Die Dunkelheit des politischen Horizonts. Salzburg 1933 bis 1938 in den Berichten der Sicherheitsdirektion: Band 2: Donnergrollen. Vom Februar 1934 bis Juli 1936 [1 ed.] 9783205232100, 9783205232087

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Die Dunkelheit des politischen Horizonts. Salzburg 1933 bis 1938 in den Berichten der Sicherheitsdirektion: Band 2: Donnergrollen. Vom Februar 1934 bis Juli 1936 [1 ed.]
 9783205232100, 9783205232087

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DIE DUNKELHEIT DES POLITISCHEN HORIZONTS SALZBURG 1933 BIS 1938 IN DEN BERICHTEN DER SICHERHEITSDIREKTION Band 2: Donnergrollen. Vom Februar 1934 bis Juli 1936 HERAUSGEGEBEN VON ROBERT KRIECHBAUMER

Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg

Herausgegeben von Robert Kriechbaumer · Franz Schausberger · Hubert Weinberger Band 70,2

Robert Kriechbaumer

Die Dunkelheit des politischen Horizonts Salzburg 1933 bis 1938 in den Berichten der Sicherheitsdirektion Band 2 : Donnergrollen. Vom Februar 1934 bis Juli 1936

Böhlau Verlag Wien · Köln · Weimar

Veröffentlicht mit Unterstützung durch den Zukunftsfonds der Republik Österreich und das Amt der Salzburger Landesregierung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2020 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien, Kölblgasse 8–10, A-1030 Wien Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung  : Sprengstoffanschlag auf das Festspielhaus in Salzburg (18.5.1934). Österreichische Nationalbibilothek. Korrektorat  : Philipp Rissel, Wien Einbandgestaltung  : Michael Haderer, Wien Satz  : Michael Rauscher, Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-205-23210-0

Inhaltsverzeichnis

TEIL I DIE SCHATTEN DER GROSSEN POLITIK – HISTORISCHE ENTWICKLUNGSLINIEN   1. Der Kampf der ungleichen Mythen – Hitler gegen Dollfuß. . . . . . . . . .   9   2. Politik als Weltanschauung oder der Kampf um die Erzählung. Österreichs »Grosse Deutsche Mission« angesichts des »Gegenreichs« des Nationalsozialismus.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  27   3. Salzburg als Inszenierungsort einer antifaschistischen Gegenöffentlichkeit .  44   4. Zwischen Konsens und Autoritärem Kurs. Landeshauptmann Franz Rehrls politischer Balanceakt.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  51   5. Vor den Toren der Macht  ? Die Österreichische NSDAP zwischen Evolution und Putsch.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  74   6. Zwischen Chaos und Rivalitäten. Der Juliputsch 1934 der NSDAP in Salzburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100   7. »Die Bürgerliche Demokratie ist in Österreich tot.«. Die Revolutionären Sozialisten 1934 bis 1936. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113   8. Einheitsfront, »Antifaschismus, Sowjetösterreich und der neue (verordnete) Patriotismus«. Die KPÖ 1934 bis 1936.. . . . . . . . . . . . . 132   9. »… Ein neues Vaterland Bauen.«. Die Implementierung des autoritären Ständestaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 10. Die Großglockner Hochalpenstraße und die Festspiele. Der Salzburger Mikrokosmos 1935 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 11. Das Ende der Versailler Friedensordnung 1935 und die Folgen für Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

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Inhaltsverzeichnis

12. Die Suche nach einem innen- und außenpolitischen Modus Vivendi. Die Aktion Reinthaller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 13. Ein neuerlicher Versuch. Das Juliabkommen 1936 – Das Trojanische Pferd des Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Tafeln.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249

TEIL II DIE BERICHTE 1. »… und sympathisiert heute noch insgeheim mit dieser Partei.«. Über die allgemeine Stimmungslage und die Sicherheitsverhältnisse . . . . . . . . . . 267 2. »… und sympathisiert heute noch insgeheim mit dieser Partei.«. Die anhaltende Faszination der NSDAP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 3. »Der Marxismus ist tot  ? Nein, die SDAP ist tot.«. Die Revolutionären Sozialisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 4. »Es kann nur eine Partei des österreichischen Proletariats geben – Die Kommunistische Partei.«. Die KPÖ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 5. »… Die Zeit der Parteienherrschaft ist vorüber.«. Heimwehr und Vaterländische Front. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632

Quellen- und Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659 Abbildungsnachweis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671 Personenregister.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 672

TEIL I DIE SCH AT TEN DER GROSSEN POLITIK – HISTOR ISCHE EN TW ICK LU NGSLI N IEN

1. Der Kampf der ungleichen Mythen – Hitler gegen Dollfuß Die Schatten der internationalen und der Bundespolitik lagen vor allem aus zwei Gründen schwer auf der Salzburger Landespolitik  : Das Land war als Grenzland zum Dritten Reich und in Sichtweite des Berghofs eine zentrale »Kampfzone« der Systeme. Die geografische Lage des Landes erleichterte den illegalen Grenzübertritt von Nationalsozialisten sowie den Schmuggel von Propagandamaterial und die aus dem Reich kolportierten Nachrichten über das Wirtschaftswunder und das drastische Sinken der Arbeitslosigkeit verstärkten angesichts der Permanenz der ökonomischen Krise, der die Bundesregierung trotz aller Bemühungen nur eingeschränkt Herr wurde, vor allem in den grenznahen Regionen die Attraktivität des Nationalsozialismus. Hinzu trat der – nicht zuletzt aufgrund der nationalsozialistischen Propaganda – ständig an Zugkraft gewinnende Führermythos Adolf Hitlers, der vor allem nach den außenpolitischen Erfolgen des Jahres 1935 – Saarabstimmung und Einführung der allgemeinen Wehrpflicht – zum gottähnlichen Übervater avancierte. Ein 1935 abgefasster Bericht aus Westfalen bemerkte, »dass Hitlers Erfolg im Saarland und seine Durchsetzung der Wiederbewaffnung ohne jede Gefahr ihm auch in der Arbeiterklasse einen Popularitätszuwachs verschafft hätten. Selbst ehemalige Anhänger der Kommunisten, die zuvor arbeitslos gewesen waren, jetzt aber in der Rüstungsindustrie gut verdienten, verteidigten das System mit dem Argument, dass sie nun wenigstens Arbeit hätten und ›das haben die anderen nicht fertiggebracht.‹« Die außenpolitischen Erfolge des Jahres 1935 schienen auch in den Augen vieler, die dem Regime kritisch bis ablehnend gegenüberstanden, zu bestätigen, dass Hitler hohe außenpolitische Qualitäten besaß und die als schmachvoll empfundenen Bedingungen des Friedens von Versailles zu beseitigen und die Ehre Deutschlands wiederherzustellen vermochte.1 William L. Shirer berichtete Ähnliches. »In Saarbrücken, wohin ich am 1. März flog, dem Tag, da die Übergabe des Saargebietes an Deutschland erfolgen sollte, überraschte mich die geradezu hysterische Begeisterung, mit der die dortige, vorwiegend katholische Arbeiterschaft Hitler begrüßte.« Etwas mehr als zwei Wochen später, nach der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht, »herrschte in Deutschland Jubel und Festtagsstimmung. Mit einem kühnen Streich hatte Hitler an einem Tag erreicht, was in all den Jahren die Regierung der Republik nicht einmal zu versuchen gewagt hatte. In den Augen der meisten Deutschen, unter ihnen auch solche, die in Opposition zu seiner brutalen Herrschaft standen, hatte er die Ehre des Landes wiederhergestellt. Das verhasste Versailler ›Friedensdiktat‹ war 1 Ian Kershaw  : Der Hitler Mythos. Führerkult und Volksmeinung. – München 2018. S. 97f.

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zerfetzt.«2 Viktor Klemperer notierte am 27. März 1937 in sein Tagebuch  : »In politicis gebe ich allmählich die Hoffnung auf  ; Hitler ist doch wohl der Erwählte seines Volkes. Ich glaube nicht, dass er im geringsten schwankt, ich glaube allmählich wirklich, dass sein Regime noch Jahrzehnte halten kann.«3 Hitler wurde der allwissende Retter aus der Not, die Projektionsfläche der Sehnsüchte, der in unmittelbarer Nähe Salzburgs auf dem Obersalzberg sein Sommerdomizil hatte. Der Obersalzberg wurde zum Wallfahrtsort, den Tausende mit quasi-religiöser Inbrunst aufsuchten. »Die Gegend um das Haus Wachenfeld wird ständig von Verehrern und Verehrerinnen umstanden«, meldete im August 1934 der Regierungspräsident von Oberbayern. »Selbst auf Spaziergängen in einsamen Gegenden wird der Herr Reichskanzler von einem Schwarm zudringlicher Verehrer und Neugieriger verfolgt.« Für Hitlers Adjutanten Fritz Wiedemann hatten die Züge der immer zahlreicher werdenden Verehrer/innen »etwas Religiöses.« Für sie war der Anblick des Berghofs und, wenn sie Glück hatten, des Hausherrn, »einer der großen Augenblicke ihres Lebens.«4 Hitler avancierte selbst bei jenen, die dem Regime zunächst ablehnend bis distanziert gegenüberstanden, relativ rasch nach seiner Ernennung zum Reichskanzler zum von der nationalsozialistischen Propaganda geschaffenen »Kanzler der nationalen Erhebung« und »Wiedergeburt«, zum »Sinnbild der Nation«, in dem sich das vor allem seit der Niederlage 1918 ungestillte Verlangen nach Erweckung und Erneuerung personifizierte und das die Inszenierung des »Tags von Potsdam« am 21. März 1933 in suggestiver Form befriedigte. Wenig später, anlässlich des 44. Geburtstages Hitlers am 20. April 1933, folgte das von Goebbels geschaffene Bild des »Volkskanzlers«, wurden dessen menschlich-schlichte Züge, seine soldatische Tapferkeit und Treue sowie seine Herzensgüte betont, die sich in Kinderfreundlichkeit und Tierliebe manifestierte. Anfang 1936 wurde der Hitler-Mythos um messianisch quasi-religiöse Elemente angereichert  : Hitler als der von der Vorsehung Auserwählte, der mit traumwandlerischer Sicherheit seinen Weg geht, wurde zum Topos, den er ab nunmehr selber in seinen Reden immer häufiger verwendete. Er hatte begonnen, an seinen eigenen Mythos zu glauben. Führermythos und -herrschaft erfreuten sich bis 1939 einer ständig wachsenden, teils enthusiastischen Zustimmung großer Teile der deutschen Gesellschaft. Den Höhepunkt bildete das Jahr 1938 mit dem »Anschluss« Österreichs und dem Münchner Abkommen, mit dem das Schicksal der Tschechoslowakei besiegelt wurde. 2 William L. Shirer  : Das Jahrzehnt des Unheils. 1930–1940. Meine Erlebnisse in Deutschland und Europa in den Jahren, die unsere Welt veränderten. – Bern/München/Wien 1986. S. 137ff. 3 Victor Klemperer  : Tagebücher 1937–1939. Herausgegeben von Walter Nowojski unter Mitarbeit von Hadwig Klemperer. – Berlin 1999. S. 16. 4 Zit. bei Volker Ullrich  : Adolf Hitler. Die Jahre des Aufstiegs. – Frankfurt am Main 2013. S. 574.

Der Kampf der ungleichen Mythen – Hitler gegen Dollfuß

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»Kein deutscher Politiker hatte seit der Begeisterung, die in den frühen 1870er-Jahren durch Bismarcks Reichsgründung ausgelöst worden war, je wieder eine solche Popularität wie Hitler gewonnen. Sie war das Ergebnis einer, wie es vielen schien, makellosen Erfolgsbilanz in der Innen- und erst recht in der Außenpolitik. Hatte Hitler als messianischer Volkstribun im Stil des heilsgewissen Charismaträgers seit 1929/30 die Überwindung der existenziellen Krise und den Aufstieg zu neuer nationaler Herrlichkeit versprochen, dankte ihm jetzt die Mehrheit seiner Deutschen mit leidenschaftlicher ›Hingabe- und Glaubensbereitschaft‹. Als außer der Wiedergewinnung von sozialer Sicherheit durch die Vollbeschäftigung mit ihrer Befreiung von krasser materieller Not auch noch der ›aufgestaute Integrationshunger‹, der bis 1933 wegen der extremen Polarisierung von Politik und Gesellschaft nach einem rettenden charismatischen Ordnungsstifter verlangt hatte, gestillt und zugleich die ›Sehnsucht nach einer neuen Autorität‹ befriedigt worden war. Gab es das seltene Phänomen des Kairos, des einmaligen historischen Augenblicks, in dem Führerherrschaft und Volksmeinung in vorbehaltloser Übereinstimmung standen.« Wenngleich die Repression allgegenwärtig war, wäre es »dennoch verfehlt, den Führerstaat primär als Terrorregime zu charakterisieren, in dem eine Bande von Desperados unter der Leitung eines österreichischen Asozialen eine Art von Fremdherrschaft über Deutschland ausgeübt habe, der sich die anständige, aber wehrlose Mehrheit habe beugen müssen. Diese Deutung des ›Dritten Reiches‹ ist zwar eine geraume Zeit lang von einer verblüffend apologetischen Historiografie in der frühen Bundesrepublik vertreten worden, um sich der bestürzenden historischen Wahrheit nicht stellen zu müssen. Doch verfehlt sie radikal, so unleugbar der tödliche Terror und seine Demonstrationseffekte ihre Wirkung gehabt haben, die breite Konsensbasis, die der ›Führer‹ mit der Masse seiner Deutschen bis 1939 geteilt hat.«5 Der Hitler-Mythos war auch das Ergebnis der virtuosen Goebbelschen Propaganda, doch setzte der Führer-Kult in der NSDAP bereits in den frühen 20er-Jahren ein »und als er zu einem einflussreichen Faktor des gesamtstaatlichen öffentlichen Lebens wurde, hatte der ›Führer‹ sein Eigencharisma längst weiterentwickelt. Vor allem aber trugen ihn das unerhörte gesellschaftliche Echo und die daraus resultierende Zustimmungsbereitschaft weiter empor. Sie konnten von der Propaganda nicht geschaffen, sondern nur aktiviert werden. Hitler war daher nur zum Teil ›medium‹, vorwiegend aber selbstherrlicher ›Meister der Machtentfaltung‹. Ohne die Auswirkungen der seit 1918 extrem spannungsreichen sozipolitischen Desintegration der deutschen Gesellschaft (…) kann man weder den Zustand des zunehmend radikalisierten deutschen

5 Hans Ulrich Wehler  : Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Vierter Band. Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914–1949. – München 2003. S. 675f.

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Nationalismus noch die seit 1934 klar erkennbare Konvergenz der Meinungen  : in Hitler den ersehnten nationalen Retter gefunden zu haben, angemessen erfassen.«6 Hans Ulrich Wehler sah die Wirksamkeit des Führer-Mythos, die weitgehende Übereinstimmung von Führerherrschaft und Volksmeinung, in fünf Ursachen  : 1. Hitlers charismatische Herrschaft basierte auf einer breiten sozialpsychologischen Disposition, der Hoffnung auf die Tatkraft eines großen Politikers, eines nationalen Heilands. Er erfüllte diese Erwartungen in hohem Ausmaß durch die Schaffung der Vollbeschäftigung, die Überwindung der Klassengegensätze und damit der marxistischen Ideologie durch die Schaffung der egalisierenden Volksgemeinschaft, die Revision der allgemein als Schmach empfundenen Friedensverträge von Versailles, die Wiederaufrüstung, die bereits zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft durch die massive Steigerung der Rüstungsausgaben von 4,7 auf 47 Prozent die Arbeitslosenzahlen senkte,7 und schließlich »das Ausmaß an entfesselter Energie und Bewunderung, das durch die pausenlos demonstrierte charismatische Macht Hitlers über seine Gegner und widrige Umstände in großen Teilen der Bevölkerung, namentlich in den jüngeren Generationen, ausgelöst wurde.«8 Die dadurch geschaffene Aura der kultischen Verehrung nahm vielfach den Charakter pseudoreligiöser Ekstase an. 2. Die Faszination der Verheißung der neuen nationalen Wiedergeburt basierte auf einer politischen Kollektivmentalität, in Krisenzeiten vor allem auf das entschiedene Handeln großer Persönlichkeiten zu vertrauen. Dies wurde besonders in der 1929 ausbrechenden Wirtschaftskrise deutlich, die mit ihren sozio-ökonomischen Begleiterscheinungen das Vertrauen in die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des bestehenden Systems und seiner Institutionen erschütterte und die Attraktivität eines alternativen Angebots inklusive dessen Befriedigung nationaler Heilserwartung massiv erhöhte. 3. Aus der Kombination der nationalen Heilserwartung und charismatischer Führung entwickelte sich der Nationalsozialismus zur politischen Religion, die Partei zur Ersatzkirche mit eigenen Ritualen und eigenem Festkalender als Stütze der liturgischen Selbstinszenierung. 4. Der massenwirksame Erfolg basierte vor allem auf dem Angebot der Volksgemeinschaft als zentralem egalitären, die Klassenantagonismen und damit die gesellschaftliche Desintegration überwindenden Bestandteil der innenpolitischen Utopie, die vor allem auch auf die Anhänger der Linken erhebliche Anziehungskraft ausübte.

6 Wehler  : Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Vierter Band. S. 679f. 7 Heinrich August Winkler  : Geschichte des Westens. Die Zeit der Weltkriege 1914–1945. – München 2011. S. 704. 8 Wehler  : S.  677.

Der Kampf der ungleichen Mythen – Hitler gegen Dollfuß

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5. Entsprechend dem jugendlichen Charakter der NSDAP9 kam der breitgefächerten Jugendpolitik der Parteijugendorganisationen HJ und BDM zentrale Bedeutung zu. Vor der Bindung an das Elternhaus oder die Kirche stand die absolute Loyalität gegenüber dem Nationalsozialismus und den Führer. Der uneingeschränkte Führerglaube wurde von der NS-Propaganda durch Topoi wie »Jugend des Führers« und der der Jugend zugeschrieben Sonderstatus in Staat und Gesellschaft verstärkt und entsprach der jugendlichen Begeisterung für Leitfiguren, die der charismatische Führer Adolf Hitler als Mythos und Projektionsfläche ideal personifizierte. Der Führermythos löste vor allem bei den jüngeren Alterskohorten eine Hingabe- und Opferbereitschaft aus, der über das entwicklungspsychologische Stadium der Pubertät weit hinausging. Der jugendliche Charakter der Partei und damit ihre – vor allem agitatorische – Sonderstellung in der politischen Arena traf auch auf die österreichische NSDAP zu. So vermochte diese ihren Mitgliederstand nach ihrem Verbot im Juni 1933 bis zum Juli 1934 vor allem durch den Zuzug jüngerer Jahrgänge um rund 21.000 zu erhöhen. Die die Dreißigerjahre prägende Armut und Arbeitslosigkeit habe, so Albert Massiczek in seinen Erinnerungen, zu seiner Auflehnung »gegen den allmächtigen Institutionalismus und die Ohnmacht« geführt, »die uns ›Unteren‹ und Jüngeren von den alten Männern ›oben‹ verordnet wurde. Die Nazis boten sich als die junge, neue Kraft an. Das jugendlich-schwärmerische Weltverbesserertum wartete darauf, zum Zug zu kommen.« Für viele »fand sich der ›charismatische‹ Trommler, der sie einte  : Hitler unser  !« In der »Deutschen Hochschulgilde Ernst Wurche«, der er damals angehörte, sei mit besonderer Inbrunst ein Lied von Walter Hensel aus dem Jahr 1919 gesungen worden, dessen Text von Ernst Leibl stammte, das jedoch zunehmend der charismatische Führerfigur Adolf Hitlers gegolten habe. Wir heben unsre Hände Aus tiefster, bittrer Not. Herrgott, den Führer sende, der unsern Kummer wende Mit mächtigen Gebot  ! 9 Michael H. Kater bemerkt in seiner Studie über die Hitler-Jugend, Hitler sei »vielen jungen Menschen wie ein Vater oder älterer Bruder« erschienen, »den sie entweder nie gehabt oder früh verloren hatten.« Viele sahen »in der NS-Bewegung samt ihren Gliederungen eine für die Jugend geschaffene Partei. Das, was von der NS-Bewegung auf der Straße an Formationen zu sehen war, wirkte jung  : die SA, die SS und der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund, der von seiner universitären Basis aus seit Mitte der 1920er-Jahre in Deutschlands Bildungsbürgertum eine Vorreiterrolle für den Nationalsozialismus spielte. Vor allem aber waren die Mitglieder der NSDAP selbst augenfällig jung  : Zwischen 1925 und 1932 betrug das Durchschnittsalter aller Neumitglieder rund 31 Jahre.« (Michael H. Kater  : Hitler-Jugend. – Darmstadt 2005. S. 15.)

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Die Schatten der großen Politik – Historische Entwicklungslinien

(…) Erwecke uns den Helden, Der stark in aller Not, Sein Deutschland mächtig rühret, Dein Deutschland gläubig führet Ins junge Morgenrot  ! (…)

Vor allem habe das Amalgam von Jugendbewegung und Nationalsozialismus eine hohe Faszination für viele österreichische Jugendliche ausgeübt. Die jugendlichen NSDAP-Aktivisten sahen ihre illegalen Aktivitäten als Kampf einer kommenden »neuen Welt« gegen eine zum Untergang verurteilte »alte«. Hinzu kam, dass »die Illegalität (…) einen lebhaften Anreiz« darstellte. Man »konnte das Gefühl entwickeln, in gerechter Sache an wichtiger Stelle, unter Einsatz seiner Person« politisch tätig zu sein.10 Reinhard Spitzy bekannte in seinen Erinnerungen, er sei nicht nur »für die Partei (…) und die SS unermüdlich tätig« gewesen und habe ihr sein ganzes Taschengeld geopfert, sondern wäre für sie auch »gern ›Märtyrer‹ geworden.«11 6. Trotz der Exilierung vieler der bedeutendsten Köpfe erfolgte »die Unterstützung der Führerdiktatur durch die noch immer als normsetzende Elite anerkannten bildungsbürgerlichen Intellektuellen.«12 Die Suggestivkraft des Nationalsozialismus wirkte nicht nur bei den sozialen Unterschichten und den vom sozialen Abstieg bedrohten Mittelschichten, sondern erhielt durch seine gesellschaftliche und nationale Transformationsdynamik zunehmend auch die Akklamation breiter groß- und bildungsbürgerlicher Schichten, bei denen er seine proletarischen Geburtsschalen abstreifte. Dieser Sakralisierung des Politischen, der Konstruktion und kollektiven Internalisierung des Führer-Mythos, begegnete man diesseits der Grenze nach der Ermordung von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß am 25. Juli 1934 im Bundeskanzleramt durch Nationalsozialisten mit der Konstruktion des Dollfuß-Mythos, basierend auf einer breiten hagiografischen Literatur über den »Märtyrer-Kanzler«, einer Einbettung in die katholische Heiligenverehrung und der Inszenierung im öffentlichen Raums durch Denkmäler, Kirchen, Kapellen, Straßen und Plätze sowie genau orches­trierte

10 Albert Massiczek  : Ich war Nazi. Faszination, Ernüchterung, Bruch. Ein Lebensbericht. Erster Teil (1916–1938). – Wien 1988. S. 148f und S. 91. 11 Reinhard Spitzy  : So haben wir das Reich verspielt. Bekenntnisse eines Illegalen. 3. Aufl. – München/ Wien 1988. S. 37f. 12 Wehler  : Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1914–1949. S. 681.

Der Kampf der ungleichen Mythen – Hitler gegen Dollfuß

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Trauerveranstaltungen.13 Die Wirkung der österreichischen Variante des Führer-­ Mythos erreichte jedoch nicht die Faszination und Breite des deutschen. Dies vor allem deshalb, weil das autoritäre Regime in Österreich und der in der zweiten Jahreshälfte 1934 entstehende Dollfuß-Mythos mit einem unterschiedlichen Problemhaushalt konfrontiert waren. 1. Der Führerkult inklusive des beanspruchten Charismas galt nicht einem Lebenden, sondern einem Toten, der erst a posteriori zum Märtyrer und Heilsbringer stilisiert wurde. So sehr sich die Propaganda auch anstrengte, weder der posthum mit einem Heiligenschein versehene Engelbert Dollfuß noch der introvertierte, eher professoral wirkende Kurt Schuschnigg repräsentierten den Typus des charismatischen Führers. 2. Die kollektive nationale Heilserwartung zielte nicht auf eine imperiale nationale Wiedergeburt im Sinne einer Wiedererrichtung der Habsburgermonarchie, sondern, der ökonomischen Krise und der kollektiven politischen Desorientierung folgend, auf den Anschluss, in welcher Form auch immer. Wenngleich St. Germain, so wie im Deutschen Reich Versailles, als Schmach und Rache der Sieger, vor allem der Nachfolgestaaten, empfunden wurde, so wurde damit vor allem das Verbot des Anschlusses und damit der Beheimatung in einem größeren Reich und nicht die nationale Wiedergeburt im Sinne einer Rekonstruktion der Habsburgermonarchie und damit die Rückkehr auf die Bühne der europäischen Großmächte assoziiert. Es war »die Sehnsucht nach dem großen Reich, das da irgendwo hinter den Wolken existierte  ; ein Reich, das irgendwie an das verklärte Heilige Römische Reich erinnerte (…)  ; ein Reich, das den 1866 und 1871 erfolgten Ausschluss Österreichs von der Gründung des Deutschen Reiches wiedergutmachen sollte.«14 3. Das ideologische und politische Programm einer österreichischen Nation und österreichischen Identität als Alternative zur großdeutschen Identität und der damit verbundenen Heilserwartung kontrastierte mit den die politische Kultur prägenden kollektiven deutschnationalen Mentalitäten. Die nunmehr entstehende Österreich-Ideologie als Konstrukt von oben war daher im Interesse ihrer Wirksamkeit gezwungen, die Nabelschnur zur gemeinsamen Reichsgeschichte und zur deutschen Kulturgemeinschaft nicht zu durchtrennen. Daraus resultierte ihre Ambivalenz, die Betonung des besseren Deutschland angesichts der nationalsozialistischen Barbarei und der spezifisch österreichischen Eigenart mit einem deutlich antipreußischen Akzent, wobei man unter Rückgriff auf die Donaumonarchie deren europäischen Charakter betonte. Die Wirksamkeit dieses Angebots ist schwer einzuschätzen, dürfte 13 Zum Dollfuß-Mythos vgl. Lucile Dreidemy  : Der Dollfuß-Mythos. Eine Biographie des Posthumen. – Wien/Köln/Weimar 2014. 14 Anton Pelinka  : Die gescheiterte Republik. Kultur und Politik in Österreich 1918–1938. – Wien/Köln/ Weimar 2017. S. 96.

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sich jedoch auch durch den Rückgriff auf die Geschichte und Symbole der Habsburgermonarchie, die Kontinuität der alten Eliten, die Aufwertung der Aristokratie sowie die starke Bindung an die Katholische Kirche auf den Kern der Anhänger und Unterstützer der Regierung beschränkt haben. Dem Ständestaat und dem von ihm geschaffenen Dollfuß-Mythos als Kämpfer und Märtyrer für die Unabhängigkeit Österreichs gelang damit kein auf breiter Basis wirksamer Gegenentwurf zur kollektive (deutschnationale) Dispositionen ansprechenden NS-Propaganda. Während der Ständestaat auf strukturelle Kontinuität setzte, forcierte der Natio­ nalsozialismus die gesellschaftliche Diskontinuität durch die Ermöglichung vielfältiger neuer Aufstiegschancen in den verschiedenen Parteiorganisationen, neu geschaffenen Institutionen/Sonderstäben, von Bürokratie und Wehrmacht. Der damit erreichte Elitenwechsel bewirkte eine »Mentalitätsveränderung, die einen nicht minder realhistorischen Faktor als den Wandel der Klassenlage darstellte. Einer der unleugbaren Erfolge, den das NS-Regime in seinem Sinn verbuchen konnte, bestand darin, dass sich ein Gefühl der wachsenden Gleichheit in der propagierten ›Volksgemeinschaft‹ ausbreitete. Vielen repräsentierte sie sich als egalitäre, zugleich aufstiegsoffene Leistungsgesellschaft. Überkommene Klassenschranken und antiquierte Ständetraditionen wurden, schien es, energisch abgebaut, die neuen rassistischen und politischen Barrieren dagegen von den allermeisten offenbar nicht als hemmend oder verletzend empfunden.«15 4. Der Ständestaat vermochte dem die gesellschaftliche Desintegration überwindenden Modell der Volksgemeinschaft mit dem der Katholischen Soziallehre entstammenden Ständemodell und dem darin enthaltenen Anspruch auf die Überwindung des Klassenkampfes durch die Harmonie der gesellschaftlichen Gruppen keine wirksame Alternative entgegenzusetzen. Das nationalsozialistische Gesellschaftsmodell der Volksgemeinschaft beinhaltete eine tendenziell antibürgerliche Spitze, beanspruchte die Beseitigung der Privilegien des Bürgertums und förderte durch die Kombination mit einer aktiven Arbeitsmarktpolitik die Integration des Großteils der Arbeiterschaft in das neue Herrschaftssystem. Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise hatten besonders in Deutschland tiefe Spuren hinterlassen. Im statistischen Durchschnitt war in jeder deutschen Familie mindestens ein Mitglied ohne Beschäftigung. Die auf breiter Basis einsetzende Dauerarbeitslosigkeit führte nicht nur zu einer Proletarisierung immer größerer Bevölkerungsgruppen, sondern auch zu Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Vor diesem lebensgeschichtlichen Hintergrund ist der Erfolg der von der NSDAP propagierten »Arbeitsschlacht« zu verstehen. Das nunmehr einsetzende »Wirtschaftswunder« manifestierte sich in der subjektiven Wahrnehmung der erreichten Vollbeschäftigung, der Stabilität der Arbeitsplätze und regelmäßigen Einkommen. Der zusätzlich durch die Expansion der 15 Wehler  : Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1914–1949. S. 716.

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Sozialpolitik eintretende »Sicherheitsgewinn«16 entschädigte für manchen Freiheitsverlust und führte zur zunehmenden Akzeptanz des Regimes, vor allem des charismatischen Ansehens Hitlers. Trotz aller Angebote an die sozialdemokratische Arbeiterschaft nach dem Februar 193417 blieb in Österreich der intendierten Aussöhnung vor allem auch aufgrund der Permanenz der ökonomischen Krise und der damit verbundenen hohen Arbeitslosigkeit der Erfolg versagt. Die gesellschaftliche und politische Fragmentierung kennzeichnete auch die Politische Kultur des Ständestaates. Während im Deutschen Reich ständig sinkende Arbeitslosenzahlen, schließlich sogar die Vollbeschäftigung verkündet wurden18 und damit die allgegenwärtige Kultur der Armut ihren Schrecken verlor, waren die Erfolge in Österreich, trotz aller Anstrengungen, bescheiden. Hinzu traten die propagandistisch geschickt inszenierten und medial entsprechend orchestrierten neuen kollektiven Formen der (KdF) Freizeitgestaltung der neuen Volksgemeinschaft im nationalsozialistischen Deutschland. Das nationalsozialistische Deutsche Reich vermittelte, trotz aller agrar-ideologischen Versatzstücke und »Blut- und Boden«-Metaphern wie der Verklärung der Bauern als »Nährstand« der Nation das Bild der industriellen Modernisierung.19 Die Einkommenszuwächse erfolgten vor allem im Industrie- und Dienstleistungssektor, während jener im landwirtschaftlichen Bereich eher bescheiden blieb. Die Sehnsucht nach dem Reich erhielt damit für viele, vor allem für den »kleinen Mann und die »kleine Frau«, eine konkrete materielle Basis, das Reich wurde Sehnsuchtsort und Erwartungshorizont, personifiziert im Führer Adolf Hitler, der dies alles möglich gemacht hatte. 5. Dem autoritären Regime in Österreich und dem von ihm geschaffenen Dollfuß-­ Mythos fehlte das dynamisch-jugendliche, emotionale und gewaltbereite Element sowie der imperiale Hypernationalismus des Faschismus und Nationalsozialismus. Die am 18. November 1933 angekündigte Gründung einer unpolitischen vaterländischen Jugendorganisation unter dem Namen »Österreichisches Jungvolk«, die nach

16 Ebda. S. 732. 17 Emmerich Tálos  : Austrofaschismus und Arbeiterschaft. – In  : Ilse Reiter-Zatloukal, Christiane Rothländer, Pia Schönberger (Hg.)  : Österreich 1933–1938. Interdisziplinäre Annäherungen an das Dollfuß-/Schuschnigg-Regime. – Wien/Köln/Weimar 2012. S. 167–180. 18 Zur Arbeitsplatzbeschaffung der NSDAP mithilfe der kreditfinanzierten Arbeitsplatzpolitik vgl. Adam Tooze  : Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus. – München 2007. S. 59ff. 19 Die Industriegüterproduktion erreichte bereits 1935 das Niveau des Jahres 1928 und auch die Zahl der Arbeitslosen sank von 1932 bis 1935 von 5,6 auf 1,7 Millionen, wobei in manchen Branchen bereits Facharbeitermangel auftrat, (Hans-Ulrich Thamer  : Verführung und Gewalt. Deutschland 1933– 1945. – Berlin 1998. S. 478.) Die für die Steigerung des Bruttosozialprodukts bedeutendste industrielle Innovation des »Dritten Reiches« erfolgte im Flugzeugbau. (Vgl. Tooze  : Ökonomie der Zerstörung. S. 156ff.)

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dem Führerprinzip Engelbert Dollfuß direkt unterstellt und deren Geschäftsführer Unterrichtsminister Kurt Schuschnigg sein sollte,20 zielte auf die Schaffung einer staatlichen Jugendorganisation in deutlicher Anlehnung an die deutsche HJ und die italienische Balilla. Diese Intention stieß jedoch auf den entschiedenen Widerstand der Katholischen Kirche, die ihren Einfluss auf die Jugendarbeit verteidigte und im März 1934 die katholischen Jugendverbände zur »Österreichischen Jungfront« unter der Leitung des Jugendführers Hans Scheffel zusammenschloss.21 Während die Verhandlungen mit der Heimwehr-Jugendorganisation »Jung-Vaterland« und den Ostmärkischen Sturmscharen erfolgreich verliefen, gelang eine Vereinnahmung der katholischen Jugendverbände nicht. Aufgrund des betont katholischen Charakter des Ständestaates22 vermochte er sich gegenüber der Katholischen Kirche nicht durchzusetzen. Bereits im Herbst 1933 erklärten die österreichischen Bischöfe unmissverständlich in einer Denkschrift über die vaterländische Jugenderziehung an das Bundesministerium für Unterricht  : »Es sei in aller Offenheit darauf hingewiesen, dass gewisse Gefahrenmomente für Einbürgerung faschistischer Imitationen nach italienischem Muster bestehen und immer mehr an die Oberfläche treten. ›Balilla‹-­ Organisationen als erste Stufe der faschistischen militärischen Jugendorganisationen, wie sie seit 1925 für die 8- bis 18jährigen Jugendlichen in Italien eingeführt und ausgebaut sind, mögen für Italien am Platz sein  : für unser Vaterland kommt der Faschismus als ›Importware‹ nicht in Betracht, ja muss in seiner Grundlage des absolutistischen Totalitätsstaates entschieden abgelehnt werden.«23 Wenngleich Ende August 1936 das »Österreichische Jungvolk« (ÖJV) als viertes VF-Werk geschaffen und als Träger der vaterländischen Erziehung außerhalb der Schule wurde, so bildete es keine außerschulische Monopolorganisation, da die Mitgliedschaft freiwillig war und katholische Jugendorganisationen nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Episkopats zu Veranstaltungen des ÖJV herangezogen werden konnten. Der Generalsekretär der Katholischen Aktion, Konsistorialrat Leopold

20 Neue Freie Presse 18.11.1933. S. 4. 21 Wiener Zeitung 23.3.1934. S. 4  ; Reichspost 23.3.1934. S. 1. 22 Ernst Hanisch  : Der Politische Katholizismus als ideologischer Träger des »Austrofaschismus«. – In  : Emmerich Tálos, Wolfgang Neugebauer (Hg.)  : »Austrofaschismus«. Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur 1934–1938. – Wien 1984. S. 53–73. 23 Zit. bei Maximilien Liebmann  : Kirche und Politik in der Ersten Republik von 1918 bis 1938.  – In  : ders.: Kirche in Gesellschaft und Politik. Beiträge zur Geschichte der Kirche in Österreich von der Reformation bis zur Gegenwart. Festgabe für Maximilian Liebmann zum 65. Geburtstag. Herausgegeben von Michaela Kronthaler, Rudolf Zinnhobler, Dieter A. Binder. – Graz 1999. S. 189–205. S. 202. Die Stellungnahme des Episkopats ist vor allem vor dem Hintergrund der Bestrebungen Ernst Rüdiger von Starhembergs zu sehen, die Jugendorganisation der Heimwehr »Jung-Vaterland« im Rahmen der Bemühungen um die Schaffung einer staatlichen Monopolorganisation zum dominierenden Faktor auszubauen und damit dem staatlichen Jugendverband einen faschistischen Charakter zu geben.

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Engelhart, einer der vehementesten Gegner einer Inkorporierung der katholischen Jugendverbände in das ÖJV, betonte zu Jahresbeginn 1937 in einer grundsätzlichen Stellungnahme zum Verhältnis der katholischen Jugendverbände zum ÖJV, es sei naheliegend, dass die katholische Jugendbewegung aufgrund ihres Wesens nicht die gesamte österreichische Jugend erfassen könne, weshalb die Schaffung einer neuen vaterländischen Jugendbewegung ein folgerichtiger Schritt gewesen sei. »Sie musste zunächst staatsbejahend sein, denn das war ja der Sinn ihrer Gründung. Sie durfte im christlichen Staat n i c h t n e u t r a l sein, sondern musste auf christlicher Grundlage aufbauen und die religiös-sittliche Erziehung in ihr Programm aufnehmen. Das war auch seitens der Regierung im Konkordat zugesagt worden.« Zwar hätte der Staat einen zwangsweisen Zusammenschluss mit den katholischen Jugendorganisationen erzwingen können, doch wäre dies keine österreichische Lösung gewesen. »Das Ziel, das sich die Staatsführung in Österreich setzte, einen christlichen Staat auf ständischer Grundlage zu bauen, kann nur in harmonischer Zusammenarbeit von Staat und Kirche erreicht werden. Beide haben ihre eigenständige Verantwortung.« So sehr seitens der Kirche »die vaterländische Jugendbewegung begrüßt wird und ihr die kirchliche Mitarbeit sicher ist, s o k a n n d o c h n i c h t e r w a r t e t w e r d e n , d a s s d i e K i r c h e a u f j e d e e i g e n s t ä n d i g e J u g e n d a r b e i t v e r z i c h t e t . « 24 Die These, dass die Bemühungen des autoritären Regimes, eine Integration der österreichischen Jugend durch die Schaffung des ÖJV zu erreichen, als weitgehend misslungen betrachtet werden müssen,25 muss in ihrer Pauschalität relativiert werden. Auch die 1933 von der HJ 1933 aufgestellte Behauptung, sie habe zwei Drittel der österreichischen Jugend in ihren Reihen, war propagandistische Übertreibung. Thomas Pammer hat darauf hingewiesen, dass selbst bei großzügiger Betrachtung der Mitgliedszahlen der verschiedenen Jugendverbände diese Behauptung auf höchstens ein Drittel reduziert werden muss.26 Allerdings verhinderten die strukturellen Merkmale des Regimes, die Dominanz der alten Eliten inklusive eines stär-

24 Leopold Engelbrecht  : Katholische Aktion und staatliche Jugendbewegung. – In  : Wiener Zeitung 1.1.1937. S. 2. Wenngleich es im Laufe des Jahres 1937 zu einer Reihe von Kooperationsabkommen der beiden Jugendverbände kam, so blieb die Selbständigkeit der katholischen Organisationen erhalten. Zur Frage des Verhältnisses beiden Verbände und der Durchsetzung der jeweiligen Positionen vgl. Katharina Ebner  : Politischer Katholizismus in Österreich 1933–1938. – In  : Florian Wenninger, Lucile Dreidemy (Hg.)  : Das Dollfuß/Schuschnigg-Regime 1933–1938. Vermessung eines Forschungsfeldes. – Wien/Köln/Weimar 2013. S. 159–221. S. 187f. 25 Johanna Gehmacher  : Jugend ohne Zukunft. Hitler-Jugend und Bund Deutscher Mädel in Österreich vor 1938. – Wien 1994. S. 423. 26 Thomas Pammer  : Austrofaschismus und Jugend  : gescheiterte Beziehung und lohnendes Forschungsfeld  ?  – In  : Wenninger, Dreidemy (Hg.)  : Das Dollfuß/Schuschnigg-Regime 1933–1938. S. 395–410. S. 398.

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keren Hervortretens des Adels, der Rekurs auf das Erscheinungsbild und die Tradition und Symbolik der Habsburgermonarchie, die enge Bindung an die Katholische Kirche und damit die weitgehende Beschränkung auf das katholische Milieu, ein dynamisches und jugendliches Erscheinungsbild und die intendierte Integration der in die Illegalität gedrängten sozialdemokratischen Jugendlichen. Die weitgehende Beschränkung auf das katholische Milieu wurde auch aus dem Umstand deutlich, dass die regionalen Hochburgen des ÖJV in den westlichen Bundesländern und den Agrargebieten Niederösterreichs lagen. Die Faszination der illegalen HJ, der es auch teilweise gelang, das ÖJV zu unterwandern, konnte letztlich nicht gebrochen werden. Sie übte vor allem auf männliche – und in zunehmendem Ausmaß auch weibliche – Jugendliche aufgrund ihres idealistischen, aktionistischen und soziale Gruppenzugehörigkeiten egalisierenden Charakters eine erhebliche Anziehungskraft aus. Trotz dieses erheblichen Problemhaushalts und der darin manifest werdenden strukturellen Defizite der Abwehrstrategie (inklusive Dollfuß-Mythos) des autoritären Regimes kann diese nicht als völlig erfolglos bezeichnet werden. Vor allem im christlichsozial-katholisch-konservativen Lager entfaltete der Dollfuß-Mythos Wirkung. Aus der Fülle hagiografischer Schriften ist die 1934 erschienene Dollfuß-Biografie des im österreichischen Exil lebenden katholischen Philosophen und Herausgebers der Zeitschrift »Der Christliche Ständestaat«,27 Dietrich von Hildebrand, von besonderem Interesse. Hildebrand, der auf Anregung des Bundesleiters der Vaterländischen Front, Karl Maria Stepan,28 das Buch in lediglich 12 Tagen schrieb, um es noch 1934 in den Buchhandel zu bringen, konstruierte eine direkte, für den späteren Dollfuß-Mythos konstitutive Linie von Ignaz Seipel zu Dollfuß, dessen Bestimmung es gewesen sei, das Werk des Priester-Politikers zu vollenden. Er wurde in der Sicht Hildebrands zum Propheten und Märtyrer der – in ihrem Wesen katholischen – österreichischen Nation und des österreichischen Menschen sowie ihrer europäischen

27 Zur Zeitschrift »Der Christliche Ständestaat« vgl. Rudolf Ebneth  : Die österreichische Wochenschrift »Der Christliche Ständestaat«. Deutsche Emigration in Österreich 1933–1938. – Mainz 1976. 28 Karl Maria Stepan (1894–1972) studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Wien und Graz und schloss das Studium nach der Teilnahme am Ersten Weltkrieg und russischer Kriegsgefangenschaft 1923 mit der Promotion zum Dr. jur. ab. Anschließend war er in einer Rechtsanwaltskanzlei in Graz tätig, 1928 wurde er Direktor des Katholischen Pressvereins Styria, 1929 dessen Generaldirektor. Im Februar 1934 berief ihn Dollfuß zum Bundesleiter der Vaterländischen Front, im November schied er jedoch aus dieser Funktion und wurde Landeshauptmann der Steiermark. Am 3. März 1938 trat er von dieser Funktion zurück, da sein Vorschlag, das Bundesheer gegen die demonstrierenden Nationalsozialisten einzusetzen, abgelehnt wurde. Nach dem Anschluss wurde er verhaftet und in das KZ Dachau gebracht, aus dem er 1940 entlassen wurde. Anschließend arbeitete er als Magazineur, um 1944 neuerlich verhaftet und ins KZ gebracht zu werden. 1946 neuerlich Generaldirektor des Styria-Verlages, übte er diese Funktion bis zu seiner Pensionierung 1968 aus.

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Mission. Damit wurde Österreich ein Bollwerk gegen den gottlosen Bolschewismus wie auch gegen den heidnischen nationalsozialistischen Pangermanismus. »Seipels Weg blieb in vielerlei Hinsicht ein verborgener. So wenig er selber je eine wirkliche Popularität erwarb, so wenig vermochte er ein neues vaterländisches Bewusstsein in Österreich in weiten Kreisen des Volkes zu erwecken. Er blieb einsam bis zu seinem Tod. Das neue Österreich lebte nur in seinem Herzen und dem seiner engsten Mitarbeiter. (…) Er starb in vollem inneren Frieden, losgelöst von allem politischen Getriebe, an den Folgen eines Attentates, das ihn als Priester und als christlicher Staatsmann ereilte, in einem Augenblick, da Gefahren von allen Seiten seinem Vaterlande drohten, in einem Augenblick, der seinem Lebenswerk keinerlei Früchte versprach. U n d d o c h d a u e r t e e s k a u m m e h r a l s e i n h a l b e s J a h r, b i s d i e h e r r l i c h e E r n t e s e i n e r S a a t a u f g i n g . « Als der Landwirtschaftsminister Engelbert Dollfuß 1932 Bundeskanzler wurde, habe niemand in ihm »einen großen Führer Österreichs vermutet. Liebenswürdig, bescheiden, wahrhaftig, fleißig, energisch und sittlich in jeder Hinsicht unangreifbar war dieser Kanzler – aber kein Mann, von dem es schien, dass er in der Schicksalsstunde Österreichs die Rettung bringen könnte. (…) Bang und voll Sorge sahen die echten Österreicher in die Zukunft, viele dachten  : Wäre nur der große Seipel noch am Leben, der überragende Geist mit dem Cäsarenkopf, der Römer im Priestergewand (…) Und da geschah das Wunderbare  : I n d e r großen Schicksalsstunde Österreichs, die auch eine Schicksalss t u n d e d e s g a n z e n D e u t s c h t u m s , j a g a n z E u r o p a s w a r, e r w a c h t e in dem kleinen, unscheinbaren Mann der große säkulare Führer Ö s t e r r e i c h s . «29 Dieser »stille, unintellektuelle Mann« habe sich, getrieben von seinem katholischen Gewissen, entschlossen, einen »Zwei-Fronten-Krieg« zu führen und »d a s u n a b h ä n g i g e , s e l b s t ä n d i g e , a u t o r i t a t i v r e g i e r t e Ö s t e r r e i c h a l s B o l l w e r k g e g e n d i e F e i n d e C h r i s t i   : B o l s c h e w i s m u s u n d N a t i o n a l s o z i a l i s m u s « zu etablieren.30 Seine Sendung, so Hildebrand in der Augustnummer 1934 des »Christlichen Ständestaates«, sei »nicht nur eine inner29 Dietrich von Hildebrand  : Engelbert Dollfuß. Ein katholischer Staatsmann. – Salzburg 1934. S. 18f. und S. 27f  ; Friedrich Heer griff in seiner Untersuchung über die Geschichte der österreichischen Identität die Argumentationslinie Hildebrands in abgewandelter Form wieder auf. Die österreichischen Christlichsozialen hätten sich in der Zwischenkriegszeit in einer Art »Lueger-Komplex nach einem ›österreichischen Führer‹ gesehnt, möglichst aus dem Volk, also dem Landvolk stammend, zumindest vertraut mit dem Leid, der Angst der ›kleinen Leute‹. Dieser Erwartung kam weit mehr als der eisige Seipel, dessen Cäsarenkopf unheimlich wirkte, das Kind aus dem Volk entgegen, in dem ein ganz unreflektierter Glaube lebte, arbeitete, der ihn mit den nach Maria Zell und anderen Gnadenorten der österreichischen Mutter Gottes wallfahrenden österreichischen Bauern verband  : Engelbert Dollfuß.« (Friedrich Heer  : Der Kampf um die österreichische Identität. – Wien/Köln/Graz 1981. S. 386.) 30 Hildebrand  : Dollfuß. S. 28.

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österreichische« gewesen. »Er war weit mehr als ein Führer seines Volkes, er war der Verteidiger der ganzen »abendländischen Kultur gegen Bolschewismus und gegen den braunen Hexenkessel, in dem Brutalität, sittlicher Verkommenheit, maßloser frevelhafter Hochmut, teuflische Bosheit und grenzenlose Dummheit und Flachheit in furchtbarer Mischung sich finden, er hat die Fahne Christi gegen den Antichrist vorangetragen.« Er sei »als christlicher Held im Kampf gegen die Mächte der Finsternis« gestorben »für ein freies, unabhängiges Österreich, ja noch viel mehr – er starb als Märtyrer für Christus und seine heilige Kirche.«31 Ein Jahr später sah er in ihm, »dem großen ›kleinen Kanzler‹«, den Retter des christlichen Abendlandes angesichts seiner größten Bedrohung durch Bolschewismus und Nationalsozialismus, indem er mutig die »wahre Antithese« formulierte  : »Austriam instaurare in Christo.«32 Mit diesem Programm habe »Dollfuß ganz Europa den Weg des Heiles gewiesen und als ›miles Christi‹ ist er der Retter der gesamten christlich-abendländischen Kultur geworden in einem Augenblick, da sie von zwei furchtbaren Gegnern am schwersten bedroht war.« Er habe damit »Österreich seiner uralten Mission erneut zugeführt, seiner aus dem katholischen Glauben resultierenden Funktion als »Vorkämpfer des völkerverbindenden, übernationalen, abendländischen Gedankens,« der immer »die Antithese zu allem Nationalismus und Imperialismus« gewesen sei.33 Schollenverbundenheit, Soldat, Kämpfer, Pflichtbewusstsein, Warmherzigkeit und gläubiger Katholik sowie der Hinweis auf die göttliche Vorsehung und damit den Status des Auserwählten bildeten die Topoi der Dollfuß-Hagiografie, die bereits bei den Trauerfeierlichkeiten einsetzte. Für Landeshauptmann Franz Rehrl starb er »als Soldat und gläubiger Katholik«, der seine historische Sendung und seinen Weg »unter Hintansetzung seiner eigenen Person, seiner Gesundheit und … seines Lebens beschritt.« Sein Sterben sei ein »Opfertod für die von ihm erkämpften Ideale.« Er sei ein » B l u t z e u g e f ü r Ö s t e r r e i c h s F r e i h e i t , f ü r c h r i s t l i c h e n G l a u b e n u n d e u r o p ä i s c h e K u l t u r. «34 Bundespräsident Wilhelm Miklas erklärte ihn in seiner Rede anlässlich der offiziellen Trauerfeierlichkeit zu einer säkularen politischen Erscheinung, nicht nur zum Retter Österreichs, sondern Mitteleuropas. Er habe die schwierigsten Herausforderungen mit »überlegener Geschicklichkeit, mit starkem Wollen, mit eiserner Ner31 Dietrich von Hildebrand  : Der große Märtyrer-Kanzler. – In  : Ernst Wenisch (Hg.)  : Dietrich von Hildebrand. Memoiren und Aufsätze gegen den Nationalsozialismus 1933–1938. – Mainz 1994. S. 245– 248. S. 245 und 247. (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. In Verbindung mit Dieter Albricht, Heinz Hürten, Rudolf Morsey. Herausgegeben von Konrad Repgen. Reihe A  : Quellen. Band 43.) 32 Dietrich von Hildebrand  : Das Erbe von Dollfuß. – In  : Wenisch (Hg.)  : Hildebrand. Memoiren und Aufsätze gegen den Nationalsozialismus. S. 276–281. S. 176. 33 Ebda. S. 280. 34 Salzburger Chronik 27.7.1934. S. 5.

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venkraft « gemeistert, »dabei ebenso klug wie rasch und kräftig zugreifend, wenn es nottat, den rechten Augenblick zu nützen und entscheidende Taten zu setzen. (…) Kanzler Dollfuß hat Ö s t e r r e i c h g e r e t t e t und vor dem drohenden Schicksal bewahrt, in sogenannter G l e i c h s c h a l t u n g seine Seele, sein innerstes Wesen zu verlieren. Er hat damit verhindert, dass Österreich zum S c h l a c h t f e l d E u r o p a s werde, um schließlich in einem m i t t e l e u r o p ä i s c h e n C h a o s unterzugehen. Aber nicht nur Österreich hat er damit gerettet, sondern auch Europas Frieden, und diese Tat hat er schließlich mit seinem Herzblut als Märtyrer des Österreichertums besiegelt.« Ernst Rüdiger von Starhemberg setzte beim Topos des Märtyrers an und hob das politische Wirken des ermordeten Kanzlers, das ihm die Stellung eines der Größten in der Geschichte Österreichs sichere, ins Sakrale. Dollfuß wurde zum Heiligen stilisiert, der vor dem Thron Gottes für das Schicksal Österreichs bitten möge. »Wir bitten dich  : Bitte unseren Herrgott, er möge uns um deinetwillen (…) die Kraft geben, die Klugheit und Einsicht, Österreichs Zukunft zu gestalten, er möge uns die Kraft geben, im Sinne d e i n e s Wo l l e n s Österreich aufzubauen, er möge uns die Kraft geben und die Klugheit, uns in den Schwierigkeiten der Zukunft zurecht zu finden. Dein O p f e r t o d , dein Tod g i b t u n s d a s L e b e n .«35 Wenige Tage später erklärte der niederösterreichische Landesleiter der Vaterländischen Front, Engelbert Dworschak, anlässlich der feierlichen Grundsteinlegung für eine Dollfuß-Gedächtniskirche auf der Hohen Wand im Grundduktus der politischen Sakralisierung, es sei »in Gottes unerforschlichem Ratschluss (…) gelegen,« Dollfuß eine noch größere Mission als die des Bundeskanzlers zuzuweisen, nämlich jene des »F ü r b i t t e r s f ü r Ö s t e r r e i c h a m T h r o n e d e s A l l e r h ö c h s t e n .«36 Kardinal Innitzer konnte da nicht zurückstehen und erklärte die Kirche zum »Wallfahrtsort« für alle Österreicher, die hier des verstorbenen Märtyrers gedenken sollen.37 Der Salzburger Erzbischof Sigismund Waitz wandte sich am 25. April 1935 an das vom Generalsekretär der Vaterländischen Front, Oberst Walter Adam, geleitete »Dollfuß-Denkmal-Komitee« mit der Bitte, »einen Teil des Dollfuß-Denkmal-Fonds zur Errichtung eines Dollfuß-Fonds für die zu errichtende Katholische Universität Salzburg zu bestimmen«, der den Zweck haben sollte, die »Errichtung und Erhaltung eines Dollfuß-Kollegiums als Wohn- und Erziehungsstätte für katholische Studenten« sowie die »Errichtung einer Dollfuß-Gedenkstiftung für bedürftige katholische

35 Salzburger Chronik 30.7.1934. S. 2. 36 Salzburger Chronik 6.8.1934. S. 1. 37 Ebda. Für den in Salzburg lebenden Schriftsteller Joseph August Lux war Dollfuß die Personifikation des Guten, die durch das Böse getötet wurde. »Wieder hat Kain den Abel erschlagen. Wieder hat der finstere heidnische Geist Hagens den lichten Helden Siegfried getötet.« (Joseph August Lux  : Erinnerung an den verewigten Kanzler. – In  : Salzburger Chronik 4.8.1934. S. 2.)

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Studenten« zu ermöglichen. »Der Plan zur Errichtung von Studentenkollegien an der Katholischen Universität Salzburg geht unmittelbar auf die Initiative des Bundeskanzlers Dr. Dollfuß zurück. (…) In ihnen soll die Möglichkeit gegeben sein, die religiöse, weltanschauliche, kulturelle und vaterländische Vervollkommnung und Festigung der Studenten zu erziehen im Geiste des verewigten Kanzlers.«38 In der Darstellung des Theologen und Staatsrechtlers Johannes Messner prägte die (verklärte) bäuerliche Jugend den Charakter von Dollfuß. Schon als kleines Kind habe er erfahren, »was für einen kleinen Hof, in dem nie mehr als das Notwendigste vorhanden ist, die Aussichten auf die kommende Ernte bedeuten. Das war es ja, was der kleine Engel(bert) von Jugend auf lernte  : dass das Leben Arbeit ist, die Arbeit aber auch dem Leben Wert gibt.«39 Im Ersten Weltkrieg gewann »der warmherzige, dienstbereite, zutrauliche kleine Freiwillige (…) die Kameraden rasch für sich. Pflichteifer, Zuverlässigkeit, rasches Auffassungsvermögen nehmen die Vorgesetzten für ihn ein. (…) Monate steht er an der Tiroler Südfront an vorderster Linie. Soldat sein heißt für ihn nichts anderes als den anbefohlenen Dienst tun, schlicht, einfach, ohne große Worte darüber zu machen.«40 Dollfuß wurde, im Gegensatz zum falschen Propheten Hitler, durch die Etablierung der berufsständischen Ordnung zum wahren Propheten der Volksgemeinschaft. »Die Volksgemeinschaft soll wiedererstehen, nachdem ein Jahrhundert lang der liberalistische Auflösungsprozess bis in ihre innersten Lebenszellen vorgedrungen ist. Die Volksgemeinschaft soll in berufsständischer Ordnung wieder begründet werden, nachdem der Sozialismus durch Generationen an ihrer endgültigen Zerreißung im Klassenkampf gearbeitet hat.«41 Für Dollfuß habe »Führertum, Verantwortung und Opferbereitschaft im Dienste höchster Ziele aus dem Bewusstsein verpflichtender Berufung« bedeutet. Dieses Bewusstsein der B e r u f u n g war es, das für ihn die eigentliche Quelle der Kraft wurde für die Erfüllung der Aufgabe, vor die er sich gestellt sah. (…) Dieses Bewusstsein der Berufung durch den, der mit seiner Hand den Völkern die Wege vorzeichnet, war es, das ihm den unerschütterlichen Glauben an das endgültige Gelingen seines Werkes trotz all der unerhörten Schwierigkeiten gab, die es immer wieder umdrohten.«42 Für Friedrich Funder war Dollfuß »der österreichische Mensch«. In einem Leitartikel anlässlich des ersten Todestages des Bundes38 SLA. Rehrl-Briefe 1935/1648. Oberst Adam schrieb am 1. August 1935 an Landeshauptmann Rehrl, dass er diesem Ansuchen nicht nähertreten könne, da »bezüglich der Verwendung der für das Dollfuß-Denkmal gesammelten Beträge bereits das Stiftungskomitee einen Beschluss dahin gefasst hat, dass die Beträge für Einzelaktionen nicht verteilt werden, sondern für einen großen, einheitlichen Plan bereitgestellt bleiben.« (Ebda.) 39 Johannes Messner  : Dollfuß. – Innsbruck/Wien/München 1935. S. 2. 40 Messner  : Dollfuß. S. 5. 41 Ebda. S. 110. 42 Ebda. S. 143.

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kanzlers bemerkte er, dass, wenn es »noch Sitte« wäre, »die großen politischen Führer mit schmückenden Beinamen in die Geschichte eingehen zu lassen, man müsste ihn ›den Österreicher‹ nennen. In ihm waren nicht nur alle edlen und liebenswerten Züge des österreichischen Volkscharakters lebendig  : eine helle, Mozartsche Leichtigkeit der Seele  ; ein untrüglicher Instinkt für das Wahre und Echte gegenüber allem Unechten, rhetorisch Unwahren, ›Geschwollenen‹  ; deutsche Geradheit und Ehrlichkeit, gepaart mit südlichem Temperament. Das befähigte den Kanzler zu innigstem Kontakt mit seinem Volke, dessen Bedürfnisse er verstand und erriet. Das befähigte ihn zu tiefem Verständnis der großen, österreichischen Sendung, deren Bewahrung die Vorsehung in seine Hände gelegt hatte. Das schuf den Kanzler zum Erneuerer Österreichs, zum Renovator Austriae, der uns allen ein neues Selbstbewusstsein einflößte, uns stolz werden ließ auf Volk und Heimat und nicht zuletzt auf unseren ehrwürdigen, jahrtausenderprobten und immer nach der großen Zukunft des A. E. I. O. U. entgegenschauenden österreichischen Staat, der durch Dollfuß wieder zum Mittelpunkt Europas wurde.«43 1936 attestierte ihm der Chefredakteur der »Reichspost« die Fähigkeit der »Erkenntnis des jeweils entscheidenden Augenblicks zum Handeln, eine Eigenschaft, die ihn ebenbürtig macht mit den größten Staatsmännern der Weltgeschichte und die erst die rechte Erfolgsbürgschaft für die politische Tat bildet.« Diese habe in einem »österreichischen Wunder« bestanden, indem er das scheinbar unentrinnbare Schicksal des Abstiegs »ins Gegenteil« verkehrte und das »totgesagte Österreich« zu neuem kraftvollen Leben erweckte.44 Bundeskanzler Schuschnigg betonte anlässlich des zweiten Todestages seines Vorgängers dessen Sendung und Berufung, »den ungebrochenen Österreichwillen zu neuem Leben zu formen, der Volk und Land w a c h r ü t t e l t e in der Stunde drohender Gefahr, der die Voraussetzungen schuf für die Zukunft des Vaterlandes (…) und durch seinen H e l d e n t o d z u l e g e n d ä r e r G r ö ß e emporstieg. (…) Es steht vor uns das Bild des starken Führers mit seinem eisernen Willen, seinem Zielbewusstsein, seiner Wegklarkheit, seiner intensiven Sicherheit, seiner Unbedingtheit in allen grundsätzlichen Fragen. (…) Möge sein G e i s t uns begleiten  ! Möge sein E r i n n e r n uns segnen  ! Möge sein B i l d n i s bleiben heute und immerdar im Herzen Österreichs  !«45 Doch es war die Hagiografie über und die Beschwörung eines Toten, während der übermächtige Konkurrent jenseits der Grenze lebte und der Berghof auf dem Ober43 Friedrich Funder  : Engelbert Dollfuß, der österreichische Mensch. – In  : Reichspost 25.7.1935. S. 1f. S. 1. 44 Friedrich Funder  : Siegreiche Fahnen grüßen ihn. – In  : Reichspost 25.7.1936. S. 1. 45 Salzburger Chronik 25.7.1936. S. 1.

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salzberg zunehmend zur Pilgerstätte der Gläubigen wurde. Und die Zahl der Gläubigen wuchs, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich, und besonders in Salzburg, wo man sich in der Nähe des Führers wähnte.

2. Politik als Weltanschauung oder der Kampf um die Erzählung Österreichs »Grosse Deutsche Mission« angesichts des »Gegenreichs« des Nationalsozialismus

Salzburger wurde durch den ab 1933 und verstärkt nach der Erlassung der Nürnberger Rassegesetze 1935 einsetzenden Zuzug politischer und jüdischer Emigranten, den Wandel der Festspiele in Richtung Internationalisierung46 sowie das Bestreben um die Wiedererrichtung der Salzburger Universität als Katholische Universität47 zum kulturellen und geistigen Widerstandszentrum auch des süddeutschen Katho46 Zur Internationalisierung der Festspiele vgl. Robert Kriechbaumer  : Zwischen Österreich und Großdeutschland. Eine politische Geschichte der Salzburger Festspiele 1933–1944. – Wien/Köln/Weimar 2013. S. 109ff. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 46.) 47 Bereits 1933 erklärte Bundeskanzler Engelbert Dollfuß anlässlich eines Gesprächs mit dem Philosophen Dietrich von Hildebrand, er habe die Absicht, alle nationalsozialistisch gesinnten oder mit dem Nationalsozialismus sympathisierenden Professoren an Österreichs Universitäten in das Deutsche Reich abzuschieben und an ihrer Stelle katholische Professoren, die aus dem Deutschen Reich geflohen seien oder unter erheblichem Druck stünden, zu berufen. Die geplante Errichtung einer Katholischen Universität in Salzburg bildete einen wichtigen Teil dieser Überlegungen. Im August 1934 erklärte Bundespräsident Wilhelm Miklas im Rahmen eines Festaktes anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Katholischen Universitätsvereins in Salzburg, der Ministerrat habe am 7. August beschlossen, durch Gesetz eine Katholische Philosophische Fakultät in Salzburg zu errichten und im Sinne des Konkordats Verhandlungen mit dem Vatikan einzuleiten. Im März 1935 reiste Fürsterzbischof Sigismund Waitz nach Rom, um Papst Pius XI. über den Stand der Entwicklung zu unterrichten, wobei ihm der Papst seine Förderung zusagte und erklärte, er hoffe auf einen Beginn des Studienbetriebs noch im Herbst 1935. Nach der Überwindung kircheninterner Probleme durch den vorübergehenden Rückzug der Konföderation der Benediktinerabteien und der Sperrung der Münchner Bankkonten des Universitätsvereins konnte am 17. August 1936 ein wichtiger Schritt zur Errichtung einer Katholischen Universität durch die Einsetzung einer siebenköpfigen Kommission, dem die Realisierung des Projekts oblag, gesetzt werden. Fürsterzbischof Sigismund Waitz erklärte in seiner Begrüßungsansprache vor dem Pax-Romana-Kongress am 28. August programmatisch, es gehe um die Realisierung des Wortes von Papst Pius XI. »Der Friede Christi im Reiche Christi« und einen Teil des Programms Leos XIII., das dieser mit den Worten definiert habe  : »Das ganze Schulwesen von der Volksschule bis zur Hochschule soll auf dem Felsengrunde des unverfälschten Glaubens aufgebaut sein.« Papst Leo XIII. habe die besondere Aufforderung formuliert, »dass die Hochschulen am meisten vom christlichen Geiste durchdrungen seien.« Ohne den Nationalsozialismus direkt zu erwähnen, betonte er, Christus könne »seine Herrschaft auf den Hochschulen nicht mit dem Fürsten der Finsternis teilen.« (Salzburger Chronik 29.7.1936. S. 6.)

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lizismus gegen den Nationalsozialismus und damit zum bevorzugten ideologischen Kampfplatz, auf dem sich die vom autoritären Regime propagierte Österreich-Ideologie als defensiver Gegenentwurf48 zu dem von alldeutschen Vorstellungen und Anschluss-Sehnsüchten geprägten Reichsgedanken zu behaupten suchte. Unter den katholisch-konservativen politischen Emigranten erlangte der Kreis um den mit den Salzburger Hochschulwochen eng verbundenen Philosophieprofessor Dietrich von Hildebrand und die von ihm herausgegebene Wochenzeitschrift »Der Christliche Ständestaat« erhebliche Publizität und Einfluss. Der 1889 in Florenz als Sohn des geadelten Bildhauers Adolf von Hildebrand geborene Dietrich von Hildebrand wuchs in einem protestantisch-liberalen und kosmopolitischen Elternhaus auf, das zwischen Florenz und München pendelte. Dietrich von Hildebrand studierte Philosophie in München und Göttingen und promovierte bei Edmund Husserl über »Die Idee der sittlichen Handlung«. Unter dem Einfluss Max Schelers wandte er sich jedoch vom phänomenologischen Ansatz Husserls ab und postulierte einen objektiven christlichen Wertekanon, der sich nicht formal ableiten ließ. Diese Überzeugung bildete das Fundament seines späteren politischen Engagements. 1914 konvertierte er zum Katholizismus, lehrte nach dem Ersten Weltkrieg als Honorarprofessor an der Universität München und engagierte sich in der Liturgischen Bewegung und im Katholischen Akademikerverbandes. In seiner 1930 erschienen »Metaphysik der Gemeinschaft« bekannte er sich unter dem Einfluss von Schelers Theorie der Einzigartigkeit des personalen Seins zum Primat des Individuums als Abbild Gottes gegenüber der Gemeinschaft. Das Individuum sei viel mehr als bloß 48 Der defensive Charakter wurde bereits 1933 in einer Publikation des Österreichischen Heimatdienstes, der Propagandaorganisation der Vaterländischen Front, unter dem Titel »Österreichs Sendung. Unseres Vaterlandes Schicksalsweg« deutlich, in der es hieß, das neue österreichische Selbstverständnis sei die Antwort auf die nationalsozialistischen »Eroberungsgelüste«. Das nationalsozialistische Deutschland sehe sich »als der wahrhaft fanatische Vollstrecker des Bismarckschen Kleindeutschtums«, das »den ›Anschluss‹ Österreichs als ein einfaches Annexionsproblem« erkläre und das Land zu einem »kulakischen Okkupationsgebiet des Deutschen Reiches degradieren« wolle. Die Österreicher seien aber nicht gewillt, sich in die Knechtschaft zu begeben, hätten sich nunmehr selbstbewusst erhoben und ein Bekenntnis zur »abendländischen Mission« Österreichs abgegeben. »Als Menschen deutschen Geistes (…), als Erben einer großen geschichtlichen Tradition, deren höchste Verkörperung das vom Haus Habsburg getragene Heilige Römische Reich Deutscher Nation« gewesen sei, könnten sie ihre »Erfüllung nicht in der nationalistischen Verengung, sondern nur in der universellen Weite, nicht in der Verstaatlichung des Deutschtums, sondern nur in seiner vielgestaltigen (…) geistigen und politischen Wirksamkeit finden. (…) Je mehr sich das deutsche Volk unter nationalsozialistischer Führung« vom universellen Charakter des Deutschtums entferne, desto stärker müsse »das deutsche Volk jenseits der Reichsgrenze, also in erster Linie das österreichische Volk, zur Treuhänderin der universalen, völkerbefriedenden, abendländischen Aufgabe des Deutschtums werden.« (Zit. bei Anton Staudinger  : Zur »Österreich«-Ideologie des Ständestaates. – In  : Das Juliabkommen von 1936. Protokoll des Symposiums in Wien am 10. und 11. Juni 1976. – Wien 1977. S. 198–240. S. 213.)

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ein Teil der Gemeinschaft und jede Verabsolutierung der Gemeinschaft ignoriere den Wert des personalen Seins und widerspreche daher dem christlichen, vor allem dem katholischen Glauben. In diesem Sinn wandte er sich 1932 vehement gegen den von großen Teilen des katholischen Akademikerverbandes vorgenommenen Schwenk in Richtung des von Othmar Spann propagierten individualistischen Universalismus, den er als Antipersonalismus und zeitgeistige Verirrung brandmarkte. Wenngleich vehementer Gegner der Ideen von Othmar Spann und des Nationalsozialismus, so war Hildebrand kein Verfechter des Weimarer Systems, sondern stand in seiner Münchner Zeit eher bayerischen Monarchisten, die eine Wittelsbacher-Restauration anstrebten, nahe. Der von ihm vertretene Personalismus basierte ausschließlich auf theologisch-philosophischen Axiomen der Würde der Person als Ebenbild Gottes. Seine unbedingte Gegnerschaft zum Nationalsozialismus ließ ihn im März 1933 in seine Geburtsstadt Florenz übersiedeln. Hier entwickelte er zusammen mit seinem Verwandten, dem einer prominenten Dresdner Bürgerfamilie entstammenden Journalisten Klaus Dohrn, der wie er zum Katholizismus konvertiert war, den Gedanken, sich nach Österreich, wo Hildebrand bereits vor dem Ersten Weltkrieg ein Jahr gelebt hatte, als dem Zentrum des katholischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus zu begeben und diesen nach besten Kräften zu unterstützen. »Wir sprachen über die Notwendigkeit, den so erfreulichen Widerstand von Dollfuß ideologisch zu unterstützen und von der Möglichkeit, Dollfuß unsere Dienste als intellektuelle Offiziere in diesem Kampf anzubieten. Wir dachten an die Gründung einer katholischen, antirassistischen und antitotalitären Zeitschrift und verabredeten … nach Wien zu fahren und zu versuchen, eine solche Zeitschrift zu gründen.« 49 Nachdem eine erste Reise im August keinen Erfolg hatte, war die zweite im Oktober durch die Vermittlung von Gottfried Domanig, dem Chef der Wiener Schlafwagengesellschaft und engen Freund von Dollfuß, erfolgreich. Hildebrand erhielt die Zusage des Kanzlers, nicht nur die Gründung der Zeitschrift durch erhebliche finanzielle Mittel in die Wege zu leiten, sondern auch seine Berufung auf einen Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Wien zu unterstützen. Hildebrand wurde Ende 1934 als Außerordentlicher Professor für Philosophie an die Universität Wien berufen und musste bei seiner Antrittsvorlesung Mitte Jänner 1935 massive Störversuche nationalsozialistischer Studenten erleben, hinter deren Protest die Aufforderung von Professoren der medizinischen und juridischen Fakultät stand. Er war jedoch nicht bereit, dem Vorschlag einer Absage der Antrittsvorlesung zu folgen, um den befürchteten Tumult zu vermeiden. Dies wäre, so sein Argument, eine Kapitulation vor dem Nationalsozialismus. Die rund 600 demonstrierenden Studenten wurden schließlich unter Einsatz von Ge49 Dietrich von Hildebrand  : Memoiren 1921/23 und 1932–37. – In  : Wenisch (Hg.)  : Dietrich von Hildebrand. Memoiren und Aufsätze gegen den Nationalsozialismus. S. 1–155. S. 51.

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walt von der Polizei aus dem Vorlesungssaal vertrieben und stimmten anschließend das Deutschland- und das Horst-Wessel-Lied an. Bei der Realisierung des Zeitschrift-Projekts war Hildebrand gezwungen, Zugeständnisse zu machen. Der Titel hieß schließlich nicht, wie ursprünglich beabsichtigt, »Neues Österreich«,50 sondern »Der Christliche Ständestaat«, und einige Österreicher mussten als verantwortliche Redakteure und (offizielle) Herausgeber aufscheinen, um den Charakter der Emigrantenpublikation zu vermeiden. Die tatsächliche Leitung der Zeitschrift, die mit einer Auflage von 4.000 bis 5.000 Stück eine beachtliche Wirkung erzeugte, lag jedoch bei Dietrich von Hildebrand und Klaus Dohrn. Während Hildebrand die ideologische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus vor allem auch unter religiösen Aspekten betonte, befleißigte sich Dohrn, der auch Beiträge unter anderen Namen verfasste, eines deutlich politischeren und aggressiveren Tons. Dohrn knüpfte zahlreiche Kontakte zu Künstlern und Intellektuellen und gab auch Richard Coudenhove-Kalergi die Möglichkeit, für seine Idee eines politischen und wirtschaftlichen Staatenbundes als Nukleus eines angestrebten gemeinsamen Europa zu werben.51 Dass die Wirkung beträchtlich war, wird aus dem Umstand deutlich, dass auf Druck des Propagandaministeriums das Auswärtige Amt in Berlin wiederholt gegen die Zeitschrift protestierte. Bereits im Dezember 1933 hatte der deutsche Gesandte in Wien, Kurt Rieth, berichtet, die von Hildebrand gegründete Zeitschrift erblicke in der Bekämpfung des Nationalsozialismus ihre Hauptaufgabe. Mit Rücksicht auf die gegen den Nationalsozialismus und Deutschland gerichteten Tendenzen sollte die Zeitschrift in Deutschland verboten sowie gegen Hildebrand und Dohrn zweckmäßige Maßnahmen ergriffen werden.52 Hildebrand wurde Anfang 1936 ausgebürgert, Dohrn hingegen erst 1938. Die Zeitschrift »Der Christliche Ständestaat« fungierte bis zum Juliabkommen 1936 als ideologisches Sprachrohr der Regierungspolitik und Kampfblatt gegen den Nationalsozialismus. Rund ein Viertel der Beiträge galten der Auseinandersetzung mit der NS-Ideologie, wobei der neuheidnische Nationalsozialismus als die Religion generell und den katholischen Glauben im Besonderen negierende Häresie galt, weshalb der Kampf gegen ihn die Pflicht jedes Katholiken sei, eine Position, 50 Eine Ironie der Geschichte sollte 1945 diesen Titel für die offizielle Zeitung der ersten Regierungen der Zweiten Republik doch noch Wirklichkeit werden lassen. 51 Zahlreiche deutsche Emigranten publizierten im »Christlichen Ständestaat« entweder unter ihrem eigenen Namen oder unter einem Pseudonym, so z. B. der Jurist Rudolf Brendel, der Hildebrand-Schüler und spätere Professor für Philosophie an der wiedererrichteten Salzburger Universität, Balduin Schwarz, die Mitglieder der Bayerischen Volkspartei und Publizisten Dietrich Freiherr von Zedlitz und Walter Ferber und der Vertreter des christlich-transnationalen Reichsgedankens Friedrich Wilhelm Foerster. (Vgl. Elke Seefried  : Reich und Stände. Ideen und Wirken des deutschen politischen Exils in Österreich 1933–1938. – Düsseldorf 2006. S. 198ff.) 52 Ebneth  : Die österreichische Wochenschrift »Der Christliche Ständestaat«. S. 217.

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die von vielen Politikern des Ständestaates geteilt wurde. So erklärte 1935 der ehemalige christlichsoziale Außenminister Heinrich Mataja53 in einer Versammlung der Katholischen Aktion in Wien  : »Wer jetzt im Kampfe für Österreich auslässt, wird und darf im neuen Österreich keine Rolle spielen. Die Katholiken müssen an der Spitze marschieren und mit ihrem Geiste den Neuaufbau Österreichs durchdringen. Der Kampf gegen den Nationalsozialismus ist nicht wie ein anderer Kampf zwischen zwei Gruppen, der mit der Niederlage des einen Teiles oder durch Vergleich beendet werden könnte  : Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus gibt es k e i n e B r ü c k e , keine Vermittlung und keinen Ausgleich, sie stehen einander diametral gegenüber. Der gegenwärtige Kulturkampf in Deutschland unterscheidet sich vom Bismarckischen Kulturkampf dadurch, dass er nicht ein protestantischer Kulturkampf gegen den Katholizismus ist, sondern ein Kampf des N e u h e i d e n t u m s gegen das C h r i s t e n t u m überhaupt, also gegen Katholizismus und gegen Protestantismus. Keinem aufrichtigen Katholiken wird es einfallen, eine Brücke zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus herstellen oder eine Vermittlung zwischen beiden versuchen zu wollen. Ein wahrer Katholik kann kein Nationalsozialist sein.«54 Und Staatssekretär Johann Grossauer55 betonte in einer katholischen Männerversammlung in Wien, die »österreichische Idee« könne »nur ein Bestandteil der k a t h o l i s c h e n I d e e sein,« denn »die österreichische Sendung« sei »im Grunde die katholische Sendung für Mitteleuropa.« Darin liege auch »die stärkste Begründung für den Abwehrkampf, der von Österreich geführt werden muss.«56 Vehement wurde von Dietrich von Hildebrand und seinem Kreis der vor allem von Alfred Rosenberg propagierte »Materialismus des Blutes«, nach dem Weltge-

53 Heinrich Mataja (1877–1937) war Rechtsanwalt und Halbbruder von Viktor Mataja, 1910 bis 1918 christlichsoziales Mitglied des Wiener Gemeinderates und 1913 bis 1918 des Reichsrates, 1918 bis 1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, 1919 bis 1920 der Konstituierenden Nationalversammlung und 1920 bis 1930 des Nationalrates, 1924 bis 1926 Außenminister. 1931 schied er aus allen politischen Funktionen und begrüßte 1934 die Errichtung des Ständestaates, in dem er zu den Proponenten einer »österreichischen Nation« gehörte. 54 Heinrich Mataja  : Klerikalismus. – In  : Salzburger Chronik 2.4.1935. S. 1. 55 Johann Grossauer (1895–1967) war von Beruf Hammerschmied. Als Christgewerkschafter war er Vorstandsmitglied der Industriebezirkskasse in Klagenfurt, Vorstand der Angestelltenversicherungskasse für Kärnten und des Landeskartells der christlichen Gewerkschaften Kärntens, 1923 bis 1927 und 1930 bis 1934 Mitglied des Kärntner Landtages und 1934 dessen Vizepräsident, 1934 bis 1935 Staatssekretär für die Angelegenheiten des gesetzlichen Schutzes der Arbeiter und Angestellten sowie Präsident der Kärntner Arbeiterkammer. 1935 übernahm er die Führung der Sozialen Arbeitsgemeinschaft in der Vaterländischen Front und war 1935 bis 1938 Mitglied des Staatsrates. Im März 1938 wurde er von den Nationalsozialisten aller politischen Funktionen enthoben. 56 Salzburger Chronik 3.4.1935. S. 3.

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schichte Rassengeschichte sei und Gott sich in der Rassenseele offenbare57 und damit die »Einheit der Menschheit (…) sowie den christlichen Personalismus und die Ebenbildlichkeit des Menschen« leugnete, als neuheidnisch attackiert.58 Die Zeitschrift, vor allem Dietrich von Hildebrand, entwickelte eine katholisch konservative Totalitarismustheorie, indem sie auf die aus dem Antipersonalismus und Rassismus resultierende, von jeder (natur)rechtlichen Bindung befreite »Staatsomnipotenz« des Nationalsozialismus hinwies. »Da der Nationalsozialismus nicht nur ein politisches System, sondern eine eigene Weltanschauung sein will, fordert er eine totale Einbeziehung aller Lebensbereiche in den Kompetenzbereich der staatlichen Machthaber. Er verlangt nicht nur ein Monopol für die Erziehung, sondern er räumt dem Staat das Recht ein zu entscheiden, welche Kinder zur Welt kommen dürfen bzw. welche Eltern zeugen dürfen. Durch das Sterilisationsgesetz, durch die Beschränkung der Freiheit der Gattenwahl glaubt dieser Staat schon die für sein Ethos und seine Ziele brauchbaren Glieder heranzüchten zu dürfen und zu können.« Das Spezifische der vom Nationalsozialismus beanspruchten Staatsomnipotenz liege darin, dass diese nicht auf eine – vom christlichen Standpunkt aus verwerfliche – Unterordnung unter die Staatsraison ziele, sondern vielmehr auf einen »totalitären Anspruch der nationalsozialistischen Weltanschauung, die sich der omnipotenten Staatsgewalt bedient. Der objektive Eigenbereich des Staates wird dieser, als Materialismus des Blutes charakterisierten Weltanschauung, ebenso untergeordnet, wie der objektive Eigenbereich der Nation, der Familie, der Kultur und der Wirtschaft.«59 Mit deutlicher Kritik an katholischen Kreisen, dem deutschen katholischen Akademikerverband, der Fuldaer Erklärung der katholischen Bischöfe60 sowie österreichischen Repräsentan57 Ernst Piper  : Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe. – München 2007. S. 207. Die Kongregation des heiligen Offiziums setzte folgerichtig am 7. Februar 1934 zwei nationalsozialistische Publikationen auf den Index  : »Die deutsche Nationalkirche« von Ernst Bergmann und Alfred Rosenbergs »Mythus des 20. Jahrhunderts«. Die Begründung für Rosenbergs »Mythus« lautete  : »Das Buch verspottet alle Dogmen der Katholischen Kirche und die Fundamente der christlichen Religion und lehnt sie ab. Es verteidigt die Notwendigkeit der Gründung einer neuen Religion oder einer deutschen Kirche und spricht es grundsätzlich aus, dass heute ein neuer mythischer Glaube erstehe, der mythische Blutglaube, ein Glaube, nach dem auch die göttliche Natur des Menschen mit Blut verteidigt werden könne, ein Glaube, der sich auf sonnenklare Wissenschaft aufbaue, nach der das nordische Blut jenes Geheimnis darstelle, wodurch die alten Sakramente abgelöst und abgetan sind.« (Piper  : Rosenberg. S. 214.) 58 Dietrich von Hildebrand  : Das neue Österreich und das Dritte Reich. – In  : Memoiren und Aufsätze gegen den Nationalsozialismus 1933–1938. S. 206–212. S. 207. 59 Hildebrand  : Das neue Österreich und das Dritte Reich. S. 208ff. 60 In seinen Memoiren bemerkte Hildebrand, die Fuldaer Erklärung der katholischen Bischöfe hätte eine Bresche für den Nationalsozialismus geschlagen, »indem sie zunächst eine Reihe von Dingen innerhalb des Nationalsozialismus aufzählten, zu denen sie ein vollkommenes ›Ja‹ sprachen. Wir bejahen den Geist der Autorität, wir bejahen das Bekenntnis zur Deutschen Nation, wir bejahen etc. etc.

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ten eines nationalen Katholizismus wurde jedes Aggiornamento mit dem Nationalsozialismus als verhängnisvoller Irrtum bezeichnet, der vehement bekämpft werden müsse. Auch die Ausgleichsbemühungen Schuschniggs mit dem Ziel der Sicherung der Unabhängigkeit Österreichs wurden als verhängnisvoller Irrtum abgelehnt und führten bereits vor dem Juliabkommen 1936 zu einer allmählichen Entfremdung zwischen der Zeitschrift und der Regierungspolitik, vor allem dem Bundeskanzler. In seinen Memoiren bemerkte Dietrich von Hildebrand zu seiner ablehnenden Haltung gegenüber der im Rahmen der Abstimmung über das Saargebiet einsetzenden Appeasement-Politik Schuschniggs, der Kanzler habe »irrtümlicherweise« geglaubt, »er könne durch eine freundliche Geste Nazideutschland gegenüber dieses dazu bringen, Österreichs Unabhängigkeit anzuerkennen bzw. die Beziehung zwischen Österreich und Deutschland zu verbessern. Dies war … ein katastrophaler Irrtum, ein völliges Verkennen der Mentalität Hitlers. Jede Konzession konnte bei diesem Typus von Mentalität nur den Appetit vergrößern und die Einstellung demjenigen gegenüber, der die Konzession machte, in keiner Weise verändern. Für die Mentalität, die die totalitären Staaten, Nazideutschland und Sowjetrussland, auszeichnet, ist es typisch, dass ihre Pläne ganz unabhängig sind von dem Verhalten ihres Gegners.«61 Hitlers regelmäßig wiederkehrende Friedensbeschwörungen wurden im »Christlichen Ständestaat« mit seinen Äußerungen in »Mein Kampf« konfrontiert und prophetisch darauf hingewiesen, dass das Ziel der nationalsozialistischen Außenpolitik nicht der Friede oder die von vielen mit mehr oder weniger Verständnis aufgenommene partielle Revision der Territorialbestimmungen des Friedens von Versailles seien, sondern die Gewinnung von Land im Osten, das man sich in Russland zu holen gedenke. Ein Krieg zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion sei daher aufgrund des expansiven Charakters der nationalsozialistischen Ideologie unausweichlich. Nach der Rheinlandbesetzung wurde darauf hingewiesen, dass das Ganz abgesehen davon, dass die Bischöfe nie eine ähnliche Stellung nach dem Ersten Weltkrieg zu der Weimarer Republik einnahmen, dass also eine offizielle Stellungnahme nicht eine Notwendigkeit darstellte, war diese Bejahung ein schmählicher Verrat. Man verwendete die Begriffe ›Autorität‹, ›Nation‹ und andere in äquivoker Weise – wobei es doch für jeden klar war, was bei den Nationalsozilisten hinter diesen Termini stand, etwas, zu dem die Bischöfe nie ja sagen konnten. Außerdem musste die im Vordergrund stehende Bejahung vieler Punkte den Eindruck erwecken einer primär bejahenden Einstellung zum Nationalsozialismus als solchem. Wenn auch in einem Appendix gesagt wurde, dass die Bischöfe den Rassismus in einer gewissen Form nicht akzeptieren könnten – so blieb doch der Eindruck dadurch, dass der Gesamttenor ein freudig bejahender war, derart, dass die Gläubigen es als Bejahung des Nationalsozialismus auffassen mussten. Kein Wort über die Häresie des totalitären Systems, kein Protest gegen die unzähligen Verbrechen, den Terrorismus, keine wirkliche Verurteilung des Rassismus und der ganzen Ideologie des Nationalsozialismus  ! Vierzehn Tage vor Hitlers Machtergreifung stand noch Exkommunikation auf die Zugehörigkeit zur NS-Partei und jetzt diese Bejahung  !« (Hildebrand  : Memoiren. S.  45f.) 61 Hildebrand  : Memoiren. S.  118.

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Deutsche Reich keineswegs saturiert sei, sondern Österreich das nächste Ziel seiner Annexionspolitik bilde. Klaus Dohrn warnte vor der Annahme, dass Österreich von der Besetzung des Rheinlandes nicht tangiert sei und bezeichnete sie als »Vogel-Strauß-Politik«. Österreich und die Tschechoslowakei seien die nächsten Ziele der annexionistischen deutschen Außenpolitik.62 Im Juliabkommen 1936 sah Dohrn, wie er in einem Brief an Heinrich Mataja besorgt bemerkte, nicht nur ein Unglück, sondern unter Umständen sogar den Beginn von »finis Austriae«.63 Dietrich von Hildebrand sah in ihm einen »unseligen Irrtum. Man kann eine belagerte Festung nur halten, wenn man sich auf kein appeasement einlässt. Sobald man beginnt, sich in gewisser Weise mit dem Gegner abzufinden, (…) hilft man einem Gegner, der doch nichts anderes im Kopf hat, als einen zu verschlingen, das Trojanische Pferd einzuführen.«64 So sehr man gegen jede Annäherung an den Nationalsozialismus Stellung bezog, so sehr unterstützte man die von der österreichischen Regierung propagierte »Österreich-Ideologie« als ideologische Legitimationsgrundlage des autoritären Staates. Dieser sah sich in seinem Kampf gegen den Nationalsozialismus und den von ihm vereinnahmten Reichsgedanken als dessen wahrer Träger und – mit Blick auf die sich einer nationalistisch-rassistischen Verengung widersetzenden historisch-kulturelle Entwicklung – Bewahrer des echten supranationalen Deutschtums. Damit war der Kampf um die Reichsidee eröffnet. In dieser Konfrontation sah sich der Ständestaat als Erbe des Sacrum Imperium des Mittelalters und unterstrich dies durch seine neue staatliche Symbolik  : die Rückkehr zum Doppeladler als Staatswappen in der Maiverfassung 1934 und die Aufnahme des Kruckenkreuzes, des Krönungskreuzes Konrads II., als Hinweis auf die Kontinuität mit dem ersten übernationalen christlichen Kaiserreich. Gegenüber Dietrich von Hildebrand erklärte Dollfuß im Oktober 1933, in der Politik handle es sich gegenwärtig »nicht mehr um rein politische Fragen, sondern um weltanschauliche. Der Kampf gegen den Nationalsozialismus ist für mich eine Verteidigung der christlichen Weltauffassung. Wenn Hitler an das altgermanische Heidentum anknüpfen will, so will ich an das christliche Mittelalter anknüpfen.«65 Der so Apostrophierte hatte am 26. Mai 1933 in der Ministerbesprechung erklärt  : »Die Lage in Österreich ist heute so, dass die sechs Millionen Österreicher im Wesentlichen durch das Wiener Halbjudentum und die Legitimisten beeinflusst würden. Die bisherigen österreichischen Regierungen hätten ihre Anschlussfreundlichkeit immer dann betont, wenn sie von Frankreich neues Geld brauchten. Im Inneren seien sie reichsfeindlich eingestellt. Ein Wechsel hierin werde nicht ein62 Ebneth  : Die österreichische Wochenschrift »Der Christliche Ständestaat«. S. 91. 63 Ebda. S. 93. 64 Hildebrand  : Memoiren. S.  141. 65 Hildebrand  : Memoiren. S.  59.

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treten, solange Österreich in den Händen der bisherigen Machthaber bleibt. (…) Ihr Ziel ist, den deutschen Nationalgedanken aus Österreich auszutreiben und an seine Stelle den österreichischen Gedanken zu setzen.«66 Sechs Wochen später bemerkte er mit Bezugnahme auf die Tausend-Mark-Sperre in der Reichsstatthalterkonferenz  : »Wenn der Staat Österreich sich wirtschaftlich konsolidiert, wird er sich politisch konsolidieren, wird er ein neues Staatsgefühl, einen neuen Inhalt seiner staatlichen Tätigkeit erzeugen. Wenn ein neues Gebilde mit einem österreichischen Staatsgefühl entstünde, so wäre das für die weitere Entwicklung schädlich.«67 Am Vorabend der Salzburger Festspiele 1936 widmete sich eine Tagung der Österreichischen Akademie dem Thema »Österreich und die Reichsidee«, in der darauf hingewiesen wurde, dass sich sowohl das 1804 geschaffene österreichische Kaiserreich wie auch der 1934 entstandene Ständestaat in ihrer Ablehnung des verkrampften Nationalismus als Erben der alten Reichsidee und deren supranationaler europäischer Ausrichtung sahen und sehen. Die Aufgabe des Ständestaates bestehe daher vor allem auch darin, diesen supranationalen Reichsgedanken gegen den Ansturm des »Gegenreiches« des Nationalsozialismus zu verteidigen. Am 28. Juli folgte der Pax-Romana-Kongress, bei dessen Eröffnung im Karabinieri-Saal der Residenz Landeshauptmann Franz Rehrl erklärte, in Österreich seien »seit Jahrhunderten aus der Synthese christlichen Gedankengutes, deutscher Eigenart und romanischer Kultur die herrlichsten Blüten und Früchte auf allen Gebieten menschlichen Kulturschaffens emporgewachsen.«68 Bundespräsident Wilhelm Miklas betonte in seinem Schreiben an das Präsidium des Kongresses, Österreich sei »das H e r z E u r o p a s , das von der göttlichen Vorsehung dazu bestimmt ist, nicht nur für sich allein zu pochen, sondern für ganz Europa zu schlagen, zwischen Völkern und Staaten verschiedener Sprache und Kultur zu vermitteln, zwischen allen, die guten Willens sind, Brücken zu bauen und die Völker Europas wieder zum Bewusstsein gemeinsamer christlich-abendländischer Kultur und Schicksalsverbundenheit zurück- und zusammenzuführen.«69 Diese historische Sendung und Aufgabe im Sinne einer nationalen Wiedergeburt sei, so Dietrich von Hildebrand, das Werk der göttlichen Sendung des Heldenkanzlers Dollfuß, der als »miles Christi« gehandelt habe, als er zum Propagandisten und Fahnenträger eines österreichischen Nationalbewusstseins und seiner in der Tradition des alten Österreich stehenden europäischen Mission wurde. Das Österreichi66 Akten der Reichskanzlei. Regierung Hitler 1933–1945. Herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften von Konrad Repgen, für das Bundesarchiv von Hans Booms. Teil I  : 1933/34. Band 1, 30. Jänner bis 31. August 1933. Dokumente Nr. 1 bis 206, bearbeitet von Karl-Heinz Minuth. – Boppard am Rhein 1983. S. 492. (AdRK) 67 AdRK. Bd. 1. S. 632. 68 Salzburger Chronik 29.7.1936. S. 6. 69 Salzburger Chronik 30.7.1936. S. 4.

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sche sei vom »furor teutonicus«, der peinlichen Deutschtümelei der vom Nationalsozialismus propagierten »nationalen Erhebung«70 befreit und damit der wahre Repräsentant der deutschen Geisteshaltung, die ihrem Wesen nach universal ist. Ernst Karl Winter forderte in der Augustnummer 1933 der »Wiener Politischen Blätter« angesichts der nationalsozialistischen Machtergreifung die »restlose Ausmerzung der großdeutschen Ideologie, ob Anschluss- oder Reichsideologie« und sah das Wesen der österreichischen Idee als Hort der supranationalen Reichsidee und deutschen Kultur, der »die Linie von Bismarck bis Hitler … völlig fremd« sei.71 70 Habe sich »schon seit 1870 in den Begriff des Nationalen in Deutschland die undeutsche Verirrung, die sich in der preußischen Hegemonie verkörpert,« gemischt, so bedeute »die heutige ›nationale Erhebung‹ den Abfall des deutschen Wesens und den schwersten Verrat an ihm, den die Geschichte kennt.« Denn sie setze an Stelle des trotz aller Verirrungen des Adels und der Größe nicht entbehrenden Preußen-Deutschland »die Phrasen einer konfusen Rassenideologie und den Wust demagogischer Parteischlagworte. Es ist eine nie dagewesene Anmaßung, dass eine Partei, die in der Verschwommenheit ihrer Ziele und in ihrer eingestandermaßen demagogischen Struktur das Extrem des Parteihaften darstellt, sich mit dem deutschen Staat und der deutschen Nation identifiziert, dass sie ihre usurpierte Allmacht nationales Erwachen nennt, obgleich in dem gesamten Schrifttum dieser Partei nicht ein Satz vorkommt, der vom inhaltlichen oder auch nur vom stilistischen Standpunkt aus Anspruch darauf erheben dürfte, zur deutschen Literatur zu gehören, oder in irgendeiner Verbundenheit mit der großen deutschen Tradition zu stehen.« (Dietrich von Hildebrand  : Österreichs große deutsche Stunde. – In  : Wenisch (Hg.)  : Hildebrand. Memoiren und Aufsätze gegen den Nationalsozialismus. S. 161–165. S. 162f.) 71 Karl Hans Heinz  : E. K. Winter. Ein Katholik zwischen Österreichs Fronten 1933–1938. – Wien/Köln/ Graz 1984. S. 106. Eine falsche großdeutsche Reichsmystik sei »eine der gefährlichsten Lähmungen des österreichischen Gedankens und vor allem der konkreten österreichischen Aufgabe. (…) Die ›Idee des Reiches‹ … hat … als ein mittelalterliches Erbe nur dann einen Sinn, wenn sie den nationalen Charakter völlig abstreift und die Deutschen um nichts mehr beruft als die anderen Nationen. Wer aber vom Reich redet und den Völkerbund verwirft, meint im Grunde immer nur seinen Nationalstaat. E u r o p a i s t d a s › R e i c h ‹ , s o n s t n i c h t s , w a s w i r s u c h e n   !« (Ebda. S. 106.) Man solle jedoch »nicht des Nationalsozialismus wegen die Brücken abbrechen zu dem g e i s t i g e n D e u t s c h l a n d , das vor der braunen Pest war und nach ihr sein wird. Aber gerade dieses geistige Deutschland ist auf dem politischen Wege nicht zu erreichen, geschweige denn zu retten. Nur die klare, eindeutige politische Trennung und Unterscheidung Österreichs von Deutschland, wie immer dieses auch beschaffen sei, gestern, heute, morgen, ermöglicht es, d i e I d e e d e s D e u t s c h t u m s zu konzipieren, als einer geistigen, kulturellen, apolitischen Größe, als eines Sternes ü b e r den Staaten. Das deutsche Volk ist eben nicht nur in seiner kompakten Siedlung das Zentralvolk Europas, dessen politische Gestaltung beruhigend oder zerstörend auf Europa einwirkt, es ist auch das Diasporavolk Europas, das fast in allen europäischen Staaten siedelt. Um dieses Auslandsdeutschtums willen muss man verlangen, dass die Idee des Deutschtums eine überstaatliche bleibe. Dieses Auslandsdeutschtum aber nicht bloß zu erhalten, sondern auch zu organisieren, setzt die Anerkennung der gegebenen europäischen Staatenwelt voraus. Nichts schadet diesem Deutschtum in der Zerstreuung mehr als die nationalsozialistische Ideologie  : ›ein Volk – ein Reich  !‹ Dieses geistige Deutschtum ist mehr als das politische Deutschland. Diesem geistigen Deutschtum darf, soll und muss auch Österreich heute wie immer angehören. (…)

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Dietrich von Hildebrand wies in Fortführung dieses Gedankens in der Dezembernummer 1933 der Zeitschrift »Der Christliche Ständestaat« darauf hin, dass es »stets ein Merkmal des Volkes, dem die Krone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation anvertraut war«, gewesen sei, »sich nicht abzukapseln von der übrigen Kultur des Abendlandes, sondern von seinem Verständnis und superiorer Aufnahmefähigkeit fremde Kulturwerte zu würdigen. In welchem Lande wurden fremde Dichter wie Dante, Shakespeare, Cervantes, Dostojewski, Balzac, so gelesen und geliebt wie in Deutschland  ? Je größer ein Mensch ist, um so lernbereiter bleibt er bis zum Alter. Ohne seine Eigenart aufzugeben, besitzt er die Kraft, alles Wertvolle, woher es immer kommt, zu verstehen und aufzunehmen. So war es eine besondere Größe der deutschen Nation, diese Lernbereitschaft, diese geistige Leidenschaft für alle echte Kultur, diese sachliche Freude an allen Kulturblüten fremder Nationen, diese Bereitschaft, fremde Art voll zu würdigen. Können wir uns daher etwas Undeutscheres denken als die dogmatische Kanonisierung der norddeutschen Rasse, die allein imstande sein soll, Großes hervorzubringen  ? Täuschen wir uns nicht. Die nationalsozialistische Welle ist auf der ganzen Linie, von ihrer Rassenvergötterung bis zu ihrem mechanischen Unitarismus, von ihrer Ignorierung deutscher Geschichte und Tradition bis zu ihrem marktschreierischen, von unerhörter Hybris erfüllten Ethos eine Sturmflut gegen deutsches Wesen und deutsche Kultur, ein Abfall von deutscher Art und deutscher Tradition, wie ihn die Geschichte bisher nie gesehen. Das ist die große deutsche Mission Österreichs in der gegenwärtigen Stunde, der Hort wahren Deutschtums, deutschen Geistes und deutscher Tradition zu sein, die in Deutschland heute verbannt und verleugnet wird.«72 Österreich lag an der Wegkreuzung der romanischen und slawischen Welt, woraus die universale europäische Mission als Reich der Mitte und damit Erbe des römischen Imperiums resultierte. »In keiner deutschen Nation hat nun durch die geografische Lage und vor allem durch die Geschichte dieser lebendige Austausch mit der Geistesart anderer Nationen bis tief in die breiten Massen so sehr stattgefunden wie in Österreich. Die Notwendigkeit des Zusammenlebens mit Slawen, Ungarn und Romanen hat eine einzigartige Befruchtung und Erweiterung des deutschen Wesens gebracht, die den österreichischen Menschen zu demjenigen Deutschen macht, in dem die Bestimmung zum Universalen sich am reinsten und tiefsten entfaltet.« Österreich sei daher »nicht nur ein Teil der deutschen Nation, sondern (…) eine eigene

In diesem Zusammenhang gewinnt die politische Selbständigkeit Österreichs über ihre europäische Bedeutung hinaus auch einen guten deutschen Sinn. Wie kein anderer Staat hat Österreich die Aufgabe, das zu Macht- und Gewaltexzessen hinneigende innerdeutsche Schicksal durch ein Gegenbild zu beeinflussen  : eine Warnung für die Herren Deutschlands und eine Hoffnung für seine Sklaven  ! Diese Aufgabe leuchtet naturgemäß im Zeichen des Nationalsozialismus allgemein ein.« (Ebda. S. 109.) 72 Dietrich von Hildebrand  : Österreichs Sendung. – In  : Wenisch (Hg.)  : Hildebrand. Memoiren und Aufsätze gegen den Nationalsozialismus 1933–1938. S. 166–170. S. 169.

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Nation. (…) Anspruch auf den Namen Nation kann ja erst dann eine Volksgemeinschaft erheben, wenn der von ihr umspannte Raum genügend geistige Formkraft besitzt, um auch Menschen von ganz verschiedener Abstammung sich einzuverleiben und ihnen einen bestimmten geistigen Stempel aufzudrücken. I n d e r E x i s t e n z echter Nationen prägt sich die siegende Formenkraft des Geistes über alle Abhängigkeit von Rasse und völkischer Abstammung a u s . Wie die einzelnen Nationen in Europa, Frankreich, Italien, Spanien und vor allem Österreich aus einer Mischung verschiedener Stammeselemente hervorgegangen sind, so sehen wir auch, dass nach ihrer Geburt als Nation es durchaus möglich ist, dass Menschen, die ihrer Abstammung nach zu einem anderen Volk gehören, volle und typische Vertreter dieser Nation werden. In keinem Land aber begegnen wir dieser Formkraft des nationalen Genius und diesem gegenseitigen geistigen Ineinanderklingen von Empfangen und Geben so stark wie in Österreich. (…) Daraus ergibt sich die ganze Größe der deutschen Mission Österreichs. Über die Aufgabe hinaus, Hort des wahren Deutschtums zu sein, in einer Periode, in der der deutsche Geist im Dritten Reich mit Füßen getreten wird, durch seine reine, authentische Ausprägung des deutschen Geistes im ungebrochenen Österreichertum für Deutschland das Vorbild zu werden, durch das es zurückfindet zu sich selbst aus der preußischen Verfälschung.«73 Ähnlich argumentierten Heinrich Mataja und Hugo Hantsch. Mataja betonte den Gedanken der Universalität als Charakteristikum der deutschen Kultur. »Der natürliche Impuls der deutschen Nation ist es, das Z e n t r u m e i n e r e u r o p ä i s c h e n V ö l k e r f a m i l i e z u s e i n , Nationen jüngerer Kultur an sich zu ziehen und mit allen tragenden Säulen europäischer Gesamtkultur eine auf gegenseitigem Respekt begründete herzliche Verbindung herzustellen. In zwei großen historischen Phänomenen äußert sich diese deutsche Tendenz  : im H e i l i g e n R ö m i s c h e n R e i c h D e u t s c h e r N a t i o n und in dessen Nachfolger Ö s t e r r e i c h .« Die historische Aufgabe Österreichs in der Gegenwart sei es, angesichts der Politik des Dritten Reiches diese kulturelle Tradition der deutschen Nation zu bewahren und zu verteidigen gegen eine offensichtliche Kultur der Ablehnung dieser Universalität und der Gewalt. Durch die Politik des Nationalsozialismus werde »das deutsche Volk selbst (…) in einem Taumel auf einen rasenden, schwindeligen Weg geführt, der es schließlich e i n e r We l t k o a l i t i o n g e g e n ü b e r s t e l l e n wird, an der seine Volkskraft trotz Wehrgeist, Wehrsport, Aufrüstung und Autostraßen zerschellen wird. Es wird nur noch mehr Blut kosten wie das letzte Mal. Wir Ö s t e r r e i c h e r werden diese Politik n i c h t m i t m a c h e n , wir werden uns in diese Politik nicht hineintreiben lassen. Wir werden im Gegenteil, was an uns liegt, dazu beitragen, das deutsche Volk von diesem Alpdruck zu befreien. Wir 73 Ebda. S. 136ff.

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sprechen heute nicht nur im Namen der 6,5 Millionen Österreicher, sondern im N a m e n u n g e z ä h l t e r d e u t s c h e r Vo l k s g e n o s s e n i n a l l e n S t a a t s g r e n z e n . Die Bürger des Deutschen Reiches dürfen sich ja nicht rühren, sie können nicht sprechen, weil sie unter einer drakonischen Gewalt stehen. (…) Da ist es u n s e r e ö s t e r r e i c h i s c h e P f l i c h t , für diese das Wort zu führen, und um dieses Wort führen zu können, unsere Unabhängigkeit und Selbständigkeit gegen jeden Versuch einer Gleichschaltung zu verteidigen.«74 Für Hantsch war und ist Österreich »das verbindende Glied zwischen Germanentum und den Völkern des Ostens und Südens, zwischen die es schicksalhaft hineingestellt« sei, die es auch geografisch und klimatisch verbinde. Die Habsburgermonarchie sei die Symbiose der Völker gewesen, geprägt von den Deutschen in ständigem Austausch mit allen übrigen. Die Reichsidee als supranationale Menschheitsidee habe sich in der multinationalen Habsburgermonarchie als Überwindung des einengenden und ausschließenden nationalen Staatsbegriffs manifestiert. Diesem Thema widmete sich eine vom 20. bis 25. Juli 1936 von der Österreichischen Akademie in Salzburg veranstaltete Tagung, deren Referate von Julius Wolf, Konrad J. Heilig und Hermann M. Görgen 1937 in Buchform erschienen.75 Das von Karl dem Großen geschaffene Reich, so Julius Wolf in deutlicher Abgrenzung von einer ethnozentrischen Geschichtsinterpretation, beruhte »auf den Grundlagen des Christentums, der Antike und des Germanentums,« es war »ein Vielvölkerstaat, übernational wie das Christentum.« Dieser Reichsgedanke sei »nicht erloschen, er lebt noch immer, und sein wahrer Hüter ist heute wie allezeit unser Österreich.«76 Für Konrad J. Heilig war es »vom historischen Standpunkt aus sehr bedenklich, ein so uneinheitliches, bis ins 19. Jahrhundert hinein kaum nennenswert sich seiner Einheit bewusstes Wesen wie das deutsche Volk zum obersten Maßstab zu machen …«77 So sei Österreich ein Teil des deutschen Volkes gewesen, doch »deutsches Volkstum war nur wieder ein Teil des ö s t e r r e i c h i s c h e n Volkstums.« In der österreichischen Geschichte »sind deutsche, slawische, ungarische, italienische, spanische, französische Einflüsse nachhaltig am Werk gewesen, ja noch weiter byzantinische.« Man müsse daher Österreich in den Mittelpunkt stellen und sich von diesem Öster­ reich aus »mit Deutschtum, Slawentum, Romanentum auseinandersetzen« und »nicht das Deutschtum«, denn dies wäre eine einseitige Sicht. »Ein Österreich, das seit den Zeiten des heiligen Leopold eigene Politik im Donauraume macht, ein Öster­reich, dessen erste Herzogsfamilie mehr familiäre Verbindungen mit Nicht74 Heinrich Mataja  : Österreichs Erneuerung im Dienste seiner deutschen Sendung. – In  : Salzburger Chronik 12.5.1934. S. 1. 75 Julius Wolf, Konrad J. Heilig, Hermann M. Görgen  : Österreich und die Reichsidee. – Wien 1937. 76 Wolf, Heilig, Görgen  : Österreich und die Reichsidee. S. 34. 77 Ebda. S. 58.

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deutschen als mit Deutschen aufweist, dem Böhminnen, Ungarinnen, Byzantinerinnen schon in der ersten Hälfte des Mittelalters Landesmütter waren, ist nicht bloß eine deutsche Funktion gewesen. (…) Und das neue Österreich, dessen Präsident einen nordslawischen, dessen Gestalter wahrscheinlich einen elsässischen Namen führen, in dessen Kabinetten neben deutschen Namen auch slawische, italienische und französische Namen stehen, ist eben nicht nur eine deutsche Funktion. (…) Wir lehnen eine nationale Auffassung der mittelalterlichen Geschichte Österreichs aber auch darum ab, weil das Mittelalter und der Großteil der Neuzeit nicht national, sondern in den Kategorien Reich und Länder dachte.«78 Man wolle nicht vergessen und nicht leugnen, dass sich Österreich stets in engem politischen und kulturellen Kontext mit dem Deutschen Reich und dem deutschen Volk befunden habe. Aber so wie die belgische, holländische, tschechoslowakische oder Schweizer Geschichtsschreibung ihre jeweilige spezifische Geschichte in den Mittelpunkt der Betrachtung stelle und diese nicht nur als Teil des Deutschen Reiches oder Volkes sehe, »so muss von uns Österreich in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt werden. Auch hier muss gelten  : Österreich über alles  ! nicht Deutschland über alles  ! Man wird sich der innigen Verflechtungen bewusst bleiben müssen  ; man wird aber auch die klaren Unterschiede zwischen beiden Größen nicht übersehen dürfen. Das Deutschtum bemühen sich viele zu verteidigen  ; wer aber sollte das Österreichertum pflegen und bereichern, wenn nicht die Österreicher  ?«79 Österreich sei »mehr als ein Land,« es repräsentiere vielmehr »eine Idee, der jeder dienen kann, der sich zu ihr bekennt, der der Savoyarde Prinz Eugen ebenso diente wie der Rheinländer Clemens Metternich  ; Österreich ist eine Idee, ist die echte deutsche und europäische und katholische Idee des Friedens.«80 Diese Reichsidee, so Hugo Hantsch, sei mit dem Sieg der kleindeutschen Lösung 1866/71 und dem Untergang der Habsburgermonarchie 1918 verschüttet, jedoch von Dollfuß und dem von ihm propagierten Konzept der österreichischen Nation und des österreichischen Staates wiederum zum Leben erweckt worden. Österreich sei keine Frage der Quantität der Quadratkilometer, sondern eine Idee, »die den alten österreichischen Staatsgedanken zum Reichsgedanken entwickelt« habe. Deshalb müsse die Republik die Beengung des Kleinstaates überwinden und in einer bewussten Hinwendung zu seiner katholischen völkerverbindenden Mission die geistige Führerschaft im Ringen um die multinationale Reichsidee als Inkarnation des europäischen Geistes übernehmen.81 78 Ebda. S. 59f. 79 Ebda. S. 62f. 80 Ebda. S. 65. 81 Hugo Hantsch   : Österreichische Staatsidee und Reichsidee. Zit. bei Staudinger   : Zur »Österreich«-Ideologie des Ständestaates. S.204f.

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Die vor allem durch die Auflösung der traditionellen politischen Ordnung Europas durch die Pariser Vororteverträge aktualisierte Diskussion über den Begriff der Nation erfuhr durch die faschistische Machtergreifung in Italien 1922 und die nationalsozialistische in Deutschland 1933 mit ihren imperialen und – vor allem im Fall des Nationalsozialismus – rassistischen Ansprüchen erhebliche politische Dynamik. Durch den von beiden Regimen vertretenen integralen Nationalismus, die Absolutsetzung der Nation, erfolgte deren Sakralisierung und damit die Rechtfertigung auch von Verbrechen, die in ihrem Dienst begangen werden. Bereits St. Just, der Exekutor der in der Französischen Revolution entdeckten und propagierten Liebe zum Vaterland, zur eigenen Nation, hatte bemerkt, es sei »etwas Schreckliches um diese Liebe (…), sie ist so exklusiv, dass sie dem öffentlichen Interesse alles opfert, ohne Mitleid und Furcht, ohne Respekt vor der Menschlichkeit.« Im Tugendterror gleiche »der Tugend nichts so sehr wie ein großes Verbrechen.«82 Gilt die Französische Revolution als die Geburtsstunde des modernen politischen Nationsbegriffs, in dem im Sinn des französischen Begriffs der Staatsnation Nationalstaat und Staatsnation deckungsgleich sind – die politische Einheit als Konstititutivum für die Nation und deren kulturelle Einheit– , so ist dieses Modell der Identität von Staat, Territorium und Nation für die multiethnischen Gebiete Mittel- und Osteuropas nicht kompatibel. Friedrich Meinecke nahm daher die Unterscheidung zwischen Staats- und Kulturnation vor, wobei der Begriff der Kulturnation vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte als Nation ohne Staat83 als Gegenbegriff zur französischen Staatsnation diente. Die Kulturnation beruhe »vorzugsweise auf 82 Zit. bei Eugen Lemberg  : Nationalismus. 2 Bde. 2. Aufl. – Reinbek bei Hamburg 1967. Bd. 1. S. 206. 83 Franz Herre  : Nation ohne Staat. Die Entstehung der deutschen Frage. – Bergisch Gladbach 1982. Johannes Willms bemerkte in der Einleitung zu seiner deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert, »der Nationalismus als politische Doktrin und Bewegung« sei »als eine die wirklichen Bewegungsabläufe beeinflussende Kraft in der deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert erst relativ stät in Erscheinung« getreten. »Recht eigentlich muss man feststellen, dass der Nationalismus als Folge der vermeintlich nationalstaatlichen Einigung Deutschlands durch Bismarck weitaus bedeutsamer war denn als Ursache. Dem deutschen Nationalismus, der deutschen Nationalbewegung eignete bei der Reichsgründung lediglich eine akzessorische Funktion  : der Nationalismus lieferte die nachträgliche Legitimation für eine Schöpfung, die so, wie sie entstanden war, seinen eigentlichen Intentionen zuwiderlief. Mit anderen Worten  : Der deutsche ›Nationalstaat‹ und die ›deutsche Nation‹ wurden durch das Faktum der Reichsgründung 1871 keineswegs erfüllt, sondern durch diese erst zu einem Problem, das, weil es damals nicht gelöst wurde, seither unlösbar geworden ist.« (Johannes Willms  : Nationalismus ohne Nation. Deutsche Geschichte 1789–1914. – Frankfurt am Main 1985. S. 11.) Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation habe in der kleindeutschen Publizistik und Geschichtsschreibung kaum positive Beurteilungen gefunden, vielmehr sah man in diesem »nur Chaos, Verfall und politische Ohnmacht … Der schlechte Ruf, der dem alten Reich … anhaftet, hat mannigfache Ursachen. Als Hauptursache kann dabei gerade das gelten, was dem Reich seinen Charakter und die Garantie seines fast tausendjährigen Bestandes verlieh  : seine Universalität.« (Ebda. S. 17.)

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einem (…) gemeinsam erlebten Kulturbesitz.«84 In deutlichem Gegensatz zu dem sich durch die zunehmende Betonung des Rassebegriffs immer mehr verengenden Nationsbegriff des Nationalsozialismus erachtete der Ständestaat den Rassebegriff als Begründung für die Definition der Nation als völlig unpassend und ersetzte ihn durch den Kulturbegriff, der europäisch interpretiert wurde. Im Sinne Ernest Renans berühmter, in den frühen Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts formulierten, These definierte man Nation als kulturelle Solidargemeinschaft, die durch den Willen ihrer Mitglieder entsteht, die sich aus freien Stücken zu einer gemeinsamen Vergangenheit bekennen und daraus auch ihre Zukunftsgestaltung ableiten.85 Nationen sind imaginierte Gemeinschaften, das Produkt der Imagination politischer und kultureller Eliten.86 Das durch den Siegeszug der Moderne verursachte Verschwinden der heiligen und mythischen Texte kreierte eine neue politisch-historische Textsorte als Grundlage des kollektiven Gedächtnisses, in das nur jene Bestandteile Eingang finden, die von der jeweiligen Gesellschaft in einem bestimmten historischen Bezugsrahmen als erzählens- und interpretationswert aufgenommen werden. Sowohl die subjektive wie kollektive Erinnerung ist somit nie objektiv, an den reinen Fakten orientiert, sondern immer eine von den politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abhängige Rekonstruktion. Nation ist somit eine Geschichte, die sich eine bestimmte Gruppe von Menschen auf der Suche nach Sinn über sich selber erzählen. Diese nationalen Erzählungen tauchen nicht aus dem Nichts auf, sondern werden in einem bestimmten politischen und kulturellen Rahmen produziert und schaffen damit Identitäten.87 Dieser Kampf um die Identität, sowohl individuell wie kollektiv, entbrannte ab 1933 mit zunehmender Intensität, wobei die Verfechter der Erzählung einer österreichischen Nation aufgrund der historischen Prämissen a priori vor allem aus zwei Gründen im Nachteil waren  : der lagerübergreifende großdeutsche mentale Grundduktus stand diesen Bemühungen ebenso entgegen wie die wirtschaftliche Lage, die dem Sprichwort »ubi bene, ibi patria« zusätzliche Attraktivität verlieh. Im Fall Salzburgs musste man nur über die nahe Grenze Blicken, um vom deutschen Wirtschaftswunder und der rasch einsetzenden Vollbeschäftigung geblendet zu werden. Und dennoch  : Die Bemühungen um die Konstruktion einer österreichischen Nation und Identität waren nicht vergeblich. Sie schufen das Repertoire, aus dem die (konstruktiven) Erzählungen der frühen Zweiten Republik schöpften und die schließlich 84 Friedrich Meinecke  : Weltbürgertum und Nationalstaat. – Darmstadt 1969. S. 10. (Friedrich Meinecke Werke Band V.) 85 Ernest Renan  : Was ist eine Nation  ? … und andere politische Schriften. – Wien/Bozen 1995. S. 57f. 86 Benedict Anderson  : Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts. – Frankfurt am Main/New York 1988  ; Ernest Gellner  : Nationalismus und Moderne. – Hamburg 1995. 87 Ruth Wodkas, Rudolf de Cillia, Martin Reisigl, Karin Liebhart, Klaus Hofstätter. Maria Kargl  : Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität. – Frankfurt am Main 1998. S. 38.

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als Teil der Erfolgsgeschichte der Zweiten Republik zu deren Erzählung und damit kollektivem Gedächtnis wurden. Doch kehren wir zurück in die Zeit des ersten Ringens um eine österreichische Nation und österreichische Identität jenseits der großdeutschen Konnotationen. Die Geschichte Österreichs sei, so die »Richtlinien zur Führerausbildung« der Vaterländischen Front, die »chemische Küche für den europäischen Werdeprozess«, hier hätten sich »die europäischen Kulturkreise« belebt, gesteigert und veredelt. Österreichs Mission bestehe darin, aufgrund seiner Katholizität und Weltaufgeschlossenheit den durch das Dritte Reich negierten europäischen und universalistischen Charakter deutscher Kultur zu bewahren. Hans Karl Zessner-Spitzenberg88 bemerkte bei seiner Dollfuß-Gedenkrede in der »Österreichischen Akademie« 1936, der ermordete Bundeskanzler sei der »Blutzeuge für jene abendländisch verbliebene Kultur, die dieser österreichische Staat, das österreichische Volkstum, trotz ihrer deutschen Zunge immer noch tragen, und die sie seit den Tagen der Reformation im steten Kampf gegen den werdenden Nationalindividualismus bewahrten.« Sinnbild dieser österreichischen Idee war die Festspielstadt Salzburg. Im September 1935 bemerkten die »Wiener Stadt-Stimmen« der Vaterländischen Front  : »Von Hohensalzberg, Hitlers Sommersitz, sieht man in klaren Nächten die Lichter Europas  : Salzburg.«89

88 Hans Karl Zessner-Spitzenberg (1885–1938) entstammte einem böhmischen Adelsgeschlecht, studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Prag und Freiburg, promovierte 1909 an der Universität Prag zum Dr. jur. und trat er in den Dienst der k. k. Statthalterei in Prag. Anschließend studierte er Nationalökonomie an der Universität Berlin, an der er 1912 zum Dr. phil. promovierte. 1913 bis 1914 war er in der Abteilung für Agrarstatistik der Statistischen Zentralkommission in Wien, 1914 bis 1918 an der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn und 1918 im Ackerbauministerium beschäftigt, wurde 1919 in das Bundeskanzleramt berufen und war bis 1931 stellvertretender Leiter des Verfassungsdienstes. 1920 habilitierte er sich an der Hochschule für Bodenkultur Wien und wurde 1931 Ao. Prof. für Verfassungs- und Verwaltungsrecht an der Hochschule für Bodenkultur. 1926 gehörte er zusammen mit Ernst Karl Winter, Alfred Missong, August Maria Knoll und Wilhelm Schmid zu den Mitbegründern der »Österreichischen Aktion«, gehörte 1934 bis 1938 als Vertreter der Elternschaft dem Bundeskulturrat an, gehörte 1933 zu den Unterstützern der von Dietrich von Hildebrand gegründeten Zeitschrift »Der christliche Ständestaat«, deren Herausgeber er 1938 war und wurde 1937 mit der Leitung des Traditionsreferats der Vaterländischen Front betraut. Nach dem Anschluss wurde er verhaftet und in das KZ Dachau verbracht, auf dem Transport in das KZ schwer misshandelt und starb drei Wochen später an den Folgen dieser Misshandlungen. 89 Zit. bei Werner Suppanz  : Österreichische Geschichtsbilder. Historische Legitimationen im Ständestaat und Zweiter Republik. – Wien/Köln/Weimar 1998. S. 83ff.

3. Salzburg als Inszenierungsort einer antifaschistischen Gegenöffentlichkeit Die Barockstadt Salzburg und deren Festspiele wurden zum politischen und kulturellen Symbol des Kampfes der Systeme. Das Barock nahm in der Österreich-Ideologie des Ständestaates und dessen Geschichtsbild die zentrale Position ein, war das Heldenzeitalter und die Epoche imperialen Glanzes, der Höhepunkt österreichischer Kunst, Ausdruck österreichischer Katholizität und Universalität und damit österreichischen Wesens. Die Häuser und Plätze einer Stadt, die Stein gewordene Architektur, sind Sinnbild der kollektiven Mentalität und des kollektiven Gedächtnisses einer Gesellschaft. Das barocke Salzburg und Mozart als europäischer Komponist sowie die Internationalisierung der Festspiele als Sinnbild der »Pax Austriaca, als europäisches Friedensprogramm, (…) gleichsam als kultureller Völkerbund«,90 schienen der ideale Inszenierungsort einer antifaschistischen Gegenöffentlichkeit. Diese Bemühungen waren Mitte der Dreißigerjahre durchaus von Erfolg gekrönt. An die Stelle der deutschen Besucher, die durch die Tausend-Mark-Sperre ausblieben und die ohnedies mit ihren Mitteln haushalten mussten, kamen nunmehr die erheblich begüteteren Franzosen, Briten und US-Amerikaner, wobei vor allem der Anteil von vermögenden US-Juden von einer Art jüdischen Solidarität mit Salzburg Zeugnis ablegte. Die Festspiele und Salzburg wurden, vor allem durch die dominierenden antifaschistischen Persönlichkeiten Arturo Toscanini und Bruno Walter, zu einem politischen Signal, zu einem Gegen-Bayreuth. So sehr die »Österreich-Ideologie« mit ihrem zentralen Topos von der geschichtsphilosophisch abgeleiteten spezifischen »Mission« als völkerverbindender Kern des Abendlandes den realen politischen Gegebenheiten widersprach, so sehr schien sie doch im nunmehr internationalen Flair der Salzburger Festspiele kulturpolitische Gestalt anzunehmen. Gleichzeitig begann sich die »Österreich-Ideologie«, bedingt durch die Konfrontation mit dem Nationalsozialismus, aus der engen Verbindung mit dem Deutschtum zu lösen. Die Donaumonarchie begann die Reichsideologie zu verdrängen, die deutsche Identität Österreichs verlor zugunsten einer österreichischen Identität und Nation an Prägekraft. Für die Konstituierung dieser österreichischen Identität spielten Mozart und die Salzburger Festspiele eine wichtige Rolle, hatte doch Hugo von Hofmannsthal in seinem ersten Aufruf zum Salzburger Festspielplan von der Salzburger Kulturlandschaft und dem barocken fürsterzbischöflichen Salzburg als dem »Herzen vom Her90 Ernst Hanisch  : Wirtschaftswachstum ohne Industrialisierung. Fremdenverkehr und sozialer Wandel in Salzburg 1918–1938. – In  : Hanns Haas, Robert Hoffmann, Kurt Luger (Hg.)  : Weltbühne und Naturkulisse. Zwei Jahrhunderte Salzburg-Tourismus. – Salzburg 1994. S. 104–112. S. 106.

