deinem Leisten war das Harmloseste, das ich zu hören bekam.«48 Die geplante Errichtung des Landessportzentrums in Freisaal wurde ebenso abgelehnt und Bürgermeister Salfenauer zeigte Flexibilität, indem er erwiderte, er könne sich durchaus eine andere Situierung des Landessportzentrums vorstellen. Damit befand er sich jedoch im Gegensatz zu seinem Parteifreund, Landeshauptmann-Stellvertreter Karl Steinocher, der unter den Sportvereinen eine Unterschriftenaktion für das Landessportzentrum in Freisaal gestartet hatte. Am 21. April überreichte er als für den Sport zuständiges Regierungsmitglied Landeshauptmann Hans Lechner eine Resolution, in der sich 615 Vereine mit rund 70.000 Mitgliedern für die Realisierung des Landessportzentrums in Freisaal aussprachen. Ähnlich wie 1972 begannen ÖVP und FPÖ mit deutlichen Absetzbewegungen aus der Front der Planungsbefürworter für einen Universitäts-Campus in Freisaal. Im »Salzburger Volksblatt« bemerkte Ernst Wachalovsky, die Universität fühle sich aufgrund der nunmehr zahlreich geäußerten Kritik an der Verbauung Freisaals angegriffen und von der Politik im Stich gelassen. »Dass diese Kritik gewichtig ist, das heißt von den Stadtvätern, die sich 1977 einer Wahl stellen müssen, ernst genommen wird, muss auch den Vertretern der Universität einleuchten.«49 Ende März 1976 äu48 Richard Hörl  : Die Salzburger Bürgerrevolte 1972–1982. Wie es begann und wie es uns dabei erging. – Salzburg/Wien 2014. S. 36. 49 SVB 4.3.1976. S. VI.

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ßerte Vizebürgermeister Waldemar Steiner bei einem Bürgersprechtag der FPÖ in der Riedenburg Bedenken gegen das Projekt Universität und Landessportzentrum in Freisaal50. Am 2. April kam es zu einem Wechsel in wichtigen Führungspositionen der ÖVP-Gemeinderatsfraktion. Stadträtin Martha Weiser trat aus Altersgründen von allen politischen Funktionen zurück. Ihr folgte als Stadtrat der bisherige Klubobmann Fritz Rücker, dessen bisherige Funktion von Gerhardt Bacher übernommen wurde. Vier Tage später, dem Tag der Vorsprache des »Landschaftskomitees Freisaal« bei Bürgermeister Salfenauer und Vizebürgermeister Steiner, setzten Rücker und Bacher einen ersten viel beachteten politischen Akzent, indem sie die Forderungen des »Landschaftskomitees Freisaal« und der »Aktion Freisaal« weitgehend übernahmen. Das Raumprogramm der Universität sei überdimensioniert und müsse deutlich reduziert werden und das Landes- und Universitätssportzentrum dürfe nicht in Freisaal, sondern könnte in Rif errichtet werden, ließen sie in einer Pressekonferenz wissen.51 Damit setzten sie in der zögernden bis ablehnenden Haltung der ÖVP-Gemeinderatsfraktion einen deutlichen Akzent. Bereits am 17. März hatte ÖVP-Vizebürgermeister Franz Kläring in einer Diskussion über das Projekt Freisaal im ORF-Landesstudio Salzburg von einer Lösung gesprochen, mit der niemand zufrieden sein könne und die einen Einschnitt in den Grünkeil der Stadt darstelle. Angesichts des sich auch bei den politischen Parteien abzeichnenden Abrückens von bisherigen Planungen war die Suche nach einem Kompromiss dringend geboten, wobei die Bürgerinitiativen bei einem von Vizebürgermeister Steiner am 4. Mai geleiteten Gespräch zwischen Vertretern der Universität, der Bürgerinitiativen sowie Beamten von Stadt und Land Salzburg einen solchen andeuteten. Die Universität erklärte sich nach einem von den Bürgerinitiativen vorgelegten und von den Medien mit zustimmenden Kommentaren versehenen Bericht, in dem die Raumwünsche der Universität am Beispiel der Vergleichszahlen der Universität Bochum als übertrieben bezeichnet worden waren, bereit, ihren Raumbedarf nochmals zu überprüfen. Die Bürgerinitiativen, unterstützt von Teilen der Wirtschaft, plädierten unter Rückgriff auf einen Vorschlag von Richard Hörl für die Unterbringung der Geisteswissenschaftlichen Fakultät in der Altstadt. Dies würde die Altstadt beleben und komme mit einem Kostenaufwand von rund 200 Millionen Schilling zudem billiger als der geplante Großbau in Freisaal. Die Situierung des Landessportzentrums sollte an einem anderen Ort erfolgen. Ein Neubau der Naturwissenschaftlichen Fakultät am Rande von Freisaal wurde hingegen akzeptiert. Vor diesem Gespräch hatten die auf erhebliches mediales Echo stoßenden zusammengeschlossenen Bürgerinitiativen behauptet, sie hätten rund 15.000 Unterschriften gesammelt und sprächen für 50 SVB 29.3.1976. S. 3. 51 SN 7.4.1976. S. 5.

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35.000 Salzburger. Ihre Haltung zu den politischen Parteien bei den im Oktober 1977 bevorstehenden Gemeinderatswahlen werde davon abhängen, in welchem Ausmaß sie den Forderungen für den Fortbestand der Schönheit der Stadtlandschaft entsprechen würden. Mit dieser Erklärung war der politische Druck in Richtung eines Kompromisses erheblich gewachsen. Die Würfel in Richtung dieses Kompromisses fielen im August 1976. Am 7. August erklärte die Landessportorganisation, sie bestehe nicht mehr auf der Errichtung der Sportanlagen in Freisaal und Landeshauptmann-Stellvertreter Karl Steinocher plädierte für Rif als neuen Standort. Auch die »Salzburger Nachrichten«, die im Unterschied zum »Salzburger Volksblatt« und zur »Kronen Zeitung« bisher nicht zu den Unterstützern der Bürgerinitiativen zählte, stellte sich nunmehr an ihre Seite.52 Unter dem Titel »Für Altstadt-Universität« veröffentlichte Karl Heinz Ritschel in der Wochenendausgabe der »Salzburger Nachrichten« vom 7./8. August einen Leitartikel, in dem er sich für die Lösung Altstadt-Universität aussprach. Die Universität habe in den vergangenen Diskussionen zugeben müssen, dass eine Reihe von Instituten der Geisteswissenschaftlichen Fakultät in der Altstadt verbleiben könnten. »Das aber entsprach und entspricht dem ursprünglichen Konzept, das vorsah, einen möglichst großen Teil der Universitätsinstitute im inneren Stadtbereich zu belassen und die Naturwissenschaften, die ja baulich andere Voraussetzungen erfordern, in einem vernünftigen Nähebereich anzusiedeln.« Bei der sich nun abzeichnenden Lösung habe die Stadt Salzburg keine gute Figur gemacht, die politischen Mandatare hätten zum Großteil lange »zum Fenster hinaus« geredet. »Bürgerinitiativen haben einen großen Anteil.«53 Angesichts der möglichen Übersiedlung des Landessportzentrums nach Rif, der möglichen Errichtung der Altstadtuniversität und des Neubaus der Naturwissenschaftlichen Fakultät am Rande Freisaals reagierte Bürgermeister Heinrich

52 Bei diesem Wechsel spielte Christian Walderdorff vom »Verein zum Schutz der Salzburger Landschaft« eine entscheidende Rolle. Walderdorff hatte ausgezeichnete Beziehungen zu Ritschel und ließ diesem das von den Bürgerinitiativen entworfene Konzept einer Altstadt-Universität zukommen. 53 Karl Heinz Ritschel  : Für Altstadt-Universität. – In  : SN 7.8.1976. S. 1 und 3. S. 1. Richard Hörl behauptet in seinen Erinnerungen, der Geschäftsführer des »Vereins zum Schutz der Salzburger Landschaft«, Christian Walderdorff, habe aufgrund seiner guten Beziehungen zu den »Salzburger Nachrichten« den Leitartikel Karl Heinz Ritschels nicht nur veranlasst, sondern diesen auch falsch informiert, indem er die Erarbeitung der Idee der Altstadtuniversität für den Verein beanspruchte. Ritschel nannte in seinem Leitartikel Walderdorff und Csepreghy, beide Mitglieder des »Vereins zum Schutz der Salzburger Landschaft«, als maßgebliche Autoren und Initiatoren der Idee. Dies entspreche jedoch keineswegs den Tatsachen. Der »Verein zum Schutz der Salzburger Landschaft«, vor allem Walderdorff, hätten sich mit falschen Federn geschmückt. Die eigentlichen Initiatoren, die Mitglieder des »Landschaftsschutzkomitees Rettet Freisaal«, seien in dem Artikel nicht erwähnt worden. (Hörl  : Die Salzburger Bürgerrevolte. S. 41ff.)

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Salfenauer vorsichtig positiv, während ÖVP-Vizebürgermeister Franz Kläring weiter ging und dieses Paket als einen »gangbaren Weg« bezeichnete.54 Die politischen Weichen stellte die ÖVP-Gemeinderatsfraktion am 1. September, als sie nach einem Kontaktgespräch mit dem »Landschaftskomitee Freisaal« erklärte, man verfolge die gleichen Ziele – die größtmögliche Integration der Universität in die Altstadt und eine möglichst geringe Verbauung in Freisaal. Allerdings müsse zur Realisierung dieser Option zunächst mit dem Bund Klarheit geschaffen werden.55 Auch die FPÖ schwenkte auf diese Linie ein, als Vizebürgermeister Waldemar Steiner erklärte, der Neubau in Freisaal solle nur die Naturwissenschaften beinhalten, wodurch das Bauvolumen von 13 auf 4,8 Hektar schrumpfen würde. Auch die für die Realisierung der Altstadtuniversität vom »Landschaftsschutzkomitee Rettet Freisaal« vorgeschlagene Verlegung der Polizeidirektion und der Finanzlandesdirektion in Neugebäude am Stadtrand sei vorstellbar.56 Aufgrund der im Oktober und November stattfindenden Kampagne des »Salzburger Volksblattes« für die Altstadtuniversität wurde auch das Gebäude der HTL am Rudolfs-Kai in die Planungen einbezogen. Die Schule sollte, ähnlich wie die Polizeidirektion und die Finanzlandesdirektion, in ein Neugebäude übersiedeln. Es waren die Bürgerinitiativen, die eine konsensuale Neuorientierung der Universitätsplanung erreicht hatten. Aufgrund des nunmehr erreichten Konsenses erfolgte am 30. November eine Aussprache der drei Salzburger Bürgermeister mit der Bundesregierung, in der die Revision der bisherigen Planungen erklärt und um Verständnis ersucht wurde. Seitens des Bundes reagierte man positiv und versprach eine Prüfung der Möglichkeiten einer Altstadtuniversität bis Mitte April 1977. Das positive Prüfungsergebnis verzögerte sich bis Juli 1977, womit der Weg zur Altstadtuniversität und zum viel bewunderten Bau der Naturwissenschaftlichen Fakultät in Freisaal durch Wilhelm Holzbauer frei war. In diesem Monat fiel jedoch auch eine andere Entscheidung von einer für die Politik in der Stadt und schließlich auch im Land Salzburg erheblichen Bedeutung  : Am 29. Juli gaben die Vertreter der »Vereinigten Bürgerinitiativen Rettet Salzburg« in einer Pressekonferenz bekannt, dass sie bei der kommenden Gemeinderatswahl am 2. Oktober mit einer eigenen Liste antreten werden.

54 SN 19.8.1976. S. 5. 55 SN 2.9.1976. S. 5. 56 SN 15.9.1976. S. 5.

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2.3 Von den Bürgerinitiativen zur Bürgerliste 1976/77 In Salzburg existierten Mitte der Siebzigerjahre eine Fülle von Bürgerinitiativen. Die Palette reichte von Bürgerinitiativen für die Erhaltung oder Wiederherstellung der Lebensqualität einzelner Stadtteile wie Maxglan, Riedenburg, Langwied-Sam, Lehen, Leopoldskron-Moos, über den Kampf gegen die Abgasvergiftung und die Ausweitung des Flughafenbetriebes, für Verkehrsberuhigung bis hin zum Kampf gegen die Verbauung von Freisaal und die Zerstörung der Salzburger Altstadt. Meist in Reaktion auf missbilligte kommunalpolitische Entscheidungen oder Entwicklungen entstanden, verfügten sie über keinen organisatorischen Apparat, beschränkten sich auf eine überschaubare Anzahl von Aktivisten und betrieben Öffentlichkeitsarbeit durch das Verteilen von Flugblättern oder die Teilnahme an Diskussionsveranstaltungen. Adressaten der Forderungen oder von konkreten Vorschlägen waren entweder bestimmte, für den jeweiligen Wahlsprengel zuständige Mitglieder des Gemeinderates oder der Gemeinderat als Kollektivorgan. Die Bürgerinitiativen verstanden sich als sachorientiert und überparteilich, waren zum Großteil isolierte Einzelkämpfer ohne organisatorische oder programmatische Vernetzung und verstanden sich, trotz aller Kritik, als Bestandteil des traditionellen politischen Systems und der darin vorgesehenen Partizipationsformen. Größere politische Bedeutung und öffentliche Aufmerksamkeit aufgrund ihrer Themensetzungen erlangten die Initiativen zum Schutz der Salzburger Altstadt, der Verhinderung der im Stadtentwicklungsplan 1970 vorgesehenen Bebauung von Salzburg-Süd und der Realisierung des Verkehrsplans 1971 sowie der Errichtung der Universität in Freisaal. Trotz dieser beeindruckenden Erfolge, die den Salzburger Bürgerinitiativen eine Sonderstellung in den österreichischen Kommunen verlieh, bestand in Teilen der Akteure Unzufriedenheit. Diese basierte vor allem auf drei wahrgenommenen Defiziten  : 1. Die zahlreichen Bürgerinitiativen waren kaum vernetzt, hatten keine organisatorischen Strukturen und zerfielen oftmals nach der Erreichung ihrer Ziele. 2. Da die traditionelle Politik nur auf massiven, sich in Tausenden Unterschriften oder Pressekampagnen manifestierenden Druck reagierte, musste dieser verfestigt werden. 3. Um dieses Ziel zu erreichen, bedurfte es eines gemeinsamen Programms, der Definition des für wertvoll Gehaltenen. Nur durch diesen Schritt konnte man aus der bloßen reaktiven und damit meistens temporären Phase in eine aktive, dauernde Phase eintreten. Dies konnte jedoch nur als institutionalisierter Mitspieler im politischen System, d. h. in der Konstituierung als wahlwerbende Gruppe oder Partei, erfolgen.

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Die Analyse ist das eine, die Realisierung das andere. Dieses andere erfordert Persönlichkeiten, die sich der Sache annehmen und über bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten verfügen. Im Sommer 1975 betrat neben dem bereits im Kampf um Aigen/Parsch und Freisaal äußerst aktiven Richter Eckehart Ziesel und dem Bäckermeister Richard Hörl eine weitere Persönlichkeit die Bühne des künftigen Geschehens  : der in Salzburg wohnhafte Schauspieler Herbert Fux. Fux hielt sich während der Festspielzeit in seinem Haus in Salzburg auf. Dabei traf er zufällig Alfred Winter, den Leiter der Kulturinitiative »Szene der Jugend«. Zehn Jahre nach Hans Sedlmayrs Aufruf zur Rettung der Salzburger Altstadt und acht Jahre nach der Verabschiedung des Altstadterhaltungsgesetzes, mit dem nur die Fassaden der Häuser geschützt wurden, signalisierten der Skandal um das AVA-Gebäude am Rande der historischen Altstadt und der Abriss des Primogenitur Palastes von Erzbischof Paris Lodron (Altes Borromäum), von dem für einen massigen und das Stadtbild störenden Neubau nur die Renaissancefassade stehen blieb, einen ungebrochenen Modernisierungswahn auf Kosten der einmaligen historischen Bausubstanz und damit des Stadtbildes. Winters Besorgnis veranlasste Fux zum Handeln. Zusammen mit Winter rief er die Initiative »Rettet Salzburg« ins Leben, wobei ihm das Beispiel »Rettet Venedig« als Vorbild diente. Am 10. September schrieben Fux und Winter einen Brief an zahlreiche Prominente in aller Welt, in dem sie darauf hinwiesen, dass eine Minderheit von Bürgern seit Jahren gegen den unaufhörlich im Gang befindlichen Raubbau an der historischen Schönheit Salzburgs, die von weltweit herausragender Bedeutung wie Venedig oder Florenz sei, kämpfe. Sie sollten mit ihrer Unterschrift die Politik von Stadt und Land Salzburg auffordern, zu retten, was noch zu retten ist. Das Echo war beträchtlich. Eine zahlreiche Prominenz wie August von Hayek, Konrad Lorenz, Franz Josef Strauß, Carl Zuckmayer, Friedrich Karl Flick, Marion Gräfin Dönhoff, Udo Jürgens und Peter Alexander unterschrieben.57 Fux wurde in der Folgezeit, obwohl er dies im Sommer 1975 nicht beabsichtigt hatte, zu einer bestimmenden Figur der Bürgerinitiativen. Der Schauspieler schlüpfte durch seine Mitgliedschaft in mehreren Bürgerinitiativen zunehmend auch in die Rolle des politischen Kommunikators und Organisators, zunächst allerdings noch weitgehend hinter den Kulissen. So war er maßgeblich am Zustandekommen einer von den Bürgerinitiativen geforderten großen Aussprache mit den Spitzenrepräsentanten der Salzburger Stadtpolitik beteiligt. Am 11. Oktober 1976 erfolgte diese Diskussion im Kongresshaus unter der Leitung von Magistratsdirektor Herbert Meister. In den verschiedenen Debattenbeiträgen wurden Forderungen der Bürgerinitiativen formuliert, wobei sich andeutete, dass die Bürgerinitiativen das Stadium 57 Herbert Fux  : Wiederkehr und Abschied. Mein Leben als Schauspieler, Bürgerrechtler und Grünrebell. – Salzburg/Wien 2008. S. 83.

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der Reaktion bereits zum Großteil verlassen hatten und durch die Formulierung bestimmter Forderungen ein eigenes, über die lokalen Anliegen hinausgehendes Programm entwickelten. So wurde die Forderung erhoben, dass ein Gesetz zum absoluten Schutz der einmaligen Stadtlandschaft im Süden verabschiedet werden müsse.58 In der heftig geführten Diskussion forderte Herbert Fux die Wiederbelebung des Stadtgedankens, die stärkere Einbeziehung der Bürger in Planungsvorhaben und die Errichtung eines Fachbeirates zum Zweck der Hebung der Qualität der Architektur.59 Günter Bauer erklärte anklagend in Richtung Politik, in Salzburg bestehe die Gefahr, durch Sorglosigkeit oder Unverstand zu einer hässlichen Stadt zu werden. »In Salzburg ist schon so viel Ungeheuerliches geschehen. Parsch-Süd steht in seiner Scheußlichkeit da und am Rundweg in Aigen haben sich haarsträubende städteplanerische Fehlentscheidungen abgespielt.« Eugen Csepreghy und Christian Walderdorff sahen in den »Wohnbaubossen«, die bis zum Auftreten der Bürgerinitiativen ungehindert wirken konnten, die Hauptursachen der Fehlentwicklung.60 Ein Jahr zuvor hatte sich Herbert Fux in einem offenen Brief an seinen Schulfreund Landeshauptmann-Stellvertreter Wilfried Haslauer sen. für einen generellen Schutz nicht nur der Altstadt, sondern der Stadtlandschaft eingesetzt. Diese gelte es gegen die in Salzburg grassierende »Maßlosigkeit, die Hemmungslosigkeit und das Diktat egoistischer Interessen« zu schützen.61 Bei dieser Diskussion im Kongresshaus warfen die kommenden Ereignisse bereits ihre Schatten voraus  : die formulierten programmatischen Schwerpunkte konzentrierten sich nicht mehr nur auf die Verhinderung von städteplanerischen Vorhaben oder die Architektur der historischen Altstadt, sondern forderten eine generelle Wende in der Stadtplanung und der Qualität der Architektur. Eine zu zahlreichen Fehlentwicklungen führende Stadtplanung und Architektur wurde als Ergebnis der Verbindung von Bauwirtschaft, Politik und Verwaltung bezeichnet, der es in Sinne demokratischer Standards durch eine völlige Entflechtung von Politik und Baugesellschaften und -genossenschaften entgegenzutreten gelte. Eckehart Ziesel bemerkte 1983 zum Entstehen der Bürgerliste  : »Im Lande Salzburg gab es bis zum Auftreten der Bürgerliste weder im Landtag noch im Gemeinderat eine Opposition. Die drei Parteien teilten sich proporzmäßig sämtliche Regierungsposten und Ämter. … Einige clevere Geschäftemacher hatten sich ausgerechnet, das Baugeschäft in Salzburg müsse zur Goldgrube werden. Also hatte jede Partei ihren ›Fachmann‹ im Planungs- oder Bauausschuss sitzen, der zugleich 58 Diese Forderung hatten bereits am 20. April 1976 die Bürgerinitiativen »Rettet Salzburg«, »Landschaftsschutzkomitee Rettet Freisaal«, »Schützt Salzburgs Landschaft«, »Schützt den Volksgarten« und der »Verein zum Schutz der Salzburger Landschaft« erhoben. 59 Auch diese Punkte waren bereits im Forderungsprogramm der Bürgerinitiativen vom 20. April 1976 enthalten. 60 SN 13.10.1976. S. 7. 61 Zit. bei Hörl  : Die Salzburger Bürgerrevolte. S. 19.

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einer gemeinnützigen Baugenossenschaft vorstand oder sonst wie, sei es als Bauunternehmer oder Architekt, mit dem Bauwesen zu tun hatte. Man nannte diese Leute ›Baubosse‹ oder ›Doppelfunktionäre‹. Auf diese Weise war es sehr leicht, Grünland in Bauland umzuwidmen oder sonst wie das Baugeschehen zu ›lenken‹. … Wichtigste Voraussetzungen für dieses Packelei-Klima waren  : Absolute Geheimhaltung und Ausschaltung des Bürgers. Die Betroffenen erfuhren erst dann von irgendwelchen neuen Bauvorhaben, wenn es für Einsprüche zu spät war. Die Zeitungen wurden durch Inseratenschwemmen ständig in Abhängigkeit gehalten. Gesetze wurden entweder umgangen oder gebrochen.«62 Für Herbert Fux war die Stadt nach 1945 »als gut vermarktbare Ware erkannt« worden. »Aus allen Bundesländern strömten Bauhaie, Immobilienmakler und Spekulanten übelster Art an die Salzach. Sie zerstörten, wo, was und wie sie nur konnten, entkernten historisch wertvolle Bürgerhäuser und Paläste und verschandelten rücksichtslos die schönsten Stadtlandschaften durch hässliche Neubauten aus billigem Material. … Um die Stadtlandschaft entsprechend vermarkten zu können, schalteten die neu zugewanderten Baufirmen europaweit Inserate, in denen sie finanzkräftige Interessenten anwarben, sich doch in einer ›der schönsten Gegenden der Erde‹ niederzulassen. Damit wurde ein Bauboom ausgelöst, der zu mehr als 25.000 Zweitwohnungen bei insgesamt 80.000 Wohneinheiten führte. Die Stadtviertel außerhalb der Altstadt zeugen von einem erschreckenden Planungschaos. Es wurden keine klar umgrenzten Gewerbe-, Industrie- oder Wohngebiete ausgewiesen, sondern Grundstücke wahllos an den jeweils Meistbietenden verkauft und es wurde wild durcheinander gebaut. … Die Diskrepanz zwischen der Wertigkeit des kleinen Altstadtgebietes, das nur vier Prozent des gesamten Stadtgebietes ausmacht, und den übrigen 96 Prozent zeigt ein völliges städtebauliches Versagen. Grundstücks- und Bauspekulanten hatten in Salzburg in den letzten 50 Jahren stets die Unterstützung der Spitzenpolitiker. Das Proporzsystem erwies sich dabei als geradezu idealer Nährboden für Parteispenden und Korruption.«63 Und zur Architektur, die das in den Randbezirken vorherrschende abschreckende ästhetische Erscheinungsbild und die daraus resultierende Unwirtlichkeit der Stadt prägt  : »Wenn … als oberstes Ziel Gewinnmaximierung gilt, sinkt das Interesse an Architektur und Ansichtsqualität. Die meisten Architekten sind bestenfalls als finanziell erfolgreiche Bauwirtschaftler zu bezeichnen. … Die Städte verlieren durch diese Praktiken systematisch an Lebens- und Ansichtsqualität. … Lächerlich die Arroganz oder Dummheit mancher heutiger Architekten, die bei öffentlichen Diskussionen über ihre chaotische Stadtverbauung dreist erklären, 62 Eckehart Ziesel  : Die grüne Bewegung am Beispiel der Salzburger Bürgerliste. – In  : ÖJP 1983. – München/Wien 1984. S. 167–186. S. 168f. 63 Fux  : Wiederkehr und Abschied. S. 150ff.

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ihre Architektur werde wohl erst in dem folgenden Jahrhundert gewürdigt werden und hätte dasselbe hohe Niveau wie berühmte historische Vorbilder. Das ist natürlich lächerlich, denn zumeist müssen diese Bauten schon nach ein paar Jahrzehnten wieder abgerissen werden, wodurch klar wird, dass es sich vielfach heute um eine kurzlebige Wegwerfarchitektur handelt.«64 Ähnlich lautete die Analyse Karl Heinz Ritschels aus dem Jahr 1991. »Ich frage mich, warum die Menschlichkeit in so vielen Städten, auch in Salzburg, auf der Strecke geblieben ist. Das dokumentiert sich in den gesichtslosen homogenen Agglomeraten von Siedlungen, in städtebaulicher Einheitsöde, in der der Mensch wirklich nur zur Nummer in einer Einheitszelle degradiert worden ist. Es ist ja nicht die Stadt an sich unmenschlich, auch nicht die Großstadt, aber die Gesichtslosigkeit ist es, die mit Straßenschluchten, Betongebirgen und vor allem mit tödlicher Einförmigkeit, mit der nach wie vor ganze Siedlungen wie am Fließband produziert werden, dem Menschen jede Kreativität unmöglich machen. Es ist ja Wahnsinn, dass in Salzburger Siedlungen spezielle Sozialarbeiter eingestellt werden müssen, um den Leuten dort das Wohnen zu lernen, um die Kommunikationsfeindlichkeit zu überwinden. Und es ist erschreckend, wenn Architekten … Grundrisse für Wohnungen planen, die nicht oder kaum oder nur unter großen finanziellem Aufwand einzurichten sind.«65 In der Diskussion im Kongresshaus hatte Johannes Voggenhuber die Frage gestellt, wer denn die Politik daran hindere, noch vor den bevorstehenden Gemeinderatswahlen im Oktober 1977 die Anliegen der Bürgerinitiativen, die von immer mehr Menschen unterstützt würden, zu realisieren.66 Die Standpunkte waren an diesem Abend jedoch zum Großteil nicht vermittelbar, weshalb vom Standpunkt der Bürgerinitiativen aus nur drei Optionen übrig blieben  : 1. die Perpetuierung der Zersplitterung der Initiativen, die Beschränkung auf lokale Initiativen und den Versuch, deren Anliegen durch direkten Kontakt zur Politik zu realisieren  ; 2. den Aufruf zum Wahlboykott oder 3. die Zusammenfassung der Initiativen in Form einer wahlwerbenden Gruppierung, womit man sich in die Arena der von manchen Initiativen abgelehnten Parteipolitik begab. Angesichts der Vielzahl der Bürgerinitiativen, die als Zeichen einer zunehmenden Kritik der traditionellen Kommunalpolitik gewertet werden konnten, erfolgten in den lokalen Medien Spekulationen über eine gemeinsame Kandidatur in Form eines Wahlbündnisses. Am 12. Mai 1977 wichen die Sprecher der Bürgerinitiativen 64 Ebda. S. 137. 65 Karl Heinz Ritschel  : Über das Bauen in der Stadt Salzburg. Gedanken zur Architektur- und Altstadtpolitik in den achtziger Jahren. – In  : Marx (Hg.)  : Stadt im Umbruch. Salzburg 1980 bis 1990. S. 37–53. S. 39. 66 Voggenhuber  : Berichte an den Souverän. S. 71.

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»Landschaftsschutzkomitee Rettet Freisaal« und »Rettet Salzburg vor der Abgasvergiftung« der Frage, ob sich die verschiedenen Bürgerinitiativen zu einer gemeinsamen Kandidatur bei der bevorstehenden Gemeinderatswahl entscheiden würden, aus. Herbert Fux, der in beiden Initiativen tätig war, erklärte allerdings, er würde im Falle einer Kandidatur zwar nicht als Spitzenkandidat fungieren, jedoch zur Verfügung stehen.67 Trotz der ausweichenden Antworten verdichteten sich jedoch zu Sommerbeginn die Anzeichen für eine Kandidatur der Bürgerinitiativen in Form einer eigenen »Bürgerliste«. In längeren und teilweise kontroversiell geführten Diskussionen der möglichen Optionen waren von einer Mehrheit der Repräsentanten der Bürgerinitiativen die beiden ersten Optionen verworfen worden. Isoliertes, auf einen engen kommunalen Bereich beschränktes Agieren inklusive der Kontaktaufnahme mit den im Gemeinderat vertretenen Parteien war – nicht zuletzt aufgrund der asymmetrischen Ressourcenverteilung – nur von beschränkter Wirkung oder überhaupt vergebens. Im besten Fall konnte eine Kooperation mit den etablierten politischen Parteien Modifikationen von Fehlplanungen oder -entwicklungen erreichen, nicht jedoch eine notwendige gesamtpolitische Wende. Ein Wahlboykott war kontraproduktiv, da er an den kritisierten bestehenden Machtstrukturen und kommunalen Fehlentwicklung nichts änderte. Das viel kritisierte Machtkartell wäre unter sich geblieben. Vor diesem Hintergrund blieb nur mehr die dritte Option, die eigenständige Kandidatur, als erfolgversprechend übrig. Nur ein Zusammenschluss der verschiedenen Bürgerinitiativen sowie die Schaffung einer organisatorischen Grundstruktur schienen der Garant für eine wirkungsvolle Artikulation der Kritik an den bestehenden Strukturen, die Formulierung der eigenen Anliegen und die angestrebte Änderung der Politik. Dass man damit direkt in die Arena des parteipolitischen Wettbewerbs stieg und die von den Bürgerinitiativen bisher stets behauptete Überparteilichkeit aufgab, war zwar die logische Konsequenz, sollte jedoch zu erheblichen Irritationen im Spektrum der Bürgerinitiativen führen. Der Schritt in die Richtung der Bildung einer wahlwerbenden Gruppe erfolgte in einer Sitzung am 15. Juni 1977 keineswegs auf breiter Basis, sondern war das Werk von Spitzenrepräsentanten bestimmter Bürgerinitiativen. Dieser partielle Elitenkonsens führte daher auch zu heftiger Kritik aus den Reihen der Bürgerinitiativen, bei der auf die von oben beschlossene und keineswegs konsensuale Vorgangsweise hingewiesen wurde. Am 29. Juli 1977 hatten die Spekulationen ein Ende. Die Vertreter der nunmehr »Vereinigten Bürgerinitiativen Rettet Salzburg-Bürgerliste« gaben in einer Pressekonferenz bekannt, bei den bevorstehenden Gemeinderatswahlen mit einer eigenen Liste anzutreten. Der Sprecher des »Landschaftsschutzkomitees Rettet Freisaal«, Richard Hörl, fungiert als Spitzenkandidat, gefolgt von dem Schauspieler Herbert 67 SN 13.5.1977. S. 5.

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Fux, dem wegen seines – letztlich erfolglosen – Kampfes gegen die Verbauung eines 27.000 m² großen Grünlandes durch die SPÖ-nahe gemeinnützige Baugenossenschaft »Salzburg« bekannt gewordenen Richter Eckehart Ziesel,68 dem Sprecher der »Bürgerinitiative gegen den Gesamtverkehrsplan«, Walter Gerstendorfer, und der Hausfrau Gerda Bauer. Die Exponenten der Bürgerinitiative »Schützt Salzburgs Landschaft« – Caius Dürfeld, Wolfgang Thienen, Eugen Csepreghy und Christian Walderdorff – distanzierten sich jedoch demonstrativ von dieser Ankündigung und warfen der Gruppe um Hörl und Fux vor, die Überparteilichkeit der Bürgerinitiativen mit diesem Schritt verlassen zu haben und diese durch eine Kandidatur bei der bevorstehenden Gemeinderatswahl zu schwächen. Der Name »Vereinigte Bürgerinitiativen« sei eine Irreführung, denn in keiner einzigen Initiative sei der Zusammenschluss mit den anderen unterschrieben worden. 69 Dessen ungeachtet gingen die Arbeiten der Initiatoren rasch voran. Am 3. September 1977 wurden die »Vereinigten Bürgerinitiativen Rettet Salzburg – Bürgerliste« als Verein angemeldet. Präsidentin war Gerda Bauer, Vorstand, erweiterter Vorstand und Generalversammlung, an der auch Nicht-Mitglieder teilnehmen konnten, bildeten die Organe des Vereins, der aufgrund des beschränkten Platzes auf dem Wahlzettel als »Bürgerliste« mit knappen Mitteln und unkonventionellen Methoden seinen ersten Wahlkampf bestritt. Thematisch definierte man sechs Schwerpunkte des Wahlkampfes  : 1. Keine weitere Verschandelung der Stadt. 2. Schutz der Stadtlandschaft. 3. Kein Ausbau der Bundesstraße 1 durch die Stadt. 4. Entflechtung der Verbindung von Politik und Baugeschäft. 68 Die SPÖ-nahe gemeinnützige Wohnbaugenossenschaft »Salzburg« kaufte ein 27.000 Quadratmeter großes Grundstück im Grünland und erreichte bei der Stadtgemeinde Salzburg für dessen Bebauung mit sechsgeschoßigen Häusern in einer Gegend mit maximaler Bebauungshöhe von 2,5 Geschoßen eine Ausnahmegenehmigung nach dem Raumordnungsgesetz, wonach Ausnahmen aus dem Grünland bis zu einer Fläche von 10.000 Quadratmetern möglich waren. Die »Salzburg« teilte das Grundstück in drei Teile und plante die Errichtung der Wohnblöcke in einer Nachbarschaftsentfernung von 15,2 Metern, um das bis 125 Meter reichende Einspruchsrecht der Nachbarn zu umgehen. Die Ausnahmegenehmigung aus dem Grünland bedurfte der Zustimmung der Landesregierung, die jedoch aufgrund des Nicht-Tätigwerdens von Landeshauptmann-Stellvertreter Karl Steinocher, der gleichzeitig Obmann der Wohnbaugenossenschaft »Salzburg« war, die Einspruchsfrist verstreichen ließ. Ziesel deckte diese und eine Reihe weiterer bedenklicher Praktiken auf und klagte die Baubehörde und Landeshauptmann-Stellvertreter Steinocher des Amtsmissbrauchs an. Die so Angegriffenen reagierten auf diese Anwürfe jedoch nicht mit einer von Ziesel erhofften Klage, da in diesem Fall die Angelegenheit gerichtsanhängig geworden wäre. Der Fall verlief im Sand und auch die Salzburger Medien nahmen sich seiner nicht an. 69 SN 8.8.1977. S. 5.

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5. Abschaffung der Ausnahmegenehmigungen für große Grünflächen. 6. Sauberkeit in der Verwaltung und Bürgernähe. Der Wahlkampf mit lediglich zwei Plakaten und fünf Flugblättern wurde vor allem durch den persönlichen Einsatz zahlreicher Aktivisten geprägt. Die Bürgerliste besetzte mit ihrer originellen »Radiostation – Liste 5« auf dem Alten Markt und ihren wandelnden Litfaßsäulen in der Innenstadt geschickt die öffentlichen Plätze. Bekannt und von besonderer Wirkung wurde ein auf gelbem Hintergrund gestaltetes Plakat mit dem Titel »Rettet Salzburg«, das die Stadt, aufgenommen mit einem Teleobjektiv von Maria Plain aus, in ihrer hässlichen Verbauung rund um den Hauptbahnhof abbildete. Johannes Voggenhuber kritisierte die Wahlkampflinie bei einer abendlichen Diskussion im Café Hörl mit dem Argument, dass diese sich in Einzelfällen verliere und die politischen Hintergründe der Stadtzerstörung vernachlässige. In der heftig geführten Diskussion vor allem mit Herbert Fux, der Politikvermittlung über konkrete Beispiele, die auch Emotionen evozieren, bevorzugte, setzte sich Voggenhuber vor allem aufgrund der Unterstützung Hörls durch und wurde mit der Ausarbeitung eines Flugblattes beauftragt, das neben dem Stadtplakat für Furore sorgen sollte.70 Unter dem Titel »Hände über der Stadt« wandte sich das von Voggenhuber getextete Flugblatt an die Salzburgerinnen und Salzburger mit der Bitte um ein Mandat, »um die Hände abwehren zu können, die aus Macht- und Profitstreben in dieser unserer Stadt zugegriffen haben und die diese Stadt und dieser Landschaft Unwürdiges hinterlassen haben. … Das politische Mandat, um das wir sie bitten, soll für uns alle die Möglichkeit bedeuten, das Blatt zu wenden. … – Wir kämpfen gegen die Geheimpolitik in den Gemeindeausschüssen, – gegen die Ausnahmegenehmigungen aus dem Grünland, – gegen landschaftszerstörende Sondergesetze, die nur im Bundesland Salzburg gelten, – gegen die Doppelfunktionen der Politiker, – gegen den unerträglichen Einfluss der Wohnbaugesellschaften, – gegen ein weiteres Auswuchern der Stadt.«71 Das Flugblatt thematisierte auch den Vorwurf der Bürgerliste an die regionalen Medien inklusive den ORF, die Anliegen der Bürgerliste zu ignorieren oder über diese abfällig-ironisch zu berichten. Dies sei ein weiteres Beispiel für den umfassenden Einfluss der mächtigen Baugenossenschaften, die die Medien mit Inseraten überschwemmten und damit von ihnen auch finanziell abhängig machten. Besonders 70 Voggenhuber  : Berichte an den Souverän. S. 75f. 71 Hörl  : Die Salzburger Bürgerrevolte. S. 85.

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bedauerlich sei das Verhalten der »Salzburger Nachrichten« und deren Chefredakteur Karl Heinz Ritschel, der doch noch vor Kurzem mit seinem Artikel über die »hässliche Stadt« ein vernichtendes Urteil über die Stadtpolitik gesprochen habe. Nunmehr jedoch seien, mit Ausnahme des »Salzburger Volksblattes«, die Medien aufgrund offensichtlicher massiver Einflussnahme von außen in dieser so wichtigen Angelegenheit verstummt. Die Bürgerliste sei daher gezwungen, ihr Anliegen ohne eine mediale Unterstützung zu propagieren. Am Wahlabend wurde das Ergebnis mit einem lachenden und einem weinenden Auge wahrgenommen. Die Bürgerliste erreichte rund 5,6 Prozent der abgegebenen Stimmen und zog mit zwei Mandaten in den Gemeinderat ein. Wenngleich das Wahlziel von vier Mandaten deutlich verfehlt wurde, so sollte der 2. Oktober 1977 in die Geschichte der Stadt und des Landes eingehen, denn mit ihm begann sich, zunächst in der Stadt und mit zeitlicher Verzögerung auch im Land Salzburg, die politische Wettbewerbslogik nachhaltig zu verändern. Ergebnisse der Gemeinderatswahlen in der Stadt Salzburg 1972 und 1977  :72 8. Oktober 1972

Stimmen

Prozent

Mandate

SPÖ

26.557

40,9

17

ÖVP

23.010

35,4

14

FPÖ

14.406

22,2

9

KPÖ

815

1,3



Sonstige

215

0,2



2. Oktober 1977 SPÖ

26.722

38,81

16

ÖVP

22.888

33,24

14

FPÖ

14.649

21,28

8

3839

5,58

2

624

0,91



Bürgerliste (BL) KPÖ

72 Heinz Dopsch, Robert Hoffmann  : Geschichte der Stadt Salzburg. – Salzburg/München 1996. S. 623.

Tafelteil 1

1. Studentendemonstration 1971 gegen den Neubau des geplanten AVA-Projekts am Hanuschplatz. Demonstrationszug zum Alten Markt unter Führung von Friedrich Welz.

66

Tafelteil 1

2. Richard Hörl und Herbert Fux während der konstituierenden Sitzung des Gemeinderates am 5. Dezember 1977.

Tafelteil 1

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3. Demonstration der Bürgerliste am 11. November 1977 gegen den Umbau des Modegeschäftes Thalhammer.

4. Demonstration am Alten Markt gegen den Bau der Südtangente 1979.

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Tafelteil 1

5. und 6. Fahrraddemonstration am 13. Juni 1981 in der Imbergstraße und dem Rudolfskai.

Tafelteil 1

7. Johannes Voggenhuber und Herbert Fux bei einer Pressekonferenz (wahrscheinlich 1981).

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8. Die Fraktion der Bürgerliste in einer Sitzung des Gemeinderates in der Funktionsperiode 1982 bis 1987. V. l. n. r.: Klubobmann Dr. Eckehart Ziesel, Gemeinderäte Dr. Eckhard Schaller, Johann Padutsch, DI Max Ortner, Dietlinde Kurz, Uwe Göllner.

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9. Anti-WAA-Demonstration am 22. Juni 1986 »Mütter für eine atomfreie Zukunft«. Demonstrationszug der Mütter.

10. Anti-WAA-Demonstration am 22. Juni 1986 am Alten Markt mit Schlagbaum und Zaun der WAA.

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11. Dr. Karoline Hochreiter und Dr. Christian Burtscher vor der konstituierenden Sitzung des Salzburger Landtages am 3. Mai 1989.

Tafelteil 1

12. Demonstration zum Schutz des Landschaftsschutzgebietes Freisaal am 7. August 1991.

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Tafelteil 1

13. Demonstration für die Grünlanddeklaration am 6. September 1991.

14. Dr. Christian Burtscher im Gespräch mit Demonstranten für die Grünlanddeklaration.

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15. Demonstration der Bürgerliste am 17. März 1992 gegen Immobilienspekulationen vor dem Gebäude des Hotel Winkler an der Franz-Josef-Straße.

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16. Gemeinderatswahlkampf 1992. Johann Padutsch, Herbert Fux, Johannes Voggenhuber.

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17. Gemeinderatswahl in der Stadt Salzburg am 4. Oktober 1992. V. l. n. r.: Erich Hüffel (AutofahrerPartei), Johann Padutsch (Bürgerliste), Mag. Siegfried Mitterdorfer (FPÖ), Dr. Josef Dechant (ÖVP), Dr. Harald Lettner (SPÖ).

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18. Demonstration der Bürgerliste 1993 »Ja zur Busspur in der Imbergstraße«.

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19. Aktion der Bürgerliste 1993 im Hof des Chiemseehofes für die Möglichkeit der Anstellung eines Mitarbeiters.

20. Die Kandidaten für die Landtagswahl 2004.

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Tafelteil 1

21. Werbekampagne der Bürgerliste auf dem Alten Markt 1994 für die Bürgerinitiative »Nein zu EWR & EG«. Dr. Christian Burtscher überspringt die symbolische Latte von 10.000 Unterschriften.

TEIL II

3.

Die Bürgerliste 1977 bis 1982

3.1 Der Kampf um die Stadt 1977 zogen für die Bürgerliste der Bäckermeister Richard Hörl und der Schauspieler Herbert Fux in den Gemeinderat ein. Das Salzburger Stadtrecht bot die Möglichkeit, dass sich ein Mandatar auf Zeit vertreten lassen konnte. Da Fux durch seine Engagements zeitweise nicht in Salzburg war und daher auch nicht an den Sitzungen des Gemeinderates teilnehmen konnte, wurde er von dem Richter Eckehart Ziesel vertreten. Der Beginn der Tätigkeit der Bürgerliste im Gemeinderat war durch Aufgeregtheit und Turbulenzen gekennzeichnet, da das vielgerühmte »Salzburger Klima« durch einen Störenfried gefährdet schien. Seit Montag, so Günther Schneider in den »Salzburger Nachrichten« über die Konstituierende Sitzung des neu gewählten Gemeinderats am 5. Dezember 1978, »sitzen im Salzburger Gemeinderat zwei Aufpasser«, die »ihre erste politische Aktion im Rathaus« mit einer ungewöhnlichen Geste setzten, indem sie gegen die Wahl von Bürgermeister Heinrich Salfenauer stimmten. »Ein Mandatar, der in seiner Fraktion Doppelfunktionäre dulde, sei für sie nicht wählbar«, lautete die Begründung für das ungewöhnliche Verhalten.1 Richard Hörl betätigte sich als Nikolaus und verteilte an alle übrigen 38 Gemeinderäte während der Rede des wiedergewählten Bürgermeisters Victor Gruens Buch »Die lebenswerte Stadt«. Salfenauer, von diesem Verhalten sichtlich genervt und irritiert, forderte ihn auf, seinen Platz einzunehmen und nicht zwischen den Bänken der Gemeinderäte herumzugehen. Als Hörl auf diese Aufforderung nicht reagierte, erteilte er ihm einen Ordnungsruf  : »Wenn Sie das nicht sofort einstellen, lasse ich Sie aus den Saal weisen, das ist eine Gemeinderatssitzung und keine Propagandaversammlung.«2 Das völlig ungewohnte Agieren der Bürgerliste sorgte bereits bei der ersten Sitzung des Gemeinderates am 27. Jänner 1978 für erhebliche Turbulenzen und Unmut bei den drei traditionellen Parteien, da die Fülle der Anfragen und Zusatzfragen vor allem an Vizebürgermeister Franz Kläring die Sitzung bis gegen Mitternacht andauern ließ. »Die wilde Gjoad«, so die »Salzburger Nachrichten« in ihrem Bericht, »ritt Freitag durch das Salzburger Rathaus. Vorgeher Richard Hörl und Bärentrei1 Günther Schneider  : Zwei Aufpasser im Rathaus. – In  : SN 6.12.1977. S. 1. 2 SN 6.12.1977. S. 5.

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Die Bürgerliste 1977 bis 1982

ber Herbert Fux setzten alle Mittel ein, um den zuhörenden Gemeinderäten und vor allem Vizebürgermeister Franz Kläring einmal so richtig Angst einzujagen. … 23 Anfragen hatten die beiden Vertreter der Bürgerliste an Franz Kläring gerichtet, 23mal bemühte sich der Vizebürgermeister um gründliche Auskunft, nach jeder Anfrage setzten Fux und Hörl mit Zusatzfragen und weiteren Wortmeldungen nach. Die Skala der Anfragen reichte vom Thalhammer-Umbau in der Getreidegasse über das Haus Platzl 5 bis zu lange zurückliegenden Bauvorhaben. … Die Mandatare der Bürgerliste versuchten offensichtlich, dem Gemeinderat eine umfassende Altstadtdebatte aufzuzwingen, was ihnen vom Zeitablauf her auch gelang.«3 Den Höhepunkt bildeten die von heftigen Reaktionen begleiteten Vorwürfe Richard Hörls an die übrigen Parteien, dass in jeder Fraktion »Rechtsbrecher« säßen. In der weiteren Sitzung bezeichnete Hörl den ÖVP-Gemeinderat Bruno Oberläuter mit dem Hinweis auf einen vor der Gemeinderatswahl 1977 in der Presse gegen ihn erhobenen Vorwurf, einen Schwarzbau errichtet zu haben, als Eides- und Gesetzesbrecher, der daraufhin wütend aufsprang und rief  : »Wir gehen zum Kadi. Ich verwahre mich gegen die Pauschalverdächtigungen dieser beiden großkarierten Herren.«4 Diese und ähnliche Turbulenzen begleiteten die folgenden Sitzungen des Gemeinderates. So gestaltete sich, von Anhängern und Sympathisanten auf der Galerie mit Applaus und Gelächter befeuert, die Sitzung des Gemeinderates am 28. Februar 1978 zur von Emotionen und verbalen Entgleisungen geprägten Debatte. Aufgrund der Angriffe Richard Hörls und des neu angelobten Eckehart Ziesel sichtlich genervt, verlor FPÖ-Klubobmann Sepp Schmittner die Beherrschung und erklärte in Richtung Hörl  : »So oft der Hörl den Mund aufmacht, kommen Beleidigungen. Für mich ist Hörl nicht mehr Gemeinderat, sondern Beleidigungsrat, er hat ab sofort Narrenfreiheit.« Bürgermeister Heinrich Salfenauer, sichtlich um eine Glättung der hoch gehenden Wogen der Erregung bemüht, rief zu einer allgemeinen Beruhigung auf. »Tun wir in Zukunft a bisserl mehr Ernst anlegen. Ich appelliere an alle, tua ma vasuchn, das Gemeinsame in den Vordergrund zu stellen und uns nicht selbst als Heilige hinstellen. Sachliche Arbeit ist auch in Zukunft von diesem Gemeinderat zu leisten.«5 Der Appell des Bürgermeisters verhallte weitgehend ungehört. Ein Jahr später rief der SPÖ-Gemeinderat Josef Reschen in einer von heftigen Angriffen der Bürgerliste geprägten Sitzung des Gemeinderates, in der diese die etablierten Parteien der »Gefälligkeitsdemokratie« und des »Machtmissbrauchs« beschuldigte und sie als »Lügner« bezeichnete, in Richtung Herbert Fux und Eckehart Ziesel  : »Wegen Euch zwei da hinten werden wir uns von der Zusammenarbeit nicht abhalten lassen.«6 3 SN 28.1.1979. S. 7. 4 Ebda. 5 SN 1.3.1978. S. 5. 6 SN 27.3.1979. S. 5.

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Wechseln wir die Perspektive und stellen die Frage, wie die drei Mandatare der Bürgerliste (inklusive des Ersatzmannes für Herbert Fux, des Richters Eckehart Ziesel) den Beginn ihrer institutionell-politischen Tätigkeit sahen  ? In seinen Erinnerungen berichtete Herbert Fux, dass das Agieren der Bürgerliste im Gemeinderat einen Schock ausgelöst habe. »Schon in der ersten Gemeinderatssitzung stellten wir über zwanzig Anfragen und begehrten Aufklärung über ominöse Vorfälle. Sprachlosigkeit, Wut und Hass schlugen uns entgegen, uns, die wir wagten, hinter die verlogenen politischen Fassaden blicken zu wollen. Die erste Sitzung dauerte anstatt der sonst üblichen zwei bis drei Stunden fast bis Mitternacht. Auch aus dem gemütlichen Beisammensitzen nachher im Kaffeehaus wurde nichts. Die Proporzeinheitspartei aus SPÖ, ÖVP und FPÖ, die damals die Regierung bildete, war geschockt.«7 Und Richard Hörl bemerkte im Rückblick  : »Für die 38 Vertreter der Salzburger Einheitspartei waren wir zwei Mann der Opposition keine Mitbürger, sondern Unbürger. Wir waren Nestbeschmutzer, Aufwiegler und Störenfriede, weil wir Sand in das gut geschmierte ›Salzburger-Klima-Werkl‹ warfen. Heute sage ich, was ich damals nur dachte  : Die spinnen total, ich bin doch kein Feind der Demokratie, wenn ich aufzeige, wie unsere Politiker das Stadtparlament missbrauchen, sich und ihren Cliquen die unglaublichsten, unverschämtesten Vorteile auf Kosten der Allgemeinheit verschaffen und dabei den elementarsten Grundsatz unserer Verfassung – gleiches Recht für alle – missachten. Jedem Salzburger war diese Protektionswirtschaft bekannt. Ob bei Postenvergaben, bei Zuteilungen von Wohnungen, Nebenverdiensten, Erteilung von Ausnahmen und Umwidmungen. Man teilte den Kuchen rechnerisch korrekt nach Mandatsstärke der drei Parteien unter sich auf. (…) Fux, Ziesel und ich haben den Widerstand der Demokratieverächter im Rathaus hautnah erlebt. In meiner Antrittsrede kündigte ich eine ›Klimaveränderung‹ im Salzburger Rathaus an und dachte dabei an ein leichtes Lüfterl, das die Nebelschwaden, die unsere Lokalpolitiker einhüllten, etwas heben würde. Wir aber verursachten einen Wirbelsturm, der nicht nur unsere Gegner völlig unerwartet traf, sondern auch uns selbst überraschte. Wir wurden herausgefordert, wurden nie als gleichwertige Mandatare, als demokratische Opposition akzeptiert. Wir wurden verspottet, diffamiert, verhöhnt und verleumdet. … Wir wurden Nestbeschmutzer, Rufmörder, Halsabschneider, Verleumder, Links- oder Rechtsradikale und was weiß ich noch alles genannt, weil den regierenden Parteifunktionären das Wesen der Demokratie nie bekannt oder längst fremd geworden war. Mir war unerklärlich, wie man berechtigte Kritik als Beleidigung empfinden konnte.«8 Für Eckehart Ziesel störten die Mandatare der Bürgerliste »den ›Frieden‹ der Einheitspartei (ÖVP, SPÖ, FPÖ) … 7 Fux  : Wiederkehr und Abschied. S. 87. 8 Hörl  : Die Salzburger Bürgerrevolte. S. 60 und 63.

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Die Bürgerliste 1977 bis 1982

Gewöhnt, ohne Opposition zu regieren und sich von niemandem ›dreinreden‹ zu lassen, reagierten die ›Alteingesessenen‹ sehr empfindlich, als sie sich plötzlich in die Rolle des Angeklagten versetzt sahen.«9 Das Agieren der Bürgerliste basierte auf drei Methoden  : 1. Anfragen, 2. massiver, teilweise maßloser Angriffe auf die politischen Akteure und Aktionen der medienwirksamen symbolischen Politik wie der Verleihung des Saurüssels, 3. der Kommunikation von Anliegen und vor allem Vorwürfen gegen die etablierte Politik mittels Flugblättern und – mangels Resonanz in den lokalen Medien – bezahlten Zeitungsinseraten, in denen u. a. auf die eigenen kommunalpolitischen Forderungen und die Ablehnung der Anträge durch den Gemeinderat verwiesen wurde. Thematisch konzentrierte sie sich auf vier Bereiche mit hohen Zustimmungsraten  : die Erhaltung der Altstadt inklusive der Erweiterung des Altstadterhaltungsgesetzes, die Erhaltung der Stadtlandschaft, vor allem des Grüngürtels im Süden, den Angriff auf vermeintliche oder tatsächliche Missstände im politischen System wie die Vermengung von Politik und Geschäft sowie die Forderung nach einer umfassenden Demokratisierung durch Transparenz der Entscheidungen und Kontrolle durch den »mündigen Bürger«. Bereits einen Tag nach der Konstituierung des Gemeinderats und der Wahl der Stadtregierung am 5. Dezember 1977 agierte die Bürgerliste gegen die massiven Eingriffe in die Bausubstanz der Altstadt. Das sich nach einem Umbau am 11. November präsentierende Modegeschäft Thalhammer in der Getreidegasse demonstrierte den stil- und sorglosen Umgang mit der historischen Bausubstanz. Das Thalhammer U (U = Unterpreis) »glänzte« im historischen Ambiente mit einer modernen Auslagenfassade à la Düsseldorf. Sowohl die Altstadterhaltungskommission wie auch das Bundesdenkmalamt hätten diese Bausünde verhindern können, lautete der Vorwurf. Die Bürgerliste, vor allem Herbert Fux, kritisierte den Umbau heftig und demonstrierte in der Altstadt gegen diese Bausünde mit einem Flugblatt mit dem einen Werbespruch des Geschäftes abwandelnden Titel »Mozarts hässlicher Nachbar«. In der nunmehr auf breiter Basis einsetzenden öffentlichen Diskussion wehrten sich die beiden angegriffenen Firmeninhaber, Ernst Thalhammer und Roman Pelka, gegen die erhobenen Vorwürfe und erklärten, man habe beim Umbau des Hauses Getreidegasse 7 mit der Zustimmung der Altstadtkommission und der städtischen Baubehörde gehandelt. Die Bausubstanz sei erhalten geblieben, keine Zwischendecken eingezogen und drei Stuckdecken erneuert worden. Zudem habe man einen der schönsten Innenhöfe der Altstadt renoviert. In Salzburg scheine das wirtschaftliche Denken abhandenzukommen. Man müsse sich als Unternehmer überlegen, ob man Buvorhaben in der Altstadt überhaupt noch durchführen könne. Thalhammer sei mit 280 Mitarbeitern ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor der Stadt.10  9 Ziesel  : Die grüne Bewegung am Beispiel der Salzburger Bürgerliste. S. 173. 10 SN 7.12.1977. S. 5.

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Gleichzeitig bestimmten die Ereignisse um das Altstadthaus Platzl Nr. 5 im November 1977 die öffentliche Diskussion, dessen Sanierungs- und Umbauarbeiten nach Angaben der Baufirma aus statischen Gründen nicht möglich waren, weshalb es einem Neubau weichen sollte. Hinter dieser Erklärung verbarg sich jedoch ein Vorgang, der die Aufmerksamkeit der Bürgerliste erregte, zumal sich die Mieter hilfesuchend an Neo-Gemeinderat Herbert Fux gewandt hatten. Das Haus wurde 1972 um einen geringen Preis von einer Privatperson erstanden, die die von der Baupolizei eingemahnte Beseitigung der Bauschäden nicht durchführte. Als Vermutungen einer Bauspekulation kolportiert wurden und die Bürgerliste dem zuständigen ÖVP-Vizebürgermeister Franz Kläring vorwarf, er unternehme nichts gegen die bevorstehende Demolierung eines unter Schutz stehenden Altstadthauses, erklärte der Besitzer, er plane lediglich eine Sanierung des Gebäudes, das er als Wohnsitz für seine große Familie erworben habe. Die bestehenden Mietverträge würden nicht angetastet. 1978 erklärte die mit den Sanierungsarbeiten beauftragte Baufirma sowie die Baubehörde der Stadt, das Haus sei akut einsturzgefährdet und müsse deshalb geräumt werden. In der Folge entbrannte ein Streit mit insgesamt 28 statischen Gutachten, der zu Jahresbeginn 1979 mit einem Teilsieg der Bürgerliste endete, als es einer Intervention von Herbert Fux beim Bundesdenkmalamt gelang, zumindest die untersten Geschoße und das Gewölbe unter Schutz zu stellen. Im Namen der Mieter des Hauses meldete Rechtsanwalt Theodor Kovarbasic am 19. Jänner 1979 in einem Schreiben an Bürgermeister Heinrich Salfenauer »die uns aus dem Fehlverhalten der Stadtgemeinde entstehenden Schäden im Rahmen der Amtshaftung an.« Durch die aufgrund des Bescheides des Bundesdenkmalamtes eingestellten Abbrucharbeiten sei zu befürchten, dass auch die Gewölbe zerstört würden. Die Mieter forderten daher die Stadt auf, unverzügliche Maßnahmen zu ergreifen, um eine weitere Zerstörung des Gebäudes und der nunmehr denkmalgeschützten Gewölbe zu verhindern.11 Die Befürchtungen von Theodor Kovarbasic sollten sich wenig später bestätigen und der von Herbert Fux errungene Teilsieg sich in Luft auflösen, als am 29. März eine Baumaschine umstürzte und das Gewölbe, in dem sich der Platzl-Keller, ein bekanntes traditionelles Gasthaus befunden hatte, zertrümmerte. Der Pächter des Platzl-Kellers war Sepp Forcher, der wenig später im ORF Karriere machen sollte. Wenngleich Herbert Fux von einer absichtlichen Zerstörung des Hauses sprach, verlangte Landeskonservator Walter Schlegel keinen Wiederaufbau. Die Folge war ein Neubau mit historischer Fassade. In diesem Fall mussten die Mieter das Haus verlassen und ihre alten Mietrechte erloschen, sodass der Hausbesitzer über das Objekt völlig frei verfügen konnte. Der Besitzer verkaufte schließlich das Objekt um das Doppelte der Baukosten. Auch dieser Fall eines historischen Hauses am rechten Sal11 SN 20.1.1979. S. 7.

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Die Bürgerliste 1977 bis 1982

zachufer war für die Bürgerliste ein Beweis für die zu geringe Wirksamkeit des Altstadterhaltungsgesetzes und der »Bauspekulation, die ihre Beutezüge keineswegs auf die systematische Verwertung der Stadtlandschaft beschränkt, sondern von Anfang an die bestehende historische Stadt mit einbezieht und sich auch hier der Duldung und der Untätigkeit von Politik und Verwaltung sicher sein kann.«12 Die von den Bürgerinitiativen und schließlich von der Bürgerliste veranlassten verstärkten Diskussionen über die Notwendigkeit einer Novelle zum Altstadterhaltungsgesetz 1967, das nur die Fassaden schützte, und die Ereignisse rund um das Haus Platzl Nr. 5 führten zu Jahresbeginn 1979 zu einer öffentlichen Diskussion. Der Forderung der Bürgerliste, neben der Fassade auch das Gebäudeinnere zu schützen, stieß zunächst bei der Gemeinderatsfraktion der ÖVP auf Skepsis. Diese vertrat die Ansicht, dass ein erheblicher Teil der Bausubstanz in der Altstadt sanierungsbedürftig sei. So gehörten rund 30 Prozent der noch in der Altstadt verbliebenen Wohnungen der Substandard-Kategorie an. Entsprechende Sanierungen, um die Innenstadt wiederum zu beleben und nicht zur Touristenkulisse mit einer entsprechenden Monokultur verkommen zu lassen, würden Eingriffe in die Bausubstanz notwendig machen. Am 23. Jänner 1979 erklärte ÖVP-Vizebürgermeister Franz Kläring in einer Diskussion über die Novellierung des Altstadtgesetzes, die Verwirklichung der Altstadt-Universität sei bei einem Schutz des Gebäudeinneren gefährdet, da man dann wohl schwerlich Hörsäle in die Altbausubstanz einbauen könne. Die öffentliche Meinung sowie SPÖ, FPÖ und Bürgerliste votierten jedoch für eine auch das Gebäudeinnere einschließende Novelle, die schließlich im Jänner 1980 vom Salzburger Landtag beschlossen wurde. Ironie der Geschichte  : Zwei Monate später wurde der historisierende Neubau Platz Nr. 5, einer der (Mit-)Anlässe für die schließlich erfolgte Novelle zum Altstadterhaltungsgesetz, fertiggestellt. Doch kehren wir zurück zum Beginn der Bürgerliste im Gemeinderat. Herbert Dachs bemerkte treffend, die der der grundsätzlichen Konfrontation weitgehend entwöhnte offizielle Politik habe »auf die massiven Frontalangriffe der neuen Gruppe zunächst belustigt und überrascht, dann hilflos verärgert und in verbaler Hinsicht ebenso maßlos wie nicht selten die Bürgerlistenvertreter« reagiert.13 Es gab jedoch auch unaufgeregte Wortmeldungen. So erklärte der Obmann der Jungen ÖVP, Franz Schausberger, am 19. November 1977, die ÖVP solle in all jenen Bereichen die Zusammenarbeit mit der Bürgerliste suchen, in denen eine sachliche Überstimmung bestehe.

12 Voggenhuber  : Berichte an den Souverän. S. 89. 13 Herbert Dachs  : Über die Verhältnisse von Bürger und Politik. – In  : Heinz Dopsch (Hg.)  : Vom Stadtrecht zur Bürgerbeteiligung. Festschrift 700 Jahre Stadtrecht von Salzburg. – Salzburg 1987. S. 346– 357. S. 353. (Salzburger Museum Carolino Augusteum Jahresschrift Band 33–1987.)

Der Kampf um die Stadt

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Da die über nur zwei Mandate verfügende Bürgerliste nach dem Stadtrecht in keinem Ausschuss vertreten war und keine Anträge stellen konnte, griff sie zum Mittel der Anfrage. Damit erreichte sie nicht nur die öffentliche Erörterung von Materien, die bisher in geheimen Ausschusssitzungen behandelt wurden, sondern auch das Bekanntwerden von Missständen wie der Steuerrückvergütung für Gemeindepolitiker in Millionenhöhe, der erheblichen Beträge von Mandatsfunktionen wie des Ausschussvorsitzenden und die Erhöhung der Parteienförderung um zwei Drittel oder der Verbindung von (Partei-)Politik und (Bau-)Geschäft. Eckehart Ziesel bemerkte in seiner Darstellung der ersten Jahre der Bürgerliste, dass diese in Ermangelung anderer Möglichkeiten ihre Anliegen »auf drei Kampfplätzen« austragen musste  : »Im Gemeinderat, auf der Straße durch Flugblattaktionen und im Gerichtssaal.«14 Die Bürgerliste vertrat die Auffassung, dass ein Teil der lokalen Medien, vor allem die »Salzburger Nachrichten« und der ORF, der Gründung der neuen Partei distanziert gegenüberstanden und – im Fall des ORF durch direkte Einflussnahme der etablierten Parteien, im Fall der »Salzburger Nachrichten« aufgrund des hohen Anteils von Inseraten der Bauindustrie, des Wohnungs- und Realitätenmarktes – die Anliegen der Bürgerliste weitgehend ignorierten. Richard Hörl sprach im Rückblick von »tendenziöser Nichtberichterstattung«.15 In einer Gegenstrategie griff man zum Mittel des Flugblattes und im Wahlkampf 1982 zu jenem der bezahlten Anzeigen in den »Salzburger Nachrichten«. Die Flugblätter wurden zum aufsehenerregenden und daher wirksamen Mittel der politischen Kommunikation, in denen u. a. die Bausünden Thalhammer U und Platzl Nr. 5, eine als notwendig erachtete Novelle zum Raumordnungsgesetz, um den überhand nehmenden Ausnahmebewilligungen Einhalt zu gebieten, Baulöwen und Politiker wie Alois Reinthaler und Hans Zyla thematisiert und teilweise mit heftigen Vorwürfen konfrontiert wurden. Die neue Form der politischen Kommunikation, die die etablierten Parteien zunächst ignorierten, sie jedoch in der Folgezeit weitgehend hilflos sah, bediente sich auch zahlreicher Formen der symbolischen Politik und des Spielerischen, wofür die Wiederbelebung der mittelalterlichen Eisenmaske, einen Schweinskopf darstellend, charakteristisch wurde. Dieser sog. »Saurüssel« wurde den am Pranger stehenden Übertätern aufgesetzt und sie damit öffentlich bloßgestellt. In den Jahren 1978 bis 1980 erfolgten insgesamt 6 Verleihungen des Saurüssels an Ernst Thalhammer, Alois Reinthaler, Polizeidirektor Hans Biringer, ÖVP-Vizebürgermeister Gerhardt Bacher, den Statiker Walter Ferstl und an ÖVP-Landtagspräsidenten Hans Zyla. Spektakulär und von größtem Interesse begleitet waren die Verleihungen an Ernst Thalhammer für dessen architektonische Sünde der Gestaltung seines Geschäfts in der Getreidegasse, an den an der zunehmenden Verbauung des Stadtteils Lehen be14 Ziesel  : Die grüne Bewegung am Beispiel der Salzburger Bürgerliste. S. 172. 15 Hörl  : Die Salzburger Bürgerrevolte. S. 69.

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Die Bürgerliste 1977 bis 1982

teiligten Immobilien- und Bauunternehmer Alois Reinthaler, dessen lange ungehindertes Wirken im Frühjahr 1978 die »Initiative für mehr Lebensqualität in Lehen« ins Leben rief,16 sowie jene an den ÖVP-Landtagspräsidenten und Geschäftsführer verschiedener Wohnbauunternehmungen Hans Zyla. Die Entscheidung der Bürgerliste, die Funktion einer aggressiven und aufmerksam kontrollierenden Opposition einzunehmen, hatte auch beabsichtigte polit-strategische Nebeneffekte. Sie erzielte Medienpräsenz und öffentliche Aufmerksamkeit und erfreute sich in ihrem Kampf gegen die sog. »Einheitspartei« und deren intransparente Politik der Verbindung von wirtschaftlichen und politischen Interessen wachsender Zustimmungsraten. In der Rolle des David gegen den allmächtigen Goliath spielte die Bürgerliste zudem »in einer Stadt wie Salzburg mit ihrer traditionell sehr hohen Nichtwählerquote stark auf vermutete diffuse Antiparteieneffekte an«, wobei sie sich als Alternative, als Sprachrohr des mündigen Bürgers und seines Rechts auf politische Mitsprache, in Szene zu setzen wusste.17 In dieser Rolle erhielt sie auch in16 Der Stadtteil Lehen litt seit den Sechzigerjahren unter einer zunehmenden Bautätigkeit und einer immer stärkeren Belastung der hier lebenden Bevölkerung durch den Verkehr. Einer der Hauptakteure dieser Bautätigkeit war Alois Reinthaler. Auslösender Faktor für das Entstehen der Initiative war die Errichtung eines siebenstöckigen Wohn-, Büro- und Geschäftshauses auf dem Grundstück des ehemaligen »Dantehofes«. Gegen diesen Bau setzten sich zunächst zwei Anrainer zur Wehr, die mit allen vier im Gemeinderat vertretenen Parteien Kontakt aufnahmen und sie aufforderten, die Errichtung des Hochhauses zu verhindern. Nur die Bürgerliste reagierte und Johannes Hörl vermittelte den Kontakt zu weiteren Einwohnern von Lehen, die mit der Wohn- und Lebensqualität in diesem Stadtteil unzufrieden waren. Am 27. Juni 1978 übergaben die Sprecher der Lehener Bürgerinitiative, Erna Gehmacher und Manfred Außerleitner, Bürgermeister Heinrich Salfenauer 4000 Unterschriften auf ihrer Forderungsliste. Dies entsprach beinahe der Hälfte der Wahlberechtigten in diesem Stadtteil. Die Forderungen beinhalteten einen Baustopp in Lehen, Maßnahmen gegen die zunehmende Lärm- und Abgasbelastung, die Rettung der letzten noch unverbauten Grünflächen und eine Mitsprache der Bürger bei den den Stadtteil betreffenden Planungen. (SN 28.6.1978. S. 5.) In der Folgezeit bildete der Stadtteil ein permanentes Thema der Beratungen des Gemeinderates. Zudem begannen die Parteien vor der Landtagswahl 1979 mit Bürgerversammlungen sich der Problematik anzunehmen, da man den Verlust von Stimmen an die nun auch auf Landesebene kandidierende Bürgerliste befürchtete. Eine im März 1979 in der von der »Initiative für mehr Lebensqualität in Lehen« herausgegebene »Lehener Zeitung« erschienene direkte Wahlempfehlung für die Bürgerliste und die nicht beschlossene Kandidatur des Sprechers der Initiative für die Bürgerliste führte zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten, die zum Erliegen der Initiative führten. Als die Stadt im Laufe des Jahres 1980 die Bewohner zum »Mitplanen und mitgestalten« ihres Stadtviertels aufrief und die ersten organisatorischen Maßnahmen durch die Gründung eines Stadtteilbüros und die Etablierung von Arbeitskreisen ankündigte, erfolgte am 12. November 1980 die Neukonstituierung der Initiative. (Vgl. Platzer  : Bürgerinitiativen in Salzburg. S. 188ff.; Gutmann  : »Bürgernähe« als neues Handlungsmuster lokaler Politik am Beispiel der Stadt Salzburg. S. 146ff.) 17 Herbert Dachs  : Die Salzburger Parteienarena 1975–1989. – In  : Ders., Roland Floimair, Ernst Hanisch, Franz Schausberger (Hg.)  : Die Ära Haslauer. Salzburg in den siebziger und achtziger Jahren. –

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direkte Informationen aus einer mit den herrschenden Verhältnissen unzufriedenen Beamtenschaft oder von informierten Privatpersonen. Im Laufe der Zeit begannen sogar die etablierten Parteien ein subtiles politisches Spiel über die Bande, indem sie der Bürgerliste Informationen zuspielten, um den politischen Kontrahenten in Verlegenheit zu bringen. Noch war es allerdings nicht so weit. Der Beginn der neuen Ära war von heftigen Turbulenzen und Stürmen gekennzeichnet. Die konfrontative, vor heftigen Verbalattacken nicht zurückschreckende Politik der Bürgerliste, ihre Angriffe auf das »Salzburger Klima« mit seiner de facto nicht vorhandenen Kontrolle, hatte Folgen, denn die so Angegriffenen reagierten vielfach mit Klagen. Die Folge war eine Fülle von gegen Mitglieder der Bürgerliste angestrengten Prozessen, aus denen hier nur zwei beispielhaft erwähnt seien  : jener wegen übler Nachrede von ÖVP-Gemeinderat Bruno Oberläuter sowie den SPÖ-Gemeinderäten Helmut Till, Helmut Stocker und Friedrich Esterbauer gegen Richard Hörl aufgrund von dessen Vorwürfen in der Sitzung des Gemeinderates am 27. Jänner 1979 und der von ÖVPLandtagspräsident Hans Zyla gegen Johannes Voggenhuber wegen übler Nachrede, Unterlassung wegen Kreditschädigung und Unterlassung nach dem Pressegesetz. Am 27. Jänner 1978 nannte Hörl in der Sitzung des Gemeinderates die Mitglieder des Planungsausschusses »Eides- und Gesetzesbrecher«. Der Bürgerliste-Gemeinderat beschuldigte den ÖVP-Abgeordneten und Obmann des Salzburger Siedlungswerkes, Bruno Oberläuter, dass dieser als Mitglied des Planungsausschusses unter Verletzung seiner Verschwiegenheitspflicht einen SPÖ-Mandatar angestiftet habe, die Medien über einen angeblichen Schwarzbau Hörls zu informieren. Damit habe er nicht nur gegen das Stadtrecht verstoßen, sondern sich auch eines Vergehens gegen die Verschwiegenheitspflicht schuldig gemacht, das strafrechtlich zu verfolgen sei. Der zweite Vorwurf an Oberläuter basierte auf dem umstrittenen Bauvorhaben der SPÖ-Baugenossenschaft »Salzburg« in Aigen (Runkwegsiedlung), dessen Entstehungsgeschichte, die Umwandlung von Grünland in Bauland und die Umgehung des Salzburger Raumordnungsgesetzes durch entsprechende Parzellierung, Eckehart Ziesel in seiner Eigenschaft als Sprecher einer Bürgerinitiative publik gemacht hatte. Hörl warf nun Oberläuter vor, von einer in dieser Causa erfolgten Absprache zwischen Land und Stadt gewusst und sich dadurch eines Gesetzesbruchs schuldig gemacht zu haben. Als Hörl zudem behauptete, in jeder der traditionellen Gemeinderatsfraktionen säßen Rechts- und Gesetzesbrecher, schlossen sich die SPÖ-Gemeinderäte Helmut Till, Helmut Stocker und Friedrich Esterbauer der Ehrenbeleidigungsklage Oberläuters an.

Wien/Köln/Weimar 2001. S. 53–115. S. 81. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politischhistorische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 13.)

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Am 27. Juni 1978 drängten sich bei tropischen Temperaturen rund 200 Personen in dem viel zu kleinen Verhandlungssaal 226 des Salzburger Landesgerichts. Begleitet vom Applaus der zahlreich erschienen Bürgerliste-Sympathisanten erklärte sich Hörl auf Frage des Richters Fritz Donabauer »nicht schuldig« und wies darauf hin, dass er als Gemeinderat einen Eid geschworen habe, seine Arbeit im Gemeinderat uneigennützig zu erfüllen. Die Gemeinderäte Till (SPÖ) und Oberläuter (ÖVP) seien Angestellte von Wohnbaugenossenschaften und hätten ihre Kenntnisse zu deren Wohl und nicht jenem der Stadt genützt.18 Hörl hielt seine Behauptungen aufrecht und bot dem Gericht den Wahrheitsbeweis für seine Behauptungen an.19 18 SN 28.6.1978. S. 5. 19 »1. Dem Beschuldigten wurde vor der Gemeinderatswahl 1977 in der Presse vorgeworfen, er hätte einen Schwarzbau aufgeführt. Dieser Vorwurf ist nicht richtig. Der beschuldigte wandte sich darauf an einen der sozialistischen Mandatare des Bauausschusses der Stadtgemeinde Salzburg und hielt ihm einerseits die Unrichtigkeit dieser Meldung vor und andererseits warum diese Meldung unter Verletzung der Verschwiegenheitspflicht an die Presse gegangen sei. Es war für den Beschuldigten klar, dass diese Mitteilung nur aus dem Bauausschuss gekommen sein konnte. Dem Beschuldigten wurde daraufhin erklärt, dass von sozialistischer Seite keine Information an die Zeitung gegeben worden wäre, sondern dass der Privatankläger an dieses sozialistische Bauausschussmitglied herangetreten sei und es ersucht habe, diese Information aus der Bauausschusssitzung in die Presse weiterzugeben. Der Privatkläger verwendete dabei sinngemäß die Worte, dass diese deshalb ein Fressen für die Presse wäre, weil der Beschuldigte, der sich sonst immer für die Einhaltung des Grünlandes einsetze, nun selbst nicht ordnungsgemäß vorgehe. Mit dieser Weitergabe an die Presse und zwar von einem Sachverhalt, der der Verschwiegenheitspflicht unterlag, wollte der Privatkläger offenbar im Wahlkampf für sich und seine Parteifreunde Stimmen zu Lasten der Vereinigten Bürgerinitiativen gewinnen. Der der ÖVP zugehörige Privatankläger wollte die Weitergabe an die Zeitung deshalb nicht selber machen, weil der Beschuldigte damals noch Mitglied des der ÖVP nahestehenden Wirtschaftsbundes war. Deshalb sollte eben dieser dem Bauausschuss angehörende sozialistische Funktionär die Informantenrolle für die Zeitung übernehmen. Der Privatankläger hat sohin ein sozialistisches Mitglied des Bauausschusses angestiftet, Mitteilungen an die Presse weiterzugeben, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren und aufgrund der Verschwiegenheitspflicht auch nicht an die Öffentlichkeit hätten herangetragen werden dürfen. Schenkt man den Ausführungen des sozialistischen Mitgliedes des Bauausschusses Glauben, so ist die Information nicht von diesem an die Zeitung gelangt  ; durch das Verhalten des Privatanklägers ist aber unschwer zu vermuten, wer letztlich hinter dieser Pressemitteilung steht. … Durch diese hier aufgezeigte Handlungsweise des Privatanklägers hat dieser aber nicht nur das Salzburger Stadtrecht verletzt beziehungsweise gebrochen – immerhin hat der Privatankläger als Gemeinderat in seinem Eid auf die Stadtverfassung unter anderem auch gelobt, die Verschwiegenheitspflicht zu erfüllen -, sondern darüber hinaus noch die in der Bundesverfassung Art. 20, Abs. 2 und in § 301 des Strafgesetzbuches normierte Verschwiegenheitspflicht. Dies wiegt gegenüber der Verletzung des Salzburger Stadtrechtes noch ungleich schwerer, und umso mehr hatte der Beschuldigte die Berechtigung, den Privatankläger Dipl. Vw. Bruno Oberläuter als Eides- und vor allem Gesetzesbrecher zu bezeichnen. 2. Der Privatankläger ist seit mehreren Jahren auch im Planungsausschuss der Stadtgemeinde Salzburg

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Da Bruno Oberläuter mit dem Hinweis auf die Tätigkeit des Bürgerlistenmandatars Eckehart Ziesel, Richter am Landesgericht Salzburg, das Salzburger Gericht wegen Befangenheit ablehnte, wurde das Verfahren an das Landesgericht Wels abtätig. Am 25. 11. 1970 bewilligte dieser Planungsausschuss unter klarer Umgehung des Salzburger Raumordnungsgesetzes für eine Liegenschaft der Siedlungsgenossenschaft ›Salzburg‹, deren Obmann der ehemalige Landeshauptmann-Stellvertreter Karl Steinocher ist, in Aigen, Runkweg, eine Ausnahmegenehmigung gemäß § 19 Abs. 3 des genannten Gesetzes. Dies war gesetzwidrig, weil eine Fläche von insgesamt 27.000 m2 umgewidmet wurde, wohingegen das Salzburger Raumordnungsgesetz damals lediglich eine Ausnahmegenehmigung für eine Umwidmung von insgesamt 10.000 m2 vorsah. Diese eindeutige Umgehung des Salzburger Raumordnungsgesetzes wurde dadurch ermöglicht, weil die ›Salzburg‹ die Liegenschaft auf dem Papier in drei gleiche Teilflächen unterteilte und dem Planungsausschuss drei gleichlautende Anträge um Ausnahmegenehmigung vorlegt. Nachdem die Magistratsdirektion in einem mehrseitigen Gutachten festgestellt hatte, dass hier eine Umgehung des Raumordnungsgesetzes vorliegen würde, weil es sich offenkundig doch um ein einheitliches Projekt gehandelt habe, legte die Genossenschaft ›Salzburg‹ später einen Plan vor, wonach auf den drei Teilflächen jeweils drei völlig getrennte Bauvorhaben zur Ausführung kamen, wobei dieser Plan einfach wahllos Wohnblocks in den drei Teilflächen auswies und keinesfalls den tatsächlich geplanten Bauvorhaben entsprach, weil zum Beispiel Wohnblocks in das Bachbett des die Liegenschaft durchfließenden Judenbergbaches – welcher aber in den Plan nicht aufgenommen wurde – situiert wurden  ! Obwohl den Mitgliedern des Planungsausschusses – also auch dem Privatankläger – auffallen musste, dass es sich bei dem vorgelegten Plan um eine Art Scheinplan handelte, wurde trotzdem die Ausnahmegenehmigung erteilt. Anlässlich einer Pressekonferenz vom 15. 9. 1977 … wurde auch von Seiten der Siedlungsgenossenschaft ›Salzburg‹ kundgetan, dass man sich diesbezüglich zwischen Stadt und Land geeinigt hätte. Daraus ist zu ersehen, dass die Mitglieder des Planungsausschusses bei der Abstimmung über die Umwidmung von der Absprache zwischen Stadt und Land Kenntnis gehabt haben mussten. Die Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde, der Salzburger Landesregierung, wie es das Raumordnungsgesetz vorsieht, wurde dadurch erreicht, dass die Salzburger Landesregierung innerhalb der sechswöchigen Versagungsfrist nicht tätig wurde, und die Genehmigung zu der genannten Umwidmung beziehungsweise Ausnahmegenehmigung als nachträglich für erteilt galt. Obwohl das Amt der Salzburger Landesregierung wegen Gesetzwidrigkeit des Ansuchens der Siedlungsgenossenschaft ›Salzburg‹ bereits eine Ablehnung der Umwidmungserklärung vorbereitet hatte, wurde plötzlich und ohne Begründung für die Dauer der sechswöchigen Versagungsfrist der Akt dem Beamten des Amtes der Salzburger Landesregierung entzogen. Dies offenbar, um der bereits genannten Absprache zwischen Stadt und Land nachzukommen. Nach Ablauf der sechswöchigen Versagungsfrist tauchte dann der Akt plötzlich wieder bei dem Beamten des Amtes der Salzburger Landesregierung auf und dieser musste den Akt als genehmigt an die Stadtgemeinde Salzburg zurücksenden. … Der Privatankläger als Mitglied des Planungsausschusses muss – und dies sei abschließend gesagt und klargestellt – von der genannten Absprache zwischen Stadt und Land gewusst haben. Diese Absprache war wider das Raumordnungsgesetz, sohin gesetzwidrig und konnte nur durch politische Organe in Stadt und Land zustande kommen. Wenn aber der Privatankläger an gesetzwidrigen Beschlüssen beteiligt ist, so ist er eben das, als was ihn der Beschuldigte bezeichnet hat, nämlich einen Gesetzesbrecher  ! … (…)« (Politiker vor Gericht. Die Wahrheitsbeweise  : »RETTET SALZBURG« veröffentlicht die Beweisanträge Hörls. Archiv des Instituts für politisch-historische Studien der Dr.-WilfriedHaslauer-Bibliothek Salzburg – AHB.)

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getreten. Auf Drängen des Gerichts nannte Hörl schließlich seinen Informanten aus der SPÖ-Fraktion – Josef Reschen. Reschen, inzwischen Bürgermeister der Stadt Salzburg, erschien jedoch aus terminlichen Gründen vor Gericht nicht, das schließlich am 17. November 1981 das Urteil fällte. Hörl wurde, da die von ihm erhobenen Anschuldigungen nach Ansicht des Gerichts nicht klar bewiesen werden konnten, zu einer Geldstrafe von 14.400 Schilling und der Bezahlung der Prozess- und Anwaltskosten verurteilt. Auch ein zweites, erheblich spektakuläreres, Verfahren wurde mit derselben Begründung der Befangenheit an ein oberösterreichisches Gericht, jenes in Ried im Innkreis, abgetreten  : der Prozess Hans Zyla gegen Johannes Voggenhuber. Das Zusammenspiel, die Vermengung von Politik und (Bau-)Geschäft, die Existenz von Doppel- und Multifunktionären in den etablierten Parteien, waren nach Ansicht der Bürgerliste ein Charakteristikum der Salzburger »Einheitspartei« SPÖ, ÖVP, FPÖ und des von ihr geschaffenen und dominierten speziellen »Salzburger Klimas«. »Das Angewiesensein großer Parteiapparate auf Spenden und Geldgeschenke bringt es mit sich, dass umgekehrt auch die Großspender Vorteile für ihre Firmen verlangen. In manchen Gegenden sind diese Finanziers Industriefirmen, in Salzburg ist es wegen der außerordentlich günstigen Vermarktungslage die Bauwirtschaft. Hauptaufgabe der Großparteien ist es, möglichst hohe Parteispenden zu erzielen. Diese sind wiederum von öffentlichen Bauaufträgen abhängig, wobei es den Baufirmen natürlich völlig egal ist, ob die Projekte für die Allgemeinheit sinnvoll sind oder nicht. Für die Politiker sollte dies nicht egal sein, da es sich ja um Steuergelder handelt.«20 Die Personifikation schlechthin dieses Verhältnisses war für die Bürgerliste Hans Zyla. Der 1919 in Niederösterreich geborene Hans Zyla konnte vor seinem Einstieg in die Politik und anschließend in das große Geschäft auf einen unauffälligen Lebenslauf verweisen. Nach der Matura am Neuland-Gymnasium in Wien studierte er slawische Sprachen, Literatur und Kulturgeschichte an den Universitäten Wien und Prag und schloss sein Studium mit dem Dolmetschdiplom und der Befähigung für das Lehramt an Höheren Schulen ab. Nach der Ableistung des Kriegsdienstes wirkte er von 1945 bis 1949 als Lehrer an der Handelsakademie in Salzburg und 1949 bis 1960 als Kammersekretär und Bildungsreferent der Salzburger Landarbeiterkammer. Gleichzeitig war er 1949 bis 1955 Landesobmann der Österreichischen Jugendbewegung und 1947 bis 1959 Bezirksobmann des ÖAAB im Flachgau. Aufgrund dieser politischen Funktionen zog er 1954 als ÖVP-Abgeordneter in den Salzburger Landtag ein, dem er bis 1979 angehörte. 1960 wechselte er in die Baubranche und wurde Vorstandsmitglied und Geschäftsführer verschiedener Wohnbauunternehmungen, u. a. der Bautreuhand-WEB-IMMAG. Zudem war er 1966 bis 1984 Vorstandsvorsitzender der Salzburger Sparkasse und ab 1961 Aufsichtsratsvorsitzender der Salzbur20 Fux  : Wiederkehr und Abschied. S. 152.

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ger Flughafengesellschaft. Die Verbindung von Politik und Geschäft wurde in seinen parallel zu seinen wirtschaftlichen ausgeübten politischen Funktionen deutlich. So war er 1954 bis 1979 nicht nur Abgeordneter der ÖVP zum Salzburger Landtag, sondern gehörte zwischen 1963 und 1979 dessen Präsidium an. Am 13. Dezember 1978 verteilte die Bürgerliste 10.000 Flugblätter in der Stadt Salzburg, die »ungeheure Grundstückspekulationen des ÖVP-Landtagspräsidenten Hans Zyla« behaupteten. Zyla sei, so das Flugblatt, »einer der Hauptnießer des jahrzehntelangen Ausverkaufs Salzburgs«, der aufgrund seiner politischen Ämterkumulierung und seiner zahlreichen Aufsichtsratspositionen in Wohnbaugenossenschaften weitgehend ungestört von jeder Opposition fuhrwerken konnte.21 Der von der Bürgerinitiative aufgegriffene und publik gemachte »Fall Zyla« erregte erhebliches öffentliches Interesse und wurde exemplarisch zu einem politischen Sittenbild, dessen erste Konturen im Jahr 1972 gezeichnet wurden. Im Sommer 1972 kaufte die von Zyla geleitete privatwirtschaftliche »Bautreuhand« Ges m. b. H. rund 20.600 m2 als Grünland gewidmete Grundstücke in Aigen um einen Preis von 604,37 Schilling pro m2. Motiv dieses Kaufs war eine mündliche Zusage von Politikern und Beamten, dass im Zuge des Stadtentwicklungsmodells 1970 diese Gründe in Bauland umgewandelt werden. Der damit erhoffte Gewinn in der Höhe von 19 Millionen Schilling schien sich jedoch in den folgenden Jahren in Luft aufzulösen, da sich eine von dem Richter Eckehart Ziesel geführte Bürgerinitiative vehement gegen die geplante Bebauungsdichte aussprach. Im Herbst 1976 war aufgrund des wachsenden Widerstandes mit einer ursprünglich geplanten Umwidmung nicht mehr zu rechnen, weshalb Zyla am 8. Oktober das gesamte Grundstück an die von ihm geleitete »Wohnungseigentumsbau«, gemeinnützige Wohnungsund Siedlungsgesellschaft m. b. H., um 1000 Schilling pro m² verkaufte, womit er einen Mehrertrag von 65 Prozent erzielte. Im Kaufvertrag war zudem die Klausel enthalten, dass das Risiko einer Nicht-Umwidmung vom Käufer zu tragen sei. Als Geschäftsführer der auch mit öffentlichen Fördergeldern arbeitenden »Wohnungseigentumsbau« unternahm Zyla mit dem Hinweis auf die bestehende Wohnungsnot und den Mangel an günstigen Wohnungen einen neuerlichen Versuch, die Umwidmung zu erreichen, wobei für die geplante Bebauung eine Bebauungsdichte von 0,95, d. h. fünf und sechsgeschoßige Häuser, vorgesehen waren. Eine solche Bebauung in einem von Einfamilienhäusern geprägten Gebiet bedeutet nicht nur eine massive Beeinträchtigung des Stadtbildes, sondern auch eine Überschreitung der im Stadtentwicklungsmodell 1970 für diese Gegend vorgesehenen Verbauung um mehr als das Fünffache.

21 Bürgerliste beweist  : Ungeheuerliche Grundstück-Spekulationen des ÖVP-Landtagspräsidenten Zyla. Flugblatt der Bürgerliste. (AHB)

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Die »Wohnungseigentumsbau« stand nach dem ausschließlich über Kredite finanzierten Kauf der Grundstücke unter Zugzwang, weil die erhebliche Zinsbelastung die Bilanz massiv belastete. Da eine Umwidmung trotz aller Bemühungen Zylas noch immer nicht in Sicht war, bot er die Grundstücke der Stadt Salzburg zu einem angeblichen Selbstkostenpreis von 1540 Schilling pro m2 an. Als bekannt wurde, dass das zur ÖVP ressortierende Grundamt den Kauf empfahl, bot ein Anrainer sein Grundstück der Stadt zu einem billigeren Preis an, worauf das Grundamt den Gesamtkaufpreis von ursprünglich, wie von Zyla gefordert, 31 Millionen auf 25,8 Millionen Schilling reduzierte, was einem Quadratmeterpreis von 1250 Schilling entsprach. Die Finanzabteilung des Magistrats sprach sich hingegen gegen den Kauf mit dem Argument aus, die Grundstücke würden seit jeher im Grünland liegen. Daraufhin kamen die Verkaufsverhandlungen ins Stocken, um am 13. Dezember 1978 aufgrund eines Vorschlags von ÖVP-Stadtrat Fritz Rücker zu einem Abschluss zu kommen. Rücker hatte vorgeschlagen, das Grundstück in Bau- und Grünland zu teilen, wobei die Stadt für den Quadratmeter Grünland 400 Schilling entrichten sollte, wodurch sich der Kaufpreis deutlich reduzieren würde. Die Grundstücke wurden am 13. Dezember 1978, gleichzeitig mit dem Erscheinen des Flugblattes der Bürgerliste, von der Stadt um 17,3 Millionen Schilling erworben. Zyla entgegnete den gegen ihn erhobenen Vorwürfen, für ihn bedeute die Abgabe des Grundes zu diesen Bedingungen ein »erhebliches Verlustgeschäft«. Die Bürgerliste verdrehe bewusst die Tatsachen und bewege sich damit am Rande der Verleumdung. Sie bediene sich damit eines üblen Wahlkampfstils gegenüber der ÖVP. Der Grundstücksverkauf von der »Bautreuhand« zur »Wohnungseigentum« sei wohnbaupolitisch notwendig gewesen, weil der ursprüngliche Boom freifinanzierter Wohnungen zu Ende gegangen sei. Um aber den Wohnungsbedarf der Salzburger Bevölkerung zu decken, dies sei nämlich die Aufgabe der gemeinnützigen »Wohnungseigentum«, habe diese das Grundstück zum Selbstkostenpreis des Verkäufers, d. h. inklusive der inzwischen angefallenen Kosten, gekauft. Dies sei zu diesem Zeitpunkt in Salzburg durchaus üblich gewesen. Er antwortet auf die im Flugblatt der Bürgerliste gegen ihn erhobenen Vorwürfe mit mehreren Klagen – Ehrenbeleidigung, üble Nachrede, Unterlassung wegen Kreditschädigung und nach dem Pressegesetz – vor allem gegen Voggenhuber, den Verfasser des Flugblattes. Aufgrund der großen öffentlichen Aufmerksamkeit sowie mehrerer kritischer Presseberichte sah sich die Salzburger Landesregierung veranlasst, eine Überprüfung der Finanztransaktionen durch den Prüfungsverband der gemeinnützigen Wohnbaugesellschaften zu veranlassen. Im Februar 1979 kam der Prüfbericht zu dem Ergebnis, dass die Transaktionen unbedenklich und der Vorwurf der Grundstücksspekulation unberechtigt seien. Allerdings war der Obmann des Prüfungsverbandes und dessen Aufsichtsratsmitglied, Siegfried Schieder, Kodirektor in Zylas Bauimperium. Dennoch gab sich die Salzburger Landesregierung mit dieser Entlastungserklärung zufrieden.

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Zyla blies jedoch aufgrund der massiven Angriffe der Bürgerliste im Vorfeld der Landtagswahl 1979 zum Rückzug und erklärte, mit Ende der Legislaturperiode aus allen landespolitischen Funktionen auszuscheiden und nur mehr die Funktion des Stadtparteiobmanns der ÖVP wahrnehmen zu wollen. Mit 31. Dezember 1978 legte er auch seine Funktion als Geschäftsführer der gemeinnützigen Wohnbaugesellschaft »Wohnungseigentum« zurück. Sein Nachfolger in dieser Funktion wurde Bernd Schiedek. Er scheide aus eigenem Wunsch aus dem Unternehmen, ließ er verlauten, und habe diesen Entschluss mit Blick auf die Vollendung seines 60. Lebensjahres bereits früher gefasst.22 Im Februar 1979 verkaufte Zyla seine 50-Prozent-Anteile an den von ihm bisher geleiteten Wohnbauunternehmungen an seine beiden Söhne Klaus und Joachim und Schieder verkaufte seine 30-Prozent-Anteile an die von seinem Schwiegervater geleitete »Besitzfestigungsgesellschaft m. b. H.«, 10 Prozent kaufte der Wiener Rechtsanwalt Herbert Pichler. Der von Zyla gegen Voggenhuber angestrengte Prozess wegen des Vergehens der üblen Nachrede, der Beleidigung und des Vergehens gegen das Pressegesetz23 wurde wegen geargwöhnter Befangenheit des Gerichts nach Ried im Innkreis verlegt. Am 25. Februar 1980 kam das Gericht zu einem bemerkenswerten Urteil, indem es Voggenhuber freisprach. Das Urteil referierte in seiner Begründung die Grundstückstransaktionen sowie die politischen Verhandlungen zwischen der »Wohnungseigentumsbau« und der Stadt Salzburg minutiös und kam zu bemerkenswerten Feststellungen, weshalb es hier ausführlicher zitiert sei. Voggenhuber habe am 14. Dezember 1979 aus der Zeitung erfahren, dass sich die gemeinnützige »Wohnungseigentumsbau« und die Stadtgemeinde Salzburg über den Kauf der Grundstücke um den Preis von rund 17 Millionen Schilling geeinigt hatten. »Er hatte von den Verhandlungen zwischen Vertretern der Stadtgemeinde und der gemeinnützigen ›Wohnungseigentumsbau‹ nichts gewusst, weil Kontakte zwischen der Fraktion Bürgerliste und den anderen im Gemeinderat vertretenen Parteien nicht stattfanden und den Vertretern der Bürgerliste in wesentlichen Dingen die Akteneinsicht verwehrt wurde … Es ging ihm darum, die Stadt Salzburg zu bewahren, den von der gemeinnützigen ›Wohnungseigentumsbau‹, in der der Privatankläger als Geschäftsführer fungierte, verlangten und seiner Ansicht nach bei weitem überhöhten Kaufpreis zu bezahlen … Erst nach der Verteilung des Flugblattes wurde ihm von einem Zusatzvertrag mitgeteilt, wonach sich die ›Salzburger Bautreuhand‹ am 8.10.1974 verpflichtet hatte, die Haftung dafür zu übernehmen, dass die ›Wohnungseigentumsbau‹ unter Berücksichtigung der für sie geltenden Ge-

22 SN 9.1.1979. S. 5. 23 Die Klage stützte sich bei der üblen Nachrede auf § 111 Abs. 1 und 2 StGB, beim Vergehen der Beleidigung auf § 115 StGB und beim Vergehen gegen das Pressegesetz auf § 30 Pressegesetz.

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meinnützigkeit rechtlichen Vorschriften kein wie immer gearteter Schaden aus dem Grundgeschäft treffen könne.24 Die von der Stadt Salzburg von der gemeinnützigen ›Wohnungseigentum‹ erworbenen Grundstücke sind nach wie vor unverbaut. Es ist geplant, eine Schule oder ein Pensionistenheim zu errichten. Die Grundstücke sind allerdings nach wie vor als Grünland im Flächenwidmungsplan ausgewiesen. Ein konkretes Projekt, das bis ins Planungsstadium gediehen wäre, besteht nicht … Der Beschuldigte war zum Zeitpunkt der Ausgabe des Flugblattes von der Richtigkeit der darin aufgestellten Behauptungen überzeugt … Im Hinblick auf die Qualität vieler Beweismittel als öffentliche Urkunden bzw. diesbezügliche Fotokopien kann der objektive Ablauf der Geschehnisse festgestellt werden … Was die Frage des Zeitpunktes der Einigung über den Grundstückspreis zwischen der Stadtgemeinde Salzburg und der gemeinnützigen ›Wohnungseigentumsbau‹ betrifft, ist im Hinblick auf die Aussage des Zeugen Dr. Rücker mit dem von ihm vorgelegten Aktenvermerk anzunehmen, dass die endgültige Einigung erst nach Erscheinen des Flugblattes erfolgte. Diesbezüglich sind dem Privatankläger und dem Zeugen Dr. Schiedek wohl ein Erinnerungsfehler unterlaufen. Die Frage, ob der sogenannte Zusatzvertrag vom 8.10.1974 tatsächlich an jenem Tag errichtet wurde, braucht in diesem Verfahren nicht geklärt zu werden. Der Umstand, dass der Aktenvermerk nur mehr in Fotokopie und nicht im Original vorgelegt werden kann, wirft natürlich gewisse Bedenken auf … Dass der Beschuldigte im Zeitpunkt der Veröffentlichung des Flugblattes nicht von der Einigung über den Kaufpreis wusste und auch nichts wissen konnte, geht aus dem Zeitpunkt der tatsächlichen Einigung hervor. Der vom Beschuldigten behauptete Informationsmangel kann ihm abgenommen werden, weil auch in parlamentarischen Demokratien immer wieder beobachtet werden kann, dass kleinen und unbequemen Gruppen der Zugang zu den für die politische Arbeit wesentlichen Informationen erschwert wird. In rechtlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass es das Bestreben des Beschuldigten war, den Ankauf der Grundstücke der gemeinnützigen ›Wohnungseigentumsbau‹ durch die Stadtgemeinde Salzburg um den Preis von mehr als 25 Millionen Schilling zu verhindern. Wird bedacht, dass es sich bei den gegenständlichen Grundstücken um Grünland handelte, muss ein derartiger Preis … als wesentlich überhöht bezeichnet werden. Gefahren im Hinblick auf die vielfachen Verflechtungen und Verknüpfungen von politischen Funktionären mit wirtschaftlichen Machtträgern, ja auch im Hinblick auf die Kumulierung wirtschaftlicher und politischer 24 Die Erstellung und Datierung dieses Zusatzvertrages, dessen Original nicht vorgelegt werden konnte, war umstritten. Bereits während der Affäre um die Grundstücksgeschäfte wurde die Vermutung kolportiert, dass der Zusatzvertrag zur Deckung der Grundgeschäfte bzw. -verkäufe erst post festum erstellt wurde, weshalb auch kein Original vorgelegt werden konnte.

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Machtbefugnisse in Händen politischer Funktionäre, mag den Beschuldigten zur Annahme veranlasst haben, er könne nur durch ein besonders drastisches Vorgehen die Stadt Salzburg und damit die steuerpflichtige Bevölkerung vor einem in die Millionen gehenden finanziellen Nachteil bewahren. Jedenfalls war die Wichtigkeit des Anliegens des Beschuldigten auch objektiv dazu angetan, intensiv mit drastischen Maßnahmen gegen eine Überzahlung des Grundstückes durch die Stadtgemeinde ins Felde zu ziehen. Allerdings stellen die Worte ›ungeheuerliche GrundstückSpekulation des ÖVP-Landtagspräsidenten Zyla‹ für sich allein noch keine ehrenrührige Behauptung dar. Wenn unter einem Spekulationsgeschäft ein waghalsiges Geschäft verstanden wird (Vgl. Definition im österreichischen Wörterbuch), so ist eine derartige Bezeichnung jedenfalls für ein Geschäft zulässig, mit dem ein nach dem gültigen Flächenwidmungsplan im Grünland befindliches Grundstück zu einem ›günstigeren‹ Preis erworben wird, um später auf diesem Grundstück bauen zu können. Nichts anderes hat jedoch die ›Salzburger Bautreuhand‹ mit dem Ankauf der Grundstücke um rund 12 Millionen Schilling getan.« Voggenhubers Äußerung, Zyla sei an ungeheuerlichen Grundstücksspekulationen beteiligt gewesen, wodurch in Salzburg Wohnungssuchende zum Freiwild für Spekulanten geworden seien, sei »als ehrenrührig anzusehen. Durch die in drastischer Weise aufgestellten Behauptungen sollte der Beschuldigte die Interessen seiner politischen Gruppierung, jedoch auch die Interessen der Bevölkerung wahren, was dem Anlass, nämlich einer möglichen und nicht unbeträchtlichen Überbezahlung der von der gemeinnützigen ›Wohnungseigentumsbau‹ an die Stadtgemeinde zu veräußernden Grundstücke angemessen, d. h. anlass- und ausführungsadäquat war.« Aufgrund der vollständigen Fremdfinanzierung des Grunderwerbs wären die Mieter bzw. späteren Wohnungseigentümer von der Wohnbaugenossenschaft mit Kosten konfrontiert worden, »die mit dem Verkehrswert der Grundstücke nicht im Zusammenhang standen. Es wären dies jedenfalls die in die Millionen gehenden Fremdfinanzierungskosten der ›Salzburger Bautreuhand‹ gewesen. Diese Kosten haben jedenfalls mit dem Verkehrswert des Grundstückes nichts zu tun … Durch den Kaufvertrag zwischen der gemeinnützigen ›Wohnungseigentumsbau‹ und der ›Salzburger Bautreuhand‹ wurde der letztgenannten jedenfalls das Risiko, das sie durch die Aufnahme des Fremdkapitals auf sich genommen hatte, abgenommen. Hätte nicht die Zusatzvereinbarung vom 8.10.1974 bestanden, nach der die ›Salzburger Bautreuhand‹ der gemeinnützigen ›Wohnungseigentumsbau‹ zur Vergütung eines allenfalls wegen zu hohen Kaufpreises im Hinblick auf den nach der Wohnbauförderung zu genehmigenden Weiterverkaufspreises entstehenden Differenzbetrages verpflichtet hatte, hätten die Mieter und Käufer der Wohnungen von der ›Wohnungseigentumsbau‹ die Fremdfinanzierungskosten der ›Salzburger Bautreuhand‹ zu bezahlen gehabt. Dass die ›Salzburger Bautreuhand‹ zur Bezahlung des Differenzbetrages verbunden war, konnte dem Beschuldigten jedoch auch bei Aufwendung der nötigen Sorgfalt nicht bewusst sein. …

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Es waren Gesellschaften, bei denen der Privatankläger jeweils Gesellschafter und Geschäftsführer war, die hier Geschäfte abgeschlossen haben. Dass dabei von der gemeinnützigen ›Wohnungseigentumsbau‹ jedenfalls die Zahlungen hätten geleistet werden müssen, die mit dem Verkehrswert der Grundstücke nichts zu tun hatten, wurde oben schon dargelegt. Deshalb kann auch den diesbezüglichen Ausführungen der Revisions- und Treuhandgesellschaft Salzburg Ges. m. b. H. und des gesetzlichen Prüfungsverbandes in rechtlicher Hinsicht nicht gefolgt werden. Wenn die Differenz zwischen dem Kaufpreis, den die ›Salzburger Bautreuhand‹ bezahlt hat und dem Kaufpreis, den sie von der ›Wohnungseigentumsbau‹ erhalten hat, als Spekulationsgewinn bezeichnet wurde, so ist dies sicherlich nicht zur Gänze zutreffend, weil die im Kaufpreis enthaltenen Architektenhonorare und andere Projektierungskosten sicher nicht dem Spekulationsgewinn zugeordnet werden können. Soweit jedoch die Mehrzahlung durch die ›Wohnungseigentumsbau‹ die Fremdfinanzierungskosten und andere mit der Errichtung des seinerzeitigen Vertrages verbundene Kosten der ›Salzburger Bautreuhand‹ betrifft, hat die ›Salzburger Bautreuhand‹ jedenfalls Zahlungen von der Wohnungseigentumsbau erhalten, die lediglich das Risiko der ›Bautreuhand‹ betrafen. Weil diese Kosten letzten Endes auf die Mieter bzw. Eigentümer der Wohnungen hätten überwälzt werden müssen, konnte der Beschuldigte die Formulierung gebrauchen ›und andere dafür bezahlen lässt‹.«25 Die von Zyla angekündigte Berufung gegen das Urteil erfolgte nie. Johannes Voggenhuber bemerkt in seinen Erinnerungen, es sei erstaunlich, dass seitens der anderen Parteien keine Reaktionen erfolgten und gibt als Erklärung für dieses Verhalten an, dass diese dubiosen Geschäftspraktiken in Salzburg kein Spezifikum, sondern gang und gäbe gewesen seien. Auch SPÖ-Wohnungsgenossenschaften hätten sich dieser Methode bedient, weshalb man kein Interesse an weiteren politischen Wogen zeigte. Die Ergänzung dieser Methode sei das für Salzburg typische Verhältnis von Architekten und Bauträgern gewesen. So sei es auffällig, dass in Salzburg nur wenige Architekten – sog. Haus- und politische Architekten – die lukrativen Planungsaufträge der Baugenossenschaften erhalten hätten und auch die in Salzburg ausgeschriebenen Architektenwettbewerbe ein weitgehend von lokalen Architekten dominiertes Ergebnis gebracht hätten. »In den sieben letzten Österreichweit ausgeschriebenen Salzburger Wettbewerben ist der erste Preis sechsmal an Salzburger Architekten gegangen, obwohl diese nur einen Bruchteil der Teilnehmer stellten.«26

25 Urteil des Kreisgerichtes Ried vom 25. Februar 1980. (7 E Vr 304/79) S. 16ff. 26 Voggenhuber  : Berichte an den Souverän. S. 87f. und S. 96f.

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3.1.1 Das Jahr 1979. Grenzen des Erfolgs und neue personelle Konstellationen bei den etablierten Parteien Die Bürgerliste hatte zwar bei der Gemeinderatswahl das insgeheim erhoffte Ergebnis von vier Mandaten deutlich verfehlt, verzeichnete jedoch mit ihrer neuen Form der Politik neben massiver Ablehnung auch zunehmend Sympathiebeweise. Vor dem Hintergrund einer sich wandelnden Politischen Kultur, die sich in der auf breite Zustimmung stoßenden Anti-AKW-Bewegung, in der sichtbar werdenden Dekonzentration des lange so stabilen Parteiensystems in urbanen Ballungsräumen vor allem in den Bundesländern durch die Hochkonjunktur von Bürgerinitiativen und in der Formierung zweier Grün-Parteien manifestierte, erhob sich für die Bürgerliste im Vorfeld der Landtagswahl am 25. März 1979 die Frage einer Kandidatur auf Landesebene. Am 24. Jänner 1979 gab die Bürgerliste ihre Kandidatur mit dem Spitzenkandidaten Johannes Voggenhuber, gefolgt von dem Sparkassenangestellten Walter Gerstendorfer, dem Metallarbeiter Manfred Außerleitner, der Hausfrau Dietlinde Kurz, dem Schauspieler Herbert Fux und dem Landesbediensteten Günther Abel, bekannt. Der Unmut über die ungenügende Raumordnung, Altstadterhaltung und Gemeindeaufsicht, die gesetzwidrige Vorgangsweisen gedeckt habe, seien die Hauptmotive für die Kandidatur, erklärte Voggenhuber in einer Pressekonferenz.27 Im beginnenden Wahlkampf bezeichnete sich die Bürgerliste in Anspielung auf die Opposition in den kommunistischen Ländern als »Bürgerrechtsbewegung«, was SPÖ-Landesparteiobmann Herbert Moritz zu der Bemerkung veranlasste, die Bürgerliste sei aufgrund der damit verbundenen Assoziationen einfach »nicht ernst zu nehmen«.28 Für den FPÖ-Landesparteiobmann Waldemar Steiner war die Bürgerliste bei der bevorstehenden Landtagswahl »chancenlos«.29 Diese Einschätzung war keineswegs nur von politischem Konkurrenzdenken geprägt, sondern durchaus realistisch. Die Bürgerliste war eine auf die Landeshauptstadt konzentrierte Bewegung, die in den Gauen weder über eine organisatorische Infrastruktur noch über die gewünschte positive Resonanz verfügte. Das neue Wahlrecht zum Salzburger Landtag forderte für eine landesweite Kandidatur die Beibringung von jeweils 100 beglaubigten Unterstützungserklärungen in jedem der fünf Wahlbezirke. Während dies der Bürgerliste in der Stadt Salzburg problemlos gelang, gestalteten sich ihre Bemühungen in den Gauen wenig ermutigend. Am 16. Februar musste Spitzenkandidat Johannes Voggenhuber eingestehen  : »Es läuft trotz vieler

27 SN 25.1.1979. S. 5. 28 SN 1.2.1979. S. 5. 29 SN 3.2.1979. S. 7.

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Anrufe in den Gauen zäh.«30 Mitte Februar 1979 wurden zudem deutliche Differenzen in der Bürgerliste publik, als die Präsidentin des Vereins »Vereinigte Bürgerinitiativen – Bürgerliste«, Gerda Bauer, die bei der Gemeinderatswahl 1977 noch an 5. Stelle kandidiert hatte, ihre Funktion zurücklegte. Als Begründung für diesen Schritt gab sie an, dass sie mit der Kandidatenkür für die Landtagswahl nicht einverstanden sei, da sie sich als Spitzenkandidaten einen Juristen und keinen Versicherungsangestellten wünsche. Zudem lehnte sie die Verwendung des Begriffs »Bürgerrechtsbewegung« durch die Bürgerliste als völlig unangebracht ab. Am 13. März war es amtlich. Der Bürgerliste war es nicht gelungen, landesweit zu kandidieren. Nur in der Stadt Salzburg hatte sie die erforderlichen 100 Unterstützungserklärungen erhalten, weshalb sie auch nur in der Landeshauptstadt wählbar war. Bei realistischer Betrachtung war auch nur eine Kandidatur der Bürgerliste in der Stadt Salzburg Erfolg versprechend. Bei der Landtagswahl lag, unabhängig von den Bestimmungen der Salzburger Landeswahlordnung, die 100 Unterstützungserklärungen in jedem politischen Bezirk als Voraussetzung für eine landesweite Kandidatur forderte, die Latte für die Erreichung eines Grundmandats in einem der fünf mit den politischen Bezirken identischen Wahlkreise erheblich höher als bei der Gemeinderatswahl in Salzburg, wo man bereits mit etwa 2,5 Prozent mit dem Einzug in den Gemeinderat rechnen konnte. Da sich das Wählerpotenzial der Bürgerliste vorwiegend in der Landeshauptstadt befand, war nur hier die Chance auf den Einzug in den Landtag gegeben. Zu diesem Zweck musste man allerdings den bei der Gemeinderatswahl 1978 erreichten Stimmenanteil von 5,6 Prozent auf mindestens 9 Prozent erhöhen.31 Diese Steigerung schien keineswegs unrealistisch, konnte man doch auf die wachsende Zustimmung in den Bereichen Kontrolle und Umweltschutz in der Stadt Salzburg hoffen. Die Attraktivität der Bürgerliste basierte vor allem auf ihrer Rolle als notwendiges politisches Korrektiv. Und diese Rolle hatte man seit dem Einzug in den Gemeinderat durchaus erfolgreich gespielt. Diese Hoffnungen sollten jedoch enttäuscht werden. Die Bürgerliste konnte zwar ihre Stimmen von 3839 bei der Gemeinderatswahl auf 4228 bei der Landtagswahl geringfügig steigern, blieb jedoch damit deutlich unter der 9-Prozent-Marke, die für die Erringung eines Grundmandats in der Stadt notwendig gewesen wäre. Ihr landesweiter Stimmenanteil betrug aufgrund ihrer Beschränkung auf die Stadt Salzburg lediglich 1,9 Prozent. Die Landtagswahl am 25. März 1979 und die kurz darauf folgende Nationalratswahl am 6. Mai hatten jedoch jenseits der enttäuschten Hoffnungen der Bürgerliste politische Folgen. Bei der Landtagswahl hatte die seit 1974 mit absoluter Mehrheit in der Landesregierung ausgestattete ÖVP unter ihrem neuen 30 SN 17.2.1979. S. 7. 31 Herbert Dachs  : Parteien und Wahlen in Salzburg. – In  : Ders. (Hg.)  : Parteien und Wahlen in Österreichs Bundesländern 1945–1991. – Wien/München 1992. S. 289–344. S. 336f. (ÖJP Sonderband 4.)

103

Der Kampf um die Stadt

Landesparteiobmann und Landeshauptmann Wilfried Haslauer sen. zwar rund 1000 Stimmen gewonnen, jedoch ein Mandat im Landtag und einen Regierungssitz an die seit 1976 von Herbert Moritz geführte SPÖ verloren, die der eigentliche Gewinner der Wahl war. Die SPÖ gewann rund 4000 Stimmen, während die FPÖ rund 8000 Stimmen verlor, jedoch aufgrund der Wahlarithmetik ihren Mandatsstand halten konnte. Ergebnisse der Landtagswahlen in Salzburg am 31. März 1974 und am 25. März 1979  :32 Partei

Stimmen 1974

Stimmen 1979

Prozent 1974

Prozent 1979

Mandate 1974

Mandate 1979

ÖVP

102.991

103.895

47,1

45,4

18

17 14

SPÖ

79.771

89.668

36,2

39,1

13

FPÖ

34.099

30.340

15,5

13,2

5

5

KPÖ

2569

937

1,2

0,4

0

0

BL

4228

1,9

0

Für die ÖVP nicht minder enttäuschend präsentierte sich das Ergebnis der Nationalratswahl, bei der die SPÖ mit dem am Höhepunkt seiner Popularität sich befindenden Parteivorsitzenden und Bundeskanzler Bruno Kreisky neuerlich die ÖVP zu überholen vermochte und damit den Trend seit 1971 fortsetzte. Prozente im Bundesland Salzburg von ÖVP und SPÖ bei den Nationalratswahlen 1971, 1975 und 1979 und Abstand zwischen beiden Parteien zugunsten der SPÖ  :33 Jahr

ÖVP

SPÖ

1971

42,5

45,2

Abstand zugunsten der SPÖ 2,7

1975

42,6

44,4

1,8

1979

43,0

44,9

1,9

Landeshauptmann Wilfried Haslauer sen. war entschlossen, die ÖVP personell und auch inhaltlich zu erneuern. Dabei galt es, Neukonstellationen auf zwei Politike32 ÖJP 1983. S. 630. 33 Herbert Dachs  : Das Parteiensystem im Bundesland Salzburg. – In  : Ders. (Hg.)  : Das politische, soziale und wirtschaftliche System im Bundesland Salzburg. Festschrift zum Jubiläum »40 Jahre Salzburger Landtag in der Zweiten Republik«. – Salzburg 1985. S. 125–188. (Schriftenreihe des Landespressebüros. Serie »Salzburg Dokumentationen« Nr. 87. Hg. v. Eberhard Zwink.)

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Die Bürgerliste 1977 bis 1982

benen – der Landes- und Gemeindepolitik in der Stadt Salzburg – herbeizuführen. Bereits vor dem Landesparteitag hatte Haslauer den Obmann der Jungen ÖVP, Franz Schausberger, zum Landesparteisekretär ernannt. Den Landtagsklub führte weiter Schausbergers Vorgänger als Obmann der Jungen ÖVP, Helmut Schreiner, während in der Landesregierung ein Wechsel im Finanzressort von Albert Steidl zu Anton Bonimaier erfolgte. Hans Zyla schied zwar aus der Funktion des Dritten Landtagspräsidenten, blieb jedoch Stadtparteiobmann der ÖVP und mit einem Saurüssel bedachtes Angriffsziel der Bürgerliste. Vizebürgermeister Fritz Kläring, der in der Causa Abbruch des Hauses Platzl Nr. 5 das Ziel zahlreicher Angriffe der Bürgerliste gewesen war, folgte der bisherige Klubobmann Gerhardt Bacher, dem die Bürgerliste bereits am 18. April 1980 einen Saurüssel für dessen behauptete Hintertreibung der Einführung direktdemokratischer Rechte und seine Mitwirkung an der Altstadtzerstörung verleihen sollte. Auch in der SPÖ erfolgten personelle Revirements, die den Aufstieg und die steile politische Karriere des jungen Gemeinderats Josef Reschen signalisierten. Am 11. Februar 1980 übernahm er von Alois Hanselitsch das Finanzressort, um am 12. September auch Bürgermeister Heinrich Salfenauer zu beerben. Der neue Bürgermeister und Finanzreferent hatte sich zwar im »Bund Sozialistischer Akademiker« einen Namen gemacht, verfügte jedoch über keine innerparteiliche »Hausmacht«. Reschen, der als Pragmatiker galt und bald hohe Popularitätswerte verzeichnete, konnte sich jedoch innerparteilich auf die Gewerkschaft in der Person von Vizebürgermeister Gerhard Buchleitner stützen. Damit hatten im Vorfeld der kommenden Gemeinderatswahl neue Spieler das Feld betreten. 3.1.2 Die »irreguläre Opposition« Neben den personellen Revirements eröffnete die SPÖ 1979 auch eine interne Strategiediskussion über den Umgang mit dem neuen politischen Mitbewerber Bürgerliste, dem man bisher relativ fassungslos und damit auch oftmals hilflos gegenübergestanden war. Am 3. August 1979 veranstaltete das Dr.-Karl-Renner-Institut im ÖGB-Jugendheim in der Auerspergstraße ein von Ernst Gehmacher vom IFESInstitut geleitetes Spezialseminar für Mandatare und Funktionäre. Die Zielsetzung der Veranstaltung wurde als »fundierte Auseinandersetzung« mit der »derzeitigen allmählich stärker werdenden Ausbreitung von Bürgerinitiativen, UmweltschutzBewegungen u. ä.« definiert.34 Ernst Gehmacher verortete in zahlreichen westlichen Demokratien das Entstehen einer »irregulären Opposition«, die »allgemein anerkannte Werte der Gesellschaft 34 Dr.-Karl-Renner-Institut  : Spezialseminar »Die Grüne Bewegung« (Umwelt-Bürgerinitiativen). Tagungsunterlage. S. 1. (AHB)

Der Kampf um die Stadt

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in Frage stellt, ohne aber eine Gegenideologie oder Gegenkultur zu vertreten  ; starke Gefühle und Leidenschaften wachruft  ; sich teilweise nicht an die demokratischen Spielregeln hält  ; allerdings auch kaum über straffe Organisation, Kampfmittel und Macht verfügt. Diese irreguläre Opposition manifestiert sich (in Österreich) vor allem durch 1. Technologiemisstrauen (Kernkraftwerkgegnerschaft) 2. Grüne Parteien (Umweltschutzparteien) 3. Wahlenthaltung (Demokratieverdrossenheit), insbesondere der Jugend 4. Obstruktive Bürgerinitiativen (Lokal-Egoismus).«35 Das Phänomen der irregulären Opposition müsse »nicht an sich als Übel betrachtet« werden. Es sei zu beachten, dass sie »immer aus einem fundamentalen Unbehagen gespeist ist  ; sehr oft (aber nicht immer) reale Probleme, wenn auch nur partieller Natur oder Minderheiten betreffend, aufzeigt und den darin Aktiven die Chance gibt, politisches Handeln im Rahmen der Demokratie zu erlernen.«36 Für das Entstehen einer Grünen Partei seien die Kritik an größeren Kraftwerks- und Verkehrsbauten, Streitfragen der architektonischen Stadtgestaltung und KernkraftwerksProteste in besonders hohem Maß verantwortlich. »Aus sich selbst heraus können Umweltschutzparteien nie groß genug zur Machtergreifung werden – es sei denn, sie verändern sich zu normalen politischen Parteien mit halbwegs klarer ideologischer Basis, einem Programm und Interessengruppen, die Kernwählerschichten bilden. Doch können sie zum Zünglein an der Waage eines Parteiengleichgewichts werden …«37 Gegenwärtig könne man das oftmalige Umschlagen von Bürgerinitiativen in obstruktive Bürgerinitiativen beobachten. »Bürgerinitiativen entzünden sich immer an realen Problemen – es sind aber vorwiegend Probleme kleiner Minderheiten und vorwiegend recht kleine Probleme wie prospektive Störungen durch neue Bauten, eine Straße, einen Staudamm, eine Überlandleitung oder der drohende Verlust eines lieb gewordenen Stückchens Umwelt. So lange die Bürgerinitiative nur den meist sehr engen Kreis unmittelbar Betroffener mobilisiert, erlangt sie kaum Gewicht, Vorhaben von einigem öffentlichen Nutzen zu behindern. Obstruktiv werden Bürgerinitiativen jedoch, wenn breitere Kreise sich mit dem realen Problem identifizieren, so dass auch Nichtbetroffene sich betroffen fühlen.«38 Prinzipiell gebe es »drei Vorgangsweisen demokratischer Politik gegen die irreguläre Opposition  :

35 Spezialseminar »Die Grüne Bewegung«. S. 5. 36 Ebda. S. 6. 37 Ebda. S. 10. 38 Ebda. S. 12.

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Die Bürgerliste 1977 bis 1982

+ Laissez-faire  : das Gewährenlassen, eventuell sogar unter Ausnützung für eigene kurzfristige politische Ziele, also mit Koalitionsbildung. + Repression  : Verhinderung oder Unterdrückung (im Anfangsstadium) im Einzelfall oder auch allgemein, auf gesetzlichem Weg oder durch Beeinflussungstaktiken (sozialer Druck, Überredung etc.). + Integration  : Eingliederung in die reguläre demokratische Politik, indem Ziele der irregulären Opposition von demokratischen Instanzen übernommen und engagierte Personen zum Aktivwerden in demokratischen Vorgangsweisen gewonnen werden. Die drei Vorgangsweisen mögen in der Praxis oft ineinander übergehen und schwer abzugrenzen sein. Im Einzelfall kann jede der drei Strategien den jeweiligen Umständen sinnvoll entsprechen. Langfristig und in der Summe gebührt aber der Integration eindeutig der Vorzug …«39 Sowohl Richard Hörl wie auch Johannes Voggenhuber erheben in ihrer Darstellung der frühen Geschichte der Bürgerliste den Vorwurf, dass man in Salzburg seitens der etablierten Parteien vor allem zum Mittel der Repression gegriffen habe. So berichtet Hörl, es habe Geschäftspartner gegeben, »die das Hörl-Brot oder die Hörl-Mehlspeisen nach und nach abbestellten … Als Quasi-Entschuldigung« habe man ihm zu verstehen gegeben, »sie würden von Kunden (Parteifunktionären, fast immer aus der ÖVP) dazu gedrängt.« Häufig seien auch »Zwischenfälle im Geschäft« durch »Nadelstich-Pressionen … in irgendeiner Form« provoziert worden. »Sie waren für die Dickhäuter unter uns nur lästig, die Feinfühligen, vor allem die Frauen, litten darunter und es flossen wegen derartiger Ungerechtigkeiten mitunter auch Tränen. Kleine Funktionäre und deren Mitläufer waren es, die sich hervortun wollten, um sich bei ihren Parteioberen beliebt zu machen. Ihr gemeinsames Ziel war  : uns, die Eindringlinge, nieder zu halten.«40 Nicht minder dramatisch gestaltete sich in der Darstellung Johannes Voggenhubers dessen 1980 erfolgte Entlassung aus seinem Arbeitsverhältnis als Schadensbearbeiter bei der »Interunfall«-Versicherung. Bereits zuvor hatten Bruno Oberläuter und Hans Zyla auf eine Kündigung Voggenhubers gedrängt, allerdings erfolglos. Dies änderte sich, als ein neuer Intervenient von erheblichem Gewicht für die Versicherung auftrat  : Rudolf Frey, Inhaber eines großen Autohauses und Schweizer Honorarkonsul. Ursache für die Intervention Rudolf Freys sei der im Sommer 1980 ausbrechende Streit um die von diesem vorgelegten Pläne für eine Generalsanierung des Altstadthauses Linzer Gasse 12 aus dem 14. Jahrhundert gewesen, die nach Auffassung der Bürgerliste einer weitgehenden De39 Ebda. S. 14. 40 Hörl. S. 137.

Der Kampf um die Stadt

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molierung gleichkamen. Der verbissene Widerstand der Bürgerliste und die mediale Unterstützung ihrer Bemühungen führten schließlich am 24. September zur Unterschutzstellung des Gebäudes durch das Bundesdenkmalamt, wodurch der geplante Teilabbruch des Gebäudes verhindert wurde. Kurz vor der Gemeinderatswahl am 2. September 1982 gab Rudolf Frey bekannt, dass, entgegen seiner ursprünglichen Absicht, nunmehr die historische Substanz des historischen Hauses erhalten bleibe. Rudolf Frey, der Besitzer des Hauses Linzer Gasse 12, war über die Intervention der Bürgerliste und die dadurch eingetretenen Verzögerungen der von ihm geplanten Sanierung irritiert und verärgert. Obwohl ihn Richard Hörl in einem Schreiben am 28. Juli aufforderte, von einer Intervention gegen Voggenhuber, der sich bei der Auseinandersetzung um das Haus Linzer Gasse 12 nicht exponiert hatte, Abstand zu nehmen, setzte Frey als einer der Großkunden der »Interunfall« diesen Schritt und drohte dem Unternehmen mit dem Abwandern zu einer anderen Versicherung, wodurch ein Schaden von 20 Millionen Schilling drohte und zehn Arbeitsplätze auf dem Spiel standen. Hatte die »Interunfall« den vorangehenden Interventionen noch widerstanden, so entschloss sie sich nunmehr zu einem drastischen Schritt. Sie stellte Voggenhuber vor die Wahl, entweder im Unternehmen zu bleiben und auf seine Tätigkeit in der Bürgerliste zu verzichten, oder aber aus dem Unternehmen auszuscheiden. Als Voggenhuber auf sein verfassungsmäßig garantiertes Recht der politischen Betätigung hinwies und auf die Alternative nicht eingehen wollte, wurde ihm bei einem Gespräch mit dem Personalchef mitgeteilt, dass man von ihm die sofortige Auflösung des Dienstverhältnisses mit 1. Oktober erwarte. Sollte er dieser Aufforderung nicht nachkommen, werde man entsprechende Wege und Mittel finden. Voggenhuber zog die Konsequenzen, kündigte und erklärte wenig später bei einer Pressekonferenz die Umstände, die zu seiner Entlassung geführt hatten, wobei er eine Tonbandaufzeichnung des Gesprächs mit dem Personalchef abspielte.41 Aus Solidarität mit dem Entlassenen verzichteten Herbert Fux und Richard Hörl auf ihr Mandat, um Voggenhuber die Möglichkeit zu geben, in den Gemeinderat einzuziehen. Da Voggenhuber jedoch nicht auf der Kandidatenliste für die Gemeinderatswahl 1977 aufschien, war dieser Schritt aus rechtlichen Gründen irrelevant. Jenseits des veränderten politischen Klimas, das nunmehr von zahlreichen Formen symbolischer Politik, heftigen Verbalattacken und Prozessen geprägt war, war die politische Wirksamkeit der Bürgerliste beträchtlich. Ihre zahlreichen Nadelstiche, mehr oder weniger berechtigt, führten zu einem allmählich einsetzenden Paradigmenwechsel, der sich vor allem in vier Bereichen manifestierte. 1. Die im Jänner 1980 beschlossene Novelle zum Altstadterhaltungsgesetz, die nach der Fassade auch das Gebäudeinnere in den Schutzbereich einbezog, war auch, 41 Voggenhuber  : Berichte an den Souverän. S. 99ff.

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Die Bürgerliste 1977 bis 1982

aber nicht nur, ein Ergebnis des durch die Bürgerliste sensibilisierten öffentlichen Bewusstseins für den Wert des historischen Erbes, das sich nicht nur in einer historisierenden Blendarchitektur, sondern in einem echten historischen »Gesamtkunstwerk« manifestierte. 2. Die Angriffe der Bürgerliste auf die zweifelhafte Einkommensteuerrückvergütung der Mandatare, die auch vom Rechnungshof kritisiert wurde, führten am 2. April 1980 zur Novelle des Stadtrechts, die eine (vorläufige) rechtliche Grundlage für dieses Vorgehen schuf. In weiterer Folge beschloss der Salzburger Landtag am 25. Februar 1981 eine Novelle zum Bezügegesetz, mit der die Bezüge der Politiker erhöht, jedoch voll versteuert wurden. Damit wurde auch die von der Bürgerliste so heftig kritisierte Einkommensteuerrückvergütung für Gemeinderäte beseitigt. 3. Die Bürgerliste wurde auch zum Förderer und Sprecher der sich zu Beginn der Achtzigerjahre formierenden Radfahrer-Bewegung, die mit Radfahrerdemonstrationen auf einen Ausbau des öffentlichen Verkehrs und des Radwegenetzes sowie die sukzessive Umwandlung Salzburgs zur Radfahrerstadt drängte. Die Politik reagierte auf den zunehmenden Druck am 7. Oktober 1981 mit einer RadwegeEnquete, in der sich alle Parteien für das Rad als umweltfreundliches Verkehrsmittel aussprachen. Am 15. März 1982 präsentierte Vizebürgermeister Waldemar Steiner das erste Radwegeprogramm mit einem Bauvolumen von 8 Millionen Schilling. 4. Die am 22. Oktober 1981 von der Bürgerliste erhobene Forderung nach einem Landschaftserhaltungsgesetz und einen zusammenhängenden Grüngürtel um die Stadt, in dem ein generelles Bauverbot gelten sollte, wies bereits den Weg zur Grünlanddeklaration. Ein erster Schritt in diese Richtung war bereits am 15. Jänner 1981 erfolgt, als Vizebürgermeister Gerhardt Bacher in seinem ersten »Pressecafé« die monatliche Erarbeitung eines »Grünen Berichts« über Umweltschutzmaßnahmen der Stadt ankündigte. Ein weiterer erfolgte am 30. Juni 1982 mit dem Beschluss des Gemeinderates, die so heftig umstrittene Südtangente durch das Leopoldskroner Moos, gegen deren Errichtung eine Bürgerinitiative rund 15.000 Unterschriften gesammelt hatte, nicht zu bauen.42 Die Auspizien für die Gemeinderatswahl am 3. Oktober 1982 schienen günstig. Eckehart Ziesel bemerkte im Rückblick  : »Die Mandatsperiode 1977 bis 1982, in der die Bürgerliste erstmals durch zwei Mandatare im Salzburger Gemeinderat vertreten war, zeigte in erschreckender Deutlichkeit die Notwendigkeit auf, sich im Wahlkampf 1982 in noch stärkerem Maße zu engagieren, um Entscheidungen dort 42 Bei diesem Beschluss wurde die Ambivalenz der Forderungen von Bürgerinitiativen deutlich. Für die Errichtung der Südtangente hatten die Bewohner der Sinnhubstraße und der Nussdorferstraße votiert, um eine Entlastung von dem ständig zunehmenden Durchzugsverkehr zu erreichen.

Der Kampf um die Stadt

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beeinflussen zu können, wo sie getroffen werden, nämlich in den Ausschüssen. Daher waren das Erreichen von vier Mandaten und der damit verbundene Einzug in die Ausschüsse das erklärte Wahlziel der Bürgerliste für die Gemeinderatswahl 1982. Die Chancen, dieses Ziel zu erreichen, standen nicht schlecht. Fünf Jahre härteste Oppositionsarbeit, die von den Mandataren Herbert Fux, Richard Hörl, Dr. Walter Gerstendorfer und Dr. Eckehart Ziesel geleistet worden war, hatte die etablierten Parteien in eine defensive Rolle gedrängt, auf die diese nicht vorbereitet waren und auf die sich auch nicht einstellen konnten. Die ständige offensive Information der Öffentlichkeit durch die Mandatare und durch Pressesprecher Johannes Voggenhuber hatte das Interesse der Bürger für das lokalpolitische Geschehen geweckt. Und zu den erprobten Kämpfern aus den großen Bürgerinitiativen waren neue Mitstreiter gestoßen, die ihre Begabungen in die gemeinsame Arbeit einbrachten.«43 Der Wahlkampf startete im Frühjahr 1982 mit dem Schwerpunkt, die Bürger zur Mitarbeit an der Gestaltung der Zukunft aufzufordern. Nicht eine bürgernahe Politik, sondern der freie Bürger als politisch handelndes Subjekt sollte angesprochen werden. Zwei Inseratenkampagnen in den Tageszeitungen,44 zwei Plakate mit dem Slogan »Freier Bürger oder Untertan  !« auf insgesamt 150 Plakatständern und ein drei Tage vor dem Wahltag auf dem Alten Markt errichteter Informationsstand bildeten die wesentlichen Werbemittel. Die Strategie schien Erfolg versprechend, da Meinungsumfragen ein mögliches Ergebnis für die Bürgerliste zwischen 15 und 16 Prozent und damit ein politisches Erdbeben signalisierten. Angekündigte Revolutionen finden nicht immer statt, doch am 3. Oktober bewahrheiteten sich die Prognosen. Die Bürgerliste erreichte 17,69 Prozent und wurde damit noch vor der FPÖ drittstärkste Fraktion im Salzburger Gemeinderat. Bei einer um rund 2500 gestiegenen Gesamtzahl der Wahlberechtigten und einem um 1,8 Prozent gestiegenen Anteil der Nichtwähler mussten alle drei traditionellen Parteien, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, Verluste hinnehmen. Während die SPÖ lediglich rund 1400 Stimmen einbüßte, zählten ÖVP und FPÖ mit Verlusten von ca. 3000 bzw. 4300 Stimmen zu den großen Verlierern. Die Bürgerliste gewann vor allem auf Kosten dieser beiden Parteien, wobei im Fall der ÖVP der durch die Attacken der Bürgerliste und die anschließenden Prozesse publik gewordene Fall des nach wie vor amtierenden Stadtparteiobmanns Hans Zyla eine nicht unerhebliche Rolle für die Verluste spielte. Im Fall der FPÖ gingen die Verluste zu einem 43 Ziesel  : Die grüne Bewegung am Beispiel der Salzburger Bürgerliste. S. 176f. 44 Die erste Inseratenkampagne präsentierte die programmatischen Positionen der Bürgerliste zu wesentlichen Bereichen der Kommunalpolitik wie Landschafts- und Umweltschutz, Bürgerrechte und Bürgerbeteiligung, Verkehr, Wohnen usw., die zweite diente der Offenlegung von Missständen, wobei besonders die Verbindung von Geschäft und Politik an den Pranger gestellt wurde.

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Die Bürgerliste 1977 bis 1982

erheblichen Teil auf das Konto von Vizebürgermeister Waldemar Steiner, der als für das Planungsressort zuständiges Stadtsenatsmitglied besonders heftigen Attacken der Bürgerliste ausgesetzt war und sich zudem, ähnlich wie Zyla, dem Vorwurf der Vermengung von Geschäft und Politik ausgesetzt sah. Ein Blick auf die Ergebnisse der einzelnen Wahlbezirke machte deutlich, dass die Bürgerliste vor allem in sog. bürgerlichen Bezirken ihre deutlichsten Zugewinne zu verzeichnen vermochte. Ergebnisse der Salzburger Gemeinderatswahlen am 2. Oktober 1977 und 3. Oktober 1982  :45 Abgegebene gültige Stimmen (absolut)

Abgegebene gültige Stimmen (in Prozent)

SPÖ

26.722

38,8

16

ÖVP

22.888

33,2

14

FPÖ

14.649

21,28

8

3839

5,58

2

624

0,91

0

133

0,18

0

25.367

36,91

15 12

Partei

1977

Wahlberechtigte (absolut)

Nichtwähler (in Prozent)

94.866

28,8

Bürgerliste KPÖ KB 1982 SPÖ

97.424

Mandate

28,6

ÖVP

19.987

28,95

Bürgerliste

12.153

17,69

7

FPÖ

10.300

14,99

6

KPÖ

470

0,68

0

VSO Gruppe Rebhandl

532

0,78

0

45 Herbert Dachs  : Die Karawane zieht weiter …  ? – Bemerkungen zur politischen Kultur in Salzburg. – In  : Erich Marx (Hg.)  : Stadt im Umbruch. Salzburg 1980 bis 1990. – Salzburg 1991. S. 9–36. S. 13. (Schriftenreihe des Archivs der Stadt Salzburg Nr. 3.)  ; Heinz Dopsch, Robert Hoffmann  : Geschichte der Stadt Salzburg. – Salzburg/München 1996. S. 623.

111

Der Kampf um die Stadt

Ergebnisse der Bürgerliste bei der Gemeinderatswahl am 3. Oktober 1982 in den einzelnen Wahlbezirken  :46 Wahlbezirk Parsch

Stimmen in Prozent

Stimmen absolut

26,15

1191

Aigen-Abfalter-Glas

23,21

733

Nonntal-Herrnau

20,84

1242

Josefiau-Alpenstraße

20,66

578

Riesenburg

20,64

468

Neustadt-Äußerer Stein

18,34

445

Altstadt-Mülln

18,19

282

Gneis-Leopoldskron-Morzg-Moos

17,82

876

Schallmoos

17,27

667

Elisabethvorstadt

16,90

Lehen

16,62

1350

541

Maxglan-Aiglhof

16,12

1088

Gnigl-Langwied

15,91

566

Liefering

14,16

915

Taxham

13,64

507

Itzling-Kasern-Sam

12,59

650

Im politischen Mikrokosmos der Stadt Salzburg hatte sich ein Erbeben vollzogen, das die politische Wettbewerbslogik deutlich veränderte. Was damals nur Optimisten hofften, sollte schließlich Wirklichkeit werden. Das Salzburger Ergebnis hatte, ähnlich wie jene in Graz und Innsbruck, eine politische Seismografenfunktion, die das Übergreifen dieser lokalen Verschiebungen auf die Landes- und Bundesebene, wenn auch mit zeitlichen Verzögerungen, signalisierte. Die politische Kultur und damit die politische Landschaft waren in Bewegung geraten und sollten zu neuen, bisher ungewohnten, Konstellationen führen. Die lange so stabile politische Landschaft erhielt Verwerfungen, die bereits mittelfristig zu einer völlig neuen führen sollten.

46 Ziesel. S. 179.

4.

Ökologie – Ein neues Generalthema der Politik

4.1 »Umwelt schützen, Radl benützen.« Jenseits der Bürgerinitiativen bildete sich Mitte der Siebzigerjahre der Nukleus einer Ökologiebewegung, die vom Kampf gegen die Atomenergie, vor allem gegen die Errichtung von Atomkraftwerken in Österreich, ihren Ausgang nahm. So entstand der »Arbeitskreis Ökologie« an der Universität Salzburg, der in Kooperation mit dem Österreichischen Naturschutzbund die Broschüre »Atomenergie. Informationen, Argumente, Kritik« in Eigenregie veröffentlichte. In der Einleitung wurde bekannt gegeben, dass sich der »Arbeitskreis Ökologie« vorwiegend aus Biologiestudenten der Universität Salzburg rekrutiere und seit einem Jahr bestehe. Er habe »sich zum Ziel gesetzt, Umweltprobleme zu bearbeiten und bekannt zu machen. Unser erster Schwerpunkt war das Thema Atomenergie (durch Kernspaltung). Dies deshalb, weil wir glauben, dass mit dem Bau von Atomkraftwerken vielleicht einer der größten und folgenschwersten Fehler gemacht wird. Aktuell ist das Problem für Österreich insofern, als in Zwentendorf (NÖ) ein Atomkraftwerk bereits errichtet wird, in Enns/St. Pantaleon eines geplant ist und sowohl in Bayern an der Grenze zu Österreich, als auch in der Schweiz (Rüthi) an der Grenze zu Vorarlberg Atomkraftwerke gebaut werden sollen. Im Kampf zwischen Gegnern der Atomenergie und deren Befürwortern bzw. Betreibern zeigt sich nun, dass die Betreiber viel stärker meinungsbildend wirken können als die Atomenergiegegner.«47 Die Atomenergiegegner würden trotzdem weiter arbeiten und alles unternehmen, um »kritische Gedanken und Informationen über die Atomenergie bekannt zu machen.« Die Gruppe sei in keiner Weise parteipolitisch fixiert, vertrete aber die Meinung, dass ökologische Probleme, vor allem jenes der Atomenergie, in höchstem Maße politische seien.48 Deshalb sei das Engagement aller gefordert. Dieses könne eine Reihe von Möglichkeiten – von Unterschriftenaktionen über öffentliche Bekenntnisse gegen Atomenergie bis zum Schreiben von Leserbriefen und Teilnahme an Diskussionsveranstaltungen – umfassen.49 47 Atomenergie. Informationen, Argumente, Kritik. Hg. v. Arbeitskreis Ökologie an der Universität Salzburg gemeinsam mit dem Österreichischen Naturschutzbund. – Salzburg o. J. S. 1. (AHB) 48 Atomenergie. S. 2. 49 Ebda. S. 75f.

»Umwelt schützen, Radl benützen.«

113

Am 7. Juli 1977 gründeten Mitglieder des »Arbeitskreises Ökologie« sowie weitere Umweltaktivisten die »Aktion Umwelt« als Dachorganisation, bestehend aus rund 20 Studenten, Lehrern und Angestellten, die die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift »alternative« publizierte. In der ersten Nummer definierten sich die Aktivisten als kritische Bürger im Sinne von Max Frisch – ein kritischer Bürger ist der, der sich in seine eigenen Angelegenheiten einmischt. »In diesem Sinn verstehen wir uns auch als Menschen, die das Denken nicht mehr den anderen überlassen wollen, wenn es um Entscheidungen für unsere Zukunft geht. Juristisch sind wir ein Verein, parteipolitisch sind wir unabhängig.«50 Die Mitglieder der »Aktion Umwelt« seien ein Teil einer sich entwickelnden kritischen Öffentlichkeit und hofften »auf eine neue, gewaltfreie, grüne Internationale.«51 Das Ergebnis der Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des Kernkraftwerks Zwentendorf52 gab der kleinen Gruppe Auftrieb, die sich damit aus dem belächelten minoritären Öko-Eck befreit wähnte. All diejenigen, die gegen die Inbetriebnahme Zwentendorfs gestimmt hatten, seien potenzielle Aktivisten und Sympathisanten, die es nunmehr anzusprechen gelte, um so den Boden für eine breite Alternativbewegung aufzubereiten. Mit der allgemeinen Forderung nach Nachhaltigkeit, der Bevorzugung überschaubarer Einheiten sowie einer generellen Wende der Energiepolitik stieß man bei erheblichen Teilen der offiziellen Politik in Salzburg auf offene Ohren und Türen. Vor allem in der Salzburger ÖVP hatte Landeshauptmann Wilfried Haslauer sen. Leopold Kohr zu einer politischen Leitfigur erkoren und in Reaktion auf den Ausgang der Volksabstimmung über Zwentendorf die Installierung eines Energierates des Landes Salzburg in die Wege geleitet, der Alternativen zur Atomenergie aufzeigen sollte. Die SPÖ konnte sich allerdings noch nicht zu dieser energiepolitischen Wende durchringen. Deren Landesparteivorsitzender und Landeshauptmann-Stellvertreter Herbert Moritz kommentierte die Bemühung Haslauers mit der ironischen Bemerkung, dieser wolle offensichtlich »die Wiedergeburt des Kachelofens als Ersatz für Kernenergie … propagieren.«53

50 Alternative Nr. 1/1977. Zeitschrift der »aktion umwelt«. S. 1. 51 Alternative Nr. 2/1977. S. 11. 52 Zur Auseinandersetzung um das Kernkraftwerk Zwentendorf Vgl. Christian Schaller  : Die österreichische Kernenergiekontroverse  : Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozess mit besonderer Berücksichtigung der Auseinandersetzung um das Kernkraftwerk Zwentendorf bis 1981. Phil. Diss. – Salzburg 1987  ; Robert Kriechbaumer  : Die Ära Kreisky. Österreich 1970–1983 in der historischen Analyse, im Urteil der politischen Kontrahenten und in Karikaturen von Ironimus. – Wien/Köln/ Weimar 2004. S. 209ff. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 22.) 53 SN 2.3.1979. S. 5.

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Ökologie – Ein neues Generalthema der Politik

Nach der erfolgreichen Volksabstimmung über die Inbetriebnahme von Zwentendorf, deren negatives Ergebnis auch von der »Aktion Umwelt« für sich mitbeansprucht wurde,54 erweiterte sich deren Tätigkeit auf weitere Felder wie den Verkehr.55 Die Organisation der ersten »Radfahrerdemonstration« im Juni 1979 mit rund 1300 Teilnehmern, die für den Vorrang des öffentlichen Verkehrs und gegen die Dominanz des Privatverkehrs in der Stadt und für den Ausbau des Radwegenetzes demonstrierten, wurde zum Erfolg. Selbst viele Autofahrer bekundeten Sympathien für das Anliegen und erklärten ihre Bereitschaft, im Falle eines besseren Radnetzes auf das Fahrrad umsteigen zu wollen. Die Reaktionen der Politik waren jedoch ungenügend, weshalb die »Aktion Umwelt« am 13. Juni 1981 die zweite »Radfahrerdemonstration« mit diesmal rund 2000 Teilnehmern organisierte. Ein Sprecher der »Aktion Umwelt« erklärte im Vorfeld der Demonstration, dass sich »am grundsätzlichen Denken der Verkehrsplaner … nichts geändert« habe und kaum konkrete Maßnahmen gesetzt worden seien. »Beim Autobahnknoten Nord verbaut man 700 Millionen Schilling, die Radfahrer speist man mit Almosen ab. Radfahren in der Stadt ist noch immer lebensgefährlich, immer mehr Autos verstopfen die Innenstadt, Busse bleiben stecken.«56 Der Ausbau des öffentlichen Verkehrs und des Radwegenetzes sowie die Ablehnung der nach wie vor geplanten Südtangente, in der man die Vorstufe für eine Stadtautobahn argwöhnte,57 bildeten die Kernpunkte des Forde54 In der Nr. 4/1978 der Zeitschrift »alternative« hieß es zum Ergebnis der Volksabstimmung über Zwentendorf  : »Das Wunder ist eingetreten. Trotz der großen Waffenungleichheit hat die Atomlobby die Propagandaschlacht verloren, die Mehrheit der Österreicher hat sich gegen Zwentendorf ausgesprochen. … (…) Nun gab es bei der ersten Volksabstimmung Österreichs, der ersten Entscheidung auf direkt demokratischem Weg, gleich eine Entscheidung gegen die erklärte Absicht der Regierung. Man kann ›gegen die da oben‹ also doch etwas machen. Das müsste doch für viele Menschen ein Anstoß und eine Ermutigung sein, ihr politisches Engagement nicht auf die Wahlzelle zu beschränken, außerdem ist das Abstimmungsergebnis eine Legitimation der Tätigkeit von Bürgerinitiativen und ähnlichen Gruppen, denn sie vertreten offenbar nicht zwingend die Interessen von Minderheiten, nur weil sie außerhalb der Parteien agieren.« (S. 3.) 55 Die Nr. 5/1978 der Zeitschrift »alternative« widmete sich mit einem Coverbild stauender Autos dem Thema Verkehr mit der Frage »Unser Weg in die 80iger Jahre  ?« Als Alternative zum Auto wurden die Förderung des öffentlichen Verkehrs und eine Chance für das Fahrrad durch den forcierten Ausbau von Fahrradwegen gefordert. (S. 12f.) Als Maßnahmen gegen den zunehmenden Individualverkehr griff man zu stark dirigistischen Vorschlägen wie generelle Geschwindigkeitsbeschränkungen (100/80 km), autofreie Tage, kleinere Autos mit schwächeren Motoren, Fahrgemeinschaften usw. (S. 7.) 56 Kronen Zeitung 10.5.1981. S. 19. 57 Dieser Punkt deckte sich mit der Forderung der Aktionsgemeinschaft gegen die Südtangente, die von den Bürgerlistenmandataren Johannes Voggenhuber und Eckehart Ziesel unterstützt wurde. Beide legten bei einer Demonstrationsveranstaltung im überfüllten Pfarrsaal von Leopoldskron ein hydrologisches Gutachten vor, nach dem im Falle der Realisierung des Projekts der Grundwasserspiegel gefährdet wäre. Die Aktionsgemeinschaft, die bereits rund 2000 Unterschriften gesammelt hatte, wies

»Umwelt schützen, Radl benützen.«

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rungsprogramms. Die »Salzburger Nachrichten« stellten in ihrem Bericht über die zweite »Radfahrerdemonstration« fest, es gebe offensichtlich mehr Radler als man denke. »Diese freundliche Demonstration im Zeichen der Hosenspange vereinigte viele Menschen, die sonst gar nicht leicht miteinander auftreten, auf den Sätteln. Alt und Jung, Lederhose und Blue Jeans, lang- und kurzhaarig. … Man demonstrierte für das Radl und das ›Radl‹ ist ein Synonym für Menschlichkeit  : ›Wir wollen eine menschengerechte Stadt, keine autogerechte‹, ›Umwelt schützen, Radl benützen‹ stand auf Transparenten und das Radl steht auch für alternativ schlechthin. ›Jute statt Plastik‹ ist da nicht weit, ›Nein danke‹ ist Trumpf  : ›Autos, nein danke‹, und ›Atom, nein danke‹ liegen da nicht fern.«58 Es gab jedoch nicht nur positive Kommentare. Siegbert Stronegger wies darauf hin, dass die Stadt 3,2 Millionen Schilling für den Ausbau des Radwegenetzes budgetiert habe und die Behauptung der »Aktion Umwelt«, dass angesichts der Nicht-Reaktion der Politik die Geduld der Radfahrer nunmehr erschöpft sei, an den Tatsachen vorbeigehe. Zudem sei das Forderungsprogramm der »Aktion Umwelt«, sofort durchgängige Radwege entlang der Salzach zu errichten, ein mit Abermillionen verbundenes Maximalprogramm, das erst in einigen Jahren verwirklicht werden könne. »Das geschlossene Radwegenetz kann man nicht einfach wollen wie ein Kind seine Eisenbahn unter dem Christbaum.«59 Die von Stronegger apostrophierten Wünsche an das Christkind blieben aber auf der politischen Agenda der »Aktion Umwelt«, die am 1. Juni 1985 die dritte »Fahrraddemonstration« organisierte. Man habe es »allmählich satt«, so das zur Demonstration aufrufende Flugblatt, »immer wieder die Nachteile des Autoverkehrs und die Vorteile von Rad und Bus zu erklären.« Noch immer vermisse man »entschlossene Maßnahmen der dafür zuständigen Politiker … Die Staatsbrücke ist für Radfahrer nach wie vor eine gefährliche Hürde. Sie sollte das ›Herzstück‹ eines attraktiven Radwegenetzes sein  !«60 Der Vorwurf an FPÖ-Stadtrat Dietrich Masopust, sowie an SPÖ und ÖVP, gerade hier nicht die notwendigen baulichen Maßnahmen für die Errichtung eines Radweges unter der Staatsbrücke voranzutreiben, war allerdings unberechtigt. Anlässlich einer Radwege-Enquete am 7. Oktober 1981 hatten sich Vertreter aller Parteien mit dem Argument, das Fahrrad sei das umweltfreundlichste Verkehrsmittel, für den raschen Ausbau des Radwegenetzes ausgesprochen. Und am 15. März 1982 präsentierte Vizebürgermeister Waldemar Steiner das Radwegeprogramm des Jahres 1982, das u. a. die Errichtung des Radwegs unter der Staatsbrücke vorsah. Die Bemühungen der Stadt um eine entsprechende Baubewilligung scheiterdarauf hin, dass durch den Bau der Südtangente 300.000 Quadratmeter Agrarland verloren gingen. (SN 28.8.1981. S. 7.) 58 Edgar Breuss  : Es gibt mehr Radler als man denkt. – In  : SN 15.6.1981. S. 5. 59 Siegbert Stronegger  : Strampeln. – In  : Salzburger Tagblatt 22.8.1981. S. 5. 60 AHB.

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ten zunächst allerdings an der fehlenden Einwilligung des Landwirtschaftsministeriums als Eigentümervertreter des öffentlichen Wasserguts (Salzach). Am 16. September 1982 schrieb deshalb Bürgermeister Josef Reschen an seinen Parteifreund, Landwirtschaftsminister Günther Haiden, ihm sei die Ablehnung des Radfahrweges wegen fachlicher Bedenken (Hochwassergefährdung) unverständlich. Die Fragen der technischen Durchführbarkeit seien in einem wasserrechtlichen Verfahren zu klären. »Da auch die Bevölkerung unserer Stadt wenig Verständnis für diese ablehnende Haltung des Ministeriums zeigt, ersuche ich Dich höflich, für eine Zustimmung des Ministeriums … einzutreten.«61 Doch es gab nicht nur wasserrechtliche Bedenken, sondern auch jene der Sachverständigenkommission für die Altstadterhaltung, die eine deutliche optische Beeinträchtigung des Altstadtensembles monierte. Die Radwegunterführung Staatsbrücke sollte die Stadtpolitik noch Jahre beschäftigen. Am 27. September 1985 erklärte Stadtrat Dietrich Masopust, dass nunmehr angesichts eines positiven hydrologischen Gutachtens der Universität Graz alle Voraussetzungen für eine neue Wasserrechtsverhandlung und eine optimale Lösung vorhanden seien. Damit sollte auch der Widerstand der Wasserrechtsbehörde des Landes und der Sachverständigenkommission für die Altstadterhaltung überwunden werden können. Nicht zu Unrecht sah die »Aktion Umwelt« in dieser Entwicklung auch das Ergebnis ihrer Aktionen. So hieß es im Editorial der Zeitschrift »alternative«, falls es doch zum Bau der Radwegunterführung komme, sei »das sicher auch zum Teil unser Erfolg. Nach der letzten Raddemo im Jahr 1981 dachten wir, dass Salzburgs Politiker jetzt von sich aus die durchgehenden Radwege an der Salzach realisieren würden. Nichts dergleichen. Erst die Raddemo in diesem Sommer und die schwerpunktmäßige Weiterarbeit an diesem Thema (viele Gespräche, Presseerklärungen, Inserat) haben die Wichtigkeit der Salzachradwege bei den entscheidenden Politikern wachgehalten.«62 Masopusts Optimismus sollte sich bestätigen. Nach einer positiven wasserrechtlichen Verhandlung wurden am 3. Dezember 1985 vier Architekten mit Vorschlägen für eine optimale städtebauliche Lösung beauftragt. Am 28. April 1986 entschied sich der Gestaltungsbeirat für das Projekt des Wiener Architekten Johann Georg Gsteu und am 30. Juni fasste der Gemeinderat gegen die Stimmen von BürgerlisteGemeinderat Herbert Fux und ÖVP-Gemeinderat Renatus Capek den entsprechenden Beschluss. Die »Aktion Umwelt« kommentierte den Entschluss mit der Bemerkung, dass damit das geforderte geschlossene Radwegenetz noch immer nicht in Sicht sei. »Aber, wenn’s wirklich wahr ist  : der r a dsteg auf der neusta dtseite wir d gebaut.

61 SN 23.9.1985. S. 5. 62 alternative Nr. 32/1985. S. 1.

Gegen die Wegwerfgesellschaft – Müll und Müllentsorgung

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Baubeginn soll – nach Stadtrat Masopust – der 20. Oktober sein. Wir werden es staunenden Auges zur Kenntnis nehmen.«63 Es war wahr und die Aktivisten durften die Spatenfeier am 20. Oktober 1986, bei der Stadtrat Masopust in einer Demonstration symbolischer Politik die Kopien sämtlicher Akten die Radfahrunterführung betreffend unter der Staatsbrücke vergrub, zur Kenntnis nehmen. Der symbolischen Politik war damit aber noch nicht Genüge getan. Bei der Eröffnung der Unterführung am 22. Mai 1987 mauerten Stadtrat Dietrich Masopust und Bürgermeister Josef Reschen eine Urkunde mit einer Auflistung aller 248 Verfahrensschritte bis zur Finalisierung des Projekts ein.

4.2 Gegen die Wegwerfgesellschaft – Müll und Müllentsorgung Auch die »Aktion Umwelt« bediente sich durchaus gekonnt des Repertoires der symbolischen Politik. So wurde bei einer Wahlveranstaltung der Salzburger SPÖ in Maxglan anlässlich des Gemeinderatswahlkampfes 1982 Innenminister Erwin Lanc in Vertretung des eigentlich gemeinten Handelsministers Josef Staribacher medienwirksam die aus aneinandergeketteten Getränkedosen sowie einer Zwei-LiterLeichtflasche bestehende Verdienstkette um die Müllberge Österreichs überreicht. Die Themen »Wegwerfgesellschaft«, »Müll«, »Müllvermeidung« und »Müllentsorgung« bildete einen Schwerpunkt der Arbeit der »Aktion Umwelt«64 und beschäftigten in zunehmendem Ausmaß auch die politische Tagesordnung. Hatte die jährlich im Bundesland Salzburg anfallende Müllmenge zu Beginn der Siebzigerjahre Mönchsberghöhe erreicht, so gab am 13. Dezember 1985 die Stadt Salzburg einen »Müllrekord« bekannt. Jeder Salzburger produzierte im Jahr 322 Kilo Müll, der zur Hälfte aus Verpackungsmaterial bestand. Müll und die weitgehend sorglose und unkontrollierte Müllentsorgung durch Kommunen in Deponien ohne Berücksichtigung des Sickerwassers und des Deponiegases, die weitgehend »wilden« Müllablagerungen der Landwirte auf ihrem Grund und Boden sowie die Vielzahl von privaten Müllentsorgungen außerhalb der Städte ließen in ganz Europa einen Problemhaushalt entstehen, der ab der Mitte der Siebzigerjahre auch zu einem entste-

63 Alternative Nr. 37/1986. S. 1. 64 Bereits die Nr. 3 der Zeitschrift »alternative« wies auf die Probleme der Wegwerfgesellschaft, die sich vor allem in den wachsenden Müllbergen manifestierten, hin. Die Produktion von Wegwerfgütern wie Einwegflaschen, Plastikbecher, Aludosen und unnötigen Verpackungen habe sich in den letzten Jahren vervielfacht und verursache zunehmend Probleme, weshalb durch eine Abkehr von dieser Produktionsform und ein weit gestreutes Recycling gegengesteuert werden müsse. (alternative Nr. 3/1978. S. 7ff.) Die Nr. 18 der Zeitschrift widmete sich ausschließlich dem Thema »Müllflut« und wies auf die enormen Umweltbelastungen durch Plastikflaschen hin. (alternative Nr. 18/1982.)

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henden Problembewusstsein führte, das das Thema »Müll« zu einem der zentralen Umweltthemen auf der politischen Agenda aufsteigen ließ. In Salzburg reagierte die Politik zu Jahresbeginn 1974 in Form eines Gipfelgesprächs zwischen Land und Stadt zum Thema Müllbeseitigung. Auf der Basis der dabei erzielten Übereinkunft erließ die Salzburger Landesregierung umfangreiche Richtlinien für die Anlegung und Führung von Mülldeponien, deren Einhaltung von den Bezirkshauptmannschaften überwacht werden sollten. Zudem wurde die Erarbeitung eines Abfallbeseitigungskonzepts beschlossen, das noch 1974 vom Landtag beschlossen wurde und die Gemeinden zur Müllentsorgung und zur kontrollierten Anlegung von Mülldeponien verpflichtete. Drei Jahre später wurde in der Stadt Salzburg erstmals flächendeckend eine Altglassammlung durch die Aufstellung entsprechender Container durchgeführt und damit die Ära der getrennten Sammlung – zunächst nur für Papier, Altglas, Alttextilien und Altmetalle – eingeleitet. In der Folge wurden zahlreiche problematische Altdeponien saniert oder geschlossen und zentrale Abfallbehandlungsanlagen mit angeschlossener Reststoffdeponie in Zell am See und Siggerwiesen geschaffen. In Siggerwiesen sollte eine zentrale Müllverbrennungsanlage entstehen, die jedoch 1976 durch Beschluss des Salzburger Gemeinderats durch eine vollbiologische Kläranlage ersetzt wurde. Die Einführung dieser Kläranlage verursachte allerdings erheblichen Gestank, der zu Bildung einer Bürgerinitiative führte, die mit der Blockade der Anlieferung drohte. Nur ein umfangreiches und rasch in die Wege geleitetes Sanierungsprogramm konnte eine Eskalation verhindern.65 Mitte der Achtzigerjahre verschärften sich jedoch die Proteste der Bürgerinitiative neuerlich, weshalb sich am 12. Jänner 1987 die Salzburger Landesregierung mit der »Salzburger Abfallbeseitigungsgesellschaft« (SAB) in Siggerwiesen beschäftigte. Dieser hatte Umweltanwalt Eberhard Stüber Fahrlässigkeit, Verunreinigung des Grundwassers und nicht erfüllte Behördenauflagen vorgeworfen, wodurch ernste Umweltprobleme entstanden seien. Diese Vorwürfe waren keineswegs aus der Luft gegriffen. Am 27. Jänner 1987 musste Bürgermeister Josef Reschen dem Salzburger Gemeinderat berichten, dass die notwendigen Sanierungsmaßnahmen in Siggerwiesen 105 Millionen Schilling erforderlich machen würden. Anfang Februar kam der als Gutachter für das Problem Siggerwiesen bestellte Stuttgarter Experte Oktay Tabasaran zu dem Ergebnis, die Schwierigkeiten der Abfallbeseitigungsanlage resultierten vor allem aus der Menge des angelieferten Mülls und der Sprecher der Bürgerinitiative Siggerwiesen, Helmut Haller, betonte, dass die täglich angelieferte Menge die Kapazität um 50 Prozent übersteige. Das Problem war virulent und betraf nicht nur die Stadt, sondern auch das Land Salzburg, für das Landeshauptmann Wilfried Haslauer sen. bei einer Besprechung mit Vertretern der 65 Dieter Pesendorfer  : Umwelt-, Energie- und Verkehrspolitik in der Ära Haslauer. – In  : Dachs, Floimair, Hanisch, Schausberger (Hg.)  : Die Ära Haslauer. S. 331–385. S. 352.

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Bürgerinitiative Siggerwiesen eingestand, dass das Land bei seiner Aufsichtspflicht über die Abfallbeseitigung zu tolerant gewesen sei. Die Bürgerinitiative nahm diese Erklärung zwar zur Kenntnis, beklagte sich jedoch am 31. Juli über den unerträglichen Gestank und die schweren Mängel der Großkläranlage und im Kompostwerk. Die Geschäftsführer der SAB, so ihr Vorwurf, seien offensichtlich mit ihrer Aufgabe völlig überfordert. Eine Müllverbrennungslage, die von Bürgermeister Josef Reschen als Lösung des Problems favorisiert wurde, lehnte die Bürgerinitiative mit dem Argument, dass solche Anlagen noch nicht ausgereift seien, ab. Vor allem die Dioxinemissionen einer solchen Anlage stellten ein Problem dar, das noch nicht gelöst worden sei, weshalb diese an allen Standorten auf erhebliche Widerstände der betroffenen Anrainer stoßen würden. Angesichts der stets wachsenden Müllmengen bildete jedoch die thermische Verwertung des Mülls für viele Experten eine unvermeidbare Lösung. So stellte Tabasaran in einem Gutachten für die SAB fest, dass neben verfahrenstechnischen Verbesserungen die thermische Verwertung der Restmengen in einem Müllheizkraftwerk mit einer Kraft-Wärme-Kopplung eine gangbare Lösung darstelle. Gestützt auf dieses Gutachten entschloss sich die Salzburger Landesregierung im Oktober 1987 für eine Neukonzeption der Abfallwirtschaft, wobei der thermischen Verwertung die zentrale Rolle zukommen sollte, da der Anfall von Abfall und Klärschlamm sonst nicht zu bewältigen sei. Die Landesregierung sprach sich für die Realisierung einer von der Alpine-Baugesellschaft projektierten Müllverbrennungsanlage in Siggerwiesen, in der der gesamte Müll des Bundeslandes verbrannt und so zur Stromerzeugung genutzt werden sollte, aus. Im Gegenzug sollten die Kompostwerke in Siggerwiesen und Zell am See geschlossen werden. Mit diesem Beschluss verabschiedete sich die Landesregierung von einem zwei Jahre zuvor erstellten Konzept einer gemischten Müllentsorgung. Nach Siggerwiesen wurden jährlich ca. 130.000 Tonnen Abfall angeliefert, von denen nach Verarbeitung rund 70.000 Tonnen übrig blieben. Von diesen waren 30.000 Tonnen Kompost, von denen wiederum die Hälfte in den Handel gehen konnte. Die Siebreste von 40.000 Tonnen hatten einen Heizwert wie Braunkohle und enthielten 75 Prozent der im Abfall enthaltenen Energie. Diese sollten in einer eigenen Anlage in Siggerwiesen oder im Heizkraftwerk Nord verbrannt werden. Unterstützung erhielt der nunmehrige Beschluss einer vollständigen Verbrennung durch ein neuerliches Gutachten von Tabasaran, das auf einer Tagung mit Fachbeamten und Wissenschaftern diskutiert wurde. Obwohl damit im Herbst 1987 ein fertiges Projekt vorlag, wurde es von der Bürgerinitiative mit der Begründung abgelehnt, mit dieser Lösung gehe ein Anreiz zur Müllvermeidung verloren. Die Verbrennung des gesamten Mülls bedeute zudem eine erheblich schlechtere Energieausnützung. Die Absicht, nur Storm zu gewinnen, reduziere die Verbrennungsenergie von 80 Prozent auf 40 Prozent. Eine zusätzliche Belastung der Anrainer von ­Siggerwiesen

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sei durch das erhöhte Verkehrsaufkommen nicht mehr zumutbar, weshalb für die geplante Müllverbrennungsanlage ein anderer Standort gefunden werden müsse. Unterstützung erhielt die Bürgerinitiative gegen die geplante Müllverbrennung in Siggerwiesen durch mehrere Wissenschafter der Universität Salzburg, die sich 1988 in einer Arbeitsgruppe innerhalb des »Forums österreichischer Wissenschafter für den Umweltschutz« organisierten und ein Alternativmodell, das auf dem Prinzip der Abfallvermeidung basierte, erarbeiteten.66 Durch die Solidarisierung der Bürgerliste und der Grünen mit der Bürgerinitiative der Siggerwiesen, die mit dem Slogan der Müllvermeidung gegen die geplante Müllverbrennungsanlage auftraten, stieg der Druck auf die Landespolitik, die sich nach wie vor zur Müllverbrennung bekannte. Noch am 25. März 1988 erklärte SPÖ-Landesrat Othmar Raus, das Projekt einer Müllverbrennungsanlage in Stegenwald, der möglichen Alternative zum Standort Siggerwiesen, sei aufgrund der rechtlichen und technischen Konstruktion des Rohstofflieferanten SAB in Siggerwiesen tot. Dennoch vertrete er die Auffassung, dass die Verbrennung des Mülls und die damit einhergehende Gewinnung von Wärme und Strom die geeignetste Form der Müllreduzierung darstellen, für die sich allerdings nach dem Stand der Entwicklung nur der Standort Siggerwiesen anbiete.67 Die Erklärung von Raus rief die »Bürgerinitiative Abfallbeseitigung« auf den Plan, die von »skandalösen« Äußerungen sprach und Blockaden der Zufahrtswege zur Müllverbrennungsanlage ankündigte. Man sei entschlossen, mit allen legalen Mitteln gegen die Errichtung einer solchen Anlage in Siggerwiesen vorzugehen.68 Gerhard Neureiter kritisierte die Wortwahl der Bürgerinitiative. Landesrat Raus habe nur seine Meinung, für die es durchaus gute Argumente gebe, geäußert. Ihn schon deshalb zu kritisieren, sei völlig überzogen und absurd. Dies komme einem Denk- und Sprechverbot und einer Meinungsdiktatur gleich.69 Und Gerhard Schwischei bemerkte kritisch in Richtung der Bürgerinitiativen, dass das ab 1. Jänner 1989 in Kraft tretende Sonderabfallgesetz erstmals dem Bund die Handhabe gebe, die Ein- und Ausfuhr von Sonderabfällen genau zu überwachen und nach dem Verursacherprinzip zu handeln. »Aber Sonderabfallgesetz und Verursacherprinzip schön und gut. Damit allein ist es nicht getan. Um gegen den Sondermüll-Tourismus und seine Mafia … anzukommen, müssen auch in Österreich verstärkt Möglichkeiten geschaffen werden, umweltgefährdende Abfälle entsprechend zu lagern oder zu verbrennen. Länder der Dritten Welt noch weiter als Kolonien zum Deponieren von Sondermüll zu benützen, ist ein moralisches Verbrechen. 66 Thomas Peer, Bernhard Raninger  : Salzburg und sein Müll. – In  : SJP 1989. – Salzburg/Wien 1989. S. 217–232. S. 223ff. 67 SN 26.3.1988. S. 7. 68 SN 28.3.1988. S. 7. 69 Gerhard Neureiter  : Was soll ein Politiker sagen  ? – In  : SN 29.3.1988. S. 1.

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Und da ist neben den Politikern auch der Durchschnittsbürger angesprochen. Es ist nicht vertretbar, die Vorteile einer Industriegesellschaft anzunehmen, mit den Nachteilen wie Luftverschmutzung oder den Problemen um den Sondermüll aber nichts zu tun haben zu wollen. Das, man muss es leider so bezeichnen, hysterische Geschrei von Bürgerinitiativen, das sofort zu vernehmen ist, wenn eine Gemeinde einen Standort für eine Sondermülldeponie zur Diskussion stellt, ist jedenfalls nicht Ausdruck verantwortungsbewussten Handelns mündiger Bürger.«70 Obwohl die Mehrheit der Landespolitiker nach wie vor die thermische Lösung bevorzugte, schwenkte man allmählich auf die Forderung nach Müllvermeidung ein und erklärte das Jahr 1989 zum »Jahr der Müllvermeidung« mit dem Ergebnis der Einführung der Biotonne. 1991 sprach sich die Landesregierung für Maßnahmen zur Müllvermeidung und -trennung aus und erklärte, die so heftig umstrittene Müllverbrennung sei vorläufig kein Thema. Im selben Jahr verabschiedete der Salzburger Landtag das Landesabfallgesetz (Sbg. AWG), nachdem 1990 der Bund das Bundesabfallwirtschaftsgesetz (AWG) beschlossen hatte, dem sich alle Landesgesetze die Abfallwirtschaft betreffend anzupassen hatten. Sowohl die Landesregierung wie auch die Gemeinden wurden zur Erstellung eines Abfallwirtschaftsplans inklusive der Namhaftmachung von Reststoffdeponien verpflichtet. Dabei trat das Spannungsfeld zwischen übergeordneten und Partikularinteressen in Form der Bildung von lokalen Bürgerinitiativen in den betroffenen Orten, von denen der Konflikt in Großarl 1995/96 für erhebliches Aufsehen sorgte,71 deutlich zutage. 1994 setzte sich die Landesregierung das ehrgeizige Ziel, den jährlichen Müllanfall bis zum Jahr 2000 auf die Hälfte zu reduzieren. Bereits drei Jahre später war dieses Ziel durch die konsequente Trennung des Mülls, wodurch die Restmüllmenge deutlich verringert werden konnte, erreicht. Das Thema »Müll« und »Müllentsorgung« verschwand jedoch nicht von der Tagesordnung der Landespolitik und der ökologisch motivierten Erregungskultur. Parallel zum Konflikt über die Deponie in Großarl erregte die Diskussion über den sog. »Mülltourismus« die Öffentlichkeit. Da in Salzburg Müllverbrennung im großen Stil nicht möglich war, wurde der Plan entwickelt, Müll aus Salzburg in der oberösterreichischen Verbrennungsanlage in Riedersbach/St.Pantaleon zu verbrennen und im Gegenzug Müll aus Oberösterreich in Siggerwiesen. Auch in diesem Fall formierten sich die Bürgerinitiativen der Anrainer in Oberösterreich und die inzwischen entstandene »Überparteiliche Salzburger Müllplattform«, die den mit 70 Gerhard Schwischei  : Kampf gegen die »Sondermüll-Mafia«. – In  : SN 9.11.1988. S. 1. 71 Zum Konflikt Vgl. Franz Horner  : Missbrauchtes Widerstandsrecht  ? Der Konflikt um die Müll-Deponie in Großarl. – In  : SJP 1997. – Salzburg/Wien 1997. S. 9–27  ; Ders.: Großarl – »die kleine Welt, in der die große ihre Probe hält  ?« – In  : SJP 1999. S. 151–153.

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dem Plan verbundenen sog. »Mülltourismus« ablehnten und anstelle der Müllverbrennung auf Müllvermeidung und alternative Lösungen setzten. Das angebotene Alternativkonzept war jedoch unrealistisch und hätte Salzburg bereits mittelfristig nicht den Bau einer großen Müllverbrennungsanlage erspart. Die Lösungskompetenz der von der Alternativbewegung so viel bescholtenen traditionellen Parteien sollte sich letztlich als zielführend erweisen. Oberösterreich verfügte in Wels und Lenzing bereits über zwei Müllverbrennungsanlagen, deren Wirtschaftlichkeit noch deutlich Luft nach oben hatten. Oberösterreich verzichtete auf den Bau einer dritten Verbrennungsanlage in Riedersbach/St.Pantaleon und erhöhte die Kapazitäten in Wels und Lenzing. Durch die Kapazitätserhöhung konnte Restmüll aus Salzburg verbrannt und die Rentabilität der beiden Anlagen erhöht werden.72 Erich Mild hat darauf hingewiesen, dass im internationalen Vergleich die Salzburger Bevölkerung ein hohes Maß an Abfallbewusstsein und eine hohe Mülltrennungsmoral auszeichne. Die Hoffnung, die absolute Müllmenge zu reduzieren, ging jedoch nicht in Erfüllung, der Müllberg wächst noch immer.73

4.3 »Bruder Baum« – Das Waldsterben Gerhard Strohmaier hat darauf hingewiesen, dass dem in den Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts mit apokalyptischen Visionen heftig diskutierten Waldsterben »der Ort als Medium der Erinnerung« fehlt. »Der Wald ist kein Ort, sondern sowohl eine kulturelle Vorstellung als auch eine Pflanzengesellschaft, ein Ökosystem. Er ist ein bestimmter Landschaftstyp, beispielsweise als ›Wienerwald‹. Als ›Gedächtnisort‹ für die Einstellung zu ›Umwelt‹ ist er jedoch von großer Bedeutung. Vor al72 Erich Mild  : Energie-, Klimaschutz- und Umweltpolitik in Salzburg 1989–2004. – In  : Herbert Dachs, Christian Dirninger, Roland Floimair (Hg.)  : Übergänge und Veränderungen. Salzburg vom Ende der 1980er Jahre bis ins neue Jahrtausend. – Wien/Köln/Weimar 2013. S. 601–638. S. 646. Trotz dieser Entwicklung sorgte die 1996 verabschiedete Deponieverordnung des Bundes zur Jahrtausendwende in Salzburg für eine neuerliche heftige Diskussion. Die Deponieverordnung sah bis 2004 die verpflichtende Verbrennung von Müll ab einem bestimmten Heizwert und die eingeschränkte Deponie von erdkrustenähnlichen Abfällen vor. Während die Salzburger Wirtschaftskammer und die Salzburger Abfallbeseitigung GmbH neuerlich auf die Errichtung einer Verbrennungsanlage in Siggerwiesen drängte, formierte sich die zwischenzeitlich aufgelöste »Überparteiliche Salzburger Müllplattform« neuerlich, um, unterstützt von den Grünen, den Widerstand gegen dieses Vorhaben zu organisieren. Die Landesregierung agierte zunächst zurückhaltend und entschied sich schließlich für eine ablehnende Stellungnahme zur Errichtung einer Müllverbrennungsanlage. Stattdessen sollte in Siggerwiesen eine mit erheblichen Investitionen errichtete mechanisch-biologische Aufbereitungsanlage inkl. einer Zugverladestation errichtet werden. Die für die Verbrennung bestimmten Mengen wurden mit der Bahn nach Oberösterreich transportiert. 73 Mild  : Energie-, Umweltschutz- und Umweltpolitik in Salzburg 1989–2004. S. 647.

»Bruder Baum« – Das Waldsterben

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lem in Mitteleuropa führte die Sorge um den Wald zu einer Mythenbildung, die für viele Menschen und soziale Gruppen zum Auslöser des Umweltbewusstseins wurde. Das Waldsterben ist ein besonderer Mythos der Umweltbewegung, in dem sich idealtypisch darstellt, wie der österreichische Gedächtnisort ›Umwelt‹ konstituiert wurde.«74 Fernsehberichte und ganze Serien über den »Bruder Baum«, massenmediale Horrormeldungen über übersäuerte Böden und ein akutes Baumsterben, unterstützt von zahlreichen Forstwissenschaftern und Biologen, konstituierten den Begriff auch als Medienerfindung, die sich des Betroffenheitskults zu bedienen wusste. So hieß es in der Zeitschrift »alternative«  : »Ein beklemmendes Gefühl macht sich in uns breit. Wir sind erschüttert über das Ausmaß. Was wir bis dahin über das Baumsterben und den sauren Regen gehört hatten, bekommt plötzlich eine erschreckende Anschaulichkeit. Anfangs lähmt uns die Betroffenheit, dann macht sie der Wut Platz. Die österreichische Umweltpolitik erscheint uns – die sterbenden Bäume vor Augen – noch jämmerlicher und orientierungsloser denn je.«75 Die Wissenschaft unterlag der Versuchung der medialen Präsenz und der zu lukrierenden Forschungsmillionen und produzierte Zahlen, die allmählich aufgrund des vermuteten Eigeninteresses der Forscher zunehmend auf Skepsis stießen. »Waldschäden wurden in den frühen Achtzigerjahren zuerst durch die Medien und dann auch durch die Wissenschaften aufgegriffen und in wechselwirkender Verstärkung zum erstrangigen Umweltthema im deutschsprachigen Europa gemacht. Das Thema wurde durch eine dreiteilige Artikelserie des Magazins ›Der Spiegel‹ Ende 1981 zum Medienereignis  : ›Saurer Regen‹ und ›Waldsterben‹ waren von diesem Zeitpunkt an für mehrere Jahre das Umweltthema schlechthin. In einer Analyse von Werner Pleschberger und in einigen Diplomarbeiten wurde die Entwicklung der Berichterstattung zum ›Waldsterben‹ analysiert. Einer Aufschwungphase des Themas von 1982 bis 1984 folgte ein Höhepunkt und ab 1985 eine rasche Abschwungphase, das Thema sei bereits 1986 ›gestorben‹.«76 Das Thema »Waldsterben« war jedoch nicht nur ein Medienprodukt und das Ergebnis zweifelhafter wissenschaftlicher PR-Tätigkeiten, sondern basierte auf einer messbaren deutlichen Zunahme der Luftverschmutzung. Es waren die energisch ergriffenen Maßnahmen der nationalen und regionalen Politik, die innerhalb einer relativ kurzen Zeit zu einer deutlichen Verbesserung der Situation in der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre führten. Eine nicht unerhebliche Rolle in diesem Prozess spielten Umweltinitiativen, denen es durch teilweise spektakuläre Aktionen gelang, 74 Gerhard Strohmaier  : »Umwelt«  : Österreichische Mythen, Topoi und Erinnerungen. Die Gedächtnis­ orte »Zwentendorf«, »Hainburg« und »das Waldsterben«. – In  : Emil Brix, Ernst Bruckmüller, Hannes Stekl (Hg.)  : Memoria Austriae I. Menschen, Mythen, Zeiten. – Wien 2004. S. 357–391. S. 371. 75 alternative Nr. 21/1983. S. 2. 76 Ebda. S. 372.

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nicht nur auf das Problem aufmerksam zu machen, sondern auch, unterstützt von zahlreichen Medien, ein entsprechendes Problembewusstsein in breiten Kreisen der Bevölkerung zu entwickeln, wodurch öffentlicher Druck auf die institutionalisierte Politik auf Bundes- und Landesebene entstand, mit einer breiten Palette von Maßnahmen dieser Entwicklung (erfolgreich) gegenzusteuern. Auf Bundesebene wurde mit einer Reihe von gesetzlichen Bestimmungen zur Reduktion der Schadstoffemission reagiert, von der das Dampfkessel-Emissionsgesetz 1980, die Aufwertung des bis dahin relativ kompetenzarmen Gesundheitsministeriums 1981, die Einführung des Bundesumweltamtes 1985, die bundesweite Einführung des Katalysators 1987 und verschärfte Abgasbestimmungen für Dieselmotoren und das flächendeckende Angebot an schwefelfreien Kraftstoffen, das Smogalarm- und Altlastensanierungsgesetz 1989 und das Ozongesetz 1992 beispielhaft erwähnt seien. In Salzburg erfolgte 1971 aufgrund des zunehmenden Drucks von Naturschutzorganisationen und Bürgerinitiativen der erste Schritt in Richtung einer Institutionalisierung der Umweltpolitik mit der Installierung einer Arbeitsgruppe bei der Landesamtsdirektion. Umweltschutz wurde in den Siebzigerjahren zunehmend als Querschnittsmaterie erkannt, wobei neben Lärm und Abfall das besondere Augenmerk der jungen Umweltbürokratie der Luft galt. Seit 1973 wurde an insgesamt 400 Stellen der Schwefeldioxydgehalt der Luft gemessen, 1978 erstmals ein Emissionskataster erstellt. In der ersten Hälfte der Achtzigerjahre folgten verstärkt Messungen der Luftgüte in Waldschadensgebieten. Obwohl eine Dienststelle für Umweltschutz geschaffen worden war, waren die Aufgaben des Umweltschutzes auf neun Abteilungen des Amtes der Salzburger Landesregierung verteilt. 1983 wurde diese bürokratische Zersplitterung durch die Schaffung einer Abteilung für Umweltschutz beseitigt, die in den folgenden Jahren deutliche personelle und finanzielle Zuwächse verzeichnen konnte. Kooperationen mit der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg sowie die bereits 1974 erfolgte Gründung des Instituts für Landesökologie unter der Leitung des Leiters des Hauses der Natur, Eberhard Stüber, schufen die Möglichkeit der Besorgung wissenschaftlicher Expertisen. Das Institut erarbeitete zahlreiche Vorschläge zum Gewässerschutz, zur Luft- und Seenreinhaltung und zum Abfallrecycling und wurde zu einem entscheidenden Impulsgeber der Landespolitik. 1975 erschien die im Auftrag von Vizebürgermeister Franz Kläring von Stüber herausgegebene Pionierstudie über die ökologische Situation in der Landeshauptstadt, in der zahlreiche Autoren erstmals einen umfassenden Umweltbefund – vom Baumbestand und dessen Gesundheitszustand über die Schwefeldioxydund Staubkonzentration in der Luft bis zur Lärmbelastung – vorlegten und eine Reihe in relativ kurzer Zeit realisierbarer Verbesserungsvorschläge unterbreiteten.77 77 Eberhard Stüber (Hg.)  : Studie über die umwelthygienisch-ökologische Situation der Stadt Salzburg. Gutachten im Auftrag der Stadt Salzburg. – Salzburg 1975.

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Die Studie erregte Aufsehen und wurde zum Vorbild für ähnliche Untersuchungen in anderen Gebieten Österreichs. Der Auftrag zu ihrer Erstellung erfolgte vor dem Hintergrund der sich in der Stadt Salzburg formierenden zahlreichen Bürgerinitiativen, die sich im Vorfeld der Gemeinderatswahl 1977 zur Wahlgemeinschaft »Vereinigte Bürgerinitiativen Rettet Salzburg – Bürgerliste« zusammenschlossen und mit zwei Mandaten in den Gemeinderat einzogen. 1982 feierten sie mit der Erringung von sieben Mandaten einen erdrutschartigen Sieg und stellten mit Johannes Voggenhuber einen Stadtrat. Wenngleich ihre 1979 und 1984 unternommenen Versuche eines Einzugs in den Landtag scheiterten, so war politischen Beobachtern klar, dass die neue politische Bewegung 1984 nur aufgrund interner Turbulenzen im Vorfeld der Wahl sowie des überraschenden Auftretens eines grünen Mitbewerbers den Einzug in den Landtag verfehlt hatte. Der Bürgerliste bzw. GABL wurde im Bereich des Umweltschutzes eine sehr hohe Kompetenz zugeschrieben und das von ihr vertretene politische Themenset stieß auf zunehmende Resonanz. Man musste der exklusiven Besetzung des Umweltthemas durch die Bürgerliste/GABL in der öffentlichen Wahrnehmung gegensteuern. In diesen Bemühungen wurde vor allem die ÖVP aktiv, da ein erheblicher Teil der Grün-Wähler und -Sympathisanten in Salzburg aus ihrem Wählerreservoir kamen. Zu Jahresbeginn 1981 kündigte ÖVP-Vizebürgermeister Gerhardt Bacher bei einem »Pressecafé« einen monatlichen Bericht der Stadt Salzburg über Umweltmaßnahmen an. Wenig später erfolgte in einem Stadt-LandGespräch der Beschluss für die Erstellung eines jährlichen Umweltschutzberichtes für das Bundesland Salzburg. 1985 folgte auf Landesebene mit der Installierung der »Landesanwaltschaft für Ökologie und Landschaftsschutz« und dessen Leitung durch Eberhard Stüber, der von Landeshauptmann-Stellvertreter Hans Katschthaler für diese Position vorgeschlagen worden war, ein spektakulärer Schritt. Stüber war ein allseits anerkannter Fachmann mit erheblichen organisatorischen Talenten, kein ökologischer Jakobiner, sondern stets auch auf das Machbare bedacht. Bei seiner Installierung stand die im selben Jahr erfolgte Installierung des Umweltbundesamtes auf Bundesebene Pate. Die neu geschaffene Landesumweltanwaltschaft Salzburg (LUA) wurde 1987 auf eine gesetzliche Basis gestellt, die ihre Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit festlegte.78 Damit konnte sie durchaus zu Recht als Anwalt der Umwelt auftreten. Die LUA würde, so die Hoffnung von Landeshauptmann Wilfried Haslauer sen., die teilweise hoch emotionalen Konflikte in Bereich des Umweltschutzes kanalisieren und kalmieren und damit eine stärker an pragmatischen Lösungen orientierte Diskussion ermöglichen. Und Landeshauptmann Haslauer war auch bereit, 78 Dies sollte zu zahlreichen Konflikten mit der Handelskammer und der Landwirtschaftskammer, teilweise auch mit der Arbeiterkammer und dem ÖGB, führen. Die Konflikte wurden noch dadurch verschärft, dass sie 1992 die volle Parteienstellung in allen naturschutzrechtlichen Verfahren und das Beschwerderecht an den Verwaltungsgerichtshof erhielt.

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die neu geschaffene Institution in zahlreiche Diskussions- und Entscheidungsprozesse einzubeziehen, wodurch zahlreiche Konflikte kalmiert werden konnten.79 Auch in Salzburg folgte das Thema des Waldsterbens den medialen Konjunkturen und damit verbundenen parteiübergreifenden Besorgnissen. Zu Jahresbeginn 1984 erklärte Landesrat Friedrich Mayr-Melnhof, Ende 1983 sei jeder achte Baum im Bundesland krank gewesen und habe sichtbare Schäden aufgewiesen. Insgesamt seien bereits 39.000 Hektar Wald geschädigt, während es 1981 nur 7000 Hektar gewesen seien. Am geringsten betroffen seien die Gebirgsgaue, während im Flachgau bereits ein Drittel der Bäume angegriffen sei. Angesichts dieser dramatischen Entwicklung sei die Bundesregierung gefordert, bis zur Jahresmitte entsprechende gesetzliche Regelungen zu einer deutlichen Verringerung der Luftverschmutzung durch eine Senkung der Grenzwerte, die Herabsetzung des Schwefelgehalts im Heizöl und strengere Auflagen für alte und ältere Heizanlagen zu verabschieden.80 Die Situation im Salzburger Zentralraum war besorgniserregend. Die Landesforstdirektion wies darauf hin, dass die Halleiner Papier AG 93 Prozent des Schwefeldioxyds in der Halleiner Luft produziere und für die massiven Schädigungen der Nadelbäume am westlichen Salzachufer und an dessen Hängen verantwortlich sei. Der Forstsachverständige Wilfried Luckmann erklärte, die offiziellen Angaben der Salzburger Landesregierung träfen nicht das ganze Ausmaß der Schädigung. Diese sei tatsächlich deutlich größer. Es seien daher einschneidende gesetzliche Maßnahmen dringend notwendig, sonst könne man »nur danebenstehen und zuschauen, wie die Bäume sterben«.81 Angesichts dieser Entwicklung wurde die »Aktion Umwelt« zu einem mit viel Aufmerksamkeit bedachten Multiplikator durch medienwirksam veranstaltete Besichtigungen der Bäume in Hellbrunn, an denen die ersten deutlichen Anzeichen des Baumsterbens diagnostiziert wurden. Diese Anzeichen habe man im Erzgebirge bereits vor 15 Jahren wahrgenommen, jedoch nichts dagegen unternommen, so ein Flugblatt der »Aktion Umwelt«. Das Ergebnis könne man beobachten. Um dies zu vermeiden, müssten rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Für den »Sauren Regen«, Hauptverursacher des bereits im Gang befindlichen Waldsterbens, seien vor allem die Salzburger selber verantwortlich, denn sie würden 80 Prozent davon produzieren und nur 20 Prozent seien importiert.82 In Kooperation mit 50 weiteren Bürgerinitiativen und Umweltgruppen in Österreich erstellte die »Aktion 79 Franz Kok  : Die Umweltanwaltschaft als Instrument der Umweltpolitik. – In  : SJP 1989. – Salzburg/ Wien 1989. S. 143–165  ; Karin Hofer  : Eine institutionalisierte Stimme der Natur  ? Die Salzburger Landesumweltanwaltschaft im Spannungsfeld zwischen Naturschutz, wirtschaftlichen Interessen und politischen Konflikten. – In  : SJP 1997. S. 50–67. 80 SN 4.1.1984. S. 5. 81 SN 9.1.1984. S. 5. 82 SN 14.11.1983. S. 7.

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Umwelt« am 5. Februar 1984 ein umfangreiches »Salzburger Forderungsprogramm zur Rettung des Waldes«, das von der drastischen Reduktion von Schwefeldioxyd und Stickoxyden über Energiesparen bis zur Förderung des öffentlichen Verkehrs reichte.83 Die Politik sei erst dann zu wirksamen Gegenmaßnahmen bereit, wenn der öffentliche Druck entsprechend hoch werde, so die Begründung.84 Um diesen Druck zu erhöhen, initiierte die neu formierte »Bürgerliste Salzburg-Land« (Grüne) am 3. Juli 1988 eine Volksbefragung zum Thema »Waldsterben«. In der Nr. 8 der von ihr herausgegebenen Landeszeitung »Die andere« stellte die Bürgerliste Salzburg-Land die Frage »Tatenlos zusehen, wie der Wald stirbt  ? … Nach letzter (1987) amtlicher ›Wald-Zustandsinventur‹ ist fast jeder sechste Salzburger Baum ›stark geschädigt‹ … stark geschädigt heißt, dass ein Baum nach langer und schwerer Krankheit mit gelichteter Krone kurz vor seinem noch verwertbaren Ende steht. Die Holzindustrie erspart uns den Anblick – vorerst.« Bäume würden nicht schreien, doch viele würden sie dennoch hören, weshalb man dem Baum am 3. Juli durch seine Teilnahme an der Volksbefragung eine Stimme geben solle. »Es sind keine bequemen Maßnahmen, die wir fordern, doch sollen sie ihre Wirkung nicht verfehlen.« Die Forderungen umfassten 5 Punkte  : 1. Tempo 80 auf allen Bundes- und Landesstraßen  ; 2. Tempo 100 auf der Tauernautobahn  ; 3. Besserer Wärmeschutz in allen Wohngebäuden und kostenlose Energiesparberatung  ; 4. Elektroheizungen nur mehr in begründeten Ausnahmefällen  ; 5. Ohne fundierte Umweltverträglichkeitsprüfung kein weiterer Tunnelausbau auf der Tauernautobahn.«85 Die Resonanz war bescheiden. Lediglich 3,9 Prozent der Wahlberechtigten nahmen an der Volksbefragung teil. Der Vorwurf an die institutionelle Politik, diese reagiere nicht auf die sich verschlechternde Umweltsituation, entsprach mehr der Logik der politischen Propaganda als den Tatsachen. Zu Jahresbeginn 1985 trat eine verschärfte Brennstoff-, Rauch- und Abgasverordnung in Kraft und ab nun wurden tägliche Luftgüteberichte veröffentlicht. 1986 folgte eine Luftreinhalteverordnung, die das Verbrennen von Altöl, Spanplatten, imprägnierten Hölzern und sonstigen Abfällen verbot, 1987 eine Festlegung von Immissionsgrenzwerten für Luftschadstoffe und von Immissionsgrenzwerten für Luftschadstoffe, 1992 ein computergesteuerter Emissionskataster, der die Anteile der verschiedenen Schadstoffe an der Gesamtemission den einzelnen Verursachern zuordnen konnte. Er ersetzte den seit 1978 erstellten Emissionskataster, der bereits in den Achtzigerjahren als den Hauptverursacher der hohen 83 Alternative Nr. 26/1984. 84 INFO-Z Nr. 12/1984. S. 26f. Vgl. auch Erzgebirge heute Österreich morgen  ? Hg. v. d. »Aktion Umwelt«. – Salzburg 1984  ; Forderungsprogramm gegen das Waldsterben. Beschlossen am 5. Februar 1984 in Salzburg als gemeinsames Forderungsprogramm von ca. 50 österreichischen Umweltinitiativen. (AHB) 85 Die andere. Informationen und Nachrichten der Bürgerliste Salzburg-Land (Grüne). Die andere Landeszeitung. Nr. 8/88. Juni/Juli 1988. S. 1.

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Schwefeldioxydbelastung und der von den Salzburgern als nicht mehr akzeptabel betrachteten Verschmutzung der Salzach die Papier- und Zelluloseindustrie in Hallein benannte. Ohne eine grundlegende Änderung der extrem hohen Schwefeldioxydemission und der durch Chlorbleiche massiv verunreinigten Industrieabwässer der Halleiner Fabrik waren alle Bemühungen um eine Verhinderung der sauren Böden und eine saubere Umwelt nur sehr eingeschränkt wirksam. Neben dem Waldsterben bildete daher der »Kampf um eine saubere Salzach« den zweiten Schwerpunkt der Aktivitäten der verschiedenen Bürgerinitiativen und der Grünen.

4.4 Für eine saubere (grüne) Salzach Mitte Februar 1984 veröffentlichten die »Salzburger Nachrichten« eine vom Institut für Grundlagenforschung (IFG) erhobene »Wunschliste der Salzburger«, die mit deutlichem Abstand den Wunsch nach einer sauberen Salzach an erster Stelle sah.

Wunschliste der Salzburger 1984 (Angaben in Prozent)  :86 Grüne Salzach

28,0

Mehr Rücksicht auf Radfahrer

14,3

Nationalpark Hohe Tauern

12,6

Offene Läden am Abend

9,6

Mehr Ehrlichkeit in der Politik

4,0

Spielstätten in der Innenstadt

3,3

Bessere Verkehrsregelungen

3,0

Eine andere Wohnung

2,8

Neue politische Kraft in der Gemeinde, bessere Luft, größere Fußgängerzone (jeweils gleiche Werte)

2,6

Weniger Verkehrslärm

2,0

Die restlichen 13 Prozent verteilten sich auf verschiedene Wünsche wie gegen Verschmutzung durch Hunde oder gegen rücksichtslose Radfahrer. Die Papier- und Zellulosefabrik der Firma Borregard in Hallein produzierte in den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts einen dreimal höheren Schwefeldioxydausstoß als jenen des gesamten Bundeslandes zur Jahrtausendwende. Die Chlorbleiche und der Holzaufschluss verursachten durch ihre in die Salzach geleiteten Abwässer eine dunkelbraune Verfärbung des Flusses mit entsprechenden Folgen für die 86 SN 15.2.1984. S. 5.

Für eine saubere (grüne) Salzach

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Wassergüte. Die massenhaft ausgesonderten chlorierten Kohlenwasserstoffe standen neben ihrer Umweltschädigung im Verdacht, krebserregend und erbgutschädigend zu sein.87 Da es sich dabei um kein salzburgspezifisches Phänomen handelte, beschloss die Bundesregierung in den Siebzigerjahren einen Sanierungsplan für diesen Industriezweig, um die umweltschädigenden Emissionen zu reduzieren, wobei man jedoch auf technische Probleme stieß, da eine umweltschonende Produktion nur bei einer – zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglichen – Umstellung auf chlorarme oder -freie Bleiche möglich war. Bis diese technische Möglichkeit gefunden war, musste man sich mit anderen Sanierungsmaßnahmen begnügen. 1973 kündigte Borregaard an, bis zum Jahr 1978 insgesamt 500 Millionen Schilling in Hallein zu investieren mit dem Ziel einer Reduktion der Schadstoffeinleitung in die Salzach auf nur mehr 5 Prozent der gegenwärtigen Menge. Das ehrgeizige Ziel erwies sich jedoch in dem angegebenen Zeitrahmen als nicht realisierbar, weshalb die Firma im Herbst 1977 beim Amt der Salzburger Landesregierung um Fristverlängerung für die Abwassersanierung ansuchte. Dabei bediente man sich auch eines wirtschaftspolitischen Drohszenarios, das im Fall einer Ablehnung seitens der Landesregierung mit Entlassungen oder sogar der Schließung dieses für die Region so wichtigen Betriebes drohte. Diese Drohung zeigte angesichts der krisenhaften Konjunkturentwicklung, die Mitte der Siebzigerjahre auch Salzburg erfasste,88 die beabsichtigte Wirkung. Der ressortzuständige Landeshauptmann-Stellvertreter Herbert Moritz (SPÖ) plädierte erfolgreich für die beantragte Fristverlängerung. Die internationale Wirtschaftskrise sowie die Probleme der gesamten Branche aufgrund des weltweiten Konkurrenzdrucks führten zum Verkauf der Firma Borregaard an den deutschen Papierkonzern Benckiser, der die Firma in Hallein in »Hallein Papier AG« (PWA) umbenannte. Damit wurde ein strukturelles Problem der Halleiner Produktionsstätte jedoch nicht gelöst, sondern nur weitergereicht  : die Abhängigkeit des Produktionsstandortes vom sich im Ausland befindenden Mutterkonzern. Das Problem wurde noch durch den Umstand erhöht, dass der Betrieb von erheblicher regionalstruktureller und beschäftigungsrelevanter Bedeutung war, wodurch sich die wirtschaftliche Labilität in Krisenfällen deutlich erhöhte und den wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum der Landesregierung erheblich einschränkte. Die regionale Wirtschafts- und Finanzpolitik stand in der ersten Hälfte der Achtzigerjahre vor einer dreifachen Herausforderung  : Angesichts des Verlustes der Vollbeschäftigung und eines Anstiegs der Arbeitslosenrate zwischen 1981 und 1983 von 1,8 Prozent auf 3,8 Prozent galt der Beschäftigungspolitik besondere Aufmerksamkeit, die jedoch durch das Ansteigen der Verschuldung der öffentlichen 87 Pesendorfer  : Umwelt-, Energie- und Verkehrspolitik in der Ära Haslauer. S. 364. 88 Christian Dirninger  : Grundzüge der Wirtschaftspolitik im Bundesland Salzburg in den sechziger und siebziger Jahren. – In  : Zwink (Hg.)  : Die Ära Lechner. S. 63–94. S. 84.

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Hand nur mehr eingeschränkt im keynsianischen Sinn antizyklisch agieren konnte. Als drittes Problem trat der auf immer breitere Akzeptanz stoßende Umweltschutz hinzu, dessen Realisierung mit mehr oder weniger hohen Kosten und damit drohenden Wettbewerbsnachteilen verbunden war. Benckiser, der Mutterkonzern der PWA, kämpfte an seinen europäischen Standorten nicht nur mit der zunehmenden internationalen Konkurrenz, sondern mit Umweltauflagen und staatlich verordneten Fristen zu deren Umsetzung. Unter diesen Bedingungen hatten Investitionen in die deutschen Werke absoluten Vorrang, während Auslandsstandorte wie z. B. Hallein in der Prioritätenliste nach hinten rutschten. Anfang der Achtzigerjahre wiederholte sich daher das Spiel der Siebzigerjahre, als die PWA wissen ließ, sie sei aus finanziellen Gründen nicht in der Lage, die wasserrechtlichen Auflagen zur Abwassersanierung termingerecht einzuhalten. Während Landeshauptmann Wilfried Haslauer sen. mit Blick auf die wichtige beschäftigungspolitische Position der PWA Verständnis zeigte, bestanden SPÖ, FPÖ und Bürgerliste auf der Einhaltung der Fristen. Daraufhin unterbreitete die PWA einen Sanierungsplan mit einem Mittelaufwand von 1,2 Milliarden Schilling, wofür allerdings 792 Millionen Schilling von der öffentlichen Hand kommen sollten. Der Plan sah als Kernpunkt eine Verfahrensumstellung inklusive einer deutlichen Emissionsreduktion und den Bau einer biologischen Kläranlage vor. Dieses Konzept fand die Unterstützung der SPÖ, für die Landeshauptmann-Stellvertreter Herbert Moritz und Landesrat Sepp Oberkirchner Anfang Oktober darauf hinwiesen, dass mit dieser Großinvestition, von der der Bund rund 700 Millionen Schilling übernehme, nicht nur die Arbeitsplätze in Hallein gesichert, sondern auch ein wesentlicher Schritt in Richtung einer grünen Salzach gesetzt werde. Die begeisterte Enunziation der SPÖ-Spitzenrepräsentanten stieß allerdings auf Skepsis vor allem bei der »Aktion grüne Salzach«, die die Frage aufwarf, ob für die Sicherung von rund 150 Arbeitsplätzen der Einsatz so hoher Mittel gerechtfertigt sei, zumal die Frage noch nicht definitiv beantwortet sei, ob die PWA die Zelluloseproduktion in Hallein überhaupt aufrechterhalten werde.89 Nach der wasserrechtlichen Verhandlung im Dezember 1982 erfolgte am 12. und 13. Dezember 1983 in Hallein die Eröffnung der öffentlichen gewerberechtlichen Verhandlung, in deren Vorfeld die überparteiliche »Aktion grüne Salzach«, eine Plattform von insgesamt 26 Interessengruppen und Institutionen,90 nicht nur zur 89 SVZ 8.10.1983. S. 5. 90 Der Plattform gehörten folgende Institutionen, Vereine und Interessengruppen an  : Aktion »Bürger für Bürger«, überparteiliche Initiative Salzburg, Aktion Umwelt, Alternative Liste Österreichs, Arbeitskreis Grüne Politik, Bürgerliste Salzburg, FPÖ Salzburg-Stadt, Junge Generation der SPÖ Salzburg Stadt und Land, Junge ÖVP Salzburg, Kuratorium der Peter-Pfenninger-Schenkung, Landes-Fischereiverband Salzburg, Modell Salzburg 2000, Österreichischer Naturschutzbund, Österreichische Naturschutzjugend, ÖVP Salzburg Stadt und Land, Salzburger Arbeiterfischerverein, Salzburger

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Teilnahme, sondern auch zur Deponierung der Einwände aufrief. In einer vom ORFLandesstudio Salzburg am 22. November 1983 veranstalteten Podiumsdiskussion zum Thema PWA hätten die Klubobmänner Helmut Schreiner (ÖVP) und Hellfried Schuller (FPÖ) betont, »dass bei einem projektierten Aufwand von 1.200 Millionen Schilling nur das im Sinne des Umweltschutzes bestmögliche Verfahren der Zelluloseerzeugung und dieses zum ehestmöglichen Zeitpunkt von der Hallein Papier AG anzuwenden sei. Nach ernstzunehmenden Informationen, die der ›Aktion grüne Salzach‹ vorliegen, gibt es bereits weit weniger umweltbeeinträchtigende Zelluloseaufschließungsverfahren als das von der Hallein Papier beantragte.«91 Zwei Tage später wurde von der »Aktion grüne Salzach« das Muster von Einwendungen versandt, die im gewerberechtlichen Verfahren vorgebracht werden sollten.92 Neben der »Aktion grüne Kanu-Landesverband, Salzburger Sportfischerverein, Salzburger Stadtverein, Umweltschutz-Interessengemeinschaft Hallein, Vereinigte Bürgerinitiativen »Rettet Salzburg«, Vereinigte Grüne Österreichs, Verkehrsverein Golling, Weltbund zum Schutz des Lebens, World Wildlife Fund. 91 Aktion grüne Salzach. Überparteiliche Arbeitsgemeinschaft für die Salzach. Rundschreiben Nr. 6. (AHB) 92 »Obwohl durch den Umbau der Zellulosefabrik Umweltschutzmaßnahmen in Aussicht gestellt wurden und erhebliche öffentliche Mittel in einem bisher nicht gekannten Ausmaß dafür eingesetzt werden, ist, dem Antrag der Einschreiter folgend, keinerlei wesentliche positive Maßnahme hinsichtlich der Luftsituation im Halleiner Raum und darüber hinaus vorgesehen. Die Reduzierung des SO2 Ausstoßes infolge geringfügigeren Energieverbrauchs durch geschlossenes Kreislaufverfahren mit Wiederverwertung von Schwefel und Magnesium scheint zwar im Augenblick weniger zu sein, ist aber im Hinblick auf die sowieso zu erwartende Verringerung des SO2-Gehaltes durch die Verordnung über den Schwefelgehalt des Heizöls schwer völlig unzureichend. Wir (ich) fühlen (uns) mich durch die auch vom neuen Projekt zu erwartenden Emissionen wie z. B. SO2, MgO ect. konkret gesundheitlich gefährdet. Weiters stellt es sicher eine unzumutbare Belästigung dar, dass durch weitere Schadstoffe wie Rauch, Russ, Staub, Gestank usw. unsere (meine) Lebensqualität in einem ohnehin schon schwerst belasteten Wohngebiet noch entscheidender beeinträchtigt wird. Dies wird sicher auch durch den neu errichteten 80 Meter hohen Schornstein der Fall sein, weil Schadstoffe in Siedlungsgebiete verfrachtet werden, die bisher nicht berührt wurden. Generell stellen wir (ich) fest, dass die bisherigen 5.000 Tonnen SO2 per anno, welche unerträgliche Emissionen darstellen, durch die beantragten und finanziell geförderten Maßnahmen nicht entscheidend verringert werden, sondern im Gegenteil durch die Erhöhung der Produktion im neuen Verfahren 4.000 Tonnen SO2 betragen wird. Es ist dies gesundheitsgefährdend und äußerst belästigend. Wir (ich) stellen den Antrag, im beantragten Verfahren die bestehende Heizanlage einzubeziehen und die Verwendung von Erdgas für die Kessel drei und vier zwingend vorzuschreiben. Als Alternative dazu würden wir uns (würde ich mich) einverstanden erklären, dass bis zum 1. 7. 1984 der Kessel 4 an das Erdgas angeschlossen wird und die übrigen Heizanlagen eine Vorschreibung für die Verwendung von Heizöl schwer mit einem maximalen Schwefelgehalt von 1 Prozent bekommen, wobei auch diese Maßnahme mit 1. 7. 1984 wirksam zu werden hätte. Um alle Zweifel und Deutungen von vornherein auszuschließen, muss die Vorschreibung ganz konkret die maximale Menge von SO2 enthalten, gleichgültig mit welchem Energieträger man sich letztlich behilft. Auch der Einbau von SO2-Filteranlagen muss bei Ablehnung des Erdgasanschlusses ins Auge gefasst werden.

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Salzach« positionierte sich beim gewerberechtlichen Verfahren vor allem auch die Stadt Salzburg mit Einwendungen gegen das von der PWA vorgelegte Sanierungskonzept.93 Die »Aktion grüne Salzach« wies dabei u. a. darauf hin, dass die Gesamtinvestition in der Höhe von 1,2 Milliarden Schilling zu einem erheblichen Teil der Ausweitung der Produktion und nur zu einem geringen Teil der Senkung der Umweltbelastung zugutekam. In einem Schreiben vom 11. Jänner 1984 an Bundeskanzler Fred Sinowatz, Landwirtschaftsminister Günther Haiden, Gesundheitsminister Kurt Steyrer und Handelsminister Norbert Steger wies sie darauf hin, dass sich im Zuge des abgelaufenen gewerbebehördlichen Betriebsstätten-Genehmigungsverfahrens im Hinblick auf die massive Schädigung des Waldes im Tennengau die logische Konsequenz ergebe, auch ein gesondertes forstrechtliches Verfahren durchzuführen. »Zur ›Halleiner Situation‹ kann Folgendes stichwortartig festgehalten werden  :

Obwohl das wasserrechtliche Verfahren über die Salzachbelastung unverständlicherweise ohne Beiziehung eines Landeshydrobiologen bereits abgeschlossen ist, stellen wir (ich) fest, dass das zu genehmigende Verfahren nicht der neueste Stand der Technik ist, wie bei der am 22. 11. 1983 stattgefundenen Publikumsdiskussion der ›Aktion grüne Salzach’ vor höchsten Politikern und Beamten der Landesregierung zu erfahren war. …« (AHB) 93 Am 2. März 1984 formulierte die Stadt Salzburg (Stadtrat Josef Reschen) als Nachbar gemäß § 356 GewO 1973 im Sinne des § 75 Abs. 2 GewO ihre negative Stellungnahme zu den von der PWA angebotenen Umweltschutzmaßnahmen. Gemäß § 75 Abs. 2 GewO 1973 galten als Nachbarn alle Personen, die durch die Errichtung, den Bestand und den Betrieb einer Betriebsanlage gefährdet oder belästigt oder deren Eigentum oder sonstige dringliche Rechte gefährdet werden könnten. Die PWA sei der »landesweit gesehen … größte Emittent« und zähle bundesweit zu den Großemittenten sowohl hinsichtlich der Luft- wie auch der Wasserbelastung. Bei den Stickoxyden leiste die PWA mit rund 1000 Tonnen Jahresausstoß 20 Prozent der landesweiten Emissionen, bei SO2 betrage ihr Anteil mit 4000 Tonnen rund ein Drittel. Aufgrund der Wetterlagen werde die Stadt Salzburg von den Emissionen stark betroffen. Hinzu komme, dass die Abwässer der PWA die Gewässergüte der Salzach von der Güteklasse II und Güteklasse IV verschlechtere. »Durch die starke organische Abwasserbelastung kommt es insbesonders im Winterhalbjahr (Niedrigwasser) zu einer Ausgasung von giftigem Schwefelwasserstoff, einhergehend mit einer starken Geruchsbelästigung vor allem im Bereich von Sohlstufen.« Die vom Unternehmen ausgegebenen Emissionsbilanzen seien »grundweg falsch« und die angegebene betriebsinterne Verfahrensumstellung bei der Zellstoffproduktion entspreche keineswegs dem Stand der neuesten Technik. »Einige wesentliche Unterlagen zur umfassenden Beurteilung der durch das gegenständliche Vorhaben bewirkten künftigen Umweltsituation fehlen. … Die Stadtgemeinde Salzburg erhebt daher Einwendungen gegen das gegenständliche Projekt wegen Gefährdung der Gesundheit der Nachbarn durch Luftverschmutzung, wegen Gefährdung des Eigentums (stadteigene Wälder), wegen unzumutbarer Belästigung der Nachbarn durch Geruch sowie wegen nachteiliger Einwirkungen der Betriebsanlage auf die Beschaffenheit der Gewässer einschließlich der Gefährdung des Grundwassers.« (Magistrat Salzburg Zahl MD/A–10/84 u. 136/2/84. AHB)

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1. Mit Stand Ende 1983 belastete die Fa. Hallein-Papier AG die Umwelt mit ca. 5.000 Tonnen SO2 pro Jahr. Infolge der Reduzierung des Schwefelgehaltes von Heizöl durch die entsprechende Verordnung (BGBl. Nr. 251/1982) würde mit Stand 1. 1. 1985 die bestehende Anlage 3.500 Tonnen SO2 emittieren. Durch den Bau von neuen Anlagen zur Zelluloseherstellung und zur Produktionsausweitung von 70.000 Tonnen auf 100.000 Tonnen entsteht ein neues Kesselhaus mit einem sogenannten TABA-Kessel, der für sich allein 131 kg SO2 pro Stunde, somit ca. 500 Tonnen SO2 pro Jahr, emittieren wird. Das heißt konkret, dass weder für die Gesundheit der Bevölkerung noch für den äußerst gefährdeten Wald eine wesentliche Besserstellung gegenüber dem Ist-Zustand eintreten würde. Durch die projektierte Neu-Anlage wird somit der SO2-Ausstoß nicht nur nicht drastisch gesenkt, wie es unter allen Umständen erforderlich wäre, es erhöht sich vielmehr der SO2-Ausstoß im Zusammenhang mit der projektierten Produktionsaufstockung auf ca. 4.000 Tonnen SO2 pro Jahr  ! 2. (…) Es wird ausdrücklich festgehalten, dass im Verfahren von keinem Vertreter der ›Aktion grüne Salzach‹ bzw. den angesprochenen Nachbarn im Sinne der Gewerbeordnung die Forderung aufgestellt wurde, die Zelluloseproduktion der Fa. Hallein-Papier AG unter allen Umständen einzustellen. Es ist jedoch übereinstimmendes und aufrichtiges Anliegen aller, dass bei einem Gesamtinvestitionsvolumen von nahezu 1,2 Milliarden Schilling, wovon die öffentliche Hand mit entsprechenden Darlehen und Zinsstützungen ca. drei Viertel bestreitet, die technisch und ökologisch bestmöglichen Maßnahmen in kürzester Zeit gesetzt werden.« In dem Schreiben wurde darauf hingewiesen, dass die bestehenden gesetzlichen Regelungen und Verordnungen offensichtlich nicht geeignet seien, die Belange des Umweltschutzes umfassend wahrzunehmen. Es liege nunmehr an der Bundesregierung, trotz dieser gesetzlichen Lücken »im derzeit laufenden gewerbebehördlichen Betriebsstätten verfahren massiv die Belange des Umweltschutzes wahrzunehmen …«94 Hans-Michael Schallaböck wies in einem Schreiben der GABL zur Situation in Hallein darauf hin, dass die PWA in Pöls ein Zellulosewerk errichte, das mit einem erheblich wirksameren umweltschonenden Verfahren arbeiten werde. Es sei die Frage zu prüfen, ob dieses Verfahren nicht auch in Hallein zur Anwendung kommen könne, nachdem die PWA alle Gerüchte dementiert habe, die gesamte Zellstoffproduktion in das neue Werk nach Pöls zu verlegen. »Eine Kritik zum Schluss  : Sehr verärgert war ich, ehrlich gesagt, über die sogenannten Volksvertreter. Einerseits sprechen die Politiker von der wichtigsten Verhandlung in ganz Österreich seit 1945, andererseits 94 Schreiben der »Aktion grüne Salzach« vom 11. Jänner 1984 an Bundeskanzler Fred Sinowatz, die Bun­ desminister Günther Haiden und Kurt Steyrer sowie Vizekanzler Norbert Steger (AHB).

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glänzten sie durch Abwesenheit. Kein einziger Landtagsabgeordneter war anwesend (Ausnahme Schuller 1,5 Stunde), nur ein Gemeindevertreter aus Hallein und der Bürgermeister (1/2 Tag) sowie ein Gemeinderat aus Salzburg-Stadt (Ortner, Bürgerliste) …«95 Das gewerbebehördliche Verfahren kam bezüglich des von der PWA eingereichten Umweltschutzprojekts zu einem negativen Ergebnis und forderte eine erheblich ambitioniertere Reduktion der Schwefeldioxydemission. Da das Unternehmen im wasserrechtlichen Verfahren der Erfüllung der dort geforderten Umweltauflagen bis Ende 1985 zugestimmt hatte, erhörte sich der Problemdruck erheblich. Im Zuge der geforderten Umweltmaßnahmen und deren Terminisierung entstand ein allmählich an Schärfe gewinnender Diskurs zwischen der PWA und den entsprechenden Abteilungen des Amtes der Salzburger Landesregierung (Gewerberechts- und Wasserrechtsabteilung), in dem das Unternehmen sowohl an der technischen Machbarkeit wie auch an dem vorgegebenen Zeitrahmen zunehmend Kritik übte und mit dem Abbau von Arbeitsplätzen und sogar mit der Schließung des Werkes drohte. Landeshauptmann Wilfried Haslauer sen. unternahm in dieser zunehmend gespannten Atmosphäre den Versuch einer Vermittlung, indem er sowohl die Realisierung der Umweltauflagen wie auch die Erhaltung von rund 1100 Arbeitsplätzen anstrebte. Am 22. Februar 1984 stattete er der PWA in Hallein einen Besuch ab, bei dem er erklärte, die Landesregierung verfolge zwei Zielsetzungen  : einerseits die Erhaltung der Arbeitsplätze und des Bestandes des Unternehmens und andererseits die Erfüllung der Umweltschutzauflagen.96 Am 19. März folgte eine Besprechung der Vorstände der SAFE und der PWA mit Landeshauptmann Wilfried Haslauer sen. und Landesrat Wolfgang Radlegger in den Amtsräumen des Landeshauptmanns im Chiemseehof, bei der, sehr zur Erleichterung der Salzburger Landespolitik, ein Lösung des Gordischen Knotens gefunden schien. Die PWA erklärte sich bereit, von der SAFE jährlich bis zu 40 Millionen Kubikmeter Erdgas zu beziehen, wodurch eine Reduzierung der benötigten Menge von Heizöl schwer um die Hälfte und eine entsprechende Reduzierung der Schwefeldioxyd-Belastung vor allem im Halleiner Raum um 50 Prozent möglich wurde. Die Anschluss- und Umstellungskosten in der Höhe von 18 Millionen Schilling wurden zu einem erheblichen Teil von der öffentlichen Hand getragen. Sichtlich zufrieden erklärte die Regierungsspitze nach der Besprechung, »die realistische Politik des Landes bei diesem gravierenden Umweltschutzproblem sei erfolgreich gewesen. Damit könne einerseits die Umweltsituation und die Luftgüte im Halleiner Raum wesentlich verbessert und zugleich der Bestand von 1.100 Arbeitsplätzen gesichert werden.«97 95 Hans-Michael Schallaböck  : Zur Situation PWA/Hallein Papier AG. (Schreiben vom 16.1.1984. AHG) 96 Landeskorrespondenz Nr. 38. 23.2.1984. S. 8. 97 Landeskorrespondenz Nr. 55. 19.3.1984. S. 12.

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Die PWA und das Thema »Grüne Salzach« waren im Vorfeld der Landtagswahl am 25. März 1984 Gegenstand heftiger politischer Kontroversen geworden. Bürgerliste und GABL, vor allem Stadtrat Johannes Voggenhuber, warfen der etablierten Politik angesichts ihres Lavierens zwischen Sicherung der Arbeitsplätze und Umweltschutz Handlungsunfähigkeit vor und der Bürgerliste-Gemeinderat Max Ortner erklärte unter heftigem Applaus von GABL-Sympathisanten in einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung, es wäre erheblich besser, die Firma Benckiser (PWA) würde einfach verschwinden.98 Landesrat Radlegger erwiderte, dass solche Äußerungen die wahren Absichten der Bürgerliste und der ökologischen Fundamentalisten in der GABL offenbarten. Voggenhuber und seinen Mitstreitern sei offensichtlich keine Polemik zu billig. In der Endphase des Wahlkampfes greife die GABL bewusst zu Halb- und Unwahrheiten. In einem offenen Brief an Voggenhuber erklärte er, durch dessen Politikerbeschimpfungen werde das Wasser der Salzach nicht sauberer und die Luft nicht besser. Die angeblich so handlungsunfähigen Politiker hätten nach schwierigen Verhandlungen mit der PWA eine Übereinkunft zustande gebracht, die die Luft in Hallein wesentlich entlaste. »Ich bin guter Hoffnung, dass die Wähler dieses Landes am kommenden Sonntag sehr genau abschätzen, wo Taten gesetzt und wo Phrasen gedroschen werden  !«99 Die Wähler entschieden am 25. März 1984 nicht für die GABL, die den erhofften Einzug in den Landtag verfehlte. Die Themen PWA und Grüne Salzach blieben jedoch auf der politischen Tagesordnung. In seiner Regierungserklärung am 16. Mai 1984 hatte Landeshauptmann Wilfried Haslauer sen. dem Thema »Umwelt 98 Max Ortner hatte sich sowohl an den Vorstandsdirektor der Pölser Papier- und Zellstofffabrik AG, Hugo Michael Sekyra, wie auch an Univ. Prof. Dr. Gunther Tichy vom Institut für Volkswirtschaftslehre und Volkswirtschaftspolitik der Universität Graz mit entsprechenden Fragen zur PWA gewandt. Am 13. März 1984 antwortete Sekyra, Pöls werde Zellstoff in einer Jahresproduktion von über 200.000 Tonnen erzeugen und wäre aufgrund seiner hohen Kapazitäten »an einer möglichst hohen Platzierung im Inland interessiert.« Seine Techniker hätten ihm versichert, dass »der in Pöls erzeugte Sulfat-Zellstoff ausgezeichnet geeignet« wäre, »in Hallein eingesetzt zu werden. »Unsere Techniker meinen, dass der Sulfat-Zellstoff wesentlich besser geeignet ist als das angestrebte Magnesium-Bisulfiitverfahren. An zusätzlichem Aufwand wären die Frachtkosten Pöls-Hallein zu sehen, weiters gewisse Aufbereitungsanlagen für den Zellstoff ex Pöls. Diese Investitionen sind jedoch in einem Bereich von einigen zig Millionen Schilling, während für die gesamte Anlage in Hallein … 1,2 Milliarden Schilling ausgegeben würden.« Tichy wies in seinem Antwortschreiben vom 6. März 1984 bedauernd darauf hin, »dass derzeit die Papier- und Zellstoffindustrie mit enormer staatlicher Förderung erhebliche Überkapazitäten aufbaut und sich in einigen Jahren in einer ähnlichen Lage befinden wird wie derzeit die Stahlindustrie. … Es ist auch für mich unverständlich, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit falschen Investitionen überwiegend aus staatlichen Mitteln, speziellen Formen der Investitionsförderung und Wasserwirtschaftsfonds finanziert werden.« (AHB) 99 Salzburger Tagblatt 21.3.1984. S. 1.

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und Natur« ein eigenes Kapitel gewidmet und mit Blick auf die zunehmende Bedeutung ökologischer Fragen sowie die Diskussion über eine grüne Salzach erklärt, dass ökologisch verantwortbarer Fortschritt und qualitatives Wachstum »in keinem unüberbrückbaren Gegensatz zu den Zielen des Umwelt- und Landschaftsschutzes« stehen. Die Landespolitik werde einen Paradigmenwechsel vornehmen und von der Sanierung von Umweltschäden zu einem »vorbeugenden, offensiven Umweltschutz übergehen, das heißt, Schäden nach Möglichkeit von vornherein zu vermeiden. … Allerdings kann es keinen Umweltschutz zum Nulltarif geben. Derzeit sind ökologische Größen aber weder in den betriebswirtschaftlichen Kalkulationen noch in der gesamtwirtschaftlichen Rechnung entsprechend berücksichtigt. Die Kosten für die Erhaltung einer gesunden Umwelt können aber nicht länger vom eigentlichen Marktgeschehen getrennt gesehen werden. Die Landesregierung bekennt sich auch hier zur Funktion der öffentlichen Hand, dort zu helfen, wo eine konsequente Durchsetzung des Verursacherprinzips den Verlust von Arbeitsplätzen bewirken würde.«100 Die Landespolitik sei bestrebt, so die Botschaft, am Beispiel der HalleinPapier-AG, Umweltschutz und Wirtschaft zu versöhnen, weshalb man auch bereit sei, für entsprechende Sanierungsmaßnahmen im Sinne sowohl der Sicherung von rund 11.000 Arbeitsplätzen als auch einer deutlichen Schadstoffreduktion und damit einer besseren Umwelt öffentliche Gelder zur Verfügung zu stellen. Die Bedeutung der Industrie für Hallein wurde aus dem Umstand deutlich, dass die 15.000 Einwohner zählende Stadt mit rund 5000 Industriearbeitsplätzen bezüglich des Pro-KopfSteueraufkommens im österreichischen Spitzenfeld lag, ein Umstand, der sich im Fall einer drohenden Deindustrialisierung rapide ändern würde. Mit Spannung wurde die Fortsetzung des gewerberechtlichen Verfahrens am 14. und 15. Juni 1984 erwartet, bei dem die inzwischen eingelangten Gutachten zur von der PWA beantragten Änderung der Betriebsanlage vorgestellt und erörtert werden sollten. Zudem sollte dabei die Frage geprüft werden, ob noch zusätzliche Auflagen erfolgen sollten.101 Die Fortsetzung des gewerberechtlichen Verfahrens fand daher in einer zunehmend emotionalisierten Stimmung statt. Die Gegner atmeten sicht100 Landtagswahl 1984. Ergebnisse-Analysen-Auswirkungen. Regierungserklärung 1984. Landespolitischer Bericht 1983. – Salzburg1984. S. 131. (Schriftenreihe des Landespressebüros. Serie »Salzburg Dokumentationen«, Nr. 82. Hg. V. Eberhard Zwink.) 101 Im Vorfeld der Verhandlung verhärteten sich die Positionen, da trotz aller Bemühungen die PWA ihre Berufung beim Verwaltungsgerichtshof gegen den wasserrechtlichen Bescheid vom 28. Dezember 1982, in dem die Zellstoffproduktion mit 100.000 Tonnen jährlich begrenzt und die Konsensdauer des Bescheides mit Jahresende 1985 festgelegt wurde. Das Unternehmen war weder gewillt, die festgelegte Produktionsobergrenze noch die Terminisierung der Konsensdauer des Bescheids zu akzeptieren, sondern forderte eine unbeschränkte Jahresproduktion und eine Erstreckung der Konsensdauer des Bescheids bis Jahresende 2002. Dadurch bestand die Gefahr, dass das Unternehmen nicht nur durch eine Produktionserhöhung den Schadstoffausstoß vergrößerte, sondern als unbedingt

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lich auf, als alle angeforderten Gutachten das Umweltschutzprojekt der PWA als zu wenig ambitioniert ablehnten, wodurch sich eine Neuverhandlung der Parameter andeutete. Wie dringend dies geboten war, wurde aus einer Analyse des Hydrobiologen Paul Jäger deutlich, der darauf hinwies, dass das Halleiner Papier- und Zellstoffwerk im Jahre 1984 Abwassermengen wie eine Millionenstadt in die Salzach kippte. Drei bis dreieinhalb Millionen Menschen würden einen Fluss nicht stärker mit schwer abbaubaren Chemikalien belasten. Dies würde sich durch die Verwendung der Sauerstoffbleiche anstelle der bisher gebrauchten Chlorbleiche weitgehend vermeiden lassen.102 Einen Monat später verursachte Johannes Voggenhuber erhebliche politische Hitzewallungen, als er aus wirtschaftlichen Gründen die Schließung des Zellstoffwerkes der PWA forderte. Die Sanierung der Zellstoffproduktion durch eine Verfahrensumstellung und den Bau einer biologischen Kläranlage koste mehr als eine Milliarde Schilling, von denen mit 792 Millionen Schilling ein erheblicher Teil öffentliche Gelder seien. In einigen Jahren sei jedoch mit dem Zusammenbruch der Zellstoffproduktion in Hallein zu rechnen, wenn das Werk im steirischen Pöls mit seinen großen Kapazitäten seinen Betrieb 1985 aufnehme. Das neue Werk in Pöls sei technisch auf dem neuesten Stand und belaste die Umwelt in erheblich geringerem Ausmaß als das Werk in Hallein. Pöls könne mit seinen Kapazitäten leicht die Produktion in Hallein übernehmen, sodass die Zellstoffproduktion an diesem Standort aufgelassen werden könnte. Für die davon betroffenen 150 Beschäftigten könnten Arbeitsplätze mit öffentlichen Geldern, die man sich bei der Fehlinvestition in die Sanierung einer letztlich zum Scheitern verurteilten Zellstoffproduktion erspare, geschaffen werden. Die SPÖ-Landesräte Sepp Oberkirchner und Wolfgang Radlegger bezeichneten diesen Vorschlag umgehend als völlig realitätsfern. Die Produktion der PWA in Hallein sei eine integrierte, d. h. Zellstoff und Papier, und sei nur so rentabel. Schließe man die Zellstofferzeugung, so seien nicht nur die in dieser Produktion 150 Beschäftigten, sondern darüber hinaus 1000 Beschäftigte in der Papierproduktion davon betroffen. Die Schließung der Zellstoffproduktion habe außerdem erhebliche Auswirkungen auf die Salzburger Holzindustrie.103 Am 28. März 1985 bezeichnete SPÖ-Landesrat Sepp Oberkirchner anlässlich einer Demonstration der PWA-Belegschaft, unterstützt vom Halleiner Bürgermeister Rudolf Müller, Arbeiterkammer-Präsident Herbert Suko und ÖVP-Landesrat Friedrich Mayr-Melnhof,

notwendig erachtete Maßnahmen wie die Errichtung einer vollbiologischen Kläranlage, die von allen Gutachtern als unbedingt erforderlich betrachtet wurde, verschob. Der wasserrechtliche Bescheid vom 28. Dezember 1982 stieß vor allem bei der Bürgerliste und der Gemeinderatsfraktion der ÖVP auf Kritik, da die Beiziehung eines Hydrologen nicht erfolgt war. 102 Robert Redtenbacher  : Abwässer wie eine Millionenstadt. – In  : SN 24.9.1984. S. 7. 103 SN 18.7.1984. S. 5  ; SVZ 18.7.1984. S. 6.

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den Vorschlag der Bürgerliste und Stadtrat Voggenhubers, die Produktion in Hallein zu schließen, als »Grünfaschismus«. Die Bürgerliste würde mutwillig mehr als 1000 Arbeitsplätze gefährden. In einer von Emotionen geprägten Stimmung wurde Voggenhuber von den wütenden Demonstranten an einer Rede gehindert. Nach dem positiven Abschluss des gewerberechtlichen Verfahrens, in dem die Sanierungsmaßnahmen der PWA auch von der »Aktion grüne Salzach« positiv beurteilt wurden,104 kam im Juni 1985 ein Kompromiss zwischen der »Aktion grüne 104 Am 22. April 1985 beurteilte die »Aktion grüne Salzach« die im gewerberechtlichen Bescheid festgelegte maximale Jahresgesamtemission von 2300 Tonnen SO2 unter Berufung auf die forstwirtschaftlichen, ärztlichen und lufthygienischen Gutachten positiv. In dem Schreiben der »Aktion grüne Salzach« wurde auch ausführlich zu den im wasserrechtlichen Verfahren wieder auftauchenden Vorwürfen bezüglich des neuesten Standes der Technik und der Glaubwürdigkeit der eingebundenen Personen Stellung genommen. »Die Erkenntnisse der Reise nach Paskov (umweltfreundliches Zellulosewerk in der CSSR, das stets als Alternative ins Spiel gebracht wurde, Anm. d. Verf.), an der zwei Vertreter der ›Aktion grüne Salzach‹ teilgenommen haben, wurden den in der Plattform vertretenen Interessengruppen und Institutionen mit entsprechendem Schriftverkehr zugestellt. Ausdrücklich ist darin enthalten, dass einige Punkte der Erkenntnisse von Paskov in Hinkunft Platz greifen können, aber ebenso ausdrücklich wurden jene Verfahrensteile, die beim projektierten Halleiner Verfahren nicht anzuwenden sind oder grundsätzlich nicht dem Stand der Technik entsprechen, erwähnt. Z. B. ist der Betrieb der sog. Sauerstoffbleiche auf Magnesiumbase für hochwertigen Papierzellstoff in keiner Referenzanlage derzeit in Betrieb. Die 02-Bleiche von Paskov verursacht im Zusammenhang mit dem zugegebenermaßen wesentlich weniger emittierenden TABA-Kessel riesige Sulfatdeponien in einer Größenordnung, die in Hallein bei 100.000 Tonnen Zellstoff pro Jahr Erzeugung, rund 10.000 Tonnen per anno betragen würde. Eine Deponie dieses Ausmaßes wäre umweltpolitisch völlig unverantwortlich und könnte weder in Hallein, noch in einer Gemeinde des Umlandes erzwungen werden. Somit bietet sich für eine entscheidende Reduktion der 1150 Tonnen S02 per anno aus dem TABA-Kessel derzeit höchstwahrscheinlich nur die im Versuchsstadium sich befindliche Monosulfitstufe an, die eine thermische Spaltung in die Ausgangsmaterialien S02 und Mg0 ermöglicht und diese somit wieder in den Rohstoffkreislauf zurückgeführt werden. Das ebenfalls ins Treffen geführte Lenzinger Verfahren beim TABA-Kessel, das ca. 98 Prozent Entschwefelung im Rauchgas bietet (Hallein mindestens 95 Prozent) kann ebenfalls für Hallein keinesfalls zukunftsweisend sein, weil diese wirksamere Entschwefelung dadurch erkauft wird, dass pro Tag zwischen 6 und 8 Tonnen salzhältiger Stoffe (u. a. Gips, neben anderen aggressiven Substanzen) in das kleine Flüsschen Ager eingeleitet werden. Dies deshalb, weil Lenzing nicht einmal einen rechtsgültigen Wasserrechtsbescheid besitzt, der dies verhindern würde. In den Gutachten der Amtssachverständigen im Halleiner Verfahren, in die übrigens bei der BH Hallein wie auch beim Österreichischen Naturschutzbund noch immer Einsicht genommen werden kann, ist ausdrücklich angeordnet, dass alle baulichen Maßnahmen so zu treffen sind, dass Neuerungen nach dem Stand der Technik (Monosulfitstufe, Abgaserfassung bei den diffusen niederen Quellen ect.) jederzeit über behördliche Anordnung eingebaut werden können. Weitere Anmerkungen bzw. Vorwürfe betrafen die Aussagen des Verfahrenstechnikers und des chemotechnischen Sachverständigen betreffend das projektierte Halleiner Verfahren. Der Verhandlungsleiter, ORR Mag. H. Mahringer, holte daraufhin sowohl vom Holzforschungsinstitut Wien

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Salzach«, der Bürgerliste und der PWA zustande, nach dem eine jährliche Schwefeldioxydemission von 2300 Tonnen akzeptiert wurde. Am 19. Dezember 1985 erfolgte aufgrund des Baus eines Salzachkraftwerks unterhalb von Hallein durch die SAFE und die Errichtung eines 2 km langen Umleitungskanals für die Abwässer der PWA ein neuer Wasserrechtsbescheid, der durch einen dreistufigen Sanierungsplan bis Jahresende 1991 eine erhebliche Reduktion der Abwasserbelastung vorschrieb. Der Sanierungsplan wurde allerdings in seiner Wirksamkeit und bezüglich des neuesten Standes der Technik sowohl von der Landesumweltanwaltschaft, die die zusätzliche Einsetzung einer Kommission unabhängiger Fachleute forderte, und der Bürgerliste infrage gestellt. In der nunmehr unter erheblichem medialen Interesse losbrechenden Debatte erhob Bürgerlisten-Stadtrat Johannes Voggenhuber die Behauptung, dass es zwischen den Behörden des Amtes der Salzburger Landesregierung und der PWA eine geheime Absprache gebe, bei dem eingereichten Sanierungsplan nicht die neueste Technik zu verwenden. Der von der Landespolitik und der Firmenleitung behauptete neueste Stand der Technik entspreche nicht den Tatsachen. Die Bürgerliste veröffentlichte eine Stellungnahme, in der sie die Vereinbarung zwischen Land Salzburg und PWA als nicht dem neuesten Stand der Technik entsprechend anprangerte. Die vom Amt der Salzburger Landesregierung erteilten Auflagen würden »in Wahrheit den österreichischen Gesetzen, den geltenden Richtlinien und dem Stand der Technik Hohn sprechen.« So dürfe die PWA »7,5-mal mehr Dreck in die Salzach einleiten, als in den Richtlinien des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft 1981 (Stand der Technik) vorgesehen ist.« Die ÖNORM werde »um das Fünffache überschritten« und die PWA müsste »für den Dreck, mit dem sie derzeit die Salzach verschmutzt, in der BRD 535 Millionen Schilling Abwassergebühr bezahlen. Nach Abschluss aller derzeit vorgeschriebenen ›Sanierungsschritte‹ (1. 1. 1992) immer noch ca. 150 Millionen jährlich  ! Allerdings sind Bewilligungen für derartige Anlagen in Deutschland inzwischen undenkbar.« Und »eine vollbiologische Klärung der Abwässer, seit Jahren international längst Stand der Technik und auch in Österreich schon zwingend von den Behörden vorgeschrieben, wurde der Hallein Papier nicht zur Auflage gemacht. … Das alles



als auch vom Bundesumweltamt Berlin die gutachterliche Stellungnahme ein, die in beiden Fällen aussagt, dass das gegenständliche Verfahren dem Stand der Technik entspricht. Zur Problematik der angestellten Zweifel über die Glaubwürdigkeit und Lauterkeit von Behördenvertretern und Amtssachverständigen kann die ›Aktion grüne Salzach‹ nur feststellen, dass kein beweisbarer Anlass vorliegt, irgendeiner der betreffenden Personen Amtsmissbrauch oder ›umweltkriminelle‹ Handlungen vorwerfen zu können. … (…) Die Gründe für die errechnete Höhe der S02-Gesamtfracht von 2.300 Tonnen sind von der ›Aktion grüne Salzach‹ im Rahmen einer eingehenden Besprechung beim Amt der Landesregierung und durch Einsichtnahme in die entsprechenden Aktenteile überprüft und für richtig befunden worden.« (AHB)

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wurde der Bevölkerung von den zuständigen Politikern verschwiegen.«105 Roswitha Müller verfasste einen Leserbrief unter dem Titel »Fopperei«, in dem sie der Landespolitik vorwarf, den neuesten Stand der Technik zu bestimmen. »Wir (Politiker und Beamte – Ausnahmen bestätigen die Regel) sehen die Technologien, die wir wollen. Darum bleibt unsere Salzach schwarz.«106 Nach einer Studienreise zu Jahresbeginn 1987 in die Zellstoffwerke in Solothurn in der Schweiz und Baienfurt in der Bundesrepublik Deutschland, bei der die Salzburger Politiker den Stand der neuesten Technik demonstriert bekamen und in deren Folge der Entschluss zu einer Erhöhung der Umweltauflagen für die HalleinPapier AG reifte, einigte sich nach zähen Verhandlungen die Landesregierung mit der Hallein Papier AG auf ein sieben Punkte umfassendes Programm, das vor allem die Umstellung der Zellstoffbleiche auf ein weitgehend chlorfreies Verfahren und die Reduktion der Schwefeldioxydemission auf 1500 Tonnen pro Jahr beinhaltete, wobei jedoch die Auffassungen über den Zeitpunkt der Realisierung differierten. Einem neuen vom Land intendierten Wasserrechtsbescheid, der eine neuerliche Reduktion der Schadstoffe sowie den zwingenden Bau einer vollbiologischen Kläranlage – beide Maßnahmen waren im Wasserrechtsbescheid vom 19. Dezember 1985 aus formalen Gründen nicht zwingend vorgeschrieben, da ein solches Projekt erst bei der Wasserrechtsgenehmigungsbehörde eingereicht werden musste – beinhalten sollte, verweigerte sich jedoch die Unternehmensleitung der Hallein Papier AG. Im selben Jahr sorgten spektakuläre Aktionen von Greenpeace für erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit, als die Umweltschutzorganisation Messungen von Wasserproben veröffentlichte, in denen das Überschreiten des Schmutzgehalts um das Zehnfache gegenüber den offiziellen Angaben der Firmenleitung behauptet wurde. Als sich Greenpeace-Aktivisten medienwirksam an die Werkstore ketteten, um ihrer Forderung nach dem Verzicht von Chlorgas als Bleichmittel und den Bau einer vollbiologischen Kläranlage Nachdruck zu verleihen, drohte die Lage durch den Einsatz der Werksfeuerwehr zu eskalieren. Um die drohende Konfrontation mit wütenden Arbeitern zu vermeiden, brachen die Aktivisten die Aktion ab. Trotz aller spektakulären Aktionen begann sich jedoch die Situation in der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre vor allem aus drei Gründen zu entspannen  : 1. Die von der Hallein Papier AG nach dem gewerberechtlichen Bescheid 1985 vorgenommenen Investitionen in der Höhe von 1,2 Milliarden Schilling, von denen allerdings ein erheblicher Teil aus öffentlichen Geldern stammte, begannen Früchte zu tragen. Anfang März 1988 wurde die Zellstofferzeugung auf das um105 Bürgerliste  : Dreckige Salzach – Ein dunkles Kapitel. Typoskript ohne Datum (wahrscheinlich 1986). (AHB) 106 Leserbrief vom 17.4.1986. (AHB)

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weltfreundlichere Magnesiumverfahren umgestellt und durch die Verminderung der Abwasserfracht eine wesentliche Verbesserung der Wasserqualität der Salzach erreicht. Gleichzeitig wurden in einem neuen Spezialkessel die Restsubstanzen aus dem verarbeiteten Holz verbrannt und zur Energieerzeugung genutzt. Durch diese Maßnahmen erfolgte eine Verringerung der Belastung der Salzach gegenüber 1979 um 80 Prozent, des biochemischen Sauerstoffs um 60 Prozent. Das Wasser der Salzach begann sich farblich von schmutzig-braun in Richtung weitgehend grün zu verändern. Die Inbetriebnahme der neuen Rauchgasentsorgung (Entstaubung und Entschwefelung) ermöglichte das Erreichen eines Reinigungsgrades von 95 Prozent, wodurch sich die S02-Emission 1989 gegenüber 1979 von 6000 Tonnen auf unter 2000 Tonnen pro Jahr reduzierte.107 2. Auf Bundesebene wurde zunehmend der verbindliche Ausstieg aus der Produktion mithilfe von Chlor und die Einführung einer Abwasserangabe diskutiert. Diese bevorstehende bundesgesetzliche Regelung schränkte den Handlungsspielraum des Unternehmens ein, da in naher Zukunft mit erheblichen Kosten zu rechnen war. Vor diesem Hintergrund zeigte sich die Hallein Papier AG für Verhandlungen über einen neuen Wasserrechtsbescheid des Landes bereit. Dieser erfolgte im Februar 1989 und sah bis 1992 eine neuerliche deutliche Verringerung der Schadstoffe in den Abwässern sowie bis 1994 den verbindlichen Bau einer vollbiologischen Kläranlage vor. Mit Blick auf die bevorstehende bundesgesetzliche Regelung schloss die PWA im folgenden Jahr das Zellulosewerk in St. Magdalen. In den späten Achtzigerjahren sanken die Zellstoffpreise deutlich und entstanden im Bereich der Produktion Überkapazitäten, die neben dem den Export belastenden schwachen Dollar die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen deutlich verschärften. 3. Angesichts der – auch international – steigenden Umweltstandards sowie der durch die Abwasserabgabe zu erwartenden Kosten wurde die Forschung in Richtung völliger Abkoppelung vom Chlor durch die Einführung der Ozonbleiche forciert. 1989/90 wurde der technische Durchbruch erzielt und 1991 stellte die PWA auf chlorfreie Bleiche um, womit die Salzach tatsächlich wieder grün wurde.108 Die verschlechterten internationalen Rahmenbedingungen schienen jedoch diesem Beispiel eines durch Bürgerinitiativen und Grünen initiierten und durch unermüdliches Engagement vorangetriebenen ökologischen Modernisierungsprozesses, dem sich schließlich auch die etablierten Parteien nicht verschlossen, ein unfreiwilliges frühzeitiges Ende zu bereiten, als die Hallein-Papier AG 1992 in den Ausgleich 107 SN 29.2.1988. S. 7. 108 Begleitet war diese Umstellung von der Kreislaufschließung der Chemikalien, der Verbrennung der Dicklauge und dem Einsatz von Gas.

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schlitterte. Der Industriestandort Hallein befand sich in existenzieller Gefahr, da 1989 die Saline auf der Pernerinsel ihren Betrieb eingestellt hatte und auch die PVC-Produktion der Halvic-Kunststoffwerke kurz vor der Schließung stand. Als im Herbst die stark defizitäre PVC-Produktion stillgelegt wurde und gleichzeitig die Hallein-Papier AG, die sich in der Zwischenzeit zu 75 Prozent im Besitz der Papierwerke Wald-Aschaffenburg und zu 25 Prozent der Bank Austria befand, insolvent zu werden drohte, war die wirtschaftspolitische Intervention der Landespolitik gefordert. Um die Fortführung des Betriebes zu ermöglichen, wurde im Mai 1993 dem Unternehmen ein dreijähriger Aufschub für die Durchführung der Umweltinvestitionen gewährt. Die Krise des Unternehmens konnte schließlich durch die Übernahme durch den schwedischen Holz- und Papierkonzern Svenska Cellulosa (SCA) – wenn auch nur für einige Jahre – bewältigt werden. Die Umweltinvestitionen wurden nach einer kurzen Unterbrechung fortgesetzt und führten zu beeindruckenden Erfolgen. 2004 betrug die jährliche Schadstoffbelastung, trotz gesteigerter Produktion, nur mehr unter 200 Tonnen, die Schadstoffbelastung der Salzach war auf einen Bruchteil reduziert. Das Unternehmen errichtete 2004 ein Biomasse-Kraftwerk, realisierte ein Projekt zur Nutzung der Abwärme und speiste die gewonnene Energie in das Fernwärmenetz der SAFE ein. Die ökologische Vorreiterfunktion und die Rolle des Musterknaben vermochte jedoch die aufziehenden Wolken der internationalen Marktlage nicht aufzuhalten. Der Weltmarkt wies Überkapazitäten auf, denen 2011 die Konzernleitung Rechnung trug und die Papierproduktion in Hallein schloss. Nur die Zellstoffproduktion konnte durch die Übernahme durch die österreichische Schweighofer-Gruppe gerettet werden.

4.5 Hainburg – Die Geburt eines »Erinnerungsortes« Neben Zwentendorf wurde Hainburg nicht nur zu einem zentralen Gründungsmythos der Grünbewegung, sondern fand auch Eingang in das kollektive kulturelle Gedächtnis Österreichs. Beide wurden jenseits ihrer geografischen Verortung zu einem weit über die Anhänger und Sympathisanten der Grünbewegung hinausreichenden populären Begriff der jüngsten Geschichte Österreichs, zur Metapher des historischen Ortes. Erfolgt individuelle Erinnerung im Rahmen eines bestimmten Milieus, erhält es aus dem Zusammenspiel und der gegenseitigen Wechselwirkung über die individuelle Begrenzung und Vergänglichkeit hinaus kollektive historische Bedeutung. Kollektive Erinnerungen einer Gruppe oder einer Nation werden durch das Bedürfnis nach Sinnstiftung, Tradition und historischer Verortung gemacht. Jenseits der Geschichte als Wissenschaft existiert Geschichte als Gedächtnis einer Gruppe oder einer Nation, das der Interpretation der Vergangenheit und der Orientierung

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für Gegenwart und Zukunft dient. Keine Gemeinschaft, auch jene nicht, die aus dem Feuer der Revolution oder einem (friedlichen) historischen Bruch der Politischen Kultur und des politischen Systems geboren wird, kann sich diesem existenziellen Bedürfnis nach Selbstvergewisserung und Welterklärung als normativer und formativer Kraft entziehen. Es gibt keine Gemeinschaft ohne den Topos des historischen Ortes, dessen Gegenwart man sich in der Großen Erzählung, Gedenkfeiern und Denkmälern, Mythen und Ritualen immer wieder vergewissert. Für die Grünbewegung in Österreich erfüllen neben dem Begriff der Natur Zwentendorf, Hainburg und Wackersdorf diese Funktion. Die sich 1984 im Zuge der Auseinandersetzung um den Bau des Donaukraftwerkes Hainburg109 dramatisch steigernden Wogen der ökologischen Erregung erreichten auch Salzburg und bildeten sowohl für die Bürgerliste in der Stadt Salzburg sowie die landesweite Ökologiebewegung die Möglichkeit medienwirksamer Profilierung. Dieser Möglichkeit wurden jedoch durch das flexible Agieren von Landeshauptmann Wilfried Haslauer sen. deutlich Grenzen gesetzt, da der Salzburger Landeshauptmann, wenngleich aus dem Wirtschaftsbund kommend und ein Verfechter sozialpartnerschaftlicher Lösungen, bereits zu Jahresbeginn 1984 zum sozialpartnerschaftlich akkordierten Bau des Donaukraftwerks aufgrund des sich verstärkenden Widerstandes verschiedener Bürgerinitiativen und NGOs, denen sich auch die beiden Grünparteien VgÖ und ALÖ anschlossen, zunehmend auf Distanz ging. Damit tendierte er in der in dieser Frage zerrissenen ÖVP zur Gruppe der Kraftwerksgegner, die von Erhard Busek, Othmar Karas und Marga Hubinek angeführt wurde. Busek argumentierte seine skeptische bis ablehnende Haltung mit dem Hinweis, dass sich vor allem die Wählerschaft in urbanen Ballungsräumen in einer revolutionären Umformung befinde. Diese löse die traditionellen Lagerkulturen zunehmend auf und formiere neue Trennlinien quer zu den bisherigen Lagergrenzen und deren politischer und lebensweltlicher Segmentierung. Die offensichtliche Neuformierung der Politischen Kultur des Landes gelte es zu akzeptieren und neue politische Antworten jenseits der bisherigen Positionen zu finden.

109 Zur Geschichte der Auseinandersetzung Vgl. Robert Kriechbaumer  : Zeitenwende. Die SPÖ-FPÖKoalition 1983–1987 in der historischen Analyse, aus der Sicht der politischen Akteure und in den Karikaturen von Ironimus. – Wien/Köln/Weimar 2008. S. 292ff. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 33.) Zur Position der Kraftwerksbetreiber Vgl. Josef Hesoun, Herbert Pöttschacher  : Schwarz-Weißbuch. Dokumentation Hainburg. -Wien 1985  ; Tatsachen, Antworten, Richtigstellungen. Eine Bürgerinformation der Österreichischen Donaukraftwerke AG Wien. – Wien 1983.; Donaukraftwerk Hainburg. Ökonomie + Ökologie. Ein Modell überlegten Umweltschutzes. Hg. v. der Österreichischen Donaukraftwerke AG Wien. – Wien o. J.