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zen Europas« gesprochen. »Das mittlere Europa hat keinen schöneren Raum und gerade hier musste Mozart geboren werden.«91 Mozart als Personifizierung Mitteleuropas bildete ab der Errichtung des ersten Festspielhauses 1925 einen festen Bestandteil des Programms der Salzburger Festspiele. Die von Hugo von Hofmannsthal formulierte programmatische Ausrichtung der Salzburger Festspiele kam der vom Ständestaat formulierten Österreich-Ideologie entgegen. Hofmannsthal forderte ein »deutsches, nationales Programm« mit Goethe, Grillparzer, Gluck und Mozart, wobei er »deutsch und national in dem Sinn« verstand, »wie sich die großen Deutschen zu Ende des achtzehnten und zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts, die gültigen Lehrer der Nation, die nationale Schaubühne dachten.«92 Mit der Aufführung des »Jedermann« auf den Stufen des Salzburger Doms wurde durch eine Kombination von »Hofmannsthals barocker Ästhetik und Max Reinhardts Theaterkunst« eine programmatische Idee zur Tradition, »die Stadt Salzburg selbst (…) zur barocken Altarbühne, auf der die österreichische Identität die neuen Weihen« erhielt. Das Festspielprogramm beinhaltete »auf allen Ebenen die Verschmelzung explizit kosmopolitischer und paneuropäischer Ideale mit einem bayerisch-österreichischen – das heißt barocken – Nationalismus. Als angeblicher geografischer Mittelpunkt Europas und der katholisch-deutschen ›Nation‹ stärke Salzburg, so Hofmannsthal, den ›Glauben an einen Europäismus, der die Zeit von 1750 bis 1850 erfüllt und erhellt hat.‹« Weltbürgertum, davon war Hofmannsthal überzeugt, sei ein Charakteristikum der deutschen Kultur und des deutschen Geistes, die Verschmelzung von barockem Heimatbewusstsein/Nationalismus und Weltbürgertum die Grundlage der Salzburger Festspiele. Daher sollte auch das Publikum ein internationales sein. »In höchstem Maße hoffen wir, dass die Angehörigen anderer Nationen zu uns kommen werden, um das zu suchen, was sie nicht leicht anderswo in der Welt finden können.«93 Bereits in der Gründungsphase der Salzburger Festspiele vertrat Hofmannsthal die Auffassung einer spezifisch österreichischen Identität als Erbe des kosmopolitischen deutschen Kulturerbes der Aufklärung, das durch den Sieg des kleindeutschen Nationalismus in Deutschland an Bedeutung verloren habe. Hier setzte die sich 1933/34 entwickelnde Österreich-Ideologie des Ständestaates an und entwickelte die österreichisch-preußische Dichotomie zum unversöhnlichen Gegensatz von Negation und Bewahrung eines weltbürgerlichen deutschen Kulturerbes.

91 Zit. bei Gernot Gruber  : Wolfgang Amadeus Mozart. – In  : Emil Brix, Ernst Bruckmüller, Hannes Stekl  : Memoria Austriae I. Menschen, Mythen, Zeiten. – Wien 2004. S. 48–78. S. 60. 92 Zit. bei Michael P. Steinberg  : Ursprung und Ideologie der Salzburger Festspiele 1890–1938. – Salzburg/München 2000. S. 32f. 93 Steinberg  : Ursprung und Ideologie der Salzburger Festspiele 1890–1938. S. 33.

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Der in Salzburg geborene Edmund Glaise-Horstenau, Historiker und Generalstabsoffizier, wurde in Folge des Juliabkommens von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg als Vertreter der nationalen Opposition in sein Kabinett berufen. Noch vor dieser Berufung hatte er eine Vorlesungsreihe unter dem Titel »Altösterreichs Vergangenheit im Spiegel der deutschen Geschichte« bei den Salzburger Hochschulwochen zugesagt.94 Dabei sprach er sich, wie er in seinen Erinnerungen bemerkte, »gegen die separatistische Geschichtsauffassung des Dollfuß-Kurses« aus und bekannte sich zum »deutschen Gedanken«. Über das sommerliche Salzburg des Jahres 1936 bemerkte er, dieses sei »in der zweiten Julihälfte und im August, wenn schon nicht der Mittelpunkt Europas, so doch die unbestrittene Hauptstadt Österreichs« gewesen. »Daran hatten natürlich die vor allem von Landeshauptmann Rehrl mit Zähigkeit betriebenen Festspiele ihren Anteil, die allerdings seit der Verhängung der Tausend-Mark-Sperre und seit dem Ausbruch des Konflikts mit Deutschland leider zu einer Art internationalen Demonstration wider das Dritte Reich geworden waren. Diese Tatsache hat mich von Anbeginn schwer bedrückt. Sie brachte meiner Vaterstadt zwar Nutzen ein, zumal den großen Hotels, die die sechs Festspielwochen über fast immer dicht besetzt waren. Aber es war doch eine gemischte Freude, dieses Publikum, in welchem das Judentum mindestens eine sehr große Rolle spielte, wenn es nicht überhaupt überwog, durch die Straßen der Stadt lustwandeln zu sehen – noch dazu in ortsüblichen ›Buam‹- und ›Dirndlkostümen‹, die von einer Volkhaftigkeit keine Spur mehr aufzuweisen hatten, sondern in einem findigen, geschäftstüchtigen Schneideratelier in möglichst grotesken Formen und Farben erfunden wurden. (…) Wer sich von dieser Gesellschaft ein Bild machen wollte, der tat am besten, ins Café Bazar in der Bismarckstraße zu gehen.«95 Ab Mitte der Dreißigerjahre wurde in Salzburg die Tracht zur politischen Manifestation von Landesbewusstsein und Weltoffenheit. Nach dem Vorbild des Steireranzugs, der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Kleidungsstück des staatstreuen Adels und Beamtentums entwickelte, wurde 1935 mit Verordnung der Salzburger Landesregierung der Salzburger Landesanzug ins Leben gerufen und als offizielle Landestracht und Dienstbekleidung für Beamte und Lehrer verordnet. Von Landeshauptmann Franz Rehrl und Bundeskanzler Kurt Schuschnigg getragen, wurde er zum politischen Symbol des Ständestaates.96 Die Salzburger Trachtenmode 94 Salzburger Chronik 6.8.1936. S. 4  ; Salzburger Chronik 10.8.1936. S. 4  ; Reichspost 6.8.1936. S. 10  ; Reichspost 9.8.1936. S. 12. 95 Peter Broucek (Hg.)  : Ein General im Zwielicht. Die Erinnerungen Edmund Glaises von Horstenau. 3 Bde. – Wien/Köln/Graz 1980/88. Bd. 2. S. 111. 96 Ulrike Kammerhofer-Aggermann  : Die Salzburger Landeskommission »betreffend Förderung und Hebung der Salzburger Eigenart in Tracht, Sitten und Gebräuchen« und der Salzburger Landesanzug. – In  : Trachten nicht für jedermann  ? Heimatideologie und Festspieltourismus dargestellt am Kleidungsverhalten in Salzburg zwischen 1920 und 1938. – Salzburg 1993. S. 25–50. (Salzburger Bei-

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avancierte zudem durch die Internationalisierung der Festspiele ab Mitte der Dreißigerjahre und den Zustrom vor allem jüdischer Gäste aus den USA, Großbritannien und Frankreich zum Bestandteil der Haute Couture. Die Tracht, von den Nationalsozialisten als Symbol von Blut und Boden und als Bestandteil der Rassenideologie vereinnahmt, wurde in Salzburg international, von Künstlern wie Richard Mayr, Paula Wessely, Attila Hörbiger, Lotte Lehmann, Ezio Pinza und Marlene Dietrich aus ihrer sozialen und kulturellen Einengung befreit und international als gesellschaftsfähig und chic etabliert. Im Sommer 1935 drängten sich rund 100 amerikanische Millionäre im ersten Stock der Spängler Bank, der einen guten Blick auf einen Trachtenumzug ermöglichte.97 Die Salzburger Tracht, wesentlich geprägt von der Firma Lanz, wurde nicht nur zum Wirtschaftsfaktor, sondern auch zu einem von einem internationalen Publikum begeistert getragenen Modeartikel. Wenngleich Max Reinhardt nicht zu den Trachten-Trägern zählte, so hatte er bereits zu Beginn der Zwanzigerjahre, ähnlich wie Hugo von Hofmannsthal und Hermann Bahr, im Sinn der intendierten Überwindung der Kluft zwischen Hoch- und Volkskultur die Volksverbundenheit der Festspiele betont. Doch erst Mitte der Dreißigerjahre sollte diese Intention Wirklichkeit werden.98 So nahm das von Clemens Holzmeister geschaffene Bühnenbild für die Faust-Stadt volkstümliche Elemente auf und auch auf der Bühne wurde in Tracht agiert. Die glänzende Seite der Medaille der Internationalisierung der Festspiele sowie der Siegeszug der Salzburger Tracht hatte allerdings auch ihre Schattenseite, das andere Salzburg. Bereits gegen Ende des Ersten Weltkriegs und in der unmittelbaren Nachkriegszeit hatte angesichts der vorherrschenden Mangelwirtschaft und des Zustroms von Wienern sowie zahlreichen, vor allem auch jüdischen, Kriegsgewinnlern und Schiebern eine weit verbreitete, antisemitisch grundierte, lagerübergreifende Fremdenfeindlichkeit dominiert.99 Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus folgten jedoch den ökonomischen Konjunkturen. In der Phase der Stabilisierung schwächten sie sich ab, ohne freilich zu verschwinden. So gab es nach wie vor die »judenfreien« Sommerfrische-Orte wie Mattsee, wo man sich Arnold Schönbergs

träge zur Volkskunde. Band 6. Herausgegeben vom Salzburger Landesinstitut für Volkskunde. Ulrike Kammerhofer-Aggermann, Alma Scope, Walburga Haas.) 97 Ulrike Kammerhofer-Aggermann  : Kulturmetropole Salzburg. – In  : Haas, Hoffmann, Luger (Hg.)  : Weltbühne und Naturkulisse. S. 113–119. S. 117. 98 Alma Scope  : Bühnen der »Volkstümlichkeit«. Die Bedeutung Salzburgs und der Festspiele für die Trachtenmode. – In  : Trachten nicht für jedermann  ? S. 214–260. 99 Günter Fellner  : Judenfreundlichkeit, Judenfeindlichkeit. Spielarten in einem Fremdenverkehrsland. – In  : Robert Kriechbaumer (Hg.)  : Der Geschmack der Vergänglichkeit. Jüdische Sommerfrische in Salzburg. – Wien/Köln/Weimar 2002. S. 59–126. S. 78ff. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Band 14.)

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1921 entledigt hatte,100 doch siegte letztlich die ökonomische Bedeutung des Fremdenverkehrs. Ohne die Einnahmen aus dem Fremdenverkehr drohte der völlige wirtschaftliche Kollaps des Landes. Das Hemd der Sicherung der eigenen Existenz war auch den mental antisemitischen und fremdenfeindlichen Salzburgern immer noch näher als der Rock der Ideologie. Die zweite Hälfte der Zwanzigerjahre brachte jährlich neue Rekorde an Übernachtungen und den damit verbundenen Devisen, wobei die deutschen Gäste mit einem Anteil von bis zu 70 Prozent dominierten. Auch bei den Salzburger Festspielen, dem jährlichen Höhepunkt der Saison. Es war der nunmehr einsetzende Massentourismus, der die ambivalente Haltung der Salzburger ihren Gästen gegenüber, in denen historische Überhänge eine erhebliche Rolle spielten, kreierte. Da war die gemeinsame Sprache und Geschichte, die groß- bzw. gesamtdeutsche Gefühle stärkte und das Verhältnis des Gastes und Bediensteten entschärfte, ohne ihm freilich die gegensätzlichen Konturen zu nehmen. Hinzu trat ein seit dem 19. Jahrhundert gewachsener Minderwertigkeitskomplex gegenüber den allgemein als fortschrittlicher, moderner und daher auch erfolgreicher geltenden nördlichen Nachbarn. Dass man andererseits nach einer Phase des saisonbedingten Lächelns und der Höflichkeit froh war, wenn die in der Regel begüteteren Deutschen wiederum nach Hause fuhren und man am Stammtisch über die »Piefkes« herziehen konnte, stand auf einem anderen Blatt. Es war nicht so sehr die Weltwirtschaftskrise, sondern die Tausend-Mark-Sperre 1933, die durch den Rückgang der deutschen Gäste auf ein Zehntel den Salzburger Fremdenverkehr massiv erschütterte. So machte Hitler in der Ministerbesprechung am 26. Mai 1933 aus seinem Herzen keine Mördergrube. »Der österreichische Gesandte hat auf die handelspolitischen Folgen des von uns beabsichtigten Schrittes hingewiesen. Die Lage ist aber für Österreich wesentlich bedrohlicher als für Deutschland, denn Österreich wird durch den Ausfall des Fremdenverkehrs Einnahmen von allein 250 Millionen Schilling verlieren. Im Augenblick der Ankündigung des Sichtvermerks würde in Österreich sofort die Propaganda der NSDAP einsetzen. Sie werde in Hunderttausenden von Flugblättern das österreichische Volk auf die Beweggründe der Maßnahmen hinweisen. Das Kräfteverhältnis in Österreich bedrohe schon jetzt den weiteren Bestand der Regierung Dollfuß.«101 Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die Politische Kultur Salzburgs und die Befindlichkeit eines erheblichen Teils der Salzburger Gastwirte und Beherbergungsunternehmen, dass diese überwiegend nicht der aggressiven Politik des nationalsozialistischen Deutschen Reiches die Schuld an der negativen Entwicklung der 100 Harald Waitzbauer  : Arnold Schönberg ist in Mattsee unerwünscht. – In  : Kriechbaumer (Hg.)  : Der Geschmack der Vergänglichkeit. S. 153–174. 101 AdRK. Die Regierung Hitler 1933–1945. Bd. I/1. S. 493.

Salzburg als Inszenierungsort einer antifaschistischen Gegenöffentlichkeit

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Tourismuswirtschaft gaben, sondern der Regierung Dollfuß, die sich den Anschlussbestrebungen Berlins widersetzte. Salzburg, vor allem dessen Festspiele, bewältigten jedoch in einer Kombination von nationaler und regionaler Kraftanstrengung die Krise durch eine völlige Neustrukturierung des Fremdenverkehrs, der nunmehr vor allem von begüterten – vor allem jüdischen – Briten, US-Amerikanern, Franzosen, Niederländern, Belgiern und Tschechoslowaken sowie Inländern dominiert wurde. Das sich um die neue zentrale antifaschistische künstlerische Persönlichkeit Arturo Toscanini bildende Gegen-Bayreuth wurde zu einem Mekka der Musikbegeisterten aus aller Welt, zum sommerlichen Treffpunkt der internationalen zahlungskräftigen Prominenz und zum politischen Signal. In einer Form unausgesprochener jüdischer Solidarität dominierte nunmehr ein internationales und großbürgerliches Wiener Publikum das Erscheinungsbild der sommerlichen Festspielstadt, in der jedoch die Rolle der Bediensteten, in welcher Form auch immer, nicht neu besetzt war. Gegenüber den vor 1933 dominierenden deutschen Gästen waren die neuen als Repräsentanten des Kapitalismus erheblich zahlungskräftiger und moderner. Wenngleich sie, mit Ausnahme des österreichischen und tschechoslowakischen Anteils, zu einem erheblichen Teil nicht Deutsch sprachen, so prägten sie durch ihre scheinbar omnipräsente Anwesenheit das Stadtbild. So sehr das offizielle Salzburg und Österreich in ihrer Fremdenverkehrswerbung auf die Kombination von Heimatverbundenheit und Weltoffenheit setzten und mit dem mehr oder weniger indirekten antifaschistischen Hinweis auch auf die Frontstellung des Landes gegenüber dem Nationalsozialismus hinwiesen, so vermochten sie, bei allen Erfolgen vor allem beim internationalen jüdischen Publikum, nicht die mentalen ressentimentgeladenen Tiefenstrukturen eines erheblichen Teils der Bevölkerung zu korrigieren. So sehr man auch, im individuellen Ausmaß unterschiedlich, von der Internationalisierung profitieren mochte, so sehr regte sich der Widerstand der künstlich Devoten, die ihre eigentliche Meinung hinter dem Berg hielten und sie nur unter Gleichgesinnten äußerten. Die ökonomischen und sozialen Welten und die daraus resultierenden (politischen) Wahrnehmungen waren zu unterschiedlich. Hier das ökonomisch saturierte weltoffene Klientel, das sich nicht nur bei den Premieren der Salzburger Festspiele in sündteurer Kleidung zeigt und anschließend zu horrenden Preisen speist, sondern sich aus einer Laune heraus der Salzburger Mode bemächtigt und diese, unterstützt von geschäftstüchtigen Salzburger Unternehmen und Handwerkern, zu einem Bestandteil der internationalen Haute Couture macht, hier die – weitgehend verarmten und daher abhängigen – einheimischen Zaungäste dieser Entwicklung als Staffage, der in ihrer ohnedies devoten Position ihr letztes Residuum personaler und kollektiver Identität, die Tracht als Symbol des »Ahnenerbes«, durch – vor allem jüdische – Großstädter und ausländische Dollarmillionäre entfremdet und entwendet wird. Die Verfügungsgewalt über eines der letzten kultu-

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rellen Zeichen drohte, unterstützt von einer dem (jüdischen) Mammon verfallenen Landespolitik, verloren zu gehen, wie die Heimat- und Trachtenschutzbewegung monierte. Vor allem der 1908 gegründete »Erste Österreichische Reichsverband für Alpine Volks- und Gebirgstrachtenvereine« wurde zum Sprachrohr der nationalen und nationalsozialistischen Eiferer, die in der Tracht Bühne und Mittel des Volkstumskampfes sahen. Großstädtische jüdische Sommerfrischler, Festspielkünstler und ein reiches, vor allem ausländisches Festspielpublikum praktizierten in ihren Augen einen artifiziellen volkfremden Mummenschanz, dem es durch die Pflege der »echten« Tracht, des »Ahnenerbes«, was immer man darunter verstand, zu begegnen galt. Die Tracht wurde ab dem Verbot der NSDAP durch deren Instrumentalisierung durch die nunmehr illegale Partei zum hoch aufgeladenen politischen Symbol. Der Lamberghut, vor allem aber die kurze Lederhose mit weißen Stutzen und weißem Oberhemd samt Knopfcode – der zweite weiße Hemdknopf wurde mit einem schwarzen Faden angenäht und unter dem Knopf ein rotes Band eingezogen, wodurch sich ein stilisiertes NS-Parteiemblem ergab102 – galten nunmehr als verdeckte Parteiuniform der NSDAP und speziell in Salzburg nicht nur als Protest gegen das politische System, sondern vor allem auch gegen die verjudeten Festspiele. Salzburg war Frontstadt, sowohl im politischen wie auch kulturellen Sinn.

102 Ulrike Kammerhofer-Aggermann   : Dirndl, Lederhose und Sommerfrischenidylle. – In   : Kriechbaumer (Hg.)  : Der Geschmack der Vergänglichkeit. S. 317–334. S. 328.

4. Zwischen Konsens und Autoritärem Kurs Landeshauptmann Franz Rehrls politischer Balanceakt

Am 17. Februar 1934 berichtete das »Salzburger Volksblatt«, in den letzten Tagen seien in der Stadt Salzburg 120 Personen verhaftet worden. Diese politischen Häftlinge befänden sich »derzeit noch in Polizeigewahrsam und erwarten ihr weiteres Schicksal. Gegen einzelne Führer, wie die ehemaligen Abgeordneten Emminger, Witternigg und Preußler wird im Sinne des § 58 Strafgesetzbei der Staatsanwaltschaft die Anzeige wegen Hochverrates erstattet werden.«103 Die Tragödie des Bürgerkrieges warf ihre Schatten nur schemenhaft auf Salzburg. Das Land und die überraschten und desorientierten sozialdemokratischen Parteigänger blieben, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ruhig. Die vom Konsens geprägte politische Kultur entfaltete auch nach dem Februar 1934 ihre Wirkung. Landeshauptmann Franz Rehrl intervenierte ebenso für die inhaftierten sozialdemokratischen Parteiführer wie Fürsterzbischof Ignaz Rieder. Der Salzburger Landeshauptmann blieb auch nach den Februarereignissen, sehr zum Ärger der Heimwehr, Konsenspolitiker, der den nunmehr offensiv vorgetragenen faschistischen Vorstellungen der Wehrformation ablehnend gegenüberstand. Am 15. Februar veröffentlichte die »Salzburger Chronik« einen Aufruf des Landeshautmanns, in dem er nur allgemein von einem »furchtbaren Unglück« sprach, das über das »Vaterland hereingebrochen« sei. »In dieser Zeit tiefster Trauer, in der ich mit Wehmut der Opfer gedenke, bedeutet es für mich als Landeshauptmann von Salzburg einen besonderen Lichtblick, dass u n s e r H e i m a t l a n d v o n d i e s e r G e i s e l G o t t e s v e r s c h o n t w u r d e . Wir verdanken dies vor allem der Besonnenheit und dem Verantwortungsbewusstsein unseres Volkes selbst.« Er richtete »an das gesamte Salzburger Volk die Aufforderung, weiterhin in friedlicher Zusammenarbeit den dringend notwendigen Wiederaufbau unseres staatlichen Lebens und der Wirtschaft zu unterstützen. A l l e Kreise der Bevölkerung, die guten Willens sind, den Aufbauwillen der Regierung Dollfuß tatkräftig zu unterstützen, kommen sie von woher immer, sind hierbei willkommen und zur Mitarbeit berufen. E s l e b e u n s e r Va t e r l a n d Ö s t e r r e i c h , e s l e b e u n s e r H e i m a t l a n d S a l z b u r g u n d u n s e r b e s o n n e n e s S a l z b u r g e r Vo l k   !«104

103 Salzburger Volksblatt 17./18. 2.1934. S. 1. 104 Salzburger Chronik 15.2.1934. S. 1  ; Salzburger Volksblatt 16.2.1934. S. 7.

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Dieser sich als Brückenschlag zum politischen Kontrahenten verstehende Aufruf entsprach keineswegs den Intentionen der Heimwehr, die kurz vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges einen Forderungskatalog, der einem kalten Staatsstreich entsprach, im Chiemseehof überreicht hatte. Rehrl erwiderte am 14. Februar mit der Bemerkung, er könne aufgrund der in der Zwischenzeit eingetretenen Ereignisse keine Antwort geben. Seine offen ablehnende Haltung der sich als Sieger im Bürgerkrieg fühlenden Heimwehr gegenüber sowie seine nach wie vor auf Konsens und Versöhnung ausgerichtete Politik ließen die Heimwehr offen seine Ablöse fordern. Am 21. Februar war eine Besprechung Rehrls mit Dollfuß in Wien über die künftige Gestaltung der Landesregierung und der Landespolitik anberaumt. Angesichts der Rücktrittsforderungen der Heimwehr galt es, die Gegenkräfte zu mobilisieren und die eigene Position bei den bevorstehenden entscheidenden Verhandlungen zu stärken. Am 19. Februar erklärten der Katholische Bauernbund, die Landesorganisation der christlichen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung Salzburgs, der Österreichische Gewerbebund, die Landesgruppe des Vaterländischen Hagenbundes, der Diözesanverband Salzburg der katholischen Frauen, die Ostmärkischen Sturmscharen und die Landesgruppe Salzburg des österreichischen Freiheitsbundes in einer gemeinsamen Resolution »einmütig ihren Willen, am W i e d e r a u f b a u e u n s e r e s S t a a t e s a u f s t ä n d i s c h e r G r u n d l a g e im Sinne der Erklärungen des Bundeskanzlers Dr. Dollfuß vom September 1933 tatkräftig mitzuarbeiten.« Sie baten jedoch den Bundeskanzler »dringend, die nachstehenden zum Zwecke der raschen Durchführung dieses Programmes in Salzburg erforderlichen Entscheidungen entgegenzunehmen  : 1. Sie betrachten es als unbedingte Voraussetzung, dass die von ihnen vertretenen O r g a n i s a t i o n e n , die von jeher auf der Grundlage der christlich-ständischen Idee aufgebaut waren, beim Neubau unseres Landes zu a k t i v e r M i t a r b e i t herangezogen werden. (…) 3. Sie stellen mit Befriedigung fest, dass es i m L a n d e S a l z b u r g durch ständige, zielbewusste, auf Befriedung hinzielende Aufbauarbeit gelungen ist, s e i t d e m J a h r e 1 9 1 8 j e d e s B l u t v e r g i e ß e n z u v e r m e i d e n , auf welchem Weg fortgefahren werden muss. 4. Sie sprechen deshalb ihren bisherigen, von ihnen aufgestellten und vom christlichen Volke gewählten Ve r t r e t e r n mit L a n d e s h a u p t m a n D r. R e h r l a n d e r S p i t z e i h r u n e i n g e s c h r ä n k t e s Ve r t r a u e n a u s und bitten den Herrn Bundeskanzler, sich beim Neuaufbau des Staates auf diese erprobten Männer zu stützen und sie – selbstverständlich unter Heranziehung neuer Kräfte – mit der Aufbauarbeit zu betrauen.«105

105 Salzburger Chronik 20.2.1934. S. 1.

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Die Resolution hatte eine dreifache Stoßrichtung  : 1. Sie dokumentiert die Absicht der Christlichsozialen, im künftigen Ständestaat die entscheidende politische Rolle zu spielen  ; 2. Die Festlegung auf die Person des Konsenspolitikers Rehrl als Garanten für eine friedliche und erfolgreiche Landespolitik, wobei man sich 3. der Notwendigkeit des politischen Kompromisses mit der Heimwehr durch Formulierungen wie »Heranziehung neuer Kräfte« und »gebührenden Platz im neuen Staate« bewusst war. Allerdings sollte der letztlich nicht zu vermeidende Einfluss der Heimwehr vor allem durch die Wiederbestellung Rehrls zum Landeshauptmann in Grenzen gehalten werden. Die Salzburger Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie drängte am 21. Februar in einem Telegramm an Dollfuß darauf, »dass in der durch Jahre bewährten Führung des Landeshauptmannes Dr. Rehrl keine Änderung eintreten möge« und Bürgermeister Max Ott ließ im Namen der Gemeindevertretung der Landeshauptstadt wissen, der Gemeinderat lege »größten Wert darauf, dass an der Spitze der Landesverwaltung k e i n e Ä n d e r u n g eintritt.«106 Die Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie bat in ihrem Telegramm an Bundeskanzler Dollfuß, »dass in der durch Jahre bewährten Führung des Landes durch Landeshauptmann Dr. Rehrl keine Änderung eintreten möge« und Erzbischof Ignaz Rieder sprach in einem Brief an den Bundeskanzler ebenfalls die Bitte aus, »dem Lande Salzburg die Führung durch Landeshauptmann Dr. Rehrl zu erhalten.«107 Einen Tag zuvor hatte sich der Salzburger Gemeinderat gegen die Forderung des Heimatschutzes (Heimwehr) nach seiner Auflösung gewandt. Im Namen der Heimwehr hatte Gemeinderat Hauptmann am 19. Februar an Sicherheitsdirektor Oberst Ludwig Bechinie Ritter von Lazan aufgefordert, den Salzburger Gemeinderat aufzulösen, da dieser nicht energisch genug gegen die sozialdemokratisch gesinnten Beamten, Angestellten und Arbeiter vorgehe. Der Stadtmagistrat reagierte auf dieses Vorgehen mit der ablehnenden Erklärung, dass die 14 sozialdemokratischen Mandate im Gemeinderat erloschen seien, der aus 40 Mitgliedern bestehende Gemeinderat jedoch weiterhin beschluss- und arbeitsfähig sei. Bei der städtischen Beamtenschaft habe man am und nach dem 12. Februar kein kritisierenswertes Verhalten feststellen können, während einzelne Arbeiter, besonders Betriebsräte, zum Streik aufgerufen hätten und zur Anzeige bei der Bundespolizeidirektion gebracht worden seien. Im Namen des verbliebenen Gemeinderates betonten die Gemeinderäte Josef Größwang und Karl Düregger bei einer Vorsprache bei der Vaterländischen Front, »dass die derzeitige Zusammensetzung des Salzburger Gemeinderates die Gewähr für eine geordnete Verwaltung der Stadt im staatstreuen Sinne biete.«108

106 Salzburger Volksblatt 22.2.1934. S. 1. 107 Salzburger Chronik 22.2.1934. S. 6. 108 Salzburger Chronik 20.2.1934. S. 5.

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Es galt, den Griff des Heimatschutzes nach der Macht sowohl auf Landes- wie Kommunalebene zu verhindern. Rehrl, dessen Verhältnis zu Dollfuß keineswegs von inniger Freundschaft geprägt war, hatte bereits zwei Vorgefechte verloren. Das erste, als Dollfuß sich über seinen hartnäckigen Widerstand gegen die Einsetzung von Sicherheitsdirektoren im Juni 1933 hinweggesetzt hatte und nach einer persönlichen Aussprache nur mehr zu einer Verlautbarung bereit war, die Rehrl das Gesicht wahren ließ. Das zweite, als er im selben Jahr versuchte, die Führung der von Dollfuß ins Leben gerufenen Vaterländischen Front in die Hand zu bekommen. Die Ankündigung des Bundeskanzlers auf dem Salzburger Bundesparteitag der Christlichsozialen im Mai 1933, eine »österreichische Front«, bestehend aus den Christlichsozialen und regierungsfreundlichen Kräften als politische Sammelbewegung der regierungstreuen Kräften ins Leben rufen zu wollen,109 war noch auf Beifall gestoßen, gingen doch die Parteitagsdelegierten von der Annahme eines Fortbestandes der Partei und ihres bestimmenden Einflusses in der künftigen »österreichischen Front« aus. In dieser Annahme wurden sie durch die Erklärung des Bundeskanzlers bestärkt, er wolle nichts anderes »als alle seine Kräfte der Partei zur Verfügung zu stellen.«110 Diese Zuversicht verwandelte sich allerdings in den folgenden Monaten zunehmend in Besorgnis, da die Anzeichen einer Verfassungsänderung im ständisch-autoritären Sinn immer deutlicher wurden und die Heimwehr ihre Intentionen einer faschistischen Staatsgestaltung scheinbar erfolgreich zu realisieren schien. Die von Dollfuß ins Leben gerufene »Vaterländische Front« entwickelte sich nach organisatorischen Anlaufschwierigkeiten zu einer Massenorganisation, deren Charakter sich vor dem Hintergrund der Verfassungsdiskussion zunehmend als mögliche neue politische Monopolorganisation entpuppte. Die unklaren Äußerungen des Bundeskanzlers über die Zukunft der Christlichsozialen Partei gaben diesem Verdacht immer mehr Nahrung, weshalb sich in der Partei die Tendenz verstärkte, angesichts des möglicherweise in der neuen ständischen Verfassung besiegelten Endes des Parteienstaates einen bestimmenden Einfluss auf die Vaterländische Front zu erlangen, um diese nicht der Heimwehr auszuliefern. In Salzburg strebte daher Landeshauptmann Franz Rehrl die Führung der Vaterländischen Front an, stieß mit diesem Begehren jedoch auf die bewusste Abwehrhaltung von Dollfuß, der die Bewegung nicht dem eigensinnigen Salzburger Demokraten überantworten wollte. Nach dem Beamten Karl Windischer und dem in Anif lebenden Schriftsteller Joseph August Lux wurde der als national geltende ehemalige Offizier Bernhard Aicher im November 1933 109 Robert Kriechbaumer (Hg.)  : »Dieses Österreich retten …« Die Protokolle der Parteitage der Christlichsozialen Partei in der Ersten Republik. – Wien/Köln/Weimar 2006. S. 450. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 27.) 110 Kriechbaumer (Hg.)  : »Dieses Österreich retten …« S. 451.

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Landesleiter der Vaterländischen Front. Landesführer-Stellvertreter wurde der Heimatschützer Alois Wagenbichler. Aus dieser personellen Konstellation sollten sich in der Folgezeit zahlreiche Differenzen zwischen dem auf eine Aussöhnung mit dem nationalen Lager und dessen Inkorporierung in die Vaterländische Front drängenden Aicher und Rehrl ergeben.111 Die Meldung des »Salzburger Volksblattes«, das Ergebnis der Besprechung Rehrls mit Dollfuß sei der Entschluss des Landeshauptmanns, seine Funktion zur Verfügung zu stellen, sollte sich als falsch erweisen.112 Die Heimwehr hatte offensichtlich das Fell des Bären verteilt, bevor dieser erlegt war. Rehrl, massiv unterstützt von den Salzburger Christlichsozialen, war keineswegs in der Absicht nach Wien gefahren, dem Bundeskanzler angesichts der geänderten politischen Situation und einer Verordnung der Bundesregierung, nach der nicht nur jene Mandatare, die ihre Wahl auch den Stimmen der Sozialdemokratie verdankten, ihr Amt zur Verfügung zu stellen hatten, sondern auch jene, die ihre Funktion zwar nicht den Stimmen der Sozialdemokratie verdankten, jedoch von dieser mitgewählt worden waren, seine Demission anzubieten.113 Er war sich 111 Am 7. Dezember 1933 schrieb Bernhard Aicher an Dollfuß, er habe nach zahlreichen Gesprächen mit ehemaligen Regimentskameraden sowie anderen Weltkriegsteilnehmern die Überzeugung gewonnen, »dass eine Wiedergeburt Österreichs nur dann möglich ist, wenn man die gesunden nationalen Kreise in die Vaterländische Front eingliedert …«Am 7. Juni 1934 beschwerte er sich in einem Brief an Dollfuß, dass sich die Verhältnisse in Salzburg zuspitzen, »da von gewissen Kreisen (Dr. Rehrl, Ramsauer, Oellacher) gegen mich ein Kesseltreiben veranstaltet wird, und zwar in der Form, dass man aufgrund des Abkommens mit dem Heimatschutz, nach welchem Landeshauptmann-Stellvertreter Dr. Wagenbichler mein Stellvertreter wird, dass es nicht angeht, dass ich, der nicht aus der Christlichsozialen Partei kommt, weiterhin Landesleiter bleibe.« Vgl. Robert Kriechbaumer (Hg.)  : Österreich  ! Und Front Heil  ! Aus den Akten des Generalsekretariats der Vaterländischen Front. Innenansichten eines Regimes. – Wien/Köln/Weimar 2005. S. 159 und S. 257. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 23.) 112 Salzburger Volksblatt 22.2.1934. S. 1. 113 Es war die Frage, ob diese Bestimmung der Verordnung der Bundesregierung vom 16. Februar 1934 auf den Salzburger Landeshauptmann zutraf. In einem Schreiben an den Salzburger Landtag erklärte Rehrl den Sachverhalt mit dem von ihm gezogenen Schluss, dass die Verordnung der Bundesregierung auf ihn nicht zutreffe, da er auch ohne die Stimmen der Sozialdemokraten zum Landeshauptmann gewählt worden wäre. Am 10. Mai 1932 trat der aus 26 Abgeordneten (12 Christlichsoziale, 8 Sozialdemokraten, 6 Nationalsozialisten) bestehende Salzburger Landtag zu seiner konstituierenden Sitzung und zur Wahl des Landeshauptmanns zusammen. Im ersten Wahlgang wurden für Franz Rehrl 12 Stimmen, für Robert Preußler 7 Stimmen und für Max Peisser 5 Stimmen abgegeben. Der zweite Wahlgang am 24. Mai brachte für Franz Rehrl 11 Stimmen, für Robert Preußler 7 Stimmen und für Max Peisser 5 Stimmen. Da die folgenden Parteienverhandlungen zu keinem Ergebnis führten, wurde die Sitzung unterbrochen und auf den 27. Mai vertagt. Bei dieser Sitzung waren wegen Krankheit nur 24 Abgeordnete anwesend. Die Sozialdemokraten erklärten in dieser Sitzung, dass sie für den Kandidaten der stärksten Fraktion, d. h. Rehrl, stimmen würden, um den Landtag arbeits-

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jedoch auch dessen bewusst, dass er angesichts des Drucks der Heimwehr zu Zugeständnissen bereit sein musste.114 Am 19. Februar war der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Schlegel115 von seiner Funktion zurückgetreten. Für diesen aufsehenerregenden Schritt waren vor allem drei Gründe ausschlaggebend  : 1. Nach dem Beschluss der Österreichischen Bischofskonferenz am 30. November 1933 über das Ausscheiden der Priester aus der Politik mit 15. Dezember hatte der Linzer Bischof Johannes Maria Gföllner den Katholischen Volksverein, der bisher die politische Organisationsstruktur der Christlichsozialen in Oberösterreich gewesen war, in eine kulturelle Organisation umgewandelt und damit der Partei die Basis entzogen. Dieser Schritt war mit direkter oder indirekter Zustimmung von Dollfuß erfolgt, der zu diesem Zeitpunkt bereits den Beschluss zur Beseitigung des Parteienstaates und damit zum Aufgehen der Christlichsozialen Partei in der Vaterländischen Front gefasst hatte. Damit hatten sich alle Hoffnungen führender Repräsentanten der Christlichsozialen auf eine Rückkehr zum Parteienstaat, wenn auch in modifizierter Form, in Luft aufgelöst. Dies führte am 11. Jänner 1934 nach einem Gespräch mit Dollfuß zum Rücktritt des bisherigen Präsidenten des Katholischen Volksvereins, Josef Aigner, der sich als Nationalratsabgeordneter im christlichsozialen Klub stets gegen ein Verfassungsoktroi ausgesprochen hatte. Mit dem Rücktritt Aigners verlor auch Landeshauptmann Schlegel eine wichtige Stütze im Kampf gegen das sich immer deutlicher abzeichnende Verfassungsoktroi und die beabsichtigte Beseitigung der Christlichsozialen Partei, die unter dem Schlagwort der notwendigen Sammlung aller vaterländischen Kräfte in der Vaterländischen Front aufgehen sollte. fähig zu machen. Obwohl eine von den Sozialdemokraten nunmehr zugesicherte Stimmenthaltung für die Wiederwahl Rehrls genügt hätte, wählten die Sozialdemokraten Rehrl zum Landeshauptmann. Bei der Wahl erhielt Rehrl 17 Stimmen, Peisser 5 Stimmen, 2 Stimmen waren ungültig. (Salzburger Volksblatt 27.2.1934. S. 1. 114 So hatte der Salzburger Heimatschutz in einem Aufruf erklärte, dass nur die Exekutive und er das Verdienst der Niederschlagung des Schutzbundaufstandes für sich in Anspruch nehmen können. »Keine Partei und keine andere Bewegung habe Anteil an diesem Verdienst.« (Salzburger Volksblatt 20.2.1934. S. 4.) 115 Josef Schlegel (1869–1953) war der Sohn eines Lehrers und Bürgerschuldirektors. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Leitmeritz studierte er Rechtswissenschaften an der Universität Wien und promovierte 1893 zum Dr. jur. Er schlug die Richterlaufbahn ein und übte das Richteramt an verschiedenen Bezirks- und Landesgerichten aus. 1901 bis 1918 war er christlichsozialer Reichsratsabgeordneter, 1909 bis 1934 christlichsozialer Landtagsabgeordneter, 1919 bis 1934 Mitglied der oberösterreichischen Landesregierung, 1919 bis 1927 Landeshauptmann-Stellvertreter, 1927 bis 1934 Landeshauptmann, 1947 bis 1953 Präsident des Rechnungshofes. Vgl. Helmut Gamsjäger  : Dr. Josef Schlegel, Landeshauptmann von Oberösterreich. – In  : Österreich in Geschichte und Literatur 1969. S. 489–495  ; Harry Slapnicka  : Oberösterreich – Die politische Führungsschicht 1918–1939. – Wien 1976. S. 230ff.

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2. Ähnlich wie Rehrl in Salzburg galt Schlegel in Oberösterreich als Konsenspolitiker und Mahner zur Rückkehr zu verfassungsmäßigen Zuständen. So erklärte er am 9. März 1933 im christlichsozialen Klubvorstand, die Regierung dürfe »bei Wahrung aller Interessen nicht aus dem Auge (…) verlieren die Rückkehr zu verfassungsmäßigen Verhältnissen …« Die Regierung könne »einen Kampf gegen zwei Fronten, Nazi und Sozi, schwer aushalten. Ich würde es begrüßen, bitte mich nicht misszuverstehen, mit den Sozi in Fühlung zu bleiben …«116 Dieser Appell war weitgehend ungehört verhallt und nach dem 12. Februar 1934 bedeutungslos geworden. 3. Schlegel sah sich, ähnlich wie Rehrl, massiven Angriffen der Heimwehr ausgesetzt, die vor allem seinen konsensualen Politikstil für die Tragödie des Bürgerkrieges mitverantwortlich machte. In einem in beleidigendem Stil gehaltenen Telegramm von Ernst Rüdiger von Starhemberg sprach sich der Heimwehrführer und stellvertretende Führer der Vaterländischen Front gegen die Teilnahme des Landeshauptmanns an der Beerdigung der gefallenen Heimatschützer aus. »Ich verwahre mich auf das allerentschiedenste dagegen, dass Sie bei dieser Gelegenheit sprechen. Die Zumutung, dass Sie an diesem Begräbnis teilnehmen und dort das Wort ergreifen, ist ein Faustschlag in das Gesicht des Heimatschutzes und eine Schändung unserer toten Kameraden, denn Sie sind in allererste Linie verantwortlich für das vergossene Blut. In dem von Ihnen verkörperten und jahrelang geübten politischen Kompromisssystem hat sich, von Ihnen persönlich beschützt, der Austrobolschewismus gerade im Land Oberösterreich zu jener ganz besonderen Schlagfertigkeit entwickelt, die er in den letzten Tagen gezeigt hat. Auf Ihren Einfluss ist es zurückzuführen, dass verschiedentliche Versuche, die Bolschewiken in Oberösterreich zu entwaffnen, misslungen sind. Sie habe es immer wieder verstanden, Ihre bolschewistischen Koalitionsgenossen vor jedem energischen Zugriff zu bewahren. Ich fordere Sie daher auf, den Beerdigungsfeierlichkeiten am Samstag ferne zu bleiben, da die Opfer, die am Samstag beigesetzt werden, wegen Ihrer unglückseligen Politik ihr Leben lassen mussten.«117 Die Würfel waren gefallen, das wusste Schlegel. Hatten der Bundeskanzler und der Bundespräsident seinen bereits im Vorjahr angebotenen Rücktritt abgelehnt, so wurde er nunmehr, nicht zuletzt auch aufgrund des Drucks der sich als Sieger fühlenden Heimwehr und der politischen Kursentscheidung von Dollfuß, angenommen. Schlegel war sein neuerliches Rücktrittsangebot umso leichter gefal116 Walter Goldinger (Hg.)  : Protokolle des Klubvorstandes der Christlichsozialen Partei 1932.1934. – Wien 1980. S. 165. (Studien und Quellen zu österreichischen Zeitgeschichte. Herausgegeben im Auftrag der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1918 bis 1938 von Rudolf Neck und Adam Wandruszka. Band 2.) 117 Zit. bei Harry Slapnicka  : Christlichsoziale in Oberösterreich. Vom Katholikenverein 1848 bis zum Ende der Christlichsozialen 1934. – Linz 1984. S. 293. (Beiträge zur Zeitgeschichte Oberösterreichs 10. Herausgegeben vom Oberösterreichischen Landesarchiv.)

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len, als ihm klargeworden war, dass mit dem sich nunmehr endgültig abzeichnenden Ende der Christlichsozialen Partei eine Entwicklung einsetzte, mit der er sich als Vertreter des demokratischen Flügels der Partei nicht mehr identifizieren konnte und wollte. Am 19. Februar 1934 stellte er der »Politischen Korrespondenz« seine Verzichtserklärung zur Verfügung, in der es u. a. hieß  : »Ich habe dem Bundeskanzler Dr. Dollfuß im Jahre 1933 w i e d e r h o l t d i e F r a g e v o r g e l e g t , ob meine Person seinem politischen Kurs hinderlich ist. D e r K a n z l e r h a t d a s s t e t s v e r n e i n t u n d a u f s e i n e n Wu n s c h b i n i c h i m A m t g e b l i e b e n . Auch der B u n d e s p r ä s i d e n t , dem ich am 5. Dezember 1933 meinen Rücktritt erklärt habe, hat mich zum Verbleiben aufgefordert. Nunmehr hat mich der Bundeskanzler verständigt, dass die p o l i t i s c h e Situation in Österreich eine E r l e i c h t e r u n g erfahren würde, wenn ich meinen Rücktritt als Landeshauptmann erkläre. Diesem Wunsch des Bundeskanzlers komme ich nach, indem ich m e i n e S t e l l e a l s L a n d e s h a u p t m a n n n i e d e r l e g e . (…) Die Richtschnur für mein Handeln war mein G e w i s s e n und das in die Hand des Bundeskanzlers abgelegte G e l ö b n i s . Ob und welche Erfolge mir dabei beschieden waren und welche Misserfolge ich nicht verhindern konnte, möge die Öffentlichkeit beurteilen. In meiner amtlichen Tätigkeit habe ich stets den Grundsatz eingehalten  : G l e i c h e s R e c h t f ü r a l l e , Aufrechterhaltung der ö f f e n t l i c h e n R u h e u n d O r d n u n g , damit sich diese schwer daniederliegenden wirtschaftlichen Verhältnisse wieder bessern können und vor allem Ve r m e i d u n g d e s i n n e r e n K r i e g e s , des Bürgerkrieges. Ich war ein überzeugter Vertreter der s e l b s t ä n d i g e n Ve r w a l t u n g d e r L ä n d e r u n d G e m e i n d e n .«118 Hätte Rehrl dem Schritt seines oberösterreichischen Amtskollegen folgen sollen  ? Er hätte diesen Schritt setzen können, doch mit welchen Konsequenzen  ! Sein Rücktritt hätte einen Siegeszug der Heimwehr bedeutet mit unabsehbaren Folgen für das Land. Die Säulen seines Lebenswerkes, die Großglockner Hochalpenstraße und die Salzburger Festspiele und damit das internationale Ansehen Salzburgs wären ebenso gefährdet gewesen wie die Reste der konsensualen politischen Kultur. Es galt dieses drohende Szenario zu verhindern. Schon im Interesse des Landes durfte Rehrl nicht demissionieren. Hinzu trat seine Persönlichkeitsstruktur. Er liebte die Macht und war davon überzeugt, dass nur er die Gabe und politische Finesse besaß, die Interessen des Landes sowie seine ehrgeizigen landespolitischen Ziele gegenüber der Bundesregierung wirkungsvoll vertreten zu können. Und er konnte seine politische Sozialisation im christlichsozialen Lager, das, trotz aller Ambitionen der Heimwehr, die Regierungspolitik nach wie vor dominierte, nicht verleugnen. Ein demonstrativer Rückzug aus der Politik wäre nach außen als offene Missbilligung und Bruch mit seiner ideologisch-politischen Heimat interpretiert worden. Ernst Hanisch hat da118 Salzburger Chronik 19.2.1934. S. 2.

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rauf hingewiesen, dass er dieses Dilemma, ähnlich wie Leopold Kunschak, dadurch löste, dass er nach außen die Regierungspolitik unterstützte, privat jedoch oftmals kritische Worte fand und opponierte.119 Rehrl war sich der realpolitischen Gegebenheiten bewusst, die zu einem Kompromiss mit dem nach den Februarereignissen selbstbewusst auftretenden Heimatschutz zwangen. Und er war sich auch des Umstandes bewusst, dass sich die Hoffnung vieler Christlichsozialer auf einen Weiterbestand der Partei durch die inzwischen eingetretenen Ereignisse und die sich immer deutlicher abzeichnenden Absichten von Dollfuß als Illusion erwiesen. Die unter größter Geheimhaltung von einem Ministerkomitee unter der Leitung von Otto Ender120 geführten Verfassungsberatungen gingen, ohne Kontaktnahme mit der christlichsozialen Parteiführung und ohne Kontakt zur Sozialdemokratie in Richtung einer ständischen Republik, in der die in vier Organen (Kultur- und Wirtschaftskammer, Länderrat und Staatsrat) agierenden Berufsstände über Gesetzesinitiativen der Regierung beraten sollten.121 Am 18. Februar hielt Otto Ender eine Rede in Bludenz, in der er das bevorstehende offizielle Ende der parlamentarischen Demokratie in der neuen Verfassung mit dem Verhalten der Sozialdemokratie seit 1918 erklärte. Diese habe das durch die Verfassung 1920 geschaffene parlamentarische System für ihre parteipolitischen Interessen ständig missbraucht. Sie habe es »leider nicht verstanden, von diesem für sie so wertvollen Instrument den Gebrauch zu machen, den sie vernünftigerweise davon machen durfte.« Stattdessen habe sie mit dem Mittel der Obstruktion und dem »heiklen und gefährlichen Instrument« des Streiks ständig versucht, der Mehrheit den »Willen der Minderheit (…) aufzuzwingen.« Damit seien sie zum »Mörder der Demokratie in Österreich« geworden.122 Für politische Beobachter sowie hellsichtige Akteure der politischen Szene lichteten sich in der zweiten Februarhälfte 1934 die politischen Nebel. Die politischen Weichenstellungen waren offensichtlich vorgenommen  : Nach dem Verbot der Sozialdemokratie schlug auch die Totenglocke für die Christlichsozialen. Die Konzeption der Vaterländischen Front als politische Organisationsform der neuen politischen Ordnung begann nach einer Phase der Unsicherheit konkrete Formen anzunehmen. 119 Ernst Hanisch  : Franz Rehrl – Sein Leben. – In  : Wolfgang Huber (Hg.)  : Franz Rehrl. Landeshauptmann von Salzburg 1922–1938. – Salzburg 1975. S. 5–42. S. 27. 120 Zur Rolle Otto Enders vgl. Peter Melichar  : Otto Ender 1875–1960. Landeshauptmann, Bundeskanzler, Minister. Untersuchungen zum Innenleben eines Politikers. – Wien/Köln/Weimar 2018. S. 217ff. Dem Ministerkomitee gehörten neben Otto Ende Kurt Schuschnigg, Richard Schmitz, Robert Kerber und Odo Neustädter-Stürmer an. 121 Helmut Wohnout  : Regierungsdiktatur oder Ständeparlament  ? Gesetzgebung im autoritären Österreich. – Wien/Köln/Graz 1993. S. 117ff. ((Studien zu Politik und Verwaltung. Herausgegeben von Christian Brünner, Wolfgang Mantl, Manfried Welan. Band 43.) 122 Zit. bei Melichar  : Otto Ender. S. 239f.

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Nach den Überlegungen über eine mögliche neue Einheitsliste der Regierungsparteien über einer Plattform für Nicht-Christlichsoziale, die sich zu einem selbstständigen Österreich bekannten, war man bei einer Bewegung aller regierungs- und staatstreuen Österreicher/innen inklusive des Führerprinzips gelandet, ein Konzept, das die Existenz von Parteien, auch der Christlichsozialen, ausschloss. Wenngleich Heeresminister Carl Vaugoin als Obmann der Partei einen verzweifelten Kampf gegen diese Entwicklung focht, so hatte er diesen mit der Regierungsumbildung am 20. September endgültig verloren. Ebenso wie der Obmann des Landbundes und Vizekanzler, Franz Winkler, der mit der Gründung der »Nationalständischen Front« den Versuch unternommen hatte, durch die Schaffung einer Sammelbewegung aller regimetreuen Nationalen Einfluss auf die Vaterländische Front zu gewinnen. Der Heimatschutz als dritter Partner in dem Regierungsbündnis stand dieser Entwicklung ablehnend gegenüber und verweigerte a priori die Inkorporierung der Bewegung in die Vaterländische Front, in der Starhemberg, wie er im September 1933 in einem Tagesbefehl bemerkte, lediglich ein neues Kleid für die Tätigkeit der beiden anderen Regierungsparteien und damit letztlich des Parteienstaates sei. Erst wenn die Frage der Programmatik und Organisation der Vaterländischen Front im Sinn einer völligen Neukonstruktion jenseits der traditionellen Parteien und des Führerprinzips geklärt sei, werde man die Frage eines Beitritts neuerlich prüfen.123 Die von Dollfuß am 20./21. September 1933 vorgenommene große Regierungsumbildung schien mit dem Ausscheiden von Carl Vaugoin und den Landbundpolitikern Franz Winkler und Vinzenz Schumy einen vollständigen Sieg der Heimwehr und ihrer Forderung nach der Beseitigung des Parteienstaates zu dokumentieren. Vaugoin hatte mit seinem Ausscheiden aus dem Kabinett auch seine politische Machtbasis verloren. Seine politische Analyse der Ereignisse kam zu dem Schluss, dass sich die Hoffnung vieler Christlichsozialer auf einen Weiterbestand der Partei als Illusion erweise. Er ließ sich mit der Bemerkung, nicht an »der Spitze eines Kadavers stehen« zu wollen,124 am 1. November von der Funktion des Parteiobmanns beurlauben und wurde Vizepräsident der Versicherungsanstalt »Phönix«. Am 16. November ernannte Dollfuß seinen alten Weggefährten Emmerich Czermak125 zum 123 Irmgard Bärnthaler  : Die Vaterländische Front. Geschichte und Organisation. – Wien/Frankfurt am Main/Zürich 1971. S. 34. 124 Lothar Höbelt  : Die Erste Republik Österreich (1918–1938). Das Provisorium. – Wien/Köln/Weimar 2018. S. 302. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 64.) 125 Emmerich Czermak (1885–1965) besuchte das Gymnasium in Iglau und studierte nach der Matura Geschichte und Geografie an der Universität Wien. 1907 promovierte er zum Dr. phil. und war anschließend als Gymnasiallehrer und Schuldirektor in Hollabrunn tätig.1921 bis 1934 war er Mitglied des niederösterreichischen Landtages, 1934 bis 1938 Mitglied des Ständischen Landtages, 1929 bis

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geschäftsführenden Parteiobmann, dem letztlich die Rolle des Liquidators zufallen sollte. Die Situation der Partei glich der Quadratur des Kreises. Einerseits hoffte der demokratische Flügel nach wie vor auf einen möglichen Ausgleich in der Verfassungsfrage mit den Sozialdemokraten und hegte die Hoffnung auf einen Weiterbestand der Partei. Andererseits sahen zahlreiche Spitzenrepräsentanten angesichts der innenpolitischen Entwicklung die Zukunft der Partei in ihrer führenden Rolle innerhalb der Vaterländischen Front, die es dem Einflussbereich der Heimwehr und deren Drängen auf einen Staatsumbau im austrofaschistischen Sinn, eine Wortkreation von Starhemberg, zu entziehen gelte. Dollfuß schien mit der Regierungsumbildung am 20. September diesem Machtanspruch der Heimwehr Rechnung zu tragen. Emil Fey wurde in der neuen Regierung Vizekanzler, musste jedoch die Sicherheitsagenden an den Vertrauensmann von Dollfuß, Staatssekretär Carl Karwinsky, abgeben, Heeresminister wurde der den Heimwehren nahestehende ehemalige kaiserliche General Fürst Alexander Schönburg-Hartenstein, Staatssekretär im Sozialministerium Odo Neustädter-Stürmer. Die der Regierungsumbildung folgenden Erklärungen des Heimatschutzes hatten daher einen durchaus triumphalen Unterton. Dollfuß wurde als »Frontsoldatenkanzler«, der den Ruf des Heimatschutzes verstanden habe, vereinnahmt. Er habe einen klaren Trennstrich zum vergangenen Parteiensystem gezogen und damit die Garantie gegeben, dass sich dieses nicht in der Vaterländischen Front einen Ersatz schaffen könne. Der Heimatschutz werde daher auch seine politische Organisation, den Heimatblock, auflösen und geschlossen in die Vaterländische Front eintreten, ohne allerdings als selbstständige Organisation zu bestehen aufzuhören. Dieser Erklärung folgte am 12. Oktober die Meldung, dass nach Gesprächen zwischen Dollfuß und Starhemberg der Heimwehrführer zum Frontführer-Stellvertreter der Vaterländischen Front ernannt worden sei. Und Starhemberg ergriff sofort die propagandistische Offensive, indem er in mehreren Reden sowie einem Interview mit der englischsprachigen Auslandspresse vollmundig behauptete, die Grundsätze der Vaterländischen Front seien auch jene des Heimatschutzes und seine Ernennung zum Frontführer-Stellvertreter bedeute, dass es zwischen ihm und dem Bundeskanzler eine weitgehende Übereinstimmung über die zukünftige Gestaltung Österreichs im Sinne der Realisierung einer faschistischen Staatsauffassung gebe.126 Bei den Christlichsozialen läuteten die Alarmglocken. Dollfuß erklärte am 3. Oktober im Klubvorstand die Regierungsumbildung, zu der er aufgrund der angespann1932 Unterrichtsminister. 1933 wurde er nach dem Rückzug von Carl Vaugoin zum geschäftsführenden und im Jänner 1934 zum Obmann der Christlichsozialen bestellt und löste die Partei noch im selben Jahr auf. 1934 bis 1938 war er Präsident des niederösterreichischen Landesschulrates und war nach 1945 als öffentlicher Verwalter im Versicherungswesen tätig. 126 Bärnthaler  : Die Vaterländische Front. S. 36.

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ten Lage gezwungen gewesen sei. Teile der Heimwehr hätten sich den National­ sozialisten genähert und es habe die Gefahr eines Putsches bestanden, weshalb er sie durch eine stärkere Regierungsbeteiligung an das Regierungslager gebunden habe und sie nunmehr wieder gegen die Nationalsozialisten einsetzen könne. Man müsse im Interesse eines geschlossenen Auftretens nach außen, das vor allem wegen der Hoffnungen der Nationalsozialisten auf eine Spaltung des Regierungslagers besonders wichtig sei, Brücken zur Heimwehr schlagen. Der künftige Staatsaufbau werde nicht nach dem »Schlagwort Faschismus« erfolgen. »Niemand will die italienischen Gesetze abschreiben. Unsere ständische Verfassung wollen wir aufgrund unserer geistesgeschichtlichen Entwicklung machen«, jedoch auch »nicht einer formalen Demokratie«. Und in Richtung Zukunft der Partei und Entwicklung der Vaterländischen Front  : »Ich habe mit keinem Wort gesagt, dass ich die Partei, Klub, für erledigt halte. Ob auf Dauer die Zusammenfassung der positiven katholischen Kräfte in der heutigen Form das Richtige ist, weiß ich nicht.« Von einer »notwendigen Beseitigung oder Aufgehen der Partei in einer größeren Bewegung« könne »nicht die Rede sein«, doch sei es in Zukunft wichtig, das Gemeinsame zu betonen.127 Dem Bundeskanzler gelang es, die Situation vorübergehend zu beruhigen. Trotz mancher Zweifel entschloss man sich, die Politik von Dollfuß propagandistisch zu unterstützen. Parallel dazu sah man jedoch in der Heimwehr den Rivalen um den bestimmenden Einfluss in der Vaterländischen Front und auf die arkane, weil regierungsinterne, Verfassungsdiskussion. Die Ereignisse des 12. Februar 1934 brachten zwar eine uneingeschränkte Solidarisierung der Partei mit der Regierung, doch waren diese Enunziationen begleitet von einer zunehmenden Irritation über die Haltung von Dollfuß gegenüber der Heimwehr. Sie schien durch die Februarkämpfe aufgewertet und noch selbstbewusster und stieß nach wie vor massive Drohungen gegen führende Vertreter der Christlichsozialen wie Leopold Kunschak128 aus, ohne dass eine entsprechende Reaktion

127 Goldinger (Hg.)  : Protokolle des Klubvorstandes der Christlichsozialen Partei 1932–1934. S. 268f. 128 Leopold Kunschak (1871–1953) war der Sohn eines Fuhrwerkers und begann nach dem Besuch der Volksschule die Lehre eines Schriftsetzers, wechselte jedoch aus gesundheitlichen Gründen in das Sattlergewerbe. 1892 gründete er in Absprache mit Karl Lueger den Christlichsozialen Arbeiterverein, dessen Obmann er von 1897 bis 1934 war. 1896 gründete er die Zeitung »Freiheit« (ab 1900 »Christlichsoziale Arbeiterzeitung«), 1904 bis 1918 und 1919 bis 1934 war er Mitglied des Wiener Gemeinderates, 1908 bis 1921 Abgeordneter zum niederösterreichischen Landtag, 1919 bis 1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, 1920 bis 1934 Mitglied des Nationalrates. Im November 1933 schied er wegen Differenzen mit Engelbert Dollfuß über die autoritäre Verfassung aus der christlichsozialen Parteiführung aus. 1934 bis 1938 Mitglied des Staatsrates und ab 1935 der Sozialen Arbeitsgemeinschaft in der Vaterländischen Front, wurde er im März 1938 all seiner Ämter enthoben und zwei Monate inhaftiert. Obwohl überwacht, pflegte er Kontakte zum katholischen/ christlichsozialen Widerstand, unterzeichnete am 27. April 1945 die Proklamation Österreichs als

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des Kanzlers erfolgte. Stolz behauptete Emil Fey, Dollfuß sei »der unsere«. Vertreter der christlichen Arbeiterschaft wie Leopold Kunschak und Franz Spalowsky,129 die stets gegen den wachsenden Einfluss der Heimwehren aufgetreten waren und für einen demokratischen Ständestaat plädierten, resignierten. Spalowsky bemerkte sichtlich verbittert, das von Dollfuß unterlassene Dementi gegenüber der Erklärung Feys sei ein deutliches Indiz dafür, »dass wir in Österreich keine Christlichsoziale Partei mehr haben, sondern den Faschismus.«130 Und Kunschak diagnostizierte richtig, dass die Februarereignisse Dollfuß in seinem Beschluss zur Beseitigung sämtlicher Parteien und deren Ersetzung durch eine nach dem Führerprinzip aufgebaute regierungstreue Massenorganisation bestärkt hatten. An eine Verfassungsreform, wie sie vom Großteil der Christlichsozialen nach dem 4. März 1933 erhofft worden war, war nicht mehr zu denken. Dessen war sich auch Parteiobmann Emmerich Czermak bewusst, der am 19. Februar 1934 vor dem christlichsozialen Bezirksparteitag in Perchtoldsdorf erklärte, die Partei habe auf ihrem Salzburger Parteitag 1933 der Ankündigung von Bundeskanzler Dollfuß der Gründung der Vaterländischen Front begeistert zugestimmt. »Die Christlichsoziale Partei ist der Sammelpunkt aller jener, die aufgrund ihrer Weltanschauung zum Wohle des Staates beitragen wollen. Eben deshalb verlangen wir aber auch, dass unsere Auffassung in der vaterländischen Bewegung zur Geltung komme. Niemand kann und soll uns daran hindern. Die Partei wird nicht mehr Träger der Staatsmacht sein. Die Partei als solche wird sich nicht mehr wie bisher unmittelbar zur Geltung bringen können. Es wird nur mehr e i n e staatspolitische Bewegung in Österreich geben.« Darum gelte es, die christlichsozialen Positionen in der Vaterländischen Front zur Geltung zu bringen. Die Heimwehr habe »zweifellos große Verdienste um die Abwehr der bolschewistischen Revolte« und daher »das Recht auf Anerkennung. Es wäre ungerecht, wollte man der Heimwehr den Dank vorenthalten.« Czermak vermied jede Kampfansage an die Heimwehr, sondern appellierte an die Einheit des Regierungslagers, das sich nunmehr geschlossen hinter Dollfuß sammeln müsse. In deutlichem Gegensatz zu den Vorwürfen an die Heimwehr durch zahlreiche Mitglieder des Klubvorstandes erklärte er ganz im Sinne des Bundeskanzlers  : »Wir haben Verständnis dafür, dass Menschen, die Verdienste haben, Anspruch darauf erheben, mehr mitreden zu dürfen als bisher. Es wäre schlecht, wenn wir in diesen aufgeregten Stimmungen meinten, dass wir uns dies und jenes nicht gefallen lassen sollen. Ich betrachte es als eine unabhängiger Staat, war 1946 kurzfristig Vizebürgermeister von Wien, 1945 einer der Mitbegründer der ÖVP und des ÖAAB, 1945 bis 1953 Abgeordneter zum Nationalrat und dessen Erster Präsident. Vgl. Leopold Kunschak  : Österreich 1918–1934. – Wien 1934  ; ders.: Steinchen vom Wege. – Wien1937  ; Franz Stamprech  : Leopold Kunschak. Porträt eines christlichen Arbeiterführers. – Wien 1953  ; Gustav Blenk  : Leopold Kunschak und seine Zeit. – Wien 1966. 129 Franz Spalowsky (1875–1938) war 1919 bis 1934 christlichsozialer Nationalratsabgeordneter. 130 Goldinger (Hg.)  : Protokolle. S. 356.

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meiner wichtigsten Aufgaben, innerhalb meiner eigenen Partei Störungen dieser Art nicht zuzulassen.«131 Die von Czermak im Sinne von Dollfuß eingeforderte Harmonie von Christlichsozialen und Heimwehr erwies sich jedoch angesichts der massiven ideologischen Differenzen und des offensiv vorgetragenen Machtanspruchs der Heimwehr als Illusion. Deren Bundesführer Ernst Rüdiger Starhemberg erklärte am 27. Februar 1934 selbstbewusst vor in- und ausländischen Pressevertretern über das politische Ziel der Heimwehr und die konkreten Schritte zu deren Realisierung  : »Durch unseren Eintritt in die Regierung Dollfuß haben wir, im Gegensatz zu nationalsozialistischen Behauptungen, die Zersetzung des demokratischen Systems wesentlich beschleunigt. Durch unsere Mitarbeit haben wir dem Bundeskanzler geradezu erst die Möglichkeit gegeben, selbst an die Überwindung des Parteiensystems heranzutreten und mit der Durchführung des Erneuerungsprogramms zu beginnen. Bewusst habe ich den Ausdruck Austrofascismus geprägt. Wir wissen, dass nicht nur in Österreich, sondern dass in der ganzen Welt die demokratischen Formen untergehen werden. Die Grundgedanken, welche überall von der Erneuerungswelle vertreten werden, haben im fascistischen Italien zuerst staatliche Form erhalten und in der Gesetzgebung ihren Ausdruck gefunden. Wenn wir daher sagen, wir sind Träger der fascistischen Ideen, so heißt das, wir wollen hier in Österreich jene gesunden, modernen Zukunftsgedanken, die dem fascistischen Staatssystem Italiens zugrunde liegen, verwirklichen. Ich sage absichtlich A u s t r o fascismus, weil ich damit sagen will, dass die Verwirklichungsmöglichkeiten dieser Gedanken in jedem Lande andere sein werden, da die Formen, in denen sich das wirtschaftliche und staatspolitische Leben äußert, in jedem Staate den typischen Eigenarten der in dem Staate lebenden bodenständigen Bevölkerung entsprechen müssen. Daher l e h n e n wir schärfstens j e d e N a c h a h m u n g v o n F o r m e n a b , die in einem anderen Lande vorteilhaft, unter Umständen zu uns gar nicht passen würden. Dass uns besonders f r e u n d s c h a f t l i c h e B e z i e h u n g e n z u m f a s c i s t i s c h e n I t a l i e n verbinden, ist wohl selbstverständlich. (…) Als Zukunft, sozusagen als Endziel, schwebt uns ein ständisch gegliederter Autoritätsstaat vor, aufgebaut auf den Grundgedanken der christlichen Weltanschauung, verankert in einem lebendigen, gut österreichischen Deutschbewusstsein, erfüllt und getragen vom sozialen Gerechtigkeitsgefühl. Der Begriff Ständestaat schlechtweg genügt uns nicht. Wir streben einen Staat an, in dem als höchstes Interesse das Interesse der Gesamtheit von jedem einzelnen gewürdigt und beachtet werden muss, wobei dem Staat bzw. seiner Regierung vor allem die Aufgabe zufällt, Hüter der Interessen der Allgemeinheit zu sein. Und um diese Interessen der Allgemeinheit in entsprechender Form wahren zu können, muss selbstverständlich die o b e r s t e 131 Salzburger Chronik 21.2.1934. S. 7.

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F ü h r u n g d e s S t a a t e s , ganz gleichgültig, wie sie gegliedert sein mag, über eine entsprechende A u t o r i t ä t und über entsprechende M a c h t m i t t e l verfügen. Die s t ä n d i s c h e G l i e d e r u n g soll aber vor allem dem Zweck dienen, der gesamten B e v ö l k e r u n g in entsprechender Form die Möglichkeit zu geben, auf die F ü h r u n g d e s S t a a t e s E i n f l u s s nehmen zu können und vor allem auf das Zustandekommen der w i r t s c h a f t l i c h e n G e s e t z g e b u n g ausschlaggebenden Einfluss auszuüben, Falsch ist die Behauptung, dass wir im reaktionären Sinne die Unterdrückung des Volkes anstreben.«132 Realpolitisch blieben für die Christlichsozialen nach dem 12. Februar nur mehr zwei Alternativen  : entweder politisch zu resignieren und damit den Platz den Heimwehren zu überlassen, oder den Kampf gegen die Heimwehren um den bestimmenden Einfluss in der Vaterländischen Front aufzunehmen. Dies implizierte jedoch den Verzicht auf den Rückzug aus der Politik und den mühsamen Kampf in der politischen Ebene. Ein Weg, für den sich der Salzburger Landeshauptmann entschloss. Die komplexe machtpolitische Konstellation im Regierungslager sollte diesen Entschluss unterstützen. Dollfuß war sich nämlich sehr wohl der von den Heimwehren nach dem Bürgerkrieg ausgehenden Bedrohung bewusst und betrachtete sie als latente Gefahr seiner politischen Intentionen. Seine kurzfristige Politik zielte auf ihre Instrumentalisierung im Kampf gegen die Sozialdemokratie und den Nationalsozialismus, seine mittelfristige jedoch auf ihre politische Entmachtung und ihr völliges Aufgehen in der Vaterländischen Front. Der scheinbare Triumphator des Februar 1934 wurde in den beiden folgenden Jahren von Dollfuß und Schuschnigg sukzessive entmachtet, um schließlich als selbstständiger politischer Akteur völlig zu verschwinden. Noch war es allerdings nicht so weit. Noch galt es, dem scheinbaren politischen Triumphator wohl dosierte Konzessionen zu machen. Starhemberg wusste, dass der nunmehr erhobene Anspruch auf größeren politischen Einfluss neben der personellen Konstellation der Vaterländischen Front vor allem jene der Landesregierungen, aus denen die Vertreter der Sozialdemokratie ausgeschieden waren, betraf. Dollfuß hatte in seinen Unterredungen mit den Spitzenrepräsentanten der Länder auf entsprechende Änderungen – vor allem die Berufung eines Angehörigen der Heimwehren zum Landeshauptmann-Stellvertreter133 – gedrängt. Zu diesem Zweck sollte nach dem Ausscheiden der sozialdemokratischen Abgeordneten aus den Landtagen durch neue Landesverfassungsgesetze das Interregnum bis zur Verabschiedung der neuen ständischen Bundesverfassung überbrückt werden, wobei neben der Berücksichtigung der Wünsche der Heimwehren (des Heimatschutzes) die weitgehende 132 Neue Freie Presse 28. 2.1934. S. 3f. 133 In Kärnten erfolgte mit der Wahl von Ludwig Hugo Hülgerth die Ernennung eines führenden Funktionärs der Heimwehr zum Landeshauptmann.

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Übertragung außerordentlicher Befugnisse an die jeweilige Landesregierung sowie die Berücksichtigung ständischer Prinzipien bei deren Zusammensetzung erfolgen sollte. Der Salzburger (Rumpf)Landtag entsprach dieser Aufforderung am 26. Februar durch die Verabschiedung eines neuen Landesverfassungsgesetzes134 sowie der Bestätigung der von Landeshauptmann Rehrl nach berufsständischen Prinzipien ernannten Mitglieder der neuen Landesregierung, wobei die Ernennung des Heimwehrmitglieds Alois Wagenbichler zum Landeshauptmann-Stellvertreter eine von Bundeskanzler Dollfuß veranlasste Konzession an die Heimwehr war. Neben Rehrl als Landeshauptmann fungierten, so die offizielle Mitteilung, Adolf Schemel135 als »Repräsentant der geistigen Berufe und öffentlichen Angestellten« und Alois Wagenbichler136 als »Repräsentant der freien Berufe und Vertrauensmann des Heimatschutzes« als Landeshauptmann-Stellvertreter, der Vizepräsident des Landeskulturrates Josef Hauthaler137 als »Repräsentant der Land- und Forstwirtschaft«, der 134 So hieß es in Artikel 2 des neuen Landesverfassungsgesetzes  : »1. Der Landtag überträgt für die Zeit bis zur Neuregelung der verfassungsrechtlichen Verhältnisse im Bund und Land auf berufsständischer Grundlage die ihm zustehenden Rechte, insbesondere das Recht der Gesetzgebung, darunter auch der Verfassungsgesetzgebung, der Landesregierung mit der Befugnis, Maßnahmen, die verfassungsgemäß der Beschlussfassung des Landtages unterliegen, unter ihrer Verantwortung durch Verordnung zu treffen. Beschlüsse der Landesregierung über die Erlassung solcher Verordnungen werden mit einfacher Stimmenmehrheit gefasst. Im Falle der Stimmengleichheit gilt die Zustimmung des Vorsitzenden der Landesregierung. 2. Die Landesregierung besteht aus dem Landeshauptmann, zwei Landeshauptmann-Stellvertretern und vier weiteren Mitgliedern. 3. Der Landeshauptmann ist ermächtigt, in die Zuständigkeit des Landtages fallende Wahlen, insbesondere die Wahlen der Landeshauptmann-Stellvertreter und der weiteren Mitglieder der Landesregierung durch Ernennung zu ersetzen.« (Salzburger Chronik 27.2.1934. S. 1.) 135 Adolf Schemel (1880–1961) studierte nach der Matura am k. k. Staatsgymnasium in Salzburg Rechtswissenschaften an der Universität Wien und schloss das Studium 1904 mit der Promotion zum Dr. jur. ab. Er trat anschließend in den Salzburger Landesdienst ein und wirkte bis 1934 in verschiedenen Funktionen. 1919 bis 1931 war er Mitglied des Gemeinderates in Salzburg und Klubobmann der christlichsozialen Gemeinderatsfraktion. 1934 wurde er Landeshauptmann-Stellvertreter. Im Ständischen Landtag 1934 bis 1938 bekleidete er die Funktion eines Landesrats und war Mitglied des Länderrates. 1938 entlassen, wurde er schließlich mehrere Monate in politische Haft genommen. 1945 war er Landeshauptmann und 1945 bis 1949 Landeshauptmann-Stellvertreter. 136 Alois Wagenbichler (1895–1957) besuchte das Gymnasium in Ried im Innkreis und studierte nach der Matura Medizin an der Universität Innsbruck, an der er 1923 sein Studium mit der Promotion zum Dr. med. abschloss. 1924 bis 1929 wirkte er als praktischer Arzt in Frankenmarkt (Oberösterreich), 1929 bis 1934 als Assistenzarzt in Gastein und 1936 bis 1938 als Primar am Badehospiz. 1929 wurde er Mitglied der Heimwehr und deren Bezirksführer im Gasteiner Tal, stellvertretender Landesführer und 1934 stellvertretender Landesleiter der Vaterländischen Front. 1934 war er Landeshauptmann-Stellvertreter und 1934 bis 1938 Landesstatthalter. 1938 erhielt er Gauverweis und wirkte bis 1957 als Leiter des Kurhauses in Baden bei Wien. 137 Josef Hauthaler (1890–1937) übernahm nach dem Besuch der Volksschule und der Landwirtschafts-

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Präsident der Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie Josef Schließelberger138 als »Repräsentant der in der Handelskammer zusammengefassten Berufsgruppen«, der Bundesbahnbeamte Josef Knosp139 als »Repräsentant der Arbeiter und Angestellten und gleichzeitiger Vertreter des Freiheitsbundes, der Ostmärkischen Sturmscharen und der christlichen Turnerschaft« sowie der Hinterwegbauer in Pfarrwerfen Matthias Hutter140 als Beauftragter für Fragen der »Bauernhilfskommission zur Erleichterung der Schuldverhältnisse der Bergbauern« als Landesräte an.141 Nach der Angelobung der Mitglieder der neuen Landesregierung erklärte Rehrl, dass daschule in Kleingmain 1914 den elterlichen Gast- und Landwirtschaftsbetrieb in Viehausen. 1922 bis 1924 war er stellvertretender Landesparteiobmann der Salzburger Christlichsozialen, 1920 bis 1927 Vizepräsident und 1927 bis 1937 Präsident des Katholischen Salzburger Bauernbundes, 1924 bis 1936 Vizepräsident des Salzburger Landeskulturrates, 1919 bis 1934 Abgeordneter zum Salzburger Landtag, 1932 bis 1934 dessen Präsident, 1934 Landesrat, 1934 bis 1937 Mitglied des Ständischen Landtages und des Bundesrates. Vgl. Franz Schausberger  : Josef Hauthaler. Salzburger Bauernführer in schwersten Zeiten. – Salzburg 1990. (Veröffentlichungen der Dr.-Hans-Lechner-Forschungsgesellschaft Salzburg Nr. 5.) 138 Josef Schließelberger (1884–1953) maturierte 1902 an der k. k. Staatsrealschule in Salzburg, absolvierte 1904 bis 1908 eine Gesangsausbildung am Mozarteum und eine Lehre als Kürschner, Gerber und Handschuhmacher im elterlichen Betrieb. Bis 1950 wirkte er als Leiter eines lederverarbeitenden Betriebs in Salzburg, war 1945 bis 1950 Landesinnungsmeister der Kürschner, Gerber und Handschuhmacher, 1932 bis 1936 Präsident der Salzburger Handelskammer, 1934 Landesrat und 1934 bis 1938 Landesrat im Ständischen Landtag. Vgl. Richard Voithofer  : Politische Eliten in Salzburg. Ein biografisches Handbuch 1918 bis zur Gegenwart. – Wien/Köln/Weimar 2007. S. 206. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 32.) 139 Josef Knosp (1891–1953) arbeitete nach dem Besuch der Volksschule als Fabriksarbeiter und trat 1919 in den Dienst der Österreichischen Bundesbahnen. 1928 bis 1931 und 1933 war er Vorsitzender der Salzburger Landeskommission Christlicher Gewerkschaften, Obmann der Christlichen Gewerkschaften und 1933 bis 1936 Landesführer des Salzburger Freiheitsbundes, 1930 bis 1934 Nationalratsabgeordneter, 1934 Landesrat und 1934 bis 1938 als Vertreter des Handels und Verkehrs Mitglied des Ständischen Landtages und dessen Präsident. 1938 wurde er in den Ruhestand versetzt, 1945 wiedereingestellt und wirkte als Beamter der Generaldirektion der ÖBB in Wien sowie in der Gewerkschaft der Eisenbahner beim ÖAAB. Vgl. Voithofer  : Politische Eliten in Salzburg. S. 112. 140 Matthias Hutter (1885–1966) war nach dem Besuch der Volksschule 1911 bis 1938 Hinterweglehenbauer in Pfarrwerfen, ab 1938 Pächter verschiedener Gaststätten. Nach dem Ersten Weltkrieg war er Bezirksführer der Heimwehr in Werfen, 1924 bis 1936 Obmann der land- und forstwirtschaftlichen Bezirksgenossenschaft in Werfen, 1936 bis 1938 Obmann der land- und forstwirtschaftlichen Bezirkskammer in Werfen, 1934 bis 1936 Landesbauernführer, 1932 bis 1934 christlichsozialer Abgeordneter zum Salzburger Landtag, 1934 Landesrat, 1934 bis 1938 Mitglied des Ständischen Landtages als Vertreter der Land- und Forstwirtschaft und dessen Vizepräsident. Vgl. Voithofer  : Politische Eliten in Salzburg. S. 98. 141 Salzburger Chronik 27.2.1934. S. 1.

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mit zwar noch kein ständischer Aufbau geschaffen, doch ein erster Schritt in diese Richtung durch die verantwortliche Einbeziehung der verschiedenen Berufsgruppen gesetzt worden sei. Und zur erzwungenen Berücksichtigung der Heimwehr  : »Wenn Vertreter der freiwilligen Wehrverbände nunmehr auch der Landesregierung angehören, so begrüße ich dies, da sie ja durch ihre Hingabe und ihr mannhaftes Eintreten während der letzten Kämpfe bewiesen haben, dass sie gesonnen sind, für die Stärkung der Staatsgewalt, für Autorität und Ordnung unter allen Umständen einzutreten. Dass diese Herren auch gleichzeitig einen Berufsstand vertreten, ist in höchstem Maße wünschenswert. Mit diesen meinen Ausführungen will ich dokumentieren, dass wir voll und ganz mit der Regierung Dollfuß mitzuarbeiten gewillt sind und dass wir auf dem Boden ihres Programmes stehen.«142 Die Landesleitung der Vaterländischen Front erklärte in einer Verlautbarung zur verfassungsmäßigen Neugestaltung des Landes zustimmend, diese sei »ein m ä c h t i g e r S c h r i t t vom Parteienstaat zum S t ä n d e s t a a t . Die Landesleitung erhofft von ihr einen wesentlichen Fortschritt in der Zusammenfassung aller Stände zum Wiederaufbau des Vaterlandes. Die Landesleitung hat an maßgebender Stelle zum Ausdrucke gebracht, dass sie in Landeshauptmann Dr. Rehrl den besten Garanten des Wiederaufbaues des Landes und seiner Wirtschaft erblicke. Sie begrüßt ihn daher in entscheidender Zeit an der Spitze des Landes, sie begrüßt ihn als treuen M i t a r b e i t e r des Bundeskanzlers Dr. D o l l f u ß .«143 Die Erklärung Rehrls vor dem Landtag unternahm den Versuch eines Spagats zwischen einem Bekenntnis zur Regierungspolitik und deren immer deutlicher werdenden ständestaatlichen Verfassungskonzeption und dem bisher praktizierten konsensualen Grundduktus seiner Politik. Er gedachte nicht nur der Opfer der Exekutive und der Wehrverbände, sondern auch der Opfer auf sozialdemokratischer Seite, um sich anschließend direkt an die sozialdemokratische Arbeiterschaft zu wenden.144 142 Ebda. S. 2. 143 Ebda. S. 2. 144 In seiner Hinwendung zur sozialdemokratischen Arbeiterschaft stand er keineswegs im Widerspruch zur Bundespolitik. So erklärte Bundeskanzler Dollfuß gegenüber der Anglo-American Press Association am 22. Februar 1934, er wisse heute, dass die bewaffnete Auseinandersetzung mit der Sozialdemokratie aufgrund ihrer systematischen Vorbereitungen für den Konflikt nicht habe ausbleiben können. »Ich weiß aber auch, dass an dieser Aktion n i c h t d i e ö s t e r r e i c h i s c h e A r b e i t e r s c h a f t beteiligt war, sondern dass die Träger dieser Aktion ein zwar kleiner, aber sehr radikal eingestellter Kreis war. Auch die weitere Tatsache, dass nur ein geringer Teil der Arbeiterschaft, ungefähr ein Zehntel, der allgemeinen Streikparole Folge geleistet hat, dass der weitaus überwiegende Teil unserer arbeitenden Bevölkerung durch sein Verhalten der Regierung seine Unterstützung geliehen hat, freut mich an dieser Stelle erwähnen zu können, und ich bin fest davon überzeugt, dass wir

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alle diese Personen für eine p o s i t i v e u n d a k t i v e M i t w i r k u n g a n d e r U m – u n d N e u g e s t a l t u n g u n s e r e s S t a a t e s g e w i n n e n w e r d e n . Aber auch der v e r l e i t e t e Te i l d e r A r b e i t e r s c h a f t , der auf Irrwegen gegangen ist, der falsche Methoden und Mittel angewendet hat, der aus irreleitenden Grundsätzen sich für ein falsches Ziel einsetzte, ist der Bemühungen wert, ihn innerlich f ü r d a s w a h r e Wo h l der Arbeiterschaft zu gewinnen, und ich kann sagen, es wird alles geschehen, auch diese Bevölkerungsgruppe in die Aufbauarbeiten einzuschalten. Es ist heute nicht mehr Zeit zu klagen, sondern es muss jetzt alles getan werden, um die a u f g e r i s s e n e n Wu n d e n zu schließen  ; die Arbeiterschaft muss die Überzeugung haben, dass diese Regierung, selbst wenn sie hart sein musste, von sich aus die g e r e c h t e n A n s p r ü c h e der Arbeiterschaft, sei es wirtschaftlicher oder politischer Natur, in jeder Weise zu wahren und zu unterstützen wissen wird.« (Salzburger Chronik 23.2.1934. S. 4  ; Neue Freie Presse 23.2.1934. S. 2.) Bereits am 16. Februar 1934 hatte sich die Salzburger Landesleitung der Vaterländischen Front mit einem Aufruf an die sozialdemokratische Arbeiterschaft gewandt, in dem es u. a. hieß  : »Die Ereignisse der letzten Tage haben organisatorische Formen gesprengt, die bisher Tausenden von Salzburger Arbeitern als ein Hort ihrer materiellen Existenz galten, in denen sie glaubten, ihre Arbeiterrechte verteidigen zu können. Die S o z i a l d e m o k r a t i s c h e P a r t e i hat in den Flammen des blutigen Aufstandes gegen den Staat und gegen die Heimat ihr E n d e gefunden. Mit Abscheu wenden sich viele Arbeiter von jenen ab, die dieses Unheil über Volk und Staat gebracht, die Tausende von Arbeitern und ihre Familien in Not und Elend stürzten. Die Machtburgen der Partei haben sich nicht als Bollwerk der Arbeiterrechte erwiesen, sondern als brutale Festungen der P a r t e i m a c h t , für die man Arbeiter vor die Kanonen jagte. Tausenden von Arbeitern sind nun die Augen geöffnet. Zurückschauend erkennen sie den Weg ihres Kampfes als einen v e r h ä n g n i s v o l e n I r r w e g , an dessen Ende das düstere Fanal des Bruderkrieges aufleuchtet. Salzburger Arbeiter, höret  ! Wenn Eure bisherige Organisation, auf die Ihr stolz waret, durch den ungeheuren Missbrauch verbrecherischer Führer zusammenbrach, so d ü r f t I h r d o c h n i c h t heimatlos werden. Ihr müsst den Weg zurückfinden zum Volke und zur Heimat. Eine neue Zeit kündet ihr Kommen an. Österreich will einen c h r i s t l i c h e n S t a a t aufbauen. Eure Wiege ist vielleicht in einem christlichen Bauernhause in der Bergheimat gestanden. Christliches Leben verklärt die schönsten Erinnerungen Eurer Jugend. Innerlich habt Ihr trotz der Abfallhetze, trotz der Zersetzung durch die Freidenker, nicht mit den höchsten Gütern Eurer Jugend gebrochen. Ihr wolltet trotz der Arbeit der sogenannten Kinderfreunde mit Euren Kindern den Tag der ersten Kommunion feiern. Findet zurück zum S e e l e n f r i e d e n E u r e r K i n d h e i t , helft mit aufbauen einen wirklich c h r i s t l i c h e n S t a a t . Salzburger Arbeiter, Ihr liebt E u r e H e i m a t , der Traum von der Internationale, der Euch in schönsten Bildern vorgezeigt wurde, hat ein böses Erwachen gefunden. Viele von Euch haben Schulter an Schulter mit jenen für die Heimat im Grauen des Schützengrabens gekämpft, gegen die man Eure Brüder in wildem Straßenkampfe gehetzt. Schließt jetzt die Kluft zwischen den Söhnen des g l e i c h e n d e u t s c h e n Vo l k e s , zwischen den Kindern unseres Alpenvolkes, das gerade in diesen gestaltenden Zeiten eine gewaltige Aufgabe für das g a n z e d e u t s c h e Vo l k zu erfüllen hat. Ihr liebt Eure Heimat, Ihr liebt Euer Volk. Beide rufen Euch zur Erfüllung der großen deutschen O s t m a r k a u f g a b e des Alpenlandes. Österreich muss um besten Sinne des Wortes an die Lösung der s o z i a l e n P r o b l e m e herangehen. Losgelöst von unfruchtbaren Klassenkämpfen, die einen Stand gegen den anderen zum Kampfe füh-

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»Die Arbeiterschaft, der nunmehr ihre bisherigen Führer genommen sind, versichere ich, dass ihre berechtigten Interessen genauso geschützt werden sollen wie bisher. Ich richte daher an die Unternehmer einen Appell, diese Stunde wahrzunehmen und der Arbeiterschaft zu beweisen, dass der Unternehmer nicht ihr Feind ist, sondern dass er, soweit es ihm die wirtschaftlichen Verhältnisse gestatten, auch die Existenzmöglichkeiten der Arbeiterschaft unentwegt im Auge behalten wird. Ich appelliere an die Unternehmer dahin zu trachten, dass durch Intensivierung der Wirtschaft, aber nicht durch die Einstellung von Maschinen, sondern durch Beschäftigung menschlicher Arbeitskraft unserer Arbeiterschaft und damit unserem ganzen Volke wieder neue Lebensmöglichkeiten und damit frischer Lebensmut gegeben werde. Ich für meine Person will den Arbeitern kein goldenes Zeitalter verheißen, aber ich will ihnen das eine versprechen, dass ich wie bisher mein ganzes Sinnen und Trachten dahin richten werde, Arbeit zu schaffen.« Im Sinne einer intendierten und erhofften inneren Befriedung richtete Rehrl auch den Appell an rechts. »In dieser Schicksalsstunde, welche für unser ganzes Volk die Wende zum neuen Leben bedeuten soll, möchte ich aber auch, nachdem ich bereits oben den Ruf an die bisher irregeleitete Arbeiterschaft gerichtet habe, a n j e n e Vo l k s g e n o s s e n a p p e l l i e r e n , d i e b i s h e r a u f d e r r e c h t e n S e i t e a b s e i t s s t e h e n und ihnen zurufen  : Stellt auch Ihr Eure Ziele, die schon wegen der gegenwärtigen internationalen Lage in Ernste für uns unmöglich realisierbar sind, zurück, stellt Euch in den Dienst Eurer Heimat und des Volkes, dem Ihr entsprossen seid, helft mit, Euer Vaterland stark und angesehen zu machen, denn es liegt im größten Interesse unseres geliebten deutschen Volkes, dass beide Staaten, in denen gleich gute Deutsche wohnen, sich in der Familie der Völker einen angesehenen und einflussreichen Platz erwerben und damit dem gesamten deutschen Volke und seiner Kultur die entsprechende Weltgeltung verschaffen  !«145 Am folgenden Tag beeilte sich Rehrl nach der ersten Sitzung der neu konstituierten Landesregierung, in einem Huldigungstelegramm an den Bundeskanzler diesem den Vollzug seines politischen Willens zu melden und seine »t r e u e s t e G e f o l g -

ren, soll und muss die Gemeinsamkeit des ganzen Volkes Grundlage des Neuaufbaues werden. Die Arbeiterschaft wird und kann nicht beiseitegeschoben werden. Wieder eingegliedert in die l e b e n d i g e Vo l k s g e m e i n s c h a f t , frei vom Kampfe aller gegen alle, wird der S t a n d d e s A r b e i t e r s im neuen Österreich eine wesentliche Rolle spielen. Nicht Entrechtung des Arbeiters, sondern volle G l e i c h b e r e c h t i g u n g ist das Ziel, das dem neuen Österreich vorschweben muss.« (Salzburger Chronik 17.2.1934. S. 4.) 145 Salzburger Chronik 27.2.1934. S. 1f  ; Neue Freie Presse 27.2.1934. S. 4. Rehrl wiederholte diese Aufforderung in seiner großen Rede bei der Großkundgebung der Vaterländischen Front im Festspielhaus am 4. März 1934. (Vgl. Salzburger Chronik 5.3.1934. S. 1f.)

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s c h a f t u n d M i t a r b e i t an dem Wiederaufbau des Bundesstaates Österreich« zu betonen.146 Der provisorischen politischen Neuordnung auf Landesebene folgte jene auf der kommunalen Ebene. Am 4. März 1934 erklärte Rehrl in einer Großveranstaltung im Festspielhaus anlässlich des Jahrestages der sog. »Selbstausschaltung« des Nationalrates, dass nach dem Umbau der Landesregierung auch ein solcher der Landeshauptstadt unmittelbar bevorstehe. Man werde »morgen oder übermorgen« auch die Stadtgemeinde Salzburg nach den neuen ständischen politischen Prinzipien einrichten.147 Am 6. März erließ die Landesregierung aufgrund des Artikels 2 des neuen Landesverfassungsgesetzes vom 26. Februar die angekündigte Verordnung, mit der nach § 1 (1) »die Befugnisse des Gemeinderates der Landeshauptstadt Salzburg (…) bis zur Neuregelung der verfassungsmäßigen Verhältnisse in Bund und Land auf b e r u f s s t ä n d i s c h e r Grundlage an einen S t a d t r a t übertragen« wurden. Dieser bestand aus drei amtsführenden und mehreren nicht amtsführenden Stadträten (ihre Zahl wurde von der Landesregierung festgelegt). Der Bürgermeister, sein Stellvertreter und der für alle Personal-, Finanz- und Organisationsangelegenheiten zuständige Stadtrat bildeten den amtsführenden Stadtrat, wobei die Funktion des für Personal-, Finanz- und Organisationsangelegenheiten zuständigen Stadtrates, der die Position eines Regierungskommissärs erhielt, als die eigentlich bestimmende Instanz besonders hervorgehoben wurde. Ihr gegenüber blieb die Stellung und verwaltungsmäßige Funktion des Bürgermeisters und seines Stellvertreters zweitrangig. Mit dieser Konstruktion wurde es ermöglicht, gewisse personelle Kontinuitäten in der Person des großdeutschen Bürgermeisters Max Ott148 und des christlichsozialen Vizebürgermeisters Josef Preis149 sowie im Fortbestand der Rathauskoalition zu wahren. Der 146 Salzburger Chronik 28. 2.1934. S. 5. 147 Salzburger Chronik 5.3.1934. S. 2. 148 Max Ott (1855–1941) wurde in Rimpach, Gemeinde Friesenhofen in Württemberg, geboren. Seine Eltern übersiedelten 1860 nach München, wo er die Volksschule besuchte und anschließend in Bad Aibling (Bayern) eine Kaminkehrerausbildung absolvierte. Nach einer Handwerker-Wanderschaft, der Ableistung des Militärdienstes und der Ausübung seines Berufes in München übersiedelte er 1883 nach Salzburg, wo er sich auch politisch betätigte. 1892 bis 1900 war er deutsch-freiheitliches Mitglied des Gemeinderates, 1900 bis 1912 Vizebürgermeister, 1912 bis 1919 und 1927 bis 1935 (großdeutscher) Bürgermeister der Stadt Salzburg, 1902 bis 1918 deutsch-freiheitlicher Landtagsabgeordneter, 1918/19 Mitglied der Provisorischen Landesversammlung, 1918 deren Präsident, 1919 bis 1932 Abgeordneter zum Landtag, 1918 bis 1922 Landeshauptmann-Stellvertreter, 1924 bis 1932 Klubobmann der Großdeutschen Volkspartei im Salzburger Landtag. Vgl. Richard Voithofer  : »Drum schließt Euch frisch an Deutschland an …« Die Geschichte der großdeutschen Volkspartei in Salzburg 1920–1936. – Wien/Köln/Weimar 2000. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Band 9.) 149 Josef Preis (1867–1944) absolvierte nach dem Besuch der Volks- und Bürgerschule eine Färberlehre

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eigentlich starke Mann wurde jedoch der zum amtsführenden Stadtrat für Personal-, Finanz- und Organisationsangelegenheiten berufene Regierungsoberbaurat Richard Hildmann,150 der nach dem nunmehr geltenden ständischen Prinzip offiziell als kommissarischer Vertreter der öffentlichen Interessen bezeichnet wurde, tatsächlich jedoch ein autoritär-bürokratisches Element repräsentierte.151 Dieses entsprach dem bundesstaatlichen Trend, in dem die berufsständischen Elemente weitgehend nachgeordnet waren. Mit Max Ott und Josef Preis dominierten offiziell Handel- und Gewerbe die politisch entscheidende Kurie der amtsführenden Stadträte, in der jedoch die machtpolitische Gewichtung klar zugunsten des dritten Mitglieds Richard Hildmann verschoben war. Die Christlichsozialen, vor allem Landeshauptmann Rehrl, hatten in diesem subtilen regierungsinternen Machtspiel einen eindeutigen Sieg errungen, waren doch sowohl Preis wie auch Hildmann klassische Christlichsoziale und Hildmann der eigentlich starke Mann des Kollegiums, der Großdeutsche Max Ott nur pro forma Stadtoberhaupt. Die betraf sowohl seine Ressortzuständigkeit wie auch seine Stellung innerhalb des Stadtratskollegiums. Zwar sah § 1 (2) der Verordnung der Landesregierung vor, dass der Stadtrat seine Beschlüsse mit einfacher Mehrheit fasste und im Fall einer Stimmengleichheit dem Bürgermeister im elterlichen Betrieb in Salzburg, begab sich anschließend auf Wanderschaft und ließ sich schließlich in Salzburg als Färbermeister nieder. Ab 1900 engagierte er sich im Katholisch-Politischen Arbeiterverein, war 1905/06 dessen Obmann und 1909 bis 1935 Mitglied des Salzburger Gemeinderates, 1919 bis 1927 Bürgermeister, 1930 bis 1935 Vizebürgermeister, 1923 bis 1934 Präsident des Salzburger Handels- und Gewerbebundes, 1918/19 Mitglied der Provisorischen Landesversammlung und 1919 bis 1934 Landtagsabgeordneter. Vgl. Franz Schausberger  : Eine Stadt lernt Demokratie. Bürgermeister Josef Preis und die Salzburger Kommunalpolitik 1919–1927. – Salzburg 1988. (Veröffentlichung der Dr-Hans-Lechner-Forschungsgesellschaft Salzburg Nr. 4.) 150 Richard Hildmann (1882–1952) wurde in Brockenheim bei Frankfurt am Main geboren. 1901 übersiedelte die Familie aufgrund einer Berufung des Vaters zum Direktor der Grazer Tramway-Gesellschaft nach Graz, wo Richard nach dem Besuch des Gymnasiums an der Technischen Hochschule studierte und sein Studium 1908 mit dem Diplomingenieur abschloss. 1908 trat er in den Salzburger Landesdienst ein und begann sich nach 1918 politisch für die Christlichsoziale Partei zu engagieren. 1919 wurde er Mitglied des Gemeinderates und war 1919 bis 1930 Vizebürgermeister, ressortzuständig für das Bauwesen. 1930 wurde er Leiter des Maschinenbaureferats des Amtes der Salzburger Landesregierung und verzichtete auf sein Gemeinderatsmandat sowie die Funktion des Vizebürgermeisters. 1934 wurde er Stadtrat und 1935 bis 1938 Bürgermeister der Stadt Salzburg. 1938 abgesetzt, wurde er 1945 von der US-Besatzungsmacht wiederum als Bürgermeister der Stadt Salzburg eingesetzt. 1946 wurden die Ergebnisse der Nationalratswahl vom November 1945 auf den Gemeinderat umgerechnet, wodurch der Sozialdemokrat Anton Neumayr neuer Bürgermeister wurde und Hildmann Vizebürgermeister. 1948 bis 1949 war er Landesparteiobmann der ÖVP. 151 Rudolf G. Ardelt  : Die Ära des »Christlichen Ständestaates«. – In  : Heinz Dopsch (Hg.)  : Vom Stadtrecht zur Bürgerbeteiligung. Festschrift 700 Jahre Stadtrecht von Salzburg. – Salzburg 1987. S. 235– 247. S. 239. (Salzburger Museum Carolino Augusteum. Jahresschrift Band 33–1987.)

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das Dirimierungsrecht zukam, jedoch nicht in den Bereichen Personal-, Finanz- und Organisationsangelegenheiten. Kam es in diesen zu keiner konsensualen Lösung, fiel die Entscheidung der Landesregierung zu.152 Unter diesen Bedingungen spielte das berufsständische Element, das bei den vier nicht amtsführenden Stadträten zur Anwendung kam, nur eine untergeordnete Rolle. Und hier konnte man auch eine Konzession an die Heimwehr machen. Mit dem Kaufmann Hamilkar Haupt wurde sowohl ein Vertreter des Handels und Gewerbes wie auch des Heimatschutzes Stadtrat. Seine Ernennung wurde jedoch gleichzeitig durch jene des Telegrafenamts-Direktors Karl Düregger als Vertreter der öffentlichen Beamten – eine Bezeichnung, die man bei Hildmann aufgrund der damit deutlich werdenden autoritär-bürokratischen Ernennungsmodalität vermieden hatte– , des Rechtsanwalts Josef Größwang als Vertreter der Freien Berufe und des gewerblichen Arbeiters Hermann Rainer als Vertreter der Arbeiter und Privatangestellten sowie der den Christlichsozialen nahestehenden Wehrverbände (Ostmärkische Sturmscharen, Freiheitsbund, Christliche Turner) mehr als egalisiert. Mit dieser Konstellation, die zudem bei den nicht amtsführenden Stadträten ein politisches Verhältnis von Christlichsozialen zu Heimatschutz von 3 : 1 beinhaltete, hatte Rehrl, dem lt. Landesverfassungsgesetz vom 26. Februar die Ernennung oblag, gegenüber der Heimwehr einen Sieg auf der ganzen Linie eingefahren. Er war klug genug, diesen meisterhaften politischen Schachzug nicht nach außen zu kommunizieren, sondern hinter Treue-Enunziationen zur Regierungspolitik und zu Dollfuß zu verbergen. Denn seine politische Agenda glich der Quadratur des Kreises. Es galt vor allem, die nach wie vor schwer auf dem Land lastenden Folgen der Weltwirtschaftskrise, die durch die Tausend-Mark-Sperre noch erheblich verstärkt worden waren, ebenso zu bewältigen wie die landespolitischen Leuchtturmprojekte, die Salzburger Festspiele und die Großglockner Hochalpenstraße, zu retten. Dazu bedurfte es der Unterstützung der Bundesregierung einerseits und eines Nachlassens oder gar Endes der nationalsozialistischen Propaganda und des sie begleitenden Terrors. Agrarkrise, Krise des Tourismus, soziale Probleme und eine aufgrund der Grenznähe sowie der zunehmenden Akzeptanz nationalsozialistischer Propaganda nur schwer zu kontrollierenden Sicherheitslage ergaben einen nur schwer zu bewältigenden Problemhaushalt.

152 Salzburger Chronik 6.3.1934. S.- 1.

5. Vor den Toren der Macht  ? Die Österreichische NSDAP zwischen Evolution und Putsch

Am 22. März 1933 schrieb der Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt, Gerhard Köpke, an den deutschen Gesandten in Wien, Kurt Rieth, dass aus Berliner Sicht für die Behandlung der österreichischen Frage zwei Tatsachen von maßgebender Bedeutung seien  : »1. Es ist in Zukunft nicht denkbar, dass eine österreichische Regierung, die zur nationalsozialistischen Bewegung in Gegnerschaft steht, trotzdem anschlussbereit wäre. Jede derartige Regierung wird vielmehr zur Verteidigung ihrer Existenz gezwungen sein, Anlehnung bei den anschlussfeindlichen Faktoren innerhalb und außerhalb Österreichs zu suchen. 2. Die bloße Möglichkeit eines Aufstiegs der nationalsozialistischen Bewegung in Österreich zu maßgebendem Einfluss in der Regierung muss schon wegen der auf diesem Wege drohenden ›Gleichschaltung‹ der österreichischen mit der Reichspolitik alle Anschlussgegner in höchstem Maße beunruhigen und ihnen schnelle und wirksame Gegenmaßnahmen notwendig erscheinen lassen.«153 Die deutsche Politik 153 Akten zur deutschen Auswärtigen Politik 1918–1945. (ADAP) Serie C  : 1933–1937. Das Dritte Reich  : Die ersten Jahre. Band I/1. 30. Jänner bis 15. Mai 1933. – Göttingen 1971. S. 191. In diesem Zusammenhang sei kurz auf die Spitzendiplomaten des Auswärtigen Amtes in Berlin eingegangen, die sich mit der Österreich-Frage beschäftigten. Konstantin Freiherr von Neurath war Karrierediplomat, der sich des besonderen Wohlwollens Hindenburgs erfreute. Von 1922 bis 1930 war er Botschafter in Rom und wechselte 1930 auf ausdrücklichen Wunsch Hindenburgs auf den Botschafterposten in London, den damals wichtigsten der deutschen Außenpolitik. Bereits 1929 galt er als Wunschkandidat Hindenburgs für die Nachfolge Gustav Stresemanns als Außenminister, doch vermochte sich der Reichspräsident gegen den politischen Widerstand nicht durchzusetzen. 1932 überredete ihn Hindenburg zum Eintritt in das Kabinett Papen. Neurath hatte lange Widerstand geleistet, da er dem Kabinett keine lange Lebensdauer voraussagte und nur ungern auf seinen Londoner Posten verzichtete. Hindenburg bestand bei der Betrauung Hitlers mit der Kanzlerschaft auf der weiteren Führung des Außenamtes durch Neurath, um damit die Kontinuität in der deutschen Außenpolitik zu garantieren. Als Botschafter in Rom hatte er den Aufstieg Mussolinis aus nächster Nähe mitverfolgt und war zum begeisterten Anhänger des Duce geworden. Das faschistische Italien galt ihm seit dieser Zeit als Vorbild für das Deutsche Reich. 1923 erklärte er, dass eines Tages doch auch im Deutschen Reich ein Mussolini kommen müsse. Zehn Jahre später war es so weit. Neurath sah im Nationalsozialismus die deutsche Variante des Faschismus und befürwortete einen autoritären Staatsumbau, der den Weg zu einer revisionistischen Politik öffnen sollte. Sein Streben galt daher der außenpolitischen Stabilisierung des neuen Regimes. Ähnliche Gedanken verfolgte auch Ulrich von Hassell, Neuraths Nachfolger als Botschafter in Rom.

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müsse daher zurückhaltend agieren. Dies falle ihr nicht schwer, da eine für Berlin günstige Entwicklung in Österreich aufgrund der wachsenden Stärke der NSDAP »unter nationalsozialistischer Führung stehen wird« und damit auch »ohne jede Veränderung des staatsrechtlichen Verhältnisses volle Garantie für eine effektive Gleichschaltung der beiderseitigen Politik bieten würde.« Die entscheidende Frage Hassell, der im Ersten Weltkrieg schwer verletzt wurde, war der Schwiegersohn von Großadmiral Alfred von Tirpitz und Befürworter einer Wirtschafts- und Handelspolitik, die dem Wiederaufstieg Deutschlands zur Weltmacht dienen sollte. Um dieses Ziel zu erreichen, befürwortete er eine Annäherung an das faschistische Italien. Beide Länder sollten gemeinsam eine Front gegen das an der Aufrechterhaltung des status quo interessierte Frankreich bilden. 1933 begrüßte er deshalb den Nationalsozialismus, in dem er jene Kraft zu erblicken glaubte, die den Wiederaufstieg Deutschlands zur Weltmacht in die Wege leiten würde. Im Gegensatz dazu stand Bernhard von Bülow, seit 1930 Staatssekretär im Auswärtigen Amt, ein Neffe des ehemaligen Reichskanzlers und Patensohn von Kaiser Wilhelm II., dem Nationalsozialismus ablehnend gegenüber. Bei der sog. Machtübernahme vertrat er noch die Auffassung, dass es sich beim Nationalsozialismus nur um eine Übergangserscheinung handle und Hitler im Amt des Reichskanzlers scheitern werde. Dennoch war auch er ein Anhänger eines konservativ-autoritären Staatsumbaus, jedoch ohne den von ihm verachteten plebejischen Nationalsozialismus. In seinen außenpolitischen Überlegungen und Konzeptionen schloss er 1933 an klassische expansionistische Vorstellungen einer deutschen Hegemonie in Europa an. In dem von ihm entworfenen Stufenplan wurde als erster Schritt für den Wiederaufstieg Deutschlands dessen wirtschaftliches, finanzielles und militärisches Erstarken gefordert, bevor die zweite Phase, die territorialen Revisionen, in Angriff genommen werden könne. Neben dem Wiedererwerb aller wie dem Erwerb neuer Kolonien forderte er im Westen die Rückgliederung von Elsass-Lothringen, im Norden eine Revision der Grenze zu Dänemark, im Südosten den Anschluss Österreichs sowie im Osten die Rückgliederung nunmehr polnischer Territorien. Nachdem am 14. November 1935 die erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz erlassen worden war, die definierte, wer nach den Nürnberger Rassegesetzen als Jude galt – Personen mit mindestens drei jüdischen Großeltern sowie Angehörige der jüdischen Religionsgemeinschaft– , blieb die Definition der sog. »Halbjuden«, d. h. von Personen mit zwei jüdischen Großeltern, strittig. Sie galten als Mischlinge, sofern sie nicht in einer Ehe mit einem jüdischen Partner lebten oder der jüdischen Glaubensgemeinschaft angehörten. Die Verordnung sah u. a. vor, dass bis zum Jahresende 1935 diejenigen jüdischen Beamten, die bisher aufgrund der Frontkämpferklausel des Berufsbeamtengesetzes ihre Position behalten hatten, zu pensionieren seien. Unter den davon betroffenen rund 5.000 Beamten befanden sich auch verdiente Diplomaten des Auswärtigen Amtes wie Gerhard Köpke, der Leiter der Westabteilung, der Staatssekretär Bülow regelmäßig vertreten hatte. Wenngleich sich Außenminister Neurath für Köpke verwendete, wurde dieser entlassen. Dies vor allem auch deshalb, weil er mit dem deutschen Gesandten in Stockholm, Viktor Prinz zu Wied, einem überzeugten Nationalsozialisten, in eine heftige Auseinandersetzung geraten war und Wied davon Hitler in Kenntnis setzte. Köpke galt aufgrund einer nichtarischen Großmutter als »jüdischer Mischling zweiten Grades«. Vgl. Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes, Moshe Zimmermann  : Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik. 3. Aufl. – München 2010. S. 35ff.

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sei daher, ob es dem Nationalsozialismus in Österreich »gelingen wird, den ihm nach der zahlenmäßigen Stärke seiner Anhängerschaft im Lande schon heute zukommenden maßgebenden Einfluss in einer bürgerlichen Regierung zu erkämpfen.« Man würde eine Koalitionsregierung von Dollfuß mit der NSDAP unterstützen, »wenn die nationalsozialistische Bewegung in Österreich schon heute die Kraft hat, sich in einer derartigen Koalition den maßgebenden Einfluss auf die Dauer zu sicher.«154 Zum Zeitpunkt dieses Schreibens hatte sich die Entwicklung der NSDAP zu einer größeren Mittelpartei vollzogen. Im April 1932 hatte sie bei den Landtagswahlen in Wien, Niederösterreich und Salzburg ihren Stimmenanteil von knapp 66.000 bei der Nationalratswahl im Jahr 1930 auf rund 336.000 erhöht und bei den gleichzeitig stattfindenden Gemeinderatswahlen in der Steiermark und in Kärnten rund 42.000 Stimmen erzielt, sodass sie mit insgesamt 378.000 Stimmen 16 Prozent der abgegebenen Stimmen erreichte. Dabei gab es deutliche regionale Unterschiede. Allein in Wien erhöhte sich die Stimmenanzahl zwischen 1930 und 1932 von 27.540 auf 201.000, in Salzburg Stadt erzielte die NSDAP beeindruckende 29 Prozent. Die Gewinne der Partei basierten nicht nur auf der weitgehenden Auflösung des deutschnationalen Lagers, sondern auch auf dem Einbruch in die christlichsozialen und sozialdemokratischen Milieus in jenen Regionen, in denen diese in der Minderheit waren. (In Wien die Christlichsozialen, in Salzburg die Sozialdemokraten.) Bei der Gemeinderatswahl in Innsbruck am 23. April 1933 erreichte die NSDAP 41,2 Prozent. Der Gauleiter von Oberösterreich und Landesleiter von Österreich, Alfred Proksch, konnte durchaus zu Recht behaupten, die NSDAP würde im Fall von Neuwahlen rund 500.000 Stimmen erhalten und damit mit 33 Abgeordneten in den 165 Mitglieder umfassenden Nationalrat einziehen. Die NSDAP schien im Frühjahr 1933 vor den Toren der Macht zustehen, ein von Köpke angesprochener Eintritt in eine Koalitionsregierung und in weiterer Folge ein schleichender Anschluss keineswegs bloß politischem Wunschdenken entsprungen. Die innenpolitische Entwicklung nahm jedoch im März 1933 eine unvorhergesehene Wende. Anstelle des erhofften Regierungseintritts löste das Agieren der Regierung Dollfuß nach der sog. »Selbstausschaltung« des Parlaments am 4. März 1933 vor allem auch gegen die NSDAP – u. a. Einschränkung der Redefreiheit für Parteiredner, Verbot des »Völkischen Beobachters«, Schließung aller »Braunen Häuser«, Entlassung von Nationalsozialisten aus dem Bundesheer – die erste nationalsozialistische Gewaltwelle aus, die am 19. Juni in einem Bombenanschlag auf christlich-deutsche Turner in Krems, der einen Toten und 29 Verletzte forderte, und in dem noch am selben Tag folgenden Verbot der NSDAP sowie des mit ihr verbündeten Steirischen Heimatschutzes ihren vorläufigen Höhepunkt fand.

154 ADAP. Serie C, Bd. I/1. S. 192f.

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Die nach dem Verbot der Partei von der nach Bayern geflüchteten Führung der österreichischen NASAP unter Landesinspekteur Theo Habicht mit ausdrücklicher Billigung Hitlers einsetzende Terrorkampagne sowie die von der Reichsregierung verhängte Tausend-Mark-Sperre bildeten den Kern eines Wirtschaftskrieges gegen Österreich mit dem Ziel, den Fremdenverkehr weitgehend zum Erliegen zu bringen und damit die ohnedies angespannte wirtschaftliche Lage vor allem in den westlichen Bundesländern zu verschärfen. Die damit einhergehende prekäre Wirtschaftsund Sicherheitslage sollte die Regierung Dollfuß zu Verhandlungen mit der illegalen NSDAP zwingen mit dem Ziel der Bildung einer Koalitionsregierung und in weiterer Folge einer stillen Machtübernahme der NSDAP. Die Auswirkungen dieser Politik waren – zumindest zunächst – beachtlich und schienen das angestrebte Ziel zu erreichen. Die Salzburger Festspiele und der für das Land so wichtige Fremdenverkehr gerieten angesichts des weitgehenden Ausbleibens der deutschen Gäste in eine existenzielle Krise. Die Gesamtzahl der Gesamt-Nächtigungen in der Stadt Salzburg fiel von 367.108 in der Saison 1931/32 auf 247.291 in der Saison 1933/34, die Nächtigungen deutscher Gäste von 119.366 auf 6.390. Die Besucherfrequenz der Stadt Salzburg während der Festspielzeit im August sank von 45.012 im Jahr 1932 auf 35.074 im Jahr 1933 und 29.233 im Jahr 1934.155 Die ohnedies prekäre wirtschaftliche Lage der Salzburger Fremdenverkehrsbetriebe und die anhaltende Agrarkrise erzeugten eine dramatische ökonomische und soziale Schieflage. Zahlreiche Fremdenverkehrsbetriebe hatten vor dem Hintergrund der jährlich steigenden Gästezahlen Fremdmittel aufgenommen, um die als notwendig erachteten Investitionen tätigen zu können. Die 1929 einsetzende Wirtschaftskrise änderte jedoch dramatisch die Prämissen und führte zu einer Überschuldung der Fremdenverkehrswirtschaft auf breiter Basis, die auch die Landeshypothekenanstalt in erhebliche Liquiditätsprobleme brachte. Hinzu trat die anhaltende Agrarkrise. Zwischen 1930 und 1934 sank der Viehexport nach Deutschland um 90 Prozent. Ein nicht minder großes Problem vor allem für die alpine Landwirtschaft bildete die Milchwirtschaft. In den Zwanzigerjahren hatte man Mittel der Völkerbundanleihe für Modernisierungsmaßnahmen im Bereich der Milchwirtschaft verwendet und damit innerhalb kürzester Zeit beachtlichen Erfolg erzielt. Musste 1924 Milch im Wert von 38 Millionen Schilling importiert werden, so wurde 1929 bereits ein Ausfuhrüberschuss von 1,2 Millionen Schilling erzielt. Diese Modernisierungsstrategie wurde jedoch Ende der Zwanzigerjahre durch die Entwicklung des Weltmarktes konterkariert. Auch im Bereich der Milchproduktion 155 Robert Kriechbaumer  : Zwischen Österreich und Großdeutschland. Eine politische Geschichte der Salzburger Festspiele 1933–1944. – Wien/Köln/Weimar 2013. S. 51f. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 46.)

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erschwerte die nunmehr weltweit merkbare Überproduktion sowie die einsetzende Zollpolitik die agrarische Außenhandelsstrategie. Die Folge war ein Überangebot an Milch und Milchprodukten auf dem Inlandsmarkt und in weiterer Folge ein deutlicher Preisverfall sowie ein Rückgang der Abgeltungen für Milchprodukte um rund 40 Prozent. Die Bundesregierung war 1931 und 1934 zu Steuerungsmaßnahmen – behördliche Preisfestsetzung und Produktionsbeschränkungen – gezwungen, ohne jedoch eine Lösung der Problematik – Unterkonsumtion im Inland und niedriges Preisniveau im Ausland, das durch eine jährliche Exportförderung in der Höhe von 8 bis 9 Millionen Schilling ausgeglichen werden musste – zu erreichen.156 Die sinkenden Preise für Vieh, Milch und Holz machten aufgrund ihres dramatischen Rückgangs eine wirtschaftliche Führung vor allem der Bergbauernbetriebe weitgehend unmöglich und führten allein 1933 zu 906 Zwangsversteigerungen von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben. Die Arbeitslosigkeit wurde auch in ländlichen Gebieten allgegenwärtig. Die schwierige ökonomische und soziale Lage bildete einen idealen Nährboden für die nationalsozialistische Propaganda, die sich neben den traditionellen Methoden der Druckschriften, des Streuens von Flugzetteln und der Flüsterpropaganda der modernen Möglichkeiten des Rundfunks und der Luftfahrt sowie der spektakulären politischen Inszenierung wie des Abbrennens von Hakenkreuzfeuern oder des Hissens der Hakenkreuzfahne auf schwer zugänglichen Objekten bediente. In der zweiten Jahreshälfte 1933 begann zudem der Auf- und Ausbau der sog. »Österreichischen Legion« in Bayern als politisch-militärisches Druckmittel einer direkten Intervention in Österreich sowie als Hilfstruppe für Terroraktionen in Österreich. Das Wachsen der Legion durch den permanenten Zuzug von geflüchteten Nationalsozialisten und damit auch deren steigendes militärische Potential sowie die (gezielte  ?) Verbreitung von Gerüchten über deren bevorstehendes Eindringen nach Österreich bildeten mehrfach den Gegenstand von Besprechungen des Ministerrates.157 Der von der Landesleitung in München gegen Österreich bereits ab Juni 1933 initiierte Radio-Krieg benutzte die Sender in München, Leipzig, Breslau und Stuttgart sowie die Montage von Lautsprecheranlagen an der bayerisch-Salzburger Grenze, über die Reden nationalsozialistischer Funktionäre inklusive entsprechender musikalischer Umrahmung wie das Horst-Wessel-Lied ausgestrahlt wurden. Hinzu traten die spektakulären Abwürfe von Propagandamaterial durch den österreichischen Luftraum verletzende Flugzeuge vor allem zur Festspielzeit. Grenzverletzungen und 156 Gerhard Senft  : Im Vorfeld der Katastrophe. Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates. Österreich 1934–1938. – Wien 2002. S. 428ff. (Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit. Band 15. Herausgegeben von Anton Pelinka und Helmut Rumpler.) 157 Vgl. dazu Hans Schafranek  : Söldner für den Anschluss. Die Österreichische Legion 1933–1938. – Wien 2011.

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bewusste -provokationen sowie der illegale Grenzübertritt von flüchtenden Nationalsozialisten und Waffen- bzw. Sprengstoffschmuggel waren an der Tagesordnung. In Kombination mit den sich steigernden Bomben- und Terroranschlägen – laut Wochenbericht der Salzburger Sicherheitsdirektion wurden zwischen dem 8. und 14. Jänner 1934 20 Böller- und Bombenanschläge, 8 Hakenkreuzfeuer abgebrannt und 7 Hakenkreuzfahnen gehisst, achtzehnmal Propagandaflugzettel gestreut und zwei Wochen später 24 Bölleranschläge verübt158 – mit dem Ziel, die Wirtschaft des Landes nachhaltig zu schädigen, eine Atmosphäre der Unsicherheit zu erzeugen und dem Ausland den Eindruck eines Bürgerkrieges zu vermitteln. Der Bürgerkrieg sollte tatsächlich Realität werden, jedoch in einer Form, die von den Nationalsozialisten nicht vorhergesehen und nicht geplant war.159 Noch am 27. Jänner 1934 hatte Habicht im »Österreichischen Presse-Dienst«, der von der österreichischen NSDAP in München herausgegebenen Publikation, zum »Endkampf um Österreich« aufgerufen. Die österreichischen Nationalsozialisten seien »für die künftigen Ereignisse vorbereitet« und es seien »die Voraussetzungen für deren Durchführung (…) geschaffen.« Die Welt werde »ein grandioses Schauspiel erleben, wenn diese Stunde hereinbricht.«160 Dass es sich bei diesem Artikel nicht um reinen politischen Theaterdonner, sondern durchaus um einen realistischen Kern handelte, wurde aus einem Telegramm des Geschäftsträgers an der deutschen Botschaft in Wien, Prinz Erbach, deutlich. Dieser meldete am 31. Jänner nach Berlin, der deutsche Militärattaché Wolfgang Muff habe aus verschiedenen Gesprächen mit österreichischen Nationalsozialisten die sichere Überzeugung gewonnen, dass angesichts der fehlgeschlagenen Kontakte von Habicht zu Dollfuß und damit auch der Nicht-Realisierung einer nationalsozialistischen Regierungsbeteiligung die österreichische SA von ihrem Landesleiter Hermann Reschny die Order erhalten habe, alle Vorbereitungen für ein Losschlagen am 15. März zu treffen. Zur Unterstützung des Aufstandes sollte die Österreichische Legion in Österreich einmarschieren. Dies sei eine rein innerösterreichische Angelegenheit, da man im Fall einer Information der Landesleitung in München eine mögliche Verhinderung befürchte. Man wolle seitens der österreichischen SA offensichtlich vollendete Tatsachen schaffen. 158 Ernst Hanisch  : Die Erste Republik. – In  : Heinz Dopsch, Hans Spatzenegger (Hg.)  : Geschichte Salzburgs. Stadt und Land. Band II/2. Neuzeit und Zeitgeschichte. 2. Aufl. – Salzburg 1995. S. 1057– 1120. S. 1109. 159 Die These, dass die österreichische NSDAP den Februaraufstand von Teilen des Republikanischen Schutzbundes durch Agents Provocateurs initiiert habe, um eine Situation zu schaffen, die von Deutschland aus eine Intervention gerechtfertigt hätte, entspricht nicht der Faktenlage. Vielmehr wurden die österreichischen Nationalsozialisten von Februaraufstand überrascht. Vgl. Kurt Bauer  : Der Februaraufstand 1934. Fakten und Mythen. – Wien/Köln/Weimar 2019. S. 128ff. 160 Zit. bei Dieter Ross  : Hitler und Dollfuß. Die deutsche Österreich-Politik 1933–1934. – Hamburg 1966. S. 168f.