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Die Auseinandersetzung um Hainburg erreichte zu Jahresbeginn 1984 auch Salzburg. Am 2. Jänner 1984 forderte die »Vereinigung industrieller Bauunternehmungen Österreichs« Landeshauptmann Wilfried Haslauer sen. auf, »sich für einen beschleunigten Baubeginn in Hainburg einzusetzen.« Eine drohende Verzögerung des Baubeginns durch das naturschutzrechtliche Verfahren in Niederösterreich »würde zu Verteuerungen führen und einen schweren Einbruch in der Beschäftigungslage der Bau-, aber auch der Maschinen- und Elektroindustrie bringen. Auf die gesamtwirtschaftliche Lage des Jahres 1984 würde sich dies äußerst negativ auswirken.« Man könne es nicht verstehen, »dass einige Vertreter der Wirtschaft, aber auch der Arbeitnehmerseite, sich gegen ein Wasserkraftprojekt aussprechen, das für die österreichische Volkswirtschaft nötig ist, das tausende Arbeitsplätze sichert und das umweltfreundlich ist.«110 Einen Tag später schrieb der ÖAAB-Zentralbetriebsrat der Österreichischen Donaukraftwerke AG, August Grausam, angesichts des bevorstehenden Dreikönigstreffens der ÖVP in Maria Plain, an Haslauer, »die Arbeitnehmer der Österreichischen Donaukraftwerke AG und sämtlicher am Bau von Donaukraftwerken beteiligten Firmen« hätten »mit tiefer Besorgnis« Pressemeldungen verfolgt, nach denen die ÖVP im Begriff sei, »einen Beschluss zur Ablehnung des Donaukraftwerkes Hainburg zu fassen.« Das Donaukraftwerk Hainburg sei sowohl ökonomisch notwendig wie auch ökologisch sinnvoll, da es den Import von jährlich rund 500.000 Tonnen Heizöl-schwer erspare. Die bestehenden sieben Donaukraftwerke seien »ausgezeichnete Beispiele dafür, wie die Probleme der Ökonomie und Ökologie in einen harmonischen Einklang gebracht werden können. … Ich bitte Sie daher, … die ganze Kraft Ihrer Persönlichkeit und Ihren gesamten Einfluss innerhalb unserer Partei geltend zu machen, damit die ÖVP eine positive Haltung zur Stromerzeugung aus dem gratis vorhandenen Energieträger Wasser im Allgemeinen und damit zum Donaukraftwerk Hainburg im Besonderen einnimmt.«111 Haslauer vermied die von ihm erwartete positive Stellungnahme zum Kraftwerksbau in Hainburg. Am 5. Jänner 1984 antwortete er der »Vereinigung industrieller Bauunternehmungen Österreichs«, er sei »nicht in der Lage, Ihrem Wunsch zu entsprechen, da es den Grundsätzen widersprechen würde, dass sich Landeshauptleute in die unmittelbaren Probleme der anderen Bundesländer einmischen.«112 Die ÖVP befand sich angesichts der in ihr nunmehr deutlich sichtbar werdenden unterschiedlichen Denkschulen in einer schwierigen Situation. Es galt, den 110 Eine Einsicht in den Akt »Hainburg« des Amtes der Salzburger Landesregierung wurde dem Verfasser freundlicherweise ermöglicht. 111 Im Akt »Hainburg« ohne Aktenzeichen. Auch die ÖAAB-Betriebsgruppe in der Verbundgesellschaft wandte sich am 5. Jänner 1984 an Bundesparteiobmann Alois Mock mit der Aufforderung, beim Dreikönigstreffen der ÖVP in Maria Plain ein deutliches Bekenntnis zum Ausbau der Wasserkraft und ein Bekenntnis zum Donaukraftwerk Hainburg abzugeben. (Ebda.) 112 Ebda.

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traditionellen programmatischen Schwerpunkt von Wirtschaftswachstum und Sozialer Marktwirtschaft mit dem an Attraktivität gewinnenden Thema Ökologie zu verbinden, weshalb sich die Partei zu Jahresbeginn 1984 zu einer »Jein«-Position in der Frage Hainburg entschloss. ÖAAB-Generalsekretär Walter Heinzinger und Energiesprecher Fritz König erklärten Anfang 1984, die ÖVP bekenne sich prinzipiell zum Ausbau der Wasserkraft, doch müsse im Fall Hainburg die einzigartige Aulandschaft erhalten bleiben. Während im Frühjahr 1984 mit dem Hinweis auf die beim beabsichtigten Bau des Wasserkraftwerkes Hainburg geplante Verbindung von Ökonomie und Ökologie eine prinzipiell positive Stellungnahme der Bundesregierung erfolgte, mehrten sich Ende April die Zeichen für ein vorsichtiges Abrücken der ÖVP vom Kraftwerksbau in Hainburg. In einer Sitzung der Bundesparteileitung verhinderte Bundesparteiobmann Alois Mock die Vorlage einer von mehreren ÖVPPolitikern unterstützten Petition für den Bau und ließ stattdessen eine Präferenz für den Bau einer Staustufe Wien erkennen. Die ÖVP, so die offizielle Erklärung, trete entschieden gegen das Waldsterben, für die Reinhaltung von Luft und Wasser, eine umweltfreundliche Abfallbeseitigung und Entsorgung ein. Dies bedeute, dass bei allen politischen Entscheidungen deren Umweltverträglichkeit zu prüfen sei. Für eine Zustimmung der ÖVP zum Kraftwerksbau in Hainburg sei daher unbedingt erforderlich, dass die Naturlandschaft des Auwaldes und die Heilquellen von Bad Deutsch-Altenburg erhalten blieben, das Grundwasser im Marchfeld und die Trinkwasserversorgung von Wien und anderen betroffenen Gebieten nicht gefährdet seien. Gleichzeitig unternahmen die Kraftwerksbefürworter zahlreiche Anstrengungen, sowohl die politischen Entscheidungsträger wie auch die öffentliche Meinung – trotz der massiven Anti-Hainburg-Position der »Kronen Zeitung« – von der Notwendigkeit des Kraftwerksbaus zu überzeugen. Die ÖVP-Betriebsgruppen der Österreichischen Donaukraftwerke erklärten am 6. Juni in einer Resolution an die Bundesparteileitung, man akzeptiere die Erklärung des Bundesparteiobmanns, das Problem vor einer Entscheidung prüfen zu wollen. Eine solche Prüfung, dessen sei man überzeugt, müsse zugunsten des Projekts ausfallen, da es keine sachlichen Gegenargumente gebe. »Das Problem liegt, wie wir meinen, in von der Politik, mehr oder weniger prominenten Einzelpersonen und auch einem Teil des Journalismus benützten, missbrauchten und oft nicht recht verstandenen Wünschen und Meinungen der Bürger. Benützt von der ›grünen‹ Bewegung als Vehikel zur Sammlung zaudernder Sympathisanten und von der Parteipolitik und den Medien für den täglichen Aufhänger, missbraucht von einer prominenten Umweltschickeria, die um keinen Gag verlegen ist. … (…) Wir hätten keine Freude daran, wenn wir Hainburg gegen den erklärten Willen einer Mehrheit unserer Mitbürger bauten. Wir sind sicher, diese Mehrheit gegen unser Projekt gibt es nicht, wenn auch unsere Partei, die ÖVP, uns darin unterstützt, die Österreicher von der Richtigkeit und Notwendigkeit

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dieses Kraftwerksbaues zu überzeugen. In einer Welt, in der niemand ALLES haben kann – saubere Luft, unberührte Landschaft, ausreichend Energie und Wohlstand auf Dauer – ist Hainburg ein optimales Vorhaben.« Die Situation eskalierte, als trotz einer am 20. Juni auf der Basis von vier Gutachten erfolgten negativen Stellungnahme der vom Bau betroffenen drei Bezirkshauptmannschaften und eines darauf erfolgten Einspruchs der DOKW der niederösterreichische Landesrat Ernest Brezovszky acht weitere Gutachten einholte. Am 26. November hob er die erstinstanzlichen negativen Bescheide auf und erteilte mit insgesamt 31 Auflagen die naturrechtliche Bewilligung. Die Wogen der Erregung gingen hoch. Von den Kraftwerksgegnern wurden insgesamt 38 Punkte angeführt, die eine Rechtswidrigkeit des Bescheides des niederösterreichischen Landesrates, den Freda Meissner-Blau einen »Gesetzes- und Umweltverbrecher« nannte, belegen sollten. Man werde den Bescheid beim Verfassungsgerichtshof anfechten und dem geplanten Baubeginn Widerstand entgegensetzen. Zudem wurde die Forderung erhoben, dass vor einer Entscheidung die parlamentarische Behandlung des Ergebnisses des sog. »Konrad-Lorenz-Volksbegehrens zur Rettung der Donau-Auen«, das noch nicht stattgefunden hatte, abgewartet werden müsse.113 Am 8. Dezember unternahmen rund 7000 Kraftwerksgegner einen medienwirksamen Sternmarsch in die Stopfenreuther Au, die in den folgenden Tagen zum Wallfahrtsort aller Umweltbewegten wurde. Auch in Salzburg gingen die Wogen der Erregung hoch und wurden die AntiHainburg Aktivisten aktiv. Am 10. Dezember schrieb Hans-Michael Schallaböck im Namen der Grün-Alternativen-Bürgerliste Salzburg (GABL) an sämtliche Mitglieder der Salzburger Landesregierung, die Landesregierung möge umgehend den Beschluss fassen, »bei der Bundesregierung zu intervenieren, dass mit dem Bau des Kraftwerkes Hainburg keineswegs vor der parlamentarischen Abhandlung des Konrad-Lorenz-Volksbegehrens und der Klärung der Rechtssituation durch den Verfassungsgerichtshof begonnen wird. Ein sofortiger Baubeginn wäre unseres Erachtens ein grober Verstoß gegen die demokratischen Grundprinzipien. Der Einsatz Tausender Menschen, die für die Einhaltung von Naturschutzgesetzen und internationalen Abkommen, für die Beachtung wissenschaftlicher Gutachten namhafter Persönlichkeiten und damit für die Rettung der Hainburger Au eintreten, würde völlig missachtet werden. … Die Salzburger Landesregierung möge sich nicht dadurch mitschuldig machen, dass sie die undemokratische Vorgangsweise um den Bau des Kraftwerkes Hainburg durch ihr Stillschweigen gutheißt.« Die Österreichische Hochschülerschaft in Salzburg rief 113 Das im März 1985 mit massiver publizistischer Unterstützung der »Kronen Zeitung« durchgeführte »Konrad-Lorenz-Volksbegehren« brachte mit lediglich 353.908 Unterschriften ein enttäuschendes Ergebnis.

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zu einem Hörerstreik und Greenpeace in einem Flugblatt für den 12. Dezember zu einer Solidaritätsdemonstration mit den Aubesetzern auf und propagierte eine Solidaritätsfahrt in die Stopfenreuther Au. Am 12. Dezember erfolgte die Solidaritätsdemonstration in Salzburg und Landeshauptmann Wilfried Haslauer sen. empfing im Beisein von Landeshauptmann-Stellvertreter Wolfgang Radlegger sowie der Klubobleute der drei im Landtag vertretenen Parteien eine Delegation des Hainburger Aktionskomitees. Bei diesem Treffen erklärte sich Haslauer bereit, die ihm übergebene Resolution an die Obmänner bzw. Klubobmänner der im Nationalrat vertretenen Parteien zu übermitteln. Der Landeshauptmann agierte flexibel und weitgehend entgegenkommend, indem er betonte, dass seiner Auffassung nach mit dem Beginn der Bauarbeiten bis zum Vorliegen des Ergebnisses des Konrad-Lorenz-Volksbegehrens zugewartet werden sollte, um eine Verschärfung des Konflikts zu vermeiden. In Beantwortung mehrerer an ihn gerichteter Schreiben in der Causa Hainburg hatte er sich ähnlich geäußert. So betonte er am 25. November 1984, die Salzburger Landesregierung habe »in der Frage wirtschaftliche Nutzung und Unterschutzstellung von wertvollen Landschaftsteilen eine klare Haltung bezogen. Eindeutiger Schutz der Tauernregion durch einen Nationalpark Hohe Tauern und energiewirtschaftliche Nutzung der mittleren Salzach durch mehrere Kraftwerksstufen. Ich vertrete in meiner alltäglichen Politik immer den Standpunkt, dass es im Sinne eines neuen Verständnisses und Geistes im Miteinander von Ökonomie und Ökologie eine klare Entscheidung für das eine und für das andere geben muss.« Und am 2. Jänner 1985  : »Ich vertrete zu dieser Thematik (Hainburg, Anm. d. Verf.) die grundsätzliche Auffassung, dass mit den Rodungen und dem Bau des Kraftwerkes auf alle Fälle abgewartet werden muss, bis das Ergebnis des Volksbegehrens vorliegt.« Das Agieren des Landeshauptmanns verfehlte seine Wirkung nicht. Am 13. Dezember schrieb Winfried Herbst im Namen des »Österreichischen Naturschutzbundes« an Haslauer und dankte ihm für »seine beeindruckende, spontane Bereitschaft …, eine bunt gemischte Abordnung der Hainburg-Demonstranten am gestrigen Abend zu empfangen. Mit dieser damit bekundeten Achtung vor unseren ernsten Sorgen sowohl um einen einmaligen Lebensraum als auch um die Einhaltung demokratischer und rechtlicher Spielregeln haben Sie … eine Tat gesetzt, die wir voll zu würdigen wissen.«114 Durch das Zurückweichen der Bundesregierung und des ÖGB am 17/18. Dezember 1984 trat eine Phase der Deeskalation ein und das inszenierte und massenmedial vermittelte friedliche »Weihnachten in der Au« wurde zum Umwelt-Woodstock, zum politischen Hochamt einer in sich keineswegs geschlossenen Grünbewegung. Mit dem enttäuschenden Ergebnis des Konrad-Lorenz-Volksbegehrens im März 114 Ebda.

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1985 und der nach wie vor fragmentierten Grünbewegung verschwand das Thema Hainburg aus den medialen Schlagzeilen und der öffentlichen Aufmerksamkeit. Dennoch, durch die noch 1985 gefällte Entscheidung, anstelle des Kraftwerks einen Nationalpark zu erreichten, wurde Hainburg zu einem »historischen Ort«, zum im kollektiven Gedächtnis a posteriori gefeierten »Sieg der Natur«.

4.6 Wackersdorf – Die Apokalypse vor der Haustür  ? Der Reaktorunfall im Kernkraftwerk Tschernobyl am 26. April 1986, eine Folge sträflicher Vernachlässigung von Sicherheitsstandards, wurde ob seiner Auswirkungen auf das Umland und politischen Folgen im Westen – nicht im Osten  ! – zum geflügelten Wort und damit zum Erinnerungsort, der im 21. Jahrhundert durch die Katastrophe im japanischen Fukushima eine Zwillingsschwester erhalten sollte. Tschernobyl wurde zum den unmittelbaren zeitlichen Kontext überschreitenden Symbol der Problematik der Nutzung der Kernenergie. Und es wurde zur self fulfilling prophecy der Umweltbewegung und ihrer medial verbreiteten apokalyptischen Szenarien. Die Folgen manifestierten sich politisch vor allem in der Bundesrepublik Deutschland, wo die Grünen in Tschernobyl eine Bestätigung ihrer apokalyptischen Warnungen sahen und dabei auf verstärkte Resonanz und Akzeptanz hoffen konnten. Das Bedrohungsszenario war nicht mehr diffus, theoretisch, sondern konkret geworden, mit einem Namen verbunden, der ob seiner moralisch aufgeladenen Bedeutung sich einem rationalen Diskurs zunehmend entzog. Dem Anwachsen eines Bedrohungsgefühls und der damit einhergehenden Änderung der veröffentlichten und öffentlichen Meinung über die Notwendigkeit der friedlichen Nutzung von Atomenergie und deren wissenschafts- und wirtschaftspolitischer Bedeutung in der Bundesrepublik Deutschland konnte sich auch die oppositionelle SPD, wenngleich nicht aus innerer Überzeugung, sondern aus taktischen Erwägungen, nicht entziehen. Sie schwenkte von ihrer Unterstützung der Kohlenutzung, die einen weiteren Ausbau der Kernkraftwerke nicht ausschloss, auf die Linie der Grünen und der Anti-Atombewegung ein, die eine generelle Stilllegung aller Atomkraftwerke und eine ökologische Energiewende forderten. Damit waren auch die politischen Positionen klar bezogen. CDU/CSU sowie FDP lehnten diese Forderung mit dem Hinweis auf die Energiesituation des Landes und die erheblichen Kosten, die die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie massiv beeinträchtigen würden und deren Kosten zu einem erheblichen Teil die Endverbraucher zu bezahlen hätten, ab und sprachen von der Atomtechnologie als einer notwendigen »Übergangstechnologie« in ein neues Energiezeitalter, dessen Strukturen sich jedoch noch einer endgültigen Entscheidung entzogen. SPD und Grüne, unterstützt von der AntiAtombewegung, forderten hingegen den generellen Ausstieg aus der mit erheblichen

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Risken und Folgekosten verbundenen Atomenergie, wie das Beispiel Tschernobyl sowie die nicht geklärte Frage der Endlagerung zu beweisen schienen. Wenngleich sich der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß zum Umweltschutz bekannte, der im April 1984 in Bayern in den Verfassungsrang erhoben wurde, und die negativen Seiten der Atomenergie keineswegs leugnete, so sah er in den modernen Technologien den unverzichtbaren Motor des ökonomischen, sozialen und wissenschaftlichen Fortschritts. Er sah in der Kernenergie die »sauberste« und beliebig reproduzierbare Energiequelle unter der Voraussetzung, dass Reaktordefekte oder -unfälle vermieden werden konnten. Unbedingt notwendig seien jedoch auch rechtzeitig ergriffene Maßnahmen zur Entsorgung, Wiederaufbereitung und Endlagerung der atomaren Brennstäbe. 1979 hatte der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht erklärt, die bei Dragahn geplante atomare Wiederaufbereitungsanlage sei aufgrund des wachsenden Widerstandes politisch nicht durchsetzbar. Ein anderer Standort musste daher gefunden werden. Strauß sah darin eine Chance für die Positionierung Bayerns als technologischen Spitzenstandort und leitete Verhandlungen mit der Deutschen Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen ein, die am 8. Februar 1985 zu einem positiven Ergebnis führten. Die Bayerische Staatsregierung stimmte dem Bau einer Atomaren Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf zu, ein Beschluss, der zu einer deutlichen Verstimmung zwischen Strauß und Albrecht führte. Der niedersächsische Ministerpräsident sah zwar eine Realisierung eines solchen Projekts in Dragahn als nicht durchsetzbar an, hatte sich aber auf die Suche nach einem alternativen Standort in Niedersachsen begeben, da er dieses Projekt aus wirtschaftlichen Gründen in seinem Bundesland realisieren wollte. Nun hatte Bayern dieses lukrative Projekt an Land gezogen. In München argumentierte man gegenüber Albrechts Verstimmung durchaus zu Recht, in der Zwischenzeit seien mehr als fünf Jahre vergangenen, in denen es Niedersachsen nicht gelungen sei, einen Standort zu finden. In der Person von Franz Josef Strauß vereinte sich wie in keiner zweiten der scheinbare Widerspruch zwischen agrarischen Traditionen und dem damit einhergehenden Landesbewusstsein und dynamischen urbanen Entwicklungslinien, der sich in seinem Spruch »Laptop und Lederhose« manifestierte. Dabei war dieser scheinbare Widerspruch ein Ergebnis der dynamischen und zielbewussten Landespolitik der CSU, die Bayern mit der Entwicklung einer modernen und dynamischen Industrie- und Forschungsstruktur zum wirtschaftlich erfolgreichsten Bundesland der Bundesrepublik Deutschland werden ließ. Durch das von der CSU gestaltete Dreieck von Wirtschaft, Lebensqualität, Heimatbewusstsein wurde der Freistaat zu deren politischem Hegemonialbereich. Und Franz Josef Strauß, dessen bundespolitische Ambitionen nie in Erfüllung gingen, war die Verkörperung der CSU schlechthin. »Als nationalkonservativer Hardliner verschrien, der wortstark gegen Sozialismus, Individualismus und Sittenverderbnis polterte, war er zugleich ein emsiger

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Netzwerker, der immer neue zukunftsträchtige Firmen nach Bayern holte, enge Verbindungen zwischen Politik und Wirtschaft pflegte und half, das Land zum wichtigsten Wissenschaftsstandort Deutschlands zu machen.«115 In seinen Erinnerungen bemerkte Strauß zu seinem landespolitischen Credo  : »Bayern in seiner bäuerlichen und gewerblich-mittelständischen Struktur zu erhalten, es aber gleichzeitig zu einem modernen Industriestaat mit weltweit anerkannter Spitzenstellung auszubauen, ist mein Ziel nicht erst, seit ich am 6. November 1978 zum Bayerischen Ministerpräsidenten gewählt wurde. Schon als Atom- und Verteidigungsminister habe ich im Rahmen des Möglichen und Verantwortbaren dafür gearbeitet. Dass in Gaching bei München der erste Kernversuchsreaktor der Bundesrepublik gebaut und dass dort ein international führendes Forschungszentrum errichtet wurde, geht … auf mich zurück … (…) Was ich für Bayerns wirtschaftlichen Aufstieg schon in meiner Bonner Zeit getan habe, ist seit der Übernahme des Amtes des Bayerischen Ministerpräsidenten meine besondere Pflicht. Ich bin überzeugt davon, dass die Zukunft der nächsten Generation nur gesichert werden kann, wenn wir im Wettbewerb mit anderen hochindustrialisierten Staaten und den Konkurrenten von morgen Schritt halten. Die Verantwortung für die Lebens- und Arbeitswelt verpflichtet uns, den wissenschaftlich-technischen Fortschritt nachhaltig zu fördern und zu nutzen. Technikfeindlichkeit, Zivilisations- und Kulturpessimismus, Verklärung der Vergangenheit und Flucht vor der Gegenwart lösen keine Probleme.«116 Die im Sinne dieser Entwicklungsstrategie von der Bayerischen Staatsregierung gefällte Entscheidung für die Errichtung einer Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf stieß jedoch auf zunehmenden Widerstand. Bereits zu Ostern 1985 kam es zu einer Großdemonstration mit gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen gewusst auf Gewalt setzenden Demonstranten aus verschiedenen K- und AnarchoGruppen und den Ordnungskräften, und im Bayerischen Landtag lehnte die SPD die Errichtung einer Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf als ökologisch gefährlich und ökonomisch unsinnig ab und forderte einen Atomausstieg. In einer Diskussion im Bayerischen Landtag kam es zu einer heftigen Kontroverse zwischen dem bayerischen Justizminister August Lang und der SPD, als Lang aus Untergrundzeitungen zitierte, in denen zum Kampf gegen »das ganze Schweinesystem« und zur Zerschlagung des Staates aufgerufen wurde und der SPD vorwarf, mit solchen »Staatsfeinden« zu sympathisieren. Franz Josef Strauß entgegnete der empörten SPD-Fraktion, der Schwandorfer Landrat habe in einer unverantwortlichen und polemischen Art und Weise die Proteste gegen die WWA sogar mit dem Widerstand im Dritten Reich verglichen. Am 11. Dezember, dem Tag des Beginns der Bauarbeiten 115 Ulrich Herbert  : Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert. – München 2014. S. 981. 116 Franz Josef Strauß  : Die Erinnerungen. – Berlin 1989. S. 542ff.

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in Wackersdorf, setzte die SPD die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Überprüfung der wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Region durch. Der Bericht des Untersuchungsausschusses lag dem Bayerischen Landtag am 24. Juli 1986 vor und sah kein Fehlverhalten der Bayerischen Staatsregierung. Die SPD-Mitglieder formulierten hingegen einen Minderheitenbericht, in dem sie der Staatsregierung eine zu große Nähe zum Projektbetreiber und einen Subventionswettlauf mit Niedersachsen vorwarf. Am 31. März 1986, einem Ostersonntag, kam es zu einer neuerlichen, teilweise gewalttätigen, Großdemonstration gegen die WAA und vier Wochen später ereignete sich die Katastrophe von Tschernobyl. Ulrich Beck sah in der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl das Ende der ersten klassischen Moderne mit ihren Parametern Fortschrittsbewusstsein, Massenproduktion, Klassenkonflikten und imperialen Kriegen. Mit Tschernobyl seien die Neben- und Folgewirkungen und -kosten der vom Fortschrittsglauben getriebenen Industrialisierung als neue Parameter in den Vordergrund getreten. Ökologische Katastrophen hätten ihren regional begrenzten Charakter verloren und wären, ebenso wie die Märkte, global geworden.117 Zweieinhalb Monate nach Tschernobyl, am 17. Juli 1986, diskutierte der Bayerische Landtag neuerlich über das Thema Energiepolitik, in der Ministerpräsident Franz Josef Strauß eine Grundsatzrede hielt, in der er auf die zentralen Probleme der Kernenergiepolitik einging. Er nehme die Ängste der Menschen durchaus ernst, erklärte er, doch warne er vor einer Panik. An ihrer Stelle müsse die Diskussion von Vernunft und nicht von Emotionen geprägt sein. Der steigende Energieverbrauch sei ein Kennzeichen aller fortschrittlichen Gesellschaften und man müsse dies mit den Folgekosten für die Umwelt abwägen. Bis auf absehbare Zeit, so seine Schlussfolgerung, könne sich die Bundesrepublik Deutschland aus finanziellen, handelstechnischen und Umwelt-Gründen einen Ausstieg aus der Kernenergie nicht leisten, da die erneuerbaren Energien den Energiebedarf nicht in dem erforderlichen Ausmaß decken können. Würde man auf die Atomenergie verzichten, müsste man auf die extrem umweltschädliche Braunkohle zurückgreifen. Nicht der Ausstieg aus der Kernenergie, sondern die Erreichung der höchstmöglichen Sicherheitsstandards sei das Gebot der Stunde. Sollten neue umweltfreundliche Energiequellen durch die wissenschaftliche Forschung zur Verfügung gestellt werden, so werde man dies freudig begrüßen und auch realisieren. Bis dahin jedoch müsse man mit der Kernenergie als einer Übergangstechnologie leben, wolle man nicht zum Armenhaus werden.118 Er wandte sich gegen die Verteufelung von Wackersdorf, das im System des nationalen integrierten Versorgungs- und Entsorgungskreislaufs von abgebrannten Brennstäben notwendig sei und kam abschließend auf das von den Demonstranten 117 Ulrich Beck  : Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. – Frankfurt am Main 2007. 118 Horst Möller  : Franz Josef Strauß. Herrscher und Rebell. – München/Berlin 2015. S. 670ff.

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gegen die Wiederaufbereitungsanlage immer wieder für sich in Anspruch genommene Widerstandsrecht zu sprechen. Bei einem Teil der Demonstranten handle es sich um gewaltbereite Berufsdemonstranten, deren Triebfeder nicht die Angst vor der Atomenergie sei, sondern der Kampf gegen das politische System und damit die freiheitlich-demokratische Ordnung. »Gegen diese Feinde der Freiheit müssen wir die Handlungsfähigkeit des Rechtsstaates und die Funktionsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie verteidigen.« Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland habe die Lehren aus der Weimarer Republik und dem nationalsozialistischen Terror gezogen. »Das Recht auf Widerstand sei daher ausdrücklich im Grundgesetz verankert. »Aber dieses Recht ist nur gegeben, wenn unsere freiheitliche, demokratische Ordnung in Gefahr gerät, und es ist nicht gegeben, wenn man diese Ordnung zerstören will.« Der Gebrauch des Wortes »Widerstand« seitens der Demonstranten verhöhne diejenigen, die unter Einsatz ihres Lebens Widerstand gegen den Nationalsozialismus oder andere totalitäre Systeme geleistet hätten und noch leisten.119 Genau dies aber verkörperten für Strauß die gegen die WAA Wackersdorf regelmäßig aufmarschierenden lautstarken Demonstranten, unter denen sich in zunehmendem Maße auch Salzburgerinnen und Salzburger sowie Salzburger Lokalpolitiker befanden. Er sah in ihnen die Repräsentanten einer zeitgeistigen rückwärtsgewandten Utopie, der es aus staatspolitischer Verantwortung entgegenzutreten gelte. Die nunmehr einsetzende Auseinandersetzung um die atomare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf (WAA) wurde zu einem neuen Brennpunkt des auch vor Gewalt nicht zurückschreckenden Widerstands der Anti-Atombewegung. Die Grundlage des Widerstands lieferte dabei ein Verständnis des Widerstandsrechts, in dem sich die Protestierer als präsumtive Opfer sahen, die aus dem moralischen Postulat der Verantwortung für das Gattungswesen Mensch einerseits und dem Versagen bzw. Nichthandeln der Politik andererseits zu Aktionen greifen mussten. Entrüstung wurde, entgegen dem Diktum Bismarcks, zu einer politischen Kategorie. Nach den jeweils massenmedial ausführlich berichteten Aktionen in Brokdorf, Gorleben oder Kalkar hatte der Protest damit einen neuen Brennpunkt, in dem sich auch eine überwiegend konservativ-bäuerliche Bevölkerung, eine traditionelles Stammklientel der CSU, zu einem unerwartet heftigen Widerstand in den gesetzlich vorgeschriebenen Verhandlungstagen formierte. Zusätzliche Brisanz erhielt dieser Widerstand durch den Umstand, dass er auch in das benachbarte Österreich, vor allem nach Salzburg, ausstrahlte. Dabei wurde deutlich, dass der Einfluss der Anti-Atom- und Ökologiebewegung, vielfach unterstützt von der veröffentlichten Meinung, in der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre über die überschaubare Mandatszahl der Grünen in den nationalen Parlamenten deutlich hinausreichte und die etablierte Politik schließlich zum Abschied von bereits gefassten energiepolitischen Beschlüssen 119 Zit. bei Möller  : Franz Josef Strauß. S. 674.

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zwang.120 In Öster­reich war dies bereits in Zwentendorf und Hainburg geschehen, in der Bundesrepublik Deutschland erfolgte dieser Schritt, begleitet von heftigen Protesten und Demonstrationen, in der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre. Die Bonner Regierung verabschiedete sich schließlich von der Inbetriebnahme des 7 Milliarden DM (3,5 Milliarden Euro) teuren »Schnellen Brüters« in Kalkar ebenso wie von der Realisierung des geplanten Hochtemperatur-Reaktors in Hamm-Uentrop. Energiepolitische Makulatur wurde auch die WAA in Wackersdorf am 30. Mai 1989, allerdings nicht aufgrund der anhaltenden Demonstrationen, sondern des Bauträgers, des Energiekonzerns VEBA, der das Projekt als betriebswirtschaftlich unrentabel betrachtete. Zum Zeitpunkt des Beschlusses war Franz Josef Strauß nicht mehr Ministerpräsident des Freistaates. Er war 1988 nach zehnjähriger Funktion als bayerischer Ministerpräsident und einer erheblichen atmosphärischen Störung zwischen München und Salzburg im Zuge der Auseinandersetzung um WAA in Wackersdorf, die auch von entsprechenden Medienkommentaren begleitet war, zurückgetreten. In Salzburg waren die Auswirkungen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl deshalb gravierend, weil eine nach dem Ereignis einsetzende ungewöhnliche Luftströmung die kontaminierten Wolken über Schweden Richtung Südwesten nach Österreich lenkte. Die Meldungen über die Reaktorkatastrophe kamen zögerlich und waren verwirrend. Die russischen Meldungen bedienten sich Formulierungen, die keinen Anlass zu besonderer Besorgnis auslösten. Der Reaktor sei beschädigt und alle Maßnahmen zur Beseitigung der Folgen seien ergriffen worden, hieß es aus Minsk und Moskau. In Schweden wurden jedoch deutlich erhöhte radioaktive Werte gemessen und die Meldungen der westeuropäischen Agenturen signalisierten eine erheblich kritischere Situation. Angesichts der sich mehrenden kritischen Meldungen – am 29. April wurden um 13.30 Uhr am Wiener Atominstitut eine erhöhte Strahlenbelastung gemessen – trat die Bundesregierung am 30. April zu einer nächtlichen Krisensitzung zusammen, um die Frage eines Verbots der Maiaufmärsche am folgenden Tag zu besprechen. Während sich die Wolken Oberösterreich und Salzburg näherten, die Entscheidung fiel zugunsten der Abhaltung der Maiaufmärsche.121 Für Salzburg und große Teile Oberösterreichs wurde gravierend, dass in der Nacht vom 30. April zum 1. Mai ein Gewitter mit wolkenbruchartigen Regenfällen niederging und damit die radioaktiven Substanzen wie Jod-131, Ruthenium–106, Stron-

120 Herbert  : Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert. S. 1000. 121 Vgl. Georg Schöfbänker  : Tschernobyl – Krisenmanagement und Informationspolitik in Österreich. – In  : ÖZP 1/1988. S. 33–42., Herbert Vetter  : Tschernobyl – Konkrete Gefahren und öffentliche Reaktionen. – In  : SWS-Rundschau 2/1988. S. 172–186  ; Ernst Gehmacher, Manfred Machold, Gerd Lukawetz  : Angst in der Wohlstandsgesellschaft. Tschernobyl, Glykol, AIDS – als Beispiel. – In  : Ebda. S. 1987–202.

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tium-90 und Cäsium-137 aus den Wolken »auswusch«, jedoch den Boden kontaminierte und damit das Leben der betroffenen Bevölkerung, der Tiere und der Umwelt veränderte.122 Nun erst erfolgten behördliche Maßnahmen und wurden Krisenkomitees gebildet. Schwangere und Kleinkinder sollten zu Hause bleiben, frische Milch sollte nicht getrunken werden, Bauern, sofern sie noch altes Heu hatten, ihre Kühe nicht ins Freie lassen, der Verkauf von Frischgemüse und Milch ab Hof untersagt, Salat musste teilweise vernichtet werden, die Freibäder wurden geschlossen, Sportveranstaltungen untersagt, das Rasenmähen ebenso verboten wie das Straßenkehren, mit Straßenschuhen sollte nicht in die Wohnung gegangen werden usw. Die Erregung, Unsicherheit und Betroffenheit war allgemein, machte nicht an Parteigrenzen halt. Die Bemühungen der Industrie und von Teilen des ÖGB und der ÖVP, mittels einer Volksabstimmung das Atomsperrgesetz und damit das Verbot der Inbetriebnahme Zwentendorfs doch noch aufzuheben, waren endgültig politische Makulatur geworden. Als am 6. Mai 1986 die Bürgerliste einen Dringlichkeitsantrag im Salzburger Gemeinderat einbrachte, in dem eine Anti-Atom-Partnerschaft mit dem bayerischen Landkreis Schwandorf, in dem Wackersdorf lag, vorgeschlagen und massive Proteste von Land und Bund gegen die WAA Wackersdorf gefordert wurden, fand er die einstimmige Unterstützung aller Fraktionen. Keine Mehrheit fand hingegen der Antrag, die Salzburger Landesregierung aufzufordern, dem bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß den ihm verliehenen höchsten Landesorden wegen dessen Festhalten am Bau von Wackersdorf wieder abzuerkennen. Die Anti-Atom-Stimmung gewann an Dynamik, als zwei Tage später rund 3000 Salzburgerinnen und Salzburger an einem Protestmarsch vom Mirabellgarten zum Alten Markt teilnahmen, wo auf einer Abschlusskundgebung nicht nur der Stopp aller Atomprogramme in Ost und West, sondern auch ein Ende des Baus der WAA 122 Die Folgen sind auch noch 30 Jahre nach der Reaktorkatastrophe messbar. Jod131 hat eine Halbwertszeit von lediglich 8 Tagen, Cäsium-137 hingegen von 30 Jahren, d. h. die Belastung mit radioaktiven Substanzen ist nur um die Hälfte gesunken. In Gebieten, in denen ab dem 30. April besonders viel Regen fiel, in Salzburg, Gmunden und Wels sowie den Waldzonen des alpinen Bereichs, ist die Cäsium-137-Belastung nach 30 Jahren noch immer höher als der Halbzeitwert. Cäsium-137 ist auch nach 30 Jahren in der Milch und im Rindfleisch nachweisbar, kommt jedoch nach den Messungen der Österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit (Ages) in so geringen Mengen vor, dass sie für den Konsum durch den Menschen unbedenklich sind. Erhöhte Belastungen über dem Grenzwert sind hingegen auch nach 30 Jahren bei Pilzen und Wild feststellbar. Nach 2016 durchgeführten Messungen der Ages in besonders vom Regen betroffenen Waldgebieten Salzburgs und Oberösterreichs wurde bei 15 von 16 Wildschweinproben der Grenzwert überschritten, teilweise um das Siebenfache. Laut einer Studie der Ages beträgt die Bestrahlung aus dem Tschernobyl-Fallout nur mehr einen kleinen Teil der normalen Strahlenbelastung der Österreicherinnen und Österreicher wie z. B. durch kosmische Strahlung oder medizinische Behandlung. (Die Presse 24.4.2016. S. 36f.)

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Wackersdorf gefordert wurde. Die parteiübergreifende Protestversammlung wurde das politische Spielfeld der Bürgerliste, die in einem Akt symbolischer Politik den längsten Protestbrief der Welt mit einer Länge von 4 km gegen die WAA Wackersdorf organisierte. Am 17. Mai schlossen sich auf Initiative der Psychologin Karoline Hochreiter besorgte Frauen zur Bürgerinitiative »Mütter für eine atomfreie Zukunft« zusammen und drei Tage später konstituierte sich die »Überparteiliche Plattform gegen die WAA Wackersdorf«, der aufgrund der allgemeinen Stimmung auch Vertreter der vier im Gemeinderat vertretenen Parteien angehörten. Am 1. Juni reisten rund 2000 Salzburger Atomgegner mit einem Sonderzug sowie zahlreichen Bussen und Pkw zu einer Demonstration gegen die WAA Wackerdorf nach Schwandorf, bei der der Salzburger evangelische Pfarrer Volker Toth eine Predigt hielt und die Stadtpolitiker Bürgermeister Josef Reschen und Stadtrat Johannes Voggenhuber das Wort ergriffen. Reschen erklärte, die Salzburger seien nicht als Bittsteller gekommen, sondern forderten den sofortigen Baustopp der WAA. Die durch den Reaktorunfall von Tschernobyl ausgelöste Verunsicherung und Anti-Atom-Stimmung manifestierte sich am 10. Juni, als der Biophysiker Friedrich Steinhäusler im zum Bersten vollen Kongresshaussaal über Tschernobyl und die Folgen sprach. Wegen des außerordentlichen Interesses musste der Vortrag wiederholt werden. Die Stadtplanerin und Gründungsmitglied der »Mütter für eine atomfreie Zukunft«, Adrienne Kloss-Elthes, befand sich unter den Besuchern der Veranstaltung. »Die Fakten erdrücken mich. In der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai betrug die radioaktive Belastung in Salzburg 450 Mikroröntgen pro Stunde, sie sank dann schnell und liegt heute bei ca. 30 Mikroröntgen pro Stunde. Erst in 30 Jahren wird sie auf die Hälfte gesunken sein und erst 300 Jahre später wird der Normalwert, nämlich sechs bis acht Mikroröntgen pro Stunde, wie vor der Katastrophe erreicht sein. In Wien war zur gleichen Zeit der höchste gemessene Wert 30 Mikroröntgen pro Stunde.«123 Trotzkis Forderung nach der permanenten Revolution wurde von den sich auf einer breiten Basis formierenden Atomgegnern in eine der permanenten Aktion und Demonstration modifiziert. Mahnwachen, Feiern zur Anti-AtomPartnerschaft Salzburg-Schwandorf, Fahrraddemonstrationen jedweder Art, eine ökumenische Wallfahrt nach Altötting, Aktionstage mit Künstlern, Ausstellungen, Anti-Atom-Konferenzen und Demonstrationen in Salzburg und Bayern lösten einander in einer dichten Reihenfolge ab. Bei so viel Aktionismus konnte die Politik nicht zurückstehen. Am 15. September wurde in Salzburg nicht nur der 4. Europäische Strahlenkongress eröffnet, sondern erfolgte auch der einstimmige Beschluss des Stadtsenats, im Namen des Stadtratskollegiums sowie der »Mütter für eine atomfreie Zukunft« gegen die bereits erfolgte 123 Adrienne Kloss-Elthes  : Im Widerstand gegen die Atomkraft. Gesehen mit den Augen einer Mutter. – In  : Stadt im Umbruch. Salzburg 1980 bis 1990. S. 123–151. S. 126.

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erste atomrechtliche Genehmigung der WAA Wackersdorf durch den Würzburger Rechtsanwalt Wolfgang Baumann Klage zu erheben und dafür einen Kostenrahmen von 175.000 Schilling zu bewilligen. Angesichts der öffentlichen Meinung und der Hochsaison des Betroffenheitskults – drei Monate nach Tschernobyl sprachen sich 91 Prozent der Salzburgerinnen und Salzburger gegen den Bau von Wackersdorf aus, in Österreich war das Unwort des Jahres »kontaminiert« und in Salzburg der Satz »Tschernobyl ist überall« – musste auch die Landespolitik aktiv werden. Sie war bereits vor der Katastrophe von Tschernobyl aktiv geworden. Wenngleich grün-alternative Themen in immer größeren Wählersegmenten der drei traditionellen Parteien, vor allem jedoch in der ÖVP, auf zunehmende Akzeptanz stießen, so blieb der moralische Betroffenheitsgestus (noch) weitgehend auf grünalternative Kernwählerschichten beschränkt, weshalb der von der Bürgerliste bereits in der ersten Hälfte der Achtzigerjahre forcierte Kampf gegen die WAA Wackersdorf einen relativ geringen politischen Mobilisierungsgrad erreichte. Bereits 1983 und 1985 hatte die Bürgerliste im Salzburger Gemeinderat die geplante Errichtung der WAA in Wackersdorf thematisiert und die übrigen Fraktionen am 29. Oktober 1985 zu dem einstimmig gefassten Beschluss veranlasst, an die Landesregierung mit der Bitte heranzutreten, im Rahmen ihrer Möglichkeiten bei der Bundesregierung und der bayerischen Landesregierung gegen die geplante WAA Wackersdorf zu intervenieren, wobei der Wortlaut des Dringlichkeitsantrags der Bürgerliste übernommen wurde. Wenige Tage zuvor, am 16. Oktober, hatte Landesumweltanwalt Eberhard Stüber Landeshauptmann Wilfried Haslauer sen. aufgefordert, die vielfach geäußerten schweren Bedenken gegen die WAA Wackersdorf zum Anlass zu nehmen, um gegenüber der bayerischen Landesregierung gegen den geplanten Bau Stellung zu beziehen. Stüber galt als bestens vernetzt und Sammelstelle für atomkritische Stimmen und verfasste eine Zusammenfassung der ihm übermittelten Einwände. Es war die Breite der involvierten Institutionen, die die Landesregierung veranlasste, ihre bisher zurückhaltende und vorsichtige Haltung gegenüber München zu ändern. Bereits im Juni 1984 war sie vom »Weltbund für den Schutz des Lebens« über den geplanten Bau der WAA Wackersdorf informiert worden und begann in der Folgezeit, nähere Informationen bei der bayerischen Landesregierung einzuholen sowie ein mögliches gemeinsames Agieren der Länder Vorarlberg, Tirol, Oberösterreich und Salzburg zu ventilieren. Nunmehr ging sie einen Schritt weiter und fasste am 27. Jänner 1986 den einstimmigen Beschluss, offiziell ihre Bedenken gegen den Bau der WAA Wackersdorf zum Ausdruck zu bringen, wobei sie die von Stüber zusammengefassten Einwände und Zweifel an der Umweltverträglichkeit der zum Einsatz kommenden Sicherheitstechnik ihrem Schreiben an die bayerische Staatskanzlei anschloss. In München reagierte man sichtlich verärgert und mit wenig Zurückhaltung. Das Umweltministerium sah in Stübers Papier völlig unzutreffende

Wackersdorf – Die Apokalypse vor der Haustür  ?

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Verleumdungen und der bayerische Ministerpräsident qualifizierte es als »pseudowissenschaftliche Scharlatanerie« ab.124 Das Echo in den Salzburger Medien war erheblich, politisches Porzellan war zerschlagen. Landeshauptmann Wilfried Haslauer sen. schätzte den bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß und betrachtete dessen Politik als nachahmenswertes Beispiel für Salzburg. Die Ereignisse von Tschernobyl rund einen Monat nach der polternden Erklärung von Strauß schienen jedoch die von Stüber zusammengefassten Bedenken und Einwände zu bestätigen und erzeugten einen landespolitischen und nationalen Konsens. Michael Frank, der Österreich-Korrespondent der »Süddeutschen Zeitung« berichtete aus Wien, dass sich de facto ganz Österreich an die Spitze der WAA-Bewegung gesetzt habe.125 Nicht nur die Salzburger Landespolitik wurde aktiv, sondern auch die Bundespolitik. Dabei wurde argumentiert, eine solche Intervention eines Nachbarlandes sei deshalb gerechtfertigt, weil in Wackersdorf die einzige Wiederaufbereitungsanlage entstünde, »die nicht am Meer, sondern in rundum dicht besiedeltem Gebiet liegt, wodurch unabhängig von der Windrichtung sowohl im Normalbereich als auch bei einem möglichen Störfall immer ein Teil der Bevölkerung des umliegenden Gebietes direkt belastet wäre. In Salzburg können radioaktive Freisetzungen aus der WAA, insbesondere bei möglichen Unfällen, zu hohen radioaktiven Konzentrationen führen, die um Größenordnungen über den deutschen und österreichischen Grenzwerten nach Tschernobyl liegen können.«126 Die österreichischen Reaktionen führten zu einer deutlichen Abkühlung der sonst so freundschaftlichen Beziehungen zwischen Bonn und Wien sowie zwischen München und Wien bzw. Salzburg. Der Salzburger Landeshauptmann versuchte angesichts der zunehmend von Emotionen geprägten Entwicklung einen schwierigen, kaum zu bewältigenden politischen Spagat. Im Juni strich er, um sein persönlich enges Verhältnis zu Strauß und das gute nachbarschaftliche Verhältnis zu Bayern nicht zu gefährden – sowohl Strauß wie auch die bayerische Landesregierung betrachteten zunehmend gereizt die Salzburger Proteste und Demonstrationen als unstatthafte Einmischung in innere Angelegenheiten und kritisierten offen vor allem die Politik der Stadt Salzburg –, eine anlässlich einer Ordensverleihung durch Strauß in München im ursprünglichen Redetext vorgesehene kritische Passage zu Wackersdorf, was ihm von den »Salzburger Nachrichten« umgehend den Vorwurf des Verlustes des aufrechten Ganges einbrachte.127 Dies vor allem deshalb, weil im Sommer 124 Zit. bei Georg Schöfbänker, Erfried Erker  : Wackersdorf und Salzburg. Konturen einer Politik gegen eine Plutoniumfabrik. – In  : SJP 1989. S. 99–120. S. 104. 125 Zit. bei Schöfbänker, Erker. S. 110. 126 Ebda. S. 100. 127 SN 20.6.1986. S. 1f.

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Ökologie – Ein neues Generalthema der Politik

1986 die Auseinandersetzung um die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf mit dem vom bayerischen Innenministerium mit der Begründung der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ausgesprochenen Einreiseverbot für österreichische Demonstranten ihren Höhepunkt erreichte. Wenige Wochen zuvor hatte der deutsche CSU-Innenminister Zimmermann mit der Androhung eines Wirtschafts- und Touristenboykotts im Fall eines Andauerns des Anti-WAA-Kurses Öl ins Feuer gegossen, das durch das Bekanntwerden eines Briefes von Strauß an Bundespräsident Kurt Waldheim, indem er die Salzburger und österreichischen Einwände und Forderungen als »Zumutung« bezeichnet hatte, nochmals Nahrung erhielt. Deutsche Medien sprachen bereits von der bayerisch-österreichischen Grenze als von einem »Krisengebiet«. Michael Schmolke analysierte im Rückblick 1989 ironisch, aber durchaus treffend, die Stimmung im Land als Triumph der Gesinnungsethik, einen hoch emotionalisierten Tugendterror. Spätestens seit dem Sommer 1986 müsse man in Salzburg, »wenn man überhaupt etwas zu Wackersdorf sagen will, dagegen sein. Die Kernkraftgegner sind vom Prinzip her dagegen, die Grünen und die sonstigen Alternativen sind jedenfalls dagegen, viele, die sich vor Tschernobyl-Folgen zu fürchten beginnen, sind dagegen, und eben deren sanfte Vorhut, die mit Recht sich fürchtenden Mütter kleiner Kinder …« Dies bewirke, »dass fortan auch die Spitzen von Staat und Gesellschaft dagegen sind  : der Erzbischof mit Gefühl und offenem Wort, der Bürgermeister mit Aplomb, der Landeshauptmann diplomatisch, ein wenig gequält, die Bundesregierung ›mit Festigkeit‹ …« Im ORF-Landesstudio begann mit Unterstützung der Universität eine Diskussionsreihe über »Feindbilder«. »Feindbild Nr. 1 in Stadt und Land Salzburg sind ›die Bayern‹. Wenn die Sache nicht zu ernst wäre und die Vorgänge, die sich aus dem wechselseitigen Aufschaukeln ergeben, so politdegoutant, ließe sich historisch frotzeln  : Die Bayern haben den Salzburgern schon oft einen guten Feind und nur selten einen Bundesgenossen abgegeben. Feindbild Nr. 2 werden ›die (damals noch nicht glasonisierten) Russen‹  : Der Schock der wirklichen Katastrophe gebiert mehr Mitleid als Kritik … Feindbild Nr. 2 wird eher die ›paralysierte‹ Verwaltung und deren in der Tat zwischen Hü und Hott schwankende Informationspolitik.«128 Angesichts der eskalierenden Lage war Deeskalation und Beruhigung angesagt. Hinter den Kulissen der öffentlichen Erregung begann eine stille Diplomatie zwischen Wien und Bonn, die im Dezember 1986 zu einem Abkommen über die Information über kerntechnische Anlagen führte. Darin wurde am 16. Dezember in einem von deutscher Seite vorgelegten Vertragsentwurf Österreich die Abgabe von Stellungnahmen und die Teilnahme an Anhörungen eingeräumt, jedoch eine Par128 Michael Schmolke  : Das Abhandenkommen der Experten. Ketzerische Überlegungen anlässlich des »Wackersdorf-Syndroms«. – In  : SJP 1989. S. 121–142. S. 121.

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teienstellung bei Verfahren verweigert. Diese Einschränkung wurde jedoch bereits am folgenden Tag Makulatur, als das Bundesverwaltungsgericht für die Teilnahme von Ausländern an bundesdeutschen atomrechtlichen Verwaltungsverfahren entschied. Damit war die formale Voraussetzung für die Beteiligung von Österreicherinnen und Österreichern an atomrechtlichen Verfahren in der Bundesrepublik gegeben. Der zweite entscheidende Schritt erfolgte am 2. April 1987 durch das Erkenntnis des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, mit dem die erste atomrechtliche Teilgenehmigung der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf aufgehoben wurde. Dies hatte zur Folge, dass das atomrechtliche Genehmigungsverfahren neu durchgeführt werden musste und damit ein neues Verfahren inklusive der Möglichkeit der Vorbringung von Einwänden notwendig wurde. Dieser neuerliche »Erörterungstermin« erfolgte unter erheblicher medialer Aufmerksamkeit und breitem öffentlichen Interesse zwischen dem 11. Juli und 12. August 1988 im bayerischen Neunburg vorm Wald, bei dem seitens Salzburgs und Österreichs insgesamt rund 420.000 »Einwendungen« präsentiert wurden. Im Vorfeld der neuerlichen Verhandlung hatte der Salzburger Landtag im Interesse der Sicherung der Interessen der Bevölkerung beschlossen, offiziell gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf Einwände zu erheben. Rund 100.000 der insgesamt 420.000 Einsendungen aus Österreich stammten aus Salzburg, das von Landesrat Sepp Oberkirchner vertreten wurde. Das Beispiel Wackersdorf und die daraus resultierenden Spannungen zwischen Salzburg/Wien und München/Bonn bildeten beinahe eine idealtypische Realisierung des Modells des Eindringens eines kulturellen Themas in die Politik, die sich dem Phänomen ob seiner Breitenwirkung nicht entziehen kann und zur Definition neuer politischer Ziele und den daraus resultierenden Handlungen gezwungen ist. Ökologische Wertvorstellungen gewannen ab Anfang der Achtzigerjahre in zahlreichen westlichen Industrienationen an Bedeutung. Vor allem bei höher gebildeten und einkommensstärkeren Bevölkerungsgruppen wurde das Umweltbewusstsein, die Besorgnis um die Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen und deren Folgen wie saurer Regen, Luftbelastung, Verwendung von für die Umwelt und die Gesundheit der Menschen gefährlichen Chemikalien, Müllvermeidung usw., zu einem zunehmend dominanten Thema. Wenngleich diese Besorgnis bei den formal besser gebildeten einkommensstärkeren Bevölkerungssegmenten der westlichen Industriestaaten deutlich höher ausgebildet war als bei formal niedriger gebildeten und einkommensschwächeren, so kam die Comission of the European Communities 1986 zu dem Schluss, dass diese Unterschiede nicht Variationen im Grad der Besorgnis widerspiegeln, sondern dass diese »am ehesten durch die nach sozialen Gruppen ungleich verteilten kognitiven Wahrnehmungspotentiale erklärbar« seien, jedoch »nichts am Gesamteindruck des überwiegenden Teils der Westeuropäer ändern, die Regierungen schenkten der Umweltfrage zu wenig Beachtung und sollten in Zukunft

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Ökologie – Ein neues Generalthema der Politik

entschieden Maßnahmen ergreifen.«129 Bei diesem kulturellen Wandlungsprozess kam den Massenmedien durch die Formulierung und Selektion des Umweltthemas in Form der Berichterstattung über gesundheitsgefährdende Unfälle oder generelle ökologische Themen und die damit erfolgende Schaffung eines ökologischen Bewusstseins eine zentrale Rolle zu. Öffentliche Meinung, so Noelle-Neumann, entsteht jedoch nicht nur aufgrund einer breit aufbereiteten Zustimmung, sondern durch die Wirkung der Medien, durch die auch von diesen erzeugte Angst von Menschen, die dieser Meinung nicht aus tiefster Überzeugung anhängen, sich ihr dieser aus Furcht vor Isolation jedoch schließlich anschließen.130 Sie bildeten zunehmend den Resonanzboden für die seit den Siebzigerjahren verstärkt aktiv werdenden Umweltbewegungen, deren bisher minoritäre Positionen eine breite Publizität erfuhren und sie aus ihrer thematischen Insellage befreiten. Als Katalysator der kulturellen Wandlungsdynamik dienten und dienen Umweltkatastrophen wie jene von Tschernobyl oder Fukushima, die zum emotional und moralisch hoch aufgeladenen Topos, zum kollektiven Erinnerungsort werden und einen Mobilisierungsgrad in bisher nicht gekanntem Ausmaß auszulösen vermögen. »Man könnte von einem Realitätsschock sprechen. Tschernobyl, das war eine Erschütterung, … Ein Realitätsschock, das ist eine lang anhaltende Erschütterung, eine Veränderung der Gefühle, aber auch des Denkens. Etwas, was man bis dahin nicht richtig durchdenken konnte, wird plötzlich ganz deutlich.«131 Das politische System, vor allem die traditionellen Parteien, werden dadurch nicht nur zur Reaktion gezwungen, sondern im Sinne einer Antizipation und Prävention eines bevorstehenden Problemhaushalts zu einer – zumindest evolutionären – Neuformulierung politischer Positionen und Prioritäten. Dieser Paradigmenwechsel erfolgte in den Achtzigerjahren in Form einer »Umwertung der Werte«  : einem sich immer weiter ausbreitenden Wechsel von einem Fortschrittglauben in eine Fortschrittsfeindlichkeit oder zumindest in einen Fortschrittspessimismus, einem Wechsel der Fronten von Konservativen und Progressiven/Linken. Die Betonung der Notwendigkeit und auch Wünschbarkeit des technologischen Fortschritts sowie des rationalen Diskurses über Vor- und Nachteile wurde zunehmend zum Kennzeichen der Konservativen, dessen Problematisierung und Ablehnung und der von apokalyptischen Visionen geprägte angstvolle Blick in die Zukunft jener der Progressiven/ Linken. Die bisher geltende Maxime der Moderne wurde zur Disposition gestellt.

129 Herbert Gottweis  : Politik in der Risikogesellschaft. – In  : ÖZP 1/1988. S. 3–15. S. 7. 130 Elisabeth Noelle-Neumann  : Öffentliche Meinung. Die Entdeckung der Schweigespirale. – Frankfurt am Main/Berlin 1989. 131 Elisabeth Noelle-Neumann  : Die Kernenergie und die öffentliche Meinung. – In  : Dies., Heinz Maier-Leibnitz (Hg.)  : Zweifel am Verstand. Das Irrationale als die neue Moral. 2. Aufl. – Zürich 1989. S. 104–122. S. 104.

»Der Auspuff Europas« – Der Kampf gegen den Transit und die zweite Tunnelröhre

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Indem die Salzburger Landespolitik sich nicht nur zu einer reagierenden, sondern auch antizipierenden Anti-Atom-Politik entschied, vermochte sie durch den damit geschaffenen landespolitischen Konsens das Thema parteipolitisch weitgehend zu neutralisieren. Die Bürgerliste Salzburg-Land hatte damit, so sehr sie dies auch im Wahlkampf für die Landtagswahl 1989 betonte, ihr Alleinstellungsmerkmal und damit ein zugkräftiges Wahlkampfthema verloren.

4.7 »Der Auspuff Europas« – Der Kampf gegen den Transit und die zweite Tunnelröhre Motorisierung und damit das Verkehrsaufkommen dienen als Parameter des Entwicklungsstandes und Wohlstandes einer Gesellschaft. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war nicht nur die Anzahl der Kraftfahrzeuge im Bundesland äußerst bescheiden, sondern befanden sich auch die Straßen in einem desolaten Zustand. Die Motorisierung im Lande war in den ersten Nachkriegsjahren vor allem von Fahrzeugen der amerikanischen Besatzungsmacht und den amerikanischen Straßenkreuzern geprägt. 1947 waren die wichtigsten Instandsetzungsarbeiten an den Landesstraßen weitgehend abgeschlossen. Der Straßenbau des Landes konzentrierte sich in den folgenden Jahren auf die Asphaltierung der noch zahlreichen Schotterstraßen, die Verbreiterung von bestehenden Hauptverkehrsstraßen und die Begradigung der extremen Steigungen bei einigen Passstraßen. 1945 waren 44 Prozent der Bundesstraßen und 88 Prozent der Landesstraßen Schotter- und Staubstraßen, Bundesstraßen hatten eine Breite von unter 6 Metern, Landesstraßen von nicht mehr als 3,9 Metern und die Salzburger Seite des Katschbergpasses war mit einer Steigung von 32 Prozent die steilste Autostraße Europas. Bis 1948 wurde diese extreme Steigung durch Baumaßnahmen auf 14 Prozent gesenkt.132 Die Anwesenheit der amerikanischen Besatzungsmacht und die Auswirkungen des Marshall-Plans ließen Salzburg bereits ab den späten Vierzigerjahren zum Inbegriff des »Goldenen Westens« werden. Und das Einsetzen des Wirtschaftswunders manifestierte sich nach einer Fresswelle in einer ständig zunehmenden Motorisierung, bei der allerdings zunächst noch Motorräder und Mopeds dominierten. Erst Ende der Fünfzigerjahre übertraf die Zahl der Pkw jene der Motorräder und Mopeds, um sie in den Sechzigerjahren deutlich zu distanzieren.

132 Harald Waitzbauer  : Selbst beweglich. Die Straßenverkehrsentwicklung im Bundesland Salzburg 1900–2002. – In  : Roland Floimair (Hg.)  : Verkehrsland Salzburg. – Salzburg o. J. S. 50–71. S. 62f. (Schriftenreihe des Landespressebüros. Serie »Sonderpublikationen«. Nr. 198.)

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Ökologie – Ein neues Generalthema der Politik

Kraftfahrzeuge im Bundesland Salzburg 1947 bis 1961  :133

Jahr

Mopeds

Andere (Zugmaschinen)

Pkw

Lkw

Motorräder

Gesamt

1947

1958

1616

3340

538

7518

1950

3232

2206

8382

1176

15.113

1956

10.882

3289

17.401

9826

3555

45.115

1959

19.041

3723

16.722

18.705

5257

63.448

1961

27.667

4619

14.470

22.029

6587

75.372

Salzburg befand sich in den Sechziger- und Siebzigerjahren auf dem Weg zur Vollmotorisierung. Die Zahl der Kraftfahrzeuge mit Salzburger Kennzeichen stieg zwischen 1960 und 1980 von rund 71.000 auf 214.000 und bis 1987 auf 235.000, wobei die Zahl der Pkw einsame Spitzenwerte erreichte. Kraftfahrzeuge im Bundesland Salzburg 1980 bis 1987  :134

Jahr

Pkw/ Kombi

Omnibusse

Lkw

Zugmaschinen

KleinMotorräder/ Motorräder

MotorFahrräder

ArbeitsMaschinen und sonstige Kfz

Gesamt

1980

140.783

453

13.060

14.573

6724

27.959

1549

205.101

1987

165.288

494

15.025

16.420

6549

29.434

2378

235.588

Doch es war nicht nur die Zunahme der einheimischen Verkehrsteilnehmer, sondern vor allem der seit den frühen Fünfzigerjahren mit erheblichen jährlichen Zuwachsraten aufwartende motorisierte Tourismus, von dem ein ständig zunehmender Teil Salzburg als Transitstrecke in den Süden benutzte. Zwischen 1960 und 1984 erhöhte sich die tägliche Verkehrsfrequenz am Grenzübergang Walserberg von 8000 auf 16.000 Fahrzeuge und sorgte vor allem in den verkehrstechnisch noch nicht entsprechend entwickelten Gebirgsgauen mit ihren Alpenübergängen für sich jährlich steigernde Staus und strapazierte Nerven der Urlauber und Anwohner. Der sich nach Süden ergießende sommerliche Reiseverkehr auf der Salzachtal-Bundesstraße mit ihren engen Ortsdurchfahrten und dem noch nicht ausgebauten, d. h. durch keinen Tunnel umfahrbaren Pass Lueg, erreichte vor den Tauern ein Nadelöhr. Die für den Massenverkehr nicht geeignete Straße über den Radstädter Tauern wurden vom 133 Waitzbauer  : Selbst beweglich. S. 62 und 65. 134 Mitteilung des Amtes der Salzburger Landesregierung (Statistik).

»Der Auspuff Europas« – Der Kampf gegen den Transit und die zweite Tunnelröhre

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Großteil der Urlauber gemieden, die den Schleusenzug nach Böckstein bevorzugten und einen Rückstau bis zum Bahnhof Bad Gastein verursachten. Die ÖBB transportierten in der Mitte der Sechzigerjahre bis zu 9000 Fahrzeuge täglich durch das Tauernmassiv. Die ÖBB waren an ihre Kapazitätsgrenze gelangt. Der Ausbau der Nord-Süd-Verbindungen wurde ein Gebot der Stunde und erlangte sowohl bundes- wie landespolitische Priorität. Durch den Bau der Gerlosstraße von Krimml nach Gerlos in Tirol zu Beginn der Sechzigerjahre und der 1967 fertiggestellten Felbertauernstraße vom Oberpinzgau nach Osttirol erfolgte im Westen des Bundeslandes eine erhebliche Verkehrsentlastung. So wurde die Gerlosstraße in den Siebzigerjahren von rund 240.000 Fahrzeugen, die Felbertauernstraße 1970 von 845.000 Kraftfahrzeugen jährlich befahren. Als besonders dringend erwies sich der Ausbau der Nord-Süd-Verbindung über das Tauernmassiv. Das Autobahnnetz um Salzburg bestand aus der Westautobahn und dem bereits von der Reichsautobahn weitgehend vollendeten Südast bis zum Knoten Salzburg, der bis 1959 bis Niederalm verlängert wurde. Die einsetzende stürmische Entwicklung der Motorisierung und des Transitverkehrs mit den entsprechenden Folgen erforderte die Konzeption einer Weiterführung des Südastes. 1964 erfolgte durch eine Novelle zum Bundesstraßengesetz der Beschluss einer Verlängerung bis Golling. Diese sog. »Salzachtalautobahn« diente vor allem dazu, den Halleiner Ballungsraum zu entlasten, wobei jedoch eine spätere Weiterführung nach Kärnten nicht ausgeschlossen wurde.135 Die Bauarbeiten begannen 1966 und wurden 1972 abgeschlossen. Bereits zwei Jahre nach Baubeginn erfolgte mit einer neuerlichen Novelle zum Bundesstraßengesetz die Fortsetzung der Salzachtalautobahn als Tauernautobahn, um der zunehmenden Verkehrsbelastung Herr zu werden. Mit dem 1969 verabschiedeten Tauernautobahnfinanzierungsgesetz wurde der nunmehr gegründeten Tauernautobahn-Aktiengesellschaft (TAG) die Bauausführung übertragen. Es sollte noch zehn Jahre dauern, bis die Tauernautobahn mit ihren zwei – allerdings einspurigen – Tunnelröhren im Bereich des Tauern- und Katschbergs durchgehend befahrbar war. Die einspurigen Tunnelröhren sorgten vor allem in der sommerlichen Reisezeit für kilometerlange Staus und verursachten aufgrund der Tunnelüberlastungen oftmals Wartezeiten von bis zu zwei Stunden. Der Verkehr zeigte vor allem in den von den Staus betroffenen Gebieten des Lungaus sein Janusgesicht. Waren die Gebirgsgaue, vor allem der Lungau, bis in die Sechzigerjahre des 20. Jahrhunderts aufgrund ihrer geografischen Lage und der damit gegebenen mangelhaften Verkehrserschließung benachteiligt, so erfolgte durch den forcierten Straßenausbau bis Ende der Siebzigerjahre eine Beseitigung dieses Mankos. Mit dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, 135 Christian Willomitzer  : Geschichte des Baudienstes im Lande Salzburg. – Salzburg 1985. S. 279f. (Schriftenreihe des Landespressebüros. Serie »Sonderpublikationen« Nr. 53. Hg. v. Eberhard Zwink.)

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Ökologie – Ein neues Generalthema der Politik

vor allem der Tauernautobahn, wurden jedoch auch die negativen Folgen der günstigeren Verkehrsverbindung – Staus, Abgase, Lärm – immer deutlicher sichtbar. Die Zählstelle Tenneck auf der Tauernautobahn hatte 1970 2,7 Millionen Kraftfahrzeuge passiert, 1987 bereits 10 Millionen. Mitte der Achtzigerjahre stieg der Unmut der betroffenen Bevölkerung, der Satz vom »Auspuff Europas« machte die Runde und setzte die Landespolitik zunehmend unter Zugzwang. Faktum war, dass Salzburg als Transitland stärker belastet war als Tirol, wo sich bereits Bürgerinitiativen gegen die Zunahme des Transitverkehrs an der Inntal- und Brennerroute bildeten und mit Blockadeaktionen Druck auf die Politik ausübten. Die Frage war jedoch, welche Handlungsspielräume standen der Landespolitik zur Verfügung  ? Die Zunahme des Transitverkehrs war ein europäisches Phänomen, dem selbst mit nationalen Maßnahmen nur in beschränktem Umfang begegnet werden konnte. Die Forderung nach einer stärkeren Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene erforderte bauliche Maßnahmen, die die ÖBB nicht zu leisten bereit waren und deren Erfolg zudem bei kritischer Betrachtung überschaubar waren. Als logischer Schritt bot sich daher die Beseitigung des durch die einspurigen Tunnelröhren – den Tauerntunnel mit einer Länge von 6,4 Kilometern und den Katschbergtunnel mit einer Länge von 5,4 Kilometern – entstandenen Nadelöhrs an. Betrug 1987 der durchschnittliche Tagesverkehr auf der Tauernautobahn ca. 11.700 Fahrzeuge, so stieg er an Spitzentagen in der Sommerreisezeit bis 39.000 an, wodurch vor den beiden Tunnels kilometerlange Staus und Wartezeiten von bis zu drei Stunden an der Tagesordnung waren. Durch den Bau einer jeweils zweiten Tunnelröhre so die Auffassung, würde der Verkehr deutlich flüssiger, Staus und Abgasbelastung für die Umwelt und die Anwohner erheblich reduziert. Zudem musste rasch gehandelt werden, da mit der Fertigstellung des Karawankentunnels zwischen Kärnten und Slowenien 1990 die Tauernautobahn einem noch stärkeren Verkehr ausgesetzt sein würde. Am 23. November 1987 erklärten Landeshauptmann Wilfried Haslauer sen. und sein Stellvertreter Wolfgang Radlegger nach einer Sitzung des Landespolitischen Arbeitsausschusses, angesichts der bereits erfolgten Zunahme des Transitverkehrs in den vergangenen Jahren und seinen beobachtbaren Folgen sowie der Finalisierung des Karawankentunnels 1990 müsse der Baubeginn der zweiten Tunnelröhren – nicht zuletzt auch im Interesse des Umweltschutzes – möglichst bald beginnen. Und in Richtung der sich bereits formierenden Gegner des Ausbaus betonte die Regierungsspitze, gegen eine Umweltverträglichkeitsprüfung des Bauvorhabens sei prinzipiell nichts einzuwenden, da dieses auch im Interesse des Umweltschutzes durchgeführt werde.136 Grundlage dieser Entscheidung bildete auch eine Umweltverträglichkeitsuntersuchung der TAG, nach der bis zum Jahr 2000 mit einer Zunahme des Verkehrs auf der Tauernautobahn um 75 Prozent zu rechnen war. Die 136 SVZ 25.11.1987. S. 7  ; Kronen Zeitung 25.11.1987. S. 8.

»Der Auspuff Europas« – Der Kampf gegen den Transit und die zweite Tunnelröhre

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Zunahme des EG-Verkehrs sei realistischerweise nicht zu verhindern, weshalb rasch praktikable Lösungen gefunden werden müssten. Durch den Bau der beiden Tunnelröhren mit einem Kostenaufwand von 1,8 Milliarden Schilling und einer Bauzeit von vier bis fünf Jahren werde sich durch die erheblich größere Flüssigkeit des Verkehrs die Schadstoff-Emission um das Siebenfache verringern. Ein neues Lüftungssystem in den Tunnels – Ausleitung der Abluft durch Biofilter zum Großteil bei den Tunnelportalen – könnte die Schadstoff-Emissionen am Abluftschacht deutlich verringern. Der Behauptung der Gegner des Tunnelbaus, ein Ausbau der Tauernautobahn würde nur noch mehr Verkehr anziehen, wurde entgegnet, dass Autobahnen einen Sättigungsgrad erreichten. Dieser werde bei der Brennerautobahn 1988 und bei der Tauernautobahn 2000 erreicht sein. 137 Man erwarte, so Landeshauptmann-Stellvertreter Wolfgang Radlegger, in den nächsten Tagen die Verordnung des Wirtschaftsministeriums für den Tauerntunnel, jene für den Katschbergtunnel stand noch aus, womit die Planungen beginnen könnten. Angesichts des positiven Beschlusses der Salzburger Landesregierung und der zugesagten Finanzierung durch den Bund begann sich der Widerstand gegen dieses Vorhaben in Form der Bildung einer »Überparteilichen Tunnelinitiative Lungau« sowie von Naturschutzorganisationen zu formieren, denen sich auch mit Blick auf die bevorstehende Landtagswahl am 12. März 1989 die »Bürgerliste Salzburg-Land« anschloss, schien sich doch damit die Möglichkeit zu bieten, den in den Gebirgsgauen deutlich schwächelnden Zuspruch doch noch zu erhöhen. Bereits am 3. Dezember 1987 erschien in den »Flachgauer Nachrichten« ein Leserbrief von Hannes Augustin, des Geschäftsführers des Österreichischen Naturschutzbundes, in dem er sich vehement gegen den Tunnelbau aussprach. »Führt man sich vor Augen, dass zwei Milliarden Schilling für das Projekt der zweiten Tunnelröhre auf der Tauernautobahn ausgegeben werden sollen, könnte man glauben, Österreich hätte zu viel Geld. Schaut man hingegen auf die Kürzungen von Naturschutzbudgets und Sozialleistungen erfährt man das gerade Gegenteil  ! Angesichts der angespannten österreichischen Budgetlage müssen wohl auch beim bisher ungebremsten Straßenbau Einsparungen erfolgen. Tatsache ist jedenfalls, dass zwei Milliarden Schilling besser angelegt werden können, als sie in ein großes Loch zu schütten. Die Argumente der Betreiber sind wenig stichhaltig. Es ist zu befürchten, dass durch eine Tunnel-Lösung langfristig das Verkehrsproblem nicht gelöst wird, sondern es nur noch schwerer wird, den über Österreich hinweg rollenden Individual- und Schwerverkehr einzudämmen. Ein vernünftiger Ausbau beziehungsweise eine attraktive Gestaltung öffentlicher Verkehrsmittel (z. B. der Tauernbahn) würde durch das Tunnelprojekt geradezu blockiert. 137 Gerhard Lindinger  : Salzburg auf dem Weg zum »Durchhaus Europas«  ? Transitverkehr ohne Ende – oder  : Sic TRANSIT Gloria Salisburgensis. – In  : SJP 1989. S. 167–193. S. 177.

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Im Lichte des sterbenden Waldes sollten wir so rasch wie möglich Abschied nehmen vom ›Alptraum Auto‹ und uns nicht länger fragwürdigen Scheinlösungen hingeben. In diesem Sinne fordern wir zumindest eine kritische Prüfung der sogenannten Tunnel-Lösung in Form einer fundierten Umweltverträglichkeitsprüfung  !«138 Am 26. Jänner 1988 präsentierten die von der TAB bestellten Verfasser der Umweltverträglichkeitsuntersuchung im »Schlickwirt« in Oberweißburg ihre Argumente für die Notwendigkeit der zweiten Tunnelröhren. Thomas Peer und Roman Türk, Botaniker der Universität Salzburg, erklärten als Gutachter, der Bau der beiden Tunnelröhren müsse von der Installierung einer effektiven Luftüberwachung mit stationären Luftmessstationen begleitet sein. Sollte es zur Überschreitung von festgelegten Grenzwerten kommen, müssten Konzepte zur Umleitung des Verkehrs bereits ab Rosenheim erarbeitet werden. Die als Informationsveranstaltung gedachte Präsentation schlug jedoch bald in ein Szenario der Emotionen um. »Wir werden ja zum Auspuff Europas«, »Wir haben nur den Dreck von den Tunnels«, »Da gehören unabhängige Gutachter her. Wo bleibt der Landesumweltanwalt  ?« tönte es aus dem Publikum. Die Zunahme des Verkehrs um 75 Prozent bis zum Jahr 2000 stimme ja nur, »wenn die Politiker so weitermachen wie bisher. Baut doch lieber die Bahn aus«, lauteten einige Wortmeldungen aus dem Publikum. Anschließend folgte eine Politikerbeschimpfung  : die Politiker sehe man ja nicht. Wären diese vor Ort, würden sie sehen, dass fast alle Lungauer gegen das Projekt seien.139 Für eine sachliche Diskussion der Argumente war in einer durch Emotionen und irrationale Ängste geprägten Atmosphäre kaum mehr Platz. Am 30. Jänner 1988 demonstrierten Aktivisten der Bürgerliste vor den geschlossenen Toren des Chiemseehofes mit Transparenten wie »Salzburg – Durchhaus Europas«, während im Regierungssitzungszimmer die Landesregierung, die Tauernautobahn AG und die von dieser mit der Umweltverträglichkeitsprüfung beauftragten Gutachter sowie die Lungauer Bürgermeister mit Blick auf den steigenden Widerstand vor allem im Lungau um ein Umweltschutz-Paket rangen. Nach eineinhalbstündiger Debatte wurde ein 17 Punkte umfassendes Umweltschutz-Paket verabschiedet, das u. a. eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf der gesamten Tauernautobahn auf 100 km, einen lückenlosen Lärmschutz und laufende Emissionsmessungen beinhaltete.140 An das Verkehrsministerium wurde das Ersuchen gerich138 Flachgauer Nachrichten 3.12.1987. S. 2. 139 SN 27.1.1988. S. 9. 140 Das 17-Punkte-Paket umfasste darüber hinaus die gleichzeitige Fertigstellung der zweiten Röhren des Katschberg- und Tauerntunnels sowie der Maustelle St. Michael, die genaue Prüfung der Frage, ob eine Beeinträchtigung der Marbachquellen möglich sei, den vorrangigen Verkauf von Vorverkaufsmautkarten, den durchgehenden zweigleisigen Ausbau der Tauernbahn und von eigenen Verladebahnhöfen, die Einhebung eines Waldschillings für Durchfahrende, Begleitpflanzungen, die Verwendung des lärmmindernden Drainasphalts, eine stärkere Verlagerung des Schwerverkehrs auf

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tet, niedere Grenzwerte für Diesel-Lkw und die Einführung der Katalysatorpflicht zu forcieren. Trotz des einstimmigen Beschlusses vom 30. Jänner regte sich Widerstand in der SPÖ, deren Lungauer Abgeordneter Reinhold Wahlhütter, freigestellter Bediensteter der TAB, in der Sitzung des Landtages am 3. Februar – auch in Kritik an der eigenen Partei – erklärte, der Beschluss für den 17-Punkte-Katalog erwecke den Eindruck einer Beschwichtigungsmaßnahme. Es sei nicht von der Hand zu weisen, dass das von der TAB in Auftrag gegebene Gutachten eine gewisse Parteilichkeit aufweise. Er wisse um bestimmte Naheverhältnisse und betrachte einige Forderungen des Katalogs wie jene nach schadstoffärmeren Lkw für weitgehend substanzlos.141 Unbeeindruckt von dem Beschluss vom 30. Jänner zeigte sich auch die Bürgerliste Salzburg-Land, die die Vorgangsweise des Landes als »bewusst fahrlässig« bezeichnete. Man habe vor der Auto- und Baulobby kapituliert, erklärte Michael Schallaböck. Für den Bau fehlten taugliche Entscheidungsgrundlagen, denn das von der TAB in Auftrag gegebene Gutachten sei völlig unbrauchbar. Wichtiger als die beschlossenen 17 Maßnahmen sei eine deutliche Verringerung des Lkw-Verkehrs. Das Waldsterben werde weitergehen, weshalb die Bürgerliste eine Volksbefragung »Rettet den Wald« starte, für deren Durchführung man 10.000 Unterschriften stimmberechtigter Salzburgerinnen und Salzburger benötige, von denen man bereits 5000 gesammelt habe. Mit dem Slogan »Rettet den Wald  ! Schützt den Menschen  !« wurden eine Tempobegrenzung auf Autobahnen und Landstraßen mit 100 bzw. 80 km/h, eine Umweltverträglichkeitsprüfung vor dem geplanten Ausbau der Tauernautobahn und wirkungsvolle Energieeinsparungsmaßnahmen gefordert. So hätte ein Tempoversuch (100 bzw. 80 km/h) in Vorarlberg von Mitte 1985 bis Mitte 1986 eine Reduktion bei Kohlenmonoxid um 28 Prozent, bei Stickoxiden um 19 Prozent, beim Treibstoffverbrauch von 15 Prozent und beim Schwefeldioxid um 9 Prozent gebracht. Eine Untersuchung der deutschen »Bundesanstalt für Straßenwesen« habe ergeben, dass bei einem Tempolimit von 100 km/h auf einer Untersuchungsstrecke die Anzahl aller Unfälle mit Personenschäden und/oder schwerem Sachschaden um 27,7 Prozent zurückgegangen sei. In einer »Stauzeitung« wurde dem Hauptargument, dass nur durch den Bau der zweiten Tunnelröhren der Verkehr flüssiger und der Schadstoffausstoß geringer werde, entgegengehalten, dass dies »kein zukunftsweisender Schritt zur Stau-Vermeidung und der Verbesserung der Verkehrssituation auf der Tauernautobahn« sei. Der Bau sei »angesichts der bereits hohen Umweltschäden entlang der Tauernautobahn nicht mehr zu verantworten« und die Nachteile würden »insgesamt

die Bahn sowie ein Gutachten über die Möglichkeit, Schadstoffe aus den Tunnels zu filtern. (SVZ 1.2.1988. S. 7.) 141 SN 4.2.1988. S. 9.

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die von den Befürwortern dargelegten Vorteile weitaus überwiegen.«142 Auch die Angaben über die Finanzierung entsprächen nicht den Tatsachen, denn »in Wirklichkeit ist kein Geld ›übrig‹, sondern der Haftungsrahmen für Kreditaufnahmen ist nicht voll ausgeschöpft worden (wegen unvorhersehbarer geologischer Probleme hat man die Baukosten anfangs höher kalkuliert).« Das vom Verkehrsministerium zugesagte Geld für die notwendigen Umfahrungen von Zell am See, Unken, Lofer, Hallein und Oberndorf drohe nun für den Bau der Tauernautobahn umgeschichtet zu werden, wodurch diese vom Verkehr zunehmend geplagten Orte noch länger auf die unbedingt notwendigen Umfahrungen warten müssten. »Die Tauernautobahn verursacht in den nächsten zehn Jahren ohnedies jährliche Kosten von 1,835 Milliarden Schilling. Davon werden nur gut ein Drittel durch die Maut hereingebracht. 1,2 Milliarden Schilling pro Jahr werden derzeit vom Bund, 210 Millionen von den Bundesländern Salzburg und Kärnten an die Tauernautobahn AG bezahlt. Durch den Bau der zweiten Tunnelröhren würde sich dieses Defizit noch um einiges vergrößern, wobei hier die Kosten für die schon bestehenden und noch zu erwartenden Umweltschäden gar nicht mitgerechnet sind.«143 Die von der Bürgerliste Salzburg-Land (Grüne) initiierte Volksbefragung stieß auf erhebliche Resonanz jenseits des grünen Klientels. Zahlreiche Ärzte, die keineswegs als Sympathisanten der Grünen galten, unterschrieben im Dezember 1987 den Aufruf zur Unterstützung der Volksbefragung »Rettet den Wald«. Damit waren zu Jahresbeginn 1988 die Fronten bezogen. Die Gegner formierten sich, publizistisch unterstützt von den »Salzburger Nachrichten«, in Form eines am 16. Februar 1988 gegründeten überparteilichen Komitees gegen den Tunnelbau. Die Bürgerliste Salzburg-Land griff zum Mittel der symbolischen Politik, als deren Aktivisten am 19. Februar 1988 als »Panzerknacker« verkleidet und mit prallen Geldsäcken versehen vor dem Bürogebäude der TAB in der Alpenstraße protestierten. In einer von Emotionen geprägten Gründungsversammlung des Komitees im Hotel »Eggerwirt« in St. Michael kam es zu einer demonstrativen Aversion gegen die traditionellen Parteien, denen eine völlig falsche Politik auf dem Rücken der betroffenen Bevölkerung vorgeworfen wurde. Man brauche keine Gutachten mehr, denn es genüge, was man wisse, ließen sich zahlreiche Teilnehmer vermelden und gaben damit einen Vorgeschmack auf die bevorstehende Aussprache mit den Spitzen der Landesregierung. In einem offenen Brief an die Mitglieder der Landesregierung und die Minister Rudolf Streicher (Verkehr), Robert Graf (Wirtschaft) und Ferdinand Lacina (Finanzen) forderten Bewohner von Zederhaus, den Beschluss zum Bau der zweiten Tunnelröhren nochmals zu überdenken und luden vor allem Landeshauptmann Wilfried Haslauer sen. »und alle für diesen Bau verantwortlichen Politiker« 142 Die Stauzeitung. (AHB) 143 Ebda.

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ein, nach Zederhaus zu kommen, um mit der Bevölkerung zu diskutieren. »Wir sind es, die mit den Folgen Ihrer Beschlüsse leben müssen. Aufgrund angeblicher wirtschaftlicher Vorteile ist schon zu viel gesündigt worden. Mit Ihrer Unterschrift für die Bewilligung dieses Baues, werte Volksvertreter, übernehmen Sie die Verantwortung für die Zukunft unserer Gemeinde.«144 Am 27. Februar lud das überparteiliche Komitee gegen den Bau der zweiten Tunnelröhren zu einem Informations- und Gesprächsabend in die Turnhalle der Hauptschule St. Michael ein. Geladen waren Umweltfachleute, Verkehrsplaner und Ärzte, die dem geplanten Bau ablehnend gegenüberstanden. So erklärte der Mitarbeiter der Salzburger Landesumweltanwaltschaft, Winfried Herbst, die von der TAB vorgelegte Umweltverträglichkeitsprüfung sei das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben wurde. »Die Politiker, die sich bisher für den Ausbau der Tunnelröhren eingesetzt haben, sind auf gröblichste Art und Weise fehlinformiert worden.« Ähnlich äußerte sich Franz Mitterböck von der Wiener Universität für Bodenkultur, der Lungenfacharzt Helmut Wihan wies auf die zu erwartende Gesundheitsgefährdung durch die steigende Abgasmenge von Millionen von Fahrzeugen hin und der Verkehrsplaner Helmut Koch zog die Behauptung einer Emissionsminderung um das Siebenfache massiv in Zweifel.145 Angesichts des sich verstärkenden Widerstandes im Lungau und mit Blick auf die kommende Landtagswahl erklärte Agrar-Landesrat Bertl Göttl  : »Wir müssen demnächst in den Lungau hinein und uns mit den vom Ausbau Betroffenen auseinandersetzen.« Man werde nicht versuchen, den Lungauern die Meinung der Landesregierung aufzudrängen, sondern auf die Gegenargumente sehr genau hören.146 Zu diesem Zeitpunkt hatte die Landesregierung bereits zum Rückzug geblasen. Eine zunehmend von Emotionen geprägte Konfrontation mit Teilen der Lungauer Bevölkerung wollte man unbedingt vermeiden, weshalb eine plausible, das Gesicht wahrende, Argumentation für die Revision des Baubeschlusses gefunden werden musste. Und dieser Ausweg bot sich in Form der Bundesregierung an. Am 2. März erklärte Landeshauptmann Wilfried Haslauer sen., im laufenden Jahr werde kein Beschluss über den Bau der beiden zweiten Tunnelröhren gefasst werden, da es nicht mehr möglich sei, die als unabdingbar erachteten Voraussetzungen für einen solchen Beschluss zu schaffen. Die Bundesregierung habe noch nicht die Garantie abgegeben, dass alle – im 17-Punkte-Programm geforderten – Umweltschutzmaßnahmen nicht nur versprochen, sondern auch tatsächlich durchgeführt werden. Darüber hinaus sei auch die Erstellung eines »spartenübergreifenden Gesamtgutachtens« vor Beginn des Bauvorhabens erforderlich. Mit dessen Durchführung werde man Landesum144 Rupertusblatt 14.2.1988. S. 5. 145 SN 29.2.1988. S. 7. 146 SN 1.3.1988. S. 7.

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weltanwalt Eberhard Stüber beauftragen. Es war ein subtiles politisches Spiel auf mehreren Ebenen, um die Situation zu entspannen und Zeit zu gewinnen. Der Landeshauptmann kündigte an, dass die gesamte Landesregierung am 10. März zu einer Aussprache mit Bundeskanzler Franz Vranitzky, Vizekanzler Alois Mock und den Ministern Streicher, Graf und Lacina nach Wien reisen werde, um über die Umweltmaßnahmen zu diskutieren.147 Dabei handelte es sich um einen Akt symbolischer Politik mit dem Ziel, das eigene Bemühen um den Umweltschutz zu demonstrieren und der Bundesregierung die Schuld für dessen verzögerte Realisierung zuzuschieben. Mit dem Hinweis auf die nicht gegebene Erfüllung der Forderungen ließ sich anschließend der Rückzug vom Baubeschluss argumentieren. Die zweite Ebene des Agierens der Landesregierung bildete die Hinwendung zur betroffenen Bevölkerung, deren Argumente und Besorgnisse man ernst nehme, wie Landeshauptmann Haslauer sen. betonte, weshalb man am 12. und 13. März in St. Michael, Zederhaus und Flachau das direkte Gespräch suchen werde. Das Zurückweichen der Salzburger Landespolitik stieß in Kärnten auf wenig Verständnis. In Klagenfurt erklärte Landeshauptmann Leopold Wagner sichtlich irritiert, der Bau der beiden zweiten Tunnelröhren sollte unbedingt durchgeführt werden, da dies eine erhebliche Erleichterung für die Bevölkerung im Liesertal bringe und zudem von Kärnten, das einen erheblich größeren Anteil an der Tauernautobahn habe, gewünscht werde.148 Im Vorfeld der von Landeshauptmann Haslauer angekündigten Aussprachen mit der betroffenen Bevölkerung verabschiedete sich die in der Landesregierung nicht vertretene Salzburger FPÖ bereits offiziell vom Bauvorhaben, indem Landesparteiobmann Volker Winkler in einem Pressegespräch am 7. März erklärte, der Bau der beiden zweiten Tunnelröhren sei »zum gegenwärtigen Zeitpunkt so nicht vorstellbar«. Das Thema habe eine mit Emotionen verbundene Dimension erreicht, sodass im Sinne einer notwendigen Versachlichung mit allen Beteiligten gesprochen werden müsse. Nur so könne verhindert werden, dass die Tunnelröhren ein Thema des kommenden Landtagswahlkampfes werden.149 Winklers Hoffnung, durch direkte Gespräche mit der betroffenen Bevölkerung die Diskussion zu versachlichen und zu entemotionalisieren und damit den Tunnelbau nicht zum Wahlkampfthema bei der bevorstehenden Landtagswahl werden zu lassen, wurde auch von der Landesregierung geteilt, die daher an die Gespräche in St. Michael, Zederhaus und Flachau große Erwartungen knüpfte, die sich allerdings nicht erfüllen sollten. Im Gegenteil,

147 SN 3.3.1988. S. 7. 148 SN 4.3.1988. S. 1 und 7. 149 SN 8.3.1988. S. 7.

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die Diskussionen wurden zu einem Hochamt des Betroffenheitskults und dessen politischer Instrumentalisierung durch die Bürgerliste Salzburg-Land. In der Turnhalle von St. Michael wehte den angereisten Mitgliedern der Landesregierung ein von – auch irrationalen – Emotionen und unverhüllten Aggressionen geprägter rauer Wind entgegen. »Was kommt zuerst  : Unsere Heimat und unser Leben oder die Freiheit eines Hamburgers, nach Athen zu fahren  ? Niemand kann uns im Zeitalter der Raumfahrt weismachen, dass der Verkehr nicht zu vermindern sei, wenn man es will. Bitte, Herr Landeshauptmann, stellen Sie die Heimat vor den Transitverkehr …«, so eine der zahmen und wohlwollenden Wortmeldungen. Ein Bauer formulierte seine Besorgnisse drastisch  : »I hab Angst um mei Familie und um die Jungen, die aufwachsen. Ob der Tunnel kommt oder net, wir müssen uns auf a ganz langsames, grausames Sterben vorbereiten.« In der von apokalyptischen Visionen nicht freien Stimmung agierte der Spitzenkandidat der Bürgerliste SalzburgLand, Christian Burtscher, indem er sich als Sprecher der Betroffenen inszenierte und die Landesregierung frontal angriff. Diese habe aus letztlich nicht entschuldbarem Versäumnis nicht rechtzeitig Maßnahmen gegen den zunehmenden Verkehr ergriffen und werde nun mit dem massiven Widerstand der im Stich gelassenen Bevölkerung konfrontiert.150 Im Vorfeld der Informationsveranstaltung hatte Burtscher in der Zeitschrift der Bürgerliste Salzburg-Land (Grüne) »Löwenzahn« geschrieben, die Antwort auf die von der Landesregierung verfolgte Politik könne für ihn nur lauten  : »Wir müssen unseren friedlichen und demokratischen Widerstand gegen diese undemokratische und umweltgefährdende Politik verstärken. Da sollte sich einiges tun auf der Tauernautobahn in diesem Jahr  !«151 Trotz dieser nach wie vor anhaltenden Politik der Gefühle beruhigte die Politik der Landesregierung die Lage im Laufe des Jahres 1988. Am 22. März verschob die Bundesregierung den Bau der beiden zweiten Tunnelröhren auf unbestimmte Zeit und vergab die reservierten Mittel für andere Bauvorhaben. Am 31. März erfolgte die Gründung eines »Verkehrs- und Umweltausschusses Tauernautobahn«, dem Vertreter des Landes, der Anrainer, der Bürgerinitiativen und der TAB angehörten und der wesentlich zur Beruhigung der Situation beitrug. Im Juni zog die Bürgerinitiative Salzburg-Land (Grüne) eine vorläufige Bilanz der Ereignisse. Sie bezeichnete das Agieren der Landesregierung als Reaktion auf den wachsenden Widerstand und die Initiative für eine Volksbefragung zum Thema »Rettet den Wald« und als politische Kindesweglegung. Die Landesregierung müsse »mühsamst zu jedem kleinsten Schritt von der Grünbewegung gedrängt werden. Wittern die Parteilöwen Wählerstimmung, wird reagiert  : Kaum war die Volksbefragung öffentlich angekündigt, beeilte sich die Salzburger Landesregierung mit ein150 SN 14.3.1988. S. 9. 151 GABL  : Löwenzahn. Zeitung für Landespolitik Nr. 32. – Salzburg 1988. S. 1.

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stimmigem Beschluss, ein österreichweites Tempolimit 80/100 von der Bundesregierung zu fordern. Eine Chuzpe, allenfalls vergleichbar mit einem Bittgang von Franz Josef Strauß nach Bonn, Kohl möge Wackersdorf überdenken. Denn der schwarze Peter war damit für die Öffentlichkeit in Wien und Landeshauptmann Haslauer sen. könnte fürderhin glaubwürdig beteuern, wie wenig man die einsichtigen Salzburger Wünsche doch in der fernen Hauptstadt berücksichtige. Tatsächlich liegt es durchaus im Kompetenzbereich der Landesmachthaber, das Verkehrstempo zu drosseln. Wollen müsste man halt. Bei den Tunnelröhren reagierte Salzburgs Landesregierung nach Protesten der Bürgerliste und vieler Salzburger fast vorbildlich  : Sie zog den bereits feststehenden Baubeschluss sofort zurück und bestellte ein Gutachten. Nicht allerdings die geforderte umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung, wodurch wesentliche Umweltprobleme des Transitverkehrs ausgeklammert bleiben.«152 Doch welche Resonanz erzielte die Bürgerliste Salzburg-Land mit der von ihr initiierten 1. Salzburger Volksbefragung »Rettet den Wald« am 3. Juli 1988  ? Das Ergebnis war ernüchternd. Lediglich 12.461 Salzburgerinnen und Salzburger, d. h. 3,89 Prozent der Wahlberechtigten, nahmen an der Abstimmung teil, knapp mehr, als Unterstützungserklärungen für deren Durchführung (12.278) abgegeben worden waren. Die Beteiligung in der Stadt mit ihrer relativ starken Bürgerlisten-Klientel fiel mit 4,95 Prozent zwar stärker aus, war jedoch insgesamt mehr als enttäuschend. Die Gründe für dieses enttäuschende Abschneiden waren vor allem in zwei Faktoren zu suchen  : Die etablierten Parteien bekannten sich zu Umweltmaßnahmen und betonten ihre Bereitschaft, entsprechende landespolitische Initiativen zu setzen. Und die etablierten Parteien hatten durchaus erfolgreich die Volksbefragung aufgrund der Initiative der Bürgerliste Salzburg-Land zu einem Testlauf für die bevorstehende Landtagswahl bezeichnet und damit zum Bekenntnis zu einer künftigen Wahlabsicht gemacht. Das Image einer gleichzeitigen indirekten Stimmabgabe für die Grünen minderte die Beteiligung erheblich. Dass die etablierten Parteien Grün-Themen aufgriffen und damit nicht bereit waren, sie der Bürgerliste Salzburg-Land (Grünen) zu überlassen, wurde bereits einen Monat später deutlich. Der Forderung der Grünen, durch autonome Landesentscheidung ein Tempolimit auf der Tauernautobahn zu verhängen, entsprach die Landesregierung, als im August 1988 zwischen dem Tauern- und Katschbergtunnel eine durchgehende Tempo–100-Beschränkung eingeführt wurde. Das am 1. Dezember 1989 österreichweit wirksam werdende Lkw-Nachtfahrverbot entspannte zusätzlich die Situation. Die von der Bürgerliste Salzburg-Land bereits zu Jahresende 1987 ergriffene Initiative zu einer landesweiten Geschwindigkeitsbeschränkung von 80 km/h auf 152 Die andere. Informationen und Nachrichten der Bürgerliste Salzburg-Land (Grüne) Nr. 8/88. S. 2.

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Freilandstraßen und 100 km/h auf Autobahnen wurde am 12. März 1990 von der Salzburger Landesregierung aufgegriffen und beschlossen. Landeshauptmann Hans Katschthaler betonte, dass Salzburg als Gebirgs-, Transit- und Fremdenverkehrsland gute Gründe habe, als Umwelt-Pionier auch im Interesse der nachkommenden Generationen zu agieren.153 Allerdings, so der Zusatz zum einstimmigen Beschluss, müssten die Salzburgerinnen und Salzburger dieser Umweltschutzmaßnahme zustimmen. Diese Volksbefragung sollte am 10. Juni stattfinden und im Fall eines positiven Ergebnisses sollte die neue Regelung bereits am 1. Juli in Kraft treten. Trotz eines erheblichen Werbeaufwandes der Landesregierung entschied sich die Salzburger Bevölkerung am 10. Juni mit überwältigender Mehrheit gegen diese Maßnahmen. 62 Prozent lehnten das 80 km/h-Tempo-Limit auf Landstraßen ab, 70,8 Prozent das 100 km/h-Tempo-Limit auf Autobahnen. Bemerkenswert an diesem Ergebnis war neben der differierenden Wahlbeteiligung die regional unterschiedliche Zustimmung. Bei einer Wahlbeteiligung von 29,5 Prozent erreichten nur die Gemeinden Flachau und Zederhaus an der Tauernautobahn eine Wahlbeteiligung von mehr als 50 Prozent. Eine Mehrheit für Tempo 80 auf Freilandstraßen gab es nur in den vier an der Tauernautobahn liegenden Gemeinden Kuchl, Golling, Flachau und Zederhaus und in Fusch an der Glocknerstraße, eine klare Mehrheit für Tempo 100 nur in Zederhaus.154

153 Gerhard Lindinger  : Vom täglichen Wahnsinn zur allmählichen Vernunft. Bedrohte Umwelt und Versuche einer Verkehrspolitik in Salzburg. – In  : SJP 1991. S. 29–51. S. 29f. 154 Lindinger  : Vom täglichen Wahnsinn zur allmählichen Vernunft. S. 37.

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In der Stadtregierung. Gestalten und Widerstand Die Bürgerliste 1982 bis 1987

Das Wahlergebnis der Gemeinderatswahl in der Stadt Salzburg am 3. Oktober 1982 hatte auf den ersten Blick lediglich kommunalpolitische Bedeutung, auf den zweiten Blick jedoch auch landespolitische und auf den dritten Blick bundespolitische. Die lange so stabile politische Landschaft der Zweiten Republik erhielt erste Sprünge, die eine folgenschwere Veränderung der Politischen Kultur und der politischen Wettbewerbslogik zur Folge haben sollten. Dabei wurde eine Umkehrung der traditionellen Muster deutlich  : Es war nicht die Bundeshauptstadt, die als politischer »Trendsetter« fungierte, der mit deutlichem zeitlichen Abstand die Provinz, d. h. die Bundesländer, folgten, sondern umgekehrt  : Diese Rolle übernahmen ab den Achtzigerjahren vor allem die Landeshauptstädte. Hier erfolgten die ersten tektonischen politischen Beben, die – in abgestufter zeitlicher Folge – die Länder und den Bund erfassen sollten. In Salzburg sorgte das Wahlergebnis vom 3. Oktober 1982 vor allem in der ÖVP für einen Schock. Für die traditionelle Landeshauptmann-Partei war es nur ein geringer Trost, dass die absoluten Stimmenverluste der FPÖ noch größer waren. Die Partei hatte zwei Mandate sowie einen Stadtrat verloren und sie hatte mit mehr als einem Drittel ihrer Wähler zum erdrutschartigen Sieg der Bürgerliste beigetragen. Der zu bewältigende Problemhaushalt war erheblich. Das personelle Angebot musste grundlegend erneuert, die kommunalpolitische Programmatik und Strategie geändert werden, wollte man die zur Bürgerliste abgewanderten Wähler zurückgewinnen. Die Wähler der Bürgerliste kamen überwiegend aus dem Angestellten- und Beamtenmilieu sowie den höheren Bildungs- und Einkommensschichten. Anders als in der Bundesrepublik Deutschland oder bei der Alternativen Liste Wien (ALW) waren diese Wähler keine politischen Bilderstürmer, zielten auf keine Systemüberwindung, sondern aufgrund ihrer Unzufriedenheit mit der Kommunalpolitik auf eine partielle Systemänderung. Im politischen Spektrum verorteten sie sich zum überwiegenden Teil in der Mitte. Die Bürgerliste besetzte somit in einem erheblichen Maße ein Terrain, das die ÖVP als das ihre betrachtete. Auf diese neue Herausforderung galt es eine Antwort zu finden. Noch am Wahlabend hatte Landeshauptmann und Landesparteiobmann Wilfried Haslauer sen. das Wahlergebnis als Schock und Manifestation des Protestes gegen die bisherige Kommunalpolitik bezeichnet. Damit wurde deutlich, dass Haslauer im

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Sinne der Zukunftsfähigkeit der Partei entschlossen war, weitgehende personelle Konsequenzen zu ziehen, denen in einem weiteren Schritt ein neues programmatisches Angebot sowie eine geänderte Form der Politik folgen sollten. Hans Zyla verstand als erster die Zeichen der Zeit und trat am 4. Oktober von der Funktion des Stadtparteiobmanns zurück. Das übrige kommunalpolitische Personal verharrte jedoch in einer Wartestellung, weshalb die Bürgerliste zum bewährten Mittel des Zeitungsinserats griff und postulierte, dass Zylas Männer offensichtlich blieben und damit weiterhin als Garanten für Bodenspekulanten fungieren werden. Nahrung erhielt diese Behauptung durch eine Äußerung des nunmehr einzigen ÖVP-Stadtrates und Vize-Bürgermeisters, Gerhardt Bacher, der noch Mitte Oktober die Meinung vertrat, dass die Gemeinderatsfraktion im Wesentlichen unverändert bleiben werde. Dies entsprach jedoch keineswegs der bereits im Hintergrund gefallenen politischen Entscheidung von Landesparteiobmann Haslauer sen. Mit Unterstützung von Helmut Schreiner, der die Funktion des Stadtparteiobmanns nach dem Rücktritt Zylas interimistisch übernommen hatte, bereitete er ein umfassendes personelles Revirement vor, wobei er vor allem auf einen als notwendig erachteten Generationenwechsel setzte. Bereits drei Jahre zuvor hatte er einen Schritt in diese Richtung gesetzt, als er den Obmann der Jungen ÖVP und Landesparteisekretär, Franz Schausberger, gegen alle bisherigen Usancen auf einen sicheren Listenplatz für die bevorstehende Landtagswahl setzte. Schausberger erfreute sich der besonderen Förderung Haslauers und entwickelte ein enges Verhältnis zu einem weiteren engen Vertrauten Haslauers, Klubobmann Helmut Schreiner, seinem Vorgänger als Obmann der Jungen ÖVP. Es war daher kein Zufall, dass Haslauer auf dem Landestag der Jungen ÖVP erklärte, es müsse in der Stadtorganisation grundlegende Reformen geben. Die Niederlage der ÖVP basiere vor allem auf dem Umstand, dass man zu wenig couragiert an die Probleme herangegangen sei. Anschließend deutete er in Richtung der bestehenden Gemeinderatsfraktion den bevorstehenden Paukenschlag an, indem er erklärte, wer die Zeichen der Zeit nicht erkenne, sollte sich in die Pension verabschieden. Die Andeutungen Haslauers stießen jedoch bei den etablierten Funktionären auf taube Ohren, weshalb er sich zu einem drastischen Schritt entschloss. Im Bildungshaus der ÖVP in Seebrunn kam es zum sprichwörtlichen »Seebrunner Köpferollen«, bei dem zahlreiche Mandatare zum Verzicht gezwungen wurden. Lediglich Stadtrat Bacher konnte seine Position behalten, wenngleich für Kenner der politischen Szene auch bei ihm das politische Ablaufdatum sichtbar wurde. Ein zu radikaler Schnitt musste aufgrund der Optik und auch der politischen Tagesarbeit vermieden werden. Wenngleich Bacher Franz Kläring in der Funktion des Vize-Bürgermeisters nachfolgte, so waren parteiintern die Würfel in Richtung eines personellen Wechsels vor der nächsten Gemeinderatswahl gefallen. Fünf Wochen später erklärte Haslauer auf dem Landesparteitag der ÖVP in seiner von den Reformern mitgestalteten Rede, die Bürgerliste sei nicht mit den

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alternativen Gruppen der Bundesrepublik oder im Osten Österreichs zu vergleichen, sondern repräsentierte vielmehr die Form eines Bürgerprotests, den es ernst zu nehmen gelte. Daher müsse man zunächst personelle Konsequenzen durch das Nachrücken jüngerer Mandatare ziehen. Fritz Peham, Renatus Capek, Karl Mayr und Toni Butschek, der Begründer der »Initiative Parsch-Aktiv« repräsentierten die neue personelle Konstellation der ÖVP in der Landeshauptstadt, die nunmehr von Klubobmann Walter Sulzberger geführt wurde. Bürgernähe und das Ernstnehmen der Sorgen der Bürger war die Devise. Auch bei der durch schwere Verluste gekennzeichneten FPÖ gab es personelle Konsequenzen. Waldemar Steiner trat als Stadtrat und Landesparteiobmann zurück. Ihm folgte in der Funktion des Landesparteiobmanns nach einer heftigen Kontroverse über den Kurs der Partei Sepp Wiesner, der, in deutlichem Gegensatz zum auf Konsens bedachten Landesrat Sepp Baumgartner, für eine kantigere Politik stand. Mit der Wahl Wiesners wurde deutlich, dass Baumgartners Tage als Landesrat gezählt waren, da man in der FPÖ die Meinung vertrat, dass die Funktionen des Landesparteiobmanns und des Landesrats in einer Person vereint sein müssten.155 In der Landeshauptstadt folgte Steiner Margot Hofer als Stadträtin. Die personellen Karten im Salzburger Gemeinderat waren damit neu gemischt. Die Bürgerliste nominierte für die von ihr errungene Position des Stadtrates Johannes Voggenhuber, ihren bisherigen Pressesprecher und Spitzenkandidaten für die Gemeinderatswahl. Die Frage bei den bevorstehenden Ressortverhandlungen war, für welches Ressort mit welchen Agenden der nunmehr von der Bürgerliste gestellte Stadtrat zuständig sein sollte. Die Meinungen darüber waren innerhalb der Bürgerliste keineswegs einheitlich. Herbert Fux bemerkte in seinen Erinnerungen, dass er mit Blick auf den in der Stadtverfassung vorgeschriebenen Regierungsproporz dafür plädiert habe, »doch nur das Umweltressort zu übernehmen. Dies wäre für eine grüne Bewegung gerade noch vertretbar gewesen. Auf keinen Fall jedoch sollte unsere Bewegung das Bau- und Planungsressort übernehmen, das zu allen Zeiten im Zentrum von Korruption stand. Trotz meiner Warnung übernahm die Bürgerliste mit ihren ersten Stadtrat Johannes Voggenhuber genau jenes Ressort für Bau, Planung, Verkehr, Gewerbe und Umwelt.«156 Die Analyse von Fux traf zu, da die Bereitwilligkeit der übrigen Parteien, der Bürgerliste die ganze Palette der sensiblen und äußerst kontrovers diskutierten Bereiche zu übertragen, durchaus auf einem politischen Kalkül basierte. Sie sollte nunmehr für jene Bereiche verantwortlich zeichnen, deren komplexe Ressortführung sie zuvor noch so heftiger Kritik unterzogen hatte. Sie sollte mit der Aufgabe konfrontiert werden, in den Mühen der politischen Ebene die divergierenden Interessen in einem tragfähigen Kompromiss zu vereinen. Von 155 Dachs  : Die Salzburger Parteienarena 1975–1989. S. 84f. 156 Fux  : Wiederkehr und Abschied. S. 154.

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der Galerie fußfrei war stets leicht zu kritisieren, die Konfrontation mit der politischen Realität ergab ein anderes Bild, so die Überlegung der übrigen Parteien. In der Bürgerliste vertrat hingegen die Mehrheit um Johannes Voggenhuber, der als »politisches Alpha-Tier« innerparteilich nach einer Dominanz strebte und sowohl nach innen wie nach außen von einer messianischen Attitüde nicht frei war, die Auffassung, dass nur die Vereinigung einer breiten Platte von Zuständigkeiten in einem Ressort die Möglichkeit zur Realisierung des von ihm propagierten »Salzburg-Projekts« bot. In den folgenden fünf Jahren unternahmen Voggenhuber und die Bürgerliste durchaus konsequent den Versuch einer spannungs- und konfliktreichen Realisierung des ambitionierten »Salzburg-Projekts«, wobei die Bürgerliste erstmals mit den Realitäten politischen Handelns konfrontiert wurde. Schwerpunkte des »Salzburg-Projekts« waren die Erweiterung der Fußgängerzone in der Altstadt, die Altstadterhaltung und -sanierung, der Schutz der Stadtlandschaft durch einen umfassenden Schutz des Grünlandes sowie eine qualitative Stadtplanung in Form einer »Salzburger Architekturreform«. Die politische Handschrift der Bürgerliste wurde bereits wenige Monate nach der Gemeinderatswahl deutlich sichtbar, als Stadtrat Johannes Voggenhuber am 10. Jänner 1983 die Überarbeitung des Wohnbauprojekts Wasserfeldstraße in Itzling mit der Begründung der Notwendigkeit einer Reduzierung der Bebauungsdichte forderte und damit auf heftigen Widerstand wegen der damit verbundenen erhöhten, sozialen nicht gerechtfertigten, Kosten stieß. Eine Woche später votierte er gegen die Errichtung eines geplanten Sportplatzes bei den Bundesschulen an der Akademiestraße, da das betroffene Areal im Landschaftsschutzgebiet liege. Die Folge war ein Sturm der Entrüstung der Elternvereine der betroffenen Schulen. Die Aktivitäten des neuen Stadtrates schienen im Wochentakt zu folgen. Am 24. Jänner 1983 forderte die Informationszeitung der Stadt Salzburg die Bewohner der Stadt auf, sich an der Diskussion über eine Erweiterung der Fußgängerzone – Voggenhuber plante eine Einbeziehung des Kaiviertels – zu beteiligen. Die vorhandenen üppigen 500 Ausnahmegenehmigungen sollten erlöschen und nur mehr eine Ladetätigkeit erlaubt sein. Am 8. Februar einigten sich die von der Bürgerliste immer wieder heftig attackierte Sachverständigenkommission für die Erhaltung der Altstadt und Voggenhuber auf die Formel, in Zukunft die Gutachten über Aufstockungen und Erweiterungen von Altstadthäusern kritischer als bisher zu erstellen. Die Duftmarken des Bürgerlisten-Stadtrates waren damit deutlich gesetzt. Doch die Initiativen waren das eine, deren Realisierung das andere. Die Erweiterung der Fußgängerzone warf für die betroffenen Innenstadtkaufleute sowie in der Innenstadt beschäftigte Arbeitnehmer eine Reihe von Problemen auf.157 Dabei stieß Voggenhuber keineswegs auf eine strikte Ablehnungsfront, sondern wurde mit zahlreichen 157 Auch die Landesregierung meldete am 3. Mai Bedenken gegen das Vorhaben mit der Begründung an,

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sachlichen Einwänden konfrontiert. Eine Altstadt, sollte sie nicht zur bloßen Kulisse und Museum verkommen, bedurfte nicht nur der Bewohner, sondern auch der Geschäfte, wollte man die negative Entwicklung zahlreicher europäischer Städte – das Absterben der Innenstände und das Abwandern der Geschäfte an die Peripherie – verhindern. Dies setzte jedoch voraus, so die Innenstadtgenossenschaft, dass die Geschäfte in der Altstadt auch bei einer Ausweitung der Fußgängerzone durch die Errichtung einer Tiefgarage Süd mit Ausgängen zum Mozart- und Papageno-Platz leicht erreichbar waren. Die Errichtung einer Tiefgarage unter dem Mozartplatz wurde jedoch von der Bürgerliste abgelehnt, weshalb sich Johannes Voggenhuber erstmals mit einem heftigen politischen Widerstand der Betroffenen konfrontiert sah, der ihn zu einer erheblichen Modifikation seiner Pläne veranlasste, wobei er allerdings an der Ablehnung einer Tiefgarage unter dem Mozartplatz festhielt und als Alternative den Standort Nonntal vorschlug. Er zeigte sich im komplexen Problemfeld Altstadt durchaus lernfähig und kompromissbereit und schloss am 20. April mit Kurt Denkstein, dem Obmann der Innenstadt-Genossenschaft, einen Kompromiss über die Ladetätigkeit. Die von Voggenhuber und der Bürgerliste initiierte Erweiterung der Fußgängerzone wurde zu einem der zentralen kommunalpolitischen Themen der Frühjahrs 1983. Dabei wurde deutlich, dass das Anliegen an sich keineswegs auf eine geschlossene Ablehnungsfront stieß und die anderen Parteien einem solchen Vorhaben durchaus positiv gegenüberstanden. In einer öffentlichen Gemeinderatssitzung mit einer anschließenden Bürgerdiskussion im Kongresshaus am 18. Mai erklärten die Klubobmänner der drei übrigen Parteien ihre prinzipielle Zustimmung zu dem Vorhaben Voggenhubers. Der Teufel lag nur, wie immer, im Detail.158 Voggenhuber zeigte sich kompromissbereit, sodass in der folgenden zweitätigen Gemeinderatssitzung eine Einigung über die Erweiterung der Fußgängerzone durch das Kaiviertel erreicht werden konnte. Voggenhuber berücksichtigte die meisten Einwände bzw. Abänderungsanträge von SPÖ, ÖVP und FPÖ und erreichte im Gegenzug, dass Bewohner der Altstadt für ihre Pkw in der »Grünen Zone« Gebühren zu entrichten hatten. Am 20. Mai verzeichnete damit die Bürgerliste einen politischen Etappensieg, der jedoch bei der Bevölkerung keineswegs auf ungeteilte Zustimmung stieß. So befürworteten zwar 44 Prozent der Salzburgerinnen und Salzburger die Erweiterung der Fußgängerzone, 33 Prozent lehnten sie hingegen ab, während 23 Prozent sich noch keine Meinung gebildet hatten. 43 Prozent der Autofahrer und eine deutliche Mehrheit der Unter–40-Jährigen standen der Lösung ablehnend gegenüber. dass die Stadt nicht über die Kompetenz verfüge, eine derart weitgehende Einschränkung der Zufahrt zum Chiemseehof, dem Sitz der Landesregierung, zu verfügen. 158 So die geplante Ein- und Ausfahrt der Kaigasse zum Rudolfsplatz wie der Gegenverkehr in der Münzgasse und die Kostenpflichtigkeit für die Autos der Bewohner der Altstadt in der »Grünen Zone«.

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Nur 37 Prozent der Männer, jedoch 50 Prozent der Frauen befürworteten die neue Regelung.159 In seinen Erinnerungen bemerkte Johannes Voggenhuber zur Eröffnung der erweiterten Fußgängerzone am 29. Juni  : »Als in den Morgenstunden des 29. Juni 1983 zahllose Verkehrstafeln von den übergestülpten Säcken befreit werden und damit fast die gesamte linke Altstadt von Salzburg zur Fußgängerzone erklärt wird, ist dies nicht der Auftakt zu einem großen Fest. Lustlos verrichten die gegen allerlei Widerstände zusammengetrommelten Bediensteten der städtischen Bauverwaltung ihre Arbeit. An diesem grauen Sonntag werden keine Reden gehalten, keine Magistrats-Musikkapelle spielt. Einige Gruppen von Kirchgängern und Touristen gehen staunend über die leeren Plätze. Eine der größten Fußgängerzonen Europas (mit einer Fläche von ca. 33 Hektar) geht still und leise ›in Betrieb‹. … diese frostige ›Eröffnung‹ der Fußgängerzone illustriert recht gut die atmosphärischen Rahmenbedingungen für die neue Politik.«160 Mit dem einstimmigen Beschluss des Gemeinderates am 20. Mai war jedoch das Thema erweiterte Fußgängerzone keineswegs von der politischen Agenda verschwunden, da sich im Sommer 1983 eine »Aktionsgemeinschaft Altstadt« um den Gastronom Josef Steinwender bildete, die Unterschriften gegen die erweiterte Fußgängerzone sammelte. Am 13. Dezember erklärte die Handelskammer, dass laut einer Erhebung rund 60 Prozent der Unternehmen im Bereich der Altstadt durch die getroffene Regelung Einbußen erlitten hätten, während nur 35 Prozent ein Umsatzplus verzeichneten. Im Interesse der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit der Unternehmen in der Altstadt sei daher der Bau einer Parkgarage Süd dringend geboten.161 Der Gemeinderat hatte am 20. Mai die Errichtung der erweiterten Fußgängerzone unter dem Vorbehalt eines Erfahrungsberichts in einem Beobachtungszeitraum bis November beschlossen. Die Planungsabteilung des Magistrats sollte anschließend die gesammelten Erfahrungen und Probleme zusammenfassen und eventuelle Modifikationen vorschlagen. Dieser Aufforderung kam die Planungsabteilung am 18. Jänner 1984 nach und legte den geforderten Bericht vor, in dem auf eine Reihe von Problemen hingewiesen wurde, die einer Lösung bedürften.162 Der kontrovers diskutierte Bericht der Planungskommission bildete die Grundlage für den am 27. Jänner 1984 159 SN 18.11.1983. S. 5. 160 Voggenhuber  : Berichte an den Souverän. S. 109f. 161 Diese Forderung beschäftigte in den folgenden Jahren sowohl die Stadt- wie auch die Landespolitik. Im Juli 1986 schlug die Stadtplanung in einem Gutachten die Errichtung einer Tiefgarage unter der Erzabt-Klotz-Straße mit einer Tunnelverbindung Richtung Alpenstraße vor. Dieser Vorschlag stieß jedoch auf die ablehnende Haltung von Stadt und Land, die, gegen den Widerstand von Johannes Voggenhuber, eine Salzach-Garage mit einem direkten Zugang zur Altstadt bevorzugten. 162 Der Bericht wies auf die letztlich nicht praktikable Lösung der Parkraumbewirtschaftung in der »Grünen Zone« ebenso hin wie auf die unbefriedigende Gastronomielösung und eine notwendige Neuordnung des Reisebusverkehrs.

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erfolgten endgültigen Beschluss des Gemeinderates über die Einrichtung einer erweiterten Fußgängerzone, wobei jedoch Modifikationen gegenüber der Beschlussfassung vom 20. Mai 1983 vorgenommen wurden.163 Der modifizierte endgültige Beschluss über die erweiterte Fußgängerzone beendete jedoch keineswegs den Widerstand eines Teils der betroffenen Innenstadtkaufleute. So erfolgte am 23. Februar eine vom Betriebsrat der Firma Thalhammer organisierte Demonstration gegen die erweiterte Fußgängerzone, an der rund 600 Personen teilnahmen. Voggenhuber konnte dennoch im April 1984 nicht ohne Stolz darauf verweisen, dass durch die getroffene Regelung in der Innenstadt eine Trendwende im Bereich der Abwanderung der Wohnbevölkerung eingetreten sei. Zwischen Jänner 1983 und Jänner 1984 stieg die Wohnbevölkerung erstmals wieder um 3,3 Prozent. Zwischen 1961 und 1981 waren nicht weniger als 700 Wohnungen verloren gegangen und die Wohnbevölkerung von 4112 im Jahr 1971 auf 2923 zehn Jahre später gesunken.164 Der Lärm in der Altstadt hatte sich um zwei Drittel reduziert, die Anzahl der Besucher der Altstadt war um 30 Prozent gestiegen und die Haltestellen der öffentlichen Verkehrsmittel rund um die Altstadt hatten eine Frequenzsteigerung von 11 Prozent zu verzeichnen. Die Lebensqualität in der Altstadt nahm zu, die noch immer vorhandenen Bedenken verebbten allmählich und wichen bereits wenige Jahre später einer uneingeschränkten allgemeinen Zustimmung. Im Interesse der Bewohnung der Altstadt war deren sorgsame, nicht von kommerziellen Überlegungen und stillosen Veränderungen geleitete Sanierung und Revitalisierung notwendig. Diese Forderung stand an der Wiege der Bürgerliste und bildete einen zentralen Bestandteil des von ihr propagierten »Salzburg-Projekts«,165 dessen Verwirklichung nunmehr durch das von ihr verwaltete Ressort nicht nur möglich, sondern gefordert war. Am 26. Mai 1983 legte Voggenhuber dem Altstadtausschuss die dramatischen Strukturdaten über den Bauzustand der insgesamt 1056 Altstadthäuser vor. 34 Häuser befanden sich in einem äußerst schlechten, 129 in einem schlechten Bauzustand. Insgesamt 3064 Wohnungen, 30 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes, wiesen Substandard auf, 9 Prozent standen leer. Es herrschte Handlungsbedarf. Die insgesamt 163 Häuser in sehr schlechtem und schlechtem Zustand bedurften einer dringenden Sanierung, die über die notwendigen Mindestreparaturen hinausging. Um dieses Ziel zu erreichen, bedurfte es dreier Maßnahmen, denen sich das von Voggenhuber verwaltete Ressort nunmehr mit aller Energie widmete  : 1. Eine 163 Die Münzgasse wurde wiederum – gegen die Stimmen der Bürgerliste – Einbahn und die generelle Zufahrt zu den Amtsgebäuden der Landesregierung untersagt. 164 SN 13.4.1984. S. 5. 165 Vgl. vor allem Dietmar Steiner (Hg.)  : Das Salzburg Projekt. Entwurf einer europäischen Stadt. Architektur-Politik-Öffentlichkeit. – Wien 1986.

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genaue und umfassende Dokumentation des gegenwärtigen Bauzustandes, der Baugeschichte und der wertvollen architektonischen Elemente sowie der wünschenswerten Sanierungsmaßnahmen  ; 2. Gespräche mit den Hausbesitzern mit dem Ziel der Erteilung von Sanierungsaufträgen inkl. genauer Terminüberwachung und 3. dem Ausbau des Fördervolumens des Altstadterhaltungsfonds, um die finanzielle Belastung der gewünschten Maßnahmen zu reduzieren.166 Anfang November 1984 präsentierte der Bürgerliste-Stadtrat in Form eines Altstadt-Konzepts Vorschläge für eine Neustrukturierung der Verwaltungsaufgaben. Die Altstadtstelle des Magistrats sollte zu einem Amt aufgewertet werden, das einen jährlichen Bericht sowie ein Sanierungs- und Förderungsprogramm vorlegen müsse. Im Sinne einer Straffung der Kompetenzen war die Sachverständigenkommission für die Altstadt aufzulösen und deren Kompetenzen an das neue Altstadtamt zu übertragen. Zudem sollte an die Stelle des bisherigen behördlichen Instandsetzungsauftrags eine Sanierungsvereinbarung zwischen Magistrat und Hauseigentümer treten. Die von ihm konzipierte Altstadtpolitik, so Voggenhuber, verstand sich »als eine Rückeroberung der Altstadt durch die Bürger. Sie sanieren zu wollen, kann nur bedeuten, ihr ursprüngliches Angebot zu erneuern, hier zu leben. Sie zu erhalten, verlangt, sie zu kennen und ihre Geschichte, die Permanenz ihrer Elemente, ihre formalen Erfindungen, ihre Ordnung, ihr Dasein für unentbehrlich zu halten, für die eigene Identität, das eigene Leben, die eigene Erfindungsgabe. Es geht um das Wissen, dass eine Stadt ein Herz braucht und dass es nur dort sein kann, wo ihre Geschichte vollständig ist, ihre Erinnerung am weitesten zurückreicht  ; wo das Leben aller ihrer Generationen seine Spuren und Botschaften hinterlassen hat. Es geht um das Wissen, dass die Gier, die sie zur Ware macht, sich selbst bestiehlt.«167 Die Frage, ob die Bürgerliste und deren Spitzenkandidat diesen hohen Ansprüchen gerecht wurden, kann im Großen und Ganzen positiv beantwortet werden. Bei seinem Ausscheiden aus der Funktion des Stadtrates konnte Voggenhuber darauf verweisen, dass die von ihm intendierte Aufwertung der Altstadtstelle in ein Amt 1986 realisiert wurde. Im Sinne einer Effizienzsteigerung wurden dem neuen Amt für den Bereich der Altstadt alle Aufgaben des Baurechtsamtes übertragen und Sanierungsteams gebildet, die die Sanierungsarbeiten vorbereiteten, koordinierten und begleiteten. Die von Voggenhuber angestrebte Übertragung der Agenden der Sachverständigenkommission für die Altstadt an das Altstadtamt erfolgte allerdings nicht.168 Dennoch, das Ergebnis war eine durchaus beeindruckende Sanierungsbi166 Die Förderung zur Sanierung des Wohnraums wurde von 20 auf 30 Prozent, für Neuschaffung von Wohnraum bei Sanierungen von 30 auf 40 Prozent erhöht. Vorprojekte für eine Generalsanierung konnten zur Gänze gefördert werden. 167 Voggenhuber  : Berichte an den Souverän. S. 119. 168 Im Zuge der Novelle zum Altstadterhaltungsgesetz am 4. Februar 1987 erfolgte eine Reduzierung

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lanz. Mit einem Kostenaufwand von insgesamt 75 Millionen Schilling wurden 245 Wohnungen, davon 169 im Substandard, saniert, 153 neu geschaffen, 32 der Häuser in sehr schlechtem und schlechtem Zustand waren generalsaniert und 32 teilsaniert, die Zahl der Bewohner stieg merklich an. Die Ergänzung zur Altstadtpolitik bildete die von Voggenhuber ausgerufene »Architekturreform«. Die Bürgerliste war die erste politische Bewegung, die die zur Besorgnis Anlass gebende Bauentwicklung in der Stadt thematisierte, wobei sie – von steigender öffentlicher Aufmerksamkeit begleitet – den de facto nicht vorhandenen architektonischen Gestaltungswillen, die Bau- und Bodenspekulation, die bedenkliche Vergabe der Preise bei Wettbewerben an eine bestimmte Gruppe von Salzburger Architekten und den sorglosen Umgang mit dem historischen Erbe der Altstadt kritisierte. Die Affäre Zyla samt folgendem Prozess und der Angriff von Herbert Fux auf die offensichtliche »closed shop«-Mentalität bei Salzburger Architektenwettbewerben, die Konkurrenz und Innovation weitgehend verhinderte sowie die aufgrund einer Klage wegen übler Nachrede von mehreren Salzburger Architekten angestrengten Prozesse bildeten den spektakulären Höhepunkt dieser Entwicklung. In seinen Erinnerungen bemerkte Voggenhuber, vor der Übernahme der Planungsressorts durch ihn habe in der Stadt Salzburg »seit über hundert Jahren« ein »Bauherrnsyndikat« samt »Bau- und Bodenspekulation« geherrscht. »Für die Architektur der Stadt scheint in den letzten Jahrzehnten eine politische Verantwortung gar nicht mehr existiert zu haben, jedenfalls weniger als für eine korrekte Ausschreibung beim Ankauf von Schulmöbeln oder Kanaldeckeln. Die Demokratie hat die Aufgabe, Bauherr der Stadt zu sein, und sie hat das Recht des einzelnen zu sichern, Bauherr seiner Wohnung zu sein. Daraus erwächst den für Planen und Bauen verantwortlichen Politikern die Pflicht, Anwälte dieses Bauherrn zu sein. Bau und Planungspolitik hat nicht die Verwertung der Stadt zu ermöglichen, sondern ist Kulturpolitik. Darin liegt die politische Legitimation für die in Salzburg begonnene Architekturreform.«169 Um die Realisierung größerer Bauprojekte (ab einer Bruttogeschoßfläche von 2000  m2 oder einer Baumasse von über 7000 m3 und bei Gewerbebauten ab 15.000 m2) unter Berücksichtigung der internationalen Architekturentwicklung und des Städtebaus auf einem qualitativen Niveau zu garantieren, erfolgte am 4. November 1983 im Rupertinum unter dem Vorsitz von Wilhelm Holzbauer die konstituierende Sitzung des neu geschaffenen Gestaltungsbeirates als Beratungsgremium des ressortzustän-

der Sachverständigenkommission für die Altstadt von 8 auf 5 Mitglieder, die den Vorsitzenden aus ihrer Mitte wählten. Damit war nicht mehr der Leiter des Amtes für Hochbau des Landes automatisch Vorsitzender. Im Zuge von Baumaßnahmen zutage tretende bedeutsame Einzelheiten mussten gemeldet werden. 169 Ebda. S. 137.

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digen Stadtrates.170 Sämtliche Bauprojekte ab einer bestimmten Größe wurden ab nun einer Begutachtung durch den Gestaltungsbeirat unterworfen, wobei sich besonders bedeutende und sensible Projekte zusätzlich einer Prüfung durch international anerkannte Architekten unterziehen mussten. Der Gestaltungsbeirat wurde für die Bürgerliste zum wichtigsten Hebel, die von ihr behauptete bisher bei öffentlichen Aufträgen dominierende und überschaubare Salzburger Architektengruppe, bei der die jeweilige parteipolitische Zugehörigkeit wichtiger gewesen sei als die Qualität der Arbeit, durch eine internationale Konkurrenz abzulösen und damit die architektonische Qualität deutlich zu heben. Bereits vor der Installierung des Gestaltungsbeirates hatte Voggenhuber veranlasst, dass unter Hinweis auf das Bautechnikgesetz, in dem festgehalten ist, dass jeder Bau mit seiner Umgebung in Einklang zu bringen sei, zahlreiche Bauansuchen wegen gravierender Mängel abgelehnt oder zur Überarbeitung zurückgegeben wurden. Die Folge war ein breiter Sturm der Entrüstung bei Bauträgern, Architekten und Politikern, die Voggenhuber Wirtschaftsfeindlichkeit und eine abgehobene Geschmacksdiktatur vorwarfen. Nicht minder war die Aufregung, als der Gestaltungsbeirat im ersten Jahr seiner Tätigkeit rund 70 Prozent der eingereichten Projekte ablehnte und oftmals auch mehrmalige Überarbeitungen zu keinem positiven Ergebnis führten. Die Salzburger Architektenkammer wurde zum politischen Gegenspieler Voggenhubers, der nach längeren Verhandlungen einer Kompromisslösung zustimmte. Im Fall der Ablehnung eines Projekts konnte es in einer überarbeiteten Version nochmals eingereicht werden. Kam es auch dann zu keinem positiven Beschluss, musste auf Kosten der Stadt bei Bauten ab einer bestimmten Größe ein für ausländische Architekten offener Wettbewerb oder ein Gutachterverfahren durchgeführt werden. Trotz dieses Kompromisses sah sich der Gestaltungsbeirat zahlreichen Angriffen vor allem auch der Salzburger Architektenkammer ausgesetzt. So sprach der Salzburger Architekt Gerd Cziharz Anfang September 1985, kurz vor Ablauf der Funktionsperiode des ersten Gestaltungsbeirates,171 von einer völlig unangebrachten 170 Dem Beirat gehörten außerdem die Architekten Gino Valle (Udine) und Gerhard Garstenauer (Salzburg), der Architekturhistoriker und -kritiker Friedrich Achleitner und der Direktor der Galerie Rupertinum, Otto Breicha, an. (Zum Gestaltungsbeirat Vgl. Roman Höllbacher  : Altstadt, Stadt, Landschaft. Allegorie und Politik in Salzburg von 1970–1990. – In  : Dachs, Floimair, Hanisch, Schausberger (Hg.)  : Die Ära Haslauer. S. 565–612. S. 579ff.) Die Funktionsdauer des aus fünf Mitgliedern bestehenden Gestaltungsbeirates war auf zwei Jahre beschränkt. Er tagte in öffentlichen Sitzungen alle sechs Wochen. Für alle anderen Bauvorhaben wurden, je nach Größe und Bedeutung, drei Begutachtungsgruppen im Ressort gebildet. 171 Der sich am 13. Jänner 1986 konstituierende zweite Gestaltungsbeirat tagte unter dem Vorsitz des Schweizer Architekten Luigi Snozzi. Ihm gehörten ferner die Architekten Adolfo Natalini (Lausanne) und Adolf Krischenitz (Wien) der Kunsthistoriker Thomas Zaunschirm und der in seiner Funktion verbliebene Architekturhistoriker und -kritiker Friedrich Achleitner an.

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»Schulmeisterei« und einer »Geschmacksdiktatur«. Hatte bereits die Entscheidung des Gestaltungsbeirats für den Entwurf des Kölner Architekten Oswald M. Ungers für das Projekt Wohnsiedlung Forellenweg für erhebliche Turbulenzen gesorgt,172 so löste die am 23. September 1986 gefällte Entscheidung für das Projekt des portugiesischen Architekten Alvaro »Siza« Viera für die Neugestaltung des Café Winkler und die Erweiterung des Casinos auf dem Mönchsberg einen Sturm der Entrüstung aus. Vieras Siegerprojekt sah einen neuen Lift an der Außenseite des Mönchsbergs sowie einen schlanken hohen Turm vor. Voggenhuber unterstützte den Entwurf, er172 Am 14. März 1984 ging der Kölner Architekt Oswald M. Ungers aus dem Gutachterverfahren für die Wohnsiedlung Forellenweg als Sieger hervor. Die Entscheidung des Gestaltungsbeirats sah vor, dass der Entwurf Ungers die städtebauliche Grundlage für weitere Planungen bilden sollten, an denen die Architekten Rob Krier, Aldo Rossi, Erwin Pontiller, Heinz Kaschl und Heide Mühlfellner, Franz Fonatsch und Heinz Wondra sowie die Gruppe »Missing Link« mitwirken sollten. Am 19. März erfolgte die erste Kritik des Bauträgers »Gemeinnützige Salzburger Wohnbaugesellschaft« (GSWB) an der Entscheidung des Gestaltungsbeirats. Die Abstände zwischen den Wohnblöcken seien zu gering und Ungers habe sich nicht an die Ausschreibungsbedingungen gehalten, indem Teile des Baus auf fremden Boden stünden. Am 18. April kritisierte auch der Planungsausschuss des Gemeinderates das Projekt Ungers. Aufgrund der Kritik erklärte sich Ungers bereit, seinen Plan zu ändern und die vorgesehene viergeschoßige auf eine dreigeschoßige Höhe zu reduzieren. Gegen die Stimmen der Bürgerliste forderten daraufhin SPÖ, ÖVP und FPÖ, dass auch die anderen Wettbewerbsteilnehmer eine Modifikation ihrer Pläne vornehmen können. Der Planungsausschuss beschloss, sieben Architekten für eine Überarbeitung des Grundentwurfs Ungers einzuladen. Am 30. Juli präsentierten die sieben eingeladenen Architekten ihre Vorstellungen und wurden aufgefordert, eine Arbeitsgemeinschaft zu bilden, die in weiterer Folge als Ansprechpartner für die GSWB dienen sollte. Die Planungen an der Wohnsiedlung blieben jedoch weiterhin heftig umstritten. Aufgrund eines Antrags der FPÖ wurden Gutachten zu der Planung eingeholt, die am 10. November präsentiert wurden. Während Architekt Joseph Weber dem Projekt durchaus positiv gegenüberstand, unterzog es der Architekturprofessor Hubert Hoffmann einer vernichtenden Kritik. Die Grundrisse der Wohnungen seien nicht bewohnerfreundlich, die Sonneneinstrahlung ungenügend und Bebauungsdichte zu hoch. Aufgrund der im Gutachten Hoffmanns geäußerten Kritik beschloss der Gestaltungsbeirat am 18. Dezember eine Überarbeitung des Projekts, wobei vor allem die Geschoßflächenzahl auf 0,8 reduziert, die Sonneneinstrahlung verbessert und die Gassenbreiten vergrößert werden sollten. Aufgrund der Planungsverzögerungen setzte die GSWB den planenden Architekten am 30. April 1987 eine Frist bis 25. Mai für die Vorlage der endgültigen Pläne. Sollte dieser Forderung nicht entsprochen werden, wurde mit dem Entzug des Auftrags gedroht. Das schließlich zwischen 1987 und 1990 realisierte Projekt entsprach keineswegs den von Voggenhuber erhobenen Ansprüchen und wurde einer vernichtenden Kritik unterzogen. So bemerkte der Chefredakteur der angesehenen deutschen Zeitschrift »Baumeister«, Paulhans Peters, 1990, bei der Wohnsiedlung Forellenweg handle es sich um »viel Lärm um wenig. Das Gesamtkonzept bleibt unbefriedigend. … Wer heute durch den Forellenweg geht, fragt sich, ob es des ganzen Aufwandes bedurft hätte, um zu diesem Ergebnis zu kommen.« (Zit. bei Ritschel  : Über das Bauen in der Stadt Salzburg. S. 52.)

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klärte jedoch beschwichtigend, dass das Projekt noch einer Überarbeitung bedürfe. Die Kalmierungsversuche waren jedoch vergeblich. Angesichts der Breite und Heftigkeit der Ablehnung war, trotz der begeisterten Zustimmung des Gestaltungsbeirats, an die Realisierung des Projekts nicht mehr zu denken. Am 6. März 1987 erklärte Voggenhuber, aufgrund der allgemeinen Ablehnung werde eine Realisierung des Projekts nicht mehr betrieben. Herbert Fux kommentierte die Ereignisse in seinen Erinnerungen mit deutlicher Kritik an Voggenhuber. Dieser habe in den Siebzigerjahren weder in den großen Bürgerinitiativen mitgewirkt noch vor seiner Amtsübernahme eine Funktion im Gemeinderat innegehabt, »dennoch glaubte er, es besser zu wissen. Die Überfrachtung seines Ressorts, massiver Architekteneinfluss und skurrile Ideen, wie ein Turm der Moderne am Mönchsberg gegenüber der Festung als neues Wahrzeichen Salzburgs, lösten Empörung in der Bevölkerung aus.«173 Die von Voggenhuber angekündigte Architekturreform blieb Stückwerk und erschöpfte sich in oftmals doktrinären Positionen sowie damit ausgelösten publikumswirksamen Scharmützeln. Roman Höllbacher kam zu dem Schluss, dass zwischen 1982 und 1987 »viel Porzellan zerschlagen, aber wenig wirkliche Baukultur geschaffen« worden sei. »Diese braucht weniger Doktrinäres, als Bauherrn, die sie tragen. Über den Druck der Gutachten wurde diesen nahegelegt, Wettbewerbsverfahren durchzuführen, um rascher zu einem genehmigungsfähigen Projekt zu kommen. Aus diesem Zwang, die Beauftragung des Wettbewerbssiegers reichte selten über die Einreichplanung hinaus, erwächst aber keine Baukultur. Die mangelnde Sorgfalt bei der Umsetzung haftet vielen Projekten dieser Ära an. Dennoch wurde Architektur, unvergleichlich prägnanter als in jeder anderen österreichischen Stadt, zu einem öffentlichen Thema. … Es ist aber die insgeheim suggerierte Ansicht abzulehnen, dass im Nachkriegs-Salzburg bis zur Einführung des Gestaltungsbeirats keine ansprechenden Leistungen am Sektor Architektur entstanden. Das Bild einer architektonisch verarmten Region lässt sich bei differenzierter Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten nicht aufrecht erhalten.« Architekten wie Gerhard Garstenauer, Gerd Cziharz, Manfred Meixner, Franz Fonatsch, Heinz Wondra, Fritz Lorenz u. a. seien durchaus bemerkenswerte Leistungen gelungen.174 Die Stadt Salzburg bildet zusammen mit ihrer unmittelbaren Umgebung ein Gesamtkunstwerk von einmaliger Schönheit, das durch die Zunahme der Wohnbevölkerung, der lieb- und fantasielosen Wohnbauten sowie des Verkehrs zunehmend in Gefahr geriet. Hinzu traten als ideologischer Überbau eine zeitgeistige Fortschrittsgläubigkeit, der der Sinn für das Historische und Einmalige zunehmend verloren ging, und ein zunehmender Geschäftsgeist, die Dominanz des Warencharakters. Die Folgen wurden in den Sechzigerjahren sichtbar und riefen die ersten warnenden 173 Fux  : Wiederkehr und Abschied. S. 154. 174 Höllbacher  : Architektur, Stadt, Landschaft. S. 586f.

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Stimmen von Hans Sedlmayr bis Karl Heinz Ritschel auf den Plan, denen die Bürgerinitiativen zum Schutz der zunehmend bedrohten Stadtlandschaft folgten. Neben dem Schutz der Altstadt bildeten die Bewahrung der noch verbliebenen Landschaftsteile durch eine Deklaration, die Ausweisung von besonders schützenswerten Landschaftsteilen im Flächenwidmungsplan und die Ausdehnung der Naturschutzgebiete Schwerpunkte des Forderungskatalogs der sich formierenden Zivilgesellschaft. Die ÖVP reagierte, indem sie 1981 im Gemeinderat den Antrag stellte, mithilfe einer Grünlanddeklaration die inneren Stadtberge, Teile des Leopoldskroner Moors und bereits existierende Naturschutzgebiete zum ewigen Grünland zu erklären. Diese Initiative stieß jedoch auf die Bedenken der Stadtplanung und vor allem der SPÖ, die mit einem dadurch entstehenden erhöhten Baudruck in den ohnedies bereits dicht besiedelten Gebieten argumentierten. Hinter vorgehaltener Hand hieß es in SPÖ-Kreisen, die ÖVP wolle mit dieser Initiative nur ihr im Süden der Stadt wohnendes Klientel schützen. Der Antrag wurde zur weiteren Beratung zurückgestellt und erlitt das damit intendierte Schicksal des Verschwindens in den Schubladen der Bürokratie. Ein ähnlicher Antrag der Bürgerliste, der die Forderung nach einem Landschaftserhaltungsgesetz und einen zusammenhängenden Grüngürtel inklusive absolutem Bauverbot enthielt, erlitt dasselbe Schicksal. Die Übernahme der Stadtplanung durch die Bürgerliste 1982 änderte allerdings die Situation, da diese fest entschlossen war, eines ihrer zentralen Wahlkampfthemen auch zu realisieren. Stadtrat Voggenhuber initiierte Vorarbeiten für eine Grünlanddeklaration, deren Dringlichkeit aufgrund der dramatischen Entwicklung in den Jahren 1981 bis 1983 unterstrichen wurde. In diesem Zeitraum war durch rund 500 Ausnahmegenehmigungen im Grünland eine Fläche von 223 Hektar verbaut worden. Darüber hinaus wurden seitens des Magistrats rund 300 illegal errichtete Kleinbauten im Grünland festgestellt. Die nun folgende Bestandsaufnahme von Baulandreserven bildete eine wesentliche Grundlage für die intendierte Grünlanddeklaration. Die demografische Entwicklung signalisierte ein deutliches Stagnieren der Wohnbevölkerung, sodass die in früheren Plänen angenommenen Bevölkerungszahlen obsolet waren. Für den Wohnungsbau standen ungenutzte Baugrundstücke von über 3000 m2 im Ausmaß von 150 Hektar zu Verfügung und für Gewerbebauten ebenfalls 150 Hektar. Bauen im geschützten Grünland konnte somit mit dem Hinweis auf den Mangel an Wohnbauflächen nicht argumentiert werden. Und zudem, so das Argument der Bürgerliste, sollte nicht an der bisher vorherrschenden Ideologie der Stadterweiterung festgehalten, sondern diese durch Sanierung und Ausbau der vorhandenen Bausubstanz abgelöst werden. Am 4. Mai 1984 legte die Planungsabteilung im Auftrag von Stadtrat Johannes Voggenhuber einen Amtsbericht über eine »Deklaration Geschütztes Grünland« vor, der grundsätzlich positive Reaktionen der anderen Fraktionen hervorrief. Am 14. September beschloss der Gemeinderat die Einsetzung einer Expertenkommission

Eine herbe Enttäuschung – Die Gemeinderatswahl 1987

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zur Erarbeitung der notwendigen Details und Formulierungen. Drei Monate später unterbreitete die Kommission ihre Vorschläge für die Textierung der Deklaration. So sehr ein allgemeiner politischer Konsens über die Notwendigkeit einer Grünlanddeklaration herrschte, so existierten in Detailfragen deutliche Differenzen. So formulierte die ÖVP die Einwände gegen das Ausmaß des betroffenen Gebiets und die Bedenken der betroffenen Stadtbauern gegen die Abschaffung der Ausnahmegenehmigungen, unterstützt von der SPÖ, die für die Ermöglichung von Projekten im öffentlichen Interesse eintrat. Auch die FPÖ sprach sich gegen die Grünlanddeklaration in der vorliegenden Form aus. Bei einem Gespräch von SPÖ, ÖVP und FPÖ unter Ausschluss der Bürgerliste einigte man sich auf eine Reduzierung des geschützten Grünlandes um 1200 Hektar. Als dieses Übereinkommen bekannt wurde, reagierte die Bürgerliste im Wissen um die öffentliche Meinung äußerst geschickt mit einer Inseratenkampagne und der Forderung nach einer Volksabstimmung. Der Erfolg dieser Gegenstrategie ließ nicht lange auf sich warten. Die SPÖ verließ die Ablehnungsfront und schloss sich dem Vorschlag der Bürgerliste an, die im Gegenzug wenige im zwingenden öffentlichen Interesse liegende Ausnahmen im geschützten Grünland akzeptierte. Den Stadtbauern kam die Deklaration mit der Bestimmung entgegen, dass sie in Punkt 4 der Deklaration »als Pfleger und Bewahrer des Grünlandes« anerkannt wurden, weshalb »eine besondere Förderung der Landschaft im Deklarationsgebiet … notwendig« sei. Dies sollte mittels der »Schaffung eines rechtsverbindlichen Fonds« erreicht werden. Am 28. Juni 1984 beschloss der Gemeinderat mit den Stimmen der Bürgerliste und der SPÖ die Grünlanddeklaration. Die ÖVP blieb mit ihrem Antrag auf eine Reduzierung der geschützten Fläche von 3500 auf 2200 Hektar ebenso in der Minderheit wie die FPÖ mit ihrer Forderung nach einem generellen Ausnahmeverbot im geschützten Grünland. Bereits am 22. Oktober 1981 hatte die Bürgerliste gegenüber der zögernden Politik der etablierten Parteien mit ihrer Forderung nach einem Landschaftsschutzgesetz und einem zusammenhängenden Grüngürtel als deklariertes Schutzgebiet mit einem absoluten Bauverbot die Initiative ergriffen. Mit der nunmehr erfolgten Verabschiedung der Grünlanddeklaration errang sie einen ihrer größten politischen Erfolge.

5.1 Eine herbe Enttäuschung – Die Gemeinderatswahl 1987 Herbert Dachs bemerkte in seiner Analyse der Stadtpolitik in den Achtzigerjahren, für Parteistrategen sei aufgrund der Wandlungsdynamik der Politischen Kultur die politische Szene zunehmend unübersichtlich geworden. Bereits die Formierung der Bürgerinitiativen und schließlich deren Formierung im Vorfeld der Gemeinderatswahl 1977 zur »Bürgerliste« signalisierte einen folgenschweren Paradigmenwechsel

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in der Politischen Kultur und dem sie repräsentierenden Parteiensystem. Die Erosion der Parteibindungen, die zunehmende Auflösung ideologisch geprägter Lebenswelten, der damit einhergehende Wertewandel ließen in der Landeshauptstadt die ersten Sprünge im so lange gefeierten »Salzburger Klima« und seinen stabilen parteipolitischen Fundamenten sichtbar werden. Die Herausforderung der etablierten Parteien enthielt neue, bisher nicht gekannte Elemente, deren Bedeutung und Nachhaltigkeit noch schwer einzuschätzen war. Die Reaktionen reichten von Geringschätzung über Irritation bis zur offensichtlichen Verunsicherung. Wie sollte man auf das neue Themenset und den neuen Stil der (Oppositions-)Politik reagieren  ? Die Verunsicherung wurde durch das Ergebnis der Gemeinderatswahl 1982 noch vergrößert. Wenngleich 1984 ein Einzug der GABL in den Landtag scheiterte (Vgl. Kapitel 5. 1.), so bildete die Landeshauptstadt mit ihrer spezifischen Bevölkerungsstruktur ein eigenes politisches Biotop. Dieses konnte jedoch nicht isoliert betrachtet werden, denn keine andere Landeshauptstadt verfügte in ihrem Bundesland über ein derart schweres politisches, wirtschaftliches und kulturelles Gewicht wie Salzburg. Die politische Landschaft in der Stadt Salzburg konnte man daher nicht ignorieren, im Gegenteil, sie bedurfte besonderer Aufmerksamkeit und Zuwendung. »Hier gelang es der Bürgerliste unter Führung des ideenreichen und dynamischen Stadtrates Johannes Voggenhuber, ab 1982 der städtischen Kommunalpolitik sowohl vom Stil als auch von den wesentlichen Themen her den Stempel aufzudrücken bzw. in verschiedenen Bereichen das Gesetz des Handelns mitzubestimmen. Hochmobil, wenig eingeengt durch Rücksichtnahmen auf etablierte Interessenlagen und ausgestattet mit einem an einschlägigen Kompetenzen überreich bedachten Stadtrat konnte sich während dieser Jahre die Bürgerliste als die innovative Kraft schlechthin profilieren, die einerseits schon bekannte Problemlagen zuspitzte und einer Lösung näherzubringen suchte …, aber auch ganz neue Themenbereiche auf die Tagesordnung setzte … und so politikfähig machte.« Die etablierten Parteien wurden mit einer »Fülle von Ideen, Anregungen, Initiativen und auch Provokationen« konfrontiert, denen sie sich letztlich weder im Pro noch im Kontra entziehen konnten. »Sie erschienen teilweise wie gelähmt ob dieses neuen Stils und der vorgelegten Direktheit und Rasanz und durch das Wissen verunsichert, dass eine Reihe der kritisch vorgetragenen Themen auch bei den eigenen Anhängern und Wählern auf Zustimmung stieß. Vielfach zog man daher nolens volens mit, wo möglich sollte gebremst, verzögert und auf Kompromisse gedrängt werden. Bei alledem mochten auch die politischen Gegner der Bürgerliste großteils konzedieren, dass damals die richtigen Fragen gestellt und auch grundsätzlich die richtigen Wege zu deren Lösung beschritten worden sind. Das vorgelegte Tempo aber, die unrealistisch hochgeschraubten Erwartungen, die nicht selten zur Schau getragene Ungeduld, das Zu-Viel-Auf-Einmal-Wollen, strukturelle Widerstände und ganz einfach auch Fehler und Fehlkalkulationen, das alles

Eine herbe Enttäuschung – Die Gemeinderatswahl 1987

189

wirkte freilich auch kontraproduktiv und verschreckte und überforderte einen Teil der Wähler.«175 Angesichts der bevorstehenden Gemeinderatswahl bestand vor allem bei der ÖVP Handlungsbedarf, da deren Stadtparteiorganisation erhebliche Defizite aufwies und Vizebürgermeister Gerhardt Bacher als zwar sachkundig, jedoch nicht publikumswirksam galt, weshalb er parteiintern in seiner Funktion zunehmend infrage gestellt wurde. Für die Stadt-ÖVP galt es, sich in dem abzeichnenden Persönlichkeitswahlkampf zwischen Johannes Voggenhuber und SPÖ-Bürgermeister Josef Reschen möglichst rasch und markant zu positionieren. Reschen, der Heinrich Salfenauer 1980 in der Funktion des Bürgermeisters abgelöst hatte, galt als politischer Pragmatiker, der sich im Wissen um die zunehmende Ablehnung der Initiativen der Bürgerliste bei den klassischen SPÖ-Wählern diesen zunehmend verweigerte, andererseits sich jedoch, durchaus geschickt medienwirksam inszeniert, an die Spitze hoch emotionalisierter Themen wie dem Kampf gegen Wackersdorf setzte und damit den Grünen bzw. der Bürgerliste dieses Feld nicht überließ. Und die Stadtorganisation der ÖVP stand mit Blick auf die Wählerstromanalysen vor einem zusätzlichen Problem  : der extremen Labilität des Wahlverhaltens ihrer (scheinbar) traditionellen Wählergruppen vor allem in den bürgerlichen Wohnbezirken. Bei dieser Gemengelage der Probleme war nur mit einer neuen Spitzenkandidatin oder einem neuen Spitzenkandidaten Land in Sicht. Soweit der innerparteiliche Konsens. In der Frage, wie diese oder dieser gefunden und auf den Schild gehoben werden sollte, bestanden jedoch deutliche Meinungsverschiedenheiten. Landeshauptmann und Landesparteiobmann Wilfried Haslauer sen. war bekannt für seine oft unorthodoxen Personalentscheidungen, die bis dato – wenn auch mit einer Ausnahme – durchaus erfolgreich waren. Die Landesräte Friedrich MayrMelnhof und Berthold Göttl erwiesen sich als erfolgreich, während die Berufung des Journalisten Arno Gasteiger zum Finanz- und Wirtschaftslandesrat innerparteilich stets umstritten blieb und Gasteiger ob seiner Persönlichkeitsstruktur nie Popularität erreichen sollte. Nunmehr setzte Haslauer die Politik der einsamen und unorthodoxen Personalentscheidungen in der Stadt Salzburg fort, indem er am 21. Februar 1987 den zuständigen Parteigremien, die er vorher nicht informiert hatte, die Geschäftsführerin des Mozarteum-Orchesters und Gattin des bekannten Journalisten der »Salzburger Nachrichten« Gerhard Neureiter, Sigune Neureiter, als neue Spitzenkandidatin und damit als Nachfolgerin von Gerhardt Bacher, der zuvor Bereitschaft für eine Kandidatur bekundet hatte, präsentierte.176

175 Dachs  : Die Salzburger Parteienarena 1975–1989. S. 100f. 176 Robert Kriechbaumer  : Die Ära Haslauer 1977–1989. – In  : Salzburg. Geschichte & Politik. Mitteilungen der Dr.-Hans-Lechner-Forschungsgesellschaft 4/1996. S. 135–181. S. 162.

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In der Stadtregierung. Gestalten und Widerstand Die Bürgerliste 1982 bis 1987

Wilfried Haslauer sen. war sich der Problematik seines Vorgehens durchaus bewusst und setzte die Quereinsteigerin im Stadtparteivorstand mit einer Zustimmung von 93,5 Prozent durch. Sigune Neureiter galt als klug und durchsetzungsfähig und bildete nach der Auffassung Haslauers die personelle Alternative zu den beiden politischen Alpha-Tieren Josef Reschen und Johannes Voggenhuber. Zudem sah er in ihr die geeignete Persönlichkeit, die dringend notwendige Reorganisation der Stadtpartei in Angriff zu nehmen. Die neue Spitzenkandidatin gab sich auf dem für 29. März einberufenen außerordentlichen Landesparteitag kämpferisch und betonte in ihrer Parteitagsrede unter Anspielung auf das heftig umstrittene »Siza«-Projekt des Lifts auf den Mönchsberg, nur eine starke ÖVP könne verhindern, dass die Stadt Salzburg in ein linksalternatives Projekt abrutsche oder Fanatiker, die einen Außenlift auf den Mönchsberg befürworteten, das Stadtbild bestimmen. Zum Schluss ihrer Rede appellierte sie an die rund 10.000 Parteimitglieder, sich für die Realisierung einer bürgerlichen Politik in der Stadt Salzburg einzusetzen und ihren Wahlkampf zu unterstützen, dann könne das große Ziel, eine bürgerliche Bürgermeisterin zu installieren, erreicht werden.177 Der Applaus der Delegierten war ihr sicher, doch die Hoffnungen Haslauers sollten sich nicht erfüllen. Die Zustimmung der Stadtparteileitung zur neuen Spitzenkandidatin war nur unter der Prämisse erfolgt, dass man mit dem Landeshauptmann keinen Konflikt riskieren und auch die Frage nicht beantworten wollte, ob man stattdessen mit einem wenig zugkräftigen Spitzenkandidaten in die Wahlauseinandersetzung ziehen wollte. Die Funktionäre und freiwilligen Wahlhelfer der Partei ließen ihren Vorbehalten hingegen freien Lauf, indem sie Neureiter in dem nun beginnenden Wahlkampf nur halbherzig unterstützten. Und Sigune Neureiter vermochte in der zunehmenden Bedeutung der äußeren Erscheinung der Spitzenkandidaten vor allem mit dem SPÖ-Spitzenkandidaten, Bürgermeister Josef Reschen, nicht zu reüssieren. Reschen vermochte zudem mit dem Hinweis auf die Sanierung der Stadtfinanzen178 kommunalpolitische Kompetenz zu signalisieren, über die Neureiter (noch) nicht verfügte. Die Gemeinderatswahl am 4. Oktober 1987 brachte erdrutschartige Verschiebungen der politischen Landschaft, von denen ausschließlich die SPÖ profitierte, die erstmals nach 1945 die absolute Mehrheit der Mandate und damit neben der Position des Bürgermeisters auch jene des Vize-Bürgermeisters errang.

177 Protokoll des 29. a. o. Landesparteitages der Salzburger Volkspartei am 29. März 1987. Hg. v. d. ÖVP-Landesparteileitung. S. 10–15. (Nr. 22 der Schriftenreihe der Salzburger Volkspartei.) 178 Ab 1983 erwirtschaftete die Stadt Salzburg wiederum Überschüsse und konnte die Schuldenquote deutlich senken.

191

Eine herbe Enttäuschung – Die Gemeinderatswahl 1987

Ergebnis der Gemeinderatswahl in der Stadt Salzburg am 4. Oktober 1987 (im Vergleich zu 1982)  :179

ÖVP 1987

Stimmen

Prozent

Mandate

13.816

22,6

9 12

ÖVP 1982

19.897

28,9

SPÖ 1987

30.123

49,3

21

SPÖ 1982

25.367

36,9

15 6

FPÖ 1987

9215

15,1

FPÖ 1982

10.300

14,9

6

BL 1987

6197

10,1

4

BL 1982

12.153

17,6

7

KPÖ 1987

489

0,8

0

KPÖ 1982

470

0,7

0

Andere 1987

1279

2,0

0

Andere 1982

532

0,8

0

Wahlverlierer waren die Bürgerliste und die ÖVP. Die Bürgerliste verlor rund die Hälfte ihrer Wähler des Jahres 1982, die ÖVP ein Drittel. Das schlechte Abschneiden der ÖVP wurde aus einem Vergleich der Ergebnisse der Landtagswahl 1984 und der Nationalratswahl 1986 deutlich, bei denen sie mit 31.514 bzw. 28.265 Stimmen mehr als doppelt so viele auf sich zu vereinen vermochte. Die massiven Verluste der beiden Parteien korrespondierten mit einem deutlichen Gewinn der SPÖ, die vor allem auf einer Entscheidung der Bürgerliste-Wähler des Jahres 1982 basierten und die Bürgermeister Reschen mit seinem medienwirksam inszenierten Kampf gegen Wackersdorf gewinnen konnte.180 ÖVP und Bürgerliste verloren stark an das Lager der Nichtwähler, das mit 37,7 Prozent einen neuen Höchstwert erreichte und die imaginäre zweitgrößte Fraktion stellte. Die Wahlenthaltung erreichte in all jenen Bezirken besondere Rekordwerte, in denen die Wähler von ÖVP und Bürgerliste wohnten. Die geringe Wahlbeteiligung von 62,3 Prozent relativierte den Wahlsieg der SPÖ, die mit dem Gewinn von 6 Mandaten – je drei von der ÖVP und der Bürgerliste – nunmehr über die absolute Mehrheit im Gemeinderat verfügte. Die politischen Karten waren völlig neu gemischt. Voggenhubers ambitionierte und – trotz aller Verdienste – auch oftmals über das Ziel hinausschießende Politik war für die deutliche Wahlniederlage der Bürgerliste, die aus der Regierungsfunktion ausscheiden musste, hauptverantwortlich. Die ÖVP-Verluste hatten in der mangelnden 179 SN 5.10.1987. S. 1. 180 Walter Thaler  : Mut und Wille. Salzburgs Sozialdemokraten 1960–2010. – Wien 2010. S. 152.

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In der Stadtregierung. Gestalten und Widerstand Die Bürgerliste 1982 bis 1987

Unterstützung der neuen Spitzenkandidatin durch die Funktionäre sowie dem Protest der Stammwähler gegen die Art und Weise ihrer Bestellung ihre Hauptursache. Die kluge und ambitionierte Spitzenkandidatin war, weitgehend ohne ihr eigenes Zutun, das Opfer der politischen Rahmenbedingungen geworden und damit bei ihrem politischen Wirken mit einer schweren Hypothek belastet. Karl Heinz Ritschel kommentierte das Ergebnis der beiden Wahlverlierer mit dem Hinweis, dass es Sigune Neureiter zwar gelungen sei, »im Wahlkampf … sympathisch zu erscheinen, sie konnte jedoch keine Emotionen für sich bewegen und keinesfalls nachweisen, dass sie über kommunalpolitische Sachkompetenz verfügt. Landeshauptmann Haslauer sen. hatte die Kandidatin erkoren, die Funktionäre der Stadtpartei haben sich gefügt, aber Frau Neureiter ist in ihrem Wahlkampf ohne wesentliche Unterstützung geblieben. … Das Wahlergebnis ist … auch möglich geworden durch die hohe Verweigerung der Gefolgschaft von Stammwählern, die der gleichsam aus dem Hut gezauberten Kandidatin ihre Stimme nicht geben wollten und daher überhaupt auf das Wahlrecht verzichteten. … Der Verlust der Bürgerliste war absehbar. Sie wird ein historisches Verdienst für Salzburg besitzen, die Verkrustungen aufgebrochen zu haben. Johannes Voggenhuber hat sein Amt geradezu mit Fanatismus geführt – und er ist darüber gestolpert.«181 Die Folgen des Wahlergebnisses betrafen nicht nur das Schloss Mirabell und das Rathaus, sondern auch den Chiemseehof, in dem Landeshauptmann und ÖVP-Landesparteiobmann Wilfried Haslauer ob der deutlichen Wahlniederlage und der darin zum Ausdruck gebrachten Missbilligung seiner Personalentscheidung bereit war, die Konsequenzen zu ziehen und sich aus beiden Funktionen zurückzuziehen. In beiden Funktionen sollte ihm Hans Katschthaler folgen. Die interne Ankündigung Haslauers löste hektische Betriebsamkeit aus. Es galt, den populären Landeshauptmann von diesem Schritt abzubringen. Zahlreiche enge Mitarbeiter warnten ihn vor diesem überraschenden Schritt und Landesparteisekretär Franz Schausberger initiierte eine Befragung der Funktionäre, in der sich 70 Prozent gegen einen solchen Schritt aussprachen. Nach einigen Tagen und zahlreichen dramatischen Sitzungen nahm Haslauer von seinem Entschluss Abstand und erklärte, bei der kommenden Landtagswahl 1989 wiederum als Spitzenkandidat zur Verfügung zu stehen. Johannes Voggenhuber hingegen zog, wie Klubobmann Eckehart Ziesel, noch am Wahlabend die politische Konsequenz und erklärte, sich völlig aus dem politischen Leben zurückzuziehen. »Fünf Jahre neue Politik können auch einen Kopf kosten«, so der Stadtrat in einer ersten Ursachenforschung. Über die Entwicklung der Bür-

181 Karl Heinz Ritschel  : Das Debakel der Volkspartei. – In  : SN 5.10.1987. S. 1.

Eine herbe Enttäuschung – Die Gemeinderatswahl 1987

193

gerliste müsse man sich nun ernsthaft Gedanken machen. Wenn sie klug sei, »wird sie versuchen müssen, sich als liberale und demokratische Kraft neu aufzubauen.«182 Auch eine sichtlich enttäuschte Sigune Neureiter erklärte wenig später ihren Rückzug aus der Politik. Doch während sie ihrer Ankündigung treu blieb, kehrte Johannes Voggenhuber wenig später auf de (bundes-)politische Bühne zurück.

182 SN 5.10.1987. S. 1.

6.

Der vom Chaos begleitete »Salzburger Weg« – Die GABL

Die Bürgerliste war als lokale Partei auf die Landeshauptstadt Salzburg beschränkt. Zahlreiche Grünaktivisten und -sympathisanten verfolgten jedoch die Entwicklung auf Bundesebene, auf der es im Vorfeld der Nationalratswahl 1983 aufgrund ideologischer Differenzen zur Kandidatur zweier Grünparteien – ALÖ und VgÖ – kam, mit großem Interesse und Anteilnahme. Jenseits aller ideologischer Differenzen war man der Überzeugung, dass das »Grüne Projekt«, sollte es erfolgreich sein, über regionale Initiativen und Erfolge, mögen diese auch noch so erfolgreich sein wie z. B. die Bürgerliste in der Stadt Salzburg, hinaus auf Landes- und Bundesebene verfolgt werden musste. Um dieses Ziel zu erreichen, waren jedoch entsprechende organisatorische Strukturen und programmatische Leitlinien notwendig. In dem noch unübersichtlichen und weitgehend chaotischen Feld der Grünbewegung formierten sich im Vorfeld der Nationalratswahl mit der linken Alternativen Liste Österreich und den bürgerlichen Vereinigten Grünen Österreichs zwei wahlwerbende Parteien, denen es jedoch noch weitgehend an einer in den Bundesländern verankerten Organisationsstruktur in Form von Landesparteien mangelte. Diese versuchte man nunmehr in aller Eile aufzubauen. In Salzburg wurde die »Aktion Umwelt« zum Proponenten der ALÖ. Die ALÖ wurde 1978 in Graz als loser Dachverband zahlreicher Umwelt- und Alternativbewegungen ins Leben gerufen und konstituierte sich im Vorfeld der Nationalratswahl 1983 im November 1982 als Partei. Dabei wurde der Beschluss gefasst, zur Erhöhung der politischen Wirksamkeit so rasch als möglich Landesorganisationen aufzubauen, die mit dem jeweiligen Anfangsbuchstaben des jeweiligen Bundeslandes als ALW oder ALS aktiv werden sollten. In Salzburg widmete die Nr. 19 der von der »Aktion Umwelt« herausgegebenen Zeitschrift »alternative« den Großteil der Berichterstattung über und der Werbung für die ALÖ, die als wichtiges parlamentarisches Standbein der Ökologiebewegung bezeichnet wurde. »Es zeigt sich in der ganzen Auseinandersetzung um Umweltschutz, Friedenssicherung, 3. Welt …, dass die herkömmlichen Parteien nicht die Kraft und den Mut zu einer entscheidend neuen Politik haben. Man redet zwar viel über Umweltschutz, Erhaltung des Friedens, neuen Zielen des Wachstums … Aber de facto betreibt man die alte Politik der sogenannten Sachzwänge weiter …

Der vom Chaos begleitete »Salzburger Weg« – Die GABL

195

Massiver Druck aus der Bevölkerung – in Form verschiedener Initiativen und Aktionen – kann allerdings einiges bewirken. So konnte zum Beispiel Zwentendorf zu Fall gebracht werden … Der Druck vergrößert sich aber noch, wenn die Umwelt- und Alternativbewegung auch bei Wahlen kandidiert. Außerdem hat man mit einigen Abgeordneten im Parlament die Möglichkeit, verschiedene Probleme in die Öffentlichkeit zu bringen und auch mehr Zugang zu wichtigen Informationen. Die Alternativbewegung soll auf zwei Beinen stehen  : 1. Bein außerhalb von Parlamenten und Institutionen durch Bürgerinitiativen, Basisgruppen und ähnliches. 2. Bein innerhalb von Parlamenten und Institutionen.«183 In der Steiermark, Nieder- und Oberösterreich und Wien existierten bereits Landesorganisationen der ALÖ und nunmehr gehe man auch in Salzburg an eine solche Gründung. »Etliche Aktivisten der ›Aktion Umwelt‹ sind auch am Aufbau der Alternativen Liste Salzburg beteiligt« Wenngleich die »Aktion Umwelt« ihre bisherigen Aktivitäten als überparteiliche Initiative weiterführen werde, so unterstütze man die Bildung einer Landesgruppe der ALÖ, da damit die Möglichkeit einer »Vertretung in politischen Gremien und eine wichtige Förderung des Diskussionsprozesses zwischen den einzelnen Initiativen« geschaffen werde.184 Die Skala der programmatischen Forderungen reichte von klassischen ökologischen Themen über linke Utopien bis zu Skurrilitäten wie das Werbeverbot in Rundfunk, Fernsehen und auf Plakatwänden, das Verbot des Kabel- und Satellitenfernsehens zugunsten der Förderung basisdemokratischer Medieninitiativen und die Abschaffung des Bundesheeres sowie eine umfassende Friedenserziehung inklusive des Verbots von Kriegsspielzeug.185 Das Ergebnis der ALS bei der Nationalratswahl am 24. April 1983 verbannte die neue politische grün-alternative Partei in die Rubrik der politischen Restgrößen. Das enttäuschende Ergebnis basierte auf einer Reihe von Ursachen  : den bundespolitischen Rahmenbedingungen durch getrennte Kandidaturen von VgÖ und ALÖ, dem sich – außer dem Thema Ökologie – vor allem an politische Randgruppen wendenden Programm sowie der sich im embryonalen und chaotischen Zustand befindenden Parteiorganisation, die eine kontinuierliche und gezielte politische Arbeit wesentlich behinderte. Angesichts der manifest gewordenen organisatorischen und disziplinären Probleme sah sich Hans-Michael Schallaböck veranlasst, am 7. Mai 183 alternative Nr. 19/1983. S. 9. 184 Ebda. 185 alternative Nr. 20/1983. S. 6f.

196

Der vom Chaos begleitete »Salzburger Weg« – Die GABL

1983 31 Regeln »für eine lustvolle und effektive politische ›Arbeit‹ in der Alternativen Liste Salzburg« zu verfassen, mit deren Hilfe ein Minimum an klaren organisatorischen und praktisch-politischen Aufgaben gewährleistet werden sollte. »Regel 1  : Wir tun jene Arbeiten verlässlich, für die wir die Verantwortung übernommen haben. Wenn wir aus irgendeinem Grund verhindert sind, suchen wir einen Vertreter. Regel 2  : Jeder Aktivist sollte sich bereit erklären, verlässlich ein Minimum an Arbeit in der ALS zu leisten (Durchschnitt 2 Stunden pro Woche außer Stammtisch). Regel 3  : Wir bzw. jeder Aktivist sollten nur so viel Arbeit/Projekte uns vornehmen, als wir ohne Überforderung und unguten Gefühlen leisten können. … Regel 5  : Der Geschäftsführende Ausschuss (GA) sollte den vollen Überblick über das Geschehen in der ALS haben … Regel 6  : Hauptverantwortung des GA ist (neben Öffentlichkeitsarbeit) die Arbeit in der ALS zu koordinieren bzw. Arbeit aufzuteilen (delegieren und damit die Verantwortung auf viele Personen aufzuteilen). Eine gewisse ›Führungsaufgabe‹ steht dem GA insofern zu, als er gezielt an bestimmte Gruppen bzw. Personen Arbeit delegieren sollte, um diese zu integrieren bzw. (diesen) eine Aufgabe zu geben (also nicht nur darauf zu warten, bis die Leute von selbst etwas tun). … Regel 9  : Die Entscheidungen der Leitung sollten akzeptiert werden. Das Plenum hat gegenüber Entscheidungen der Leitung ein Vetorecht. … Regel 11  : Wir kommen pünktlich zu Treffen und verlassen diese nicht vorzeitig. … (…) Regel 21  : Wir sollten in der ALS nicht den Anspruch haben, alles auf Konsens hin zu diskutieren bzw. zu entscheiden. Es sollte klare Positionen geben, hinter denen die Mehrheit steht. Positionen, hinter denen mehr als 20 Prozent stehen, sollten ebenso neben die Mehrheitsposition gestellt werden. Regel 22  : In der Öffentlichkeit sollte immer die Mehrheitsposition in der ALS dargestellt und verständlich gemacht werden, aber man kann auch zusätzlich seine eigene ev. abweichende Position darstellen. Regel 23  : Bei unseren Diskussionen sollte es keine Gewinner und Verlierer geben … Regel 25  : Wir sollten alle sensibel dafür sein, ob nicht hinter scheinbar sachlichen Konflikten eigentlich zwischenmenschliche Konflikte stehen.«186

VgÖ und ALÖ zusammen hatten bei der Nationalratswahl 1983 in der Stadt Salzburg 6,3 Prozent und im Bundesland Salzburg 4,2 Prozent erreicht. Die getrennten Kandidaturen der beiden Grünparteien hatten den erhofften Einzug in den Nationalrat verhindert, weshalb in der Erkenntnis, dass das segmentierte grüne Biotop nicht lebensfähig war, nach einer Phase der Enttäuschung auf Bundesebene neu186 Hans-Michael Schallaböck  : Regeln für eine lustvolle und effektive politische »Arbeit« in der Alternativen Liste Salzburg. Typoskript. (AHB)

Der vom Chaos begleitete »Salzburger Weg« – Die GABL

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erlich Versuche einer Einigung unternommen wurden. Die Vorstufe eines solchen keineswegs leichten Unterfangens sollten Wahlbündnisse der beiden Grün-Parteien mit Bürgerinitiativen auf Landesebene bilden. Die ersten Versuche in diese Richtung wurden 1984 in Salzburg, Vorarlberg und Tirol unternommen. In Salzburg hatte die Bürgerliste am 3. Oktober 1982 bei der Gemeinderatswahl in der Stadt Salzburg mit 17,69 Prozent einen Erdrutschsieg errungen und stellte mit Johannes Voggenhuber erstmals einen Stadtrat. Damit war erstmals in Österreich der Vertreter einer Bürgerinitiative in ein politisches Exekutivorgan eingezogen. Angesichts dieses Erfolges lag es daher nahe, für die bevorstehende Landtagswahl am 25. März 1984 eine Wahlgemeinschaft der drei, allerdings sehr heterogenen, Gruppierungen ALS, VgÖ und Bürgerliste zu bilden. Der Weg zu diesem Wahlbündnis sollte sich allerdings als dornenreich und von zahlreichen Auseinandersetzungen und Rivalitäten geprägt erweisen. Die ersten Kontaktgespräche zwischen ALS, VgÖ und Bürgerliste fanden am 16. Juli und 10. September 1983 in Goldegg statt. Bei der Bundesversammlung der VgÖ am 25. Juni 1983 in Salzburg hatte Parteiobmann Josef Buchner erklärt, die VgÖ werden bei allen Wahlgängen kandidieren, wobei jedoch die Form der Kandidatur – ob alleine oder in Form einer Wahlgemeinschaft – den einzelnen Landesorganisationen überlassen bleibe. Die Erklärung Buchners erfolgte vor dem Hintergrund der in Salzburg bereits seit einiger Zeit einsetzenden Bemühungen um eine gemeinsame Kandidatur bei der bevorstehenden Landtagswahl, die vor allem auch von führenden Exponenten der Bürgerliste wie Eckehart Ziesel forciert wurde. Am 3. Juli hatte die ALS in einer Mitgliederversammlung eine gemeinsame Kandidatur mit der Bürgerliste und den Vereinigen Grünen beschlossen und war von ihrer Forderung nach einer bloß lockeren Wahlplattform abgerückt. Die gemeinsame Kandidatur sollte nunmehr in Form einer neuen Partei/Wahlplattform – GABL (Grün, Alternativ, Bürgerliste) – erfolgen, wobei jedoch dieser Schritt nur unter der Bedingung erfolgen sollte, »wenn diese Partei nach basisdemokratischen Prinzipien aufgebaut ist. Dies wäre u. a. dann gegeben, wenn die Mitgliederversammlung als höchstes Gremium dieser Partei die Statuten, das Programm, den Vorstand sowie die Kandidaten und die Bezüge etwaiger Landtagsmandatare bestimmt.«187 Die ALS versuchte somit die neue Wahlgemeinschaft von vornherein sowohl organisatorisch wie ideologisch zu dominieren. Dies gelang ihr auch bei den beiden Treffen in Goldegg am 16. Juli und 10. September 1983. In einer internen Information über die beiden Goldegger Treffen teilte die ALS ihren Mitgliedern nicht ohne Stolz mit, dass beim ersten Treffen ein Drittel, beim zweiten Treffen bereits mehr als ein Drittel der Teilnehmer aus dem ALS-Bereich stammten. »Wir hatten unsere Zustimmung zu einer ›neuen Partei‹ davon abhängig gemacht, dass diese demokratisch aufgebaut sei. 187 Presseaussendung der ALS zur Mitgliederversammlung vom 3.7.1983.

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Der vom Chaos begleitete »Salzburger Weg« – Die GABL

Konkret war für uns vor allem wichtig  : Mitgliederversammlung als höchstes Entscheidungsgremium, Frauen und Männer in den Funktionen paritätisch vertreten, Einrichtung eines geschäftsführenden Ausschusses in der Art des ALS-GA, Gehalt der Mandatare von der Mitgliederversammlung bestimmt, Namen der Gruppierungen in der ›neuen Partei‹ ersichtlich. Außerdem haben wir allgemein festgelegt, dass wir eine weitgehende Übernahme der ALS-Statuten wollen. Wir meinen, dass das Ergebnis der Diskussion mit unseren Vorstellungen über­ einstimmt.«188 Die ALS habe sich in zahlreichen Punkten wie dem Rotationsprinzip (höchstens eine Legislaturperiode, Verlängerung nur unter erschwerten Bedingungen), der Geschlechterparität und dem imperativen Mandat durchgesetzt. »Beide Treffen verliefen in einer freundschaftlichen Atmosphäre. Vor allem zwischen der Bürgerliste und uns gibt es zum Teil gute persönliche Beziehungen, was eine vorurteilsfreie Diskussion erleichtert, da man schon besser weiß, wie der andere denkt und empfindet. Aber auch mit den ›Grünen‹ kommen wir gut aus, obwohl wir sie persönlich weniger gut kennen. Etwas unfreundlicher war es nur, als Herbert Fux beim ersten Treffen einmal ›kurz vorbeischaute‹, er hat übrigens erklärt, dass er sich bei der Landtagswahl nicht engagieren möchte. Ihm gegenüber gibt es von uns her einige Barrieren. … Die Gründungsversammlung der GABL als wahlwerbende Partei findet dann am Sonntag, den 2. Oktober 1983, um 10.00 Uhr im Schloss Goldegg statt. Wir haben das Gefühl, dass der ›Salzburger Weg‹ ein guter Weg ist.«189 Diese Bemühungen waren den im Landtag vertretenen Parteien nicht verborgen geblieben. Für die ÖVP bemerkte deren Klubobmann Helmut Schreiner, im Falle des Zustandekommens einer solchen Wahlplattform würde es sich um eine linke bis linksextreme Gruppierung handeln. In einer Presseaussendung verwahrte sich die ALS gegen diese Charakterisierung. Die GABL gebe es noch nicht, sondern werde erst am 2. Oktober gegründet. Es gebe allerdings bereits einen Statuten- und Programmentwurf. Nunmehr begannen Politiker der ÖVP und FPÖ, »die zukünftige Gruppierung ins linke Eck abzuschieben. … Eines ist klar  : Mit der GABL wird der Zusammenschluss einer breiten Protestwählerschicht geschaffen, die mit der herrschenden Politik nicht mehr zufrieden ist. Diese Front von demokratie- und umweltbewussten, engagierten Menschen wird allen bestehenden Parteien Stimmen kosten.«190 Für die VgÖ verwahrte sich deren neuer Landesobmann, Michael Beer, am Rande der Einigungsgespräche in Goldegg gegen die Charakterisierung Schreiners. Es sei verständlich, dass der ÖVP-Klubobmann die entstehende grüne Kraft »ins linke Eck abschieben möchte«, da sie ein ernster Konkurrent bei der kommenden Landtags188 ALS-INFO Nr. 3.14.9.1983. 189 Ebda. S. 2. 190 Presseaussendung der ALS. 14.9.1983.

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wahl sei.191 Auch ÖVP-Landesparteisekretär Franz Schausberger sah in der sich formierenden GABL eine »eindeutig linke Gruppierung.« Die ÖVP nehme die neue grüne Wahlplattform sehr ernst, sie sei für die Volkspartei »sehr gefährlich«, weil sie wahrscheinlich Stimmen koste.192 Die Charakterisierung als »linke Gruppierung« war bei einem Blick auf die programmatischen Positionen vor allem der ALS nicht von der Hand zu weisen. Im »ALS-Rundbrief« vom 1. Juni 1983 war die Errichtung von Arbeitsgruppen »für das Erarbeiten von Programmen für die Landtagswahl« angekündigt worden, die zunächst unter bestimmten Fragestellungen Grundlageninformationen sammeln sollten, aus denen in weiterer Folge entsprechende politische Forderungen formuliert werden sollten. Im Bereich »Wirtschaft« sollten u. a. folgende Fragen behandelt werden  : »Arbeitslosigkeit und Arbeitszeit  ? Folgen der 35-Stunden-Woche  ? Was ist und wo gibt es ›sinnvolle Arbeit‹  ? … Steuerbelastungen und Steuerbegünstigungen  ? … Konsumgewohnheiten bei Ober-, Mittel- und Unterschicht  ? Konsumerziehung, Konsumentenschutz  ? … Soziale Kosten von Großbetrieben und Rationalisierung  ? … Folgen von Büroelektronik und Informatik auf Beschäftigungsstruktur und Arbeitsplätze  ? Wie stehen wir zur Technologie, welche Lösungen bieten wir an  ?« Eine Arbeitsgruppe sollte sich mit dem Thema »Einkommensverteilung/Privilegien« befassen. Als zu behandelnde Fragen wurden u. a. genannt  : »Einkommensstatistik in Stadt und Land, Durchschnitte, Mann/Frau, Branchen, regionale Unterschiede. Namen der 100 reichsten Leute in Salzburg (und wie sie es sich zusammengestohlen haben), welche Privilegien gibt es in welchen speziellen Berufen  ? Was gibt es außer Einkommen noch für Privilegien  ? … Aufkommen von Vermögens, Grund-, Schenkungs- und Erbschaftssteuer in Salzburg  ? Wie könnte ein Einkommensschlüssel von z. B. 1 zu 7 funktionieren  ?« Im Kapitel »Sozial- und Gesundheitspolitik sollte u. a. die Frage »mehr Leute und dafür weniger Maschinen und Überstunden« behandelt werden.193 Im Diskussionspapier zum Wahlprogramm 1984 der GABL fanden zahlreiche Positionen der ALS Eingang. So hieß es u. a.: »9. Demokratisierung in Wirtschaft und Gesellschaft. Betriebe müssen an Mitarbeiter auf deren Wunsch Informationen über Planungen (Produkte, Rationalisierungen, technische Neuerungen) weitergeben. Mehr Mitentscheidungsmöglichkeiten der Mitarbeiter über Betriebsentwicklung und Organisation der Arbeit. 10. Arbeit muss menschlicher, gesünder und befriedigender werden … Weitestgehende Einbremsung der Mikroelektronik in den Betrieben (Arbeitsplatzvernichtungsanlagen).

191 SN 27.6.1983. S. 5. 192 SN 13.9.1983. S. 5. 193 ALS-Rundbrief 1.6.1983. S. 4.

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11. Arbeitsplätze  : Vorhandene Arbeit gerecht aufteilen (jetzt 35 oder 30-Stunden-Woche, (…) 13. Soziale Gerechtigkeit, Privilegienabbau  : Einkommensgefälle maximal 1 zu 7, Beseitigung von Bildungs- und Standesprivilegien … 15. Kultur und Medien  : Radikale Umverteilung von Hochkultur-Subventionen zugunsten der Basiskultur … Förderung demokratischer Medienkultur (Kleinmedien) und Mitsprache der Bevölkerung bei Presse und Rundfunk …«194

Mit den im Sommer in Goldegg beschlossenen Statuten der GABL war der erste Schritt in Richtung einer neuen Grün-Partei getan. Bei der ersten Mitgliederversammlung in Goldegg am 2. Oktober schien die Welt noch in Ordnung. Die in gemeinsamen Gesprächen im Sommer beschlossenen Statuten erklärten in § 3, dass die Aufnahme von Mitgliedern »aufgrund von schriftlicher Beitrittserklärung an den Koordinationsausschuss« erfolgt und von diesem »der nächsten Mitgliederversammlung gemeldet« wird, »der die endgültige Entscheidung vorbehalten ist.« § 8 definierte die Zusammensetzung des Koordinationsausschusses und dessen Aufgaben als wichtigstes Organ des neuen Bündnisses. »Der Koordinationsausschuss besteht aus 4 Mitgliedern und 4 Ersatzmitgliedern. Jedes Ersatzmitglied ist einem Ausschussmitglied zugeordnet. Es ist die Pflicht jedes Ausschussmitgliedes, seine Vertretung stets voll zu informieren. Der Koordinationsausschuss soll paritätisch je zur Hälfte von Männern und Frauen besetzt sein. Die Mitglieder des Koordinationsausschusses sind für ein Jahr gewählt. Halbjährlich werden je zwei Mitglieder ausgetauscht, wobei sich auch die bisherigen Ersatzmitglieder zur Wahl stellen können. Die Aufgaben des Koordinationsausschusses sind insbesondere  : Vorläufige Entscheidung über Aufnahme von Einzelmitgliedern. Vertretung der GABL nach außen im Sinne gefasster Beschlüsse. Einberufung der Organe der GABL. Informationsaustausch und Koordination innerhalb der GABL. Bekanntgabe von Protokollen und Beschlüssen an die Mitglieder. Abhalten von 14-tägigen offenen Sitzungen, in welchen Tagesthemen diskutiert und Empfehlungen an die Vertreter der GABL beschlossen werden können. …«195

Die Wahl des Koordinationsausschusses durch die Mitglieder der GABL fiel auf Ulrike Unterbruner und Rosi Müller (ALS), Johann Padutsch und Wilhelm Perschl 194 ALS-INFO Nr. 3. 14.9.1983. S. 3. 195 AHB

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(Bürgerliste). Als Ersatzmitglieder wurden Gabriele Rechberger, Heinrich Müller und Michael Schallaböck (ALS) sowie die vom Salzburger VgÖ-Obmann Michael Beer vorgeschlagene, jedoch nicht dem VgÖ als Mitglied angehörende, Erna Hattinger. Die sich ebenfalls um einen Sitz im Koordinationsausschuss bewerbenden VgÖ-Mitglieder Michael Beer und Elisabeth Wolf erhielten nicht die erforderlichen Stimmen, sodass die VgÖ in dem zentralen Leitungsgremium der GABL nur mit einer Sympathisantin als Ersatzmitglied vertreten war. Obwohl VgÖ-Landesobmann Beer nach der Wahl erklärte, man werde trotz des enttäuschenden Wahlergebnisses weiter in der GABL mitarbeiten, änderte er wenig später aufgrund von Interventionen der Bundesorganisation sowie Mitgliedern der Landesorganisation seine Meinung und ließ am 6. Oktober wissen, für die VgÖ sei die Zusammensetzung des Koordinationsausschusses inakzeptabel, da er zu sehr die Alternativen und die Bürgerliste repräsentiere.196 Sollte hier keine gravierende Änderung vorgenommen werden, werden die VgÖ bei der kommenden Landtagswahl getrennt kandidieren. Am 10. Oktober tagte der Landesausschuss der VgÖ unter Teilnahme von Michael Beer und Herbert Fux, um über die eingetretene Situation zu beraten. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass die am 2. Oktober erfolgte Wahl des Koordinationsausschusses zwar demokratisch erfolgt sei, jedoch keineswegs den politischen Realitäten gerecht werde, da kein Vertreter des bürgerlichen Lagers, d. h. der VgÖ, vertreten sei. Damit bestehe die Gefahr des Abgleitens der GABL in ein linkes oder linksradikales Fahrwasser und die VgÖ drohten zum Gefangenen dieser Entwicklung zu werden. Die VgÖ werden daher in absehbarer Zeit eine Mitgliederversammlung abhalten, die darüber befinden sollte, ob die VgÖ alleine oder im Rahmen der GABL kandidieren solle. Sollte man sich für eine Kooperation mit der GABL entschließen, könne dies nur auf der Basis einer Drittelparität erfolgen. Herbert Fux erklärte in einem Interview mit den »Salzburger Nachrichten« zur politischen Gewichtung des Koordinationsausschusses der GABL  : »Das ist ein typisches Zeichen für das bürgerliche Lager, dass nicht so viele zu Thesenverhandlungen gehen. Die Alternativen sind ideologisch interessiert und können ein Plenum beherrschen. Das ist alles demokratisch, aber man muss ausgehen von einer Wählerrealität. Die Bürgerlisten-Wähler sind mehrheitlich bürgerlich.« Im Koordinationsausschuss seien »keine Grünen drinnen … Mein Vorschlag wäre gewesen, einen aus der Bürgerliste, einen Grünen und einen Alternativen zu nehmen. Wenn in einem ganz neuen Forum 70 Prozent Alternative sitzen, wenn niemand von den Grünen drinnen ist, kann man nicht sagen GABL.«197 Die VgÖ werde sich jedoch um eine Einigung bemühen, da die GABL ohne die VgÖ den Einzug in den Landtag nicht schaffen werde.198 196 Kronen Zeitung 8.10.1983. S. 11. 197 SN 11.10.1983. S. 5. 198 SN 12.10.1983. S. 5.

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Auf diese Wende der VgÖ reagierten Ulrike Unterbruner und Michael Schallaböck sichtlich irritiert und verärgert. Namens des Koordinationsausschusses erklärten sie in einem Schreiben an alle Mitglieder der GABL, die nunmehr eingetretene Situation bzw. die Argumentation der VgÖ sei »umso grotesker, als sie ja die ALS im Juni/Juli 1983 unter Druck von VgÖ und BL die Idee einer Plattform mit drittelparitätischer Besetzung der Gremien und Kandidaten aufgegeben hatte. Als Argumente hierfür galten die engere Zusammenarbeit in einer Wahlgemeinschaft und der erleichterte Frontenabbau zwischen den Gruppierungen. Es sei minder wichtig, wer von welcher Gruppe vorne stehe  ; das gemeinsame Vertreten gemeinsamer Ziele habe Vorrang. Die VgÖ fordert nun plötzlich etwas, was sie der ALS ein paar Monate zuvor ausgeredet hat.«199 Außerdem stimme die Behauptung der VgÖ nicht, sie sei bei der Mitgliederversammlung der GABL unterrepräsentiert gewesen. Das sog. »Goldegger Manifest« sei von 32 Vertretern der VgÖ, 14 der Bürgerliste und 28 der Alternativen Liste unterschrieben worden. Man wollte jedoch die Brücken zur VgÖ nicht abbrechen und signalisierte Kompromissbereitschaft in Form einer personellen Ergänzung des Koordinationsausschusses durch Mitglieder der VgÖ. Am 6. November erklärte Wilhelm Perschl für die nach wie vor um das Zustandekommen der Wahlplattform der Bürgerliste bemühte Bürgerliste, es müsse nach wie vor das Bestreben sein, »alle drei Gruppen zu vereinen«. Dies sei offensichtlich »im ersten Anlauf nicht gelungen. Wichtiger als jedes ›Hick-Hack‹ ist jetzt die Frage, wie es weitergeht.« Anschließend appellierte er an alle VgÖ-Mitglieder, sich »an ein gemeinsames Vorgehen noch anzuschließen.« Ähnlich argumentierte Gernot Niedermayer, der an die VgÖ die dringende Bitte richtete, den langen Diskussionsprozess »nicht umsonst gewesen sein« zu lassen. Für die VgÖ formulierte deren Landesvorsitzender Beer deren Forderungen, die drei Punkte beinhalteten  : 1. Die sofortige Abmeldung der GABL als Partei, da man eine Aufgabe der Selbständigkeit befürchtete  ; 2. Die Aufstockung des Koordinationsausschusses auf 9 oder 12 gleich stimmberechtigte Mitglieder und damit die Herstellung der Drittelparität  ; 3. Vorschlag der Kandidaten durch alle drei Gruppierungen bei Vetorecht jeder einzelnen Gruppierung, um die Nominierung von extremen Kandidaten zu vermeiden.200 Die Appelle an die Einigkeit blieben nicht umsonst. Die GABL-Mitgliederversammlung beschloss ein weitgehendes Kompromissangebot an die VgÖ  : 1. Die GABL als politische Partei werde nach der Einreichung der Kandidatenliste aufgelöst. 2. Zwei von den VgÖ vorgeschlagene Mitglieder sollten in den Koordinationsausschuss, der dann aus insgesamt zehn Mitgliedern bestehen würde, aufgenommen werden. 3. Die Kandidaten sollten statutengemäß gewählt werden. Befand sich jedoch unter den ersten drei Kandidaten kein VgÖ-Mitglied, so würde ein solches au199 AHB 200 Die GABL Nr. 2. Information der Grün Alternativen Bürgerliste Salzburg, 18.11.1983. (AHB)

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tomatisch auf den dritten Platz vorrücken. Gleichzeitig ließ der Sprecher der GABL die VgÖ auch wissen, dass man zu vernünftigen Verhandlungen über eine Zusammenarbeit bereit sei. Sollte jedoch die VgÖ aus ideologischen Gründen – die VgÖ stieß sich an dem Begriff »alternativ«, den sie als linken politischen Kampfbegriff verortete – zu starrköpfig sein, werde es eben eine GABL ohne VgÖ geben.201 Einigkeit war gefordert, sollte der erhoffte Einzug in den Landtag gelingen. Die Chancen waren durchaus realistisch. Mitte November sah das Institut für Grundlagenforschung (IFG) in einer repräsentativen Umfrage die GABL bei 5,9 Prozent, wobei sich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch 53 Prozent der Wähler nicht definitiv entschieden hatten und die Frage offen blieb, ob sich die Bürgerlisten-Wähler des Jahres 1982 am 25. März 1984 auch für die GABL entscheiden würden.202 Die Notwendigkeit der Geschlossenheit und die Minimierung der Chancen bei gesonderter Kandidatur gaben schließlich den Ausschlag, dass sich die VgÖ am 20. Dezember für eine Mitarbeit in der GABL aussprach. Für die VgÖ sollte deren Landesobmann, der Zeller Mittelschulprofessor Michael Beer, im Spitzentrio der GABL-Kandidaten aufscheinen, den Spitzenplatz ein Repräsentant der Bürgerliste einnehmen, während die Plätze 2 und 3 zwischen VgÖ und ALÖ ausgelost werden sollten. Die GABL ihrerseits entsprach der VgÖ-Forderung nach der Umwandlung der Partei in einen Verein, da das Statut der VgÖ eine Doppelmitgliedschaft in zwei Parteien nicht vorsah. Im Bereich der Kandidatennominierung sollte es allerdings zu einem folgenschweren Zerwürfnis kommen. Spitzenkandidat wurde, der Vereinbarung gemäß, der von der Bürgerliste für diese Funktion nominierte Abteilungsleiter der Salzburger Druckerei Wilhelm Perschl. Mit jeweils einem Kandidaten der Bürgerliste und der VgÖ auf den beiden Spitzenplätzen sollte ein deutliches Zeichen in Richtung Bürgerlisten-Wähler gesetzt werden. Erst an dritter und vierter Stelle rangierten die ALS-Mitglieder Heinrich Müller und Michael Schallaböck. Nach dem ersten Wahlgang in der Mitgliederversammlung am 8. Jänner 1984 im Stieglbräu in der Rainerstraße belegten jedoch ein Vertreter der Bürgerliste und zwei der ALS die ersten drei Plätze, gefolgt von den beiden VgÖ-Mitgliedern Michael Beer und dem ehemaligen Bankkaufmann und nunmehrigen Medizinstudenten Roland Kadir. Die VgÖ forderte daraufhin unter Hinweis auf das Ankommen einen Platz unter den ersten drei, worauf auf Beschluss der Mitgliederversammlung eine Stichwahl zwischen Beer und Kadir für die Spitzenposition durchgeführt wurde, bei der die von persönlichen Animositäten geprägten Spannungen innerhalb der VgÖ deutlich zutage traten. Unmittelbar vor der Stichwahl erfolgte ein heftiger Angriff Kadirs auf Beer, dem er vorwarf, aus persönlicher Eitelkeit und Karrieresucht zu kandidieren. Dies rief wiederum einen Beer-Vertrauten auf den Plan, der Kadir heftig attackierte. Den 201 SN 17.11.1983. S. 7. 202 SN 15.11.1983. S. 5.

204

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in aller Offenheit ausgebrochenen Konflikt konnte erst das Dazwischentreten von VgÖ-Bundessekretär Wolfgang Pelikan beenden.203 Kadir wurde schließlich mit der Mehrheit von nur einer Stimme zum Kandidaten der VgÖ für den zweiten Listenplatz gewählt. Beer war jedoch nicht bereit, dieses Ergebnis zu akzeptieren und unternahm Anfang Februar nochmals den Versuch, die Kandidatenliste zu korrigieren, indem er bei einer Mitgliederversammlung der GABL den Antrag stellte, ihn von der fünften auf die zweite Stelle vorzureihen. Als dieser Antrag lediglich fünf Stimmen erhielt, verließ er mit seinen Unterstützern die Versammlung und trat schließlich aus der GABL aus.204 Gerhard Neureiter schilderte die Atmosphäre der GABL-Mitgliederversammlung als nicht nur von Toleranz und Rücksichtnahme, sondern auch von alten Rivalitäten und Abneigungen geprägt. »Der Saal … war schon mit Girlanden für Faschingsveranstaltungen geschmückt. Die Stimmung unter den rund hundert Mitgliedern, die zur Wahl der Landtagskandidaten erschienen waren, zeigte nichts von der Heiterkeit der Dekoration. Aber man war freundlich zueinander, von alten Streitigkeiten abgesehen. Der Vorsitzende teilt mit, das Hotel hätte sich bereit erklärt, für die Mittagspause zwei Bio-Menüs zum Preis von 58 Schilling vorzuschlagen. Hauptgang Hafer-Haselnuss-Laibchen in Kräutersoße oder gefüllte Melanzane mit Kartoffeln. Rauchen im Saal ist verboten (aus Rücksicht auf die Nichtraucher), die Grundstimmung neigt zu Toleranz und Rücksichtnahme. Man kann im Salzburger Anzug mit Krawatte erscheinen wie in Jeans, man kann sein Kind mitnehmen oder den Hund, Bart tragen oder nicht und Spitzenkandidat Wilhelm Perschl legte Wert auf die Feststellung, dass sein neuer Bart nicht alternativer, sondern altbürgerlicher Art sei (es gibt auch schon graue Strähnen drinnen). … 203 Kronen Zeitung 9.1.1984. S. 7. 204 Manfred Beer trat zusammen mit der Mittersiller Dentistin Herma Brunnbauer und dem Bischofshofener Gemeinderat Manfred Bernegger am 23. Februar aus der GABL aus. Gleichzeitig wurde der Kandidat der VgÖ auf der Liste der GABL, Roland Kadir, aus der VgÖ ausgeschlossen. Herma Brunnbauer erklärte aufgrund dieser Entwicklung, die GABL habe kein Recht mehr, sich GABL zu nennen, sondern könne sich durch das Ausscheiden zahlreicher Mitglieder der VgÖ nur mehr ABL nennen. (SVZ 24.2.1984. S. 1.) Der Schritt Beers sorgte bei der VgÖ-Bundesführung für Verärgerung. In einem Fernschreiben an die Landeswahlbehörde teilte der Bundesvorsitzende der VgÖ, Josef Buchner, mit, dass Michael Beer sämtlicher Funktionen in der VgÖ verlustig gegangen sei und infolge seiner Suspendierung auch als Zustellungsbevollmächtigter nicht mehr fungiere. Er dürfe daher keine Kandidatur im Namen der VgÖ einbringen. Das Schreiben Buchners hatte jedoch keine rechtliche Relevanz, da die Landeswahlbehörde die Kandidatenliste der GABL bereits am 1. Februar beschlossen hatte. Beer blieb daher so lange als »wilder Mandatar« auf der Liste, bis er seine Kandidatur von selbst zurückziehen würde. Nachdem Beer bei der Landeswahlbehörde schriftlich deponierte, dass er zu einem solchen Schritt nicht bereit sei, blieb er als »wilder Mandatar« an der fünften Stelle der GABL.

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205

Allerdings kommt deutlich zum Ausdruck, dass innerhalb der VgÖ und damit der GABL nicht nur Liebe und Freundschaft herrschen. Da gibt es harte persönliche Abneigungen und Worte, die bis zum Vorwurf der Lüge gehen.«205 Ungeachtet der noch nicht geklärten Struktur und der nach wie vor vorhandenen Rivalitäten der drei Gruppierungen eröffnete die GABL bereits im November 1983 im Stil der Bürgerliste mit Inseraten und Flugblättern den Landtagswahlkampf. Die etablierten Parteien wurden als Grundstückspekulanten, Zubetonierer, Bündnis einer »geldgierigen Lobby von Politikern und Mitnaschern (Architekten, Planer, Baufirmen)« und weiterhin tätige »Verschandler« der Stadt und deren Umgebung angegriffen. Die Schlussfolgerung und Forderung  : »Salzburg braucht eine echte Opposition  !«206 Und diese konnte nach der Natur der Dinge nur die GABL sein. Bei der Präsentation des Wahlprogramms am 7. Februar 1984 betonte Spitzenkandidat Wilhelm Perschl das mangelnde Demokratieverständnis der etablierten Parteien. »Die Parteien beherrschen das Gesellschaftssystem, um es für sich zu nützen.«207 In Wahlkampfsprüchen war man mit dem Wahlvolk keineswegs zimperlich. Der Satz »Um ein vollwertiges Mitglied einer Schafherde sein zu können, muss man vor allem ein Schaf sein  !«208 stieß beim Großteil des umworbenen Wahlvolkes wohl kaum auf begeisterte Zustimmung. Man war in der im Fasching stattfindenden heißen Wahlkampfphase auch um originelle und medienwirksame Aktionen nicht verlegen. Anfang März griff man im Protest gegen die behaupteten teuren Dienstwagen der sieben Landesregierungsmitglieder auf karnevaleske Aktionsmuster zurück, indem am Faschingsamstag GABL-Aktivisten GABL-Kandidaten mit Melone und Mercedes-Stern auf Sänften vom Nonntal zum Alten Markt trugen. Symbolisch wurde damit angedeutet, dass die Mitglieder der Landesregierung auf dem Rücken der Steuerzahler nicht zu rechtfertigende teure Dienstautos benutzten. Auf Flugblättern wurde behauptet, dass die Steuerzahler monatlich mit 40.000 Schilling belastet würden, um nur einen Dienstwagen eines Mitglieds der Landesregierung zu finanzieren. Die Politiker wurden aufgefordert, doch öfter zu Fuß zu gehen, mit dem Fahrrad zu fahren oder öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Gleichzeitig bildete die Kritik an der Parteienförderung einen Schwerpunkt der Agitation gegen die Salzburger »Einheitspartei« und »Drei-Parteien-Wirtschaft«. Es sei typisch für dieses in Salzburg herrschende System, dass der Salzburger Landtag 1981 eine jährliche Parteienförderung in der Höhe von 30 Millionen Schilling beschlossen habe. Diese Höhe sei nicht vertretbar. Eine »drastische Reduzierung der Parteienförderung« sei ein 205 Gerhard Neureiter  : Demokratische Mittagspause mit Bio-Menü. – In  : SN 9.1.1984. S. 5. 206 Diese Zitate beziehen sich auf in den Salzburger Nachrichten im Monat November 1983 geschaltete Inserate der GABL. 207 Kurier 8.2.1984. S. 19. 208 Kronen Zeitung 13.3.1984. S. 16.

206

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Gebot der Stunde, denn »die Salzburger sind nach Ansicht der GABL nicht einverstanden, dass von ihren Steuergeldern knapp 200 Millionen Schilling pro Legislaturperiode in die Parteikassen fließen.«209 Und diese »drei Parteien sind es auch, die durch ihre Entscheidungen und ihr Verhalten nach wie vor die Gefährdung unserer Umwelt verschärfen sowie den Notstand unserer Gesellschaft zementieren.« Daher benötige es eine wirkliche und wirksame Opposition, deren Aufgabe vor allem in vier Punkten bestehe  : »Das Ausüben einer Kontrollfunktion Das Aufzeigen neuer Wege für eine überlebensnotwendige, umwelt- und menschengerechte Politik  ; Die objektive und ungeschminkte Information der Bevölkerung  ; Die Stärkung der positiven Kräfte innerhalb der etablierten Parteien, die eine notwendige Erneuerung eben dieser Parteien ermöglichen können.«210 209 Presseaussendung der GABL vom 13.10.1983. (AHB) 210 Kurzdarstellung der GABL. (AHB) In einem Inserat mit dem Titel »Wer wir sind, was wir wollen« hieß es  : »Dies ist die Antwort auf den akuten Notstand unserer Umwelt und Gesellschaft. Unsere obersten Ziele sind  : Der Schutz der Umwelt und der in ihr lebenden Menschen. Die direkte Beteiligung der Bevölkerung an den Entscheidungsprozessen in allen unseren Lebensbereichen. Die Beseitigung der Abhängigkeit der Menschen von den Parteien. Die Verhinderung von persönlicher Bereicherung einzelner zu Lasten von Natur und Mensch. Die soziale Gerechtigkeit und Solidarität in der Gesellschaft. Das gewaltfreie Streben nach Frieden. In all diesen Punkten hat die bisherige Landespolitik versagt  ! Voraussetzung für eine neue Politik ist die objektive und ungeschminkte Information der Bevölkerung. Konkrete Beispiele unserer Vorstellungen sind u. a.: Ausbau der Mitbestimmungsrechte der Bevölkerung bei Bauvorhaben, Flächenwidmungsplanung (Bauland-Grünland), Verkehrsplanung (Straßenbau) etc. Wirklicher Abbau von Politikerprivilegien (Mehrfachbezüge, Doppelpensionen, Dienstautos u. a.) Drastische Reduzierung der Parteienfinanzierung (von 1984–1989 werden es in Salzburg ca. 250 Millionen Schilling an Steuergeldern sein  !) Einhaltung der niedrigsten, international anerkannten Grenzwerte bei Schadstoffabgaben an die Umwelt. Stopp einer weiteren Zerstörung von Salzburgs Landschaften durch Zersiedelung, sinnlosen Straßenbau, unnütze Fluss- und Bachregulierungen u. a. Gesetzlicher Schutz der Stadtbäume. Massive Förderung des öffentlichen Verkehrs, vorrangig auf Pendlerstrecken. Verkehrsberuhigung, vor allem in Wohngebieten. Geschlossene, verkehrssichere Radwegenetze im Nahverkehrsbereich.« (AHB)

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Wenige Tage vor der Landtagswahl meldete sich Johannes Voggenhuber via Inserat mit einem Frontalangriff auf die traditionellen Parteien und das von ihnen geprägte politische Klima zu Wort  : »›Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient.‹ Haben die Bürger unseres Landes diese Regierung und diese Parteien verdient  ? Was können denn die Bürger dafür, dass ÖVP, SPÖ und FPÖ untätig zusehen, wie ganze Landstriche vom Waldsterben ergriffen werden, wie Bäche und Flüsse betoniert und begradigt zu Kanälen für Säuren und Laugen werden  ? Was können denn die Bürger dafür, dass ÖVP, SPÖ, FPÖ die Zersiedelung unserer schönsten Landschaften betrieben haben und noch betreiben und zahlreiche Multifunktionäre sich daran bereichert haben  ? … (…) Die größte ökologische Katastrophe ist die Handlungsunfähigkeit unserer Politiker. Die größte Gefahr für die Demokratie sind schweigende Bürger.«211 Die so Angegriffenen sahen in dem neuen politischen Mitbewerber ein links der SPÖ angesiedeltes schillerndes Wahlbündnis, dessen gemeinsamer Nenner die Opposition gegen alles und jedes und die Plakatierung eines utopischen Gegenentwurfs sei. Für den FPÖ-Landesgeschäftsführer Roland Aspöck handelte es sich bei der GABL »um eine politische Gruppierung, die eindeutig am linken äußeren Rand des politischen Spektrums einzuordnen« war und in der »Gleichmacherei, Leistungsund Eigentumsfeindlichkeit« vorherrschten. Es sei zu befürchten, »dass über den Umweg der Bezeichnung GABL marxistische Elemente in der Salzburger Landespolitik an Einfluss gewinnen könnten.« Ähnlich lautete die Charakteristik von ÖVPLandesparteisekretär Franz Schausberger, der in der GABL einen Wolf im Schafspelz vermutete. »Die GABL ist zwar von ihrem Programm und ihren Exponenten her eindeutig links von der SPÖ einzuordnen, versucht aber durch bürgerlichen Etikettenschwindel darüber hinwegzutäuschen und auch aus der Wählerschaft der ÖVP Stimmen zu fischen.« Erheblich entspannter urteilte SPÖ-Landesgeschäftsführer Peter Köpf, der in der GABL einen politischen Mitkämpfer gegen eine drohende absolute Mehrheit der ÖVP sah, die für ihn das weitaus größere Trauma bildete als ein Einzug der GABL in den Landtag.212 Wenig später wurde Köpf allerdings deutlicher und bezeichnete die GABL als »Haufen von Kleinbürgern und Trotzkisten.«213 Die GABL bildete nach der vorläufigen Beilegung ihrer inneren Differenzen und Rivalitäten im Vorfeld der Landtagswahl die große Unbekannte. Spitzenkandidat Perschl erklärte in einem Interview mit der Tageszeitung »Kurier«, bei einer Wahl sei nichts sicher, doch rechne er mit zwei bis vier Mandaten.214 Das überraschende Auftreten und die Kandidatur der vom ehemaligen NPD-Funktionär Alfred Bayer 211 SN 20.3.1984. S. 22. 212 Profil Nr. 4. 24.1.1984. S. 25. 213 Kronen Zeitung 27.1.1984. S. 1984. 214 Kurier 26.1.1984. S. 19.

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gegründeten »Die Grünen Österreichs« wenige Wochen vor der Wahl löste sichtliche Verwirrung in Lager der Grün-Sympathisanten aus. Für besonderen Ärger bei der GABL sorgte der Umstand, dass es »Die Grünen Österreichs« vermieden, sich beim Sammeln der notwendigen Unterstützungserklärungen zu deklarieren, sodass viele GABL-Sympathisanten ihre Unterschrift für den neu aufgetauchten politischen Konkurrenten leisteten. Die GABL erstattete daraufhin Strafanzeige gegen »Die Grünen Österreichs« wegen vorsätzlicher Täuschung und warnte in Inseraten vor der Abgabe einer Unterstützungserklärung für diese Gruppierung. Die Landtagswahl am 25. März 1984 erfreute sich nach dem erdrutschartigen Sieg der Bürgerliste 1982 bei der Gemeinderatswahl in der Stadt Salzburg und dem erstmaligen Antreten einer geeinten Grünbewegung in Form der GABL besonderer Aufmerksamkeit. Wahlarithmetisch, so Gerhard Neureiter, könne ein Einzug in den Landtag nur über ein Grundmandat in der Landeshauptstadt gelingen. Das Erreichen des Grundmandats sei aber auch von der Wahlbeteiligung abhängig. Steige diese, werde das Grundmandat teurer und die GABL könnte an der höheren Stimmenschwelle scheitern. Gelinge der GABL in Salzburg der Einzug in den Landtag, so bedeute dies »einen Einbruch in die österreichische Parteienlandschaft über örtliche, bisher auf Gemeinden begrenzte Bereiche hinaus.«215 Der 25. März 1984 führte zu dramatischen Veränderungen in der Stärkerelation der traditionellen Parteien im Landtag, wobei sich die ÖVP mit ihrem populären Landeshauptmann Wilfried Haslauer sen. als klarer Sieger feiern konnte. Sie erreichte mit 50,2 Prozent nicht nur die absolute Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen, sondern mit 19 Mandaten auch die absolute Mehrheit im Landtag und in der Landesregierung. Dabei war von besonderem Interesse, dass ihre Zugewinne in der Stadt Salzburg deutlich höher waren als in den übrigen Gauen. Deutliche Verlierer waren SPÖ und FPÖ, wobei die FPÖ aufgrund ihrer Verluste auch ihren bisherigen Sitz in der Landesregierung einbüßte. Enttäuschend war das Abschneiden der GABL, die mit 4,3 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen den Einzug in den Landtag verfehlte und auch in der Stadt Salzburg das erhoffte Grundmandat nicht erringen konnte. Die Wähler der Bürgerliste des Jahres 1982 entschieden sich zwei Jahre später nur zu 24 Prozent für die GABL, die damit in der Landeshauptstadt die Wahlzahl von 6498 Stimmen nicht erreichte. Das gleichzeitige Antreten der »Grünen Österreichs« sorgte sicherlich bei einem Teil der Wähler für Verwirrung und Irrtümern bei der Stimmabgabe. Hätten beide Grünparteien zusammen kandidiert, so hätten sie in der Stadt Salzburg mit 321 Stimmen die erforderliche Wahlzahl überschritten und wären mit zwei Mandaten in den Landtag eingezogen.

215 Gerhard Neureiter  : Was passiert Sonntag in Salzburg  ? – In  : SN 24./25.3.1984. S. 1f. S. 1.

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Das Ergebnis der Salzburger Landtagswahl am 25. März 1984 (Angaben in Prozent)  :216

Bundesland Gesamt (mit Wahlkarten) Veränderung zu 1979 Stadt Salzburg (ohne Wahlkarten) Veränderung zu 1979

ÖVP

SPÖ

FPÖ

GABL

KPÖ

50,2

35,1

8,7

Grüne 1,3

4,3

0,5

+ 4,8

– 4,0

– 4,6

+ 1,3

+ 2,5

+ 0,1

44,7

34,3

10,9

1,8

7,6

0,7

+ 6,3

– 3,6

– 6,4

+ 1,8

+ 1,8

+ 0,1

Landbezirke (ohne Wahlkarten)

52,3

35,5

7,8

1,1

2,8

0,3

Veränderung zu 1979

+ 3,7

– 4,2

– 3,6

+ 1,1

+ 2,8

0,0

Mandate Veränderung zu 1979

19

13

+2

– 1,0

4 – 1,0

Das enttäuschende Abschneiden der GABL basierte auf einer Reihe von Ursachen. Die Sympathiewerte der Bürgerliste/GABL sanken – vor allem auch aufgrund der polarisierenden Politik von Johannes Voggenhuber in der Stadt, zwischen 1982 und 1984 um die Hälfte, während sich die Werte für »unsympathisch/sehr unsympathisch« beinahe verdoppelten. Verantwortlich für diesen Imageverlust waren zudem die Differenzen und teilweise in aller Öffentlichkeit ausgetragenen Feindschaften sowie der deutliche Linksruck durch den Beitritt der ALS, der vom Großteil der Salzburger, und vor allem der Bürgerlisten-Wähler der Jahre 1979 und 1982, nicht goutiert wurde. In der Lösungskompetenz des Problemhaushalts dominierte die ÖVP in den von der Bevölkerung als besonders wichtig erachteten Themen Wirtschaftskompetenz, Arbeitsplatzsicherung und politisches Personal deutlich vor den politischen Mitbewerbern, wobei der GABL in diesen Bereichen de facto keine Kompetenz zugestanden wurde. Sogar im Bereich Landschafts- und Umweltschutz konnte die ÖVP die höchsten Werte verbuchen, allerdings knapp gefolgt von der GABL, die aber selbst in diesem ihren Kernbereich gegenüber dem Vorjahr deutlich an Zustimmung eingebüßt hatte. Die GABL vermochte somit im Bereich des prioritären Problemkatalogs nicht zu reüssieren.

216 Herbert Dachs  : Die Salzburger Landtagswahl 1984. – In  : ÖJP 1984. S. 93–112. S. 104.

210

Der vom Chaos begleitete »Salzburger Weg« – Die GABL

Veränderungen der Sympathiewerte der politischen Parteien (Angaben in Prozent) zwischen der Gemeinderatswahl in der Stadt Salzburg 1982 und der Landtagswahl 1984  :217 Es finden sehr sympathisch/ sympathisch 1982

Es finden unsympathisch/ sehr unsympathisch

1984

Die ÖVP

37

55

19

18

Die SPÖ

44

46

15

19

Die FPÖ

27

21

23

39

Die Bürgerliste/GABL

30

15

33

58

Sahen sich in einer IGF-Erhebung 1983 die Wähler der Bürgerliste auf einer Skala zwischen 5 (halb links) und 15 (halb rechts) mit einem Skalendurchschnittswert von 10,1 in der Mitte, so sank dieser Wert im März 1984 bei den GABL-Sympathisanten und -Mitgliedern auf 8,4.218 Dieser deutliche Linksruck erklärt auch, warum nur 16 Prozent der Bürgerlisten-Wähler des Jahres 1979 die GABL wählten und immerhin 14 den direkten Konkurrenten »Die Grünen Österreichs«. Wählergruppierungen (in Prozent) von GABL und DGÖ 1984 aus den Wählergruppierungen, Jungwählern und Nicht-Wählern des Jahres 1979  :219 GABL

DGÖ

Jungwähler

37

54

BL-Wähler

16

14 11

ÖVP-Wähler

3

SPÖ-Wähler

25

5

FPÖ-Wähler

13

15

5

1

Nicht-Wähler

Bemerkenswert war auch das Wahlverhalten der Bürgerlisten-Wähler des Jahres 1982, von denen nicht einmal ein Viertel die GABL wählte, während 21 Prozent zur ÖVP, aus deren Reservoir zahlreiche Bürgerlisten-Wähler stammten, zurückkehrten und ein Drittel in das Lager der Nicht-Wähler wechselte. Das Nicht-Erreichen des Grundmandats in der Stadt Salzburg war auch ein Ergebnis der sinkenden Akzep217 Landtagswahl 1984. S. 43. 218 Landtagswahl 1984. S. 44. 219 Ebda. S. 40.

211

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tanz von Stadtrat Johannes Voggenhuber, der als einziges Mitglied des Stadtsenats deutliche Minuswerte aufwies. Wahlverhalten der Bürgerlistenwähler des Jahres 1982 bei der Landtagswahl 1984 (17,6 Prozent = 100 Prozent)  :220 Nicht-Wähler

33

ÖVP

21

SPÖ

6

FPÖ

12

Die Grünen Österreichs/DGÖ

4

GABL

24

Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad der Salzburger Stadtpolitiker im November 1983. (Werte auf einer Skala von + 100 bis – 100.)221 Bekanntheit

Beliebtheit

Josef Reschen (SPÖ)

87

Gerhardt Bacher (ÖVP)

79

+ 40

Johannes Voggenhuber (BL)

71

- 23

Gerhard Buchleitner (SPÖ)

47

+ 29

Dietrich Masopust (FPÖ)*

27

+1

* Erst seit einem Monat im Amt.

220 SN 30.3.1984. S. 3. 221 SN 18.11.1983. S. 7.

+ 80

7.

Ein neuerlicher Anlauf. Die Landtagswahl 1989

Die Rahmenbedingungen waren günstig. Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986, die an Intensität zunehmende Auseinandersetzung um die WAA Wackersdorf, die Zunahme des Transitverkehrs und die damit einhergehenden Folgen, das nach wie vor, wenn auch nicht mehr so dominante Thema des Waldsterbens, Fragen der Müllverbrennung und der Emissionen der Firma Kaindl sowie der PWA-Hallein bildeten ein breites Set von Umweltthemen mit erheblicher Resonanz, die die die Warnungen der Bürgerinitiative und der GABL zu bestätigen schienen. Ein von apokalyptischen Visionen durchsetztes Umweltbewusstsein, die Sorge um das Gattungswesen Mensch sowie die Bereitschaft zu einem Politikwechsel etwa in Form des Einzugs einer neuen Partei in den Landtag wuchsen. Im April 1988 erhob das Institut für Grundlagenforschung 5,6 Prozent für die Bürgerliste Salzburg-Land/Grünen, die Nachfolgeorganisation der nach der Landtagswahl 1984 zerfallenen GABL, die damit um 1,3 Prozent über dem Ergebnis der GABL bei der Landtagswahl 1984 lag. Ein Einzug in den Landtag war wahrscheinlich, allerdings nur unter der Voraussetzung der Geschlossenheit, die es allerdings erst in der nach wie vor fragmentierten und von persönlichen Animositäten geprägten Grünbewegung herzustellen galt. Um dieses Ziel zu erreichen, erklärte die Bürgerliste Salzburg-Land zu Jahresbeginn 1988, es sei ihr wichtig, »eine möglichst breite Kandidatur von Bürgerlisten, Bürgerinitiativen, Gemeindelisten Ökogruppen, Friedensbewegung, Anti-AtomBewegung … und der aktiven Einzelkämpfer/innen zustande zu bringen. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die für alle sichtbaren Umweltprobleme, die Fehlentwicklung in der Verkehrspolitik und die vertane Chance der Energiepolitik, die verheerende Verschlechterung im sozial- und kulturpolitischen Bereich uns allen wichtiger sind als irgendwelche persönliche Animositäten oder geringfügige Unterschiede von weltanschaulichen Auffassungen. Der Vorstand der Bürgerliste Salzburg-Land hat deshalb einen Vorschlag von Richard Hörl zur Themen- und Kandidatenfindung in einer offenen Sitzung diskutiert, demzufolge als erster Schritt von allen engagierten Personen eine übereinstimmende Aussage zu einer gemeinsamen Kandidatur erfolgen soll. In eigenen Bezirksversammlungen sollen nach Möglichkeit Themenschwerpunkte erarbeitet und Kandidatenwünsche diskutiert werden. Vertreter der verschiedensten Gemeindelisten werden ebenso ihre Wünsche äußern.

Ein neuerlicher Anlauf. Die Landtagswahl 1989

213

Nach Rücklauf aller Meldungen treffen sich jene Leute, die sich bereit erklären, bei einer Kandidatur an wählbarer Stelle zu stehen und versuchen, unter Einbeziehung aller Wünsche möglichst im Konsens einen Wahlvorschlag zu erarbeiten, der der Landesversammlung vorgelegt werden soll.«222 Der Konsens war jedoch schwieriger herzustellen als angenommen. Erhebliche Differenzen und persönliche Animositäten prägten die zwei Wochen vor der Landesversammlung stattfindende Bezirksversammlung der Bürgerliste-Stadt, in der der nach Wien abgewanderte Johannes Voggenhuber die Fäden zog und gegen eine Kandidatur der langjährigen ALS-, GABL und Bürgerliste Salzburg-Land (Grüne) Mitglieder, Michael Schallaböck und Roswitha Müller, Stimmung machte. Beide zogen die Konsequenz und blieben der Landesversammlung fern, womit sie sich nicht der Wahl stellten. In einem internen Schreiben unter dem Titel »Einfach zum Nachdenken« an alle Grün-Sympathisanten erklärte Michael Schallaböck seinen Entschluss  : »Der Kandidat – mit der längsten grün-, alternativ-, bürgerlistenpolitischen Erfahrung – Verfasser von ca. 400 Presseaussendungen, Teilnehmer und Organisator von ca. 40 Pressekonferenzen in Salzburg und Wien  ; ca. 150 Presseartikel konnte man im letzten halben Jahr lesen oder als Radiomeldung hören – bekannt daher mit und bei praktisch allen Journalisten in Salzburg – der Kandidat mit dem weitaus größten Bekanntheitsgrad im Bundesland – aktiver Teilnehmer an etwa 200 Podiumsdiskussionen, davon selbst 20 Mal am Podium – Vortragender bei ca. 30 meist kleineren Veranstaltungen – Mitarbeiter bzw. Vertreter von AL, GABL später BL in unzähligen Initiativen wie z. B. Aktion Umwelt, InitiatiVgruppe Hallein, Grüne Salzach, Friedenskomitee, Abfangjägerkomitee, Plattform gegen Wackersdorf, diverse Schul- und Sozialinitiativen … – der Kandidat, der die Gemeindepolitik in Thalgau wesentlich beeinflusst hat – ca. 100 Presseberichte und Radiomeldungen – Mitbegründer der ALS, der GABL, der BL Sbg.-Land, der BIP (Bürgerinitiative Parlament)  ; Vorstandsmitglied in all diesen Organisationen – Haupt- bzw. Mitverantwortlicher bei den NR-Wahlen 1983 und 1986, bei der Landtagswahl und Gemeinderatswahl (Thalgau) 1984, beim Hainburger Volksbegehren – der Kandidat, der nach der Landtagswahl 1984, nach der plötzlich niemand mehr aktiv war, die GABL zwei Jahre lang mehr oder minder im Alleingang aufrechterhalten hat … 222 Löwenzahl Nr. 32. S. 2.

214

Ein neuerlicher Anlauf. Die Landtagswahl 1989

– der logische Spitzenkandidat bei vielen Bekannten und Sympathisanten Ward nicht gut genug und ging. Es schreibt nicht meine Bitterkeit, sondern die Frage nach der ›sachpolitisch klugen Entscheidung‹ und der Menschlichkeit bei diesem Entscheidungsfindungsprozess und dabei denke ich auch an Roswitha. Wir sind doch anders – oder  ?«223

Die im Vorfeld der Landesversammlung zerbrochenen Scherben waren nicht mehr zu kitten. Die Grünen mussten ohne zwei ihrer bekanntesten Aktivisten am 20. März 1988 auf ihrer Landesversammlung im Gasthof »Stiege« in Bischofshofen die Kandidatennominierung für die kommende Landtagswahl vornehmen. Die schließlich erstellte Kandidatenliste wurde von dem 38-jährigen BHS-Lehrer und Gemeindevertreter in St. Leonhard, Christian Burtscher, und der gleichaltrigen Psychologin und Gründerin der Initiative »Mütter für eine atomfreie Zukunft«, Caroline Hochreiter, angeführt. An dritter Stelle rangierte der 42-jährige BHS-Lehrer, Gründer der Bürgerliste Zell am See (BLIZ) und ehemalige VgÖ-Obmann Michael Beer, gefolgt von dem 44-jährigen Bauern und Gründer der Tauernlamm-Genossenschaft Melchior Kellner. Das Angebot an Schallaböck, als Pressesprecher weiterhin für die Bürgerliste Salzburg-Land tätig zu sein, wurde von diesem aus verständlichen Gründen zurückgewiesen. In einem Interview mit dem Publikationsorgan der Grünen, »Die andere«, erklärte der neu gewählte Listenführer Burtscher den von der ÖVP angesichts der 1992 bevorstehenden Realisierung des Binnenmarkts angestrebten Beitritt zur EG zum Wahlkampfthema. Man sei gegen einen EG-Beitritt, Landeshauptmann Wilfried Haslauer sen. und Landesrat Arno Gasteiger würden eine völlig unangebrachte »Torschlusspanik« verbreiten, indem sie von einem drohenden ökonomischen Rückfall warnten. Diese »oberflächliche Schwarzweißmalerei« verdecke, »dass die Herren sich am Gängelband von Industrie und Großkonzernen bewegen. Bauern, Kleinund Mittelunternehmen sowie der Umweltschutz fallen durch den Rost.« Österreich sei mit 7,5 Millionen Menschen ein genügend großer Raum, um wirtschaftlich bestehen zu können. EFTA-Länder wie Schweden, Finnland und die Schweiz würden einen EG-Beitritt ablehnen und träten, im Gegensatz zu Österreich, selbstbewusst in Brüssel auf. »Bei unseren Politikern habe ich den Eindruck, sie kriechen auf den Knien nach Brüssel.« Ein EG-Beitritt Österreichs hätte äußerst negative Folgen für die Salzburger Bauern. »Derzeit hat ein Bauer in Salzburg durchschnittlich 18 Kühe im Stall, in der EG sind es 40  ! Dort wird mit importiertem Kraftfutter und hoch gezüchteten Hochleistungskühen auf Höfen gearbeitet, die Fabriken gleichen. Bei uns wird extensiv und ökologisch weit verträglicher gewirtschaftet. Aber einen EG223 Undatiertes Schreiben (wahrscheinlich 8. oder 9. März 1988). (AHB)

Ein neuerlicher Anlauf. Die Landtagswahl 1989

215

Beitritt würde ein Drittel unserer Bauern, vor allem die Bergbauern im Pinzgau, Pongau und Lungau, nicht überleben.«224 Damit waren die programmatischen Pflöcke, die von ökologischen über soziale Forderungen bis zu einer Ablehnung eines EG-Beitritts reichten, für die bevorstehende Landtagswahl eingeschlagen. »Es geht um Salzburg« überschrieb die Bürgerliste Salzburg-Land ihr Kurz-Wahlprogramm. »25 Jahre haben Kaindl und die PWA Luft und Wasser in Salzburg verdreckt. 25 Jahre lang haben Salzburger Politiker mitgespielt. Jetzt muss endlich die Umwelt gewinnen  ! Der Fluglärm in der Landeshauptstadt ist unerträglich, deshalb muss der Flugverkehr auf zwölf Stunden täglich eingeschränkt werden. Die Draken sind gesundheitsgefährdend. Sie dürfen Salzburg nicht anfliegen  ! Der Öffentliche Verkehr (Busse, Lokalbahn, ÖBB) muss ausgebaut werden, der Schwerverkehr gehört auf die Schiene. Auf der Tauernautobahn sind Tempolimits, 28-t-Beschränkung und ein Nachtfahrverbot für Lkws zu verordnen. Die 2. Tunnelröhren dürfen ebenso nicht gebaut werden wie die Garage unter der Salzach  ! Wir fordern ein Mindesteinkommen für Arbeitende von S 10.000,- sowie ein Grundeinkommen für jeden Österreicher. Durch den EG-Beitritt würden Bauern und der Einzelhandel um ihre Existenzgrundlage gebracht, Umwelt und Demokratie weiter zerstört werden. In all diesen Bereichen müssen wir selbstbewusst neue Wege gehen – ohne EG-Beitritt  !«225 Zur Durchsetzung dieser Ziele befürworteten vor allem die jüngeren aus der linken Szene abgewanderten Bürgerlisten-Sympathisanten des studentischen Milieus Koalitionen mit der KPÖ und deren Teilorganisationen. Die Ankündigung einer Koalition mit der KPÖ durch die Grüne Hochschülerschaft und die Erklärung eines Teils der Führung der Bürgerliste Salzburg-Land, solche Koalitionen als legitim zu erachten, löste im Herbst 1988 erhebliche innerparteiliche Spannungen aus. So erklärte der Sprecher der parteiunabhängigen Gemeindegruppe der GABL-Neumarkt, Wilhelm Perschl, bei der Bezirksversammlung Flachgau der Bürgerliste SalzburgLand am 13. November 1988  : »Es war bisher die klare politische Linie der Salzburger Umweltschutz- und Bürgerrechtsbewegung, zu links- sowie rechtsradikalen Kräften keinerlei Kontakt zu halten. Nun sind, zuerst die Grüne Hochschülerschaft, jetzt auch Führungskräfte der Bürgerliste Land in eine Koalition bzw. gemeinsame Aktion mit der KPÖ oder einer ihrer Teilorganisationen, eingetreten. Für mich ist das aus politisch-grundsätzlicher Anschauung unakzeptabel  ; darüber hinaus halte ich diese Vorgangsweise für politischen Selbstmord. 224 Die andere Nr. 8/88. Juni/Juli 1988. S. 4. 225 Die andere Nr. 4/89. März 1989. S. 2.

216

Ein neuerlicher Anlauf. Die Landtagswahl 1989

Deshalb sehe ich mich mit schmerzlichem Bedauern veranlasst, diese Versammlung zu verlassen und auch in Zukunft zu jenen Kräften in der Grünen Partei, die sich in selbstherrlicher Arroganz dazu hergeben, der KPÖ aus ihrer politisch gerechtfertigten Isolation zu helfen, jeden Kontakt abzubrechen.226 Die programmatischen Positionen waren das eine, die Geschlossenheit nach Innen und Außen das andere. Nach den Turbulenzen im Vorfeld der basisdemokratischen Wahl der Spitzenkandidaten in Bischofshofen kam es im November 1988 neben einer Debatte um ein drohendes Abgleiten in eine letztlich in das politische Sektierertum führende Wende zu einer linken bis linksradikalen Volksfrontpolitik auch zum Aufflammen einer neuerlichen Debatte über die Spitzenkandidaten, sodass unter Anspielung auf das Schicksal Cäsars bereits von einem neuerlich drohenden »Bürgerlisten-März« gesprochen wurde. Spitzenkandidat Christian Burtscher und der am 15. Mai 1988 neben Pius Strobl zum Bundesgeschäftsführer der GrünAlternativen bestellte Johannes Voggenhuber waren um Kalmierung bemüht und wiesen in Richtung der internen Kritiker darauf hin, dass die Entscheidung über die Kandidatenliste basisdemokratisch gefallen sei. Burtscher, dem intern mangelnde Ausstrahlungskraft vorgeworfen wurde, erklärte  : »Woran man mit mir ist, haben im Frühjahr alle gewusst.« Doch nicht nur Kritik am Spitzenkandidaten regte sich. Karoline Hochreiter wurde Ineffizienz vorgeworfen, gegen den Pinzgauer Michael Beer gab es erhebliche Widerstände im Flachgau, wo offen die Meinung geäußert wurde, er sei aus politischer Räson »durchgedrückt« worden und dem Bauern Melchior Kellner wurde weitgehende politische Absenz attestiert. Auch die Zusammenarbeit mit der vierköpfigen Stadt-Fraktion der Bürgerliste unter Johann Padutsch wies Defizite auf. Die Zusammenarbeit »könnte besser sein«, gab Burtscher zu.227 Die deutlich bemerkbaren internen Spannungen sowie unterschiedlichen Vorstellungen über die Wahlkampfführung wurden schließlich noch im November auf einer neuerlichen Landesversammlung in Lengfelden weitgehend beseitigt, sodass die Wahlchancen intakt blieben. Das Themenset des Wahlkampfes – Transit, Müllverbrennung, Flughafen-Ausbau, Umweltbelastung durch Kaindl und PWA, Gegnerschaft zu einem EG-Beitritt und Forderung nach einem Grundeinkommen – wurde ebenso bestätigt wie die Spitzenkandidaten. Die Wahlwerbung sollte sich neben der Präsentation der beiden Spitzenkandidaten Burtscher und Hochleitner auf Kleinplakaten vor allem auf Zeitungsinserate konzentrieren, wobei man einen deutlichen Schwerpunkt auf die Stadt Salzburg legte, in der die Chancen für das Erreichen eines Grundmandats am höchsten waren. Zur Jahreswende 1988/89 sah das IGF die Grünen konstant bei 5,5 Prozent, wobei der Beschluss der Tiroler und Kärntner Landesregierung, die Landtagswahlen in ih226 Grün alternative Bürgerzeitung. Organ der GABL Neumarkt. Nr. 24/November 1988. S. 3. 227 SN 8.11.1988. S. 9.

Ein neuerlicher Anlauf. Die Landtagswahl 1989

217

ren Bundesländern mit dem Termin der Salzburger Landtagswahl am 12. März 1989 zu einem sog. »Super-Wahlsonntag« zusammenzulegen, die Situation zugunsten von FPÖ und Grünen veränderte. Der Beschluss in Innsbruck und Klagenfurt war mit dem Kalkül erfolgt, durch das Zusammenlegen der Landtagswahlen die zunehmende Strahlkraft Jörg Haiders einzuschränken. Damit war jedoch in einer Phase der sich verstärkenden Erosion der traditionellen Parteibindungen, der deutlichen Zunahme des Protest- und Wechselwählerverhaltens und der Zustimmung zu einer Erweiterung des traditionellen Parteienspektrums das Gegenteil der Fall. Durch die Zusammenlegung der drei Landtagswahlen erhielten diese eine zusätzliche bundespolitische Bedeutung, die zunehmend die landespolitische überschattete. Landtagswahlen waren und sind stets auch Protestwahlen, bei denen die Wählerinnen und Wähler ihre Unzufriedenheit mit der jeweiligen Bundespolitik durch ein abweichendes Stimmverhalten zum Ausdruck brachten und bringen. Auf Bundesebene regierende Parteien wurden und werden daher oftmals auf Landesebene in einem mehr oder weniger großen Ausmaß abgestraft, wobei das Ausmaß dieses Protestes bis zur Bedrohung oder dem Verlust der führenden Regierungsposition in einem Bundesland gehen konnte bzw. kann. Spiegelgleich profitierten bei Landtagswahlen im Regelfall Oppositionsparteien im Bund, da sich diesen nunmehr die Möglichkeit bot, durch einen Appell an das Gleichgewichtsdenken der Wähler sowie an deren generelle bundespolitische Unzufriedenheit Wechsel- und Protestwähler zu gewinnen. Profitierte von diesem Mechanismus zwischen 1966 und 1970 die SPÖ und zwischen 1970 und 1986 die ÖVP, so änderte sich die Situation durch die Bildung der Zweiten Großen Koalition 1986, die Wahl Jörg Haiders zum Bundesparteiobmann der FPÖ und den Einzug der Grünen in den Nationalrat. Im Bund standen nunmehr zwei Regierungsparteien zwei Oppositionsparteien gegenüber, die, wenn auch in deutlich unterschiedlichem Ausmaß, Wechsel- und Protestwähler anzusprechen vermochten. Hinzu trat der Umstand, dass seit den späten Achtzigerjahren »die Möglichkeiten der Landespolitik, sich ein eigenständiges Profil zu verschaffen, deutlich geringer« wurden, da sie »zunehmend von bundespolitischen Stimmungslagen überlagert und beeinflusst« waren. Wenn eine Regierungspartei im Land auch im Bund Regierungsverantwortung trug, wurde der »Profilierungsverlust der Landespolitik … zum wahlstrategischen Handicap«, das teilweise nur durch eine starke Personalisierung des Wahlkampfes in Form einer Konzentration auf die Person des/der amtierenden Landeshauptmanns/frau und dessen/deren Amtsbonus ausgeglichen werden konnte.228 Eine Reihe von politischen Affären und Skandalen vor allem der SPÖ, deren Wurzeln teilweise in die Siebzigerjahre zurückreichten (z. B. Lucona), ließ in den späten Achtzigerjahren das Misstrauen gegen die politischen Eliten, das herrschende Partei228 Fritz Plasser, Franz Sommer  : Die Landtagswahlen 1989 und die Neustrukturierung regionaler Parteiensysteme. – In  : ÖJP 1989. S. 37–66. S. 43.

218

Ein neuerlicher Anlauf. Die Landtagswahl 1989

ensystem und politische System insgesamt deutlich anwachsen. Wenngleich die Affären und Skandale vor allem die Kanzlerpartei SPÖ betrafen, so wurde in der öffentlichen Wahrnehmung und Meinung auch die ÖVP dafür verantwortlich gemacht. Die Folgen waren »Anzeichen einer militanten Politikfeindlichkeit und eine großflächige, hoch emotionalisierte Verdrossenheit«, die »tief sitzende Protesthaltungen und … die Bereitschaft, die anstehenden Landtagswahlen für einen ›Denkzettel‹ an die Adresse der Regierungsparteien zu nutzen«,229 steigerten. So sehr SPÖ und ÖVP auf Bundesebene auf positive wirtschaftliche Daten verweisen konnten, so wenig vermochten diese die steigende Politikverdrossenheit und Protesthaltung zu beeinflussen. Ärger, Verdrossenheit und politische Protesthaltungen 1989 (Angaben in Prozent)  :230 Befragte insgesamt

SPÖ-Präf.

ÖVP-Präf.

FPÖ-Präf.

Grün-Präf.

Es bezeichnen die Politik als »schmutziges« Geschäft

50

46

51

60

69

Es haben den Eindruck, dass die Politik in entscheidenden Fragen dauernd bzw. oft versage

43

35

37

65

66

Es bezeichnen die politische Ordnung in Österreich als schlecht bzw. sehr schlecht

28

21

28

47

49

Es sind mit den politischen Parteien und dem ganzen politischen System nicht zufrieden

16

11

9

23

33

Auf die Frage, welcher Partei die politischen Skandale nützen würden, antworteten 60 Prozent der deklarierten Wechselwähler der FPÖ und 26 Prozent den Grünen.231 Hinzu trat, dass der der Maslowschen Bedürfnispyramide folgende Wertewandel erstmals zur Dominanz postmaterialistischer Werte über ökonomische und soziale wie Wirtschaftswachstum und Arbeitsplatzsicherung führte. Zu Jahresende 1988 konnte Landeshauptmann Wilfried Haslauer sen. in seiner turnusmäßigen Radiorede stolz erklären, dass im abgelaufenen Jahr die regionale Wirtschaftsleistung des Landes um 6,5 Prozent gestiegen sei. Bei einer Gesamtwirtschaftsleistung des drittkleinsten Bundeslandes von beachtlichen 107 Milliarden Schilling bedeutete dies ein Pro-Kopf-Bruttosozialprodukt von 230.000 Schilling. 229 Plasser, Sommer  : Die Landtagswahlen 1989 und die Neugestaltung regionaler Parteiensysteme. S. 42. 230 Ebda. 231 Ebda. S. 43.

Ein neuerlicher Anlauf. Die Landtagswahl 1989

219

Mit diesem Betrag nahm Salzburg die österreichische Spitzenposition ein und übertraf den EG-Durchschnitt beachtlich.232 Die demoskopischen Daten spiegelten allerdings dieses Faktum nicht wieder. Im Dezember 1988 ergab eine IGF-Umfrage für die ÖVP nur mehr 45,6 und für die SPÖ nur 36 Prozent, während die FPÖ bei 12,5 Prozent und die Grünen bei 5,5 Prozent lagen. Im Jänner 1989 veränderte sich die Situation vor allem zugunsten der FPÖ, die auf 13,3 Prozent anstieg, während die Grünen ihr Ergebnis von 5,5 Prozent hielten. Mit leichten Zugewinnen der ÖVP auf 45,9 Prozent korrespondierte ein neuerlicher Verlust der SPÖ auf einen historischen Tiefstand von 34,8 Prozent. Hans Peter Hasenöhrl kommentierte die Umfrageergebnisse in einer Artikelserie über die bevorstehende Landtagswahl mit der Feststellung, die FPÖ fahre »wie auf Eisenbahnschienen … der Verdoppelung ihres Prozentanteils entgegen. Zurzeit ist die Verbitterung der Bevölkerung über die Skandale und das behäbige Fortbewegen der Koalition in Wien.«233 Diesem Befund entsprach auch die öffentliche Meinung. Hatten noch im Juni 1988 16 Prozent der Salzburgerinnen und Salzburger die Meinung vertreten, dass bei der bevorstehenden Landtagswahl die FPÖ Stimmen gewinnen werde und 13 Prozent die Grünen, so waren es im Februar 1989 bereits 66 bzw. 28 Prozent.234 Die Grünen waren somit neben der FPÖ die deutlichen Gewinner der politischen Stimmungslage. Die demoskopischen Erhebungen zeichneten mit zunehmender Schärfe ein deutliches Bild der politischen (Landes-)Großwetterlage  : Ein großer Teil der Salzburgerinnen und Salzburger (52 Prozent) befürwortete die Rückkehr der FPÖ in die Landesregierung, wobei sogar 45 Prozent der ÖVP-Sympathisanten einer solchen Entwicklung positiv gegenüberstanden. 46 Prozent der Salzburgerinnen und Salzburger begrüßten einen möglichen Einzug der Grünen in den Salzburger Landtag, ebenso viele SPÖ-Sympathisanten. Bei Erstwählern wünschten sogar 61 Prozent eine Änderung der traditionellen politischen Landschaft. Während die ÖVP in einem Beurteilungsbarometer von 0 bis 100 Grad in allen Bezirken deutlich über die besten Werte verfügte, so ergaben sich doch deutliche Trends. So wies die Stadt Salzburg mit einer Abweichung von rund 3 Grad die niedrigsten Werte auf und auch im Bereich der Generationen ergab sich zwischen der Alterskohorte der 50-Jährigen und Älteren und der 16- bis 29-Jährigen eine Abweichung zugunsten der älteren um 4,3 Grad. Die Grünen verfügten hingegen in der Stadt Salzburg gegenüber dem Landesdurchschnitt um ein Plus von 0,9 Grad, bei den Frauen gegenüber den Männern um 2,4 Grad und im Generationenvergleich der jüngsten und ältesten Wähler-

232 SVZ 2.1.1989. S. 7. 233 Hans Peter Hasenöhrl  : 1–2–3  : Die Wette gilt. – In  : Kronen Zeitung 16.2.1989. S. 25. 234 Herbert Dachs  : »Denkzettel« oder Trend  ? Die Salzburger Landtagswahl vom 12. März 1989. – SJP 1989. S. 9–31. S. 23.

220

Ein neuerlicher Anlauf. Die Landtagswahl 1989

kohorten über ein Plus bei der jüngsten von 19,2 Grad.235 Damit deutete sich an, dass die Wählerschaft der Grünen vor allem in der Stadt Salzburg weiblich und jung war. Das Wahlergebnis vom 12. März 1989 brachte eine folgenschwere Veränderung der politischen Landschaft. Die ÖVP verlor von ihrem historischen Wahlergebnis 1984 6,2 Prozentpunkte und sank auf 44 Prozent. Nur die Person ihres populären Landeshauptmanns Wilfried Haslauer sen. bewahrte sie vor noch größeren Verlusten. Die SPÖ fiel mit einem Verlust von 3,8 Prozenpunktent auf ein unter den demoskopischen Erhebungen liegendes historisches Tief von 31,2 Prozent, während die FPÖ mit einem Zugewinn von 7,6 Prozentpunkten der eigentliche Wahlsieger war, der diesen Sieg jedoch vor allem bundespolitischen Rahmenbedingungen und der Person Jörg Haiders verdankte. Die beinahe Verdoppelung des FPÖ-Stimmenanteils gegenüber 1984 basierte auf der hohen Wiederwahlquote, starken Gewinnen von der ÖVP, deutlich geringeren von der SPÖ und einer relativ hohen Akzeptanz bei Jung- und Nichtwählern. Beinahe ein Viertel ihrer Stimmengewinne verdankte sie ehemaligen ÖVP-Wählern. Diese massive Stimmenwanderung war vor allem aus dem Umstand erklärbar, dass der ÖVP 1984 unter äußerst günstigen bundespolitischen Rahmenbedingungen ein Einbruch in das FPÖ-Wählerpotenzial gelungen war. 21,5 Prozent der FPÖ-Wähler des Jahres 1979 waren zur ÖVP gewandert. Dies entsprach 4 Prozent ihrer Gesamtwählerschaft. 1989 erfolgte unter geänderten bundespolitischen Rahmenbedingungen ein verstärkter Pendelschlag in die andere Richtung. Ganze 8 Prozent der ÖVP-Wähler wechselten nunmehr zur FPÖ. Die Grünen konnten, trotz der Kandidatur der VgÖ, mit einem, wenn auch nicht berauschenden, Gewinn von 1,9 Prozentpunkten ein Ergebnis erzielen, das mit 6,2 Prozent über den Prognosen lag. Neben der FPÖ, wenn auch in deutlich geringerem Ausmaß, hatten damit die Grünen die noch Ende Jänner 1989 erhobenen demoskopischen Daten übertroffen, während ÖVP und SPÖ, wiederum in deutlich unterschiedlichem Ausmaß, darunter lagen. Vom IGF erhobene Trends des Wahlverhaltens (in Prozent) im Bundesland Salzburg zwischen Anfang Oktober 1988 und Ende Jänner 1989  :

Anfang Oktober 1988

ÖVP

SPÖ

FPÖ

BL

44,8

38,8

10,6

5,1

Anfang November 1988

44,1

37,8

12,1

5,4

Ende November 1988

45,6

36,0

12,5

5,5

Ende Jänner 1989

45,9

34,8

13,3

5,5

Wahlergebnis 12.3.1989

44,0

31,2

16,4

6,2

235 Robert Kriechbaumer  : Die Salzburger Landtagswahl vom 12. März 1989. – In  : ÖJP 1989. S. 67–84. S. 75.

221

Ein neuerlicher Anlauf. Die Landtagswahl 1989

Wahlergebnis der Landtagswahl vom 12. März 1989 in Relation zur Wahl 1984 in Prozent236 Wahlbeteiligung

ÖVP

SPÖ

FPÖ

BL

VgÖ

KPÖ

Bundesland Salzburg gesamt (Anteil an gültigen Stimmen)

 77,8

44,0

31,2

16,4

   6,2

   1,8

0,5

Veränderungen zu 1984

– 2,8

– 6,2

– 3,2

+ 7,6

+ 1,9

+ 0,4

0,0

16 (– 3)

12 (– 1)

6 (+ 2)

2 (+ 2)

0

0,0

36,6

30,3

 18,8

 10,7

   2,0

 0,9

Mandate Salzburg Stadt

 69,9

Veränderungen zu 1984

– 4,3

– 8,3

– 3,2

+ 8,0

+ 3,1

+ 0,2

+ 0,2

Bezirk Hallein

 81,0

 44,9

 33,3

 13,9

   5,0

   1,9

  1,0

Veränderungen zu 1984

– 3,6

– 4,4

– 6,3

+ 8,6

+ 1,4

+ 0,6

+ 0,1

Bezirk Salzburg- Umgebung

 81,3

 49,8

 24,7

 7,6

   5,9

   2,0

0,0

Veränderungen zu 1984

– 2,0

– 6,9

– 2,7

+ 7,2

+ 1,9

+ 0,5

0,0

Bezirk St. Johann/Pg.

 82,4

 45,2

 36,2

 13,5

   3,3

   1,3

0,5

Veränderungen zu 1984

– 1,1

– 5,0

– 3,4

+ 7,1

+ 1,3

+ 0,1

0,0

Bezirk Tamsweg

 81,1

 50,9

 27,6

 16,6

   3,5

1,4

0,0

Veränderungen zu 1984

– 3,2

– 5,0

– 4,9

+ 5,0

+ 3,5

+ 1,4

0,0

Bezirk Zell am See

 80,6

 44,0

 36,5

1 4,6

   3,0

1,5

0,4

Veränderungen zu 1984

– 3,1

– 5,3

– 4,8

+ 8,6

+ 0,8

+ 0,8

0,0

Das Ergebnis der politischen Bezirke machte deutlich, dass die Gewinne der Grünen vor allem in der Stadt Salzburg, wo auch das Grundmandat errungen werden konnte, erfolgten, während sich jene in den Tauernautobahngemeinden des Tennengaus, Pongaus und Lungaus wie Kuchl, Hallein, Golling, Werfen, Eben, Flachau, Mauterndorf, St. Michael und Zederhaus in bescheidenem Rahmen hielten. Das politische Kalkül, den geplanten Bau der zweiten Tunnelröhren als »Wahlhelfer« in den Anrainergemeinden instrumentalisieren zu können, war durch das Zurückweichen der Landesregierung weitgehend wirkungslos.

236 Landtagswahl 1989. Ergebnisse-Analysen-Auswirkungen. – Salzburg 1989. S. 11ff. (Schriftenreihe des Landespressebüros. Serie »Salzburg Dokumentationen« Nr. 97. Hg. v. Roland Floimair.)

222

Ein neuerlicher Anlauf. Die Landtagswahl 1989

Ergebnisse der BL bei den Landtagswahlen 1984 und 1989 in Hallein, Kuchl, Golling, Werfen, Eben, Flachau, St. Michael und Zederhaus  :237 Wahlberechtigte

Abgegebene Stimmen

BL

LTW 1989

11.276

8604

516

LTW 1984

10.550

8536

398

LTW 1989

3903

2925

195

LTW 1984

3461

2861

139

LTW 1989

2423

2078

119

LTW 1984

2324

1957

78

LTW 1989

2147

1714

67

LTW 1984

2071

1703

62

LTW 1989

1106

953

26

LTW 1984

1026

869

17

LTW 1989

1390

1179

34

LTW 1984

1246

1095

11

LTW 1989

1252

993

39

LTW 1984

1150

959



Hallein

Kuchl

Golling

Werfen

Eben im Pongau

Flachau

Mauterndorf

Zederhaus LTW 1989

828

693

16

LTW 1984

781

674



LTW 1989

2356

1874

88

LTW 1984

2123

1814



St. Michael im Lungau

Wovon profitierten dann die Grünen  ? Nicht von ihrem Spitzenkandidaten, dessen politische Beurteilung durch die Wähler, trotz einer leichten Steigerung in den letzten Monaten vor der Wahl, sich im unteren Bereich bewegte. Insofern war die intern geäußerte Kritik an der mangelnden Ausstrahlungsfähigkeit Burtschers durchaus berechtigt. 237 Landtagswahl 1989. S. 20ff.

223

Ein neuerlicher Anlauf. Die Landtagswahl 1989

Beurteilung der Spitzenkandidaten nach dem IGF-Sympathiebarometer in Grad (von 0 bis 100)  :238 November 1988

März 1989

Veränderung

Wilfried Haslauer sen.

65,8

64,0

- 1,8

Wolfgang Radlegger

57,7

54,4

- 3,3

Volker Winkler

40,0

42,3

+ 2,3

Christian Burtscher

32,4

33,3

+ 0,9

Es war vielmehr eine durch mehrere Ursachen bedingte Änderung der Politischen Kultur, die eine Erosion der traditionellen Lagerstrukturen und eine Neuformierung der politischen Wettbewerbslogik deutlich werden ließ. In den Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts manifestierten sich in zunehmendem Ausmaß ein Wertewandel und eine damit einhergehende Systemkritik, die, wenn auch oftmals in irrationalen Fantastereien, ein tektonisches Beben der lange so stabilen Kruste des politischen Systems auslöste. Neben einem postmaterialistischen Themenset wurden Protesthaltungen und Politikverdrossenheit zu Signaturen des Wandels, denen mit sachlich-pragmatischen Argumenten, dem Hinweis auf die Komplexität von Problemen und damit von politischer Entscheidungen oder politischen Erfolgsbilanzen nur schwer oder kaum zu begegnen war. Der Wandel verursachte bei den mit den komplexen Realitäten konfrontierten und um deren zielorientiertes, sich an Sachfragen orientierendes politisches Management bemühten politischen Eliten Verwirrung, Verständnis- und Ratlosigkeit. Auf der Basis eines steigenden Wohlstandes vollzog sich offensichtlich ein Wandel, für den Dankbarkeit, wie bereits Bruno Kreisky und nach ihm Wilfried Haslauer sen. feststellte, keine politische Kategorie war. Die Mühen der Ebene wurden nicht belohnt, sondern jenen Applaus gespendet und in zunehmendem Maße die Stimme gegeben, die fußfrei auf der Galerie saßen oder eine Welt forderten, die es so nicht gab. Die Landespolitik, so sehr sie sich auch mühte, war in eine nicht zu bewältigende Mühle aus bundespolitischen Rahmenbedingungen und – auch landespolitischen – Stimmungen geraten, die sich dem rationalen Diskurs entzogen und den Gefühlen, dem berühmt-berüchtigten Bauch, folgten. Im November 1988 antworteten in einer Fessel-Umfrage auf die Frage, worum es bei der bevorstehenden Landtagswahl gehe  :

238 Ebda. S. 52.

224

Ein neuerlicher Anlauf. Die Landtagswahl 1989

Bei der nächsten Landtagswahl in Salzburg (Antworten in Prozent)  :239 Ja

Nein

geht es, ob Dr. Haslauer Landeshauptmann bleibt

84

14

werden die Leistungen der Parteien in Salzburg beurteilt

75

20 23

geht es um mehr Kontrolle im Landtag

70

Wird die Politik der Großen Koalition im Bund beurteilt

48

42

Können die Wähler den großen Parteien einen Denkzettel erteilen

52

45

Geht es eigentlich um nichts Besonderes

20

77

Die allgemeine Stimmungslage sprach somit für die Oppositionsparteien im Bund, wobei bereits im Dezember 1988 deutlich wurde, dass die FPÖ in erheblich größerem Ausmaß von der wachsenden Protesthaltung profitieren würde. Vermutete Stimmengewinne bei der Landtagswahl am 12. März 1989 (Salzburger Bevölkerung insgesamt in Prozent)  :240 Dezember 1988

Jänner 1989

Die FPÖ

Es würde mehr Stimmen bekommen

71

57

Februar 1989 66

Die Bürgerliste/Grünen

17

19

28

Die Bürgerliste Salzburg-Land (Grüne) wurde von der FPÖ nicht nur im absoluten Stimmengewinn deutlich überholt, sondern auch in den Bereichen Jung- und Nichtwähler. Im Vergleich der Daten wurden jedoch politische Entwicklungstendenzen sichtbar, die auf eine Erweiterung des Parteienspektrums und der politischen Wettbewerbslogik hinwiesen. Im Blick auf das Gesamtergebnis konnten die Grünen im Vergleich zu 1984 nur 68 Prozent der GABL-Wähler für sich gewinnen, gewannen jedoch jeweils zwei Prozent der Wählerschaft von ÖVP, SPÖ und FPÖ. Sechs Prozent der Jungwähler und vier Prozent der Nichtwähler des Jahres 1984 entschieden sich für die Bürgerliste Salzburg-Land. Wenngleich diese damit von der FPÖ in beiden Wählergruppen überholt wurde (8 Prozent der Jungwähler und 9 Prozent der Nichtwähler des Jahres 1984 entschieden sich für die FPÖ), so zeigt ein Blick auf die strukturellen Daten der Wählerschaft der Bürgerliste Salzburg-Land drei Entwicklungstendenzen  : Die Wählerschaft der Bürgerliste Salzburg-Land kam, neben ehemaligen GABL-Wählern, vor allem aus dem Reservoir der ÖVP sowie der 239 Dachs  : »Denkzettel« oder Trend  ? S.  22. 240 Dachs  : »Denkzettel« oder Trend  ?

Ein neuerlicher Anlauf. Die Landtagswahl 1989

225

Jungwähler, womit die Grünen in Salzburg deutlich stärkere »bürgerliche« Trends aufwiesen wie jene in Wien. Das bereits in den frühen Achtzigerjahren bestehende Ost-West-Gefälle setzte sich fort und akzentuierte sich. In ihrer Selbsteinschätzung auf einem Links-rechts-Spektrum rückten die Wähler der Bürgerliste SalzburgLand 1989 im Vergleich zu den GABL-Wählern des Jahres 1984 in Richtung Mitte und positionierten sich im Spektrum der linken Mitte. Auf den Skalenwerten von 6 (halb links) über 10 (Mitte) bis 14 (halb rechts) erfolgte eine Verschiebung von 8,4 auf 8,8.241 Die Bürgerliste Salzburg-Land konnte in bürgerlichen Wahlsprengeln der Stadt Salzburg (Parsch, Aigen, Leopoldskron, Gneis) ihre deutlichsten Zugewinne erzielen.242 Die Gewinne von der SPÖ basierten vor allem auf formal höher gebildeten SPÖ-Wählersegmenten (Lehrer, Studenten, Beamte usw.). Zusammensetzung der Wählergruppierungen 1989 der Bürgerliste Salzburg-Land (Grüne) aus den Wählergruppierungen 1984, Jungwählern und Nicht-Wählern 1984 in Prozent  :243 GABL 1984

41

ÖVP 1984

14

SPÖ 1984

9

FPÖ 1984

2

DGÖ 1984

8

Jungwähler

14

Nicht-Wähler 1984

11

Die Bürgerliste Salzburg-Land (Grüne) war Ende der Achtzigerjahre eine urbane, sich vor allem auf formal höher gebildete und jüngere Wählerschichten stützende Partei, die sich ideologisch als linksliberale Gruppierung mit einem deutlichen ökologischen Schwerpunkt sowie sozialpolitischen Positionen links von der SPÖ präsentierte.

241 Landtagswahl 1989. S. 54. 242 SN 14.3.1989. S. 15. 243 Landtagswahl 1989. S. 48.

8.

1989 – Eine folgenschwere Zäsur

8.1 Politische Veränderungen Das Ergebnis der Landtagswahl hatte zwar kein politisches Erdbeben ausgelöst, doch die politische Landschaft Salzburgs nachhaltig verändert. Die demoskopischen Daten hatten signalisiert, dass die ÖVP ihr unter besonderen Bedingungen erzieltes Traumergebnis des Jahres 1984 nicht würde halten können. Dessen war man sich auch in der Salzburger ÖVP bewusst. Landesparteiobmann und Landeshauptmann Haslauer sen. hatte aber seine politische Schmerzgrenze beim Verlust eines Mandats festgelegt. Dieses würde wahrscheinlich zur FPÖ, die 1984 eine verheerende Niederlage erlitten hatte, abwandern und dieser wiederum den Einzug in die Landesregierung ermöglichen, in der es dann 4   : 2   : 1 stehen würde, womit die absolute Mehrheit der ÖVP in der Landesregierung erhalten blieb. Verlor sie hingegen zwei Mandate, ergab sich in der Landesregierung ein Verhältnis von 3   : 3   : 1 und die ÖVP konnte jederzeit von SPÖ und FPÖ überstimmt werden. Einem solchen Szenario wollte sich Haslauer nicht aussetzen. Am Wahlabend des 12. März 1989 hatte die ÖVP 6,2 Prozentpunkte und drei Mandate verloren, jedoch die absolute Mehrheit in der Landesregierung (4 ÖVP, 2 SPÖ, 1 FPÖ) Behalten. Die SPÖ zollte ebenfalls den bundespolitischen Rahmenbedingungen ihren Tribut und sank von ihrem historischen Tiefstand 1984 nochmals um 3,8 Prozent, womit nicht nur ein Mandat, sondern auch ein Sitz in der Landesregierung verloren ging. Dies führte zu erheblichen innerparteilichen Turbulenzen, da sich Landesparteiobmann und Landeshauptmann-Stellvertreter Wolfgang Radlegger zwischen dem Ausscheiden von Othmar Raus und Sepp Oberkirchner entscheiden musste. In diesem innerparteilichen Kräftemessen konnte in einer turbulent verlaufenden Sitzung des Landesparteivorstandes der Gewerkschafter Raus die stärkeren Regimenter für sich mobilisieren, während Oberkirchner nur auf die Unterstützung von Sozialvereinen und -initiativen zählen konnte. Sowohl aus Rücksicht auf die innerparteilichen Kräfteverhältnisse wie auch mit Blick in die Zukunft entschied sich Radlegger für den jüngeren Raus, den er als Politiker für die Neunzigerjahre bezeichnete. Oberkirchner, von dieser Entscheidung sichtlich enttäuscht, lehnte den ihm als Ersatz angebotenen Posten des zweiten Landtagspräsidenten als bloßen politischen Versorgungsposten demonstrativ ab.244 244 Herbert Dachs  : Wolfgang Radlegger – ein Politiker »ohne Fehl und Tadel«  ? Vom Bemühen um

Politische Veränderungen

227

Die FPÖ unter ihrem 1988 in einer Kampfabstimmung gewählten neuen Obmann, dem Rauriser Installateurmeister Volker Winkler, und die Bürgerliste Salzburg-Land waren die eigentlichen Sieger. Die FPÖ gewann, nicht aus eigener Kraft, sondern vor allem aufgrund der bundespolitischen Stimmungslage und der Person Jörg Haiders, 7,6 Prozentpunkte und zwei Mandate, womit sie nunmehr wiederum mit Volker Winkler in der Landesregierung vertreten war, während die Bürgerliste Salzburg-Land mit 6,2 Prozent zwei Mandate erreichte und erstmals in den Salzburger Landtag einzog. Wenngleich Wilfried Haslauer sen. mit Verlusten gerechnet hatte, so war er von deren Ausmaß sichtlich getroffen. Noch am Wahlabend fasste er den Entschluss zum Rückzug aus der Politik und begann, die Weichen für Hans Katschthaler als seinen Nachfolger zu stellen. Für Hans Peter Hasenöhrl, den Chefredakteur der »Salzburger Kronen Zeitung«, war an diesem Wahlabend kein Stein auf dem anderen geblieben und für Gerold Christian im »Standard« war »die Angst der beiden großen Parteien in Salzburg vor Grün und Blau … begründet.« Mit seinem Rücktritt weiche »Haslauer … dem neuen Salzburger Zeitgeist. Die sich jetzt abzeichnende Entwicklung mitmachen, hieße für Haslauer, auf der politischen Zeitgeisterbahn mitzufahren. Auf diesem Gefährt sieht er aber weder einen Platz für sich noch für seine Art, Politik zu machen. Er kann und will mit den neuen und modischen Ideologien nicht mehr umgehen. … Eines … hat sich wieder bestätigt  : Es ist einer der entscheidendsten Fehler von großen Politikern, wenn sie glauben und erwarten, die Wähler hätten die Leistungen eines Politikers zu honorieren.« Karl Heinz Ritschel bedauerte den Rücktritt Haslauers, der offensichtlich nicht verstehe, »warum die Wähler ihn verlassen« hatten. »Und das zu verlangen, wäre zu viel. Er weiß, dass er sein Bestes gegeben hat, dass das Land bei allen Messdaten, sei es die Zahl der Arbeitslosen, das Steueraufkommen, die Vollbeschäftigung und dergleichen mehr führend ist. Und dennoch die Absage. … Und Haslauer ist müde geworden, denn er versteht so viele Menschen nicht. Er sieht einen Geist in unserer Gesellschaft, dem er nicht beipflichten kann. Ein Landtag, in dem Menschen ohne Krawatte und ›ordentliche‹ Kleidung sitzen, muss für Haslauer ein Sakrileg sein.«245 Das Jahr 1989 bedeutete für die politische Kultur und die politische Landschaft Salzburgs eine folgenschwere Zäsur. Seit der Landtagswahl vom 3. April 1927 zog erstmals wiederum eine vierte Partei in den Salzburger Landtag ein. Dabei stellte sich die Frage, wie die drei traditionellen Parteien auf die geänderte Situation Gestaltung und Differenz im Konkordanzmilieu. – In  : Ders.; Roland Floimair, Herbert Moser, Franz Schausberger (Hg.)  : Wolfgang Radlegger. Ein Mitgestalter seiner Zeit. – Wien/Köln/Weimar 2007. S. 19–84. S. 65. 245 Landtagswahl 1989. S. 85ff.

228

1989 – Eine folgenschwere Zäsur

reagieren würden. Die ÖVP setzte deutliche Signale in Richtung Entgegenkommen. Sie erklärte sich, gegen die Bestimmungen der Geschäftsordnung des Landtages, bereit, der neuen Partei in den Landtagsausschüssen ein Stimm- und Antragsrecht einzuräumen und sogar einen der ihr zustehenden fünf Ausschusssitze an die Bürgerliste Salzburg-Land abzutreten. Wenngleich Landesparteisekretär Franz Schausberger dieses überraschende Entgegenkommen mit der aufgeschlossenen Haltung der ÖVP gegenüber politischen Minderheiten begründete, standen hinter diesem Angebot durchaus auch realpolitische Motive  : Man wollte sich im Plenum des Landtages die Bürgerliste Salzburg-Land nicht zum Gegner, sondern sie zu einem tendenziellen Verbündeten machen. Die Stimmenmehrheit in den Ausschüssen war nämlich realpolitisch nicht entscheidend, da die ÖVP im Landtag jederzeit überstimmt werden konnte. Und die ÖVP wollte das »Salzburger Klima«, wenngleich von der Bürgerliste Salzburg-Land immer wieder vehement angegriffen, auch unter der neuen politischen Konstellation erhalten. Zu diesem Zweck war es aber ratsam, die neue Landtagspartei in die Ausschussarbeiten einzubinden. Der Versuch der Einbindung der Bürgerliste Salzburg-Land scheiterte jedoch bereits während der Regierungsverhandlungen am 25. April 1989, als diese zum allgemeinen Erstaunen der übrigen Parteien erklärte, in den Verhandlungen sei seit 14 Tagen kein Fortschritt erzielt worden, da die traditionellen Parteien nicht bereit seien, die zentralen Forderungen der Bürgerliste Salzburg-Land – Absage an die zweiten Tunnelröhren für die Tauernautobahn, die geplante Salzachgarage und zur Müllverbrennung – zu unterschreiben. Christian Burtscher und der Bürgerlisten-Klubobmann im Salzburger Gemeinderat Johann Padutsch erklärten nach dem Scheitern der Verhandlungen, für sie sei Hans Katschthaler als Landeshauptmann nicht wählbar, da sich dieser im Bereich der zentralen Umweltthemen lediglich allgemeiner Floskeln ohne konkrete Aussagen bediene und man zudem nicht bereit sei, sich in das »Salzburger Klima« der gegenseitigen Zuteilung von Macht- und Einflusssphären einbinden zu lassen. Bei dieser Haltung der Bürgerliste Salzburg-Land wurde ein Grundmuster ihres politischen Agierens im Landtag deutlich  : Hier versuchte der politische Schwanz mit dem Hund zu wedeln, mit einer die realpolitischen Rahmenbedingungen ignorierenden, rigorosen Haltung die politische Agenda zu bestimmen. Diese Haltung kann, je nach Einschätzung, als politischer Messianismus oder politisches Kalkül bezeichnet werden. Für Letzteres spricht, dass im Falle einer sofortigen Einbindung in das politische System die eigene Wahlkampflinie und politische Kampfansage gegen das »Salzburger Klima« Lügen gestraft worden wäre. Die Bürgerliste Salzburg-Land sah sich zudem mit einem weiteren Problem konfrontiert  : Sowohl auf Bundes- wie auch auf Landesebene bemächtigten sich die traditionellen Parteien zunehmend des Umweltthemas. So widmete sich ein erheblicher Teil der Antritts-

Politische Veränderungen

229

rede246 von Landeshauptmann Hans Katschthaler in der Konstituierenden Sitzung des Salzburger Landtages dem Thema »Ökologie«, dem das erste und umfangreichste der insgesamt sechs Kapitel der künftigen Schwerpunkte der Regierungsarbeit gewidmet war. »Für die Landesregierung ist die Bewältigung der Umweltprobleme vorrangige Aufgabe. Umweltbelastung ist bereits seit Jahrtausenden eine Folge menschlicher Kultur, allerdings erreichte sie ihr heute so beängstigendes Ausmaß erst in den jüngsten Jahrzehnten. In dieser Zeit nahm auch das Umweltbewusstsein zu. Es sind vor allem junge Menschen und viele Frauen, welche die Gefahr für unser Leben spüren. Natur- und Umweltschutz galten vor nicht allzu langer Zeit noch als alternative Werte. Heute gehören sie zum weithin anerkannten Wert- und Normbereich. … Karl Friedrich von Weizsäcker fordert eine Versöhnung der Technik mit der Natur. Denn bei der Rettung der Natur wird der Technik eine entscheidende Bedeutung zukommen. Wir suchen eine sich selbst begrenzende, Energie und Rohstoffe sparende, Recycling betreibende Technik, und schon lange nicht mehr die Entwicklung in Richtung technischer Makro-Systeme, ohne Rücksicht auf den steigenden Energie- und Rohstoffverbrauch und vermehrte Umweltbelastung.« Die vermehrte Installierung von Umweltberatern sowie die Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen »bei erheblichen Eingriffen in den Naturhaushalt« seien ebenso ein Schwerpunkt der kommenden Legislaturperiode wie die Erarbeitung eines »Abfallwirtschaftskonzepts … auf der Basis der uns verbliebenen Landeszuständigkeiten nach dem Stand der Technik und unter besonderer Berücksichtigung der Müllvermeidung und der Müllverwertung«, verstärkte »Maßnahmen gegen das Waldsterben«, die Erarbeitung eines »eigenen Bodenschutzgesetzes« und die Wiederherstellung einer grünen Salzach.247 Zu Beginn der Sitzung hatte Landtagspräsident Helmut Schreiner mit Blick auf die neu im Landtag vertretenen Bürgerliste Salzburg-Land bemerkt, für die Arbeit im Landtag sei »der Stil« entscheidend, »in dem diese erfolgt. Der Kern des sogenannten Salzburger Klimas besteht in der Bereitschaft, seine Standpunkte offen und mitunter auch hart zu formulieren, also den Konflikt und die öffentliche Auseinandersetzung keinesfalls zu scheuen. Gleichzeitig muss aber stets die Bereitschaft

246 Erstmals seit 1945 hatten sich ÖVP, SPÖ und FPÖ bei den Regierungsverhandlungen nicht auf eine gemeinsame Regierungserklärung einigen können. Dies vor allem deshalb, weil für die auf einen historischen Tiefstand abgesunkene SPÖ deren Vorsitzender Wolfgang Radlegger, trotz allem Bekenntnis zu Kompromiss und Konsens, eine ideologisch deutlich akzentuiertere Verhandlungsposition verfolgte, die letztlich mit der ÖVP nicht verhandelbar war. Die FPÖ pflegte, der bundespolitischen Linie unter Jörg Haider folgend, eine Politik des Angriffs auf das politische System und begann damit, wenn auch zunächst noch in abgeschwächter Form, im noch bestehenden Proporzsystem eine Doppelrolle als Regierungs- und Oppositionspartei zu spielen. 247 Landtagswahl 1989. S. 133ff.

230

1989 – Eine folgenschwere Zäsur

erkennbar sein, Kompromisse einzugehen, die von der Sache her vertretbar sind.«248 Für die ÖVP stellte deren neuer Klubobmann Franz Schausberger mit deutlich vorwurfsvollem Unterton ebenfalls in Richtung der Bürgerliste Salzburg-Land fest, die ÖVP sei in die Parteienverhandlungen nach dem Wort des Philosophen Romano Guardini, dass Politik die Kunst sei, entschlossen und zäh, zugleich aber mit Ehrfurcht vor der fremden Überzeugung für das Wohl aller zu arbeiten, gegangen. Man habe sich zur Zusammenarbeit mit allen im Landtag vertretenen Parteien bekannt und auch die beiden Mandatare der Bürgerliste bei den Verhandlungen fair behandelt. Ihre Vorschläge seien »sachlich und seriös diskutiert und geprüft und dabei in verschiedenen Bereichen durchaus Übereinstimmung« festgestellt worden. Nach dem Verständnis der ÖVP gegenüber Minderheiten sei auch klar gewesen, »dass diese Landtagspartei die unbedingt notwendigen Voraussetzungen zur parlamentarischen Arbeit erhalten müsse – ohne dass dafür irgendwelche Gegenleistungen erwartet würden. Mit der freiwilligen Überlassung eines Sitzes in den Ausschüssen für die Bürgerliste schuf die ÖVP die Voraussetzung dafür. … Umso überraschter waren wir alle, als die Bürgerliste nach einer Phase der konstruktiven Beratungen urplötzlich wegen einiger offener Fragen erklärte, die Verhandlungen zu verlassen. Offenbar wollte man eine öffentlichkeitswirksame Aktion setzen, um ja nicht in den Verdacht zu kommen, mit den drei anderen Parteien eng zusammenzuarbeiten. Wir von der ÖVP nehmen diese Art Politik zu machen zur Kenntnis und sind darauf eingestellt. Ich stelle aber Folgendes klar  : Wenn Sie, Herr Dr. Burtscher, einer Zeitung gegenüber erklären, dass Sie sich nicht in das ›Salzburger Klima‹ einbinden lassen, weil Sie nicht bereit sind, Politik vor allem als Verteilung von Macht und Posten zu begreifen, so widerspricht dies allen Tatsachen. Mehr als die Hälfte der Beratungszeit wurde der inhaltlichen Diskussion gewidmet, erst dann – in relativ kurzer Zeit – wurden die Ressortzuständigkeiten aufgeteilt.« Die Bürgerliste weigere sich zur Kenntnis zu nehmen, dass sie bei der Landtagswahl lediglich 6,2 Prozent der Stimmen erhalten habe und agiere bei den Verhandlungen so, als müssten alle ihre Forderungen erfüllt werden. »Sie vertreten 6 Prozent der Wähler und können nicht erwarten, 100 Prozent ihrer Vorstellungen durchzusetzen. Die ÖVP war bereit, der Bürgerliste ihre parlamentarische Arbeit weit über das Zustehende zu ermöglichen, im Inhaltlichen aber haben wir in großen Bereichen klare Grenzen zu Ihnen. Und die werden wir im Interesse der von uns vertretenen 44 Prozent der Wähler immer wieder deutlich ziehen.«249 Der von Franz Schausberger direkt angesprochene Christian Burtscher erklärte am Schluss der Debatte über die Antrittsrede Katschthalers den Anspruch »Grüner 248 Ebda. S. 126. 249 Ebda. S. 153f.

Politische Veränderungen

231

Politik«, indem er einleitend darauf hinwies, dass während der etwas mehr als zwei Stunden der bereits laufenden Debatte »etwa 2.000 Pkw und etwa 300 Lkw auf der Tauernautobahn Richtung Süden gefahren« seien. Zudem »wurden etwa 140 Tonnen an Hausmüll oder hausmüllähnlichem Abfall in den Anlagen in Siggerwiesen und Zell angeliefert und sind 8.000 bis 10.000 Pkw über die Einfahrtsstraßen in die Stadt Salzburg gefahren und haben den Stickoxid- und Kohlenmonoxidgehalt kräftig erhöht. Die Luft, die wir einatmen, ist nicht nur wegen der geschlossenen Fenster so schlecht. Es wurden in diesen zwei Stunden etwa 1.400 Quadratmeter Acker- und Grünflächen in unserem Bundesland durch Baumaßnahmen versiegelt. Und es wurden hunderte Kilogramm Chemikalien auf Wiesen und Äcker aufgebracht. Sie gefährden in bleibender Weise unsere Nahrungsmittel und das Wasser. Diese Chemikalien werden dann beschönigend Pflanzenschutzmittel genannt. Ich halte den Ausdruck ›Agrargifte‹ oder ›Agrogifte‹ für wesentlich zutreffender.« Es finde weltweit Umweltzerstörung statt, »und diese Verantwortung, die sich daraus ergibt, haben wir unmittelbar zu erkennen und wahrzunehmen. Da den Bürgern zunehmend bewusst wird, dass diese Verantwortung wahrgenommen werden muss, ist am 12. März die Bürgerliste Salzburg-Land, sind die Grünen erstmals in dieses Parlament gewählt worden. Diese Wahl bedeutet einen Veränderungsauftrag. Und es war für uns in den Parteiengesprächen der vergangenen Wochen ganz erstaunlich wahrzunehmen, dass dieser Veränderungsauftrag von den bisher in diesem Landtag vertretenen Parteien nicht verstanden wird. Aus dem, was bislang gesagt worden ist, nehme ich wahr, dass das Verständnis dafür nicht besonders ausgeprägt ist.« Die traditionellen Parteien hätten in den Parteiengesprächen den Vorstellungen der Bürgerliste Salzburg-Land zu den Themen Transitverkehr, Nahverkehr, Abfallwirtschaft und Energiepolitik »eine klare Absage erteilt. So stellen Sie gegenüber den Vorstellungen, die wir eingebracht haben, das Trennende über das Gemeinsame.« Trotz dieser Attacken gab sich Burtscher versöhnlich und betonte, man wolle den Versuch unternehmen, »eine Brücke zu bauen hin zu einer zielführenden Diskussion in der Zukunft.« Die Grundlagen grüner Politik in Salzburg habe bereits vor 70 Jahren Rudolf Steiner, der Gründer der Waldorfpädagogik, mit der von ihm vorgeschlagenen »funktionalen Dreigliederung der Gesellschaft in einen Bereich des staatlichen, einen des wirtschaftlichen und einen des geistig-kulturellen Lebens« gegeben. »Nach seiner Idee ist der Staat reduziert auf die Aufgabe der Rechtsetzung und Rechtsdurchsetzung, ist die Wirtschaft als ein Zusammenwirken ganzheitlich und solidarisch orientierter Unternehmen und Arbeitsleistender zu gestalten und ist drittens ein Kultur- und Bildungsleben freier Individuen zu ermöglichen. Dies, mehr kann ich Ihnen heute nicht ausführen, kann eine Option für die Zukunft sein.

232

1989 – Eine folgenschwere Zäsur

Einen anderen Ansatz können Sie finden, wenn Sie aufmerksam den Entwurf zum Sozialhirtenbrief der österreichischen Bischöfe lesen, der, wie ich meine, seinesgleichen in der Diskussion in Österreich sucht.«250 Mit der Bürgerliste Salzburg-Land zogen keine radikalen Systemüberwinder in den Landtag ein. Vom Anspruch einer Alternative zum etablierten Parteiensystem war keine Rede, vielmehr verstanden sie sich als Alternative im Parteiensystem.251

8.2 Umweltpolitische Kontroversen 8.2.1 Gegen »Bleifüßler« und die Lärmbelastung durch den Flugverkehr Die Bürgerliste Salzburg-Land konzentrierte sich in ihrer parlamentarischen Arbeit – mit unterschiedlichen Erfolgen – vor allem auf Umweltthemen wie Verkehr (inklusive Salzburgring und Stadtbahn), Seewasserqualität (Wallersee), die Förderung von Biogasanlagen, Lärmbelastung durch den Flughafen oder die geplante Errichtung einer 380 KV-Leitung durch den Oberpinzgau, wobei sie den etablierten Parteien sowie deren Spitzenrepräsentanten schwere Versäumnisse vorwarf. Vor dem Hintergrund der Anfang Juni 1989 festgestellten bedenklichen Ozonbelastung in der Stadt Salzburg werde es im Sommer 1989, so die Bürgerliste SalzburgLand in einer Presseaussendung, »europaweit so weit kommen, dass der Aufenthalt im Freien, insbesondere bei sportlicher Betätigung und für Kranke, Alte und Kinder, gesundheitliche Risiken bergen wird.« Dies sei auch eine Folge des anhaltenden hohen Lkw-Anteils und der ausländischen Pkws auf den Transitrouten und der hohen Emissionswerte von Betrieben wie der Firma Kaindl. »Die Politiker der großen Parteien und die ressortzuständigen Politiker für Verkehr, Gesundheit und Umweltschutz schauen wie das Kaninchen auf die Schlange, auf die Folgen ihrer katastrophalen Verkehrspolitik. Die Bürgerliste verlangt die schnelle Erstellung eines sofortprogr amms zur drastischen Absenkung der Stickoxyd- und Kohlenwasserstoffemissionen für Stadt und Land Salzburg. Tempolimits sofort, wirkungsvolle Maßnahmen nach Schweizer Vorbild zur Reduzierung des Transitverkehrs, die Attraktivierung des Nahverkehrs mit öffentlichen Verkehrsmitteln.«252 Dass der Individualverkehr vor allem in den Sommermonaten zunehmend Probleme schuf, wurde aus einer Studie des Ökonomen Alfred Kyrer über den Bustourismus ersichtlich. Demnach kamen 1988 2 Millionen Besucher mit 250 Ebda. S. 177ff. 251 Herbert Dachs  : Grünalternative Parteien. – In  : Ders., Peter Gerlich, Herbert Gottweis, Helmut Kramer, Volkmar Lauber, Wolfgang C. Müller, Emmerich Talos (Hg.)  : Politik in Österreich. Das Handbuch. – Wien 2006. S. 389–401. S. 400. 252 Presseaussendung der Bürgerliste Salzburg-Land vom 6.6.1989.

Umweltpolitische Kontroversen

233

53.000 Reisebussen in die Stadt Salzburg. Von diesen waren 90 Prozent Tagestouristen und 70 Prozent gaben für ihren Aufenthalt weniger als 200 Schilling aus. Am 11. August 1989 verzeichnete die Stadt bei drückender Hitze aufgrund des massenhaften Ansturms von Touristen einen totalen Verkehrszusammenbruch.253 Mit Hinweis auf diese Entwicklung ließ die Bürgerliste wissen, dass sie bereit sei, »unpopuläre Maßnahmen gegen den individualverkehr mitzutragen« und scheue »den Konflikt mit der Bleifußmentalität nicht«.254 Die Politik sollte sich endlich vom Salzburgring, dieser »Kultstätte des Auto- und Geschwindigkeitswahns«, verabschieden. Die traditionellen Parteien, vor allem SPÖ und FPÖ, demaskierten sich durch ihre positive Einstellung zu dieser Rennstrecke »für jeden auch nur einigermaßen am Leben und der Natur orientierten Menschen als hoffnungslose Bleifüßler«.255 Die problematische Entwicklung der Wasserqualität des Wallersees sei nicht nur eine Folge der Überdüngung der Felder, sondern auch einer nicht flächenbezogenen Viehhaltung sowie eines mangelhaften Ausbaus von Abwasserbeseitigungsanlagen. Anstelle des Ausbaus bzw. der Errichtung von Salzachkraftwerken sollte eine verstärkte Förderung von Biogasanlagen treten, die nicht nur Strom und Warmwasser erzeugen würden, sondern auch hochwertigen Dünger.256 Die Initiativen der Bürgerliste Salzburg-Land stießen bei der von dieser so heftig kritisierten Politik keineswegs auf strikte Ablehnung. Zu sehr hatte das Umweltthema bereits seinen Nischencharakter verloren, hatten sich die traditionellen Parteien des Themas, wenn auch in unterschiedlichen Akzentuierungen und auch in deutlichem Gegensatz zum Rigorismus der Grünen, bemächtigt. ÖVP und SPÖ nahmen sich auch des von der Bürgerliste der Stadt Salzburg besetzten Themas der Belastungen der Bevölkerung durch die zunehmende Attraktivität des Salzburger Flughafens an. Der Salzburger Flughafen gewann ab Ende der Achtzigerjahre des 20. Jahrhunderts zunehmend an Attraktivität. Durch die Inbetriebnahme des neuen Flughafens München im Erdinger Moos erhöhte sich die Distanz dieses Großflughafens von 120 auf 180 km. Dies hatte zur Folge, dass der kleine und übersichtliche Salzburger Flughafen besonders für den Bedarfsflugverkehr im westösterreichischen und südbayerischen Raum an Attraktivität gewann. Zudem übernahm der Salzburger Flughafen zunehmend die Funktion eines der wichtigsten Winter-Incoming Flughäfen der Alpen. Seit den Gründung der Flughafen GmbH verteilten sich die Gesellschafteranteile auf Bund, Land und Stadt im Verhältnis von

253 Zur Problematik der Verkehrspolitik Vgl. Rudolf Strasser  : Die Grenzen der Mobilität. Gedanken zur Verkehrspolitik in der Stadt Salzburg. – In  : Marx (Hg.)  : Stadt im Umbruch. S. 231– 257. 254 Presseaussendung der Bürgerliste Salzburg-Land vom 12.10.1989. 255 Presseaussendung der Bürgerliste Salzburg-Land vom 8.11.1989. 256 Presseaussendung der Bürgerliste Salzburg-Land vom 9.11.1989.

234

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50   : 25   : 25 Prozent, sodass gegen den Bund keine Entscheidungen getroffen werden konnten. Nachdem im Jänner 1989 ein Gutachten eine Lärmbelastung von rund 60 Dezibel in den Siedlungsgebieten rund um den Flughafen festgestellt hatte, fasste die Salzburger Landesregierung am 20. Februar 1989 den Beschluss, dass »Investitionen des Flughafens künftig nicht unter dem Blickpunkt der Ausweitung der Frequenzen gesehen werden« dürfen, sondern »vor allem der Verringerung der Belastung durch Lärm und auch durch Abgase dienen« sollen.257 Gleichzeitig konnte und wollte man sich den Argumenten des Flughafen-Managements nicht verschließen und beauftragte den Stuttgarter Luftfahrtexperten Ernst Dold mit der Erarbeitung eines Gutachtens über die Absenkung und Überdachung der Westautobahn aus Gründen der Sicherheit des Luft- und Straßenverkehrs. Der Salzburger Gemeinderat fasste am 28. Juni 1989 den Beschluss, bei der Generalversammlung der Flughafen GmbH auf eine Reduzierung des Flugverkehrs auf die Zeit zwischen 7 und 21 Uhr, die Streichung von Werbezuschüssen für Starts und Landungen sowie auf eine Reduzierung der Lärmbelästigung durch die Einschränkung der Landeerlaubnis auf lärm- und schadstoffarme Flugzeuge zu drängen und damit eine Reduzierung der Belastungen durch den Flugverkehr zu erreichen. Ein eventueller Ausbau der Landebahn über die Westautobahn durch deren Absenkung und Überdachung wurde abgelehnt.258 Die Problematik der Beschlüsse, die Forderungen der Bürgerinitiative aufgriffen, lag in ihren – vor allem auch von der Landespolitik befürchteten – erheblichen wirtschaftlichen Folgen für die expandierende Tourismusindustrie. Hinter vorgehaltener Hand wurde daher der Stadtpolitik, vor allem Bürgermeister Josef Reschen, politische Spiegelfechterei vorgeworfen. Dieser mache sich mit den von ihm initiierten Beschlüssen zum Sprachrohr der Bürgerinitiativen und der Bürgerliste, wobei er von dem politischen Kalkül geleitet werde, dass die auch ihm bekannten negativen wirtschaftlichen Folgen durch das Veto des Bundes und wahrscheinlich auch des

257 Zit. bei Mild  : Energie-, Klimaschutz- und Umweltpolitik in Salzburg 1989–2004. S. 651. 258 Die Notwendigkeit einer Autobahnabsenkung auf einer Länge von 1200 Metern wurde in mehreren Studien damit begründet, dass durch die zu geringe Überflughöhe der anfliegenden Großraumflugzeuge über der Westautobahn verkehrsgefährdende Luftwirbelungen entstünden. Weiters sollte durch diese Maßnahme eine Verringerung der Lärmemission im Bereich der Siedlung Taxham erreicht werden. Die Generalversammlung der Flughafen GmbH und der Salzburger Stadtsenat fassten 1985 entsprechende Beschlüsse, die luftfahrtbehördliche Genehmigung folgte 1987. Im Mai 1989 erfolgten jedoch erste Proteste gegen diese geplante Maßnahme, die den Gemeinderat zu einem Abrücken von den gefassten Beschlüssen veranlassten. Eine Reduzierung der Lärmbelastung sollte durch den sofortigen Stopp der Ausbaumaßnahmen erreicht werden. Vgl. dazu Maria Franziska Wiesinger  : Die Entwicklung des Flugverkehrs in Salzburg dargestellt am Beispiel des Salzburg Airport. Historische Strukturanalyse unter Berücksichtigung wirtschaftlich-touristischer Faktoren. – In  : Floimair (Hg.)  : Verkehrsland Salzburg. S. 72–91. S. 83f.

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Landes ohnedies nicht einträten. Diese Vermutung erhielt durch die Ereignisse unmittelbar vor der Generalversammlung der Flughafen GmbH neue Nahrung. Am 18. September 1989 stimmte die Salzburger Landesregierung aufgrund des nunmehr vorliegenden Gutachtens von Ernst Dold für eine Absenkung und Überdachung der Westautobahn, um die Sicherheit des Luft- und Straßenverkehrs zu gewährleisten. Eine von vielen gemutmaßte Kapazitätsausweitung, so beeilte man sich hinzuzufügen, sei daraus keineswegs abzuleiten. Gleichzeitig lehnte Landeshauptmann Hans Katschthaler mit durchaus berechtigtem politischen Kalkül bei dieser heißen Kartoffel der Salzburger Stadtpolitik einen Alleingang des Landes ab und kündigte eine »Interessenabgleichung« mit der Stadt Salzburg an.259 Damit war, dessen war sich Katschthaler durchaus bewusst, eine zwischen Land und Stadt akkordierte positive Stellungnahme zu einem Flughafenausbau de facto unmöglich und die Entscheidung dem Mehrheitseigentümer Bund überlassen. Bürgermeister Josef Reschen erklärte nämlich unter Bezugnahme auf die Entscheidung der Landesregierung, die Stadt Salzburg beharre auf ihrem Standpunkt, dass es keinen Ausbau des Flughafens über die Westautobahn geben dürfe. Der Klubobmann der Bürgerliste, Johann Padutsch, kritisierte den Beschluss der Landesregierung heftig und sah in ihm eine Brüskierung des Landtages, dessen Umweltausschuss das Konzept eines Flughafenausbaus über die Westautobahn abgelehnt habe. Padutsch hatte damit äußerst geschickt Salz in die Wunden der in dieser Frage zwischen den bündischen Interessen – Wirtschaftsbund versus ÖAAB – zerrissenen ÖVP gestreut. So erklärte der dem ÖAAB angehörende Bundesrat Wolfgang Saliger, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung des geplanten Bauvorhabens unbedingt notwendig sei.260 Angesichts der doppelten Frontlinie – sowohl innerparteilich wie auch gegenüber SPÖ und Bürgerliste – war Landeshauptmann Katschthaler um einen Kompromiss bemüht. Er schwenkte auf den ökologische Argumente beinhaltenden Mittelweg ein und schlug vor, Landesumweltanwalt Eberhard Stüber auf Kosten der Flughafenbetreibergesellschaft mit der Vergabe eines Gutachtens zu beauftragen. Erst nach dem Vorliegen dieses Gutachtens und eines Sicherheitsgutachtens der Flughafengesellschaft sollte eine endgültige Entscheidung gefällt werden.261 In einem Brief an Bürgermeister Reschen betonte er die Notwendigkeit eines akkordierten Vorgehens der jeweils 25-Prozent-Eigentümer Land und Stadt Salzburg. Das subtile politische Spiel ging damit in die nächste Runde. Die Gemeinderatssitzung am 25. September 1989 wurde zu einem Musterbeispiel der verwirrenden Gemengelage politischer Motive und der damit verbundenen Strategien, bei denen sachliche Argumente nur am Rande eine Rolle spielten. Für 259 SN 19.9.1989. S. 15. 260 SN 20.9.1989. S. 13. 261 SN 21.9.1989. S. 13.

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die Bürgerliste erklärte Johann Padutsch kategorisch, man weiche vom negativen Beschluss vom 28. Juni »keinen Millimeter« ab. Es gebe nämlich deutliche Indizien dafür, dass mit dem von der Landesregierung in Auftrag gegeben Gutachten unter dem Vorwand der Sicherheit »gemogelt wird«. Tatsächlich verfolge man auf dem Rücken der Anwohner ein erhöhtes Flugaufkommen. Übertroffen wurde Padutsch von dem um populistische Argumente nie verlegenen Bürgermeister Reschen, der sich unter Hinweis auf eine Erklärung von Verteidigungsminister Robert Lichal gegen die Ausbaupläne wandte. Lichal hatte im Zuge der von heftigen innenpolitischen Kontroversen begleiteten Beschaffung der gebrauchten Draken-Abfangjäger erklärt, dass nach Sichtung der Einsatzpläne nur Salzburg neben Zeltweg als brauchbarer Flughafen für die Draken übrig bleibe. In der Steiermark hatte die Stationierung der Draken zu heftigen Protesten der steirischen ÖVP geführt, die sich mit dem Argument der Lärm- und Schadstoffbelastung massiv gegen den Einsatz der Abfangjäger wandte. Reschen griff die Argumente der steirischen ÖVP auf und erklärte in Salzburger Gemeinderat  : »Wir geben keinen einzigen Schilling für etwas aus, was den Einsatz der Abfangjäger erleichtern würde.«262 Bei der Generalversammlung der Flughafen GmbH am 27. September 1989 lehnte in Unterstützung der Argumente der Flughafen-Direktion der Vertreter des Bundes als Mehrheitseigentümer einen Antrag der Stadt Salzburg ab, die Bestimmungen der Antilärmverordnung des Verkehrsministeriums, die mit 15. April 1991 in Kraft traten, zu vollziehen. (Das Land Salzburg plädierte für eine Umformulierung des Antrags.) Als Begründung für diese ablehnende Haltung wurden zu erwartende negative wirtschaftliche Auswirkungen auf Stadt und Land Salzburg angeführt. Die Salzburg anfliegenden Fluggesellschaften seien nicht in der Lage, ihre Flotten innerhalb von 1 ½ Jahren von lauten auf leise Maschinen umzustellen. Würde man dem Antrag der Stadt Salzburg folgen, wären erheblich wirtschaftliche Nachteile die Folge, da zahlreiche Fluglinien den Salzburg Airport aus der Liste ihrer Destinationen streichen würden. Für die Bürgerliste war diese ablehnende Haltung »geradezu menschenverachtend, insbesondere wenn dies durch Vertreter der Republik Österreich erfolgt, die ja von den Bürger/innen lebt und ihre Interessen zu vertreten hat.« Massiv wurde auch die Haltung der übrigen Salzburger Parteien kritisiert, denen eine letztlich halbherzige Haltung in dieser Frage vorgeworfen wurde. Diese müssten entschieden für die Interessen der geplagten Salzburger Bevölkerung in Wien agieren, da sie sich »ansonsten … den Vorwurf gefallen lassen (müssen), dass sie zwar hier in Salzburg aus taktischen Überlegungen schöne Beschlüsse fassen, aber in Wahrheit wissen, dass diese Beschlüsse niemals umgesetzt werden und sie in der

262 SN 26.9.1989. S. 13.

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glücklichen Lage sind, vor die Salzburger Bürger hintreten zu können mit den Worten – wir hätten ja eh gewollt, aber leider hat es der böse Bund verhindert.«263 Damit hatte die Bürgerliste vor allem die Haltung der SPÖ durchaus zutreffend charakterisiert. Sowohl die Stadt- wie auch die Landespolitik waren gezwungen, den Spagat zwischen notwendigen wirtschaftlichen Impulsen und deren – möglicherweise auch negativen – Begleiterscheinungen zu schaffen, wobei die in der Stadt mit absoluter Mehrheit regierende SPÖ – vor allem mit Blick auf die Bürgerliste – erheblich forscher zugunsten einer Einschränkung des Flugverkehrs agierte. Diese Taktik konnte sie insofern verfolgen, als sie als lediglich 25-Prozent-Eigentümer im Wissen um die Position des Bundes und der vermittelnden des Landes damit rechnete, mit dieser Haltung aufgrund der zu erwartenden negativen wirtschaftlichen Folgen in der Generalversammlung der Flughafen GmbH keine Mehrheit zu finden. Der Verlauf der Generalversammlung am 27. September 1989 bestätigte diese mit verteilten Rollen – SPÖ-regierte Stadt versus SPÖ-geführtes Verkehrsministerium – spielende Taktik, die von der Bürgerliste durchaus zu recht angegriffen wurde. Eine Lösung im Fall des so heftig umstrittenen geplanten Ausbaus des Flughafens durch eine Absenkung der Westautobahn auf einer Länge von 1200 Metern bot die Oberste Zivilluftfahrtbehörde, die seitens des Landes um eine Überprüfung der zwingenden Notwendigkeit der geplanten Ausbaumaßnahmen ersucht worden war. Diese gab im April 1990 bekannt, dass derzeit eine Absenkung der Westautobahn nicht zwingend notwendig sei, womit das Thema vorläufig von der politischen Tagesordnung verschwand. Die Taktik des von der Bürgerliste unterstellten doppelbödigen Agierens sollte ab dem März 2002 nicht mehr möglich sein, als im Zuge einer Privatisierungswelle das Land Salzburg die vom Bund gehaltenen 50-ProzentAnteile erwarb, womit die Entscheidungen über den Salzburg Airport ausschließlich in Salzburg gefällt wurden. 8.2.2 Das Dauerthema Verkehr Am 1. Juni 1989 kündigte Verkehrsminister Rudolf Streicher ein N ­ achtfahrverbot für Lkw über 7,5 Tonnen auf den österreichischen Transitautobahnen ab 1. Dezember an,264 am 23. Oktober beschloss die Salzburger Landesregierung ein Lkw-Nachtfahrverbot auf Bundesstraßen, worauf die Frächter mit Protesten und Blockaden

263 Medieninformation des Gemeinderatsklubs der Bürgerliste, Johann Padutsch. 9.11.1989. 264 Parallel zum Inkrafttreten des Nachtfahrverbots für Lkw über 7,5 Tonnen auf der Tauernautobahn folgte die Salzburger Landesregierung in Kooperation mit den ÖBB einer Forderung der Bürgerliste Salzburg-Land durch die Errichtung einer »rollenden Landstraße« von Salzburg bis Laibach. Die erhoffte Wirkung blieb jedoch aus, sodass diese Verbindung wegen mangelnder Auslastung bereits im Februar 1990 wieder eingestellt werden musste.

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reagierten und am 13. Juni 1989 veranstaltete der Salzburger Landtag erstmals in seiner Geschichte eine Enquete zum Thema Transitverkehr. Das Thema »Transitverkehr« beschäftigte in erhöhtem Maße die Landespolitik. Nachdem am 1. März 1991 eine Demonstration gegen die Transitpolitik der EU stattgefunden hatte, blockierten am 10. Mai 1991 Demonstranten die TAB-Mautstelle St. Michael im Lungau. Vor allem bei Landeshauptmann Hans Katschthaler rangierte das Thema »Transitverkehr« neben jenem des Naturschutzes (Nationalpark Hohe Tauern und Nationalpark Kalkalpen) ganz oben auf der politischen Agenda. Im April 1991 überreichte er dem deutschen Verkehrsminister Günther Krause das sog. »Salzburger Transit-Memorandum«, in dem u. a. Obergrenzen für den Transitschwerverkehr auf der Tauernautobahn und eine langfristige Gültigkeit eines zwischen Österreich und der EU zu schließenden Transitvertrages gefordert wurde. Gegenüber der Bundesregierung wurde der Vorwurf erhoben, bei den Beitrittsverhandlungen die für das Land so wichtige Transitfrage nicht genügend zu berücksichtigen und dem Druck aus Brüssel zu sehr nachzugeben. Der unverhohlene Salzburger Protest hatte insofern Erfolg, als ein Verkehrsexperte des Landes bei den Verhandlungen über ein Transitabkommen mit der EU beigezogen wurde und EU-Verkehrs-Kommissar Karel van Miert bei einem Besuch in Salzburg im Juli 1992 versicherte, dass ein solcher Vertrag auch nach einem EU-Beitritt Österreichs eine Laufzeit von 12 Jahren haben werde.265 Am 9. Oktober erfolgte in der Stadt Salzburg ein Expertenhearing zum öffentlichen Nahverkehr, bei dem eine unterirdische Verlängerung der Lokalbahn und eine Einschränkung des Individualverkehrs um 50 Prozent befürwortet wurden. Die 1989 im Auftrag der Salzburger Landesregierung erstellte Studie über die Entwicklung der Mobilität im Bundesland Salzburg bis zum Jahr 2011 prognostizierte massive Zuwächse des Individualverkehrs im gesamten Bundesland um 70 Prozent und in der Landeshauptstadt sogar um 100 Prozent. Dies veranlasste die Landesregierung, Landeshauptmann-Stellvertreter Arno Gasteiger mit der Federführung für die Erarbeitung eines Maßnahmenkatalogs zu beauftragen. Dieser lag im November 1991 vor und postulierte eine Trendwende in Richtung umweltfreundlicher Verkehrsformen etwa in Form der Installierung eines Verkehrsverbundes, eines breiten attraktiven Tarifangebots für öffentliche Verkehrsmittel sowie der Realisierung von Pilotprojekten.266 265 Der schließlich geschlossene Transitvertrag hatte eine Laufzeit bis 31. Dezember 2003 und sah vor, auf der Basis des Jahres 1991 durch ein Öko-Punkte-System zwischen 1993 und 2004 die durch Lkw entstehende Schadstoffbelastung um 60 Prozent zu reduzieren. 266 Salzburger Landesverkehrskonzept. – Salzburg 1992. (Schriftenreihe des Landespressebüros. Serie »Sonderpublikationen« Nr. 94. Hg. v. Roland Floimair.)  ; Vgl. dazu auch Arno Gasteiger  : Auswege aus dem Verkehrschaos. – In  : Auswege aus dem Verkehrschaos. Neue Lösungen für den Nahverkehr. Schwerpunkt Tourismusgebiete. Arge-Alp-Symposion Meran 1991. – Salzburg 1991. S. 11–18.

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1990 unternahm die Landespolitik aufgrund der Empfehlung von Experten den ambitionierten Versuch, unter Hinweis auf die spezifische geografische und klimatische Lage Salzburgs auf Bundesstraßen eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 80 km/h und auf Autobahnen von 100 km/h einzuführen. Argumentiert wurde mit dem hohen und ständig steigenden Transitverkehr und der damit auch steigenden Umweltbelastung. Da diese jeden einzelnen Bürger betreffe, so die Argumentation der Landesregierung, wolle man auch diesen am 10. Juni 1990 befragen und das Ergebnis der Volksbefragung als bindend betrachten. Zum Zeitpunkt des Beschlusses signalisierten die Umfragen eine Mehrheit für diese Maßnahme, die sich jedoch in den folgenden Monaten aufgrund einer Gegenkampagne der Auto- und Treibstoffindustrie deutlich reduzierte. Die »Kronen Zeitung« wurde zum publikumswirksamen Sprachrohr einer ins Leben gerufenen Bürgerinitiative. Doch auch innerhalb der ÖVP regte sich Widerstand gegen die vor allem von Landeshauptmann Hans Katschthaler und Landesrat Bertl Göttl vertretene Initiative. Wirtschaftsbund und Handelskammer konnten dieser wenig bis gar nichts abgewinnen und organisierten den Widerstand. Die sich bildende Bürgerinitiative stand unter der Leitung des Gremialvorstehers der Handelskammer Dieter Mayer-Förster. Die innerparteiliche Kontroverse erreichte ihren Höhepunkt, als Landesrat Göttl den Gegnern der Initiative mit dem Satz »Die wissen, dass ihnen bei einem Tempolimit ein Teil vom Milliardengeschäft entgeht, weil es weniger Unfälle gibt« rein wirtschaftliche Interessen unterstellte. Handelskammer-Präsidentin Helga Rabl-Stadler konterte, der Landesrat möge doch »unter Zwischenschaltung des Gehirns wieder zu einer zivilisierten Gesprächskultur zurückkehren«. Sie habe kein Verständnis für einen vom Zaun gebrochenen »Glaubenskrieg« und sei auch »gegen Fundamentalisten aller Couleur«.267 Im heftigen Kampf der Meinungen siegten die Skeptiker. Am 10. Juni 1990 votierten bei einer Beteiligung von 29,5 Prozent der Wahlberechtigten 62 Prozent gegen das Tempolimit von 80 km/h auf Bundesstraßen und 71 Prozent gegen jenes von 100 km/h auf Autobahnen. 8.2.3 Die Kontroverse über die 380 KV-Leitung im Oberpinzgau Durch das forciert umweltpolitische Agieren des Salzburger Landtags und der Salzburger Landesregierung verlor die Bürgerliste Salzburg-Land – trotz allem Aktionismus und aller Presseaussendungen – zunehmend in diesem Bereich ihr politisches Alleinstellungsmerkmal. Sie stieß mit ihren Initiativen keineswegs auf eine starre Mauer der Ablehnung, sondern auf ein flexibles und auch kooperatives Agieren der (Schriftenreihe des Landespressebüros. Serie »Salzburg Diskussionen« Nr. 15. Hg. v. Roland Floimair.) 267 Profil Nr. 21. 21.5.1990. S. 28.

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übrigen Parteien. Dies wurde am 25. Oktober 1989 deutlich, als die Bürgerliste Salzburg-Land in einer Presseinformation von ihrem Erfolg im Salzburger Landtag unter dem Titel »Demokratiepolitische Sensation« berichtete. An diesem Tag hatte die Bürgerliste Salzburg-Land einen Entschließungsantrag gegen den geplanten Bau einer 380 KV-Leitung von Kaprun durch den Oberpinzgau nach Zell am See eingebracht. Die Verbundgesellschaft betreibe nach der Durchführung des Vorprüfungsverfahrens »nunmehr die Bewilligung des Detailprojektes beim Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten … Gleichzeitig wird den betroffenen Menschen und Gemeinden im Oberpinzgau bewusst, was die Verwirklichung dieses Projektes an Gefahren für Gesundheit und Natur mit sich bringen würde, wie energiepolitisch fragwürdig die Investition in Milliardenhöhe und wie problematisch das Projekt für den Fremdenverkehr, einer wesentlichen Grundlage der Region, wäre. Gegen das Projekt formierte sich der Widerstand der Bürger in den vergangenen Wochen. Eine Bürgerinitiative hat in einigen Gemeinden des Oberpinzgaus in kurzer Zeit die Unterschrift von 1.000 Bürgerinnen, die das Projekt entschieden ablehnen, erhalten.«268 Auch die ÖVP war in dieser Frage gespalten. Während der Wirtschaftsbund der Errichtung einer 380 KV-Leitung durchaus positiv gegenüberstand, bezeichnete ihn der Obmann der Sektion Fremdenverkehr in der Salzburger Handelskammer, Günter Puttinger, als »Wahnsinnsprojekt« und forderte die Landesregierung auf, dieses Vorhaben zu stoppen. Der Verbund zeigte sich jedoch – trotz des wachsenden Widerstandes im betroffenen Oberpinzgau – mit dem Hinweis auf wirtschaftliche Notwendigkeiten siegessicher. So erklärte Verbund-Generaldirektor Walter Fremuth auf einer Pressekonferenz in Salzburg, er hoffe, dass die Starkstromwegbehörde des Wirtschaftsministeriums die Detailgenehmigung so rasch als möglich erteile.269 Dem Entschließungsantrag, der eine Aufforderung des Landtages an die Bundesregierung enthielt, »alles zu unternehmen, um den Oberpinzgau vor dem Bau der 380 KV-Leitung zu bewahren« und den betroffenen Bürgern in dem komplizierten Verfahren entsprechende Unterstützung zu gewähren, wurde zunächst einstimmig die Dringlichkeit zuerkannt. Nach getrennten Fraktionsberatungen bekannten sich ÖVP, SPÖ und FPÖ in den nicht öffentlichen Ausschüssen für Raumordnung und Verkehr, für Umweltschutz und Wirtschaft jedoch zu einer deutlich abgeschwächten Fassung,270 während der Antrag der Bürgerliste von den beiden ÖVP-Mandataren Reinhard Martin Herok und Gottfried Nindl in einem Minderheitsbericht mit dem Argument unterstützt wurde, dass der vom Ausschuss modifizierte Antrag die Unter268 Nr. 31 der Beilagen zum stenografischen Protokoll des Salzburger Landtages. 2. Session der 10. Gesetzgebungsperiode. 269 SN 13.10.1989. S. 19. 270 Nr. 32 der Beilagen zum stenografischen Protokoll des Salzburger Landtages. 2 Session der 10. Gesetzgebungsperiode.

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stützung der betroffenen Bevölkerung bei den komplizierten Bewilligungsverfahren nicht mehr enthalte und damit nicht den gegebenen Notwendigkeiten entspreche.271 Die politische Überraschung folgte, als zuerst der Minderheitenbericht zur Abstimmung gebracht wurde und neben den Stimmen der Bürgerliste auch jene der ÖVP sowie eines Abgeordneten der FPÖ, der damit gegen seine Fraktion stimmte, erhielt, womit er als angenommen galt. Unmittelbare politische Konsequenzen hatte dies allerdings nicht, da die entsprechenden Kompetenzen bei der Bundesregierung lagen. Diese wurde in dem von der Landtagsmehrheit angenommenen Text aufgefordert, den Oberpinzgau vor der Errichtung einer 380 KV-Leitung zu bewahren und Alternativen zum geplanten österreichischen Hochspannungsnetz zu erarbeiten. Die Salzburger Landesregierung sollte den betroffenen Menschen im Oberpinzgau bei den eventuell anstehenden Baubewilligungsverfahren rechtliche und finanzielle Unterstützung gewähren.272 Auf eine entsprechende Intervention von Landtagspräsident Helmut Schreiner bei Bundeskanzler Franz Vranitzky vertrat dieser in einem Brief die Ansicht, dass nach einer erfolgten Umplanung des ursprünglichen Leitungsprojekts durch die Verbundgesellschaft es »nunmehr möglich« sei, »dass durch Umrüstung der 220 KV-Systeme der bestehenden 220 KV-Leitung auf zwei 380 KV-Systeme bei im Wesentlichen gleichbleibenden Erscheinungsbild der bestehenden Leitung in der Landschaft ca. 73 Prozent der Transportleistung der Vervierfachung erreicht werden können.« Mit dieser Transportkapazität könne die Verbundgesellschaft die Bedürfnisse des innerösterreichischen Stromtransports »bis nach dem Jahre 2015 sicher bewerkstelligen«. Die modifizierte Planung stelle sicher, »dass für den gesamten Oberpinzgau gegenüber dem jetzigen, seit mehr als 25 Jahren bestehenden Zustand der 220 KV-Umspannfreileitung keine nennenswerte Änderung eintritt und die Erhaltung des schönen Landschaftsbildes im Oberpinzgau gewährleistet ist.« Der SPÖ-Landtagsabgeordnete aus Kaprun und Energiesprecher seiner Partei, Alexander Böhm, reagierte erfreut und bezeichnete die Stellungnahme des Bundeskanzlers als »sachlich wertvollen Beitrag in der bisher eher emotional geführten Diskussion«.273 Trotzdem prallten in einem Hearing im Salzburger Landtag am 27. Februar 1990 die Standpunkte nach wie vor unversöhnlich aufeinander. VerbundGeneraldirektor Walter Fremuth sprach sich dabei vehement für den Bau der Leitung als notwendige Verbindung in die westlichen Bundesländer Tirol und Vorarlberg aus. Man werde vorhandene Leitungen zusammenlegen oder sogar einsparen. »Sicher sind in der Vergangenheit Fehler gemacht worden.« Dies ändere aber nichts an der Tatsache, dass der Anschluss an den europäischen Stromverbund von gro271 Ebda. 272 SN 26.10.1989. S. 21. 273 SN 26.2.1990. S. 13.

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ßer Dringlichkeit sei. So seien im Jänner 1990 23 Prozent des verbrauchten Stroms importiert worden. Landtagspräsident Helmut Schreiner betonte abschließend, das Hearing habe deutlich gemacht, dass die Errichtung von Stromleitungen in sensiblen Gebieten kein »rein verwaltungsrechtliches Problem« sei, sondern auch unter dem Gesichtspunkt des Umweltschutzes und des Fremdenverkehrs erfolgen müsse. Deshalb müsse sich auch der Landtag sein Zugriffsrecht sichern. Und Landeshauptmann Hans Katschthaler bemerkte in Richtung von Walter Fremuth, dass die Verbundgesellschaft im Naturschutzverfahren die Notwendigkeit der 380 KV-Leitung nachweisen müsse.274 Eröffneten sich für die Bürgerliste Salzburg-Land aufgrund des allgemeinen Bekenntnisses zur Notwendigkeit nachhaltigen Wirtschaftens und damit zum Umweltschutz im Umweltbereich nur begrenzte Möglichkeiten zur Profilierung, so ergaben sich durch den Mitte 1989 bekannt werdenden WEB-Skandal für eine Oppositionspartei völlig unerhoffte Möglichkeiten, erschütterte doch dieser Skandal das Vertrauen in die beiden traditionellen Regierungsparteien SPÖ und ÖVP und stieß die SPÖ in eine tiefe Krise, die im Rücktritt von Landesparteiobmann und Landeshauptmann-Stellvertreter Wolfgang Radlegger und Bürgermeister Josef Reschen ihren sichtbaren Höhepunkt erreichte.

8.3 Der WEB-Skandal. Ein politisches Erdbeben und spektakuläre Rücktritte – Die Chance zur Profilierung Am 28. Juni 1989 löste nach Beschwerden zahlreicher Anleger eine Anzeige der Konsumentenschützer der Salzburger Arbeiterkammer gegen zehn Eigentümer und leitende Angestellte des Wohnbauimperiums Wohnungseigentum-Bautreuhand/ WEB/IMMAG wegen des Verdachts der Untreue, der Veruntreuung, des schweren gewerbsmäßigen Betrugs und der betrügerischen und fahrlässigen Krida ein politisches Erdbeben aus.275 Die vom ehemaligen ÖVP-Landtagspräsidenten Hans Zyla mitbegründete WEB hatte bereits 1975 begonnen, Hausanteilsscheine als Anlageprodukte zu vertreiben. Nach dem Ausscheiden Zylas aus dem operativen Geschäft leitete Bernd Schiedek sowohl die gemeinnützige Wohnbaugesellschaft WEB wie auch die privatwirtschaftliche IMMAG. Als Mastermind des auf rund 80 Firmen angewachsenen Immobilien274 SN 28.2.1990. S. 13. 275 Die Anzeige der Arbeiterkammer sprach von einer »widmungsfremden Verwendung des Anlagegeldes« seitens der gemeinnützigen WEB. Die »beteiligten Personen« hätten »von Anfang an« gewusst, dass sie »das versprochene unwiderrufliche Rückkaufangebot« an die Anteilszeichner nicht erfüllen konnten. Dies habe man bereits 1986 gewusst. (SN 9.9.1989. S. 19.)

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imperiums fungierte der ehemalige Staatsanwalt Norman Graf. Bereits 1983 mehrten sich die Anzeichen einer Zahlungsunfähigkeit des Firmenimperiums. Aufgrund der bedeutenden Stellung in der Salzburger Bauindustrie bemühten sich Landeshauptmann Wilfried Haslauer sen. und Landeshauptmann-Stellvertreter Wolfgang Radlegger hinter den Kulissen um eine Rettung der WEB-Gruppe und erreichten 1985 ein Moratorium der Regionalbanken Sparkasse, Raiffeisen und Hypo, die Rückzahlungen in der Höhe von 600 Millionen Schilling stundeten. Diese Bemühungen schienen nach außen von Erfolg gekrönt, da die Immobiliengruppe ihre Verbindlichkeiten durch die Lukrierung Tausender neuer Anleger begleichen und Ansprüche aus alten Anteilsscheinen erfüllen konnte. 1986 stockte jedoch die Zufuhr neuer Gelder, sodass zunehmend zur Methode der Verrechnungsräder gegriffen wurde, mit deren Hilfe innerhalb des Firmengeflechts große Summen hin und her geschoben wurden, um den Anschein der Liquidität zu erwecken. 1988 mehrten sich jedoch die Gerüchte, dass das Immobilien-Firmengeflecht seine Versprechungen gegenüber den Hausanteilszeichnern nicht erfüllen könne. Zu diesem Zeitpunkt scheiterten Bemühungen der WEB, am europäischen Aktienmarkt über die französische Maklerfirma »Roemer France Financing« 5 Milliarden Schilling aufzunehmen. Die Garantie sollte über die engen Verbindungen der WEB zur CA-Tochter Universale die CA abgeben. Als Ende Juni 1989 der sowohl für die WEB wie die IMMAG-Bautreuhand verantwortliche Bernd Schiedek Zahlungsunfähigkeit anmeldete, erfolgte am 28. Juni die Anzeige der Salzburger Arbeiterkammer, die nunmehr in rascher Folge das Firmenimperium wie ein Kartenhaus zusammenbrechen ließ. Zahlreiche involvierte Firmen mussten Konkurs anmelden, rund 25.000 Anleger sahen sich mit einer geschätzten Gesamtschadenssumme von 2,3 Milliarden Schilling (167 Millionen Euro) um ihre Anlagen teilweise oder völlig geprellt.276 Obwohl der Skandal durch die in ihn involvierten Personen eher im ÖVP-Umfeld angesiedelt war, forderte er in der SPÖ seine politischen Opfer. Zunächst geriet

276 In insgesamt drei WEB-Prozessen zwischen 1996 und 2003 erfolgten zahlreiche Schuldsprüche gegen ehemalige WEB-, IMMAG-Manager, wobei allerdings Norman Graf sich nach Deutschland absetzte und damit für die Justiz nicht greifbar war. 1999 wurden sechs der Angeklagte zu insgesamt 44 Jahren Haft verurteilt (WEB I), 2002 zwei weitere zu 8 ½ Jahren (WEB II), die durch das OLG Linz auf 10 Jahre erhöht wurden, 2003 zwei Vorstandsdirektoren der Salzburger Sparkasse und ein weiterer Bankmanager zu insgesamt mehr als 16 Jahren (WEB III). Im Spätherbst 2004 startete der WEB-Zivilprozess gegen die Salzburger Sparkasse, der am 13. Dezember 2005 mit einem Vergleich beendet wurde. Die Salzburger Sparkasse erstattete den 3246 Klägern 19,1 Millionen Euro und 600.000 Euro Verfahrenskosten. (http://www.salzburg.com/wiki/ index.php/WEB-Prozess-Salzburgwiki  ; http://www.konsument.at/geld-recht/web-skandal–19149  ; http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/oesterreich/chronik_Drei-Schuldsprüche-im-SalzburgerWEB-Prozess-html  ; http://diepresse.com/home/presseamsonntag/1379778/WEBSkandal_DerKlavierspieler  ; http://www.internet4jurists.at/digital/web.htm.) (Abgerufen am 26.6.2016.)

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Wolfgang Radlegger aufgrund seiner Freundschaft mit Bernd Schiedek in die öffentliche Kritik. Er war 1984 ressortzuständiges Regierungsmitglied und hatte, so der Vorwurf, die WEB – trotz der kritischen Berichte des österreichischen Revisionsverbandes – aufgrund seiner persönlichen Nähe zu Schiedek nicht genügend kontrolliert und, als sie de facto konkursreif gewesen war, an ihrer vorläufigen Rettung und damit Konkursverzögerung inklusive Anlegerschädigung mitgewirkt. Als Radlegger zugeben musste, von der WEB für den Landtagswahlkampf 1984 eine Parteispende von 20.000 oder 30.000 Schilling erhalten zu haben, wurde die ohnedies bereits schiefe Optik noch schiefer. Da half auch seine Beteuerung nichts, dass sich Haslauer sen. und er 1984 bei der Rettung der WEB von wirtschaftlichen und nicht von juristischen Überlegungen hätten leiten lassen. Um Schaden von den Wohnungswerbern abzuhalten, habe man sich für eine Sanierung unter strengen Auflagen entschlossen. Vor dem Landesparteivorstand der Salzburger SPÖ beteuerte er am 3. Juli, nie einen Schilling von der WEB/IMMAG bekommen oder gefordert zu haben. Othmar Raus bemerkte, dass es sich bei der WEB/IMMAG um ein Unternehmen handle, »das aus dem Kreis der ÖVP-Spitzen gegründet, fortgesetzt betrieben und auch betreut wurde« und daher für Radlegger kein Grund bestehe, politische Konsequenzen zu ziehen.277 Die Treueschwüre waren das eine, die politische Realität das andere. Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzender Franz Vranitzky ließ Ende Juli in einem Telefonat Radlegger wissen, dass sich dieser, um Schaden von der Partei abzuhalten, endgültig für oder gegen einen Rücktritt entscheiden müsse. Die bereits bundesweit wahrgenommene Unsicherheit in der Salzburger SPÖ müsse rasch beendet werden. Am 22. August sprach Bürgermeister Josef Reschen vom Wert der politischen Moral, auf die Radlegger stets großen Wert gelegt habe und das Parteiorgan »Tagblatt« bemerkte, dass ein Rücktritt wohl unausweichlich sei. In der SPÖ sowie in mehreren Medien vermutete man hinter dieser Berichterstattung eine parteiinterne Intrige und beeilte sich zu versichern, dass von einem Rücktritt Radleggers keine Rede sein könne. Wenige Tage später waren aber auch diese Treueschwüre bereits Makulatur. Am 28. August zog Radlegger die politischen Konsequenzen, erklärte in einer Sitzung des Parteivorstandes der SPÖ seinen Rücktritt und schlug den bisherigen stellvertretenden Parteivorsitzenden Gerhard Buchleitner als seinen Nachfolger in beiden Funktionen vor.278 Durch den Wechsel Gerhard Buchleitners in die Position des Landeshauptmann-Stellvertreters wurden personelle Revirements in der Salzburger Stadt-SPÖ notwendig, bei denen später offen ausbrechende Konflikte 277 Zit. bei Peter Gutschner  : »Die Salzburger SPÖ muss eine selbstbewusste Partei werden«. Aspekete einer Erfolgsgeschichte. – In  : David Brenner, Karl Duffek, Peter Gutschner (Hg.)  : Signaturen des Wandels. Zur Rolle der SPÖ in Salzburg 1970–2009. – Innsbruck/Wien/Bozen 2010. S. 327–445. S. 406. 278 Dachs  : Wolfgang Radlegger. S. 70ff.

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bereits sichtbar wurden. Für die durch den Wechsel Buchleitners in die Landesregierung frei werdende Position des Stadtrats und Vizebürgermeisters zeigte auch Klubobmann Herbert Fartacek Interesse, stieß damit jedoch auf den Widerstand des SPÖ-Bezirksausschusses, der sich für den als pragmatisch geltenden Rechtsanwalt und Landtagsabgeordneten Harald Lettner entschied. Ihm folgte im Landtag der Universitätsprofessor für Arbeitsrecht Klaus Firlei, mit dem die SPÖ-Landtagsfraktion einen qualitativ hochwertigen Zuzug verzeichnete. Durch den für 13. Dezember angekündigten Rücktritt von Stadtrat Johann Hoffmann avancierte Veronika Garber zur Stadträtin. Die Dramatik der Ereignisse wurde auch von einer parallelen Entwicklung beeinflusst. Bereits am 5. Juli hatte der Salzburger Landtag die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beschlossen, um die Frage zu klären, ob und in welchem Ausmaß die von der WEB/IMMAG-Firmengruppe mit dem gemeinnützigen Wohnbau befassten Firmen und die vom Land gegebenen Wohnbauförderungsmittel von dem Skandal betroffen seien. Zur Beweisaufnahme sollten erstmals Medienvertreter zugelassen sein und die Zeugeneinvernahmen am 21. August beginnen. Wolfgang Radlegger wurde für den 22. August, Wilfried Haslauer sen. für den 26. August geladen. Den Vorsitz führte Christian Burtscher, dem sich damit eine einmalige Gelegenheit der politischen Profilierung bot, schien sich doch ein politisches Déjà-vu zu ereignen. So wie die Bürgerliste mit ihrer Kampagne gegen Bau- und Grundstücksspekulationen Hans Zylas für Aufsehen gesorgt hatte, das sich in weiterer Folge in einem entsprechenden Wahlsieg manifestierte, so schien sich nunmehr diese Situation auf Landesebene zu wiederholen. Und Burtscher erklärte im Vorfeld des Untersuchungsausschusses in Richtung Radlegger, dass sicherlich »dort Dinge … aufgetischt (werden), mit denen er wahrscheinlich überhaupt nicht rechnet.« Bereits jetzt sei aufgrund der bekannten Fakten klar, dass »eine derart massive Bevorzugung der WEB, wie sie Radlegger seinem Freund Schiedek hat angedeihen lassen, … einfach unverzeihlich« ist.279 Die ersten Sitzungen des Untersuchungsausschusses boten reichlich Material, die Ankündigung Burtschers zu bestätigen. So erklärte der Prüfungsleiter des Revisionsverbandes, Bernd Scherz, vor dem Untersuchungsausschuss am 12. September, Wolfgang Radlegger hätte als Ressortverantwortlicher aufgrund der Hinweise auf gravierende Bilanzierungs- und Buchhaltungsmängel in den Prüfberichten des Revisionsverbandes bereits 1981 mit Bescheid auf eine Beseitigung der Missstände drängen müssen. In einem ORF-Interview ging er noch weiter und betonte, die WEB hätte »nie gemeinnützig werden dürfen«, da das Unternehmen als Bürge für die freifinanzierte IMMAG von Anfang an gegen das Gemeinnützigkeitsgesetz verstoßen habe. Vor dem Untersuchungsausschuss erklärte er, dass bereits vor zehn Jahren bei einem Eigenkapital von 25 Millionen Schilling 279 Michael J. Mayr  : Schiedeks Schatten. – In  : Profil Nr. 33. 14.8.1989. S. 21f. S. 21.

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120 Millionen Schilling an Barmitteln zu anderen Firmen geflossen seien. Der Revisionsverband habe die Alarmglocken geläutet, doch stünden ihm keine Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung. Es habe wiederholt Schreiben des Revisionsverbandes an die Landesregierung gegeben, dass die kritisierten Mängel von der WEB nicht beseitigt wurden. Wolfgang Radlegger sei bei Schlussbesprechungen sogar persönlich anwesend gewesen und »eindringlich« auf die Probleme hingewiesen worden. Es seien aber keine Konsequenzen gezogen worden, weshalb der Verdacht bestehe, dass über die WEB ein »politischer Schutzmantel« gebreitet worden sei.280 Die Frage der parteipolitischen Einflussnahme auf die Verteilung der Wohnbaugelder stand im Mittelpunkt der Befragungen von Wolfgang Radlegger und Wilfried Haslauer sen. Die Bürgerliste Salzburg-Land hatte Unterlagen zugespielt erhalten, nach der es in einem Parteienpakt zwischen ÖVP und SPÖ zu einer Aufteilung der Mittel an die im Einflussbereich der jeweiligen Parteien stehenden gemeinnützigen Wohnbaugesellschaften im Verhältnis 4   : 3 gekommen war. Der Leiter der Wohnbauabteilung des Landes, Friedrich Heu, bestätigte dies in seiner Befragung indirekt, als er erklärte, es habe eine Verteilung der Wohnbaufördermittel »nach Maßgabe der politischen Verhältnisse« gegeben. Dies sei mit dem Wechsel des Ressorts von der ÖVP zur SPÖ 1979 erfolgt, da sich die ÖVP mit dieser Bestimmung, die von der SPÖ akzeptiert wurde, gegen eine überproportionale Zuteilung der Gelder an SPÖnahe Wohnbaugenossenschaften habe absichern wollen. Wolfgang Radlegger und Wilfried Haslauer sen. bestritten in ihren Einvernahmen die Existenz einer entsprechenden Vereinbarung. Über die Verteilung von Wohnbauförderungsmittel an die parteinahen gemeinnützigen Wohnbaugesellschaften könne er allerdings Gespräche »über einen Orientierungsrahmen« nicht ausschließen, bemerkte Wilfried Haslauer auf insistierende Fragen Burtschers.281 Ein Sittenbild lieferte der langjährige WEB-Aufsichtsratsvorsitzende Alois Nussbauer, als er am 14. September vor dem Untersuchungsausschuss erklärte, dass er, als er 1975 diese Funktion übernommen habe, die Bilanzen des Unternehmens nicht lesen konnte, da er »vom Wohnbau keine Ahnung« hatte. Bilanzen einer gemeinnützigen Wohnbaugesellschaft seien eine »Geheimwissenschaft«.282 Die Bürgerliste Salzburg-Land bediente sich im Fall des WEB-Skandals derselben Methoden wie die Bürgerliste der Landeshauptstadt im Fall Zyla, indem man zum Mittel der publikumswirksamen Inserate griff. So erschien nach der Befragung des ehemaligen Landeshauptmanns Wilfried Haslauer sen. im Untersuchungsausschuss am 26. September 1989 in den »Salzburger Nachrichten« ein Inserat, in dem der WEB-Skandal als Ergebnis des »Salzburger Klimas« bezeichnet wurde. »Nach 280 SN 13.9.1989. S. 13. 281 SN 27.9.1989. S. 1. 282 SN 15.9.1989. S. 17.

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6 Sitzungstagen hat der WEB-Untersuchungsausschuss des Salzburger Landtages bereits Unglaubliches zutage gefördert. Das totale Versagen sämtlicher Kontrollinstanzen von den Aufsichtsräten bis zu den Politikern, die jahrelange Duldung bekannter Missstände, die offen eingestandene Parteibuchwirtschaft im ›sozialen‹ Wohnbau usw. … Das alles konnte nur in einem Klima geschehen, in dem eine Krähe der anderen kein Auge aushackt, also im Salzburger Klima.« Dieses würde auch im Untersuchungsausschuss funktionieren, in dem ÖVP- und SPÖ-Abgeordnete sich vor kritischen Fragen scheuten und höchstens Alibifragen stellten, wie dies bei der Befragung von Alt-Landeshauptmann Wilfried Haslauer sen. deutlich geworden sei. Trotzdem musste dieser aussagen, dass er »seit 1982 über schwerwiegende Missstände im WEB-Bautreuhand-Bereich informiert war, die ›Sanierung‹ der WEB im Jahr 1984 politisch mitgetragen hatte, … 1986 als Aufsichtskommissär über die landeseigene Hypo-Bank einen Rechnungshofbericht bekam, in dem die Bank vor Geschäften mit dem WEB-Bautreuhandbereich gewarnt wurde.« Er habe »niemals die Abstellung von ihm bekannten Mängeln bei der WEB-Bautreuhand« mit dem Argument überprüft, dass dies nicht seine Aufgabe gewesen sei. Er habe vor dem Untersuchungsausschuss ausgesagt, dass er »eine parteipolitische Aufteilung der Förderungsgelder im Schlüssel von 4   : 3 zwischen ÖVP- und SPÖ-nahen Wohnbaugenossenschaften ›nicht ausschließen könne‹. … Ohne die Arbeit der zwei Bürgerlistenabgeordneten und ohne die Präsenz der Medien wäre der Untersuchungsausschuss schon längst zur Farce verkommen. Die Bürgerliste trug bisher den bei weitem größten Teil der Aufgabe des Ausschusses, nämlich die politische Verantwortung für diesen Skandal und die Strukturen, die ihn zuließen, aufzudecken. Sie wird das auch weiterhin tun.«283 Dieser Ankündigung folgte wenig später ein neuerlicher politischer Paukenschlag. Bürgermeister Josef Reschen erklärte im WEB-Untersuchungsausschuss am 1. Februar 1990 auf die Frage von Abgeordneten, ob er denn nie an einem jener Bauherrnmodelle der WEB beteiligt gewesen sei, dass er sich an keinem dieser Modelle beteiligt habe. Und auf die Zusatzfrage des ÖVP-Abgeordneten Wolfgang Gmachl, »Auch nicht auf dem Wege von Treuhändern  ?«, antwortete Reschen  : »Meines Wissens nicht.«284 Die »Salzburger Nachrichten« verfügten allerdings zu diesem Zeitpunkt bereits über ein Dossier, das das Gegenteil bewies und erschienen am 2. Februar mit dem Titel »Reschen im Sog des Bauskandals«. Mit einem Treuhändervertrag vom 30. August 1988, der von Reschen und dem Concentra-Geschäftsführer Helmut Scheufele (die Concentra verwaltete Hausanteilsscheine der IMMAG) unterschrieben war, 283 SN 29.9.1989. S. 32. 284 Michael J. Mayr  : Galgenfrist für J. R. – In  : Profil Nr. 7. 12.2.1990. S. 18f. S. 18.

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beteiligte sich Reschen mit 10.000 Schilling an der ULG Immobilienbeteiligung Gesellschaft m. b. H. & CoKG. Bereits am nächsten Tag folgte eine ebenfalls von beiden unterschriebene »Nebenvereinbarung zum Treuhandvertrag«, mit der die Kommanditbeteiligung an der ULG Immobilienbeteiligung Gesellschaft m. b. H. & Co KG um 2 Millionen Schilling erhöht wurde. Im September beteiligte sich Reschen mit 500.000 Schilling an einem Bauherrnmodell der IRA (IMMAG Revitalisierungs- und Altstadtsanierungs GmbH & CoKG), mit dem im Zuge einer Verlustbeteiligung das Haus Linzergasse 21 mit insgesamt 8 Wohnungen erworben wurde. Ferner erwarb Reschen zu Jahresbeginn 1989 um 930.000 Schilling eine 62 Quadratmeter große Wohnung in Salzburg. Wenngleich es sich dabei um eine an sich völlig legale Geschäftsbeziehung handelte, so hatte sie Reschen trotz mehrfacher Fragen im Untersuchungsausschuss verschwiegen. Damit hatte er sich, durch nicht nachvollziehbare Aussagen vor dem WEB-Ausschuss in eine schwierige Lage gebracht.285 Ähnlich wie im Fall Androsch und dessen Aussage vor dem AKH-Untersuchungsausschuss wurde daraufhin der Staatsanwaltschaft eine Sachverhaltsdarstellung wegen des Verdachts der falschen Zeugenaussage übermittelt. Reschen verteidigte sein Verhalten damit, dass er auf Anraten seines Steuerberaters so gehandelt, es sich bei dieser Verlustbeteiligung um ein völlig legales Geschäft gehandelt und er nichts von der Stellung der Concentra im WEB-Imperium gewusst habe. Diese Argumente fanden jedoch kein Gehör und am 3. Februar 1990 forderte der Chefredakteur der Salzburger Nachrichten, Karl Heinz Ritschel, in einem Leitartikel den Bürgermeister zum Rücktritt auf. Er sei »untragbar geworden, seine Verwicklung in den Bauskandal … offenkundig« und seine Erklärung seien dermaßen unglaubwürdig, dass es ihm nicht gelingen werde, »jemals als Politiker seine Glaubwürdigkeit wiederzuerlangen.«286 In der ohnedies schwer verunsicherten SPÖ reagierte man auf die Enthüllungen und die Aufforderung zum Rücktritt mit einem demonstrativen Schließen der Reihen und Solidaritätsbekundungen mit Reschen. Man werde, so Parteiobmann und Landeshauptmann-Stellvertreter Gerhard Buchleitner, den Bürgermeister »in dieser schwierigen Situation unterstützen«. Und Reschen erklärte  : »Ich möchte Bürgermeister blieben.« Es habe keine einzige Forderung nach seinem Rücktritt gegeben.287 Dabei wurden allerdings auch die Schatten der jüngsten Vergangenheit wirksam, hatte doch Reschen im Fall Radlegger die hohen moralischen Maßstäbe eingefordert, denen er nunmehr selber entsprechen musste. Die übrigen Fraktionen bean285 Stefan Prähauser  : Gerhard Buchleitner  : Ein Parteiobmann in stürmischer Zeit. – In  : Walter Thaler, David Brenner (Hg.)  : Gerhard Buchleitner. Ein politisches Leben. – Salzburg/Linz 2000. S. 20–32. S. 22. 286 Karl Heinz Ritschel  : Herr Bürgermeister, treten Sie ab  ! – In  : SN 3./4.2.1990. S. 1. 287 SN 5.2.1990. S. 13.

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tragten eine Sondersitzung des Gemeinderates zu dieser Causa, der demonstrative Absetzbewegungen von der Person des Bürgermeisters folgten. FPÖ-Klubobmann Siegfried Mitterdorfer, von Beruf Richter, erklärte, »die Tatsache einer falschen Aussage allein« sei »ein Grund für den Bürgermeister, von sich aus die politischen Konsequenzen zu ziehen«288 und am folgenden Tag kündigte ÖVP-Vizebürgermeister Josef Dechant an, seine Fraktion werde bei der beantragten Sondersitzung des Gemeinderates gegen Reschen stimmen. In einem offenen Brief forderte der Klubobmann der Bürgerliste, Johann Padutsch, Reschen auf, das Interesse der Stadt über seine eigenen zu stellen. Er möge »doch endlich zur Kenntnis nehmen«, dass er »für unsere Stadt und den Gemeinderat eine unerträgliche Belastung geworden« sei. Reschen schade mit jedem Tag, den er länger im Amt bleibe, »dem Ruf Salzburgs als demokratische Stadt mit einem Mindestmaß an politischer Kultur.« Er hätte als Vorsitzender des Sparkassenrates und Bürgermeister »unter Beratung und direkter und indirekter Verbindung mit den von der Arbeiterkammer angezeigten Spitzenmanagern des WEB/Bautreuhand/IMMAG-Imperiums Kapitalspekulationen« betrieben. Dies »wäre bei einem Mindestmaß an politischer Kultur in jeder funktionierenden Demokratie Grund genug für persönliche Konsequenzen.«289 Am 10. Februar fand eine von der SPÖ organisierte Feier »Reschen 10 Jahre Kollegiumsmitglied« statt, bei der es zu Treueschwüren gegenüber dem in Bedrängnis geratenen Bürgermeister kam. Scheinbar unbeeindruckt von der Übermittlung eines Vorhabensberichts der Staatsanwaltschaft Salzburg an die Oberstaatsanwaltschaft Linz erklärte Reschen am 19. Februar vor SPÖ-Vertrauensleuten im Brunauerzentrum unter tosendem Applaus, er verspreche weiterzumachen, auch wenn ihm Zweifel gekommen seien und ihm Ärzte gesagt hätten, er müsse sich das nicht antun. Für SPÖ-Stadtparteiobmann Helmut Stocker war Reschen das »Opfer einer Medienkampagne« der »Salzburger Nachrichten«.290 Doch alle Solidaritätsbekundungen der SPÖ verloren zunehmend an Bedeutung. Bereits im Vorfeld der Übermittlung des Vorhabensberichts der Staatsanwaltschaft Salzburg an die Oberstaatsanwaltschaft Linz hatten sich die Rücktrittsforderungen von ÖVP, FPÖ und Bürgerliste gehäuft. Für die Bürgerliste erklärte deren Klubobmann Johann Padutsch, dass, auch wenn die SPÖ hinter Reschen stehe, dieser zu einer unerträglichen Belastung geworden sei.291 Am 22. Februar stellte Padutsch in einem offenen Brief an Gerhard Buchleitner fest, dass in der Salzburger SPÖ »offensichtlich jedes Mindestmaß an politischer Kultur und Augenmaß« verloren gegangen sei. Es werde ein Bürgermeister gehalten, der den von Bundeskanzler Franz Vranitzky formulierten »Standards 288 SN 8.2.1990. S. 15. 289 SN 9.2.1990. S. 15. 290 SN 21.2.1990. S. 13. 291 SN 9.2.1990. S. 15.

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der Sauberkeit« und »besonderen Ansprüchen politischer Moral« nicht entspreche. Es werde jede kritische Stimme zu Reschen »mit Kadavergehorsam, Fraktionszwang und Angst vor Repressalien« unterdrückt. Doch Ruhe werde erst durch den Rücktritt des Bürgermeisters eintreten. »Ein Gemeinderat in einer Demokratie« könne es sich nicht leisten, »einen überführten Lügner an seiner Spitze widerstandslos zu dulden.«292 Für die Bürgerliste war der Fall Reschen ein neuerliches prominentes Beispiel für das von ihr angeprangerte »Salzburger Klima«, die Verbindung von Wirtschaft und Politik, die Macht von politischen oder persönlichen Seilschaften. Der gelernte Bauingenieur Josef Reschen wurde bisweilen in Anspielung auf die Hauptfigur der (Öl-)Spekulanten in der populären US-Fernsehserie »Dallas« J. R. genannt und die Gerüchte über seine engen, auch privaten, Beziehungen zu Salzburger Firmen wie die »Alpine« und deren Geschäftsführer Dietmar Aluta, waren an der Tagesordnung. Die Interventionen Reschens für die »Alpine« beschäftigten auch zunehmend die Berichterstattung des investigativen Journalismus.293 Auch im Gemeinderatswahlkampf 1987 wurde eine massive und auffällige Werbekampagne mehrerer Salzburger Firmen, die in enger Geschäftsbeziehung zum Magistrat Salzburg standen, offensichtlich. So wurden Inserate in dem auflagenschwachen lokalen Parteiorgan »Salzburger Tagblatt« in der Gesamtsumme von 600.000 Schilling geschaltet, wobei angesichts der nicht gegebenen Zielgruppengenauigkeit die politischen Direktiven der jeweiligen Geschäftsleitung offensichtlich waren. Während die »Salzburger Nachrichten« mit täglich 148.000 Lesern pro Inseratenseite 50.880 Schilling exklusive 10 Prozent Anzeigensteuer verrechneten, war ein Inserat, allerdings stets mit dem Konterfei des Bürgermeisters, in dem auflagenschwachen und nur 29.000 Leser verzeichnenden »Salzburger Tagblatt« den Inserenten 140.000 Schilling wert.294 Die von Bürgerliste-Klubobmann Johann Padutsch erhobene Rücktrittsforderung an Reschen entsprach daher nicht nur, wie im Fall von ÖVP und FPÖ, der Logik des politischen Rituals zwischen Regierung und Opposition, sondern hatte darüber hinaus strategische Bedeutung. Die Bürgerliste war nicht Teil des Systems, sondern konnte – mit Blick auf die 1992 folgende Gemeinderatswahl – durchaus zu recht darauf hinweisen, dass die nunmehr bekannt gewordenen skandalösen Vorgänge ihren geäußerten Generalverdacht gegen das »Salzburger Klima« bestätigt hatten. Die publizistische Unterstützung durch die »Salzburger Nachrichten« gab diesen Überlegungen zusätzliche Wirkung, wobei mit Blick auf das Land die Ergebnisse des 292 SN 23.2.1990. S. 15. 293 Vgl. Michael J. Mayr  : Der Bau-Karajan. – In  : Profil Nr. 4. 23.1.1989. S. 24f.; Ders.: Seekrank. – In  : Profil Nr. 5. 30.1.1989. S. 18. 294 Michael J. Mayr  : »Gezielte Imagewerbung«. – In  : Profil Nr. 2. 9.1.1989. S. 16f.

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WEB-Untersuchungsausschusses diesem strategischen Konzept zusätzliche Nahrung zu geben schienen. Am 23. Februar 1990 kündigte Josef Reschen in einer Pressekonferenz an, dass er sich aus gesundheitlichen Gründen mit 6. März von allen politischen Funktionen zurückziehen und nach einer Zeit der Erholung wieder in seinen bürgerlichen Beruf zurückkehren werde. Sein Rücktritt sei »kein Schuleingeständnis«, doch könne er sich »gegen ungerechtfertigt erhobene Vorwürfe kaum wehren« und stehe »hilflos den gedruckten Halb- und Unwahrheiten gegenüber.«295 Die Erklärung des strahlenden Wahlsiegers des Jahres 1987 bedeutete für die Salzburger SPÖ nach dem Verlust ihres Landesparteiobmanns Radlegger den zweiten Abgang einer Führungspersönlichkeit. Um den Eindruck der Desorientierung zu vermeiden, war rasches Handeln gefordert. Der bisherige Vizebürgermeister Harald Lettner folgte Reschen als Bürgermeister, der bisherige Klubobmann Herbert Fartacek avancierte zum Vizebürgermeister und Gemeinderat Peter Schattauer wurde neuer Klubobmann. »Im März 1990 befand sich die Salzburger Sozialdemokratie im tiefen Tal der Tränen. Selten hatte sich in der Partei eine so starke Resignation, ja nachgerade Untergangsstimmung breit gemacht.«296 Die Partei erweckte den Eindruck der völligen Desorientierung. Bei den folgenden Bezirkskonferenzen in der Stadt Salzburg und im Pinzgau kam es zu massiven personellen Turbulenzen, in Abtenau und Golling drohten die jeweiligen SPÖ-Vizebürgermeister aus Protest gegen das Einschwenken der SPÖ auf eine EU-Beitrittsposition bzw. gegen Betriebsansiedlungspläne des Landes ihren Parteiaustritt an und der Landesparteitag in Henndorf am 28. April 1990 konnte nicht ordentlich durchgeführt werden, da bei der kontroversen Debatte um eine verbindliche 40-Prozent-Frauenquote bei der Erstellung der Nationalratsliste nicht mehr die erforderliche Anzahl von Delegierten anwesend war.297 Zu allem Überfluss führten die personellen Revirements in der Stadt innerhalb kurzer Zeit zu erheblichen innerfraktionellen Spannungen zwischen dem Pragmatiker Harald Lettner und seinem als Exponenten des linken Parteiflügels geltenden Vizebürgermeister Herbert Fartacek. Fartacek galt als intelligent und politisch ehrgeizig, stieß jedoch innerparteilich, vor allem bei der mächtigen ÖGB- und AK-Fraktion, auf wachsenden Widerstand. Fartacek ortete mit dem Beginn der Ära Franz Vranitzky 1986 in der SPÖ einen deutlichen Rechtsruck. »Auch auf Landes- und Stadtebene vermehrten sich die Populisten und ›Umfragepolitiker‹ innerhalb der SPÖ. Besondere Streitpunkte auf Stadtebene … waren die Verkehrspolitik, die weithin fehlenden Vorstellungen zur Frauenpolitik, die Bodenpolitik, 295 SN 24.2.1990. S. 19. 296 Thaler  : Mut und Wille. S. 179. 297 Der am 24. April offiziell »unterbrochene« Parteitag wurde Ende November 1990 fortgesetzt, wobei eine verbindliche Frauenquote von 40 Prozent beschlossen wurde.

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die Wohnpolitik, die Umweltpolitik und die Sozialpolitik. Bereits mit Josef Reschen gab es eine Reihe interner Konflikte, die aber deshalb noch regulierbar waren, weil Gerhard Buchleitner sehr auf den Ausgleich von Standpunkten setzte. Mit dem Abgang Buchleitners ins Land mehrten sich die Konflikte. Dabei kristallisierten sich ab 1990 mehrere ›Streitthemen‹ heraus  : die Ausländerpolitik, die Wohnpolitik mit den fehlenden landesgesetzlichen Grundlagen (Raumordnungsgesetz), die sogenannte ›Randgruppenpolitik‹ und die Kultur- und Sozialpolitik.«298 Fartaceks Positionen, nur von einer Minderheit des SPÖ-Gemeinderatsklubs und der neuen Klubobfrau im Landtag, der SPÖ-Frauenvorsitzenden Ricky Veichtbauer unterstützt, führte zu heftigen innerparteilichen Kontroversen, die auch über die Medien, vor allem die »Kronen Zeitung«, ausgetragen wurden. Die innerparteilichen Gegner Fartaceks konnten nicht zu Unrecht darauf verweisen, dass seine betont linken Positionen nicht mehrheitsfähig waren und der SPÖ bei der bevorstehenden Gemeinderatswahl schwere Verluste bereiten würden. Im Vergleich dazu segelte die ÖVP in relativ ruhigen Gewässern, auch wenn sie von innerparteilichen Turbulenzen nicht verschont blieb, die vor allem durch die Ankündigung des neuen Landesparteiobmanns und Landeshauptmanns Hans Katschthaler im November 1989 ausgelöst wurden. Dieser griff eine Forderung der steirischen ÖVP auf, die in Reaktion auf das Bekanntwerden von Mehrfachfunktionen und damit verbundene finanzielle Entschädigungen die Reduktion der politischen Tätigkeit auf nur eine Funktion gefordert hatte. Damit löste er in der bündisch strukturierten Partei mit ihren Koppelungen von Kammerfunktionen an politische Funktionen eine innerparteiliche Diskussion aus, die zum Verzicht von Gerhard Schäffer und Helga Rabl-Stadler auf ihre Nationalratsmandate und von Georg Schwarzenberger auf das Amt des Präsidenten der Salzburger Landwirtschaftskammer führte. Die zurückgebliebenen politischen Scherben waren unübersehbar. Und auch die Verluste bei der AK-Wahl (- 13 Prozent), der Landwirtschaftskammerwahl (- 5,5 Prozent), der Wirtschaftskammerwahl (- 12,6 Prozent) sowie bei den Gemeindevertretungswahlen (- 3,9 Prozent) 1989/90 waren der innerparteilichen Stimmung nicht besonders förderlich. Die von Hans Katschthaler initiierte Volksbefragung über Tempo 80/100 führte zu einer innerparteilichen Zerreißprobe, die auch öffentlich ausgetragen wurde. Bei der Nationalratswahl am 7. Oktober 1990 musste die ÖVP einen schmerzlichen Verlust von 8,8 Prozent verzeichnen, während die politischen Konkurrenten, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, Zugewinne verzeichnen konnten. Die Partei musste zur Kenntnis nehmen, dass der bis 1986 geltende Oppositionsbonus auf Bundesebene sich nunmehr in ein Regierungsmalus 298 Herbert Fartacek  : Der Bruch … der lange Weg zum kurzen Abschied. – In  : Wolfgang L. Schönauer (Hg.)  : Auf den Punkt gebracht. Demokratie 92  : Geburt einer Partei in Salzburg – Plädoyer für eine andere Politik. – Salzburg 1997. S. 93–119. S. 95f.

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verwandelt hatte, von dem sie als kleinere Regierungspartei besonders betroffen war. Die bundespolitischen Rahmenbedingungen und Stimmungen beeinflussten sowohl regionale Wahlgänge wie auch in Interessenvertretungen. Mit Blick auf die Gemeinderatswahl in der Stadt Salzburg 1992 und der Landtagswahl 1994 galt es, die Reihen zu schließen und politische Führungsstärke zu beweisen.

8.4 Unerwartete Ergebnisse und Konstellationen. Die Gemeinderatswahl 1992 und der »politische Slalom« der Bürgerliste Die Devise für die Gemeinderatswahl in der Stadt Salzburg am 4. Oktober 1992 lautete daher, die von der SPÖ bei der Gemeinderatswahl 1987 errungene absolute Mehrheit zu brechen. Nach der Wahlniederlage 1987 war die von Wilfried Haslauer sen. durchgesetzte Spitzenkandidatin, die Quereinsteigerin Sigune Neureiter, zurückgetreten. Ihr folgte als von der Partei zu nominierender zweiter Bürgermeister der langjährige Gemeinderat Josef Dechant. Wenngleich der Angestellte der Salzburger Handelskammer am 9. Mai 1991 in einer Klausurtagung der ÖVP-Gemeinderatsfraktion einstimmig als Spitzenkandidat für die kommende Gemeinderatswahl nominiert wurde, regte sich gegen ihn vor allem in der Jungen ÖVP und in Teilen des Wirtschaftsbundes zunehmend Kritik. Ihm wurden zu geringer politischer Ehrgeiz und eine zu konsensorientierte Politik, mit der man als Minderheitsfraktion beim Wähler nicht reüssieren könne, vorgeworfen. Der stets um einen Ausgleich bemühte Landesparteiobmann und Landeshauptmann Hans Katschthaler wechselte im Sommer 1991 überraschend indirekt in das Lager der Kritiker Dechants, als er in einem Interview mit den »Salzburger Nachrichten« auf die Frage, ob er mit der Stadt-ÖVP zufrieden sei, antwortete  : »Ich will nicht verhehlen, dass ich nicht zufrieden bin mit dem, was uns gelingt. Wir müssen uns hier einfach mehr anstrengen.« Für die kommende Gemeinderatswahl erwarte er »eine maximal attraktive Liste. Es ist das Ziel, die absolute Mehrheit der Sozialisten in der Stadt zu brechen. Die Mandatszahl der ÖVP muss zweistellig werden. Wir haben jetzt neun. Das heißt mindestens zehn, wobei es nach oben keine Grenze gibt. Wenn wir dieses Ziel nicht erreichen, dann müssen wir sofort entsprechende Veränderungen setzen.«299 Im September sollte in geheimer Abstimmung in einer Sitzung der Landesparteileitung die endgültige Entscheidung über die Person des Spitzenkandidaten fallen. Die innerparteilichen Kritiker sollten auch personelle Alternativen namhaft machen. Die Erklärung des Landeshauptmanns wurde von den Medien umgehend kolportiert, deutete sich doch damit im politischen Sommerloch eine innerparteiliche Kontroverse an. Die Annahme sollte 299 SN 26.8.1991. S. 13.

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sich als richtig erweisen, als sich der indirekt angegriffene Josef Dechant aus seinem Urlaubsdomizil zu einer Replik veranlasst sah und konterte, die bescheidene Anzahl der ÖVP-Mandate sei der Landespartei, vor allem dem ehemaligen Landesparteiobmann Wilfried Haslauer sen. zu verdanken, der Sigune Neureiter ohne Kontakt mit den Funktionären und Mitarbeitern im Alleingang 1987 zur Spitzenkandidatin bestellt habe. Es sei kein Zeichen eines politisch korrekten Vorgehens, ein Interview über einen ungeliebten Mandatar zu geben, wenn sich dieser im Urlaub befindet »in der Hoffnung, dass der Betroffene davon nichts erfährt«. Die kolportierten möglichen Spitzenkandidaten – Helga Rabl-Stadler, Gerhard Schäffer, Franz Schausberger, Wolfgang Gmachl – hielten sich alle bedeckt. »Ich werde auf jeden Fall antreten. Das, was hier inszeniert wird, ist eine Schmierenkomödie, ein Sommertheater. Der Parteiobmann ist drauf und dran. Die Stadt-ÖVP zu ruinieren.«300 Der in der ÖVP zwischen Stadt- und Landespartei in aller Öffentlichkeit ausgebrochene Konflikt musste so rasch als möglich bereinigt werden, um das wahlpolitische Ziel, die Brechung der absoluten SPÖ-Mehrheit, nicht zu gefährden. Katschthaler kündigte, sichtlich um eine Kalmierung bemüht, eine »ausführliche und deutliche Aussprache« mit Dechant an,301 die am 12. September 1991 erfolgte. Sie endete amikal und ebnete den Weg für die offizielle Nominierung Dechants als Spitzenkandidat für die Gemeinderatswahl 1992, die ein Stadtparteitag am 27. Oktober 1991 bestätigen sollte. Die nach außen zur Schau getragene Einigkeit in der Frage des Spitzenkandidaten wurde jedoch durch das Abstimmungsergebnis konterkariert. Obwohl Dechant keinen Gegenkandidaten hatte – maßgebliche ÖVP-Kreise hatten sich in letzter Minute noch um einen solchen bemüht –, erreichte er nur 58,6 Prozent der Stimmen. Erheblich dramatischer gestalteten sich die Ereignisse in der FPÖ. Charakteristisch für die traditionelle Dritte Kraft war ihr Bekenntnis zum Konsens und ihre Einbindung in das »Salzburger Klima«. Auf Bundesebene hatte Bundesparteiobmann Friedrich Peter eine Regierungsbeteiligung der FPÖ zu seinem obersten politischen Ziel erklärt. 1970 lehnte dies Josef Klaus ab, während Bruno Kreisky bereit war, als Preis für die Unterstützung einer SPÖ-Minderheitsregierung bei folgenden Neuwahlen eine Koalition mit der FPÖ nach dem Muster der sozialliberalen Koalition in der Bundesrepublik Deutschland zu realisieren.302 Erst 1983 sollte diese Option politische Realität werden, als Bruno Kreisky nach dem Verlust der absoluten Mehrheit noch selber die Regierungsverhandlungen mit der FPÖ unter Norbert Steger, der sich als Erbe der politischen Konzeption Friedrich Peters sah, führte.303 Mit 300 SN 28.8.1991. S. 13. 301 SN 29.8.1991. S. 15. 302 Kriechbaumer  : Die Ära Kreisky. S. 135f.; Wolfgang Petritsch  : Bruno Kreisky. Die Biografie. – St. Pölten/Salzburg 2010. S. 177f. 303 Kriechbaumer  : Zeitenwende. S.  58ff.

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der Übernahme der Obmannschaft der FPÖ durch Jörg Haider auf dem Innsbrucker Parteitag am 13. September 1986 und der Aufkündigung der Koalition durch Franz Vranitzky änderte sich die Taktik der FPÖ grundlegend. In dem nunmehr ausbrechenden Nationalratswahlkampf positionierte sie sich unter ihrem charismatischen neuen Obmann als systemkritische Oppositionspartei und vermochte sich mit diesem taktischen Schwenk aus der drohenden politischen Bedeutungslosigkeit zu befreien. Als angriffslustige Oppositionspartei mit einem für viele Wähler zunehmend attraktiven Parteiobmann begann die erste Phase ihres politischen Aufstiegs, der bei der Nationalratswahl 1999 mit der Erringung der zweiten Position seinen (vorläufigen) Höhepunkt erreichen sollte. Die von Erfolgen gekennzeichnete Änderung auf Bundesebene wurde, wenn auch mit einer zeitlichen Verzögerung, auf Landes- und Kommunalebene fortgesetzt. In Salzburg erfolgten unter persönlicher Mitwirkung Haiders die damit verbundenen personellen Revirements im Jahr 1992, wobei die Landeshauptstadt den Anfang machte. Bereits seit den späten Achtzigerjahren hatte es zunehmend Spannungen in der Salzburger Landesorganisation zwischen den Vertretern einer sachlichen Zusammenarbeit im Rahmen des im Land und in der Stadt herrschenden Proporzsystems und einem stets wachsenden HaiderFlügel, der eine kantigere und vor populistischen Aktionen nicht zurückscheuende Oppositionspolitik forderte, gegeben. In der Stadt entzündete sich der Konflikt im Vorfeld der Gemeinderatswahl 1992 an der Person von Dietrich Masopust, der 1983 Waldemar Steiner gefolgt war und mit seiner rigorosen Verkehrsplanung und großflächigen Verkehrsberuhigung mittels Parkraumbewirtschaftung und Buskorridore zunehmend auf massiven Widerstand der Salzburger Wirtschaft, eines erheblichen Teils der Einwohner und der Landespartei stieß. Da Masopust – unbeeindruckt vom sich massierenden Widerstand – an seiner Politik unbeirrt festhielt, gründete die FPÖ-Landtagsabgeordnete Iris Schludermann, unterstützt vom »Ring freiheitlicher Wirtschaftstreibender«, zu Jahresbeginn 1992 eine »Unabhängige Pendlerinitiative«, die Anfang April in Inseraten offen den Abgang Masopusts forderte. Der auf offener Bühne ausgetragene Konflikt innerhalb der FPÖ veranlasste Jörg Haider zu einer persönlichen Krisenintervention, die zwar noch nicht unmittelbar zu dem von manchen bereits gemutmaßten Köpferollen in der nach wie vor von den Konsenspolitikern geführten Stadt- und Landespartei führte, jedoch durch eine Äußerung von FPÖ-Generalsekretär Karl Schnell, der ein baldiges Ende des »Salzburger Klimas« andeutete, die Konturen der kommenden Ereignisse bereits deutlich werden ließ. Die Bundespartei bestimmte nunmehr zunehmend die Politik der Salzburger FPÖ, die auf Anweisung aus Wien ein völlig erfolgloses landesweites Volksbegehren gegen Wohnungsnot und Grundstücksspekulation einleitete und Masopust veranlasste, die letzte Phase der geplanten Parkraumbewirtschaftung auf 1994 zu verschieben. Die doppelten innerparteilichen Spannungen zwischen den dem pragmatischen Flügel angehörenden Stadtparteiobmann und Stadtrat Dietrich Masopust und Lan-

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desparteiobmann und Landesrat Volker Winkler und zwischen den Haider-Anhängern hielten auch nach dem April unvermindert an, weshalb Haider mit Blick auf die im Herbst bevorstehende Gemeinderatswahl und die turnusmäßige Landtagswahl 1994 zu einer endgültigen Klärung entschlossen war. Am 22. Juni erschien er neuerlich zu einer Krisensitzung im Egger-Lienz-Haus in Salzburg, bei der das Ausscheiden des als Konsenspolitiker geltenden Volker Winkler aus beiden politischen Funktionen – Landesparteiobmann und Landesrat – ebenso beschlossen wurde wie die Ablöse von Dietrich Masopust als Spitzenkandidat für die bevorstehende Gemeinderatswahl. Masopust nahm diese Entscheidung zur Kenntnis und bezeichnete sie mit Blick auf die bevorstehende Gemeinderatswahl am 4. Oktober, bei der es gelte, Wähler für die FPÖ zu gewinnen, die er offensichtlich nicht gewinnen könne, als »taktisch völlig legitim«. Allerdings, und hier zeichnete sich die kommende Bruchlinie ab, werde er an seiner »klaren und konsequenten Linie« in der Verkehrspolitik festhalten.304 Wer anstelle von Masopust als FPÖ-Spitzenkandidat präsentiert würde, blieb allerdings noch offen. Genannt wurden der Vorstand der Hypothekenbank Salzburg, Peter Köhler, dessen Vertrag in der Landesbank nicht mehr verlängert wurde, der Zahntechniker und Tontaubenschütze Günther Ebetshuber und der ehemalige Parteisekretär Eduard Mainoni. Eine andere Personalentscheidung war allerdings gefallen  : Generalsekretär Karl Schnell sollte Volker Winkler als Landesrat, Nationalratsabgeordneter Helmut Haigermoser als Landesparteiobmann folgen. Winkler verfügte in der Landesparteileitung der FPÖ über eine beachtliche Unterstützung, weshalb seine Ablöse nicht von vornherein als sicher galt. Erst eine Brandrede des Abgeordneten Robert Thaller gegen die Konsenspolitik Winklers brachte den Umschwung, zumal diese Attacke auch von der angereisten Spitze der Bundespartei – Jörg Haider, Gernot Rumpold und Walter Meischberger – unterstützt wurde. Winkler zog die Konsequenz und erklärte in einer 20-minütigen Unterredung mit der Spitze der Bundespartei seine Bereitschaft zum Rücktritt. Als zusätzliches Signal in Richtung eines bevorstehenden Strategiewechsels galt auch der erzwungene Rücktritt Johann Buchners von der Funktion des FPÖ-Klubobmanns der Landtagsfraktion. Doch das von Haider praktizierte handstreichartige Vorgehen zeigte nicht die erhoffte Wirkung. Die Rückreihung Masopusts an die dritte Stelle wurde in der Stadtpartei zunehmend kritisiert und der erhoffte und von Haider angekündigte attraktive Spitzenkandidat war nicht in Sicht. Am 11. Juli präsentierte Haider den politisch völlig unerfahrenen, jedoch attraktiven Sportschützen Günter Ebetshuber, der allerdings bereits eine Woche später aus geschäftlichen Gründen und aufgrund seines Wohnsitzes in Oberndorf von seiner Nominierung zurücktrat. Um das neuerliche Chaos so rasch wie möglich zu beenden, wählte der FPÖ-Bezirksparteivorstand den bisherigen Klubobmann im Gemeinderat, Siegfried Mitterdorfer, zum neuen Spit304 SN 24.6.1992. S. 13.

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zenkandidaten und erstellte eine neue Liste, auf der Masopust nicht mehr aufschien. Nachdem der so unsanft und statutenwidrig Eliminierte mit seinem Versuch, doch noch auf die FPÖ-Liste gesetzt zu werden und damit einen Vorzugsstimmenwahlkampf führen zu können, gescheitert war, entschloss er sich am 18. August, zusammen mit dem FPÖ-Schulsprecher und Lieferinger FPÖ-Obmann Albert Angerer, mit einer eigenen Liste zu kandidieren.305 Daraufhin forderte FPÖ-Bundesgeschäftsführer Gernot Rumpold in einem Schreiben an den Vorsitzenden des Parteigerichtes, Hermann Thurner, den Ausschluss Masopusts und Angerers aus der Partei. »Trotz intensiver Vorgespräche« sei es nicht gelungen, Masopust »davon zu überzeugen, dass er auf Grund seiner kantigen Verkehrspolitik nicht der geeignete Spitzenkandidat für den kommenden Wahlgang ist. Masopust habe in der Zwischenzeit zusammen mit Angerer eine eigene Liste gegründet, um die sich Bürgeraktivisten scharten.«306 Einen Monat nach Masopust gründete der 74-jährige Unternehmer Karl F. Koch, in deutlichem Gegensatz zu den »zutiefst rückschrittlichen Grünen« und als Protest gegen die von Masopust betriebene Verkehrspolitik die »Österreichische Autofahrer- und Bürgerinteressenpartei«, die sich vor allem ein Ende der Beschränkung des Individualverkehrs auf ihre Fahnen schrieb.307 Im Vorfeld der Gemeinderatswahl wurde die politische Landschaft zunehmend unübersichtlich, da sich neben den vier im Gemeinderat vertretenen Parteien – SPÖ, ÖVP, FPÖ, Bürgerliste – neun Parteien (KPÖ, GR/Die Grünen, ÖABP/Österreichische Autofahrer- und Bürgerinteressen-Partei, Stadtrat Dietrich Masopust – Parteiunabhängige Salzburger, ALW/ Aktion Bürgerprotest anti-masopust – Liste Kurt Weiß, DW/Die Weißen – Liste Dieter Wörndl, SBF/Salzburger Bürgerforum 2000, CWG/Christliche Wählergemeinschaft, LDW/Liste Direktwahl für Leute im Land) um Stimmen und Mandate bewarben. Die seit den Siebzigerjahren erfolgende Dekonzentration des traditionellen Parteiensystems, begleitet von zunehmender Politikverdrossenheit inklusive der Bereitschaft zur Protestwahl oder zur Wahlenthaltung, wurde vor allem in den Landeshauptstädten der westlichen und südlichen Bundesländer sichtbar, denen damit eine politische Seismografenfunktion für folgende landes-und bundespolitische Entwicklungen zukam.308 Hatte noch zu Jahresbeginn 1992 das Meinungsklima in der Stadt Salzburg durchschnittliche Werte signalisiert, so verschlechterte es sich bis zum Frühherbst dramatisch. Im September kam der Gmundner Meinungsfor305 Franz Schausberger  : Vom Mehrparteien- zum Vielparteiensystem. Die Gemeinderatswahlen in Salzburg 1992. – In  : ÖJP 1992. – Wien/München 1993. S. 303–339. S. 312ff. 306 SN 2.9.1992. S. 15. Von den Bürgeraktivisten waren u. a. gemeint Christian Gabl, Mitglied einer Initiative der Flughafenanrainer, Gerhard Stadlberger von der Verkehrsinitiative Parsch und Christine Gautsch von der Bürgerbewegung der Kaindl-Anrainer. 307 SN 18.9.1992. S. 15. 308 Für Salzburg Vgl. Dachs  : Parteien und Wahlen in Salzburg. – In  : Ders. (Hg.)  : Parteien und Wahlen in Österreichs Bundesländern 1945–1991. S. 289–344. S. 335ff.

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scher Erich Brunmayr in einer Erhebung über das Stimmungsbild in der Stadt zu dem Schluss, dass in einer österreichischen Stadt »das Image der Politik so schlecht ist wie in Salzburg.« 72 Prozent der befragten Stadt-Salzburger stimmten dem Satz zu, dass die wichtigsten Probleme der Landeshauptstadt nicht gelöst werden, für 65 Prozent fielen die meisten Entscheidungen »ziemlich planlos und willkürlich« und 63 Prozent vertraten die Meinung, dass in der Stadt »nichts weiter« gehe.309 Die politische Großwetterlage schien für die Bürgerliste günstig, betrieb sie doch seit ihrem Ausscheiden aus dem Stadtsenat 1987 eine Oppositionspolitik zwischen den Polen einer betont linken und einer pragmatisch-bewahrenden Gesellschaftsund Umweltpolitik, die sich in den Personen von Klubobmann Johann Padutsch und Herbert Fux manifestierten. Zudem gelang ihr eine erhebliche mediale Präsenz durch das Aufzeigen von Missständen. In Salzburg lebten von rund 30.000 Senioren circa 1000 in einem der fünf städtischen Altersheime, davon 250 in Pflegetrakten. Im März 1990 beschloss der Gemeinderat eine längst überfällige Heimreform mit dem Ziel, den Altersheimen den Anstaltscharakter zu nehmen. Als Ziel der Reform wurde die Umwandlung in Wohnstätten mit mehr Mitbestimmung der Bewohnerinnen und Bewohner sowohl im Wohn- wie im Pflegebereich genannt. Zentraler Ansatzpunkt war die sog. »Ganzheitspflege« in den Pflegetrakten, d. h. ein Abgehen von den bisher üblichen drei R – Reinlichkeit, Regelmäßigkeit, Ruhe – hin zu einer aktivierenden Rehabilitation. Als langfristiges Ziel wurde die Auflösung der Pflegetrakte durch eine 24-Stunden-Pflege im Wohntrakt definiert. Um diese ambitionierten Ziele zu erreichen, sollte der Personalstand erhöht und das Personal durch Schulungen weitergebildet werden. Ein Jahr nach dem Reformbeschluss wollte sich Bürgerliste-Gemeinderätin Elisabeth Moser über den Stand der Reform informieren und sprach mit dem Pflegepersonal und Heimbewohnern sowie Verwaltern und erhielt teilweise schockierende Antworten. Als sie die offensichtlichen Missstände sowohl dem Sozialausschuss wie auch dem Gemeinderat zur Kenntnis brachte, wurde sie der maßlosen Übertreibung und Verzeichnung der Situation bezichtigt. Daraufhin beschloss Moser, zu Jahresbeginn 1992 einen längeren persönlichen Lokalaugenschein durch ihre Mitarbeit in der Altenpflege im Altersheim Nonntal vorzunehmen. Die Erfahrung war ernüchternd. Obwohl das Pflegepersonal engagiert arbeitete und keinerlei hygienische Mängel zu beanstanden waren, fehlte aufgrund der zeitlichen und auch körperlichen Überforderung jede persönliche Zuwendung, bestanden in der Rehabilitation deutliche Defizite. Als die Erfahrungen Mosers bekannt wurden, entschloss sich Sozialstadträtin Veronika Garber, die Gerontologin Christiane Bahr mit einem Bericht über das Pensionistenheim Nonntal zu beauftragen. Bahrs Bericht enthielt eine Reihe erschütternder Zustände wie die Unterbringung in Sechsbettzimmern, in denen die Insassen 309 SN 11.9.1992. S. 15.

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vor den Augen aller gewaschen wurden, untaugliches Besteck und Geschirr, Sessel, die an Sperrmüll erinnerten, Toiletten am Gang und massive Risse in den Wänden, lieblose und ungeeignete Mahlzeiten usw. Moser warf der in Nachfolge von Gerhard Buchleitner für das Sozialressort verantwortlichen SPÖ-Stadträtin Veronika Garber eklatantes Versagen und Fahrlässigkeit in der Führung der städtischen Altersheime vor. Sie erhielt Unterstützung durch nunmehr auch in den Medien publizierte unwürdige Zustände sowie Beschwerden der Mitarbeiter und Bewohner. Angesichts des wachsenden politischen und medialen Drucks besuchte am 9. Februar 1992 Bürgermeister Harald Lettner in Vertretung der urlaubenden Sozialstadträtin das Pensionistenheim Nonntal und forderte bei einer Dienstversammlung die versammelten Schwestern und Pfleger auf, offen zu reden. Diese erklärten dem von Medienvertretern begleiteten Bürgermeister, was sie bereits zuvor zuständigen Beamten und der Stadträtin Garber mitgeteilt hatten. So bemerkte ein Hilfspfleger, dass die derzeitige Situation »untragbar« sei und er, wenn er alt sei, »nicht so gepflegt werden« möchte. Das Personal sei ständig überfordert und erhalte zudem seit drei Monaten nicht die Überstunden ausbezahlt.310 Als bekannt wurde, dass der Dienstvertrag einer kritischen Stationsleiterin im Pensionistenheim Nonntal nicht verlängert wurde, beantragten ÖVP, FPÖ und Bürgerliste eine Sondersitzung des Gemeinderates, den Rücktritt der ressortzuständigen Stadträtin und die Einsetzung eines – im Stadtrecht allerdings nicht vorgesehenen – Untersuchungsausschusses. Eine strafrechtliche Note bekam die Affäre noch durch das Bekanntwerden von Untersuchungen der Kriminalpolizei im Altenheim Nonntal, wo erhebliche Mengen von Arzneien verschwunden waren und der Untersuchungsakt nunmehr bei der Staatsanwaltschaft lag. Josef Schorn wies in einem Kommentar auf die politische Seite der Misere hin. »Es gibt keinerlei wirksame Kontrolle der Altenheimverwaltung. Es gibt Verwalter, deren Parteibuch den Weg zur Bestellung geebnet hat, aber kein Anforderungsprofil.«311 Die SPÖ geriet durch die genau recherchierten Vorwürfe Mosers in ihrer selbst zugeschriebenen und auch vom Großteil der Wähler als solche wahrgenommene Kernkompetenz in erhebliche Schwierigkeiten. Der von den übrigen Fraktionen geforderte Untersuchungsausschuss zu den Vorfällen in den städtischen Altersheimen wurde in einer von Tumulten geprägten Sondersitzung des Gemeinderates am 19. Februar von der absoluten Mehrheit der SPÖ abgelehnt, jedoch auf Antrag der FPÖ der Städtische Kontrollausschuss mit einer Untersuchung betraut. Der Antrag der Bürgerliste nach einem Fachbeirat zur Kontrolle der Heime scheiterte allerdings am Widerstand der SPÖ. Zudem prüfte die Sozialabteilung des Landes das Sozialamt der Stadt und kam zu dem Ergebnis, dass im städtischen Sozialamt ineffektiv gearbeitet und Steuermillio310 SN 10.2.1992. S.  311 Josef Schorn  : Der Wahlkampf und das Leid der Alten. – In  : SN 7.2.1992. S. 

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nen verschlampt wurden. Eine sichtlich gereizte Sozialstadträtin erwiderte auf diese Kritik, der Prüfbericht des Landes sei »oberflächlich, unvollständig und eine subjektive Darstellung des mit der Prüfung beauftragten Leiters des Sozialhilfereferats des Landes.« Garber goss mit dieser Erklärung jedoch nur Öl ins Feuer, denn der so direkt kritisierte Herbert Prucher, Parteifreund Garbers, erwiderte, diese Replik sei völlig unzutreffend. Es sei für die Prüfung sogar eigens ein Mitarbeiter des Sozialamtes abgestellt worden, der viele Akten und Computerauszüge nicht habe finden können. Nicht nur er, sondern fünf weitere Prüfer hätten die Missstände erhoben.312 Zu Beginn des Wahlkampfes eröffnete sich für die Bürgerliste ein zusätzliches Thema von erheblicher Aufmerksamkeit. Mitte März 1992 erklärte Johann Padutsch sichtlich erregt  : »Jeder spürt, was läuft in Salzburg, aber wir haben gesehen  : Es ist noch schlimmer als befürchtet.« Und Herbert Fux ergänzte  : »Salzburg hat Gesetze wie eine Bananenrepublik … ideal für Spekulanten … und das ist nicht möglich ohne Handlanger unter den Politikern und in den Ämtern  ! … Jeder macht sein Spiel und putzt sich ab  !«313 Anlass für diese Erklärungen bildeten spektakuläre und für Aufsehen sorgende Grundstücksgeschäfte im Andräviertel, die die Bürgerliste in einer Dokumentation aller seit dem Jahr 1989 behördlich erfassten Vorgänge publik machte. Die SPÖ-nahe »Wiener Städtische Versicherung« kaufte in diesem Zeitraum sieben Häuser aus dem Bereich der WEB-Bautreuhand-IMMO-Nachfolger um rund 850 Millionen Schilling. Der Kaufpreis war deshalb so hoch, weil sich diese Objekte durch mehrfache Weiterverkäufe an verwandte Verwertungsfirmen entsprechend verteuert hatten. Auch der Salzburger Immobilienverwerter »Centra Bau« investierte nach demselben Muster 137,6 Millionen Schilling im Andräviertel. Wenngleich die »Wiener Städtische« und die »Centra Bau« die Aussagen der Bürgerliste-Dokumentation als reines Wahlkampfgetöse abtaten, das nur, so Franz Modrian von der »Centra Bau«, ein Zeichen der »Uninformiertheit und Blödheit« der Bürgerliste sei, und für den Generaldirektor der »Wiener Städtischen«, Siegfried Sellitsch, auf der Nichtbeachtung der logischen Preissteigerungen infolge des Kaufs eines »fertigen Projekts« basierte,314 waren nicht nur die publizistischen, sondern auch die politischen Wellen erheblich. Bruno Oberläuter, politisch erfahrener Wohnbauexperte, bezeichnete die Vorgänge als »verantwortungslos«, weil durch diese letztlich nicht zu rechtfertigenden Preissteigerungen die Grundstückspreise steigen und damit der Wohnungsbau erheblich verteuert werde. Für die FPÖ forderte deren Klubobmann im Landtag, Johann Buchner, eine Prüfung der »Centra Bau« und der »Wiener Städtischen« durch die Finanzbehörden, sein ÖVP-Kollege Franz Schausberger bezeichnete es als »tatsächlich unerträglich«, dass die »Wiener Städtische« offensichtlich »ganze Stadtteile für völlig versicherungsfremde Zwecke« aufkaufe, weshalb 312 SN 1.2.1990. S. 15. 313 Kronen Zeitung 17.3.1992. 314 SN 18.3.1992. S. 15.

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die Stadt-SPÖ bei der Versicherung, in der ein ehemaliger SPÖ-Parteisekretär Direktor für Salzburg sei, darauf drängen müsse, solche Spekulationsgeschäfte zu unterlassen und die Bürgerliste erklärte in einer Protestaktion die Franz-Josef-Straße, den Sitz der »Wiener Städtischen«, zum »Spekulationsboulevard«.315 Um das politische Ziel der Bürgerliste, die Wiedererringung der 1987 verlorenen Stadtratsposition, zu erreichen, musste ein populärer Spitzenkandidat inklusive der mit ihm assoziierten pragmatisch-bürgerlichen Politik präsentiert werden. Nicht der den linken Flügel repräsentierende Klubobmann Johann Padutsch, sondern der im Streit mit der Bürgerliste immer wieder aus der Gemeinderatsfraktion ausgeschiedene und wieder zurückgekehrte Herbert Fux war für diese Rolle ausersehen. Dieser hatte noch immer seine spektakulären, von den Medien berichteten großen Auftritte wie gegen die Spekulationsgeschäfte im Andräviertel oder betrieb den Kampf gegen die nach wie vor oftmals sorglos erfolgenden Unterkellerungen von Altstadthäusern. Am 25. Oktober 1989 hatten die SPÖ-Abgeordneten Veichtbauer, Wahlhütter, Firlei und Stuchlik im Salzburger Landtag den Antrag für eine Novellierung des Salzburger Altstadterhaltungsgesetzes mit der Begründung eingebracht, dass sich »in letzter Zeit … die Fälle (mehren), in denen ohne Rücksicht auf den kulturhistorischen Wert der Salzburger Altstadt diese als bloßes Spekulationsobjekt betrachtet, charakteristische Bauten ausgehöhlt und wertvolle Bausubstanz zerstört wird. Diese Situation erfordert einen verstärkten gesetzlichen Schutz der Bausubstanz, eine Reform der Förderung durch den Altstadterhaltungsfonds und eine Verbesserung der Sanktionsmöglichkeiten.« Kern des Antrags bildete eine Modifikation von Artikel I des Salzburger Altstadterhaltungsgesetzes 1987, dessen § 3 Abs. 2 letzter Satz lauten sollte  : »Im Übrigen sind Änderungen an oder in charakteristischen Teilen nur insoweit zulässig, als sie oder die von ihnen erfassten Bauteile oder Einzelheiten des Baues einschließlich der Bauhöhe und Proportionen für das charakteristische Gepräge des Stadtbildes, das Stadtgefüge, die historisch wertvolle Baustruktur und Bausubstanz ohne Bedeutung sind und sie sich in die äußere Gestalt des charakteristischen Baues und in das Stadtbild und Stadtgefüge harmonisch einfügen.«316 Ende 1989 stimmten ÖVP und FPÖ im Landtag gegen die von der Bürgerliste unterstützte Gesetzesinitiative der SPÖ. Parallel zu dieser Initiative grub der Innungsmeister der Salzburger Baumeister, Peter Wagner, bei der Freilegung der historischen Stadtmauer unter dem sog. »Paracelsus-Haus« (Pfeifergasse 11) unter die Hausfundamente, um einen Betonkeller zur späteren wirtschaftlichen Nutzung zu schaffen. Dieses Vorgehen rief Herbert Fux auf den Plan, der die Behörden wegen des »Schwarzbaus« alarmierte. Die Baubehörde ordnete daraufhin eine »unbedingte 315 SN 19.3.1992. S.  316 Nr. 37 der Beilagen zum stenografischen Protokoll des Salzburger Landtages. 2. Session der 10. Gesetzgebungsperiode.

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Baueinstellung« an. Die Folgen der Grabungsarbeiten waren von Fux den Medien präsentiert worden – erhebliche Risse im Nachbarhaus, ein Vorgang, der sich bei der Unterkellerung des Hauses Getreidegasse 38 wiederholte. Im Oktober 1989 stellte ein Gutachten der Hochschule Darmstadt fest, dass Unterkellerungen und die damit notwendigen Unterfangungen zu den »schwierigsten und gefährlichsten Bauarbeiten« zählen, die eine sorgfältige Planung vor Baubeginn erforderten.317 Obwohl der Innungsausschuss des Baugewerbes seinen Meister Peter Wagner das Vertrauen aussprach, bezeichnete ihn Herbert Fux als »Rechtsbrecher« und auch der Leiter des Altstadtamtes, Raimund Ahr, zeigte sich über den Vertrauensbeweis sichtlich erstaunt, da der Innungsmeister nachweislich mehrfach und massiv gegen das Baupolizeigesetz im Altstadtschutzbereich verstoßen habe.318 Fux sollte aufgrund seiner Bekanntheit bei der Gemeinderatswahl 1992 nur als Galionsfigur fungieren, im Falle des erhofften Wahlerfolgs jedoch Johann Padutsch die Position des Stadtrats einnehmen. Diese Doppelstrategie entsprach durchaus der politischen Logik, konnte doch Fux, wie er selber betonte, aufgrund seiner zahlreichen Verpflichtungen diese Funktion nicht wahrnehmen. Mitte März 1992 erklärte er in einem »Salzburg-Krone«-Interview  : »Ich trete noch einmal an – diesmal als Spitzenkandidat  ! Es wird eine erbitterte Auseinandersetzung mit der Baumafia und ihren politischen Helfern. Wir haben die allerletzte Chance, die totale Vermarktung Salzburgs und die Vertreibung der Bevölkerung zu verhindern. Ich werde der Vertreter einer breiten bürgerlichen Bewegung im Gemeinderat sein.«319 Und Hans Peter Hasen­ öhrl bemerkte prophetisch, dass »in wenigen Monaten … die politische Landschaft Salzburgs grundlegend verändert« sein werde. »Bei der Wahl wird kein Stein auf dem anderen bleiben.« Der Chefredakteur der »Salzburg-Krone« gab auch eine Wahlprognose ab, die katastrophale Verluste der SPÖ, ein Absinken der ÖVP auf den letzten Platz, ein Erstarken der FPÖ und damit das Erlangen des Vizebürgermeisters »und die Verdoppelung des Mandatsstandes und den Stadtratsposten für die Fux-Bürgerliste« voraussagte.320 Zumindest was die Bürgerliste betraf, sollte er (beinahe) recht behalten. Für Fux als Spitzenkandidat sprach auch, dass er gegenüber Padutsch über die erheblich besseren Umfragewerte verfügte. Eine im Auftrag der »Salzburger Nachrichten« vom Institut für Grundlagenforschung (IGF) durchgeführte Umfrage sah in einer Notenskala von 1 (Sehr gut) bis 5 (Nicht genügend) Fux hinter Bürgermeister Lettner an zweiter Stelle, wobei er in der Gruppe der 30- bis 40-Jährigen deutlich bessere Werte erhielt als in jener der Über–50-Jährigen, und überholte in der Bekanntheit den amtierenden Bürgermeister sogar knapp. 317 SN 1.2.1990. S. 15. 318 SN 17.2.1990. S. 17. 319 Kronen Zeitung 15.3.1992. S. 18. 320 Hans Peter Hasenöhrl  : Kein Stein auf dem anderen … – In  : Kronen Zeitung 15.3.1992. S. 19.

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Zeugnisnoten der Spitzenpolitiker (-kandidaten)  :321 Kandidat

(Durchschnittliche) Note

Bürgermeister Harald Lettner

2,3

Gemeinderat Herbert Fux

2,6

Vizebürgermeister Josef Dechant

2,8

Stadtrat Dietrich Masopust

2,8

Gemeinderat Johann Padutsch

3,1

Bekanntheit der Spitzenkandidaten (in Prozent)  :322 Kandidat Herbert Fux

Bekanntheit 86

Harald Lettner

85

Diedrich Masopust

80

Josef Dechant

71

Trotz aller Erfolge der Bürgerinitiativen und der Bürgerliste gab es in der Stadt, wie viele Salzburger/innen wussten, noch viel zu tun, war die einmalige historische Altstadt, die nur 3,5 Prozent der verbauten Fläche ausmachte, noch keineswegs endgültig gerettet, ließ die Fußgängerzone noch viele Wünsche offen und war die ungehindert voranschreitende Verramschung, konzentriert in der Getreidegasse, unübersehbar. Horst Christoph und Sigrid Löffler sprachen mit einem Blick auf das sommerliche Salzburg des Jahres 1990 von einer »Potemkinschen Stadt«. Während in den Metropolen der Welt qualitativ hochwertige Waren um die Aufmerksamkeit der Käufer buhlen, winsle in der Salzburger Innenstadt, vor allem der Getreidegasse, zunehmend der Ramsch um Aufmerksamkeit. »Er steckt sich Gamsbärte in den Hut (›Tax free for tourists‹), er näht sich Hirschhornknöpfe auf jedes Baumwoll-Pfadl, er zwängt sich in Trachten-Bermudas, er will mit Plastikpelerinen, Billigschirmen und Salzburger Grillhandschuhen sein geschwindes Geschäft machen, er raschelt mit Gewürzsträußeln, er scheppert mit Zinnbechern und Kuhglocken. … Den Touristen … bietet sich … nichts als Junk-food, Grillwürsteln und Hot dogs im Stehimbiss, Fischstäbchen im Papierl und Klapp-Pizza über die Gasse, ein Gaucho-Teller als Schnellmenü. Verglichen damit schaut McDonald’s geradezu solide aus. Mit falschen Trachtenpärchen in falschem Barockrahmen gibt sich das Fleischlaberl321 SN 2.3.1992. S. 13. 322 Ebda.

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Etablissement ein Stilgepräge von falscher Gediegenheit – der Hamburger verkleidet als Salzburger.« Die Bausünden der Vergangenheit werden am »Thalhammer U« in der Getreidegasse, einem völlig entkernten Bürgerhauses mit Rolltreppen, augenfällig. Das »Thalhammer U« sei das Sinnbild eines »Potemkinschen Attrappenhauses« und damit ein Symptom für die aus der Vergangenheit in die Gegenwart reichenden Misere der Stadt. Es sei eine Stadt, »gekreuzigt von ihren Widersprüchen. (…) Sie wird beherrscht von einer Oligarchie aus (konservativem) Besitzbürgertum und (sozialistischer) Bürokratie – und verfügt seit Anfang der siebziger Jahre über eine der ersten und breitesten Bürgerprotestbewegungen Österreichs.«323 Deren bekannteste Persönlichkeit war Herbert Fux. Umfragewerte signalisierten, dass mit ihm als Spitzenkandidat die Bürgerliste neuerliche reüssieren und die von innerparteilichen Querelen erschütterte FPÖ auf den vierten Platz verweisen konnte. Am 28. Juli 1992 wollte der FPÖ-Politiker Eduard Mainoni unter Berufung auf die Zeitschrift »Wiener« über Telefax wissen, ob Herbert Fux in einem Pornofilm mit Kindern mitgewirkt habe. Fux sprach von einer im Vorfeld der Gemeinderatswahl inszenierten politischen Verschwörung gegen ihn. Er konnte sich nur an einen Klamaukfilm aus der Reihe »Lass jucken Kumpel« erinnern. Der Produzent des inkriminierten Films erklärte nach einem Anruf des Schauspielers, dass der 1974 produzierte Film zehn Jahre später in einer neuen Fassung mit hinzugefügten Pornoszenen auf den boomenden Videomarkt gekommen sei. Fux erwirkte eine Beschlagnahme der Zeitschrift »Wiener«, die jedoch nicht lückenlos erfolgte, wodurch er sich in seiner Annahme bestätigt sah, dass es sich bei dem ganzen Vorgang um eine gezielte Diffamierung seiner Person handle.324 Am 14. August schilderte er in einem in den »Salzburger Nachrichten« geschalteten Inserat »die Fakten«. Der FPÖ sei die nachhaltige Veränderung des 1974 gedrehten Films bekannt. Sie agiere trotzdem mit einer »Schmutzkübelkampagne« gegen ihn, »offensichtlich aus Angst vor einer politischen Niederlage. … Ein Hohn für den denkenden Wähler. Es soll der bürgerliche Tod des politischen Gegners herbeigeführt werden, egal mit welchen Mitteln.«325 Die Kampagne hatte damit jedoch noch nicht ihr Ende gefunden. In der Nacht zum 2. September wurden Wahlplakate der Bürgerliste und Wände in Lehen mit Flugblättern überklebt, die Fux in Szenen aus dem umstrittenen Film »Lass jucken Kumpel, Teil V« zeigten. Johann Padutsch reagierte auf diese Aktion mit der Bemerkung, dass mit diesen Flugblättern »die erfolgreiche Bürger-Politik des Herbert Fux schlechtgemacht werden« soll.326 In einem Interview mit der Zeitschrift »Basta« 323 Horst Christoph, Sigrid Löffler  : Die potemkinsche Stadt. – In  : Profil Nr. 31. 30.7.1990. S. 68–73. S. 68f. 324 SN 4.8.1992. S. 13. 325 SN 14.8.1992. S. 30. 326 SN 3.9.1992. S. 17.

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erklärte Herbert Fux über das Motiv seines nochmaligen Kandidierens und der von der FPÖ gegen ihn inszenierten Kampagne  : »Eigentlich wollte ich mich aus dem politischen Geschehen zurückziehen. Ich habe auch lange mit mir gekämpft. Meine Frau hat mir hunderte Male gesagt, mach’ das nicht mehr. Und dann war es so, dass die Umfragen ergeben haben, wenn ich kandidiere, dann kriegen wir 5 bis 6 Prozent mehr Stimmen. Und da hab ich mir gedacht, jetzt hab ich mich schon so lange geplagt in Salzburg, warum sollte ich also nicht das Gewicht meiner Person in die Waagschale werfen. Aber ich hab schon ein schlechtes Gefühl gehabt. Die Steigerung auf 20 Prozent. Das nehmen die nicht einfach so zur Kenntnis. Dass ein Bürgerlistler Vizebürgermeister wird, das darf in Österreich nicht passieren. Außerdem ist damit die FPÖ an dritte Stelle gereiht. Ein Grauen, dass die sich zu so einer Geschichte haben hinreißen lassen. Und sie haben es nicht einmal geschickt gemacht, diese Rattler.«327 Zu diesem Zeitpunkt lief der Wahlkampf der Bürgerliste bereits auf vollen Touren und kreiste um die Themen Ausverkauf und Vermarktung der Stadt, Kampf gegen die Einheitspartei von SPÖ, ÖVP und FPÖ sowie die von diesen beherrschte Baumafia und deren Ablehnung der Reduzierung des Verkehrs, wobei sie vor unorthodoxen, realitätsfremden und sicher nicht mehrheitsfähigen Vorschlägen nicht zurückscheute. So erklärte im Jänner 1992 der Bürgerliste-Gemeinderat Eckhard Schaller, seine Fraktion werde bei der nächsten Sitzung des Gemeinderates beantragen, alle Stadtbrücken zwischen 22.00 Uhr und 5.00 Uhr für den Individualverkehr zu sperren. Alle bisherigen Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung wären nämlich zu wenig wirksam. »Es muss eine Maßnahme gesetzt werden, die den Autofahrer tatsächlich zu einer Änderung seiner Gewohnheiten zwingt.« Und um die nach wie vor gegebene Pendlerproblematik zu entschärfen, forderte Christian Burtscher, »dass die öffentliche Hand in der Stadt Salzburg und in einem Umkreis von 20 km keine Betriebsansiedlungen mehr fördert.« Stattdessen sollten Betriebsansiedlungen in den Gebirgsgauen gefördert werden, um in diesen die touristische Monokultur zu beseitigen.328 Trotz dieser nicht mehrheitsfähigen Vorschläge im Vorfeld des beginnenden Gemeinderatswahlkampfes standen vor allem nach der Nominierung von Herbert Fux zum Spitzenkandidaten die Chancen für die Bürgerliste, ihr Wahlziel, den Wiedereinzug in den Stadtsenat zu schaffen, günstig. Am 12. Juni 1992 erklärten Herbert Fux und Johann Padutsch in einer Pressekonferenz anlässlich des offiziellen Wahlkampfauftakts, der Kampf der Bürgerliste gelte vor allem der Verhinderung einer totalen Vermarktung der Stadt, von Großprojekten und der Sicherung der Lebensqualität durch die Erstellung von Bebauungsdichte-Plänen. Sieben Mandate seien realistisch, acht möglich und neun wünschenswert.329 327 Basta September 1992. S. 34. 328 SN 24.1.1992. S. 13. 329 SN 13.6.1992. S. 13.

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1989 – Eine folgenschwere Zäsur

In ihrem vor allem mittels Inseraten geführten Wahlkampf bediente sie sich eines äußerst aggressiven verbalen Stils und bemühte »Kampfparolen, wie ›unverschämte Falschmeldung‹, ›üble Methoden‹, ›Machenschaften der milliardenschweren Spekulanten und Stadtzerstörer‹«, redete »von ›Dauerschlaf‹, vom ›Interessensumpf‹, der ›Salzburger Baumafia‹, von ›hemmungsloser Bauspekulation und Planungswillkür‹, von ›vergifteter Atemluft‹, von ›unfasslicher Vergeudung‹ und ›unverschämter Zumutung‹. Die Liste der Neubildungen aber reicht vom ›Verkehrsterror‹ über die ›Stadtgärtner‹ – zu denen man die ›Böcke‹ gemacht hat – und das geklitterte Adjektiv ›parteispendenfreudig‹ bis zum ›U-Bahn-Lettner‹.« Wer mit der Sprache Aufmerksamkeit erwecken will, so Oswald Panagl in einer Analyse der verbalen Strategien im Salzburger Gemeinderatswahlkampf 1992, »muss das Aschenputtelkostüm ablegen und sollte auch nicht im schlichten Werktagsgewand daherkommen. Nach den Schreibregeln der Werbebranche ist bunte, ja grelle Kleidung angesagt, die den reizanfälligen potenziellen Adressaten zur Aufmerksamkeit zwingt. … Der zur Übertreibung neigende, auf Superlative ausgerichtete Stil der Reklamesprache – viel gescholten, doch offenbar unvermeidlich – durchzieht auch unverkennbar das Idiom der Wahlpropaganda.« Im verbalen »Übertreibungsstil« des Wahlkampfes tat sich besonders die Bürgerliste mit »übersteigerten Attributen und Wortteilen« und einem aggressiven Tonfall hervor  : »›unbezahlbare‹ Preise, ›explodierende‹ Wohnungskosten, ›hemmungslose‹ Bauspekulation, ›unfassliche‹ Vergeudung, ›beispiellos und eine Schande‹, ›unsinniges Guggenheim-Projekt‹, ›milliardenschwere Spekulanten‹, ›Milliardengewinne‹ usw.« Und die Bürgerliste bediente sich, ähnlich wie die politische Konkurrenz, der Wiederholung in einem Dreiertakt, »wie er etwa aus liturgischen Gründen auch die Sakralsprache auszeichnet.« Die magische Dreizahl diente zur Verstärkung der politischen Botschaft. So formulierte sie als Kampfparole gegen die behauptete Untätigkeit der traditionellen Parteien im Baudichteplan der Stadt  : »Lettner schweigt  ! Dechant schweigt  ! Masopust schweigt  !«330 Der 4. Oktober 1992 bedeutete selbst für die an erhebliche Verschiebungen gewöhnte Stadt Salzburg ein politisches Erdbeben. Die rapide voranschreitende Dekonzentration des traditionellen Parteiensystems, die Auflösung der ideologisch geprägten lebensweltlichen Milieus und der mit diesen verbundenen Lagerbindungen einerseits und die Bereitschaft zum politischen Protest oder zur Wahlenthaltung manifestierten sich in der Kandidatur von 13 Parteien, von denen sechs den Einzug in den Gemeinderat schafften, sowie einer im Vergleich zu den übrigen Landeshauptstädten einmalig hohen Wahlenthaltung. Neben diesen Faktoren zeichnete sich das Wahlergebnis durch ein Waterloo für die seit 1987 mit absoluter Mehrheit regierende SPÖ, leichte Verluste für die FPÖ, leichte Gewinne für die ÖVP und 330 Oswald Panagl  : Im Westen nichts Neues  ? Verbale Strategien im Salzburger Stadtwahlkampf 1992. – In  : SJP 1993. – Salzburg/Wien 1993. S. 42–47. S. 45f.

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Unerwartete Ergebnisse und Konstellationen

deutliche Gewinne für die Bürgerliste aus, die ihr Wahlziel, die Wiedererringung eines Stadtratssitzes erreichte. Die Bürgerliste hatte allen Grund zum Feiern, und sie feierte ausgelassen im Lokal »Shakespeare« in Sichtweite des Schlosses Mirabell, während die ÖVP, der noch einige Monate vor der Wahl das Absacken an die letzte Stelle prophezeit worden war, jenseits der Salzach im »Sternbräu« feierte. Unabhängig von Feierlaune oder Niedergeschlagenheit, an diesem Wahlabend war klar, dass die politischen Karten durch die signifikant hohe Mobilität der Wählerschaft sowie die neuerlich dramatisch gesunkene Wahlbeteiligung – die Nichtwähler bildeten mit 44,8 Prozent die weitaus stärkste (imaginäre) Partei – völlig neu gemischt worden waren und sie sollten durch die folgenden turbulenten Ereignisse nochmals neu gemischt werden. Hans Peter Hasenöhrl kommentierte den überraschenden Wahlausgang mit der Bemerkung, die Stadt sei mit diesem de facto unregierbar geworden. »Wer hingeht, der entscheidet – auch in der Hauptstadt der Nichtwähler ist das so. 55 Prozent der Wahlberechtigten sorgten an diesem wolkenverhangenen Sonntag für den größten politischen Erdrutsch in der Geschichte Salzburgs. Sie haben die Stadt praktisch unregierbar gemacht. Bei dieser Mandatskonstellation kann man sich vorstellen, was sich im Gemeinderat abspielen wird.« Und Herbert Fux ziehe immer noch. Mit ihren nunmehr sieben Mandaten gehe ohne die Bürgerliste nichts mehr.331 Wahlergebnis der Gemeinderatswahl vom 4. Oktober 1992 in Vergleich zur Gemeinderatswahl am 4. Oktober 1987  :332 Jahr 1987

1992

Stimmen

Prozent

Mandate

SPÖ

Partei

30.123

49,3

21

ÖVP

13.816

22,6

9

FPÖ

9215

15,1

6

BL

6197

10,2

4

SPÖ

15.101

28,0

12

ÖVP

13.345

24,8

11

FPÖ

7791

14,5

6

BL

8887

16,5

7

ÖABP

3136

5,8

2

Liste Masopust

2835

5,3

2

331 Hans Peter Hasenöhrl  : Unregierbar. – In  : Kronen Zeitung 5.10.1992. S. 13. 332 Herbert Dachs  : »Politiker-Politik« in der Falle  ? Bemerkungen zur Gemeinderatswahl in der Stadt Salzburg 1992. – In  : SJP 1993. S. 27–41. S. 28.

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1989 – Eine folgenschwere Zäsur

Die Wahlbeteiligung sank zwischen 1982 und 1992 von 71,5 Prozent auf 55,2 Prozent, eine im Vergleich zu den übrigen Landeshauptstädten singuläre Quote. In den übrigen Landeshauptstädten schwankte die Wahlbeteiligung zwischen 89,2 Prozent (Bregenz) und 65,4 Prozent (Wien).333 Dabei ergaben sich signifikante altersspezifische Unterschiede. Betrug die Wahlenthaltung bei der Gruppe der Jungwähler 64,5 Prozent und bei jener der 20- bis 29-Jährigen 61,5 Prozent, so sank sie bei den Alterskohorten über 60 Jahre auf 31,3 Prozent. Doch auch dieser relativ geringe Wert bedeutete im Vergleich zur Gemeinderatswahl 1982 (16,8 Prozent) eine Steigerung um fast das Doppelte.334 Unter Berücksichtigung der hohen Wahlenthaltung sank der politische Vertretungsanspruch der Parteien deutlich. Bezogen auf die Gesamtzahl der Wahlberechtigten erreichten die nunmehr im Gemeinderat vertretenen sechs Parteien erheblich geringere Prozentwerte. Hatte man 1982 zur Erreichung eines Gemeinderatsmandats 1658 Stimmen benötigt, so reichten zehn Jahre später 1213. Dieser Umstand erklärt auch den Einzug der neuen Splitterparteien ÖABP und Liste Masopust in den Gemeinderat. Anteil der abgegebenen gültigen Stimmen bezogen auf die Gesamtheit der Wahlberechtigten in Prozent bei der Gemeinderatswahl am 4. Oktober 1992  :335 Partei

Prozent

SPÖ

15,0

ÖVP

13,2

FPÖ

7,7

BL

8,8

ÖABP

3,1

Liste Masopust

2,8

Der Erfolg der Bürgerliste basierte auf einer hohen Wiederwahlquote von 52 Prozent und – mit Ausnahme der ÖVP – einer positiven Wanderungsbilanz von der SPÖ und FPÖ, Gewinnen aus dem Lager der Nicht- und Jung-Wähler, denen geringere Verluste an die neu kandidierenden Listen gegenüberstanden.

333 Dachs  : »Politiker-Politik« in der Falle  ? S. 31. 334 Ebda. S. 35. 335 Ebda. S. 28.

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Unerwartete Ergebnisse und Konstellationen

Wählergruppierungen der Bürgerliste bei der Gemeinderatswahl vom 4. Oktober 1992 im Vergleich zur Gemeinderatswahl vom 4. Oktober 1987 (in Prozent)  :336 Gewinne Wiederwahlquote

Verluste

52

SPÖ

8

ÖVP

4

5

FPÖ

3

3

Sonstige Listen

5

12

Jungwähler

9

Nicht-Wähler

6

»Zufrieden können nur die Grünen sein«, kommentierte Manfred Perterer den Wahlausgang. »Ihre konsequente Oppositionspolitik der vergangenen fünf Jahre hat sich offenbar bezahlt gemacht. Die Tatsache, dass sie mit Herbert Fux einen Spitzenkandidaten ins Rennen schickten, der ganz offen zugab, er werde nach der Wahl nicht für eine Funktion in der Stadtregierung zur Verfügung stehen, hat die Wähler offenbar nicht gestört.«337 Relativ zufrieden konnte jedoch auch die ÖVP sein, die bei nur geringfügigen Stimmenverlusten ihren Mandatsstand von 9 auf 11 zu erhöhen vermochte und in sieben Wahlbezirken die relative Mehrheit errang (1987 nur in einem Bezirk). Sie wurde bei der Gruppe der Jungwähler mit 12 Prozent deutlich stärkste Partei und gewann, ebenso wie die Bürgerliste, 6 Prozent aus dem Lager der Nicht-Wähler. Die Partei lag aufgrund der massiven Verluste der SPÖ nur mehr ein Mandat hinter der bisherigen Bürgermeister-Partei und konnte gestärkt und entsprechend selbstbewusst in die folgenden turbulenten Regierungsverhandlungen eintreten. Obwohl die SPÖ mit dem Verlust von mehr als 21 Prozent und 9 Mandaten ein Debakel erlebte, demonstrierte sie zunächst nach außen Geschlossenheit und bekundete dem schwer geschlagenen Bürgermeister Harald Lettner ihre volle Solidarität. Politische Gewissenserforschung inklusive sofortiger personeller Konsequenzen schienen zunächst (noch) nicht angebracht. Die SPÖ praktizierte – durchaus verständlich – das in der Vergangenheit bewährte Muster der Geschlossenheit und Wagenburgmentalität. Sie stand in der Selbst- und öffentlichen Wahrnehmung für Disziplin, zumindest nach außen. Und die gewohnte Regie schien angesichts der

336 IGF-Wählerstromanalyse. Zit. bei Schausberger   : Vom Mehrparteien- und Vielparteiensystem. S. 332f. 337 Manfred Perterer  : Zufrieden können nur die Grünen sein. – In  : SN 5.10.1992. S. 1.

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1989 – Eine folgenschwere Zäsur

eingetretenen »Schockstarre«338 ein probates Mittel, um nach einer Phase der Verunsicherung und Desorientierung wiederum Boden unter den schwankenden Füßen zu bekommen. Der Landesparteivorstand hielt an dem erfolglosen Bürgermeister fest und sprach ihm nicht nur das Vertrauen aus, sondern erklärte zudem, er könne sich sein zukünftiges Regierungsteam aussuchen. Der so Gestärkte trat daraufhin vor die Presse und erklärte, er wolle Bürgermeister bleiben und nicht beim ersten politischen Unwetter davonlaufen. Doch nicht nur der so oft zitierte Lauf der Zeit war weitergezogen, sondern auch die einst so hoch gelobte innerparteiliche Disziplin ließ zu wünschen übrig. Denn die Stadt-SPÖ war nicht der monolithische Block, als den sie sich so gerne nach außen verkaufte, sondern schon seit Längerem von heftigen innerparteilichen Gegensätzen zwischen den von der Gewerkschaft und der Arbeiterkammer unterstützten Pragmatikern der Macht und stärker an linken ideologischen Positionen Orientierten um Herbert Fartacek, Erich Peyerl, Gertrude Schönauer und Christa Schlager gekennzeichnet. Fartacek, ehemaliger Hauptschullehrer, der durch ein Pädagogikstudium zum Professor an der Pädagogischen Akademie avanciert war, galt seit seinem Wechsel in die Kommunalpolitik als – wenn auch umstrittene – Zukunftshoffnung der SPÖ. Nach dem Rücktritt von Josef Reschen wurde er Vizebürgermeister und Stadtrat für Finanzen und Kultur und galt als »graue Eminenz« der SPÖ-Stadtpolitik, die allerdings aufgrund ihres Eintretens für Randgruppen, alternative Kulturszenen sowie umstrittene Aktionen wie z. B. die Auftürmung von Einkaufswagen vor dem Mozartdenkmal anlässlich des Mozart-Jahres 1991 auf zunehmenden medialen und innerparteilichen Widerstand stieß. Vom politisch irrelevanten politischen Biotop der linken alternativen Kulturszene und manchem linksliberalen bürgerlichen Feuilleton gelobt, stieß diese Politik auf zunehmende Ablehnung immer breiterer Kreise der Bevölkerung, die zudem von der »Kronen Zeitung« kampagnisiert wurde. Die in einer ersten SPÖ-internen Analyse der Wahlniederlage erhobene Behauptung, die Niederlage sei zu einem erheblichen Teil einer völlig verfehlten linken »Randgruppenpolitik« Fartaceks zuzuschreiben, traf daher durchaus eine der Kernursachen der Niederlage, auch wenn sich Fartacek der demonstrativen Unterstützung von großen Teilen des Kulturestablishments erfreute. Dieser sah dies allerdings völlig anders und verortete den Grund der Niederlage in dem durch den Pragmatismus der Macht verursachten zunehmenden Verlust an ideologischem Profil. Waren diese innerparteilichen Differenzen vor der Gemeinderatswahl vor der Öffentlichkeit noch weitgehend abgeschirmt worden, so brachen sie nun in umso stärkerer Intensität aus. Das Problem der SPÖ bestand darin, dass Parteiobmann Gerhard Buchleitner in einer Art konditioniertem Agieren den Schutzschild vor Harald Lettner aufbaute, 338 Robert Hoffmann  : »Stadt und Land, Hand in Hand  ?« Zum Verhältnis von Stadt und Land Salzburg. – In  : Dachs, Dirninger, Floimair (Hg.)  : Übergänge und Veränderungen. S. 179–220. S. 189.

Unerwartete Ergebnisse und Konstellationen

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anstatt auf seinen sofortigen Rücktritt zu drängen. Damit begab er sich der personellen Alternativen zu einem Bürgermeister, der unter den gegebenen Bedingungen kaum oder gar nicht mehr zu halten war. Dies war auch manchen SPÖ-Funktionären klar. So erklärte der Flachgauer Parteiobmann, Landtagsabgeordneter Johann Holzleitner, in Richtung Lettner, er würde »nach so einer Niederlage gehen«.339 Herbert Fartacek war aufgrund seiner deutlichen innerparteilichen und öffentlichen Punzierung keine Alternative, da nicht mehrheitsfähig. In dieser Situation bestand nur die Möglichkeit der Präsentation einer »unbelasteten« Persönlichkeit, um die Chance auf den Bürgermeistersessel zu wahren. Durch diese Tür aber ging Buchleitner unmittelbar nach der Wahl nicht, sondern erst zu einem Zeitpunkt, als es zu spät und die Würfel bereits in eine andere Richtung gefallen waren. Die politischen Mitbewerber bekamen dadurch ungeahnte Chancen, die sie auch zu nutzen gewillt waren. ÖVP, FPÖ und Bürgerliste gingen nach der Wahl auf Distanz zu Harald Lettner. Für die ÖVP stellte Klubobmann Erwin Klemm Harald Lettner »als künftigen Bürgermeister ernsthaft in Frage«, Eduard Mainoni ließ wissen, die FPÖ sei schon »immer dagegen« gewesen, »von vornherein den Kandidaten der stimmenstärksten Partei zum Bürgermeister zu wählen« und Johann Padutsch erklärte für die Bürgerliste, er sehe »derzeit keinen Kandidaten für das Bürgermeisteramt«.340 Während die politischen Konkurrenten die bisher übliche automatische Wahl des Spitzenkandidaten der mandatsstärksten Partei infrage stellten, begann in der SPÖ ein an Heftigkeit zunehmender Machtkampf. Die aufgrund der Vorwürfe der Bürgerliste-Gemeinderätin Moser in Misskredit geratene Stadträtin Veronika Garber zog die politische Konsequenzen aus dem Wahldesaster und trat ebenso zurück wie Klubobmann Peter Schattauer. Dies sollte sich jedoch in der Dramatik des innerparteilichen Kräftespiels nur als Nebenerscheinung erweisen, denn die Frontlinie verlief zwischen Lettner und Fartacek als Personifikationen völlig unterschiedlicher ideologischer Positionen. Die Pragmatiker, unterstützt von ÖGB und AK, drängten auf ein völliges Ausscheiden von Fartacek aus dem dramatisch geschrumpften Gemeinderatsklub. Dieser sollte in seinen bürgerlichen Beruf an die Pädagogische Akademie zurückkehren, zumal man in ihm den Hauptverantwortlichen für diesen Schrumpfungsprozess sah. Doch Fartacek erklärte, nicht auf sein Mandat verzichten zu wollen. Damit zeichnete sich ein Machtkampf auf offener Bühne ab, da Harald Lettner in Abstimmung mit der FSG und der AK erklärte, Fartacek nicht für den freien SPÖ-Stadtratsposten nominieren zu wollen. Stattdessen präsentierte er in Abstimmung mit der FSG und AK dem Stadtparteivorstand am 12. Oktober den Postbeamten Josef Huber als Kandidaten für die Position des Stadtrats und Fred Kendlbacher für jene des Klubobmanns. Wenngleich diese Vorschläge mit 13   : 5 339 SN 9.10.1992. S. 27. 340 SN 8.10.1992. S. 21.

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bzw. 12   : 5 eine Mehrheit fanden, so wurden damit die schließlich bestimmenden Bruchlinien – Mehrheit gegen Fartacek-Fraktion – deutlich. Fartacek kritisierte das Ergebnis der Sitzung des Stadtparteivorstandes mit der Bemerkung, es seien ohne genaue Analysen des Wahlergebnisses und der Schwerpunkte der künftigen Politik nur neue Köpfe bestellt worden. Am 14. Oktober veröffentlichte Fartacek eine von ihm in Auftrag gegebene Meinungsumfrage des Instituts Brunmayr zu Gründen der Wahlniederlage der SPÖ. Auf die Frage, ob Harald Lettner weiterhin Bürgermeister bleiben oder die SPÖ eine andere Persönlichkeit für diese Funktion nominieren sollte, erklärten 52 Prozent, dass eine neue Persönlichkeit nominiert werden sollte.341 Angesichts der in der SPÖ auf offener Bühne ausgebrochenen Differenzen begannen sich die Parameter auf dem politischen Schachbrett zu ändern. Die ÖVP sprach sich offiziell gegen die Wahl Lettners zum Bürgermeister aus und Josef Dechant erklärte am 22. Oktober, er selber schließe angesichts der geänderten Umstände eine Kandidatur für diese Funktion nicht mehr aus, wenn die SPÖ als stimmenstärkste Partei nicht in der Lage sei, einen mehrheitsfähigen Kandidaten zu präsentieren.342 Wenige Tage später unterbreitete die FPÖ der ÖVP das Angebot, Dechant zum Bürgermeister zu wählen. Doch mit den Stimmen der FPÖ war die für die Wahl des Bürgermeisters erforderliche absolute Mehrheit von 21 Stimmen nicht erreichbar, weshalb die ÖVP zurückhaltend agierte. Für die erforderliche absolute Mehrheit wäre die Unterstützung der Bürgerliste notwendig gewesen, die jedoch unter indirektem Hinweis auf ihre Gegnerschaft zur FPÖ wissen ließ, dass die Unterstützung einer solchen Koalition für sie nicht vorstellbar sei. Klubobmann Erwin Klemm erklärte unter Bezugnahme auf dieses Angebot, die ÖVP akzeptiere nach wie vor das Recht der stimmenstärksten Fraktion, den Bürgermeister vorzuschlagen. Die SPÖ müsse aber auch zur Kenntnis nehmen, dass Harald Lettner »nicht gewählt wird«.343 In dem vor allem von ÖVP-Klubobmann Erwin Klemm orchestrierten subtilen politischen Spiel schien die Entscheidung letztlich doch zugunsten von Harald Lettner zu fallen, als sich die Bürgerliste nach fünfstündigen Beratungen in der Nacht vom 2. auf den 3. November entschloss, ein Arbeitsübereinkommen mit der SPÖ anzustreben. Da die Liste Masopust ebenfalls bereits ihre Unterstützung zugesagt und die ÖABP erklärt hatte, sie werde demjenigen ihre Stimme geben, der ihr die meisten Zugeständnisse mache, sah Lettner Licht am Ende des Tunnels und gab sich sicher, bei einer geheimen Wahl am 25. November die notwendige absolute Mehrheit der Stimmen, also auch jene der parteiinternen Kritiker um Fartacek, zu erhalten. Den überraschenden Entschluss der Bürgerliste erklärte der designierte Vizebürgermeister Johann Padutsch mit einer »drohenden Einbindung der FPÖ in einem Pakt 341 SN 15.10.1992. S. 21. 342 SN 23.10.1992. S. 19. 343 SN 3.11.1992. S. 13.

Unerwartete Ergebnisse und Konstellationen

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mit der ÖVP«. Man habe daher die bisherige Haltung geändert. »Die Bürgerliste hat die Tür zur SPÖ, die sie wegen Harald Lettner zugemacht hat, wieder geöffnet, obwohl Lettner noch da ist.« Auf die Frage, ob damit Lettner mit den Stimmen der Bürgerliste rechnen könne, kam die Antwort, er könne »das nicht ausschließen«, obwohl es in der Bürgerliste keinen Klubzwang gebe, um mit dem kryptischen Satz zu schließen  : »Aber derzeit kann Lettner damit nicht rechnen.«344 Mit dieser Entscheidung hatte jedoch die Parteiführung die Rechnung ohne den Wirt, sprich die Basis, gemacht, die sich umgehend in Form von rund 400 überwiegend negativen Anrufen zu Wort meldete. Diese massive Kritik ließ Johann Padutsch und Klubobmann Helmut Hüttinger eiligst zurückrudern, die am 4. November bekannt gaben, die Wahl von Harald Lettner zum Bürgermeister sei »fast undenkbar«. Stattdessen plädierten sie für eine »Koalition der Vernunft« aus SPÖ, ÖVP und Bürgerliste.345 Damit waren die Würfel gegen eine Wahl Lettners endgültig gefallen. Am 5. November platzten die Parteienverhandlungen, als sich ÖVP, FPÖ und Bürgerliste gegen ihn als Bürgermeister aussprachen. In dieser Situation ergriff die ÖVP im Wissen um die Spannungen innerhalb der SPÖ äußerst geschickt die Initiative, indem Josef Dechant erklärte, die SPÖ müsse bis spätestens 11. November einen neuen Kandidaten präsentieren. Sollte dies bis dahin nicht der Fall sein, fühle sich seine Partei nicht mehr an das Vorschlagsrecht der stimmenstärksten Partei gebunden und werde in Verhandlungen mit den anderen Parteien versuchen, ein Arbeitsprogramm zu erarbeiten. Angesichts dieser Entwicklung begann Lettner zu resignieren, sprach von einem »vordergründigen Spiel«, das man zur Kenntnis nehmen müsse. Er werde mit der Partei darüber reden, ob seine Nominierung als Bürgermeisterkandidat nach wie vor aufrecht bleibe.346 In der SPÖ wurde nunmehr ein vorsichtiger Kurswechsel deutlich, als der stellvertretende Landesobmann Othmar Raus erklärte, die SPÖ strebe nach wie vor die Position des Bürgermeisters an, jedoch auf die Frage, ob dies auch für den Fall gelte, dass Lettner nicht mehrheitsfähig sei, antwortete  : »Lettner ist nicht die SPÖ.«347 Eine endgültige Entscheidung sollte in einer Sitzung des SPÖ-Bezirksausschusses am 10. November fallen. Am Tag vor der Sitzung ergab sich völlig überraschend eine neue Situation, als Johann Padutsch erklärte, die Bürgerliste wäre bereit, den von Harald Lettner entmachteten Herbert Fartacek zum Bürgermeister zu wählen. Da die ÖVP erklärt hatte, das Vorschlagsrecht der stimmenstärksten Partei bis 11. November anzuerkennen, konnte Padutsch durchaus zu Recht feststellen  : »Wenn die SPÖ Fartacek aufstellt, ist er Bürgermeister.«348 Auch wenn ihn die ÖVP nicht 344 SN 4.11.1992. S. 13. 345 SN 5.11.1992. S. 17. 346 SN 7.11.1992. S. 23. 347 SN 9.11.1992. S. 13. 348 SN 10.11.1992. S. 15.

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1989 – Eine folgenschwere Zäsur

wählte, hätte Fartacek mit der Unterstützung von SPÖ, Bürgerliste und Liste Masopust über 21 der 40 Mandate und damit über die für die Wahl zum Bürgermeister erforderliche absolute Mehrheit verfügt. Angesichts dieses Vorstoßes der Bürgerliste hielten sich jedoch sowohl Herbert Fartacek wie auch der als Alternativkandidat ins Gespräch gekommene Pressesprecher der Arbeiterkammer, Heinz Schaden, bedeckt. Schaden schien an der 25. Stelle der SPÖListe auf und für eine Kandidatur hätten zahlreiche vor ihm gereihte Kandidatinnen und Kandidaten eine Verzichtserklärung abgeben müssen. Zwei – Heinrich Salfenauer und Gertrude Fabris, die die Listenplätze 17 und 22 einnahmen – verweigerten jedoch diesen Schritt und verhinderten damit das notwendige Vorrücken Schadens. In der mit Spannung erwarteten Sitzung des Bezirksausschusses am 10. November im Karl-Emminger-Haus in Itzling erklärte sich Harald Lettner bereit, zugunsten von Heinz Schaden auf seine Nominierung zum Bürgermeister zu verzichten. Da jedoch Salfenauer und Fabris sich nach wie vor weigerten, eine Verzichtserklärung zu unterschreiben, und Herbert Fartacek nicht mehrheitsfähig war, trat die Situation ein, dass Harald Lettner sich selber als Bürgermeister-Kandidat folgte, mit entsprechend geringen Wahlaussichten. Landesparteiobmann Gerhard Buchleitner ließ seinem Ärger über das Verhalten von Salfenauer und Fabris freien Lauf, die allerdings von der Frauenchefin und Klubobfrau der Landtagsfraktion, Ricky Veichtbauer, Rückendeckung erhielten. Diese wies ausdrücklich darauf hin, dass die Kandidatenliste für die Gemeinderatswahl demokratisch erstellt worden sei und es müsse daher die Frage erlaubt sein, warum Schaden, der über keinerlei kommunalpolitische Erfahrung verfüge, nicht weiter vorne gereiht worden sei, »wenn er so gut ist«349 Für die ÖVP erklärte deren Klubobmann Erwin Klemm zu dem Ergebnis der Sitzung des SPÖ-Bezirksausschusses, seine Partei nehme nunmehr »das Heft in die Hand« und Johann Padutsch bemerkte  : »Die Entscheidung der SPÖ ist eindeutig. Sie will den Bürgermeistersessel in Salzburg nicht mehr.« Nunmehr sei die ÖVP für die Bürgerliste der einzige Verhandlungspartner und man müsse in Gesprächen um ein Sachprogramm klären, ob »Dechant als Bürgermeister für uns möglich ist«.350 Angesichts dieser dramatischen Entwicklung unternahm Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzender Franz Vranitzky in letzter Minute einen Versuch, den Bürgermeistersessel für die SPÖ doch noch zu retten. Er plädierte für eine Einigung der Salzburger SPÖ auf Heinz Schaden als Bürgermeisterkandidaten und fragte bei der Bürgerliste an, ob sie sich in diesem Fall nicht doch noch zu einer Wahl Schadens entschließen könnte. Die folgenden Ereignisse schienen dieser Option doch noch eine Chance zu geben, als am 17. November Heinrich Salfenauer dem innerparteilichen Druck nachgab und seinen Widerstand gegen eine Vorreihung Schadens 349 SN 12.11.1992. S. 17. 350 Ebda.

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aufgab, wobei er allerdings prophetisch erklärte  : »Sie haben erreicht, was sie wollen, aber funktionieren wird es nicht.« Er nehme an, dass es, »wenn schon nicht zu aktiven, dann aber passiven Abspaltung« der Gruppe um Fartacek kommen werde. Die Parteiführung habe dann für diese Entwicklung die Verantwortung zu tragen.351 Die Chancen für Schaden stiegen nochmals, als der Bezirksparteivorstand auch von Gertrude Fabris die notwendige Verzichtserklärung erreichte, sodass Schaden am 19. November offiziell als Bürgermeister-Kandidat der SPÖ nominiert wurde. Der stellvertretende Stadtparteivorsitzende Othmar Raus drängt dabei mit Blick auf die gefährdete Klubdisziplin auf eine offene Abstimmung bei der Wahl im Gemeinderat am 25. November. Das Stadtrecht sah jedoch eine geheime Abstimmung vor, soferne von den Parteien nichts anderes beschlossen wurde. ÖVP, Bürgerliste und FPÖ hatten sich allerdings bereits auf eine geheime Abstimmung festgelegt. Für die Wahl verfügte Josef Dechant über die Stimmen von ÖVP und FPÖ, während die Haltung der Bürgerliste nach der Entscheidung der SPÖ wiederum offen war. So erklärte Johann Padutsch, seine Partei würde »ohne Zweifel Schaden lieber wählen als Dechant«. Voraussetzung für eine Wahl Schadens sei allerdings, dass dieser alle 12 Stimmen der SPÖ erhalte.352 Mit dieser Erklärung deutete Padutsch indirekt das politische Kalkül der Bürgerliste an. Angesichts der kursierenden Gerüchte über eine mögliche Abspaltung der Gruppe um Fartacek wurde eine geschlossene Stimmabgange der SPÖ-Fraktion für Schaden bei der Bürgermeisterwahl am 25. November unwahrscheinlich, was auch die Bürgerliste eines entsprechenden Wahlverhaltens enthob. Da die Bürgerliste jedoch eine Koalition mit der FPÖ ablehnte, entschied sie sich für eine völlig neue Variante  : die Nominierung von Johann Padutsch zum Bürgermeister-Kandidaten. Nicht zu Unrecht bezeichneten die »Salzburger Nachrichten« in einer Analyse der jüngsten Entwicklung in der Bürgermeister-Frage die Bürgerliste als politische »Slalomfahrer«.353 Angesichts der unmittelbar bevorstehenden Bürgermeisterwahl überschlugen sich die Ereignisse. Am 24. November gaben im Konferenzraum des Stieglbräus in der Rainerstraße Herbert Fartacek und Erich Peyerl, Sohn des ehemaligen SPÖLandesparteivorsitzenden Franz Peyerl und langjähriger Bezirksobmann in Maxglan, ihren Austritt aus der SPÖ bekannt. Sie werden auf ihre Mandate nicht verzichten, erklärten sie, sondern als »wilde« Abgeordnete im Gemeinderat verbleiben. Es sei nicht auszuschließen, dass noch weitere Mandatare ihrem Beispiel folgen werden. Der Bruch sei »die logische Konsequenz, wenn man im Apparat zwei Drittel gegen sich hat und als Minderheit Kursfragen diskutieren will.«354 Unmittelbar vor der 351 SN 19.11.1992. S. 17. 352 SN 20.11.1992. S. 19. 353 SN 24.11.1992. S. 15. 354 SN 25.11.1992. S. 15. Vgl. dazu auch Fartacek  : Der Bruch … der lange Weg zum Abschied. S. 117.

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1989 – Eine folgenschwere Zäsur

Sitzung des Gemeinderates am folgenden Tag traten Christa Schlager, Obfrau der SPÖ-Sektion Lehen-Nord, und Gertrude Fabris aus der SPÖ aus und wechselten zu Herbert Fartacek, der damit über vier Mandate verfügte und die nunmehr 7. Fraktion355 im Gemeinderat bildete. Am 25. November wurde Josef Dechant in einem übervollen Sitzungssaal und unter erheblicher medialer Aufmerksamkeit mit 24 der 40 Gemeinderatsstimmen zum ersten ÖVP-Bürgermeister der Stadt Salzburg seit dem Jahr 1946 gewählt. Durch die geschickte Regie ihres Klubobmanns Erwin Klemm verfügte die ÖVP vor der Wahl neben ihren eigenen Stimmen über jene der FPÖ, der ÖABP und der Liste Masopust. Bei der Wahl stimmten auch drei der SPÖ-Dissidenten (Fartacek, Peyerl, Fabris) für den ÖVP-Bürgermeister-Kandidaten. Auf Schaden entfielen die 8 Stimmen der nunmehr auf diese Zahl geschrumpften SPÖ-Fraktion sowie eine Stimme der SPÖ-Dissidenten, auf Padutsch die sieben Stimmen der Bürgerliste. Wolf Martin dichtete in der »Salzburg-Krone«  :356 »Aus Salzburgs leckem roten Boot sprang Fartacek in seiner Not hat man ihm doch, statt Lob und Dank, die Schuld gegeben, dass es sank. Nun hat der SPOT- und Punk-Beschenker (der Linksfunk nennt ihn ›Linksvordenker‹) zum Zwecke, dass der Schaden strande, gegründet eine Viererband, und diese rote Vorhut wählte, damit’s die Ex-Genossen quälte, den Schwarzen – Josef Dechant heißt er – zu Salzburgs neuem Bürgermeister. Der freut sich sicher wie ein Kind, wie Linksvordenker nützlich sind, und die SP, dank dem Komplott, hat nun zum Schaden auch den Spott, denn Othmar Raus – auch er ging baden – kann nur mehr rufen  : ›Raus mit Schaden  !‹ Der Bürger hat davon nicht viel. Es sei denn  : Spaß am Possenspiel.«

355 Zunächst wurden die SPÖ-Dissidenten noch nicht als Fraktion anerkannt. Erst als sie im Jänner 1993 die Partei »Demokratie 92« gründeten, erhielten sie diesen Status. 356 Kronen Zeitung 26.11.1992. S. 9.

9.

Enttäuschte Hoffnungen – Die Landtagswahl 1989

Die Voraussetzungen schienen günstig. Der Erfolg bei der Gemeinderatswahl in der Stadt Salzburg bestätigte nicht nur eine Etablierung der Bürgerliste auf relativ hohem Niveau in der Landeshauptstadt, in der immerhin rund ein Drittel der Bevölkerung des Landes lebte, sondern weckte auch berechtigte Hoffnungen auf einen Zugewinn an Stimmen und Mandaten bei der bevorstehenden Landtagswahl, zumal die politischen Rahmenbedingungen günstig schienen.

9.1 Die günstige politische Großwetterlage Am 5. Juli 1989 hatte der Salzburger Landtag die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Aufklärung über den WEB-Skandal beschlossen und zu dessen Obmann Christian Burtscher gewählt. Dadurch eröffnete sich für die Bürgerliste Salzburg-Land die Chance, medienwirksam nicht nur in den Ausschussberatungen ihre Agenda zu verfolgen, sondern auch den Gang der Beratungen wesentlich mitzubestimmen. In der von heftigen Emotionen geprägten Auseinandersetzung um das sog. »Brennhoflehen« ergab sich für die Bürgerliste Salzburg-Land die Gelegenheit, sich als Bewahrer der Natur zu profilieren, die Diskussion um den EWR- und in weiterer Folge um den EU-Beitritt sah die Bürgerliste Salzburg-Land in Abstimmung mit der Bundespartei als Sprachrohr der Skeptiker und Gegner, die sich in allen Parteien fanden, die 1990 einsetzende Diskussion über eine allgemein als notwendig erachtete Novellierung oder sogar Neufassung der Raumordnung, die in dem Österreichweit äußerst ambitionierten Raumordnungsgesetz 1992 ihren vorläufigen Abschluss fand,357 griff ein »grünes Thema« auf und bestätigte damit ein zentrales politisches Anliegen der Bürgerliste Salzburg-Land und die nach dem Wahldesaster in der Stadt Salzburg ausbrechende Krise in der SPÖ zwang deren Führung zu einem anhaltenden passiven Reagieren, um der innerparteilichen Turbulenzen Herr zu werden. Nach einem Jahr mit insgesamt 126 Stunden Ausschussarbeit lag ein 213 Seiten starker Bericht vor, der jedoch keine durchgehend einhellige Meinung der Aus357 Vgl. dazu vor allem Christoph Braumann  : Generationenwechsel in der Raumplanung. Das Salzburger Raumordnungsgesetz 1992 und seine planungspolitischen Anliegen. – In  : SJP 1995. – Salzburg/ Wien 1995. S. 101–130.

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schussmitglieder präsentierte, sondern dem eine Reihe von abweichenden oder er­ gän­ zenden Stellungnahmen der Fraktionen angefügt waren.358 Die erhebliche mediale Aufmerksamkeit, der sich der nicht einheitliche Endbericht erfreute, verschaffte der Bürgerliste vor allem auch aufgrund der Vorsitzführung von Christian Burtscher und dessen noch vor der Landtagsdebatte präsentierter Version eines Endberichts politischen Rückenwind. In der äußerst angeregt und kontroversiell geführten Landtagsdebatte waren die Rollen klar verteilt  : ÖVP und SPÖ sahen im Fall WEB vor allem einen Wirtschaftsskandal mit Ausläufern in die Politik und Verwaltung und warfen FPÖ und Bürgerliste Salzburg-Land vor, den Untersuchungsausschuss über weite Strecken völlig unstatthaft, weil der gesetzlichen Regelung widersprechend, zu einem politischen Tribunal umfunktioniert zu haben. So attestierte der SPÖ-Abgeordnete Klaus Firlei bereits im Februar 1990 FPÖ und Bürgerliste Salzburg-Land »fanatischen Inquisitionswillen« und »von allen rechtlichen Zweifeln unberührte Unbekümmertheit«. Die Konstruktion des Ausschusses verführte zu »Oberflächlichkeit« und »Effekthascherei«.359 FPÖ und Bürgerliste Salzburg-Land nutzten den Untersuchungsausschuss als politische Bühne, die sich auch nach Bedarf in ein Tribunal verwandeln ließ, sahen sie doch im WEB-Skandal das Ergebnis der Vermengung von Politik und Geschäft, von politischen Absprachen und der Sicherung von Einflusssphären. Für die ÖVP erklärte Michael Neureiter, beim Untersuchungsgegenstand handle es sich um einen »Wirtschaftsskandal, der allerdings in die Landespolitik hineinreicht mit Ausläufern in die Politik und in die Verwaltung«. Diese Ausläufer seien das Thema des Untersuchungsausschusses gewesen, während alle anderen Aspekte vor Gerichten abgehandelt würden. Es ging in dem Untersuchungsausschuss darum, festzustellen, »inwieweit die Aufsichtstätigkeit des Amtes der Salzburger Landesregierung über die gemeinnützige WEB und die Wahrnehmung der politischen Verantwortung gegeben war.«360 Im Mittelpunkt dieser Frage stehe »die Sanierung 1984 und ihre Bewertung. Wir sind hier der Meinung, dass die Sanierung an sich richtig gewesen ist, dass aber mit Langmut, vielleicht mit zu großem Langmut, ihre Einhaltung und die Einhaltung der Anordnungen betrieben wurde. Wir sehen auch einen Jahrhunderterfolg der Verschleierung gerade in der Durchführung der Ergebnisse und der Festlegungen in der Sanierungsphase 1984.«361 Vor allem von der Bürgerliste

358 Nr. 463 der Beilagen zum stenografischen Protokoll des Salzburger Landtages. 2. Session der 10. Gesetzgebungsperiode. 359 SN 22.2.1990. S. 17. 360 Stenografisches Protokoll des Salzburger Landtages. 2. Session der 10. Gesetzgebungsperiode. 4.7.1990. S. 1183ff. 361 Ebda. S. 1187.

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aufgestellte Behauptungen über eine Parteienfinanzierung aus dem WEB-Imperium hätten sich als Fata Morgana erwiesen.362 Am 4. Juli 1989 habe Johannes Voggenhuber in einer Tageszeitung die Behauptung aufgestellt, bei der folgenden Arbeit des Untersuchungsausschusses werde sich wohl in einer Partei ausfindig machen lassen, ob sie 60 oder 40 Millionen Schilling bekommen habe. »Man lese nach, was in den Unterlagen, die vom Dr. Burtscher stammen, schlussendlich im Untersuchungsausschuss herausgekommen ist, es sind einige ›zigtausende‹, etwa zusammengerechnet 200.000 Schilling. Vorher war von 40 Millionen Schilling – ich wiederhole, von 40 bis 60 Millionen Schilling – die Rede gewesen. Und der Herr Kollege Padutsch, der neben sieben anderen Persönlichkeiten Experte im Untersuchungsausschuss gewesen ist, Berater der Bürgerliste SalzburgLand, behauptete am 12. 7. des Vorjahres  : ›Es gibt keine Mafia ohne Mitwirkung oder zumindest Duldung der Politik‹ und es gebe wörtlich ›massive Indizien für eine Parteienfinanzierung im Schatten des Bauskandals‹, so weitere Beispiele.«363 Für die FPÖ-Abgeordnete Margot Hofer galt jedoch ein von ÖVP und SPÖ über die WEB gehaltener »politischer Schutzmantel« sowie die Aufteilung von politischen Einflusssphären als erwiesen. »Die Vergabe der Fördermittel … in Salzburg im Verhältnis 4   : 3 wurde zwischen den ÖVP- und SPÖ-nahen Wohnbaugesellschaften aufgeteilt und zwar nach dem Verhältnis der jeweiligen Regierungsbeteiligung. Landeshauptmann Haslauer sen. konnte sich nur an einen sogenannten Orientierungsrahmen erinnern. Landeshauptmann-Stellvertreter Radlegger wusste, dass er ein Gespräch mit Dr. Haslauer über die Förderungszuteilungen nicht ausschließen könne. Er wusste es  ! Die Bildung von Fraktionen im Wohnbaubereich, die ARGE Eigenheim und das sozialistische Gegenstück dazu und die Aufteilung der Gemeinden. Soweit, meine Damen und Herren, ist das gegangen, dass es bittere Beschwerden einer anderen Wohnbaugesellschaft gegeben hat, als sich die WEB in eine fremde Gemeinde einnisten wollte. Die Sanierung 1984 erfolgte ohne Einholung von genauen Analysen.

362 Am 1. Februar 1990 erklärte ÖVP-Klubobmann Erwin Klemm vor dem WEB-Untersuchungsausschuss, die Bezirksparteiorganisation der ÖVP Salzburg-Stadt habe in den beiden vergangenen Jahren aus dem Umfeld der WEB und IMMAG 70.000 Schilling erhalten, davon seien 28.000 Schilling auf Inserate in der Broschüre »Salzburger Aktuell« entfallen. Der Klubobmann der ÖVP-Landtagsfraktion, Franz Schausberger, legte Erklärungen der Landespartei und aller Teilorganisationen vor, dass keine »Zuwendungen im weitesten Sinn« aus dem WEB-Imperium geflossen seien. Für die SPÖ erklärten Bezirkssekretär Fred Kendlbacher und Landesparteisekretär Stefan Prähauser, dass zumindest ab 1982 »keine namhaften Spenden« aus der WEB geflossen seien. (SN 2.2.1990. S. 15.) Prähauser bestätigte allerdings, dass Norman Graf, der Mastermind des WEB-Imperiums und ehemalige ÖVP-Ortsparteiobmann von Puch, Mitglied der SPÖ geworden sei. 363 Sten. Prot. d. Salzburger Landtages. 2 Session, 10. Gesetzgebungsperiode. 4.7.1990. S. 1188.

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Während der Parteienverhandlungen 1984 wurde die WEB wieder aufgepäppelt. Sie wurde ›saniert‹ bzw. es war aber eine Sanierung, die 1990 in den Konkurs führte.«364 Für den Bürgerliste-Ausschussvorsitzenden Christian Burtscher reichten »die Ursachen dieses Skandals … weit zurück, weit zurück in die frühen Siebzigerjahre, als Hans Zyla, damals Klubobmann der ÖVP und später Präsident des Salzburger Landtages die Ausweitung seines Firmenimperiums betrieb. Kritik an dieser Verwicklung und Verflechtung von politischem Amt und wohnungswirtschaftlicher Tätigkeit gab es während zweier Jahrzehnte. Ende der Siebzigerjahre wurden von der Bürgerliste – damals vertreten im Gemeinderat der Stadt Salzburg und als Bürgerinitiative tätig durch Richard Hörl, Ekehart Ziesel, Herbert Fux und Johannes Voggenhuber – Zusammenhänge an die Öffentlichkeit gebracht, die heute nochmals kurz wiederholt sein müssen. Es war dieses Flugblatt, das übertitelt ist mit ›Die Bürgerliste beweist ungeheuerliche Grundstücksspekulation des ÖVP-Landtagspräsidenten Zyla‹ aus dem Jahr 1979, das zu erheblichen öffentlichen Reaktionen, zumindest in den Medien, geführt hat.« Die Bürgerliste habe bereits damals die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gefordert, sei jedoch mit dieser Initiative gescheitert. »Landeshauptmann Haslauer und der seit wenigen Monaten für das Wohnbauwesen zuständige Landesrat Radlegger haben damals alle Forderungen und Vorwürfe zurückgewiesen.«365 Landeshauptmann Haslauer sen. sei 1982 durch Landesrat Radlegger über Probleme bei der gemeinnützigen WEB informiert worden und habe zusammen mit diesem im Dezember dieses Jahres eine Reihe von Maßnahmen angeordnet, die jedoch »in wesentlichen Teilen nicht eingehalten« wurden, »obwohl sie präzise und terminlich fixiert waren«, sei die Entflechtung desgemeinnützigen und freifinanzierten Bereichs nicht erfolgt. Dies habe zum Rückfluss von Finanzierungsgeldern in den frei finanzierten Bereich geführt. Landeshauptmann Haslauer sen. habe zwar eine Reihe von Anordnungen mitinitiiert, jedoch deren Durchführung nicht eingehend überprüft. Eineinhalb Jahre später habe sich der Landeshauptmann zusammen mit seinem Stellvertreter Radlegger wiederum maßgeblich an der Sanierung des konkursreifen WEB-Imperiums beteiligt und erwirkte zusammen mit Radlegger ein Moratorium, um, wie er vor dem Untersuchungsausschuss betonte, Wohnungseigentümer und Wohnungswerber vor schweren Verlusten zu bewahren. »In Wahrheit jedoch war es eine Aktion zugunsten des WEB-Bautreuhandimperiums und der interessierten Banken. Denn allen Beteiligten musste klar sein und war klar, dass neue Geldmittel nur über den forcierten Verkauf von Papieren, von Wohnsparverträgen und Hausanteilsscheinen dem Unternehmen zuzuführen waren.«366 Die Realisierung des sog. 364 Ebda. S. 1196f. 365 Ebda. S. 1200f. 366 Ebda. S. 1203.

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Sanierungskonzepts 1984 fiel in die politische Verantwortung von Landesrat Othmar Raus, der die neuerlichen Anweisungen an die WEB zwar unterschrieben, deren Durchführung jedoch nie kontrolliert habe.367 Für die SPÖ trat Klaus Firlei zu einer umfangreichen Antwort auf die Vorwürfe, die zu den Höhepunkten der Debattenbeiträge im Landtag zu zählen ist, ans Rednerpunkt, wobei er sich zunächst mit der Instrumentalisierung des Untersuchungsausschusses durch FPÖ und Bürgerliste Salzburg-Land sowie die Medienarbeit der Bürgerliste kritisch auseinandersetzte. »Die beiden anderen Parteien haben den Ausschuss dazu benutzt, ein unkontrollierbares politisches Forum zu etablieren. Sie haben im Rückenwind von Stimmungen, im Sog der berechtigten Empörung über einen Skandal, der tatsächlich extremste Ausmaße angenommen hat, auf eine Öffentlichkeit bauend, die nicht dazu in die Lage versetzt wurde, Differenzierungen und komplexere Zusammenhänge aufzuarbeiten, im Windschatten der Politikverdrossenheit ein fulminantes Power-Play gegen sozialistische Politiker aufgezogen. Sie haben Opfer gesucht und gefunden, allerdings um ein Drittel weniger, als Sie es sich vorgestellt haben. Was sich hier abgespielt hat, ist eine neue Komponente der Politik, von der ich fürchte, dass sie uns fortan begleiten wird  : Die populäre und medial attraktive Strategie der Justizialisierung von Politik. Nichts interessiert so sehr wie Fehler, Schwächen, kriminelle Handlungen, Versagen, Schuld, Rücktritte. Wo es Versagen und Schuld gibt, hat diese Strategie selbstverständlich ihre Berechtigung. Aber sie wird, wie dieser Untersuchungsausschuss lehrt, mit Erfolg auch eingesetzt, wo davon keine Rede sein kann. … Eine Salzburger Tageszeitung schrieb vor ein paar Tagen  : ›Bürgerliste und FPÖ gegen den Rest der Welt.‹ Kollege Burtscher hat in Vorwegnahme der bereits damals sich abzeichnenden Nichteinigung über seinen Entwurf eines Endberichts Mitleid heischend mit der Überschrift ›Der ungeliebte Bericht‹ seinen Bericht versehen. Der Berichtsentwurf des Ausschussvorsitzenden hat es aber entgegen dieser Überschrift in der Öffentlichkeit sehr leicht gehabt, es war durchaus ein vielgeliebter, ein freundlichst aufgenommener Text, dessen Medienerfolg durch Vereinfachungen und Personalisierungen sichergestellt wurde. Mitleid mit der Bürgerliste kann daher bei uns nicht aufkommen.«368 Die SPÖ sei im Untersuchungsausschuss in die Defensive gedrängt worden, da es oftmals nicht um sachliche Analyse und Differenzierung, sondern um medienwirksame Effekthascherei gegangen sei. »Unter der Herrschaft des Mottos ›Schuld ist, wer zuständig ist‹, war sie immer in die Defensive gedrängt. Sie hat aber den-

367 Ebda. S. 1206. 368 Ebda. S. 1209f.

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noch eine Identifikation mit der WEB, die als schwarzes Unternehmen galt, und der Volkspartei als unsachlich abgelehnt und diese Karte nicht gespielt. Die SPÖ konnte in diesem Umfeld nur massive Schwierigkeiten haben, ihre Erkenntnisse und Schlussfolgerungen aus dem Megaskandal nach außen plausibel zu machen und überzeugend zu präsentieren. Die politische Arena bewegt sich immer mehr weg von Rationalität und Problemlösung im Sinne eines harten Ringens um die Sache und wird immer mehr zu einem Markt, auf dem zwischen Wählern, Politikern und Medien emotional besetzte Produkte gehandelt werden. … Alles, was die SPÖ an Analyse und Bewertung vorgelegt hat, wurde als Rechtfertigung, als Mauern, als Reinwaschung, als Vertuschungsversuch gekennzeichnet. Die kleinen Parteien haben an diesem Mythos fleißig mitgebastelt und keine Gelegenheit ausgelassen, diesen falschen Eindruck in der Öffentlichkeit zu verstärken.«369 Und direkt an Christian Burtscher gewandt bemerkte er anklagend, dass dieser vor allem von der Bürgerliste gepflogene politische Stil und das dadurch erzeugte politische Klima nicht geeignet seien, das sachliche Ringen um das Gemeinwohl in den Mittelpunkt des politischen Handelns zu stellen. Er halte es »für reichlich primitiv, was man hier verkaufen will. Sicher wäre es nicht zu den heute bestehenden Zuständen gekommen, wenn man die WEB 1984 oder früher liquidiert hätte. Was sonst. Aber in der Zwischenzeit hatte sich die Richtigkeit der Sanierung durch ihren nach allen zugänglichen Fakten dokumentierten Erfolg bestätigt. Die politisch relevante Kausalkette zu den späteren Ereignissen ist daher unterbrochen. Den Juristen Dr. Thaller und Dr. Burtscher müsste doch der Begriff der adäquaten Verursachung bekannt sein.«370 Man müsse für den Skandal eine »plausible Erklärung anbieten. … Naive, hier stimme ich voll Herrn Kollegen Neureiter zu, naive und monokausale Erklärung führen hier nicht weiter. … Unsere Antwort lautet  : Es handelt sich primär um einen Wirtschaftsskandal. Die Nichtbewältigung durch politisches Handeln ist multifaktoriell verursacht und multifaktoriell begünstigt worden. Es gibt sicherlich auch Schuld und Verschulden, aber – jedenfalls außerhalb des Bereiches der primären Verursacher im Managementbereich – in anderer Form, als Sie es darstellen  : Die Schuld existiert sehr verdünnt, sie ist isometrisch verteilt und hat sich im Sinne eines kombinierten Zusammenwirkens tausender kleiner Verhaltensweisen letztlich sehr wirksam breitgemacht.«371 Der von Klaus Firlei angegriffene Christian Burtscher sah sich am Ende der Debatte zu einer Erwiderung veranlasst, indem er die Argumentation seines DuzFreundes als »abenteuerlich« bezeichnete. »Ich will hier einige Dinge sehr deutlich sagen, die falsch waren, schlicht einfach falsch waren, in Deiner Darstellung. Es gibt 369 Ebda. S. 1210f. 370 Ebda. S. 1219. 371 Ebda. S. 1221f.

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ein Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz und das ist vollziehbar. Dieses Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz sieht vor, unter welchen Bedingungen der Entzug der Gemeinnützigkeit bescheidmäßig, die Auferlegung von Anordnungen, die Behebung von Mängeln, vorzusehen ist. Es sieht vor, durch wen und wie das zu geschehen hat und dass eine Befristung vorzuschreiben ist. Es sieht auch vor, dass es eine voneinander getrennte Aufsichtspflicht der Aufsichtsbehörde und des Revisionsverbandes gibt. Dieses WGG ist vollziehbar und es wurde nicht vollzogen, und das bleibt und ist auch durch noch so viele, quasi-wissenschaftliche Äußerungen nicht hinweg zu diskutieren.«372 Die behaupteten zwei Phasen des WEB-Skandals, die angebliche Sanierung mit sichtbaren Besserungstendenzen 1984 und die Phase der 1988 einsetzenden Turbulenzen im frei finanzierten Bereich, seien nicht zutreffend. Die Prüfung des Revisionsverbandes habe die anhaltende unheilvolle Verflechtung von sozialem und freifinanziertem Wohnbau bestätigt. »Das, was Du gesagt hast, Klaus Firlei, ist für mich höchst bedenklich. Nach all dem, was erwiesen ist, was an Gesamtbild gezeichnet ist, belegt ist durch Aktenvermerke, Unterlagen, Beweisaufnahmen. Nach all dem zu sagen, die Strukturen sind schuld und es war ein reiner Wirtschaftsskandal, habe aber nichts mit persönlicher Verantwortung von Menschen, die innerhalb dieser Strukturen gehandelt haben, zu tun, das verheißt das Schlechteste für die Zukunft.«373 Die Bürgerliste hatte durch den WEB-Untersuchungsausschuss an politischer Statur gewonnen und war aus ihrem politischen Schattendasein auf Landesebene getreten. Und ein zweites kontrovers diskutiertes Thema der Landespolitik, die Auseinandersetzung um das sog. »Brennhoflehen«, bot, ähnlich wie die nach wie vor aktuellen Transitfrage, eine neuerliche Chance zur Profilierung. 1987 plante ein Salzburger Unternehmen einen Standortwechsel auf das sog. »Brennhoflehen« in der Marktgemeinde Kuchl. Das ehemalige Bauerngut in der Größe von 12 ha hatte eine Eigentümergemeinschaft zum Kauf angeboten, worauf es zu Koordinationsgesprächen der Gemeinde Kuchl mit der Nachbargemeinde Golling sowie dem Amt der Salzburger Landesregierung mit dem Ziel der Errichtung eines Gewerbegebietes kam. Da diese Gespräche ohne Einwände gegen das Vorhaben verliefen, entschloss sich die Salzburger Betriebsansiedlungsgesellschaft »Tech-Invest« zum Ankauf des gesamten Areals, um es einer betrieblichen Nutzung zuzuführen. Nach einer positiven Bürgerbefragung änderte die Marktgemeinde Kuchl das Raumordnungskonzept und den Flächenwidmungsplan, um die Voraussetzungen für die Umwidmung des Brennhoflehens in ein Gewerbegebiet zu schaffen. Im März 1990 erfolgte die aufsichtsbehördliche Genehmigung der Salzburger Landesregierung, die in dem Vorhaben eine Chance für die wirtschaftliche Entwick372 Ebda. S. 1237. 373 Ebda. S. 1238.

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lung des Tennengaus und zudem eine Entlastung des ohnedies überfrachteten Salzburger Zentralraums sah. Gegen die Umwidmung des Brennhoflehens hatte sich allerdings bereits 1989 eine »Überparteiliche Bürgerinitiative Brennhoflehen« gebildet, die sich mit den Argumenten der notwendigen Bewahrung von Naturräumen und der drohenden Umweltschäden gegen das Vorhaben aussprach. Landespolitische Bedeutung und mediale Resonanz erhielten die Vorgänge durch die politischen Begleiterscheinungen, die in der ohnedies in Turbulenzen geratenen SPÖ für zusätzliche Spannungen sorgten.374 Nach der Zustimmung der SPÖ-Regierungsmitglieder zur Umwidmung des Brennhoflehens erklärte der SPÖ-Vizebürgermeister von Golling, Werner Orgonyi, die Mitglieder seiner Ortsgruppe fühlten sich von der Landespartei »nicht mehr vertreten«. Die Ortspartei habe daher beschlossen, die Mitgliedschaft ihrer 150 Mitglieder in der SPÖ ruhen zu lassen.375 Am 13. Februar 1990 kündigten die »Überparteiliche Bürgerinitiative Brennhoflehen« (ÜBB) und die SPÖ-Golling sowie die »Unabhängige Liste Lebenswertes Golling« mit Vizebürgermeister Matthias Meisl rechtliche Schritte an. Die Gegner der Umwidmung hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits an die Volksanwaltschaft gewandt. Diese kam nach Prüfung der Sachlage zu dem Schluss, dass erhebliche Mängel in der Begründung der Umwidmung gegeben seien und beantragte im Herbst 1990 beim Verfassungsgerichtshof eine Aufhebung der Verordnung. Dieser kam im Jänner 1992 zu der Erkenntnis, dass die Umwidmung des Brennhoflehens durch die Gemeinde Kuchl gesetzwidrig erfolgt sei und hob diese auf. Es seien keine wichtigen Gründe oder wesentlich neue Tatsachen, wie es das Salzburger Raumordnungsgesetz für eine Änderung des Räumlichen Entwicklungskonzepts (REK) verlange, für diese Entscheidung erkennbar, beschied der Verfassungsgerichtshof. Zudem habe die gesetzliche geforderte Strukturuntersuchung nicht stattgefunden. Der Kuchler Bürgermeister Pius Züger erklärte, man nehme das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes zur Kenntnis, werde sich aber bemühen, das Räumliche Entwicklungskonzept entsprechend zu ändern, um doch noch das gewünschte Gewerbegebiet errichten zu können.376 Alle drei Regierungsparteien hielten zu diesem Zeitpunkt ebenfalls an dem Gewerbegebiet fest und vertraten übereinstimmend die Auffassung, dass dessen Errichtung für die wirtschaftliche Entwicklung der Region und des Landes, die angesichts der geänderten weltpolitischen Konstellationen und den verstärkt einsetzenden wirtschaftlichen Transformationsprozessen – deutsche Wiedervereinigung, Falls des Eisernen Vorhangs und Implosion des COMECON 374 Vgl. dazu Christoph Braumann  : Raumordnung und Raumplanung. – In  : Dachs, Dirninger, Floimair (Hg.)  : Übergänge und Veränderungen. S. 319–366. S. 329ff. 375 SN 2.2.1990. S. 17. 376 SN 14.1.1992. S. 13.

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sowie der Sowjetunion, Realisierung des EG-Binnenmarktes im Jahr 1992 – vor neuen Herausforderungen standen, von erheblicher Bedeutung war.377 Wenngleich 1992 mit einem realen Wachstum von 2,5 Prozent ein österreichischer Spitzenwert erreicht wurde, so wurden die 1991 in einer Studie des WIFO angedeuteten möglichen negativen Tendenzen der »Ostöffnung« in Form einer Umkehrung des bisherigen West-Ost-Gefälles der österreichischen Wirtschaftsstruktur und damit auch der regionalen Wachstumsraten in den Bereichen Industrie, Bauwirtschaft und Fremdenverkehr spürbar. Die Landespolitik musste daher bemüht sein, im Rahmen ihrer Möglichkeiten dieser Entwicklung gegenzusteuern.378 Vor diesem Hintergrund erfolgte unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes die Erklärung der Landesregierung, es liege nunmehr an der Gemeinde Kuchl, für eine korrekte rechtliche Grundlage für die Realisierung des Gewerbegebiets zu sorgen. Vor allem Landeshauptmann Hans Katschthaler trat dafür ein, die Umwandlung des Brennhoflehens in ein Gewerbegebiet voranzutreiben. Zu Jahresbeginn 1992 erklärte er in einem Interview mit den »Salzburger Nachrichten«, zwischen dem Land und der Marktgemeinde Kuchl gebe es eine »vollkommene Übereinstimmung, auf dem Brennhoflehen ein Gewerbegebiet zu schaffen«. Er gehe davon aus, dass die vom Verfassungsgerichtshof in seiner Erkenntnis angeführten Bedingungen für eine ordnungsgemäße Widmung bis Jahresmitte 1993 erfüllt werden.379 Die Bürgerliste Salzburg-Land reagierte auf die Erklärung der Landesregierung und deren nochmaliger Betonung durch den Landeshauptmann mit der Feststellung, diese sei »erschreckend« und eine ökologische Bankrotterklärung. Unterstützung erhielt sie durch die Landesumweltanwaltschaft, die das Land aufforderte, »dafür Sorge zu tragen, dass nunmehr dieser bedeutende Landschaftsraum endgültig als Grünland erhalten bleibt«.380 Entsprechend dem Beschluss der Landesregierung erfolgten die Arbeiten an einem neuen Strukturkonzept der Marktgemeinde Kuchl. Während dieser Arbeiten hob das Land Salzburg am 6. Juli den Bebauungsplan des Brennhoflehens auf und folgte damit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs, das die Gewerbegebietswidmung für gesetzwidrig erklärt hatte. Zwei Tage später wurden in einer Besprechung im Chiemseehof zwischen Landeshauptmann Hans Katschthaler, dem Kuchler Bürgermeister Pius Züger und dem Geschäftsführer der Betriebsgesellschaft Tech-Invest, Richard Schmidjell, vereinbart, alle erforderlichen Maßnahmen für die 377 Walter Scherrer  : Salzburgs Wirtschaft und Wirtschaftspolitik 1989–2004  : Herausforderungen und strategische Reaktionen. – In  : Dachs, Dirninger, Floimair (Hg.)  : Übergänge und Veränderungen. S. 367–408. S. 370ff. 378 Christian Dirninger  : »It’s the economy« – Einblicke in die politische Ökonomie des Landes. – In  : Dachs, Dirninger, Floimair (Hg.)  : Übergänge und Veränderungen. S. 409–458. S. 412f. 379 SN 8.1.1992. S. 23. 380 SN 15.1.1992. S. 13.

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Umwidmung des 12 ha großen Areals in ein Gewerbegebiet bis März 1993 durchzuführen. Das Land stand unter Druck, denn die Betriebe, die bereits Grundstücke am Brennhoflehen erworben hatten, drohten mit Schadensersatzansprüchen. Um diesen zu begegnen, sollte bis Februar 1993 ein modifiziertes Räumliches Entwicklungskonzept erstellt werden, begleitet von einer Teiländerung des bestehenden Flächenwidmungsplans. Parallel dazu vereinbarten Landeshauptmann-Stellvertreter Arno Gasteiger und Tech-Invest-Geschäftsführer Richard Schmidjell einen Landeszuschuss aus der Wirtschaftsförderung und dem Gemeindeausgleichsfonds für die bereits zur Ansiedlung auf dem Brennhoflehen bereiten Betriebe. Ab Herbst erfuhr jedoch die politische Konstellation eine deutliche Änderung, als Karl Schnell Volker Winkler als Landesrat ablöste und den für die FPÖ in der Folgezeit typischen Politikstil – Regierung und (populistische) Opposition – betrieb. Schnell war am 10. Oktober 1992 auf einem dramatisch verlaufenden Parteitag der FPÖ mit 78 Prozent der Delegiertenstimmen zum neuen Landesparteiobmann gewählt worden, nachdem der von den Bezirksorganisationen des Flachgaus, Pongaus und Lungaus unterstützte Anwalt und Henndorfer Vizebürgermeister Michael Wittek-­Jochums seine Kandidatur zurückgezogen hatte. Wittek-Jochums galt als Liberaler und wurde daher von der Mehrheit der Haider-Anhänger abgelehnt, die darauf bestanden, dass nunmehr die Haider-Linie der Erneuerung auch in Salzburg Platz greifen müsse. Und dies sei nur mit Karl Schnell möglich. Nach seiner Wahl zum neuen Landesparteiobmann und damit auch Nachfolger Volker Winklers als Landesrat für Raumplanung, Hoch- und Straßenbau und Energie erklärte Schnell, seine künftige politische Linie andeutend, den Schwarzen und Roten in der Regierung würde noch Hören und Sehen vergehen. 11 Tage später folgte Schnell Winkler als Landesrat und war nunmehr in der Lage, seine Ankündigung zu realisieren. Bereits im August 1992 hatte er die Entscheidung der Landesregierung im Fall des Brennhoflehens als Fehler bezeichnet und begann nunmehr in seiner Funktion als Landesrat dagegen zu opponieren, schien sich doch damit die Möglichkeit zu ergeben, den neuen Politikstil der FPÖ zu demonstrieren und sich mit Blick auf die Landtagswahl 1994 als Anwalt der von der Politik angeblich missachteten Bürgerinnen und Bürger zu präsentieren. Die FPÖ reihte sich damit in die Phalanx der Kritiker und Gegner des Projekts – ÜBB, Landesumweltanwaltschaft, Umwelt-, Naturschutz- und Forstbehörde des Landes, Bürgerliste Salzburg-Land sowie die Ortsgruppe der SPÖ-Golling – ein. Trotz dieses sich 1993 neuerlich verstärkenden Widerstandes stimmte der Gemeinderat der Marktgemeinde Kuchl am 16. September 1993 mit Ausnahme der Gegenstimme der »Grünen Liste« für das nunmehr modifizierte Standort- und Betriebskonzept. Für die SPÖ bemerkte Josef Pöttler in Richtung der ablehnenden »Grünen Liste«  : »Wir sollen grün und arm bleiben.«381 381 SN 18.9.1993. S. 26.

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Dass es in dieser Frage auch innerhalb von SPÖ und ÖVP zu erheblichen Spannungen kam, wurde wenige Tage später deutlich, als im Nachbarort Golling die Gegner des Projekts ihre Ablehnung zum Ausdruck brachten. Im mit 250 Menschen vollen Gasthaus Göllhof erklärten sich sämtliche Gemeinderatsfraktionen gegen das Vorhaben und die dafür notwendige Autobahn-Aufschließungsstraße durch den Ortsteil Torren. Man sprach von einem »Planungswahnsinn des Landes« und ÖVP-Bürgermeister Hermann Rettenbacher betonte, ihm sei »das Brennhoflehen als Grünland« wichtiger.382 Und der Gollinger SPÖ-Vizebürgermeister Werner Orgonyi drohte angesichts der Haltung der Landespartei in dieser Frage sogar offen mit dem Parteiaustritt. Im November demonstrierten die Gegner mit 50 Traktoren auf dem Salzburger Mozartplatz, wobei sie auf den mitgeführten Transparenten Landeshauptmann Hans Katschthaler als »Heimatzerstörer« angriffen. Katschthaler, von seiner Persönlichkeitsstruktur her ruhig und ausgeglichen und stets um einen Kompromiss bemüht, ließ sich in seiner Rede an die Demonstranten von der emotional aufgeladenen Stimmung mitreißen und verwendete die Formulierung »Gehen Sie heim in Ihre Dörfer  !«383 Das mediale Echo war enorm, da der Satz sowohl von den Printmedien wie dem ORF aus dem Kontext gerissen und verkürzt berichtet und als Zeichen für mangelndes Verständnis der etablierten Politik für Anliegen der Bevölkerung im ländlichen Raum gesehen wurde. 2012 bemerkte er im Rückblick auf diese dramatischen Ereignisse, das Brennhoflehen sei in einer hoch emotionalisierten Stimmung zum Politikum geworden. Die Gegner hätten behauptet, es entstehe hier ein zweites Hallein. »Natürlich war das für mich keine angenehme Situation, wenn eine große Gruppe von Leuten in den Chiemseehof kommt, einen Sarg mitbringt und mir vorwirft, ich sei der Verräter und Totengräber unserer schönen Heimat. Ich würde heute diesen Spruch, den ich damals getan habe, ›Geht zurück in Eure Dörfer‹ sicher nicht wiederholen.«384 Durch die Äußerung des Landeshauptmanns und die breite mediale Berichterstattung erhielt der Konflikt landesweite Aufmerksamkeit und bot FPÖ-Landesrat Karl Schnell die Gelegenheit, sich als Kämpfer gegen die behauptete Allmacht der beiden anderen Regierungsparteien zu positionieren, indem er als ressortzuständiges Regierungsmitglied die Bezirkshauptmannschaft Hallein anwies, die gültige Bauplatzerklärung zurückzuhalten. Als im Februar 1994 ein überarbeitetes Rohkonzept für das Brennhoflehen vorlag, das, um einen Kompromiss bemüht, von den insgesamt 12 ha zunächst nur 4 ha als Gewerbegebiet auswies, während die Widmung der übrigen 8 ha von einer Reihe von Bedingungen abhängig gemacht wurde, erklärte Schnell,

382 SN 24.9.1993. S. 16. 383 SN 9.11.1993. S. 15. 384 salzburgORF.at 11.4.2012. http://sbgv1.orf.at/stories/520383. (Abgerufen am 28.6.2016.)

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wegen 4 ha müsse das Brennhoflehen nicht angegriffen werden, da dafür leicht Ersatzflächen in Kuchl gefunden werden könnten.385 Der Fall Brennhoflehen bestimmte in einem zunehmenden Ausmaß das politische Meinungsklima im Vorfeld der Landtagswahl 1994 und bewirkte für die Bürgerliste Salzburg-Land einen erheblichen lokalen Rückenwind. Einen solchen erhoffte man sich auch von der erklärten Gegnerschaft zu einem EWR- und EG/EU-Beitritt. Der Kampf gegen den EU-Beitritt bildete neben den Themen Ökologie, Demokratie/ Bürgerrechte/Kontrolle den dritten Schwerpunkt der politischen Arbeit und auch der Wahlwerbung der Bürgerliste Salzburg-Land. Mit der Bildung der zweiten Großen Koalition und der Übernahme des Außenministeriums durch die ÖVP 1986 erfolgte eine folgenschwere Änderung der Schwerpunktesetzung der österreichischen Außenpolitik in Richtung Europa. Die ÖVP, vor allem die von ihr gestellten Landeshauptleute der westlichen Bundesländer, forcierten einen Beitritt Österreichs zur EG, während die SPÖ einer solchen Politik überwiegend ablehnend gegenüberstand. Die Folge waren sowohl heftige SPÖ-interne Diskussionen sowie Differenzen zwischen den Koalitionspartnern, die 1988 zu einer Koalitionskrise führten. Bundeskanzler und Parteivorsitzender Franz Vranitzky gelang schließlich in einem mühsamen innerparteilichen Überzeugungsprozess ein Einschwenken der SPÖ auf die von der ÖVP geforderte europapolitische Linie, die 385 Obwohl Ende 1994 seitens der Gemeinde Kuchl eine rechtlich einwandfreie Ausweisung des Brennhoflehens als Gewerbegebiet vorlag, opponierte Karl Schnell weithin gegen eine Realisierung des Projekts. Die FPÖ weigerte sich nach der Landtagswahl 1994, einer gemeinsamen Regierungserklärung zuzustimmen und Karl Schnell erklärte in seiner Stellungnahme zur Antrittsrede von Landeshauptmann Hans Katschthaler in der Konstituierenden Sitzung des Salzburger Landtages am 2. Mai 1994, die FPÖ verfolge eigene wichtige Themenbereiche in der folgenden Legislaturperiode. Zu diesen gehörte auch die Erhaltung des Brennhoflehens. Da Schnell weiterhin gegen eine Umwidmung des Brennhoflehens opponierte, entzog ihm Landeshauptmann Hans Katschthaler mit der Begründung, es handle sich bei diesem Thema um eine landespolitisch wichtige Angelegenheit, die Zuständigkeit und übertrug sie auf die Landesregierung als Kollegialorgan. Die schließlich erst 1997 erfolgte Umwidmung des Brennhoflehens war für die Tech-Invest, die bereits mit dem Verkauf von Flächen begonnen hatte, mit erheblichen Kosten verbunden. Sie musste den bereits erfolgten Verkauf an die Firma 3-Pagen rückabwickeln und über acht Jahre die Finanzierungs- und Prozesskosten übernehmen. Eine Einigung mit der ÜBB konnte nicht erreicht werden. (Christian Dirninger  : Wirtschaftsbezogene Modernisierungsstrategien. Strukturpolitik-Betriebsansiedlung-Technologieförderung im Bundesland Salzburg von 1958 bis 1998. Unter Mitarbeit von Richard Schmidjell. – Wien/Köln/Weimar 1998. S. 171.) 2011 gehörte die so heftige Kontroverse der Vergangenheit an und der Kuchler Bürgermeister Andreas Wimmer erklärte, dies sei eine Erfolgsgeschichte, wenn man bedenke, wie mühsam der Weg zur Realisierung gewesen sei. 2011 war das Brennhoflehen zu 100 Prozent genutzt, brachten die hier situierten Firmen Kuchl 250.000 Euro Kommunalsteuer und 30.000 Euro Grundsteuer, 230 Arbeitsplätze waren bereits entstanden und mit der Ansiedlung von GTM stieg die Zahl auf fast 300. (SVZ Wirtschaft 10.6.2011. S. 9.)

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am 17. August 1989 mit der offiziellen Übergabe des Beitrittsansuchens an die EG ihren vorläufigen Höhepunkt und Abschluss fand.386 Das Arbeitsübereinkommen der verlängerten Großen Koalition vom 17. Dezember 1990 betonte den EG-Beitritt als vorrangige Aufgabe der Regierungspolitik. Der angestrebte Beitritt zur EG bedeute »den Eintritt in eine politische Wertegemeinschaft, die durch eine sich vertiefende Integration gekennzeichnet ist. Das Projekt einer Politischen Union ist als positiver Beitrag zur Verwirklichung der Einheit Europas zu sehen.«387 Die Realisierung dieses Vorhabens konnte jedoch nur in Schritten mit ungewissem Ausgang erfolgen, zumal man in Brüssel keineswegs den Schritt Wiens einhellig begrüßte. EGKommissionspräsident Jacques Delors vertrat die Ansicht, dass eine Vertiefung und Verfestigung der EG nach innen vor einer Erweiterung Priorität habe. Um jedoch die um eine Annäherung an die bzw. Beitritt zur EG bemühten EFTA-Staaten nicht zu brüskieren, hatte er am 17. Jänner 1989 in einer Rede vor dem Europäischen Parlament den EFTA-Staaten das Modell einer neuen Partnerschaft in Form von gemeinsamen Entscheidungs- und Verwaltungsorganen angeboten, um diesen die Teilnahme am sich vertiefenden EG-Binnenmarkt zu ermöglichen. Mit diesem Modell des »Europäischen Wirtschaftsraums« (EWR) verfolgte Delors zwei Ziele  : die Abwehr von allfälligen Beitrittsansuchen von EFTA-Ländern sowie das Angebot einer durchaus attraktiven Alternative. Die EFTA-Staaten regierten bei einem Treffen ihrer Regierungschefs in Oslo am 14. und 15. Oktober 1989 positiv und ebneten den Weg zu einem Treffen der Außenminister der EG- und EFTA-Staaten am 20. März in Brüssel, bei dem entsprechende Sondierungsgespräche – zunächst noch auf Beamtenebene – beschlossen wurden, die Ende 1989 zum Beschluss der Aufnahme von offiziellen Verhandlungen ab Sommer 1990 führten. Dabei wurde seitens der EGKommission deutlich signalisiert, dass im Falle eines EWR-Vertragsabschlusses die EFTA keine gleichberechtigte Mitsprache bei Entscheidungsprozessen haben könne. Die EFTA-Staaten müssten vielmehr den gesamten EG-Rechtsbestand, wenn auch mit Ausnahme- und Übergangsregelungen, übernehmen. Unabhängig von den EWR-Verhandlungen entschloss sich Österreich zum weiterführenden Schritt einer direkten EG-Mitgliedschaft durch die Übergabe des Beitrittsansuchens am 17. Juli 1989.388 Obwohl es in Brüssel wegen des im Ansuchen enthaltenen Neutralitätsvorbehalts Bedenken gab, beschloss der EG-Ministerrat am 28. Juli 386 Winfried Lang  : Österreichs Entscheidung für Europa – 1. Akt. – In  : ÖJP 1989. – Wien/München 1990. S. 317–338. 387 Günther Ofner  : Analyse des Koalitionsübereinkommens 1990. – In  : ÖJP 1990. – Wien/München 1991. S. 185–260. S. 210. 388 Vgl. dazu Gregor Leitner  : Zur Geschichte des österreichischen EG-Beitrittsantrages vom 17. Juli 1989. – In  : Michael Gehler, Rolf Steininger (Hg.)  : Österreich und die europäische Integration 1945– 1993. – Wien/Köln/Weimar 1993. S. 87–108  ; Manfred Scheich  : Tabubruch – Österreichs Entscheidung für die Europäische Union. – Wien/Köln/Weimar 2005.

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die für den Fall eines Beitrittsansuchens vorgesehene Vorgangsweise und beauftragte die EG-Kommission mit der Prüfung des Ansuchens und der Ausarbeitung eines Avis. Besonders wurde dabei darauf verwiesen, dass die Vereinbarkeit eines Beitritts und damit der Übernahme des Gemeinschaftsrechts mit der Neutralität zu prüfen sei. Am 31. Juli 1991 wurde das Avis der EG-Kommission der österreichischen EG-Mission in Brüssel überreicht. Mit diesem sahen sich sowohl die Befürworter wie auch die Gegner eines EU-Beitritts bestätigt. Wenngleich das Avis die österreichische Wirtschaft durchaus positiv beurteilte, so ortete es im Bereich der Landwirtschaft erheblichen Anpassungsbedarf und im Transitverkehr kontroversielle Verhandlungen. Zum Thema »Transit« bemerkte das Avis  : »Der Verkehr ist sowohl für die Gemeinschaft als auch für Österreich ein wirtschaftlich und politisch bedeutender Faktor. Wegen seiner geographischen Lage zwischen Mitgliedstaaten und der restriktiven Politik der Schweiz ist Österreich für die Gemeinschaft zum wichtigsten Transitland geworden.« Wenngleich sich »die österreichischen Regierungsstellen … grundsätzlich stets bemüht« hätten, durch den Bau alpenüberquerender Autobahnen sowie den Ausbau der Eisenbahninfrastruktur »die Rolle zu spielen, die Österreich als Transitland im Herzen Europas zukommt«, so bediene sich Österreich »zur Regulierung des Transitverkehrs durch sein Hoheitsgebiet … dirigistischer Maßnahmen, um die freie Wahl des Verkehrsträgers durch den Benützer einzuschränken.« Dabei ziele Österreich auf eine Rückverlagerung des Straßenverkehrs in die Schweiz, die Verlagerung des Straßenverkehrs auf die Schiene und die Vereinbarkeit des Straßenverkehrs »mit den Belangen des Umweltschutzes und der Erhaltung der natürlichen Umwelt. In den Verhandlungen über Verkehrsfragen, die die Kommission (auf der Grundlage der Verhandlungsdirektiven des Rates vom Dezember 1987 und 1988) geführt hat, um eine Transitregelung zu schaffen, die mit den Anforderungen des Binnenmarktes kompatibel ist, und in den Verhandlungen über den EWR hat es Österreich bisher abgelehnt, den Besitzstand der Gemeinschaft in folgenden Bereichen zu übernehmen  : Abschaffung der mengenmäßigen Beschränkung im Straßenverkehr, Gewichte und Abmessungen von Kraftfahrzeugen und Abschaffung der Grenzkontrollen und -formalitäten. Innerhalb der Gemeinschaft wird der Begriff Transitverkehr bei Vollendung des Binnenmarktes seine Bedeutung verlieren. Wie jeder andere Straßenverkehr wird der Transitverkehr nach 1992 frei von jeder mengenmäßigen Beschränkung sein. Die technischen Vorschriften und Umweltnormen sind auf Gemeinschaftsebene bereits harmonisiert. Dies bedeutet, dass Österreich im Falle eines Beitritts seine restriktive Politik im Bereich des innergemeinschaftlichen Straßenverkehrs aufgeben und den Besitzstand der Gemeinschaft übernehmen müsste.«389 389 Michael Gehler  : Österreichs Weg in die Europäische Union. – Innsbruck/Wien/Bozen 2009. Dok. 47. S. 287–292. S. 287f.

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Besonders kritisch wurde der österreichische Neutralitätsvorbehalt gesehen, der mit der Entwicklungsperspektive in Richtung einer Europäischen Union mit einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik nur schwer vereinbar sei.390 »Der Beitritt des neutralen Österreich zur Gemeinschaft stellt sich logischerweise aus der Sicht der gemeinsamen Handelspolitik als problematisch dar  ; in diesem Zusammenhang kommt insbesondere die derzeit zur Regel gewordene Praxis des Rates in Betracht, gegen bestimmte Länder nach Konsens im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit wirtschaftliche Sanktionen aufgrund des Artikels 113 EWGV zu verhängen … Im Kriegsfall würden solche Sanktionen mit den sich aus der Neutralität herleitenden Verpflichtungen kollidieren, ausgenommen, so scheint es, im Fall von Sanktionen, die von der Vereinten Nationen verhängt werden. In Friedenszeiten könnte sich aus ›politischen‹ Sanktionen ein Konflikt mit der Neutralität ergeben …« Die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Luxemburg vom 28. und 29. Juni 1991 hätten das Ziel einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und einer Stärkung der Rolle der Union als politisches Gebilde unterstrichen. Wenngleich der von Österreich vorgelegte Vertragsentwurf anerkennt, »dass die Stärkung der Sicherheit der Union und ihrer Mitgliedsstaaten in allen ihren Formen einschließlich der Festlegung einer Verteidigungspolitik zu den Zielen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik gehört«, so stellt sich »damit … die Frage, ob Österreich in der Lage wäre, derartige Verpflichtungen zu übernehmen, wenn es, wie es in dem Beitrittsantrag ausdrücklich heißt, seinen Status immerwährender Neutralität behalten und seine Neutralitätspolitik fortsetzen will. (…) Die Lösung für die oben aufgezeigten rechtlichen Probleme müssen in den Beitrittsverhandlungen erarbeitet werden, und zwar entweder durch eine Neudefinierung des Neutralitätsstatus durch Österreich (die von den Partnern notifiziert werden müsste) oder durch eine in der Beitrittsakte verankerte Ausnahme vom Vertrag.«391 Durch die Bereitschaft Österreichs zur Teilnahme an den EWR-Verhandlungen sowie den erheblich weiter führenden Schritt des offiziellen Beitrittsansuchens wurde die Entwicklung des europäischen Einigungsprozesses zu einem Thema der Innen- und – vor allem in den Ländern Salzburg und Tirol – der Landespolitik. Dabei begann sich in der Haltung der drei traditionellen Parteien eine Änderung abzu390 Zum Problem der Neutralität Vgl. Waldemar Hummer, Michael Schweitzer  : Österreich und die EWG – neutralitätsrechtliche Beurteilung der Möglichkeit der Dynamisierung des Verhältnisses zur EWG. – Wien 1987. 391 Gehler  : Österreichs Weg in die Europäische Union. S. 289ff.; zum Problem der österreichischen Neutralität Vgl. Heinrich Schneider  : Die österreichische Neutralität und die europäische Integration. – In  : Michael Gehler, Rolf Steininger (Hg.)  : Die Neutralen und die europäische Integration 1945–1995. – Wien/Köln/Weimar 2000. S. 465–496. Zur folgenden innerösterreichischen Diskussion über die Neutralität Vgl. Friedrich Hamburger  : Die Neutralitätsdebatte des Jahres 1992.  – In  : ÖJP 1992. S. 211–232.

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zeichnen, da die FPÖ, die bisher einer Teilnahme Österreichs an dem europäischen Einigungsprozess positiv gegenüber gestanden war, unter Jörg Haider zu Beginn der Neunzigerjahre eine allmähliche Positionsänderung vornahm. Mit Blick auf die weit verbreitete EG-Skepsis, im Sommer und Herbst 1991 signalisierten Meinungsumfragen skeptische bis negative Stellungnahmen zu einem EG-Beitritt bei rund 50 Prozent der Bevölkerung, war man nicht gewillt, dieses Wählerpotenzial den Grünen zu überlassen, die sich stets gegen den Beitritt Österreichs zum EWR sowie zur EG ausgesprochen hatten. Damit ergab sich bereits zu Beginn und während der EWR- und EG-Beitrittsverhandlungen eine deutliche politische Frontlinie  : während SPÖ und ÖVP vehement für eine Teilnahme am EWR und einen EG-Beitritt eintraten, lehnten dies die Grünen ab und wurden in dieser Haltung zunehmend von der FPÖ unterstützt. Erschwerend kam noch hinzu, dass auch innerhalb der beiden Regierungsparteien keineswegs eine einhellige Pro-Stimmung herrschte. Im linken Flügel der SPÖ artikulierten sich die historischen Überhänge des Antikapitalismus und der NATO-Ablehnung inklusive Antiamerikanismus mit dem Hinweis auf die Herrschaft des Großkapitals in der EG und die notwendige Rolle der Neutralität, die in ihrer derzeitigen Form mit einem Beitritt zur EG nicht aufrechtzuerhalten sei. In der ÖVP überwog vor allem in der Gruppe der Landwirte Skepsis bis Ablehnung mit dem Hinweis auf die besondere geografische Lage des Landes und aus Sorge um die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz und Wahrung der einheimischen Qualitätsstandards. Zu Beginn der EWR- und Beitrittsverhandlungen schienen diese vor allem ein Elitenprojekt mit ungewissem Ausgang. Nach durchaus dramatischen politischen Verhandlungen zwischen EG und EFTA, bei denen im Fall Österreich zwischen dem 5. und 12. Oktober das Thema Transit im Mittelpunkt stand, erfolgte am 21. Oktober 1991 in Luxemburg die angestrebte EWR-Verhandlungslösung. Vor allem aufgrund der massiven Bedenken in den Bundesländern Salzburg und Tirol, die die Bereiche Transit- und Ausländergrundverkehr, Sicherung der heimischen Landwirtschaft und eine drohende Aushöhlung des bundesstaatlichen Prinzips und des Föderalismus betrafen,392 war die ÖVP vorübergehend erheblichen innerparteilichen Belastungen ausgesetzt. Der sich verstärkende Widerstand von Bür392 Das Thema bundesstaatliche Ordnung und Föderalismus wurde vor allem vom Präsidenten des Salzburger Landtages, Helmut Schreiner, formuliert. Vgl. Helmut Schreiner  : Die Mitwirkung der Länder im Zuge der EG – In  : Franz Schausberger (Hg.)  : Engagement und Bürgersinn. Helmut Schreiner zum Gedenken. – Wien/Köln/Weimar 2002. S. 355–371 (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 18.)  ; Ders.: Die europapolitische Rolle der Landesparlamente in Österreich. – In  : Ebda. S. 387–400. Neben Schreiner wurde der Klubobmann der ÖVP im Salzburger Landtag, Franz Schausberger, zu einem vehementen Verfechter der Sicherung der Länderrechte im Zuge des europäischen Integrationsprozesses. Vgl. Franz

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gerinitiativen gegen den zunehmenden Transitverkehr in den ökologisch sensiblen Alpentälern hatte die Bundesregierung bereits im Vorfeld der EWR-Verhandlungen veranlasst, in bilateralen Gesprächen mit Brüssel eine Reduzierung der Lkw-Fahrten und der Umweltbelastung zu erreichen. Bei den zu Jahresbeginn 1988 aufgenommenen Verhandlungen bestand seitens Österreichs das unabdingbare Ziel in der Erreichung eines Transitvertrags inklusive einer namhaften Reduktion der Umweltbelastungen unabhängig von den schließlich erfolgenden EWR- und EG-Verhandlungen. Abgesehen von einer akzeptierten Verhängung eines Lkw-Nachtfahrverbots für laute Lkws im Dezember 1989 gerieten die Verhandlungen aufgrund der grundsätzlich unterschiedlichen Positionen der Verhandlungspartner ins Stocken. Auch die im Juni 1990 aufgenommenen EWR-Verhandlungen brachten kein Ergebnis, sodass sich Brüssel zur Taktik der Junktimierung des Abschlusses eines Transitabkommens mit demjenigen des EWR-Vertrages entschloss. Damit geriet die österreichische Verhandlungsführung unter Verkehrsminister Rudolf Streicher unter erheblichen Druck, da die Transitgegner, massiv unterstützt von den Grünen, unter diesen Bedingungen den Abbruch der Verhandlungen forderten. Der Durchbruch wurde in letzter Minute am 12. Oktober 1991 erzielt. Im Arbeitsübereinkommen vom 17. Dezember 1990 der neu gebildeten SPÖ-ÖVP-Regierung war die Zielsetzung eines generellen Nachtfahrverbots für nicht-lärmarme Lkws bis 1994 und eine Reduktion der Schadstoffemissionen enthalten, zu deren Realisierung das Verkehrsministerium das sog. Ökopunktesystem mit Fristen und Limits entwickelte, das von der EG-Kommission akzeptiert wurde. Zudem wurde Österreich zugestanden, bei einem Transitvertrag eine Laufzeit von 10 Jahren, d. h. über einen möglichen EG-Beitritt Österreichs hinaus, zu vereinbaren. Differenzen zwischen den Verhandlungspartnern bestanden bis zum Schluss der Verhandlungen über die Laufzeit des Transitvertrages und die Reduktion der Schadstoffemissionen. Während Österreich eine Laufzeit des Transitvertrages von 15 Jahren und eine Schadstoffemission von 65 Prozent anstrebte, lautete die Gegenposition 10 Jahre und 50 Prozent. Das schließlich geschlossene Transitabkommen war ein Kompromiss der divergierenden Positionen  : Er hatte eine Laufzeit von 12 Jahren, d. h. bis 2003, und sah eine Reduktion der Schadstoffemissionen um 60 Prozent vor. Hinzu kamen eine Limitierung der Lkw-Fahrten und die Finanzierung und der Ausbau von vier Bahnrouten.393

Schausberger  : Föderalismus und Länderrechte – Ein Problem im Zuge eines österreichischen EGBeitritts  ?  – In  : ÖJP 1991. – Wien/München 1992. S. 357–377. 393 Christian Schaller  : Die innenpolitische EG-Diskussion seit den 80er Jahren. – In  : Anton Pelinka, Christian Schaller, Paul Luif  : Ausweg EG  ? Innenpolitische Motive einer außenpolitischen Umorientierung. – Wien/Köln/Graz 1994. S. 27–269. S. 200ff. (Studien zu Politik und Verwaltung. Herausgegeben von Christian Brünner, Wolfgang Mantl, Manfried Welan. Band 47.)

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Die offizielle Unterzeichnung des EWR-Abkommens in Porto am 2. Mai 1992394 bedeutete die Assoziierung der unterzeichnenden EFTA-Länder nach Art. 238 EWG-Vertrag und erforderte Änderungen und Ergänzungen des österreichischen Rechtsbestandes. Als Staatsvertrag bedurfte er, ebenso wie der Transitvertrag, der Zustimmung des Nationalrats.395 Im Vorfeld der parlamentarischen Behandlung erfolgten völlig unterschiedliche Reaktionen sowohl auf den EWR- wie auch den Transitvertrag. Während SPÖ und ÖVP die Verhandlungsergebnisse als Erfolg bezeichneten und die Landeshauptleute von Tirol und Salzburg, Alois Partl und Hans Katschthaler, sich vor allem mit dem Transitvertrag anfreunden konnten, opponierte die Grüne Alternative Liste (GAL) gegen beide Verträge, wobei sie in ihrer Kritik am Transitvertrag von zahlreichen Bürgerinitiativen entlang der Transitstrecken und – in abgeschwächter Form von der FPÖ – Unterstützung erfuhr. Dabei wurde besonders kritisiert, dass der Transitvertrag nicht in das EG-Primärrecht übernommen worden und das Ökopunktesystem fehlerhaft sei und de facto keine Kontrollmechanismen existierten. Die GAL agierte von Anfang an gegen den EWR-Vertrag mit dem Argument, dass dieser einen de facto-Anschluss an die EG bedeute, weshalb eine Volksabstimmung zu diesem Thema unbedingt erforderlich sei. Bereits vor Abschluss der EWR-Verhandlungen kündigten die beiden Geschäftsführer der Grünen, Franz Floss und Franz Renkin, im März 1991 die Einleitung eines Volksbegehrens an, um die laufenden Verhandlungen zu stoppen. Als Ende Mai 1991 ein entsprechender Antrag der GAL im Nationalrat von den anderen Parteien abgelehnt wurde, reichten GAL-Abgeordnete Ende Juli beim Innenministerium einen Antrag auf Abhaltung eines Volksbegehrens für eine Volksabstimmung über einen EWR-Vertrag ein. In der Folge kam es zu einem innenpolitischen Scharmützel zwischen der GAL und Innenminister Franz Löschnak, als das von ihm geleitete Ministerium die Durchführung einer Volksabstimmung aus formalen Gründen ablehnte. In seiner Begründung wies der Innenminister darauf hin, dass ein Volksbegehren auf einen entsprechenden Gesetzesbeschluss des Nationalrates Bezug nehmen müsse, was jedoch noch nicht der Fall sei. Die Wogen der innenpolitischen Erregung gingen hoch, sah doch die GAL in diesem Verhalten einen Ausdruck der sich im Arkanum der Macht entfaltenden Elitenpolitik, die durchaus in das Bild der Entwicklung der EG passe. Die GAL musste jedoch auf das juristisch einwandfreie Argument des Innenministeriums reagieren und korrigierte ihren formaljuristischen Fehler, indem sie im September einen modifizierten Antrag einbrachte, in dem der Nationalrat aufgefordert wurde, ein Bundesgesetz zu beschließen, auf dessen Grundlage ein EWR-Vertrag einer Volksabstimmung zu 394 Zum EWR Vgl. Hans Brunmayr  : Der Europäische Wirtschaftsraum. – In  : ÖJP 1991. S. 273–286. 395 Waldemar Hummer  : Die Bedeutung des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) für Österreich. – In  : ÖJP 1992. – Wien/München 1993. S. 101–132.

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unterziehen sei. Dieser modifizierte und den formalen Bedingungen entsprechende Antrag wurde akzeptiert und die GAL verkündete euphorisch, dass man nunmehr eine Unterschriftenaktion starten werde, für die man mindestens 200.000 Unterschriften erwarte. Das politische Kalkül der GAL basierte auf der Überlegung, mit einem weit über die GAL-Wählerschaft hinausgehenden Thema und einer breiteren organisatorischen Basis durch Unterstützung von Anti-EG und Anti-Transit-Initiativen, anderen politischen (Mini) Parteien wie der VgÖ und der KPÖ, sich zum Fahnenträger der Freiheit Österreichs, was immer das bedeutete, zu machen. Dabei hoffte man vor allem in den westlichen Bundesländern und Wien auf eine breite Unterstützung. Formal sollte allerdings die GAL nicht als Initiator und Organisator in Erscheinung treten, sondern ein »Überparteiliches Personenkomitee für eine Volksabstimmung über den EWR-Beitritt«. Die Argumentationspalette bot unter dem bei Leopold Figl entlehnten Motto »Österreich bleibt frei  !« für jeden etwas  : Dem EWR-Beitritt folge automatisch der nächste, nämlich jener zur EG. Das EWR-Abkommen, so Johannes Voggenhuber, sei nichts anderes als eine Form der legalisierten Hegemonie. »Es handelt sich um ein System der Unterordnung der EFTA-Staaten unter die EG. Die EFTA-Staaten bilden im EWR einen ›äußeren Kreis‹ von Satellitenstaaten um die EG als alleinigem Zentrum der europäischen Integration.«396 Im Bereich der Umweltpolitik habe dies gravierende Änderungen zur Folge. »Einerseits war und ist die Umweltgesetzgebung in den EFTA-Staaten zumeist strenger als in den EGMitgliedsstaaten, andererseits – was in Zukunft viel mehr von Bedeutung sein wird – basiert das prognostizierte Wirtschaftswachstum im Binnenmarkt auf Qualitätseinbußen in den Bereichen Umwelt, Verkehr und Landwirtschaft.«397 Dies alles bedeute das Akzeptieren von Atommülltransporten und -lagern auf heimischem Territorium, einen massiven Demokratieabbau, Verschlechterung der sozialen Standards, Verlust der nationalen und regionalen Selbstbestimmung durch Unterordnung unter die Brüsseler Zentrale, anhaltende Transitbelastung, Herrschaft der Konzerne, Ausverkauf von Grund und Boden, Gefährdung zahlreicher landwirtschaftlicher und gewerblicher Existenzen und Senkung der hohen heimischen Qualitätsstandards bei Lebensmitteln. Die GAL und ihre Landesorganisationen standen in den moralisch hoch aufgeladenen und die Empörungskultur bedienenden Startlöchern, die sich allerdings nicht als so wirksam erwiesen wie erhofft. Das im November 1991 durchgeführte Volksbegehren war nur formal ein Erfolg, da es die notwendige Grenze von 100.000 Unterschriften überschritt, die für eine Behandlung im Nationalrat notwendig waren. 396 Johannes Voggenhuber  : Österreich im EWR – aus Sicht der Grünen. – In  : ÖJP 1992. S. 133–154. S. 135. 397 Voggenhuber  : Österreich im EWR. S. 146.

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Doch mit 127.043 Unterschriften blieb es deutlich unter den Erwartungen, hatten doch lediglich 2,25 Prozent der Wahlberechtigten daran teilgenommen. Die regionalen Ergebnisse differierten allerdings von der enttäuschenden bundespolitischen Teilnahme. So verzeichnete Salzburg mit einer Teilnahme von 6,31 Prozent einen beinahe dreifach höheren als der Bundesdurchschnitt, gefolgt mit deutlichem Abstand von Vorarlberg mit 3,06 Prozent und Wien mit 3,03 Prozent, während die Teilnahme in Tirol enttäuschende 2,61 Prozent betrug und damit nur knapp über dem Bundesdurchschnitt lag. Wenngleich sich das von der GAL initiierte Volksbegehren als Fehlschlag erwies und der Nationalrat am 22. September 1992 den EWR-Vertrag gegen die Stimmen von FPÖ und GAL ratifizierte, der Transitvertrag war bereits am 9. Juli gegen die Stimmen der beiden Parteien genehmigt worden, so verschwand das Thema der europäischen Integration Ende 1992 keineswegs von der politischen Agenda. Im Gegenteil. Die beginnenden und medial begleiteten EG-Beitrittsverhandlungen erhöhten das öffentliche Interesse sowie die Ängste und Ablehnung,398 die deshalb von besonderer Bedeutung wurden, da im Fall erfolgreich abgeschlossener Beitrittsverhandlungen ein Vertrag aus verfassungsrechtlichen Gründen zwingend einer Volksabstimmung unterworfen war. Vor diesem Hintergrund startete die Bürgerliste Salzburg-Land am 16. Oktober 1992 die Werbung für ein Volksbegehren mit dem Anliegen, dass die Änderung der Landesverfassung oder einzelner Gesetze, die durch den Beitritt Österreichs zum EWR und zur EG notwendig werden, zwingend einer Volksabstimmung zu unterwerfen sei. Offiziell fungierte eine überparteiliche Bürgerinitiative mit der Mittersiller Gastwirtin Barbara Jungwirth als Organisator des Volksbegehrens, dessen tatsächliche organisatorische Leitung und Öffentlichkeitsarbeit die Bürgerliste Salzburg-Land übernahm, die sich dadurch eine deutliche Verbreiterung ihrer Wählerbasis bei der kommenden Landtagswahl erhoffte. Bis zum 15. Dezember, so Christian Burtscher, wolle man die erforderlichen 10.000 Unterschriften für den Start des Volksbegehrens gesammelt haben.399 Die Prognose Burtschers wurde übertroffen. Die Bürgerliste Salzburg-Land sammelte 1993 11.853 Unterschriften, sodass die Landeswahlbehörde am 15. März 1993 das Volksbegehren »Nein zu EWR & EG« für zulässig erklärte. Für die am 16. Mai durchgeführte Volksabstimmung warb die Bürgerliste Salzburg-Land mit zahlreichen Inseraten, in denen die Initiatoren der Volksabstimmung ihre Motive erklärten. Für Christian Burtscher war der drohende 398 Im September 1993 sprachen sich lediglich 40 Prozent der Österreicher für einen EG-Beitritt aus, während ihn 33 Prozent ablehnten und der Rest unentschlossen war. Vgl. Michael Gehler  : Der lange Weg nach Europa. Österreich von Ende der Monarchie bis zur EU. 2 Bde. – Innsbruck/Wien/München/Bozen 2002. Bd. 1. S. 313. 399 SN 27.10.1992. S. 17.

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Ausverkauf der Heimat an EWR & EG noch zu stoppen. EWR und EG bedeuteten nicht nur einen Ausverkauf der Heimat, sondern Produktionsverlagerungen ins Ausland, Einkommensverluste, steigende Arbeitslosigkeit und den Ruin zahlreicher Klein- und Mittelbetriebe inklusive eines Bauernsterbens. Im Falle des befürchteten Bauernsterbens erhielt die Bürgerinitiative Unterstützung durch die Studie »EG-Agrarreform – Auswirkungen auf die Salzburger Land- und Forstwirtschaft« der Agrarabteilung des Amtes der Salzburger Landesregierung, die am 4. Oktober 1991 dem unter dem Vorsitz von Landeshauptmann Hans Katschthaler tagenden »EG-Integrationsrat« des Landes präsentiert wurde. In dieser wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das im Juli 1991 von der EG-Kommission beschlossene Reformpaket für die Salzburger Milch- und Viehwirtschaft aufgrund der drastischen Preissenkungen in diesen Bereichen existenzgefährdend wäre.400 Tatsächlich stand die österreichische Agrarpolitik vor dem Hintergrund der EWR- und EG-Beitrittsverhandlungen vor enormen Herausforderungen, musste man sich doch vom gewohnten Agrarsystem mit seinen breit gefächerten Schutzmechanismen verabschieden und auf ein teilweise völlig neues und weniger geregeltes System umstellen.401 Die von der österreichischen Verhandlungsdelegation im Bereich der Landwirtschaft neben einer EU-Kofinanzierung von Bergbauern, der Regionalförderung und von Umweltprogrammen erreichten degressiven Ausgleichszahlungen für die Jahre 1995 bis 1998 wurden von Christian Burtscher unmittelbar vor der Landtagswahl 1994 als bloße »Sterbehilfe« für die Landwirte, die damit zum »Landschaftspfleger zum Sozialtarif« würden, abgetan.402 Barbara Jungwirth betonte, dass eine Anpassung des Salzburger Grundverkehrsgesetzes an EWR-Normen den totalen Ausverkauf der Heimat bedeute. Darüber könnten auch noch so viele Beteuerungen der Politiker nicht hinwegtäuschen. Den drohenden Ausverkauf der Heimat im Falle eines EWR- und EG-Beitritts hatte die Bürgerliste der Stadt Salzburg bereits 1990/91 in mehreren Inseraten thematisiert. Mitte Oktober 1990 warnte Herbert Fux, dass im Fall eines EG-Beitritts Salzburg »zubetoniert« werde. Der nach wie vor herrschenden »Salzburger Baumafia« sei es »im Landtag gelungen, geplante Schutzmaßnahmen am Rande der Altstadt (Riedenburg, Nonntal, Neustadt) … zu verhindern.« Ihr sei es »im Landtag gelungen, die Grundlagen für sinnvolle Bebauungspläne für die Stadtviertel sowie ein Baumschutzgesetz zu verhindern.« Ein EG-Beitritt sei »Salzburgs letzter Ausverkauf  ! Der Raum Salzburg wird nach dem EG-Beitritt eine Drehscheibe. Tausende millionenteure Wohnungen für Europas ›Reiche‹ können dann verkauft werden. Milliarden 400 SN 10.10.1991. S. 19. 401 Karl Mayr  : Reformen der Agrarpolitik für eine bäuerliche Landwirtschaft. – In  : Dachs, Dirninger, Floimair (Hg.)  : Übergänge und Veränderungen. S. 459–499. S. 471. 402 SN 3.3.1994. S. 23.

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Enttäuschte Hoffnungen – Die Landtagswahl 1989

Gewinne winken. Daher erwerben die Bauhaie schon jetzt massenweise Häuser, Villen, Gärten und Parkanlagen, sogar mit weit überhöhten Preisen. … Die Salzburger Bevölkerung hat in den letzten Monaten die Ausverkaufspolitik durchschaut. In vielen Stadtvierteln haben sich Bürgerinitiativen gebildet … Bürger wehrt Euch, solange der Großraum von Salzburg noch nicht völlig zubetoniert und die Lebensqualität erloschen ist  !«403 Ein Jahr später forderte Johann Padutsch »Stoppt die EG-Spekulanten. Jetzt. Die totale Vermarktung Salzburgs hat durch den beabsichtigten EG-Beitritt ein noch nie dagewesenes Ausmaß erreicht. Spekulanten treiben die Bodenpreise hemmungslos in die Höhe … Unbezahlbare Wohnungspreise, eine Flut von Zweit- und Luxuswohnungen, immer mehr Büro- und Geschäftsburgen, weit über 10.000 wohnungssuchende Salzburger/innen und eine enorme Zunahme der Verkehrsbelastung sind die fatalen Folgen.«404 Die Volksabstimmung brachte jedoch nicht den erhofften Erfolg. Lediglich 25.325 Salzburgerinnen und Salzburger nahmen an ihr teil, von denen 92 Prozent für eine verfassungsrechtlich verankerte Mitbestimmung stimmten. Dies bedeutete eine Wahlbeteiligung in der Stadt Salzburg von 7,8 Prozent und im Land Salzburg von 7,5 Prozent. Wenngleich dieses Ergebnis über dem Wahlergebnis der Bürgerliste Salzburg-Land bei der Landtagswahl 1989 lag, so signalisierte es keineswegs die erhoffte Breitenwirkung und eine daraus resultierende Aufbruchsstimmung für die bevorstehende Landtagswahl. Intern wurde am Tag nach der Volksabstimmung kritisch festgestellt, dass zwar insgesamt 11 Inserate der Aktivisten der Bürgerinitiative geschaltet worden seien, jedoch kein einziger Mandatar der Bürgerliste SalzburgStadt das Volksbegehren öffentlich unterstützt habe.405 Auf Bundesebene lehnte die GAL auf einer Bundestagung im Februar 1993 einen EG-Beitritt aus einer Reihe von Gründen ab. Die EG sei im Sinne des triumphierenden Liberalismus und Kapitalismus »das größte Wachstums- und Deregulierungsprojekt der Geschichte«, strebe ein »zentralistisches, einheitliches Europa nach dem Muster der USA« an, ihr fehle es »an demokratischer Legitimation sowie innerer Demokratie« und sie führe schließlich »einen neuen Kalten Krieg … gegen den Süden«, erklärten Johannes Voggenhuber und Peter Pilz, die auch die Vorbereitung auf eine Anti-EG-Kampagne ankündigten.406 Widerstand gegen diese strikte Ablehnung kam von der Umweltsprecherin Monika Langthaler, die darauf hinwies, 403 SN 18.10.1990. S. 32. 404 SN 10.10.1991. S. 36. 405 So Dietlinde und Dietmar Kurz in einem Schreiben vom 17. Mai 1993 an die Fraktion der Bürgerliste der Stadt Salzburg. (AHB) 406 Zit. bei Franz Heschl  : Drinnen oder draußen  ? Die öffentliche österreichische EU-Beitrittsdebatte vor der Volksabstimmung 1994. – Wien/Köln/Weimar 2002. S. 53. (Schriftenreihe des DDr.-Herbert-Batliner-Europainstitutes. Forschungsinstitut für Europäische Politik und Geschichte. Herausgegeben von Herbert Batliner und Erhard Busek. Band 6.)

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dass rund die Hälfte der Grün-Wähler den strikten Anti-EG-Kurs ablehnte. Dessen ungeachtet verschärfte EG-Sprecher Johannes Voggenhuber nach dem enttäuschenden Abschneiden der GAL bei der niederösterreichischen Landtagswahl am 16. Mai 1993, bei der sich die Partei gegenüber der letzten Landtagswahl 1988 lediglich um 0,7 Prozent auf 3,2 Prozent zu steigern vermochte, den strikten Anti-EG-Kurs.407 Es sei ihm unverständlich, dass die GAL mit ihrer deutlich vertretenen EG-Kritik bei einem Anteil von EG-Skeptikern bzw. -Gegnern von 50 Prozent ein so enttäuschendes Ergebnis erzielt habe. Mit deutlichem Seitenhieb auf Monika Langthaler ortete er die Ursache für dieses deutliche Verfehlen des Wahlziels auch bei jenen Funktionären, die den strikten Anti-EG-Kurs nicht mittrugen. Die Existenz der GAL hing seiner Meinung nach von einer konsequenten Vertretung eines Anti-EGKurses durch eine Verschärfung der Opposition zur Regierungspolitik ab. »Und das Nein zur EG muss deutlich gemacht werden, ein Nein ohne Wenn und Aber.«408 Die rigorose Position Voggenhubers blieb innerparteilich nicht unwidersprochen. Peter Pilz sprach in Anlehnung an die Habsburg-Krise der frühen Sechzigerjahre von einem unangebrachten »EG-Kannibalismus«, der letztlich kontraproduktiv sei, da ein solcher »Exorzismus … dem Wähler nicht zuzumuten« sei.409 Die Haltung der GAL zur EG und den laufenden EG-Beitrittsverhandlungen schwankte zwischen der rigorosen Ablehnung Johannes Voggenhubers und der zurückhaltend ablehnenden Haltung von Peter Pilz. Um in der Öffentlichkeit den Eindruck der Zerrissenheit zu vermeiden, war man auf dem Bundesparteitag Ende Mai 1993 um einen Kompromiss bemüht. Voggenhuber blieb EG-Sprecher der Partei, sollte jedoch in Zukunft in seinen europapolitischen Äußerungen von Peter Pilz und Klubobfrau Madeleine Petrovic unterstützt werden. Die GAL stand sowohl im Bund wie auch in den Ländern in der Frage eines EG- bzw. nach dem Vertrag von Maastricht nunmehr EU-Beitritts durch den neuen Konkurrenten Liberales Forum (LIF) vor allem in den urbanen Ballungsräumen vor einer zusätzlichen Herausforderung. Das LIF sprach in zunehmendem Ausmaß eine Wählerklientel an, das zwar durchaus GAL-affin war, jedoch mit dessen strikter Anti-EU-Linie nicht übereinstimmte, da es eine Teilnahme am europäischen Integrationsprozess als unabdingbar betrachtete. Auch im Vorfeld der Salzburger Landtagswahl gab das LIF am 23. Oktober 1993 seine Kandidatur bekannt. Als der ursprünglich als Spitzenkandidat vorgesehene evangelische Theologe Herwig Imendörffer bereits nach einem Monat aus gesund407 Das Liberale Forum hingegen erreichte bei seinem erstmaligen Antreten 5,1 Prozent und zählte neben der FPÖ, die mit einem Stimmenanteil von 12,1 erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik ein zweistelliges Ergebnis erreichte, zu den Gewinnern der Wahl. Vgl. Fritz Plasser, Franz Sommer, Peter Ulram  : Landtagswahl Niederösterreich 1993. Wählerprofile, Entscheidungsmotive, Trendmuster. – In  : ÖJP 1993. – Wien/München 1994. S. 181–223. 408 Zit. bei Heschl  : Drinnen oder draußen  ? S. 55. 409 Zit. ebda.