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In Berlin läuteten die Alarmglocken und Hitler beorderte den deutschen Gesandten in Wien, Kurt Rieth, sowie den deutschen Militärattaché Wolfgang Muff, beide Befürworter eines Ausgleichs mit Dollfuß, zu Besprechungen nach Berlin. Kurze Zeit später überschlugen sich die Ereignisse durch den Ausbruch des Bürgerkrieges. Noch während der Februarkämpfe suchte die illegale SA über Gilbert In der Maur und Edmund Glaise-Horstenau sowie Kurt Schuschnigg Kontakt zu Dollfuß mit der Frage, ob dieser nunmehr bereit wäre, im Sinne einer inneren Befriedung die Forderungen der NSDAP nach Legalisierung und Regierungsbeteiligung zu erfüllen. Dollfuß lehnte ab und erklärte, er sei nur zu Verhandlungen auf Regierungsebene bereit. Dem war jedoch Hitler nicht gewillt zuzustimmen. Er lehnte ein von Dollfuß letztlich gewünschtes direktes Treffen ab und bestand auf direkten Verhandlungen zwischen der österreichischen NSDAP, d. h. Landesinspekteur Theo Habicht, und Dollfuß, um so gegenüber Interventionen von Drittstaaten, vor allem Italien und Frankreich, die Spannungen und gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Regierung und NSDAP als innerösterreichische Angelegenheit bezeichnen zu können. Am 16. Februar 1934 telegrafierte Reichsaußenminister Konstantin von Neurath an den deutschen Botschafter in Rom Ulrich von Hassell  : »Wir würden es nach wie vor begrüßen, wenn es in Österreich zur Verständigung zwischen Regierung und Nationalsozialisten kommt. Wir sind aber der Ansicht, dass diese Verständigung nicht auf dem Wege von Verhandlungen zwischen den Regierungen, sondern auf dem Wege unmittelbarer Verhandlungen zwischen österreichischer Regierung und österreichischen Nationalsozialisten erfolgen muss.«161 Der Sieg der Regierung im Bürgerkrieg, die außenpolitische Rückendeckung durch Italien, Frankreich und Großbritannien ließen Hitler auf die Linie des Auswärtigen Amtes einschwenken, das ein anhaltend aggressives Vorgehen gegen Österreich stets abgelehnt und einen »Neuen Kurs« gefordert hatte. Am 15. März 1934 informierte Ministerialdirektor Gerhard Köpke den deutschen Gesandten in Wien, Kurt Rieth, über den »Neuen Kurs«  : »Nach den Mitteilungen, die der Herr Reichskanzler von Neurath gegenüber gemacht hat und die mir hier durch Habicht noch einmal wiederholt worden sind, wird in der Tat der Kampf in Österreich von den Nationalsozialisten unter der alten Führung grundlegend umgestellt. Es sollen die Anwendung von Gewaltmitteln wie auch direkte Angriffe auf die österreichische Regierung in Presse und Rundfunk strikte vermieden werden. Der Hauptnachdruck wird künftig auf einer innerösterreichischen Propaganda und dem organisatorischen Auf- und Ausbau der Partei liegen, der dazu führen soll, dass auf die Dauer keine österreichische Regierung ohne diese schlagkräftigste und stärkste Partei des Landes wird regieren könne.«162 161 ADAP. Serie C, Bd. II/2. 1. Februar bis 13. Juni 1934. – Göttingen 1973. S. 481. 162 Ebda. S. 599.

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Unter diesen Bedingungen war Habicht gezwungen, seine Linie zu modifizieren, wobei es galt, das Gesicht nicht zu verlieren. In einer Rede im Münchner Rundfunk am 19. Februar erklärte er, die Tragödie des Bürgerkrieges wäre im Fall einer rechtszeitigen Verständigung der österreichischen Bundesregierung mit der NSDAP nicht eingetreten. Er wiederholte anschließend die bereits bekannten Forderungen und betonte, dass im Fall einer positiven Reaktion der Regierung der innere Friede sowie der Friede mit dem Deutschen Reich die Folge wäre. Zum Beweis seines guten Willens und seiner Aufrichtigkeit werde er an alle Gliederungen der Partei den Befehl ausgeben, vom folgen Tag an bis 28. Februar Mittag einen Waffenstillstand eintreten zu lassen. In dieser Zeit sei es allen Mitgliedern unter Androhung des sofortigen Ausschlusses verboten, die österreichische Regierung oder ihre Organe in Wort und Schrift oder mit anderen Methoden anzugreifen. Die Führung der NSDAP erwarte im Gegenzug, dass die österreichische Bundesregierung ihr gegenüber dieselbe Haltung einnehme und eine eindeutige Erklärung zu der an sie gerichteten Anfrage abgebe. Sollte eine solche bis zum Ablauf der Frist nicht erfolgen, werde der Kampf aufs Neue aufgenommen.163 Die Rede Habichts und das in dieser enthaltene Ultimatum löste heftige negative internationale Reaktionen aus, vor allem in Italien, das Berlin unmissverständlich wissen ließ, dass es im Fall einer nationalsozialistischen Aggression nach Ablauf des Habicht-Ultimatums militärisch intervenieren werde. Die Rede sei, so die übereinstimmende internationale Auffassung, eine Unverschämtheit und ein Beweis dafür, dass Berlin hinter dem nationalsozialistischen Terror stehe. Die »Salzburger Chronik« kommentierte die Rede Habichts mit der Bemerkung, »das gesamte österreichische Volk und vor allem das katholische Volk hält sehnsüchtig Ausschau nach dem Frieden. Aber es gibt B e d i n g u n g e n , von denen wir Österreicher nicht abgehen können. Wir lehnen diese Partei in jener Ausprägung und mit jenen Grundsätzen, die sie als NSDAP und nunmehr gleichsam integraler Bestandteil der deutschen Führung verfolgt, für Österreich ab. Wir können niemals anerkennen, dass Österreich für Deutschland parteipolitisch ein ›Gau Österreich‹ ist, genauso wie ein Gau Pommern oder Ostpreußen. Wir erkennen Adolf Hitler lediglich als deutschen Reichskanzler an und werden seine Politik, so wohlwollend wir nur vermögen, verfolgen, aber wir lehnen ihn als unseren Führer ab. Wir haben aus der Geschichte gelernt. Wir haben es vor einem Jahre miterlebt, wie die deutschen Nationalsozialisten, die nur mit Unterstützung einer anderen Par-

163 Reichspost 21.2.1934. S. 6. Die in der Rede an die österreichische Bundesregierung gerichtete Anfrage zielte mit dem Hinweis auf die innere Befriedung auf eine Regierungsbeteiligung der NSDAP und deren Legalisierung.

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tei die Regierung und damit die Macht übernehmen konnten, diese Partei hinausdrängten wie der junge Kuckuck seine Nestbrüder. Diese Methode hat uns sehend gemacht. Gegen solche ›Durchdringung‹ Österreichs werden wir uns zur Wehr zu setzen wissen, nämlich dadurch, dass wir es von vornherein nicht so weit kommen lassen. Das Zehrgeld, das das deutsche Volk gezahlt hat, soll nicht umsonst gezahlt worden sein, wir Österreicher haben daraus gelernt. Daher werden wir immer auf der Hut sein. Aber wir wünschen alle sehnlichst den Frieden. Allerdings auch n u r u n t e r d e r B e d i n g u n g   : › E s l e b e Ö s t e r r e i c h   ! ‹«164 Die Bundesregierung hatte sich bereits am 5. Februar 1934 mit einem umfangreichen, von Gesandten Theodor Hornbostel erstellten, Dossier beschäftigt, das den Konflikt mit Berlin zum Inhalt hatte und die Grundlage für eine Anrufung des Völkerbundrates bilden sollte. In der Diskussion bemerkte Vizekanzler Emil Fey, er wolle in diesem Zusammenhang »nur darauf hinweisen, dass die vorgetragenen Beweise die feindselige Haltung der Faktoren des Deutschen Reiches noch besonders beleuchtet würden durch die Tätigkeit der Nationalsozialisten in Österreich selbst. Es gebe sich daraus ein klares Bild dessen, was geschehen würde, wenn die österreichische Regierung nicht in der Lage wäre, gegen diese Akte der Feindseligkeit aufzutreten.« Er »glaube daher, dass jede Nachsicht, jede Milde und jedes Entgegenkommen ein Nagel mehr zum Sarg Österreichs wäre und einem Selbstmord gleichkäme.« Wenngleich er den Schritt Richtung Völkerbundrat unterstütze, so »dürfe man sich allerdings keiner übertriebenen Hoffnung hingeben, dass Öster­ reich in kurzer Zeit eine positive Unterstützung seitens der anderen Mächte zu erwarten habe.«165 Der Schritt nach Genf erfolgte schließlich nicht, sondern eine Intervention in London, Paris und Rom, um der antiösterreichischen Agitation des Deutschen Reiches zu begegnen.166 Dieser Schritt sollte sich insofern als erfolgreich 164 Salzburger Chronik 20.2.1934. S. 5. 165 MRP 920. 166 Am 25. Mai 1934 erklärte der französische Außenminister Jean Louis Barthou in der außenpolitischen Debatte der französischen Kammer zu den Beziehungen Frankreichs zu Österreich u. a., dass, nachdem die direkten Demarchen der österreichischen Bundesregierung in Berlin ergebnislos geblieben seien, diese den Regierungen in Paris, London und Rom zur Kenntnis gebracht habe, sie beabsichtige, den Völkerbundrat mit dem deutsch-österreichischen Konflikt zu befassen. In diesem Augenblick hätten Frankreich, Großbritannien und Italien Stellung bezogen. »Die französische Regierung erklärte damals, entsprechend der fortlaufenden Linie ihrer Außenpolitik, dass Österreich durchaus berechtigt sei, den Völkerbund mit der Angelegenheit zu befassen. Die französische Regierung habe sich immer gegen die von reichsdeutscher Seite vertretene Auffassung verwahrt, dass der Konflikt zwischen Wien und Berlin eine rein innerdeutsche Frage sei. Frankreich sei vielmehr der Ansicht, dass es sich hier im Hinblick auf die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes und auf die positiven Bestimmungen der Friedensverträge und der Völkerbundsatzung um eine Frage von eminent europäischem Charakter handelt. (…) Frankreich habe damals deutlich zu verstehen gegeben, dass es

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erweisen, als die drei Mächte am 17. Februar in einer gemeinsamen Erklärung von der Notwendigkeit der Unabhängigkeit Österreichs sprachen. Als Zwei Tage später die mit einem Ultimatum versehene Rede Habichts im Münchner Rundfunk erfolgte, reagierte vor allem Italien heftig. Sowohl die Drei-Mächte-Erklärung vom 17. Februar wie auch die heftige Reaktion Italiens auf die Rede Habichts stärkten der österreichischen Außenpolitik gegenüber Berlin den Rücken. Am 7. März berichtete der österreichische Militärattaché in Berlin, Alfred Jansa, nach Wien, er habe bei einem Gespräch mit Ministerialdirektor Gerhard Köpke gegenüber erklärt, er müsse »die Ungeheuerlichkeit der Rede Habichts … unterstreichen und klipp und klar … sagen, dass (er) diesen Menschen für verhandlungsunfähig ansehe.« Hitler müsse sich von Österreichern, d. h. vor allem auch vom österreichischen Gesandten, über die Lage in Österreich informieren lassen und nicht von einem politischen Flüchtling wie Habicht, der in München sitze. »Hier müsse Wandel geschaffen werden  ; die Gesandtschaft stehe immer zur Verfügung, wenn man Informationen wünsche. Es gebe gar keinen Zweifel, dass einzig und allein nur Bundeskanzler Dollfuß als Regierungschef, bzw. in dessen Auftrage der Gesandte Tauschitz verhandeln könne. (…) Die Bedingungen des Kanzlers Dollfuß seien seit Monaten unverrückbar klipp und klar – Ehre, Unabhängigkeit, Selbständigkeit.«167 Und der österreichische Gesandte in London, Georg Franckenstein, berichtete am 15. März von einem Gespräch mit Unterstaatssekretär Sir Robert Vansittart, der die Ansicht vertreten habe, »dass die Stellung der österreichischen Regierung in den letzten Zeiten viel stärker geworden ist und dass Deutschland eine Niederlage erlitten hat. Herr Habicht habe sich durchaus lächerlich gemacht. Die Deutschen seien jetzt sehr ›klein‹, doch sei es wahrscheinlich, dass sie an ihrem Ziele festhalten werden, durch den Eintritt der Nationalsozialisten in die österreichische Regierung die Gleichschaltung und dadurch die Macht in Österreich zu erlangen. Er sei überzeugt, dass ebenso wie er selbst jedermann in England hoffe, dass dieser Schachzug Deutschlands nicht gelingen werde.«168 Vansittarts Einschätzung war insofern richtig, als man angesichts der heftigen Reaktion vor allem Italiens auf die Rede Habichts im Deutschen Reich mit einem Rückzieher reagierte, da man die eine internationale Isolation fürchtete. Diese Befürchtungen wurden durch die Unterzeichnung der Römischen Protokolle am 17.  März durch Italien, Ungarn und Österreich noch verstärkt, da diese neben ihren wirtschaftlichen Erklärungen im politischen Bereich gegen das Deutsche Reich gedie bedingungslose Wahrung der Souveränität der Freiheit und der Unabhängigkeit Österreichs als eine wesentliche Voraussetzung des europäischen Gleichgewichtes und der Erhaltung des Friedens in Europa betrachtet.« (Neue Freie Presse 26.5.1934. S. 3.) 167 ADÖ 9/1435. 168 Ebda. 1436.

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richtet waren.169 Wenngleich der Ballhausplatz die Formulierung eines autoritären Blocks unter italienischer Führung ablehnte, so entsprach dies den Tatsachen. Die Regierung Dollfuß war nach der Ausschaltung der Sozialdemokratie und angesichts des nach einer vorübergehenden Beruhigung wieder zunehmenden nationalsozialistischen Drucks auf außenpolitische Rückendeckung angewiesen. Nach einer Phase der Beruhigung, die durch den vor allem vom Auswärtigen Amt konzipierten »Neuen Kurs« gekennzeichnet war und einer Verlängerung des von Habicht verkündeten Waffenstillstands auf unbestimmte Zeit, die eine Umstellung der Politik der österreichischen Partei von der direkten Aktion auf die lange Perspektive und die Schwerpunktverlagerung auf die innere Stärkung beinhaltete, änderte sich die Situation bereits Ende April/Anfang Mai grundlegend. Während das Auswärtige Amt in Berlin, ebenso wie Hermann Göring und Vizekanzler Franz von Papen, direkte Verhandlungen zwischen Berlin und Wien befürwortete und damit die Position von Dollfuß einnahm,170 wurde dieses politische Konzept von Habicht und dem aktionistischen Teil der österreichischen Nationalsozialisten mit Misstrauen und Ablehnung betrachtet. Berlin, so argwöhnte man, könnte um den Preis einer Annäherung an Rom bereit sein, die Österreich-Frage diplomatisch zu lösen und damit der Regierung Dollfuß das Überleben ohne eine Regierungsbeteiligung der NSDAP ermöglichen. Diese Befürchtungen erhielten Mitte Mai neue Nahrung, als Hitler bekannt gab, er werde Mussolini Mitte Juni in Norditalien treffen. Hitler hatte bezüglich Österreich bereits am 28. September 1933 auf der Reichsstatthalterkonferenz erklärt, »Italien wünsche in Österreich den Faschismus, nicht jedoch den deutschen Nationalsozialismus.«171 Und am 24. Mai 1934 notierte Leutnant Carl Rabe von Pappenheim von der Attachégruppe des Reichswehrministeriums nach einer Unterredung mit dem deutschen Militärattaché in Wien, Generalleutnant Wolfgang Muff, die Regierung Dollfuß sei nach dem Sieg im Februar und der Verabschiedung der neuen Verfassung »gestärkt. Die deutschen Aspirationen sind durch das Eingreifen Italiens zunächst gescheitert. (…) An einen Erfolg einer gewaltsamen Lösung der Krise im nationalsozialistischen Sinne glaubt General Muff nicht.«172 Es galt, im Vorfeld des Treffens die Position des Deutschen Reiches in der Österreich-Frage im Sinne der eigenen Politik zu bestimmen und Mussolini zu bewegen, eine »neutrale Persönlichkeit«, nämlich Anton Rintelen, anstelle von Dollfuß als 169 Ebda. 1437. 170 Am 9. April 1934 hielt Staatssekretär Bernhard W. von Bülow in der österreichischen Frage fest  : »Nach der gegenwärtigen Gesamtsituation der internationalen Politik und allen früheren Erfahrungen dürfte feststehen, dass Deutschland jetzt nicht in der Lage ist, eine Lösung der österreichischen Frage im deutschen Sinne international durchzusetzen.« (ADAP. Serie C. Bd. II/2. S. 711.) 171 AdRK. Regierung Hitler 1933–1945. Bd. II. 12. September 1933 bis 27. August 1934. Dokumente Nr. 207 bis 384. S. 868. 172 ADAP. Serie C. Bd. II/2. S. 817.

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Bundeskanzler zu akzeptieren, um damit den Weg für eine Machtergreifung via Koalitionsregierung freizugeben. Zu diesem Zweck sollte die Position der Regierung Dollfuß durch die Verstärkung der Terrorwelle geschwächt werden. Das schließlich für 14./15. Juni in Venedig anberaumte Treffen beinhaltete als offizielle Tagesordnung die Abrüstungsfrage, die Koordinierung der Mitteleuropa-Politik der beiden Mächte und die Österreich-Frage. Das in Venedig und der Villa Pisani in Stra stattfindende Treffen brachte allerdings nicht das von Hitler und der NSDAP erwartete Ergebnis, hatte jedoch einen folgenschweren Irrtum zur Folge. Bereits Ende April/Anfang Mai war es zu einem Wiederaufflammen des nationalsozialistischen Terrors gekommen. Habicht war im Februar vom Auswärtigen Amt von seiner aktionistischen Politik mit dem Hinweis auf die ungünstigen außenpolitischen Folgen für das Deutsche Reich auf den evolutionären »Neuen Kurs«, dem auch Hitler seine Zustimmung gegeben hatte, eingeschworen worden. Hitler hatte allerdings die Position Habichts als Landesinspekteur und damit als Chef der österreichischen NSDAP nicht infrage gestellt und letztlich auch in der Frage des »Neuen Kurses« keine eindeutige Position bezogen. Habicht registrierte in den folgenden Wochen die verheerenden Folgen dieser Politik für die auf Aktionismus eingeschworene Parteibasis. Die Berichte über die Stimmung in der österreichischen Parteibasis zeichneten ein durchwegs düsteres Bild, das zwischen Resignation und unkontrolliertem Gewaltausbruch schwankte und die Gefahr einer zunehmenden Desintegration der Anhängerschaft von der exilierten Parteiführung in München einerseits sowie zunehmenden Rivalitäten und Unstimmigkeiten innerhalb der in Österreich verbliebenen Führungszirkel (SA gegen SS und Partei) andererseits signalisierte. Habicht, der sich ohnedies der vom Auswärtigen Amt durchgesetzten Kurskorrektur der Österreich-Politik nur widerstrebend gefügt hatte, drängte daher mit dem Hinweis auf die bedenkliche Entwicklung der österreichischen Partei auf eine neuerliche Kurskorrektur in Richtung Rückkehr zu einer aus Wirtschaftssanktionen und Wiederaufnahme der Terroraktionen bestehenden aggressiven Politik, um die Regierung Dollfuß doch noch zu Verhandlungen mit der österreichischen Parteiführung zu zwingen. Bereits am 16. März 1934 hielt Gerhard Röpke in seinen Aufzeichnungen fest, Habicht habe Außenminister Konstantin von Neurath aufgesucht und diesem gegenüber erklärt, »dass das vorläufige Verbot der Propaganda gegen die österreichische Regierung, wie auch die ihm persönlich erteilte Weisung, keinerlei Reden mehr gegen Österreich zu halten, den allmählichen Zerfall der nationalsozialistischen Bewegung zur Folge haben könne.«173 Die Chancen für einen neuerlichen Politikwechsel standen keineswegs schlecht, da Hitler in der Frage des »Neuen Kurses« eine förmliche Festlegung vermieden hatte. Damit bot sich all jenen, die in einer deutlichen Verschärfung der Politik ge173 ADAP. Serie C. Bd. II/2. S. 600.

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genüber Österreich die einzige Chance sahen, die Geschlossenheit und Einheit der Partei zu wahren und eine Entscheidung im nationalsozialistischen Sinn in nächster Zukunft herbeizuführen, die Möglichkeit der politischen Einflussnahme. Habicht war in diesem Sinne unermüdlich tätig und erreichte im April nach einer Unterredung mit Hitler Einfuhrbeschränkungen für österreichisches Holz, Schlachtvieh und Obst, wobei als offizielle Begründung für diese Maßnahme die »spontane Reaktion der deutschen Verbraucher gegen die Politik der österreichischen Regierung gegenüber der NSDAP« angegeben wurde.174 Gleichzeitig setzte Ende April/Anfang Mai, sehr zur Verärgerung des Auswärtigen Amtes, die nationalsozialistische Terrorwelle wiederum ein, wobei seitens der österreichischen Parteiführung in München die Überlegung vorherrschend gewesen sein dürfte, die bedrohliche Desintegration der aktionistischen Parteibasis in Österreich damit zu verhindern, den österreichischen Fremdenverkehr angesichts der bevorstehenden Urlaubssaison massiv zu treffen und durch den dadurch entstehenden ökonomischen und sozialen Druck auf die Regierung Dollfuß diese zu Verhandlungen mit der NSDAP zu zwingen. Im Vorfeld der Begegnung Hitlers mit Mussolini in Venedig steigerte die österreichische NSDAP die Terrorwelle neuerlich, um die Stellung der Regierung Dollfuß zu schwächen und Mussolini für eine politische Änderung in Österreich zu gewinnen. Von Mitte Mai bis zum 25. Juli erlebte Österreich mit 1530 Gewalttaten die größte Anschlagswelle seit Bestehen der Republik. Spektakulär waren die beiden Sprengstoffanschläge auf das Salzburger Festspielhaus und das Salzburger Erzbischöfliche Palais im Mai 1934. Um den von der NSDAP gewünschten propagandistischen Erfolg dieser Aktionen zu unterbinden, hatte sich die Bundesregierung zu einer weitgehenden Nachrichtensperre entschlossen, sodass der Anschlag auf das Salzburger Festspielhaus von der »Salzburger Chronik« erst am 23. Mai unter Hinweis auf eine in der »Reichspost« veröffentlichte Äußerung des Bundeskommissariats für Propaganda gemeldet wurde. Dieses hatte erklärt, dass man seitens des Deutschen Reiches mit allen Mitteln versuche, den wirtschaftlichen Aufschwung Österreichs zu verhindern. Deshalb setze man zahlreiche Aktionen gegen den Fremdenverkehr wie kürzlich jenen gegen das Salzburger Festspielhaus.175 Auch der oberösterreichische Landeshauptmann Heinrich Gleißner sprach in einer Rede in Schärding am 22. Mai von »scharfen Anschlägen wie in Salzburg auf das Festspielhaus.«176 Bereits am 17. Mai war Schloss Leopoldskron, Reinhardts Residenz in Salzburg, Ziel eines nationalsozialistischen Bombenanschlags gewesen. Hatte die zur Verhinderung weiteren Schadens für die ohnedies wirtschaftlich schwer angeschlagenen Salzburger Festspiele verhängte amtliche Nachrichtensperre beim spektakulären Anschlag auf das Fest174 Ross  : Hitler und Dollfuß. S. 210. Vgl. dazu ADAP. Bd. II/2. S. 739f. und 770f. 175 Reichspost 23.5.1934. S. 4  ; Salzburger Chronik 23.5.1934. S. 5. 176 Linzer Volksblatt 22.5.1934. S. 5.

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spielhaus und Schloss Leopoldskron offensichtlich noch weitgehend funktioniert, so war dies beim Anschlag auf das Erzbischöfliche Palais am 23. Mai nicht mehr der Fall. Die »Salzburger Chronik« berichtete auf der ersten Seite ausführlich über den Anschlag, bei dem u. a. 160 Fensterscheiben zu Bruch gingen.177 Am 6. Juni erklärte Dollfuß im Ministerrat, es habe wohl keinen Sinn mehr, in amtlichen Erklärungen mit Rücksicht auf den Fremdenverkehr die Ereignisse abzuschwächen. Vielmehr müsse man offensiv agieren und in Zukunft jeden Terrorakt verlautbaren. Man werde auch überlegen müssen, Sprengstoffattentate standgerichtlich zu ahnden, d. h. die Todesstrafe zu verhängen. »Sowohl der In- als auch der Ausländer müssten den Eindruck bekommen, dass die Festigkeit der Regierung die Ereignisse überwinden werde. Es wäre ein schlechter Eindruck, dass die Dinge nur darum überwunden werden, dass sich eine fremde Macht in unserem Interesse bemüht habe. Die Regierung selbst müsse als stark genug und das Land als kräftig genug angesehen werden, um solche kritische Zeiten zu überwinden.« In der anschließenden Diskussion wies Bundesminister Emil Fey darauf hin, dass sich eine neuerliche Offensive der Nationalsozialisten zeige. Dies manifestiere sich in massiv zunehmenden Sprengstoff- und Böllerattentaten. In seiner ausführlichen Erklärung ging er auch auf die Taktik der Terrorgruppen der illegalen NSDAP ein und wies bedauernd darauf hin, dass die relativ geringe Erfolgsquote der Polizei bei der Verfolgung der Täter auf Sympathisanten in der Exekutive und die Duldung sowie Sympathie in großen Teilen der Bevölkerung zurückzuführen sei. »Es seien im Lande selbst Terrorgruppen mit dem raffiniertesten System aufgestellt worden, bei denen jeder Funktionärsposten und jedes Mitglied vierfach besetzt ist, damit, wenn einer erwischt werde, automatisch ein anderer an dessen Stelle treten könne. Jede Terrorgruppe sei so gegliedert, dass sie aus 4 bis 5 Mann bestehe, von denen nur einer in einer zweiten drinnen sei. Dies erschwere jede Verfolgung, denn selbst wenn man einen oder den anderen Täter erwischt habe und selbst wenn dieser bereit sein sollte auszuplaudern, so sei nicht viel zu erfahren, weil der Betreffende über seinen Rahmen hinaus andere Personen kaum kenne. Sprengmittel stünden den Leuten in Hülle und Fülle zur Verfügung. Vielfach werden diese Sprengmittel aus dem Auslande hereingeschmuggelt und zwar werden nicht große Transporte gemacht, sondern die Leute kommen mit kleinen Paketen und Rucksäcken an Stellen herüber, die nicht besetzt sind und deponieren die Materialien nach kurzer Strecke an einem vorher vereinbarten Ort, wo sie von inländischen Parteigängern abgeholt werden. Außerdem stünden Sprengmittel in größeren Mengen auch schon deshalb zur Verfügung, weil unser Gesetz diesbezüglich eine ziemliche Bewegungsfreiheit lasse. Dazu komme, dass wir eine Reihe von Unternehmungen hätten, bei denen ziemlich große Mengen von Sprengmitteln lagern. Und von denen immer wieder Meldung 177 Salzburger Chronik 24.5.1934. S. 1.

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einlange, dass dort solche Sprengmittel gestohlen worden seien. Schließlich werde die Erzeugung von Sprengmitteln auch gelehrt, die Erfahrung habe gezeigt, dass die meisten der Terrorattentäter die Sprengkörper selbst herstellen, mit Ausnahme vielleicht der Papierböller, die von draußen bezogen werden. Als Folge dieser seit einiger Zeit beobachteten Vorbereitung sei nun die Terrortätigkeit wiederaufgelebt und zwar verstärken sich hierbei die schweren Anschläge. Insbesondere sei es auf die Bahnen abgesehen. Ein besonders schwerer Anschlag sei vor 8 bis 10 Tagen gegen das erzbischöfliche Palais in Salzburg und die Festspielhalle unternommen worden. Es sei gelungen, den Attentäter gegen das erzbischöfliche Palais zu erwischen. Bei ihm sei auch ein Brief gefunden worden, in dem er der Landesleitung in München melden sollte, dass er laut Befehl die Aktion gegen das erzbischöfliche Palais und gegen das Gasthaus Oberreder durchgeführt habe. (…) Was den Umstand anlangt, dass verhältnismäßig wenig Täter erwischt worden seien, so sei es außer Zweifel, dass, wie heute überall, wahrscheinlich unter der Polizei und Gendarmerie da und dort Personen darunter seien, die nicht nur gesinnungsmäßig in der entsprechenden Richtung eingestellt seien, sondern auch in irgendeiner Form gemeinsame Sache mit den Terroristen machten, durch Warnungen, nicht sofortiges Einschreiten etc. Redner glaube jedoch, dass (…) die Ursachen, warum verhältnismäßig wenig Täter erwischt werden, seien hauptsächlich anderer Natur. Erstens handle es sich nicht um Einzelverbrechen, sondern um eine Aktion, die auf das ganze Land ausgesehnt sei und auch in einem Großteil der Bevölkerung Duldung und vielleicht auch Unterstützung finde, dass die Objekte, an denen die Attentate verübt werden, insbesondere die Bahnanlagen, ungemein ausgedehnt seien, vielfach in unbewohnten Gegenden liegen und dass die Art der Sprengung, wie sie durchgeführt werde, an Ort und Stelle keine besonderen zeitraubenden Manipulationen erfordere.« Der Präsident des Österreichischen Verkehrswerbung-Werbedienstes, Franz Georg Strafella, berichtete über die bereits im Fremdenverkehr feststellbaren wirtschaftlichen Folgen der Attentatswelle. Anlässlich seines Englandaufenthalts habe ihn der österreichische Gesandte Georg Franckenstein bei einem Frühstück »mit den Führern der englischen Reisebüros zusammengebracht (…), um eine Aussprache über die Möglichkeiten der Intensivierung des Fremdenverkehres aus England nach Österreich abzuführen. Einen wesentlichen Punkt der Erörterungen habe damals – das sei zwei Tage vor den ersten Eisenbahnattentaten gewesen – die Frage gebildet, wie man die englischen Kreise davon überzeugen könnte, dass in Österreich volle Ruhe herrsche. Bereits am 17. Mai sei ihm von den größten englischen Reisebüros mitgeteilt worden, dass ihnen anonyme Zeitungsausschnitte über Bombenanschläge in Österreich zugesendet worden seien. Es habe sich dabei um vorjährige Ausschnitte gehandelt, bei denen die Datumangabe weggeschnitten worden sei. Damals sei ihm in London gesagt worden, man würde es für zweckmäßig halten,

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wenn der Bundeskanzler aus Anlass der Beendigung der österreichischen Ausstellung in London in irgendeiner Form darauf aufmerksam machen würde, dass der Verkehr nach Österreich nicht gefährdet sei. Dabei seien die Leute damals noch sehr empfindlich gewesen und hätten Wert daraufgelegt, dass diese Feststellung überaus vorsichtig geschehe, nicht im Wege eines Dementis. Aber schon damals sei ihm erklärt worden, dass man seitens der englischen Reisebüros den Verkehr nach Österreich nur dann forcieren könne, wenn die Gewähr bestehe, dass in Österreich volle Ruhe herrscht. Bereits die ersten Mitteilungen von den vorgekommenen Attentaten hatten eine wesentliche Abnahme des Interesses an Österreich hervorgerufen. Noch im vergangenen Winter seien um 72 Prozent mehr Engländer nach Österreich gekommen als im Vorjahre. Im österreichischen Reisebüro in England sei die Zahl der Nachfragenden um über 100 Prozent größer gewesen gegenüber der gleichen Zeit des Vorjahres.« Besonders die Anschläge auf Bahnlinien hätten erhebliche Folgen für den Fremdenverkehr nach sich gezogen. »Durch die Tausendmark-Sperre sei angesichts der statistisch erwiesenen Anzahl von fast vier Millionen Übernachtungen deutscher Reichsangehöriger ein Verlust von ungefähr 120 Millionen Schilling eingetreten. Durch eine entsprechende Propaganda sei es gelungen, einen ansehnlichen Ersatz aus England sowie auch aus Frankreich zu bekommen, wo die Verstimmung über die Februarereignisse allmählich geschwunden sei. Dieser Aufschwung hätte zwar den deutschen Verkehr nicht zur Gänze ersetzen, wohl aber den Verlust wesentlich hereinbringen können. Man hätte mit einer Ziffer von zirka 6 bis 7 Millionen Übernachtungen rechnen können  ; bestimmt sei die Hälfte dieser Übernachtungsziffer verloren gegangen. Diese zirka 3 Millionen Übernachtungen entsprächen einem Verlust von zirka 90 bis 100 Millionen Schilling. Die Bedeutung des Fremdenverkehrs für Österreich sei klar  ; derselbe sei bei uns eine Aktivpost im Gegensatz zu Deutschland, England usw. und stehe hinter dem Verkehr der Schweiz nur minimal zurück.« Der Fremdenverkehr weise eine Aktivbilanz von ca. 300 Millionen Schilling auf und sei damit in der Lage, das Handelsbilanzdefizit in der Höhe von 350 Millionen Schilling weitgehend auszugleichen. Der nunmehr durch die Attentatsserie zu erwartende Verlust von 100 bis 150 Millionen Schilling sei nicht nur ein finanzielles, sondern vor allem auch ökonomisches und soziales Problem mit erheblichen politischen Folgen vor allem für die Alpenländer, in denen bis zu 70 Prozent der Regionalwirtschaft vom Fremdenverkehr abhängig sei. Es sei daher ein besonderes Problem, dass erhebliche Teile der Bevölkerung offensichtlich mit den Bombenlegern sympathisierten und damit ihre eigene Existenz gefährdeten. Neben dem Fremdenverkehr aus dem Ausland habe jedoch auch der Inlandsverkehr erheblich gelitten. »Schon im vorigen Jahr hätten es viele Wiener nicht gewagt, in inländische Sommerfrischen und Kurorte zu gehen und seien deshalb ins Ausland gegangen. Der vorjährige Inlandsverkehr sei daher um zirka 15 Prozent schlechter gewesen. Es sei vollkommen klar, dass die Terroraktion den Zweck verfolge, den

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Fremdenverkehr in Österreich zu unterbinden, wenn nicht zu zertrümmern.« Auch für Vizekanzler Starhemberg war es offensichtlich, dass die deutsche Politik darauf abziele, den österreichischen Fremdenverkehr »zu vernichten, um (…) unsere Bevölkerung mürbe zu machen und dabei der Regierung die Schuld in die Schuhe zu schieben.«178 Als Ergebnis der Besprechung des Ministerrats verfasste Gesandter Theodor Hornbostel am 8. Juni 1934 einen Zirkularerlass an alle Gesandtschaften, in dem er darauf hinwies, dass »die seit länger als einem Jahr gegen Österreich geführte Hetzkampagne der deutschen Nationalsozialisten« nach einer vorübergehenden Beruhigungsphase »wieder den Höhepunkt erreicht, auf welchem sie zuletzt in den ersten Wochen des laufenden Jahres gestanden hatte. (…) Wenn auch das Endziel dieser terroristischen Aktion wohl die ›Gleichschaltung‹ Österreichs geblieben sein dürfte, die vom nationalsozialistischen Regime in Deutschland als einziger außenpolitischer Erfolg angestrebt und ersehnt wird, so lässt doch eine Zusammenfassung der jetzt gegen das österreichische Regime gerichteten nationalsozialistischen Aktivität deutlich erkennen, dass sich diese Gegner Österreichs vorerst das konkrete Ziel gesteckt haben, Österreichs Wirtschaft durch die Vernichtung des für sie unentbehrlichen Fremdenverkehrs empfindlich zu treffen. In der Tat richten sich Presse- und Rundfunkhetze, Propaganda von Mund zu Mund, durch Agenten, Schriften und Flugzettel, wie auch die verbrecherischen Terrorakte im Wesentlichen gegen den Fremdenverkehr unseres Landes, der trotz der vor einem Jahre verhängten Absperrung des deutschen Fremdenzuzuges nach Österreich bei weitem nicht die erwartete zahlenmäßige Schrumpfung erfahren, ja in qualitativer Beziehung sogar eine beträchtliche Aufwärtsentwicklung gezeigt hat. (…) Die Bundesregierung stellt diesen, allen Begriffen von Ethik und Zivilisation, wie sie Gemeingut der Kulturwelt sind, hohnsprechenden Versuchen der schweren wirtschaftlichen Schädigung eines kleinen europäischen Kulturstaates gegenüber fest, dass sie nicht nur gewillt, sondern auch vollkommen in der Lage ist, Ruhe und Ordnung im Lande wie bisher aufrechtzuerhalten.«179 178 MRP 947 Konzept 947. Zu den Ausführungen Strafellas vgl. auch Neue Freie Presse 27.5.1934. S. 4. 179 ADÖ 9/1452. Gleichzeitig wandte sich das Außenministerium mit einem Telegramm an den österreichischen Gesandten in Rom, Anton Rintelen, mit der Aufforderung, Staatssekretär Fulvio Suvich vor allem auch mit Blick auf das für 14./15. Juni anberaumte Treffen Mussolinis mit Hitler in Venedig mitzuteilen, dass »die Bundesregierung fest entschlossen ist, diesem verbrecherischen Treiben mit allen Mitteln und raschestens ein Ende zu bereiten und bereits wirksame Maßnahmen getroffen hat (verschärfte Handhabung des Standrechtes, rücksichtslose Säuberung Beamtenkörpers  ; Vermehrung Gendarmerie und Polizei, Bildung von Ortswehren, Verstärkung militärischen Schutzes an der österr.-­deutscher Grenze). Die Bundesregierung ist sicher, die Situation allein meistern zu können. Es wäre trotzdem für uns von größtem Wert, wenn Herr Mussolini hinsichtlich seiner voraussichtlichen baldigen Zusammenkunft

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Begleitet wurde diese Terrorwelle von zunehmenden Aktivitäten der »Österreichischen Legion« vor allem an der bayerisch-österreichischen Grenze. Die Meldungen über Schießereien und Zwischenfälle an der Grenze häufen sich und bewirkten internationale Aufmerksamkeit, sodass sich Außenminister Konstantin von Neurath am 24. Mai gezwungen sah, bei Regierungs- und Parteistellen zu intervenieren, »um diesem Zustand ein Ende zu setzen.« Die »Österreichische Legion«, so der Außenminister, maße sich einen förmlichen »Grenzüberwachungsdienst« an und führe sogar Grenzpatrouillen und Passkontrollen durch. Da die Aktionen im Einvernehmen mit der Bayerischen Politischen Polizei erfolgten, bestehe die Gefahr, dass die Reichsregierung dafür völkerrechtlich zur Verantwortung gezogen werde. Die Grenzzwischenfälle seien »nachgerade (…) unerträglich« geworden und würden für die Reichsregierung zu »einer starken außenpolitischen Belastung.«180 Im Vorfeld des Treffens von Venedig am 14./15. Juni war es Habicht gelungen, dass die Positionen der österreichischen NSDAP in die Verhandlungsgrundlage Hitlers in der Österreich-Frage vollständig übernommen wurden. Die Erwartungshaltung der österreichischen Landesleitung in München in das Treffen von Venedig war daher entsprechend hoch, da man mit einem Einschwenken Mussolinis zumindest auf Teilbereiche des Forderungsprogramms rechnete. Hitler erklärte im ersten zweistündigen Gespräch unter vier Augen in Stra Mussolini gegenüber die Position des Deutschen Reiches in der Österreich-Frage in fünf Punkten  : die Unabhängigkeit Österreichs stehe außer Diskussion, doch müssten Neuwahlen durchgeführt werden mit dem Ziel einer proportionalen Beteiligung der NSDAP an der Regierung, deren Chef eine parteiunabhängige Persönlichkeit sein sollte und Italien und das Deutsche Reich hätten sich über die Österreich-Frage zu einigen. Mussolini nahm die Erklärung Hitlers nur zur Kenntnis und enthielt sich jeder Stellungnahme zu den einzelnen Punkten. Lediglich bezüglich der Forderung nach einer unabhängigen Persönlichkeit an der Spitze der österreichischen Bundesregierung stellte er die Zwischenfrage, ob Hitler diesbezüglich an eine bestimmte Persönlichkeit denke. Hitler verneinte. Schließlich erklärte Mussolini Hitler gegenüber, dass an Verhandlungen so lange nicht zu denken sei, als der nationalsozialistische Terror anhalte und für längere Zeit keine Ruhe eintrete. Außerdem ergriff er für Dollfuß Partei und erklärte, dieser verteidige lediglich sein Land und kein Regierungschef werde sich bereit erklären, unter vom Ausland organisierten Terrorakten Verhandlungen welcher Art auch immer zu führen. Hitler befand sich damit in der Defensive, aus der er sich durch den wenig glaubhaften Einwand zu befreien hoffte, die in Österreich wieder aufgeflammte Terrorwelle gehe entweder von den Kommunisten aus oder mit Hitler die ihm möglich erscheinenden Konsequenzen aus der gegebenen Situation ziehen könnte. (…)« (ADÖ 9/1453.) 180 Ross  : Hitler und Dollfuß. S. 212f. Vgl. dazu auch ADAP. Serie C. Bd. II/2. S  : 821f. und S. 868ff.

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aber auch von österreichischen Nationalsozialisten, auf die allerdings die deutsche Reichsregierung keinen Einfluss habe.181 Das Treffen endete de facto ergebnislos, verleitete allerdings sowohl Hitler wie Außenminister Konstantin von Neurath zu dem Fehlschluss, dass Mussolini der Forderung nach einer neutralen Persönlichkeit an der Spitze der österreichischen Bundesregierung nicht widersprochen und damit der Forderung indirekt zugestimmt habe. Mussolinis höflicher Hinweis auf eine Abkehr von den von Habicht wieder angeordneten terroristischen Methoden als Voraussetzung für eine mögliche Verständigung zwischen Rom und Berlin wurde ignoriert.182 Erst ein ausführlicher Bericht des deutschen Botschafters in Rom, Ulrich von Hassell, an das Auswärtige Amt führte zu einer Rückkehr zu einer realistischen Sicht der Dinge. Hassell berichtete nach einem Gespräch mit Mussolini am 4. Juli, dass aus den knappen Erklärungen, die in Rom über das Treffen verlautbart worden seien, keine Zustimmung Mussolinis zu den fünf Punkten Hitlers abgelesen werden könne. Er habe sich lediglich mit der offiziellen Formulierung von Staatssekretär 181 ADÖ 9/1455 A  ; Walter Rauscher  : Hitler und Mussolini. Macht, Krieg und Terror. – Graz/Wien/ Köln 2001. S. 210ff. Hitler wiederholte bei dem Treffen von Venedig die Position der österreichischen NSDAP, vor allem jene von Landesinspekteur Theo Habicht. Habicht hatte auch Kontakt zum österreichischen Gesandten in Rom, Anton Rintelen, aufgenommen, der in seinen Erinnerungen erklärte, er habe sich mit dem Landesinspekteur in Orvieto und Civitavecchia zu vertraulichen Zusammenkünften getroffen. »Habicht (…) hatte die Hoffnung nicht völlig begraben, dass eine vernünftige Wendung doch noch herbeigeführt werden könnte. Die täglich zunehmende Sorge, irgendein weiterer Konflikt würde die Parteidisziplin sprengen und spontan eine bewaffnete Auflehnung verzweifelter Volksgenossen gegen die Regierung und damit eine Katastrophe nicht absehbaren Ausmaßes heraufbeschwören, drängte andererseits zu einer Entscheidung. (…) Habicht eröffnete mir schließlich  : Für den Fall, dass auf ein Einlenken der Regierung auch in zwölfter Stunde nicht mehr gerechnet werden könne, reife in der österreichischen Bewegung ein Plan heran, durch blitzartiges Zugreifen ohne jedwedes Blutvergießen eine Regierungsumbildung zu erzwingen. Aufgabe der neuen Regierung sollte sein, dem Volke die Möglichkeit zu geben, in freien Wahlen seinen Willen kundzutun und entsprechend dem Wahlergebnisse die inneren Verhältnisse legal zu ordnen. Er reche darauf, dass ich mich im gegebenen Augenblick zur Verfügung stellen werde. Ich erachtete es als meine Pflicht, auch das Gewicht meiner Person in die Waagschale des Ringens des deutschen Ostmarkvolkes um seine Freiheit zu werfen und mit in die Bresche zu springen. Den vertraulichen Gedankenaustausch setzte ich über Vermittlung Habichts mit dem Industriellen Dr. Rudolf Weydenhammer fort. Das zu neuer Stärke erwachte Reich und sein ans Wunderbare grenzender Aufschwung strahlten die Gewissheit aus, Österreich werde auf dem Wege ehesten Ausgleiches einer glückhaften Entwicklung entgegengehen, die ich als Kanzler einer Übergangsregierung anbahnen sollte.« (Anton Rintelen  : Erinnerungen an Österreichs Weg. 2. Aufl. – München 1941. S. 305f.) 182 Franz Müller  : Das »Dritte Reich« im Kampf gegen den »Ständestaat« 1933–1938. – In  : Michael Gehler, Rainer F. Schmidt, Harm-Hinrich Brandt, Rolf Steininger (Hg.)  : Ungleiche Partner  ? Österreich und Deutschland in ihrer gegenseitigen Wahrnehmung. Historische Analysen und Vergleiche aus dem 19. und 20. Jahrhundert. – Stuttgart 1996. S. 483–496. S. 488. (Historische Mitteilungen. Im Auftrage der Ranke-Gesellschaft, Vereinigung für Geschichte im öffentlichen Leben e. V., herausgegeben von Michael Salewski und Jürgen Elvert. Beiheft 15.)

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Suvich einverstanden erklärt, nicht jedoch mit deren Inhalt. Vielmehr habe er betont, dass man über Österreich erst dann verhandeln könne, wenn die Terrorwelle völlig eingestellt werde und der Duce habe sich von Dollfuß keineswegs distanziert, sondern ihm ausdrücklich den Rücken gestärkt. Er habe bei dem Gespräch ausdrücklich betont, dass man Dollfuß keine Verhandlungen zumuten könne, so lange die von den Nationalsozialisten inszenierten Gewalttätigkeiten andauerten. Die Unterstützung des Duces für Dollfuß komme auch darin zum Ausdruck, dass er den österreichischen Bundeskanzler für Ende Juli nach Riccione eingeladen habe. Außenminister Neurath informierte Hitler am 9. Juli über den ausführlichen Bericht Hassells und erreichte, dass sich Hitler von seiner Wunschinterpretation des Treffens von Venedig, dass Mussolini einem Wechsel an der Spitze der österreichischen Bundesregierung zugestimmt habe, verabschiedete. Die Österreich-Frage, so seine Erkenntnis, war alleine aufgrund der Haltung Italiens in absehbarer Zeit nicht im Sinne des Deutschen Reiches zu lösen. Man habe in dieser Frage momentan keine Eile, ließ er wissen. Für Habicht und die österreichische NSDAP ergab sich damit eine äußerst komplexe Situation, die aus einer Reihe von Entwicklungen resultierte  : 1. Das Treffen Hitlers mit Mussolini in Venedig hatte die Hoffnungen der österreichischen NSDAP-Führung auf eine politische Lösung zu ihren Gunsten zerstört und die Position der Regierung deutlich gestärkt. 2. Die aus Österreich, vor allem aus Wien, eintreffenden Berichte wiesen auf eine gefährliche psychologische Krise der Partei hin – teilweise massive Differenzen und Misstrauen zwischen SA-, SS- und Parteifunktionären, keineswegs einheitliche Befürwortung der Terrorpolitik, resignative Haltung bei einem wachsenden Teil der Parteimitglieder. Nach einer kurzen Phase der Beruhigung hatten die aktionistischen Kräfte die Oberhand gewonnen, die den Erfordernissen der deutschen Außenpolitik gleichgültig gegenüberstanden und auf einen gewaltsamen Umsturz drängten. Sowohl in der Landesleitung in München wie auch im Auswärtigen Amt in Berlin wurde beinahe resignierend festgestellt, dass sich die aktionistischen Teile der österreichischen NSDAP zunehmend der Kontrolle durch München bzw. Berlin entzogen. So bemerkte Konstantin von Neurath während des Treffens von Venedig gegenüber Fulvio Suvich besorgt, dass sich innerhalb der österreichischen NSDAP heftige Streitigkeiten entwickelt hätten und die Lage sich zunehmend der Kontrolle der Regierung in Berlin entziehe.183 Vor allem die österreichische SA unter Hermann Reschny und seinem Stabschef Hans Hugo von Kirchbach plante nach einer weiteren Eskalation der Terroranschläge im Herbst 1934 einen bewaffneten Aufstand. 3. Die Regierung Dollfuß agierte nach dem Februar 1934 und dem Treffen von Venedig durchaus selbstbewusst und erfolgreich gegen den Nationalsozialismus, wie die Meldungen des deutschen Gesandten in Wien, Kurt Rieth, an das Auswärtige 183 Ross  : Hitler und Dollfuß. S. 230.

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Amt in Berlin bewiesen. Die Hoffnungen auf ein Nachgeben der Regierung, dessen war man sich in der Landesleitung in München bewusst, hatten sich vor allem nach Venedig in Luft aufgelöst. Bei einer Fortführung der bisherigen Politik der weitgehend unkoordinierten und individuellen Terroraktionen bestand die wachsende Gefahr einer letztlich erfolgreichen Gegenstrategie der Regierung und damit der Zerschlagung der Partei. 4. Angesichts der zunehmend unübersichtlich werdenden Lage entschloss sich Habicht zum Handeln. Dieser Entschluss wurde von einer Reihe von Prämissen bestimmt  : a) Das weitgehend unkoordinierte Agieren des aktionistischen Teils der vor allem jüngeren Parteimitglieder zu bündeln und damit die entstandene psychologische Krise zu beseitigen. b) In der entstandenen Rivalität zwischen Partei und SS einerseits und SA andererseits galt es, die Initiative zu ergreifen und damit die Oberhand zu gewinnen, wobei auch die NS-Bartholomäusnacht des 30. Juni 1934 im Deutschen Reich im Lauf der Ereignisse eine erhebliche Rolle spielte. c) Die am 25. Juni einsetzenden konkreten Putschplanungen wurden von einer Koalition aus der Münchner Landesleitung, der SS und dem in die SA gewechselten Steirischen Heimatschutz unter Ausschaltung der österreichischen SA-Führung in München, die eine Erhebung für den Herbst plante, vorangetrieben. Allerdings erfuhr Hermann Reschny, der im bayerischen Exil lebende Führer der österreichischen SA, bereits im Mai durch seinen Stellvertreter in Österreich, Oskar Türk, von den Putschplanungen und versuchte diese durch eine Doppelstrategie zu durchkreuzen  : Er ließ durch den Wiener SA-Führer Franz Hamburger die Namen der Verschwörer – Gustav Wächter, Fridolin Glass und Rudolf Weydenhammer – an die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit weitergeben und entwickelte im Juni einen Plan zur Ermordung von Dollfuß, für den auch die Attentäter namhaft gemacht und nach Wien abkommandiert wurden. Am 20. Juli schrieb der Salzburger Landesleiter der Vaterländischen Front, Bernhard Aicher, an Bundeskanzler Dollfuß, er erachte es als seine Pflicht, von dem Bericht seines »Konfidenten Mitteilung zu machen. Nach seinen Aussagen hat eine Terrorgruppe den Auftrag bekommen, Persönlichkeiten, die führend tätig sind, aus dem Weg zu räumen. Insbesondere ist der NSDAP daran gelegen, dich ehestbaldigst zu vernichten, da nach ihrer Anschauung mit deinem Verschwinden der Weg offen wäre.«184 Reschnys Plan, mit 184 Zit. bei Robert Kriechbaumer (Hg.)  : Österreich  ! und Front Heil  ! Aus den Akten des Generalsekretariats der Vaterländischen Front. Innenansichten eines Regimes. – Wien/Köln/Weimar 2005. S. 284.

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der Ermordung von Dollfuß einen Regierungswechsel in Österreich herbeizuführen185 und damit den Plan Habichts obsolet werden zu lassen und die Stellung der SA zu stärken, wurde erst wenige Tage vor dem Putsch Makulatur, als Reschny in die Putschpläne, wenn auch nur kursorisch, eingeweiht wurde. Das Machtspiel zwischen Partei/SS und SA war entschieden, als unter allen Beteiligten klar wurde, dass der Plan Habichts die Unterstützung Hitlers hatte. Vor dem Hintergrund der Ereignisse des 30. Juni akzeptierte die österreichische SA-Führung um Reschny die Entwicklung, jedoch widerwillig. Seine Zusicherung, die Mobilisierung der SA in den Bundesländern als Unterstützung des Wiener Putsches, gab aufgrund des folgenden Desasters – ein weitgehend völlig unkoordiniertes Vorgehen und ein von mangelnder Bewaffnung und Bereitschaft gekennzeichneter Kampf mit einem überlegenen Gegner, dessen quantitative Stärke und Kampfkraft man offensichtlich unterschätzt hatte – Anlass zu einer heftigen parteiinternen Kontroverse. d) Die nach München gelangten Meldungen aus Wien ließen bei Habicht den Eindruck der Inhomogenität des Regierungslagers186 und der Neutralität oder gar Bereitschaft großer Teile der Exekutive zur Solidarisierung mit den Putschisten entstehen.187 Am 18. Juni schrieb Habicht in einem Bericht über die Lage in Österreich (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 23.) 185 Reschnys Plan der Ermordung von Dollfuß war mit ziemlicher Sicherheit mit Hitler nicht abgesprochen, wahrscheinlich an den deutschen Parteistellen vorbeientwickelt worden. Berlin hatte nämlich zu diesem Zeitpunkt kein Interesse an außenpolitischen Komplikationen vor allem mit Italien, die im Fall einer Ermordung des österreichischen Bundeskanzlers durch die österreichische SA eingetreten wären. Hitler bevorzugte den Plan Habichts, der von einem unblutigen Regierungswechsel ausging, der sich gegenüber dem Ausland als rein innerösterreichische Angelegenheit verkaufen ließ. Hitler glaubte der Versicherung Habichts, dass die österreichische Exekutive einem Regierungswechsel mit einem Bundeskanzler Anton Rintelen positiv gegenüberstehen würde, 186 Emil Fey war am 1. Mai 1934 von Engelbert Dollfuß im Zuge einer Regierungsumbildung als Vizekanzler abberufen und durch seinen Heimwehr-internen Rivalen Rüdiger Starhemberg in dieser Funktion ersetzt worden. Fey hatte damit einen erheblichen Prestigeverlust erlitten, blieb jedoch Sicherheitsminister. Am 10. Juli übernahm Dollfuß selber das Sicherheitsministerium und degradierte Fey zum Minister ohne Portefeuille sowie zum »Generalkommissär für außerordentliche Sicherheitsmaßnahmen zur Bekämpfung staatsfeindlicher Bestrebungen in der Privatwirtschaft«. Aufgrund dieser machtpolitischen Demontage entstanden zahlreiche Gerüchte, Fey plane einen Staatsstreich. 187 Diese falsche Meldung stammte u. a. von den illegalen Nationalsozialisten Oberstleutnant Adolf Sinzinger, Stabschef beim Stadtkommando Wien des österreichischen Bundesheeres, vom Dechiffrierungsexperten des Verteidigungsministeriums, Major Wilhelm Ergert, der bei den Putsch-Vorbesprechungen in München anwesend war und Oberst Maximilian de Angelis in der Operationsabteilung des Generalstabes. Darüber hinaus gab es eine Reihe von teilweise hohen Offizieren wie den steirischen Bundesheerkommandanten Generalmajor Ferdinand Pichler, der Rintelen gegenüber

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an Gesandtschaftsrat Hermann Hüffer  : »Die Lage der Regierung Dollfuß wird (…) neuerdings dadurch erschwert, dass die Zuverlässigkeit eines großen Teiles der Exekutive immer ungewisser wird.«188 Günstig für einen Umsturz schien zudem, dass man mit Anton Rintelen eine prominente Alternative zu Engelbert Dollfuß präsentieren konnte. Rintelen hatte bereits bei Gesprächen mit Rudolf Weydenhammer, dem Stabsleiter der NSDAP-Landesleitung Österreich und späteren Chefkoodinator des geplanten Putsches, in Rom am 7. und 8. März 1934 die NSDAP in dem Wissen um Spannungen im Regierungslager aufgefordert, einen Keil zwischen Heimwehr und Vaterländische Front zu treiben, zwischen denen zunehmend schärfere Gegensätze bestünden. Im derzeitigen innerösterreichischen Machtgefüge, d. h. wenige Wochen nach dem Bürgerkrieg, so Weydenhammer in seinem Bericht über die Besprechung, käme zunächst Emil Fey, dann Ernst Rüdiger Starhemberg »und dann lange nichts und nochmals nichts und dann erst Dollfuß. (…) Er riet dazu, Fey, Starhemberg und die Heimwehren etwas besser zu behandeln und ihnen gewisse Hoffnungen auf Verständigungsmöglichkeiten mit der Partei zu machen, da diese im Falle einer derartigen Rückendeckung sich sofort dazu entschließen würden, sich aggressiv gegen Dollfuß und seine verbündete Vaterländische Front zu benehmen. Er hielt sogar (…) es im Bereich der Möglichkeit gelegen, dass Fey oder Starhemberg bei entsprechenden Zusicherungen bezüglich ihrer Person Dollfuß abservierten und der NSDAP in den Sattel helfen.«189 Tatsächlich nahm Fey nach der von Dollfuß vorgenommenen Regierungsumbildung am 10. Juli und seiner Degradierung zum Minister ohne Portefeuille über seinen Adjutanten, den Kommandanten der Wiener Heimwehr Major Fritz Lahr, Kontakt zu nationalsozialistischen Kreisen auf, um die Möglichkeit der Bildung eines nationalen Übergangskabinetts unter Einbeziehung der NSDAP zu ventilieren, in dem er selber eine führende Position einnehmen sollte.190 Die Analyse und Empfehlung Rintelens schien sich damit zu bestätigen. Bei einer weiteren Besprechung mit Rudolf Weydenhammer in Rom am 11. Juli hatte er zudem darauf gedrängt, die Aktion unbedingt vor Ende Juli durchzuführen. Er begründete dies mit dem für Ende Juli geplanten Treffen Mussolinis mit Dollfuß in Riccione, vor dem unbedingt vollendete Tatsachen geschaffen werden müssten.

erklärt hatte, er würde bei einem Gelingen des Putsches sofort zur Verfügung stehen, oder den General der Infanterie Theodor Brandtner, der sich Weydenhammer gegenüber ähnlich äußerte. Vgl. Kurt Bauer  : Hitlers zweiter Putsch. Dollfuß, die Nazis und der 25. Juli 1934. – St. Pölten/Salzburg/Wien 2014. S. 206ff. 188 ADAP. Serie C. Bd. III/1. S. 44. 189 ADAP  : Serie C. Bd. II/2. S. 561. 190 Zu Annäherung Feys an die NSDAP vgl. Bericht des deutschen Gesandten Rieth an Staatssekretär von Bülow am 23. Juli 1934. ADAP. Serie C. Bd. III/1. S. 219.

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e) Die geplante Gefangennahme der Bundesregierung, des Rücktritts von Dollfuß und Betrauung Rintelens mit der Kanzlerschaft sowie das Stillhalten der Exekutive oder gar deren offenes Sympathisieren mit den Putschisten sollte den Eindruck einer innerösterreichischen Angelegenheit erwecken und vor allem Mussolini vor einer Intervention abhalten. f) Theo Habicht und seine engsten Mitarbeiter am Putschplan – der Rechtsanwalt, Hauptamtsleiter der österreichischen NSDAP und Stellvertreter Habichts in Österreich, Otto Gustav Wächter, der Stabsleiter der NSDAP-Landesleitung Österreich, Rudolf Weydenhammer, und der entlassene Bundesheerangehörige und Führer der illegalen SS-Standarte 89, Fridolin Glass – agierten keineswegs völlig autonom, sondern mit Wissen und Rückendeckung sowohl Hitlers wie auch seiner engsten Entourage.191 Er vermied jedoch eine klare, auch schriftlich festgehaltene, Stellungnahme, sondern beschränkte sich lediglich auf seine Zustimmung zum Putsch. Für seine nunmehr positive, wenn auch abwartende, Haltung waren vor allem zwei Momente ausschlaggebend  : sein ideologisch fundiertes außenpolitisches Credo und die Argumentation Habichts, deren entscheidender Punkt die suggerierte Mitwirkung der österreichischen Exekutive, vor allem des Bundesheeres, gewesen sein dürfte.192 Das vom österreichischen Landesleiter entworfene (unblutige) Szenario des Putsches ließ die Ereignisse in Österreich in einem rein innenpolitischen Licht erscheinen, das zur inneren Befriedung des Landes beitrug und damit eine in Berlin befürchtete Intervention der europäischen Mächte, vor allem Italiens, verhinderte und zudem über die Bildung einer Regierung der »nationalen Einheit« den Weg zum Anschluss öffnete. Erwies sich der Putsch als Fehlschlag, konnte man noch immer jede Mitwisser- und Mittäterschaft von sich weisen. Es war nicht die Stärke der österreichischen NSDAP, sondern deren Schwäche, die den Putsch am 25. Juli 1934 als Höhepunkt der terroristischen Offensivstrategie gegen die Regierung Dollfuß auslöste. Die aufgrund der Rivalitäten zwischen den beteiligten NS-Organisationen – Partei, SS und SA – und deren Protagonisten komplexe Geschichte des Putsches ist nicht Gegenstand dieser Darstellung. Bereits Gerhard Jagschitz hat in seiner grundlegenden Studie darauf hingewiesen, dass es 191 Generaloberst Wilhelm Adam, seit Herbst 1933 Kommandierender General des Wehrkreises VII mit Standort München, berichtet in seinen Erinnerungen, Hitler habe ihn am 25. Juli 1934 um 9 Uhr früh nach Bayreuth bestellt und erklärt, die österreichische Regierung würde heute gestürzt und Rintelen neuer Bundeskanzler werden. Die Österreichische Legion werde ohne Waffen die Grenze nach Österreich überschreiten, aber in Österreich mit deutschen Waffen versorgt werden. Er, Adam, solle alle entsprechenden Vorbereitungen treffen, um die Waffen rechtzeitig an die Österreichische Legion übergeben zu können. (Gottfried-Karl Kindermann  : Österreich gegen Hitler. Europas erste Abwehrfront 1933–1938. – München 2003. S. 213.) 192 Ian Kershaw  : Hitler 1889–1936. – Stuttgart 1998. S. 658.

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sich bei den Ereignissen in Wien und in den Bundesländern um zwei weitgehend selbstständige Unternehmen handelte.193 Hans Schafranek hat in seiner Darstellung der Ereignisse die Trennung Wien/Bundesländer in eine Achse Wien/Steiermark/ Tirol versus Kärnten/Oberösterreich/Salzburg korrigiert. Organisatorisch und personell handelte es sich um ein parteiinternes geheimes Bündnis der NSDAP-Landesleitung Österreich unter Theo Habicht, der österreichischen SS, den zu SA-Führern gewandelten ehemaligen Leitern des Steirischen Heimatschutzes Konstantin Kammerhofer, Hanns Rauter und Rudolf von Meyszner und der Tiroler SS194 unter weitgehender Ausschaltung der SA-Führung unter Hermann Reschny. Er wurde im Vorfeld nur fragmentarisch informiert und sollte lediglich dafür Sorge tragen, dass gleichzeitig mit der Machtübernahme in Wien auch ein Aufstand der starken SA-Verbände in den Bundesländern erfolgte.195 Aus der komplexen Gemengelage von unterschiedlichen politischen Konzepten und persönlichen Rivalitäten und letztlich der Nachwirkung der Ereignisse des 30. Juni (Liquidierung der SA-Führung um Ernst Röhm und damit Ausschaltung der SA als militärischer Machtfaktor im Deutschen Reich) resultierte die Ungleichzeitigkeit des Putsches. Während in der Steiermark die Erhebung gleichzeitig mit dem NS-Putsch in Wien losbrach,196

193 Gerhard Jagschitz  : Der Putsch. Die Nationalsozialisten 1934 in Österreich. – Graz/Wien/Köln 1976  ; Ders.: 25. Juli 1934  : Die Nationalsozialisten in Österreich. – In  : Rolf Steininger, Michael Gehler (Hg.)  : Österreich im 20. Jahrhundert. Ein Studienbuch in zwei Bänden. Band 1  : Von der Monarchie bis zum Zweiten Weltkrieg, - Wien/Köln/Weimar 1997. S. 257–287. 1938 entstand der Bericht der Historischen Kommission des Reichsführers SS über den Juli-Putsch mit dem Ziel, die beteiligten Putschisten zu rehabilitieren und einen Prozess gegen den in Gestapo-Haft genommenen ehemaligen Bundeskanzler Kurt Schuschnigg vorzubereiten. Dieser entsprechend einseitige Bericht erschien 1965 im Europa-Verlag und wurde mit zusätzlichen Quellen versehen. Vgl. Die Erhebung der österreichischen Nationalsozialisten im Juli 1934. Akten der Historischen Kommission des Reichsführers SS. – Wien/Frankfurt am Main/Zürich 1965. 194 Harald Walser  : Der Juli-Putsch 1934 in Tirol. – In  : Thomas Albrich, Klaus Eisterer, Rolf Steininger (Hg.)  : Tirol und der Anschluss. Voraussetzungen, Entwicklungen, Rahmenbedingungen 1918– 1938. – Innsbruck 1988. S. 331–356. (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte, herausgegeben von Rolf Steininger, Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck. Band 3.) 195 Hans Schafranek  : Sommerfest mit Preisschießen. Die unbekannte Geschichte des NS-Putsches im Juli 1934. – Wien 2006. Grundlegend für neuere Forschungsergebnisse auch Kurt Bauer  : Elementar-Ereignis. Die österreichischen Nationalsozialisten und der Juliputsch 1934. – Wien 2003  ; Ders.: Hitler und der Juliputsch 1934 in Österreich. Eine Fallstudie zur nationalsozialistischen Außenpolitik in der Frühphase des Regimes. – In  : Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 2011/2. S. 193–227  ; Ders.: Hitlers zweiter Putsch. Dollfuß, die Nazis und der 25. Juli 1934. – St. Pölten/Salzburg/Wien 2014. Zur Rolle der Wiener SS vgl. Christiane Rothländer  : Die Anfänge der Wiener SS. – Wien/Köln/ Weimar 2012. S.  444ff. 196 Herbert Blatnik  : Vorgeschichte und Verlauf des NS-Putschversuches in der Steiermark. – In  : Hans

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folgten Kärnten197 und Oberösterreich198 erst am 26. und 27. Juli, Salzburg sogar erst am 27. und 28. Juli. Dadurch entstand der keineswegs völlig falsche Eindruck, dass es sich um zwei kaum miteinander verbundene Unternehmen von unterschiedlichen NS-Gruppierungen gehandelt habe.

Schafranek, Herbert Blatnik (Hg.)  : Vom NS-Verbot zum »Anschluss«. Steirische Nationalsozialisten 1933–38. – Wien 2015. S. 194–267. 197 Alfred Elste  : Die illegale NSDAP (1933–1938). – In  : Ders., Dirk Hänisch  : Auf dem Weg zur Macht. Beiträge zur Geschichte der NSDAP in Kärnten von 1918 bis 1938. – Wien 1997. S. 209–344. S. 269ff. (Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte Band 8. Herausgegeben von Anton Pelinka und Helmut Rumpler.)  ; Christian Klösch  : Des Führers heimliche Vasallen. Die Putschisten des Juli 1934 im Kärntner Lavanttal. – Wien 2007. 198 Harry Slapnicka  : Oberösterreich zwischen Bürgerkrieg und »Anschluss« 1927–1938. – Linz 1979. S. 190ff. (Beiträge zur Zeitgeschichte Oberösterreichs Band 2. Herausgegeben vom Oberösterreichischen Landesarchiv.)

6. Zwischen Chaos und Rivalitäten Der Juliputsch 1934 der NSDAP in Salzburg

In Salzburg entwickelte die NSDAP trotz ihres Verbotes im Juni 1933 eine ungebrochene Tätigkeit und Dynamik. Für diese Entwicklung waren drei Gründe ausschlaggebend  : das Spezifikum der Politischen Kultur, die Dauer und Intensität der Wirtschaftskrise, vor allem der Agrarkrise, und die unmittelbare geografische Nähe zum Deutschen Reich. Die NSDAP hatte bei der Landtagswahl im April 1932 einen erheblichen politischen Erfolg verbucht, indem sie – vor allem, jedoch nicht ausschließlich – auf Kosten des deutschnationalen Lagers, das politisch marginalisiert wurde, zur Mittelpartei aufstieg und mit 6 Mandaten in den Salzburger Landtag einzog. Der Wahlerfolg hatte zur Folge, dass die Salzburger NSDAP wiederum den Status eines eigenen Gaues erhielt. Die Partei erfreute sich eines deutlich steigenden Zuspruchs sowohl innerhalb der städtischen Zentren, vor allem der Landeshauptstadt, als auch im gesamten Bundesland, in dem die Zahl der Ortgruppen zwischen Mai 1932 und April 1933 von 23 auf 123 anstieg. Die Entwicklung der Politischen Kultur Salzburgs folgte jener der Konjunkturen der Habsburgermonarchie und der Ersten Republik. Dominierte in den Sechzigerund frühen Siebzigerjahren des 19. Jahrhunderts der Liberalismus als Bündnis von Wirtschaftsbürgertum, Gewerbe und Intelligenz sowie großen Teilen des Klerus, so erfolgte ab Mitte der Siebzigerjahre infolge des Börsenkrachs und des ausbrechenden Kulturkampfes eine Spaltung in einen vorwiegend urbanen Liberalismus und einen ländlichen katholischen Konservativismus. Nur die Gruppe der Großbauern, Wirte und des Landbürgertums wie Ärzte, Rechtsanwälte und Lehrer entzog sich dem ländlichen katholischen Konservativismus, der sich während des Kulturkampfes zum politischen Katholizismus gestaltete. Die ersten strukturellen Fragmentierungslinien – Stadt versus Land, Katholizismus/Klerikalismus versus Laizismus – waren damit gezogen. Die im späten 19. Jahrhundert einsetzende Industrialisierung sowie der Nationalitätenkonflikt ließen durch das Aufkommen der Sozialdemokratie die Fragmentierungslinie Besitz/Kapital versus Arbeit und innerhalb des urbanen Liberalismus jene zwischen den vom Besitzbürgertum repräsentierten Liberalismus und dem von (Klein)Gewerbetreibenden, Freiberuflern, Lehrern und mittleren Beamten vertretenen Deutschnationalismus inklusive dessen Antisemitismus entstehen. Der Deutschnationalismus/-liberalismus löste den aufgrund seiner sozialen Exklusivität letztlich in der entstehenden modernen Gesellschaft als politisch bestimmende Kraft nicht überlebensfähigen Liberalismus ab. Die letzte Formierungsphase der

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Politischen Kultur folgte durch den Siegeszug der industriellen Revolution inklusive Modernisierung der Lebenswelten, die fortschreitende Demokratisierung des Wahlrechts und das Entstehen der Massenparteien im Fin de Siècle.199 Der durch die drei Lager sowie deren jeweils spezifische Milieus und Lebenswelten – Christlichsoziale, Sozialdemokraten, Deutschnationale/-liberale – geprägten politischen Landschaft und Kultur korrespondierte die (partei)politische Geografie. Die Christlichsozialen dominierten die ländlichen Gebiete und sammelten sich als nicht dominierende Gruppierung in der Landeshauptstadt sowie den anderen urbanen Agglomerationen um das katholische Vereinswesen, die Sozialdemokratie hatte ihre Schwerpunkte in der Landeshauptstadt und deren Arbeitervororten Gnigl/Itzling und Maxglan sowie den wenigen Industrie- und Eisenbahnzentren. Der entlang sozialer Trennlinien – städtisches Bürgertum versus nationales Bauerntum – in zwei Parteien aufgespaltene Deutschnationalismus/-liberalismus (Großdeutsche Volkspartei, Landbund) konzentrierte sich in der Landeshauptstadt, den Städten und Märkten sowie dem Flachgau. Die bereits in der Habsburgermonarchie charakteristischen strukturellen Defizite des deutschnationalen Lagers blieben auch nach 1918 prägend  : Zersplitterung, persönliche Rivalitäten der Parteielite, mangelnde Organisationsstrukturen und das Fehlen einer eigenen Parteipresse. Die Folge war, dass unter dem Dach der Großdeutschen Volkspartei in der Stadt Salzburg in Wirklichkeit verschiedene nationale Fraktionen Unterschlupf fanden und damit eine kontinuierliche und berechenbare politische Linie kaum realisierbar war. Es war jedoch diese Unberechenbarkeit, die das in der Stadt Salzburg hohe bürgerliche Protestwählerpotenzial, das eher nationalen als christlichsozialen Ideen zuneigte, teilweise anzusprechen vermochte. Die Schwäche der Großdeutschen Volkspartei wurde bei der Gemeinderatswahl am 29. März 1931 deutlich, als sie von der jugendlichen, aggressiv auftretenden NSDAP weitgehend in die Defensive gedrängt wurde. Das sich ankündigende politische Erdbeben folgte bei der Landtagswahl im April 1932, bei der die Großdeutsche Volkspartei, ebenso wie der Landbund, ein politisches Desaster erlebte. Beide Parteien wurden marginalisiert, ihre Mandate im Salzburger Landtag gingen an die NSDAP, die damit zur Mittelpartei aufstieg. Das Stimmungsbild, das ein Kaufmann aus St. Johann in einem Brief an den Obmann der Großdeutschen Volkspartei, Hermann Foppa, übermittelte, hatte seine Bestätigung gefunden. »Sie sollen einmal sehen, wie bei der Landbevölkerung die Saat Adolf Hitlers aufgeht (…) Vom kleinen Kind angefangen bis zum alten Bauernmutterl, dem arbeitslosen Knecht und dem Arbeitslosen, alles ist 199 Zur Entwicklung der Politischen Kultur Salzburgs im 19. und frühen 20. Jahrhundert vgl. Hanns Haas  : Das liberale Zeitalter. – In  : Dopsch, Spatzenegger (Hg.)  : Geschichte Salzburgs. Band II/2. S.  718–832  ; Ders.: Vom Liberalismus zum Deutschnationalismus. – In  : Ebda. S. 833–900  ; Ders.: Bäuerliche Lebenswelt um 1900 – Katholisch-Konservative, Christlichsoziale und Deutschkonservative. – In  : Ebda. S. 901–933  ; Ders.: Arbeiterschaft und Arbeiterbewegung. – In  : Ebda. S. 934–990.

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begeistert von seinem Programm.«200 Die Faszination des Programms steigerte sich nach der sog. »Machtergreifung«, der virtuos inszenierten Choreografie der Macht, der verkündeten »nationalen Wiedergeburt« und »Arbeitsschlacht«, zwei Ankündigungen, die durch die ersten außenpolitischen Erfolge und das beginnende deutsche Wirtschaftswunder inklusive rapide sinkender Arbeitslosenzahlen ihre Bestätigung zu erhalten schienen. Wie und mit welchen Mitteln dieses Wirtschaftswunder erreicht wurde, interessierte weder die Millionen von Arbeitslosen im Deutschen Reich noch die Hunderttausende in Österreich. Mit der von der österreichischen Bundesregierung – dem internationalen Mainstream folgenden – angewandten Trias von Reduktion der Auslandsverschuldung, Budgetgleichgewicht und Währungsstabilität war den Folgen der Weltwirtschaftskrise nur sehr eingeschränkt beizukommen, weshalb man immer wieder gezwungen war, dieses Credo durch ad-hoc-Maßnahmen einer aktiven Wirtschaftspolitik wie staatlich geförderte Arbeitsbeschaffungsprogramme aufzuheben, wodurch der Eindruck mangelnder Konsequenz und Kontinuität entstand. So sehr dieser Vorwurf vom Standpunkt der Wirtschaftstheorie und auch aus dem Wissen um das Danach berechtigt sein mag, so ungerecht ist er aus der Sicht der handelnden Personen, die sich in der Praxis vor allem aufgrund der Faszination des nationalsozialistischen Deutschen Reiches einem nur schwer zu bewältigenden Problemhaushalt gegenübersahen. Den viel beschworenen »Kleinen Mann« und in zunehmendem Ausmaße auch die »Kleine Frau« interessierten jedoch weder wirtschafts- und finanzpolitische Theorien noch deren Niederschlag in staatlicher Finanz- und Wirtschaftspolitik, sondern seine/ihre persönliche Lebenssituation. In diesem Moment wurde die Macht der Bilder, wie immer sie erzeugt wurde, entscheidend. In der subjektiven Wahrnehmung entstand das Reich der Hoffnung und des Lichtes vor dem Hintergrund des Reichs der Depression und der Kultur der Armut. Die zunehmende Faszination des Nationalsozialismus jenseits der Grenze basierte nicht nur auf einer deutschnationalen Disposition, sondern, vor allem seit dem Verbot der Partei auch auf Erwartungshaltungen und Projektionen der individuellen Zukunft, die vor dem Hintergrund der als zukunftslos empfundenen Situation in Österreich umso heller erscheinen musste. Dies führte auch dazu, dass sich der asymmetrische Volksparteicharakter der österreichischen NSDAP durch den Zuzug von (arbeitslosen) Arbeitern allmählich in Richtung Symmetrie bewegte. Vor allem nach dem Februar 1934 betrieb die NSDAP neben der KPÖ durchaus erfolgreich Propaganda unter der verunsicherten sozialdemokratischen Arbeiterschaft. Neben der Arbeiterschaft gelang aufgrund der anhaltenden Agrarkrise in zunehmendem Maße der Einbruch in das Spektrum der bäuerlichen Schichten, zunächst in jene des antiklerikalen Landbundes und dann 200 Zit. bei Ernst Hanisch  : Die Erste Republik. – In  : Dopsch, Spatzenegger (Hg.)  : Geschichte Salzburgs. Band II/2. S. 1057–1120. S. 1086.

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auch in das traditionell christlichsoziale Klientel vor allem in den Gebirgsgegenden, in denen zunehmend Landarbeiter und jüngere Bauern zur NSDAP wechselten. Aufgrund des Wechsels eines Großteils des großdeutschen Klientels zur NSDAP war deren Anteil bei Lehrern, Freiberuflern (Ärzte, Apotheker, Tierärzte, Rechtsanwälte, Richter, Ingenieure) und (arbeitslosen) Staatsangestellten relativ hoch. Hinzu trat aufgrund der historischen Entwicklung des Universitätsmilieus seit dem ausbrechenden Nationalitätenkonflikt in der späten Habsburgermonarchie und der spezifischen Situation der Studenten in der Ersten Republik der hohe Anteil an Studenten und jugendlichen Akademikern. In Österreich kamen aufgrund der hohen Geburtenrate vor dem Ersten Weltkrieg 38,3 Studenten auf 10.000 Einwohner, während sich in Frankreich als dem Land mit der zweithöchsten Rate dieses Verhältnis auf 20,9 : 10.000 reduzierte. Die Weltwirtschaftskrise verschärfte die ohnedies angespannte wirtschaftliche Lage des Landes und reduzierte die Arbeitsplatzchancen der jugendlichen Akademiker dramatisch. »Am ärgsten war die Situation vermutlich in Wien, wo sich die Juden (…) auf den Gebieten des Journalismus, des Bankwesens und der Medizin beinahe eines Monopols erfreuten. Auch im kulturellen und intellektuellen Leben der österreichischen Hauptstadt waren sie überproportional stark vertreten. Daher war es für jüdische Akademiker mit ihren persönlichen Beziehungen wesentlich leichter, in das Berufsleben einzusteigen, als für Nichtjuden. (Auf der anderen Seite war es für sie schwieriger, in den öffentlichen Dienst einzutreten, einschließlich Lehrtätigkeit, und sie wurden fast nie von nichtjüdischen Arbeitgebern eingestellt.) Die Nationalsozialisten versprachen natürlich, die ›arischen‹ Akademiker würden nach der Vertreibung der Juden Arbeit finden, sowie durch neue wirtschaftliche Möglichkeiten, die durch einen österreichisch-deutschen Anschluss geschaffen würden. Die Studenten an den Hochschulen sowie den höheren technischen und landwirtschaftlichen Schulen waren daher für die nationalsozialistischen Ideen besonders anfällig.«201 Die Aktivitäten und die Begeisterung von Studenten, Schülern und jüngeren Arbeitslosen bildeten einen wesentlichen Teil des jugendlichen und dynamischen Erscheinungsbildes der Partei. Gerhard Botz hat auf das für die Sozialgeschichte der Zwanziger- und Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts Charakteristikum hingewiesen, dass »die ›Militanten‹ des ›marxistischen‹ Lagers und des katholisch-konservativen und Heimwehr-Lagers (…) eine überraschend ähnliche Altersgliederung« aufweisen. »Typisch für beide ist der geringe Anteil der 16- bis 19jährigen und der hohe Anteil der über Vierzigjährigen. Republikanische Schutzbündler waren im Allgemeinen jünger als sonstige ›marxistische‹ Militante oder gar die Mitgliedschaft der sozialdemokratischen Partei. (…)

201 Bruce F. Pauley  : Der Weg in den Nationalsozialismus. Ursprünge und Entwicklung in Österreich. – Wien 1988. S. 95.

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Ganz anders verteilen sich die Altersjahrgänge auf die nationalsozialistischen ›Militanten‹. Fast ein Drittel entfiel hier auf die untersten vier Jahrgänge.« 73 Prozent der militanten Nationalsozialisten waren unter 25 Jahre »gegenüber nur 50 bzw. 51 Prozent der ›Militanten‹ in den beiden anderen ›Lagern‹. Zu einem großen Teil mag dies auf die Beteiligung ganzer Schüler- und Studentengruppen zurückzuführen sein, was (…) ein charakteristisches Merkmal dieser politischen Richtung ist.«202 Charakteristisch vor allem für die österreichischen Bundesländer (für Wien liegen keine Vergleichszahlen vor) war das starke militante Engagement des Bildungsbürgertums im Nationalsozialismus sowie in der Heimwehr. Für Wien ist der hohe Anteil an Studenten in den paramilitärischen Organisationen der NSDAP charakteristisch, sodass die Studentenschaft – zumindest in der Bundeshauptstadt – als Kerntruppe der NSDAP fungierte.203 Vor allem in der Stadt Salzburg erfreute sich die NSDAP durch die beinahe vollständige Inkorporierung der Wählerschaft der Großdeutschen Volkspartei in der Gruppe der Handels- und Gewerbetreibenden, der Gastronomie und Teilen der Beamtenschaft erheblicher Sympathiewerte. Wenngleich nach dem Verbot der Partei die offenen Bekenntnisse und Sympathiebezeugungen zurückgingen, so änderte dies nichts an den tatsächlichen Verhältnissen und obwohl die Vaterländische Front als neue Quasi-Staatspartei auf einen hohen Mitgliederstand verweisen konnte, so entsprach dieser keineswegs dem tatsächlichen Stimmungsbild der Bevölkerung. Abgesehen von den Kerngruppen des christlichsozialen und konservativen Lagers erfolgte der Beitritt zahlreicher Berufsgruppen kollektiv. Im Fall der Beamtenschaft und vieler Handels- und Gewerbetreibender wurde die Mitgliedschaft in der Vater­ländischen Front in vielen Fällen als der wirtschaftlichen Notlage angepasster Schritt interpretiert, um die dringend benötigten Öffentlichen Aufträge oder den Arbeitsplatz nicht zu verlieren. Das Abzeichen der Vaterländischen Front wurde oft zur Tarnung für das Fortbestehen der Mitgliedschaft oder der Sympathien für die NSDAP. Im Mai 1934 erschien in der »Salzburger Chronik« ein Leserbrief, der sich angesichts des an Intensität zunehmenden nationalsozialistischen Terrors mit der passiven Haltung der Salzburger Geschäftswelt diesen Ereignissen gegenüber befasste. »Niemand wird leugnen, dass durch die letzten Verbrechen der Nationalsozialisten der Stadt und dem Lande Salzburg großer Schaden zugefügt wurde. Der Böller im Festspielhaus, der ein Menschenleben forderte – was mag das unschuldige Opfer gelitten haben  ? Der Breslauer Sender hat am nächsten Tag schon sechs Tote im Salzburger Festspielhaus aller Welt verkündet. So schädigt man den österrei-

202 Gerhard Botz  : Gewalt in der Politik. Attentate, Zusammenstöße, Putschversuche, Unruhen in Österreich 1918–1938. 2. Aufl. – München 1983. S. 327. 203 Botz  : Gewalt in der Politik. S. 329.

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chischen Fremdenverkehr und unsere Nazi geben sich zu solchen Verbrechen her. Dann die Eisenbahnattentate anlässlich des Kanzlerbesuches. Sind diese Verbrechen nicht geeignet, den Fremdenverkehr – eine Haupteinnahmequelle unserer Heimat – aufs schwerste zu schädigen  ? Doch das wollen ja die braunen Verbrecher. Eines begreife ich nur nicht, dass unsere Gastgewerbetreibenden und die übrigen Geschäftsleute zu den verbrecherischen Umtrieben der Nazi schweigen. Warum erheben sie nicht flammenden Protest gegen diese Schädiger ihrer Lebensinteressen  ? Sie haben doch ihre Organisationen, warum schweigen diese, die vor nicht gar langer Zeit große Protestversammlungen gegen die Regierung veranstalteten  ? Sind sie so kurzsichtig, dass sie den großen Schaden, den ihnen die Nationalsozialisten zufügen, nicht erkennen  ? (…) Als vor einem Jahre die Kennzeichnung der vaterländischen Geschäfte gefordert wurde, da sprachen gewisse Kreise so heuchlerisch von der Gefährdung des für das Geschäftsleben so notwendigen Friedens. Jetzt, da die Böller- und Bombenwerfer den Frieden fast täglich auf brutalste Weise stören und die Heimat schwer schädigen, da schweigen dieselben Kreise. Die heimattreue Bevölkerung fordert von denen, die von ihr leben, ein klares Bekenntnis zur Heimat.«204 Der Kampf gegen den Nationalsozialismus gestaltete sich in Salzburg äußerst schwierig. Die schwer zu kontrollierende Grenze zu Bayern, an der sich vor allem in den Abschnitten am Dürrnberg, bei Freilassing, Großgmain, Laufen, Oberndorf und Unken auch bewaffnete Zwischenfälle mit illegalen Grenzübertritten und dem Schmuggel von Waffen und Propagandametrial häuften, der Rückhalt der militanten Nationalsozialisten in wachsenden Teilen der Bevölkerung, die verdeckten Sympathisanten im Sicherheits- und Verwaltungsapparat und die starke Propagandatätigkeit der nach Freilassing geflüchteten Gauleitung unter Karl Scharizer bildeten immer wieder den Gegenstand von Diskussionen über Gegenstrategien des Regimes. Die Maßnahmen reichten von der Ausbürgerung der nach dem Deutschen Reich geflüchteten Nationalsozialisten inklusive der Beschlagnahme ihres Vermögens, Hausdurchsuchungen, Verhaftung und Überstellung in das Anhaltelager Wöllersdorf, die Bestrafung mit empfindlichen Geld- oder Haftstrafen für Heil-Hitler-Rufe oder das Absingen des Horst-Wessel-Liedes, die Heranziehung von finanzkräftigen ehemaligen Mitgliedern oder Sympathisanten der NSDAP für die Begleichung von durch Böller- oder Bombenattentate entstandenen Schäden oder die Aushebung von Putzkolonnen, um illegale Hakenkreuzschmierereien zu beseitigen. Vor allem die erzwungene Mitwirkung an Putzkolonnen wurde von vielen Nationalsozialisten als Chance wahrgenommen, sich theatralisch als politische Märtyrer in Szene zu setzen. 204 Salzburger Chronik 19.5.1934. S. 8. Das im Leserbrief erwähnte Böllerattentat im Festspielhaus ereignete sich am 21. April 1934 bei einer Veranstaltung des Heimatschutzes,

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So kam es vor, dass Mitglieder von Putzscharen mit ihren im Weltkrieg erworbenen Orden zu den Reinigungsarbeiten erschienen. Eine weitere Form der vom Regime genau registrierten und in ihrer politischen Absicht klar analysierten Form der nationalsozialistischen Agitation bestand im Austritt aus der Katholischen Kirche und im Übertritt zur Evangelischen, die ein Sammelpunkt der illegalen Nationalsozialisten wurde. Allein zwischen 1933 und 1934 stiegen die Austritte von 97 auf 723. Hinzu trat als Salzburger Spezifikum die psychologische Wirkung der in Bayern stationierten »Österreichischen Legion«, die durch die gezielte Verbreitung von Gerüchten über einen bevorstehenden Einmarsch eine permanente Stimmung der Unsicherheit erzeugte. Die Fragmentierung zwischen dem Regierungslager, der »vaterländischen Bevölkerung«, wie es in den amtlichen Dokumenten hieß, und den oppositionellen Nationalsozialisten, die sich als Opfer und Märtyrer eines demokratisch nicht legitimierten Regimes sahen und inszenierten, vertiefte sich. Das Regime, das sich einer doppelten Opposition – Sozialdemokraten/Kommunisten und Nationalsozialisten – gegenübersah, bewältigte diese Herausforderung durchaus erfolgreich. Die Behauptung des weitgehend wirkungslosen Kampfes gegen den Nationalsozialismus entspricht, trotz aller Rückschläge und Schwierigkeiten, nicht den Tatsachen. Die Lage der NSDAP in Österreich war durch interne Spannungen, die Widerstands- und Lebensfähigkeit der Regierung Dollfuß und deren außen- und sicherheitspolitische Rückendeckung durch Italien sowie durch den sich abzeichnenden Wandel in der deutschen Außenpolitik gegenüber Wien deutlich geschwächt. Der 25. Juli 1934 war der Versuch eines Befreiungsschlages, um nicht in die durchaus mögliche politische Bedeutungslosigkeit abzusinken. Für die erst am Abend des 27. Juli 1934 in Salzburg einsetzenden Kampfhandlungen waren die vorangegangenen organisatorischen und persönlichen Konfliktlinien innerhalb der illegalen Salzburger NSDAP, vor allem der SA, charakteristisch, die das gesamte Unternehmen a priori zum Scheitern verurteilten. Die SS spielte in Salzburg, wie in anderen Bundesländern, aufgrund mangelnder materieller Ressourcen, eines kaum vorhandenen Kommunikationsnetzes und geringem Personalstand keine Rolle, weshalb sie sich meistens der SA anschloss. Als sich der SS-Kurier Karl Eberhardt am 25. Juli zu seinem Verbindungsmann Karl Röschlinger nach Salzburg begab, wurde ihm der Befehl mitgeteilt, die SS habe »nur dann auf den Plan zu treten, wenn eine Regierungsumbildung derart erfolgt, dass auch die Nationalsozialisten darin vertreten sind. In diesem Fall soll sich die SS der Exekutive zur Verfügung stellen, andernfalls hat sie nichts zu unternehmen.«205 Für die Salzburger Ereignisse ist daher die Dominanz der SA, ihr später Termin – 27./28. Juli – und ihr lokal be-

205 Rothländer  : Die Anfänge der Wiener SS. S. 476f.

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grenzter Bereich – Liefering, Seekirchen und Lamprechtshausen206 – charakteristisch. Die Salzburger SA als Hauptakteur des Putsches hatte bis zum Verbot der NSDAP im Juni 1933 einen organisatorischen Aufschwung erlebt und wurde daher noch im Juni 1933, trotz des kurz zuvor erfolgten Verbotes der Partei und aller ihrer Gliederungen, organisatorisch erweitert. Neben die bisher bestehende, von Fritz Patzelt geführte, Standarte 59 trat als zweite Formation die den Pinzgau und Pongau umfassende Standarte 41 unter dem deutschen Sturmbannführer Wilhelm Oberfeld. Ihm folgte jedoch nach dessen bereits im August erzwungener Flucht nach Deutschland der Rauriser Sprengelarzt Rudolf Radauer als neuer Führer. Radauer wurde jedoch bereits Ende Oktober verhaftet und büßte bis Ende Februar 1934 eine Gefängnisstrafe, um sich anschließend zur Gauleitung nach Freilassing abzusetzen. Durch die organisatorische Erweiterung der Salzburger SA auf zwei Standarten wurde das Bundesland zu einer Brigade, deren Leitung der österreichische SA-Führer Hermann Reschny – sehr zum Ärger von Fritz Patzelt – dem ehemaligen Bundesheer-Hauptmann Hermann Langhans übertrug. Mit der Ernennung von Langhans zum Brigadeführer begannen die Spannungen und Intrigen innerhalb der Salzburger SA, die im Vorfeld des Juliputsches 1934 ihren Höhepunkt erreichten. Am 26. Juni wurde Langhans seiner Funktion als Führer der Brigade Salzburg enthoben und Wilhelm Oberfeld zu seinem Nachfolger ernannt. Zu diesem Zeitpunkt bot die SA-Brigade Salzburg »diesseits und jenseits der Grenze (…) das Bild einer fortschreitenden Zersetzung und es herrschte eine düstere Atmosphäre, geprägt von wechselseitigen Denunziationen, Spitzelhysterie und der Abwehr tatsächlicher oder vermeintlicher ›Verräter‹.«207 Dieses Bild sollte sich einen Monat später bestätigen. Am 21. Juli erging der Befehl an die Sturmbannführer, Bereitschaft anzuordnen. Gleichzeitig wurden sie über die Stichworte »Sommerfest mit«, d. h. bewaffneter Aufstand und damit offener Bürgerkrieg, und »Sommerfest ohne«, d. h. bewaffnete Demonstrationen und Besetzung der öffentlichen Ämter ohne Blutvergießen, informiert. Am 25. Juli um 17 Uhr wurde weiterhin strengste Bereitschaft ohne direkte Aktionen angeordnet. Während es am 25. Juli in Salzburg ruhig blieb, reagierte die Landesregierung, indem Einheiten der Ostmärkischen Sturmscharen an strategisch wichtigen Punkten wie dem Bahnhof und Eisenbahn- und Salzachbrücken für Sicherungsmaßnahmen zusammengezogen wurden. Es ist erstaunlich und spricht nicht für die Professionalität und den Informationsstand der österreichischen Landesleitung und der Salzburger Gauleitung in Freilassing, dass sie bei ihren nunmehr folgenden Befehlen trotz des Fehlschlags des Putsches in Wien von der Annahme 206 Auch in Berndorf, Seeham, Mattsee, Henndorf und Neumarkt kam es zu kleineren Kampfhandlungen mit Regierungskräften. 207 Schafranek  : Sommerfest mit Preisschießen. S. 177.

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ausgingen, dass das Bundesheer und die Polizei den Putsch unterstützen würden. Und man war davon überzeugt, dass nach dem Scheitern des Putsches in Wien das Ruder doch noch herumgerissen werden konnte durch den Aufstand des Landes, der zu einem Volksaufstand werden konnte und bei dem nun die SA die führende Rolle übernehmen und damit auch die seit dem 30. Juni verschobenen innerparteilichen Machtverhältnisse wiederum zu ihren Gunsten verschieben sollte. Doch bei den Initiatoren des Putsches dominierte anstelle einer klaren und entschlossenen Führung das Chaos wie der Widerruf von Befehlen in den Morgenstunden des 26. Juli, alle Aktionen seien einzustellen und weitere Befehle abzuwarten. Es gab allerdings auch rein technische Gründe für die abwartende Haltung der Salzburger SA. Zum einen existierten Probleme bei der Funkverbindung zwischen Bayern und Österreich – erst am Abend des 25. Juli konnte die Funkverbindung hergestellt werden208 und zusätzlich traten am 26. Juli Probleme bei der Dechiffrierung auf– , zum anderen blieb nach der Ravag-Meldung über die angeblich erfolgte Umbildung der Regierung und die Betrauung Rintelens mit der Kanzlerschaft jede weitere Rundfunkmeldung aus. An der Stelle von weiteren Erfolgsmeldungen und der Durchgabe eines vereinbarten Stichwortes erfolgten Dementis von Regierungsseite, sodass sich vor allem in den Bundesländern in den Nachmittagsstunden des 25. Juli Unsicherheit breitmachte, ob der Putsch in Wien überhaupt gelungen sei. Und schließlich darf der Erfolg der österreichischen Sicherheitsbehörden nicht unterschätzt werden. Die SA war durch Verhaftungen und erzwungene Flucht nach Deutschland geschwächt und durch anhaltende interne Konkurrenzkämpfe keineswegs in so gutem Zustand, wie man dies in München gerne sehen wollte und daher auch propagandistisch nach außen darstellte.209 In Salzburg hatten daher bis zum 27. Juli keinerlei Aktionen stattgefunden und der SA-Standartenführer Alexander Gruber unterließ aufgrund seiner inzwischen gefassten Meinung, dass ein Aufstand unter diesen Bedingungen völlig sinnlos sei, die Weiterleitung von Befehlen an die SA-Standarte 41, womit der Pinzgau und Pongau von Kampfhandlungen verschont blieb. Wäre es nach dem Willen der SA-Standarte 59 und deren stellvertretenden Führer Hans Günther gegangen, so wäre ganz Salzburg von den blutigen Ereignissen verschont geblieben. Da man seitens der Brigadeführung dem Führer der Standarte 208 Der Wiener Gauleiter Alfred Eduard Frauenfeld warf dem Führer der österreichischen SA, Hermann Reschny, vor, dieser habe über das Funktionieren der Funkverbindung falsche Angaben gemacht und im Vorfeld des Putsches behauptet, eine Alarmierung der SA sei jederzeit möglich. 209 In einem internen Papier vom Dezember 1934 erhob die österreichische SA schwere Vorwürfe gegen die eigene Führung, der sie »vollkommene Unfähigkeit zur Führung« attestierte, »bewiesen durch unzulängliche Vorbereitung und Organisation des Kampfes in Österreich sowie unmögliche und verantwortungslose Befehlsgebung in den Tagen um den 25. Juli.« Die Streitigkeiten und Eifersüchteleien in der Führung seien in Österreich deutlich erkennbar gewesen und hätten sich negativ ausgewirkt. (Bauer  : Hitlers zweiter Putsch. S. 231.)

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59, Fritz Patzelt, wegen dessen Kontakten zur Polizei nicht traute und in ihm sogar einen potenziellen Verräter sah, wurden die Befehle unter Umgehung seiner Person an seinen Stellvertreter Hans Günther gegeben. Als am 27. Juli um 11.30 Uhr die Brigadeführung an Günther den Befehl zum Losschlagen gab, antwortete dieser, dass »nach eingehender Durchbesprechung der Lage (…) die Sturmbannführer zu der Überzeugung« gekommen seien, »dass mit der ungenügenden Bewaffnung der SA ein Angriff keinen Erfolg bringen wird.«210 Die Brigadeführung zeigte sich von dieser realistischen Einschätzung wenig beeindruckt und erteilte am frühen Nachmittag den dritten Angriffsbefehl, der die Ereignisse nunmehr ins Rollen brachte. Um 15 Uhr erhielt der 29-jährige Elektriker Karl Sommer aus der Stadt Salzburg ein durch einen Boten übermitteltes Schreiben mit der Aufforderung, den darin enthaltenen Befehl sofort weiterzuleiten. »Der Muttersturm hat am 27.7.1934, um 18.30 Uhr abends, den Gendarmerieposten Liefering zu besetzen. Die Waffen sind zu verteilen. Die Kameraden von Steiermark und Kärnten haben sich bereits eingesetzt, nur in Salzburg wurde trotz dreimaligem Befehl noch nichts unternommen. Dies ist eine Schande. Armbinden sind auszuteilen.«211 Sommer begab sich zu einem SA-Mitglied, um diesem den Befehl zu übermitteln. Beide waren der Ansicht, dass dessen Befolgung einem Selbstmord gleichkomme, leiteten jedoch die Alarmierung in die Wege. Um 19 Uhr langten beim Gendarmerieposten Liefering die Meldung von verdächtigen Ansammlungen junger Männer ein, an die zudem Waffen ausgegeben worden seien. Da sich 16 bewaffnete junge Männer, Angehörige des SA-Motorsturms Salzburg, im Gasthof »Hartlwirt« aufhielten, um in der Erwartung des Einmarsches der Österreichischen Legion den Gendarmerieposten und das Zollamtsgebäude zu besetzen, umstellten Mitglieder des Schutzkorps das Gasthaus. Als der Schutzkorps-Kommandant Felix Egger den Versuch unternahm, die im Gasthaus anwesenden Nationalsozialisten zu verhaften, wurde er von zwei Pistolenschüssen tödlich getroffen. Daraufhin entwickelte sich ein Schusswechsel mit den 210 Ebda. S. 179. 211 Bauer  : Hitlers zweiter Putsch. S. 154. Liefering war bereits vor dem Juliputsch ein bevorzugtes Ziel nationalsozialistischer Anschläge. So wurde am 19. Mai 1934 in den Hof des Missionshauses ein fünf Kilo schwerer Papierböller geworfen, der schweren Sachschaden verursachte, explodierte am 20. Mai ein weiterer Papierböller in der Nähe des Gendarmeriepostens, wurden am 25. Mai an der Mauer des Schlosses Kleßheim 4 Papierböller gefunden, stieg am 26. Mai ein Propagandaballon auf der bayerischen Seite der Saalach auf und wurde am 29. Mai auf der Eisenbahnbrücke in Rott ein Schutzkorpsangehöriger von bayerischer Seite beschossen. Am 10. Juni erfolgte ein Rauchgasbombenanschlag auf eine Versammlung des Jugendreichsbundes im Gasthaus »Zum Kirchenwirt«, der bei den rund 100 Anwesenden Panik auslöste. Die den Anschlag verübenden Nationalsozialisten wurden eruiert und am 15. Juni vor dem ersten in Salzburg tagenden Standgericht angeklagt. Die vier Angeklagten wurden schließlich zu schweren, verschärften Kerkerstrafen zwischen 8 und 5,5 Jahren verurteilt. (Salzburger Chronik 15.6.1934. S. 3 und Salzburger Chronik 16.6.1934. S. 1.)

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Mitgliedern des Schutzkorps, der zwei Tote und zwei schwerverletzte Schutzkorpsleute zur Folge hatte. Nach der Heranführung weiterer Verstärkungen konnte das Gasthaus im Sturm genommen werden, wobei zunächst drei Nationalsozialisten die Flucht Richtung Deutschland gelang (nur einer gelangte auch nach Deutschland), während die übrigen verhaftet werden konnten.212 Für die beiden anderen Zentren des Aufstandes, Seekirchen und Lamprechtshausen, hat Ernst Hanisch eine gesellschaftsgeschichtliche Grundlage der Analyse geboten. »Der Flachgau war ein Zentrum des ländlichen Nationalsozialismus. Lange, ins 19. Jahrhundert hineinreichende deutschnationale Traditionen hatten ihm vorgearbeitet. Die schwere ökonomische Krise, die österreichischen innenpolitischen Turbulenzen, die Machtergreifung Adolf Hitlers in Deutschland bildeten ein explosives Gemisch. Auch die ländliche Gesellschaft war politisch tief gespalten, militärisch aufgerüstet und gewaltbereit. Soziale Differenzierungen erhielten durch eine politische Akzentuierung eine hohe Aufladung. Da im Ort jeder jeden kannte, war eine politische Zuordnung kaum zu verbergen.« Durch die mangelnde Industrialisierung konnte sich der Konflikt Christlichsoziale und Großdeutsche contra Sozialdemokraten kaum entfalten. »Der beherrschende Konflikt hier verlief seit dem Jahr 1933 zwischen den ›Vaterländischen‹, jenen Kräften, die das autoritäre, österreichisch betonte Regime unterstützten, und den (seit Juni 1933) illegalen Nationalsozialisten, die den alten Deutschnationalismus aufsaugten und radikalisierten.«213 Am 26. Juli hatte der Wüstenrot-Angestellte und für den Flachgau zuständige SA-Führer Friedrich Kaltner den Elektromeister und -händler Karl Speck, SA-Führer in Seekirchen, über den unmittelbar bevorstehenden Befehl zum Putsch informiert. Seekirchen kam bei den Planungen des Putsches insofern besondere Bedeutung zu, da die NSDAP in dem Ort über rund 200 Anhänger verfügte und die von Speck geführte SA mit 80 Mann eine beachtliche Macht darstellte. Speck zögerte jedoch und entschloss sich erst am folgenden Tag nachmittags zur Alarmierung der SA in Seekirchen und den benachbarten Orten Mattsee und Neumarkt, nachdem er die Nachricht erhalten hatte, dass Kärnten und Steiermark bereits in der Hand der Aufständischen seien und von Kaltner die Aufforderung gekommen war, die Kameraden in den südlichen Bundesländern in dieser entscheidenden Stunde nicht im Stich zu lassen. Als jedoch Informationen über einen unmittelbar bevorstehenden Putsch bekannt wurden, erfolgte die sofortige Gegenreaktion durch die Mobilisierung des aus den regierungstreuen Wehrverbänden Heimwehr, Ostmärkische Sturmscharen und 212 Zum Putsch in Liefering vgl. Peter F. Kramml  : Liefering – Das Dorf an der Grenze (1816–1939/45). – In  : Liefering. Das Dorf in der Stadt. – Salzburg 1997. S. 57–214. S. 179ff. 213 Ernst Hanisch  : »Das wilde Land« – Bürgerkrieg und Nationalsozialismus in Seekirchen. – In  : Elisabeth und Heinz Dopsch (Hg.)  : 1300 Jahre Seekirchen. Geschichte und Kultur einer Salzburger Marktgemeinde. Seekirchen 1996. S. 323–346. S. 327f.

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Freiheitsbund bestehenden Ortsschutzes. Der als entschiedener Gegner der Nationalsozialisten bekannte Gendarmerie-Revierinspektor Josef Wagner verhaftete alle greifbaren Nationalsozialisten, insgesamt 12, unter ihnen auch Karl Speck. Die Situation nahm eine dramatische Wende, als sich um 19 Uhr etwa 10 SA-Männer, unter ihnen der Bauer Rupert Wallner mit seinen Söhnen, beim Bräuwirt versammelten, um die im Gendarmerieposten inhaftierten Gesinnungsgenossen zu befreien. Bei dem schließlich erfolgten Sturm der Putschisten auf den Gendarmerieposten wurden Rupert Wallner und zwei weitere Putschisten getötet und der örtliche Heimwehrführer Josef Moser schwer verletzt, ein Mitglied der Ostmärkischen Sturmscharen, das zum Einsatz nach Seekirchen eilte, von entgegenkommenden Nationalsozialisten erschossen. Erst durch den Einsatz von insgesamt drei Heimwehrkompanien konnte der Putsch in den frühen Morgenstunden des 28. Juli beendet werden. Dramatisch und besonders gewaltsam verlief der Putsch in Lamprechtshausen.214 Die hier 1931 von dem Sprengelarzt Emil Sprenger gegründete NSDAP hatte bis zum Verbot der Partei einen erheblichen Aufschwung vor allem durch den Beitritt von jungen Arbeitern und Bauernsöhnen verzeichnet. Am Abend des 27. Juli besetzten SA-Angehörige den Gendarmerieposten und verhafteten bekannte »Vaterländische«. Erst in den Morgenstunden des 28. Juli begannen Heimatschutzeinheiten, verstärkt durch Abteilungen des Bundesheeres, mit der Rückeroberung des von den Putschisten besetzten Dorfes. Die erbittert geführten Kampfhandlungen forderten neun Todesopfer, sieben aufseiten der Nationalsozialisten und zwei auf Seiten des Bundesheeres. 28 überlebende Putschisten wurden zu insgesamt 257 Jahren Kerker verurteilt, jedoch nach dem Juliabkommen 1936 wieder auf freien Fuß gesetzt. Für die dramatischen Ereignisse in Lamprechtshausen gilt, dass sich, ähnlich wie in anderen Gegenden, die Parteielite (Arzt, Tierarzt, Gewerbetreibende) vor allem auch aus Sorge um den eigenen Besitzstand von dem Putsch fernhielt und die vor allem jugendlichen Unterschichten (landwirtschaftliche Arbeiter, Hilfsarbeiter, Lehrlinge und Gehilfen) als Akteure auftraten215. So bemerkte die »Salzburger Chronik« im Rückblick auf die Ereignisse in Salzburg  : »Es ist auffallend, dass gerade g e w i s s e B e r u f s k a t e g o r i e n auf dem Lande in einem unleugbaren Zusammenhange mit den Nationalsozialisten gestanden sind  ! Diese Kategorien müssen angeprangert werden, damit das Volk in Zukunft genau weiß, wer vaterländisch denkt und wer zur 214 Andreas Maislinger  : Der Putsch von Lamprechtshausen. Zeugen des Juli 1934 berichten. – Eigenverlag 1992. 215 Bei den Akteuren des Putsches setzte sich das Profil der nationalsozialistischen Aktivisten aus der Zeit der illegalen Betätigung fort. So waren z. B. von den 20 im August 1934 vor dem Innsbrucker Standgericht wegen Sprengstoffschmuggels über das Steinerne Meer angeklagten Pinzgauer Nationalsozialisten mit einer Ausnahme alle zwischen 1900 und 1917 geboren, der überwiegende Teil zwischen 1900 und 1907. Von den 20 Angeklagten waren 4 Hilfsarbeiter, 1 Lehrling, 7 Gehilfen, 2 Arbeitslose, 3 Handwerker, 1 Förster, 1 Bauer und 1 Student. (Salzburger Chronik 17.8.1934. S.1.)

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Erlangung wirklicher, ehrlicher vaterländischer Gesinnung noch einiger Nachhilfe bedarf. Ist es nicht auffallend, dass beispielsweise auf der Liste der Putschisten nicht selten Lehrer und Ärzte zu finden sind  ? (…) Ebenso wenig kann weggeleugnet werden die Tatsache, dass die G e g e n d e n , in denen der Putsch zumeist aufflammte, s t a r k l a n d b ü n d l e r i s c h durchsetzt sind.«216 Für die Salzburger Putschisten erwies es sich als besonders verhängnisvoll, dass Planung und Durchführung von Chaos und persönlichen Rivalitäten gekennzeichnet war, sich die Propaganda vom militärischen Eingreifen der Österreichischen Legion als Chimäre und die regierungstreuen Verbände erheblich stärker und besser koordiniert waren als angenommen. Die Kampfhandlungen (die genaue Zahl ist aufgrund divergierender Angaben schwer zu ermitteln) hatten lokalen Charakter und wurden daher bereits nach wenigen Stunden durch die überlegenen staatlichen Verbände beendet. Der Juliputsch forderte in Salzburg – die Angaben schwanken – ca. 20 Todesopfer, 305 Personen wurden angezeigt und bis Ende September 689 in Schutzhaft genommen. Die Zahl der Inhaftierten verringerte sich jedoch bereits bis Mitte Dezember auf 158. Da die vorhandenen Gefängniskapazitäten nicht ausreichten, wurde ein Großteil der Verhafteten auf der Festung Hohensalzburg unter erschwerten Bedingungen untergebracht, wobei sie oftmals auch von zur Bewachung abgestellten Heimwehrmitgliedern Misshandlungen erfuhren, die propagandistisch als Beweise des politischen Märtyrertums der inhaftierten Nationalsozialisten ausgeschlachtet wurden.

216 Salzburger Chronik 4.8.1934, S. 6.

7. »Die Bürgerliche Demokratie ist in Österreich tot.« Die Revolutionären Sozialisten 1934 bis 1936

Wenngleich in Salzburg der 12. Februar 1934, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ruhig verlaufen war, wie die Sicherheitsdirektion bereits am 13. Februar nach Wien meldete, so waren die Mitglieder der Landesparteileitung und lokalen Parteileitungen verhaftet worden. Doch die Suppe wurde nicht so heiß gegessen, wie sie gekocht wurde, denn der vor dem 12. Februar existierende Elitenkonsens wirkte auch nach dem Bürgerkrieg. Vor allem Landeshauptmann Franz Rehrl intervenierte für die inhaftierten führenden Sozialdemokraten Robert Preußler, Franz Witternigg, Karl Emminger und Franz Peyerl. Preußler wurde bereits am 16. März, die anderen drei am 24. Mai aus der Haft entlassen. Auch in weiterer Folge intervenierte Rehrl immer wieder zugunsten von Mitgliedern der Sozialdemokratie. So wandte sich am 13. März 1935 der ehemalige zweite Landesparteisekretär der Salzburger Sozialdemokratie, Franz Peyerl, an Rehrl mit der Bitte um Intervention für die Verlängerung seines Reisepasses, um in der Schweiz die Einschulung als Reisevertreter für Reklame-Werbung zu absolvieren. Nach dem Aufbrauchen sämtlicher Reserven, seine Pension und Zusatzpension war verloren gegangen, sollte damit eine Möglichkeit geschaffen werden, wiederum eine Existenz aufzubauen. Er habe bereits am 15. Jänner bei Sicherheitsdirektor Bechinie eine entsprechende Eingabe gemacht, der jedoch nicht entsprochen wurde. Dadurch sei ihm die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, genommen worden. Im Inland habe er als politisch Belasteter keine Aussicht, eine Stelle zu bekommen. Er sei damit »nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich für vogelfrei erklärt. (…) Will man mich dafür strafen, dass ich aus lauteren Beweggründen gesinnungsmäßiger Sozialist bin  ?«217 Rehrl intervenierte und am 19. August teilte ein sichtlich glücklicher Peyerl dem Landeshauptmann mit, dass sein Reisepass verlängert worden sei. Am 18. August 1936 wandte sich der beinahe 70-jährige ehemalige sozialdemokratische Landeshauptmann-Stellvertreter Robert Preußler mit der Bitte an Rehrl, die Bemühungen seines Sohnes Dr. Robert Preußler um eine Anstellung im Festspielhaus, wo er bereits aushilfsweise beschäftigt war, zu unterstützen. Dies wäre eine große Hilfe, da in seinem Haushalt 6 erwachsene Personen von seinem kleinen Pensions- und Gnadenbezug leben müssten. Rehrl sagte seine Hilfe zu und gratulierte seinem langjährigen Stellvertreter zu dessen 70. Geburtstag. Preußler bedankte sich 217 SLA. Rehrl-Briefe 1935/800.

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bei Rehrl für dessen »nie versagende Güte«, die seinen »Geburtstag zu einem hoffnungsreichen Freudentag werden« ließ und betonte, er müsse dessen »Güte umso höher veranschlagen«, da er wisse, »wie schwer die hier in Aussicht gestellte Hilfe ist.« Rehrl intervenierte am 19. November bei der österreichischen Gesandtschaft in Paris. Dorthin hatte sich in der Zwischenzeit Dr. Robert Preußler in Begleitung Dr. Leopold Kohrs in der Hoffnung begeben, beim Österreich-Pavillon auf der Weltausstellung eine Anstellung zu finden. Am 27. November antwortete der österreichische Gesandte in Paris, man werde sich »der beiden jungen Salzburger sicher bestens annehmen« und sie auch in Paris unterbringen, wenngleich angesichts der restriktiven Bestimmungen des französischen Arbeitsrechts eine dauerhafte Anstellung kaum möglich erscheine.218 Die Auflösung der Partei und ihrer Einrichtungen sowie Vorfeldorganisationen hinterließ tiefe Spuren im sozialdemokratischen Milieu. Aufgrund ihrer Konzen­ tration auf die Eisenbahnknotenpunkte war die Salzburger Sozialdemokratie in ihrer Funktionärs- und Mitgliederstruktur vor allem eine Eisenbahner-Organisation, deren organisatorische Zentren wie isolierte Inseln in einem katholisch-deutschnational dominierten Meer existierten. Das ländliche Milieu (Bauern, Landarbeiterschaft), Handel und Gewerbe, die Beamtenschaft und die akademischen Berufe bildeten, trotz aller konsensorientierten Elitenpolitik im Landtag, in der fragmentierten politischen und lebensweltlichen Landschaft Salzburgs eine Öffentlichkeit, die durch Abneigung und Angst geprägt und – durch das zunehmend aggressive Auftreten vor allem der Nationalsozialisten – von handgreiflichen Auseinandersetzungen geprägt war. In den von den Folgen der Weltwirtschaftskrise – Arbeitslosigkeit, sozialer Not und zunehmende Gewaltbereitschaft – gekennzeichneten frühen Dreißigerjahren geriet die Sozialdemokratie in eine strukturelle Krise, die sich in einem Rückgang der Parteimitglieder zwischen 1929 und 1932 von 13.906 auf 10.838 und einer Abnahme der Wählerstimmen bei den Landtagswahlen 1927 von 32,07 Prozent auf 25,69 Prozent niederschlug. Die von Marie Jahoda in ihrer klassischen Studie über die Arbeitslosen von Marienthal diagnostizierte weitgehende politische Passivität219 tat auch in Salzburg ihre Wirkung. Für Aufsehen sorgte auch der Parteiaustritt des langjährigen sozialdemokratischen Ersten Vizebürgermeisters der Stadt Salzburg, des Bäckermeisters Michael Dobler, am 17. Februar 1934, wurden doch damit grundlegende Auffassungsunterschiede in der Führung der Partei offen angesprochen. Er begründete seinen spektakulären Schritt, der als Zeichen eines den Kern der Partei betreffenden Auflösungsprozesses 218 SLA. Rehrl-Briefe 1936/280. 219 Marie Jahoda, Paul F. Lazarsfeld, Hans Zeissel  : Die Arbeitslosen von Marienthal. Ein soziographischer Versuch über die Wirkung lang andauernder Arbeitslosigkeit. Mit einem Anhang zur Geschichte der Soziographie. – Frankfurt am Main 1975.

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gesehen wurde, in einer öffentlichen Erklärung damit, dass die Partei das von ihr so lange vertretene Prinzip der Demokratie immer mehr verraten habe. Vor allem die Führung der Partei sei in den letzten Jahren »immer mehr an a b s o l u t d i k t a t o r i s c h eingestellte t e r r o r i s t i s c h e E l e m e n t e g e l a n g t «, weshalb in ihm schon längst der Wunsch gereift sei, aus der Sozialdemokratischen Partei auszutreten. Er sei »mit den eigenen Parteiführern in immer größere Gegensätze« geraten, weil er bei seiner »Tätigkeit als Bürgermeister-Stellvertreter der Landeshauptstadt Salzburg stets und in erster Linie die Bedachtnahme auf die Wirtschaft in den Vordergrund gestellt habe und daher oft und oft gegen die eigenen Parteiführer und deren rein demagogische Absichten Stellung nehmen musste.« Er habe sich bereits 1933 zu diesem Schritt entschlossen, sei jedoch aus Treue zur Partei, der er mehr als vier Jahrzehnte angehörte, in der Hoffnung auf eine Abkehr von den radikalen Tendenzen und um einen radikal parteipolitisch eingestellten Nachfolger zu verhindern vor diesem Schritt zurückgeschreckt. Er habe gehofft, »dass die allgemeine Not des Wirtschaftslebens, die Sorge um das Volkswohl die Parteiführer in letzter Stunde zur Einsicht und zur Aufgabe ihrer egoistischen und den Wiederaufbau der Wirtschaft unmöglich machenden Bestrebungen bringen würden. Ich v e r u r t e i l e auf das entschiedenste alle in das Wirtschaftsleben einschneidenden Te r r o r m a ß n a h m e n . Ich war daher auf das äußerste entsetzt und e m p ö r t über den Generalstreikbeschluss und ganz besonders über die v e r b r e c h e r i s c h e A u f l e h n u n g d e s R e p u b l i k a n i s c h e n S c h u t z b u n d e s gegen die Staatsgewalt. Die Auflösung der Sozialdemokratischen Partei ist meinem Entschlusse, aus der Sozialdemokratischen Partei auszutreten, zuvorgekommen. Ich hätte dieser Partei nicht mehr länger angehören können.«220 Hinzu trat die durchaus erfolgreiche Werbung der NSDAP sowohl vor wie auch nach dem 12. Februar 1934. Besonders nach dem 12. Februar 1934 setzte ein verstärktes Werben der NSDAP um die desorientiert und heimatlos gewordenen Teile der sozialdemokratischen Arbeiterschaft mit dem Hinweis auf die beschäftigungspolitischen Erfolge des Dritten Reiches und die Funktion Hitlers als quasi »Vorarbeiter des Reiches« ein. So hieß es im Nachrichtendienst der Salzburger NSDAP zum 1. Mai 1936  : »ADOLF HITLER hat für das deutsche Volk den Feiertag der nationalen Arbeit, den 1. Mai, zum hohen Fest der Schaffenden aller Stände erklärt. Das Deutschtum im Reich und in allen anderen Ländern der Erde feierte diesen Tag, erfüllt von Dankbarkeit für den Führer, der seinem Volk Glauben und Vertrauen, Arbeit und Brot gegeben hat, der das Reich aus jahrelanger Erniedrigung und Ohnmacht zu neuer Größe geführt hat, der als leuchtendes Vorbild der gesamten Nation vorausschreitet, einer großen Zukunft entgegen.

220 Salzburger Chronik 17.2.1934. S. 4f.

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Wir Deutschen Österreichs schauen voll Vertrauen und gläubiger Zuversicht auf den Führer, unsere Herzen, denen keine Grenzpfähle gesetzt sind, weilten bei ihm an diesem Tage des schaffenden Volkes, denn keine Macht der Erde ist imstande, unseren Glauben an das deutsche Volk und seinen großen Befreier zu erschüttern, unser heiligstes Wollen irre zu machen. Wohl kann man den deutschen Arbeiter Österreichs zwingen, am 1. Mai, dem Jahrestag des klerikal-faschistischen Verfassungsbruches, über die Ringstraße zu marschieren, aber man kann aus seinem schlichten Herzen niemals die Liebe und Treue zu seinem ADOLF HITLER reißen.«221 Wie weit das von der KPÖ bereits im März 1933 einsetzende und sich nach dem 12. Februar 1934 verstärkende Werben um Mitglieder des linken Flügels der Salzburger Sozialdemokratie, vor allem des Republikanischen Schutzbundes, von Erfolg gekrönt war, ist nur schwer zu beantworten. Vor allem in Hallein und Bürmoos dürfte jedoch dieses Werben von Erfolg gekrönt gewesen sein. Ingrid Bauer und Renate Ebeling-Winkler haben auf eine Schwierigkeit bei der Darstellung des sozialdemokratischen Widerstandes gegen das autoritäre Regime hingewiesen. Die vorhandenen schriftlichen Quellen der Revolutionären Sozialisten sind nicht lokaler Natur, sondern stammen aus den illegalen oder sich im Ausland befindenden Zentralen und ihren medialen Propagandawerkstätten. Welchen Stellenwert die darin aufgeworfenen Fragen und Anweisungen über ideologische Kontinuitäten und Brüche, die einzuschlagende Taktik, die Zusammenarbeit mit den illegalen Kommunisten usw. in Salzburg hatten, ob und in welchem Ausmaß sie rezipiert wurden und wie viele Mitglieder oder Sympathisanten der Partei damit erreicht wurden, all dies ist kaum zu beantworten.222 Sicher ist, dass die sich auch in Salzburg bildenden Revolutionären Sozialisten zu jenen Gruppen der Provinz gehörten, die der Wiener Zentrale im Herbst 1934 die Existenz der Bundesländerorganisationen in Erinnerung riefen und eine entsprechende Vertretung in der ausschließlich auf Wien bezogenen Zusammensetzung des Zentralkomitees forderten. Die Geschichte der illegalen Sozialdemokratie, vor allem der sich im März 1934 bildenden Revolutionären Sozialisten, ist nicht Gegenstand dieser historischen Einleitung, muss jedoch, wenn auch nur in wenigen groben Pinselstrichen, kurz nachgezeichnet werden, da sie für das Verständnis der Geschichte der sozialdemokratischen und kommunistischen Illegalität in Salzburg von Bedeutung ist.223 221 NSDAP Österreich. Gau Salzburg. Nachrichtendienst Mai 1936. 222 Ingrid Bauer, Renate Ebeling-Winkler  : Sozialisten. – In  : Widerstand und Verfolgung in Salzburg 1934–1945. Eine Dokumentation. Hg. vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. 2 Bde. – Wien/Salzburg 1991. Bd. 1. S. 33–10105. S. 35f. 223 Grundlegend für die Geschichte der Revolutionären Sozialisten Joseph Buttinger  : Am Beispiel Österreichs. – Köln 1953  ; Peter Pelinka  : Erbe und Neubeginn. Die Revolutionären Sozialisten in Österreich 1934–1938. Mit einem Nachwort von Manfred Ackermann. – Wien 1981. (Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung. Materialien zur Arbeiterbewegung Nr. 20.)  ;

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Es waren vor allem zwei Gruppen, die sich nach dem Desaster des Februar 1934 bemühten, eine Grundstruktur der SDAP aufrecht zu erhalten  : die Redakteure der sozialdemokratischen Leitmedien »Arbeiter-Zeitung«, »Das kleine Blatt« und »Grazer Arbeiterwille«224 – Karl Hans Sailer, Oskar Pollak und Otto Leichter – und Absolventen der von der Partei geschaffenen Arbeiterhochschule. Während die meisten sozialdemokratischen Publizisten aufgrund der bald einsetzenden und durchaus erfolgreichen Verfolgung ins Ausland flüchteten, bildete sich in Wien ein sog. »Fünferkomitee« als im Land gebliebenes Führungsgremium der Partei. Ihm gehörten Manfred Ackermann, der Leiter der Jugendabteilung der Kaufmännischen Angestellten, Roman Felleis, der als Verbindungsmann zu den Schutzbündlern und Wehrsportlern fungierte, Karl Holoubek, ehemaliger Funktionär der Sozialistischen Bildungszentrale, Franz Jonas, Mitglied der Floridsdorfer Bezirksorganisation, und Ludwig Kostroun, ein jugendlicher Funktionär der Gewerkschaft der Bekleidungsarbeiter, an. Die im »Fünferkomitee« vereinten jungen Parteikader der zweiten und dritten Reihe warfen der bisherigen Führung der Sozialdemokratischen Partei verhängnisvolles Zaudern, letztlich Unfähigkeit und – mit Blick auf Otto Bauer und Julius Deutsch in Brünn – Fahnenflucht vor. Nun galt es, die Auflösung der Partei durch ein drohendes massenhaftes Abwandern zu den Kommunisten und Nationalsozialisten zu verhindern, die Hilfsaktion für die Opfer des Bürgerkrieges am Leben zu erhalten und als legitime Nachfolgeorganisation der alten Partei die Anerkennung der Zweiten Internationale zu erlangen.225 Auf Vorschlag von Felix Ackermann, der den Vorsitz im Fünferkomitee übernommen hatte, wurde die neue Partei »Revolutionäre Sozialisten« genannt, um den Bruch mit der alten Sozialdemokratie zu dokumentieren, das »Fünferkomitee« erhielt den Namen »Zentralkomitee der Revolutionären Sozialisten«. Das Programm sollte auf einer noch einzuberufenden Reichskonferenz beschlossen werden. Als Zwischenschritt in Richtung der intendierten Zusammenfassung der entstandenen verschiedenen Gruppen und infolge des unterschiedlichen Organisationsgrades der neuen Partei, die sich in Wien aufgrund des nach wie vor vorhandenen dichten Organisationsnetzwerkes relativ rasch zu etablieren vermochte, während sie in den Bundesländern über bescheidene Anfänge nicht hinauskam, entschloss man sich zur Einberufung einer sog. »Wiener Konferenz« in Blánsko bei Brünn Anfang September. Unter den 70 Delegierten befanden sich aufgrund des Zum Verhältnis von RS und KPÖ vgl. Franz West  : Die Linke im Ständestaat Österreich. Revolutionäre Sozialisten und Kommunisten 1934–1938. – Wien/München/Zürich 1978. (Schriftenreihe des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung. Band 8.) 224 Die theoretische Zeitschrift »Der Kampf« spielte aufgrund des weitgehenden völligen Fehlens eines Kontaktes zur Parteibasis keine politische Rolle und wurde ausschließlich zur Tribüne eines internen intellektuellen Ringens über die Zukunft des Sozialismus. 225 Georg Wieser (Otto Leichter)  : Ein Staat stirbt. Österreich 1934–38. – Wien 2018. S. 88. (VWI Studienreihe. Herausgegeben vom Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien. Band 4.)