300

Enttäuschte Hoffnungen – Die Landtagswahl 1989

heitlichen Gründen von dieser Funktion zurücktrat, folgte ihm der Patentanwalt Richard Menapace, der das LIF als deutliche Alternative zur Bürgerliste Salzburg-Land positionierte, indem Anfang März 1994 ein »Fest für Europa« veranstaltet wurde und man sich, so Menapace in deutlicher Kritik an der Bürgerliste Salzburg-Land und der FPÖ, gegen eine auf den Adrenalinspiegel setzende Politik, wandte. Stattdessen konzentrierte man sich auf die Forderung nach einem Rückzug der Parteien aus staatlichen oder staatsnahen Unternehmen, eine Abschaffung des Proporzes in der Landesregierung und eine neue politische Kultur der Sachlichkeit, Freiheit und Selbstverantwortung, frei vom Primat der Parteizugehörigkeit. Unbestrittener Star des LIF war die populäre Obfrau der Bundespartei, Heide Schmidt, die, wenngleich sie in Salzburg gar nicht kandidierte, zusammen mit dem weitgehend noch unbekannten Spitzenkandidaten Menapace affichiert wurde. Ein wesentliches Problem für das LIF bildete das Salzburger Landeswahlrecht, das für den Einzug in den Landtag in der Stadt Salzburg rund zehn Prozent der Stimmen erforderte. Da das LIF aufgrund seines möglichen Wählerpotenzials nur in der Landeshauptstadt reüssieren konnte, bedeutete dies eine erhebliche Hürde, die nur schwer zu meistern war. Ein weiteres Problem für die Bürgerliste Salzburg-Land bildete die unter Haiders populistischer Führung erstarkende FPÖ, die sich von ihrer ursprünglichen europafreundlichen Linie verabschiedete und in das Lager der Beitrittsgegner wechselte, womit die GAL und deren Landesorganisationen in diesem Bereich das politische Alleinstellungsmerkmal verloren. Und auch in ihrer Forderung nach mehr Bürgernähe und Transparenz setzte sie sich auf einem Themenfeld der Bürgerliste Salzburg-Land fest, wobei sie in ihrer Agitation Slogans der Bürgerliste aufgriff und ihren neuen Landesparteiobmann Karl Schnell als unerschrockenen Kämpfer gegen »Mafia« und »Privilegien« stilisierte, der, so wie früher als »Arzt für die Mitmenschen« nunmehr als »Landesrat für die Bürger« da sei. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, galt es neben klaren politischen Botschaften – Demokratie, Bürgerrechte, Ökologie, Anti-EG/EU – auch ein entsprechend attraktives personelles Angebot zu unterbreiten. Spitzenkandidat Christian Burtscher hatte sich für die taktische Variante der Bürgerbewegung unter Einschluss der überparteilichen Bürgerinitiativen, die im Zuge der Auseinandersetzung um das Brennhoflehen und den EWR- und EU-Beitritt entstanden waren, entschieden. Deren Exponenten, der Kuchler Vizebürgermeister Matthias Meisl und die Mittersiller Gastwirtin Barbara Jungwirth, sollten als unabhängige Kandidaten auf den Listenplätzen drei und fünf aufscheinen, um ein möglichst breites Wählerpotenzial anzusprechen. Platz vier war für den Pressesprecher der Bürgerliste Salzburg Land, Heinrich Breidenbach, vorgesehen. Erste auf den folgenden Plätzen sollten wiederum Funktionäre der Bürgerliste gereiht werden. Noch am 16. Jänner 1993 war in einer völlig friktionsfrei verlaufenden Landesversammlung der Bürgerliste Salzburg-Land in einem Gasthaus direkt an der Tran-

Die günstige politische Großwetterlage

301

sitroute B311 in St. Johann im Pongau der Vorstand der Partei gewählt worden.410 Die zur Diskussion stehende Besetzung des Vorstandes nach dem Muster der GAL im Bund mit sog. »Promis« wurde dabei abgelehnt, da dies, so Peter Haibach, eine unstatthafte »Konzentration auf wenige« und »eine zeitliche Überforderung der Promis« bedeutend würde. Bei der kommenden Landtagswahl im März 1994 strebe man, so Christian Burtscher zuversichtlich, »eine Verdreifachung« der Mandate an.411 Dies sei durch die Inklusion verschiedener Bürgerinitiativen zu erreichen. Daraus resultierten jedoch zwei Probleme  : 1. Da sich die Bürgerinitiativen als überparteilich definierten, mussten die von diesen gestellten Kandidaten/innen an wählbarer Stelle gereiht und als unabhängige Kandidaten, die keinem Klubzwang unterlagen, nominiert werden. Dies bedeutete selbst im Fall eines deutlichen Zugewinns, dass durch den Einzug von unabhängigen Kandidaten/innen in den BL-Klub ein Klubzwang und damit ein geschlossenes Abstimmungsverhalten letztlich nicht durchsetzbar waren. Damit war die Wiederholung des chaotischen Erscheinungsbildes des Grünen Nationalratsklubs in den Jahren 1986 bis 1990 gegeben, der de facto von allen innenpolitischen Kommentatoren als nicht politikfähig bezeichnet wurde. 2. Die basisdemokratische Bürgerlisten-Tradition stand einer solchen weitgehenden Abmachung nach dem Muster der traditionellen Parteien entgegen. Die freie Wahl ohne Tabus galt als Credo der politischen Entscheidungsfindung. Diese Probleme bestimmten die Diskussion auf der Landesversammlung der Bürgerliste Salzburg-Land am 23. Oktober 1993 auf der Festung Hohensalzburg, bei der die Kandidatenliste für die Landtagswahl erstellt werden sollte. Johannes Voggenhuber lehnte den Vorschlag Burtschers mit der Begründung ab, dass sich die Landesversammlung nicht das Recht nehmen lassen dürfe, frei zu wählen, und auch Vizebürgermeister Johann Padutsch beschwor das Bild einer »mündigen Landesversammlung«, die durchaus in der Lage sei, verantwortungsvoll zu entscheiden. Der Halleiner Rechtsanwalt Heinrich Schellhorn übte ebenfalls Kritik an dieser Entscheidung. Der Widerstand war so heftig, dass eine Ablehnung des von Burtscher erstellten Wahlvorschlags drohte. In dieser Situation entschloss sich dieser zur Drohung mit seinem Rücktritt, sollten »sich nicht alle vorgeschlagenen Kandidaten auf der Liste befinden.« Die Drohung war geschickt, da es sich die Bürgerliste SalzburgLand nur schwer leisten konnte, rund fünf Monate vor der Wahl ihren Spitzenkandidaten zu verlieren und das Bild der Zerrissenheit zu bieten. Johann Padutsch bezeichnete dies – durchaus zu recht – als »Erpressung«, der er nicht folgen wolle. Die Landesversammlung drohte zu kippen. Ihr Scheitern konnte nur durch eine Unter410 Dem Vorstand gehörten Martin Flatz (Puch), Peter Haibach (Bürmoos), Heidi Reiter (Eugendorf), Georg Starzer (Stadt Salzburg), Barbara Wallentin (Wals-Siezenheim) und Dietlinde Kurz (Stadt Salzburg) an. 411 SN 18.1.1993. S. 11.

302

Enttäuschte Hoffnungen – Die Landtagswahl 1989

brechung und anschließend folgende hektische Verhandlungen, in denen schließlich ein Kompromiss gefunden wurde, vermieden werden. Der Basis wurde von Burtscher das Recht der freien Wahl ab Platz drei zugestanden, wobei sich allerdings ein Ergebnis in seinem Sinne abzeichnete. In der schließlich durchgeführten Wahl erfolgte nur eine geringfügige Änderung auf den Plätzen drei bis fünf  : Matthias Meisl wurde an die dritte, Barbara Jungwirth an die vierte und Peter Breidenbach an die fünfte Stelle gereiht.412 Das Wahlergebnis hinterließ allerdings auch Narben, die den kommenden Konflikt bereits andeuteten. So erklärte ein sichtlich enttäuschter Peter Breidenbach, er fühle sich unter seinem Wert geschlagen. Mit deutlichem Seitenhieb auf die vor ihm gereihten Meisl und Jungwirth bemerkte er, es sei offensichtlich derzeit ein Manko, ein Grüner zu sein. Das ehemalige SPÖ-Mitglied Barbara Jungwirth bemerkte hingegen im März 1994 in einem Schreiben an die Sympathisanten der von ihr gegründeten Bürgerinitiative »Nein zu EWR & EU«, die Bürgerliste habe ihr »als Sprecherin der Bürgerinitiative bei den kommenden Landtagswahlen einen wählbaren Listenplatz angeboten. Nach reiflicher Überlegung habe ich dieses Angebot zur Kandidatur schließlich angenommen. Denn 1. Es kann den Zielen unserer Bürgerinitiative nur nützlich sein, wenn wir auf die Landespolitik direkt Einfluss nehmen können. … 3. Die Bürgerliste sicherte mir eine parteiunabhängige Kandidatur zu. (Kein Klubzwang) Erleichtert wurde mein Entschluss durch den Umstand, dass die Bürgerliste in Salzburg der einzig verlässliche Bündnispartner unserer Bürgerinitiative war und ist.«413 Dies bestätigte sich am Vorabend der Landtagswahl, als die Bürgerinitiative »Nein zu EWR & EU« am 4. März 1994 zu einer Demonstration gegen den Transitvertrag am Grenzübergang Walserberg aufrief. Die mit rund 40 Teilnehmern spärlich besuchte Demonstration wurde zu einem Prominententreffen der Bürgerliste. Neben Christian Burtscher befanden sich Herbert Fux, Johann Padutsch und Helmut Hüttinger unter den Teilnehmern, die sich zu einem kaum beachteten Akt symbolischer Politik am Grenzübergang eingefunden hatten. Die groß angekündigte Straßenblockade fand weitgehend nicht statt und nach einer halben Stunde fuhren die Lkw an der spärlichen Anzahl der Demonstranten vorbei. Dass man mit der von Johannes Voggenhuber auf Bundesebene vertretenen und von der Bürgerliste Salzburg-Land befolgten strikten Anti-EU-Haltung bei der bevorstehenden Landtagswahl würde nicht reüssieren können, wurde am Bild der verloren wirkenden kleinen Gruppe von Demonstranten am Walserberg deutlich. 412 SN 25.10.1993. S. 13. 413 AHB

Eine Enttäuschung – Sieger sehen anders aus

303

9.2 Eine Enttäuschung – Sieger sehen anders aus Am Wahlabend des 13. März 1994 bestätigte sich, dass die FPÖ auch bei der Salzburger Landtagswahl ihre Siegesserie bei Bundes- und Landtagswahlen seit 1986 eindrucksvoll fortsetzen konnte und mit einem Stimmenzugewinn von rund 9000 Stimmen und zwei Mandaten der eigentliche Gewinner der Wahl war, während ÖVP und SPÖ, beeinflusst auch von bundespolitischen Rahmenbedingungen, herbe Verluste hinnehmen mussten. Die ÖVP verlor rund 10.000 Stimmen und zwei Mandate, womit sie zwar noch klar stärkste Partei blieb, jedoch ihre absolute Mehrheit in der Landesregierung, in der die FPÖ nunmehr mit zwei Mitgliedern vertreten war, verlor. Gegenüber den Gewinnen der FPÖ nahmen sich jene der Bürgerliste Salzburg-Land mit 1,1 Prozentpunkten und einem Mandat bescheiden aus. Die hoch gesteckten Erwartungen erfüllten sich nicht. Landeshauptmann Hans Katschthaler bemerkte im Rückblick, das Ergebnis der Landtagswahl 1994 sei für ihn »eine tiefe Enttäuschung, die bitterste Niederlage« in seinem politischen Leben gewesen. »Der immer noch vorhandene große Abstand von 11,6 Prozentpunkten zu den zweitstärksten Sozialdemokraten war für mich kein Trost.«414 Sowohl die ÖVP mit nur mehr 38,6 Prozent (- 5,4 Prozentpunkte) wie auch die SPÖ mit 27 Prozent (- 4,2 Prozentpunkte) erreichten ihr jeweils schlechtestes Ergebnis in der Geschichte der Zweiten Republik. Das Liberale Forum erwies sich für die Bürgerliste Salzburg-Land als der befürchtete Gegner. Trotz des Gewinns von rund 14.500 Stimmen verfehlte es das Grundmandat in der Stadt Salzburg knapp und damit auch den Einzug in den Landtag. Die Dekonzentration des traditionellen Parteiensystems erfuhr seine Fortsetzung, die politische Landschaft begann neue Konturen anzunehmen. Die ÖVP verlor von ihren Wählern des Jahres 1989 vor allem an die FPÖ (9,2 Prozent), die Bürgerliste Salzburg Land (3,9 Prozent), die SPÖ verlor 8 Prozent an die FPÖ und 2 Prozent an die Bürgerliste. Beide Parteien verzeichneten eine Wiederwahlquote von 79 bzw. 84 Prozent. Durch die erheblichen Gewinne von der ÖVP und der SPÖ bestanden 21 Prozent der FPÖ-Wähler aus ehemaligen ÖVPWählern, 13 Prozent aus ehemaligen SPÖ-Wählern, während die Wiederwahlquote mit 71 Prozent etwas hinter jenen von ÖVP und SPÖ lag. Die Bürgerliste SalzburgLand wies eine Wiederwahlquote von lediglich 45 Prozent auf, konnte jedoch neben Gewinnen von ÖVP und SPÖ vor allem einen starken Zuzug ehemaliger VgÖWähler verzeichnen. Die VgÖ gingen de facto in der Bürgerliste Salzburg-Land auf. Hingegen konnte die Bürgerliste Salzburg-Land in der Gruppe der Jungwähler und Zugezogenen keine Gewinne verbuchen. Das Liberale Forum erwies sich für die Bürgerliste Salzburg-Land vor allem in der Landeshauptstadt als der erwartete Kon414 Hans Katschthaler. Eine Autobiografie. Mit einem Interview von Clemens M. Hutter. – Salzburg/ Wien/München 2008. S. 265.

304

Enttäuschte Hoffnungen – Die Landtagswahl 1989

kurrent. Rund ein Drittel der Bürgerlisten-Wähler des Jahres 1989 wählten diesmal das LIF. Das Grundmandat der Bürgerliste Salzburg-Land in der Landeshauptstadt war lediglich mit einem Überhang von 500 Stimmen erreicht worden. Hier verfehlte das LIF mit nur 888 Stimmen ein Grundmandat und damit den Einzug in den Landtag. Die Folge war, dass die Bürgerliste Salzburg-Land in der Stadt Salzburg gegenüber der Landtagswahl 1989 an Stimmen verlor, jedoch prozentuell einen Gewinn verzeichnete, der allerdings im Vergleich der politischen Bezirke am geringsten war. Ergebnis der Landtagswahl vom 13. März 1994 im Vergleich zur Landtagswahl am 12. März 1989  :415 Jahr 1989

1994

Partei ÖVP

Stimmen

Prozent

Mandate

108.456

43,9

16

SPÖ

77.081

31,2

12

FPÖ

40.375

16,4

6

BL Salzburg-Land, Grüne

15.171

6,2

2

VgÖ

4350

1,8

0

KPÖ

1233

0,5

0

ÖVP

98.676

38.6

14

SPÖ

69.146

27,0

11 8

FPÖ

49.827

19,5

BL Salzburg-Land, Grüne

18.519

7,3

3

LIF

14.562

5,8

0

4638

1,8

0

ÖABP

Wählerströme zwischen der Landtagswahl 1989 und 1994 in Prozent  :416 LTW 1989

ÖVP

SPÖ

FPÖ

BL

ÖABP

LIF

Nichtwähler

Verstorbene 3,08

ÖVP

79,25

0,00

9,19

3,85

1,00

1,43

2,20

SPÖ

0,00

81,77

7,98

2,00

0,00

0,00

3,03

5.22

FPÖ

0,00

0,00

71,30

0,00

0,00

8,57

19,06

1,06 0,00

BL

0,00

0,00

0,00

44,69

21,46

33,85

0,00

VgÖ

0,00

0,00

0,00

80,63

0,00

4,31

15,06

0,00

KPÖ

0,00

0,00

80,79

0,00

0,00

0,00

0,00

19,21

415 Landtagswahl 1994. Ergebnisse-Analysen-Auswirkungen. – Salzburg 1994. S. 11f. (Schriftenreihe des Landespressebüros. Serie »Salzburg Dokumentationen« Nr. 110. Hg. v. Roland Floimair.) 416 Landtagswahl 1994. S. 54.

305

Eine Enttäuschung – Sieger sehen anders aus LTW 1989

ÖVP

SPÖ

FPÖ

BL

ÖABP

LIF

Nichtwähler

Verstorbene

Nichtw.

0,00

0,00

0,00

1,71

0,00

2,85

87,33

8,12

Jungw.

50,71

18,63

8,28

0,00

0,00

5,43

19,96

0,00

Verstorbene im Wahlberechtigtenalter im Zeitraum 1.1.1989 bzw. 1.1.1994 plus allfälligem negativem Wanderungssaldo (Wegzug/Zuzug von Wahlberechtigten). Jungwähler plus Eingebürgerte im Wahlalter plus allfälligem positivem Wandungssaldo (Zuzug/Wegzug von Wahlberechtigten).

Ergebnisse der Bürgerliste Salzburg-Land in den politischen Bezirken bei der Landtagswahl 1994 im Vergleich zur Landtagswahl 1989 in Stimmen und Prozenten  :417 LTW 1989 Stimmen absolut

LTW 1994 Stimmen absolut

LTW 1989 in Prozent

LTW 1994 in Prozent

7373

7185

10,7

10,8

Salzburg Stadt Flachgau

3597

4526

5,9

6,9

Tennengau

1304

2173

5,0

7,9

Pongau

1284

1842

3,3

4,6

Lungau

401

662

3,5

5,5

Pinzgau

1212

2202

3,0

5,0

Grüne Sieger sahen anders aus. »Dass uns die Liberalen 40 Prozent absaugen, is’ a Hammer«, kommentierte ein sichtlich enttäuschter Vizebürgermeister Johann Padutsch das Wahlergebnis in der Stadt Salzburg.418 Christian Burtscher musste eingestehen, dass die hoch gesteckten Ziele verfehlt wurden. »Wir haben unser Ziel, die Mandate auf vier Stück zu verdoppeln, nicht erreicht. Die mobilen Wählerschichten, die von Wahl zu Wahl entscheiden, wem sie ihre Stimme geben, haben sich weit mehr als ich erwartet habe, für das Liberale Forum entschieden – für eine Gruppe, die aber doch nicht in den Landtag einziehen konnte. Das sind nun also verlorene Stimmen.«419 Die erhoffte Zugkraft und Mobilisierung der Anti-EU-Politik und damit der Bürgerinitiative »Gegen EWR & EU« erwies sich als Fehlkalkulation. Ihr Kampf gegen den EU-Beitritt wurde von ihren Wählerinnen und Wählern bei der Möglichkeit von Mehrfachnennungen nicht einmal von der Hälfte als Wahlmotiv genannt. 417 Ebda. S. 14f. 418 SN 14.3.1994. S. 9. 419 Ebda. S. 3.

306

Enttäuschte Hoffnungen – Die Landtagswahl 1989

Motive für die Wahl der Bürgerliste Salzburg Land bei der Landtagswahl am 13. März 1994 (in Prozent der Wähler der eigenen Partei)  :420 Weil sie sich für die Umwelt einsetzt

90

Weil sie kontrolliert und Missstände aufzeigt

80

Um den Großparteien einen Denkzettel zu verpassen

51

Weil sie gegen den EU-Beitritt ist

45

Weil sie interessante Persönlichkeiten hat

41

Auch das Thema »Transit« entfaltete nicht den erhofften Rückenwind. Im Pongau, Pinzgau und Lungau blieben die Gewinne überschaubar und die etwas stärkeren Gewinne im Tennengau waren auf andere Faktoren, vor allem die Attraktivität der überparteilichen Bürgerinitiative gegen eine Umwidmung des Brennhoflehens um den Kuchler Vizebürgermeister Matthias Meisl, zurückzuführen. In Kuchl und Golling vermochte die Bürgerliste Salzburg-Land mit einem Zuwachs von 7,6 Prozent bzw. 6,8 Prozent ihre landesweit höchsten Gewinne zu erzielen. Durch die hohen Zugewinne in Kuchl und Golling, wo die Bürgerliste Salzburg-Land auf einen Anteil von 14,5 Prozent bzw. 12,7 Prozent kam, rangierten beide Gemeinden als stimmenstärkste vor der Stadt Salzburg mit einem Stimmenanteil von 10,8 Prozent. Wenngleich man mit der Erringung von drei Mandaten im Salzburger Landtag Fraktionsstatus erlangt hatte, so bot das letztlich enttäuschende Abschneiden Anlass zu einer internen Diskussion über eine strategische und inhaltliche Ausrichtung, die bald zu einer in aller Öffentlichkeit ausgetragenen heftigen Kontroverse ausartete und eine von Krisen gekennzeichnete Phase einleitete.

420 Franz Schausberger  : Die Salzburger Landtagswahl 1994.- ÖJP 1994. – Wien/München 1995. S. 255– 274. S. 273.

10.

1994 bis 1999 – Eine Phase der Verwirrung

10.1 Personelle und inhaltliche Differenzen Das Wahlergebnis der Bürgerliste Salzburg-Land bei der Landtagswahl vom 13. März 1994 entsprach, trotz des Gewinns eines Mandats, keineswegs den hoch gesteckten Erwartungen und führte unmittelbar nach der Wahl zu schweren innerparteilichen Differenzen. Die Bürgerliste Salzburg-Land konnte nur 45 Prozent ihrer Wähler des Jahres 1989 behalten und verlor 34 Prozent an das Liberale Forum und 21 Prozent an die Autofahrerpartei. Das Wahlergebnis und dessen Analyse lösten in der Bürgerliste Salzburg-Land ein politisches Erdbeben aus. In Taxenbach zog sich der Bürgerliste-Mandatar Kurt Pointner, Gründer der Anti-Transitbewegung »ARGE Verkehr & Umwelt« im Salzachtal, enttäuscht sowohl aus der Gemeindestube wie auch aus der Transitbewegung zurück. Pointner begründete seinen Schritt damit, dass die Bürgerliste Salzburg-Land in seiner Heimatgemeinde Taxenbach stagniert und er nichts bewegt habe. Lediglich der Kuchler Vizebürgermeister Matthias Meisl erfüllte mit deutlichen Zuwächsen die Erwartungen und nahm daher das dritte Landtagsmandat ein. Doch der Zugewinn des dritten Mandats konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die hohen Erwartungen vor allem in der Landeshauptstadt nicht erfüllt wurden. Dies löste vor allem in der Bürgerliste der Stadt Salzburg heftige Kritik an der Wahlkampfführung aus. Bereits am 14. März meldete sich der Klubobmann der Bürgerliste in der Stadt Salzburg, Helmut Hüttinger, mit einer deutlichen Kritik an der Konzeption des Wahlkampfes der Landespartei zu Wort. Diese habe den Zentralraum sträflich vernachlässigt und zudem das thematische Anliegen weitgehend unverständlich vermittelt. Vizebürgermeister Johann Padutsch stieß in dasselbe Horn und erklärte in Anspielung auf die Wahlplakate, der auf diesen abgebildete Froschkönig oder das Schaukelpferd seinen weitgehend unverständlich und nicht einmal witzig gewesen. Heinrich Breidenbach, Pressesprecher der Partei, hatte bereits vor dem 13. April 1994 die Anti-EU-Linie Burtschers provinziell und undifferenziert genannt und die Wahlkampfführung als plump und primitiv, die halbwegs kultivierte Menschen abstoße, kritisiert. Die Schuldzuweisungen waren gegenseitig, denn die Mittersiller Kandidatin Barbara Jungwirth sah den Grund für das enttäuschende Abschneiden in der sperrigen Verkehrspolitik der Bürgerliste Salzburg-Stadt, die für das schlechte Ergebnis in der Landeshauptstadt verantwortlich sei.

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Der nunmehr auf offener Bühne ausgetragene Konflikt zwischen Landes- und Stadtpartei basierte keineswegs auf unterschiedlichen Auffassungen über die Gestaltung von Wahlplakaten, sondern auf Differenzen in der inhaltlichen, strategischen und personellen Positionierung, die erstmals bei der Landesversammlung im Dezember 1993 sichtbar wurden. Burtscher hatte, in deutlichem Gegensatz zur Bürgerliste Salzburg-Stadt, die Strategie der Stärkung der Landespartei durch eine stärkere Berücksichtigung von Kandidaten aus den Bezirken vertreten und für den Fall einer Ablehnung seines Vorschlags, Matthias Meisl und Barbara Jungwirth nach ihm und Karoline Hochreiter auf den vordersten Listenplätzen zu kandidieren, mit seinem Rücktritt gedroht. Wenige Monate vor der Landtagswahl wäre ein solcher Schritt einem politischen Selbstmord auf offener Bühne gleichgekommen, weshalb die Vertreter des Zentralraums wie der Bürmooser Gemeindevertreter Peter Haibach von Erpressung sprachen. Opfer der von Burtscher durchgesetzten Listenerstellung war vor allem Heinrich Breidenbach, seit 1989 Pressesprecher der Bürgerliste und neben Burtscher die dominierende Persönlichkeit in der Parteiführung. Die Devise der Stimmenmaximierung habe über langjährige Arbeit in der Partei und die Vertretung grüner Inhalte triumphiert, allerdings mit einem enttäuschenden Ergebnis, so die Kritik der Bürgerliste Salzburg-Stadt. Sie ging schließlich noch einen Schritt weiter und sprach sich offen für einen Rücktritt Burtschers aus, da dessen weiteres Verbleiben an der Parteispitze politisch fatale Folgen haben werde. Johann Padutsch forderte Burtscher auf, sich bei der kommenden Landesversammlung am 23. April in Schwarzach einer Abstimmung über seine Person zu stellen und deren Ergebnis zu akzeptieren. Heinrich Breidenbach, der Burtscher einen autokratischen und patriarchalischen Führungsstil vorwarf, sollte an die Spitze der Landespartei treten. Auch der Parteivorstand schloss sich dieser Meinung an.421 Ebenso ging die wiederum in den Landtag gewählte Karoline Hochreiter auf Distanz zu Burtscher, indem sie Verständnis für die Rücktrittsforderung an Burtscher zeigte, da dieser die Listenerstellung nur durch Druck und Erpressung durchgesetzt habe. Die so Angegriffenen wiesen diese Anschuldigungen zurück. So erklärte Christian Burtscher, eine regionale Streuung der Kandidatenliste sei erforderlich gewesen, auch wenn dies einige in der Stadt Salzburg offensichtlich gekränkt habe. Er denke keineswegs daran, aufgrund einer Intrige der Enttäuschten auf sein Landtagsmandat zu verzichten. Unterstützung erhielt er von der Salzburger Gemeinderätin Elisabeth Moser, die die Vorgangsweise der Bürgerliste Salzburg-Stadt und des Parteivorstandes als brutale und üble Vorgangsweise kritisierte. Auch der Klubobmann 421 Gegen den Beschluss sprach sich allerdings das Vorstandsmitglied Dietlinde Kurz aus. Die ehemalige Gemeinderätin war zur Sitzung nicht eingeladen, sondern erst am folgenden Tag um ihre Meinung gefragt worden. Kurz sprach daher von einem »konspirativen Treffen« und »keiner ordnungsgemäßen Sitzung«, weshalb sie den Beschluss »nicht mittragen« könne. (SN 12.4.1994. S. 15.)

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der Grünen Alternative in Grödig, Wolfgang Sonntagbauer, ergriff für Burtscher Partei und wies darauf hin, dass dieser über viel Rückhalt in den Landgemeinden verfüge. Barbara Jungwirth ließ den Vorwurf der Kandidatin der bloßen Stimmenmaximierung ohne grüne Inhalte nicht auf sich sitzen und ortete, durchaus zu Recht, einen nunmehr offen ausbrechenden Konflikt zwischen Realos und städtischen Fundis. Man müsse aus dem grünen Ghetto heraus und auch von den Fundis belächelte und abgelehnte traditionelle Formen der Politikvermittlung praktizieren. »Ich geh’ mit dem Dirndl zur Bauernversammlung und habe kein Problem, das Wort Heimat auszusprechen.« Im Gegensatz dazu zeichneten sich die Fundis durch von dogmatischen ideologischen Positionen bestimmte Reflexe aus. »Sie machen Inhalte an den Wollsocken fest.«422 Die Positionen schienen nicht vermittelbar und auch der von Johann Padutsch unterbreitete Vorschlag einer Abstimmung auf der Landesversammlung am 23. April in Schwarzach hatte seine Tücken. Aufgrund des basisdemokratischen Korsetts waren alle, die zur Versammlung erschienen, auch stimmberechtigt, wodurch das Abstimmungsergebnis von der Mobilisierungsfähigkeit der verschiedenen Lager abhängig und damit auch dem Zufall überlassen war. Um dieses ungewisse Szenario zu vermeiden, schlug Peter Haibach die Übertragung der Entscheidung über die Streitfrage einem in den Parteistatuten vorgesehenen Schiedsgericht vor, wobei jeder der beiden Hauptbeteiligten, Burtscher und Breidenbach, bereit sein müsse, dessen Entscheidung zu respektieren. Gleichzeitig wies der als unabhängige Kandidat über die Bürgerliste in den Landtag eingezogene Kuchler Vizebürgermeister Matthias Meisl auf den erheblichen Imageschaden für die Bürgerliste hin, der durch diese auch von persönlichen Animositäten geprägte Auseinandersetzung entstehe.423 Die Warnung Meisls traf den Kern der unabsehbaren politischen Folgen, weshalb sich die Bundespartei um eine Streitbeilegung bemühte. Der nach Salzburg entsandte Bundesgeschäftsführer Peter Altendorfer unternahm den Versuch eines Kompromisses, indem er sowohl Burtscher wie auch Breidenbach als zentrale Persönlichkeiten der Partei bezeichnete und eine Arbeitsteilung vorschlug  : Neben den bisher zu stark dominierenden Landtagsklub unter Burtscher sollte eine gestärkte Führung der Landespartei unter Breidenbach treten. Der Kompromissvorschlag wurde jedoch von Burtscher mit der Erklärung abgelehnt, er halte nichts vom Aufbau eines Parteiapparats und auch Breidenbach ließ wissen, dass bei dieser Haltung Burtschers eine angedachte Aufgabenteilung wohl keinen Sinn mache. Der weiter offen ausgetragene Konflikt in einer der wichtigsten grünen Landesorganisationen erforderte daher einen neuerlichen Schlichtungsversuch, den Johannes Voggenhuber unternehmen sollte. Würde der Konflikt weiterbestehen und sich 422 SN 16.3.1994. S. 18. 423 SN 11.4.1994. S. 13.

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Burtscher-Gegner wie Heinrich Breidenbach oder die Vorstandssprecherin Heidi Reiter zurückziehen, wären 15 Jahre Aufbauarbeit gefährdet und die grüne Bastion Salzburg in Gefahr, erklärte Voggenhuber.424 Dies sah auch der Nachfolger Voggenhubers in der Stadtpolitik, Johann Padutsch, ähnlich, der als Burtscher-Gegner mit dem Appell »Hört auf mit dem Wahnsinn  !« sichtlich um Deeskalation bemüht war. Er bedaure, dass eine durchaus notwendige Diskussion über die Zukunft der Bürgerliste »in eine Schlammschlacht« ausgeartet und dadurch in der Öffentlichkeit »ein unerträgliches Bild« entstanden sei. Man solle sich von der Personaldiskussion verabschieden und das Prinzip des freien Mandats anerkennen. Burtscher habe mehrfach erklärt, dass er weiterhin sein Mandat im Landtag wahrnehmen werde, weshalb es nunmehr gelte, die zu Burtscher auf Distanz gegangene und in das BreidenbachLager gewechselte Mandatarin Karoline Hochreiter zu stärken und eine Struktur zu finden, in der Persönlichkeiten wie Heinrich Breidenbach, Heidi Reiter oder Johanna Landauer einen ihnen angemessen Platz einnehmen können.425 In den folgenden Tagen wurde um eine, trotz aller persönlichen Verletzungen, alle Beteiligten das Gesicht wahrende Lösung gerungen. Am 16. April traten unter dem Vorsitz des von Wien nach Salzburg geeilten Schlichters Johannes Voggenhuber rund 40 Mitglieder aus Stadt, Land und Vorstand im Hirschenwirt zu einer bis spät in die Nacht dauernden Krisensitzung zusammen, ohne jedoch den erhofften Durchbruch zu erzielen. Die Fronten blieben nach wie vor verhärtet, wenngleich Bewegung in Teilbereichen sichtbar wurde. So ließ der Verstand seine Forderung nach einem Rücktritt Burtschers fallen. Im Gegenzug sollte allerdings die Widersacherin Burtschers, die Listenzweite Karoline Hochreiter, die Klubführung des dreiköpfigen Landtagsklubs übernehmen und Heinrich Breidenbach zum Parteisprecher avancieren. Der von Vorstandssprecherin Heidi Reiter vorgeschlagene Kompromiss wurde allerdings von Burtscher abgelehnt, da dieser in ihm einen neuerlichen Versuch seiner Entmachtung sah. Und er entschied die Machtprobe für sich, als er am 19. April mit der Stimme von Matthias Meisl zum Obmann der dreiköpfigen Landtagsfraktion gewählt wurde. Karoline Hochreiter zog aus ihrer Niederlage die Konsequenzen und erklärte ihr Ausscheiden aus dem Landtag. Mit der Wahl Burtschers, so Hochreiter, sei »der Bruch, den wir verhindern wollten, … eingetreten«. Ihn hätten Burtscher und Meisl zu verantworten. Auch Breidenbach erklärte, er stehe unter diesen Bedingungen für die Funktion eines Parteisprechers nicht mehr zur Verfügung und auch vier der sechs Mitglieder des Vorstandes ließen wissen, von ihren Funktionen zurücktreten zu wollen. Eine sichtlich enttäuschte Heidi Reiter erklärte, mit der Wahl Burtschers zum Klubobmann und dem Rückzug Breidenbachs werde der Vorstand auch weiterhin die Funktion eines »demokratischen Feigenblatts« für eine 424 SN 13.4.1994. S. 13. 425 SN 14.4.1994. S. 17.

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autokratische Führung erfüllen, denn »Burtscher hält ein politisches Gegengewicht in der Partei offenbar nicht aus«.426 Mit der Übernahme des durch den Rückzug von Karoline Hochreiter frei werdenden Mandats durch Barbara Jungwirth entstehe ein Übergewicht der Landbezirke. Dies impliziere auch die Gefahr, dass den intellektuellen städtischen Schichten zu wenig geboten werde und sich diese in noch stärkerem Ausmaß dem Liberalen Forum zuwenden. Das bereits zerschnittene Tischtuch wurde auf der Landesversammlung am 23. April in Schwarzach nochmals zusammengenäht. Wenngleich nicht von Herzen, so kam es nach stundenlangen emotional geführten Debatten mit Blick auf die bevorstehende EU-Volksabstimmung und die kommende Nationalrats- und Gemeinderatswahlen unter der Moderation von Johannes Voggenhuber zu einer Einigung der Streitparteien. Unter Hinweis auf die bevorstehenden Wahlgänge erklärte Voggenhuber  : »Wir können es uns einfach nicht leisten, was wir hier bieten.« Ausgerechnet die Bürgerliste, »die der ganzen Welt – vom Irak bis Bosnien – erklärt, wie Konflikte gelöst werden, sei nicht in der Lage, ihre schäbigen kleinen Eitelkeiten … zurückzustellen.« Komme es zu keiner Einigung, sei »das grüne Projekt gescheitert«.427 Um eine Lösung des Konflikts zu erreichen, schlug Bundesgeschäftsführer Peter Altendorfer ein direktes Gespräch der Streitparteien unter Anwesenheit Voggenhubers vor. Die schließlich gefundene Einigung bestätigte de facto die am 16. April gefundene Lösung und wurde schließlich mit 53 gegen 14 Stimmen von der Landesversammlung akzeptiert. Burtscher blieb Obmann des Landtagsklubs, in den Hochleitner zurückkehrte und Breidenbach wurde Landessprecher der Partei. Ebenso gewählt wurde ein neuer Landesvorstand, dem neben Heinrich Breidenbach Johanna Lan­ dauer, Heinrich Schellhorn, Johann Robeischl, Eckhard Schaller und je ein Vertreter der Stadt- und Landtagsfraktion sowie Nationalrat Johannes Voggenhuber angehörten. In einer Aufgabentrennung sollte Breidenbach die eigentliche Parteiarbeit übernehmen und auch die Bürgerliste nach außen vertreten, Burtscher die politische Arbeit im Landtag. Breidenbach erklärte, die gefundene Lösung bringe »eine Balance. Burtscher und ich haben gelobt, uns zu bemühen. Ab sofort wird wieder konstruktiv gearbeitet«. Der gefundene Kompromiss forderte allerdings auch in der Person des Wahlkampfleiters und Klubsekretärs Werner Kienreich sein politisches Bauernopfer. In der improvisierten Klausur während der Landesversammlung in Schwarzach war auch festgelegt worden, dass die Beschäftigung von Parteiangestellten vom dreiköpfigen Landtagsklub einstimmig abgesegnet werden müsse. Karoline Hochreiter galt jedoch als Gegnerin des engen Burtscher-Vertrauten Kienreich, der seiner Skepsis gegenüber dem in Schwarzach gefundenem Kompromiss freien Lauf ließ und ihn als Stärkung jener Kräfte um Heinrich Breidenbach bezeichnete, die seit Wochen eine 426 SN 20.4.1994. S. 13. 427 SN 25.4.1994. S. 13.

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Demontage Christian Burtschers betrieben hätten. Am 26. April stimmte Karoline Hochreiter im Klub gegen eine Weiterbestellung Kienreichs, der sich als Opfer der Burtscher-Gegner sah. Manfred Perterer kommentierte die turbulenten Vorgänge mit der Bemerkung, die Grünen seien nunmehr, wogegen sie sich jahrelang gewehrt hätten, eine Partei wie jede andere geworden. Sie hätten »alles, was nach Partei roch, bekämpft, als Nährboden für Packelei, Postenschacher und Proporz verdammt, als Spielwiese für Funktionärsunwesen, als Selbstbedienungsladen für job- und geldgeile Zivilversager. Und heute, heute geben genau diese Grünen genau dieses Bild ab. Die einstigen Kämpfer für mehr Demokratie und Bürgerrechte sind am Ende mit ihrem basisdemokratischen Latein. (…) Ihr Spitzenkandidat Christian Burtscher weigerte sich zurückzutreten, obwohl er angekündigt hatte, dies zu tun, sollten die Grünen nicht vier Mandate erreichen. Die Abgeordnete Karoline Hochreiter wiederum kündigte ihren Rücktritt an, sollte Burtscher nicht gehen. Um wenig später wieder von ihrem Rücktritt zurückzutreten. Und schließlich wendete sich auch der frühere Pressesprecher der Partei, Heinrich Breidenbach, von der ausgegebenen Losung ›Nie wieder mit Burtscher‹ ab und mutierte zum jetzt wohlbestellten Parteigeschäftsführer an der Seite seines Intimfeindes. Das Bild, das die Grünen in Salzburg abgeben, ist verheerend. Die kürzlich erzielte ›Einigung‹ basiert auf nichts anderem als auf gutbezahlten Posten. In dem Zusammenhang erinnern sich viele an einen Ausspruch Christian Burtschers vor der Wahl. Damals hatte er gemeint, er könne mit seinem Abgeordnetengehalt von 33.000 Schilling netto seine Familie nicht ernähren. Jetzt, da er als Klubchef das Doppelte verdient, denkt er gar nicht mehr ans Aufhören. (…) Mit ihrem Gezänk um Einfluss und Macht haben die Grünen viel von ihrer Glaubwürdigkeit verloren. Sie werden sich künftighin zurückhalten müssen, wenn in anderen Parteien um Posten und Geld gestritten wird.«428 Mit dem in Schwarzach gefundenen Kompromiss einer Stärkung des Vorstandes durch einen Landessprecher, der neben dem Landtagsklub als zweites Zentrum der Partei fungieren sollte, waren die strategischen Gegensätze und persönlichen Rivalitäten und Animositäten jedoch noch keineswegs beseitigt. In Schwarzach waren daher eine notwendige Statutenreform sowie die Wahl eines Landessprechers auf einer neuerlichen Landesversammlung am 18. Juni in Hallein beschlossen worden. Einen Tag vor der Landesversammlung unterbreitete Christian Burtscher seinen Gegenvorschlag zur in Schwarzach sich abzeichnenden Struktur einer Stärkung der Parteizentrale durch die Installierung eines Landessprechers sowie eines professionelleren Parteimanagements. Der Klubobmann hatte diesem Kompromiss nur widerwillig 428 Manfred Perterer  : Die Grünen sind Partei geworden. – In  : SN 30.4.1994. S. 1.

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zugestimmt, sah er doch in ihm durch die Stärkung des Vorstandes und die Etablierung eines Landessprechers nur eine von ihm abgelehnte Stärkung der Bürgerliste der Stadt Salzburg und damit des Zentralraums. Im Gegensatz dazu zielte er auf eine Stärkung der Regionen durch eine Zuteilung von je 15 Prozent der Parteimittel für die Gemeinde- und Bezirksorganisationen. Die Organisation der Parteiarbeit inklusive der Pressearbeit sollte nicht mehr, wie in Schwarzach beschlossen, durch einen mit einem Abgeordnetengehalt entlohnten Landessprecher, sondern nur mehr durch ein geschäftsführendes Vorstandsmitglied erfolgen. Mit diesem Vorschlag wurden die in Schwarzach nur mühsam zugeschütteten Gräben neuerlich aufgerissen, da sich Heinrich Breidenbach mit einer derart dezimierten Kompetenz nicht zufrieden geben konnte und daher auch erklärte, er stehe nur dann zur Verfügung, wenn die in Schwarzach beschlossene Funktion des Landessprechers in vollem Umfang realisiert werde. Das ohnedies verheerende Bild der Bürgerliste Salzburg-Land in der Öffentlichkeit wurde durch den turbulenten Verlauf der Landesversammlung in Hallein noch verstärkt. Wenngleich Burtschers Konzept mit 28   : 20 Stimmen abgelehnt wurde, so fand auch die Realisierung des in Schwarzach beschlossenen Organisationsmodells mit einem gestärkten Vorstand inklusive Landessprecher nicht die im Statut vorgesehene Zwei-Drittel-Mehrheit. Mit einem Abstimmungsergebnis von 33   : 20 Stimmen wurde die erforderliche Mehrheit um zwei Stimmen verfehlte. Entscheidend für das Ergebnis war die de facto Nicht-Präsenz der Bürgerliste Salzburg-Stadt, die nur durch Helmut Hüttinger vertreten war. Damit scheiterte nach heftigen und kontroversiellen Debatten die notwendige Statutenreform. Eine von Rivalitäten und offensichtlich unüberbrückbaren Gegensätzen geprägte Landesversammlung, in der sich allgemeine Ratlosigkeit und Auflösungserscheinungen breitmachten, vertagte sich ergebnislos um 20 Uhr. Der als Moderator herbeigeeilte Johannes Voggenhuber diagnostizierte sichtlich deprimiert einen Weg in eine Sackgasse, der die Aufbauarbeit der letzten 15 Jahre zu zerstören drohe. Mit deutlicher Kritik an Burtscher bemerkte er, dass es nur in der von Jörg Haider dominierten FPÖ die Trennung von Partei- und Klubsprecher nicht gebe. Heinrich Breidenbach zog aus dem Verlauf der Landesversammlung die Konsequenz und kündigte, ebenso wie die Vorstandsmitglieder Johanna Landauer, Eckhard Schaller und Heinrich Schellhorn, seinen Rücktritt an. Den damit in den Augen der Befürworter einer Statutenreform inklusive der Stärkung des Parteivorstandes und Etablierung eines Parteisprechers vorgezeichneten Weg in die drohende politische Bedeutungslosigkeit waren dessen Exponenten, Johannes Voggenhuber und Johann Padutsch, jedoch nicht bereit, einfach hinzunehmen. Padutsch forderte eine neuerliche Abstimmung über das Reformpaket mit der Begründung, dass »sonst alles den Bach hinunter« gehe. Dass von der siebenköpfigen Gemeinderatsfraktion nur Klubobmann Hüttinger bei der Landesversammlung anwesend gewesen sei und

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die Gemeinderatsfraktion der Bürgerliste Salzburg-Stadt die Entscheidung in ihrem Sinn herbeiführen hätte können, rechtfertigte er mit der Bemerkung, dass man von einer Beachtung des Beschlusses der Landesversammlung in Schwarzach ausgegangen sei. Die große Mehrheit der Mitglieder und Sympathisanten sei für das Reformpaket, weshalb eine neuerliche Abstimmung auf der nächsten Landesversammlung am 9. Juli berechtigt sei.429 Unterstützung erhielt der Vorstoß von Voggenhuber, Padutsch und vom Vorstand, für den Heinrich Schellhorn erklärte, dass eine »Sperrminorität« eine positive Beschlussfassung verhindert habe. Diese Initiative stieß allerdings vor allem bei den Funktionären in den Gauen auf massiven Widerstand. Herbert Hollauf von der Bürgerliste Pongau kommentierte den Vorstoß von Voggenhuber und Padutsch mit der Bemerkung  : »Die wollen abstimmen, bis ihnen das Ergebnis passt.«430 Auch Heidi Reiter, unter deren Führung sich der Vorstand nach dem enttäuschenden Wahlergebnis für einen Rücktritt Burtschers ausgesprochen hatte, bemerkte zum Vorstoß kritisch, dass man an dem Halleiner Abstimmungsergebnis »nicht herumdeuteln« soll. »Auch das wäre sehr undemokratisch.«431 Es sollte Heidi Reiter sein, die, nachdem Heinrich Breidenbach auf eine neuerliche Kandidatur verzichtet hatte, auf Vorschlag von Richard Hörl, der einen »Stopp des Flächenbrandes« forderte, auf der neuerlichen Landesversammlung am 9. Juli mit 51   : 8 Stimmen zur hauptamtlichen Landessprecherin der Partei mit einem Abgeordnetengehalt gewählt wurde. Angesichts des massiven Imageverlustes war eine Beruhigung der Lage oberstes Gebot, dem sich keine der Streitparteien verweigerte. Wenngleich nach der Wahl der neuen Landessprecherin Burtscher und Reiter ihren Willen zur Zusammenarbeit bekundeten, so wurden in ihren jeweiligen Interpretationen des Ergebnisses die nach wie vor existierenden unterschiedlichen Positionen sichtbar. Während Christian Burtscher die Aufwertung des Vorstandes und die Wahl einer Landessprecherin als Aufgabenteilung zwischen Landtagsklub und Vorstand sowie Landessprecher interpretierte – die Tagespolitik als Agenda der Landtagsfraktion, die Konzeption von Wahlkämpfen, Kampagnen und die innerparteiliche Koordination als Aufgabe des Vorstandes und der Landessprecherin –, erklärte Johannes Voggenhuber, der Klub habe keinen politischen Alleinvertretungsanspruch, denn »das politische Zentrum ist künftig die Partei«.432 Ähnlich äußerte sich die neue Landessprecherin, die betonte, sie werde nicht nur Kampagnen konzipieren und Koordinationsaufgaben übernehmen, sondern grüne Politik gestalten. Damit wiederholte sich auf der Salzburger Landesebene der grüne Konflikt auf Bundesebene zwischen Nationalratsfraktion und Parteivorstand. 429 SN 21.6.1994. S. 17. 430 SN 22.6.1994. S. 13. 431 SN 21.6.1994. S. 17. 432 SN 11.7.1994. S. 11.

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In diesem Konflikt war Christian Burtscher entschlossen, den Primat der Landtagsfraktion und seine Führungsposition durchzusetzen. Dies bedeutete eine Permanenz des Konfliktes, der bei einer Vorstandsklausur am 28. Jänner 1995 seinen Höhepunkt erreichte, als sogar ein Konfliktmanager als Moderator, wenn auch letztlich erfolglos, beigezogen werden musste. Kurz vor der Klausur eskalierte der Konflikt, als die erst vor einem halben Jahr gewählte Landessprecherin Heidi Reiter resignierte und ihre Funktion, die vom provisorischen Geschäftsführer Johann Robeischl übernommen wurde, zurücklegte. Auch Heinrich Schellhorn schied mit der Begründung, das Klima sei von Gehässigkeit und Destruktivität geprägt, aus dem Landesvorstand aus und widmete sich nur mehr der Gemeindearbeit in Hallein. Um die Permanenz des Konflikts zu beenden, wurde vom verbliebenen Restvorstand der auch von der Bundespartei bereits beschäftigte Organisationsberater Friedrich Glasl engagiert, der in seiner Analyse der Malversationen zu dem Ergebnis kam, dass diese aus der Vielzahl der Machtzentren resultierten. Neben der Gemeinderatsfraktion in der Stadt Salzburg und der Landtagsfraktion ein zusätzliches Gremium zu installieren, wie es die Gruppe um Padutsch, Voggenhuber, Breidenbach u. a. intendierten, führe nur notgedrungen zu inneren Spannungen. Um diese in Zukunft zu vermeiden, so Grasl, sollte daher der nach dem Ausscheiden von Reiter und Schellhorn noch verbliebene Vorstand neue Statuten erarbeiten, die eine Konzentration der politischen Entscheidungskompetenz zum Inhalt habe. Der Vorstand installierte daraufhin eine Arbeitsgruppe, die ein neues Statut mit dem Ziel erarbeiten sollte, eine Konzentration der politischen Entscheidungsfindung zu erreichen. Der im April 1995 vorliegende Statutenentwurf sah wesentliche Veränderungen vor, indem ein selbstständiger und mit eigenen Kompetenzen ausgestatteter Vorstand ebenso wenig enthalten war wie die Funktion eines Landessprechers. An ihre Stelle sollte ein/e sich ausschließlich um organisatorische Belange kümmernde Parteimanager/in treten und, analog zu der Entwicklung der Bundespartei, die Unvereinbarkeitsklausel, nach der Mitglieder der Landtagsfraktion nicht gleichzeitig im Vorstand sitzen konnten, fallen. Der Vorstand, so die interne Begründung, sei vor allem auch deshalb installiert worden, um diejenigen, die kein Mandat erhalten hatten, weiter an die Partei zu binden. Damit sei ein zweites Machtzentrum geschaffen worden, was sich jedoch als Fehler erweisen sollte. Der Vorschlag wurde am 22. April im Hirschenwirt in einem Symposion zur Diskussion gestellt und sollte auf einer Landesversammlung Anfang Juni in Hallein beschlossen werden. Die Kritiker sahen in dem Entwurf ein Zeichen des Machtanspruchs Burtschers und der sich damit dokumentierenden mangelnden innerparteilichen Demokratie. Im Vorfeld der Landesversammlung erklärte der Bürmooser Lehrer und Gemeindevertreter Peter Haibach, Sprecher der Plattform der Verkehrsinitiativen Salzburgs und einige Zeit Mitglied des Landesvorstandes, aus Protest gegen das neue Statut sein Ausscheiden aus der Bürgerliste. Damit werde die Tendenz zur personellen

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Konzentration auf die Person Christian Burtschers verstärkt. Haibach forderte, ähnlich wie die sich im März 1994 formierende Opposition gegen Burtscher, eine integrative und nicht polarisierende Persönlichkeit an der Spitze der Partei sowie ein Abrücken von der Fundamentalopposition, eine Forderung, die auch vom Klubobmann der Bürgerliste Salzburg-Stadt, Helmut Hüttinger, unterstützt wurde. Die Beseitigung der nach wie vor anhaltenden Auseinandersetzungen und persönlichen Animositäten war das eine, die Etablierung einer funktionsfähigen und effektiven Führungsstruktur das andere. Von der Bewältigung beider Aufgaben, dessen waren sich alle Proponenten der unterschiedlichen Fraktionen bewusst, hing die Zukunft der Bürgerliste Salzburg-Land ab. Der Landesversammlung am 10. Juni in Hallein kam daher eine besondere Bedeutung zu, bot sich hier doch vielleicht die letzte Gelegenheit, die Differenzen zu beseitigen und das in der Vergangenheit entstandene Bild einer in sich zerstrittenen und daher auch weitgehend politikunfähigen Gruppierung zu korrigieren. Um dieses Ziel zu erreichen, reiste die Klubchefin der grünen Parlamentsfraktion und Spitzenkandidatin bei der Nationalratswahl 1994, Madeleine Petrovic, in die Salinenstadt, um mit eindringlichen Appellen an die notwendige Einigkeit und Geschlossenheit als Vermittlerin zu wirken. Ihr Appell fiel auf fruchtbaren Boden, denn die Notwendigkeit einer Beendigung der in aller Öffentlichkeit ausgetragenen Streitereien war in der Zwischenzeit zum Allgemeingut geworden. Der Halleiner Stadtrat Heinrich Schellhorn, vor einigen Monaten im Groll aus dem Landesvorstand geschieden, illustrierte die Situation mit dem Bild der beiden Boxer in der letzten Runde, die sich bereits müde aneinanderklammerten. Diese Situation habe aber auch den Vorteil, dass man sich gegenseitig keine Schläge mehr versetzen könne. Mit nur vier Gegenstimmen wurde das neue Parteistatut gebilligt, nach dem nunmehr neun stimmberechtigte und zwei nicht-stimmberechtigte Mitglieder (Parteisprecher/in und Finanzreferent/in) dem Parteivorstand angehören sollten. Sowohl der Klubobmann der Bürgerliste Salzburg-Stadt, Helmut Hüttinger, wie auch Vizebürgermeister Johann Padutsch sahen in dem neuen Statut ein praktikables Modell und Christian Burtscher verkündete mit dem Satz »Die Zeit des Zwistes ist vorbei« die nunmehr ausgebrochene Ära der innerparteilichen Harmonie.433 Und diese war auch angesichts der am 17. Dezember 1995 bevorstehenden vorverlegten Nationalratswahl gefordert. Vizekanzler und ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel beendete aufgrund des Widerstandes der SPÖ unter Franz Vranitzky gegen den von ihm angesichts der Entwicklung des Budgets geforderten Reform- und Sparkurs im Oktober die Koalition nur zehn Monate nach ihrer Neuauflage und sechs Monate nach seiner Bestellung zum Vizekanzler. Die Grünen hatten bei der Nationalratswahl am 9. Oktober 1994 gegenüber der Nationalratswahl vom 7. Oktober 1990 rund 110.000 Stimmen gewonnen und ihren Mandatsstand von 10 auf 433 SN 12.6.1995. S. 15.

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13 zu erhöhen vermocht. Diese Stimmengewinne basierten jedoch vor allem auf einem massiven Wanderungsgewinn von den VgÖ, die mit einem Stimmenverlust von rund 87.000 in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwunden war. Die Grünen hatten sich damit auf Bundesebene eindrucksvoll als einzige Grünpartei durchgesetzt, wobei sich jedoch das Liberale Forum als neuer Konkurrent vor allem in den urbanen Ballungszentren noch stärkere Stimmengewinne verhinderte.434 Diese Aufwärtsentwicklung galt es bei der kommenden Nationalratswahl fortzusetzen, standen doch die Zuwächse der Grünen im Schatten jener der FPÖ, die bei der Nationalratswahl 1994 gegenüber jener von 1990 ihre Stimmenanzahl um rund 250.000 und ihren Mandatsstand von 33 auf 42 zu erhöhen vermochte. Die Grünen sahen sich als ideologisch-politischer Gegenpol zur FPÖ und wollten in diesem selbst ausgerufenen Zweikampf ihre Position nicht durch eine in sich zerstrittene Salzburger Landesorganisation gefährdet sehen. In der Konzeption des Nationalratswahlkampfes 1995 spielte bei der Bürgerliste Salzburg-Land das Thema »EU« eine zentrale Rolle. In diesem Jahr kippte die Stimmung im Bundesland deutlich in Richtung einer negativen Haltung zur EU und zu dem zu Jahresbeginn 1995 erfolgten EU-Beitritt Österreichs. Bereits bei der Volksabstimmung am 12. Juni 1994 wies Salzburg mit einem Anteil von 34,9 Prozent der Nein-Stimmen den Spitzenwert aller österreichischen Bundesländer auf. Die Agitation der Bürgerliste Salzburg-Land gegen einen EU-Beitritt fiel hier auf fruchtbaren Boden, da sie das gesamte Spektrum der Befürchtungen anzusprechen vermochte. So erklärte der Vorstandssprecher der Bürgerliste Salzburg-Land, Heinrich Breidenbach, in einem »EU-Gastkommentar« im »Salzburger Fenster« unter Anspielung auf die Volksabstimmung über Zwentendorf, man müsse keine Angst vor einem NEIN zur EU haben. »Erinnern Sie sich an die Volksabstimmung über das Atomkraftwerk Zwentendorf  ? Regierung, Industriellenvereinigung, ÖGB, Medien usw. überschlugen sich in Panikmache  : ohne Atomkraft würden die Lichter ausgehen. Die Wirtschaft braucht die Atomkraft. Die Lichter sind nicht ausgegangen  ! Heute machen dieselben Kräfte wieder Panik. Ohne den Beitritt zur EU würde der Lebensstandard sinken, würde Österreichs Wirtschaft zurückbleiben, würden wir ›alleine‹ bleiben. Diese Panikmache ist unbegründet.

434 Vor allem in den Wählergruppen der Jungwähler und der Angestellten (white collar) erwies sich das Liberale Forum als Konkurrent. In beiden Gruppen erreichte das LIF jeweils 11 Prozent und lag damit nur um einen Prozentpunkt hinter der GAL. Bei den Wechselwählern übertrag das LIF mit 24 Prozent die GAL mit 15 Prozent deutlich. (Fritz Plasser, Franz Sommer, Peter A. Ulram  : Ende des traditionellen Parteiensystems  ? Analyse der Nationalratswahl 1994. – In  : ÖJP 1994. S. 51–123. S. 101 und 111.)

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Wenn wir nicht in die EU gehen  : • Bleiben wirtschaftliche Beziehungen mit EU-Ländern … aufrecht. … • Österreich bleibt ein offenes hochentwickeltes Land mitten in Europa. Niemand kann uns das nehmen. Wir exportieren derzeit erfolgreich in den EU-Raum, ohne EU-Mitglied zu sein. • Österreich importiert viel mehr aus den EU-Ländern, als wir in die EU exportieren. Die EU hat also ein Interesse an guten Wirtschaftsbeziehungen mit Österreich. (…) VORTEILE  : • Wir können kleinräumige gewachsene Wirtschaftsstrukturen und heimische Rohstoffe (Holz) besser schützen und nützen. • Wir können die Landwirtschaft und die Lebensmittelindustrie leichter umweltverträglich ausrichten und schützen. … Wir können unsere traditionelle besondere Rolle als Schnittstelle zwischen Ost und West besser nützen. … Die EU steht im Durchschnitt wirtschaftlich und sozial schlechter da als Öster­ reich.«435 Unter den 15 Regionalwahlkreisen mit den höchsten Ja-Stimmen befand sich kein einziger Salzburger, hingegen rangierte die Regionalwahlkreisverbände Flachgau/ Tennengau/Pongau und Salzburg-Stadt mit 36,6 bzw. 35,2 Prozent Nein-Stimmen an neunter und dritter Stelle der Nein-Stimmen.436 Besonders ausgeprägt war die Gegnerschaft einem EU-Beitritt gegenüber in ländlich-peripheren Regionen mit hoher Agrarquote (35,2 Prozent) und westösterreichischen Industrie- und Fremdenverkehrsregionen (37,8 Prozent), wobei bei den Motiven für eine Ablehnung befürchtete Nachteile für die heimische Landwirtschaft und deren Produkte, eine Verschlechterung der Verkehrs-/Transit- und Umweltsituation sowie generell befürchtete Nachteile eine dominante Rolle spielten.437 In einer im September 1995 veröffentlichten Studie des IGF erklärten 58 Prozent aller Befragten, sie würden bei einer aktuellen EU-Abstimmung mit Nein stimmen, lediglich 39 Prozent deklarierten sich nach wie vor als Befürworter. Von den FPÖ-Sympathisanten gaben 74 Prozent und von den Bürgerliste-Sympathisanten 71 Prozent ein negatives Urteil ab, während diese Werte bei SPÖ- und ÖVPSympathisanten auf 58 Prozent bzw. 51 Prozent sanken. In den Landbezirken war die Ablehnung mit 63 Prozent besonders hoch.438 Die weit verbreitete ablehnende 435 Salzburger Fenster 11/1994. S. 23. 436 Fritz Plasser, Franz Sommer, Peter A. Ulram  : Entscheidung für Europa. Analyse der Volksabstimmung über den EU-Beitritt Österreich 1994. – In  : ÖJP 1994. S. 325–354. S. 337f. 437 Plasser, Sommer, Ulram  : Entscheidung für Europa. S. 351. 438 SN lokal 25.9.1995. S. 3.

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Personelle und inhaltliche Differenzen

Haltung in den agrarischen Gebieten und die damit einhergehende Kritik an der Landwirtschaftspolitik des Bauernbundes sowie des Landwirtschaftsministeriums hatte die Bürgerliste Salzburg-Land bereits am 14. Jänner 1995 zur Gründung einer eigenen »Salzburger Bauern-Liste« veranlasst, die bei der bevorstehenden Landwirtschaftskammerwahl am 12. Februar vor allem auf Kosten des Bauernbundes als Sammelbecken und Ansprechpartner der besorgten Agrarier fungieren sollte. Der EU-Beitritt bewirkte 1995 in einer Anpassungsphase eine deutliche Preissenkung bei Agrargütern um durchschnittlich 21 Prozent, bei Getreide sogar um die Hälfte und bei Milch um ein Drittel. Dies hatte eine Reduktion der Bruttowertschöpfung um ein Drittel (zu Erzeugerpreisen) zur Folge, dem man seitens der österreichischen Landwirtschaftspolitik mit einer massiven Erhöhung der Direktzahlungen um das Zweieinhalbfache gegenzusteuern suchte. Dennoch traten vor allem bei den spezialisierten Milcherzeugern im Flachgau deutliche Einkommenseinbußen ein, die seitens der Salzburger Landesregierung in den folgenden Jahren durch ein mit Brüssel akkordiertes Prämiensystem weitgehend ausgeglichen werden konnten.439 Wenngleich die »Salzburger Bauern-Liste« bei der Landwirtschaftskammerwahl am 12. Februar an der absoluten Mehrheit des ÖVP-Bauernbundes nicht rütteln konnte, so wurde sie noch vor den SPÖ-Bauern drittstärkste Fraktion.440 Besonders im Flachgau konnte die grüne Liste beachtliche regionale Erfolge erzielen. So errang der Spitzenkandidat, EU-Kritiker und Bio-Bauer Georg Sams, in Neumarkt 40 Prozent der abgegebenen Stimmen und überflügelte damit den Bauernbund, der nur auf 34,36 Prozent kam. Im Juni wurde er vom Ortausschuss zum ersten grünen Ortsbauernobmann Österreichs gewählt. Vor dem Hintergrund der wachsenden EU-Skepsis trat die Mittersiller Aktivistin Barbara Jungwirth bei der vorgezogenen Nationalratswahl am 17. Dezember 1995 als »parteiunabhängige Kandidatin« auf der Liste der Grünen an. Dadurch sei es möglich, so Jungwirth, für ihre »Forderung nach einem ehestmöglichen Austritt aus der EU zu werben«. Ein Standpunkt, der allerdings bei dem Anti-EU-Aktivisten Johannes Voggenhuber auf wenig Verständnis stieß. Voggenhuber hatte unmittelbar nach der Volksabstimmung nochmals seine Bedenken gegen einen EU-Beitritt for-

439 Mayr  : Reformen der Agrarpolitik für eine bäuerliche Landwirtschaft. S. 489f. 440 Ergebnis der Salzburger Landwirtschaftskammerwahl am 12. Februar 1995  : Partei ÖVP-Bauernbund

Stimmen

Mandate

13.059

20

Freiheitliche Bauernschaft

3844

5

SPÖ-Bauern

1233

1

Salzburger Bauern-Liste

1456

2

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1994 bis 1999 – Eine Phase der Verwirrung

muliert und die Haltung der Grünen nach dem EU-Volksentscheid erörtert441 und 441 Johannes Voggenhuber  : Die EU reformieren  ! Die europäische Integration und die Politik der GRÜNEN vor und nach der österreichischen Volksabstimmung. – In  : ÖJP 1994. S. 379–412. Die EU befinde sich auf dem Weg zu einem »bürokratisch-zentralistischen Integrationsprozess … zur Gründung eines westeuropäischen Nationalstaats mit Weltmachts-Ambitionen«, (S. 381.) wofür die Verträge von Maastricht einen deutlichen Beweis lieferten. Sie sei »keine Demokratie«, da in ihr »das grundlegende Prinzip der Demokratie, die Gewaltentrennung, verletzt« werde. »Gesetzgeber der EU sind Organe der Exekutive. Gesetze werden im Rat, also von Regierungsvertretern der Mitgliedsstaaten beschlossen.« (S. 382.) Die geplante »Wirtschafts- und Währungsunion wird zu einer Beschleunigung der Umweltzerstörung in fast allen Bereichen führen« und der »Binnenmarkt wird zu einem Ansteigen der Mobilität jenseits der Vorstellungskraft führen.« (S. 385.) Die österreichische Landwirtschaft werde durch den EU-Beitritt und die damit erfolgende »schockartige Anpassung an das niedrige EU-Preisniveau und damit schlagartige enorme Einkommenseinbußen« maßgeblich geschädigt. Es gebe »keine Konzepte für eine dauernde Erhaltung einer flächendeckenden bäuerlichen Landwirtschaft in Österreich.« Die für den Beitritt zur Währungsunion geltenden »harten budget- und geldpolitischen Konvergenzkriterien« bewirken »eine undifferenzierte Hartwährungspolitik« und den »Zwang zum schnellen Abbau der Budgetdefizite, die Angleichung des Zinsniveaus und der Inflationsraten sowie die ›unwiderrufliche‹ Festsetzung der Wechselkurse werden massiven Druck auf die sozialen und ökologischen Standards ausüben. (…) Die Europäische Zentralbank in Frankfurt wird nach dem Vorbild der Bundesbank unabhängig und von jedem politischen Einfluss frei agieren. Der immense Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung, den die Europäische Zentralbank ausüben wird, bleibt also ohne jede demokratische Kontrolle.« (S. 387f.) »Mit den Verträgen von Maastricht wurde mit dem Umbau der Europäischen Gemeinschaften zu einem künftigen Militärbündnis begonnen. Hartnäckig – wie in kaum einer anderen Frage – wurden von der Regierung die entsprechenden Bestimmungen und die Ziele des Maastrichtvertrages vor der Bevölkerung geleugnet. (…) Verschwiegen wurde der Öffentlichkeit …, dass sich Österreich gegenüber der EU verpflichtete, seine Verfassungsbestimmungen zur Neutralität noch vor einem Beitritt anzupassen.« (S. 390f.) »Das Ergebnis der Volksabstimmung warf eine fundamentale Frage des Demokratieverständnisses auf. Der ›Wille des Volkes‹ kommt nämlich nur zum Tragen, wenn er von den Abgeordneten im Parlament auch vollzogen wird. So musste das Atom-Sperrgesetz nach der Zwentendorf-Abstimmung natürlich von Fraktionen beschlossen werden, die bis zum Abstimmungstag vehement um ein Ja zu Zwentendorf gekämpft haben. Das Ergebnis einer Volksabstimmung muss – solange sie nicht dem Gewissen eines Abgeordneten widerspricht – in selbstverständlichem Respekt vollzogen werden. Andernfalls hätte die Bevölkerung ja gar nicht das letzte Wort. Vorstöße zu einem Ausbau der direkten Demokratie wären von vornherein unglaubwürdig. Mit einer Zustimmung zur Ratifizierung drückten die grünen Abgeordneten mehrheitlich ihren Respekt vor dem Volksentscheid aus. Dieses Ja ist keine späte Zustimmung zu einem schlechten Verhandlungsergebnis. Der klare Volksentscheid hat nichts an den Schwächen und Lücken des Beitrittsvertrages behoben. Das ›Demokratiedefizit‹ der EU konnte schließlich ebenso wenig bestritten werden wie die ungenügende Umweltpolitik, die fehlende Sozialpolitik, die einseitig militärische Sicherheitskonzeption oder die fast ungebrochene Atompolitik usw. Gerade das Eingeständnis einer Niederlage, die Achtung der Entscheidung der StimmbürgerInnen

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zeigte nunmehr wenig Verständnis für die Haltung Jungwirths. Dafür stehe er »nicht zur Verfügung«, denn dies sei die Haltung einer »extremen Minderheit« … »Aus einem fahrenden Zug zu springen«, mache »keinen Sinn mehr«, ließ er wissen.442 Die Hoffnung der Bürgerliste Salzburg-Land, mit einer betont EU-kritischen Position Stimmen zu maximieren und zum Sammelbecken der Enttäuschten zu avancieren, sollte sich nicht erfüllen. Das Wahlergebnis bedeutete sowohl für die Grünen im Bund wie auch für die Bürgerliste Salzburg-Land eine herbe Enttäuschung. Auf Bundesebene verloren die Grünen rund 105.000 Stimmen und 4 Mandate und wurden vom LIF als viertstärkste Partei abgelöst. Nach den VgÖ erwies sich das LIF als gefährlichster Konkurrent der Grünen, deren im Wahlkampf ausgegebene Parole, es gehe um eine Richtungsentscheidung zwischen der Haider-FPÖ und den Grünen am Wahlabend als peinliche Selbstüberschätzung entlarvt wurde. Obwohl die FPÖ – im Gegensatz zu den vorangegangenen Wahlgängen – mit dem Zugewinn von rund 8000 Stimmen nur einen bescheidenen Wahlerfolg verbuchen konnte und aufgrund der Wahlarithmetik ein Mandat verlor, so erreichte die grüne Nationalratsfraktion mit 9 Mandataren nicht einmal ein Viertel der FPÖ-Fraktion mit 40.443 Die deutlichen Verluste der Grünen wurden auch in der vergleichenden regionalen Analyse deutlich. In der Stadt Salzburg verloren die Grünen gegenüber der Nationalratswahl 1994 3,9 Prozentpunkte und sanken auf 7,5 Prozent, im Bundesland Salzburg reduzierten sich die Verluste auf 2,5 Prozentpunkte. Das Gesamtergebnis manifestierte sich in enttäuschenden 5,6 Prozent. Besonders erschwerend kam noch hinzu, dass im Bundesland Salzburg die Grünen erstmals vom LIF mit einem Ergebnis von 6,1 Prozent an die vierte Stelle verwiesen wurden.444 Die deutlichen Verluste der Grünen basierten vor allem auf einer signifikanten Wählerbewegung zur SPÖ, die 4513 Wähler und Wählerinnen von den Grünen gewinnen konnte. Die Grünen verzeichund die strategische Neuorientierung in Richtung einer Veränderung von Innen ermöglichen es den GRÜNEN, ihre politischen Ziele glaubwürdig aufrechtzuerhalten. Das Abstimmungsergebnis hat nicht unsere Überzeugungen und politischen Ziele geändert. Sie hat jedoch völlig neue Bedingungen geschaffen, unter denen wir sie erreichen können. Die freimütige Anerkennung des Willens der Bevölkerung und der damit geschaffenen Realitäten war keine politische Wende, sondern politische Stärke und demokratiepolitisches Selbstverständnis der GRÜNEN.« (S. 405.) 442 SN lokal 15.12.1995. S. 3. 443 Zur Nationalratswahl 1995 Vgl. Christoph Hofinger, Günther Ogris  : Denn erstens kommt es anders … Die Gründe für das überraschende Ergebnis der Nationalratswahl 1995 vom 17. Dezember 1995. – In  : ÖJP 1995. – Wien/München 1996. S. 55–72  ; Fritz Plasser, Peter A. Ulram, Franz Sommer  : Restabilisierung der Traditionsparteien oder nur scheinbare Konsolidierung  ? Analyse der Nationalratswahl 1995. – In  : Ebda. S. 73–102  ; Fritz Plasser, Peter A. Ulram, Günther Ogris (Hg.)  : Wahlkämpfe und Wählerentscheidung. Analysen zur Nationalratswahl 1995. – Wien 1996. (Schriftenreihe des Zentrums für angewandte Politikforschung Band 11.) 444 Franz Sommer  : Regionale Trendmuster im Wahlverhalten. – In  : Plasser, Ulram, Ogris (Hg.)  : Wahlkämpfe und Wahlentscheidung. S. 273–289. S. 285 und 287.

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neten keinen einzigen Wanderungsgewinn von einem politischen Mitbewerber und wiesen gegenüber der Nationalratswahl 1994 nur mehr eine Behaltequote von 66,4 Prozent auf.445 Angesichts des enttäuschenden Wahlergebnisses war Gewissenserforschung angesagt. LAbg Matthias Meisl kommentierte das Ergebnis mit dem Hinweis, dass, wenn es sich auch um eine Bundeswahl gehandelt habe, man sich dennoch »Gedanken über Auswirkungen auf unser Dasein« machen müsse. Noch deutlicher wurde Helmut Hüttinger  : »Wir wollen schon, dass es auch in fünf Jahren noch eine starke Grünbewegung im Land gibt.«446

10.2 Zwischen Sachpolitik und einer Politik der Gefühle Die Sorge Hüttingers war durchaus berechtigt, denn das Erscheinungsbild und die öffentliche Wahrnehmung der Bürgerliste Salzburg-Land waren auch nach der Statutenreform nicht berauschend. Die 1995/96 erfolgende Rückkehr zur Dominanz von emotional aufgeladenen sachpolitischen Themen, bei denen der Bürgerliste hohe Kompetenz zugeschrieben wurde wie dem Kampf um die Erhaltung der Altstadt und des Grünlandes, gegen Gentechnik und Globalisierung oder die Beseitigung des Proporzes bot allerdings die Möglichkeit einer Trendumkehr durch ein Agenda setting in einem relativ breiten Spektrum. Dabei bediente man sich der traditionellen PR-Methode des Inserats. So ritt Herbert Fux heftige Attacken gegen die Altstadt-Erhaltungskommission, unter deren Augen, so sein Vorwurf, die Zerstörung der Altstadt weiter voranschreite. »Kein Wunder, denn die Kommission ist (mit Ausnahme eines weisungsgebundenen Beamten) ausschließlich von Baumeistern und Architekten besetzt. Baumeister und Architekten aber haben berufsbedingt kein Interesse am Schutz der historischen Bausubstanz. Sie haben Interesse an Abreißen, Neuplanung und Neubauten. Selbst die Ingenieur- und Architektenkammer stellt jetzt klar, dass es unvereinbar sei, wenn bezahlte Mitglieder der ›Erhaltungskommission‹ gleichzeitig als Architekten und Baumeister in der Altstadt bauen und planen.« Diese Unvereinbarkeit werde jedoch nach wie vor vom Landtag und der Landesregierung geduldet, weshalb die Zerstörung der Altstadt voranschreite. Diesem Skandal müsse so rasch als möglich ein Ende bereitet werden.447 Für die Bürgerliste forderte er daher, dass zwei Kunsthistoriker in die Altstadt-Erhaltungskommission aufgenommen und die in dieser tätigen Architekten und Bauunternehmer in der Altstadt keine Bauaufträge wegen möglicher 445 SN lokal 19.12.1995. S. 5. 446 SN lokal 20.12.1995. S. 3. 447 SN 24.5.1995. S. 36.

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Befangenheit übernehmen dürfen.448 Und anlässlich der Erklärung der Salzburger Altstadt zum Weltkulturerbe am 11. September 1997, die die Landeshauptstadt mit einem zweitägigen Fest feierte, bemerkte Herbert Fux in einem Inserat, dass die Bürgerliste die in Gang befindliche Zerstörung der historischen Altstadt weitgehend verhindert habe. Ihr sei es in den 1980er-Jahren gelungen, »durch Novellierungen des Altstadterhaltungsgesetzes mühsam Stück für Stück die Häuser unter Schutz zu stellen. Zuerst tragende Mauern, Stiegenhäuser, dann Tramdecken, Portale und Dachstühle. Als weitere Bauskandale stattfanden, ersuchte ich 1990 den damaligen Kunstminister Busek, dieser Salzburgvernichtung ein Ende zu bereiten. Dankenswerterweise gab der Minister sofort die Weisung, die Altstadt von Salzburg und Hallein unter Denkmalschutz zu stellen. Durch die Initiative des Bundesdenkmalamtes wurde jetzt, nach der Zerstörung von rund 50 % der historischen Bausubstanz der Rest zum Weltkulturerbe ernannt. Nur die Kirche war sich stets der hohen Wertigkeit der Bauwerke der Erzbischöfe bewusst und hat diese geschützt und unverfälscht erhalten. Welche Leistung feiert eigentlich die Stadt  ? Ihre jahrzehntelange unfassliche Zerstörungstätigkeit  ? Dafür geben Dechant und Schaden über öS 6 Mio. Steuergelder der Bürger aus  ! Eine Unverfrorenheit ohnegleichen. Schande den kulturellen Erben  !«449 Die Grünlanddeklaration des Jahres 1986 beinhaltete die Umwidmung von 1 Million m2 in Grünland mit einem theoretisch errechneten Verlust von 2,5 Milliarden Schilling. Gegen die Grünlanddeklaration wurden von den Betroffenen insgesamt 380 Einwendungen erhoben, von denen 36 innerhalb des Stadtsenats nicht konsensual erledigt werden konnten. Bei der noch ausständigen Behandlung der 36 Bauland-Ausnahmegenehmigungen erklärte Vizebürgermeister Johann Padutsch, dass diese nicht begründbar seien. Vor allem bei sechs Fällen, die zum Teil nicht nur im Gebiet der Gründlanddeklaration, sondern auch im Landschaftsschutzgebiet lägen, sei im Fall einer positiven Stellungnahme der Stadt eine Flut von Klagen wegen der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes zu erwarten. Diese Argumentation wurde jedoch von ÖVP und SPÖ mit dem Hinweis, dass dies nicht den Fakten entspreche und es sich um eine virtuelle politische Diskussion handle, zurückgewiesen. Mit wechselnden Partnern – Demokratie 92, Autofahrerpartei und Liste 10 – erfolgte die Umwidmung der umstrittenen Grünlandflächen. Die Bürgerliste Salzburg Stadt sah in dieser Entscheidung den drohenden Beginn einer Aufweichung der Grünlanddeklaration, von der Grundbesitzer und Bauhaie einen Millionengewinn zulasten der Lebensqualität der Salzburger Stadtbevölkerung erwarteten.450 Die Bürgerliste 448 SN 22.3.1995. S. 28. 449 SN lokal 11.9.1997. S. 24. 450 SN 8.8.1996. S. 28.

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kämpfe, so der Schlusssatz eines Inserates, »für die Erhaltung der Stadtlandschaften und gegen Spekulanten und Freunderlwirtschaft«.451 Die Agitation der Bürgerliste gegen eine Revision der Grünlanddeklaration stieß vor allem bei der SPÖ auf heftige Reaktionen, die sich in einer Pressekonferenz unter dem Titel »Es grünt so grün, wenn die Grünen Lügen blühn« zu einer Richtigstellung veranlasst sah. Die Behauptung der Bürgerliste sei, so der SPÖ-Gemeinderat Walter Mitterbauer, »eine Sauerei«. Die Stadtpolitik leiste mit der Genehmigung von Ausnahmen keineswegs Milliardenspekulaten Vorschub. Dies sei, so SPÖ-Klubchefin Susanne Neuwirth, »eine ungeheure Gemeinheit«. Die wenigen positiv erledigten Einwendungen würden keineswegs zu einer Flut von Klagen der negativ Beschiedenen wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes und durch den zu erwartenden höchstrichterlichen Spruch zu einer Beseitigung der Grünlanddeklaration führen. Es gehe nur um geringfügige Änderungen im Ausmaß von 3 Hektar, d. h. 1,5 Promille der Gesamtfläche der Grünlanddeklaration. Im Gegenzug würden aber 40 Hektar Stadtgrund von Bauland in Grünland zurückgewidmet, sodass die Fläche der Gründlanddeklaration wachse und keineswegs verringert werde.452 Am 9. September 1997 beschloss der Gemeinderat nach einer mehrstündigen heftig und emotionell geführten Debatte mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ, Demokratie 92 und der Autofahrerpartei den gesamtstädtischen Flächenwidmungsplan. Bürgermeister Josef Dechant betonte in der Debatte vor allem Richtung Bürgerliste, wenn nun einzelne Parzellen in der Grünlanddeklaration Bauland würden, stelle dies nur eine notwendige Korrektur der willkürlichen Grenzziehung des Jahres 1986 dar. Vizebürgermeister Padutsch ließ sich von den Argumenten der Mehrheit nicht überzeugen und erklärte, mit der Beschlussfassung werde der Flächenwidmungsplan 1986 (Grünlanddeklaration) »sehenden Auges kaputtgemacht«.453 Erheblich emotioneller agierte Herbert Fux. Er behauptete, dass die Gemeinderatsmehrheit mit einem Federstrich gewisse Grundbesitzer über Nacht um 200 Millionen Schilling reicher mache. An dem der Abstimmung folgenden Sitzungstag sorgte er für einen Eklat, als er die acht SPÖ-Gemeinderäte als »Saubagage« beschimpfte, die daraufhin aus Protest den Sitzungssaal verließen.454 Ebenfalls mit Inseraten und Aktionen forderte die Bürgerliste Salzburg-Land angesichts des Ansuchens der Firma TB Agrartechnik auf Freisetzung von Gentechnik-Mais »Salzburg muss gentechnisch frei bleiben  !« Begründung  : »Freiset451 SN 21.2.1996. S. 24. 452 Kurier 26.8.1997./Pressearchiv Stadt Salzburg. http://nts1/pressedoku/1997/08/neu23516.htm. (Abgerufen am 26.11.2014.) 453 SVZ 10.9.1997./Pressearchiv Stadt Salzburg. http://nts1/pressedoku/1997/10/neu23936.htm. (Abgerufen am 26.11.2014.) 454 Kurier 11.9.1997./Pressearchiv Stadt Salzburg´. http://nts1/pressedoku/1997/10/neu23988.htm. (Abgerufen am 26.11.2014.)

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zungsexperimente von gentechnisch manipulierten Pflanzen verunsichern weltweit Konsumenten und Bauern. Denn  : Wie die Atom-Technologie bringt auch die Gen-Technologie unkalkulierbare Risiken für Mensch und Natur.«455 Die von der ÖVP gestartete Initiative, mit einem Aufwand von 38 Millionen Schilling den Internet-Zugang der Salzburger Haushalte zu ermöglichen oder auszubauen, sei ein völlig falscher Weg. »Nichts gegen Verbreiterung an Informationsangeboten, aber was soll DAS  ? Kaum ein normaler Haushalt kann und wird den Internet-Zugang nützen. Wozu denn auch  ? … Dabei brauchen wichtigere Anliegen Geld zur Verwirklichung, wie z. B. die Initiative für gesunde Lebensmittel aus einem gentechnikfreien Salzburg.«456 In der nunmehr instrumentalisierten Politik der Gefühle startete die Bürgerliste Salzburg-Land im April 1996 ein Gentechnik-Volksbegehren, dessen Erfolg den Landtag im Oktober 1996 veranlasste, einstimmig dem Antrag der Bürgerliste Salzburg-Land für eine Wirtschaftsinitiative für eine Partnerschaft von Wirtschaft, Landwirtschaft und Konsumenten für ein gentechnikfreies Salzburg zuzustimmen. Auf ähnlichem Terrain bewegte sich die Ende 1996 gestartete Initiative gegen die Auswirkungen der Globalisierung. So formulierte die BürgerlisteGemeinderätin Elisabeth Moser, die drei traditionellen Parteien seien offensichtlich zu notwendigen Gegensteuerungsmaßnahmen entweder unfähig oder nicht willig. Die Auswirkungen einer »grenzenlosen liberalisierten Wirtschaft« seien »beängstigend«, weshalb dringend regionale Gegenstrategien entworfen werden müssten.457 Die Bürgerliste lud den »Spiegel«-Redakteur und Bestseller-Autor Hans-Peter Martin (»Die Globalisierungsfalle«) zu einer Diskussion in den Petersbrunnhof ein, um ihren Argumenten publikums- und medienwirksam Gewicht zu verleihen. Die Intentionen der Bürgerliste trafen sich im Bereich des Schutzes der regionalen und ökologisch-nachhaltigen Produktion der Landwirtschaft mit jenen der ÖVP. Dies wurde bei der Sitzung des Salzburger Landtages am 27. April 1997 deutlich, bei der neben der Reform der Landesverfassung auch die Wahl des St. Gilgener Biobauern Sepp Eisl zum neuen Agrarlandesrat auf der Tagesordnung stand. Eisl erhielt auch die Stimmen der Bürgerliste Salzburg Land, die Eisl als einem Vertreter der von Josef Riegler konzipierten Ökosozialen Marktwirtschaft mit einem Vertrauensvorschuss ausstattete. Mit den beiden Ölpreisschocks der Siebzigerjahre wurden erstmals die »Grenzen des Wachstums« und des Ökologieproblems sowie die Notwendigkeit eines nachhaltigen Wirtschaftens zum Thema des öffentlichen und politischen Diskurses. Die Zerstörung der Natur durch ein ungezügeltes industrielles Wachstum sowie eine expansive Landwirtschaft lösten in den Achtzigerjahren eine Debatte über die Agrar455 SN 30.4.1996. S. 40. 456 SN lokal 19.11.1996. S. 24. 457 SN lokal 9.11.1996. S. 24.

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politik zwischen Ökonomie und Ökologie aus. 1988 setzte Landwirtschaftsminister Josef Riegler mit seinem »Manifest für eine ökologische Agrarpolitik in Österreich« einen zukunftsweisenden Meilenstein. Als er 1989 zum Bundesparteiobmann der ÖVP gewählt wurde, propagierte er als Zukunftsmodell die »Ökosoziale Marktwirtschaft« als Modell, Wirtschaftswachstum und die Erhaltung einer lebenswerten Umwelt zu vereinbaren. »Die Leistungsfähigkeit einer Marktwirtschaft ist auch daran zu messen, wie sie die Aufgaben des Umweltschutzes bewältigt. Was wir dazu brauchen ist eine neue Umweltethik, an der die Menschen ihr Handeln orientieren und die diesem Handeln auch seine Grenzen setzt.«458 Der Konsument müsse wissen, was er kauft. Deshalb seien »präzise und zuverlässige Deklarationen« notwendig, »um die Kaufentscheidungen auf umweltgerechtes Konsumverhalten und die Produktionsentscheidungen auf umweltgerechte Produktionsverfahren hin zu orientieren.« Umweltqualität müsse zu einem entscheidenden Kriterium werden. »Dazu bedarf es einerseits einer Bewusstseinsentwicklung, die umweltbewussten Betrieben und Produkten auch psychologische Marktvorteile gibt …«459 Ziel des landwirtschaftlichen Unternehmertums musste die ökonomische Selbständigkeit und Selbstbestimmung sein, d. h. die Fähigkeit, neue Marktchancen zu nutzen, wobei für einen Großteil der Betriebe der außerlandschaftliche Nebenerwerb als ökonomische Absicherung charakteristisch blieb. Das bisher die bestehenden Strukturen konservierende System der Absatz- und Preisgarantie musste beseitigt werden, um ein marktgerechteres Verhalten der Bauern zu forcieren. Marktgerechtes Verhalten bedeutete dabei nicht die Öffnung aller Dämme in Richtung völliger Liberalisierung, die für die großteils klein strukturierte Landwirtschaft existenzgefährdend gewesen wäre, sondern die Etablierung eines neuen Fördersystems weg von der bisherigen Subventionierung der Überschussproduktion bei Milch, Fleisch und Getreide hin zu einer qualitativ besseren und alternativen Produktion. Der Bauer sollte durch eine geregelte Liberalisierung in die Lage versetzt werden, Marktnischen wie den zunehmend an Attraktivität gewinnenden Ab-Hof-Verkauf oder Bauernmärkte zu nutzen. Dies implizierte auch einen Abschied von einer bloßen ökonomischen Rolle der Landwirtschaft und eine Betonung ihrer umfassenden ökologischen Funktion für die Erhaltung der Kulturlandschaft. Vor allem diese Funktion sollte durch Direktzahlungen honoriert werden. Gleichzeitig wurde nicht nur von den Grünen, sondern auch Teilen der Ministerialbürokratie, vor allem jener des Finanzministeriums, Kritik an den bestehenden agrarpolitischen Strukturen formuliert. Die Bauern seien in den wichtigen Gremien kaum mehr vertreten. An ihrer Stelle dominierten Technokraten der Landwirtschaftskammer und Genossenschaften, Raiffeisen sei als Monopolist übermächtig, 458 Josef Riegler  : Ökosoziale Marktwirtschaft. – Wien 1990. S. 49. 459 Riegler  : Ökosoziale Marktwirtschaft. S. 58.

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lauteten einige der Vorwürfe. 1988 bemerkte Herbert Fux im Rahmen einer landwirtschaftspolitischen Debatte  : »Die Bauern sind die Dummen und die Raika wird fett.« Dennoch, Österreich wurde Ende der Achtzigerjahre zum Vorreiter der europäischen ökologischen Landwirtschaftspolitik. Die alternativen Grünbracheflächen stiegen zwischen 1986 und 1994 von 23.000 auf 275.000 Hektar, die Förderung der Bioenergie zwischen 1988 und 1994 von 13 auf 115 Millionen Schilling.460 Diese neue ökologische Landwirtschaftspolitik war bei den Beitrittsverhandlungen zur EU erheblichen Belastungen ausgesetzt. Ziel der österreichischen Agrarpolitik während und nach den Beitrittsverhandlungen war daher der Schutz der klein strukturierten heimischen Landschaft und deren gegenüber der EU höheren ökologischen Standards vor einer drohenden weitgehenden Liberalisierung und deren erheblichen Folgen. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung erklärte Christian Burtscher in der Landtagsdebatte am 23. April 1997, die Bürgerliste Salzburg-Land werde Sepp Eisl »mit Vertrauen ausstatten«. Dies sei »bislang einmalig in den acht Jahren, in denen Abgeordnete der Bürgerliste in Salzburger Landtag an solchen Vorgängen … teilgenommen haben.« Burtscher begründete die Zustimmung seiner Fraktion mit einer weitgehenden Übereinstimmung der landwirtschaftspolitischen Konzepte. »Wir halten den heutigen Tag für einen Tag, in dem die Chance so groß ist, wie nie zuvor, dass eine ganz entscheidende Änderung in der Salzburger Landwirtschaftspolitik ansetzt. Wo bisher in den bisherigen Ressortführungen das reine Förderungsdenken, das Bedienen an Steuertöpfen dominiert hat, da soll jetzt das Einkommen der Bäuerinnen und Bauern aus einer Landwirtschaft mit einer ökologischen Produktionsweise und entsprechend wertvollen Produkten stehen. Wo bisher die Großbauern aus den Gunstlagen bedient wurden, da soll jetzt – spät, aber vielleicht nicht zu spät – die kleinräumige Salzburger Landwirtschaft in den Vordergrund treten. Wo bisher vorauseilender Gehorsam, unerträglich vorauseilender Gehorsam gegenüber der EU-Agrarpolitik dominiert hat, da sollen jetzt Entscheidungen wieder in die Region zurückgeholt werden, nach Salzburg geholt werden. Und wo jetzt noch immer der Apparat von Landwirtschaftskammer und Agrarbürokratie und Raiffeisen dominiert, da soll jetzt die Chance aufgetan werden, dass die persönliche Überzeugung eines glaubwürdigen, ökologisch wirtschaftenden Biobauern dem andere Politikinhalte entgegensetzt. Das ist ordentlich aufgepackt auf das, was der Landesrat Eisl … da zu leisten hat. Aber im Gespräch, das wir mit ihm gesucht haben und das wir mit ihm führen konnten, haben wir ja zumindest die Hoffnung auf diese Änderung der Landwirtschaftspolitik fassen können. 460 Ernst Hanisch  : Die Politik und die Landwirtschaft. – In  : Franz Ledermüller (Hg.)  : Geschichte der österreichischen Land- und Forstwirtschaft im 20. Jahrhundert. Politik, Gesellschaft, Wirtschaft. – Wien 2002. S. 15–189. S. 178ff.

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Und deswegen geben wir hier dieses Vertrauen, weil der künftige Landesrat dem nahe kommen kann, was wir von der Landwirtschaftspolitik erwarten. Wir gehen davon aus, dass eine flächendeckende ökologische Landwirtschaft ohne Gentechnik und Agrargifte, aber mit mehr Arbeitsplätzen, Zukunft hat, und nur eine solche Landwirtschaft Zukunft hat in einem Wirtschaftskreislauf mit den Lebensmittelverarbeitern und mit den Vermarktern in der Region.«461 Bei der Forderung nach Beseitigung des in der Landesverfassung 1921 festgeschriebenen Proporzes konnte die Bürgerliste Salzburg-Land darauf verweisen, dass sie in dieser Frage, im Unterschied zu den anderen Landtagsparteien, von Anfang an eine konsequente Position eingenommen habe. Bereits im Oktober 1992 forderte sie eine Verfassungsänderung, um eine nach der Mehrheitsregel freie Regierungsbildung zu ermöglichen. Mit einem solchen Schritt, so die Begründung, sei eine Verlebendigung der Demokratie, eine Aufwertung des Landtages und mehr Transparenz bei den politischen Entscheidungsprozessen zu erwarten. In dieser Position wurde sie zunächst von der FPÖ 1992/93 unterstützt und deren Landesparteiobmann Karl Schnell ließ im Landtagswahlkampf 1994 den Slogan »Mit Proporz und Packelei ist’s nach der Wahl vorbei« plakatieren. Im Gegensatz dazu verteidigten ÖVP und SPÖ das bestehende Proporzsystem, dessen Vorteile seine Nachteile überwiegen würden. Nach der Landtagswahl 1994, die mit deutlichen Stimmenverlusten von ÖVP und SPÖ und Gewinnen der FPÖ endete, begannen allerdings ÖVP und SPÖ ihre bisherige Positionen zu revidieren, da die nunmehr mit zwei Mitgliedern in der Landesregierung vertretene FPÖ die in mehreren Ländern im Sinne der Stimmenmaximierung bereits erfolgreiche Doppelstrategie der gleichzeitigen Regierungs- und Oppositionspartei praktizierte. So erklärten Landeshauptmann-Stellvertreter Arno Gasteiger und ÖVP-Klubobmann Franz Schausberger nach der Landtagswahl, es würden nunmehr ernsthaft Überlegungen angestellt, vom bisher verbindlichen Regierungsproporz Abschied zu nehmen. Landeshauptmann Hans Katschthaler, bisher Verfechter des Proporzsystems, zeigte ebenfalls Bereitschaft zu einem solchen Schritt. Im Rückblick bemerkte er, er habe niemals für ein Mehrheitswahlrecht plädiert, wohl aber »schon 1994 [für] die Ablöse des Proporzes durch ein System freier Mehrheits- und Koalitionsbildungen im Anschluss an Landtagswahlen nach dem Verhältniswahlrecht. Es sollten nicht mehr automatisch jene Landtagsparteien in der Regierung sitzen, die hierfür die mandatsmäßigen Voraussetzungen erfüllten. … Für mich erwuchs … der Wunsch für eine Umstellung gerade aus dem Verhalten einer bürgerlichen Partei in Salzburg, die unter Karl Schnell glaubte, Regierung und Opposition in einem betreiben zu können.«462 Christian Burtscher erklärte in der Konstituierenden Sitzung des Salzburger Landtages am 2. Mai 1994, das be461 Sten Prot. d. Salzburger Landtages, 4. Session. 4. Sitzung. 11. GP., 23./24.4.1997. S. 983. 462 Katschthaler. Eine Autobiografie. S. 207.

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stehende Proporzsystem sei nicht mehr zeitgemäß. Es finde »hinter geschlossenen Türen statt« und führe zu einem »inhaltlich schwer nachvollziehbaren, wenig konkreten Regierungsprogramm. … In der Abschaffung des Proporzes sehe ich … eine entscheidende Bedingung für die Möglichkeit zu mehr Offenheit, Transparenz und Bürgernähe.«463 Auch die SPÖ rückte 1995 unter Einfluss ihres stellvertretenden Klubobmanns, dem Arbeitsrechtler Klaus Firlei, allmählich von ihrer bisherigen Position ab. Firlei verfasste ein umfangreiches Gutachten, in dem im Gegenzug für die Bereitschaft zu einer Beseitigung des Proporzes eine grundlegende Änderung der Landesverfassung durch die Aufnahme von sozialen Grundrechten und eine wesentliche Aufwertung des Landtages gefordert wurden. Im Hintergrund stand dabei die Befürchtung der Bildung einer ÖVP/FPÖ-Koalition und einer Verbannung der SPÖ auf die harten Oppositionsbänke. Für diesen Fall wollte man eigene ideologische Positionen in der Landesverfassung als Rahmenbedingungen des politischen Handelns verankert wissen, eine Position, die von der ÖVP, vor allem von deren juristischem Mastermind, dem Rechtsphilosophen und Verfassungsjuristen Landtagspräsident Helmut Schreiner, strikt abgelehnt wurde. Die ÖVP zielte lediglich auf eine minimale Änderung der Landesverfassung, während die SPÖ einen erheblich breiteren und umfassenderen Ansatz verfolgte. Ende März 1996 fasste der Landesparteivorstand der SPÖ den prinzipiell positiven Beschluss zur Abschaffung des Proporzes in der Landesregierung, band diese Bereitschaft jedoch an eine von Klaus Firlei verfasste Reihe von Bedingungen, die auf eine Gesamtänderung der Landesverfassung abzielten und damit das Scheitern der ein Jahr später beginnenden Verhandlungen im Verfassungsausschuss des Landtages bereits andeuteten. Dennoch inserierte Christian Burtscher hoffnungsfroh bereits einen Erfolg der Bürgerliste Salzburg-Land, indem er die Abschaffung des Proporzes als auf Schienen bezeichnete. »Seit es die Bürgerliste gibt, fordern wir die Beendigung des Proporz-Systems. Nach der ÖVP ist nun auch die SPÖ auf die Abschaffung des Proporz-Systems bei der Bildung der Landesregierung eingeschwenkt. Damit ist ab 1999 der Weg frei für eine freie Regierungsbildung im Land  !«464 Angesichts der Bereitschaft von ÖVP, SPÖ und Bürgerliste Salzburg-Land zu einer Beseitigung des Proporzes aus der Landesverfassung änderte die FPÖ ihre bisherige Haltung und mutierte zum Verteidiger des bestehenden Systems mit dem Argument, dass nur dieses die Kontrolle in der Regierung und damit die notwendige Transparenz garantiere. Den übrigen drei im Landtag vertretenen Parteien käme es nur darauf an, die für die Demokratie so notwendige Kontrolltätigkeit der FPÖ zu verhindern. Trotz des Widerstandes der FPÖ begannen im Jänner die Verhandlungen im Verfassungsausschuss des Landtages über eine Änderung der Landesverfassung, 463 Landtagswahl 1994. S. 172. 464 SN 29.3.1996. S. 22.

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wobei sich ÖVP, SPÖ und Bürgerliste Salzburg-Land zwar in der Abschaffung des Proporzes einig waren, jedoch vor allem ÖVP und SPÖ in der Frage des Umfangs der Verfassungsreform weitgehend nicht konsensfähige Positionen vertraten. In der zwischen ÖVP und SPÖ kontroversiell geführten Diskussion nahm die Bürgerliste Salzburg-Land eine Vermittlerposition ein. Sie begründete die Notwendigkeit der Abschaffung des Proporzsystems mit demokratiepolitischen Argumenten. Eine klare Aufteilung der Rollen von Regierung und Opposition führe zu einer Verlebendigung der Demokratie und einer Aufwertung des Landtages. In den im Jänner 1997 beginnenden Verhandlungen des Verfassungsausschusses versuchte die Bürgerliste Salzburg-Land zwischen den kontroversiellen Positionen von ÖVP und SPÖ wie z. B. in der Frage der notwendigen Einstimmigkeit von Regierungsbeschlüssen mit dem Ziel zu vermitteln, die Verhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Vergeblich. Auch in der Sitzung des Verfassungsausschusses am 6. März 1997 konnte in wesentlichen Fragen keine Einigkeit erzielt werden, sodass die Verhandlungen scheiterten.465 In der am 27. April im Salzburger Landtag erfolgten Debatte über die gescheiterten Bemühungen um eine Reform der Landesverfassung resümierten die Parteien nochmals ihre nicht vermittelbaren Positionen, wobei Christian Burtscher seine Enttäuschung über das Scheitern der Verhandlungen nicht verbergen konnte. In Richtung SPÖ bemerkte er kritisch, dass, wenn man von der Notwendigkeit der Beseitigung des Proporzes überzeugt sei, diesen Reformschritt konsensual hätte setzen müssen und nicht mit einer Gesamtänderung der Landesverfassung junktimieren. Auch seien die Differenzen über die Frage der notwendigen Einstimmigkeit (SPÖ) oder von Mehrheitsbeschlüssen in der Landesregierung (ÖVP, Bürgerliste SalzburgLand) letztlich kein Grund, das ambitionierte Vorhaben als Ganzes scheitern zu lassen. Die FPÖ wollte nicht, »die Abgeordneten der SPÖ durften nicht wirklich diesen entscheidenden Reformschritt setzen … und die ÖVP … konnte nicht. Die ÖVP hat der Mut verlassen« bei der zwischen ihr und der SPÖ strittigen Frage von Einstimmigkeit oder Mehrstimmigkeit. »Keine der beiden Seiten, weder die sozialdemokratische noch die christlich-konservative kann irgendwie schlüssig darlegen, warum entweder das Mehrstimmigkeitsprinzip eine conditio sine qua non oder warum das Einstimmigkeitsprinzip eine conditio sine qua non sein soll. … das Einstimmigkeitsprinzip ist nicht der Kitt eines Mehrheitssystems, beileibe nicht. Der Kitt eines solchen Mehrheitssystems in der Regierung ist das Minimalvertrauen, das man sich erarbeiten muss und das muss man sich ständig wieder weiter bestätigen und erarbeiten. Und wenn dieses Minimalvertrauen zwischen Regie-

465 Zu den Verhandlungen Vgl. Herbert Dachs  : Proporz-Fechtereien  ? Der verweigerte Abschied vom Regierungsproporz im Bundesland Salzburg. – In  : SJP 1997. – Salzburg/Wien 1997. S. 28–49.

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rungspartnern nicht mehr gegeben ist, na dann ist eine solche Koalitionsregierung am Ende, da wird ein solches Einstimmigkeitsprinzip nichts daran ändern. … Und das Mehrheitsprinzip ist ebenfalls nicht der Untergang eines solchen Proporzsystems. Auch da … sollte jeder der Beteiligten sich im Klaren sein, dass man über dieses Prinzip nicht den Ausstieg findet. Eine solche Regierung muss sich … um die Erfüllung ihres Regierungsprogrammes bemühen, da müssen die Regierungspartner wechselseitig Konzessionen machen. Sie kommen darum nicht herum. Man kann mit einem solchen Mehrheitsprinzip den anderen Partner auch nicht überfordern, sonst ist diese Regierung eben … am Ende. Dieser Punkt war kein Punkt, wo eine der beiden Seiten … glaubwürdig einen Ausstieg inszenieren konnte. Das wissen aber beide. … Hier einen Beitrag nicht geleistet zu haben, ist tatsächlich, was die Salzburger Verfassungsgeschichte betrifft, eine historische Schuld. Ich hoffe, sie ist vorübergehend.«466 Burtschers Engagement für die Beseitigung des Proporzes hatte neben grundsätzlichen demokratiepolitischen Überlegungen auch realpolitische Gründe. Bereits Anfang 1995 hatte er sich in einem »Presse«-Interview für eine Regierungsbeteiligung der Bürgerliste Salzburg-Land ausgesprochen. Die Bürgerliste Salzburg-Land könne auf Dauer ihre Rolle nicht in jener der Opposition sehen, sondern müsse eine realpolitische Wende vollziehen und von »Feindbildparolen« Abschied nehmen. Dies erfordere jedoch von ÖVP und SPÖ ein Minimum an Bereitschaft, »um eine Vertrauensbasis für ein politisches Gespräch« zu schaffen.467 Im Dezember 1996 ging er einen Schritt weiter und erklärte gegenüber den »Salzburger Nachrichten«, sein mittelfristiges Ziel sei es, nach der Beseitigung des Proporzes mit der ÖVP eine Regierung zu bilden. Das Ziel der Regierungsbeteiligung schien ihm nur mit der stärksten Partei, der ÖVP, realisierbar.468 Damit verfolgte er eine andere Politik als die Bundespartei, die sich nur für die Option einer Koalition mit der SPÖ entschieden hatte. Die Erklärung Burtschers löste in der Bürgerliste heftige, vor allem negative, Reaktionen aus. Am 9. Jänner 1997 erklärte Elisabeth Moser in einem Papier des Gemeinderatsklubs der Bürgerliste Salzburg-Stadt, der Vorstoß Burtschers sei »in seiner Außenwirkung kontraproduktiv« gewesen und habe nur Landeshauptmann Schausberger genützt. »Die Bürgerliste hat derzeit nur eine Aufgabe, nämlich inhaltlich so stark zu werden, dass sie die 10-Prozent-Marke erreicht. Sie ist trotz aller Defizite die einzige Gruppierung, die sachpolitisch arbeitet. Falls wir eine Koaliti466 Ebda. S. 1199ff. 467 Die Presse 12.9.1995/Pressearchiv Stadt Salzburg. http://nts1/pressedoku/1995/09/neu8283.htm. (Abgerufen am 16.9.2016.) 468 SN 19.12.1996/Pressearchiv Stadt Salzburg. http://nts1/pressedoku/1996/12/neu17951.htm. (Abgerufen am 17.9.2016.)

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onsregierung bekommen sollten, dürfen unsere Angebote nur über Inhalte laufen und nicht über Parteien  ! Denn alle Parteien sind dermaßen obsolet, dass nur eine starke inhaltliche Bürgerliste Koalitionen eingehen könnte, ohne in den Geruch des Mitnaschens an der negativen Macht zu kommen. Wir müssen endlich die Koalitionsdiskussionen zu inhaltlichen Qualitätsdiskussionen umformen  !«469 Burtscher sah sich aufgrund der massiven parteiinternen Angriffe veranlasst, für die Debatte im Landesvorstand am 13. Jänner 1997 »Gedanken zur Strategiediskussion« zu Papier zu bringen, in denen er darauf hinwies, dass derzeit in Deutschland, in Wien und auf Bundesebene »bei den Grünen ausschließlich Debattenbeiträge« erfolgten, »die auf eine rot-grüne, eventuell eine Ampel-Mehrheit gegen sogenannte ›bürgerliche/ rechtskonservative‹ Koalitionen« hinauslaufen. »Das beherrscht derzeit das Meinungsbild in der Öffentlichkeit. Ich halte diesen Ansatz für viel zu vordergründig, für zu eng und vor allem für zu defensiv. Er führt fast zwangsläufig zu einer ÖVP-/ Haider- oder Haider-/ÖVP-Koalition. Das starre parlamentarische Grünschema übersieht, – dass die SPÖ ähnlich reformfeindlich ist wie die ÖVP, – dass Rot-/Grün nicht nur jetzt keine Mehrheit hat und – dass die Grünen auch viele WählerInnen ansprechen müssen, die diese Variante der Mehrheitsbildung dezidiert nicht wollen.« Daraus würden sich einige Fragen ergeben  : »Sollen die Grünen aus der Oppositionsrolle heraus(wollen)  ? Ich sage  : Wir müssen, auch wenn das intern zu heftigen Diskussionen führen wird. Sind die Grünen prinzipiell regierungsfähig  ? Ich sage  : Wenn wir intern zu sachlich harter, persönlich nicht verletzender Diskussion und zu Entscheidungen finden, die respektiert werden, dann sind wir regierungsfähig. Stellt sich jetzt eine Koalitionsfrage  ? Aktuell stellt sich keine Koalitionsfrage als Entscheidungsfrage. Aber wenn sie sich in drei, fünf oder zehn Jahren stellen wird, muss lange vorher und gründlich darüber nachgedacht und diskutiert worden sein.« Sein strategischer Ansatz für Salzburg umfasste drei Punkte  : »1. Wir müssen die noch immer reichlich starren Entscheidungsstrukturen aufbrechen. Im Land bedeutet dies vor allem  : Beseitigung des Proporzes und freie Regierungsbildung. 2. Die Grünen müssen mit ihren Vorschlägen möglichst viele gesellschaftlichen Gruppen (aufgeklärte Unternehmer, aktive Jugendliche, kritische Katholiken, engagierte Kulturschaffende, ökologisch ausgerichtete Bauern, offene Gewerkschafter, 469 Gemeinderatsklub der Bürgerliste. 9.1.1997. Elisabeth Moser  : Umgang mit der Macht  ! Sind Diskussionen über Koalitionen nur Machtgeplänkel ohne Inhalte  ? Analyse und Wirkung des Artikels in den SN bezüglich Christians Aussagen zu Koalitionsfragen. S. 2. (AHB)

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Freiberufler usw.) ansprechen, um spürbar über zehn Prozent an Wählerzuspruch zu erhalten. 3. Die Grünen müssen dann bereit sein zu Koalitionen mit anderen politischen Gruppierungen, die FPÖ ausgenommen. Zu diesen Gruppierungen gehört auch die derzeit und mutmaßlich auch bei den nächsten Wahlgängen stärkste Partei im Land, die ÖVP.«470 Burtschers Überlegungen stießen jedoch auf wenig Gegenliebe. In der Vorstandssitzung am 13. Jänner 1997 erklärte Johann Padutsch, dass zwar das »Aufbrechen des Rot-Grün Klischees … gut«, aber Landeshauptmann Franz Schausberger »derzeit sehr reaktionär« sei. Hans Hitzenbichler sprach von einer »Erschütterung« als Reaktion auf die Erklärung Burtschers, da damit auch ein »Regierungsgeplänkel« auf Landesebene erfolge. »Die Grünen sollten verändern, Regierende sind Machterhalter und keine Veränderer.« Für Judith Kovacs war eine »Koalition mit Schausberger für die Bürgerliste nicht möglich. In Zukunft dürfe es keine derartigen Alleingänge geben, sondern Positionen müssten zuvor im Vorstand besprochen werden.471 Die von Burtscher bevorzugte Option schien jedoch nach dem Scheitern der Diskussion über eine Reform der Landesverfassung im Frühjahr 1997 in das Reich der politischen Spekulation verbannt. Unverhofft kam jedoch bereits im Oktober 1997 durch das Bekanntwerden der sog. »Datenklau-Affäre« neuerlich Bewegung in die Diskussion, sollte Burtschers Hoffnung auf eine bloß »vorübergehende Schuld« von ÖVP und SPÖ in Erfüllung gehen. Ein Mitarbeiter von Landesrat Karl Schnell nutzte eine Panne in der EDV des Landes, um aus dem Computer im Büro von SPÖ Landeshauptmann-Stellvertreter Gerhard Buchleitner eine von dessen Sekretär Walter Wanicek für den internen Gebrauch erstellte Liste von Landesbeamten zu erhalten, die in absehbarer Zeit in Pension gehen und für deren Posten SPÖMitglieder vorgesehen waren. Schnell ging mit der Behauptung an die Öffentlichkeit, die Liste sei ihm von frustrierten SPÖ-Mitarbeitern zugespielt worden. Als sich schließlich der wahre Sachverhalt herausstellte, war deutlich, dass der FPÖLandesrat und Landesparteiobmann die Unwahrheit behauptet hatte. Wenngleich die Tatsache der parteipolitischen Postenbesetzung ebenso deutlich wurde und zur Kritik Anlass gab, so war die Kritik am Vorgehen Schnells ebenso groß. Wenige Tage später informierte Buchleitner Landeshauptmann Franz Schausberger vom Beschluss der SPÖ-Fraktion, bei der nächsten Sitzung des Salzburger Landtages einen Misstrauensantrag gegen Schnell zu stellen. Schausberger, als Klubobmann neben Landtagspräsident Schreiner einer der Hauptakteure der ÖVP in der letztlich gescheiterten Landesverfassungs-Reformdiskussion, hatte in seiner nunmehrigen Funktion als Landeshauptmann unter dem Agieren Schnells zu leiden, das eine 470 Christian Burtscher  : Gedanken zur Strategiediskussion. 7.1.1997. (AHB) 471 Protokoll der Vorstandssitzung am 13.1.1997. (AHB)

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gedeihliche Regierungsarbeit beinahe unmöglich machte. Nach Rücksprache mit führenden Persönlichkeiten der ÖVP ließ er Buchleitner wissen, die ÖVP werde unter der Voraussetzung einem Misstrauensantrag gegen Schnell zustimmen, wenn die SPÖ bereit sei, noch vor der nächsten Landtagswahl eine Verfassungsänderung in Richtung Abschaffung des Proporzes zu beschließen. Die SPÖ stimmte zu und am 25. Oktober sprach der Salzburger Landtag mit den Stimmen von ÖVP und SPÖ Karl Schnell das Misstrauen aus. Die Bürgerliste Salzburg-Land, für die vor der Wahl Franz Schausbergers zum Landeshauptmann Christian Burtscher noch erklärt hatte, sie werde diesem ihre Stimme nicht verweigern, wenn er sich für eine Reform der Demokratie, vor allem die Abschaffung des Proporzsystems einsetze,472 stimmte mit dem Argument, ein Untersuchungsausschuss solle vor einem Misstrauensantrag die Affäre Schnell/Buchleitner untersuchen, dem Misstrauensantrag nicht zu. Nach hinhaltendem Widerstand der FPÖ wurde am 12. November die Dritte Landtagspräsidentin Margot Hofer als Nachfolgerin Schnells zur Landesrätin gewählt, Hofers Position übernahm der bisherige FPÖ-Klubobmann Wolfgang Haider und Karl Schnell jene des Klubobmanns. Gleichzeitig wurden die Beratungen über die Abschaffung des Regierungsproporzes im Verfassungsausschuss vorangetrieben. Bereits am 12. Februar 1998 legte Landeshauptmann Schausberger der Landesregierung den Entwurf für eine Änderung der Landesverfassung vor, der an den Landtag weitergeleitet wurde. Der Entwurf war ein Kompromiss zwischen ÖVP und SPÖ. Neben der Beseitigung des Proporzes enthielt er das Einstimmigkeitsprinzip in der Landesregierung, eine Stärkung der Minderheitenrechte im Salzburger Landtag wie die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen sowie die Aufnahme von Grundwerten und Staatszielen (Wirtschaft, Landwirtschaft, Familie, Arbeitsplätze, Soziales, Kultur, Föderalismus, Beteiligung an der europäischen Integration) in die Landesverfassung. Der Landtag verabschiedete am 22. April 1998 einstimmig die Reform-Verfassung, mit der eine folgenschwere Änderung des politischen Systems einherging. FPÖ und Bürgerliste hatten von Anfang an ihre Zustimmung mit dem Hinweis auf Art. 24 Abs. 2 (Gesamtänderung der Landesverfassung) an die Durchführung einer Volksabstimmung geknüpft. Die Frage, ob es sich bei der Reform um eine Gesamtänderung der Landesverfassung handelte, beantwortete der Salzburger Verfassungsrechtler Friedrich Koja in einem Gutachten zustimmend, da mit der nun freien Wahl der Landesregierung ein zentraler Teil der Landesverfassung erfolgt sei und somit einer Volksabstimmung unterworfen werden müsse. 472 SN 22.3.1996. S. 2. Als Schausberger in einem ORF-Interview am 20. April 1996 sich an die FPÖ annäherte, revidierte Burtscher allerdings seine Erklärung am 22. April. Am 25. April wählte nur Matthias Meisl Schausberger zum Landeshauptmann, Christian Burtscher und Karoline Hochreiter gaben Arno Gasteiger ihre Stimme.

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In der Debatte im Salzburger Landtag am 22. April 1998 reklamierte Christian Burtscher zur allgemeinen Heiterkeit des Plenums, wie das Protokoll vermerkt, die nunmehr erfolgte Reform der Landesverfassung als Erfolg der Bürgerliste SalzburgLand. »Nun also auch die FPÖ  ! Zuerst ist es uns gelungen, die Volkspartei von der Reform zu überzeugen, dann haben wir die Sozialdemokraten mit ins Boot genommen … und nun dürfen auch die Freiheitlichen mit … Wir haben ja eine Kette von Feiern im Zusammenhang mit dieser Diskussion hier schon hinter uns und vielleicht auch noch vor uns – Am 22. Oktober haben wir den Grundsatzbeschluss über den Antrag der Bürgerliste hier feierlich begangen, am 25. Februar die gelungene und gediegene Regierungsvorlage aufgrund dieses Beschlusses, einen Monat später, am 25. März haben wir bejubelt und befeiert, dass der Ausschuss sich doch nun zu dieser Reform bekannt hat, ja und nun wird wieder gefeiert«, weil es sich »tatsächlich um eine ganz wesentliche verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Entscheidung« handelt. »Man wird in Zukunft von der Landesverfassung 1998 sprechen. … (…) Wir beschließen heute die Rückkehr zum Politischen. Zumindest die mögliche Rückkehr zum Politischen im Land.« Und in Richtung FPÖ  : »Worin liegt das Politische in diesem Zusammenhang  ? Gleichzeitig in einer Regierung sein zu wollen und Opposition betreiben zu wollen, das wird in dem neuen politischen System des Bundeslandes Salzburg nicht mehr möglich sein und das ist bereits jetzt nicht mehr möglich auf Grund dieser Reformdiskussion, die wir hier geführt haben. Man kann nicht gleichzeitig eine Regierungspartei sein und sich der Mehrheitsfraktion, der relativen Mehrheitsfraktion, anbiedern wollen und den Anspruch auf Opposition erheben. Das ist ein Widerspruch in sich, der in dem neuen System nicht mehr lebbar sein wird.«473 Burtscher gab der Hoffnung Ausdruck, dass diese Feier sich am 21. Juni wiederhole, »wenn es uns gelingt, … diese Reform auch wirklich auf den Punkt zu bringen und zu vermitteln, dass es hier um eine neue Struktur im parlamentarischen System geht mit neuen Aufgaben und Aufgabendefinitionen der Regierung und mit neuen zusätzlichen Aufgaben und Möglichkeiten des Parlamentes.«474 Diese Hoffnung sollte nur sehr bedingt in Erfüllung gehen. Bei der Volksabstimmung am 21. Juni stimmten bei einer Beteiligung von nur 10,19 Prozent 95,28 Prozent mit »Ja« und nur 4,72 Prozent mit »Nein«.475 Das Interesse der Bevölkerung an einer Reform der Landesverfassung hielt sich in einem überschaubaren Rahmen. 473 Sten Prot. Des Salzburger Landtages, 5. Session. 5. Sitzung, 11. GP., 22./23. 4.1998. S. 775ff. 474 Ebda. S. 781. 475 Grundlegend zur Änderung der Salzburger Landesverfassung Franz Schausberger (Hg.)  : Vom Regierungsproporz zur Konkurrenz. Die Reform der Salzburger Landesverfassung 1998. Analysen, Wege, Strategien. – Wien 1999.

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Analog zur Diskussion auf Landesebene forderte auch die Bürgerliste SalzburgStadt eine Novellierung des Salzburger Stadtrechts durch die Einführung der Direktwahl des Bürgermeisters und der Beseitigung des Proporzes bei der Bildung des Stadtsenats. Im Gegensatz zur Diskussion im Salzburger Landtag einigten sich ÖVP und SPÖ im Herbst 1996 auf eine nur die Direktwahl des Bürgermeisters beinhaltende Novellierung des Stadtrechts, die auch vom Landtag am 12. Dezember 1996 beschlossen wurde. Die erheblich weiter zielende Intention von ÖVP und Bürgerliste Salzburg-Stadt auf die Abschaffung des Proporzes bei der Bildung des Stadtsenats wurde jedoch von der SPÖ mit dem Hinweis abgelehnt, dass die Direktwahl des Bürgermeisters mit der freien Mehrheitsfindung im Gemeinderat kollidiere. Angesichts der Krise der SPÖ war man nicht bereit, sich auf die Möglichkeit eines völligen Machtverzichts einzulassen. Die sog. »Datenklau-Affäre« im Oktober 1997 brachte jedoch wieder Bewegung in die Diskussion auf Stadtebene. In der Sitzung des Gemeinderates am 5. November forderte die Bürgerliste Salzburg-Stadt analog zur Diskussion im Salzburger Landtag die Abschaffung des Proporzes auch bei der Bildung des Stadtsenats. Die Landtag wurde in dem Dringlichkeitsantrag aufgefordert, noch vor der nächsten Gemeinderatswahl im März 1999 das Stadtrecht durch eine Beseitigung des Proporzes bei der Bildung des Stadtsenats zu ändern. In einem am selben Tag geschaltenen Inserat in den »Salzburger Nachrichten« forderte sie »Schluss mit dem lähmenden Proporz auch in der Stadtregierung  !«476 Analog zum Positionswechsel der Landespartei war in der Zwischenzeit auch in der Stadtorganisation der SPÖ ein Gesinnungswandel eingetreten, weshalb der Dringlichkeitsantrag einstimmig angenommen wurde. Um das Anliegen auch juristisch zu untermauern, wurde Manfried Welan mit einem verfassungsrechtlichen Gutachten beauftragt, das innerhalb von zwei Monaten die Frage prüfen sollte, ob es gegen die Abschaffung des Proporzes bei der Bildung des Stadtsenats verfassungsrechtliche Bedenken gebe. Welans Gutachten lag nach zwei Monaten vor und kam zu dem Ergebnis, dass keinerlei verfassungsrechtliche Bedenken vorlägen. Zur gleichen Zeit kam Manfred Perterer in einer kritischen Bestandsaufnahme der Salzburger Stadtpolitik zu dem Ergebnis, dass durch den zwingenden Proporz Parteien zu einer Zusammenarbeit gezwungen werden, die aufgrund ihrer unterschiedlichen ideologischen Positionen eigentlich kein Interesse an einer Zusammenarbeit haben. Die Folge sei eine allgemein beobachtbare Lähmung, die nur durch die Beseitigung des Proporzes überwunden werden könne.477 In der Landtagsdebatte am 22. April 1998 bemerkte Christian Burtscher, die nunmehr beschlossene Reform der Landesverfassung hinterlasse einen »Wermutstropfen«, nämlich jenen »mit der Stadt Salzburg«. Die Bürgerliste habe in »den letzten Monaten immer und immer wieder die Forderung« nach einer 476 SN 5.11.1997. S. 16. 477 Manfred Perterer  : Der Proporz lähmt die Stadt. – In  : SN 13.1.1998. S. 2.

Profilierung in stadt- und landespolitischen Kontroversen

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gleichzeitigen Realisierung der Stadtverfassung erhoben. Denn auch die Stadt benötige dringend »klare Verhältnisse« und damit »Regierungsfähigkeit«.478 Nach der Beschlussfassung des Landtages über eine Reform der Landesverfassung schien der Abschaffung des Proporzes bei der Bildung des Stadtsenats nichts mehr im Wege zu stehen, da auch Landeshauptmann Franz Schausberger Sympathien für einen solchen Schritt bekundete. ÖVP, Bürgerliste Salzburg-Stadt und LIF forderten daher eine umgehende Änderung der Stadtverfassung durch den Landtag, stießen mit diesem Verlangen jedoch nunmehr auf die Bedenken der Landtagsfraktion der SPÖ. So äußerte deren Klubobfrau Gabi Burgstaller Zweifel am demokratiepolitischen Sinn dieses Anliegens und erklärte, für die SPÖ gebe es nur zwei Alternativen  : die Direktwahl des Bürgermeisters und ein Proporzsystem, d. h. den status quo, oder die Rückkehr zum System vor der Reform der Stadtverfassung, d. h. einen vom Gemeinderat gewählten Bürgermeister und ein Koalitions/Proporzsystem. Wenngleich ÖVP und Bürgerliste am Vorhaben einer generellen Beseitigung des Proporzes im Salzburger Stadtrecht festhielten, so lehnten dies SPÖ und FPÖ am 28. Oktober 1998 im Landtag ab. Zu groß schien beiden Parteien die Möglichkeit eines völligen Machtverlusts im Fall einer freien Regierungsbildung.

10.3 Profilierung in stadt- und landespolitischen Kontroversen – Verkehr, Stadion, Guggenheim (Museum im Berg), Erste Olympiabewerbung Eine Ebene der politischen Kontroverse in wechselnden Koalitionen bildeten heftig umstrittene tagespolitische Themen wie die verkehrspolitische Kontroverse zwischen der Salzburger Landesregierung und Stadtrat Johann Padutsch, die in der Androhung eines Amtsenthebungsverfahrens durch die Landesregierung ihren spektakulären Höhepunkt erreichte, der Bau des Stadions, die mögliche Situierung des Guggenheim-Museums im Mönchsberg und die erste Olympia-Kandidatur 1996. Im Herbst 1994 stand Johann Padutsch, Vizebürgermeister und für den Verkehr zuständiger Stadtrat, im Mittelpunkt einer für Aufsehen sorgenden Kontroverse. 1997 bemerkte Heinrich Breidenbach in der von der Bürgerliste herausgegebenen Broschüre »20 Jahre Bürger-List-E« über die Verkehrspolitik in der Stadt Salzburg seit den frühen 1980er-Jahren  : »Von 1982 bis 1987 war Johannes Voggenhuber verantwortlicher Stadtrat für Stadtplanung und Verkehr. Von 1987 bis 1992 war es Dietrich Masopust. Der FP-Politiker führte trotz gegenteiliger Anfangsrhetorik im Wesentlichen die begonnene Verkehrspolitik fort, was letztlich auch zu seinem Zer-

478 Sten. Prot. d. Sbg. LT. 5. Session. 5. Sitzung 22./23.4.1998, 10 GP., S. 783.

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würfnis mit der FPÖ und zur Gründung einer eigenen Liste beitrug. 1992 ist mit Johann Padutsch wieder ein Vertreter der Bürgerliste Verkehrs- und Planungsstadtrat. In dieser ›grünen‹ Periode ist der Autoverkehr in der Stadt Salzburg explodiert. Und zwar nicht nur in absoluten Zahlen. Verschlechtert hat sich auch das Verhältnis zwischen dem Auto einerseits und dem Umweltverbund (Bus, Bahn, Rad, Fußgänger) andererseits. 1982 wurden in der Stadt Salzburg 36 Prozent aller Wege mit dem Auto zurückgelegt. 1994 (letzte verfügbare Daten) waren es schon 40 Prozent. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln fuhren 1982 20 Prozent, 1994 waren es 18 Prozent. Der Anteil der Wege, die zurückgelegt werden, sank noch stärker, nämlich von 32 auf 26 Prozent. Einzig die Radfahrer sind ein Lichtblick. Ihr Anteil stieg von 12 auf 16 Prozent. … (…) Alle Fachleute erwarten bei Fortschreibung der heutigen Verhältnisse und bei weiterer Zunahme von Bevölkerung und Motorisierungsgrad im Zentralraum Salzburg den totalen Verkehrskollaps.«479 Johannes Voggenhuber setzte 1986 als Gegenstrategie zu dieser Entwicklung die mehrheitliche Verabschiedung eines »Verkehrspolitischen Ziel- und Maßnahmenkonzepts« durch den Gemeinderat durch, in dem u. a. als verkehrspolitisches Ziel eine Reduktion der Autofahrten bis 1990 um 30 Prozent durch den Ausbau und die Erhöhung der Attraktivität des öffentlichen Verkehrs als zentrales Element enthalten war. Die Bürgerliste Salzburg-Stadt schrieb daher die Verfolgung dieses Ziels auf ihre Fahnen, wobei die von Padutsch in diesem Sinne angeordnete Einführung einer Busspur in der Aigner Straße zu heftigen öffentlichen Diskussionen und einer politischen Kontroverse zwischen Padutsch und dem für das Verkehrsrecht zuständigen Landesrat Robert Thaller führen sollte. Der Ausbau des Radwegenetzes sowie die Förderung des öffentlichen Verkehrs durch die Schaffung von Busspuren bildeten zentrale Bereiche der Verkehrspolitik der Bürgerliste der Stadt Salzburg. Vor allem die Schaffung von Busspuren führte immer wieder zu heftigen Kontroversen. War es 1993 jene am Platzl bei der Staatsbrücke, so erregte im folgenden Jahr die Verordnung einer Busspur in der Aigner Straße die Gemüter. Die Kritiker wiesen darauf hin, dass die Busspur zu schmal sei und in den ersten 14 Tagen des auf zwei Monate anberaumten Probebetriebs massive Staus und vermehrt Unfälle, davon einer mit tödlichem Ausgang, aufgetreten seien. Padutsch weigerte sich jedoch, die Busspur vor einer für 10. Oktober angesetzten Bürgerversammlung aufzulassen. Bei dieser sprach sich zur allgemeinen Überraschung selbst der frühere Bürgerliste-Gemeinderat Eckehard Ziesel gegen die Busspur aus und ein Verkehrsgutachten kam zu dem Schluss, dass die Aigner Straße für eine Busspur ungeeignet sei.480 Da Padutsch jedoch auch drei Tage nach Ablauf 479 Heinrich Breidenbach  : Das Auto blieb Sieger. – In  : 20 Jahre Bürger-List-E. Bürgerliste Salzburg lebt. – Salzburg 1997. S. 1719. S. 17. 480 Kronen Zeitung 11.10.1994./Presseachiv Stadt Salzburg. http://nts1/pressedoku/1997/04/neu2063. htm. (Abgerufen am 26.11.2014.)

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der zweimonatigen Probezeit die so heftig umkämpfte Busspur nicht entfernen ließ, zog der für das Verkehrsrecht zuständige Landesrat Robert Thaller den Fall an sich und erteilte Padutsch die Weisung zur Entfernung. Als Padutsch daraufhin erklärte, er werde dieser Weisung nicht nachkommen, leitete Thaller ein Amtsenthebungsverfahren gegen den widerspenstigen Vizebürgermeister ein, indem er den für die Gemeindeaufsicht zuständigen Landeshauptmann-Stellvertreter Gerhard Buchleitner aufforderte, den Fall auf die Tagesordnung der nächsten Regierungssitzung zu setzen. Der Landesrat betonte, er sei keineswegs grundsätzlich gegen die Busspur, jedoch gegen die derzeitige zu schmale Ausführung. Der Konflikt hatte damit eine neue, von der medialen Berichterstattung aufmerksam verfolgte Dimension angenommen. Deeskalation war angesagt. Am 13. Oktober sprach sich der Verkehrsausschuss des Gemeinderates nach einer mehrstündigen Diskussion gegen die Stimmen der Bürgerliste für die Aufhebung der Busspur aus. Das zwischen 1969 und 1971 errichtete Fußballstadion in Lehen, Heimstätte des Lokalmatadors Austria Salzburg, war im Laufe der Jahre zu einem Ort der kollektiven Identität der Austria-Fans geworden.481 Die Erfolge des Klubs im UEFA-Cup in den Neunzigerjahren machten jedoch deutlich, dass das Stadion internationalen Ansprüchen nicht mehr gerecht wurde, weshalb entweder die Modernisierung oder ein Neubau als notwendig erachtet wurde. Die Errichtung eines neuen Stadions stieß zu diesem Zeitpunkt bei großen Teilen der Salzburger Bevölkerung keineswegs auf Zustimmung. Eine Ende 1991 von den »Salzburger Nachrichten« durchgeführte Leserbefragung ergab eine ablehnende Haltung von mehr als zwei Drittel, wobei überwiegend die Meinung vertreten wurde, dass die dafür notwendigen Mittel besser für den sozialen Wohnbau und den Ausbau der städtischen Infrastruktur verwendet werden sollten. Als sich in mehreren Studien eine Modernisierung inklusive einer notwendigen Erhöhung der Zahl der Sitzplätze aus räumlichen und finanziellen Gründen als nicht sinnvoll erwies, fasste die Landesregierung im Mai 1997 den grundsätzlichen Beschluss für den Neubau an einem anderen Ort. Durch die Wahl Österreichs zusammen mit der Schweiz als Austragungsort der Fußball-Europameisterschaft 2008 und die Nominierung Salzburgs als eines Austragungsorts von Gruppenspielen dieses sportlichen Großereignisses gewann die Diskussion über die Situierung des neuen Stadions an Dringlichkeit. Von den möglichen Standorten Kasern, Liefering-Salzachsee, Alpenstraße und Wals-Siezenheim sprach sich die Salzburger Landesregierung am 17. August 1998 für jenen in Wals481 Vgl. Reinhard Kannonier  : You’ll never walk alone. Die Welt der Austria-Salzburg Fans. – In  : Hanns Haas, Robert Hoffmann, Robert Kriechbaumer (Hg.)  : Salzburg. Städtische Lebenswelt(en) seit 1945. – Wien/Köln/Weimar 2000. S. 359–405. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politischhistorische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 11.)

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Siezenheim aus. Das Projekt mit Kosten von 800 Millionen Schilling umfasste ein Stadion mit 21.500 Sitzplätzen und eine Mehrzweckhalle mit 7460 Plätzen. Ende September trat allerdings Vizebürgermeister Johann Padutsch mit dem »Projekt Salzach-Stadion« in Liefering an die Öffentlichkeit. Liefering sei der bessere Standort mit weniger Anrainern, mit 650 Millionen Schilling wesentlich preisgünstiger und ein baureifes Projekt (eine Studie der Architekten Wimmer&Zaic lag vor, Anm. d. Verf.).482 Auch Bürgermeister Josef Dechant, der ursprünglich den mitten im Landschaftsschutzgebiet liegenden Standort Alpenstraße (»Waldstadion«) bevorzugt hatte, schloss sich der Position Padutschs an. Der Gemeinderat hatte den Standort Liefering jedoch bereits einmal abgelehnt, obwohl er vielfach als der bestgeeignete im Stadtgebiet befunden wurde. Padutsch war daher gewillt, in der Sitzung des Gemeinderates am 4. November einen neuerlichen Anlauf für das »Salzach-Stadion« zu unternehmen. Die Gemeinderatsfraktionen von ÖVP und SPÖ standen in dieser Frage unter erheblichem Druck, da sowohl Landeshauptmann Franz Schausberger wie auch Landesrat Othmar Raus erklärten, für das Land sei der Standort Kleßheim fix. Das mit erheblicher finanzieller Beteiligung des Bundes und der Gemeinde WalsSiezenheim entworfene Projekt könne aber erst dann verwirklicht werden, wenn der Gemeinderat der Landeshauptstadt einen entsprechenden positiven Beschluss fasse. In der Debatte des Gemeinderates am 4. November 1998 fanden die Befürworter des Standorts Liefering-Salzachsee, Bürgermeister Josef Dechant und Vizebürgermeister Johann Padutsch, allerdings keine Mehrheit. Dechant und Mayr fanden dabei nicht einmal die Unterstützung ihrer Fraktion, die sich unter Klubobmann Erwin Klemm für den Standort Wals-Siezenheim aussprach. Das Abstimmungsverhalten der ÖVP-Fraktion illustrierte die Situation in der Stadtpartei. Dechant hatte seinen Verzicht auf eine Wiederkandidatur bei der nächsten Gemeinderatswahl bereits bekannt gegeben und war durch Karl Gollegger als Spitzenkandidat der ÖVP ersetzt wurden. Der noch amtierende Bürgermeister hatte stets auf einer betont eigenständigen Politik der Stadtpartei gegenüber der Landespartei gepocht und diese auch oftmals durchaus konfliktfreudig vertreten. Klubobmann Erwin Klemm hingegen, der im Schloss Mirabell als der Fädenzieher hinter den Kulissen galt, suchte den Schulterschluss mit der Landespartei, die sich nach Prüfung aller Varianten vor allem aufgrund der bereits weit gediehenen Vorarbeiten für den Standort WalsSiezenheim ausgesprochen hatte.483 In der Debatte stellte Padutsch die Frage, ob der Gemeinderat bereit sei, »dem Bieringer (Bürgermeister von Wals-Siezenheim, Anm. d. Verf.) freiwillig das Geld nachzuschmeißen  ?« Er beschwor die Mandatare, in dieser so wichtigen Frage selbstbewusst zu entscheiden, da der Standort Kleßheim 482 SN 30.9.1998/Pressearchiv Stadt Salzburg. http://nts1/pressedoku/1998/09/tra3990.htm. (Abgerufen am 17.9.2016.) 483 SN lokal 7.11.1998. S. 2f.

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aus städtebaulicher, verkehrsplanerischer und kunsthistorischer Sicht indiskutabel sei. Und ein sichtlich enttäuschter Bürgermeister Dechant bemerkte, das Verhalten der Mehrheit sei ein Armutszeugnis für den Gemeinderat und – in Richtung seiner eigenen Fraktion – ein deutliches Zeichen dafür, dass »die Fremdbestimmung durch die Landesparteien« wieder beginne.484 Die Standortwahl der Landesregierung war, unabhängig von der prinzipiell ablehnenden Haltung eines nicht unbeträchtlichen Teils der Bevölkerung gegenüber einem Stadion-Neubau, von Anfang an umstritten, sollte doch das neue Stadion in unmittelbarer Nähe des zu Beginn des 18. Jahrhunderts von Fischer von Erlach errichteten Schlosses Kleßheim errichtet werden. Das für Erzbischof Ernst Graf Thun errichtete Schloss war bereits in den Jahren zuvor durch die Ausdehnung eines Gewerbegebiets bis in dessen unmittelbare Nähe in Mitleidenschaft gezogen und zudem durch den Einzug des Casinos zweckentfremdet worden. Durch die zusätzliche Situierung des Stadions schien die Gefahr einer massiven Beeinträchtigung des im Vorfeld des Schlosses sich befindenden Landschaftsschutzgebietes gegeben.485 Die sich nunmehr zahlreich zu Wort meldenden Kritiker sahen in der Standortwahl eine Maßnahme, durch die »ein Hauptwerk von Johann Bernhard Fischer von Erlach und damit Baudenkmal europäischen Ranges – samt dem Park zum Anhängsel einer riesigen Sportanlage degradiert« werde.486 Ein »mächtiges Triumvirat aus dem einflussreichen Bürgermeister von Wals Siezenheim, Ludwig Bieringer (Bauherr und Baubehörde), dem Salzburger Landeshauptmann Franz Schausberger (beide ÖVP) und dem Sportlandesrat Othmar Raus (SPÖ)« sei für diese die Kultur- und Naturlandschaft der Stadt beeinträchtigende Fehlentscheidung verantwortlich.487 Auch die »Salzburger Nachrichten« stimmten in den Chor der Kritiker ein, indem sie erklärten, sie seien auch für den Neubau eines Stadions, doch nicht an diesem sen484 SN 5.11.1998/Pressearchiv Stadt Salzburg. http://nts1/pressedoku/1998/tra4904.htm. (Abgerufen am 17.9.2016.) ÖVP-Klubobmann Erwin Klemm begründete die ablehnende Haltung seiner Fraktion zum Standort Lieferung und das Votum für Wals-Siezenheim damit, dass das Land in Wals-Siezenheim bereits ein konkretes Projekt, Gründe und Verträge mit dem Bund habe. Die Stadt habe dies alles nicht. (SN 28.10.1998/Pressearchiv Stadt Salzburg. http://nts1/pressedoku/1998/10/tra4685. htm. (Abgerufen am 17.9.2016.) 485 Zur Geschichte des Stadion-Neubaus Vgl. Reinhard Krammer  : Eine neue Fußballarena für Salzburg. Der Stadionbau als Politikum. – In  : Dachs, Dirninger, Floimair (Hg.)  : Übergänge und Veränderungen. S. 775–786. 486 Wilhelm Petzet, der Präsident des International Council on Monuments and Sites und Berater der UNESCO, in einem Brief im Sommer 2000 an Landeshauptmann Franz Schausberger. Zit. bei Norbert Mayr  : Grün versus »Speckgürtel«. Anmerkungen zu Architektur, Stadtentwicklung, Regionalplanung, Landschafts- und Naturschutz, Investorenbegehrlichkeiten und Politik im Salzburger Zentralraum. – In  : SJP 2001. – Wien/Köln/Weimar 2002. S. 57–76. S. 62. 487 Norbert Mayr  : Der Fluch des Standorts. Das Stadion Kleßheim 1999/2002. – In  : Ders.: Stadtbühne und Talschluss. Baukultur in Stadt und Land Salzburg. – Salzburg/Wien 2006. S. 217–224. S. 217.

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siblen Standort. Die sich in dem betroffenen Stadtteil formierende Bürgerinitiative sammelte rund 35.000 Unterschriften gegen den Stadion-Neubau, gegen den sich vor allem die Bürgerliste der Stadt Salzburg wie auch die Bürgerliste Salzburg-Land engagierte, sah man doch in dem Stadionbau eine Bestätigung nach wie vor anhaltender Umweltzerstörung sowie in der sich formierenden Bürgerinitiative und deren breiter Unterstützung eine Chance der Renaissance der Bürgerinitiativbewegung, der Wiege der Grünbewegung. Und schließlich bot sich hier ein äußerst publikumswirksames Thema, das es zu besetzen galt. Johann Padutsch machte am 17. September 1998 im völlig überfüllten Pfarrsaal Taxham Stimmung gegen das Stadion-Projekt. Er sei selbst ein Sportfan, erklärte er zu Beginn der von Emotionen geprägten Versammlung der künftigen Stadionanrainer, und er sei auch durchaus für den Neubau des Stadions, aber nicht vor Kleßheim, sondern in Liefering. Durch die Situierung vor dem Schloss Kleßheim würde dieses entwertet und ein Naherholungsgebiet zerstört. Padutsch war sich dessen bewusst, dass der Gemeinderat wenige Wochen später für den Standort Wals-Siezenheim votieren werde, gab jedoch den Kampf für den Standort Liefering noch nicht verloren. So erklärte er an die versammelten und zum Widerstand entschlossenen Taxhamer  : »Ich zeige eine Alternative auf, und ihr sorgt für den nötigen Widerstand, dann haben wir eine Chance.«488 Auch nach dem Beschluss des Gemeinderates am 4. November 1998 gab die Bürgerliste, gestützt auf die Bürgerinitiative Taxham, den Kampf gegen den Stadionbau in Wals-Siezenheim nicht auf. So warf Bürgerliste-Klubobmann Helmut Hüttinger in der Sitzung des Landesausschusses am 4. Juli 2000 der SPÖ in der Causa Stadion eine »doppelzüngige Rolle« vor. Die Grünen sollten daher eindeutig gegen das Projekt Stellung beziehen. Das Thema sei »öffentlichkeitswirksam« und man werfe den Grünen vor, zu Beginn der Diskussion gegen das Stadionprojekt aufgetreten zu sein, jedoch nunmehr zu verstummen. Das Projekt Liefering sei machbar. Generell wurde die Meinung vertreten, dass die Partei mit den Stadion-Gegnern zusammenarbeiten und diese Kooperation auch in weiteren Projekten fortführen sollte.489 Im Sommer 2000 stellte die Zeitschrift »Die Grüne« fest  : »Mit insgesamt 600 Plakaten mit drei verschiedenen Texten und Farben sowie 15.000 Flyer gegen das geplante Stadion Kleßheim werden die Salzburger Grünen zusammen mit der Bürgerliste den Druck auf die blind bauwütige Landesregierung spürbar erhöhen. Erklärtes Ziel dieser Schwerpunktaktion  : Ein unwirtschaftliches Großprojekt, das Anrainer belastet und die Kulturlandschaft verschandelt, muss gestoppt werden.«490 Vier Monate später bemerkte Cyriak Schwaighofer in einer Sitzung des Landesausschusses mit resignierendem Unterton, das Stadion vor dem Schloss Kleßheim sei ein Prestige488 SN lokal 19.9.1998. S. 4. 489 Protokoll der 5. Sitzung des Landesausschusses am 4.7.2000. S. 4f. (AHB) 490 Die GRÜNE 7/2000. S. 3.

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projekt, das, ebenso wie jenes des Museums am Berg, offensichtlich »durchgezogen werden« soll.491 Vehement wandte sich die Bürgerliste Salzburg-Stadt, vor allem Herbert Fux und Vizebürgermeister Johann Padutsch, auch gegen die zu Beginn der 1990er-Jahre diskutierte Möglichkeit der Errichtung eines Guggenheim-Museums im Mönchsberg nach den Plänen Hans Holleins.492 Landeshauptmann Hans Katschthaler fand zwar den Plan Holleins faszinierend, hegte jedoch Zweifel an der Machbarkeit und Finanzierbarkeit. Nach dem Vorliegen einer Machbarkeitsstudie wurde seitens Guggenheim Katschthaler versichert, dass sich der Bund an den Errichtungskosten von 1 Milliarde Schilling mit 80 Prozent beteiligen werde, sodass auf Stadt und Land jeweils 10 Prozent entfielen, eine bewältigbare Größe. Bei einem Gespräch mit Bundeskanzler Franz Vranitzky erklärte dieser jedoch dem Salzburger Landeshauptmann gegenüber, der Bund stehe einem finanziellen Engagement beim geplanten Guggenheim-Projekt ablehnend gegenüber. Damit war für Katschthaler eine Realisierung des Hollein-Projekts aus finanziellen Gründen unmöglich. Um jedoch Guggenheim an Salzburg zu binden, bot der Foundation Schloss Kleßheim als Präsentationsräumlichkeiten an. Dies wurde jedoch sowohl von Guggenheim wie auch den Befürwortern des Hollein-Projekts, die in diesem eine einmalige kulturpolitische Chance für die Stadt sahen, abgelehnt.493 491 Protokoll der 7. Sitzung des Landesausschusses am 10.11.2000. S. 1. (AHB) 492 Zu Geschichte und zur Diskussion Vgl. Robert Kriechbaumer  : Umstritten und prägend. Kulturund Wissenschaftsbauten in der Stadt Salzburg 1986–2011. – Wien/Köln/Weimar 2012. S. 77–160. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-HaslauerBibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 45.) 493 Vgl. Katschthaler. S. 258f.: »Guggenheim verlangte zunächst von Stadt und Land Salzburg keine Investitionshilfen für den Bau des Guggenheim-Museums im Mönchsberg nach den faszinierenden Plänen von Hans Hollein. Eine Sonderausstellung von Werken aus dem Guggenheimdepot sollte eine erste Begegnung zwischen Guggenheim und Salzburg ermöglichen. Es war ein Erfolg. Meinen Hinweisen auf Probleme eines Museums im Berg begegnete man mit einer Machbarkeitsstudie, an deren Finanzierung sich das Land Salzburg beteiligte, um das Interesse an Guggenheim zu dokumentieren. Über die erheblichen Betriebskosten eines grundsätzlich machbaren Museums im Berg wollte Guggenheim nicht reden. Es ging zuerst um den Bau, an dessen Finanzierung laut Aussagen der Projektbetreiber die Republik Österreich mit 80 Prozent der Kosten mitzuwirken bereit sei, wofür es angeblich Zusagen von Bundeskanzler Vranitzky und Bundesminister Busek gab. Der erbetene Landes- und Stadtanteil war daher mit 20 Prozent eine machbare Größe, jedenfalls aus der Sicht Guggenheims und einiger Salzburger Projektfreunde. Dennoch betonte ich den Vorrang des Museums Carolino Augusteum, zumal dieses Projekt bereits seit 1985 anstand und einer dringenden Lösung bedurfte. Ich klärte in einer eigenen Vorsprache beim Bundeskanzler in Wien ab, ob der Bund zu seinen angeblichen Versprechungen stünde. Der Bundeskanzler lehnte ein finanzielles Engagement eindeutig ab. Damit war für mich klar, dass es nicht zu einer Verwirklichung des Guggenheim-Projektes im Mönchsberg kommen konnte. Ich bot Guggenheim für eine museale Präsentation Schloss

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Am 12. März 1992 stellte Herbert Fux in einem Inserat die Frage, wer denn eigentlich Guggenheim brauche  ? »Die Bevölkerung  ? Die Bauwirtschaft  ? Der Bürgermeister  ? Guggenheim hat große Geschäftsinteressen in Salzburg, aber kein Geld, um den Mönchsberg für ein Museum auszuhöhlen. Daher will Guggenheim mit einem plumpen Werbespruch ›Salzburg braucht Guggenheim‹ 1.000 Millionen öS (!  !  !) von den Salzburger und österreichischen Steuerzahlern kassieren. Dafür will man  : Am Mönchsberg 5.000 m² geschützten Wald für eine Museumskuppel schlägern  ! Den Berg aushöhlen (20.000 Lkw-Fahrten durch die Stadt nötig  !) Die 1.000 Millionen Steuergelder sollten besser für den Ausbau des O-Bus- und Nahverkehrsnetzes aufgewendet werden, um die restliche Lebensqualität der Stadt zu erhalten. Der Landeshauptmann hat Guggenheim das berühmte Barock-Schloss Kleßheim für Ausstellungen angeboten (dezentrale Lage, Autobahnanschluss, Parkplätze), aber Bauwirtschaft, Stararchitekt Hollein (Honorar ca. 50 Mill.) und Guggenheim sind gegen das kostenlose Ausstellungsgeschenk – warum wohl, weil Kleßheim schon gebaut ist, da gibt es nichts zu kassieren  !«494 Alle Bemühungen um eine Realisierung des faszinierenden Hollein-Projekts eines Museums im Berg waren vergeblich und die Vision einer internationalen Positionierung Salzburgs als Standort für moderne Kunst verschwand in der Versenkung. Eine überraschende Wende trat mit der Designierung des neuen Landeshauptmanns Franz Schausberger ein, der die kulturelle Positionierung Salzburgs zu einem Schwerpunkt seiner Regierungsarbeit erklärte. Nach seiner Wahl zum Landeshauptmann am 25. April 1996 erklärte er in einem ORF-Interview, dass das Hollein-Projekt, unabhängig von einem Engagement Guggenheims, nochmals einer eingehenden Prüfung unterzogen werden sollte. Gleichzeitig wurde in Insiderkreisen kolportiert, dass man im Fall der Nicht-Realisierbarkeit eines Museums im Berg ein Museum am Berg anstelle des Café Winkler in Angriff nehmen könnte. Diese Alternative gewann zunehmend an Wahrscheinlichkeit, als im April 1997 Thomas Kerns in New York im Namen der Guggenheim-Foundation erklärte, angesichts der bevorstehenden Eröffnung des von Frank O. Gehry geplanten Museums in Bilbao werde man in Österreich nicht weiter planen, da hier der entsprechende politische Wille fehle und man nicht bereit sei, die erforderlichen Mittel bereitzustellen. Als Klaus Albrecht Schröder, der von Schausberger installierte Museumskoordinator, die Errichtung einer Kunsthalle auf dem Mönchsberg empfahl, fielen die Würfel Kleßheim an, wo die Mozartausstellung mit Erfolg stattgefunden hatte. Guggenheim lehnte ab. Ich bedauerte auch öffentlich das Ende dieser Geschichte, von der es aus meiner Sicht keinen Sinn mehr hatte, sie weiter verfolgen zu lassen.« 494 SN 12.3.1992. S. 32.

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zugunsten dieser Variante, wobei allerdings, dies die Bedingung Schausbergers, bei der Errichtung eines Museums am Berg auch die Möglichkeit für eine eventuell später doch noch erfolgende Realisierung des Museums im Berg berücksichtigt werden müsse. Auch dieses Vorhaben erweckte eine breite Widerstandsfront, die politisch vor allem von der Bürgerliste Salzburg-Stadt artikuliert wurde. Herbert Fux nannte den geplanten Museumsbau einen das Stadtbild massiv beeinträchtigenden monströsen Betonklotz und Vizebürgermeister Johann Padutsch plädierte stattdessen für die Realisierung des von dem Salzburger Architekten Gerhard Garstenauer entworfenen Plans eines unterirdischen Kunstforums Rupertinum unter dem MaxReinhardt-Platz. Die Entscheidung fiel jedoch mit einem Regierungsbeschluss am 21. April 1997 zugunsten des Museums am Berg, für dessen Realisierung ein EUweiter anonymer Architektenwettbewerb ausgeschrieben wurde, den die Münchner Architekten Stefan Zwink, Stefan Hoff und Klaus Friedrich gewannen. Damit war, jenseits der konträren ästhetischen Beurteilung des Siegerprojekts, eine neue Runde der politischen Kontroverse eröffnet. Am 6. August 1998 formulierte der Gemeinderatsklub der Bürgerliste SalzburgStadt seine Kritik sowohl am von Schröder erarbeiteten Museumskonzept wie an der Ausschreibung und dessen Ergebnis, wobei die Handschrift lokaler Architekturkritiker deutlich sichtbar wurde. Man habe ein Museum geplant, ohne zu wissen, welche Kunstwerke in diesem präsentiert werden sollen. Die Jury habe für die 89 ausgeschiedenen Einreichungen lediglich 2,5 Stunden benötigt, weshalb sich die Frage nach der Sorgfältigkeit der Begutachtung stelle. »Eine abschließende Begründung für das Siegerprojekt fehlt. Warum hat man gerade dieses Projekt gewählt. Die Jury bleibt eine Erklärung schuldig  ! Die Fassade des Siegerprojekts zur Stadt ist banal und keineswegs aufregend, dieses Haus wird in der internationalen Museumsarchitektur nicht existent sein.«495 Die mit erheblicher weltweiter Resonanz erfolgte Eröffnung des GuggenheimMuseums in Bilbao und die gescheiterte Olympia-Bewerbung Salzburgs gaben den Befürwortern des Hollein-Projekts neuen Auftrieb, die in einer neuerlichen Offensive versuchten, an der Stelle des Museums am Berg doch noch das Museum im Berg zu realisieren. Mit einer entsprechenden Beteiligung des Bundes an den Kosten von rund 1 Milliarde Schilling, so das Hauptargument, würde das Hollein-Projekt Stadt und Land letztlich nicht mehr kosten als das Museum am Berg, dessen Errichtungskosten mit 300 Millionen Schilling angegeben wurden, von denen der Bund nach intensiven Verhandlungen von Landeshauptmann Schausberger 120 Millionen übernahm. Diese neuerliche Initiative scheiterte jedoch an den politischen Rahmenbedingungen  :

495 Gemeinderatsklub der Bürgerliste. Medieninformation. 6.8.1998.

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1. Der Bund weigerte sich, die auf ihn entfallenden 800 Millionen Schilling zu übernehmen, sodass die Finanzierung nicht gesichert war. 2. Sowohl ÖVP wie SPÖ war der Spatz in der Hand (Museum am Berg) lieber als die Taube auf dem Dach (Museum im Berg), zumal bei der Errichtung des Museums am Berg die Möglichkeit einer späteren Realisierung des Hollein-Projekts berücksichtigt werden sollte. 3. Trotz prominenter Befürworter des Hollein-Projekts – von Gérard Mortier über Helga Rabl-Stadler bis Thaddaeus Ropac – hatte sich eine breite Ablehnungsfront verschiedener Initiativen formiert, deren ablehnende Haltung vor allem von der Bürgerliste Salzburg-Stadt politisch formuliert wurde. Überraschend erfolgte eine politische Kehrtwende der Bürgerliste im Jahr 2000, als Vizebürgermeister und Baustadtrat Johann Padutsch am 19. Juli einen Brief an Thomas Kerns, den Direktor der Guggenheim-Foundation in New York, schrieb, in dem er seiner Hoffnung Ausdruck verlieh, dass das Guggenheim-Projekt in Salzburg doch noch eine Chance habe. »Ich weiß, dass die Diskussion zum GuggenheimProjekt vor rund zehn Jahren teilweise sehr unwürdig geführt wurde und ebenso unwürdig geendet hat. Ich muss gestehen, dass auch ich damals als Fraktionskollege von Herbert Fux zu den Gegnern des Projekts gezählt habe und ich denke, dass Herbert Fux doch einen wesentlichen Anteil am Scheitern des Projekts hatte. Ich denke heute, dass dies ein schwerer, ja geradezu historischer Fehler war, eine gravierende Fehlentscheidung mit äußerst gravierenden Auswirkungen für die Zukunft der Stadt und ich stehe mit dieser Meinung nicht alleine.« Er werde sich bemühen, falls seitens Guggenheim Bereitschaft bestehe, diesen Fehler zu korrigieren. »Es ist mit klar, dass dies, wenn überhaupt, nur dann gelingen kann, wenn Stadt und Land Salzburg und die Republik Österreich dieses Mal geschlossen auftreten und keinen Zweifel daran lassen, dass es ihnen ernst ist.«496 Damit hatte Padutsch die entscheidenden Punkte angesprochen, die letztlich einer Realisierung des Hollein-Projekts entgegenstehen sollten. Guggenheim erklärte, der Betrieb eines Museums in Salzburg sei für die Foundation nicht mehr möglich, Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer und Finanzminister Karl-Heinz Grasser teilten unmissverständlich mit, dass für den Bund eine entsprechende finanzielle Beteiligung an dem inzwischen 1,6 Milliarden Schilling teuren Projekt nicht infrage komme und Landeshauptmann Franz Schausberger erklärte in einem ORFInterview am 11. September in Richtung des Grünen-Chefs Cyriak Schwaighofer, der sich ebenfalls für das Hollein-Projekt ausgesprochen hatte  : »Wir können nicht

496 Zit. bei Kriechbaumer  : Umstritten und prägend. S. 105f.

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ein fertiges Projekt, mit dem wir im Frühjahr zu bauen beginnen, einer Diskussion opfern, die derzeit auf Sand baut.«497 Wenngleich damit die Realisierung des Hollein-Projekts in weite Ferne rückte, so leisteten sowohl die Bürgerliste Salzburg-Stadt wie auch die FPÖ jenem des Museums am Berg noch massiven Widerstand, der kurzfristig nicht nur dessen termingerechte Fertigstellung, sondern auch die finanzielle Beteiligung des Bundes in der Höhe von 120 Millionen Schilling sowie den beträchtlichen Sponsorbetrag der Casinos Austria in der Höhe von 40 Millionen Schilling gefährdete. Da im Mozartjahr 2006 auch Olympische Winterspiele stattfanden, entstand in der Landesregierung der Gedanke, den 250. Geburtstag Mozarts nicht nur mit entsprechenden kulturellen Veranstaltungen sowie, wenn möglich, mit einem neuen »Haus für Mozart« zu feiern, sondern Salzburg auch als Austragungsort der Olympischen Winterspiele international zu präsentieren. Hinter dieser Idee stand der Wandel der Olympischen Spiele seit jenen in Los Angeles 1984, die erstmals die Wende vom rein sportlichen zum ökonomischen Aspekt deutlich werden ließen. In Form einer zunehmenden Konzeption von »Vermarktung und Präsenz« trat in den folgenden Jahren bei den Bewerberstädten ein Bewusstseinswandel ein. »Die Spiele wurden zum lukrativen ›Milliarden-Deal‹, gleichsam zur ›Geldmaschine‹ für die Bewerberstädte bzw. -region. Die zu erwartenden wirtschaftlichen Impulse für die Region sind enorm, sie reichen vom vermehrten Arbeitsplätzeangebot über nachwirkendes verstärktes Tourismusaufkommen, Steigerung der lokalen Kaufkraft, Verbesserung der gesamten Infrastruktur bis hin zum politischen Imagegewinn mit hoher Internationalität  ; erst sekundär sind die Stärkung des lokalen Sportgeschehens sowie der immer wieder ins Treffen geführte ›Olympismus‹ maßgeblich.«498 Die Idee schien reizvoll, wenn nicht sogar faszinierend, verfügte doch das Bundesland über eine bereits weitgehend vorhandene sportliche Infrastruktur. Und hier bestand eines der Probleme. Als Bewerber konnte nur die Stadt Salzburg in den Ring steigen und die Stadt verfügte weder über die notwendige sportliche Infrastruktur noch war sie aufgrund der ohnedies mehr als angespannten Budgetsituation, die man von der Regierung Lettner/Fartacek geerbt hatte,499 in der Lage, das finanzielle Risiko zu tragen, es sei denn, Bund und Land Salzburg wären bereit, eine Ausfallshaftung zu übernehmen. Da diese nicht vorlag, entschied sich der Salzburger Gemeinderat am 10. Juli 1996 mit einem deutlichen Votum von 29 zu 11 Stimmen gegen eine vom Land gewünschte Olympiabewerbung. Dieses Abstimmungsergebnis war insofern 497 Zit. ebda. S. 108. 498 Reinhard Bachleitner  : Die Olympia-Bewerbung Salzburgs. Zur Wahrscheinlichkeit des sportlich Unwahrscheinlichen. – In  : SJP 2003. – Wien/Köln/Weimar 2004. S. 28–48. S. 29f. 499 Vgl. dazu vor allem Michael Kitzmantel  : Finanzkrise der Stadt Salzburg – der Kreis schließt sich. – In  : SJP 1997. S. 115–132.

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interessant, als die positiven Stellungnahmen von der SPÖ und Teilen der Bürgerliste Salzburg-Stadt kamen, während die ÖVP zusammen mit allen anderen Fraktionen geschlossen gegen die Bewerbung stimmte. Damit wurden die Spannungen zwischen der Landes- und Stadtorganisation der ÖVP sowie Landeshauptmann Franz Schausberger und Bürgermeister Josef Dechant deutlich. Während Bürgermeister Dechant das Abstimmungsergebnis mit dem Hinweis auf die fehlende Ausfallshaftung begründete und betonte, die Stadt sei nicht bereit, alleine das finanzielle Risiko zu tragen, sah Landesrat Othmar Raus, einer der vehementesten Befürworter der Bewerbung, eine einmalige Chance vertan. Im Sommer 1997 war jedoch in dieser Causa noch nicht aller Tage Abend, denn in den folgenden Monaten änderten sich die finanziellen Rahmenbedingungen durch eine Ausfallshaftung von Bund und Land grundlegend. Ein Jahr nach dem negativen Votum des Gemeinderates erfolgte daher ein positives. Am 2. Juli 1997 erhielt die Bewerbung ein positives Ergebnis von 26 gegen 10 Stimmen. Die Nein-Stimmen kamen von der Bürgerliste, wobei Vizebürgermeister Padutsch bis zuletzt in seiner Haltung schwankte, der Liste 10 (Angerer) und einem Vertreter der Autofahrerpartei.500 Die vier Vertreter der »Demokratie 92« hatten vor der Abstimmung den Saal verlassen. Wenngleich ÖVP-Klubobmann Erwin Klemm mit dem Hinweis auf Dagobert Duck darauf hinwies, dass nach wie vor für die Stadt ein Risiko bestehe – »Wir können nicht erwarten, dass dann Dagobert Duck im Geldregen durch die Stadt marschiert. … Auch bei Dagobert Duck stehen die Panzerknacker um die Ecke« –, so überwog doch der Optimismus. Selbst die skeptische FPÖ hatte sich mit der Aussicht auf die wirtschaftlichen Folgen vom Saulus zum Paulus gewandelt. Lediglich BürgerlisteKlubobmann Helmut Hüttinger begründete die Ablehnung seiner Fraktion mit den nach wie vor bestehenden massiven Zweifel an den Finanzierungskosten. Auf die Zusage des Landes sei kein Verlass, die Vorbereitungskosten seien in der Gesamtrechnung nicht berücksichtigt und es gebe keine Antwort auf die Frage, wie die Bewerbungskosten in der Höhe von 80 bis 90 Millionen Schilling aufgeteilt werden.501 Da 500 Die Autofahrerpartei war zu diesem Zeitpunkt bereits gespalten. Der Streit in der Partei erreichte am 29. September 1995 seinen Höhepunkt, als deren Gründer Karl Friedrich Koch mit dem Satz »Ich lasse mir diese Partei nicht von Rechtsradikalen ruinieren« während einer Vorstandssitzung im Hotel »Europa« von seiner Funktion zurücktrat. Grund für diesen Schritt war, dass sich Erich Hüffel, Obmann der Gemeinderatsfraktion, in Kärnten mit Vertretern der »Autofahrerpartei« getroffen hatte, die Koch dem rechten Lager zurechnete. Hüffel wies die Verdächtigungen wegen Rechtslastigkeit zurück und drohte mit gerichtlichen Schritten. (SN lokal 2.10.1995. S. 4.) Einen Monat später setzte Hüffel in einer Vorstandssitzung den Ausschluss Kochs aus der Partei durch. Koch starb 1997 in Mondsee. Nach Meinungsverschiedenheiten mit dessen Nachfolger im Gemeinderat, Walther Cubelic, ließ er auch diesen aus der Partei ausschließen. 501 SN 3.7.1997. Pressearchiv Stadt Salzburg. http://pressedoku/1997/07/neu22465.htm. (Abgerufen am 26.11.2014.)

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das IOC bei einer Bewerbung eine breite Zustimmung der Bevölkerung verlangte, wurde für den 5. Oktober eine Volksbefragung über eine Olympia-Bewerbung für 2006 im gesamten Bundesland beschlossen. Um ein möglichst gutes Ergebnis (hohe Wahlbeteiligung und hoher positiver Stimmenanteil) zu erzielen, wurde Anfang September ein Verein »Olympia 2006« und ein von Peter Haubner geleitetes »Olympia Büro« ins Leben gerufen, um mit einem Kostenaufwand von 6 Millionen Schilling (ohne Sponsorengelder der Wirtschaft) die Bevölkerung von den Vorzügen einer Olympia-Bewerbung zu überzeugen. Dies war auch notwendig, da es für die Salzburger Bewerbung durch jene von Tirol und das von Kärnten mit Slowenien entwickelte grenzüberschreitende Konzept »Senza Confini« ernsthafte Konkurrenz gab. Die Letztentscheidung über den österreichischen Bewerber musste das Österreichische Olympische Komitee fällen. Beim Mitbewerber Tirol hatte eine Volksbefragung bei einer Wahlbeteiligung von 23,98 Prozent zwar landesweit eine Mehrheit für eine neuerliche Olympia-Bewerbung ergeben, doch hatte sich in Innsbruck eine Mehrheit der Bürger gegen eine solche ausgesprochen. Am 5. Oktober waren sowohl in Salzburg wie in Kärnten Volksbefragungen angesetzt, deren Ergebnis ein Kriterium der Entscheidung des ÖOC bilden sollten. Ziel in beiden Bundesländern war es, die Wahlbeteiligung in Tirol deutlich zu übertreffen und ein eindeutig positives Abstimmungsergebnis zu erzielen. Am 5. Oktober gab es sowohl in Salzburg wie auch in Klagenfurt Jubel. Bei einer Wahlbeteiligung von 32,48 Prozent votierten in Kärnten 81,16 Prozent der Stimmberechtigten für eine Olympia-Bewerbung, In Salzburg votierten bei einer Wahlbeteiligung von 30,66 Prozent 76,76 Prozent für eine Olympia-Bewerbung. Unter Hinweis auf das statistisch bessere Abstimmungsergebnis in Kärnten erklärte der für den Tourismus zuständige Landesrat Karl-Heinz Grasser in Klagenfurt, dass das ÖOC bei seiner Entscheidung dieses Ergebnis nicht negieren könne. In Salzburg kommentierte der für den Sport zuständige Landesrat Othmar Raus zufrieden, dass die Bevölkerung die Bedeutung der Bewerbung offensichtlich erkannt habe. Nur die Bürgerliste Salzburg-Land fiel mit ihren skeptischen und kritischen Kommentaren aus der Rolle. So erklärte Christian Burtscher  : »Da wird Olympia zur Staatssache hochstilisiert, und dann geht gerade jeder Vierte zur Wahl. Das Ergebnis der Volksbefragung ist eine Ablehnung durch Schweigen  !«502 Die Salzburger Euphorie fand am 2. Dezember 1997 ihr jähes Ende, als das ÖOC völlig unerwartet seine Entscheidung zugunsten der Kärntner Konzeption »Senza Confini« fällte. Politische Überlegungen und keine sachlichen Abwägungen, so die Vermutung zahlreicher Kommentatoren, seien bei dieser Entscheidung letztlich entscheidend gewesen. 502 SN 6.10.1997. Pressearchiv Salzburg Stadt. http://nts1/pressedoku/1997/10/neu24612.htm. (Abgerufen am 26.11.2014.)

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10.4 Abermalige heftige personelle Turbulenzen im Vorfeld der Gemeinderatswahl 1999 Am 13. Jänner 1997 bemerkte Johann Padutsch in einer Vorstandssitzung, ohne eine Beseitigung des Proporzes in der Stadt Salzburg sei die Bürgerliste »zur Regierungsbeteiligung verdonnert. Grüne Politik ist mit Regierungsbeteiligung effizienter, aber nicht mehr so unverfälscht, mehr Kompromisse müssen eingegangen werden. Gefühlsmäßiger Koalitionspartner ist die SPÖ, aber in der Stadt, aus der Erfahrung, sind inhaltliche Koalitionen eher mit der ÖVP möglich.«503 Damit war ein Punkt angesprochen, der wenige Monate später zum Ausbruch eines politischen Rosenkriegs auf offener Bühne zwischen Herbert Fux und der übrigen Gemeinderatsfraktion der Bürgerliste führen sollte. Anfang Oktober 1997 schien die politische Welt der Bürgerliste noch in Ordnung. Aus Anlass ihrer zwanzigjährigen Zugehörigkeit zum Salzburger Gemeinderat erschien eine Broschüre mit dem Titel »Bürgerliste Salzburg lebt« und Vizebürgermeister Johann Padutsch erklärte programmatisch, man werde die Themenpalette in Richtung Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Jugendpolitik erweitern.504 Gemeinderätin Elisabeth Moser ergänzte, man werde sich in Zukunft verstärkt sozialen Themen wie der Armutsbekämpfung und der Frauenpolitik widmen. »Die Verteilung des Reichtums der Stadt, wer davon profitiert, wird sicher immer stärker eines unserer Themen werden«505 und »um die Frauen, die in Teilzeitjobs ausgebeutet werden …«506 Die Bürgerliste, so die Botschaft, werde sich links der Mitte mit einem jenseits der ursprünglichen Thematik deutlich gesellschaftskritischen Schwerpunkt positionieren. Mit dieser deutlichen Akzentverschiebung mussten Spannungen mit den traditionellen bürgerlichen Wählerschichten entstehen, deren politisches Anliegen vor allem auf die Erhaltung der Stadtlandschaft zielten und die betont linken Positionen eher kritisch bis distanziert gegenüber standen. Die Bürgerliste als bessere, weil linkere SPÖ stand nicht auf deren politischer Agenda. Exponent der bürgerlichen Grünaktivisten und -wähler war Herbert Fux, der betont linke gesellschaftspolitische Positionen ablehnte, woraus bereits in der Vergangenheit mehrfach nicht unerhebliche Spannungen resultierten. Herbert Fux setzt daher in seinem Resümee über die ersten zwanzig Jahre der Bürgerliste im Salzburger Gemeinderat in gewohnt aggressiv-provokantem Stil einen anderen Akzent. Es bestehe kein Grund zum Feiern, so der nach wie vor politisch aktive Gründungsvater der Bürgerliste. »Wir haben einiges weiter gebracht, aber noch immer üben diese Lackeln die Macht 503 504 505 506

Protokoll der Vorstandssitzung vom 13. 1. 1997. S. 1. (AHB) SVZ 2. 10. 1997. S. 5. SN lokal 2. 10. 1997. S. 2. Kurier 2. 10. 1997. S. 10.

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im Lande aus  !« Salzburg könnte in Palermo Kurse abhalten, »damit die Mafiosi dort lernen, wie man ohne Mord Machtanspruch und Geldgier durchsetzen kann.« Nach wie vor sei eine »Bauwirtschaftsregierung« am Ruder und das noch immer geltende Proporzsystem verhöhne weiterhin die Demokratie. »Es ist unglaublich, dass ein Volk sich das alles gefallen lässt.«507 Zwei Monate später verdüsterten schwere Wolken den Himmel des BürgerlisteJubiläums, als Herbert Fux in der Generalversammlung des Bürgerinitiativenvereins (BIV) »Rettet Salzburg« die Politik der Bürgerliste frontal angriff. Fux hatte bereits unmittelbar nach der Gemeinderatswahl 1992 die Übernahme des Planungs- und Umweltressorts durch die Bürgerliste mit dem Argument kritisiert, dass diese damit zu einem Teil des Systems werde und damit ihren ursprünglichen politischen Charakter zu verlieren drohe. Diese Position blieb jedoch im Gemeinderatsklub in der Minderheit, der unter Führung von Johann Padutsch und Helmut Hüttinger darauf hinwies, dass nur eine Regierungsbeteiligung die Chance zur Realisierung grüner Politik bringe, wobei notwendiger Weise – unabhängig vom Regierungssystem (Proporz- oder Mehrheitssystem) – auch Kompromisse geschlossen werden müssten. Herbert Fux genoss auf Grund seiner großen Bekanntheit und seiner Bedeutung als politische Galionsfigur bei künftigen Wahlgängen große Freiheit und nahm kaum an Fraktionssitzungen teil. Die Folge war eine fortschreitende Entfremdung zwischen Fux und der Gemeinderatsfraktion, die sich auch immer wieder genötigt sah, die von Fux verursachten politischen Wogen zu glätten. So bemerkte Fux 1994 in einem Offenen Brief an Bürgermeister Josef Dechant  : »Der Magistratsapparat ist unzeitgemäß, schwerfällig, verkrustet, überbesetzt, Faulheit wird gegenseitig gedeckt und die Gewerkschaft bemüht sich erfolgreich, dies alles zuzudecken. Jeder private Betrieb, der so geführt würde, wäre in wenigen Monaten konkursreif.« Der »gesamte Magistratsablauf« gehöre »durchgelüftet«. Der Brief sorgte für erhebliches Aufsehen. Die Abteilungsvorstände des Magistrats wollten von Bürgerliste-Klubobmann Helmut Hüttinger wissen, ob er die Meinung seines Fraktionskollegen teile. Dieser antwortete, sichtlich um eine Kalmierung bemüht  : Selbstverständlich schätzen wir die Leistungen vieler Mitarbeiter des Magistrats, die ihre Aufgabe korrekt, effizient und bürgernah erfüllen.«508 Der seit längerem schwelende Konflikt zwischen Herbert Fux und der übrigen Gemeinderatsfraktion brach im Dezember 1997 am Beispiel zweier Sachfragen aus, bei denen auch grundsätzliche ideologische und politische Differenzen sichtbar wurden  : dem Baumschutz und der Bebauungsdichte. In seinen Erinnerungen bemerkte Fux, dass die systematischen Baumschlägerungen in der Stadt Salzburg unvermindert weiter gingen, obwohl das Umweltressort 507 Ebda. 508 SN 4. 3. 1994. S. 19.

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von der Bürgerliste geleitet wurde. Die Bürgerliste habe sich durch ihre Regierungsbeteiligung mit dem System arrangiert und Formulierungen in der Baumschutzverordnung 1992 zugestimmt, die weiteren willkürlichen Schlägerungen Tür und Tor öffneten.509 »Die Salzburger Baumschutzverordnung ist wohl die lächerlichste, die es gibt. So enthält sie den Passus  : ›Wenn Bäume einen unzumutbaren Schatten auf ein Gebäude werfen, können sie gefällt werden.’ Was ein unzumutbarer Schatten ist, definieren die zuständigen Beamten  ! Eine Formulierung, die breitesten Spielraum für Interpretationen zu Gunsten von wichtigen Personen oder Firmen offen lässt. Und die Bauwirtschaft ist glücklich über jeden Baum weniger, der ihren Interessen entgegensteht. Der Waldbestand von Mönchs- und Kapuzinerberg, die sich inmitten der Altstadt erheben, unterliegt überhaupt nur dem Forstrecht, ihm fehlt somit jeglicher Schutz. Große und prächtige Bäume dürfen zur Brennholzgewinnung geschlägert und dünner Jungwald nachgepflanzt werden. Stolz verweisen die zuständigen Beamten darauf, mit dem Brennholzverkauf einen Großteil der Kosten ihrer Abteilung abdecken zu können. Schade um diesen Stadtwald  !«510 Den zweiten Konfliktherd bildete die von Vizebürgermeister Johann Padutsch für den sozialen Wohnbau vorgesehene hohe Bebauungsdichte in bisher von Ein- und Zweifamilienhäusern geprägten Gegenden, wobei auch ideologische Spannungen deutlich wurden. Während Fux forderte, mehrgeschoßige Wohnbauten nicht in gewachsenen Ein- und Zweifamilienhausgebieten zu bauen, erklärte Gemeinderätin Elisabeth Moser, die Bürgerliste könne sich nicht nur für diejenigen einsetzen, die in guten Lagen wohnten, da sie sonst ihre Berechtigung verlieren würde. Die Bürgerliste stelle sich mit der Errichtung von sozialen Wohnbauten den sozialen Problemen.511

509 Vgl. dazu Gerald Schlager  : Salzburger Baumschutzverordnung 1992 – Wunsch und Wirklichkeit. – In  : Natur und Landschaft. Zeitschrift für Naturschutz, Landschaftspflege und Umweltschutz. Heft 3/1993. S. 302–307. § 2 der Baumschutzverordnung 1992 nannte acht Ausnahmen  : 1. Wenn der betreffende Baum auf Grund seines Zustandes nicht mehr schützenswert ist. 2. Wenn ein öffentliches Interesse übergeordnet ist. 3. Der betreffende Baum auf Grund seines Zustandes nur mehr eine geringe Lebenserwartung hat. 4. Durch den Baum Lebensbedingungen von Menschen unzumutbar beeinträchtigt werden. 5. Der Baum eine unzumutbare Beschattung verursacht. 6. Die Entfernung eines Baumes zur Entwicklung eines benachbarten wertvollen Baumes unerlässlich ist. 7. Durch den Baum die Gefahr einer Beschädigung der unmittelbaren Anlagen besteht. 8. Die beabsichtigte Maßnahme zu keiner bedeutsamen Verschlechterung der Baumvitalität, des charakteristischen Aussehens oder der Lebensbedingungen führt. (Salzburger Baumschutzverordnung 1992. Gemeinderatsbeschluss vom 19. 2. 1992, Amtsblatt Nr. 3a/1992 in der Fassung des Beschlusses vom 23. 9. 2009, Amtsblatt Nr. 19/2009.) 510 Fux  : Wiederkehr und Abschied. S. 163. 511 SN lokal 5. 12. 1997. S. 3.

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Bei der Generalversammlung des Bürgerinitiativenvereins »Rettet Salzburg« am 3. Dezember 1997 erklärte Herbert Fux kämpferisch, die Anliegen der Bürgerinitiativen seien von den eigenen Politikern verraten worden. Der BIV »Rettet Salzburg« nahm in der Bürgerliste der Stadt insofern eine zentrale Stellung ein, da er erheblichen Einfluss auf die Kandidatennominierung hatte. Der Generalversammlung Anfang Dezember 1997 kam daher erhebliche politische Bedeutung zu, weshalb sowohl Vizebürgermeister Johann Padutsch wie auch Klubobmann Helmut Hüttinger an ihr teilnahmen. Fux plante daher, die Generalversammlung durch die Einladung an Aktivisten verschiedener Bürgerinitiativen zum Ausgangpunkt einer Erneuerungsbewegung der seiner Meinung nach in der politischen Pragmatik erstarrten Bürgerliste zu nutzen. Mehrere Mitglieder des Vereins »Rettet Salzburg« hatten in der Vergangenheit Kritik an der Politik der Bürgerliste geäußert, deren Mandataren vorgeworfen wurde, zunehmend abgehoben im politischen Elfenbeinturm zu agieren und den Kontakt zur Basis verloren zu haben. Herbert Fux warf der Bürgerliste, vor allem Johann Padutsch, vor, die Anliegen der Bürgerinitiativen nicht mehr ernst zu nehmen und deren berechtigten Widerstand gegen Bauvorhaben zu ignorieren. Angesichts der vom Ressort Padutsch geplanten Errichtung von Sozialwohnungen im Süden der Stadt hatten sich mehrere Bürgerinitiativen gebildet, die eine Verbauung in ihrer Nachbarschaft verhindern wollten. Padutsch sah dies allerdings anders. Eine Stadt entwickle sich und man könne nur die Richtung dieser Entwicklung steuern. Dabei gehe es darum, den Charakter Salzburgs zu erhalten. Dies bedeute jedoch nicht, dass es in der Stadt keine dichtere Verbauung geben könne.512 Nach Ansicht der Bürgerinitiativen und von Herbert Fux sollte durch eine stärkere Rückbesinnung auf die ursprünglichen Themen eine ideologisch beabsichtigte Positionierung in Richtung linker und linksliberaler Bewegung verhindert werden. Nur die Hälfte der Listenplätze für die bevorstehende Gemeinde- und Landtagswahl sollte von arrivierten Grün-Politikern besetzt werden, die andere Hälfte von neuen Kandidaten aus den Bürgerinitiativen. Dieses Ziel war jedoch nur durch ein deutliches Votum der Generalversammlung des BIV zu erreichen, weshalb Mitglieder verschiedener Bürgerinitiativen zum Vereinsbeitritt aufgefordert wurden. In seinen Erinnerungen bekannte er  : »Nur Bürgeraktivität kann Veränderung bringen. Nur eine neue, mächtige Bürgerbewegung kann endlich das Machtkartell, zu dem sich SPÖ, ÖVP, FPÖ und Bürgerliste vereint haben, brechen.«513 In der Generalversammlung sahen sich Padutsch und Hüttinger mit massiven Vorwürfen konfrontiert, wobei Fux nach einer Kritik an der geplanten Bebauungsdichte sowie dem Vollzug der Baumschutzverordnung demonstrativ erklärte, bei der kommenden Gemeinderatswahl 1999 keinesfalls gemeinsam mit Padutsch kandidieren zu 512 SN lokal 23. 1. 1998. S. 2f. 513 Fux  : Wiederkehr und Abschied. S. 171.

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wollen. Die Stimmung drohte zu Ungunsten der Gemeinderatsfraktion der Bürgerliste zu kippen. In dieser dramatischen Situation wies Hüttinger darauf hin, dass einige Vereinsmitglieder zur Generalversammlung nicht eingeladen worden seien, weshalb eine beabsichtigte Abstimmung über Kandidaten statutenwidrig wäre. In der aufgeheizten Stimmung rief Fux in Richtung Padutsch  : »Ich bin nicht mehr bei Dir  ! … Eine andere Politik oder ich gehe  !«514 Die Folgen der ergebnislos endenden Generalversammlung glichen der sprichwörtlich verbrannten Erde. Klubobmann Hüttinger bemerkte, Fux habe »eine Hexenjagd gegen Padutsch und den Klub arrangiert«, wie er es »noch nie erlebt habe. … Es waren nicht einmal alle Vereinsmitglieder eingeladen, sondern vorwiegend Leute, die für Fux Stimmung gemacht haben.« Niemand habe eigentlich gewusst, worum es bei der Generalversammlung gehe. Das sei übelste Kaderpartei-Manier und habe mit der viel zitierten Basisdemokratie nichts zu tun. »Das war nicht die Basis, sondern Leute, die in den letzten Wochen dem Verein beigetreten sind.« Und ein sichtlich schwer getroffener Padutsch in Richtung Fux  : »Ich kann mir eine Zusammenarbeit mit ihm nur mehr sehr, sehr schwer vorstellen.«515 Wenngleich Fux nach der turbulent verlaufenen Generalversammlung des BIV erklärte, er werde nicht, wie vielfach kolportiert, eine eigene Liste gründen und mit dieser bei der kommenden Gemeinderatswahl kandidieren, da dies einem politischen Selbstmord der Bürgerliste gleichkomme, versuchte er sein politisches Drohpotenzial aufrecht zu erhalten. Schwenke die Bürgerliste in den kommenden sechs Monaten auf eine Politik ein, wie sie von den Bürgerinitiativen gewünscht werde, werde er sich vollkommen aus der Politik zurückziehen. Das politische Droh- und Erpressungspotenzial der einstigen Galionsfigur der Bürgerliste war jedoch begrenzt. Zu sehr war die Entfremdung zwischen ihm und der Gemeinderatsfraktion in den letzten Jahren bereits vorangeschritten und hatten die Vorgänge bei der Generalversammlung des BIV tiefe Narben hinterlassen. Und Vizebürgermeister Padutsch erklärte unmissverständlich, er werde seine Wohnbaupolitik nicht ändern. Er werde nicht mehr die ohnedies bereits mit Sozialwohnungen belasteten Gegenden im Norden der Stadt verbauen, während der Süden völlig frei bleibe. Die ideologischen Pflöcke waren eingeschlagen und sollten, trotz aller Bemühungen von Christian Burtscher, auch in den nächsten sechs Monaten nicht mehr verrückt werden. Der Klubobmann der Bürgerliste Salzburg-Land war, auch in deutlichem Gegensatz zur Bürgerliste Salzburg-Stadt, um die Positionierung der Bürgerliste als grüner Wirtschaftspartei bemüht. Man müsse sich von single-issue-Aktionen verabschieden, so Burtscher. Nur gegen eine verschmutzte Salzach zu demonstrieren, reiche auf Dauer nicht aus. Man müsse die Wirtschaft im Sinne einer Verbindung von Ökonomie und Ökologie 514 Kurier 5. 12. 1997. S. 10. 515 Der Standard, SN lokal 5. 12. 1997. Pressearchiv der Stadt Salzburg. http://nts1/pressedoku/1997/12/ neu25929.htm und http://nts1/pressedoku/1997/12/neu25944.htm. (Abgerufen am 26. 11. 2014.)

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mit einbeziehen und eine »Marke Salzburg« schaffen. So sollten Landwirtschaftsförderungen an die Verwendung gentechnikfreien Saatgutes und Futtermittel geknüpft sein. »Es soll nicht nur das Privileg einiger weniger Gutbetuchter sein, im Bioladen einzukaufen.« Man müsse sich zudem bemühen, die in der Bürgerliste SalzburgStadt aufgetretenen Differenzen zu beseitigen, weshalb er als Vermittler fungieren werde. Herbert Fux habe bereits seine Gesprächsbereitschaft zugesagt.516 Doch alle Vermittlungsbemühungen Burtschers waren vergeblich und damit der endgültige Bruch nur eine Frage der Zeit. Bereits am 22. Jänner 1998 erklärte der Gemeinderatsklub der Bürgerliste in einem Offenen Brief an ihre Mitglieder und Sympathisanten, die Bürgerliste sei dafür bekannt, »aus starken Einzelpersönlichkeiten« zu bestehen, »die im Gegensatz zu den auf Parteilinie gebrachten Gemeinderäten der anderen Fraktionen auch ihre persönliche Meinung in Sachfragen engagiert vertreten … Darauf sind wir durchaus stolz. Die jetzige Konfrontation mit einigen Vertretern von neu gegründeten Bürgerinitiativen und der Bruch mit Herbert Fux haben allerdings andere Hintergründe, die in der Berichterstattung der Medien nur teilweise sichtbar wurden. … Ende 1997 sah sich die Bürgerliste überraschend damit konfrontiert, dass vom Verein ›Vereinigte Bürgerinitiativen Rettet Salzburg‹ neue Aktivitäten ausgingen. Dieser Verein wurde ursprünglich gegründet, um die erste Kandidatur der Bürgerliste 1977 vorzubereiten. Seit Mitte der 1980er-Jahre gehen von diesem Verein allerdings so gut wie keine Aktivitäten aus, ausgenommen die formale ›Absegnung‹ der Kandidatenliste vor Gemeinderatswahlen. Besondere Brisanz erhielt dieses Wiedererwachen des Vereins durch die Tatsache, dass urplötzlich zig neue Vereinsmitglieder aufgetaucht sind, die zum allergrößten Teil bis dahin keinerlei Berührungspunkte mit uns hatten oder sich in den vergangenen Jahren für unser Ziel engagiert hätten. Die Wortführer kamen aus der Bürgerinitiative Süßmayerstraße, eine Initiative, die 1996 entstanden ist und ein Wohnprojekt mit 40 Wohnungen verhindern wollte.« Ihre Hauptredner hätten mehrfach angekündigt, dass sie die Exponenten der Bürgerliste »›aus dem Gemeinderat fegen‹, ›in die Wüste schicken‹, ›politisch fertig machen‹ werden, weil mit Ausnahme von Herbert Fux die Bürgerliste für das Wohnprojekt eingetreten ist und schließlich dafür gestimmt hat. Am 3. Dezember 1997 wurde eine sogenannte Hauptversammlung des Vereines ›Vereinigte Bürgerinitiativen – Rettet Salzburg‹ durchgeführt, zu der zwar alle neuen Mitglieder, nicht aber alle bisherigen Mitglieder und Mitstreiter eingeladen wurden. Die wohl ungewollte ›Warnung‹ unserer ehemaligen Mitstreiterin Dietlinde Kurz ›Ihr werdet Euch anschauen, wir haben schon über 40 neue Mitglieder‹, machte deutlich, worum es in der Hauptversammlung tatsächlich ging  : Die Mitglieder der

516 Kurier 31. 12. 1997. S. 8.

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derzeitigen Fraktion Bürgerliste sollten ausgeschaltet und für die nächste Gemeinderatswahl vor allem durch Exponenten der Süßmayerstraßen-Initiative ersetzt werden. In dieser Sitzung wurde aber auch deutlich, dass Herbert Fux diesen ›Putsch‹ ganz offensichtlich mitvorbereitet hatte und unterstützte. Er trat in der Versammlung als Mentor der neuen Mitglieder auf, formulierte die Forderung, dass sich die Politik der Bürgerliste an seine Vorstellungen und die Vorstellungen der neuen Mitglieder anzupassen hätte, auf der neuen Kandidatenliste mindestens jeder zweite Platz an einen Vertreter der neuen Initiativen bereitzustellen sei und anderes mehr. Die ganze Versammlung war als Tribunal inszeniert, wüste Beschimpfungen, Schreiduelle und Angriffe weit unter der Gürtellinie dominierten das Geschehen. Die Tage danach waren von massiven öffentlichen Angriffen Herbert Fux auf Johann Padutsch geprägt.« Im Zuge »wird den Mandataren der Bürgerliste Einsicht in die aktuelle Mitgliederliste verweigert. Bei der Versammlung selbst wird versucht, die Öffentlichkeit auszuschließen. Herbert Fux persönlich versucht in einem einstündigen Telefonat die Polizei dazu zu veranlassen, langjährige SympathisantInnen und MitarbeiterInnen der Bürgerliste von der Versammlung abführen zu lassen. Zu dieser Geschichte stellen wir abschließend fest  : Der Verein ›Vereinigte Bürgerinitiativen – Rettet Salzburg‹ hat in den letzten zehn Jahren keinerlei Aktivitäten ausgeübt. Der Versuch, schon vor der letzten Gemeinderatswahl eine neue Struktur für die Basis der Bürgerliste zu schaffen, um der gesamten Breite der Bürgerlistenbasis (neben Bürgerinitiativen-Vertretern vor allem Sozial- und Kulturinitiativen und engagierte Einzelpersonen) wurde, insbesondere seit Jahren von Herbert Fux, abgeblockt. Durch die Übernahme des Vereins durch Vertreter erst jüngst entstandener Bürgerinitiativen und der Rekrutierung neuer Mitglieder, die größtenteils deren Interessen vertreten, wurde versucht, die Bürgerliste zu unterlaufen, um Einzelinteressen und politische Ambitionen einzelner Mitglieder, insbesondere der Süßmayerstraßen-Initiative, zum Durchbruch zu verhelfen. All diese Vorgänge wurden von Herbert Fux unterstützt und mitvorbereitet, obwohl die jetzige Zusammensetzung des Vereins ›Vereinigte Bürgerinitiativen – Rettet Salzburg‹ in keinster Weise der gesamten Breite der Bürgerlistenbasis entspricht. Diese Vorgänge erinnern stark an die Praktiken einer Kaderpartei, in der einzelne Vertreter versuchen, allen anderen ihren Willen aufzuzwingen, die entscheidenden Gremien zu besetzen und die politische Ausrichtung zu bestimmen.« Die derzeitigen Mandatare der Bürgerliste hätten sich daher entschieden, »nicht mehr mit Herbert Fux gemeinsam für die nächste Gemeinderatswahl zu kandidieren.«517 Herbert Fux publizierte seine Position in mehreren Artikeln in der »Kronen Zeitung«. Fünf von sechs Mandataren der Bürgerliste seien Mitglieder der Partei der Grünen, hätten »jedoch die Unverschämtheit, trotzdem weiter unter dem Namen 517 AHB. Vgl. dazu auch DIE GRÜNE 1/1998. S. 14f.

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›Bürgerliste‹ zu kandidieren. Sie sind zu feige, unter dem Namen ›Die Grünen‹ anzutreten, sie betreiben lieber diesen Etikettenschwindel. Unter der Ressortleitung Padutsch verschwinden immer mehr Gärten und Parkanlagen durch wüste Baumschlägerungen, brutal werden Betonklötze in erhaltenswerte Stadtteilstruktur hineingeknallt. Dies führt zur systematischen Zerstörung der Lebensqualität. … Die überparteilichen Bürgerinitiativen ›Rettet Salzburg‹ haben seit 20 Jahren alle Mandatare der Bürgerliste aufgestellt, zweimal auch Padutsch. Als sich neue Bürgerinitiativen gegen seine Planungspolitik bildeten, duldeten er und WEB-Verteidiger Hüttinger eine Saalbesetzung durch Nichtmitglieder, die die Generalversammlung (am 21. Jänner 1998, Anm. d. Verf.) sprengen sollten, um den Verein aufzulösen. Als dies scheiterte, verließen sie ihre 20jährige Basis, … riefen ihre Freunde zusammen und bezeichneten diese als ihre Basis. Die Bürgerinitiativen hatten große Erfolge in den 70er-Jahren, als Spekulanten und Bauhaie versuchten, Hellbrunn und Freisaal zu verbauen, sowie Barockhäuser durch Betonkopien zu ersetzen. … Kein Voggenhuber, kein Padutsch war dabei.« Die ersten Mandatare der Bürger­ liste und deren Basis, die Bürgerinitiativen, hätten den großen Wahlsieg 1982 errungen, nicht Voggenhuber, der den Posten des Vizebürgermeisters einnahm und durch seine maßlose Politik wieder verspielte. Das Engagement von ihm habe 1992 wiederum zur Erringung der Position des Vizebürgermeisters geführt, die von Padutsch eingenommen wurde, weil dies ihm aus beruflichen Gründen nicht möglich war. »Von diesem Augenblick an bestimmten Machtrausch und Selbstüberschätzung seine Politik, die mit meinen Grundsätzen nichts zu tun hatten. Darum kandidiere ich nicht mehr. Die Geschichte der Salzburger Bürgerliste ist zu Ende.«518 Sein Bruch mit Padutsch basiere auf dessen völlig verfehlter Politik, die sich von den Anliegen der Bürgerinitiativen – die Verhinderung der chaotischen Verbauung von Stadtteilen und von Ausnahmegenehmigungen, die auf eine Zerstörung von Grünland abzielen und die Reste der Stadtlandschaft zerstören – entfernt habe. »Aufgabe einer Stadtplanung ist es, gewachsene charakteristische Strukturen der Stadtteile zu erhalten und in Neubaugebieten heutigen Städtebau mit dementsprechender Infrastruktur zu schaffen. Das Gegenteil aber passiert in Salzburg. Einfallslose Riegelbauten werden errichtet, die die Charakteristik von Maxglan und Liefering auflösen. In Neubaugebieten werden Siedlungen errichtet (auf den Bolaringgründen), die wegen ihrer schlechten Architektur zu zukünftigen Slums führen können. Mit den Schlagworten Verdichtung, Verdichtung, Verdichtung er-

518 Herbert Fux  : Das Ende der Bürgerliste. – In  : Kronen Zeitung 29. 1. 1998. S. 10.

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füllt Padutsch die Interessen der Zubetonierer Salzburgs und wird damit zu ihrem geschätzten Gehilfen. … Der von Padutsch geplante Anschlag auf Morzg mit einer fast doppelten Verdichtung wäre das Ende dieses von allen Salzburgern geliebten Ortsteils. Mit 1238 Einwendungen gegen diese Padutsch-Planung haben sich die Morzger zur Wehr gesetzt. Aussagen mancher Politiker wie ›der Norden Salzburgs ist schon zubetoniert, jetzt kommen die ›Herrschaften im Süden dran‹, zeigen üble linkslinke Ideologie. (…) Von den Zielen und Inhalten der Bürgerinitiativen und der Bürgerliste hat sich Padutsch weit entfernt.«519 Angesichts der unüberbrückbaren Differenzen und der unverrückten Position des Gemeinderatsklubs der Bürgerliste Salzburg-Stadt kündigte Fux im Frühjahr 1998 Überlegungen an, mit dem Gemeinderat Albert Angerer bei der nächsten Gemeinderatswahl auf einer gemeinsamen Liste zu kandidieren. Die Bürgerliste reagierte daraufhin am 7. Mai mit der Abberufung von Fux aus dem Altstadt-, Kultur- und Fremdenverkehrsausschuss. Derartige Kooperationen mit dem politischen Gegner, so die Begründung, seien untragbar. Elisabeth Moser erklärte  : »Unsere Wege haben sich getrennt« und Johann Padutsch ergänzte  : »Irgendwann ist Schluss, bei aller Liebe.«520 Zudem trat die Bürgerliste aus dem BIV »Rettet Salzburg« aus, um bei der Nominierung der Kandidaten freie Hand zu haben. Fux blieb dessen ungeachtet Mitglied des Gemeinderates und führte zusammen mit dem Verein »Rettet Salzburg« und dessen Obfrau Heidelinde Schiechtl und Sprecher Wolfgang Maier sowie mit Unterstützung der »Kronen Zeitung« eine Kampagne gegen Padutsch, dem er vorwarf, mit Hilfe von sogenannten »Verdichtungsplänen« das von Ein- und Zweifamilienhäusern geprägte Bild bestimmter Bezirke zu zerstören. Mitte Jänner 1999 erklärte Maier  : »Unter der Führung von Johann Padutsch und Helmut Hüttinger vertritt die Bürgerliste nicht mehr die Anliegen der Bürgerinitiativen.«521 Zwei Wochen später erreichte die Kontroverse in der Causa Morzg einen von hoher medialer Aufmerksamkeit begleiteten Höhepunkt. Fux warf Padutsch vor, absichtlich durch eine Erhöhung der Geschoßflächenzahl den dörflichen Charakter von Morzg zu zerstören. »Das Beispiel Morzg zeigt, wie die einstige Grünbewegung ideologisch weit nach links abgedriftet ist. Nach dem Motto  : ›Dort wohnen eh nur die Reichen, pflastert’s ihnen die Gegend zu  !’ werden alle juristischen Tricks angewendet, um Betonblocks in enge Grundstücke zu zwängen. … Wozu haben wir um die Hellbrunner Allee gekämpft, wenn jetzt in Morzg alles zerstört wird  ?«522 Im Gemeinderatswahlkampf griff Fux die Bürgerliste in In519 Herbert Fux  : Padutsch, eine Enttäuschung. – In  : Kronen Zeitung 18. 2. 1999. S. 12. 520 SN lokal 8. 5. 1998. S. 5. 521 Kurier 19. 1. 1999. S. 8. 522 Kronen Zeitung 27. 1. 19999. S. 17.

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seraten frontal an und warf ihr Etikettenschwindel vor. Und die »Kronen Zeitung« berichtete in mehreren Artikeln über die vom Gestaltungsbeirat zu verantwortenden »architektonischen Sünden«, für die Padutsch letztlich verantwortlich zeichne. Unmittelbar vor der Gemeinderatswahl erklärte daher Bundessprecher Alexander Van der Bellen den offiziellen Bruch der Grünen mit Fux mit der Begründung, diese könnten es nicht länger hinnehmen, dass der Schauspieler »mit einigen Freunden und einem Kleinformat eine Kampagne führt«, die das Ziel einer Beschädigung des Bürgerliste-Spitzenkandidaten Padutsch habe. Fux sollte auch die Ehrenobmannschaft des Parlamentsklubs aberkannt werden. »Das mit dem Ehrenobmann muss ein Ende haben.«523 Es hatte ein Ende. Fux beendete mit dem Auslaufen seines Mandats 1999 endgültig seine Tätigkeit im Salzburger Gemeinderat, um sich nach seiner Übersiedlung nach Wien in der Bundeshauptstadt für die Erhaltung der historischen Bausubstanz sowie gegen geplante Hochausbauten zu engagieren. Kurz nach dem allgemein erwarteten endgültigen Bruch zwischen Herbert Fux und der Bürgerliste Salzburg-Stadt schienen auch die personellen Würfel für die Landtagswahl 1999 gefallen. Anfang Juli 1998 kündigten Christian Burtscher und Matthias Meisl eine erneute Kandidatur als Spitzenkandidaten an, während Karoline Hochreiter erklärte, sich nach zehn Jahren aus dem Landtag zurückziehen zu wollen. Am 4. Juli wählte eine turbulent und teilweise peinlich verlaufende Landesversammlung Christian Burtscher zum Spitzenkandidaten. Der für die Landesversammlung beschlossene komplizierte spezielle Wahlmodus – die Kandidaten und Kandidatinnen mussten sich getrennt nach Geschlechtern in mehreren Durchgängen präsentieren und befragen lassen, die Entscheidung fällte eine 50-köpfige Jury – verursachte nach der ersten Runde ein Chaos. Bei den Frauen lag BürgerlisteGeschäftsführerin Bettina Becher, die sich, ebenso wie Ulrike Carl, erst kurz vor der Landesversammlung angesichts des Umstandes, dass mit Elisabeth Moser und Astrid Rössler nur zwei Frauen kandidierten, für eine Kandidatur entschlossen hatte, deutlich an der Spitze. Da Becher jedoch keineswegs überzeugend gewirkt hatte und zudem der von Karoline Hochreiter geäußerte Verdacht eines massiven Lobbyings nicht von der Hand zu weisen war, wurden die komplizierten Wahlgänge sechs Stunden lang wiederholt. Nachdem bereits mehrere Delegierte die Landesversammlung bereits verlassen hatten, wurde gegen 23 Uhr endlich ein Ergebnis erzielt. Nach Burtscher als Spitzenkandidat wurde, der Geschlechterparität entsprechend, die Salzburger Gemeinderätin Gabriele Moser an zweiter, der Halleiner Stadtrat und Rechtsanwalt Heinrich Schellhorn an dritter und die Juristin in der Landesumweltanwaltschaft Astrid Rössler an vierter Stelle gereiht. Rössler ließ jedoch wissen, dass sie eine Kandidatur auf dem Kampfmandat noch überlege, da sie den weiblichen Spitzenplatz, d. h. das zweite Mandat, das jedoch Elisabeth Moser einnahm, 523 SN lokal 4. 3. 1999. S. 2.

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anstrebe. Und Christian Burtscher unternahm noch einen Versuch, das seinen Intentionen zuwiderlaufende Ergebnis zu korrigieren, indem er Schellhorn mit dem Argument, dass er sich mit weiblichen Kandidaten mehr Chancen ausrechne, bat, mit Rössler Platz zu tauschen. Eine Bitte, die Schellhorn nicht erfüllte. Das Ergebnis der Listenerstellung wurde vielfach kritisch kommentiert. Matthias Meisl, der Wunschkandidat Burtschers, wurde nicht gewählt und sah in dem Wahlergebnis eine »Verengung … in der Bürgerliste«, die »längerfristig sicher eine Bedrohung für die Grünen« darstelle.524 Elisabeth Moser bezeichnete er mit Andeutung auf deren zahlreiche Verbalinjurien als »Negativsignal«.525 Und Herbert Fux sah die Reihung von Astrid Rössler an der vierten Stelle als Fehler. »Astrid Rössler hat als engagierte Kämpferin bei der Landes-Umweltanwaltschaft bewiesen, dass sie eigentlich auf einen Spitzenplatz gehören würde.« Und mit deutlichem Seitenhieb auf Heinrich Schellhorn und Helmut Hüttinger, die als Rechtsanwälte WEB-Manager vertraten  : »Anscheinend ist es bei den Grünen wichtiger WEB-Verteidiger zu sein als Umweltschützer …«526 Mit der Nominierung von Elisabeth Moser ortete die »Kronen Zeitung« einen »Linksruck der Grünen«, da sich die Salzburger Gemeinderätin »mehr für Punks als für Bürger engagiert und Probleme mit Wohnungsprostitution und Drogendealern verniedlicht.«527 Die an zweite Stelle gereihte Salzburger Gemeinderätin Elisabeth Moser und der an dritter Stelle gereihte der Halleiner Rechtsanwalt und Stadtrat Heinrich Schellhorn galten beide nicht als enge Weggefährten Burtschers. Damit ergab sich eine personelle Konstellation, die für Burtscher nur schwer tragbar war. Hatte er Anfang August noch Optimismus mit der Erklärung verbreitet, die Themen der Bürgerliste Salzburg-Land, wenngleich derzeit noch unterschätzt, würden »in Zukunft eine große Rolle spielen« und man strebe bei der kommenden Landtagswahl mit einem betont themenzentrierten Wahlkampf eine deutliche Verbesserung und eine Regierungsbeteiligung an,528 so gab er zur allgemeinen Überraschung am Abend des 12. Oktober in einer Vorstandssitzung seinen Entschluss zum Verzicht auf eine neuerliche Kandidatur bekannt. Am 13. Oktober 1998 zur allgemeinen Überraschung seinen Rückzug aus der Politik, wobei er ein mögliches Comeback nicht ausschloss. »Ich habe mich nach mehrwöchigen Überlegungen entschieden, aus dem Landtag auszusteigen …. Zwölf Jahre in der Opposition – so wie ich es getan habe – sind sehr intensiv. Selbst Hartgesottene und Dickhäuter können das nur begrenzt aushalten«, erklärte er gegenüber Journalisten im Landtag. Es sei Zeit für einen Wechsel am 524 525 526 527 528

Kronen Zeitung 6. 7. 1998. S. 10f. Tennengauer Nachrichten 9. 7. 1998. S. 15. Kronen Zeitung 6. 7. 1998. S. 10f. Ebda. S. 11. SN lokal 7. 8. 1998. S. 3.

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Ende der Legislaturperiode. Er mache jetzt Platz für andere in der Erkenntnis, dass es für einen Oppositionsführer klar erkennbare Grenzen gebe.529 Burtschers Entscheidung basierte vor allem auf zwei Fakten  : trotz der Beseitigung des Proporzes war eine von ihm gewünschte Regierungsbeteiligung (noch) nicht wahrscheinlich. Die größtenteils unbedankte Oppositionspolitik erforderte Härte und Ausdauer, die jedem Politiker und jeder Politikerin jedoch nur in beschränktem Umfang zur Verfügung standen. Von der politischen Gestaltungsmöglichkeit weiterhin ausgeschlossen zu sein, schien ihm für weitere fünf Jahre nur schwer verkraftbar, zumal die personelle Konstellation der künftigen Landtagsfraktion nicht seinen Vorstellungen entsprach. Zur Konfrontation mit dem politischen Gegner wäre noch eine innerfraktionelle getreten, die politisches Handeln wesentlich erschwert hätte. Damit stand die Bürgerliste Salzburg-Land fünf Monate vor der Landtagswahl vor der Aufgabe, einen neuen Spitzenkandidaten zu nominieren. Die Medien sprachen vom »Rückzug eines Ungeliebten«. Der Lehrer »mit dem manchmal missionarischen Eifer war nicht jedermanns Sache.«530 Burtscher gehöre »sicher nicht zu den charismatischen Politikern mit Breitenwirkung. Sein Oberlehrer-Getue, das er stets in Abrede stellt, nervt viele …« Er sei aber auch ein Sachpolitiker gewesen, »korrekt und anständig«, Eigenschaften, die ihm wohl »jeder attestieren« wird.531 Sein Entschluss sei ein wenig plötzlich gekommen und habe bei den Grünen eine Krise ausgelöst, wie Helmut Hüttinger offen eingestand. Man musste sich auf die Suche nach einem neuen Spitzenkandidaten begeben. »Weil eine Spitzenkandidatin Moser wohl kein Erfolgsgarant wäre, hat der grüne Landesvorstand beschlossen, sie nicht automatisch aufrücken zu lassen, sondern eine neue Liste zu erstellen. Nicht alle in den grünen Reihen weinen, wenn Burtscher geht. Manche legen ihm den Rücktritt schon seit Jahren nahe. … Dem scheidenden BL-Klubchef Burtscher ist zu attestieren, dass er seine Politik überwiegend sachlich betrieben hat.«532 Und Wolfgang Weber vermutete, dass, obwohl von Burtscher heftig dementiert, »die chaotische Erstellung der Landtagsliste durch die Grünen mit den Kandidaten Heinrich Schellhorn und Elisabeth Moser an zweiter und dritter Stelle mit ein Grund« für dessen Resignation gewesen sei.533 Für die Bürgerliste Salzburg-Land war fünf Monate vor der Landtagswahl Eile geboten. Noch am Abend des 12. Oktober beschloss der Landesvorstand die Einsetzung einer fünfköpfigen Gruppe, bestehend aus Johann Padutsch, Hermann Fischer,

529 530 531 532 533

SN lokal 14. 10. 1998. S. 2. Claudia Lagler  : Der plötzliche Rückzug eines Ungeliebten. – In  : Die Presse 16. 10. 1998. S. 8. Karin Zauner  : Vom richtigen Zeitpunkt. – In  : SN lokal 14. 10. 1998. S. 2. Konnie Aistleitner  : Konsequenz zur Unzeit. -In  : SVZ 14. 10. 1998. S. 2. Wolfgang Wagner  : 5 Monate vor dem Wahl-Sonntag  : Bürgerlistenchef Burtscher gibt auf. – In  : Kronen Zeitung 14. 10. 1998. S. 10.

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Karoline Hochreiter, Alenka Kemptner und Christian Burtscher beschlossen, die die Nominierung eines neuen Spitzenkandidaten und der weiteren Kandidaten sowie eine notwendig gewordene neue Landesversammlung vorbereiten sollte. Für die Bürgerliste Salzburg-Stadt war Heinrich Schellhorn der logische neue Spitzenkandidat, seine Wahl auf einer für November anberaumten Landesversammlung schien nur mehr reine Formsache. Daher wurden bereits Plakate mit dem Konterfei des neuen Spitzenkandidaten gedruckt und erste Interviews gegeben. Doch der Schein trog. Die Spitzenkandidatur weckte Ambitionen und Begehrlichkeiten und führte bei der Landesversammlung am 14. November im Husarenwirt in Anif zu einer Überraschung. Noch zu Beginn der Landesversammlung erklärte Heinrich Schellhorn, die Bürgerliste/Grünen seien »der Ideenbaum in der Landespolitik.« Und dieser Ideenbaum sollte von ihm gepflegt werden. Die Bürgerliste Salzburg-Land machte auf dramatische Weise Bekanntschaft mit den Schattenseiten der so hoch gehaltenen Basisdemokratie, die auch die in manchen Bundesländern bereits bekannte sogenannte »Reisebus-Demokratie« einschlossen. Im Vorfeld der Landesversammlung hatte Werner Kienreich, Pressesprecher und Parteisekretär der Bürgerliste Salzburg-Land, zum Mittel des Parteieintritts seiner Sympathisanten gegriffen und diese für die Landesversammlung weitgehend mobilisiert, wodurch sich geänderte Mehrheitsverhältnisse ergaben. Von 125 Wahlberechtigten votierten 81 für Werner Kienreich als Spitzenkandidat. Die angereisten neuen Parteimitglieder hatten, sehr zum Ärger der Bürgerliste Salzburg-Stadt und der Delegierten einiger Landgemeinden, den Ausschlag gegeben. Schellhorn ließ seiner Enttäuschung und seinem Ärger über das Abstimmungsergebnis freien Lauf und sprach von einem geplanten Putsch von Kienreich. »Es waren von den rund 70 neuen Mitgliedern, die teilnahmen, mindestens 50 hier, die ich hier in der Partei noch nie gesehen habe. Dieses Herbeikarren von Mitgliedern ist Reisebusdemokratie.« Er zeigte sich von der auf der Landesversammlung vorherrschenden Stimmung entsetzt und erklärte  : »So kann Politik nicht ablaufen. Soviel Gehässigkeit, wie ich heute hier gesehen habe, das reicht, dass ich mich von der Bürgerliste-Land verabschiede.«534 Die schließlich verabschiedete Kandidatenliste für die Landtagswahl enthielt noch weitere Überraschungen. Die Salzburger Gemeinderätin Elisabeth Moser wurde an zweite Stelle gereiht, nachdem sich die Sozialwissenschafterin Gerhild Trübswasser, die sich ebenfalls bewerben wollte, mit dem Satz, die könne mit Kienreich nicht zusammenarbeiten, zurückgezogen hatte. An dritter Stelle folgte der Landwirt Georg Sams, auf dem vierten Platz Judith Kovacs, nachdem sich die Eugendorfer Gemeinderätin Heidi Reiter ebenfalls von einer Kandidatur zurückgezogen hatte. Die Gegensätze und persönlichen Animositäten waren offen ausgebrochen und ein sichtlich geschockter Johann Padutsch verordnete der Bürgerliste Salzburg-Land eine Nachdenkpause hinter verschlosse534 SN lokal 16. 11. 1998. S. 2  ; SVZ 17. 11. 1998. S. 5.

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nen Türen. Johannes Voggenhuber sprach von einem »verheerenden Schaden«, der durch die turbulenten Vorkommnisse im Husarenwirt in Anif entstanden sei. Man habe von den turbulenten Vorkommnissen im Vorfeld der Landtagswahl des Jahres 1994 offensichtlich nichts gelernt, denn nun wiederholten sich die Ereignisse, »noch dazu in der gleichen Konstellation  : wieder mit einem Burtscher, wieder mit einem Kienreich. Die Verantwortung für diese Aktion ist klar. Bei der Landesversammlung ist ein großer Missbrauch der Offenheit der Partei geschehen. Es ist eine Verhöhnung, wie da im Stile von K-Gruppen der 1960er- und 1970er-Jahre versucht worden ist, Kader zu mobilisieren, die kein Engagement und keine Verantwortung für die Grünen haben. Dass das Prinzip der Offenheit von den eigenen Leuten so pervertiert wurde, ist auch von den Werten der Grünen her eine Katastrophe. Ich halte in dieser Konstellation die Wahlen nicht für gewinnbar.«535 Die Folge des umstrittenen Wahlvorgangs bei der Landesversammlung war die Erklärung der Bürgerliste Salzburg-Stadt, eine eigene Liste zu gründen und mit dieser neben der Bürgerliste Salzburg-Land bei der Landtagswahl zu kandidieren. Eine eilig einberufene Krisensitzung in Wien unter der Moderation von Alexander Van der Bellen brachte nicht die erhoffte Kompromisslösung, die Fronten blieben verhärtet. Alexander Van der Bellen musste nach den erfolglos verlaufenen sechsstündigen Verhandlungen sichtlich enttäuscht feststellen, dass die Probleme »noch nicht gemeistert« seien.536 In dieser Situation ging Christian Burtscher am 17. November in die Offensive. Auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz gestand er eigene Fehler ein. Er sei in seiner Zeit als Listenführer und Klubobmann innerparteilich zu viele Kompromisse eingegangen und habe mit zwischenmenschlichen Problemen nichts zu tun haben wollen. Ich habe die Dinge nicht offen auf den Tisch gelegt. Das Wegschauen war eine Möglichkeit. Es war ein fataler Irrtum.« Er wolle »fast jeden Preis« für eine Einigung zahlen. Kienreich sei sicher »kein idealer Kandidat« und er werde »mit ihm darüber reden.«537 Die Beschlüsse der Landesversammlung seien formal korrekt zustande gekommen, doch reiche dies nicht. Burtscher verzeichnete insofern einen Erfolg, als er die Bürgerliste Salzburg-Stadt dazu bewegen konnte, sich am 18. November mit der Bürgerliste Salzburg-Stadt zu einer Aussprache mit dem Ziel der Schaffung einer gemeinsamen Basis innerhalb einer Woche zu treffen. Die Bürgerliste Salzburg-Land hatte ihre Sicht der Dinge in einer Außerordentlichen Vorstandssitzung am 16. November festgehalten. Der Landesvorstand stellte u. a. fest, die Einberufung der Landesversammlung am 14. November sei ordnungsgemäß erfolgt und deren Vorbereitung »in den Händen einer Arbeitsgruppe, bestehend aus Karoline Hochreiter, Alenka Kemtner, Hermann Fischer, Johann Padutsch 535 SN lokal 18. 11. 1998. S. 3. 536 Die Presse 18. 11. 1998. S. 8. 537 SN lokal 18. 11. 1998. S. 3.

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und Christian Burtscher« gelegen. »Die Aufnahme von neuen Mitgliedern vor dieser Landesversammlung erfolgte in jedem Fall statutenkonform. Bei der Landesversammlung wurden weitere Beitritte von Mitgliedern, die nach der Vorstandssitzung am 11. November, aber rechtzeitig zum vorgegebenen Stichtag eingelangt waren, zur Kenntnis genommen. Die Verlesung dieser neuen Mitglieder erfolgte zu Beginn der Landesversammlung durch Johann Padutsch. Sie wurden von allen Vorstandsmitgliedern ohne Einwand zur Kenntnis genommen. Die einwandfreie Handhabung des Stimmrechts wurde vom Vorstand durch sorgfältige Vorbereitung (Erstellung einer Mitgliederliste, Ausgabe von Stimmkarten, jeweils einzelne Verteilung von Stimmzetteln) sichergestellt. Alle Abstimmungsvorgänge wurden vollständig korrekt und statutenkonform durchgeführt. Der Landesvorstand bedauert, dass 1. nach der Landesversammlung die getroffenen Wahlentscheidungen von einigen anwesenden Mitgliedern in Zweifel gezogen wurden, 2. dies in öffentlichen Erklärungen unter Herabsetzung der Salzburger Grünen und von einigen in der Bürgerliste tätigen Menschen geschehen ist, 3. Elisabeth Moser über die Medien (aber dem Vorstand noch nicht vorliegend) ihre Absicht mitgeteilt hat, ihr Mandat auf der Landtagsliste zurückzulegen und 4. Johann Padutsch und Helmut Hüttinger als Vertreter der Gemeinderatsfraktion der Bürgerliste sich – wie in einer Medienaussendung mitgeteilt – sich aus der bisher geübten Zusammenarbeit zurückziehen wollen.«538 Um das nach ergebnislos verlaufenen Gesprächen in Salzburg zwischen den beiden verfeindeten Gruppierungen das Horrorszenario einer Spaltung und damit eines drohenden Abgleitens in die politische Bedeutungslosigkeit zu verhindern, ergriff die Bundespartei neuerlich die Initiative und lud beide Parteien zu einem Versöhnungsgespräch am 24. November nach Wien ein. Dabei wurde unter der Moderation von Bundessprecher Alexander Van der Bellen der erhoffte Kompromiss erzielt. Werner Kienreich sollte Spitzenkandidat bleiben, doch die Bürgerliste Salzburg-Stadt das Recht der Nominierung der/des Zweitplatzierten erhalten. Elisabeth Moser, die aus Protest gegen die Vorgänge bei der Landesversammlung ihre Nominierung zurückgelegt hatte539, sollte diesen Entschluss revidieren und am 26. November der Landesvorstand dieser Lösung zustimmen. Daum bitte der Bundesvorstand »drin-

538 Protokoll der Außerordentlichen Vorstandssitzung der Bürgerliste Salzburg-Land am 16. November 1998. (AHB) 539 Moser legte bereits am 16. November ihre Nominierung mit der Erklärung, mit der Bürgerliste Salzburg-Land in ihrer derzeitigen Zusammensetzung wolle sie nichts zu tun haben, zurück.- Unter Landessprecher Christian Burtscher sei »die Intrige zum politischen Prinzip erhoben worden.« (Die Presse 17. 11. 1998. S. 8.)

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gendst und ergebenst«, erklärte Bundessprecher Alexander Van der Bellen nach der Sitzung. Und er gab sich zuversichtlich. »Ich bin grundsätzlich optimistisch, dass das klappt«.540 Der in Wien in einer Krisensitzung erzielte Kompromiss war jedoch bereits am folgenden Tag Makulatur, da viele Gemeinderäte und Aktivisten der Bürgerliste auch in den Gemeinden den erzielten Kompromiss ablehnten. Am 25. November erklärte Johann Padutsch  : »Nach meiner Rückkehr aus Wien habe ich mich mit den Vertretern von 10 Gemeinden getroffen (Hallein, Eugendorf, Neumarkt am Wallersee, Puch, Bruck an der Glocknerstraße, Koppl, Saalfelden, Wals, Bürmoos und Zell am See). Sie haben mich gefragt, was dieser Kompromissvorschlag soll. Die Leute wollen nicht mehr so weitertun. … Angst haben, dass einem in der eigenen Partei die Hackeln um die Ohren fliegen. Sie wollen auch nicht gezwungen werden, mit den gleichen Methoden wie die anderen Arbeiten zu müssen – etwa jemanden zu einer Sitzung hinkarren, sie haben genug von Verdächtigungen. Einer hat die Frage gestellt, welche Mittel sind zur Machtergreifung zulässig  ? Kienreichs Mittel waren es nicht. Das Vertrauen ist nicht wiederherstellbar.«541 Die Bürgerliste Salzburg-Land war noch bemüht, den von der Bürgerliste Salzburg-Stadt de facto bereits vollzogenen Bruch noch zu verhindern. Am 26. November bekräftigte eine Vorstandsitzung des Landesvorstandes in einer Punktation die Beschlüsse vom 16. November und bedauerte, dass »2. … die in einer Sitzung des Bundesvorstandes unter Beteiligung von Johann Padutsch, Werner Kienreich, Elisabeth Moser, Ulrike Saghi und Bettina Becher erzielte Verständigung noch nicht umgesetzt werden konnte. 3. Der Vorstand hält in diesem Sinne die Einladung an Elisabeth Moser aufrecht, das in der Landesversammlung am 14. 11. angenommene Mandat für den 2. Listenplatz wahrzunehmen. 4. Für den Fall, dass Elisabeth Moser ihre Erklärung vom 23. November, auf den 2. Listenplatz der Landesliste zu verzichten, aufrecht hält, wird – aus Zeitgründen ohne Abhaltung einer weiteren Landesversammlung – die Landesliste mit der Maßgabe eingereicht, dass die auf der Liste Nachgereihten jeweils vorrücken. 5. Der Vorstand ersucht die Abgeordneten der Bürgerliste, die Einreichung des Wahlvorschlages entsprechend der Landtagswahlordnung mit ihren Unterschriften zu unterstützen. (…) 10. Für den Fall, dass nicht alle drei Abgeordneten der Bürgerliste im Landtag den Wahlvorschlag unterstützen, beauftragt der Vorstand das Wahlkampfteam, rechtzeitig alle Vorkehrungen dafür zu treffen, dass die erforderliche Anzahl von 100 Unterstützungserklärungen in jedem der sechs Wahlkreise sichergestellt wird.«542 540 SN 25. 11. 1998. S. 2. 541 SN lokal 26. 11. 1998. S. 3. 542 Protokoll der Sitzung des Landesvorstandes am 16. 11. 1998. (AHB)

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Am 27. November vollzog die Bürgerliste Salzburg-Stadt unter Johann Padutsch die Trennung, indem er die Kandidatenliste seiner Liste mit Heinrich Schellhorn und Elisabeth Moser an der Spitze präsentierte. Die Parteigründung werde am 8. Dezember erfolgen »Uns ist klar, dass diese Trennung unsere Chancen minimiert«, erklärte die Salzburger Gemeinderätin Elisabeth Moser, doch sei man zuversichtlich, in der Stadt Salzburg ein Grundmandat zu erreichen.543 Herbert Fux, inzwischen Intimfeind des Salzburger Vizebürgermeisters, erklärte im Namen der Bürgerliste Salzburg-Land, die Wahl Kienreichs sei demokratisch erfolgt und man werde »alles daransetzen, dass Padutsch und seine Truppe nicht mehr unter dem täuschenden Namen ›Bürgerliste’ agieren darf.«544 Das Chaos war perfekt und ein Absinken nach der Landtagswahl in die politische Bedeutungslosigkeit drohte. Am 1. Dezember erklärten Johann Padutsch und Helmut Hüttinger in einem Schreiben des Gemeinderatsklubs der Bürgerliste Salzburg-Stadt an alle Sympathisanten und an der Bürgerliste Interessierten den Grund für die nun erfolgte Spaltung. »Bei den im Vorfeld der Landesversammlung mit allen Kandidaten geführten Gesprächen hat Werner Kienreich zwar seine Kandidatur für den ersten Listenplatz angemeldet, sonst aber so gut wie gar nichts gesagt. Niemand – außer den offensichtlich damals schon Eingeweihten – konnte deshalb wahrnehmen, dass diese Kandidatur mit voller Ernsthaftigkeit und unter Einsatz aller zur Verfügung stehenden Mittel betrieben und im Hintergrund vorbereitet wird. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass, im Gegensatz zur letzten Landesversammlung mit ca. 45 Mitgliedern, bei der Christian Burtscher zum Spitzenkandidaten und Werner Kienreich auf den letzten Platz der sogenannten Männerliste gewählt wurde, bei dieser Landesversammlung plötzlich ca. 125 Mitglieder (darunter über 80 neue) gezählt wurden. Dass mit dieser hochgeputschten Mitgliederzahl Werner Kienreich auf den ersten Listenplatz hochkatapultiert wurde, ist ein Faktum. Dass ein Gutteil der neuen Mitglieder vor allem zu diesem Zweck geworben wurde, ist eine Vermutung, aber für alle, die eins und eins zusammenzählen können, offensichtlich und im Übrigen durch etliche Rückmeldungen von solcherart Angesprochenen bestätigt. … Faktum ist, dass nach dieser Landesversammlung ein Riss durch die Bürgerliste Land gegangen ist. Vom nördlichen Flachgau über die Stadt Salzburg bis in den südlichen Pinzgau haben sich die Menschen von der Bürgerliste Land verabschiedet. Aktive grüne Gemeinderäte und Aktivisten aus bisher 11 Gemeinden haben offen die Forderung nach dem Aufbau einer neuen Landespartei und ihre Kandidatur für die Landtagswahl erhoben. Helmut Hüttinger und ich haben diese Forderung an die Öffentlichkeit getragen. Dadurch ist auch der Eindruck entstanden, es handle sich um einen Konflikt und um eine Abspaltung der ›Stadtrealos‹ von den ›Landesfundis‹. In Wahrheit lässt sich der 543 Die Presse 28. 11. 1998. S. 8. 544 Kronen Zeitung 26. 11. 1998. S. 20.

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Konflikt und die darauf folgende Spaltung weder auf Realos contra Fundis, noch auf Stadt contra Land reduzieren. Es wurde schlicht und einfach jegliche noch existierende Vertrauensbasis vollständig zertrümmert. Für einen großen Teil der Grünbewegten im Land Salzburg gibt es offensichtlich Grenzen im Umgang mit der Macht. Nicht jedes formal statutenkonforme Mittel zur Machtergreifung ist legitim.«545 Die scheinbar endgültige Trennung wurde am 8. Dezember im Hofbräu Kaltenhausen bei der Gründungsversammlung der neuen Landesgruppe »Grüne Salzburg« vollzogen. An diesem Tag versammelten sich 45 Aktivisten aus allen Gauen, mit Ausnahme des Lungaus, im Rupertigewölb des Kaltenhausener Hofbräus und hoben eine neue Grünpartei aus der Taufe, die sich in Anlehnung an die Entwicklung in Deutschland und mit Bezugnahme auf die bevorstehenden Wahlgänge »Bündnis 99 – Grünes Salzburg« nannte. Zur Spitzenkandidatin wurde mit großer Mehrheit die Salzburger Gemeinderätin Elisabeth Moser gewählt, die damit auch die Funktion der Sprecherin der neuen Partei ausübte. Auf den weiteren Plätzen folgten Heidi Reiter (Eugendorf), Ferdinand Salzmann (Saalfelden), Heinrich Schellhorn (Hallein) und Cyriak Schwaighofer (Goldegg). Man gab sich durchaus selbstbewusst und betonte, die eigentlichen Vertreter der Grünbewegung zu sein, die Bürgerliste Salzburg-Land sei lebensbedrohlich krank, weshalb eine riskante Radikaloperation notwendig sei. Die Tür zur Bürgerliste Salzburg-Land wollte man allerdings nicht völlig zuschlagen. So erklärte Heinrich Schellhorn, eine Aussöhnung sei nur nach einem Rücktritt Kienreichs vorstellbar.546 Trotz aller unversöhnlich scheinenden Positionen und allen Schlachtenlärms hielten hinter den Kulissen die Bemühungen um eine Einigung der beiden Grünparteien an. Vor allem der Landtagsklub um Christian Burtscher unternahm unermüdlich Anstrengungen, einen politischen Kompromiss in letzter Minute zustande zu bringen. Mit Blick auf die bevorstehende Landtagswahl sowie die Gemeinderatswahl in der Stadt Salzburg im März 1999 war der Zeitraum für diese Bemühungen begrenzt. Die Vermittler befürchteten mit Hinweis auf die dramatisch gesunkenen Wahlchancen im Fall einer Kandidatur zweier Grün-Parteien mit de facto identen Programmen ein mögliches Ausscheiden aus dem Landtag, weshalb intern die Jahreswende 1998/99 als letzte Chance für eine Einigung gesehen wurde. Die Gespräche kamen jedoch zu keinem Ergebnis, da beide Parteien zunächst nicht bereit waren, auf personelle Forderungen der jeweiligen Gegenseite positiv zu reagieren. Während die Bürgerliste Salzburg-Land den Rückzug von Elisabeth Moser forderte, forderte das »Bündnis 99 – Die Grünen« jenen von Werner Kienreich. Wenige Tage vor Weihnachten wurde eine erste Annäherung der Positionen erreicht, als der Golde545 Johann Padutsch, Helmut Hüttinger  : Spaltung der Bürgerliste Land oder das Verhältnis zur Macht. (AHB) 546 Der Standard 7. 12. 1998./Land Salzburg/ Landespressebüro 7. 12. 1998.

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gger Vizebürgermeister Cyriak Schwaighofer als Kompromisskandidat genannt und im Fall einer Einigung sogar der Rückzug Werner Kienreichs in Aussicht gestellt wurde. Einige Mitglieder der Bürgerliste Salzburg-Stadt, vor allem Elisabeth Moser, sperrten sich jedoch nach wie vor gegen eine Kompromisslösung und bezeichneten alle Mitglieder des Vorstandes, die für Verständigungsgespräche plädierten, als »Verräter«. Dies konnte jedoch die Erkenntnis der Notwendigkeit von Gesprächen und eines möglichen Kompromisses nicht verhindern, wobei in allen diskutierten Varianten einer möglichen Einigung der Person Cyriak Schwaighofer als Integrationsfigur genannt wurde. Dieser drängte mit dem Hinweis, dass es bei der kommenden Landtagswahl mit dem LIF eine echte Alternative zur Bürgerliste gebe und ein andauernder Streit die Chancen auf den Wiedereinzug in den Landtag drastisch sinken ließen, auf eine Einigung in letzter Minute. Dass diese angesichts des nahenden Wahltermins, auf Grund der Schwierigkeiten, in allen Gauen die notwendigen Unterstützungserklärungen zu erhalte, weshalb die Unterstützung durch die Unterschriften der drei Landtagsabgeordneten notwendig war, dessen waren sich auch Exponenten des »Bündnis 99 – Die Grünen« bewusst. Johann Padutsch und Heidi Reiter begaben sich daher zu einer persönlichen Aussprache zu Christian Burtscher mit dem Ziel, die Unterstützungserklärung des Landtagsklubs zu erhalten. Dabei war Padutsch bereit, den Vorstellungen des Landtagsklubs weitgehend entgegen zu kommen. Anfang Jänner 1999 unterbreitete die Landtagsfraktion der Bürgerliste SalzburgLand einen weitgehend akkordierten Kompromissvorschlag  : Der Goldegger Vizebürgermeister Cyriak Schwaighofer sollte als Spitzenkandidat ins Rennen gehen, gefolgt von der Eugendorferin Heidi Reiter, dem Kuchler Landtagsabgeordneten Matthias Meisl und der Salzburger Gemeinderätin Elisabeth Moser.547 Würden sich beide Grün-Parteien auf diese Liste einigen können, wäre die Landtagsfraktion bereit, mit ihren Unterschriften eine Kandidatur bei der Landtagswahl sichern. Wenngleich mit Cyriak Schwaighofer und Heidi Reiter zwei Mitglieder des »Bündniss 99 – Die Grünen« an den ersten beiden Spitzenpositionen gesetzt wurden, schien Elisabeth Moser nur mehr an vierter Stelle auf, womit ihr Einzug in den Landtag so gut wie ausgeschlossen war. Der Kompromissvorschlag zielte auch durch die Zurückreihung der als links und provokativ geltenden Elisabeth Moser auf eine pragmatischere und damit für breitere Wählerschichten akzeptable Positionierung der Bürgerliste. Das »Bündnis 99 – Die Grünen« erkannte die Absicht und konnte sich auf Grund der unterschiedlichen Positionen zu keiner offiziellen Zustimmung durchringen. Damit schienen die Chancen auf einen Wiedereinzug in den Landtag gegen null zu sinken, weshalb Heidi Reiter die Flucht nach vorne antrat und am 14. Jänner 1999 vor einer Vorstandssitzung des »Bündnis 99 – Die Grünen« erklärte, 547 SN lokal 15. 1. 1999. S. 2.

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sie werde für die vom Landtagsklub vorgeschlagene Kompromissliste der Bürgerliste Salzburg-Land kandidieren. Als Begründung für diesen überraschenden Schritt gab sie an, dass nur im Fall einer gemeinsamen Kandidatur die Chancen auf einen Wiedereinzug in den Landtag gegeben seien. Diesem Ziel gelte es auch persönliche Befindlichkeiten unterzuordnen. Durch den Wechsel der Zweitgereihten der Kandidatenliste geriet das »Bündnis 99 – Die Grünen« in eine existentielle Krise, zumal auch der mögliche neue Spitzenkandidat einer wiedervereinigten Bürgerliste, Cyriak Schwaighofer, und die Mitglieder der Landtagsfraktion auf eine Kompromisslösung und damit eine gemeinsame Kandidatur drängten. Elisabeth Moser zog konsterniert die Konsequenz und erklärte, angesichts dieses »unwürdigen Schauspiels« auf eine Kandidatur verzichten zu wollen. Helmut Hüttinger bemerkte daraufhin, dass mit dieser Entwicklung eine gesonderte Kandidatur des »Bündnis 99 – Die Grünen« obsolet werde. Angesichts dieser Entwicklung warf auch Werner Kienreich das Handtuch, womit der Weg zu einer endgültigen Einigung und gemeinsamen Kandidatur offen war. Die Bürgerliste Salzburg-Land trat bei der Landtagswahl im März 1999 unter Bezeichnung »Die Grünen« als einzige Öko-Gruppierung an, die Lebensdauer der neuen Partei »Bündnis 99 – Die Grünen« war nur von kurzer Dauer. Und in Wien sprach ein sichtlich erleichterter Bundessprecher Alexander Van der Bellen von einem »Sieg der politischen Vernunft«.548 Am 18. Jänner 1999 wandten sich die vier Spitzenmandatare – Cyriak Schwaighofer, Heidi Reiter, Matthias Meisl und Gerhild Trübswasser – an alle Mitglieder und Sympathisanten der verschiedenen Grün-Parteien, um sie von dem gefundenen Kompromiss zu überzeugen und für ein eindeutiges Votum bei der Landesversammlung am 23. Jänner zu werben. »Es ist Euch sicher nicht entgangen, mit welcher Heftigkeit in den letzten Monaten die Stürme des Konflikts durch die Reihen der Salzburger Grünen getobt sind. Nach äußerst zähen und aufreibenden Verhandlungs- und Vermittlungsversuchen schien es vor wenigen Tagen klar zu sein, dass es keinerlei Möglichkeiten mehr gäbe, die Parallel-Kandidatur von zwei Grünen Listen bei der Landtagswahl zu vermeiden. Diese Tatsache hätte ein großes Risiko mit sich gebracht, dass keine der beiden es schaffen würde, wieder im Landtag vertreten zu sein. Weiters schien die Toleranzgrenze bei zahlreichen potentiellen GrünwählerInnen erreicht, die eine Grüne Vertretung im Landtag wollten, um nicht gezwungen zu werden, sich zwischen zwei – in ihren politischen Zielen nahezu identischen – Gruppen entscheiden zu müssen. Die tragische Ironie der verfahrenen Situation lag unter anderem darin, dass so gut wie alle Beteiligten keine Parallelkandidatur wollten  ; wie waren ebenso davon überzeugt, dass nur eine einzige Grünkandidatur eine relativ sichere Chance auf

548 SN lokal 15. 1. 1999. Pressearchiv der Stadt Salzburg. http://nts1/pressedoku/1999/01/tra0735.htm.

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Wahlerfolg hätte. Trotzdem scheiterten die Kompromissvorschläge an jeweils unverrückbaren Bedingungen. In dieser Situation sahen die derzeitigen drei Landtagsabgeordneten die einzige Chance darin, mit Hilfe ihrer Unterschriften einer Liste zur Kandidatur zu verhelfen, die von möglichst vielen akzeptiert werden könnte. Es ist leider eine Tatsache, dass diese Lösung – wie jeder Kompromiss – für einige Personen schmerzhaft ist.« Man werde sich daher bemühen, diese Wunden durch ein neues Miteinander zu heilen und hoffe mit der nun gefundenen Lösung auf einen Neuanfang, der durch eine Landesversammlung am 23. Jänner nach außen eindrucksvoll demonstriert werden sollte.549 Dieser Wunsch sollte allerdings nicht in dem erhofften Ausmaß in Erfüllung gehen. Der »Sieg der politischen Vernunft« erhielt auf der Landesversammlung am 23. Jänner 1999 im erzbischöflichen Kapitelsaal in Salzburg von rund 70 Delegierten den offiziellen politischen Segen, der allerdings von heftigen emotionellen Wogen geprägt war. Die Gräben der Vergangenheit, die persönlichen Verletzungen und verletzten Eitelkeiten waren keineswegs verschwunden, sondern wurden nur der politischen Räson geopfert. Während Herbert Fux anwesend war, glänzte der Rest des Gemeinderatsklubs der Bürgerliste Salzburg-Stadt durch demonstrative Abwesenheit. Und Heidi Reiter musste sich, den Tränen nahe, gegen Angriffe wegen ihres Frontwechsels verteidigen. Das um 17.30 Uhr bekannt gegebene Abstimmungsergebnis über die gemeinsame Kandidatenliste der »Grünen« – Cyriak Schwaighofer, Heidi Reiter, Matthias Meisl, Gerhild Trübswasser – verzeichnete nur 29 Pro-Stimmen. Der öffentliche Eindruck war entlarvend und verheerend. So bemerkte Alfred Pfeiffenberger mit Blick auf die turbulenten Vorgänge, die Grünen hätten rein machtpolitisch richtig gehandelt. »Das ist aber auch das einzige Positive, das über die grüne Auseinandersetzung gesagt werden kann, die mehrere Monate dauerte. Die Bürgerliste, ihre Mandatare und Sympathisanten, waren mit einem hohen moralischen Anspruch in die Politik gegangen. Sozusagen als die gute, menschliche und umweltfreundliche Alternative zum bestehenden politischen System, eingeschlossen darin natürlich auch der Umgang miteinander. Der Streit der Grünen hat mit dieser Mär endgültig aufgeräumt. Von Rücksichtnahme und gegenseitigem Respekt war in dieser Auseinandersetzung zwar vielleicht ab und zu zu hören, aber nichts zu bemerken. Es wurde intrigiert, es wurden Menschen fertig gemacht, dass es für die Machtpolitiker anderer Parteien geradezu ein Anschauungsunterricht war. Die Bürgerliste-Land, die in Zukunft als ›Die Grünen’ antreten wird, ist zu einer ganz normalen politischen Partei geworden …«550 Und Sonja Wenger  : »Bei den Grünen kann immer wer mit irgendwem nicht. … Die Grü549 AHB 550 Alfred Pfeiffenberger  : Sie lieben nur Bruder Baum. – In  : SN lokal 15. 1. 1999. S. 2.

7. März 1999  : Der Super-Wahlsonntag

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nen stehen stets für das Bessere und Gute. Aber die Gutmenschen leisten sich den Luxus, alle Emotionen blank auszuleben. In ihren Landesversammlungen entgiften sie sich. Das ewige Mit-dem-und-mit-der-kann-ich-nicht sei eine ›Art Rassismus’, sagt Matthias Meisl. Es ist zumindest die Haltung der Prinzessin auf der Erbse und der grünen Divas.«551

10.5 7. März 1999  : Der Super-Wahlsonntag – Mit einem blauen Auge davongekommen Der 7. März 1999 bildete im politischen System des Bundeslandes eine Premiere, da erstmals dessen Bürger/innen aufgerufen waren, drei Wahlentscheidungen an einem Tag zu treffen  : den neuen Landtag und die Gemeindevertretungen sowie – erstmals – die Bürgermeister direkt zu wählen. Die Ausgangspositionen der politischen Parteien waren dabei in allen drei Bereichen unterschiedlich. Hinzu trat noch der Umstand, dass an diesem Tag auch Landtagswahlen in Kärnten und Tirol stattfanden, sodass den Ergebnissen angesichts der bevorstehenden Nationalratswahl allgemein auch bundespolitische Bedeutung zugemessen wurde. Das Ergebnis der Landtagswahlen war daher nicht nur von jeweils spezifisch landespolitischen Ereignissen und Problemlagen beeinflusst, sondern auch von bundespolitischen Trends. Bei der Wahl des Salzburger Landtages standen eine Reihe von Fragen im Mittelpunkt des Interesses  : 1. Wie wirkten sich die teilweise sehr umstrittenen Entscheidungen des seit 1996 amtierenden Landeshauptmanns Franz Schausberger auf das Abschneiden der ÖVP aus  ? Noch im Jänner 1998 erklärten in einer Umfrage des Linzer Market-Instituts 45 Prozent der befragten Salzburgerinnen und Salzburger, sie würden im Fall einer Direktwahl des Landeshauptmanns Franz Schausberger wählen. Der amtierende Landeshauptmann rangierte damit weit vor seinen politischen Mitbewerbern Gerhard Buchleitner (14 Prozent) und Karl Schnell (10 Prozent).552 Im Juni 1998 gaben in einer Market-Umfrage die Salzburgerinnen und Salzburger Schausberger hervorragende Werte. 71 Prozent attestierten dem Landeshauptmann eine sehr gute Arbeit und der ÖVP wurde bei Landtagswahlen ein Ergebnis von 40 Prozent prognostiziert.553 Ein Ergebnis, das auch im Februar 1999 erhoben wurde.554 2. Hatte die SPÖ das 1994 erreichte »Tal der Tränen« durchschritten und konnte sie wiederum deutliche Zugewinne verzeichnen  ?

551 Sonja Wenger  : Grüne Divas und ihre Luxusgefühle. – In  : SN lokal 25. 1. 1999. S. 2. 552 SN lokal 28.1.1998. S. 2. 553 Der Standard 30.6.1998. S. 7. 554 Sowohl Spectra wie auch Gallup kamen auf diesen Wert. Vgl. Der Standard 1.3.1999. S. 3.

372

1994 bis 1999 – Eine Phase der Verwirrung

Die demoskopischen Daten sahen einen deutlichen Aufschwung der SPÖ, die bei Gallup-Umfragen im Februar und März 1999 bei 30 Prozent, bei einer SpectraUmfrage sogar bei 34 Prozent lag.555 Landesparteiobmann und LandeshauptmannStellvertreter Gerhard Buchleitner verfügte ebenfalls über deutlich steigende Werte. Wenngleich ihn nur 23 Prozent der Salzburgerinnen und Salzburger bei einer Direktwahl zum Landeshauptmann wählen würden, so hatten 60 Prozent einen positiven Eindruck von seinem politischen Wirken. Auch die SPÖ verfügte über deutlich positive Werte. 44 Prozent hatten einen guten und 31 Prozent einen schlechten Eindruck, womit sie über ähnliche Werte wie die ÖVP verfügte.556 Gerhard Buchleitners offen ausgesprochener Wunsch nach einer Koalition mit der ÖVP wurde von Landeshauptmann Franz Schausberger erwidert, da für ihn eine Koalition mit der FPÖ unter Karl Schnell ausgeschlossen war. Andere Koalitions-Konstellationen waren aufgrund der Schwäche des möglichen Partners, der Grünen, rein rechnerisch nicht möglich. 3. Wie wirkten sich die innerparteilichen Turbulenzen bei der FPÖ557 und der Bürgerliste auf deren Abschneiden aus  ? 555 Der Standard 22.2.1999. S. 8  ; Der Standard 1.3.1999. S. 3. 556 Der Standard 1.3.1999. S. 3. 557 Karl Schnell, der nach seiner Abwahl als Landesrat, als Klubobmann der FPÖ fungierte, stieß mit seinem Führungsstil zunehmend auf Kritik, die Anfang Februar 1998 der LAbg. Peter Lechenauer offen formulierte. Schnell hatte nicht nur den Rückhalt im Großteil der FPÖ-Landtagsfraktion verloren, sondern auch die Unterstützung von FPÖ-Landesrat Robert Thaller und dem FPÖ–3. Landtagspräsidenten Wolfgang Huber. Mit seiner destruktiven und seinem jede sachliche Zusammenarbeit ablehnenden Politikstil, so die Kritiker, gefährde er die Zukunft der Partei. Gegen seine Kritiker mobilisierte Schnell den Großteil der FPÖ-Ortsparteiobmänner, sodass eine innerparteiliche Kraftprobe unvermeidlich wurde. (SVZ 5.2.1998. S. 3.) Als im FPÖ-Landtagsklub ein Misstrauensantrag gegen Schnell gestellt wurde, erschien dieser neben der Pinzgauer Abgeordneten Rosemarie Blattl nicht zur Sitzung des Klubs, weshalb eine Abstimmung verschoben wurde, da man nicht ohne die Anwesenheit des Klubobmanns verhandeln wollte. Schnell entschied die Kraftprobe durch die Rückendeckung der Partei am 20. September auf einem Parteitag in Saalfelden schließlich für sich. Seine Kritiker, die ihm nach wie vor eine Politik der verbrannten Erde vorwarfen, die nicht mehr an einer sachlichen Arbeit interessiert sei, warfen ihm vor dem Parteitag vor, dass mit einem Spitzenkandidaten Karl Schnell, dem Exponenten dieser Politik, die FPÖ der nächsten Landesregierung sicher nicht mehr angehören werde. (SN lokal 18.9.1998. S. 2.) Da jedoch Schnell die Unterstützung der Partei hatte, resignierten seine innerparteilichen Gegner im Vorfeld des Parteitages. Manfred Perterer kommentierte den in aller Öffentlichkeit ausgetragenen Konflikt mit der Bemerkung, dass Schnells innerparteiliche Gegner resigniert hätten. »Es ist ihnen nicht gelungen, den oft rüpelhaften, nicht gerade sachpolitisch orientierten Parteichef loszuwerden. Nun räumen sie selber das Feld, bevor sie hochkant hinausgeworfen werden.« (Manfred Perterer  : Substanzverlust der FPÖ. – In  : SN lokal 19.9.1988. S. 2.) Zu den Turbulenzen in der Salzburger FPÖ Vgl. Robert Kriechbaumer  : »… ständiger Verdruss und viele Verletzungen.« Die Regierung Klima/Schüssel und die Bildung der ÖVP-FPÖ-Regierung. Österreich 1997–2000. -Wien/Köln/Weimar 2014. S. 197ff. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für

7. März 1999  : Der Super-Wahlsonntag

373

Der FPÖ wurde aufgrund der innerparteilichen Differenzen ein Verlust von rund 3 Prozent und damit ein Abstieg auf 16 Prozent prognostiziert. Inmitten der innerparteilichen Turbulenzen im Juni 1988 hatte Karl Schnell in einer market-Umfrage überwiegend schlechte Zensuren erhalten. Nur 28 Prozent der Salzburgerinnen und Salzburger bescheinigten ihm eine gute Arbeit, 57 Prozent verneinten dies. Konnte man sich noch damit trösten, dass deutlich mehr als die Wählerschaft der Partei Schnells politische Arbeit positiv beurteilte, so sank dieser Wert bei der Frage nach der Direktwahl des Landeshauptmanns mit lediglich 6 Prozent deutlich unter das Ergebnis der letzten Landtagswahl mit 19,5 Prozent. In dieser Frage wurde er sogar von Christian Burtscher, dem Landessprecher der Bürgerliste Salzburg-Land, übertroffen, für den 7 Prozent votierten.558 Parteiobmann Karl Schnell übte sich allerdings mit Blick auf die bundespolitische Entwicklung in Optimismus und war zu Jahresbeginn 1999 davon überzeugt, dass seine Partei zulegen werde. Sollte sie tatsächlich verlieren, sei er »kein Sesselkleber« und werde die Konsequenzen ziehen.559 Den Grünen wurde, trotz der soeben beendeten innerparteilichen Turbulenzen, ein Halten des Stimmenanteils von rund 8 Prozent prognostiziert, doch hatte der neue Spitzenkandidat Cyriak Schwaighofer mit mangelnden Bekanntheitswerten zu kämpfen. 68 Prozent der Landbevölkerung war er unbekannt, nur sieben Prozent hatten von ihm einen guten Eindruck und nur ein Prozent wollten ihn im Fall einer Direktwahl zum Landeshauptmann wählen.560 Nach den Turbulenzen der vergangenen Wochen galt es, die teilweise vergrämte eigene Anhängerschaft wieder zu motivieren und die aufgerissenen Gräben einzuebnen. Beschwörend bemerkte Cyriak Schwaighofer im Jänner 1999 in einem Appell an alle Mitglieder und Sympathisanten  : »Die Entscheidung, ob DIE GRÜNEN im nächsten Landtag vertreten sein werden, kommt mit Riesenschritten auf uns zu. Nach den Irritationen der letzten Monate gibt es nun ein auch von einer Landesversammlung der Bürgerliste mit großer Mehrheit bestätigtes KandidatInnenteam, das antritt, Salzburg mit einer starken grünen Kraft mitzugestalten. Ich bitte Sie, Ihre (berechtigte) Verärgerung in dieser schwierigen Phase hintanzustellen und vorrangig zu sehen  : Eine 10-jährige Aufbauarbeit muss konsequent fortgesetzt werden. Dazu braucht es eine starke Grüne Vertretung im Salzburger Landtag  !«561 4. Profitierte das LIF von den Turbulenzen in der Bürgerliste und schaffte, im Gegensatz zu 1994, den Einzug in den Landtag  ?

politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 47.) 558 Der Standard 30.6.1998. S. 7. 559 Der Standard 1.3.1999. S. 3. 560 Ebda. 561 Die Grüne 1/99. S. 1.

374

1994 bis 1999 – Eine Phase der Verwirrung

Das LIF konnte von den innerparteilichen Turbulenzen bei der Bürgerliste/Grünen nicht profitieren und sank gegenüber der letzten Landtagswahl auf 3 Prozent. Claudia Lagler zog mit Blick auf die bevorstehende Gemeinderats- und erste Bürgermeisterdirektwahl in Salzburg eine ernüchternde Bilanz  : »Die verlängerte Legislaturperiode haben die Stadtpolitiker nicht zu nützen verstanden. Es gibt kein neues Hallenbad, kein Fußballstadion, kein Guggenheim-Museum, wenig ansiedlungswillige Unternehmen, eine von den Einkaufszentren wirtschaftlich an die Wand gedrückte Altstadt und keine Wohnstadt-Nonntal. Das sind nur einige Projekte, die schon im Wahlkampf 1992 aktuell waren. Auf der Habenbilanz steht eine Dauerbaustelle am Bahnhofsvorplatz, ein umstrittener Kongresshausneubau, der Verkauf der Salzburger Sparkasse und der nach langen Streitigkeiten verabschiedete Flächenwidmungsplan. Stillstand kennzeichnet die Stadtpolitik.«562 Bei der Gemeinderatswahl in der Landeshauptstadt war jenseits der Vielzahl der nicht oder noch nicht realisierten Projekte und endlosen Diskussionen über Bauvorhaben die Frage von besonderem Interesse, ob die ÖVP in der Lage sein würde, die 1992 überraschend errungene Position des Bürgermeisters zu behaupten. Bürgermeister Josef Dechant, wenngleich dem Typus des attraktiven Politikers entsprechend, konnte zwar auf – allerdings nicht besonders populäre – Erfolge wie die Bewältigung der Finanzkrise verweisen,563 verzeichnete jedoch in demoskopischen Erhebungen bei der Frage nach der Direktwahl des Bürgermeisters, die 1999 erstmals erfolgen sollte, keinen deutlich wahrnehmbaren Amtsbonus gegenüber seinen direkten Mitbewerbern Heinz Schaden und Johann Padutsch. Wenngleich der amtierende Bürgermeister deutlich vor seinen Konkurrenten lag, so doch auf einem ungewöhnlich niedrigen Niveau. Dechant konnte daher bei der kommenden Bürgermeisterwahl sein Amt nicht auf Anhieb verteidigen, sondern erst in einer Stichwahl gegen seinen sozialdemokratischen Vizebürgermeister Heinz Schaden. Bei der hohen Anzahl von Unentschlossenen war der Ausgang der Stichwahl keineswegs sicher, zumal die SPÖ in demoskopischen Erhebungen gegenüber der letzten Gemeinderatswahl zulegte und mit deutlichem Abstand zur ÖVP wieder stärkste Partei wurde. In Mandaten ausgedrückt bedeutete dies, dass die SPÖ sich somit nicht nur die an die Demokratie 92 verlorenen Mandate zurückholte, sondern zudem noch ein bis zwei Mandate hinzugewann.

562 Claudia Lagler  : Politik in der Mozartstadt  : Stillstand als Prinzip  ? – In  : Die Presse 2.11.1998. S. 8. 563 Michael Kitzmantel  : Finanzkrise der Stadt Salzburg – der Kreis schließt sich. – In  : SJP 1997. – Salzburg/Wien 1997. S. 115–132.

7. März 1999  : Der Super-Wahlsonntag

375

Umfrage Bürgermeisterwahl in Salzburg September 1998. Frage  : »Wenn kommenden Sonntag Gemeinderatswahlen wären, wen würden Sie zum Bürgermeister wählen  ?« (Angaben in Prozent).564 Josef Dechant

25

Heinz Schaden

15

Johann Padutsch

12

Siegfried Mitterdorfer

3

Würde nicht wählen

19

Keine Angabe

24

Umfrage Gemeinderatswahlen in Salzburg September 1998. Frage  : Wenn am kommenden Sonntag Gemeinderatswahlen wären, welcher Partei würden Sie Ihre Stimme geben  ?« (Angaben in Prozent)  :565 Veränderungen gegenüber GR-Wahl 1992 in Prozentpunkten SPÖ

31

+ 3,0

ÖVP

22

– 2,0

Bürgerliste

18

+ 1,5

FPÖ

12

– 2,0

LIF

 6

Liste 10 (Angerer)

 5

+/– 0

Autofahrer

 5

– 1,0

Demokratie 92

 1

ÖVP-intern wurden die nicht berauschenden Umfrageergebnisse vor allem auch auf eine behauptete mangelnde Einsatzbereitschaft von Bürgermeister Josef Dechant zurückgeführt. ÖVP-intern wurde kolportiert, dem Bürgermeister sei seine Freizeitgestaltung wichtiger als der auch die Abendstunden beinhaltende Einsatz an der Basis. Dechant hatte ursprünglich geplant, in der kommenden Legislaturperiode nur mehr ein oder zwei Jahre das Amt des Bürgermeisters auszuüben und anschließend an einen geeigneten Nachfolger zu übergeben. Dies sollte Karl Gollegger, der ehemalige Sekretär von Landeshauptmann Wilfried Haslauer und nunmehrige Vorstand der TWA, sein. Ihn wollte er daher für eine Kandidatur bei der Gemeinderatswahl 1999 gewinnen. Im Mai 1998 fasste er jedoch den Beschluss, bei der kommenden 564 SN lokal 2.10.1998. S. 3. 565 SN lokal 1.10.1998. S. 3.

376

1994 bis 1999 – Eine Phase der Verwirrung

Gemeinderatswahl nicht mehr zu kandidieren und sprach im Juli 1998 von Amtsmüdigkeit und seinem beabsichtigten Rückzug aus der Kommunalpolitik. Die Ankündigung Dechants wurde ÖVP-intern mit einer gewissen Erleichterung zur Kenntnis genommen, denn das von Landeshauptmann Hans Katschthaler nach der Wahl Josef Dechants zum Salzburger Bürgermeister ausgegebene Motto »Stadt und Land, Hand in Hand« hatte vor allem durch sich häufende Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bürgermeister und Hans Katschthaler sowie vor allem dessen Nachfolger Franz Schausberger zu zahlreichen Verstimmungen geführt. So vertrat Dechant in der Frage der Situierung des Stadions in Wals-Siezenheim, der Museumsfrage und dem Verkauf der Stadtwerke konträre Positionen zu jenen der Landespartei und des Landeshauptmanns. Für die ÖVP galt es nunmehr angesichts der wahlpolitischen Bedeutung der Landeshauptstadt so rasch als möglich einen geeigneten Nachfolger auf den Schild zu heben. Und dieser Nachfolger wurde in der Person Karl Golleggers gefunden, der allerdings noch zögerte, weshalb Dechant zum Entsetzen der ÖVP-Spitze im September wissen ließ, dass er angesichts des Zögerns Golleggers bereit sei, seinen Rückzugsbeschluss zu revidieren und noch einmal in den politischen Ring zu steigen. Dies lehnte jedoch vor allem Landeshauptmann Franz Schausberger ab, der auf einen personellen Neuanfang in der Stadt Salzburg drängte. Dieses Drängen des Landeshauptmanns war auch von dem Umstand bestimmt, dass die Stimmung zwischen dem durchaus selbstbewusst agierenden Bürgermeister und der Gemeinderatsfraktion sowie der Landespartei keineswegs friktionsfrei war, wie politische Beobachter bemerkten. Im Oktober 1998 gab Dechant dem Drängen Schausbergers nach und erklärte in Gegenwart seiner Gattin am Nationalfeiertag in seinem Stammlokal, dem Schlosswirt in Aigen, den geladenen Journalisten seinen Rückzug aus der Politik. Karl Gollegger habe vor drei Wochen das Angebot angenommen, für die ÖVP als sein Nachfolger bei der kommenden Gemeinde- und Bürgermeisterwahl anzutreten. Er werde ihn voll unterstützen und scheide in vollem Einvernehmen mit Landeshauptmann Schausberger ohne jede Häme, Gram oder Groll aus der Politik. Es sei »im letzten Jahr elendiglich schwierig geworden«, begründete er seinen Rückzug. Die zersplitterte Parteienlandschaft mache die Stadt weitgehend unregierbar und werde das Stadtrecht nicht geändert, könnte es noch schlimmer kommen, da Splitterparteien zunehmen würden. »Ich habe die Freude an der Politik verloren. Ich hatte nie Interesse an der Macht, sondern an der Sache und trotz widrigster Umstände haben wir einiges weitergebracht. Aber es wird ja alles andauernd nur schlechtgemacht.« Allerdings  : »Der Gemeinderat arbeitet mit großer Mehrheit gegen mich und ich möchte nicht als politische Halb-Leiche hinausgetragen werden«, erklärte er seine Motive den versammelten Journalisten.566 Der Szenenwech566 Kronen Zeitung 27.10.1998. S. 11.

7. März 1999  : Der Super-Wahlsonntag

377

sel in den Österreichischen Hof eine Stunde später illustrierte die Befindlichkeit der ÖVP. Landesparteiobmann und Landeshauptmann Franz Schausberger präsentierte in jenem Zimmer, in dem ihn zwei Jahre zuvor Hans Katschthaler als seinen Nachfolger vorgestellt hatte, Karl Gollegger als den neuen Heilsbringer. Noch am Vormittag hatte eine eilig einberufene Sitzung des Parteipräsidiums der Stadt Salzburg einstimmig die Wahl Golleggers gebilligt. Schausberger betonte in der Präsentation des neuen ÖVP-Bürgermeisterkandidaten, dass »der Wunsch nach einer personellen Veränderung unheimlich groß« gewesen sei und lobte in indirekter Kritik an Dechant dessen Entscheidungsvermögen, Managementfähigkeit und Bürgernähe. »Das sind Eigenschaften, die in dieser Stadt mehr als dringend nötig sind  ! Ich werde mich hüten, dem amtierenden Bürgermeister etwas Schlechtes nachzusagen.«567 Der versprochene personelle Neubeginn fand allerdings in den demoskopischen Daten keinen Niederschlag. SPÖ-Vizebürgermeister Heinz Schaden führte Anfang Dezember 1998 erstmals in der Bürgermeisterfrage und auch Johann Padutsch als Kandidat der Bürgerliste konnte deutlich zulegen. Der politische Newcomer Gollegger erfreute sich zwar bei der Frage nach der Direktwahl des Bürgermeisters mit 24 Prozent einer relativen hohen Zustimmungsrate, die nur ein Prozent hinter jener Dechants nach sechsjähriger Amtszeit lag, doch hatte sich Heinz Schaden von 15 auf 28 Prozent katapultiert und führte die Gruppe der Bewerber an, in der auch Bürgerliste-Stadtrat Johann Padutsch sich von 12 auf 17 Prozent verbessern konnte, ein Wert, der auch der Bürgerliste prognostiziert wurde, obwohl die Bürgerliste im Land ein Beispiel der inneren Zerrissenheit bot. Wie sehr nach dem Rückzug Dechants die Bürgermeisterfrage offen war, wurde auch aus dem Umstand deutlich, dass sich FPÖ-Spitzenkandidat Siegfried Mitterdorfer von 3 auf 13 Prozent, wenn auch nur kurzfristig, steigern konnte.568 Eine Stichwahl, darin waren sich alle Meinungsforschungsinstitute einig, würde notwendig sein. Die Frage dabei war nur, ob es Gollegger bis zum Wahltag gelang, den Abstand zu Schaden zu egalisieren oder diesen sogar zu überholen. Angesichts der guten Umfragewerte für Padutsch wurde von der Bürgerliste der bevorstehende Wahlkampf zu einem Zweikampf zwischen Padutsch und Schaden ausgerufen. Im Werbefolder für die Gemeinderatswahl wurde Padutsch als »Bürgermeister 99« tituliert. In dem Folder erklärte Padutsch, »die Erhaltung und der Schutz unserer einzigartigen Stadtlandschaften und Grünräume, der Salzburger Altstadt und ihrer Baudenkmäler und eine menschengerechte, vernünftige Politik seien »untrennbar mit der Bürgerliste verbunden« und diese sei »stolz darauf«. Der Bürgerliste sei mit »dem neuen Stadtentwicklungskonzept und dem neuen Flächenwidmungsplan … ein Jahrhundertwerk gelungen.« Als Bürgermeister 567 Ebda. S. 7. 568 SN lokal 5.12.1998. S. 3.

378

1994 bis 1999 – Eine Phase der Verwirrung

wolle er darauf aufbauen und eine Reihe von Zukunftsperspektiven – Einkaufsstadt, Kongressstadt, Kulturstadt, Stadt der Menschlichkeit – realisieren. »Diese Stadt soll leben. Wir haben die Grundlagen für eine erfolgreiche Stadtentwicklung geschaffen und damit unsere Kompetenz und unser Engagement bewiesen. Wir wollen jetzt die konkreten Projekte mit derselben Kompetenz und demselben Engagement verwirklichen.«569 Um den angekündigten Neuanfang zu demonstrieren, präsentierte Gollegger im Jänner 1999 eine bis auf Klubobmann Erwin Klemm, sehr zum Ärger zahlreicher Ortsgruppen, personell völlig veränderte Kandidatenliste. Gollegger wurde in der nun beginnenden heißen Wahlkampfphase als Macher präsentiert, der mit der Verhinderungspolitik, dem politischen Stillstand und den kleinlichen politischen Grabenkämpfen Schluss machen werde. Im Gegensatz dazu präsentierte die Stadt-SPÖ den bisherigen Vizebürgermeister Heinz Schaden als Mann mit kommunalpolitischer Erfahrung, der für Kontinuität stehe. Schadens Chancen, in einer Direktwahl, zumindest in einer Stichwahl, zum Bürgermeister gewählt zu werden, waren groß, da er seinen demoskopischen Vorsprung vor den übrigen Mitbewerbern nicht nur zu halten, sondern in den Daten einiger Meinungsforschungsinstitute auszubauen vermochte und die SPÖ ihr Desaster des Jahres 1992 überwunden hatte. Ende Jänner 1999 ergaben die Umfragen zu einer Bürgermeister-Direktwahl ein mit einer Ausnahme weitgehend übereinstimmendes Bild  : Umfragen zur Bürgermeister-Direktwahl Jänner 1999. Frage  : Wenn am kommenden Sonntag Gemeinderatswahl in der Stadt Salzburg wäre, wem würden Sie Ihre Stimme bei der Direktwahl des Bürgermeisters geben  ?« (Antworten in Prozent)570 Market

IGF

Heinz Schaden

25

24

Karl Gollegger

16

21

Johann Padutsch

14

16

Siegfried Mitterdorfer

3

4

Herbert Fartacek

1

1

Albert Angerer

0

1

Helga Gastl

0

1

569 Bürgerliste Salzburg Stadt. Grünes Licht. Diese Stadt soll leben. Unsere Grundsätze und Ziele für Salzburg. (AHB) 570 SN lokal 30.1.1999. S. 3.

7. März 1999  : Der Super-Wahlsonntag

379

Die FPÖ unter ihrem Spitzenkandidaten Siegfried Mitterdorfer setzte auf Law-andorder-Parolen und thematisierte als einzige Partei die Themen »Ausländer« und »Sozialmissbrauch«. Dabei war die Frage, ob die Stadt-FPÖ von den Turbulenzen der Landespartei mitbetroffen und ob der holzschnittartige Wahlkampf erfolgreich sein werde. Die Umfragen signalisierten dies nicht, denn die FPÖ lag laut einer von den »Salzburger Nachrichten« in Auftrag gegebenen Umfrage des »market«-Instituts Anfang März 1999 mit 14 Prozent an vierter Stelle hinter der Bürgerliste mit 16 Prozent.571 Erstaunliche Stabilität signalisierten die Umfragen der Bürgerliste, der Anfang März 1999 in der Umfrage des »market«-Instituts 16 Prozent ausgewiesen wurden. Sie schien von dem in den Medien breit berichteten Streit zwischen der Bürgerliste und Herbert Fux sowie den personellen Turbulenzen im Vorfeld der Landtagswahl unberührt.572 Die Ergebnisse sowohl der Landtags- wie auch der Gemeinderatswahl brachten für die Grünen bzw. die Bürgerliste herbe Enttäuschungen. Das von den Grünen im Landtagswahlkampf geschaltete Inserat »Geschafft  ! Der Weg ist frei für eine starke grüne Vertretung im Salzburger Landtag« sollte nicht zutreffen. Auch die Unterstützung von Bundesprominenz wie Alexander Van der Bellen, Madeleine Petrovic oder der EU-Kandidatin Mercedes Echerer blieben weitgehend wirkungslos. Zu sehr hatten die personellen Turbulenzen im Vorfeld der Landtagswahl die Chancen der Grünen geschmälert, die als einzige im Landtag vertretene Partei Stimmenverluste hinnehmen musste. Eindeutiger Sieger war die SPÖ, die mit einem Zugewinn von 5,3 Prozent die Talsohle der Wählerzustimmung eindrucksvoll hinter sich ließ,573 während ÖVP und FPÖ minimale Zuwächse von 0,2 Prozent bzw. 0,1 Prozent verzeichneten. Es war das Ergebnis der Wahlarithmetik, dass die ÖVP bei einem Gewinn von 0,2 Prozent 1 Mandat gewann, während die FPÖ bei einem Gewinn von 0,1 Prozent 1 Mandat verlor. Jenseits dieser wahlarithmetischen Tücke bildete das Abschneiden der FPÖ die zweite Überraschung des Wahlabends. Trotz der personellen Turbulenzen im Vorfeld der Landtagswahl, die zum Eingreifen der Bundespartei und einer schließlichen Neu- bzw. Wiederwahl der Parteispitze führten, vermochte sie aufgrund des wirksam werdenden bundespolitischen Trends einen, wenn auch bescheidenen, Zugewinn zu verzeichnen. Manfred Perterer sah in Gerhard Buchleitner und Karl Schnell die klaren Wahlsieger, die Grünen hingegen als »klare Wahlverlierer … Nach dem unwürdigen Streit um die Spitzenkandidatur war auch nicht mehr zu erwarten«.574 571 SN lokal 4.3.1999. S. 3. 572 Ebda. 573 Zum Wahlkampf der SPÖ Vgl. Gutschner  : »Die Salzburger SPÖ muss eine selbstbewusste Partei werden«. S. 422ff. 574 Manfred Perterer  : Neues in Salzburg. – In  : SN lokal 8.3.1999. S. 2.

380

1994 bis 1999 – Eine Phase der Verwirrung

Ergebnisse der Salzburger Landtagswahlen 1999 und 1994 im Vergleich  :575 Stimmen in Prozent 1999

Stimmen in Prozent 1994

Gewinne/ Verluste

Mandate 1999

Mandate 1994

Gewinne/ Verluste

38,8

38,6

+ 0,2

15

14

+1

ÖVP SPÖ

32,4

27,1

+ 5,3

12

11

+1

FPÖ

19,6

19,5

+ 0,1

 7

8

–1

BL/Grüne

5,4

 7,3

– 1,9

 2

3

–1

LIF

3,7

 5,8

– 2,1

 0

0



Ergebnisse der Grünen in den politischen Bezirken bei den Landtagswahlen 1994 und 1999 im Vergleich  :576 LTW 1994 ­Stimmen

LTW 1999 ­Stimmen

LTW 1994 Prozent

Salzburg Stadt

7185

4705

10,8

8,2

Salzburg-Umgebung

4526

3947

6,9

5,7

Hallein

2173

1529

7,9

5,5

St. Johann im Pongau

1842

1730

4,6

4,2

662

336

5,5

2,8

2202

1363

5,0

3,0

Tamsweg Zell am See

LTW 1999 Prozent

Die Grünen verloren in allen politischen Bezirken, wobei die absoluten Stimmenverluste in der Stadt Salzburg sowie Zell am See besonders deutlich ausfielen. Größter Nutznießer der Verluste war die SPÖ, die 17 Prozent der Bürgerliste SalzburgLand-Wähler des Jahres 1994 gewann. 16 Prozent wählten das LIF, das damit 1999 von mehr Grün-Wählern gewählt wurde als von LIF-Wählern des Jahres 1994, 14 Prozent gingen an die Nichtwähler verloren, wodurch die Wiederwahlquote auf 49,7 Prozent sank. Die SPÖ verzeichnete im Gegensatz dazu eine Wiederwahlquote von 88 Prozent, wobei 10 Prozent der SPÖ-Wähler des Jahres 1994 inzwischen verstorben oder weggezogen waren. Während 17 Prozent der Grün-Wähler des Jahres 1999 von der ÖVP stammten, vermochten die Grünen nur 3 Prozent der Jungwähler und 1 Prozent der Nichtwähler des Jahres 1994 zu gewinnen.

575 Elisabeth Wolfgruber  : »Im Westen nichts Neues  ?« Landtags- und Gemeinderatswahlen in Salzburg im Superwahljahr 1999. – In  : SJP 1999. – Salzburg/Wien 1999. S. 30–56. S. 39. 576 Wahlen 99. Ergebnisse, Analysen, Auswirkungen. – Salzburg 1999. S. 11. (Schriftenreihe des Landespressebüros. Serie »Salzburg Dokumentationen« Nr. 112. Hg. v. Roland Floimair.)

381

7. März 1999  : Der Super-Wahlsonntag

Wählerströme zwischen den Landtagswahlen 1994 und 1999  :577 LTW 1994

ÖVP LTW 1999

SPÖ LTW 1999

FPÖ LTW 1999

GRÜNE LTW 1999

LIF LTW 1999

CSUÖ LTW 1999

NichtWähler LTW 1999

Verstorbene LTW 1999

ÖVP

79.073

4682

1402

2307

625

544

4477

SPÖ

0

60.596

942

0

0

0

0

7005

FPÖ

4605

408

37.423

0

231

0

4584

2089

0

3161

0

9091

2953

62

2474

556

GRÜNE LIF

4313

1638

1060

0

94

2664

0

9087

0

ÖABP

0

1295

860

0

323

0

357

1800

Nichtwähler

0

4089

0

1136

2332

87

73.727

12.473

Jungwähler

12.093

6153

8645

893

66

0

6627

0

Verstorbene im Wahlberechtigtenalter im Zeitraum 1.1.1994 bis 17.12.1998 + allfälliger negativer Wanderungssaldo (Wegzug – Zuzug) von Wahlberechtigten. Jungwähler + Eingebürgerte im Wahlalter + allfälliger positiver Wanderungssaldo (Zuzug – Wegzug von Wahlberechtigten)

Wählerströme zwischen den Landtagswahlen 1994 und 1999 in Prozent von 1994  :578 LTW 1994

ÖVP 1999

SPÖ 1999

FPÖ 1999

GRÜNE 1999

LIF 1999

CSUÖ 1999

Nichtwähler 1999

Verstorbene 1999

ÖVP

81,2

4,8

1,4

2,4

0,6

0,6

4,6

4,5

SPÖ

0,0

88,4

1,4

0,0

0,0

0,0

0,0

10,2

FPÖ

9,3

0,8

75,8

0,0

0,5

0,0

9,3

4,2

GRÜNE

0,0

17,3

0,0

49,7

16,1

0,3

13,5

3,0

11,3

7,3

0,0

0,6

18,3

0,0

62,5

0,0

ÖABP

LIF

0,0

27,9

18,6

0,0

7,0

0,0

7,7

38,8

Nichtwähler

0,0

4,4

0,0

1,2

2,5

0,1

78,6

13,3

Jungwähler

35,1

17,8

25,1

2,6

0,2

0,0

19,2

0,0

577 Wahlen 1999. Ergebnisse, Analysen, Auswirkungen. S. 41. Vgl. dazu auch Sieghard Viertler, Herwig Ortner  : Regierungsgewinne und Oppositionsverluste. Atypische Muster am Salzburger Wahlsonntag. Analyse der Salzburger Landtagswahl. – In  : ÖJP 1999. – Wien/München 2000. S. 165–183. 578 Ebda. S. 42.

382

1994 bis 1999 – Eine Phase der Verwirrung

Bei den Gemeinderatswahlen verzeichneten die Grünen nur in 17 Gemeinden keine Verluste, sondern konnten kleine Gewinne verbuchen. Lediglich in zwei Gemeinden, Untertauern und Goldegg, verzeichneten sie mit 2,4 Prozent bzw. 9,7 Prozentpunkten deutliche Gewinne. In 25 Gemeinden verloren sie allerdings mehr als 2 Prozent­punkte, darunter in sechs Gemeinden (Golling, Kuchl, Uttendorf, Neumarkt, St.  Michael im Lungau und Mauterndorf) mehr als 4 Prozentpunkte. Die Kandidatur des Goldegger Vizebürgermeisters Cyriak Schwaighofer bescherte den Grünen in Gold­egg starke Zugewinne. Die Pongauer Gemeinde wurde mit einem Stimmenanteil von 16,3 Prozent zur Hochburg der Grünen in Salzburg und löste die Tennengauer Gemeinde Kuchl mit 8,7 Prozent ab.579 Generell verloren die Grünen in jenen Gemeinden am stärksten, in denen sie noch 1994 sehr gut oder gut abgeschnitten hatten. Deutliche Verluste gab es, trotz der im Mai 1998 wieder aufflammenden Diskussion über den Bau einer zweiten Tunnelröhre, in den Bezirken entlang der Transitstrecken. Im Mai 1998 erklärte der Vorstandsdirektor der neuen Autobahngesellschaft ÖSAG, die Frage der Notwendigkeit einer zweiten Tunnelröhre auf der Tauernautobahn stelle sich angesichts des Fallens des Grenzübergangs Walserberg und des möglichen EU-Beitritts Sloweniens mit aller Dringlichkeit, da bereits jetzt Megastaus vor den Tunnelröhren zu massiven Umweltbelastungen führten. Christian Burtscher ließ dieses Argument jedoch nicht gelten und erklärte den Bau einer zweiten Tunnelröhre für einen »wirtschaftlichen und ökologischen Wahnsinn. Für ein paar Sonntage im Jahr sollen Milliarden verpulvert werden.« Eine zweite Tunnelröhre würde nur mehr Verkehr anziehen.580 Laut einer IGF-Umfrage im Frühjahr 1998 waren 56 Prozent der Salzburger/innen für den Bau einer zweiten Tunnelröhre, 37 Prozent dagegen und 7 Prozent äußerten keine Meinung.581 Ein genereller Gesinnungswandel, auch in den betroffenen Gebirgsgauen zeichnete sich ab. Vor allem Pendler und Jugendliche votierten für den Bau einer zweiten Tunnelröhre und auch die Bürgermeister der betroffenen Gemeinden begannen von ihrer ablehnenden Haltung abzurücken. So erklärte der ÖVP-Bürgermeister von Zederhaus, Alfred Zauner, im Fall des Baus einer zweiten Tunnelröhre sollte ein Umfahrungstunnel oder eine Überdachung der Tauernautobahn im Bereich Zederhaus erfolgen.582 Die Ablehnungsfront begann in den betroffenen Gemeinden zu bröckeln, das Thema verlor, trotz aller ablehnender Stellungnahmen der Bürgerliste Salzburg-Land und der »Plattform der Verkehrsinitiativen im Zentralraum Salzburg« mit ihrem Sprecher Peter Haibach583 zunehmend an politischer Brisanz und damit auch an Mobilisierungskraft. 579 Wahlen 1999. S. 36. 580 SN lokal 9.5.1998. S. 3. 581 SN lokal 11.5.1998. S. 3. 582 SN lokal 12.5.1998. S. 6. 583 So erklärte Haibach, das Projekt eines zweiten Tunnelbaus sei »einfallslos, unsinnig und ein falsches

383

7. März 1999  : Der Super-Wahlsonntag

Auch das Wahlergebnis in der Stadt Salzburg brachte für die Bürgerliste eine Enttäuschung. Die Landeshauptstadt wies Parallelen mit dem Ergebnis der Landtagswahl auf. Eindeutiger Sieger war die SPÖ mit einem Zugewinn von 3,1 Prozentpunkten und einem Mandat. Berücksichtigt man allerdings die nach der Gemeinderatswahl erfolgte Abspaltung der Demokratie 92 mit vier Mandaten, so ergab sich ein Gewinn von 5 Mandaten. Die SPÖ hatte ihre Krise überwunden und die Reihen neuerlich geschlossen. Die ÖVP wies mit einem Plus von 0,5 Prozentpunkten zwar leichte Stimmengewinne auf, die sich jedoch in keinem Mandatsgewinn niederschlugen. Abweichend vom Landtagswahlergebnis konnte jedoch die FPÖ ihren Stimmenanteil um 5,1 Prozentpunkte erhöhen, was sich in einem Zugewinn von 2 Mandaten und damit dem Anspruch auf den zweiten Vizebürgermeister niederschlug. Deutlicher Verlierer war die Bürgerliste, die mit einem Verlust von 2,8 Prozentpunkten und einem Mandat deutlich hinter die FPÖ an die vierte Position verwiesen wurde. Das Erreichen des sechsten Mandats und damit die Sicherung des neuerlichen Einzugs in den Stadtsenat gestaltete sich zur Zitterpartie, da sich zeitweilig nur ein Überhang von 13 Stimmen ergab. Die große Zersplitterung der Parteienlandschaft in der vergangenen Legislaturperiode fand ihr Ende. Nur die Liste »Lebenswertes Salzburg« mit Albert Angerer sowie das LIF schafften mit einem jeweils geringen Anteil den Einzug in den Gemeinderat. Ergebnis der Gemeinderatswahl in der Stadt Salzburg 1999 im Vergleich zu 1992  :584 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen

Gewinn/Verlust in Prozent gegenüber 1992

Mandate 1999

Gewinn/Verlust gegenüber 1992

SPÖ

31,3

+ 3,3

13

+1

ÖVP

25,3

+ 0,5

11

0

FPÖ

19,6

+ 5,1

8

+2

BL

13,7

– 2,8

6

–1

ÖABP

1,1

– 4,7

0

–2

LIF

3,9

+ 3,9

1

+1

LS

2,4

+ 2,4

1

+1

Demokratie 92

0,8

+ 0,8

0

0

KPÖ

0,8

+ 0,5

0

0

GH

0,3

+ 0,3

0

0

CSU

0,9

+ 0,9

0

0

Signal«. Stattdessen sollte man die Tauernbahn und die Ennstalbahn zweispurig ausbauen und Streckenbegradigungen durchführen. (SN lokal 15.5.1998. S. 2.) 584 SN lokal 8.3.1999. S. 5.

384

1994 bis 1999 – Eine Phase der Verwirrung

Johann Padutsch zeigte sich sichtlich enttäuscht. Wenngleich er bei der Bürgermeister-Direktwahl 18,4 Prozent erreicht hatte (Schaden 32,5 Prozent, Gollegger 29,5 Prozent), so bedeutete das Wahlergebnis dennoch eine doppelte Enttäuschung. Sein Ergebnis bei der Bürgermeister-Direktwahl übertraf zwar jenes der Bürgerliste deutlich und er wurde in zwei Stadtteilen – Altstadt mit Mülln hinter Gollegger und Taxham hinter Schaden – Zweiter, für das Erreichen der Stichwahl reichte es aber nicht. »Ich bin enttäuscht. Ich wurde zuletzt schon für die Stichwahl gehandelt«, kommentierte er sein persönliches Abschneiden. Das schlechte Wahlergebnis führte er vor allem auf die Auseinandersetzung mit Herbert Fux und die von diesem zusammen mit der »Kronen Zeitung« gegen ihn gestartete Kampagne zurück.585 Die Bürgerliste musste in allen Stadtbezirken Verluste hinnehmen, die in ihren traditionellen Hochburgen stärker ausfielen. Ergebnisse der Bürgerliste in den Stadtbezirken bei der Gemeinderatswahl 1999 im Vergleich zur Gemeinderatswahl 1992  :586

Salzburg Stadt gesamt

Stimmen 1992

Stimmen 1999

Prozent 1992

Prozent 1999

8887

7859

16,5

13,7

Neustadt-Äußerer Stein

334

296

20,7

17,8

Elisabethvorstadt

306

237

13,6

11,4

Itzling-Kasern-Sam

562

514

14,1

12,5

Gnigl-Langwied

472

420

15,7

12,0

Schallmoos

465

372

16,6

12,9

Parsch

746

666

20,9

17,6

Aigen-Abfalter-Glas

628

654

21,4

18,6

Lehen

706

493

17,4

9,0

Liefering

719

606

13,8

10,5

Maxglan-Aiglhof

952

855

16,6

13,4

Taxham

366

386

13,7

13,4

Riedenburg

455

395

21,1

16,2

Gneis-LeopoldskronMorzg-Moos

698

720

16,8

15,6

Nonntal-Herrnau

826

717

18,7

15,4

585 Ebda. Noch unmittelbar vor der Gemeinderatswahl beschuldigte Herbert Fux in zwei Artikeln in der »Kronen Zeitung«, Betonmonster und nicht statthafte Verdichtungen im dörflichen Charakter von Stadtteilen wie Morzg und Maxglan zu planen und durchzuführen. (Herbert Fux  : Wieder Betonmonster. – In  : Kronen Zeitung 1.3.1999. S. 12  ; ders.: Alles Lüge, Padutsch  ?  – In  : Kronen Zeitung 4.3.1999. S. 12.) 586 SN lokal 8.3.1999. S. 27f.

385

7. März 1999  : Der Super-Wahlsonntag Stimmen 1992

Stimmen 1999

Prozent 1992

Prozent 1999

Altstadt-Mülln

196

184

18,2

17,5

Josefiau-Alpenstraße

419

317

20,5

15,0

Für die bevorstehende Bürgermeister-Stichwahl machte die Bürgerliste aus ihrem Herzen keine Mördergrube und gab »notgedrungen« eine indirekte Wahlempfehlung für Schaden ab. Gollegger sei »ein kühler Managertyp« begründete Werner Salmen seine Entscheidung und für Ulrike Saghi war Schaden zwar »nicht der ideale Kandidat«, aber mit ihm könne man eine zukunftsorientierte Jugendpolitik machen.587 Die Haltung der FPÖ war gespalten. Während Landesparteiobmann Karl Schnell eine Wahl Gollegers mit der die historischen Tatsachen ignorierenden Bemerkung, dieser sei »für Freiheitliche sicher nicht wählbar. Wir haben nicht vergessen, was die ÖVP dem Schnell angetan hat«,588 ausschloss, sprach sich FPÖ-Stadtparteiobmann Siegfried Mitterdorfer für dessen Wahl aus, wobei er das Argument Golleggers aufgriff, es gelte, eine rot-grüne-Mehrheit zu verhindern. Am 21. März 1999 siegte bei einer von 65 Prozent auf knapp 50 Prozent drastisch gesunkenen Wahlbeteiligung Heinz Schaden mit 59 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen deutlich gegen Karl Gollegger, für den 41 Prozent votierten. Ob das Kärntner Wahlergebnis und die folgenden politischen Manöver der Kärntner SPÖ und ÖVP bei der Regierungsbildung eine direkte oder indirekte Rolle beim Ausgang der Stichwahl spielten, kann nicht beantwortet werden. Bei der gleichzeitig mit der Salzburger Landtagswahl stattfindenden Kärntner Landtagswahl war die FPÖ mit 42,1 Prozent als stärkste Partei hervorgegangen, weshalb Jörg Haider den Anspruch auf den Sessel des Landeshauptmanns erhob und damit sowohl bei der Kärntner SPÖ wie auch ÖVP erhebliche Verwirrung auslöste, die schließlich am 8. April mit der Wahl Haiders zum Landeshauptmann durch die 16 Stimmen der FPÖ gegen 12 Stimmen der SPÖ und bei Abwesenheit der 8 Abgeordneten der ÖVP erfolgte.589 Während der österreichweit geführten Diskussion, ob Haider als Obmann der deutlich stärksten Partei zum Kärntner Landeshauptmann gewählt werden sollte, hatte dies der Salzburger Landeshauptmann Franz Schausberger verneint und für eine SPÖ-ÖVP-Koalition und damit die Wahl des SPÖ-Spitzenkandidaten zum Landeshauptmann in Österreichs südlichstem Bundesland plädiert. Die Erklärung Schausbergers war jedoch nicht uneigennützig. Nach dem Ende des Proporzes bestand die Möglichkeit der freien Regierungsbildung und die FPÖ begann die SPÖ mit dem Angebot der Wahl Gerhard Buchleitners zum Landeshauptmann zu locken. 587 SN lokal 13.3.1999. S. 2. 588 SN lokal 18.3.1999. S. 2. 589 Vgl. dazu Kriechbaumer  : »… ständiger Verdruss und viele Verletzungen.« S. 248ff.

386

1994 bis 1999 – Eine Phase der Verwirrung

Dieser Möglichkeit galt es mit einer Absage an einen Landeshauptmann Haider in Kärnten zu begegnen. Ob diese Erklärung Schausbergers das Wahlverhalten der FPÖ-Wählerschaft in der Stadt Salzburg in letzter Minute maßgeblich beeinflusste, ist nicht schlüssig zu beantworten. Die Wählerstromanalyse ergab, dass Heinz Schaden im zweiten Wahlgang 91 Prozent der SPÖ-Wähler des ersten Wahlgangs neuerlich für sich zu mobilisieren vermochte, Karl Golleger hingegen nur 73 Prozent der ÖVP-Wähler. Die Wähler der Bürgerliste votierten, ebenso wie jene der Kleinparteien, zum Großteil für Schaden, während die FPÖ-Wähler des ersten Wahlgangs nur zu 41 Prozent für Gollegger, hingegen zu 37 Prozent für Schaden stimmten und ein Fünftel in das Lager der Nichtwähler wechselte.590 Doch selbst bei einem überwiegenden Votum der FPÖ-Wähler für Gollegger hätte dieser die BürgermeisterWahl wohl nicht für sich zu entscheiden vermocht. Konnte die SPÖ in der Landeshauptstadt die Wiedererringung der relativen Mehrheit und der Position des Bürgermeisters feiern, so erfolgte in den Bezirken bei den Gemeindevertretungs- und Bürgermeisterwahlen ein mittleres politisches Erdbeben, das mittelfristig die traditionelle politische Landschaft des Bundeslandes nachhaltig verändern sollte. Die ÖVP vermochte den Verlust des Bürgermeisters in der Stadt Salzburg durch den Gewinn der traditionell roten Hochburgen Hallein, Bischofshofen, Puch, Grödig und Radstatt zu kompensieren. Christian Burtscher, der sich in seiner Heimatgemeinde Grödig um das Amt des Bürgermeisters bewarb, erreichte mit 14,3 Prozent einen Achtungserfolg, mehr nicht. In einer grünen Analyse der drei Wahlen des 7. März 1999 bemerkte Bernhard Sams selbstkritisch, die Grünen bzw. die Bürgerliste seien in dieser Wahlauseinandersetzung durch die vorangehenden Streitereien gehandicapt und mit ihren klassischen Themen zu wenig präsent gewesen. »Wir brauchen uns … keine Illusionen machen über einen möglicherweise erfolgreichen alternativen Wahlkampf. Nach dem Streit in den eigenen Reihen war es tatsächlich unmöglich, mit eigenen Anliegen noch zu punkten oder bis zum Wähler durchzudringen – das Bild der furios streitenden Grünen hatte sich in den Köpfen der Leute festgesetzt und wohl auch manches Deja vu ausgelöst. Selbst Bemühungen in grünen Kernthemen wie der Gentechnik wurden emsig totgeschwiegen. … An Lehren aus diesem Kamikazewahlkampf bleibt einiges zu ziehen. Die simpelste Lehre  : Streiten (so wie Grüne es tun) schadet. Schadet immens und schadet vollkommen berechtigt  ! Blenden wir diese Streitebene einmal kurz aus, so stellt sich uns in Zeiten, in denen klassische Grünthemen nicht gerade Hochkonjunktur haben und in denen durch die Abschaffung des Proporzes eine veränderte politische Landschaft vorliegt, die klare Aufgabe, dass wir uns auch als Oppositionspartei grünen Stils klar defi590 SN lokal 7.5.1999. S. 2.

7. März 1999  : Der Super-Wahlsonntag

387

nieren und profilieren. … Hohe Sachkompetenz vor allem in unseren ureigensten Themenbereichen wird nach wie vor zu den wesentlichen Merkmalen grüner Politik zählen müssen. Letztlich wird es aber auch notwendig werden, durchsetzungsfähiger zu werden und zu erscheinen. Da uns dies im Landtag mit den bescheidenen Mitteln nur sehr bedingt möglich sein wird, werden wir uns auch wieder verstärkt mit Mitteln des Aktionismus ins politische Bewusstsein rufen müssen. Wobei die Aktionen nicht als Selbstzweck, sondern als Instrument zur Vermittlung unserer Anliegen und unserer Sachkompetenz dienen soll. Diese Vermittlung selber muss aber ohne erhobenen moralischen Zeigefinger erfolgen. Statt als Moralisten und Prediger sollen wir uns als grüne Korsaren durch die Netzwerke verkrusteter Politfunktionäre schwingen und den edlen Herrn der Hochlöblichkeit zeigt ein frecher Till Eulenspiegel die lange Nase. Trend und Zeitgeist sollen nicht die qualitative Ebene unserer Inhalte bestimmen, aber sie dürfen und sollen Einfluss auf die Instrumente der Vermittlung – auf das wie der Selbstdarstellung – haben.«591 Hans Paischer vom IGF bemerkte zum Wahlergebnis  : »Die Grünen haben unter dem Streit extrem gelitten. Bei einer getrennten Kandidatur wäre keine der Gruppierungen in den Landtag eingezogen. Die Grünen haben nach wie vor ein hohes Wählerpotential von bis zu 15 Prozent. Allerdings ist auch die Wahlneigung von Grünwählern am Wahltag in der Regel geringer als bei anderen Parteien. Grünwähler sind sehr kritische Wähler und haben im Rahmen der Streitigkeiten bei den Grünen auch einen Verlust an Sachkompetenz bei den Grünen festgemacht, die gerade für die Grünen sehr wichtig ist. Jemand, der so streitet, dem traut man keine Problemlösungskompetenz mehr zu.«592

591 Bernhard Sams  : Wahl 99 – Versuch einer Annäherung. – In  : DIE GRÜNE 2/1999. S. 3f. 592 Ebda. S. 6.

Tafelteil 2

22. Johannes Voggenhuber

390

Tafelteil 2

23. 1999 v. l. n. r.: Herbert Fux, Alexander Van der Bellen, Heidi Reiter, Cyriak Schwaighofer.

Tafelteil 2

391

24. Plakat für die Landtagswahl 1999 mit Landessprecher und Spitzenkandidat Cyriak Schwaighofer.

392

Tafelteil 2

25. Robin Hood – Plakat für die Landtagswahl 2004.

Tafelteil 2

26. Aktion der Bürgerliste 2005 auf der Schranne gegen eine Olympia-Bewerbung Salzburgs.

27. PR-Aktion 2006 mit dem Spruch »Warten Sie auf Grün«.

393

394

Tafelteil 2

28. Landesversammlung 2006.

Tafelteil 2

395

29. Grüne Führungsmannschaft 2009. V. l. n. r.: Dr. Astrid Rössler, Birgit Schatz, Cyriak Schwaighofer, Rudi Hemetsberger.

30. Aktion mit grünen Themen – Biogas gibt Gas – im Landtagswahlkampf 2009.

396

Tafelteil 2

31. Plakat mit der Botschaft eines regionalen Wirtschaftskreislaufs für den Landtagswahlkampf 2009.

Tafelteil 2

32. Der Gemeinderatsklub der Bürgerliste Salzburg Stadt 2009.

397

398

Tafelteil 2

33. Landesversammlung der Grünen 2011.

34. Cyriak Schwaighofer übergibt auf der Landesversammlung 2011 die Funktion der Landessprecherin an Dr. Astrid Rössler.

Tafelteil 2

35 und 36. Osteraktion 2012.

399

400

Tafelteil 2

37. Landtagswahlkampf 2013. Dr. Astrid Rössler und Landesgeschäftsführer Rudi Hemetsberger.

38. Begeisterte Aufbruchsstimmung im Landtagswahlkampf 2013.

Tafelteil 2

39. Landtagswahlkampf 2013: Dr. Eva Glawischnig und Dr. Astrid Rössler

401

402

Tafelteil 2

40. Begeisterung über den unerwartet hohen Wahlsieg am 5. Mai 2013.

41. 13. Juni 2013: Die Landesversammlung im Heffterhof stimmt mit einer Stimmenthaltung und einer Gegenstimme dem Regierungsabkommen mit der ÖVP und dem Team Stronach zu.

Tafelteil 2

403

42. Das grüne Regierungsteam - Mag. Martina Berthold, Dr. Heinrich Schellhorn, Dr. Astrid Rössler – mit Bundessprecherin Dr. Eva Glawischnig vor der konstituierenden Sitzung des Salzburger Landtages am 19. Juni 2013.

404

Tafelteil 2

43. Die grüne Landtags- und Regierungsfraktion mit Bundessprecherin Dr. Eva Glawischnig. Der Landtagsfraktion gehörten neben Klubobmann Cyriak Schwaighofer mit Simon Hofbauer, Rupert Fuchs, Mag. Dr. Kimbie Hummer-Vogl, Andrea Lindner, Barbara Sieberth und Josef Scheinast sechs Neo-Abgeordnete an.

TEIL III

11.

Politik in einer geänderten politischen Landschaft

Die politische Landschaft und damit die Verteilung von Macht und Einflussmöglichkeiten hatte sich aufgrund der Verfassungsreform des Jahres 1998, der 1999 folgenden Landtagswahl und Bildung einer ÖVP-SPÖ-Koalitionsregierung folgenschwer verschoben. Die FPÖ, bisher mit einer Unterbrechung von 1984 bis 1989 in der Landesregierung vertreten, nahm nun neben den Grünen auf den Oppositionsbänken Platz. Die mit der Reform der Landesverfassung verbundene Hoffnung auf mehr Transparenz und eine Aufwertung des Landtages sollten sich als Illusion erweisen. In seiner Eröffnungsrede zur Konstituierenden Sitzung des Landtages erklärte Landtagspräsident Helmut Schreiner, dass »das über viele Jahre von einigen Landtagsparteien und manchen Medien immer wieder eingemahnte Verlangen, von der Konzentrationsregierung, die Regieren und Opponieren weitestgehend in jeweils eine Hand legt, abzugehen und zu einer klaren Trennung von Regierung und Opposition überzugehen«, durch die neue Landesverfassung und die Geschäftsordnung des Landtages nunmehr Wirklichkeit geworden sei. Wenngleich das Mehrheitsprinzip bei künftigen Entscheidungen des Landtages uneingeschränkt zu gelten habe, da jede »Einschränkung dieses Prinzips … an den Kern der repräsentativen Demokratie rühren« würde, enthalte die neue Geschäftsordnung zwei ausdrückliche Festlegungen, die der Opposition eine faire Mitwirkung an der Gesetzgebung gewährleiste  : jede Landtagspartei, also auch die Opposition, erhalte den Entwurf eines Gesetzesvorhabens der Landesregierung und jede der beiden Oppositionsparteien könne nach eigenem Gutdünken Gutachten und Expertisen bis zu einem Gesamtbetrag von S 200.000 jährlich einholen. »Die Kontrolle der Regierung wiederum ist jener Tätigkeitsbereich des Landtages, der Opposition jederzeit zugänglich sein muss, wenn die Kontrolle überhaupt effektiv sein soll. Deshalb sind in unserer neuen Geschäftsordnung die Kontrollrechte als Minderheitenrechte konzipiert.« Trotz dieses hohen Standards der Rechte der Opposition seien aber noch Verbesserungen möglich. »So wird nach dem bereits erkennbaren Willen des Landtages der Bürgerliste das Rederecht nicht nur im Plenum, sondern auch im Ausschuss zu gewährleisten sein, ebenso wie ein Antragsrecht im Plenum und den Ausschüssen.« Doch die Landesverfassung und Geschäftsordnung des Landtages gäben »nur einen Rahmen ab«, dessen inhaltliche Gestaltung weitgehend vom Verhalten der Landtagsparteien abhänge.1 Ähnlich äußerte 1 Wahlen 1999. S. 80ff.

408

Politik in einer geänderten politischen Landschaft

sich Landeshauptmann Franz Schausberger in der von ihm abgegebenen Regierungserklärung  : »Das Proporzsystem, vor 77 Jahren in einer Situation der Zerschlagung jahrhundertealter Beziehungen innerhalb von Österreich-Ungarn, in einer Zeit der beginnenden neuen demokratischen Erfahrungen, in einer Zeit der politischen Unsicherheit und Instabilität geschaffen, hat nun ausgedient. Die ›Zwangsmitgliedschaft‹ in der Landesregierung wurde beendet. Erstmals fand nun die Regierungsbildung in freien Verhandlungen statt. Die Opposition erhält nach der neuen Landesverfassung weit stärkere Rechte zur Durchsetzung ihrer Kontrollansprüche als bisher. Die neue Rollenverteilung ermöglicht erstmals eine klare Positionierung von Regierung und kontrollierender Opposition. Die Regierung regiert und entscheidet, der Landtag erlässt die Gesetze und kontrolliert und ist gleichzeitig wirksames Forum der politischen Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition.«2 Diese Erklärungen stießen bei Cyriak Schwaighofer auf Skepsis. Die grüne Fraktion bestehe mit Heidi Reiter und ihm aus neuen Abgeordneten, die nicht auf Routine und Erfahrung vieler Kolleginnen und Kollegen zurückgreifen können. »Andererseits wird mit dem heutigen Tag auch eine neue Ära des Parlamentarismus im Salzburger Landtag eingeläutet. Für uns, die wir diese beiden Neuerungen gemeinsam erleben, knüpft sich daran natürlich auch eine Hoffnung, dass all jene Erwartungen, die an die Abschaffung des Proporzes in der Landesregierung und die damit verbundene Stärkung des Landtages als gesetzgebende Körperschaft geknüpft sind, erfüllt werden. … Die Abschaffung des Proporzes ist, wie bereits mehrfach erwähnt, eine große Chance für eine dynamische Politikentwicklung in Salzburg. Sie darf jedoch nicht damit erkauft werden, dass die Regierungsparteien den Landtag zum Erfüllungsgehilfen der Regierung degradieren. Die Rechte und Möglichkeiten der Opposition sind die treibenden Kräfte in einem Parlamentarismus, der sich ernst nimmt. Der Landtag ist der Ort der politischen Diskussion und Entschlussfassung.«3 Dies scheine jedoch durch die starre Bindung der Klubs der Regierungsparteien an die Landesregierung gefährdet. Und durch die Bindung der Anfragen an Regierungsmitglieder an die Klubstärke sei den Grünen dieses wichtige Kontrollinstrument völlig aus der Hand genommen. »Die Grünen haben die Reform der Landesverfassung zur Abschaffung des Proporzes – auf die wir alle wegen ihrer Vorbildwirkung für andere Bundesländer stolz sind – maßgeblich vorangetrieben. Jetzt scheinen sie zum ersten Opfer der neuen Regeln zu werden, die nicht im Sinne der Erfinder zur insgesamten Stärkung des Landtages, sondern zur Zementierung von Macht und Einengung von selbstverständlichen Abgeordneten- und Oppositionsrechten angewendet werden.«4 2 Ebda. S. 83f. 3 Ebda. S. 100f. 4 Ebda. S. 103.

Politik in einer geänderten politischen Landschaft

409

Schwaighofers demokratiepolitische Befürchtungen sollten sich bewahrheiten. Von der theoretischen Möglichkeit der Schaffung einer eigenständigen Arena der Klubs der Regierungsparteien gegenüber der Regierung, den das freie Spiel der Kräfte ermöglichenden koalitionsfreien Raum, wurde von der neuen Landesregierung kein Gebrauch gemacht. In den Koalitionsgesprächen wurde Einigkeit darüber erzielt, das Einstimmigkeitsprinzip auch auf das Abstimmungsverhalten der beiden Landtagsfraktionen anzuwenden. Walter Thaler hat darauf hingewiesen, dass politische Systeme, vor allem Koalitionsregierungen von ideologisch unterschiedlichen Parteien, für ihr Funktionieren solch informeller Regeln bedürfen. Allerdings werden damit »aus verfassungsrechtlich-normativer Sicht … die Parlamente zu den Verlierern der informalen Regierungspraxis, weil die Entscheidungsprozesse in Konsensrunden (parakonstitutionelle Gremien) ausgelagert und dadurch Entscheidungsprozesse intransparent werden … und die Landesparlamente nur mehr zu Ratifikationsorganen absinken.«5 Hinzu trat der neu geschaffene Arbeitsausschuss von Regierung und Landtag bzw. den Landtagsfraktionen der Regierungsparteien. Der vom Landeshauptmann eine Woche vor der nächsten Regierungssitzung einberufene Arbeitsausschuss als zentrales informelles Gremium legte nicht nur die Tagesordnung der nächsten Regierungssitzung fest, sondern akkordierte Problembereiche und Gesetzesvorhaben. Waren im Proporzsystem in den Verhandlungen des Landtags Regierungsbeschlüsse in gewissen Bereichen noch verhandelbar, so verschwand diese Möglichkeit nunmehr weitgehend. »Denn die Front, die bislang wegen einer relativ ungebremsten Bereichsopposition zwischen allen Regierungsparteien gegeben war, verläuft nun zwischen der übergroßen parlamentarischen Mehrheit der Koalitionsparteien und der kleinen Opposition. Allen Landtagsfraktionen wurde durch die Konsensrunde des Landtagsarbeitsausschusses der Zahn gezogen  : Die Koalitionsparteien empfanden sich nur mehr als Erfüllungsgehilfen zur Abarbeitung der Koalitionsvereinbarungen, die kleinen Oppositionsfraktionen der FPÖ und der GRÜNEN rotierten ergebnislos wie die Hamster im Rad.«6 Am 25. Februar 2000 erklärte Cyriak Schwaighofer in seinem Bericht aus dem Landtag im Landesausschuss resignierend, die Arbeit im Landtag erscheine »oft sinnlos, weil real alles in jedem Bereich ausgehandelt ist«.7 Und drei Monate später berichtete er dem Landesausschuss, die Grünen würden »als Opposition im Landtag … überhaupt keine Rolle« spielen. Sie hätten de facto keine mediale Aufmerksamkeit und nicht das Recht, Dringlich5 Walter Thaler  : Das Fortleben konkordanzdemokratischer Kultur und koalitionärer Absicherungsmechanismen statt konstruktiver Konfliktaustragung. Sind die hehren Ziele der Salzburger und Tiroler Verfassungsreform an der Realverfassung gescheitert  ? – In  : SJP 2005. – Wien/Köln/Weimar 2006. S. 34–60. S. 39. 6 Thaler   : Das Fortleben konkordanzdemokratischer und koalitionärer Absicherungsmechanismen. S. 43. 7 Protokoll der 3. Sitzung des Landesausschusses am 25.2.2000. S. 3. (AHB)

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Politik in einer geänderten politischen Landschaft

keitsanträge zu stellen. Der Landtag werde auch »von der Landesregierung nicht ernst genommen«. Helmut Hüttinger bemerkte in der anschließenden Diskussion, die Grünen müssten »unbedingt öffentlich machen, was der neue Proporz bedeutet und auf undemokratische Scheinveranstaltungen hinweisen«.8 Dabei ergaben sich sowohl in der Regierungskoalition wie auch in der Opposition mit der Bildung der Regierung ÖVP-FPÖ-Regierung auf Bundesebene ab dem Jahr 2000 Veränderungen und Brüche. Die SPÖ, nach 30 Jahren Kanzlerschaft in der ungewohnten Opposition und sichtlich irritiert, sammelte allmählich ihre Kräfte – vor allem ÖGB und AK – gegen die Reformen der Regierung. Soziale Wärme gegen die Kälte des Neoliberalismus, Bewahrung des Status quo gegen Reformen, politisches Biedermeier gegen die zugige Luft und Unsicherheit der Globalisierung beherrschten holzschnittartig das von der SPÖ entworfene Bild der sozial- und wirtschaftspolitischen Entwicklung. Der Rollenwechsel der SPÖ auf Bundesebene hatte auch Auswirkungen auf die Politik der Landesorganisationen. Wenngleich die Salzburger SPÖ offiziell zur Koalitionsvereinbarung auf Landesebene stand, so begann sie, sehr zum Ärger der ÖVP, zunehmend ein Doppelspiel. Sie wurde nicht müde, die von der Regierung Schüssel/Riess-Passer vorangetriebenen Reformen und deren Auswirkungen auf das Land – Schließung von Postämtern, Gendarmerieposten und Bezirksgerichten – massiv zu kritisieren und die Pensionsreform als Beginn einer sozialen Eiszeit anzuprangern. SPÖ-Landesparteiobmann und LandeshauptmannStellvertreter Gerhard Buchleitner forderte angesichts der geänderten bundespolitischen Verhältnisse eine Neuverhandlung des Regierungsprogramms, betonte aber gleichzeitig, dass man an der Aufrechterhaltung der Koalition auf Landesebene interessiert sei. Die SPÖ schwenkte auf eine das koalitionäre Klima zunehmend belastende konfliktfreudigere Politik ein, die sich im März 2001 durch die Wahl der bisherigen Klubobfrau des Landtagsklubs, Gabi Burgstaller, zur Nachfolgerin Buchleitners als Landeshauptmann-Stellvertreterin und Landesvorsitzende der SPÖ noch verstärkte. Die bisher weitgehend konsensdominierte Zusammenarbeit der beiden Regierungsparteien in Regierung und Landtag erfuhr deutliche Trübungen. Aus der Sicht der ÖVP schlüpfte die SPÖ zunehmend in die von der FPÖ früher wahrgenommene Rolle der Regierung und Opposition. Die im internen Koalitionsbetrieb deutlich werdenden Spannungen wirkten sich jedoch aus der Sicht der Grünen zunächst noch nicht auf ihre Arbeit im Landtag aus. Die Opposition stand einem übermächtigen Regierungsblock gegenüber.9 Für die FPÖ gestaltete sich die Situation ebenfalls schwierig, da sie nunmehr im Bund als Regierungspartei agierte und damit die bisher erfolgreich angewandte Tak8 Protokoll der 4. Sitzung des Landesausschusses am 19.5.2000. S. 2. (AHB) 9 Dagmar Aigner  : Zwischen Zufriedenheit und Enttäuschung. Der Salzburger Landtag nach dem Ende des Regierungsproporzes. – In  : SJP 2001. – Wien/Köln/Weimar 2002. S. 22–56. S. 31.

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tik des Schimpfens auf den Bund und der Aufforderung, die jeweilige Landtagswahl auch zu einer Denkzettelwahl für die Bundespolitik zu gestalten, entfiel. Nunmehr oblag es der zweiten Oppositionspartei, die Regierungspolitik im Bund zu verteidigen. Damit geriet die FPÖ in eine schwierige Doppelrolle. Die bisher geübte Praxis der Fundamentalopposition im Land konnte nicht aufrecht erhalten bleiben und musste einer gemäßigten, auch auf Sachpolitik und Konstruktivität setzenden Politik weichen. Nicht zuletzt auch aus strategischen Überlegungen  : Nur so empfahl man sich als möglicher zukünftiger Koalitionspartner, nach dem sowohl die ÖVP wie auch die SPÖ indirekt Ausschau hielten. Die Grünen kamen für beide Parteien aufgrund der bestehenden Kräfteverhältnisse und der Kleinheit der Fraktion, die nicht über einen Klubstatus verfügte, (noch) nicht infrage. Im August 2002 ergab eine IGF-Umfrage unter den Lesern der »Salzburger Nachrichten« bezüglich der bevorzugten Regierungsvarianten im Land eine deutliche Dominanz der ÖVP-SPÖKoalition. Bemerkenswert dabei waren allerdings die sehr geringe Attraktivität einer ÖVP-Grüne-Koalition und der relativ hohe Wert für eine rot-grüne-Koalition vor allem bei den Wählern der SPÖ und der Grünen. Gewünschte Regierungskonstellationen in Salzburg im August 2002 (Angaben in Prozent)  :10 ÖVP/SPÖ

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ÖVP/FPÖ

10

SPÖ/FPÖ

4

ÖVP/Grüne

3

SPÖ/Grüne

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In Salzburg waren die Grünen mangels Klubstatus (dieser bestand erst ab 3 Abgeordneten) in ihrer Rolle als Opposition benachteiligt, da sie in dieser Konstellation weder eine Dringliche Anfrage noch einen Dringlichen Antrag stellen konnten. Ihnen standen nur die Möglichkeiten der Schriftlichen Anfrage, für die zwei Abgeordnete notwendig waren, und die der Mündlichen Anfrage sowie einer Themenvorgabe bei der Aktuellen Stunde, die allerdings zuvor in der Präsidialkonferenz mehrheitlich beschlossen werden musste, zur Verfügung. 2002 bemerkte Cyriak Schwaighofer zu den Problemen einer kleinen Oppositionspartei ohne Klubstatus  : »Demokratiepolitisch ein Problem ist …  : Hier gibt es die Regierung, dort die Opposition. Die Ausstattung der Opposition ist viel zu bescheiden. Wir müssen alle Anträge selbst

10 SN lokal 2.9.2002. S. 3.

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bearbeiten, bekommen keine legistische Beratung.«11 Allerdings hatten die Oppositionsparteien das uneingeschränkte Gesetzesinitiativ- und Interpellationsrecht. Dieses sollte sich als wirksamstes Mittel einer öffentlichkeits- und medienwirksamen Thematisierung von Defiziten und Schwächen der Regierung erweisen, das auch von den beiden Oppositionsparteien in der 12. Gesetzgebungsperiode (1999 bis 2004) ausführlich genutzt wurde. Von den insgesamt 1868 Initiativen wurden 1255 von den beiden Oppositionsparteien initiiert, wobei die Grünen – wohl auch aufgrund ihres geringeren Mandatsstandes – mit 526 hinter der FPÖ mit 729 lagen.

11.1 Das Gentechnikvorsorgegesetz – eine erfolgreiche Initiative In der politischen Positionierung der Grünen spielten deren zahlreiche Initiativen für die Schaffung einer gentechnikfreien Modellregion Salzburg eine besondere – und letztlich erfolgreiche – Rolle. Das Gentechnik-Volksbegehren vom April 1997 mit rund 1,23 Millionen Unterschriften wurde von der Bundesregierung mit dem Hinweis beantwortet, dass man zwar grundsätzlich den Willen zur Umsetzung habe, dies jedoch aufgrund der geltenden EU-Rechtslage nicht möglich sei. In der EU kam jedoch zur selben Zeit angesichts des Imports von gentechnisch verändertem Soja aus den USA und der EU-Marktgenehmigung für gentechnisch veränderte Maissorten eine Debatte in Gang, bei der die Alternativen generelles Verbot oder Etikettierung zur Diskussion standen. Da sich in einigen Mitgliedsstaaten gentechnikkritische Positionen zunehmend durchsetzten, entschloss sich die EU-Kommission 1999 zu einem Moratorium für neue Genehmigungen für gentechnisch verändertes Saatgut. Sowohl nationaler wie auch regionaler Politik waren jedoch aufgrund bereits vorhandener EU-Produktgenehmigungen deutliche Grenzen gesetzt, da ein Import dieser Produkte kaum verhindert werden konnte. Da das 1999 von der EUKommission beschlossene Moratorium zeitlich begrenzt war, mussten in diesem Zeitfenster sowohl auf nationaler wie regionaler Ebene entsprechende Maßnahmen getroffen werden, um das Ziel einer gentechnikfreien Landwirtschaft zu erreichen. In der nun voll entbrannten politischen Diskussion spielte vor allem die zukünftige Entwicklung der Landwirtschaft und damit auch der Nahrungsmittelproduktion eine zentrale Rolle. Der in Österreich und vor allem Salzburg bereits relativ hohe Anteil an Biolandbau begünstigte den Slogan vom »Feinkostladen Europas«. Aufgrund der großen Bedeutung der Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie für die regionale Wirtschaftsstruktur wurde sie zu einem Bestandteil regionaler Identität als Gegenentwurf zu einer industriellen, mit gentechnisch verändertem Saatgut arbeitenden europäischen Landwirtschaft und deren geringerer Qualitätsstandards. 86.076 Salz11 SN lokal 2.8.2002. S. 9.

Das Gentechnikvorsorgegesetz – eine erfolgreiche Initiative

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burgerinnen und Salzburger unterzeichneten daher das Gentechnikvolksbegehren, das durch einen im Februar 1997 von den Grünen, der FPÖ und der SPÖ gefassten Landtagbeschluss unterstützte wurde. Gentechnikfreiheit als grundlegendes Konzept der landwirtschaftlichen Produktion und Nahrungsmittelindustrie bildete ab nun einen fixen Bestandteil der Salzburger Landespolitik, wobei die Bürgerliste Salzburg-Land/Die Grünen durch zahlreiche Interpellationen und Initiativen eine zentrale Rolle einnahmen. Die Forderung nach einem gentechnikfreien Salzburg wurde mit den nur geringen landesgesetzlichen Möglichkeiten konfrontiert, die sich auf den Natur- und Bodenschutz sowie die Tierzucht beschränkten. Dennoch wurde über Antrag der Bürgerliste Salzburg-Land im Oktober 1997 vom Landtag einstimmig beschlossen, die Landesregierung mit der Erarbeitung einer Novelle zum Naturschutzgesetz zu beauftragen. Indem die Einbringungen gentechnisch veränderter Pflanzen und das Aussetzen oder Ansiedeln von gentechnisch veränderten Tieren verboten wurden, sollte diese Novelle als Schritt in Richtung Gentechnikfreiheit fungieren. Die Novelle ließ jedoch, vor allem aus rechtlichen Gründen, auf sich warten. In der Landtagsdebatte über das Budget des Jahres 2000 bemerkte Cyriak Schwaighofer im Dezember 1999, dass es um die geplante Gesetzesänderung ruhig geworden sei, obgleich ein »gentechnikfreies Salzburg als Regionalmarke … eine wirtschaftliche Chance für Salzburg wäre«.12 Im März 2001 lag schließlich der Bericht der Landesregierung zur Änderung des Naturschutzgesetzes vor. In einer Analyse der landesrechtlichen Möglichkeiten kam er zu dem nüchternen Ergebnis, dass unter Berücksichtigung der Bundeskompetenz und des geltenden EU-Rechts wohl nur Maßnahmen von zweifelhafter Wirksamkeit und zudem mit hohem verwaltungs- und Kostenaufwand getroffen werden könnten, weshalb von einer Novellierung des Naturschutzgesetzes in die vorgeschlagene Richtung Abstand genommen werden sollte. Die Wogen der Erregung gingen hoch. Der Geschäftsführer des Naturschutzbundes erklärte in einer Aussendung, ein Landtag, der nicht handle, wenn die Bevölkerung ihn brauche, werde bald selbst nicht mehr gebraucht. Biobauern veranstalteten eine Demonstration im Chiemseehof und kippten eine Ladung biologisch angebauten Kukuruz ab und Landeshauptmann Franz Schausberger befand sich in der schwierigen Situation, zu erklären, dass auch er für ein gentechnikfreies Salzburg sei, dies aber derzeit aus juristischen Gründen nicht realisierbar sei. Würde man dennoch ein entsprechendes Landesgesetz verabschieden, wäre dies nicht rechtskonform und nichts anderes als eine Scheinaktivität.13 In der Landtagsdebatte am 21. März 2001 erklärte Cyriak Schwaighofer in Richtung der beiden Regierungsparteien, man möge doch ein entsprechendes Gesetz beschlie12 Zit. bei Petra Grabner  : Modellregion Salzburg  ? Die Errichtung gentechnikfreier Zonen zwischen Anspruch und Wirklichkeit. – In  : SJP 2003. S. 66–96. S. 75. 13 Grabner  : Modellregion Salzburg  ? S.  76.

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ßen. Wenn dieses rechtlich nicht statthaft sei, werde man dies schon noch erfahren. Aber es gehe darum, ein Zeichen zu setzen. Dieser alle rechtlichen Bedenken ignorierende Vorgangsweise konnten sich allerdings ÖVP und SPÖ nicht anschließen und lehnten eine entsprechende Änderung des Naturschutzgesetzes ab. Die rechtlichen Rahmenbedingungen änderten sich im Frühjahr 2002 mit der Novellierung der EU-Freisetzungsrichtlinie, die das von Österreich und anderen gentechnikkritischen Staaten geforderte Vorsorgeprinzip (Risikoabschätzung durch Berücksichtigung aller direkter und indirekter Effekte) und Monitoring (verpflichtende Überwachung von zugelassenen Produkten) sowie die sich daraus ergebende nur mehr zeitlich befristete Zulassung von Produkten enthielt.14 Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung bekannte sich der Salzburger Landtag einstimmig zum Verbot der Freisetzung von genveränderten Organismen und einer erneuten Prüfung der legistischen Möglichkeiten. Eine Arbeitsgruppe sollte bis 1. Dezember entsprechende Vorschläge erarbeiten. Bei diesen richtete sich zunehmend der Blick auf die Tätigkeit anderer österreichischer Bundesländer, vor allem auf Oberösterreich und Kärnten. In Salzburg neigte man zu der Position Oberösterreichs, dessen Entwurf eines Gentechnikverbotsgesetzes ein generelles dreijähriges Verbot des Einsatzes von gentechnisch veränderten Organismen in der Landwirtschaft vorsah und der EU-Kommission gemäß Art. 95 des EG-Vertrages15 zur Notifizierung vorgelegt werden musste. Die EU-Kommission lehnte jedoch im September 2003 den Entwurf des oberösterreichischen Gentechnikverbotsgesetzes ab, womit in Salzburg, das sich in seinen Entwurfsarbeiten zu einem solchen Gesetz an Oberösterreich angelehnt hatte, klar wurde, dass man einen grundsätzlich neuen Entwurf, der den EU-rechtlichen und verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprach, erarbeiten musste. Man adaptierte daher das Kärntner Modell eines Gentechnik-Vorsorgegesetzes, das nicht auf ein generelles Verbot abzielte, sondern auf eine Anzeige- und Genehmigungspflicht zum Schutz der biologischen Landwirtschaft und besonders geschützter Gebiete. Mit dieser Position bewegte sich Kärnten im Rahmen der EU-Richtlinien und es konnte daher auch mit der Richtlinie 98/34/EG ein anderes Notifizierungsverfahren als Oberösterreich gewählt werden. Bei einem solchen Verfahren bestand lediglich Informationspflicht, doch mussten die Stellungsnahmen der Kommission nicht berücksichtigt werden. Die EU-Kommission billigte im Dezember 2003 den Kärntner Entwurf mit einigen Abänderungsvorschlägen, wodurch nunmehr auch für Salzburg die Weichen gestellt waren.16 Im März 2004 billigte die EU-Kommission auch das 14 Österreich und andere gentechnikkritische Länder vertraten hingegen einen restriktiveren Standpunkt und erklärten das nunmehr vorgeschlagene Regelwerk als ungenügend. 15 Artikel 95 regelte, wie und unter welchen Bedingungen einzelstaatliche oder regionale Maßnahmen erlassen oder beibehalten werden können, die das Prinzip des Binnenmarktes einschränken. 16 Grabner. S. 85f.

Konsolidierungsbemühungen – Organisatorische Reform und Professionalisierung

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sich am Kärntner Modell orientierende Salzburger Gentechnik-Vorsorgegesetz mit einigen Änderungen. Die parlamentarische Beschlussfassung sollte allerdings erst nach der Landtagswahl im März 2004 stattfinden. Am 7. Juli stimmten ÖVP, SPÖ und Grüne, die in der Sitzung des Verfassungs- und Verwaltungsausschusses noch kritische Worte gefunden hatten, für das Gentechnik-Vorsorgegesetz.17 Für die Grünen erklärte Cyriak Schwaighofer, dass es sich mit diesem Beschluss des Landtages um einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung handle, dass aber das eigentliche Ziel, ein gentechnikfreies Salzburg, noch nicht erreicht sei. Dennoch konnten die Grünen für sich in Anspruch nehmen, trotz ihrer überschaubaren Zahl von Mandaten und ihres ab 1999 nicht mehr gegebenen Klubstatus mit all seinen Möglichkeiten, die treibende Kraft dieser Entwicklung gewesen zu sein.

11.2 Konsolidierungsbemühungen – Organisatorische Reform und Professionalisierung Angesichts der eingeschränkten parlamentarischen Möglichkeiten sowie des chaotischen Bildes der Partei im Vorfeld der Landtagswahl 1999 lag der Schwerpunkt der Politik Schwaighofers in einer Konsolidierung der zerstrittenen Partei und deren organisatorischer Reform, um die noch im Jahr 1999 bevorstehende Wahl zum Europäischen Parlament und zum Nationalrat bewältigen zu können. Um eine organisatorische Professionalisierung und eine Verminderung des unberechenbaren Einflusses der Basisdemokratie zu erreichen, wurde eine Arbeitsgruppe »Zukunft« installiert mit der Aufgabe, klare und praktikable Strukturen zu schaffen.18 Die Ergebnisse lagen vor dem Sommer 1999 vor und wurden von einer Lan17 Der Einsatz von gentechnisch veränderten Pflanzen und Tieren musste durch die Landesregierung bewilligt werden. Zur Abgeltung möglicher Schäden kann auch die Landesregierung eine Haftpflichtversicherung vorschreiben. Das Ausbringen von gentechnisch veränderten Pflanzen ist mit einer Strafe von bis zu 30.000 Euro belegt. 18 Die Arbeitsgruppe unter der Leitung von Günther Marchner erstellte einen Problem- und Aufgabenkatalog, der am 26. März im Rahmen einer mehrtägigen Klausur präsentiert und zur Diskussion gestellt wurde. Als Ergebnis dieser Klausur wurden Günther Marchner und Gerhild Trübswasser mit der Zusammensetzung und Koordination einer Arbeitsgruppe beauftragt, die bis zur nächsten Landesversammlung am 26. Juni konkrete Vorschläge zu folgenden Themen erarbeiten sollte  : Rolle und Zusammensetzung des Vorstandes  ; Schaffung einer Ebene zwischen Landesversammlung und Vorstand (z. B. Landesausschuss bzw. erweiterter Landesvorstand)  ; Organisation der Mitgliedschaften  ; Rollen, Funktionen und Kooperationsverhältnisse in der Landespartei  ; Austausch und Zusammenarbeit zwischen Landespartei, Gemeindegruppen und Bürgerliste-Stadt  ; Organisation der inhaltlichen Arbeit.

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desversammlung am 29. Juni mit großer Mehrheit beschlossen. Als entscheidende Neuerung sollte sich die Einführung eines »Landesausschusses« als Entscheidungsgremium der mittleren Ebene erweisen, in dem auch mit Blick auf eine stärkere regionale Berücksichtigung die Sprecher der sechs politischen Bezirke vertreten waren.19 Damit bestand nunmehr die organisatorische Struktur aus der Landesversammlung, dem Landesausschuss, dem Landesvorstand und dem Landessprecher sowie dem Finanzreferenten und Landesgeschäftsführer.20 Erst auf der Basis dieser rasch in Angriff genommenen organisatorischen Neustrukturierung und Professionalisierung

(Günther Marchner  : Grün-Kat. Ein Problem- und Aufgabenkatalog als Arbeitsgrundlage für die Grünen auf Landesebene. – In  : DIE GRÜNE 2/1999. S. 8f.) 19 Cyriak Schwaighofer  : Aufatmen und durchstarten. – In  : DIE GRÜNE 3/1999. S. 2. 20 Die Landesversammlung ist das höchste Beschluss fassende Gremium und tagt mindestens halbjährlich. Sie wird vom Landesausschuss einberufen. Die Landesversammlung fällt ihre Entscheidungen mit einfacher Mehrheit, wobei alle Parteimitglieder stimmberechtigt sind. Für bestimmte Bereiche wie die Beschlussfassung über Grundsätze und Ziele der Partei, Statutenänderungen, Ausschluss von Mitgliedern, die Enthebung des gesamten Landesvorstandes oder einzelner seiner Mitglieder und die Auflösung oder Verschmelzung der Partei mit einer anderen ist eine 2/3-Mehrheit erforderlich. Der Beschluss des Budgets sowie die Genehmigung des Rechnungsabschlusses, einer eventuellen Regierungsbeteiligung auf Landesebene sowie die Wahl der Regierungsmitglieder, des Landessprechers und des Finanzreferenten und der übrigen Mitglieder des Landesvorstandes und der Delegierten zum Bundeskongress gehören ebenso zu deren Aufgaben. Der Landesausschuss ist das zweithöchste Organ und tagt mindestens sechs Mal im Jahr unter der Leitung des Landesgeschäftsführers. Seine wichtigsten Aufgabenbereiche sind die Koordination der landesweiten Arbeit, die Wahl des Landesgeschäftsführers, die Aufnahme oder der Ausschluss von grünen Gemeindegruppen. Er setzt sich aus den Mitgliedern des Landesvorstandes, den Sprechern der sechs politischen Bezirke, den Delegierten zum Erweiterten Bundesvorstand, den Delegierten der Teilorganisationen, den Landtagsabgeordneten, allfälligen Regierungsmitgliedern auf Landes- und Stadtebene, Bürgermeistern und Nationalratsabgeordneten zusammen. Der Landesvorstand vertritt die Partei nach außen, erstellt das Budget, schließt Dienstverträge ab und führt die Geschäfte im Rahmen der Beschlüsse der Landesversammlung und des Landesausschusses. Er entscheidet auch über die Aufnahme neuer Mitglieder, beruft die Bezirksversammlungen und nach Rücksprache mit dem Landesausschuss die Landesversammlungen ein. Er fasst Beschlüsse, die aufgrund ihrer Dringlichkeit nicht erst dem Landesausschuss vorgelegt werden können. Dem Landesvorstand gehören drei von der Landesversammlung gewählte Vertreter, der Landesgeschäftsführer sowie je ein Delegierter der Landtagsfraktion, der Parlamentsfraktion und der Grünen Bildungswerkstatt an. Ohne Stimmrecht sind der Finanzreferent, ein weiterer Vertreter der Landtagsfraktion und des Erweiterten Bundesvorstandes Mitglieder. Alle Mitglieder sind für zwei Jahre gewählt. Der Landessprecher wird von der Landesversammlung aus dem Kreis der stimmberechtigten Mitglieder des Landesvorstandes gewählt. Er vertritt die Partei nach außen und koordiniert die Arbeit der verschiedenen Gremien. Der Geschäftsführer wird vom Landesausschuss auf zwei Jahre gewählt und leitet die Koordination aller inneren Tätigkeiten. Er leitet das Landesbüro und zeichnet für die Personalführung verantwortlich. Der Finanzreferent ist für den Haushaltsplan verantwortlich und erstellt gemeinsam mit dem Landesvorstand das Budget.

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waren die Grünen in der Lage, die Wahl zum europäischen Parlament mit dem aus Salzburg stammenden Spitzenkandidaten Johannes Voggenhuber am 13. Juni und die Nationalratswahl am 3. Oktober erfolgreich zu schlagen. Nach dem Rückschlag der Landtagswahl bekamen die Grünen unter der Führung des um Ausgleich bemühten Cyriak Schwaighofer und mit Rückenwind der Entwicklung der Bundespartei unter Alexander Van der Bellen wieder Boden unter den Füßen. Es galt, so Cyriak Schwaighofer, grüne Politik in einem geänderten politischen Umfeld zu betreiben. »Der Zeitgeist scheint derzeit kein Verbündeter der Grünen zu sein. Die Ursachen dafür werden von Trend- und Meinungsforschern unterschiedlich beurteilt. Die Ergebnisse dieses Umstandes stehen jedenfalls fest  : Es ist schwer, für ökologische Themen (als einer Kernkompetenz der Grünen) entsprechend Gehör und Stimmen zu erhalten, gelten doch mittlerweile viele von den Grünen erkämpfte ökologische Aspekte als salonfähig, ja bindet sich jede Partei gerne das Öko-Mascherl, wenn auch oft nur mit Augenzwinkern, um. Trotzdem  : nachdem die fortschreitende Vernichtung unserer Lebensgrundlagen sich von (modischen) Trends nicht stoppen lässt – der Umwelt ist es egal, auf welchem Platz sie in aktuellen Werteskalen steht – ist es eine der vorrangigen Aufgaben, grüne Themen trotzdem – auch mit Gegenwind – dauerhaft präsent zu halten.«21 Als moderater Pragmatiker war er dabei bemüht, die Grünen vom Image der Nein-Sager-Partei mit völlig überzogenen bis irrealen Forderungen zu befreien. So erklärte er in einem Interview im Sommer 2002  : »Es gibt die Gruppe, die erwartet, dass die Grünen dreinschlagen, wenn es einen aktuellen Grund gibt. Das sind oft schwierige Leute, die eine Problematik sehr individuell wahrnehmen. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass es viele Leute gibt, die nicht auf extreme Äußerungen setzen. Sie wollen klare Worte zu Missständen, sie wollen aber nicht, dass man radikale, unerfüllbare Dinge fordert. Nehmen wir zum Beispiel die Forderung nach Benzin um 5 Euro, das bringt nichts.« Die Grünen müssten sich von den Fundamentalisten abwenden, denn »sonst nimmt man sich aus dem Gespräch, aus der ernsthaften Diskussion, zum Beispiel wenn ich sagen würde, jetzt gehen wir alle zu Fuß.«22 Die konstruktive Oppositionspolitik im Land schlug sich in steigenden Umfragedaten nieder. Verantwortlich dafür war die von Schwaighofer erzielte weitgehende Harmonie zwischen der Landesorganisation der Grünen und der Bürgerliste Salzburg-Stadt. Die auf offener Bühne ausgetragenen Kontroversen schienen der Vergangenheit anzugehören.



Zu den Reformen, die die Landesversammlung am 26. Juni 1999 beschloss, Vgl. Gerhild Trübswasser, Günther Marchner  : Reform & Co. – In  : DIE GRÜNE 3/1999. S. 12f. 21 Cyriak Schwaighofer  : Politik unter neuen Vorzeichen. – In  : DIE GRÜNE 2/1999. S. 10–13. S. 11f. 22 SN lokal 2.8.2002. S. 8.

12.

Die Bürgerliste Salzburg zwischen inoffizieller Koalition mit der SPÖ und politischen Kontroversen

Die Bürgerliste der Stadt Salzburg nimmt im Salzburger Parteiengefüge eine Sonderstellung ein, da sie über einen weitgehend autonomen Status verfügt. Zwar erfolgte 1986 der Zusammenschluss aller grün-alternativen Gruppierungen in Stadt und Land zu einer Landesorganisation, doch war deren Spitze in der Folgezeit weitgehend geschwächt, da die neue Partei über keine klassischen Partei- und Mitgliederstrukturen verfügte. Die Bürgerliste Salzburg-Stadt, seit 1977 im Gemeinderat und zwischen 1982 und 1987 und ab 1992 im Stadtsenat vertreten, verfügte als Regierungspartei in der Landeshauptstadt über erhebliches Selbstbewusstsein gegenüber der Landesorganisation, die zwar 1989 erstmals mit zwei Mandaten in den Landtag einzog, 1994 mit drei Mandaten den Klubstatus erreichte, jedoch 1999 mit der Reduzierung auf zwei Mandate und dem damit verbunden Verlust des Klubstatus auf die Rolle einer zwar ambitionierten, jedoch machtlosen kleinen Oppositionspartei zurückfiel. Der Einzug der Bürgerliste Salzburg-Land/Grünen in den Salzburger Landtag basierte zudem auf dem Ergebnis in der Landeshauptstadt. Die Erstellung von Kandidatenlisten im Vorfeld von Gemeinderats- und Landtagswahlen führten regelmäßig zu erheblichen innerparteilichen Spannungen zwischen der Bürgerliste und der Landespartei, wobei nicht nur der Gegensatz zwischen Stadt und Land, sondern auch ideologische Unterschiede – bürgerliche Reformer versus prinzipientreue Grün-Alternative – eine Rolle spielten. Doch auch in der als bürgerlich-reformistisch geltenden Bürgerliste der Stadt Salzburg kam es in den Neunzigerjahren aufgrund eines ideologischen Linksrucks zu erheblichen Spannungen, die 1997 in der endgültigen Trennung von Herbert Fux ihren sichtbaren Höhepunkt erreichten.23 Die Politik der Bürgerliste in der Stadt Salzburg unter Johann Padutsch war von einer inoffiziellen Koalition mit der SPÖ geprägt. Diese rot-grüne Allianz schränkte die Möglichkeiten der ÖVP unter Karl Gollegger deutlich ein und dominierte in zahlreichen Bereichen die Stadtpolitik. Dies wurde exemplarisch an der Diskussion über die Erweiterung des Europarks (Europark II) und der Ansiedlung des schwedischen Möbelhauses IKEA deutlich. Der Salzburger Zentralraum war seit den Achtziger- und vor allem Neunzigerjahren durch das ständige Anwachsen eines sog. »Speckgürtels«, d. h. des Wachsens von Umlandgemeinden vor allem durch Pro23 Hoffmann  : »Stadt und Land, Hand in Hand«  ? S. 205f.

Die Bürgerliste Salzburg

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duktions- und Handelsbetriebe mit großem Flächenbedarf, gekennzeichnet. Durch das 1994 beschlossene »Räumliche Entwicklungskonzept« und den 1998 wirksam werdenden Flächenwidmungsplan mit seinem Schutz des Grünlandes entstand in der Landeshauptstadt ein Mangel sowohl an Gewerbeflächen wie auch Bauland. Die Folge waren deutlich steigende Grundstückspreise, die nicht nur die Absiedlung zahlreicher Salzburger in die deutlich billigeren Umlandgemeinden inklusive der damit verbundenen Pendlerproblematik zur Folge hatten, sondern auch die Ansiedlung von Betrieben mit großem Flächenbedarf im deutlich günstigeren Umland, wobei übergeordnete raumplanerische Notwendigkeiten kaum Berücksichtigung fanden. Einen Sonderfall in dieser Entwicklung spielten die vor allem in den Umlandgemeinden aus dem Boden schießenden Einkaufszentren. Der EU-Beitritt und das Fallen der Zollgrenze hatten dabei besondere, die bisherigen Spezifika des Handels umkehrende Verstärkereffekte. Hatten bisher Freilassing und Bad Reichenhall von Salzburger Einkaufstouristen profitiert, so befanden sich nunmehr die Profiteure des größeren Einzugsgebiets in Salzburg. Der Profit war allerdings asymmetrisch verteilt. Nicht die Einzelhandelskaufleute der Stadt Salzburg, sondern die zahlreichen Shopping Centers des Salzburger Umlandes wurden zum Publikums- und Umsatzmagneten.24 Hinzu trat der zunehmende Kaufkraftabfluss von der Stadt in Richtung Umlandgemeinden, sodass der Problemhaushalt für die städtischen (Einzelhandels-)Kaufleute erheblich anwuchs. Um dieser, auch von der Stadt Salzburg nicht gewünschten, Entwicklung Einhalt zu gebieten, beschloss die Salzburger Landesregierung als oberste Raumordnungsinstanz am 4. Juli 1994 ein Landesentwicklungsprogramm, das auf Vorschlag der Wirtschaftskammer als Vertreterin des Einzelhandels und der Stadt Salzburg restriktive Bestimmungen für die Neuausweisung von Gebieten für Einkaufszentren über 1000 m2 Einkaufsfläche enthielt. Zu diesem Zeitpunkt gab sich Salzburgs Bürgermeister Heinz Schaden noch als entschiedener Verfechter des Schutzes des Einzelhandels. Ende der Neunzigerjahre vollzog er allerdings eine deutliche Kehrtwende in Richtung der Förderung von Einkaufszentren. Da die Erfolge der im Landesentwicklungsprogramm enthaltenen restriktiven Bestimmungen über die Neuerrichtung von Einkaufszentren überschaubar waren 24 Bereits zu Beginn der Neunzigerjahre regte sich in der Stadt Salzburg massiver Widerstand gegen den Bau von Einkaufszentren in den Umlandgemeinden, wobei die Auseinandersetzung um die Errichtung des sog. »Airport-Centers« in Wals-Siezenheim mit besonderer Heftigkeit geführt wurde. Die Genehmigung des Großbauvorhabens mit einem umbauten Raum von 330.000 m3 führte zu massiver Kritik und Widerstand der Wirtschaftskammer und der Bürgerliste Salzburg-Land gegen die baubehördliche Bewilligung durch das Amt der Salzburger Landesregierung. Zehn Jahre später sollten sich allerdings geänderte Konstellationen in der Auseinandersetzung um den Europark II ergeben. (Vgl. Richard Schmidjell  : Regional Governance  : Raumordnung in Salzburg – Einkaufszentren 1975 bis 2005. – Wien 2007. S. 267ff.)

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und ein weiterer Kaufkraftabfluss von der Stadt in Richtung der Umlandgemeinden (»Speckgürtel«) stattfand, wurde die Eröffnung des »Europarks« in Taxham durch SPAR 1997 mit Wohlwollen betrachtet, handelte es sich doch hier um ein Shopping Center im Stadtgebiet. Der »Europark« erwies sich innerhalb kürzester Zeit als Erfolg. Bereits 1999 zog er rund 700 Millionen Schilling an Kaufkraft aus dem benachbarten Bayern ab. Der wirtschaftliche Erfolg veranlasste SPAR, die Erweiterung des »Europarks« zu planen (Europark II).25 Zu diesem Zweck wurde 1999 ein anschließendes Grundstück erworben, um die geplante Erweiterung der bestehenden Verkaufsfläche von 23.000 m2 um weitere 35.000 m2 – 15.000 m2 für den Europark selber und 20.000 m2 für die Ansiedlung von Fachmärkten oder einem einzigen Fachmarkt (IKEA) – in Angriff nehmen zu können. Um dieses Vorhaben realisieren zu können, benötigte man die Zustimmung von Stadt und Land Salzburg. Hatte sich der Salzburger Bürgermeister Heinz Schaden noch 1996 zum Schutz der Einzelhandelskaufleute der Innenstadt zu einem »einzelhandelspolitischen Leitbild« bekannt, nach dem die Genehmigung von Einkaufszentren in der Stadt nur mehr nach einer genauen Analyse eventueller negativer Auswirkungen auf den Einzelhandel in der Innenstadt und das Verkehrsaufkommen bewilligt werden sollte, so hatten sich drei Jahre später die Parameter der politischen Entscheidungsfindung deutlich verschoben. Der wirtschaftliche Erfolg des »Europarks« hatte positive Auswirkungen für die Finanzgebarung der Stadt und SPAR stellte der Stadt für die Bewilligung seiner Erweiterungspläne ein Grundstück für ein geplantes »Spaßbad« in Aussicht. Vor dem Hintergrund möglicher vermehrter Einnahmen für die Finanzen der Stadt durch den geplanten Europark II und die Zurverfügungstellung eines Grundstücks für das geplante »Spaßbad« durch den Handelsriesen wurde Bürgermeister Heinz Schaden, massiv unterstützt von der FPÖ und der Bürgerliste, die in dieser Frage ebenfalls einen Positionswechsel gegenüber den frühen Neunzigerjahren vorgenommen hatte, zu Jahresbeginn 2000 zum Befürworter der Erweiterung. Nachdem ein Amtsbericht zu der Feststellung gekommen war, dass sich die Erweiterung im Einklang mit dem Räumlichen Entwicklungskonzept des Jahres 1994 befinde, erklärte der Bürgermeister, er werde sich nunmehr persönlich um die Ansiedlung von IKEA auf dem Erweiterungsareal bemühen. In dem nun einsetzenden Begutachtungsverfahren wandte sich die Wirtschaftskammer vehement gegen die beantragte Erweiterung mit dem – früher auch von Schaden verwendeten – Argument, dass die Massierung von Verkaufsflächen entlang der Westautobahn erhebliche negative Auswirkungen auf den Einzelhandel der Innenstadt habe und zur Verödung des Stadtkerns, analog zu der bereits beobachtbaren Verödung von Ortskernen in Orten mit Einkaufszentren an der Peripherie, führen würde. Unterstützung erhielt die Handelskammer durch die ÖVP, für die 25 Zur Diskussion um Europark II Vgl. Hoffmann  : »Stadt und Land, Hand in Hand«  ? S. 215ff.

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der für Wirtschafts- und Raumordnungsfragen zuständige Landesrat Wolfgang Eisl bereits im Dezember 1999 bemerkt hatte, dass die Grenzen der Belastbarkeit durch die asymmetrische Handelsstruktur in der Stadt Salzburg bereits erreicht seien. Damit war ein mit einer deutlichen parteipolitischen Grundierung versehener Konflikt zwischen Stadt und Land vorgezeichnet. Sowohl die Gemeinderatsfraktion wie auch die Landespartei der ÖVP wandten sich gegen die geplante Erweiterung, während SPÖ, Bürgerliste/Grüne und FPÖ für das Projekt votierten. Als im November 2000 SPAR ein fertiges Erweiterungsprojekt präsentierte und dieses von der Stadt an das Land zur Genehmigung weitergeleitet wurde, brach der Konflikt offen aus. In diesem befand sich die ÖVP a priori in einer schwächeren Position. Das Argument des notwendigen Schutzes des innerstädtischen Einzelhandels war angesichts der Gegenargumente und der zunehmenden Attraktivität von Shopping Centers nicht nur als Einkaufs-, sondern auch als Freizeitareal nicht mehrheitsfähig. Für die SPÖ argumentierten Bürgermeister Heinz Schaden und Landesrat Othmar Raus, unterstützt von Stadtrat Johann Padutsch und FPÖ-Vizebürgermeister Siegfried Mitterdorfer, die Krise des Einzelhandels in der Salzburger Innenstadt sei bereits in den letzten Jahren eingetreten und Salzburg könne es sich nicht leisten, in der Errichtung von Einkaufszentren gegenüber den Umlandgemeinden in die Hinterhand zu geraten. Außerdem würden zahlreiche positive wirtschaftliche Effekte von einem Europark II ausgehen. Sollte man die Erweiterung des Europarks sowie die Errichtung weiterer Einkaufszentren nicht zulassen, so würden diese eben in Freilassing und Bad Reichenhall mit allen negativen Wirkungen auf Salzburg entstehen. Die Nicht-Genehmigung des Erweiterungsprojekts durch Landesrat Wolfgang Eisl veranlasste die Phalanx der Befürworter, schweres Geschütz aufzufahren und offen mit einer politischen Junktimierung der notwendigen Genehmigung des Baus des Museums der Moderne am Mönchsberg mit jener für den Europark II zu drohen. Stadtrat Johann Padutsch sprach sogar von einer »Kriegserklärung« des Landes an die Stadt, für die Landeshauptmann Franz Schausberger und Landesrat Wolfgang Eisl verantwortlich zeichneten. Das politisch für die ÖVP äußerst gefährliche Wort vom »Verhinderungsduo Schausberger/Eisl« stand im Raum. Im Wissen um die Popularität des »Europarks« und mit einem deutlichen Schuss Populismus brachte Vizebürgermeister Siegfried Mitterdorfer mit Unterstützung von Bürgermeister Heinz Schaden den Vorschlag eines Bürgervotums über den Europark II und das Museum der Moderne ins Spiel. Die ÖVP, vor allem Landeshauptmann Schausberger, gerieten nun völlig in die Defensive. Dabei gestaltete sich die Situation für den Landeshauptmann besonders schwierig, da er gleichzeitig an zwei Fronten kämpfen musste  : nach außen in der Konfrontation mit SPÖ, Bürgerliste und FPÖ, nach innen gegen den massiven Druck der Wirtschaftskammer, die sich jedem Kompromiss in dieser Frage verweigerte. Der Kompromiss unter Wahrung des Gesichts war jedoch die einzige Möglichkeit,

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aus der politischen Sackgasse zu kommen. Schausberger befand sich daher in einem Konflikt, den er, so sehr er sich auch bemühen mochte, nicht gewinnen konnte. Angesichts des massiven Drucks der Europark-II-Befürworter hatte der Landeshauptmann bereits im Dezember 2000 einen möglichen Kompromiss angedeutet, indem er erklärte, die ÖVP sei nicht prinzipiell gegen das Projekt Europark II, doch müsse über dessen Dimension gesprochen werden. Noch im Dezember 2000 beauftragte die Raumabteilung des Amtes der Salzburger Landesregierung die Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung (GMA) mit einer Studie über die Möglichkeit der Reduzierung der beantragten Erweiterungsflächen. Die GMA kam in ihrem Gutachten zu dem Ergebnis, dass eine Reduzierung der Erweiterungsfläche des Europarks von 15.000 m2 auf 12.500 m2 und jene von IKEA von 20.000 m2 auf 15.000 m2 möglich sei. Damit war ein Kompromiss gefunden, mit dem die Stadt leicht leben konnte, der jedoch in der ÖVP zu einer heftigen Kontroverse zwischen dem Wirtschaftsbund und Landeshauptmann Franz Schausberger und zu einer dauernden Entfremdung führte.26 Die Allianz von SPÖ und Bürgerliste bestimmte über weite Strecken auch die Kulturpolitik. Als die FPÖ mit dem Argument, die im Gestaltungsbeirat dominierenden ortsfremden Architekten würden Salzburg als Experimentierfeld missbrauchen, die Abschaffung oder zumindest grundlegende Reform dieses Gremiums forderte, stieß sie ebenso auf den Widerstand von SPÖ und Bürgerliste wie die ÖVP, die ebenfalls eine Reform des Gremiums forderte. Nachdem bereits SPÖ und Bürgerliste im Stadtsenat das Ansinnen der FPÖ zurückgewiesen hatten, bemerkte Johann Padutsch am 18. September 2002 in der Debatte des Gemeinderates in Richtung FPÖ und ÖVP, deren Kritik sei völlig unfundiert. Die ganze Salzburger Altstadt sei von ortsfremden Architekten gebaut worden. Dieselbe geistige Haltung, die nunmehr die Kritiker des Gestaltungsbeirates an den Tag legten, habe vor 200 Jahren Mozart aus Salzburg vertrieben.27 So sehr in den meisten Themen zwischen den beiden in-

26 Claus Raitan  : Franz Schausberger. Politiker-Historiker-Europäer. Biografische Annäherung an einen Vielseitigen. – Wien/Köln/Weimar 2015. S. 61f. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 52.) Bereits Ende 1998 war es zu einem Konflikt zwischen Landeshauptmann Franz Schausberger und dem Wirtschaftsbund anlässlich der bevorstehenden Eröffnung eines Groß-Baumarktes beim Airportcenter in Wals-Himmelreich gekommen. Durch die Umwidmung von 40.000 m² in eine Fläche für Handelsgroßbetriebe (Baumarkt, Möbelhaus, Elekrofachmarkt und Großhandel für Gastronomie) sah der Wirtschaftsbund eine massive Gefährdung der klein- und mittelständischen Wirtschaftsstruktur der Landeshauptstadt und deren Umfeld. Der Landeshauptmann müsse sich entscheiden  : entweder für die Umwidmung oder für die Salzburger Wirtschaft, ließ Wirtschaftskammerdirektor Wolfgang Gmachl wissen. (SVZ 27.11.1998. S. 3.) 27 SN lokal 19.9.2002. S. 2.

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formellen Koalitionspartnern weitgehender Konsens bestand, so kam es dennoch in zwei für die Stadtpolitik zentralen kulturpolitisch-architektonischen Fragen zu Irritationen und Spannungen.

12.1 Kulturpolitische Kontroversen – Das Haus für Mozart und das Museum der Moderne am Berg Angesichts des bevorstehenden Mozart-Jahres 2006 hatte Landeshauptmann Franz Schausberger bei seiner Begrüßungsrede der Salzburger Festspiele 1998 das so lange aus politischen Gründen verhinderte Projekt eines Hauses für Mozart zu einem seiner zentralen kulturpolitischen Anliegen erklärt. Der Architekt Wilhelm Holzbauer, Schüler von Clemens Holzmeister, hatte bereits zahlreiche Planungen und Bauten im Festspielbezirk durchgeführt und auch zusammen mit den Holzmeister-Schülern Friedrich Kurrent und Hans Hollein 1986 Projektentwürfe für ein Haus für Mozart erarbeitet. Der Obergutachter kam zu dem Schluss, dass keines der Projekte in der vorliegenden Form beschlossen werden könne, doch sei das Projekt Holzbauer zur Einhaltung der Bedingungen am ehesten geeignet. Es lag daher nahe, Wilhelm Holzbauer aufgrund seiner zahlreichen Vorarbeiten und seiner Kenntnis des Festspielbezirks mit der Planung eines Hauses für Mozart zu beauftragen. Aufgrund des inzwischen erfolgten EU-Beitritts wurden jedoch gegen ein solches Vorgehen juristische Bedenken erhoben, weshalb die Durchführung eines zweistufigen Verhandlungsverfahrens zur Ermittlung eines Generalplanerteams beschlossen wurde. Die Bewertungskommission entschied sich am 21. September 2001 zur allgemeinen Überraschung für das Projekt der Architekten Hermann/Valentiny/Wimmer/Zaic und reihte den als Favoriten gehandelten Entwurf Holzbauers an die zweite Stelle. Holzbauer erhob gegen diese Entscheidung beim Bundesvergabeamt erfolgreich Einspruch. Um mit Blick auf das Jahr 2006 das Projekt an sich nicht zu gefährden, ergriff Landeshauptmann Franz Schausberger die Initiative und vermittelte eine Zusammenarbeit der beiden erstgereihten Projektleiter Valentiny/Holzbauer. Beide sollten ihre Projekte zusammenführen und von jedem das Beste realisieren.28 Dies war der Stand, als Johann Padutsch im März 2003 zum Mitspieler in der heftig geführten Diskussion wurde. Holzbauer/Valentiny hatten zu diesem Zeitpunkt ein erstes modifiziertes Projekt der durch die Mitglieder des Gestaltungsbeirates verstärkten Sachverständigenkommission für die Altstadt vorgestellt. Dabei reagierten die Mitglieder des Gestaltungsbeirates Klaus Kada, Flora Ruchat Roncati und Stefano di Martino mit abwertenden Stellungnahmen. Obwohl der Gestaltungsbeirat für das Projekt nicht zuständig war, so hatten die Sachverständigenkommission 28 Zur Geschichte des Hauses für Mozart Vgl. Kriechbaumer  : Umstritten und prägend. S. 11–59.

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für die Altstadt und der Gestaltungsbeirat vereinbart, bei großen Projekten eine Kooperation zu betreiben. Die Kritik der Mitglieder des Gestaltungsbeirates war Wasser auf die Mühlen der Gegner des Holzmeister/Valentiny-Projekts. Zu den Gegnern zählte auch die Bürgerliste, vor allem Johann Padutsch. Obwohl Holzbauer die Kritik der für das Projekt nicht zuständigen Mitglieder des Gestaltungsbeirates als völlig falsch zurückwies und das Direktorium der Festspiele in einer Presseaussendung seiner Besorgnis Ausdruck gab, dass das so weit gediehene Projekt nunmehr in die Tagespolitik hineingezogen und damit dessen Realisierung massiv bedroht werde, sprach die Bürgerliste in einer am 26. März publizierten Information unter Berufung auf die negative Stellungnahme des Gestaltungsbeirates von einem »FestspielhausSkandal«. Die Auftragsvergabe sei politisch gesteuert und skandalös, die Kosten würden explodieren und der Fertigstellungstermin werde nicht eingehalten werden können. Der internationale Ruf Salzburgs werde durch das völlig ungenügend ausgearbeitete Projekt schwer beschädigt. Es dürfe daher keine Zustimmung der Stadt zum Bau geben, sondern vielmehr seien ein sofortiger Stopp aller Planungen und die Beendigung der Zusammenarbeit mit Holzbauer/Valentiny gefordert. Es sollte ein neues Verfahren erst nach dem Jahr 2006 gestartet werden. Johann Padutsch erklärte in einer Pressekonferenz am 26. März, er lasse derzeit prüfen, ob eine Realisierung der Pläne von Holzmeister/Valentiny durch eine zivilrechtliche Klage zu verhindern sei. Er sei mit den Mitgliedern des Gestaltungsbeirates der Meinung, dass ein sofortiger Planungsstopp und eine Neuausschreibung des Projekts erfolgen müssten. Um dies zu erreichen, werde er sich auf die Suche nach politischen Verbündeten begeben. Den ersten Verbündeten fand er in FPÖ-Vizebürgermeister Siegfried Mitterdorfer, der sich der Forderung nach einem völligen Neubeginn des Verfahrens nach dem Mozartjahr 2006 anschloss. Padutsch hoffte auf Bürgermeister Heinz Schaden, der in dieser Frage sichtlich zu wanken begann. Hatte er den rechtzeitigen Bau des Hauses für Mozart als eine »Causa Prima« der Stadtpolitik bezeichnet, so ließ er nunmehr wissen, dass er mit den von Holzbauer/ Valentiny erarbeiteten Entwürfen wenig Freude habe. Am 27. März eröffnete Padutsch die von ihm angekündigte Offensive gegen die Realisierung des Projekts Holzbauer/Valentiny mit der Feststellung, für den Umbau seien drei Zivilrechtsverfahren notwendig, da die aktuellen Entwürfe die Erweiterung der Kubatur des bestehenden Hauses vorsehen würden und Flächen auf dem Max-Reinhardt-Platz und in der Hofstallgasse verbauten. Davon seien Verkehrsflächen tangiert. Dies bedeute ein Verfahren nach dem Verkehrsrecht, das in seine Ressortzuständigkeit falle. Außerdem beziehe sich der Mietvertrag der Festspiele nicht auf die zusätzlich benötigten Flächen, weshalb ein neuer Mietvertrag notwendig sei. Und schließlich seien die zusätzlich benötigten Flächen öffentlicher Grund, der in nicht-öffentlichen Grund umgewandelt werden müsse. Dies falle in die Kompetenz von Vizebürgermeister Mitterdorfer, einem deklarierten Gegner des Projekts. Dieser

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ließ umgehend wissen, dass von einer Genehmigung der Überlassung des Grundes im Ausmaß von 150 m2 keine Rede sein könne. Padutsch kommentierte diese Erklärung mit der Bemerkung, dass die Stadt offensichtlich den Grund nicht zur Verfügung stelle, weshalb der Bau nicht errichtet werden könne. Er hoffe damit, dieses unglückselige Projekt zu Fall zu bringen. Zur Rechtfertigung seiner Position betonte er  : »Ich sehe mich nicht als Verhinderer eines guten Projekts, sondern als Retter von einer architektonischen Schande, die das Image der Stadt als Kulturstadt nachhaltig schädigen würde.«29 Eine zusätzliche publizistische Front eröffnete die Bürgerliste am 10. Dezember 2002 in einer Information über wichtige Themen der Salzburger Stadt- und Landespolitik. »Mit abenteuerlichen Verrenkungen hat das Festspielkuratorium (Vorsitz Landeshauptmann Schausberger) ein internationales Vergabeverfahren so lange zurechtgebogen, bis der von Schausberger protegierte Stararchitekt Holzbauer den Auftrag erhalten hat. Bekanntlich hatte Schausberger zunächst versucht, Holzbauer ohne Ausschreibung eines Wettbewerbes direkt zu beauftragen. Als dann aufgrund der eindeutigen Vergabevorschriften doch eine europaweite Ausschreibung und ein Wettbewerb erforderlich waren, war die Enttäuschung des Landeshauptmanns groß, als ›sein‹ Architekt nicht zum Zug kam. Bei zwei Entscheidungen war Holzbauer nicht der erstgereihte. Erst durch das Gutachten eines Tiefbautechnikers wurden die Arbeiten so bewertet, dass Holzbauer den Zuschlag erhalten konnte. Dass dabei nicht nur die Architektur und das Nutzungskonzept auf der Strecke blieben, sondern auch grundlegende Vorgaben des Vergaberechts verletzt wurden und Salzburg bei der Ausschreibung von Architekturwettbewerben jegliche Reputation verloren hat, stört den Landeshauptmann und die anderen Mitglieder des Festspielkuratoriums, unter ihnen Bürgermeister Schaden, die mit einer Ausnahme dieser Vorgangsweise zugestimmt haben, offensichtlich wenig. Bürgerliste und Grüne sind die einzige politische Partei, die diese Vorgänge massiv kritisieren. Die anderen Parteien schweigen und stimmen offensichtlich zu.«30 Zu diesem Zeitpunkt kämpfte jedoch die Bürgerliste bereits auf verlorenem Posten. Das Kalkül Padutschs, Bürgermeister Heinz Schaden vielleicht doch noch auf seine Seite ziehen zu können, handelte es sich doch beim Haus für Mozart um ein von der SPÖ keineswegs bevorzugtes, sondern in den letzten Jahrzehnten aus politischen Gründen immer wieder verhindertes Projekt, sollte sich als falsch erweisen. Wenngleich Schaden nicht zu den glühenden Befürwortern des Projekts Holzbauer/Valentiny zählte, 29 Zit. bei Kriechbaumer  : Umstritten und prägend. S. 53. 30 http://www.buergerliste.at/de/gemeinderat-themen/detail.asp?id=378&titzKl.+Festspielhaus. (Abgerufen am 15.12.2016.)

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so war er sich der unabsehbaren Folgen der von Padutsch und Mitterdorfer forcierten Politik durchaus bewusst. Eine Beendigung des Planungsverfahrens in diesem Stadium würde Salzburg zum Paradebeispiel der Verhinderungspolitik und zudem eine einmalige Chance zunichtemachen. Nur mit dem Argument des Mozart-Jahres 2006 war der Bund bereit, entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen. Würden diese aufgrund regional- und lokalpolitischer Kontroversen nicht in Anspruch genommen, würde sich der Bund zurückziehen und eine Realisierung eines anderen Projekts alleine aus finanziellen Gründen nicht mehr möglich sein. Der Bürgermeister agierte daher äußerst zurückhaltend auf die politische Offensive von Padutsch und Mitterdorfer. Man dürfe den Architekten mit einem spontanen und letztlich unüberlegten Vorgehen keine Handhabe geben, den Baurechtsvertrag mit den Festspielen einzuklagen. Die Stadt müsse daher sehr aufpassen, dass sie sich kein Eigentor schieße, da der Vertrag zwischen Holzbauer und den Festspielen nach wie vor gültig sei. Und sollte eine rechtliche Prüfung ergeben, dass die Verweigerung des Stadtgrundes einen Vertragsbruch darstelle, werde er auf seine Regierungskollegen entsprechend einwirken, da dies für die Stadt sehr teuer werden könne. Gleichzeitig ließ jedoch Schaden ein mögliches Ausstiegsszenario anklingen. Wenn die Architekten die Kosten von 29 Millionen Euro nicht einhalten könnten, müsse das Projekt zurück an den Start. Dann würde man das Mozart-Jahr eben mit dem alten Kleinen Festspielhaus begehen und 2006 den Start für ein besseres Projekt beginnen. Die politische Brisanz lag zu diesem Zeitpunkt auch in dem Umstand, dass Bürgermeister Heinz Schaden turnusmäßig den Vorsitz des Kuratoriums der Festspiele innehatte und um die notwendigen einstimmigen Beschlüsse bemüht sein musste. Das Kuratorium drängte, ebenso wie das Direktorium, auf den Bau des Hauses für Mozart und dessen Finalisierung bis 2006. Wenngleich die Fassadengestaltung noch zu heftigen Diskussionen Anlass gab, entschied sich das Kuratorium in einer außerordentlichen Sitzung am 11. April 2003 für das Architektenteam Holzbauer/Valentiny als Generalunternehmer, da diese versicherten, das Projekt zu den beschlossenen Kosten und in dem vorgegebenen Zeitrahmen zu realisieren. In einer anschließenden Pressekonferenz erklärte Landeshauptmann Franz Schausberger, dass es in der Causa Haus für Mozart kein von der Bürgerliste und der FPÖ so vehement und von der SPÖ indirekt gefordertes Zurück an den Start geben werde. Das Projekt Holzbauer/Valentiny werde realisiert. Die Bürgerliste hoffte jedoch noch auf die Stellungnahme der Sachverständigenkommission für die Altstadt. Nur wenn diese positiv ausfiel, konnte mit den Bauarbeiten begonnen werden. Und auch Bürgermeister Schaden erklärte trotz aller scheinbar bereits endgültig gestellten Weichen, dass es ohne ein positives Gutachten der Sachverständigenkommission seitens der Stadt keine Baugenehmigung geben werde. Den Kern der Stellungnahme der Altstadtkommission bildete der heftig kritisierte Fassadenentwurf von Holzbauer/Valentiny. Am 12. Mai kam es zu einem Gespräch zwischen der Sachverständigenkommission

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und Holzbauer/Valentiny, in dessen Vorfeld die beiden Architekten bereits auf die Einwände der Kommission durch deutliche Modifikationen positiv reagiert hatten, sodass diese am 20. Mai grünes Licht gab. Dessen ungeachtet ergab sich im Salzburger Landtag am 16. Oktober 2002 in der Beantwortung einer Dringlichen Anfrage der FPÖ durch Landeshauptmann Franz Schausberger eine äußerst kontrovers geführte Debatte, in der Cyriak Schwaighofer die schließlich erfolgte Auftragsvergabe an das Architektenteam Holzbauer/Valentiny angriff und unter Berufung auf Gerhard Garstenauer, den Doyen der Salzburger Architekten, ein Zurück an den Start forderte. Dies wäre die beste Lösung, alles andere nur mehr oder weniger Pfusch. Es gehe nunmehr darum, ob »sich justament, wie auch bei anderen Großprojekten, der Herr Landeshauptmann und ein, zwei andere durchsetzen müssen entgegen vielen fachlichen Einsichten und Stellungnahmen oder ob wir den Mut haben zu sagen, nein, zurück an den Start …« Dies erfordere die Neuausschreibung eines internationalen Architektenwettbewerbs und den Verzicht auf ein letztlich schlechtes Haus für Mozart im Jahr 2006. In Salzburg müsse ein erstklassiges Projekt nach dem Mozartjahr 2006 verwirklicht werden. Nur so werde »etwas Dauerhaftes« entstehen.31 Die Weichen waren jedoch mit der positiven Stellungnahme der Sachverständigenkommission für die Altstadt noch nicht endgültig gestellt, da die bei der Auftragsvergabe zweitgereihte Baufirma Einspruch erhob. Damit drohte eine das Gesamtprojekt gefährdende zeitliche Verzögerung, war doch der noch verbliebene Zeitrahmen als äußerst knapp bezeichnet worden. Die Bürgerliste argumentierte daher, dass durch den nunmehr erfolgten Einspruch der zweitgereihten Baufirma Porr/Hinteregger gegen die Auftragsvergabe »die tönernen Beine, auf denen die gesamte Planung steht, eindeutig sichtbar« würden. Salzburg steuere mit diesen neuen Vorgängen um das Haus für Mozart »auf eine neuerliche Provinzposse incl. internationaler Blamage für das Mozartjahr 2006 hin. Die Bürgerliste fordert daher erneut  : – Das Holzbauer Projekt zu stoppen. – Den Auftrag mit den Architekten Holzbauer/Valentiny zu beenden. – Ein offenes Verfahren mit einer Fachjury durchzuführen und – den Baubeginn nach dem Mozartjahr 2006 festzulegen.«32 Als im August 2003 das Bundesvergabeamt dem Antrag der Baufirma Porr/Hinteregger auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung stattgab, sah sich die Bürgerliste in ihrer Argumentation bestätigt, da sich dadurch der Baubeginn um einige Wochen verzögerte und der ohnedies knapp bemessene Zeitrahmen für die Errichtung des Hauses 31 Sten. Prot. d. Salzburger Landtages. 5. Session, 1. Sitzung, 12. GP. 16.10.2002. S. 62. 32 http://www.buergerliste.at/de/presse/detail.asp?id=6105&tit=Haus+für+Mozart. (Abgerufen am 15.12. 2016.)

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für Mozart ihrer Meinung nach nicht mehr einzuhalten war. Es zeigte sich für die Bürgerliste in einer Aussendung am 20. August 2003, »dass nicht nur der Zeitplan für dieses Bauvorhaben mittlerweile völlig unrealistisch ist (Landesbaudirektor Alfred Denk weist bereits am 23. Oktober 2002 in einem Schreiben an das Bundesvergabeamt darauf hin, dass der ›Terminplan keinerlei Reserven für weitere Verzögerungen beinhaltet‹, mittlerweile gibt es bereits mehrmonatige Verzögerungen), sondern auch, wie fahrlässig mit der Errichtung dieses für Salzburg so wichtigen Gebäudes umgegangen wird. Wurden bereits auf Kosten der Qualität Einsparungen gemacht, um das umstrittene Projekt Holzbauer/Valentiny durchzudrücken, wird nun durch widersprüchliche Aussagen der Verantwortlichen versucht, der Öffentlichkeit vorzugaukeln, dass man trotz dieser abermaligen Verzögerung den Zeitrahmen einhalten kann und einer Eröffnung zum Mozartjahr 2006 nichts entgegensteht. Es ist unglaublich, welch unwürdige Posse sich in der Welthauptstadt der Musik um das Herzstück der weltberühmten Salzburger Festspiele, das Haus für Mozart, abspielt. Die Bürgerliste fordert die Verantwortlichen neuerlich zum sofortigen Stopp der Planungen bzw. Bauvorbereitungen auf, um dieses wichtige Projekt aus dem Wahlkalkül einzelner Politiker herauszuhalten.

Ein offenes Verfahren mit einer Fachjury muss durchgeführt werden und der Baubeginn nach dem Mozartjahr 2006 festgelegt werden. Bei einem Festhalten an der derzeitigen Planung droht der Stadt eine internationale Blamage mit einer riesigen Baustelle im Mozartjahr 2006.«33 Nachdem alle Einwände gegen den Zuschlag an das Architektenteam Holzbauer/ Valentiny negativ beschieden wurden und eine positive Stellungnahme der Sachverständigenkommission für die Altstadt vorlag, konnte am 6. Oktober mit den Bauarbeiten begonnen werden, die nicht nur zeitgerecht abgeschlossen wurden, sondern auch im vorgegebenen äußerst schmalen Kostenrahmen blieben. Die Neugestaltung der Museumslandschaft stand seit den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts auf der Agenda der Salzburger Kulturpolitik. Das 1967 wieder aufgebaute Museum Carolino Augusteum erfüllte nicht mehr die Anforderungen eines Museums, weshalb 1984 eine Arbeitsgruppe mit der Erarbeitung einer Studie über einen als allgemein notwendig erachteten Neubau des Museums Carolino Augusteum und eine generelle Neuordnung der Salzburger Museumslandschaft beauftragt 33 http://www.buergerliste.at/de/presse/detail.asp?id=61068&tit=Fiasko+um+Haus-für+Mozart. (Abgerufen am 15.12.2016.)

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wurde. Bei diesen Beratungen unterbreitete der planende Architekt Franz Fonatsch auch den Vorschlag, Ausstellungsräume des Museums auch in den Mönchsberg zu verlegen. 1987 schienen nach einem Stadt-Land-Gespräch die Würfel für eine Neuplanung des Museums Carolino Augusteum unter Einbeziehung des Stadtkinosaals gefallen. Im folgenden Jahr teilte jedoch Bürgermeister Josef Reschen Landeshauptmann Wilfried Haslauer sen. mit, dass sich der Kulturausschuss des Gemeinderates mit der vorliegenden Museumskonzeption und den Überlegungen von Franz Fonatsch befasst habe. Dabei sei die Verlegung von Ausstellungsräumen in den Mönchsberg als besonders interessant empfunden worden, weshalb man plane, einen geladenen Wettbewerb mit namhaften europäischen Architekten durchzuführen, um die Machbarkeit dieser Idee zu prüfen. Das Ergebnis sollte die Grundlage für ein künftiges Projekt bilden. Haslauer reagierte zunächst zurückhaltend, erklärte sich jedoch wenig später mit der Begründung, man sollte keine Idee a priori verwerfen, sondern alles unvoreingenommen prüfen, bereit, an der Jury mitzuwirken. Bürgermeister Josef Reschen erklärte in der Konstituierenden Sitzung der Arbeitsgruppe für den Architektenwettbewerb, Ziel der Beratungen sei es, eine großzügige Lösung im Bereich der Altstadt für die beengten Räumlichkeiten des SMCA zu erarbeiten, ohne mit dem Altstadterhaltungsgesetz in Konflikt zu geraten. Um diese Vorgaben zu erfüllen, sei die Idee eines Museums im Berg entstanden. Die Initiative des Salzburger Bürgermeisters war gegen den Widerstand der Bürgerliste erfolgt, für die Johann Padutsch in einer Medieninformation erklärte  : »Auf den ersten Blick ist der Plan, im Mönchsberg ein Salzburg-Museum zu errichten, durchaus interessant. Beim genaueren Hinsehen allerdings steigt relativ rasch der Verdacht auf, dass unser Bürgermeister seine jahrzehntelangen Versäumnisse in der Museumsfrage mit einer riesig großen Seifenblase kaschieren will.« Eine Reihe von Fragen wie die Seriosität der Kostenschätzung, eine Mitfinanzierung des Bundes und die Finanzierbarkeit der verbleibenden Investitionskosten müssten zunächst geklärt werden. Schließlich sei aber das ganze Vorhaben problematisch, denn »die touristisch und wirtschaftlich ohnedies bereits massiv überhitzte zentrale Altstadt ist auf eine zusätzliche Attraktion sicherlich nicht angewiesen.«34 Doch nicht nur die Bürgerliste, sondern auch der »Salzburger Museumsverein« und der »Stadtverein Salzburg« sprachen sich mit konservatorischen und museumspsychologischen Argumenten gegen das Vorhaben aus. Am 9. Mai 1989 entschied sich die Wettbewerbsjury für das von Hans Hollein vorgelegte Projekt eines Museums im Berg. Von einer Realisierung des faszinierenden Projekts war man jedoch noch meilenweit entfernt. Zum einen erfolgten zahlreiche ablehnende Stellungnahmen und zum anderen fällte die Politik keine Entscheidung. Landeshauptmann Hans Katschthaler beauftragte auf Vorschlag von Karl 34 Medieninformation der Bürgerliste vom 31.8.1988.

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Heinz Ritschel und im Einvernehmen mit Bürgermeister Josef Reschen Wieland Schmid mit der Erarbeitung einer umfassenden Museumsstudie unter Berücksichtigung sämtlicher Institutionen. Angesichts der zahlreichen negativen Stimmen zu einem Museum im Berg und der letztlich nicht befriedigenden Lösung eines Neu- und Umbaus des SMCA unter Einbeziehung des Stadtkinosaals schlug der Salzburger Museumsverein am 4. April 1990 in seiner Hauptversammlung die Neue Residenz als neues Gebäude vor. Das im Oktober 1990 vorliegende Museumskonzept von Wieland Schmied sprach sich ebenfalls für die Neue Residenz als geeignetsten neuen Standort für das SMCA aus. In einem Stadt-Land-Gespräch am 17. Jänner 1991 votierten auch Landeshauptmann Hans Katschthaler, Landesrat Othmar Raus und Bürgermeister Hans Lettner für diesen Vorschlag. Obwohl das Projekt Hans Holleins für eine Übersiedlung des SMCA in den Mönchsberg nicht mehr infrage kam, so erregte es aufgrund seiner Faszination erhebliches internationales Aufsehen. Andererseits sahen viele Salzburger in dem Hollein-Entwurf eine Jahrhundertchance für Salzburg, durch ein faszinierendes Museum im Berg auch zu einem Zentrum der modernen Kunst zu werden. Dafür benötigte man allerdings einen international renommierten und potenten Betreiber. Der Salzburger Herzchirurg Felix Unger ergriff daher 1989 die Initiative und konnte Thomas Krens, den neuen Direktor des Guggenheim-Museums New York, für das Projekt gewinnen. Krens, der zunächst auf die Avancen Ungers skeptisch reagierte, reiste schließlich nach Salzburg und zeigte sich von den Plänen Holleins begeistert, wobei er das Interesse der Guggenheim-Foundation an einem Standort Salzburg deponierte. Daraufhin begann in Salzburg eine PR-Aktion zur Realisierung des Projekts. Die zu Beginn der Neunzigerjahre gegebene Chance der Realisierung scheiterte jedoch an der ungelösten Frage der Finanzierungskosten in der Höhe von rund 1 Milliarde Schilling. Vor allem Landeshauptmann Hans Katschthaler wies darauf hin, dass die Finanzen des Landes durch die inzwischen erfolgte Inangriffnahme der Realisierung der Altstadtuniversität und der Übersiedlung des SMCA in die Neue Residenz nicht die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen können, die für die Realisierung des Projekts – Guggenheim war nicht bereit, sich an den Baukosten zu beteiligen – notwendig wären. Die kulturpolitischen Prioritäten des Landes waren bereits gesetzt. Auch Bürgermeister Hans Lettner teilte diese Meinung und ließ wissen, dass er in einer Realisierung des Hollein-Projekts eine große Chance für Salzburg sehe, nur müsse man die Finanzierungsmöglichkeiten prüfen. Stadt und Land seien wohl nicht in der Lage, diese zu übernehmen, weshalb wohl andere Financiers gefunden werden müssten. Seitens des Bundes erklärte Wissenschaftsminister Erhard Busek, dass eine Realisierung des Projekts nur möglich sei, wenn europaweit Kulturinitiativen und Stiftungen gefunden werden könnten, die den Betrieb eines solchen Museums mitfinanzierten. Als rein nationales Projekt handle es sich dabei um ein finanzielles Abenteuer. Wenngleich Landeshauptmann Katschthaler

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im November 1990 noch den den Kern des Projekts ignorierenden Vorschlag unterbreitete, das Guggenheim-Museum im Schloss Kleßheim unterzubringen, so wurde damit, trotz aller noch folgenden Gespräche, das Hollein-Guggenheim-Projekt zu Grabe getragen. Die Weigerung des Bundes, einen Großteil der Errichtungskosten (80 Prozent) und einen Teil der Betriebskosten zu übernehmen, ließen letztlich alle noch folgenden Bemühungen scheitern. Kurzfristig kam mit dem Amtsantritt von Landeshauptmann Franz Schausberger 1996 nochmals Bewegung in die Diskussion. Er sei bereit, das Hollein-Projekt nochmals einer genauen Prüfung zu unterziehen, erklärte er nach seinem Amtsantritt. Ob Guggenheim überhaupt noch Interesse an dem Projekt habe, sei keineswegs sicher. Sollte dies nicht der Fall sein, so habe man aber das Hollein-Projekt. Ein Museum der Moderne im Berg sei noch nicht vom Tisch, wenn man einen anderen Betreiber finde und die Finanzierungsfrage lösen könne. Um dem von ihm verkündeten kulturpolitischen Schwerpunkt Nachdruck zu verleihen, ernannte er Klaus Albrecht Schröder zum Museumsbeauftragten. Dieser sollte unter Berücksichtigung der jüngsten Entwicklungen ein neues Museumskonzept erarbeiten, in dem auch ein zu errichtendes Museum der Moderne berücksichtigt werde. Schröder empfahl unter Hinweis auf die Nichtfinanzierbarkeit eines Museums im Berg die Errichtung einer Kunsthalle auf dem Mönchsberg anstelle des baufälligen Café Winkler mit dem ehemaligen Casino, das einen Schandfleck darstelle. Der Vorschlag einer Kunsthalle am Berg (Museum am Berg) stieß zwar aufgrund seiner Finanzier- und daher auch Machbarkeit auf die Zustimmung von Bürgermeister Josef Dechant und SPÖ-Kulturlandesrat Othmar Raus, sah sich jedoch umgehend massiver Kritik zahlreicher Institutionen35 und Persönlichkeiten36 sowie der Bürgerliste ausgesetzt. Herbert Fux sprach in einem von ihm verfassten Inserat in den »Salzburger Nachrichten« von einem monströsen Betonbau, der das Stadtbild zerstöre. Vize-Bürgermeister Johann Padutsch begrüßte zwar den Umstand, dass über ein Museumskonzept wieder gesprochen werde, wandte sich jedoch gegen eine Kunsthalle auf dem Mönchsberg. Stattdessen sollte die Idee von Architekt Garstenauer verfolgt werden, der die Schaffung eines unterirdischen Kunstforums unter dem Max-Reinhardt-Platz in direkter Verbindung mit den Festspielhäusern vorgeschlagen habe. Trotz dieser zahlreichen kritischen Stimmen erklärten Landeshauptmann Franz Schausberger, Landesrat Othmar Raus, Bürgermeister Josef Dechant und Klaus Abrecht Schröder am 25. Juni 1997 auf einer Pressekonferenz in Wien, man werde ein Museum der Moderne am Berg anstelle des Café Winkler errichten und zu diesem Zweck einen EU-weiten anonymen Architektenwettbewerb mit gesonderter Zuladung herausragender Architekten vorbereiten und ausschreiben. Die Entscheidung 35 Z. B. dem Salzburger Museumsverein und der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde. 36 Vor allem der Nachfolger von Hans Sedlmayr, der Kunsthistoriker Franz Fuhrmann.

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werde völlig unabhängig von einer hochkarätigen Jury unter dem Vorsitz von Friedrich Achleitner getroffen. Bei einer maximalen Bausumme von 300 Millionen Schilling werde eine fünfzigprozentige Beteiligung des Bundes angestrebt. Am 26. Juni 1998 wurden die Münchner Architekten Stefan Zwink, Stefan Hoff und Klaus Friedrich als Sieger ermittelt. Damit waren jedoch noch nicht alle politischen Hürden beseitigt. Gegen das Projekt wurden in der österreichischen Presse zahlreiche abfällige Beurteilungen publiziert und der politische Widerstand begann sich neuerlich zu formieren, weshalb Landeshauptmann Franz Schausberger und Landesrat Othmar Raus bei der Präsentation des Siegerprojekts dazu aufforderten, das Projekt positiv zu sehen, denn es wäre schade, wenn es, wie so viele andere Bauprojekte in Salzburg auch, ein typisches Salzburger Schicksal erleiden würde. Und Raus erklärte abschließend  : »Der erste Schritt ist gesetzt, nun liegt das Ganze bei der Stadt.«37 Damit war das Feld der folgenden politischen Kontroverse angesprochen, deren Konturen bereits im Sommer 1998 deutlich wurden. Am 6. August 1998 formulierte der Gemeinderatsklub der Bürgerliste in einer Medieninformation seine Kritik sowohl am Museumskonzept Schröders wie auch der Ausschreibung und deren Ergebnis, wobei die Handschrift lokaler Architekten deutlich wurde. »Ohne den Inhalt des Museums zu kennen, kann man auch keine maßgeschneiderten Räume schaffen. Was wird in dem Haus konkret gezeigt, für welche Kunstwerke wird geplant  ? Dr. Schröder hat es immer verstanden, Privatsammlungen und Leihgeber in Aussicht zu stellen, ohne dass je die Schleier von diesen Versprechungen gelüftet wurden. … Eine abschließende Begründung für das Siegerprojekt fehlt. Warum hat man gerade dieses Projekt gewählt  ? Die Jury blieb eine Lösung schuldig  ! Die Fassade des Siegerprojekts zur Stadt ist banal und keinesfalls aufregend, dieses Haus wird in der internationalen Museumsarchitektur nicht existent sein. … Dem Landeshauptmann mangelt es wohl an Mut, in Salzburg wirklich ein außergewöhnliches Museum der Moderne zu ermöglichen. Eine Riesenchance wird damit vergeben.«38 Trotz der Kritik bemühte sich Landeshauptmann Schausberger um die Sicherung der Finanzierung des Projekts und erzielte am 22. Februar 1999 einen Erfolg. Der Bund erklärte sich zu einer Mitfinanzierung in der Höhe von 120 Millionen Schilling bereit. Wenngleich damit nicht die angestrebte fünfzigprozentige Beteiligung des Bundes erreicht war, so war dennoch die Finanzierungsfrage damit de facto gelöst. Schien somit der zügigen Inangriffnahme der Realisierung des Museums am Berg nichts mehr im Wege zu stehen, so formierte sich in Salzburg völlig unerwartet eine 37 APA 1.7.1998. 38 Medieninformation des Gemeinderatsklubs der Bürgerliste vom 6.8.1998.

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neue Front. Die Eröffnung des von Frank Gehry geplanten Guggenheim-Museums in Bilbao erwies sich als Publikumsmagnet. Viele Salzburger Befürworter des Hollein-Projekts blickten neidvoll nach Bilbao und unternahmen einen neuerlichen Anlauf zur Realisierung des Projekts. Von Gérard Mortier über Helga Rabl-Stadler und Francesca Habsburg bis Thaddaeus Ropac formierte sich eine Initiative der HolleinBefürworter mit einer Reihe von Argumenten. Salzburg brauche nur nach Bilbao zu blicken, um zu erkennen, welche Faszination und Strahlkraft ein GuggenheimMuseum ausüben kann. Es wäre das Versäumen einer Jahrhundertchance, würde man nicht doch noch das Hollein-Projekt eines Museums im Berg realisieren. Wenn schon über den Museumsplan diskutiert werde, dann müsse man auch über das Museum im Berg, das erheblich faszinierender sei als das Museum am Berg, diskutieren. Mit einer entsprechenden Beteiligung des Bundes im Ausmaß von 80 Prozent an den Errichtungskosten in der Höhe von 1 Milliarde Schilling würde Salzburg neben den Festspielen eine weitere kulturelle Säule internationalen Formats erhalten. Überraschende Unterstützung erhielt diese Initiative durch einen politischen Schwenk der Bürgerliste im Sommer 2000. Johann Padutsch, einst entschiedener Gegner des Hollein-Projekts, wandelte sich vom Saulus zum Paulus und schrieb am 19. Juli einen Brief an Thomas Krens mit der Frage, ob das Salzburger Projekt noch eine Chance auf Verwirklichung habe. »Ich hoffe, Sie haben nicht schon jetzt mit ›Nein‹ geantwortet, obwohl Ihre Erinnerungen an den seinerzeitigen Prozess vermutlich nicht die besten sind. Ich weiß, dass die Diskussion zum Guggenheim-Projekt vor rund zehn Jahren sehr unwürdig geführt wurde und ebenso unwürdig geendet hat. Ich muss gestehen, dass ich damals als Fraktionskollege von Herbert Fux zu den Gegnern des Projekts gezählt habe … Ich denke heute, dass dies ein schwerer, ja geradezu historischer Fehler war, eine gravierende Fehlentscheidung mit äußerst gravierenden Auswirkungen auf die Zukunft der Stadt und ich stehe mit meiner Meinung nicht alleine. Viele der seinerzeitigen Gegner und Skeptiker weinen heute dem Guggenheim-Projekt geradezu nach und diese Stimmung ist in Salzburg deutlich spürbar. Dass dies gerade jetzt so ist, mag auch daran liegen, dass jetzt in Salzburg ein anderes Projekt für ein Museum der Moderne umgesetzt werden soll, das weder architektonisch und schon gar nicht in der Ausstellungsqualität auch nur im Entferntesten an die Qualität des GuggenheimKonzepts heranreicht.« Er wolle daher dieses für die Zukunft der Stadt so wichtige Projekt doch noch retten. Dies sei aber nur dann möglich, wenn Bund, Stadt und Land gemeinsam auftreten und ihren Willen bekunden. Er sei bereit, dabei eine koordinierende Funktion zu übernehmen. Um dies allerdings in Angriff nehmen zu können, benötige er ein Signal, dass Guggenheim bereit sei, Salzburg noch einmal eine Chance zu geben.39 39 Zit. bei Kriechbaumer  : Umstritten und prägend. S. 105f.

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Die Bürgerliste Salzburg

Padutschs Vorstoß wurde von dem Umstand begünstigt, dass zu dieser Zeit der Liechtensteiner Anwalt Herbert Batliner, einer der großen Mäzene Salzburgs seit der Ära von Landeshauptmann Wilfried Haslauer sen., erklärte, er werde wegen der gegen ihn in der österreichischen und Salzburger Presse sowie von Oppositionspolitikern erhobenen Vorwürfe der Beihilfe zur Steuerhinterziehung seine äußerst bedeutsame Sammlung der klassischen Moderne Salzburg als Dauerleihgabe für das geplante Museum der Moderne nicht zur Verfügung stellen. Diese Erklärung war insofern von besonderer politischer Brisanz, da die Gewährung der Bundesmittel für das Projekt vor allem mit dem Argument erfolgte, dass eine bedeutende Sammlung der klassischen Moderne im österreichischen Museumsbestand fehle. Hoffnungsfroh und ironisch erklärte Cyriak Schwaighofer gegenüber der APA, Schausberger habe Salzburg eine Sammlung versprochen, die er gar nicht habe. Und zum Vorwurf Batliners, dass vor allem die von der Opposition, d. h. der Bürgerliste, erhobenen Anschuldigungen gegen seine Person, ihn zu diesem Schritt veranlasst hätten  : »Batliner hat keinen Grund, jetzt den Beleidigten zu spielen. Die Vorwürfe gegen ihn stammen nicht von den Grünen, sondern vom deutschen Bundesnachrichtendienst, von lokalen und internationalen Medien und von Richtern, die mit Vorerhebungen gegen Batliner beschäftigt sind.« Der Vorteil dieser Entwicklung sei jedoch, dass dadurch das wirtschaftlich und künstlerisch wesentlich interessantere GuggenheimProjekt wiederum bessere Chancen habe.40 Wenige Tage zuvor hatte er bereits in einer Aussendung betont, der Rückzug Batliners sei keineswegs negativ zu sehen, biete er doch die Chance für eine Realisierung des Hollein-Projekts. In dieser Entwicklung »ist nicht Schadenfreude angebracht (die wir als Gegner dieses Museums haben könnten), sondern ich sehe die Entwicklung als wirkliche Chance, wieder ALLE in Salzburg an einer herausragenden und schlüssigen Museumslösung Interessierten an einen Tisch zu bekommen.41 Der Vorstoß von Padutsch, unterstützt von den Grünen im Salzburger Landtag, stieß auf eine breite Zustimmung, die von Galerist Thaddaeus Ropac bis zu ÖVPVizebürgermeister Karl Gollegger reichte, der, entgegen der Position der Landespartei, deutliche Sympathien für einen neuerlichen Anlauf für ein GuggenheimMuseum zeigte. Sollten diese ambitionierten Bemühungen von Erfolg gekrönt sein, so waren zwei notwendige Voraussetzungen zu klären  : 1. Der Wille der Guggenheim-Foundation, die Salzburger Museumspläne doch noch zu verwirklichen und 2. die Sicherung der Finanzierung des inzwischen 1,1 Milliarden Schilling teuren Projekts durch eine entsprechende Beteiligung des Bundes in der Höhe von 80 Prozent. Zudem mussten Land und Stadt Salzburg entsprechende Mittel bereitstellen. 40 APA 7.9.2000. 41 Cyriak Schwaighofer  : Breite Zusammenarbeit für Salzburg – jetzt die Chance auf einen gemeinsamen Neuanfang nützen  ! – Goldegg 27.8.2000.

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Beide Voraussetzungen waren jedoch nicht gegeben. Anlässlich der Eröffnung des Guggenheim-Museums in Bilbao hatte Thomas Krens wissen lassen, dass Guggenheim ein 400 Millionen Dollar teures Museum in Manhatten plane und Salzburg daher in der Prioritätenliste an Bedeutung verloren habe. Bezüglich der notwendigen Bundesfinanzierung erhielt Johann Padutsch am 17. August 2000 eine negative Antwort von Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer. »Sie werden verstehen, dass ich aus heutiger Sicht – es liegt weder eine Zusage des Guggenheim-Museums New York vor, noch eine Unterstützungserklärung des Landes Salzburg – eine Förderung dieses Projekts seitens des Bundes nicht zusagen kann.«42 Und auch Finanzminister Karl-Heinz Grasser erteilte dem Vorhaben mit dem Hinweis auf die notwendige Budgetkonsolidierung eine deutliche Absage. Ein Stopp der Planungsarbeiten für das Museum der Moderne am Berg hätte zudem bedeutet, dass sich der Bund seiner gegebenen Finanzierungszusagen in der Höhe von 120 Millionen Schilling hätte entledigen können. Landeshauptmann Franz Schausberger antwortete in Richtung der Bürgerliste/Grünen, er habe den Verdacht, dass hinter dem Vorstoß der Grünen auch ein parteipolitisches Kalkül stecke. »Nachdem jene, die das Guggenheim-Projekt vehement bekämpft hatten, nunmehr verlangen, dass das Museum der Moderne gestoppt werde und mit dem Guggenheim-Projekt neu begonnen werde, liegt die Vermutung nahe, dass es nur darum geht, ein weit fortgeschrittenes Museumsprojekt zu Fall zu bringen, um dann auf die Erfolglosigkeit des Landeshauptmannes hinzuweisen.« Man dürfe daher »diesen destruktiven Kräften nicht auf den Leim gehen.« Er sei durchaus bereit, das Guggenheim-Museum neuerlich auf einer seriösen Basis zu diskutieren und zu prüfen, jedoch nicht auf Zuruf seiner bisherigen Gegner. Schausberger erteilte jedoch in einer äußerst geschickten flexiblen Reaktion den Bemühungen um eine Realisierung des Hollein-Projekts keine prinzipielle Absage, sondern erklärte, das Museum am Berg und das Museum im Berg (HolleinProjekt) schlössen einander keineswegs aus, sondern könnten sich in Form eines schrittweise zu realisierenden Kunstzentrums ergänzen. Man sollte jedoch dabei Schritt für Schritt vorgehen und mit dem gesicherten ersten Schritt, d. h. dem Museum am Berg, beginnen, das in weiterer Folge »das Fenster des Guggenheim-Museums zur Stadt sein« könnte.43 In einer Beantwortung einer Anfrage zum Stand der Museumsfrage erklärte Schausberger vor dem Bildungs-, Schul-, Sport und Kulturausschuss des Salzburger Landtages am 8. November 2000, Thomas Krens habe ihm mitgeteilt, dass er zwar nach wie vor das Hollein-Projekt faszinierend finde, aber die Guggenheim-Foundation ein solches Museum nicht mehr allein bespielen könne, sondern dies nur unter Beiziehung mindestens eines großen österreichischen Museums geschehen müsste. Zudem habe er klare und bindende Beschlüsse und 42 Zit. bei Kriechbaumer  : Umstritten und prägend. S. 108. 43 Ebda. S. 109.

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Die Bürgerliste Salzburg

Bekenntnisse vom Bund, Land und Stadt Salzburg. Eine finanzielle Beteiligung des Bundes sei aber derzeit nicht erreichbar. Demgegenüber stünden klare Beschlüsse der Landesregierung und ein ausfinanziertes und baureifes Projekt für ein Museum der Moderne auf dem Mönchsberg, das man nun auch konsequent umsetzen werde.44 Zu diesem Zeitpunkt hatte Schausberger bereits hinter den Kulissen eine Initiative für das von ihm nunmehr forcierte Projekt eines Kunstzentrums Mönchsberg, d. h. die Realisierung und Verschmelzung des vor dem Baubeginn stehenden Museums der Moderne am Berg und dem Hollein-Projekt, gestartet. Am 30. Oktober fand ein erstes Architektengespräch im Atelier von Hans Hollein statt, in dem dieser erklärte, er habe bereits in den Neunzigerjahren eine interne Anbindung des Café Winkler an das Guggenheim-Museum geplant. Am 19. November teilte er Landeshauptmann Schausberger mit, dass eine Verbindung beider Projekte problemlos möglich sei, wenn entsprechende Anschlusszonen beim Bau des Museums der Moderne geschaffen werden. Ende Juni 2001 kam eine unter der Leitung von Landesbaudirektor Axel Wagner stehende hochkarätige Arbeitsgruppe zu dem Ergebnis, dass die Realisierung beider Museumsprojekte in verschiedenen Bauabschnitten möglich sei. Man sollte jedoch mit dem Bauabschnitt I (Museum der Moderne am Mönchsberg) so rasch als möglich beginnen. »Jedes halbe Jahr, das man wartet, wird es teurer. Es ist nichts schlimmer, als ein fertiges Projekt hinauszuzögern.«45 Während die Gespräche über die Betreiber eines eventuellen künftigen Museums im Berg in Richtung einer Kooperation von Guggenheim, Kunsthistorischem Museum Wien und der Eremitage St. Petersburg geführt wurden, blieb die von Thomas Krens in allen Kontakten geforderte verbindliche Finanzierungszusage vor allem des Bundes für das 1,1 Milliarden Schilling teure Projekt aus. Und auch die Finanzierung der geschätzten Betriebskosten in der Höhe von 170 Millionen Schilling jährlich musste erhebliche Mittel des Kulturbudgets der Gebietskörperschaften binden. Nahm man diese finanziellen Rahmenbedingungen zur Kenntnis, so musste die Realisierung des Hollein-Projekts auf spätere Jahre verschoben werden. Dessen waren sich sowohl Landeshauptmann Schausberger wie auch Landesrat Othmar Raus bewusst, weshalb sie die Realisierung des Museums der Moderne am Berg als ersten Schritt für ein anzustrebendes Kunstzentrum Mönchsberg vorantrieben. In der Zwischenzeit war allerdings eine neue Variante in das Spiel gebracht worden  : die gleichzeitige Errichtung des Museums der Moderne und des – allerdings verkleinerten – Museums im Berg (Hollein-Projekt), d. h. der Bau des von Schausberger vorgeschlagenen Kunstzentrums Mönchsberg, für dessen Bespielung eine Kooperation des Guggenheim-Museums, des Kunsthistorischen Museums

44 Nr. 248 der Beilagen zum stenographischen Protokoll des Salzburger Landtages. 3. Session der 12. GP. 45 APA 26.6.2001.

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Wien und der Eremitage St. Petersburg unter der Führung von Wilfried Seipel, dem Direktor des Kunsthistorischen Museums Wien, verantwortlich zeichnen sollte. Die im Sommer 2001 neuerlich beginnende Diskussion über das Museum der Moderne erfolgte in einem subtilen politischen Kräftefeld mit mehreren Spielern, die, im Fall der Stadt Salzburg, ihre Positionen wechselten. Der Stadt kam durch die für die Realisierung des Projekts des Museums der Moderne durch die dafür notwendige Teilabänderung des Flächenwidmungsplans, der Baubewilligung, der Genehmigung des Bebauungsplans und die Zustimmung zur verkehrsmäßigen Erschließung der Baustelle eine zentrale Rolle zu, die sie auch auszuspielen gedachte. In dem politischen Kräftespiel sammelten sich auf der Seite der Stadt zunächst die Gegner der bloßen Inangriffnahme des Bauabschnitts I (Museum am Berg) und Befürworter der großen Lösung eines Kunstzentrums Mönchsberg  : SPÖ, Bürgerliste und FPÖ. Da die Stadt bisher noch keine Baugenehmigung erteilt hatte, schien diese ein ideales Druckmittel zur Durchsetzung der großen Lösung. Am 4. Juli unternahm Bürgermeister Heinz Schaden, unterstützt von der Bürgerliste, den Versuch, durch einen positiven Beschluss des Gemeinderates die bisherige Blockade des Baus des Museums der Moderne durch den gleichzeitigen Beschluss einer Realisierung des Kunstzentrums Mönchsberg aufzuheben. Sowohl Landeshauptmann Franz Schausberger wie Landesrat Othmar Raus reagierten sichtlich verärgert, hatte doch damit der Gemeinderat die vom Land erhoffte Baugenehmigung für das Museum der Moderne am Berg nicht erteilt und den mehr als ein Jahr andauernden Stillstand bewusst verlängert. Landesrat Othmar Raus erklärte in Richtung seines Parteifreundes Heinz Schaden und Johann Padutsch, manches könne gut gemeint sein und trotzdem schlecht getroffen werden. Er fürchte, dass es bei dieser Politik der Stadt, die sofortige Realisierung der Baustufen I und II, am Ende vielleicht überhaupt kein Museum geben werde. Die Grünen gingen in ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem Projekt des Museums am Berg schließlich noch einen Schritt weiter, indem sie für eine Verschiebung des Projekts Kunstzentrum Mönchsberg auf die Jahre nach 2006 plädierten. So erklärte Cyriak Schwaighofer  : »Die große Chance, Salzburgs Ruf als Kultur-Metropole mit dem Jahrhundertprojekt von Hollein zu festigen, darf nicht an falschen Zeitplänen und Prämissen scheitern. Bis zum Mozart-Jahr 2006 sollen die dringlichen Projekte abgeschlossen werden, dann kann das ›Museum am Berg‹ in Angriff genommen werden. Das Hollein-Museum im Berg ist ein Langzeitprojekt, das nicht in Sparzeiten realisiert werden kann. Nach dem Mozart-Jahr 2006 und der Realisierung der bis dahin schon fixierten Kultur-Um- und Neubauten kann es die nächste große Herausforderung für Salzburg sein.«46

46 APA 5.7.2001.

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Die Bürgerliste Salzburg

Der Landeshauptmann leistete, unterstützt von Landesrat Raus, massiven Widerstand gegen die Initiative der Stadt, da diese den Bund seiner gegebenen Finanzierungszusage entledigte, wie ein Gutachten der Landesamtsdirektion feststellte. In einem eilig einberufenen Stadt-Land-Gespräch erklärte er, das Land warte seit nunmehr mehr als einem Jahr auf die Baugenehmigung. Die Finanzierung des Museums am Berg sei, im Gegensatz zum Kunstzentrum Mönchsberg, gesichert und er wolle eine weitere Verzögerung nicht mehr hinnehmen. Gleichzeitig bot er jedoch, unterstützt von der gesamten Landesregierung, eine Kompromisslösung an, indem er versicherte, dass bei der Errichtung des Museums am Berg alle Vorkehrungen getroffen werden, die eine spätere Realisierung der Bauphase II (Museum im Berg) ermöglichen. Sollte die Stadt diesem Kompromiss nicht zustimmen, werde sich das Land aus dem Projekt völlig zurückziehen, womit es weder zur Realisierung des Projekts des Museums am Berg noch des Kunstzentrums im Mönchsberg kommen werde. Damit spielte er geschickt den Ball an die Stadt zurück, die nunmehr unter Zugzwang geriet. Während Bürgermeister Heinz Schaden Einverständnis signalisierte, sprach Stadtrat Johann Padutsch von einem »Desaster« der Stadt. Die Aussagen von Landeshauptmann Schausberger und Landesrat Raus bedeuten für die Stadt nichts anderes, als »neuerlich über den eigenen Schatten zu springen, ein hohes Risiko in Kauf zu nehmen und letztlich das Schicksal dieses großartigen Projekts in die Hände jener zu legen, die in den letzten Wochen und Monaten wenig Zweifel daran gelassen haben, was sie wollen. Ein kleines Projekt, für das sich kaum jemand in Salzburg erwärmen kann, am schönsten Bauplatz der Stadt realisieren und eine Chance für Stadt und Land ein zweites Mal aufgeben. Klar ist, dass ohne Baubewilligung für das Haus am Berg, so wie es jetzt vorliegt, Schausberger und Raus auch das Kunstzentrum sterben lassen werden.«47 Die Ablehnungsfront der Stadt begann aufgrund einer realpolitischen Kehrtwende von Bürgermeister Heinz Schaden, der auch unter zunehmendem Druck der SPÖ-Landespartei geriet, zu bröckeln. Für diese Positionsänderung des Bürgermeisters war nicht zuletzt auch die Überlegung ausschlaggebend, sich mit Blick auf die nächste Gemeinderatswahl nicht dem Vorwurf des Verhinderers auszusetzen und eine schwere atmosphärische Störung zwischen Land und Bund, vor allem auch zwischen der Landes- und Stadtparteiorganisation der SPÖ, zu verhindern. Ein Gutachten der Magistratsdirektion war zudem in der umstrittenen Causa zu dem Schluss gekommen, dass die rechtliche Position der Stadt »nicht determiniert« sei und daher »letztlich eine politische Entscheidung« gefällt werden müsse.48

47 Johann Padutsch  : Presseaussendung 19.7.2001. 48 Kriechbaumer  : Umstritten und prägend. S. 124.

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Diese fiel am 30. Juli und führte zum Bruch zwischen SPÖ und Bürgerliste, als der Gemeinderat gegen die Stimmen der Bürgerliste, der FPÖ und der Liste Angerer beschloss, das seit Mai 2000 blockierte Verfahren bis spätestens 30. September mit einer rechtskräftigen Baubewilligung abzuschließen und noch im August die Bauverhandlung durchzuführen. Der Gemeinderat beschloss zudem, zur Lösung der technischen Fragen – architektonische Gestaltung der reduzierten Kubatur des Hollein Projekts, Betreiberkonzept, Errichtungs- und Betriebskosten – eine vom Bund, dem Land und der Stadt Salzburg beschickte Arbeitsgruppe unter der Federführung der Stadt einzurichten, nachdem Landeshauptmann Franz Schausberger eine Weiterverfolgung des Projekts eines Museums im Berg und damit die Realisierung des Kunstzentrums Mönchsberg zugesagt hatte. Die politischen Wogen waren mit der Entscheidung des Gemeinderates am 30. Juli jedoch noch keineswegs geglättet. So erklärten der Klubobmann der Bürgerliste, Helmut Hüttinger, und FPÖ-Vizebürgermeister Siegfried Mitterdorfer unisono, der Gemeinderat habe mit dem Beschluss seinen einzigen noch verbliebenen Trumpf für die Realisierung des Museums im Berg aus der Hand gegeben. Trotz aller Beteuerungen des Landes, das Projekt Kunstzentrum Mönchsberg weiterzuverfolgen, sei damit, so Hüttinger, dieses mit dem Beschluss des Gemeinderates letztlich begraben worden. In einer Aussendung erklärten die Grünen, die Stadt habe »klein beigegeben. Die Genehmigungen für das MaM sind erteilt worden, obwohl dieses ›Schausberger Projekt‹ auf breite Ablehnung stößt und viele Experten zu einer Verschmelzung des MaM mit dem Hollein-Projekt für ein Museum im Mönchsberg raten. Schausberger gibt sich jetzt gütig und hat versprochen, eine Arbeitsgruppe einzurichten und die Verbindung beider Projekte zu prüfen.«49 Als am 22. August Bürgermeister Heinz Schaden mündlich den Baubescheid erteilte, legte der dafür ressortzuständige Vizebürgermeister Siegfried Mitterdorfer Berufung ein und stellte den Antrag auf Parteistellung. Um eine damit drohende weitere Verzögerung der Bauarbeiten zu verhindern, zog Bürgermeister Heinz Schaden, gestützt auf ein Rechtsgutachten und den Gemeinderatsbeschluss vom 30. Juli, von sich aus die Berufung und den Antrag auf Parteistellung zurück. Wenngleich Mitterdorfer auf dieses Vorgehen des Bürgermeisters publikumswirksam mit dem Vorwurf der politischen Willkür reagierte, so gestaltete sich der nach wie vor anhaltende Widerstand der Bürgerliste als größere Gefahr für die Realisierung der von ÖVP und SPÖ vereinbarten Etappenlösung. Stadtrat Johann Padutsch weigerte sich nämlich beharrlich, die naturschutzrechtliche Bewilligung für die für den Bau notwendige provisorische Umfahrung der Monikapforte durch ein notwendiges Brückenprovisorium zu erteilen, womit der Baubescheid keine Rechtskräftigkeit erlangen konnte. Rückendeckung erhielt die ablehnende Haltung Padutschs durch eine Stellungnahme von 49 DIE GRÜNE 4/2001.

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Landesumweltanwalt Wolfgang Wiener, der sich gegen die Weiterverfolgung des Projekts eines Kunstzentrum Mönchsberg mit dem Argument ausgesprochen hatte, dass das Hollein-Projekt die Rodung eines fußballfeldgroßen Buchenwaldes auf dem Mönchsberg erforderlich machen würde. Wurde nun mit dem Hinweis auf naturschutzrechtliche Einwände das für den Bau vorgesehene Brückenprovisorium nicht bewilligt, so entstanden daraus erhebliche Probleme, da in diesem Fall der Zu- und Abtransport zur Baustelle nur mit erheblichen Mehrkosten und einer Verlängerung der Bauzeit verbunden waren. Wurde nicht mit 1. März 2002 mit dem Bau begonnen, drohte außerdem aufgrund einer mit 1. März 2002 in Kraft tretenden neuen steuerrechtlichen Vorschrift über den Vorsteuerabzug ein steuerlicher Nachteil in der Höhe von 30 bis 40 Millionen Schilling. Die drohende zeitliche Verzögerung ließ eine geplante Inbetriebnahme des Museums am Berg im Jahr 2004 als unwahrscheinlich erscheinen, wodurch nicht nur die 120 Millionen Schilling an Bundesmitteln, sondern auch der ausschließlich für das Museum der Moderne von den Casinos Austria zugesagte Sponsorbeitrag in der Höhe von 40 Millionen Schilling verloren zu gehen drohten. Landeshauptmann Schausberger drängte daher auf ein neuerliches Stadt-Land-Gespräch am 30. Oktober, bei dem Bürgermeister Heinz Schaden versicherte, dafür Sorge zu tragen, dass der noch ausständige naturschutzrechtliche Bescheid für die Errichtung der provisorischen Umfahrung möglichst rasch erfolgen werde, sodass noch im November mit den Arbeiten an der Umfahrung der Monikapforte begonnen werden könne. Ferner wurde Einigung darüber erzielt, dass Stadt und Land Salzburg gemeinsam die Verhandlungen mit dem Bund betreffend eine Mitfinanzierung des Museums im Berg aufnehmen werden, wobei man mit Blick auf die angespannte Lage der öffentlichen Haushalte davon ausging, dass eine Finanzierung der Realisierung der Baustufe II erst ab 2006 möglich sein werde. Der Salzburger Bürgermeister zwang Stadtrat Johann Padutsch Anfang November per Weisung, einen provisorischen Naturschutzbescheid für die Baustellenzufahrt auszustellen. Und Landesrat Othmar Raus erklärte im Dezember 2001 angesichts des nach wie vor anhaltenden Widerstandes der Bürgerliste/Grünen und der FPÖ, die, gestützt auf eine Erklärung Wilfried Seipels, für eine Verschiebung des Baubeginns und eine spätere Realisierung des Gesamtprojekts plädierten, der Baubeginn für das Museum am Berg werde im Jänner 2002 ohne Wenn und Aber erfolgen. Padutsch erwiderte in einer Presseaussendung, die Erklärung des Kultur-Landesrates sei »kleinkariert und wirtschaftlich absurd und verantwortungslos«.50 Die Arbeiten für das Museum der Moderne am Berg begannen am 14. Jänner 2002 und am 25. März folgte hinter einem von Künstlern gestalteten Bauzaun die Demontage der Glasfassade des Café Winkler.

50 Johann Padutsch  : Medieninformation vom 28.12.2001.

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Gleichzeitig schienen die Auspizien für eine zeitlich absehbare Realisierung des Museums im Berg nach einer Reduzierung des ursprünglichen Hollein-Projekts und einer neuen Baukostenschätzung in der Höhe von 47 Millionen Euro, d. h. 60 Prozent der ursprünglichen Errichtungskosten, und Betriebskosten von jährlich 4,5 Millionen Euro günstig. Am 1. Mai 2002 beschäftigte sich die Landesregierung mit dem Thema, nachdem Landeshauptmann Franz Schausberger Ende März erklärt hatte, er könne sich eine Mitfinanzierung des Projekts durch das Land in der Höhe von 14,5 Millionen Euro in Tranchen ab dem Jahr 2004 vorstellen. Das Land war angesichts der gleichzeitig erfolgenden Adaptierung der Neuen Residenz für ein künftiges Salzburg Museum durch das Architekturbüro Kaschl/Mühlfellner und die notwendig gewordene Neuerrichtung des neuen Mozarteums erheblichen finanziellen Belastungen ausgesetzt. Für die Stadt war diese Zusage allerdings zu gering. Bürgermeister Heinz Schaden erklärte zum Angebot Schausbergers Ende März, die Stadt habe für das Hollein-Projekt aus dem Sparkassenverkauf 18,2 Millionen Euro reserviert, weshalb auch das Land und der Bund diesen Beitrag, d. h. eine jeweilige Drittelfinanzierung, leisten müssten. Diese Drittelfinanzierung gelte auch für die Betriebskosten. Angesichts der neuerlich aufflammenden Diskussion über das Hollein-Projekt unternahmen die Grünen einen neuerlichen Anlauf, die Errichtung des Museums der Moderne zugunsten der Konzentration auf das Hollein-Projekt aufzugeben. Anfang April forderte Cyriak Schwaighofer ein Zurück an den Start und eine ausschließliche Konzentration auf das faszinierende Hollein-Projekt. Alles, was im geplanten Museum der Moderne gezeigt werden soll, könne auch im Museum im Berg gezeigt werden. Die bisher für das Museum der Moderne bereitgestellten Mittel in der Höhe von 22 Millionen Euro sollten in das Hollein-Projekt fließen. Der Bau zweier Museen sei zu teuer und darüber hinaus würden deren Betriebskosten das Landesbudget über Gebühr belasten.51 Am 10. und 11. April diskutierte der Salzburger Landtag über Antrag der Grünen über das Hollein-Projekt, wobei diese allerdings mit ihrer Absicht scheiterten, eine deutliche Willenserklärung des Landtages für das HolleinProjekt zu erreichen. Dessen ungeachtet stellten die Grünen am 20. Mai im Landtag den Antrag, die Landesregierung aufzufordern, »bei ihrer nächsten Sitzung einen Grundsatzbeschluss zur Errichtung des ›Hollein-Museums‹ herbeizuführen und die grundsätzliche Bereitschaft zu bekunden, bis zu einem Drittel der Errichtungskosten zu übernehmen sowie sich zu verpflichten, einen adäquaten Teil des Betriebsabgangs zu übernehmen.«52

51 Kriechbaumer  : Umstritten und prägend. S. 131f. 52 Nr. 577 der Beilagen zum stenographischen Protokoll des Salzburger Landtages. 4. Session der 12. GP., 20.5.2002.

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Jenseits aller noch ungeklärten betriebstechnischen Fragen wurde im Juni 2002 ein bedeutender Fortschritt erzielt, als Landeshauptmann Franz Schausberger in Richtung der Hollein-Befürworter erklärte, die Realisierung des Projekts sei ein nationales Anliegen, das die Beteiligung des Bundes erforderlich mache. Um die dafür notwendigen Unterlagen zur Verfügung zu haben, erfolgte eine neuerliche Kostenevaluierung sowohl der Errichtungs- wie auch der Betriebskosten. Diese ergaben Errichtungskosten zwischen 56,8 und 68,8 Millionen Euro und einen jährlichen Subventionsbedarf in den ersten beiden Jahren in der Höhe von 8,2 Millionen Euro, in den Folgejahren von 6,2 Millionen Euro. Auf der Basis dieser neuerlichen Kostenschätzung erklärte sich nun das Land bereit, einen Kostenbeitrag in der Höhe von 18,16 Millionen Euro zu leisten, dies jedoch nur unter der Bedingung, dass auch seitens des Bundes eine Drittelfinanzierung erfolge, d. h. das Projekt ausfinanziert sei. Zwischen Land und Stadt wurde zudem vereinbart, als generelles Ziel die Eröffnung des Kunstzentrums Mönchsberg bis zum Mozart-Jahr 2006 anzustreben. Der von Johann Padutsch in mehreren Interviews in den Raum gestellte Verdacht, das Land benutze die notwendigen Verhandlungen mit dem Bund lediglich als Vorwand, um nach dem Motto »man wolle ja, aber leider der Bund nicht« ein Projekt zu verhindern, das man gar nicht wolle, entsprach nicht den Tatsachen. Das Land hoffte keineswegs auf eine negative Stellungnahme des Bundes, hinter der man sich verstecken konnte. Vielmehr waren die Chancen für eine neuerliche Finanzierungszusage des Bundes zu diesem Zeitpunkt äußerst gering, da dieser bereits Zusagen für die von Landeshauptmann Franz Schausberger initiierten Projekte – Haus für Mozart, Museum der Moderne, Mozarteum, Uni-Park Nonntal – gegeben hatte. Würde nun der Bund eine neuerliche Finanzierungszusage abgeben, so wäre mit entsprechenden Forderungen der übrigen Bundesländer zu rechnen, die man jedoch angesichts der erforderlichen Budgetsanierung nicht erfüllen könne. Bei den übrigen Bundesländern würde somit der Verdacht einer einseitigen Bevorzugung Salzburgs entstehen. Sowohl Bundeskanzler Wolfgang Schüssel wie auch Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer und Finanzminister Karl-Heinz Grasser ließen daher Stadt und Land Salzburg wissen, dass mit einer Finanzierungszusage des Bundes nicht zu rechnen sei. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel relativierte seine ablehnende Haltung allerdings mit der Bemerkung, Salzburg sollte bei der Finanzierung des Projekts mehr Fantasie aufbringen und private Sponsoren finden. Wären diese in einem nennenswerten Umfang gefunden, könnte man wiederum über eine Bundesbeteiligung sprechen. Die folgenden Ereignisse glichen einem Ritt über den Bodensee. Während Bürgermeister Heinz Schaden die Erklärung von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel als eine Brüskierung von Land und Stadt Salzburg bezeichnete, die die internationale Bedeutung und Strahlkraft des Hollein-Projekts, das sich durchaus mit jener der Festspiele vergleichen könne, verkenne, offerierten die Salzburger Banken das von Schüssel angesprochene PPP-Modell, indem sie ihre Bereitschaft erklärten, bei dem Projekt

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als Bauherr aufzutreten und die Errichtungskosten aufzubringen und nach der Fertigstellung an den Betreiber zu vermieten. Seitens der Stadt wurde hinter vorgehaltener Hand in Richtung Chiemseehof der Verdacht geäußert, dass es dem Land an dem Willen fehle, sich für das Museum im Berg mit allen Mitteln zu engagieren. Um das Land zu einem eindeutigen Bekenntnis zum Hollein-Projekt zu zwingen, unternahm Stadtrat Johann Padutsch mithilfe des Versuchs einer politischen Junktimierung einen neuerlichen Anlauf. Anfang Juni 2002 drohte er dem Land mit der NichtKundmachung des geänderten Flächenwidmungsplans, solange das Land nicht ein Bekenntnis zur Realisierung des Hollein-Projekts ablege. Ohne Kundmachung war der geänderte Flächenwidmungsplan nicht rechtskräftig. Das Museum der Moderne sei nämlich nicht wie ursprünglich behauptet, so die Begründung Padutschs im ORF am 7. Juni, ein Umbau eines bestehenden Bestandsobjekts, sondern ein Neubau. Er erwarte sich daher vor der Kundmachung des geänderten Flächenwidmungsplans ernsthafte Gespräche mit dem Land über die Errichtung, Betriebskosten und eine mögliche Betreibergesellschaft für das Museum am und im Berg. »Wenn nicht, wird man sich das gesamte Projekt noch einmal anschauen müssen. Es kann nicht sein, dass ein Teil realisiert wird in einer Form, die rechtlich zu hinterfragen ist, um es vorsichtig auszudrücken und die außerdem inhaltlich, konzeptionell mittlerweile xfach dokumentiert, nicht gerade das Gelbe vom Ei ist. … Der sensibelste Bauplatz in der Stadt Salzburg braucht ein herausragendes Projekt. Und das ist nur das Museum im Berg, das Museum auf dem Berg allein ist das nicht.«53 Die Drohung Padutschs erwies sich jedoch nur als Sturm im Wasserglas. Aufgrund der Beschlüsse des Gemeinderates und der bereits vorliegenden Bewilligungen durch das Land war die Kundmachung gesetzlich zwingend vorgeschrieben, weshalb am 15. Juli der geänderte Flächenwidmungsplan im Amtsblatt der Stadt Salzburg kundgetan und damit rechtskräftig wurde. Padutsch wies jedoch darauf hin, dass es sich dabei um eine Sonderwidmung handle, die nur für das Kunstzentrum Mönchsberg und nicht für das Museum am Berg alleine in Anspruch genommen werden könne. Er hoffe, dass nunmehr das Land vom Bund die Drittelfinanzierung des Kunstzentrums-Projekts erreiche, um dieses so rasch als möglich realisieren zu können. Landeshauptmann Franz Schausberger war hinter den Kulissen um eine Drittelbeteiligung des Bundes an den Errichtungskosten des Hollein-Projekts unermüdlich bemüht, verband er doch zunehmend das Gelingen seiner kulturpolitischen Initiativen auch mit einer Realisierung des Hollein-Projekts und damit des von ihm in die Diskussion gebrachten Kunstzentrums Mönchsberg. Am 12. März 2003 erfolgte eine neuerliche Besprechung mit Finanzminister Karl-Heinz Grasser, in der Schausberger vorschlug, dass die vom Bund erforderlichen 18,16 Millionen Euro langfristig ab 2008 zur Verfügung stehen sollten. Grasser erwiderte, er werde dieses 53 Zit. bei Kriechbaumer  : Umstritten und prägend. S. 138.

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Die Bürgerliste Salzburg

Ansinnen mit Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer und Wirtschaftsminister Martin Bartenstein erörtern, doch werde es äußerst schwierig sein, Salzburg neuerliche Mittel zu Verfügung zu stellen, ohne die Proteste anderer Bundesländer zu wecken. Wenn allerdings das Museum im Berg über zweifellos internationale Strahlkraft z. B. durch einen Betreiber wie Guggenheim, das Kunsthistorische Museum Wien oder die Eremitage St. Petersburg verfüge, könne man über eine entsprechende Bundesbeteiligung reden. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass sowohl seitens des Landes wie auch der Stadt Salzburg eine bindende Finanzierungszusage über jeweils ein Drittel vorliege. Schausberger gab sich nach dem Gespräch durchaus optimistisch und erklärte unter dem Beifall der Grünen, er betrachte das Hollein-Projekt als das wichtigste kulturpolitische Projekt der kommenden Legislaturperiode. Um die Voraussetzungen für entsprechende Verhandlungen mit dem Bund zu schaffen, unterschrieb der Landeshauptmann am 4. Mai 2003 den Regierungsantrag auf eine Drittelfinanzierung des Landes. Für dessen Realisierung war aufgrund des in der Landesverfassung geforderten Einstimmigkeitsprinzips die Zustimmung der SPÖ erforderlich. Die SPÖ praktizierte jedoch in der Zwischenzeit durch ihre neue Landesvorsitzende und Landeshauptmann-Stellvertreterin Gabi Burgstaller mit Blick auf die kommende Landtagswahl 2004 einen geänderten Politikstil, der aus einer Mischung von Opposition in der Regierung, gepaart mit einer äußerst geschickten Zielgruppenpolitik und PR-Strategie der neuen Spitzenkandidatin und bedenkenlosem Populismus bestand. Es galt, dem amtierenden Landeshauptmann bei diesem so heftig diskutierten kulturpolitischen Thema vor der Landtagswahl keinen Erfolg zu gönnen. Gabi Burgstaller erklärte daher in der Regierungssitzung, dass der von Schausberger beantragte Regierungsbeschluss derzeit bei der SPÖ keine politische Priorität besitze. In Verfolgung der populistischen Linie betonte sie, es gebe »derzeit andere Prioritäten wie beispielsweise Gesundheit, soziale Sicherheit, Wirtschaftspolitik, Bildung und Jugend. Erst wenn wir unsere Pflichtaufgaben erfüllt haben, dann kann es an die Kür gehen.«54 Sie verweigerte auch in der Folgezeit ihre Unterschrift unter den beantragten Regierungsbeschluss, wodurch die Verhandlungen mit dem Bund auf Eis lagen und das Museum der Moderne am Berg als Solitär gebaut wurde, der am 23. Oktober 2004 mit einer zeitgenössischen Sammlung des Rupertinums, der Betreiberin des Museums, eröffnet wurde.

54 APA 31.7.2003.

Trübungen des Koalitionsklimas

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12.2 Trübungen des Koalitionsklimas Im März 2002 steuerten die in der Stadtpolitik weitgehend koalierende SPÖ und Bürgerliste auf eine (vorübergehende) Eiszeit zu. Grund für die plötzliche Abkühlung der Beziehung war eine im März 2002 stattfindende Kampagne der »Kronen Zeitung« gegen Johann Padutsch wegen dessen Zustimmung zu Rodungen in der als Grünland deklarierten Itzlinger Au im Anschluss an das Messegelände, um Platz für eine neue Stadthalle zu schaffen. Die von der »Kronen Zeitung« veröffentlichten Dokumente ließen die Bürgerliste vermuten, dass diese von SPÖ-Gemeinderat Martin Panosch im Auftrag von Bürgermeister Heinz Schaden übergeben worden seien. Wenngleich Schaden diese Vermutung von sich wies, war die atmosphärische Störung im Schloss Mirabell unübersehbar. Als im Februar 2002 die Rodungen in der Au beim Salzburger Messzentrum begannen, reagierten die Anrainer erbost und Stadtrat Johann Padutsch bestürzt. In einem Streitgespräch mit Umweltanwalt Wolfgang Wiener, der erklärt hatte, er sei »wegen der Itzlinger Au eigentlich total fertig« erklärte er, das Salzburger Ausstellungszentrum (SAZ) hätte sich nicht an die getroffenen Vereinbarungen gehalten. »Insbesondere die Information der Öffentlichkeit, insbesondere der Anrainer. … Es war vereinbart, dass ein deutlich stärkeres Stück Wald zur Aribonenstraße stehen bleibt. … Es gab einen Auftrag von uns nicht zu roden, weil es wahrscheinlich war, dass dort geschützte Tiere leben.« Und zu den erhebliches Aufsehen erregenden Schlägerungen  : Man müsse Gesetze beachten, »auch wenn sie im Moment nicht in den Kram passen. … der Kern des Schmerzes, um den es geht, sind drei Waldflächen, die insgesamt 24.000 m2 ausmachen, und von denen jetzt zwei gerodet sind. Das war von Anfang an ersichtlich, dass sie für Baumaßnahmen bzw. für Parkplätze vorgesehen sind. Spätestens mit der Einigung über den geschützten Landschaftsteil Itzlinger Au. Ab diesem Zeitpunkt war klar, dass der Kernpunkt der Itzlinger Au (85.000 m2) unter Naturschutz steht. Der Rest, insbesondere an der westlichen Seite, ist die Entwicklungsachse des SAZ. Die LUA war in diese Entscheidung eingebunden. Sowohl der damalige Umweltanwalt Eberhard Stüber als auch Wolfgang Wiener.«55 Die »Kronen Zeitung« veröffentlichte daraufhin Dokumente, die beweisen sollten, dass Padutsch, der sich noch im März 1999 als Retter der Itzlinger Au als Naherholungsgebiet und Naturerfahrungsbereich hatte feiern lassen, in den um 50 Prozent über dem ortsüblichen Preis (statt 2500 Schilling betrug der Kaufpreis 3960 Schilling pro m2 Auwald) erfolgten Kauf des unter dem Schutz der Grünlanddeklaration und des Naturschutzgesetzes stehenden Grundstückes durch das Salzburger Ausstellungszentrum involviert war und sich als Chef der Raumordnung sowie

55 SN lokal 2.3.2002. S. 5.

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Die Bürgerliste Salzburg

der Forstbehörde für die Umwidmung in Bauland einsetzte.56 Aufgrund der von der »Kronen Zeitung« veröffentlichten Dokumente und der erheblichen öffentlichen Erregung meldete sich SPÖ-Gemeinderat Martin Panosch zu Wort und erklärte  : »Es ist eine unerträgliche Doppelbödigkeit, die da offenkundig wird.« Er sei »sauer, was die Grünen für ein doppeltes Spiel aufführen.« Und  : »Was haben die Grünen gewettert, weil das Land Salzburg in Kleßheim 3.000 Schilling für Grünland zahlte. Beim Messezentrum fädelte Padutsch den Kauf einer geschützten Fläche ein, die noch weit teurer war …«57 Hans Peter Hasenöhrl kommentierte die Affäre mit der Bemerkung, dass sich »Abgründe in der Kommunalpolitik«, für die die Bürgerliste verantwortlich zeichne, auftäten. Alle der »Kronen Zeitung« zur Verfügung gestellten Dokumente würden beweisen, dass diese »nur eines zum Ziel hatten  : Die brutale Rodung der Itzlinger Au, die Vernichtung des Lebensraums für seltene Tiere und geschützte Pflanzen, den Bruch der Grünlanddeklaration. Wenn das alles keine Fälschungen sind, dann hat niemand geringerer als der Spitzenkandidat der Bürgerliste, der grüne Umweltstadtrat Johann Padutsch, die Zerstörung der Au betrieben. (…) Ich frage mich nur, wie lange sich die gutgläubigen Salzburger Grün-Wähler, die braven Funktionäre und die breite Basis der Bürgerliste so eine Art von Politik noch gefallen lassen  ? Bis zu den nächsten Wahlen 2004  ? Dann wird von der Grünbewegung so wenig übrig sein wie von der geschlägerten Au beim Messegelände.«58 Eberhard Stüber, Papst des Salzburger Umweltschutzes, bemerkte unter Bezugnahme auf die Ereignisse in der Hainburger Au in einem Kommentar, man erlebe »heute eine ähnliche Situation wie in den 70er und 80er Jahren, als die Verantwortungsträger Bäume als Hindernisse für den Fortschritt und Auwälder als unnütze ›Dickichte‹ abqualifiziert haben. Diese Rücksichtslosigkeit im Umgang mit den Umweltressourcen hat letztlich die Gründung der damals noch sehr grün orientieren ›Grünparteien‹ gefördert, aber auch die Jugend alarmiert. In Sorge um ihre Zukunft sind Kinder und Jugendliche bei minus 20 Grad in die Hainburger Au gestürmt, um der Schlägerung und Zerstörung dieser letzten Naturoase vor den Toren Wiens Einhalt zu gebieten. Hainburg war eine Zeit lang ein Schock für die Politiker und man reagierte mit einer Reihe vernünftiger Maßnahmen zur Erhaltung einer lebenswerten Umwelt. … Heute ist Hainburg vergessen und Umweltfragen haben bei den Verantwortungsträgern nur geringen Stellenwert. Nur so ist es zu verstehen, dass man in denkbar brutaler Weise vor den Augen von Kindern gesunde Bäume schlägert und Auwaldreste wieder als unnützes ›Dickicht‹ bezeichnet. (…) 56 Kronen Zeitung 8.3.2002. S. 10f  ; Kronen Zeitung 9.3.2002. S. 12f  ; Kronen Zeitung 10.3.2002. S. 12f  ; Kronen Zeitung 11.3.2002. S. 10. 57 Kronen Zeitung 12.3.2002. S. 10f. 58 Hans Peter Hasenöhrl  : Abgründe in der Politik. – In  : Kronen Zeitung 10.3.2002. S. 12.

Trübungen des Koalitionsklimas

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Wir leben in einer Stadt mit hoher Lebensqualität. Achten wir daher mehr als bisher auf diese großen Naturwerte, sonst wird es früher oder später auch in Salzburg einen Aufstand der Jugend und ein zweites Hainburg geben.«59 Ob der öffentlichen Erregung meldeten sich auch ehemalige und noch aktive Bürgerliste- und Grün-Politiker zu Wort. Cyriak Schwaighofer betonte, dass man sich »mit Johann Padutsch über die Sache werde unterhalten müssen«. Er habe »nichts von der Vermittlung dieses Grundes gewusst«, doch seien ihm die »Hintergründe … unklar«. Herbert Fux, kein Freund von Padutsch, ließ seinem Ärger freien Lauf  : »Wir sind angetreten, um die Hellbrunner Allee vor der Verbauung zu retten – der Schutz der Bäume ist eine Ur-Aufgabe der Grünen. Dass ausgerechnet ein grüner Stadtrat Umwidmungen und Rodungen genehmigt, halte ich eigentlich für unfassbar  !« Christian Burtscher trafen die Vorgänge »ins Mark« und Eckehard Ziesel fand sie »einfach arg.«60 Die Bürgerliste, vor allem Johann Padutsch, sahen sich plötzlich einer massiven öffentlichen Kritik mit möglichen Auswirkungen auf die nächste Gemeinderatswahl ausgesetzt. Am 27. März 2002 sah sich Padutsch veranlasst, in einem Schreiben an Cyriak Schwaighofer zu den gegen ihn erhobenen Anschuldigungen Stellung zu nehmen. Die »Kronen Zeitung« führe seit Wochen wiederum eine Hetzkampagne gegen ihn durch, so der in die Kritik geratene Stadtrat einleitend. »Dieses Mal wird im Zusammenhang mit der Rodung von Waldflächen beim Salzburger Ausstellungszentrum (SAZ) versucht, mir ein Doppelspiel zu unterstellen und mich als Umweltverbrecher abzustempeln. Ich will mich gegen diesen Rufmord zur Wehr setzen und Sie persönlich über die wirklichen Hintergründe informieren. In den Jahren 1995 bis 1998 ist es mir in Übereinstimmung mit der Landesumweltanwaltschaft (LUA) und Naturschutzbund als erstem Politiker gelungen, den wertvollsten Teil der sogenannten Itzlinger Au und 85 Prozent ihres Gesamtbestandes zum Geschützten Landschaftsteil zu erklären und damit unter gesetzlichen Schutz zu stellen. Gegen den ursprünglichen vehementen Widerstand aller anderen Stadt- und Landesparteien, der Wirtschaftskammer und des SAZ. Der seinerzeitige Landesrat Thaller hatte mir als Oberbehörde sogar per Weisung untersagt, die Unterschutzstellung durchzuführen. Das war und ist ein großer Erfolg für den Naturund Umweltschutz. Im damaligen Gesamtpaket wurde aber auch die Entwicklungsachse des Messezentrums entlang der Aufschließungsstraße Richtung Autobahn festgelegt, um die wirtschaftliche Zukunft dieses wichtigen Betriebes zu sichern. Damit habe ich etwas geschafft, wovor sich die Salzburger Politik seit Existenz des Messezentrums gedrückt hat. Dies hat unter anderem dazu geführt, dass das SAZ nach der Salamitaktik

59 Eberhard Stüber  : In der Au. – In  : Kronen Zeitung 10.3.2002. S. 13. 60 Kronen Zeitung 13.3.2002. S. 14.

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Die Bürgerliste Salzburg

in die wertvollsten Teile der Au hineingewachsen ist. Auslöser für den Vorgang war ja wiederum eine beabsichtigte Rodung im Kernbereich der Au. Zu den von der Krone unterstellten geheimen Grundstücksverhandlungen  : Der sogenannte ›Gspandl-Grund‹ liegt zwischen dem SAZ und seinen Parkplätzen, also in der Entwicklungsachse. Vertreter des SAZ haben in den vergangenen 20 Jahren mehrfach erfolglos versucht, dieses für die Entwicklung des SAZ wichtige Grundstück zu erwerben. Ich hatte bereits ein Gespräch mit den Eigentümern geführt, weil ein Teil des Grundstückes im Schutzgebiet liegt. Dabei konnte ich auch die Familie Gspandl von der Sinnhaftigkeit einer Unterschutzstellung überzeugen und das Gesprächsklima war gut. Deshalb hat mich das SAZ ersucht, einen Vermittlungsversuch zum Ankauf des restlichen Grundstückes zu unternehmen. Dem habe ich entsprochen und war auch dabei erfolgreich. Heute sind alle Grundstücke in der Entwicklungsachse im Besitz des SAZ. Es sind damit der Bestand des Unternehmens und seine Entwicklung gesichert, klare Verhältnisse geschaffen an der fachlich richtigen Stelle und die Salamitaktik beendet. Und dies, wie gesagt, bei einem gesetzlichen Schutz von 85 Prozent des Gesamtbestandes des Auwaldes. Auch das ist ein Erfolg für den Naturschutz und die Zukunft des SAZ. Zum Vorwurf, Padutsch hat sogar den SAZ-Masterplan abgesegnet  : Inkonsequenz kann man mir, wenn man unbedingt meint, nur deshalb vorwerfen, weil ich in jeder Phase gegenüber den Vertretern des SAZ und der Politik unmissverständlich klargemacht habe, dass ich und die Bürgerliste, bei aller Unterstützung für das moderne Stadthallenprojekt, einer Umwidmung von Flächen, auch wenn sie außerhalb des Geschützten Landschaftsteiles liegen, aus persönlichen und politischen Gründen niemals zustimmen können. 24.000 m2 Wald sind zwar ›nur‹ 15 Prozent der Gesamtfläche, aber trotzdem und gerade in Liefering viel Grünland. Tatsächlich sind alle Beschlüsse im Gemeinderat gegen unsere Stimmen gefasst worden. Dass ich trotzdem auf der Basis dieser Beschlüsse, auch wenn sie gegen die Bürgerliste gefasst wurden, meine Verantwortung für die Stadtentwicklung wahrgenommen habe und versucht habe, sachlich das Beste aus einer entschiedenen Sache zu machen, entspricht meinem Verständnis von Verantwortung. Deshalb die Entwicklung des Masterplans, wobei die LUA ebenso eingebunden war wie die Naturschutzsachverständigen. Zu der vom SAZ durchgeführten Rodung (Strafverfahren gegen Dr. Kriegbaum)  : Auf Basis des Gesamtpaketes wurde für die Errichtung der sogenannten ›Salzburg Arena‹ (multifunktionale Veranstaltungshalle) außerhalb des Schutzgebietes eine Rodungsbewilligung erteilt. Im Zuge der aufsichtsbehördlichen Bewilligung des beschlossenen Flächenwidmungsplanes wurde uns vom Naturschutzbeauftragten des Landes, Hr. Dr. Schütz, mitgeteilt, dass Tierarten (Grauspecht, Plattkäfer), die nach der Flora Fauna Habitatrichtlinie der EU geschützt sind, in diesem Waldstück zu

Trübungen des Koalitionsklimas

449

vermuten sind. Deshalb musste die Naturschutzbehörde in meinem Auftrag dem Geschäftsführer des SAZ, Hrn. Dr. Kriegbaum, mitteilen, dass die Rodung bis zur Klärung dieser Frage nicht erfolgen darf. Trotzdem hat das SAZ gerodet. Der Antrag auf Verwaltungsstrafverfahren war die logische Konsequenz. Unabhängig davon hat mich besonders verärgert, dass Kriegbaum keine ausführliche Anrainerinformation vor der Rodung durchgeführt hat, obwohl dies fix vereinbart war, weil man den Menschen nicht über Nacht und ohne ein Wort zu sagen, mit den Baggern den Wald umlegen kann.«61 Unabhängig von der Kampagne der »Kronen Zeitung« wegen der Schlägerungen in der Itzlinger Au stand Johann Padutsch, seit zehn Jahren Mitglied der Stadtregierung und u. a. für Stadtplanung und Umweltschutz zuständig, zunehmend in der Kritik der eigenen Basis, die ihm am Beispiel seiner Haltung zur EuroparkErweiterung, dem Uni-Park Nonntal, der, ebenso wie die von ihm nach wie vor betriebene Realisierung des Hollein-Projekts, eine Umwidmung von Grünland in Bauland erforderlich machte, einen Verrat an grünen Prinzipien vorwarf. Im Fall des geplanten Uni-Parks Nonntal stieg Richard Hörl 2003 neuerlich auf die Barrikaden und forderte die ungeschmälerte Erhaltung des Landschaftsraums Freisaal. In einem Flugblatt wurde darauf hingewiesen, dass der am 9. Februar 2000 von Padutsch vorgestellte Amtsbericht 1999 bei einer Bürgerdiskussion im Petersbrunnhof feststellte, dass der geschützte Landschaftsraum Freisaal nicht angetastet, sondern durch den Wegfall des derzeitigen Parkplatzes sogar ausgedehnt werde. Im Amtsbericht des Jahres 2003 sei davon allerdings nicht mehr die Rede. Im Gegenteil – 4160 m2 der unersetzlichen Kulturlandschaft sollten nunmehr geopfert werden. »Die Bürgerinitiative ›ret tet die landsch aft freisa al‹ bewahrte mit der Unterstützung von über 20.000 SalzburgerInnen Freisaal vor der Totalverbauung. Die damaligen Politiker haben unsere Lösungsvorschläge übernommen. Die heutigen Politiker wollen nicht mehr mit den BürgerInnen diskutieren, alle berechtigten und gut durchdachten Einwendungen werden abgeschmettert. herr pa dutsch, sie sitzen auf dem sta dtr atssessel, den die bürgerinitiativen erk ämpft h aben  !«62 Tatsächlich neigte Padutsch im Spannungsfeld zwischen Stadtentwicklung und Grünpolitik zunehmend der Stadtentwicklung zu. Bereits 1995 hatte dies zu erheblichen Spannungen zwischen der Bürgerliste und der Bürgerliste Salzburg-Land geführt. Aufgrund der massiven Zunahme des Verkehrs und der sich regelmäßig wiederholenden Megastaus auf der Westautobahn um Salzburg wurde 1995 von Verkehrsplanern der sechsspurige Ausbau der Autobahn um Salzburg gefordert, da bis 2010 eine Zunahme des Verkehrs um 37 Prozent zu erwarten sei. Padutsch verwei61 AHB 62 AHB

450

Die Bürgerliste Salzburg

gerte sich im Juni 1995 keineswegs dieser Forderung, forderte jedoch im Gegenzug den Ausbau der sanften Mobilität, d. h. des öffentlichen Verkehrs, um die Pendlerproblematik in den Griff zu bekommen. Christian Burtscher hingegen sah in einem sechsspurigen Ausbau der Westautobahn um Salzburg einen »verhängnisvollen Fehltritt«, da zusätzliche oder breitere Straßen nur mehr Verkehr brächten. Dadurch werde im Salzburger Zentralraum »eine Verkehrslawine losgetreten«.63 Padutsch verteidigte jedoch seine Politik und wies darauf hin, dass sein »grünes Herz« ein Garant dafür sei, dass all diese Projekte so umweltschonend wie möglich realisiert werden. Würde die Stadtplanung in anderen Händen sein, wäre dies sicher nicht der Fall. Planungspolitik bedeute aber auch, dass nicht jeder Baum und jede Wiese erhalten werden könne. Selbst wenn dies für ihn »schmerzhafte Entscheidungen« seien und von vielen Bürgerliste-Sympathisanten nicht immer nachvollzogen werden können, müsse man der Tatsache Rechnung tragen, dass die Stadt ständig wachse und man die bauliche Entwicklung steuern müsse. Er habe auch vor der letzten Gemeinderatswahl starken Gegenwind gehabt. Trotzdem sei das Ergebnis respektabel gewesen und er gehe davon aus, dass dies auch bei der kommenden Gemeinderatswahl 2004 der Fall sein werde.64 Unterstützung erhielt der in der Kritik stehende Bürgerliste-Stadtrat in der Causa Itzlinger Au durch Bürgermeister Heinz Schaden. Die Errichtung einer modernen Veranstaltungshalle sei für die Stadt von großer Bedeutung und der Standort beim Ausstellungszentrum ideal. Das Hallenprojekt sei zudem ein Teil des Arbeitsübereinkommens für die laufende Legislaturperiode und alle Verfahrensschritte seien im Stadtsenatskollegium und im Aufsichtsrat des SAZ einvernehmlich erfolgt. Padutsch habe sich konstruktiv und korrekt verhalten, weshalb die erhobenen Rücktrittsforderungen unangebracht seien.65 Bei solch demonstrativer Rückendeckung durch den Bürgermeister gab sich Klubobmann Helmut Hüttinger mit Blick auf die kommende Gemeinderatswahl optimistisch und erklärte, die Bürgerliste wolle bei der nächsten Gemeinderatswahl zu ihren sechs Mandaten noch zwei hinzugewinnen.66 Diese Ansage wurde jedoch wenige Monate später durch eine Meldung der »Salzburger Nachrichten« konterkariert, die berichteten, dass bei der Bürgerliste der »Haussegen schief« hänge. Grund für die internen Turbulenzen war die Erklärung von Klubobmann Helmut Hüttinger, bei der nächsten Gemeinderatswahl mit einem »stark verjüngten Team« antreten zu wollen, wobei Kultursprecherin Silvia Kronberger nicht als mögliche Kandidatin genannt wurde.67 Während Sozialsprecherin 63 SN 28.6.1995. S. 15. 64 SN lokal 16.3.2002. S. 4f. 65 SN lokal 20.3.2002. S. 6. 66 SN lokal 16.3.2002. S. 5. 67 SN lokal 12.8.2002. S. 2.

Trübungen des Koalitionsklimas

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Ulrike Saghi ihre neuerliche Kandidatur bekannt gab, erklärte Planungs- und Architektursprecherin Angelika Gasteiner, sich aus beruflichen Gründen aus der Stadtpolitik zurückziehen zu wollen, wobei sie unter Anspielung auf interne Spannungen zwischen den weiblichen Fraktionsmitgliedern hinzufügte, ihr sei das Klima in der Fraktion zu anstrengend geworden. Man müsse in der Politik nicht unbedingt zu Freundinnen werden, doch sollte es auch bei unterschiedlichen Persönlichkeiten möglich sein, die jeweils andere zu respektieren. Silvia Kronberger ließ wissen, sie werde ihre offensichtliche Ausbootung nicht widerstandslos hinnehmen, zumal sie für die Erstellung des Kulturleitbildes der Stadt und die Schaffung des Kulturfonds einen wichtigen Beitrag geleistet habe. Ulrike Saghi, die neben Padutsch und Hüttinger als Fixstarterin auf der Gemeinderatsliste galt, erwiderte, das Stichwort »Klima in der Fraktion« löse bei ihr zunehmend Ärger aus. »Mir taugt das Klima auch nicht, ich bin aber nicht in der Politik, um Freunde zu haben.« Sie werde zunehmend erbost, so Saghi in Richtung von Gasteiner und Kronberger, wenn »solche Wehleidigkeiten und Animositäten« geäußert würden. Beide Fraktionskolleginnen würden hinter ihrem Rücken schlecht über sie reden und sie als stellvertretende Klubobfrau nicht akzeptieren. Während sie im Sozialbereich rund um die Uhr arbeite, seien manche anderen »gekommen und haben geglaubt, sie sind ein Star«.68 Johann Padutsch war als Friedensstifter gefordert und erklärte sichtlich angespannt  : »Am Ende bleibt alles wieder an mir hängen, ich muss schlichten, wenn sie zu mir kommen und sich beschweren.«69 Er werde im Vorfeld der Erstellung der Kandidaten/innen-Liste mit möglichen neuen Kandidaten/innen Gespräche führen und sich von keinen Emotionen leiten lassen. Die Bürgerliste litt unter dem Problem der dünnen Personaldecke und einer auf Johann Padutsch und, wenn auch mit Abstrichen, auf Helmut Hüttinger reduzierten öffentlichen Wahrnehmung. Die Einladung zur Mitarbeit verhallte meistens ungehört in einem Klima des neuen politischen Biedermeier, wie Klubobmann Hüttinger bedauernd feststellte.70 Da die Grünen mit Ausnahme der Grünen und Alternativen Studenten/innen über keine Vorfeldorganisationen, sondern lediglich, und dies deutlich eingeschränkt, über Bürgerinitiativen und NGOs als Rekrutierungsreservoir verfügten, stießen sie auf strukturelle Probleme. Zahlreiche Bürgerinitiativen wehrten sich gegen eine parteipolitische Vereinnahmung und viele Aktivisten waren zwar zu einem sektoralen und punktuellen Engagement, nicht jedoch zu einer permanenten politischen Tätigkeit bereit.

68 Salzburger Fenster online 23.10.2002. http://intranet.magsbg.gv.at/Pressedoku/2002/10/02102313. html. (Abgerufen am 20.11.2016.) 69 Ebda. 70 KUNSTFEHLER APRIL 2002. S. 14.

13.

Erfüllte und unerfüllte Hoffnungen Die Nationalrats-, Landtags-, Gemeinderats- und Europawahlen 2002 bis 2004

Nicht vorhersehbare bundespolitische Ereignisse – Knittelfeld, das Ende der ÖVPFPÖ-Koalition und vorgezogene Neuwahlen am 24. November 2002 – setzten die Grünen unter Zugzwang, galt es doch, für die Nationalratswahl einen Spitzenkandidaten oder eine Spitzenkandidatin zu küren und konnte man sich berechtigte Hoffnungen auf das Erringen eines Grundmandats machen. Parteiintern wurde der Klubobmann der Bürgerliste, Helmut Hüttinger, als Favorit gehandelt. Hüttinger hatte sein Interesse an einem Wechsel in den Nationalrat bekundet und stellte sich am 5. Oktober bei einer Landesversammlung der Grünen der (Stich-)Wahl. Zur allgemeinen Überraschung unterlag er jedoch mit zwei Stimmen der Bäuerin und Bewährungshelferin Heidi Rest-Hinterseer. Mit dieser Niederlage befand er sich in durchaus prominenter Gesellschaft, denn auch Christian Burtscher schied bereits im ersten Wahlgang aus. Hinter Heidi Rest-Hinterseer wurden der Vorsitzende der Grünen und Alternativen Studenten, Ralph Schallmeiner, und die Salzburger Gemeinderätin Silvia Kronberger gereiht. Die neue Spitzenkandidatin erklärte, die Salzburger Grünen würden im nunmehr beginnenden Wahlkampf »die grünen Kernthemen … soziale Sicherheit, Gleichberechtigung von Frauen und … nachhaltiges Wirtschaften« in den Mittelpunkt ihrer Wahlwerbung stellen.71 Angesichts der Krise der FPÖ, des politischen Schattendaseins des LIF und der keineswegs überzeugenden Rolle der SPÖ wurden die Ziele der Grünen sowohl im Bund wie auch in Salzburg hochgesteckt. Die bei der Nationalratswahl am 24. November 2002 erzielten Gewinne der Grünen im Bund und im Land Salzburg waren mit 2,07 bzw. 2,0 Prozentpunkten fast identisch, entsprachen jedoch nicht den Erwartungen. Bürgerliste-Klubobmann Helmut Hüttinger kommentierte das Salzburger Ergebnis mit der Bemerkung, hier seien »die grünen Bäume noch zu klein«. Die Grünen seien in Salzburg noch ein »Wachstumsprojekt«.72 Während mit den massiven Verlusten der FPÖ von beinahe zwei Drittel ihrer Wähler der Nationalratswahl 1999 ebensolche Gewinne der ÖVP korrespondierten, die erstmals seit 1986 71 SN lokal 7.10.2002. S. 2. 72 SN lokal 25.11.2002. S. 3.

453

Erfüllte und unerfüllte Hoffnungen

wiederum deutlich stärkste Partei wurde, entsprachen die Verluste des LIF von 2,7 Prozent weitgehend dem Gewinn der Grünen, die mit 10,4 Prozent in Salzburg erstmals ein Grundmandat erreichten. Ergebnisse der Nationalratswahlen vom 3. Oktober 1999 und 24. November 2002 in Salzburg  :73 Stimmen 1999

Stimmen 2002

Prozent 1999

Prozent 2002

Mandate 1999

Mandate 2002

ÖVP

76.961

138.924

27,8

46,6

3

5

SPÖ

80.047

91.674

29,0

30,8

3

3

FPÖ

81.148

31.949

29,4

10,7

4

1

LIF

10.581

3159

3,8

1,1

0

0

Grüne

23.200

31.949

8,4

10,4

0

1

KPÖ

841

1259

0,3

0,4

0

0

NEIN

957

0,3

0

CWG

1017

0,4

0

DU

1703

0,6

0

NEIN (Nein zu NATO und EU – neutrales Österreich Bürgerinitiative) CWG (Christliche Wählergemeinschaft) DU (Die Unabhängigen – Liste Lugner)

Ein Blick auf die Ergebnisse in den Bezirken bestätigte den Schwerpunkt der Grünen in der Landeshauptstadt, wo sie mit 15,4 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis bei Nationalratswahlen erzielte und die FPÖ auf den vierten Platz verwiesen. Nur noch im Flachgau erreichten die Grünen knapp ein zweistelliges Ergebnis, während die Gebirgsgaue nach wie vor eine Schwachstelle bildeten.

73 Daten & Fakten. Bundesland Salzburg. Wer, was und wo im Land Salzburg. – Salzburg 2004. S. 326. (Schriftenreihe des Landespressebüros. Salzburg Informationen, Nr. 134. Hg. v. Roland Floimair.)

454

Erfüllte und unerfüllte Hoffnungen

Ergebnisse der Grünen in den Bezirken (Regionalwahlkreisen) bei der Nationalratswahl 2002 im Vergleich zur Nationalratswahl 1999  :74 Stimmen 1999

Stimmen 2002

Prozent 1999

Prozent 2002

Salzburg Stadt

7550

10.893

11,6

15,4

Flachgau

6139

7888

8,6

10,1

Tennengau

2221

2759

7,9

8,9

Pongau

2113

2385

5,2

5,5

Pinzgau

2377

2960

5,4

6,2

Lungau

530

577

4,6

4,7

Die Ergebnisse der Stadtteile in der Landeshauptstadt variierten allerdings erheblich. Stark von der Arbeiterschaft geprägte Stadtteile wiesen unterdurchschnittliche Werte auf, während die sog. bürgerlichen Bezirke deutlich über dem Gesamtergebnis der Stadt lagen. Überdurchschnittliche Wahlergebnisse der Grünen (über 15,4 Prozent) in Wahlbezirken der Stadt Salzburg bei der Nationalratswahl 2002  :75 Wahlbezirk

Prozent

Neustadt-Äußerer Stein

24,1

Parsch

18,9

Aigen-Abfalter-Glas

19,2

Riedenburg

18,7

Gneis-Leopoldskron-Morzg-Moos

17,9

Nonntal-Herrnau

18,7

Altstadt-Mülln

22,0

Josefiau-Alpenstraße

16,1

Für die Landtagswahl am 7. März 2004 definierten die Grünen aufgrund ihrer Zugewinne bei der Nationalratswahl 2002 die Wiedererringung des dritten Mandats und damit das Erlangen des Klubstatus als Wahlziel. Dieses schien bei Berücksichtigung der Stärke der Grünen vor allem im urbanen und suburbanen Bereich durchaus re74 SN lokal 25.11.2002. S. 7  ; Magistrat der Stadt Salzburg. Archiv und Statistisches Amt Magistratsdirektion. Salzburg in Zahlen 5/2002. Die Nationalratswahl vom 24. November 2002 in der Stadt Salzburg. Beiträge zur Stadtforschung. S. 7 und 12. 75 Salzburg in Zahlen 5/2002. S. 14.

Erfüllte und unerfüllte Hoffnungen

455

alistisch, lebten doch 2004 von den rund 365.000 Wahlberechtigten 100.000 in der Stadt Salzburg. Auch der Flachgau und Tennengau mit 98.500 bzw. 38.300 Wahlberechtigten wiesen urbane Strukturen auf. Hinzu trat die vor allem in Salzburg signifikant hohe Beweglichkeit eines immer größeren Teils der Wählerschaft. Die Erosion der lange prägenden parteipolitischen Milieus und ihrer Lebenswelten veränderte die politische Marktlogik und Wettbewerbsbedingungen, erforderte eine neue Form der politischen Inszenierung und Kommunikation.76 Eine junge Gruppe ehemaliger Mitglieder des VSSTÖ mit Medienerfahrung und Kenntnis moderner (vor allem USamerikanischer) Wahlkampfstrategien unternahm bereits seit den späten Neunzigerjahren eine Neuorientierung der SPÖ, die bereits bei der Landtagswahl 1999 sichtbar wurde. Die Partei nahm unter der im Hintergrund äußerst professionell agierenden neuen und jungen Gruppe von Mitarbeitern und Beratern einen deutlichen Richtungswechsel vor, verabschiedete sich mit Blick auf die gesellschaftliche Realität von sozialdemokratischen Traditionen und Milieunostalgien. »Mit einer breiten Mittelschicht hatte man es zu tun, politisch genauso wechselbereit wie als Konsumenten vor dem Einkaufsregal.«77 Politik musste in Bildern arrangiert und inszeniert werden und bedurfte der Hauptdarsteller. Im Fall der SPÖ erfolgte 2001 ein Wechsel auf offener Bühne, als die bisherige Klubobfrau Gabi Burgstaller Gerhard Buchleitner sowohl in der Funktion der Parteivorsitzenden wie auch jener der LandeshauptmannStellvertreterin ablöste. Burgstaller war ein neues personelles Angebot, das sich, mit hoher Kommunikations- und Inszenierungsfähigkeit versehen, für diese neue Form der Politik hervorragend eignete. Nicht der Inhalt der Politik war wichtig, sondern die auch durch eine gezielte Medienarbeit erfolgende Vermittlung von Stimmungen und Empathie. Und die Inszenierung war perfekt. Die SPÖ-Spitzenkandidatin wurde als eine aus dem Volk, als jung, dynamisch und modern, die »mehr Frische ins Land« bringt, der man vertrauen könne, weil sie für »mehr Wärme, mehr Gefühl für Sicherheit und soziale Gerechtigkeit« stehe, angepriesen. Bereits im Juni 2003 sah das IGF erstmals die SPÖ knapp vor der ÖVP. Burgstaller gab sich geschickt als moderate Modernisiererin, sie wolle nicht alles anders machen, sondern nur manches besser, ließ sie wissen, um allen Befürchtungen eines Systemwechsels den Wind aus den Segeln zu nehmen. Und auch die unpopuläre Möglichkeit einer Rot-Grünen-Koalition wies sie – auch mit Rücksicht auf ÖGB und AK – empört zurück. Gegenüber dieser neuen Strategie agierte die ÖVP weitgehend defensiv. Die Partei litt unter den unpopulären bundespolitischen Reformmaßnahmen der Regierung Schüssel (Pensionsreform) und sah sich im Land durch die forcierten und 76 Stefan Wally  : Neue Kommunikation neuer Inhalte. Der Umbau der Salzburger SPÖ 1994 bis 2009. – In  : Brenner, Duffek, Gutschner (Hg.)  : Signaturen des Wandels. S. 447–478. 77 Michael Mair  : Ein verwandelter Elfmeter. Machtwechsel und Kommunikation. – In  : SJP 2005. – Wien/Köln/Weimar 2006. S. 9–33. S. 13.

456

Erfüllte und unerfüllte Hoffnungen

realisierten kulturellen, wissenschaftlichen und sportlichen Großprojekte – Haus für Mozart, Museum am Berg, Übersiedlung des SMCA in die Neue Residenz, UniPark Nonntal, Paracelsus Universität und Neubau des Mozarteums, Stadionbau in Kleßheim – vielfacher Kritik ausgesetzt. Der letztlich erfolglose Verweis auf die geleistete Sachpolitik und die sehr guten Wirtschaftsdaten bestätigte die politische Binsenweisheit, dass Anerkennung oder Dankbarkeit keine politische Kategorie sind. Die Warnung vor einer rot-grünen Koalition und damit vor einem rot-grünen Chaos à la Deutschland ging ins Leere, da Burgstaller geschickt diese Variante von sich wies. Landeshauptmann Franz Schausberger war zudem mit einem in dieser Form und Dimension in der österreichischen Politik noch nie dagewesenen, jedoch äußerst wirkungsvollen, dirty campaigning konfrontiert, das seine Persönlichkeitswerte deutlich sinken ließ. Alarmiert von sich ständig verschlechternden Umfrageergebnissen begann bereits im Spätherbst 2003 hinter den Kulissen eine hektische Suche nach einer personellen Alternative zu dem angeschlagenen Spitzenkandidaten. Obwohl die Meinungsforscher und die engagierte Werbeagentur von einem solchen Schritt abrieten, gab Schausberger schließlich am 7. Jänner 2004 dem wachsenden innerparteilichen Druck nach und verkündete eine »Halbzeitlösung«. Er werde zur Mitte der kommenden Legislaturperiode seine Funktion an den Rechtsanwalt Wilfried Haslauer jun., den Sohn des gleichnamigen ehemaligen Landeshauptmanns, übergeben. Dieser Schritt sollte sich jedoch als kontraproduktiv erweisen. Sowohl die mediale Berichterstattung wie auch die Reaktion der Wähler waren negativ. Mit dieser Ankündigung wurde nämlich »die zentrale Wahlkampfstrategie, die für die Schlussphase auf einen ›Sicherheitswahlkampf‹ (gegen politische Experimente) abgestellt hatte, völlig konterkariert  ; die ÖVP verbreitete anstelle von Sicherheit durch Kontinuität (beinahe) maximale Unsicherheit  ; umgekehrt erschien die SPÖ-Spitzenkandidatin nun als ›berechenbarer Faktor‹  ; genau jene Personalisierung des Wahlkampfes, die die ÖVP unter allen Umständen vermeiden musste, in extremis gesteigert, und zwar von der ÖVP selbst  ; die Person des amtierenden Landeshauptmanns und ÖVP-Spitzenkandidaten final beschädigt, ohne dass ›der Neue‹ (der zwar über beträchtliche Bekanntheit, aber über wenig öffentliches politisches Profil verfügte) die Zeit gehabt hätte, entsprechende Zustimmung und positive Profilierung zu erreichen.«78

Da sich die FPÖ in einer Dauerkrise befand und aufgrund der anhaltenden innerparteilichen Turbulenzen in Umfragen zwischen 2000 bis kurz vor der Wahl von 78 Peter A. Ulram, Franz Sommer  : Hausgemachte Siege – hausgemachte Niederlagen. Die Landtagswahlen in Salzburg, Kärnten und Vorarlberg 2004. – In  : ÖJP 2004. – Wien/München 2005. S. 69–80. S. 72f.

Erfüllte und unerfüllte Hoffnungen

457

20,7 Prozent auf 6 bis 8 Prozent sank, war der Wählermarkt äußerst mobil. Umfragen vor der Landtagswahl sahen bereits ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen FPÖ und Grünen, deren Spitzenkandidat Cyriak Schwaighofer, im Gegensatz zur FPÖSpitzenkandidat Karl Schnell, sich hoher persönlicher Sympathiewerte erfreute. Ein Überholen der FPÖ schien daher durchaus realistisch. Durch das Abgehen von der Politik der Fundamentalkritik und das Einschwenken auf eine konstruktive Oppositionspolitik hatten sich die Grünen als regierungsfähig erwiesen. Schwaighofer ließ denn auch wissen, dass man sich bei Erreichen des Wahlziels – mindestens drei Mandate und damit den Klubstatus – auch eine Regierungsbeteiligung vorstellen könne. Die Grünen seien nicht Teil des durch »Austauscherei, beinahe Packelei« gekennzeichneten derzeitigen Regierungssystems, seien keiner Lobby verpflichtet und daher die Partei all derjenigen, die eine Veränderung wollten.79 Im Spätherbst 2003 erklärte er in Richtung SPÖ  : »Offensiven Mut zur Veränderung erkenne ich bei Gabi Burgstaller nicht. Wer Rot wählt, wählt Schausberger … Die SPÖ ist wirklich bei allen Dingen umgefallen, die fraglich waren … Es wäre wirklich spannend zu analysieren, wieso die SPÖ so auf dem Vormarsch ist. Ist sie nicht deshalb dabei, die ÖVP zu schlagen, weil sie in Wahrheit schon so geworden ist wie die ÖVP – nur dem Anschein nach ein bisschen dynamischer, jugendlicher und sympathischer, aber nirgends aneckend und niemals polarisierend  ?«80 Salzburg brauche einen Kurswechsel, so das Motto des im Februar 2004 vorgestellten Wahlprogramms der Grünen, das sich auf die bekannten Kernthemen Ökologie, Solidarität und Bürgernähe, die man in der derzeitigen Politik vermisse, konzentrierte. Daher, so die indirekte Botschaft, sei eine Regierungsbeteiligung der Grünen notwendig. Vor der Landtagswahl waren die Grünen Gegenstand von Koalitionsspekulationen, da Grünen-Bundessprecher Alexander Van der Bellen in einem Interview mit der Tageszeitung »Kurier« erklärt hatte, es habe aus Bundessicht einen gewissen Reiz, in Salzburg Rot-Grün zu haben, nachdem in Oberösterreich Schwarz-Grün regiere. Der Salzburger SPÖ-Landesgeschäftsführer Martin Apeltauer reagierte auf die Vorliebe Van der Bellens mit der Bemerkung, es sei »viel wahrscheinlicher, dass die ÖVP mit den Grünen zusammenarbeiten will. Die scheinen sich ja blendend zu verstehen.« Für ÖVP-Landesgeschäftsführerin Gerlinde Rogatsch hatte Van der Bellen hingegen mit seinem Interview »die Katze aus dem Sack« gelassen. Angesichts der auch in den Medien kolportierten und kommentierten Koalitionsmöglichkeiten nach der Landtagswahl sah sich Cyriak Schwaighofer gegenüber der APA zu einer Stellungnahme veranlasst. »Für uns hat die stärkste Partei den Auftrag zur Regierungsbildung. Das ist völlig klar und für die Grünen unbestritten. Und wir gehen da79 Herbert Dachs  : Machtwechsel  ! Landtags- und Gemeinderatswahlen in Salzburg 2004. – In  : SJP 2003. S. 9–27. S. 19. 80 Zit. bei Dachs  : Machtwechsel  ! S.  19.

458

Erfüllte und unerfüllte Hoffnungen

von aus, dass der Sieger der Landtagswahl – wer immer das sein wird – die Aufgabe der Regierungsbildung erfolgreich bewältigen wird.« Wenn allerdings »die Nummer Eins scheitert und keine Regierung zu Stande bringt, darf es kein Denkverbot für Alternativen, für andere Koalitionen, geben.«81 Ende Jänner 2004 erklärte er auf die Frage, ob auch der aus dem Wirtschaftsbund kommende designierte Nachfolger von Franz Schausberger, Wilfried Haslauer jun., ein möglicher Koalitionspartner der Grünen sei, er habe bei Haslauer bisher sehr wenig gefunden, was mit grüner Politik assoziiert werden könne. Entscheidend für die Grünen in einer möglichen zukünftigen Koalition sei, ob es eine Wende zu einer ökologischen, nachhaltigen Wirtschaft gebe, wie dies im Regierungsprogramm der schwarz-grünen Regierung in Oberösterreich festgehalten sei.82 Die von Schwaighofer gezeigte Bereitschaft, Regierungsverantwortung zu übernehmen, wurde jedoch sowohl von SPÖ wie ÖVP abgelehnt. Gabi Burgstaller beeilte sich sogar mit dem wenig schmeichelhaften Satz, sie sei doch nicht verrückt, jede Möglichkeit einer rot-grünen Koalition von sich zu weisen und die ÖVP konnte aufgrund ihrer Wahlkampfstrategie, die auf einer Warnung vor einem rot-grünen Chaos aufbaute, diesen Avancen – zumindest offiziell – nicht näher treten. Ergebnis der Landtagswahl in Salzburg am 7. März 2004 im Vergleich zur Landtagswahl am 7. März 1999  :83 Stimmen 1999

Stimmen 2004

Prozent 1999

Prozent 2004

Mandate 1999

Mandate 2004

ÖVP

97.649

104.723

38,8

37,9

15

14

SPÖ

81.562

125.382

32,5

45,4

12

17

FPÖ

49.345

24.007

19,6

8,7

7

3

BL/Grüne

13.536

22.008

5,4

8,0

2

2

LIF CSUÖ

9207

3,7

0

698

0,3

0

Der Wahlabend des 7. März 2004 brachte ein politisches Erdbeben und einen Machtwechsel. Die SPÖ konnte von allen politischen Kontrahenten, am stärksten von der krisengeschüttelten FPÖ, deutliche Stimmengewinne verbuchen und wurde mit einem Zugewinn von 13,1 Prozentpunkten mit 45,4 Prozent erstmals bei Landtagswahlen deutlich stärkste Partei. Die seit 1945 regierende und den Landeshauptmann stellende ÖVP verlor 0,8 Prozentpunkte und landete mit 37,9 Prozent deutlich ab81 APA0215 5 II 0332, 24. Februar 2004. 82 APA0280 5 II 0321, 28. Jänner 2004. 83 ÖJP 2004. S. 939f.

459

Erfüllte und unerfüllte Hoffnungen

geschlagen auf dem zweiten Platz. Die Hoffnungen der Grünen, die FPÖ als drittstärkste Partei abzulösen, sollte sich nicht erfüllen. Trotz eines Verlustes von 10,9 Prozentpunkten blieb die FPÖ mit 8,7 Prozent knapp vor den Grünen mit 8 Prozent, denen es mit einem Gewinn von 2,3 Prozentpunkten nicht gelang, das erhoffte dritte Landtagsmandat und damit den Klubstatus zu erreichen. Betrachtet man das Wahlergebnis nach Wählerströmen, so wird deutlich, dass die SPÖ von allen Parteien und der Gruppe der Nichtwähler/innen gewann. Am stärksten von der FPÖ mit rund 20.000 Stimmen, von der ÖVP mit rund 8300 Stimmen, den Grünen mit rund 5000 Stimmen und den Nichtwählern/innen mit rund 10.000 Stimmen. Hinzu trat noch eine hohe Behalterate von 95 Prozent gegenüber 1999. Im Gegensatz dazu hatten die Grünen im Vergleich zu 1999 nur eine Behalterate von 26 Prozent und rangierten damit eindeutig an letzter Stelle aller Parteien. Sie verloren an die SPÖ rund 5200 Stimmen und an die ÖVP 3300 Stimmen, konnten jedoch im Gegenzug von den beiden Parteien kaum Stimmen gewinnen. Die letztlich erfolgten Zugewinne der Grünen basierten vor allem aufgrund des Nicht-Antretens des LIF auf dem Gewinn ehemaliger LIF-Wähler und rund 7000 Nichtwähler/innen des Jahres 1999. Auch im Vergleich mit der FPÖ ergab sich ein positiver Wanderungssaldo von rund 2300 Stimmen. Betrachtet man die Zugewinne der Grünen gegenüber der Landtagswahl 1999 nach politischen Bezirken, so wird die Dominanz der Landeshauptstadt deutlich. Der Grund für den überdurchschnittlichen Gewinn in der Stadt Salzburg lag in dem Wechsel der vor allem in der Landeshauptstadt beheimateten ehemaligen LIF-Wähler. Wählerwanderungen von der Landtagswahl 1999 zur Landtagswahl 2004 in Salzburg (Angaben in Prozent)  :84 ÖVP 2004

SPÖ 2004

ÖVP 1999

84

8

FPÖ 2004 2

Grüne 2004 1

Nichtw. 2004 5

SPÖ 1999

1

95

1

1

2

FPÖ

17

39

33

5

5

Grüne 1999

23

37

5

26

10

Sonst. 1999

8

9

1

71

10

Nichtw. 1999

6

10

4

7

74

84 Brigitte Salfinger, Ursula Breitenfelder, Alexander Reichmann  : Bewegung auf allen Ebenen. Analyse der Wählerströme bei den Landtagswahlen in Salzburg, Kärnten und Vorarlberg, bei der BundespräsidentInnenwahl sowie bei der Wahl zum Europäischen Parlament. – In  : ÖJP 2004. S. 81–104. S. 84.

460

Erfüllte und unerfüllte Hoffnungen

Gewinne der Grünen in Prozent bei der Landtagswahl 2004 im Vergleich zur Landtagswahl 1999 nach politischen Bezirken  :85

Bundesland Salzburg insgesamt Salzburg Stadt

2004

Veränderungen gegenüber 1999

8,0

+ 2,3

12,5

+ 4,3

Hallein

7,4

+ 1,9

Salzburg-Umgebung

8,6

+ 2,9

St. Johann im Pongau

5,6

+ 1,4

Tamsweg

4,1

+ 1,3

Zell am See

4,7

+ 1,7

Die Salzburger Landtagswahl bestätigte, im Gegensatz zur gleichzeitig stattfindenden Landtagswahl in Kärnten, den von der Wahlforschung schon seit Längerem diagnostizierten gender gap. Verortet man SPÖ und Grünen im Spektrum links der Mitte, so wählten diese Frauen mit einer Mehrheit von 57 Prozent, während Männer mit einer knappen Mehrheit von 51 Prozent für Parteien der Mitte und rechts der Mitte votierten. Vorteile für die Parteien links der Mitte ergaben sich zudem bei allen Alterskohorten. Ergebnis der Landtagswahl in Salzburg 2004 nach Geschlecht und Alter (Anteile in Prozent)  :86 ÖVP

SPÖ

FPÖ

Grüne

Gesamt

38

Männer

40

45

9

8

42

11

Frauen

7

36

48

7

9

Unter 30 Jahre

38

37

10

15

30 bis 49 Jahre

33

48

10

10

Über 50 Jahre

43

46

7

7

Ronald Barazon wies wohl zu Recht darauf hin, dass es bei den in Salzburg und Kärnten gleichzeitig stattfindenden Landtagswahlen drei Gewinner (Gabi Burgstaller, Jörg Haider, Peter Ambrozy) gegeben habe, denen eines gemeinsam sei. »Zum 85 Dachs  : Machtwechsel  ! S.  20. 86 Peter Filzmaier, Peter Hajek  : Das österreichische Wahljahr 2004. – In  : SWS-Rundschau 1/2005. S. 6–36. S. 12.

Erfüllte und unerfüllte Hoffnungen

461

ersten  : Sie sind selbst als Politiker nicht überzeugend, sie haben kaum aufgrund ihrer Konzepte und Leistungen gewonnen. Somit dürfte der zweite, für alle drei geltende Umstand die Wahl bestimmt haben. Sie sind alle drei überzeugte und überzeugende Gegner der schwarzblauen Bundesregierung. (…) Die Salzburger kennen Gabi Burgstaller noch nicht. Sie hat auch im Wahlkampf peinlich jede Positionierung vermieden. Sympathie verbreitet und die Kälte beklagt, die das Kabinett Schüssel ausstrahlt. (…) Ob Gabi Burgstaller die bessere Landespolitikerin ist, wissen die Salzburger immer noch nicht.«87 Für Josef Bruckmoser hatte Gabi Burgstaller »einen höchst persönlichen Wahlsieg errungen. Nicht ein besonders herausragendes Programm oder die augenscheinlich besseren Ideen haben die SPÖ an die Spitze des Landes katapultiert. Viel mehr hat eine Persönlichkeit die Trendwende bewirkt, die glaubhaft einen anderen Zugang zur Politik vermittelt hat. … Seit ihrem Antritt als Landeshauptmann-Stellvertreterin am 25. April 2001 wurde die Spitzenkandidatin von den Niederungen des Polit-Alltags rein gehalten. Die Kärrnerarbeit in den schwierigen Ressorts Verkehr, Soziales und Kultur hatten ihre Parteikollegen erledigt. Burgstaller schwebte mit einem freundlichen Lächeln über den Dingen und verwirrte die ÖVP durch ihre Unangreifbarkeit. Wer wenig entscheidet, ist kaum kritisierbar. Zudem hat der Bundestrend Burgstaller kräftig in die Hände gespielt. Auch das wussten die Strategen der Salzburger SPÖ bestens zu nutzen. Kein Thema – von der Schließung einiger Bezirksgerichte bis zum jüngsten Pensionsmurks – wurde ausgelassen. Jeden Elfer, den die schwarzblaue Bundesregierung in Wien ihren Gegnern auflegte, hat Burgstaller verwandelt.«88 Im Sog der Landespartei segelte auch die Stadt-SPÖ bei der am selben Tag stattfindenden Gemeinderatswahl in der Stadt. Nach dem Muster von Gabi Burgstaller wurde auch Bürgermeister Heinz Schaden als radelnder »Einer von uns« propagiert. Inhaltliche Aussagen wurden durch Slogans wie »Soziale Sicherheit braucht RatProfis« oder »Volle Tube Heinz  !« ersetzt. In diesem weitgehend im Schatten der Landtagswahl stehenden Wahlkampf mit seinen inszenierten Wohlfühl- und Stimmungsbildern blieb für die Bürgerliste kaum Platz zur Profilierung, befand sie sich doch seit 1999 in einer inoffiziellen Koalition mit der SPÖ und galten Schaden und Padutsch als weitgehend harmonisches Koalitionsduo. Demgegenüber befand sich die ÖVP unter Vize-Bürgermeister Karl Gollegger in einer schwierigen Lage. Gollegger hatte politische Erfolge wie das Altstadtmarketing zur Förderung des städtischen Tourismus oder die Gründung der Salzburg Foundation aufzuweisen, musste jedoch andererseits mit den ungelösten und zunehmend unpopulären Problemfällen wie der Neugestaltung des Bahnhofsvorplatzes und dem Neubau des Kongresshau87 Ronald Barazon  : Der große Tag der Opposition. – In  : SN 8.3.2004. S. 1. 88 Josef Bruckmoser  : Fulminanter Sieg für »Eine von uns«. – In  : SN lokal 8.3.2004. S. 2.

462

Erfüllte und unerfüllte Hoffnungen

ses kämpfen. Das von Schausberger und Gollegger im Vorfeld der Wahl propagierte Vorzugsstimmenmodell erwies sich als völlig ungeeignete Methode der Stimmenmaximierung und führte aufgrund der nunmehr vor allem nach innen gerichteten Wahlkampfbemühungen zu einer Schwächung der Partei. Die in der Stadt traditionell starke FPÖ befand sich in einer Dauerkrise. Im Oktober 2003 übergab Siegfried Mitterdorfer die Position des Spitzenkandidaten an die Gemeinderätin Doris Tazl, die mit Absetzungs- und Abgrenzungsbemühungen von der Landespartei den Versuch unternahm, ein eigenständiges Profil zu entwickeln und damit den von Demoskopen prophezeiten Absturz in der Wählergunst zumindest in Grenzen zu halten. Die demoskopischen Befunde waren wenige Wochen vor der Gemeinderatswahl eindeutig  : starke Gewinne für die SPÖ, leichte Gewinne für die Bürgerliste, Stagnation oder leichte Zuwächse für die ÖVP und massive Verluste für die FPÖ. Das Wahlergebnis sollte die demoskopischen Befunde bestätigen. Die SPÖ gewann 12,5 Prozentpunkte und erzielte damit ihr viertbestes Ergebnis in der Landeshauptstadt seit 1945. Die ÖVP verzeichnete leichte Gewinne von 2,1 Prozentpunkten und verfehlte die Erringung eines zweiten Sitzes im Stadtsenat nur knapp. Trotz der vorangegangenen Turbulenzen gewann die Bürgerliste 1,4 Prozentpunkte und verwies die FPÖ, die mit dem dramatischen Verlust von 9,4 Prozentpunkten die Hälfte ihrer Wählerschaft des Jahres 1999 einbüßte, auf den vierten Platz. Das Wahlergebnis schlug sich in einer neuen Zusammensetzung des Stadtsenats im Verhältnis von 3 (SPÖ)   : 1 (ÖVP)   : 1 (Bürgerliste) nieder. Im Gemeinderat verfügte die SPÖ mit nunmehr 19 Mandaten beinahe über die absolute Mehrheit. Während ÖVP und Bürgerliste ihren Mandatsstand von 11 bzw. 6 Mandaten zu halten vermochten, reduzierte sich die Gemeinderatsfraktion der FPÖ von 8 auf 4. Die Bürgerliste erlebte am Wahlabend ein Wechselbad der Gefühle. Das erhoffte siebente Mandat und damit die Position des Vize-Bürgermeisters waren nicht errungen worden, sondern lediglich die Absicherung des sechsten Mandats gelungen, weshalb Johann Padutsch bemerkte  : »Das ist mit Sicherheit kein Erfolg.«89 Dessen Wiedereinzug in den Stadtsenat war zudem lange unsicher. Der Wahlsieger Heinz Schaden machte aus seinem Herzen keine Mördergrube und hoffte mit der Bürgerliste, denn ihm sei, so erklärte er, »ein Padutsch in der Stadtregierung zehnmal lieber als ein zweiter ÖVPMann«.90

89 SN lokal 8.3.2004. S. 8. 90 Ebda. S. 7.

463

Erfüllte und unerfüllte Hoffnungen

Ergebnisse der Gemeinderatswahl 2002 im Vergleich zur Gemeinderatswahl 1999  :91

Stimmen 2004

Prozent 2004

Veränderungen zu 1999 in Prozentpunkten

Stimmen 1999

Prozent 1999 25,3

ÖVP

17.250

27,4

+ 2,2

14.497

SPÖ

27.565

43,8

+ 12,5

17.973

31,3

FPÖ

6448

10,2

– 9,4

11.235

19,6

BL

9508

15,1

+ 1,4

7860

13,7

LIS

641

1,0

D92

530

0,8

KPÖ

1019

1,6

Sonstige

n. k. 449

0,8

461

0,8

4914

8,6

+ 0,8

n. k.

LIS Liste Salzburg D92 Demokratie 92

Die Bürgerliste vermochte ihre guten Ergebnisse in ihren traditionellen Hochburgen zu halten und, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, auszubauen. Zieht man jedoch die Ergebnisse der Gemeinderatswahl 1992 zum Vergleich heran, zeigt sich über weite Bereiche ein Stagnieren oder sogar eine rückläufige Tendenz. Bezirksergebnisse der Bürgerliste bei der Gemeinderatswahl 2004 im Vergleich zu den Gemeinderatswahlen 1999 und 1992  :92 Anteil 2004 in Prozent

Anteil 1999 in Prozent

Anteil 1992 in Prozent

21,9

17,8

20,7

Elisabethvorstadt

14,6

11,4

13,6

Itzling-Kasern-Sam

11,8

12,5

14,1

Gnigl-Landwied

12,6

12,0

15,7

Schallmoos

13,7

12,9

16,6

Parsch

19,9

17,7

20,9

Aigen-Abfalter-Glas

20,4

18,6

21,4

Neustadt-Äußerer Stein

Lehen

9,5

9,0

12,4

Liefering

11,4

10,5

13,8

Maxglan-Aiglhof

14,3

13,4

16,6

91 Stadt Salzburg Magistrat. Archiv und Statistisches Amt Magistratsdirektion  : Salzburg in Zahlen 2/2004 (März 2004). Die Gemeinderatswahl und Bürgermeisterwahl vom 7. März 2004 in der Stadt Salzburg. Beiträge zur Stadtforschung. S. 16. 92 Salzburg in Zahlen 2/2004. S. 26.

464

Erfüllte und unerfüllte Hoffnungen Anteil 2004 in Prozent

Anteil 1999 in Prozent

Anteil 1992 in Prozent

Taxham

11,5

13,4

13,7

Riedenburg

20,1

16,2

21,1

Gneis-LeopoldskronMorzg-Moos

18,4

15,6

16,8 18,7

Nonntal-Herrnau

17,8

15,4

Altstadt-Mülln

19,6

17,5

18,1

Josefiau-Alpenstraße

16,3

15,0

20,5

Bei der Direktwahl zum Bürgermeister stellten sich alle Spitzenkandidaten der Parteien zur Wahl, wobei Karl Gollegger, der politischen Logik folgend, den Anspruch auf den Bürgermeistersessel erhob. Ein Anspruch, der aufgrund der demoskopischen Erhebungen jedoch nicht einmal in ÖVP-Kreisen als realistisch betrachtet wurde. Man hoffte jedoch auf eine neuerliche Stichwahl zwischen Schaden und Gollegger, eine Hoffnung, die sich nicht erfüllen sollte. Heinz Schaden wurde als männliche Variante von Gabi Burgstaller bereits im ersten Wahlgang mit 52 Prozent zum Bürgermeister gewählt. Während Heinz Schaden das Ergebnis der SPÖ bei der Gemeinderatswahl nochmals deutlich übertraf, erreichte keiner der anderen Kandidaten/innen das Gemeinderatswahlergebnis ihrer jeweiligen Partei. Ergebnisse der Bürgermeisterwahl 2004 im Vergleich zu 1999  :93 Stimmen 2004

Anteil in Prozent 2004

Stimmen 1999

Anteil in Prozent 1999

Gollegger, Karl

16.191

26,0

16.845

29,5

Schaden, Heinz

18.609

32,5

32.379

52,0

Tazl, Doris

5.234

8,4

Padutsch, Johann

8.508

13,7

n. k.1 10.537

18,4

1 1999 kandidierte Siegfried Mitterdorfer und erhielt 8557 Stimmen (15 Prozent).

Die politischen Kontroversen der Vergangenheit waren an Johann Padutsch nicht spurlos vorübergegangen. Er erhielt gegenüber 1999 nicht nur um rund 2000 Stimmen weniger, sondern erreichte auch in keiner der Hochburgen der Bürgerliste deren Ergebnis.94 Ein eindeutiges Erfolgserlebnis bescherte den Grünen hingegen das Ergebnis der Wahl zum Europäischen Parlament am 13. Juni 2004, bei der sie sich neben der 93 Ebda. S. 28. 94 Salzburg in Zahlen 2/2004. S. 30.

Erfüllte und unerfüllte Hoffnungen

465

ÖVP und der Liste Hans-Peter Martin als Sieger feiern durften. Die Wahl fand unter geänderten Rahmenbedingungen statt  : Die Auseinandersetzung mit Tschechien über das Atomkraftwerk in Temelin sowie die heftig umstrittenen Beneš-Dekrete, die vorwiegend als Gefahr empfundene Osterweiterung der EU, die gescheiterten Verhandlungen mit Brüssel über einen neuen Transitvertrag und die zunehmende Aufweichung des Stabilitätspaktes nach den Maastricht-Kriterien hatten die Zustimmung zur EU zurückgehen lassen. Nur mehr knapp die Hälfte der Österreicher sahen in der EU-Mitgliedschaft mehr Vor- als Nachteile, wobei Salzburg mit 38 Prozent derjenigen, die mehr Nach- als Vorteile in der EU-Mitgliedschaft sahen, nach Vorarlberg an vorletzter Stelle der Skeptiker lag. War ein erheblicher Teil der Salzburger Grün-Wähler, ebenso wie der Großteil der Parteiführung, ursprünglich äußerst EU-kritisch bis -ablehnend, so mutierten sie, ebenso wie die Parteiführung, zu Befürwortern des europäischen Projekts. Die Grünen verfügten aufgrund dieses Einstellungswandels sowie ihrer spezifischen soziodemografischen Wählerstruktur über eine relativ hohe Mobilisierungsfähigkeit bei Europa-Themen. Als weiteres Spezifikum der Wahl zum Europäischen Parlament fungierte die Liste des EUKritikers Hans-Peter Martin, der zuvor für die SPÖ im Europäischen Parlament gesessen war und sich nunmehr als Aufdecker von echten oder vermeintlichen Missständen einen Namen machte. Er sollte sich vor allem als schärfster Gegner der FPÖ erweisen, die seit vier Jahren in der Regierung saß und aufgrund der Notwendigkeiten pragmatischer Politik die Protestwähler nur mehr in sehr geringem Maße anzusprechen vermochte. Die Wahl zum Europäischen Parlament am 13. Juni 2004 war durch eine extrem niedrige Wahlbeteiligung von 42,43 Prozent auf Bundesebene gekennzeichnet. Salzburg lag mit einer Wahlbeteiligung von 38,68 Prozent deutlich unter dem Bundesdurchschnitt, wurde jedoch noch von Tirol (34,04 Prozent), Kärnten (36,06 Prozent), Vorarlberg (36,16 Prozent), Wien (36,88 Prozent) und der Steiermark (37,19 Prozent) übertroffen.95 Das Salzburger Ergebnis wich vom Bundesergebnis insofern ab, als, mit Ausnahme von SPÖ und der KPÖ/Linke, alle Parteien über dem jeweils erzielten Bundesergebnis lagen. In Salzburg überholte die ÖVP die SPÖ deutlich, erlebte die FPÖ mit dem Verlust von 17 Prozentpunkten gegenüber 1999 ein Desaster und verzeichneten die Grünen einen Gewinn von 4,1 Prozentpunkten. Mit nunmehr 15,2 Prozent lagen sie allerdings knapp hinter der Liste Hans-Peter Martin. Ihren Wahlerfolg verdankten die Grünen neuerlich dem Ergebnis in der Stadt Salzburg, wo sie, allerdings bei einer von 37,2 Prozent auf 35 Prozent gesunkenen Wahlbeteiligung, gegenüber 1999 6,1 Prozentpunkte zulegten und mit 23,1 Prozent nur knapp hinter ÖVP und SPÖ lagen. Cyriak Schwaighofer kommentierte 95 Peter Filzmaier, Peter Hajek  : Bundespräsidentschafts- und Europaparlamentswahlen 2004. – In  : ÖJP 2004. S. 29–53. S.38.

466

Erfüllte und unerfüllte Hoffnungen

das Ergebnis durchaus zufrieden. Es sei »ganz toll« und besonders erfreulich sei das Abschneiden der Grünen. »Dort liegen wir ganz knapp hinter den Großparteien.«96 Ergebnis der Wahl zum Europäischen Parlament am 13. Juni 2004 in Salzburg im Vergleich zu Gesamtösterreich  :97

ÖVP

Bundesergebnis in Prozent

Landesergebnis in Prozent

Gewinn/Verlust gegenüber 1999

32,70

35,18

+ 3,1 – 1,1

SPÖ

33,33

26,51

Liste Martin

13,98

15,46



Grüne

12,89

15,21

+ 4,5

FPÖ

6,31

6,91

– 17

KPÖ/Linke

0,78

0,72

+ 0,2

In der zweiten Jahreshälfte 2004 konnten die Grünen in Salzburg zwar nicht behaupten, dass sie ihre hochgesteckten Ziele bei der Landtags- und Gemeinderatswahl erreicht hatten, doch hatte sich die Partei stabilisiert und gegenüber den vorangegangenen Wahlen Stimmengewinne erzielt. Die wenigen Monate später erzielten Gewinne bei der Wahl zum Europäischen Parlament gaben zu neuer Hoffnung Anlass. Ein Blick auf die Wählerströme offenbarte allerdings auch die Problematik der Stimmengewinne, die vor allem von ehemaligen LIF- und Nicht-Wählern/innen stammten. Da das Reservoir der LIF-Wählerschaft aber endlich war und weitere Zugewinne aus der Gruppe der Nichtwähler/innen unsicher waren, waren hier dem Wachstumspotenzial der Grünen deutliche Grenzen gesetzt. Und auch die signifikanten Gewinne bei der Wahl zum Europäischen Parlament waren vor allem das Resultat einer drastisch gesunkenen Wahlbeteiligung. Als weiterer Unsicherheitsfaktor trat die äußerst geringe Behalterate bei der Landtagswahl am 7. März 2004 hinzu. Mit einer Behalterate von lediglich 26 Prozent rangierten die Grünen deutlich an letzter Stelle aller Parteien und wurden selbst von der von Implosionserscheinungen stark in Mitleidenschaft gezogenen FPÖ überholt. Nur der Einbruch in die Wählerschichten von ÖVP und SPÖ konnte ein weiteres nennenswertes Wachstum und den erhofften Aufstieg zur Mittelpartei ermöglichen.

96 SN lokal 14.6.2004. S. 7. 97 Filzmaier, Hajek  : Bundespräsidentschafts- und Europaparlamentswahlen 2004. S. 38  ; http://www. salzburg.com/wiki/index.php/Europawahl_2004. (Abgerufen am 9.12.2016.)

14.

Die (anhaltenden) Mühen der politischen (Oppostions-) Ebene 2002 bis 2004

Politikwissenschaftliche Analysen kamen bereits nach der Landtagswahl 1999 zu dem Schluss, dass sich die mit der Verfassungsänderung 1998 einhergehenden Hoffnungen auf eine Verlebendigung der parlamentarischen Demokratie nicht erfüllten. Die ÖVP-SPÖ-Koalition perpetuierte das Proporzsystem unter (geringfügig) geänderten Vorzeichen und diese Entwicklung setzte sich auch unter der 2004 gegründeten SPÖ-ÖVP-Koalition mit ihrer erdrückenden Mandatsmehrheit von 86 Prozent fort. Von dem von der SPÖ noch im Wahlkampf propagierten »neue Stil« und dem »neu regieren« war nach geschlagener Wahl und der Bildung der SPÖ-ÖVP-Regierung keine Rede mehr. Cyriak Schwaighofer bemerkte daher in der Konstituierenden Sitzung des Salzburger Landtages am 28. April 2004 kritisch, dass die in der Landesverfassung festgelegten Prinzipien des Parlamentarismus von den beiden übermächtigen Regierungsfraktionen sowohl bei der Wahl der Landtagspräsidenten wie auch der Mitglieder der Landesregierung durch Vorabsprachen und politische Tauschgeschäfte weitgehend ignoriert wurden. Die Verhandlungen dafür hätten nicht im von der Verfassung vorgesehenen Landtag und damit auch unter Einbindung der Opposition, sondern im Arkanum des Machtkartells stattgefunden. »Und eben aus diesem Grund konnten wir weder den vorgeschlagenen Präsidenten noch der Landesregierung unsere Zustimmung geben. Die Verhandlungen nach der Landtagswahl bringen Salzburg wieder eine große Koalition. Diesmal von SPÖ und ÖVP, die insgesamt mehr als 5/6 der Abgeordneten dieses Landtages stellen. Dieser Landtag, so formulierte es Georg Griessner bei der konstituierenden Sitzung des letzten Landtages 1999, ›dieser Landtag ist das Forum der politischen Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition.‹ Bei einer solchen Auseinandersetzung, sehr geehrte Damen und Herren, sollte aber so etwas wie Waffengleichheit herrschen. Wenn eine Regierung Macht hinzugewinnt, braucht auch die ›Kontrolle‹, die Opposition, mehr Macht, sonst gerät das System immer noch mehr aus dem Gleichgewicht. Wenn in der Regierung und in den Regierungsfraktionen noch die Meinung vorherrscht, dass mehr Macht für die Regierenden weniger Macht für die Kontrolle zur Folge haben muss, dann liegt hier ein fundamentaler Irrtum vor. Nachzulesen unter anderem beim verstorbenen Landtagspräsidenten Schreiner. …

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Laut Gesetz, ich zitiere  : ›finden vor der Wahl Parteienverhandlungen über die zu wählende Person statt.‹ Unsere Präsidenten sind Präsidenten des gesamten Landtages. Sie sind unsere Repräsentanten nach außen. Wenn sie aber nicht nur Repräsentanten der Regierungsparteien sind, sondern aller vier im Landtag vertretenen Parteien sein sollten, dann müssen Parteienverhandlungen eben auch zwischen allen Parteien stattfinden. Diese klare gesetzliche Regelung wurde missachtet. Es gab keinerlei Parteienverhandlungen mit allen vier Parteien, um allenfalls auch im Sinne des hier schon angesprochenen neuen Miteinanders gemeinsame Vorschläge für die Präsidentenämter zu erreichen oder auch Vorschläge der anderen Parteien zur ausgewogenen Verteilung der Leitungsfunktionen zu beraten. Nein, vielmehr wurden die Posten unserer höchsten Repräsentanten zur Manövriermasse in den Regierungsverhandlungen, zu einem Teil des Austausches und Handelns um Ämter und Posten. Und dass wir die Wahl der Präsidenten nach dieser ›Vogel, friss oder stirb‹-Methode nicht mittragen können und wollen, ist wohl auch für Sie verständlich. (…)«98 Der Ausbau der Minderheiten- und Kontrollrechte sowie die Verlebendigung des Landtages war seit der Reform der Landesverfassung eine permanente Forderung auch der Grünen. Nachdem diese Forderung in den Wortmeldungen zur Regierungserklärung 2004 neuerlich erhoben wurde, begannen 2005 Parteienverhandlungen, die nach zwei Jahren im Juni 2007 zu einem von SPÖ, ÖVP und FPÖ getragenen Entwurf für eine Reform der Geschäftsordnung des Salzburger Landtages führten. Am 12. Juni 2007 präsentierten die Vertreter von SPÖ, ÖVP und FPÖ – David Brenner, Gerlinde Rogatsch, Lukas Essl – die Ergebnisse der zweijährigen Verhandlungen, die mit Jahresbeginn 2008 in Kraft treten sollten. Die Veränderungen, so die drei Abgeordneten nicht ohne Stolz, seien erheblich und würden sowohl die Minderheiten- und Kontrollrechte stärken wie zu einer Verlebendigung des parlamentarischen Geschehens einen wesentlichen Beitrag leisten. Diese gemeinsame Erklärung entsprach durchaus den durch die wichtigsten Veränderungen geschaffen Fakten  : 1. Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses stand ab nun jeder Partei, unabhängig von ihrer Größe, einmal pro Legislaturperiode zu. Damit nahm Salzburg in diesem wichtigen Kontrollbereich eine Vorreiterrolle unter allen Landesparlamenten ein. 2. Jede Oppositionspartei konnte jährlich Gutachten und Expertisen bis zu einer Höhe von 14.535 Euro beanspruchen. Dieses Recht galt nunmehr nicht mehr nur für Rechtsstudien und -Gutachten, sondern generell. 98 1Sd1S13GP. S. 30f. (Abgerufen am 13.12.2016.)

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3. Führte eine Partei mit nur einem stimmberechtigten Mitglied den Vorsitz in einem Ausschuss, konnte sich dieses bisher nicht zu Wort melden. Nunmehr konnte diese Partei ein weiteres Mitglied nominieren, das Debattenbeiträge lieferte. 4. Bundesräte konnten sich bei Themen mit Bundesbezug in Debatten des Landtages zu Wort melden. Bisher konnten sie nur schweigend an Sitzungen des Landtages teilnehmen. 5. Benötigte man für einen Minderheitenbericht an den Landtag bisher vier Unterschriften von Abgeordneten, so waren ab nun nur mehr zwei notwendig. 6. Die Landtagsausschüsse konnten sich in Zukunft nicht nur mit Themen befassen, die ihnen durch einen Antrag vorgegeben wurden, sondern von sich aus Themen aufgreifen und deren Beratung mit einfacher Mehrheit beschließen. 7. Als neues Sanktionsmittel des Landtages gegen ein Regierungsmitglied, das seiner Pflicht zur Anfragebeantwortung nicht oder nur teilweise nachkam, wurde der »Verweis« eingeführt. 8. Das neue Mittel der »Expressanfrage« (dringliche schriftliche Anfrage) zwang das Regierungsmitglied, die höchstens auf fünf Unterfragen beschränkte Anfrage binnen zweier Wochen zu beantworten. 9. Wurde die Akteneinsicht verwehrt, konnte dazu eine Debatte im Landtag beantragt werden. 10. Jede Landtagspartei hatte das Recht, einmal pro Session das Thema einer Aktuellen Stunde zu bestimmen. 11. Durch die begleitende Budgetkontrolle wurden die Abgeordneten zweimal im Jahr über den Status quo des laufenden Budgets unterrichtet, wodurch sie bessere Einsicht in den Budgetvollzug erhielten.99 Trotz dieser erheblichen Ausdehnung der Minderheiten- und Kontrollrechte verweigerten die Grünen der Geschäftsordnungsreform die Zustimmung. Für Cyriak Schwaighofer handelte es sich um eine »Mini-Reform mit rein kosmetischen Verbesserungen«, aber um keine tatsächliche Stärkung der Opposition.100 SPÖ und ÖVP hätten sich am Demokratiepaket der steirischen SPÖ orientieren sollen. Das Reformpapier der steirischen SPÖ sah eine klare Trennung zwischen Regierung und Opposition vor. Die Oppositionsparteien sollten mehr Klubförderung und eine bessere personelle Ausstattung, das alleinige Nominierungsrecht für den Direktor des Landesrechnungshofes sowie das Recht, jederzeit und unbegrenzt Untersuchungsausschüsse einzusetzen, erhalten.101 Mit der nunmehr im Salzburger Landtag beschlos 99 Salzburger Landeskorrespondenz 12.6.2007. 100 Salzburg ORF.at.13.6.2007. http://sbgv1.orf.at/stories/199477. (Abgerufen am 24.12.2016.) 101 APA0292 5 II 0342 Di, 22. Mai 2007. (Abgerufen am 5.3.2014.)

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senen Geschäftsordnungsreform werde jedoch »die Benachteiligung der Grünen fortgeschrieben«.102 Eigentlicher Grund der Kritik der Grünen war die Weigerung der übrigen Landtagsfraktionen, den Klubstatus bereits zwei Abgeordneten zuzubilligen, wodurch entsprechende personelle und finanzielle Ressourcen nicht zur Verfügung standen. Die übrigen Landtagsfraktionen lehnten dieses Ansinnen u. a. mit der Begründung ab, dass in Zeiten von Sparbudgets eine Geschäftsordnungsreform des Landtages kostenneutral erfolgen müsse. Die bisherige Zahl von drei Abgeordneten werde daher schon mit Rücksicht auf die damit erhöhten Kosten nicht geändert. Unabhängig von der Debatte um die Geschäftsordnungsreform des Landtages bot sich den Grünen und der Bürgerliste anlässlich der 2005 erfolgenden zweiten Bewerbung Salzburgs für die Olympischen Winterspiele 2014 die Möglichkeit der Profilierung. Die neuerliche Olympia-Bewerbung wurde zum Feld der politischen Kontroverse und hatte Folgen, die erst Jahre nach der neuerlich gescheiterten Kandidatur unter erheblicher medialer Aufmerksamkeit sichtbar wurden.

14.1 »Angesichts eines so lockeren Umgangs mit Steuergeldern kann man nur das Schlimmste bei einer neuerlichen Kandidatur befürchten.« Die neuerliche Bewerbung um die Olympischen Winterspiele 2014 Trotz der gescheiterten und politisch noch nicht aufgearbeiteten Bewerbung für die Durchführung der Olympischen Winterspiele 2010 bekundeten Stadt und Land Salzburg bereits im Oktober 2003 mit dem Argument der damit zu erwartenden wirtschaftlichen und werbemäßig-touristischen Impulse ihr grundsätzliches Interesse an einer neuerlichen Bewerbung für die Olympischen Winterspiele 2014. Die Befürworter einer neuerlichen Bewerbung ließen sich von einer Reihe von Überlegungen leiten, die ihrer Ansicht nach für Salzburg als Austragungsort sprachen  : 1. Österreich und im Speziellen Salzburg galten als klassische Skigebiete mit entsprechendem sportlichem Potenzial sowie Erfahrungen in der Austragung von sportlichen (Winter-)Großereignissen. 2. Durch das Vorhandensein zahlreicher Sportstätten sowie die Konzentration der Sportstätten wurde dem Prinzip »small is butifull« als Kontrast zum zunehmend in die Kritik geratenen Gigantismus der vergangenen Spiele Rechnung getragen. Zudem setzte man auf das Prinzip der Nachhaltigkeit. 3. Die Durchführung der Olympischen Winterspiele sollte für erhebliche wirtschaftliche und nachhaltige (Infrastruktur) Impulse sorgen. 102 APA0267 5 II 0455 Di, 12. Juni 2007. (Abgerufen am 5.3.2014.)

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4. Selbst im Fall des Scheiterns wurde der Werbeeffekt für Salzburg als besonders hoch eingeschätzt, sodass man von einer Win-Win-Situation ausging. 5. Durch die Vergabe der Olympischen Winterspiele an Vancouver bestand berechtigte Hoffnung auf eine neuerliche Berücksichtigung Mitteleuropas. Dabei waren die politischen Nachwehen der gescheiterten Bewerbung noch nicht bewältigt, hatten doch FPÖ und Bürgerliste im Städtischen Kontrollausschuss eine Untersuchung der finanziellen Gebarung der Betreibergesellschaft gefordert und eine Prüfung durch das städtische Kontrollamt erreicht. Der Bericht lag im Mai 2005 dem Gemeinderat vor. Auch wenn der Prüfbericht in vorsichtigen Formulierungen im Großen und Ganzen die korrekte Verwendung der Gelder bestätigte, so wies er darauf hin, dass zahlreiche Ausgaben im Hochpreissegment angesiedelt waren und erhebliche Mängel in der Buchhaltung bestanden. Für die Bürgerliste ergab sich aus dem Prüfbericht, dass »Geld … offensichtlich keine Rolle« spielte. »Die unprofessionelle und mangelhafte Buchführung und Belegsgebarung, die sich aus den Ausführungen im Kontrollamtsbericht ermessen lässt, ließe so manchen Finanzprüfer die Haare zu Berge stehen. Offensichtlich wurde bei der Verwendung öffentlicher Gelder in diesem speziellen Fall andere Maßstäbe angelegt, als etwa bei SubventionsempfängerInnen im Kultur- und Sozialbereich. Aber auch jeder private Wirtschaftstreibende hätte bald ärgste Probleme, fänden sich in seiner Finanzgebarung derartige Unklarheiten wie im Fall der Salzburger Winterspiele GmbH 2010. (…) Alles in allem ergibt die Prüfung durch das Kontrollamt das Bild einer mehr oder weniger planlosen Organisation, bei der der Einsatz der Mittel, ganz gleich in welcher Höhe und wofür, zweitrangig war. Dass eine solche Vorgangsweise nicht mit den Vorgaben der Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit, die für die Verwendung von öffentlichen Mitteln ansonsten maßgeblich sind, übereinstimmt, wird hier ganz deutlich. Angesichts eines so lockeren Umgangs mit Steuergeldern kann man nur das Schlimmste bei einer neuerlichen Bewerbung befürchten. Die Bürgerliste fordert daher auf  : ›Finger weg von einer neuerlichen Bewerbung und einer weiteren Verschleuderung von Steuergeld für nicht nachvollziehbare Ausgaben  !‹«103 Bürgerliste-Gemeinderätin Ingeborg Haller, stellvertretende Vorsitzende des Kontrollausschusses, begründete die Haltung ihrer Fraktion, im Gegensatz zu SPÖ und ÖVP in der letzten Sitzung des Kontrollausschusses im Oktober 2005 den Kontrollamtsbericht nicht zur Kenntnis zu nehmen, mit der Erklärung, das Ergebnis der Sitzungen des Kontrollausschusses habe sich »als Chronologie der abenteuerlichen Geldverschwendung« 103 http://buergerliste.at/de/presse/detail.asp?id=5803&tit=Ilympia+2010. (Abgerufen am 17.12.2016.)

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erwiesen, die offensichtlich »in der neuerlichen Bewerbung 2014 ihre Fortsetzung findet. … Die Bewerbung für die Austragung der Olympischen Winterspiele 2010 war insgesamt ineffizient und vor allem intransparent«. Erst unter massivem öffentlichen Druck habe sich Bürgermeister Heinz Schaden bereit erklärt, eine Prüfung zuzulassen, jedoch in der Folge dem Kontrollausschuss jede Auskunft verweigert. »Diese Haltung ist nicht dazu angetan, das Vertrauen in die neuerliche Bewerbung zu stärken. Im Gegenteil – es steht zu befürchten, dass die Geheimniskrämerei bis der neuerlichen Bewerbung weiter geht.«104 Neben der Bürgerliste und den Grünen erhoben auch die FPÖ und die aus der ÖVP am 5. Juli 2004 ausgetretene und nunmehr parteilose Gemeinderätin Elisabeth Promegger massive Bedenken gegen eine neuerliche Olympiakandidatur. Promegger ergriff im Dezember 2004 die Initiative und forderte im Salzburger Gemeinderat eine Bürgerbefragung zu einer neuerlichen Olympiabewerbung. Um ihren Antrag im Gemeinderat durchzubringen, benötigte sie allerdings bis 20. Jänner 2005 2000 Unterschriften. Dabei erhielt sie die Unterstützung der Bürgerliste. Die Unterschriftenaktion war von Erfolg gekrönt, weshalb nach dem Salzburger Stadtrecht innerhalb von zwei Monaten eine Bürgerbefragung durchgeführt werden musste. Die nunmehr in dieser Frage aktive Bürgerliste bemerkte kurz nach Einreichungsfrist, dass nach dem Salzburger Stadtrecht eine Bürgerbefragung rechtlich zwar nicht bindend sei, doch dürfe »eine derart weit reichende Entscheidung, die Salzburg und die SalzburgerInnen zumindest die nächsten 10 Jahre massiv belasten würde, … nicht gegen den Willen der Bevölkerung getroffen werden«. Das Finanzierungskonzept einer allfälligen Bewerbung sowie die auf die öffentliche Hand zukommenden Kosten müssten für eine Entscheidungsfindung durch die Bevölkerung transparent sein. Bürgerliste-Klubobmann Helmut Hüttinger begründete diese Forderung damit, dass es »im Interesse der Stadt, ihrer Bevölkerung und der finanziellen Verantwortung sein« müsse, »eine einseitige Information durch jegliche Form der Manipulation auszuschließen. Nur dann kann das Ergebnis der Befragung ernstzunehmend und in der Folge bindend sein.« Allerdings sei »angesichts der finanziellen Lage der Stadt Salzburg, bei der sich der Bürgermeister nicht einmal in der Lage sieht, den Sozialhilferichtsatz zu erhöhen, also auf dem Rücken der Schwächsten sparen muss, … ein Finanzabenteuer einer neuerlichen Olympia-Bewerbung unverantwortlich. Wir sagen daher erneut NEIN zu einer neuerlichen Olympia-Bewerbung  !«105 Dem Argument der Befürworter einer neuerlichen Olympia-Bewerbung, Innsbruck, der innerösterreichische Konkurrent um die Olympia-Bewerbung, habe von der zweimaligen Durchführung der Olympischen Winterspiele erheblich profitiert, wurde heftig widersprochen. Cyriak Schwaighofer erklärte, diese »Schönfärberei der Be104 http://buergerliste.at/de/presse/detail.asp?id=6184&tit=Olympia+2010. (Abgerufen am 17.12.2016.) 105 http://www.buergerliste.at/de/presse/detail.asp?id=6232&tit=Olympia2014. (Abgerufen am 17.12.2016.)