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geringen Organisationsgrades in den Bundesländern nur die jeweiligen Landesleiter, während das Gros der Delegierten aus Wien stammte. Die Beschlüsse der Konferenz sollten nur provisorischen Charakter haben und als Grundlage für die wenige Wochen später geplante Reichskonferenz als offiziellen Gründungsakt dienen. In der verabschiedeten Prinzipienerklärung hieß es, dass man den Beschlüssen des Gründungsparteitages nicht vorgreifen wolle, jedoch eine Einigung auf folgenden Prinzipien vorschlage, wobei man sich auf Positionen bezog, die Otto Bauer bereits Mitte März 1934 in der »Arbeiter-Zeitung« vertreten hatte  :226 »Unsere neue Partei ist die N a c h f o l g e r i n u n d E r b i n d e r S o z i a l d e m o k r a t i s c h e n A r b e i t e r p a r t e i Ö s t e r r e i c h s , die die österreichischen Arbeiter und Angestellten mit Klassenbewusstsein erfüllt und ein halbes Jahrhundert lang ihre Klassenkämpfe geführt hat. Sie bekennt sich mit Stolz zu den glorreichen Kämpfen und den großen Kulturtaten des in der Sozialdemokratie geeinten österreichischen Proletariats, insbesondere zu dem heldenhaften Beispiel des Februarkampfes. Aber sie ist sich dessen bewusst, dass die durch den Sieg des Faschismus völlig veränderte Lage der Arbeiterklasse wesentliche Ve r ä n d e r u n g e n i n d e r Z i e l s e t z u n g u n d d e n M e t h o den des Kampfes und im Aufbau der Partei erfordert. Frei von den Fehlern und Illusionen der Vergangenheit wollen wir eine neue, geeinte Bewegung aufbauen. Wir erblicken nur im K l a s s e n k a m p f das Mittel zur Befreiung der Arbeiterklasse. Sein Ziel ist die E r o b e r u n g d e r M a c h t d u r c h d a s P r o l e t a r i a t , um die sozialistische Gesellschaft aufzurichten. Aller demokratischen Rechte beraubt, muss die Arbeiterklasse ihren Klassenkampf mit r e v o l u t i o n ä r e n Mitteln führen. Sie muss in unversöhnlichem revolutionären Kampf die faschistische Diktatur stürzen, die Staatsmacht erobern und die eroberte Staatsmacht mit den Mitteln einer r e v o l u t i o n ä r e n D i k t a t u r festhalten.

226 Vgl. Otto Bauer  : Neue Wege zum alten Ziel. – In  : Arbeiter-Zeitung (AZ) Nr. 4. 18.3.1934. S. 1–3. »In der Demokratie haben wir mit der Waffe des S t i m m z e t t e l s gekämpft. Wir wollten die Mehrheit des Volkes für unsere Ideen gewinnen, um mit dem friedlichen Mittel des Stimmzettels die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft zu erringen. Die austrofaschistische Diktatur hat uns diese demokratischen Kampfmittel entrissen. Sie kann nicht anders beseitigt werden, als mit den Waffen der R e v o l u t i o n .« Sozialismus setze die Demokratie, die persönliche Freiheit des einzelnen und sein Selbstbestimmungsrecht voraus. »Aber zuerst muss eine r e v o l u t i o n ä r e D i k t a t u r den Kapitalisten, den Großgrundbesitzern und der Kirche ihre wirtschaftlichen Machtmittel entreißen, ehe echte und dauerhafte Freiheit jedes einzelnen, wahre und dauerhafte Selbstbestimmung der Volksgemeinschaft möglich wird. Nicht die Wiederherstellung der bürgerlichen Demokratie von gestern, sondern einer evolutionäre Diktatur als Übergangsform zu einer echten, auf das E i g e n t u m d e s Vo l k e s a n s e i n e n A r b e i t s m i t t e l n u n d a n s e I n e m A r b e i t s e r t r a g g e g r ü n d e t e n , a l s o s o z i a l i s t i s c h e n D e m o k r a t i e i s t u n s e r Z i e l .«

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Die Diktatur der Arbeiter und der Bauern wird den faschistischen Herrschaftsapparat zertrümmern und einen sozialistischen Staatsapparat aufrichten. Sie wird den Widerstand der Ausbeuterklassen – der Kapitalisten, der Großgrundbesitzer und ihres Trosses von Pfaffen, Bürokraten und Generalen – brechen, die Ausbeuterklassen durch die Verteilung des Herrenlandes auf landwirtschaftliche Arbeiter, Bauernsöhne und Kleinpächter, durch die Sozialisierung der großen Unternehmungen in der Industrie, im Forstwesen, im Handel, im Verkehrswesen und im Bankwesen entmachten und damit die Grundlagen einer sozialistischen Gesellschaftsordnung schaffen. Erst wenn die Diktatur diese ihre geschichtliche Funktion erfüllt hat, wird durch die Zertrümmerung der wirtschaftlichen und politischen Macht des Kapitalismus die Verwirklichung der vollen Freiheit des einzelnen in einer auch selbstverwaltenden Gemeinschaft möglich. Ü b e r d i e r e v o l u t i o n ä r e D i k t a t u r f ü h r t d e r We g z u r s o z i a l i s t i s c h e n D e m o k r a t i e .«227 Das Wiener Zentralkomitee der Revolutionären Sozialisten hatte sich bereits am 22. Mai 1934 an die Exekutive der Sozialistischen Internationale anlässlich ihrer Tagung in Brüssel mit der Erklärung gewandt, die »österreichischen Sozialisten« – man vermied bewusst das Wort Sozialdemokraten – wollten »der Internationale (…) die tiefe Sehnsucht der Arbeitermassen nach einer E i n i g u n g d e s P r o l e t a r i a t s zu Gehör bringen. Im Kampf gegen die faschistische Diktatur unterscheidet nichts die s o z i a l i s t i s c h e n Arbeiter von ihren k o m m u n i s t i s c h organisierten Klassengenossen. Sie haben dieselben Verfolgungen und Leiden zu ertragen, und wie sie schon immer dasselbe Ziel erstrebt haben, so gibt es unter der faschistischen Diktatur auch k e i n e G e g e n s ä t z e m e h r i n d e r Ta k t i k des Kampfes. Wir erkennen wohl die Schwierigkeiten, die von beiden Seiten einer Verständigung zwischen der Sozialistischen Arbeiterinternationale und der Kommunistischen Internationale im Wege stehen  ; trotzdem verlangen wir, dass von sozialistischer Seite alles getan werde, um eine Einigung herbeizuführen. Unsere Mindestforderung ist, dass zunächst von der Sozialistischen Arbeiterinternationale der Dritten Internationale (Kommunistische Internationale, Anm. d. Verf.) ein Antrag auf Abschluss eines ehrlichen Nichtangriffspaktes, der wenigstens für die faschistischen Länder gelten muss, gestellt werde. Darüber hinaus sollen die Bemühungen fortgesetzt werden, die bestehenden Hemmungen und Missverständnisse, die bis jetzt die Einigung aufgehalten haben, zu beseitigen.«228 227 AZ Nr. 31. 22.9.1934. S. 2. 228 AZ Nr. 16. 10.6.1934. S. 3. Dementsprechend schrieb am 17. Juni 1934 die Sozialistische Arbeiterjugend Österreichs an die Kommunistische Jugendinternationale in Moskau  : »Die Sozialistische Arbeiterjugend Österreichs hat durch ihre Vertreter aus allen Bundesländern beschlossen zu ver-

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Die Annäherung der Revolutionären Sozialisten an die Kommunisten erfolgte im Juli 1934 durch den Abschluss eines Einheitsfrontabkommens. In diesem waren Verhandlungen über die Bildung einer Einheitspartei enthalten. Gemeinsam wurde betont, dass man das autoritäre Regime in Österreich stürzen und durch die Diktatur des Proletariats ersetzen wolle. Von einer Widerherstellung der parlamentarischen Demokratie war keine Rede. In der KPÖ wurde die Meinung vertreten, dass diese zukünftige einheitliche Arbeiterpartei auf der Basis des Programms und der Struktur der KPÖ und der Kommunistischen Internationale die Spaltung der Vergangenheit überwinden werde. Dies sollte auf dem kommenden Parteitag der KPÖ geschehen. Gegen diese Taktik opponierte das Zentralkomitee der Revolutionären Sozialisten, das Auslandsbüro der Österreichischen Sozialisten (ALÖS) in Brünn unter Otto Bauer wie auch der österreichische Sekretär der Sozialistischen Arbeiterinternationale (SAI) Friedrich Adler. Es war dieser Widerstand gegen die Intention der KPÖ, die Revolutionären Sozialisten auf dem kommenden Parteitag der KPÖ mit dieser zu vereinen, der diesen Inhalationsversuch der KPÖ vereitelte. Wenngleich man die Vereinigung der Arbeiterklasse anstrebe, so könne dies nicht dadurch geschehen, dass eine Partei (KPÖ) »die Führung des gesamten Proletariats an sich zu reißen versucht«, hieß es in einer Stellungnahme der Wiener Konferenz der RS Anfang September 1934 in Blánsko in Mähren. Man sei bereit, den Kampf gegen den Faschismus in gemeinsamen Aktionen mit den Kommunisten zu führen, hieß es in der Abschlussresolution, von einer Einheitspartei war jedoch nicht die Rede. Eine Vereinigung der beiden Parteien stoße »heute noch auf Hindernisse, die hauptsächlich in der Verschiedenheit der i n t e r n a t i o n a l e n Beziehungen und in der Stellung zu t a k t i s c h e n F r a g e n d e s K l a s s e n k a m p f e s bestehen.« Diese Vereinigung könne jedoch nicht durch die von der KPÖ praktizierten Manöver wie die Einladung





suchen, die Aufnahme gemeinsamer Besprechungen zwischen der Jugendinternationale in Prag und der Kommunistischen Jugendinternationale zu erreichen, die den Zweck haben sollen, einen N i c h t a n g r i f f s p a k t und die Durchführung e i n h e i t l i c h e r A k t i o n e n in den Ländern der illegalen sozialistischen und kommunistischen Verbände zu beraten. Wir stellen daher an die Kommunistische Jugendinternationale die Anfrage, o b s i e v o r b e h a l t l o s zu einer solchen Ausspache bereit ist. In der illegalen Arbeit gegen eine faschistische Diktatur sind überall die wesentlichsten Schranken, die bisher der Zusammenarbeit sozialistischer und kommunistischer Arbeiter entgegenstehen, gefallen. In keinem Land faschistischer Diktatur stehen dem Proletariat heute noch demokratische Kampfmittel zur Verfügung – die marxistischen Arbeiter führen ihren Kampf mit r e v o l u t i o n ä r e n Mitteln. Sie streben die Niederwerfung des Faschismus, die revolutionäre Herrschaft der Arbeiterklasse, die D i k t a t u r d e s P r o l e t a r i a t s an, deren letztes Ziel die Errichtung der s o z i a l i s t i s c h e n D e m o k r a t i e ist. Im Kampfziel zur Niederwerfung des Faschismus trennt uns damit nichts. (…) Wir wünschen in der Zeit ernstester Gefahren für die Arbeiterklasse die Z u s a m m e n f a s s u n g a l l e r K r ä f t e d e s P r o l e t a r i a t s anzubahnen  ; jeden Versuch einer Schwächung aus vermeintlichen Parteiinteressenhalten wir für ein Verbrechen.« (AZ Nr. 18. 24.6.1934. S. 8.

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zu einem kommunistischen Parteitag erreicht werden, da damit eine proletarische Partei der anderen Mitglieder entreißen wolle. »Die Vereinigung muss vielmehr dadurch vorbereitet werden, dass die beiden Parteien unter vorläufiger Wahrung ihrer organisatorischen Selbständigkeit den Kampf gegen den Kapitalismus und gegen den Faschismus gemeinsam führen, dass die Mitgliedschaften in gemeinsam durchgeführten Aktionen Vertrauen zueinander gewinnen, dass, bei voller Freiheit beider Parteien, ihre Auffassungen zu vertreten, alle Angriffe gegeneinander eingestellt werden. Erst wenn auf diese Weise die politischen und psychologischen Voraussetzungen für eine Verständigung hergestellt sein werden, können sich die beiden Parteien über die theoretischen und organisatorischen Probleme miteinander verständigen und dadurch die Voraussetzung ihrer Verschmelzung zu einer Partei schaffen.«229 Um alle Gruppierungen – Gewerkschafter, Schutzbündler, Reste der alten Parteiorganisationen, Mitglieder der Jugend- und Vorfeldorganisationen – anzusprechen, wurde im Sinne einer Aufforderung von Otto Bauer ein neues Hainfeld230 beschlos229 AZ Nr. 31. 22.9.1934. S. 3. 230 Otto Bauer  : Zu einem neuen Hainfeld  ! – In  : AZ Nr. 20. 8.7.1934. S. 1–3.Bereits am 27. Mai 1934 hatte Otto Bauer auf die Aufforderung reagiert, die »Arbeiter-Zeitung« aufgrund der neuen Rahmenbedingungen nicht mehr als Organ der österreichischen Sozialdemokratie, sondern der Revolutionären Sozialisten zu bezeichnen. Bei den revolutionären Sozialisten war zunehmend Unbehagen über die vom Auslandsbüro der österreichischen Sozialdemokratie (ALÖS) unter Otto Bauer in Brünn herausgegebenen Zeitung, die nunmehr als illegales Organ wöchentlich erschien, aufgekommen, da man auf deren Redaktion, die vor allem von Otto Bauer im Alleingang bewältigt wurde, keinen Einfluss hatte. Tatsächlich hatte Otto Bauer mit der Namensgebung der neuen Partei Probleme, da er den alten Namen »Sozialdemokratie« bevorzugte. Erst nach Monaten nannte er in der AZ den Namen »Revolutionäre Sozialisten« und unterstützte die neue ideologische Ausrichtung. Am 27. Mai 1934 schlug er eine Brücke, indem er in einem Artikel bemerkte, diejenigen, die eine Namensänderung forderten, würden »fürchten, der alte Name könne das Missverständnis hervorrufen, dass unser Kampfziel die Wiederherstellung der bürgerlichen Demokratie von gestern sei. Sie wünschen, dass wir im Namen unserer Partei ihren revolutionären Charakter schärfer aussprechen. Zu diesen Wünschen möchten wir Folgendes feststellen  : Über den Namen der Partei, ebenso wie über ihr Programm und ihr Organisationsstatut, kann nur eine P a r t e i k o n f e r e n z entscheiden, die aus Delegierten zusammengesetzt sein muss, welche von den in Österreich tätigen und kämpfenden Genossen entsendet werden müssen. Das A u s l a n d s b ü r o hält sich nicht für berechtigt, den Namen der Partei zu ändern  ; das könnte nur eine Parteikonferenz, die wirklich die Gesamtheit der kämpfenden Genossen in Österreich vertritt, tun. Solange eine solche Parteikonferenz noch nicht den Namen der Partei geändert hat, müssen wir bei dem alten Namen bleiben. Wir können es getrost tun. Denn dieser Name ist verknüpft mit der gesamten Geschichte der Befreiungskämpfe der österreichischen Arbeiterklasse. Vor wenigen Monaten sind unsere Helden zum Galgen gegangen mit dem Ruf  : ›E s l e b e d i e S o z i a l d e m o k r a t i e   ! ‹ Wir haben uns nicht vor einem Namen zu scheuen, der durch den letzten Ruf unserer Märtyrer geheiligt ist.

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sen, die neue Partei auf der kommenden Reichskonferenz »Vereinigte Sozialistische Partei Österreichs« zu nennen. Trotz des revolutionären Anspruchs und der Forderung nach einer Überwindung der Spaltung der Arbeiterbewegung durch die Bildung einer beide Strömungen umfassenden einheitlichen Partei, war man dem sofort einsetzenden Werben der KPÖ aufgrund des Misstrauens gegenüber deren Taktik, die auf eine Vereinigung unter der Dominanz der KPÖ zielte, nicht erlegen. Auf dem Ende September 1934 stattfindenden 12. Parteitag der KPÖ bildete die Aktionseinheit mit den Revolutionären Sozialisten, aus denen die Einheitspartei entstehen sollte, einen zentralen Punkt der Diskussion, in der neben den gemeinsamen Zielsetzungen auch die Widerstände der RS gegen eine von der KPÖ angestrebte kurzfristige Vereinigung der beiden Parteien deutlich angesprochen wurden. Das von Otto Bauer geforderte »zweite Hainfeld« wurde zur Jahreswende 1934/35, 46 Jahre nach dem Gründungsparteitag der Sozialdemokratie, in Brünn Realität. 68 Delegierte, unter ihnen fünf Frauen,231 versammelten sich im Turnsaal einer Schule, um eine historische Weichenstellung vorzunehmen. Dabei ging es vor allem um zwei Themen  : die Frage des Parteiverständnisses und des Verhältnisses zu den Kommunisten. In der Frage des Parteiverständnisses existierten grundlegende Auffassungsunterschiede zwischen dem Zentralkomitee der Revolutionären Sozialisten und den Vertretern der Bundesländer, als deren Sprecher sich der ehemalige SDAP-Bezirkssekretär von St. Veit an der Glan, Joseph Buttinger, profilierte. Joseph Buttinger war zum Zeitpunkt der Brünner Reichskonferenz Bundesländerreferent im Zentralkomitee der Revolutionären Sozialisten. Das Zentralkomitee hatte, wie auch andere Organisationen der Revolutionären Sozialisten, vor allem in den Bundesländern, durch die effektive Polizeiarbeit einen personellen Wandel erfahren. Bereits am 21. März 1934 waren Manfred Ackermann und Ludwig Kostroun verhaftet worden. Ackermann folgte als Obmann der Revolutionären Sozialisten der Die bürgerliche Demokratie ist in Österreich tot, ihre Zeit in unserem Lande vorbei. Die faschistische Gewaltherrschaft kann nur durch eine R e v o l u t i o n gestürzt werden. Aus einer Revolution muss eine D i k t a t u r d e s P r o l e t a r i a t s hervorgehen.« Ist die Diktatur des Proletariats »ein unentbehrliches M i t t e l zur Erreichung des Zieles, so bleibt das Z i e l doch die sozialistische Demokratie. In d i e s e m Sinne dürfen wir uns getrost auch heute Sozialdemokraten nennen. Es wäre töricht, über den N a m e n zu streiten, wenn wir über die S a c h e einig sind. Einer mit allen Gewaltmitteln ausgerüsteten Despotie gegenüber darf sich die Arbeiterklasse nicht in Sozialdemokraten und Kommunisten spalten. Sie muss ihre Kräfte in einer e i n h e i t l i c h e n , w a h r h a f t r e v o l u t i o n ä r e n s o z i a l i s t i s c h e n A r b e i t e r p a r t e i straff zusammenfassen. Heute gilt es, die Organisation einer solchen Partei aufzubauen.« (Otto Bauer  : Über den Namen der Partei. – In  : AZ Nr. 14. 27.5.1934. S. 3. 231 Von den 68 Delegierten waren 10 Mitglieder des ALÖS, 2 Vertreter der Gewerkschaft, je 1 Vertreter der SAJ, der Sportkommission und des Schutzbundes, 3 Vertreter des Bildungsausschusses, 5 Wiener Kreisleiter, 22 Wiener Bezirksvertreter und 16 Ländervertreter.

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ehemalige AZ-Redakteur Karl Hans Sailer, Kostroun der ehemalige AZ-Sportredakteur Hans Pav. Der Eisenbahngewerkschafter und Mitorganisator des Republikanischen Schutzbundes in Niederösterreich, Franz Rauscher wurde Länderreferent, um die Kontakte zur Basis in den Bundesländern herzustellen. Die Berichte Rauschers waren weitgehend pessimistisch, zudem klagte er über zunehmende Erschöpfung, sodass man sich im September entschloss, ihm zur Entlastung einen Stellvertreter, Joseph Buttinger, zur Seite zu stellen. Als Rauscher im Oktober 1934 verhaftet wurde, folgte ihm Buttinger als Länderreferent und Mitglied des Zentralkomitees. Nach der Verhaftung Karl Hans Sailers im Jänner 1935 übernahm er die Führung der Partei. Buttinger galt im Vorfeld der Reichskonferenz von Brünn als Sprachrohr der Bundesländer, die der Politik der Wiener Gruppe kritisch gegenüberstanden. Er war von der deutschen illegalen linkssozialistischen Gruppe »Neu Beginnen« inspiriert, die sich gegen die zu dieser Zeit dominante, von Obmann Karl Hans Sailer mit deutlicher Rückendeckung Otto Bauers vertreten kurze Perspektive mit ihrer Orientierung auf die Bildung einer illegalen Massenpartei und Aktivismus der Massen wandte. Eine solche Taktik berge die Gefahr der Vernichtung der Kader und damit der endgültigen Zerstörung der Arbeiterbewegung in sich, argumentierte Buttinger. Stattdessen sollte man sich auf den Aufbau einer illegalen Kaderpartei mit engen und vielfältigen Verbindungen zu illegalen Massenorganisationen konzentrieren. Den von Buttinger geführten Bundesländer-Delegierten gelang eine Berücksichtigung der Positionen von Neu Beginnen in dem schließlich verabschiedeten Aktionsprogramm, in dem es u. a. hieß, man müsse durch Schulung einen revolutionären Vortrupp schaffen, der die Führung des Kampfes übernehmen und gleichzeitig durch die Kenntnis der Bedürfnisse der Massen die Mobilisierung aller Werktätigen bewerkstelligen könne.232 232 AZ Nr. 2. 13.1.1935. S. 1–4. Wenngleich Otto Bauer die auf der Brünner Reichskonferenz beschlossene Taktik Buttingers schließlich akzeptierte, so setzte er doch die Rückbindung der Kaderpolitik an die Mobilisierung der Massen durch. Der schließlich gefundene Kompromiss lautete  : Kader und Masse, wobei dem Kader die Funktion des revolutionären Transmissionsriemens zukam. In seinem Mai-Aufruf 1935 schrieb Otto Bauer, die Arbeiterschaft freue sich »des tapferen Kampfes, den die Illegalen führen. Aber das genügt nicht. Mit bloßem Schimpfen allein stürzt man die faschistische Gewaltherrschaft nicht. Damit, dass sich Millionen darüber freuen, wie tapfer die Tausende der Illegalen den Kampf führen, wird der Faschismus nicht gestürzt. D i e M a s s e s e l b s t m u s s e s s e i n . Die Masse selbst muss es machen. Erst wenn wir alle die Faust nicht mehr im Sack haben, erst wenn jeder einzelne die Furcht vor Polizeiverfolgung, Unternehmerterror und Arbeitslosigkeit überwindet, erst wenn sich die Millionen von Werktätigen um die Tausende der Illegalen scharen, erst wenn der passive Widerstand der Arbeiterklasse gegen alle faschistischen Lockungen umschlägt in den aktiven Kampf gegen die faschistische Diktatur, erst dann kommt der Tag des Sieges, der Tag der Abrechnung, der Tag der Befreiung  ! (…) Überwinden wir alle Angst  ! Ballen wir die Faust nicht mehr im Sack und begnügen uns nicht mehr mit wirkungslosem Schimpfen  ! Scharen wir uns um die tapfere Vorhut unserer Illega-

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Zu diesem Zweck sei die Einheit der Arbeiterklasse notwendig, die man durch eine Kampfgemeinschaft mit den Kommunisten anstrebe. An die Stelle der »kurzen Perspektive« war die sich vor allem auf eine Kaderpolitik233 konzentrierende »lange Perspektive« getreten. Die Bundesländer-Delegierten lehnten auch den Namen »Vereinigte Sozialistische Partei« ab und setzten – vor allem mit Blick auf den Bruch mit der alten Partei und der Betonung der revolutionären Perspektive – die Bezeichnung »Revolutionäre Sozialisten« durch. Die im Juli 1934 vereinbarte Aktionseinheit von Revolutionären Sozialisten und KPÖ schien zunächst 1935 anlässlich des Jahrestages des Februars einen vorläufigen Höhepunkt zu erreichen, als sich beide Parteien auf einen gemeinsamen, von einem durchgehenden Revolutionsrhetorik-Grundduktus geprägten, Aufruf einigten, in dem die Ereignisse des Februar 1934 neben jenen der Pariser Kommune 1871 als ewiges Zeichen der Geschichte des internationalen Proletariats gefeiert wurden. »Der Kampf endete mit einer Niederlage, aus der die rote Fahne, röter noch durch das vergossene Blut, in Ehren hervorging. (…) Seit einem Jahr liegen unsere Toten in den Massengräbern, schmachten unsere Gefangenen in den Kerkern. Seit einem Jahr fühlen wir den Übermut der Sieger. Genossen, wir vergessen nichts  ! Die Tage des Februar 1934 sind uns auch eine eindringliche Lehre. Nicht nur Tote haben wir damals begraben, sondern auch Illusionen und Irrtümer. Eine ganze Epoche in der Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung ist damals zu Ende gegangen. Die Mehrheit der österreichischen Arbeiterschaft glaubte, f r i e d l i c h auf dem Wege der D e m o k r a t i e , den Sozialismus verwirklichen zu können. D i e F a s c h i s t e n h a b e n d i e D e m o k r a t i e z u s a m m e n g e s c h o s s e n . Sie haben die österreichische Arbeiterschaft gelehrt, dass es keine andere Wahl gibt  : entweder die Diktatur des Faschismus oder die Diktatur des P r o l e t a r i a t s    ! «234 Wenig später begann unter dem neuen Obmann Buttinger, trotz aller Appelle der KPÖ für die Permanenz der Einheitsfront, unter Hinweis auf die völlige Abhängigkeit der KPÖ von der KPdSU und der Komintern die deutliche Abgrenzung der Revolutionären Sozialisten von der KPÖ. So hieß es im Februar 1935 in einem von Buttinger wesentlich mitgestalteten Schreiben des ZK der Revolutionären Sozialisten an die KPÖ, mit dem das im Juli 1934 geschlossene Einheitsfrontabkommen auf-

len  ! Vorwärts zum Kampf, Genossen  ! Kühnheit, Kühnheit und noch einmal Kühnheit  !« (Otto Bauer  : Die Mahnung des 1. Mai. – In  : AZ Nr. 17. 28.4.1935. S. 1f.) 233 Zu diesem Zweck sollte auch die Zeitung der Revolutionären Sozialisten »Die Revolution«, die sich vor allem an die Parteikader wandte, jedoch im Herbst 1934 allmählich eingeschlafen war, wiederbelebt werden. 234 AZ Nr. 5. 3.2.1935. S. 1f.

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gekündigt wurde, da sich die Partei in der Zwischenzeit politisch und organisatorisch gefestigt habe, könne sie die Auseinandersetzung mit der KPÖ nunmehr anders führen als bisher. »Haben wir uns bisher bemüht, taktische und prinzipielle Fragen in der Auseinandersetzung zu meiden und so der KP auf diesem Gebiete oft die Initiative und Offensive überlassen, so wollen wir nun unsere passive Haltung aufgeben und vor den revolutionären, aktiven Kämpfern die vielen taktischen und grundsätzlichen Schwächen und Fehler der internationalen und österreichischen kommunistischen Politik aufzeigen. Kein politischer Angriff der KP bleibt unbeantwortet. So sehr es uns eine Genugtuung sein wird, in dieser im Interesse der ganzen Arbeiterbewegung notwendigen Auseinandersetzung gemeinsame Auffassungen zu finden, so wenig werden wir uns um Gegensätze drücken, um eines ungesunden und unbeständigen Friedens willen, der einer revolutionären Bewegung mehr schaden muss als er ihr nützt. (…) Wir müssen die Genossen der KP aufmerksam machen, dass die Einheitsfront in Österreich schon weiter fortgeschritten sein könnte, wenn auch die KPÖ diese taktische und organisatorische Freiheit hätte (wie die RS in der II. Internationale). Wir wissen aus der geschichtlichen Erfahrung, dass die Politik der III. Internationale sich nach den Bedürfnissen der Sowjetunion richtet. Die Revolutionären Sozialisten stehen auf dem Standpunkt, dass sich die internationale Politik des Proletariats nicht bloß nach den Bedürfnissen des russischen Staates, sondern ebenso nach den Kampfbedingungen und Bedürfnissen der Arbeiterklasse der ganzen Welt richten muss. Die völlige Abhängigkeit der KPÖ von der Komintern ist daher ein starkes Hindernis unserer Einheitsfront. Solange die KPÖ bloß Willensvollstreckerin der III. Internationale ist, ist sie auch allen Auseinandersetzungen in der III. Internationale ausgesetzt. Wir wissen, dass rein theoretische und taktische Fragen in der III. Internationale gewaltsam gelöst werden  : außerhalb Sowjetrusslands werden Abweichungen durch Parteiausschlüsse und Ächtung, in Russland selbst sogar durch Verbannung und das Erschießen oppositioneller Bolschewiken gelöst. Wir wollen in solche Auseinandersetzungen nicht hineingezogen werden. Wir können die Einheit daher nicht in der III. Internationale vollziehen.«235 Wenngleich Buttinger 1935 stolz von erfolgreichen Schmuggelaktionen erheblicher Mengen an Propagandamaterial sowie von Streuaktionen und Propagandatätigkeiten vor allem anlässlich des 1. Mai berichtete, so gestaltete sich die Lage der illegalen Partei keineswegs so rosig, wie sie in Berichten dargestellt wurde. Die Arbeit der Exekutive war durchaus erfolgreich. Zahlreiche Verhaftungen und das Entdecken von Propagandamaterial-Depots wie des Wiener Zentraldepots der illegalen Arbeiter-Zeitung inklusive des gesamten Verteilungsapparats bedeuteten erhebliche Rückschläge und führten dazu, dass sich das Zentralkomitee der Revolutionären Sozialisten, sehr zum Ärger von Otto Bauer, entschloss, die »Arbeiter-Zei235 Zit. bei Manfred Marschalek  : Untergrund und Exil. Österreichs Sozialisten zwischen 1934 und 1945. – Wien 1990. S. 162f.

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tung« ab 1. Mai 1935 nur mehr vierzehntätig erscheinen zu lassen. Der Aufbau einer funktionierenden und stabilen Parteiorganisation, eine Voraussetzung für die Taktik der langen Perspektive, erwies sich angesichts der ständig drohenden Verhaftungen der Kader und Aktivisten als schwierig. Als z. B. Mitte 1936 Buttingers engster Mitarbeiter, der Bundesländerreferent Josef Podlipnik verhaftet wurde, setzten hektische Überlegungen ein, wie im Fall der Verhaftung Buttingers das Überleben der illegalen Partei in Österreich gewährleistet werden könnte. Der Aufbau der Salzburger Landesorganisation der Revolutionären Sozialisten gestaltete sich ebenfalls schwierig. Sowohl die Mitglieder der Landesleitung der Revolutionären Sozialisten wie Josef Pfeffer und Markus Scheiblehner wie auch die meisten Aktivisten auf lokaler Ebene waren zu einem Großteil Mitglieder der Sozialistischen Arbeiterjugend und des Schutzbundes, die auf entlegenen Berg- und Almhütten geschult wurden. Die Versorgung mit Propagandamaterial erfolgte vor allem über sozialdemokratische Eisenbahner. Wenngleich in den traditionellen sozialdemokratischen Hochburgen Itzling, Gnigl, Maxglan, Hallein, Bischofshofen, Lend, Saalfelden und Badgastein sozialdemokratische Milieus weiterhin existierten und auch Widerstandsformen praktiziert wurden, so schufen die Arbeit der Exekutive – im Herbst 1935 und im August 1936 erfolgten größere Verhaftungswellen – wie auch die geografischen Bedingungen inklusive der mangelhaften Infra- und Kommunikationsstruktur erhebliche Hindernisse. Die nach außen hin sichtbaren Widerstandshandlungen erreichten 1935/36 anlässlich des sozialistischen Festkalenders – 12. Februar, 1. Mai und 12. November – ihren Höhepunkt und manifestierten sich in der Bemalung von Straßen, Straßenschildern und öffentlichen Gebäuden mit sozialistischen Parolen und Parteisymbolen, dem Hissen von roten Fahnen und dem Abbrennen von Höhenfeuern vor allem in Form von drei Pfeilen. Die auch die führenden Funktionäre der Revolutionären Sozialisten erfassende Verhaftungswelle Ende August 1936 bildete »eine Zäsur in der Widerstandstätigkeit (…) besonders was offensivere, an die Öffentlichkeit gerichtete Formen der illegalen politischen Arbeit betraf.«236 Das sozialdemokratische Milieu blieb jedoch bestehen und ermöglichte ein breites Spektrum oppositionellen Alltagsverhaltens, das quellenmäßig allerdings kaum zu erfassen ist. Die Salzburger Sozialdemokratie befand sich, noch stärker als die Gesamtpartei, bereits ab 1933 in einer schwierigen Situation, die nach dem Februar 1934 nochmals deutlich an Dramatik gewann. Zwischen März und Dezember 1933 hatte die Partei rund ein Drittel ihrer Mitglieder aufgrund zunehmender Resignation infolge der Arbeitslosigkeit, der Sorge um den Arbeitsplatz und Abwanderung zu den Kommunisten und Nationalsozialisten verloren. 1932 betrug die Zahl der Arbeitslosen in Österreich 468.000, 1933 bereits 557.000, davon rund ein Drittel Ausgesteuerte. 236 Bauer, Ebeling-Winkler  : Sozialisten. S. 39.

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Die vor allem nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler einsetzende verstärkte Propaganda der NSDAP zur Lösung der Arbeitslosenfrage und die einsetzenden ersten Erfolge der nationalsozialistischen Beschäftigungspolitik übten zunehmenden Einfluss auf die Haltung der Arbeitslosen aus, die bisher zum überwiegenden Teil sozialdemokratisch und zu einem verschwindend kleinen Teil kommunistisch gewählt hatten. Dieser Entwicklung wurde sich die SDAP vor allem in den agrarisch geprägten Bundesländern bewusst, da hier die Arbeitslosen oftmals schlechter gestellt waren als in Wien. So stieg die Arbeitslosenrate in den Bundesländern deutlich stärker als in der Bundeshauptstadt und waren die Land- und Forstarbeiter nicht in die Arbeitslosenversicherungssysteme integriert. Hinzu kamen die verschiedenen Berechnungsmuster der Arbeitslosenunterstützung in den unterschiedlichen Zonen des Landes, die die Arbeitslosen in ländlichen Regionen benachteiligten. Während z. B. ein Wiener Arbeitslosenhaushalt im Jahresdurchschnitt rund 1.700 Schilling erhielt, musste sich ein Arbeitslosenhaushalt in Tirol, wo die Lebenshaltungskosten um 16 Prozent höher lagen, mit rund 980 Schilling zufriedengeben. Nur dort, wo die SDAP über ein dichtes Netzwerk von Partei- und Vorfeldorganisationen verfügte, konnte sie – zumindest bis 1934 – das starke Abwandern vor allem von jüngeren Parteimitgliedern und Sympathisanten in Grenzen halten. In den ländlichen Gegenden der Bundesländer war dies infolge mangelnder Parteistrukturen nicht der Fall. So berichtete der oberösterreichische Sicherheitsdirektor Hans von Hammerstein-­ Equord an die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit in Wien am 29. Jänner 1934  : »Während die sozialdemokratischen Führer sich bemühen zu retten, was noch zu retten ist, läuft der jüngere Anhang ins braune Lager über.«237 Helmut Konrad hat auf die Notwendigkeit der regionalen Differenzierung bei der Betrachtung der österreichischen Sozialdemokratie hingewiesen. Wenngleich rund 60 Prozent der Parteimitglieder in Wien beheimatet waren und die Topoi Rotes Wien und austromarxistische Gegenkultur in der historischen Betrachtung dominieren, so können sie nicht auf die SDAP in den Bundesländern, vor allem in den dominant agrarischen Zonen mit ihren regional unterschiedlichen Traditionen in Ideologie und Politik übertragen werden. So waren, mit Ausnahme des südlichen Niederösterreich und der Obersteiermark, Industrieenklaven und nicht geschlossene Industriegebiete charakteristisch, bei denen der aus den umliegenden agrarischen Zonen stammende Pendleranteil an der Arbeiterschaft hoch war. Dieses aufgrund der unterschiedlichen Milieus entstandene kulturelle Zwischenmilieu war dem Nationalsozialismus leichter zugänglich als die geschlossenen Milieus der Industriegebiete und der katholischen Agrarier. Hinzu trat das in den Bundesländern fast 237 Zit. bei Hans Schafranek  : NSDAP und Sozialisten nach dem Februar 1934. – In  : Rudolf G. Ardelt, Hans Hautmann (Hg.)  : Arbeiterschaft und Nationalsozialismus in Österreich. In memorian Karl R. Stadler. – Wien/Zürich 1990. S. 91–128. S. 93.

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vollständige Fehlen des Typus des Großindustriellen, »da die Industrialisierung entscheidend vom anonymen Bankkapital getragen wurde. Kleinstädtisches Bürgertum stammte hauptsächlich aus Handel, Gewerbe und Intelligenz, wobei oftmals sozial engagierte Kleinbürger, etwa Lehrer, wichtige Rollen in der Arbeiterbewegung spielten. Vor allem gegen die Kirche gab es Bündnisse mit dem nationalen Bürgertum. (…) Ein starker Einfluss des Bildungsbürgertums in der Arbeiterbewegung, der meist abseits von der Metropole zu bemerken war, erleichterte den Wechsel zum Nationalsozialismus nicht zuletzt dadurch, weil das den Arbeitern vermittelte Kulturgut eine ausgeprägt nationale Komponente (›deutsches kulturelles Erbe‹) hatte. Diese Form der Arbeiterbewegung, oft ›Lehrersozialismus‹ genannt, machte unter dem Dreigestirn sozial-national-antiklerikal in einigen Gegenden Österreichs die Trennlinie zwischen Sozialismus und Nationalsozialismus so undeutlich, dass der Wechsel (und die Rückkehr 1945) überhaupt nicht als entscheidender Bruch in individuellen Biografien empfunden wurde.«238 Und schließlich erfolgte nach dem Verbot der NSDAP am 19. Juni 1933 ab Herbst desselben Jahres in Teilen der sozialdemokratischen Arbeiterschaft, jedoch auch der Kommunisten, eine psychische Veränderung der Wahrnehmung des Hauptgegners von den Nationalsozialisten hin zur Heimwehr und den übrigen vaterländischen Verbänden sowie der staatlichen Exekutive, die sich nach dem Februar 1934 noch verstärkte. Es kam zum Brückenschlag zwischen den rechten und linken Illegalen. Polizeiberichte wiesen bereits im Jänner 1934 darauf hin, »dass sozialdemokratische Jugendliche, insbesondere Mitglieder der sozialdemokratischen Arbeiter Jugend (SAJ), mit Anhängern der verbotenen Nationalsozialistischen Partei freundschaftlich verkehren und auch auf der Straße zusammengehen. Die noch vor einigen Monaten bestandenen Gegensätze zwischen den Jugendlichen der beiden gegnerischen Parteien, die bei jeder Gelegenheit zu stänkern und zu raufen pflegten, haben gänzlich aufgehört. Es hab schon bisher keinen einzigen Fall gegeben, dass ein Sozialdemokrat einen Nationalsozialisten verraten hätte …«239 Nach dem Juliputsch der Nationalsozialisten bemerkte Otto Bauer, dass, während der Putsch in Wien »eine blutige Posse« gewesen sei, ihm vor allem in der Steiermark und in Kärnten »bitter ernste Kämpfe« gefolgt seien. »In einigen Industrieorten haben sich a u c h s o z i a l i s t i s c h e u n d k o m m u n i s t i s c h e A r b e i t e r an den Kämpfen beteiligt. Sie haben den Regierungstruppen den heldenmütigsten Widerstand geleistet und die schwersten Opfer gebracht. Jeder sozialistische Arbeiter versteht, dass das Nazitum unser Todfeind ist. Aber der Hass, mit dem die austrofaschistischen Arbeitermörder die Arbeiterschaft erfasst haben, ist

238 Helmut Konrad  : Das Werben der NSDAP um die Sozialdemokraten 1933–1938. – In  : Ardelt, Hautmann (Hg.)  : Arbeiterschaft und Nationalsozialismus in Österreich. S. 73–89. S. 77. 239 Zit. bei Schafranek  : NSDAP und Sozialisten nach dem Februar 1934. S. 93.

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so wild, dass manche Arbeiter selbst an der Seite der Nazi gegen die bluttriefende klerikofaschistische Diktatur gekämpft hat.«240 Diese Tendenz zur Nähe zur NSDAP in Form einer Kampfgemeinschaft gegen das autoritäre Regime verstärkte sich nach dem Februar 1934. Die Partei drohte durch diese politisch-emotionale Symbiose vor allem außerhalb der Industrieorte in den Bundesländern die weitgehende Auflösung. Der beträchtlichen und daher für den Bestand der Partei beunruhigenden Abwanderung vor allem von jüngeren Mitgliedern und Sympathisanten zur NSDAP war sich auch Otto Bauer bewusst. Bereits in der ersten Nummer der nunmehr in Brünn herausgegebenen »Arbeiter-Zeitung« wies er darauf hin, dass die NSDAP gegenwärtig erheblich stärker sei als zur Zeit der Auflösung der Partei im Juni 1933. »Was den Nazi gelungen ist, muss auch uns gelingen. Der sozialistische Gedanke muss und wird trotz Auflösung der Partei und aller Arbeiterorganisationen, trotz dem Raub an unserem Eigentum, trotz der Verhaftung unserer Führer, lebendig bleiben unter den österreichischen Arbeitern. Lasst Euch nicht aus Hass gegen Fey und Dollfuß von den Nazi e i n f a n g e n   ! Hitler ist der Todfeind der deutschen Arbeiter und darum auch unser Todfeind. Eine Naziherrschaft in Österreich könnte dauerhafter, innerlich fester und darum gefährlicher sein als die Diktatur des blutigen Palawatsch des Austrofaschismus. Die österreichischen Arbeiter dürfen unter keinen faschistischen Einfluss kommen – weder unter austro-, noch unter nazifaschistischen. Sie waren und bleiben Sozialdemokraten  !«241 In der folgenden Nummer der »Arbeiter-Zeitung« wies er darauf hin, dass die Nationalsozialisten zehn Monate lang mit Böllern gegen die Regierung Dollfuß gekämpft hätten. »Als aber wir im Kampf auf Leben und Tod gegen Dollfuß standen, sind sie, von ganz vereinzelten Ausnahmen abgesehen, plötzlich ruhig geworden und haben Dollfuß und Fey bei der blutigen Niederwerfung der Arbeiterschaft nicht gestört. Jetzt aber, n a c h unserem Kampf, suchen sie sich bei den Arbeitern einzuschmeicheln. Und sie finden bei manchen jungen Arbeitern Gehör. Mancher junge Genosse meint, man müsse jetzt mit den Nazi gehen, um sich an den klerikofaschistischen Henkern zu rächen. Das ist ein b e g r e i f l i c h e r, a b e r h ö c h s t g e f ä h r l i c h e r I r r t u m . Hitler hat die deutschen Arbeiter ebenso bestialisch niedergeworfen, wie Dollfuß-Fey die österreichischen Arbeiter. Dollfuß ist nur ein stümperhafter Nachahmer Hitlers. Eine Nazidiktatur in Österreich wäre gefährlicher als die austrofaschistische Diktatur  ; denn die Nazidiktatur könnte sich immerhin auf breite Massen stützen, während hinter Dollfuß nichts steht als ein paar tausend Aristokraten, Kapitalisten und Pfaffen. Eine Hitlerdiktatur in Österreich wäre daher dauerhafter als die Diktatur Dollfuß-Fey, deren Tage gezählt sind. Die

240 Otto Bauer  : Nach dem zweiten Bürgerkrieg. – In  : AZ Nr. 24. 5.8.1934. S. 1f. S. 1. 241 Otto Bauer  : Nach dem Kampf. – In  : AZ Nr. 1. 25.2.1934. S. 1–4. S.  3f.

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österreichischen Arbeiter dürfen daher nicht den Braunen zur Herrschaft in Österreich verhelfen.«242 Die zweite Abwanderungswelle, vor allem Mitglieder der Jugendorganisationen und des Republikanischen Schutzbundes243, ging Richtung KPÖ, die dadurch jedoch keineswegs, wie von KPÖ-Historikern immer wieder behauptet, zu einer linken Massenpartei wurde, sondern lediglich ihren äußerst bescheidenen Mitgliederstand, der Ende März 1930 mit rund 1.600 einen Tiefstand erreichte, bis Jahresbeginn 1934 auf rund 10.000 und nach dem Februar 1934 auf rund 16.000 erhöhen konnte. Durch den massiven Verlust, den die SDAP vor allem von Schutzbündlern und jugendlichen Aktivisten an die KPÖ zu verzeichnen hatte, wurde diese 1934/35 unter den Bedingungen der Illegalität zumindest kurzfristig zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten. Erst die Konsolidierung der Revolutionären Sozialisten auch durch eine bewusste Linkswende konnte die Abwanderung zur KPÖ stoppen und ließ sie selbstbewusster gegenüber den Vereinnahmungsversuchen der KPÖ auftreten. Die nach dem Februar 1934 entstandenen Dokumente der Revolutionären Sozialisten zeigen, dass, so wie bei den Akteuren des partiellen Schutzbundaufstandes, die Wiederherstellung der bürgerlichen parlamentarischen Demokratie der Ersten Republik abgelehnt und an deren Stelle die Diktatur des Proletariats als unverzichtbares Mittel zur Erreichung einer sozialistischen Demokratie auf die ideologischen Fahnen geschrieben wurde. Eine Revision der sozialistischen Demokratie durch 242 AZ Nr. 2. 4.3.1934. S. 3. 243 Helmut Konrad weist darauf hin, dass nach Schätzungen ca. 20.000 Schutzbündler an den Februarkämpfen teilnahmen, von denen sich nach den Kämpfen rund 1.000 in der Tschechoslowakei und weitere rund 1.000 im Gefängnis befanden. Von den 18.000 Verbleibenden seien rund ein Drittel, d. h. 6.000, als Resignative einzustufen. Die verbleibenden 12.000 hatten die Optionen, sich den Revolutionären Sozialisten anzuschließen, den Schutzbund als »Autonomen Schutzbund« weiterzuführen, zur KPÖ oder zur NSDAP zu wechseln. Der Großteil dürfte, teilweise auch über den Zwischenschritt des Autonomen Schutzbundes, zur KPÖ gewechselt sein. (Konrad  : Das Werben der NSDAP um die Sozialdemokraten 1933–1938. S. 81.) Wie stark der illegale Schutzbund sich im ideologischen Fahrwasser der KPÖ befand, dokumentiert die Ausgabe des Organs des geeinten Schutzbundes »Der Schutzbündler« am Vorabend des 1. Mai 1935  : »Die revolutionäre Krise, die Weltrevolution, die Entscheidungsschlacht zwischen Proletariat und Kapital, reift rasch heran. Wir müssen für diesen Kampf gerüstet sein  ! Nicht Gewehr bei Fuß und den Zusammenbruch der kapitalistischen Wirtschaft, den furchtbaren Weltkrieg abwarten, sondern Gewehr in der Hand und kämpfen, kämpfen um jeden Schritt vorwärts, kämpfen bis zur höchsten Form des Klassenkampfes, bis zum bewaffneten Aufstand, bis zur Vernichtung der faschistischen Söldlinge, bis zur Zertrümmerung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, bis zur Diktatur des Proletariats  ! (…) Wir Februarkämpfer geloben  : Treue unserem einheitlichen Schutzbund. Unseren Gruß der Roten Armee, der Kämpferin für den Frieden und Schützerin der Revolution.« (Der Schutzbündler Nr. 7/1935. S. 1.

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demokratischen Mehrheitsentscheid wurde als Rückschritt auf dem Weg zur Vollendung der Geschichte im Reich der Freiheit abgelehnt, weshalb das Proletariat als letzte historische Klasse im Sinne der Marxschen Geschichtsphilosophie die Macht mit den Mitteln der Diktatur behaupten müsse. Die große Erzählung der Sozialdemokratie, der Kampf der Aufständischen des Februar 1934 und der Widerstand der Revolutionären Sozialisten 1934 bis 1938 sei ein Kampf um Freiheit und die parlamentarische Demokratie nach westlichem Muster gewesen, ist der Versuch, a posteriori das kollektive historische Gedächtnis und dessen Erinnerungskultur durch eine Umdeutung der historischen Fakten zu bestimmen.

8. Einheitsfront, »Antifaschismus, Sowjetösterreich und der neue (verordnete) Patriotismus« Die KPÖ 1934 bis 1936

Sowohl die sich konstituierenden und im Laufe des Jahres 1934 organisatorisch verfestigenden Revolutionären Sozialisten wie auch die durch den Zuzug enttäuschter Aktivisten der ehemaligen SDAP gestärkte KPÖ repräsentierten nur mehr einen kleinen Teil der ehemaligen Wählerschaft der SDAP. Charakteristisch für die ideologische Positionierung der Revolutionären Sozialisten war ein deutlicher Linksruck, der die Hoffnungen der KPÖ bestärkte, mit der Devise der »Einheitsfront« und dem taktischen Zwischenschritt der »Aktionsgemeinschaft« bereits mittelfristig eine Vereinigung der beiden Parteien unter Führung der KPÖ zu erreichen. Zunächst schien die KPÖ in ihren Bemühungen erfolgreich zu sein, da die im Juli 1934 mit den Revolutionären Sozialisten abgeschlossene Vereinbarung über eine Aktionseinheit auch die Aufnahme von Verhandlungen über die Bildung einer revolutionären Einheitspartei beinhaltete. Beide Parteien gingen von der die realen Verhältnisse völlig ignorierenden illusionären Konzeption der sog. »kurzen Perspektive« aus, d. h. der Kurzlebigkeit des autoritären Regimes und der Bildung einer illegalen Massenpartei als Akteur des revolutionären Umsturzes. Die Vereinbarung beinhaltete allerdings auf Drängen der Revolutionären Sozialisten auch ein Stillhalteabkommen über gegenseitige Angriffe, das sich als Vorteil für die sich erst im Aufbau befindende Partei erweisen sollte, da es die Möglichkeit eröffnete, ihre eigene Politik ohne permanente kommunistische Störfeuer zu entwickeln und damit auch die Basis für eine Distanzierung von kommunistischen Vereinnahmungsversuchen schuf. Der 12. Parteitag der KPÖ am 14. und 15. September 1934 in Prag, der aus konspirativen Gründen als Salzburger Parteitag bezeichnet wurde, war vor allem zwei Themen gewidmet  : der Rolle der illegalen Parteien im Kampf gegen das autoritäre Regime und der Errichtung der Einheitsfront. Beide Themen wurden unter der Prämisse einer Dominanz der KPÖ diskutiert. In der Diskussion über die Rolle der illegalen Parteien wurde neben der Taktik der Vereinnahmung der illegalen Gewerkschaftsarbeit244 und des Autonomen Schutzbundes, in dem bereits die kom244 Bereits im Februar 1934 hatten die illegalen sozialdemokratischen Gewerkschaftsfunktionäre den »Siebenerausschuss« gegründet, um die Gewerkschaftsarbeit fortzusetzen, die Kommunisten eine »Zentrale Wiederaufbaukommission« ins Leben gerufen. Im Juli 1935 gelang es, beide Gremien zur illegalen »Provisorische Bundesleitung der Freien Gewerkschaften« zu vereinen, wobei jedoch über die einzuschlagende Taktik deutliche Differenzen zwischen beiden Parteien bestanden. Während die

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munistischen Sympathien überwogen, eine Erweiterung der Basis um agrarische Unterschichten gefordert und damit die Taktik der im folgenden Jahr durch die Beschlüsse des VII. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale (Komintern) kreierten Volksfrontpolitik teilweise vorweggenommen. Die KPÖ nahm die Produktion der von der Regierung Dollfuß verbotenen »Sensen-Fahne« und des »Arbeitsbauern« als nunmehr gemeinsames Blatt vor allem mit dem Ziel wieder auf, die feststellbare Abwanderung bäuerlicher Unterschichten zur NSDAP zu verhindern und diese für die KPÖ zu gewinnen. So hieß es in der ersten Propagandanummer, die Vertrauensmänner der KPÖ, die zu einem Parteitag in Prag zusammengekommen seien, würden allen »werktätigen Bauern, Landarbeitern, Keuschlern, Pächtern, Bauernsöhnen und Bauernfrauen (…) brüderliche Grüße« entbieten. Wie bei der Propaganda der NSDAP wurde eingehend auf die »Not im Dorfe« hingewiesen. »Die S c h u l d e n der kleinen Bauernwirtschaften und der Z i n s e n d i e n s t an die Raiffeisenkassen und Hypothekaranstalten sind unerträglich. Die hohen S t e u e r n und die A b g a b e n ruinieren zehntausende der kleinen Bauernwirtschaften. Der Exe­kutor, in der Begleitung der Gendarmerie, pfändet auch das letzte Stück Vieh und Inventar. Die Bauernpolitik der Regierung ist in Wirklichkeit eine Politik für die reichen Großkopferten, für die Fürsten Starhemberg und Esterhazy, für die Herren Strakosch und Guttmann und für die reichen Klöster. Der schwerarbeitende Bauer wird durch Z w a n g s r e g u l i e r u n g e n für Milch und Fleisch  ; durch Vi e h z u c h t b e s c h r ä n k u n g e n , durch hunderte Zwangsmaßnahmen gegen die Armen und Kleinen auf das härteste getroffen, damit die Reichen und Großen den Markt beherrschen und den Profit einstecken können. Die künstlich hoch gehaltenen F u t t e r m i t t e l p r e i s e sind eine Profitquelle für die Großbauern und Großgrundbesitzer und eine schwere Belastung für die armen Alpenbauern, die nicht genug Futter für ihr Vieh haben. Die landwirtschaftlichen G e n o s s e n s c h a f t e n betreiben eine schamlose Freunderlwirtschaft für die Großbauern und sind eine große Futtergrippe für Bürokraten und andere Wichtigmacher  ; die Kleinbauern haben dabei nichts mitzureden und gehen zugrunde. Die Not der L a n d a r b e i t e r ist himmelschreiend. Während die Großgrundbesitzer in der Stadt ein Schlemmerleben führen, das Geld verspielen und verludern, müssen die Landarbeiter um einen Hungerlohn arbeiten, in elenden Baracken hausen und wenn sie krank werden, lässt man sie ohne Unterstützung verrecken. (…) Wir Arbeiter der Stadt und der Fabriken verstehen die Notlage der Bauern am besten, weil wir selbst die größte Not leiden. Die Bauern müssen Fleisch und Milch um ein Spottgeld an die Zentralstellen und Zwischenhändler verschleudern, Revolutionären Sozialisten auf den völligen Boykott oder die Zersetzung der von der Regierung geschaffenen Einheitsgewerkschaft pochten, vertrat die KPÖ die Auffassung, in der Einheitsgewerkschaft mitzuarbeiten und diese als Instrument des politischen Kampfes zu instrumentalisieren.

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aber in der Stadt sind Milch und Fleisch so teuer, dass sie der Arbeiter mit seinem niedrigen Lohn nicht kaufen kann. Deshalb erklärt der Parteitag der Kommunistischen Partei und ruft es in alle Arbeiterquartiere und bis in die letzte Hütte des Dorfes, dass der arbeitende Bauer und der Arbeiter der Stadt zusammengehören  !« Ein Blick in das nationalsozialistische Deutschland zeige, dass von den Versprechen der Nationalsozialisten nichts übrig geblieben sei. »Sie haben keinem einzigen Gutsbesitzer ein Haar gekrümmt, sie haben keiner einzigen Bauernwirtschaft Schuldbefreiung gebracht, sie haben keinem einzigen landarmen Bauern Grund und Boden gegeben.« Und an die bäuerlichen Teilnehmer am Juliputsch der Nationalsozialisten gewandt  : »Was habt Ihr am 25. Juli erlebt  ? Viele von Euch haben für Hitler und seine s t u d i e r t e n M a u l r e i ß e r in den Städten die Waffen in die Hand genommen, viele von Euch haben gekämpft und sind eingesperrt worden, die Naziführer, Advokaten und andere Doktoren haben sich rechtzeitig geflüchtet. Die Regierung hat Kleinbauern, die gekämpft haben, Hof und Grund weggenommen, aber mit dem Generaldirektor Dr. Appold245 von der Alpine Montan hat sie sich in Verhandlungen eingelassen und ihm kein Haar gekrümmt. Alle – die Christlichsozialen, Landbündler und die Nazi haben Euch weiß Gott war versprochen und Euch am Ende verkauft und verraten. Wir Kommunisten, die Vertrauensleute der Arbeiter, sagen Euch  : Verlasst Euch auf keine andere Kraft als auf Eure eigene, die zusammen mit der Kraft der Arbeiter alle Werte erzeugt. Wenn sich die Bauern und die Arbeiter verbünden, können wir die Blutsauger zum Teufel jagen. Arbeiter und Bauern – Hammer und Sichel – gehören zusammen  ! Durch das Bündnis von Hammer und Sichel wurde in Sowjetrussland der Staat der Arbeiter und Bauern aufgerichtet.«246 Im Vorfeld des Parteitages waren die von der KPÖ forcierten Einheitsfrontgespräche mit den Revolutionären Sozialisten ins Stocken geraten. Um diesen wiederum neuen Schwung zu geben, erfolgte eine Einladung zur Teilnahme am 12. Parteitag 245 Muss heißen Apold. Anton Apold war Generaldirektor der Alpine Montan, förderte die Heimwehr als Gegengewicht zum sozialdemokratischen Einfluss auf die Arbeiterschaft in der Steiermark und stand seit 1932 in Verbindung zur NSDAP, die 1933 auch finanzielle Zuwendungen erhielt. 1934 wurde er Parteimitglied und schien in der Ministerliste von Anton Rintelen auf. Er wurde 1934 von der Regierung suspendiert und 1935 entlassen. 246 Die Sensen-Fahne. Vereint mit dem Freien Arbeitsbauern. Propagandanummer. Nr. 5. November 1934. Die Propagandanummer wurde vom Gendarmerieposten Diensten am Hochkönig im Dezember 1934 sichergestellt.

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der KPÖ, die jedoch ebenso ausweichend negativ beantwortet wurde wie eine Einladung zur Teilnahme am Weltkongress der Komintern im Sommer 1935. Dennoch hielt die KPÖ am Konzept der Einheitsfront fest. Man werde, so Johann Koplenig in seinem Grundsatzreferat in Richtung Revolutionäre Sozialisten, auch weiterhin »eine Politik der konsequenten Einheitsfront betreiben.«247 Diese Politik vermochte, trotz der immer deutlicher werdenden Differenzen zwischen KPÖ und Revolutionären Sozialisten, durchaus Teilerfolge zu erzielen. So einigten sich KPÖ, Revolutionäre Sozialisten und Autonomer Schutzbund auf gemeinsame Aufrufe zu den Hochämtern des sozialistischen Festkalenders, dem 7. November, dem Tag der Oktoberrevolution in Russland, und dem 12. November, dem Tag der Ausrufung der Republik. Beide Aufrufe zeigen die ideologische Nähe der beteiligten Organisationen. So wurde im Aufruf zum 7. November die Sowjetunion als »die Sehnsucht und Hoffnung der Arbeiter aller Länder« bezeichnet und die russischen Arbeiter als »die Werkmeister des sozialistischen Aufbaus in treuer Solidarität« begrüßt.248 Der 12. November sei, anders als 1918, aufgrund der jüngsten Ereignisse, vor allem des 12. Februar 1934, eine Mahnung für die Zukunft. »Wenn wir wieder die Macht erobern, werden wir sie besser zu verteidigen wissen durch die Diktatur des Proletariats  !«249 Im Dezember 1934 veröffentlichte das Zentralkomitee der Partei einen an die Revolutionären Sozialisten und den Schutzbund gerichteten Brief, in dem in typischer, die eigene Stärke suggerierender Kampfrhetorik die Bildung einer Aktionseinheit anlässlich des bevorstehenden Jahrestages der Februarkämpfe vorgeschlagen wurde. 247 Zit. bei West  : Die Linke im Ständestaat Österreich. S. 91. 248 Im »Tribunal«, dem Kampforgan der kommunistischen Österreichischen Roten Hilfe, wurde der 17. Jahrestag der Bolschewistischen Revolution in Russland als Sieg des Reichs des Lichtes über jenes der Dunkelheit gefeiert. »Wir sehen zwei Welten, zwei Systeme. Die kapitalistische Welt windet sich unter der unerträglichen Last einer nie dagewesenen Krise, durch faschistischen Terror wird die Arbeiterklasse in kapitalistischen Ländern geknebelt und verfolgt und die Kapitalisten aller Länder rüsten fieberhaft zu neuen imperialistischen Kriegen und zur Intervention gegen die Sowjetunion. Das Räteland aber führt erfolgreich den Aufbau der neuen sozialistischen Gesellschaft durch, kennt keine Krise und Ausbeutung, keine Arbeitslosigkeit, keine wirtschaftliche und politische Unterdrückung der Werktätigen. Ununterbrochen steigt das kulturelle Niveau der Massen, das Land des Sozialismus allein führt eine konsequente und unentwegte Friedenspolitik. Die Welt des siegreichen sozialistischen Aufbaus hat den vollen Sieg davongetragen über die Welt des verfaulenden Kapitalismus. Die ganze Welt kennt und wurde in Staunen versetzt über die erfolgreiche Durchführung des ersten Fünfjahresplanes. Aus dem technisch rückschrittlichen Agrarland ist ein technisch hochentwickeltes Industrieland geworden. Wahre Giganten von Industrieunternehmungen über das ganze Land verstreut sind aus dem Boden gewachsen und der Geist des revolutionären Wettbewerbes – der seinesgleichen in der kapitalistischen Welt nicht findet – zeigte sich nicht nur im Aufbau der Giganten, zeigte sich auch in der Produktion, durch die das Räteland sich immer mehr völlig unabhängig von den kapitalistischen Staaten macht.« (Tribunal Dezember 1934. S. 1.) 249 Zit. bei West  : Die Linke im Ständestaat. S. 93f.

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»Der österreichische Faschismus wendet alle Kräfte an, um seinen Weg weiter zu gehen. Dieser Weg ist  : noch größerer Terror, noch größere wirtschaftliche Versklavung gegen die Arbeiterklasse im Inneren (…) Zu den tausenden Klassenkämpfern, die in den Kerkern und Konzentrationslagern der Bourgeoisie schmachten, kommen täglich neue. (…) Aber auch die Arbeiterklasse hat ihre Positionen trotz Terror, Bluturteile, brutalster Unterdrückung und schleimiger jesuitischer Heuchelei (…) gefestigt. Zehntausende kampfgewillter Genossen stehen heute in den Reihen der Kommunistischen Partei Österreichs, des Schutzbundes, der Revolutionären Sozialisten, der neu aufgerichteten illegalen Freien Gewerkschaften, den Arbeitersportorganisationen, der ›Roten Hilfe‹ und den übrigen proletarischen Organisationen. Um diese Organisationen steht ein breiter Ring von Sympathisierenden, die unseren Kampf unterstützen. Es gilt jetzt die proletarische Einheitsfront des Kampfes, die in Österreich seit dem Sommer 1934 besteht, zu verbreitern und zu vertiefen, alle proletarischen Organisationen, die auf dem Boden des Klassenkampfes stehen, miteinzubeziehen und die Offensive des Faschismus mit der Gegenoffensive der Arbeiterklasse zu beantworten.«250 Der KPÖ gelang es mit dieser geschickten Initiative, der sich die Revolutionären Sozialisten ebenso wenig entziehen konnten wie der Republikanische Schutzbund, ein Aktionskomitee für die geplante »Kampfwoche gegen den Faschismus« im Februar 1935 ins Leben zu rufen, das als Plattform für die angestrebte Einheitsfront in Permanenz dienen und in weiter Folge zur Einheitspartei unter kommunistischer Dominanz führen sollte. Diese Strategie wurde jedoch im Februar 1935 durch die Wahl von Joseph Buttinger zum neuen Obmann der Revolutionären Sozialisten durchkreuzt, der die Revolutionären Sozialisten zum heftigen Werben der KPÖ auf Distanz hielt. Die angekündigte »Kampfwoche gegen den Faschismus« fand jedoch statt, da der Obmann der Revolutionären Sozialisten, Karl Hans Sailer, und das Mitglied des Zentralkomitees Roman Felleis mit den Vertretern der KPÖ Friedl Fürnberg und Franz Honner am 27. Jänner 1935 die Details der geplanten Aktionen in einer Sitzung des Aktionskomitees bereits besprochen und beschlossen hatten. Wenngleich alle vier kurze Zeit später verhaftet wurden, so waren die gefassten Beschlüsse durch Joseph Buttinger nicht mehr zu revidieren. Unmittelbar nach der »Kampfwoche«, deren Erfolg trotz aller propagandistischen Jubelmeldungen über die machtvolle Präsenz der Arbeiterbewegung eher bescheiden war, setzte die von Buttinger durchgesetzte stärkere Profilierung der Revolutionären Sozialisten gegenüber der KPÖ ein. Diese Tendenz wurde von der KPÖ registriert, weshalb deren Zentralkomitee am 24. Februar 1935 ein Schreiben an das Zentralkomitee der Revolutionären Sozialisten richtete, in dem es einleitend darauf hinwies, dass die Streiks 250 Die Rote Fahne Nr. 16. 1.12.1934. S. 1.

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und Kundgebungen während der »Kampfwoche gegen den Faschismus« zwar das Wachsen der revolutionären Bewegung und die »innere Unsicherheit des faschistischen Regimes geoffenbart« hätten, doch müsse man bei einer nüchternen Einschätzung der Situation »nach wie vor der Illusion entgegentreten, das Regime werde über Nacht zusammenbrechen …« Um diesen Zusammenbruch zu bewerkstelligen, bedürfe es einer geeinten revolutionären Arbeiterschaft, weshalb »die E i n h e i t s f r o n t i n P e r m a n e n z « erklärt werden müsse. »Bisher wurde die Einheitsfront von Fall zu Fall, nur zu bestimmten Stichtagen aktiviert  ; nach Beendigung der Aktionen wurden die Verbindungen mehr oder minder gelockert. Wahrscheinlich war dieses Stadium der Einheitsfront notwendig  ; es galt, allmählich das gegenseitige Misstrauen zu überwinden, das gegenseitige Vertrauen herzustellen. Nun aber gilt es, e i n e h ö h e r e F o r m d e r E i n h e i t s f r o n t zu verwirklichen, die Zusammenfassung aller proletarischen Kampfenergien d a u e r n d sicherzustellen. Der Klassenkampf entzündet sich nicht an festgesetzten Terminen, er ist ein Dauerzustand  ; der permanente Klassenkampf erfordert die permanente Einheitsfront.«251 Die lockende Aufforderung an die Revolutionären Sozialisten glich zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits eher dem ängstlichen Pfeifen des einsamen Wanderers im Wald. Die KPÖ hatte zwar kurzfristig vom Zuzug sozialdemokratischer Aktivisten profitiert, doch durch offensives Agieren erfolgreiche Verhaftungswellen der Exekutive provoziert, die die Reihen der Aktivisten lichteten und vor allem in den Bundesländern zu massiven organisatorischen Schwächen führten. Die propagierte Einheitsfront diente als Mittel zum Zweck, als ideologischer Paravent, um die eigentliche Absicht zu verdecken  : die Revolutionären Sozialisten zu vereinnahmen und letztlich zu schlucken.252 Alle politischen Schalmaientöne waren vergebens, denn Joseph But251 Vorwärts im Zeichen der Einheitsfront  ! – In  : Die Rote Fahne. Sondernummer. 24.2.1935. S. 1–3. S. 1f. Mit diesem Brief schloss das Zentralkomitee der KPÖ an eine Erklärung vom Juli 1934 an, die sich ebenfalls an das Zentralkomitee der Revolutionären Sozialisten richtete und in der es hieß  : »Der Sieg im Kampfe gegen den Faschismus erfordert den Einsatz der g a n z e n Kraft der proletarischen Klasse. Die Arbeiter, Sozialisten und Kommunisten, sind von dem Willen zur Zusammenfassung der proletarischen Klassenkraft beseelt, von dem Willen zur Einigung zur Einheit. (…) Die sozialistischen Arbeiter und auch das Zentralkomitee der Revolutionären Sozialisten haben in der letzten Zeit ihren Willen und ihre Bereitschaft zur Herbeiführung der kämpfenden Einheitsfront und der revolutionären Einigung mit den Kommunisten bekundet. Wir sind bereit, alles zu tun, um diese Einheit im Kampf gegen den Faschismus zu verwirklichen. (…) Die Arbeiterschaft braucht und will die Einheitsfront im Kampf gegen das ganze faschistische System, zum Sturz des Kapitalismus, zur Aufrichtung der proletarischen Diktatur.« (Für die revolutionäre Einheit der österreichischen Arbeiterklasse. – In  : Die Rote Fahne. Zweite Juli-Nummer 1934. S. 1f. S. 1.) 252 In einem von der Kommunistischen Internationale zur Jahreswende 1934/35 vorbereiteten Dokument über das Verhältnis von Sozialdemokraten und Kommunisten, das von der KPÖ als »Material zum VII. Weltkongress der Komintern« publiziert wurde, hieß es in den Passagen über Österreich,

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tinger veranlasste bereits im März 1935 die Kündigung der Einheitsfrontvereinbarung vom Juli 1934. Einen Monat später veröffentlichten die Revolutionären Sozialisten ihre »Richtlinien zur Einheitsfrontpolitik«, in denen sie sich zwar prinzipiell für eine Einheitsfrontpolitik aussprachen, jedoch auf die gravierenden ideologischen Differenzen, die völlige Ergebenheit der KPÖ gegenüber der 3. Internationale, die keine Eigenständigkeit ermögliche, sowie – mit indirektem Hinweis auf die großen Verhaftungswellen – auf deren mangelnde konspirative Fähigkeiten hinwiesen, die eine unverantwortliche Gefährdung der Kader nach sich ziehen würden. Eine Wende in den gegenseitigen Beziehungen brachte der VII. Weltkongress der Komintern in Moskau im Sommer 1935. Georgi Dimitroff hatte als Mitglied des politischen Sekretariats der Komintern 1934 vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland und als kritische Auseinandersetzung mit eigenen Fehlern als Führer der bulgarischen KP253 eine kritische Analyse der Sozialfaschismustheorie, die die Sozialdemokratie als Hauptfeind der Kommunisten bezeichnete, verfasst. In einem Briefwechsel mit Stalin erlangte er 1935 dessen Zustimmung zu einem Kurswechsel der Komintern, der den neuen außenpolitischen Bedürfnissen der Sowjetunion entsprach. Hatte man in Moskau die Verfolgung der KPD nach der nationalsozialistischen Machtergreifung und die antikommunistischen Enunziationen des neuen Regimes zunächst nicht beachtet, so betrachtete man das im Jänner 1934 abgeschlossene deutsch-polnische Nichtangriffs- und Beistandsabkommen als feindlichen Akt, dem man mit einer diplomatischen Offensive die Diktatur des Proletariats könne nur unter der Führung der KPÖ erfolgreich geführt werden. Die Einheitsfront habe zum Ziel, die sozialdemokratischen Massen für den Kommunismus zu gewinnen. (West  : Die Linke im Ständestaat Österreich. S. 119f.) Der Generalsekretär der KPÖ, Johann Koplenig, erklärte auf dem VII. Kongress der Komintern in Moskau im Juli/August 1935  : »Wir betrachten die Einheitsfront in ihrer heutigen Form nur als eine Etappe auf dem Weg zur organisatorischen Einheit. Wir sind für die organisatorische Vereinigung auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus.« (Zit. ebda. S. 125.) Man werde daher alles tun, um die Revolutionären Sozialisten davon zu überzeugen, dass es für sie letztlich keinen anderen Weg gebe als die Vereinigung unter dem Banner der KPÖ. 253 Die bulgarische KP war aus den Wahlen im März 1920 hinter dem Bauernvolksbund von Aleksandar Stambolijski als zweitstärkste Partei hervorgegangen, lehnte jedoch die Bildung einer Regierungskoalition ab. Sie verhielt sich 1923 bei einem Militärputsch gegen die Regierung Stambolijski neutral und unternahm wenige Monate später auf Geheiß der KPdSU einen Aufstand, der blutig niedergeschlagen wurde. Er musste emigrieren und wurde politischer Instrukteur der Komintern für den Balkan. In dieser Funktion hielt er sich oft in Wien auf, wurde von der Komintern als deren Vertreter in das von Fraktionskämpfen zerrissene Zentralkomitee der KPÖ entsandt und damit de facto deren Vorsitzender. 1933 hielt er sich in Berlin auf und wurde infolge der nach dem Reichstagsbrand einsetzenden Verhaftungswelle verhaftet und in Leipzig in einem Schauprozess angeklagt, jedoch freigesprochen. Die Sowjetunion verlieh ihm noch während seiner Verhaftung die Staatsbürgerschaft, verhaftete zur Ausbildung in der Sowjetunion sich befindende deutsche Flieger und erzwang so am 27. Februar 1934 die Ausreise Dimitroffs nach Moskau, wo er als »Held von Leipzig« gefeiert wurde. Er wurde Mitglied des politischen Sekretariats der Komintern.

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mit dem Ziel der Stärkung der Sicherheit der Sowjetunion begegnete. Im Juni 1934 wurden diplomatische Beziehungen zur Tschechoslowakei und Rumänien aufgenommen, im September 1934 trat man dem Völkerbund bei und im Mai 1935 folgte ein Beistandspakt mit Frankreich. Aufgabe der Komintern in dieser weltpolitischen Situation sei es, so die These Stalins, die Verteidigung der Sowjetunion zur Maxime ihrer Mitgliedsparteien zu erheben, wobei bei der Verfolgung dieses Ziels von Dimitroff das neue Mittel der Volksfrontpolitik propagiert wurde. Als Prämisse für diese ideologische Wende diente die von Dimitroff propagierte Kriegsgefahr, die auf Lenins Imperialismustheorie und Karl Radeks auf dem IV. Weltkongress der Komintern im November/Dezember 1922 formulierten Faschismus-Theorie fußte.254 Der Faschismus wurde als Offensivstrategie der kapitalistischen Bourgeoisie bezeichnet, um die eigenen Profite gegen die organisierte Arbeiterschaft und die ausbeuterische Klassenherrschaft zu sichern. Da jedoch der Profitmaximierung im Inneren Grenzen gesetzt seien, wende sich die aggressive kapitalistische Bourgeoisie nach außen, um neue Territorien zu erobern. Der Krieg sei daher die logische Konsequenz des Kapitalismus, der auch in der Gewandung des Faschismus einherschreite. Um eine Wiederholung der Katastrophe des Ersten Weltkriegs zu verhindern, müssen daher die Kommunisten eine breite Koalition aller antifaschistischen Parteien zur Sicherung des Friedens bilden. Rückhalt dieser Koalition sei die Sowjetunion, die als einziger sozialistischer Staat das Reich und der Verteidiger des Friedens sei. Mit der sowjetischen Propagandaparole des »Antifaschismus« gelang ein durchschlagender strategischer Erfolg nicht nur bei der europäischen Linken. »Der erste Arbeiterstaat der Welt konnte sich fortan als Gegenpol zum Faschismus und somit als die weltweit einzige unerschütterlich antifaschistische Kraft darstellen – und wurde von anderen Nationen nicht selten als solche betrachtet. Der Faschismus war für die gesamte Linke das Böse schlechthin, und damit fiel dem Kommunismus ex contrario die Rolle des unentbehrlichen Wächters und Hüters zu, der für das Gute stritt. Seit Mitte der Dreißigerjahre erhielt der alte Grundsatz ›Keine Feinde in der Linken‹ eine neue, radikale Bedeutung. Die Liberalen schienen von der Geschichte zu einer nicht ungefährlichen Entscheidung aufgerufen – sich mit der antiliberalen Linken gegen die neue Ultrarechte zu verbünden.«255 Indem die sowjetische 254 Karl Radek erklärte unter dem Eindruck des siegreichen Faschismus in Italien, der Faschismus sei »die größte Niederlage, die der Sozialismus und der Kommunismus seit Beginn der Periode der Weltrevolution erlitten« hätten. Der Faschismus sei von den aus dem Krieg zurückgekehrten bürgerlichen und kleinbürgerlichen Schichten getragen, die eine »grelle Konterrevolution« eingeleitet hätten. »Die Faschisten stellen das Kleinbürgertum dar, das, gestützt durch die Bourgeoisie, zur Macht kommt, und das genötigt sein wird, das Programm nicht des Kleinbürgertums, sondern des Kapitalismus durchzuführen.« (Zit. bei Wolfgang Leonhard  : Völker hört die Signale. Die Anfänge des Weltkommunismus 1919–1924. – München 1981. S. 310.) 255 Martin Malia  : Vollstreckter Wahn. Sowjetunion 1917–1991. – Berlin 1998. S. 296f.

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Propaganda und die Komintern den Faschismusbegriff als Teil einer Theorie des imperialistischen Finanzkapitals verwendete, wurde er zum beliebig verwendbaren ideologischen und politischen Schlagwort, das sich als äußerst wirkungsvolles Mittel in der nun verstärkt einsetzenden ideologischen Offensive erwies, jede Form des Antikommunismus als Faschismus zu diffamieren und damit über den engen Bereich der eigenen Parteigänger hinaus in Form der nun propagierten Volkfrontpolitik Einfluss auf erheblich breitere Schichten zu gewinnen. Die Politik der nach wie vor moskauhörigen Kommunisten schwang »ab jetzt eine andere Fahne als die der Sowjetrepublik, nämlich die des demokratischen Antifaschismus. Nicht dass sie sich in irgendeiner Weise von ihrem ursprünglichen Mythos gelöst hätten. Ganz im Gegenteil, die Sowjetunion ist in ihren Augen mehr denn je die Heimat aller Arbeiter, wo auch immer sie leben mögen, und die bedingungslose Verteidigung ihres Bodens ist das oberste Gebot ihres Handelns. Dennoch nimmt diese blinde Solidarität mit der UdSSR einen anderen Charakter an, sobald sie mit dem antifaschistischen Kampf verknüpft ist. Sie verliert einen Teil ihrer Eigenheit und Plumpheit. Sie erweitert in diesem Rahmen ihre Daseinsberechtigung und ihre politische Moralität.« Wenngleich der Antifaschismus, vor allem der Kampf gegen Hitler, den bisher rauen Ton des Klassenkampfes, dessen Rechtfertigung in der angestrebten Vernichtung der Bourgeoisie gründete, milderte, so blieb das Endziel, die proletarische Revolution, nach wie vor im Fokus des politischen Handelns, wobei sich allerdings die Prioritäten verschoben  : der Kampf gegen den Faschismus erhielt Vorrang. Der nunmehr propagierte Antifaschismus hatte zudem den Vorteil, dass mit ihm »die Frage nach dem Wesen der Sowjetherrschaft zweitrangig« wurde. »Zum einen, weil schon allein die antifaschistische Politik der UdSSR und der Komintern als Beweis für den demokratischen Charakter dieser Regierung gewertet wurden, zum anderen, weil der Kampf gegen Hitler neue Prioritäten schuf, die die Fragen über den Stellenwert der Freiheit der Sowjetunion ausschalteten oder relativierten.«256 Die Schlagworte von Antifaschismus und Volkfront sollten Stalin ein politisches Aktionsfeld schaffen, das es ihm ermöglichte, »in ganz Europa einen weitverzweigten Apparat der revolutionären Subversion zu verankern, der ihm vollkommen unterstellt« war.257 Um dies zu erreichen, wurde in Abkehr von der bisherigen ideologischen Fixierung nicht nur ein Bündnis mit den bisher verdammten Sozialdemokraten, sondern sogar mit Bauernparteien und bürgerlichen Parteien in Form einer Volksfront zur Maxime des politischen Handelns. Dimitroff, der das Hauptreferat auf dem VII. Weltkongress der Komintern hielt und auf diesem zu deren Generalsekretär gewählt wurde, wies in seinen mit Stalin akkordierten Forderungen auf die Beispiele Österreich und 256 François Furet  : Das Ende der Illusion. Der Kommunismus im 20. Jahrhundert. – München 1996. S. 288f. 257 Furet  : Das Ende der Illusion. S. 291.

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Frankreich hin. In Österreich hatten Revolutionäre Sozialisten und KPÖ im Juli ein Abkommen über eine Aktionsgemeinschaft geschlossen und in Frankreich vollzog sich in der Kommunistischen Partei angesichts der Zunahme der politischen Gewalt zwischen der extremen politischen Rechten und Linken ein Wandel hin zu einer Annäherung an die sozialistischen Parteien und zur Bildung eines vereinigten linken Blocks (Volksfront), der erstmals bei den Kommunalwahlen im Mai 1935 mit dem Schlagwort des »Antifaschismus«,258 was immer das heißen mochte, erste Erfolge feierte und sich unter der Devise »Brot, Frieden, Freiheit« bei der bevorstehenden Wahl zur Nationalversammlung im März 1936 seiner nationalen Bewährungsprobe ausgesetzt sah. Vor allem der junge Generalsekretär der Kommunistischen Partei Frankreichs, Maurice Thorez, wurde zum Propagandisten der Volksfront. Seine über den Rundfunk verbreitete Rede von der »ausgestreckten Hand« wurde historisch und wandte sich auch an Katholiken und Mitglieder der Rechten, wobei er davon ausging, dass die Gleichheit der Lebensbedingungen über die Lagergrenzen verbinde und damit stärker sei als eine Glaubensgemeinschaft oder eine politische Überzeugung. Die Kommunisten wurden so zum Propagandisten der nationalen Einheit, die Thorez mit dem Schlagwort »Front der Franzosen« erfolgreich popularisierte und die schließlich zum Wahlerfolg der Volksfront sowie zur Bildung der Volksfront-Regierung unter dem Sozialisten Léon Blum führte.259 Die Bildung der Volksfront in Frankreich wurde unter deutlicher Ermahnung Dimitroffs zur Blaupause für die Bemühungen der KPÖ, über eine Wiederbelebung der Aktionseinheit mit den Revolutionären Sozialisten mit einem neuen Patriotismus und dem Schlagwort der »demokratischen Republik« die Brücke zum Klassengegner zu schlagen und damit die Volksfront zu ermöglichen. Bei ihren Bemühungen um eine Reaktivierung des Aktionsbündnisses mit den Revolutionären Sozialisten erhielt die KPÖ Schützenhilfe von Otto Bauer, der bereits in zwei Artikeln mit Blick auf die französische Volksfront in der theoretischen Zeitschrift »Der Kampf« die Entwicklung der Sowjetunion in Richtung einer sozialistischen Demokratie gelobt und – in Vorwegnahme der auf dem VII. Weltkongress der Komintern beschlossenen neuen politischen Richtlinien – die Forderung nach der Bildung einer starken weltweiten sozialistischen Öffentlichkeit zu Verteidigung

258 Furet hat darauf hingewiesen, dass »der französische ›Hitlerismus‹ eine kommunistische Erfindung« war, »da dieser vor 1939 im politischen Leben Frankreichs so gut wie inexistent« war. (Furet  : Das Ende der Illusion. S. 300.) 259 Zur Volksfront vgl. William L. Shirer  : Der Zusammenbruch Frankreichs. Aufstieg und Fall der Dritten Republik. – München/Zürich 1970. S. 299ff.; René Rémond  : Frankreich im 20. Jahrhundert. Erster Teil 1918–1958. Stuttgart 1994. S. 220ff. Zur Volksfrontpolitik der Komintern vgl. Archie Brown  : Aufstieg und Fall des Kommunismus. – Berlin 2009. S. 130ff.

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dieser Errungenschaften erhoben hatte.260 Gegenüber dem distanzierten und skep260 Zu den aktuellen Problemen der im Entstehen begriffenen Einheitspartei gehöre die Frage, wie sich diese zur Sowjetunion verhalten solle. »Beide Parteien sind sich einig darüber, dass die geeinigte Partei die geschichtliche Leistung der Sowjetunion als eine Leistung für den Weltsozialismus betrachten, ihre Erfolge für die Propaganda des Sozialismus ausnützen, die Arbeiterklasse zu vorbehaltloser Verteidigung der Sowjetunion gegen jeden Feind erziehen und führen soll. (…) Die Sowjetunion hat einen großen Teil des Umwandlungsprozesses von der kapitalistischen zur sozialistischen Gesellschaft schon zurückgelegt. Aber abgeschlossen ist dieser Prozess noch nicht.« Dieser Umwandlungsprozess sei vom entstandenen bürokratischen Apparat bedroht, der der weiteren Demokratisierung der sowjetischen Gesellschaft im Wege stehe und sich nicht freiwillig einer notwendigen demokratischen Kontrolle unterwerfe. Um die notwendige weitere Demokratisierung voranzutreiben, müssen diese bürokratischen Widerstände »durch die Kraft der sozialistischen Überzeugung von der Notwendigkeit der Demokratisierung des Sowjetsystems, durch den Einfluss einer starken sozialistischen öffentlichen Meinung in der Welt überwunden werden. Deshalb bedarf es der Entwicklung einer starken sozialistischen öffentlichen Meinung in der Welt, die er füllt sein muss von der entscheidenden Bedeutung der Leistungen und der Erfolge der Sowjetunion für die Werbekraft und den Sieg des Sozialismus in der Welt, die sich gegen jeden kapitalistischen Gegner vorbehalt- und bedingungslos an die Seite der Sowjetunion stellt …« (Otto Bauer  : Probleme der »organischen Einheit«. – In  : Der Kampf Nr. 1. Jänner 1935. S. 6–13. S. 9.) Die Spaltung der Arbeiterklasse habe zwar zu dogmatischen Erstarrungen auf beiden Seiten geführt, doch könnten und müssten diese angesichts der historischen Entwicklung und der Erfordernisse der Gegenwart im Sinne »einer höheren Einheit, in einer Synthese, die Thesis und Antithesis in sich aufhebt,« überwunden werden. (Ebda. S. 13.) Zu Sommerbeginn 1935 lobte Otto Bauer in völliger Missachtung der tatsächlichen Verhältnisse den Entwurf einer neuen sowjetischen Verfassung, die er als die Vollendung der 1918 proklamierten Aufgaben der Sowjetverfassung, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu überwinden und damit die sozialistische Gesellschaftsordnung herbeizuführen, bezeichnete. »Die neue Verfassung stellt fest  : Die wirtschaftliche Grundlage der Sowjetunion ist das sozialistische Wirtschaftssystem und das sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln. Der Boden die Bodenschätze, die Gewässer, die Forste, die Fabriken, die Bergwerke, die Eisenbahnen, der Wasser- und Lufttransport, die Banken, die Wohnhäuser in den Städten und Industrieorten, sind Eigentum des Staates. Die Betriebseinrichtungen der bäuerlichen Kollektivwirtschaften und der Genossenschaften sind genossenschaftliches Eigentum. Die Nutzung des den bäuerlichen Kollektivwirtschaften gehörenden Bodens wird ihnen für ewige Zeiten verbürgt. Das persönliche Eigentum der Einzelbauern und der Handwerker wird zugelassen in dem Ausmaße, als es auf persönlicher Arbeit beruht und jede Ausbeutung fremder Arbeitskraft ausschließt. Auf dieser Grundlage einer sozialistischen Eigentumsordnung baut die neue Sowjetverfassung die s o z i a l e n G r u n d r e c h t e aller Sowjetbürger auf. (…) In einer Zeit, in der immer noch mehr als 15 Millionen Arbeiter in der kapitalistischen Welt arbeitslos sind, ist es die eindrucksvollste Tatsache, dass die Sowjetunion allen ihren Bürgern das R e c h t a u f A r b e i t zu verbürgen vermag. Damit wird ein alter Traum der in allen kapitalistischen Ländern immer wieder von der Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeiterklasse verwirklicht.« (Otto Bauer  : Auf dem Weg zur sozialistischen Demokratie. – In  : Der Kampf Nr. 7. Juli 1935. S. 161–270. S. 261f.) Die in der Sowjetunion erreichten Fortschritte in Richtung einer sozialistischen Gesellschaft konnten nur durch die Diktatur des Proletariats, das alle Widerstände zu brechen vermochte, erreicht werden. Wenngleich Otto Bauer im Bereich der persönlichen Freiheitsrechte kritische Anmerkungen machte, so kam er zu dem Schluss, dass der »neue Verfassungsentwurf unzweifelhaft ein g a n z g e -

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tischen Zentralkomitee der Revolutionären Sozialisten bemerkte er in einem Artikel in der »Arbeiter-Zeitung«, der VII. Weltkongress der Komintern habe bewiesen, »dass sich im kommunistischen Lager eine e r n s t z u n e h m e n d e Wa n d l u n g vollzieht.« Das bisherige Verhalten der Kommunisten habe dazu geführt, dass man hinter ihren Äußerungen zuerst an ein bloßes »Manöver« vermute. Die Bildung der Volksfront in Frankreich und deren ausdrückliche Billigung der Komintern bedeute jedoch eine grundlegende Änderung. Dimitroff habe in seiner Rede auf dem VII. Weltkongress der Komintern die bisher praktizierte Sozialfaschismus-These als Fehler bezeichnet und die Resolution des Weltkongresses habe ausdrücklich betont, dass für die Politik der kommunistischen Parteien die jeweils konkreten besonderen

w a l t i g e r S c h r i t t z u r D e m o k r a t i s i e r u n g d e r S o w j e t v e r f a s s u n g « sei. (Ebda. S. 265.) Und schließlich setzte er nach einem Lob des im Verfassungsentwurfs vorgesehenen geheimen und gleichen Wahlrechts, das jedoch durch den Monopolcharakter der KPdSU wiederum massiv eingeschränkt war, zu einer Verteidigung dieser totalitären Konstruktion mit dem Hinweis auf die damit garantierte notwendige Sicherung der Herrschaft der KPdSU an. Vor allem diese Passagen zeigen, dass Bauers Demokratieverständnis sich von jenem der westlichen parlamentarischen Demokratien völlig entfernt und weitgehend mit dem diktatorischen sowjetischen Modell konform ging. Zwar werde mit dieser Verfassungs-Konstruktion die Herrschaft der KPdSU abgesichert, »aber durch die Zulassung miteinander konkurrierender Kandidaten und durch das direkte und geheime Wahlrecht legt sie in die Hände der parteilosen Masse die EntscheIdung zwischen den v e r s c h i e d e n e n k o m m u n i s t i s c h e n K a n d i d a t e n , gibt sie der parteilosen Masse die Macht der A u s l e s e zwischen den Kommunisten und den mit ihnen verbündeten ›parteilosen Bolschewiken‹, die die Macht im Staate ausüben sollen. Während sie die Herrschaft der Kommunistischen Partei aufrechterhält und garantiert, macht sie die Repräsentanten der Kommunistischen Partei von der Auswahl, von der Zuneigung und Abneigung der parteilosen Masse abhängig, macht sie sie der parteilosen Masse verantwortlich, s e t z t s i e d i e p a r t e i l o s e M a s s e z u r R i c h t e r i n ü b e r d i e e i n z e l n e n R e p r ä s e n t a n t e n d e r h e r r s c h e n d e n P a r t e i e i n . (…) Die Kommunistische Partei bleibt als Sachwalterin des Proletariats im Besitze der Macht  ; aber die Ausübung dieser Macht wird unter die Gesamtheit des Volkes gestellt. Es wäre müßig, darüber zu streiten, ob man den Zustand, den der Entwurf auf diese Weise begründen will, noch als eine Diktatur des Proletariats bezeichnen kann. Sicherlich ist der Entwurf die erste Etappe auf dem Weg zum A b b a u d e r D i k t a t u r.« (Ebda. S.  267f.) Die Sowjetunion wurde damit in einer Zeit der faschistischen Bedrohung zum Hort der Freiheit und der Demokratie. »In einer Zeit, in der sich die kapitalistische Bourgeoisie von der Demokratie abwendet, sobald die Demokratie ihre Alleinherrschaft und ihre Profite bedroht, in der die kapitalistische Bourgeoisie ihre Zuflucht im Faschismus sucht und damit die demokratischen Freiheiten zertrümmert, die, Ergebnis jahrhundertelanger Freiheitskämpfe, die größte Errungenschaft des bürgerlichen Zeitalters gewesen ist, in derselben Zeit geht die Sowjetunion auf der Basis einer sozialistischen Gesellschaftsordnung den Weg des schrittweisen Wiederaufbaus der Demokratie. Sie liefert damit der Welt den praktischen, historischen beweis, dass die Diktatur des Proletariats nur ein vorübergehend notwendiges Mittel ist, alle Widerstände gegen die Überwindung der Kapitalsherrschaft zu brechen, um nach Erfüllung dieser Funktion die Demokratie auf der höheren Basis einer neuen, von der Kapitalsherrschaft befreiten Gesellschaftsordnung wiederherzustellen.« (Ebda. S. 269f.)

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Verhältnisse und Bedingungen in den einzelnen Ländern Berücksichtigung finden müssten und damit die Position der 2. Internationale bestätigt. Dimitroff habe in seinem Schlusswort ausdrücklich auf die Notwendigkeit der konkreten Analyse anstelle der bisher dominierenden formalistischen Schemata hingewiesen und als »nächste zentrale Aufgabe der internationalen Arbeiterbewegung (…) die Herstellung der A k t i o n s e i n h e i t aller Teile der Arbeiterklasse im Kampfe gegen den Faschismus« bezeichnet. »E i n h e i t s f r o n t des Proletariats und Vo k s f r o n t aller Werktätigen unter Führung der Arbeiterklasse seien auf engste miteinander verbunden.« Vor allem habe er mit Nachdruck erklärt, dass es »n i c h t g l e i c h g ü l t i g « sei, »ob die bürgerliche Diktatur in d e m o k r a t i s c h e r oder f a s c h i s t i s c h e r Form herrscht. « Wenngleich es in den neuen Erkenntnissen der Komintern noch manche Unaufrichtigkeit und Verfälschung gebe, so wäre es »ein verhängnisvolles Versäumen einer geschichtlichen Gelegenheit, wenn die Sozialisten dennoch die Wendung der Kommunistischen Internationale nicht zur Kenntnis nehmen, sie nicht auf ihre Bekenntnisse festlegen, sie nicht b e i m Wo r t n e h m e n wollten.«261 Um das gegenüber einer Neuauflage einer Aktionsgemeinschaft nach wie vor zögernde Zentralkomitee der revolutionären Sozialisten von dessen Notwendigkeit zu überzeugen, reiste der ehemalige linke Sozialdemokrat und nunmehrige Kommunist Ernst Fischer im Auftrag der KPÖ und der Komintern mit gefälschtem Pass über Prag nach Wien, wobei er sich mit Otto Bauer auf dem Bahnhof in Iglau zu einem längeren Gespräch traf. Fischer hat in seinen Erinnerungen das Gespräch in direkter Rede wiedergegeben. Trotz aller kritischen Einwände gegen diese Methode entspricht der Inhalt des Gesprächs den Thesen, die Otto Bauer in seinen Beiträgen in »Der Kampf« sowie in der »Arbeiter-Zeitung« vertrat. Bauer betonte, dass er von der historischen Bedeutung des VII. Weltkongresses der Komintern und von der Aufrichtigkeit der Wende ihrer Politik überzeugt sei. Die Sowjetunion sei das stärkste Machtzentrum des Sozialismus in der Welt und befinde sich in einem historischen Ringen mit dem Faschismus, weshalb die Sozialdemokraten ihre nach wie vor bestehenden Vorurteile gegenüber der Sowjetunion überwinden und sich an deren Seite stellen müssten. Er befürworte daher die von der KPÖ angestrebte Neuauflage der Aktionsgemeinschaft, da er zudem der Überzeugung sei, dass sich die Spaltung der Arbeiterbewegung in einer notwendigen Synthese, dem integralen Sozialismus, aufheben lasse.262 Fischer traf Buttinger in Wien und überreichte seinem Gesprächspartner ein persönliches Schreiben von Otto Bauer, in dem dieser die Aktionsgemeinschaft befürwortete. Zu den Befürwortern gehörte auch das Ehepaar Otto und Käthe Leichter und der Führer der Reste der Gruppe »Neu-Beginnen« um das Ehepaar Leopold 261 Otto Bauer  : Die Wandlung der Kommunistischen Internationale. – In  : AZ Nr. 34. 21.8.1935. S. 1f. 262 Ernst Fischer  : Erinnerungen und Reflexionen. 2. Aufl. -Reinbek bei Hamburg 1970. S. 340ff.

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und Ilse Kulcsar (sog. »Gruppe Funke«, eine Variante von »Neu-Beginnen«), Karl Czernetz. In Wien waren nach wochenlangen Verhandlungen die Gespräche zwischen Revolutionären Sozialisten und Kommunisten über eine Aktionsgemeinschaft festgefahren. Im Bereich der Aktivisten der Revolutionären Sozialisten hatte eine erfolgreiche Propaganda der KPÖ für die Aktionseinheit eingesetzt, die den Druck auf das Zentralkomitee der Revolutionären Sozialisten dermaßen erhöhte, dass sich dieses zur Verabschiedung einer in 20.000 Exemplaren verbreiteten Punktation entschied, in der die Bedingungen für den Abschluss eines Bündnisvertrages mit der KPÖ enthalten waren, wobei man allerdings davon ausging, dass diese Bedingungen von der KPÖ letztlich nicht akzeptiert würden. Darin wurde die Bildung einer Aktionsgemeinschaft für ein Jahr vorgeschlagen, während deren Laufzeit gegenseitige Angriffe unterbleiben mussten, gemeinsame Aktionen nur mehr von den beiden Parteileitungen vereinbart werden durften263 und Vorwürfe gegen die kommunistische Schutzbundpolitik, die Rote Hilfe und die KPÖ wegen ihrer Angriffe auf die Revolutionären Sozialisten erhoben wurden, die sich bisher weigerte, die Einheitsfront und damit die Bildung einer Einheitspartei außerhalb der Kommunistischen Internationale zu verwirklichen. Man wolle und müsse vor einer Vereinbarung über eine Aktionsgemeinschaft Einigung über die vorgelegte Punktation und ein sich daraus ergebendes gemeinsames Programm erzielen, so der Standpunkt der Revolutionären Sozialisten.264 In diesem Punkt waren die Gespräche an einem toten Punkt angelangt, als Fischer vom Zentralkomitee der KPÖ in Prag den Auftrag erhalten hatte, diese durch seine persönliche Intervention doch noch zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Wenngleich Fischer beim Zentralkomitee der Revolutionären Sozialisten eine »wenig geachtete Person«265 war, wurde eine vorläufige Vereinbarung beschlossen, die den Standpunkt der Revolutionären Sozialisten als Diskussionsgrundlage akzeptierte und zu einem gemeinsamen Aufruf zum 12. Februar 1936266 und im März zu einem von Buttinger und Koplenig in Prag geschlossenen Übereinkommen führte, in dem die KPÖ neuerlich den Forderungen der Revolutionären Sozialisten weitgehend entsprach. Dennoch blieb die Zusammenarbeit instabil, inhaltliche und organisatorische Differenzen verschlechterten die Beziehungen der beiden Par­ teien.267 263 Damit sollten die von den Kommunisten forcierten Aktionskomitees von unten, in denen sie oftmals über den dominierenden Einfluss verfügten, verhindert werden. 264 Buttinger  : Am Beispiel Österreichs. S. 302ff. 265 Ebda. S. 306. 266 Ein Ziel, ein Weg. Aufruf der Einheitsfront an das werktätige Volk. – In  : Die Rote Fahne Nr. 2. Februar 1936. S. 1f. 267 Hannes Leidinger  : Die Alpenrepublik als »Lernort« der Kommunistischen Internationale. – In  : Verena Moritz, Julia Köstenberger, Aleksandr Vatlin, Hannes Leidinger, Karin Moser  : Gegenwelten. Aspekte der österreichisch-sowjetischen Beziehungen 1918–1938. – St. Pölten/Salzburg/Wien 2013.

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Erhebliche Differenzen zwischen beiden Parteien eröffneten sich in der Frage des nationalen Patriotismus, der mit der auf dem VII. Weltkongress der Komintern ausgegeben Devise der Volksfront verbunden war und im Falle Frankreichs seine Wirksamkeit unter Beweis gestellt hatte. Das damit verbundene Einschwenken auf die von den Regierungen Dollfuß/Schuschnigg propagierte Theorie einer österreichischen Nation und eines österreichischen Patriotismus inklusive der Verteidigung der Unabhängigkeit des nunmehrigen Kleinstaates bedeutete eine grundlegende Wende in der Ideologie und Politik sowohl der Sowjetunion wie auch der Komintern, der auch die Parteien der 2. Internationale zu folgen hatten. Bisher hatte man sowohl in Moskau wie auch in der Komintern die These von der Lebensunfähigkeit Österreichs vertreten. Für Grigori Sinowjew, den Vorsitzenden der Komintern, war Österreich nichts anderes als der »Spielball einiger imperialistischer Mächte«. Es sei zwar offiziell unabhängig, aber diese Unabhängigkeit sei die eines »Todeskandidaten«. Vor Hitlers Machtergreifung wurde der Anschluss von der Sowjetunion durchaus wohlwollend betrachtet und vor allem Frankreichs Widerstand gegen diese Option als grobe Missachtung des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen bezeichnet, die mit der für den westlichen Imperialismus typischen Behauptung der Verteidigung der Unabhängigkeit verdeckt werde. Wenngleich nach Hitlers Machtergreifung die Befürwortung des Anschlusses aus den Analysen und Kommentaren verschwand und der Feststellung wich, dass der Anschluss dem nationalsozialistischen Deutschland eine Vormachtstellung in Mitteleuropa und damit die »besten Karten im künftigen Spiel um den Krieg« verschaffen würde, so dominierte nunmehr mit Blick auf die österreichische Innenpolitik die These von der schleichenden Faschisierung. Dabei wurde das nationalsozialistische Deutschland, das faschistische Italien und das autoritär regierte Österreich völlig undifferenziert in einen Topf geworfen und als »totalitäre« und »faschistische Staaten« bezeichnet. Der Widerstand der Regierung Dollfuß gegen den Anschluss galt nur mehr als »taktische Meinungsverschiedenheit«, wobei der Juli-Putsch der Nationalsozialisten an dieser Beurteilung nichts änderte.268 Eine Änderung trat erst 1935 im Rahmen der für Moskau dominanten kollektiven Sicherheit ein. Neben den Beistandspakten mit der S. 203–228. S. 216. Die KPÖ-Historiker Winfried R. Garscha, Hans Hautmann und Willi Weinert bemerkten in der von der Historischen Kommission der KPÖ herausgegebenen Geschichte der KPÖ zur sich verstärkenden Entfremdung  : »Es zeigte sich aber bald, dass die Führung der Revolutionären Sozialisten an einer engeren Verbindung der Parteiorganisationen auf unterer Ebene nicht interessiert war. Gemeinsame Aktionen wurden seltener, sieht man von der Organisierung der Solidarität mit der spanischen Republik ab, dafür häuften sich die wechselseitigen Polemiken.« (KPÖ. Die Kommunistische Partei Österreichs. Beiträge zu ihrer Geschichte und Politik. Hg. v. d. Historischen Kommission beim Zentralkomitee der KPÖ. – Wien 1987. S. 229.) 268 Aleksandr Vatlin  : »Die Karausche in Rahm« – Österreichbilder in der sowjetischen Propaganda. – In  : Moritz, Köstenberger, Vatlin, Leidinger, Moser  : Gegenwelten. S. 309–346. S. 323ff.

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Tschechoslowakei und Frankreich gewann nunmehr auch die Unabhängigkeit Österreichs an Bedeutung. Die Politik der Regierung Schuschnigg, vor allem die Bemühungen um die Festigung und Propagierung einer österreichischen Identität, wurde nunmehr in günstigerem Licht gesehen. Im Rahmen der im Sinne Moskaus vom VII. Weltkongress der Komintern ausgegebenen Volksfront-Devise wurde – ohne Österreich beim Namen zu nennen – die Kampfbereitschaft für die nationale Unabhängigkeit im Fall eines Angriffs einer imperialistischen Macht auf einen schwachen Staat die Zusammenarbeit unterschiedlicher gesellschaftlicher Kräfte propagiert.269 Die Wende der sowjetischen Außenpolitik und in deren Folge der Komintern bedeutete für die KPÖ eine Wende um 180 Grad, da »national besetzte Begriffe (…) wegen einer implizierten Verteidigung des Ständeregimes (…) abgelehnt« wurden. So erklärte der aus dem Sudentenland stammende KPÖ-Delegierte Hermann Köhler auf dem VII. Weltkongress in seinem Debattenbeitrag, die Österreicher seien ein »Teil des großen deutschen Volkes« und die proletarische Revolution werde die »Vereinigung Österreichs mit dem deutschen Sowjetstaat« verwirklichen. Eine Auffassung, die auch die Revolutionären Sozialisten in der Tradition der Sozialdemokratie vertraten.270 Die KPÖ stand aufgrund ihrer internationalistischen Tradition einem neuen Patriotismus à la Volksfront in Frankreich zunächst ablehnend bis distanziert gegenüber, die Reaktionen auf die Beschlüsse des VII. Weltkongresses der Komintern waren zögerlich. Lediglich die Wiedererweckung der Aktionseinheit mit den Revolutionären Sozialisten stand zunächst auf der Tagesordnung. Das Jahr 1936 müsse »zum Jahr der Einigung werden«, bemerkte »Die Rote Fahne« zu Jahresbeginn 1936.271 Dimitroff sah sich daher vor dem Hintergrund der Verschärfung der internationalen Lage durch die Besetzung des Rheinlandes und den italienischen Angriff auf Abessinien bei einer Sitzung des Exekutivkomitees der Komintern im März 1936 veranlasst, das völlig unbefriedigende Handeln einiger kommunistischer Parteien heftig zu kritisieren. Zwei Monate später wurde er bei einem Treffen mit KPÖ-Vertretern noch deutlicher, indem er seinem Unmut über das Verhalten einiger Kommunisten freien Lauf ließ. Diese seien offensichtlich, wie die radikalen Sozialisten, nicht in der Lage oder nicht willens, im Sinne des notwendigen klassenübergreifenden Brückenschlags und damit der Mobilisierung der Massen elementare Sachverhalte wie ein Bekenntnis zur »demokratischen Republik« zu verstehen. »Dimitroff wies darauf hin, dass das Klassenkräfteverhältnis in Österreich so ist, dass man die Losung der demokratischen

269 Julia Köstenberger  : Die österreichisch-sowjetischen Beziehungen unter dem Gesichtspunkt der »Anschluss«-Problematik 1933/34–1938. – In  : Moritz, Köstenberger, Vatlin, Leidinger, Moser  : Gegenwelten. S. 393–441. S. 413. 270 Barry McLoughlin  : Die Partei. – In  : Ders., Hannes Leidinger, Verena Moritz  : Kommunismus in Österreich 1918–1938. – Innsbruck/Wien/Bozen 2009. S. 259–369. S. 354. 271 Die Rote Fahne Nr. 1. 15.1.1936. S. 3.

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Republik aufstellen muss. Und diese Losung müsse zugleich die Frage des Kampfes für die nationale Selbständigkeit Österreichs gegen die von Hitler ausgehende Gefahr des ›Anschlusses‹, d. h. der Einverleibung Österreichs durch Deutschland, einschließen.«272 Das Ergebnis der Besprechung war ein Brief an die KPÖ, in dem die Partei verpflichtet wurde, die Devise »Demokratische Republik« als zentralen Bestandteil der Volksfrontpolitik mit aller Kraft zu verfolgen. Der Kampf um die Diktatur des Proletariats müsse von der Tagesordnung genommen werden.273 Die Folge war, dass die KPÖ in der Juni-Ausgabe der »Roten Fahne« erstmals die Losung »Demokratische Republik« propagierte. Generalsekretär Johann Koplenig hatte in einer kurz zuvor stattgefundenen Sitzung des Zentralkomitees betont, dass dies keineswegs das Endziel der Politik der KPÖ sein könne. Dieses sei nach wie vor ein Sowjetösterreich als die höchste Form der Demokratie.274 Eine Formulierung, die auch in die in der »Roten Fahne« publizierten Deklaration Eingang finden sollte. Diese sah »eine Verschwörung gegen das österreichische Volk, gegen seine nationale Selbständigkeit, (…) die sich gleichermaßen gegen den Frieden der ganzen Welt richtet  !« An dieser seien Mussolini, die Habsburger, vor allem Otto von Habsburg, und die Regierung beteiligt. Die Regierung, die »im Namen der ›Unabhängigkeit Österreichs‹ die Freiheit des Volkes im Blut erstickt« habe, gehe »heute daran, die ›Unabhängigkeit Österreichs‹ zu verkaufen und zu verraten,« weil sie aus Rücksicht auf die Rückendeckung Italiens dessen Aggressionskrieg in Abessinien nicht verurteile und damit Österreich »zu einem Vasallenstaat Mussolinis gemacht« habe und durch ihre Annäherung an Otto von Habsburg einer möglichen Restauration den Weg bereite. Aber »Habsburg – selbst blutiges Symbol nationaler und sozialer Tyrannei und räuberischer Kriege – schützt uns nicht vor Hitler  : im Gegenteil. (…) Habsburg kann das Volk nicht einigen, sondern nur die Zerklüftung vertiefen.« Habsburg sehe seine Sendung in einem Krieg gegen die Sowjetunion und damit gegen »jede Freiheit und Demokratie. Diese ›Sendung‹ Habsburgs ist identisch mit den imperialistischen Plänen Hitlers und der Schaffung einer imperialistischen Front gegen die Sowjetunion.« Doch »die Masse des Volkes, die Arbeiter, die Bauern, die Handwerker und kleinen Gewerbetreibenden sind in ihrer erdrückenden Mehrheit gegen sie, weil sie den Frieden, die Freiheit, weil sie endlich Ruhe im Lande haben wollen. So denkt auch die große Masse jener, die heute in den verschiedenen vaterländischen Organisationen freiwillig oder unfreiwillig eingeschrieben sind und arbeiten, so denkt das Volk. Die Kommunistische Partei erblickt ihre Aufgabe heute darin, das Volk vom gemeinsamen Denken zum gemeinsamen Handeln zu bringen. 272 West  : Die Linke im Ständestaat Österreich. S. 196. 273 McLoughlin  : Die Partei. S. 354. 274 Ebda. S. 358.

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Was das g a n z e Volk erstrebt und wünscht, nur das kann heute der Inhalt des Kampfes der Arbeiterklasse und ihrer Organisationen sein. Schluss mit der ständigen Zersplitterung des Volkes, endlich Ruhe und Arbeit und Brot, Friede, Freiheit und Demokratie – das sind die Wünsche des g a n z e n Volkes. Es ist auch unser Programm. Darum kämpfen wir für jedes Stück Freiheit, um jeden Schritt Demokratisierung im täglichen Leben, darum verbünden wir uns im Kampfe um die Forderungen des Volkes mit jedem, dem es ehrlich um die Interessen des Volkes zu tun ist  ; wir kämpfen mit ihm auch auf dem kleinsten Teilabschnitt. Alle diese Tages- und Teilkämpfe erhalten Sinn und Inhalt durch das gemeinsame Ziel, dem sie dienen, durch das gemeinsame Ziel, das das ganze Volk vereinigt  : die Demokratische Republik. Das soll eine Republik sein, die all die Erfahrungen des Volkes in Österreich während 14 Jahren und die jüngsten Erfahrungen des spanischen und französischen Volkes zugrunde liegen, eine Republik, die die Kräfte des ganzen Volkes mobilisiert und sie leidenschaftlich gegen alle Faschisten, Monarchen und sonstigen Diktatoren und ihre Garden richtet. Diese Republik soll geführt sein von einer starken, durch die Massen des Volkes verteidigten, gegen die Feinde des Volkes kämpfenden Demokratischen Vo l k s r e g i e r u n g . Eine solche Demokratische Republik entfernt uns nicht vom Endziel des Sozialismus, sondern bringt uns diesem Ziele näher. (…) U n s e r Z i e l bleibt weiter die Sowjetrepublik, die Sowjetdemokratie als höchste Form der Demokratie, wie sie verwirklicht ist in der Sowjetunion und niedergelegt ist in der Verfassung der Sowjetrepublik, in der es weder Ausbeuter noch Ausgebeutete gibt, in der jedem Bürger ein Recht auf Studium, Arbeit, Erholung und Versorgung im Alter garantiert wird. (…) Wir wenden uns an die Bauern, an die Kleingewerbetreibenden, an die Intellektuellen, an die junge Generation, die alle unter der Diktatur der Großgrundbesitzer, der Herren des Finanzkapitals und der adeligen Blutsauger schmachten und denen weder das gegenwärtige, noch ein monarchistisches und schon gar nicht ein nationalsozialistisches Regime Linderung ihrer Not und einen Ausweg aus ihrer Ausweglosigkeit bringen können. Wir wenden uns an die katholischen Werktätigen, die nicht das Schicksal ihrer deutschen Brüder teilen wollen. Sie alle stellen zusammen mit der Masse der Arbeiterschaft jene Kraft dar, die jeden Widerstand brechen und Österreich vor der Katastrophe retten wird.«275 Zwei Wochen später versicherte die KPÖ unter Hinweis auf das Juliabkommen und das Beispiel der französischen Volksfront, dass sie für Österreich 275 Deklaration der Partei. Für die Demokratische Republik. – In  : Die Rote Fahne Nr. 10. 15.7.1936. S. 1–3. S. 2f.

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kämpfe und nicht Schuschnigg, der mit Abschluss des Abkommens »Hochverrat gegen das eigene Volk« begangen habe.276 Das Konzept der »Demokratischen Republik« fand nur geteilte innerparteiliche Zustimmung und stieß bei den Revolutionären Sozialisten auf entschiedene Ablehnung und trug damit wesentlich zur Verschlechterung der Beziehungen beider Parteien bei. Die Revolutionären Sozialisten warfen der KPÖ vor, sklavisch Vorgaben der Komintern zu übernehmen, lehnten den patriotischen klassenübergreifenden Brückenschlag ab und sahen, unterstützt von Otto Bauer, keine Basis für eine Anwendung des Volksfront-Konzepts auf Österreich.277 Wie weit und in welchem Ausmaß diese Entwicklungen auch auf der regionalen Mikroebene des Landes Salzburg von der ohnedies zwischen 1918 und 1933 in einer Diasporasituation sich befindenden KPÖ und deren überschaubaren Zahl an Mitgliedern und Aktivisten rezipiert wurden, ist empirisch schwer zu erheben.278 Die im Schatten der Sozialdemokratie mit nur wenigen hundert Stimmen bei Wahlen zur politischen Bedeutungslosigkeit verurteilten KPÖ erlebte erst mit dem Andauern der Wirtschaftskrise in den frühen Dreißigerjahre einen allmählichen Zuzug aus Segmenten vor allem von jüngeren Arbeitslosen, die sich aus dem sozialdemokratischen Milieu zu lösen begannen und sich für das Beispiel einer von der Wirtschaftskrise unberührten Sowjetunion begeisterten. Eine stärkere Abwanderung von desorientierten und enttäuschten Sozialdemokraten zu den Kommunisten setzte nach dem 12. Februar 1934 ein. Die Enttäuschung über das Agieren der SDAP, vor allem ihrer Führung, schien die kommunistische Sozialfaschismusthese zu bestätigen und veranlasste vor allem Mitglieder des Republikanischen Schutzbundes und jüngere Parteiaktivisten zum Parteiwechsel, der erst durch die Konsolidierung der Revolutionären Sozialisten weitgehend zum Stillstand gebracht werden konnte. Das Ansehen der KPÖ im sozialdemokratischen Milieu stieg vor allem auch durch die geschickte Propaganda, die – trotz nur marginaler Beteiligung an den Februarkämpfen – diese weitgehend für sich beanspruchte und zur kommunistischen Heldensaga inklusive der schuldigen (sozialdemokratischen) Verräter umdeutete und durch die »Rote Hilfe« Unterstützung für verhaftete Parteimitglieder leistete. Vor allem in Hallein, Bürmoos, Lend, Mitterberghütten, Mühlbach, Bischofshofen, Gnigl, Maxglan und Itzling war diese Taktik erfolgreich. Auch unter den Arbeitern der Großglockner 276 Die Rote Fahne Nr. 11. 30.7.1936. S. 1. 277 Die Revolutionären Sozialisten vertraten eine extrem linke Position, indem sie, ebenso wie Otto Bauer in seiner Schrift »Zwischen zwei Weltkriegen«, am Anschluss unter revolutionären Vorzeichen festhielten und das Konzept einer österreichischen Nation zurückwiesen. Der Sozialismus könne in Österreich nur im Rahmen einer gesamtdeutschen Revolution, d. h. unter Mitwirkung der mächtigen deutschen Arbeiterklasse, in einem größeren, revolutionären Deutschland verwirklicht werden. 278 Zur KPÖ in Salzburg 1933 bis 1938 vgl. Hanns Haas  : Kommunisten. – In  : Widerstand und Verfolgung in Salzburg 1934–1945. Bd. 1. S. 106–224.

Einheitsfront, »Antifaschismus, Sowjetösterreich und der neue (verordnete) Patriotismus«

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Hochalpenstraße befanden sich entweder Mitglieder oder Sympathisanten der KPÖ, die seit Jahresbeginn 1936 sogar ein eigenes Informationsblatt unter dem Titel »Hammer und Sichel«, wenn auch nur in einigen Nummern, herausgab, zu dem sich ein Jahr später die »Pinzgauer Volksstimme« gesellte. Neben der notwendigen, aber oft unterbrochenen, inneren Kommunikation signalisierte man nach außen die eigene politische Präsenz, ähnlich wie die Nationalsozialisten, durch spektakuläre Aktionen wie das Streuen von Flugzetteln, das Beschmieren oder Verkleben von Hausmauern, Straßenschildern oder Randsteinen mit den kommunistischen Symbolen von Hammer und Sichel, das Abbrennen von Höhenfeuern, das Hissen roter Fahnen auf Fabrikschloten oder Hochspannungsmasten. Der Großteil des Informationsmaterials kam allerdings auf unterschiedlichen Wegen und mit unterschiedlichen Methoden entweder aus Wien oder Prag. Die Arbeit der Exekutive kann aufgrund der zahlreichen Beschlagnahmungen von Propagandamaterial wie auch immer wieder erfolgter Verhaftungen, vor allem der großen Verhaftungswelle im Sommer 1936, die de facto die gesamte Landesleitung der Partei eliminierte, als durchaus effektiv bezeichnet werden. Dennoch funktionierte der Informationsfluss zwischen Parteizentrale und Landesorganisation, da die Salzburger KPÖ den ideologischen und politischen Schwerpunkten des Zentralkomitees folgte. So propagierte sie unter der ideologischen Prämisse der kurzen Perspektive die Parole von einem bevorstehenden Umschwung vom Roten Februar zu einem Roten Oktober, in dem nach russischem Vorbild ein durch eine revolutionäre Einheitsfront geführter Massenaufstand ein Sowjet-Österreich errichten werde. Nach dem VII. Weltkongress der Komintern nahm man über Weisung des Zentralkomitees schließlich 1936 Abschied von der kurzen Perspektive, verabschiedete sich im Sinne der nunmehr vertretenen langen Perspektive von allen revolutionären Putschfantasien und propagierte die Ideologie der Volksfront, der Infiltration des Staats- und Gewerkschaftsapparats und der Notwendigkeit eines klassenübergreifenden österreichischen Patriotismus zur Abwehr des Nationalsozialismus. Die von der KPÖ für sich reklamierte herausragende Position im Widerstand gegen das ständestaatliche Regime ist das Ergebnis des interessengeleiteten Versuchs, das kollektive Gedächtnis, die historische Erzählung und die damit verbundene Erinnerungskultur zu beeinflussen und sogar zu bestimmen. Dieser bis in die Gegenwart anhaltende Versuch war insofern erfolgreich, als es ihm gelang, unter Ausklammerung kritisch-analytischer Fragen wie jener nach der tatsächlichen Stärke der Partei, dem Widerstandbegriff, der Relativierung und sogar Verteidigung des Stalinismus und dessen Terrormethoden usw. den Grundduktus der historischen Erzählung zu beeinflussen. Die angebliche Stärke der Partei nach dem Februar 1934 erweist sich bei einem genaueren Blick als typisches Produkt kommunistischer Propaganda, ihr Widerstand gegen das autoritäre Regime als Widerstand einer totalitären Partei, die keineswegs für eine parlamentarische Demokratie kämpfte, sondern

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für die Errichtung einer Diktatur nach sowjetischen Muster, die mit dem Schlagwort des »Antifaschismus« und dem Euphemismus »sozialistische Demokratie« propagiert wurde. Der von der KPÖ erst auf massiven Druck Moskaus und der Komintern 1936 vollzogene Schwenk in Richtung Volksfrontbündnis und österreichischen Patriotismus wurde lediglich als notwendiger taktischer Zwischenschritt auf dem Weg zum Endziel, der Errichtung Sowjetösterreichs und damit eines totalitären Staates, verstanden, dessen östliches Vorbild mit seinem umfassenden Terrorregime und GULAG-System der russischen Gesellschaft Wunden zufügte, die sich letztlich, allein aufgrund der Opfer, nicht mehr heilen ließen.

9. »… Ein neues Vaterland Bauen.« Die Implementierung des autoritären Ständestaates

Wenngleich Salzburg von den Wirren des Bürgerkriegs im Februar 1934 kaum erfasst worden war, so waren die Folgen für das politische System des Landes durch die nunmehr beschleunigt erfolgende autoritäre Wende erheblich. Dem Verbot der Sozialdemokratischen Partei und der Aberkennung aller ihrer Mandate auf Landes- und Gemeindeebene sollte nach der Verabschiedung der neuen ständestaatlichen Verfassung am 1. Mai 1934 bereits zwei Wochen später die Selbstauflösung der Christlichsozialen Partei folgen, womit der Abschied von der parlamentarischen Demokratie endgültig vollzogen war. Damit sah sich das autoritäre Regime nunmehr mit einem doppelten Widerstand konfrontiert  : zum nationalsozialistischen gesellte sich auch der sozialdemokratische mit seinen Überlappungen mit dem kommunistischen. Dieser Zwei-Fronten-Krieg war nur dann zu gewinnen, wenn es gelang, die Folgen der Wirtschaftskrise zu beseitigen und damit auch der offiziellen Staatsideologie – Österreichbewusstsein, Katholizismus und Ständegedanke als Überwindung des Klassenkampfes – breite Anerkennung zu verschaffen. Eine Überwindung der ökonomischen und in deren Folge sozialen Krise gelang u. a. vor allem deshalb nicht, weil man in Österreich eine – auch durch die hohe Auslandsverschuldung bedingte – Politik des knappen Geldes und damit der Geldwertstabilität verfolgte. Da zwischen 1930 und 1937 der Geldumlauf (Notenumlauf und Giroverbindlichkeiten) nur unmerklich stieg und nicht die Vergleichswerte der Zwanzigerjahre erreichte, blieb der Deflationsdruck aufrecht. Die von John Maynard Keynes bereits zu Beginn der Dreißigerjahre entwickelte Theorie eines wirksamen Einsatzes einer expansiven Fiskalpolitik (Geldmengenvermehrung) unter der Voraussetzung eines Abgehens vom Goldstandard und eines niedrigen Zinsniveaus als Mittel zur Ankurbelung der Wirtschaft wurden aus Furcht vor der Inflation als Folge der Politik des billigen Geldes abgelehnt. Damit wurden jedoch die Chancen zur Erzeugung einer längerfristig wirksamen Binnenkonjunktur durch eine Steigerung des Investitionsvolumens und der Massenkaufkraft versäumt. Dennoch war die Bundesregierung unter dem Druck der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit und des mit der nationalsozialistischen Machtergreifung im Deutschen Reich einsetzenden »Wirtschaftswunders« sowie dessen propagandistischer Sogwirkung auf Österreich gezwungen, vom Dogma der Währungsstabilität und des ausgeglichenen Budgets abzugehen und der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch die Verabschiedung von »Arbeitsbeschaffungsprogrammen« größeres Augenmerk zuzuwenden. 1934 und 1935 wurden im Rahmen der Arbeitsbeschaffungsprogramme 42.000 bzw. 52.100

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Arbeitskräfte, d. h. rund 10 Prozent der Arbeitslosen, beschäftigt. 1935 verkündete Bundeskanzler Kurt Schuschnigg den Beginn der »Arbeitsschlacht«, deren Durchführung Budgetdefizite in der Höhe von 1,7 bis 2,7 Prozent verursachte und Finanzminister Ludwig Draxler als Verfechter marktwirtschaftlicher Prinzipien, eines schlanken Staates, von Geldwertstabilität und ausgeglichenen Budgets zur Reaktion veranlasste. In einem Vortrag am 28. Februar 1936 im Niederösterreichischen Gewerbeverein hatte er zu seinem wirtschafts- und finanzpolitischen Credo erklärt  : »Ohne ausgeglichenes Budget gibt es keine gesunde Währung, eine stabile, gefestigte Währung aber ist die unerlässliche Voraussetzung für eine gedeihliche Entwicklung der Volkswirtschaft. (…) Je schwächer die Wirtschaft ist, umso niedriger muss die Budgetsumme sein, damit jede nicht unausweichlich notwendige Belastung der Wirtschaft durch Steuern und Abgaben vermieden wird.« Folglich müsse die interventionistische Tätigkeit der öffentlichen Hand auf ein Minimum beschränkt werden. Statt direkter Subventionsmaßnahmen sollte eine Stimulierung des privaten Unternehmergeistes auch durch eine Reduzierung der Steuerlast erfolgen.279 Den Finanzminister und Völkerbundkommissar Meinoud Marinus Rost van Tonningen trennten ihre jeweiligen Auffassungen über die Finanz- und Währungspolitik sowie die Bedeutung kreditfinanzierter öffentlicher Ausgaben. Draxler sprach sich gegen gesetzliche Eingriffe zur Zinssenkung und für das freie Spiel der Marktkräfte auf dem Kreditsektor ebenso aus wie gegen eine elastische Währungspolitik und kreditfinanzierte öffentliche Arbeiten. Rost van Tonningen hingegen vertrat die Auffassung einer Herabsetzung der Kreditzinsen, um den Landeshypothekenbanken und vor allem der notleidenden Landwirtschaft zu helfen, unterstützte mit Blick auf die notwendige Stabilisierung des Regimes kreditfinanzierte öffentliche Arbeiten sowie eine flexiblere Währungspolitik. Dass er schließlich 1936 auf die politische Linie Draxlers einschwenkte, basierte auf der Überlegung, dass bei Anhalten der leichten Konjunkturerholung und im Fall des Erfolgs von dessen ambitionierten Budgetplänen die Erfüllung der aus dem Lausanner Protokoll resultierenden österreichischen Sanierungsverpflichtungen und damit das Ende der Völkerbundkontrolle erfolgen würde. Damit hätte Österreich jenen Handlungsspielraum zurückgewonnen, der notwendig war, um zumindest teilweise auf eine Wirtschafts- und Finanzpolitik einzuschwenken, die von Hjalmar Schacht im Deutschen Reich bereits praktiziert wurde. Rost van Tonningen stellte sich daher hinter die von Finanzminister Draxler angeordneten Maßnahmen, der im Frühjahr 1936 aus Sorge um ein zu starkes Steigen der Schuldenlast Kürzungen im Bereich der Arbeitsbeschaffungsprogramme 279 Peter Berger  : Im Schatten der Diktatur. Die Finanzdiplomatie des Vertreters des Völkerbundes in Österreich Meinoud Marinus Rost van Tonningen 1931–1936. – Wien/Köln/Weimar 2000. S. 441. (Studien zur Wirtschaftsgeschichte und Wirtschaftspolitik Band 7. Herausgegeben von Herbert Matis und Roman Sandgruber.)

»… Ein neues Vaterland Bauen.«

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sowie bei den öffentlichen Investitionen vornahm und damit das Defizit auf 0,4 Prozent reduzierte.280 Diese fiskalpolitischen Maßnahmen trugen wesentlich dazu bei, dass die beschäftigungspolitischen Impulse, die von den Arbeitsbeschaffungsprogrammen ausgingen, letztlich zu gering ausfielen. Zudem gelang es aufgrund der beschränkten öffentlichen Investitionen letztlich nicht, den durch die andauernde Wirtschaftskrise verursachten Nachfrageausfall des privaten Wirtschaftssektors zu kompensieren. Die mangelnde private Investitionstätigkeit wurde vor allem auch durch die Kreditpolitik der Banken mitverursacht. Wenngleich die Notenbank den Diskontsatz bis Mitte der Dreißigerjahre deutlich senkte, so blieben die tatsächlichen Kreditzinsen des Geld- und Kreditapparats so hoch, dass er die Investitionsneigung der Unternehmen massiv bremste. Obwohl sich die Spareinlagen zwischen 1934 und 1937 und damit die Liquidität der Banken erhöhte, so erfolgte die Kreditvergabe aufgrund der aus der Weltwirtschaftskrise der Jahre 1929/30 resultierenden Angst vor faulen Krediten äußerst zurückhaltend. Diese wirtschafts- und finanzpolitischen Rahmenbedingungen bewirkten, dass die zwischen 1933 und 1937 einsetzende langsame Erholung der österreichischen Wirtschaft nur in kleinen Schritten erfolgte. Das Bruttoinlandsprodukt stieg in dieser Periode im Durchschnitt real um 2,8 Prozent und lag damit 1937 noch immer 14 Prozent unter dem Niveau des Jahres 1929. Wenngleich die gesamte Industrie zwischen 1933 und 1937 um 26 Prozent wuchs, so erreichte ihre Produktion 1937 nur 80 Prozent jener des Jahres 1929. Lediglich der bereits in den Zwanzigerjahren kräftig expandierende Energiesektor vermochte seine Wertschöpfung zwischen 1929 und 1937 um 17,4 Prozent zu steigern. Wenngleich sich der Beschäftigtenstand zwischen 1933 und 1937 um rund 81.000 Personen oder 5,1 Prozent erhöhte, so lag die Arbeitslosenquote 1937 noch immer bei 21,7 Prozent und war damit eine der höchsten in Europa. Mit einer Kombination von Außenhandelsregulierungen, Exportförderungen, der Gründung von Fonds, Subventionen und Prämien versuchte man die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf den Agrarsektor abzufedern, doch waren die Auswirkungen der Agrarkrise unübersehbar. Die Stagnation der Dreißigerjahre kam nicht nur in den Produktions-, sondern auch den Strukturdaten zum Ausdruck. Trotz der Agrarkrise blieb der Anteil der im Primären Sektor Beschäftigten zwischen 1910 und 1939 mit 39,5 bzw. 39 Prozent de facto gleich, während jener im Sekundären Sektor lediglich von 31 auf 32,4 Prozent stieg, wobei bei beiden Vergleichszahlen des Jahres 1939 der 1938 einsetzende Aufschwung mitberücksichtigt ist.281 280 Berger  : Im Schatten der Diktatur. S. 445f  ; Dieter Stiefel  : Die große Krise in einem kleinen Land. – Wien/Graz/Köln 1988. S. 194. 281 Felix Butschek  : Österreichische Wirtschaftsgeschichte. Von der Antike bis zur Gegenwart. – Wien/ Köln/Weimar 2011. S. 236ff.

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In Österreich sah man die Weltwirtschaftskrise als Folge des Zusammenbruchs des Vertrauens in das internationale Kreditsystem, weshalb man dieses Vertrauen und in dessen Folge die Stabilität durch eine konservative Geld- und Währungspolitik wiederherstellen zu können meinte. Während man in den angelsächsischen und norddeutschen Ländern zum Mittel der Währungspolitik als zentralem Mittel der Konjunkturstimulation griff, praktizierte das nationalsozialistische Deutschland einen extremen Staatsinterventionismus, bei dem die Aufrüstung eine bestimmende Rolle einnahm. Die Finanzierung dieses expansiven Programms mit seinen nach außen hin eindrucksvollen beschäftigungspolitischen Folgen erfolgte über die Notenpresse und das Abgehen vom Goldstandard. So schrieb »Die deutsche Volkswirtschaft« in ihrer April-Nummer 1936, der Goldstandard und der Goldwert der Währung seien metaphysische Begriffe, »uninteressant für den Bürger des nationalsozialistischen Deutschland. Dinge, die gewöhnliche Deutsche dagegen sehr wohl interessierten, seien die Preise der Butter, des Brotes und der Eier, die Kosten der Wohnungsmiete und des Straßenbahnfahrscheins zur Arbeit – alles Bestandteile dessen, was der Führer Adolf Hitler in seinen Wahlreden ›ein anständiges Leben‹ genannt habe. Wieviel Gramm oder Milligramm Feingold eine Reichsmark enthielt oder wieviel Goldreserven die Reichsbank besaß, hatte mit ›anständigem Leben‹ nichts zu tun.«282 Für eine solche Politik waren als flankierende Maßnahmen eine Devisenbewirtschaftung sowie die staatliche Kontrolle von Löhnen und Preisen notwendig. Die bereits kurzfristig bemerkbaren Folgen waren neben Rohstoffknappheit und Arbeitskräftemangel ein massives Schwinden der Devisenbestände, weshalb der Anschluss Österreichs zur Jahreswende 1937/38 vor allem auch wirtschaftspolitische Bedeutung gewann.283 Die öffentliche Wahrnehmung konzentrierte sich allerdings auf das Wirtschafts- und Beschäftigungswunder jenseits der Grenze, das, trotz aller Arbeitsbeschaffungsprogramme wie die Großglockner Hochalpenstraße, in so deutlichem Gegensatz zum heimischen Elend stand. Landeshauptmann Franz Rehrl war sich der Problemlage durchaus bewusst und widmete einen großen Teil seiner Rede im Salzburger Landtag am 26. Februar 1934 den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vor allem im Straßenbau. So werde man, sobald es die Witterungsverhältnisse erlauben, 650 Arbeiter beim Betonstraßenbau an der Kärntner Bundesstraße zwischen Anif und Hallein, bei sonstigen Bundes- und Landesstraßenbauten 100 Arbeiter ganzjährig und 300 saisonal beschäftigen, beim Landwirtschaftsministerium auf die Wichtigkeit des Güterwegebaus hinweisen, bei der Großglockner Hochalpenstraße werden bei Wiederaufnahme der Bauarbeiten 2.500 Arbeiter beschäftigt und bei Entwässerungs- und Regulierungsarbeiten mehr 282 Berger  : Im Schatten der Diktatur. S. 444. 283 Norbert Schausberger  : Der Griff nach Österreich. Der Anschluss. – Wien/München 1978  ; Senft  : Im Vorfeld der Katastrophe. S. 521f.

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als 100 Arbeitslose wiederum eingestellt werden. Der Bauernschaft solle durch eine Gebirgsbauernhilfe und Entschuldungsaktion unter die Arme gegriffen werden.284 1934 befand sich Salzburg nach drei Jahren eines massiven Konjunktureinbruchs, der durch den hohen Anteil des Dienstleistungssektors und der starken Exportorientiertheit der heimischen Industrie noch verstärkt wurde, in einer Phase der relativen Stabilisierung. Im folgenden Jahr trat eine neuerliche allmähliche Besserung der Lage ein. Die Zahl der unterstützten Arbeitslosen sank gegenüber 1934 von 9.400 auf 8.700. Die Mittel der produktiven Arbeitslosenfürsorge und die Bereitstellung von Mitteln für öffentliche Bauten (z. B. Glanregulierung, Straße Nonntal-Anif, Glocknerstraße) sowie den Freiwilligen Arbeitsdienst brachten einen durchschnittlichen Zuwachs während der Sommermonate von 4.800 und im monatlichen Jahresdurchschnitt von 2.800 Beschäftigten. Bedingt durch den nach der Tausend-MarkSperre neuerlich einsetzenden Sommertourismus und die stimulierte Bautätigkeit betrug die Sommerarbeitslosigkeit 2,2 Prozent und stieg im Winter auf 5 Prozent.285 Angesichts der restriktiven Budgetpolitik des Bundes und der knappen Bundesmittel setzte ein permanenter Kampf der Landespolitik um die Vergabe öffentlicher Aufträge an Salzburger Firmen ein, wobei Landeshauptmann Rehrl bei seinen zahlreichen Interventionen den Umstand zu berücksichtigen hatte, dass das Land Salzburg mit dem Bau der Großglockner Hochalpenstraße ohnedies bereits überproportional mit Bundesmitteln bedacht wurde. Dennoch bemühte sich der Salzburger Landeshauptmann unermüdlich um Aufträge vor allem für notleidende Firmen in den Gebirgsgauen. So intervenierte er im Frühjahr 1936 um die Vergabe der Lieferung von 4000 Schwellen für die Firma Brückl in Mauterndorf beim Präsidenten der Verwaltungskommission der Bundesbahnen Carl Vaugoin. Am 5. Mai antwortete der Generaldirektor der Bundesbahnen, Anton Schöpfer, man werde der Intervention Rehrls entsprechen. Er wolle jedoch »dabei betonen, dass diese verhältnismäßig große Bestellung in besonderer Berücksichtigung der uns von maßgebenden Stellen empfohlenen, wirtschaftlich schwer kämpfenden Lungauer Lieferanten erfolgt, obwohl Schwellen aus diesem Gebiete an Qualität von den aus anderen Gegenden stammenden vielfach übertroffen werden.«286 Seine zur selben Zeit erfolgte Intervention bei Handelsminister Fritz Stockinger für den Ausbau der Mallnitzer Mölltaler Straße blieb allerdings aufgrund der restriktiven Budgetpolitik von Finanzminister Draxler ebenso ohne Erfolg287 wie seine Bemühungen, im Rahmen der italienisch-österreichischen Verhandlungen in Rom eine Erhöhung der Salzburger Holzexporte zu erreichen, da Italien aufgrund des Devisenmangels zu keiner Er284 Salzburger Chronik 27.2.1934. S. 2. 285 Neue Freie Presse 21.4.1936. S. 2. 286 SLA. Rehrl-Briefe 1936/1180. 287 SLA. Rehrl-Briefe 1936/1130.

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höhung der Importquote imstande war.288 Devisenmangel war auch der Grund, dass der erhoffte Export von Salzburger Papierholz nach dem Deutschen Reich nur zu einem Bruchteil durchgeführt werden konnte, wie der Generaldirektor der Bundesforste dem Salzburger Landeshauptmann auf dessen Intervention hin bedauernd mitteilte.289 Die Vollendung des Baus der Großglockner Hochalpenstraße war nicht nur ein landes-, sondern seit dem Beginn der autoritären Phase im März 1933 auch ein bundespolitisches Prestigeobjekt. Mit ihm trat der Ständestaat in direkte Konkurrenz zum Nationalsozialismus, das Straßenbauprojekt war nicht nur aufgrund seines Beschäftigungseffekts290 ein zentraler Bestandteil der »Arbeitsschlacht«, sondern wurde auch zum Symbol der Leistungsfähigkeit und damit auch der Selbstständigkeit Österreichs und seiner europäischen Sendung.291 Das spektakuläre Straßenbauprojekt sprach »die Sinne und die Fantasie der österreichischen Medienkonsumenten direkt« an. »Zeitungs- und Illustriertenleser, Radiohörer und Kinobesucher erfuhren von tausenden, die mit schweren Werkzeugen dem Fels zu Leibe rückten und den Eindruck erweckten, sie wären direkt der Ikonografie der Arbeiterbewegung entsprungen. Diese Arbeiter schienen nicht in einem entfremdeten Produktionsprozess eingespannt zu sein, sondern schufen ein sichtbar wachsendes, der ruhmreichen Vollendung zustrebendes Werk.«292 Die Großglockner-Hochalpenstraße war 288 SLA. Rehrl-Briefe 1936/1070. 289 SLA. Rehrl-Briefe 1936/1393. 290 Der Beschäftigungseffekt kann in drei Phasen gegliedert werden  : Während in der ersten Phase zu Beginn der Dreißigerjahre ein starker beschäftigungspolitischer Impuls ausging, so flaute dieser 1932/33 am Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise deutlich ab, um in der dritten Phase 1934/35 wiederum signifikant anzusteigen. Nach der Beendigung des Baus war der beschäftigungspolitische Effekt weitgehend nicht mehr vorhanden. Am 19. März 1936 bemerkte Staatsekretär Hans Pernter im Ministerrat, die Einleitung neuer Arbeitsbeschaffungsprogramme sei dringend notwendig, »zumal da nach einer gelegentlichen Mitteilung des Landeshauptmannes von Salzburg die Stimmung in diesem Land, in dem wegen des Zunehmens der Arbeitslosigkeit Verzweiflung um sich greife, als sehr ungünstig bezeichnet werden müsse.« Das Drängen des Salzburger Landeshauptmanns auf neue Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sei »auf den Entfall der Arbeiten an der Glocknerstraße zurückzuführen.« (MRP 1025/Geheimprotokoll zu Punkt 4 des Verhandlungsprotokolls.) Nachhaltig positive Auswirkungen auf den Salzburger Fremdenverkehr insgesamt waren durch den Bau der Großglockner Hochalpenstraße zweifellos gegeben, wenngleich unmittelbar positive Folgen für die Anrainergemeinden zunächst nicht feststellbar sind. Allerdings hatte der Straßenbau positive Auswirkungen auf den motorisierten Fremdenverkehr. 291 Franz Schausberger  : Mythos und Symbol. Die Großglockner Hochalpenstraße im autoritären Ständestaat. – In  : Johannes Hörl, Dietmar Schöndorfer (Hg.)  : Die Großglockner Hochalpenstraße. Erbe und Auftrag. – Wien/Köln/Weimar 2015. S. 101–129. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 53.) 292 Georg Rigele  : Die Großglockner Hochalpenstraße. Zur Geschichte eines österreichischen Monu-

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das medial vielfach vermittelte wichtigste Bauvorhaben des Ständestaates und sollte auch die Versöhnung von autoritärem Regime und Arbeiterschaft symbolisieren. Bereits unmittelbar nach dem Ende der Februarkämpfe hatte sich die Salzburger Landesleitung der Vaterländischen Front an die Arbeiter mit der Aufforderung zur Mitarbeit am neuen Staat, der ein sozialer sein werde, gewandt. »Österreich muss im besten Sinne des Wortes an die Lösung der s o z i a l e n P r o b l e m e herangehen. Losgelöst von unfruchtbaren Klassenkämpfen, die einen Stand gegen den anderen führen, soll und muss die Gemeinsamkeit des ganzen Volkes Grundlage des Neuaufbaues werden. Die Arbeiterschaft wird und kann nicht beiseitegeschoben werden. Wieder eingegliedert in die l e b e n d i g e Vo l k s g e m e i n s c h a f t , frei vom Kampfe aller gegen alle, wird der S t a n d d e r A r b e i t e r im neuen Ständestaat eine wesentliche Rolle spielen. Nicht Entrechtung des Arbeiters, sondern volle G l e i c h b e r e c h t i g u n g ist das Ziel, das dem neuen Österreich vorschweben muss. Die Vaterländische Front hat es übernommen, alle Salzburger in ihren Reihen zu sammeln, die p o s i t i v am Wiederaufbau des Vaterlandes mitarbeiten wollen. Arbeiter im Lande Salzburg, die ihr nicht entwurzelt seid durch das, was euch bisher von den übrigen Ständen trennte, findet den Weg zurück zu eurem Va t e r l a n d e , zu eurer schönen H e i m a t . Arbeiter des Landes Salzburg  ! Vergessen wir alles, was uns bisher trennte. Die Va t e r l ä n d i s c h e F r o n t ruft euch zur M i t a r b e i t , die Vaterländische Front, geführt vom Bundeskanzler, dessen Wiege im Hause eines Kleinbauern gestanden, ö f f n e t e u c h d i e P f o r t e n   ! Salzburg wurde nicht zuletzt durch die Besonnenheit seiner Arbeiterschaft von dem furchtbaren Verhängnisse des Bürgerkrieges verschont. Möge es daher auch ein Beispiel für alle anderen Länder werden, durch den gemeinsamen starken Aufbauwillen aller Stände.«293 Und die österreichischen Bischöfe erhoben ihre Stimme dafür, »dass jene gesellschaftlichen Verhältnisse, welche wahre Wohlfahrt in manchen Arbeiterständen nicht aufkommen ließen, planmäßig geändert werden. Alle Schichten der arbeitenden Bevölkerung müssen volle gesellschaftliche Gleichstellung und Würdigung erlangen können. Sie müssen die Möglichkeit haben, ihre irdische Wohlfahrt sicherzustellen und so zu gestalten, dass jedem auch das Glück des Familienlebens beschieden sein kann. Deshalb müsste auch d a s P r o b l e m d e r A r b e i t s l o s i g k e i t immer schärfer angefasst, immer gründlicher behandelt werden, die ja für viele Kreise, besonders der Arbeiterwelt, wie ›eine schreckliche Geißel‹ wirkt, um ein Wort des jetzigen Heiligen Vaters in Erinnerung zu rufen. Papst Leo XIII. hat solche sozialen Forderungen schon mit Eindringlichkeit erhoben. Papst Pius XI. hierfür den A u s b a u ments. – Wien 1998. S. 270. 293 Salzburger Chronik 17.2.1934. S. 4.

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d e r s t ä n d i s c h e n O r d n u n g gefordert. Klassenhass würde so zurückgedrängt werden und Klassenkampf ausgeschaltet bleiben. Die österreichische Regierung hat die Arbeit als ihr besonderes Programm erklärt und arbeitet daran.«294 In Salzburg unternahm Landeshauptmann Rehrl vor dem Hintergrund der spezifischen Situation des Landes und in dem Bemühen um einen möglichst breiten politischen Konsens nicht nur den Versuch eines Brückenschlags nach links, sondern auch nach rechts. So richtete er in seiner Rede vor dem Salzburger Landtag am 26. Februar 1934 auch einen Appell an das nationale (nationalsozialistische) Lager. »In dieser S c h i c k s a l s s t u n d e , welche für unser ganzes Volk die Wende zu neuem Leben bedeuten soll, möchte ich aber auch, nachdem ich bereits (…) den Ruf an die bisher irrgeleitete Arbeiterschaft gerichtet habe, an j e n e Vo l k s g e n o s s e n a p p e l i e r e n , d i e b i s h e r a u f d e r r e c h t e n S e i t e a b s e i t s s t e h e n und ihnen zurufen  : ›Stellt auch Ihr Eure Ziele, die schon wegen der gegenwärtigen internationalen Lage im Ernste für uns unvorstellbar sind, zurück, stellt Euch in den Dienst Eurer Heimat und des Volkes, dem Ihr entsprossen seid, helft mit, Euer Vaterland stark und angesehen zu machen, denn es liegt im größten Interesse unseres geliebten deutschen Volkes, dass beide Staaten, in denen gleich gute Deutsche wohnen, sich in der Familie der Völker einen angesehenen und einflussreichen Platz erwerben und damit dem ganzen deutschen Volke und seiner Kultur die entsprechende Weltgeltung verschaffen  !‹«295 Die erhoffte positive Resonanz auf diesen Appell blieb aus, zu stark waren die propagandistischen politischen und sozialen Blendgranaten jenseits der Grenze, zu triste schien im Vergleich zur Projektion des Dritten Reiches die Lebenswirklichkeit diesseits der Grenze. Nachdem die Regierung durch eine Verordnung aufgrund des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes am 24. April und durch eine Sitzung des Rumpfparlamentes am 30. April in einer »kuriosen Inkonsequenz«296 dem Schein der mehr als zweifelhaften Rechtskontinuität genüge getan hatte, erfolgte die feierliche Verkündigung der neuen ständischen Verfassung am 1. Mai 1934. Das Rumpfparlament hatte in seiner Sitzung am 30. April das Bundesgesetz über »außerordentliche Maßnahmen im Bereich der Verfassung« (BGBl. Nr. 255/1934/I) beschlossen, mit dem der Bundesregierung sämtliche gesetzgebenden Befugnisse einschließlich der Verfassungsgesetzgebung und der Übergangsregelungen zur neuen Verfassung übertragen wurden. Damit sicherte sich die Bundesregierung »über den Tag der offiziellen Proklamation der Maiverfassung hinaus ein unumschränktes ›pouvoir constituant‹ …« Neben dem Bestreben um die Aufrechterhaltung des Scheins der Rechtskontinuität 294 Reichspost 24.2.1934. S. 1. 295 Salzburger Chronik 27.2.1934. S. 2. 296 Höbelt  : Die Erste Republik Österreich. S. 317  ; Wohnout  : Regierungsdiktatur oder Ständeparlament  ? S.  157ff.

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zur Bundesverfassung 1920/29 wurde damit die Intention verwirklicht, »ein einmal errungenes Machtmonopol zu festigen.«297 Neben der Festlegung der dominanten Position der Bundesregierung und vor allem des Bundeskanzlers im Bereich der politischen Entscheidungsfindung, die der bereits von Dollfuß in der Trabrennplatzrede angekündigten autoritären Führung entsprach, symbolisierte die »im Namen Gottes« verfasste Einleitung den Triumph des Politischen Katholizismus und verstärkte damit die gesellschaftliche Fragmentierung, musste sie doch auf die vehemente Ablehnung des linken und rechten Antiklerikalismus stoßen. Für die »Salzburger Chronik« bedeutete jedoch die am 1. Mai 1934 verkündete neue ständestaatliche Verfassung einen »wichtigen Meilenstein« in der Geschichte Österreichs. »Mit der P r o k l a m i e r u n g d e r n e u e n Ve r f a s s u n g , die den Staat im christlich-ständischen Sinne aufbauen soll, beginnt eine neue Epoche politischen und gesellschaftlichen Lebens, die sich bei folgerichtiger Durchführung der neuen Verfassungsziele grundstürzend gegenüber dem bisherigen Zustande auswirken muss  ! P o l i t i s c h , indem das bisherige Kräftespiel der politischen Auseinandersetzungen den Parteien des alten Staates und ihrer Rivalität entzogen und neuen, verfassungsmäßig vollständig anders konstruierten Faktoren zugewiesen wird  ; s o z i a l , indem die bisherigen klassenkämpferischen Einrichtungen des Unternehmerverbände einerseits und der Gewerkschaften andererseits durch eine Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Berufsstande abgelöst werden  ; und schließlich k u l t u r e l l , indem der alte liberale, religiös indifferente Geist, der sich dominierend in allen Verfassungseinrichtungen eingenistet und das öffentliche Leben vollständig laisiert hatte, der verfassungsmäßigen Verfestigung der christlichen Staatsidee für das neue Österreich weichen muss. So darf mit vollem Recht der kommende Mai als der B e g i n n e i n e r n e u e n Ä r a unseres Vaterlandes bezeichnet werden, dessen sich alle vaterlandstreuen Österreicher bewusst sein müssen.« Die Verkündigung der neuen Verfassung am 1. Mai gebe diesem Datum einen neuen Sinn. Keineswegs solle »das Fest der Arbeit« verkürzt werden. »Im Gegenteil, es soll die g a n z e A r b e i t sein, die das Fest feiert. M a i p a r o l e ist daher  : Nicht Klassenkampf, sondern soziale Gerechtigkeit  ! Wiederaufbau einer gerechten, das ist richtigen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, in welcher jeder, der arbeitet, wesensgemäß mit jenen verbunden ist, die führend oder ausübend gleicher Arbeit obliegen, um so einen S t a n d zu haben, der in

297 Everhard Holtmann  : Autoritätsprinzip und Maßnahmegesetz. Zur verfassungsrechtlichen Stellung der Justiz im österreichischen Ständestaat. – In  : Die österreichische Verfassung von 1918 bis 1938. Protokoll des Symposiums in Wien am 19. Oktober 1977. – Wien 1980. S. 210–226. S. 211f. (Wissenschaftliche Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1918 bis 1938. Veröffentlichungen Band 6. Herausgegeben von Rudolf Neck und Adam Wandruszka.)

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friedlicher Zusammenarbeit mit den übrigen Ständen Brot und Freiheit jedes einzelnen gegen Ausbeutung von unten und oben sichert. (…) Nicht mehr wird am 1. Mai die K l a s s e n k a m p f p a r o l e durch die Straßen der Städte und durch die Gaue des Landes getragen werden. Die Kundgebungen in allen Orten gelten vielmehr dem Gedanken der Vo l k s z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t , der engen Verbundenheit alle Stände, einem neuen, bejahenden Staatsbewusstsein …«298 Da die konkrete Implementierung der Verfassung, vor allem des ständischen Prinzips, aufgrund der damit verbundenen Probleme einige Zeit in Anspruch nehmen würde, war es notwendig, als Provisorium Übergangsbestimmungen zu schaffen. Das am 19. Juni verabschiedete Verfassungs-Übergangsgesetz (BGBl. Nr. 75/1934) sollte in der Vorstellung von Otto Ender lediglich bis Ende 1935 in Kraft sein, da bis zu diesem Zeitpunkt der ständische Aufbau abgeschlossen wäre und damit die Mandatare von den Ständen in die gesetzgebenden bzw. beratenden Körperschaften gewählt würden. Diese Annahme erwies sich als zu optimistisch. Der Aufbau der ständischen Ordnung blieb bis zum Ende des Ständestaates ein Torso. Noch herrschte allerdings am 1. Mai 1934 Optimismus im Regierungslager, in dem auch die der neuen Entwicklung skeptisch oder distanziert Gegenüberstehenden in den Chor der Hoffnungsfrohen einstimmten. So erklärte der Salzburger Landeshauptmann Franz Rehrl in seiner Rede anlässlich der vaterländischen Kundgebung am Residenzplatz am 1. Mai, Österreich sei durch den Zusammenbruch 1918 und die folgende Revolution »an den Rand des Abgrundes« gedrängt worden. »Der heutige Tag aber setzt den gewaltigen Pfeiler in den Strom der Geschichte, auf dem die Brücke gelegt werden soll, die in die bessere Zukunft führen soll. Bei einem so großen Werk aber h a b e n a l l e z u s a m m e n z u s t e h e n , die w i l l e n s s i n d , ein neues Vaterland zu bauen, ein Vaterland, an dem j e d e r S t a n d z u m Tr ä g e r d e r g a n z e n Va t e r l a n d s i d e e wird. Da darf keiner und kein Stand einzeln stehen. Der Einzelne ist zu brechen. Ein einig Volk von Brüdern wollen und müssen wir sein, das in keiner Not sich trennt. (…) Unser neues Österreich bauen wir auf den Grundsätzen des G l a u b e n s u n s e r e r V ä t e r und dies allein gibt uns schon die sichere Gewähr, dass dann, wenn alle guten Willens sind, das Werk der Erfolg krönen wird. (…) Es ist ein unvergängliches Verdienst unseres Herrn Bundeskanzlers Dr. Dollfuß, dass er d e n ö s t e r r e i c h i s c h e n G e d a n k e n n e u b e l e b t hat, und wenn ihm heute Millionen zujubeln, so ist es nicht zuletzt der Dank dafür, dass er Ö s t e r r e i c h w i e d e r d e n Ö s t e r r e i c h e r n g e s c h e n k t hat. In Not und Drang wurde unser heutiges Österreich nach dem Weltkrieg geboren und auch die Zeit seiner Erneuerung fiel wieder in eine Zeit der gewaltigsten Gärung. Um Sein und Nichtsein unseres geistigen Österreich ging es im blutigen Fasching 1934. Das Sein aber war 298 Salzburger Chronik 30.4.1934. S. 1.

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stärker, allen Feinden zum Trotz, und nachdem dieses vielgeprüfte Land seine innere Kraft erneuert und glänzend bewiesen hat, geht es in den Frühling einer besseren Zeit.«299 Der von Rehrl als Erneuerer des österreichischen Gedankens gefeierte Bundeskanzler Dollfuß besuchte in Begleitung von Vizekanzler Starhemberg am 10. Mai Salzburg mit dem Ziel, vor allem gegenüber dem Nationalsozialismus Flagge zu zeigen und das Regierungslager durch eine eindrucksvolle Massenveranstaltung auf den nunmehr offiziellen Ständestaat einzuschwören und zu ermutigen. Im Vorfeld des Besuchs bemerkte die »Salzburger Chronik«, der Bundeskanzler sei vor einem Jahr auf dem Parteitag der Christlichsozialen Partei als Repräsentant der stärksten Regierungspartei in Salzburg anwesend gewesen. Nunmehr aber komme er als »Repräsentant eines n e u e n und des g a n z e n Österreich, das inzwischen die neue ständische Verfassung mit autoritärer Staatsführung proklamiert hat, des ganzen Österreich, weil der Kanzler zugleich an der Spitze der Vaterländischen Front als der offiziell anerkannten Trägerin der österreichischen Idee und politischen Sachwalterin des neuen Österreich steht. Das Fundament zu staatlichen Neubau ist gelegt, die notwendige Vorarbeit geleistet, aber die wichtigere Aufgabe setzt nun ein  : d a s g e i s t i g e H i n e i n w a c h s e n d e r B e v ö l k e r u n g i n d a s n e u e S t a a t s g e b ä u d e . «300 Dass erhebliche Teile dieser Bevölkerung, vor allem Sozialdemokraten, Kommunisten und Nationalsozialisten, sich dieser Aufgabe verweigerten, wurde am Tag des Besuchs des Bundeskanzlers durch eine Reihe von Böller- und Sprengstoffexplosionen auf dem Flughafen Maxglan, in der Stadt Salzburg, bei Bahnkörpern und der Unterbrechung der Telefonleitungen deutlich. Das offizielle Salzburg und Tausende Anhänger des Regierungslagers feierten allerdings in imposanten Umzügen und einer Abschlussveranstaltung auf dem Residenz- und Mozartplatz den Besuch des Bundeskanzlers, der von der Tochter des Landeshauptmanns Traudl auf dem Flugplatz in Maxglan mit einem Huldigungsgedicht begrüßt wurde, in dem bereits die Konturen des wenig später entstehenden Dollfuß-Mythos sichtbar wurden  :301 »Willkommen ruft ganz Salzburg heut Dir Kanzler von ganz Österreich. Ja Kanzler, mögst auf starken Schwingen Der Heimat Du den Frieden bringen, Mögst Deine Saat Du reifen seh’n, Da jetzt die grünen Halme steh’n  : 299 Salzburger Chronik 2.5.1934. S. 1f. 300 Salzburger Chronik 9.5.1934. S. 1. 301 Salzburger Chronik 11.5.1934. S. 4.

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Wir Kinder unsere Hände falten Und flehn Gott möge D i c h gnädig walten, Dass bald aus uns’rer Heimaterde Ein einig, glücklich Öst’rreich werde.«

Die »Salzburger Chronik« begrüßte den Bundeskanzler euphorisch mit der Eloge, dieser gelte nicht nur den Österreichern, sondern der ganzen Welt als »der u n b e s t r i t t e n e Tr ä g e r d e r ö s t e r r e i c h s c h e n I d e e u n d d e s S e l b s t b e s t i m m u n g s r e c h t e s u n s e r e s Va t e r l a n d e s , s e i n S c h i r m h e r r u n d R e f o r m e r z u e i n e r b e s s e r e n Z u k u n f t . «302 Ähnlich ließ sich Bürgermeister Max Ott bei seiner Begrüßungsansprache auf dem Flughafen vernehmen. Dollfuß sei der Retter und Erneuer Österreichs. »Was unmöglich in dem trüben Flusse der Zeit schien, ist zur klaren, hellen Tatsache, zur beglückenden Wirklichkeit geworden. Sie, Herr Bundeskanzler, haben ein e i n i g e s n e u e s Ö s t e r r e i c h g e s c h m i e d e t und haben d e n Ö s t e r r e i c h e r n i h r Va t e r l a n d w i e d e r g e s c h e n k t .«303 Bei so viel politischer Prosa konnte Landeshauptmann Rehrl nicht zurückstehen, benötigte er doch die Hilfe des Bundes für die Fertigstellung der Großglockner Hochalpenstraße und die finanzielle Absicherung der Festspiele angesichts der erheblichen Auswirkungen der Tausend-Mark-Sperre. »Das W i e d e r e r w a c h e n d e s ö s t e r r e i c h i s c h e n G e d a n k e n s , der sich bereits in einer Reihe von Riesenversammlungen so herrlich gezeigt hat, setzt heute wieder einen Markstein absoluten Tatwillens. Aber jedermann, der das Glück hat, an der heutigen gewaltigen vaterländischen Kundgebung teilzunehmen, übernimmt eine g r o ß e u n d h e i l i g e P f l i c h t   : er muss Werber und A r b e i t e r f ü r d e n ö s t e r r e i c h i s c h e n G e d a n k e n s e i n , ist er wo immer.« Dies bedeute  : »Ö s t e r r e i c h m u s s Ö s t e r r e i c h b l e i b e n   ! Keiner wird zu behaupten wagen, dass unser Abwehrkampf gegen das Deutschtum an und für sich gerichtet ist. Vor euch Tausenden kann ich erklären, dass Österreich dort zu finden ist, wo Deutschtum gepflegt wird und deutsche Ideale hochgehalten werden. Wir sind gleichsam Vorkämpfer des deutschen Volkes. Wo Österreich ist, dort ist Großdeutschland zuhause. Über die nahe Grenze hinaus sprechen wir von Salzburg aus zu allen, die die deutsche Sprache sprechen, in deren Adern deutsches Blut rollt, die aber das deutsche Österreichertum zu Boden werfen wollen. Wir sind trotz allem, was man uns antut, bereit, in Frieden leben zu wollen. Wir können aber auch hart sein und sind n i c h t d a z u z u h a b e n , d u r c h Ve r r a t u n d B ö l l e r n a c h g i e b i g z u w e r d e n .« Das neue Österreich und der in ihm zum Ausdruck kommende österreichische Gedanke dürfe im Sinne einer neuen Volksgemeinschaft »nicht mehr danach 302 Ebda. S. 1. 303 Ebda.

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fragen, welcher politischen Gruppe oder welcher politischen Partei« jemand in der Vergangenheit angehörte, sondern nur mehr nach dem Bekenntnis zu Österreich. Deshalb müsse man auch den Sozialdemokraten die Hand reichen. »Unsere Vaterlandsliebe darf nicht Halt machen vor solchen Kreisen, die uns vielleicht noch vor nicht langer Zeit als Feinde gegenübergestanden sind, die sich noch nicht ganz zum neuen Österreich bekennen. Wir bedauern es tief, dass wir im F e b r u a r d. J. die Exekutive verwenden mussten, um das Vaterland gegen deutschsprechende Österreicher zu verteidigen, Wir haben nicht gekämpft, um zu siegen. In einem Bürgerkrieg darf es keine Sieger und Besiegte geben. W i r h a b e n g e k ä m p f t , u m d a s Va t e r l a n d r e i n z u h a l t e n v o n e i n e r I r r l e h r e . Wir haben das Vaterland auch f r e i g e m a c h t , aber nicht zu dem Zwecke, um jetzt unsere Gegner von einst zu verfolgen.«304 Der Bundeskanzler widmete einen großen Teil seiner Rede dem Kampf gegen die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise. »Den Himmel auf Erden kann niemand bringen, auch ich nicht, und ich habe es niemandem versprochen. (…)

304 Ebda. S. 2. Ähnlich bemerkte Leopold Kunschak in einer Versammlung des Bundes christlicher Arbeiter und Angestellter im Kurhaus im Februar 1935  : »Gegen den Kapitalismus haben schon im vorigen Jahrhundert zwei starke Strömungen eingesetzt  : einerseits der M a r c x i s m u s und andererseits der c h r i s t l i c h s o z i a l e G e d a n k e . Es ist sicherlich kein Zufall, dass diese beiden Ideen fast gleichzeitig in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten sind, fast gleichzeitig unter der Arbeiterschaft ihre Wirksamkeit begonnen haben. Auch der Marxismus ist heute eine überwundene Sache. Es ist eine geschichtliche Wahrheit geworden  : Der Marxismus hat seine U n f ä h i g k e i t , an die Stelle der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung eine andere zu setzen, reichlich erwiesen.« Die sozialdemokratischen Arbeiter »müssen sich vor allem die e r n s t e F r a g e v o r l e g e n , ob der Glaube, dem sie nachgehangen sind, d e r G l a u b e a n d e n M a r x i s m u s n I c h t l e t z t e n E n d e s e i n I r r g l a u b e gewesen ist, und endlich einsehen lernen, dass sie heute verpflichtet sind, sich neu zu orientieren, in dem Staate, mit dem sie auf Leben und Gedeih verbunden sind, in der Gesellschaft, die nun einmal da ist und zu der als wichtiger Teil die Arbeiter, auch die sozialdemokratischen Arbeiter, gehören. Der neue Staat, der geschaffen werden soll, soll aufgebaut werden auf der b e r u f s s t ä n d i s c h e n I d e e , nach den Ratschlägen von Quadragesimo anno. (…) Papst Pius XI. kam zu der Auffassung, dass die Idee nun reif geworden ist für die Zeit und die Zeit reif geworden ist für die Anwendung und Verwirklichung der Idee. Die Idee geht zurück auf das Rundschreiben Papst Leos XIII. Dort ist ganz genau angedeutet, auf welche Grundlagen die Gesellschaft gestellt werden soll. Und in den 40 Jahren seither ist immer an der Ausarbeitung, Vertiefung und Popularisierung dieser Idee gearbeitet worden. (…) Die christliche Arbeiterschaft hat dieser Idee nachgelebt, wenn sie auch statt von berufsständischer Regelung von K l a s s e n v e r s ö h n u n g g e s p r o c h e n u n d d e m K l a s s e n g e i s t d e n S t a n d e s g e i s t e n t g e g e n g e s e t z t h a t . (…) Die berufsständische Idee ist die einzige, die in sich die Eignung trägt, U n t e r l a g e , G r u n d l a g e und Inhalt für den Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung und eines neuen S t a a t e s z u b i l d e n .« (Salzburger Chronik 15.2.1935. S. 1f.)

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Dass wir uns bemüht haben, durch Schaffung von Arbeitsgelegenheiten mitzuhelfen am Wiederaufbau, wo wir können, dafür ist auch Salzburg ein Beweis. Die G l o c k n e r s t r a ß e , die wir der Klugheit und Energie des Landeshauptmannes Dr. Rehrl verdanken, die uns immerhin einiges Geld kostet und manche Sorge gekostet hat – aber Rehrl ist in dieser Beziehung unermüdlich – wird eine schöne Erinnerung sein an eine Zeit, die wirtschaftlich so schwer war wie die unsrige. Die R e g u l i e r u n g d e r G l a n , um die man sich seit Jahrzehnten bemüht hat und die zur Kultivierung und Entwässerung dieses großen Gebietes in der Nähe des schönen Salzburg so notwendig ist, haben wir möglich gemacht. In diesem Jahr allein werden wieder d r e i M i l l i o n e n i m L a n d S a l z b u r g für die Arbeitsförderung ausgegeben werden. Sie können daraus ersehen, wie gerne wir gerade dem schönen Land Salzburg helfen wollen. Wir wollen Ihnen behilflich sein, um die schöne, in der ganzen Welt bekannte Einrichtung der Salzburger F e s t s p i e l e zu unterstützen und sicherzustellen und so beizutragen, dass die Fremden wiederkommen in diese Stätte alter deutscher, christlicher Kultur. Ist doch auf diesem Boden hier so viel Kulturarbeit geleistet worden von den Bischöfen und Äbten, die weit über Österreich hinaus Kulturträger und Pioniere christlich-deutscher Kultur dem ganzen deutschen Siedlungsgebiet gewesen sind. So wollen wir beitragen, dass a l l e a m K u l t u r a u f b a u interessierte Welt, die kunstverständig ist, auch nach wahrer Kunst sich sehnt, erfahre, dass alles dieses in schöner Harmonie hier in Salzburg zu finden ist.«305 Zwei Wochen nach der Verkündung der neuen ständischen Verfassung erfolgte mit der Selbstauflösung der Christlichsozialen Partei der letzte Akt in der Beseitigung des Parteienstaates der Ersten Republik. Am Vormittag des 14. Mai 1934 tagte der Vorstand der Christlichsozialen Vereinigung im Parlament, am Nachmittag die Vollversammlung des Klubs, an der auch Bundeskanzler Dollfuß sowie sämtliche von der Partei gestellten Minister und Bundesräte teilnahmen, um dem Akt der Selbstauflösung einen offiziellen Charakter zu geben. Die »Neue Freie Presse« kommentierte, dass mit diesem Schritt »der letzte Rest des Parteienstaates verschwindet. Die Christlichsozialen nehmen Abschied, nachdem die Sozialdemokraten sich selbst zerstört und alle anderen Gruppen ihre parlamentarische Bedeutung verloren haben. So überwindet der Ständestaat selbst jene, die am treuesten der Regierung halfen, ja, aus denen die Regierung selbst zu ihren größten Teilen hervorgegangen ist. Freilich, allgemein wird vermutet, dass in veränderter Form, angepasst dem neuen System, sich die Möglichkeit finden werde zu weiterer Betätigung im bisherigen Sinne (…) das Tragische dieses Abschieds liegt darin  : Er kommt im Augenblick, da die Partei durch ihre Vertreter den allerstärksten Einfluss auf die Entwicklung des Staatswe305 Ebda. S. 3.

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sens genommen hat und danach einer absteigenden Kurve, mitten aus einem Prozess des Abbröckelns, des Niederganges, plötzlich ein Auftrieb sich geltend macht, der auf eine wirkliche Renaissance zu deuten schien.« Es sei aber auch in den letzten Jahren deutlich geworden, dass es in der Partei zwei Flügel gegeben habe. »Es gab einen ausgesprochen linken Flügel, der gern zu einem Ausgleich mit der Opposition gekommen wäre, und es gab eine Rechte, die jenen Kurs verlangte, den Dr. Seipel in den letzten Jahren seines Lebens stetig begünstigt hat, ebenso wie Dr. Dollfuß. Nun werden all diese Probleme durch die neue Staatsform aufgehoben und die vollendete Tatsache des Verfassungswerkes ist stärker als alles andere.«306 Nachdem Obmann-Stellvertreter Leopold Kunschak in seinem Rechenschaftsbericht vor der Vollversammlung des Klubs einen historischen Rückblick auf das Wirken der Partei gegeben und betont hatte, dass man gegenüber dem Staat stets seine Pflicht erfüllt habe, erklärte er, zu Bundeskanzler Dollfuß gewandt, unter dem Beifall der Anwesenden, dass diesen die »h e i ß e s t e n W ü n s c h e f ü r d e n E r f o l g b e g l e i t e n .« Der so Angesprochene interpretierte nach dem Dank für das staatspolitische Wirken der Partei die jüngste innenpolitische Entwicklung als eine zwangsläufige. »Die Frage war, ob die bodenständige katholische Bevölkerung die Macht in die Hand nehmen und die Neugestaltung durchführen wird oder ob es andere tun werden. Der Zweifrontenkrieg war der einzig mögliche Weg für uns, wenn Österreich ein freies Land bleiben wollte. Das, was in diesem Jahr lebendig geworden ist an wirklich v a t e r l ä n d i s c h e m B e w u s s t s e i n , hat nun eine Form gefunden, die sie als treuer Hüter der c h r i s t l i c h e n und s o z i a l e n Grundgedanken gelten lassen kann. Die Entwicklung der letzten Wochen bietet Gewähr dafür, dass die Va t e r l ä n d i s c h e F r o n t allein wesentliche Trägerin des politischen Geschehens in Österreich sein wird.« Um die Zukunft des selbstständigen Österreich zu sichern, sei es notwendig gewesen, aus dem konservativen Element des Parteienstaates, der Christlichsozialen Partei, und der aufkommenden jungen stürmischen Bewegung in Form einer neuen vaterländischen Bewegung eine Symbiose zu schaffen.307 Damit war, jenseits der verfassungsrechtlichen Frage, ein zentrales Problemfeld des Ständestaates und damit auch der Salzburger Landespolitik angesprochen. Auch die Salzburger Landesorganisation der Christlichsozialen war in zwei Flügel gespalten, die zwischen den Polen einer konsensdemokratischen Lösung mit den Sozialdemokraten und einer Neigung zu autoritären Lösungen à la Heimwehr schwankten, wobei sowohl Landeshauptmann Rehrl wie auch Landesparteiobmann Ramek dem konsensualen Flügel angehörten. Bereits seit der offiziellen Gründung der Vaterländischen Front durch Dollfuß 1933 und verstärkt nach dem offiziellen Ende des Par306 Neue Freie Presse 15.5.1934. S. 1f. 307 Ebda. S. 4  ; vgl. dazu auch Salzburger Chronik 15.5.1934. S. 1.

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teienstaates im Mai 1934 setzte ein erbittertes Ringen zwischen Christlichsozialen und Heimwehr um den bestimmenden Einfluss in der politischen Monopolorganisation Vaterländische Front ein, das schließlich die Christlichsozialen durch die Entmachtung der Heimwehr 1936 für sich entscheiden sollten. Dollfuß und der rechte Flügel der Christlichsozialen waren vor dem Hintergrund persönlicher Erfahrungen und eines manichäischen Weltbildes von der Notwendigkeit eines Zweifrontenkrieges gegen Nationalsozialismus und Austromarxismus überzeugt. Dieser Kampf war nicht auf dem Boden des traditionellen Parteienstaates zu gewinnen, sondern nur mit einer neuen patriotischen Sammelbewegung auf neuer staatsrechtlicher Grundlage, die mit der am 1. Mai 1934 verabschiedeten ständestaatlichen Verfassung geschaffen wurde. Der neuen ständischen und autoritären bundesstaatlichen Verfassungsordnung hatten auch die Länder durch entsprechende Modifikationen bzw. Neufassungen der Landesverfassungen zu folgen. In Salzburg erfolgte diese Anpassung in drei Schritten  : am 26. Februar 1934 beschloss der nur mehr aus den 12 christlichsozialen Abgeordneten bestehende Landtag ein Landesverfassungsgesetz (LGBl. 47), das de facto ein Ermächtigungsgesetz war und mit dem der Landtag in Art. 2 Abs. 1 seine ihm bisher zustehenden legislativen Rechte der Landesregierung übertrug. Am 25. April setzte die Landesregierung Art. 24 Abs. 2 der Landesverfassung, der im Fall einer Gesamtänderung der Verfassung zwingend eine Volksabstimmung vorsah, außer Kraft und am 30. April eliminierte das Rumpfparlament den entsprechenden Artikel (Art. 44 Abs. 2) aus der Bundesverfassung. Im Sinne einer notwendigen verfassungsrechtlichen Akkordierung erließ die Salzburger Landesregierung am 14. September eine neue Landesverfassung (LGBl. Nr. 116), deren zentrale Bestimmungen aus der am 1. Mai verkündeten Bundesverfassung übernommen wurden.308 Der Landtag be308 In der Bundesverfassung vom 1. Mai 1934 dominierte der Zentralismus, die Länder wurden den Bund weitgehend untergeordnet. Im 6. Hauptstück (Artikel 108 bis 113) wurde die Gesetzgebung der Länder geregelt. Die dazu berufenen Landtage setzte sich aus den Vertretern der anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften, des Schul-, Erziehungs- und Volksbildungswesens, der Wissenschaft und der Kunst sowie aus Vertretern der Berufsstände zusammen. Ihre Berufung war durch Landesgesetze zu regeln. Allerdings musste diese Regelung unter der Prämisse erfolgen, dass es sich dabei ausschließlich um »vaterlandstreue« Staatsbürger handelte und jede Hauptgruppe mindestens einen Repräsentanten erhielt. Der Landtag hatte kein Initiativrecht, sondern begutachtete lediglich die von der Landesregierung vorgelegten Gesetze unter Ausschluss der Öffentlichkeit. In einem zweiten öffentlichen Verfahren beriet der Landtag den von der Landesregierung (überarbeiteten) Entwurf, der entweder angenommen oder abgelehnt werden konnte. Der Landtag war damit zu einem die Landesregierung beratenden Organ herabgestuft. Der Bundeskanzler erhielt ein absolutes Veto gegenüber Gesetzesbeschlüssen des Landtages. Zudem konnte der Bundespräsident über Antrag der Bundesregierung den Landtag auflösen. Grundlegend geändert wurde die Bestellung der höchsten Organe der Landesverwaltung, bei der

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stand aus 26 Mitgliedern,309 hatte eine Legislaturperiode von 6 Jahren und konnte vom Landeshauptmann über Antrag der Landesregierung, die aus insgesamt 6 Mitgliedern bestand, aufgelöst werden. Bis zu dem Zeitpunkt, da ein eigenes Landesgesetz die Bildung von Ständen regelte, erfolgte die Entsendung der Abgeordneten mittels Ernennung durch den Landeshauptmann, wobei sich dieser bei seiner Entscheidung im Rahmen des von der Vaterländischen Front zu erstellenden Dreiervorschlags bewegen musste.310 Franz Rehrl, in der Ersten Republik und auch noch in den Vorberatungen der ständischen Verfassung wortgewaltiger Verfechter des Förderalismus, fügte sich dem schließlich dominanten Zentralismus, eine logische Konsequenz des etablierten Einparteiensystems und der autoritären Führung. Dieser Schritt fiel ihm umso leichter, als die Stellung des Landeshauptmanns sowohl in der neuen Bundes- wie auch Landesverfassung ambivalent war. Einerseits war er vom Bundeskanzler und vom Bundespräsidenten abhängig, verfügte jedoch in seinem unmittelbaren Wirkungsbereich über eine beinahe vollkommene Machtfülle. Diese Machtfülle zeigte sich bereits bei der Auswahl der Mandatare aus den von der Vaterländischen Front erstellten Dreiervorschlägen, die zu zahlreichen Interventionen der verschiedenen regionalen Interessengruppen führten311 und Rehrls didem Bundeskanzler und dem Bundespräsidenten entscheidende Rollen zukamen. Der Landeshauptmann wurde vom Bundespräsidenten aufgrund eines Dreiervorschlags des Landtages und unter Zustimmung des Bundeskanzlers ernannt. Auf Verlangen des Bundeskanzlers oder des Landtages (bei Anwesenheit der Hälfte seiner Mitglieder und einem Quorum von zwei Drittel) konnte der Bundespräsident den Landeshauptmann wieder abberufen. Die Landesregierung bestand aus dem Landeshauptmann, dem Landesstatthalter (Landeshauptmann-Stellvertreter) und maximal fünf Landesräten, wobei dem Landeshauptmann die Ernennung der Regierungsmitglieder nach freiem Ermessen oblag. 309 Art. 11, Abs. 1 LGBl. Nr. 116 nannte die Vertreter der gesetzlich anerkannten Kirchen- und Religionsgemeinschaften, des Schul-, Erziehungs- und Volksbildungswesens, der Wissenschaft und Kunst sowie die aus Vertretern der folgenden Hauptgruppen zusammengesetzten Berufsstände  : Land- und Forstwirtschaft, Industrie und Bergbau, Gewerbe, Handel und Verkehr, Geld-, Kreditund Versicherungswesen, Freie Berufe und Öffentlicher Dienst. Im Februar 1936 beschloss der Salzburger Landtag in einem Schritt in Richtung Demokratisierung eine Geschäftsordnungsreform, die dem Landtag wiederum das Initiativrecht einräumte. Zudem sollten drei Ständevereinigungen gebildet werden  : eine für Land- und Forstwirtschaft mit 9 Mitgliedern, eine für Industrie und Bergbau, Gewerbe, Handel, Verkehr und Geldwesen mit 11 Mitgliedern und eine für die Freien Berufe, den Öffentlichen Dienst und die kulturellen Gemeinschaften mit 6 Mitgliedern, denen das Recht der parlamentarischen Vorberatung zukam. Die Obmänner der drei Vereinigungen hatten beratende Funktion für das Landtagspräsidium. 310 Franz Fallend  : 70 Jahre Salzburger Landesverfassung. Genese, Reformen, Analyse. – Salzburg 1991. S. 125ff. (Schriftenreihe des Landespressebüros. Serie »Salzburg Dokumentationen« Nr. 102. Hg. v. Roland Floimair.) 311 So beschwerte sich die ländliche und industrielle Arbeiterschaft des Lungaus zunächst bei der Vaterländischen Front und in weiterer Folge bei Landeshauptmann Rehrl, dass sie »bei Vergebung von

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plomatisches Geschick, der Schaffung eines ständischen und regionalen Ausgleichs ohne allzu viele und tiefe Verletzungen, vor eine erhebliche Bewährungsprobe stellten. Die Ernennung der Abgeordneten war als Provisorium bis zur Konstituierung der Stände konzipiert, die in den folgenden Monaten in Eigenregie ihre Vertreter wählen sollten. Der am 22. November konstituierte Landtag war somit als Übergangslösung gedacht, dessen Funktionsperiode mit der Konstituierung der Stände enden sollte. Diese ständisch-autonome Lösung wurde jedoch bis zum Anschluss nicht mehr realisiert, da eine Konstituierung der Berufsstände in der vorgesehenen Form nicht mehr erfolgte. Es gelang Rehrl, im ständischen Landtag die regionale Verteilung der Mandate bis auf eine geringfügige Verschiebung zwischen Salzburg-Stadt und dem Flachgau gleich zu behalten, während im Bereich der Berufsgruppen eine deutliche Stärkung der Land- und Forstwirtschaft sowie von Industrie und Bergbau zulasten vor ­allem des Öffentlichen Dienstes – unter Einschluss der Lehrer reduzierte sich seine Mandatszahl von sieben auf drei – und des Gewerbes stattfand. Dominierten im letzten Landtag der Ersten Republik noch die Unselbstständigen, so im ständischen die Selbstständigen.



Mandaten in gesetzgebenden und gesetzberatenden Körperschaften des Bundes und des Landes … nicht berücksichtigt wurde. Hatten wir im alten Landtag durch einen der Arbeiterschaft nahestehenden bäuerlichen Abgeordneten einen Anwalt unserer Interessen, wobei nachweisbar auch die Interessen der anderen Stände nicht zu kurz kamen, so haben wir heute niemanden, der als Mittelsmann und aus eigener Erfahrung die Not der kleinen Leute kennend, fungieren würde. In den anderen Gauen ist es doch unverhältnismäßig leichter, zu einer Zentralstelle oder Regierung zu gelangen. Wir im Lungau sind völlig isoliert. Wohl selten kommt von Salzburg jemand, an den wir uns um Hilfe wenden könnten, von Wien überhaupt nicht zu reden und einem Arbeiter ist es unmöglich, vom Lungau nach Salzburg zu fahren, um dort vorsprechen zu können. Wir vergönnen jedem Stand seine Vertretung, aber wir Lungauer Arbeiter in Land- und Forstwirtschaft und Industrie als doch überwiegender Teil der Bevölkerung haben gerade in den kritischen Zeiten treu zu Heimat und Vaterland gestanden – vielleicht haben wir den einen Fehler gemacht, uns allzu still zu verhalten in der Hoffnung, ohnedies Berücksichtigung zu finden – Aufmärsche machen, unmögliche Forderungen erheben könnten wir auch– , aber wollen in Ruhe mithelfen am Aufbauwerk, wir wollen ja nicht mehr als unser Recht, Brot und Arbeit, und dass auch wir Lungauer Arbeiter, die wir ohnedies Stiefkinder des Glückes sind, gleiche Vertretung mit den anderen Gruppen haben. Hatte doch der Lungau in der alten Zeit vor dem kriege zwei Vertreter im Landtag, heute scheint es unmöglich zu sein, dem Lungau dieses Zugeständnis zu machen, gerade heute, da eine Not in allen Kreisen des Gaues herrscht, von der man sich in Salzburg sicherlich keine Vorstellung macht, eine Not, die es doppelt notwendig macht, sich zuständigen Ortes Gehör zu verschaffen.« (SLA. RehrlBriefe 1935/507.)

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»… Ein neues Vaterland Bauen.«

Vergleich der Mandatsverteilung nach Berufsgruppen und Gauen in den Landtagen 1932/34 und 1934/38  :312 1932 bis 1934

1934 bis 1938

Abgeordnete zum Landtag (26)

Abgeordnete zum Landtag (26)

9 Selbstständige

13 Selbstständige

12 Unselbstständige

9 Unselbstständige

5 Kirchen, Erziehung, Kultur

4 Kirchen, Erziehung, Kultur

Verteilung nach Ständen

Verteilung nach Ständen

0 Kirche und Religion

1 Kirche und Religion

4 Schule und Erziehung

2 Schule und Erziehung

0 Wissenschaft und Kunst

1 Wissenschaft und Kunst

7 Land- und Forstwirtschaft

9 Land- und Forstwirtschaft

2 Industrie und Bergbau

4 Industrie und Bergbau

5 Gewerbe

3 Gewerbe

3 Handel und Verkehr

3 Handel und Verkehr

0 Geld, Kredit, Versicherung

1 Geld, Kredit, Versicherung

2 Freie Berufe

1 Freie Berufe

3 Öffentlicher Dienst

1 Öffentlicher Dienst

Regionale Verteilung

Regionale Verteilung

10 Salzburg-Stadt

9 Salzburg-Stadt

4 Flachgau

5 Flachgau

5 Pongau

5 Pongau

4 Pinzgau

4 Pinzgau

2 Tennengau

2 Tennengau

1 Lungau

1 Lungau

In seiner Rede in der Konstituierenden Sitzung des Landtages am 22. November 1934 bemerkte Landeshauptmann Rehrl zur neuen Verfassung, die anwesenden Mandatare seien in ihrer Gesamtheit »ein Spiegelbild des Salzburger Volkes und die Vertreter seiner Interessen (…) und sollen der Landesregierung kontrollierend und beratend zur Seite stehen. Für alle jene natürlich, die sich eine Vertretung des Volkes nur in der Form der Zuteilung von Sitzen im mechanischen Verhältnisse zu einer gewissen Anzahl von Abstimmenden denken können, wird dieser Landtag als keine Vertretung erscheinen. 312 Hubert Stock  : »… nach Vorschlägen der Vaterländischen Front«. Die Umsetzung des christlichen Ständestaates auf Landesebene am Beispiel Salzburgs. – Wien/Köln/Weimar 2010. S. 58. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 39.)

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Die Schatten der großen Politik – Historische Entwicklungslinien

Wer aber weiß, dass dieser Landtag nur dazu dient, einen Übergang zu bilden zwischen dem bisherigen Zustande, in welchem die Regierung allein gesetzgebend und verwaltend tätig war, und dem Zustand, in welchem die Stände autonom, jeder für sich seine Vertreter hierher senden werden, kann nicht behaupten, dass dieser Landtag etwa nur ein Scheingebilde sei, da er ja bereits jetzt jene Rechte ausüben kann, die der von den Ständen in Hinkunft gewählte Landtag haben wird.« Die Entwicklung, die zur gegenwärtigen Verfassung geführt habe, sei – und hier griff er eine Formulierung von Dollfuß auf – »keineswegs willkürlich herbeigeführt, sondern absolut zwangsläufig«, da sie dem europäischen Zeitgeist entspreche. Aber »nicht in der Nachahmung von Einrichtungen, die sich anderswo mehr oder weniger bewährt haben, kann die Aufgabe der Staatsleitung liegen, sondern Eigenes, Bodenständiges zu schaffen, das Widerhall im Herzen des Volkes finden kann.« Wenige Sätze später folgte, in deutlichem Gegensatz zur sonst üblichen damnatio memoriae, eine politisch bemerkenswerte Verteidigung des republikanischen Landtages und der Politischen Kultur der Nachkriegszeit. »Und wenn es im alten Landtag möglich war, trotzdem zwei Weltanschauungen einander gegenüberstanden, die einander ausschlossen, zum Wohle des Salzburger Landes jene mittlere Linie zu finden, die das jeweils Bestmögliche geschaffen hat, so bin ich überzeugt, dass es in Hinkunft nicht anders sein kann. Ich würde nicht schön handeln, wenn ich nunmehr diese Stunde vorübergehen ließe, ohne festzustellen, dass der alte Landtag durch fünfzehn Jahre hindurch seine Pflicht getan hat und ich sage daher von dieser Stelle allen, die mit mir mitgearbeitet haben, mögen sie rechts oder links gestanden sein, und die mir ermöglicht haben, Werke und Einrichtungen zu schaffen, die auch heute anerkannt werden, meinen Dank. Und wenn es gelungen ist, in diesen fünfzehn Jahren Salzburg in der Welt bekannt zu machen und seinem Namen neuen Glanz zu verleihen, so glaube ich, muss auch der heftigste Gegner des sogenannten Parteienstaates und des alten Systems zugeben, dass auch in dieser Zeit Schönes und Großes geleistet wurde.«313 Die Haltung Rehrls vor allem gegenüber der Sozialdemokratie und deren Repräsentanten stieß bei der Heimwehr auf wenig Gegenliebe. Die Heimwehr argwöhnte in der Haltung des Landeshauptmanns und dem Bestreben der ehemaligen Christlichsozialen, in der Vaterländischen Front die dominante Kraft zu werden und den Einfluss der Heimwehr zu minimieren, eine Rückkehr des alten Parteienstaates durch die Hintertür. So erklärte Landesstatthalter Wagenbichler auf einer Kundgebung der Heimwehr im Salzburger Festspielhaus am 30. März 1935, »man versuche überall, den Heimatschutz zurückzudrängen. Vom Heimatschutz werde immer wieder verlangt, der alte Parteigeist müsse zurückgestellt werden, aber er feiere nirgends so fröhliche Urständ als gerade im Lande Salzburg.«314 313 Stenografisches Protokoll 1. Öffentliche (beratende u. beschließende) Sitzung des Salzburger Landtages. 1. Session. 22.11.1934. S. 2f. 314 Salzburger Chronik 1.4.1935. S. 5.

10. Die Großglockner Hochalpenstraße und die Festspiele Der Salzburger Mikrokosmos 1935

Trotz aller, oftmals auch nur indirekt geäußerten, Kritik der Heimwehr am landespolitischen Kurs Rehrls schien sich dieser, auch begünstigt durch das deutliche Nachlassen des nationalsozialistischen Terrors, zu bestätigen. So bildete das Jahr 1935 einen Höhepunkt der nationalen und internationalen Bedeutung Salzburgs durch die propagandistisch entsprechend propagierte Eröffnung der Großglockner Hochalpenstraße am 3. August und die Übernahme der führenden künstlerischen Funktion bei den Salzburger Festspielen durch Arturo Toscanini, der sie, zusammen mit Bruno Walter und Max Reinhardt, zum glanzvollen und nunmehr erst wahrhaft internationalen Anti-Bayreuth, zur künstlerischen Kampfansage an die nationalsozialistische Kunst- und Kulturpolitik gestaltete. Das Jahr 1935 bildete auch den Kulminationspunkt der politischen Karriere und des nationalen wie internationalen Ansehens von Landeshauptmann Rehrl. Er galt als politischer spiritus rector des Baus der Großglockner Hochalpenstraße, spielte eine zentrale Rolle bei der Überwindung der erheblichen wirtschaftlichen Folgen der Tausend-Mark-Sperre für Salzburg vor allem durch die Internationalisierung der Festspiele. Durch beide Ereignisse wurde Salzburg zum Vorposten des – von einem internationalen (jüdischen) Publikum unterstützten – Kampfes gegen den Nationalsozialismus und zum demonstrativen Symbol der Österreich-Ideologie. Die feierliche Eröffnung der Großglockner Hochalpenstraße wurde sowohl in der medialen Berichterstattung wie auch den Reden durch patriotische Wortkaskaden zum politischen Hochamt der Österreich-Ideologie. Für die »Salzburger Chronik« war der hochalpine Straßenbau ein »Wunderwerk moderner Technik, zugleich aber auch ein Wahrzeichen österreichischer Schaffenskraft und österreichischen Geistes.« Dieses »wohl großartigste Unternehmen der Neuzeit ( … ) h a t d e r s t i l l e ö s t e r r e i c h i s c h e M e n s c h g e s c h a f f e n , in stiller, oft von Entbehrungen erfüllter Arbeit, inmitten einer die ganze Welt umspannenden Wirtschaftskrise, der österreichische Mensch in Gestalt etwa eines Landeshauptmannes oder eines Zivilingenieurs oder eines braven, einfachen, wetterharten Arbeiters aus einem Alpental.«315 Und auch der Dollfuß-Mythos durfte nicht fehlen, hatte sich doch der von den Nationalsozialisten ermordete Bundeskanzler angesichts der eingetretenen Finanzierungsschwierigkeiten für die Vollendung des Baus ebenso eingesetzt wie für die infolge der Tausend-Mark-Sperre in erhebliche Schwierigkeiten geratenen Fest315 Salzburger Chronik 5.8.1935. S. 1  ; vgl. dazu auch Neue Freie Presse 5.8.1935. S. 2.

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Die Schatten der großen Politik – Historische Entwicklungslinien

spiele, indem er beide zu symbolträchtigen nationalen Prestigeprojekten erklärte. Clemens Holzmeister gestaltete am Fuschertörl eine Dollfuß-Gedächtnisstätte mit der Inschrift »Saxa terrae loquuntur gloriam tuam«, in deren Inneren eine aus Salzburger Marmor gefertigte Tafel die Inschrift trug  : »Am 15. Juli 1934 bewunderte Bundeskanzler Doktor Dollfuß von dieser Stelle aus Salzburgs Herrlichkeit, zehn Tage später brachte er der österreichischen Idee sein Leben zum Opfer.« Bei der Eröffnung erklärte Bundeskanzler Wilhelm Miklas, mit dem Namen des verstorbenen Bundeskanzlers sei so viel Großes und Erhabenes verbunden, was in den letzten Jahren in Österreich und in Europa geschehen sei. Der Erbauer der Straße, Franz Wallack, feierte die am Bau beteiligten Arbeiter als »E l i t e t r u p p e d e r ö s t e r r e i c h i s c h e n A r b e i t e r s c h a f t «, auf die man auch nach dem nunmehr vollendeten Bau bei den Arbeitsbeschaffungsprogrammen nicht vergessen möge. Ähnlich ließ sich Vizekanzler Ernst Rüdiger Starhemberg vernehmen, der in Vertretung des durch einen tödlichen Autounfall seiner Frau verhinderten Bundeskanzlers Kurt Schuschnigg betonte, der gewaltige Bau sei »nicht nur (…) ein Denkmal des Österreichers, nicht nur (…) ein Denkmal des Technikers, sondern (…) ein D e n k m a l d e s ö s t e r r e i c h i s c h e n A r b e i t e r s (…) Das gewaltige Werk legt lebendiges Zeugnis davon ab, dass das unverfälschte Österreichertum in seiner Arbeits- und Schaffensfreude nicht nur die Fähigkeit, sondern geradezu die Pflicht hat, im Sinne der europäischen Kultur seine Eigenart zu bewahren und dafür zu sorgen, dass sein Schicksal für alle Zeiten von Österreichern in einem unabhängigen und freien Österreich gestaltet werde.« Für Landeshauptmann Rehrl war im Bewusstsein der erheblichen Bundesmittel, die in den Bau flossen, die Straße eine völkerverbindende »ö s t e r r e i c h i s c h e S c h ö p f u n g , ein Werk a l l e r Ö s t e r r e i c h e r. (…) Schon morgen (…) wird der Verkehr vom S a l z b u r g e r F e s t s p i e l h a u s e bis zu den L a g u n e n Ve n e d i g s , von den südlichen Toren des Deutschen Reiches bis zum Mittelmeerraum pulsieren. D i e n e u e V ö l k e r b r ü c k e i s t f e r t i g g e s t e l l t .« In diesem Sinne stehe »dem R e i c h s g e d a n k e n (…) hier der gesunde und notwendige O s t m a r k g e d a n k e nachbarlich zur Seite. (…) Österreich lebt als Herz Europas.«316 Rehrl war jedoch auch nach der vorläufigen Fertigstellung der Großglockner Hochalpenstraße um die Verbesserung der anschließenden Infrastruktur bemüht. Am 19. April 1935 schrieb er an seinen Amtskollegen in Tirol, Josef Schumacher, nachdem die »Übergabe der Großglockner Hochalpenstraße an den allgemeinen Verkehr« bevorstehe, gestatte er sich, vor allem auch im Interesse Osttirols, »auf die Notwendigkeit der Ausgestaltung der Straße von Lienz über den Iselsberg ins Mölltal aufmerksam zu machen. Es wären besonders in den Kehren einige Verbesserungen zu machen, damit die großen Postkraftwagen u. dgl., nachdem die Glockner316 Reichspost 4.8.1935. S. 4  ; Salzburger Chronik 5.8.1935. S. 3.

Die Großglockner Hochalpenstraße und die Festspiele

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straße befahren wurde, auch von Salzburg nach Lienz und nach Osttirol verkehren können.« Der Tiroler Landeshauptmann antwortete am 3. Mai zustimmend und betonte, dass »der Ausbau der Iselsbergstraße« Innsbruck »von ganz besonderer Wichtigkeit« erscheine und »es mit besonderer Freude begrüße, dass unsere Interessen in diesem Punkte parallel laufen. Wir haben veranlasst, dass für den Ausbau dieser Straße mit möglichster Beschleunigung ein Projekt fertiggestellt werde, das sich auch mit diesen Verbesserungen zu beschäftigen hat, die sofort ins Werk gesetzt werden müssen, um dem Verkehr zwischen der Glocknerstraße und Lienz zu dienen. Ich werde das Bundesministerium für Handel und Verkehr mit Nachdruck auf diesen Bau aufmerksam machen und wäre Dir sehr verbunden, wenn Du mir hierbei Deine Unterstützung leihen würdest. Ich glaube überhaupt, dass Salzburg und Tirol auch in Verkehrsfragen sich viel mehr verständigen sollten, als dies bisher der Fall war. Unsere Interessen laufen in vielen Punkten zusammen, sodass wir darin Hand in Hand gehen können. In dieser Richtung verweise ich besonders auf den Ausbau der Verbindung über die Pinzgauer Höhe – Gerlos, die sicher dazu dienen wird, wertvoller Zubringer für die Glocknerstraße und das Land Salzburg zu werden. Gewiss haben unsere Länder manche Sonderinteressen, wir haben aber auch viel Gemeinsames und ich werde es mir als besondere Freude anrechnen, wenn wir gemeinsam im Interesse beiden Länder arbeiten können.«317 Die Salzburger Festspiele, die 1935 ihr glanzvolles 15-jähriges Jubiläum begingen, waren im Vorfeld und hinter den Kulissen Gegenstand eines erbitterten Kampfes um deren finanzielle Absicherung zwischen Finanzminister Ludwig Draxler und Rechnungshofpräsident Otto Ender auf der einen, Landeshauptmann Franz Rehrl und der Festspielleitung um Heinrich Puthon und Erwin Kerber auf der anderen Seite. Landeshauptmann Rehrl schrieb am 17. Dezember 1934 an Finanzminister Draxler, dass der Budgetplan der Festspielhausgemeinde für das Jahr 1935 Ausgaben in der Höhe von 880.000 S vorsehe, denen Einnahmen in der Höhe von 750.000 S gegenübergestellt werden. Diese Schätzung der Einnahmen erscheine ihm aber angesichts der Ergebnisse des Kartenverkaufs des Jahres 1934 in der Höhe von 482.061 S zu hoch gegriffen, sodass sich der zu erwartende Abgang bedeutend höher gestalten werde. Da das Land Salzburg, der Fremdenverkehrsförderungsfonds und die Stadt Salzburg ihre Beiträge in der Höhe von 150.000 S nicht erhöhen könnten, müsste der Bund für allfällige höhere Abgänge haften. Wäre dies nicht der Fall, sei die Durchführung der Festspiele gefährdet.318 Die Sorgen Rehrls sollten sich, wie die Einnahmen des Jahres 1935 vor allem auch durch den Publikumsmagneten Arturo Toscanini zeigten, letztlich als unbegründet erweisen, doch vom Standpunkt des 317 SLA. Rehrl-Briefe 1935/972. 318 SLA. Rehrl-Briefe 1935/1150.

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Die Schatten der großen Politik – Historische Entwicklungslinien

sorgfältigen Kaufmanns war sein Schritt berechtigt. Welche Bedeutung die Salzburger Festspiele nicht nur für die lokale Fremdenverkehrswirtschaft, sondern auch für den österreichischen Fiskus hatten, wurde aus den eindrucksvollen Steigerungszahlen zwischen den Saisonen 1933/34 und 1935/36 deutlich. Waren die Nächtigungen in der Stadt Salzburg unmittelbar nach der Tausend-Mark-Sperre 1933/34 auf einen Tiefstand von 247.291 gesunken, so erreichten sie zwei Jahre später 357.502, die Einnahmen aus dem Kartenverkauf stiegen zwischen 1934 und 1935 von 482.061 auf 978.190 Schilling. In der dem Brief Rehrls folgenden Diskussion über eine erhöhte Bundeshaftung erhob der Bundesrechnungshof teilweise realitätsfremde Einsparungsforderungen und der Finanzminister verweigerte sich den von der Festspielleitung vorgebrachten Gegenargumenten, sodass eine drohende Nichtdurchführung der Festspiele im Raum stand. Die von Salzburg ausgestoßene Drohung setzte bewusst auf die hohe symbolische und politische Bedeutung der Festspiele nicht nur für Salzburg, sondern für die Republik, zumal mit Arturo Toscanini ein internationales antifaschistisches Zugpferd erster Güte gewonnen werden konnte. Bundeskanzler Kurt Schuschnigg bemühte sich schließlich erfolgreich um die Vermittlung direkter Verhandlungen zwischen dem Finanzminister und dem Salzburger Landeshauptmann, die schließlich mit einem eindeutigen Punktesieg Rehrls endeten. In weiteren direkten Verhandlungen Rehrls mit dem Staatssekretär für Unterricht, Hans Pernter, wurden zudem Richtlinien für eine Neuorganisation der Salzburger Festspielhausgemeinde beschlossen, die eine Sicherung des starken Salzburger Einflusses auf und durch die starke Einbeziehung des Bundes auch eine bessere finanzielle Absicherung der Festspiele bedeuteten. »Das Unternehmen ›Salzburger Festspiele‹ (Festspielhausgemeinde) steht unter dem Protektorat des Herrn Bundeskanzlers, des Herrn Bundesministers für Unterricht (jetzt Staatsekretär für Unterricht) und des Herrn Landeshauptmannes. Das Präsidium der ›Salzburger Festspiele‹ bleibt in Salzburg, Präsident ist der Herr Landeshauptmann. Diesem steht der geschäftsführende Vizepräsident oder Direktor der Salzburger Festspiele zur Seite. Für diese Funktion ist der jetzige Präsident Baron Puthon in Aussicht genommen. Der Aufsichtsrat besteht aus den Vertretern der Bundesministerien für Finanzen und Unterricht, des Landes Salzburg, des Fremdenverkehrsförderungsfonds sowie der Stadtgemeinde Salzburg. Im Allgemeinen wäre nur je ein Vertreter der genannten Stellen vorzusehen. Den Vorsitz im Aufsichtsrat führt dauernd Puthon, ein turnusmäßiger Wechsel im Vorsitz soll daher nicht mehr stattfinden. (…) Dem Verein ›Festspielhausgemeinde‹ als solchem wird in Hinkunft irgendeine sachliche Bedeutung für die Administration der Festspiele nicht mehr zukommen.«319 319 SLA. Rehrl-Briefe 1935/1150.

Die Großglockner Hochalpenstraße und die Festspiele

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Das schließlich erreichte internationale Ansehen der Salzburger Festspiele und deren Alleinstellungsmerkmal schien jedoch in den Augen besorgter Salzburger sowohl durch nationale wie internationale Entwicklungen gefährdet. So verfasste die Vaterländische Front Salzburg eine an Landeshauptmann Rehrl gerichtete Denkschrift über die Entwicklung der Salzburger Festspiele, in der sie ihre Sorge ausdrückte, dass die Festspiele zu unstatthaften Werbezwecken für andere Veranstaltungen und einem Spielball der Wiener Interessen, vor allem der Wiener Staatsoper, zu werden und damit ihre Einmaligkeit zu verlieren drohten. Bruno Walter gebe in Florenz Festspielkonzerte und die oberösterreichische Bruckner-Gesellschaft veranstalte Festtage unmittelbar vor den Salzburger Festspielen und werbe indirekt mit den Salzburger Festspielen, zumal auch Bruno Walter mit den Wiener Philharmonikern im Programm aufscheine. Und es berühre »doch mehr als eigentümlich, wenn es heißt, der ›Salzburger Oberon‹  – und mit Recht wird er so genannt – soll an der Wiener Staatsoper in der Original Salzburger Fassung und Inszenierung unter der Leitung von Bruno Walter herauskommen. Der Name Salzburg soll also für die Wiener Staatsoper eine besondere Werbekraft ausüben. Freilich ist dies unzweideutig als eine Geste momentaner Verlegenheit aufzufassen. Das hindert aber nicht, zugleich aufmerksam zu machen, dass hier der Name ›Salzburger Festspielaufführung‹ für Salzburg nicht gerade die richtige Reklame macht, sondern dass, wenn derartige Beispiele Schule machen sollten, und sie scheinen sie bedauerlicher Weise schon gemacht zu haben, eher nur das Gegenteil erreicht wird. Salzburg wird auf diese Weise langsam aber sicher seine Anziehungskraft als einzigartiges künstlerisches Ereignis einbüßen. Zuletzt wird man ja auch rechnen, dass man originale Salzburger Festspielaufführungen anderswo um bedeutend billigeres Geld und dazu vielleicht noch unter einheitlicheren künstlerischen Bedingungen, wie dies beispielsweise in der Wiener Staatsoper der Fall ist, sehen und hören kann. Wenn man noch vernehmen muss, dass die endgültige Festsetzung des kommenden Festspielprogrammes noch von der Entscheidung des nunmehrigen Staatsoperndirektors Felix von Weingartner abhängt, da er die Opern erst namhaft machen wird, welche er in Wien einzustudieren gedenkt und welche er dann in Salzburg als Festspielaufführungen herausbringen will, so ist damit eine Tatsache gegeben, welche schon lange als Krankheitskeim des Festspielprogramms empfunden wird und bereits eine führende deutsche Musikzeitschrift über die Salzburger Festspiele keineswegs zu Unrecht zu den Ausspruch verleitete, die Salzburger Festspiele seien sowieso als die Sommerferien der Wiener Staatsoper anzusehen und auch so zu bewerten. (…) Es ist daher ein überaus dringendes Gebot, rechtzeitig dieser Strömung, mit dem Titel ›Salzburger Festspiele‹ anderswo als eben nur einzig und allein in Salzburg selbst zugkräftig auf das Publikum wirken zu wollen, Einhalt zu gebieten. (…) Weiters müsste auf die Eigenartigkeit der Festspiele in dem Sinne mehr Rücksicht genommen werden, dass die Wiener Staatsoper zwar wie bisher gleichsam den Grund-

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Die Schatten der großen Politik – Historische Entwicklungslinien

stock bildet, trotzdem aber die ›internationale künstlerische Basis‹ gewahrt bleibt. Regierungsrat Dr. Kerber,320 einer der verdienstvollsten Pioniere der Festspiele, ist freilich heute als administrativer Direktor der Wiener Staatsoper von den üblichen ›Wiener Fäden‹ so umsponnen – wie könnte es auch anders sein– , dass für ihn Salzburg doch zu einer sekundären Angelegenheit wurde und er sicher Gefahr läuft, wichtige kleinere Eigenheiten, die mit Salzburg unzertrennlich verbunden sind, mit der Zeit aus dem Auge zu verlieren. Hier an Ort und Stelle muss die Lage von höherer Warte aus überblickt werden und nur danach hat sich der Aufbau des Programmes zu vollziehen. Leider muss da gesagt werden, dass die Salzburger Festspielhausgemeinde, zum Teil aus Resignation, zum Teil aus mangelndem Verständnis, all diesen Tatsachen hilflos gegenübersteht. Es ist somit die beherzigenswerte Anregung gegeben, hier raschestens einzugreifen, denn es geht nicht nur um ein höchstes Kulturgut, sondern auch um einen der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren. Die Salzburger Festspiele sind unstreitig ein Lebensnerv unseres Bundesstaates.«321 Am 20. Februar 1936 schrieb Friedrich Gehmacher an Rehrl, die »Baseler Zeitung« berichte, »dass man in Deutschland die Abhaltung großer deutscher Festspiele plane,« welche »die Salzburger Festspiele konkurrieren sollen und (…) als künstlerischer Leiter des Unternehmens der gewesene österreichische Staatsoperndirektor Clemens Krauss bestellt werde. Die Durchführung dieses Planes, der sehr im Bereiche der Wahrscheinlichkeit steht, sowie auch das in anderen Ländern zu beobachtende Bestreben, Festspiele zu veranstalten, würde zweifellos geeignet sein, die Salzburger Festspiele zu schädigen, wenn es nicht gelingt, diesen einen neuen Inhalt zu geben, der sie über den Rahmen gleichartiger oder ähnlicher Veranstaltungen von vornherein hinaushebt und ihren Dauerbestand sichert.« Gehmacher entwickelte den – nach 1945 kurzzeitig wieder aufgegriffenen – Plan einer Musik-Olympiade sowie den schließlich von Herbert von Karajan realisierten Vorschlag einer internationalen Erweiterung der mitwirkenden Institutionen und Orchester. Man solle, so sein Vorschlag, die auf dem Gebiet der Musik bedeutendsten Nationen einladen, sich an den Festspielen zu beteiligen. »Eine diesbezügliche Erweiterung des Festspielprogrammes ist ja auch 320 Erwin Kerber (1891–1943) wurde in Salzburg geboren, studierte nach der Matura Rechtswissenschaften an den Universitäten Wien und Innsbruck und schloss sein Studium nach dem Wehrdienst 1919 mit der Promotion zum Dr. jur. ab. Anschließend wurde er Sekretär der Salzburger Festspielhausgemeinde und später deren Geschäftsführer und war auch einer der Mitbegründer der Salzburger Festspiele. 1933 berief ihn Clemens Krauss als Direktionsrat an die Wiener Staatsoper, 1935 wurde er deren Verwaltungsdirektor und nach der kurzen zweiten Direktion von Felix von Weingartner 1936 bis 1940 Direktor. In seiner Tätigkeit wurde er im künstlerischen Bereich von Bruno Walter und Hans Knappertsbusch unterstützt. Parallel dazu wirkte er auch bei den Salzburger Festspielen mit. 1942 bis 1943 war er Intendant des Salzburger Landestheaters. 321 SLA. Rehrl-Briefe 1935/122.

Die Großglockner Hochalpenstraße und die Festspiele

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schon aus dem Grunde unerlässlich, weil die Wiener Staatsoper auf die Dauer nicht die Hauptlieferstelle für die Salzburger Festspiele abgeben kann und weil auch aus mehrfachen Gründen die Philharmoniker nicht dauernd in dem gleichen Umfange wie gegenwärtig für die Festspiele in Anspruch genommen werden können. Für die Mitwirkung an den Festspielen kämen beispielsweise in Betracht die Große Oper von Paris, die Scala in Mailand, die Philharmonischen Orchester von New York, Barcelona, s’Gravenhage, Budapest, Paris etc. Natürlich müssten für die Kosten die betreffenden Länder aufkommen, wie das ja auch bei den Olympischen Spielen und anderen internationalen Unternehmungen der Fall ist. Die Beteiligung der einzelnen Nationen würde selbstverständlich nicht in den Formen eines Wettbewerbes zu denken sein, sondern als eine Offenbarung der besten und wertvollsten künstlerischen Kräfte.«322 Die Denkschrift der Vaterländischen Front stieß bei Rehrl auf außerordentliche Resonanz, sah er sich doch als politischer spiritus rector der Festspielidee und Wahrer der Sonderstellung Salzburgs in der europäischen Festspielszene. So antwortete er dem Direktor der Amtlichen Nachrichtenstelle, Edmund Weber, am 31. Juli 1935 auf die Übersendung der letzten Nummer der Musikzeitschrift »Anbruch«, er »habe die Wahrnehmung gemacht, dass die Bruckner-Festspiele in Linz und St. Florian bei verschiedenen Anlässen in eine enge Verbindung mit den Salzburger Festspielen gebracht werden, so z. B. bei Programmansagen der Ravag, in Zeitungsmeldungen usw. Es wird dadurch der Eindruck erweckt, als ob zwischen dem Brucknerfeste und den Salzburger Festspielen irgendein Zusammenhang bestünde, der in Wirklichkeit nicht vorhanden ist. So sehr ich nun auch dem Brucknerfeste den größten Erfolg wünsche, muss ich doch – in Erinnerung an den mühseligen Weg, den wir gehen mussten, bis die Salzburger Festspiele ihre heute unbestrittene Weltgeltung erlangt hatten – den Standpunkt vertreten, dass es nicht angeht, das zufällig zeitlich unmittelbar vorausgehende Linzer Fest einfach an die Salzburger Festspiele anzulehnen und deren Werbekraft dadurch auszunützen. Auch im vorliegenden Heft ist das Brucknerfest äußerlich und textlich mit den Salzburger Festspielen in eine Verbindung gebracht, die geradezu den Eindruck erwecken könnte, als ob die oberösterreichische und Salzburger Veranstaltung eine Einheit bildeten. Ich hätte es ferner begrüßt, wenn in einer Nummer, die – wie auch in den einleitenden Worten des ersten Aufsatzes ausdrücklich ausgesprochen ist – den Salzburger Festspielen als dem großen Ereignis der österreichischen Kunst gewidmet ist, als erstes Bild ein solches von Salzburg und nicht eine Ansicht des Stiftes St. Florian enthalten gewesen wäre.«323 Die Denkschrift fand auch Eingang in die Rede Rehrls, die er im Rahmen des Festaktes zum 15-jährigen Jubiläums der Salzburger am 11. August 1935 in der Salz322 SLA. Rehrl-Briefe 1936/433. 323 SLA. Rehrl-Briefe 1935/1909.

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Die Schatten der großen Politik – Historische Entwicklungslinien

burger Residenz hielt. Im Vorfeld hatte die große Politik ihre Schatten auf die Festspiele geworfen. Die Bundesregierung hatte unter dem Eindruck der Reaktion Italiens auf die Ermordung von Bundeskanzler Dollfuß nicht nur die Richtigkeit des von ihm eingeschlagenen »Italienischen Kurses« bestätigt gesehen, sondern sah in den Salzburger Festspielen auch ein ideales kulturpolitisches Terrain für die Demonstration dieses Bündnisses, wobei die Entwicklung der Festspiele diesen Intentionen entgegenkam. Die bisher dominierende künstlerische Persönlichkeit Clemens Krauss, Lieblingsdirigent von Richard Strauss und Direktor der Wiener Staatsoper, wechselte 1934 von Wien nach Berlin und beendete damit durch seine Bindung an das Dritte Reich seine Mitwirkung in Salzburg. Ihm folgte 1935 Arturo Toscanini, der mit Verdis »Falstaff« und Beethovens »Fidelio« einen fulminanten und international gefeierten Einstand als Operndirigent bei den Festspielen gab. Während Toscanini, der bereits im Festspielsommer 1934 drei Konzerte der Wiener Philharmoniker geleitet hatte, ab 1935 zusammen mit Bruno Walter als Hauptdirigent der Festspiele fungierte, hatte ein anderer berühmter Wahlsalzburger, Stefan Zweig, sein Domizil auf dem Kapuzinerberg, in dem er auch Toscanini zu Gast hatte, verlassen. In seinen Erinnerungen gab er an, dass wenige Tage nach den Februarkämpfen 1934 eine Hausdurchsuchung der Polizei nach Waffen des Republikanischen Schutzbundes ihn zu diesem Schritt veranlasst habe. Er sei zunächst zu verblüfft gewesen, um den vier Polizisten in Zivil entsprechend zu antworten. »Die Sache war zu absurd. Ich hatte nie einer Partei angehört, mich nie um Politik gekümmert. Ich war viele Monate nicht in Salzburg gewesen, und abgesehen von all dem wäre es das lächerlichste Ding von der Welt gewesen, ein Waffendepot gerade in meinem Hause anzulegen, das außerhalb der Stadt auf einem Berg lag.« Ihn habe der Vorgang deshalb so erbittert, weil damals »eine Hausdurchsuchung in Österreich noch ein ungeheurer Affront« gewesen sei. »Dass jemand, der wie ich vollkommen jeder Politik fernstand und seit Jahren nicht einmal sein Wahlrecht ausgeübt hatte, ausgesucht worden war, musste einen besonderen Grund haben …« Dieser sei in den nationalsozialistischen Terroranschlägen zu suchen, die zu verschärften Maßnahmen der Exekutive gegen Mitglieder und Sympathisanten der NSDAP führten und die Nationalsozialisten zu der Flüsterpropagandaparole veranlassten, dass man einseitig nur gegen sie vorgehe, jedoch Maßnahmen gegen Prominente scheue. »So lag der Gedanke nahe, durch eine Hausdurchsuchung bei mir demonstrativ kundzutun, dass man vor niemandem mit solchen Sicherungsmaßnahmen zurückscheue. Ich aber spürte hinter dieser an sich unbeträchtlichen Episode, wie ernst die Sachlage in Österreich schon geworden war, wie übermächtig der Druck von Deutschland her. Mein Haus gefiel mir nicht mehr seit jenem amtlichen Besuch, und ein bestimmtes Gefühl sagte mir, dass solche Episoden nur schüchternes Vorspiel von viel weiterreichenden Eingriffen waren. Am selben Abend begann ich meine wichtigsten

Die Großglockner Hochalpenstraße und die Festspiele

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Papiere zu packen, entschlossen, nun immer im Ausland zu leben …«324 Dass Zweig in seinen Erinnerungen das Motiv seines Entschlusses mit Blick auf den Anschluss und dessen Folgen erklärt, ist verständlich, entspricht jedoch sicherlich nur zum Teil den Tatsachen. Landeshauptmann Rehrl war über den Weggang Zweigs entsetzt und versicherte ihn seiner ungebrochenen Unterstützung. Er hielt über Bernhard Paumgartner mit Zweig auch weiterhin Verbindung und versicherte ihm in einem Brief am 14. August 1935, dass er in Salzburg »ein stets gern gesehener Gast sein« werde. Zweig hatte dem Salzburger Landeshauptmann am 3. August aus Marienbad versichert, es sei ihm nicht leichtgefallen, »Salzburg als Arbeitsstätte aufzugeben, wo ich fünfzehn Jahre tätiger Stille so schön verbringen durfte, aber es sind äußere Umstände, die jetzt mein Leben verändern. Ich habe durch die deutschen Verhältnisse das Hauptabsatzgebiet meiner Bücher verloren und muss trachten, wenigstens die ausländische Stellung zu halten und zu befestigen, um einigermaßen Ersatz zu finden  ; dies und anderes nötigen mich, jetzt andern Orts meiner Arbeit nachzugehen, obwohl ich persönlich lieber die alte vertraute Form der Arbeit an jener schönen Stätte vorgezogen hätte.«325 Der Brief enthielt auch angesichts der Eröffnung der Großglockner Hochalpenstraße eine für Zweig, der sich Äußerungen zur Politik und deren Akteuren völlig oder weitgehend enthielt, ungewöhnliche Laudatio auf das politische Wirken des Salzburger Landeshauptmanns. »Heute aber möchte ich Ihnen vor allem den aufrichtigsten Glückwunsch sagen zu Ihrem (unterstrichen im Original, Anm. d. Verf.) Werke – denn wir alle wissen, die Großglocknerstraße ist Ihr persönliches Werk, aus Ihrer Energie und Weitsicht erschaffen, und ginge es nach Verdienst, so sollte sie Ihren Namen am Eingang oder Ausgang als den des wirklichen Förderers und Initiators tragen. Es war mir lange schon ein Bedürfnis, Ihnen zu sagen, wie sehr ich die zähe und entschlossene Art, wie Sie auf das Wesentliche im Wirtschaftlichen zielen, bewundere  ; verzeihen Sie mir, da die persönliche Zurückhaltung, die dies nicht wagte, aber ich habe immer Scheu vorzutreten, nur es fällt mir schriftlich leichter, eine innere Bewunderung zu bekunden.«326 Ähnlich 324 Stefan Zweig  : Die Welt von gestern. Erinnerungen eines Europäers. 3. Aufl. – Frankfurt am Main 1973. S. 278f. 325 SLA. Rehrl-Briefe 1935/2122. 326 Ebda. Rehrl hielt auch die Beziehung zu Stefan Zweigs erster Ehefrau, Friderike Maria Zweig, aufrecht, die 1934 in Salzburg blieb, während Zweig mit seiner Privatsekretärin, Geliebten und späteren zweiten Ehefrau Lotte Altmann nach London ging. 1882 in einer jüdischen Wiener Familie als Friderike Maria Burger geboren, konvertierte sie zum Katholizismus und war in erster Ehe mit dem Finanzbeamten Felix Elder von Winternitz verheiratet. Aus dieser Ehe entstammten zwei Töchter. 1914 ließ sie sich scheiden und heiratete 1920 Stefan Zweig. Nach dem endgültigen Verkauf des Hauses auf dem Kapuzinerberg lebte sie ab 1. Juni 1937 mit ihren beiden Töchtern in der Villa von Alois und Luise Staufer in der Nonntaler Hauptstraße

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Die Schatten der großen Politik – Historische Entwicklungslinien

wie Stefan Zweig kommentierten die »Innsbrucker Nachrichten« die Eröffnung der Großglockner Hochalpenstraße, »Die Glocknerstraße, wahrhaft ein Standardwerk der modernen Straßenbaukunst, ist eröffnet. Zu Schanden geworden sind die Anwürfe aller Nörgler und böswilligen Kritiker, die namentlich den großen Ingenieur, dessen Geist das Projekt entsprang, zu treffen suchten  ; Oberbaurat Ing. Wallack ist Sieger geblieben  ! Mit ihm aber – und nicht mit geringerem Verdienste – siegte Landeshauptmann Dr. Rehrl, der den vielleicht noch viel schwierigeren, noch größere Energie und Zähigkeit erfordernden Kampf um die gesetzliche Sicherung des Straßenbaues und um seine Finanzierung, allen sich auftürmenden Schwierigkeiten zum Trotz, zum guten Ende führte.« Hätte der Salzburger Landeshauptmann »nur diese eine Tat gesetzt – sein Name bliebe unvergänglich in der Geschichte Salzburgs, nein, ganz Österreichs.«327 Die österreichische Bundesregierung hatte zwei Monate vor dem Briefwechsel Rehrls mit Zweig in Verfolgung des italienischen Kurses und der Verfestigung der Beziehungen zu Rom den Salzburger Landeshauptmann ersucht, die italienische Regierung zum Besuch der Salzburger Festspiele einzuladen. Rehrl entsprach dieser Bitte am 14. Juni 1935 und wies in seinem offiziellen Einladungsschreiben auf die enge Verbindung Salzburgs mit Italien hin. Die Salzburger Festspiele hätten sich nicht zuletzt durch die Mitwirkung italienischer Künstler einen internationalen Ruf erworben und würden es als eine Auszeichnung empfinden, wenn sie die königliche italienische Regierung anlässlich ihres bevorstehenden 15-jährigen Jubiläums durch ihren Besuch auszeichnen würde.328 Die sich bereits im Sommer verschärfende Abessinienkrise verhinderte die positive Reaktion Roms. Erst im August 1936 erfolgte ein offizieller Besuch des Prinzen Umberto von Piemont. Und noch ein weiterer eingeladener prominenter Gast, Franz von Papen, konnte dem Festakt nicht beiwohnen, was Rehrl in einem Schreiben an den deutschen Sondergesandten außerordentlich bedauerte.329 Papen besuchte die Festspiele 1937 und verursachte durch sein Erscheinen

49. Ihre zweite Tochter, Susanne Benediktine Winternitz, beantragte 1936 einen Gewerbeschein für das Pressefotografengewerbe. Das Magistrat der Stadt Salzburg gab mit dem Hinweis auf die angespannte wirtschaftliche Lage und die ohnedies große Dichte von Pressefotografen eine negative Antwort, worauf sich Friderike Maria Zweig an Landeshauptmann Franz Rehrl mit der Bitte um Intervention wandte. Rehrl intervenierte erfolgreich und konnte Friderike Maria Zweig am 22. Mai 1936 mitteilen, dass »die Entstehung eines Pressefotografen-Unternehmens in Salzburg … im Interesse der Fremdenverkehrspropaganda sehr erwünscht« sei. (SLA. Rehrl-Briefe 1936/1527.) Stefan Zweig ließ sich 1938 von Friderike Maria scheiden, die nach dem Anschluss zunächst nach Frankreich und 1940 in die USA emigrierte, wo sie ihre schriftstellerische Tätigkeit wieder aufnahm. Sie starb 1971 in Stanford. 327 Innsbrucker Nachrichten 5.8.1935. S. 1. 328 Kriechbaumer  : Zwischen Österreich und Großdeutschland. S. 62f. 329 SLA. Rehrl-Briefe 1935/1633.

Die Großglockner Hochalpenstraße und die Festspiele

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beim offiziellen Empfang in der Salzburger Residenz die empörte Reaktion Toscaninis, der demonstrativ die Festtafel, an der er bereits Platz genommen hatte, verließ. Beim Festakt 1935 erklärte Rehrl, die Festspiele seien »aus der Not der Zeit geboren, (…) und es mag eine gewisse symbolische Bedeutung haben, dass die Jedermann-Bühne am Domplatz, die heute noch in Verwendung ist, aus dem Holze der Kriegsbaracken von Grödig hergestellt wurde, bedeutend in einer doppelten Hinsicht, sowohl was die Armut der Zeit betrifft, als aber auch den Willen, aus den Trümmern einer Epoche des Jammers, des Elends und der Tränen die Stufen zu bauen für eine höhere Welt  !« Die Festspiele seien in den vergangenen 15 Jahren vor allem dank Hugo von Hofmannsthal und Max Reinhardt eine Erfolgsgeschichte geworden, aber sie seien, bedingt durch die spezifische Geschichte und Kultur Salzburgs, die sich auch in der Architektur der Stadt manifestiere, und durch das »universale Wesen Mozarts« eben »Salzburger Festspiele« und nicht »Festspiele in Salzburg«, sie seien »die Harmonie der Vielfalt, die für unsere Zeit und für den Geist der Salzburger Festspiele gewahrt werden muss. Daraus ergibt sich aber mit zwingender Notwendigkeit die künstlerische Eigenständigkeit der Salzburger Festspiele  : so viel wir auch den Meistern aller Welt uns verbunden fühlen, so viel wir auch der Künstlerschaft Wiens, insbesondere den weltberühmten Philharmonikern und ihrem unvergesslichen Franz Schalk verpflichtet sind, so kann doch nie der Eindruck entstehen, dass es sich in Salzburg um eine Filialkunst handelt  ; vielmehr handelt es sich hier um ein Einzigartiges, Unnachahmliches, völlig Eigenständiges, das an das Milieu, an die universelle Tradition und an die Weltgeltung dieser Stadt gebunden ist und alle großen schöpferischen Kräfte der Zeit am Werke sieht.« Rehrl sah die Festspiele nicht nur in ihrem einzigartigen künstlerischen Anspruch, dem sie im Zusammenwirken mit dem Ambiente des Ortes ihre Weltgeltung verdankten, sondern – in deutlicher Abgrenzung vom Kunstanspruch des Nationalsozialismus – als völkerverbindende und damit an die europäische Tradition der Habsburgermonarchie anknüpfende Institution. Diesem völkerverbindenden Anspruch sei es »zu verdanken, dass auch die Trübung eines freundnachbarlichen Verhältnisses und die gegen uns verfügte Grenzsperre keine Erschütterung zu bewirken vermochte, wir sind vielmehr reichlich entschädigt worden durch die Freundschaft und den Zustrom aus allen Ländern der Erde, wie es kaum in den besten Zeiten der Fall war. (…) Das Bild des heutigen Festtages zeigt, dass Salzburg im Zeichen der Weltfreundschaft steht, wie es seit Ruperts Tagen seine Bestimmung ist. (…) Lassen Sie mich … mit der Bitte schließen  : bewahren Sie uns diese Freundschaft für Salzburg und damit für Österreich und helfen Sie durch Ihre Anteilnahme und Liebe mit an dem völkerverbindenden Werke der Kultur und der Kraft, die den Ausblick auf das Ewige offen hält und ein Unterpfand ist für den Frieden und das Glück Europas und der Menschheit  !«330 Rehrl stand durch seine erfolg330 SLA. Rehrl Briefe 1935/1633.

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reichen Leuchtturmprojekte – Internationalisierung der Salzburger Festspiele und Eröffnung der Großglockner Hochalpenstraße – 1935/36 im Zenit seines nationalen und internationalen Ansehens. Die Eröffnung der Großglockner Hochalpenstraße, die internationale Segelflug-Veranstaltung auf dem Gaisberg und Arturo Toscanini als dominierende Persönlichkeit der Festspiele 1935 erregte auch das besondere Interesse der Ravag, die dem Landeshauptmann mitteilte, dass Festspielübertragungen durch ausländische Rundfunkanstalten übertragen werden und damit einen Beitrag zur Internationalisierung der Festspiele leisteten. Die Ansagen in den ausländischen Radiostationen würden in den jeweiligen Landessprachen durchgeführt, wobei in die Tatsächlich hatte die Salzburger Tourismusindustrie im Festspielsommer 1935 vor allem durch den verstärkten Zustrom westeuropäischer und US-amerikanischer Besucher die durch die TausendMark-Sperre ausgelöste Krise weitgehend überwunden. Fremdenmeldungen Salzburg Juli 1934/35  :

Inländer absolut

1934

1935

27.310

35.215

Differenz zu 1934 absolut

+ 7.905

Differenzzahl in Prozent von 1934 Ausländer absolut

+ 28,4 14.088

23.868

Differenz zu 1934 absolut

+ 9.780

Differenzzahl in Prozent von 1934

+ 69,4

(Österreichische Fremdenverkehrswerbung, Abteilung Statistik. September 1935. St./217/H.) Als von besonderer Bedeutung für die Fremdenverkehrswerbung betrachtete man den auch medial entsprechend verwertbaren Besuch der künstlerischen und politischen Prominenz wie z. B. 1936 von König Eduard VIII. und Kronprinz Umberto von Italien. So schrieb der Direktor der Schmittenhöhebahn A. G. am 4. Februar 1935 an Landeshauptmann Rehrl  : »Von allen Seiten werde ich bestürmt, alles daranzusetzen, dass der heute in Kitzbühel zum Winteraufenthalt eingetroffene Prinz of Wales zu einem Ausflug nach Zell am See – Schmittenhöhe veranlasst wird. Ich weiß mir nun keinen anderen Weg, als Herrn Landeshauptmann die dringende Bitte in unser aller Namen zu unterbreiten, die Sache gütigst in die Wege zu leiten. Ohne Herrn Landeshauptmann vorgreifen zu wollen, dürfte die einzige Möglichkeit wohl darin liegen, dass Herr Landeshauptmann die Güte haben, unserem Gesandten in London, Baron Franckenstein, im Gegenstande zu schreiben, damit dieser den Chef des Kitzbüheler Gefolges des Prinzen einen solchen Tagesausflug des Prinzen nach Zell am See – Schmittenhöhe empfiehlt. Vielleicht haben Herr Landeshauptmann die Güte, dem Herrn Gesandten unseren Prospekt für einen solchen Tagesausflug aus Kitzbühel nach Zell am See zur Weiterleitung zu übermitteln. Vorteilhaft wäre es, wenn der Herr Gesandte noch empfehlen würde, dass der Ausflug an einem verlässlich schönen Tag gemacht wird und deshalb am beabsichtigten Tage uns von Kitzbühel telefonisch Wettermeldung abverlangt wird. (…) Vielleicht gelingt es dem Herrn Gesandten, den Chef des Gefolges zu bestimmen, dass er sich wegen des Arrangements dieses Besuches mit mir in Verbindung setzt. Ich glaube, dass Herr Landeshauptmann unserer Anschauung beipflichten, dass die Durchsetzung dieses Ausfluges für Zell am See von ungeheurer Bedeutung wäre.« (SLA. Rehrl-Briefe 1935/669.)

Die Großglockner Hochalpenstraße und die Festspiele

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Übertragungen »ebenfalls in der Landessprache ein kurzer Werbevortrag über die Salzburger Festspiele und die Glocknerstraße eingebaut werden« soll.331 In der Sitzung des Salzburger Landtages am 21. Mai 1935 erklärte Bernhard Paumgartner im Rahmen der Diskussion des Berichtes des Finanzausschusses, er sei »dem Herrn Landeshauptmann sehr dankbar, dass er an so prominenter Stelle die Salzburger Interessen so geradlinig und kraftvoll vertreten hat.« Er halte es jedoch auch für seine »Pflicht, selbst an dieser Stelle zu sprechen und im Sinne des Herrn Landeshauptmannes mit allem Nachdruck auf die ungeheure Bedeutung der Salzburger Festspiele hinzuweisen, und zwar nicht nur auf die Bedeutung, die sie für unser Land haben, denn das wäre beinahe kleinlich, sondern auf ihre Bedeutung darüber hinaus für ganz Österreich und für die österreichische Kultur. (…) Wenn der Fremde Österreich in seiner vielfältigen Erscheinung zuletzt vielleicht in Wien kennenlernt, so ist Salzburg gleichsam die prachtvolle barocke Fassade und das schöne Portal, die Eingangspforte zu österreichischer Kultur und österreichischem Wesen.« Es sei vor allem Bundeskanzler Dollfuß zu danken, dass die Festspiele angesichts der massiven nationalsozialistischen Terrorakte abgehalten werden konnten, als er erklärte, deren Nichtabhaltung wäre gleichbedeutend mit einem Einholen der österreichischen Fahne, die jedoch gerade in Salzburg hochgehalten werden müsse. Die wirtschaftliche Bedeutung der Festspiele werde schon aus der Tatsache ersichtlich, dass sie trotz der Tausend-Mark-Sperre, der polnischen Ausreisegebühr von 400 Zloty und der italienischen Passausfertigungsgebühr von 100 Lire »in der Spielzeit 1934 die Fremdensaison Salzburgs vor einer Katastrophe bewahrt haben.« Und unter direkter Bezugnahme auf den Subventionskonflikt mit dem Bund  : »Eine der wichtigsten, vielleicht von vielen nicht sehr beachtete Notwendigkeit ist die Kontinuität der Festspiele. Diese Kontinuität ist gleichsam der feste Punkt im gesamten österreichischen Fremdenverkehr. Die Fremden wissen, in jedem Jahr sind Festspiele, in jedem Jahr sind ausgezeichnete Festspiele, wir können uns auf diese Festspiele verlassen und in diesem Bewusstsein machen sie ihre Pläne und aus dieser Sicherheit heraus kommen sie nach Österreich. Und nun müssen wir hoffen, dass diese hohe Verlässlichkeit der Salzburger Festspiele, die uns die Tatkraft unseres Landeshauptmannes schon vor Jahren sichergestellt hat, und noch ständig beschützt und der nicht einmal die Terrorakte des vergangenen Juli etwas anhaben konnten, dass diese Verlässlichkeit nicht etwa durch einen unüberlegten Feldzug eine Störung erleide.« Wie berechtigt die Salzburger Forderungen an den Bund seien, gehe aus einem Vergleich der Zahlen hervor. Während der Bund für die Bundestheater und die Ravag zusammen jährlich rund 4 Millionen Schilling an Subventionen ausgebe, müssten die Salzburger Festspiele, die ein 331 SLA. Rehrl-Briefe 1935/1157.

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Zehntel der künstlerischen Verpflichtungen erfüllen, mit einem Dreißigstel dieses Betrages auskommen, und das erscheine dem Rechnungshof noch zu hoch. Es sei daher eine besondere Aufgabe der Salzburger Landespolitik, die Festspiele aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung für Salzburg und Österreich zu schützen.332 Die Salzburger Landespolitik, personifiziert in Landeshauptmann Rehrl, kam dieser Aufforderung erfolgreich nach. Die Salzburger Festspiele entwickelten sich zum internationalen Publikumsmagneten, die Übernachtungen allein in der Stadt Salzburg stiegen in der Saison 1936/37 auf 411.427, von denen die Gäste aus dem Deutschen Reich, trotz des Juli-Abkommens 1936, nur etwas mehr als 10 Prozent betrugen,333 der Kartenerlös der Festspiele stieg 1936 auf 1,159.980 Schilling, die Großglockner Hochalpenstraße wurde bereits in ihrem Eröffnungsjahr 1935 mit 130.571 Besuchern und im folgenden Jahr mit 146.400 Besuchern zum begehrten Ausflugsziel des motorisierten Tourismus. Trotz des sich am Ende des Tunnels zeigenden Lichtstrahls blieb die durch die anhaltende Weltwirtschaftskrise Kultur der leeren Kassen und der Armut allgegenwärtig. Der Ende Jänner 1935 verfasste Brief eines bekannten Salzburger Architekten an Landeshauptmann Franz Rehrl wirft ein bezeichnendes Licht auf die Lebensumstände und die (verborgene) politische Stimmung in der Stadt Salzburg. Der freischaffende Architekt bewarb sich in diesem Brief um eine Lehrstelle für Hochbau an einer Berufsbildenden Höheren Schule in der Landeshauptstadt, »da sowohl in diesem Jahre wie auch im folgenden der Hochbau beschäftigungslos sein wird, da 332 Stenografisches Protokoll 6. Öffentliche (beschließende) Sitzung des Salzburger Landtages. 1. Session. 7. 6.1935. S. 30ff. 333 Der nach dem Juliabkommen 1936 nur zögerlich wieder einsetzende deutsche Reiseverkehr nach Österreich war vor allem auf zwei Ursachen zurückzuführen  : 1. Am 24. August 1936 erklärte Staatssekretär Lammers, der Führer habe »die Ausfertigung des Gesetzes über den Reiseverkehr mit Österreich« unterschrieben und ihn beauftragt, »das Gesetz erst dann zur Verkündigung freizugeben, wenn sichergestellt ist, dass es nur in so beschränktem Umfange angewendet wird, dass keinesfalls ein Massenreiseverkehr nach Österreich einsetzt.« (AdRK. Regierung Hitler 1933–1945. Bd. III  : 1936. S. 488f.) 2. In einem Briefwechsel des Präsidenten des Österreichischen Verkehrsbüros, Franz Georg Strafella, mit Landeshauptmann Franz Rehrl wies dieser darauf hin, dass das Österreichische Verkehrsbüro angesichts der Tausend-Mark-Sperre die Zweigstellen in München und Köln aufgelassen habe. Diese hätten im Jahr 1933 Zuschüsse in der Höhe von 70.000 bzw. 81.000 Schilling erforderlich gemacht. Es liege gerade im Interesse der westlichen Bundesländer, die einen erheblichen Touristenzustrom aus dem Deutschen Reich zu verzeichnen hatten, dass diese Mittel in die Werbung in anderen Ländern investiert werden, um Ersatz für den Ausfall aus dem Deutschen Reich zu schaffen. Er sei zudem der Meinung, »dass (…) auch nach Aufhebung der Tausendmark-Sperre mit Rücksicht auf die überaus strengen Devisenvorschriften der Deutschen (bei Reisen ins Ausland dürfen nicht mehr als RM 10.- in bar mitgenommen werden) kaum ein erheblicher Verkehr an Fremden aus Deutschland einsetzen wird  ; das Volumen des deutschen Einreiseverkehres wird vielmehr, wie ich denke, auf jeden Fall exorbitant hinter den Ziffern früherer Jahre zurückbleiben.« (SLA. Rehrl-Briefe 1935/419.)

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zu einer nur halbwegs nennenswerten Belebung einfach alle Voraussetzungen fehlen. Der Lebensstandard des einzelnen ist im Sinken, sodass neue Familiengründungen größtenteils nur unter abnormalen Verhältnissen stattfinden können, die deutsche Einreisesperre bleibt vermutlich noch bestehen, sodass auch das Gast- und Schankgewerbe zu keinen Investitionen wird schreiten können  ; kommen einmal die Fremden wieder, dann werden die Banken und Hypothekenanstalten um ihre Zinsrückstände greifen und für Investitionszwecke wird wiederum zunächst kein Geld übrig bleiben. Der Althausbesitz ist kraft der gegebenen gesetzlichen Bestimmungen gelähmt und hat durch die Zersplitterung seiner Vereinigung keine Stoßkraft, die Wohnungsnot ist, von vereinzelten Fällen abgesehen, als behoben zu bezeichnen.« Habe er in der Vergangenheit »für Jud und Christ, für Großdeutsche und Christlichsoziale« gebaut, da nur die Leistung entschied, so sei dies heute anders. »Ich muss leider feststellen, dass mir schon zwei konkrete Aufträge zufolge meiner offenen katholischen und österreichischen Einstellung verloren gegangen sind. Einen hievon hat ein in München via Wöllersdorf befindlicher Architekt ausgeführt, weil man mit so einem ›punzierten Schwarzen‹, wie man mich u. a, bezeichnet, nichts mehr zu tun haben will. Also die Leistung entscheidet nicht mehr, wohl aber ist der Hass gegen die ›Schwarzen‹ im steten Steigen, wenn auch so viele durch Bändchen und Stahlhelm Maskierte herumlaufen.«334 Trotz der offenen oder verborgenen Sympathien für den Nationalsozialismus, der nationalsozialistische Terror hatte merklich nachgelassen, die innenpolitische Situation schien, trotz der Illegalen links und rechts, in ruhigerem Fahrwasser, das jedoch durch die sich unverhofft ergebende internationale Entwicklung plötzlich Trübungen erfuhr. Noch im April 1935 hatte sich Mussolini in der sog. »Stresa-Front« für ein europäisches Sicherheitsbündnis mit Großbritannien und Frankreich vor allem gegen das aggressiv auftretende nationalsozialistische Deutsche Reich und gemeinsam mit seinen Bündnispartnern für die österreichische Unabhängigkeit ausgesprochen. In diesem Sinne äußerte sich in London Sir Robert Gilbert Vansittart wenige Tage nach der Ermordung von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß gegenüber dem österreichischen Gesandten Georg Franckenstein, dass angesichts der erwiesenen direkten oder indirekten Beteiligung des Deutschen Reiches »Großbritannien, Italien und Frankreich näher zusammengerückt seien.«335 Die Lage änderte sich allerdings bereits wenige Zeit später mit dem Angriff Italiens auf Abessinien am 3. Oktober dramatisch. Die Stresa-Front zerbrach und das bedrängte Italien sah sich zu einer Revision seiner außenpolitischen Präferenzen mit erheblichen Auswirkungen auf Österreich gezwungen. Das in Europa deutlich werdende Donnergrollen einer neuen kriegerischen Katastrophe wurde auch in Salzburg vernehmbar. 334 SLA. Rehrl-Beriefe 1935/351. 335 ADÖ 9/1480.

11. Das Ende der Versailler Friedensordnung 1935 und die Folgen für Österreich Der von Dollfuß eingeschlagene italienische Kurs hatte unmittelbar nach der Ermordung des Bundeskanzlers in der offiziellen Wahrnehmung seine eindrucksvolle Bestätigung gefunden, als Mussolini in einer geschickt inszenierten Aktion einer Scheinmobilisierung italienische Einheiten, die zu diesem Zeitpunkt Übungen in der Nähe der österreichischen Grenze abhielten, Richtung Brenner in Marsch setzen ließ. Wenngleich es sich somit bei dieser Aktion lediglich um eine Verlegung von ohnedies in der Nähe befindenden Truppeneinheiten handelte, hinterließ diese Aktion in den europäischen Hauptstädten, vor allem in Berlin und Wien, erheblichen Eindruck und galt als demonstrative Bestätigung des Eintretens Italiens für die Unabhängigkeit Österreichs. Im Interesse der Wahrung der Unabhängigkeit Österreichs wurde der italienische Kurs auch unter Dollfuß’ Nachfolger Kurt Schuschnigg zur Causa prima der österreichischen Außenpolitik. Parallel dazu bemühte sich der Ballhausplatz im Einverständnis mit Italien um eine Internationalisierung des Konflikts durch die Involvierung des Völkerbundes, vor allem Frankreichs und Großbritanniens, wobei man besondere Hoffnung auf die Achse Rom/Paris sowie eine unterstützende Haltung Großbritanniens setzte. Dieses Kalkül schien sich 1935 angesichts der Reaktion auf das von Hitler am 16. März verkündete Gesetz »für den Wiederaufbau der Wehrmacht«, das durch die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht ein Friedensheer in der Stärke von 36 Divisionen, d. h. rund 550.000 Mann, vorsah, sowie die unübersehbare deutschen Wiederaufrüstung vor allem im Bereich der Luftwaffe, seine Bestätigung zu finden. Die Konferenz von Stresa vom 11. bis 14. April vereinigte Frankreich, Großbritannien und Italien als Verteidiger der Nachkriegsordnung gegen das Deutsche Reich, wobei vor allem Mussolini, sichtlich beunruhigt durch die außen- und militärpolitischen Erfolge Hitlers, unmissverständlich Position gegen Berlin bezog. Die Drohung mit Gewalt, so erklärte er, sei »der einzige Weg, mit dem man gegen Deutschland (…) Erfolge erzielen« kann. Alle auf der Konferenz im Palast der Borromini auf der Isola Bella wüssten, dass »Deutschland die Absicht hat, alles bis nach Bagdad zu erobern.« Gegenüber einem italienischen Diplomaten erklärte er kämpferisch, dass Deutschland am Frieden in Europa mitarbeiten solle. Wenn es dies ablehne, »werden wir es zerschmettern, denn jetzt haben wir uns vollständig auf die Seite der Westmächte gestellt.«336 336 Jens Petersen  : Hitler-Mussolini. Die Entstehung der Achse Berlin-Rom 1933–1936. – Tübingen 1973. S. 400. Die Äußerung Mussolinis erfolgte auch vor dem Hintergrund der ausweichenden und letztlich de facto ablehnenden Haltung Hitlers gegenüber einem englisch-französischen Plan vom

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Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung fanden die Vorbereitungen für ein Treffen Schuschniggs mit Mussolini in Florenz statt. Nachdem Anfang Mai 1935 eine Konferenz der Signatarstaaten der Römischen Protokolle zur Akkordierung ihrer außenpolitischen Positionen in Venedig stattfgefunden hatte, folgte das Treffen des österreichischen Bundeskanzlers mit Mussolini in Florenz am 11. Mai, bei dem vor allem sicherheitspolitische Fragen – die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Österreich und die Verbesserung der Ausrüstung des Bundesheeres sowie die sicherheitspolitische Lage Österreichs angesichts der aggressiven deutschen Außenpolitik – im Mittelpunkt standen. In der geheimen vorbereitenden Instruktion für das Gespräch hatte das Außenministerium auch mit Blick auf das kurz zuvor stattgefundene Treffen in Venedig festgestellt, dass mit einer außenpolitischen Rückendeckung Ungarns gegenüber Deutschland aufgrund seiner revisionistischen außenpolitischen Pläne nicht zu rechnen sei, sodass man bei den Signatarstaaten der Römischen Protokolle nur auf Italien zählen könne. »Bekanntlich steht Herr Gömbös337 auf dem Standpunkt, dass die ›Achse der ungarischen Außenpolitik‹ zwischen Rom und Berlin liegen muss. Ursache  : Ungarn glaubt an eine revisionistische Zielsetzung der deutschen Außenpolitik und befürchtet von einer mitteleuropäischen Einigung zwischen Rom und Paris eine Beeinträchtigung infolge der zwangsläufigen Bereinigung seines Verhältnisses zur Kleinen Entente. Für Österreich liegen die Dinge jedoch ganz anders. Österreich hat keine revisionistischen Ziele in territorialer Hinsicht. Die einzige Gefahr für den Bestand des unabhängigen Österreich droht ausschließlich vonseiten 3. Februar 1935, der alle selbständigen einseitigen Handlungen verurteilte und den Völkerbund als politische Instanz betonte. Er enthielt einen Nichtangriffs- und Unterstützungsvertrag im Osten sowie einen Donaupakt, dem ein Rüstungsabkommen folgen sollte, in dem deutsche Wünsche Berücksichtigung finden könnten. Die zurückhaltende und ausweichende deutsche Antwort machte deutlich, dass sich das Deutsche Reich nicht in ein beabsichtigtes kollektives Sicherheitssystem einbinden lassen wollte, da dies seinen expansionistischen und revisionistischen Plänen widersprochen hätte. In Rom sah man in dieser Haltung des Deutschen Reiches eine Bestätigung der Vermutung, dass eine Stoßrichtung der deutschen Außenpolitik nach einer Beherrschung Südosteuropas zielte und damit italienische Interessen verletzte. Darüber hinaus beunruhigten Mussolini die Berichte des italienischen Botschafters in Berlin Vittorio Cerruti. Dieser berichtete nach der erfolgreichen Saarabstimmung und des durch sie ausgelösten nationalen Taumels, die auch auf Mussolini Eindruck machte, diese habe enorm zur Popularität Hitlers beigetragen und zu einem Bündnis zwischen den traditionalistischen und konservativen Kräften des Landes, die bisher der NSDAP distanziert gegenübergestanden seien, und Hitler geführt, um den sich nunmehr wieder eine stolze Nation und deren preußischer Militärgeist zu sammeln beginne. Angesichts der Ablehnung einer internationalen Zusammenarbeit durch Hitler müsse man diesem gegenüber wachsam bleiben, dies sei auch die Meinung des englischen und französischen Botschafters Eric Philipps und André François-Poncet. (Gianluca Falanga  : Mussolinis Vorposten in Hitlers Reich. Italiens Politik in Berlin 1933–1945. – Berlin 2008. S. 54f.) 337 Gyula Gömbös war vom 30.9.1932 bis 6.10.1936 ungarischer Ministerpräsident.