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fürworter« halte »keiner sachlichen Überprüfung stand. Gerade am Beispiel Innsbruck zeigt sich überdeutlich, dass Olympische Spiele einer Stadt keineswegs das finanzielle Paradies bedeuten. In Innsbruck sind die Schulden in den 70er und 80er Jahren – also nach den Olympischen Spielen – regelrecht explodiert. Heute kann sich offensichtlich niemand mehr daran erinnern, aber Innsbruck war damals praktisch bankrott.« Die finanzielle Sanierung der Stadt sei neben einer umfassenden Verwaltungsreform und einem rigorosen Sparkurs nur durch den Verkauf der Wasserrechte am Achensee bzw. des dortigen Kraftwerks an der Twang um 2 Milliarden Schilling Anfang der 90er-Jahre erfolgt. »Den Salzburgerinnen und Salzburgern wird derzeit sehr viel versprochen. Innsbruck zeigt, dass solche Versprechungen mit Vorsicht zu genießen sind.«106 Zum Zeitpunkt dieser Erklärung waren die Weichen für eine landesweite Bürgerbefragung bereits gestellt. Im Jänner 2005 hatte es noch geheißen, dass, sollte Salzburg vom ÖOC gegenüber Innsbruck den Zuschlag für die Olympia-Bewerbung 2014 erhalten, in der Stadt Salzburg eine Bürgerbefragung stattfinden werde. Diese war notwendig, da die von der parteifreien Gemeinderätin Elisabeth Promegger mithilfe der Bürgerliste gestartete Unterschriftenaktion bis zum 20. Jänner 2005 mehr als die erforderlichen 2000 Unterschriften vorweisen konnte. Am 24. Jänner fielen in dem innerösterreichischen Ringen die Würfel zugunsten Salzburgs als österreichischer Bewerber. Am 8. Februar erfolgte auf Einladung von Bürgermeister Heinz Schaden eine erste Planungssitzung für das weitere Vorgehen. Das Treffen, an dem auch Vizebürgermeister Harald Preuner, Landeshauptfrau Gabi Burgstaller, Landeshauptmann-Stellvertreter Wilfried Haslauer jun., Vertreter der Sozialpartner, des Bundes und des ÖOC teilnahmen, brachte eine Reihe von Festlegungen  : 1. Die Bürgerbefragung wurde zu einem noch zu bestimmenden Zeitpunkt nicht nur in der Stadt Salzburg, sondern landesweit durchgeführt. Damit konnte man ein eventuell negatives Ergebnis in der Stadt Salzburg neutralisieren. Begründet wurde dieser Schritt damit, dass die Durchführung der Olympischen Spiele auch die Gebirgsgaue (Salzburger Sportwelt) betreffe, sodass eine landesweite Befragung angebracht sei. 2. Stadt, Land, die Salzburger Sportwelt, die Sozialpartner und das ÖOC traten als Gesellschafter in die noch zu gründende Bewerbungs-GmbH ein, mit der der Bund einen Fördervertrag abschloss. 3. Das Bewerbungsbudget wurde mit 7 Millionen Euro gedeckelt und lag damit niedriger als jenes der letzten Bewerbung. 4. Ein offizieller Gemeinderatsbeschluss über die Olympia-Kandidatur sollte im Juli erfolgen. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte die Struktur der Bewerbungs-GmbH im 106 http://buergerliste.at/de/presse/detail.asp?id=6264&tit=Olympia  :Innsbruck. (Abgerufen am 17.12.2016.)

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Detail ausverhandelt sein, ihre offizielle Gründung erst nach dem Gemeinderatsbeschluss erfolgen. Am folgenden Tag beschloss der Salzburger Gemeinderat, eine Bürgerbefragung über die Bewerbung der Stadt für die Durchführung der Olympischen Winterspiele durchzuführen. Dabei wurde jedoch unter Hinweis auf das Stadtrecht von SPÖ und ÖVP betont, dass deren Ergebnis nicht bindend sei. Der Antrag der Bürgerliste, das Ergebnis der Bürgerbefragung als bindend zu erklären, wurde abgewiesen. In Abstimmung mit dem Land wurde festgelegt, dass die landesweite Volksbefragung zwischen dem 3. und 9. April durchgeführt werden sollte. Damit war die heiße Phase der politischen Kontroverse eröffnet. Am 17. März warf Cyriak Schwaighofer den Befürwortern der Olympia-Kandidatur vor, »nicht einmal zu einer Diskussion mit den Kritikern bereit« zu sein. »Wie lässt sich eine solche Gesprächsverweigerung mit angeblich sachlicher Information vereinbaren  ?« Gegen diesen manipulativen Umgang mit Informationen starteten daher die Grünen ihre »NOlympia«-Kampagne. Dies sei absolut notwendig, so Schwaighofer, denn »was seitens der Befürworter bisher an völlig haltlosen Versprechungen aufgetischt wurde, grenzt ja schon an Heilslehre. Eine echte Auseinandersetzung über Für und Wider von Olympischen Spielen in Salzburg findet nicht statt.«107 Für Bürgerliste-Klubobmann Helmut Hüttinger beruhte »die Kalkulation der Befürworter … offensichtlich auf reinen Phantasiezahlen und Wunschvorstellungen.« So würden die drei für die Bewerbung vorliegenden Dokumente – Bewerbungsdokument für Salzburg 2010, Vorbereitungsdokument für Salzburg 2014, briefliche Auskunft des ÖOC an Willi Rehberg vom Personenkomitee »Olympia Bewerbung 2014« – massive Abweichungen sowohl bei den Ein- wie Ausgaben um bis zum Doppelten aufweisen. Willi Rehberg forderte daher eine seriöse Kostenschätzung nach dem Vorbild der Stadt Bern, die von der Firma Rütter und Partner in Zusammenarbeit mit dem Institut für Tourismuswirtschaft der Hochschule für Wirtschaft in Luzern erstellt worden sei und die Stadt Salzburg 40.000 bis 50.000 Euro kosten würde. Die Erstellung dieser Studie würde in etwa drei Monate in Anspruch nehmen und käme damit noch rechtzeitig, um als Entscheidungsgrundlage für den Gemeinderat zu fungieren. Derzeit ergäbe sich, in deutlichem Gegensatz zu den Behauptungen der Befürworter der Bewerbung, ein zu erwartendes Defizit von rund 500 Millionen Euro, das vom Steuerzahlen beglichen werden müsse. BürgerlisteKlubobmann Helmut Hüttinger wies daher darauf hin, dass angesichts der Finanzsituation der Stadt eine Bewerbung leichtsinnig wäre. »Die Finanzabteilung der Stadt hat erst kürzlich für die kommenden drei Jahre einen Abgang in Höhe von mehr als 107 http://buergerliste.at/de/presse/detail.asp?id=6265&tit=NOlympia+Kampagne. (Abgerufen am 17.12. 2016.)

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40 Millionen Euro prognostiziert und deshalb von der Politik einen radikalen Sparkurs gefordert.« Die im Zusammenhang mit Olympia möglichen Verluste »betragen ein Vielfaches des gesamten Investitionshaushaltes der Stadt Salzburg«.108 In einem Interview mit »kunstfehler online« erklärte er  : »Es gab bisher keine Olympischen Winterspiele, die ohne namhafte Zuschüsse der öffentlichen Hand ausgekommen sind. … Wir halten es für völlig unverantwortlich, bei unserer Budgetlage Geld für eine Bewerbung auszugeben. In der Sache selbst meinen wir  : Die Sportstadt ist eine falsche Positionierung Salzburgs. Salzburg wäre gut beraten, an seinem Image als Kultur- und Wirtschaftsstandort zu arbeiten und dafür die entsprechenden Rahmenbedingungen zu sichern.« Und mit Hinweis auf die Diskussion im Kontrollausschuss des Gemeinderates über die Olympia-Bewerbung 2010  : »Salzburgs BewerberInnen haben genug Chancen gehabt zu zeigen, dass sie ihr Handwerk verstehen und dass Olympia Sinn macht. Diese Chancen haben sie mehr als verpfuscht. Und sie haben gezeigt, was sie von Grundsätzen wie Sparsamkeit und vor allem von Kontrolle beim Umgang mit öffentlichen Geldern halten, nämlich nichts.«109 Und Cyriak Schwaighofer betonte, die Befürworter einer Olympia-Bewerbung würden der »Bevölkerung ausschließlich geschönte, zum Teil sogar falsche Informationen« auftischen. Das Versprechen, die Spiele ohne Beteiligung der öffentlichen Hand durchzuführen, sei eine »unglaubliche Beschönigung«. Noch nirgendwo seien die Spiele ohne erhebliche Steuermittel durchgeführt worden.110 Die Argumentation der Bürgerliste und der Grünen fiel in der Stadt Salzburg auf fruchtbaren Boden. Bei der vom 3. bis 9. April 2005 durchgeführten Bürgerbefragung votierten bei einer Wahlbeteiligung von 21,79 Prozent 60,53 Prozent gegen eine neuerliche Kandidatur. Bei der landesweiten Abstimmung fiel die Wahlbeteiligung auf 19 Prozent, von denen allerdings 60 Prozent für die Kandidatur votierten. Die höchste Zustimmung verzeichnete der Pongau, in dem die alpinen Bewerbe stattfinden sollten, mit 78 Prozent, gefolgt vom Lungau mit 75 Prozent, dem Pinzgau mit 66 Prozent, dem Tennengau mit 63 Prozent und dem Flachgau mit 59 Prozent. Bemerkenswert war das Abstimmungsergebnis in Hallein, wo eine Multifunktionshalle errichtet werden sollte. Hier stimmten, allerdings bei einer Beteiligung von lediglich 11 Prozent, 51 Prozent gegen die Kandidatur. Auch in Elsbethen, wo das Olympische Dorf entstehen sollte, lehnte eine Mehrheit von 56 Prozent eine Kandidatur ab. Insgesamt war die Zustimmung nicht berauschend und in der Host City Salzburg überwog sogar die Ablehnung. Hatten 1997 bei einer Wahlbeteiligung von 30,66 Prozent noch 76,76 Prozent für eine Kandidatur für die Olympischen Winterspiele 108 http://buergerliste.at/de/presse/detail.asp?id=6267&tit=Olympia+2014. (Abgerufen am 17.12.2016.) 109 http://www.kunstfehler.at/ShowArticle.asp?AR_ID=1797&KF_ID=91. (Abgerufen am 17.12.2016.) 110 http://buergerliste.at/de/presse/detail.asp?id=6270&tit=Olympia-Finanzen. (Abgerufen am 17.12. 2016.)

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2010 gestimmt, so sank dieser Wert bei einer deutlich gesunkenen Wahlbeteiligung acht Jahre später auf 60 Prozent. ÖOC-Präsident Leo Wallner hatte, wie die Spitzen der Salzburger Politik, vor der Bürgerbefragung noch erklärt  : »Es steht und fällt mit der Volksbefragung. Wenn diese negativ ausgeht, dann kann ich eine Diskussion innerhalb der ÖOC nicht ausschließen.« Je höher die Zustimmung sei, »desto glaubwürdiger können wir auf der internationalen Bühne auftreten. Nicht sehr gute Ergebnisse« hingegen würden die Chancen der Konkurrenten Salzburgs erhöhen.111 Die Argumentation der Befürworter, dass nur ein möglichst hohes positives Votum gegenüber der Konkurrenz ein deutliches Signal setzen und damit die Chancen der Bewerbung beim IOC erhöhen würde, stieß auf überschaubare Zustimmung. Landeshauptfrau Gabi Burgstaller und Landeshauptmann-Stellvertreter Wilfried Haslauer jun. sowie der Salzburger Bürgermeister Heinz Schaden, der mit der deutlichen Ablehnung in der Landeshauptstadt offensichtlich nicht gerechnet hatte, sahen allerdings in dem positiven landesweiten und vor allem deutlichen Abstimmungsergebnis in den Gebirgsgauen einen Auftrag, die Kandidatur für die Durchführung der Olympischen Winterspiele voranzutreiben. FPÖ und Grüne sahen sich hingegen in ihrer ablehnenden Haltung durch das Ergebnis bestätigt. Für Doris Tazl wurde die ablehnende Haltung der Stadt-FPÖ durch das Ergebnis in der Stadt Salzburg eindrucksvoll bestätigt und Cyriak Schwaighofer bemerkte, »man sollte das Projekt in der Schublade versenken«. Die niedrige Wahlbeteiligung dokumentiere deutlich, dass die Salzburger andere Sorgen hätten und den Olympischen Winterspielen nicht die von den beiden Regierungsparteien gewünschte positive Aufmerksamkeit entgegenbrächten. Sie wollten »damit nichts zu tun haben – Bildung, Soziales etc. ist für die wichtig.«112 Bürgermeister Heinz Schaden ortete den Grund für das negative Abstimmungsergebnis in der Stadt Salzburg in dem vor allem von der Bürgerliste ins Treffen geführten erheblichen Kosten. Die Tür für eine Kandidatur sei damit jedoch noch nicht zugeschlagen. Das Ergebnis der Bürgerbefragung sei politisch nicht bindend und der Gemeinderat könnte beim Vorliegen entsprechender finanzieller Haftungen des Bundes, des Landes und anderer Institutionen, die das Risiko der Stadt auf ein Minimum reduzierten, doch noch für eine Kandidatur als Host City stimmen. Die von Schaden angesprochenen geänderten finanziellen Rahmenbedingungen wurden am 27. Juni in einem vom Salzburger Bürgermeister in das Schloss Mirabell einberufenen Olympiagipfel Realität. Durch die Zusagen des Bundes, des Landes, der betroffenen Wintersportgemeinden und des ÖOC wurde das Ausfalls-Risiko für die Stadt Salzburg auf 10 Prozent beschränkt. Die errechneten Kosten für die 111 http://www.news.at/a/olympia–2014-genau–60-prozent-salzburger-bewerbung–108859. (Abgerufen am 18.12.2016.) 112 Ebda.

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Bewerbung in der Höhe von 7,1 Millionen Euro wurden zu je 1,2 Millionen Euro vom Bund, Land und Stadt Salzburg, in der Höhe von 1,5 Millionen Euro durch die Durchführungsgemeinden und zu zwei Millionen Euro durch Sponsoren übernommen. Im Fall einer positiven Entscheidung des IOC sollte eine Durchführungsgesellschaft mit einem Stammkapital von 100 Millionen Euro gegründet werden, an der sich der Bund mit 49,9 Prozent, das Land mit 29,1 Prozent, die Stadt Salzburg sowie die Durchführungsgemeinden mit je 10 Prozent und das ÖOC mit 1 Prozent beteiligten. Damit war auch die für die Stadt Salzburg zentrale Frage der Ausfallshaftung gelöst. Im Fall des höchsten Risikos, d. h. der Nicht-Durchführung der Spiele, wurde ein Gesamtrisiko in der Höhe von 120 Millionen Schilling veranschlagt, die zunächst durch das Stammkapital der Durchführungsgesellschaft gedeckt werden sollte. Den Restbetrag teilten sich der Bund mit und das Land Salzburg mit je 40 Prozent sowie die Stadt Salzburg und die Durchführungsgemeinden mit je 10 Prozent. Die Investitionskosten für Hallen oder Sprungschanzen sollten zu je einem Drittel vom Bund, Stadt und Land Salzburg übernommen werden. Für Bürgermeister Heinz Schaden waren damit die Würfel für eine zweite Kandidatur gefallen und er erklärte im Anschluss an den Olympiagipfel nicht ohne Stolz, dass nach der Klärung der finanziellen Rahmenbedingungen sowohl SPÖ wie ÖVP dem Gemeinderat in seiner nächsten Sitzung am 6. Juli mit gutem Gewissen die Bewerbung für die Durchführung der Olympischen Winterspiele 2014 vorschlagen können. Diese Sicht konnte Bürgerliste-Klubobmann Helmut Hüttinger allerdings nicht teilen. Für ihn wurde durch die Erklärung des Bürgermeisters »das eindeutige Ergebnis der Bürgerbefragung gröblich missachtet«.113 Am 6. Juli beschloss der Salzburger Gemeinderat mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP die neuerliche Kandidatur Salzburgs für die Durchführung der Olympischen Winterspiele 2014. Bürgermeister Heinz Schaden forderte den Gemeinderat auf, mit einem eindeutigen positiven Votum Ehrgeiz und Stolz zu entwickeln, denn die Winterspiele seien ein Garant für ein stärkeres Wirtschaftswachstum und weltweite Werbung. Das Finanzierungskonzept sah 1,25 Milliarden Euro an Einnahmen und 262 Millionen Euro an Ausgaben für den Bau von Sportstätten und das Olympische Dorf vor. Zahlen, die von Cyriak Schwaighofer bezweifelt wurden. »Faktum ist, dass bei den unterschiedlichsten Budgets, die inzwischen vorgelegt, revidiert und adaptiert wurden, die Ausgaben zumindest mit 1,137 Milliarden Euro angegeben werden, die Einnahmen mit 1,258 Milliarden Euro. Dass alle diese Fantasie-Budgets nicht zu halten sind, ist wahrscheinlich allen klar. Aber das macht ja nichts, der Steuerzahler gibt es ja …«114 Im Dezember 2006 warnten der Klubobmann der Bürgerliste im Salzburger Gemeinderat, Helmut Hüttinger, und der Fraktionsvorsitzende der 113 http://derstandard.at/2092624/Olympia–2014-Salzburg-wieder-im Spiel. (Abgerufen am 17.12.2016.) 114 http://sbgv.1.orf.at/stories/43688. (Abgerufen am 17.12.2016.)

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Grünen im Salzburger Landtag, Cyriak Schwaighofer, in einer gemeinsamen Pressekonferenz neuerlich vor den zu optimistischen Annahmen des Olympia-Budgets. Viele Annahmen seien unseriös, auf Stadt, Land und Gemeinden würden zusätzliche Kosten in Millionenhöhe zukommen. Es sei »eine Verhöhnung des Bürgers, wenn man sagt, dass das Olympia-Budget ausgeglichen ist«, erklärte Hüttinger. Von den Versprechen, dass die Olympischen Spiele die Steuerzahler nichts kosten werden, werde nichts übrig bleiben. So seien zahlreiche Annahmen illusorisch. Während in Turin 900.000 Tickets verkauft worden seien, gehe man in Salzburg von einem Verkauf von 1,7 Millionen Karten aus. Die kalkulierten Einnahmen aus dem Kartenverkauf in Salzburg betrügen 124 Millionen Euro, Turin habe lediglich 69,4 Millionen Euro erwirtschaftet.115 Am 25. Juli leitete der Präsident des ÖOC, Leo Wallner, das Bewerbungsschreiben Salzburgs für die Durchführung der Olympischen Winterspiele 2014 an das IOC weiter. Am 4. November erfolgte die Gründung der Bewerbergesellschaft »Winterspiele 2014 GmbH« unter der Leitung des Sporthilfe-Geschäftsführers von Anton Schutti, am 5. Dezember die Gründung des »Olympischen Fördervereins« mit Sitz in der Marxergasse 25 in Wien, dem Sitz der ÖOC und der Österreichischen Sporthilfe. Die Konstruktion der beiden Institutionen sah drei Rechnungskreise – zwei in der Bewerbergesellschaft und einen im Förderverein – vor. Die Schaffung der beiden Rechnungskreise in der Bewerbergesellschaft ging auf den Wunsch der Wirtschaft und von Sponsoren zurück, um damit die private Sphäre der Geldgeber zu schützen und deren Sponsorbeiträge einer öffentlichen Diskussion zu entziehen. Durch die Einführung der beiden Rechnungskreise sollte eine klare Trennung zwischen öffentlichen und privaten Geldern erfolgen. Wurden im Rechnungskreis 1 die Gelder der öffentlichen Hand verbucht, so im Rechnungskreis 2 jene der Sponsoren. Der Rechnungskreis des Fördervereins diente den von diesem lukrierten Sponsorgeldern. Damit war eine Konstruktion entstanden, die in der Folgezeit noch zu erheblichen politischen Turbulenzen führen sollte. Turbulenzen gab es auch in der Geschäftsführung der Bewerbergesellschaft, denn Anton Schutti trat bereits am 9. März 2006 von der Funktion des Geschäftsführers aufgrund der von nationalen und internationalen Medien behaupteten Nähe zum österreichischen Dopingskandal in Turin zurück. Ihm folgte – ohne Ausschreibung – Fedor Radmann, ein enger Vertrauten von Franz Beckenbauer bei der Vorbereitung der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Radmann galt zwar als international bestens vernetzter Sportmanager, der bereits 1972 im Olympiakomitee der Spiele von München tätig war, gegen den jedoch in den Medien immer wieder Vorwürfe wegen geheimer Absprachen mit Medienunternehmen erhoben wurden. Auch er sollte aus »gesundheitlichen Gründen« bereits nach nur neun Monaten Amtszeit 115 APA0269 5 SI 0428 Mo, 11. Dez. 2006.

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noch vor der Schlussphase der Bewerbung am 22. Jänner 2007 zurücktreten und durch ein Führungstrio – Gernot Leitner, Rudolf Höller und Franz Klammer als »Chairman International« – ersetzt werden. Trotz dieser personellen Turbulenzen wurde Salzburg am 22. Juni 2006 vom IOC aus der Reihe der Candidate Cities – Almaty (Kasachstan), Borjomi (Georgien), Jaca (Spanien), Pyeongehang (Südkorea), Salzburg (Österreich), Sotschi (Russland), Sofia (Bulgarien) – zusammen mit Pyeongehang und Sotschi in den Status einer Host City erhoben. Dies bedeutete, dass die drei ausgewählten Host Cities das sogenannte Bewerbungsdokument 2 innerhalb einer bestimmten Frist dem IOC übergeben mussten,116 auf dessen Grundlage eine Evaluierungskommission des IOC vor Ort erschien und einen Report verfasste, der die Grundlage für die Entscheidung der Vollversammlung des IOC in Guatemala City am 4. Juli 2007 bildete.117 Aufgrund des Evaluationsberichtes der IOC-Kommission ging man in Salzburg mit hohen Erwartungen in diese Entscheidung. Hatte dieser Mängel im Bereich der zur Verfügung stehenden Zimmer, des Medienzentrums und des im Vergleich zu den Mitbewerbern geringen Budgets aufgezeigt, so stellte er andererseits eine ausgezeichnete Infrastruktur, starke Verkehrsverbindungen, äußerst geringe Umweltbeeinträchtigungen und eine positive Nachhaltigkeit, ein außerordentliches Interesse am Wintersport und starke Signale für die Jugend fest. Umso größer war bei der mit Spitzenrepräsentanten der Landespolitik – Landeshauptfrau Gabi Burgstaller und Landeshauptmann-Stellvertreter Wilfried Haslauer jun. – angereisten Delegation die Enttäuschung, als sich die 111 stimmberechtigten IOC-Vertreter bereits in der ersten Runde deutlich gegen Salzburg aussprachen, das damit nicht in die Endrunde kam, aus der schließlich das südrussische Sotschi als Sieger hervorgehen sollte. Reinhard Bachleitner hat in einer tourismussoziologischen Untersuchung die Gründe für das abermalige Scheitern Salzburgs benannt. Die »olympische Ideologie« sei von den Werten »noch größer – noch mehr – noch umfassender« und der Erschließung neuer Wintersportmärkte maßgeblich geprägt, wobei sicherheitspolitische oder ökologische Aspekte nur eine untergeordnete Rolle spielen. Und schließlich sei auch das Bewerberbudget maßgeblich. Salzburg verfügte hier mit rund 10 Millionen Euro mit Abstand über den kleinsten Werbeetat. Damit wurden jedoch die Eckpfeiler der Bewerbung Salzburgs obsolet. Hinzu traten noch weitere Entwicklungen, die sich zu Ungunsten Salzburgs auswirkten wie die Dopingaffäre bei den Olympischen Winterspielen in Turin 2006 und das kurz vor der Tagung in Guatemala City gefällte Urteil mit dem lebenslangen Ausschluss von sechs öster-

116 Salzburg übergab das Bewerbungsdokument 2 am 10. Jänner 2007 in Lausanne. 117 Am 12. März 2007 erschien eine 13-köpfige Evaluierungskommission des IOC in Salzburg zur Überprüfung und Bewertung der Bewerbungsunterlagen vor Ort.

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reichischen Athleten von den Olympischen Winterspielen,118 der mehrfache Führungswechsel in der Geschäftsführung der Bewerbergesellschaft und die Ablehnung der Bewerbung durch die Bevölkerung der Stadt Salzburg. Vom IOC in den drei Bewerberregionen durchgeführte Umfragen brachten, in deutlichem Gegensatz zur Bürgerbefragung 2005, eine Ablehnung von 45 Prozent, der eine Zustimmungsrate von lediglich 42 Prozent gegenüberstand.119 Die gescheiterte Olympiabewerbung hatte ein politisches und juristisches Nachspiel, als 2008 bekannt wurde, dass die Salzburger Winterspiele 2014 GmbH Ende 2006 eine Überschuldung von 738.134 Euro aufwies und trotzdem in wirtschaftlich unverantwortlicher Weise dem Förderverein ein »Darlehen« in der Höhe von 300.000 Euro gegeben hatte, der Personalaufwand überzogen gewesen sei, unklare Geldflüsse zwischen der Salzburger Winterspiele 2014 GmbH und dem Förderverein und eine mangelhafte Buchführung und Kontrolle der widmungsgerechten und sparsamen Verwendung der Gelder erfolgt waren. Insgesamt, so ein Gutachten im September 2010, seien bei der Bewerbung 3.439.496 Euro »ungeklärt entzogen« worden. Zudem stellten die gerichtlichen Gutachter fest, dass 744.753 Euro »nicht für die Olympia-Bewerbung der Stadt Salzburg« ausgegeben worden seien.120 Mitte Oktober 2008 forderte daher die Bürgerliste-Mandatarin Ingeborg Haller im Kontrollausschuss des Gemeinderates eine Ergänzung des vorliegenden Prüfberichts des städtischen Kontrollamtes, um die ihrer Meinung nach wie vor unklaren Transaktionen genauer zu untersuchen. Dabei wies sie darauf hin, dass die Feststellungen des Kontrollamtes über ein behauptetes »Darlehen« der Betreibergesellschaft an den Förderverein in der Höhe von 300.000 Euro unvollständig seien, die Einrichtung zweier Rechnungskreise offensichtlich dazu diente, gewisse Geldflüsse der öffentlichen Kontrolle zu entziehen und die Rolle des Strategieberaters Erwin Roth einer eingehenden Untersuchung bedürfe. Obwohl es zu den Usancen der Beratungen des Kontrollausschusses gehörte, einzelne Fragen zuzulassen und in deren Folge eine Ergänzung des Prüfberichts in Auftrag zu geben, gingen SPÖ, ÖVP und Doris Tazl von dieser Gewohnheit ab und lehnten das Ansinnen Hallers mit der Begründung, es sei »alles aufgeklärt«, ab. Haller bezeichnete daraufhin diese Haltung als »skandalös«. SPÖ, ÖVP und Tazl hätten offensichtlich kein Interesse daran, dass es neuerlich zu einer für sie peinlichen Debatte über die Verwendung von Steuergel118 Das IOC-Exekutivkomitee fällte am 24. April 2007 dieses Urteil und strich dem ÖOC als Folge Fördermittel in der Höhe von 1 Million US-Dollar. Das ÖOC verweigerte daraufhin am 29. Mai 2007 13-ÖSV-Betreuern, die in Turin 2006 im Einsatz waren, sowie Walter Mayer künftige Akkreditierungen bei Olympischen Spielen. 119 Reinhard Bachleitner  : Die Salzburger Bewerbungsstrategie für »Olympia 2014«  : Anmerkungen zu Sinnhaftigkeiten und Sinnlosigkeiten. – In  : SJP 2007. – Wien/Köln/Weimar 2008. S. 86–101. 120 http://www.wikilegia.info/wiki/index.php  ?title-Olympia-Affaere-Druck-auf-Justiz. (Abgerufen am 18.12.2016.)

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dern komme, wie dies bereits bei der Olympiabewerbung 2010 der Fall gewesen sei. Bürgerliste-Klubobmann Helmut Hüttinger zeigte sich »über diese Unverschämtheit und Ignoranz schlichtweg fassungslos« und betonte, dass sich dies die Bürgerliste »sicher nicht bieten lassen« werde.121 Sowohl die Bürgerliste wie die Grünen wurden nunmehr zu den treibenden investigativen Kräften einer Aufklärung der vermuteten Malversationen, die schließlich in die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses durch den Salzburger Landtag und juristischen Ermittlungen mündeten. Ende Juli 2009 wandte sich Gemeinderätin Ingeborg Haller gegen die Behauptung der Befürworter einer Olympiabewerbung 2014, dass selbst im Fall eines Scheiterns der Werbeeffekt und damit auch der ökonomische Nutzen für die Region erheblich sei. Die Bewerbung für die Durchführung der Olympischen Winterspiele 2014 habe rund 10 Millionen Euro gekostet und sei trotz einer negativen Bürgerbefragung in der Stadt durchgezogen worden. Sie habe aber weder dem Land noch der Stadt einen nennenswerten und nachhaltigen Werbeeffekt gebracht. Vor allem aber seien die Geldflüsse der Betreibergesellschaft bis jetzt nicht restlos aufgeklärt und liege der geforderte Bericht des städtischen Kontrollamts immer noch nicht vor, obwohl sie im Jänner 2009 eine entsprechende Anfrage an Bürgermeister Heinz Schaden gerichtet habe. Da der geforderte Prüfbericht vor der Gemeinderatswahl im März 2009 noch immer nicht vorlag, musste die Bürgerliste in der Gemeinderatssitzung im Mai einen neuerlichen Prüfantrag stellen. »Eine unendliche Verzögerungs- und Verschleierungstaktik, die einen eigenartigen Beigeschmack hat. Offenbar ist das Interesse an einer raschen und lückenlosen Aufklärung gering. Anders ist nicht erklärbar, warum der Prüfbericht dem Kontrollausschuss noch immer nicht vorgelegt wurde.«122 Auch die Staatsanwaltschaft Salzburg interessiere sich in der Zwischenzeit für die Geschäfte der Bewerbergesellschaft.123 Die politische Brisanz der Causa Olympiabewerbung 2014 gewann an Dynamik, als im Zuge der Recherchen bekannt wurde, dass es neben der Bewerbergesellschaft auch einen Förderverein mit einem eigenen Rechnungskreis gegeben hatte, über den Zahlungen, die sich der Kontrolle entzogen, erfolgten. Der damit in die Enge getriebene Bürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende der Bewerbergesellschaft, Heinz 121 http://www.salzburg24.at/olympiabewerbung–2014-keine-weiteren-fragen-zugelassen/news-200810 16-02463495. (Abgerufen am 22.12.2016.) 122 http://buergerliste.at/de/presse/detail.asp?id=6620&tit=Olympia+2014+-+Verwirrspiel+um+Geldflüsse. (Abgerufen am 16.12.2016.) 123 Im Sommer 2009 nahm Staatsanwältin Eva Danninger-Soriat die Untersuchungen wegen des Verdachts der Untreue und der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen auf, wobei es um den ungeklärten Verbleib von rund 4 Millionen Euro und die Honorare beteiligter Personen ging. Im Sommer 2010 begann die Ermittlung gegen neun Personen. Die Verfahren wurden im Oktober 2013 von der Staatsanwaltschaft eingestellt, nachdem sich die Honorar-Zahlungen als durchaus branchenüblich erwiesen hatten.

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Schaden, zeigte sich unwissend über die Details der Gründung des Fördervereins sowie der über diesen erfolgten Zahlungen z. B. an den Strategieberater Erwin Roth in der Höhe von 1,17 Millionen Euro. Für Ingeborg Haller war damit Anfang September 2009 klar, dass nach den Aussagen von ÖOC-Generalsekretär Heinz Jungwirth und Strategieberater Erwin Roth die Gründung des Fördervereins als eigene Rechtsperson nicht nur mit Wissen, sondern auf Initiative von Bürgermeister und Vorsitzenden der Bewerbergesellschaft mit dem Zweck erfolgt sei, Geldflüsse zu verschleiern und damit der öffentlichen Kontrolle zu entziehen. Dies spreche der zu Beginn der Bewerbung feierlich versprochenen Transparenz Hohn. Als Bürgermeister Heinz Schaden die Behauptungen Jungwirths und Roths in Abrede stellte, forderte ihn Haller auf, die Konsequenzen zu ziehen und beide aufzufordern, diese Behauptungen zurückzunehmen und eventuell gerichtliche Schritte einzuleiten. Denn eine solche Behauptung, dass »ein demokratisch gewähltes Oberhaupt einer Landeshauptstadt … sein politisches Handeln nach außen hin zum Wohle der Stadt ausrichtet, indem er eine begleitende Kontrolle einsetzt und nach innen diese Handlung ad absurdum führt, indem er Mechanismen in Gang setzt, die jegliche öffentliche Kontrolle außer Kraft setzen«, könne nicht widerspruchslos hingenommen werden. »Eine solche Handlungsweise wäre ein politischer Skandal, die für zukünftiges oder auch vergangenes Handeln jede Kontrolle durch öffentliche Rechnungshöfe verhöhnt und ad absurdum führt.«124 Durch diese – auch medial breit berichteten – Vorwürfe wurde der öffentliche Druck zu groß. Sowohl SPÖ wie ÖVP schlossen sich im Gemeinderat Anfang September 2009 der Forderung an, die Gebarung des Fördervereins einer öffentlichen Kontrolle zu unterziehen. Gleichzeitig erklärte Bürgermeister Schaden, er werde am 23. September dem Gemeinderat einen Bericht zu den Vorgängen in der Bewerbergesellschaft erstatten. Die Bürgerliste erstellte anlässlich der bevorstehenden Gemeinderatssitzung am 18. September einen in vier Kapitel (Olympischer Förderverein – ein dritter Rechnungskreis  !  ?, Bewerbergesellschaft – zwei Rechnungskreise und ein »Darlehen« an den Förderverein  !  ? Die Rolle des Aufsichtsrates – und zahnlose Kontrollmechanismen  !  ?, Die Rolle des Strategieberaters Erwin Roth  !  ?) unterteilten umfangreichen Fragenkatalog und forderte Bürgermeister Heinz Schaden und Vizebürgermeister Harald Preuner auf, diesen zu beantworten. In einer Pressekonferenz erklärten Ingeborg Haller und Helmut Hüttinger, dass viele offene Fragen zu der Olympiabewerbung endlich beantwortet werden müssten. »Auch wenn jetzt Viele nach Aufklärung rufen, so darf nicht vergessen werden, dass nur die Bürgerliste von Beginn an restlose Aufklärung verlangt hat und unangenehme Fragen gestellt hat, auf die es keine Antworten gab, weder vom Kontrollamt, noch von den 124 http://buergerliste.at/de/presse/detail.asp?id=6624&tit=Olympiaskandal+2014+Welche+Rolle+spielt e+der+Bürgermeister. (Abgerufen am 26.12.2016.)

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Verantwortlichen der SPÖ und ÖVP  ! … Auf Grund der aktuellen Entwicklungen in der Causa Olympia verwundert es immer mehr und mehr, warum sich SPÖ/ÖVP und Liste Tazl mit dem Prüfbericht zufrieden gegeben haben, obwohl die Bürgerliste bereits damals eine Reihe von offenen Fragen, die seit Jahresbeginn die Staatsanwaltschaft Salzburg interessieren und die in den vergangenen Wochen intensiv in der Öffentlichkeit diskutiert wurden, gestellt hat.«125 Bürgermeister Schaden beantwortete den Fragenkatalog schriftlich,126 doch wurde dieser Bericht über die Vorgänge der Olympiabewerbung 2014 von der Bürgerliste als völlig ungenügend und als offensichtliche Brüskierung empfunden. Gemeinderätin Ingeborg Haller erklärte  : »Entweder setzen Bürgermeister Schaden und Vizebürgermeister Preuner gemeinsam mit ihren Fraktionskollegen und Kolleginnen von der SPÖ und ÖVP umgehend den von der FPÖ und Bürgerliste geforderten Untersuchungsausschuss in der Stadt ein, oder sie ziehen persönliche Konsequenzen und übernehmen politische Verantwortung für ihr Handeln im Aufsichtsrat der Bewerbergesellschaft.« Der Bericht des Bürgermeisters habe neben allgemeinen Erklärungen nichts Neues gebracht außer der Bestätigung, dass er und der Aufsichtsrat von nichts, insbesondere den Vorgängen im Förderverein, gewusst haben wollen. »Wenn Bürgermeister Schaden und Vizebürgermeister Preuner nicht schleunigst wirksame Zeichen setzen und für eine nachvollziehbare, transparente, glaubwürdige und umfassende Aufklärung sorgen, haben beide in Zukunft ein massives Glaubwürdigkeitsproblem, das nicht nur der SPÖ und der ÖVP schadet, sondern der gesamten Politik.«127 SPÖ und ÖVP lehnten den Antrag von FPÖ und Bürgerliste auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses mit der Begründung, dass durch den Prüfbericht des städtischen Kontrollamtes und die Beantwortung des Fragenkatalogs der Bürgerliste ein vollständiges Prüfergebnis und eine erschöpfende Auskunft vorliege, ab. In dieser Situation machten die Grünen am 23. September im Landtag von ihrem durch die Reform der Geschäftsordnung gegebenen Recht Gebrauch, die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses des Landtages zu beantragen. Die grüne Abgeordnete Astrid Rössler begründete diesen Schritt mit der Bemerkung, es sei etwas »ganz massiv faul an dieser Sache«.128 Im Untersuchungsausschuss sollten folgende Themen behandelt werden  : 1. Die Rolle und Konstruktion des Fördervereins (dritter Rechnungskreis  ?).

125 http://www.buergerliste.at/de/presse/detail.asp?id=6630&tit=Olympiabewerbung+2014+im+nächste n+Gemeinderat. (Abgerufen am 17.12.2016.) 126 AHB 127 http://www.buergerliste.at/de/presse/detail.asp?id=6632&tit=Bürgermeister+hat+Chance+auf+Aufkl ärung+versäumt! (Abgerufen am 17.12.2016.) 128 http://sbgv1.orf.at/stories/391821. (Abgerufen am 18.12.2016.)

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2. Die zwei Rechnungskreise in der Bewerbergesellschaft und ein Darlehen der Bewerbergesellschaft an den Förderverein in der Höhe von 300.000 Euro, von denen nur 150.000 Euro zurückgezahlt wurden. 3. Sponsorgelder – Leistungen und Gegenleistungen. 4. Die Rolle und die Leistungen von Strategieberater Erwin Roth sowohl in der Bewerbergesellschaft wie im Förderverein. Der Olympia-Untersuchungsausschuss des Landtages solle »schlank, sportlich und schnell« sein, so die Abgeordnete Astrid Rössler. Dabei werde das Zurverfügungstellen von Unterlagen und Akten eine entscheidende Rolle spielen. »Rund um den zweiten Rechnungskreis der Bewerbergesellschaft liegt einiges im Dunkeln, von den Verbindungen zwischen Bewerbergesellschaft und Förderverein sowie dem, was dort gelaufen ist, ganz zu schweigen. Wir werden auf jeden Fall verlangen, dass dem Ausschuss sämtliche Unterlagen vorgelegt werden, und ich gehe davon aus, die übrigen Fraktionen stimmen dem zu.« Vor allem müsse der Frage nachgegangen werden, ob eine ordnungsgemäße Verwendung der Gelder der öffentlichen Hand erfolgt sei. Ebenso müsse der Fragenkomplex »Sponsoring« untersucht werden, wobei nicht auszuschließen sei, dass unter diesem Titel auch mehr Gelder der öffentlichen Hand in die Bewerbung geflossen seien als bisher bekannt.129 Dieser Vermutung widersprachen Landeshauptfrau Gabi Burgstaller und Landeshauptmann-Stellvertreter Wilfried Haslauer jun. als Mitglieder des Aufsichtsrates der Bewerbergesellschaft heftig. Es sei alles in völliger Ordnung abgelaufen und Steuergelder seien keineswegs zweckentfremdet worden, erklärte Burgstaller unter Berufung auf eine Überprüfung durch den Landesrechnungshof. Und für Haslauer waren die Vermutungen der Grünen ein »alter Hut«, der durch den Bericht des Landesrechnungshofes längst widerlegt worden sei. »Aber wir stellen uns gerne diesem alten Hut.« Die Regierung habe mit der Gründung der Bewerbergesellschaft und zwei Rechnungskreisen, einen für Steuergeld und einen für Sponsorgelder, eine korrekte und transparente Struktur geschaffen. »Es ist auch ein Vorrecht der Opposition, an sich Klares mit einem Nebelschleier zu überziehen und dann zu sagen, in diesen undurchdringlichen Sumpf müsse endlich Klarheit gebracht werden.«130 Die Landesregierung ließ wissen, dass sie einem Untersuchungsausschuss gelassen entgegensehe. In der Sitzung des Landtages am 4. November 2009 wurden formell die Weichen für den von den Grünen initiierten Untersuchungsausschuss gestellt, wobei allerdings, sehr zum Ärger von Astrid Rössler, SPÖ und ÖVP eine wesentliche Änderung des von den Grünen formulierten Untersuchungsgegenstandes vor129 http://www.buergerliste.at/de/presse/detail.asp?id=5583&tit=Olympia+2014. (Abgerufen am 18.12. 2016.) 130 http://sbgv1.orf.at/stories/391821. (Abgerufen am 18.12.2016.)

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nahmen. Der Antrag der Grünen bezüglich Festlegung des Untersuchungsgegenstandes lautete  : »Überprüfung und Aufklärung von Geldflüssen im Zusammenhang mit der Bewerbung Salzburgs für die Olympischen Winterspiele 2014.« Obwohl in der Verordnung zum Landtagsgeschäftsordnungsgesetz festgelegt war, dass der im Antrag des Antragstellers festgelegte Untersuchungsgegenstand gegen dessen Willen nur konkretisiert oder erweitert werden kann, wenn dadurch der Kern des Untersuchungsgegenstandes unberührt bleibt und keine wesentliche Verzögerung des Verfahrens zu erwarten ist, schränkten SPÖ und ÖVP den beantragten Umfang der Untersuchung deutlich ein. Nicht mehr die generelle Überprüfung und Aufklärung von Geldflüssen, sondern die Überprüfung und Aufklärung von Geldflüssen im Zusammenhang mit der Beteiligung des Landes Salzburg an der Salzburg Winterspiele GmbH bildeten nunmehr den eingeschränkten Untersuchungsgegenstand. Eine sichtlich erzürnte Astrid Rössler kommentierte diese Vorgangsweise der Regierungsparteien mit der Bemerkung, dass diese das von ihnen bisher praktizierte Prinzip der Ausschaltung von Kontrolle weiterhin verfolgten. »SPÖ und ÖVP scheuten nicht einmal davor zurück, sich über das Gesetz hinwegzusetzen, bloß um die zweifelhaften Geldflüsse dort zu belassen, wo sie sind, nämlich im Dunkeln.« Mit dem von SPÖ und ÖVP veränderten Antrag »ist der Kern der von uns in die Wege geleiteten Überprüfung ganz wesentlich verändert worden. SPÖ und ÖVP haben am Gesetz vorbei das Recht der Opposition auf Kontrolle massiv beschnitten. Man fragt sich, was die Regierungsparteien so fürchten, dass sie zum Mittel der Rechtsbeugung greifen.« Vor allem die SPÖ sei für diese Entwicklung verantwortlich. »Während der ganzen spätabendlichen Debatte waren es primär SPÖ-Abgeordnete, die sich für die Beschränkung des Untersuchungsausschusses offensiv ins Zeug gelegt haben. … Bevor die SPÖ die lückenlose Aufklärung zulässt, ist es ihr lieber, es wird weiter spekuliert. Anscheinend fürchten die Sozialdemokraten, die Wahrheit könnte fataler sein als alles, was sich die Steuer zahlenden Bürgerinnen und Bürger in dieser Causa ausmalen.« Aber man werde diese »Willkür der Mächtigen« nicht hinnehmen. »Wir werden unsere Fragen stellen, zumindest daran können uns die Großparteien nicht hindern.«131 Die von der FPÖ und den Grünen behauptete Rechtsbeugung bei der eingeschränkten Definition des Untersuchungsgegenstandes durch die beiden Regierungsparteien führte zu einer rechtlichen Überprüfung, die zu dem Schluss kam, dass die Festlegung des Untersuchungsgegenstandes am 4. November rechtmäßig zustande gekommen sei. Die Grünen nahmen dies zur Kenntnis, konnten jedoch einen Erfolg durch die Wahl von Astrid Rössler zur Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses verbuchen. Die Wahl Rösslers zur Vorsitzenden erfolgte, so wie vier Jahre später bei der Un131 http://www.buergerliste.at/de/presse/detail.asp?id=6659&tit=Olympia-U-Ausschuss+droht+im+Vers chleierungsfilz+der+Regierungsparteien+zu+ersticken. (Abgerufen am 17.12.2016.)

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tersuchung des Finanzskandals, durch Losentscheid. Die SPÖ verweigerte nämlich den Grünen als Antragstellern das übliche Recht der Vorsitzführung, sodass das Los entscheiden musste. Dieses fiel, wie 2013, auf Rössler, die damit die Gelegenheit zur politischen Profilierung erhielt – und diese auch ergriff. Der bis Herbst 2010 tagende Olympia-Untersuchungsausschuss zählte zu den bis dahin größten Verfahren im Salzburger Landtag. Vom 17. November 2009 bis 31. November 2010 wurden 34 Zeugen in 12 öffentlichen und 24 nicht-öffentlichen Sitzungen befragt, rund 1000 Protokollseiten verfasst. Am 22. Oktober 2010 übergab der vorsitzende Richter, Anton Meinhart, seinen Bericht an die Ausschussvorsitzende Astrid Rössler. In diesem 77 Seiten umfassenden Bericht erfolgte keine Bewertung der Olympia-Bewerbung, sondern lediglich eine Zusammenfassung der Zeugenaussagen zu bestimmten Themenbereichen. Er bildete die Grundlage für den wertenden Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses, der Ende 2010 vorliegen sollte. Der Bericht Meinharts enthielt zahlreiche brisante Passagen, die ein Licht auf die oft zweifelhaften Praktiken der Olympiabewerbung 2014 warfen. So war die Kontrolle mangelhaft. »In den ersten drei Monaten gab es außer dem Finanzausschuss keine Kontrolle. … Auch später setzte sich der Controlling-Ausschuss weder mit dem Thema Kostenstellen noch mit den Sponsorverträgen inhaltlich auseinander. … Ebenso wenig wurde hinterfragt, wie die Fördermittel des Bundes verwendet werden, auch dies wurde ausschließlich als Aufgabe der Geschäftsleitung angesehen.« Da dem Controlling nur der Rechnungskreis 1 unterworfen wurde, verstieß »der Aufsichtsrat … mit dieser Organisation des internen Kontrollsystems gegen die Überwachungs- und Prüfungspflichten nach § 22 GmbH, die sich auf das gesamte Unternehmen beziehen und verlangt hätten, dass die Geschäftsführung zur Berichterstattung über die Gebarung beider Rechnungskreise verhalten wird.« Zur Einführung des zweiten Rechnungskreises  : »Dr. Jungwirth betonte, dass der 2. Rechnungskreis von allem Anfang an ein Wunsch des Bürgermeisters Dr. Schaden gewesen sei, der es auch farbenprächtig, nämlich des Rotweins wegen, geschildert habe. Er wolle nicht mehr so wie bei 2010 die Essenseinladung, die mit einer Flasche Rotwein für ein norwegisches Mitglied stattgefunden habe, später in den Ausschüssen seiner Kontrollorgane diskutiert haben. Daher habe man die Sponsorbeiträge in einem eigenen Verein oder Rechnungskreis haben wollen, um sie nicht der öffentlichen Kontrolle darzubieten. … Auch Anton Schutti gab an, dass ›mit ein Grund‹ für die Einführung des 2. Rechnungskreises war, dass das Controlling-Organ nur einen Bereich kontrollierte.«132 Die Mitglieder des Controlling-Organs seien der 132 Anton Meinhart  : Parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Salzburger Landtages. Untersuchungsgegenstand  : »Überprüfung und Aufklärung der Geldflüsse (wie z. B. die sogenannte Darlehenshingabe) im Zusammenhang mit der Beteiligung des Landes an der Salzburger Winterspiele 2014 GmbH, soweit es sich um Angelegenheiten des selbständigen Wirkungskreises des Landes im

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Auffassung gewesen, »dass eine Kontrolle nur ein internes Revisionsorgan, das im Auftrag der Geschäftsführung handelt, durchführen kann … und dass für die Kontrolle in der Olympia-Bewerbergesellschaft eigentlich andere Gremien zuständig waren, nämlich der Aufsichtsrat, der Finanzausschuss, die Generalversammlung, der Landesrechnungshof und das Kontrollamt. Ein Hilfsorgan des Aufsichtsrates könne eine interne Revision nicht ersetzen … Als Aufgabe des Controlling-Organs wurde daher das reine Controlling gesehen, also die Überwachung, ob das Budget, welches vom Aufsichtsrat vorgegeben wurde, eingehalten wurde. … Die Dinge, die vom Aufsichtsrat abgesegnet wurden, wurden vom Controlling-Organ nicht hinterfragt, da dies als vermessen angesehen wurde.«133 Der Wiener Förderverein sei vor allem zu dem Zweck gegründet worden, Gelder von »großen Unternehmen, die nicht in Salzburg zu Hause sind«, zu lukrieren. »Erwin Roth gab an, dass von Salzburg das bezahlt werden sollte, was harmlos ist aus parteipolitischer und lokalpolitischer Sicht. Von den ›Wienern‹ habe all das bezahlt werden müssen, was international sei oder von der Höhe der dem Bürgermeister Dr. Schaden ›nicht in den Kram der GmbH passte‹. Dr. Wallner betonte, dass der Förderverein ein Hilfsmittel gewesen sei, der die Einnahmen zur Gänze für Ausgaben der GmbH verwendet habe.«134 Zur Idee des Fördervereins  : »Erwin Roth gab an, dass Bürgermeister Dr. Schaden bereits Anfang 2004 gesagt habe, dass er eine Bewerbung für 2014 nur mache, wenn es eine ›eigenständige, nicht mit Steuermitteln gefütterte Einheit‹ gebe und auch Dr. Wallner gab an, dass ›das aus Salzburg gekommen‹ sei …«135 Erwin Roth habe das Verhältnis von Bewerbergesellschaft und Förderverein mit »zwei kommunizierenden Röhren« verglichen, »die formaljuristisch getrennt, aber über die handelnden Personen total abgestimmt gewesen seien«.136 In seiner Schlussbemerkung wies Meinhart darauf hin, dass ihn unmittelbar vor der Zusammenfassung der Beweisergebnisse ein Abgeordneter der SPÖ angegriffen und Druck ausgeübt habe, »noch dazu in einer Art und Weise, in der er für die Öffentlichkeit nicht wahrnehmbar war, weshalb er als Versuch angesehen wurde, unbemerkt Druck auf das Gericht auszuüben und auf diese Weise die bevorstehende Zusammenfassung zu beeinflussen«.137 Am 15. Dezember 2010 wurde der auf der von Anton Meinhart erstellten Zusammenfassung der Zeugenaussagen basierende Abschlussbericht des Olympia-Untersuchungsausschusses dem Salzburger Landtag präsentiert. Parallel dazu erfolgte Sinne des Art. 28 (5) L-Vg handelt.« Zusammenfassung gem. § 18 LTUA-VO. – Salzburg 2010. S. 13f. 133 Ebda. S. 20. 134 Ebda. S. 28f. 135 Ebda. S. 40. 136 Ebda. S. 52. 137 Ebda. S. 77.

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eine 10 Seiten umfassende Stellungnahme der Grünen, in der einleitend festgestellt wurde, dass »die Untersuchung der Geldflüsse der ›Salzburger Winterspiele 2014 GmbH‹ im Zusammenhang mit der Olympiabewerbung … eine systematische Umgehung der versprochenen Transparenz und begleitenden Kontrolle offen« gelegt habe. »Anstelle die gesamten Einnahmen und Ausgaben einer uneingeschränkten Kontrolle zugänglich zu machen, sind hinter einer Fassade aus Controlling und drei Rechnungskreisen öffentliche Gelder und Sponsorgelder in Millionenhöhe in fragwürdige Beraterhonorare und ungeklärte Leistungen geflossen. Die Weichenstellungen dafür erfolgten im Finanzausschuss.«138 Zu den zentralen Erklärungen der involvierten Personen wurde u. a. angemerkt  : Die Argumentation für den angeblich von den Sponsoren gewünschten zweiten Rechnungskreis in der »Salzburger Winterspiele 2014 GmbH« sei »für die Fraktion der Grünen … aus zwei Gründen unzutreffend und widerlegt. Zum einen konnte im Beweisverfahren nicht bestätigt werden, dass die Sponsoren über eine derartige Aufteilung informiert bzw. diese gefordert hätten. Im Gegenteil haben sich einige Unternehmen ausdrücklich davon distanziert und liegt es im Wesen von SponsoringVerträgen, dass der Sponsor als Geldgeber öffentlich sichtbar und bekannt wird. Das trifft umso mehr für die Transparenz von Sponsorgeldern aus öffentlichen Unternehmen zu. Zum anderen handelte es sich bei Weitem nicht um ›private Geldgeber‹, da mehrere öffentliche Unternehmen als Großsponsoren auftraten. Das vorgegebene Schutzinteresse von privaten Geldgebern als Begründung für einen zweiten Rechnungskreis wurde im Beweisverfahren klar widerlegt. Bereits in seiner 1. Sitzung hat der Finanzausschuss die Kontrolle des 2. Rechnungskreises massiv eingeschränkt und dazu ein entsprechendes ›Wording‹ vereinbart  : – die begleitende Kontrolle wird auf die öffentlichen Gelder begrenzt (= RK 1) – die korrekte und sparsame Finanzgebarung der Gesellschaft wird durch den Finanzausschuss sichergestellt. Konkrete Kontrollhandlungen der Mitglieder des Finanzausschusses ­hinsichtlich korrekter und sparsamer Finanzgebarung konnten weder aus den Finanzausschussprotokollen noch aus den Befragungen im Beweisverfahren abgeleitet werden. Hingegen ist den Sitzungsprotokollen wörtlich zu entnehmen, dass der 2. Rechnungskreis dazu diente, die dort verbuchten Ausgaben einer öffentlichen Diskussion zu entziehen. (…) 138 Stellungnahme der GRÜNEN Abgeordneten, Ausschuss-Vorsitzende Abg. Dr. Astrid Rössler und Abg. Cyriak Schwaighofer. S. 1. (http://www.google.at/ßgws_rd=ssl#g=Ergebnis+Untersiuchungsaus schuss+Salzburg+Olympiabewerbung+2014&c. Abgerufen am 31.12.2016.)

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Der nach Ansicht der GRÜNEN wahre Zweck des 2. Rechnungskreises wird in einem internen Email vom 21. 3. 2006 aus den Geschäftsunterlagen dargelegt. Es heißt wörtlich  : Insgesamt sind im Rechnungskreis 2 jene Kosten enthalten, die nicht im Rahmen der Bundesvergabeordnung vergeben wurden, die eine direkte Gegenleistung (Leistungsaustausch) mit einem Sponsor inkludieren, Repräsentationsaufwendungen, Bewirtungsspesen, Geschenke, geldwerte Zuwendungen beinhalten, die in ihrer Angemessenheit bzw. ihrer Verwendung öffentlicher Kritik ausgesetzt sein könnten bzw. auch den Empfänger dieser Zuwendungen kompromittieren könnten, Kosten und Aufwendungen, die im Zusammenhang mit einer Person (Sponsor, Mitarbeiter, Berater, Förderer) stehen und diese Person ungerechtfertigter bzw. unerwünschter öffentlicher Aufmerksamkeit aussetzen würde.

Absolut widerlegt ist für die Abgeordneten der GRÜNEN die Behauptung, dass alle öffentlichen Gelder im Rechnungskreis 1 verbucht und in den Rechnungskreis 2 ausschließlich private Sponsorgelder geflossen wären. Tatsächlich sind mehr als 1,4 Millionen Euro (inkl. Sachleistungen) aus öffentlichen Unternehmen und Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung in die Salzburger Bewerbungsgesellschaft geflossen …«139 Entgegen der zugesicherten und vom Landtag beschlossenen begleitenden Kontrolle erfolgte ein bloßes eingeschränktes Controlling, das die Liquidität der Gesellschaft und einen Plan-Ist-Vergleich erstellte sowie lediglich stichprobenartige Kontrollen der Belege vornahm. Die Beurteilung der Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit fiel nicht in seine Kompetenz. Die entscheidenden finanziellen Weichenstellungen wurden ausschließlich im Finanzausschuss vorgenommen, dem daher auch vorzuwerfen sei, dass er »als Verantwortlicher für die Gesamtgebarung keinerlei erkennbare Kontrollhandlungen für die korrekte und sparsame Gebarung – insbesondere auch in RK 2 – gesetzt« habe.140 Den Mitgliedern des Aufsichtsrates sei »vorzuwerfen, dass sie alle Entscheidungen des Finanzausschusses wie auch die gravierenden Einschränkungen und Abweichungen der ›begleitenden Kontrolle‹ entweder nicht bemerkt oder kritiklos hingenommen haben.«141 Der private Förderverein sei nach übereinstimmenden Aussagen zur Unterstützung der Salzburger Bewerbung eingerichtet worden, wobei Steuerberater Günther Hawel in einem Fax an Fedor Radmann am 18. Oktober 2006 ausdrücklich auf die rechtlich problematische Situation 139 Ebda. S. 1f. 140 Ebda. S. 3. 141 Ebda. S. 4.

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hingewiesen habe, wenn Sponsoren nicht mit der Bewerbergesellschaft, sondern mit einem privaten Förderverein Sponsorverträge abschließen. Über die politische Verantwortung der entstandenen Malversationen auch infolge der Geldflüsse zwischen Bewerbergesellschaft und Förderverein bemerkte die Stellungnahme unter Bezugnahme auf die im Untersuchungsausschuss widersprüchlichen Aussagen  : »Während die Aufsichtsräte Wallner und Jungwirth sowie der Berater Roth die Zusammenarbeit zwischen Förderverein und Bewerbergesellschaft als eng und kooperativ bezeichneten, gaben die Salzburger Aufsichtsratsmitglieder an, über die Tätigkeiten und die Gebarung nicht Bescheid gewusst zu haben, da der Verein wirtschaftlich und organisatorisch völlig eigenständig gewesen wäre. Dennoch fällt auf, dass die Sponsoreinnahmen zwischen der Salzburger Bewerbergesellschaft und dem Wiener Förderverein annähernd gleich aufgeteilt wurden. (Im Rechnungskreis 2 der Bewerbergesellschaft befanden sich 3,4 Millionen Euro Sponsorgelder, im Rechnungskreis 3 des Wiener Fördervereins 3,1 Millionen Euro. Anm. d. Verf.) … Andererseits haben mehrere Mitglieder des Aufsichtsrates auf die Frage nach der Art der Unterstützung durch den Förderverein angegeben, dass die teuren internationalen Berater vom Förderverein finanziert wurden. Das deckt sich mit der strategischen Ausrichtung am Beginn der Bewerbung, wonach vor allem die internationalen Beziehungen und das Lobbying bei den IOC-Mitgliedern deutlich intensiviert werden sollte. (…) Für die GRÜNEN ist erwiesen, dass eine gemeinsame Finanzierung von immerhin 10 Beraterfirmen mit einem Volumen von 1,548 Millionen Euro und über einen rund zweijährigen Zeitraum zwingend eine regelmäßige Koordination und Ansprache zwischen dem Förderverein und der Bewerbergesellschaft erfordert hat.«142 Und zur Geschäftsgebarung  : »In den Geschäftsunterlagen fanden sich zahlreiche Rechnungen, die den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Buchhaltung nicht genügen. … Aus den zahlreichen Honorarnoten der internationalen Berater waren in den meisten Fällen die tatsächlich erbrachten Leistungen nicht angeführt. Mangels entsprechender Beraterverträge – die in den Geschäftsunterlagen fehlten und über die auch die Aufsichtsräte keinerlei Auskunft geben konnten – war es nicht möglich, die Angemessenheit der Honorare zu beurteilen. Festzustellen ist, dass im Zuge des Beweisverfahrens die Leistung von unangemessenen bzw. ungerechtfertigten Zahlungen durch die Bewerbergesellschaft nicht ausgeschlossen werden konnte.«143 Zusammenfassend kam die Stellungnahme zu dem Ergebnis, dass »die von den GRÜNEN eingebrachten Vermutungen hinsichtlich ungeklärter Geldflüsse und intransparenter Gesamtgebarung … nicht nur bestätigt, sondern in vielen Details noch weiter übertroffen« wurden. Es ergebe sich aus dem 142 Ebda. S. 5ff. 143 Ebda. S. 8.

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Untersuchungsausschuss auch eine Antwort auf die politische Verantwortung. »Die Gegenfinanzierung in Form einer offiziellen Bewerbungs-GmbH und eines angeblich unabhängigen privaten Fördervereins war eine von Anfang an bewusst geplante und gewollte Konstruktion. Die Beteiligten mussten sich im Klaren sein, dass sie damit nicht alle Einnahmen und Ausgaben offenlegten, indem sie die Umlenkung von Sponsorgeldern in den Förderverein ermöglichten. Schwerer wiegt, dass ein siebzehnköpfiger Aufsichtsrat aus namhaften Repräsentanten von Stadt und Land Salzburg, des Bundes, aus Gemeinden, Wirtschaftskammer und Tourismus bereit war, diese Konstruktion zuzulassen und damit die Kontrolle über die Ausgaben aufzugeben. Mit der Auslagerung von Einnahmen und Ausgaben an den Förderverein musste allen beteiligten klar sein, dass sie einen Graubereich zur Unredlichkeit und Intransparenz zulassen, der vor der Öffentlichkeit nie und nimmer zu rechtfertigen war.«144 Der Abschlussbericht des Olympia-Untersuchungsausschusses Anfang Dezember 2010 fiel aufgrund einer zufälligen Konstellation erheblich schärfer aus als erwartet. Da die SPÖ kein Ersatzmitglied für einen erkrankten Abgeordneten nominieren konnte, waren FPÖ und Grüne in der Lage, die beiden Regierungsparteien bei der Formulierung des Schlusspapiers zu überstimmen. Das Schlusspapier empfahl der Landesregierung, sich einem allfälligen Strafverfahren in der Causa OlympiaBewerbung als Privatbeteiligter anzuschließen und den Versuch zu unternehmen, die noch offenen Forderungen aus dem 300.000 Euro-Darlehen an den OlympiaFörderverein einzubringen. Bei Großprojekten ab 1 Million Euro sowie Projekten mit einer Landesbeteiligung ab 25 Prozent sollten in Zukunft sämtliche öffentlichen und privaten Einnahmen und Ausgaben einer vollständigen begleitenden und nachträglichen Kontrolle unterzogen werden. Dafür seien Mindeststandards zu definieren und verpflichtend vorzuschreiben. Für die Tätigkeit in Aufsichtsräten und vergleichenden Kontrollorganen sollten Mindestanforderungen in einem Pflichtenheft verbindlich definiert werden. Bei der Präsentation des Abschlussberichts am 15. Dezember 2010 im Salzburger Landtag beantragten FPÖ und Grüne, die im Abschlussbericht formulierten Forderungen in vollem Umfang umzusetzen. SPÖ und ÖVP lehnten dies ab und nahmen einen von der SPÖ eingebrachten Antrag an, die Erkenntnisse des Untersuchungsausschusses in einen bereits im Sommer beschlossenen Verhaltenskodex einfließen zu lassen. Zu Jahresbeginn 2013 bemerkte Astrid Rössler vor dem Zusammentreten des Untersuchungsausschusses über den Finanzskandal rückblickend auf die Ergebnisse des Olympia-Untersuchungsausschusses drei Jahre zuvor, dass die Ergebnisse des Ausschusses gut gewesen, »aber ihre Umsetzung … nicht einmal ansatzweise angegangen worden« sei. Die von den Regierungsparteien versprochene Umsetzung im 144 Ebda. S. 9f.

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Verhaltenskodex sei zunächst verzögert und schließlich ohne Einbindung des Landtages von den Regierungsparteien medial als Erfolg verkauft worden. »Transparenz ist zu einem PR-Gag verkommen. Ein durchgehendes Bewusstsein für die Probleme gibt es auch heute noch nicht.« In diesem Umstand seien die Ursachen des nächsten Skandals, des Finanzskandals, mit erheblich größeren Schadenssummen zu sehen.145

14.2 Der neuerliche Kampf um die Grünlanddeklaration Die Anfänge gingen bis in die 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts und damit zu den Ursprüngen der Bürgerliste zurück. Gegen die geplante Verbauung der einmaligen Salzburger Stadtlandschaft im Süden der Stadt, die fortschreitende Zerstörung der Altstadt sowie den Stadtverkehrsplan mit seinen vorgesehenen Stadtautobahnen durch das Landschaftsschutzgebiet inklusive Tunnels in den Stadtbergen entstand ein breiter Widerstand in Form von Bürgerinitiativen, die sich nicht nur politisch in Form der »Bürgerliste« formierten und in den Gemeinderat einzogen, sondern die auch am 28. Juni 1985 die Verabschiedung der sog. »Grünlanddeklaration« durch den Gemeinderat der Stadt Salzburg erreichten. Am 4. November 1998 folgte eine modifizierte Fassung, in der festgestellt wurde, dass aufgrund des stürmischen Wachstums der Stadt vor allem zwischen 1955 und 1985 die einzigartige Kulturlandschaft erheblich beeinträchtigt wurde, weshalb die Stadt Salzburg einen dauerhaften Schutz der Stadtlandschaft für unabdingbar halte. In dem mit der Deklaration ausgewiesenen Gebiet sollten die Flächen dauernd als Grünland erhalten bleiben und keine Bauten errichtet werden dürfen. Man werde daher Maßnahmen ergreifen, um zu verhindern, dass diesem Ziel zuwider gehandelt werde. Nur Bauten, bei denen ein zwingendes öffentliches Interesse vorliegt, sowie Sportanlagen und landwirtschaftliche Zweckbauten, die der Grünlanddeklaration entsprechen, sollten gestattet sein. 2001 übernahm BürgerlisteStadtrat Johann Padutsch die Grünlanddeklaration in das Räumliche Entwicklungskonzept der Stadt, womit sie ein zentraler Bestandteil der Stadtentwicklung wurde. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dass im Jahr des 20-jährigen Bestehens der Grünlanddeklaration deren Festlegungen von Bürgermeister Heinz Schaden und den Sozialpartnern infrage gestellt wurden. Unmittelbarer Anlass für die nun mit zunehmender Heftigkeit losbrechende Diskussion bildete die erhebliche Wohnungsnot in der Landeshauptstadt, in der rund 4000 Haushalte als wohnungssuchend registriert waren, davon rund 1300 als »dringlich Wohnungssuchende« eingestuft. Salzburg beherbergte nach 1945 nicht nur eine außerordentlich hohe Anzahl von Flüchtlingen und Displaced Persons, sondern galt auch als Hauptstadt 145 http://www.salzburg.com/nachrichten/salzburg/politik/sn/artikel/was-vom-salzburger-olympia-Uausschuss-übrig-blieb–45. (Abgerufen am 29.12.2016.)

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des »Goldenen Westens«. Die Attraktivität der Stadt mit ihrer dynamischen Wirtschaftsentwicklung hielt unvermindert an, die Bevölkerung stieg zwischen 1945 und 1970/71 von 98.000 auf rund 130.000. Durch einen beispiellosen Bauboom gelang eine Verdoppelung der Anzahl der Wohnungen, wenngleich dieser mit dem Bedarf nicht Schritt zu halten vermochte. 1970 registrierte die Stadt rund 7000 Wohnungssuchende, zehn Jahre später immer noch 4500. Eine Zahl, die in den folgenden Jahrzehnten nur unwesentlich sank. Grund dafür war nicht nur die auf rund 150.000 Personen wachsende Wohnbevölkerung, sondern die Änderung der Lebensgewohnheiten. Die Haushaltsgröße nahm von 3,44 Personen im Jahr 1951 auf 2,45 Personen, in der Stadt Salzburg auf nur 2,04 Personen, fünfzig Jahre später ab, die Anzahl der Einzelpersonenhaushalte betrug 2001 in der Stadt Salzburg bereits 44,8 Prozent sämtlicher Haushalte. Diese anhaltende Tendenz sowie der Zuzug von Immigranten und wohlhabenden EU-Ausländern und Zweitwohnungsbesitzern verschärfte die Situation auf dem Wohnungsmarkt erheblich. Boden-, Kauf- und Mietpreise stiegen aufgrund der begrenzten Ressourcen in einer sich ständig steigernden Spirale. Hinzu trat die Aufhebung der Vertragsraumordnung146 durch den Verfassungsgerichtshof 1999, der der Klage eines Pucher Grundstückseigentümers wegen Einschränkung der privaten Verfügungsgewalt über Eigentum recht gab, wobei von diesem Urteil bereits bestehende Verträge nicht betroffen waren. Da dadurch die Bauphase des sozialen Wohnbaus zunächst nicht unmittelbar betroffen wurde, setzte ein verstärkter Druck auf dem Wohnungsmarkt erst ab dem Jahr 2004 ein. Bereits im Juni 2002 stellte Bürgermeister Heinz Schaden aufgrund des eintretenden Baulandmangels für den sozialen Wohnbau Teile der Grünland-Deklaration zur Diskussion. Spätestens bei der 2004 erfolgenden Erstellung des Räumlichen Entwicklungskonzepts müsse über den nicht akzeptablen Umstand gesprochen werden, dass bei steigenden Bodenpreisen »besonders sozial schwächer gestellte Bürger … auf der Strecke« bleiben. »Wohnen ist, neben der Beschäftigung, eine der zentralen sozialpolitischen Aufgaben. Die Stadt muss alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausschöpfen.« Dazu gehöre auch, einen Teil der durch die Grünland-Deklaration geschützten Flächen für den sozialen Wohnbau freizugeben.147 Der Bürgermeister hatte damit eine politische Tretmine angesprochen, die er allerdings in der laufenden Legislaturperiode und vor allem vor der nächsten Gemeinderatswahl 2004 nicht lostreten wollte, hatten doch ÖVP und FPÖ vor der Gemeinderatswahl 1999 146 Im Zuge der Debatte um das Salzburger Raumordnungsgesetz wurde die sich am Südtiroler Modell orientierende Vertragsraumordnung beschlossen, die zur Sicherung preisgünstigen Bodens für den sozialen Wohnbau den Grundeigentümer bei der Umwidmung von Grün- in Bauland verpflichtete, im Falle des Verkaufs eines Grundstückes ab einer gewissen Größe bis zur Hälfte der Liegenschaft nicht auf dem freien Markt, sondern zu einem angemessenen Preis für den sozialen Wohnbau verkaufen zu müssen. 147 SN lokal 24.6.2002. S. 2.

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eine Vereinbarung mit den Vereinigten Bürgerinitiativen unterschrieben, in der sie den Bestand der Grünland-Deklaration in der laufenden Legislaturperiode garantierten. Und die in vielen Belangen mit der SPÖ koalierende Bürgerliste war für ein solches Vorhaben ohnedies nicht zu gewinnen. Angesichts der vor allem von der SPÖ und Teilen der ÖVP initiierten Debatte um eine Änderung der Grünland-Deklaration forderten die »Vereinigten Bürgerinitiativen – Rettet Salzburg« alle im Gemeinderat vertretenen Parteien auf, sich schriftlich zu verpflichten, auch in der kommenden Legislaturperiode die GrünlandDeklaration unangetastet zu lassen. Am 11. Februar 2004 ließ Johann Padutsch in einer Presseaussendung wissen, dass er selbstverständlich dafür eintrete, die Grünland-Deklaration in ihrer Gesamtheit zu erhalten. »Darum aber wird es nach den Wahlen nicht gehen. Es wird eher darum gehen, um ihre Erhaltung zu kämpfen und sie gegen die Umwidmungsgelüste anderer Parteien neuerlich zu verteidigen, auch wenn ÖVP-Vizebürgermeister Gollegger und auch FPÖ-Spitzenkandidatin Doris Tazl jetzt eine lautende Erklärung unterzeichnen.« In seinem Antwortschreiben an die »Vereinigten Bürgerinitiativen – Rettet Salzburg«, er solle einen Vertrag unterschreiben, dass er die Flächen der Grünland-Deklaration lückenlos erhalten wolle und dies »auch ohne eine einzige Ausnahme von der Bürgerliste-Gemeinderatsfraktion aufrecht erhalten, belassen und respektiert« werde, bemerkte er  : »Dieser ›Vertrag‹ ergeht Medienberichten zu Folge auch an die Spitzenkandidaten der anderen wahlwerbenden Gruppen bzw. Parteien. Nun respektiere ich zwar Ihr Engagement für die einzigartigen Grün- und Landschaftsräume unserer Stadt und finde es auch eine gute Aktion, dass Sie dieses Bekenntnis von den Kollegen Gollegger und Schaden bzw. Kollegin Tazl schriftlich einfordern. Ich weigere mich aber, gerade was die Grünland-Deklaration betrifft, mich auf dieselbe Ebene wie die Genannten zu stellen. Dies vor allem deshalb, weil eine ähnliche Vereinbarung auch vor der letzten Wahl von den Spitzenkandidaten der ÖVP und FPÖ unterzeichnet wurde, die, sowohl was den Flächenwidmungsplan aus 1997 betrifft als auch diverse Umsetzungen der letzten Jahre, alles andere als Grünlandschützer waren und dieses Bekenntnis mehrfach gebrochen haben. Aber auch deshalb, weil Sie übersehen haben dürften, dass sowohl der letzte Flächenwidmungsplan als auch die Neufassung der Grünland-Deklaration in meiner Ressortverantwortung ausgearbeitet und zur Beschlussfassung vorgelegt wurden. Die von der Grünland-Deklaration umfassten Grünräume wurden darin deutlich vergrößert und es waren ich und die Bürgerliste, die beides im Gemeinderat durchgekämpft haben.

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Es war und ist die Bürgerliste, die die Grünland-Deklaration erarbeitet, erweitert und gegen alle Anschläge der anderen Parteien, die sich jetzt mit ihrer Unterschrift als Grünlandschützer darstellen wollen, verteidigt hat. Dies war so, ist so und wird auch in Zukunft so sein und wir bedanken uns schon jetzt für jede Unterstützung, die Sie uns dabei – nicht nur vor Wahlen – leisten. Im Jahr 2004 wird das neue Räumliche Entwicklungskonzept und ab dem Jahr 2005 der neue Flächenwidmungsplan erarbeitet. Schon jetzt ist klar, dass dabei der Kampf ums Grünland weiter gehen wird.«148 Bei den nach der Gemeinderatswahl 2004 beginnenden Beratungen über die Erstellung des neuen Räumlichen Entwicklungskonzepts (REK), das das bereits 10 Jahre alte ersetzen sollte, begannen, gleichsam als Bestätigung der Analyse Padutschs, die sich nunmehr formierenden Fronten bereits deutlich sichtbar zu werden. Während die Planungsabteilung des Magistrats das von der UNO 1992 verabschiedete Aktionsprogramm für eine nachhaltige Entwicklung »Agenda 21« als Richtschnur ihrer Arbeiten annahm, wurden erste Zweifel darüber laut, ob diese ökologischen Gesichtspunkte auch in der folgenden politischen Debatte Bestand haben würden. »Die Begehrlichkeiten Richtung Grünland werden größer«, verlautete aus dem Büro von Planungsstadtrat Johann Padutsch.149 Dieser Hinweis basierte auf sich mehrenden Wortmeldungen aus der SPÖ, die eine Abtretung eines Teils der rund 3700 Hektar geschützten Grünlandes für den sozialen Wohnbau forderte, um der sich verschärfenden Wohnungsnot Herr zu werden. SPÖ-Baustadtrat Martin Panosch forderte ein Ende des Denkverbots über die Grünland-Deklaration und die AK wurde nicht müde, unter Hinweis auf rund 4000 Wohnungssuchenden vor einer sozialen Schieflage zu warnen. Ferner wurde ins Treffen geführt, dass Salzburg im Fall des Zuschlags zur Durchführung der Olympischen Winterspiele ein Olympisches Dorf für rund 2500 Personen errichten müsse, wofür ein Platzbedarf von 20 ha geschätzt wurde. Sollte das Olympische Dorf in der Stadt entstehen, könne dies nur im Grünland erfolgen. Vor dem Hintergrund der sich verschärfenden Wohnungsnot veranlasste die SPÖ, unterstützt von der ÖVP, einen Amtsbericht zur Stadtentwicklung, in dem die Einsetzung einer Arbeitsgruppe unter der Leitung des Wirtschaftsservice vorgeschlagen wurde, um die Möglichkeiten von Umwidmungen im bisher geschützten Grünland zu prüfen. Dabei sollten vor allem Flächen ins Auge gefasst werden, für die die Grünland-Deklaration nicht sinnvoll sei. Der Amtsbericht stand auf der Tagesordnung der Beratungen des Stadtsenats am 6. Juni 2005. Massiver Widerstand gegen dieses Vorgehen kam von der Bürgerliste, für die Stadtrat Johann Padutsch erklärte, 148 http://www.buergerliste.at/de/presse/detail.asp?id=6157&tit=Grünland-Deklaration. (Abgerufen am 3.1.2017.) 149 Der Standard 17.2.2005. S. 9.

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in den kommenden vier Jahren könnten in der Stadt Salzburg 3000 Wohnungen errichtet werden, ohne das geschützte Grünland anzutasten. Um dieses Ziel zu erreichen, seien allerdings gemeinsame Anstrengungen notwendig. Gefordert seien vor allem Bürgermeister Heinz Schaden und Baustadtrat Martin Panosch, die darauf drängen müssten, dass die Struberkaserne rasch verkauft und das Gewerbegebiet in Itzling verfügbar gemacht werde. Auch wenn die SPÖ dies behaupte, so sei es keineswegs zutreffend, dass die Beseitigung der Wohnungsnot nur durch die Umwidmung von Grünland erfolgen könne.150 Von den Argumenten Padutschs unbeeindruckt, beschlossen SPÖ und ÖVP am 6. Juni im Stadtsenat, dass eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des Wirtschaftsservice prüfen sollte, ob Flächen aus der Grünland-Deklaration für den sozialen Wohnbau oder als Gewerbegebiet geeignet seien. Bürgerliste-Klubobmann Helmut Hüttinger sah in diesem Beschluss einen drohenden Angriff auf die Grünland-Deklaration. Dass in der Stadt Salzburg Wohnraum geschaffen werden müsse, sei unbestritten, doch könne dies auch auf andere Weise wie etwa das Schließen von Baulücken geschehen. Auch FPÖ-Klubchefin Doris Tazl sprach sich gegen den Beschluss aus, während Bürgermeister Schaden den Kritikern erwiderte, es müsse wohl erlaubt sein, darüber nachzudenken, ob tatsächlich alle in der Grünland-Deklaration enthaltenen Grundstücke auch tatsächlich schützenswert sind. Auch ÖVP-Klubobfrau Claudia Schmidt betonte, dass ihre Partei für den Schutz des Grünlandes sei, doch müsse es möglich sein, über einzelne Grundstücke und Baulücken zu reden.151 Der Widerstand gegen den Beschluss des Stadtsenats formierte sich umgehend. Bereits am 8. Juni forderte der Geschäftsführer des Naturschutzbundes Salzburg, Hannes Augustin, SPÖ und ÖVP auf, die Grünland-Deklaration, die die Bürger erkämpft hatten, nicht anzutasten. Am 24. Juni erfolgte die Wiederbegründung der Aktion »Bürger für Bürger«, die die Rettung der Stadtlandschaft auf ihre Fahnen schrieb und ein erstes Flugblatt mit dem Titel »Finger weg vom Grünland  !« verteilte. Am 6. Juli erfolgte eine erhebliche Verbreiterung des Widerstandes durch die Gründung der Plattform »Aktion Grünland Salzburg«, in der sich, unterstützt und beraten von der Landesumweltanwaltschaft, sieben Bürgerinitiativen und NGOs zum Schutz der Grünlandschaften zusammenschlossen und am 20. Juli eine Unterschriften-Sammlung für die Durchführung eines Bürgerbegehrens zur Rettung der Grünland-Deklaration starteten. Wilfried Rogler von der Initiative »Bürger für Bürger« betonte, die Grünland-Deklaration sei ein Vertrag zwischen der Stadt und der Bürgerschaft zum dauernden Schutz des Grüngürtels und könne nicht von der Stadt einseitig aufgekündigt werden. Und Umweltanwalt Wolfgang Wiener wies darauf hin, die Grünland-Deklaration der Stadt Salzburg müsse durch einen Gemeinde150 SN lokal 4.6.2005. S. 2. 151 SN lokal 7.6.2005. S. 2.

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ratsbeschluss so abgesichert werden, dass sie nur mit einer verbindlichen Bürgerabstimmung geändert werden könne.152 Unterstützung erhielt diese Forderung durch eine Studie des IGF im Auftrag der Stadtplanung. Für 99 Prozent der Bevölkerung waren Grünflächen wichtig, für 88 Prozent sogar sehr wichtig. Ebenfalls 99 Prozent erklärten, dass die geschützten Flächen erhalten bleiben mussten und 55 Prozent votierten sogar für deren Erweiterung.153 Im Oktober verschärfte sich die politische Kontroverse. SPÖ-Klubobfrau Simone Vogel und der Vorsitzende des Planungsausschusses, SPÖ-Gemeinderat Michael Wanner, hatten sich im September brieflich an die Grundeigentümer der Stadt gewandt und diese aufgefordert, sich zu melden, falls sie gewillt seien, Flächen zu verkaufen. Daraufhin meldeten sich beinahe 90 Grundbesitzer, deren Grundstücke größtenteils im Grünland lagen. Politisch brisant wurde diese Aktion durch den Umstand, dass Stadtrat Johann Padutsch für eventuelle Umwidmungen ressortzuständig war und daher seine Abteilung die zur Bebauung angebotenen Grundstücke fachlich bewerten musste. Sehr zum Ärger der SPÖ erklärte Padutsch nicht einmal ein Viertel der angebotenen Flächen als für den sozialen Wohnbau geeignet, da der Großteil innerhalb des geschützten Grünlandes lag. Stattdessen präsentierte er eine Studie, nach der in den kommenden zehn Jahren in der Stadt Salzburg 7500 Wohnungen notwendig waren. Dieser Wert lag unter jenem der 90er-Jahre und konnte nach seiner Meinung ohne Inangriffnahme von geschützten Grünflächen befriedigt werden. Dabei ging er davon aus, dass 41 ha Bauland durch Baulücken und Nachverdichtung zur Verfügung standen, 15,4 ha auf zur Verfügung stehende Baulandreserven, 19,8 ha auf Umstrukturierungsflächen und 8,3 ha auf Baulanderwartungsland entfielen. Zudem sollte ein Gesetz verabschiedet werden, das Grundeigentümer verpflichtet, beim Verkauf von Flächen einen Teil für den sozialen Wohnbau zur Verfügung zu stellen. Diese Fakten würden dafür sprechen, die Grünland-Deklaration nicht anzutasten. Die Angaben Padutschs stießen vor allem bei der SPÖ auf heftige Kritik. SPÖGemeinderat Michael Wanner forderte Padutsch auf, die von ihm behaupteten vorhandenen Flächen doch zu nennen. Unbestritten sei, dass Salzburg in den nächsten zehn Jahren 7500 Wohnungen benötige. Dieses Problem könne man aber nicht mit bloßen Behauptungen lösen. »Die Zeit der Märchenstunden ist vorbei.«154 Erheblich drastischer hatte sich zuvor Bürgermeister Heinz Schaden ausgedrückt, als er die von den Bürgerinitiativen genannten 120 ha an potenziellen Flächen für den 152 http://www.lua-sbg.at/archiv/items/gruenlandschutz-in-salzburg-stadt-buergerbegehrengestartet. html. (Abgerufen am 3.1.2017.) 153 APA 17.6.2005. Pressearchiv Stadt  : Salzburg Magistrat. http://intranet.magsbg.gv.at/Pressedoku/ apa/2004/APA0312_5_CI_0365_. htm. (Abgerufen am 11.11.2016.) 154 SN lokal 28.10.2005. S. 2.

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sozialen Wohnungsbau außerhalb des geschützten Grünlandes als »völligen Holler« bezeichnete. Unterstützung erhielt die Position der SPÖ durch eine Erklärung des Leiters des Wirtschaftsservice, Rudolf Strasser, der den Bedarf an Bauland im bisher geschützten Grünland mit 30 ha bezifferte, was weniger als 1 Prozent der geschützten Gesamtfläche entsprach.155 Die Fronten schienen sich zu versteifen, wobei die Position der SPÖ ab dem Herbst 2005 aus zwei Gründen schwächer wurde  : Die ÖVP begann von ihrer bisherigen Position einer vorsichtigen Unterstützung des Ansinnens der SPÖ abzurücken. Der Nachfolger von Karl Gollegger als Stadtparteiobmann und Vizebürgermeister, Harald Preuner, schwenkte im September auf die Linie der »Aktion Grünland Salzburg« ein, indem er sich auf die Erklärung seines Vorgängers vor der Gemeinderatswahl 2004, die Grünland-Deklaration nicht anzutasten, berief. Angesichts des innerparteilichen Interessenkonflikts – Bauernbund und Grundbesitzerverband versus ÖAAB/ FCG – entschied sich Preuner nach dem ergebnislosen Verlauf eines von ihm vorgeschlagenen REK-Gipfels für die Linie des ÖAAB/FCG. Diese Haltung war auch von dem deutlichen Zuspruch für die Unterschriften-Sammlung für das Bürgerbegehren zur Rettung der Grünland-Deklaration bestimmt, die im Dezember bereits mehr als 10.000 Unterschriften erhalten hatte. Damit stand die SPÖ einer ablehnenden Front von ÖVP, FPÖ und Bürgerliste sowie der Plattform »Aktion Grünland Salzburg« gegenüber. Bürgermeister Heinz Schaden war daher zu einem flexiblen Vorgehen und zur Kompromissbereitschaft gezwungen. Anfang Jänner 2006 erklärte er, dass 22,7 ha Grünland für Wohnungen (15 ha) und Gewerbe (7,7 ha) benötigt würden und die tatsächliche Umwidmung nach einer Begehung sämtlicher Flächen durch ihn und Stadtrat Johann Padutsch sowie die Klubobleute aller im Gemeinderat vertretenen Parteien festgelegt werden sollte. Bei der Begehung wurde deutlich, dass die Bürgerliste aus prinzipiell politischen Gründen gegen jede Umwidmung war, während die ÖVP bei bestimmten Flächen Gesprächsbereitschaft signalisierte. Am 23. März 2006 reichte die Plattform »Aktion Grünland Salzburg« rund 12.000 Unterstützungserklärungen für das Bürgerbegehren »Rettet unser Grünland« ein und erzwang damit ein Bürgerbegehren, das vom 15. bis 20. Mai stattfand und trotz massiver Gegenpropaganda von SPÖ und Wohnbaugesellschaften von 12.666 Salzburgerinnen und Salzburgern unterstützt wurde. Das Bürgerbegehren beinhaltete drei Forderungen  : 1. Die vollständige Erhaltung des durch die Grünland-Deklaration geschützten Grünlandes. 2. Die Herausnahme von Flächen sollte nur dann zulässig sein, wenn eine Bürgerbefragung gemäß § 53a des Salzburger Stadtrechts dem zustimmte. 155 Stefan Taschandl, Stefan Veigl  : Grünlandschutz versus Wohnungsnot in der Stadt Salzburg. – In  : SJP 2007. S. 68–85. S. 75.

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3. Die Stadt Salzburg sollte an das Land Salzburg mit der Forderung herantreten, den dauerhaften Schutz der in der Grünland-Deklaration ausgewiesenen Flächen zu sichern und für die Mobilisierung bestehenden Baulandes zu sorgen. Wenngleich das Ergebnis der Bürgerbefragung für die Stadtpolitik nicht bindend war, so kam deren Ignorierung einem politischen Selbstmord auf offener Bühne gleich. Wilfried Rogler, Sprecher des Bürgerbegehrens, erklärte nach dem Bekanntwerden des Ergebnisses, man erwarte sich nun in Zukunft in Raumordnungsfragen eine Einbindung der Bürger auf Stadt- und Landesebene.156 Bürgermeister Heinz Schaden reagierte auf das Ergebnis des Bürgerbegehrens durchaus geschickt und flexibel. So beharrte er auf seinem Standpunkt, dass für die Stadt so wichtige Firmen wie »Porsche« und »Marco«, die ihre Betriebsareale erweitern wollten, nicht zu einer Absiedlung gezwungen werden sollten und bemerkte in Richtung Bürgerliste und Johann Padutsch, die sich vorbehaltlos hinter das Bürgerbegehren gestellt hatten  : »Wir sollten uns endlich darüber unterhalten, wo in der Stadt die Grenzen für Bau- und Grünland gezogen werden.«157 Gleichzeitig lud er Wilfried Rogler und Johannes Hörl als Sprecher der überparteilichen Plattform »Aktion Grünland Salzburg« zu einem Gespräch Anfang Juni ein. Das erste Gespräch fand am 9. Juni statt, wobei Schaden und Hörl ein Arbeitspapier unterzeichneten. Schaden akzeptierte die Plattform als gleichberechtigten Gesprächspartner und gewann sie als Verbündeten für seinen Forderungskatalog gegenüber dem Land. »Ich bin bereit, mich auf eine längere Reise mit einer mir kritisch gegenüber stehenden Bürgerinitiative zu begeben. Das ist für mich neu«, erklärte der Bürgermeister nach dem Gespräch und der Unterzeichnung des gemeinsamen Arbeitspapiers, in dem die Plattform »Aktion Grünland Salzburg« die Forderungen des Bürgermeisters gegenüber dem Land bei der Verabschiedung der Novelle des Raumordnungsgesetzes unterstützte  : eine vertragliche Sicherung von Flächen für Mietwohnungen, eine Abgabe auf ungenütztes Bauland und die automatische entschädigungslose Rückwidmung von nicht bebautem Bauland nach zehn Jahren. Die gemeinnützigen Wohnbauträger sollten verpflichtet werden, sich wieder auf ihre ursprüngliche Aufgabe, den Bau von Mietwohnungen, zu konzentrieren. Der Adressat dieser Forderungen blieb allerdings umstritten. Während Richard Hörl Landeshauptfrau Gabi Burgstaller mit dem Hinweis, diese solle jetzt das große Vertrauen, das sie 2004 erhalten habe, auch rechtfertigen, in die Pflicht nehmen wollte, sah Bürgermeister Heinz Schaden ÖVP-Landesrat Sepp Eisl als für die Raumordnung zuständiges Regierungsmitglied primär in der Verantwortung. Schaden erreichte im 156 APA 20.5.2006. Pressearchiv Stadt  : Salzburg Magistrat. http://intranet.magsbg.gv.at/Pressedoku/ 2006/APA0177_5-CI-0445_II.htm. (Abgerufen am 11.11.2016.) 157 Kurier 21.5.2006. S. 14.

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September sogar einen einstimmigen Vorschlag des Gemeinderates, das Land, d. h. Landesrat Sepp Eisl, solle im Rahmen der Novellierung des Raumordnungsgesetzes die Einführung einer Infrastrukturabgabe für nicht genutztes Bauland beschließen. Diese weitgehende Maßnahme zur Mobilisierung von Bauland stieß jedoch auf die Ablehnung der ÖVP-Landespartei, der sich nach kurzer Zeit auch die Stadtorganisation anschloss, die sich damit von dem Vorschlag wiederum distanzierte. Die ÖVP erklärte – durchaus wirksam – die vorgeschlagene Infrastrukturabgabe zur »Häusl­ bauersteuer« und Landesrat Sepp Eisl ließ wissen, dass man mit neuen Steuern nichts bewegen könne.158 Gleichzeitig fanden die Beratungen der von Bürgermeister Heinz Schaden und der Plattform »Aktion Grünland Salzburg« eingesetzten Arbeitsgruppe, der Bürgermeister Heinz Schaden, Planungsstadtrat Johann Padutsch und Vertreter der Bürgerinitiativen angehörten, statt, die im Dezember zu ersten Ergebnissen führten. Die bedeutenden Stadtlandschaften wie Freisaal, die Stadtberge oder das Samer Mösl sollten grundsätzlich von Umwidmungen ausgeschlossen bleiben und für die Pflege und Erhaltung des Grünlandes ein Fonds eingerichtet werden. Umwidmungen von geschütztem Grünland sollten nur mehr mit einer Zweidrittelmehrheit im Gemeinderat möglich sein, wobei allerdings die Bürgerinitiativen auf eine noch größere Mehrheit drängten. In besonderen Fällen sollte auch in Zukunft eine Umwidmung von geschütztem Grünland möglich sein, allerdings nur unter der Bedingung, dass im Gegenzug andere Flächen in demselben Ausmaß in die Grünland-Deklaration aufgenommen würden. Bei der Umwidmung größerer Flächen forderten die Bürgerinitiativen eine Bürgerabstimmung.159 Im April 2006 folgte eine weitgehende Einigung auf ein Paket zur Absicherung der Grünland-Deklaration. Der Schutz der Stadtlandschaften sollte nicht nur in der Geschäftsordnung des Gemeinderates verankert, sondern durch Landesgesetz auch in der Landesverfassung und damit auch im Stadtrecht verankert werden. Umwidmungen konnten nur mit Zweidrittelmehrheit im Gemeinderat und unter der Bedingung der Flächenparität erfolgen. In anderen Fällen mussten die Salzburgerinnen und Salzburger in einer Abstimmung entscheiden. Die Bürgerinitiativen hatten damit einen bedeutenden Sieg errungen, der allerdings auch seinen Preis forderte. Plattform-Sprecher Richard Hörl gab sich kompromissbereit und ließ durchblicken, dass man auch der Forderung von Bürgermeister Schaden durch eine Herausnahme einer bestimmten Anzahl von Hektar aus der Grünlanddeklaration entgegenkommen wolle.160 Nachdem Planungsstadt Johann Padutsch am 11. September 2007 in einer Pressekonferenz von einem erfolgten »historischen Durchbruch« bei den Gesprächen 158 Tschandl, Veigl  : Grünlandschutz versus Wohnungsnot in der Stadt Salzburg. S. 80. 159 SN lokal 22.12.2005. S. 5. 160 Der Standard 11.4.2007. S. 9.

Der neuerliche Kampf um die Grünlanddeklaration

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sprach und erklärte, Salzburg wolle den Schutz der großen unverbauten Stadtlandschaften und der Altstadt in der Stadtverfassung verankern, was in Europa einzigartig sei,161 präsentierten Heinz Schaden, Johann Padutsch, Wilfried Rogler, Richard Hörl und Hannes Augustin am 9. Oktober in einer gemeinsamen Pressekonferenz den »historischen Kompromiss«. Im Abtausch des im Stadtrecht verankerten Schutzes von rund 3700 ha Gründflächen wurden 33,4 ha unverbaute Flächen aus der Grünland-Deklaration herausgenommen und für Bebauungen (21,7 ha für Wohnbau und 11,7 ha als Baulandreserve für Gewerbebauten) freigegeben. »Wir sind nicht mit allem glücklich«, erklärte Richard Hörl, doch man habe bei dem Kompromiss die Gesamtperspektive der Stadtentwicklung im Auge gehabt. Die Bürgerinitiativen hatten zu den bereits bekannten Punkten noch eine Verschärfung bei der Umwidmung von Flächen im Bereich der Grünland-Deklaration erreicht, die nunmehr neben einem Flächenausgleich und einem vorliegenden dringenden öffentlichen Interesse nur mehr mit einer Dreiviertelmehrheit im Gemeinderat möglich war. Am 21. November beschloss ein Sondergemeinderat einstimmig die reformierte Grünland-Deklaration, die jedoch noch einer landesgesetzlichen Regelung bedurfte, um im Stadtrecht verankert zu werden. Am 16. November lag der auf der reformierten Grünland-Deklaration basierende Amtsbericht zum Räumlichen Entwicklungskonzept 2007 (REK 2007) vor, das im Jänner 2008 in fünf Informationsabenden der Stadtplanung der interessierten Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Aufgrund des Antrags des Salzburger Gemeinderats an die Landesregierung auf Änderung des Salzburger Stadtrechts 1966 durch ein Landesverfassungsgesetz beschäftigte sich der Salzburger Landtag 2008 mit der Materie. In den Erläuterungen der Vorlage der Landesregierung an den Landtag wurden die Änderungswünsche taxativ aufgezählt  : »a) in einem Paragraphen (§ 1a) festzuschreiben, dass sich die Stadtgemeinde Salzburg zur Wahrung ihres Weltkulturerbes, insbesondere zur Erhaltung der historisch bedeutsamen Altstadt sowie der Stadtlandschaft bekennt  ; b) in § 15 den ersten Absatz und den ersten Satz in Abs 2 dahingehend zu erweitern, dass zu einem gültigen Beschluss betreffend den Schutz der von der Deklaration ›Geschütztes Grünland‹ erfassten Stadtlandschaft die Anwesenheit von mindestens drei Viertel der Mitglieder und die Zustimmung von drei Viertel der Anwesenden erforderlich ist  ; c) in § 53 Abs 1 nach dem zweiten Satz anzuführen, dass Beschlüsse des Gemeinderates über eine textliche Änderung des Beschlusses zum Schutz der Stadtlandschaft

161 APA 11.9.2006. Pressearchiv Stadt  : Salzburg Magistrat. http://intranet.magsbg.gv.at/Pressedoku/ apa/2006/APA0271_5_CI_0446_.htm. (Abgerufen am 16.11.2016.)

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Die (anhaltenden) Mühen der politischen (Oppostions-)Ebene 2002 bis 2004

und die Herausnahme von Flächen aus dem Schutzgebiet ohne weitestgehend gleichwertigen Flächenersatz jedenfalls einer Bürgerabstimmung zu unterziehen sind.« Mit diesem Ersuchen an die Landesregierung sei der Gemeinderat der Forderung des Bürgerbegehrens, das zwischen dem 15. und 22. Mai 2006 stattgefunden habe, nachgekommen. »Inhalt der konzipierten Novelle zum Salzburger Stadtrecht 1966 ist es, zum einen die besondere Bedeutung des Schutzes der Stadtlandschaften als integrativen Teil des von der UNESCO anerkannten Weltkulturerbes in einer Zielbestimmung für die Stadtpolitik festzuschreiben und zum anderen diesem Schutz insoweit auch eine besondere formale Grundlage zu verleihen, als für die Beschlussfassung im Gemeinderat betreffend die Deklaration ›Geschütztes Grünland‹ (oder einen entsprechenden Nachfolgeakt) besonders qualifizierte Anwesenheits- und Abstimmungserfordernisse(-quoren) gelten sollen. Überdies soll zur Einschränkung der ›Grünland-Deklaration‹ (oder eines entsprechenden Nachfolgeaktes) eine Bürgerabstimmung erforderlich sein.« Im durchgeführten Begutachtungsverfahren hätten sich »die Kammer für Arbeiter und Angestellte für Salzburg, die Wirtschaftskammer Salzburg und die Industriellenvereinigung Salzburg sowie der Salzburger Haus- und Grundbesitzerbund … gegen das Vorhaben ausgesprochen, weil der damit bezweckte Grünlandschutz ›überschießend‹ sei und nicht genügend Baulandreserven für erforderliche Betriebs- und Wohnbauprojekte bereitgehalten werden könnten. Insbesondere an der verpflichtenden Bürgerabstimmung wurde Kritik geübt, soweit sie deren im Hinblick auf das Legalitätsprinzip angezweifelte Verfassungskonformität betrifft, ist ihr zum einen zu entgegnen, dass die ›Grünland-Deklaration‹ zunächst eine reine Selbstbindungsnorm ist und auch nach Integration in das Räumliche Entwicklungskonzept keine Außenwirkung auf Dritte entfaltet, zum anderen, dass sie auch im Innenverhältnis die Gemeinde an einer gesetzlich zwingend gebotenen Widmung (bei Fehlen eines Ermessensspielraums) nicht zu hindern vermag.«162 Die Salzburger Landesregierung beantragte daher die vom Gemeinderat gewünschte Änderung des Salzburger Stadtrechts und der Landtag entsprach diesem Antrag am 2. Juli 2008. Das nunmehr verfassungsrechtlich geänderte Stadtrecht trat mit Jahresbeginn 2009 in Kraft. Der damit erzielte eindrucksvolle Erfolg der Bürgerinitiativen wurde jedoch bereits im Herbst 2008 wieder durch die aufkommende Diskussion über die Situierung der geplanten Red Bull-Fußballakademie im geschützten Grünland getrübt.

162 Nr. 729 der Beilagen zum Stenographischen Protokoll des Salzburger Landtages. 5 Session der 13. Gesetzgebungsperiode. S. 3ff. Zum Widerstand der Sozialpartner Vgl. http://www.oe24/at/oesterreich/chronik/salzburg/AK-for dert-­Ende-fuer-Gruenland-Deklaration/27405741. (Abgerufen am 3.1.2017.) http://www.salzburg. com/nachrichten/salzburg/politik7sn/artikel/sozialpartner-ruetteln-an-der-gruenlanddeklaration-1269-. (Abgerufen am 3.1.2017.)

Der neuerliche Kampf um die Grünlanddeklaration

503

Der internationale Getränkekonzern hatte ein 12 ha großes Areal im Landschaftsschutzgebiet samt der Trabrennbahn gekauft, um auf diesem Areal seine Profi-Fußball-Nachwuchsakademie mit sieben Fußballfeldern, einer riesigen Trainingshalle, Eishockey-Trainingszentrum und Internatsgebäude zu errichten. Anfang Oktober 2008 erfolgten erste Gespräche zwischen Vertretern der Landesplanung, der Stadtpolitik, Fachbeamten und Vertretern von Red Bull über die Realisierung des Projekts. Als die Konturen einer von SPÖ und ÖVP paktierten »Lex Red Bull« (die Neufassung des Räumlichen Entwicklungskonzepts durch Umwidmung der Flächen vor Inkrafttreten des neuen Stadtrechts) deutlich sichtbar wurden, begann sich ein neuerlicher Konflikt abzuzeichnen, liefen doch die in der Plattform »Aktion Salzburg Grünland« vereinigten Bürgerinitiativen und die Bürgerliste gegen dieses Vorhaben Sturm. Trotzdem beschloss der Salzburger Gemeinderat am 17. Dezember 2008 mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP die Bewilligung der Errichtung der Red Bull-Fußballakademie. Während SPÖ und ÖVP für die Begründung ihrer Entscheidung mit dem öffentlichen Interesse und der einmaligen Chance für die Stadt argumentierten, warf Richard Hörl Bürgermeister Heinz Schaden Wortbruch vor. Dieser habe nämlich nach der Verabschiedung der neuen Grünland-Deklaration versprochen, das Paket nicht mehr aufzuschnüren, was nunmehr geschehe. Und die ÖVP beweise, dass sie nach wie vor »die Partei der Bau- und Immobilienlobby und … die Schirmherrin der Spekulanten« sei. Nicht ganz so drastisch äußerte sich Stadtrat Johann Padutsch, der in der Absicht von SPÖ und ÖVP einen »vorauseilenden Gehorsam«163 und einen »Kniefall vor einem Großkonzern« sah.164 Kritische Kommentare bemerkten, dass noch Anfang Dezember der Gemeinderat den Plan, das ehemalige Wohnhaus der Familie Trapp in ein »Sound of Music«-Hotel mit 26 Betten umzuwandeln, abgelehnt habe. Als Begründung für diesen Beschluss wurde von SPÖ, ÖVP und Bürgerliste angegeben, es sei nicht auszuschließen, dass neben dem kleinen Frühstückshotel ein »Sound of Music«-Eventcenter inklusive touristischem Massenzulauf entstehe. Da das Grundstück für das Hotelprojekt im Landschaftsschutzgebiet lag, war ein positiver Beschluss des Gemeinderates notwendig. SPÖ und ÖVP maßen offensichtlich mit zweierlei Maß, so der Vorwurf der Bürgerliste. Johann Padutsch bezeichnete den Entschluss von SPÖ und ÖVP als »Schlag ins Gesicht des Grünlandschutzes, der Planungskultur und der rechtlichen und politischen Gleichbehandlung aller Menschen.«165 Er sei, ebenso wie die Bürgerinitiativen, keineswegs gegen die Fußballakademie und sehe in dieser eine große Chance für die Ju163 http://www.echosalzburg.at/index.php  ?option=com_content&view=article&id=945  :titelstory-sep tember–2008die-macht-von-red-bull. (Abgerufen am 3.1.2017.) 164 http://derstandard.at/1227289102390/Fussballakademie-Salzburg-gewaehrt-Red-Bull-Sonderrechte. (Abgerufen am 5.1.2017.) 165 SVZ 5.8.2008. S. 6.

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Die (anhaltenden) Mühen der politischen (Oppostions-)Ebene 2002 bis 2004

gend, doch sei deren geplanter Standort im Landschaftsschutzgebiet problematisch. Er könne einem Nachbarn, der dort eine 14 m2 große Gartenhütte errichten wolle und diese nicht bewilligt bekomme, nur schwer erklären, warum Red Bull 17.000 m2 bauen dürfe. Hatten SPÖ und ÖVP zusammen mit der Bürgerliste noch Anfang Dezember gegen das »Sound of Music«-Hotelprojekt gestimmt, so gaben sie zwei Wochen später dem weitaus größeren Projekt von Red Bull ihre Zustimmung. Der im März 2012 begonnene Bau der Fußballakademie blieb nach wie vor umstritten. Die Flächenwidmung, das Bauverfahren, der Gestaltungsbeirat und der Umweltschutz ließen den Weg zur Realisierung steinig werden.166 Die Landesumweltanwaltschaft (LUA) vertrat die Auffassung, dass es sich bei der Fußballakademie eigentlich um ein Stadion handle, das eine völlig andere Struktur benötige als eine Nachwuchsakademie, zumal die Spielfelder auch zur Austragung von Meisterschaftsspielen verwendet wurden. Daher müsse eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchgeführt werden. Der Umweltsenat in Wien schloss sich allerdings dieser Meinung nicht an, weshalb keine UVP, sondern ein Naturschutzverfahren stattfinden musste. In ihrem Tätigkeitsbericht 2010/11 bemerkte die LUA  : »Nach intensiven Diskussionen zwischen Projektwerbern, Behörde und LUA konnte schlussendlich im Naturschutzverfahren ein positives Gesamtergebnis erzielt werden. … Was aber trotz aller architektonischer Behübschungsversuche bleibt, sind Eingriffe in das Landschaftsbild. Das mehrstöckige Gebäude samt Eishockeyhalle wird den dortigen Naturbereich optisch dominieren und somit die Zielsetzungen des Landschaftsschutzgebietes negieren. Aus diesem Grund war auch eine Bewilligung ausschließlich über die Interessensabwägung des Salzburger Naturschutzes möglich. Von Red Bull wurde sehr umfangreich nachgewiesen, dass die Akademie einen wichtigen Beitrag zur allgemeinen Sportausübung und zur Sportnachwuchsförderung leistet. Seitens der LUA konnte in diesem Einzelfall diesen anderen Interessen der Vorrang gegenüber dem Naturschutzinteresse eingeräumt werden, da auf Grund der Vornutzung als Trabrennbahn bereits eine Beeinträchtigung von Naturhaushalt und Landschaftsbild gegeben war.«167 Anlässlich der Eröffnung der Red Bull-Nachwuchsakademie 2014 zeigte sich auch Johann Padutsch sichtlich zufrieden  : »Eine Sportakademie in diesem Ausmaß und dieser Qualität ist für die Stadt insgesamt gesehen sicher nichts Schlechtes, sondern eine Bereicherung. Meine Kritik hatte sich in erster Linie auf den Vorgang bezogen, wo – zumindest ursprünglich – der Eindruck entstanden ist, dass hier nicht mit gleichem Maß gemessen wird.«168 166 Vgl. http://sgbv1.orf.at/stories/417321. (Abgerufen am 5.1.2017.)  ; http://sbgv1.orf.at/stories/459099. (Abgerufen am 5.1.2017.) 167 Landesumweltanwaltschaft Salzburg  : Tätigkeit der Landesumweltanwaltschaft Salzburg 2010/11. S. 27. 168 http://salzburg.orf.at/news/stories/2667002/ (Abgerufen am 5.1.2017.)

Der neuerliche Kampf um die Grünlanddeklaration

505

Ein Jahr später fand anlässlich 30 Jahre »Grünland-Deklaration« im ORF eine Diskussion über deren Folgen statt, bei der Planungsstadtrat Johann Padutsch auf die noch nicht vollständig bewältigte zentrale Aufgabe der Ausdehnung auf die Umlandgemeinden hinwies. Doch »immerhin gibt es den Grüngürtel. Immerhin ist er auch gesetzlich verankert. Und immerhin haben sich zumindest die meisten Umlandgemeinden daran beteiligt.« Die »Grünland-Deklaration« des Jahres 1985 und deren Modifikation 2008/09 bilden einen Meilenstein der Stadtpolitik. Als einer ihrer politischen Väter fungierte Johannes Voggenhuber, der bei der Diskussionsveranstaltung stolz darauf hinwies, dass deren Prinzipien »längst in das Selbstverständnis der Stadt übergegangen« seien »und die Menschen dieser Stadt das mit Zähnen und Klauen verteidigen würden«. Bereits 1985 sei, einhergehend mit der »Grünland-Deklaration«, eine »Urbanisierung der Stadt« intendiert gewesen. »Nicht diese Halden und Häufen von Einfamilienhäusern. Das ist nicht Stadt. Die Dinge sind auseinandergefallen. Statt eine gemeinsame Vision zu verfolgen, hütet jeder sein Ressort – das Planungsressort, das Bauressort, das Umweltressort. Das ist das ›süße Gift der Provinz‹, wie ich es einmal genannt habe, das hier alles ein bisschen narkotisiert.« Die »Grünland-Deklaration« sei »immer schon als eine Art grüne Stadtmauer gedacht gewesen. Sie zwingt die Stadt, sich zu verdichten, architektonische Hochleistungen hervorzubringen, Plätze auszubilden, die Bauten so zu bauen, dass sie über die Generationen verschiedene Funktionen übernehmen können. Diese Vision hat man nicht mehr im Kopf – und das verursacht Probleme.«169

169 http://salzburg.orf.at/news/stories/2717541/. (Abgerufen am 3.1.2017.)

15.

Fern der Regierungsbeteiligung Die anhaltende Rolle des politischen Außenseiters  : Die Wahlen 2006 bis 2009

Die hervorragenden Wirtschafts- und Sozialdaten, die Österreich einen Spitzenplatz im internationalen Ranking und bei der deutschen Presse den Titel »das bessere Deutschland« einbrachten, waren keine Pfunde, mit denen die Regierung Schüssel bei der Nationalratswahl 2006 wuchern konnte. Das politische Paradoxon einer generellen Zustimmung zur Notwendigkeit von Reformen bei gleichzeitigem Strukturkonservativismus, der sich in dem Beharren darauf, dass sich im persönlichen Lebensbereich nichts ändern dürfe und man sich um den wärmenden Ofen des umsorgenden Staates schart, sollte bei der Nationalratswahl am 1. Oktober 2006 seine eindrucksvolle Bestätigung erhalten. Dem politischen Bemühen, das wirtschaftliche und soziale System der Zweiten Republik mit dem Blick über den Tellerrand für die Zukunft zu sichern, wurde eine Abfuhr erteilt. Mit einem bei Nationalratswahlkämpfen bisher unbekannten Ausmaß an Negative Campaigning,170 der Konzeption eines »Napalm«-Wahlkampfes und hemmungslosen populistischen Versprechen traf die SPÖ den in Österreich dominierenden Strukturkonservativismus des Großteils der Wählerschaft durch das Versprechen, das sich unter einer von ihr geführten Regierung nichts ändern werde. »Die Pensionen werden garantiert. Alle Gesundheitsausgaben werden refundiert, Pflege werden wir auch noch zahlen. Wir sind für die kostenlose Bildung auf allen Stufen des Ausbildungssystems. Jeder ist zu allem berechtigt. Die Armut (definiert als die Hälfte des Medianeinkommens) wird demnächst beseitigt. Die Forschung wird mehr Geld bekommen, ebenso wie die Kunst, und das Budget wird auch saniert. Für die Finanzierung dieser Vorhaben gibt es die üblichen Ideen  : Die ›Reichen‹ und die Unternehmen sollen zahlen.« Die Sozialdemokratie hielt sich an die unselige Regel der Demokratie, dass »wenn der ›Souverän‹ kurzfristig denkt, … seine Repräsentanten nicht allzu weitsichtig sein können.«171 Dass man alle diese Versprechen in einer Situation abgab, in der man nicht an einen 170 Thomas Hofer  : Der Triumph des Negative Campaigning. – In  : Ders.; Barbara Toth (Hg.)  : Wahl 2006. Kanzler, Kampagnen, Kapriolen. Analysen zur Nationalratswahl. –Wien 2007. S. 5–31. 171 Manfred Prisching  : Die konservative Wende zum Sozialismus. – In  : ÖJP 2006. – Wien/München 2007. S. 159–171. S. 166f.

Fern der Regierungsbeteiligung

507

bevorstehenden Wahlsieg glaubte, stand auf einem anderen Blatt und führte in der Folgezeit zu erheblichen politischen Turbulenzen.172 Der sowohl für die Öffentlichkeit wie die Mehrzahl der professionellen Beobachter unerwartete Ausgang der Nationalratswahl brachte mit den massiven Verlusten der ÖVP von 8 Prozentpunkten und 13 Mandaten, denen erheblich geringere Verluste der SPÖ in der Höhe von 1,2 Prozentpunkten und 1 Mandat gegenüberstanden, womit die SPÖ wiederum stärkste Partei wurde und den Kanzleranspruch erheben konnte, eine neuerliche Wende zum Sozialismus. Wenngleich die Grünen mit einem Gewinn von 1,6 Prozentpunkten und 4 Mandaten knapp vor der FPÖ zur drittstärksten Partei wurden, so sollte sich die Stabilisierung und sichtliche Erholung der seit 2005 gespaltenen FPÖ in eine FPÖ unter der Führung von Heinz-Christian Strache und ein unter der Führung von Jörg Haider stehendes BZÖ als zweite Folge von historischer Bedeutung erweisen. Beide Parteien zusammen bildeten die drittstärkste Partei, erreichten 15,1 Prozent und stellten 28 Abgeordnete. Zwanzig Jahre nach dem legendären Innsbrucker Parteitag, auf dem Jörg Haider auf den Schild gehoben wurde und die FPÖ bis 1999 in einem bisher beispiellosen Siegeszug zur zweitstärksten Partei machte, erfolgte nunmehr ein politisches Déjà-vu mit mittelfristig noch bedeutenderen Erfolgen. Die Jahre 2000 bis 2006 bildeten offensichtlich nur eine Zwischenzeit und der vielfach bereits angekündigte politische Tod der FPÖ sollte sich als verfrüht erweisen. Das Ergebnis in Salzburg ergab im Vergleich zum Bundesergebnis weitgehende Parallelen. Die ÖVP verlor etwas weniger und die SPÖ etwas mehr als im Bund, während die Gewinne der Grünen über jenen im Bund lagen und sie damit auch in Salzburg, so wie im Bund, knapp vor der FPÖ an dritter Stelle rangierten, womit sie ihr bisher bestes Ergebnis bei Bundeswahlen erzielten. Rechnete man jedoch die Ergebnisse von FPÖ und BZÖ zusammen, so ergaben sich, fast gleich wie im Bund, 15,4 Prozent, womit sie deutlich vor den Grünen lagen. KPÖ und Liste Martin wiesen gegenüber dem Bundesergebnis keine nennenswerten Devianzen auf.

172 Robert Kriechbaumer  : »Es reicht  !« Die Regierung Gusenbauer-Molterer. Österreich 2007/2008. – Wien/Köln/Weimar 2016. S. 323ff. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried.-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 55.)

508

Fern der Regierungsbeteiligung

Ergebnisse der Nationalratswahl vom 1. Oktober 2006 in Österreich und in Salzburg. Stimmenanteile in Prozent, Differenzen zur Nationalratswahl 2002 in Prozentpunkten  :173 Ö 2006

Differenz zur NRW 2002

SBG 2006

Differenz zur NRW 2002

SPÖ

35,3

– 1,2

28,5

– 2,3

ÖVP

34,3

– 8,0

39,2

– 7,4

GRÜNE

11,0

+ 1,6

12,5

+ 2,1 + 1,5

FPÖ

11,0

+ 1,0

12,3

BZÖ

4,1

+ 4,1

3,1

+ 3,1

KPÖ

1,0

+ 0,4

0,8

+ 0,3

Liste MARTIN

2,8

+ 2,8

3,1

+ 3,1

SONSTIGE

0,3

– 0,8

0,6

– 0,5

Mit 12,5 Prozent lagen die Grünen im Mittelfeld der Bundesländerergebnisse. Bundesländerergebnisse der Grünen bei der Nationalratswahl am 1. Oktober 2006  :174 Bundesland

Stimmen

Prozent

Burgenland

10.972

Kärnten

24.611

7,5

Niederösterreich

90.383

9,6

Oberösterreich

85.232

10,2

Salzburg

35.239

12,5

Steiermark

57.641

7,9

Tirol

46.935

13,0

28.609

16,4

140.508

17,4

Vorarlberg Wien

5,8

Die Wahlergebnisse in den politischen Bezirken bestätigten das traditionelle NordSüd-Gefälle der Grünen, ihre Schwerpunktbildung in der Stadt Salzburg und bei den Wahlkartenwählern. 173 Materialien zur Nationalratswahl 2008. Ergebnisse früherer Wahlen. Wahlberechtigte, aktuelle Wahlergebnisse. Hg. vom Landesstatistischen Dienst des Amtes der Salzburger Landesregierung. – Salzburg 2008. S. 16f. 174 Ebda. S. 19.

509

Fern der Regierungsbeteiligung

Für die Grünen bei der Nationalratswahl am 1. Oktober 2006 in den politischen Bezirken Salzburgs abgegebene Stimmen (absolut und in Prozent)  :175 Politischer Bezirk Salzburg (Stadt)

Stimmen absolut

In Prozent

11.769

18,6

Hallein

3371

11,4

Salzburg-Umgebung

9656

12,9

St. Johann im Pongau

2637

6,3

628

5,4

Tamsweg Zell am See

3262

7,3

Wahlkartenwähler

3916

23,7

35.239

12,5

Bundesland Salzburg

Die Aufkündigung der Koalition mit der SPÖ durch ÖVP-Obmann und Vizekanzler Wilhelm Molterer in Folge der geänderten europapolitischen Linie der SPÖ (Brief von Alfred Gusenbauer und Werner Faymann an Kronen Zeitung-Herausgeber Hans Dichand) hatte eine neuerliche Nationalratswahl am 28. September 2008 zur Folge, die unter ähnlichen politischen Rahmenbedingungen wie jene des Jahres 2006 erfolgen sollte. Die SPÖ wechselte knapp vor dem Urnengang ihren Kanzlerkandidaten aus, präsentierte Werner Faymann, publizistisch massiv unterstützt von der »Kronen Zeitung«, als neuen Repräsentanten des sozialen Garantismus und vermochte ihren noch bei Beendigung der Koalition vorhandenen Nachteil in einen sich in allen Umfragen deutlich abzeichnenden Vorsprung umzuwandeln. Trotz deutlicher Verluste von 6,1 Prozentpunkten konnte sie mit 29,3 Prozent die Position der stärksten Parlamentsfraktion behaupten, da die ÖVP mit dem Verlust von 8,4 Prozentpunkten ein Desaster erlebte. FPÖ und BZÖ waren mit einem Stimmenanteil von 17,5 bzw. 10,7 Prozent und Zugewinnen von 6,5 bzw. 6,6 Prozentpunkten die Wahlsieger in einem Ausmaß, das eine akzelerierte Änderung der Politischen Kultur und damit auch der politischen Wettbewerbslogik dokumentierte. Beide Parteien zusammen erreichten 28,2 Prozent und belegten damit knapp hinter der SPÖ den zweiten Platz. Die Grünen mussten sich mit dem Verlust von 0,6 Prozentpunkten und nunmehr 10,4 Prozent mit dem fünften Platz zufriedengeben, wobei die Verluste noch deutlich höher ausgefallen wären, hätte nicht die Implosion des LIF mit seinen grün-affinen Wählern deutlich mildernd gewirkt. Im Gegensatz zu 2006 wich das Ergebnis der Nationalratswahl 2008 in Salzburg vom Bundesergebnis deutlich ab. Die Verluste der SPÖ waren geringer als jene der Bundespartei, während die Salzburger ÖVP deutlich höhere Verluste als die Bundes175 Ebda. S. 23.

510

Fern der Regierungsbeteiligung

partei verzeichnete. Die massiven Verluste der ÖVP basierten vor allem auf Abwanderungsbewegungen zum BZÖ, das mit einem Zugewinn von 9,1 Prozentpunkten und 12,2 Prozent deutlich über dem Bundesergebnis lag, während die Gewinne der FPÖ mit 5,4 Prozentpunkten unter jenem auf Bundesebene lagen. Rechnete man das Ergebnis von FPÖ (17,7 Prozent) und BZÖ (12,2 Prozent) in Salzburg zusammen, so waren beide Parteien mit insgesamt 29,9 Prozent knapp vor der ÖVP stärkste Partei. Lediglich bei den Grünen entsprachen die Verluste mit 0,7 Prozentpunkten dem Bundesschnitt. Trotz ihrer Verluste rangierten die Grünen in Salzburg im Bundesländervergleich nach Wien und Vorarlberg an dritter Stelle. Ergebnisse der Grünen in den Bundesländern bei der Nationalratswahl am 28. September 2008  :176 Bundesland

Stimmen

Prozent

Burgenland

11.021

5,7

Kärnten

23.759

6,9

Niederösterreich

83.679

8,1

Oberösterreich

85.970

9,9

Salzburg

35.228

11,8

Steiermark

63.894

8,5

Tirol

40.497

11,1

Vorarlberg

31.793

17,2

134.096

16,0

Wien

Von den 35.239 Grün-Wählern der Nationalratswahl 2006 wählten zwei Jahre später 24.643 wiederum die Grünen, die damit über eine Wiederwahlquote von 78,7 Prozent verfügten. 469 Grün-Wähler des Jahres 2006 wanderten zur ÖVP, 1073 zu den Nichtwählern und 5138 zu Sonstigen. Diesen Verlusten standen Zugewinne von der ÖVP im Ausmaß von 998 Stimmen, den Sonstigen von 201 und den Jungwählern von 222 gegenüber.177 Die Stadt Salzburg sowie der Flachgau erwiesen sich, trotz geringer Verluste, bei der Nationalratswahl 2008 neuerlich als Hochburgen der Grünen.

176 Nationalratswahl am 28.9.2008. Endgültige Ergebnisse. Hg. v. Landestatistischen Dienst des Amtes der Salzburger Landesregierung. – Salzburg 2008. S. 20. 177 Nationalratswahl am 28.9.2008. Hg. v. Landesstatistischen Dienst des Amtes der Salzburger Landesregierung. S. 42f.

511

Fern der Regierungsbeteiligung

Stimmenanteile in Prozent der Grünen in den Salzburger Bezirken bei der Nationalratswahl am 28. September 2008  :178 Politischer Bezirk

NRW 2008

Gewinn/Verlust gegenüber NRW 2006

18,1

– 0,5

Flachgau

12,7

– 0,2

Tennengau

11,2

– 0,1

Pinzgau

7,1

– 0,2

Pongau

6,4

0,0

Lungau

5,7

+ 0,3

Stadt Salzburg

Die Grünen verloren vor allem in Gemeinden zwischen 2000 und 3000 und mehr als 20.000 Einwohnern, einem relativ hohen Jugendanteil (jugendliche Wähler wanderten vor allem zur FPÖ und zum BZÖ), hohem Wanderungsgewinn, hohem Ausländeranteil sowie ihren Hochburgen. Stimmenanteil der Grünen in Prozent bei der Nationalratswahl 2008 in verschiedenen Gemeindetypen im Vergleich zur Nationalratswahl 2006  :179

Gemeinden mit …

Anzahl der Gemeinden

Wahlberechtigte

Anteil NRW 2008 in Prozent

Differenz zu NRW 2006 in PP

unter 1000 Einwohner

23

11.355

3,8

– 0,4

1000 bis unter 2000 Einwohner

25

28.368

6,1

– 0,0

2000 bis unter 3000 Einwohner

19

37.103

7,4

– 0,8

3000 bis unter 5000 Einwohner

32

91.424

9,4

– 0,6

5000 bis unter 20.000 Einwohner

19

118.277

10,2

– 0,8

20.000 und mehr Einwohner

1

103.618

17,3

– 1,3

24 und mehr % Jugendanteil

28

54.581

5,6

– 0,6

70 und mehr Arbeitsplätze/100 Erwerbstätige

18

170.127

8,8

– 0,8

2 und mehr % Wanderungsgewinn

30

197.735

10,3

– 0,8

35 und mehr % Besch. in Sachg. Erz.

25

63.572

7,7

– 0,7

100 und mehr Übernachtungen/EW

29

48.750

5,0

– 0,6

5 und mehr land. Betriebe/100 EW

35

33.991

4,5

– 0,4

26 und mehr % Seniorenanteil

33

171.620

7,7

– 0,2

4 und mehr % Arbeitslosenanteil

26

42.793

4,1

– 0,7

178 Ebda. S. 54f. 179 Ebda. S. 123.

512

Fern der Regierungsbeteiligung

Gemeinden mit …

Anzahl der Gemeinden

Wahlberechtigte

Anteil NRW 2008 in Prozent

Differenz zu NRW 2006 in PP

4 und mehr % Wanderungsverlust

21

21.334

4,3

– 0,3

12 und mehr % Ausländeranteil

21

176.152

7,4

– 0,6

20 und mehr % Zunahme Ausländer

28

43.349

6,2

– 0,3

5 und mehr % Abnahme Arbeitsplätze

15

15.974

4,9

– 0,5

unter 4,0 % Stimmanteil GRÜNE NRW 2006

21

20.115

3,1

– 0,1

4,0 bis unter 6,0 % Stimmanteil GRÜNE NRW 2006

25

37.842

4,7

– 0,3

6,0 bis unter 8,0 % Stimmanteil GRÜNE NRW 2006

23

52.956

6,3

– 0,5

8,0 bis unter 10 % Stimmanteil GRÜNE NRW 2006

16

48.866

8,4

– 0,6

10,0 bis unter 14 % Stimmanteil GRÜNE NRW 2006

20

81.672

11,6

– 0,5

14,0 und mehr % Stimmanteil GRÜNE NRW 2006

14

148.694

14,3

– 1,4

Anteilsgewinne GRÜNE

37

70.240

8,0

+ 0,7

Anteilsverluste GRÜNE

82

319.905

7,3

- 1,1

Die Bildung der SPÖ-ÖVP-Koalition 2004 in Salzburg war keine Liebesheirat, sondern eine Vernunftehe. Das Koalitionsklima war unterkühlt, zumal die ÖVP die Meinung vertrat, dass Landeshauptfrau Gabi Burgstaller als bloße Moderatorin und Schönwetter-Politikerin agierte, auf ihre nach wie vor hohen Sympathiewerte und ihr kommunikatives Talent vertraute, jedoch die meistens unbedankte Sacharbeit dem Koalitionspartner oder den Regierungskollegen der eigenen Fraktion überließ. So erklärte ÖVP-Landesparteiobmann und Landeshauptmann-Stellvertreter Wilfried Haslauer jun. in der Mitte der Legislaturperiode  : »Das Klima in der Koalition ist ein nüchternes Arbeitsklima. Die SPÖ ist penibel auf ihren Machterhalt bedacht und in erster Linie bemüht, möglichst keine Fehler zu machen und keine Zielgruppen zu verprellen. Die Dynamik soll über Stil und Imagekomponenten herbeigeführt werden.«180 Die Landeshauptfrau beschränke sich, so der Vorwurf der ÖVP, auf das Verkünden und die Vereinnahmung guter Nachrichten wie z. B. die de facto erreichte Vollbeschäftigung, die jedoch nicht durch ihre Politik, sondern jene der Regierung Schüssel und der auch nach deren Abwahl wirkenden Ergebnissen beruhe. Für Landeshauptfrau Burgstaller hingegen war »das landespolitische Klima … in den ersten Jahren nach der Landtagswahl von einer durch die Niederlage von 2004 schwer gezeichneten ÖVP geprägt … Die Zusammenarbeit mit der ÖVP wurde und wird auf 180 SJP 2007. S. 15.

Fern der Regierungsbeteiligung

513

einer professionellen Ebene geführt …«181 Bei der von der SPÖ trotz des allgemeinen Konjunktureinbruchs 2008 geschickt inszenierten Verteilung von Transferzahlungen und Gratifikationen wie die Propagierung des Gratis-Kindergartens, Begünstigungen für Pendler und Pflegebedürftige sowie finanzielle Anreize für die ohnedies gut entlohnten Landesbediensteten wollte auch die ÖVP nicht zurückstehen, um nicht in den unpopulären Geruch des Verhinderers und der sozialen Kälte, ein publikumswirksames Lieblingswort der SPÖ-Propaganda, zu kommen. Sachpolitische Themen wurden entweder in einem koalitionären Schulterschluss wie der Verabschiedung des Elektrizitätsgesetzes im Rahmen der Diskussion über die 380-kV-Leitung, der Schließung von M-real in Hallein,182 der Übernahme der Gemeindespitäler von Tamsweg und Mittersill durch das Land oder im jeweiligen Wirkungsbereich gelöst. Aus der zeitlichen Distanz sollte sich dabei der von Landeshauptmann-Stellvertreter Wilfried Haslauer jun. initiierte Museumsplan, das spätere sog. Domquartier, als bleibende (kultur)politische Weichenstellung erweisen. Aus der Sicht der Grünen hatte sich im Bereich des politischen Agierens im Landtag für die Opposition durch den Wechsel an der Spitze der Landesregierung 2004 de facto nichts geändert. So konstatierte Cyriak Schwaighofer im Salzburger Landtag »ein eklatantes Missverhältnis zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien … 31 SPÖ- und ÖVP-Abgeordneten stehen 2 GRÜN- und 3 FPÖ-Abgeordnete gegenüber. Die in der Verfassung definierten Aufgaben des Landtages als Gesetzgeber und Kontrolle der Regierung finden im politischen Alltag schlichtweg nicht statt. … Ob man als Oppositionspartei von der Regierung ›ernst genommen‹ wird, hängt im Grunde von den WählerInnen ab  : Würden die GRÜNEN für ihre sozialen und ökologischen Forderungen an Wahltagen die gleiche Zustimmung erhalten wie die FPÖ für ihre Ausländerhatz, dann könnten es sich SPÖ und ÖVP einfach nicht mehr leisten, über die Bedeutung eines gerechten Bildungssystems oder die Not181 Ebda. 182 1995 erwarb der schwedische Papierkonzern SCA den PWA-Konzern und schloss sich 1999 mit dem Konzern Holmen zur Modo Papier AG zusammen. 2000 wurden beide nunmehr zusammengeschlossenen Konzerne vom finnischen Konzern Metsā Serla gekauft, der ab 2001 den Konzern in M-real Corporate und M-real Hallein spaltete. 2008 teilte der Chef des finnischen Mutterkonzern Metsā Serla, Berry Wiesum, Landeshauptfrau Gabi Burgstaller und Landeshauptmann-Stellvertreter Wilfried Haslauer jun. mit, sein Konzern habe kein Interesse mehr daran, in Hallein feingestrichenes Papier herzustellen. Man werde Hallein schließen, um Überkapazitäten abzubauen und sich auf dem Markt behaupten zu können. Die Politik reagierte angesichts der bevorstehenden Landtagswahl zunächst vor allem mit symbolischen Gesten. Am 9. Jänner 2009 unterzeichneten Bundeskanzler Werner Faymann und Sozialminister Rudolf Hundstorfer medienwirksam in Anwesenheit von AK-Präsident Siegfried Pichler und Betriebsrat Bernhard Steinberger die Unterschriftenliste für den Erhalt der Produktion in Hallein. Wenige Tage später wurde seitens des finnischen Konzerns seine endgültige Entscheidung zur Schließung der Produktion in Hallein mitgeteilt. 485 Arbeitsplätze gingen damit verloren.

514

Fern der Regierungsbeteiligung

wendigkeit eines Umstiegs auf ›Erneuerbare Energien‹ bloß in Sonntagsreden zu schwadronieren.«183 Die Landtagswahl am 1. März 2009 bot die Möglichkeit, aus dem politischen Schattendasein im politischen System des Landes zu treten. Zu Beginn des Wahlkampfes bemerkte Cyriak Schwaighofer, Ziel der Grünen sei es, »deutlich stärker zu werden«184. Dieses Ziel sollte mit einem Wahlprogramm unter dem Titel »neue energie für salzburg. Das grüne wahlprogramm« erreicht werden. Neben den klassischen Themen wie Frauen, solidarische Gesellschaft, Umwelt und Bildung stand die Forderung nach einer radikalen Energiewende in Salzburg, d. h. eines vollständigen Umstiegs auf erneuerbare Energie, im Zentrum. Die Energiewende nütze nicht nur dem Klima, sondern schaffe auch neue Arbeitsplätze. Salzburg sollte durch thermische Sanierung alter Gebäude, die Förderung von Alternativenergie bis zum Jahr 2025 energieunabhängig, d. h. unabhängig von Gas und Öl, werden. Dies sei für die Sicherheit Salzburgs mindestens so wichtig wie mehr Polizisten. Ein Rohbericht des Rechnungshofes bot der Forderung der Grünen eine Argumentationshilfe. Dieser stellte im Jänner 2009 Salzburg ein schlechtes Zeugnis beim Klimaschutz aus. Nur 8 Prozent der Wohnbaufördergelder flossen in die thermische Sanierung. Damit lag Salzburg an letzter Stelle aller österreichischen Bundesländer. Auch der Schadstoffausstoß bei Raumwärme stieg massiv an, während er in allen anderen Bundesländern sank.185 Die Wahl des Energiethemas als zentrales Wahlkampfthema entbehrte nicht einer gewissen Logik, hatte doch diese Saison, da Russland aufgrund des Konflikts mit der Ukraine seine Gaslieferungen drosselte und schließlich, wenn auch nur kurzfristig, einstellte. Salzburg befand sich angesichts der zu Jahresbeginn 2009 herrschenden Energiekrise in einer relativ günstigen Situation, da nur 40 Prozent des benötigten Gases aus Russland kamen. 35 Prozent kamen aus Norwegen und 25 Prozent aus heimischer Produktion. Zudem befand sich einer der größten Erdgasspeicher Mitteleuropas mit 1,2 Milliarden m3 in Haidach bei Straßwalchen. Der Jahresverbrauch Salzburgs betrug 345 Millionen m3. Die Vorstellung der Grünen, dass Salzburg durch entsprechende Maßnahmen bis 2025 energieautark sein könnte, war jedoch nach Ansicht von Fachleuten reine Illusion. 35 Prozent des Salzburger Energieverbrauchs wurden durch alternative Energien aufgebracht. Selbst bei einem massiven Ausbau der Biomasse stieg der Anteil der erneuerbaren Energie am gesamten Verbrauch nur um wenige Prozentpunkte, da der Energieverbrauch jährlich stieg. An der Abhängigkeit von Gas und Öl änderte sich damit in den nächsten Dezennien wenig. Selbst bei einer Forcierung der thermischen Sanierung lag der Anteil der 183 SJP 2007. S. 17. 184 SN lokal 3.1.2009. S. 3. 185 SN lokal 23.1.2009. S. 2.

515

Fern der Regierungsbeteiligung

erneuerbaren Energie 2020 nur bei 45 Prozent. In einer langen Perspektive, so der für den Bereich Bioenergie zuständige Beamte des Amtes der Salzburger Landesregierung, sei allerdings ein Anteil von 80 Prozent möglich.186 Im Gegensatz zur Wahlwerbung der Grünen blieb die SPÖ ihrer bereits 2004 so erfolgreichen Werbelinie der Personalisierung, der Kommunikation von Politik als Vermittlung von Wohlfühlen bei weitgehenden bis völligem Fehlen programmatischer Aussagen, treu. Umfragen schienen diese Strategie zu bestätigen. Wenngleich Wilfried Haslauer jun. bei der Frage nach der Direktwahl des Landeshauptmanns in den letzten Jahren aufgeholt hatte, so entschieden sich nach einer im Dezember 2008 durchgeführten Gallup-Umfrage 46 Prozent für Burgstaller und 30 Prozent für Haslauer. Wenngleich ihr eine deutliche Mehrheit der Leser der »Salzburger Nachrichten« zu Jahresbeginn 2009 eine sehr gute/gute Arbeit attestierte, so hatte sie in Doraja Eberle und Wilfried Haslauer jun. in Bereich der wahrgenommenen Sachpolitik sichtlich Konkurrenz bekommen. Ranking der wichtigsten Landespolitiker bei den SN-Lesern im Jänner 2009 im Vergleich zu 2008  :187 Es leisten sehr gute/gute Arbeit (Angaben in Prozent)  : 2009

2008

Gabi Burgstaller

69

62

Doraja Eberle

69

67

Wilfried Haslauer jun.

65

58

Sepp Eisl

47

55

David Brenner

45

29

Walter Blachfellner

33

40

Cyriak Schwaighofer

33

35

Erika Scharrer

31

26

Karl Schnell

12

10

Die nach wie vor hohen Sympathiewerte und der Amtsbonus der amtierenden Landeshauptfrau bildeten das Zentrum der Wahlwerbung, die sich in Slogans wie »Mein Salzburg. Meine Sicherheit. Meine Landeshauptfrau«, »Mein Kindergarten. Meine Freunde. Meine Landeshauptfrau  !«, »Wer Burgstaller will, muss Gabi wählen« oder »Ihre Art macht den Unterschied  !« erschöpften. Auch der in Insiderkreisen als möglicher Nachfolger gehandelte Finanz-Landesrat und Landeshauptmann-Stell186 SN lokal 9.1.2009. S. 2f. 187 SN lokal 12.1.2009. S. 3.

516

Fern der Regierungsbeteiligung

vertreter David Brenner durfte auf ein Werbesujet mit dem Titel »Salzburgs Finanzen … sind stabil  ! … sind transparent  !«. Heinrich Breidenbach kommentierte diese konsequent durchgehaltene Werbelinie in der Gratis-Zeitung »Salzburger Fenster« sarkastisch als »unpolitisch, bis zum Schwachsinn  !«188. Die Strategie der SPÖ schien allerdings aufzugehen. Man war sich durchaus dessen bewusst, dass das Traumergebnis des Jahres 2004 kaum zu halten sein würde. Es ging vor allem darum, die Verluste zu minimieren und möglichst nahe an das Ergebnis des Jahres 2004 zu kommen. Und dies schien durchaus möglich, wie eine IGF-Umfrage im November 2008 signalisierte. Von einem von der ÖVP propagierten Wechsel konnte keine Rede sein. Stärke der Parteien in Prozent laut einer IGF-Umfrage im November 2008  :189 SPÖ

42 bis 43

ÖVP

37 bis 38

FPÖ

9 bis 11

GRÜNE BZÖ

7 bis 9 2

Die Wahlwerbung der ÖVP unterschied sich von jener des Koalitionspartners durch den Verzicht auf einen reinen Persönlichkeitswahlkampf, der nicht zu gewinnen war. Stattdessen konzentrierte man sich auf die Präsentation des mit äußerst guten Werten versehenen Regierungsteams Haslauer, Eberle, Eisl mit Slogans wie »Kraft und Kompetenz in schwierigen Zeiten« und »Die besseren Antworten in schwierigen Zeiten« sowie gesellschaftspolitische Aussagen. Bereits in der Mitte der Legislaturperiode hatte Wilfried Haslauer jun. erklärt, seine Partei werde »mit klaren gesellschaftspolitischen Aussagen und Themen« in die nächste Wahlauseinandersetzung gehen. Ihre »Kernzielgruppe« sei »der Mittelstand. Die Leistungsträger müssen entlastet werden. Die Ziele lauten in Kurzform  : Eigentum ermöglichen und schützen – keine weiteren Belastungen für Grund-, Haus- und Wohnungseigentümer. Pflege  : Neuordnung der Finanzierung. ›Wer Pflege braucht, darf nicht enteignet werden‹. Einsatz der eigenen Mittel ja, aber kein Zugriff auf sauer Erspartes und Eigenheim  ! Familien mit Kindern entlasten – letztes Kindergartenjahr gratis, finanzielle Hilfe beim Schulstart, 1.000 Euro Kindergeld im Monat. 188 Zit. bei Herbert Dachs  : More of the Same  ? Die Salzburger Landtagswahlen am 1. März 2009.  – In  : SJP 2010. – Wien/Köln/Weimar 2010. S. 9–27. S. 17. 189 SN lokal 9.1.2009. S. 6.

Fern der Regierungsbeteiligung

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Sicherheit  : die Polizei im Kampf gegen Kriminalität bestmöglich unterstützen.«190 Im Landtagswahlkampf 2009 wurde u. a. affichiert  : »Wer Pflege braucht, darf nicht entlastet werden  !«, »Salzburg braucht mit Sicherheit mehr Polizei« und, um in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die Wirtschaftskompetenz Haslauers zu signalisieren, dieser alleine mit dem Slogan »Wirtschaft fördern. Arbeit sichern«. Im Wahlkampf verschärfte die ÖVP den Ton gegenüber der SPÖ, der sie vorwarf, Problemlösungen auszuweichen und nur mehr Werbung in eigener Sache ohne Inhalt zu betreiben. Vor allem die Budgetpolitik David Brenners sei nicht vorausschauend. Dem Land drohe durch die Steuerreform und die verringerten Einnahmen infolge der Wirtschaftskrise 2009 ein Budgetloch in der Höhe von 50 Millionen Euro. Der so Angegriffene erwiderte, dies sei reine Panikmache.191 Zu Beginn der Regierungsverhandlungen am 10. März 2009 wurde allerdings ein Budgetloch von 70 Millionen Euro festgestellt. Die FPÖ setzte mit Karl Schnell auf Altbewährtes, präsentierte sich als »soziale Heimatpartei« und Kämpferin gegen Kriminalität und Asylbetrug mit Slogans wie »Arbeit und Moral statt Gin und Kapital«, »Einkommen zum Auskommen«, »Heimatland in Heimathand  !«, »Heimatliebe statt Gauner und Diebe  !« oder »Asylbetrug heißt Heimatflug  !« »Die Richtung stimmt«, stellte FPÖ-Obmann Karl Schnell am Wahlabend zufrieden fest. Seine Partei war mit einem Gewinn von 4,3 Prozentpunkten und 2 Mandaten der eigentliche Wahlsieger, wenngleich mit 13 Prozent der Stimmenanteil bei der Nationalratswahl ein Jahr zuvor mit 17,7 Prozent nicht erreicht wurde. Vor allem für die SPÖ wurde durch den Verlust der günstigen bundespolitischen Rahmenbedingungen sowie den völlig von Sachthemen und programmatischen Positionen befreiten Wahlkampf nach dem Motto »More of the Same« das Wahlergebnis eine herbe Enttäuschung, hatten doch eine Reihe von Meinungsforschungsinstituten den Sozialdemokraten noch zum Jahreswechsel 2008/09 ein Ergebnis um die 43 Prozent vorausgesagt. Mit einem Verlust von rund 14.000 Stimmen sank die SPÖ gegenüber 2004 um 6 Prozentpunkte auf 39,4 Prozent und büßte zwei Mandate ein. Josef Bruckmoser kommentierte zutreffend  : »Zwei Mal könne die SPÖ in Salzburg eine Landtagswahl ohne größere inhaltliche Aussagen gewinnen, stellte ein Wahlstratege der Sozialdemokraten fest. Das erste Mal war 2004, das zweite Mal am Sonntag. … Gleichzeitig haben die Wähler aber der SPÖ klar gemacht, dass die außerordentlichen persönlichen Qualitäten und der Amtsbonus der Landeshauptfrau allein auf Dauer zu wenig sind.«192

190 SJP 2007. S. 18f. 191 SN lokal 17.2.2009. S. 3. 192 Josef Bruckmoser  : Burgstaller rettet die SPÖ in die zweite Runde. – In  : SN lokal 2.3.2009. S. 2. Zum

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Fern der Regierungsbeteiligung

Wenngleich die ÖVP gegenüber der letzten Landtagswahl rund 1000 Stimmen verlor, so konnte sie den Abstand zur SPÖ auf 2,8 Prozentpunkte und 1 Mandat verkleinern. Obwohl sie das angestrebte Wahlziel, wiederum stärkste Partei zu werden, verfehlte, so konnte sie sich mit Hinweis auf die Ergebnisse der gleichzeitig stattfindenden Gemeinderatswahlen durchaus zu Recht als zweiter Sieger bezeichnen. Die deutlichen Gewinne in den einst »roten Hochburgen« Hallein und Zell am See, in denen nunmehr mit 55,8 Prozent bzw. 47,7 Prozent eine absolute Mandatsmehrheit erreicht wurde, waren Beweise einer gut funktionierenden Landesparteiorganisation und signalisierten gleichzeitig eine organisatorische Krise der SPÖ. Die SPÖ verlor 110 Gemeinderatsmandate und fiel auf 643, während die ÖVP 26 gewann und 1101 Mandate erreichte. Die ÖVP verfügte in 96 Gemeinden (80 Prozent) über eine Mehrheit, in 60 Prozent über eine absolute Mehrheit, die Stimmeanteilsdifferenz zur SPÖ hatte sich gegenüber 2004 von 5,1 auf 12,8 Prozentpunkte erhöht.193 Hatte das BZÖ bei der Nationalratswahl 2008 noch 12,2 Prozent erreicht, so musste es sich nunmehr mit 3,7 Prozent zufriedengeben und verfehlte den Einzug in den Landtag deutlich. Eine herbe Enttäuschung brachte das Wahlergebnis auch für die Grünen, die rund 1200 Stimmen und 0,6 Prozentpunkte verloren. Mit nunmehr 7,4 Prozent und 2 Mandaten blieben sie die deutlich kleinste Landtagsfraktion und konnten durch das Verfehlen des erhofften dritten Mandats den Klubstatus nicht erreichen. Ein Blick auf die Ergebnisse in den politischen Bezirken unterstrich das anhaltende deutliche Nord-Süd-Gefälle sowie die herausragende Rolle der Landeshauptstadt, die allein den Grünen den Einzug in den Landtag sicherte. Ergebnisse der Grünen in den politischen Bezirken bei der Landtagswahl am 1. März 2009 194 Politischer Bezirk

Stimmen

Prozent

Salzburg Stadt

7972

13,3

Hallein

2155

6,7

Salzburg-Umgebung

6396

7,9

St. Johann im Pongau

1847

4,1

459

3,3

2016

4,0

20.545

7,4

Tamsweg Zell am See Bundesland Salzburg

Wahlergebnis aus Sicht der SPÖ Vgl. Thaler  : Mut und Wille. S. 238ff.; Gutschner  : »Die Salzburger SPÖ muss eine selbstbewusste Partei werden«. S. 438ff. 193 Alexander Neunherz, Julia Rafetseder   : Gemeindevertretungs- und BürgermeisterInnenwahlen 2009. – In  : SJP 2010. S. 28–39. S. 37. 194 Dachs  : More of the Same  ? S. 21.

519

Fern der Regierungsbeteiligung

Cyriak Schwaighofer kommentierte daher das Wahlergebnis sichtlich enttäuscht  : »Unser Ziel war ein anderes. Wir wollten drei Sitze und damit den Klubstatus.«195 Wie weit die in aller Öffentlichkeit ausgetragene und medial breit berichtete und kommentierte Kontroverse der Salzburger Grünen mit der Bundespartei über die Nominierung von Johannes Voggenhuber auf der Liste für die bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament – die Bundespartei lehnte die neuerliche Nominierung Voggenhubers auf einem der hinteren und damit aussichtlosen Plätzen ab –, bei dem letztlich enttäuschenden Wahlergebnis eine Rolle spielte, bleibt eine offene Frage. Johannes Voggenhuber engagierte sich trotz seiner Nicht-Nominierung für die Wahl zum Europäischen Parlament für den Wahlkampf der Bürgerliste in der Stadt Salzburg mit dem Argument, er wolle die entstandenen Wogen glätten, die das Projekt zu gefährden drohen, »das für die Stadt ungeheure Bedeutung hat. Ich glaube, es wäre eine Katastrophe, jetzt aus irgendeiner kurzfristigen Irritation über die Grünen da ein Stadtprojekt zu gefährden.«196 Die Wählerschaft der Grünen wies in ihrer Gesamtheit, abweichend vom Bundestrend und in deutlichem Unterschied zu den anderen Parteien, keine Geschlechterdifferenz auf. Nur in der Gruppe der Unter–29-jährigen wurde eine solche deutlich. Jüngere Frauen entschieden sich in einem deutlich höheren Ausmaß für die Grünen als ihre männlichen Altergenossen. Generell hatten die Grünen in der Gruppe der Unter–29-Jährigen, der im tertiären Sektor Beschäftigten und vor allem den sich in Ausbildung Befindenden, d. h. vor allem Studenten, die Schwerpunkte ihrer Sympathisanten und Wähler. Wahlverhalten in Prozent nach Geschlecht bei der Landtagswahl in Salzburg am 1. März 2009  :197 SPÖ

ÖVP

FPÖ

GRÜNE

BZÖ

Nichtwähler/ innen

Männer

23

29

11

5

3

29

Frauen

28

19

6

5

2

40

195 SN lokal 2.3.2009. S. 3. 196 http://sbgv1.orf.at/stories/345148. (Abgerufen am 11.1.2017.) 197 SORA Wahltagsbefragung Landtagswahl 2009.

520

Fern der Regierungsbeteiligung

Wahlverhalten in Prozent nach Geschlecht und Alter bei der Landtagswahl in Salzburg am 1. März 2009  :198 SPÖ

ÖVP

Männer bis 29

18

Männer zwischen 30 und 59

23

Männer ab 60

27

BZÖ

Nichtwähler/ innen

8

5

28

5

3

27

7

2

2

36

FPÖ

GRÜNE

24

18

32

10

27

Frauen bis 29

31

7

10

13

1

37

Frauen zwischen 30 und 59

29

20

6

5

2

38

Frauen ab 60

25

22

3

1

1

48

Wahlverhalten in Prozent nach Erwerb bei der Landtagswahl in Salzburg am 1. März 2009  :199 ÖVP

FPÖ

Arbeiter

25

13

31

1

6

24

Angestellte

32

25

4

6

3

30

Selbstständige

GRÜNE

BZÖ

Nichtwähler/ innen

SPÖ

7

57

4

6

3

23

33

26

1

13

0

26

In Pension

26

24

5

1

2

42

In Ausbildung

14

8

5

19

0

54

Zu Hause

31

10

7

0

0

53

Sonstige Erwerbstätige

Bei den Wahlmotiven bezeichnete sich etwas mehr als ein Drittel der Grün-Wähler als Stammwähler. Dieser Wert war auch im Vergleich mit der Bundespartei200 sehr gering und unterstrich die hohe Volatilität der Grün-Wähler in Salzburg. Bei den Wahlmotiven dominierten die Umweltkonzepte, das Besetzen bestimmter Themen sowie das Vertreten der eigenen Interessen, während das Wahlprogramm, die Person 198 Ebda. 199 Ebda. 200 Die Behalterate der Grünen auf Bundesebene sank zwischen 1986 und 1995 kontinuierlich von 60 auf 44 Prozent, um bis 2006 wiederum auf 69 Prozent anzusteigen. Die Grünen verfügten damit auf Bundesebene, nicht zuletzt durch den Mangel an Alternativen durch die Implosion des LIF und das Fehlen einer linksliberalen Alternative, über eine relativ treue Wählerschaft (Stammwähler) von mehr als zwei Drittel ihrer Wähler.

521

Fern der Regierungsbeteiligung

des Spitzenkandidaten oder der Protest gegen die Landesregierung nur eine geringe Rolle spielten. Wahlmotive in Prozent der Grün-Wähler (»trifft sehr zu«) bei der Landtagswahl in Salzburg am 1. März 2009  :201 Stammwähler

35

Vertritt meine Interessen

51

Wichtige Themen

61

Führt Salzburg in die richtige Richtung

29

Spitzenkandidat/in

27

Wahlwerbung

10

Bestes Programm

28

Beste Umweltkonzepte

63

Protest gegen Landesregierung

17

Gegen Rot-Blau

31

Im Bereich der wichtigen Themen unterschieden sich die Grün-Wähler aufgrund ihrer sozioökonomischen Struktur deutlich von jenen der anderen Parteien. Themen wie die Wirtschaftskrise, Sicherheit, Zuwanderung und Familien und Kinderbetreuung rangierten weit hinter Themen wie Umwelt und Bildung. Wichtige Themen (»sehr wichtig«) in Prozent der Wählerinnen und Wähler bei der Landtagswahl in Salzburg am 1. März 2009  :202 SPÖ

ÖVP

FPÖ

GRÜNE

Wirtschaftskrise

41

54

38

33

BZÖ 34

Arbeitsplätze

80

75

67

61

76

Sicherheit

43

41

60

20

51

Umwelt

52

45

28

66

39

Familien und Kinderbetreuung

55

48

37

38

44

Bildung

57

50

41

73

41

Zuwanderung

29

27

63

20

65

Gesundheit

64

44

52

34

65

Soziales

64

43

32

58

20

201 Ebda. 202 Ebda.

522

Fern der Regierungsbeteiligung

Ein mittleres politisches Erdbeben brachte auch die gleichzeitig mit der Landtagswahl stattfindende Gemeinderatswahl in der Stadt Salzburg. Dabei hatte die Legislaturperiode 2004 für Heinz Schaden und die beinahe mit absoluter Mehrheit regierende SPÖ so gut begonnen. Der Bürgermeister verfügte in Johann Padutsch und der Bürgerliste über einen in weiten Bereichen heimlichen Koalitionspartner und die ÖVP war nicht zuletzt durch das von Stadtparteiobmann und Vizebürgermeister Karl Gollegger und Landeshauptmann Schausberger verordnete Vorzugsstimmenmodell mit seinen folgenden zahlreichen innerparteilichen Wunden und dem bei der Gemeinderatswahl 2004 enttäuschenden Abschneiden in eine schwere Krise geraten. Am 4. Juni 2004 erklärte ÖVP-Gemeinderat Ernst Flatscher wegen von ihm georteter Orientierungsund Konzeptlosigkeit von Vizebürgermeister Karl Gollegger seinen Austritt aus dem 11-köpfigen Gemeinderatsklub und arbeitete als »wilder« Abgeordneter weiter.203 Bereits am 5. Juli folgte ÖVP-Gemeinderätin Elisabeth Promegger dem Beispiel Flatschers und am 14. Dezember gab Karl Gollegger mit der Erklärung, er werde in die Energiewirtschaft zurückkehren, seinen Abschied aus der Politik bekannt. Ihm folgte der bisherige Klubobmann Harald Preuner als Vizebürgermeister und Stadtparteiobmann, die Gemeinderätin Claudia Schmidt avancierte zur Klubobfrau. Auch das Erscheinungsbild der FPÖ war von erheblichen innerparteilichen Turbulenzen geprägt. Nach der Spaltung in FPÖ und BZÖ 2005 hatte Gemeinderat Christian Schneeberger am 8. September 2005 den FPÖ-Klub verlassen und erklärt, er werde als »wilder« Abgeordneter weiter arbeiten. Am 17. Oktober 2006 wurde Klubobfrau Doris Tazl aus der FPÖ ausgeschlossen. Ihre Funktion als Bezirksparteiobfrau der Salzburger Stadt-FPÖ übernahm interimistisch Robert Aspöck, der vor einer schwierigen Aufgabe stand, da Tazl ihren Ausschluss nicht anerkannte und erklärte, sie habe nach wie vor die Unterstützung der Mehrheit der Ortsgruppenleiter. Sie sehe sich daher nach wie vor als Klubobfrau des FPÖ-Gemeinderatsklubs und werde auch im Gemeinderat bleiben. Aus Protest gegen den Ausschluss Tazls verließ wenig später auch Mechthilde Kirsch die FPÖ, die damit im Gemeinderat auf eine Ein-Mann-Fraktion in der Person von Andreas Schöppl schrumpfte.204 Auch die zu Jahresbeginn 2005 auftauchende kommunalpolitische Kontroverse über die geplante Erweiterung des Aiportcenters, bei der Heinz Schaden und die SPÖ auf die ablehnende Front von ÖVP, Bürgerliste und FPÖ stießen, wurde bereits am 18. April durch einen politischen Kompromiss zwischen SPÖ und ÖVP beendet. Im Airportcenter sollte ein Factory Outlet Center ohne die ursprünglich geplanten neuen Verkaufsflächen entstehen. Der Kompromiss in der Causa Airportcenter 203 http://derstandard.at/1691367/Salzburger-Stadt-VP-springt-Mandatar-ab. (Abgerufen am 11.12.2016.) 204 http://sbgv1.orf.at/stories/145219  ; http://derstandard.at/2628686/In-der-Salzburger-Stadt-FPOebahnt-­­sich-der-naechste-Konflikt an. (Abgerufen am 11.1.2017.) Andreas Schöppl wurde im Februar 2007 neuer Obmann der Stadt-FPÖ.

Fern der Regierungsbeteiligung

523

deutete 2005 die zweite politische Option Heinz Schadens an  : eine Bereichskoalition mit der ÖVP in all jenen Bereichen, in denen mit massivem Widerstand der Bürgerliste zu rechnen war  : der Verkleinerung der durch die Grünlanddeklaration geschützten Flächen für den sozialen Wohnbau und Betriebsansiedlungen sowie die Bewerbung für die Durchführung der Olympischen Winterspiele 2014. Die Kontroverse um die Grünland-Deklaration und die gescheiterte Olympiabewerbung samt folgenden politischen Turbulenzen verdüsterten allerdings ab 2007/08 die für die SPÖ so günstig scheinende politische Szene und gaben vor allem der Bürgerliste, die ihren Namen im Juni 2007 um den Zusatz »Die Grünen in der Stadt« erweiterte, die Chance zur politischen Profilierung. Stadtrat Johann Padutsch konnte daher im Jänner 2009 z/u Beginn des Gemeinderatswahlkampfes nicht ohne berechtigte Hoffnung erklären, die Bürgerliste wolle bei der kommenden Gemeinderatswahl Stimmen und Mandate gewinnen und ihre Position in der Stadtregierung verteidigen. Und Klubobmann Helmut Hüttinger ergänzte, die Grünen hätten bei der Nationalratswahl 2008 in der Stadt Salzburg 18 Prozent erhalten. Dies sei auch das Ziel der Bürgerliste bei der kommenden Gemeinderatswahl. Mit den Themen Grünlandschutz, Freiraum für die Jugend, günstiger Wohnraum und ökologisches Wirtschaften wolle man um Stimmen werben.205 Es leisten sehr gute Arbeit (Antworten in Prozent)  :206 Heinz Schaden (SPÖ)

60

Harald Preuner (ÖVP)

50

Josef Hubert (SPÖ)

45

Martin Panosch (SPÖ)

46

Johann Padutsch (BL)

39

Andreas Schöppl (FPÖ)

26

Doris Tazl (BZÖ)

33

Die Bürgerliste hatte sich mit dieser Ansage die Latte bewusst hoch gelegt, konnte sie doch durch die Malversationen der fehlgeschlagenen Olympiabewerbung und die vergangenen Turbulenzen um die Grünland-Deklaration auf politischen Rü-

205 SN lokal 24.1.2009. S. 3. Die Bürgerliste nominierte, wie sie betonte, als einzige Partei nach dem Reißverschlusssystem ihre Kandidatinnen und Kandidaten. Die ersten fünf Positionen wurden von den Routiniers Johann Padutsch, Ulrike Saghi, Helmut Hüttinger, Ingeborg Haller und Bernhard Carl eingenommen, gefolgt von den Newcomern Barbara Sieberth, Gernot Himmelfreundpointner, Evelyn Feichtner-Tiefenbacher, Josef Scheinast und Claudia Hörschinger-Zinnagl. 206 SN lokal 31.1.2009. S. 2f.

524

Fern der Regierungsbeteiligung

ckenwind hoffen. Eine vom IGF im Auftrag der »Salzburger Nachrichten« unter ihren Lesern durchgeführte Umfrage brachte widersprüchliche Ergebnisse. Während Spitzenkandidat Johann Padutsch relativ hohe Zustimmungsraten für die von ihm geleistete politische Arbeit erhielt, attestierte nur ein kleiner Teil der Leser der Bürgerliste eine hohe Problemlösungskompetenz. Welche Partei ist am ehesten geeignet, die anstehenden Probleme in der Stadt zu lösen  ? (Antworten in Prozent)207 SPÖ

50

ÖVP

33

FPÖ

3

BL

8

BZÖ

5

Andere

6

Keine

18

Im Februar 2009 führte in einer IGF-Umfrage Bürgermeister Heinz Schaden bei der Frage nach der Bürgermeister-Direktwahl mit 37 Prozent gegenüber Harald Preuner mit 15 Prozent und Johann Padutsch mit 12 Prozent. Bei der berühmten Sonntagsfrage, welche Partei man wählen würde, ergab sich ein deutlicher Wahlsieg der SPÖ, während ÖVP und Bürgerliste unter ihrem Ergebnis der Gemeinderatswahl 2004 lagen. »Wenn am kommenden Sonntag Gemeinderatswahlen in der Stadt Salzburg wären, welcher Partei würden Sie da Ihre Stimme geben  ?« (Antworten in Prozent)208 GRW 2009

GRW 2004

SPÖ

43

43,8

ÖVP

26

27,4

BL

14

15,1

FPÖ

11

10,2

Liste Tazl

4

n. k.

KPÖ

2

Andere

1,6 1,9

207 Ebda. 208 IGF  : Stimmungsklima in der Stadt Salzburg. Repräsentativerhebung 21. Februar 2009. S. 5 und 9.

525

Fern der Regierungsbeteiligung

Das Ergebnis am Wahlabend des 1. März 2009 sprach allerdings eine andere Sprache. Der vermeintlich komfortable Vorsprung der SPÖ schrumpfte durch ein Minus von 6 Prozentpunkten und den Verlust von 4 Mandaten erheblich. Auch Heinz Schaden erreichte bei der Bürgermeister-Direktwahl bei einem Minus gegenüber 2004 von 6,59 Prozentpunkten nur 45,37 Prozent und musste sich einer Stichwahl gegen Vizebürgermeister Harald Preuner, auf den 26 Prozent entfielen, stellen. Dennoch übertraf Schadens Ergebnis jenes der SPÖ um 9,6 Prozentpunkte.209 Obwohl die ÖVP geringe Stimmen-, jedoch keine Mandatsverluste hinnehmen musste, gewann sie durch die Wahlarithmetik einen Sitz im Stadtsenat auf Kosten der SPÖ. Bürgerliste, FPÖ und Liste Tazl hingegen gewannen Stimmen und Mandate, wobei die Bürgerliste mit 16,4 Prozent beinahe ihr bisher bestes Ergebnis aus dem Jahr 1992 erreichte. Die Bürgerliste konnte damit ihren Stadtratsposten, den sie 2004 nur mit wenigen hundert Stimmen abgesichert hatte, verteidigen. Auch Johann Padutsch erreichte im ersten Durchgang der Bürgermeister-Direktwahl mit einem Gewinn von 0,88 Prozentpunkten 14,53 Prozent, blieb damit jedoch, ebenso wie Harald Preuner, hinter dem Ergebnis seiner Partei zurück. Dennoch zeigte er sich mit dem Ergebnis sehr zufrieden. »Wir haben gute Arbeit geleistet, die Wähler haben erkannt, dass eine Regierung ohne Bürgerliste schlecht ist.«210 Ergebnis der Gemeinderatswahl in der Stadt Salzburg am 1. März 2009 im Vergleich zum Ergebnis des Jahres 2004  :211 Stimmen 2009

Stimmen 2004

Prozent 2009

Prozent 2004

Mandate 2009

Mandate 2004

SPÖ

21.739

27.565

35,8

43,8

15

19

ÖVP

11

16.884

17.250

27,8

27,4

11

BL

9973

9508

16,4

15,1

7

6

FPÖ

8049

6448

13,25

10,2

5

4

TAZL

2829

n. k.

4,66

n. k.

2

n. k.

209 In der Stichwahl am 15. März erhielt Bürgermeister Heinz Schaden bei einer Wahlbeteiligung von lediglich 37,45 Prozent 21.544 Stimmen (53,96 Prozent) gegenüber seinem Konkurrenten Harald Preuner, der 18.385 Stimmen (46,04 Prozent) auf sich vereinen konnte. Wenngleich die Bürgerliste für die Bürgermeister-Stichwahl keine Wahlempfehlung gab, deklarierte sich Johann Padutsch offen für Heinz Schaden. »Ich wähle Heinz Schaden, weil ich schon bisher nicht verstanden habe, dass 26 Prozent der Salzburger Harry Preuner als Bürgermeister ins Auge fassen.« Schaden habe »zwar auch Fehler gemacht, aber wenn ich mir die beiden Persönlichkeiten ansehe, ist die Wahl klar.« (Österreich 14.3.2009. S. 16.) 210 http://diepresse.com/home/politik/salzburgwahl/456842/Gemeinderatswahl_Starke-Verluste-fuerSPOe-inStadt-Salzburg. (Abgerufen am 11.12.2016.) 211 https://www.stadt-salzburg.at/internet/politik_verwaltung/stadtpolitik/wahlergebnisse/gemeinderatswahl_32319. (Abgerufen am 11.1.2017.)

526

Fern der Regierungsbeteiligung

Die Stadtteilergebnisse bestätigten die beständige Asymmetrie der Stärke der Bürgerliste, deren Hochburgen sich vor allem in den bürgerlichen Stadtbezirken befanden, wo die Stärke der Bürgerliste vor allem zulasten der ÖVP ging. Dies betraf, ähnlich wie im gesamten Bundesgebiet, in verstärktem Ausmaß die jüngeren Wählerkohorten, bei denen sich die abnehmende Konstanz der politischen Sozialisation durch das Elternhaus in zunehmendem Ausmaß manifestierte. Politische Identitäten wurden auf die nächste Generation immer schwächer tradiert, da durch andere Formen politischer Sozialisation wie z. B. universitäre und studentische Milieus, Freundeskreise usw. eigene politische Identitäten entwickelt werden, die sich von jener der Eltern- und Großelterngeneration sowohl im inhaltlich-ideologischen Bereich wie auch in der Konstanz (Parteibindung/Stammwähler) unterscheiden. Ergebnisse in der Bürgerliste in den Wahlsprengeln der Stadt Salzburg bei der Gemeinderatswahl in der Stadt Salzburg am 1. März 2009  :212 Neustadt-Äußerer Stein

25,15

Altstadt-Mülln

24,56

Aigen-Abfalter-Glas

22,32

Riesenburg

22,09

Gneis-Leopoldskron-Morzg-Moos

21,15

Parsch

19,47

Nonntal-Herrnau

19,35

Josefiau-Alpenstraße

16,11

Elisabethvorstadt

15,05

Maxglan-Aiglhof

14,94

Schallmoos

14,89

Gnigl-Langwied

12,88

Itzling-Kasern-Sam

12,33

Liefering

11,64

Taxham

11,44

Lehen

8,84

Noch deutlicher ausgeprägt war die traditionelle Stärke-Disparität zwischen der Landeshauptstadt und den übrigen politischen Bezirken bei den Ergebnissen der gleichzeitig stattfindenden Gemeindevertretungswahlen  :

212 Ebda.

527

Fern der Regierungsbeteiligung

Ergebnisse der Grünen in den politischen Bezirken bei den Gemeindevertretungswahlen am 1. März 2009  :213 Politischer Bezirk

Stimmen

Salzburg Stadt

9973

Prozent

Mandate

16,4

7

Hallein

1477

4,7

6

Salzburg Umgebung

5668

7,0

39

922

2,0

4

St. Johann im Pongau Tamsweg Zell am See Bundesland Salzburg

348

2,6

2

1264

2,5

4

19.652

6,9

62

Ausgehend von einem relativ niedrigen Niveau korrespondierten mit deutlichen Zuwächsen in bestimmten Gemeinden Verluste in anderen, sodass insgesamt bei einem gegenüber 2004 gleichen prozentuellen Anteil von 6,9 Prozent auch die Mandatszahl mit 62 gegenüber 64 im Jahr 2004 de facto gleich blieb. Vergleich der Gemeindevertretungswahlen vom 1. März 2009 mit jenen vom 7. März 2004  :214 Rang

Gemeinde

Stimmenanteilsdifferenz GRÜNE

1

Fuschl am See

+ 19,6

2

Henndorf am Wallersee

+ 12,0

3

Neumarkt am Wallersee

+ 11,4

4

Mattsee

+ 10,7

5

St. Johann im Pongau

+ 10,3

6

Tamsweg

+ 10,1

7

Bergheim

+ 9,3

8

Seeham

+ 7,8

9

Zell am See

+ 7,2

10

Salzburg Stadt

+ 1,3

11

Eugendorf

+ 1,0

12

Seekirchen am Wallersee

+

0,3

13

Grödig

+

0,0

213 Gemeindewahlen 2009. Gemeindevertretungs-Bürgermeisterwahlen. Teil II  : Tabellenband. Hg. v. Landesstatistischen Dienst des Amtes der Salzburger Landesregierung. – Salzburg 2009. S. 2ff. 214 Gemeindevertretungswahlen 2009. S. 86.

528

Fern der Regierungsbeteiligung

Rang

Gemeinde

Stimmenanteilsdifferenz GRÜNE

14

Anthering



1,1

15

Bischofshofen



1,7

16

Elsbethen



1,7

17

Hallwang



1,8

18

Oberdorf bei Salzburg



1,9

19

Bruck an der Glocknerstraße



1,9

20

Saalfelden am Steinernen Meer



2,0

21

Anif



2,3

22

Wals-Siezenheim



2,7

23

Bürmoos



3,8

24

Puch bei Hallein



4,9

25

Kuchl



5,1

26

Hallein



7,3

27

Goldegg



8,3

28

Thalgau



8,5

Nach der Landtags- und Gemeinderatswahl bildete die Wahl zum Europäischen Parlament am 7. Juni den Abschluss des Wahljahres 2009. Der Wahlgang gestaltete sich für die Grünen vor allem aufgrund der medial viel beachteten Auseinandersetzung um eine neuerliche Kandidatur von Johannes Voggenhuber auch auf einem der hinteren Listenplätze, die von den Salzburger Grünen befürwortet, jedoch vom erweiterten Bundesparteivorstand im Jänner 2009 mit einer Mehrheit von 17 gegen 12 Stimmen abgelehnt wurde, als schwierig. Die Gegner Voggenhubers lehnten dessen Kandidatur auch auf einem der hinteren Listenplätze mit dem – nicht ausgesprochenen – Verdacht ab, dass dieser im Fall seiner Nominierung einen Vorzugsstimmenwahlkampf führen und so doch noch einen der Spitzenplätze einnehmen könnte. Die Salzburger Grünen gaben jedoch ihre Bestrebungen für eine Kandidatur Voggenhubers noch nicht auf, da die endgültige Erstellung der Kandidatenliste erst im März oder April erfolgte. So erklärte Cyriak Schwaighofer nach der Abstimmungsniederlage im Erweiterten Bundesvorstand, er werde sich bemühen, den in breiten Kreisen der Partei zunehmend unbeliebten langjährigen Europaabgeordneten als Vertreter der Landespartei auf die Kandidatenliste für die Europawahl zu setzen. Die Abstimmungsniederlage im Erweiterten Bundesvorstand sei nur ein »Zwischenergebnis«, wenn auch ein »enttäuschendes«. Bei der Erstellung der Kandidatenliste müsse neben der Geschlechterparität auch auf »regionale Bedingungen« Rücksicht genommen werden. »Wenn 42 Plätze zu besetzen sind, dann gehe ich davon aus, dass einer für Salzburg möglich sein muss.« Er habe durchaus Verständnis für die im Erweiterten Bundesvorstand erfolgte »Abrechnung«. Aber Voggenhuber sei zwar

Fern der Regierungsbeteiligung

529

ein »schwieriger Mensch« und seine oftmals von außen praktizierten Zwischenrufe seien »unkollegial«, doch sei er andererseits ein profilierter EU-Politiker, der für die Grünen Wählergruppen erreiche, die sie sonst vielleicht nicht anzusprechen vermögen.215 Für Johann Padutsch war die Vorgangsweise von Bundessprecherin Eva Glawischnig bei der Sitzung des Erweiterten Bundesvorstandes »kein Zeichen von Stärke«. Die Weigerung, Voggenhuber auch nur auf einem der hinteren Plätze kandidieren zu lassen, sei angesichts seiner zahlreichen Unterstützer demokratiepolitisch »völlig aberwitzig«.216 Anfang März agierte Schwaighofer in der Causa Voggenhuber bereits deutlich zurückhaltender. Es werde in der Causa Voggenhuber keinen Salzburger Alleingang geben, ließ er wissen. Man wolle erst die Stimmung in den anderen grünen Landesverbänden ausloten. Gleichzeitig wies er mit indirekter Kritik an der Bundespartei darauf hin, dass die parteiinternen Querelen um eine Kandidatur Voggenhubers den Grünen bei der Landtagswahl geschadet hätten. »Wir haben ja Bundesseits sicher mehr Gegenwind als Rückenwind gehabt, das heißt, die Ausgangsposition war schlecht.«217 Sowohl auf Bundes- wie auch auf Landesebene blies den Grünen bei der Europawahl am 7. Juni 2009 der Wind ins Gesicht, wobei der in aller Öffentlichkeit ausgetragene Streit um die letztlich nicht erfolgte Kandidatur Voggenhubers eine erhebliche Rolle spielte. Auf bundespolitischer Ebene brachte das Wahlergebnis eine deutliche Verschiebung der Stärkeverhältnisse. Während die SPÖ mit einem Minus von 9,6 Prozentpunkten nur mehr 23,7 Prozent erreichte und damit ihr mit Abstand schlechtestes Ergebnis bei bundesweiten Wahlen hinnehmen musste, wurde die ÖVP mit einem Stimmenverlust von 2,7 Prozentpunkten mit 30,0 Prozent deutlich stärkste Partei. Als Wahlsieger konnten sich auch der von der »Kronen Zeitung« in einer beispiellosen Kampagne unterstützte Hans-Peter Martin und die FPÖ feiern. Die Liste Hans-Peter-Martin (HPM) steigerte sich von 14,0 auf 17,7 Prozent und wurde damit deutlich drittstärkste Partei, während die FPÖ ihren Stimmenanteil von 6,3 auf 12,7 Prozent knapp mehr als verdoppeln konnte. Im Gegensatz dazu erreichte das erstmals kandidierende BZÖ mit 4,6 Prozent nur einen Bruchteil der FPÖ-Stimmen, schaffte jedoch den Einzug in das Europäische Parlament. Zu den eindeutigen Verlierern der Wahl zählten neben der SPÖ die Grünen, die mit einem Verlust von 3 Prozentpunkten auf 9,9 Prozent sanken und damit nur an fünfter Stelle lagen.218 215 http://newsv1.orf.at/090201–34540/  ?href=http://newsv1.orf.at/090201–3454  %2F34518txt_story. html (Abgerufen am 12.1.2017.) 216 http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/449215/Gruene_Salzburg-kaempft-weiter-fuerVoggenhuber (Abgerufen am 11.1.2017.) 217 http://sbgv1.orf.at/stories/346359 (Abgerufen am 12.1.2017.) 218 Zur EU-Wahl Vgl. Franz Sommer  : Analyse zur Europawahl 7. Juni 2009. Demoskopische und wahlstatistische Eckdaten zur Wahl in Österreich. Ergebnisse, Nichtwähler und Wähler – Trendmuster

530

Fern der Regierungsbeteiligung

Wenngleich die Wahlbeteiligung in Salzburg mit 42,4 Prozent 3,7 Prozentpunkte über jener des Jahres 2004 lag, so lag sie um 3,6 Prozentpunkte unter dem Bundesdurchschnitt. ÖVP, HPM und Grüne schnitten in Salzburg besser ab als auf Bundesebene, SPÖ, FPÖ und BZÖ schlechter. Bei einem Vergleich der Gewinne und Verluste zwischen dem Landes- und Bundesergebnis ergaben sich stärkere Verluste der Grünen und geringere der SPÖ, höhere Gewinn der HPM und geringere von FPÖ und BZÖ, während ÖVP und KPÖ keinerlei Abweichungen vom Bundesergebnis aufwiesen. Stimmenanteile der Parteien bei der Europawahl 2009 im Vergleich Salzburg/ Österreich  :219 Partei

SPÖ

ÖVP

HPM

GRÜNE

FPÖ

BZÖ

KPÖ

Salzburg Österreich

19,1

32,5

20,6

10,7

11,6

4,3

0,6

23,7

30,0

17,7

9,9

12,7

4,6

0,7

Stimmenanteilsdifferenz (Gewinne/Verlust gegenüber 2004) der Parteien bei der Europawahl 2009 im Vergleich Salzburg/Österreich  :220 Partei

SPÖ

ÖVP

HPM

GRÜNE

FPÖ

BZÖ

KPÖ

Salzburg

– 7,4

– 2,7

+ 5,1

– 4,5

+ 4,7

– 4,3

– 0,1

Österreich

– 9,6

– 2,7

+ 3,7

– 3,0

+ 6,4

+ 4,6

– 0,1

Die Grünen fielen nach dem Höhenflug des Jahres 2004 mit 15,2 Prozent nunmehr mit 10,7 Prozent auf das Ergebnis des Jahres 1999. Auch in der Gruppe der Briefkartenwähler, eine ihrer traditionellen Kernwähler, erreichten sie mit 16 Prozent nur das zweitschlechteste seit der Durchführung von Wahlen zum Europäischen Parlament.221 Signifikant waren ihre Verluste in ihren Hochburgen bei der EU-Wahl 2004.

und Motive. – In  : ÖJP 2009. S. 93–111. Die Mandatsverteilung in Europäischen Parlament lautete  : 6 ÖVP, 5 SPÖ, 3 HPM, je 2 FPÖ und Grüne, 1 BZÖ. 219 Europawahl am 7.6.2009. Endgültige Ergebnisse. Hg. v. Landesstatistischen Dienst des Amtes der Salzburger Landesregierung. – Salzburg 2009. S. 33. 220 Europawahl am 7.6.2009. S. 34. 221 Ebda. S. 40.

531

Fern der Regierungsbeteiligung

Verluste der Grünen in den Gemeinden  :222 Gemeinden mit einem Stimmenanteil der GRÜNEN bei der EU-Wahl 2004 von  : unter 5 Prozent

Durchschnittliche Anteilsveränderungen EUW 2004/2009 je Gemeindegruppe in Prozentpunkten – 1,0

5 bis unter 7,5 Prozent

– 2,7

7,5 bis unter 10 Prozent

– 3,6

10 bis unter 12,5 Prozent

– 2,5

12,5 bis unter 15 Prozent

– 4,6

15 und mehr Prozent

– 6,0

Landesergebnis (15,2 Prozent)

– 4,5

Die deutlichen Verluste der Grünen basierten vor allem auf dem mit 54 Prozent außerordentlich hohen Anteil von Wählern des Jahres 2004, die durch Wegzug oder Tod verloren gingen und durch Neuzugänge nicht wettgemacht werden konnten. Die Grünen gewannen de facto nichts von den politischen Konkurrenten. Lediglich rund 4 Prozent der Wählerschaft des Jahres 2009 (564) stammten von anderen Parteien, vor allem der KPÖ (LINKE). 64,2 Prozent der Wähler des Jahres 2009 (9568) hatten die Grünen bereits 2004 gewählt, 36 Prozent (4772) waren Zugewinne durch Jungwähler, Zuzüge von Wahlberechtigten oder Eingebürgerten, die das Wahlalter erreicht hatten.223

222 Ebda. S. 92. 223 Ebda. S. 42ff.

16.

»Ich erhebe den Anspruch, dass wir früher oder später Regierungsverantwortung übernehmen.« Die Jahre 2009 bis 2012. Die Ruhe vor dem Sturm

Wenngleich die SPÖ bei der Landtagswahl 2009 ihre relative Mehrheit verteidigt hatte und Gabi Burgstaller Landeshauptfrau blieb, so hatten sich die politischen Gewichte innerhalb der Regierungskoalition verschoben. Die ÖVP hatte den Abstand zur SPÖ auf ein Mandat verkürzt und war aus den Gemeinderatswahlen als eindeutiger Sieger hervorgegangen. Hinter der nach wie vor zugkräftigen Landeshauptfrau Burgstaller verbarg sich eine zunehmend schwächelnde SPÖ, deren organisatorische und personelle Defizite bei den Gemeinderatswahlen erstmals deutlich sichtbar wurden. Die Bürgermeister/innen waren seit der 1994 erstmals durchgeführten Direktwahl die eigentlich starken Männer/Frauen, die sich auf ein mehr oder weniger umfangreiches plebiszitäres Mandat berufen konnten und – auch jene der SPÖ – gegenüber der Landesregierung durchaus selbstbewusst auftraten. In diesem wichtigen politischen Biotop dominierte die ÖVP, während die SPÖ zunehmend ein Schattendasein führte. Entsprechend selbstbewusst agierte die ÖVP unter Wilfried Haslauer jun. bei den Regierungsverhandlungen, bei denen von beiden Seiten die Option einer Koalition mit der FPÖ – die Grünen kamen mangels politischer Stärke dafür noch nicht infrage – als taktische Variante ins Spiel gebracht wurde. Doch dabei handelte es sich jedoch weitgehend nur um politische Taktik. Die Salzburger SPÖ hätte mit einem solchen Schritt politisches Glatteis betreten und ein – damals noch bestehendes – politisches Tabu gebrochen. Der Widerstand des Ballhausplatzes und der Löwelstraße wäre ihr gewiss gewesen und die veröffentlichte Meinung hätte sich in hämischen Kommentaren ergangen. Hinzu kam die Abneigung eines Großteils des eigenen Klientels gegen eine solche Option. Erheblich geringere Widerstände gegen eine Koalition mit der FPÖ gab es in der von der Koalition mit der SPÖ zunehmend frustrierten ÖVP, in der eine beträchtliche Zahl ihrer Funktionäre und Sympathisanten der Regierung Schüssel nachtrauerte. Die informellen Gespräche Wilfried Haslauers mit Karl Schnell scheiterten jedoch an dessen nach wie vor bestehender Abneigung gegen die ÖVP, die er für seine Entfernung aus der Landesregierung verantwortlich machte. Zudem regten sich in der ÖVP Zweifel, ob die FPÖ nach dem Ausscheiden zahlreicher Honoratioren und Wirtschaftstreibender überhaupt über die notwendigen Personalreserven verfügte, die für die Übernahme

Die Ruhe vor dem Sturm

533

von Regierungsfunktionen erforderlich waren. Andererseits erkannte Karl Schnell die eigentlichen Absichten der öffentlich geäußerten Koalitionsvariante und erklärte vor allem in Richtung ÖVP und Wilfried Haslauer jun.: »Ich glaube nicht daran, dass SPÖ und ÖVP überhaupt eine Koalition mit uns machen wollen. Grundsätzlich sind wir sicher zu Gesprächen bereit. Allein aus demokratiepolitischen Gründen halte ich nichts davon, mögliche Verhandlungen zu verweigern und von vornherein auszuschließen. … Wenn, dann müssten wir auch unsere Anliegen umsetzen können. Die Freiheitlichen sind sicher keine Lückenbüßer, die einspringen werden, nur weil jemand anders unbedingt Landeshauptmann werden will.«224 Die öffentlich bekundeten Möglichkeiten einer Koalition mit der FPÖ waren letztlich nichts anderes als politische Drohgebärden, um sich für die bevorstehenden Regierungsverhandlungen möglichst vorteilhaft in Stellung zu bringen. Bei diesen konnte eine sichtlich erstarkte ÖVP einen Punktesieg erringen, da das politisch einflussreiche Personalressort von ihr übernommen wurde, Landesrat Sepp Eisl neben der Landwirtschaft ein aufgewertetes Energieressort, Wilfried Haslauer jun. ein um den Straßen- und Hochbau ergänztes Infrastrukturressort und Doraja Eberle zusätzlich die Bereiche Senioren, Kindergarten und Asyl/Integration erhielt. Die Grünen spielten in den politischen Überlegungen mangels politischer Masse, d. h. Mandaten, keine Rolle. Allerdings begannen sich personelle Weichenstellungen abzuzeichnen. Am 3. März 2009 gab Cyriak Schwaighofer bekannt, er werde bei der nächsten Landtagswahl nicht mehr als Spitzenkandidat zur Verfügung stehen, sondern in die zweite Reihe zurücktreten. Ein Wechsel auf Landesebene sollte »rechtzeitig vor 2014« stattfinden. Er habe, so Schwaighofer, unmittelbar nach dem enttäuschenden Wahlergebnis auf Landesebene »in der ersten Enttäuschung überlegt  : was tu ich jetzt mit diesem Ergebnis  ? Aber es ist von Seiten des Vorstandes einhellig die Bitte gekommen, dass ich als Landessprecher und Fraktionsvorsitzender weitermachen soll. Und vor allem haben wir aus den vielen Gemeinden, wo wir kandidiert haben, die Rückmeldung erhalten  : bitte keinen Wechsel, der Wahlkampf ist gut gelaufen, es liegt nicht an den handelnden Personen in Salzburg.«225 Und auch Stadtrat Johann Padutsch erklärte, die Gemeinderatswahl 2009 sei sicher seine letzte Wahl gewesen.226 Die Situation der Grünen war tatsächlich irritierend. Während sie bei Landtagswahlen kaum reüssieren und nur in einer Legislaturperiode den Klubstatus erreichen konnten, agierte die im städtischen Milieu beheimatete Bürgerliste erheblich erfolgreicher und bildete einen Teil der Stadtregierung. Die Differenzen zwischen den Ergebnissen der Bürgerliste bei Gemeinderatswahlen in der Landeshauptstadt und 224 SN lokal 5.3.2009. S. 3. 225 http://sbgv1.orf.at/stories/346359. (Abgerufen am 12.1.2017.) 226 SN lokal 5.3.2009. S. 2.

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Die Jahre 2009 bis 2012

jenen der Grünen bei Landtagswahlen waren erheblich und nur die Ergebnisse in der Landeshauptstadt bei Landtagswahlen ermöglichten den Grünen den Einzug in den Salzburger Landtag. Auch die Ergebnisse der Grünen bei Nationalratswahlen 2006 und 2008 (12,5 bzw. 11,8 Prozent) lagen deutlich über jenen der Salzburger Landesorganisation bei den Landtagswahlen 2004 und 2009 (8,0 bzw. 7,4 Prozent). Die immer wieder vor allem von Cyriak Schwaighofer ins Treffen geführten mangelnden parlamentarischen Rechte der kleinsten Oppositionspartei taugten aufgrund der Geschäftsordnungsreform des Salzburger Landtages und mit Blick auf Oberösterreich nur sehr bedingt als Erklärung. Es galt, das programmatische Profil publikumswirksam zu schärfen, als Oppositionspartei kantiger und damit wahrnehmbarer zu werden und neue personelle Angebote zu offerieren. Die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für eine solche Strategie schienen durch die 2008 ausbrechende weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise mit ihren erheblichen Folgen und die damit einsetzende Kritik am Neoliberalismus inklusive der Renaissance ordnungspolitischer Vorstellungen der Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts günstig. Systemkritik, die Forderung nach einer neuen Wirtschaftsordnung und Umweltschutz bildeten das neue politische Vademecum der Linken, die nach Jahren der Defensive Licht am Ende des Tunnels des triumphierenden Kapitalismus, eine Renaissance der Dominanz des Staates wähnten. In dem Set alternativer ordnungspolitischer Angebote eröffneten sich für klassische grüne Themen wie Abschied vom Wachstumsfetischismus, Hinwendung zum ökologischen und nachhaltigen Wirtschaften ohne Dominanz der Gewinnmaximierung, Betonung der Humanressourcen, des sozialen Ausgleichs und der lenkenden Rolle des Staates Räume, in denen es zahlreiche Schnittmengen mit der Linken gab. Bereits bei der Konstituierenden Sitzung des Salzburger Landtages bemerkte Cyriak Schwaighofer unter Bezugnahme auf die Erklärung von Landeshauptfrau Gabi Burgstaller, dass die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise einen politischen Gezeitenwechsel eingeleitet habe, es handle sich dabei keineswegs um einen bloßen »Betriebsunfall«, sondern um ein Phänomen, das »das Ende eines Irrtums« auf dramatische Art und Weise aufzeige. »Wir sind in einer globalen Vertrauenskrise und wenn das so ist, dann ist es kein Betriebsunfall. Dann ist es etwas Anderes. Dann ist es offensichtlich etwas, was ich als einen Irrweg bezeichnen möchte. Wo wir allmählich zur Erkenntnis kommen, dass das System des ewigen Wachstumszwanges, des ewigen immer mehr Konsumierens zur Zerstörung unserer Lebensgrundlagen und jener der kommenden Generationen führt sowie zu immer mehr absurden Auswüchsen in der Finanz- und Wirtschaftswelt.« Hinzu trete als weitere Krise, die kein Zuwarten dulde, sondern sofortiges Handeln erfordere, die Klimafrage. »Ich nehme bewusst einen Bereich heraus, weil er der substanziell entscheidende für die nächsten Generationen ist. Alle anderen Fragen werden sich daran orientieren müssen, ob unser Planet für uns noch Überlebensfähigkeit bringt. (…) Das ist die Herausforde-

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rung, vor der wir stehen. Wir und auch wir hier in Salzburg müssen die meiste Arbeit in der Bewältigung dieser Krise leisten. Nicht jene in den Ländern der sogenannten Dritten Welt. Sondern wir hier, die industrialisierten Länder, wir müssen eine radikale, konsequente Politikänderung vornehmen.«227 Wenige Monate später kündigte Schwaighofer bei der Landesversammlung der Salzburger Grünen am 21. November 2009, bei der er mit 92 Prozent der Delegiertenstimmen nochmals in seiner Funktion bestätigt wurde, eine Neuorientierung der Partei an. Alternative Konzepte sollten in Zukunft »klarer und weniger kompromissorientiert kommuniziert« werden. »Wir haben immer gewusst, wie die Alternative aussehen soll. Aber wir haben nicht immer den Mut gehabt, diese Alternative auch klar zu formulieren« bemerkte er selbstkritisch nicht nur in Richtung der Salzburger, sondern auch der Bundespartei. Nunmehr sei man allerdings an einem Punkt angelangt, an dem es angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise notwendig sei, über Veränderungen nachzudenken und diese alternativen Konzepte auch offensiv zu formulieren. Es sei »höchst an der Zeit, endlich in anderen Kategorien zu denken« und sich vom »Fetisch Wachstum« zu verabschieden. »Wir sollten nicht immer nur auf das Sach- und Finanzkapital schauen, sondern auch das Human- und Sozialkapital in die Bewertungen wirtschaftlicher Eckdaten einarbeiten. Wenn es darum geht, eine humanere Welt zu schaffen, darf nicht Konkurrenz und Wettbewerb das oberste Prinzip sein. Der größtmögliche Egoismus führt nicht zum größtmöglichen Glück, das haben wir gerade erlebt und werden es wieder erleben, wenn sich nichts ändert.« Thematische Schwerpunkte könnten z. B. neue soziale Sicherungssysteme, alternative Währungssysteme oder eine Neubewertung der Arbeit bilden. »Warum nicht darüber nachdenken, ob es in Salzburg nicht eine demokratische Bank geben kann, die sich von unten entwickelt, nicht an den Spekulationen des Finanzmarktes beteiligt und damit ein Faktor für regionale, von der Wirtschaft zumindest teilweise unabhängige Stabilität ist  ?« In Salzburg dokumentiere sich dies in einer traditionellen Mustern verhafteten Politik, z. B. dass die Landesregierung nach wie vor in neue Liftverbindungen investiere, die nachweislich das Klima schädigten, anstatt den Sozialhilferichtsatz zu erhöhen und den Umstieg auf erneuerbare Energien zu forcieren.228 Die neuerliche Wahl Cyriak Schwaighofers zum Landessprecher, dessen waren sich alle Delegierten bewusst, leitete dessen letzte Funktionsperiode ein. Dabei deutete sich die Weichenstellung seiner Nachfolge bereits in der Person der Juristin der Landesumweltanwaltschaft, Sprecherin der geplagten Flughafenanrainer und Landtagsabgeordneten Astrid Rössler, die als Vorsitzende des Olympia-Untersuchungs227 Roland Floimair (Hg.)  : Wahlen 2009. Ergebnisse, Analysen, Auswirkungen. – Salzburg 2009. S. 77f. (Schriftenreihe des Landespressebüros. Serie »Salzburg Dokumentationen«, Nr. 120.) 228 APA0145 5 II 0392, 21. November 2009.

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ausschusses des Salzburger Landtages nicht nur mediale und öffentliche Aufmerksamkeit, sondern auch Anerkennung ernten sollte, an. Am 1. Oktober 2011 wurde die 52-Jährige von der Landesversammlung der Grünen zur neuen Landessprecherin gewählt. Er scheide »mit Dankbarkeit und nicht mit Frust oder Wut« erklärte Cyriak Schwaighofer gegenüber der APA. »Wir harmonieren heute intern so gut wie nie.« Das Erreichen des dritten Mandats im Salzburger Landtag sei ihm allerdings in seiner 12-jährigen Führungsfunktion verwehrt geblieben. »Das wird auch die Herausforderung für meine Nachfolgerin.« Dieser empfehle er darauf zu achten, »dass das Haus innen geordnet ist. Es nützt nichts, ein Mandat dazu zu gewinnen, und alle sind zerstritten. Da geht es um Lebensqualität, und die gibt es auch in der Politik.«229 Der ORF-Journalist Michael Mair verfasste eine dichte Beschreibung der grünen Landesversammlung, deren Bild sich in den letzten zwölf Jahren zwar gewandelt hatte, aber auch noch immer von traditionellen Klischees geprägt war. »Nein, Schafwollpullover strickt keiner mehr bei den Grünen, jedenfalls nicht bei der Landesversammlung. Als Cyriak Schwaighofer erstmals zum Landessprecher gewählt worden ist, vor zwölf Jahren, da hat man solche Szenen noch beobachten können. Schwaighofer ist Kompromisskandidat gewesen, als Flügelkämpfe und ein gnadenloser Führungsstreit die Bewegung fast zerrissen haben. Jetzt, im Herbst 2011, ist er froh, dass der Wechsel an der Spitze ohne Kampfgeräusche abgeht. Der Pongauer, respektierter Kulturmanager in einer Landgemeinde, hat die Partei nach innen befriedet – hat sich aber auch nach außen eher friedlich gegeben  : ›Ich kämpfe nicht in erster Linie gegen einen politischen Gegner, sondern für etwas‹ bekennt er in seiner Abschiedsrede – eine ehrenwerte Haltung, aber nicht die eines klassischen Oppositionspolitikers. Unten streckt einer entspannt die Beine, der auch diese Phase schon hinter sich hat. Johann Padutsch … regiert seit knapp zwei Jahrzehnten die Salzburger Stadtplanung. Padutsch ist Super-Realo. Politisch lebt er in aufrechter rot-grüner Partnerschaft mit dem SPÖ-Bürgermeister … Einzige Kandidatin für die Nachfolge ist Astrid Rössler. … Um die Macht der Bilder weiß sie … Bescheid. Zur Antrittsrede schiebt sie ein grünes Rad herein, mit Anhänger und Aufschrift ›Radeln macht glücklich‹. … Der Basis gibt sie … eine klare Ansage mit auf den Weg  : ›Wir wollen stärker werden und bei der nächsten Bergwertung viele Punkte holen‹ – auch wenn ›das heißt, Mahner zu bleiben‹. Natürlich. Nach der Mittagspause hat ein neues Vorstandsmitglied aus den Reihen der grünen Frauen beklagt, dass das Mittagessen im Parteitagshotel … ›zu wenig vegetarisch und zu fleischlastig war‹. ›Man muss die Spaßbremsen bremsen‹, hat daraufhin der Finanzreferent gefordert, ein praktizierender Realo, worauf eine frühere Landtagsabgeordnete prompt ankündigt  : ›Ich werde eine Spaßbremse bleiben  !‹ 229 APA0065 5 II 0467, 27. September 2011.

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›Sie wirken oft so rigid, haben Sie keine Laster  ?‹ fragt der TV-Interviewer später die neue Landessprecherin. ›Doch, Schokolade‹, erwiderte die amüsiert. Tatsächlich  : Frau Rössler hat gelacht und das vor der Kamera. Ein Durchbruch  ? Das Lockern von Spaßbremsen kann jedenfalls ein ernstes Stück Arbeit sein.«230 Die neue Landesprecherin betrachtete sich nicht nur als Lockerin der Spaßbremsen, als Repräsentantin eines neuen Images der Grünen, fern von vegetarischem Rigorismus, moralischer Überlegenheit und einem aus dem Betroffenheitskult resultierenden Gattungsbewusstsein, sondern als Realpolitikerin mit politischen Ambitionen Richtung Regierungsbeteiligung, wie aus einem APA-Interview hervorging. Unter ihrer Führung werden die Grünen mehr Aktionismus, mehr Präsenz in Politik und Gesellschaft und ein »etwas offensiveres Auftreten« mit mehr Selbstbewusstsein präsentieren. Das grüne Lebensmodell mit »Modernität, Pfiffigkeit, Humor, Kreativität und Jugend« sollte verstärkt sichtbar gemacht werden. Sie werde mit einem anderen Stil und einer anderen Präsenz als ihr Vorgänger auftreten und sich bemühen, dass die Grünen das Image der »Nein-Sager-Partei« loswerden. »Wir sind schon jetzt nicht nur durch Kritik aufgetreten, wurden aber immer auf dieses Segment reduziert.« Und  : »Dass wir wachsen und mehr Zuspruch erhalten, muss ein Ziel sein. Wir wollen aber auch mehr Einfluss, und ich erhebe Anspruch, dass wir früher oder später Regierungsverantwortung übernehmen.« Der von ihr erhobene Anspruch auf Regierungsbeteiligung leite sich davon ab, »dass wir extrem unzufrieden sind, wie SPÖ und ÖVP regieren. Ich würde mich gerne zwischen dieses lieblose Ehepaar drängen.« Dies erfordere allerdings einen deutlichen Zuwachs an Mandaten. Sie wisse, dass die Grünen bei den Umfragen jeweils sehr hohe Sympathiewerte erzielten, die sich jedoch in den Wahlergebnissen nicht niederschlügen. »Aus der Sympathie muss Begeisterung werden. Ja, die Grünen haben die richtigen Themen.«231

230 Mair  : Erdbeben in der Provinz. S. 96f. 231 APA0048 5 II 0385, 2. Oktober 2011.

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17.1 Ein politisches Erdbeben – Finanzskandal und Untersuchungsausschuss Der von Rössler erhobenen Regierungsanspruch trat bereits am 6. Dezember 2012 aus dem Stadium der politischen Rhetorik in jenes der realpolitischen Möglichkeit, als eine Erklärung von Landesfinanzreferent und Landeshauptmann-Stellvertreter David Brenner ein politisches Erdbeben der Sonderklasse auslöste. Die Leiterin des Budgetreferats, Monika Rathgeber, habe eigenmächtig äußerst risikoreiche Finanzgeschäfte im Namen des Landes betrieben und nach eigenen Angaben ein Minus von 340 Millionen Euro verursacht. Die Erklärung des Finanzreferenten sprach dem Wahlslogan der SPÖ im Landtagswahlkampf 2009 Hohn, in dem Landeshauptfrau Gabi Burgstaller und Landeshauptmann-Stellvertreter David Brenner gemeinsam Salzburgs Finanzen für stabil und transparent erklärt hatten. Sowohl der Bundesrechnungshof wie auch die Bundesfinanzierungsagentur hatten dem Land Salzburg zur Verminderung der Zinslast die Etablierung eines Schuldenmanagements empfohlen, um dieses Ziel z. B. durch Zinstauschgeschäfte zu erreichen. 2001 erfolgte eine Änderung des Bundesfinanzierungsgesetzes, die es den Ländern ermöglichte, Anleihen unmittelbar bei der Bundesfinanzierungsagentur aufzunehmen. Die Hereinnahme von fixverzinslichen Bundesanleihen in Form von Darlehen der Bundesfinanzierungsagentur bedeutete jedoch eine nicht akzeptable Belastung des Schuldenmanagements des Landes, da die Fixverzinsung 3 Prozent über den variablen Zinssätzen lag, auf denen das gesamte Schuldenportfolio des Landes beruhte. Die Aufnahme fixverzinslicher Darlehen erforderte den Abschluss von Zinsswaps, um in der Summe einen variablen Zinssatz zu erreichen. Der Abschluss von Zinsswaps, bei der Bundesfinanzierungsagentur bereits geübte Praxis, wurde daher nunmehr auch in Salzburg als notwendiges Instrument des Schuldenmanagements eingeführt. Monika Rathgeber, seit 1995 mit dem Schuldenmanagement des Landes beauftragt und später eine der Hauptfiguren des Finanzskandals, bemerkte in ihrer Darstellung der Vorgeschichte des Skandals  : »Für uns in Salzburg war das der Beginn mit derivaten Finanzinstrumenten. Mithilfe von Derivaten konnte man das Zinszahlungsprofil so ändern, wie es am idealsten in das Portfolio passte. Ohne ein Derivat (= Swap) waren die Konditionen der Bundesfinanzierungsagentur für das Land Salzburg zu teuer und unattraktiv. Nur in Kombination mit einem Zins- und

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gegebenenfalls zusätzlich mit einem Währungsswap konnte für uns eine attraktive Zinsgestaltung erreicht werden. Auch regte der Rechnungshof in seinen Prüfungen zu dieser Zeit die Verschuldung in fremden Währungen an, um damit Zinskostenvorteile für die öffentliche Hand zu erreichen …«232 Der Salzburger Finanzlandesreferent und Landeshauptmann-Stellvertreter Wolfgang Eisl (ÖVP) kam 2001 dieser Empfehlung nach und erteilte dem Budgetreferat und damit dessen Leiterin Monika Rathgeber eine Vollmacht zum Abschluss einer Vielzahl von Wertpapier- und Derivatengeschäften, darunter auch Optionsgeschäfte, Finanz-Swaps, Foward Rate Agreements, Zinsbegrenzungsgeschäfte und flexible Devisentermingeschäfte.233 2003 erfolgte eine Erweiterung dieser Vollmacht auf den Abschluss sonstiger strukturierter Derivate einschließlich exotischer Zinsderivate. Zu diesem Zeitpunkt hatte das erste Zinstausch-Geschäft auf Euro-Yen Basis nach zweijähriger Laufzeit einen Gewinn von 140 Millionen Euro gebracht. Bei ihrer Einvernahme vor der Korruptionsstaatsanwaltschaft am 17. Jänner 2013 erklärte Monika Rathgeber, man habe sich über diesen Ertrag gefreut, wollte ihn jedoch nicht konservativ verwenden. »Hätten wir das Geld sofort in den Haushalt gegeben, wäre es weg gewesen und es hätte … keinerlei Puffer für Verluste gegeben.« Ein Sparbuch sei auch nicht infrage gekommen, »weil da die Kapitalertragssteuer angefallen wäre und das Sparbuch für jedermann ersichtlich gewesen wäre.« Als Alternative schlug Landesrat Wolfgang Eisl die Gründung eines »Versorgungs- und Unterstützungsfonds« (VUF) vor, der mit Mitteln aus dem Verkauf der Salzburger Hypo gespeist werden sollte, als Fonds KESt-befreit war und offiziell zur Absicherung der Beamtenpensionen und Finanzierung von Wohlfahrtsleistungen dienen sollte. Tatsächlich seien jedoch nie »irgendwelche Zahlungen an Pensionisten geleistet« worden, erklärte Rathgeber. Dessen einzige Aufgabe habe darin bestanden, »entsprechende Zinserträge zu lukrieren«.234 Mit dieser Konstruktion, die intern als »Reserveswap« bezeichnet wurde und als millionenschwere Spielkasse für die folgenden Spekulatio-

232 Monika Rathgeber  : Am System zerbrochen. Der Salzburger Finanzskandal  : eine Frau zwischen Politik und Verantwortung. – Ranshofen 2013. S. 37f. 233 Die Darstellung der Vorgeschichte folgt der von Richter Anton Wagner erstellten Zusammenfassung der Ergebnisse des Untersuchungsausschusses des Salzburger Landtages. Vgl. Parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Salzburger Landtages. Untersuchungsgegenstand  : »Finanzmanagement des Landes Salzburg seit 2001. Zusammenfassung« sowie Pressemeldungen. 234 Salzburger Fenster 27.2.2013. S. 3  ; SN lokal 22.2.2013. S. 4. Nach Bekanntwerden des Finanzskandals schickte die Linzer Anwaltskanzlei Haslinger Hagele am 25. Februar 2013 im Namen des Landes Salzburg eine Selbstanzeige an das Finanzamt Salzburg, da der VUF keine KESt abgeliefert hatte und die KESt-Befreiung nicht als gesichert angesehen werden konnte, da es Hinweise gebe, dass die tatsächliche Gestion des Fonds von den Bedingungen abwich, die für eine KESt-Befreiung erforderlich waren, d. h. das Geld könnte nicht für Pensionen, sondern für Spekulationsgeschäfte verwendet worden sein. Die drohende Steuernachzahlung für das Land wurde mit 31 Millionen Euro beziffert.

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nen diente, sowie der nicht genau definierten und eingeschränkten Vollmachtserteilung entstand ein sich der Kontrolle entziehender Graubereich, der die selbständige Eröffnung und Schließung von Konten ohne Wissen der Landesbuchhaltung ermögliche, wie deren Leiter und Direktor des Landesrechnungshofes Manfred Müller in einem zusammenfassenden Papier Anfang Februar 2013 festhielt. So hieß es in einem E-Mail an Monika Rathgeber im August 2005  : »Öffentliche Mittel sind grundsätzlich für die Erfüllung gesetzmäßiger Aufgaben der Gebietskörperschaft, budgetgebunden und nach dem Gebot der Sparsamkeit zu verwenden. Optionen durch Gebietskörperschaften haben keine gesetzliche Grundlage … Optionen können von vornherein nicht sparsam sein. Daher fordere ich als zuständiger Prüfer im Bereich des Liquiditätsmanagements, die Optionen künftig zu unterlassen.« Monika Rathgeber antwortete  : »Schulden und Portfoliomanagement ist Aufgabe der Abteilung 8 (Finanzabteilung, Anm. d. Verf.). Entscheidungen durch die Abteilung 8 in jedem Einzelfall, Verantwortung ausschließlich durch die Abteilung.« Die Anmerkung, dass die alleinige Tätigkeit der Abteilung 8 »in diesem Bereich dem Gebot der Sparsamkeit widerspreche, ist nicht nur falsch, sondern schlichtweg absurd.« Bereits vor diesem Mail-Verkehr hatte Müller 2003 in seinen beiden Funktionen ein Gespräch mit Landesrat Wolfgang Eisl geführt, in dem ihm seitens des Finanzlandesrates mitgeteilt wurde, dass sich die Abteilung 14 (Buchhaltung) aus der inhaltlichen Prüfung dieser Geschäfte heraushalten solle. »Die Landesbuchhaltung habe sich auf den Zahlungsvollzug und die damit zusammenhängenden Aufgaben zu beschränken. Das Finanzgeschäft sei ausschließlich Angelegenheit der Finanzabteilung.« Auch Eisls Nachfolger Othmar Raus erklärte ihm in einem Gespräch im Jahr 2004, aus »Ertragsgründen« sei eine »Weiterführung dieser Finanzgeschäfte« wünschenswert. Auch nach seiner Ansicht gehöre »eine Risikoabwägung ausdrücklich nicht zu den Aufgaben der Landesbuchhaltung«235. 2006 erfolgte aufgrund einer politischen Entscheidung die Eingliederung der Buchhaltung als Referat in die Finanzabteilung, wodurch die zuvor noch geforderte Prüfung von Finanzgeschäften der Finanzabteilung obsolet wurde. In den folgenden Jahren schienen rund 300 eröffnete Bankkonten im Rechnungswesen des Landes nicht auf und erreichten z. B. im Jahr 2012 rund 120 Fremdwährungskonten Gesamtumsätze von rund 9,5 Milliarden Euro. Da auf ausdrücklichen politischen Wunsch die Prüfung der Gebarung und des Rechnungswesens von der Internen Revision ausgenommen war, fehlte diesem großen Portfolio eine notwendige und effiziente interne Kontrolle. 2005 erfolgte unter Eisls Nachfolger Othmar Raus eine wesentliche Änderung, indem die Vorgabe dahingehend geändert wurde, mit dem Schuldenmanagement nicht nur die Kreditkosten zu senken, sondern auch Geld für den Landeshaushalt zu verdienen. Dies konnte nur mit mehr oder weni235 SN lokal 8.2.2013. S. 2.

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ger riskanten Finanzgeschäften erfolgen, wenngleich das Haushaltsgesetz des Jahres 2006 festhielt, dass diese Geschäfte nur dann getätigt werden durften, wenn ein wirtschaftlicher Vorteil für das Land zu erwarten war. Im Herbst dieses Jahres wurde zum Haushaltsgesetz 2007 erklärend festgestellt, dass einmalige Zinserlöse zur Absicherung zukünftiger Verpflichtungen verwendet werden dürfen. Eventuelle Verluste sollten damit nicht aus dem Landeshaushalt, sondern den angesparten Reserven abgedeckt werden. Dies schloss die aktive Verwaltung der Finanzverwaltung des 2006 errichteten Wohnbaufonds ein. Diese Strategie schien zunächst erfolgreich, da das Schuldenmanagement bis zum Beginn der Finanzkrise rund 500 Millionen Euro Gewinn lukrierte. Diese Gewinne flossen jedoch aufgrund politischer Entscheidungen nicht in die Schuldentilgung des Landes, sondern – allerdings nur zu einem kleineren Teil – in das Landesbudget. So befanden sich erstmals im Landesvoranschlag 2006 zwei Positionen – im allgemeinen Haushalt unter dem Titel »Derivate« in dem Kapitel »Wohnbaufonds« –, in denen die erwarteten Erträge aus dem Schuldenmanagement aufschienen. Die Erwartungen an beide Positionen zusammen lagen zwischen 2006 und 2009 bei jeweils 17 Millionen Euro, 2010 und 2011 bei jeweils 16 Millionen Euro.236 Der Großteil der Gewinne wurde in einem Haushalts- oder Reserveswap geparkt, um das umfangreiche Portfolio gegen Wertverluste abzusichern und Mittel für weitere Derivatgeschäfte zur Verfügung zu haben. Die bis zum Beginn der Finanzkrise 2008 erwirtschafteten Gewinne basierten jedoch auf einer hoch spekulativen Basis, die vom Risikostandpunkt eigentlich nicht zu rechtfertigen war. Eine Prüfung durch den Wiener Derivate-Experten Sascha Stadnikov kam im Jänner 2013 nach einer Analyse des Salzburger Portfolios zu dem Ergebnis, dass für die jährlich im Budget veranschlagten 15 bis 16 Millionen Euro ein Volumen von 6,9 Milliarden Euro aufgemacht wurde. Für jeden Euro Gewinn wurden somit 450 Euro Risiko in Kauf genommen.237 Im Untersuchungsausschuss präsentierte dessen Vorsitzende Astrid Rössler ein Anlegerprofil, das Monika Rathgeber und ihr Mitarbeiter im Jahr 2008 bei der Oberbank für das Land unterschrieben. In diesem war die höchste Risikostufe – bis zum Totalausfall des Kapitals – angekreuzt. »Das Land hat sich entschieden, mit komplexen Papieren höchstes Risiko einzugehen – und gleichzeitig die Kontrolle ausgeschaltet«, resümierte Rössler.238 Zwar erfolgte 2007 zur Kontrolle die Installierung eines mit zwei externen Mitgliedern besetzten Finanzbeirates unter Vorsitz des Leiters der Finanzabteilung, der außerdem Geschäften ab einer Höhe von 20 Millionen Euro seine Billigung geben musste, wobei jedoch einschränkend festgelegt wurde, dass sich die Tätigkeit des Finanzbeirates ausschließlich auf eine 236 SN lokal 11.1.2013. S. 2. 237 Salzburger Fenster 23.1.2013. S. 3. 238 Die Presse 21.2.2013. S. 8.

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Beratung und nicht eine Kontrolle der Finanzgebarung erstreckte. Trotz der hohen Volumina und der hohen Zahl der Finanzgeschäfte war der Leiter der Finanzabteilung weder in deren Abschluss einbezogen noch gab es von diesem, wie in den Richtlinien für das Finanzmanagement des Landes 2007 festgehalten, eine durchgehende Vidierung und Bewilligung von Finanzgeschäften ab einem Nominalbetrag von 20 Millionen Euro. Die Auswirkungen der Finanzkrise auf das Land Salzburg bzw. dessen Budget bildeten 2008 und 2012 den Gegenstand von Anfragen der Grünen an Finanzreferent David Brenner. Obwohl 2008 durch die Finanzkrise Verluste von 88 Millionen Euro realisiert wurden (zwischen 208 und 2012 summierten sich die Verluste auf 400 Millionen Euro) und bis Ende 2012 das Nominale der Zins-Swaps, das als Berechnungsgrundlage für die Zinszahlungen dient, bereits einen Umfang von rund 3,8 Milliarden Euro erreicht hatte, erhielten sie nur beruhigende und unrichtige Antworten. In der Beantwortung ihrer Anfrage vom Dezember 2008 hieß es, das Land nehme beim Schuldenmanagement darauf Bedacht, »die Risiken klar zu definieren, sodass keine Belastungen des Landeshaushalts drohen können«.239 Vor allem die Beantwortung der Anfrage der Grünen am 31. Oktober 2012 erregte nach Bekanntwerden des Finanzskandals deren Ärger, da Brenner am 16. November in seiner Stellungnahme erklärt hatte, es sei alles bestens und das Land beteilige sich nicht an Spekulationsgeschäften. Er verschwieg dabei, dass am 15. Oktober bekannt geworden war, dass Monika Rathgeber 253 Derivatgeschäfte abgeschlossen hatte, die der Portfolio-Rechenstelle der Deutschen Bank nicht gemeldet worden waren, und der Finanzreferent zusammen mit dem Leiter der Finanzabteilung, Eduard Paulus, beschlossen hatte, in einer übereilten Aktion ohne entsprechenden fundierten Statusbericht und ohne eine auf diesem basierende Abbaustrategie die meisten Fremdwährungsgeschäfte nach Möglichkeit bis Ende November aufzulösen und ein richtlinienkonformes Portfolio zu erstellen. Nach Bekanntwerden dieser Widersprüche im Jänner 2013 erklärte Astrid Rössler empört  : »Je mehr Dokumente über Spekulationen wir zu sehen bekommen, desto klarer ist die Verkettung von Sauereien, die passiert sind. Leider kann ich nicht wirklich sagen, was ich darüber denke – das wäre nicht mehr druckreif.«240 In ihrer Darstellung der Dramatik der Ereignisse des Frühjahrs 2012 erklärte Rathgeber, dass der Stabilitätspakt zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, der u. a. die bindende Erzielung eines ausgeglichenen Maastricht-Ergebnisses festschrieb, das Land vor neue Herausforderungen gestellt habe. Dies bedeutete die Begrenzung der Ausgaben, um einen strukturell ausgeglichenen Haushalt zu erreichen, Haftungsobergrenzen und Reduzierung des Schuldenstandes. Gleichzeitig sei der Leiter der Finanzabteilung, Eduard Paulus, von der Linzer Swap-Affäre, wo es auf239 SN lokal 5.1.2013. S. 2. 240 Kronen Zeitung 13.1.2013. S. 18f.

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grund von bei Swaps eingegangenen unbegrenzten Risiken und den daraus entstandenen erheblichen Verlusten zu einer Auseinandersetzung zwischen der Stadt und der BAWAG kam, tief beunruhigt gewesen. Für Paulus war daher auch in Salzburg äußerste Vorsicht beim Schuldenmanagement geboten, weshalb er Entscheidungen auf die Empfehlungen der externen Mitglieder des Finanzbeirates abwälzen wollte. Monika Rathgeber sah diese Entwicklung aus rechtlichen und fachlichen Gründen – die Mitglieder konnten nur unverbindliche Empfehlungen abgeben und ihnen fehlte nach der Meinung Rathgebers sowohl »eine Konzession und auch das nötige KnowHow …, um direkte Produktentscheidungen vornehmen zu können«241 – als problematisch und letztlich fatal, weil dies gegen ihren Rat zu Entscheidungen geführt habe, die mit Millionenverlusten für das Land verbunden gewesen seien.242 Und Finanzlandesrat David Brenner sei nach wie vor davon ausgegangen, dass weitere Einsparungen für die Jahre 2013 und 2014 nicht notwendig seien, da die Vorgaben ohnedies erreicht würden. Dies habe jedoch einer Realitätsverweigerung entsprochen. Rathgeber habe darauf hingewiesen, dass die Nettoverschuldung ab dem Jahr 2014 drastisch reduziert und dafür nunmehr die Richtlinienvorgaben erarbeitet werden müssten. Als Anfang Juli die Landesregierung die endgültigen Budgetrichtlinien für die Jahre 2013 und 2014 festlegte, sei man »weit davon entfernt« gewesen, »die geforderten Zielvorgaben des Stabilitätspaktes einzuhalten. Dafür brauchte das Land zu viel Geld für zu viele Aufgaben.«243 In dieser Situation sei sie angesichts des Umstandes, dass durch die gegen ihren Willen veranlasste Kündigung von Zinsswaps die Zinsenkosten des Landes gestiegen seien, zur Verringerung des Zinsendienstes zum Abschluss neuer Swaps (Range-Accrual Swaps) gezwungen gewesen. Ein Vorgang, der jedoch von Eduard Paulus als »unerlaubtes Geschäft« qualifiziert und sistiert wurde. Finanzlandesrat David Brenner teilte ihr mit, dass ihr die Vollmachten für das Finanzmanagement Banken gegenüber entzogen worden sei, da sie die Empfehlungen des Finanzbeirates nicht befolgt habe. Sie sei daraufhin bis 17. September auf Urlaub geschickt worden. Nach ihrem Urlaub sei sie entschlossen gewesen, Landeshauptfrau Gabi Burgstaller über die Entwicklung zu informieren und dass man sie offensichtlich für von ihr nicht verursachte Verluste verantwortlich machen wolle.244 Auch gegenüber Finanzreferent David Brenner habe sie ihre Darstellung 241 Rathgeber  : Am System zerbrochen. S. 70. 242 Ebda. S. 76ff. 243 Ebda. S. 93. 244 »Seit Juli wurden viele Geschäfte ohne Rücksicht auf die Preise und den Markt aufgelöst. Ich verstand nicht, weshalb man bei einzelnen Geschäften keine besseren Preise abwartete und auf Millionenbeträge zu Lasten des Landes verzichtete. Mit mir sprach man darüber überhaupt nicht mehr. … Ich sah nur die Ergebnisse. In einem Fall begnügte man sich etwa anstatt mit Zahlungseingängen von 15 Millionen Euro zu Gunsten des Landes über den Zeitraum von acht Jahren mit einem Einmalerlös von 3 Millionen Euro. In anderen Fällen passierte das genauso. … Ich machte mir Sorgen. Wenn man

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und Warnungen widerholt, jedoch zur Antwort erhalten, dass die Empfehlungen des Finanzbeirates unbedingt zu befolgen seien, unabhängig von den finanziellen Folgen. In Abstimmung mit dem Leiter der Finanzabteilung würden ihr die Aufgaben des Finanzmanagements entzogen und die Agenden des Budgetreferats neu geordnet werden. Dabei sei ihr klar geworden, dass man sie für Verluste verantwortlich machen wollte, für die andere die Verantwortung trugen. Wenig später schilderte sie Landeshauptfrau Gabi Burgstaller die Entwicklung aus ihrer Sicht und wies, ebenso wie in einem E-Mail an Eduard Paulus, darauf hin, dass dem Land durch den Wechsel der Finanzierungsstrategie bereits Kosten in der Höhe von 260 Millionen Euro entstanden seien. Eine Zahl, die Eduard Paulus in seinem Antwort E-Mail als »völlig abstruse und nicht nachvollziehbare Zahlenspielereien« bezeichnete.245 Anfang Oktober wurde der Wertpapierhändler der Deutschen Bank, Harald Kutschera, ohne Rücksicht auf die dabei entstehende schiefe Optik einer Unvereinbarkeit, mit dem Finanzmanagement betraut und meldete kurze Zeit später an den Leiter der Finanzabteilung, Eduard Paulus, sowie Finanzreferent David Brenner, dass neben dem offiziellen Portfolio des Landes 253 Derivate existierten, die der Portfolio-Rechenstelle der Deutschen Bank nicht gemeldet worden seien. Monika Rathgeber bestritt dies auch nicht, vertrat jedoch die Auffassung, dass eine solche Meldung an die Portfolio-Rechenstelle der Deutschen Bank nicht notwendig geweauf diese Weise weiter vorginge, würden am Ende nur noch Verluste eingefahren werden. So wie das Land nun mit den einzelnen Positionen umging, schien es, als wäre es gleichgültig, zu welchem Preis die vorzeitigen Schließungen durchgeführt wurden. Ich konnte nur tatenlos zusehen. Das beklemmende Gefühl, dass sie am Ende mich für einen etwaigen Verlust verantwortlich machen würden, nahm zusehends Gestalt an.« (Ebda. S. 137.) Am 24. September hielt sie in einem E-Mail an Eduard Paulus die ihrer Meinung nach aus den bisherigen Empfehlungen des Finanzbeirates folgenden finanziellen Konsequenzen fest. »Detailliert führte ich aus, wie sich die Empfehlungen des Finanzbeirates im Zusammenhang mit Fixzinszahlerswaps, den Fixzinsverpflichtungen bei den Finanzierungen, den neuen Handelsempfehlungen seit Mai 2012 sowie den nicht durchgeführten Empfehlungen bei den Reserveswaps ausgewirkt hätten. Ich berichtete, dass dabei die umzusetzenden Empfehlungen des Finanzbeirates den Richtlinien des Landes widersprächen, die die Aufnahme von Finanzierungen in variabler Form vorsahen und konkrete Handlungsempfehlungen des Finanzbeirates nicht vorgesehen sind. Insgesamt handelte es sich dabei um zusätzliche Kosten von 260 Millionen Euro. Ich berichtete auch, dass die finanziellen Folgen dieser Empfehlungen nicht unerwartet kämen, sondern fix vorprogrammiert und seit Juli bereits bekannt waren. Ich wies auch darauf hin, dass meine kritischen Anmerkungen im Nachhinein auf den Wunsch des Finanzbeirates und auf Weisung des Abteilungsleiters hin aus den Protokollen des Finanzbeirates eliminiert worden waren … Ich hielt noch einmal fest, dass ich mich geweigert hätte, diese Weisungen nachzuvollziehen, von denen alle Beteiligten von mir mehrfach in Kenntnis gesetzt wurden, dass sie zu einer Schädigung der Landesfinanzen beitragen würden. Ich wolle keine Täter- und Mittäterschaft übernehmen müssen an der systematischen Geldvernichtungsaktion, die im großen Stil seit Beginn meines Zwangsurlaubes erfolgt war.« (Ebda. S. 142f.) 245 Zit. ebda. S. 143.

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sen sei, da diese Derivate nicht das Portfolio des Landes betrafen, sondern es sich um Absicherungsgeschäfte für den Wohnbauförderungsfonds und den Versorgungs- und Unterstützungsfonds gehandelt habe. Sowohl Eduard Paulus wie der Finanzbeirat seien über diese Derivate voll informiert gewesen. Im Untersuchungsausschuss erklärte dessen Vorsitzende Astrid Rössler, dass die von Brenner und Paulus vertretenen »Einzeltätertheorie« wohl nicht zu halten sei, da Rathgeber die Spekulationen sowie die Errichtung des sog. Schattenportfolios »mit Wissen der ganzen Finanzabteilung« getätigt habe. »Es gab nicht ein Schattenportfolio, sondern geradezu einen Schattenhaushalt der Landesregierung. Dass in der Finanzabteilung kräftig spekuliert wurde, war dort allgemein bekannt. Vor allem war es politisch gewollt.«246 Indirekt bestätigte dies auch David Brenner bei seiner Befragung vor dem Untersuchungsausschuss. Auf die Frage, warum er nicht bereits vor Jahren diese Form der Finanzgeschäfte abgestellt habe, erklärte er, die Zinserträge seien stets »gern genommen« worden. »Das war ein System, das nicht nur politisch erwünscht, sondern rechtlich vorgesehen war.«247 Finanzreferent David Brenner ordnete in einer Panikreaktion (Fire-Sale) die sofortige Schließung der Derivate an. Ebenso sollten alle Fremdwährungskredite, die im offiziellen Portfolio des Landes enthalten waren, geschlossen werden. Die Auflösung erfolgte im Oktober und November weitgehend unprofessionell, wie der Gutachter Meinhard Lukas in seiner Stellungnahme gegenüber dem Untersuchungsausschuss feststellen sollte. Die von David Brenner und Eduard Paulus im Dezember aufgestellte Behauptung, die Auflösung der Derivate sei »ohne Verluste« erfolgt, sei nicht nachvollziehbar, da sie tatsächlich unter Einbeziehung der Kapitalzuschüsse des Landes einen erheblichen Verlust in der Höhe von 255 Millionen Euro verursacht hätten. Berücksichtige man diese nicht, hätte es noch immer einen Verlust von 50 Millionen Euro gegeben. Offenbar habe das Land bei der Auflösung der 253 Derivate, die sich in einem Schattenportfolio befanden, in Panik gehandelt und jede kaufmännische Sorgfalt außer Acht gelassen, nur um diese so rasch als möglich abzustoßen. Bei der Auflösung der Derivate habe es keinerlei eigene Bewertungen, keine rechtliche Expertise und keine Ausstiegsstrategie gegeben. Dies sei dem Land teuer zu stehen gekommen. Auch der Rechnungshof ging in seinem Rohbericht von einem negativen Saldo von 49 Millionen Euro aus.248 Lukas bestätigte mit seiner Analyse die Darstellung Rathgebers, die von einem unprofessionellen Handeln sprach.249 246 SN lokal 22.2.2013. S. 5. 247 SN lokal 6.3.2013. S. 2. 248 Die Presse 4.4.2013. S. 10. 249 Rathgeber  : Am System zerbrochen. S. 153f.: »Meine Kollegen fanden es nicht einmal der Mühe wert, darauf zu achten, um welche Art von Geschäften es sich handelte, die sie da im Begriff waren aufzulösen, ob es sich um Reserven, Absicherungen oder Optimierungen handelte. Es wurde auch nicht darauf geachtet, ob es sich dabei um Veranlagungen handelte, bei denen ein Kapitaleinsatz erfolgt

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Nachdem Monika Rathgeber als nach wie vor für das Landesbudget verantwortliche Beamtin die im Entwurf für das Doppelbudget 2013/14 eingestellten Erträge aus dem Finanzmanagement wegen der weitgehend nicht mehr vorhandenen Derivatengeschäfte auf Null gestellt hatte, kam es am 26. November zu einem Budgetgespräch im Büro von Finanzreferent David Brenner, an dem auch Eduard Paulus, Harald Kutschera, Christian Mittermeier, die persönlichen Referenten Brenners und dessen Pressesprecher teilnahmen. Bei diesem Gespräch kam es zu einer heftigen Kontroverse zwischen der von Paulus und Kutschera präsentierten positiven Performance der Auflösungen der Risikogeschäfte im Oktober und November sowie der Gegendarstellung Rathgebers, die darauf hinwies, dass, entgegen einem von Paulus und Kutschera behaupteten positivem Saldo von 40 bis 50 Millionen Euro, mit einem erheblichen Verlust zu rechnen sei. Als ein sichtlich verunsicherter David Brenner anschließend an Rathgeber die Frage richtete, mit welchem Verlust im Fall eines vollständigen Ausstiegs zu rechnen sei, nannte diese eine Summe von 340 Millionen Euro. Bei einem solchen Szenario, dessen war sich Brenner bewusst, war das Ende seiner politischen Karriere besiegelt und auch der Leiter der Finanzabteilung hatte erhebliche Folgen zu befürchten. So weit die Darstellung Rathgebers, die sich als Opfer der handelnden Personen, die einen Sündenbock suchten, um von ihrer eigenen Schuld abzulenken, sah und sieht.250 Zurück zu den gesicherten Fakten. Um nach außen business as usual zu demonstrieren, nahm Monika Rathgeber auf Weisung Brenners zwei Tage nach dem Gespräch an dessen Seite an den Beratungen über das Budget im Budgetausschuss des Landtages als Expertin teil, bei denen der Finanzreferent den Landtag nicht über die tatsächliche finanzielle Lage des Landeshaushalts informierte. Diesen Schritt setzte er am 3. Dezember, als er Landeshauptfrau Gabi Burgstaller über die eingetretenen Malversationen unterrichtete und am 6. Dezember auch den Koalitionspartner ÖVP sowie die Oppositionsparteien und die Öffentlichkeit in einer Pressekonferenz informierte. Diese von Brenner und Paulus auf der Pressekonferenz präsentierte Version wich erheblich jener von Rathgeber ab  : diese habe mit nicht genehmigten hoch riskanten Spekulationsgeschäften dem Land einen drohenden Verlust von 340 Millionen Euro verursacht, weshalb Strafanzeige gegen sie erstattet worden sei, lautete die offizielle Version. war, auch auf unterschiedliche Rechtspersönlichkeiten, Rechnungskreise und getrennte Vermögensmassen wurde keine Rücksicht genommen. Ich hatte den Eindruck, dass alle Geschäfte undifferenziert aufgelöst wurden …« 250 Obwohl Finanzreferent David Brenner sehr wohl über die Finanzgeschäfte informiert war, wies er vor dem Untersuchungsausschuss am 5. März 2013 jedes Detailwissen von sich, wobei er häufig Sätze wie »Das war mir nicht bewusst«, »darum konnte ich mich als ressortführender Politiker nicht kümmern«, »ich war strategisch verantwortlich, nicht operativ« oder »Ich bin nicht die Finanzabteilung« verwendete. (SN lokal 6.3.2013. S. 2.)

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Salzburg hatte kurz vor Weihnachten 2012 einen politischen Mega-Skandal. Landeshauptmann-Stellvertreter Wilfried Haslauer jun. reagierte auf diese Nachricht am 10. Dezember mit der Einberufung des ÖVP-Parteivorstandes, in dem er den Antrag auf Neuwahlen stellte und die Zustimmung erhielt. Landeshauptfrau Gabi Burgstaller stellte sich am 6. Dezember demonstrativ hinter David Brenner und erklärte  : »David Brenner hat genauso gehandelt, wie man es von einem Finanzreferenten in so einer Situation erwarten muss. Er hat, sobald genügend Indizien vorgelegen sind, die Prüfungen eingeleitet, externe Experten beigezogen, den Rechnungshof eingeschaltet, die Landesregierung und alle Landtagsparteien informiert und Anzeige bei der Staatsanwaltschaft eingebracht.« Und Brenner verteidigte sich mit dem Hinweis, dass die Informationen Rathgebers bei dem Gespräch am 26. November in vielen Bereichen noch unbestätigt und widersprüchlich gewesen seien. »Deshalb wäre es unverantwortlich gewesen, zu diesem Zeitpunkt an die Öffentlichkeit zu gehen.« Zu einem völlig anderen Ergebnis kam allerdings Richter Herbert Moritz in seiner Urteilsbegründung bei der Ablehnung der Klage von Monika Rathgeber vor dem Arbeitsgericht gegen ihre fristlose Entlassung Anfang April 2013. David Brenner als politisch Verantwortlichem sei »ein deutlich nachlässiges Verhalten vorzuwerfen. … Nach Ansicht des Senats liegt ein sehr ungeschicktes, ja fahrlässiges Krisenmanagement vor.«251 Die SPÖ entwickelte eine Vorwärtsstrategie, indem Burgstaller erklärte, der Finanzreferent und sie würden sich an die Spitze der nun mit aller Kraft erfolgenden Aufklärungsbemühungen stellen. Doch diese Strategie verfing nicht. Der politische und mediale Druck auf Brenner stieg. ÖVP und Grüne forderten den Rücktritt Brenners. So erklärte Astrid Rössler, man hebe »eine heile Welt vorgespielt«, dies sei ein »unglaublicher« Vorgang. ÖVP-Landtagspräsident Simon Illmer ließ seiner Verärgerung über die Nicht-Information des Landtages bei der Sitzung des Budgetausschusses freien Lauf und ÖVP-Klubobfrau Gerlinde Rogatsch kündigte den Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses an.252 Der Druck auf Brenner wurde so groß, dass er am 14. Dezember seinen Rücktritt mit 23. Jänner 2013 erklärte. Bis dahin werde er sich um eine weitgehende Aufklärung des Skandals kümmern. Die Dramatik und Dynamik der Entwicklung führte gegen Jahresende 2012 zu drei unterschiedlichen, jedoch letztlich miteinander verwobenen Konfliktebenen  : 1. Die von der ÖVP beantragte Einsetzung eines Untersuchungsausschusses des Salzburger Landtages musste zu unterschiedlichen Bewertungen der Ereignisse führen. 2. Landeshauptfrau Gabi Burgstaller blieb bei ihrer Vorwärtsstrategie, indem sie sich 251 Kronen Zeitung 7.4.2013. S. 16. 252 http://derstandard.at/13532085045558/Finanzskandal-Anonyme-Beamtenschaft-brachte-Anzeigeein  ; http://www.salzburg.com/nachrichten/salzburg/politik/sn/artikel/finanzskandal-in-salzburg-bren ner-im-schussfeld-der-kritik. (Abgerufen am 17.1.2017.)

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auch nach dem Rücktritt Brenners als um eine restlose Aufklärung und um Vermeidungsstrategien für die Zukunft bemühte Regierungschefin inszenierte. Dabei spekulierte sie mit der in breiten Kreisen der Salzburger Bevölkerung keineswegs vorhandenen Begeisterung für die von der ÖVP beantragten Neuwahlen. ÖVP-Landesparteiobmann und Landeshauptmann-Stellvertreter Wilfried Haslauer jun. warf sie Anfang 2013 vor, ihm gehe es nicht um eine sachliche und objektive Aufklärung des Finanzskandals, sondern nur darum, Landeshauptmann zu werden. Die ÖVP habe eben ihre Wahlniederlage des Jahres 2004 noch immer nicht verkraftet und ergreife nun jede Gelegenheit, um dieses Ergebnis zu revidieren.253 3. Obwohl sie beschlossen hatte, noch vor der nächsten Landtagswahl von ihrer Funktion zugunsten von David Brenner zurückzutreten, musste sie nunmehr, da ihr der »Thronfolger« abhanden gekommen war, nochmals in den Wahlkampf ziehen, bei dem sie vor allem mit zwei Punkten spekulierte  : ihrer nach wie vor großen Beliebtheit und dem Hinweis, dass auch die ÖVP schließlich in der Regierung gesessen sei und über die Vorgänge informiert gewesen sein müsse. Durch die Konstruktion einer Mitverantwortung der ÖVP, die keineswegs populären vorgezogenen Neuwahlen und ihre nach wie vor relativ hohen Beliebtheitswerte hoffte sie, die bevorstehende Landtagswahl nochmals als Siegerin beenden zu können. Die Konturen dieser Strategie wurden Anfang 2013 deutlich, als die Landeshauptfrau eine Disziplinaruntersuchung gegen den Leiter der Finanzabteilung, Eduard Paulus, forderte und ein Sechs-Punkte-Programm präsentierte, mit dem in Zukunft das Entstehen eines Finanzskandals vermieden werden sollte.254 Gleichzeitig erhob sie schwere Vorwürfe gegen Monika Rathgeber, indem sie fälschlich behauptete, diese habe 445 Millionen Euro Wohnbaugeld aus den Mitteln der Bundesfinanzierungsagentur verspekuliert.255 Dieser Angriff auf Rathgeber, der auch die von der SPÖ behauptete Einzeltätertheorie untermauern sollte, sollte sich jedoch als Fehlschlag erweisen. Die so Angegriffene wies in Anwesenheit ihres Anwalts Herbert Hübel die gegen sie erhobenen Vorwürfe zurück und kündigte ihrerseits eine Klage gegen Burgstaller an. Und Hübel trat zum Gegenangriff an, indem er erklärte, die SPÖ, vor allem Burgstaller und Brenner, würden eine »falsche Einzeltätertheorie«

253 SN lokal 3.1.2013. S. 3. 254 Der Plan beinhaltete die Aufnahme eines Spekulationsverbots in die Landesverfassung, neue Richtlinien für die Planung des Landesbudgets, eine Trennung der Finanzabteilung von der Buchhaltung, das Abgehen von der Kameralistik und die Einführung einer doppelten Buchhaltung, die stärkere Berücksichtigung von fachlichen Qualifikationen bei der Besetzung von Spitzenpositionen des Amtes der Salzburger Landesregierung und die Übertragung von Veranlagungen des Landes an die Bundesfinanzierungsagentur (ÖBFA). 255 Die 445 Millionen Euro befanden sich ordnungsgemäß im Landeswohnbaufonds. (Die Presse 4.1.2013. S. 3.)

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vertreten, um vom eigenen Versagen abzulenken.256 Burgstallers Agieren stieß zunehmend auf negative Reaktionen. So bemerkte Christoph Reiser  : »Man stelle sich vor, Landeshauptfrau Gabi Burgstaller und ihre Regierung müssten das Land in einer existenziellen Krise führen – ein Albtraum. Der Regierungsstil von Burgstaller, die sich stets lieber als Moderatorin denn als Gestalterin sah, ist für turbulente Zeiten ungeeignet und bringt in ruhigen Zeiten zu wenig weiter.«257 Und Manfred Perterer warf der Landeshauptfrau politisches Pharisäertum vor. »Während die SPÖ-Landeshauptfrau in Sonntagsreden – zuletzt bei der Festspieleröffnung 2012 – gegen die Heuschrecken, Finanzhaie und Spekulanten herzog, ließen ihre Finanzreferenten in der Regierung den Zockerbrigaden freie Hand. Das ist politisches Pharisäertum.«258 Bereits am folgenden Tag gerieten Brenner und Burgstaller durch eine Pressekonferenz von Wilfried Haslauer jun. in zusätzliche Bedrängnis. Der ÖVP-Landesparteiobmann und Landeshauptmann-Stellvertreter begründete durch Protokolle des Finanzbeirates aus den Jahren 2008 bis 2010, warum die ÖVP die Koalition mit der SPÖ nicht fortsetzen könne. Bereits damals habe es riesige Spekulationsverluste gegeben, über die die ÖVP nicht informiert worden sei. Aus einem Protokoll vom 18. Februar 2008 gehe hervor, dass im offiziellen Portfolio des Landes bereits in diesem Jahr ein Spekulationsverlust in der Höhe von 316 Millionen Euro entstanden sei.259 Davon seien 88 Millionen Euro nicht nur Buchungsverluste, sondern echte Verluste gewesen, die man über das ganze Jahr verteilt und abgebaut habe. Es sei davon auszugehen, dass Finanzreferent David Brenner und Landeshauptfrau Gabi Burgstaller davon Kenntnis gehabt hätten, doch mit Blick auf die bevorstehende Landtagswahl weder den Koalitionspartner noch den Landtag und Rechnungshof informiert hätten. Die SPÖ betreibe einen »schmutzigen Wahlkampf«, wenn sie die Verantwortung für den Finanzskandal auch ihm in die Schuhe schieben wolle. Hätte die ÖVP von dem eingetretenen Verlust gewusst, wäre sie an die Öffentlichkeit gegangen und »das wäre wahlentscheidend gewesen«.260 Brenner reagierte auf die Erklärung Has-

256 SN 4.1.2013. S. 3. 257 Christoph Reiser  : Die Rückkehr zur Politik. – In  : SN 4.1.2013. S. 1. 258 Manfred Perterer  : Salzburgs Politiker haben versagt. – In  : SN lokal 13.3.2013. S. 2. 259 Monika Rathgeber erklärte bei ihrer Einvernahme durch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, Finanzreferent David Brenner und die Mitglieder des Finanzbeirates seien für die ab 2008 entstandenen Verluste zu einem Großteil verantwortlich. So habe Brenner völlig überhastet Anlagen radikal schließen lassen, die in die Verlustzone geraten seien. In den folgenden Jahren habe der Finanzbeirat Empfehlungen abgegeben, die gegen ihren Rat umgesetzt worden seien und einen Schaden von 250 Millionen Euro verursacht hätten. Ihre Angabe über einen Schaden von 340 Millionen Euro am 26. November 2016 sei keineswegs ein Schuldeingeständnis gewesen, wie behauptet, sondern eine grobe Hochrechnung für den durch eine vorzeitige Auflösung der Anlagen möglicherweise eintretenden schlimmsten Fall. (SN lokal 10.1.2013. S. 4.; Die Presse 12.1.2013. S. 1.) 260 SN lokal 5.1.2013. S. 3.

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lauers mit der Feststellung, die angeblichen 88 Millionen Euro Verlust seien nie im Budget des Landes schlagend geworden, da dieser Betrag aus einer Reserve mit Erträgen aus dem Finanzmanagement gekommen sei. Die Reaktionen von Grünen und FPÖ folgten auf dem Fuß. Cyriak Schwaighofer erklärte unter Präsentation der Anfragebeantwortung Brenners vom 17. Dezember 2008  : »Mich empört, dass wir so kaltschnäuzig angelogen wurden. … Da haben alle agiert, als ob sie vom Spielfieber, von der Casino Mentalität gepackt wären.« Niemand habe erfahren, dass das Land noch zu Jahresbeginn 2008 mit 240,9 Millionen Euro im Plus gewesen sei. »Dieses Geld hätte ausgereicht, um die Hälfte der Landesschulden zurückzuzahlen. Das Land hätte sich damit jedes Jahr einige Millionen an Zinsen erspart – ganz ohne Zocken. … Wenn Brenner jetzt sagt, das war kein Steuergeld, sondern nur Rücklagen für Spekulationen, dann ist das ein gewaltiger Denkfehler. Aber offenbar wollten alle wichtig und an der Börse dabei sein.«261 Ähnlich ließ sich der FPÖ-Abgeordnete Friedrich Wiedermann vernehmen. Der Landtag sei offensichtlich in den letzten zehn Jahren »belogen und betrogen worden – von den jeweils Zuständigen im Lande bis hin zu den Experten. Immer wenn nachgefragt wurde, wie es mit Fremdwährungsgeschichten aussieht, hieß es  : ›Es ist alles in Ordnung.‹«262 Für Sylvia Wörgetter hatte die Landesregierung der Finanzabteilung den Auftrag gegeben, ins Casino zu gehen, um Gewinne zu machen. Wenn Verluste eintraten, wollte man an diesen allerdings nicht schuld sein. »Wer ins Casino geht und die Kugel rollen lässt, kann viel Geld verdienen. Wer auf die internationalen Finanzmärkte geht, kann ebenfalls viel Geld verdienen. Aber da wie dort gilt  : Man kann auch viel verlieren. Und  : Unterm Strich gewinnt immer die Bank. Diese Lektion lernt das Land Salzburg gerade. Jahrelang hat es darauf vertraut, mittels riskanter Finanzgeschäfte Geld verdienen zu können. Solange das gut ging, hat es niemanden interessiert, woher der Segen stammt. Das Spielen an den Finanzmärkten hatte System. Seit 2005 wurden Jahr um Jahr Vorgaben ins Budget geschrieben, wie viele Millionen die Finanzabteilung durch das Schuldenmanagement herausholen sollte. Das war ein Auftrag an eben jene Referatsleiterin, der das Land nun vorwirft, regelwidrig mit Steuergeldern spekuliert zu haben. Dabei war ein Gutteil der Spekulationen erwünscht und erwartet. Es gab in den 2000er-Jahren einige Gründe, Schuldenmanagement zu betreiben. Sogar der Rechnungshof hatte empfohlen, in gewissem Rahmen Zinsvorteile durch Finanzgeschäfte zu lukrieren. Vor dem großen Finanzcrash 2008 war die Welt eine andere als danach. Viele Gebietskörperschaften haben Lehrgeld bezahlt. Und nun ein großes Aber  : Salzburg hat auch nach 2008 weitergespielt und Jahr um Jahr Millionenbeträge als Vorgabe in den Landesvoranschlag … geschrieben. 261 Kronen Zeitung 6.1.2013. S. 21. 262 SN lokal 5.1.2013. S. 3.

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Das geschah in aller Offenheit. Jeder, der das Budget im Landtag beschlossen hat, musste es wissen. Und damit musste er auch wissen, dass das Risiko solcher Geschäfte hoch ist.« Der FPÖ und den Grünen sei auf deren Anfragen von David Brenner stets geantwortet worden, alles sei in bester Ordnung. »Gar nichts ist in Ordnung. Am allerwenigsten, dass Brenner & Co. so tun, als hätte eine Frau allein das Land ins finanzielle Unglück gerissen. … Die Politik brauchte ständig Geld. Und es gibt nur zwei Möglichkeiten, Geld aufzutreiben. Erstens  : Man muss es verdienen. Das versuchte die ehemalige Referatsleiterin auftragsgemäß. Oder  : Man muss es an anderer Stelle einsparen. Und das taten SPÖ und ÖVP nicht oder nur in geringem Ausmaß. Denn hartes Sparen hätte bedeutet, dass es empfindlich weniger Geld für die eigene Klientel gibt. … Da ist es einfacher, ins Casino zu gehen. Nur sollte man nicht nur die Gewinne einstreifen, sondern auch für die Verluste einstehen. Und sich nicht als Opfer widriger Umstände und einer kleinen Mitarbeiterin präsentieren.«263 Die Folgen des Finanzskandals für das Landesbudget wurden erstmals am 8. Jänner sichtbar, als die zur Aufarbeitung berufenen Experten das Ansteigen der Schulden des Landes von 2,3 auf 2,7 Milliarden Euro schätzten, wobei sie allerdings einschränkend hinzufügten, dass dies noch nicht das Ende der Fahnenstange sein müsse, da noch Rückmeldungen von fünf Banken fehlten. Der Betrag könnte daher auch noch größer werden. Mitte Jänner wurde bekannt, dass der Schuldenstand des Landes auf 3,3 Milliarden Euro angestiegen war. Die Sitzung des Salzburger Landtages am 23. Jänner war von den Schatten des Finanzskandals und der auf 5. Mai vorverlegten Landtagswahl geprägt. Emotional und teilweise mit Bitterkeit verabschiedete sich die einstige Zukunftshoffnung der SPÖ, David Brenner, aus der Politik. Sein Nachfolger bis zur Angelobung einer neuen Landesregierung wurde der ehemalige Zeller Bürgermeister Georg Maltschnig, der es als seine Aufgabe ansah, den »Risikoausstieg zu starten, vor allem bei den SwapGeschäften und Währungsrisiken«. Dies sollte »in den nächsten ein bis zwei Monaten auf Schiene gebracht werden«, ein »Totalausstieg aus den Finanzgeschäften« werde in 10 bis 18 Monaten möglich sein, also von seinem Nachfolger verantwor263 Sylvia Wörgetter  : Salzburger Roulette. – In  : SN lokal 12.1.2013. S. 5. Zur Einzeltätertheorie bemerkte Franz Schellhorn  : »Nun ist die Frage, ob am Ende Gewinne oder Verluste anfallen, alles andere als nebensächlich. Aber auch nicht das eigentliche Thema. Das versteckt sich hinter der Frage, wie es sein kann, dass eine einzige Beamtin drei Milliarden Euro an öffentlichen Geldern verwettet, ohne dass der zuständige Landesrat davon etwas mitbekommen haben will. Eine Summe, die dem eineinhalbfachen Jahresbudget des Landes entspricht. Die Operation erschwerend kommt hinzu, dass die Gelder nicht auf einem Landeskonto schlummerten, sondern erst an den Märkten geliehen werden mussten. Man muss kein forensisch versierter Finanzbuchhalter sein, um zu erahnen, dass das nur schwer die Einzeltat einer zweifellos hochbegabten Landesbediensteten gewesen sein konnte.« (Franz Schellhorn  : Herrn Brenners Gespür für Schmäh. – In  : Die Presse 20.1.2013. S. 17.)

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tet werden müssen.264 Angesichts der offenen Entfremdung der Regierungsparteien wurde der Beschluss des Budgets 2013 von den Beschlüssen über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses über das Finanzmanagement des Landes ab 2001 und der Durchführung von Neuwahlen am 5. Mai dominiert. Die Stimmung im Plenarsaal war frostig. Die Abgeordneten der ÖVP verweigerten nach dem offiziellen Rückzug Brenners aus der Politik diesem demonstrativ den Applaus, die Regierungsmitglieder auf der Regierungsbank gingen deutlich sichtbar – auch körperlich – auf Distanz. Haslauer jun. wandte sich von SPÖ-Landesrat Walter Blachfellner sichtlich indigniert ab, als ihn dieser offen für seinen Entschluss für vorgezogene Neuwahlen kritisierte. Dieser rechtfertigte den Wunsch nach Neuwahlen mit der Erklärung, das Land stehe »vor einem Scherbenhaufen« und vertrage »keine 15 Monate Wahlkampf«. Daher müsse es zum ehestmöglichen Zeitpunkt eine klare Entscheidung geben. Landeshauptfrau Burgstaller betonte in Richtung des Koalitionspartners, es sei für sie die »größte Enttäuschung, dass es in der schwierigsten Zeit die Zusammenarbeit nicht gegeben hat«.265 Das koalitionäre Tischtuch der Koalitionsparteien war auf offener Bühne durchschnitten. Astrid Rössler charakterisierte die Situation mit der Feststellung  : »Es ist eine Eskalationsstufe wie aus dem Konfliktlehrbuch erreicht. Die Gegner haben nur mehr das Ziel, sich gegenseitig zu vernichten.«266 Während die Koalitionsparteien getrennte Wege gingen, entdeckten FPÖ-Chef Karl Schnell und Grünen-Fraktionschef Cyriak Schwaighofer, trotz unterschiedlicher politischer Auffassungen, mit Blick auf den Untersuchungsausschuss eine »kleine Sachkoalition«. So vertrat man gemeinsam die Auffassung, die im Zuge der Spekulationen mit den Banken geschlossenen Verträge einer genauen Prüfung zu unterziehen und, wenn möglich, für nichtig zu erklären. Die Gemeinsamkeiten der beiden Koalitionsparteien waren damit jedoch erschöpft, denn nach dem einstimmigen Beschluss des Landtages auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses begann zwischen ihnen das Ringen um die Vorsitzführung, die von der Opposition wahrgenommen werden sollte. Die Entscheidung musste bei der konstituierenden Sitzung des achtköpfigen Untersuchungsausschusses am 30. Jänner fallen. Jede der im Landtag vertretenen Parteien stellte zwei Mitglieder, zu denen noch der Richter am Landesgericht, Anton Wagner, kam. Zur Bestätigung des Anspruchs der Grünen auf die Vorsitzführung reiste am 17. Jänner die durch die Leitung des parlamentarischen Korruptions-Untersuchungsausschusses bundesweit bekannt gewordene Nationalratsabgeordnete Gabriele Moser an, die erklärte, da die FPÖ, im Unterschied zu den Grünen, in den vergangenen

264 SN lokal 24.1.2013. S. 5. 265 Ebda. S. 3. 266 Die Presse 24.1.2013. S. 4.

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Jahren etliche Budgets mitbeschlossen habe und auch sonst in der Causa nicht besonders engagiert gewesen sei, kämen für den Vorsitz nur die Grünen infrage. Da sich am 30. Jänner eine Pattsituation von vier gegen vier ergab (ÖVP und Grüne für die Vorsitzführung von Astrid Rössler, SPÖ und FPÖ für die Vorsitzführung durch Friedrich Wiedermann), musste das Los entscheiden, das zum zweiten Mal in ihrer politischen Laufbahn auf Astrid Rössler fiel. Sylvia Wörgetter charakterisierte die grüne Landtagsabgeordnete und Landessprecherin mit der Bemerkung, man müsse bei ihr »gut hinhören. Wenn Astrid Rössler im Landtag das Wort ergreift, dann tut sie das mit leiser Stimme, sie wägt die Worte ab und bedenkt deren Wirkung. Was sie aber sagt, ist dann kaum noch verhandelbar. Im Stil konziliant, in der Sache hart – so ist die grüne Parteichefin.«267 Um noch vor der Landtagswahl am 5. Mai zu einem Ergebnis zu kommen, wurde in kurzen Abständen, oft zwei Mal pro Woche, getagt. Bis 24. April wurden in insgesamt 13 Sitzungen 30 Auskunftspersonen befragt, die Zusammenfassung der Erkenntnisse erfolgte in einem 85 Seiten umfassenden Bericht des die Befragung leitenden Richters Anton Wagner, in dem keine Würdigung der Beweise und keine politischen Wertungen vorgenommen wurden. Wenngleich der Bericht keine neuen Erkenntnisse brachte, so ordnete er Aussagen der Auskunftspersonen den jeweiligen Themen zu, wodurch die Widersprüchlichkeiten einzelner Aussagen deutlich wurden. Zusammenfassend kam der Bericht zu dem Ergebnis, der Finanzskandal beruhe auf einer Reihe von Fehlentwicklungen wie generellem Systemversagen, kaum vorhandener Kontrolle, nur bedingt qualifiziertem Personal usw. Für die Ausschussvorsitzende Astrid Rössler, die die Chance zur politischen Profilierung ergriff, war der Bericht ein »schonungsloses Abbild des Desasters«. Eine wichtige Aufgabe des Untersuchungsausschusses sei es gewesen, verwaltungsinterne Defizite aufzuzeigen. Dabei habe sich ergeben, dass »über Jahre … nicht richtlinienkonform vorgegangen« worden sei. Fazit  : »Mit öffentlichen Geldern müsste man dreimal sorgfältiger umgehen. Es braucht ein anderes Kontrollverständnis der Regierungsmitglieder, kein Unternehmen kann sich so etwas leisten.«268 Der Bericht bildete die Grundlage für die Stellungnahmen der Parteien, die sich nicht auf ein gemeinsames Dokument einigen konnten.269 In ihrem Bericht zum Finanzskandal stellten die Grünen »das völlige Fehlen angemessener Kontrollinstrumente« fest, das »als zentrales Element des letztlich totalen Systemversagens gewertet werden« müsse. »Schlimmer noch  : Die Regierung 267 Sylvia Wörgetter  : Die Konziliante mit dem harten Kern. – In  : SN lokal 30.1.2013. S. 2. 268 http://www.salzburg24.at/finanzskandal-zusammenfassung-zu-u-ausschuss-fertig/3550555. (Abgerufen am 17.1.2017.) 269 http://www.salzburg.com/nachrichten/salzburg/politik/sn/artikel/u-ausschussbericht-zeichnet-bilddes-versagens–55438. (Abgerufen am 17.1.2017.)