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des zwangsläufig nach Südosten gerichteten Imperialismus des Deutschen Reiches. Aus diesem Grunde erscheint für Österreich eine sich gegebenenfalls praktisch auswirkende restlose Einigung von Rom mit Paris über den integren Bestand und ein vollkommen selbständiges Eigenleben Österreichs als eine unabdingbare Notwendigkeit.«338 Im Anschluss an das Treffen mit Mussolini in Florenz diktierte Schuschnigg Oberst Emil Liebitzky eine Aufzeichnung des Gesprächs, in dem Mussolini an den Bundeskanzler die Frage stellte, ob Österreich eine Intervention Italiens wünsche, »falls es von Deutschland angegriffen werden sollte  ? Italien werde eine solche Hilfeleistung nicht unternehmen, falls es der österreichischen Bundesregierung nicht wünschenswert erscheine. Es sei daher für Italien wesentlich zu wissen, wie sich Österreich in diesem Falle stelle, wenngleich Herr Mussolini die feste Überzeugung habe, dass eine Aktion Deutschlands derzeit, d. h. vor Ablauf von zwei bis drei Jahren mangels Vollendung der Rüstung, nicht zu erwarten stehe. Man müsse sich jedoch auch für einen späteren Zeitpunkt vorbereiten, um militärisch nicht in die Nachhand zu kommen. Ich antwortete im Wesentlichen  : es sind zwei Fälle möglich  : a) Die sogenannte österreichische Legion wird für sich allein zu einer Aktion gegen Österreich losgelassen, die voraussichtlich mit einem Umsturzversuch in Inneren Österreichs begleitet wäre. Für diesen Fall müssen wir trachten, mit eigenen Kräften die Lage zu halten, was ich durchaus für möglich erachte. b) Treten Komplikationen ein und handelt es sich um einen offiziellen Angriff Deutschlands, steht es außer Zweifel, dass Österreich sich mit eigenen Kräften nicht zu halten imstande sei. In diesem Fall gibt es daher nur die Wahl, submittieren oder auf europäische Hilfe rechnen. Nachdem ersteres nicht in Frage kommt, sind wir daher in diesem Falle genötigt, Hilfe in Anspruch zu nehmen, wobei wir der Auffassung sind, dass es sich gemäß der heutigen außenpolitischen Aktion nicht um eine einseitige italienische Hilfe handeln könne, sondern auch die anderen Mächte sich direkt und unmittelbar für die Aufrechterhaltung des territorialen status quo in Mitteleuropa einsetzen. (…) Herr Mussolini erklärte in weiterer Folge, (…) dass er (…) glaube annehmen zu können, dass seitens Deutschland versucht werde, angesichts der gegebenen Situation die bestehende Spannung mit Italien abzubauen. Seitens Italiens sei hierfür nach wie vor bindende Voraussetzung, dass Deutschland in der österreichischen Frage eine eindeutige und klare Erklärung abgebe und auch bereit sei, in deren Sinne sich praktisch zu verhalten.«339

338 ADÖ 10/1527. 339 ADÖ 10/1528.

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Der italienische Kurs schien durch Stresa seine internationale Bestätigung erhalten zu haben, wurde doch im Abschlussdokument betont, dass das Bestreben, die Unabhängigkeit und Unversehrtheit Österreichs aufrechtzuerhalten, auch in Zukunft die gemeinsame Politik der Signatarstaaten bestimmen werde. In Wien war man sich dessen bewusst, dass es die Politik Italiens war, die Österreichs Sicherheit mit auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt hatte, weshalb man am italienischen Kurs in der Hoffnung festhielt, dass letztlich das außen- und sicherheitspolitische Interesse Roms am Bestand einer Achse mit Paris und London gegen Berlins expansionistische Ambitionen festhalten werde und damit auch eine Rückendeckung für die Unabhängigkeit Österreichs gebe. Allerdings waren bereits unmittelbar nach der überraschenden Bekanntgabe der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht durch Hitler am 16. März 1935 die Reaktionen Großbritanniens, Frankreichs und Italiens unterschiedlich. Das weltweite Engagement des Empire und die damit verbundenen zahlreichen finanziellen Belastungen sowie ein bolschewistisches und japanisches Bedrohungsszenario veranlassten London zu einer kalmierenden Haltung in Fragen der europäischen Sicherheit. Zudem brachte man stets den Forderungen Berlins nach einer Revision des Versailler Vertrages mehr Verständnis entgegen als Paris. Wenngleich Großbritannien am 18. März offiziell Protest gegen den einseitigen und den Friedensvertrag von Versailles verletzenden Schritt des Deutschen Reiches zwei Tage zuvor einlegte, so fiel dieser nicht in so scharfer Form aus wie jener Frankreichs und Italiens. Aus diesem offensichtlich nicht akkordierten Vorgehen der drei Mächte konnte der Schluss gezogen werden, dass es Auffassungsunterschiede gab, wobei vor allem London an einer Verständigung mit dem Deutschen Reich interessiert sei. Dieser Schluss war insofern berechtigt, als die englische Protestnote die Frage enthielt, ob man in Berlin noch an einem prinzipiell bereits vereinbarten Treffen zwischen dem britischen Außenminister Sir John Simon und Lordsiegelbewahrer Anthony Eden und Hitler über eine Vereinbarung über Rüstungsbeschränkungen im Bereich der Luftwaffen bereit sei. Deutscherseits reagierte man überrascht und erfreut. Das Treffen fand am 25. März in der Reichskanzlei statt. Dabei bestand Hitler gegenüber seinen Gesprächspartner nicht nur auf einer Parität der beiderseitigen Luftwaffen, sondern bot darüber hinaus auch ein Flottenabkommen im Verhältnis 100   :  35 an. Die britische Regierung zeigte sich mit Blick auf die weltweiten Verpflichtungen des Empire, vor allem die japanische Aggression im Fernen Osten, nachgiebig und verhandlungsbereit. Da die britische Admiralität eine Begrenzung der deutschen Flotte auf 35 Prozent der britischen für akzeptabel erklärte, willigte das britische Kabinett in Verhandlungen ein, die am 18. Juni zu dem von Berlin gewünschten Ergebnis führten.340 »Die euro340 William Shirer bemerkte in seinen Memoiren zum Flottenabkommen  : »Der britische Schachzug verblüffte uns Korrespondenten in Berlin. ›Ich verstehe es nicht‹, schrieb ich in mein Tagebuch.

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päische Nachkriegsordnung zerfiel zusehends. (…) Die ›Appeasement‹-Politik nahm ihren Anfang.«341 Die britische Regierung war offensichtlich bereit, dem Deutschen Reich bedeutende Konzessionen auf Kosten der Solidarität mit Frankreich zu machen, wobei man auch auf die Friedensrhetorik Hitlers vertraute, die dieser am 21. Mai in seiner großen Rede vor dem Reichstag virtuos praktizierte.342 Für William S. Shirer, damals amerikanischer Korrespondent in Berlin, »eine der beredtesten und sicherlich auch eine der klügsten und irreführendsten seiner Reichstagsreden, die ich mir pflichtschuldigst anhörte. Noch nie zuvor hatte ich erlebt, dass er den Frieden so leidenschaftlich und so bewegend beschwor. Mehrere Male während dieser mitreißenden Zweistundenrede merkte ich, wie mich seine Worte förmlich packten, bis ich mich wieder fing und denken konnte  : Nichts als leeres Stroh. Es ist ihm gar nicht ernst damit. Aber den Deutschen und der Weltöffentlichkeit wird es Eindruck machen. Das galt vor allem für die Briten – und auf sie war ein Teil seiner schwungvollen Rede ganz bewusst zugeschnitten.« Nach einer meisterhaft gesetzten rhetorischen Pause »schrie er fast heraus  : ›Deutschland braucht den Frieden, und es will den Frieden.‹« Zu den Spannungen mit Österreich bemerkte er, Deutschland habe weder die Absicht noch den Willen, sich in die inneren Angelegenheiten des südlichen Nachbarlandes einzumischen, es zu annektieren oder anzuschließen. »Beruhigende Worte für ein Europa, das Hitlers Appetit auf Österreich fürchtete, aber nichtsdestoweniger eine schamlose Lüge. Noch vor kaum einem Jahr waren am 25. Juli 1934 Angehörige der (verbotenen) österreichischen SS, die ihre Befehle von Berlin empfing, ins Wiener Bundeskanzleramt eingedrungen und hatten den österreichischen Kanzler Dr. Engelbert Dollfuß kaltblütig erschossen. Das eigentliche Ziel dieses Putschversuches war der Anschluss ›Deutsch-Österreichs‹ an Deutschland – in Berlin pfiffen es die Besonders erstaunlich war, dass die Briten der Aufstockung der deutschen U-Boot-Waffe auf 60 Prozent der Tonnage Großbritanniens zustimmten und unter ungewöhnlichen Umständen sogar auf 100 Prozent. ›Die deutschen U-Boote‹, merkte ich in meinem Tagebuch an, ›haben im vorigen Krieg die Briten fast besiegt und schaffen es im nächsten vielleicht tatsächlich.‹ Dass die Briten ihre Alliierten so hintergingen, kam mir merkwürdig vor. Dabei war es keineswegs alles – London weigerte sich, den Franzosen Einzelheiten des Flottenabkommens zur Kenntnis zu geben, mit Ausnahme der U-Boot-Tonnage. Wie ich weit später merkte, hatten die Briten den Deutschen praktisch gestattet, eine riesige Armada zu schaffen, zu der unter anderem fünf Schlachtschiffe gehörten, die schwerer und stärker bewaffnet waren als alles, was die Briten – oder irgendein anderes Volk – besaß.« (Shirer  : Das Jahrzehnt des Unheils 1930–1940. S. 146f.) 341 Kershaw  : Hitler 1889–1936. S. 697  ; zur französischen und englischen Politik gegenüber der deutschen Aufrüstung vgl. auch Henry Kissinger  : Die Vernunft der Nationen. Über das Wesen der Außenpolitik. – Berlin 1994. S. 317ff.; Heinrich August Winkler  : Geschichte des Westens. Die Zeit der Weltkriege 1914–1945. – München 2011. S. 758ff. 342 Vgl. Max Domarus  : Hitler. Reden 1932 bis 1945. Kommentiert von einem Zeitgenossen. 4 Bde. – München 1965. Bd. 2. S. 505ff.

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Spatzen von den Dächern, dass mit seinem Einverständnis Naziterroristen bemüht waren, die österreichische Regierung zu stürzen. Ich musste an den allerersten Absatz aus Mein Kampf denken, in dem Hitler geschrieben hatte, die Wiedervereinigung dieser ›zwei deutschen Staaten‹ sei ›eine mit allen Mitteln durchzuführende Lebensaufgabe.‹«343 Österreich, das sich bisher Hitlers »Lebensaufgabe« durch die Rückendeckung Italiens zu entziehen vermochte, wurde allerdings bereits wenige Monate nach Hitlers Friedensrede zum Bauernopfer im imperialistischen Schachspiel seines bisherigen Beschützers, der sein außenpolitisches Hauptinteresse von Mitteleuropa nach dem Horn von Afrika und die Vergrößerung seines Somalia und Eritrea umfassenden kolonialen Besitzes verlagerte. »Abessinien reizte die Fantasie der faschistischen Kolonialpolitiker schon lange – als Auffangbecken für landhungrige Siedler, die im Mezzogiorno kein Auskommen fanden, und als Ausgangspunkt für den Zukunftsprospekt eines Großreiches zwischen Indischem und Atlantischem Ozean, das den Vergleich mit den britischen und französischen Imperien nicht zu scheuen brauchte.«344 Italien hatte auf Aufforderung Großbritanniens hin im Jahr 1884 den Hafen Massaua am Roten Meer besetzt, um den französischen Einfluss in diesem Gebiet zurückzudrängen. 1889 besetzten die Italiener Asmara und gründeten wenige Monate später die Kolonie Eritrea. Im Sinne eines beabsichtigten empire building stießen die Italiener 1895 in die abessinische Provinz Tigri vor, wurden jedoch, 350 km von ihrer Basis entfernt, von den Truppen des abessinischen Kaisers Menelik bei Adua besiegt.345 Das beabsichtigte empire building in Ostafrika und der damit angestrebte Status einer Kolonialmacht von Gewicht war damit misslungen und bildete seitdem eine schmerzende Wunde im Selbstverständnis der italienischen Imperialisten, zu denen sich auch Mussolini mit seinem Traum von der Errichtung eines neuen römischen Imperiums gehörte, das neben einem Prestigegewinn vor allem als Rohstofflieferant und Ventilfunktion in Form eines Siedlungsraums für die stark wachsende italienische Bevölkerung dienen sollte. Um dieses Ziel zu erreichen, galt es die Schmach von Adua zu tilgen und Abessinien dem italienischen Kolonialreich einzuverleiben. Bereits seit Anfang 1932 unternahm Rom Vorbereitungen für eine militärische Intervention in Abessinien, indem Kolonialminister Emilio de Bono nach Eritrea entsandt wurde, um die entsprechenden Maßnahmen – die Schaffung einer entsprechenden Infrastruktur, die Erhöhung der einheimischen Streitkräfte auf 60.000 Mann und den Start einer Zersetzungskampagne zur Demotivierung abessinischer Verbände – in die Wege zu leiten. Im Herbst 1935 waren nach der Verlegung 343 Shirer  : Das Jahrzehnt des Unheils. S. 142f. 344 Hans Woller  : Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert. – München 2010. S. 142. 345 Wolfgang Reinhard  : Die Unterwerfung der Welt. Globalgeschichte der europäischen Expansion 1415–2015. – München 2016. S. 958ff.

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starker Einheiten von Armee und Luftwaffe nach Eritrea weitgehend abgeschlossen. Auch der diplomatische Flankenschutz schien gesichert, nachdem Frankreich mit Blick auf die Bedeutung Italiens für die europäische Sicherheit durch Außenminister Pierre Laval sein Einverständnis signalisiert und auch der britische Premierminister Ramsay MacDonald gegenüber dem italienischen Botschafter in London, Dino Grandi, angedeutet hatte, dass man keine Einwände erheben werde. Beiden gegenüber hatte Mussolini unverhohlen gedroht, Italien werde sich von seinem Vorhaben nicht abbringen lassen und gegebenenfalls auch aus dem Völkerbund austreten. Die Haltung Großbritanniens änderte sich jedoch knapp vor dem Sommer 1935 unter dem Druck der Bekanntgabe des Ergebnisses einer Volksbefragung, die von Lord Cecils einflussreicher »Union des Völkerbundes« initiiert worden war und in der sich über 10 Millionen Briten, d. h. rund 50 Prozent der britischen Wählerschaft, für die Verhängung von wirtschaftlichen Sanktionen gegen einen die Integrität eines Mitgliedsstaates des Völkerbundes verletzenden Aggressor ausgesprochen hatte. Die soeben ins Amte gekommene neue britische Regierung unter Stanley Baldwin konnte dieses Ergebnis nicht einfach ignorieren und war daher um einen Kompromiss bemüht, den Anthony Eden, Minister ohne Portefeuille und zuständig für Fragen des Völkerbundes, im Juni Mussolini in Rom offerierte. Mussolini lehnte mit dem Satz, er sei schließlich kein Wüsten-Sammler, die ihm als Kompensation angebotenen Gebiete ab.346 Mussolini war im Sommer 1935 zu der Auffassung gelangt, er dürfe in der Verfolgung seiner Abessinien-Pläne keine Zeit verlieren, da sich die politische Lage in Europa durch die sanktionslose Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht durch Hitler am 16. März und das am 18. Juni unterzeichnete britisch-deutsche Flottenabkommen grundlegend ändere. Großbritannien und Frankreich seien letztlich zahnlose Tiger, verfolgten zudem ihre jeweils eigenen Interessen und würden wegen Abessinien sicherlich keine Völkerbundsanktionen befürworten, geschweige denn einen Krieg führen. Tatsächlich waren die Außenminister Sir Samuel Hoare und Pierre Laval bemüht, angesichts der auf eine Entscheidung zutreibenden Situation beim Völkerbund eine Lösung zu finden, wobei vor allem Laval eine direkte Konfrontation mit Italien und damit das endgültige Auseinanderbrechen der Stresa-Front verhindern wollte. Hoare und Laval stimmten darin überein, dass ein wirtschaftlicher Druck seitens des Völkerbundes gegenüber Italien nur sehr zurückhaltend ausgeübt werden dürfe, um Mussolini nicht in die Arme Hitlers zu treiben. Als gewichtiges Argument diente der Hinweis, dass das Deutsche Reich inzwischen zum wichtigsten Handelspartner Italiens geworden war. Das Deutsche Reich war der größte Absatzmarkt italienischer Exportgüter und aus keinem anderen Land wurden so viele Waren und Rohstoffe importiert – selbst in der für Italien so wichtigen Koh346 Richard Collier  : Mussolini. Aufstieg und Fall des Duce. – München 1983. S. 124ff.

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leversorgung hatte das Deutsche Reich bereits einen größeren Anteil als Großbritannien, das noch 1932 rund zwei Drittel der italienischen Importe bestritten hatte. Militärische Sanktionen oder die Sperre des Suezkanals, die das italienische Unternehmen sofort zum Scheitern verurteilt hätten, wurden deshalb ausgeschlossen. Obwohl der Völkerbund am 11. September nach einer Rede Hoares eine deutliche Warnung an Italien gerichtet hatte, ließ sich Mussolini in seinem Vorhaben nicht beirren und befahl am 3. Oktober den Angriff auf Abessinien. Ein Verzicht auf das bereits mit erheblichem Aufwand vorbereitete Unternehmen kam für Mussolini vor allem aus zwei Gründen nicht mehr in Frage  : Die außenpolitische Situation schien günstig und die Erwartungshaltung der durch Propaganda präparierten italienischen Öffentlichkeit, nicht nur der faschistischen Parteigänger, war enorm. Dieser nicht zu entsprechen, hätte einen erheblichen Prestigeverlust des Regimes und vor allem Mussolinis als des zum nationalen Heilsbringer stilisierten politischen Idols bedeutet. Wenngleich Laval nach wie vor vor einem Vorgehen gegen Italien zurückschreckte, geriet die englische Regierung unter den Druck der öffentlichen Meinung, die sich für energische Sanktionen des Völkerbundes aussprach und deren vehementester Befürworter Sir Winston Churchill war, der im Unterhaus von einer »heiligen Pflicht« sprach, sich für den Völkerbund zu engagieren, »der Herrschaft des Rechts in den zwischenstaatlichen Beziehungen wieder zum Durchbruch zu verhelfen und die ungeheure Gefahr eines neuen Weltenbrandes zu bannen.«347 Es war die britische Regierung, die den Mechanismus des Völkerbundes in Kraft setzte, dabei jedoch zurückhaltend agierte, um eine militärische Niederlage Italiens und damit dessen drohende Annäherung an das Deutsche Reich zu vermeiden. Am 11. Oktober billigte die Vollversammlung mit nur drei Gegenstimmen die Verhängung von Sanktionen, d. h. der Aufforderung an seine Mitglieder, keine kriegswichtigen Güter an Italien, vor allem Öl, zu liefern. Als Signatarstaaten der Römischen Protokolle waren Österreich und Ungarn gezwungen, die vom Völkerbund verhängten Sanktionen zu boykottieren. Am 4. Oktober 1935 gab Außenminister Egon Berger von Waldenegg an den österreichischen Gesandten in London, Georg Franckenstein, eine Instruktion über ein Gespräch mit dem britischen Botschafter in Wien, Sir Walford Selby, der zur Berichterstattung nach London reiste. Großbritannien müsse bezüglich der Einstellung Österreichs zu den Völkerbundsanktionen »vor allem zwei Tatsachen bedenken und zwar einerseits unsere vertragliche Bindung gegenüber Italien durch die Römer Protokolle ex 1934, andererseits unsere geografisch-wirtschaftliche Lage. Hinsichtlich Letzterer müsse er darauf hinweisen, dass Österreich nur Italien gegenüber eine aktive Handelsbilanz und einen auch dem Umfange nach zunehmenden Handelsverkehr aufweise, ferner dass der österreichische Export in mehreren wichtigen Artikeln auf den 347 Ivone Kirkpatrick  : Mussolini. – Frankfurt am Main/Berlin 1997. S. 296f.

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italienischen Absatz angewiesen sei, zumal Deutschland die österreichische Ausfuhr in dieses Land ununterbrochen einschränke. Wenn daher Österreich zu wirtschaftlichen Sanktionen gezwungen würde, die es von Italien vollkommen abschnitten, würde zwangsläufig die Gefahr eintreten, dass Österreich sich notgedrungen in Berlin Rettung suchen müsste.«348 Die letztlich inkonsequente Durchführung der Sanktionen, vor allem des Ölembargos, offenbarten jedoch die unterschiedlichen Positionen Frankreichs und Großbritanniens, sodass es de facto zu keinem Ölembargo kam und Mussolini die Zeit gab, den Krieg in Abessinien zu beenden. Am 5. Mai 1936 eroberten die Italiener Addis Abeba,349 vier Tage später verkündete Mussolini vom Balkon des Palazzo Venezia einer jubelnden Menge die Annexion Abessiniens und den neuen Titel des italienischen Königs  : Kaiser von Abessinien. Die Schmach von Adua war getilgt, Mussolini sonnte sich in den »Du-ce, Du-ce«-Rufen und genoss die offensichtliche Begeisterung und Bewunderung des italienischen Volkes. Nun hatte er, so schien es, mit Hitler gleichgezogen. Diesen hatte nach der unter Verletzung des Versailler Vertrages erfolgten Besetzung der entmilitarisierten Zone des Rheinlandes am 7. März 1936 eine Woge der nationalen Begeisterung, die auch jene Kreise erfasste, die dem Nationalsozialismus skeptisch bis distanziert gegenüberstanden, zum nationalen Heiland stilisiert. Hitler und Mussolini, denen ihre Bewunderer schon seit den Zwanzigerjahren das Gefühl der Auserwähltheit und messianischen Sendung vermittelt hatten, sahen sich angesichts der Erfolge und der jubelnden Massen in diesem Nimbus bestätigt. Spätestens ab diesem Zeitpunkt waren sie auch selbst von dem um sie inszenierten Führerkult und der Hybris um ihre Person zutiefst überzeugt. Die Folgen des Abessinienkonflikts und der ungestraften Verstöße Hitlers gegen die Versailler Friedensordnung sowie den Locarno-Pakt waren erheblich. Sie hatten nicht nur das Entstehen der Achse Berlin-Rom und damit den Verlust der italienischen Rückendeckung für Österreich zur Folge, sondern verstärkten bei Hitler auch die Auffassung seiner politischen Unfehlbarkeit und seine nunmehr gesteigerte Bereitschaft, seine expansionistischen Pläne ohne besondere Rücksichtnahme auf die europäischen Mächte in die Tat umzusetzen. Mussolini hatte am 26. Mai 1935 den italienischen Botschafter in Berlin, Vittorio Cerruti, aufgefordert, dem deutschen Außenminister Konstantin von Neurath und auch Hitler klarzumachen  : »Die Haltung der europäischen Mächte uns gegen-

348 ADÖ 10/1563. 349 Zum Abessinienkrieg vgl. Michael Funke  : Sanktionen und Kanonen. Hitler, Mussolini und der internationale Abessinienkonflikt 1934–1936. – Düsseldorf 1970  ; Aram Mattioli  : Experimentierfeld der Gewalt. Der Abessinienkonflikt und seine internationale Bedeutung. – Zürich 2005  ; Giulia Brogini Künzi  : Italien und der Abessinienkrieg 1935/36. Kolonialkrieg oder Totaler Krieg  ? – Paderborn 2006.

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über in der abessinischen Frage wird für die Freundschaft oder Feindschaft Italiens entscheidend sein.«350 In Berlin wurde die Entwicklung der Beziehungen zwischen Rom und Paris bzw. London sehr genau beobachtet, wobei mit zunehmender Zufriedenheit die schrittweise Entfremdung der einstigen Partner in der Stresa-Front zur Kenntnis genommen wurde, bot sich doch damit eine Möglichkeit, durch eine vorbehaltlose Anerkennung der italienischen Expansion in Ostafrika die bisher angespannten Beziehungen zu Rom grundlegend zu verbessern. Am 4. Oktober notierte William L. Shirer nach Gesprächen mit Regierungs- und Parteifunktionären in der Wilhelmstraße in sein Tagebuch  : »In der Wilhelmstraße ist man begeistert. Entweder stolpert Mussolini und muss sich in Afrika so stark engagieren, dass er in Europa geschwächt ist – dann kann Hitler in das bisher vom Duce geschützte Österreich einmarschieren  ; oder er setzt sich gegenüber Frankreich und Großbritannien (die nach Sanktionen des Völkerbundes rufen) durch und ist dann für ein Bündnis mit Hitler gegen die westlichen Demokratien interessant. Hitler hat so oder so den Vorteil davon.«351 Von erheblicher Bedeutung wurde im Vorfeld und im Laufe des Abessinienkrieges eine folgenschwere Veränderung in der personellen Konstellation der italienischen Außenpolitik  : der dem Nationalsozialismus und der deutschen Außenpolitik äußerst kritisch gegenüberstehende Vittorio Cerruti wechselte am 26. Juni 1935 auf den Botschafterposten in Paris, nachdem das Auswärtige Amt und die Reichskanzlei bereits mehrmals ihre Unzufriedenheit mit dem diplomatischen Vertreter Italiens zum Ausdruck gebracht hatten. Ihm folgte der dem NS-Regime wesentlich freundlicher gesonnene Bernardo Attolico, der kein Wort Deutsch sprach. Bei der Überreichung seines Beglaubigungsschreibens betonte er auf Anweisung Mussolinis Hitler gegenüber die außergewöhnliche Bedeutung der italienisch-deutschen Beziehungen für das Gleichgewicht unter den Nationen und gab einer Hoffnung Ausdruck gab, dass sie dies in Zukunft in noch höherem Ausmaß haben werden. Attolico analysierte die deutsche Außenpolitik emotionslos und war überzeugt, dass das nationalsozialistische Deutschland mit seiner abschreckenden militärischen Stärke zum wesentlichen Spieler auf dem europäischen Kontinent werde. Schon jetzt wage niemand es anzugreifen, weshalb es in der Isolation verharren und sich dies auch leisten könne, da es diese Zeit nutze, um aufzurüsten. Anders als sein Vorgänger sah er diese Entwicklung jedoch nicht als beunruhigend an, im Gegenteil, sie nütze Italien. Die neue deutsche Gefahr verhindere eine neuerliche Verfestigung des Versailler Systems und trage wesentlich dazu bei, die machtpolitische Frage in Europa in Bewegung zu halten. Je mehr London und Paris mit Berlin beschäftigt seien, desto mehr Raum erhalte Italien, seine außenpolitischen Ziele auf dem Balkan und in Afrika zu verfolgen.

350 Falanga  : Mussolinis Vorposten in Hitlers Reich. S. 62. 351 Shirer  : Das Jahrzehnt des Unheils. S. 147.

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Eine wesentliche Verbesserung der Beziehungen zum Deutschen Reich sei daher aus diesem Grunde wünschenswert.352 Die von Hitler vor dem Hintergrund des sich verschärfenden Abessinienkonflikts auf dem Reichsparteitag in Nürnberg erklärte wohlwollende Neutralität des Deutschen Reiches zugunsten Italiens wurde nach dem Beginn des Krieges eingehalten. Hitler erklärte sogar offen, ein militärisches Debakel Italiens in Abessinien, das die Stabilität des Regimes gefährden könne, sei nicht im Interesse des Reiches. Attolico arbeitete unermüdlich an einer Verbesserung der Beziehungen zum Deutschen Reich, unterstützt vom Schwiegersohn Mussolinis, Graf Galeazzo Ciano, dem Propagandaminister des Regimes, der in deutlichem Gegensatz zur deutschfeindlichen Linie des italienischen Außenministeriums um Staatssekretär Fulvio Suvich und Kabinettschef Baron Pompeo Aloisi stand. Ciano vertrat das Konzept einer »Faschisierung« der italienischen Außenpolitik, d. h. der Aufgabe der traditionellen Schaukelpolitik zwischen den Mächten, der Beseitigung der liberal-konservativen Denkschule des Palazzo Chigi durch faschistische Kader sowie der Verfolgung einer expansiven Außenpolitik mit dem Ziel einer politischen Neuordnung Europas. Als die italienische Armee in Abessinien zur Jahreswende 1935/36 in Schwierigkeiten geriet, war Mussolini unter dem Einfluss Attolicos und Cianos bemüht, durch eine Verbesserung der italienisch-deutschen Beziehungen die gefährdete Position Roms in Europa zu festigen. Am 6. Jänner 1936 erklärte er gegenüber dem deutschen Botschafter in Rom, Ulrich von Hassell, die bilateralen Beziehungen zwischen beiden Staaten sollten verbessert und der einzig wirkliche Streitfall, nämlich das österreichische Problem, ausgeräumt werden. Da Berlin mehrfach erklärt habe, die Unabhängigkeit Österreichs nicht anzutasten, sei es wohl der einfachste Weg, wenn Berlin und Wien ihr Verhältnis selber in Ordnung brächten, sei dies in Form eines Freundschafts- oder Nichtangriffspaktes. Er habe nichts dagegen, dass dadurch Öster­reich, wenn auch offiziell unabhängig, in das Kielwasser der deutschen Außenpolitik gezogen und praktisch ein Satellit Berlins würde. Der Weg zur Achse Berlin-Rom war damit geöffnet und endgültig im Mai 1936 mit der Ernennung Cianos zum neuen italienischen Außenminister beschritten. Gleichzeitig zogen mit ihm seine engen Mitstreiter Filippo Anfuso, Dino Alfieri und Guiseppe Bastianini, die Fulvio Suvich und Pompeo Aloisi verdrängten, in den Palazzo Chigi ein.353 Auch in 352 Falanga. S 69. 353 Erich Kuby  : Verrat auf deutsch. Wie das Dritte Reich Italien ruinierte. – Hamburg 1982. S. 63. Dass die österreichische Bundesregierung ein solches Szenario zumindest erwog und von dessen Eintreten schließlich keineswegs völlig überrascht wurde, geht aus der Diskussion im Ministerrat am Vorabend des Ausbruchs des Abessinienkrieges hervor, in dem Minister Odo Neustädter Stürmer am 18. September 1935 den Wunsch in Richtung Außenminister Egon Berger-Waldenegg aussprach, über die Kräftekonstellation informiert zu werden. »Der italienische Ministerpräsident Mussolini habe sich angeblich dahin geäußert, Italien könne, falls gegen diesen Staat Sanktionen angewendet

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der italienischen Botschaft in Wien kam es zu einem folgenschweren personellen Revirement. Gabriele Preziosi, der Hitlers Friedensrede am 21. Mai 1935, in der er die Achtung der österreichischen Unabhängigkeit und Souveränität verkündete, noch mit dem sarkastischen Kommentar, der deutsche Reichskanzler sei »Il piu gran bugiardo del mondo« (Der größte Lügner der Welt) begleitet hatte, wurde von dem deutschfreundlichen Francesco Salata abgelöst. Dies war mehr als ein bloß übliches personelles Revirement im Rahmen des diplomatischen Dienstes, sondern ein Politikwechsel zulasten Österreichs.354 Der Preis, den Italien für seinen Kurswechsel zu zahlen bereit war, war Österreich. Die österreichische Bundesregierung war in der Abessinienkrise an der Seite Italiens gestanden und hatte als Ergebnis einer realistischen wirtschafts-, außen- und sicherheitspolitischen Analyse von der Teilnahme an den Völkerbundsanktionen Abstand genommen. Die immer wieder geäußerte Behauptung, dass man sich dadurch der internationalen Solidarität in folgenden Krisenzeiten begeben hätte, trifft nicht zu, da weder Großbritannien noch Frankreich bereit waren, sich wegen der Unabhängigkeit Österreichs militärisch zu engagieren. Im Falle einer Teilnahme an den ohnedies halbherzigen Sanktionen des Völkerbundes, die zudem aufgrund der Verzögerungstaktik Frankreichs weitgehend ohne Wirkung blieben, hatte Österreich nichts zu gewinnen, sondern alles zu verlieren, nämlich Italien als wichtigen Handelspartner für das von der Wirtschaftskrise nach wie vor schwer gezeichnete Land und dessen sicherheitspolitische Rückendeckung gegenüber dem Deutschen Reich. Auf dem Ballhausplatz setzte man daher nach wie vor auf Italien, das allerdings bereits ab Jahresbeginn 1936 ein doppeltes Spiel begann, indem es einerseits die Kontakte nach Berlin intensivierte und andererseits Wien seiner unverbrüchlichen Treue versicherte. So erklärte Unterstaatssekretär Fulvio Suvich am 18. Februar 1936 gegenüber dem österreichischen Außenminister Egon Berger-Waldenegg, »er lege größten Wert darauf, mich zu versichern, dass sich in den freundschaftlichen und aufrichtigen Gefühlen Italiens gegenüber Österreich nicht das Geringste geändert habe. Wenn Italien in letzter Zeit Demonstrationen dieser Freundschaft nach außen hin vermieden hat, so sei dies in Österreichs Interesse geschehen. Er möchte auch besonders betonen, dass die Freundschaft Italiens auch in der Anschlussfrage würden, in eine Richtung gezwungen werden, die mit einem geänderten Kurs hinsichtlich der Lösung der weltbeherrschenden Probleme verbunden sein könnte. Es ergebe sich die Frage, nach welcher Seite sich Italien wenden würde.« Außenminister Egon Berger-Waldenegg antwortete, bei solchen Entscheidungen seien »immer nur die bestehenden Interessen« maßgebend. »Wenn es wirklich zu einem neuerlichen Weltkrieg käme, würde das Kollektivsystem im europäischen Staatenleben ein Ende finden und einem System der neuen Allianzen Platz machen. Dass Ministerpräsident Mussolini eine allfällige Hinneigung Italiens zu Deutschland habe andeuten wollen, sei klar.« (MRP 1008/6.) 354 Friedrich Funder  : Als Österreich den Sturm bestand. Aus der Ersten in die Zweite Republik. – Wien/ München 1957. S. 244.

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eine absolut unveränderte sei. Für Italien gebe es keine Regelung des Verhältnisses mit Deutschland ohne eine Garantie der Unabhängigkeit und Integrität Österreichs. Wir könnten uns in jeder Hinsicht auf Italien verlassen.«355 Suvich, der Vertreter einer an den Westmächten orientierten Außenpolitik Italiens und damit Widerpart zur faschistischen Garde um Graf Ciano, dessen politische Ambitionen auf die Bildung eines faschistischen Blocks in Europa zielten, hatte vier Monate später, als Bundeskanzler Schuschnigg Mussolini am 5. Juni 1936 in Rocca delle Caminate traf, den Machtkampf zugunsten seines Widersachers verloren. Hatte Mussolini noch am 15. Mai dem österreichischen Gesandten in Rom, Alois Vollgruber, versichert, »was die Politik anlange, so werde sich an der Haltung Italiens Österreich gegenüber auch in Hinkunft nichts ändern, sie werde absolut die gleiche bleiben«,356 so fügte er in Rocca delle Caminate dieser Versicherung deutliche Einschränkungen hinzu. In dem als Zirkularerlass an die österreichischen Botschaften in Belgrad, Berlin, Budapest, Bukarest, Genf, London, Paris, Prag und Rom herausgegebenen Amtsvermerk über die Besprechung wurde festgehalten, dass Mussolini im Laufe der Konversation »dem Herrn Bundeskanzler gegenüber die dezidierte Versicherung abgegeben« habe, »dass wie immer sich die zukünftige Entwicklung der Dinge in Europa gestalten möge, an der grundsätzlichen Einstellung Italiens hinsichtlich Österreichs und an der Verbundenheit zwischen den beiden Staaten im Rahmen des römischen Paktes sich nichts ändern kann und nichts ändern wird. Auf die Frage des Herrn Bundeskanzlers, ob Italien, wenn ein modus vivendi zwischen Österreich und Deutschland zustande käme, dies begrüßen würde oder ob Italien in einem solchen Falle eine Änderung seiner Politik Österreich gegenüber vornehmen würde, antwortete Herr Mussolini, dass, wenn es gelänge, einen ­solchen modus vivendi zwischen Österreich und Deutschland zu erreichen, dies von Italien sehr begrüßt werden würde, dass aber, ob nun ein solcher modus vivendi zustande kommt oder nicht, dies für die Beziehungen Italiens zu Österreich vollkommen gleichgültig wäre. Österreich könne sich unter allen Umständen auf Italien verlassen. (…) Bezüglich des Verhältnisses zu Deutschland äußerte sich Herr Mussolini dahin, dass Italien und Deutschland gegenseitig ins Gespräch zu kommen suchen und dass sich beide Staaten freundlich gegenüberstehen.«357 Diese Einschränkungen wurden ob ihrer beunruhigenden sicherheitspolitischen Folgen von der österreichischen Außenpolitik sehr genau registriert358 und bestärk355 ADÖ 10/1582. 356 ADÖ 10/1621. 357 ADÖ 10/1627. 358 Egon und Heinrich Berger von Waldenegg  : Biographie im Spiegel. Die Memoiren zweier Generationen. – Wien/Köln/Weimar 1998. S. 457ff.

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ten die Regierung Schuschnigg in ihrem Entschluss, angesichts der geänderten außenpolitischen Situation einen Ausgleich mit den gemäßigten Kräften der Nationalsozialisten mit dem doppelten Ziel einer Entspannung der innenpolitischen Lage und einer Verbesserung der Beziehungen zum Deutschen Reich zu suchen.

12. Die Suche nach einem innen- und außenpolitischen Modus Vivendi Die Aktion Reinthaller

Nach dem missglückten Putsch der österreichischen Nationalsozialisten am 25. Juli 1934 stellte Staatssekretär Bernhard Wilhelm von Bülow fest, die ausländische Presse, vor allem die italienische, habe »geradezu einen konzentrischen Angriff gegen Deutschland eröffnet, dem die Verantwortung für diese Terrorakte zugeschrieben wird.« Deutscherseits habe man sich aber auf den Standpunkt gestellt, dass es sich dabei um eine innerösterreichische Auseinandersetzung handle und dass die Regierung Dollfuß selber an dieser schuld sei. Angesichts der heftigen internationalen Reaktionen »muss unbedingt alles vermieden werden, was der Regierung oder der Parteileitung als völkerrechtswidrige Einmischung in die Angelegenheiten des Nachbarlandes zur Last gelegt werden könnte.«359 Aus Rom berichtete der deutsche Botschafter Ulrich von Hassell am 8. August  : »Im Außenministerium begegnet man selbst bei ausgesprochen deutschfreundlichen Persönlichkeiten stärkstem Pessimismus hinsichtlich der Entwicklung der deutsch-italienischen Beziehungen, und der auch bisher schon starke, für eine umfassende Verständigung mit Frankreich eintretende Kreis gewinnt ständig an Boden.«360 Infolge der durch den gescheiterten Putsch der österreichischen NSDAP entstandenen internationalen Reaktionen entschloss sich Hitler, der die Angelegenheit Öster­ reich der österreichischen Landesleitung unter Theo Habicht weitgehend überlassen hatte, die Fäden selber in die Hand zu nehmen und durch ein entschlossenes Handeln einen Neubeginn in die Wege zu leiten. Zu sehr bedrohte die internationale Erregung seine Pläne bezüglich der Ost- und Südosteuropapolitik und Wiederaufrüstung, zu sehr hatte sich der von der deutschen Regierung aufgebaute ökonomische Druck und die vor allem von Habicht vertretene Konzeption, die illegale österreichische NSDAP als gewaltsamen Hebel für den Anschluss zu verwenden, aufgrund der Widerstandsfähigkeit des österreichischen Regimes als Fehler erwiesen. Die von der österreichischen NSDAP betriebene terroristische und putschartige Vorgehensweise bewegte sich auf revolutionärem Terrain, das zwar dem gewaltsamen Aktionismus der SA entsprach, jedoch vom Auswärtigen Amt, das eine evolutionäre Politik befürwortete, als kontraproduktiv betrachtet wurde. Zu den Wortführern einer evolutionären Politik gehörte auch Vizekanzler Franz von 359 ADAP Serie C. Bd. III/1. S. 233f. 360 Ebda. S. 293.

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Papen,361 der als politischer Wortführer von einflussreichen Kreisen der Industrie, der Ministerialbürokratie und der Reichswehr fungierte und in Hermann Göring, der eine wichtige Vermittlerposition zwischen traditionellen Eliten und Hitler einnahm, einen Verbün­deten hatte. Die Anschlussfrage, so ihr Credo, sollte nicht mit Brachialgewalt, sondern flexibel und evolutionär, abgestimmt auf die jeweiligen außenpolitischen Rahmenbedingungen und ohne Gefährdung der expansionistischen Pläne vor allem in Südosteuropa, verfolgt werden. Das von Papen, Göring, dem Auswärtigen Amt und der Reichswehrführung vertretene Konzept eines evolutionären Weges sah die Herauslösung der österreichischen Frage aus dem System der internationalen Beziehungen, vor allem der Sicherung der Nachkriegsordnung, mit diplomatischen Mitteln vor mit dem Ziel, die österreichisch-deutschen Beziehungen auf den Status eines bilateralen Problems zu reduzieren und damit Österreich außenpolitisch zu isolieren. In weiterer Folge sollte ein völkerrechtlich verbindender Vertrag die bilate­ralen Beziehungen regeln und das Tor zur deutschen Einflussnahme öffnen, um schließlich durch geschicktes Agieren im Inneren die Kräfte der sog. »nationalen Opposition« zu stärken und über den Weg einer Regierungsbeteiligung die Gleichschaltung und schließlich den Anschluss zu erreichen.362 Hitler, der sich während des Putsches in Bayreuth aufhielt, griff noch in der Nacht zum 26. Juli zum Telefon, um Franz von Papen zusammen mit Hermann Göring, Konstantin von Neurath und Joseph Goebbels zu einer Lagebesprechung zu laden, in deren Verlauf er Papen die Position des deutschen Gesandten in Wien anbot mit der Aufgabe, die Wogen der Erregung zu glätten und den Weg für einen Anschluss auf evolutionärem Weg zu ebnen. Papen nahm an, stellte jedoch Bedingungen, die in 361 Franz von Papen (1879–1969) war 1913 bis 1915 deutscher Militärattaché in den USA und Mexiko, anschließend als Major im Osmanischen Reich tätig und Stabschef einer Armeegruppe in Palästina, 1921 bis 1932 Mitglied des preußischen Landtages, vom 1.6. bis 7.11.1932 deutscher Reichskanzler, vom 20.7 bis 3.12.1932 Reichskommissar für Preußen, vom 30.1.1933 bis 7.8.1934 Vizekanzler, ab Juli 1933 Bevollmächtigter für die Saarfrage, vom 8.8.1934 bis 14.2.1939 a. o. Gesandter und bevollmächtigter Minister Deutschlands in Wien, von April 1939 bis Anfang August 1944 Botschafter in Ankara. Im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher wurde er angeklagt, aber in allen Punkten freigesprochen, allerdings am 24.2.1947 im Zuge eines Entnazifizierungsverfahrens von einer Spruchkammer als Hauptschuldiger zu acht Jahren Arbeitslager verurteilt. Papen verfasste Memoiren als Rechtfertigungsliteratur. Vgl. Franz von Papen  : Der Wahrheit eine Gasse. – München 1952  ; ders.: Vom Scheitern einer Demokratie. – Mainz 1968. Zur historischen Analyse vgl. Franz Müller  : Ein »Reichskatholik« zwischen Kreuz und Hakenkreuz. Franz von Papen als Sonderbevollmächtigter Hitlers in Wien 1934–1938. – Frankfurt am Main/Bern/ New York/Paris 1990  ; Klaus Neumann  : Franz von Papen – Der »Steigbügelhalter« Hitlers. – Münster 1991  ; Rainer Möckelmann  : Franz von Papen. Hitlers ewiger Vasall. – Darmstadt 2016. 362 Franz Müller  : Gemeinsam oder getrennt zum »Neubau in Mitteleuropa«  ? Das »Dritte Reich« im Kampf gegen den »Ständestaat« 1933–1938. – In  : Gehler, Schmidt, Brandt, Steininger (Hg.)  : Ungleiche Partner  ? S.  481–496. S. 489.

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Zukunft eine einheitliche Österreichpolitik garantieren sollten. Als »Sondergesandter in besonderer Mission« war er nur Hitler unterstellt und hatte ein Höchstmaß an Handlungsfreiheit und -kompetenz. Am 8. August 1934 erfolgte eine entsprechende Anordnung Hitlers an die Reichsminister Hess und Goebbels, an den Gesandten Papen und die Gestapo, in der im Sinne der Gewährleistung einer gewünschten einheitlichen Politik befohlen wurde, »dass künftig weder Parteistellen noch andere Seiten Fragen, welche die deutsch-österreichische Politik berühren, im Rundfunk oder in der Presse behandelt werden dürfen, ohne dass zuvor eine Einigung darüber zwischen dem Herrn Propagandaminister und dem derzeitigen Gesandten in Wien, Herrn von Papen, erzielt ist. Insbesondere verbiete ich, dass Parteistellen von sich aus zu solchen Fragen Stellung nehmen.«363 Am 19. August folgte die Anordnung, den für permanente diplomatische Irritationen verantwortlichen »Kampfring der Österreicher im Reiche« in einen »Hilfsbund« umzuwandeln, der sich jeder politischen Einmischung in innerösterreichische Verhältnisse zu enthalten und ausschließlich der »kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Fürsorge für seine Mitglieder« zu widmen habe.364 Theo Habicht wurde als Landesleiter der österreichischen NSDAP abberufen und die österreichische Partei war nicht mehr Teil der Gesamtpartei. Am 21. August 1934 schrieb Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess an den Wiener Gauleiter Alfred Eduard Frauenfeld, dass sich die deutsche Partei auf ausdrücklichen Befehl Hitlers nicht mit der österreichischen Partei befassen dürfe. Dasselbe gelte bei Androhung schwerster Strafe auch für die in Deutschland sich befindenden österreichischen Nationalsozialisten. »Es ist einzig und allein Sache der in Österreich befindlichen Nationalsozialisten, ob und in welcher Form sie eine rein österreichische NSDAP neu aufbauen wollen.«365 Offiziell wurde auch die österreichische Legion, die immer wieder Gegenstand diplomatischer Interventionen Österreichs in Berlin war, aufgelöst und in die unter der Leitung von Hermann Reschny stehende karitative Organisation »Hilfswerk Nordwest« umgewandelt. Wenngleich der Chef des Wehrmachtsamtes, Oberst Walter von Reichenau, Anfang August 1934 die Weisung erhielt, die österreichische Legion aufzulösen und in das Hilfswerk Nordwest umzuwandeln,366 so teilte der Sonderbeauftragte für Österreich des Stabschefs der SA, SA-Oberführer Löwe, bereits wenige Wochen später dem Auswärtigen Amt mit, dass Hitler keine definitive Auflösung der österreichischen Legion wünsche, »sie solle vielmehr in kleineren Trupps von 5-600 Mann nach Norddeutschland verlegt und in einer Art von Arbeitsdienstlagern getarnt werden.« Auch »eine Auflösung der Obergruppe XI (Reschny), die sich nunmehr SA-Gruppe Österreich nenne, sei 363 AdRK. Die Regierung Hitler. Bd. II/1. S. 2. 364 Ebda. S. 26. 365 ADAP Serie C. Bd. III/1. S. 342. 366 Ebda. S. 273, S. 285f. und S. 305f.

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nicht geplant.«367 Um die Situation an der deutsch-österreichischen Grenze zu entspannen, wurden die deutschen Grenzbehörden angewiesen, den Schmuggel von Munition und Sprengstoff nach Österreich zu unterbinden. Hatte man seitens der deutschen Politik deutliche Zeichen der Entspannung gesetzt, so war der neue Sondergesandte von der freundlichen Stimmung erstaunt, die er anlässlich seines ersten Gesprächs mit Bundeskanzler Schuschnigg feststellte, der ihm erklärte, für ihn seien die Akten des 25. Juli geschlossen. Er wünsche keine Fortführung des »Bruderkampfes« und stehe einem Ausgleich mit Berlin durchaus aufgeschlossen gegenüber.368 Dennoch wagte der großdeutsch und legitimistisch geprägte Schuschnigg noch keinen Schritt in diese Richtung. Papen erkannte jedoch sehr bald die unterschiedlichen Auffassungen im österreichischen Katholizismus gegenüber dem Nationalsozialismus369 sowie die Spannungen zwischen den Exponenten der ehemaligen Christlichsozialen und der Heimwehr. So wurde dieser Konflikt bei einer Veranstaltung des Linzer Heimatschutzes in den städtischen Volksgartensälen am 27. März 1935 offen angesprochen. Heimwehrführer Heinrich Wenninger wetterte gegen die »schwarzen klerikalen Demokraten«, die die Vaterländische Front für sich zu vereinnahmen bestrebt seien und den Heimatschutz systematisch ausschalten wollten. »Wir merken es schon lange, wie sich aus den verborgenen Winkeln und Löchern, in die sich die alten Demokraten flüchteten, als rot und braun Trumpf war, diese Leute wieder hervorwagen. (…) Wenn es sich um Stellenbesetzungen handelt, dann gilt vielfach jeder ehemalige Schutzbündler mehr als ein Heimatschützer. Anstatt dieser verhassten Heimatschützer trachtet man überall Leute an die Führung zu bringen, die willfährige Werk-

367 Ebda. S. 359. 368 Ebda. S. 451. 369 Der österreichische Katholizismus vertrat allerdings gegenüber dem Nationalsozialismus keineswegs eine einheitliche und geschlossene Position. Die Palette der Meinungen reichte von strikter Ablehnung jedes Ausgleichs durch konservativ-legitimistische Gruppierungen, wie sie sich um den von Dietrich von Hildebrand herausgegebenen »Christlichen Ständestaat« sammelten, über Befürworter eines Ausgleichs mit der Sozialdemokratie in Form einer antinationalsozialistischen Volksfront wie Ernst Karl Winter und dessen »Wiener Politische Blätter« bis zu den Brückenbauern nach rechts, die sich um die Zeitschrift »Schönere Zukunft« um den Journalisten Joseph Eberle und den Wiener Pastoraltheologen Michael Pfliegler, Bischof Alois Hudal und die Gruppe der Katholisch-Nationalen um Edmund Glaise-Horstenau, Oswald Menghin, Wilhelm Wolf und Arthur Seyss-Inquart sammelten. Vgl. dazu Heinz  : Ernst Karl Winter  ; Maximilian Liebmann  : Theodor Innitzer und der Anschluss. Österreichs Kirche 1938. – Graz/Wien/Köln 1988. S. 43ff.; ders.: Bischof Hudal und der Nationalsozialismus – Rom und die Steiermark. – In  : ders.: Kirche in Gesellschaft und Politik. Von der Reformation bis zur Gegenwart. Festgabe für Maximilian Liebmann zum 65. Geburtstag. Herausgegeben von Michael Kronthaler, Rudolf Zinnhobler, Dieter A. Binder. – Graz 1999. S. 260–272  ; Erika Weinzierl  : Prüfstand. Österreichs Katholiken und der Nationalsozialismus. – St. Gabriel 1988. S. 63ff.

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zeuge in der Hand der alten Demokraten sind.«370 Im Gegenzug registrierte der Nachrichtendienst der »Christlichsozialen Pressezentrale« im April 1935 mit Blick auf die Heimwehr, dass sich »seit geraumer Zeit (…) in Österreich gewisse Unruhe­ momente bemerkbar« machen, »die sich nach der ganzen äußeren Form als eine Aktion erweisen, die von einer zentralen Stelle ausgeht, um eine Änderung des innenpolitischen Kräfteverhältnisses nach einer bestimmten Richtung zu erzwingen. Der Angriff richtet sich (…) vor allem gegen den sog. ›Klerikalismus‹ sowie den österreichischen Bauernbund.«371 Die bei Heimwehrveranstaltungen in Niederösterreich, Linz, Salzburg und Wien deutlich gewordenen Attacken seien Ausdruck eines Systems, das das Land in einen »totalen faschistischen Staat« umwandeln und damit in »ungeheure Wirren stürzen« will, aber damit »unermessliches Unheil über unser Vaterland« bringe.372 Und Papen registrierte die massiven Bestrebungen der unter der Wirtschaftskrise leidenden österreichischen Industrie, die darauf drängte, einen Ausgleich mit dem Deutschen Reich zu finden, »um so als Trittbrettfahrer an der deutschen Wiederaufrüstung partizipieren zu können.«373 So lange die Heimwehr und der von ihr gestellte Außenminister Egon Berger-­ Waldenegg durch ihren strikt italienischen Kurs inklusive der damit verbundenen Sicherheitsgarantien die österreichische Außenpolitik bestimmten, galt es, geduldig Kontakte zu katholischen Kreisen zu knüpfen und einen Keil zwischen die Regierungspartner zu treiben. Dabei bot die geschickte Friedensrede Hitlers am 21. Mai 1935 mit ihrer Erklärung, dass Berlin nicht die Absicht habe, sich in innerösterreichische Angelegenheiten einzumischen oder das Land gar zu annektieren, wertvolle Dienste. Papen begab sich daraufhin am 11. Juli zu Außenminister Berger-Waldenegg und überreichte ihm den Vertragsentwurf eines Abkommens zwischen dem Deutschen Reich und Österreich, wobei er betonte, dass es sich dabei lediglich um eine persönliche Studie handle. Der von Papen unterbreitete Entwurf enthielt zahlreiche Punkte des ein Jahr später geschlossenen Juli-Abkommens und lief hinter der Nebelwand der Beteuerung der Unabhängigkeit Österreichs auf dessen de facto-Abhängigkeit von Berlin und weitgehende Öffnung für einen ungehinderten nationalsozialistischen Einflusses bzw. dessen Unterwanderung hinaus.374 Außenmi370 Zit. bei Franz X. Rohrhofer  : Heinrich Gleißner. Lehrjahre eines »Landesvaters«. – Linz 2012. S. 170. 371 Nachrichtendienst der Christlichen Pressezentrale Nr. 14/V vom 5. April 1935. S. 3. 372 Ebda. S. 11. 373 Dieter A. Binder  : Alte Träume und neue Methoden. Das deutsch-österreichische Verhältnis als Produkt aggressiven Revisionismus von 1933 bis 1938. – In  : Gehler, Schmidt, Brandt, Steininger (Hg.)  : Ungleiche Brüder  ? S.  497–512. S. 503. 374 In dem Entwurf hieß es u. a.: »I. Die Regierung des Deutschen Reiches anerkennt das in Österreich geltende Regime. Im Sinne der Feststellungen des Führers und Reichskanzlers vom 21. Mai 1935  : ›Deutschland hat weder die Absicht noch den Willen, sich in die inneren österreichischen Verhältnisse einzumengen, Österreich

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etwa zu annektieren oder anzuschließen‹ wird die Reichsregierung keinerlei unmittelbare oder mittelbare Einwirkung auf österreichische innenpolitische Vorgänge nehmen. a) Sie anerkennt, dass die nationalsozialistische Bewegung in Österreich, für welche jede Betätigung gegenwärtig verboten ist, eine rein innerösterreichische ist. b) Sie wird dafür Sorge tragen, dass im Reiche bestehende Verbindungen österreichischer Bundesangehöriger bzw. alle Verbindungen, Vereine und Bünde, die sich im Reiche mit der Wahrnehmung von Interessen österreichischer Bundesangehöriger befassen, eine ausschließlich caritative Tätigkeit entfalten und in dieser ihrer Tätigkeit, insolange sie mit den geltenden Gesetzen des Reiches nicht in Widerspruch steht, nicht behindert werden. c) Sie wird dafür Sorge tragen, dass die in Artikel 1 enthaltenen Bestimmungen von der staatstragenden NSDAP und allen ihren Parteiorganisationen eingehalten werden. II. Die österreichische Bundesregierung anerkannt, dass der Nationalsozialismus staatstragende Doktrin des Deutschen Reiches ist. Die österreichische Bundesregierung wird ihre Politik im Allgemeinen, wie insbesondere gegenüber dem Deutschen Reiche, den Erklärungen des Bundeskanzlers vom 29. Mai 1935, ›dass Österreich sich als deutscher Staat bekennt‹, anpassen. Sie wird dafür Sorge tragen, dass in Österreich bestehende Vereinigungen reichsdeutscher Staatsbürger in ihrer Tätigkeit nicht behindert werden, solange sie den Richtlinien, die in ihren von den österreichischen Behörden genehmigten Statuten festgelegt sind, entsprechen und sich weder in innerösterreichische Angelegenheiten einmischen noch österreichische Bundesangehörige durch Propaganda zu beeinflussen trachten. III. Im Einzelnen wird überdies vereinbart  : a) Presse. Beide Teile werden auf die Presse ihres Landes in dem Sinne Einfluss nehmen, dass sie sich jeder politischen Einwirkung auf die Verhältnisse im anderen Lande enthalte (…) Seitens beider Teile wird der allmähliche Abbau der Verbote hinsichtlich des Importes der Zeitungen und Druckerzeugnisse des anderen Teiles, nach Maßgabe der jeweils durch dieses Übereinkommen erzielten Entspannung im gegenseitigen Verhältnisse, in Aussicht genommen. b) Funk-, Film-, Nachrichten- und Theaterwesen. In diesem Belangen verpflichten sich beide Teile, sogleich von jeder aggressiven Verwendung gegen den anderen Teil (…) Abstand zu nehmen. Darüber hinaus wird ein schrittweiser Abbau der gegenwärtig bestehenden Behinderungen im Austauschverkehr aufgrund vollkommener Reziprozität in Aussicht genommen. c) Emigrantenfrage. Beide Teile treffen sich in dem Wunsche, durch wechselseitiges Entgegenkommen zu einer ehestmöglichen befriedigenden Lösung des Problems der österreichischen nationalsozialistischen Emigration im Reiche beizutragen. (…) d) Hoheitszeichen und Nationalhymnen. Jeder der beiden Regierungen gestattet den Staatsangehörigen des anderen Teiles das Zeigen der Hoheitszeichen ihres Vaterlandes – sowie analog das Abspielen der Nationalhymnen – in ausschließlich von diesen Staatsangehörigen besuchten geschlossenen Veranstaltungen. e) Beschränkungen im Reiseverkehr. Beide Teile treffen sich in dem Wunsche, die beiderseits bestehenden Beschränkungen im gegenseitigen Reiseverkehr nach Maßgabe der erhofften günstigen Auswirkungen der vorliegenden Vereinbarung auf die Beziehungen zwischen beiden Ländern ehestmöglich schrittweise abzubauen und, wenn möglich, gänzlich aufzuheben. (…)« (ADÖ 10/1549.)

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nister Egon Berger-Waldenegg bemerkte in seinen Erinnerungen, dass es nach einer auch nur flüchtigen Durchsicht des Entwurfes zu dem Ergebnis kam, »dass kein souveräner Staat, der sich respektierte, derartiges akzeptieren könnte.« Die österreichische Regierung »sollte sich verpflichten (…), das Regime des Dritten Reiches (anzuerkennen), sich ausdrücklich als deutscher Staat zu bekennen und seine Politik den Erfordernissen der großdeutschen Interessen anzupassen …«375 Auf die Frage des österreichischen Außenministers, ob der von Papen überreichte Entwurf ein formeller seiner Regierung sei, verneinte dieser, fügte jedoch hinzu, dass seine Regierung sehr wohl von dessen Inhalt informiert sei. Diese Erklärung gab Berger-Waldenegg die Möglichkeit, eine Antwort hinauszuzögern, indem er den Entwurf zur Prüfung an den Leiter der politischen Abteilung im Bundeskanzleramt/ Auswärtige Angelegenheiten, Theodor Hornbostel, weitergab. Erst am 1. Oktober erfolgte ein österreichischer Gegenvorschlag, der die österreichische Selbständigkeit stärker betonte. So hieß es in den »Grundsätzlichen Bemerkungen«  : »Das angestrebte agreement erfüllt für uns nur dann seinen Zweck, wenn es in seinen wichtigsten Grundzügen, d. i. vornehmlich das Abrücken Hitlers von den österreichischen Nationalsozialisten auch veröffentlicht und dadurch den NSDAP-Stellen in Deutschland und Österreich als eindeutige Willensäußerung Hitlers zur Kenntnis und Darnachachtung gebracht wird. Dies ist schon aus dem Grunde unerlässlich, da wir von allem Anfang und unerschütterlich auf dem Standpunkt beharrt sind, dass vor Eingehen in meritorische Verhandlungen Deutschland offiziell und allgemein hörbar erklären muss, dass es seine bisherige Politik gegenüber Österreich geändert hat.«376 Außerdem wurde es abgelehnt, die Außenpolitik Wiens mit jener Berlins zu akkordieren, in vielen Bereichen wurden jedoch lediglich Korrekturen an den Formulierungen des Papen-Entwurfes vorgenommen. Bereits zwei Tage später änderte sich jedoch die politische Großwetterlage durch den Angriff Italiens auf Abessinien grundlegend. In seinen Memoiren bemerkte Edmund Glaise-Horstenau, dass »den separatistischen Kurs Dollfuß in Österreich (…) an dem Tag das Todesurteil gesprochen« worden sei, »an dem der erste italienische Soldat abessinischen Boden betrat.«377 In den späten Abendstunden des 3. Oktober 1935 berichtete der österreichische Gesandte in Rom, Alois Vollgruber, an den Generalsekretär des Außenministeriums, Franz Josef Peter, von einem soeben stattgefundenen Gespräch mit Mussolini, in dem dieser unter Bezugnahme auf den begonnenen italienischen Einmarsch in Abessinien erklärte, dass, falls es wegen dieses Angriffs zu einem Krieg Italiens gegen Großbritannien komme, bedeute dies eine große Gefahr für Österreich, da er nicht an drei Fronten Krieg führen könne. Öster375 Egon und Heinrich Berger von Waldenegg  : Biographie im Spiegel. S. 414. 376 ADÖ 10/1559. 377 Broucek (Hg.)  : Ein General im Zwielicht. Bd. 2. S. 55.

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reich müsste sich in seinem Sicherheitsinteresse an die Tschechoslowakei wenden, die im Fall eines Angriffs Deutschlands auf Österreich schon im eigenen Interesse an der Seite Wiens stehen müsste. Die Involvierung der Tschechoslowakei in die österreichische Frage würde allerdings einen allgemeinen Krieg nach sich ziehen.378 Am 9. Oktober erschien Franz von Papen bei Außenminister Egon Berger-Waldenegg, um ihm einleitend zu erklären, dass das Deutsche Reich in dem italienisch-abessinischen Konflikt strikte Neutralität bewahren und vor allem keinerlei Interesse an einer Niederlage Italiens habe, um schließlich auf den eigentlichen Zweck seines Besuches zu sprechen zu kommen. »Er erklärte, dass er mit dem Reichskanzler gesprochen habe und von diesem nunmehr ermächtigt sei, namens der deutschen Regierung über die persönlichen Elaborate zu verhandeln, die bereits über das Thema der Normalisierung der beiderseitigen Beziehungen vorlägen.«379 Am Ballhausplatz wurde positiv registriert, dass damit Berlin auf die bereits von Dollfuß erhobene Forderung von Verhandlungen auf Regierungsebene anstelle der von Berlin bisher vertretenen Linie von Verhandlungen zwischen der Landesleitung der österreichischen NSDAP und der österreichischen Bundesregierung eingeschwenkt war. Wenngleich Mussolini trotz seiner Annäherung an das Deutsche Reich gleichzeitig den Versuch unternahm, anlässlich des zweijährigen Bestehens der Römischen Protokolle durch den Abschluss von drei Zusatzprotokollen am 23. März 1936 seinen Verpflichtungen gegenüber Österreich und Ungarn nachzukommen,380 so hatte die folgenlose Besetzung des Rheinlandes durch die Reichswehr am 7. März 1936 in Wien die Alarmglocken schrillen lassen und zu zwei Schlussfolgerungen geführt  : Das Ausbleiben von militärischen Reaktionen Frankreichs und Englands auf den Bruch des Versailler Vertrages ließ eine ähnliche Folgenlosigkeit im Fall eines deutschen Angriffs auf Österreich befürchten. Für Großbritannien galt, dass man Österreich »zwar als Karte im größeren Spiel um Stabilisierung der europäischen Flanke 378 ADÖ 10/1560. Seitens der Tschechoslowakei war jedoch kaum Rückendeckung zu erwarten. Der tschechoslowakische Außenminister Edvard Beneš erklärte gegenüber dem österreichischen Gesandten in Prag, Ferdinand Marek, am 17. Oktober 1935 auf dessen Frage, ob er direkte Auswirkungen des Abessinienkonflikts auf Mitteleuropa, insbesondere auf Österreich, erwarte, »dass diese Gefahr seines Erachtens von der Dauer der gegenwärtigen Krise abhänge. Sollten die gegenwärtigen unerquicklichen Verhältnisse noch eine Zuspitzung erfahren und von längerer Dauer sein, ungefähr ein Jahr, stelle sich der Minister vor, so gebe es die größten Befürchtungen auch für uns.« (ADÖ 10/1564.) 379 ADÖ 10/1563. 380 Von diesen Zusatzprotokollen profitierte jedoch letztlich nur Italien, da Protokoll 2 festlegte, »keine Verhandlungen von politischer Bedeutung bezüglich der Donaufrage mit der Regierung eines dritten Staates zu führen, ohne vorher mit den beiden anderen Regierungen (…) Fühlung genommen zu haben.« (ADÖ 10/1603.) Durch diese Formulierung waren sowohl Österreich wie Ungarn in ihrem außenpolitischen Spielraum eingeengt. Österreich in seinem Bemühen einer Allianz mit der Tschechoslowakei, Ungarn in seinem Bestreben einer engeren Beziehung zum Deutschen Reich.

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des britischen Empire betrachtete, dem Schicksal Österreichs aber keine darüber hinausgehende entscheidende und für Großbritannien lebenswichtige Bedeutung zumaß.«381 Diese düsteren Aussichten wurden durch die von Wien mit zunehmender Beunruhigung genau beobachtete Annäherung zwischen Rom und Berlin noch bestärkt, sodass man sich bei der Verteidigung der Unabhängigkeit Österreichs auf sich allein gestellt sah. Im März 1936 war ein Szenario eingetreten, das der Botschaftsrat an der deutschen Botschaft in Wien, Victor Prinz zu Erlach-Schöneberg, bereits am 30. August 1934 in einem Bericht an das Auswärtige Amt in Berlin entworfen hatte. Der »Kampf um ein ›deutsches‹ Österreich« müsse auch nach dem Juli 1934 »weitergeführt werden, jedoch auf anderer Ebene und mit anderen Mitteln als bisher. Viel Terrain ist verloren gegangen. Heute handelt es sich zunächst nur darum, sich überhaupt wieder in die österreichischen Dinge einzuschalten, um den fremden Einfluss zurückzudämmen und das Verlorene in langsamer, zäher Arbeit wieder zu gewinnen. Ohne oder gar gegen Italien wird dies jedoch heute noch weniger möglich sein als vorher.«382 Nachdem sich Italien im Laufe des Abessinienkonflikts aus seiner Beschützerfunktion zunehmend zurückzog und seinen außenpolitischen Schwerpunkt in den Mittelmeerraum und nach Afrika verlagerte, um den Traum vom Imperium zu verwirklichen,383 und auch aus Ungarn, wo Ministerpräsident Gyula Gömbös 1935 unverblümt erklärte, er setze auf die deutsche Karte, freundliche Signale Richtung Berlin gesendet wurden, waren der deutschen Politik gegenüber Österreich neue Möglichkeiten geöffnet. Daraus ergab sich aus der Sicht des Ballhausplatzes die Notwendigkeit einer Änderung des außenpolitischen Kurses durch die Verbesserung der Beziehungen zu Berlin. Durch diesen Kurswechsel erhoffte man sich nicht nur eine Entspannung der außenpolitischen Lage, sondern auch eine substanzielle Verbesserung der wirtschaftlichen Situation des Landes, das nach wie vor unter den durch die wirtschaftliche Sanktionspolitik Berlins noch verschärften Folgen der Weltwirtschaftskrise und der hohen Arbeitslosigkeit litt.384 381 Reinhold Wagnleitner  : Die britische Österreichpolitik 1936 oder »The Doctrine of Putting off the Evil Day«. – In  : Das Juliabkommen von 1936. Vorgeschichte, Hintergründe und Folgen. S. 53–83. S. 53. 382 ADAP- Serie C. Bd. III/1. S. 363. 383 Bereits 1934 hatte Mussolini erklärt  : »Die historischen Zielsetzungen Italiens haben zwei Namen  : Asien und Afrika. Der Süden und der Osten sind die Hauptziele, die den Willen und das Interesse der Italiener erwecken sollen. Im Norden ist wenig bzw. nichts zu machen, im Westen auch nichts.« (Zit. bei Angelo Ara  : Die italienische Österreichpolitik 1936–1938. – In  : Gerald Stourzh, Brigitta Zaar (Hg.)  : Österreich, Deutschland und die Mächte. Internationale und österreichische Aspekte des »Anschlusses« vom März 1938. – Wien 1990. S. 111–130. S. 115f.) 384 Guido Schmidt, der in die Vorarbeiten zum Juliabkommen 1936 maßgebend eingebunden war, er-

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Parallel zur außenpolitischen Wende vom italienischen zum deutschen Kurs unternahm Schuschnigg auch den Versuch eines innenpolitischen Ausgleichs mit den nationalen Kräften, die, so wurde ihm von den Befürwortern dieses Kurses wie klärte im Nürnberger Prozess  : »Mit Beginn des Jahres 1936 hatte sich die außenpolitische Lage Österreichs zuungunsten Österreichs verändert. (…) Der Zusammenbruch der Stresa-Front infolge des abessinischen Unternehmens Mussolinis bedeutete für Österreich den Verlust der einzigen praktischen internationalen Garantie und für Bundeskanzler Schuschnigg die Schaffung einer völlig neuen Situation. Nach seinem außenpolitischen Konzept sollte die österreichische Unabhängigkeit nicht nur auf den Schultern Italiens, sondern, wenn möglich, auch auf anderen Schultern, also auf England und Frankreich, verteilt sein. Dazu kamen nun die Schwierigkeiten, die sich aus der Entwicklung der europäischen Lage ergaben, etwa seit 7. März 1936, dem Tage, an dem Adolf Hitler als Beginn seiner kommenden Überraschungspolitik das Rheinland besetzte, ohne bei den Westmächten auf einen ernsten Widerstand zu stoßen. Es musste daher auch bei der Österreichischen Regierung Besorgnisse auslösen und die Befürchtung, dass eines Tages auch in der österreichischen Frage eine Lösung der Überraschung oder, wie wir später gesehen haben, der Gewalt kommen könnte. (…) Österreich, zwischen Italien und Deutschland gelegen, musste damit rechnen, dass eines Tages die bis dahin seit Dollfuß bestandene österreichisch-italienische Freundschaft der intimeren Annäherung zwischen Rom und Berlin zum Opfer fallen werde. Aus diesem Grunde und aus anderen Erwägungen entschloss sich somit Herr Dr. Schuschnigg, den Weg zu einer Verbesserung der Beziehungen, das heißt der Wiederherstellung der Beziehungen zwischen Österreich und dem Deutschen Reich zu gehen. (…) Grundtendenz der österreichischen Außenpolitik war die Erhaltung der österreichischen Unabhängigkeit. Die österreichische Außenpolitik fußte ferner auf der Erkenntnis der äußerst schwierigen und heiklen geografischen Lage unseres Landes, eingekeilt zwischen zwei autoritären Staaten im Schnittpunkt der Ideologien Europas. Es musste also Aufgabe werden der österreichischen Außenpolitik, sich auch mit dem großen Nachbarn, dem Deutschen Reich, eines Tages zu verständigen. Die Außenpolitik musste ferner auf der Entschlossenheit fußen, alles zu vermeiden, was zu einem Konflikt mit dem Deutschen Reich hätte reizen können, um einer Gewaltaktion, die nun einmal zu befürchten war seit dem 7. März, auszuweichen. Es waren also realpolitische Gründe der außenpolitischen Ordnung maßgeblich bei diesem Entschluss, die Beziehungen zum Deutschen Reich, zu dessen Sprachgebiet wir gehörten, und die unnatürlicherweise bis dahin unterbrochen waren, wieder in Ordnung zu bringen. Neben den außenpolitischen waren es aber auch wirtschaftliche Erwägungen. Die Weltwirtschaftskrise hatte Österreich, dessen wirtschaftliche Konstitution gewiss lebensfähig, aber doch äußerst schwach war, besonders hart getroffen. (…) Aus diesen Erwägungen heraus, also auch aus wirtschaftlichen Gründen, versuchte nunmehr Bundeskanzler Schuschnigg mit dem Deutschen Reich zu einer Verständigung zu gelangen und die wirtschaftlichen Beziehungen, die bis dahin völlig abgebrochen waren, wieder zu normalisieren, also Aufhebung der Tausend-Mark-Sperre, Wiederbelebung des Fremdenverkehrs, Wiederbelebung des Flusses der Wirtschaftsgüter, damit Stillen der Klagen, die ja auch aus den Provinzen in Österreich gekommen waren wegen des Absatzes der landwirtschaftlichen Produkte, Holz, Getreide, Vieh und so weiter.« (Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg vom 14. November 1945 bis 1. Oktober 1946. Bd. 16. – Nürnberg 1948. S. 166ff. Vgl. dazu auch Der Hochverratsprozess gegen Dr. Guido Schmidt vor dem Wiener Volksgericht. Die Gerichtlichen Protokolle mit den Zeugenaussagen, unveröffentlichten Dokumente, sämtlichen Geheimbriefen und Geheimakten. – Wien 1947. S. 30ff.)

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Friedrich Funder oder Karl Buresch versichert, nicht nur dem Bombenterror der Habicht-NSDAP ablehnend gegenübergestanden waren, sondern auch einen politischen Brückenschlag mit dem Regierungslager befürworteten. Die Situation der österreichischen NSDAP nach dem gescheiterten Juliputsch schien für die evolutionäre Taktik Schuschniggs zu sprechen. Die Führung der Partei wurde auf Befehl Hitlers ausgewechselt. Habicht verlor die Funktion des Landesführers und Hermann Reschny wurde als SA-Chef durch Alfred Persche im April 1935 ersetzt. Eine Verfügung der deutschen SA-Führung vom Juni 1935 verbot ausdrücklich die Anwendung von Terror oder Brandstiftung und Persche bekräftigte in einer internen Anweisung, dass sich SA-Mitglieder nicht an öffentlichen Demonstrationen beteiligen dürften und im Fall der Zugehörigkeit zu Terrorgruppen ausgeschlossen würden. Das deutliche Nachlassen nationalsozia­ listischer Aktionen basierte darüber hinaus jedoch vor allem auf zwei Entwicklungen  : dem signifikanten Versiegen des Waffen- und Sprengstoffschmuggels aus dem Deutschen Reich und den erfolgreichen Aktionen der österreichischen Exekutive, die zu häufigen Verhaftungen und stark einsetzenden Fluchtbewegungen nach Deutschland führten, sodass im Jahr 1934 das SA-Hilfswerk Österreich 110 Millionen Reichsmark beanspruchte.385 Die ebenfalls deutlich geschwächte österreichische SS blieb zunächst unter der Führung des Deutschen Alfred Rodenbücher, dem auch die Aufgabe der Auflösung der österreichischen Landesleitung übertragen worden war und erhielt die Aufgabe der Nachrichtensammlung über die innen- und sicherheitspolitische Entwicklung sowie der Infiltration der Spitzen der Gesellschaft sowie der Bürokratie und des Sicherheitsapparats. Die österreichische Partei befand sich nach dem missglückten Juliputsch angesichts des nunmehrigen Fehlens einer straffen Führung in einer Phase der Desorientierung und zeigte aufgrund des von Hitler verordneten neuen Kurses vor allem in den Bundesländern mit relativ geringem Organisationsgrad deutliche Zerfallserscheinungen. Die von Hitler verordnete Politik der Nichteinmischung vergrößerte zudem die Rivalitäten und Streitigkeiten in der österreichischen NSDAP, die ohne eine vom Reich anerkannte Führungspersönlichkeit zu zerfallen drohte. Diese Entwicklung bot Schuschnigg die Möglichkeit, den Plan seines Vorgängers Dollfuß aufzugreifen, der im Frühjahr 1934 Kontakt mit Hermann Neubacher,386 385 ADAP. Serie C. Bd. II/1. S. 477. 386 Hermann Neubacher (1893–1960) studierte nach der Absolvierung der Stiftsgymnasiums Kremsmünster Forstwirtschaft an der Hochschule für Bodenkultur und schloss sein Studium 1919 mit dem DI und 1920 mit dem Doktorat ab. 1921 bis 1934 war er Vorstand der »Gemeinwirtschaftlichen Siedlungs- und Baustoffanstalt« (Gesiba) in Wien, seit 1924 deren Generaldirektor und besaß als wesentlich am kommunalen Wohnbau der Gemeinde Wien Beteiligter gute Kontakte zur Sozialdemokratie. 1928 bis 1933 war er auch Präsident des »Österreichischen Werkbundes«. Politisch großdeutsch eingestellt, fungierte er 1925 als Gründungsmitglied und bis 1935 als Obmann des »Deutsch-Österrei-

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dem Obmann des Österreichisch-Deutschen Volksbundes, sowie dem Rechtsanwalt Arthur Seyss-Inquart387 und dem Leiter des Agrarreferats der oberösterreichischen NSDAP, Anton Reinthaller,388 alle drei Gegner von Landesleiter Theo Habicht, mit dem Ziel aufgenommen hatte, eine Änderung an der Spitze der Landesleitung und chischen Volksbundes«, der größten Anschluss-Organisation Österreichs. 1933 galt er als Kandidat für ein Ministeramt in der Regierung Dollfuß. Zunächst Mitglied des Steirischen Heimatschutzes, wurde er 1933 Mitglied der illegalen NSDAP, in der er als enger Vertrauter Seyss-Inquarts zum gemäßigten Flügel gehörte, der die terroristischen Methoden ablehnte. 1935 wurde er verhaftet und bis 1936 in Wöllersdorf inhaftiert, 1937 übersiedelte er als Berater der IG-Farben für südosteuropäische Fragen nach Berlin, wurde im März 1938 Bürgermeister von Wien. Mit der »Aktion Neubacher« ließ er ehemalige Sozialdemokraten, die während des Ständestaates entlassen worden waren, wiedereinstellen. 1940 musste er auf Betreiben seines Widersachers Josef Bürckel seine Funktion aufgeben und fungierte ab diesem Jahr als Sonderbeauftragter für Wirtschaftsfragen Südosteuropas in Rumänien und ab 1942 in Griechenland. Im Mai 1945 geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft, wurde 1951 von einem jugoslawischen Militärgericht zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, jedoch im November 1952 aufgrund einer Intervention des Präsidenten des Internationalen Roten Kreuzes vorzeitig entlassen. 1954 bis 1956 war er als Berater der Stadtverwaltung von Addis Abeba tätig, kehrte anschließend nach Österreich zurück und war hier als Berater für die AUA und verschiedene Industrieunternehmen tätig. 1959 wurde er Vorstandsvorsitzender der Wienerberger Ziegelwerke. Vgl. Gerhard Botz  : Wien und Osteuropa nach dem Anschluss. Die Rolle des Wiener Bürgermeisters in der nationalsozialistischen Außenpolitik des Jahres 1938. – In  : Österreichische Osthefte 16/1974. S. 113–122  ; ders.: Wien vom »Anschluss« zum Krieg. Nationalsozialistische Machtübernahme und politisch-soziale Umgestaltung am Beispiel der Stadt Wien 1938/39. – Wien/München 1978  ; Fritz M. Rebhann  : Die braunen Jahre. Wien 1938–1945. – Wien 1995. 387 Arthur Seyss-Inquart (1892–1946) studierte während seines Kriegsdienstes im Ersten Weltkrieg Rechtswissenschaft an der Universität Wien, promovierte 1917 zum Dr. jur. und ließ sich in Wien als Rechtsanwalt nieder. Als Deutschnationaler spielte er in der Deutschen Gemeinschaft und im Deutschen Klub eine führende Rolle und stand seit 1934 in engem Kontakt zur NSDAP. 1937 wurde er von Schuschnigg in den Staatsrat nominiert mit dem Auftrag, zu einem Ausgleich mit der nationalen Opposition beizutragen. Im Februar 1938 wurde er zum Innenminister ernannt und war nach dem Rücktritt Schuschniggs im März zwei Tage lang Bundeskanzler, ab 15. März Reichsstatthalter für die Ostmark. Nach einer Tätigkeit im besetzten Polen wurde er Reichskommissär in den besetzten Niederlanden und wurde für seine Tätigkeit im Nürnberger Prozess zum Tode verurteilt. Vgl. H. J. Neumann  : Arthur Seyss-Inquart – Graz/Wien/Köln 1970  ; Wolfgang Rosar  : Deutsche Gemeinschaft. Seyss-Inquart und der Anschluss. – Wien/Frankfurt am Main/Zürich 1971. 388 Anton Reinthaller (1895–1958) war der Sohn eines oberösterreichischen Großbauern, rückte nach der Matura zum Kriegsdienst ein, geriet 1916 in russische Kriegsgefangenschaft, in der er die Russische Revolution erlebte und zum Gegner des Kommunismus wurde. Nach dem Weltkrieg studierte er an der Hochschule für Bodenkultur in Wien und schloss sein Studium 1922 mit dem DI ab. Ende der Zwanzigerjahre schloss er sich der NSDAP an, wurde von Theo Habicht aller Funktionen enthoben und sah sich nach dem Juliputsch 1934 in seiner Opposition gegen die Politik Habichts bestätigt. Seine Bemühungen um einen Ausgleich mit der Regierung gipfelten in der »Aktion Reinthaller«. Nach dem Anschluss wurde er Landwirtschaftsminister im Kabinett Seyß-Inquart, 1940 Unterstaatssekretär in Berlin, 1942 Reichsbauernführer von »Niederdonau«, 1950 zu drei Jahren Haft verurteilt. 1956 übernahm er die Funktion des ersten FPÖ-Bundesparteiobmanns.

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auch der Politik der NSDAP in Richtung Befriedung zu erreichen. Dollfuß hatte den Kontakt zu Reinthaller über Schuschnigg gesucht, der nunmehr in seiner Funktion als Bundeskanzler auf diesen Kontakt zurückgriff. Nach einem Brief Reinthallers am 30. Juli 1934 an Pater Hartmann Staudacher, einem Vertrauten des Bundeskanzlers, kam es im August zu zwei Gesprächen zwischen Schuschnigg und Reinthaller. Als inoffizieller Landesleiter der österreichischen NSDAP, der auch die Rückendeckung Hitlers hatte, war Reinthaller in diesem Monat auch Gesprächspartner des oberösterreichischen Landeshauptmanns Heinrich Gleißner, der bereits als Staatssekretär für Landwirtschaft in der Regierung Dollfuß in dessen Auftrag Kontakte zu nationalen Kreisen, vor allem den Großdeutschen Hermann Foppa389 und Franz Langoth,390 aufgenommen hatte.391 Reinthaller entwickelte einen umfangreichen Plan, der die Zusammenfassung aller nationalen Verbände und Organisationen in einer »Natio389 Hermann Foppa (1882–1959) studierte nach der Matura am Franziskanergymnasium in Bozen Geschichte, Geografie und Rechtswissenschaft an den Universitäten Graz und Innsbruck, erwarb 1911 die Lehrbefähigung für Höhere Schulen und unterrichtete 1913 bis 1938 an der Realschule und im Gymnasium in Linz Geschichte und Geografie. Zu seinen Schülerinnen zählte auch Geli Raubal, die Nichte Adolf Hitlers, über die er 1927 in München Hitler kennen lernte. 1925 wurde er Mitglied der Linzer Stadtparteileitung der Großdeutschen Volkspartei, 1926 Mitglied der Landesparteileitung, 1927 der Reichsparteileitung und 1931 deren Obmann und war 1930 bis 1934 Abgeordneter zum Nationalrat. Nach dem Anschluss trat er der NSDAP bei, wurde Gauschulinspektor und Gaupropaganda- und Schulungsredner sowie Mitglied des Großdeutschen Reichstages. 1945 wurde er in Glasenbach inhaftiert, war 1949 im VdU tätig, wurde 1950 Taufpate Jörg Haiders und war bis zu seinem Tod Bundesobmann der Wohlfahrtsvereinigung der Glasenbacher. 390 Franz Langoth (1877–1953) besuchte nach der Volks- und Hauptschule die Lehrerbildungsanstalt, wurde Volksschullehrer und schließlich Bürgerschullehrer. 1909 bis 1934 war er deutschnationaler bzw. großdeutscher Abgeordneter zum oberösterreichischen Landtag, 1911 bis 1938 Obmann des Deutschen Volksbundes Oberösterreich, 1918 bis 1934 Mitglied der oberösterreichischen Landesregierung, 1931 bis 1934 Landeshauptmann-Stellvertreter, 1920 bis 1934 Landesparteiobmann der Großdeutschen Volkspartei Oberösterreich, 1934 bis 1938 Leiter des »Hilfswerk Langoth« für nationalsozialistische Sympathisanten. 1938 wurde er Mitglied der NSDAP und SS-Oberführer und schließlich SS-Brigadeführer, war 1938 bis 1943 Leiter der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) Oberdonau, 1938 bis 1945 Mitglied des Großdeutschen Reichstages, 1940 bis 1944 Richter am Volksgerichtshof, an dem er in 51 Verfahren mit insgesamt 125 Angeklagten 41 Todesurteile und 77 Zuchthausstrafen aussprach, 1944 bis 1945 Bürgermeister von Linz. 1945 wurde er von der US-Besatzungsmacht verhaftet und bis 1947 im Lager Glasenbach interniert. Trotz seiner Tätigkeit am Volksgerichtshof kam es wegen mannigfacher Interventionen zu seinen Gunsten, u. a. von Bürgermeister Ernst Koref, zu keinem strafrechtlichen Verfahren gegen ihn. 1950 wurde er durch den Bundespräsidenten amnestiert. 1951 veröffentlichte er seine politischen Erinnerungen. Vgl. Ernst Langoth  : Kampf um Österreich. Erinnerungen eines Politikers. – Wels 1951  ; Walter Schuster   : Deutschnational. Nationalsozialistisch. Entnazifiziert. Franz Langoth. Eine NS-Laufbahn. – Linz 1999. 391 Rohrhofer  : Heinrich Gleißner. S. 256ff.

Die Suche nach einem innen- und außenpolitischen Modus Vivendi

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nalen Front« vorsah, die korporativ der Vaterländischen Front beitreten und deren Exponenten entsprechende Führungspositionen in der politischen Monopolorganisation einnehmen sollten. Eine weitgehende Amnestie sowie ein bis Ende Oktober reichender Etappenplan392, an dessen Ende der Einzug von Vertretern der »Nationalen Front« in die Bundesregierung, die Landtage und Gemeinderäte stehen sollte, bildeten die Kernpunkte der vorgeschlagenen innenpolitischen Maßnahmen. Im Gegenzug sollte eine innenpolitische Befriedung durch einen Aufruf zur Ablehnung terroristischer Aktionen und regierungsfeindlicher Betätigungen und eine Normalisierung der außenpolitischen Beziehungen zu Berlin, vor allem die Aufhebung der Tausend-Mark-Sperre und eine deutliche Exportsteigerung der heimischen landund forstwirtschaftlichen Produkte, erfolgen.393 Zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme Reinthallers mit Schuschnigg wurde dieser auch mit dem ehemaligen Salzburger Heimwehrführer und Notar in Mattsee, Franz Hueber,394 bekannt, der trotz seines inzwischen erfolgten Wechsels zur NSDAP nach 392 In einer ersten Etappe bis Ende September sollte der Ausbau der »Nationalen Front« erfolgen, die nationalen Organisationen wiederum hergestellt, die Gründung einer nationalen Presse sowie eines nationalen Wehrverbandes erfolgen, Amnestiemaßnahmen gesetzt, die Gewaltenteilung durch die Unabhängigkeit der Justiz wiedergestellt und eine außenpolitische Grundsatzerklärung der österreichischen Bundesregierung ein deutliches Bekenntnis zur gesamtdeutschen Schicksalsgemeinschaft betonen. In einer zweiten Phase bis Mitte Oktober sollten die Abzeichen und Symbole der »Nationalen Front« offiziell anerkannt, die Anhaltelager aufgelassen, Polizeimaßnahmen eingestellt und eine Schadenswiedergutmachung an die national Eingestellten erfolgen sowie Vertreter der »Nationalen Front« zu den Arbeiten an einer Reform der Bundesverfassung beigezogen werden. In einer dritten Phase bis Ende Oktober waren die Vertreter der »Nationalen Front« in die Bundesregierung, die Landesregierungen und Gemeinderäte aufzunehmen, alle Ausbürgerungen und Entlassungen zu sistieren und eine Volksabstimmung über eine revidierte Verfassung durchzuführen. 393 Lothar Höbelt  : Die »Aktion Reinthaller«  : »Ständestaat« und »Nationale Opposition«. – In  : Oberösterreich 1918–1938. Bd. I. – Linz 2014. S. 47–88. S. 57. Am 20. August 1934 notierte Gesandtschaftsrat Hermann Hüffer in einer geheimen Aufzeichnung eines Gespräches mit Franz von Papen über die Lage in Österreich, dass »zur Zeit im Einvernehmen mit der österreichischen Regierung Bestrebungen auf Bildung einer Nationalen Front im Gange« seien, »die die nationalsozialistischen und überhaupt national eingestellten Kreise zusammenfassen und als geschlossene Organisation in die Vaterländische Front führen solle. Ihr Organisator sei der von Habicht bisher im Hintergrund gehaltene Bauernführer Reinthaller, der mit Schuschnigg bereits zusammenarbeite. Der Führer und Reichskanzler habe sich mit Reinthallers und seinem Vorgehen einverstanden erklärt.« (ADAP. Serie C. Bd. III/1. S. 324.) 394 Franz Hueber (1884–1981) studierte Rechtswissenschaft, absolvierte den Kriegsdienst, den er im Rang eines Oberleutnants abschloss, wurde Notariatsanwärter in Saalfelden und 1927 Notar in Mattsee. Großdeutsch sozialisiert, gehörte er zu den Gründern der Heimwehr im Pinzgau, wurde 1925 zweiter Landesführer von Salzburg, am 30. September 1930 kurzfristiges Mitglied des Minderheitenkabinetts von Carl Vaugoin, aus dem er bereits am 29. November ausschied. Anschließend war er Fraktionsführer des Heimatblocks im Nationalrat. Am 2. August 1932 legte er sein Nationalratsmandat nieder und trat am 28. Juni 1933 aus der Heimwehr aus. 1934/35 gehörte er zur Gruppe

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Die Schatten der großen Politik – Historische Entwicklungslinien

wie vor über enge Kontakte zu Heimwehrkreisen verfügte. Als Schwager Hermann Görings vertrat er wie dieser eine evolutionäre Politik und war Gegner der aggressiven Politik Habichts, von der man nunmehr in Berlin offiziell Abstand genommen hatte. Hueber gehörte neben Franz Langoth und Anton Reinthaller jener Dreiergruppe an, die nach einem Gespräch mit dem oberösterreichischen Landeshauptmann Heinrich Gleißner395 und dem oberösterreichischen Sicherheitsdirektor Graf Peter Revertera396 die Grundzüge eines politischen Ausgleichs mit der Regierung erarbeiten sollte.397 Hueber war bereits zu Jahresbeginn 1935 auch in Salzburg im Sinne einer »Nationalen Aktion« tätig geworden. Am 18. Jänner übersandte er nach einem Gespräch mit Landeshauptmann Franz Rehrl diesem eine Denkschrift zur »nationalen Befriedung«, die er als »eine unerlässliche Notwendigkeit aus innen- und außenpolitischen Gründen« bezeichnete. »Wenn auch die sogenannte ›Nationale Aktion‹, die sich die Befriedung zum Ziele gesetzt hat, bisher von der Regierung und den ihr jener Nationalen, die um einen Ausgleich mit der Regierung bemüht waren und die terroristischen Aktivitäten der NSDAP ablehnten. 1938 wurde er Justizminister im kurzzeitigen Kabinett von Arthur Seyß-Inquart, SA-Brigadeführer, Mitglied des Reichstages und Staatssekretär im Reichsjustizministerium. 1940 bis 1942 leistete er Kriegsdienst im Rang eines Oberstleutnants, 1942 wurde er Präsident des Reichsverwaltungsgerichtes, 1948 von einem Volksgericht zu 18 Jahren Kerker verurteilt. Die Strafe wurde 1950 auf 10 Jahre Kerker reduziert. Nachdem sich der oberösterreichische Landeshauptmann Heinrich Gleißner und der Linzer Bürgermeister Ernst Koref für ihn einsetzten, wurde er im Dezember 1950 bedingt entlassen. Anschließend wurde er Geschäftsführer einer Firma der verstaatlichen Industrie und Salzburger Gauobmann des Turnerbundes. 395 Heinrich Gleißner (1893–1984) studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Prag und Innsbruck, unterbrach sein Studium während des Ersten Weltkrieges, in dem er an der Italienfront Engelbert Dollfuß kennenlernte. Nach der Kriegsgefangenschaft setzte er sein Studium fort und promovierte 1920 zum Dr. jur. Nach dem Studium trat er in den oberösterreichischen Landesdienst, 1933 wurde er Landesleiter der Vaterländischen Front und im September zum Staatssekretär für Landwirtschaft ernannt. Nach dem Februar 1934 wurde er Landeshauptmann von Oberösterreich, 1938 verhaftet und in die KZs Dachau und Buchenwald gebracht. Nach seiner Entlassung 1939 erhielt er Gauverbot und war in Berlin in der Privatwirtschaft tätig, kehrte 1945 nach Oberösterreich zurück und war wiederum Landeshauptmann bis 1971. 1951 war er Bundespräsidentschaftskandidat der ÖVP. 396 Peter Graf Revertera (1893–1966) besuchte das Gymnasium in München, absolvierte den Militärdienst im Ersten Weltkrieg und wurde 1917 als Rittmeister Verbindungsoffizier zum königlich-preußischen Kriegsminister in Berlin. 1920 initiierte er die Bildung von Heimwehren im Mühlviertel, bewirtschaftete ab 1929 die elterlichen Güter in Oberösterreich, Salzburg und Südböhmen, war führend beim Aufbau der Heimwehr in Oberösterreich beteiligt, wurde 1932 Landesführer-Stellvertreter, 1934 Landesrat und wenig später Sicherheitsdirektor, als der er sich bemühte, Kontakte zu illegalen Gruppierungen der Rechten und der Linken aufrechtzuerhalten. Nach dem Anschluss wurde er gauverwiesen und lebte in Neustadt an der Saale und in Augsburg, kam 1944 in Gestapo-Haft und wurde 1964 Ehren-Landesjägermeister von Oberösterreich. 397 Langoth  : Kampf um Österreich. S. 192.

Die Suche nach einem innen- und außenpolitischen Modus Vivendi

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unterstellten Behörden stark gedrosselt wurde, haben die bescheidenen Anfänge, die sichtbar geworden sind, schon bewirkt, dass eine gewisse Beruhigung in den nationalen Kreisen eingetreten ist. Es kann festgestellt werden, dass seit Monaten keine Störungen, aber auch keine Versuche zu solchen wahrgenommen werden konnten. Auf die Dauer lässt sich aber der mühsam errungene Zustand nicht aufrechterhalten, wenn nicht in allernächster Zeit ein weiterer entscheidender Schritt in der Befriedungsaktion unternommen wird. Er kann nur darin bestehen, dass der nationalen Bevölkerung außerhalb der Vaterländischen Front ermöglicht wird, sich in einer geeigneten Organisation zu sammeln. Es soll damit keine neue Partei aufgerichtet oder vorbereitet werden. Was verfassungsmäßig niemandem erlaubt ist, das wollen auch die Nationalen für sich nicht in Anspruch nehmen. Wohl können sie aber mit Recht verlangen, dass ihnen dieselbe Organisationsfreiheit wie den anderen Gruppen zugestanden wird. Es bestehen in allen Ländern katholische Volksvereine, christliche Volksvereine, die Katholische Aktion, die selbständige Organisation des Heimatschutzes, die Organisationen der Legitimisten u. dgl. Es kann auch den national eingestellten Menschen Österreichs nicht verwehrt werden, dass sie sich in Organisationen vereinigen, die ihnen ermöglichen, ihre Anhänger zu erfassen und wirklich zu führen. Illegale Organisationstätigkeit wird nur verschwinden, wenn eine legale erlaubt ist. Wofür man sich in einem Staate, der nach Beruhigung und innerem Ausgleich ringt, sich entscheiden muss, ob für eine von verantwortungsbewussten Menschen geführte legale Organisation oder eine von Unverantwortlichen geführte illegale, bedarf keiner Erörterung. (…) Deutschland (…) wird nach allen Anzeichen in kurzer Zeit wieder eine gleichberechtigte und gleichgerüstete Großmacht ersten Ranges sein. Die nationale Ausstrahlung auf Österreich wird niemand unterbinden können. Die Periode der Spannungen zwischen den beiden deutschen Staaten wird in absehbarer Zeit überwunden sein. Die Wiederherstellung der naturgegebenen freundschaftlichen Beziehungen Österreichs zu Deutschland wird man in Zukunft nicht mehr von der Einstellung zum Nationalsozialismus, sondern lediglich zu Deutschland als der deutschen Großmacht abhängig machen können. Dabei braucht die Gleichschaltung durchaus nicht in Frage kommen, im Gegenteil, es ist bei den machtpolitischen Verhältnissen Europas die Unabhängigkeit Österreichs dermalen eine realpolitische Notwendigkeit, wodurch aber die nationale Aufgabe Österreichs für das Gesamtdeutschtum nicht berührt werden kann. Österreich wird diese nationale Aufgabe aber nur erfüllen können, wenn zwischen ihm und Deutschland Freundschaft besteht und nicht Kampf geführt wird. Die Wiederherstellung der freundschaftlichen Beziehungen ist aber zweifellos bedingt durch das Schicksal und die Stellung der nationalen Massen in Österreich. …«398 398 SLA. Rehrl-Briefe 1935/205.

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Die Schatten der großen Politik – Historische Entwicklungslinien

Der Salzburger Landeshauptmann befand sich in einer schwierigen Lage. Drei Tage vor Huebers Denkschrift zur nationalen Befriedung hatte der Salzburger Landeskulturrat angesichts der sich durch die deutschen Maßnahmen einer zunehmend restriktiven Importpolitik noch verschärfenden Agrarkrise eine Denkschrift über die Notlage der Salzburger Agrarwirtschaft verfasst, in der darauf hingewiesen wurde, dass »in den Gebirgsgegenden die längst bestehende Entsiedelungsgefahr größer und ernster geworden ist als je. Wenn nicht schleunigst Hilfe geschaffen wird, werden schon in naher Zeit zahlreiche Bauernfamilien Haus und Hof verlassen müssen.«399 Die Bauernvertreter der westlichen Bundesländer forderten daher vor allem eine Entspannung der außenpolitischen Beziehungen zum Deutschen Reich und verbanden damit eine (erhoffte) Exportsteigerung, um der allgegenwärtigen Agrarkrise wirksam gegensteuern zu können. In einer Denkschrift des Verbandes der Salzburger Waldbesitzer wurde auf die aufgrund der Transportkosten hohe Bedeutung des Deutschen Reiches als Exportland für das heimische Nadelnutzholz und die sich aus dessen Rückgang ergebenden negativen finanziellen Folgen hingewiesen. »Österreich hat einen verhältnismäßig hohen Überschuss an Nadelnutzholz, der – je nach der Lage des Produktionsgebietes – mit Vorteil nur an ganz bestimmte benachbarte Staaten abgesetzt werden kann, weil gesägtes Nadelholz, und noch viel mehr Nadelrundholz, keine hohen Frachtkosten verträgt. Das natürliche Absatzgebiet für den Nadelholzüberschuss unserer Waldungen, die nördlich der Zentralalpen liegen, ist in erster Reihe das Deutsche Reich  ; gewisse Gebiete in der Grenzzone sind ausschließlich auf diese Ausfuhr angewiesen.«400

399 SLA. Rehrl-Briefe 1935/167. Die schwierige Lage der Bergbauern war auch immer wieder Gegenstand der Besprechungen des Ministerrates. So erklärte Landwirtschaftsminister Josef Reither am 7. November 1934 im Ministerrat, »der Wirtschaftskrieg mit Deutschland mache (…) im Bereich der Land- und Forstwirtschaft ganz besondere Aufwendungen notwendig. (…) Was die Bergbauernhilfe betreffe, so stünden derzeit etwa 20.000 Betriebe in Behandlung. Die Aktion sei bei etwa 3700 bis 3800 Fällen abgeschlossen.« Bundeskanzler Dollfuß habe »bei allen Bauerntagen in den Alpenländern die Fortsetzung der Aktion versprochen …« Hätte man im Jahr 1934 diese Hilfsmaßnahmen nicht ergriffen, »hätte man in den Gebirgsländern Revolution. (…) Bei der Bergbauernhilfe habe man den Erfolg erreicht, dass die schwerverschuldeten Bauern auf ihren Besitzungen bleiben könnten  ; dadurch habe man vermieden, dass neue Arbeitslosigkeit entstehe, die den Staat viel mehr koste. Die Bergbauernhilfe sei auch politisch ungeheuer wichtig.« (MRP 974/4.) 400 Unsere Nadel-Rundholz-Ausfuhr nach dem Deutschen Reiche. Denkschrift des Verbandes Salzburger Waldbesitzer. (SLA. Rehrl-Briefe 1935/462)

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Die Suche nach einem innen- und außenpolitischen Modus Vivendi

Salzburger Ausfuhr in Waggon à 10 Tonnen  :401 Jahr

Gesägtes Nadelholz

Nadelrundholz

1925

14.496

11.323

1927

32.482

26.267

1928

33.900

50.668

1930

4.298

17.115

1932

903

1.735

1934

5.437

11.776

Vor allem die alpine Landwirtschaft musste zwischen 1928 und 1934 einen Preisverfall ihrer wichtigsten Produkte um rund ein Drittel hinnehmen (der Preis für Verarbeitungsmilch sank zwischen 1928 und 1934 von 30 bis 32 Groschen auf 20 Groschen pro Liter), dem jedoch steigende Betriebskosten gegenüberstanden. Preisentwicklung ausgewählter landwirtschaftlicher Produkte 1928 bis 1934  :402 Käse (Emmentaler)

Butter

Ochsen

Fleischschweine

Kälber

1928

100

100

100

100

100

1929

95

103

114

120

107

1930

91

99

107

103

9

1933

73

63

85

78

75

1934

66

65

78

65

66

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg überschritt ein Hypothekarzins von 4 bis 4,5 Prozent die Ertragslage der meisten landwirtschaftlichen Betriebe und war daher mit einer wirtschaftlichen Führung nicht vereinbar. 1934/35 lag der Darlehenszins bei 9 Prozent und war damit untragbar. Die Zinssteigerung führte zu einer starken Verschuldung und in deren Folge zu zahlreichen Realexekutionen, die eine erhebliche wirtschaftliche, soziale und politische Gefahr für die Existenz des ländlichen Raums bedeuteten und zu einer gefährlichen Stimmungslage in immer größeren Kreisen der ländlichen Bevölkerung führten. Die landwirtschaftlichen Interessenvertreter forderten daher ein Bündel an Sofortmaßnahmen, um dieser gefährlichen Entwicklung gegenzusteuern, u. a. eine Fortführung der Bergbauernhilfe, eine Än401 Ebda. Charakteristisch für Salzburg war der Umstand, dass, im Gegensatz zu Gesamtösterreich, mehr Rundholz als gesägtes Nadelholz exportiert wurde. 402 Denkschrift der Präsidentenkonferenz der landwirtschaftlichen Hauptkörperschaften Österreichs über Maßnahmen zur Sicherung des weiteren Bestandes der Bergbauernschaft. – Wien 1935. S. 4.

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Die Schatten der großen Politik – Historische Entwicklungslinien

derung der Verordnung über die Ausschreibung von Zwangsversteigerungen, Umschuldungen und die Reduzierung des Zinsfußes auf 5 Prozent. Fördermittel des Bundes sollten nicht in eine kontraproduktive Ausdehnung der Viehwirtschaft, besonders der Milchwirtschaft im Flachland, fließen, sondern in die Erhaltung der Bergbauernbetriebe.403 Rehrl war sich der problematischen Lage der Landwirtschaft, vor allem der Bergbauernbetriebe, und der damit verbundenen offensichtlichen politischen Gefahren – einer zunehmenden Attraktivität des Nationalsozialismus vor allem in jüngeren bäuerlichen Schichten – bewusst. Und er wusste um den zunehmenden politischen Druck, dem die Bauernfunktionäre, die treuesten Gefolgsleute des Regimes, ausgesetzt waren. Er leitete die Denkschrift Huebers an Schuschnigg weiter und antwortete nach einem persönlichen Gespräch mit dem Bundeskanzler differenziert. Er »habe Gelegenheit genommen, mit dem Herrn Bundeskanzler die Angelegenheit zu besprechen. Es ist nun sicherlich richtig, dass seit Monaten keine Störungen und auch keine Versuche zu solchen wahrgenommen werden können und es ist auch zweifellos sehr begrüßenswert, dass die Herren der Nationalen Aktion in der Richtung der Befriedung in diesem Sinne tätig waren. Es steht aber auch fest, dass von Deutschland aus die ausdrückliche Weisung gegeben wurde und derzeit aufrecht besteht, in Österreich keinerlei Störungsversuche zu unternehmen, woraus sich klar ergibt, dass solche Störungen wesentlich durch Beeinflussung von außen bei uns Platz gegriffen haben.« Er (und Schuschnigg) stimme der Behauptung zu, »dass die Wiederherstellung der naturgegebenen freundschaftlichen Beziehungen Österreichs zu Deutschland in naher Zukunft nicht mehr von der Einstellung zum Nationalsozialismus, sondern lediglich von der Einstellung zu Deutschland als der deutschen Großmacht abhängig gemacht werden kann, (…) freilich unter der Voraussetzung, dass sich auch Deutschland bzw. der im Reiche gegenwärtig an der Macht befindliche Nationalsozialismus dem österreichischen Staat gegenüber entsprechend einstellt. Denn es gibt wohl keinen Österreicher, welcher nicht den Wiedereintritt korrekter Beziehungen zwischen Österreich und dem deutschen Staate wünschen würde, sowohl im Interesse jedes einzelnen als auch im Interesse des ganzen Volkes und auch im Interesse Europas. Auch hinsichtlich Ihrer Anschauung, dass die Unabhängigkeit Österreichs eine realpolitische Notwendigkeit ist, besteht Übereinstimmung, nur das Wort ›dermalen‹, welches Sie eingefügt haben, können wir allerdings nicht gelten lassen. Dass noch Hindernisse bestehen, gewisse Kreise, die bisher abseits gestanden sind, zu positiver Mitarbeit im Staate zu führen, muss ohne weiteres zugegeben werden  ; dass aber zur Überwindung dieser Hindernisse eine Organisation außer403 Denkschrift der Präsidentenkonferenz. S. 28.

Die Suche nach einem innen- und außenpolitischen Modus Vivendi

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halb der Vaterländischen Front notwendig wäre,« dieser Auffassung könne er nicht zustimmen. Die Vertreter nationaler Kreise können zu Gesprächen zusammenkommen, allerdings sollte stets ein von der Vaterländischen Front nominiertes Mitglied anwesend sein, um gegenseitiges Vertrauen zu schaffen und schließlich jene Kreise zu erfassen, die letzten Ende in die Vaterländische Front aufgenommen werden können, um in dieser »neben dem religiösen, dem kulturellen und dem wirtschaftlichen Element auch die Pflege des sogenannten nationalen Geistes und der Wahrung traditioneller nationaler Interessen organisch miteinander« zu verbinden. Ihm persönlich sei an einem Ausgleich sehr gelegen, denn er habe sich »immer bemüht, das Salzburger Volk möglichst umfassend im Zustande des Friedens zu erhalten, Kämpfe möglichst hintanzuhalten und Gegensätze zu mildern  ; dies wird auch immer, bei aller Wahrung der grundsätzlichen Einstellung, mein aufrichtiges Bestreben sein.« 404 Die im Programm Reinthallers enthaltenen Forderungen waren für die österreichische Bundesregierung letztlich inakzeptabel, wollte sie nicht auf offener Bühne durch die geforderte grundsätzliche Änderung der Innenpolitik bei einer gleichzeitigen Genehmigung einer regierungsfeindlichen Organisation kapitulieren. Bereits in der Sitzung des Ministerrates am 22. März 1935 war die Position der österreichischen Bundesregierung in einer angesichts der deutschen Wiederaufrüstung ad hoc geführten sicherheitspolitischen Debatte festgelegt worden. Bundesminister Odo Neustädter-Stürmer hatte darauf hingewiesen, dass sich Österreich den »jeweiligen Machtverhältnissen in Europa anpassen müsse.« Diese seien angesichts der Reaktionslosigkeit Großbritanniens und Frankreichs auf die einseitige Erklärung des Deutschen Reiches zur Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht so zu interpretieren, dass »sich die Lage in Europa (…) derart verändert habe, dass sich Deutschland nicht mehr zu fürchten brauche.« Die beiden Westmächte würden im Fall eines Angriffs des Deutschen Reiches auf Österreich nichts unternehmen, weshalb nur mehr Italien als Rückendeckung übrig bleibe. Es stelle sich allerdings die Frage, ob Italien »noch immer auf dem Standpunkt stehe, es werde im Fall eines Angriffes auf Österreich so wie am 25. Juli 1934 aufmarschieren. Sollte diese Frage zu verneinen sein, dann müsste weiter gefragt werden, ob es möglich sei, mit Deutschland, ohne innenpolitische Konzessionen zu machen, in ein besseres Verhältnis zu kommen.« Daraufhin erklärte Schuschnigg, »dass die letzte Frage nach seiner Beurteilung der Lage absolut und strikte verneint werden müsse. Jeder diesbezügliche Versuch, der über das rein wirtschaftliche Prinzip ›do ut des‹ hinausgehe, werde immer wieder mit Forderungen auf innenpolitischem Gebiet beantwortet, die auf eine Gleichschaltung abzielen. (…)

404 SLA Rehrl-Briefe 1935/205 (21g).

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Die Schatten der großen Politik – Historische Entwicklungslinien

Unter der Regierung Dr. Dollfuß sei wiederholt versucht worden, das außenpolitische Verhältnis zum Deutschen Reiche zu bessern. Diese Versuche seien jedoch immer missglückt und im Inlande sowohl als auch im Auslande als Schwäche der Regierung ausgelegt worden. Weiters seien nach derartigen Versuchen bei den Großmächten, die an der Aufrechterhaltung des status quo interessiert seien, Zweifel aufgetaucht, ob Österreich den festen Willen habe, sich selbständig zu erhalten. Es müsse festgestellt werden, dass Österreich selbstverständlich jede Möglichkeit, mit Deutschland in ein besseres Verhältnis zu kommen, ohne innenpolitische Konzessionen machen zu müssen, sofort ergreifen würde.«405 Ein Eingehen auf die Forderungen Reinthallers, in welcher Form auch immer, hätte jene innenpolitische Konzessionen inkludiert, die Schuschnigg im Ministerrat mit dem Hinweis auf die verheerenden sicherheits- und außenpolitischen Folgen ausgeschlossen hatte. Auch die Heimwehr unter Vizekanzler Starhemberg, unterstützt vom Sicherheitsapparat und großen Teilen der Bürokratie, machte sich mit dem Argument, die von der »Aktion Reinthaller« angebotene Befriedung sei nichts anderes als ein Trojanisches Pferd der nationalsozialistischen Machtergreifung, weder Reinthaller noch den Nationalen sei zu trauen, zum Befürworter einer ablehnenden Haltung des Bundeskanzlers und drängte auf einen Abbruch der Gespräche. Tatsächlich wurden zahlreiche Versuche unternommen, unter dem Deckmantel der »Aktion Reinthaller« nationalsozialistische Tarnorganisationen aufzubauen und ein Vertrauensmännernetz zu revitalisieren. Am 8. Oktober verfasste die Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit ein Rundschreiben an alle Sicherheitsdirektionen, in dem betont wurde, dass die »Aktion Reinthaller« weder von der Regierung noch von einzelnen Mitgliedern der Regierung gefördert werde. Bereits am folgenden Tag erließ der Salzburger Sicherheitsdirektor Bechinie ein entsprechendes Verbot. »Die Propagandatätigkeit der ›Nationalen Aktion‹ in Wort und Schrift wird auf Gründen der öffentlichen Ruhe und Ordnung verboten, da es sich bereits gezeigt hat, dass Nationalsozialisten diese Aktion z u v e r b o t e n e r P a r t e i t ä t i g k e i t m i s s b r a u c h e n . Diesem Verbote Zuwiderhandelnde haben daher die Verfolgung wegen verbotener Parteibetätigung zu gewärtigen.«406 Die »Reichspost« berichtete, dass die Exponenten der »Aktion Reinthaller« zahlreiche Bedingungen für eine Befriedung gestellt hätten. »Verständigung ist gewiss erstrebenswert. Aber B e d i n g u n g e n z u s t e l l e n h a t e i n z i g u n d a l l e i n d i e ö s t e r r e i c h i s c h e R e g i e r u n g . Von den ›gemäßigten nationalen Kreisen‹ dagegen ist e n d l i c h e i n e v o l l b e f r i e d i g e n d e E r k l ä r u n g zu erwarten, durch die sie sich als bedingungslos t r e u ö s t e r r e i c h i s c h g e s i n n t sowie als G e g n e r der t e r r o r i s t i s c h e n und s o n s t i g e r 405 MRP 988/2. 406 Reichspost 9.10.1934. S. 3.

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i l l e g a l e n K a m p f m e t h o d e n erweisen. Auf dieser Grundlage allein ist eine Verständigung möglich. Nur Österreicher, die österreichischer Gesinnung sind, können erwarten, in Österreich mitsprechen zu dürfen.«407 Reinthaller erwiderte, dass von der Aktion niemals Bedingungen gestellt, sondern lediglich Vorschläge als Diskussionsgrundlage unterbreitet worden seien und man sich in der Einleitung zu den unterbreiteten Vorschlägen sehr wohl zur Unabhängigkeit Österreichs und der Anerkennung der ständischen Verfassung bekannt habe.408 Am 10. Oktober wurde Reinthaller über den Leiter des staatspolizeilichen Referats der Wiener Polizei, Ludwig Weiser, offiziell mitgeteilt, dass jede weitere Tätigkeit der Aktion unerwünscht und daher untersagt sei und die »Reichspost« betonte in Erwiderung der Erklärung neuerlich, dass man zwar den Willen zur legalen Mitarbeit begrüße und alle Vorschläge geprüft würden, doch sei es andererseits selbstverständlich, »dass a l l e e t w a i g e n Ve r s u c h e u n t e r b u n d e n w e r d e n m ü s s e n , d i e d e n A n s c h e i n e r w e c k e n , a u f g e t a r n t e We i s e d i e W i e d e r a u f n a h m e oder Fortsetzung einer verbotenen politischen Betätigung zu b e z w e c k e n .«409 Wenngleich die Kontakte zwischen Regierung und der »Aktion Reinthaller« noch bis in das Frühjahr 1935, wenn auch in unverbindlich lockerer Form, anhielten, so waren sie realpolitisch aufgrund der mächtigen Gegenspieler in der Regierung sowie des Unvermögens Reinthallers, das »nationale Lager« hinter sich zu vereinen, im Oktober 1934 gescheitert. Am 18. Oktober 1934 berichtete der deutsche Botschaftsrat Victor Prinz zu Erbach-Schöneberg durchaus zutreffend nach Berlin, die Ergebnislosigkeit der »Aktion Reinthaller« sei innerparteilich vor allem auf drei Gründe zurückzuführen  : 1. Die nach wie vor bestehenden Spannungen zwischen Landbund, Großdeutscher Volkspartei und NSDAP. Vor allem die Mitglieder der NSDAP wären nicht bereit, ehemalige Landbündler oder Großdeutsche, gegen die sie in der Vergangenheit noch zu Felde gezogen seien, nunmehr in Spitzenfunktionen zu akzeptieren. 2. Das Fehlen einer demonstrativen Legitimation Reinthallers von ganz oben (Reichskanzlei) und 3. die Heranziehung von Persönlichkeiten durch Reinthaller, die beim Großteil der NSDAP-Aktivisten auf Misstrauen und Ablehnung stießen, zumal man vermutet, dass einige seiner nächsten Mitarbeiter in engen Beziehungen zur politischen Polizei stünden, die über alle internen Vorgänge bestens informiert sei.410 407 Ebda. 408 Reichspost 10.10.1934. S. 3. 409 Reichspost 11.10.1934. S. 4. 410 ADAP. Serie C. Bd. III/1. S. 485ff. Gerhard Jagschitz bemerkt zu den innerparteilichen Gründen des Scheiterns der Aktion  : »In seinem Bestreben, maßgebliche Funktionäre der NSDAP auf Gau- und

13. Ein neuerlicher Versuch Das Juliabkommen 1936 – Das Trojanische Pferd des Nationalsozialismus

Die Folgen des Scheiterns Reinthallers war dessen Verzicht auf die Führung der österreichischen NSDAP, die an Hermann Neubacher überging, der den Versuch unternahm, die sich durch das Auseinanderstreben von SA, SS und politischer Organisation411 und mangelnde Autorität des Landesleiters in einem weitgehend chaotischen Zustand befindende Partei zu straffen und neue Parteikader zu bilden, um eine Konsolidierung zu erreichen. Dies konnte nur durch eine Lösung vom Befriedungskurs Reinthallers und einer Hinwendung zu einer intensiven illegalen Parteiarbeit geschehen. Ende Dezember 1934 war der angestrebte Konsolidierungsprozess so weit abgeschlossen, dass in Innsbruck eine Führerbesprechung österreichischer und deutscher Funktionäre stattfinden konnte, in der nicht nur Richtlinien für die illegale Parteiarbeit erstellt, sondern mit dem niederösterreichischen Gauleiter Hauptmann Josef Leopold auch ein neuer Landesleiter, der diese Funktion jedoch erst im März 1935 übernehmen sollte, gewählt wurde. Im Bereich der Parteiarbeit wurde der Unterwanderung bestehender (Regierungs)Institutionen, der Schaffung von Tarnorganisationen und der Werbung bei bestimmten sozialen Gruppen wie arbeitslosen Akademikern, Offizieren, der Bauernschaft, kleinen Gewerbetreibenden, Beamten und ehemaligen Sozialdemokraten besonderes Augenmerk zugewandt. Ende April/ Bezirksebene auf seine Seite zu bringen, scheiterte Reinthaller allerdings. Standen Anfang August 1934 noch nationalsozialistische Führer der gemäßigten Richtung aus dem ganzen Bundesgebiet hinter der Aktion und schlossen sich kleinere Teile der SA-Führung sowie die Kärntner Gauleitung unter Major Hubert Klausner, Friedrich Rainer und Odilo Globocnik und die oberösterreichische Gauleitung unter Benedikt Klaushofer sowie der SS-Führer Ernst Kaltenbrunner der Aktion an, so mehrten sich schon Anfang September 1934 die gegnerischen Stimmen. Sicherlich unter dem Einfluss Reschnys und einiger österreichischer Parteiführer im Deutschen Reich versteifte sich die Haltung der Organisation – insbesondere der SA – zusehends und nahm gegen Reinthallers Befriedungsaktion Stellung, was auch durch eine illegale Propagandakampagne verstärkt wurde. Die über Reinthaller im Namen Hitlers ausgegebenen Befehle an SA-Unterführer, ihre SA-Formationen sofort aufzulösen, wurden nicht befolgt, um das ›Rückgrat der Partei‹ nicht zu zerbrechen. Die Befürchtung der etablierten nationalsozialistischen Führer, durch die Mitarbeit in der Aktion Reinthaller eine Aufdeckung der gesamten Organisation zu riskieren, lag vor allem darin begründet, dass die österreichische Staatspolizei offensichtlich im engsten Kreis um Reinthaller Informanten hatte einschleusen können. Es war somit offenbar, dass Reinthaller nicht die Kraft hatte, in die illegale nationalsozialistische Organisation einzudringen, geschweige denn sie zu übernehmen.« (Jagschitz  : Zwischen Befriedung und Konfrontation. S. 165f.) 411 In allen drei Organisationen gab es zudem Gegner und Befürworter des Befriedungskurses.

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Anfang Mai 1935 war die Partei so weit konsolidiert, dass sie zu verstärkter Propagandatätigkeit übergehen konnte. Zu diesem Zeitpunkt wurde sie jedoch durch die Verhaftung Leopolds und Neubachers neuerlich in ein Führungs- und Strategiechaos gestürzt,412 das, nicht zuletzt durch die durchaus erfolgreichen Verhaftungsaktionen, bis zum Juliabkommen 1936 andauern sollte. Zweifellos stellten »die beiden Jahre nach dem Juliputsch (…) ein Tief in der Geschichte der österreichischen NSDAP dar. Tausende Parteigenossen waren in Gefangenenlagern oder nach Deutschland geflohen. Die meisten der- ohnedies ungenügenden – für die SA und SS bestimmten Waffenlieferungen waren beschlagnahmt worden. Darüber hinaus war die zentrale und wirksame Führung von Theo Habicht vorüber und zudem waren die meisten der politischen, psychologischen und finanziellen Bindungen an die Reichspartei von Hitler selbst gekappt worden. Die wenigen Naziführer, die in Österreich geblieben waren, stritten ständig miteinander, wenn sie nicht gerade im Gefängnis saßen.«413 Die Wende erfolgte durch die geänderte außenpolitische Konstellation nach dem Ausbruch des Abessinienkrieges und die beiden spektakulären außenpolitischen Erfolge Hitlers – die sanktionslose Verabschiedung des Gesetzes für den Aufbau der Wehrmacht und die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht am 16. März 1935, dem das Flottenabkommen mit Großbritannien am 18. Juni folgte, mit dem die Stärke der deutschen Kriegsmarine auf bis zu 35 Prozent der britischen vereinbart wurde, und die Kündigung des Locarno-Vertrages sowie die vertragswidrige Besetzung der entmilitarisierten Zone des Rheinlandes am 7. März 1936. Vor dem Hintergrund der folgenlosen Besetzung der entmilitarisierten Zone des Rheinlandes erfolgte am 19. März 1936 eine außenpolitische Debatte im Ministerrat, bei der Außenminister Egon Berger-Waldenegg feststellte, »mit der Zerreißung des Rheinpaktes und insbesondere mit der Aufhebung der entmilitarisierten Zone habe naturgemäß das nationalsozialistische System eine ungemein wirksame Plattform gewonnen.«414 Bundeskanzler Kurt Schuschnigg wies in seiner Analyse der außenpolitischen Lage nach der Rheinlandbesetzung darauf hin, dass diese erhebliche Auswirkungen auf das Agieren der österreichischen NSDAP habe. Man »dürfe sich da412 Nach der Verhaftung Leopolds und Neubachers wurde der ehemalige nationalsozialistische Bundesrat Franz Schattenfroh kommissarischer Landesleiter, dem ein Führerrat zur Seite stand. Da Schattenfroh jedoch bald nach seiner Betrauung verhaftet wurde, übernahm ein Gauleiterkollegium, an dessen Spitze der Kärntner Gauleiter Hubert Klausner stand, vorübergehend die Führung. Als Schattenfroh im Juli 1935 aus dem Anhaltelager Wöllersdorf entlassen wurde, übernahm er endgültig die kommissarische Landesleitung. Er wurde jedoch im Frühjahr 1936 neuerlich verhaftet. Nach Kontroversen wurde der Linzer Oskar Hinterleitner als kommissarischer Landesleiter eingesetzt, der Friedrich Rainer und Odilo Globocnik zur Mitarbeit heranzog. 413 Pauley  : Der Weg in den Nationalsozialismus. S. 151. 414 MRP 1025. Material zu Protokollpunkt 4. GEHEIMPROTOKOLL. Gegenstand  : Außenpolitische Lage.

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rüber keiner Täuschung hingeben, wenn die letzte Zeit des vergangenen Jahres eine gewisse Stagnation gebracht habe und ein gewisses Erlahmen des Schwunges der illegalen Tätigkeit habe erkennen lassen. Seit Jänner d. J. habe sich ein verstärkter Druck von Deutschland her (…) bemerkbar gemacht. (…) Dass die Deutschen auf Österreich vollständig verzichtet hätten, halte Redner für ganz ausgeschlossen. Die große Gefahr liege darin, dass Deutschland einen ihm genehmen Anlass benützen könnte, auch in Österreich irgendeine Aktion durchzuführen, wenn sich zeige, dass es alles unternehmen könne, ohne auf einen energischen Widerstand der anderen Mächte zu stoßen.« Österreich könne zwar nicht Krieg gegen eine Großmacht führen, doch müsse es in der Lage sein, gewisse Gefahren aus eigener Kraft zu bewältigen. Dies bedeute, dass man, ähnlich wie das Deutsche Reich, verstärkt Anstrengungen in Richtung einer allgemeinen Wehrpflicht und einer besseren Ausrüstung der bewaffneten Macht unternehmen müsse. »Was insbesondere die militärische Rüstung anlange, sei darauf zu verweisen, dass Ungarn, das wirtschaftlich schwächer sei als Österreich, 7 neue Divisionen aufstelle und damit den Stand der Wehrmacht auf 21 Divisionen erhöhe und außerdem das erforderliche technische Material besitze. Österreich dagegen verfüge faktisch nur über 8 Divisionen, die überdies noch einen Ausbau vertragen würden. Man müsse daher trachten, wenigstens das Minimum dessen, was die Landesverteidigung erfordere, zu erreichen, ferner die Miliz so einzurichten, dass sie ihre Aufgabe erfüllen könne, und schließlich mit einem Gesetz über die Bundesdienstpflicht hervortreten ….«415 Der Kanzler unterstrich im Laufe der folgenden Diskussion seine Auffassung, dass, so sehr man auch das Aufweichen des Versailler Vertrages begrüßen mag, »sich darüber keiner Täuschung hingeben« dürfe, »dass für Österreich die Situation in naher Zukunft unangenehm werden könnte, wenn der Schritt Deutschlands von den Mächten glatt hingenommen würde.«416 Das Eintreten des von Schuschnigg angesprochenen Szenarios veranlasste diesen zu einer Revision der politischen Schwerpunktsetzung in Richtung Wiederaufrüstung und eines Ausgleichs mit dem Deutschen Reich, beides Vorhaben mit erheblichen innenpolitischen Folgen. Im Schatten der Rheinlandbesetzung erfolgte am 1. April 1936 die Einführung der einjährigen Bundesdienstpflicht und die Berufung von Alfred Jansa zum Chef des Generalstabs.417

415 Ebda. 416 Ebda. 417 Das Bundesheer erreichte durch die Einführung der einjährigen Bundesdienstpflicht, die am 12. Februar 1938 auf 18 Monate verlängert wurde, im März 1938 einen Ist-Stand von 61.000 Mann mit relativ hohem Ausbildungsniveau. Zu Jansa als Generalstabschef vgl. Peter Broucek (Hg.)  : Ein österreichischer General gegen Hitler. Feldmarschallleutnant Alfred Jansa. Erinnerungen. – Wien/Köln/ Weimar 2011. S. 585ff.

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Im Bereich der Wehrpolitik verfolgte Schuschnigg eine Doppelstrategie  : neben der Wiederaufrüstung im klassischen militärischen Sinn sollte die völlige Entmachtung der Wehrverbände, vor allem der Heimwehr, durch die Schaffung eines Milizheeres neben dem Bundesheer als Reservearmee unter dem Kommando des Bundesheeres erfolgen. Franz von Papen bemerkte in einem Schreiben an Hitler zutreffend, dass die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Form der einjährigen Bundesdienstpflicht gegen den Willen Starhembergs erfolgt sei, dessen Position in der Bundesregierung damit deutlich geschwächt wurde. Zudem würden sowohl Schuschnigg wie auch das Bundesheer »daran arbeiten, die Heimwehr zur Bedeutungslosigkeit zu verurteilen.«418 Bereits am 2. Dezember 1935 waren die Wehrverbände in der »Freiwilligen Miliz – Österreichischer Heimatschutz« zusammengefasst worden, die am 10. Oktober 1936 nach der offiziellen Auflösung der Wehrverbände in die »Frontmiliz« umgewandelt und der bewaffneten Macht (Bundesheer) eingegliedert wurde, deren Leitung der Bundeskanzler innehatte. Prominentes politisches Opfer dieses Konzentrationsprozesses war Starhemberg, der nicht nur mehrmals gegen den Ausbau des Bundesheeres und für die politische Funktion der Wehrverbände, vor allem der Heimwehr, plädiert hatte, sondern als Frontführer der Vaterländischen Front Rückendeckung für seine politischen Ambitionen bei Mussolini suchte und damit das von Schuschnigg vertretene Autoritäts- und Führerprinzip konterkarierte.419 Der Bundeskanzler nutzte die heftigen Reaktionen Frankreichs und Großbritanniens auf 418 Zit. bei Anton Hopfgartner  : Kurt von Schuschnigg. Ein Staatsmann im Kampf gegen Hitler. – Wien 1988. S. 90. 419 In seinen Memoiren bemerkt Starhemberg, er habe gegenüber Schuschnigg wiederholt die Auffassung vertreten, dass durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und die Aufrüstung des Bundesheeres die Sicherheitslage nicht verbessert werde, da vor allem Nationalsozialisten in das Bundesheer eindringen und im Gebrauch von Waffen instruiert würden. Österreich sei lediglich von Deutschland bedroht. »Diesem Feind gegenüber nützt aber eine österreichische Armee gar nichts, denn wenn die militärischen Kräfte Deutschlands einmal gegen Österreich eingesetzt werden, dann kann auch ein noch so starkes österreichisches Bundesheer gar nichts machen. Das Kräfteverhältnis wird immer bestenfalls 1   : 10 sein. Der Kampf gegen Nazideutschland ist ein politischer Kampf. Er kann nur mit politischen Soldaten geführt werden. Österreich wird in diesem Kampf nicht dadurch siegen, dass es ein relativ starkes Bundesheer zehnfach stärkeren deutschen Kräften entgegensetzt, sondern dadurch, dass es durch seine politischen Soldaten Stimmung macht, d. h. die Straße beherrscht. Die politischen Soldaten seien aber das aktivistische Österreich, das in den Wehrorganisationen der Vaterländischen Front, Heimatschutz, Sturmscharen usw. zusammengefasst ist. Ein Abbau der Wehrorganisationen, begründet durch den Ausbau des unpolitischen Bundesheeres, sei falsch.« (Ernst Rüdiger Starhemberg  : Memoiren. – Wien/München 1971. S. 253f.) Lothar Höbelt zitiert den italienischen Staatssekretär Fulvio Suvich, der gegenüber dem Industriellen und Starhemberg-Freund Fritz Mandl zum Sturz des Heimwehrführers bemerkte, »die ›mezzadria‹ – das Prinzip  : halbe-halbe – eigne sich für die Landwirtschaft, nicht für die Politik.« (Höbelt  : Die Erste Republik Österreich. S. 336.)

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ein Glückwunschtelegramm Starhembergs an Mussolini am 12. Mai 1936, in dem er dem Duce in überschwänglichen Worten zum Sieg in Abessinien gratulierte und heftige Kritik an den westlichen Demokratien übte,420 um ihm am folgenden Tag in einem persönlichen Gespräch mitzuteilen, dass er aus der Regierung ausscheiden und auch die Funktion des Frontführers der Vaterländischen Front zurücklegen müsse.421 Um den Bruch auf offener Bühne zu vermeiden und den Anschein des Machtverlustes für die Heimwehr zu vermeiden, war man bemüht, der Heimwehr bei der am 14. Mai erfolgten Regierungsumbildung das Gesicht wahren zu lassen. Starhemberg folgte der aus einer Offiziersfamilie stammende Heimwehrangehörige Eduard Baar-Bahrenfels als Vizekanzler, der die Funktion des Innen- und Sicherheitsministers behielt, jedoch politisch keinen Widerpart zu Schuschnigg bildete und von Theodor Hornbostel als »Mitgeher« charakterisiert wurde. Der von der Heimwehr gestellte Außenminister Egon Berger-Waldenegg, ein entschiedener Gegner des von Schuschnigg angestrebten Ausgleichs mit dem Deutschen Reich,422 musste auf den Posten des österreichischen Botschafters in Rom wechseln.423 Die 420 Das von Starhemberg abgesandte Telegramm hatte folgenden Inhalt  : »Im Bewusstsein faschistischer Verbundenheit an dem Schicksal des faschistischen Italien innigsten Anteil nehmend, beglückwünsche ich im Namen der für den faschistischen Gedanken Kämpfenden und im eigenen Namen Eure Exzellenz von ganzem Herzen zu dem ruhmvollen, herrlichen Sieg der italienischen Waffen über die Barbarei, zu dem Sieg des faschistischen Geistes über die demokratische Unehrlichkeit und Heuchelei und zum Sieg der faschistischen Opferfreude und disziplinierten Entschlossenheit über demagogische Verlogenheit. Es lebe der zielbewusste Führer des siegreichen faschistischen Italien, es lebe der Sieg des faschistischen Gedankens in der Welt.« (Zit. bei Kurt Schuschnigg  : Im Kampf gegen Hitler. Die Überwindung der Anschlussidee. 2. Aufl. – Wien/München/Zürich 1969. S. 176.) 421 Im Rückblick erklärte Schuschnigg zu der durch das Telegramm entstandenen Situation  : »Es wurde festgestellt, dass auch der Außenminister von der Absendung des Telegramms wusste. Der Bundeskanzler war nicht in Kenntnis gesetzt worden, sondern erfuhr dessen Inhalt, wie die Öffentlichkeit, durch eine Aussendung der Pressestelle des österreichischen Heimatschutzes. (…) Es bedurfte nicht der geharnischten Proteste des englischen Gesandten, um die österreichischen Stellen davon zu überzeugen, dass eine Reparatur des Fauxpas unumgänglich war. (…) Dass Vizekanzler und Außenminister (…) aus rein außenpolitischen Gründen nicht gehalten werden konnten, war schon aus Rücksicht auf die Westmächte klar. Nicht so sicher war die Reaktion des italienischen Partners. Aus einem Promemoria Mussolinis vom 15. Mai 1936 geht hervor, dass er für die unvermeidlich gewordene Veränderung im österreichischen Kabinett Verständnis hatte. Nach einem Bericht des österreichischen Militärattachés Oberst Doktor Liebitzky äußerte sich Mussolini dahin, dass im Falle einer Divergenz der Auffassungen zwischen dem Regierungschef und dessen Stellvertreter dieser zu weichen habe.« (Schuschnigg  : Im Kampf gegen Hitler. S. 176f  ; ADÖ 10/1621.) 422 Egon Berger-Waldenegg  : Biografie im Spiegel. S. 418. 423 Sozialminister Josef Dobretsberger, der im Kabinett als Vertreter des demokratischen Flügels der Christlichsozialen und als Opponent zur Heimwehr galt, wurde durch Josef Resch ersetzt, Landwirtschaftsminister Ludwig Strobl durch den Präsidenten der oberösterreichischen Landwirtschaftskammer, Peter Mandorfer, der bisherige Sektionschef im Bundeskanzleramt, Hans Hammerstein-Equord,

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Leitung des Außenministeriums übernahm interimistisch Schuschnigg, der sich entschlossen hatte, die Verhandlungen über einen Ausgleich mit dem Deutschen Reich weitgehend persönlich zu führen, wobei er vor allem den Vizedirektor der Präsidentschaftskanzlei, Guido Schmidt,424 den er bereits aus der gemeinsamen Schulzeit im Vorarlberger Jesuitengymnasium »Stella matutina« kannte, in sein Vertrauen zog.425 Schuschnigg übernahm auch die Leitung der Vaterländischen Front, deren Generalsekretär aus Gründen des politischen Ausgleichs der aus der Heimwehr kommende Kärntner Schriftsteller Guido Zernatto426 wurde, und begründete diesen Schritt in seinem 1937 erschienen Buch über die österreichische Geschichte im 20. Jahrwurde Justizminister und der Heimwehr-Angehörige Guido Zernatto Staatssekretär im Bundeskanzleramt. 424 Guido Schmidt (1901–1957) absolvierte als Sohn einer Vorarlberger Kaufmannsfamilie das Feldkirchner Jesuitengymnasium »Stella matutina« und studierte anschließend Rechtswissenschaften an den Universitäten Wien und Berlin. Nach der Promotion zum Dr. jur. wurde er von Ignaz Seipel protegiert und begann eine Diplomatenlaufbahn an der österreichischen Botschaft in Paris. Seipel veranlasste 1928 seine Rückberufung nach Wien in die Präsidentschaftskanzler. In seiner neuen Tätigkeit stieg er zum Vizedirektor der Präsidentschaftskanzlei auf und traf wiederum Kurt Schuschnigg, mit dem ihn ab nun eine Freundschaft verband, die sich vor allem auch in einer weitgehenden Übereinstimmung der politischen Überzeugungen äußerte. Nach dem Juliabkommen 1936 berief ihn Schuschnigg als Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten und erhob ihn im Februar 1938 in den Rang eines Ministers. Ein Angebot von Arthur Seyß-Inquart, in dessen NS-Kabinett im März 1938 einzutreten, lehnte er ab und wurde 1939 als Beamter in den dauernden Ruhestand versetzt. Während des Krieges arbeitete er in den Hermann-Göring-Werken (VOEST). 1945 wurde er inhaftiert und 1947 in einem Volksgerichtshofprozess des Hochverrates wegen heimlicher Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten angeklagt, jedoch freigesprochen. Das Protokoll des Prozesses wurde samt Dokumenten publiziert. 425 Vor dem Volksgerichtshof erklärte Guido Schmidt 1947, er habe als Vertrauensmann Schuschniggs die Aufgabe übernommen, »weil ich im Einverständnis mit ihm zur Überzeugung kam, dass der eingeschlagene Weg nicht vermeidbar war. Die Schuld am Gang der Dinge lag meines Erachtens an der Nachgiebigkeit der Westmächte Hitler gegenüber, den man eine Überraschung nach der anderen ausführen ließ, ohne ihm Einhalt zu gebieten. Einzig die Westmächte hätten Hitler damals niederhalten können  ; Österreich hätte ernstlich gegen Deutschland nichts unternehmen können. Schuschnigg und ich versuchten, in dieser Zwangslage einen praktisch gangbaren Weg zu gehen und im Verhandlungswege zu einem Ausgleich mit dem Reich zu kommen.« (Der Hochverratsprozess gegen Dr. Guido Schmidt. S. 25f.) 426 Guido Zernatto (1903–1943) nahm am Kärntner Abwehrkampf teil und arbeitete anschließend bei einer Handelsgesellschaft sowie als Wanderlehrer des »Deutschen Schulvereins Südmark«, gründete 1925 die Kulturzeitschrift »Kärntner Monatshefte« und übersiedelte 1926 nach Wien, wo er das Studium der Rechtswissenschaften begann, ohne es abzuschließen. 1930 gewann er den Lyrikpreis des Dresdner Jess-Verlages. 1928 wurde er beim Steirischen Heimatschutz in Wien tätig, avancierte zum (kulturpolitischen) Sekretär der Bundesführung des Heimatschutzes (Heimatblocks) und beschäftigte sich mit dem Ständegedanken. 1934 wurde er Mitglied des Bundeskulturrates, 1936 Staatssekretär für Angelegenheiten des Bundeskanzleramtes und Generalsekretär der Vaterländischen Front. Im März 1938 floh er nach

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hundert mit der Überzeugung, dass in dieser schwierigen Situation »straffste Zusammenfassung aller Kräfte und klarste politische Zielsetzung einer einheitlichen Führung zur Sicherung des Erfolges unerlässlich seien.«427 In einem Zirkularerlass des Außenministeriums an alle österreichischen Auslandsvertretungen hieß es zum offiziellen Sprachgebrauch  : »Obwohl nun Bundeskanzler und Vizekanzler in den großen Richtlinien der Innen- und Außenpolitik einheitliche Auffassungen hatten, so ergaben sich doch in der technischen Behandlung der Fragen durch diesen Dualismus (von Vaterländischer Front und Bundesregierung, Anm. d. Verf.) vielfach Hemmungen, die es als notwendig und nützlich erscheinen lassen, hier zu einer Unifizierung zu schreiten. Diese Unifizierung ist nun in dem Sinne vorgenommen worden, dass Bundeskanzler Dr. Schuschnigg auch an die Spitze der Vaterländischen Front tritt. (…) Die Freiwillige Miliz, die im Rahmen der Vaterländischen Front als Exekutivorgan zu betrachten ist, wird damit automatisch ebenfalls der Führung des Bundeskanzlers unterstellt.«428 Schuschnigg hatte mit der Regierungsumbildung neben einer außerordentlichen Machtkonzentration in seiner Person – Bundeskanzler, Verteidigungs- und Außenminister sowie Führer der Vaterländischen Front – auch eine de facto völlige Handlungsfreiheit bei seinem Bestreben eines Ausgleichs mit dem Deutschen Reich erreicht. Diese Bemühungen waren nicht zuletzt auch das Ergebnis der Wehrpolitik, in deren Kontext die inkonsequente Haltung der österreichischen Bundesregierung deutlich wurde. Wurde in den Diskussionen im Ministerrat sowie bei der Berufung Jansas zum Generalstabschef stets neben der Beseitigung der als Demütigung empfundenen militärischen Bestimmungen des Vertrages von St. Germain die Bedrohung durch das Deutsche Reich, dessen forcierten Kasernenbau in der unmittelbaren Grenznähe man mit Besorgnis registriere, als Grund angegeben, so widersetzte man sich konsequent allen französischen Avancen für die Aufhebung der einschränkenden militärischen Bestimmungen und die Bewilligung von Krediten für die notwendigen Maßnahmen im Gegenzug zur direkten oder indirekten Teilnahme an einem cordon sanitaire inklusive dessen militärischen Implikationen gegenüber Paris und emigrierte 1940 in die USA, wo er 1941 Assistant Research Prof. für Politische Wissenschaften an der Fordham-University wurde. Vgl. Guido Zernatto  : Die Wahrheit über Österreich. – New York/Toronto 1938. 427 Kurt Schuschnigg  : Dreimal Österreich. 2. Aufl. – Wien 1937. S. 306. 428 ADÖ 10/1620. Ähnlich äußerte sich Bundeskanzler Schuschnigg in der ersten Sitzung des Ministerrates nach der Regierungsumbildung am 20. Mai 1936. »Unter den gegebenen Verhältnissen auf außen- und innenpolitischem Gebiete sei die Konzentration der Führung zwingend geboten, zumal da der Eindruck vermieden werden müsse, als ob sich in Österreich die Führung der Regierung nicht nach einheitlichen Grundsätzen vollziehe und genügend rasch durchsetzen könne. Diese Erwägung sei denn auch letzten Endes der Grund gewesen, aus der gegebenen Situation heraus die Konzentration der Kräfte – in Frieden und Freundschaft – herbeizuführen.« (MRP 1030/1.)

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dem immer aggressiver auftretenden Deutschen Reich. Während Jansa bei seiner Berufung zum Generalstabschef gegenüber Schuschnigg erklärte, die Erhaltung der Unabhängigkeit Österreichs bedeute – auch den militärischen – Kampf gegen Hitler, für den man ein auf der allgemeinen Wehrpflicht basierendes Heer inklusive der Beschaffung entsprechenden militärischen Geräts benötige,429 betonte er gegenüber dem französischen Militärattaché, »keine Regierung in Wien, was auch immer ihre politische Einstellung sein möge, würde es wagen,« an militärischen Aktionen gegen das Deutsche Reich teilzunehmen, da dies »zur Folge hätte, dass sie durch die sich ihr entgegenstellende Bevölkerung ganz Österreichs weggefegt werden würde. Es ist absolut unmöglich, eine solche, im Widerspruch zu unseren innersten Überzeugungen stehende Sache von uns zu verlangen.« Im März 1936 betonte er seinem französischen Gesprächspartner gegenüber, die Absichten der Regierung seien »die absolute Neutralität auf allen Seiten und die Verteidigung dieser Neutralität gegen jeden, der versucht, sie zu verletzen.«430 Die von Österreich verfolgte Politik der Neutralität war somit das Ergebnis der dominanten kollektiven deutschen Mentalität, der man Rechnung tragen musste. Dies hatte jedoch letztlich die sicherheitspolitische Isolation und in deren Konsequenz die Notwendigkeit eines Ausgleichs mit dem Deutschen Reich, in welcher Form auch immer, zur Folge. Im Mai 1936 erklärte Schuschnigg gegenüber dem französischen Militärattaché Oberst Camille Roger Salland  : »Ich bin Deutscher und ich bekenne mich dazu. Aber ich bin gleichzeitig Österreicher und in dieser Eigenschaft überzeugter Gegner des Anschlusses. Unsere Beziehungen mit Deutschland haben jedoch einen abnormen Charakter, der nicht andauern kann  ; wir können nicht gleichsam in einem Kriegszustand mit unserem nördlichen Nachbarn bleiben. Man muss einen modus vivendi finden.«431 Das Ausscheiden Starhembergs aus der Bundesregierung und die weitgehende Entmachtung der Heimwehr hatte zwar vordergründig die Stellung des Bundeskanzlers gestärkt, jedoch keineswegs, wie behauptet, die Regierungsbasis verbreitert. Ein Großteil der Heimwehrmitglieder war sich des eingetretenen Machtverlustes durchaus bewusst und reagierte mit offensichtlicher Gereiztheit und Distanz zur Regierung. Die zunehmende Distanz zur Regierung äußerte sich in der ganzen Palette möglicher Verhaltensweisen, von der politischen Abstumpfung über die Opposition bis zum Wechsel zur NSDAP. Die Basis der Regierung wurde schmäler, darüber konnte auch der Mythos der großen Zahl, den die Vaterländische Front in Form einer bürokratischen Selbstillusion pflegte, nicht hinwegtäuschen. 429 Broucek (Hg.)  : Ein österreichischer General gegen Hitler. S. 588. 430 Zit. bei Georges Castellan  : Ein Vorspiel zum Anschluss (1935–1937). Nach der Korrespondenz des französischen Militärattachés in Wien, Oberst Salland. – In  : Stourzh, Zaar (Hg.)  : Österreich, Deutschland und die Mächte. S. 147–166. S. 148f. 431 Ebda. S. 154.

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Schuschnigg war sich dieser Schwäche wohl bewusst, versuchte sie jedoch durch eine verhängnisvolle Fehlkalkulation auszugleichen, indem er die Regierungsbasis durch die »Nationale Opposition« zu verbreitern suchte. Dass er damit den Bock zum Gärtner machte, die honorige Gruppe nationaler Persönlichkeiten wie Edmund Glaise-Horstenau, Arthur Seyß-Inquart, Egbert Mannlicher oder Oswald Menghin letztlich eine großdeutsche Position vertrat, die eine eigenstaatliche Entwicklung Österreichs ablehnte, wurde – bewusst oder unbewusst – von den Protagonisten und Befürwortern dieser Lösung übersehen. Eine folgenschwere Fehleinschätzung, der auch viele ehemalige Christlichsoziale unterlagen,432 wie die teilweise euphorischen Reaktionen auf das Juliabkommen dokumentieren sollten. Wenngleich die Reaktionen der in- und ausländischen Presse das Juliabkommen 1936 zum überwiegenden Teil als Erfolg der österreichischen Außenpolitik beurteilten, so gab es auch nüchtern warnende Stimmen, die sich bereits im Vorfeld des Abkommens äußerten. So sahen französische Beobachter der österreichischen Innenpolitik hellsichtig und zutreffend die Gefahren der von Schuschnigg entschlossen betriebenen Politik des Ausgleichs mit der nationalen Opposition und mit Berlin. So berichtete der französische Militärattaché in Berlin, General Gaston Renondeau, am 28. April 1936 nach Paris, Hitler müsse angesichts der aktuellen Entwicklung nur die Klugheit und Geschicklichkeit haben und »abwarten, bis sich die Österreichfrage von selbst durch eine innere Umwälzung löst, die ein nationalsozialistisches Regime an die Macht bringt,

432 Einer der Befürworter dieser Entwicklung war der Schuschnigg-Vertraute und Doyen der katholischen Publizistik Friedrich Funder, der vor allem den Kontakt Schuschniggs zu Edmund Glaise-­ Horstenau herstellte. In seinen Erinnerungen bemerkte Funder, dass Mussolini 1935 infolge der Beanspruchung Italiens durch den Abessinienkrieg zunehmend auf ein Verständigungsabkommen Österreichs mit Deutschland drängte. »Das Wie war das heikle Problem. Im Staatsrat beschäftigte jetzt ein solcher Plan außerhalb der offiziellen Tagesordnung die politisch geschulten Köpfe in eifrigen Debatten. In meiner Nähe saß, zufolge der alphabetischen Platzordnung, der Direktor des Heeresarchivs, Edmund Glaise-Horstenau. Ich kannte ihn noch aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, da er als junger Offizier nach der Schlacht von Gorlice mir attachierter Begleiter auf einer Frontreise durch die Kriegsgefilde Westgaliziens gewesen war. Ein Jahrzehnt später begegneten wir einander wieder in der damaligen Wiener Katholischen Akademikerbewegung, in der sich interessante Köpfe zusammengefunden hatten. (…) In den Reihen (…) fiel Glaise-Horstenau auf, ein springlebendiges Temperament, sympathisch, vielseitig gebildet, politisch zwischen Christlichsozialen und Deutschnationalen stehend, der Typus des wohltrainierten Intellektuellen, begabt mit den Vorzügen und Schwächen des Österreichers  ; dass er in der Katholischen Akademikervereinigung (…) bald zum Vorsitzenden gewählt wurde, sagte allerlei über ihn aus. (…) Mit ihm über die großen Fragen der damaligen öffentlichen Tagesordnung zu diskutieren, war ein Vergnügen. Die Geschäftsordnung des Staatsrates hielt die Debatten in strengen Zügeln. Von selbst ergab es sich, dass der politische Gedankenaustausch sich über die Sitzungen hinaus verlagerte und mein Nachbar Glaise-Horstenau …

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das sich mit Deutschland verbündet. Der Anschluss wird zweifellos zu Beginn mehr oder weniger verschleiert sein, aber ein fait accompli werden.«433 Schuschniggs Politik zielte angesichts der geänderten außenpolitischen Konstel­ lation auf Zeitgewinn mit realpolitischem Kalkül. Mit der kontrollierten Regierungs­ beteiligung der nationalen Opposition sollte eine Spaltung des österreichischen Nationalsozialismus und ein Mentalitätswandel der Betont Nationalen hin zu einem Österreich-Bewusstsein erreicht werden. Die außenpolitische Positionierung Österreichs konnte im Bereich des ohnedies mehrheitsfähigen Bekenntnisses zum Deutschtum erfolgen, in dessen Interpretation es zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und Österreich deutliche Auffassungsunterschiede gab, musste jedoch die explizite Betonung der staatlichen Eigenständigkeit der Alpenrepublik enthalten. Bereits Anfang Mai 1936 nahm Schuschnigg über Guido Schmidt Verhandlungen mit Papen über eine Normalisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen auf. Diese Verhandlungen waren die Idee Schuschniggs, der auch deren Verlauf maßgebend bestimmte. Guido Schmidt erklärte in dem gegen ihn geführten Hochverratsprozess, dass das Abkommen nicht seine Idee gewesen sei, sondern »das Gedankengut des damaligen Bundeskanzlers Schuschnigg selbst. (…) Die Verhandlungen wurden von Bundeskanzler Schuschnigg selbst geführt.!«434 Bei diesen forderte Papen nach Rücksprache mit Berlin und in Verfolgung der Durchdringung Österreichs in Form einer evolutionären Politik die Aufnahme deutschnationaler Persönlichkeiten in die Bundesregierung sowie eine Amnestie. Als Gegenleistung würde Berlin die Unabhängigkeit Österreichs garantieren. Trotz seiner prinzipiellen Bereitschaft zu einem 433 … auf dem gemeinsamen Heimweg durch die Neustiftgasse in angeregtem Gespräch mit mir das schwere Problem einer Befriedung mit dem Hitler-Staate hin und her wälzten. (…) Wo war der Ausweg aus der gefährlichen Lage  ? Darum ging unser Gedankenaustausch auf unseren politischen Spaziergängen, eine private Unterhaltung zunächst aus journalistischen Motiven. (…) Es musste ein Übergang eingeleitet werden mit Geduld und dem Erweis des ehrlichen guten Willens zu geordneter Nachbarschaft und Gutmachung. Wir nannten unser Konzept ›Stillhalteabkommen‹  ; zwischen der Vergangenheit und einem künftigen dauerhaften Frieden sollte eine zehn Jahre dauernde kampffreie Zwischenzone eingeschaltet werden  ; für diese Zwischenlösung hätte zu gelten  : die ausdrückliche Respektierung der staatlichen Unabhängigkeit Österreichs, die Einstellung der Anschlusspropaganda, die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen Partners, die freie Koordinierung der auswärtigen Politik der beiden Staaten für die Zeit des Stillhaltens. (…) Ich habe dem Bundeskanzler von diesen Besprechungen kurz berichtet.« (Friedrich Funder  : Als Österreich den Sturm bestand. Aus der Ersten in die Zweite Republik. – Wien/München 1957. S. 246ff.: Zur Rolle Edmund Glaise-Horstenaus bei den Verhandlungen zum Juliabkommen vgl. Peter Broucek  : Edmund Glaise-Horstenau und das Juliabkommen 1936. – In  : Das Juliabkommen von 1936. S. 119–135.) Castellan  : Ein Vorspiel zum Anschluss. S. 154. 434 Hochverratsprozess. Protokoll. S. 30.

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Abkommen zögerte Schuschnigg, zumal die von Vertretern der nationalen Opposition präsentierten innenpolitischen Vorschläge eine weitgehende Kapitulation der Regierung bedeutet hätten und daher von ihm zurückgewiesen wurden. Zu diesem Zeitpunkt hätte der Kanzler die wahre Natur der nationalen Opposition erkennen und die Gespräche abbrechen müssen. Er entschied sich jedoch Mitte Juni für einen anderen, ihm gemäßigter erscheinenden Gesprächspartner  : Edmund Glaise-Horstenau. Sein Entschluss, die Gespräche nicht zu beenden, wurde auch von seinem Besuch bei Mussolini in dessen Landsitz Rocca delle Caminate Anfang Juni bestimmt, bei dem ihm der Duce auf die Frage einer außen- und sicherheitspolitischen Rückendeckung gegenüber Berlin diplomatisch, aber doch deutlich, erklärt hatte, an der grundsätzlichen Einstellung Italiens hinsichtlich Österreichs habe sich nichts geändert, doch sei es durch die Ereignisse in Abessinien sehr in Anspruch genommen und es wäre für Rom erheblich leichter, wenn beide, Rom und Wien, mit Berlin in guten Beziehungen stehen würden. Die Gespräche mit Glaise-Horstenau führten schließlich am 7. Juli zu einem Protokoll, in dem die innenpolitischen Grundzüge eines Abkommens – Anerkennung des Ständestaates, Verbot der nationalsozialistischen Propaganda, Mitarbeit der nationalen Opposition in der Vaterländischen Front, Amnestie – festgelegt wurden. Am 19. Juni präsentierte Schuschnigg Papen einen konkreten Vorschlag für ein zu schließendes bilaterales Abkommen, das auf dem von Berger-Waldenegg präsentierten Entwurf vom 1. Oktober 1935 basierte. Der nunmehr von Schuschnigg präsentierte Entwurf des Modus vivendi ging von dem Vorschlag aus, nur einen Teil des Abkommens zu veröffentlichen und die innenpolitischen Zugeständnisse wie die Regierungsbeteiligung der nationalen Opposition, die Amnestieregelung, die wirtschafts- und kulturpolitischen Bestimmungen sowie die außenpolitische Akkordierung in einer mündlichen Erklärung des Bundeskanzlers zusammenzufassen.435 Papen erhob bereits bei der Präsentation des Entwurfs Einwände, erarbeitete jedoch in der Folgezeit nach innerdeutschen Verhandlungen einen Gegenentwurf, der anstelle einer mündlichen Erklärung des österreichischen Bundeskanzlers ein geheimes »Gentlemen-Agreement« sowie eine namentliche Aufzählung der nunmehr wechselseitig zugelassenen Zeitungen und regelmäßige außenpolitische Konsultationen enthielt. In Berlin war man mit der von Schuschnigg vorgeschlagenen Verschleierungstaktik in Form eines doppelten Abkommens – offizielles und geheimes Zusatzabkommen – mehr als zufrieden, »konnte doch damit der Weltöffentlichkeit das beruhigende Schauspiel eines deutsch-österreichischen Friedensschlusses geboten werden, während die Zugeständnisse des geheimen Gentlemen-Agreement

435 ADÖ 10/1631.

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unauffällig zur Durchsetzung des ›Evolutionskonzeptes‹ nutzbar gemacht werden konnten.«436 Am 1. Juli erfolgte eine neuerliche Besprechung zwischen Schuschnigg und Papen, die nach der vertraulichen Aufzeichnung des Außenamtes berechtigte Hoffnung auf einen positiven Abschluss gab. »Das, was Österreich hierbei anstrebt, ist die natürliche Normalisierung der Beziehungen zwischen zwei benachbarten Staaten, die noch dazu gleicher Sprache sind. Die Voraussetzungen, die Österreich für diese Normalisierung aufgestellt hat, sind folgende  : 1. Die eindeutige und unzweifelhafte Anerkennung der Unabhängigkeit und Selbständigkeit Österreichs, 2. die Anerkennung der Grundsätze der Nichteinmischung in die inneren österreichischen Verhältnisse, 3. die eindeutige Feststellung, dass der Nationalsozialismus für Österreich weder als politischer Faktor noch als Vertragspartner in Frage kommt und 4. die ausdrückliche Bedachtnahme auf die Tatsache, dass die Römer Protokolle ex 1934 mit den Zusätzen ex 1936 die Grundlinie der österreichischen Politik bestimmen, woran sich auch in Zukunft nichts ändern wird. Da Herr von Papen namens seiner Regierung die Grundsätze bereits anerkannt hat, besteht berechtigte Aussicht darauf, dass ein Gentlemen Agreement zwischen der österreichischen Bundesregierung und der deutschen Reichsregierung, das eine Reihe von Einzelfragen der vielseitigen Beziehungen zwischen den beiden Staaten regeln soll, zum Abschluss gelangen wird. (…) Vom Gesichtspunkte der innenpolitischen Entwicklung Österreichs wird die angestrebte Normalisierung des Verhältnisses zu Deutschland u. a. folgende Auswirkungen haben  : Der Grundsatz, dass österreichischerseits ein Paktieren mit dem Nationalsozialismus nicht in Frage kommen kann, zieht den innenpolitischen Möglichkeiten eine klar umrissene Grenze. Die in dieser Beziehung im Auslande wiederholt verbreiteten Gerüchte über Zuziehung von Vertretern des Nationalsozialismus zur Regierung bzw. zu verantwortlichen öffentlichen Stellen, gehören daher in das Reich der Fabel. Es kann lediglich davon die Rede sein, dass die Regierungsbasis in Österreich dadurch verstärkt werden könnte, dass die sogenannten ›nationalen Kreise‹ zur Mitverantwortung herangezogen werden, insoweit sie sich nicht nationalsozialistisch kompromittiert haben und sich eindeutig zu den Grundsätzen bekennen, die das Gesetz über die Vaterländische Front hinsichtlich der österreichischen Staatlichkeit aufstellt. (…) In außenpolitischer Beziehung glaubt der Bundeskanzler sich der Hoffnung hingeben zu können, dass die Entgiftung des nunmehr seit dreieinhalb Jahren beste436 Müller  : Gemeinsam oder getrennt zum »Neuaufbau in Mitteleuropa«  ? S. 493.

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henden gespannten Verhältnisses zwischen Österreich und dem Deutschen Reiche wesentlich dazu beitragen kann, dass die allgemeine Unruhe und nervöse Gereiztheit auf dem europäischen Kontinent, unter denen Österreich als kleiner Staat ganz besonders zu leiden hat, eine wesentliche und anhaltende Linderung erfahren wird. Es muss hierbei mit allem Nachdruck darauf hingewiesen werden, dass sich dieses für Österreich wie für den großen Teil des europäischen Kontinents hoffentlich günstig auswirkende Ergebnis der Entspannungsaktion ohne Aufopferung auch nur eines der fundamentalen Grundsätze des heutigen Österreich erzielen lassen wird. Es wäre daher durchaus abwegig und den Tatsachen widersprechend, wollte man hierin – wie dies voraussichtlich Österreich missgünstige Stimmen zu behaupten versuchen werden – ein Aufgeben der eigenstaatlichen Grundsätze Österreichs oder ein Abweichen von der die gesamte Politik Österreichs bestimmenden ›Dollfuß-Linie‹ erblicken.«437 Als sich die Gerüchte um den bevorstehenden Abschluss eines bilateralen Abkom­ mens zwischen dem Deutschen Reich und Österreich verdichteten, unternahmen Frankreich und Großbritannien den Versuch, mit Österreich Gespräche im R ­ ahmen des Völkerbundes zu führen. Schuschnigg kam dieser Aufforderung nicht nach, wobei diese Ablehnung vor allem aus einem Bündel von Motiven erfolgte. Der öster­ reichischen Außenpolitik war bewusst, dass die beiden Westmächte nicht bereit waren, die österreichische Unabhängigkeit zu garantieren. Vor allem für Großbritannien lag Österreich außerhalb der direkten britischen Interessensphäre. Zum anderen entsprachen die Verhandlungen mit Berlin einer außenpolitischen Linie, die bereits Dollfuß aufgrund der großdeutschen Tradition und kollektiven Mentalität, die sich in einer grundsätzlich prodeutschen Orientierung manifestierte, verfolgt hatte. Hinzu traten ökonomische Motive, die aufgrund der engen wirtschaftlichen Verflechtungen, der Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise und der restriktiven Außenhandelspolitik des nationalsozialistischen Deutschland einen erheblichen Problemhaushalt schufen, den man durch eine Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen zum Deutschen Reich großteils bewältigen zu können meinte. Und schließlich waren zu diesem Zeitpunkt durch (vermeintliche) Zugeständnisse des Deutschen 437 ADÖ 10/1633. Zum Entwurf eines Gentleman-Agreements bei der Besprechung am 1. Juli 1936 vgl. ADÖ 10/1634. Am 8. Juli 1936 versandte der Generalsekretär im Außenministerium, Franz Josef Peter, einen streng vertraulichen Zirkularerlass an alle österreichischen Gesandten und Geschäftsträger im Ausland, in dem er den angesichts der geheim geführten Verhandlungen auftauchenden Gerüchten entgegentrat und die Grundzüge des kurz vor Unterzeichnung stehenden Abkommens mitteilte und betonte, dass die Regierungsbasis »nur dadurch verstärkt werden« könne, »dass die sogenannten ›nationalen Kreise‹ zur Mitverantwortung herangezogen werden, insoweit sie sich nicht nationalsozialistisch kompromittiert haben und weiters das eindeutige Bekenntnis zu den Grundsätzen der durch das Vaterländische-Front-Gesetz bestimmten österreichischen Staatlichkeit abzulegen bereit sind.« (ADÖ 10/1637.)

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Reiches die Verhandlungen bereits so weit gediehen, dass sie kurz vor einem erfolgreichen Abschluss standen. Es wäre ein Irrtum, Schuschnigg und seinen engsten Mitarbeitern politische Naivität zu unterstellen. Die österreichischen Akteure waren Realisten und sahen in dem Vertrag, trotz der in ihm enthaltenen Fallstricke und Einschränkungen der Souveränität des Landes, einen Zeitgewinn438 in der Hoffnung auf eine Änderung der internationalen Konstellation und einer eventuellen Destabilisierung der nationalsozialistischen Herrschaft im Deutschen Reich. Insofern war das schließlich geschlossene Juliabkommen ein »Pakt auf Zeit«,439 ein letztlich ungewisser Wechsel auf die Zukunft. Schuschnigg informierte am 3. Juli im Rahmen der Beschlussfassung über das »Bundesgesetz zum Schutz des Staates« den Ministerrat über den bevorstehenden Vertragsabschluss440 und am 9. Juli die Landeshauptleute. Am 10. Juli billigte Hitler trotz innerer Widerstände mit Blick auf die internationale Lage das aus zwei Teilen, dem publizierten Kommuniqué und dem nicht publizierten Gentleman-Agreement, 438 Diese Ansicht vertrat auch der französische Außenminister Yvon Delbos in einem Gespräch mit dem österreichischen Botschafter in Paris, Alois Vollgruber, am 9. Juli 1936. In diesem Gespräch bedauerte Delbos, dass er und sein britischer Amtskollege Anthony Eden Bundeskanzler Kurt Schuschnigg nicht, wie gehofft, in Genf zu einer ausführlichen Aussprache treffen würden. Er hoffe, dass die Verhandlungen über ein Abkommen zwischen Berlin und Wien zu einem positiven Ergebnis führen werden, das dem Frieden in Europa diene. »Denn eine offizielle Erklärung Herrn Hitlers über die Respektierung unserer Unabhängigkeit und die Nichteinmischung wäre ein diplomatischer Erfolg für Österreich und würde für uns vielleicht auch einen gewissen Zeitgewinn bedeuten. Die Tatsache des Zustandekommens eines Arrangements auf einer solchen Basis wäre daher an und für sich begrüßenswert, auch wenn man sich keiner Illusion über eine grundlegende Änderung der Mentalität in Deutschland und über die Frage, ob die Bedingungen des Arrangements auch wirklich eingehalten werden, hingebe. Ich erwiderte, dass ich eben dies (…) hätte sagen wollen. Wir wären weit davon entfernt, uns Illusionen zu machen und würden doppelte Wachsamkeit an den Tag legen.« (ADÖ 10/1638.) 439 Vgl. Volsansky  : Pakt auf Zeit. S. 34. 440 MRP 1033/1. Die Debatte über das Abkommen ist nicht schriftlich überliefert. Eine weitere Diskussion mit indirekten Hinweisen auf die Diskussion im Ministerrat am 3. Juli fand im Ministerrat am 11. Juli statt, in dem Schuschnigg erklärte, »dass er das in Rede stehende Übereinkommen als nichts andres als einen Versuch auffasse, der durch die augenblickliche außenpolitische Lage bedingt sei, die es Deutschland jetzt notwendig erscheinen lasse, in der österreichischen Frage Konzessionen zu machen, zu denen es bisher nicht bereit gewesen sei und die, wie aus verlässlichen Nachrichten hervorgehe, zweifellos nur unter dem Zwang der Stunde und nicht aus innerem Drang gemacht worden sein dürften. Dasselbe gelte allerdings auch für Österreich. So sehr die österreichische Bundesregierung eine Normalisierung der Verhältnisse zum Deutschen Reich aus wirtschaftlichen und kulturellen Gründen angestrebt habe und anstrebe, so sehr sei sie sich bewusst, dass damit keineswegs bereits der Weg zu einem wirklichen freundschaftlichen Verhältnis offensteht. Ob sich eine Entwicklung in dieser Richtung werde ermöglichen lassen, werde vielmehr davon abhängen, ob eine loyale Durchführung der Vereinbarung erfolgen werde, wobei natürlich österreichischerseits der Wille zur genauesten Einhaltung des Vereinbarten bestehe.« (MRP 1035/1.)

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bestehende Abkommen, das auch die Zustimmung der von Schuschnigg geleiteten österreichischen Verhandlungsdelegation (Guido Schmidt, seit 14. Mai Staatssekretär im Außenamt, Guido Zernatto, Staatssekretär im Bundeskanzleramt und Generalsekretär der Vaterländischen Front, Theodor Hornbostel, Leiter der politischen Abteilung im Bundeskanzleramt/Auswärtige Angelegenheiten) hatte. Am 11. Juli unterfertigten Schuschnigg und Papen das Abkommen im Bundeskanzleramt und um 21.00 Uhr informierten Schuschnigg und Goebbels die Bevölkerung in jeweiligen Rundfunksendungen, wobei der österreichische Bundeskanzler im Anschluss an die Verlesung des offiziellen Kommuniques441 in einer Ansprache in einigen Bemerkungen auch Hinweise auf den Inhalt des geheimen Gentleman-Agreements gab.442 441 Das offizielle Kommuniqué hatte folgenden Wortlaut  : »In der Überzeugung, der europäischen Gesamtentwicklung zur Aufrechterhaltung des Friedens eine wertvolle Förderung zuteilwerden zu lassen, wie in dem Glauben, damit am besten den vielgestaltigen wechselseitigen Interessen der beiden deutschen Staaten zu dienen, haben die Regierungen des Bundesstaates Österreich und des Deutschen Reiches beschlossen, ihre Beziehungen wieder normal und freundschaftlich zu gestalten. Aus diesem Anlass wird erklärt  : 1. Im Sinne der Feststellung des Führers und Reichskanzlers vom 21. Mai 1935 anerkennt die deutsche Reichsregierung die volle Souveränität des Bundesstaates Österreich. 2. Jede der beiden Regierungen betrachtet die in dem anderen Lande bestehende innenpolitische Gestaltung, einschließlich der Frage des österreichischen Nationalsozialismus, als eine innere Angelegenheit des anderen Landes, auf die sie weder unmittelbar noch mittelbar Einwirkung nehmen wird. 3. Die österreichische Bundesregierung wird ihre Politik im Allgemeinen, wie insbesondere gegenüber dem Deutschen Reich, stets auf jener grundsätzlichen Linie halten, die der Tatsache, dass Österreich sich als deutscher Staat bekennt, entspricht. Hierdurch werden die Römer Protokolle ex 1934 und deren Zusatz ex 1936 sowie die Stellung Österreichs zu Italien und Ungarn als Partner dieser Protokolle nicht berührt. In der Erwägung, dass die von beiden Seiten gewünschte Entspannung sich nur verwirklichen lassen wird, wenn dazu gewisse Vorbedingungen seitens der Regierungen beider Länder erstellt werden, wird die österreichische Bundesregierung sowie die Reichsregierung in einer Reihe von Einzelmaßnahmen die hierzu notwendigen Voraussetzungen schaffen.« (MRP 1035/Beilage A.) 442 Gentleman-Agreement vom 11. Juli 1936 zwischen Österreich und dem Deutschen Reich  : »In der Überzeugung, dass der von beiden Seiten geäußerte Wunsch, die Beziehungen zwischen dem Bundesstaate Österreich und dem Deutschen Reiche wieder normal und freundschaftlich zu gestalten, eine Reihe von Vorbedingungen seitens beider Regierungen erfordert, wird nachfolgendes vertrauliches ›Gentleman-Agreement‹ von beiden Seiten gebilligt  : I. Regelung der Behandlung der Reichsdeutschen in Österreich und der österreichischen Staatsbürger im Reiche. Die in beiden Ländern bestehenden Vereinigungen ihrer Staatsangehörigen sollen in ihrer Tätigkeit nicht behindert werden, solange sie den in ihren Statuten festgelegten Richtlinien gemäß den geltenden Gesetzen entsprechen und sich nicht in innenpolitische Angelegenheiten des anderen Staates einmischen, noch insbesondere Staatsangehörige des anderen Staates durch Propaganda zu beeinflussen trachten. II. Gegenseitige kulturelle Beziehungen.

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Sämtliche für die Bildung der öffentlichen Meinung maßgeblichen Faktoren beider Länder sollen der Aufgabe dienen, die gegenseitigen Beziehungen wieder normal und freundschaftlich zu gestalten. Aus dem Gedanken der Zugehörigkeit beider Staaten zum deutschen Kulturkreis verpflichten sich beide Teile, sogleich von jeder aggressiven Verwendung im Funk-, Film-, Nachrichten- und Theaterwesen gegen den anderen Teil Abstand zu nehmen. Ein schrittweiser Abbau der gegenwärtigen bestehenden Behinderungen im Austauschverkehr wird aufgrund der vollkommenen Reziprozität in Aussicht genommen. Bezüglich des Absatzes von Werken beiderseitiger Autoren auf dem Gebiete des anderen Teils werden – insoweit sie den Gesetzen des Bezugslandes entsprechen – alle Behinderungen beseitigt. III. Presse. Beide Teile werden auf die Presse ihres Landes in dem Sinne Einfluss nehmen, dass sie sich jeder politischen Einwirkung auf die Verhältnisse im anderen Lande enthalten und ihre sachliche Kritik an den Verhältnissen im anderen Lande auf ein Maß beschränken, das auf die Öffentlichkeit des anderen Landes nicht verletzend wirkt. Diese Verpflichtung bezieht sich auch auf die Emigrantenpresse in beiden Ländern. Seitens beider Teile wird der allmähliche Abbau der Verbote hinsichtlich des Importes der Zeitungen und Druckerzeugnisse des anderen Teiles nach Maßgabe der jeweils durch dieses Übereinkommen erzielten Entspannung im gegenseitigen Verhältnis in Aussicht genommen. Zugelassene Zeitungen sollen sich in ihrer allfälligen Kritik an innerpolitischen Zuständen des anderen Landes ganz besonders streng an den im 1. Absatz festgelegten Grundsätzen halten. Die österreichische Bundesregierung erklärt sich bereit, mit sofortiger Wirkung nachstehende in Deutschland erscheinende Zeitungen zur Einfuhr bzw. Verbreitung in Österreich zuzulassen  : Berliner Börsen-Zeitung Berliner Tageblatt Deutsche Allgemeine Zeitung Leipziger Neueste Nachrichten Essener National-Zeitung Die deutsche Regierung erklärt sich bereit, mit sofortiger Wirksamkeit nachstehende in Österreich erscheinende Zeitungen zur Einfuhr bzw. Verbreitung in Deutschland zuzulassen  : Amtliche Wiener Zeitung Neues Wiener Journal Volkszeitung Grazer Tagespost Linzer Tagespost IV. Emigrantenfrage. Beide Teile treffen sich in dem Wunsche, durch wechselseitiges Entgegenkommen zu einer ehestmöglichen befriedigenden Lösung des Problems der österreichischen nationalsozialistischen Emigration im Reiche beizutragen. Die österreichische Bundesregierung wird die Prüfung dieser Frage ehestmöglichst in Angriff nehmen und das Ergebnis einer aus Vertretern der zuständigen Ministerien zu bildenden gemischten Kommission behufs Durchführung bekanntgeben. V. Hoheitszeichen und Nationalhymnen. Jede der beiden Regierungen erklärt, die Staatsangehörigen des anderen Teiles hinsichtlich des Zeigens des Hoheitszeichens ihres Vaterlandes im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften den Angehörigen dritter Staaten gleichzustellen. Das Absingen der Nationalhymnen wird – abgesehen von offiziellen Gelegenheiten – den Staatsangehörigen des anderen Teiles in ausschließlich von diesen Staatsangehörigen besuchten geschlossenen Veranstaltungen gestattet.

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Beide Seiten setzten völlig unterschiedliche Erwartungen in das Juliabkommen. VI. Wirtschaftliche Beziehungen. Die deutsche Reichsregierung ist zur Anbahnung wirtschaftlicher Beziehungen zwischen dem Deutschen Reiche und Österreich unter Beiseitelassen parteipolitischer Momente bereit, und diese Bereitschaft bezieht sich auch auf die Wiedererrichtung des Kleinen Grenzverkehrs. Diskriminationen von Personen und Gebieten, soweit sie nicht aus rein wirtschaftlichen Erwägungen begründet sind, werden nicht vorgenommen werden. VII. Reiseverkehr. Die anlässlich der zwischen beiden Staaten entstandenen Spannungen beiderseits verfügten Beschränkungen im Reiseverkehr werden aufgehoben. Diese Vereinbarung hat keinen Bezug auf die sich durch die Devisenschutzgesetzgebung beider Länder bedingten Einschränkungen. Um unerwünschten Begleiterscheinungen vorzubeugen, verständigen sich beide Länder vorläufig über von Zeit zu Zeit progressive Höchstkontingente, in denen Verwandte, Geschäftsreisende, Kranke und Sporttreibende (insbesondere Mitglieder des Deutschösterreichischen Alpenvereines) wie bisher bevorzugte Behandlung erfahren sollen. VIII. Außenpolitik. Die österreichische Bundesregierung erklärt, dass sie bereit ist, die Außenpolitik der österreichischen Bundesregierung unter Bedachtnahme auf die friedlichen Bestrebungen der Außenpolitik der deutschen Reichsregierung zu führen. Es besteht Einverständnis, dass die beiden Regierungen über die sie gemeinsam betreffenden Fragen der Außenpolitik jeweils in einen Meinungsaustausch eintreten werden. Hierdurch werden die Römer Protokolle ex 1934 und deren Zusätze ex 1936 sowie die Stellung Österreichs zu Italien und Ungarn als den Partnern dieser Protokolle nicht berührt. IX. Österreichische Erklärung zur Innenpolitik in Zusammenhang mit dem abgeschlossenen modus vivendi. Der österreichische Bundeskanzler erklärt, dass er bereit ist  : a) eine weitgehende politische Amnestie durchzuführen, von der diejenigen ausgenommen werden sollen, die schwere, gemeine Delikte begangen haben. In dieser Amnestie sollen auch noch nicht abgeurteilte oder verwaltungsmäßig bestrafte Persönlichkeiten dieser Art eingeschlossen sein. Diese Bestimmungen werden sinngemäß auch für Emigranten Anwendung finden. b) mit dem Zwecke, eine wirkliche Befriedung zu fördern, in dem geeigneten Zeitpunkte, der für nahe Zeit in Aussicht genommen ist, Vertreter der bisherigen sogenannten ›nationalen Opposition in Österreich‹ zur Mitwirkung an der politischen Verantwortung herabzuziehen, wobei es sich um Persönlichkeiten handeln wird, die das persönliche Vertrauen des Bundeskanzlers genießen und deren Auswahl er sich vorbehält. Hierbei besteht Einverständnis darüber, dass die Vertrauenspersonen des Bundeskanzlers mit der Aufgabe betraut sein werden, nach einem mit dem Bundeskanzler zuvor festgelegten Plan für die innere Befriedung der nationalen Opposition und ihre Beteiligung an der politischen Willensbildung in Österreich zu sorgen. X. Behandlung von Anständen und Beschwerden. Für die Behandlung von Anständen und Beschwerden, die sich im Zusammenhange mit dem vorstehenden ›Gentleman-Agreement‹ ergeben könnten, sowie um eine fortschreitende Entspannung im Rahmen vorstehender Abmachungen zu gewährleisten, wird ein von je drei Vertretern der beiderseitigen Außenämter zusammengesetzter Ausschuss eingesetzt. Er hat die Aufgabe, sich in regelmäßiger Fühlungnahme über die Auswirkungen der Vereinbarung sowie deren etwa erforderlichen Ergänzungen auszusprechen.« (ADÖ 10/1640.)

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Schuschnigg spielte auf Zeit und hoffte auf eine Änderung der internationalen Lage sowie auf zunehmende wirtschaftliche Probleme im Deutschen Reich in absehbarer Zukunft. In der österreichischen Verhandlungsdelegation gab man sich keineswegs Illusionen hin, sondern betrachtete das Abkommen in vielen Teilen durchaus realistisch. So schrieb Theodor Hornbostel am 12. Juli 1936 in einem Amtsvermerk  : »Der Wert des auf deutsche Anregung zustande gekommenen Modus vivendi lässt sich heute noch nicht beurteilen  ; er hängt davon ab, ob und wie das Abkommen in der Praxis eingehalten werden kann und wird, d. h. ob es von deutscher Seite als Schlussstrich unter das tragische Kapitel der Jahre 1933–1936 oder bloß als eine Etappe des gleichen und nur taktisch modifizierten Aufsaugungsplanes gegen Österreich aufgefasst und gehandhabt werden wird. Die Motive der Berliner Machthaber scheinen nun mehr geklärt  : Beseitigung des ›Trennenden‹ in den Beziehungen zwischen Berlin und Rom, Stärkung der diplomatischen Position des Reichs gegenüber den Weststaaten und dem Völkerbund, Beseitigung oder zumindest gestärkte Hoffnung auf Beseitigung der ›Gefahr‹ kollektiver Sicherheitspakte in Mitteleuropa, wirksame Demonstration der ›Friedensliebe‹ zur entsprechenden Verwendung der Beantwortung des englischen Fragebogens – wobei dem sicherlich aufrecht bleibenden Ziel Deutschlands auf lange Sicht, Österreich doch noch einmal einzuverleiben, schon in Folge des losen Charakters der Abmachungen nicht präjudiziert wurde.«443 Trotz dieser durchaus realistischen Beurteilung des Verhandlungsergebnisses, war man bereit, in Gentleman-Agreement letztlich entscheidende Zugeständnisse an das Deutsche Reich und den Nationalsozialismus zu machen, wobei sich besonders die Punkte VIII, IX und X als entscheidend erweisen sollten, da sie dem deutschen Einfluss Tür und Tor öffneten und damit den Weg zur Gleichschaltung bzw. zum Anschluss und zur geplanten Südosteuropaexpansion ebneten. Die in Punkt VIII enthaltene außenpolitische Koordinierung engte die Bewegungsfreiheit der österreichischen Außenpolitik entscheidend ein und war das Ergebnis der in Punkt 3 des offiziellen Kommuniqués enthaltenen Bekenntnisses Österreichs als deutscher Staat.444 443 ADÖ 10/1646. Der »englische Fragebogen« entstand als Reaktion Großbritanniens auf die militärische Besetzung des Rheinlandes, das die Locarno-Mächte mit einem Memorandum beantworteten, auf das Hitler am 31. März 1936 mit einem Friedensplan replizierte. Am 7. Mai überreichte die britische Regierung der deutschen Regierung einen umfangreichen Fragenkatalog zur zukünftigen Außenpolitik, der jedoch vom Deutschen Reich nie beantwortet wurde. 444 Bundeskanzler Schuschnigg widmete in seiner Rundfunkrede am 11. Juli eine ausführliche Passage diesem deutschen Bekenntnis, das in der Tradition der Politik seines Vorgängers Dollfuß stehe. »Engelbert Dollfuß hat bei seiner Regierungsübernahme am 27. Mai 1932 erklärt  : Es muss alle Welt verstehen, dass wir uns als selbständiger deutscher Staat, bedingt durch Blut und die Geschichte und die geografische Lage unserer Heimat, der engsten Verbundenheit und Freundschaft mit dem Deutschen Reiche bewusst sind. Eine Freundschaft, die berechtigt und verpflichtet. Als dann längst schon der Kampf entbrannt war, setzte er im April 1933 die gleichen Gedankengänge fort  :

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Die in Punkt IX zugesagte Amnestie sowie Beteiligung der »nationalen Opposition« an der Regierungsverantwortung erwies sich, wie bereits hellsichtige zeitgenössische Beobachter feststellten, als Trojanisches Pferd der nationalsozialistischen Penetration und die in Punkt X vereinbarte paritätische Kommission bot eine zusätzliche Möglichkeit der Einflussnahme Berlins auf die österreichische Innenpolitik. In Österreich waren die warnenden und skeptischen Stimmen im Regierungslager in der Minderheit. Eduard Ludwig, der Leiter des Bundespresseamtes, trat aus Protest von seiner Funktion zurück, Viktor Matejka von der Wiener Arbeiterkammer und der Wiener Bürgermeister Richard Schmitz erhoben ebenso ihre warnende Stimme wie Rüdiger Starhemberg und Teile der Heimwehr. Die offizielle Regierungspropaganda sah sich angesichts der warnenden Stimmen im In- und Ausland gezwungen, die Kontinuität der Außenpolitik, die stets auf die Bewahrung der Unabhängigkeit Österreichs zielte, zu betonen. Es handle sich keineswegs um einen Kurswechsel, sondern im Gegenteil, so Bundeskommissär Oberst Walter Adam in einer Rundfunkansprache am 13. Juli, um eine gerade und ununterbrochene Linie von Seipel über Dollfuß zu Schuschnigg.445 Das Juliabkommen sei, so die »Salzburger Chronik«, »kein Abgehen vom Dollfuß-Kurs«, sondern »im Gegenteil die Beendigung eines Werkes, das Dollfuß selbst in Angriff genommen hatte. Bundeskanzler Schuschnigg hat sich auch hier als der aufrichtige Testamentsvollstrecker seines Freundes und Weggefährten Dollfuß erwiesen.«446 Für Friedrich Funder war mit dem Juliabkommen ein »Zustand … geschaffen, … den Dollfuß schaffen wollte.«447

›Wir Österreicher sind uns unserer Schicksalsverbundenheit mit dem gesamten deutschen Volke voll und ganz bewusst.‹ Und beim ersten großen Generalappell der Vaterländischen Front am 11. September 1933 am Trabrennplatz in Wien begleitet Dollfuß das Österreich der neuen Verfassung ein mit dem fundamentalen Satz  : W i r Ö s t e r r e i c h e r s i n d D e u t s c h e u n d h a b e n e i n d e u t s c h e s L a n d   ! Auch in weiterer Folge ward, was immer auch geschehen mochte, an diesem eindeutigen Bekenntnis nicht gerüttelt. Ich verweise auf den Leitsatz, den ich selbst am 29. Mai 1935 vor dem österreichischen Bundestag gesprochen habe  : ›Österreich hat nie einen Zweifel darüber gelassen und wird es, so lange wir leben, auch in aller Zukunft nicht tun, dass es sich als deutscher Staat bekennt.‹ Dem habe ich heute nichts hinzuzufügen. In diesem Bekenntnis spricht die große Ehrfurcht vor der großen Vergangenheit unseres österreichischen Landes, dem durch lange Jahrhunderte die ehrenvolle und große Aufgabe zufiel, dem Deutschen Reiche seine ersten Repräsentanten zu geben. Wenngleich die Geschichte neue Wege ging und neue Zeiten neue Entwicklungen brachten, bleibt uns aus dem Wissen und Verstehen des Vergangenen auch in der Gegenwart die richtige Wertung und der Begriff unserer Kulturaufgabe, der immerdar zugleich eine deutsche Aufgabe war.« (Salzburger Chronik 13.7.1936. S.1.) 445 Salzburger Chronik 13.7.1936. S. 4. 446 Salzburger Chronik 15.7.1936. S. 1. 447 Friedrich Funder  : Ein geschichtlicher Tag. – In  : Reichspost 12.7.1936. S. 1.

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Man stehe »nun dort, wo zu stehen von jeher Dollfußösterreichs Streben gewesen ist.«448 Die Mehrheit des Regierungslagers beurteilte das Abkommen positiv, wobei man sich vor allem in den westlichen Bundesländern das Ende von nationalsozialistischen Terror- und Propagandaaktionen und deutliche wirtschaftliche Impulse erhoffte. So kommentierte die »Salzburger Chronik«, von besonderer Bedeutung sei »die Normalisierung der politischen Verhältnisse zwischen Deutschland und Österreich für die wirtschaftlichen Beziehungen. Niemand hat so sehr an der Unterbindung natürlicher wirtschaftlicher Beziehungen gelitten wie die westlichen Grenzländer. Der politische Gegensatz, der politische Widerstreit hat das naturgegebene wirtschaftliche Zusammenleben in einem seit Jahrhunderten gemeinsamen Wirtschaftsraume gründlich gestört.«449 Landeshauptmann Franz Rehrl erklärte anlässlich einer offiziellen Trauerfeier auf dem Residenzplatz für den vor zwei Jahren von Nationalsozialisten ermordeten Bundeskanzler Dollfuß im Sinne des vor wenigen Tagen abgeschlossenen Juliabkommens, Österreich müsse »der Vorsehung zu ewigem Dank verpflichtet sein, dass sich in jenen schicksalsschweren Tagen »Männer fanden, die m u t i g u n d e n t s c h l o s s e n alles einsetzten, um dem Lande Ruhe und Ordnung zu wahren und unbeirrt und unerschüttert sofort die der erkalteten Hand des Kanzlers entfallenen Zügel der Regierung ergriffen.« Hinter diese hätten sich die Exekutive und freiwilligen Wehrverbände gestellt, die große Opfer brachten und deren man in Dankbarkeit gedenken müsse. »Mit Wehmut wollen wir aber auch im Geiste der Versöhnung derjenigen Volksgenossen gedenken, welche, falschen Idealen nachjagend, auf der anderen Seite ihr Leben verloren im Glauben, auf diese Weise unserem Volke besser dienen zu können. Wir waren uns stete bewusst, dass auch sie unsere Brüder und Volksgenossen waren, dass sie zum überwiegenden Teile vermeinten, aus edlen Motiven zu handeln. In ihrem Sterben liegt eine tiefe Tragik, denn sie haben, v e r b l e n d e t u n d i r r e g e f ü h r t , ihr Leben gelassen  ! Ich kann ihrer an heutigen Tage um so mehr in herzlicher Trauer gedenken, als mittlerweile die Ve r s t ä n d i g u n g m i t d e m D e u t s c h e n R e i c h e , deren baldiges Zusammenkommen ein heißer Wunsch aller heimattreuen Österreicher war, und die damit begonnene und hoffentlich von vollem Erfolg begleitete Versöhnungsaktion mit den bisher abseits stehenden Volksgenossen zur Tat geworden ist.450 Erst 448 Friedrich Funder  : Das Übereinkommen – eine Friedenstat für Europa. – In  : Reichspost 13.7.1936. S. 1. 449 Salzburger Chronik 13.7.1936. S. 1. 450 Rehrl intervenierte nicht nur für ehemalige Sozialdemokraten, sondern auch für die Familien von Nationalsozialisten. So wandte sich die Witwe des ehemaligen nationalsozialistischen Landtags-Vizepräsidenten Franz Koweindl, Kreszentia Koweindl, die wegen verschiedener Delikte zu 11 Wochen Verwaltungsstrafe verurteilt worden war, 1934 an Rehrl mit der Bitte um Straferlass. Sie habe 1934 bereits drei Wochen verbüßt und müsse nun zu Jahresbeginn 1935 den Rest der Strafe verbüßen. Als

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hierdurch hat das furchtbare Geschehen des Jahres 1934, der Opfertod des Kanzlers und der Gefallenen vom Juli 1934, aus dem Lichte der historischen Entwicklung gesehen, seinen richtigen Sinn erhalten, denn jetzt ist der endgültige Beweis erbrachte, dass Österreich n i c h t n u r g e w i l l t , sondern auch f ä h i g war und ist, seine F r e i h e i t u n d U n a b h ä n g i g k e i t zu bewahren und (…) dieses Bewusstsein wie die Erkenntnis, dass nichts Großes ohne Opfer errungen werden kann, gibt uns den einzigen Trost im Schmerze über den schweren Verlust, den wir im Gedenken an den Opfertod der besten und treuesten Söhne unseres Volkes, an ihrer Spitze des Kanzlers Dollfuß, empfinden, dessen letzte Worte waren  : I c h h a b j a n u r d e n F r i e d e n g e w o l l t   !«451 Die enge Verbindung von Katholischer Kirche und dem autoritären ständestaatlichen Regime kam in einem Schreiben von Kardinal Theodor Innitzer zum Ausdruck, der im Namen der österreichischen Bischöfe an Bundeskanzler Schuschnigg schrieb  : »Am Ende vergangener Woche trugen die Ätherwellen des Rundfunks f r o h e , e r l ö s e n d e K u n d e durch die deutschen Lande. Der unselige Bruderzwist, der so viele Wunden schlug, der das deutsche Volk gerade in drangvollen Zeiten innerlich spaltete und zerriss, war in einer europäischen Schicksalsstunde, da der Friede in der Völkerfamilie des Abendlandes wieder einmal ernstlich gefährdet erscheint, in überraschender Weise beigelegt. Am Herzschlag des deutschen Volkes in Österreich ist über diese Friedenstat aufrichtige und ehrliche Freude zu spüren. Auch wie B i s c h ö f e Ö s t e r r e i c h s , die wir als die berufenen Hüter und Wahrer des Friedens immer wieder zur Verständigung mahnten und mit unseren Gläubigen in heißen Gebeten um den Frieden im deutschen Volke zum Himmel flehten, begrüßen mit aufrichtiger F r e u d e und ehrlicher G e n u g t u u n g dieses We r k d e s F r i e d e n s , das nicht nur für die beiden Vertragspartner bedeutungsvoll, sondern darüber hinaus die Gefahr eines verhängnisvollen Krieges zu bannen, geordnete Verhältnisse im Völkerverkehr und wirtschaftliche Fortschritte zu ermöglichen geeignet erscheint.«452 Der aus der Steiermark stammende Bischof Alois Hudal, Rektor des deutschen Priesterkollegs Santa Maria dell’Anima in Rom, wandte sich in einem namentlich nicht gekennzeichneten Artikel in der »Reichspost« vehement gegen die vor den Gefahren des Juli-Abkommens warnenden Stimmen, die nicht nur von den »dunkWitwe mit drei Kindern sei ihre wirtschaftliche Lage sehr schlecht. Sie wende sich daher als Mutter an Rehrl mit der Bitte um Intervention beim Sicherheitsdirektor, ihr den Rest der Strafe zu erlassen, da die Verbüßung der Haftstrafe für ihre Kinder äußerst schmerzlich und zudem wirtschaftlich kaum zu verkraften sei. Rehrl intervenierte im Dezember 1934 und der Sicherheitsdirektor entsprach am 3. Jänner 1935 seinem Wunsch. (SLA. Rehrl-Briefe 1935/101.) 451 Salzburger Chronik 25.7.1936. S. 6. 452 Salzburger Chronik 16.7.1936. S. 6.

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len Elementen der Linkspresse« stammten, sondern auch von katholischen reichsdeutschen Emigranten nicht nur in Österreich, sondern auch in der Schweiz, die in dieser begrüßenswerten »Versöhnung geradezu den Anfang vom Ende des katholischen Österreichs« sehen. »Auf dem Wege dieser Verständigung werde von selbst eine seelische Aushöhlung der katholischen Bevölkerung zugunsten des Nationalsozialismus einsetzen, um schließlich in einem ›moralischen‹ Anschluss zu enden, wenn schon der politische aus der gegenwärtigen europäischen Zeitlage heraus nicht möglich ist.« Dieser Befürchtung müsse widersprochen werden. Die nationalsozialistische und gesamte deutsche Auslandspresse habe vor allem Rom, d. h. den Vatikan, »für den Bruderkrieg verantwortlich gemacht. Dieser schwere, durch nichts begründete Vorwurf war eine nicht geringe Belastung für den Katholizismus. Wa s w a r d i e s e e l s o r g l i c h e F o l g e   ? Tausende sind in Österreich in diesen Jahren zum Protestantismus abgefallen, der als die ›deutsche‹ Form des Christentums bezeichnet wurde und als angeblich einziger Schutz, um noch in Österreich als Christ sein Deutschtum zu bekennen.« Eine seelische Erbitterung habe sich in den vergangenen Jahren »auch in sehr guten österreichischen nationalsozialistischen Familien« breit gemacht. »Es wird lange dauern und viel Klugheit erfordern, bis in Österreich diese Wunden vernarben und ein normaler Zustand herbeigeführt werden kann. Besonders das von der jüdischen Presse reichlich geförderte Ausspielen des Österreichertums gegen das Deutschtum musste empörend wirken auf alle jene, denen die Geschichte Österreichs, die jahrhundertelang zusammenhing mit dem gesamten Deutschtum, aus eigenen Forschungen und Beobachtungen bekannt war. Der wahre Österreicher hat sich immer als deutscher Mensch im österreichischen Raum gefühlt« und dem es, trotz seiner Berührung mit slawischen und romanischen Elementen, niemals in den Sinn gekommen sei, sich für eine antideutsche Politik instrumentalisieren zu lassen. Sicherlich gebe es auch gewisse Gefahren im Nationalsozialismus, doch sei diese Bewegung in zwei Flügel gespalten, einen konservativen, das Christentum betonenden, und einen linken. So wie der italienische Faschismus in seinen Anfängen in zwei Flügel gespalten gewesen sei und Mussolini und die konservativen, religiös und national eingestellten Kräfte den radikalen Flügel gebändigt haben, sodass die »Lage der Kirche Italiens im Faschismus gewiss eine erträgliche genannt werden darf«, so müsse dies auch durch den Sieg der konservativ religiösen Kräfte in der nationalen Bewegung bzw. im Nationalsozialismus geschehen, denn » d a s C r e d o i n e c c l e s i a m R o m a n a m « b e d e u t e » k e i n e n Ve r z i c h t … a u f d e u t s c h e s Schicksalsbewusstsein und auf den Glauben an eine neue Zuk u n f t d e s g e s a m t e n d e u t s c h e n Vo l k e s i n E u r o p a . «453 Am selben Tag, da Hudals Aufsatz, der dem katholisch inspirierten Widerstand gegen den Nationalsozialismus ins Gesicht schlug, erschien, ließ sich Franz von Papen mit Schalmaien453 Alois Hudal  : Der 11. Juli von katholischer Warte. – In  : Reichspost 23.7.1936. S. 1f.

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tönen bei einem Lunch der »Anglo-American-Press-Association«, der Vereinigung der in Wien tätigen englischen und amerikanischen Korrespondenten, vernehmen. Es sei ein echtes Friedenswerk vollbracht worden, mit dem zwei Staaten wiederum zusammengefunden hätten, die »niemals sich hätten trennen dürfen«, beteuerte Hitlers Sonderbevollmächtigter. »Die anderen finden, dass der Friedensschluss ein bedenkliches Zeichen des deutschen Imperialismus in Zentraleuropa darstelle. Sie glauben, dass von hier aus ein neuer Eroberungsfeldzug eingeleitet werden sollte. Diesen letzteren Kritikern muss ich sagen  : ›Ich freue mich aufrichtig, dass ich Sie enttäuscht habe.‹ Nach ihnen sollte Deutschland d u r c h e i n e K o a l i t i o n d e r M ä c h t e zu vertraglichen Abmachungen bezüglich der Unabhängigkeit Österreichs g e z w u n g e n werden. Aber ich habe nie den leisesten Zweifel darüber gelassen, dass der deutsche Reichskanzler ein solches Geschehen als dem Sinne der deutschen Geschichte zuwider ansehen und dass es einzig und allein der tausendjährigen Verbundenheit dieser beiden Länder entsprechen würde, wenn w i r u n s a u s e i g e n e r K r a f t u n d a u s e i g e n e m E n t s c h l u s s w I e d e r z u s a m m e n f i n d e n . (…) Ich bin auch glücklich feststellen zu können, dass d i e M e t h o d e z w e i s e i t i g e r Ve r h a n d l u n g e n sich als gangbarer erweisen hat als weitgeplante kollektive Sicherheitssysteme, die mit einem Netz unübersehbarer Verpflichtungen die Welt überziehen wollen.«454 Im System der Nachkriegsordnung und des Systems der internationalen Sicherheit sowie des damit einhergehenden Friedens war die Mitte der Dreißigerjahre der Wendepunkt in Richtung der kommenden Katastrophe, die jene des nicht einmal zwei Jahrzehnte zurückliegenden Weltkrieges noch erheblich übertreffen sollte. Dabei kam dem Abessinienkrieg, der »die Totenglocke für den Völkerbund« läutete, da er seine Rolle als »Instrument für Frieden und Sicherheit in Europa ausgedient« hatte, eine entscheidende Rolle zu.455 Die meisten europäischen Staaten begannen ihre außen- und sicherheitspolitischen Prioritäten neu zu justieren, die damit ausgelösten und sich verstärkenden Zentrifugalkräfte, denen vor allem Frankreich und Großbritannien nicht Einhalt zu gebieten vermochten, lösten die europäische Nachkriegsordnung und vor allem das mit dieser verbundene System der kollektiven Sicherheit auf. Hauptprofiteur dieser Entwicklung war das Dritte Reich. Dessen Politik zielte bereits, in deutlichem Abweichen von den traditionellen Linien der Außenpolitik der Weimarer Republik – dem postulierten und teilweise auf Verständnis stoßenden Anspruch auf Revision der Versailler Friedensbestimmungen und die damit verbundene Rückkehr in den Kreis der europäischen Großmächte– , auf einen die Karte Europas neu zeichnenden hegemonialen Expansionismus. Wenngleich es warnende Stimmen vor einem solchen Szenario gab, so dominierte sowohl in Frank454 Reichspost 23.7.1936. S. 3. 455 Kershaw  : Höllensturz. S.  354.

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reich wie in Großbritannien eine defensive Stimmung, der letztlich die Nachkriegsordnung zum Opfer fallen sollte. Frankreich, in dem die Meinung vorherrschte, es lohne sich nicht, wegen des Rheinlandes in den Krieg zu ziehen, scheute vor den finanziellen Belastungen eines eventuellen militärischen Vorgehens gegen das Dritte Reich zurück, zumal man nicht mit der Unterstützung Großbritanniens rechnen konnte. Die britische Außenpolitik wurde von der Devise »peace and trade« und »peaceful change«, d. h. einer Anpassung des Versailler Systems an die politischen Realitäten der Dreißigerjahre, bestimmt. In London dominierte, trotz aller Differenzen in Details, die Auffassung von der Notwendigkeit, den Forderungen Berlins entgegenzukommen. 1934 notierte der britische Schatzkanzler Neville Chamberlain in sein Tagebuch  : »Unser größtes Interesse ist der Frieden im Sinne einer allgemeinen Befriedung. Wenn morgen völlige Sicherheit in Europa herrschte, dann wäre das für unsere weiteren Handels- und Finanzverflechtungen der größtmögliche Segen.«456 Eine Befriedigung des deutschen Revisionismus in bestimmten Grenzen, so die vorherrschende Meinung im Foreign Office, würde der Aggressivität der nationalsozialistischen Außenpolitik so weit bremsen, dass der Weg zu einem neuen Locarno und damit zu einer neuen gesamteuropäischen Friedensordnung eröffnet würde. Dafür war man durchaus auch bereit, Österreich in die Verhandlungsmasse miteinzubeziehen. Dadurch befand sich Österreich, unabhängig von der innenpolitischen Konstellation, in einer äußerst schwierigen Situation, die man mangels internationaler Rückendeckung mithilfe eines bilateralen Abkommens zu bewältigen versuchte.

456 Zit. bei Gottfried Niedhart  : Geschichte Englands im 19. Und 20. Jahrhundert. – München 1987. S. 170.

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1  Versammlung der Heimwehr auf dem Gaisberg mit Heimwehrführer Ernst Rüdiger Starhemberg 1934/35,

2  Huldigung von Heimwehrführer Ernst Rüdiger Starhemberg durch ein Heimatspiel der Salzburger ­Heimwehr-Jugendorganisation »Jung-Vaterland« am 9. Mai 1934.

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3  Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß und Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl bei der Großkundgebung der Vaterländischen Front am 10. Mai 1934 vor der Dreifaltigkeitskirche.

4  Abschlusskundgebung der vaterländischen Großkundgebung der Vaterländischen Front am Residenzplatz am 10. Mai 1934.

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5, 6, 7  Nachdem am 28. April 1934 ein nationalsozialistischer Bombenanschlag auf eine Veranstaltung der Heimwehr im Festspielhaus erfolgt war, der ein Todesopfer forderte, folgte am 17. Mai 1934 ein weiterer mit dem Ziel, den Besuch der Festspiele massiv zu beeinträchtigen. Der Anschlag richtete Schäden im Eingangsbereich des Festspielhauses an, wobei der Brunnen besonders in Mitleidenschaft gezogen wurde.

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8, 9  Nach dem Anschlag am 17. Mai 1934 drängten sich Neugierige und Schaulustige vor dem Gitterportal des Festspielhauses.

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10  Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl und Landeswehrführer General i. R. Josef Ontl bei einer ­Heimwehrveranstaltung 1934/35.

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11  Dollfuß-Kult in Salzburg. Weihe der Seipel-Dollfuß-Gedächtnisorgel in Obertrum am 30. Juni 1935. veranstaltung 1934/35.

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Tafeln 12  Neben dem mit Landesgesetz vom 14. September 1935 geschaffenen offiziellen Salzburger (Trachten)Landesanzug für Männer sollte es auch ein von der Leiterin des Trachtenreferats der Vaterländischen Front, Hikki Duffek, geschaffenes weibliches Pendant geben. Duffek erklärte den Salzburger Frauen »Wir fördern damit heimische Indus­ trie und helfen uns selbst durch das praktische Kleidungsstück. Nur sollen wir Frauen das Kostüm der offiziellen Männertracht anpassen.« Jack e: mittelgrauer Loden oder Kammgarn. Vorne leicht abgerundet, keine Rückenfalte, niederer Stehkragen aus tannengrünem Tuch, der bis zu dem mit einem Knopf besetzten (nicht grünen!) Aufschlag (Revers) vorgezogen ist. Einreihig mit vier Hirschknöpfen. Keine Brusttaschen, unten Leistentaschen. Tannengrün eingefasste Ärmelaufschlag (einschließlich zugenähtem Schlitz) mit zwei kleinen Hirschhornknöpfen. Rock: gleicher Stoff wie die Jacke. An der Seitennaht schmaler, grüner Vorstoß (Passepoil). Hu t: schwarzer Lamberghut mit 4 helleren Wollschnüren. Gamsoder Hirschbart. Wet terfleck: aus grauem Loden, mit Halsausschnitt (2–3 Knöpfe); Stehkragen aus tannengrünem Tuch.

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13  Werbefolder für Saalfelden 1935.

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14  Werbefolder für St. Johann im Pongau 1935.

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15  Eröffnung der Großglockner Hochalpenstraße August 1935. 16  Glückwunschschreiben von ­Stefan Zweig an Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl vom 3. August 1935. Der Schriftsteller würdigt die Rolle Rehrls beim Bau der Hoch­alpenstraße.

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17, 18  Bildbericht der Zeitschrift »Alpenwacht« über den Festspielsommer 1935.

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19  Festspielauffahrt in der Schwarzstraße über die Staatsbrücke Richtung Festspielhaus 1936.

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20  »Concours d’elegance« im Schlosspark Klessheim am 15. August 1936. Die Preisträgerin Annemarie Sörrensen. Bei den Salzburger Festspielen und beim »Concours d’elegance« arbeitete nach einer Intervention von Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl Suse von Winternitz, die ­Stieftochter Stefan Zweigs, als erste Salzburger Pressefotografin.

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21  Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl und Erzbischof Dr. Sigismund Waitz bei der Abnahme einer ­Truppenparade auf dem Residenzplatz am 21. April 1936.

TEIL II DIE BER ICHTE

1. »… und sympathisiert heute noch insgeheim mit dieser Partei.« Über die allgemeine Stimmungslage und die Sicherheitsverhältnisse

Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 21. März 1934 Zl. 875/9 Betreff  : Nachrichtendienst, Wochenbericht vom 12. bis 18.3.1934. An das Bundeskanzleramt – Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit – St. B. in Wien. Die abgelaufene Woche brachte keine Ereignisse von besonderer Tragweite, doch war wieder ein Ansteigen der Propagandatätigkeit der NSDAP unverkennbar. Neben dem Abbrennen von Hakenkreuzfeuern und Bemalen einzelner Objekte mit Hakenkreuzen sowie dem Hissen von Hakenkreuzfahnen trat diesmal die Propaganda mit Flugzetteln und Flugblättern sowie mit zahlreichen Zeitschriften besonders hervor. Viele dieser Flugschriften wenden sich an die Angehörigen der aufgelösten Sozialdemokratischen Partei, um sie für die Ideen des Nationalsozialismus zu gewinnen. Inwieweit dieser Propaganda ein Erfolg beschieden ist, lässt sich noch nicht erkennen, doch dürfte bei den jüngeren radikalen Elementen ein gewisser Prozentsatz sich nationalsozialistischen Werbungen nicht ablehnend verhalten. Die älteren Mitglieder der ehemaligen Sozialdemokratischen Partei treten vielfach der Vaterländischen Front bei. Dies wird von Seite der NSDAP durch Ausstreuungen, dass die Vaterländische Front nichts anderes wie ein Fortbestand der Christlichsozialen Partei sei, zu verhindern gesucht und darauf hingewiesen, dass die maßgebenden Stellen in der Vaterländischen Front doch wieder mit früheren christlichsozialen Parteipolitikern besetzt seien. Andererseits wurden auch Flugschriften festgestellt, die von der Zentrale der Kommunistischen Partei Österreichs stammen und angeblich im Inlande gedruckt werden. Diese kommunistischen Flugschriften richten sich hauptsächlich gegen den Nationalsozialismus und trachten, die jüngeren Sozialdemokraten für den radikalen Marxismus zu gewinnen.

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Die Berichte

Die vom Heimatschutze und von den Ortsgruppen der Vaterländischen Front veranstalteten patriotischen Kundgebungen im Lande sind erfreulicher Weise im Steigen begriffen und haben durchwegs vollen Erfolg zu verzeichnen. Die Vorbereitungen für den am 20. d. Ms. eintretenden ersten Abbau der aufgebotenen und in Dienst gestellten Mitglieder der Freiwilligen Schutzkorps sind getroffen und wird diese Maßregel, die aus staatsfinanziellen Gründen auf die Dauer wohl kaum zu umgehen war, bei vielen Schutzkorpsmännern, die durch ihre Einstellung in den vaterländischen Dienst wieder ein Auskommen und geregelte Betätigung gefunden haben, sehr bitter empfunden werden. Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 13. April 1934 Zl. 80/res-34 (153.970/34) Betreff  : Baillou Magda, geb. Merk, Verhaftung in München. An das Bundeskanzleramt – St. B. in Wien I, Herrengasse 7. 1 Beilage. Am 12. d. Mts. wurde die Gattin1 des Beamten der Landes-Hypothekenanstalt Clemens Baillou, eines Sohnes des Landesamtsdirektors von Salzburg,2 in München gelegentlich ihrer Heimreise wegen angeblicher Verbreitung von Gräuelnachrichten über Deutschland verhaftet. Die Genannte ist eine Tochter des vor kurzem verstorbenen Inhabers der bekannten chemischen Farbenfabrik Merck in Darmstadt3 und war früher reichsdeutsche Angehörige. Die Verhaftung der Genannten scheint mit dem in Abschrift beiliegenden Artikel des illegalen Kampfblattes der NSDAP für Salzburg »Alpenwacht«, welches in Freilassing vom Gauleiter Scharizer und dessen Stellvertreter Ing. Parson redigiert und in Deutschland gedruckt wird, in Verbindung zu stehen.

1 Magda Merck (1900–1956), verheiratet mit Clemens Freiherr von Baillou. 2 HR Franz Baillou war von 1926 bis 1934 Landesamtsdirektor. Er wurde im Frühjahr 1935 von Landeshauptmann Franz Rehrl im Sinne der angestrebten »Austrifizierung« und damit Reduzierung des nationalsozialistischen Einflusses in den Aufsichtsrat der Wüstenrot entsandt. (Vgl. SLA. Rehrl-Briefe 1935/1225.) 3 Die Familie Merck stammt aus dem 15. Jahrhundert und brachte vor allem Apotheker, Aufklärer und Publizisten hervor. Es waren vor allem die Apotheker, die seit dem 17. Jahrhundert aus dem Familienunternehmen das Chemie- und Pharmaunternehmen Merck KGaA in Darmstadt, einen Weltkonzern, formten. Vgl. Carsten Burhop, Michael Kißener, Hermann Schäfer, Joachim Scholtyseck  : Merck 1668–2018. – München 2018.

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Die Bundespolizeidirektion hat in der Nacht vom 12. auf den 13. d. Mts. mit der Polizeidirektion in München Verbindung gesucht und in Erfahrung gebracht, dass sowohl Frau Magda Baillou als auch deren Schwester Emilie von Klenk, die in Gräfelfink bei München wohnhaft ist, von der politischen Polizei in München in Haft genommen wurde. Über Ersuchen des Landesamtsdirektors wurde der Rechtsanwalt Christian Hauk … von der Verhaftung in Kenntnis gesetzt und um dessen Intervention gebeten. Der genannte Rechtsanwalt hat die Freilassung der genannten Dame erwirkt und die Bundespolizeidirektion davon unterrichtet, dass die Freilassung am 13. d. Mts. vor 12 Uhr mittags erfolgt ist. (…) G. D. 153.970 – St. B. – 1934 Abt. 13 pol. Z. 167.572-15 14. Mai 1934 Über Ersuchen des Herrn Landeshauptmannes Rehrl ist seinerzeit das österreichische Generalkonsulat in München, das auch direkt mit der Angelegenheit befasst worden war, am 13. April l. J. beauftragt worden, die Freilassung der Magda Baillou zu verlangen  ; dass diese auch sofort erfolgte, ist nach h. o. Ansicht der Intervention Generalkonsuls Dr. Engerth bei der politischen Polizei zu verdanken. »Alpenwacht«, Folge 8, 9. April 1934. »Aristokraten«  ! Wir erwähnten letzthin die entwürdigenden Bittgänge, welche die Baronin Baillou beim Juden Schwarz4 für die Heimwehr unternahm. Heute müssen wir uns bedauerlicherweise mit deren Schwiegertochter, Magda Baillou, geb. Merck aus Darmstadt, befassen. Trotzdem diese junge Dame aus Deutschland stammt und ihre gesamten bedeutenden Lebensmittel, welche die Bestreitung ihrer und ihrer Familie Lebensführung erfordert, der Arbeit Hunderter deutscher Volksgenossen zu danken hat, betätigt sie sich nicht nur als fanatische Parteigängerin der »Vaterländischen«, sondern auch als eifrige Verbreiterin von Gräuelnachrichten aus ihrem Heimatland  ! Dabei sind die Mittel, die sie dem Schweiße deutscher Arbeiter verdankt, so reichlich, dass sie z. B. imstande war, ihrem Herrn Gemahl die enormen Kosten für seine kürzlich erfolgte Investitur zum Malteserorden zu bezahlen, wobei das »Kostüm« allein über 2500 Schilling kostete und die Toiletten für die Empfänge in Rom un4 Kaufhaus S. L. Schwarz.

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gefähr das gleiche  ! Trotzdem war noch genug übrig, um auch den Blumenstrauß für Dollfuß zu bezahlen, den die hohe Frau dem Kanzler in Rom überreichen ließ  ! Dem Herrn Gemahl, der als Heimwehr-General herumkommandiert, obwohl er es im Heer nicht einmal zum Gefreiten und im Zivilleben nur zu einer ganz subalternen Protektionsstellung gebracht hat, fließen aus den Mitteln der Baronin, also aus der Arbeit der dreimal verfluchten Nazi, so reichlich Summen zu, dass er seine Heimwehrkompanie damit aushalten kann. Dass er, der es nicht notwendig hat, seine armselige Zivilstellung einem anderen bedürftigen Volksgenossen wegstiehlt, dafür scheint dieser Kavalier kein Gefühl zu haben  ! Wir gönnen der Heimwehr solche »Führer«  ! Dem jungen Malteser und seiner Gattin aber empfehlen wir, sich einmal das Sprüchlein »Noblesse oblige« übersetzen und erläutern zu lassen  ! Bundeskanzleramt Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit Geschäftszahl  : 161.823 – G. D./St. B. 34. Gegenstand  : Haidinger Josef, vermutliche Verhaftung in Deutschland. Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 26. April 1934 Zl.: 6021 Betr.: Josef Haidinger, Handelspraktikant  ; abgängig. An das Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St. B.) in Wien. Am 22.4. l. J., 11 Uhr vormittags, erstattete der Schuhmachermeister Josef Haidinger, Salzburg, Getreidegasse Nr. 48 wohnhaft, hieramts die Anzeige, dass sein Sohn Josef Haidinger, geboren am 9.3.1913 in Salzburg und nach Salzburg zuständig, römisch-katholisch, ledig, Verlagspraktikant bei der Filiale der Firma Pustet in Salzburg, seit 21. April l. J. abgängig sei. Sein Sohn Josef fahre über Auftrag seiner Firma wöchentlich zweimal nach Freilassing, um dort die auf das Postfach der Firma einlangenden Sendungen weiter zu dirigieren. In Ausführung dieses Auftrages sei Josef Haidinger auch am Vortage nach Freilassing gefahren, von dort jedoch, ohne dass ihm der Grund bekannt geworden wäre, nicht zurückgekehrt. Er befürchte, dass sein Sohn aus politischen Gründen in Freilassing bzw. in Bayern zurückgehalten werde. Der Abgängige habe ihm nämlich einmal mitgeteilt, dass Salzburger, die sich bei der Österreichischen Legion in Freilassing befinden, ihn der Spionage verdächtigten. Es sei daher die Annahme nicht

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ungerechtfertigt, dass Josef Haidinger wegen Verdachtes der Spionage, für den aber keinerlei tatsächliche Veranlassung vorgelegen sei, verhaftet wurde. Die noch am Vormittage des 22.4. fernmündlich an die Gendarmeriestation in Freilassing und an das Bezirksamt Laufen gerichteten Anfragen, ob Josef Haidinger dort angehalten oder über ihn irgendwelche behördliche Verfügung getroffen worden sei, blieben negativ. Da Josef Haidinger jun. Obmann-Stellvertreter der katholischen kaufmännischen Vereinigung »Jung Hansa« in Salzburg ist und seine vaterländische Gesinnung zweifellos war, mussten trotz der negativen Auskunft seitens der befragten deutschen Stellen die Erhebungen unter Zugrundelegung einer wahrscheinlichen Verhaftung des Abgängigen aus hieramts nicht bekannten politischen Gründen fortgesetzt werden. Am 26.4. ds. teilte der Filialleiter Otto Müller als Chef des Josef Haidinger der Bundespolizeidirektion mit, dass er über die h. o. Veranlassung selbst am 25. 4. l. J. Nachforschungen nach seinem Praktikanten in Freilassing angestellt und dabei den Eindruck gewonnen habe, dass der Abgängige aus politischen Gründen verhaftet und nach München gebracht worden sei. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich hiervon zu berichten und die Bitte zu stellen, zum Schutze des in jeder Hinsicht einwandfreien Josef Haidinger mit der möglichsten Beschleunigung die geeignet erscheinenden Schritte unternehmen zu wollen. Dem österreichischen Generalkonsulat wird eine analoge Mitteilung gemacht. Bundeskanzleramt Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit Wien, 29. Mai 1934 Zur Zahl 6021 vom 22. April 1934 An die Bundespolizeidirektion in Salzburg Das österreichische Generalkonsulat in München hat unter dem 5. Mai 1934, Zahl 47/res., mitgeteilt, dass kürzlich in Freilassing wieder zwei Personen aus Salzburg verhaftet und nach München zur Landesleitung der NSDAP Österreich eskortiert wurden. Der eine wurde sogleich enthaftet, während über das Schicksal der anderen noch keine Nachricht vorliegt. Es ergeht die Einladung, umgehend anher zu berichten, ob Josef Haidinger mittlerweile nach Salzburg zurückgekehrt ist und ob über die angebliche Festnahme eines zweiten Salzburgers in Freilassing etwas in Erfahrung gebracht werden konnte.

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Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 27. Juni 1934 Zl. 6021/9 (ad Erl. Zl. 173.572 – St. B./34 und 181.593 – St. B./34) Betrifft  : Haidinger Josef, Pötzelsberger Rudolf, vermutliche Verhaftung in Deutschland. An das Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St. B.) in Wien. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich zu berichten, dass Josef Haidinger bisher nach Salzburg nicht zurückgekehrt und über seinen Aufenthalt und den Grund seines Verbleibens im Auslande nichts bekannt geworden ist. In der Angelegenheit wurde neuerlich das Deutsche Konsulat in Salzburg um seine guten Dienste sowie auch das Generalkonsulat in München um die nachdrücklichste Verfolgung ersucht  ; letzteres mit der Bekanntgabe, dass laut eines an die Lebensgefährtin des gleichfalls und zwar seit 14.4.1934 aus Maxglan bei Salzburg abgängigen Rudolf Pötzelsberger, österreichischer Staatsbürger, 11.4.1896 in Gnigl bei Salzburg geboren, Chauffeur und Mechaniker, aus Landeck in Tirol eingelangten anonymen Schreibens, sich dieser und Josef Haidinger in einem Anhaltelager in Augsburg befinden sollen. Das österreichische Generalkonsulat in München hat über die h. o. fernmündliche Anfrage vom 19.6. und schriftlich mit der Note vom 15.6. l. J., Zl. 3746/9, mitgeteilt, dass seine weiteren Anfragen an die politische Polizei, insbesondere an jene über die Verbringung des Haidinger in ein Anhaltelager in Augsburg von der politischen Polizei an die Staatskanzlei weitergeleitet wurden, von der Staatskanzlei aber keine Erledigung erfolgt sei. (…) Es drängt sich aber auch die Frage auf, ob der Abgängige sich nicht unter der österreichischen Emigration befinde. (…) Die Bundespolizeidirektion glaubt aufgrund der bisherigen Erhebungen und einer weiterhin zugekommenen vertraulichen Mitteilung begründet annehmen zu dürfen, dass Josef Haidinger von nationalsozialistischer Seite nach Freilassing als spionageverdächtig denunziert und bei Gelegenheit seines letzten geschäftlichen Aufenthaltes am 21.4. l. J. von österreichischen Legionären verhaftet und nach seiner erstmaligen Internierung im Lager der Österreichischen Legion in Freilassing in ein Anhaltelager verbracht wurde. Rudolf Pötzelsberger hatte sich am 14.4. M it der Absicht, seinen Bruder in Surheim bei Freilassing zu besuchen, nach Bayern begeben. Seither fehlt von ihm jede Nachricht und konnte auch über seinen Aufenthalt mit Ausnahme des vorerwähnten Schreibens nichts erfahren werden.

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Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 25. September 1934 Zl. 6021/15 (Zum Erlasse GD 191.593 – St. B./34 vom 20.6.1934) Betreff  : Josef Haidinger, Verlagspraktikant, abgängig. An das Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) in Wien. Der hiesige Schuhmachermeister Josef Haidinger hat in Angelegenheit seines abgängigen Sohnes Josef Haidinger (…) von Josef Pletersky (…) und einem gewissen Santner Josef … gegenständliche Schreiben erhalten. Mit diesen Schreiben wird die bereits im h. o. Berichte vom 27.6.1934, Zl. 6021/9, ausgesprochene Vermutung, dass Josef Haidinger jun. in Freilassing von österreichischen Legionären verhaftet und von dort in ein Anhaltelager verbracht wurde, bestätigt. Beilage 1 Wien, 18.9.1934 Sehr geehrter Herr Haidinger  ! (…) Gerne will ich ihre Fragen beantworten und hoffe, dass nachstehende Zeilen zur Beruhigung beitragen werden. Pepi ist tatsächlich wegen Spionageverdacht nach Lechhausen bei Augsburg verbracht worden und soll bis zur endgültigen Klärung der österreichischen Frage dortbleiben. (…) Er selbst hat sich mit dem Schicksal abgefunden und rechnet doch früher oder später frei zu kommen. Was die dortigen Insassen betrifft, ist der Aufenthalt hart, aber erträglich. Jeder Insasse erhält bei seiner Einlieferung Sträflingskleider, während alles Mitgebrachte abgenommen wird. Die Haare werden geschoren. Einen Ausgang ins Freie gibt es nicht. Pepi selbst ist bei guter Gesundheit und arbeitet als Schuster und scheint sich ganz gut eingearbeitet zu haben. Das Essen ist gut, aber für junge Leute manchmal zu wenig. (…) Hochachtungsvoll Josef Pletersky

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Beilage 2 Schwaz, 18.9.1934 Geehrte Familie Haidinger  ! Falls Sie von Ihrem Sohn noch keine Mitteilung haben sollten, kann ich Ihnen darüber Auskunft erteilen. Ich bin in der Zeit vom 30. April bis 22. August bei ihm gewesen. Er ist von österreichischen Legionären eingefangen worden und nach Lechhausen (Augsburg) verbannt. Ihr Sohn Josef darf dort seinen richtigen Namen nicht führen. Er wird Hecht genannt. Er wird, wie andere, streng bewacht und geht ihm auch sonst nicht gut. Das einzig Gute ist nur, dass er gesund ist. Gegenwärtig arbeitet er in der Schusterwerkstätte. Obwohl ihm und mir Anfang August das Angebot gemacht wurde, zur SA zu gehen, lehnten dies Ihr Sohn und ich ab. Am 22. August l. J. ist es mir gelungen, unter Einsatz meines Lebens zu fliehen. Ich hatte Glück und erreichte am 1. September die österreichische Grenze. Ihr Sohn darf auch nicht schreiben. Ich bin ebenfalls von Legionären nach Augsburg geschleppt worden. Hoffentlich ist es Ihnen auch recht bald gegönnt, Ihren Sohn Josef in Ihrer Mitte zu haben. Mit besten Grüßen Josef Santner, Schwaz, Tirol Bundeskanzleramt Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit Wien, 26. November 1934 Geschäftszahl  : 314.164 – G. D./St. B. 34 (Vorzahl  : 249.980/34) zur Zahl 6021/16 vom 26.9.1934. Gegenstand  : Heidinger Josef, Verhaftung in Deutschland. An die Bundespolizeidirektion in Salzburg. Nach einem Bericht des österreichischen Generalkonsulates in München wurde Josef Haidinger aus dem Lager Lechhausen, wo er unter dem Namen August Hecht geführt wurde, am 23. Oktober 1934 entlassen und ist am 31. Oktober 1934 nach Erlangung der Bewilligung der Ausreise nach Salzburg zurückgereist.5 (…)

5 Nach dem gescheiterten Putschversuch der Nationalsozialisten im Juli 1934 war Berlin um eine temporäre Normalisierung der bilateralen Beziehungen bemüht. Dies erleichterte auch die Bemühungen um eine Freilassung von Josef Haidinger jun.

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Bundeskanzleramt Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit Geschäftszahl  : 170.935/34. Radio – Depesche des Landesgendarmeriekommandos Salzburg vom 15.5.1934, 11 Uhr. Hilfsgendarm Gaderer, Posten Hallein, am 14.5.1934 um 18 Uhr 30 Min. von 2 gegen die deutsche Grenze gehenden Burschen aus Pistolen beschossen. Gaderer hat Feuer auf ca. 80 Schritte erwidert. Keine Verletzungen. Burschen über die Grenze geflüchtet. Um 21 Uhr wurden Gaderer und herbeigeholter Hilfsgendarm Mrazek an gleicher Stelle von deutschem Gebiete von 3 SA-Männern in Uniform und 2 Burschen, die hinter Holzstoß Deckung hatten, neuerlich beschossen. Gaderer und Mrazek suchten Deckung und erwiderten das Feuer. Keine Verletzten. Die herbeigekommenen Posten und Abschnittskommandanten Rev. Insp. Anderl und Gendarm Flatscher suchten mit Hilfsgendarm um ca. 22 Uhr mit Taschenlampen Grenzrayon ab, als gegen die Gruppe vom gegenüberliegenden Berghange eine Salve von 6 bis 8 Pistolenschüssen abgegeben wurde. Rev. Insp. Anderl Einschuss in linke Leiste und Durchschuss des rechten Oberschenkels. Gendarm Flatscher hat zwei Pistolenschüsse anscheinend resultatlos abgegeben. Verletzung Anderl schwer, aber nicht lebensgefährlich. (…) Bundeskanzleramt Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit Wien, 30. Mai 1934 Geschäftszahl  : 173.634 G. D./St. B. 34. Gegenstand  : Fortgesetzte nationalsozialistische Betätigung in der Südwiener-Hütte in den Radstädter Tauern. Niederösterreichisches Infanterieregiment Nr. 1 (früher Schützenregiment Nr. 21) Res. 449 Adj./1934. Niederschrift Aufgenommen mit dem Korporal Alois Pürrer der 1. Kompanie über seine Beobachtungen der verbotenen NSDAP in Radstadt und Umgebung während seines Urlaubes vom 2.4. bis 8.4.1934. Zur Wahrheit ermahnt gibt derselbe an  :

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Ich verbrachte vom 2. bis 8.4. l. J. einen sechstägigen Erholungsurlaub in den Radstädter Tauern und zwar in der Südwiener-Hütte. Ich bemerkte gleich in den ersten Tagen, dass die Besucher der Hütte fast durchwegs Nationalsozialisten seien. Besonders beobachtete ich auf der zur Südwiener-Hütte gehörenden und fünf Minuten entfernten Höld-Hütte eine rege Tätigkeit der Anhänger der NSDAP. Der Bewirtschafter dieser Hütte Rupp (vermutlich eine Abkürzung für Ruppert) Essler führte mit einem gewissen Auer, einem vom Dienst enthobenen Gendarmerieinspektor, eine Art Geheimsprache, die darin besteht, dass man zwischen jeder Silbe das Wort »dir« setzt. Ich entnahm aus diesem Gespräche, dass dieser Inspektor eine führende Funktion in der NSDAP innehaben muss. Er bedauerte unter anderem, dass sein als Bote und Ordonanz verwendeter Freund im Anhaltelager Wöllersdorf derzeit sitze … Auer besagte weiter über seine eigene Person, dass dieser eine Kollege, der ihn verriet, er gebrauchte das Wort »Judas«, das Nachsehen haben werde, da es ihm gelungen sei, die Beweise abzuschwächen, sodass er gegen seine Dienstenthebung eine Berufung eingelegt habe. Er erwähnte weiter, er habe gar kein Interesse an der Aufhebung dieser Dienstenthebung, da es nur mehr eine kurze Zeit dauere, bis sich die Bewegung in Österreich ändere. Ich benahm mich während des Gespräches so, als ob ich diese Sprache nicht verstehen würde. Am nächsten Tage suchte ich eine Gelegenheit, um diesen Auer näher kennenzulernen. Er war jedoch sehr vorsichtig, sodass ich vorderhand noch nichts erfahren konnte. Es befanden sich mit mir im gleichen Nächtigungsschlafraume einige junge Burschen im Alter von 20 bis 25 Jahren. Es fiel mir auf, dass sie bei Tag wenig Ski fuhren und bei Nacht immer spät den Schlafraum betraten. Es war dann immer auf einer hohen Stelle ein neues Hakenkreuz in großem Ausmaße angebracht. Eines Tages, als ich mich früh allein mit einem dieser Burschen, seine Kollegen riefen ihn mit dem Spitznamen »Schweiferl«, im Schlafraume befand, pfiff dieser den Beginn des »Horst Wessel Liedes« und sah mich an. Ich lächelte und sagte nichts. Er kam darauf zu mir, gab mir die Hand und begrüßte mich mit »Heil Hitler«. (…) Er sagte  : »Also bist du einer von uns. Wie geht es dir beim Militär  ?« Ich ging auf dieses Thema nicht weiter ein. (…) Ich kam an demselben Tag auch wieder mit Auer zusammen. Dieser war ganz verändert und kam mir sehr freundschaftlich entgegen und begrüßte mich. Die jungen Burschen hatten ihm vermutlich von meiner vermeintlichen Einstellung verständigt. Ich sprach mit Auer über die vielen Hakenkreuze und Hakenkreuzfeuer in der Gegend. Er erwiderte, es wird sehr gut gearbeitet. Wenn wir in Niederösterreich nur die Hälfte leisten würden, könnte sich der jetzige Zustand nicht mehr lange halten. Er hatte illustrierte Zeitschriften deutschen Ursprunges bei sich. Ich fragte ihn auch um die Einstellung der hiesigen Behörden, da ich ja die Absicht hatte, den nächsten Gendarmerieposten von diesem Treiben zu verständigen. Auer sagte mir, dass die Gendarmerie sowie das Bahnpersonal durchwegs seine Leute seien, er meinte dabei

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die NSDAP, und absolut verlässlich wären. Der Pächter müsse ja von Zeit zu Zeit eine Anzeige über angebrachte Hakenkreuze machen, da er sonst die Konzession verlieren könne. Es habe aber weiter keinen Erfolg, da diese Anzeigen nicht weitergeleitet würden. Hier heroben ist man sicher, es kommt niemand her. Sie haben aus diesem Grund die ganze Agitation und Tätigkeit auf die Almhütten beschränkt. Er führte weiters aus, wenn auch die Eisenbahner nach außen hin zur Vaterländischen Front beizutreten gezwungen werden, es sind doch seine Leute. (…) Ich entfernte mich abends unter einem Vorwand aus ihrer Gesellschaft und untersuchte eine kleine Hütte neben der Südwiener-Hütte, wo ich früher bemerkt hatte, dass sie sich sehr oft aufhielten. Ich fand dort abgebrochene Skistöcke und andere Holzstücke mit Tüchern und Stroh umwunden, wie sie zum Abbrennen von Hakenkreuzfeuern verwendet werden. (…) Ich traf bei meiner Abfahrt am Bahnhof in Radstadt einen von den jungen Burschen. Dieser stellte mich einem gewissen »Mucki« und »Struppi« (lauter Spitznamen, da sie ihre wirklichen Namen zu tarnen suchen) vor. (…) Wir gingen einige Zeit auf und ab. »Struppi« hatte eine Zeitung in der Hand mit dem Titel »Alpenwacht«. Ich ersuchte ihn, ob ich sie haben könnte. Er erwiderte, er brauche sie noch, da er sie nicht gelesen habe, er hole mir eine. Er blieb höchstens zwei Minuten aus und brachte mir das … Exemplar. Er kann unmöglich den Bahnhof verlassen haben. Ich weiß nicht, von wo er sie so rasch herhatte, da ich nicht fragen konnte ohne aufzufallen. Er übergab mir die Zeitung offen, sodass auch die anwesenden Eisenbahner das mit dem Hakenkreuz versehene Blatt sehen konnten. Es fiel jedoch keinem ein, gegen diese verbotene Zeitschrift einzuschreiten. Ich ersah daraus, dass die Aussage Auers, dass auch die Bahnbediensteten ihre Anhänger seien, ihre Richtigkeit habe. Als ich den Zug bestieg, verabschiedeten sich beide wieder mit »Heil Hitler« und es fiel niemandem ein, sich dagegen aufzuhalten. Der Anblick von Radstadt und Umgebung ist von lauter Hakenkreuzen verunziert. Man kann keine fünf Minuten gehen, ohne nicht auf irgendeiner Mauer, Telegrafensäule, Berge, Felsen Hakenkreuze erblicken zu müssen. Ich fragte mich selbst, ob hier keine Behörde sei, denn man bekommt direkt den Eindruck, es dürfte das Verbot der NSDAP für diese Gegend nicht bestehen. (…)

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 7. Juni 1934 Geschäftszahl  : 178.265 G. D./St. B. 34 Gegenstand  : Bauunternehmung Franz Baumann & Co., Salzburg  ; Beschwerde wegen unzulänglicher Maßnahmen im Sicherheitsdienst in Salzburg. Bauunternehmung Franz Baumann & Co., Salzburg-Nonntal, Almgasse 3. An das verehrliche hohe Bundesministerium für öffentliche Sicherheit Wien. Wir gestatten uns wegen Unzukömmlichkeiten im Sicherheitsdienst Beschwerde zu erheben wie folgt  : Unter vielen anderen Attentaten durch staatsfeindliche Elemente wurde uns am 19. ds. eine in Neumarkt stationierte Dampfstraßenwalze mittels Ehrasitbomben in die Luft gesprengt und beträgt der uns hierdurch entstandene Schaden S 15.000. Nachdem wir in Neumarkt Straßen- und Stützmauern auszubauen haben, wozu in der Ortschaft große Plötzungen durchgeführt werden, bei denen durch etwaige Anschläge unermessliches Unheil angestiftet werden könnte, da sowohl die höher liegenden Wohnhäuser als auch die Zufahrtsstraße der Gefahr des Abrutschens unterliegen, haben wir bei der zuständigen Sicherheitsbehörde Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen angesprochen. Die Sicherheitsbehörde hat uns aber, trotzdem ihr bekannt ist, dass die Ortschaft Neumarkt zu 50 Prozent staatsfeindliche Elemente beherbergt, nicht nur keinen Schutz gewährt, sondern sie hat es sogar abgelehnt, uns die Ausrüstung für die in unserem Betriebe eingestellten Schutzkorpsmänner auszuliefern. Wir stehen auf dem Standpunkt, dass der Staat, für den wir nunmehr sogar eine eigene Sicherheitssteuer leisten, die Pflicht hat, seinen Bürgern Schutz und Sicherheit zu gewährleisten. Wenn wir in diesem speziellen Falle die Bewachung zum Schutz der Bewohner und der Volksgüter auf unsere eigenen Kosten durchführen wollen, uns aber von den Sicherheitsbehörden nicht einmal die erforderlichen Waffen zur Verfügung gestellt werden, so halten wir dies als eine Pflichtverletzung der Behörde, deren Pflicht es ist, Gut und Menschenleben vor den Verbrechen durch staatsfeindliche Elemente zu schützen. Dasselbe gilt in Fällen der Untersuchung. Nach Sprengung der Dampfstraßenwalze hat ein Zeuge bei der Polizeidirektion wichtige und zum Einschreiten mehr als ausreichende Aussagen gemacht. Seither sind bereits 8 Tage vergangen, ohne dass gegen die Verdächtigen irgendwie eingeschritten oder gar eine Hausdurchsuchung vorgenommen worden wäre. Wir halten es für eine ganz ungehörige Lauheit oder Pflichtverletzung, dass Sicherheitsbehör-

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den, namentlich der Leiter, in all diesen Fällen nicht mit der notwendigen Energie vorgegangen sind. Es ist geradezu skandalös, dass man bei uns in Salzburg, wo nun schon viele Dutzende von Anschlägen durchgeführt wurden, noch immer der Täter bzw. der Zentrale dieser Verbrecherbande nicht habhaft werden konnte. Da ist etwas nicht in Ordnung. Es hat auch zu früheren Zeiten Anschläge gegeben. Falls es nicht geglückt ist, beim ersten Fall den Täter zu eruieren, beim 2. oder 3. Fall konnte keiner entkommen. Dass man aber heute von Dutzenden von Fällen der Täter nicht habhaft wird, ist nicht nur eine unsterbliche Blamage der Sicherheitsbehörde, sondern geradezu eine Schande derselben, deren Beruf es ist, derartige Fälle aufzudecken. Das Gleiche gilt bei der Bestrafung. Eine Bestrafung von einigen Wochen oder Monaten Arrest wird niemanden zur Einkehr bringen und auch niemanden abschrecken. Werden aber, so wie es diesen Verbrechern gebührt, einige zum Tode verurteilt, wird es abschreckend genug wirken, da diese Helden um ihr Leben bangen würden. Wir protestieren dagegen, dass uns durch die Sicherheitsbehörden kein Schutz gewährt wird, wodurch nicht nur die friedliebende Bevölkerung in Unruhe und Furcht versetzt wird, sondern dass auch die Zerstörung von weiteren Gütern am Spiele steht. Unwillkürlich hat man den Eindruck, dass die Sicherheitsbehörden, wenn schon nicht die Verbrecher schützen, so doch passive Resistenz üben. Wir erheben als gutes vaterländisches Unternehmen Anspruch auf entsprechenden Schutz. Sollte die jetzige Leitung in Salzburg nicht befähigt und gewillt sein, uns diesen zu bieten, sind wir genötigt, Selbsthilfe in Aktion treten zu lassen und Selbstjustiz zu üben. Wir bitten daher das hohe Sicherheitsministerium um geeignetes scharfes Einschreiten gegen die Leitung der Sicherheitsbehörden in Salzburg, wenn größeres Unheil vermieden werden sollte. Landesgendarmeriekommando Salzburg Salzburg, 19. Juni 1934 Zl.5514 (207.416 G. D./St. B. 34, Vorzahl 188.816-178.265-St. B./34.) Betreff  : Bauunternehmung Baumann & Co., Beschwerde. An den Herrn Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg in Salzburg. Mit Bezug auf den Erlass Zl. 3901 vom 13. Juni 1934 wird gemeldet, dass von der Firma Franz Baumann & Co. tatsächlich beim Landesgendarmeriekommando um Ausfolgung von Gewehren samt Munition und Ausrüstung vorgesprochen wurde, um damit Arbeiter, die gegen Bezahlung als Nachtposten sich bereit erklärten, bewaffnen und ausrüsten zu können.

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Diese Arbeiter, die weder aufgeboten noch in den Dienst gestellte Schutzkorpsmänner waren, wären keiner Gendarmeriedienststelle unterstanden, sondern wären nur dem eigenen oder dem Ermessen der Baufirma anheimgegeben gewesen. Es wäre damit auch eine wirksame Kontrolle unmöglich geworden. An unbekannte, völlig sich selbst überlassene Elemente, die bekanntlich bei industriellen Straßenbauten nicht immer die besten sind, bundesstaatliche Waffen auszugeben, erschien nicht ratsam, weil dann das Kommando für jeden Missbrauch der Waffe die Verantwortung zu tragen gehabt hätte und eine richtige Abfuhr von Waffen mehr als fraglich gewesen wäre, wie bereits viele Erfahrungen beweisen. Aus diesen Gründen wurde dieses Ansuchen der Baufirma abgelehnt und dafür der Posten Neumarkt-Köstendorf vom Stellvertreter des Landesgendarmeriekommandanten an Ort und Stelle angewiesen, mit den gleichzeitig in Dienst gestellten 15 Schutzkorpsmännern nebst der Bahn- und Starkstromleitungs-Überwachung auch in weitmöglichstem Umfange für die Überwachung der Straßenwalzen zu sorgen. Die von der Baufirma in ihrer Zuschrift an das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, vorgebrachten Beschwerden erscheinen demnach als völlig ungerechtfertigt und sind derart beleidigend, dass ihre ruhige Hinnahme bei der Firma den Eindruck der Richtigkeit ergeben würde. Es wird deshalb gebeten, beim Bundeskanzleramte, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, ehemöglichst die Bewilligung zur strafgerichtlichen Verfolgung der für die Zeichnung der Beschwerdeschrift verantwortlichen Persönlichkeiten der genannten Baufirma einholen zu wollen. Stellungnahme Bundesministerium für Justiz Wien, 25. August 1934 Es ist zweifellos zuzugeben, dass Franz Baumann in der gegenständlichen Eingabe die Grenzen einer erlaubten Kritik überschritten hat und dass seine Schreibweise zum Anlasse einer Bestrafung genommen werden könnte. Da ihm jedoch in Anbetracht des erlittenen schweren wirtschaftlichen Schadens wohl auch zugebilligt werden muss, dass er über das vermeintliche Versagen des Sicherheitsdienstes aufgebracht war und dass er die gegenständliche Eingabe in einer immerhin begreiflichen Aufregung verfasste, wäre nach ho. Ansicht von einer weiteren Verfolgung der gegenständlichen Angelegenheit Abstand zu nehmen, zumal seit der Verfassung der in Rede stehenden Eingabe (25. Mai 1934) bereits sehr lange Zeit verstrichen ist. (…)

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 12. September 1934 Geschäftszahl  : 207.416 G. D./St. B. 34 Gegenstand  : Bauunternehmung Franz Baumann & Co. in Salzburg  ; Beschwerde wegen unzulänglicher Maßnahmen im Sicherheitsdienst in Salzburg. Eine strafrechtliche Verfolgung ist schon wegen inzwischen eingetretener Verjährung (die Eingabe vom 25. Mai 1934 ist am 29. Mai 1934 im Bundeskanzleramt eingelangt) nicht möglich. Der Landeshauptmann-Stellvertreter in Salzburg Dr. Alois Wagenbichler Salzburg, 16. Juni 1934 Sr. Hochwohlgeboren Herrn Vizekanzler a. D., Sicherheitsminister Major a. D. Emil Fey in Wien. Sehr geehrter Herr Vizekanzler  ! Gestern hatten sich fünf nationalsozialistische Attentäter vor dem Standgerichte Salzburg zu verantworten. Man muss mit der Möglichkeit rechnen, dass solche Fälle sich wiederholen und da möchte ich, sehr verehrter Herr Vizekanzler, Ihre Aufmerksamkeit auf die in die Nähe gerückte Zeit der Festspiele in Salzburg lenken und Sie bitten, dass Sie Ihren Einfluss dahin geltend machen, dass Standgerichtsfälle während der Zeit der Festspielwochen und für die vorhergehende Zeit des intensiven Fremdenverkehres d. i. vom 1.7. bis 31.8. hier in Salzburg nicht mehr behandelt werden. Wie Herr Vizekanzler ja selbst wissen, hat Salzburg durch seine Festspiele eine internationale Berühmtheit erlangt und es ist heuer zu erwarten, dass aus Frankreich und besonders aus England, aber auch aus den nordischen Ländern, viele Hunderte von Fremden kommen. Es kann für den Fremdenverkehr nicht günstig wirken, wenn in der Stadt, in der sich diese Fremden befinden, das Standgericht tagt. Es wird technisch wohl leicht möglich sein, die eventuell vorkommenden Fälle an das Standgericht in Innsbruck zu überweisen. Ich bitte Sie, hochverehrter Herr Vizekanzler, im Namen der heimattreuen Salzburger, dieses mein Ersuchen unterstützen zu wollen und zeichne mit dem Ausdrucke meiner Verehrung und mit Heimatschutzgrüßen als Herrn Vizekanzler stets ergebener Wagenbichler

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Bundesministerium für Justiz Wien, 19. Juli 1934 Zl. 39.780/34 (G. D. 199.892 – St. B./34) Betreff  : Ansuchen um Verlegung des Standgerichtes von Salzburg. An das Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit). Die Staatsanwaltschaften Wien und Innsbruck werden in kurzem Wege angewiesen, während der Festspielwochen nach Möglichkeit keine Anträge auf Durchführung von Standgerichtsverhandlungen in Salzburg zu stellen. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 7. Juli 1934 Zl. 3502/4 (203.303/34) An das Bundeskanzleramt St. B. in Wien. In der Anlage wird die Abschrift des einstimmig gefassten Beschlusses vorgelegt, welcher bei der am 30. Juni l. Js. in Salzburg abgehaltenen Tagung der Bürgermeister des Flachgaues gefasst wurde. Abschrift Bei der am Samstag, den 30. Juni 1934 in Salzburg stattgehabten Bürgermeistertagung der Bürgermeistervereinigung des Flachgaues wurde nach Behandlung verschiedener wirtschaftlicher Fragen auch gegen die im Laufe der letzten Zeit vorgekommenen Terrorakte Stellung genommen. Es wurden diese Vorfälle auf das entschiedendste verworfen und betont, dass es nicht deutsche Art ist, derartige Anschläge zu machen und die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr länger gewillt ist, derartige Verbrechen an Menschen und Wirtschaft in unserem Vaterlande zu dulden. Es wurde hierauf einstimmig beschlossen, die Regierung und Behörden in der energischsten Bekämpfung der Terrorakte auf das tatkräftigste zu unterstützen. Die Tagung verlangt aber auch mit aller Entschiedenheit, diese Verbrechen schonungslos zu ahnden und alles zu tun, dass dem Rechtsempfinden des Volkes endlich Rechnung getragen wird und die für diese Verbrechen bestimmte Todesstrafe endlich einmal verhängt und auch vollzogen werde. Für die Bürgermeistereinigung  : Der Obmann  : Friedrich Gugg

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 17. September 1934 Geschäftszahl  : 235.377 G. D./St. B. 34 Gegenstand  : Errichtung einer evangelischen Predigtstation in Itzling  ; Verbot der Abhaltung von Bibelstunden aus Gründen der öffentlichen Ruhe und Ordnung. Landeshauptmannschaft in Salzburg Salzburg, 13. Juli 1934 Z. 4467/Ia-1934 Betr.: Predigtstation in Itzling, z. Z. 262 b vom 27. April 1934. An das hochw. Oberländer Seniorat A. B. in Gosau. Die von dortaus der Bezirkshauptmannschaft in Salzburg angezeigte Errichtung einer evangelischen Predigtstation6 in Itzling begegnet den schwerwiegendsten Bedenken vom Standpunkt der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung. Die Station wurde zwar für die Gemeinden bzw. Ortschaften Itzling, Bergheim, Kasern und Lengfelden errichtet. Tatsächlich kommen für die Station aber nur die Ortschaften Itzling und Kasern in Betracht, während von Bergheim und Lengfelden aus infolge der Lage dieser Ortschaften der Besuch der Predigt in Salzburg selbst nicht wesentlich beschwerlicher ist als jener in Itzling. An der ersten Veranstaltung in Itzling nahmen ungefähr 70 Personen teil, von denen nach h. a. Kenntnis aber nur 20 ungefähr der evangelischen Kirche angehören. Nach Schluss der Bibelstunde verließ ungefähr die Hälfte der Teilnehmer den Saal, während die andere Hälfte bei den Tischen sitzen blieb. Den gepflogenen Erhebungen zufolge scheint der Leiter der Predigtstation Itzling, Pfarrer Gerhard Florey,7 welcher zur Zeit des Bestehens der NSDAP ein eifriger Anhänger dieser Partei und ein fleißiger Besucher der nationalsozialistischen 6 Mangels Kirchen wurden evangelische Gottesdienste auch in Gasthäusern abgehalten. Eine Predigtstation war eine eigene Räumlichkeit, in der Messen und Versammlungen abgehalten werden konnten. 7 Gerhard Florey amtierte von 1928 bis 1965 als evangelischer Pfarrer der Stadtgemeinde Salzburg. Die Behauptung von Peter F. Barton, Florey sei dem Nationalsozialismus ablehnend gegenübergestanden und habe sich vor allem um die Festigung der evangelischen Gemeinde besondere Verdienste erworben, ist nach der Quellenlage nicht aufrecht zu erhalten. Florey sympathisierte mit dem Nationalsozialismus, ein Umstand, der auch von der Kirchenleitung zugegeben wurde. Vgl. Peter F. Barton  : Die evangelische Kirche im Lande und Erzstift Salzburg. – In  : Heinz Dopsch, Hans Spatzenegger (Hg.)  : Geschichte Salzburgs. Stadt und Land. Bd. II/3. – Salzburg 1991. S. 1521– 1550. S. 1546.