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installierte eine ›Placebo-Kontrolle‹, auf die sie sich dann auch noch in geradezu sträflicher Fahrlässigkeit verließ. • Die seit 2007 geltenden Richtlinien für das Finanzmanagement wurden vom Leiter der Finanzabteilung Eduard Paulus willkürlich interpretiert und in entscheidenden Punkten nicht beachtet. So wurden Geschäfte von mehr als 20 Millionen Euro ohne die erforderliche Genehmigung des Abteilungsleiters abgeschlossen, der auch die Einhaltung der Zusendung ›unter Verschluss‹ ignorierte. • Der Finanzbeirat mit zwei externen Experten hatte lediglich beratende Funktion ohne Verantwortung. Wie wenig der Finanzbeirat eine Kontrollfunktion wahrnahm, zeigte sich ab Juli 2012  : trotz Entzugs aller Handlungsvollmachten der Referatsleiterin sah der Finanzbeirat keinen Anlass, tätig zu werden. Sogar nach Auftauchen des Schattenportfolios fühlte sich der Finanzbeirat für die weitere Vorgangsweise nicht zuständig und nahm den eingeleiteten Firesale offenbar kommentarlos zur Kenntnis. Aus den Protokollen des Finanzbeirats und der Befragung der externen Finanzberatungsmitglieder geht nicht einmal hervor, dass sie sich für eine Schadensminimierung eingesetzt hätten. Bei der Befragung der externen Experten stellte sich sogar heraus, dass sich der Beirat bei Bekanntwerden der ersten Probleme im Sommer 2012 kein einziges Geschäft näher angesehen, sondern sich pauschal für die sofortige Auflösung ausgesprochen hat. Eine eingehendere Betrachtung, ob sich beispielsweise durch eine spätere Auflösung der Geschäfte der Schaden minimieren ließe, ist unterblieben. • Das ›Vier-Augen-Prinzip‹, welches für den Abschluss der Geschäfte galt, wurde geradezu konterkariert, indem praktisch alle Geschäfte von Referatsleiterin Monika Rathgeber und einem ihr unterstehenden Mitarbeiter abgezeichnet wurden. • In der Finanzabteilung gab es hinsichtlich der Finanzgeschäfte keine Vorkehrungen zur Gewährleistung einer ›revisionssicheren‹ Dokumentation, also einer Dokumentation, deren Informationen vollständig, nachvollziehbar, unveränderbar und fälschungssicher sind. • Vorgesehene Limits der Richtlinien wurden jahrelang mit Wissen und Billigung der Finanzabteilung nicht eingehalten. So findet sich auf zahlreichen Begleitschreiben zum Portfoliobericht der Risk Management Services (RMS Deutsche Bank AG) folgender Hinweis  : ›Auf ausdrücklichen Wunsch des Landes Salzburg ist das Stufenlimit weiterhin außer Kraft gesetzt und damit bei der Limitauslastung nicht berücksichtigt.‹ (…) Darüber hinaus ergab die vom Ausschuss aufgearbeitete Chronologie des Finanzmanagements ein fortgesetztes System von Fehlinformationen und Vertuschung. Nur in diesem Umfeld war es möglich, dass sich der Finanzskandal zu diesem Ausmaß entwickeln konnte  :

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• Mehrere schriftliche Anfragen der Grünen zu den Spekulationsgeschäften und zur finanziellen Situation des Landes wurden unvollständig und unwahr beantwortet  : jene vom Dezember 2008 (zum Höhepunkt der Finanzkrise) sowie die beiden Anfragen im Juni 2012 und November 2012. • 88 Millionen Euro Zuschüsse aus Landesmitteln waren im Jahr 2008 notwendig, um die Spekulationsverluste des (ausgelagerten) Risiko-Portfolios aus dem Minus zu retten. Diese wichtige Information wurde dem Landtag – und damit der Öffentlichkeit – vorenthalten. • Mit Schreiben vom 29. Februar 2012 wurde die Finanzabteilung im Rahmen des monatlichen RMS-Berichtes explizit darüber informiert, dass die schlechte Bewertung des Portfolios in den folgenden Monaten und Jahren zu finanziellen Belastungen des Landeshaushaltes führen werde. Von einer derart gravierenden Verschlechterung des öffentlichen Haushaltes hätte zumindest der Finanzüberwachungsausschuss des Landtages informiert werden müssen, was nicht geschehen ist. • Sebst im Sommer 2012 wurde der Landtag nicht darüber informiert, dass der für die Spekulationsgeschäfte zuständigen Referatsleiterin alle Handlungsvollmachten entzogen worden waren. Unter dem Titel ›Burnout‹ wurde der wahre Konflikt vertuscht und als Krankheit dargestellt. • Bereits Anfang September 2012 wurden von der Finanzabteilung Sofortverkäufe von Zins-Swaps getätigt, überwiegend in türkischer, polnischer, mexikanischer, indonesischer, indischer und brasilianischer Währung. Auch dies wurde vom Ressort verschwiegen. • Spätestens ab 15. Oktober wurde ein Panikverkauf (›firesale‹) von 253 Derivatgeschäften mit einer Nominale von knapp acht Milliarden (!) Euro gestartet, der laut Gutachter Univ. Prof. Dr. Meinhard Lukas jedenfalls 65 Millionen Euro zuzüglich 150 Millionen Euro an Einschüssen gekostet hat. Zu diesem Zeitpunkt lag der Finanzabteilung eine Landtagsanfrage der GRÜNEN vor, in der eine umfassende Auflistung aller Spekulationsgeschäfte des Landes angefordert wurde. Ganz offensichtlich versuchte der Ressortchef ohne Rücksicht auf die finanziellen Kosten all jene Geschäfte möglichst rasch loszuwerden, die in der Öffentlichkeit für massive Kritik gesorgt hätten. Der politische Wunsch des Ressortchefs nach einem ›lupenreinen Portfolio‹ hat die öffentliche Hand mindestens 216 Millionen Euro gekostet. (…) • Das wahre Ausmaß der Verschuldung wurde über Jahre vertuscht. Wie sich in der Folge herausstellte, wurden von der Finanzabteilung Wohnbaudarlehen – das heißt aufgenommene Schulden – für den Kauf von Wertpapieren zu Spekulationszwecken verwendet. • Inzwischen steht zweifelsfrei fest, dass der Versorgungs- und Unterstützungsfonds des Landes (VUF) eine maßgebliche Drehscheibe für die Spekulationsgeschäfte

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des Landes bildete. Weil der Zweck des Fonds ein völlig anderer ist (vordergründig wurde er zu wohltätigen Zwecken gegründet) und mit der tatsächlichen Funktion des VUF eine Befreiung von der Kapitalertragssteuer wegfällt, sah sich das Land gezwungen, im März 2013 wegen möglicher Steuerhinterziehung Selbstanzeige beim Finanzamt zu erstatten. • Das Ausmaß der gesamten Spekulationsgeschäfte mit zahllosen Bankkonten, Währungen, Geschäftstypen, hochkomplex strukturierten Spekulationsgeschäften bescherte dem Land einen Berg von außerordentlichen Schulden in Milliardenhöhe. • Dass noch Anfang März 2013 – während der Untersuchungsausschuss im Gange war – eine Landtagsanfrage der ÖVP falsch beantwortet wurde, zeigt, dass die Ära der Vertuschung nach wie vor andauert.«270 Für die Grünen stand als Ergebnis des Untersuchungsausschusses fest, dass »der Weg vom öffentlichen Haushalt zum Spielcasino … politisch gewollt« war. Die Landesregierung sei daher »nicht einfach Opfer einer ›Einzeltäterin‹« geworden, »sondern aufgrund von bewussten Entscheidungen und weitreichendem Kontrollversagen selbst Verursacherin und Täterin. (…) Generell ist zu sagen, dass die gesamte Landesregierung über alle Jahre hinweg die Problematik der vom Landtag mehrheitlich beschlossenen ›abgeleiteten Finanzgeschäfte‹ bewusst in Kauf genommen und die damit verbundenen Risiken konsequent geleugnet hat. Selbst unter Ausblendung des sogenannten ›Schattenportfolios‹ verbleiben noch genügend Spekulationsgeschäfte, die aufgrund ihrer komplexen und hochriskanten Konstruktion in die Kategorie eines hochspekulativen ›Hedgefonds‹ gefallen sind.«271 Noch während der Beratungen des Untersuchungsausschusses erwies sich die im Jänner 2013 aufgestellte Behauptung David Brenners, das Portfolio des Landes liege mit 74,7 Millionen im Plus und es sei daher dem Land kein finanzieller Schaden entstanden, zunehmend als Schimäre. Die Bundesfinanzierungsagentur kam bei ihrer Analyse bereits im Jänner auf ein Minus von 103 Millionen Euro. Die Diskrepanz zu den Salzburger Werten resultierte aus dem Umstand, dass das Finanzreferat des Landes einen erheblichen Teil der Wertpapiere nicht zum aktuellen Marktwert, sondern zum Einkaufswert abgerechnet hatte.272 Die Hiobsbotschaften von der Finanzfront wurden im Februar häufiger und dramatischer. Salzburg, einst einer der Musterschüler der österreichischen Bundesländer, war nunmehr mit 3,3 Milliarden Euro das

270 Stellungnahme der Landtagsfraktion DIE GRÜNEN zum Untersuchungsausschuss des Salzburger Landtages »Überprüfung des Finanzmanagements des Landes Salzburg seit 2001.« 271 Ebda. 272 Die Presse 16.2.2013. S. 11.

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höchstverschuldete Bundesland.273 Dividierte man die Gesamtschulden durch die Anzahl der Einwohner, so entfielen auf jede Salzburgerin und jeden Salzburger 6200 Euro. Dieses Szenario musste allerdings relativiert werden, da die Auflösung des Schattenportfolios in der Höhe von 1,35 Milliarden Euro in den nächsten 12 bis 18 Monaten den Schuldenstand wiederum reduzierte. Unabhängig vom Finanzskandal hatte Salzburg bereits in den Jahren davor seinen Schuldenstand erheblich erhöht. Betrug dieser 2009 noch 0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, so verdoppelte er sich bis 2012 auf 0,8 Prozent. Salzburg war »auf dem Weg zum Schuldenkaiser«, wie eine Überschrift des Lokalteils der Salzburger Nachrichten lautete.274

17.2 Die Landtagswahl am 5. Mai 2013 Der Finanzskandal löste nicht nur ein Erdbeben in der politischen Landschaft und im politischen System Salzburgs aus, sondern auch eine bis dato nicht gekannte Reaktion der Wähler, die sich in einem massiven Vertrauensverlust in die bisherigen Regierungsparteien und deren Führungspersonal manifestierte. Knapp vor Bekanntwerden des Finanzskandals konnte trotz abnehmender Zufriedenheit mit Landeshauptfrau Gabi Burgstaller und deren Stellvertreter Wilfried Haslauer jun. von einer Wendestimmung nicht die Rede sein. Die SPÖ führte vor allem dank der omnipräsenten Politikmoderatorin Gabi Burgstaller in allen demoskopischen Erhebungen vor der ÖVP, wenngleich sich der Abstand verringerte. Eine SPÖ mit Burgstallers Kronprinzen David Brenner als Spitzenkandidat wurde hingegen deutlich hinter der ÖVP geortet. Die Erklärung Burgstallers nach dem Rücktritt Brenners, sie hätte geplant, vor der Landtagswahl 2014 zugunsten des Finanzreferenten zurückzutreten, ist aufgrund der demoskopischen Daten und des damit verbundenen innerparteilichen Drucks wenig glaubwürdig. Wenngleich hinter den Kulissen erhebliche Spannungen in der Koalition existierten, schien Anfang Dezember 2012 der übliche Weihnachtsfrieden eingekehrt, politische Routine wie die Beratungen über das Dop273 Durch den Verkauf von Swaps reduzierten sich zwar die Spekulationsschulden, doch stieg durch den damit notwendigen Überstieg auf festverzinsliche Anleihen im Gegenzug der Zinsendienst des Landes erheblich. Statt eines Euribors von 0,22 Prozent mussten nun 3 bis 4,5 Prozent bezahlt werden, sodass jährlich Mehrkosten in Millionenhöhe entstanden, wodurch die Verkaufsgewinne deutlich reduziert wurden. Das Fremdwährungsrisiko bei der türkischen Lira in der Höhe von 440 Millionen Euro bildete einen weiteren erheblichen Problemfaktor, der bei Währungsschwankungen zwischen Euro und Lira zu erheblichen Gewinnen, jedoch auch Verlusten führen konnte. Bei einer Veränderung des Verhältnisses der beiden Währungen um 1 Prozent ergaben sich Gewinne oder Verluste von 4,4 Millionen Euro. (SN lokal 15.2.2013. S. 2f  : Salzburger Fenster 20.2.2013. S. 9. 274 SN lokal 7.2.2013. S. 2.

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pelbudget 2013/14 dominierte. Der 6. Dezember änderte die Situation grundlegend. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dass am Nikolaustag im Chiemseehof, dem Sitz des Landtages und der Landesregierung, keine Geschenke, sondern bittere Nachrichten verteilt wurden. Die Folge waren ein massiver Absturz der bisherigen Koalitionsparteien und deren Spitzen Gabi Burgstaller und Wilfried Haslauer jun. in der Beurteilung ihrer Arbeit und ihrer Lösungskompetenz. Parallel dazu fand eine Koalition von SPÖ und ÖVP nur mehr eine Zustimmungsrate von 16 Prozent. Die Hoffnung der ÖVP, der Finanzskandal würde in der Öffentlichkeit als SPÖ-Skandal wahrgenommen, bewahrheitete sich nicht. Ein Großteil der Salzburgerinnen und Salzburger sah die Schuld auf beide Regierungsparteien verteilt. Im Gegenzug erhielten FPÖ und Grüne deutlich höhere Zustimmungsraten als 2009 und die politische Sternschnuppe »Team Stronach« konnte sich als neue Protestpartei berechtigte Hoffnungen auf den Einzug in den Salzburger Landtag machen, womit in diesem erstmals seit 1945 fünf Parteien vertreten wären. Sonntagsfrage  : »Wenn am kommenden Sonntag Landtagswahlen wären, welche Partei würden Sie wählen  ?«275 LTW 2009

Dezember 2012

Jänner 2013

Hochrechnung

SPÖ

Partei

39,4

33

29

31

ÖVP

36,5

36

31

31

FPÖ

13,0

14

17

16

GRÜNE

7,4

11

13

11

BZÖ/Naderer

3,7

2

3

2

4

7

Stronach Andere

7 2

Beurteilung der Arbeit von Gabi Burgstaller (Antworten in Prozent)  :276

März 2011 Oktober 2011 November 2012 Februar 2013

sehr zufrieden

zufrieden

teils

24

46

22

7

8

40

38

14

10

35

34

19

5

22

38

32

275 IGF-Umfrage. Salzburger Fenster 13.2.2013. S. 5. 276 Ebda.

weniger

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Beurteilung der Arbeit von Wilfried Haslauer jun. (Antworten in Prozent)  :277 sehr

zufrieden

teils

18

59

17

5

Oktober 2011

8

43

31

14

November 2012

9

37

32

19

Februar 2013

5

23

31

33

März 2011

weniger

Wer ist verantwortlich für den Finanzskandal  ? (Antworten in Prozent)278 Beide gleich

68

ÖVP

1

SPÖ

21

Keiner konnte es wissen

3

Weiß nicht

7

Welche Parteien sollen eine neue Regierung bilden  ? (Antworten in Prozent)279 SPÖ/ÖVP

16

SPÖ/GRÜNE

19

SPÖ/FPÖ

7

ÖVP/GRÜNE

13

ÖVP/FPÖ

10

Weiß nicht

22

Keine Angabe

12

Angesichts der noch nie erreichten Volatilität des Wählermarkts, des enormen Vertrauensverlustes in die traditionellen politischen Eliten, des hohen Prozentsatzes von Unentschlossenen sowie der steigenden Bereitschaft zur Protestwahl waren die beiden bisherigen Regierungsparteien in ihrer Wahlkampftaktik um Begrenzung des Schadens für die jeweils eigene Partei bemüht, wobei die SPÖ in der schwierigeren Position war, fiel doch die politische Verantwortung für den Finanzskandal in ein von der SPÖ geführtes Ressort und verfügte Landeshauptfrau Gabi Burgstaller nach über277 Ebda. 278 Ebda. 279 Ebda. S. 4.

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einstimmender Meinung der politischen Kommentatoren kaum über Krisenbewältigungsfähigkeiten. Hatte die Partei bisher von der Landesparteivorsitzenden und Landeshauptfrau erheblich profitiert, so verminderte sich dieser Positiveffekt nunmehr aufgrund der massiv gesunkenen Anerkennungs- und Beliebtheitswerte Burgstallers. Die SPÖ musste daher eine diffizile Vorwärtsstrategie verfolgen  : einerseits konnte man sich nicht vom Finanzskandal freisprechen, doch galt es nun, eine Mitverantwortung des Koalitionspartners zu behaupten und diesem den Vorwurf zu machen, obwohl er jahrelang im selben Boot gesessen habe, nunmehr den Finanzskandal zu einem politischen Machtwechsel zu instrumentalisieren. Im Gegensatz dazu galt es zu vermitteln, dass man sich nicht aus der Verantwortung stehle, sondern an der Aufarbeitung des Skandals größtes Interesse habe und auch weiterhin verantwortungsvoll für das Land arbeiten wolle. Für die keineswegs beliebten vorzeitigen Neuwahlen sei allein die ÖVP verantwortlich, die ihre Niederlage des Jahres 2004 noch immer nicht verkraftet habe und nunmehr die Chance sehe, das Wahlergebnis zu korrigieren und nach der Macht zu greifen. Bei dieser Strategie musste eine vollständige Konzentration auf die Person Gabi Burgstallers erfolgen, da nur sie, wie alle demoskopischen Erhebungen zeigten, nach wie vor ein totales Absacken der Partei in der Wählergunst verhindern konnte. Diese begründete am 1. Februar vor 150 geladenen Gästen im Salzburger Messezentrum ihre neuerliche Kandidatur mit der Feststellung  : »Ich habe es mir lange und sehr gut überlegt, und nicht zuletzt die Entwicklung der Landespolitik gerade in den letzten Wochen hat mich bestärkt  : Ich übernehme die Verantwortung. Für Salzburg – für dieses Land und seine Menschen  !«280 Orchestriert wurde die Ansage von Kommentaren der SPÖ-Granden Siegfried Pichler (AK) und Walter Steidl (Landeshauptmann-Stellvertreter). So erklärte Siegfried Pichler  : »Das ist die beste Entscheidung für das Land, denn im Gegensatz zu LandeshauptmannStellvertreter Wilfried Haslauer jun. zeigt Burgstaller Verantwortung und steht für schonungslose Aufklärung sowie größtmögliche Schadensbegrenzung für das Land.« Walter Steidl zeigte sich »froh über die Wiederkandidatur von Gabi Burgstaller, weil sie die Persönlichkeit ist, die in unserer Bewegung das uneingeschränkte Vertrauen und die volle Unterstützung genießt. Sie ist einfach die Richtige für das Land und für die Menschen.«281 Burgstaller selber bemühte die Kampfzeit der Sozialdemokratie, als sie auf eine unbedachte Erklärung Wilfried Haslauers, der die SPÖ als »Bande«, mit der er »nichts mehr zu tun haben« wolle, bezeichnet hatte, replizierte, damals seien auch die Sozialdemokraten vom politischen Gegner als »Gesindel« und »Vaterlandsverräter« bezeichnet worden. Bei Haslauer und der ÖVP sei jeder Anstand verloren gegangen, weshalb in Zukunft eine Wiederauflage der soeben beendeten Koalition ausgeschlossen sei. Bereits am 27. Jänner hatte sie in einem ORF-Inter280 Die Presse 2.2.2013. S. 11. 281 SN lokal 2.2.2013. S. 2.

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view eine neuerliche Koalition mit der ÖVP mit den Worten ausgeschlossen  : »Ich bin bekannt dafür, dass ich grundsätzlich keine Partei ausgrenze. Aber mein Maßstab ist schon  : Wer vertritt die Interessen des Landes konstruktiv  ?« Und dies sei keinesfalls die ÖVP, denn Wilfried Haslauer jun. habe mit seinem Neuwahlantrag und seinem unverhüllten Machtstreben das Land im Stich gelassen.282 Als politische Optionen blieben damit nur mehr Rot-Blau oder Rot-Grün, wobei eine Koalition mit der FPÖ parteiintern als die rechnerisch wahrscheinlichere Lösung galt. Die FPÖ musste daher aus dem politischen Schmuddeleck geholt werden. Folgerichtig erklärte SPÖ-Geschäftsführer Stefan Prähauser Ende Jänner, die SPÖ werde, wenn auch dezimiert, sicher wieder als stärkste Partei aus der Landtagswahl hervorgehen und daher mit der Regierungsbildung beauftragt werden. »Die FPÖ ist in Salzburg gemäßigt. Mit ihrem Vorsitzenden Karl Schnell kann man Vereinbarungen treffen, und die haben bis jetzt immer gehalten. Die SPÖ wird mit allen Gespräche führen, auch mit der FPÖ – das ist die Stimmung in der Partei …«283 Der Aufkündigung einer möglichen künftigen Zusammenarbeit mit der ÖVP folgte ein neues personelles Angebot  : die Geschäftsführerin der Geschützten Werkstätten Salzburgs (GWS), Astrid Lamprechter, sollte als Nachfolgerin David Brenners neue Finanzlandesrätin werden. Burgstaller begründete ihre Wahl mit der – wohl ungewollt – doppeldeutigen Erklärung  : »Sie ist so was von geerdet bei den sozialdemokratischen Grundwerten, dass die Budgetpolitik bei ihr in guten Händen ist.«284 Damit waren die Pflöcke der Werbe- und Argumentationslinien der SPÖ im Landtagswahlkampf eingeschlagen. Mit Slogans wie »Wer den Menschen im Wort ist, läuft nicht davon  !«, »Ich kämpfe um das Vertrauen der Menschen«, »Gewinner dieser Wahl muss Salzburg sein  ! Salzburg braucht Zusammenhalt« oder »Es geht um die Menschen, nicht um die Macht« wurde Gabi Burgstaller als Solistin und einzige Hoffnungsträgerin der SPÖ affichiert. Die SPÖ-Wahlkampfstrategen wussten nur zu gut, dass die amtierende Landeshauptfrau, trotz aller Fehlschläge und Skandale, das einzige Ass war, das sie mangels anderer bekannter Persönlichkeiten mit Zugkraft ausspielen mussten.285 Landesgeschäftsführer Uwe Höfferer begründete diese Strategie mit der Erklärung, es gelte, »einen Überzeugungswahlkampf mit einem Maximum an persönlichen Kontakten zu führen. Das spitzt sich auf die Frage zu, wer das Land in die Zukunft führen soll  : Burgstaller oder Haslauer.«286 Der Rest war Routine mit teilweise peinlichem Anstrich. Die SPÖ-Frauen forderten zum Ärger des SPÖ-Direktors der Gebietskrankenkasse, Harald Seiss, dass 282 SN lokal 28.1.2013. S. 2. 283 Kurier 27.1.2013. S. 4. 284 SN lokal 2.3.2013. S. 6. 285 Die Presse 5.4.2013. S. 3. 286 SN lokal 21.3.2013. S. 4.

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die Krankenkassen die Kosten für Verhütungsmittel übernehmen sollten und in Fortführung der unpolitischen Beliebigkeit und Peinlichkeit wurde die Insolvenz des österreichischen Traditionsbetriebs Walter Niemetz in Wien instrumentalisiert. Die drohende Insolvenz des Traditionsbetriebes hatte zu einer Solidaritätsaktion auf Facebook unter dem Titel »Rettet die Niemetz-Schwedenbomben« geführt, die innerhalb kürzester Zeit von 37.000 Österreicherinnen und Österreichern unterstützt wurde. Auf Vorschlag der Salzburger SPÖ-Landtagsabgeordneten und IntersparZentralbetriebsratsvorsitzenden Margit Pfatschbacher kaufte nunmehr die SPÖ bei der Metro in Wals-Siezenheim das gesamte Lager an Schwedenbomben, um damit auf Facebook ebenfalls eine indirekte Werbeaktion mit der entscheidenden Frage, welche der beiden Schwedenbomben – die Schoko oder die Kokos – favorisiert werde, zu starten. Die politische Begründung  : »Unsere Botschaft lautet in diesem Fall  : naschen für einen guten Zweck – wir unterstützen Niemetz  !«287 Christian Resch kommentierte diese Aktion ironisch  : »Landeshauptfrau Gabi Burgstaller war die Erste, die es allen Wählern zeigte  : dass sie nichts aus dem milliardenschweren Finanzdebakel in Salzburger gelernt hat. Zumindest nichts Wesentliches. Das schafft sie, indem sie Tausende Schwedenbomben einkaufen ließ, um sie im Wahlkampf zu verwenden. Auf Facebook stellte die SPÖ dann auch noch die Frage  : ›Welche ist ihre Lieblings-Schwedenbombe  ? Bestreut oder unbestreut  ?‹ Dass derartiger Klamauk in Krisenzeiten eine Verhöhnung der Bürger ist, kommt den SPÖSpindoktoren offenbar nicht in den Sinn.«288 Die Position der ÖVP, vor allem Wilfried Haslauers, war ebenfalls nicht einfach. Die Entscheidung des Landesparteiobmanns für Neuwahlen war innerparteilich durchaus umstritten. Das aufgrund bundespolitischer Beispiele entworfene Horrorszenario sah diejenige Partei, die Neuwahlen beantragte bzw. durchsetzte, als Wahlverlierer, so sehr ihre Beweggründe auch berechtigt gewesen sein mögen. Hinzu trat die mit Hinweis auf die dominante öffentliche Meinung geäußerte Befürchtung zahlreicher Funktionäre, dass es in einem Wahlkampf äußerst schwer sein würde, dem Argument, dass beide Regierungsparteien für den Finanzskandal verantwortlich seien, wirkungsvoll entgegentreten zu können. Haslauer jun. hingegen, sich seiner innerparteilichen Machtposition durchaus bewusst, erklärte im Landesparteivorstand, die ÖVP-Regierungsmitglieder seien permanent von der SPÖ mit falschen Angaben getäuscht worden. Wären die Fakten bereits 2009 bekannt geworden, hätte die ÖVP die Wahl gewonnen. Der von ihm nunmehr beantragte Neuwahlantrag habe daher zwei Motive  : jenen der politischen Hygiene, da das Vertrauen in den Regierungspartner erschüttert sei und man sich durch dessen Schalmaientöne einer innerkoalitionären Aufklärung des Skandals das Gesetz des Handelns nicht aus der 287 SN lokal 2.2.2013. S. 2. 288 Christian Resch  : Einfach nichts gelernt. – In  : SN lokal 11.2.2013. S. 2.

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Hand nehmen lassen wolle. Dies würde der SPÖ nämlich die Möglichkeit bieten, mithilfe der ÖVP den Skandal durchzutauchen und angesichts der politischen Halbwertszeit öffentlicher Erregung die nächste turnusmäßige Landtagswahl weitgehend unbeschadet zu schlagen. Ein solches Szenario müsse auch aus politik-hygienischen Gründen unbedingt verhindert werden. Haslauers Entscheidung glich einem (politischen) Ritt über den Bodensee. Trotz aller innerparteilicher Bedenken galt es, die Reihen zu schließen und nach außen Geschlossenheit zu demonstrieren. Dabei hoffte Haslauer jun. auf eine Eigendynamik der Wahlbewegung, die die noch vorhandenen Zweifel und Bedenken in Zuversicht verwandeln sollte. Dies wurde bei der von Haslauer einberufenen Bürgermeisterkonferenz in der Bachstube in Wals-Siezenheim deutlich. Die Inszenierung war professionell und sollte Aufbruchsstimmung und Zuversicht signalisieren. Noch vor Beginn der Konferenz hatte ein Bürgermeister die vorherrschende ambivalente Stimmung mit dem Satz, die »Leute draußen« seien heiß, aber seien alle »nicht überzeugt, dass wir eine Neuwahl brauchen« formuliert. Genau dies aber galt es nun zu vermitteln. In dem abgedunkelten Saal wurde ein Film gezeigt, der von dem Rocksong aus dem Batman-Film »Der dunkle Ritter erhebt sich« stammte und signalisieren sollte, dass sich auch Salzburgs Schwarze wieder erheben und zur führenden politischen Kraft des Landes aufsteigen würden. Zuvor fungierten prominente ÖVP-Bürgermeister als Stimmungsmacher. So erklärte der Walser Bürgermeister Ludwig Bieringer  : »Ich kann Haslauer verstehen, dass er sich nicht mit Leuten zusammensetzen will, die laufend die Unwahrheit sagen.« Und der Hallwanger Bürgermeister und Präsident des österreichischen Gemeindebundes Helmut Mödlhammer  : »Eine Bäuerin hat mich gefragt  : ›Was habt ihr für einen Saustall im Land  ?‹ Jetzt liegt es an uns, auszumisten.« Der vom Scheinwerferlicht begleitete Einzug des Landesparteiobmanns wurde von Ovationen begleitet. Er rechtfertigte seinen Entschluss für Neuwahlen mit einer angriffigen und zugespitzten Rede. »Wenn ich mit Tina (Widmann, ÖVP-Landesrätin, Anm. d. Verf.) und Sepp (Eisl, ÖVP-Landesrat, Anm. d. Verf.) in dieser Regierung bliebe, würde ich meine Selbstachtung verlieren. … Es ist ein politisches Betrugssystem. … Mit der Bande habe ich nichts am Hut.« Haslauers Rede emotionalisierte, er schien auf dem Weg, das von ihm angestrebte Ziel einer innerparteilichen Mobilisierung und Optimismus zu erreichen. Nach der Veranstaltung erntete er von den anwesenden Bürgermeistern uneingeschränktes Lob. Bei der Frage künftiger Koalitionen war die Abneigung gegen eine Neuauflage einer Koalition mit der SPÖ deutlich spürbar, während eine Koalition mit Grünen überraschend oft als durchaus vorstellbar genannt wurde. Zusatz  : »Die müssen aber auch sagen, ob sie das überhaupt wollen.«289

289 SN lokal 12.1.2013. S. 10f.

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Es galt auch, in einer Offensivstrategie die Entscheidung der ÖVP für Neuwahlen vom Odium des Machtstrebens zu befreien und als demokratiepolitische Notwendigkeit zu erklären. So bemerkte ÖVP-Klubobfrau Gerlinde Rogatsch  : »Tatsache ist, dass Gabriele Burgstaller in 9 Jahren das Land in die größte Schulden- und Vertrauenskrise seit 1945 geführt hat. Ich erinnere nur daran, dass während der Budgetklausur im Herbst die bereits im Gange gewesene Auflösung von Spekulationsgeschäften vertuscht wurde. Und auch im Dezember hat es eine Woche gedauert, bis die Landeshauptfrau den Koalitionspartner ÖVP kontaktiert. Hier wurde nicht nur die ÖVP, sondern hier wurde das ganze Land belogen.«290 Und Wilfried Haslauer jun. betonte in einem Schreiben an alle Parteimitglieder  : »Dass es über Jahre Finanzmanagementgeschäfte gab, wussten wir natürlich. Aber über die Dimension und die extremen Spekulationen wurden wir nicht richtig informiert.«291 Im März wandte sich Haslauer in einem Schreiben an alle Haushalte, in dem er betonte, es tue ihm »im Herzen weh, wie Salzburg derzeit dasteht, wie über unser Land geredet wird. Finanzspekulationen unfassbaren Ausmaßes haben unserem Land schweren Schaden zugefügt. Ich höre und verstehe die Kritik und die Wut der Menschen. Nicht nur die unmittelbar zuständigen Politiker der SPÖ, sondern die gesamte Landesregierung – ja die gesamte Politik – ist betroffen. Auch wir als Salzburger Volkspartei müssen selbstkritisch hinterfragen, ob wir in der Landesregierung und im Landtag zu viel vertraut und zu wenig nachgefragt haben. … Ein so massiver Vertrauensbruch führt in jedem demokratischen Land unweigerlich dazu, dass sich die Parteien der Verantwortung vor dem Wähler stellen müssen. Und deshalb gibt es auch in Salzburg Neuwahlen. Nun geht es darum, wem die Salzburgerinnen und Salzburger zutrauen, die Krise zu bewältigen und unser Land in eine sichere und stabile Zukunft zu führen. Wir als Gesinnungsgemeinschaft, unsere Salzburger Volkspartei, müssen in den nächsten Wochen stärker zusammenhalten als jemals zuvor. Wir müssen jetzt gemeinsam für unser Salzburg, für unsere Werte und Überzeugungen kämpfen. Der Fleiß, das Engagement und die Bereitschaft zu harter Arbeit haben unser Land seit Generationen stark gemacht. Ich bin stolz auf dieses Land und auf die Menschen. Salzburg hat deshalb auch eine Regierung verdient, die hart arbeitet und Verantwortung übernimmt.«292 Auf die Frage, welche Regierung dies denn sein solle, erklärte Haslauer jun., er gehe davon aus, dass sich die Frage einer möglichen künftigen Koalition mit Burgstaller nicht stellen werde. »Denn wenn wir Nummer eins werden, ist Frau Burgstaller wohl nicht mehr bei der SPÖ dabei. Und wenn sie uns sagt, mit uns als 290 VP-Medieninformation OID, 11. Folge, 53. Jahrgang, 21. Jänner 2013. 291 Die Presse 18.3.2013. S. 3. 292 Schreiben von Landesparteiobmann Dr. Wilfried Haslauer im März 2013.

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Nummer zwei geht sie in keine Regierung, sofern ich dabei bin, nehme ich das zur Kenntnis.« Auf die Frage, welche Konsequenzen er aus einer Wahlniederlage, d. h. des Verharrens auf der zweiten Position hinter der SPÖ, ziehen werde, antwortete er, dass er sich in diesem Fall aus der Politik zurückziehen würde.293 Dies sollte jedoch durch einen auf wenige Themen beschränkten Wahlkampf verhindert werden. Dabei musste die ÖVP die Falle eines Persönlichkeitswahlkampfes vermeiden und verstärkt auf Reformthemen setzen, die Wilfried Haslauer als Rahmenbedingungen für eine zukünftige Landespolitik formulierte  : Reduktion der Regierungsmitglieder von sieben auf fünf, Bündelung der Regierungskompetenzen, Sanierung des Budgets und Stopp der Neuverschuldung in den nächsten beiden Jahren oder die Beauftragung von Experten, als Berater der Regierung Zukunftskonzepte zu zentralen landespolitischen Themen zu erarbeiten.294 Bei der Präsentation seiner Ideen konnte er sich eines Seitenhiebs auf die amtierende Landeshauptfrau nicht enthalten. Die Verkleinerung der Regierung auf fünf Mitglieder begründete er auch mit dem Hinweis, dass Burgstaller anstelle von Sacharbeit geselliges Händeschütteln mit großer Inbrunst betrieben habe. Sie sei offensichtlich nicht ausgelastet, da sie auch de facto keine Ressortverantwortung übernommen habe.295 Am 22. März wurde das Wahlprogramm mit einem neuen personellen Angebot versehen, um den stets behaupteten notwendigen Neubeginn zu unterstreichen. In einem innerparteilichen Kraftakt trennte sich Haslauer von den bisherigen ÖVPRegierungsmitgliedern Sepp Eisl (Landwirtschaft, Personal) und der Quereinsteigerin Tina Widmann (Familie), deren politische Erfolge überschaubar waren. An ihrer Stelle wurden in einem geschickten innerparteilichen Interessensausgleich der Leiter der Agrarabteilung und ehemalige Büroleiter Sepp Eisls, Josef Schwaiger, der erfolgreiche Halleiner Bürgermeister und ÖAAB-Landesobmann Christian Stöckl und die Anwältin, Landtagsabgeordnete und Landesleiterin der ÖVP-Frauen Brigitta Pallauf nominiert. Um Zukunftsfähigkeit zu demonstrieren, präsentierte Haslauer sein »Schattenkabinett« am 22. März auf der Dachterrasse des Nonntaler Uni-Parks. Schwaiger galt in Fachkreisen als absoluter Fachmann und war daher als Nachfolger für Sepp Eisl vorgesehen, Stöckl, der die maroden Halleiner Stadtfinanzen saniert hatte, war als Finanzlandesrat und die im Familien- und Pflegebereich engagierte Pallauf sollte Familienlandesrätin werden.296 Nach diesen personellen Weichenstellungen erfolgte der offizielle Wahlkampfauftakt am 5. April im Messezentrum. Vor rund 900 Teilnehmern appellierte Haslauer jun. in einer 50-minütigen Rede an die Geschlossenheit und den Siegeswillen 293 Die Presse 29.1.2013. S. 3. 294 Salzburger Fenster 20.2.2013. S. 7  ; ÖVP Wir in Salzburg gemeinsam mehr bewegen. März 2013. 295 SN lokal 9.2.2013. S. 4. Die Nachrichten der Salzburger Volkspartei. S. 4f. 296 Vgl. VP-Medieninformation OID, 45. Folge, 53. Jahrgang, 22. März 2013.

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der Partei. »Wir, wir, wir. Das ist das Zauberwort. Ich will diese Wahl gewinnen. Aber ich schaff’s nicht allein. Jetzt brauch’ ich euch. Jetzt.« Es gehe längst nicht mehr um die ÖVP, sondern um das Land. Und das sei nun einmal bei der ÖVP in deutlich besseren Händen als in jenen der SPÖ.297 Unerwartete Unterstützung erhielt er von dem ehemaligen SPÖ-Landesrat Sepp Oberkirchner, der am 10. April in einem offenen Brief eine Wahlempfehlung für die ÖVP und Wilfried Haslauer jun. abgab. »Wenn ich mir die Entwicklung der SPÖ in den vergangenen rund 10 Jahren in Salzburg unter Landeshauptfrau Burgstaller anschaue, erkenne ich keine sozialdemokratischen Werte mehr. Sozialdemokratische Politik wurde von ihr durch Marketing und Populismus ersetzt. Mag. Burgstaller regiert abgehoben und leistet keine Führungsarbeit. … Vielmehr habe ich den Eindruck, dass bei Landeshauptfrau Burgstaller jegliche soziale Kompetenz fehlt. (…) Was das Team von LH-Stv. Dr. Haslauer betrifft, kann man auf einen Blick feststellen, dass dieses Team jenem der Landeshauptfrau Burgstaller kompetenzmäßig haushoch überlegen ist. (…) Für mich ist Burgstaller und ihr Team eine Gefahr für Salzburg. Laut Rechnungshof sind die Schulden des Landes bereits auf über 4.000 Millionen Euro gestiegen. Ein unvorstellbarer Betrag … Zu bedenken ist, dass Landeshauptfrau Burgstaller das Land Salzburg im Jahr 2004 mit einem Schuldenstand von nur 431 Millionen Euro übernommen hat.«298 Am 26. Jänner schrieb Sylvia Wörgetter über die Rolle der Opposition im beginnenden Wahlkampf  : »Die Opposition ist in keiner Weise gerüstet, um in einen Wahlkampf zu ziehen, der für das Bundesland eine Richtungsentscheidung bringen könnte. Das gilt sowohl für die Grünen als auch für die Freiheitlichen. Die FPÖ bietet nach 20 Jahren unter der Führung Karl Schnells das Bild eines Wahlvereins für den Arzt aus Saalbach-Hinterglemm, nicht den einer kritischen und angriffslustigen Oppositionspartei. Ihr fehlt der Zug zum Tor und der Wille zur Macht. Wer vom Parteichef wissen will, ob er einer künftigen Regierung angehören will, erhält bestenfalls ein Jein zur Antwort. (…) Die Grünen haben ebenfalls sträflich die Nachwuchsarbeit versäumt. Sie stehen ohne zugkräftige Nummer zwei nach Parteichefin Astrid Rössler da. Gemäß grünem Reißverschlusssystem sollte es ein Mann sein, der nicht erst bekannt gemacht werden muss. Das nämlich geht sich wegen des kurzen Wahlkampfes nicht mehr aus. Und dann sollte der Betreffende auch noch über die grüne Kernwählerschaft hinaus Strahlkraft entfalten und vor allem im bürgerlichen Lager Zuspruch finden. So einen gibt es eigentlich. Er heißt Cyriak Schwaighofer. Dumm nur, dass der langjährige Parteichef sich eigentlich langsam aus der Politik zurückziehen wollte. Nun wird 297 SN lokal 6.4.2013. S. 8. 298 AHB

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dem Routinier nichts anderes übrigbleiben, als im Wahlkampf mitzumischen – wenn wohl auch nicht auf dem zweiten Listenplatz. Im Unterschied zu den Freiheitlichen wollen die Grünen zwar mitregieren. Die Frage ist nur, ob sie das rechnerisch überhaupt können.«299 Der Wahlkampf bestätigte die von Wörgetter diagnostizierte Linie der FPÖ, die in Verfolgung der Wahlkampflinie der Bundespartei mit Slogans wie »Der Heimat verpflichtet  ! Den Menschen im Wort  !«, »Weil Salzburg kein Casino ist  !«, »Weil wir Sicherheit statt falscher Toleranz brauchen  !« oder, auf den Spitzenkandidaten Schnell gemünzt, »Weil wir ihm vertrauen  !« traditionelle Sujets und Positionen offerierte. Eine Regierungsbeteiligung schloss Karl Schnell aus und setzte, vor allem auch mit Blick auf die neue Konkurrenz der Teams Stronach, auf Opposition und damit auf das Gewinnen von Proteststimmen. Mitte April erklärte er in einem »Standard«-Interview unter Bezugnahme auf die Vorsitzführung im FinanzskandalUntersuchungsausschuss durch Astrid Rössler, diese habe »selbst gesagt, die Koalition nach dem 5. Mai wird sich bei der Frage entscheiden, wer den Vorsitz im U-Ausschuss erhält. Sie hat ihn mit Hilfe der ÖVP bekommen.«300 Es werde daher, sofern dies rechnerisch möglich sei, nach dem 5. Mai eine schwarz-grüne Regierung geben. Dem Wahlkampf der FPÖ fehlte die Linie und Zielgerichtetheit, wohl als ein Ergebnis der weiterhin gewählten Oppositionsoption. Dies wurde auch bei der Rede zum Wahlkampfauftakt im Stieglkeller am 5. April deutlich, die im Bericht der »Salzburger Nachrichten« »etwas enttäuschend« ausfiel. »Bei einer Vorlage wie dem Finanzskandal in Salzburg war die FPÖ früher auf Ballhöhe. Diesmal nicht. Karl Schnell sprach in seiner 40-minütigen Rede unter anderem von Karl-Heinz Grasser, den Cayman-Islands, den Goldreserven Österreichs, dass er mit seinem Betrieb 300.000 Euro Steuern im Jahr zahle, dem Zudecken aller möglichen Skandale durch die Medien (mehrmals), der Aufnahme des Wassers in die Landesverfassung, gentechnisch verändertem Saatgut, Schlaglöcher in der Straße nach Saalbach-Hinterglemm, über die frühere Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer und auch das ›Haus der Berge‹ in Berchtesgaden fand Eingang in seine Überlegungen. Einen roten Faden auszumachen war schwierig.«301 Im Gegensatz dazu hatten die Grünen vor allem durch die Vorsitzführung Astrid Rösslers im Finanzskandal-Untersuchungsausschuss eindeutig an politischem Profil und Attraktivität gewonnen. Die Umfragewerte stiegen kontinuierlich, galt doch die Partei als von den finanziellen Malversationen nicht tangiert und hatte sich ein Aufdeckerimage erworben. »Dieses verkrustete, alles erstickende rot-schwarze Machtsystem aufzubrechen und das Land und seine Verwaltung so richtig ›durchzulüften‹, 299 Sylvia Wörgetter  : Lebt die Opposition  ? – In  : SN lokal 26.1.2013. S. 7. 300 Der Standard 17.4.2013. S. 7. 301 SN lokal 6.4.2013. S. 8.

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Annus mirabilis 2013

das wär doch was  !« erklärte Astrid Rössler programmatisch.302 Am 1. März erstellte der Landesausschuss die Kandidatenliste für die Landtagswahl, die zwei Tage später von der Landesversammlung gebilligt wurde. Aufgrund der Umfrageergebnisse hegte man berechtigte Hoffnung auf eine Verdoppelung der Mandatszahl. Astrid Rössler fungierte als Spitzenkandidatin, gefolgt von dem selbstständigen Energieberater und St. Johanner Gemeindevertreter Rupert Fuchs, der klinischen Psychologin Kimbie Hummer-Vogl und Cyriak Schwaighofer auf dem vierten Listenplatz, den er selber als »Kampfmandat« bezeichnete. Mit originellen Slogans wie »Finanz-Chaos  : es gilt die Unfähigkeitsvermutung«, »Wir pflanzen bio, keine Wähler« oder »Rotschwarz. Nichts geht mehr« und der Affichierung Rösslers als grüne Kontrollorin wollte man den Wahlkampf bestreiten. Als neuer aussichtsreicher Mitbewerber betrat das vom austro-kanadischen Milliardär in Leben gerufene Team Stronach zwei Monate vor der Landtagswahl das Spielfeld. Die neue Partei hatte bereits bei den Landtagswahlen in Niederösterreich und Kärnten Erfolge erzielt und konnte, noch bevor ein einziges Plakat gedruckt und ein Spitzenkandidat nominiert war – der Nationalratsabgeordnete Erich Tadler bemühte sich zwar mit dem Aufbau einer Landesorganisation –, mit einem Zuspruch von bis zu 7 Prozent rechnen. Als mögliche Wechsler zu der neuen Partei wurden der ehemalige FPÖ-Mandatar und nunmehrige Vizebürgermeister von Seekirchen Helmut Naderer, der noch im November 2012 die Partei »Frischer Wind für Salzburg«, eine Koalition von BZÖ und der Freien Wählergemeinschaft Seekirchen, gegründet hatte303, der Goldegger Bürgermeister und ehemaliges ÖVP-Mitglied Hans Mayr und als politischer Quereinsteiger der populäre ehemalige Austria Salzburg-Tormann Otto Konrad genannt. Als Spitzenkandidat wurde Hans Mayr favorisiert, dem bereits in seiner Zeit als ÖVP-Mitglied vergebliche landespolitische Ambitionen nachgesagt wurden. Mayr galt aufgrund seiner jahrelangen kommunalpolitischen Erfahrung als Polit-Profi, den die junge Partei im Fall eines Einzugs in den Landtag benötigte. Aus seiner ideologischen Position machte er allerdings kein Geheimnis. »Nach 35 Jahren in der ÖVP kann ich mich nicht mehr grundsätzlich ändern, was das Ideologische betrifft.« Das Team Stronach mit ihm als Spitzenkandidaten müsse »einen klar bürgerlichen Kurs … fahren«. Er wolle keinesfalls der Spitzenkandidat einer rechtspopulistischen Partei sein. »Das passt nicht zu mir.«304

302 Astrid Rössler  : Aus Grüner Sicht. – In  : Salzburger Fenster 20.3.2013. S. 2. 303 Zum Wechsel Helmut Naderers Vgl. Salzburger Fenster 20.3.2013. S. 1 und 5. 304 SN lokal 21.3.2013. S. 7.

Das Wahlergebnis – Ein politisches Erdbeben

569

17.3 Das Wahlergebnis – Ein politisches Erdbeben Bei einer auf 71 Prozent gesunkenen Wahlbeteiligung wurden die politischen Verhältnisse am 5. Mai 2013 folgenschwer neu geordnet.305 Die sich in den demoskopischen Erhebungen im März bereits andeutenden massiven Verluste von SPÖ und ÖVP traten im Fall der SPÖ mit einem unerwarteten Verstärkereffekt ein. Hatte sie bei ihrem historischen Wahlsieg 2004 12,9 Prozentpunkte gewonnen und mit 45,4 Prozent ein in der Geschichte der Zweiten Republik singuläres Ergebnis erzielt, so verlor sie 2009 6 Prozentpunkte und lag mit 39,4 Prozent bei ihrem Ergebnis des Jahres 1979. Nunmehr erlebte sie mit einem Verlust von 15,6 Prozentpunkten ein Debakel und sank mit 23,8 Prozent auf ihr mit Abstand schlechtestes Ergebnis nach 1945. Bei der Frage nach der Direktwahl des Landeshauptmanns konnte Amtsinhaberin Gabi Burgstaller, das langjährige Zugpferd der Partei, nicht mehr punkten. Sie lag mit 27 Prozent gleichauf mit Wilfried Haslauer jun. Wenngleich auch die ÖVP deutliche Stimmenverluste hinnehmen musste, so fielen diese mit 7,5 Prozentpunkten deutlich geringer aus. Dieser deutlich geringere Verlust im Vergleich zur SPÖ sicherte ihr mit 29 Prozent wiederum die Position der stärksten Partei im Salzburger Landtag. Der von Pessimismus und Misstrauen gegenüber dem politischen System gekennzeichnete Wählermarkt reduzierte durch seine Neuorientierung die bisherigen traditionellen Regierungsparteien von Groß- auf Mittelparteien. FPÖ, Grüne und Team Stronach profitierten von dieser Entwicklung durch Zugewinne in unterschiedlichem Ausmaß. Während die Gewinne der FPÖ von 4 Prozentpunkten im Rahmen blieben und das Team Stronach auf Anhieb 8,3 Prozent erreichte und sich damit als ernst zu nehmender Konkurrent für die FPÖ erwies, feierten die Grünen einen in diesem Ausmaß nicht erwarteten historischen Wahlsieg, der durchaus mit jenem der SPÖ 2004 vergleichbar war. Die Partei gewann 12,8 Prozentpunkte, stieg mit 20,2 Prozent zur Mittelpartei auf und verwies damit die FPÖ erstmals seit 1949 auf die vierte Position. Mit dem Einzug des Team Stronach in den Salzburger Landtag waren in diesem nunmehr erstmals fünf Parteien vertreten.

305 Zum Wahlergebnis Vgl. auch Herbert Dachs  : Zwischen Restauration und Neubeginn. Die Salzburger Landtagswahl 2013. – In  : ÖJP 2013. – Wien/Köln/Weimar 2014. S. 263–276. S. 271ff.

570

Annus mirabilis 2013

Ergebnisse der Landtagswahl 2013 und Veränderungen gegenüber 2009  :306 Stimmen 2013

Prozent 2013

Differenz zu 2009 in PP

Mandate 2013

Differenz zu 2009

SPÖ

63.470

23,8

–15,6

9

–6

ÖVP

77.312

29,0

–7,5

11

–3

FPÖ

45.387

17,0

+ 4,0

6

+1

GRÜNE

53.779

20,2

+ 12,8

7

+5

3456

1,3

+ 1,3

0

0

879

0,3

+ 0,3

0

0

22.217

8,3

+ 8,3

3

+3

PIRATEN KPÖ TEAM STRONACH

In der Stadt Salzburg wurden die Grünen mit einem Zugewinn von 13 Prozentpunkten noch vor der SPÖ stärkste Partei. Weitere Schwerpunkte bildeten die Bezirke Salzburg-Umgebung (Flachgau) und Hallein (Tennengau), denen gegenüber die Ergebnisse in den Gebirgsgauen, trotz deutlicher Gewinne, abfielen. Dementsprechend befanden sich bei den Gewinnen die fünf besten Gemeinden im Flach- und Tennengau, die fünf schlechtesten in den Gebirgsgauen. Von den insgesamt 119 Gemeinden erreichten 30 im Flach- und Tennengau einen Wert über dem Landesergebnis, Lamprechtshausen erzielte mit 20,2 Prozent das Landesergebnis, 88 lagen mit unterschiedlichen Abweichungen darunter.307 Stimmenanteile der Grünen bei der Landtagswahl 2013 und Veränderungen zu 2009 nach Bezirken  :308 2013

Gewinn gegenüber 2009

Stadt Salzburg

26,3

+ 13,0

Flachgau

22,7

+ 14,9

Tennengau

21,7

+ 15,0

Pongau

14,2

+ 10,2

Pinzgau

13,9

+ 9,9

Lungau

12,3

+ 8,9

306 Landtagswahl am 5.5.2013. Endgültige Ergebnisse. Amt der Salzburger Landesregierung Landesamtsdirektion. Landesstatistischer Dienst. – Salzburg 2013. S. 6. 307 Ebda. S. 60f. 308 Ebda. S. 10.

571

Das Wahlergebnis – Ein politisches Erdbeben

Stimmenanteilsveränderungen der Grünen bei der Landtagswahl 2013 gegenüber 2009 nach ausgewählten Gemeinden  :309 Stimmenanteil LTW 2013

Stimmenanteil LTW 2009

Veränderungen in PP

Koppl

28,7

8,0

+ 20,8

Kuchl

26,9

8,0

+ 18,9

Seekirchen am Wallersee

28,3

9,6

+ 18,7

Oberalm

27,6

9,1

+ 18,5

Bad Vigaun

22,4

4,7

+ 17,6

Untertauern

5,7

2,3

+ 3,4

Die fünf besten Gemeinden

Die fünf schlechtesten Gemeinden

Forstau

5,4

1,4

+ 3,9

Muhr

4,1

0,0

+ 4,1

Zederhaus

5,6

1,5

+ 4,1

Görlach

6,7

2,0

+ 4,7

Deutlich ausgeprägt war bei den Grünen der Hochburgen-Effekt. In Gemeinden, in denen sie bereits 2009 ihre höchsten Stimmenanteile erzielen konnten, verbuchten sie erhebliche Stimmengewinne mit durchschnittlich 15 Prozentpunkten. Veränderung des Stimmenanteils der Grünen in den Gemeinden bei der Landtagswahl 2013 gegenüber der Landtagswahl 2009  :310 Gemeinden mit Stimmenanteil GRÜNE bei der LTW 2009 von  : unter 2 Prozent

+ 7,6

2 bis unter 3 Prozent

+ 8,9

3 bis unter 4 Prozent

+ 10,5

4 bis unter 5 Prozent

+ 11,9

5 bis unter 7 Prozent

+ 13,0

7 Prozent und mehr

+ 15,0

Die Grünen wählten rund 16.000 ihrer 20.843 Wähler des Jahres 2009, womit sie über eine Wiederwahlquote von etwas mehr als 80 Prozent verfügten. Die stärksten Gewinne verbuchten sie als nicht in den Finanzskandal verstrickte und an dessen 309 Ebda. S. 53. 310 Ebda. S. 39.

572

Annus mirabilis 2013

Aufarbeitung maßgeblich beteiligte Partei bei ehemaligen ÖVP-Wählern, gefolgt von ehemaligen SPÖ-Wählern. Deutliche Zuzüge erhielten sie aus dem Lager der Nichtwähler des Jahres 2009. Durch die großen Zugewinne von ehemaligen SPÖund ÖVP-Wählern verschob sich die Altersstruktur der Grün-Wähler nach oben. Nicht mehr die Unter–30-Jährigen bildeten das Gros, sondern die Gruppe der 30bis 59-Jährigen (22 bzw. 24 Prozent der jeweiligen Alterskohorte). Der Gender Gap setzte sich fort. Das Gros der Grün-Wählerschaft war weiblich und unter 44 Jahre alt. Wählerschaft und Gewinne der Grünen bei der Landtagswahl am 5. Mai 2013 in Tausend  :311 SPÖ 2009

12

ÖVP 2009

14

FPÖ 2009

2

Grüne 2009

16

BZÖ

3

Nichtwähler 2009

6

Summe 2013

53

Wahlverhalten nach Alter und Geschlecht bei der Landtagswahl am 5. Mai 2013  :312 SPÖ

ÖVP

FPÖ

GRÜNE

STRONACH

ANDERE

Männer bis 44

12

25

31

18

12

2

Männer ab 45

20

35

17

17

9

2

Frauen bis 44

31

20

9

31

7

2

Frauen ab 45

32

36

8

19

4

1

Bei den Wahlmotiven der Grün-Wählerinnen und -Wähler dominierte der Wunsch nach deren Einzug in die Landesregierung, die Vorsitzführung im FinanzskandalUntersuchungsausschuss und die Kontrolle von Missständen. Bei den Themen für die Wahlentscheidung zugunsten der Grünen spielte neben den klassischen Bereichen Umwelt und Bildung der Finanzskandal in Salzburg eine wichtige Rolle.

311 Flooh Perlot, Martina Zandonella  : SORA Wahltagsbefragung und Wählerstromanalyse Landtagswahl Salzburg 2013. – Mai 2013. 312 Ebda.

Das Wahlergebnis – Ein politisches Erdbeben

573

Wahlmotive der Grün-Wählerinnen und -Wähler. »Trifft sehr zu«, Mehrfachnennungen möglich, Antworten in Prozent  :313 Grüne in Landesregierung

77

Kontrolle von Missständen

75

vertritt meine Interessen

64

bisher gute Arbeit

57

vernünftigstes Programm

48

beste Spitzenkandidatin

38

Rössler soll Landeshauptfrau werden

34

überzeugendster Wahlkampf

32

Wichtige Themen für Wahlentscheidung der Grün- Wählerinnen und -Wähler  : »sehr wichtig«, Mehrfachnennungen möglich, Antworten in Prozent  :314 Umwelt

82

Bildung

80

Gesundheit und Pflege

73

Arbeitsplätze

68

Finanzskandal in Salzburg

68

Kosten des täglichen Lebens

64

Wohnen

58

Sicherheit

52

Wirtschaft

44

Zuwanderung und Integration

32

Salzburg wählte am 5. Mai 2013 nicht nur Gabi Burgstaller ab, sondern signalisierte auch den deutlichen Wunsch nach einer neuen Regierungsform unter Einschluss der Grünen. Eine sichtlich schwer gezeichnete SPÖ-Spitzenkandidatin erklärte noch am Wahlabend, die Menschen hätten das Vertrauen in die Regierung, vor allem in die führende SPÖ, verloren. Sie werde sich nach diesem Wahldebakel aus der Politik zurückziehen. Dies bedeutete, dass sie ihren bevorstehenden 50. Geburtstag am 23. Mai als Privatfrau begehen werde. Die Kommentatoren waren sich darin einig, dass damit nicht nur eine steile politische Karriere einer politischen Kommunikatorin ersten Ranges zu Ende ging, sondern auch eine der bloßen Inszenierung und PR313 Ebda. 314 Ebda.

574

Annus mirabilis 2013

Aktion ohne politischen Inhalt ihr Ende fand. Claudia Lagler wies darauf hin, dass Burgstaller neun Jahre an der Spitze des Landes gestanden sei. »Neun Jahre, in denen in der Finanzabteilung des Landes in der Kaigasse munter mit hochgiftigen Risikopapieren spekuliert wurde. Als alles aufflog, wusste Burgstaller wie davor schon beim Skandal um die Osterfestspiele oder die fragwürdigen Doppelförderungen für den SP-nahen Sportverein ASKÖ nichts. Doch die Entzauberung hatte schon früher begonnen. 2009 mit einem Minus von sechs Prozentpunkten. Nur nett zu sein reicht nicht aus, um ein Land wie Salzburg zu regieren. Und auf der Habenbilanz gab es wenig Sichtbares. Die meisten Eröffnungen von Großprojekten, die Burgstaller in ihrer Amtszeit durchgeführt hat, waren noch unter ihrem schwarzen Vorgänger begonnen worden.«315 Für Sylvia Wörgetter gefiel »die nette und leutselige Art der Landeshauptfrau« vielen Salzburgern. »Von der Volksnähe und dem Kommunikationstalent ihrer Spitzenfrau sollte die Partei lange zehren. Ein ganz auf sie zugeschnittener Wahlkampf brachte 2009 noch einmal Platz eins – mit einem hauchdünnen Vorsprung von drei Prozentpunkten auf die ÖVP. Letztlich aber war der Amtsbonus aufgezehrt. SPÖ-Politiker und Burgstaller eingeschlossen hatten schon vor dem Finanzskandal keine allzu gute Figur in der Skandalbewältigung gemacht. Zunehmend wurde die Frage gestellt, wo die politischen Inhalte blieben und welche Errungenschaften Burgstaller hinterlassen werde.«316 Wilfried Haslauer jun. und die ÖVP waren, trotz deutlicher Stimmenverluste, als nunmehr wiederum stärkste Partei einer der Gewinner der Wahl. Der Sieger ÖVP war somit »nicht so sehr der eigenen Stärke zuzuschreiben, sondern den enormen Verlusten der vom Finanzskandal arg durchgebeutelten SPÖ.«317 Haslauers waghalsige Entscheidung für Neuwahlen Ende 2012, seine Erklärung, mit der SPÖ, die er »Bande« nannte, nicht länger koalieren zu wollen, seine deutliche Ansage »Burgstaller oder ich« und im Fall einer Niederlage aus der Politik gehen zu wollen, erwiesen sich letztlich als erfolgreich, auch wenn die ÖVP ihr bisher schlechtestes Ergebnis seit 1945 erreichte. Im Vergleich zur SPÖ kam sie »mit einem blauen Auge davon«.318 Die Grünen, FPÖ und Team Stronach zählten ebenfalls, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, zu den Gewinnern. Die FPÖ vermochte ihren Stimmenanteil um 4 Prozent zu erhöhen, was dem Zugewinn eines Mandats entsprach. Die demoskopischen Erhebungen hatten dem Team Stronach 8 bis 9 Prozent und damit den Einzug in den Landtag prophezeit. Die neue Partei galt vor allem als Konkurrent der FPÖ, deren Stimmenzuwachs durch die Lukrierung zahlreicher Protestwähler 315 Claudia Lagler  : Nur nett sein reicht nicht  : »Rote Gabi« muss gehen. – In  : Die Presse 6.5.2013. S. 3. 316 Sylvia Wörgetter  : Ein Skandal stand am Anfang ihrer Karriere – und am Ende. – In  : SN lokal 6.5.2013. S. 2. 317 Der Standard 6.5.2013. S. 2. 318 Die Presse 6.5.2017. S. 3.

Das Wahlergebnis – Ein politisches Erdbeben

575

damit reduziert wurde. Mit 8,2 Prozent errang das Team Stronach am 5. Mai drei Mandate und wurde damit zu einem Mitspieler in den nunmehr einsetzenden Koalitionsüberlegungen. Die Zugewinne der FPÖ und der Einzug des Teams Stronach in den Landtag wurden jedoch durch die Verdreifachung der Stimmen der Grünen und deren Anwachsen von zwei auf sieben Mandate überstrahlt. Noch nie hatte eine grüne Landespartei einen solchen Erfolg zu verzeichnen. Dass die Grünen Stimmen und Mandate gewinnen würden, galt als sicher. Dass der Sieg jedoch in dieser Höhe ausfiel, überraschte selbst die eigenen Funktionäre. So hatte die Bundessprecherin Eva Glawischnig in ihrer optimistischsten Annahme mit 15 Prozent gerechnet, nun waren es knapp über 20 Prozent geworden. Dementsprechend die Freude Glawischnigs. »Ich kann es noch gar nicht fassen, ich habe noch nie im Leben einen so schönen Wahlabend erlebt.«319 In der grünen Parteizentrale in Salzburg war die Freude überschäumend, doch war man sich dessen bewusst, dass dieser Wahlerfolg vor allem den äußeren Umständen – Finanzskandal und Vorsitzführung Astrid Rösslers im Untersuchungsausschuss – zu verdanken war. So bemerkte Johann Padutsch mit Blick auf das Ergebnis in der Stadt Salzburg, in der die Grünen stärkste Partei geworden waren  : »Das ist ein Wert, der kaum zu toppen ist. Da braucht man schon die Rahmenbedingungen.« Der Finanzskandal habe den Grünen sehr geholfen, doch müsse man »auch sagen, dass es Astrid hervorragend gemacht hat«.320 Ähnlich lautete der Befund von Gemeinderat Bernhard Carl. Gleichzeitig herrschte die Bereitschaft vor, nunmehr Regierungsverantwortung zu übernehmen, aber nur, wenn die Bedingungen stimmten. Das Wahlergebnis ließ aufgrund der Mandatsverteilung eine Reihe von Optionen offen, von denen nur eine einzige eine Zweierkoalition betraf  : die Wiederauflage einer ÖVP-SPÖ-Koalition unter Führung der ÖVP. Wenngleich rechnerisch möglich, wäre einer solchen Koalition der Geruch einer Koalition der Verlierer angehangen. Zudem regte sich vor allem in der ÖVP aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre massiver Widerstand gegen eine Neuauflage einer Koalition mit der SPÖ. Auch für zahlreiche SPÖ-Funktionäre war eine Koalition mit der ÖVP unter einem Landeshauptmann Haslauer jun. nur schwer vorstellbar. Damit blieb nur mehr die breite Platte der Dreierkoalitionen übrig  : ÖVP-SPÖ-Grüne, ÖVP-SPÖ-FPÖ, ÖVP-SPÖStronach, ÖVP-FPÖ-Stronach, ÖVP-Grüne-Stronach, SPÖ-Grüne-Stronach. Die rein rechnerischen (theoretischen) Möglichkeiten waren das eine, die politischen (und ideologischen) Realitäten das andere. Nur die Optionen ÖVP-SPÖ-Grüne, ÖVP-Grüne-Stronach und SPÖ-Grüne-Stronach waren im Bereich des Möglichen. Eine Koalition der ÖVP mit der FPÖ, die Haslauer 2009 als Möglichkeit in Erwägung gezogen hatte, um sich aus der Position des undankbaren Zweiten zu befreien, 319 Ebda. 320 SN lokal 6.5.2013. S. 4.

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Annus mirabilis 2013

war aufgrund der zunächst erfolgten, nach der Wahl allerdings wiederum revidierten, Oppositionsansage sowie der Unberechenbarkeit Karl Schnells nicht ratsam. Sie sollte bei den folgenden Regierungsverhandlungen nur als Drohkulisse und ultima ratio fungieren. Bereits am Wahlabend sickerte durch, dass eine Koalition mit den Grünen von vielen ÖVP-Funktionären bevorzugt wurde, wobei allerdings die Frage des dritten Regierungspartners noch unbeantwortet blieb. Allerdings ergaben sich bereits deutliche Präferenzen für das Team Stronach. Während die SPÖ der von den Grünen bevorzugten Variante einer ÖVP-SPÖ-Grünen Koalition viel abgewinnen konnte, stieß diese bei der ÖVP auf strikte Ablehnung, da man sich in diesem Fall um die Früchte des Sieges gebracht wähnte und zudem eine ungünstige Konstellation in der Koalitionsregierung befürchtete. Sollte sich diese Variante allerdings im Zuge der folgenden Regierungsverhandlungen nicht verhindern lassen, wurde auch eine Koalition mit der FPÖ und dem Team Stronach in Erwägung gezogen. Am Tag nach der Wahl erklärte Wilfried Haslauer jun., er verschließe sich keineswegs der Forderung, anstelle eines Verlierers (SPÖ) Sieger wie die Grünen und das Team Stronach in die Regierung zu holen. »Die Option ist offen. Es gibt aber mehrere mögliche Konstellationen.« Bei der folgenden Regierungsbildung gehe »es nicht um Vorlieben. Entscheidend ist  : Mit wem können wir das Notwendige durchsetzen – ohne Gezänk  ? Das will ich in den nächsten Wochen klären und möglichst noch im Mai eine Regierung bilden.«321

17.4 Die Regierungsverhandlungen. Auf dem Weg zu ­ schwarz-grün-orange Die ÖVP begab sich unmittelbar nach dem Wahltag auf Partnersuche, für die bei der Sitzung des Parteipräsidiums am 6. Mai die Vorgangsweise festgelegt wurde. Landesparteiobmann Wilfried Haslauer jun. erklärte, es gebe keine Koalitionspräferenzen und er werde in einem ersten Schritt mit allen vier Parteien Gespräche führen,322 wobei er jedoch Einschränkungen machte und Vorlieben erkennen ließ. Eine mögliche Koalition aus ÖVP, SPÖ und Grünen ergab für ihn keinen Sinn. »Das ist nicht Fisch und nicht Fleisch.« Eine Zusammenarbeit mit den Grünen und dem Team Stronach sei hingegen nicht ausgeschlossen. »Alles ist denkbar.« Während und nach 321 Die Presse 7.5.2013. S. 3. 322 Gegenüber den »Salzburger Nachrichten« erklärte er  : »Es gibt eine Reihe von möglichen Koalitionsvarianten. Am Mittwoch werde ich mit den vier Parteiobleuten Einzelgespräche führen. Dann wird es einen Terminfahrplan für weitere Vorgespräche geben. Die sollen eine Weichenstellung bringen, mit wem wir dann Koalitionsgespräche führen. Mein Ziel ist es, die Vorgespräche bis Dienstag nächster Woche abgeschlossen zu haben. Dann sollten wir wissen, mit wem Regierungsverhandlungen aufgenommen werden.« (SN lokal 8. 5. 2013. S. 4.)

Die Regierungsverhandlungen

577

der Sitzung wurden jedoch die Präferenzen für eine künftige Koalition mit den Grünen deutlich. So erklärte der Tennengauer Bezirksobmann Christian Struber  : »Es ist ein Gebot der Stunde, nach diesem Ergebnis sehr ernst mit den Grünen zu verhandeln und sie zu einer Regierungsbeteiligung einzuladen.« Auch wenn eine Dreierkoalition vielleicht schwieriger sei als eine traditionelle Zweierkoalition, so sei sie eine Herausforderung und »Herausforderungen haben auch etwas Spannendes an sich.«.323 Nicht alle in der ÖVP teilten allerdings diese Vorliebe. Vor allem der Wirtschaftsbund sah eine Koalition mit den Grünen kritisch und bevorzugte die sozialpartnerschaftlich abgesicherte Variante einer neuerlichen Koalition mit der SPÖ. Vor allem bei der geplanten 380-kV-Leitung und den geplanten Projekten zur weiteren Erschließung von Skigebieten durch Lifte wären erhebliche Konflikte im Fall einer Koalition mit den Grünen, bei denen man eine generelle Wirtschaftsfeindlichkeit argwöhnte, vorprogrammiert. Gleichzeitig wurden im Präsidium und im Vorstand der SPÖ im Parkhotel Brunauer die personellen Weichen für die Nachfolge von Gabi Burgstaller gestellt. Einstimmig wurde der bisherige Landeshauptmann-Stellvertreter und Sozial- und Gesundheitslandesrat Walter Steidl als neuer SPÖ-Obmann designiert und mit der Aufgabe betreut, die folgenden Regierungsverhandlungen zu führen. Der aus der Gewerkschaftsbewegung kommende Walter Steidl ließ keinen Zweifel an der festgelegten politischen Marschroute  : die Die Variante ÖVP-Grüne-Team Stronach rief Unbehagen und die Befürchtung des Oppositionsdaseins hervor, weshalb die SPÖ eine Regierungsbeteiligung anstrebte. Eine Koalition aus ÖVP und SPÖ wäre als Koalition der Verlierer keine wünschenswerte Option, ließ er wissen. Die SPÖ bevorzuge eine Dreierkoalition aus ÖVP, SPÖ und den Grünen. Gleichzeitig erfolgte in Ansätzen eine Diskussion über die Neupositionierung der Partei. AK-Präsident Siegfried Pichler und der Salzburger Bürgermeister Heinz Schaden plädierten für eine stärkere Rückbesinnung auf sozialdemokratische Werte und damit einen Linksruck der Partei, weg von der Burgstaller-Mitte. Am 7. Mai legten auch die Grünen ihre Positionen für die kommenden Regierungsverhandlungen fest. Bereits nach einer kurzen Diskussion wurde Übereinstimmung erzielt  : Ziel der Verhandlungen sollte eine ÖVP-SPÖ-Grünen- Koalition sein. »Ich bin beauftragt worden, Verhandlungen mit der ÖVP und der SPÖ aufzunehmen«, erklärte Astrid Rössler nach der Sitzung der Parteispitze. Bei den Grünen war man sich dabei durchaus dessen bewusst, dass ein Regierungsabkommen mit der ÖVP und der SPÖ eine Reihe von Konfliktfeldern – 380-kV-Leitung, Kraftwerksprojekte an der unteren Salzach, weitere Skigebieterschließungen, Widmung von Gewerbegebieten und Einkaufszentren – beinhalten würde. Eine Zusammenarbeit mit dem Team Stronach sei nicht wünschenswert. Damit erteilte man dem ehemali323 SN lokal 7. 5. 2013. S. 5.

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Annus mirabilis 2013

gen Bundessprecher der Grünen, Alexander Van der Bellen, eine deutliche Absage. Dieser hatte gegenüber der Tageszeitung »Der Standard« erklärt, eine Koalition der Grünen mit der ÖVP und dem Team Stronach sei in Salzburg keineswegs unmöglich. »Beim Team Stronach kommt es stark auf die involvierten Leute an. Für Salzburg würde ich es nicht ausschließen.«324 Kurz darauf ließen die Salzburger Grünen allerdings eine Richtungsänderung erkennen, als Cyriak Schwaighofer bemerkte, dass für den »unwahrscheinlichen Fall«, dass eine ÖVP-SPÖ-Grünen- Koalition nicht möglich sei, auch eine Koalition mit dem Team Stronach angedacht werden sollte. Dies wäre allerdings innerparteilich keineswegs unumstritten und würde mit großer Wahrscheinlichkeit nur »ohne Einstimmigkeit« beschlossen werden.325 Die Entscheidung für einen Regierungseintritt war jedoch keineswegs unumstritten. Vor allem ehemalige Politikerinnen und Politiker der Grünen äußerten ihre Zweifel bis hin zur Ablehnung. Der ehemalige Kuchler Vizebürgermeister und Landtagsabgeordnete Matthias Meisl erklärte, man solle »nicht um jeden Preis« in eine Regierung gehen. Wenn man dies schon tue, müsse das Regierungsprogramm eine klare grüne Handschrift zeigen. Richard Hörl lehnte eine Regierungsbeteiligung strikt ab. »Wenn dieser Wahlerfolg in der Zukunft inhaltlich wirken soll, dann darf man nicht eine Koalition mit der ÖVP bilden. Sonst sind die Grünen gefesselt durch einen Koalitionsvertrag und müssen wesentliche Grundsätze aufgeben.« Die Grünen sollten in Opposition bleiben, wenn sie viel erreichen wollten. »In der Regierung ist es unmöglich, etwas aufzuzeigen.« Und Johannes Voggenhuber bemerkte giftig, eine Einigung mit der ÖVP und der SPÖ sei aufgrund des Fehlens von Inhalten durchaus möglich. »Das große Problem der Salzburger Politik ist ja die völlige Inhaltsleere. Es geht gar nichts weiter, es gibt keine Debatte, keine Programme, keine Konzepte, weder von der SPÖ noch von der ÖVP. Ich wüsste gar nicht, worüber man streiten könnte. Man verhandelt mit einem schwarzen Loch.«326 Als auch das Team Stronach seine prinzipielle Bereitschaft zur Aufnahme von Regierungsverhandlungen erklärte, vollzog FPÖ-Obmann Karl Schnell eine politische Wende und erklärte am 9. Mai mit den Worten, »zur Not in den sauren Apfel beißen« zu wollen, die Bereitschaft zum Regierungseintritt. Allerdings dränge sich die FPÖ keineswegs in eine Regierung. »Schon auch aus der Überlegung, dass wir dann den Scherbenhaufen, den SPÖ und ÖVP hinterlassen haben, zusammenkehren müssten.«327 Damit waren die Positionen für die kommenden Verhandlungen bezogen, bei denen ein relativ großer Problemhaushalt zur Diskussion stand. Dabei ergaben sich 324 Der Standard 7. 5. 2013. S. 2. 325 SN lokal 10. 5. 2013. S. 3. 326 SN lokal 8. 5. 2013. S. 1f. 327 SN lokal 10. 5. 2013. S. 3.

Die Regierungsverhandlungen

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wiederum eine Reihe von Schnittmengen zwischen den Verhandlungspartnern wie die Einführung einer doppelten Buchhaltung in der Landesverwaltung, eine Neuordnung des Landesrechnungshofes, ein Vorgehen bis zur Klage gegen Banken, mit denen die Finanzabteilung die Spekulationsgeschäfte durchführte sowie Sparmaßnahmen. Salzburg hatte ein hohes strukturelles Budgetdefizit und wies 2012 mit 0,7 Prozent ein im Österreich-Vergleich unterdurchschnittliches Wirtschaftswachstum auf. Für 2013 wurden lediglich 0,6 Prozent prognostiziert, womit Salzburg das Schlusslicht aller Bundesländer bildete. Der designierte Finanzlandesrat Christian Stöckl erklärte mit Blick auf die Landesfinanzen  : »Meine erste Sorge ist, ob wir so eine stabile Koalition zusammenkriegen, dass auch die anderen Partner den Gesundungskurs mittragen – denn wir haben nichts zu verteilen. Wir werden wohl keine großen Träumereien ins Regierungsübereinkommen schreiben, die wir uns nicht leisten können …«328 Das Gesundheitssystem, die Schaffung von leistbarem Wohnraum, eine Verwaltungsreform und die Energieversorgung (Wasserkraftwerke, 380-kV-Leitung) bildeten Problembereiche, die einer Lösung harrten, wobei unterschiedliche ordnungspolitische Konzepte Konflikte in einer Koalitionsregierung hervorrufen mussten. Nach einer ersten Vorrunde mit allen Parteien führte Wilfried Haslauer jun. am 10. Mai zweistündige vertiefende Gespräche mit der SPÖ und der FPÖ. Bei dem Gespräch mit der SPÖ wurde deutlich, dass der vergangene Wahlkampf noch nicht das ganze Porzellan zerschlagen hatte und eine sachliche Atmosphäre herrschte. Am 13. Mai sollten Gespräche mit den Grünen und dem Team Stronach folgen. Als Haslauer am 11. Mai andeutete, er bevorzuge eine Koalition mit den Grünen und dem Team Stronach, sah sich der designierte SPÖ-Obmann Walter Steidl mit der Gefahr der Oppositionsrolle konfrontiert. Diese entsprach jedoch nicht dem Selbstverständnis der SPÖ, wie bei der Vollversammlung der Arbeiterkammer am 8. Mai deutlich wurde, bei der allerdings auch einige SP-Kammerräte mit dem Hinweis auf den Verlust von 16 Prozentpunkten den Gang in die Opposition keineswegs von sich wiesen. Die Andeutung Haslauers ließen in der SPÖ-Führung die Alarmglocken läuten, befürchtete man doch im Fall der Opposition das Schicksal der Tiroler und Vorarlberger Landesorganisation, die, ausgeschlossen von den Hebeln der Macht und damit der politischen Gestaltungsmöglichkeit, sich in Richtung einer Kleinpartei bewegten. Man war sich auch der zunehmend syndikalistischen Struktur der Partei und der damit einhergehenden Gefahren ihrer Einengung auf Gewerkschaft und Arbeiterkammer bewusst. Im Fall eines Ganges in die Opposition drohte sich diese Tendenz zu verstärken und die Mehrheitsfähigkeit der SPÖ zu verhindern. In einem als taktischer Befreiungsschlag konzipierten Angebot unterbreitete Steidl den Vorschlag, in einer Koalition aus SPÖ, Grünen und Team Stronach die grüne 328 SN lokal 7. 5. 2013. S. 4.

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Landessprecherin Astrid Rössler zur Landeshauptfrau zu küren und die ÖVP auf die Oppositionsbänke zu verbannen. Gegenüber den »Salzburger Nachrichten« erklärte er dieses Angebot mit der Feststellung, er sei seiner Linie immer treu geblieben und habe »ein Bild für die Zukunft. Erstens  : Die SPÖ soll in der Regierung sein. Zweitens  : Eine solide Mehrheit mit ÖVP und Grünen wäre das Beste. … Wir sind die zweitstärkste Kraft. Ich habe gesagt, ich werde auch selbst mit Grünen und Team Stronach reden. Dabei hat sich diese Idee ebenso entwickelt. ÖVP-Chef Wilfried Haslauer jun. hat sich auf eine Koalition mit Grünen und Stronach festgelegt – und dieses Verhalten hat mich auf besagte Idee gebracht. Ich habe hier regiert. Ich bin vor allem unseren 60.000 Wählern verpflichtet, die SPÖ in Regierungsverantwortung zu bringen.«329 Die Drohgebärde Steidls erwies sich jedoch aus zwei Gründen als wirkungslos. 1. In Tirol wurde zu diesem Zeitpunkt nach der Landtagswahl eine Schwarzschwarz-Grüne grüne Landesregierung gebildet und auch die Salzburger Grünen strebten eine Koalition mit der ÖVP an. Seitens der Grünen ließ man daher wissen, dass man das Angebot Steidls nicht annehme und nach wie vor eine ÖVPSPÖ-Grünen- Koalition bevorzuge. Für Hans Mayr vom Team Stronach lag »RotGrün-Stronach … in der Präferenz … ganz deutlich hinter einer Koalition mit der ÖVP und den Grünen.«330 2. Wilfried Haslauer jun. hatte auch die Option einer Koalition mit der FPÖ und dem Team Stronach, konnte daher dieser Drohgebärde relativ gelassen begegnen. Das mediale Echo war zudem wenig freundlich. Für Sylvia Wörgetter gab es in der Politik »Manöver, die sich eigentlich verbieten. Dazu gehört das Angebot, das der neue Salzburger SPÖ-Chef Walter Steidl den Grünen gemacht hat  : Demnach würde die SPÖ die grüne Parteichefin zur Landeshauptfrau machen und als Mehrheitsbeschaffer für Rot-Grün das Team Stronach ins Boot holen. … Es ist verständlich, wenn Steidl die SPÖ im Koalitionspoker halten will. Aber dieses Angebot ist demaskierend. Es zeigt die Panik der Salzburger SPÖ, womöglich erstmals nach 1945 die Oppositionsbank drücken zu müssen. Und es zeigt, dass dieser SPÖ derzeit fast jedes Mittel recht ist, um an der Macht zu bleiben – sogar das verteufelte Modell Haider/Schüssel. Damit hat Steidl sich und der SPÖ keinen guten Dienst getan.«331 Eine IGF-Repräsentativumfrage unter Leserinnen und Lesern der »Salzburger Nachrichten« kam zu diesem Zeitpunkt zu dem Ergebnis, dass 76 Prozent auf jeden Fall Schwarz-Grün in der nächsten Landesregierung vertreten wissen wollten. Dabei wurde die Variante Schwarz-Rot-Grün von 38 Prozent bevorzugt, ebenso viele sprachen sich für die Variante Schwarz-Grün-Team Stronach aus. Alle anderen Ko329 SN lokal 13. 5. 2013. S. 3. 330 Ebda. 331 Sylvia Wörgetter  : Salzburgs SPÖ macht ein »unmoralisches Angebot«. – In  : SN 13. 5. 2013. S. 1. Vgl. dazu auch Die Presse 13. 5. 2013. S. 1.

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alitionsvarianten landeten im weit abgeschlagenen Feld. Bemerkenswert war dabei die Meinung der SPÖ-Mitglieder und -Sympathisanten, die zu 51 Prozent für die Variante Schwarz-Grün-Team Stronach und damit den Gang der SPÖ in die Opposition votierten. Koalitionspräferenz (Antworten in Prozent)  :332 ÖVP, Grüne, Stronach

38

ÖVP, SPÖ, Grüne

38

ÖVP, FPÖ, Team Stronach

9

ÖVP, SPÖ

6

unentschieden

8

Die Verhandlungen der ÖVP mit den Grünen und dem Team Stronach am 11. Mai brachten nicht den von Haslauer jun. erhofften Durchbruch in Richtung der von ihm bevorzugten Koalitionsvariante, da die Grünen nach wie vor eine ÖVP-SPÖGrünen- Koalition bevorzugten und gegenüber dem Team Stronach vor allem ideologische Bedenken vorbrachten. Es wäre äußerst schwierig, so das Argument, in der Landesversammlung eine Koalition mit dem Team Stronach durchzusetzen. Das Argument für eine Koalition unter Einbindung der SPÖ betraf vor allem die starke Stellung der FSG im ÖGB, der AK und der Beamtenschaft des Landes. Wäre die SPÖ in der Opposition, würde sie vor allem gegen die Grünen, die zudem über keine Spitzenbeamten verfügten, mobilisieren, da eine Reihe von geplanten Reformvorhaben den bisherigen Einflussbereich der »roten Reichshälfte« beträfen. Und in der Stadt Salzburg befand sich die Bürgerliste in einer inoffiziellen Koalition mit der SPÖ. Alfred Pfeiffenberger wies auf die Inkonsequenz der grünen Verhandlungsposition hin, die nun eine Zusammenarbeit auf breiter Basis mit dem Argument, dass dies gut für das Land sei, anstrebten. »Wohl aber auch, weil sie fürchten, dass bei den vielen anstehenden Reformen ein kräftiger Gegenwind von einer Sozialdemokratie zu erwarten ist, die in die Oppositionsrolle gedrängt wurde. Vor mehr als zehn Jahren war die Zusammenarbeit der großen Parteien in der Regierung den Grünen noch ein Gräuel. Es waren gerade die Grünen, die damals zu den vehementesten Kritikern des ›Regierungs-Proporzes‹ zählten. Dabei wurde jede Partei nach ihrem Wahlerfolg an der Regierung beteiligt. Undemokratisch sei das, argumentierte damals die Ökopartei. Eine Missachtung des Parlamentarismus, eine Quasi-Ausschaltung des Landtages, da es ja keine wirkliche Kontrolle für die Regierung gäbe. Und es war auch so. Im Salzburger Landtag saßen damals drei Grüne 33 332 SN lokal 13. 5. 2013. S. 3.

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Abgeordneten von SPÖ, ÖVP und FPÖ gegenüber, die das Land gemeinsam regierten. Als der Proporz im Jahr 1999 abgeschafft wurde, waren es wiederum die Grünen, die dies am lautesten bejubelten. … Tatsache bleibt …, dass in Salzburg nun ohne wirkliche Not der Zwangsproporz durch die Hintertür wieder eingeführt wird. Wobei  : Die Argumente der Grünen gegen diese Regierungsform gelten auch heute sicher noch.«333 Dennoch, die Verhandlungsposition der Grünen war stark – die »Kronen Zeitung« titelte »Grüner Daumen ist am Drücker«334 – und zwang die ÖVP zu einer flexiblen Haltung. Die von Haslauer jun. angekündigte Entscheidung über die Bildung der nächsten Landesregierung am 14. Mai fiel nicht und der ÖVP-Obmann musste dem Parteipräsidium mitteilen, dass noch weitere vertiefende Gespräche mit den Grünen notwendig seien. Dabei wurde deutlich, dass die ÖVP nicht gewillt war, die SPÖ in eine Regierung einzubinden. Besonders erbost war man darüber, dass die SPÖ, David Brenner und Gabi Burgstaller, die finanzielle Lage des Landes im Jahr 2009 verschleiert und damit den Wahlausgang maßgeblich beeinflusst hatten. Die ÖVP wäre bereits damals, so die übereinstimmende Auffassung, wiederum stärkste Partei und Wilfried Haslauer jun. Landeshauptmann geworden. Die mit den Grünen geführten Verhandlungen brachten zwar zahlreiche inhaltliche Übereinstimmungen, stockten jedoch an der nach wie vor unterschiedlichen Koalitionspräferenz. Haslauer erklärte daher, er werde sich über Pfingsten Zeit nehmen und nochmals alle Varianten gründlich zu überdenken. »Ich habe bei allen Parteien die grundsätzliche Bereitschaft ausgelotet, dass die offiziellen Regierungsverhandlungen am kommenden Donnerstag (23. Mai, Anm. d. Verf.) beginnen könnten. Dann wird man sehen, ob und mit wem es zu einer konkreten Vereinbarung über eine Zusammenarbeit für die nächsten fünf Jahre kommt.«335 Am Pfingstmontag schienen sich die festgefahrenen Fronten zwischen ÖVP und Grünen zu lockern.. Astrid Rössler erklärte, sie wolle sich auf keine Prognose über die künftige Regierung einlassen. »Wilfried Haslauer ist am Zug. Ich denke, wir hatten interessante Vorgespräche in den letzten zehn Tagen. Wichtig ist, wie er diese Gespräche wertet.« Die Grünen würden »in aller Ruhe« auf den Vorschlag Haslauers reagieren. Für 22. Mai war eine Sitzung des grünen Landesausschusses einberufen, in dem eine Entscheidung über die Koalitionsvariante, auch ein mögliches Abgehen von der bisherigen Position einer ÖVPSPÖ-Grünen- Position fallen sollte. Für das Team Stronach schienen die Weichen bereits in Richtung einer ÖVP-Grünen-Team Stronach- Koalition gestellt. So erklärte Hans Mayr, er habe zwar mit Wilfried Haslauer jun. über Pfingsten nicht gesprochen,

333 Alfred Pfeiffenberger  : Das ist ein bisschen Retro. – In  : SN lokal 18. 5. 2013. S. 3. 334 Kronen Zeitung 19. 5. 2013. S. 18. 335 SN lokal 18. 5. 2013. S. 2.

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doch glaube er nicht mehr an eine ÖVP-SPÖ-Grünen- Koalition.336 Mayr sollte sich nicht täuschen. Die Grünen rückten von ihrer bisherigen Position ab und schwenkten auf die von Haslauer jun. präferierte Koalitionsvariante mit dem Team Stronach ein. Die Änderung der Position der Grünen gründete in einem weitgehenden Entgegenkommen Haslauers in zentralen Positionen. So hatte Cyriak Schwaighofer erklärt, für die Grünen sei ein »anderer Stil in der Politik« die Basis für Regierungsverhandlungen. Es müsse einen »koalitionsfreien Raum für eine kreative, gestaltende Politik« geben. Das Einstimmigkeitsprinzip in der Landesregierung sollte nur mehr bei Themen gelten, »wo es die geballte Kraft der Regierung braucht, wie beim Budget, bei der Energiewende, der Frage des leistbaren Wohnens oder einer transparenten Postenvergabe.«337 Wilfried Haslauer jun. kam diesen Forderungen weitgehend entgegen, sodass ein künftiges Regierungsprogramm auch eine grüne Handschrift tragen würde. In den Abendstunden des 21. Mai gab die ÖVP-Spitze den Weg frei für eine Regierungsbildung mit den Grünen und dem Team Stronach und Wilfried Haslauer jun. erklärte vor der versammelten Presse, er wolle eine neue Form des Regierens einführen. Zwar sollte weiterhin das Einstimmigkeitsprinzip in der Regierung gelten, doch müsse es auch einen lebendigeren Landtag geben. »Im Landtag wird es koalitionsfreie Räume geben.« Es sollte eine politische Partnerschaft auf Augenhöhe sein. »Ich möchte, dass jeder Partner ein ›Mitsieger‹ ist. Nur so kann es funktionieren, noch dazu, wenn man sich einer starken Opposition gegenüber sieht.« Die Entscheidung für eine schwarz-grün-gelbe Koalition sei im Parteipräsidium einstimmig gefallen. Eine Koalition mit der SPÖ beinhalte die Gefahr, dass man »in die alten Verhaltensmuster zurückfällt.«. Es sei ganz offensichtlich, »wies sehr alle den Streit satt haben.«. Auch vorprogrammierte Konflikte zwischen ÖVP und Grünen schienen mit Blick auf Tirol weitgehend entschärft. In Innsbruck einigten sich ÖVP und Grüne auf die Bildung einer Regierung, wobei sogar in den heißen Eisen wie Liftbauten und Wasserkraftwerken Übereinstimmung erzielt wurde. Für die Grünen stellte Astrid Rössler fest, dass man sich für eine solche Zusammenarbeit ein »attraktives Angebot« erwarte.338 In den Abendstunden des 22. Mai stimmte der Landesausschuss der Grünen mit großer Mehrheit dem Antrag Rösslers zu, Regierungsverhandlungen mit der ÖVP und dem Team Stronach aufzunehmen. »Wir nehmen zur Kenntnis, dass der massive Bruch zwischen SPÖ und ÖVP die von uns angestrebte breite Zusammenarbeit unmöglich macht. Der Riss zwischen den Großparteien ist zu tief. Das ist nicht mehr zu kitten. … Wir stehen für Veränderung und haben uns stets klar dazu bekannt, Verantwortung übernehmen zu wollen. Das sehen wir auch als Auftrag unserer Wähler und Wählerinnen«, begründete die Landessprecherin nach der Sitzung die Entscheidung. Und 336 SN lokal 21. 5. 2013. S. 3. 337 Salzburger Fenster 15. 2. 2013. S. 3. 338 SN lokal 22. 5. 2013. S. 2f  ; Die Presse 22. 5. 2013. S. 9.

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programmatisch  : »Wir wollen für Salzburg ein herzeigbares Transparenzpaket, es muss bei den erneuerbaren Energien, beim Klimaschutz, im gesamten Bereich der Nachhaltigkeit sichtbare Fortschritte geben. Ich will für Salzburg ein Reformpaket mit einer starken grünen Handschrift, darauf werden wir uns jetzt konzentrieren.«339 Mit diesem Schwenk stellte sich auch die Frage der personellen Ressourcen für künftige Regierungsfunktionen. Fest stand nur, dass Astrid Rössler der neuen Landesregierung angehören und Cyriak Schwaighofer als politischer Routinier die wichtige Funktion des Klubobmanns übernehmen werde. Da sich die Grünen gegen den von Haslauer jun. gemachten Vorschlag einer Verkleinerung der Landesregierung auf fünf Mitglieder ausgesprochen hatten, war die Frage der parteipolitischen Aufteilung der sieben Sitze offen. Deutlich war jedoch bereits, dass die Grünen mindestens zwei, wenn nicht sogar drei Mitglieder stellen würden. Als mögliche Anwärter für Regierungsfunktionen wurden Heinrich Schellhorn sowie die Bürgerliste-Mitglieder Johann Padutsch, Helmut Hüttinger, Ingeborg Haller und Ulrike Saghi genannt. Die Entscheidung der Salzburger Grünen stieß jedoch auf Bundesebene nicht auf ungeteilte Zustimmung. Der ehemalige Klubobmann der Grünen im Nationalrat, Andreas Wabl, kritisierte sie heftig und stellte die Frage, ob den Grünen der Wille zur Macht fehle. Die Salzburger Grünen »mit der Frontfrau Astrid Rössler … sehnten sich nach einer stabilen Regierung mit ÖVP und SPÖ. Von dieser Linie gingen die Grünen nicht mehr weg, bis sie der neue alte Macher Haslauer jun. in Koalitionsverhandlungen mit ÖVP und Stronach-Partei zwang. Eva Glawischnig sprach zwar von der Unabhängigkeit der Salzburger Grünen, legte aber sofort ein Veto für die Grünen ein, jemals auf Bundesebene mit der Stronach-Partei ein Bündnis zu machen. Diese Haltung zementierte gleichsam Rösslers Kurs der ganz großen Koalition ein. Das Angebot der geläuterten Sozialdemokraten, dass die Grünen die Landeshauptfrau stellen sollten, wurde absurderweise abgewiesen. Anstatt von den Bundesgrünen jede Unterstützung anzubieten, personell wie inhaltlich, um in einem Bundesland Politik mit hauptsächlich grüner Handschrift zu gestalten, den Versuch zu starten, die erstarrten Strukturen im Machtapparat zu reformieren und zu demokratisieren, ein transparentes Budget zu gestalten, wo erkennbar ist, was Politik kann, wie groß die Gestaltungsspielräume sind, schrecken grüne politische Entscheidungsträger vor dieser großen Verantwortung zurück. Bisher  ! Sind die grünen Programme bestenfalls nur Aufsätze über eine andere Gesellschaft und fehlt den Grünen der notwendige Wille zur politischen Macht  ? Verwechseln sie Politik mit einem Wettbewerb auf einem Seminar an der Hochschule  ? Nehmen sie ihre Verantwortung wahr, dass das, was sie den Bürgern in Wahlzeiten 339 SN lokal 23. 5. 2013. S. 2.

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versprechen, auch mit der vom Souverän, dem Volk, verliehenen Macht intelligent und leidenschaftlich umgesetzt wird  ? (…) Warten, bis Einladungen von Systemerhaltern kommen, ist eine grobe Missachtung der Wähler/innen und ihrer Hoffnungen und Erwartungen.«340 Nicht minder heftig fiel die Kritik der Journalistin und ehemaligen SPÖ-Kommunikationschefin Katharina Krawagna-Pfeifer aus, die den Grünen in einem Kommentar u. a. mangelnden Mut für eine staatstragende Koalition mit der SPÖ und dem Team Stronach vorwarf. Darauf erwiderte Cyriak Schwaighofer  : »Den Grünen … fehlenden Mut vorzuwerfen, weil sie sich nicht auf ein Abenteuer mit der SPÖ und Team Stronach eingelassen haben, entbehrt nicht einer gewissen Heiterkeit. SPÖ-GRÜN-TS hätte mit nur einem Mandat Überhang eine höchst wackelige Konstruktion aus drei Parteien bedeutet. Krawagna-Pfeifer mag es verdrängt haben, doch uns GRÜNEN ist es noch gut in Erinnerung  : 2004 hätte die SPÖ die Chance gehabt, mit den GRÜNEN eine politische Wende in Salzburg herbeizuführen, damals richtete uns Landeshauptfrau Gabi Burgstaller aus  : ›Ich bin ja nicht verrückt  !‹ Jetzt, wo es für die SPÖ darum geht, sich um jeden Preis an der Macht festzukrallen, wäre eine Koalition mit den GRÜNEN unter deutlich unsichereren Vorgaben (drei statt wie damals zwei Parteien) plötzlich ›staatstragend‹. Welche Doppelbödigkeit.«341 Für die »Salzburger Nachrichten« wurden die Grünen mit ihrer Entscheidung zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP und dem Team Stronach zur staatstragenden Partei. »Zwentendorf, Hainburg und Wackersdorf waren einmal. Die Urväter und -mütter der Grünen besetzten einst Auen, ketteten sich an Bäume und protestierten vor Atomkraftwerken. Ihre Nachfolger haben das nicht mehr nötig, um ihre Ziele durchzusetzen. Die Grünen sind in Österreich zur staatstragenden Regierungspartei geworden. In vier Landesregierungen sind sie bereits vertreten, am Mittwoch stellten die Grünen auch in Salzburg die Weichen für eine Koalition mit der ÖVP und dem Team Stronach.«342 Für Manfred Perterer war die neue Koalition logisch. »Auch wenn die Vorstellung eingefleischten Sozialdemokraten wehtun mag  : Es ist kein Beinbruch, wenn die SPÖ nach der Wahlniederlage vom 5. Mai ein paar Jahre nicht in der Salzburger Landesregierung sitzt. (…) Das Argument, das Land brauche eine möglichst stabile, breit aufgestellte Regierung, um die nötigen Reformen beschließen zu können, zieht nicht. Nach fast 70 Jahren Konzentrationsregierung und Großer Koalition mit SPÖ und ÖVP in abwechselnder Reihenfolge stellt sich die Frage, wo sie denn bisher geblieben sind, die großen Reformen. Die ›möglichst stabilen

340 Andreas Wabl  : Fehlt den Grünen der Wille zur Macht  ? – In  : Der Standard 27. 5. 2013. S. 21. 341 Cyriak Schwaighofer  : »Zur Sache Frau Krawagna-Pfeifer  !« – In  : Salzburger Fenster 31. 7. 2013. S. 2. 342 SN 23. 5. 2013. S. 1.

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Regierungen‹ der Vergangenheit waren Garanten für Stillstand und mangelnde Kontrolle. Die geplante Zusammenarbeit von ÖVP, Grünen und dem gelben Team Stronach ist folglich ein logisches Projekt, das frischen Wind und eine neue Politik verspricht.«343 Die Regierungsverhandlungen für dieses »logische Projekt« sollten in elf Arbeitstagen bis zum 12. Juni abgeschlossen sein. Die Gespräche starteten am 23. Mai mit den Bereichen Wirtschaft, Tourismus, Forschung und Arbeit und wurden am folgenden Tag mit den Kapiteln Sport, Demokratie, Europa und Sicherheit fortgesetzt, wobei jeweils strittige Fragen zunächst ausgeklammert und auf einen späteren Zeitpunkt verschoben wurden. Generell verliefen die Gespräche, so verlautete von allen drei Parteien, sehr konstruktiv und gut. Einig waren sich die künftigen Regierungsparteien über eine Zusammenführung der auf mehrere Ressorts aufgesplitterten Zuständigkeiten. So war der Naturschutz bei Landesrat Sepp Eisl (ÖVP), der Umweltschutz hingegen bei Landesrat Walter Blachfellner (SPÖ). Ebenso waren die Bereiche Kindergarten und Schule auf zwei Ressorts aufgeteilt, Kulturangelegenheiten auf drei und das Gesundheitswesen sogar auf vier.344 Unabhängig von den inhaltlichen Verhandlungen pochte jedoch die ÖVP auf ein Einstimmigkeitsprinzip in der Landesregierung, da ihrer Meinung nach nur so eine effektive und konsensuale Regierungsarbeit möglich war. Noch während der Verhandlungen wurde von den drei Verhandlungsführern – Haslauer jun., Rössler, Mayr – bekannt gegeben, dass sich die Mitglieder der neuen Landesregierung, die noch nicht feststanden, einen Tag vor der Konstituierenden Sitzung des Landtages am 19. Mai einem öffentlichen Hearing im Landtag stellen werden. »Wir halten es für ein wesentliches Signal, dass noch vor der Wahl der Landesregierung die Möglichkeit besteht, sich über die neuen Persönlichkeiten und über deren inhaltliche Schwerpunkte zu informieren«, lautete die Begründung.345 Bis zu 343 Manfred Perterer  : Schwarz-Grün-Gelb ist logisch für Salzburg. – In  : SN 23. 5. 2013. S. 1. 344 Die ÖVP unterbreitete daher zu Beginn der Regierungsverhandlungen einen Vorschlag für die Neuaufteilung der Ressorts. Dieser umfasste folgende Bereiche  : Wirtschaft, Tourismus und Sport Gesundheit Familien, Generationen und Integration Gemeinden und Raumordnung Infrastruktur und Energie Bildung und Kultur Lebensgrundlagen, Umwelt- und Naturschutz Allgemeine Verwaltung und Personal Soziales und Wohnen Finanzen und Beteiligungen. 345 SN lokal 29. 5. 2013. S. 2.

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diesem Zeitpunkt waren jedoch noch eine Reihe von sensiblen Punkten etwa im Bereich Energie (Wasserkraftwerke, 380- kV-Leitung) oder Tourismus (Erschließung neuer Gebiete durch Skilifte) zu verhandeln. Parallel zu den Verhandlungen hatten die Grünen noch eine Reihe von internen Problemen sowie der die Neuorientierung im politischen System zu klären. Ein Teil der Basis reagierte distanziert bis ablehnend auf die bevorstehende Zusammenarbeit mit dem Team Stronach und auch die Bundespartei zeigte wenig Freude über diese Konstellation, fürchtete sie doch, dass das Salzburger Beispiel im Bund Schule machen könnte. Bundessprecherin Eva Glawischnig beeilte sich daher zu betonen, dass mit dem Team Stronach auf Bundesebene eine Zusammenarbeit nicht in Ffrage komme. Das Anwachsen der Fraktion auf sieben Mitglieder hatte zur Folge, dass Klubobmann Cyriak Schwaighofer mit sechs Neo-Mandataren346 agieren musste, die kaum über die entsprechende politische Erfahrung verfügten. Dieser Umstand konnte zwar als erfrischend und als Anzeichen für einen notwendigen frischen Wind in der Politik interpretiert werden, barg jedoch auch die Gefahr von Konflikten in sich. Dies galt es bereits im Vorfeld zu vermeiden. Als Regierungspartei hatten die Grünen die notwendigen personellen Ressourcen für die Vielzahl von Aufgaben – von den Regierungsbüros bis zum Klub – zur Verfügung zu stellen und auch zahlreiche Posten wie z. B. Aufsichtsräte in Unternehmen zu vergeben. Die Posten in den Regierungsbüros müssten, so Parteigeschäftsführer Rudi Hemetsberger, »nach der Qualifikation besetzt werden. Das müssen nicht Bewerber sein, die aus der grünen Partei kommen. Ich glaube, im Land gibt es viele gut qualifizierte Menschen, die dafür infrage kommen.«347 Und man musste sich darauf vorbereiten, dass Regieren die Begegnung mit der Wirklichkeit bedeutete. Kompromisse mussten geschlossen, Realitäten zur Kenntnis genommen und unpopuläre Einsparungen mitgetragen werden. Diese Einsparungen mussten auch die Bereiche Soziales und Gesundheit treffen, die vor allem von der nunmehr oppositionellen SPÖ nach dem Muster der Regierung Schüssel als »soziale Kälte« bezeichnet würden. Nur eine überproportional starke Repräsentanz der Grünen in der Landesregierung und die Festschreibung grüner Anliegen im Regierungsprogramm konnten die nach wie vor vorhandenen innerparteilichen Bedenken überwinden und nach außen als Signal einer politischen Erneuerung dienen. Die Grünen erwiesen sich dabei bei den Verhandlungen als selbstbewusst und zielsicher. Vor allem auch deshalb, weil Wilfried Haslauer jun. bereit war, dem neuen Regierungspartner weitgehend entgegen zu kommen. Der ursprüngliche Plan der ÖVP, vier der sieben Regierungs346 Dem grünen Landtagsklub gehörten neben Klubobmann Cyriak Schwaighofer die Neo-Abgeordneten Simon Hofbauer, Rupert Fuchs, Kimbie Hummer-Vogl, Andrea Lindner, Barbara Sieberth und Josef Scheinast an. 347 SN lokal 25. 5. 2013. S. 2.

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mitglieder zu stellen, ließ sich auf Ggrund des Widerstandes der Grünen, die auf einem Verhältnis von 3   : 3   : 1 bestanden, nicht realisieren. Brigitta Pallauf, die von Haslauer jun. zu Beginn des Wahlkampfes als Mitglied seines Regierungsteams präsentiert worden war, musste in dem innerparteilichen Kräftefeld weichen und wechselte auf die Position der Ersten Landtagspräsidentin. Auch im schließlich geschlossenen Arbeitsübereinkommen fand sich eine deutliche grüne Handschrift. Die Grünen waren keineswegs über den Tisch gezogen worden. Bewusst hatten sie sich bei der schließlich erfolgten Ressortverteilung auf die Bereiche Natur- und Umweltschutz, Raumordnung und Baurecht, Soziales, Kultur, Kinder, Jugend, Frauen, Familie, Wissenschaft und Forschung sowie Integration und Migration konzentriert. Sehr zum Ärger von Johannes Voggenhuber, der wissen ließ, die Grünen dürften sich keineswegs mit ihren »Herzensressorts« wie Natur- und Umweltschutz oder die »weichen Agenden« wie Kultur, Familie, Kinder und Wissenschaft konzentrieren, sondern auf der Übernahme eines Schlüsselressorts wie Finanzen oder Personal bestehen. Im Finanzressort werde nämlich »die eigentliche Umweltpolitik gemacht. Der Umweltreferent muss immer zum Finanzminister gehen und dort um Geld betteln.« Zusätzlich müssten sie auf einem grünen Personallandesrat bestehen. Diese Zugeständnisse seien von der ÖVP durchaus erreichbar, denn die Grünen hätten die Möglichkeit, diese unter Druck zu setzen, da es nach wie vor das Angebot der SPÖ gebe. Nur durch die Übernahme des Finanz- oder Personalressorts sei eine »wirkliche Umgestaltung« des Landes möglich. Andernfalls seien grüne Ideen kaum umsetzbar.348 Ungeachtet solcher Zwischenrufe erfolgte planmäßig am 12. Juni der Abschluss der Regierungsverhandlungen, nachdem kurz zuvor auch die personelle Zusammensetzung des Regierungsteams der Grünen bekannt geworden war. Neben Astrid Rössler und Heinrich Schellhorn wurde die Landesbedienstete, ehemalige stellvertretende Leiterin des Büros für Frauenfragen und Chancengleichheit im Landesdienst und Sprecherin der grünen Salzburger Frauen, Martina Berthold, Mitglied der Landesregierung. Astrid Rössler wurde Erste Landeshauptmann-Stellvertreterin und übernahm die Agenden Natur-, Umwelt- und Gewässerschutz, Gewerbe, Raumordnung und Baurecht, Heinrich Schellhorn die Agenden Soziales, Pflege und Kultur inklusive Volkskultur und Martina Berthold die Agenden Kinderbetreuung, Erwachsenenbildung, Universitäten, Wissenschaft und Forschung, Jugend, Familie, Generationen, Integration und Migration sowie Sport, Frauen und Chancengleichheit. Astrid Rössler betonte bei der Präsentation des Regierungsprogramms und der neuen Landesregierung, sie und ihre grünen Mitstreiter wollten »in einem Haus mit offenen Türen und großen Fenstern die Politik gestalten« und Salzburg »neu regieren«. Dabei setzten sie auf Transparenz, Vertrauen, Konsens, Nachhaltigkeit, 348 SN lokal 6. 6. 2013. S. 3.

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Energiewende und Klimaschutz.349 Dieser Anspruch eines neuen Regierens manifestiere sich nicht nur in zahlreichen Punkten des Regierungsprogramms, sondern auch in einem demokratiepolitischen Schritt zur Belebung der parlamentarischen Demokratie. Alle Fragen, zu denen es keinen Regierungsbeschluss gebe, seien in Zukunft im Landtag nach dem Prinzip der freien Mehrheitsfindung zu entscheiden. Dieser koalitionsfreie Raum sollte möglichst groß sein. Das Verhandlungsergebnis bedurfte jedoch noch der Zustimmung der grünen Landesversammlung, die am Abend des 13. Juni im Heffterhof zusammentrat und dem Regierungsabkommen mit je einer Stimmenthaltung und einer Gegenstimme zustimmte. Kurz vor der Landesversammlung hatte Eva Glawischnig das Verhandlungsergebnis ob dessen »starker grüner Handschrift« gelobt und in diesem eine hervorragende Grundlage für einen politischen Neustart gesehen. Im Gegensatz dazu blieb Johannes Voggenhuber bei seiner Kritik und fällte ein vernichtendes Urteil. »Ich bin sehr niedergeschlagen. Es ist zwar nicht so schlimm wie in Tirol, wo die Grünen das ÖVP-Parteiprogramm unterzeichnet haben – aber in Tirol haben die Grünen auch nicht so fulminant dazugewonnen.« Bei den Verhandlungen hätten die Salzburger Grünen »Schlüsselressorts in einem Ausmaß an die ÖVP und das Team Stronach abgegeben, das alle meine Befürchtungen noch einmal übertroffen hat. Das ist mir völlig unverständlich.« Das Regierungsübereinkommen sei daher »visionslos« und viel zu vage, »gerade gut genug für eine brave Verwaltung des Landes.«. Auch Christian Burtscher fand keine lobenden Worte. »Ich kann nicht in ein Hurra ausbrechen. Das Ergebnis der Regierungsverhandlungen ist positiv – aber vor allem für die ÖVP.«350 Astrid Rössler erwiderte ihren Kritikern, dass die Übernahme des Finanzressorts von den Grünen diskutiert worden sei. »Es stellt sich dabei die Frage, auf welche anderen unserer Kernkompetenzen wir hätten verzichten müssen. Ich finde, man soll sich nicht aus falsch verstandenem Ehrgeiz völlig anderen Themen zuwenden.« Und zur Behauptung, die Grünen hätten sich bei der Ressortverteilung von der ÖVP über den Tisch ziehen lassen  : »Das Glas ist entweder halb voll oder halb leer. Mit dem Finanzressort hat sich die ÖVP eine Megabürde aufgeladen. Das Sozialressort mit Pflege ist nicht einfach. Auch Landesbaudirektion und Verkehr sind schwierig, weil es um die Finanzierbarkeit geht. Die drei Bürden sind fair ver-

349 SN lokal 13. 6. 2013. S. 2. 350 SN lokal 14. 6. 2013. S. 2f. Die ÖVP übernahm folgende Agenden  : Wilfried Haslauer Wirtschaft, Tourismus, Arbeitsmarkt, Gemeinden, Bildung, Landesamtsdirektion (von der Sicherheit bis zur Feuerwehr), Josef Schwaiger Land-, Forst- und Wasserwirtschaft, Energie und Personal, Christian Stöckl Finanzen inklusive Liegenschafts- und Beteiligungsverwaltung, Gesundheits- und Spitalswesen.

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teilt. Mir geht es weniger um die Machtfrage bei der Ressortaufteilung, sondern um die Gestaltungsfrage  : Da haben wir Schlüsselressorts.«351 Unbeeindruckt von diesen negativen Kommentaren und gestärkt durch das Votum der grünen Landesversammlung begab sich Astrid Rössler bei leicht regnerischem Wetter und beschirmt von Wilfried Haslauer jun. am 14. Juni auf die Dachterrasse des Cafés des Uniparks Nonntal zur Unterzeichnung des Arbeitsübereinkommens der neuen Landesregierung. Salzburg hatte damit eine Koalition, die in einer verkleinerten Form als ÖVP-Grüne-Koalition, bereits von Franz Schausberger und Cyriak Schwaighofer vor der Landtagswahl 2004 vereinbart worden war, jedoch auf Ggrund der geänderten Mehrheitsverhältnisse nicht realisiert werden konnte. Das nunmehr fixierte Arbeitsübereinkommen enthielt neben zentralen Positionen der ÖVP auch zahlreiche der Grünen. In diesem Sinne ist es durchaus berechtigt, auch von einer grünen Handschrift zu sprechen. Im Bereich der Landesverwaltung sollte der Umstieg auf die doppelte Buchhaltung, eine wirksame interne Kontrolle, den Abbau der Spekulationsgeschäfte in den nächsten 18 Monaten, eine Reform des Objektivierungsgesetzes und die Einführung der »Open-Government-Data«, d. h. die Veröffentlichung aller relevanten Beschlüsse und Dokumente im Internet, erfolgen. Im Bereich Wirtschaft, Tourismus, Forschung und Arbeit sah sich »Salzburg als Vorreiter in der Energietechnik  : Ziel ist die Schaffung von Arbeitsplätzen im Bereich grüner Technologien (green jobs) sowie weitere Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch. Deshalb werden Best-Practice-Beispiele und Forschung in diesem Bereich unterstützt. Es soll eine Plattform für Salzburger Unternehmen gegründet werden, die im Bereich der erneuerbaren Energien tätig sind. Dieses ›Netzwerk erneuerbarer Energie‹ soll längerfristig zu einem ›Energiecluster Salzburg‹ ausgebaut werden. Entwicklung von Maßnahmen zur Stärkung der Orts- und Stadtkerne unter besonderer Berücksichtigung der Verkaufsflächenentwicklung in Stadt und Land Salzburg sowie der Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe.«352 Im Kapitel Tourismus wurde ein Bekenntnis »zur Bedeutung der Skigebiete für Salzburg und die Wirtschaft, aber auch zum Grundsatz, dass keine neuen Skigebiete erschlossen werden«, abgelegt. »Bei Skigebietserweiterungen und -zusammenschlüssen stehen Qualitätsverbesserungen im Vordergrund  ; dabei sind Klimaverträglichkeit, abnehmende Schneebedeckung und verkehrstechnische Erreichbarkeit mit zu beurteilen.« Und  : »Wir wollen Salzburg durch ein Bündel an Maßnahmen mit ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit im Tourismus positionieren wie zum Beispiel durch sanfte Mo351 Die Presse 15. 6. 2013. S, 7. 352 Arbeitsübereinkommen. Grundlagen für die Zusammenarbeit zwischen ÖVP, Grünen und Team Stronach. – Salzburg 2013. S. 8. (Schriftenreihe des Landes-Medienzentrums. Serie »Salzburg Dokumentationen« Nr. 122. Hg. v. Karin Gföllner.)

Die Regierungsverhandlungen

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bilitätslösungen, den gezielten Einsatz regionaler Lebensmittel, ökologische Baumaßnahmen, die Zusammenarbeit von Landwirtschaft und Tourismus, die Stärkung von ›green meetings‹ oder die Weiterentwicklung des Biosphärenparks Lungau.«353 Bei der Landwirtschaft bekannte sich die Landesregierung »zur verstärkten Ausrichtung der Landwirtschaft am Prinzip der Ernährungssicherheit unter Beachtung ökologischer und sozialer Kriterien (wie zum Beispiel familienfreundliche Arbeitsbedingungen) sowie Tierschutz und Biodiversität.« Ein weiteres Bekenntnis erfolgte »zu einer Ökologisierung der Landwirtschaft. Das Land soll beim Einsatz regionaler und biologischer Lebensmittel mit gutem Beispiel vorangehen. Betriebe, die im Eigentum oder Einflussbereich des Landes sind, sollen vorrangig regionale Lebensmittel verwenden. Der Anteil biologischer Lebensmittel soll sich zumindest am Anteil der biologisch bewirtschafteten Flächen im Land orientieren.«354 Klimaschutz und Energiewende wurden »zum ressortübergreifenden Regierungsprinzip« erklärt. Der derzeitige Anteil an erneuerbarer Energie von 43,3 Prozent am Gesamtenergieverbrauch sollte bis 2020 auf 50 Prozent und bis 2050 auf 100 Prozent gesteigert werden. Dies sollte durch den »Ausbau der Wasserkraft, Windkraft, Biomasse und Fotovoltaik« erreicht werden. Allerdings sollte »der Ausbau nicht um jeden Preis stattfinden, jedoch die Erreichung des Ziels im Jahre 2020 gewährleisten.«355 Naturund Artenschutz sollte vermehrt in der Öffentlichkeit thematisiert und beworben und »Nachhaltigkeit … zum ressortübergreifenden Kooperations- und Regierungsprinzip« werden.356 Im Bereich der Kinderbetreuung wurde ein Ausbau und eine weitere Flexibilisierung des Betreuungsangebots (Krabbelgruppen, Kindergärten, überbetriebliche Kinderbetreuung, ganztägige Schulformen) und eine »rechtzeitige und konsequente Förderung der Kinder mit Migrationshintergrund« ebenso vereinbart wie der Ausbau der Inklusion im Schulbereich, der Einsatz für eine »geschlechtergerechte Gesellschaft«,357 eine Verstärkung der Integrationspolitik u. a. durch die Schaffung eines »Integrationsbeirates«,358 die Schaffung von Rahmenbedingungen für ein leistbares Wohnen bei einem »sparsamen Umgang mit der nicht vermehrbaren Ressource Grund und Boden«,359 eine umfassende Novellierung des Raumordnungsgesetzes »besonders unter dem Gesichtspunkt, Bauland zu mobilisieren.«. Eine Baulandwidmung sollte »nur bei Bedarf erfolgen, wenn eine Bebauung sichergestellt wird. Wird Bauland innerhalb von zehn Jahren nicht genützt, sollen unter Berücksichtigung der 353 Ebda. S. 9f. 354 Ebda. S. 11f. 355 Ebda. S. 15. 356 Ebda. S. 19. 357 Ebda. S. 38. 358 Ebda. S. 40. 359 Ebda. S. 41.

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steuerlichen Rahmenbedingungen eine entschädigungslose Rückwidmung erfolgen bzw. befristete Widmungen ermöglicht werden. Prüfung der Möglichkeiten zur Einführung einer neuen Vertragsraumordnung und eines Modells der Infrastrukturabgabe zur Mobilisierung von Bauland. (…) Durch geeignete gesetzliche Maßnahmen sollen Vorbehaltsflächen für förderbaren Wohnbau und/oder Baulandsicherungsmodelle verpflichtender Bestandteil der Raumplanung werden. Orts- und Stadtkerne sollen Schwerpunkt für die Versorgung der Bevölkerung sein. Widmungen für dezentrale Handelszentren sind aus diesem Grund restriktiv zu behandeln.«360 Und das Modell der Direkten Demokratie sollte ausgebaut und vereinfacht werden. »Dazu soll ein mehrstufiges Modell entwickelt werden, an dessen Ende ein Bürger/innenentscheid steht. Diesbezüglichen Vorhaben von Städten und Gemeinden stehen wir positiv gegenüber. Bezüglich der Stadt Salzburg befürwortet die Regierung die Umsetzung des ›Salzburger Modells für mehr Direkte Demokratie‹ im Salzburger Stadtrecht.«361 Wilfried Haslauer jun. erklärte zum vereinbarten Regierungsprogramm und zum neuen politischen Stil  : »Die Kompetenzen wurden klar aufgeteilt. … Dadurch kann das Land erst effizient verwaltet werden. Jedes Regierungsmitglied ist für sein Ressort allein verantwortlich. Eine Regelung wie früher, als ein Mitglied des Koalitionspartners Entscheidungen immer abzeichnen musste, gibt es nicht mehr. Die Regierungsmitglieder müssen Vertrauen zueinander haben. Wir müssen die Erfolge gemeinsam präsentieren und bei Misserfolgen gemeinsam dafür geradestehen. Ich werde auch versuchen, die Opposition einzubinden. Auch SPÖ und FPÖ haben gute Ideen, die man umsetzen kann. Und was ich sicher nicht will, ist, dass der bisherige Regierungspartner, die Sozialdemokratie, in der Opposition verkommt. Wir haben alle eine Verantwortung für Salzburg.«362 Herbert Dachs, einer der besten Kenner der politischen Szene des Landes, sah in der Bildung der neuen Landesregierung und der nunmehr neuen Rolle der Grünen die erstmalige Realisierung des demokratiepolitischen Potentials Potenzials der Verfassungsänderung von 1998 und den Eintritt in »die Phase einer pluralistischen Konkurrenzdemokratie … Das wird Konsequenzen für die Art und Weise des politischen Wettbewerbs und dessen Inhalte zeitigen und eine Reihe von Faktoren sprechen dafür, dass in Salzburg die bisher gewohnten Routinen des Regierens und Politisierens verlassen und Neues versucht werden muss …

360 Ebda. S. 43f. 361 Ebda. S. 53. 362 SN 13. 6. 2013. S. 3.

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Die Grünen – bisher die klassische Oppositionspartei – haben nun die Seite gewechselt und eine Art von politischem Kulturwandel zu verkraften und sie müssen jetzt den Nachweis antreten, dass ihre umfassenden Konzepte auch umsetzbar sind. Sie wissen auch, dass sie ihre 20 Prozent an Stimmen einer einmalig günstigen politischen und personellen Konstellation zu verdanken haben, und dass sie diese Chance unbedingt nützen müssen. Die Grünen werden auch höllisch aufpassen, sich nicht als augenzwinkernde Dulder und Steigbügelhalter für als ›alt‹ eingestufte Usancen etwa bei der Besetzung von Posten und der Bedienung diverser Klientelgruppen missbrauchen zu lassen. Sie würden damit ihr Profil massiv ramponieren. (…) Wenn also nicht alle Zeichen trügen, liegt eine politisch bewegte und interessante Regierungsperiode vor uns.«363

17.5 Ein bisher einmaliges politisches Experiment. Das Versprechen einer »neuen Politik« und eines »neuen politischen Stils« Der ehrgeizige Anspruch einer neuen Politik und eines neuen politischen Stils wurde in den Erklärungen der neu gebildeten Regierung und deren Fraktionen in der Konstituierenden Sitzung des neuen Landtages am 19. Juni 2013 unterstrichen. So erklärte Landeshauptmann Wilfried Haslauer jun.: »Wenn eine neue Regierung mit einer bisher nie dagewesenen Konstellation, auch in Österreich nie dagewesenen Dreierkoalition, frei zusammengefunden, nicht Proporz, das Amt übernimmt, dann sind natürlich die Erwartungen hoch. Die Erwartungen an einen neuen politischen Stil, die Erwartungen vieler Interessengruppen, dass genau das, was sie sich von dem einen oder der anderen dieser Gruppierungen, dieser Parteien, erwarten, auch umgesetzt wird. Die Erwartung an die Auflösung von Blockaden, an Offenheit und Transparenz, an eine andere Art von Politik. Ich sage es noch einmal und ich denke wir haben gute Voraussetzungen, diese andere Art von Politik zu machen, zu leben, auch greifbar und spürbar zu machen, und erste Schritte dazu sind getan. Wir sind in diese Regierungsverhandlungen nicht als Gegner gegangen. Es war nicht das Motto sich durchzusetzen gegenüber den Gesprächspartnern, der Sieger zu sein, sondern Gemeinsamkeiten zu finden, und das ist gar nicht so leicht bei so unterschiedlichen politischen Gruppierungen. Und die Grundeinstellung in dieser Regierung ist, dass jeder von uns, jede Partei, aber auch jede Persönlichkeit, Erfolg haben soll und wenn es der Erfolg der Regierungsmitglieder der anderen Parteien ist, dann ist es auch mein Erfolg, dann ist es nämlich der gesamte Erfolg dieser Landesregierung, und das ist ein wesentlicher Unterschied, dass wir nicht gegeneinander, sondern mitei363 Herbert Dachs  : Restauration oder Neues wagen  ? – In  : Salzburger Fenster 31. 7. 2013. S. 2.

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nander, und zwar aus reinem Herzen und freier Absicht miteinander dieses Land führen wollen. Wir leben sozusagen das Prinzip des mittelbaren Erfolges durch unmittelbare Leistung. Denn wenn wir die uns gesetzten Aufgaben gut erfüllen werden, dann werden wie auch den politischen Erfolg haben, nicht weil wir die Besseren im schlecht machen sind, sondern weil wir die Besseren im gut machen sind, und das ist ein riesiger Unterschied. Wir haben einen neuen Stil gefunden, in dem alles, was wir gemacht haben und vereinbart haben, transparent gestellt wurde. Unser Arbeitsübereinkommen ist vollständig. Es gibt keine Nebenabreden, keine Parteienvereinbarungen, keine Sideletters, keine Zettel, wo irgendetwas für den Safe bestimmt ist. Alles, was wir vereinbart haben, ist nachlesbar in unserem Arbeitsübereinkommen drinnen und wurde am Tage der Einigung auch bereits in das Internet für jedermann zugänglich gestellt. Wir haben, und darauf bin ich stolz, einen weiteren neuen Schritt gefunden, indem wir gesagt haben, Kompetenzen müssen gebündelt werden. Es ist nicht unsere Aufgabe, uns gegenseitig zu überwachen und zu kontrollieren, sondern wer einen Aufgabenbereich übernimmt in dieser Regierung muss ihn so übernehmen, dass er vollständig ist, dass er möglichst effizient arbeiten kann und dass er alle davon berührten Agenden so weit wie möglich auch selber gestalten kann, und das ist gelungen weitgehend, nicht hundertprozentig … (…) Wir haben eine Aufwertung des Landtages. Ich glaube, es ist schon wichtig, dass die Dinge nicht einfach abgemacht werden, sondern hier diskutiert werden. Mir ist klar, das wird kontroversiell passieren, überhaupt keine Frage. Es ist auch Aufgabe des Landtages. Wir wollen ja kein Abnick-Gremium haben. Ich freue mich schon auf hitzige Diskussionen …«364 Landeshauptmann-Stellvertreterin Astrid Rössler erklärte für die Grünen, sie wolle mit dem Satz beginnen, der sie »in den vergangenen Wochen vielmals begleitet« und den sie »in vielen persönlichen Gesprächen mit den Menschen gehört habe. Immer dieser einen Satz. Wir wünschen uns so sehr, dass ihr gut zusammenarbeiten könnt, dass diese Regierung gelingen möge. Das war so ein Wohlwollen und das war so ein Vertrauen, das in uns gebracht wurde, das hat mich sehr geprägt und das hat mich auch sehr ermutigt, die Verhandlungen zu führen und an das zu glauben, was nach den letzten Monaten gar nicht so einfach erschienen ist. Nach diesen belastenden Monaten des Finanzskandals macht sich für mich eine versöhnliche Aufbruchsstimmung breit, ein ganz vorsichtiges Vertrauen wieder in die Politik, in die politische Arbeit in diesem Land, dass wir aus den Fehlern gelernt haben. Für die neue Regierung, in der ich jetzt Mitglied bin, bedeutet es auch, den klaren Auftrag sich zu öffnen, dass der Stil ein anderer wird nach den Problemen, 364 Sten Prot. des Salzburger Landtages. 1. Session, 1. Sitzung, 15. GP., 19.6.2013. S. 27ff.

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dass wir uns trauen, transparent aufzutreten und für Kontrolle einzustehen und alles dafür zu tun abseits von parteipolitischen Stilen. Diese Ziele, die vielleicht bisher zu stark waren, sollten wir jetzt ein wenig in den Hintergrund rücken und das in den Vordergrund, was unsere gemeinsame Aufgabe ist.« Und zur parteiintern geäußerten Kritik am Verhandlungsergebnis  : »Ich möchte an dieser Stelle auf die Frage der Ressortaufteilung noch einmal eingehen. Viel war die Rede davon, wer in den Verhandlungen wen über den Tisch zieht, wer die Machtressorts hat, wer das Geld verwaltet und wer nur die Blümchenressorts bekommen hat oder nur gefordert hat. Was bedeutet denn Macht  ? Ist tatsächlich ein Finanzressort, wie der Christian Stöckl es übernehmen wird, ist das im derzeitigen Zustand wirklich ein Machtressort  ? Oder müssen wir ihm Respekt, hohen Respekt und volle Kooperation zusagen, dass er diese Bürde, und das Finanzressort ist in dieser augenblicklichen Situation eine Bürde, dass er sich bereit erklärt hat, das zu übernehmen. … Die Frage ist also, nach welchen Bewertungsmaßstäben beurteilen wir Macht, nach welchen Bewertungsmaßstäben beurteilen wir auch politische Arbeit  ? Ich wähle … ein Bespiel aus der Nachhaltigkeit. Wir können, wenn wir jetzt über Hochwasserschutz nachdenken, wir können uns dafür entscheiden, dass wir den Flüssen wieder freie Ufer und große Retorionsräume zurückgeben, damit die Menschen in den Ortschaften vor Hochwasser geschützt sind. Wir können auch mit viel Geld und viel technischem Aufwand Mauern bauen, Verbauungen, die möglicherweise gar nicht das Problem lösen, aber sehr viel Geld und damit nach der alten Definition vielleicht auch sehr viel Macht innehaben. In Wahrheit glaube ich, dass nicht allein das Geld zählt, sondern dass gerade am Beispiel unseres Umgangs mit den Fließgewässern, dass Lebensqualität zählt und langfristig auch der Schutz unserer Lebensräume und auch der langfristige Schutz unserer Wasserreserven. Ich behaupte, eine renaturierte und wieder belebte Flusslandschaft ist nach monetären Maßstäben nicht zu bewerten, sondern es ist Lebensqualität und die Qualität unseres Landes Salzburg.« Grundlinie grüner Regierungspolitik sei, »dass wir uns treu bleiben wofür wir in die Politik gegangen sind. Wir sind, was wir beschützen, wofür wir kämpfen, dass wir auch in der Politik Menschen sind und Menschen bleiben, die sich selbst treu bleiben, die Gefühle zeigen, ihre Freunde treffen und in ihrem Leben und ihrer politischen Arbeit Sinn und Erfüllung finden. Es geht bei der Gestaltung von Zukunft eben nicht so sehr um Macht und um Geld, sondern um Werte. Es geht um Lebensqualität, es geht um Chancengleichheit, Gerechtigkeit und natürlich den sorgsamen vorausschauenden Umgang mit unseren Ressourcen, mit unserer Natur, mit dem Lebensraum.«365 Auch Klubobmann Cyriak Schwaighofer sah sich in seiner Stellungnahme zur Regierungserklärung veranlasst, gegen den auch von SPÖ-Klubobmann Walter Steidl 365 Ebda. S. 32ff.

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erhobenen Vorwurf einzugehen, die Grünen hätten sich bei den Regierungsverhandlungen von der ÖVP über den Tisch ziehen und mit Nebenressorts abspeisen lassen. »Zum Thema Macht vielleicht nur eine kurze, glaube ich, zeitgemäße Richtigstellung. Macht in der Zukunftsgestaltung an Prozentsätzen eines Budgets zu bemessen, ist geradezu abenteuerlich fahrlässig. Wir haben im Budget riesen Summen, was die Lehrerbesoldung betrifft. Das sind Durchlaufposten, wenn ich das rechnen würde, dann wäre das Bildungsbudget wahrscheinlich das mächtigste.« Und direkt an die Kritiker in der eigenen Partei und der SPÖ gewandt  : »Aber der interessanteste Punkt für mich ist ja, dass Ihr Euch nicht lösen könnt davon, Macht immer in Euros zu messen. Es geht um Zukunftsgestaltung und Manfred Perterer hat in einem wunderbaren Kommentar vom vergangenen Samstag geschrieben  : ›Macht so zu bemessen, wie es mein Kollege Voggenhuber macht oder wie Du (Walter Steidl, Anm. d. Verf.) gerade gemacht hast, das ist Politik von gestern.‹ Und er hat im Titel geschrieben  : ›Die Grünen sind für die Zukunft zuständig.‹ Und diese Herausforderung nehmen wir sehr gerne an. Wir werden uns nicht an Prozentzahlen messen lassen des Budgets, sondern werden versuchen, eine Politik für die Menschen in diesem Land umzusetzen.« Schwaighofer kam auch auf das auffällige Outfit der grünen Fraktion zu sprechen, die mit grünen Schuhen zur Konstituierenden Sitzung erschienen war. Dies sei nicht als bloß symbolische Politik zu verstehen, sondern illustriere das Politik- und Wirtschaftsverständnis der Grünen. »Jetzt darf ich kurz zu diesem Objekt kommen. Manche von Ihnen, die Besucher, die Ehrengäste haben es nicht gesehen, wir Grüne tragen heute Waldviertler. Wir tragen heute Waldviertler zur Konstituierenden Sitzung. Das heißt erstens, wir haben bewusst diese Ausstattung sozusagen gewählt, weil die Waldviertler Schuhwerkstatt, so wie es in Salzburg auch Unternehmen gibt und Betriebe gibt, für ein ganz bestimmtes Verständnis von Wirtschaft steht, die für ein Land wie Salzburg als nicht riesigem Land, als nicht klassischem Industrieland, geradezu prototypisch sein kann. Diese Waldviertler Schuhwerkstatt steht nämlich dafür, Arbeit in einer Krisenregion zu schaffen. Eine Herausforderung, die wir auch zu bewältigen haben. Sie steht dafür, sich mit Qualität gegen einen unglaublichen Weltmarkt zu behaupten. Weit über 90 Prozent aller Schuhe der Welt werden in China hergestellt und da gibt es ein kleines Unternehmen im Waldviertel, das trotzdem funktioniert und expandiert. Das heißt auch für uns in Salzburg, sich mit Qualität, mit Innovation, mit Wissen durchzusetzen und nicht auf den globalen Märkten unbedingt in allen Bereichen konkurrenzfähig sein zu müssen. Was heißt das noch  ? Das heißt, die Wertschöpfung in der Region zu lassen. Dort, wo die Menschen arbeiten und nicht die Steuern woanders zahlen und die Wertschöpfung auch dort schaffen. Regionales Wirtschaften fördern. … Großkonzerne kümmern sich nicht um den Lungau, um das Land Salzburg, um den Tennengau, die

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haben ganz andere Interessen und Shareholder und Aktionäre ebenfalls, die interessiert das Land Salzburg nicht, auf andere Modelle wollen wir setzen.«366 Eine erste Demonstration des Neuen hatte bereits vor der Konstituierenden Sitzung des Salzburger Landtages stattgefunden. Auf Initiative des neuen Landeshauptmanns Wilfried Haslauer jun. und dem Zeitgeist zuwiderlaufend, hatten die Mitglieder der Landesregierung und der Regierungsfraktionen einen Gottesdienst besucht. Norbert Leser sah in der Bildung der neuen Salzburger Landesregierung einen Tabubruch, der Schule und Geschichte machen könnte, wenn die beteiligten Personen ihre Chance nützten. Es sei jedoch noch von einem zweiten Tabubruch zu berichten, nämlich der »Tatsache, dass der Landtag vor seiner Konstituierung mit einem Gottesdienst eingeleitet wurde. Auch dies ist ein Kontrapunkt zum Zeitgeist, der im Allgemeinen auf die Berufung auf und eine Bezugnahme zu einer höheren Wirklichkeit verzichten zu können glaubt. Freilich ist eine solche Berufung und Kontaktnahme durch Gebet und Opfer noch keine Garantie für eine gute und richtige Politik. Aber der Bezug auf eine höhere personale Wirklichkeit, die trotz ihrer Unsichtbarkeit ins Sichtbare hineinwirkt, bewahrt die handelnden Menschen vor einer Überschätzung und Absolutsetzung der eigenen Kräfte. … Es werden wohl nicht alle Beteiligten der Initiative des Landeshauptmanns aus innerstem Antrieb gefolgt sein, aber sie haben sich der Zeremonie jedenfalls nicht verschlossen oder gar von ihr distanziert. Besonders den Wiener Grünen, die sich in antiklerikalen, ja auch antireligiösen Attitüden gefallen und sich in zeitgeistigen Pflichtübungen ergehen, sollte das Verhalten der Salzburger Gesinnungsfreunde eine Lehre und ein Vorbild sein.«367 Salzburg, so schien es, war eben anders. Doch das galt es erst in der nun folgenden Legislaturperiode zu beweisen.

366 Ebda. S. 48ff. 367 Norbert Leser  : Kontrapunkte zum Zeitgeist. – In  : Die Presse 4.7.2013. S. 26.

Quellennachweis

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Michael Mair

Gezähmte Rebellen Die Geschichte in Berichten von Zeitzeugen

Einige persönliche Bemerkungen zu Beginn

Die 70er-Jahre waren auch im österreichischen und im Salzburger Journalismus Zeiten des Umbruchs. Meine journalistische Laufbahn als junger Zeitungs-Reporter begann 1977 – im selben Jahr, in dem die Rebellen Richard Hörl und Herbert Fux von den WählerInnen in den Gemeinderat geschickt wurden, mit einem »Rettet Salzburg«-Auftrag. Eines Tages stand plötzlich ohne Vorankündigung ein Riese neben meinem Schreibtisch und ließ ein Konvolut aus Papier fallen – es war der Rechnungshofbericht über eine große Salzburger Wohnbaugesellschaft (Inhalt  : versteckte Gewinne, geprellte Mieter, Privilegienwirtschaft …). Der komme demnächst auf die Tagesordnung des Gemeinderats, sagt der kurzbehoste, aber ansonsten offensichtlich sehr ernst zu nehmende Mann, den ich inzwischen als Richard Hörl identifiziert hatte. »Ja darf ich den schon veröffentlichen  ?« fragte der schon mit einigen, aber noch nicht mit allen Wassern gewaschene Jung-Journalist. »Bua«, war die Antwort, »genau darum geht’s ja«. Wir schrieben einen Aufmacher (»Skandal im Wohnungsbau aufgedeckt«), die Bürgerliste hatte ein Thema gesetzt – und ich hatte in kürzester Zeit mehr gelernt als in so manchem Universitäts-Seminar. Der kluge Publizistik-Professor Michael Schmolke hatte aber zweifelsohne recht mit seiner Beobachtung, dass die Zeitungen damals »konfliktfreudiger« wurden – nicht nur wegen der wachsenden Konkurrenz, sondern auch weil sie auf eine Bürgerschaft reagieren mussten, die politisch immer unruhiger wurde. Zum »Salzburger Klima« fiel JournalistInnen wie uns bestenfalls »Nieselregen« ein. Am weitesten mit der Transparenz, vermutlich weiter als jemals vor und nach ihm, trieb es jedoch der Stadtrat Voggenhuber. So provokant manche seiner Projekte waren, so wenig hielt er die Akten dazu geheim – man konnte dem Mann vieles vorwerfen, langweilig war es mit ihm nie. Einige Jahre später wies dann die »Salzburg heute«-Redaktion nach, dass Regionalfernsehen vor den wirklich aufregenden Themen nicht zurückscheuen musste – eine Leidenschaft, die z. B. der WEB-AusschussVorsitzende Christian Burtscher teilte. Als sich aber dann in den 90ern, bei den grünen Familien-Fehden, die feindlichen Brüder ihren Streit offen im TV-Studio austrugen, schmerzte es fast schon den Interviewer selbst – auch wenn ihm, nach den Regeln der Branche, ein Coup gelungen war. Vermutlich war es kein Zufall, dass dann ausgerechnet ein Abgeordneter, der uns im Landtag manchmal etwas sehr gelassen vorkam, die Grünen bis in die Landesregierung führte – Cyriak Schwaighofer. Zuvor musste die bekennende VerzichtsEthikerin Astrid Rössler allerdings noch eingestehen, dass auch sie eine Schwäche hatte – »Schokolade« war die Antwort im Interview. Sie konnte darüber sogar lachen.

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All die frühen Apostel und auch die Alternativen, die Rebellen und die Realos sowieso hatten natürlich viel zu berichten – und wir Journalisten oft zu wenig Zeit, um ihnen lang genug zuzuhören. Ich hoffe, das in den vergangenen Monaten, ja Jahren, nachgeholt zu haben – in Gesprächen mit mehr als 30 Zeitzeugen (nicht nur aus dem grünen Lager), die ergänzt wurden durch Briefe, Protokolle und interne Lageberichte. Ich bedanke mich für die Geduld und – bei den allermeisten jedenfalls – für ihre Offenheit. Die »Originaltöne« wurden dann nicht einfach abgeschrieben und an den vorhergehenden Chronik-Teil »angehängt«. Sie sind, ähnlich wie bei einer guten TV-Dokumentation, in eine Art politische »Erzählung« eingebettet, wobei »erzählend« nur für den Ton steht, der Anspruch ist durchaus »analytisch«. Öffnen wir aber jetzt den Vorhang und geben den Akteuren das Wort – für viel Dramatisches, manch fast Tragisches und zwischendurch auch für Erheiterndes …

1. Bürger im Aufruhr Eckehart Ziesel

Sind das die Momente, in denen Bürgerbewegungen geboren werden  ? Der pensionierte Richter Eckehart Ziesel, ein nur scheinbar gemütlicher Herr in Hemd und Weste, steht vor seinem Haus in Salzburg-Aigen, einem unzweifelhaft bürgerlichen Stadtteil, und holt mit dem Arm weit aus  : »Hier«, sagt er, »hier wollten sie durchfahren, durch meinen Garten  !« Das ist mehr als vier Jahrzehnte her, aber der Grimm hat sich noch nicht verzogen. Der junge Oberlandesgerichtsrat hatte sich in den 70er-Jahren gerade ein Haus in angeblicher Grün-Lage gekauft. »Sie«, das sind die Chefs der SPÖ-nahen Wohnbaugenossenschaft »Salzburg«, die in der Nachbarschaft eine neue Siedlung bauen ließen. Dazu brauchte es einen häufig benutzten Trick  : der Fläche, an sich Grünland, wurde per Ausnahme der Schutz entzogen – solche »Ausnahmen« waren seinerzeit fast die Regel. Aber damit nicht genug  : weil diese Zeit-typische Lösung eigentlich auf kleine Areale beschränkt und das Grundstück dafür dreimal zu groß war, wurde es künstlich geteilt – und für jeden Abschnitt ein eigener Persilschein ausgestellt. Ziesel revoltiert, appelliert und annonciert (»ein grober Fall von Amtsmissbrauch«)  : »Es hat mich als Richter, der das Gesetz angewendet und geachtet hat, getroffen, was mir hier in der Nachbarschaft passiert ist … ich war so angefressen von dieser Art und Weise, es war unglaublich, was in einem einzigen Bauverfahren da geschehen war. Ich habe dann Einsprüche gemacht wegen der Zufahrt und gesagt, ein Bauwerber wird bevorzugt zu Lasten der Anrainer… Dann habe ich eine Ordnungsstrafe bekommen, von 200 oder 300 Schilling. Das ist bis zum Verwaltungsgerichtshof gegangen, aber ich hab’ das zahlen müssen … Sachen, wo ich gesagt habe, jetzt tu’ ich es  ! Das war der Grund, aus dem ich in die Politik getrieben wurde, was ich eigentlich gar nicht wollte.«

Das System produziert seine Aufständischen selbst  : Der damalige SPÖ-Vorsitzende Karl Steinocher persönlich, Vorstands-Obmann der Genossenschaft, versucht die Anrainer als »Oberprivilegierte« abzubürsten, das Projekt sei »von allen zuständigen Behörden bewilligt worden« – was ja gerade der Grund des Protests ist. Bürgerinitiativen sprießen damals allenthalben aus den grünen Stadtteilen. 21.000 unterschreiben, um den Süden der Stadt insgesamt unter Schutz stellen zu lassen. Salzburg ist die »Hauptstadt der Nichtwähler« und das Misstrauen gegen Politik und Behörden so tief, dass es auch durch das Versprechen von Mitbestimmung nicht mehr einzudämmen ist. Der neue Ressortchef für die Stadtplanung, der freiheitliche Vizebürgermeister Waldemar Steiner, stellt zwar die Pläne für Bauten, Straßen und

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Grünräume neuerdings in öffentlichen Diskussion vor. Premiere hat das im Aigen von Eckehart Ziesel und im Nachbarviertel Parsch  : »Da war das Kongresshaus voll. Die Idee war, die Bürger einzubinden. Man (hat) auch reagiert und versucht, auf die Bürgerwünsche einzugehen und man hat vieles zurückgenommen und reduziert …«

… das versucht Steiners leitender Mitarbeiter Erich Marx heute noch hervorzuheben. Doch der Schwall an Protest ist politisch nicht mehr zu kanalisieren – im Gegenteil  : Ziesel z. B. wird genau bei einer jener Versammlungen von einem Rebellenführer gekapert. Herbert Fux hat ein Auge für zornige junge Männer und ihm entgeht nicht, dass der junge Staatsbeamte auch den direkten Zweikampf mit dem Vizebürgermeister nicht gescheut hat. Die Bürgerbewegung ist damit nicht einfach um einen Wutbürger reicher, sie hat einen Talar-Träger gewonnen – mitsamt dessen Ansehen. Vor den Gemeinderatswahlen 1977 kann ihn die »Bürgerliste – Rettet Salzburg« in einer Pressekonferenz als Kandidaten vorstellen. Der Richter riskiert im Fall der Aigner Siedlung starke Worte von wegen »faule Tricks« und »gefälschte Pläne«  ; das »Aktionsprogramm« ist offenkundig auch von seinen persönlichen Erfahrungen diktiert und fordert »Keine Politiker mit Doppelfunktionen«, weil diese »immer wieder unvertretbare Ausnahmegenehmigungen im Grünland« erzwingen würden. Ein privater Konflikt ist zu einem politischen eskaliert. Erstaunt beklagt sich Sozialdemokrat Steinocher »noch nie hat sich jemand der ›Salzburg‹ gegenüber so aufgeführt« – wahrscheinlich hat er damit sogar recht. Einmal in Marsch gesetzt, schont der revoltierende Richter niemanden, auch nicht sich selbst. Für das politische Engagement lässt er eine größere berufliche Karriere fahren  : »Wegen der Ordnungsstrafe im Bauverfahren bin ich schriftlich abgemahnt worden, dass ich mich als Richter anders zu benehmen habe. Das ist in meinen Personalakt hineingekommen … In meine Dienstbeschreibung hat der Präsident hineingeschrieben, dass ich mich Justiz-schädlich verhalten habe (im Streit um ein zusätzliches Gebäude für das Gericht, Anm. d. Verf.) … Das hat mich jede Art einer weiteren Beförderung gekostet. Wahrscheinlich wäre ich, hätte ich nichts gemacht, einmal Präsident geworden. Sogar für den Vizepräsidenten haben sie mich immer zurückgereiht. Da war schon Druck, aber das habe ich ausgehalten.«

Sie waren grimmig entschlossen, diese Männer (Frauen vertraten damals die Bürgerliste nicht im Gemeinderat). War ihr Auftritt vergleichbar mit den Protest-Bewegungen von heute  ? Ähnlichkeiten sind nicht rein zufällig  : Auch die Anführer von damals, allen voran Richard Hörl, misstrauten etablierten Medien, zumindest einem Teil von ihnen und stellten in Flugblättern die Frage, wa-

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rum »über diesen oder jenen Skandal« in der wichtigsten Zeitung der Stadt angeblich geschwiegen wurde. Auch die Initiativen der 70er versuchten eine eigene Öffentlichkeit zu schaffen und setzten dabei neue Techniken ein  : Was heute Facebook-Seiten sind, um Kampagnen zu entfachen, das waren damals schwarz umrandete Plakate an den Bäumen der Hellbrunner Allee, auf denen sich Wohnblöcke an das »Heiligtum aller Salzburger« (Hörl) heranschoben, fiktiv jedenfalls  : Das Schreckens-Bild wurde per Foto-Montage produziert, eine für diese Zeit durchaus fortschrittliche Methode. Das Informations-Monopol der »vierten Gewalt« – sei es, dass die Branche sich diese Rolle einbildete, sei es, dass sie sie tatsächlich ausfüllte – wurde jedenfalls gezielt unterminiert. Hat sich der »Unglaube« einmal ausgebreitet und hat die Distanz zu den politischen Institutionen ein kritisches Maß überschritten, dann ist dies offensichtlich selbst durch Konzessionen kaum noch umkehrbar – auch dafür liefert das Salzburg der 70er-Jahre ein frühes Beispiel  : Im Fall Aigen z. B. reduzierte die Stadt in ihren Plänen nach dem Anrainer-Aufruhr Bauland und Zuzug um mehr als die Hälfte – bei den Gemeinderatswahlen aber litten alle Parteien der Stadtregierung in diesem Stadtteil unter Sympathieverlust  ; selbst Steiners FPÖ mit ihrer Bürgerbeteiligung konnte sich davor nicht retten, während Ziesels Bürgerliste überproportional viele anzog. Sie hatte den Marsch aufs Mirabell als dezidierte »Nicht-Partei« angetreten, das betonte ihr Werbematerial, und die gewählten Vertreter benahmen sich dann auch nicht als solche – jedenfalls nicht so, wie man sie sonst kannte. Listenführer Hörl hielt sich bei Gemeinderats-Debatten keineswegs an die Zimmerlautstärke und warf, um nur ein Beispiel zu zitieren, einem freiheitlichen Abgeordneten an den Kopf, dass dieser ein »desolates Hirn« beheimate. Der Ton wurde rauer und das war noch milde ausgedrückt  ; der Frontverlauf – das Wort sei gestattet – war scharf ins politische Gelände geschnitten  : hie die neue Opposition, da der immer noch sehr große Rest der Rathaus-Fraktionen. Hier enden allerdings die Parallelen zu mancher Rammbock-Truppe von heute  : Während etwa in der AfD einige auch die »Systemfrage« stellen (und damit jene nach der repräsentativen Demokratie, zumindest in ihrem Sprachgebrauch), glaubte die Bürgerliste im Prinzip sehr wohl an Wert und Nutzen von Parlamenten. Sie wollte sie nur beaufsichtigen, ja  : auf den rechten Weg bringen. Die Parteien sollten ihre »Wahlversprechen einhalten«, verlangte Ziesel, die Bürger »wirksame Kontrolle« ausüben. »Ich bin doch kein Feind der Demokratie …« wehrt sich Hörl, im Gegenteil, genau deren gutes »Funktionieren … (müsse) eine starke Opposition garantieren«. Auch der Bäckermeister und Volksprediger beruft sich auf die Verfassung  ; er zieht sie keineswegs in Zweifel, er will sie nur beim Wort nehmen. Die Bürgerbewegung ist ihr neuer Wächter, zumindest in ihrem Selbstverständnis. In diesem Sinn fühlen sich diese Aufständischen nicht so sehr als Wut-, sondern als die eigentlichen Gut-Bürger.

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Die Rhetorik ist natürlich aggressiv, wobei Ziesel den Beobachtern eher als vergleichsweise »sachlich« gilt. Zu seiner Angelobung im März 1978 – in Vertretung von Herbert Fux – erscheint er im Blazer, mit Stecktuch und Krawatte und weist den Magistrats-Juristen gleich einmal eine Verletzung des Stadtrechts nach. In der Haushaltsdebatte fordert er Budgetwahrheit ein. Als die Bürgerliste eine ihrer Kernaufgaben erfüllt und beim Streit um Abrisspläne für ein Altstadt-Haus ein kompromittierendes Dokument veröffentlicht, besteht er darauf, dass dies keineswegs strafbar sei. Typisch für die Rollenauffassung als Hüter von Recht und Gesetz ist Ziesels Verteidigung gegen einen Freiheitlichen, der ihn im Gemeinderat einen »Anarchisten« schimpft. Er lasse sich gerne so nennen, pfaucht der Richter, wenn darunter verstanden werde, »dass er laufend Gesetzesbrüche aufzeige«. Wer es so ernst meinte, der ließ sich von einer »Mia wean kan Richter brauch’n«Stimmung nicht infizieren – und nicht nur, weil dieses Motto nicht zu seiner Profession passte  : »Der Salfenauer hat gesagt, ›san’s net so bös, Herr Doktor, jetzt gemma auf a Achterl.‹ … Ich war am Gericht unversetzbar, unabsetzbar, weisungsfrei und konnte nur mit einem Disziplinarverfahren das Amt verlieren. Es konnte aber keine Aufträge geben, gar nichts.« (Ziesel)

Der Oppositionelle verweigerte sich sozialem Brauchtum, er konnte sich das auch leisten. Doch die Bürgerliste hatte den furchtbaren Verdacht, dass sich hinter der Kumpanei mehr verbarg – und dass es vor allem Baubranche und Stadtpolitiker hinter den Kulissen mit der Pflege gemeinsamer Interessen stark übertrieben. »Als wir eingestiegen sind, war das eine einzige Korruptionsgeschichte. Wir haben das immer ›Einheitspartei‹ genannt. Alle haben mitgetan, ›gibst Du mir, geb’ ich Dir‹ …«

… so nahm es Ziesel wahr, einer der »Gerechten«, die sich auf der richtigen Seite wähnten. Die Hauptbeschuldigung dieser politischen Ankläger sprang einem aus ihren Kampf-Inseraten entgegen, einer neuen Spielart politischer PR, bei der stand ›P‹ für ›Polemik‹ und ›R‹ für ›Rundumschlag‹  : »Die wahre Macht liegt in den Händen einer kleinen Gruppe von Bau- und Bodenspekulanten. Mit Hilfe der Einheitspartei setzen sie seit Jahrzehnten ihre Interessen zum Schaden der Bevölkerung durch.«

Unter »Einheitspartei« verstand die Bürgerliste ein Dauer-Bündnis aller anderen im Gemeinderat, also von SPÖ, ÖVP und FPÖ. Aber das Übel sei noch viel größer und bestehe aus »Baubossen, die gleichzeitig Politiker sind«. Das habe praktisch alles

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zur Folge, was man verabscheue, »Zersiedelung … Spekulationsgewinne … keinen Schutz für die Stadtlandschaft.« War das reine Paranoia oder, noch schlimmer, nur Wahl-Propaganda  ? Sichten wir einige Protokolle, z. B. jene des Untersuchungsausschusses, der einige Jahre später im Landtag den Blick auf die Hinterbühne und das Treiben dort freigab. Er sollte den Skandal um die WEB aufklären, eine gemeinnützige Wohnbaugesellschaft, missbraucht für ein privates Firmen-Konstrukt, das zusammengebrochen war  ; der leitende Wohnbau-Beamte des Landes gestand dabei ein, was man ohnehin vermutete – Absprachen zwischen ÖVP und SPÖ über die Verteilung der Fördergelder. Die seit Jahren torkelnde Wohnbaugesellschaft aufzufangen, hatten die Parteispitzen von VP und SP persönlich vereinbart, trotz unzähliger Rechtsbrüche und obwohl die »Gemeinnützige« Hunderte Millionen (Schilling) in ein Spekulations-Labyrinth umgeleitet hatte. Es trat auch Hans Zyla auf, Mitbegründer des WEB-Reichs und mit weißem Schnauzer, Stock und Sakko über schwarzem Polo die Idealbesetzung für die Rolle des »Paten«. Seine Aufgabe – eine rein repräsentative nach seiner Aussage – umschrieb er im Ausschuss so  : »Im politischen Bereich, wo es notwendig schien, da und dort zu intervenieren. Was man darunter zu verstehen hat, brauche ich ja nicht zu definieren, das wissen Sie, nicht  ?«

Frage  : »Und auch zum Beispiel die Wohnbauförderungsmittel zu sichern  ?« Hans Zyla  : »Auch da natürlich zu intervenieren, selbstverständlich auch das  !«

Der Zeuge Zyla war bis 1982 Stadtparteiobmann der ÖVP gewesen und ein Lieblings-Gegner der Bürgerliste  ; dazu Mandatar und zeitweise Präsident im Landtag. Manche Wohnbau-Manager hatten aber auch ein Bein im Gemeinderat, platzierten dieses nicht irgendwo  : Helmut Till (SPÖ) etwa, bis 1983 Geschäftsführer der GSWB, der Wohnbaugesellschaft von Stadt und Land Salzburg, nahm die Interessen des Unternehmens der Einfachheit halber gleich im Bau- oder Planungsausschuss wahr. Als er den Autor empfängt (im Jahr 2015, Anm. d. Verf.) wirkt der 92-Jährige noch sehr energisch und hat die alten Zeiten noch klar vor Augen. Nur der Gang ist etwas schwer geworden. Aber es ist nicht die Last eines schlechten Gewissens, die den Veteranen drückt  : »Ich bin froh, dass ich im Gemeinderat viel machen konnte. Ich habe das nie für persönliche Vorteile ausgenutzt. Sicher, man hat einen Informationsvorsprung gehabt, das schon, aber das war gut, denn dadurch konnte man vieles besser machen … das ist ja

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ganz logisch, weil wir gewisse Vorinformationen hatten über Grundstücksbewegungen usw.«

Der alte Herr macht auch überhaupt keinen Hehl daraus, dass Preis-Absprachen mit anderen Wohnbau-Gesellschaften eine reine Gewohnheit waren – nichts anderes als Kartellbildung also. Das war aber, er ist sich da sicher, selbstverständlich nur im Sinn der Sache  : »… der Schider und später der Schiedek (beide WEB, Anm. MM), mit denen haben wir uns abgesprochen. Wenn ein Grundstückskauf war, haben wir einen Rundruf gemacht ›bist Du auch dabei – nein, nicht. Also gut‹, dadurch hat man es billiger in die Hand bekommen, als wenn man sich gegenseitig lizitiert hätte …«

… und unbefangen bekennt sich der Veteran des Wiederaufbaus auch zu den Methoden von damals  : »Es war alles Grünland und es musste Bauland her … die Ausnahmen waren an der Tagesordnung. Anders war das gar nicht möglich … Ich hatte den Auftrag von den Eigentümern Land und Stadt, möglichst viel zu bauen. Es war eine große Wohnungsnot. Man hat Grünland als Reserve gekauft, hauptsächlich Bauland, aber Grünland war billiger. Jetzt hat man Grünland-Reserven angelegt, Zeit hat keine Rolle gespielt, dann hat man geschaut, dass man sie umwidmet, dadurch konnte man die Gründe billig weitergeben.«

Fraglos waren die Standards, auch demokratie-politisch, seinerzeit andere. »Der Einfluss (der Wohnbau-Manager) war massiv«, so erlebte es Erich Marx, Büroleiter beim Planungsressort-Chef, »sie … waren einerseits Konkurrenten, aber wenn es um die Durchsetzung ihrer Genossenschaftsinteressen ging, haben sie auch im jeweils eigenen Klub massiv Lobbying betrieben, im Hintergrund auch Zyla … Auch der Till ist immer wieder gekommen, wenn sie wieder einen Grund hatten, sie wollten höher bauen und dichter. Wenn sie beim Steiner nicht durchgekommen sind, sind sie automatisch in ihre Fraktionen gegangen und haben gesagt, ›das ziehen wir durch, dann machen wir halt einen Mehrheitsbeschluss‹.«

Freilich – wen störte es, dass jene, die bauen wollten (oder mussten), letztlich auch den Weg ins Grünland freiräumten  ? Wer wollte wissen, ob das mit Hirn und Verstand geschah – und nach welchem Konzept überhaupt  ? Und wer vermochte damals »Ökologie« auch nur zu buchstabieren  ?

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»Den quantitativen und qualitativen Belastungsgrenzen der Ökosysteme hat kein wirksames Regulativ gegenübergestanden« – Winfried Herbst, damals Umweltreferent der Arbeiterkammer, formuliert wissenschaftlich und definiert die Machtverhältnisse doch sehr präzise. Die Wurzel reiche weit zurück, schwant ihm, man habe sich von den »historisch praktizierten, blut- und tränenreichen Modellen der Krisenbewältigung – der Eroberung fremder Räume, wenn die eigenen zu knapp oder zu unwirtlich geworden sind« noch immer nicht ganz gelöst gehabt.

Helmut Till, Jahrgang 1923, hat 1941 mit seiner Matura-Arbeit zu Doppelhäusern einen Reichswettbewerb gewonnen  ; nach Soldatenzeit und Gefangenschaft setzt er nach dem Krieg seine Karriere dort fort, wo er sie begonnen hat  : bei der »Neuen Heimat« (die später in der GSWB aufgehen wird). »Ich bin«, lächelt er und er lächelt viel bei seinen Erinnerungen, »ein zufriedener Mensch, weil ich meine Aufgabe halbwegs erfüllt habe. Ich konnte vielen Menschen helfen.« Ihm persönlich möchte man das fast abnehmen  ; schließlich »verdient der ja nicht mehr, wenn er 1000 Wohnungen mehr baut, der hat ja keinen persönlichen Profit«. Das merkt ganz korrekt Gerhard Buchleitner an, ein Schützling Tills, später Vizebürgermeister der Landeshauptstadt und SPÖ-Vorsitzender. Nur  : Waren solche »Mentoren« (Buchleitner) einfach nur Patriarchen  ? Oder hatte sich nicht eine »Oligarchie light« herausgebildet  ? Diese war sogar effizient, solange die Fuß-Truppen im Gemeinderat gehorchten. Der Preis für dieses Herrschafts-Modell wurde spätestens in den 70er- und 80erJahren aber zu hoch – gesellschaftlich sowieso, jedoch auch ökonomisch und vor allem politisch. Sogar im gar nicht rebellischen Stadtteil Lehen provozierte ein Bauprojekt eine Bürgerinitiative. Realisieren sollte es eine Genossenschaft, doch die Hand auf dem Grundstück (dem »Danterhof«) hatte die längste Zeit Alois Reinthaler gehabt, wahrlich einer DER Baumeister im Nachkriegs-Salzburg und mehr als zwei Jahrzehnte lang auch ÖVP-Gemeinderat. Seine Tochter Elfriede Schwab, die lange Zeit Schreibtisch an Schreibtisch mit ihrem Vater arbeitete und dann Mit-Eigentümerin des Nachfolge-Unternehmens wurde, schwärmt bis heute von der Macht der BauManager, die damals kaum zu erschüttern war  : »Die war riesig, da brauchen wir gar nicht zu reden … Mein Vater ist mit dem Salfenauer (SPÖ, Bürgermeister 1970–1980) am Stammtisch gesessen und war per Du mit ihm und auch mit dem Bäck (Vorgänger Salfenauers) und mit dem Donnenberg (ÖVP, 1952–1964 Vizebürgermeister) … Wenn Sie das so wollen, haben sie sich vieles hinter verschlossenen Türen ausgemacht … Sie haben sicher auch schlechte Sachen gemacht – aber eines hatten diese Männer  : eine Handschlagqualität. Wenn die gesagt haben ›so ist es, ja, das machen wir‹, dann ist es gemacht worden und wenn sie in der Presse hundertmal verrissen worden sind, die haben sich etwas getraut.«

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Die engen sozialen Beziehungen zu Spitzenpolitikern endeten aber nicht bei der Stadtregierung – der Baumeister-Tochter erscheint bei der Erinnerung an den Garten des elterlichen Hauses fast eine Ahnengalerie von Landeshauptleuten  : »Sie sind beim Vater immer aus ein- und ausgegangen. Sie sind am Wochenende gekommen, der Hasi (gemeint ist Wilfried Haslauer sen.), mit dem waren wir Skifahren am Obertauern, das war eine gute Freundschaft  ; mit dem Lechner auch schon … oder es war eine Jause im Garten mit diesen Leuten. Ich war als Jugendliche noch zusammen mit dem Klaus, als der noch Landeshauptmann war, der war auch bei uns im Garten.«

Umso größer war die familiäre Kränkung, als der vielfach Geehrte dann auch von der Bürgerliste ausgezeichnet wurde, allerdings mit einem »Saurüssel« – einem symbolischen Anti-Oscar, benannt nach einer mittelalterlichen Schand-Maske  : »Mein Vater war wirklich zutiefst erschüttert, es hat ihn wirklich zutiefst getroffen, weil es ungerecht war und weil es nicht gestimmt hat … Das war insofern unfair, als mein Vater schon ein Grüner war, bevor das Wort ›grün‹ überhaupt in aller Munde gekommen ist …«

… ärgert sich die Tochter, Vater Reinthaler habe sich schließlich auch um das Anlegen von Parks verdient gemacht. Die Bürgerliste forderte damals im Fettdruck »An den Pranger mit ihm«  ; damit bot sie dem Furor eine personalisierte Zielscheibe, ein Feindbild mit Namen. Das war nicht gerade Ziesels Stil, die Stimmung bildete es ab. Selbst die Loyalität der Beamtenschaft war durchlöchert  ; das Arsenal, das die Angreifer gegen die »Festung« einsetzten, stammte nicht nur einmal aus deren Innerem. Ziesel  : »Wir haben die Informationen aus allen Richtungen bekommen. Die Beamten haben uns die Tür eingerannt und gesagt, ›das wissen wir und das‹. Wir haben es aber nur zum Teil verwenden können, wenn wir Belege dafür hatten. Der Beamte hat selber nicht auftreten können, dann hätte er sich gleich verabschieden können …«

… doch er konnte »Munition« hinausschmuggeln an die Opposition, die von außen anrannte. Erich Marx, damals Jung-Freiheitlicher in der Stadtverwaltung, weiß einiges darüber  : »Die Bürgerliste hat nicht zuletzt davon gelebt, dass in der Beamtenschaft, zu der auch ich gehört habe als Büroleiter vom Steiner, gesagt worden ist, die Bürgerliste ist der Hecht im Karpfenteich und wenn du merkst, dass Schweinereien passieren, kannst Du

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es nur der Bürgerliste sagen, denn dann hast Du eine Chance, dass irgendetwas aufgezeigt wird, dass dann vielleicht durch medialen Druck doch nicht passiert.«

In einem der folgenreichsten Fälle, den Aigner Grundstücksgeschäften im Reich von Hans Zyla, stammte das Belastungsmaterial aus einer Quelle, die bisher öffentlich nicht bekannt war – nämlich von Erich Marx selbst, also aus einem freiheitlichen Regierungsbüro im Schloss Mirabell. Die Vorgeschichte ist im ersten Teil des Buches ausführlich dargelegt  : Zylas private Bautreuhand hatte mehrere Grundstücke erworben und dann an die gemeinnützige WEB (mit dem Geschäftsführer Zyla) weiterverkauft, mit einem Aufschlag von umgerechnet rund 580.000 €  ; beide Verträge waren von dem hochrangigen Politiker unterschrieben. Die Wohnbauprojekte dort platzten jedoch – wegen des Bürgeraufstands in Aigen-Parsch übrigens, bei dem sich auch Eckehart Ziesel hervorgetan hatte. Als dann auch noch die Stadt mit SteuerMillionen einspringen sollte, machte die Bürgerliste den Zyla-Zyla-Deal öffentlich und brandmarkte ihn als »ungeheuerliche Grundstücks-Spekulationen«. Ein Richter des Kreisgerichts Ried bewertete das später in dem von Zyla angestrengten Prozess ohne Umschweife als »zulässige Bezeichnung«. Marx bekam den Akt als Sekretär des Vizebürgermeisters Steiners (FPÖ) zu Gesicht, der war ein gelernter Notar – und hielt das Geschäft für rechtlich »regulär«. Sein Assistent ließ sich aber nicht ruhigstellen  : »Ich war damals völlig empört und entsetzt über so etwas, mein Gerechtigkeitssinn hat mir gesagt, ›das kann’s nicht sein‹, ich habe den Akt kopiert und habe in meine damalige Wohnung in der Bräuhausstraße den Herbert Fux bestellt. Das kannst Du heute noch in den Inseraten nachschauen, wo ›Zyla-Zyla‹ draufsteht, das habe ich dem Herbert Fux zugespielt, weil ich in der FPÖ gescheitert war. Ich werde nie vergessen, wie wir dort gestanden sind und er gesagt hat ›das gibt’s ja alles nicht‹. Ich habe das natürlich heimlich machen müssen.«

Das Konsens-Modell zerbröselte auch von innen, sodass es den Attacken der grimmigen Bürger umso weniger standhalten konnte. Dabei hatten diese Rebellen mit Krawatte (nur Fux trug keine) nicht etwa ein Zerstörungswerk im Sinn, sie revoltierten letztlich, um zu bewahren. Hörl, der so gerne Saurüssel umhängte, konnte später sogar poetisch werden, wenn er, mit Sedlmayr-Buch samt Schubert-Zitat in der Hand, auf den Nonnberg spazierte, »das liebliche ›Thal‹ mit neuen Augen betrachtend. Die weiten Wiesen, Büsche, Bäume, Schloss und Teich Freisaal, die alte Allee, Schloss, Park und Berg von Hellbrunn. Geht Freisaal verloren, dachte ich, ist es aus, das darf nicht sein.«

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Ziesel hält es für einen der größten politischen Erfolge der Bürgerliste, den seinerzeitigen Generalverkehrsplan mit neuen Schellstraßen, Brücken und Tunnels versenkt zu haben  : »Wir wollten einen Lebensraum bewahren und erhalten, damit die zukünftigen Generationen, die Kinder, auch noch halbwegs einen Lebensraum haben und nicht vor einer zerstörten Umwelt stehen.«

Die im Kern so konservative Bürgerbewegung schlug bei den nächsten Wahlen eine breite Bresche in die Mauern von Mirabell und Rathaus. Der junge Mann, der durch sie ins Schloss einzog, hatte die Anti-Zyla-Kampagne geführt und sich damit als effektiver Rammbock erwiesen. Mit einer Rolle als »oberster Stadt-Erhalter« gab er sich nun nicht zufrieden.

2. Ein Savonarola für Salzburg  ? Johannes Voggenhuber

Johannes Voggenhuber war ein Sonderfall im Sonderfall. Ein gewöhnlicher Politiker war er sowieso nicht, aber er war auch kein gewöhnlicher Bürgerlistler. Für die Rolle als Sprecher hatte sich der damals 27-Jährige im Wahlkampf 1977 qualifiziert, schon mit seinem ersten Flugblatt »h ände über der sta dt«  : »Hände, die aus Macht- und Profitstreben in dieser unserer Stadt zugegriffen haben und die dieser Stadt und dieser Landschaft Unwürdiges hinterlassen haben. Hände, denen wir die Macht gegeben haben, das auf uns überkommene Erbe zu erhalten und weiterzuführen und die im Begriff sind, dieses Erbe unwiederbringlich zu verschleudern.«

Voggenhuber war als Polemiker begnadet und verstand es auch, Bilder heraufzubeschwören. »Hände über der Stadt« war nach einem italienischen Film (»Le mani sulla città«) des aus Neapel stammenden Regisseurs Francesco Rosi betitelt  ; Hauptperson ist der Baulöwe Stadtrat Nottola, dem neben einer seiner Baustellen ein marodes Althaus einstürzt – worauf Korruption und Vetternwirtschaft ans Licht kommen. In jener Zeit hatte die Bürgerliste etwa im Fall des Hauses »Platzl 5« – wir erinnern uns – »vorsätzliche Zerstörung« mitsamt politischer Komplizenschaft an die Wand gemalt  ; das Flugblatt zeichnete vor diesem Hintergrund ein Salzburg, in dem eine Art »Camorra ohne Pistole« regierte. Der begabte Autor wollte aber mehr als sich über Einzelfälle zu alterieren. Wie Richter Ziesel war Voggenhuber bei einer jener großen Bürgerversammlungen aufgefallen  : »Ich habe dem Richard Hörl gesagt, ›was soll denn das alles, das muss man anders angehen … nicht nur auf den einen Gauner zu zeigen und dann auf den andern, sondern dass man das System freilegen muss. Es geht nicht, dass ihr nie die Zusammenhänge aufzeigt, dass ihr nie aufzeigt, dass es sich um eine Verwertungsmaschine handelt, an der die Politik, die Bodeneigentümer beteiligt sind‹… ›Hände über der Stadt‹ war zum ersten Mal der Versuch, das System darzustellen. Ich habe das in der Früh geschrieben, nachdem ich mit dem Herbert Fux bis zwei Uhr nachts gestritten hatte.«

Es war ein Graben, der sich noch jahrelang durch die Bürgerliste ziehen sollte – Fux wollte Verschwörer ans Licht zerren, Voggenhuber Strukturen beleuchten  ; vor allem aber und das ging noch tiefer  : Fux reichte es, als Rächer die Bühne zu stürmen, Voggenhuber wollte das Theater übernehmen und für dieses auch gleich neue Stücke schreiben.

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Das hatte mit seiner Herkunft zu tun. Der Vater des Versicherungsangestellten kam aus einer alten Salzburger Handwerker-Familie, so weit, so »normal«  ; die Mutter stammte jedoch aus dem europäischen Großbürgertum  : »Meine Mutter ist aus Antwerpen, mit jüdisch-spanischen Vorfahren … Sie wurde nach Dachau gebracht und wurde dort 1945 hochschwanger von den Amerikanern befreit. Sie war angeblich die frechste Jüdin von Dachau. Sie war die intellektuell dominierende, die aus einer katholisch-jüdischen, liberalen Welt kam. Der Großvater war Primar, Herzspezialist, Arzt des Königs, ein Liberaler, ein Großbürgerlicher aus Antwerpen, aus einer Schichte, die Österreich kaum kennt. Mein Großvater war allerdings ein politischer Mensch – ein Liberaler im politischen Sinn. Er war eine prägende Figur für mich – der Arzt aus Antwerpen…«

… eine offenkundig beeindruckende Person, die von der Familie viel verlangte, auch dass die Kinder zu zeitgeschichtlichem Bewusstsein erzogen wurden  : »Ich kann mich erinnern, er kam zu Besuch, es fiel das Wort ›Braunau‹, er hat mich angeschaut, mich, den Sechsjährigen und gefragt  : ›Ja, und was ist Braunau  ?‹ – und ich habe es nicht gewusst. Ich habe nicht gewusst, was Braunau ist, worauf ein Rieseneklat ausbrach mit meinen Eltern, warum dieses Kind nicht wisse, was Braunau bedeutet. Eine verrückte Herkunftsgeschichte, wenn man will …«

… verrückt auf jeden Fall, gemessen am österreichischen Durchschnitt, auch was den sozialen Hintergrund von Politikern betraf. Zudem neigte das Großbürgertum, wie wir spätestens seit Kreisky wissen, nicht dazu, sich im Fall des politischen Engagements mit halben Sachen abzugeben  : »Der Großvater war sprühend, offen, ohne Tabus … Dem Vater hat er bei einem Besuch gesagt, ›jemand aus unserer Familie, dessen Name muss doch im Land bekannt sein‹. Es war klar, dass jemand die Verpflichtung hat, sich in dem Raum, in dem er lebt, für öffentliche Angelegenheiten zu engagieren.«

Das tat der Enkel dann, tatkräftiger, als selbst das eigene Lager angenommen hatte und sofort nachdem feststand, wer den Stadtrat für Bürgerliste übernehmen sollte – immerhin das erste Regierungsamt in Österreich, ja vermutlich sogar in Europa, für eine Bewegung mit grünem Programm. Hörl und Fux, die beiden ersten Gemeinderäte, kamen ihrem persönlichen und politischen Naturell nach kaum infrage, Ziesel schon eher, doch der lehnte ab  : »Ich habe gesagt, ich mach’ es nicht, weil ich den Beruf nicht aufgebe.«

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Fux war grundsätzlicher in seiner Verweigerung  ; er riet der Fraktion überhaupt ab, irgendeine Verantwortung zu übernehmen und damit »Teil dieses Systems zu werden, das Brutstätte permanenter Packelei und Korruption war«. Doch auch er konnte den nächsten und für die Grün-Bewegung historischen Schritt nicht verhindern – selber das Regieren zu riskieren. Die größte Überraschung sollte noch folgen  : Voggenhuber gebrauchte die ihm zugefallene Macht vom ersten Tag an mit der größten Selbstverständlichkeit. Er verfügte nicht nur über Selbstbewusstsein, sondern auch über Kompetenzen  : Der Bürgerlisten-Stadtrat war nach Einschätzung von Mandarinen der Stadtverwaltung »vielleicht der Politiker mit der größten Machtanhäufung der Nachkriegszeit«. Das war ihm auch ziemlich bewusst  : »… die ganze Bezirksverwaltung, die ganze Baubehörde, die ganze Verkehrsbehörde, die Altstadt, das war alles behördlich. Dadurch war es möglich, für die Entwicklung und den Bau der Stadt die Behördenteile und die politischen Teile zusammenzuführen und in meinen Hauptbereichen gar nicht auf den Gemeinderat angewiesen zu sein, sondern als Stadtrat – da bist Du Bürgermeister in deinem Ressort – die Behörde zu sein, die, innerhalb ihrer Möglichkeiten, nach dem Gesetz Entscheidungen zu treffen hat.«

Wie war das möglich  ? Die anderen Parteien, jene mit Stallgeruch, hatten ihm die Zügel regelrecht zugeworfen – zum einen wohl mit dem Kalkül, er werde sich damit vergaloppieren, zum andern aus eigener Schwäche. Die bürgerlichen Parteien waren nach Rücktritten (Zyla, ÖVP, als Stadtparteiobmann und Steiner, FPÖ, als Vizebürgermeister) enthauptet  ; der Kurs der Volkspartei wurde nicht einmal mehr von der eigenen Gefolgschaft verstanden, die FPÖ hatte sich vom Ruch des Kartell-Partners nicht befreien können  : »Der Steiner hat eigentlich ein Vakuum hinterlassen. Er ist knapp nach der Wahlnacht gegangen, einen oder zwei Tage später war Parteivorstandssitzung und hat gesagt, er macht das jetzt bis zur Neukonstituierung fertig, aber es ist für ihn entschieden, dass er völlig aussteigt. Für uns war es ein Schock, weil die ganze Partei und die ganze Wahlbewegung sehr auf den Steiner fixiert war, über zehn Jahre hinweg und wenn der Leader plötzlich weg ist, entsteht eine große Lücke.« (Erich Marx, damals neuer FPÖ-Klubobmann) »Die Wahl ’82 war für die ÖVP die Katastrophe schlechthin … Wenn ich auf eine Sauerei draufgekommen bin und habe das dem Bacher (Vizebürgermeister, ÖVP) gesagt, dann hat der angerufen und gesagt, ›Leut’ln, da müsst ihr aufpassen‹ und hat dadurch eine Veränderung verhindert. Wenn Du es dem Herbert (Fux, Anm. d. Verf.) gesagt hast, dann hat er das in die Medien gedrückt und solange geschrien, bis es ein Skandal war und dann ist es abgestellt worden … In der ÖVP hat man kein Rezept gegen sie gekannt.« (Renatus Capek, damals neuer ÖVP-Gemeinderat)

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Doch selbst die SPÖ, die den Aufstand zunächst als bürgerliches Protestgeschrei aus den grünen (das war damals noch nicht politisch gemeint) Vierteln im Süden abtat, musste lernen, dass bloße Korrekturen beim Personal nicht mehr vor Verlusten schützten. »Man war dann völlig entsetzt, dass 82 die Bürgerliste so abgeschnitten hat trotz des neuen Spitzenkandidaten (Josef Reschen, Anm. d. Verf.), der an sich sehr gut lag … der Schock war groß, vor allem wegen des Stadtrats für die Bürgerliste und dass es für sie so viele Mandate waren. Man wusste, man muss jetzt bis 87 miteinander auskommen, man konnte diese Kraft nicht mehr wegleugnen, nicht mehr vor die Tür stellen.«

So analysierte es Herbert Fartacek, gerade zum neuen Klubobmann berufen – und tatsächlich öffnete die stärkste Fraktion nun die Tür einen Spalt und hob die Quarantäne auf für die Außenseiter, die im Gemeinderat zuvor vollkommen isoliert gewesen waren. Sie waren allerdings auch schwer zu ignorieren, weil sie die Diskussion vor den Toren des Rathauses, in der Öffentlichkeit, längst dominierten  : »Das war das Interessante. Sie haben das Tempo und die Themen vorgegeben. Du hast den Bürgermeister, aber Themen und Tempo sind von der Bürgerliste vorgegeben worden – indem sie dort hineingestochen haben, wo es der Machtpolitik wehtut  : Flächenwidmung (»weg mit den Schwarzbauten«), Verteilung der Gelder, keine Privilegien, Verkehrspolitik (»auf die Umwelt achten«), Grünland-Deklaration – alles BürgerlistenThemen.«

Doch bei aller Behörden-Macht, die in Voggenhubers Ressorts vereinigt war – nicht alles konnte er per Edikt durchsetzen, er brauchte auch immer wieder politische Mehrheiten im Gemeinderat, wo die Bürgerliste selbst nach ihrem rauschenden Wahlsieg nüchtern betrachtet nur etwas mehr als ein Sechstel der Mandate innehatte. Erst eine Sachkoalition mit der SPÖ, der immer noch stärksten Fraktion, brachte z. B. die notwendigen Stimmen für die Grünland-Deklaration. Es war dies ein erster rot-grüner Bündnis-Fall  ; möglich geworden, weil in der Wohnbau-Partei eine Gruppe jüngerer, nicht befangener Mandatare nachgerückt war  : »Das ist so weit gegangen, dass wir diese Grünland-Deklaration gemeinsam zustande gebracht haben. Der Prozess hat innerhalb der Fraktion sicher ein, zwei Jahre gedauert … Dass es Widerstand in der Fraktion gegeben hat, war klar. Der Widerstand innerhalb der Fraktion kam von den ›echten‹ Arbeitervertretern, von jenen, die aus der Gewerkschaft und den Arbeiterkammern gekommen sind. Der Grund war ganz einfach – dass man keine Flächen mehr für den Wohnbau hat. Wir haben gesagt, was sich aus der täglichen Praxis ergeben hat, ›jetzt müssen wir sie einbinden, es hilft nix‹.« (Fartacek)

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Voggenhuber, mit mehr politischer Schläue ausgerüstet als es in seiner Rhetorik schien, wollte den Schutz sämtlichen gewidmeten Grünlands politisch festzurren – als Selbstverpflichtung des Gemeinderats. Eine solche konnte vom Land als Aufsichtsbehörde nicht ohne Weiteres ausgehebelt werden. Die Absicht  : »Wir machen kein Gesetz, wir machen einen Vertrag mit dem Bürger … Wir haben ja auch versucht, einen schönen Text zu machen, das war eine Deklaration einer Generation an die künftigen Generationen. Damit war die ÖVP draußen und die SPÖ konnte nicht sagen, das bringen die sowieso mit Sicherheit um und wir erklären im Nachhinein, wir wären eh die ›Modernen‹ gewesen.«

Für den Grünland-Schwur (»Die Stadt Salzburg erklärt feierlich ihren Willen, die im Deklarationsgebiet ausgewiesenen Flächen dauernd als Grünland zu erhalten …«) wurde ein hoher Ton gewählt  ; im Bewusstsein, dass Pragmatismus zwischendurch auf Pathos nicht verzichten kann. Voggenhubers Nachfolger beherzigten das später nur noch selten. Aber die Bürgerliste, erstmals selber an der Macht und zum Leistungsnachweis verdammt, musste nun auch Tugenden entwickeln, wie sie Realpolitik verlangt  : taktisches Verständnis und Gesprächsfähigkeit mit dem Gegner. Für diese war allerdings oft nicht Voggenhuber zuständig, sondern Eckehart Ziesel, inzwischen Klubobmann. Der Grünland-Pakt wurde von wesentlichen Medien akklamiert  ; doch mit durchgehendem Beifall durfte der neue Stadtrat nicht rechnen. Die erste Machtprobe hatte sich – und das war kein Zufall – an einem großen Wohnbau-Vorhaben entzündet, dem »Forellenweg«. Dort wurde die Architektur-Reform durchexerziert  : Voggenhuber hatte bekanntlich verfügt, dass über alle größere Planungen außerhalb der Altstadt ein Gestaltungsbeirat den Daumen hob oder senkte – der Kreis wurde ausschließlich aus Experten gebildet, diese kamen entweder nicht aus Salzburg oder sie hatten sich nicht in den Schlingpflanzen des hiesigen Biotops verfangen, zählen sollten nur »Qualitätskriterien«  : »Beim Gestaltungsbeirat, den sie erwürgen wollten, da habe ich gesagt, ›okay, Salzburg hat einen sehr schönen Klang‹ und habe die Leute angerufen und angeschrieben, bin nach Zürich, Mailand usw. gefahren und habe gesagt, ›ich habe kein Geld‹, dann haben die erklärt, ›okay, dann machen wir es kostenlos‹. Die kamen alle kostenlos, die Reise, das Hotel – aus.« (Voggenhuber)

Wer so wenig abhängig war, konnte den Gegner frontal ins Visier nehmen. Der Beirat sollte, so der Stadtrat, dem »Zynismus mancher Großbauherren in dieser Stadt keine Chance mehr« geben. Beachten wir, wer da herausgefordert wurde  : zu 50 % waren Wohnbaugesellschaften, Banken, Großunternehmen und die öffentliche

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Hand von den Urteilen betroffen – das anfangs bei weit mehr als der Hälfte der Entwürfe auf »no project« lautete (wie es ebenso knapp wie gnadenlos Gino Valle ausdrückte, übrigens Italiener – aber es war eben ein international besetztes Gremium). Im Fall der Forellenweg-Siedlung wählten die Sachverständigen eines aus, das auch wohlwollende Redakteure an ein »Römerkastell« gemahnte (tatsächlich fand Sieger Oswald Mathias Ungers seine Vorbilder in der Antike). ArchitekturKritik war allerdings nicht der Grund, dass der Bauherr GSWB nun einen Hagel an Mängel-Vorwürfen abfeuerte. Dies kaschierte nur die politische Absicht, legt ExKlubobmann Fartacek offen  : »Es ging darum, macht der Voggenhuber einen Stich oder nicht. Das war der Ausgangspunkt. Der stellt eine Sache dar, die sehr gut ist und sagt, das andere ist nicht so gut. Zuerst hieß es, ›jetzt legen wir uns mit ihm an, jetzt sagen wir einmal nein‹. Aber offiziell kann man nicht gleich nein sagen, sondern ›es gibt schon Schwächen bei diesem Projekt‹, es gibt ja 1000 Gründe, die man anführen kann, wenn man es nicht will.«

Die Siedlung für 1000 Bewohner wurde zum Prestigeprojekt für alle Beteiligten  ; Voggenhuber sollte schließlich sogar entmachtet werden  : »Wir waren in Amsterdam, um den Holzbauer (den Vorsitzenden des Gestaltungsbeirats) mit seiner Oper zu sehen. Als ich gefahren bin, habe ich den Reschen als Bürgermeister um die Vertretung gebeten. Das war für mich eine Frage der politischen Kultur. Als ich in Amsterdam aus dem Flugzeug gestiegen und in die Stadt gefahren bin, habe ich die Nachricht bekommen, dass er die Weisung erteilt hat, alle Planungen für den Forellenweg einzustellen, ohne öffentliche Erklärung, mit einer Weisung an alle Ämter. Ich bin zurück nach Salzburg geflogen und habe erklärt, ›so, ich bin da‹. Die Einstellung hätte kostenmäßig ein Desaster bedeutet.«

Der »Forellenweg« wurde schließlich gebaut  ; der Gestaltungsbeirat hielt trotz Rücktritts-Drohung durch und zwei Jahre später wurde seine Existenz von keiner Fraktion mehr infrage gestellt und die Nachfolge geregelt. Grünlandschutz, Architektur-Reform – das waren »nachhaltige« Erfolge, wie es die heutige Grün-Generation sagen würde. Sie waren es politisch, nicht aber für Voggenhuber persönlich. Vor allem als Bau-Stadtrat wurde ihm ein Schild umgehängt, auf dem in Großbuchstaben »planungsdiktatur« stand und das sehr weit leuchtete. Das war allerdings reine Gegen-Propaganda. Voggenhuber verstand den Gestaltungsbeirat zwar als ausschließlich ihm persönlich verantwortlichen Weisen-Rat  :

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»Wir haben beim Gestaltungsbeirat gesagt  : ›ich gehe nicht zum Land und die machen eine Honorarordnung und die schreiben dann denen vor, wo sie begutachten dürfen und wo nicht. Das ist mein Beratungsgremium.‹ Ich war dagegen, dass man daraus ein Gesetz macht.«

Aber das war nicht Tyrannei, das war bestenfalls aufgeklärter Absolutismus. Die FachEntscheidung lag eben nicht beim Ressortchef, sondern bei qualifizierten Experten  ; gekappt wurden lokale Seilschaften  ; auf Nebenrollen beschränkt Würdenträger aus Stadtregierung und Journalismus. Das »Salzburger Modell« wurde danach national und international vielfach imitiert, wenn auch in oft abgemilderter Form. Doch wie häufig im öffentlichen Leben dieser Republik war politische Kritik auch hier zu einem guten Teil Stil- und Verhaltenskritik. Immer wieder halten dem Taktgeber jener Jahre Zeitgenossen sein Sendungsbewusstsein vor – oder genauer gesagt, dass er dieses nicht kaschiert habe  : »Dieses Messianische, das er gehabt hat, ist mir grundsätzlich gegen den Strich gegangen und wir haben auch manches von ihm abgelehnt, wo wir eigentlich hätten zustimmen können. Wenn er nicht einmal bereit ist zu reden, dann muss ich auch nicht mitstimmen. Das war eine Grundtendenz, das gebe ich zu.« (Erich Marx, damals Klubobmann der FPÖ) »Der Voggenhuber war letztlich – auf einem eher intellektuellen Niveau – einfach messianisch. Er hat einmal gesagt  : ›Ich bin für den Konsens‹, ich habe ihm gesagt  : ›Sie verstehen unter Konsens nur, dass der gesamte Gemeinderat Ihrer Meinung folgt. Er ist aber nicht heruntergestiegen und ist an dem auch gescheitert‹« (Josef Dechant, damals Gemeinderat der ÖVP) …

… und Gerhard Buchleitner (SPÖ), seinerzeit Vizebürgermeister, vermeinte sogar zu spüren  : »dass beim Johannes Voggenhuber mehr und mehr dieses messianische Denken gekommen ist. Wenn er geradezu mit verklärten Augen am Rednerpult oben gestanden ist, hat man hat immer geglaubt, er ist in einer anderen Welt.«

Voggenhuber wird hier als eine Art »Savonarola für Salzburg« dargestellt  ; als »Nachfahre« jenes Dominikaner-Priors, der im Florenz der 1490er-Jahre zum Wortführer einer Erneuerungsbewegung aufgestiegen war. Händler und Handwerker, enttäuscht über die Herrschaft der Familie Medici, sahen damals die Stunde für einen »umfassenden Neuanfang« gekommen. »Neue Männer, die bislang nicht zur Führungsschicht gehört hatten, sollten an die Spitze des Staates gelangen können und diesen

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nach neuen moralischen Gesichtspunkten, das heißt  : unbestechlich und uneigennützig regieren« (der Historiker Volker Reinhardt). Wem fällt da nicht die Bürgerliste ein  ? Gott werde »große Dinge mit Florenz« bewirken, predigte der Mönch und so wie er hielt ja auch der Salzburger Reformer »seine« Stadt für etwas Besonderes. Voggenhuber proklamierte  : »ein europäisches Projekt, eine Stadt, die … die besten Köpfe beschäftigt … ein Projekt der Wiedergutmachung und des kulturellen, politischen und sozialen Aufbruchs.«

Das war nicht wenig und das verlangte, so hatte es seinerzeit auch Savonarola verfügt, die Einhaltung strenger Regeln. Im Advent 1982, wenige Monate nach Amtsantritt, ließ der neue Stadtrat bei einer »Aktion Kitschbeseitigung« in den Gassen des Zentrums einen Kranwagen der Baubehörde vorfahren und den Weihnachtsschmuck eines Textilhauses abmontieren. »Es kann auf keinen Fall geduldet werden«, dekretierte der Schutzherr der Altstadt, »dass Girlanden und Leuchtsterne den Blick auf historische Gebäude verstellen«. Prinzipientreue als neuer Leitstern der Politik, der – Weihnachtsfriede hin oder her – gnadenlos Gefolgschaft verlangte  ? Der Salzburger Bußprediger sollte erfahren, dass es vom Messias zum Märtyrer nicht weit war. 2000 Demonstranten marschierten im Frühjahr 1985 vor dem Sitz der Stadtregierung auf, in der offenkundigen Absicht, den grünen »Fanatiker« (so die Resolution) im Streit um die Sanierung der Papierfabrik Hallein einzuschüchtern. Der Industriebetrieb war in jeder Weise einer der größten Produzenten Salzburgs – auch bei Schadstoffen. Die Bürgerliste verlangte härtere Auflagen, als die Landesregierung zu verhängen bereit war, bis hin zur Teilsperre. Die Arbeiter durften ihre Existenzangst in den Innenhof von Schloss Mirabell tragen, mit einem sozialistischen Landesrat als Einpeitscher, der sich zum Vorwurf des »Grün-Faschismus« verstieg. Während Voggenhuber antwortete, war »die Menge bedrohlich nahe ans Rednerpult herangerückt« bezeugten Reporter  ; der Stadtrat musste um seine Sicherheit bangen  : »Als sie angefangen haben, mit ihren Regenschirmen wie Waffen auf mich zuzugehen, da war das Bestürzendste für mich eine Geschichte, die ich aus den Augenwinkeln sah  : als ich runterkam, waren zwei Polizisten vor dem Eingang unten und zwei weitere beim Rednerpult. Als die auf mich zumarschiert sind, sind die Polizisten verschwunden. Und da bin ich mir vorgekommen wie in ›Z‹ (ein Polit-Thriller, in dem ein kritischer Abgeordneter unter den Augen der Polizei ermordet wird, Anm. d. Verf.)  : die Polizisten verschwinden, das war gegen mein Urvertrauen. Ich war sehr kritisch und wusste, was diese Stadt für Abgründe hat, aber dass, wenn ein demokratisch gewählter Mandatar körperlich bedroht wird, die Polizei verschwindet  ; dass in der ersten Reihe die Repräsentanten

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der Landesregierung marschieren, dass dort Murmelchöre entstehen, ›der g’hört ins Gas‹ – dann fühlst Du dich nicht nur bedroht, dann bist Du bedroht.«

Die Konfrontation endete mit einem Kompromiss. Persönlich mochte sie Voggenhuber erschüttern, politisch konnte sie das nicht  ; der Früh-Grüne hatte getan, wofür er gewählt worden war – als Umweltschützer Flagge zu zeigen. schutz schien überhaupt der Daseinszweck der Bewegung zu sein, in den Augen jener, die sie mit aufgezogen hatten oder mit ihr sympathisierten. Voggenhuber, so viel Anerkennung gewährte der Chefredakteur der »Salzburger Nachrichten«, Karl Heinz Ritschel, »ist mit seinem Namen untrennbar mit der Grünland-Deklaration verbunden, … die ein Meilenstein der Stadtgeschichte ist«, die Altstadterhaltung sei »ohne Bürgerliste, ohne einen Herbert Fux oder Johannes Voggenhuber kaum denkbar«  ; bei der Baumpflege komme »das historische Verdienst, den Bewusstseinswandel politisch umgesetzt zu haben, einem Eindringling in die damalige politische Ordnung zu … dem Bürgerlisten-Stadtrat Johannes Voggenhuber« (Winfried Herbst, damals Umweltreferent der Arbeiterkammer). Hymnen für den Grünland-schutz, Lob für den Altstadt-schutz, Anerkennung für Baum-schutz – der Stadtrat als schutzherr  : Solange der Bürgerlisten-Abgesandte sich an diese Stellenbeschreibung hielt, bewegte er sich auf sicherem Boden  ; verließ er diesen, gab er damit rasch seinen eigenen »geschützten« Bereich auf. Voggenhuber hatte es sich jedoch nicht einfach gemacht und zum Beispiel keinen absoluten Baustop erlassen, wie sich das frühe Bürgerinitiativen erträumt hatten. Aber »Nichtbauen« (der Architekturkritiker Dietmar Steiner), die sicherste Variante, war für ihn eine viel zu kleinbürgerliche Option – »Bau- und Planungspolitik« sollte vielmehr in den Rang der »Kulturpolitik« gehoben werden. Wenn man dafür einen Partner aus der Baubranche gewinnen konnte, der sich um des Geschäftes willen arrangieren wollte, dann umso besser  : Bei der Wohnanlage Hans Sachs-Hof im Stadtteil Lehen schloss Voggenhuber einen Pakt mit Bernd Schiedek, dem Direktor der Wohnbaugesellschaft WEB, einem aus dem »Reich des Bösen«, gegründet von Hans Zyla, dem »Gottseibeiuns« der Bürgerliste. Das Resultat wurde dann übrigens von der Fachwelt zum »gelungensten« des Salzburger Architektur-Modells erklärt. Hatte da nicht, in einem unwahrscheinlichen Fall von politischem Happy End, das »Gute« gesiegt  ? Hatten sich die Verhältnisse nicht wirklich umgekehrt  ? Schließlich gehörte das Grundstück einst ins Reinthaler-Portfolio (genau – der mit dem Bürgerlisten-Saurüssel), schließlich wurde auf ein und demselben Areal ein glatt gescheitertes lokales Projekt durch den Entwurf eines erstklassigen Schweizer Büros ersetzt und schließlich hatte das »Bau-Syndikat« (Originalton Bürgerliste) eingelenkt. Die eigenen Fraktionskollegen zeigten Voggenuber für Geländegewinne dieser Art jedoch wenig Dankbarkeit  :

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»Beim Hans Sachs-Hof war klar, dass wir bei einem Bauverbot unfassbare Summen gezahlt hätten (an Entschädigung, Anm. d. Verf.) und dann machst Du dort moderne Architektur und das in Lehen. Die in Lehen haben gesagt, ›gut‹, das hat aber niemand gewusst und in der Bürgerliste hat es geheißen  : ›warum greifst Du das überhaupt an und dann noch mit moderner Architektur – Du provozierst sie ja zweimal‹. So war die Stimmung.«

Die Traditionalisten in der Bürgerliste hielten ein Engagement in einem Stadtteil wie Lehen für verschwendete Energie. Die Bevölkerungsdichte dort war ziemlich genau fünfmal so hoch wie in Aigen-Parsch  ; die Stadt sollte nach Norden und Westen ausgreifen, verlangten die Bürgerinitiativen aus dem Süden, die sich hauptsächlich aus den »besseren Kreisen« rekrutierten. Dort hatte die Bürger-Liste auch ihre Mandate eingesammelt. Voggenhuber war mit der Intention, diesen Nord-Süd-Konflikt anzugehen (spiegelverkehrt zur Weltkarte war in Salzburg der Süden reicher als der Norden), um Jahre voraus  : »Diese Einbindung der sozialen Frage in die Stadtplanung war schon eine Schwierigkeit. Denn in den Dschungel von irrwitzigen Bebauungsplanungen einzugreifen, wo uns keiner wählt und zu sagen, die brennenden Probleme sind dort und nicht in Aigen und die Privilegien, die sich die Aigner geholt haben, sind städtebaulich nicht vertretbar … das bedeutete schon die ersten Spannungen mit Ziesel  ; also wenn wir sagten  : ›lieber in Aigen zwei Geschosse mehr und dafür in Lehen vier weniger‹, wenn wir sagten  : ›wo ist da überhaupt das Grünland, wo sind die Parks, wo ist für ein Kleinkind was zum Leben in Lehen‹.«

Auch in der Architektur-Frage nickten frühere Schutz-Patrone nicht mehr wohlwollend. Führende Journalisten mitsamt ihren Geschmacks-Urteilen verfügten im Gestaltungsbeirat über kein Stimmrecht und sie wurden vor Entscheidungen auch nicht gehört. Nur eine »dienende Funktion« gegenüber »dem sich ohnehin aufdrängenden Gestaltungswillen dieser schönen Stadt« sollten aber Planer und Bauherren, gleich welchen Zuschnitts, beanspruchen dürfen, verlangte ein Chefredakteur. Das waren Unterwerfungsgesten, zu denen weder Voggenhuber noch seine Beirats-Vorsitzenden bereit waren. Die Protestbewegung sollte sich nicht beschränken auf eine Art Selbstverteidigungs-Komitee für die besseren Viertel. Schon der bloße Anspruch war riskant – auf politisch tödlichen Widerstand traf Voggenhuber schließlich, als er sich in eine Tabuzone vorwagte  : in die Altstadt. Auch dort schwenkte er nicht nur einen Schutzschild. Dabei verzichtete der neue Chef des Bauressorts zunächst auf Provokationen – abgesehen von seinem Erlöser-Gestus, der aber keine Überraschung mehr war  : Vor

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ihm seien »nicht einmal Ansätze eines politischen Konzeptes zur Sanierung« des historischen Zentrums zu sehen gewesen  ; nun aber beginne die »Rückeroberung der Altstadt durch die Bürger«. Er hatte damit nicht einmal unrecht  : Neue Wohnungen werden gewonnen, das Service für Hausbesitzer wird ausgebaut, die Stadt habe eine »beispielgebende Leistung« vollbracht, lobt der publizistische Altstadt-Hüter Nummer eins. Bis hierhin ist das noch ein im Wortsinn »konservatives«, ein bewahrendes Programm, wie es eben auch die bürgerlichen Kritiker betrieben hatten. Doch von diesen »Anfängen der Stadterhaltung unterschieden sich die Impulse der Ära Voggenhuber jedenfalls in ihrer kulturpolitischen Dimension« (der Politikwissenschafter Günther Sandner)  ; was der Zeitzeuge Voggenhuber bis heute nur bestätigen kann, sehr pointiert natürlich  : »Ich habe von Anfang gesagt, es kann nicht sein, dass wir Mummenschanz treiben, Kostümfeste machen und versuchen, etwas nachzuahmen. Die haben in ihrer Zeit gebaut und es war klar, dass wir es nur fortführen können, wenn es kein Museum werden soll, sondern eine lebendige Stadt bleibt, wenn wir in der Lage sind, uns da einzufügen und dort, wo wir eingreifen, zeigen, wo ist alt und wo ist neu.«

Solches Denken ist ein Sakrileg, auch im eigenen Lager. Für Herbert Fux, der sich als Rächer einer von »Bau-Haien, Immobilienmaklern und Spekulanten übelster Art« geschändeten Altstadt ins Bild setzt, ist jeder Neubau-Versuch ein unverzeihlicher Übergriff – und sei es durch den eigenen Stadtrat  : »Im Garten von Fux gab es große Auseinandersetzungen um das Bauen in der Altstadt. Es war seine tiefe Überzeugung, tief widersprüchlich übrigens  : er hat am liebsten im Arabella-Hochhaus in München gelebt. Aber Salzburg war ihr Schatzkästlein und die weite Welt geht uns hier gar nichts an … Der Fux hat geschrien, bei einer Zugsfahrt nach Wien  : ›Du bist nicht der Wolf-Dietrich, was bildest Du Dir ein. Die moderne Architektur hat hier nichts verloren‹, das waren Schreiduelle.« (Voggenhuber)

Der schwersten Anmaßung macht sich der Bürgerlisten-Stadtrat in den Augen solcher Wächter ausgerechnet mit einem Projekt schuldig, das nicht nur für Architektur-Chronisten »an Poesie nicht zu überbieten« war  : dem Umbau des damaligen »Casino Winkler« auf dem Mönchsberg mitsamt (gläsernem) Panoramalift. Den Wettbewerb hat der Portugiese Álvaro Siza gewonnen, nach einem öffentlichen Preisgericht und einem Verfahren, das »an Qualität der Projekte und Ernsthaftigkeit des gesamten Vorhabens bis heute unerreicht« sei (der Kunsthistoriker Roman Höllbacher). Doch auch für Klubobmann Eckehart Ziesel setzt ein Bürgerlisten-Stadtrat damit zu viel aufs Spiel  :

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»Der Fux und ich haben wilde Diskussionen mit ihm gehabt und er hat gesagt  : ›Ich bin der Ressortchef und ihr könnt mir den Mund nicht verbieten‹. Ich habe ihn oft gewarnt und ihm gesagt, er soll sich ein bisschen zurückhalten. Wir waren natürlich gegen das Siza-Projekt. Wir haben ihm gesagt, ›bitte lass das, hör auf damit, es hat keinen Sinn, es schadet uns wahnsinnig.‹ Er hat gesagt, ›nein, man muss auch die unangenehmen Sachen durchstehen‹ … Wenn er etwas wirklich wollte, hat er den Kopf hingehalten bis zur Vernichtung.«

Das sollte sich, im politischen Sinn, bewahrheiten. Voggenhuber sieht sich einer Allianz von Fux mit dem damaligen Chefredakteur der »Salzburger Nachrichten« gegenüber, deren Polemiken bemerkenswert ähnlich klingen – nur dass Fux das Projekt in den Tessin oder an die spanische Küste wünscht, der Publizist auf den »Schloßberg von Graz oder den Zuckerhut von Rio«. Die Bürgerliste ist in dieser Zeit noch keine Partei mit Disziplin – sondern ein Bündnis von Personen, eine Koalition aus Einzelkämpfern, deren Feldzüge keine Loyalität kennen  : »Dass die Bürgerliste verliert, war uns allen klar, da haben wir uns nur zurückzulehnen brauchen und zu schauen, wie der Herbert Fux den Voggenhuber umbringt …«

… wusste Erich Marx, Klubobmann der FPÖ und der Chef-Journalist meldete später zufrieden, der Entwurf mit seiner »provokanten Pose« sei »niedergeschmettert« worden. Álvaro Siza wurde übrigens sechs Jahre später mit dem Pritzker-Preis geehrt, der weltweit wichtigsten Auszeichnung für Architekten  ; »seine Architektur«, das war der Eindruck jenseits von Salzburg, »ist eine Freude für die Sinne und erbaut den Geist«. Auch Voggenhuber war durchaus der Meinung, das Volk brauche zum Glücklichsein die eine oder andere Anleitung. Er wollte die auch auf einem Feld liefern, auf dem praktisch jeder Kommunalpolitiker nur verlieren konnte – nämlich beim Verkehr, zumal, wenn er versuchte, den Autoverkehr zurückzudrängen. Immerhin war aber damals der Glaube an einen Ausweg via neue Straßen-Bauten aller Art selbst in der Sozialdemokratie schon so weit erschüttert, dass Teile der Fraktion bei solchen Ideen die Gefolgschaft verweigerten – etwa als der SPÖ-Bürgermeister Serien-Grabungen vorschlug, aber nicht für ein U-Bahn-Netz, sondern für Unterflur-Straßen, was der Klubvorsitzende Herbert Fartacek – einer der »Neu-Denker« – nicht mehr richtig ernstnahm  : »Es hat natürlich Auseinandersetzungen gegeben, wo ich gesagt habe (als Klubobmann, Anm. d. Verf.), ›da mach’ ich nicht mit‹. Die ganzen Flughafen-Geschichten, die Unterführung der Autobahn, die Unterführung Ignaz Harrer-Straße, die Salzachgarage – da habe ich gesagt, ›wir machen uns doch lächerlich, das ist ja blamabel, die Ignaz Harrer-

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Straße zu untertunneln, damit der vor der Salzach wieder herauskommt.‹ Da haben wir gesagt ›nein‹ – da ging es nicht mehr um eine Abstimmung, sondern da habe ich gesagt, ›da mache ich nicht mit‹ und zwar öffentlich nicht mit … dann war das Thema tot.«

Mithilfe des SP-Klubs brachte der Bürgerlisten-Stadtrat ein Konzept samt Maßnahmenpaket durch den Gemeinderat, das schon ziemlich »grün« klang  : Der »KfzVerkehr ist auf sein notwendiges Ausmaß zu beschränken« war dort festgeschrieben und Vorrang sei »den umweltfreundlichen Verkehrsarten einzuräumen«. Sämtliche Gemeinderats-Fraktionen willigten sogar ein, Verkehrsberuhigung in einem Großversuch auszuprobieren  ; Voggenhuber wollte hier allerdings nicht Halt machen  : unverdrossen forderte er, Tempo 30 letztlich über die gesamte Stadt zu erstrecken – auch auf Hauptstraßen  : »Das Verrückte war ja, dass unsere Studien ergeben haben, dass eine 30km/h-Reduktion auf der Ignaz Harrer-Straße eine Erhöhung der Fließgeschwindigkeit von 18 auf 22 km/h bringen würde, es würde flüssiger und ruhiger sein und dadurch der Verkehr schneller werden.«

Das war nun freilich nicht mehr zu vermitteln. »Die öffentliche Meinung ist offensichtlich noch nicht reif« drückt es nobel ein Stadtplaner aus – aber der missionarische Furor des Bürgerlisten-Stadtrats verhindert vor allem, die im Konzept festgeschriebenen Fortschritte zu vermarkten. Bricht hier der »Savonarola«-Effekt durch  ? Etwas von Bußprediger-Gehabe hat es tatsächlich, wenn der Grüne – und in dieser Frage ist er nichts anderes – nach Umkehr ruft  : »Bürgerpolitik ist keine Politik der Geschenke. Wenn man eine bessere Wohnqualität haben will, muss man halt auf das Auto teilweise verzichten.« Das mag sogar richtig sein – nur wird hier nicht mit Vorteilen geworben, es werden Opfer verlangt. Selbstverständlich sind sämtliche Vergleiche mit dem Florentiner, diesem »Vorläufer der Reformation« (John Stuart Mill) schief  ; unter Savonarola werden Luxusobjekte beschlagnahmt, von Schmuck bis Teppichen. Der Reformer von Salzburg berührt allerdings auch höchst empfindliche Stellen, wenn er über das Auto redet  : ein Status-Merkmal, ein Spielzeug, ein Sexual-Symbol (wie er selber aus einem Seminar zitiert). Vermutlich ist nichts davon falsch  ; aber sich als Moralist in Szene zu setzen, macht es anderen leicht, sich als Stimme der Vernunft anzubieten und den Bürgerlistler als »Grün-Fanatiker« zu denunzieren – wozu sich nun die Stadt-SPÖ entschieden hat. Schließlich stehen Wahlen bevor. Voggenhuber wird zwar nicht wie Savonarola verbrannt und zuvor noch gehängt. Die Sitten sind inzwischen zivilisierter, der erste grüne Regent wird lediglich per

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Abstimmung aus dem Amt gejagt. Eine öffentliche Funktion wird er in Salzburg aber nie mehr bekleiden. Was bleibt als Leistungsbilanz  ? Die Noten fallen umso besser aus, je höher die Fachkompetenz der Preisrichter ist und je größer ihr Abstand zu dieser Kleinstadt mit Weltruf. Manfred Sack, einer der renommiertesten deutschen Architekturkritiker, staunt in der »Zeit«, es sei »nicht leicht zu glauben, was unter dem berühmt gewordenen Signum ›Salzburger Modell‹ in nur fünf Jahren geschehen ist …« und  : »die Qualität der Architektur erfuhr eine enorme Verbesserung«  ;

Dietmar Steiner, später Direktor des Architekturzentrums Wien, begeistert sich, das »Salzburg-Projekt« sei »das umfassendste, substantiellste und konsequenteste Planungs- und Architekturprogramm … derzeit … in Europa«. Auch anerkannte Salzburger Fachleute melden beglückt, sie seien so ernst genommen worden wie nie zuvor. Selbst das Verkehrskonzept, in der Umsetzung oft zäh, sei im Prinzip »aktuell und richtungweisend« gewesen (Rudolf Strasser, Stadtplaner)  ; und die Grünland-Deklaration ein »besonders wichtiger Erfolg der Umweltpolitik« um »nicht nur Wegweiser, sondern auch Grenzpfähle für die Stadtentwicklung zu setzen« (Winfried Herbst, Ökologe). Ohne politische Farbfilter betrachtet tat Voggenhuber nichts anderes, als Expertise ernst zu nehmen und sie in Politik umzuwandeln – und wie. In der Sache ging er freilich nur an, was schon auf den Gebotstafeln stand, die die Bürgerbewegung von ihrem »Propheten« Hans Sedlmayr übernommen hatte (beim Grünland- und Altstadtschutz) oder was fachlich als »state of the art« galt (z. B. beim Verkehr). Rudolf Strasser z. B., der in der Ära des grünen Stadtrats das »Amt für Stadtplanung« führte, fand das sehr belebend  : »Es hat nicht lange gedauert, bis wir zueinander Vertrauen gefasst haben. Das hatte damit zu tun, dass sich Voggenhuber extrem viel und für uns völlig ungewohnt plötzlich mit den Beamten zusammengesetzt hat. Der Voggenhuber hat auch einmal angerufen im Amt und gefragt  : ›wie meinen Sie das auf Seite 36 in dem Amtsbericht  ?‹. Das war ganz ein neues Feeling.«

Die Experten erlebten Voggenhuber also nicht als Ideologen, sondern als einen Politiker, der es mit Rationalität versuchte. Sofern das radikal ist, bestand die Radikalität dieser neuen politischen Ära genau darin. Irrational waren jedenfalls nicht die Inhalte, irritierend war etwas anderes  : der Stil. Das wurde auch innerhalb der Bürgerliste erkannt  :

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»Manche hatten gespürt, dass es nicht so weitergeht  ; dass der Johannes bei den Leuten nichtankommt, dass sie ihn als abgehoben und überheblich sehen. Das war viel mehr ein Grund dafür, dass er nicht mehr gewählt wurde als Projekte wie das Siza-Projekt  ; der Verkehr, die Tempo 30-Geschichten …« (Johann Padutsch, Gemeinderat seit 1982)

Siegte das Gefühl über den Verstand, scheiterte der erste grüne Stadtrat nicht an seinen Initiativen, sondern weil er bei diesen nicht freundlich genug dreinsah  ? Es publizierten damals durchaus auch aufgeklärte Journalisten, die z. B. vom Altstadt-Fundamentalismus eines Herbert Fux nichts hielten, ja diesen verspotteten und hier eher auf der Seite Voggenhubers standen. Selbst sie aber hielten ihm vor allem in der Tempo 30-Frage einen »rüden Kurs« und ein »Diktat« vor. Dem war schwer zu widersprechen. Es passte vor allem nicht zu einer Bewegung, die jahrelang gegen die Missachtung der BürgerInnen getobt hatte. Ganz abgesehen davon stand das Voggenhuber-Projekt so nicht im Programm (der Bürgerliste), jedenfalls nicht so weit vorne  : »Es ist eine nachträgliche Fundierung gewesen, aus der Praxis heraus. Das war nicht das Programm der Grünen, wenn Du den Richard Hörl, oder den Fux oder den Ziesel nimmst vor diesem Wahlerfolg – es ist weit drüber hinausgegangen.«

Das stellt Heinrich Breidenbach klar, damals Journalist und später Pressereferent der Bürgerliste-Land, der selber für die Grünen Grundsatz-Papiere entwickelte. Folgt man ihm, erklärt sich die Strafaktion gegen einen Reformer – und nichts anderes war das Wahlergebnis für diesen – auch durch ein Dilemma. Doch dieses beschwören nicht »die« Politiker herauf, sondern die WählerInnen selbst  : »Grundsätzlich war er ein Mann, von dem die Leute immer sagen, ›solche wollen wir‹, a ber wenn es sie da nn gibt, wä hlen sie sie nicht – solche, die Mut haben, die nicht herumreden, die die Wahrheit sagen. In Umfragen sagen die Leute, ›solche wollen wir‹, aber wenn es sie dann gibt, wollen sie sie nicht …« (Breidenbach)

Der »Fall Voggenhuber« – und auch sein Sturz – sie stehen für jene »Doppelmühle der Demokratie«, in welche gerade Regierende mit Ambition getrieben werden  ; er ist eine Lehre auch für die Wahlvölker, die angeblich nichts so herbeisehnen wie entschlossene Führung. Der Betroffene selber gesteht inzwischen einzelne »Fehler« ein, etwa, das SizaProjekt im Wahljahr lanciert zu haben. Doch den großen Rest erklärt er sich damit, der Bürgerinitiativ-Bewegung weit voraus gewesen zu sein. Vielleicht aber gehörte er auch, so rief es ihm Herbert Fux nach, niemals wirklich dazu  :

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»Ich glaube, die Bürgerliste wollte nie visionär sein. Sie wollten erhalten, was da ist, Landschaften und Altstadt  ; sie wollten ökologisch sein, von der Verkehrsberuhigung über den Baumschutz und sie wollten demokratisch sein im Sinne von Bürgermitbestimmung – allerdings nach sozialen Maßstäben, für Aigen, Parsch und die artikulierten Bürger, für die reicheren Stadtteile. Meine Forderung war immer, das ökologische Denken hat überhaupt nur Sinn, wenn es sich mit dem sozialen und dem demokratischen verbindet.« (Voggenhuber)

Historisch bekam Johannes Voggenhuber, was er stets sehr genoss – er bekam recht  : »Wenn ich es an Wählerstimmen messe, war er nicht erfolgreich. Aber wenn ich in die Kaigasse fahre mit dem Rad, fahre ich in eine Fußgängerzone, die es sonst wahrscheinlich nie so gegeben hätte. Wenn ich durch die Hellbrunner Allee den Kinderwagen schiebe mit meinem Enkelkind, dann weiß ich, das hat mit der Grünland-Deklaration zu tun. Das hätte es sonst in der Form nicht gegeben.« (Breidenbach)

Die Bürgerliste musste aber auch breiter werden, das verstanden die »Söhne« der Gründerväter. Der Fortschritt allerdings, der wurde nach dieser frühen Macht-Erfahrung ab sofort in kleineren Einheiten gemessen.

3. Die Realos übernehmen Johann Padutsch, Helmut Hüttinger

Es gab die Szene, in der die »Bürgerliste alt« auf die »Bürgerliste neu« traf – Aug in Aug, Mann gegen Mann, als wäre es eines jener Filmdramen, in denen Herbert Fux auftrat, in den ernst zu nehmenden jedenfalls. Der inzwischen 70-Jährige, in seiner politischen Hauptrolle immer noch und ausschließlich Rächer, hatte sich wieder einmal an der eigenen Führung revanchiert und Bürgerinitiativen mobilisiert – oder was sich dafür ausgab. Die Bürgerliste in Gestalt von Johann Padutsch führte längst wieder die Stadtplanung  ; doch für einen wie Fux war alles wie immer  : jeder Baum, jede Wiese (jedoch nur im bürgerlichen Süden) war zu schützen, alles darüber hinaus galt als Beihilfe für die Mafia. Helmut Hüttinger, Klubobmann, war zweifach erschüttert – er hatte zur selben Zeit einen schweren privaten Verlust zu verkraften  : »Die Veranstaltung war im Dezember 1997, kurz nach dem Tod meines Vaters, der mich sehr getroffen hat. Ich weiß das deshalb so genau, weil mein Vater am 20. November 1997 gestorben ist. Ich habe das Gefühl gehabt, dass ich mit dem Herbert Fux immer ein sehr gutes persönliches Verhältnis gehabt habe. Sie haben dann eine Versammlung gemacht im Sternbräu, im ersten Stock oben und wir sind dort hingegangen, weil wir wussten, der Herbert Fux ist auf uns schlecht zu sprechen. Bei dieser Versammlung war es unglaublich, wie die über den Padutsch und uns hergezogen sind, unter jeder Gürtellinie.«

Hüttinger vollzieht an diesem Abend nicht nur einen politischen Bruch, sondern auch einen persönlichen. Solche können, auch in diesem Geschäft, noch weit tiefer gehen als die professionellen  : »Der Voggenhuber war drin und der Padutsch und ich waren drin und der Fux hat gesagt  : ›Wir sollen da jetzt die Versammlung verlassen‹. Wir haben gesagt, ›wir gehen nicht, wir sind auch Vereinsmitglieder‹. Dann hat er die Polizei holen lassen. Die Polizei hat nicht eingegriffen, wir haben gesagt  : ›wir gehen, es reicht‹. Ich habe ihm das auch gesagt damals in einer in jeder Hinsicht sehr emotionalen Gegenrede, einer öffentlichen auf der Versammlung, kurz nach dem Tode meines Vaters, denn es hat mich wirklich getroffen, dass man menschlich so miteinander umgeht.«

Dieser Schnitt – über den wir später noch mehr erfahren – wird 1997 durchgezogen, zehn Jahre nach dem erzwungenen Abgang des Stadtrats Voggenhuber. Die Bürgerliste ist seither eine andere geworden und sicher nicht eine im Sinn von Herbert Fux,

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sondern eher eine Art »Voggenhuber light«. Die Scherben nach der Frontalkollision mit dem Wählerwillen liest Johann Padutsch auf, der neue Klubobmann  ; die Gefühlslage ist, dass »mich 1987 dann alle verlassen haben, da sind ja alle gegangen, der Voggenhuber, der Ziesel und der Fux – ich bin übergeblieben mit vier Mandaten.« Selbst die politischen Waisenkinder treten ihr Erbe zum Teil nicht freiwillig an  : »Wir hatten vorher schon mit Ziesel und Voggenhuber schriftlich vereinbart, dass diese beiden für den Fall einer Niederlage nicht mehr weitermachen. Das war sicher. Wir, die Nachgereihten, haben uns verpflichten müssen, weiterzutun …«

… fühlte sich auch Dietlinde Kurz in einer Zwangslage. Sie war 1982 als QuotenFrau in den Gemeinderat »hineingestoßen« worden, wie sie selber sagt, nachdem ihr die leitenden Herren vermittelt hatten  : »Wir brauchen eine Frau, es können nicht nur Männer kandidieren.« Es waren eher konventionelle Töne, die da in der Frauenfrage Anfang der 80er in der Bürgerliste zu hören waren. An anderen Abschnitten war sie weiter. Das hatte dem jungen Gemeinderat Padutsch imponiert, der in der Fraktion ein treuer Gefolgsmann des grünen Reformators gewesen war  : »Der Hauptfokus war, diese Weichenstellungen aufrecht zu erhalten und zu schauen, dass das nicht verloren geht. Ich war in der Situation, dass ich die ganze Bürgerliste geerbt hatte und sehr überzeugt war von den Konzepten und auch den Geist, den der Voggenhuber in die Stadt gebracht hatte, unbedingt weiterleben wollte.«

Der Nachlass-Verwalter unterschied sich jedoch von den Erblassern. Er hatte z. B. kein Villen-Grundstück zu verteidigen, sondern sich in der Bürgerliste einen Namen mit einer kritischen Erhebung über Kinderspielplätze gemacht. Eine Ausnahme war Padutsch auch der sozialen Herkunft nach  : Er stammte nicht aus Aigen oder Parsch, sondern aus dem Norden der Stadt und er war kein Bürgerkind, sondern Sohn eines tüchtigen Maurers. Die ersten Interessen, die er vertrat, waren nicht die von Anrainern, sondern von Arbeitnehmern  : »Ich war auch im Betriebsrat bei Siemens für die junge Truppe, mit einem ziemlich großen Erfolg, wir haben auf Anhieb 46 % geschafft, mit einer Namensliste. Uns hat gestört, dass die Jungen alle so wenig verdienen und als ich dann Betriebsrat war, habe ich gesehen, woran das lag, denn der Betriebsratsobmann hatte das höchste Stunden-Salär.«

So durfte der gelernte Elektrotechniker nicht nur Ur-Erfahrungen mit der real existierenden Sozialpartnerschaft sammeln, er zeigte auch einen Hang zum sozialen Engagement. Schon die Arbeit über die Spielplätze ergänzte er um praktische Vor-

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schläge  ; das war typisch für ihn und entsprang einer Eigenschaft, die seine politische Karriere bestimmen und dort gute, aber auch schlechtere Zeiten heraufbeschwören sollte  : Johann Padutsch wollte immer konstruktiv sein. Er war seinem Zuschnitt nach weder Polit-Missionar noch Protestler, er war Projekt-Manager – wie er es schon in seinem beruflichen Vorleben praktiziert hatte  : »Ich war in Hongkong Montage-Aufbauleiter vom Airport Tunnel-Project für Siemens Österreich. Ich war bei Siemens, ich hatte die Bauleitung bei der Gollinger Tunnelgruppe auf der Tauernautobahn, aufgrund dessen haben sie mich für besonders befähigt gehalten … Siemens wollte mich unbedingt behalten, ich habe mich aber entschieden, dass ich zurückkehre und nicht unten bleibe und bin drei Wochen vor der Wahl zurückgekommen.«

Ein Umweltschützer, der den Weg zu mehr Autoverkehr mitbereitet – die Bürgerliste wurde in diesen Jahren entschieden vielfältiger. Der spätere Ressortchef Padutsch verzichtete übrigens darauf, diese Berufserfahrung als Rammschutz zu benutzen, wenn er bei Bürgerversammlungen wieder einmal als »Feind der Autofahrer« denunziert wurde … Als bei einer Auftragsvergabe durch die Stadt die mögliche Befangenheit des jungen Gemeinderats zum Thema wurde, musste sich der Konzernangestellte aber ohnehin zwischen Unternehmen und Mandat entscheiden. Er wählte die Politik  ; es war, wie sich noch herausstellen sollte, eine Lebensentscheidung. Als Fraktionschef ab 1987 führt Padutsch eine Bürgerliste, die für fünf Jahre von der Regierung ausgeschlossen ist  ; schon gar nicht gebietet sie – wie noch Voggenhuber – über den Behördenapparat. Sie kann also nichts anordnen – aber sie kann verhandeln. Zugute kommt dem kleinsten Klub im Gemeinderat, dass sich der Grün-Virus bis in Teile des größten ausgebreitet hat, jenem der SPÖ. Diese denkt außerdem trotz 21 von 40 Mandaten gar nicht daran, die Allein-Verantwortung zu übernehmen  : »Von ’87 bis ’92 war so ein Zeitraum, wo wir gesagt haben, mit der absoluten Mehrheit müssen wir sehr vorsichtig umgehen, wir können nicht mehr Konfrontationspolitik machen, weil das auf keinen Fall gut ausschaut, wir müssen alle einbauen – das war mein Auftrag als Klubobmann, alle einbinden und möglichst viele einstimmige Beschlüsse, das war die Leitidee. Die anderen Fraktionen waren ›eingekauft‹ und haben den Preis genannt und haben gesagt, ›das wollen wir‹, in Form von politischen Projekten. Wir hatten so 97 % einstimmige Beschlüsse. Für rot-grün gibt es in der Stadt einen ›ewigen‹ Vorlauf …«

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Politik als Geschäft und Gegengeschäft – freimütiger ist es seltener beschrieben worden wie hier vom damaligen »Chef-Einkäufer« der SPÖ, Herbert Fartacek. Hat das zu Fortschritten geführt  ? Immerhin werden 1990 erste Abschnitte des noch in der Voggenhuber-Ära ausgeheckten Verkehrskonzepts in die Tat umgesetzt, in Form von Parkraumbewirtschaftung und neuen Busspuren. Seit der neue Radsteg an der Staatsbrücke, für Stadtplaner das »Verkehrsbauwerk des Jahrzehnts«, auch im Alltag ein enormer Erfolg ist, wird der Charme des »alternativen« Verkehrsmittels nicht mehr angezweifelt – wobei »alternativ« hier im doppelten Wortsinn gilt  : Zu Beginn der 80er haben die Alternativen dafür noch zu Radfahrer-Demos aufrufen müssen. Als Chef-Lobbyist setzt sich ein Regierungsmitglied in Szene, von dem man es nicht erwartet hätte – der freiheitliche Stadtrat Dietrich Masopust. Es drängt die Politik inzwischen – die Strömung ist nicht mehr zu ignorieren – fast kollektiv zur Umweltpolitik. Jedoch bleibt die Bürgerliste dafür die »erste Adresse«  : »Das Problem war, dass die Bürgerliste die Erfolge eingeheimst hat. Ich persönlich war mit einigen anderen sehr grün orientiert, dem Umweltschutzgedanken verbunden. Wir haben aber selber gemerkt, die Grünen haben mehr Aktionismus gemacht und sie waren kraft ihrer Grundausrichtung in der Lage, grüne Themen abzusaugen …«

… muss auch der freiheitliche Vordenker Erich Marx zur Kenntnis nehmen. Er und andere Blau-Grüne versuchen bei einer »Fahnenfrage« in Salzburg, dem Widerstand gegen die atomare Wiederaufbereitungsanlage im bayrischen Wackersdorf, besonders früh beim Appell zu erscheinen  : »Bei Wackersdorf haben wir uns auch in Salzburg sehr engagiert und uns einmal für richtigen Aktionismus entschieden  : als die offizielle Einwendung aufgelegt wurde, sind der Hans Buchner und ich als erste nach München gefahren, am ersten Tag und haben dort unterschrieben. Wir haben gesagt, die Grünen nehmen uns immer die Butter vom Brot, aber da sind wir mit Foto in der Zeitung gewesen, wo man sich bemüht hat, auch durchzudringen. Das ist von der FPÖ aus schwerlich gelungen, nicht zuletzt, weil die Grünen durchgehend einer Meinung waren, aber es in der FPÖ zwei Strömungen gab  : die Industrie-Lobby hat immer gesagt ›seid’s teppert‹ und die Jungen haben gerudert.« (Marx)

Die Grünen – auch wenn die Bürgerliste sich damals noch nicht so nannte – pflegen damals noch eine Doppelstrategie  : Padutsch lobt im Gemeinderat HaushaltsMillionen für das Verkehrskonzept aus dem Voggenhuber-Testament als »sensationell« und stimmt dem Budget zu  ; der Bürgerlisten-Gemeinderat und Arzt Eckhard Schaller agitiert unterdessen für die Demonstration gegen eine Großgarage unter

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der Salzach, die größte seit der Kundgebung gegen Wackersdorf. Auf den Druck der Straße wird nicht verzichtet. Vor allem einem Flügel innerhalb der SPÖ ist das nicht einmal unrecht. Die Innenstadt soll, durch eine rot-grüne »Sonntags-Ehe« gewissermaßen, zumindest am siebten Tag der Woche autofrei werden. Als Klubobmann Herbert Fartacek, wie andere ein Gegner von pharaonischen Verkehrsprojekten, in die Stadtregierung aufrückt, werden die Bande zur Bürgerliste noch enger  : »Das war die Zeit, wo wir uns wahrscheinlich am nächsten gekommen sind – durch Kulturpolitik, Finanzpolitik und Wohnpolitik.« Damit bleiben die Voggenhuber-Nachfolger im Spiel, obwohl sie von der Regierungsbank gestoßen worden sind – ausgestreckte Hände zu ergreifen ist unvermeidbar, wenn die politisch immer noch junge Bewegung auf Dauer überleben will. Zudem hat sie gelernt  : Wiesenschutz plus Altstadt-Wacht genügen dafür nicht  : »Wenn du in einem Gemeinderat sitzt und hast dort 4, 5, 6, 7 Mandate … musst Du dich mit anderen Dingen beschäftigen. Das war zuallererst die Sozialpolitik, in einem ganz breiten Spektrum und dann kam die Kultur dazu, am Anfang Demokratie, die Kontrolle, Finanzen.« (der spätere Klubobmann Helmut Hüttinger)

Padutsch implantiert Elisabeth Moser in der Fraktion  ; sie ist in der Sozial-Szene groß geworden und hat sich für obdachlose Frauen stark gemacht. Die Freude bei den Arrivierten ist aber keineswegs ungeteilt – z. B. bei der noch aus der Bürgerliste übernommenen Gemeinderätin Kurz  : »Der Padutsch z. B. hat als Klubobmann im Sommer 88 zu einem Gespräch gebeten und mir gesagt, ich solle mir überlegen, ob ich nicht zurücktrete in der laufenden Periode. Ich habe ihm im Herbst gesagt, ich wisse nicht, welchen Grund ich für einen Rücktritt angeben könne  : ›Ich bin gesund, bin arbeitswillig, soll ich in der Öffentlichkeit sagen, es ist der Padutsch‹  ? Der Grund war, dass er die Moser hineindrücken wollte. Dann hat sich ein anderer Gemeinderat beurlauben lassen und die Moser ist hineingekommen …«

Kurz lehnt eine Kandidatur bei den nächsten Wahlen ab  : »Ich bin immer mehr auf Distanz gegangen zur Bürgerliste Stadt … seitdem würde ich nie mehr drinnen sitzen wollen, denn das sind Sachen, die für mich unehrlich sind.«

Das soziale Profil der Bürgerliste schärft die äußerst engagierte Neue jedoch ungemein  ; sie erwirbt sich Verdienste um menschlichere Seniorenheime. ReporterInnen sind ihre Auftritte dort unvergesslich  :

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»Nur eine Episode aus dem Altenheim Nonntal  : Moser kommt mit einer alten Frau ins Gespräch, die auf den Rollstuhl angewiesen ist. Sie strahlt sie an, hält ihre Hand und fragt die Bewohnerin, was sie sich wünsche. Die prompte Antwort  : ›ein rosarotes Nachthemd.‹ Daraufhin stürmt die Besucherin zu einem allgemein zugänglichen Kasten – und findet dort das Nachthemd, rosarot und geblümt, genau das ersehnte. Fernab der Kamera zieht sie es der Dame an und bringt die Strahlende dann auf den Gang. Diesmal ist die Kamera dabei … Das Pflegepersonal deponiert schließlich ›inoffiziell‹ seine Wünsche bei der Gemeinderätin.« (Brigitta Walkner, damals ORF-Redakteurin)

Das war ein bisher unerschlossenes Aktionsfeld. Aber stilistisch war diese Sozialexpertin der frühen Bürgerliste durchaus nahe, zumal wenn sie im Gemeinderat – barfuß allerdings, das kannte man etwa von Richard Hörl nicht – mit großen Schritten dem Rednerpult entgegenstrebte und von dort aus Verantwortungs-Trägern ihre Empörung entgegenrief (oder -schrie). Deren Verantwortung nahm sie oft ernster als dies die Träger selbst taten. Elisabeth Moser war eine Art »Herbert Fux« fürs Soziale. Die beiden hatten einiges gemeinsam – zum Beispiel keinerlei Hemmung vor Frontalattacken. Solche waren auch bei Fux das Geheimnis seiner Wirkung  : Direkt vorgetragen, Verhaltensnormen missachtend, jegliche »Würde des Amts« ignorierend, zielten sie auf Bauch und Herz  ; kein grauer Anzug, das Panzerhemd von Funktionären und Bürokraten, schützte vor ihnen  : »Er ist mit persönlichem Einsatz vorangegangen, hat immer gesagt  : ›Da müssen wir jetzt was machen, das geht nicht. Was findest Du  ?‹ und wenn Du kein Argument gehabt hast, dann warst Du tot für den Fux und er hat geschrien  : ›Ah, g’hörst Du auch schon zu denen dazu  ?‹ Das war sein Ton, ein sehr persönlicher, direkter – dahinter waren immer die Mafia, die Gauner, die Abräumer, die Kassierer, ein Wortschatz, der öffentlich schon peinlich war  : ›G’hörst du auch schon zu den Kassierern  ? Hat dich die Mafia schon wieder infiltriert  ?‹«

Selbst Herbert Fartacek, sicherlich ein eher kaltblütiges Exemplar der Gattung Politiker, konnte eine solche Einladung zur Mitarbeit nie ganz vergessen  ; er wurde z. B. von einer solchen wegen Spekulationsfällen in der Innenstadt ereilt, deren Fux sich annahm. Sein Anliegen war noch keineswegs erledigt. Im »Häuserkampf« – nun eben nicht mehr in der Altstadt, sondern in einem Gründerzeitviertel – erwies er sich weiterhin als sehr nützlich  : »Verhältnisse wie in Palermo« kommentierte er die sogenannte »Freimachung« eines Innenhofs – die Hände in den Hosentaschen, der Staubmantel zerdrückt, ganz der »Kommissar« auf der Spur der finsteren Kräfte. Die IMMAG – genau, die aus dem WEB-Bautreuhand-Skandal – hatte ziemlich plötzlich Bäume gefällt, um das Grundstück ordentlich an einen Versicherungskonzern übergeben zu können.

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Pressefotografen und Fernsehen waren nicht weit. Fux war der populärste Politiker der Stadt, seine Umfragewerte übertrafen nicht nur jene der Bürgerliste, sondern bei Weitem auch die von Padutsch. So wurde noch einmal ein Aufrührer zum Spitzenkandidaten für die nächsten Wahlen (1992) erklärt – wobei die Männer im Schatten nun vor der delikaten Aufgabe standen, ihn sicher dorthin zu eskortieren. Für Herbert Fux, im Zivilberuf bekanntlich Schauspieler, war ein Filmtitel wie »Hände über der Stadt« (siehe den Abschnitt zu Voggenhuber) keineswegs nur eine Chiffre, er fürchtete tatsächlich seine zumindest politische »Hinrichtung« (diesen Ausdruck gebraucht er in seinen gedruckten Lebenserinnerungen) – und er tat dies nicht einmal grundlos. Schon im Nationalrats-Wahlkampf neun Jahre zuvor war er wegen seiner angeblich »5000 Hasen« in den Hinterhalt einer Illustrierten geraten  ; nun fühlte er sich neuerlich bedroht  : »Der Herbert Fux war ja ein Mensch, der von großen Ängsten geplagt war. Er hat sich vor wahnsinnig viel gefürchtet, in Wirklichkeit und er hat das durch sein polterndes Auftreten zu verbergen versucht…Das ist so weit gegangen, dass der Johann Padutsch und ich, die Spitzenleute also, in der Nacht Patrouillen gefa hren sind durch die Stadt um die Plakate zu kontrollieren, weil er gesagt hat, ›da picken sie wieder irgendwelche Geschichten gegen ihn drauf‹. Wir sind gefahren, ich bin mit dem Auto in der Stadt herumgefahren, das kann sich keiner vorstellen …«

… staunt bis heute Helmut Hüttinger, damals Mit-Kandidat und einer der – im wahrsten Sinn des Wort – »Lenker«. Längere Reisen zur Absicherung seines HauptDarstellers musste Johann Padutsch unternehmen, etwa als Fux nach einem Anruf der »Bild«-Zeitung Witterung aufnahm – ein »Softporno« mit ihm solle zum Aufmacher werden  ; Padutsch sollte von einem Schauspieler und einem Regisseur Ehrenerklärungen einholen  : »Er hat mich um halb sechs Uhr früh angerufen … Ich bin im Taxi nach München gefahren, habe den Typen irgendwo aufgetrieben … Dann bin ich vom Münchner Flughafen nach Düsseldorf geflogen, bin mit dem Taxi in diese Ruhrpott-Siedlung gefahren. Die haben die Tür aufgemacht, der Regisseur und seine Frau, beide im Schlafrock, ein irres Bild und ich habe dem eine eidesstattliche Erklärung abgerungen. Die hat er mir dann wirklich gegeben und mit der musste ich dann im Auftrag vom Herbert Fux zum Chef der Bildzeitung in München, um sie vorzulegen. Nur war das Thema in Wirklichkeit ein ganz anderes  : sie haben ihn gesucht, weil sie eine Geschichte über die Freikarten von den Salzburger Festspielen machen wollten …« (Padutsch)

Hinter dem nächsten Alarm steckte dann mehr als ein Anfall von Verfolgungsangst. Diesmal verbreitete die FPÖ Vorwürfe eines Wiener Magazins weiter, wonach der

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Bürgerlisten-Saubermann einst in einem »widerlichen Pornostreifen« mitgewirkt habe. Fux wollte die Zeitschrift aus dem Verkehr ziehen lassen – und Johann Padutsch, der Klubobmann, wurde neuerlich ausgeschickt, um Entlastungsmaterial zu besorgen  : »Ich bin wieder nach München gefahren zu diesem schrägen Filmverleih und habe den Film geholt, fünf Rollen. Fux und sein Anwalt haben schon gewartet, haben den Film geschnappt, sind zum Journalrichter ins Landesgericht rein und haben gesagt, sie haben den Beweis und wenn er es anschauen will, gehen sie gleich rüber in ›Das Kino‹ oder ins ›Elmo-Kino‹, dort kann er sich das anschauen, das ist der Beweis, dass das kein Porno war. Er hat sich das aber nicht angeschaut, was gut war – denn es war die HardcoreVersion, die hat es gegeben.«

Der erste Versuch einer Ehrenrettung schien also fehlgeschlagen. Fux freilich wähnte sich weiter im »falschen Film« – zu Recht  : er fand einen Zeugen, der bestätigte, dass Jahre später in einer neuen Version Porno-Szenen eingefügt worden waren, ohne Mitwirkung des Salzburger Darstellers. Die größte Tageszeitung der Stadt blieb gelassen, sie interpretierte den Fall als »nichts Neues«  ; das Wahl-Publikum war ohnehin nicht mehr zu erschüttern – das breite Repertoire dieser stadtbekannten Figur war wahrlich keine Sensation mehr und lokal war Fux der Status des vom Volk beauftragten Wut-Bürgers nicht zu nehmen. Einen solchen brauchte es damals noch an der Spitze, um es zurück in die Stadtregierung zu schaffen. Das Portfolio war dann – mit Stadtplanung, Verkehr und Behördenteilen – fast so groß wie zu Voggenhuber-Zeiten. Fux hatte den Grünen wieder zu einer Haupt-Rolle verholfen  ; jedoch zu einer – so ironisch kann auch Stadtgeschichte sein –, die er für selber politisch tödlich hielt  : Er drängte die »Fraktion, ja nicht mehr das Planungs- oder Bauressort zu übernehmen. Es half nichts«. Die Chance, die Macht auch zu nutzen, war aber zweifelsohne groß – denn es brachen goldene Zeiten für Tausch-Händler an (oder sollen wir sagen  : für BündnisSchmiede …). Die SPÖ konnte nach dem Abgang des Bürgermeisters Reschen – einem Kollateral-Opfer der IMMAG-Affäre – keinen angemessenen Ersatz präsentieren  ; der Fartacek-Flügel sprengte sich endgültig ab  ; die ÖVP verfügte über einen Klubobmann mit großen Zielen (Erwin Klemm) und einen Spitzenkandidaten, der sich dafür breitschlagen ließ (Josef Dechant) – und vor allem  : niemand genoss eine dauerhafte Mehrheit. Jeder brauchte einen Partner, oft sogar zwei. Manche waren schon froh, überhaupt als solche in Betracht zu kommen  ; z. B. einer, der es sich damals noch nicht aussuchen konnte – Heinz Schaden, letzte Hoffnung der städtischen Sozialdemokratie, aber noch ohne Reputation im Rathaus. Die Erst-Erfahrungen mit den Grünen stärkten sein frühes Politiker-Ich  :

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»Sie sind von sich aus auf mich zugekommen, auch in Gestalt der jetzt noch tätigen Protagonisten Hüttinger und Padutsch und sie haben gesagt, nachdem sie Lettner (den amtierenden Bürgermeister) als Wahlverlierer abgelehnt hatten, sie wollen, dass ich Bürgermeister werde, die Alternative war Dechant und ob ich dazu bereit wäre. Ich habe gesagt ›natürlich‹. Es hat mich natürlich gefreut … Dieser Vertrauensbeweis, das war schon mal was.«

Die Bürgerliste widerstand zwar der Versuchung, sich zum Königsmacher aufzuschwingen (und dabei letztlich doch nur als Steigbügelhalter dazustehen), sie wählte weder Schaden noch den neuen Bürgermeister Josef Dechant – aber sie war im Schloss Mirabell bei Hof nun wohlgelitten. Und sie hatte auch das Personal dafür. Der Anwalt Hüttinger z. B., neuer Klubobmann, war nicht nur rechtskundig, er war vor allem Gremien-erfahren, hatte er doch zuvor als jüngster Vorsitzender in dessen Geschichte den Alpenverein in Salzburg geführt – auf grünere Pfade. 1985 waren 200 Alpinisten auf den Schareck-Gletscher in den Hohen Tauern gestiegen, um ein Sommerski-Projekt abzuwehren, mit Hüttinger als Hauptredner. Das veranlasste sogar die Sicherheitskräfte zu dienstlichen Bergtouren  : »Am Gipfel hat uns die Staatspolizei beobachtet, absurd …« – aber auch für den Bergsteiger-Obmann waren solche Wanderziele zunächst nicht eingeplant  : »Wir hatten am Anfang Diskussionen mit einem engagierten Naturschutz-Referenten über die Frage, ob wir uns gegen Zwentendorf engagieren sollen. Ich habe damals noch gesagt, ›das geht uns nichts an und ich möchte, dass der Alpenverein seine Aufgaben wahrnimmt‹. Dann kam Tschernobyl, wir haben die Hütten zugesperrt, die Touren abgesagt und wir haben uns intensivst engagiert in der ›Plattform gegen Wackersdorf‹. Das war ein Schlüsselerlebnis – zu sehen, wo sich Umweltkatastrophen überall auswirken, man kann nicht sagen, 300 Kilometer entfernt geht es uns nichts mehr an, auch nicht als Alpenverein.«

Umweltschutz war in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Im Alpenverein herrschten schließlich keine Öko-Guerillas – im Gegenteil  : auch der Jurist und Jung-Vater Hüttinger arbeitete zwar für Initiativen, aber die übergaben dem Landeshauptmann seriöse Gesetzesvorschläge für einen Grüngürtel. Wenn sie Sonntagsruhe forderten, dann gingen sie es gleich grundsätzlich an – und forderten eine Autosperre für die Innenstadt. Man setzte sich also nicht mehr dem Verdacht des Florianiprinzips aus, sondern verkehrspolitisch an. Diese neuen Stadt-Grünen hatten keine Berührungsangst mehr vor institutioneller Politik  ; sie trafen dort außerdem auf eine Generation, die mit den ersten Protestaktionen der Bürgerliste selber sympathisiert hatte – etwa Josef Dechant (ÖVP), der gegen das Freisaal-Projekt unterschrieben hatte. Im Gemeinderat hatte ihn an

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den Veteranen noch »der absolute Mangel an Stil, Benehmen und Respekt vor dem anderen« verstört, »der Hörl mit Schaum vor dem Mund, auch der Fux und später der Ziesel – für sie waren alle Verbrecher, sie waren die einzigen Guten.« Nun war Dechant Stadtoberhaupt – und erleichtert, wie zivilisiert doch die Nachfolger waren und wie diszipliniert  : »Das Herumkrakeln hat aufgehört. Schön langsam haben sie sich zu einem Programm zusammengefunden und der Hüttinger hat einen maßgeblichen Anteil daran, dass sie mit dieser Fülle von Einzelkämpfern auf eine Linie gekommen sind.«

Die Grünen zeigten im Schloss Mirabell Tugenden, wie sie (und das ist ganz ohne Sarkasmus festzuhalten) auch und vor allem der politische Gegner schätzt – die Fähigkeit zu Kooperation und Kompromiss  : »Wenn es dir gelingt, Vertrauen aufzubauen – wir haben ja nie mehr als 17,18 % gehabt, also immer mehr als 80 %, die nicht bei uns waren – kann es dir gelingen, Bündnisse zu schmieden …«

… daran glaubte Hüttinger und dies produzierte auch Resultate – selbst bei Themen, die den Grünen als Gewissensfragen galten, anderen Parteien aber bestenfalls als unpopulär. Als der Bund das Aufenthaltsrecht für Ausländer enger zurrte und auch gut Integrierte von Abschiebung bedroht waren, überstand Padutsch den gerade für einen Grünen extrem unangenehmen Test mithilfe des VP-Bürgermeisters  : »Dechant hat mich sehr gestützt, als ich das neue Aufenthaltsgesetz zum Vollzug bekommen habe … Ich habe da hunderte Akten hier herüben in meinem Büro nachgearbeitet und habe die Hälfte ungefähr umgedreht. Das waren negative Bescheide, ›kein Aufenthaltsrecht‹, teilweise bei Leuten, die schon lange in Salzburg waren, teilweise mit absurden Blüten, die uns in der Öffentlichkeit geholfen haben, z. B. dass ein vierjähriges Kind abgeschoben hätte werden sollen, weil es nicht im Sichtvermerk der Mutter eingetragen war, rechtzeitig.«

Bei Pressekonferenzen nahmen neben den Bürgerlistlern ÖVP-Politiker Platz, es hatte sich nichts weniger herausgebildet als eine frühe schwarz-grüne Sach-Koalition. In der Landeshauptstadt, wo auf eine volatile Wählerschaft Rücksicht zu nehmen war, wirkten die alten Zwänge weit weniger  : »Wenn es um essentielle Dinge gegangen ist wie ein menschenfeindliches Ausländergesetz, da war mir meine Parteilinie völlig wurscht und das wussten die. Da habe ich mich hingestellt an die Front und gesagt, ›das ist mit den Grundrechten nicht vereinbar, was

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die ÖVP da auf Bundesebene als Gesetz vorschlägt‹. Da war ich mit Grün und Rot einer Meinung. Wir sind angeblich eine christlich-soziale Partei gewesen und dann kommen die daher und treten unsere Grundsätze mit Füßen, nur weil die Blauen Erfolg haben und man nachhüpfen muss.« (Dechant)

Dieses christlich-soziale Erbe war z. B. von Fritz Rücker, einem früheren SozialStadtrat mit Weitblick, weitergegeben worden, an Renatus Capek, den Vorsitzenden des Sozialausschusses. Der konnte sich gut mit der grünen Bannerträgerin Elisabeth Moser verständigen, auch wenn man auf ein für die ÖVP heikles Feld marschierte  : »Im Sozialausschuss hatten wir einen gemeinsamen Feind, das war die FPÖ. Da ging es um die Förderung von Projekten, ich habe zum Beispiel gegen die eigene ÖVP eine Achse schmieden müssen zur Förderung von der Homosexuellen-Initiative. Da habe ich mich mit einem SPÖ-Gemeinderat und mit der Moser zusammengeredet gehabt, die ÖVP habe ich schon hingebogen, aber ohne meinen Rückhalt wäre das nicht gegangen … Das waren aber keine strategischen Entscheidungen, ich war immer der Pragmatiker, wir haben halt geschaut, dass man denen hilft.« (Capek)

Der Eindruck täuscht nicht  : Schloss Mirabell ähnelte in den 90er-Jahren einer Art Handels-Börse, mit Polit-Projekten als Ware. Aber selbst der Bürgermeister schien die demokratische Unruhe auch zu genießen  : »Es ist lebendiger geworden durch die Grünen und offener. Mir hat das gefallen, obwohl ich lieber eine absolute Mehrheit gehabt hätte … Wir haben auch viel gestritten, aber es war eine sehr demokratische Zeit mit diesen sieben Fraktionen.« (Dechant)

Das wirkte manchmal unschön und lautstark war es oft auch, aber entsprach es nicht der Grundidee eines Parlaments, in dem die Gesellschaft aushandelt, was sie will und was sie verträgt und was nicht  ? Nicht zu leugnen ist, dass jeder solcher »Kontrakte« einen oder mehrere Partner braucht und dass zu den »Handelsplätzen« nur zugelassen wird, wer sich am Geben und Nehmen auch beteiligt. Die Bürgerliste z. B. unterschrieb eine Vereinbarung über das Budget, das binnen weniger Jahre saniert werden sollte  ; damit erfüllte sie dem Bürgermeister ein Herzensanliegen  : »Bei den grundsätzlichen Beschlüssen waren Rot und Grün vorhanden. Es war ja wie nach dem KZ  : die Stadt war pleite und wir sind alle im gleichen Boot gesessen. Wir haben die Personalreformen und die Budgetkonsolidierung gemeinsam beschlossen, das hat uns in den Nächten schon auf eine Linie gebracht. Das hat mit Freundschaft nichts zu tun, man muss die Fakten zur Kenntnis nehmen.« (Dechant)

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Die Grünen gehörten nun dazu, sie spielten mit. Das war natürlich keine Garantie, auch die wichtigsten Partien zu gewinnen. Vor allem in der Verkehrspolitik gelang kein großer Sieg, auch wenn Padutsch in einem Verkehrsforum Wirtschaftsvertreter mitschreiben ließ  : »Ich habe eine Mehrheit bekommen, aber ohne ÖVP. Als es darum gegangen ist, war die alte Frontstellung wieder da. Der Geist dieses Forums war dann wieder weg.«

Genau an diesem Punkt entwickelte auch die SPÖ starke Bindungsängste. Sie erklärte sich die Demütigung bei den Wahlen 92 mit einer Tabuverletzung – dem Nein zur »freien Fahrt für freie Bürger«  : »Es gab damals die Wochenendsperre der Staatsbrücke und das war hoch unpopulär und ein Blödsinn, sie ist uns um die Ohren geflogen … Wir haben dann in dieser Zeit oft versucht, mit der Bürgerliste einen bleibenden Kontakt herzustellen … Das ist damals nicht gelungen, der Verkehr war ein Quell der Entfremdung.« (Schaden)

Das sollte er auch bleiben  ; aus diesem Trauma konnte auch die Bürgerliste die Traditionsparteien nicht erlösen. Dafür wurde sie in Säle vorgelassen, deren Türen für sie bisher versperrt gewesen waren  : Hüttinger fand sich, zur allgemeinen und auch zu seiner eigenen Überraschung, sogar als Aufsichtsrats-Vorsitzender der Stadtwerke wieder. Das lag, ausgerechnet bei einem Grünen, an seinem »sehr guten Verhältnis zum Betriebsrat«. Vor allem aber war damit etwas bisher Unerhörtes geschehen – auch im nationalen Maßstab  : »Als ich bei den Stadtwerken Aufsichtsrats-Vorsitzender geworden bin, haben wir gesagt, ›wir sind auch in der Lage, verantwortungsvolle Positionen ganz oben zu übernehmen‹. Das war damals ein Erdbeben. Ich habe erst im Nachhinein wahrgenommen, was das überhaupt bedeutet hat, nämlich dass auch die in Wien in den Parteizentralen sich darüber Gedanken gemacht haben, wie geht das weiter, wenn da ein Grüner in Salzburg Stadtwerke-Aufsichtsratsvorsitzender wird.« (Hüttinger)

Es war das erste Mal in der 2. Republik, dass der neuen Partei in einem öffentlichen Energie- und Verkehrsunternehmen ein solcher Pokal überreicht wurde. Aber das war noch nicht das Ende. Sogar in der Königsdisziplin dieser Sportart, der Personalpolitik, hatte die Stadt-Bürgerliste nun einen Mann auf dem Feld, ja mehr noch  : mit ihrer Hilfe wurden sogar Pakte einstiger Mandarine zu Altpapier erklärt. Als 1999 zum letzten Mal (vor der Fusion mit der Landesenergie-Gesellschaft SAFE) ein neuer Vorstand für die Stadtwerke bestellt wurde, hatten sich Spitzen von ÖVP und SPÖ bereits auf einen Kandidaten (aus dem Haus, mit Politik-Vergangenheit)

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fixiert, Hüttinger und seine Verbündeten konterten sie jedoch mit einem offenen Suchverfahren aus und mit dessen Ergebnis, einem hochqualifizierten Manager aus der Industrie (Wolfgang Anzengruber). Das Resultat konnte nicht mehr so einfach von vornherein ausgemacht werden. Die Stadt-Bürgerliste hatte damit Mitte der 90er erreicht, wofür die Grünen im Land noch zwei Jahrzehnte brauchen sollten. Koalitionen mit Rot und/oder Schwarz wurden hier längst praktiziert, als die »Bürgerliste Land« noch in voller Opposition verharrte. Eine ganz normale Partei war dieser Bürger-Verein aber noch nicht. Das Stoppschild für Herbert Fux 1997 galt nicht nur einem politischen Geisterfahrer, der rücksichtslos selbst auf die Gegenfahrbahn wechselte, wenn ihm der eigene Vizebürgermeister entgegenkam. Es stand seit Langem eine Kurs-Entscheidung an – in Wahrheit folgten die Fraktion auf der einen und der alte Kämpfer auf der anderen Seite längst völlig verschiedenen Routen  : »… auf der anderen Seite hat er (der Fux) schon gesagt, man sollte die Sozialbauten in Liefering in Autobahn-Nähe machen und nicht in Aigen, er wollte da schon diesen Teil schützen … Das war der Hauptkonfliktpunkt, dass wir gesagt haben, in einer Stadt müssen alle Platz haben  ; abgesehen davon, dass wir gesagt haben, wir müssen in der Stadt Platz schaffen, wo man bauen kann, also die Frage ›moderneres und dichteres Bauen‹ stellten.« (Hüttinger)

Politisch gesprochen, hatte Fux die Festung erstürmt und sie wäre vermutlich ohne Rammböcke wie ihn nie gefallen – aber sie nun auch verwalten oder sich gar mit einem Umbau aufhalten, das wollte und konnte er nicht. Das war sein persönliches Drama, aber es war auch eines für die Bürgerliste. »Das war irre« – Johann Padutsch muss bis heute den Kopf schütteln, wenn er die Szene abruft bei der Versammlung im »Sternbräu«, als er in einem Fernseh-Interview die Scheidung verkündete, eine schmutzige, wie sich noch herausstellen sollte  : »Ich habe dann ausgesprochen und über das österreichische Fernsehen transportiert, dass wir nie mehr auf einer gemeinsamen Liste kandidieren werden. Ich glaube, ich habe das letztlich am Ende entschieden, zumindest die Umstände und den Zeitpunkt, zu denen es passiert.«

Man darf sich das schon noch einmal vor Augen führen  : Letztlich definierte und gab eine Einzelperson aus eigenem Ermessen bekannt, was Sache war, und das via Medien. Einige Sitten der Bürgerliste »alt« lebten in der neuen also durchaus weiter. »Es hat kein formales Ausschlussverfahren gegeben, sondern wir haben uns getrennt voneinander«, bestätigt der Jurist und Klubobmann Hüttinger.

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Freilich konnte sich Padutsch sicher sein, dass der Klub so dachte wie er. Fux zog die Drohung mit einer Spaltung zurück, sie war aussichtslos  : »Das Stadtrecht ist uns … entgegengekommen, denn wir waren die Zustellungs-Bevollmächtigten und wir waren die Fraktion, die den Namen getragen hat und darum wäre es im Zweifelsfall gar nicht gegangen, dass der Herbert Fux als Bürgerliste angetreten wäre. Letztlich haben sie die Gegenkandidatur gelassen.« (Padutsch)

Im Grunde schlugen die professionellen Politiker den bürgerlichen »Sponti«. Der übte nun wie zu erwarten bittere Rache in einem öffentlichen Feldzug, der von »weit nach links abgedriftet« (die Grün-Bewegung) über »Schandmale« (die Neubauten in der Stadt) bis »Ideale verraten« (der Vizebürgermeister) nichts ausließ, oft im Gleichschritt mit einer Zeitung. Padutsch, eben noch im Höhenflug, blickte in den Abgrund  : Nicht nur, dass ihn der Veteran Fux vor sich hertrieb – ein bereits gegründetes neues Grün-Bündnis auf Landesebene zerfiel rasch, nachdem Gefolgsleute abgesprungen waren  : »Das ist uns ziemlich an die Substanz gegangen … Ich war damals ziemlich gut unterwegs, galt bei manchen sogar als Geheimfavorit als für die Bürgermeister-Wahl. Dann kam dieser Konflikt, dann kam die Geschichte mit dem Herbert Fux, die schon nicht mehr leicht zu verdauen war und dann der Bruch mit dem Land, da ist wirklich viel zusammengekommen und wir haben den Stadtrat gerade noch geschafft, mit 200 Stimmen Überhang. Es wäre sonst möglich gewesen, in die Stichwahl zu kommen, weil es keinen Bürgermeister unter den Kandidaten gegeben hat.«

Padutsch hatte nicht so unrecht. Die ÖVP trat – was schwer missglückte – ohne den Amtsinhaber, mit einem neuen Kandidaten, an. Der grüne Vizebürgermeister, damals in gutem Kontakt mit der Wirtschaft, hoffte auf einen der besten Momente der Bürgerliste, erlebte aber persönlich einen seiner schlimmsten. Im Rückblick liest sich das Resultat von 1999 jedoch weniger dramatisch. Die Bürgerliste behauptete sechs ihrer sieben Mandate und den Regierungssitz – die Verluste hielten sich also in Grenzen, obwohl die einstige Protestbewegung ohne den einzigen noch aktiven Volkstribunen auskommen musste  : »Ich habe ihm (dem Fux) gesagt, ›das war das Mandat vom Herbert Fux, das wir vorher schon abgegeben haben‹. Es war für mich der Beweis, dass es ohne ihn geht, denn wir haben unsere Mandate gehalten, seins war weg, das war aber vorher auch schon weg, das hat mich mit großer Befriedigung erfüllt.« (Hüttinger)

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Die Stadt-Grünen (auch wenn sie sich nicht so nannten) waren lebensfähig, auch ohne ihren beliebtesten Populisten und obwohl ihr Ressort wahrlich kein harmloses gewesen war. Das war auf lange Sicht die Erkenntnis aus dieser Wahl. Eine zweite sollte aber auch nicht verschwiegen werden  : Die Bürgerliste verlor eine wesentliche, nämlich ihre rebellische Seite. Nicht nur Herbert Fux nahm seinen Abschied und verließ die Stadt  ; auch die Altenheim-Kämpferin Elisabeth Moser brach mit der Bewegung, nachdem die neue Liste für das Land mit ihr an der Spitze gescheitert war. Die beiden waren nicht die ersten, die ihr Engagement aufkündigten. Die Grünen ließen am Wegesrand auch Aufbau-Helfer zurück, die ihr Fundament sehr verbreitert hatten – und deren Anteil oft unterschätzt wird.

4. Im Schatten der Sonnengötter Roswitha Müller, Michael Schallaböck, Ulrike Unterbauer

Proteststimmung wuchs aus mehreren Wurzeln Ende der 70er-Jahre. Die 24-jährige Roswitha Müller, Tochter eines Salzburger Buchhändlers, animierte eines Nachmittags im Advent eine Runde von FreundInnen, sich Affen-Masken überzustülpen und mit diesen durch die Altstadt zu ziehen. Dabei hielt man die Hände über Ohren, Augen oder Mund – anders sei die »Nötigung« durch »Werbeterror« nicht auszuhalten. Kritik am Konsum-»Zwang« lag damals im Zeitgeist  ; die Zeitungen brachten Fotos mit wohlwollenden Texten – Verwechslungsgefahr nicht ausgeschlossen  : Ein Parteiblatt setzte unter die Affen-Bilder den Text, die »Kaufleute« hätten »auch heuer wieder für weihnachtliche Stimmung gesorgt«. Missverständnisse waren auch später ständige Begleiter dieser Abweichler. Genau am Advents-Aufwand störten sich nämlich die »kritischen Geister« (Eigenbeschreibung), denn beim Lichterglanz werde Energie verschwendet. Außerdem stünden die Affen – taub, stumm und blind – auch für die Stadtpolitiker und ihr Verhalten gegenüber den wahren Anliegen des Volkes. Die Aktion war »vollkommen privat« (Müller) und von keiner Partei angeleitet, aber sie hatte bereits ein ökologisches und auch ein politisches Motiv. Es war also keine Überraschung, dass z. B. Roswitha Müller einige Jahre später zu den Gründungs-Mitgliedern der »Alternativen Liste Salzburg« gehörte. Die »KernEnergie« lieferte eine Initiative, die die Umwelt-Frage wenn möglich noch ernster nahm  : Die »Aktion Umwelt«. Sie war, wie der Name schon verkündete, auch zum Handeln entschlossen  ; aber ihr Antrieb war ein anderer als jener der lokalen Bürgerinitiativen – sie war ein Kind des Zwentendorf-Widerstands  ; allerdings ein besonderes. Schon zuvor hatten in einem »Arbeitskreis Ökologie« Biologie-StudentInnen wie Ulrike Unterbruner »kritische Gedanken und Informationen über die Atomenergie« publiziert  ; sie wollten aber nicht nur polemisieren, sondern »möglichst objektiv« bleiben und auch Alternativen propagieren. Im »Salzburger Komitee gegen AKW« löste das einen Spaltprozess aus  : »Zum Beispiel wollten die sehr links – maoistisch oder kommunistisch – Orientierten Atomkraftwerke nicht generell schlechtreden, sondern nur die im Westen schlechtmachen … Die haben z. B. dann auch blockiert, dass man positive Forderungen stellt – für Sonnenenergie, für Windenergie usw., für Energiesparen. Da gab’s offensichtlich auch sehr heftige Diskussionen auf diesen österreichweiten Treffen und zu diesem Zeitpu nkt h at’s u ns da nn gereicht. Wir haben dann auch entschieden  : okay, wir machen jetzt unsere eigene Gruppe und erlauben uns, unseren eigenen Weg zu gehen, mit

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positiven Forderungen und ohne diese blöden ideologischen Schwenks, die diese Leute gemacht haben.« (Unterbruner)

Es sollte nicht der letzte Konflikt dieser Art in der Szene sein. Aber als grüne JungWissenschaftlerin kam man damals zwischen mehrere Stühle zu sitzen. Auch Unterbruner, Sprachrohr des Öko-Flügels, später eine adrette Universitäts-Professorin, befürwortete schon damals eine konstruktive Linie. Im akademischen Betrieb blieb sie manchen trotzdem verdächtig  : »Aktivitäten waren von den Leuten, die das nicht haben wollten, schnell einmal als links etikettiert oder eben als kommunistisch, dann war man überhaupt einmal ›tot‹. Ich war ja damals auch unabhängige Studentenvertreterin, sehr engagiert, als Frau damals auch nicht der Normalfall. Diese Abwertung war damals sehr schnell und sehr leicht ausgesprochen, hinten herum ist man draufgekommen, dass einen wieder jemand diffamiert hat auf dieser Schiene.«

Dabei waren diese Aktivisten mit der Nase auf die Frage der politischen Verantwortung gestoßen, eben weil sie der wissenschaftlichen Spur folgten. Die deutete auf »ein Problem, das unser geschichtliches Vorstellungsvermögen übersteigt«, »das System Natur« dürfe »nicht zerstört werden« gab schon die erste Nummer der Zeitschrift »alternative« als Ziel aus. Das war nun freilich von einem Instituts-Schreibtisch aus nicht zu erreichen. In Deutschland hatte sich aus den Bürgerinitiativen gegen Atomprojekte heraus eine Grün-Partei formiert (Stichworte Wyhl, Brokdorf, Kalkar). Im Oktober 1977 stieß die »Grüne Liste Umweltschutz« mit einem Mandat in den Kreistag von Hildesheim (Niedersachsen) vor – im selben Monat, in dem die Bürgerliste in Salzburg in den Gemeinderat vordrang  ; allerdings nicht wegen der Atom-Angst, sondern wegen jener vor Grünland- und Altstadtzerstörung. Für die jungen Biologen war allerdings »schon klar von unserem Selbstverständnis her, dass wir keine Bürgerinitiative waren … Mich persönlich hat sowas wie Altstadterhaltung überhaupt nicht interessiert damals, das war was Kleinbürgerliches. Wir haben die großen Themen verfolgt – Zwentendorf, das Waldsterben…Der Unterschied war ja auch, dass wir als Studenten alle keine Salzburger waren. Die Salzburger Altstadt war mir zu dem Zeitpunkt damals piepschnurzegal …« (Ulrike Unterbruner). »Im Endeffekt war mir die politische Situation in Salzburg wurscht. Welche Schweinereien die alten Salzburger Familien begangen haben, wo sie Cash gemacht haben, diese Themen haben der Hörl und der Fux angezettelt, uns war das fremd.« (Gernot Unterbruner)

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Aber wenn man sich schon nicht als ihr Teil fühlte – was konnten diese manchmal durchaus sehr pädagogischen Ökologen dann beitragen zur Bürgerbewegung, was war ihre Leistung  ? In erster Linie Expertise. In ihrer Zeitschrift klärten sie auf über die »Wegwerfgesellschaft«, »Gift in der Umwelt«, die »Müllflut«, »Prinzipien des biologischen Gartenbaus« oder »Sonnenkollektoren« (einschließlich  : »Sonnenkollektoren selber bauen«). Bio-Tomaten im Beet und Solarzellen auf dem Dach sind heute Standard in Flachgauer Einfamilien-Häusern  ; aber damals wurde auf UmweltWarnungen im Salzburger Rathaus noch mit Hohn und Spott geantwortet  : »Die Bildung auf dem Sektor Umweltthemen war sehr gering. Wenn der Herbert Fux vom ›sauren Regen‹ geredet hat, hat einer von der SPÖ-Fraktion hinausgerufen ›und wann kommt der süße Regen  ?‹ Auf dem Niveau hat sich die Diskussion abgespielt …«

… berichtet peinlich berührt kein Grüner, sondern ein damaliger Jung-Gemeinderat der Freiheitlichen, Erich Marx. Gerade die Arbeiterschaft rannte den Umweltschützern nicht gerade die Türen ein, wenn sie über die Risiken durch die Industrie belehrt werden sollte. Roswitha Müller unternahm den fast schon rührenden Versuch, eine öffentliche Debatte genau dort zu entfesseln, wo die Kessel brodelten – in Hallein, dem Standort der berüchtigten Papierfabrik  : »Es waren zwei, drei mehr im Publikum als auf dem Podium. Das war im Gewerkschaftsheim, das war besonders sinnig – aber die haben das damals noch nicht überrissen, dass man uns eigentlich mit nassen Fetzen hinausjagen sollte …«

… dieses Erlebnis hatte dann später erst der Stadtrat Voggenhuber im Hof von Schloss Mirabell, wie wir gehört haben. Wenn schon die Mobilisierungskraft nicht alle Betroffenen mitriss, so konnten diese angehenden Akademiker doch etwas organisieren – Wissen  : »Wir mussten uns die Informationen zusammensuchen – ein Katalysator, was ist das  ? Das hat die Bürgerliste gar nicht gemacht«,

ist die Wissenschaftsvermittlerin Unterbruner zu Recht stolz. Zudem baute die Alternativ-Szene ein Informations-System auf, das – Jahrzehnte vor den Social Media – unabhängig und schnell funktionierte, über Telefon-Ketten. In der Landeshauptstadt wurden so Themen angeschoben, die bei der führenden Protestliste noch nicht obenan standen – zum Beispiel der Radwege-Bau  :

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»Es war klar, dass bei der Radl-Demo die Bürgerliste uns unterstützt hat – aber nicht das organisiert hat, das war uns auch wichtig. Sie haben natürlich gesagt, dass die Demo gut ist und die Mitglieder auch mitfahren sollen. Aber es war klar, das war unseres.«

Das Rad rollte in Salzburg in Richtung »global denken, lokal handeln«, mit einem Vorrang für Umweltpolitik. In der »Alternativen Liste Österreich«, der sich nun auch die Salzburger Aktivisten angeschlossen hatten, drifteten die Routen jedoch weit auseinander. Es herrschte Stress, so der Wiener AL-Sekretär Ali Gronner, »zwischen einem mehr ökologisch orientierten und einem mehr auf umfassende Gesellschaftsveränderung ausgerichteten Flügel« – wobei die Salzburger Alternativen gewiss nicht zu den Radikalen zählten. Das Protokoll zum »Frauen-Basiskongresses der ALÖ« 1983 in Salzburg dokumentiert Stimmen, die in der Abtreibungs-Frage »die ersatzlose Streichung der entsprechenden Bestimmungen aus dem Strafrecht« forderten – was den »Frauen der Alternativen Liste Salzburg« zu weit ging, die in ihrem Papier festlegten  : »wir sind für die Beibehaltung der Fristenlösung«. Generell galt  : »Wir waren grüner. Die hätten nicht gesagt, ›Abtreibung‹, ›Homosexualität‹ sind Randthemen, sondern ›das ist unser Thema‹. Wobei uns soziale Gerechtigkeit, Frieden auf der Welt auch wichtig waren – aber wie man es positioniert, da gab’s sehr wohl Streitpunkte. Ich war zu dem damaligen Zeitpunkt nicht unbedingt dafür, dass man jetzt Homosexualität groß vorn hinschreibt, weil das damals noch ein wahnsinnig heißes Thema war.« (Unterbruner)

Der »Westblock« wurde im alternativen Lager zu den »Gemäßigten« gerechnet  ; was die Salzburger zu Hause nicht davor bewahrte, als »linke Staatsfeinde diskriminiert« zu werden – wie es jedenfalls Michael Schallaböck beklagte, Pressesprecher und Kandidat für die Nationalratswahlen 1983  : »Wir haben von Energiesteuern gesprochen, wir haben von einem Basisgehalt gesprochen, das waren halt die Schwerpunkt-Themen und wir wollten nicht, dass es in den Medien nur noch heißt, ›das ist die Homosexuellen-Partie‹ – man steht inhaltlich dazu, wird aber abgestempelt. Das war die Schwierigkeit.«

Schwierigkeiten dieser Art scheute auch die Bürgerliste, als sie sich auf die Liaison mit völlig Fremden einlassen sollte … »… die uns gegenüber sehr kritisch waren und immer nur gesagt haben ›ihr seid’s die Reichen, ihr wollt’s nur eure Villen im Süden erhalten‹. Die waren nicht sehr kooperativ.

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Sie waren von den Roten aufgehetzt, wir waren auch für die Roten die Feinde, mit denen haben wir wenig zu tun gehabt. Da war nix …«

… ärgerte sich Richter Ziesel. Johann Padutsch, Verbindungsmann in diese Welt, bedauert ihn heute noch, weil er Zeuge werden musste, wie bei einer Versammlung der Alternativen in Graz auch ernsthaft erörtert wurde, »das Kiffen zu legalisieren«. Hinter solchen Schwaden wurde jedoch auch sichtbar, dass die Bürgerliste keine Exklusivrechte auf das Produkt »politischer Umwelt-schutz« mehr hatte  ; auch jenseits von Hellbrunn war etwas gewachsen. Sie verfügte jedoch ohne jeden Zweifel nach wie vor über die stärkste Marke – genau das Label »bürgerlich« versprach dem Wähler ja, dass er den Zorn auf das »System« abreagieren konnte, ohne dieses gleich auf den Müll zu werfen. Nach dem Reinheitsgebot durfte dieses Image keine Flecken abbekommen, indem man zu sehr am linken Rand anstreifte. Das setzte auch den Ton bei den ersten Verhandlungen über eine gemeinsame Landtags-Kandidatur  : »Wir sind in Goldegg gesessen, beim ›Seewirt‹. Die Bürgerliste , die waren ›bürgerlich‹, die haben immer Angst gehabt vor radikalen Ansätzen der alternativen Listen  ; wir mussten ihnen immer beweisen, dass wir nicht so gefährlich sind und nicht so links… Voggenhuber hat die Ängste formuliert, er vor allem. Er hat eine klare Vorstellung gehabt, was geht und was nicht geht, was Themen sind und was keine. Er wollte das nicht gefährden von links außen. Die deutschen Grünen waren das Schreckgespenst schlechthin, die deutschen Grünen.« (Roswitha Müller)

Voggenhuber dementiert solche Befürchtungen überhaupt nicht, im Gegenteil  : »Erstens war ich in einer sehr konservativen Stadt, wo das, was wir gemacht haben, schon gebrandmarkt und stigmatisiert wurde, wo die Bereiche Soziales und Demokratie auch schon innere Spannungen erzeugt haben. Dazu die unausgegorenen deutschen Geschichten, wo kein Diskurs sichtbar war, intellektuell und programmatisch, sondern nur ein Gegenseitiges ›wir wollen euch auslöschen, wir werden dominieren‹. Ich habe gesagt, wenn wir das hier machen, sind wir innerlich so zerklüftet, dass das gar nicht funktioniert. Die sogena nnten Grü nen waren a bgestempelt, in Österreich gab’s das ja noch nicht.«

Dabei waren die Gemeinsamkeiten zahlreicher, als es sich die neuen Verwandten bei den ersten Familienaufstellungen damals vorstellen konnten (oder wollten)  : Schallaböck z. B. war Sohn eines Militärarztes, also bürgerlicher Herkunft  ; im Wahlkampf outete er sich in einem Brief an die BürgerInnen seines Wohnorts Thalgau als Mitglied des christlichen Lehrervereins, das schon mit einem Eintritt in die ÖVP geflirtet habe  :

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»Inhaltliche Politisierungen waren z. B. die Anti-Freisaal-Geschichte, da sind wir schon gerannt, meine Familie und ich, wir haben zigtausend Unterschriften gesammelt… Dann waren da die ›Klassiker‹, Hainburg und Zwentendorf. Ich habe auch in Hainburg übernachtet, mit dem Vater.«

Von einem Hang zum Natur-Erlebnis, ja von Liebe zu ihr, erzählen viele dieser »Grünen«, gleichgültig, ob sie sich diese von rechts oder von links her erwanderten. Richard Hörl, einer der von der Familie Schallaböck unterstützten Freisaal-Kämpfer, singt fast eine Hymne auf diese Landschaft  : »Unser Freisaal, das Freisaal meiner Kindheit … Freisaal, wo meine Mutter mit ihren Enkerln im Kinderwagen ihre Runden drehte und ich meinen Kindern das Radfahren beibrachte. Freisaal, für mich Inbegriff unberührter Stadtlandschaft, zusammen mit der Hellbrunner Allee die schönste Fußgängerzone der Welt.«

Der frühe Grüne gesteht sogar, dass er »in den Bacherln … Staudämme errichtete« (aber natürlich nur »wie die Biber«) und dass er als Kind im geliebten Freisaal sogar baute (allerdings nur »Lehmburgen«). Gernot Unterbruner wiederum bekennt in der politisch ausgerichteten Zeitschrift »alternative« »dass ich die Natur liebe … nicht weit von unserer Wohnung in Salzburg entfernt erstrecken sich wunderbare Moorwiesen. Quer hindurch wollte man vor einigen Jahren eine breite Straße bauen … In Gedanken habe ich mich damals bei Spaziergängen vor die Bagger gestellt.«

Das hätte auch von Herbert Fux stammen können, obwohl der lange die Freiheiten von München, Berlin oder Rom schätzte. Der gebürtige Halleiner war aber von Kind an ein Freund der Berge gewesen, der das Training dort als »intensive Verbindung mit der Natur« und »Lebensschule« betrachtete. Solche »Sentimentalitäten« – obwohl sie wohl mehr waren als das – zählten in jenen politischen und vor allem auch internen Stellungskämpfen aber wenig, die auch die neu gegründete landesweite GABL fast lähmten. Den Alternativen war bewusst, dass sie die Infektions-Angst der Stadt-Häuptlinge überwinden mussten, »denn die Bürgerliste war eine nicht wegzudenkende Größe« (Müller) für die »neue Partei«, von der man träumte. In einer internen Information vom September 1983 über die Einigungs-Treffen in Goldegg zeigt sich der Berichterstatter schon erleichtert, dass man sich nicht »die Schädel eingeschlagen« habe, allerdings nur um den Preis, »weltanschauliche Diskussionen« vermieden zu haben. Nicht untypisch für die neuen Sensiblen, bewertet der Rezensent dann »Atmosphäre« und »Gefühl« und

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nimmt »vor allem zwischen der Bürgerliste und uns … zum Teil gute persönliche Beziehungen« wahr. Das war erbaulich, vor allem, wenn man wie die Alternativen Konflikte schon einmal mit »Moderation und therapeutischer Führung bearbeitete«  ; und die WohlfühlStimmung dazu ermunterte, wie Ulrike Unterbruner die eigene »Mutter einmal zu einem Frauen-Treffen mitzunehmen. Da sind wir gemeinsam zur Alternativen Liste gegangen. Meine Mutter war sehr positiv, was Stimmung und Klima betrifft.« Sie hatte allerdings auch nicht Herbert Fux am Werk erlebt – während die Tochter sich immer wieder in einer Schar von Kampfhähnen wiederfand  : »Sobald man aus der kuscheligen Frauengruppe draußen war, war dann wieder der harte Kampf, wer setzt sich durch, ist es der Voggenhuber, ist es der Fux, ist es jemand anderer, der seine Statements durchkriegt.«

Außerdem regierte der Machismo. Ulrike Unterbruner zum Beispiel, kompetent, zu Kandidaturen eingeladen und Mitglied des Führungsgremiums, wagte es, Fux zu widersprechen, als der den Rest der (GABL-)Welt als linksradikal abqualifizierte  : »Der Fux ist aufgelaufen und dann hat er sich geärgert und gesagt  : ›Der Perschl (der Spitzenkandidat, Anm. d. Verf.), der ist sowieso links, das ist gar keine Diskussion  ; und der Padutsch ist alternativ, auch keine Diskussion  ; der Voggenhuber ist auch links oder alternativ‹. Dann wollte ich offensichtlich irgendetwas dagegen sagen und er sagt dann  : ›Und mit dem klanen Madl red’ i’ überhaupt ned‹, wobei ich damals 30 war. Das war die Stimmung, die mir damals alles vermiest hat.«

Fux hatte übrigens vorher deponiert, sich am Landtags-Wahlkampf gar nicht beteiligen zu wollen – wie auch andere bekannte Köpfe der Bürgerliste, die überhaupt nicht daran dachten, sich in einer neuen Partei zu assimilieren  : »Es war klar  : wenn wir das tun in der angespannten Situation (in Salzburg), untergraben wir unsere Legitimation für eine völlig ungeklärte ideologische Herkunft, die noch sehr unbestimmt ist – und dass dieses vorzeitige Deklarieren in einen Zusammenhang, der jederzeit denunzierbar ist, alles vollkommen überspannen würde, dass auch ein Fux, ein Ziesel oder ein Hörl überh aupt nicht mitgega ngen wären. Die GABL war schon das äußerste und hat schon gezeigt, dass sie den Wahlkampf gar nicht wirklich führen.« (Voggenhuber)

Die GABL war letztlich eine Leistung, war es doch gelungen, überhaupt erstmals in Österreich ein solches Bündnis zustande zu bringen – aber sie war eine unwahrscheinliche Konstruktion. Die Spreizung war wahrlich breit und das beschränkte sich

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keineswegs nur auf ihre linke Seite  : auf der Teilnehmer-Liste für den »Goldegger Arbeitskreis« stand z. B. auch ein gewisser Walter Cubelic, gleichzeitig »Bandagist und Theatermacher«, der 1997 für die »Österreichische Autofahrer- und Bürgerinteressenspartei« (man beachte die Reihenfolge) in den Gemeinderat aufrückte … Nach dem Scheitern bei den Landtagswahlen 1984 war die GABL zwar noch nicht am Ende, sie lag aber in Agonie. Die GABL-Zeitung berichtete im Frühjahr darauf von noch »ca. 10 aktiven GABLern«  ; die Unterbruners z. B. »waren froh, dass das aus war … Nach der Wahl war die Luft draußen, auch durch die ununterbrochenen Streitereien«  ; auf der Einladung für die Mitgliederversammlung im Herbst wurde als Haupt-Thema schon angekündigt  : »Ist die GABL tot  ?« War sie noch nicht oder zumindest nicht die Idee einer landesweiten Bewegung  : »Wir sind froh gewesen, dass es einen Michael Schallaböck und eine Rosl Müller gibt, die das Ganze zumindest am Köcheln gehalten haben. Wie es beim nächsten Mal weitergehen sollte, haben wir nicht gewusst.« (Padutsch)

Finanziell war der »Betrieb« ohnehin nur aufrechtzuerhalten, weil einige Mitglieder ihr Engagement bis zur Selbstbesteuerung trieben  : »Unseren Sekretär haben wir auch bezahlt von unseren Geldern. Wir haben uns sowieso selber besteuert, denn die Flugblätter, die haben wir selber bezahlt. Fünf Prozent unserer Einkünfte, die haben wir auf ein Konto gelegt und jemanden bezahlt, der kein Geld hatte. Das waren fünf, sechs Leute, der Padutsch, der Voggenhuber, der Schaller, der Schallaböck, die Müller. Das war alles eine Privatinitiative. Wir haben sowieso am Vormittag gehackelt, damit wir am Nachmittag die Flugblätter bezahlen konnten.« (Müller)

Schallaböck schätzt, dass allein er und Roswitha Müller damals rund 300.000 Schilling (mehr als 20.000 €) aus ihren Einkommen in die politische Arbeit investierten. Das war die »romantische« Phase der Bewegung, Opferbereitschaft und Basisdemokratie inklusive – aber sie konnte nicht einfach fortgesetzt werden, garantierte sie doch weder Stabilität noch den großen Durchbruch  ; regional nicht und national schon gar nicht. 1983 hatten Vereinte Grüne (eher rechts) und Alternative (eher links) mit getrennten Kandidaturen nur erreicht, dass am Ende keiner von beiden im Nationalrat vertreten war. Das folgende österreichweite Einigungsprojekt war nun durchaus vom Modell der Salzburger Bürgerliste inspiriert, schlicht dem bis dahin erfolgreichsten der neuen Strömungen. Es sollte über Köpfe funktionieren (am besten bekannte) und durchaus auch über Köpfe hinweg  : »Das ist etwas abgewichen von dem ganz basisdemokratischen Gedanken … man war auch etwas gereift, indem man sagte, es geht einfach nicht nur um die Inhalte. Du ver-

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kaufst politisch auch Köpfe. Wir waren ja zuerst so naiv zu glauben, du schreibst vier gute Ideen auf ein Plakat und dann hat es noch Diskussionen gegeben, ob auf dem Plakat ein Kopf drauf sein durfte. Es hieß  : ›der Inhalt zählt‹. Das wäre schön, aber es ist einfach politisch naiv …«

… hatte Michael Schallaböck gelernt, der in den Initiativ-Ausschuss und damit die Leitung der »Bürgerinitiative Parlament« einstieg, der »BIP«. Hinter der versammelten sich auch in Salzburg Namen, die schon prominent waren oder es noch werden sollten  : Robert Jungk, Herbert Fux, Johann Padutsch, Christian Burtscher – und Johannes Voggenhuber. Der merkt an, sein Anteil sei größer gewesen als bisher öffentlich bekannt  : »Das war z. B. bei dem Treffen auf dem Schloss vom Mauthe (gemeint ist das »Yspertal-Treffen« auf der Burg Mollenburg in Niederösterreich, die Jörg Mauthe gehörte, Schriftsteller und für die ÖVP Stadtrat in Wien). Ich habe eine Lösung vorgeschlagen, um vor den Prozess eine Lokomotive zu spannen, das war meine Idee. Ich habe es ›Arbeitsgruppe Parlament‹ genannt. Worauf der Nenning am nächsten Tag – und das Verdienst gebührt ihm – das vorgestellt hat als ›Bürgerinitiative Parlament‹.« (Voggenhuber)

Salzburg war am Nationalfeiertag 1985 Schauplatz für das erste Treffen der österreichweiten BIP, aber das war nur das erste offizielle. Schon vorher hatte man sich zu Geheimgesprächen verabredet, in Thalgau, wo Schallaböck und Müller eine GABL aufgebaut hatten  : »Das waren konspirative Treffen, die nicht offiziell waren, die sogenannten ›Mauschelrunden‹ – wo die wichtigen Leute waren, die haben sich bei uns in der Wohnung getroffen, so weit ist das gegangen…Beim Vater von einem späteren Bürgermeister, beim alten Greisberger, auf einem Bauernhof, da haben wir den Günther Nenning untergebracht. Das war aber ein Stock-Katholischer, ein Konservativer, der Greisberger, der die Grünen gehasst hat – und dann sitzt da beim Frühstück einer und den schaut er an und dann kommt das Bäuerlein drauf, das ist der Günther Nenning…Er hat ihn aber interessant gefunden und gefunden  : ›der ist gar nicht uneben, der ist ja nett  !‹« (Müller)

Die BIP-Betreiber legten Wert auf Diskretion  ; zumal Männer wie Voggenhuber, gewohnt, ihren Kopf durchzusetzen, die konkurrierenden Linksalternativen schlicht verachteten  :

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»Wir haben sie immer ›Eisenärsche‹ genannt. Sie waren alle Wiener, die anderen mussten zum Zug, sie sind einfach solang dagesessen, bis sie die Letzten waren und haben dann die Beschlüsse gefasst.«

Die nach Salzburger Muster konstruierte »Bürgerinitiative Parlament« wurde zwar auch von der Geschichte überrollt – sie ging in der neuen »grün-alternativen Partei« auf –, sie hatte aber diese Einigung wohl beschleunigt. In Salzburg behielt die Bürgerliste ohnehin die Oberhand  : Für den Westen wurde 1986, ganz nach dem Starprinzip, Herbert Fux in den Nationalrat entsandt  ; Schallaböck und Müller, hinter ihm gereiht, hatten zwar die Arbeit, aber keine Chance. Beim Bundeskongress im Jahr darauf wurde eine einzige Landesorganisation nicht unter dem Namen »Die Grüne Alternative« aufgenommen, es war die Salzburger  : sie hieß »Bürgerliste Salzburg-Land«. Durchgebracht hatte das zuvor die Stadt-Bürgerliste bei einer Landesversammlung, »für uns im Vorstand unerwartet« wie sich der Grödiger GABL-Politiker Christian Burtscher in einer internen Information distanzierte. Die Debatte war »heftig und kontroversiell« gewesen  ; Grün-Alternative wie Schallaböck sahen sich als Verlierer  : »Der Kern von uns war eher grün orientiert, das heißt, wir wollten nicht unbedingt diesen Namen ›Bürgerliste‹. Es war eine Fr age des A nbiederns  : warum müssen wir jetzt plötzlich ›Bürgerliste‹ heißen  ? Bundesweit heißen wir jetzt endlich ›Die Grünen‹, was wir eigentlich sind und es sind nur noch Reste von ›alternativ‹ dabei … wir hatten grün-alternative Bürgerliste geheißen, warum lässt man das nicht so  ?«

Marketing-technisch hatte das schon einen Sinn, es war ein Sieg der stärkeren Marke  : »Bei der Landtagswahl 1989 kann unter diesem Namen mit einem stimmenmäßig beträchtlich besseren Ergebnis gerechnet werden«, gab auch Burtscher zu. Doch die innere Stärke sah er nicht gefördert – im Gegenteil  : »Bitte wirkt dabei mit … Wir haben in den vergangenen vier Jahren schon zu viele aktive und kritische Menschen aus unserem Kreis verloren.«

Es sollten nicht die letzten bleiben. Hier gloste ein Konflikt und er loderte auf, als die Mandate verteilt wurden – oder genauer gesagt, die Chance darauf. Geld zum Hauptmotiv zu erklären, griffe zu kurz, gerungen wurde vor allem um Anerkennung. Schallaböck betrachtete sich als den natürlichen Anwärter Nummer eins auf die Spitzenkandidatur für die Landtagswahl 1989  ; er war das Gesicht oder zumindest der Pressesprecher der Grünen gewesen, in schwierigen Jahren. Auf dem Weg nach oben waren aber mehrere Hindernisse zu bewältigen  :

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»Das erste Parteilokal war lustig, das war über dem ›Casanova‹ in der Linzer Gasse (einem Nachtklub, Anm. d. Verf.) oben hatten wir unsere ganzen Materialien und haben uns dort getroffen. Einmal sollte ein Aktivist Plakate holen, er hat uns angerufen und gesagt, ich kann da nicht rauf, da liegt im Halbstock ein Rottweiler. Das war ein ›Schutzhund‹ oder einer der Zuhälter hatte da seinen Hund. Der Aktivist ist nicht mehr raufgegangen. Aber wir hatten dort billig was bekommen.« (Müller)

Die Grünen logierten damals noch nicht in Bürohäusern mit Neonbeleuchtung. Waren die Treppe in den ersten Stock (und allenfalls der dort lagernde Wachhund) überwunden, warteten zur Attacke entschlossene Bürgerlisten-Führer und das nicht immer in bester Absicht – zum Beispiel Johannes Voggenhuber. In einer Stadtversammlung der Bürgerliste ließ er von einem Listenersten Schallaböck wenig über  : »Da hat der Voggenhuber das Wort ergriffen, das war wieder so ein Auftritt, wo der Sonnengott spricht und alle anderen schweigen. Eigentlich hat der Voggenhuber gesagt, ich kann nichts. Offizieller Aufhänger war, ich sei zu wenig bissig und ich stehe das sowieso nicht durch, ich schaffe das nicht … Die Roswitha und ich haben nicht gewusst, was geschieht uns da … Ich hatte nicht den Politikstil, den er vertreten hat, nicht dieses Bärbeißige  ; aber politisch-inhaltlich hat es nicht ein einziges Argument gegeben.« (Schallaböck)

Das ist die Darstellung des Opfers  ; sie wird aber von Zeugen der Demütigung bestätigt. Johann Padutsch war damals ein Gefolgsmann von Voggenhuber  : »Da hat der Voggenhuber den Michael Schallaböck in einer Art und Weise niedergemacht, dass dir dabei echt schlecht geworden ist. Das war schon auch er. Er hat wirklich Menschen komplett demontieren können … Ich habe es so erlebt  : Er hat mit dem Ziel, den Christian Burtscher zum Spitzenkandidaten zu machen, dem Michael Schallaböck jegliche Kompetenz, jegliche Durchschlagskraft, jegliches politisches Auftreten abgesprochen, in einer wirklich verletzenden Art und Weise.«

Voggenhuber macht seine Rolle von damals nicht kleiner (das würde ihm auch gar nicht entsprechen), er rechtfertigt seine vernichtende Rede mit der Furcht vor einer Intrige des Apparats  : »Es erschien mir sehr eingefädelt und vorbereitet zu sein, diese überfallsartige Sache … Ich habe mir gedacht, das ist ein Machtanspruch in einer Nacktheit, in einer sozialdemokratischen Art.«

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Resultat war, dass der »aggressive leader« (wie das im Sport genannt wird) nicht etwa Gegenspieler, sondern zwei weitere MannschaftskollegInnen vertrieben hatte – und nicht die schlechtesten, zum Beispiel Roswitha Müller  : »Das war dann so arg, dass der Michael Schallaböck gesagt hat, er tritt zurück und kandidiert nicht wieder. Ich war dann auch so konsterniert, dass ich in dem Zuge auch gesagt habe, ich gehe auch raus, aus Solidarität, ich war die Lebensgefährtin. Was mich besonders bestürzt hat, war, dass die Leute dort sehr, sehr betreten waren – wir haben mit denen immer gut zusammengearbeitet – aber dass keiner was gesagt hat. Alle haben den Kopf hineingesteckt, alle haben geschwiegen, aus lauter Angst, der Voggenhuber, der konnte wirklich spitz sein. Dann habe ich gesagt  : nein – wo bin ich gelandet  ? Dieser Mangel an Zivilcourage, diese Feigheit, dieses Schweigen, dieses Zuschaun, wie wer getreten wird – ich habe das wirklich als äußerst ungerecht empfunden. Das hat mich dermaßen erbittert, dass ich gesagt habe, das ist genug, das will ich jetzt nicht.«

Wenn wir die Gefühlswallungen und vor allem den Diskussions-Stil der »Leittiere« einmal außer Acht lassen, so sind politische Gründe für die Entscheidung pro Burtscher durchaus zu finden  : Er war »der härtere Knochen«, das wusste auch Roswitha Müller – und die Bürgerliste musste sich bei einem Einzug in den Landtag auf harte Zweikämpfe einstellen. Die Pointe war jedoch eine andere  : Burtscher, den Voggenhuber durchgedrückt hatte, war ein derart »harter Knochen«, dass sich an ihm auch die Bürgerliste-Stadt die Zähne ausbiss. Voggenhuber zeigt sich inzwischen reumütig  : »Die Entscheidung für Burtscher war eine Fehlentscheidung, mein Votum gegen den Michael war eine richtige Entscheidung, aber die für den Christian Burtscher war eine Fehlentscheidung …«

Die Salzburger Landes-Grünen verfügten ab sofort jedenfalls über eine starke Führung, eine zu starke aus Sicht der Stadt-Truppen, wie diese noch feststellen sollten. Die Bewegung insgesamt war nach diesem Ausscheidungskampf aber geschwächt, das war für Aktivistinnen wie die spätere Abgeordnete Heidi Reiter keine Frage  : »Ich war damals auch dabei bei der Sitzung in der Linzer Gasse, als der Christian das gewonnen hat. Das Ergebnis war  : alles, was rund um Schallaböck und Rosl Müller war, war weg. Das heißt, 50 % der Bewegung, die ohnehin so klein ist, waren weg. Der Rest ist im besten Fall ruhig oder distanziert oder brodelt halt irgendwo herum.«

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Eines kann Christian Burtscher niemand nehmen  : Er hat die Grünen im Salzburger Landtag etabliert, ihnen Respekt verschafft. Wenn er sprach, hörten auch die Gegner zu und zumindest manchmal schien sich im Saal das Gefühl breitzumachen, dass der grüne Moralist auf dem Rednerpult nicht mit allem Unrecht hatte, was er einforderte – zum Beispiel, »in einer Zeit existentieller Gefährdung der Menschheit, in einer Zeit der fortschreitenden Umweltzerstörung, der Zerstörung der Lebensgrundlagen … den unbequemen Weg zu gehen und … gesellschaftliche Gestaltungsideen zu erarbeiten«. Christian Burtscher meinte es immer ernst, sehr ernst sogar  ; es ist kaum eine Äußerung von ihm erinnerlich, die nicht von ethischen Ansprüchen durchweht war. In seiner Antrittsrede zitierte er binnen weniger Minuten Rudolf Steiner, Robert Jungk und den Sozialhirtenbrief der österreichischen Bischöfe. Allerdings hätte man diesem Mann nicht gerne eingestanden, dass einem beim Mülltrennen ein Fehler passiert war. Als ihm der WEB-Skandal seine erste großen Auftritts-Chance schenkte, als Obmann des Untersuchungsausschusses im Landtag, da war das Rigorose durchaus brauchbar. Der Oppositions-Abgeordnete konnte sich gleich zu Beginn seiner Parlaments-Karriere als politischer Chef-Ankläger in einem Fall von schwerem Systemversagen in Szene setzen  : Die WEB war eine gemeinnützige Wohnbau-Gesellschaft, die der Landesaufsicht unterstand, jedoch unter deren Augen vom privaten Bautreuhand-IMMAG-»Imperium« ausgesaugt wurde  ; die Parteiführer von ÖVP und SPÖ hatten sich aber persönlich für eine »Sanierung« entschieden, die dann peinlich fehlschlug. Im U-Ausschuss kamen ein paar Wahrheiten ans Licht, die für den gelernten Österreicher keine Überraschung waren, aber nun aktenkundig wurden  : Der Leiter der Wohnbau-Abteilung räumte z. B. Absprachen zwischen ÖVP und SPÖ über die Aufteilung der Fördergelder ein. Der Grüne, ganz strenger Aufklärer, konnte nun aber nicht Beamte, Bankdirektoren und Baumanager einvernehmen, es erschien auch der frühere Landeshauptmann selbst. Der eine, Burtscher, im offenen Hemd (wenn auch mit Sakko) und mit Bart, stellte die Fragen, der andere, Wilfried Haslauer sen., im Anzug, mit Krawatte und Seitenscheitel, stand Rede und Antwort. Auszug aus dem Protokoll  : Frage  : »Was wissen Sie vom Verdacht, dass Wohnbaumittel nach politischen Prinzipien aufgeteilt wurden  ?«

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Antwort  : »Bei keiner Parteienverhandlung hat es jemals Absprachen gegeben. Ich schließe aber nicht aus, dass es einen Orientierungsrahmen gegeben hat.«

Der »letzte Landesfürst« sagt vor dem Rebellen aus – konnte ein einziger Moment besser zeigen, wie weit es die neue Bewegung gebracht hatte  ? Rechtsvertreter von Zeugen echauffierten sich zwar über angebliche »Inquisitions«-Praktiken und ein »Tribunal«. Es war aber kaum zu bestreiten, dass Burtscher im Prinzip seine Aufgabe bewältigt hatte – und das als Landtags-Novize. In jenen Jahren professionalisierte sich die Landes-Organisation – oder wagte zumindest erste Schritte dazu. Im Verhältnis zu den Medien erreichte der neue Pressereferent, der gelernte Journalist Heinrich Breidenbach, »eine beständige Präsenz mit Aufs und Abs«  ; nicht nur technisch war Rückstand aufzuholen  : »Ich glaube, es hat noch kein Fax gegeben. Es hat noch keinen Computer gegeben, keine E-Mails, die Medieninformationen wurden noch ›ausgeradelt‹. Das hat sich aber schnell geändert … Die interne Kommunikation war zum Teil primitiv und rudimentär. Ich habe zum Beispiel unsere Medieninformationen in eine Mappe gegeben und habe das ausgeschickt an alle, die es wollten. Das war sehr, sehr einfach gemacht und trotzdem hat es ein bisschen ein Wir-Gefühl und eine interne Kommunikation bedeutet.«

Dafür war es auch an der Zeit, denn ganz im Gegensatz zur Landeshauptstadt hatten die Grünen auf Landesebene Verspätung. In Vorarlberg – dem ersten Bundesland, wo das gelang – hatten sie sich schon fünf Jahre vorher einen Platz im Landtag verschafft, unter der Führung von Kaspanaze Simma, dem Bauern aus dem Bregenzerwald und mit insgesamt vier Mandaten. Die grundsätzlich große Sympathie für neue, vor allem grün-alternative Parteien war auch in Salzburg durch Umfragen nachgewiesen  ; Initiativen wie jener der »Mütter für eine atomfreie Zukunft« konnte auch der Erzbischof nicht widerstehen und es gelang nicht einmal der Bürgerliste-Land, diese Chance zu übersehen (sie fand dort die Nummer zwei im Landtag, Karoline Hochreiter). Nur  : Als politische Organisation im eigentlichen Sinn atmete sie nur schwach, jedenfalls außerhalb des Landtags  : »Die Partei hat damals wenig eigenen politischen Auftritt gehabt. Die tägliche Arbeit war die mit der Fraktion. Nur in Wahlkämpfen spielte die Partei eine größere Rolle als Organisation. Aber niemand kann sich erinnern, wer damals im Parteivorstand saß… Der Repräsentant der Grünen für das Land war der Christian Burtscher – und aus.« (Breidenbach)

Wer war aber nun dieser Mann, der nun wie der Alleinbevollmächtigte einer FastPartei auftrat, woher kam er und was trieb ihn an  ?

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Christian Burtscher war Jurist, von Beruf aber Lehrer, schon seit einigen Jahren Gemeindevertreter und er war sehr grundsatztreu  : Nach Darstellung des Landes trat bei den Gemeindewahlen 1989 keine einzige Liste als »Bürgerliste SalzburgLand« an, das sowieso nicht und sowieso kaum eine als »Grüne« – der spätere Landessprecher jedoch hielt damals schon als Einziger die richtige Fahne hoch, wie ihm selber schien  : »Wir waren damals eigentlich die einzige deklariert grüne Gemeindegruppe, unter dem Namen ›Grün-alternative Bürgerliste Grödig‹.«

Noch mehr Zugänge erschließt ein anderer Code – Christian Burtscher war vor allem ein ökologischer Moralist und einer, der aus christlichen Wurzeln wuchs  : »Ich komme aus einer katholischen Familie«, deklariert er sich selber  ; sein Vater, ein leitender Angestellter der Vorarlberger Handelskammer, war ÖVP-Obmann in der Gemeinde Feldkirch. Er habe »immer zu ihm gehalten«, dessen konnte sich der junge Mann sicher sein, selbst als er Linksradikales las – eine Erinnerung, die er mit Michael Schallaböck teilt (dessen Vater, wie wir erfahren haben, Militärarzt war und mit dem Sohn protesthalber in Hainburg lagerte).

Dem CV, als dessen früheres Mitglied sich Burtscher zu erkennen gab, warf er als Alternativer später vor, dort seien statt Prinzipien eher »Humpen« hochgehalten worden – das war eine Burtscher-typische Kritik  : Er stieß sich weniger an den Grundsätzen, sondern dass die »Taufschein-Katholiken« ihnen nicht treu waren. Sein persönliches Lebensmodell – Mehr-Kinder-Familie, sesshaft in einer Landgemeinde – blieb durchaus traditionell, auch nachdem er »als Zugehöriger zum etablierten System mit diesem in den Jahren 70 bis 72 gebrochen« hatte. Der Aktivist Burtscher wollte diesem »System« nun mehr Humanität abtrotzen. Dabei war es war für ihn ganz selbstverständlich, dass Politisches auch im Privaten umzusetzen war  : »1974 kommt unsere Tochter zur Welt, wir haben eine alternative Krabbelstube gegründet, außerhalb des Systems, wir haben einen alternativen Kindergarten in Salzburg, den sogenannten Mohrstraßen-Kindergarten gegründet, eine linke Zelle in Salzburg, die Mohrstraße 10  ; das war alles selbstverwaltet, wir haben selber Kindergarten-Dienst gemacht, ich habe Kindergarten-Dienst gemacht, einen halben Tag in der Woche neben meinem Beruf.«

Das lässt einen an jene Reform-Orden denken, die Erneuerung nicht nur verlangten, sondern diese auch leben wollten. Auch die Sprache Burtschers – und er war in den 90er-Jahren das Sprachrohr der Landes-Grünen – war immer wieder von einer fast

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religiösen »Schuld und Sühne«-Rhetorik durchzogen. Im WEB-Skandal forderte er etwa, »die Landesregierung soll die Schuld der Aufsichtsbehörden und der politisch Verantwortlichen eingestehen«  ; in »Denkanstößen« für den Wahlkampf 1989 gelangen dem Spitzenkandidaten Burtscher Passagen, die an die Untergangs-Szenarien biblischer Propheten gemahnten – wenn die Lage nicht sogar schlimmer war, in seinen Augen jedenfalls  : »Die Katastrophen müssen nicht mehr vorausgesagt werden – sie finden bereits statt  : Das Waldsterben, die Verseuchung von Grundwasser und Meeren, die Überhitzung des Planeten als ökologische Katastrophe … Die anhaltende Entwicklung der Wirtschaft zur ›Zwei Drittel-Gesellschaft‹ als soziale Katastrophe.«

Persönliche Verstöße gegen politische Gebote erschienen einem wie Christian Burtscher als »Sünde«  : »So ist es zu erklären, dass wir phasenweise zum Leidwesen unserer Kinder kein Auto hatten. Ich will auch das Handy nicht, ich will nicht immer und überall erreichbar sein … Wenn ich vom Klima rede und ich fahre selbst zum Greißler mit dem Auto – das geht nicht. Ich bin in den ganzen 90er-Jahren nur einmal geflogen, mit der Familie nach Irland. Wenn ich heute fliege, dann ist das eine Sünde, die ich als lässliche Sünde einstufe. Ich bin keiner für einen durch und durch asketischen Lebensstil, aber ich habe das, was man aus der alternativen Szene heraus vermeinte zu erkennen, versucht zu leben.«

Der Mann stellte hohe Ansprüche an sich selbst und seine Familie – aber dabei blieb es eben nicht, nicht nach dem Eindruck der Urban-Liberalen. Schon der Verdacht, hier sollten Lebensstile zu politischen Forderungen erhoben werden, war für Johannes Voggenhuber eine Provokation, bis heute  : »Ich habe das als wirklich reaktionär empfunden, was er (Burtscher) gemacht hat. Ich kann ja reaktionär-ökologisch sein, aber er war ein unglaublicher Moralist, wo sich bei mir alle Haare aufstellen… Herzugehen und den Menschen vorzuschreiben, das und jenes und diese Freude dürfen sie nicht haben… Diese kleinbürgerliche Pression, zu verlangen, Flüchtlinge zu Hause aufzunehmen, weil man sonst über Flüchtlingspolitik nicht reden darf, nur mit Jutesäcken einkaufen zu gehen… Im politischen System kann ich leichter sagen, das ist eine Fehlentscheidung oder nicht, aber in der privaten Lebensführung permanent die Demonstration von Regeln, die man jeden Tag ausdehnt – was man macht, was man nicht macht…das ist nicht meine Welt. Das war seine (Burtschers) Welt.«

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Da prallten Lebenswelten aufeinander. Doch kaum ein Zeitzeuge kann glauben, dass sich die »Großbrände« der 90er daran entzündeten. Gewiss, die Grünen mussten ständig »einen breiten Spagat zwischen ›Ökofundis‹ und einem liberal-städtischen WählerInnenpublikum« hinlegen (nachzulesen in einer internen, bisher unveröffentlichten Analyse des Sozialwissenschaftlers Günther Marchner, den die Landesorganisation später als ›Brandermittler‹ beauftragte). Dieser Spreizschritt war aber noch zu bewältigen. Was die Partei tatsächlich zerriss, waren interne Machtkämpfe – »eine über konkrete Personen bedingte Polarisierung (Bürgerliste-Stadt, Bürgerliste-Land)«, wie der Forscher diagnostizierte, während es die spätere Abgeordnete Heidi Reiter direkt formuliert  : »Ich glaube, dass es zum Beispiel zwischen Voggenhuber und Christian reine Machtund Hierarchiefragen waren. Das waren Männerkämpfe, Hahnenkämpfe, da lief viel auf dieser Ebene… Auf dieser Ebene läuft mehr als auf der inhaltlichen, denn auf der inhaltlichen hat man sich immer wieder getroffen.« (Reiter)

Die Disziplin reichte aber damals noch nicht, um diese Kämpfe abzupfeifen, wenn es an der Zeit war – vielleicht konnte sie auch noch gar nicht reichen. Die Grünen ähnelten immer noch einem losen Verbund einzelner Leitwölfe, die sich für Jagd-Ausflüge zusammenschlossen, bei Wahlen z. B. – wenn sie es denn taten. Dieses Verhalten war mit der Gründer-Generation Hörl/Fux nicht ausgestorben, Burtscher praktizierte es durchaus auch noch. Seine Verdienste wurden auch innerhalb der Gruppe nicht geleugnet, er wurde anerkannt als »Person, die glaubwürdige Politik macht« (Marchner-Bericht)  ; mit »Durchsetzungswillen, Fleiß, Strebsamkeit und hoher Arbeitsdisziplin« (Breidenbach) – Eigenschaften, ohne die die Grünen niemals ihr eigenes Revier in der Landespolitik erobert und gehalten hätten. Die One-Man-Show aber war erdrückend und vor allem war mit ihr allein die Bühne nicht mehr zu bespielen  : »Problematisiert wurden«, so das Fazit von Marchner, »der geringe politische Stellenwert des Vorstandes … und das Schwergewicht des Clubs bzw. die Machtkonzentration des Spitzenmandatars«. Burtscher zeigt sich hier reuig (wir bleiben bei einem leicht christlich getönten Vokabular), inzwischen einsehend, dass seine Solisten-Allüre das Ensemble eher kleinhielt  : »Diese Kritik ist leider zutreffend. Ich meine, dass meine Ungeduld und mein forscher Stil meine Umgebung häufig überfordern und ich zu wenig Rücksicht genommen habe. Auch deswegen konnte sich kein tragfähigeres Fundament bilden, kein breiteres. Wenn einer fast monokratisch agiert, dann fällt das rückblickend auf mich selbst, das ist etwas Wesentliches, was ich mir zuzuschreiben habe, dass ich da zu wenig Geduld und zu wenig Aufbauarbeit und zu wenig auch Kooperation geleistet habe.«

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Für die Partei-Entwicklung gingen damit neuerlich Jahre verloren – und vor allem auch Talente. Der Alleinherrscher konnte zwar bei den Landtagswahlen 1994 nicht »liefern«, ein Plus von einem Mandat heimzubringen war wenig, gemessen am Potenzial und dies verschaffte seinen Gegnern, vor allem der Bürgerliste-Stadt, eine Chance zur Abrechnung. Doch Burtscher hintertrieb erfolgreich den Versuch, ihm ein zweites Machtzentrum entgegenzusetzen  : »Die Frage war, wie gelingt es mir, eine Konstellation zu schaffen, die für mich einigermaßen passt … Wir haben eine Klubsitzung gehabt, da wurde mit überwältigender zwei Drittel-Mehrheit von 2  :1 der Burtscher zum Klubvorsitzenden gewählt. Gleichzeitig gab es aber eine Struktur auf Parteiebene, da wollten sie einen Landessprecher mit einem Parallel-Mandat etablieren – Heinrich Breidenbach. Ich habe das verhindert. Denn so wollte ich nicht arbeiten, in einer permanenten Konkurrenz-Situation … Da war ich schon so gevift in institutionellen Fragen, dass ich das so beeinflussen konnte, dass man nicht an mir vorbeikonnte, z. B. Beschlüsse, die mir zuwider waren, sofort zu blockieren.«

Burtscher, schon ganz Politik-Routinier, hatte also die richtigen Lehren gezogen – für sich jedenfalls, weniger für die Bewegung. Die Bürgerliste-Stadt hatte Breidenbach forciert, weil er ihr näher war  ; Voggenhuber lobte ihn als »städtisch, liberal, kritisch, aber teamfähig« – aber abgesehen von solchen politischen und persönlichen Sympathien sprach auch in der Sache einiges dafür, der Partei mehr Gewicht und ein neues Gesicht zu verpassen. Deren Führung durfte nach innen und außen nur den Zwerg aus der zweiten Reihe spielen, obwohl der Riese (der Klub-Chef) längst nicht mehr alle Aufgaben selber stemmen konnte. Mitglieder gaben später ihre Frustration zu Protokoll und beklagten die »Unklarheit von Entscheidungsstrukturen, Kompetenzen und Rollen … Kommunikations- und Kooperationsmängel (Einzelkampf, wenig Strategie)« und ein »als problematisch empfundenes Außenbild (›spartanisch‹, ›wenig lustvoll‹)« (Marchner-Bericht). Burtscher war, das soll nicht vergessen werden, mit seiner Blockade-Haltung in der Minderheit  ; bei einer Landesversammlung 1994 stimmten klar über 50 % für eine große Reform, diese scheiterte nur, weil sie die verlangte Zwei Drittel-Mehrheit knapp verfehlte. Breidenbach warf jedoch hin, und damit der nächste Hoffnungsträger. Die Bürgerliste-Stadt ließ die Hoffnung fahren auf eine grüne Machtbeteiligung auch im Land. In ihren Augen war diese mit Öko-Moralismus und mit deren Bannerträger außer Reichweite  : »Er (Burtscher) war immer der Fundamentalist. Er hat nie angefangen, sich konstruktiv in die Politik einzubringen … Nach außen hat man schon gemerkt, dass es in dieser Form, in der er es macht, nicht wirklich Wachstum geben wird, sondern dass man immer

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auf der Größenordnung von zwei, drei Mandaten herumdümpeln wird. Er ist ja auch in den öffentlichen Auftritten, so rübergekommen, mit dem Messianischen, dem Lehrerhaften.« (Johann Padutsch)

Misstrauen, ja Verachtung hatten sich tief ins Beziehungsgefüge gefressen. Die Grünen waren noch nicht abgebrüht genug (oder vielleicht auch, positiv formuliert) noch zu sensibel, um das Politische vom Persönlichen zu trennen. Heidi Reiter z. B., selber Gründerin einer Bürgerliste und mit Vorstands-Erfahrung, löst zwar Burtscher als Landessprecherin ab und soll sich laut Beschluss emanzipieren »dürfen«, hat aber nach wenigen Monaten genug – auch menschlich  : »Ich habe zwar schon einige gesehen, die Du weggeworfen hast«,

schreibt sie Ende 1994 in einem Weihnachtsbrief an Burtscher (datiert mit 23.12.), nur wenige Wochen vor ihrem Rücktritt, »aber man glaubt halt immer, dass einem selbst das nicht passiert, oder wenigstens nicht so. Jetzt bin aber ich dran, von Dir demontiert zu werden und es ergeht mir wie dem Schallaböck, der Rosl (Müller), der Karoline (Hochreiter), dem Heinrich (Breidenbach) … Du machst Dir die Hände dabei nicht schmutzig, zumindest sieht man den Schmutz schlecht, wenn man Dich nicht sehr gut kennt.«

Von anderen fordert dieser Bund der Wohlmeinenden eine neue politische Kultur – er selber produziert ein Reizklima, das sich auch in anderen Briefen, Dokumenten und an den Vorstandsprotokollen dieser Monate messbar wird. Reiter stellt z. B. vor einer Klausur in einem Positionspapier die Frage der Fragen  : »Ist die Bürgerliste die Landtagsfraktion  ? Kann und will sie mehr sein  ? Dann müssen dafür auch die Bedingungen geschaffen werden, dann muss sich der Vorstand emanzipieren – und das hat nichts mit Feindschaften, Hahnenkämpfen, Sektierertum und ähnlichem zu tun.« (Landesvorstand der Bürgerliste  : »Grüne Info-Mappe Salzburg«, 1.2.1995)

Doch die neue Landessprecherin hat dabei nicht einmal den gesamten Vorstand selbst auf ihrer Seite, der doch gestärkt werden soll. Als sie die Zusammenarbeit mit einem Burtscher-Vertrauten ablehnt, hebt ein Vorstandsmitglied (Namen tun hier nichts mehr zur Sache) den Zeigefinger  : »Heidi, Du fühlst dich gekillt und Du killst auch andere« …

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… und auf dem Höhepunkt der Konfrontation zieht eine Vorstands-Frau aus dem Einflussbereich Burtschers den Degen und frägt  : »Aufgrund deines Papiers, Heidi  : Wie viele Personen müssen ausgetauscht werden, damit Du arbeitsfähig bist  ?« (Protokoll der Vorstandssitzung vom 20.12.1994)

Als wenige Wochen später dieselbe Abgesandte die nächste Attacke reitet, löst das den nächsten Abgang aus, wieder den eines politischen Talents – Heinrich Schellhorn ist seit den Gemeindewahlen 1994 Stadtrat in Hallein, knapp zwei Jahrzehnte später wird er Landesrat. Das Protokoll von 1995 vermerkt  : Heinrich  : »Weil ihm die Art, wie N.N. mit Heidi spricht, nicht gefällt, bezeichnet er N.N. als kleinen Gifthund  ! Er findet die Destruktivität und Gehässigkeit unerträglich  !« (Vorstandssitzung vom 24.1.1995)

Schellhorn setzt, offenbar noch am selben Abend, ein Telefax an Reiter ab  : »Ich habe mich heute unmittelbar nach der Vorstandssitzung entschlossen, hiermit mit sofortiger Wirkung meine Funktion als Vorstandsmitglied der Bürgerliste SalzburgLand zurückzulegen. Die Bürgerliste präsentiert sich derzeit als politisches ScheinWesen, zwar präsent in der Öffentlichkeit, aber als sozialer Körper eine Leiche … Du kannst Dir sicher sein, dieser Abschied aus dem Vorstand geschieht mit schwerem Herzen. Zum ersten Mal im Laufe meines politischen Engagements bin ich gezwungen, Gehässigkeit und Destruktivität nachzugeben.«

Dies war nicht der letzte Rücktritt. Burtscher übernahm auch formal wieder, was er de facto sowieso nie aufgegeben hatte – die Rolle des alleinigen Sprechers für Klub und Parteiführung. Glücklich wurde er damit nicht mehr. Das Verhältnis zum großen Bruder, der Bürgerliste-Stadt, blieb vergiftet – sie konnte damals bereits eineinhalb Jahrzehnte Regierungserfahrung nachweisen und ihre Würdenträger hatten wenig Lust, sich vom Chef-Prediger der Landes-Grünen praktische Politik erklären zu lassen. Helmut Hüttinger, für die Stadt Mitglied im Landesvorstand, beobachtete scharf  : »Der Christian Burtscher ist ein Alpha-Mensch wie ich kaum einen kenne und der Johann Padutsch neigt auch dazu, er äußert das aber nicht ganz so stark, er war damals sicher in einer Phase als erster grüner Vizebürgermeister, wo er seine Bedeutung für sich auch so eingeschätzt hat … Da sind zwei Leute aufeinander getroffen, wo der eine gesagt hat, ›ich bin der, der weiß, wie es geht‹, nämlich Christian Burtscher, er ist Experte für eh alles und der andere hat gesagt, ›ich bin der, der sagt, wie es politisch erfolgreich geht‹.«

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Die Stadt-Grünen dachten überhaupt nicht daran, eine Art Oberhoheit der Landespartei anzuerkennen. Diese riet z. B. Ende 1997, nach der unter medialem Lärm ausgetragenen Scheidung von Herbert Fux, zur Re-Integration – damals wurden nicht nur für die Gemeinden, sondern auch für den Landtag bereits die Wahlkämpfe vorbereitet und Vorstands-Mitglieder warnten sicher nicht zu Unrecht  : »Eine Trennung von Herbert Fux kostet uns auf alle Fälle Sympathien.« (Vorstandssitzung vom 14.1.98). Doch schon in der Sitzung zuvor hatte sich die Stadt-Organisation jede Einmischung verbeten  : »Christian Burtscher wird von seiten H. Hüttinger heftig angegriffen, wegen seiner Vermittler-Tätigkeit. Es bestand vorher kein Konsens.« (Vorstandssitzung vom 17.12.1997)

Einen Bericht zur Lage lieferte Hüttinger jedoch – auch darüber, wie Fux seinen Arbeitsboykott innerhalb der Bürgerliste-Stadt rechtfertigte  : »Fux begründet seine dauernde Abwesenheit in der Fraktionssitzung damit, daß er von E.Moser immer wieder angeschrieen wird …« (Vorstandsprotokoll vom 18.2.1998)

Herbert Fux, einer der lautststärksten Pult-Polterer im Rathaus und außerhalb, zeigte sich selber gegen hohen Tonpegel empfindlich. Praktisch jeder litt unter den familiären Konflikten. Wenn nicht gerade Revierkämpfe ausgetragen wurden, blieben die Diskussionen interessanterweise weit gedämpfter – selbst bei Alleingängen Burtschers in Kernfragen, etwa jener nach dem politischen Lieblingspartner. Als Burtscher öffentlich und ohne Absprache mit der Parteiführung seinen Hang zu Schausbergers Schwarzen bekannte, was immerhin in der sehr grundsätzlichen Botschaft »Grüne setzen auf die ÖVP« mündete (»Salzburger Nachrichten« vom 19.12.1996), mahnten ihn zwar Gefolgsleute  : »Vorgangsweise befremdend  ; keine vorherige Diskussion, weder in der Fraktion noch im Vorstand« (Protokoll der Vorstandssitzung vom 13.1.1997) …

… und Stadt-Gemeinderätinnen wie Elisabeth Moser waren ohnehin empört, wie man mit einem »rechten Populisten« wie Schausberger kokettieren könne. Johann Padutsch jedoch fand den Vorstoß an sich, studiert man das Protokoll genau, durchaus nützlich  : »Gefühlsmäßiger Koalitionspartner ist die SPÖ, aber aus der Erfahrung in der Stadt sind inhaltliche Koalitionen eher mit der ÖVP möglich … Das Aufbrechen des RotGrün-Klischees ist gut.« (Protokoll vom 13.1.1997)

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Der grüne Vizebürgermeister kooperierte damals bereits (siehe den Abschnitt »Realos«) immer wieder mit dem ÖVP-Bürgermeister Josef Dechant. An Kurs-Differenzen lag es also nicht, dass auf der Brücke bald der nächste Tumult ausbrach – auch diesmal wurde um das Kommando an Bord gerungen und um die Offiziers-Patente. Burtscher fand das zunehmend anstrengend. Er hatte nicht einmal mehr die eigene Besatzung hinter sich  ; die Abgeordnete Hochreiter sollte ihn schon nach den Plänen der Meuterer von 1994 als Klubvorsitzenden ablösen. Er behauptete bekanntlich die Position, sah sich aber als eigentliches Opfer – ja fast als Märtyrer  : »Die, die sich von mir übergegangen gefühlt haben oder von mir an den Rand gedrängt gefühlt haben, haben sich zusammengetan und eine innere Front gegen mich gebildet. Das war schon kräfteverzehrend, das zu überstehen.«

Es war jedenfalls eine enorme Energieverschwendung, um es im Öko-Jargon auszudrücken. Noch mehr Reibungsverluste waren zu erwarten, weil es dem Kapitän schlicht nicht mehr gelang, für die nächsten Wahlen eine Liste nach seinem Willen durchzusetzen. Er hatte Astrid Rössler entdeckt, Juristin der Landes-Umweltanwaltschaft, die also ähnlich wie er eine starke ökologische Ader pflegte und später die Vision von Schwarz-Grün umsetzen sollte – 15 Jahre danach. Doch die Landesversammlung hatte Burtschers Wunschkandidatin zurückgereiht, womit für sie kein Mandat mehr garantiert war  : »Der vierte Platz war mir zu riskant. Es war ein Spannungsfeld zwischen Kandidatur und der Landesumweltanwaltschaft als weisungsfreier Einrichtung. Es war nicht absehbar, ob es in ein Landtagsmandat führt, das hätte man wahrscheinlich toleriert. Aber der vierte Platz war unsicher, ich habe dann die Kandidatur zurückgezogen … Es war klar, dass es ohne Aussicht auf ein Mandat nicht erwünscht war, weil es natürlich eine politische Deklarierung war, für eine Liste zu kandidieren. Das ist mit einer unabhängigen Einrichtung schwierig.« (Rössler)

Wer sich damals auf eine grüne Liste setzen ließ, konnte zwischen allen Sesseln sitzen – eine gewählte Kandidatin aus ihren Reihen hätte die Landesumweltanwaltschaft als nützlich betrachtet, eine gescheiterte nur noch als politisch punziert und damit als Belastung. Burtscher hatte für die dann zusammengeflickte Liste – darunter der spätere Landesrat Heinrich Schellhorn – nur Verachtung über  : »›Das wird der Herzinfarkt‹ – das war der Sukkus der Arbeitssitzungen mit denen, ›die quaken nur, wie soll ich da fünf Jahre mit denen arbeiten, da wird nur gequakt‹. Ich

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habe es im September klar vor Augen gesehen, ›das kann ich nicht machen‹. Ich habe es nur meiner Frau gesagt und meinem Sohn Emanuel, damals 16, der gesagt hat  : ›das darf ja gar nicht wahr sein‹. Ich habe einen Tag später kurzfristig eine Pressekonferenz einberufen. Aber ich habe das wirklich für mich alleine gesehen  : ›das geht nimma, das will ich nicht, das kann I nimma‹.«

Erst Wochen, nachdem sich der Spitzenkandidat im Klaren über seinen Abschied war, erfuhr also auch die Partei davon. Der Vorstandssprecher und Klubobmann Christian Burtscher war bis zuletzt ein Mann der einsamen Entschlüsse. Er besteht mit dieser Erzählung natürlich auch darauf, Herr der Entscheidung gewesen zu sein – aber die internen Machtverhältnisse sind nicht so einfach zu ignorieren. Das Kapital des Vorsitzenden hatte gelitten  ; das ist gut messbar mit einem politischen Leit-Index, dem Resultat von Listen-Pokern  : 1993 hatte Burtscher noch seinen Personalvorschlag durchgebracht und musste dazu mit Rücktritt nur drohen  ; fünf Jahre später lief er hingegen gegen eine verschlossene Tür und der Rückzug wurde nun Realität. Heinrich Breidenbach, erst Partner, dann Rivale, bekundet Respekt  : »Es hat mich nicht überrascht, dass er sagt, er lässt es, er tritt nicht mehr an. Dann ist erst der Diadochenkampf entstanden. Er hat das gespürt, das muss man ihm anrechnen.«

Der grüne »Abt« hatte diese so bunte Schar mit starker Hand geführt – wie kräftig diese Klammer war, wurde spürbar, als sie sich löste. Schon bei der Wahl des Nachfolgers ging jede Selbstdisziplin verloren. Heinrich Schellhorn, in den internen Kämpfen zuvor oft an der Seite des Stadt-Flügels, wurde von einem Sekretär der Landesorganisation (Werner Kienreich) und dessen Fußvolk gestürzt, bevor er noch inthronisiert war. Burtscher dementiert, Teil der Verschwörung gewesen zu sein, obwohl Kienreich ein Untergebener und Vertrauter von ihm war  : »Ich habe seine Kandidatur überhaupt nicht unterstützt, ich war außerhalb dieser Vorgänge … Die (die Bürgerliste-Stadt) haben halt dann dort weniger mobilisiert und dann kam eine Liste zustande mit dem Werner. Nach meiner Einschätzung hat jeder von vornherein gewusst, was er da tut.«

Wusste jeder, was er tat  ? Jedenfalls stürzten sich die Grünen in eine Existenzkrise. In dem Moment, in dem sich Anfang Dezember 1998 das »Bündnis 99 – Grünes Salzburg« gründete, war die Spaltung vollzogen, auch organisatorisch und formal und sie zog sich quer durch die Partei – das war bis dahin trotz der ständigen Nervenkriege immer noch vermieden worden. Nun hielt keine Naht mehr  :

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»Es waren viele persönliche Verletzungen dabei. Bei den Sitzungen haben gestandene Männer zum Weinen angefangen, weil das jetzt so runter geht  ; der Hans Gratz aus dem Pinzgau (ein Gemeindevertreter), der ist da weinend drin gesessen, es war furchtbar. Es waren irre Emotionen dabei, das stimmt schon, die Leute waren wirklich fertig, weil die gesagt haben ›ein gutes grünes Projekt wird von ein paar Leuten zerstört.« (Helmut Hüttinger)

Emotionslos betrachtet, war das »Bündnis 99« dabei besser aufgestellt als die »Altpartei«, vor allem was interessantes Personal betraf  : Auf der Einladung zur Gründungsversammlung wurde, abgesehen von Johann Padutsch und Helmut Hüttinger, mit »Proponenten«-Namen wie Heidi Reiter (später Landtagsabgeordnete), Heinrich Schellhorn (später Landesrat), Cyriak Schwaighofer (später Landtagsabgeordneter und Klubobmann) oder Ferdinand Salzmann (Stadtrat in Saalfelden) geworben. Padutsch machte sich für sein Lager womöglich nicht ganz zu Unrecht Hoffnungen  : »Das war wie ein Befreiungsschlag, denn plötzlich haben uns aus dem ganzen Land die Leute kontaktiert, alle Burtscher-geschädigt, da war eine Basis vom ganzen Land dabei, die alle mit dem Christian nicht konnten, die alle im Kienreich die Fortsetzung dessen gesehen haben, was der Christian gemacht hat.«

Nachdem sich ein solcher Herausforderer formiert hatte, machte sich Burtscher an eine Rettungsaktion – die »Bürgerliste Salzburg-Land« war sein politisches Lebenswerk. Erste Hilfe für sie verlangte zunächst einmal personelle Opfer  : »Anfang Dezember war für mich klar, dass das verrückt ist (zwei Listen, MM). Das erste, was ich gemacht habe, war, dass ich mit dem Werner (Kienreich) spazieren gegangen bin und gesagt habe, ›Werner, du musst das zurücklegen‹. Er hat sich daran geklammert, er hat darin auch eine existenzielle Absicherung gefunden, das war nicht leicht. Ich habe ihm gesagt, ›Du Werner, möchtest Du auf Gedeih und Verderb zwei Jux-Kandidaturen und beide fallen durch  ?‹ Das hat er akzeptiert.«

So war das nun auch bei den Grünen, die sonst vor lauter Rücksicht auf Beschwerden der Individuen manchmal kaum noch gehen konnten  : Sollte die Bewegung überleben, mussten einzelne die Krücken zurückgeben. Die Basis und auch politisch Erfahrene hielten zwei Listen für »völlig unmöglich, das ist ein Wahnsinn und kann nicht funktionieren, da wirft es uns aus dem Landtag hinaus, dann sind wir draußen« (Zitat Heidi Reiter). Über die Bedingungen – sprich Personen – wurde dann eher ungeniert verhandelt. Mit am Tisch saß bereits Cyriak Schwaighofer, Vizebürgermeister von Goldegg für eine Bürgerinitiative  :

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»Das war im Stiegl, da haben wir diskutiert, wer von den anderen auf keinen Fall in Frage kommt für eine Liste, wenn wir eine gemeinsame Liste schaffen, das war ja das Ziel … Das ist da nn nach dem Ausscheidu ngsprinzip gelaufen, jede Gruppe hat gesagt, wer von den anderen sicher nicht in Frage kommt für eine Liste, nach all den Verwundungen, die es da gegeben hat.«

Schon vorher hatten sich Friedenstauben beider Seiten getroffen und vereinbart »probieren sollten wir es schon«, eine Wiedervereinigung nämlich. Das Heilklima bot offensichtlich wiederum Goldegg, Schwaighofers Heimatort, wo schon die GABL gegründet worden war. Der Kulturmanager, der die Infights in der Partei zuvor gemieden hatte, überstand auch das »Ausschließungsverfahren« als der Mann mit den wenigsten Feinden  : »Das Ergebnis nach einigen Sitzungen war, dass ich Spitzenkandidat hätte sein sollen, die Heidi Reiter an der zweiten Stelle.«

Wer hatte Schwaighofer eigentlich entdeckt für die Rolle des Kompromiss-Kandidaten  ? Burtscher beansprucht das für sich  ; Schwaighofer sprach am meisten auf Karoline Hochreiter an, Abgeordnete und Psychotherapeutin, die er im Kulturzentrum Goldegg kennengelernt hatte. Sie habe »die Initiative ergriffen« und das Versöhnungskomitee »angefeuert«. Der Pongauer Gemeindevertreter hatte aber noch einen schweren Test zu bestehen – jenen vor der Bürgerliste aus der großen Stadt  : »Sie haben ›vorgeladen‹, könnte man fast sagen, ins ›Sternbräu‹. Das war derartig untergriffig und im Volksmund ›g’schert‹, die Kernfrage war ungefähr  : ›wie kannst Du da vom Dorf Goldegg, auch wenn du dort Vizebürgermeister bist, glauben, dass du jemals die Grünen in Salzburg führen kannst.‹ So auf der Ebene ging das dahin – als ich hinausgegangen bin, habe ich mir gedacht so, das ist jetzt der Schluss, morgen rufe ich an und sage der Karoline Hochreiter ›Du kannst mich gernhaben, das geb’ ich mir sicher nicht‹.«

Schwaighofer, gestärkt durch Berater, glaubte schließlich an seine Fähigkeit, »Menschen zu verbinden« (man kann das, nach all den »Verwundungen«, fast schon medizinisch verstehen). Eine undankbare Aufgabe hatte jedoch noch Heidi Reiter zu erfüllen, Zweite auf der Wiedervereinigten-Liste, zuvor dem »Bündnis 99« versprochen  : Es war »nötig, dass ich das Bündnis ruiniere – sonst wären es doch zwei Listen gewesen«, blickt sie selber klarsichtig zurück. Es folgten, auch gemessen an der Geschichte der Grünen, Szenen hoher dramatischer Qualität  :

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»Ich bin dann mit der Karoline in die Stadtversammlung rein und habe gesagt, ich gehe runter von der Kandidatur, ich kandidiere nicht mit der Elisabeth Moser (Listen-Erste des ›Bündnis 99‹), bin aber bereit, mit dem Cyriak auf einer gemeinsamen Liste zu kandidieren. Das weiß ich noch wie heute  : dem Daxner (der inzwischen tödlich verunglückte Gründer eines Zirkus-Festivals), dem sind die Tränen runtergeronnen. Damit war ich dort natürlich total die Verräterin. Doch auf der anderen Seite war das die Krot, die sie schlucken mussten, um überhaupt noch zu einer gemeinsamen Kandidatur zu kommen. Dann haben wir das durchgezogen und es gerade geschafft.«

Das Boot war an einer Klippe angelangt – an der auch die Ambitionen der StadtGrünen zerschellten  : »Es war ganz knapp. Als die Heidi bei uns abgesprungen ist, war es eigentlich vorbei.« (Johann Padutsch)

Mit »ganz knapp« meint Padutsch, dass man dicht davor war, mit dem von der Bürgerliste inspirierten »Bündnis 99« letztlich als die grüne Landesorganisation anerkannt zu werden. Burtscher hatte das verhindert und er konnte das auch – denn er war es, der die Hand am letzten Rettungsring hatte  : Genügend Unterstützungserklärungen für die in wenigen Wochen bevorstehende Landtagswahl zu sammeln, war für beide Konkurrenz-Listen ein mühsames Unterfangen – allerdings reichten auch drei Unterschriften von Abgeordneten. Über diese verfügte die Landtagsfraktion. Der Klubvorsitzende Burtscher konnte damit Bedingungen stellen  : »Ich wollte erstens, dass es weitergeht  ; das zweite war, dass es nicht ohne unsere Zustimmung weitergeht, die allerdings auf einen Kompromiss zwischen den agierenden Gruppen hinauslaufen musste. Das habe ich der Karoline (Hochreiter) und dem Hias (dem Abgeordneten Matthias Meisl) schmackhaft gemacht, ›das können wir unterschreiben, machen wir es doch, damit ist unsere Aufgabe beendet‹«.

Im Detail gehen die Erinnerungen auseinander  ; Schwaighofer erlebte nicht Burtscher, sondern die beiden anderen Abgeordneten als eher kooperativ  : »Wir sind gegen Silvester nach Grödig hinausgefahren, mit der Karoline Hochreiter, um ihn (Burtscher) zu beknien, ›bittschön, sei so gut und mach’ das, denn sonst gibt es keine Kandidatur‹. Es war wie ein halber Canossagang, auch wenn ich nicht wusste, was wir uns hätten zuschulden kommen lassen. Wir sind elendslang da draußen gesessen, es war extrem zach, aber wir haben gewusst, anders schaffen wir es nicht.«

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Wie auch immer – Burtscher setzte seine Forderung nach einer Gemeinschafts-Liste durch. Er hatte damit erreicht, dass sein Erbe – die Landespartei – weiterexistierte und den Versuch der »feindlichen« Übernahme (sowas kommt ja auch unter »Brüdern« vor) durch die Bürgerliste-Stadt abgewehrt. Dass ein solcher geplant war, vermutete auch Burtschers Nachfolger Cyriak Schwaighofer. Nur zog er deshalb nicht in den Kampf – die Parteiführung bei den Salzburger Grünen war ab jetzt ein Friedensprojekt. Die Zeit der Alleinherrscher war vorbei.

6. Auf leisen Sohlen an die Macht Cyriak Schwaighofer, Astrid Rössler

Es ist ein Fehler, Cyriak Schwaighofer zu unterschätzen. Bei den »Salzburger LaufFestspielen« befindet eine Zeitung, der Klubobmann der Grünen im Landtag sei »diesmal nur als interessierter Zuseher gekommen«. Wenn das so ist, hat der 67-Jährige allerdings laufend zugesehen. Die offizielle Resultatliste führt ihn unter »Race Status  : abgeschlossen« mit der beachtlichen Zeit von 2  :03  :29 für den HalbMarathon (21 Kilometer und etwas). Von der jüngsten Abgeordneten des Salzburger Landtags, der Obfrau der Jungen ÖVP, trennen ihn einige Minuten – zu seinen Gunsten. Cyriak Schwaighofer hat nicht nur einen langen Atem, er weiß auch, wie man eine Leistung ins Ziel bringt. Dabei hat er schwierige Starts hinter sich, z. B. den als neuer Landes- und Fraktionssprecher im Jahr 1999. Nach dem enthemmten Säbelfechten auf gut ausgeleuchteter Matte und vor staunendem Publikum sollen die reuigen Sünder im Landtags-Wahlkampf nun mal richtig nachdenklich wirken. Dabei entsteht ein bis heute unvergessliches Foto fürs Plakat  : schwarz-weiß (Hauptsache seriös), der Spitzenkandidat mit dem Kopf in die Hand gestützt, der Blick leicht melancholisch  ; sind sie jetzt »allesamt Philosophen geworden  ?«, geniert sich ein Parteifreund  : »Das ist so schlecht geworden, dass es eher nach Verzweiflung ausgeschaut hat und hat mich als Karikatur jahrelang begleitet, ungefähr nach dem Motto ›da sitze ich nun und was soll ich jetzt tun …‹ Zum Lachen gibt’s jetzt eh nix, war so ungefähr das Motto, sondern ›wir sind die, die nicht den gleichen billigen Wahlkampf machen wie die anderen‹. Im nach hinein betrachtet, war das zu dem Zeitpunkt ziemlich das Verkehrteste.« (Schwaighofer)

Denn die reine Denkerpose nimmt diesen vor allem intern eher hyperaktiven Grünen damals sowieso niemand mehr ab. Dabei hatte Schwaighofer durchaus schon gezeigt, dass er Wahlen gewinnen konnte, jedenfalls zu Hause, in Goldegg  : »Mein Vater war zwei Perioden Gemeindevertreter/Gemeinderat für die ÖVP, er war Pächter eines großen Bauernhofes. Ich war in Goldegg bei der Jungen ÖVP dabei. 1984 bin ich gebeten worden, ob ich auf die ÖVP-Liste gehe … Die erste Aktion war dann, einen unabhängigen Umweltausschuss zu bilden…das war ziemlich erfolgreich, wir haben zahlreiche Aktionen gestartet, auch gegen die Liftverbindung Goldegg-Weng Richtung Dienten und ähnliches mehr.«

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Das befördert nicht gerade einen Gipfelsturm innerhalb der ÖVP, auch ist manchem lokalen Machthaber der von der Nachwuchshoffnung gegründete Kulturverein zu unberechenbar. Schwaighofer führt schließlich einen Aufstand an, der entzündet sich aber an klassischen Motiven  : Grünlandschutz und gefühlte Bürger-Ohnmacht. Der Golfplatz soll erweitert werden  : »Da ist es nicht so sehr um den Golfplatz an sich gegangen, sondern darum, dass es über die Köpfe der Bürger hinweg entschieden werden sollte. Da hat sich totaler Unmut in Goldegg entwickelt, auch wegen der befürchteten Verkehrsbelastung … Dann haben wir gesagt, versuchen wir eine Bürgerbefragung zu erreichen, wir haben eine Unterschriftenliste gemacht mit 100 Unterschriften. Wir haben die Liste eingereicht mit dem Antrag auf eine Bürgerbefragung. Die Gemeindevertretung hat das beraten und abgelehnt, ›wir machen keine Bürgerbefragung, wir wollen das Projekt und fertig‹. Dann haben wir beschlossen, ›okay, wenn das von draußen nicht geht, dann schauen wir, dass wir in die Gemeindevertretung reinkommen und kandidieren bei den Wahlen‹ (1994, Anm.d.Verf.).«

Erinnert das an andere »Biografien« bürgerlicher Rebellionen  ? Genau – an jene in der Landeshauptstadt zum Beispiel, zwei Jahrzehnte früher. Unterschrieben hat in Goldegg im Pongau auch ein Altbürgermeister der ÖVP  ; in Einzelfällen färbt sich mittlerweile sogar das schwarze Establishment auf dem Land lindgrün, in Teilen jedenfalls. Selbst 1999 wäscht sich das nicht mehr aus  ; die »Überparteiliche Bürgerinitiative Goldegg« behauptet sich – sogar solch stabile Listen schrieben nach wie vor nicht »Grüne« aufs Etikett. Nun sind ja auch Gemeindeparlamente nicht als Freundschaftstreffen konzipiert, doch hat es dort ein Dorf-Erneuerer immerhin vor allem mit politischen Gegnern zu tun. In der Landespartei freilich sah sich Schwaighofer – der es doch geworden war, weil er am wenigsten abgelehnt wurde – zunächst selbst in den eigenen Reihen A bwehrk ämpfern gegenüber. Im Vorstand war er Anfang Mai mit drei Pro-Stimmen bei zwei Enthaltungen zum neuen Sprecher gewählt worden – auch bei aller Liebe zu innerparteilicher Demokratie konnte das nicht gerade als Loyalitäts-Beweis gewertet werden  : »Das war die große Herausforderung für mich, praktisch das gesamte Büro dort drüben (jenes der Landesorganisation) in der Haydnstraße war eine Burtscher- und KienreichTruppe. Ich bin da in 80 %-Feindesland gekommen, ich war schuld, dass es nicht der Werner Kienreich geworden ist, weil klar geworden war, dass Kienreich nicht auf die Liste kommt, das war ein No-Go. Das war wirklich schwierig. Z. B. kam bei den Vorstandssitzungen zu allem und jedem Gegnerschaft, bis wir es geschafft haben, den gesamten Vorstand zum Rücktritt zu bewegen.«

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Der Kniff der Reformer entsprang ziemlich ausgefeilter Taktik  ; in einer außerordentlichen Vorstandssitzung hatten sie neue Kriterien für das Leitungsgremium auf den Tisch gelegt, die nicht so einfach wegzuschieben waren, nämlich … »… zwischen allen Gruppen guter Kontakt, dass man menschlich gut miteinander arbeiten kann, dass sich keine ›Reizpersonen‹ dabei befinden«. (Protokoll vom 8.6.1999)

Der Rückzug sei die »logische Konsequenz«, ließ der »Kompromiss-Kandidat« Schwaighofer ziemlich kompromisslos die Veteranen (und Veteraninnen) der Stellungskämpfe wissen. Die hatten wenig Versöhnungswillen gezeigt und waren getrieben von der Absicht, alte Rechnungen zu begleichen – indem sie sie nicht bezahlten. Finanzreferentin Dietlinde Kurz z. B. wehrte sich dagegen, Kosten des »Bündnis 99« durch die Bürgerliste-Land begleichen zu lassen – Schulden, für welche Grüne persönlich gerade standen  : »Die Heidi Reiter und die anderen haben ein Büro angemietet in der Franz JosephStraße, sie haben dort viel Miete bezahlt. Ich habe mich mit unserem Steuerprüfer beraten  : wir konnten nicht einer Gruppierung, die nicht dasselbe Ziel hat, es ist ja eine Gegenkandidatur gewesen, Geld hin transferieren, das vom Steuerzahler kommt. Das ist nicht bezahlt worden, solange ich Finanzreferentin war. Natürlich war ich die Buhfrau. Es hat sie ja keiner dazu gezwungen, die Haftung zu übernehmen, die Kandidatur hatte ja hauptsächlich die Stadt angezettelt, die hätten das ja zahlen können.«

Schwaighofer als neuer Familienvorstand hatte persönlich die Haftung für eine Agentur-Forderung von fast 130.000 Schilling (mehr als 9000 €) übernommen, womit ihn der alte Vorstand jedoch allein lassen wollte – ein Auszug aus dem Protokoll vom 12.4.1999  : »Cyriak ersucht die Partei, ihn durch Übernahme der Kosten zu entlasten. B. erinnert an den bestehenden Vorstandsbeschluss, worin die Übernahme solcher Kosten abgelehnt wurde … J.: Grundsätzlich ist die Verwendung von Parteimitteln für eine GegenkandidaturGruppe nicht akzeptabel. Cyriak … spürt Misstrauen und Bildung von verschiedenen Lagern.«

Das war noch milde ausgedrückt. Was die Gnadenlosigkeit im Infight betraf, hatten die Grünen das Niveau der Traditionsparteien bereits erreicht. Erst im September, unter neuer Führung, wurde beschlossen, »offene Rechnungen der Werbeagentur zu begleichen«.

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Nachdem der Schutt verräumt war, folgte der Wiederaufbau – wobei die Neubauten zunehmend wie eine Partei aussahen  : Projektleiter Schwaighofer wollte »die Teilorganisationen neu aufstellen, die grüne Bildungswerkstatt, die grünen Lehrer, die grünen SeniorInnen usw.« Den Namen »Grüne« hatte mittlerweile die ganze Organisation angenommen  : »Es war klar, dass wir eine Landesorganisation der Grünen sein wollen und nicht mehr länger die Bürgerliste. Wir haben auch gesagt, das ist ein bisschen belastet.« (Schwaighofer)

»Bürgerliste«-Land, das erschien einst als starke Marke, auch weil sie Kampfbereitschaft signalisierte – inzwischen aber vor allem jene gegen eigene Parteifreunde. Der neue Fraktionssprecher war nicht nur nach innen auf Beruhigung aus, er versuchte sich auch im Landtag in einer Art konstruktiver Opposition. Fundamentalismus mochte diesem Grünen kaum jemand unterstellen  : »Aggressivität ist nicht mein Naturell, ich bin nicht der Typ. Ich glaube aus der Gemeindearbeit zu wissen, dass man mit stä ndiger Konfrontation nicht viel weiterkommt, denn dann wird man völlig auf die Seite gestellt.« (Schwaighofer)

Nur vom Spielfeld-Rand hineinzurufen, genügte nun nicht mehr  ; die neuen Pragmatiker wollten mitspielen, auch in der Landesmeisterschaft. »Regierungsbeteiligung« wurde völlig selbstverständlich als Ziel ausgegeben. Schwaighofer, im Herzen ein »Christlich-Sozialer«, schwärmte von Jörg Mauthe, Erhard Busek und den steirischen Krainers (Vater und Sohn) – die Realität hieß freilich Franz Schausberger. Er habe sich damals der (Burgstaller-)SPÖ »in sozialpolitischen Fragen, in kulturpolitischen Fragen viel näher gefühlt als der Schausberger-ÖVP« seufzt Schwaighofer heute. Allerdings wurde es niemals ernst mit der Ehe-Anbahnung – die Braut war eine, die sich nicht traute. Nach den Landtagswahlen 2004 hätte es für Rot-Grün gereicht (mit insgesamt 17+2 von 36 Mandaten) – aber nur zahlenmäßig und nicht realpolitisch, nicht in den Augen der SP-Vorsitzenden Gabi Burgstaller  : »Ich kann nachvollziehen, dass eine Burgstaller, die jetzt erstmals an die Macht kommt, sagt, ›okay, soll ich hundert Bürgermeister gegen mich aufbringen, soll ich versuchen, in so einem konservativen Land wie Salzburg gegen so breite und wichtige Gruppen zu regieren‹. Jedes Jahr einmal sind wir eine Runde gegangen auf den Mönchsberg … Wir haben alle gewusst  : Wenn wir vier Mandate gemacht hätten, hätte sie nicht nein gesagt, weil sie auch partei-intern einen ziemlichen Druck bekommen hätte. Wir hätten dann drei Mandate Überhang gehabt, dann hätte sie es riskiert auch gegen den Widerstand, der gekommen wäre, ich hätte es mir vorstellen können.« (Schwaighofer)

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Der Grünen-Sprecher kannte damals nur einen Roten aus der ersten Reihe, der höheres Risiko gehen wollte  : »Der Erwin Buchinger hat mir ein paar Mal gesagt, er hätte das riskiert, es mit einem Mandat Überhang zu machen. Er ist ein Kämpfertyp, der sagt ›das schau ich mir jetzt an‹ und er ist auch ein Reformer, der was ändern will. Denn wenn Du die Mehrheit behältst, kannst Du schon einiges bewegen, sozialpolitisch und in anderen Bereichen.«

Solche Visionen hatten Grüne in anderen Bundesländern schon wahrgemacht und das auf viel härterem Boden. Ausgerechnet in Oberösterreich, der Region mit den meisten Industriearbeitern Österreichs (deren Anteil war dort um mehr als 50 % höher als in Salzburg), übernahm erstmals ein grüner Politiker einen Regierungssitz auf Landesebene  ; der frühere Baustellen-Besetzer Rudi Anschober hatte 2003 die erste schwarz-grüne Koalition mit der ÖVP auf einer solchen Etage abgeschlossen. Besonders aber stach ins Auge, wie viel bzw. wie wenig die Nachbarn aus ihren Möglichkeiten gemacht hatten  : Die oberösterreichischen Grünen hatten bei den Landtagswahlen 1991 mit rund 3 % begonnen und ihren Stimmen-Anteil seither verdreifacht  ; die Salzburger waren 1989 doppelt so stark gestartet (mit rund 6 %), aber seither de facto keinen Schritt vorangekommen – und das mit einem Reservoir wie der Stadt Salzburg im Rücken, die jederzeit für Ergebnisse jenseits der 16 % gut war. Aber es war in Oberösterreich, wo die Grünen 2003 ihr wichtigstes – machtpolitisches und gefühlsmäßig ersehntes – Ziel erreichten, nämlich die Blauen zu überholen, eine Chance, die angesichts des FPÖ-internen Putsches von Knittelfeld so groß war wie nie zuvor. In Salzburg gelang nicht einmal das  : »2004 war man schon enttäuscht. Was mich enttäuscht hat, war das Ergebnis der FPÖ, ich habe ja gewusst, wie die arbeiten im Landtag und wir schaffen nicht einmal das dritte Mandat. Mit Landtagsarbeit macht man es sicher nicht.« (Heidi Reiter)

Der Parlamentarismus war den grünen Mandataren merkbar viel Einsatz wert  ; Rennen waren auf diesem einen Bein offensichtlich nicht zu gewinnen – und natürlich blieb auch wenig Restlicht, wenn alle Scheinwerfer auf das Duell um Gold gerichtet waren, wie damals bei Burgstaller versus Schausberger. Der grüne Medaillenbewerber Schwaighofer war zwar genau, was die Mannschaft intern damals brauchte – aber keiner, der im Stadion für Raunen sorgte  : Er war weder ein Bürgerschreck im Sakko wie Johannes Voggenhuber noch ein Volkstribun wie Herbert Fux und schon gar nicht ein Robin Hood, wie es die Wahlwerbung suggerierte. Der Abgeordnete Schwaighofer war ein parlamentarischer Facharbeiter, der sein Handwerk gelernt hatte. Sein Gesellenstück, Meisterbrief inklusive, stand aber erst noch bevor  ; bis dahin sollte es noch einige Jahre dauern.

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Die Landtagswahlen 2009 brachten noch keinerlei Fortschritt, zumindest nicht im Wahlergebnis – das war die schlechte Nachricht, die gute war  : Es brach deshalb keine Panik aus, es erhob sich kein Rücktritts-Geschrei, niemand ließ sich zum öffentlichen Messerwerfen verleiten – wie noch 1994, als ebenfalls das Wahlziel verpasst worden war. Nun, 15 Jahre später, wurde nach einem ähnlichen, ja sogar noch schlechteren Resultat, die Disziplin gewahrt, auch und gerade vor den Zuschauern. Für eine Regierungs-Koalition reichte es wieder nicht (während in Oberösterreich Schwarz-Grün um eine weitere Periode verlängert wurde) – paradoxerweise stand aber die Organisation als solche besser da denn je, in der Breite und in der Tiefe. In 27 Gemeinden stellten sich 2009 »Grüne« oder grün-nahe Ortsgruppen zur Wahl – zum Vergleich  : 20 Jahre früher, bei den Gemeindevertretungswahlen 1989, hatte sich keine einzige dieser neu-orientierten Listen das Label »Bürgerliste-Land« oder gar »Grüne« antun wollen. Aufgebaut hatte das Gemeinde-Projekt ein früherer Funktionär der grün-alternativen Studenten (Rudi Hemetsberger), der noch unter Schwaighofer zum neuen Geschäftsführer aufrückte – die Bewegung verfügte nun über einen fast schon »klassischen« Parteimanager. Der war, »aufgezogen« in einer Teilorganisation, bereits ein »Kind« der Partei – ein Anzeichen, dass die Grünen in Salzburg langsam erwachsen wurden. Schwaighofers Vorname »Cyriak« verweist übrigens auf einen Heiligen, der angeblich eine vom Dämon besessene römische Kaiser-Tochter geheilt hatte. Er wurde später allerdings dennoch verbrannt – ein Schicksal, das dem grünen Namensvetter niemals drohte, nicht einmal symbolisch. Der Nothelfer (auch dafür steht »Cyriak«) bekam auch noch etwas hin, bei dem Parteichefs und andere Patriarchen oft versagen  : einen geordneten Übergang. Die wirkliche Überraschung bei der Einfahrt der Radlerin Astrid Rössler als Schwaighofers Nachfolgerin war, dass ein grüner Führungswechsel keine Sensationen mehr produzierte. Die Umweltjuristin, 1998 noch ein Opfer der Kämpfe zwischen Burtscher und der Bürgerliste-Stadt, musste sich 13 Jahre später nicht einmal mehr einer Gegenkandidatin erwehren. *** Astrid Rössler kommt aus der ökologischen Ecke, Ethik eingeschlossen. Sie nimmt sie sehr persönlich und sehr ernst, hat ihr Auto verkauft, isst wenig Fleisch, fährt auch außerhalb von Landesversammlungen mit dem Rad und hat dabei oft Gurkengläser aus einem Roma-Projekt im Schlepptau. Wer sich zum Gespräch zur ihr ins Regierungsbüro setzt, muss gewärtig sein, dass es dort plötzlich zwitschert. Das ist dann weder ihr Handy noch Twitter, es ist eine Wanduhr – eine Vogeluhr, präzise gesagt. Jede Stunde ertönt eine andere Vogelstimme. Gerade eben, um 18.00, habe sich der Fitis gemeldet, glaubt die Landeshauptmann-Stellvertreterin. Sie irrt, fast

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ist man erleichtert – es war die Nachtigall und nicht der Fitis. Die beiden sind freilich nah verwandt. Astrid Rössler ist eine Naturschutz-Referentin, die die Natur liebt. Das ist nicht selbstverständlich  ; ihre Zuneigung ist eine andere als die eines Agrar-Ressortchefs, dem der Naturschutz halt noch oben drauf ins Portfolio gepackt worden ist  : »Denn am Ende«, zitiert sie den afrikanischen Umweltschützer Baba Dioum, »werden wir nur bewahren, was wir lieben. Wir werden nur lieben, was wir verstehen. Wir werden nur verstehen, was wir gelehrt wurden.« Ganz in diesem Sinn hat die Spezialistin für Umweltrecht jahrelang am »Institute of Tourism and Hotel Management« in Salzburg-Kleßheim unterrichtet, nachhaltigen Fremdenverkehr vor allem. Die Tourismus-Schulen hat die Wirtschaftskammer gegründet  ; die Vortragende Rössler führt gleichzeitig den Schutzverband der Salzburger Flughafen-Anrainer – während der Airport doch nach Ansicht mancher Unternehmer eher vor solchen Anrainern geschützt werden müsste  : »Das ist natürlich nicht verborgen geblieben, weder in der Wirtschaftskammer noch in der Schule. Ich weiß, dass damit nicht alle zufrieden waren. Ich weiß, dass es spannend war  : Wenn die Studenten ein Praktikum hatten auf dem Flughafen, hat man ihnen schöne Grüße ausgerichtet und sie aufgeklärt über meine Rolle. Ich rechne es der Wirtschaftskammer und vor allem der Schulleitung hoch an, dass sich mich gestützt und gedeckt hat.« (Rössler)

Man könnte es auch so sehen  : Ökologie ist in diesem Bundesland und in dieser Republik auf dem Lehrplan für Touristiker angekommen, die »intakte Landschaft« ein Verkaufsargument. Die Grüne darf an dieser Schule den Studenten aus aller Welt zum Beispiel erzählen, dass der Umweltschutz in Österreich in den Verfassungsrang gehoben worden ist – jedoch erst nach der Protestbewegung gegen die Kraftwerkspläne in Hainburg. Auf diesen Teil der Erklärung legt sie Wert. Die Erfahrung, dass es nicht ohne Folgen bleiben kann, wenn die Natur umgegraben wird, zum Beispiel auf der Suche nach Bodenschätzen, die ist schon der jungen Frau mitgegeben worden. Astrid Rössler ist die Tochter eines Bergbau-Managers  : »Mein Vater war k aufm ä nnischer Gesch äftsführer eines Br au nkohlenBergwerks (gemeint ist die SAKOG in Trimmelkam) … Ich hatte eine Mut ter, die sehr aufgeschlossen war für Bildung und Berufstätigkeit der Tochter und die damals schon ein sichtbares Umweltengagement zeigte. Ich bin zwischen diesen Polen aufgewachsen, aber es hat meine berufliche Entwicklung vorgezeichnet. Meine Mutter hat sich z. B. beschwert, wenn irgendwelche Lärmbelästigungen vom Industriebetrieb, vom Bergbau kamen, wir haben dort gewohnt und wenn da Dinge nicht gepasst haben, hat sie das angesprochen und sich dafür eingesetzt, dass es verbessert wird. Mein Vater

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ist dadurch sensibilisiert worden, weil er darauf aufmerksam gemacht wurde, wenn z. B. Kohlenhalden gestaubt haben oder wenn lärmende Arbeiten am Wochenende stattfanden und das objektiv eine Beeinträchtigung war. Sie hat das thematisiert und gemeint, das könnte man auch anders organisieren, das war eine fruchtbare Auseinandersetzung.«

Die Juristin wies später zum Beispiel im Fall Flughafen durchaus nach, dass sie bei solchen »fruchtbaren Auseinandersetzungen« Managern, Aufsichtsräten und Spitzenpolitikern gehörig auf die Nerven gehen konnte – und dabei vor Aktenbergen und Detail-Grabungen darin nicht zurückschreckte, besonders sensibel reagierend, wenn sie den Verdacht hatte, es sollten ihr Informationen vorenthalten werden. All diese Begabungen konnte sie rasch einsetzen, nachdem sie 2009 als Hoffnungsträgerin in den Landtag entsandt worden war und gleich den Olympia-Untersuchungsausschuss umgehängt bekam. Die Vorsitzende konnte dabei für noch größere Aufgaben dieser Art üben. Den Landtags-Ausschuss hatten die Grünen ironischerweise auf Basis einer neuen Geschäftsordnung gefordert, die eben sie zwei Jahre zuvor noch abgelehnt hatten. Sie gab jeder Fraktion die Chance, eine solche öffentliche Vivisektion pro Periode im Alleingang durchzusetzen – ein Recht, das z. B. in Oberösterreich nicht bestand. Die Parlamentier und ein Richter sollten nun die Geldflüsse bei der Salzburger Bewerbung für Olympia 2014 sezieren, vor allem jenen zu einem eigens geschaffenen Förderverein. Ähnlich schwere Erschütterungen wie zweieinhalb Jahre später der U-Ausschuss zum Finanzskandal lösten die Ermittlungen nicht aus  ; einen leichten Erdstoß konnte aber wahrnehmen, wer dies auch wollte  : selbst die von der ÖVP entsandten Abgeordneten gestanden ein, einige Praktiken hätten sich »für die Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Gebarung der Bewerbungsgesellschaft … als nicht förderlich« erwiesen und die Konstruktion habe die »Kontrolle der Gebarung der Bewerbungsgesellschaft nicht erleichtert« – die Regierungsparteien bevorzugten bei der Obduktion ihres Prestigeprojekts pietätvolle Formulierungen. Für die Zukunft meinte die große Koalition damals noch, es bei solchen Vorhaben bei einem neuen Führungs-Kodex belassen zu können, mit »verpflichtender begleitender Kontrolle«. Rössler hielt das für ein »Placebo«. Sie wollte schwere Medikamente verordnen und in einem Anti-Korruptionsprogramm den Schutz und die Anonymität von Informanten aus der Landesverwaltung verankern  : »Im Nachgang habe ich die ›Whistleblower-Regelung‹ als Antrag eingebracht, also einen Briefkasten für Hinweise aus der Mitarbeiterschaft. Das ist zerrissen und zerfetzt worden im Landtag. Ich war auch betroffen über die Debatte, es war eine der wenigen, wo es persönlich und feindselig geworden ist – dass man den ehrenwerten Mitarbeitern des Landes unterstellt, dass man überhaupt so einen Briefkasten braucht. Ich weiß, ich bin damals aus dem Landtag raus und habe den Rechnungshofdirektor getroffen und gesagt, ›die Art der Debatte habe ich heute als sehr unerfreulich empfunden und ich

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glaube, das ist noch nicht ausgestanden.‹ Mir war bewusst, dass das ein falscher Umgang und ein Verdrängen war.«

Wäre der Finanzskandal anders verlaufen, wenn für einen Whistleblower (der die Öffentlichkeit alarmiert) oder auch schon für einen vertraulichen Informanten ein dezenter Briefschlitz offen gestanden wäre  ? Eine Gruppe von Landesbeamten griff noch vor Auffliegen der Affäre zum Mittel der anonymen Anzeige, wie man weiß – aber der einzige Postkasten, den sie für solche Zwecke vorfand, war jener der Staatsanwaltschaft. Jedenfalls  : mit ihrer Erkenntnis, aus dem Fall Olympia-Bewerbung seien kaum Lehren gezogen worden, war die misstrauische Frau Rössler eine »Recht-Haberin« im wahrsten Sinn des Worts  : »Ich weiß, dass wir dort im Grunde Systemschwächen thematisiert haben, die uns dann nur um drei, vier Potenzen schlimmer beim Finanzskandal erst recht eingeholt haben.«

*** »Eingeholt« wurde davon die Landesregierung und hier in erster Linie die Sozialdemokratie. Die Grünen brauchten das Führungsversagen anderer, um – mit Verspätung – selber auf die Regierungsbank katapultiert zu werden. »Von den 20 % (bei den Landtagswahlen 2013) sind mindestens 5 % geliehen, dem Finanzskandal geschuldet«, das ist auch Cyriak Schwaighofer bewusst – und diese Quote belegt auch, dass nicht jedes grüne Wehklagen zu Recht ertönt  : Die Leihstimmen wären ohne Untersuchungsausschuss wohl nicht zu akquirieren gewesen – 2007, in der Debatte über die neue Geschäftsordnung des Landtags, hatte der grüne Klubobmann sich noch über ein angeblich »zahnloses Instrument« beschwert. Dafür zeigte es gerade bei der Finanzaffäre ganz schön Biss, vor allem politisch. Nach einer internen, von einer Parteizentrale beauftragten Analyse der Landtagswahlen 2013, gaben 36 % der Grün-Wähler als Grund für ihre Entscheidung entweder die »Aufklärungsarbeit im Finanzskandal« an oder »SPÖ und ÖVP einen Denkzettel zu verpassen«  ; krass schwächer waren andere Motive – etwa »Umweltund Energiepolitik« (mit 13 %) oder »frischer Wind für die Landespolitik« (11 %). Den Vorsitz im U-Ausschuss, der interessantesten Veranstaltung des Wahlkampfes, übernehmen zu können, sollte sich für die Grünen als Glückslos erweisen. Dabei hatte Rössler selbst daran noch Zweifel, als bei der Zufalls-Entscheidung der Zettel mit ihrem Namen gezogen und die Aufgabe ihr zugeteilt wurde  : »Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, was ist das bessere Los in dieser Situation. Denn es war klar, es wird Neuwahlen geben, es war klar, dass ich Spitzenkandidatin bin und

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es war klar, dass ich bis zum letzten Tag vor der Wahl im U-Ausschuss in jedem Fall jede Menge Arbeit unter größtem Zeitdruck machen musste, dass ja noch der Landtag gelaufen ist und wir wahlkämpfen sollen, zu zweit.« (Rössler)

Das war nur zu bewältigen, weil die Grün-Bewegung inzwischen nicht mehr ein Bündnis von Einzelkämpfern war, sondern ein Netzwerk geknüpft hatte, eines, das bis über die Grenzen reichte. Über dieses konnten auch die lokalen Niederlassungen auf spezialisierte »Leiharbeiter« zugreifen, in der Salzburger Finanzaffäre z. B. auf einen Münchner Experten mit Erfahrung in solchen U-Ausschüssen. Erst diese Professionalität öffnete die Tür zum politischen Erfolg – die Kerze des Aufklärers konnte nur tragen, wer wusste, wo diese hinleuchten sollte  : »Das war im nach hinein gesehen eine ganz kluge Entscheidung – wir haben Leute gehabt, die haben sich die Sachen angeschaut, haben so viel Erfahrung gehabt, zu sagen  : ›da, da – schaut’s bitte rüber ins Kammerl (den Dokumentenraum des Ausschusses) und schaut es euch an‹. Dadurch haben wir die richtigen Fragen gestellt und die richtigen Zeugen geladen und da war dann schon erkennbar, dass wir, in dieser Kernfunktion der Grünen, für Transparenz zu sorgen, auch politisch reüssieren können.« (Schwaighofer)

Die Grünen konnten via Finanzaffäre also nicht nur Kontroll-Kompetenz vorweisen, sie konnten auch wieder in jene Parade-Rolle zurückkehren, mit der sie groß geworden waren – jene als die einzigen Hüter der politischen Moral  : »Wir werden der letzte Rest des Stadtgewissens sein«, hatten Herbert Fux und Richard Hörl 1977 nach ihrem Marsch in den Gemeinderat in ihrer Fraktionserklärung angekündigt  ; vor den darauffolgenden Wahlen höhnte die Bürgerliste mit ihrem Sprecher Voggenhuber, das berühmte »Salzburger Klima« bestehe doch in Wahrheit aus »Geheimpolitik« und »Scheindemokratie«. Nach dem U-Ausschuss 2013 konstatierten die Landtags-Grünen in ihrem Abschluss-Papier in der Sache ähnlich, wenn auch im Ton weit höflicher  : »Einen erheblichen Teil des ›Spielgeldes‹ nicht öffentlich diskutieren zu müssen, war politisch gewollt und im Sinne der gesamten Regierung.« Das stand in der Tradition der Gründerväter – jedoch nur im Anspruch und nicht mehr im Stil. Rössler verzichtete als Vorsitzende des Untersuchungs-Ausschusses meist auf Polemik. Das lag zum einen daran, dass man sie sich weniger mit Megaphon und mehr mit Akt und spitzem Stift vorstellen konnte  ; zum andern genoss sie auch den Vorteil, dass die Befragungen inzwischen Richter leiteten. Christian Burtscher hatte das im Fall »WEB/Bautreuhand« noch selber übernehmen müssen, was ihn in den Geruch der »Inquisition« brachte. Ein Vierteljahrhundert später war die ÖVP durchaus davon angetan, wie eine Grüne einem Untersuchungsausschuss präsidierte  :

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»Es war ein ausschlaggebender Punkt, dass wir das Zutrauen gehabt haben, dass sie (die Grünen) das können. Durch die Vorsitzführung hat sich Rössler sicher ein Stück weit ›ministrabel‹ gemacht. Da hat man den Eindruck gehabt, die kann das.« (Wolfgang Mayer, Landesgeschäftsführer der Salzburger VP)

Die ÖVP hatte der späteren Partnerin schon beim Aufstieg zum Vorsitz die Räuberleiter gemacht. Sie unterstützte die grüne Kandidatin, die SPÖ jenen der Freiheitlichen – damit wurde überhaupt erst einmal Gleichstand hergestellt (im U-Ausschuss verfügten alle vier Fraktionen über je zwei Sitze) – ohne diesen wäre es zum (glücklichen) Losentscheid für Rössler erst gar nicht gekommen. Schon drei Monate vor den Wahlen wurden also neue Bande geknüpft. Burgstaller und Haslauer jun. hatten zu diesem Zeitpunkt bereits ihren Scheidungswillen bekundet  ; spätestens nach dem Wahlabend bekundete die ÖVP-Basis sehr deutlich, dass sie die schwarz-rote Ehe für aussichtslos hielt  : »Man hat den Wunsch nach Veränderung ganz stark gemerkt. Das waren SMS, Anrufe, Mails, Interventionen, Diskussionen in Parteivorständen, in Bezirksvorständen – es war ziemlich massiv und einhellig die Meinung  : ›wir können jetzt nicht more of the same anbieten, sondern brauchen etwas substantiell Anderes‹. Es war ab dem Wahlabend da und hat sich noch etwas verstärkt.« (Mayer)

Ein Bund mit den Grünen war inzwischen keiner mehr mit dem Teufel. Zehn Jahre vorher war der spätere Landesgeschäftsführer Mayer erstmals in die Organisation eines Landtagswahlkampfs »gestolpert« (wie er selber sagt)  ; schon damals ereignete sich zwar bereits Undenkbares (die ÖVP verlor den Landeshauptmann), aber kein Umbruch  : »Auch unter Burgstaller war es immer klar, es gibt eine große Koalition. Schwarz-Grün war damals eine absurde Vorstellung. Der Kommunisten-Vorwurf war aber in Salzburg dann weg, man hat die handelnden Akteure gekannt, die Landes-Grünen sind da eher als die pragmatischeren wahrgenommen worden.«

Selbst wenn es sie politisch oft auseinandertrieb – auch die soziale Nähe zwischen Schwarzen und Grünen war ein Fakt und nicht zu unterschätzen. Das galt schon für die Gründer-Generation der Bürgerliste (Richard Hörl war Bäckermeister, Eckehart Ziesel Richter, Johannes Voggenhuber kam aus einer großbürgerlichen Familie), aber selbst für Alternative (erinnern wir uns  : Michael Schallaböck war Sohn eines Militärarztes) – und zumal für die nächste Alters-Kohorte, die nun am Verhandlungstisch saß  : Cyriak Schwaighofer, ein Bauernsohn, hatte in seiner politischen Biografie einen Eintrag als Gemeindevertreter der ÖVP  ; Helmut Hüttinger, Klubobmann der

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von der ÖVP sonst misstrauischer beobachteten Stadt-Grünen, sagt selbst über seine Herkunfts-Familie  : »Die war eindeutig schwarz« und über Wilfried Haslauer jun.: »Er war auch ein Mitschüler von mir, wir waren gut befreundet im Gymnasium.« Steckt also etwas Wahres in dem pointierten Satz Grazer ÖVP-Berater (Bürgermeister Siegfried Nagl ließ sich 2008 auf eine Koalition mit den Grünen ein)  : »Die Grünen sind die Kinder der Schwarzen«  ? Immerhin bestätigte die schon zitierte interne Analyse, dass 2013 in Salzburg der breiteste Wählerstrom aus der ÖVP bei den Grünen einmündete – fast 11.000 Stimmen stark, das war mehr als der Abfluss an FPÖ und Team Stronach zusammengerechnet  : »Tatsache ist  : zwischen ÖVP und SPÖ findet kein Wähleraustausch mehr statt. Was sehr stark stattgefunden hat, ist der mit den Grünen. Dass – so absurd es klingt – bürgerlich und grün in Salzburg kompatibler ist als mit anderen, das stimmt durchaus. Im urbanen Bereich ist das sicher so, dass die Grünen zumeist aus ÖVP-Verhältnissen stammen, das ist richtig.« (Wolfgang Mayer)

Das war soweit also geklärt, gelöst war damit jedoch noch nichts. VP und Grüne brauchten (mit insgesamt nur 18 von 36 Landtagsmandaten) schon rein rechnerisch einen dritten Partner, was den Aufbau einer neuen Beziehung erst richtig kompliziert machte. Zur allgemeinen Überraschung waren es die Grünen, die Milde walten und niemand vom alten Regierungspaar draußen vor der Tür lassen wollten, auch nicht die Sozialdemokraten. Das muss uns Cyriak Schwaighofer, der Taktik-Verantwortliche, erst noch einmal erklären  : »Ich habe mir in meiner konsenssüchtigen Art und Weise gedacht, ›jetzt ist so viel kaputtgegangen, so kann es nicht weitergehen, das kann nicht die Zukunft sein, dass jetzt totale Feindschaften herrschen‹. Ich habe die Illusion gehabt, es müsste machbar sein, dass wir als Sieger dabei sind und man die zwei mittelgroßen Parteien beteiligt, damit nicht einer tödlich gekränkt übrig bleibt und opponiert, wo es nur geht. Das war meine ›Phantasie‹, sage ich als Gutmensch.«

SPÖ-Chef Walter Steidl kann sich sogar noch an ein Telefonat erinnern, bei dem »um 15.00 Uhr die Frau Dr. Rössler mir gegenüber erklärt hat, ›sie machen es nur mit uns, diese Dreierkoalition‹. Drei Stunden später war es anders – zwischen 15.00 und 18.00 muss irgendwas passiert sein«. Sicher ist – der Vorschlag aus der grünen Ehe-Beratung passte einfach nicht zur Stimmungslage von Wilfried Haslauer jun. und der ÖVP, was sie Rössler und Co. auch vermittelten. Es ging dabei aber nicht nur um Gefühle  :

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»Wir haben von Anfang an klar zu erkennen gegeben, dass das eine von uns ausgeschlossene Option ist. Richtig ist, dass wir in dieser Konstellation innerhalb der Regierung in der Minderheit gewesen wären. Wenn man das Spektrum hernimmt  : als Minderheitspartner sich Mehrheitspartnern gegenüber zu befinden, die links von einem selber stehen – das wäre für uns schwierig gewesen.« (Wolfgang Mayer)

Was auch immer die Motive für das Friedensprojekt der Grünen gewesen waren, sie hatten sich damit nicht schon im ersten Anlauf in die offenen Arme der VP-Führung geworfen. Zudem war nun auch den eigenen Reihen gezeigt worden, dass nur noch ein möglicher dritter Koalitionär übrig blieb (die FPÖ kam nicht infrage), wenn auch nicht der einfachste  : das Team Stronach. »Der schwierigere Part gegenüber der eigenen Basis war eher, zu erklären, warum man einen dritten Partner akzeptiert, der von Programm und Profil als nicht kompatibel mit uns erschien, das war das ›Team Stronach‹. Das war schwierig.« (Rössler)

Der von einem Industriellen gegründeten Partei hatten z. B. auch abgeklärte Wissenschaftler der Linzer Johannes Kepler-Universität »Marktradikalität« bestätigt, was mit der Gemeinwohl-Ökonomie der Grünen nicht zusammenging  ; aber auch der dann so viel besungene »Goldegg«-Faktor in der neuen Regierung erwies sich in Wahrheit als gar nicht förderlich. Schwaighofer und Mayr (Spitzenkandidat des Teams Stronach, seit 2008 Bürgermeister in der Pongauer Gemeinde) hatten eine gemeinsame Vergangenheit in der Kommunalpolitik, aber wenig gemeinsam  : »Ich habe ihn in Goldegg kennengelernt als einen, der tausend Dinge anfängt, aber bei weitem nicht alle fertig macht …«

… gab Schwaighofer, Leiter des Kulturzentrums dort, keine Personalempfehlung ab – und Mayr gab den Vorwurf zurück  : »Der Cyriak war ein Oberverhinderer … ich hatte mit ihm ein Leben lang ein schlechtes Verhältnis – er war mein Lehrer, wir haben miteinander Fußball gespielt, in der Gemeindepolitik haben wir uns in Goldegg bekriegt …«

Jetzt aber war, Goldegger Trauma hin oder her, Waffenstillstand angesagt, wenn nicht sogar ein Vernunft-Friede. Einen solchen hatte Mayr, ein ÖVP-Dissident, zuvor auch mit seinem früheren Chef Wilfried Haslauer jun. geschlossen, der dessen innerparteiliche Karriere nicht wirklich befördert hatte. Der damalige Salzburger Obmann des Team Stronach erfüllte zudem die Forderung der Grünen, sich vernehmlich vom Namenspatron zu distanzieren. Als der

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oststeirische Selfmademan z. B. die Gewerkschaften infrage stellte, schwor Mayr, er halte diese für »wichtige Säulen der demokratischen Ordnung«. Das bekundete er während der laufenden Regierungsverhandlungen. Doch schon zuvor und noch vor dem formellen Beschluss des grünen Landesausschusses am 22. Mai für diese Variante seien erste Kontaktgespräche angelaufen, gibt Mayr zu Protokoll  : »Es hat dann auch das erste Dreier-Gespräch gegeben mit Rössler, Haslauer. Rössler habe ich damals nur aus der Entfernung gekannt. Das war in den ersten zehn Tagen nach der Wahl (also zwischen dem 5. und dem 15. Mai, Anm. d. Verf.) … Wir sind da gesessen in der Kaigasse 14 im vierten Geschoss im Besprechungszimmer vom Haslauer, da haben wir uns immer getroffen. Zu Mittag hat sich alles verflüchtigt, für ganz geheime Verhandlungen in den eigenen Reihen.«

Diese vertraulichen Treffen machten schließlich den Weg frei zu dem, was wir die »Salzburger Pfingstgespräche« nennen wollen. Dabei wurde eine Grundsatz-Vereinbarung abgeschlossen, ein Pakt im kleinen Kreis, der wie so oft mehr Gewicht hatte als alle Papiere mitsamt Unterschriften. Zeitzeuge Wolfgang Mayer, VP-Landesgeschäftsführer  : »Am Pfingstmontag (dem 20.5.) hat es ein Gespräch mit den Grünen gegeben, wo wir dann gefragt haben ›trauen wir es uns oder trauen wir es uns nicht‹ und dann hat es geheißen, ›probieren wir es halt einmal‹ … Ich glaube, das waren Rössler, Schwaighofer, Haslauer und ich … Es war im grünen Klubbüro, wir sind hingegangen … Das hat ja noch lange nicht geheißen, dass es zur Koalition kommt, sondern dass man ernsthafte Gespräche führt und dass man sich die Freigabe für Gespräche holt und dass man exklusiv miteinander redet. Das ist ausgemacht worden und dass es tatsächlich den Willen gibt, etwas zu finden. Dieses Commitment (hier wohl am besten mit »Bekenntnis« übersetzt, MM) ist zu Pfingsten eingegangen worden – die ›Pfingst-Koa lition‹, vom Heiligen Geist inspiriert, m a n h at da nn dieselbe Spr ache gesprochen.«

In der Apostelgeschichte ist unter »Pfingstwunder« sogar noch mehr gemeint – nämlich, dass die versammelten Jünger über Vermittlung des Heiligen Geistes nicht nur andere Sprachen sprechen, sondern diese auch verstehen konnten. Lassen wir die Anspielungen auf das Neue Testament beiseite, machte möglicherweise ein anderes Zeichen starken Eindruck, eines aus der Signalsprache der Verhandlungstechnik  : Die ÖVP-Spitze war ins grüne Klubbüro im Chiemseehof gepilgert, und das sicher nicht, weil dort alle so freundlich oder die Räume so großzügig waren. Haslauer jun. ging aber nicht so weit wie die oberösterreichische VP, als sie 2003 den Grünen die Ernsthaftigkeit ihrer Heiratsabsichten deutlich machen wollte  : Am Nachmittag vor

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einem Termin im Linzer Heinrich Gleissner-Haus, ihrem Partei-Palais, fragte die Volkspartei an, was denn ein Barriere-freies Haus bieten müsse – Gunther Trübswasser, Mitglied der grünen Delegation, war Rollstuhl-Fahrer. Noch in der Nacht wurde bei den Schwarzen umgebaut. Als die grünen Strategen am nächsten Morgen das Haus betraten, waren sie sich sicher, dass sich da jemand um sie bemühte … In Salzburg 2013 sprach man allerdings auch nach dem Pfingst-Pakt bei einem nicht ganz unwesentlichen Kapitel noch nicht mit einer Zunge – nicht zufällig bei einer Machtfrage, der Aufteilung der sieben Regierungssitze. Streng arithmetisch standen der Volkspartei vier, den Grünen zwei und stand dem Team Stronach einer zu. Doch so simpel rechneten die Grünen nicht, unter Verweis auf den hohen Stellenwert des Landeshauptmanns. Die einfachste Lösung schien also, den etwas lästigen Dritten im Bund – Hans Mayr – mit einem anderen, eher protokollarisch wertvollen Amt zu entschädigen  : »Dann kam es, wieder in einer Dreier-Runde  : ›wir wollen euch nicht in der Regierung haben‹, vor allem die Grünen nicht … Sie wollen mich zum La ndtagspr äsidenten m achen, mit einer parlamentarischen Vereinbarung, dass wir mit unseren drei Mandaten die 18 Stimmen aufwerten. Ich wäre dem zugeneigt gewesen, denn dann hätte ich Bürgermeister bleiben können – in meinem über allesgeliebten Amt. Ich hatte wirklich ein breites Grinsen im Gesicht, aber da haben mir Naderer und Konrad nicht mitgespielt (damals noch Team Stronach-Abgeordnete). Im Nachhinein gesehen war das die einzige gute Beratung, die sie gemacht haben. Denn als Landtagspräsident hätte ich keine Chance zu überleben gehabt, nach der Periode.« (Hans Mayr)

Der Team Stronach-Obmann bestand auf einer Regierungsfunktion und drohte schließlich, andernfalls die Dreier-Koalition zu kippen  : »Ich habe gesagt, ›ich habe in diesen Wochen sehr, sehr viel gelernt und es ist jetzt so, wie es ist, ich gehe in die Opposition und werde Klubobmann‹ – so sind wir auseina ndergega ngen. Da nn k am ein A nruf vom H aslauer ›komm, setzen wir u ns noch einm a l zusammen‹.« (Hans Mayr)

Um einen Kompromiss bemüht, begnügte sich die ÖVP mit drei Regierungssitzen und verzichtete auf den vierten, den Grünen wurden ebenfalls drei zugestanden, einer dem Team Stronach überlassen. Zahlenmäßig hatten sich die Grünen durchgesetzt, die ÖVP hatte eine klare Botschaft erhalten  : »Es ist schon so gesehen worden  : ›wenn ihr das Team Stronach dabei haben wollt’s, dann muss auch die Aufteilung 3  :3  :1 akzeptiert werden‹». (Mayer)

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Damit ist er freigelegt, der Kern des schwarz-grünen Deals  : Der ungeliebte dritte Partner darf mit ins Boot, dafür können die Grünen Gleichstand mit den Schwarzen melden. Mit diesem Ergebnis konnten die Häuptlinge zu ihren Stämmen zurückkehren. Gerade in der ÖVP hatte das Management durchaus Druck verspürt, der Spielraum war eingegrenzt  : »Ich glaube, dass es für uns irrsinnig schwierig gewesen wäre, in eine große Koalition zu gehen, damit waren u nsere Optionen sehr, sehr eingeschr ä nkt. Die Erwartungshaltung der Basis war  : ›wir haben unter widrigsten Umständen den Wahlkampf geführt, wir sind mit großem Abstand als Nummer eins daraus hervorgegangen, wenn auch mit Verlusten und wenn jetzt dasselbe gem acht wir d, da nn wir d irgendwa nn die Gefolgsch aft verweigert, wenn es da nicht wirklich eine glaubhafte Erneuerung gibt‹.« (Mayer)

Haslauer jun. hatte – nicht zu vergessen – für die ÖVP den Landeshauptmann zurückgeholt und die Schmach von 2004 getilgt. Die Volkspartei wusste es deshalb zu schätzen, dass ihre Rolle als Nummer eins durch die Grünen anerkannt wurde  : »Es ist der Führungsanspruch der ÖVP nicht in Frage gestellt worden.« (Mayer)

Die Grünen hatten auch das zwischendurch eingelangte Lockangebot der SPÖ, Rössler zur Landeshauptfrau zu wählen, nicht wirklich ernst genommen. Schwaighofer traf zwar SPÖ-Chef Walter Steidl zu einem Gespräch im Kaffeehaus, zu mehr ließ er sich aber auch von Johannes Voggenhuber (»verlangt Mut…Chance zu historischem Neuanfang«) nicht verleiten  : »Bei uns war es eine kurze Debatte  : erstens, weil die Astrid Rössler meiner Meinung nach zu Recht gesagt hat, jetzt in eine Regierung zu kommen und dann gleich Landeshauptmensch zu sein, das ist ein Job, da kannst Du mit der Erfahrung von ein paar Jahren Landtag nur scheitern. Die Vorstellung war bei uns, wenn, dann wollen wir ein bissel länger regieren und nicht nach einer Periode mit dem Fetzen davongejagt werden, weil wir es einfach nicht ›dapackt‹ haben.« (Schwaighofer)

Wie schlugen sich die Grünen also in den Regierungsverhandlungen, der Königsdisziplin der Realpolitik  ? Professionell, beobachteten auch schwarze Routiniers  : Sie konnten mit Schwaighofer einen austrainierten Polit-Verhandler präsentieren  ; konnten auch wieder auf Know-how aus der Zentrale in Wien zurückgreifen und verfügten im Hintergrund durch Padutsch und Hüttinger über reiche Match-Praxis aus ähnlichen Runden im Schloss Mirabell. Das spiegelte sich in einer gewissen

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»taktischen Reife«, wie man das im Fußball nennt – die Fähigkeit einschließend, ein nützliches Ergebnis auch nach Hause zu bringen. Die Trophäen waren nun verteilt  ; doch welche politischen Einfluss-Reviere konnten und wollten die Grünen sich sichern  ? Gewiss – die Integration gehört zu den verantwortungsvollsten Aufgaben überhaupt, das Sozialressort zu den finanziell am besten ausgestatteten und vor allem die Raumordnung war ein weites Feld für eine ehrgeizige Politikerin, die dort mehr unternehmen wollte als den herrschenden Wildwuchs zu verwalten. In das, zugegeben, Dickicht mit den meisten Dornen wagte sich jedoch kein Land-Grüner – ins Verkehrsressort. Die Chefin hatte noch einbekannt, was für eine Öko-Partei ohnehin selbstverständlich sein musste – zu den »großen Themen gehört Mobilität im Zentralraum«  ; aber das war vor den Wahlen  : »Es wäre undenkbar gewesen, Umwelt und Naturschutz nicht zu nehmen. Mir war klar, dass Raumordnung die Basis für alles ist, wo man wirklich etwas gestalten kann und Änderungsbedarf da ist … Am ersten Tag der Ressortaufteilung hat der Cyriak Schwaighofer gesagt, ›die Raumordnung brauchen wir nicht‹ (lacht), ich habe sofort eine Auszeit genommen und wir haben uns sofort zurückgezogen und ich habe gesagt ›Cyriak, die Raumordnung ist ganz wichtig‹. Dann hätte ich aber zu diesen dreien noch den Verkehrsbereich dazu gehabt, das hätte ich nimma dahob’n.« (Rössler)

Die Chefin wollte nicht und ein anderer Kandidat fand sich nicht – auch wenn Johann Padutsch, Schmerzen gewohnt, forderte, die Last zu schultern  : »Wir waren der Meinung, dass die Baudirektion unbedingt in grüne Hand gehört, das wäre auch der Verkehr gewesen … Dort geht es um viel Geld, das in den Verkehr fließt und wo du wirklich Weichen stellen kannst und es geht um die Weichenstellung in der Verkehrspolitik insgesamt. Frage des Verf.: ›Wieso hat man das nicht gemacht  ?‹ Antwort Padutsch  : ›Weil es keinen gegeben hat, der sich dafür interessiert hat. Dem Heinrich (Schellhorn) ist es wichtig, dass er auch repräsentieren kann … Ich selber habe nur ganz kurzfristig mit einem Wechsel geliebäugelt.«

Auch grüne Nachdenker kommentierten resigniert, dass mit dem Verkehrsthema nichts zu gewinnen sei  ; während doch Ingrid Felipe in Tirol oder Johannes Rauch in Vorarlberg darin sehr wohl eine Chance entdeckten. In Salzburg verzichtete man auf eine Schlüssel-Kompetenz und überließ sie Hans Mayr. Umkämpfter waren da schon die Repräsentationsflächen. »Kultur« und »Volkskultur« sollten unter einem Dach vereint werden, jenem von Schellhorn. Zeitzeugen beschreiben die nicht undramatischen Minuten bei diesem Tagesordnungs-Punkt  :

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»Fast gescheitert wäre es an der Kultur. In der Volkskultur hätte es auch keinen profunderen gegeben als mich, ich bin seit 40 Jahren bei der Musikkapelle und war Landesobmann und Bezirksobmann und kenne die ganze Geschichte in- und auswendig …« (Hans Mayr) »… das ist dann so gelöst worden, dass der Heini Schellhorn dem Hans Mayr – nachdem wir kurz unterbrochen haben – versprochen hat, dass er natürlich zu Veranstaltungen gehen darf und dort begrüßt wird. Dann ist das akzeptiert worden, also dass er sich aus persönlichen Interessen gerne um die Volkskultur weiter kümmern darf.« (Wolfgang Mayer)

Brauchtum kann auch verbinden … Gerade vor Weihnachten entfaltet es eine fast unwiderstehliche Kraft. Dreieinhalb Jahre nach diesen nicht immer freundlich geführten Verhandlungen fanden sich die früheren Kampfhähne aus Goldegg, Mayr und Schwaighofer, ebendort sogar zusammen, um gemeinsam zu singen  : »Der Rudi Quehenberger (Unternehmer und früherer Chef des Fußballklubs Austria Salzburg) feiert immer vor Weihnachten in Goldegg ein Adventfest mit seinen Freunden. Der Cyriak hat mich am Tag davor angerufen und gesagt, seine Frau und er hätten da so eine Idee – ob wir nicht miteinander das Lied von der Herbergssuche singen könnten. Wir haben das auch gemacht. Wir haben miteinander gesungen, seine Frau hat Gitarre gespielt, ich habe den Wirt gesungen, er den Joseph.« (Hans Mayr)

(Anmerkung  : Schwaighofers Frau Elisabeth Promegger, eine frühere Gemeinderätin, war als »Maria« im Salzburger Adventsingen bekannt geworden – was wieder den Wert professioneller Begleitung für die Grünen demonstriert). Regieren bedeutete in diesem Salzburger Modell eben die ständige Suche nach Harmonie … Astrid Rössler z. B., die angebliche oder wirkliche Ausbaupläne des Flughafens ständig auf ihrem Radarschirm hatte, unterschrieb im Arbeitsübereinkommen von VP, Grünen und Team Stronach 2013 unter der Überschrift »Standortentwicklung«  : »Wir bekennen uns zum Flughafen Salzburg als bedeutendstem Regionalflughafen Österreichs« – eine Garantie-Erklärung, die die ÖVP zur Bedingung erhoben hatte.

Selbst die Öko-Juristin kann aber noch ihre Überraschungen erleben, nicht nur realpolitisch, sondern in der Realität (die ist ja wieder etwas anderes)  : Z. B. als sie, entspannt lächelnd wie selten, auf ihrem Tablet-Computer eine App über Waldrappe aufruft, schwarze Vögel mit langem rotem Schnabel. Die Farbkombination schwarz-rot ist nicht nur in der Politik im Aussterben – die Waldrappe sind Zugvögel, sie waren hierzulande schon ausgerottet. Das Land ist Partner in einem

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EU-Projekt, bei dem sie wieder angesiedelt werden sollen, in Mitteleuropa, ihrer alten Heimat. Rössler hat die Patenschaft über Ombra übernommen, einen der ersten beiden wieder in Freiheit geschlüpften Jungvögel in Salzburg. »Die sind immer besendert«, erläutert die Natur-Liebhaberin, »das sehe ich auch als meine Rolle, bewusst zu reflektieren und ein bisschen zu mahnen, das ist mein Part und zu sagen, ›wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten‹.«

Und wo treffen sich nun Ombra und die anderen, bevor sie in den Süden aufbrechen, in die Toskana  ? Es ist kein Ort, auf den irgendjemand tippen würde in einem Ratespiel  ; es ist nicht einmal einer, auf den Kabarettisten verfallen würden in einem Satire-Programm und es ist einer, bei dem sich auch Astrid Rössler sich eines Schmunzelns nicht enthalten kann  : »Die sind jedes Jahr ziemlich oft und lang beim Flughafen, ich sehe sie jetzt auch im Herbst (2016, Anm. d. Verf.). Das ist ein Phänomen, dass die Burghausener und die Seekirchner und die Kuchler sich am Flughafen getroffen haben und wir wissen eigentlich nicht, was dahinter ist. Die verwenden ja den Sender (bei dem sie sich treffen) nicht, um miteinander auszumachen, ›treffen wir uns halt um fünf am Flughafen‹, sondern da ist ein Zugverhalten und offensichtlich ein Bewusstsein für ein Schwarmverhalten, das sie aus unerklärlichen Gründen auf das Flughafengelände bringt und dann rundherum. Sie schlafen auf einem Sendemasten am Mehrlgutweg, das ist am Südende bei der Kendlerstraße, da sitzen sie dann alle auf dem Handymasten, da sind so viele ›Äste‹ …«

Eine Vogelschar, die sich wie eine Reisegruppe beim Salzburg-Airport trifft, um von dort aufzubrechen zur Reise in die Zukunft  ? Kann sich das jemand ausdenken – nein … Es bietet sich nur eine Erklärung an  : dass selbst die Natur zwischendurch Flugh äfen und H andy-M asten ziemlich pr aktisch findet. Es ist ein Anpassungsprozess, fast als hätten ihn die Grünen absolviert. Die Bürgerliste in der Landeshauptstadt hat ihn schon viel länger hinter sich. An ihr kann, wer an der Natur von Politik interessiert ist, beobachten, ob und wie dabei die eigene Identität zu bewahren ist, wieweit ein auf Kompromiss genordeter Kompass vom eigenen Kurs ablenkt und welche »grünen Linien« womöglich nicht überflogen werden sollten.

7. Ist das noch die Bürgerliste  ? Johannes Padutsch, Heinz Schaden

Natürlich war »ein wirklich sehr enger Kontakt zwischen ihm und mir da« sagt Johann Padutsch und spricht vom roten Bürgermeister Heinz Schaden  : »Ich habe ihn auch gefragt, ob er mich traut, was ihn wahnsinnig gefreut hat. Es war schon eine Standesbeamtin dabei, aber es war bei ihm im Büro.«

Das war 2013, als der grüne Stadtrat seine zweite Frau heiratete. Die politische Ehe zwischen Rot und Grün hingegen wurde zwar vollzogen, aber nie beurkundet, wie beide Partner glaubhaft versichern  : »Es wurde formell nie etwas abgeschlossen.« (Padutsch) »Es gab niemals eine formale rot-grüne Koalition.« (Schaden)

Frühes Vertrauen, das gab es allerdings schon. Padutsch hatte sich 1999 Chancen auf das Bürgermeister-Amt ausgerechnet, eine Kalkulation, die schon wegen der öffentlich ausgetragenen Familienfehde bei den Grünen nicht aufging – worauf die Bürgerlisten-Mandatare vor der Stichwahl eine kaum noch verhüllte Wahl-Empfehlung für Schaden abgaben. Der nahm Politik stets auch sehr persönlich – und war gerührt  : »Weil – und das ist für mich entscheidend – 99 bei der Stichwahl zwischen Karl Gollegger und mir bei einer Veranstaltung im Petersbrunnhof der Johann Padutsch dagesessen ist, bei einer SPÖ-Veranstaltung wohlgemerkt. Er hat offen seine Unterstützung für mich in der Stichwahl bekundet, obwohl wir vorher Konkurrenten um das Bürgermeisteramt waren und er damals sehr gute Chance hatte. Sie haben mobilisiert.« (Schaden)

Die Bürgerliste half damals mit, den SP-Kandidaten auf den Thron zu heben – und ein Thron war es, wenn auch ein »demokratischer«  : der Bürgermeister trug zwar nicht Hermelin, wurde aber erstmals direkt durch Volkswahl legitimiert  ; dies und der Rang als oberster Repräsentant gaben ihm jede Chance, die Hand für lange Zeit auf die Stadtschlüssel zu legen. Er war allerdings kein absoluter Herrscher – schon deshalb nicht, weil auch die Mehrheit der SPÖ im Gemeinderat keine absolute war. Es blieb dem Herren von Mirabell nicht erspart, sich Partner zu suchen.

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Dabei erwiesen sich die Grünen in der Stadt aus Sicht des Bürgermeisters als überaus paktfähig. Sie waren auch bereit, bei leicht schmerzhaften Therapien zu unterschreiben  : »Die Bürgerliste hat sogar mitgezogen, als ich im ersten Budget, das ich zu verantworten hatte, für das Jahr 2000, Subventionen gekürzt habe – bei den Festspielen angefangen, mit minus drei Prozent, aber natürlich auch beim Klientel der Bürgerliste, beim Dachverband der Kulturstätten z. B.« (Schaden)

Das war der Preis, der zu bezahlen war. War er es wert  ? Die Gegenleistungen seien beachtlich, rechnet Klubobmann Helmut Hüttinger vor, ein Experte in diesem Fach  : »Das Mittragen des Budgets war Teil meiner politischen Arbeit, weil mir klar war, dass ich dann politisch was erreichen kann, wenn ich in wesentlichen Fragen Partner bin. Mir ist es auch in den jetzt 25 Budgets gelungen, unsere wesentlichen Vorstellungen unter Berücksichtigung unserer Stärke einzubringen. Wir haben da von den Vorstellungen nicht 15 % drinnen, sondern 30 % – Kultur, Soziales, die Seniorenheim-Sanierung … Wenn es uns nicht gäbe, gäbe es jedes Jahr auch nicht mindestens eine Million € für das Radwege-Budget.«

Die Spitzen der Bürgerliste überließen sich dieser politischen Logik fast völlig. Deren Ertrag war natürlich am größten, wenn der SPÖ-Bürgermeister im Dauerstreit mit der ÖVP lag und er für eine Mehrheit auf die Grünen angewiesen war – wie nach den Wahlen 2009  : »Es war gerade 2009 bis 2014 eine Phase, wo einiges gelungen ist. Das war die Phase, wo es mit der SPÖ besser gegangen ist, wo Du auf der informellen Ebene viel besser vorbereiten konntest als so, wie es die Jungen immer machen – die glauben, wenn sie einen Journalisten anrufen und in der Zeitung stehen, dann passiert etwas. Aber deswegen wird der Schutzweg noch lange nicht gebaut oder die Kultureinrichtung subventioniert.« (Hüttinger)

Man muss da schon genau hinhören  : Der Fraktionschef hielt es oft für nützlich, auf Öffentlichkeit zu verzichten, womit die Bürgerliste zumindest zeitweise eine ihrer schärfsten Waffen (der Ausdruck sei verziehen) an der Garderobe abgab – jene, mit der sie sich in der Gründerzeit ihren Weg freigekämpft hatte, um sie bei Offensiven jederzeit wieder zu ziehen. Interessanterweise wurde aber einer der größten Erfolge dieser Zeit und einer mit Langzeit-Wirkung erstritten, als Bürgerinitiativen wieder einmal vernehmlich von außen ans Rathaus-Tor pochten  : ohne Flugblätter, ohne Unterschriften-Sammlung

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und ohne Bürgerbegehren wäre die Grünland-Deklaration nicht in die Stadt-Verfassung eingeschmiedet worden – womit sie dann kaum noch auszuhebeln war. Vorher war sie nur ein politischer Schwur gewesen, zu dem man sich bekennen, ihn aber per Mehrheits-Beschluss auch jederzeit brechen konnte. Richard Hörl, einer der großen alten Kämpfer der Bürgerliste, der für diese Initiative noch einmal ausgerückt war, hinterließ eine Lehre  : die größte Durchschlagskraft entfaltete die Grün-Bewegung immer noch, wenn sie sich nicht in die Sitzungszimmer sperren ließ. Fraglos war es am leichtesten, für ein Schutz-Projekt zu mobilisieren, zumal eines für die Stadtlandschaften. Dieser Auftrag stand ja quasi in der Vereinsurkunde der Bürgerliste. Es traf sich deshalb nicht wirklich gut, dass zu den häufigsten Aufträgen des rotgrünen Joint Venture ausgerechnet Bauprojekte gehörten. Man mag das Ironie der Geschichte nennen – frühere Mitstreiter nahmen es ernsthaft übel. Fundamentiert wurde die »Arbeitsgemeinschaft« beim Uni-Park (eröffnet 2011) im Stadtteil Nonntal, sensibel zwischen Altstadt und Freisaal gelegen – als der Planungs-Stadtrat Padutsch und der frisch gewählte Bürgermeister Schaden die alten Pläne einfach verwarfen. Das bewährte sich sogar. Architektur-Kritiker bestätigten, der Sieger-Entwurf habe den »Landschaftsraum von Freisaal wieder tief in die Stadt hereingeführt« und »Kloster Nonnberg und Festung (würden) pittoresk in Szene gesetzt« – womit Ikonen der Bürgerinitiativen Tribut gezollt wurde. Auch nach dem Ausbau des Europark (abgeschlossen 2005), einem der größten Einkaufszentren in Westösterreich, bestritt am Ende niemand, dass der Druck des Gestaltungsbeirats (einer »grünen« Erfindung) das Niveau gehoben hatte und vermutlich sogar den Umsatz  : »Gemeinsam mit dem Salzburger Gestaltungsbeirat ist es gelungen, bei der Entstehung des EUROPARK Salzburg zukunftsweisende Schritte in der Handelsarchitektur zu setzen«, war bei einer Ausstellung zu »30 Jahren Gestaltungsbeirat« die Laudatorin aus dem SPAR-Konzern ganz hingerissen. Der hatte einst einen Wettbewerb nur »zähneknirschend akzeptiert« (Kapfinger u. a.: »Baukunst in Salzburg seit 1980«) – jetzt bedankte sich die Sprecherin für »perfekte Zusammenarbeit in der Stadtentwicklung«. Ein Großunternehmen lobte das grün geführte Planungsressort. Was hatte Padutsch damit bewiesen  ? Dass man sich mit ihm arrangieren konnte, dass ein Realo der Wirtschaft nicht automatisch die Luft abschnürte und sogar, dass dieses »Salzburger Modell … mittlerweile zum Exportschlager« taugte (Zitat Schaden) – aber auch, dass er das Erbe der Bürgerliste sichern konnte  ? Stadtplanerisch und architektonisch konnte es nicht ohne Folgen bleiben, dass die Grünland-Deklaration in den »Heiligen Schrein« der Stadt aufgenommen worden war. Wenn man »zum positiven Wachstum beitragen« wollte wie z. B. Walter Angonese, Vorsitzender des Gestaltungsbeirats ab 2014, dann war »Verdichtung ein Thema, dem man sich nicht verschließen kann«. Padutsch teilte dieses Fachurteil, war sich aber der Risiken bewusst  :

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»Das Grünland zu schützen, nicht nur, indem man eine Grünland-Deklaration macht und die verbindlich in ein Gesetz gießt, sondern auch in der Konsequenz eine urbane, dichte Stadtentwicklung zu machen, weil irgendwo die Wohnungen und die Arbeitsplätze ja entstehen müssen – diesen zweiten Teil brauchen die Leute nicht. Denen reicht der erste Teil, da sind wir die Unschuldigen – wir schützen das Grünland und das ist gut und zwar ohne Einschränkungen. Die Konsequenz daraus, eine dichte Stadtentwicklung zu machen, kommt bei derselben Klientel schon überhaupt nicht mehr so an.«

Wie wahr – es vertiefte auch und gerade bei Veteranen der Bürgerliste die Zornesfalten noch, etwa bei Eckehart Ziesel, dem früheren Klubobmann und Protestbürger aus Aigen  : »Was jetzt besonders schlimm ist, das sind diese Verdichtungen – wo unter dem ›Lendenschurz‹ der Bekämpfung der Wohnungsnot die Spekulanten die Einfamilienhäuser kaufen, diese abreißen und dreimal so hoch hineinbauen….Das hat aber keinen Sinn – die können nicht die ganzen Strukturen zerstören, die Einfamilienhaus-, Zweifamilienhaus-Gebiete sind. Die Wohnungssuchenden können sich doch diese Angebote gar nicht leisten.«

Reportagen aus der Realität Manche mit Villa, manche ohne Ein Wohnbau-Projekt – und wie die schweigende Mehrheit zu sprechen beginnt Keine Frage, es droht wieder einmal der Untergang – diesmal der Riedenburg, durch »Monsterbauten und Wohnghettos«. Aber die Verteidiger sind nicht fern und bereits organisiert, in der Initiative »SOS Lebensraum Riedenburg«, einem »schnell wachsenden« Zusammenschluss von Bewohnern, also von Leuten, die das Leben dort schon genießen. Die Riedenburg grenzt an die Salzburger Altstadt, getrennt von ihr nur durch Rainberg und Mönchsberg. Eine neue Luxus-Wohnanlage dort wird beworben mit einer »Infrastruktur«, die »vorbildlich« sei, auch wegen der »Gemüsemärkte und Feinkostläden«  ; »Laufstrecken und Spazierwege« seien »allesamt zu Fuß erreichbar«, gleichzeitig lasse sich »das gesamte Repertoire der barocken Altstadt nach einem kurzen Spaziergang durch das Neutor erschließen«. All das ist sogar richtig, der Prospektwahrheit wird durchaus Genüge getan – die Wohnlage ist eine der »begehrtesten der Stadt Salzburg«. Doch nun sollen in diesem »Top«Viertel keine »Penthouses« landen, sondern Sozialwohnungen. Ein ImmobilienEntwickler und vor allem die GSWB, die größte Wohnbaugesellschaft des Landes,

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haben dem Bundesheer die Kaserne in der Riedenburg abgekauft, die älteste der Stadt, sie wollen dort nun mehr als 300 Wohnungen hineinsetzen, den Großteil davon gefördert. Unstrittig ist  : einen so ruhigen Nachbarn werden die Riedenburger nicht mehr bekommen, angesichts der damals noch äußerst zurückhaltenden österreichischen Militärpolitik. Aber das fast vier Hektar große Grundstück ist eben, das sagt auch der grüne Planungs-Stadtrat Johann Padutsch, das letzte noch unverbaute in einer derartigen Nähe zum Zentrum. Zur Bürgerinformation hat die Stadt vorsichtshalber gleich ins Kongresshaus eingeladen, ein Gasthaus-Saal hätte für die interessierte Zuhörerschaft nicht gereicht. In den Morgenausgaben der beiden größeren Zeitungen hat sich die Bürgerinitiative zum Aufwärmen gleich mal über »DDR-Bauten« beschwert  ; stattdessen gehöre die Scherzhauserfeld-Siedlung im Stadtteil Lehen aufgestockt. Dort ist man (dichten) sozialen Wohnbau schon seit den 20er-Jahren gewohnt. Selten ist das Floriani-Prinzip unmaskierter zum Vorschein gekommen. Die Pläne, die die Architekten zeigen, sind schon überarbeitete. Auf denen sind viele grüne Flächen zu sehen und wenig Häuser  ; was daran liegt, dass die Häuser hoch sind, bis zu acht Geschoße hoch. In Salzburg reicht das, um sie als »WohnTurm« einzustufen, was manche selbstverständlich verunglimpfend meinen. Die Stadtplaner kämpfen, geben sich aber geduldig  : »Die Höhe der Gebäude steigt nur stufenförmig an, von der alten zweigeschossigen Villa weg«, sagt der zuständige Beamte mit sanfter Stimme und der Vertreter des Wettbewerbs-Siegers zielt mit dem Laserpointer auf drei Baukörper, »architektonische Cluster«, wie das heute heißt, im 21. Jahrhundert. Sie sollen für Bewegung stehen – bzw. nicht nur stehen  : »Einer liegt, einer kniet, einer steht«. Im Fach Architektur-Prosa ist dieses Projekt für Salzburg mit Sicherheit ein Fortschritt. Respekt vor der Vergangenheit demonstriert es mittlerweile auch, erst auf Druck der Jury freilich – den zunächst geplanten Abriss der Villa hat sie verhindert, denn der schaffe »keine Vorteile«, offenkundig nicht mal für den Investor. Die Villa ist ein Erbe aus dem Biedermeier, einst betrieben hier Kattundrucker eine Manufaktur, nun sollen Gelbholz-Bäume aufgereiht werden, mit deren Rinde die Baumwolle gefärbt wurde. Mehr Sensibilität geht nicht  ; abgesehen von der »Parklandschaft, die die Bestandsbäume integriert und durch Flügelnuss, Baumhasel und Buchengewächse ergänzt«, vom »Wegeband«, das von »Stauden und Gräsern« gesäumt wird und von Höfen, die »mit essbaren Kornobst-Gehölzen bepflanzt werden«. Selbst wenn wir annehmen müssen, dass Gehölze schwer verzehrbar sind, ist der gute Wille unverkennbar in der Öko-Poesie, zu der sich Landschafts-Planerinnen inzwischen aufschwingen müssen. Nur die Bürgerinitiative widersteht der grünen Versuchung. »Wir sollen den Lärm und den Dreck schlucken«, empört sich Sprecherin Mathissa Berger, »das wird nicht gehen, dass man eine Insel der Seligen schafft und wir sind die Blöden.« Ist mittlerweile der Neid die Produktivkraft der Bürgerbewegung  ? An diesem Abend passiert

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jedenfalls etwas Neues, fast Unerhörtes, etwas, das man von Bürgerversammlungen bisher kaum gekannt hat  : Der Reihe nach stehen Menschen auf, in aller Öffentlichkeit und plädieren dafür, zu bauen – eine Mutter (»mich stört das nicht, Höhe ist besser als Dichte«), ein Beamter aus der Sozialabteilung (»ich bitte die Bürger, auch an jene zu denken, die erst eine Wohnung suchen«), eine Anrainerin (»ich weiß nicht, ob in Gramatneusiedl oder in Wien jemals ein Projekt so liebevoll betreut wurde«). Und es meldet sich Frau Faber. Sie verfolgt auch ihr Eigeninteresse in dieser Debatte, aber ein anderes als die Bürgerinitiative  : Sie möchte einziehen in die neue Siedlung, denn dort wird »betreutes Wohnen« angeboten werden. Claudia Faber, 65, leidet an MS, an multipler Sklerose, sie weiß nicht, ob sie in ihrer jetzigen Mietwohnung in der Altstadt bleiben kann, sie muss vorausdenken. Halskette, sorgfältig frisiertes graues Haar, die Sprache Hochdeutsch – man steht vor einer gepflegten Dame, beim Gespräch danach, einer »Bürgerlichen«. Sie kennt sich aus in der Innenstadt. »Wissen Sie«, lächelt sie, »manche, die das hier angefacht haben, die haben selber ein Haus, die haben sich nie um was kümmern müssen  !« Und tatsächlich – die Riedenburg ist ein alter Siedlungsraum, ein sehr alter. Selbst auf der Homepage der »SOS«-Gruppe findet sich der Hinweis, dass »zahlreiche Höhlensiedlungen auf dem Rainberg in Salzburg«, schon »für die Jüngere Steinzeit eine intensive Besiedlung« belegen. Manchmal ist die Vergangenheit wirklich keine Hilfe. (Anmerkung  : die Bürgerversammlung fand im November 2014 im »Salzburg Congress« statt) *** Kritische Stadtplaner wie Rudolf Strasser, Amtsleiter in der Voggenhuber-Ära, wenden bei solchen Debatten ein, dass der Süden der Stadt mit seinen Wiesenflächen und Villenvierteln auch weiterhin bevorzugt sei – verglichen mit dem Norden, wo traditionell eher geklotzt wurde. Denn das »Ungleichgewicht zwischen Nord und Süd« sei gerade auch durch den großflächigen Grünlandschutz »festgefroren«. Ein Veteran wie Eckehart Ziesel, der die erste Deklaration noch mitverhandelt hatte, lässt sich durch solch fachliche Befunde nicht beruhigen  : »Ich habe auch dem Padutsch vorgeworfen, er dürfte gar nicht mehr als Bürgerliste kandidieren, sondern er müsste als Grüner antreten. Unsere Ziele werden nicht mehr behandelt … Unsere ursprünglichen Anliegen scheinen ihn nicht zu interessieren.«

War die Bürgerliste also noch die Bürgerliste  ? Auf jeden Fall war jene von Eckehart Ziesel eine andere gewesen als die von Johann Padutsch  :

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»Es ist schon eine Grenze überschritten worden, weil die Leute das nicht als unsere Kernthemen sehen oder anders gesagt  : es gibt mehr Leute, die der Meinung sind, dass wir uns nicht für eine dichte, urbane Entwicklung der Stadt einsetzen sollen, sondern für das Gegenteil. Wir sollen eher die Baumafia in Schach halten und schauen, dass die nicht zu dicht bauen. Ich glaube, dass du mit Projektentwicklung als Grüner nicht wirklich viele Meter machst.« (Padutsch)

Auf die harte Tour erfuhr dies der grüne Bürgerlistler bei einem Bauvorhaben am Rand der Altstadt. Und auch wenn Padutsch aus Sicht der Sachkundigen sonst mit vielem Recht hatte – die Stadt konnte nicht einfach unter einer Schutz-Glocke erstickt werden –, so war genau dieser Streitfall ein sehr schlechtes Beispiel. Er wurde unter dem Namen »Rehrlplatz-Projekt« bekannt. Dieser Platz, der eigentlich gar keiner war, sondern eine eher vorstädtisch anmutende Ansammlung von Parkstreifen, Tankstelle und Bank-Kiosk, schrie nach einer ordnenden Hand. Was ein Bauträger mit Hoffnungen auf ein gutes Geschäft an Ordnung anbot, bestand aber im Wesentlichen aus einem Dutzend Eigentumswohnungen – »völlig unangemessen«, wie sich erfahrene Stadtplaner wunderten, »für Dritt- oder Viertwohnungen ist der Standort zu Schade und es ist überhaupt schade, einen derart zentralen Standort für so eine Geschichte zu verbraten«. (Rudolf Strasser). Alsbald entfachte ein Anrainer als selbsternannter Wiedergänger von Herbert Fux eine Initiative unter dem Traditions-Label »Rettet Salzburg«, was ihm mehr als 10.000 Unterschriften einbrachte. Die Kritik des Komitees konnte aber nicht einfach unter »Florianiprinzip« abgelegt werden, sie traf einen Nerv – nämlich, wer hier wem die Hand führte  : Es sei »die größte Sünde gewesen, dass man es einem Bauträger überlässt, die Bebaubarkeit eines Grundstücks zu definieren« – Gerd Cziharz, Architekt, vertrat den »Salzburger Stadtverein«, ein konservatives Organ, aber er machte damit einen Punkt. Ohne Bebauungsplan für die Altstadt sei »der Spekulation Tür und Tor geöffnet« – so etwas musste sich die Bürgerliste mittlerweile von der Konkurrenz anhören. Die »Bürger für Salzburg« kosteten das Original bei den Wahlen 2014 ein Mandat. Der Bürgerlisten-Stadtrat hatte sich stets hinter das Projekt gestellt. Es wurde später um ein Stockwerk »geköpft« – Padutsch rechtfertigte die zunächst offensichtlich große Nachgiebigkeit mit Naivität  : »Wir haben damals formuliert, ›es geht nicht um Quadratmeter, es geht darum, die städtebaulich adäquate Lösung für den Ort zu finden‹ … Die meisten Teilnehmer haben sich dann bemüßigt gefühlt, das (die Anforderungen des Bauträgers, MM) irgendwie unterzubringen. Ich habe die Architekten da schon wieder viel zu idealistisch gesehen. Normalerweise wird in der Ausschreibung eine Dichte formuliert.«

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Ob aus Vertrauensseligkeit (sofern man die nach zwei Jahrzehnten im Planungsressort konzedieren durfte) oder aus Kalkül – die Bürgerliste-Stadt hatte hier ihr Marken-Versprechen aufgegeben. Das bestand ja, wenn schon Bauen an sich nicht mehr als Werk des Teufels betrachtet wurde, eben darin, diesem wenigstens Ketten anzulegen. Selbst Fraktionsmitglieder konnten nicht mehr folgen. Hier und bei anderen Ansinnen war für sie die Freundlichkeit zu weit getrieben worden  : »Ich finde auch, dass der Platz dort verbaut werden sollte. Worum es mir geht, ist die Frage, wenn ich auf so einem Platz so hochwertige Büros und Wohnungen baue, warum kann ich dann nicht einen Teil von dem, was ich dort erwirtschafte, wieder der Allgemeinheit zurückgeben  ? Man hätte z. B. Räumlichkeiten finden können für Startups, für Kulturinitiativen. Wenn ich schon eine Dichte bekomme, wenn ich die Möglichkeit habe, dort zu bauen, dann möchte ich, dass die auch was zurückgeben, das ist in dem Bereich dort überhaupt nicht der Fall …«

… moniert die stellvertretende Klub-Chefin Ingeborg Haller, keineswegs eine aus der alten Garnitur der Grünland-Schützer, sondern eine Menschenrechts-Juristin aus der neueren Bürgerliste. Sie verweigerte in diesem Fall und auch bei einer Umwidmung für einen der größten Immobilien-Investoren der Stadt ihre Zustimmung. Zwar hielt der Zement selbst bei einem Belastungs-Test wie auf dem Rehrlplatz, aber unter »nachhaltiges Bauen« fiel die rot-grüne Konstruktion deshalb noch nicht – sie war immer wieder einsturzgefährdet. Dabei hielt es Padutsch für »wichtig, eine gewisse Verlässlichkeit auszustrahlen und das haben wir getan«  ; wohl auch, um das alte Vorurteil von Unberechenbarkeit der Grünen zu widerlegen. Die Bruchstelle sei aber der rote Partner, musste der grüne Klubobmann lernen  : »Schaden ist mehrfach wort-brüchig geworden, in dem er vorher etwas gesagt und dann etwas anderes gemacht hat.« (Hüttinger)

Ein hartes Urteil – und in der Sache  ? Nicht zu widerlegen ist, dass z. B. im Gemeinderat mithilfe der SPÖ der Ausbau der direkten Demokratie im Jahr 2013 bereits beschlossen war und damit eine Vision von Gründervater Richard Hörl wahr zu werden schien  : Bürgerinitiativen sollten endlich »bei Tisch« zugelassen werden und z. B. im Gemeinderat Anträge stellen können, mit einem Volksentscheid als Endstufe. Zwei Jahre später entsorgte eben diese SPÖ das komplette »Salzburger Modell« ins Altpapier, diesmal zusammen mit der ÖVP – wegen einer »Überdosis« (Demokratie nämlich), der vor allem stadtnahe Unternehmen nicht ausgesetzt werden dürften. Hörl war höflichkeitshalber als »Experte« zur Rathaus-Debatte geladen  ; in der Machtfrage habe sich nichts geändert, urteilte er als wahrer Fachmann rund vier

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Jahrzehnte nach seinem Einstieg in die Politik – und wurde, inzwischen mit leicht zitternder Stimme, das Haar grau-weiß, eine letzte Warnung los  : »So ist es gute alte Tradition in Salzburg … Das Volk verspürt den Verfall der politischen Glaubwürdigkeit.«

Noch 2013 hatte der Bürgermeister sich und den Mitbestimmungs-Kameraden von damals auf die Schulter geklopft  : »Freunde, was wir heute beschließen, ist österreichweit einzigartig … Es gibt den Bürgern ein Regelwerk, auf das sie sich verlassen können«

Nun hielt ihm Padutsch entgegen  : »Heinz, schmeiß doch nicht ein einzigartiges Modell auf den Müll«…

… und Hüttinger musste sich eingestehen, dass der demokratiepolitische Fortschritt eine sehr relative Angelegenheit war  : »Es ist ein Schauspiel, von dem ich nicht geglaubt hätte, dass ich es noch erleben muss.«

Es war nicht nur »ein schwarzer Tag für die Demokratie« (Hüttinger), es war auch kein guter für Rot-Grün  : »Die Demokratie-Geschichte war ziemlich heftig, nämlich dass er (Heinz Schaden) es ganz absticht. Denn der Richard Hörl hat sich wirklich gefreut wie ein kleines Kind, dass der Schaden da so mitgeht. Mir hat der Hörl so leidgetan. Nicht die Unternehmen herauszunehmen, sondern alles zu versenken, das war heftig.« (Padutsch)

PR-technisch erwies es sich jedoch manchmal geradezu als Chance, wenn die Sozialdemokratie vor der »Stimme des Volkes« (oder was sie dafür hielt) zurückwich – die Bürgerliste hatte dann die Rolle als »letzter Hüter der Menschlichkeit« exklusiv. Ein Beispiel war das Bettelverbot in weiten Teilen der Salzburger Innenstadt, für das die SPÖ-Fraktion letztlich doch stimmte, nachdem sie es 2013 gemeinsam mit den Grünen noch abgelehnt hatte. Deren Klubobmann Helmut Hüttinger sprach in der Debatte folgende Sätze  : »Die Armut wird nicht verschwinden … Es geht nicht um objektive Missstände, sondern darum, das optische Erscheinungsbild der Altstadt nicht zu stören. Wollen wir die Armut wirklich verbieten  ?«

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Die Pointe folgte kurz darauf  : Er habe, so ließ der Bürgerlistler wissen, aus der Rede einer SPÖ-Gemeinderätin zitiert, die diese zwei Jahre zuvor gehalten hatte … Hüttinger war ein Coup gelungen, er hatte die Sozialdemokraten vorgeführt – wenn auch nicht gewonnen  : »Da muss ich sagen, das ist etwas, was ich als große Niederlage empfinde, dass es uns nicht gelungen ist, das zu verhindern, weil ich es wirklich für eine große Schande halte.«

Die Empörung war nicht für die Bühne, sie war geerbt  : »Meine Mutter war eine sehr christliche und sozial eingestellte Frau, auch mein Vater, der persönlich sehr sparsam war, aber eines immer gesagt hat  : dass man jedem Bettler etwas geben muss, ganz gleich, was der damit macht …« (Hüttinger)

Der Sozialdemokrat Schaden will zwar auch nicht als Unmensch dastehen …: »Toll sind die Angriffe der Bürgerliste nicht, gerade, wenn du selber Zweifel hast … aber es war zum Teil unerträglich, auch für die Leute. Ich habe die Vorwürfe nicht einfach an mir abrinnen lassen, ich habe genau gewusst, warum sie mir jetzt diesen Vorwurf machen, eben weil ich mich lange gegen ein Bettelverbot ausgesprochen hatte…aber bei einer Meinung bin ich geblieben  : hier betteln ändert nichts.«

… doch der Verweis auf »die Leute« markiert ziemlich genau die Grenze, bis zu der die Roten Hand in Hand mit den Grünen gehen wollten – weiter mussten sie auch gar nicht. Die Bürgerliste hatte keinen Ehe-(sprich  : Koalitions-)vertrag in Händen, sie war kein gleichberechtigter Partner, sondern hatte es mit einer Art »Volkskönig« zu tun – der einmal seine Gunst gewährte und sie ein andermal entzog. Hüttinger war da illusionslos  : »Schaden legt keinen Wert mehr darauf, mit uns irgendwie eine stabile Zusammenarbeit zu haben. Wenn er uns braucht, dann braucht er uns, dann sind wir gut genug, weil manchmal auch die ÖVP nicht dabei ist.«

Racheaktionen empfahlen sich nicht – wenn sie für die eigene Klientel, Kultur- und Sozialinitiativen, sorgen wollte, brauchte die Bürgerliste den Finanzreferenten Schaden  : »Ich habe nichts von einem Revanchefoul, das tun wir nicht.« (Hüttinger)

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Es war zwischendurch ein eher ungleiches Spiel, auf das sich die Grünen da einließen. Ist unter solchen Umständen »wahre Freundschaft« möglich in der Politik, am Beispiel von Schloss Mirabell  ? »Ich würde Johann immer noch taxfrei als Freund bezeichnen, ob er dasselbe tun würde, weiß ich nicht …«

… sagt Schaden über Padutsch  ; der gibt darauf eine sehr genaue Antwort  : »Naja Freund … wenn, dann haben wir die Freundschaft nicht wirklich gelebt, denn da gehört mehr dazu, als sich auf der politischen Ebene immer wieder mal zu treffen.«

Keine tiefere Beziehung entwickelte sich auf einem Politik-Feld, das ohnehin nur die mutigsten Männer (oder Frauen) überhaupt betreten, und das am besten mit einer sicheren Mehrheit im Rücken  : dem Autoverkehr. Schaden beruft sich immer noch auf den Schock einer Jahre zurückliegenden Niederlage, die die SPÖ die Hälfte ihrer Stimmen gekostet hatte – die Wahl 1992, die man »in großen Teilen auch an die Autofahrerpartei verloren« habe. Das ist eine eher eindimensionale Erklärung für das rote Desaster von damals (die SPÖ war durch Flügelkämpfe zerrissen, schon bevor sich einer abspaltete  ; ihr größter Atout, der amtierende Bürgermeister Josef Reschen, war im WEB-Skandal auf der Strecke geblieben). Doch solch frühe Verlust-Erfahrungen können lange nachwirken, wie man weiß. Vergleichen wir doch nur einmal mit der Realität, was sich Stadtplaner schon Anfang der 90er-Jahre für eine umweltgerechte Stadt ausmalten, deren Lebensqualität nicht durch Verkehr gefährdet war  : Das »Aussperren der Reisebusse (Tagestouristen) aus dem Stadtgebiet« z. B. oder auch eine »weitgehende Sperre der Innenstadt für den motorisierten Individualverkehr« (Rudolf Strasser, damals Leiter der Stadtplanung, 1991 in »Stadt im Umbruch«). Manches davon wurde ausprobiert, nichts aber hatte Bestand. Reisebusse, 1992 an der Stadtgrenze gestoppt, durften zwei Jahre später wieder vordringen. Was den Verkehr in die Innenstadt betraf, ließ sich Schaden zunächst zu sommerlichen Beschränkungen für die Touristen-Kolonnen in die Altstadt herbei  ; bei der Dauerlösung ein Jahr später, beschlossen mit der ÖVP, wurde das Ziel der Durchfahrts-Sperre aufgegeben. Zu diesem Zeitpunkt schienen die Grünen einen ihrer wichtigsten Kämpfe – jenen um die Zähmung des Verkehrs – verloren zu haben. Die größte Altstadtgarage sollte sogar noch erweitert werden  :

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Reportagen aus der Realität Demonstrieren ist chic Wer in Salzburg bürgerliche Idylle sucht, findet sie zum Beispiel auf dem Krauthügel am Fuß des Festungsbergs. Gegen Süden zu fallen sanft Wiesen ab, gesäumt von einer Villen-Zeile, durchquert nur von schmalen Wegen, auf denen Mütter ihre Kinderwägen schieben. Vom gegenüberliegenden Altenheim schlägt es dreiviertel zwei. Viel mehr ist nicht zu hören an diesem sonnigen März-Samstag einen Tag vor den Gemeindewahlen. Die Gänseblümchen sprießen schon. Die machen bekanntlich keinen Lärm, aber die Anrainer sorgen sich schwer um sie. Im Garten eines gepflegten, dezent beige getünchten Bürgerhauses haben sie ein Transparent aufgespannt  : darauf beißt ein Auto, den Kühlergrill mit Riesenzähnen bewehrt, einem Gänseblümchen die Wurzeln ab  ; darüber ist »nein zur zerstörung des kr authügels« gepinselt. Die Blümchen-Blätter sind allerdings mit »salzburg« bemalt – es geht also nicht nur um unsere Ruhe, wollen uns die Krauthügler sagen, es geht ums Ganze  : Die Parkgaragen-Gesellschaft will ihre Auto-Kavernen im Mönchsberg vergrößern, um mehr als 50 %, nämlich um 650 Plätze  ; das ausgebrochene Gestein, rund 100.000 Kubikmeter, soll auf dem Krauthügel zwischengelagert werden  ; der Baustollen, so beeilt sich das Unternehmen zu versichern, werde danach wieder »abgeschlossen«  ; eine »zusätzliche Ein- bzw. Ausfahrt« sei nicht geplant. Das wäre hier auch besonders taktlos. Der Fuß- und Radweg ist nach Hans Sedlmayr benannt, dem Kunsthistoriker, der mit »Stadt ohne Landschaft« und »Die demolierte Schönheit« ein halbes Jahrhundert zuvor die Bürgerinitiativ-Bewegung inspiriert, ja befeuert hat. Einer, der die Protest-Glut nun durchaus wieder zu schüren versucht, ist Johann Padutsch, der grüne Planungs-Stadtrat. Der Spitzenkandidat der Bürgerliste hat im Wahlkampf unverhohlen zu Aktionen aufgerufen  : »Wenn der Druck der Straße weiterwächst«, lockt er in einer Bürgerversammlung, »sehe ich eine Chance für Sie«. Padutsch ist kein Widerständler wie Richard Hörl, kein Rebell, wie Herbert Fux es war und kein Missionar wie Johannes Voggenhuber. Der 59-Jährige wirkt eher wie ein Projektmanager oder noch besser ein Planungs-Direktor – was er ja de facto auch war  ; die zwei Jahrzehnte an der Spitze dieses fraglos undankbarsten Ressorts sind ihm manchmal auch anzumerken. Zwischendurch hat er eine Auszeit gebraucht. Doch jetzt, vorn am Tisch stehend, das Mikrofon in der Hand, gehört ihm die Show im Saal  : »Wenn man will, dass in der Salzburger Innenstadt weniger Verkehr herrscht, darf man die Garage nicht ausbauen« – das ist die Ansage und der Applaus fällt sehr laut aus. Noch im Jahr davor hat Padutsch, ganz Realo, in einem Zeitungsinterview wissen lassen, er könne unter Bedingungen »mit dem Ausbau der Mönchsberg-Garage leben«  ; im Wahlkampf aber kann die Bürgerliste nicht nur Pragmatismus, sie

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muss auch Protest liefern – immer noch und gerade jetzt. Das »Nein« ist das politische Viagra einer Bewegung, die manchmal Erschöpfungssymptome zeigt. Wie gewünscht, gehen die Bürger einige Wochen später auf die Straße. An die 200 sehr gesittete Menschen verstellen die Einfahrten zu den Altstadt-Garagen im Mönchsberg – für zehn Minuten. »Lasst die Busse durch« bittet die Sprecherin und der Fotograf wünscht sich zum Schluss »Alle winken – und dann weg«. Auch die jungen Leute vom Verein »Fairkehr« wollen nur »positive Emotionen« wecken  : mit »Gehzeugen« behängt, Lattengerüsten in der Größe von Pkw, führen sie den Flächenverbrauch durch Autos vor. »Die Seele geht zu Fuß« werben ihre T-Shirts. Ein netter Versuch – aber im Rathaus hat der Aufruf zur Umkehr keine Chance auf eine Mehrheit. Vor der »Aktuellen Stunde« im Gemeinderat sehen sich die Bürgerinitiativler einem Aufmarsch von Altstadt-Kaufleuten gegenüber, sorgfältig gedresste Boutique-Besitzerinnen inklusive. Demonstrieren ist mittlerweile chic, etwas Wutbürgertum darf’s inzwischen auch in diesen Kreisen sein  : »Die Altstadt ist in Rage, wir brauchen die Garage« wird der Stadtpolitik gedroht. Die zeigt Wirkung. Auch die sozialdemokratische Gemeinderätin Hannelore Schmidt fordert in ihrer Rede »Entscheidungsfreiheit« bei der Wahl der Verkehrsmittel  ; sie ist Aufsichtsrätin der Parkgaragen-Gesellschaft und dort »gibt’s das Geld für den Ausbau« wie die ÖVP triumphiert. Tatsächlich liegen knapp 25 Millionen bereit. Das Unternehmen ist circa so alt wie die Bürgerliste, vier Jahrzehnte also, es gehört dem Land und der Stadt – aber den Parkhaus-Träger in eine »Gesellschaft für den öffentlichen Personennahverkehr« umzuwandeln, wie das der grüne Stadtrat Padutsch vorschlägt, bleibt nach wie vor eine ausschließlich rhetorische Forderung. Die Woche darauf bieten die Garagen-Gegner den Bürgerlisten-Veteranen Johannes Voggenhuber auf, Stadtrat in den 80ern, der sich »in eine Zeitmaschine« versetzt fühlt und in der Kunst der polemischen Lagebeschreibung immer noch unübertroffen ist  : »Diese Stadt hat eine Krankheit wie Malaria  : wir diskutieren wie damals über Tunnel und Parkgaragen und zwischen den Fieberschüben passiert rein gar nichts.« Voggenhuber wähnt sogar die Grünland-Deklaration in Gefahr und wirklich  : Am Tag nach der Gemeinderatswahl lässt ein Baggerfahrer sein Grabungs-Gerät auf dem Krauthügel anrücken. Die besorgten Anrainer beruhigt er freilich  : »Des san die Fundamente für die Kunstwerke.« Die werden von einer Stiftung aufgestellt, ergeben die Recherchen. Die Parkgaragen-Gesellschaft schwört auf ihrer Homepage »Die Wiese wird wieder in den Zustand gebracht, in dem sie vor Baubeginn war« und »für jede Tierart werden spezielle Lösungen ausgearbeitet. Alle Tierarten bleiben erhalten.« Miteigentümer Land klärt uns auf den Schildern im Landschafts-Schutzgebiet nämlich auf, dass Universitäts-Forscher in dem Tümpel auf dem Krauthügel »12 Einzeller-Arten entdeckt« haben, von denen die meisten nur in diesem Gewässer vorkommen.

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Eine Siedlung dieser Art zu sichern, ist tatsächlich eine Weltpremiere. Salzburg hat zwar bisher keine verkehrspolitische Linie zustande gebracht, aber an SchutzInstinkt lässt es sich von niemandem übertreffen. Jedes Wimpertierchen zählt – vor allem im Wahlkampf. (Anmerkung  : die hier beschriebenen Ereignisse spielten in den Wochen vor der Gemeinderats- und Bürgermeister-Wahl in der Stadt Salzburg im März 2014). *** Die Verkehrspolitik der Stadt war damals de facto gescheitert. Von denen, die in der Landeshauptstadt unterwegs waren, nutzten 2012 nur 15 % Bus und Bahn  ; 1995 waren es noch 21 % gewesen – der öffentliche Verkehr hatte sogar noch Boden verloren. Zwar nahmen mehr Salzburger das Rad, aber insgesamt wurde sogar noch mehr Auto gefahren als in den 90er-Jahren – der Anteil war auf 44 % gestiegen, während z. B. Wien ihn stark gedrückt hatte (Quellen  : Herry Consult  : »Mobilitätserhebung Salzburg« bzw. Stadt Wien). Das war, auch wenn nicht sie die Schuld traf, die größte Niederlage von regierenden Grünen in Salzburg, gerade im historischen Vergleich  : im »verkehrspolitischen Ziel- und Maßnahmenpaket« aus der Voggenhuber-Ära, 1986 beschlossen und 1997 vom Gemeinderat bestätigt, war das genaue Gegenteil angestrebt, »eine Reduzierung des Autoverkehrs um 25 %«, während gleichzeitig »der Anteil des öffentlichen Verkehrs durch rigorose Bevorzugung und massive Investitionen um mindestens 21 % gesteigert« wird. Die SPÖ hatte seinerzeit mitgestimmt und dem Papier zur Mehrheit verholfen – das Resultat ist bekannt. Erst nach einer Welle öffentlicher Kritik sahen sich Bürgermeister Schaden und die Fraktion zu mehr Bewegung gezwungen. Sie erneuerten zu diesem Zweck den Bund mit der Padutsch-Bürgerliste  ; die von Rot und Grün beschlossene »Parkraumbewirtschaftung« – und damit das Ende des Gratis-Parkens wo auch immer – könnte nach Experten-Meinung vor allem die Wucht des Pendlerverkehrs etwas bremsen. Damit war aber wohl einer der letzten Schaden-Padutsch-Pakte abgeschlossen – schon politisch-biologisch, denn in beiden Lagern war ein Generationswechsel unvermeidlich. Waren auch die Errungenschaften der Bürgerliste Spielmaterial für die Zukunft, wenn doch gerade im Kommunalen persönliche Beziehungen so oft über Politik mit-entschieden  ? Der Klubobmann hält nichts für garantiert  : »Es wird sich sicher ändern, wenn die handelnden Personen abtreten und wenn sich die Kräfteverhältnisse auch nur geringfügig verschieben. Wir haben schon viele Entscheidungen, die im Gemeinderat mit sehr knapper Mehrheit passieren, gerade im Kulturund Sozialbereich.« (Hüttinger)

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Auch der Gestaltungsbeirat war von der SPÖ bereits als Teil in einem »Netzwerk der Verhinderer« denunziert worden, der Versuch, ihn auszuspielen, sei aber »mittlerweile deutlich abgeschwächt worden« (Hüttinger). Die angebliche Allmacht von Architektur-Weisen in Salzburg war ohnehin keine. Den Neubau des Kongresshauses, 2001 von Heinz Schaden als »schönes Kind« begrüßt, bedauerte die Initiative Architektur als einen »der bittersten Momente der jüngeren Planungsgeschichte« (aus dem Text zur Ausstellung »Ungebautes Salzburg«). Der »Stern mit glänzender Haut aus Metall«, Siegerprojekt eines internationalen Wettbewerbs (vom Spanier Juan Navarro Baldeweg), wurde unter dem ÖVP-Bürgermeister Josef Dechant zum Erlöschen gebracht, bevor er aufgehen konnte. Das »Museum im Mönchsberg« von Hans Hollein, Gewinner des »vielleicht spektakulärsten jemals in Salzburg durchgeführten Wettbewerbs« (»Ungebautes Salzburg«), bereitete zwar den Boden für die Guggenheim-Stiftung, »aber für das Projekt von Frank O. Gehry im nordspanischen Bilbao«. Gilt die Faustregel  : je interessanter der Platz, desto politischer die Entscheidung  ? Schaden will das nicht so dramatisch sehen, immerhin sei der Gestaltungsbeirat als Institution inzwischen gesetzlich abgesichert – womit zumindest im Normalfall ein Fach-Urteil gewährleistet ist  : »Der Gestaltungsbeirat ist im Raumordnungsrecht verankert. Selbst wenn hier im Schloss Mirabell eine ganz andere Konstellation tonangebend ist, brauchen sie den Landtag. Dass der Landtag das liefert, halte ich für zweifelhaft.«

Das zweite Erbstück, die Grünland-Deklaration, wird ohnehin in einer besonders bruchfesten Vitrine aufbewahrt  : »Das ist auch Teil meines Erbes natürlich. Die Bauland-Grünland-Grenze ist im Stadtrecht verankert … Das ist nicht antastbar, medial schon gar nicht, da wünsche ich viel Glück.« (Schaden)

Auch sein Nachfolger, so Schaden, werde nicht ignorieren können, dass Salzburg eine »bürgerlich-grüne« Stadt sei. Die Bürgerliste-Stadt hält er für die milde, die »Kretschmann-Variante« der Grünen (nach Winfried Kretschmann, dem grünen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, der z. B. den Dialog mit der Autoindustrie sucht). Die »drüben« hingegen (gemeint sind das Land und vor allem Astrid Rössler) für »Trittin pur« (nach Jürgen Trittin, dem früheren deutschen GrünenVorsitzenden und Umweltminister, der für einen kantigen Öko-Kurs stand). Wie sich doch die Etiketten unterscheiden – die ÖVP klebt sie den Grünen genau andersrum auf  : Sie schätzt die Landes-Grünen als »pragmatischer und bürgerlicher ein«

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als die »ideologischen Abgeordneten der Stadt-Bürgerliste« (ÖVP-Geschäftsführer Wolfgang Mayer). Halten wir uns an die Fakten  : Padutsch ließ sich z. B. für den Ausbau des Ausstellungszentrums prügeln  ; bei Europark-Erweiterungen machte er sich für die »Einkaufsstadt Salzburg« stark. Das wäre Astrid Rössler so wohl nicht über die Lippen gekommen  ; sie denkt auch schon mal über eine »Wirtschaft ohne Wachstum« nach. Wer ist hier nun der/die Fundamentalist/-in  ? Wie aussagekräftig sind die Links-/ Rechts-Schablonen von gestern oder vorgestern  ? Vermutlich zählt auch hier der Standort, in diesem Fall der politische  : Wer gerade einen Partner braucht, sei es die Schwarzen oder die Roten, findet ihn nach gelungenen Verhandlungen sicherlich »pragmatisch« – und das sie dies sein konnten, hatten sie ja nun beide nachgewiesen, die Grünen in Stadt und Land. Gerade das Führungspersonal der Bürgerliste hatte sich in diesem Fach eine hohe (für manche zu hohe) Qualifikation erworben – es kam aber nun an einer Hofübergabe nicht mehr vorbei. Padutsch hatte schon 2009 öffentlich angekündigt, »dass wir 2014 mit einer neuen Spitzenkandidatin oder einem neuen Spitzenkandidaten ins Rennen gehen und den Wechsel gut vorbereiten werden«. Seine Wiederwahl in einer Stadtversammlung 2013 war ein Zeichen, dass auch die Grünen inzwischen vor Ankündigungs-Politik nicht gefeit waren. Wer wenigstens die Ränge dahinter durcheinanderrütteln wollte, brachte den eigenen Sessel in Gefahr – denn bei der Vor-Ausscheidung für Mandate ging es bei den Grünen auch nicht freundlicher zu als bei den so verrufenen »Altparteien«. Als die Gemeinderätin Ingeborg Haller ihren Hut in den Ring warf und sich auf die zweite Stelle der Liste vorboxen wollte, verlor sie zuerst dieses Duell und konnte dann in der nächsten Runde selbst einen hinteren Platz nur mit Mühe retten  : »Das war halt von mir der Versuch, Bewegung hineinzubringen. Die Idee war die Erneuerung, zu sagen ›ok, jetzt gehen die, die noch nicht so lange dabei sind, ein bisschen weiter nach vorn, die älteren ziehen sich etwas weiter zurück, sind aber inhaltlich zur Verfügung‹.«

Die Unruhe-Stifterin war in diesem Moment selbst schon neun Jahre lang Mitglied im Klub. Das war allerdings wenig gegen die gesammelte Erfahrung eines Trios, das sich 1992 etabliert hatte und seither nie mehr angetastet worden war  : Padutsch war damals Regierungsmitglied geworden, die Nummer zwei, Ulrike Saghi, Gemeinderätin und Hüttinger Fraktionschef. Leicht kokett, findet er das »… furchtbar, schrecklich  ! Ich habe mich selber schon als Fossil bezeichnet, jetzt bin ich ein Museumsstück. Man kann sagen, wir kleben auf den Sesseln … Ich habe auch bei der

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letzten Wahl nach dem Johann Padutsch von denen an der Spitze die meisten Stimmen bekommen, bei der Liste für 2014 und ich hatte als einziger keinen Gegenkandidaten … und der Johann Padutsch hat sich halt vor langer Zeit schon entschieden, dass er Berufspolitiker ist  ; er hat einen sehr guten Beruf gehabt, den hat er aufgegeben.« (Hüttinger)

Mittlerweile scheute sich aber auch die Landespartei nicht mehr, öffentlich Erneuerung einzufordern – und dies auf beiden Spitzenfunktionen  : »Wahrscheinlich ist es gescheit, wir haben es auch geschafft. Ich finde, dass es gescheiter wäre, vorne hin nicht jemand zu stellen, der jetzt schon eine wichtige Funktion hat, sondern jemand Neuen zu suchen, der einen Neubeginn signalisiert.« (Cyriak Schwaighofer)

Padutsch selbst schien die Signale zu hören – vor allem aber auch seine eigenen  : Ein Interview mit Johann Padutsch  : Frage (Michael Mair)  : »Die Kritik an Ihrer Planungspolitik – wieweit berührt Sie die auch persönlich, wenn Sie Ihre politische Bilanz ziehen  ? Wieweit hat Sie das auch verletzt  ? Man hat manchmal den Eindruck, Sie fühlen sich ungerecht behandelt …« Padutsch  : »Ich habe sehr lang gut damit leben können, weil die Rückmeldung immer auch Anerkennung beinhaltet hat und ich anfänglich auch nicht so stark polarisiert habe. Das passiert eigentlich erst seit zwei Perioden. Solange Du eine gewisse Anerkennung spürst, kannst Du mit den Konflikten gut leben und auch mit Niederlagen. Aber das ist zu einem erheblichen Teil weggefallen – das ist eben bei der Cassco-Geschichte passiert und den Verkehrsgeschichten, dieser ›Stau in Salzburg‹-Geschichte. In dem Zusammenhang ist die Anerkennung weggebrochen. Die haben es, anders gesagt, wirklich geschafft, meine Reputation kaputt zu machen. Damit kann ich nicht gut leben, das geht mir schon an die Nieren.« Frage  : »Wie geht es Ihnen jetzt  ?« Padutsch  : »Nicht so gut.« Frage  : »Werden Sie noch einmal antreten  ?« Padutsch  : »Nein.« Frage  : »Haben Sie Vorstellungen, wer neuer Spitzenkandidat werden könnte  ?« Padutsch  : »Ich sehe es weit und breit nicht. Ich sehe niemanden, der diese Rolle wirklich ausfüllen könnte. In der bestehenden Fraktion sehe ich niemanden, im Umfeld ist mir auch noch niemand untergekommen. Charisma gehört dazu, trägt mit Sicherheit zum Erfolg bei.« Anmerkung  : Das Interview wurde Ende 2016 geführt.

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Dabei hatte Padutsch, so erzählt er selbst, schon vor Jahren einen Ideal-Nachfolger gefunden – Winfried Herbst, früher Umweltreferent der Arbeiterkammer, später Spitzenbeamter der Stadt (und inzwischen Vorsitzender des Salzburger Naturschutzbundes)  : »2004 haben wir das erste Mal vorgehabt, dass wir die Geschichte lassen … Der Herbst hat uns sogar schon so etwas wie eine vorläufige Zusage gegeben und wäre dann der Spitzenkandidat gewesen. Er wäre ein guter Ressortchef geworden. Er hat aber dann wieder abgesagt, aus privaten Gründen.«

Solche Einzel-Episoden beschreiben aber nicht das ganze Dilemma, das tiefer lag  : Die Bürgerliste trug zwar seit 2007 auch »Die Grünen in der Stadt« im Namen – aber sie war immer noch ein Zwitter aus Personen-Komitee und Partei-Organisation. Der einstige Lehrmeister braucht inzwischen selber Nachhilfe, rät der LandesGrüne Cyriak Schwaighofer  : »Natürlich kann das in dieser Struktur nicht mehr weitergehen. Ich würde plädieren für einen radikalen Neubeginn und dann dafür, sich doch sukzessive Strukturen zu geben, die wir auch haben, die ein bissel geregelter sind. Denn in der Bürgerliste gibt’s halt einmal in einem halben Jahr eine Stadtversammlung und das war‹s, dazwischen gibt es keine große Kommunikation. Man muss sich jetzt ganz einfach eine Struktur geben, die in einer bestimmten Größe bleibt, welche regelmäßige Information beinhaltet.«

Auch beim systematischen Aufbau von neuem Personal gesteht Padutsch selber ein  : »Wir haben es nicht geschafft.« Manche rekrutierten sich deshalb einfach selbst – wie der damals 17-jährige Gernot Himmelfreundpointner, Sohn eines ÖVP-nahen Spitzenbeamten aus dem Magistrat (die Grünen sind die Kinder der Schwarzen, haben wir gelernt). Der junge Mann, seltener Fall eines in diesem Alter Politik-begeisterten, hatte sich nach den Wahlen 1992 bei der Bürgerliste gemeldet – in deren Büro im Schloss Mirabell, wo auch sonst  : »Der Kern der Arbeit war sicherlich die Fraktion, es gibt keine Organisation rundherum«, das war eine frühe Lehre. Himmelfreundpointner durfte sich im nächsten Wahlkampf als Helfer bewähren  ; auf die Frage »Sind sie systematisch in die politische Arbeit einbezogen worden  ?« muss er aber lachen  : »Es war so wie heute. Eine Einbeziehung meiner Person hat es nicht gegeben, umgekehrt – man hat selber sehr aktiv sein müssen. Dominiert haben es der Klubobmann und der Stadtrat. Es hat schon immer wieder vor den Wahlen geheißen, ›gibt es Leute, die dazu passen  ?‹ Manche haben sich von selbst gemeldet, manche hat man angeredet, systematische Personalakquise habe ich nicht wahrgenommen.«

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Das Nachwuchs-Talent – er ist eines, erinnern sich Mirabell-Kenner – spielt beim Wahlkampf-Theater der Bürgerliste mit (auf einer Stegreif-Bühne)  ; für eine politische Hauptrolle reicht es aber zweimal nicht, weil er auf der Liste zu weit hinten gereiht ist. Die Aufnahme in die fast geschlossene Gesellschaft des Gemeinderatsklubs gelingt erst 2009, über eine Art Patronagesystem  : »2008 hat die Ulli Saghi gesagt, ›diesmal wirst Du es‹ und ich habe ihn bekommen, den siebenten Platz, es war ganz knapp. Dann hat sich die Ulli Saghi stark gemacht und gesagt, ›es ist sicher, dass der Gernot mit mir in den Sozialausschuss geht‹  ; den Wohnungsvergabeausschuss habe ich auch bekommen, den hat sie mir überlassen, das war keine geringe Ehre, dass die Ulli Saghi den Wohnungsausschuss ›hergibt‹, denn das war ihr Heiligtum.«

Bereits 2013 verabschiedet sich der Gemeinderat (immer noch keine 40) aus dem Rathaus – nicht aus Enttäuschung, die mag er nicht zugeben, sondern wegen eines »persönlichen Wechsels des Wohnsitzes« in eine Landgemeinde. Seine politische Erfahrung (»Ich bin durch diese Schule Padutsch/Hüttinger/Saghi gegangen und habe da sehr viel mitbekommen«) nimmt er jedoch mit, sie wird sich noch als ziemlich nützlich erweisen. Einen besonders grünen Daumen für Jungpflanzen können die Chef-Gärtner der Bürgerliste nicht vorweisen – aber sie haben immerhin einen Samen ausgestreut, der auch jenseits der Stadtgrenzen austreibt.

Epilog Zu Fronleichnam in Tracht – Gernot Himmelfreundpointner

Die Gemeinde Kuchl im Salzachtal (7000 Einwohner, zahlreiche Tischlereien und andere Betriebe aus der Holzbranche, ein Fachhochschul-Campus) bietet gute Startrampen für Höhenflüge, auch für grüne. Auf dem Georgenberg, von Menschen besiedelt mindestens seit der Bronzezeit, brüten wieder die Waldrappe – auf ihren Reisen liebevoll verfolgt, wie wir wissen, von Landessprecherin Astrid Rössler. Politisch »schlüpfte« schon 1989 eine »Unabhängige Liste-Lebenswertes Kuchl«, gegründet von einem späteren Landtagsabgeordneten der Bürgerliste Salzburg-Land und trotz des Kurznamens »ULLK« (mit ihren fast 30 % zum Start) kein Scherz. Hier entfaltet sich nun Gernot Himmelfreundpointner, Volksschul-Direktor in der Nachbargemeinde (das ist inzwischen für einen Grünen möglich in Salzburg). Bei den Gemeindewahlen 2014 legt seine Liste um mehr als acht Prozentpunkte zu und ist, noch vor SPÖ und FPÖ, zweitstärkste Kraft. Herr Himmelfreundpointner darf sich nun Vizebürgermeister nennen – in einer Landgemeinde. Das Leben dort kann man sich gut vorstellen, wenn er die Bilder vom Fronleichnams-Zug abruft. Ihm sind sie selbstverständlich  : »Das ist ein Riesenaufmarsch, allein die Musik hat 60, 70 Leute, dann gibt es in Summe 180 Schützen – Gewehrschützen und Prangerschützen – die Kameradschaft, die Trachtler, die Feuerwehr, die Schnalzergruppe auf den Pferden  ; hinten geht der Kindergarten, die Volksschule geht mit einer Abordnung mit den Kindern, die Erstkommunion hatten, die dürfen das Erstkommunions-Gwand noch einmal anziehen. Dann ist der Dorfplatz gesperrt und es gibt den ganzen Tag über ein Fest. Das hat schon was. Kuchl ist da sehr traditionell …« … und der grüne Zuzügler aus der Stadt mittendrin. Er hat zusammen mit dem Rot Kreuz-Leiter den Empfang von Flüchtlingen organisiert, später ein Haus für sie gefunden – und scheint selber auch ein Fall gelungener Integration zu sein  : »Ich lasse das Gefühl für mich gar nicht gelten, sozial ausgeschlossen zu sein, in das Eck lasse ich mich gar nicht stellen … Ich gehe da brav neben dem Bürgermeister, hinter dem Pfarrer. Gewisse Sachen gehören zum Amt dazu und zu der Tätigkeit, das fällt auch auf, durchaus positiv … Entweder gehe ich in der Lederhose, das habe ich immer schon gerne gemacht oder ich gehe mit einem Trachtensakko, einem weißen Hemd und der Jean.«

37 grüne (oder befreundete) Listen zählte die Partei bei den Gemeindewahlen 2014 im Land Salzburg – circa 40 % mehr als fünf Jahre zuvor. Abstoßungsreaktionen,

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Gezähmte Rebellen

auch gegen heiklere Programm-Teile, seien abgeflaut, beobachtet der Parteimanager  : »Unsere Themen sind in die Mitte der Gesellschaft gerückt, z. B. Ökologie. Aber auch Themen, die vor zehn Jahren noch sehr kontroversiell waren, wie z. B. die Gleichstellung von Homosexuellen, sind zunehmend in die Mitte gerückt und Haltungen, die früher extrem polarisiert haben, sind heute mehrheits-fähig.« (Landesgeschäftsführer Hemetsberger)

Der grüne Vizebürgermeister aus dem Tennengau, auch im Bezirk engagiert, kennt aber immer noch »weiße Flecken« auf der grünen Landkarte. Die seien, siehe die Defizite in der Landeshauptstadt, nur durch aktive Personalsuche einzu»grünen«  : »Es ist auch wichtig, selber zu rekrutieren und die Leute anzureden, sie auf die Idee zu bringen. Das ganze Lammertal hat keine Grünen  !« (Himmelfreundpointner)

Inzwischen sind Bündnispartner zu gewinnen, die nun auch an die »gerechte Sache« glauben – bzw. an jene, die auch die Grünen hochhalten. In Kuchl hat sich ein Aufruf, bei der Flüchtlings-Arbeit zu helfen, auch über das dörfliche Sonntags-Ritual verbreitet  : »Wir haben dann Listen aufgelegt, man möge sich melden. Der Pfarrer hat dann auch meine E-Mails ausgedruckt und am Sonntag beim Kirchenausgang ausgelegt und hat darauf hingewiesen, ich habe das gar nicht gewusst. Meine Kinder sind katholisch, wir gehen hin und wieder in die Kirche, weil ihnen das gefällt, aber er hat mir das dann viel später erzählt.« (Himmelfreundpointner)

Ist also die beste aller Welten schon erreicht, die Toleranz bereits unermesslich und Grün damit auch überflüssig  ? Der Kommunalpolitiker mit Bürgerlisten-Ausbildung beobachtet, dass sich z. B. die Männer-Gesellschaft keineswegs von selber auflöst. Das wird, subtil, aber doch, gerade bei einem Brauchtums-Ereignis sichtbar, einem öffentlichen Schauspiel par excellence  : »Beim Fronleichnamszug gehe ich mit der Familie hin, meine Frau geht da mit und wir haben das Kinderwagerl mit. Da kamen dann schon die mahnenden Blicke, ›das ist jetzt nicht ganz richtig‹. Wenn du dann neben dem Bürgermeister gehst und der Alt-Bürgermeister geht hinter dir und du schiebst das Kinderwagerl (mit Melanie, der kleinen Tochter) und alle anderen gehen einzeln und deine Frau geht neben dir … Sie gehen sonst alle alleine, gewissermaßen jeder mit seinem Amt mit, aber er nimmt nicht die Familie dazu, die Familien von den Politikern gehen nach. Ich aber denke mir ›wir sind eine Familie und wir gehören zusammen‹. Sie haben sich damit

Epilog

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abgefunden, inzwischen geht die Kleine schon allein neben mir.« (Himmelfreundpointner) Sich zu zeigen – als Person und mit seinen Haltungen – das baue eher noch Respekt auf, hat der Grüne erfahren. Er warb nicht nur um Flüchtlings-Quartiere, sondern nahm die Sache selber in die Hand, verhandelte und ließ Häuser inspizieren  : »Ich bin nicht beschimpft worden. Es hat uns eher stärker gemacht – ich glaube, jede Positionierung macht stärker, wenn man sich in einem menschlichen, sozialen Rahmen engagiert. Du wirst immer Leute haben, die dagegen sind und einige, die schimpfen, vielleicht sogar massiv. Aber die Mehrzahl wird immer sagen, das ist gut und goutiert es.« (Himmelfreundpointner)

Dass sich der grüne Würdenträger sehen lässt, wird inzwischen sogar erwartet  : »Es fällt auf, wenn ich nicht zur Jahreshauptversammlung der Feuerwehr gehe, da werde ich auch angeredet oder wenn ich bei der Sitzung der Wassergenossenschaft nicht dabei war.«

Das heißt, ziemlich eingespannt zu sein in einen Schraubstock aus Gemeinde und Genossenschaften, Schützen und Schnalzern, Vereinen und Verwaltung, aber es bedeutet auch  : Die Grünen würden manchen abgehen, wenn es sie nicht gäbe – und sie tun dies, unterschlagen wir das nicht, auch und gerade dort, wo sie Stellung bezogen haben …

Bildnachweis

1 (Friederike Solms), 2 (Ingrid Tautscher), 3 (Laszlo Vuray/Salzburger Landesarchiv), 4, 5, 6 (Gottfried Griesmayer), 7 (Stefan Andriska), 8 (Ingrid Tautscher), 9,10 (Stadtarchiv Salzburg, Fotosammlung), 11 (Robert Ratzer), 12, 13, 14, 15 (Stadtarchiv Salzburg, Fotosammlung), Wolfgang Weber, 17 Hannes Huber, 18 (Christian Sprenger), 19 (Walter Schweinöster), 20 (Hannes Huber), 21 (Franz Neumayr), 22 (Die Grünen), 23 (Walter Schweinöster), 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41 (Die Grünen), 42, 43 (Doris Wild).

Personenregister

Abel, Günther 101 Achleitner, Friedrich 27, 31, 39, 41 Ahr, Raimund 262 Albrecht, Ernst 149 Alexander, Peter 57 Altendorfer, Peter 309, 311 Aluta, Dietmar 250 Ambrozy, Peter 460 Angerer, Albert 257, 358, 383 Anschober, Rudi 683 Anzengruber, Wolfgang 649 Apeltauer, Martin 457 Appel, Karl 29, 30 Aspöck, Robert 522 Aspöck, Roland 207 Augustin, Hannes 165, 496, 501 Außerleitner, Manfred 90, 101 Bacher, Gerhardt 53, 89, 104, 108, 125, 175, 189, 211, 623 Bachleitner, Reinhard 479 Bäck, Alfred 27, 46, 48, 617 Bahr, Christiane 258 Baldeweg, Juan Navarro 712 Barazon, Ronald 460 Bartenstein, Martin 444 Batliner, Herbert 434 Bauer, Gerda 62, 102 Bauer, Günter 58 Baumann, Wolfgang 156 Baumgartner, Sepp 176 Bayer, Alfred 207 Becher, Bettina 359, 365 Beckenbauer, Franz 478 Beck, Ulrich 151 Beer, Michael 198, 201, 203, 214, 216 Berthold, Martina 403, 588 Bieringer, Ludwig 341, 563 Biringer, Hans 89 Bismarck, Otto von 152 Blachfellner, Walter 515, 552, 586

Blattl, Rosemarie 372 Böhm, Alexander 241 Bonimaier, Anton 104 Breicha, Otto 183 Breidenbach, Heinrich 300, 302, 307 – 315, 317, 337, 338, 516, 635, 636, 665, 668 – 670, 674 Breidenbach, Peter 302 Brenner, David 468, 516, 538, 542, 543, 545, 547 – 552, 556, 561, 582 Brezovszky, Ernest 146 Bruckmoser, Josef 461, 517 Brunmayr, Erich 258 Brunnbauer, Herma 204 Buchinger, Erwin 683 Buchleitner, Gerhard 104, 211, 244, 245, 248, 249, 252, 259, 270, 271, 274, 333, 334, 339, 371, 372, 379, 385, 410, 455, 617, 627 Buchner, Johann 256, 260 Buchner, Josef 197, 204 Burgstaller, Gabi 337, 410, 444, 455 – 458, 460, 461, 464, 473, 476, 479, 484, 500, 512, 513, 515, 517, 532, 534, 538, 543, 544, 546 – 549, 552, 557 – 562, 564 – 566, 569, 573, 574, 577, 582, 585, 682, 683, 689 Burtscher, Christian 72, 74, 80, 171, 214, 216, 222, 223, 228, 230, 231, 245, 246, 265, 277, 278 – 282, 296, 297, 300 – 302, 305, 307 – 316, 327 – 336, 349, 354, 359 – 364, 366 – 368, 373, 382, 386, 447, 450, 452, 589, 609, 660 – 678, 680, 684, 688 Busek, Erhard 143, 323, 343, 430, 682 Butschek, Toni 176 Capek, Renatus 116, 176, 623, 647 Carl, Bernhard 523, 575 Carl, Ulrike 359 Christian, Gerold 227 Christoph, Horst 263 Csepreghy, Eugen 37, 54, 58, 62 Cubelic, Walter 659 Cziharz, Gerd 183, 185, 704

722

Personenregister

Dachs, Herbert 16, 187, 592 Danninger-Soriat, Eva 481 Dechant, Josef 77, 249, 253, 254, 263, 266, 272 – 276, 323, 324, 340, 341, 348, 351, 374 – 377, 431, 627, 644 – 647, 673, 712 Delors, Jacques 289 Denk, Alfred 428 Dichand, Hans 509 Di Martino, Stefano 423 Dioum, Baba 685 Dold, Ernst 234, 235 Donabauer, Fritz 92 Dönhoff, Marion Gräfin 57 Donnenberg, Hans 617 Drapa, Regine 51 Dürfel, Caius 40 Dürfeld, Caius 37, 62 Dvořák, Max 23 Eberle, Doraja 515, 516 Ebetshuber, Günther 256 Echerer, Mercedes 379 Eisl, Sepp 325, 327, 500, 515, 516, 533, 540, 563, 565, 586 Eisl, Wolfgang 421, 539 Ekhart, Heinz 49, 50 Essl, Lukas 468 Esterbauer, Friedrich 91 Fabris, Gertrude 274, 276 Fartacek, Herbert 245, 251, 252, 270 – 276, 347, 378, 624, 626, 632, 640 – 642, 644 Faymann, Werner 509, 513 Feichtner-Tiefenbacher, Evelyn 523 Felipe, Ingrid 695 Ferstl, Walter 89 Figl, Leopold 295 Firlei, Klaus 245, 261, 278, 281 – 283, 329 Fischer, Hermann 361, 363 Fischer von Erlach, Johann Bernhard 26, 31, 341 Flatscher, Ernst 522 Flatz, Martin 301 Flick, Friedrich Karl 57 Floss, Franz 294 Fonatsch, Franz 184, 185, 429 Forcher, Sepp 87 Frank, Michael 157

Fremuth, Walter 240 – 242 Frey, Rudolf 106, 107 Friedrich, Klaus 345, 432 Fuchs, Rupert 404, 568, 587 Fuhrmann, Franz 431 Fux, Herbert 51, 57 – 59, 61, 63, 66, 69, 76, 83 – 87, 101, 107, 109, 116, 176, 182, 185, 198, 201, 258, 260 – 265, 267, 269, 280, 297, 302, 322 – 324, 327, 343 – 346, 350, 351, 353, 355 – 360, 366, 370, 379, 384, 390, 418, 431, 433, 447, 609, 612, 614, 619, 621, 622, 629, 631, 632, 635, 637, 638, 642 – 644, 646, 649 – 651, 653, 654, 657, 658, 660, 661, 668, 672, 683, 688, 704, 709 Gabl, Christian 257 Garber, Veronika 245, 258 – 260, 271 Garstenauer, Gerhard 46, 183, 185, 345 Gasteiger, Arno 189, 214, 238, 286, 334 Gasteiner, Angelika 451 Gastl, Helga 378 Gautsch, Christine 257 Gehmacher, Erna 90 Gehrer, Elisabeth 346, 435, 444 Gehry, Frank O. 344, 433 Gerstendorfer, Walter 62, 101, 109 Glasl, Friedrich 315 Glawischnig, Eva 401, 403, 404, 529, 575, 584, 587, 589 Gmachl, Wolfgang 254, 422 Gollegger, Karl 340, 375 – 378, 384 – 386, 418, 434, 461, 462, 464, 494, 498, 522, 698 Göllner, Uwe 70 Göttl, Berthold 169, 189, 239 Graf, Norman 243, 279 Graf, Robert 168, 170 Grasser, Karl-Heinz 346, 349, 435, 442, 443, 567 Grausam, August 144 Griessner, Georg 467 Gronner, Ali 655 Gruen, Victor 83 Gsteu, Johann Georg 116 Guardini, Romano 230 Gusenbauer, Alfred 509 Habsburg, Francesca 433 Haibach, Peter 301, 308, 309, 315, 382 Haiden, Günther 116, 132, 133

Personenregister Haider, Jörg 217, 220, 229, 255, 286, 292, 313, 321, 332, 385, 460, 507 Haider, Wolfgang 334 Haigermoser, Helmut 256 Haller, Ingeborg 471, 480 – 483, 523, 584, 705, 713 Hanselitsch, Alois 104 Hasenöhrl, Hans Peter 219, 227, 262, 267, 446 Haslauer, Wilfried jun. 456, 458, 473, 476, 479, 484, 512, 515, 516, 532, 533, 547, 549, 552, 557, 558, 560 – 566, 569, 574 – 576, 579 – 582, 584, 586 – 588, 590, 592, 593, 597, 689, 690 – 692, 694 Haslauer, Wilfried sen. 58, 103, 104, 113, 118, 125, 130, 134, 143, 144, 147, 156, 157, 164, 169, 170, 172, 174, 175, 189, 190, 192, 208, 214, 218, 220, 223, 227, 243, 245, 246, 253, 279, 280, 375, 429, 434, 618, 664 Haubner, Peter 349 Hayek, August von 57 Heinzinger, Walter 145 Hemetsberger, Rudi 400, 587, 684, 395 Herbst, Winfried 169, 617, 629, 634, 715 Herok, Reinhard Martin 240 Heu, Friedrich 246 Himmelfreundpointner, Gernot 523, 715, 717 – 719 Hochreiter, Karoline 72, 155, 214, 216, 308, 310 – 312, 334, 359, 362, 363, 665, 670, 673, 676, 677 Hofbauer, Simon 404, 587 Hofer, Margot 176, 279, 334 Höfferer, Uwe 561 Hoffmann, Hubert 184 Hoffmann, Johann 245 Hoff, Stefan 345, 432 Hollauf, Herbert 314 Höllbacher, Roman 185, 631 Hollein, Hans 344, 423, 429, 430, 433, 436, 712 Höller, Rudolf 479 Holzbauer, Wilhelm 25, 26, 35, 36, 39, 49, 50, 55, 182, 423, 425 – 427, 626 Holzleitner, Johann 271 Holzmeister, Clemens 30, 49, 423, 424 Hoppe, Theodor 23 Hörl, Richard 42, 50 – 54, 57, 58, 61 – 63, 66, 83 – 85, 89 – 92, 94, 106, 107, 109, 212, 280, 314, 449, 499 – 501, 503, 578, 609, 612, 613, 619, 621,

723

622, 635, 642, 646, 653, 657, 658, 668, 688, 689, 700, 705, 706, 709 Hörschinger-Zinnagl, Claudia 523 Hübel, Herbert 548 Huber, Josef 271 Huber, Wolfgang 39 Hubert, Josef 523 Hubinek, Marga 143 Hübner, Stefan 49, 50 Hüffel, Erich 77, 348 Hummer-Vogl, Kimbie 404, 568, 587 Hundstorfer, Rudolf 513 Hüttinger, Helmut 273, 302, 307, 313, 316, 322, 342, 348, 351, 353, 354, 357, 358, 360, 361, 364, 366, 367, 369, 410, 439, 450 – 452, 472, 474, 477, 478, 481, 482, 496, 523, 584, 637, 641, 643, 645, 646, 648 – 650, 671, 672, 675, 689, 694, 699, 705 – 707, 711 – 714, 716 Imendörffer, Herwig 299 Inglehart, Ronald 12, 15 Jäger, Paul 137 Jungk, Robert 660, 664 Jungwirth, Barbara 296, 297, 300, 302, 307 – 309, 311, 319 Jungwirth, Heinz 321, 482, 486, 490 Jürgens, Udo 57 Kada, Klaus 423 Kadir, Roland 203, 204 Kaindl-Hönig, Max 32, 39 Karajan, Herbert von 25 Karas, Othmar 143 Kaschl, Heinz 184 Katschthaler, Hans 125, 173, 192, 227 – 230, 235, 238, 239, 242, 252 – 254, 285, 287, 288, 294, 297, 303, 328, 343, 376, 377, 429, 430 Kellner, Melchior 214 Kemptner, Alenka 362 Kemtner, Alenka 363 Kendlbacher, Fred 271, 279 Kerns, Thomas 344, 346 Kienreich, Werner 311, 362 – 369, 674, 675, 680 Kittl, Eduard 42 Klammer, Franz 479 Kläring, Franz 40, 53, 55, 83, 87, 88, 124, 175

724

Personenregister

Kläring, Fritz 104 Klaus, Josef 254, 618 Klemm, Erwin 271, 272, 274, 276, 340, 341, 644 Kloss-Elthes, Adrienne 155 Koch, Helmut 169 Koch, Karl Friedrich 257, 348 Köhler, Peter 256 Kohl, Helmut 172 Kohr, Leopold 113 Koja, Friedrich 334 König, Fritz 145 Köpf, Peter 207 Kovacs, Judith 333, 362 Kovarbasic, Theodor 87 Krause, Günther 238 Krawagna-Pfeifer, Katharina 585 Kreisky, Bruno 39, 103, 223, 254, 622 Krens, Thomas 430, 433, 435, 436 Kretschmann, Winfried 712 Krier, Rob 184 Krischenitz, Adolf 183 Kronberger, Silvia 451, 452 Kurrent, Friedrich 41, 423 Kurz, Dietlinde 70, 101, 298, 301, 308, 355, 638, 641 Kurz, Dietmar 298 Kutschera, Barbara 51 Kutschera, Harald 544, 546 Kyrer, Alfred 232 Lacina, Ferdinand 168, 170 Ladstätter, Georg 49, 50 Lagler, Claudia 374, 574 Lamprechter, Astrid 561 Lanc, Erwin 117 Landauer, Johanna 310, 311, 313 Landolt, Stephan 39 Langthaler, Monika 298, 299 Lechner, Hans 27, 29, 40, 47 – 50, 52 Leitner, Gernot 479 Lettner, Harald 77, 245, 251, 259, 262, 263, 266, 269 – 274, 347, 430, 645 Lichal, Robert 236 Liebl, Hermann 39 Lindinger, Gerhard 50 Lindner, Andrea 404, 587 Lippert, Otto 51

Lodron, Erzbischof Paris 29, 30 Löffler, Sigrid 263 Lorenz, Fritz 185 Lorenz, Konrad 57 Löschnak, Franz 294 Luckmann, Wilfried 126 Lukas, Meinhard 545, 555 Mahringer, H. 138 Maier, Wolfgang 358 Mainoni, Eduard 256, 264, 271 Mair, Michael 536 Maltschnig, Georg 551 Marchner, Günther 415, 668, 669 Marschalek, Heinz 49, 50 Martin, Hans-Peter 325, 465, 507, 529 Marx, Erich 612, 616, 618, 619, 623, 627, 632, 640, 654 Masopust, Dietrich 115 – 117, 211, 255 – 257, 263, 266 – 268, 272, 273, 276, 337, 640 Mauthe, Jörg 660, 682 Mayer-Förster, Dieter 239 Mayer, Wolfgang 689 – 693, 713 Mayr, Hans 340, 568, 580, 582, 586, 691 – 693, 695, 696 Mayr, Karl 176 Mayr-Melnhof, Friedrich 126, 137 Meinhart, Anton 486, 487 Meischberger, Walter 256 Meisl, Matthias 284, 300, 302, 306 – 310, 322, 334, 359, 360, 368 – 371, 578, 677 Meister, Herbert 57 Meixner, Manfred 185 Menapace, Richard 300 Mild, Erich 122 Mill, John Stuart 633 Mitterbauer, Walter 324 Mitterböck, Franz 169 Mitterdorfer, Siegfried 77, 249, 256, 375, 377 – 379, 385, 421, 424, 426, 439, 462 Mittermeier, Christian 546 Mock, Alois 144, 145, 170 Modrian, Franz 260 Molterer, Wilhelm 509 Moritz, Herbert 101, 113, 129, 130, 547 Mortier, Gérard 346, 433

Personenregister Moser, Elisabeth 259, 271, 308, 325, 331, 352, 358 – 362, 364 – 369, 641, 642, 647, 672, 677 Moser, Gabriele 359, 552 Moser, Josef 32, 49 Mozart, Wolfgang Amadeus 25, 86, 347 Mühlfellner, Heide 184 Müller, Heinrich 201, 203 Müller, Manfred 540 Müller, Roswitha 140, 200, 213, 214, 652, 654, 656, 657, 659, 661 – 663, 670 Müller, Rudolf 137 Naderer, Helmut 568 Nagl, Siegfried 690 Natalini, Adolfo 183 Nenning, Günther 660 Neureiter, Gerhard 120, 189, 204, 208, 282 Neureiter, Michael 278 Neureiter, Sigune 189, 190, 192, 193, 253, 254 Neuwirth, Susanne 324 Niedermayer, Gernot 202 Niemetz, Walter 562 Nie, Norman H. 12 Nindl, Gottfried 240 Noelle-Neumann, Elisabeth 160 Nussbauer, Alois 246 Oberkirchner, Sepp 130, 137, 159, 226, 566 Oberläuter, Bruno 84, 91 – 93, 106, 260 Orgonyi, Werner 284, 287 Ortner, Max 70, 134, 135 Padutsch, Johann 70, 76, 77, 200, 216, 228, 235 – 237, 249, 250, 258, 260 – 265, 271 – 276, 279, 298, 301, 302, 305, 307 – 310, 313 – 316, 323, 324, 333, 337 – 340, 342, 343, 345, 346, 348, 350 – 354, 356 – 359, 361 – 368, 374, 375, 377, 378, 384, 418, 421 – 426, 429, 431, 433 – 435, 437 – 440, 442, 443, 445 – 451, 461, 462, 464, 492, 494 – 501, 503 – 505, 522 – 525, 529, 533, 536, 575, 584, 635, 637 – 641, 643 – 646, 648 – 650, 656, 658 – 660, 662, 670 – 672, 675, 677, 694, 695, 698, 700, 702 – 706, 708 – 711, 713 – 716 Paischer, Hans 387 Pallauf, Brigitta 565, 588 Panagl, Oswald 266

725

Panosch, Martin 445, 446, 495, 496, 523 Partl, Alois 294 Paulus, Eduard 542, 544 – 546, 548, 554 Peer, Thomas 166 Peham, Fritz 176 Pelikan, Wolfgang 204 Pelinka, Anton 14 Pelka, Roman 86 Perschl, Wilhelm 200, 202 – 205, 207, 215, 658 Perterer, Manfred 269, 312, 336, 372, 379, 549, 585, 596 Peter, Friedrich 254 Peters, Paulhans 184 Petrovic, Madeleine 299, 316, 379 Petzet, Wilhelm 341 Peyerl, Erich 270, 275, 276 Peyerl, Franz 275 Pezolt, Georg 31 Pfeiffenberger, Alfred 370, 581 Pichler, Herbert 97 Pichler, Siegfried 513, 560, 577 Piffl-Perčević, Theodor 46 Pilz, Peter 298, 299 Plasser, Fritz 11, 16 Pleschberger, Werner 123 Pointner, Kurt 307 Pontiller, Erwin 184 Prähauser, Stefan 279, 561 Preuner, Harald 473, 482, 498, 523 – 525 Promegger, Elisabeth 472, 473, 522, 696 Prossinger, Otto 30, 52 Prucher, Herbert 260 Puntscher-Riekmann, Sonja 14 Quehenberger, Rudi 696 Rabl-Stadler, Helga 239, 252, 254, 346, 433 Radlegger, Wolfgang 134, 135, 137, 147, 164, 165, 223, 226, 227, 229, 242 – 246, 248, 251, 279, 280 Radmann, Fedor 478, 490 Rainer, Roland 45, 46 Raiteneau, Erzbischof Wolf Dietrich von 28 Rambauske, Erna 51 Rambauske, Fritz 51 Rathgeber, Monika 538 – 549, 554 Rauch, Johannes 695 Raus, Othmar 120, 226, 244, 273, 275, 276, 281,

726

Personenregister

Sams, Georg 319, 362 Sandner, Günther 631 Schaden, Heinz 274, 275, 323, 374, 375, 377, 378, 385, 386, 419 – 421, 424 – 426, 437 – 442, 445, 450, 461, 462, 464, 472, 473, 476, 477, 481 – 483, 486, 487, 492 – 494, 496, 498 – 501, 503, 522 – 525, 577, 644, 648, 698 – 700, 705 – 708, 711, 712 Schaechterle, Karl-Heinz 35, 42 Schäffer, Gerhard 252, 254 Schallaböck, Michael 133, 167, 195, 201 – 203, 213, 214, 656, 659 – 663, 666, 670, 689 Schaller, Eckhard 70, 265, 311, 313, 640, 659 Schallmeiner, Ralph 452 Scharrer, Erika 515 Schat, Birgit 395 Schattauer, Peter 271 Schausberger, Franz 88, 104, 175, 192, 199, 207, 230, 254, 260, 279, 292, 328 331, 333, 334, 340, 341, 344 – 346, 348, 371, 372, 376, 377, 385, 386, 408, 413, 421, 423, 425 – 427, 431, 435 – 437, 439 – 444, 456 – 458, 462, 522, 672, 682 Scheiber, Rudolf 39 Scheinast, Josef 404, 523, 587 Schellhorn, Heinrich 301, 311, 313 – 316, 359 – 362, 366, 367, 403, 551, 584, 588, 671, 673 – 675, 695, 696 Scherz, Bernd 245 Scheufele, Helmut 247 Schiechtl, Heidelinde 358 Schiedek, Bernd 97, 98, 242 – 245, 616 Schieder, Siegfried 96 Schlager, Christa 270, 275 Schlegel, Walter 87 Schludermann, Iris 255 Schmid, Wieland 430 Schmidjell, Richard 285, 286 Schmidt, Claudia 496 Schmidt, Hannelore 710 Schmidt, Heide 300 Sack, Manfred 634 Schmittner, Sepp 84 Saghi, Ulrike 365, 451, 523, 584, 716 Schmolke, Michael 158, 609 Salfenauer, Heinrich 40, 51 – 53, 55, 83, 84, 87, 90, Schneeberger, Christian 522 104, 189, 274, 614, 617 Schneider, Günther 83 Saliger, Wolfgang 235 Schnell, Karl 255, 256, 286 – 288, 300, 328, 333, Salzmann, Ferdinand 675 334, 371 – 373, 379, 385, 457, 515, 517, 532, 533, Sams, Bernhard 386 552, 561, 566, 567, 576, 578

340, 341, 348, 349, 421, 430 – 432, 436 – 438, 440, 540 Rechberger, Gabriele 201 Rechenauer, Robert 32 Rehberg, Willi 474 Rehrl, Hermann 29, 30 Reiffenstein, Ingo 49 Reinhardt, Volker 628 Reinthaler, Alois 89, 90, 617, 618 Reiser, Christoph 549 Reiter, Heidi 301, 310, 314, 315, 362, 367 – 370, 390, 408, 663, 671, 675, 676 Renkin, Franz 294 Resch, Christian 562 Reschen, Josef 84, 94, 104, 116 – 119, 132, 155, 189 – 191, 211, 234 – 236, 242, 244, 247 – 252, 270, 429, 430, 624, 626, 644, 708 Rest-Hinterseer, Heidi 452 Rettenbacher, Hermann 287 Revers, Wilhelm 39 Riedler, Monica 50 Riegler, Josef 325, 326 Riess-Passer, Susanne 410, 567 Ritschel, Karl Heinz 23, 28, 29, 39, 49, 60, 64, 186, 192, 227, 248, 429, 629 Robeischl, Johann 311 Rogatsch, Gerlinde 457, 468, 547, 564 Rogler, Wilfried 496, 499, 501 Ropac, Thaddaeus 346, 433, 434 Rosi, Francesco 621 Rossi, Aldo 184 Rössler, Astrid 359, 360, 398, 400, 401, 403, 483 – 486, 488, 491, 535 – 538, 541, 542, 545, 547, 552, 553, 566 – 568, 573, 575, 577, 580, 582 – 584, 586, 588 – 590, 594, 609, 673, 679, 684 – 692, 694 – 697, 712, 395 Roth, Erwin 480, 482, 484, 487, 490 Ruchat Roncati, Flora 423 Rücker, Fritz 53, 96, 98, 647

Personenregister Schönauer, Gertrude 270 Schöppl, Andreas 522, 523 Schorn, Josef 259 Schreiner, Helmut 104, 131, 175, 198, 229, 241, 242, 292, 329, 333, 407, 467 Schröder, Klaus Albrecht 344, 345, 431, 432 Schuller, Hellfried 131, 134 Schüssel, Wolfgang 316, 372, 410, 442, 455, 461, 506, 512, 532, 580, 587 Schutti, Anton 478, 486 Schwab, Elfriede 617 Schwaiger, Josef 565 Schwaighofer, Cyriak 342, 346, 367 – 370, 373, 382, 390, 391, 398, 404, 408, 409, 411, 413, 415 – 417, 427, 434, 437, 441, 447, 457, 458, 465, 467, 469, 472, 474 – 478, 488, 513 – 515, 519, 528, 529, 533 – 536, 550, 552, 566, 568, 578, 583 – 585, 587, 590, 595, 596, 609, 675 – 684, 687 – 692, 694 – 696, 714, 395 Schwarzenberger, Georg 252 Schwarzer, Karl 49 Schwischei, Gerhard 120 Sedlmayr, Hans 23, 25, 27 – 30, 37 – 39, 57, 186, 431, 619, 634 Seipel, Wilfried 437, 440 Seiss, Harald 561 Sekyra, Hugo Michael 135 Sellitsch, Siegfried 260 Sieberth, Barbara 404, 523, 587 Simma, Kaspanaze 665 Sinowatz, Fred 132, 133 Siza, Álvaro 631 Snozzi, Luigi 183 Sonntagbauer, Wolfgang 309 Stadlberger, Gerhard 257 Stadnikov, Sascha 541 Staribacher, Josef 117 Starzer, Georg 301 Steger, Norbert 132, 133, 254 Steidl, Albert 104 Steidl, Walter 560, 577, 580, 690, 694 Steinberger, Bernhard 513 Steiner, Dietmar 629, 634 Steiner, Rudolf 231, 664 Steiner, Waldemar 40, 42, 50, 52, 53, 55, 101, 108, 110, 115, 176, 255, 611, 613, 619, 623 Steinhäusler, Friedrich 155

727

Steinocher, Karl 52, 54, 62, 93, 611, 612 Steinwender, Josef 179 Steyrer, Kurt 132, 133 Stocker, Helmut 91, 249 Stöckl, Christian 565, 579, 595 Strache, Heinz-Christian 507 Strasser, Rudolf 498, 634, 703, 704, 708 Strauß, Franz Josef 57, 149 – 151, 153, 154, 157, 172 Streicher, Rudolf 168, 170, 237, 293 Strobl, Pius 216 Strohmaier, Gerhard 122 Stronegger, Siegbert 115 Struber, Christian 577 Stüber, Eberhard 118, 124, 125, 156, 170, 235, 445, 446 Stuchlik, Inge 261 Suko, Herbert 137 Tabasaran, Oktay 118 Tazl, Doris 462, 464, 476, 480, 494, 496, 522, 523 Thaler, Walter 409 Thalhammer, Ernst 86, 89 Thaller, Robert 256, 282, 338, 339, 372, 447 Thienen, Wolfgang 37, 62 Thun, Ernst Graf 341 Thurner, Hermann 257 Tichy, Gunther 135 Till, Helmut 91, 92, 615 – 617 Toth, Volker 155 Trittin, Jürgen 712 Trotzki, Leo 155 Trübswasser, Gerhild 362, 369, 370, 415 Trübswasser, Gunther 693 Türk, Roman 166 Ulram, Peter A. 11, 14, 19 Unger, Felix 430 Unger, Oswald M. 184 Ungers, Oswald Mathias 626 Unterbruner, Gernot 653, 657 Unterbruner, Ulrike 200, 202, 652, 653, 655, 658 Valentiny, François 423 – 427 Valle, Gino 183 Van der Bellen, Alexander 359, 363 – 365, 369, 379, 390, 417, 457, 578

728

Personenregister

Vavrovsky, Walter 45 Veichtbauer, Ricky 252, 261, 274 Verba, Sydney 12 Viera, Alvaro »Siza« 184 Vogel, Simone 497 Voggenhuber, Johannes 43, 44, 60, 63, 69, 76, 88, 91, 94, 96, 97, 99 – 101, 106, 107, 109, 114, 125, 135, 137 – 139, 155, 176 – 186, 188 – 193, 197, 207, 209, 211, 213, 216, 279, 280, 295, 298, 299, 301, 302, 309 – 311, 313 – 315, 319, 320, 337, 338, 357, 363, 389, 417, 505, 519, 528, 529, 578, 588, 589, 596, 609, 621, 623 – 641, 643, 644, 654, 656, 658 – 660, 662, 663, 667 – 669, 683, 688, 689, 694, 703, 709 – 711 Vranitzky, Franz 170, 241, 244, 249, 251, 255, 274, 288, 316, 343 Wabl, Andreas 584 Wachalovsky, Ernst 32, 51, 52 Wagner, Anton 539, 552 Wagner, Axel 436 Wagner, Franz 50 Wagner, Leopold 170 Wagner, Peter 261, 262 Wahlhütter, Reinhold 167, 261 Walderdorff, Christian 37, 51, 54, 58, 62 Waldstein, Wolfgang 39 Walkner, Brigitta 642 Wallentin, Barbara 301 Wallner, Leo 476, 478, 487, 490 Wanicek, Walter 333 Wanner, Michael 497 Weber, Joseph 184 Weber, Wolfgang 361 Weingartner, Paul 39 Weiser, Martha 53

Weiß, Kurt 257 Weizsäcker, Karl Friedrich von 229 Welan, Manfried 336 Welz, Friedrich 29, 30, 32, 46, 65 Wenger, Sonja 370 Widmann, Tina 563, 565 Wiedermann, Friedrich 550, 553 Wiener, Wolfgang 445, 440, 497 Wieser, Johannes 37 Wiesner, Sepp 176 Wihan, Helmut 169 Wimmer, Andreas 288, 340 Winkler, Volker 170, 223, 227, 256, 286 Winter, Alfred 51, 57 Wittek-Jochums, Michael 286 Wolf, Elisabeth 201 Wondra, Heinz 184, 185 Wörgetter, Sylvia 550, 553, 566, 567, 574, 580 Wörle, Eugen 31 Wörndl, Dieter 257 Zaic, Michael 340 Zauner, Alfred 382 Zaunschirm, Thomas 183 Ziegeleder, Ernst 45 Ziesel, Eckehart 57 – 59, 62, 70, 83 – 86, 89, 91, 93, 95, 108, 109, 111, 114, 192, 197, 280, 338, 447, 611 – 614, 618 – 622, 625, 630, 631, 635, 638, 646, 656, 658, 689, 701, 703 Zimmermann, Friedrich 158 Zuckmayer, Carl 57 Züger, Pius 284, 285 Zwink, Stefan 345, 432 Zyla, Hans 89 – 91, 94 – 97, 99, 100, 104, 106, 109, 110, 175, 182, 242, 245, 246, 280, 615, 616, 619, 620, 623, 629

Die Autoren

Robert Kriechbaumer, Jg. 1948, em. Professor für Neuere Öster­ reichische Geschichte an der Universität Salzburg und Professor für ­Geschichte an der Pädagogischen Hochschule Salzburg. Seit 1991 ist er Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates des Forschungsinstituts für politisch-historische Studien der Dr.-WilfriedHaslauer-Bibliothek. Michael Mair, Jg. 1955, Studium d. Kommunikations- und Politikwissenschaft  ; langjähriger Politik-Journalist im ORF Salzburg  ; Lektor (Schwerpunkte  : »Informations­ dramaturgie«, »Politik und Fernsehen«) an der Universität Salzburg.

SCHRIFTENREIHE DES FORSCHUNGSINSTITUTES FÜR POLITISCH-HISTORISCHE STUDIEN DER DR.-WILFRIED -HASLAUER-BIBLIOTHEK HERAUSGEGEBEN VON ROBERT KRIECHBAUMER, HUBERT WEINBERGER UND FRANZ SCHAUSBERGER EINE AUSWAHL

BD. 28 | HERBERT DACHS (HG.) ZWISCHEN WETTBEWERB

BD. 23 | ROBERT KRIECHBAUMER (HG.)

UND KONSENS

ÖSTERREICH! UND FRONT HEIL!

LANDTAGSWAHLKÄMPFE IN ÖSTER-

AUS DEN AKTEN DES

REICHS BUNDESLÄNDERN 1945–1970

GENERALSEKRETARIATS DER

2006. 469 S. 56 S/W-ABB. UND ZAHLR.

VATERLÄNDISCHEN FRONT

TAB. BR. | ISBN 978-3-205-77445-7

INNENANSICHTEN EINES REGIMES 2005. 436 S. GB. MIT SU.

BD. 29 | CHRISTIAN DIRNINGER,

ISBN 978-3-205-77324-5

JÜRGEN NAUTZ, ENGELBERT THEURL, THERESIA THEURL

BD. 25 | ULRIKE ENGELSBERGER,

ZWISCHEN MARKT UND STAAT

ROBERT KRIECHBAUMER (HG.)

GESCHICHTE UND PERSPEKTIVEN DER

ALS DER WESTEN GOLDEN WURDE

ORDNUNGSPOLITIK IN DER ZWEITEN

SALZBURG 1945–1955 IN US-

REPUBLIK

AMERIKANISCHEN FOTOGRAFIEN

2007. 555 S. ZAHLR. TAB. UND GRAFIKEN.

2005. 270 S. 263 S/W-ABB. GB. MIT SU.

GB. | ISBN 978-3-205-77479-2

ISBN 978-3-205-77325-2 BD. 30 | HEINRICH G. NEUDHART BD. 26 | FRANZ SCHAUSBERGER

PROVINZ ALS METROPOLE

ALLE AN DEN GALGEN!

SALZBURGS AUFSTIEG ZUR FACH-

DER POLITISCHE »TAKEOFF« DER

MESSE-HAUPTSTADT ÖSTERREICHS

»HITLERBEWEGUNG« BEI DEN

VON DEN ANFÄNGEN BIS ENDE DER

SALZBURGER GEMEINDEWAHLEN 1931

1970ER JAHRE

2005. 278 S. 29 S/W-ABB. GB. MIT SU.

2006. 191 S. 27 S/W-ABB. 26 TAB. GB.

ISBN 978-3-205-77340-5

ISBN 978-3-205-77508-9

BD. 27 | ROBERT KRIECHBAUMER (HG.)

BD. 33 | ROBERT KRIECHBAUMER

»DIESES ÖSTERREICH RETTEN«

ZEITENWENDE

PROTOKOLLE DER CHRISTLICH-

DIE SPÖ-FPÖ-KOALITION 1983–1987 IN

SOZIALEN PARTEITAGE DER ERSTEN

DER HISTORISCHEN ANALYSE, AUS DER

REPUBLIK

SICHT DER POLITISCHEN AKTEURE UND

2006. 485 S. GB. MIT SU.

IN KARIKATUREN VON IRONIMUS

ISBN 978-3-205-77378-8

2008. 626 S. 16 KARIKATUREN. GB.

SQ472

ISBN 978-3-205-77770-0

böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, a-1010 wien, t: + 43 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

SCHRIFTENREIHE DES FORSCHUNGSINSTITUTES FÜR POLITISCH-HISTORISCHE STUDIEN DER DR.-WILFRIED -HASLAUER-BIBLIOTHEK BD. 35 | FRANZ SCHAUSBERGER (HG.)

BD. 39 | HUBERT STOCK

GESCHICHTE UND IDENTITÄT

»… NACH VORSCHLÄGEN DER VATER-

FESTSCHRIFT FÜR ROBERT KRIECH-

LÄNDISCHEN FRONT«

BAUMER ZUM 60. GEBURTSTAG

DIE UMSETZUNG DES CHRISTLICHEN

2008. 504 S. GB. MIT SU.

STÄNDESTAATES AUF LANDESEBENE,

ISBN 978-3-205-78187-5

AM BEISPIEL SALZBURG 2010. 185 S. 40 S/W-ABB. ZAHLR. GRAFI-

BD. 36 | MANFRIED RAUCHENSTEINER (HG.)

KEN UND TAB. BR.

ZWISCHEN DEN BLÖCKEN

ISBN 978-3-205-78587-3

NATO, WARSCHAUER PAKT UND ÖSTERREICH

BD. 40 | RICHARD VOITHOFER

2010. 817 S. ZAHLR. S/W-ABB., KARTEN,

»… DEM KAISER TREUE UND

TAB. UND GRAFIKEN. GB. MIT SU.

GEHORSAM …«

ISBN 978-3-205-78469-2

EIN BIOGRAFISCHES HANDBUCH DER POLITISCHEN ELITEN IN SALZBURG

BD. 37 | REINHARD KRAMMER,

1861 BIS 1918

CHR ISTOPH KÜHBERGER,

2011. 195 S. 10 S/W-ABB. BR.

FRANZ SCHAUSBERGER (HG.)

ISBN 978-3-205-78637-5

DER FORSCHENDE BLICK BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE ÖSTER-

BD. 41 | HERBERT DACHS, CHRISTIAN

REICHS IM 20. JAHRHUNDERT.

DIRNINGER, ROLAND FLOIMAIR (HG.)

FESTSCHRIFT FÜR ERNST HANISCH

ÜBERGÄNGE UND VERÄNDERUNGEN

ZUM 70. GEBURTSTAG

SALZBURG VOM ENDE DER 1980ER

2010. 505 S. 3 S/W-ABB. ZAHLR. TAB. UND

JAHRE BIS INS NEUE JAHRTAUSEND

GRAFIKEN. GB. MIT SU.

2013. 893 S. 38 S/W-ABB. UND GRAFIKEN

ISBN 978-3-205-78470-8

GB. MIT SU. | ISBN 978-3-205-78721-1

BD. 38 | ERNST BEZEMEK,

BD. 42 | ROBERT KRIECHBAUMER,

MICHAEL DIPPELREITER

PETER BUSSJÄGER (HG.)

POLITISCHE ELITEN IN

DAS FEBRUARPATENT 1861

NIEDERÖSTERREICH

ZUR GESCHICHTE UND ZUKUNFT DER

EIN BIOGRAPHISCHES HANDBUCH

ÖSTERREICHISCHEN LANDTAGE

1921 BIS ZUR GEGENWART

2011. 238 S. 7 S/W-ABB. GB. MIT SU.

2011. 393 S. 14 S/W-ABB. GB. MIT SU.

ISBN 978-3-205-78714-3

SQ472

ISBN 978-3-205-78586-6

böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, a-1010 wien, t: + 43 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

SCHRIFTENREIHE DES FORSCHUNGSINSTITUTES FÜR POLITISCH-HISTORISCHE STUDIEN DER DR.-WILFRIED -HASLAUER-BIBLIOTHEK BD. 43 | ROBERT KRIECHBAUMER ,

BD. 49 | ANDREA BRAIT,

FRANZ SCHAUSBERGER (HG.)

MICHAEL GEHLER (HG.)

DIE UMSTRITTENE WENDE

GRENZÖFFNUNG 1989

ÖSTERREICH 2000–2006

INNEN- UND AUSSENPERSPEKTIVEN

2013. 848 S. ZAHLR. FARB. UND S/W-ABB.,

UND DIE FOLGEN FÜR ÖSTERREICH

TAB. UND GRAFIKEN. GB. MIT SU.

2014. 544 S. 6 S/W-ABB. ZAHLR. TAB.,

ISBN 978-3-205-78745-7

GRAFIKEN UND EINE CD. GB. MIT SU. | ISBN 978-3-205-79496-7

BD. 45 | ROBERT KRIECHBAUMER UMSTRITTEN UND PRÄGEND

BD. 50 | LOTHAR HÖBELT (HG.)

KULTUR- UND WISSENSCHAFTSBAUTEN

AUFSTIEG UND FALL DES VDU

IN DER STADT SALZBURG 1986–2011

BRIEFE UND PROTOKOLLE AUS

2012. 268 S. 64 FARB. ABB. GB.

PRIVATEN NACHLÄSSEN 1948–1955

ISBN 978-3-205-78860-7

2015. 346 S. GB. | ISBN 978-3-205-79634-3

BD. 46 | ROBERT KRIECHBAUMER

BD. 51 | CHRISTIAN DIRNINGER, THOMAS

ZWISCHEN ÖSTERREICH UND

HELLMUTH, ANTON THUSWALDNER

GROSSDEUTSCHLAND

SALZKAMMERGUT SCHAUEN

EINE POLITISCHE GESCHICHTE DER

EIN BLICK INS UNGEWISSE

SALZBURGER FESTSPIELE 1933–1944

REGIONALE IDENTITÄTEN 1

2013. 445 S. 70 S/W-ABB. UND 8 TAB. GB.

2015. 236 S. 23 S/W-ABB. GB. MIT

MIT SU. | ISBN 978-3-205-78941-3

SU. | ISBN 978-3-205-79643-5

BD. 47 | ROBERT KRIECHBAUMER

BD. 52 | CLAUS REITAN

»... STÄNDIGER VERDRUSS UND VIELE

FRANZ SCHAUSBERGER

VERLETZUNGEN.«

POLITIKER – HISTORIKER – EUROPÄER

DIE REGIERUNG KLIMA/SCHÜSSEL

BIOGRAFISCHE ANNÄHERUNG AN

UND DIE BILDUNG DER ÖVP-FPÖ-REGIE-

EINEN VIELSEITIGEN

RUNG. ÖSTERREICH 1997–2000

2015. 217 S. 52 S/W-ABB. GB. MIT SU.

2014. 432 S. 54 TAB. GB. MIT SU.

ISBN 978-3-205-79653-4

ISBN 978-3-205-79570-4

SQ472

BD. 53 | KÄRNTNER LANDESARCHIV, BD. 48 | OSKAR DOHLE,

JOHANNES HÖRL, DIETMAR

THOMAS MITTERECKER (HG.)

SCHÖNDORFER (HG.)

SALZBURG IM ERSTEN WELTKRIEG

DIE GROSSGLOCKNER

FERNAB DER FRONT – DENNOCH IM

HOCHALPENSTRASSE

KRIEG

ERBE UND AUFTRAG

2014. 492 S. 154 S/W- UND FARB. ABB.

2015. 504 S. 463 S/W- UND FARB. ABB.

GB. | ISBN 978-3-205-79578-0

GB. | ISBN 978-3-205-79688-6

böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, a-1010 wien, t: + 43 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

SCHRIFTENREIHE DES FORSCHUNGSINSTITUTES FÜR POLITISCH-HISTORISCHE STUDIEN DER DR.-WILFRIED -HASLAUER-BIBLIOTHEK BD. 54 | STEFAN MÜLLER, DAVID

BD. 58 | ROBERT KRIECHBAUMER

SCHRIFFL, ADAMANTIOS SKORDOS

POLITIK UND MILITÄR IM 19. UND

HEIMLICHE FREUNDE

20. JAHRHUNDERT

DIE BEZIEHUNGEN ÖSTERREICHS

ÖSTERREICHISCHE UND EUROPÄISCHE

ZU DEN DIKTATUREN SÜDEUROPAS

ASPEKTE. FESTSCHRIFT FÜR MANFRIED

NACH 1945: SPANIEN, PORTUGAL,

RAUCHENSTEINER

GRIECHENLAND

2017. 523 S. 21 S/W- UND 8 FARB. ABB.

2016. 325 S. 23 S/W-ABB. GB.

GB | ISBN 978-3-205-20417-6

ISBN 978-3-205-20101-4 BD. 59 | CHRISTIAN DIRNINGER BD. 55 | ROBERT KRIECHBAUMER

AUSTRO-KEYNESIANISMUS

»ES REICHT!«

ZUR WIRTSCHAFTSPOLITISCHEN ROLLE

DIE REGIERUNG GUSENBAUER –

DES STAATES

MOLTERER. ÖSTERREICH 2007/2008

2017. CA. 336 S. CA. 18 TAB. UND GRAF.

2016. 948 S. 49 FARB. ABB. UND 151 TAB.

GB. | ISBN 978-3-205-20519-7

GB. | ISBN 978-3-205-20252-3 BD. 56 | ROBERT KRIECHBAUMER (HG.)

BD. 60 | TAMARA EHS,

NEUES AUS DEM WESTEN

HEINRICH NEISSER (HG.)

AUS DEN STRENG VERTRAULICHEN

VERFASSUNGSGERICHTSBARKEIT UND

BERICHTEN DER SICHERHEITS -

DEMOKRATIE

DIREK TION UND DER BUNDESPOLIZEI -

EUROPÄISCHE PARAMETER IN ZEITEN

DIREK TION SALZBURG AN DAS

POLITISCHER UMBRÜCHE?

INNEN MINISTERIUM 1945 BIS 1955

2017. 104 S. FRANZ. BR.

2016. 481 S. ZAHLR. TAB. GB.

ISBN 978-3-205-20568-5

ISBN 978-3-205-20318-6 BD. 61 | ROBERT KRIECHBAUMER, BD. 57 | HERBERT DACHS, MICHAEL

MICHAEL MAIR

DIPPELREITER, FRANZ SCHAUSBERGER

DER LANGE UMWEG ZUR MACHT

(HG.)

DIE GESCHICHTE DER GRÜNEN IN

RADIKALE PHRASE, WAHLBÜNDNISSE

SALZBURG BIS 2013

UND KONTINUITÄTEN

2017. 729 S. 21 S/W- UND 23 FARB. ABB.

LANDTAGSWAHLKÄMPFE IN ÖSTER-

GB. | 978-3-205-20650-7

REICHS BUNDESLÄNDERN 1919 BIS 1932 2017. 607 S. 48 S/W- UND 16 FARB. ABB.

BD. 62 | FRANZ SCHAUSBERGER

GB. | ISBN 978-3-205-20498-5

RUDOLF RAMEK 1881–1941 KONSENSKANZLER IM ÖSTERREICH DER GEGENSÄTZE 2017. 916 S. 126 S/W-ABB. GB.

SQ472

978-3-205-20644-6

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MARKUS BENESCH

DIE WIENER CHRISTLICHSOZIALE PARTEI 1910–1934 EINE GESCHICHTE DER ZERRISSENHEIT IN ZEITEN DES UMBRUCHS

Zwischen 1910 und 1934 durchlief Wien einen grundlegenden Wandel. In dieser Zeit wurde aus der bürgerlichen Reichshaupt- und Residenzstadt die politische Bastion der Sozialdemokratie, das sogenannte „Rote Wien“. Im selben Zeitraum änderte sich auch die Position und die politische Rolle der Wiener Christlichsozialen Partei: Aus der ehemaligen Bürgermeisterpartei des Karl Lueger wurde eine kommunale Oppositionspartei, die aber weiterhin eine bedeutende Rolle spielte. In diesem Buch wird die Geschichte der Wiener Christlichsozialen Partei und ihrer handelnden Akteure in einer Phase des Umbruchs beschrieben. Es bietet einen Einblick in die Probleme und Herausforderungen und die Zerissenheit einer Partei zwischen bundespolitischen Notwendigkeiten und landespolitischen Nöten. 2014. 420 S. 31 S/W-ABB., 68 TAB. U. GRAF. GB. MIT SU. 155 X 235 MM. ISBN 978-3-205-79475-2

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OK ! AU CH ALS eBO

MANFRIED RAUCHENSTEINER

UNTER BEOBACHTUNG ÖSTERREICH SEIT 1918

Jedes Mal, wenn sich in Österreich nach 1918 etwas ereignete, stand das Land unter Beobachtung: als Deutschösterreich, als Erste Republik, als Ständestaat, als Alpen- und Donaugaue des Großdeutschen Reichs, als Zweite Republik – bis in die Gegenwart. Es wurde und wird geschaut, gehört und meist nicht geschwiegen. So als ob Österreich noch immer jene Versuchsstation für Weltuntergänge wäre, als die sie Karl Kraus beschrieben hat. Ein spannender und abwechslungsreicher Überblick über die österreichische Geschichte der letzten 100 Jahre. 2017. 628 S. 25 S/W-ABB., 3 KARTEN GB. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-205-20500-5 [BUCH] | ISBN 978-978-3-205-20682-8 [E-BOOK]

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