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Versammlungen war, auch derzeit noch nationalsozialistisch eingestellt zu sein und ermöglicht durch Errichtung von sog. »Predigtstationen« bzw. durch Abhaltung von Bibel- und Betstunden Zusammenkünfte von Leuten, die vielfach Nationalsozialisten sind und mehr Interesse an einer politischen Demonstration als einer religiösen Übung haben. Diese Auffassung wird durch die führende Rolle, die Pfarrer Florey in der Bewegung »Deutsche Christen in Österreich«8 und im »Salzbund«9 innehat, noch bestärkt. 8 Die »Deutschen Christen« (DC) wurden 1931 in Tübingen gegründet und gewannen 1933 einige Landesleitungen der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK). Als sie den Arierparagrafen übernahmen, löste dies 1934 einen innerevangelischen Kirchenkampf aus. In Opposition zu den sich immer mehr der NSDAP annähernden »Deutschen Christen« bildete sich die »Bekennende Kirche«, die die Deutschen Christen als Häretiker betrachtete und sie aus der Evangelischen Kirche ausschloss. Hauptelement der DC-Bewegung war die angestrebte Gleichschaltung der Kirche mit dem NS-Staat, mit dem man zusammen im Sinne der nationalprotestantischen Geschichtsphilosophie des 19. Jahrhunderts für die behauptete gottgewollte »Sendung des deutschen Volkes« wirken wollte. Diese Geschichtsphilosophie war nicht nur im deutschen, sondern auch im österreichischen Protestantismus weit verbreitet. Das Christentum sollte in einer spezifisch deutschen Art unter Zurückdrängung alles Jüdischen vermittelt werden. Dies beinhaltete auch einen deutlichen Antiklerikalismus, der sich unter Betonung der Autonomie der Gemeinden nicht nur gegen die Römisch-Katholische Kirche, sondern auch gegen die eigene Evangelische Kirche richtete. So erklärte der Potsdamer Pfarrer Hans Hermenau im April 1937  : »Wer nicht will, dass volksfremde Elemente uns in unser Heiligstes, unsern Glauben, hineinreden, wer wie Luther Rom und Juda ablehnt, wer die Stunde ersehnt, in der alle Deutschen gemeinsam vor Gott dem Vater Jesu Christi anbeten, wer im Geiste Martin Luthers eine Volkskirche strebt, die allen Volksgenossen zur Gottesheimat wird, der steht damit auf dem Boden des Deutschen Christentums.« (Zit. bei Doris L. Bergen  : Die »Deutschen Christen« 1933–1945  : ganz normale Gläubige und eifrige Komplizen  ? – In  : Geschichte und Gesellschaft 4/2003. S. 542–574. S. 542.) In Österreich konnten die Deutschen Christen bei 10 bis 12 Prozent der evangelischen Pfarrgemeinden Fuß fassen. Bei den österreichischen Deutschen Christen existierten zwei Strömungen  : die moderate, die an der Trennung von Kirche und Staat sowie dem tradierten Bekenntnis festhielt, und die radikale, die eine Befürwortung der Verschmelzung von NS-Staat und Kirche befürwortete und für eine überkonfessionelle Kirche plädierten. Beide Gruppierungen der Deutschen Christen waren antisemitisch eingestellt. Die Leitung der Evangelischen Kirche in Österreich stand der Bewegung ablehnend gegenüber. 9 Der Verein »Salzbund« wurde 1902 in Salzburg gegründet und diente der Pflege evangelischen Lebens und der Pflege der evangelischen Tradition. Seine Gründung erfolgte in Erinnerung an eine Versammlung von rund 150 Pinzgauer Protestanten am 5. August 1731 in Schwarzach, nachdem bekannt geworden war, dass Erzbischof Leopold Anton Freiherr von Firmian zur Bekämpfung des Protestantismus Truppen in die Region entsenden werde. Die Versammelten tauchten vor Beginn ihrer Unterredung die Finger der rechten Hand in ein Salzfass und schworen, sich nicht von ihrem Glauben abbringen lassen zu wollen. Gleichzeitig beschloss man die Entsendung einer Abordnung nach Regensburg zur Vertretung der evangelischen Reichsstände, die sie fragen sollte, ob sie zur Aufnahme ihrer bedrängten Glaubensbrüder bereit wären. Erzbischof Firmian bezeichnete die Versammlung in Schwarzach als Rebellion und wandte sich an den Kaiser in Wien und an Bayern mit dem Ersuchen, Truppen zur Verfügung zu stellen. Rund 5000 Mann

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Die aus geografischem Gesichtspunkt herausgeleitete Erwägung, dass ein Bedürfnis nach der Predigtstation Itzling nicht bestehen kann, im Zusammenhalt mit der amtsbekannten Einstellung des Pfarrers Florey lässt in dem weiteren Bestand der Predigtstation Itzling eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe und Ordnung erblicken. Es wird daher das dringende Ersuchen gestellt, die Bewilligung für die Predigtstation in Itzling zurückzuziehen. Exh. Z. 4893/Ia-1934 Evang. Oberländer-Seniorat A. B. in Gosau Gosau, 24. Juli 1934 Z. 480 An die hohe Landeshauptmannschaft in Salzburg. Zu der wohldortigen Zuschrift vom 13. Juli 1934, Z. 4467, erlaubt sich das ergebenst gefertigte Seniorat Folgendes zu eröffnen  : Pfarramt und Presbyterium Salzburg haben unterm 26. April 1934, Z. 652, ordnungsgemäß um die Bewilligung zur Errichtung einer Predigtstation in Itzling angesucht. Das gefertigte Seniorat hat nach sorgfältiger Prüfung der formalrechtlichen Lage wie der sachlichen Notwendigkeit zu einer solchen Predigtstation aufgrund des § 17 der Kirchenverfassung vom 9. Dezember 1891, KGBl. Nr. 4 ex 1892, die Bewilligung zur Errichtung der Predigtstation in Itzling erteilt und davon im Sinne des bezogenen Paragrafen die zuständige politische Behörde und im Wege der Superintendantur den evangelischen Oberkirchenrat in Wien verständigt. Sowohl aus formalrechtlichen als auch aus sachlichen Gründen ist das Seniorat leider nicht in der Lage, dem dringlichen Ersuchen der Landeshauptmannschaft Salzburg zu entsprechen, die Bewilligung der Predigtstation in Itzling wieder zurückzuziehen. Der Beweisführung der Landeshauptmannschaft Salzburg zu diesem Ersuchen kann das gefertigte Seniorat nicht zustimmen. (…) 2. Die Behauptung, dass am ersten Gottesdienst in Itzling von den 70 Personen nur ungefähr 20 evangelisch waren, kann nicht stimmen, da am ersten Gottesdienst als der Eröffnungsfeier der Predigtstation der evangelische Kirchenchor schon in einer Stärke von 25 Personen teilgenommen hat und zu diesem Kirchenchor nur evangelische Glaubensgenossen zählen. Nach Mitteilung des für diese Frage wohl zuständigen Pfarramtes waren wenigstens vier Fünftel der Gottesdienstbesucher evangelisch. Die Gottesdienste aller Konfessionen sind aber allgemein zugänglich, wurden dem Erzbischof zur Verfügung gestellt, die bei den Bauern einquartiert wurden und sie massiv unterdrückten. Ab 1933/34 galt der »Salzbund« in Regierungskreisen auch als Tarnorganisation für Anhänger der illegalen NSDAP.

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und aus der Tatsache, dass am evangelischen Gottesdienst in Itzling auch einzelne Katholiken teilgenommen haben, kann daher nicht die Notwendigkeit sich ergeben, die Bewilligung der Predigtstation zurückzuziehen. Außerdem treibt erfahrungsgemäß bei Eröffnung einer Predigtstation auch die Neugierde Nicht-Evangelische in den ersten Gottesdienst, die sich in der Folge in der Regel wieder verlaufen. 3. Dass nach dem Gottesdienst eine Anzahl Gottesdienstbesucher noch im Gasthaus sitzen blieb, kann kein Grund zu einer Besorgung sein. Es ist eine allgemein zu beobachtende Erscheinung in allen Konfessionen, dass ein Teil der Kirchenbesucher nach beendetem Gottesdienst ein Gasthaus aufsucht. Solange wir daher den von uns selbst als unwürdig empfundenen Zustand, in Ermangelung eines gottesdienstlichen Raumes den Gottesdienst in einem Gasthauslokal abhalten zu müssen, nicht beseitigen können, wird es immer wieder der Fall sein, dass einzelne Gottesdienstbesucher zur Einnahme einer kleineren Erfrischung in diesem Gasthause zurückbleiben. Dass der Pfarrer diese Gelegenheit wahrnimmt und mit den entfernter wohnenden Gemeindemitgliedern sich etwas unterhält, liegt auf der Hand. Entscheidend ist doch dabei, dass bei diesem Zusammensein in keiner Weise politisiert worden ist, wie ja die über Ersuchen des Evangelischen Oberkirchenrates dahin entsandten politischen Aufsichtsorgane feststellen konnten. 4. Dass Pfarrer Florey, solange die NSDAP erlaubt war, Mitglied derselben war, kann doch kein Grund sein, die Predigtstation Itzling jetzt zu verbieten. Der gefertigte Senior möchte darauf hinweisen, dass er sowohl durch eine offizielle Kirchenvisitation als durch mehrmalige unangesagte Teilnahme an Gottesdiensten und Bibelstunden und durch Inspizierung des evangelischen Religionsunterrichtes an den Salzburger Mittelschulen vor wenigen Wochen sich davon überzeugt hat, dass das Verhalten Floreys in politischer Hinsicht einwandfrei ist. (…) 5. Deshalb, weil unter den Besuchern der Bibelstunden Nationalsozialisten bemerkt wurden, den Vorwurf zu erheben, dass es den Gottesdienstbesuchern mehr um eine politische Demonstration als um eine religiöse Übung zu tun ist, muss ich um der Ehre unserer Kirche willen entschieden zurückweisen. Denn da die Gottesdienstbesucher beim Gottesdienst bekanntlich nur Zuhörer und nicht Veranstalter sind, kann die politische Einstellung derselben noch keine Rolle spielen. Wie sollten wir außerdem auf einzelne politisch erregte Gemüter im Sinne des Christentums beruhigend und versöhnend und im vaterländischen Sinne einwirken, wenn wir ihnen die Teilnahme am Gottesdienst erschweren  ! Der evangelische Gottesdienst besteht bekanntlich nur aus dem Gebet und Evangeliumsverkündigung und die lautere Predigt des Evangeliums schließt jede Verquickung mit Parteipolitik aus. 6. Die Glaubensbewegung »Deutsche Christen in Österreich« war eine rein innerkirchliche Bewegung, die unter Wissen und Billigung des Evangelischen Oberkirchenrates bestanden hat, wie Pfarrer Florey ebenfalls unter Wissen und Billigung derselben die Leitung innehatte. Im Übrigen ist die Bewegung seit Jänner d. J. aufgelöst.

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7. Der »Salzbund« ist eine schon seit Jahrzehnten bestehende Vereinigung im Lande Salzburg und stellt nur eine Arbeitsgemeinschaft dar, um die Glieder der evangelischen Gemeinde einander nahe zu bringen und Gemeindeleben zu entfalten. Pfarrer Florey ist weder Obmann noch Vorstandsmitglied und es ist daher nicht zutreffend, dass er in demselben eine »führende Rolle« innehat. Außerdem hat der »Salzbund« weder mit der Predigtstation Itzling noch mit Parteipolitik etwas zu tun. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 28. Juli 1934 Z.: 3711/4 An die Bezirkshauptmannschaft in Salzburg. Auf dortiges Schreiben Z. 4467/I a 1934 vom 13.7.1934 an das hochw. Oberländer Seniorat A. B. beehrte ich mich mitzuteilen, dass ich das Ansuchen um Abhaltung der Bibelstunden in Itzling (…) auf Gründen der offiziellen Ruhe und Ordnung abgewiesen habe, da diese Zusammenkünfte demonstrativen Charakter trugen und geeignet waren, die Ruhe zu stören. Vaterländische Front Landesleitung Wien, Wien I, Am Hof 4 Wien, 22. August 1934 Zeichen  : La/Ru. Nr. 5145 Sr. Hochwohlgeboren Herrn Hans Baron Hammerstein-Equord, Staatssekretär für das Sicherheitswesen Wien I., Herrengasse Nr. 7. Es wurde uns mitgeteilt, dass die Gepäckskontrolle in dem um 9.40 Uhr in Salzburg ankommenden Zug ab München 7.45 Uhr am 19. ds. derart vernachlässigt wurde, dass die Gepäcksstücke nicht einmal geöffnet worden sind. Seitens mitfahrender Österreicher wurde dieses Verhalten der Revierorgane schärfstens kritisiert mit dem Bemerken, dass es ohne weiteres möglich gewesen wäre, ganze Koffer mit Propaganda- und Sprengmaterial in diesem Zug legal über die Grenze zu befördern. Wir geben diese Mitteilung weiter und ersuchen, bei den zuständigen Stellen die entsprechenden Schritte zu unternehmen, um derartige Vorfälle in Zukunft zu verhindern. (…)

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E. A. (…) des Bundesministeriums für Finanzen vom 4. Oktober l. J., Zahl 68.552/8-1934. Es enthält einen Bericht der Finanzlandesdirektion von Salzburg, aus dem zu entnehmen ist, dass die Kontrollen stets sorgfältig durchgeführt werden. Allerdings wird bei Zugverspätungen manchmal auf die dringende Abfertigung seitens des Bahnpersonales Einfluss genommen, um Verspätungen hereinzubringen. Dies dürfte möglicherweise auch am genannten Tage der Fall gewesen sein, weshalb vielleicht die Gepäckskontrollen nur stichprobenartig erfolgten. Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 31. August 1934 Zl.: 586/res-34 Betr.: Salzburger Landbund. An das Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) in Wien. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich, über den Salzburger Landbund Folgendes zu berichten  : Am 19.8.1934 hielt der Salzburger Landbund im Gasthof »Hirschenwirt« in Salzburg, Elisabethstraße Nr. 5, seine ordentliche Jahreshauptversammlung ab, an welcher 52 Personen (Delegierte und Mitglieder) aus dem Lande Salzburg teilnahmen. Einberufer war der Obmann des Vereines, Johann Ober, Frankbauer aus Seekirchen. (…) Der Obmann eröffnete um 10 Uhr 25 mit einer kurzen Ansprache und Begrüßung die Versammlung, worauf der Landesgeschäftsleiter, Baumeister Karl Kindlinger aus Parsch, den Tätigkeitsbericht über das Vereinsjahr verlas. Hierauf erfolgte die Neuwahl des Vereinsvorstandes, die folgendes Ergebnis hatte  : Obmann  : Hans Ober, Frankbauer, Seekirchen, Schöngumprechting. 1. Stellvertreter  : Walter Hilzensauer, Niedernsill, Pinzgau. 2. Stellvertreter  : Franz Huber, Katzlmoosbauer, Reinbach, St. Johann i. Pg. 3. Stellvertreter  : Franz Freundlinger, Landeskulturrat, Reichertbauer, Hallwang, Post Gnigl. Geschäftsführer  : Karl Kindlinger, Baumeister, Parsch Nr. 27. Stellvertreter  : Ing. Franz Pasching, Forstrat, Salzburg, Lasserstr. 24. Schriftführer  : Sepp Kronstorfer, Glasenbach 56, Post Aigen-Glasenbach. Stellvertreter  : Karl Tiefenbacher, Ansfelden, Post Anthering. Beisitzer  : 22 aus verschiedenen Gauen. Rechnungsprüfer  : Max Taxacher, Bauer und Gutspächter, Aigen und Isidor Zwinger, Hiasenbauer, Gersberg, Aigen, Post Parsch.

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Zu Pkt. 5) sprach Bundesminister a. D. Franz Bachinger.10 Einleitend hielt er für Bundeskanzler Dr. Dollfuß einen Nachruf und forderte die Anwesenden auf, sich von ihren Sitzen zu erheben. In seiner weiteren Rede bedauerte er die Februar- und Juli-Ereignisse dieses Jahres und den Austritt des Landbundes aus der Regierung, wobei er der Meinung Ausdruck verlieh, dass diese Ereignisse unterblieben wären, wenn der Landbund im September aus der Regierung nicht ausgetreten wäre. Bachinger teilte den Anwesenden mit, dass seit 14 Tagen verhandelt werde, um alle nationalen Kräfte in Österreich zu vereinigen und diese im vaterländischen Sinne (für) die Arbeit um den inneren Frieden zu gewinnen. Wenn dies nicht gelingt, dann könnte es zu einem Bürgerkrieg kommen. Die Hoffnung der radikalen nationalsozialistischen Elemente, die Exekutive werde sich auf ihre Seite schlagen, sei irrig gewesen. Das Heer und die Polizei machen befehlsgemäß ihre Pflicht. Er warne vor einem Bürgerkrieg. Der Landbund werde in den nächsten Wochen die Aufgabe haben, dem Lande wieder einen agrarischen Stempel aufzudrücken, der seit dem Austritte aus der Regierung verschwunden sei. Es müsse getrachtet werden, mit der Vaterländischen Front zusammenzuarbeiten, denn diese könne nur Bestand haben, wenn sie über alle Volksteile verfüge. Er sei von Anfang an dafür gewesen, doch habe sich damals ein ungeheurer Sturm dagegen erhoben. Bei der Zusammenarbeit sei zu fordern die Liquidierung der illegalen Formationen, Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht, Freilassung der unschuldig inhaftierten Schutzhäftlinge, Anbahnung eines Wirtschaftsfriedens mit Deutschland und die Ausschaltung aller radikalen Elemente. Auf Papen setze er große Hoffnungen und hoffe er, dass es ihm gelingen werde, den Frieden wiederherzustellen. Die Allgemeine Wehrpflicht sei deshalb einzuführen, weil nur auf solche Art wirklich vaterländische Erziehungsarbeit geleistet werden könnte. Er glaube auch, dass der Völkerbund in diesem Punkte eine Ausnahme machen werde. Es sei falsch, jede nationale Regung zu unterdrücken, wodurch den Monarchisten und Bolschewiken die Möglichkeit gegeben werde, sich zu betätigen. Dies habe sich schon in verschiedenen Industriestädten wie Welt und Linz bemerkbar gemacht. Russland gebe für 10 Franz Bachinger (1892–1938) besuchte eine dreiklassige Volksschule und fand seine erste politische Heimat im liberalen oberösterreichischen Bauernverein. Nach dem Ersten Weltkrieg übernahm er den elterlichen Hof und wurde 1919 Gemeinderat in Gaspoltshofen. Bei der Gründung des Landbundes wurde er dessen Mitglied und organisierte 1924 die erste Ortsgruppe der Landbundjugend. 1931 wurde oberösterreichischer Landesparteiobmann des Landbundes, 1932 Minister für öffentliche Sicherheit, 1932 bis 1933 für Innere Verwaltung und 1933 Staatssekretär für Forstwesen und Holzbewirtschaftung. 1934 fungierte er als Liquidator des erzwungenen Auflösung des Landbundes und wurde im Zuge des Juli-Putsches der Nationalsozialisten kurzzeitig verhaftet, da es auch in seiner Heimatgemeinde Gapoltshofen zu Kampfhandlungen gekommen war.

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die Bolschewisierung ungeheure Summen aus. Für die brave Polizei werde in Zukunft eine schwere Zeit kommen. Unbedingte Aufgabe des Landbundes sei es daher, alle Kräfte des Volkes zusammenzufassen, alle früheren Meinungsverschiedenheiten zu liquidieren, und mit der Regierung nach dem System Dollfuß mitzuarbeiten zum Heile des Volkes und des Vaterlandes und für das Wohl und eine bessere Zukunft unserer Kinder. Nach seinem Referate und der Verlesung der neuen Statuten wurden dieselben einstimmig beschlossen und der Name »Salzburger Landbund« abgeändert in »Nationale Landvolkvereinigung in Salzburg« mit dem Sitze in Salzburg. Nach fast einstündiger Rede schloss Bachinger mit einem »Heilruf« auf Österreich. Zu Pkt. 6) wird folgender Antrag einstimmig zum Beschluss erhoben  : »Bei Schaffung einer nationalen Front zwecks innerer Befriedigung im Sinne der Verhandlungen mit Bundeskanzler Dr. Schuschnigg erklären wir uns mit allen Stimmen bereit mitzuarbeiten. Als Grundlage für diese Verhandlungen wird festgelegt und stimmig beschlossen  : 1. Wir beteiligen uns an den Einigungsbestrebungen und erklären uns zur Mitarbeit an der zu schaffenden völkischen Front bereit  ; 2. unsere Delegierten für das Land Salzburg sind die Herren Ober, Freundlinger, Hilzensauer, Kindlinger  ; 3. wir stellen unsere Organisation zur Verfügung mit dem Vorschlage, der Träger des agrarischen Teiles der völkischen Front zu sein  ; 4. hingegen erwarten wir, dass folgende Vorschläge übernommen werden  : a. unsere bestehende Presse wird als agrarische Wochenpresse übernommen  ; b. die legale Zusammenarbeit wird gewährleistet durch restlose Ausschaltung des persönlichen Kampfes  ; c. unsere in öffentlicher Stellung befindlichen Mandatare werden als Mandatare der völkischen Front anerkannt  ; d. bei Stellung einer gemeinsamen Wehrfront wird die ›Grüne Font‹ übernommen und ihre Gleichstellung gewährleistet.« (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 27. September 1934 Geschäftszahl  : 249.564 G. D./St. B. 34 Gegenstand  : Schutzkorpsmann Johann Gschwandtner  ; Ermordung durch nationalsozialistische Flüchtlinge. Te l e f o n d e p e s c h e . Das Landesgendarmeriekommando Salzburg (Generalmajor Schmidek) meldet am 27.9.1934 um 8 Uhr 45 fernmündlich  :

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»Der am Posten Blühnbach eingeteilte Schutzkorpsmann Johann Gschwandtner (…) wurde am 26. d. M. um ungefähr 12 Uhr 15 Minuten in der Nähe der Asterbergalpe in Blühnbach von drei Burschen, die auf der Flucht nach Deutschland verhaftet worden waren und zum Posten Blühnbach eskortiert werden sollten, überfallen und ermordet. (…) Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 28. November 1934 Zl. 19.138 (324.748/34) Betr.: Geburtstagsfeier für Otto von Österreich am 25.11.1934 An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St. B. in Wien. Am 25.11.1934 fanden in den St. Peter-Sälen um 8 Uhr abends eine Geburtstagsfeier für Otto von Österreich statt, an der sich ca. 400 Personen beteiligten. Die Feier wurde von dem Führer der Legitimisten, Schriftsteller Wilhelm Schmid (…) eröffnet, der unter anderem ausführte, dass Österreich erst dann das richtige Österreich sein werde, wenn die Krönung Ottos als Kaiser von Österreich vollzogen sein werde. Als Festredner fungierte Gesandter a. D. Ritter von Wiesner aus Wien, der kurz die Entwicklung der monarchistischen Bewegung ausführte und erklärte, dass die Legitimisten die republikanische Staatsform nie anerkennen würden, wohl aber deren Gesetze befolgen. Das Ziel der Legitimisten bleibt die Wiederherstellung der ehemaligen Staatsform in Österreich, da der überwiegende Teil der Bevölkerung Österreichs sich nach der Monarchie sehnt und diese Ansicht auch Vizekanzler Fürst Starhemberg vertrete. Er führte noch aus, dass diese Geburtstagsfeier auch eine vaterländische Kundgebung sei, da die Legitimisten stets vaterlandstreu sind und waren. Nach der Rede des Vorgenannten wurden Lichtbilder aus dem Jugendleben Ottos vorgeführt. Am Schluss der Veranstaltung wurde die altösterreichische Volkshymne gesungen. Ein Vorfalle ereignete sich nicht.

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Bundeskanzleramt Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit Wien, 18. Februar 1935 Geschäftszahl  : 307.896 G. D./St. B. 35 (Nachzahlen  : 315.298/35. Miterledigte Zahlen  : 310.722/35) Gegenstand  : Deutsches Konsulat in Salzburg  ; Ersuchen um Entfernung eines Zeitungsartikels aus dem Schaukasten der Ostmärkischen Sturmscharen. Deutsches Konsulat Salzburg, 29. Jänner 1935 Tgb. Nr. 232 An die Bundespolizeidirektion Salzburg. Nach hier vorgebrachten Beschwerden befindet sich im Schaukasten der Ostmärkischen Sturmscharen ein Zeitungsartikel mit der Überschrift »Homosexualität als Vorwand«, der eine Beschimpfung des Führers und Reichskanzlers Adolf Hitler sowie seiner Umgebung enthält. So wird unter anderem der Reichsminister Hess11 als »Fräulein Hess« bezeichnet und der Reichsjugendführer Baldur von Schirach12 als »Braut des Führers«.

11 Rudolf Hess (1894–1987) war 1919 Mitglied des Freikorps Epp, trat 1920 der NSDAP bei und war 1923 Teilnehmer am Hitler-Putsch. Er verbrachte 7 Monate Festungshaft in Landsberg und war Assistent bei der Niederschrift von Hitlers »Mein Kampf«, ab 1925 Privatsekretär Hitlers und wurde im April 1933 zu dessen Stellvertreter und Minister ohne Portefeuille ernannt mit Sitz im »Braunen Haus« in München. Am 10. Mai 1941 landete er mit einem Jagdflugzeug in Großbritannien, angeblich um Großbritannien als Verbündeten für das Dritte Reich zu gewinnen und die Absetzung Churchills zu erreichen. Er wurde von den Briten interniert und von Hitler für verrückt erklärt. 1946 vom Internationalen Militär-Tribunal in Nürnberg zu lebenslanger Haft verurteilt, beging er 1987 Selbstmord im Kriegsverbrechergefängnis Berlin-Spandau. Vgl. Peter Longerich  : Hitlers Stellvertreter. Führung der Partei und Kontrolle des Staatsapparates durch den Stab Hess und die Partei-Kanzlei Bormann. – München 1992. 12 Baldur von Schirach (1907–1974) wurde von Hitler bereits als 21-Jähriger 1928 in die Reichsleitung der NSDAP berufen, in der er für die nationalsozialistische Hochschulbewegung verantwortlich zeichnete. 1931 wurde er Reichsjugendführer, zuständig für die außerschulische Jugenderziehung. 1940 wurde er Gauleiter und Reichsstatthalter in Wien und Reichsleiter für Jugenderziehung. 1946 verurteilte ihn das Internationale Militär-Tribunal in Nürnberg zu 20 Jahren Haft in Berlin-Spandau. Nach seiner Entlassung 1966 veröffentlichte er 1967 seine Memoiren unter dem Titel »Ich glaubte an Hitler«.

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Nach weiteren Beschwerden befindet sich im Schaukasten der Ostmärkischen Sturmscharen am Borromäum, Dreifaltigkeitsgasse, ein Aushang, in dem sich beleidigende Bemerkungen über den Ministerpräsidenten Göring13 befinden. Ich darf unter Bezugnahme auf die gestrige fernmündliche Rücksprache mit Herrn Hofrat Ingomar um baldgefällige Entfernung der Schmähungen und Mitteilung des Veranlassten hierher nachsuchen. Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 30. Jänner 1935 Zl. 103/res-35. Betreff  : Deutsches Konsulat Salzburg. Ersuchen um Entfernung eines Zeitungsartikels aus dem Schaukasten der Ostmärkischen Sturmscharen. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St. B. in Wien I., Herrengasse 7. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich, beiliegende Eingabe des Deutschen Konsulates mit dem Ersuchen um Weisungen in Vorlage zu bringen. Die Polizeidirektion beabsichtigt, die dortige Zustimmung vorausgesetzt, dem Konsulat zu eröffnen, dass mangels reziproker Vereinbarungen die Bundespolizei-

13 Hermann Göring (1893–1946) war im 1. Weltkrieg Hauptmann der Luftwaffe und wurde im Juni 1918 Führer des Jagdgeschwaders Richthofen. 1922 trat er der NSDAP bei, wurde beim Hitler-Putsch in München im November 1923 verletzt und flüchtete über Tirol nach Italien. Infolge seiner Schmerzbehandlung wurde er Morphinist. 1930 wurde er Mitglied des Reichstages und Beauftragter Hitlers für Berlin, 1932 Präsident des Reichsrates, im April 1933 preußischer Ministerpräsident, im Mai 1933 Reichsminister für die Luftfahrt, 1934 Reichsforst- und Reichsjägermeister und im Dezember 1934 designierter Nachfolger Hitlers, im März 1936 Oberbefehlshaber der Luftwaffe und Beauftragter für den Vierjahresplan. Im 1937 erfolgte die Gründung der »Hermann-Göring-Werke«, eines reichseigenen Industriekonzerns. Am 31. Juli 1941 gab er den Befehl an Heinrich Heydrich zur Ergreifung aller notwendigen Maßnahmen für eine Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflussgebiet Europas. Er wurde bekannt für seinen luxuriösen Lebensstil vor allem in seiner Residenz Carinhall und seine Prunk- und Uniformsucht. Während des 2. Weltkrieges kam es zu sich steigernden Spannungen mit Heinrich Himmler und Joseph Goebbels. Am 23. April 1945 wurde er von Hitler im Führerbunker aller seiner Funktionen enthoben und im Mai von US-Truppen in Kitzbühel verhaftet. Das Internationale Militär-Tribunal in Nürnberg verurteilte ihn 1946 zum Tode. Der Hinrichtung entzog er sich am 15. Oktober 1946 durch Selbstmord. Vgl. Stefan Martens  : Hermann Göring. »Erster Paladin des Führers« und »Zweiter Mann im Reich«. – Paderborn 1985  ; Alfred Kube  : Pour le mérite und Hakenkreuz. Hermann Göring im Dritten Reich. – München 1987  ; Guido Knopp  : Göring. Eine Karriere. – München 2007  ; Volkes Knopf, Stefan Martens  : Görings Reich. Selbstinszenierungen in Carinhall. 7. Aufl. – Berlin 2015.

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direktion nicht in der Lage ist, die Leitung der Ostmärkischen Sturmscharen zu veranlassen, den Artikel zu entfernen. Bundeskanzleramt Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit Wien, 8. Februar 1935 Interne Anmerkung. Gesehen in der Abt. 13 pol. Wenn auch der Standpunkt der Bundespolizeidirektion juristisch stichhaltig ist, so widerspricht es doch unserer bisher befolgten Vorgehensweise, gröbliche Beleidigungen ausländischer Regierungschefs und Mitglieder ungestraft zuzulassen. Um eine allseits befriedigende Lösung herbeizuführen, hat die Abteilung 13 pol. i. k. W. den Stabschef der Ostmärkischen Sturmscharen, Staatsrat Dr. Kimmel,14 ersucht, Veranlassung zu treffen, dass die beanstandeten Drucksachen aus den Schaukästen verschwinden. Es darf um gelegentliche Mitteilung ersucht werden, ob der von Dr. Kimmel in Aussicht gestellten Weisung seitens der Salzburger Ostmärkischen Sturmscharen Folge geleistet wurde.

14 Josef Kimmel (1897–1982) studierte nach der Matura Rechtswissenschaften an der Universität Wien, unterbrach sein Studium während des 1. Weltkrieges für einen Freiwilligen Kriegsdienst, und promovierte 1919 zum Dr. jur. Im selben Jahr trat er in den Dienst der österreichischen Gendarmerie und avancierte bis 1934 zum Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit. Er wurde Adjutant von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg und war maßgeblich am Aufbau der von Schuschnigg ins Leben gerufenen Ostmärkischen Sturmscharen beteiligt. Im Rang eines Stellvertreters des Reichsführers (Schuschnigg) und eines Landesführers von Wien bekleidete er auch die Funktion eines militärischen Kommandanten des Wehrverbandes. 1934 bis 1938 gehörte er als Vertreter der Gendarmerie dem Staatsrat und Bundestag des Ständestaates an. 1936 wurde er Landesmilizführer von Wien und erster Stellvertreter des Bundesführers. 1938 wurde er nach dem Anschluss verhaftet und in das KZ Dachau gebracht, aus dem er 1939 entlassen wurde. 1945 erfolgte seine Rehabilitierung und Beförderung zum Gendarmerieoberst. Er wurde mit dem Aufbau der Gendarmerie in Niederösterreich, dem Burgenland und dem Mühlviertel betraut und galt als enger Mitarbeiter des sozialistischen Innenministers Oskar Helmer. 1949 übersiedelte er in das Innenministerium und wurde zum Gendarmeriegeneral ernannt. 1962 trat er in den Ruhestand und bewarf sich 1963 als Kandidat eines überparteilichen Personenkomitees für das Amt des Bundespräsidenten. Vgl. Gertrude Enderle-Burcel  : Christlich-Ständisch-Autoritär. Mandatare im Ständestaat 1934–1938. Biographisches Handbuch der Mitglieder des Staatsrates, Bundeskulturrates, Bundeswirtschaftsrates und Länderrates sowie des Bundestages. – Wien 1991. S. 123f.

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Deutsches Konsulat Salzburg, 12. Februar 1935 Tgb. Nr. 364 An die Bundespolizeidirektion Salzburg. Es sind neuerlich hier Beschwerden vorgebracht worden über den Inhalt des Schaukastens der Ostmärkischen Sturmscharen am Alten Borromäum in der Dreifaltigkeitsgasse. In diesem Schaukasten befindet sich, wie auch von mir festgestellt wurde, u. a. folgender Aushang  : »Um dem derzeitigen gesandten des berühmten Dritten Reiches, Herrn Franz von Papen (Pfeil auf das Bild des Gesandten), der sich für diesen Schaukasten besonders interessiert, jede weitere Intervention bei der Bundesregierung in Wien zu ersparen, werden in Hinkunft nur mehr Artikel und Bilder gebracht, die das allgemein bekannte Zartgefühl unserer verehrlichten Mitmenschen und lieben deutschen Brüder der Herren und Damen vom Stamme der Nazi nicht allzu arg beleidigen.« Aus obigem Wortlaut ergibt sich, dass es dem Verfasser eingestandermaßen darum zu tun ist, einen erheblichen Teil der Bevölkerung zu kränken und aufzureizen. Es dürfte zweifellos zu den Obliegenheiten der Polizei gehören, zur Wahrung der Ruhe und Ordnung derartige öffentliche Aushänge zu verhindern oder zu beseitigen. Ferner wird an anderer Stelle unter unverkennbarer Bezugnahme auf den Herrn Reichsminister Göring die Notiz gebracht  : »Ich bin von Kopf bis Fuß auf Uniform eingestellt, denn das ist meine Welt und sonst gar nichts. (Außerdem sind auch Jagden, Reinigungsaktionen und Kriegsvorbereitungen beliebt).«15 Unter Bezugnahme auf die hiesige Intervention vom 29. Jänner d. J. Tgb. Nr. 232 sowie aufgrund der mehrfachen Rücksprachen mit Herrn Hofrat Ingomar darf ich um baldgefälliges Eingreifen und Mitteilung des Veranlassten hierher nachsuchen.

15 Die Prunk- und Uniformsucht Görings stieß auch in hohen NSDAP-Kreisen auf Kritik. So notierte Joseph Goebbels am 30. Juni 1933 in sein Tagebuch  : »Die Uniform geht ihm über das Amt.«

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Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 13. Februar 1935 Zl. 103/2-res-35. Betreff  : Deutsches Konsulat Salzburg  ; Ersuchen um Entfernung eines Zeitungsartikels aus dem Schaukasten der Ostmärkischen Sturmscharen. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St. B. in Wien I., Herrengasse 7. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich, im Anhange zum h. ä. Bericht vom 30.1.1935, Zl.: 103/res-35, eine neuerliche Eingabe des Deutschen Konsulats vom 12. Februar 1935, Tgb. Nr. 364, mit dem Ersuchen um Weisungen in Vorlage zu bringen, welche Antwort dem Deutschen Konsulat erteilt werden soll. Bundeskanzleramt Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit Wien, 15. Februar 1935 An die Bundespolizeidirektion in Salzburg. Das Bundeskanzleramt hat im Gegenstande das Einvernehmen mit dem Reichsführer-Stellvertreter der Ostmärkischen Sturmscharen, Staatsrat Dr. Kimmel, empfohlen und ihn ersucht, die Entfernung der in Rede stehenden Drucksachen aus den Schaukästen zu veranlassen. Hiervon ergeht mit der Einladung, die Mitteilung anher zu berichten, ob der von Dr. Kimmel in Aussicht gestellten Weisung hinsichtlich der Ostmärkischen Sturmscharen bereits entsprochen worden ist. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 31. Oktober 1934 Geschäftszahl  : 264.452 G. D./St. B. 34 Gegenstand  : Dr. Franz Würtinger, Richter in Bad Gastein u. a.; nationalsoz. Umtriebe. Das Bundeskanzleramt erhält ein Schreiben des technischen Rates Johann Kernast, Wien VI., Hofmühlgasse Nr. 10, an den Herrn Staatssekretär Karwinsky16 betreffend 16 Carl Karwinsky (1888–1958) war 1933 Sicherheitsdirektor von Niederösterreich, 1933 bis 1934 Staats-

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nationalsozialistische Umtriebe in Hofgastein. Dem Schreiben ist eine Mitteilung des Ferdinand Haid, Hofgastein 212, angeschlossen, worin Haid den Bezirksrichter Dr. Würtinger u. a. Personen in Hofgastein als nationalsozialistisch verdächtig zur Kenntnis bringt. (…) Bezüglich Würtinger und der Gerichtsbeamten Ahne und Forsthuber wurde der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg zwecks Einleitung von Erhebungen durch das Bundesministerium für Justiz verständigt. An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. In der Anlage wird die Abschrift einer dem Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) zugekommenen Mitteilung über nationalsozialistische Umtriebe des Bezirksrichters Dr. Würtinger im Hofgastein und anderer Personen übermittelt. Außerdem wurde auf die Frau des Inhabers der Firma Brandtner & Co. in Hofgastein, Bahnhofstraße, aufmerksam gemacht, welche sich ebenfalls für die NSDAP betätigt und ihren Kunden ganz offen gesagt haben soll  : »Es ist mir lieber, es kommt niemand mit den bandeln von der Vaterländischen Front ins Geschäft, denn am Abend klaube ich die schwarzen Schillinge aus, die ich nicht haben will.« Es ergeht die Einladung, über die einzuleitenden Erhebungen zu berichten. Technischer Rat Johann Kernast Stadtbaumeister Wien VI., Hofmühlgasse 10. Wien, 5. Oktober 1934. Sr. Hochwohlgeboren dem Herrn Staatssekretär Baron Karwinsky, Wien. Hochverehrter Herr Staatssekretär  ! Anlässlich meines Aufenthaltes in Hofgastein bat mich Herr Ferdinand Haid, wenn irgend möglich, mitzuhelfen, dass die dortigen unhaltbaren Zustände – welche trotz wiederholter Anzeigen weiter bestehen – endlich eine Wendung zum Besseren erfahren und unterbreite ich hiermit das hierauf Bezug nehmende mir übergebene Originalblatt zur eventuellen Behandlung. Bei meiner Abreise am Bahnhofe, einige Mitglieder des dortigen Kurorchesters treffend, besprachen Herr Konzertmeister Uhlenhut und Herr Emmerich Deutsch, sekretär für das Sicherheitswesen und 1934 bis 1935 Staatssekretär für Justiz, 1935 bis 1938 Präsident des Bundesamtes für Statistik.

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derzeit wohnhaft Wien III., Neulingergasse 31/1, dass die Frau des Firmeninhabers des Kaufmanngeschäfts Brandtner & Co. in der Bahnhofstraße, Hofgastein, ganz offen den Kunden ins Gesicht sagt mit folgenden Worten  : »Es ist mir lieber, es kommt niemand mit Bandl von der Vaterländischen Front ins Geschäft, denn am Abend klaube ich die schwarzen Schillinge aus, die will ich nicht« (…) Abschrift zu Zahl 264.452 St. B./34. Bezirksrichter Dr. Würtinger, getarnter Nazi, wohnt im Parteiheim der Braunen und verkehrt nur in diesem Kreise. Ist den Braunen in der Eigenschaft als Beschützer des Rechts sehr wertvoll und stützt sie in jeder erdenklichen Weise. Hat seinerzeit aus Wöllersdorf zurückkehrende Nazi auf öffentlichem Platz mit Händedruck begrüßt. Scheint große Gönner zu haben oder ist derart getrieben und zieht sich immer wieder aus der Schlinge. Wird von der wahren vaterländischen Bevölkerung schärfstens abgelehnt und ist zu befürchten, falls er nicht ehest verschwindet, diese zur Selbsthilfe greift. Hans Winkler und Frau, Besitzer des Nazi-Heimes, das im Frühjahr 1934 wegen erfolgreicher Hausdurchsuchung gesperrt war. Auf angebliche Intervention seines Freundes, Alois Rainer, Kaufmann, wieder geöffnet. Obiger Richter scheint hierbei mit seiner Rechtskundigkeit beigetragen zu haben. Frau Winkler, die Schwester zweier am 25. Juli in Haft befindlichen Kurhausbesitzersöhne, ist besonders radikal. Öffentlicher Notar Czerny, Mitglied der Vaterländischen Front, will seine vaterländische Gesinnung damit zeigen, dass er sich »national« benimmt und bei jeder passenden Gelegenheit den Vaterländischen eines auszuwischen versucht. Hat kein Recht, das VF-Band zu tragen. Sparkassenbeamter Spießberger zeigt seit dem 25. Juli erst recht seine braune Seite. Eine energische Verwarnung durch die Direktion der Salzburger Sparkasse sehr angezeigt. Baumeister Lindtner, dessen Frau und Tochter beim Hakenkreuz-Streuen erwischt wurden, erhält trotzdem die Renovierungsarbeiten (April 1934) im Grand Hotel (Österr. Verkehrsbüro) und Bezirksgericht (September 1934). Verborgene Mächte scheinen für diese Stützen der Braunen zu arbeiten. Lindtner hat seinerzeit betont, dass die braunen Spitzel bis in die höchsten Instanzen für sie arbeiten. Die Gerichtsbeamten Ahne und Forsthuber sowie die Gemeindebeamten Oberhofer und Kramer sind Nazi, man sieht sie auch in Gesellschaft und auf der Straße nur mit braunen Genossen. Diesen ist die Vaterländische Front nur willkommene Tarnung.

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Gendarmeriepostenkommando Hofgastein 29. Oktober 1934 E. Nr. 2417. An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. Im Gegenstande wird angezeigt, dass betreffend Bezirksrichter Dr. Würtinger bereits unter hiergestellter E. Nr. 1516 vom 13.8.1934 nachstehender Erhebungsbericht an den Herrn Sicherheitsdirektor in Vorlage gebracht wurde  : Bezirksrichter Dr. Franz Würtinger hat sich gleich bei seinem Amtsantritte in Hofgastein im Gasthause und Pension »Winkler« einlogiert bzw. Wohnung genommen. Dieses Gasthaus war hier als »braunes Haus« bezeichnet und war auch bereits wegen nationalsozialistischer Umtriebe durch ca. 7. Wochen gesperrt. Schon der Umstand des Wohnens bei Winkler hat gleich zu Anfang seines Amtsantrittes zur Verdächtigung in nationalsozialistische Richtung geführt. Dr. Würtinger ist im Orte nur sehr selten zu sehen und geht meist allein. Ein stundenlanges Zusammensein mit Wöllersdorfern (…) war von hier aus niemals zu beobachten. Dies seitens Dr. Würtinger offen zu tun wäre auch gar nicht nötig, da ihm ein eventuelles Beisammensein mit diesen Elementen im Gasthause Winkler selbst geboten wäre, wo diese Leute auch jetzt noch verkehren, ohne dass aber dem Posten selbst die Möglichkeit geboten wäre, dies näher beobachten zu können. Seit Wiedereröffnung dieses Gasthauses hat sich aber gar nichts ereignet, was zu irgend einem Eingreifen oder auch nur zu einer Anzeige von hierseits genötigt hätte. In dienstlicher Beziehung ist mit Dr. Würtinger als Strafrichter sehr gut zu arbeiten und es ist diesbezüglich keine Klage zu führen. Dass dessen Sympathien bisher auf Seite der NSDAP waren oder zumindest in gewisser nationaler Richtung gelegen sind, wird ungeachtet seiner von hier aus nicht antastbaren Amtsführung niemand anders deuten können und es hieße der Wahrheit in das Gesicht schlagen, wollte ihn jemand in die Reihen der ausgesprochenen vaterländischen Linie einzugliedern versuchen. Dies war der Bericht vom 13.8.1934. Seit dieser Zeit war Dr. Würtinger zum Großteile bei auswärtigen Gerichten auf Vertretung. Richtig ist, dass Dr. Würtinger seinerzeit seinem Wohnungsgeber Johann Winkler bei der Wiedereröffnung seines Gasthauses wertvoll behilflich war und dass ihm die besonders fanatische nationalsozialistische Einstellung der Elise Winkler als Wohnungsgeberin sehr wohl bekannt ist. Richtig ist weiters, dass Dr. Würtinger von der vaterländischen Bevölkerung abgelehnt wird (…) Wie bereits angeführt, pflegt Dr. Würtinger außerdienstlich wenig persönlichen Verkehr und es ist an dessen Umgang Wochen hindurch gar nichts zu beobachten und wahrzunehmen. Er ist eifriger Alpinist und hält sich sonst meist in seiner Wohnung bzw. bei Winkler auf. Dieses Gasthaus wird aber von allen vaterländisch Eingestellten vermieden, was dessen nä-

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here Beobachtung fast unmöglich macht. Dass er die seinerzeit aus Wöllersdorf Zurückgekehrten öffentlich mit Händedruck begrüßt hätte, ist nicht erwiesen, doch ist dies ohne Weiteres anzunehmen, wiewohl er auch seinerzeit durch Johann Winkler selbst aufmerksam gemacht wurde, dass er bei seiner Wohnungsnahme in das sog. »braune Haus« gerät, was ihm aber nicht hinderlich war, sich dort niederzulassen. Betreffend den Gerichtsvollzieher Walter Ahne wurde an den Herrn Sicherheitsdirektor unter hierstelliger E. Nr. 35 res vom 12.8.1934 Folgendes angezeigt  : Der Gerichtsvollzieher Walter Ahne war vor Auflösung der NSDAP deren Ortsgruppenkassier. Eine Betätigung in der verbotenen Partei konnte ihm seither nicht nachgewiesen werden. Ahne verkehrte aber bis vor ca. 5 Wochen ausschließlich mit als Nazi bekannten Personen, weshalb der Gefertigte auch bei dem Gerichtsvorsteher Dr. Poth vorstellig geworden ist. Seit dieser Zeit hat Ahne den offenen Umgang mit den Nazis nach hiesiger Beobachtung eingestellt. Dass sich Ahne aber in letzter und allerletzter Zeit offen auf Seite der Regierung und der Vaterländischen Front gestellt hätte, ist aber keineswegs festzustellen und zu beobachten. (…) Unter gleicher E. Nr. res und Datum wurde auch über Gefängnismeister Forsthuber Folgendes angezeigt  : Gefängnismeister August Forsthuber hat sich bis in letzter Zeit keine Hemmung in seinem persönlichen Umgang auferlegt. Eine Betätigung im nationalsozialistischen Sinne betrieb Forsthuber nie bzw. konnte dies nicht beobachtet werden. Er ist täglicher Stammgast im Gasthof zur »Alten Post« und ist dort fast täglich einer der letzten zur Sperrstunde. Dessen Einstellung ist mehr auf Bier, Wein und Spiel gerichtet und er ist in dieser seiner Tischgesellschaft nicht wählerisch, ob dies Prima-Nazi oder andere Personen sind und ob ihm dieser oder jener einen Liter zahlt. Damit ist die Einstellung des Forsthuber der Wirklichkeit entsprechend beschrieben. (…) Gendarmeriepostenkommando Hofgastein Hofgastein, 24. November 1934 Zu E. Nr. 2555 (Abschrift). Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. Ad beiliegendem Befehle wird zu den einzelnen (…) Punkten nachstehende Meldung erstattet  : Anna Brandner, Gattin des Inhabers des Kaufgeschäftes Josef Brandner und Sohn im Markte Hofgastein, ist im hiesigen Orte allgemein als staatsfeindlich eingestellte Person bekannt. Die Genannte ist geradezu fanatische Anhängerin der NSDAP. Die Brandner wurde wegen einer am 28.7.1934 gemachten Äußerung, worin sie ihre Freude über den Tod des Bundeskanzlers Dr. Dollfuß zum Ausdruck brachte, vom hiesigen Posten unter E. Nr. 1891 vom 22.8.1934 der Bezirkshauptmannschaft

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St. Johann i. P. angezeigt und von dieser mit 6 Wochen Arrest oder 1000 S Geldstrafe bestraft. In Bezug auf die im Befehle enthaltene Äußerung der Brandner konnten Personen, die als Ohrenzeugen in Betracht kämen, nicht ermittelt werden. Allgemein wird jedoch davon gesprochen, dass die Brandner diese oder eine ähnliche Äußerung wie »ihr ist es lieber, wenn kein Vaterländischer ins Geschäft kommt«, gemacht haben soll. Mit Rücksicht auf die hier bekannte staatsfeindliche Einstellung der Genannten ist diese Äußerung ohne weiteres der Brandner zuzumuten. Diese Einstellung der Brandner bringt es mit sich, dass vaterländisch gesinnte Personen das Geschäft meiden und ihre Einkäufe anderweitig besorgen. Inhaber des Geschäftes ist Josef Brandner, welcher, wenngleich seine Sympathie auch bis vor dem 25.7.1934 dem Nationalsozialismus gehörte, doch öffentlich seine staats- oder regierungsfeindliche Einstellung nicht zu Ausdruck brachte. Johann Winkler, Besitzer der Pension Winkler im Markte Hofgastein, Anhänger der NSDAP. In dessen Gasthausbetriebe verkehren durchwegs, oder doch zum Großteile, nur Nationalsozialisten. Die Pension Winkler führt daher unter der Bevölkerung den für sie zutreffenden Namen »Das braune Haus«. Die genannte Gaststätte ist Vereinslokal der Liedertafel Hofgastein und der hiesigen Ortsmusikkapelle. Richtig ist, dass dieses Gasthaus am 13.1.1934 wegen nationalsozialistischer Umtriebe behördlich gesperrt und am 19.3.1934 über behördliche Bewilligung wieder geöffnet wurde. Ob und inwieweit hierbei der hiesige Kaufmann Alois Rainer dem Winkler behilflich war, konnte nicht sichergestellt werden. Dass Rainer mit Winkler, den er schon seit seiner frühesten Jugend kennt, befreundet ist, trifft zu, obgleich die beiden in frühen Jahren, als Rainer noch der Christlichsozialen Partei angehörte, politische Gegner waren. Zutreffend ist, dass der in der Pension Winkler wohnhafte Strafrichter Dr. Hans Würtinger des Bezirksgerichtes Gastein dem Winkler betreffend Wiedereröffnung seines Gasthauses behilflich war. Laut einer im Besitze des Winkler befindlichen Mitgliederkarte Nr. 711.851 ist derselbe seit 15.3.1934 Mitglied der Vaterländischen Front. Da dieser Umstand mit Rücksicht auf die gegenteilige Einstellung des Winkler nicht in Einklang zu bringen ist, so hegte der hiesige Posten gegen die Richtigkeit der Angaben des Winkler Bedenken und pflog hierüber Erhebungen. Ad Zuschrift der Polizeidirektion Salzburg vom 3.11.1934, Zl. 17.614/St. P., wurde jedoch die Richtigkeit der Mitgliedschaft bestätigt und hat Winkler bei der Geschäftsstelle der Vaterländischen Front beim Landesleiter Bernhard Aicher seinen Beitritt angemeldet und die Mitgliedskarte auch ausgefolgt erhalten. Trotzdem die Gaststätte des Winkler seit der Wiedereröffnung (18.3.1934) hinsichtlich der dortigen Vorgänge ein besonderes Augenmerk zugewendet wird, konnten keinerlei Wahrnehmungen, welche zu einem Eingreifen Anlass gegeben hätten, wahrgenommen werden.

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Die Gattin des Genannten, Elisabeth Winkler, ist wohl als fanatische Anhängerin der NSDAP zu bezeichnen, auf die auch die Ereignisse des 25. Juli 1934 keine wesentlichen Eindrücke machten und zu einem Abfall von dieser Partei nicht führten. Elisabeth Winkler ist eine Schwester der am 28.7. anlässlich der damaligen Ereignisse in Verwahrungs- bzw. Internierungshaft genommenen Nationalsozialisten Josef und Johann Stuhler. Die Einstellung des Kaufmannes Alois Rainer im Markte Hofgastein Nr. 113 ist keineswegs als vaterländisch zu bezeichnen. Obgleich derselbe bis zum Jahre 1933 als aktives Mitglied der Christlichsozialen Partei angehörte und von dieser Partei in den Finanzausschuss der hiesigen Gemeinde und Kurkommission gewählt wurde, ist namentlich seit dem Jahre 1933 bei ihm ein politischer Umschwung wahrzunehmen, der sich dem Nationalsozialismus zuwandte. Bezüglich seiner Angestellten ist, soweit es die männlichen Angestellten des Kaufgeschäftes betrifft, richtig, dass diese durchwegs der NSDAP angehörten und heute noch zum Großteile damit sympathisieren. (…) Unter den weiblichen Angestellten des Kaufhauses Rainer in Hofgastein befindet sich eine Verkäuferin, welche Mitglied des Christlich-Deutschen Turnvereines ist. Nach Angabe dieser Verkäuferin wurden ihr wegen ihrer Einstellung durch den Chef niemals Vorwürfe oder sonstige Unannehmlichkeiten bereitet. Der Bruder und Mitinhaber des Genannten namens Friedrich Rainer gehörte bis zur Auflösung der NSDAP als aktives Mitglied dieser an und gilt auch heute noch sein Interesse dieser Partei. Es kann somit keineswegs gesagt werden, dass das Kaufhaus Alois und Friedrich Rainer auch nur im Geringsten vaterländisch eingestellt wäre. Der öffentliche Notar Ernst Czerny gehörte der früheren Großdeutschen Partei an. Hinsichtlich seiner politischen Einstellung gilt dasselbe als national eingestellt. Der Genannte betätigte sich jedoch in keiner Weise und nimmt an allen politischen Vorgängen wenig Anteil. Über Äußerungen, welche der Genannte über die Vaterländische Front gemacht haben soll, konnte nichts Positives in Erfahrung gebracht werden. Angeführt wird, dass Czerny in seiner Notariatskanzlei die wegen Streuens von Hakenkreuzen von hier aus unter E. Nr. 959 vom 26.4.1934 an die Bezirkshauptmannschaft St. Johann i. Pg. zur Anzeige gebrachte Gertraude Lindner beschäftigt. Anton Spießberger, Beamter der Salzburger Sparkasse, Expositur Hofgastein, war bis zum Verbote Mitglied der NSDAP, ohne sich jedoch aktiv zu betätigen. Kurz vor dem Verbote trat er aus der Partei aus, ohne jedoch seine Sympathie für diese wesentlich zu ändern. Klagen über Äußerungen des Genannten wurden niemals bekannt. Auch konnte ein wesentlicher Verkehr desselben mit bekannten Nationalsozialisten nicht wahrgenommen werden. Immerhin ist zu betonen, dass die vaterländische Einstellung des Genannten noch gänzlich unbekannt ist. Er scheint sich des Brotes wegen zurückzuhalten. Angeführt wird, dass besonders die Gattin des Genannten hier allgemein im Rufe einer begeisterten Hitler-Anhängerin steht.

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Baumeister Eduard Lindner gilt hier allgemein als Anhänger der NSDAP. Lindner stand von jeher im nationalen Lager und gehörte bis zum Jahre 1931 der Großdeutschen Partei an. Von dieser schwenkte er zur NSDAP ab. Wenngleich der Genannte eine Funktion bei dieser Partei nicht einnahm, betätigte er sich doch bis zum Verbote propagandistisch für dieselbe. Nach Auflösung dieser Partei stellte zwar Lindner seine öffentliche Tätigkeit ein, doch hat er seine Gesinnung in keiner Weise geändert. Die Gattin des Genannten sowie seine Tochter stehen ebenfalls im Lager der NSDAP. Diese beiden wurden von hier aus unter E. Nr. 958 und 959 vom 26.4.1934 wegen verbotener Parteibetätigung durch Streuen von Hakenkreuzen der Bezirkshauptmannschaft St. Johann i. Pg. angezeigt und von dieser zu einer Geldstrafe von je 500 S verurteilt. Hinsichtlich der Arbeitsvergebung an Lindner ist es richtig, dass dieser im April 1934 durch das Österr. Verkehrsbüro für das Grand Hotel Renovierungsarbeiten erhielt. Auch die Zuweisung von Renovierungsarbeiten (Kaminabänderung etc.) beim Bezirksgerichte Gastein entspricht der Richtigkeit. Bezüglich der enthaltenen Äußerung, dass die braunen Spitzel bis in die höchsten Instanzen für sie arbeiten, wurde im Mai 1934, als Baumeister Lindner die Renovierungsarbeiten der hiesigen staatlichen Heilanstalt wegen seiner staatsfeindlichen Einstellung nicht erhielt, das Gerücht verbreitet, dass ihm von einem höheren Staatsbeamten aus Wien mitgeteilt wurde, dass sein Ausschluss von der Arbeitszuweisung wegen seiner nationalsozialistischen Einstellung erfolgt ist. Baumeister Lindner soll damals den Mitteiler, dessen Namen niemals genannt wurde, als ein Parteimitglied aus dem Ministerium bezeichnet haben. Wie weit diese Äußerung des Lindner der Wahrheit entspricht, konnte nicht sichergestellt werden, da es sich um ein um Umlauf befindliches Gerücht handelte, dessen Urheber sich nicht feststellen ließ. Andreas Oberhofer, Gemeindesekretär der Gemeindevorstehung Markt Hofgastein, gehört der Vaterländischen Front an. Nicht zu leugnen ist jedoch der Umstand, dass dessen Sympathie dem Nationalsozialismus gilt. Dass Oberhofer nur mit braunen Genossen verkehrt, ist allerdings zu weit gegriffen, da Genannter im Allgemeinen überhaupt keinen großen Verkehr pflegt und ein sehr zurückgezogenes Leben führt. Eine Betätigung des Oberhofer für die verbotene NSDAP konnte niemals wahrgenommen werden. Karl Kramer, Beamter der Marktgemeinde Hofgastein, gleichfalls Mitglied der Vaterländischen Front, neigt bezüglich seiner politischen Einstellung der NSDAP zu. Eine Mitgliedschaft oder Betätigung für diese Partei konnte dem Genannten jedoch niemals nachgewiesen werden. Bezüglich seines Umganges mit Nationalsozialisten wird angeführt, dass es sich hierbei zum Großteile um Schulfreunde des Genannten, der hier allgemein als geselliger Mensch gilt, handelt. Bei seinem Zusammensein mit diesen, welche stets in öffentlichen Lokalen stattfindet, dürfte es Kramer bestimmt mehr um die Pflege der Geselligkeit als um politische Gespräche zu tun sein. (…)

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Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 5. Juli 1934 Zl. 271/res/1934. Betr.: Marianne Sommer, Vertragsbedienstete der Bundespolizeidirektion, §§ 101,102,5, 104, 105, 98, 99 Str. G. An die Staatsanwaltschaft beim Landesgerichte für Strafsachen in Salzburg. Am 4. Juli 1934 erstattete der Kriminalbeamte Franz Wagenleitner der Bundespolizeidirektion vorschriftsgemäß die Anzeige, dass die Vertragsangestellte der Bundespolizeidirektion, Marianne Sommer, 9.11.1909 in Klagenfurt geb., nach Villach zust., kath., led., Salzburg, Zillergasse 6 wohnhaft, ihn zum Missbrauch der Amtsgewalt, zur Geschenkannahme in Amtssachen und zur Verletzung des Dienstgeheimnisses verleiten wollte und legte der Anzeige nachstehenden Sachverhalt zugrunde  : Marianne Sommer, welche früher bzw. bis vor kurzem noch als Schriftführerin der staatspolizeilichen Abteilung der Bundespolizeidirektion zugeteilt war und vor wenigen Tagen in eine andere Abteilung der Bundespolizeidirektion versetzt wurde, erschien am 27. Juni l. J. in dem Amtszimmer, in welchem der Anzeiger allein anwesend war und arbeitete. Sie kam auf ihre Versetzung von der staatspolizeilichen Abteilung in die sicherheitspolizeiliche Abteilung zu sprechen und ließ die Bemerkung fallen, dass Oberpolizeirat Ingomar mit ihrer Versetzung eine gute Nase bekundete. Der Kriminalbeamte gewann den Eindruck, dass Frl. Sommer etwas am Herzen hätte und redete ihr zu, sie solle ihm dies anvertrauen. Die Sommer war diesem Antrage sofort zugänglich, doch meinte sie, sie könne im Büro die Sache nicht besprechen und schlug dem Kriminalbeamten vor, sie in ihrer Wohnung aufzusuchen. Inspektor Wagenleitner lehnte diesen Vorschlag ab und machte Sommer den Vorschlag, sich mit ihr Ecke Reichenhallerstraße – Riedenburgerstraße zu treffen. Sommer war damit einverstanden und es kam am Donnerstag, den 28. Juni l. J. um ¾ 9 Uhr abends zur vereinbarten Besprechung. Sommer war bereits am vereinbarten Rendevousort anwesend, als der Kriminalbeamte kam. Inspektor Wagenleitner ging nun mit Frl. Sommer ein Stück Weges in der Richtung Maxglan spazieren und da machte ihm nun Sommer folgenden Vorschlag  : »Wollen Sie für die NSDAP arbeiten  ? Sie können im Monat 250 bis 300 S verdienen, wenn Sie mir Material über geplante Hausdurchsuchungen und sonstige Aktionen der Polizei mitteilen. Es ist damit für Sie kein Risiko verbunden. Sie brauchen mir nur unauffällig Namen und Adresse mitteilen, das Übrige wird von mir besorgt werden. Im Übrigen ist für Ihre Familie gesorgt, wenn die Sache etwa hoch gehen sollte. Ich bin beauftragt Ihnen mitzuteilen, dass Sie in kurzer Zeit ein toter Mann sind, wenn die Sache durch Sie hochgeht.«

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Kriminalinspektor Wagenleitner eröffnete Frl. Sommer, dass er seinen Diensteid ohne Weiteres nicht verletzen könne und Bedenkzeit benötige. Sommer war damit einverstanden und willigte schließlich für den kommenden Sonntag zu einer neuerlichen Besprechung ein, wiewohl sie den Zeitraum für die Überlegung als lang bezeichnete. Kriminalinspektor Wagenleitner verlangte von Sommer noch den Namen ihres Auftraggebers, was Sommer zu nennen verweigerte. Es wurde nun für 4. Juli l. J. eine neuerliche Zusammenkunft an der gleichen Stelle wie das erste Mal vereinbart, die auch tatsächlich zustande kam. Sommer eröffnete dem Kriminalinspektor Wagenleitner, dass der Auftraggeber von Freilassing Befehle erhalten habe, dass er sich Wagenleitner nicht früher nennen dürfe, bis Wagenleitner nicht tatsächlich Material geliefert habe und dadurch in seiner Gewalt sei. Der Auftraggeber befürchtete nämlich, dass Wagenleitner ihn vielleicht verhaften lasse. Auch Sommer hegte dem Kriminalinspektor Wagenleitner gegenüber bei dieser zweiten Besprechung bereits ein gewisses Misstrauen und brachte dies auch Wagenleitner gegenüber zum Ausdrucke, indem sie meinte, dass es ihr bedenklich vorkomme, dass Wagenleitner unbedingt den Auftraggeber wissen wolle. Sie suchte noch die Bedenken des Kriminalbeamten neuerlich zu zerstreuen, indem sie ihm versicherte, er könne wegen seiner Familie völlig unbesorgt sein, denn es gäbe keine nationalsozialistische Familie, für die nicht seitens der NSDAP gesorgt würde. Sie teilte dem Kriminalinspektor Wagenleitner noch mit, dass bei allen Behörden Vertrauensleute sitzen und dass sie deshalb den Namen jenes Unbekannten nicht nennen könne, weil er der Leiter aller Aktionen in Salzburg ist. Darauf wurde die Unterredung abgebrochen. Aufgrund dieser äußerst belastenden Anzeige des Kriminalinspektors Wagenleitner wurde Marianne Sommer verhaftet. Sie bestreitet jedes strafrechtliche Verschulden. Sie bestreitet die Angaben des Kriminalinspektors Wagenleitner, mit ihm Zusammenkünfte gehabt zu haben. Sommer ist jedoch überwiesen, mit Wagenleitner Zusammenkünfte gehabt zu haben, da sie von Kriminalbeamten überwacht wurde. Die Hausdurchsuchung hat bis nun bedenkliches Material nicht ergeben, doch wurde im Besitze Sommers ein Schlüssel zu der Kanzlei der Kriminalbeamten vorgefunden. Durch den Besitz dieses Schlüssels war Sommer in der Lage, in die Referentenzimmer der staatspolizeilichen Abteilung jederzeit zu gelangen, weil im Zimmer des leitenden Kriminalbeamten der staatspolizeilichen Abteilung die Duplikatschlüssel zu den Referentenzimmern unversperrt auf einem Schlüsselbrett hingen. Da Sommer Schriftführerin der staatspolizeilichen Abteilung war, so wäre es auch den Kriminalbeamten, wenn Sommer in Abwesenheit eines Konzeptsbeamten sich den Duplikatschlüssel holte und in die Zimmer der Konzeptsbeamten eintrat, nie als bedenklich aufgefallen. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich noch zu berichten, dass in letzter Zeit durch Vertrauenspersonen den staatpolizeilichen Referenten wiederholt Mitteilun-

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gen zukamen, dass wichtige Verfügungen, Bestrafungen usw., welche von den Konzeptsbeamten getroffen würden, in kurzer Zeit nach Freilassing gemeldet sind, da die Nationalsozialisten in Freilassing über einwandfreie Vertrauenspersonen in der Polizeidirektion verfügen. (…) Im Zuge der gegen Sommer eingeleiteten Erhebungen wurden diese auch auf die Person des Kriminalbeamten Revierinspektor Eduard Fischer, (…) welcher der Bundespolizeidirektion zugeteilt ist, wegen Verdachtes der Mitschuld am Missbrauche der Amtsgewalt ausgedehnt. Der Kriminal-Revierinspektor ist seit Jahren mit der Vertragsangestellten Sommer und deren Angehörigen befreundet und verkehrt er sowie dessen Gattin häufig bei Sommer und deren Angehörigen. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, o. D. Geschäftszahl  : 318.007 G. D./St. B. 35 (Vorzahl  : 310.728 – St. B. -35, Nachzahlen  : 322.334/35) Gegenstand  : Sommer Marianne, ehemalige Vertragsangestellte der Bundespolizeidirektion Salzburg  ; Verleitung zum Missbrauch der Amtsgewalt und Erpressung. Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 11. März 1934 Zl  :  : 271/12-res-34 Betr.: Marianne Sommer, ehemalige Vertragsangestellte der Bundespolizeidirektion Salzburg  ; Hauptverhandlung beim Landesgericht. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St. B., Wien I., Herrengasse 7. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich im Nachhang zu ihren Berichten vom 5. und 10. Juli 1934, Zl. 271/res-34, zu berichten, dass am 25. Februar 1935 die Hauptverhandlung gegen die ehemalige Vertragsangestellte der Bundespolizeidirektion Salzburg, Marianne Sommer, beim Landesgericht Salzburg stattfand. Die Verhandlung leitete Oberlandesgerichtsrat Dr. Johann Langer, als Ankläger fungierte Staatsanwalt Dr. Stefan Baltasar, als Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Emmerich Singer aus Salzburg. Nach 17stündiger Verhandlung wurde Marianne Sommer des Verbrechens der Verleitung zum Missbrauch der Amtsgewalt und des Verbrechens der Erpressung schuldig erkannt und zu 1 Jahr schweren Kerker, verschärft durch Dunkelhaft und Fasttag einmal im Monat, verurteilt. Der Staatsanwalt mel-

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dete Berufung wegen zu geringer Strafe, der Verteidiger die Nichtigkeitsbeschwerde an. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 1. Juli 1935 Geschäftszahl  : 340.933 G. D./St. B. 35 (Nachzahlen  : 346.122/35) Gegenstand  : Sommer Marianne, ehemalige Polizeibeamtin  ; Bitte um Nachsicht der Polizeistrafe.17 Aktennotiz Das Amt des Sicherheitsdirektors für das Bundesland Salzburg (Dr. Hirnschal) gibt am 20. Juni 1935 über Befragen telefonisch bekannt  : Ein gleichlautendes, die Marianne Sommer betreffendes Gesuch, ist beim Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg eingelangt. Der Sicherheitsdirektor beabsichtigt, Marianne Sommer am 1.11.1935 aus der Haft zu entlassen. Nach Haftentlassung wird auch dann dem Ersuchen um Erteilung einer Bewilligung zur Ausreise nach Deutschland nähergetreten werden. Gegen eine vorzeitige Entlassung hegt der Sicherheitsdirektor aus verschiedenen Gründen schwerwiegende Bedenken. Wien, am 21. Juni 1935.

17 Die Stiefmutter von Marianne Sommer, Marianne Sommer sen., wandte sich am 28. Mai 1935 sowohl an die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit wie auch an den Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg mit dem Ersuchen, ihrer Tochter nach der Verbüßung der Kerkerstrafe die folgende sechsmonatige Verwaltungsstrafe aufgrund ihres in der Haft zugezogenen Nierenleidens zu erlassen und ihr die Ausreise zu ihrem Onkel, dem Rittergutsbesitzer Paul Weiland in Bad Liebenwerde bei Halle an der Saale zu gestatten. Am 16. Juli 1935 berichtete der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg an die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, dass Marianne Sommer »in Berücksichtigung ihres leidenden Gesundheitszustandes nach Abbüßung der gerichtlichen einjährigen Kerkerstrafe ein Strafaufschub bezüglich der über sie verhängten sechsmonatigen Verwaltungsarreststrafe unter der Bedingung erteilt wurde, dass sie das österreichische Bundesgebiet bis zum 12.7.1935 verlasse und in dasselbe bei sonstigem Strafvollzug und Durchführung ihrer Abschaffung aus dem Stadtgebiet und Bezirk Salzburg ohne hä. Zustimmung nicht zurückkehre. Marianne Sommer hat am 12.7.1935 tatsächlich Österreich verlassen und sich unter Erteilung der Ausreisebewilligung zu einem Verwandten als Haushälterin nach Deutschland, Bad Liebenwerde, Bezirk Halle . d. S., begeben.« (Zl. 1299/21.)

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 30. März/19. August 1935 Geschäftszahl  : 318.840 G. D./St. B. 35 (Vorzahl  : 310.728 St. B. 35) Gegenstand  : Fischer Eduard, ehemaliger Kriminal-Revierinspektor der Bundespolizeidirektion Salzburg, nationalsozialistische Betätigung. Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 14. März 1935 Zl.: 488/22-res-34 Betr.: Eduard Fischer, ehemaliger Kriminal-Revierinspektor der Bundespolizeidirektion Salzburg. An die Staatsanwaltschaft in Salzburg. Der derzeit im Landesgerichte in Haft befindliche Ignaz Lauermann, Handelsakademiker, 22.9.1914 in Innsbruck geb. und zust., kath., ledig, Gnigl, Gniglerstraße 43 wohnhaft, Sohn des Kriminalkommissärs Ignaz Lauermann in Innsbruck, ließ sich dem Vizepräsidenten des Landesgerichtes, Hofrat Dr. Wingelmayer, vorführen und erstattete die Anzeige, dass der ebenfalls im Landesgerichte in Haft befindliche ehemalige Kriminal-Revierinspektor Eduard Fischer Nationalsozialist sei, sich an den Sprengstoffanschlägen beim Hotel Bristol und in der Polizeidirektion beteiligt und ihn wiederholt mit dem Hitler-Gruß gegrüßt habe. Vizepräsident Wingelmayer verständigte den Herrn Sicherheitsdirektor, der durch Oberregierungsrat Dr. Hirnschal Lauermann im landesgerichtlichen Gefangenenhaus einvernehmen ließ. Hiervon beehrt sich die Bundespolizeidirektion unter Anschluss einer mit Lauermann aufgenommenen Niederschrift Mitteilung zu machen mit dem Ersuchen um Bekanntgabe, ob von dortamte aufgrund der Aussagen des Häftlings Lauermann ein Strafverfahren gegen Eduard Fischer eingeleitet wird.18 (…) Protokoll aufgenommen im landesgerichtlichen Gefangenenhause Salzburg am 7. März 1935 mit dem Häftling Ignaz Lauermann, der Folgendes angibt  : Ich lernte Fischer glaublich anfangs Juni 1933 im Gasthof Mödlhammer kennen und zwar wurde er mir (…) als Kriminalbeamter, der Nationalsozialist ist, bezeich18 Fischer wurde wegen Betätigung für die illegale NSDAP aus dem Staatsdienst entlassen und zu einer sechsmonatigen Arreststrafe verurteilt.

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net. Zu einer persönlichen Bekanntschaft kam es nicht, ich habe ihn aber öfters dort gesehen. (…) Während meiner (NS-)Zuteilung bei der Obergruppe in München, Gabelsbergerstraße, im Mai und Juni 1934 hörte ich eine Äußerung des dort zugeteilten Dr. Lander aus Innsbruck zum Sonderbeauftragten (…) Dr. Geister über den Kriminalbeamten Fischer aus Salzburg in Verbindung mit der Erstattung von Polizeiberichten an die Politische Polizei in München, Edtstraße. Welche Berichte Fischer erstattete, wurde nicht gesagt. Nach dem Röhm-Putsch Anfang August 1934 kam ich von der Führerschule Reichersbeuern zu Besuch bei der obigen Dienststelle und hörte abermals ein Gespräch des Dr. Lander mit anderen SS-Leuten über Fischer. (…) Es wurde gesagt, dass Fischer mit Sprengstoffanschlägen befasst ist, er habe die Täter von Sprengstoffanschlägen beim Hotel Bristol und in der Polizeidirektion (27.6. und 2.7.1934) ausgesucht. Er habe dies sehr schlau gemacht, man werde ihm nichts nachweisen können. Kurz vor Weihnachten sah ich Fischer im Inquisitenspital des Landesgerichtes Salzburg, nachdem ich schon vorher (…) erfahren hatte, dass Fischer hier in Haft sei. Am 21. Dezember traf ich ihn auf dem Gange, als ich zu warten hatte. Fischer fragte mich, woher wir uns kennen. Ich antwortete, wahrscheinlich von der Gauleitung. Fischer  : »Du warst bei der SS  ?« Ich  : »Ja.« Fischer  : »Weshalb bist du hier  ?« Ich  : »Ich bin wegen Hochverrats angeklagt.« Fischer  : »Mach dir nichts draus, es wird bald eine Änderung eintreten, ich weiß es aus bestimmten Quellen.« Beim Grüßen bedienten wir uns des Parteigrußes. Bestimmt hat er die Hand dabei erhoben. Heil Hitler wird nicht immer beigefügt. Vor der Saar-Abstimmung sagte Fischer, es habe eine Probeabstimmung stattgefunden, die sehr großen Erfolg hatte (ca. 90 Prozent). Wir sollen den Mut nicht sinken lassen, nach Erledigung der Saar-Frage käme Österreich dran. Fischer hatte mit dem Gerichtsarzt am Gange längere Gespräche und hörte ich in meiner Zelle, dass Dr. Kleibl Fischer tröstete mit den Worten  : »Es wird einmal doch wieder gut werden.« Sowohl unter den Häftlingen als auch bei der Legion ist allgemein bekannt, dass Dr. Kleibl Nationalsozialist ist. Im Inquisitenspital befinden sich mehr Gesunde wie Kranke und ist eine Tatsache, dass er den politischen Häftlingen Trost zuspricht.

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Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 31. Dezember 1934 Zl.: 839/res-34 (300.096/35) Betr.: Inspizierung durch Herrn Staatssekretär Freiherrn von Hammerstein-Equord.19 An das Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) in Wien I., Herrengasse 7, zu Handen des Herrn Sektionschefs Dr. Allgayer. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich zu berichten, dass der Herr Staatssekretär Hammerstein-Equord in Begleitung des Herrn Hofrates Hantsch und Ministerialsekretärs Dr. Kumer am Sonntag, den 16. Dezember 1934, um 19 Uhr in Salzburg eingetroffen war, um die Bundespolizeidirektion Salzburg und das Landes-Gendarmeriekommando Salzburg zu inspizieren. Am Bahnhofe wurde der Herr Staatssekretär vom Herrn Sicherheitsdirektor, Gendarmerieoberst Bechinie, Oberregierungsrat Dr. Hirnschal, Polizeidirektor Hofrat Ingomar und Gendarmerieoberst May erwartet. Sonntag, den 16. d. M., fand am Abend im Hotel Bristol ein Kameradschaftsabend statt (…) Bei diesem Kameradschaftsabend ergriff als erster der Herr Landeshauptmann, Hofrat Dr. Franz Rehrl, das Wort und begrüßte den Herrn Staatssekretär als einen alten trauten Bekannten, welcher eine lange Reihe von Jahren in Braunau als Bezirkshauptmann tätig war und auf diesem Posten nur das wärmste Interesse und das weitgehendste Verständnis für die Belange des benachbarten Landes Salzburg an den Tag gelegt habe. Dr. Rehrl gab der Hoffnung Ausdruck, dass der Herr Staatssekretär nunmehr auch auf diesem schwierigen Posten als verantwortungsvoller Leiter der öffentlichen Sicherheit dem Lande Salzburg, in dessen Namen er nunmehr dem Herrn Staatssekretär seinen herzlichsten Willkommensgruß entbiete, ein warmes Interesse entgegenbringen werde und dieses nicht vergessen werde. 19 Hans Hammerstein-Equord (1881–1947) stammte aus dem Bergischen Uradel und war nach einem Studium der Rechtswissenschaften in Marburg, Innsbruck und Wien in der oberösterreichischen Statthalterei tätig. 1923 wurde er Bezirkshauptmann in Braunau, Anfang 1934 Sicherheitsdirektor von Oberösterreich, 1934/35 fungierte er als Staatssekretär für das Sicherheitswesen und vom Mai bis November 1936 als Justizminister, anschließend als Sektionschef im Bundeskanzleramt und im Unterrichtsministerium. Hammerstein-Equord war auch Lyriker und Romancier und begründete die Innviertler Künstlergilde. 1938 wurde er bei Kürzung seiner Bezüge zwangspensioniert und nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 verhaftet und in das KZ Mauthausen gebracht, wo er bis zu dessen Befreiung durch US-Truppen verblieb.

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Weiters gab der Herr Landeshauptmann dem Wunsche Ausdruck, es möge dem Herrn Staatssekretär gelingen, jene Ruhe und den Frieden dem Bundesstaate Österreich zu verschaffen, der erforderlich erscheint, um die Früchte des Aufstieges ernten zu können. Hofrat Dr. Rehrl schloss seine Begrüßungsansprache mit einem Hochruf auf den Herrn Staatssekretär Hammerstein. Kurz darauf begrüßte der Herr Sicherheitsdirektor, Gendarmerieoberst Bechinie, den Herrn Staatssekretär und erwähnte, dass nicht so bald jemand mit Land und Volk derart eng verbunden erscheine und die Schmerzen und Wünsche der Bevölkerung so gründlich kennen lerne wie ein Verwaltungsbeamter. Aus diesem Grunde haben die Sicherheitsdirektoren es mit ganz besonderer Freude begrüßt, dass der hochverehrte Herr Staatssekretär Hammerstein, der so viele Jahre hindurch als hervorragender Verwaltungsbeamter tätig war, auf diesen verantwortungsvollen Posten eines Staatssekretärs der öffentlichen Sicherheit berufen wurde. Oberst Bechinie erwähnte, dass die gesamte Sicherheitsexekutive nur ein gemeinsames Ziel vor Augen habe, dem schönen Lande Salzburg, welches dem vorbildlichen Wirken seines hochgeehrten Herrn Landeshauptmannes, Hofrat Dr. Rehrl, seinen Aufstieg und sein Aufblühen verdankt, jene Voraussetzung zu schaffen, um im Zuge der gewaltigen Erneuerungsarbeit den weiteren Aufstieg in Ruhe erleben zu können. Zum Schlusse gab Oberst Bechinie der Hoffnung Ausdruck, dass die Bundesregierung und mit dieser unser hochverehrter Herr Staatssekretär Hammerstein dem Bundesstaate noch lange erhalten bleiben mögen und ein glückliches Volk in einem glücklichen Lande aller Segnungen des zielbewussten Wirkens und unermüdlichen Schaffens der Bundesregierung teilhaftig werden möge. Die Rede beendete Sicherheitsdirektor Oberst Bechinie mit einem Hochruf auf Österreich. Sowohl die Hochrufe auf Staatssekretär Hammerstein als auch die »Hoch Österreich  !«-Rufe wurden von allen Anwesenden beifälligst aufgenommen. Staatssekretär Hammerstein, der sich für die freundliche Aufnahme und die herzlichen Worte der Begrüßung bedankte, gab zunächst – nach einem Rückblick auf die vielfachen Angriffe gegen die Selbständigkeit unseres Staates, die gemeingefährlichen Terrorakte gewissenloser Elemente, die nicht zur Blüte, sondern zum Auswurf der deutschen Nation gehören – seinem Bedauern darüber Ausdruck, dass wir wieder an der Bahre zweiter braver Schutzkorpsleute stehen, welche meuchlings überfallen und von Desperados erschossen wurden. Staatssekretär Hammerstein dankte diesen neuerlichen Opfern der Sicherheitsexekutive, die im Dienste fürs Vaterland das Leben geopfert haben. Staatssekretär Hammerstein erwähnte weiters, dass die Bundesregierung nunmehr daran gehe, das Schutzkorps, sowohl was die Ausrüstung als auch was die Ausbildung anbetrifft, derart zu organisieren, dass auch unser kleiner Staat die erforderliche Macht und die Exekutive die gewünschte Stärke erhalten werde.

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Auf das bevorstehende Weihnachtsfest hinweisend bemerkte Staatssekretär Hammerstein, dass die Wiege des unsterblichen Liedes im Lande Salzburg gestanden war, dass ihm das dem Zahne der Zeit zum Opfer gefallene Wohnhaus Franz Xaver Grubers sehr gut bekannt war und feierte Gruber als berühmten Salzburger Künstler. Und wenn jetzt gewisse Kreise Österreich durch den Abzug unserer heimischen Kunstkräfte schaden und das österreichische Kulturzentrum dadurch empfindlich treffen wollen,20 so müsse festgestellt werden, dass diese Kreise ebenso wie sie sich bei den früheren Attentaten auf unseren Staat blutige Köpfe holten, auch hier keinen Erfolg haben werden, denn die Kunstkräfte seien bei uns in Österreich bodenständig und nicht in Berlin, darum habe Österreich diese neue Form eines weiteren Kampfes nicht zu fürchten. Nach mehrfachen Beifallskundgebungen seitens der Anwesenden erklärte Staatssekretär Hammerstein, dass er mit großer Freude nach Salzburg gekommen sei, da er viele Jahre hindurch den benachbarten Bezirk Braunau verwaltet habe, in dem einmal eine große Anschlussbewegung mit einem Aufmarsch von vielen tausenden Innviertlern vor der Bezirkshauptmannschaft stattgefunden hatte, aber nicht etwa eine Kundgebung für den Anschluss an das Deutsche Reich, sondern eine stürmische Kundgebung für den Anschluss an das Land Salzburg. Auch er selbst habe sich in Salzburg immer wohl gefühlt und sei stets sehr gerne in die Hauptstadt dieses schönen Landes, welches ein bedeutendes Kulturzentrum ist und durch die vom Herrn Landeshauptmann Dr. Rehrl begründeten und ermöglichten Festspiele auch bereits internationalen Ruf gewonnen habe, gekommen. Unter Hinweis auf dieses hervorragende Kulturzentrum meine Staatssekretär Hammerstein, dass diesem schönen Lande und dieser alten deutschen Stadt Salzburg dauernder Frieden gesichert werden müsse. Diesem Wunsche verlieh der Herr Staatssekretär, begleitet von großem Beifall, in einer außerordentlichen schönen Form Ausdruck und schloss seine Rede mit einem »Hoch Salzburg  ! Österreich  !« (…)

20 Die deutsche Regierung ließ, parallel zur Tausend-Mark-Sperre, wissen, dass sie die weitere Mitwirkung deutscher Künstler an den Salzburger Festspielen als nicht erwünscht ansehe. Dies hatte zur Folge, dass zahlreiche deutsche Künstler ihre Mitwirkung bei den Festspielen absagten. Die Politik zielte jedoch vor allem auch auf österreichische Schauspieler, die mit Rücksicht auf die lukrativen Verträge beim deutschen Film von einer weiteren Mitwirkung bei den Salzburger Festspielen abgehalten werden sollten.

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 13.4. Bis 25.5.1935 Geschäftszahl  : 324.101 G. D./St. B. 35 (Vorzahl  : 324.147 St. B. 35) Gegenstand  : Festversammlung anlässlich des Salzburger Bauerntages am 7. April 1935. Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 9. April 1935 Zl. 2243/1 Betr.: Salzburger Bauernbund, Versammlung am 7.4.1935 anlässlich des Salzburger Bauerntages  ; Bericht. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St. B., Wien I., Herrengasse 7. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich, über die Festversammlung des Salzburger Bauernbundes, welche anlässlich des Salzburger Bauerntages am 7. April 1935 um 11 Uhr vormittags im Spielsaale des Salzburger Festspielhauses abgehalten wurde und die von ca. 2000 Personen besucht war und in welcher der Bundesbauernführer, Minister Josef Reither,21 zu dem Thema »Bauernnot und Bauernhilfe« das Hauptreferat hielt, zu berichten, dass der Vorsitzende der Versammlung, Landesbauernführer und Landesrat Josef Hauthaler, in Viehhausen wohnhaft, die anwesenden Festgäste begrüßte und des verstorbenen Märtyrerkanzlers Dr. Dollfuß gedachte, worauf die Walser Bauernkapelle das Lied »Ich hatt’ einen Kameraden« spielte. Er führte dann aus, dass die Salzburger Bauern in Treue und Dankbarkeit den ungebeugten Aufbau21 Josef Reither (1880–1950) übernahm nach dem Besuch der dreiklassigen Volksschule die elterliche Landwirtschaft. 1921 bis 1934 war er christlichsozialer Abgeordneter zum Niederösterreichischen Landtag, 1925 bis 1931 und 1932 bis 1933 Landeshauptmann-Stellvertreter, 1933 bis 1934 Landeshauptmann, 1934 bis 1938 Landeshauptmann-Stellvertreter von Niederösterreich, 1934 bis 1935 Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, ab 1928 Obmann des Niederösterreichischen Bauernbundes, 1935 bis 1938 Mitglied des Länderrates und des Bundestages. 1938 wurde er verhaftet und in das KZ Dachau gebracht, in dem er bis 1941 blieb. 1944 wurde er neuerlich verhaftet und in das KZ Ravensbrück gebracht. Nach Kriegsende war er 1945 bis 1949 Landeshauptmann von Niederösterreich, 1945 bis 1947 Präsident des Österreichischen Bauernbundes, 1945 bis 1950 Präsident der Niederösterreichischen Landes-Landwirtschaftskammer und 1946 bis 1949 Vorsitzender der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern. Vgl. Ernst Bezemek, Michael Dippelreiter  : Politische Eliten in Niederösterreich. Ein biographisches Handbuch 1921 bis zur Gegenwart. – Wien/Köln/Weimar 2011. S. 270. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 38.)

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willen Dr. Dollfuß’ verfolgen und der Regierung in Durchführung dieses Erbes treu und geschlossen zur Seite stehen. In einem Schreiben, das von Sekretär Schusterbauer des Salzburger Bauernbundes vorgelesen wurde, brachten Sr. Exzellenz Dr. Sigismund Waitz22 und Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl die Gründe ihres Nichterscheinens zum Ausdruck. Der Fürsterzbischof gab im Schreiben der Hoffnung Ausdruck, dass dem Bauerntag zum Wohle der notleidenden Bauernschaft ein volles Gelingen beschieden sein möge und wies noch darauf hin, dass an einem gesunden kräftigen friedlichen Bauernstande jeder neuerliche Versuch eines Umsturzes abprallen werde. Der Bauernstand gleicht der Wurzel eines großen Baumes, stirbt diese Wurzel ab, so stirbt auch die ganze Gesellschaft und Aufgabe des Bauernstandes soll es sein, diesen Baum gedeihen zu lassen. Schon ein altes Sprichwort sagt »Hat der Bauer Geld, hat’s die ganze Welt«. Landeshauptmann Dr. Rehrl, der krankheitshalber nicht erscheinen konnte, übermittelte der Bauernschaft Salzburgs den Dank der Heimat und versprach, stets ein treuer Helfer und Mitkämpfer zur Linderung der Not der Bauern zu sein. Hierauf sprach Weihbischof Dr. Filzer23, der den Gruß und den Dank der Katholischen Kirche aussprach und die versammelten Bauern aufforderte, auch weiterhin einig und treu zur Kirche und zum Glauben zu stehen und ungeachtet der religiösen Irrungen der Jetztzeit stets für Glaube und Kirche offen einzutreten, dem Christentum Treue zu halten, dem Aufbauwillen der Regierung Vertrauen entgegenzubringen und vor allem fest zusammenzuhalten. Sodann erteilte der Weihbischof den Segen. Sekretär Schusterbauer,24 der als nächster Redner das Wort ergriff, gab Erklärungen zum Organisationsbericht und gab bekannt, dass in allernächster Zeit der 22 Sigismund Waitz (1864–1941) studierte Theologie in Innsbruck und Brixen, erhielt 1886 die Priesterweihe und promovierte 1890 zum Dr. theol. an der Universität Innsbruck. Nach verschiedenen Stationen als Pfarrer und Lehrer wurde er 1913 Weihbischof von Brixen und Generalvikar für Vorarlberg, 1921 Apostolischer Administrator des österreichischen Teils der Diözese Brixen, 1925 bis 1938 war er Administrator bzw. Bischof der Apostolischen Administratur von Innsbruck-Feldkirche, 1934 bis 1941 Erzbischof von Salzburg und 1935 bis 1938 als Vertreter der Katholischen Kirche Mitglied des Ständischen Salzburger Landtages. Als Erzbischof von Salzburg galt er als überzeugter Anhänger des Ständestaates mit deutlichen Sympathien für die Habsburger, Verfechter der Katholischen Universität und Gegner des Nationalsozialismus. Zu Sigismund Waitz vgl. Helmut Alexander (Hg.)  : Sigismund Waitz. Seelsorger, Theologe und Kirchenfürst. – Innsbruck/Wien/Bozen 2010. 23 Johannes Filzer (1874–1962) studierte nach der Matura am Franziskanergymnasium in Hall in Tirol Theologie in Salzburg. 1896 empfing er die Priesterweihe, war 1898 bis 1908 Hofkaplan und Ordinariatssekretär in Salzburg, promovierte 1909 zum Dr. theol., war 1911 bis 1924 Professor für Moraltheologie, wurde 1924 Domkapitular und 1927 Weihbischof von Salzburg und Generalvikar. 1934 bis 1935 war er als Vertreter der Katholischen Kirche Mitglied des Ständischen Salzburger Landtages und leitete 1941 bis 1943 die Erzdiözese in der Zeit der Sedisvakanz. 24 Michael Schusterbauer (1886–1942) wurde 1909 zum Priester geweiht, wurde nach einer Tätigkeit

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Bauernbund die Mitgliederzahl von 30.000 bald überschreiten werde. Die Bauern sind und bleiben vaterlandstreue Österreicher in der Dollfuß-Front, sie anerkennen die Stände-Regierung und je mehr das Stände-Prinzip zum Durchbruch gelange, desto stärker werde die Vaterländische Front. Er betonte, dass seitens der Landesregierung, insbesondere durch Hofrat Dr. Adolf Schemel, großes Verständnis in der Bekämpfung der Bauernnot entgegengebracht werde, dass auch die Steuerbehörden ein Entgegenkommen zeigen, jedoch wird verlangt, dass bei den Vorschreibungen speziell in den Grenzgebieten eine günstigere Auslegung Platz greifen müsse. Unter Hinweis auf das Wirken des verstorbenen Bundeskanzlers Dr. Dollfuß erinnerte der Redner daran, dass derselbe im Jahre 1933 im Kurhaus in Salzburg erklärte »Österreich ist lebensfähig« und vielleicht habe er sich damit selbst sein Todesurteil gesprochen. Die heutige Tagung soll gleich einer Durchbruchsschlacht sein und man möge bedenken, dass durch Kritisieren keine Schlacht gewonnen werden kann. Hierauf ergriff der bei der Bauerntagung vom 6.4.1935 als Obmann des gegründeten Landesbauernrates gewählte Landesrat Josef Hauthaler das Wort und versprach, in alter Treue für die Bauerninteressen einzutreten und erklärte, dass die Bauern Salzburgs mit Herz und Hand zu Österreich stehen und das Programm Dollfuß’ ihre Richtschnur sei. Er versprach der Bundesregierung Dr. Schuschnigg und dem Vizekanzler Starhemberg sowie dem Landeshauptmanne Dr. Rehrl die Treue zu halten, da sie wissen, dass von diesen Stellen aus der Not des Bauernstandes volles Verständnis entgegengebracht wird. Das jetzige Programm ist die eheste Gesetzgebung der Hilfsaktion für die Landwirtschaft nach dem Willen der Bauernschaft, Senkung der Steuern und Abgaben, Behebung des Schulden- und Zinsproblemes, Schutzmaßnahmen gegen die Ausbeutung seitens privater Geldgeber und Festsetzung des Zinsfußes auf 4 bis 5 Prozent. Ferner wird die Bauernschaft mit aller Energie jede Diktatur in dieser oder jener Form bekämpfen und künftighin auch nicht dulden, dass man alte ehrliche Parteimänner als Parteibonzen bezeichnet und sie in den Kot zerrt. Nun kam Minister Reither zu Wort, der bedeutete, dass die Forderungen des Bauernstandes in aller Öffentlichkeit aufgezeigt und von der Regierung erfüllt werden müssen. Es gibt in der Landwirtschaft nur eine Linie und ein Ziel, das heißt  : die Landwirtschaft lebensfähig machen. Man müsse bedenken, dass die schwierige finanzielle Lage durch die Revolutionen des Jahres 1934 und durch die allgemeine Wirtschaftskrise verursacht wurden und es ist deshalb verständlich, dass die Forderungen nur schrittweise eingebracht werden können. Dennoch wird alles darangesetzt werden, um die Lage zu verbessern und wird er in seiner Eigenschaft als Ackerbauminister nunmehr seine ganze Kraft daransetzen, der am meisten notleials Kooperator in Mariapfarr und Henndorf 1917 Domvikar und Sekretär/Direktor des Katholischen Bauernbundes. Er übte diese Funktion bis 1936 aus, war 1936 bis 1938 Schriftleiter des »Salzburger Volksboten«, 1930 wurde er Regierungsrat, 1938 Ordinariatssekretär.

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denden alpenländischen Bauernschaft zu helfen, da hiervon das Wohl und Wehe aller Stände abhänge. Man hört, dass seit dem Tode Dr. Dollfuß’ nichts zur Linderung der Bauernnot geschehen sei, doch ist das nicht richtig und zeigte nun an Hand von Tatsachen auf, dass trotz der finanziell bedrängten Lage die Regierung der Bauernhilfe stets großes Verständnis entgegenbrachte, verwies auf die Roggeneinfuhr und Brotpreisermäßigung, Obstverwertungsaktion (Einfuhrsperre und erhöhte Ausfuhr), die Verhandlungen mit Deutschland, die Ausfuhr von Schlacht- und Nutzvieh, verwies auf die Erzeugung von Konserven, wodurch der Absatz von 8500 Stück Rindvieh möglich wurde. Dieser Absatz werde sich bis Herbst 1935 noch bedeutend erhöhen, da für Russland ein Lieferungsauftrag für 8 Millionen Stück Konserven vorliegt. Für die Viehverwertung sind Verhandlungen mit den deutschen Wirtschaftsministerien im Zuge und werden nach Beendigung derselben 8000 Stück Rinder auf den süddeutschen Märkten verkauft werden. (…) Er führte weiter aus, dass durch ein Einfuhrverbot die Pferdezucht im Inlande neu belebt werde und bat die Salzburger Bauern, ihre wertvolle Pferdezucht nicht zu Grunde gehen zu lassen. Bevorstehende Maßnahmen werden auch den Molkereiproduktionsabsatz in neue Bahnen lenken und eine Hebung des Konsums hervorrufen. Der Holzabsatz, um den sich Dr. Dollfuß am meisten bemüht hat, ist gestiegen, doch werde ohne Deutschland der Holzmarkt ausschlaggebend nicht belebt werden können, weshalb auch mit diesem Lande Verhandlungen gepflogen werden, um im Kompensationswege einen Absatz zu erzielen. Von der Regierung wurde zur Entschuldungsaktion an 1511 Bauern im Lande Salzburg allein ein Betrag von 1,646.000 S ausgewiesen,25 ein Betrag von 3,200.000 zur Arbeitsbeschaffung im Wasserbau ausgeworfen und an Lawinenschäden für die Geschädigten ein Betrag von 300.000 S zur Verfügung gestellt. Über die aufgestellten Programmpunkte führte Minister Reither aus, dass dem Vieh- und Holzabsatz nach Deutschland großes Augenmerk zugewendet werde. Nach den Ausführungen über die in Aussicht genommenen Maßnahmen zur Linderung und Behebung der Notlage der Gebirgsbauern kam der Redner auf die Innen- und Außenpolitik zu sprechen, zeigte hierbei die ideale und selbstlose Hingabe des verstorbenen Bundeskanzlers für den Aufbau Österreichs und seine Bemühungen um den Frieden im Einvernehmen mit den anderen Völkern auf. Dr. Dollfuß’ Wille ist auch jener der Bauernschaft, was auch schon im Jahre 1934 durch den Aufmarsch von 110.000 Bauern in Wien deutlich zum Ausdruck kam. Die Bauernschaft lehnt die Diktatur einer Klasse ab, unterstützt aber den autoritären Kurs. Hierbei skizzierte Minister Reither das Vorgehen des Staatsrates Seeger, der die Auflösung der Sturmscharen verlangte und Staatsmänner in unflätigster Weise beschimpfte und verlangte, dass hier Fürst Starhemberg als oberster Führer der Vaterländischen Front eingreift und diesen Herrn

25 Vgl. auch Neue Freie Presse 21.4.1936. S. 2.

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in die Schranken weist.26 Sonst werde sich die Situation zuspitzen, denn gerade jetzt vor der kommenden Saison brauche Österreich nur Ruhe und Frieden. Meinungsverschiedenheiten wird es immer geben, doch sollten solche politischen Gegensätze in Ruhe geklärt werden, damit es zum gegenseitigen Verstehen komme. (…) Mit einem Treuegelöbnis beschloss der Redner seine Ausführungen, die von großem Beifall begleitet waren. Zum Schluss der Versammlung verlas Sekretär Schusterbauer die in Abschrift beiliegende Resolution, wonach die heutige Massenkundgebung das politische und 26 Eduard Seeger (1898–1949) absolvierte die Staatsgewerbeschule in Salzburg und nahm nach der Ableistung des Militärdienstes eine Stelle als Bautechniker an, trat nach dem Ersten Weltkrieg als Teilhaber in die Baufirma Deseyve ein und war bis 1937 Stadtbaumeister in Waidhofen an der Ybbs. 1920 war er Führer des Ortsschutzes und später in der Heimwehr aktiv, wurde 1927 deren Bezirksführer in Waidhofen an der Ybbs. Nach dem erzwungenen Rücktritt Albrecht Albertis im Jänner 1934 rückte er als Landesstabsleiter in die Landesleitung der Niederösterreichischen Heimwehr auf, war im Februar 1934 an den Kämpfen in Steyr beteiligt und leitete die Mobilisierung des Heimatschutzes gegen den nationalsozialistischen Juliputsch. 1935 bis 1936 fungierte er nach dem Sturz Emil Feys als Vertrauensmann Starhembergs als geschäftsführender Landesführer der Wiener Heimwehr. 1934 bis 1938 war er Mitglied des Staatsrates. Nach dem Anschluss wurde er verhaftet und in das KZ Dachau gebracht und nach seiner Freilassung Ende 1940 zum Wehrdienst eingezogen. Er geriet in sowjetische Kriegsgefangenschaft und wurde 1946 beim Versuch, Maschinen vor der Beschlagnahme durch die Sowjets zu bewahren, verhaftet und die Sowjetunion deportiert. Vor allem in Niederösterreich bildete der Bauernbund unter Josef Reither den mächtigen Gegenpol zur Heimwehr und deren faschistische Bestrebungen. Als Reither in das Kabinett Schuschnigg wechselte, führte der Vertrauensmann der Heimwehr, Eduard Baar-Bahrenfels, als geschäftsführender Landeshauptmann loyal und zurückhaltend die Regierungsgeschäfte. Doch bereits auf der Ebene darunter verschärften sich die Konflikte. Unmittelbarer Anlass war ein Befehl des Führers der Wehrfront innerhalb der Vaterländischen Front, Fürst Ernst Rüdiger Starhemberg, dass in Gemeinden, in denen bereits eine Ortsgruppe eines Wehrverbandes bestand, keine weitere durch einen anderen Wehrverband gegründet werden dürfe. Die Ostmärkischen Sturmscharen in Niederösterreich, unterstützt von Bauernbunddirektor Leopold Figl, befolgten jedoch diesen Befehl nicht, da sie eine Dominanz der Heimwehr befürchteten. Vor allem ging es in diesem Streit allerdings um die Frage der Organisation der Bauernschaft im Ständestaat, die die Heimwehr gerne in ihre Hand bekommen wollte, jedoch am massiven Widerstand des Bauernbundes scheiterte. Die Folge waren heftige Angriffe vor allem von Seeger auf die OSS und indirekt auf den Bauernbund, denen er vorwarf, dass in ihnen Politiker des überwundenen Parteienstaates das Sagen hätten und die Wiedereinführung der Parteiendemokratie anstrebten. In dem Ringen siegte der Bauernbund, dessen Vorstellungen in dem am 10. Juli 1935 verabschiedeten Gesetz über den Aufbau der Vertretung der Landwirtschaft voll berücksichtigt wurden. Vgl. Enderle-Burcel  : Christlich-Ständisch-Autoritär. Mandatare im Ständestaat 1934–1938. S. 215f.; Walter Wiltschegg  : Die Heimwehr. Eine unwiderstehliche Volksbewegung  ? – Wien 1985. S. 137f. (Studien und Quellen zur österreichischen Zeitgeschichte. Herausgegeben im Auftrage der Wissenschaftlichen Kommission des Theorod-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1918 bis 1938 von Rudolf Neck und Adam Wandruszka. Band 7.)  ; Höbelt  : Die Heimwehren und die österreichische Politik 1927–1936. S. 343ff.

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wirtschaftliche Testament des Dr. Dollfuß als ihr alleiniges Erbe betrachte und die Bauern dem freien Ständestaat die Treue halten werden. (…) Resolution In inniger Verbundenheit mit der österreichischen Bundesbauernschaft aller Landesbauernbünde tritt der Salzburger Bauernbund in einer Massenkundgebung von mehr als 2000 Bauern vor die Öffentlichkeit, der er sein Wollen und Wünschen in feierlicher Weise verkündet. Das politische und wirtschaftliche Testament des Bauern- und Volkskanzlers Dr. Dollfuß ist ihm ein heiliges Erbe. Darum bekennt er sich vorbehaltlos zum christlichen, deutschen, sozialen und österreichischen Ständestaat unter autoritärer Führung, jedoch mit unbedingter Betonung der politischen und wirtschaftlichen Freiheiten und der restlosen Verwirklichung der bäuerlichen Eigenart im Geiste der Pabstbotschaft »Quadragesimo anno«. In unzertrennlicher Geschlossenheit und eiserner Entschlossenheit steht die Salzburger Bauernschaft zu ihrem ersten Standesführer, Landwirtschaftsminister Josef Reither, an den sie als den Treuhänder ihrer Forderungen in der Regierung mit sorgender, aber doch vertrauensvoller Zuversicht den warnenden eindringlichen Ruf nach Rettung vor dem Untergang der äußerst bedrohten alpenländischen Bauernschaft richtet. Der Salzburger Bauernbund tritt dem Arbeitsprogramm der Bundesbauernschaft vom 15. März ohne jeglichen Vorbehalt bei, insbesondere verlangt er die sofortige Regelung der Marktverhältnisse, die restlose Gleichstellung der Pinzgauer Rasse auch in Niederösterreich, die ungesäumte Einlösung des Kanzlerwortes, dass der Bauernschaft aus der Goldklauselverordnung nicht der geringste Nachteil erwachsen darf, den wirkungsvollen Schutz gegen die bäuerliche Entsiedelung, ergiebige Aushilfsmaßnahmen in den Getreidezufuhren, bis die ursprüngliche Ausbalancierung zwischen Getreidepreis und Viehpreis wieder erreicht ist, schließlich die Erleichterung im Steuer- und Gebührenwesen, vor allem bei den Gemeindeumlagen, für die eine Heranziehung der bisherigen Sicherheitssteuer durch Zuteilung nach der Kopfzahl vorgeschlagen wird. Der Salzburger Bauernbund gelobt unverbrüchliche Treue den höchsten Regierungsgewalten in Bund und Land, dem Bundeskanzler Dr. Schuschnigg und dem Landeshauptmann Dr. Rehrl. Der Vaterländischen Front mit dem Bundesführer Fürst Starhemberg, insbesondere aber als christliche Standesgruppe im christlichen Ständestaat ehrfurchtsvolle Ergebenheit der Kirche und den Bischöfen, weil alles wirtschaftliche Bemühen nichts fruchtet, wenn nicht der Felsengrund des Glaubens in den Seelen der Menschengelegt ist. In wehmutsvoller Erinnerung gedenkt der Salzburger Bauernbund der edlen Blutsopfer, die in der Februar- und Julirevolte für das Vaterland gebracht werden

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mussten. Unauslöschlicher Dank gebührt vor allem dem Bundesheer, der Polizei, der Gendarmerie und den freiwilligen Wehrverbänden des Heimatschutzes, der Ostmärkischen Sturmscharen, der christlich-deutschen Turner und des Freiheitsbundes. Die dauernde Sicherheit des Staates kann jedoch nur durch ein Volksheer verbürgt werden. Darum tritt der Bauernbund einmütig für die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht ein, die den Nachwuchs unseres Volkes in eine zwar harte, aber heilsame Lebensschule nimmt und von der wir erwarten, dass ebenso treue Österreicher hervorgehen werden als wie aus der Wehrmacht des alten sonst so zerstrittenen Nationalitätenstaates. Die Salzburger Bauernschaft vertraut und hofft selbst gegen alle Hoffnung, die sie in bitterstem Existenzkampf noch aufrechterhält. Sie bekennt sich zur Parole  : »Der freie Bauer im freien Ständestaat für Volk, Gott und Heimat  !« Österreich  ! Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 22. Juni 1935 Geschäftszahl  : 338.995 G. D. /St. B. 35 (Vorzahl  : 324.216 St. B. 35) Gegenstand  : Angebliche Störung eines evangelischen Bibelabends in Zell am See durch Mitglieder der OSS  ; Beschwerde des evangelischen Pfarrers Max Pätzold. Evangelischer Oberkirchenrat Wien, 6. April 1935 Z. 1849 Gegenstand  : Störung eines evangelischen Bibelabends in Zell am See durcb Mitglieder der Ostmärkischen Sturmscharen. An das Bundesministerium für Unterricht. Der Pfarrer der evangelischen Pfarrgemeinde A. B. Hallein, Max Pätzold, hat unter dem 25. März d. J., Z. 472, dem Oberkirchenrat Nachstehendes berichtet  : »Am Mittwoch, den 20. März, sollte in Zell am See im Gasthof ›Stallinger‹, dessen Besitzer evangelisch sind, der seit längerer Zeit eingeführte Bibelabend stattfinden. Um ¾ 8 Uhr erschienen plötzlich 2 Mitglieder der Ostmärkischen Sturmscharen und erklärten mir, dass sie vom Kommandanten des Gendarmeriepostens den Auftrag hätten, am Bibelabend teilzunehmen. Als nun um 8 Uhr abends eine größere Anzahl Gemeindemitglieder anwesend waren, erklärte ich im Beisein der beiden Ostmärkischen Sturmschärler, dass ich nicht geneigt bin, in Anwesenheit der beiden ›Aufsichtsorgane‹ den heutigen Bibelabend

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zu halten. Es könne zwar jeder hören, was ich zu sagen habe, doch sei ich nicht gewohnt, im Beisein uniformierter Aufsichtsorgane einen evangelischen Bibelabend zu halten. Ja, wenn dieses Vorgehen paritätisch gehandhabt und auch in katholische und jüdische religiöse Versammlungen solcher ›Schutz‹ gesandt würde, ließe ich es mir gefallen. Abschließend erklärte ich, dass ich mich höheren Ortes beschweren werde. Darauf forderte ich die Gemeindemitglieder auf, ruhig nach Hause zu gehen, was auch geschah. Durch dieses Vorgehen ist nicht nur die evangelische Bevölkerung von Zell am See, sondern auch die ganze evangelische Gemeinde Hallein auf das äußerste erregt. Das Presbyterium hat mich beauftragt, den Oberkirchenrat dringendst zu ersuchen, dass alles getan werde, un diesen unwürdigen Zustand abzustellen.« Der Oberkirchenrat beehrt sich, an das Bundesministerium für Unterricht hiermit das Ersuchen zu richten, Veranlassung zu treffen, dass sich derartige Vorkommnisse, welche mit dem der Evangelischen Kirche in dem Kaiserl. Patent vom 8. April 1861, R. G. Bl. Nr. 41, zugesicherten Rechte der gemeinsamen öffentlichen Religionsausübung im Widerspruch stehen, in der evangelischen Bevölkerung große Beunruhigung hervorrufen und, da sie in der Öffentlichkeit nicht unbekannt bleiben, auch im Auslande dem Ansehen Österreichs nicht dienlich sind, nicht wiederholen. (…) Bundesministerium für Unterricht Wien, 15. April 1935 Zl. 12.157 – Kultusamt/b. Betr.: Störung eines evangelischen Bibelabends in Zell am See durch Mitglieder der OSS. An das Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) in Wien. Unter Bezugnahme auf den dem Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) erstatteten Bericht des evangelischen Oberkirchenrates vom 6. April 1935, Zl. 1849, der auch anher vorgelegt wurde, beehrt sich das Bundesministerium für Unterricht das Ersuchen zu stellen, den der gegenständlichen Beschwerde zu Grunde liegenden Sachverhalt feststellen zu lassen und das Ergebnis der bezüglichen Erhebungen anher bekanntgeben zu wollen.

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Gendarmeriepostenkommando Zell am See Zell am See, 27. April 1935 Exh-Nr. 1300 An die Bezirkshauptmannschaft Zell am See. Mit der Anzeige in Rückvorlage, dass es sich im Gegenstande weder um eine Störung des fraglichen Bibelabends noch um eine angeordnete Überwachung desselben handelte und die beiden Schutzkorpsleute Anton Deubler und Michael Sollereder an der Veranstaltung aus eigenem Interesse teilnehmen wollten. Der Schutzkorpsmann Anton Deubler gab dem Gefertigten im Gegenstande an  : »Wir Schutzkorpsleute sahen ein oder zwei Tage vor dem fraglichen Bibelabend diesen durch ein Plakat am Gasthaus zur Traube kundgemacht und beschlossen, uns diesen anzuhören, da wir wissen wollten, was dort eigentlich vorgebracht wird und wer sich hierbei alles einfindet. Mitbestimmend für unseren Entschluss, den Bibelabend anzuhören, war der Umstand, dass die meisten Protestanten in Zell am See bekannte Nationalsozialisten sind, und ebenso bekannt ist, dass die Anhänger der evangelischen Religion wie auch deren Geistliche lebhaft nationalsozialistische Propaganda betreiben. Wir, Michael Sollereder und ich, kamen am fraglichen Tage um ca. 19 Uhr 30‹ in den Speisesaal des Gasthauses »Zur Traube«, wo der Bibelabend nach der Ankündigung stattfinden sollte, trafen diesen aber noch leer an, weshalb wir uns in das Gastzimmer begaben, den Wirt Johann Stallinger fragten, ob der Bibelabend stattfinde und als dieser unsere Frage bejaht, uns bis zum Beginne des Abends im Gastzimmer niedersetzten. Als sich um ca. 19 Uhr 45‹ das Zusammenkunftslokal mit Teilnehmern zu füllen begann, begaben auch wir uns dorthin. Gleich bei unserem Eintritte in den Saal trat der Pastor, der zweifellos auf unsere Anwesenheit aufmerksam gemacht worden ist, auf uns zu und fragte uns, was wir wollen und ob wir einen Auftrag haben, den Abend zu überwachen. Ich antwortete ihm, dass wir uns den Abend anhören wollen und hierzu die Bewilligung der Gendarmerie haben. Der Pastor protestierte hierauf gegen unsere Anwesenheit, sagt zu seinen Gemeindemitgliedern, dass sie nach Hause gehen sollen, da er den Abend nicht abhalte, weil er nicht gewohnt ist, unter Aufsicht zu amtieren und es in Österreich noch eine Religionsfreiheit gebe. Weiters erklärte er, dass er wegen unserer Anwesenheit beim Herrn Sicherheitsdirektor eine Beschwerde einbringen werde. Er fragte uns auch noch um unsere Namen, die wir ihm ohne weiteres mitteilten. Zu irgendeiner Gegenrede von unserer Seite ist es überhaupt nicht gekommen. Wir wollten uns den Abend nur anhören, einen Auftrag zur Überwachung hatten wir nicht, wohl aber die Erlaubnis des Postenkommandanten, dass wir hingehen dürfen.« Der Gefertigte kann sich in der Sache noch daran erinnern, dass er vom Schutzkorpsmann Anton Deubler am fraglichen Abend gefragt wurde, ob er (Deubler) und

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der Schutzkorpsmann Sollereder, der seit 1.4.1935 bei der Wildbachverbauung in Neukirchen am Großvenediger in Arbeit steht, sich den Bibelabend anhören dürfen und dass ich die Erlaubnis hierzu erteilt habe. Diese Zustimmung erteilte ich schon mit Rücksicht darauf, dass von vaterländischer Seite wiederholt Beschwerde erhoben wurde, dass sich die Nationalsozialisten unter dem Vorwande der evangelischen Religionsausübung ungestört versammeln können und dabei zweifellos nationalsozialistische Propaganda betreiben. Weiters auch aus dem Umstande, weil über die Tätigkeit des evangelischen Pfarrers Dr. Jörgen Spanuth wegen dringenden Verdachtes nationalsozialistischer Propaganda Erhebungen gepflogen werden mussten und es eine bekannte Tatsache ist, dass die evangelischen Geistlichen in der nationalsozialistischen Bewegung auch heute noch tätig sind. In diesem Belange sind an die Posten ohnehin schon mehrfach Erlässe ergangen. Einen Auftrag, den Bibelabend zu überwachen, habe ich nicht gegeben (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 14. September 1934 Geschäftszahl  : 240.529 G. D./St. B. 34 (Vorzahl  : 263.753/34  ; Nachzahlen  : 264.089 und 326.616/35) Gegenstand  : Haupttrafikant in Hofgastein  ; Verdacht der nationalsozialistischen Betätigung. An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. In einer dem Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) zugegangenen Eingabe wird darüber Beschwerde geführt, dass sowohl der Haupttrafikant in Hofgastein als auch alle übrigen Trafikanten der NSDAP zugetan sind. Es ergeht die Einladung, den diesen Anzeigen zugrunde liegenden Sachverhalt erheben zu wollen und das Ergebnis dieser Erhebungen anher zu berichten. Gendarmeriepostenkommando Hofgastein Hofgastein, 28. September 1934 E. Nr. 2091 An den Herrn Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg in Salzburg. Durch die Bezirkshauptmannschaft wird mit nachstehener Anzeige in Rückvorlage gebracht  : Die hiesige Haupttrafikantin Julie Köstler war früher der NSDAP zugetan. In deren Geschäftslokale konnte beiläufig zu Beginn der schweren Terrorakte ein reger Verkehr dieser Leute beobachtet werden. Dieser Verkehr setzte dann merklich

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aus, sei es, dass sie von irgendjemandem gewarnt wurde oder dass sie sich selbst ihrer Stellung dem Staate gegenüber bewusst wurde. Erstere Annahme dürfte richtig sein. Seit April/Mai l. Js. sind keine Beobachtungen mehr zu machen, dass sich Nazis bei ihr länger aufhalten würden und sie selbst befleißigt sich seit dieser Zeit eines Umganges, der nicht anstoßerregend ist. Es ist ihr auch von vaterländischer Seite seit jener Zeit der vorgenommenen Änderung in ihrem Lokale kein Vorwurf zu machen. Zumindest ist sie scheinbar bemüht, vaterländisch zu gelten. Das Gegenteil kann tatsächlich nicht bewiesen werden. Die Köstler wurde seinerzeit auch verdächtigt, die Nazis finanziell zu unterstützen bzw. sie unterstützt zu haben, doch blieben die bezüglichen Erhebungen stets negativ. In diesem eindeutig positiven Falle wäre wohl von hier sofort Anzeige und Antrag auf Lizenzentzug gestellt worden. Dieser Verdacht dürfte auch kaum richtig gewesen sein, da die Köstler ein größeres Schuldenkapital zu verzinsen und zu amortisieren und überdies als Witwe für drei unmündige Kinder zu sorgen hat, sodass sie für derlei Zwecke wenig oder gar nichts hätte erübrigen können. Die Trafikantin Maria Falger ist die Mutter des wiederholt wegen nationalsozialistischer Propaganda vorbestraften Gärtners Wilhelm Falger, der aber selbst einen Eigenbesitz führt und mit dem die Mutter nicht im gemeinsamen Haushalte lebt. Dessen ungeachtet wurden des Sohnes wegen in der Trafikhütte der Falger wiederholt Durchsuchungen nach nationalsozialistischem Material vorgenommen, die aber immer negativ geblieben sind. Der Verdacht, dass ihr Sohn bei ihr verbotenes Material verborgen gehalten hätte, war daher unbegründet. Dass die Falger selbst der NSDAP zugetan war, mag vielleicht richtig sein, doch kann dies durch nichts bewiesen werden. Den Leuten gegenüber behauptet die Falger das Gegenteil und sie will sich durch die Einstellung und die Taten ihres Sohnes oft sehr gekränkt haben. Die weiteren Trafikanten des Ortes, Josef Wiedenhofer und Gertrude Kaltner, sind einwandfrei vaterländisch eingestellt und als solche bekannt. Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 6. Mai 1935 Zahl  : 292-res. 1935 Betreff  : Braun, kath. Pfarrer, abgängig. An das Österreichische Generalkonsulat in München. Zur Kenntnis  : Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St. B., in Wien I., Herrengasse 7. Heute erschien h. a. Fürst Auersperg aus Weitwörth und ersuchte um Intervention der Polizeibehörde dahingehend, dass Nachforschungen eingeleitet würden über den katholischen Geistlichen Braun aus Fulda, ca. 60 Jahre alt. Fürst Auersperg hat diesen Geistlichen für seine Kapelle als Priester engagiert und hätte Braun am 1.5. l.

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Die Berichte

J. eintreffen sollen. Braun ist nicht eingetroffen und er ist in Besorgnis, dass Braun etwas zugestoßen wäre. Die Bundespolizeidirektion hat im Wege der bayerischen Grenzkontrollstelle in Erfahrung gebracht, dass Braun aufgrund eines gerichtlichen Haftbefehles des Landesgerichtes in München wegen Verdachtes eines politischen Deliktes in Haft genommen wurde und sich in Stadelheim im Inquisitenspital befinde. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich, vorstehenden Sachverhalt zur geneigten Kenntnisnahme zu bringen, da laut Mitteilung Fürst Auerspergs Braun österreichischer Staatsbürger sein soll und gleichzeitig bekanntzugeben, dass mit der Vertretung Brauns der Rechtsanwalt Dr. Hauck in München betraut wurde. Österreichisches Generalkonsulat in München München, 21. Mai 1935 Zl. 3158/1 Braun, der mit einer Mitreisenden Betr.: Braun Julius, kath. Priester, Verhaftung. An die Bundespolizeidirektion Salzburg. Im Nachhang zum h. a. Schreiben vom 15. Mai 1935 beehrte sich das Generalkonsulat mitzuteilen, dass der am 30.8.1872 in Wallhausen (Preußen) geborene, nach Fuschl am See (Salzburg) zuständige Pfarrer Julius Braun, wie sich aus einer persönlichen Aussprache ergab, auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, weshalb dem Generalkonsulat jede Möglichkeit genommen ist, für den Genannten bei den deutschen Behörden zu intervenieren. Braun, der mit einer Mitreisenden im Zuge ins Gespräch kam, soll derselben auf ihre Mitteilung, dass in Deutschland schon die kleinsten Kinder »Heil Hitler« rufen, geantwortet haben, bei uns in Österreich sagt man »Grüß Gott«. Auf diese Bemerkung hin zeigte die Mitreisende Pfarrer Braun an, worauf er in Wörishofen verhaftet wurde. Bei Durchsuchung des Gepäcks wurde ein für die »Basler Zeitung« bestimmter Zeitungsartikel vorgefunden, dessen Veröffentlichung dieses Journal schriftlich abgelehnt hatte. Pfarrer Braun, der sich auf der Krankenabteilung des Gefängnisses Stadelheim befindet und sich scheinbar guter Gesundheit erfreut, wurde am 16.5. durch den Obermedizinalrat Dr. Vogl psychiatrisiert und am 17. Mai l. J. von einem Vertreter des Generalkonsulats besucht. Er hat hinsichtlich seiner Korrespondenz mit der »Basler Zeitung« Folgendes angegeben  : Das Journal habe vor Wochen die katholische Geistlichkeit in Bayern und Württemberg wegen ihres Verhaltens zu den gegenwärtigen Ereignissen im Reich angegriffen, worauf der Pfarrer eine Entgegnung verfasste, in der er gegen die »Basler Zeitung« Stellung nahm, ohne sich aber mit den Vorkommnissen im Reich zu identifizieren. Die »Basler Zeitung« hat die An-

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nahme dieses Artikels verweigert und sie dem Verfasser retourniert. Diese Angelegenheit liege viele Wochen zurück. Als Pfarrer Braun die Berufung des Fürsten Auersperg als Seelsorger auf Schloss Wörth erhielt, stellte seine ihm die Wirtschaft führende leibliche Schwester die Frage, ob er seine Schreibmappe nicht mitzunehmen gedenke. Er soll ihr gesagt haben, dass, wenn in seinem Koffer noch Platz wäre, könne sie dieselbe einpacken. Da er sich an den Inhalt der Schreibmappe nicht erinnern konnte, ist es diesem Umstand zuzuschreiben, dass der Zeitungsartikel in seinem Gepäck vorgefunden wurde. Der Ermittlungsrichter, der dem Vertreter des Generalkonsulates gegenüber seiner Ansicht Ausdruck gab, dass die Debatte über »Heil Hitler« und »Grüß Gott« der Staatsanwaltschaft wahrscheinlich keine Handhabe bieten würde, gegen Pfarrer Braun aufzutreten, gab aber der Befürchtung Ausdruck, dass die Korrespondenz mit der »Basler Zeitung« zu seinen Ungunsten Verwertung finden könnte. Auf die Entgegnung des h. o. Vertreters, dass bei der Auffindung dieser Korrespondenz das für die Straffälligkeit vorgesehene Moment der Öffentlichkeit fehle, meinte er, das zu beurteilen sei Sache der Staatsanwaltschaft beim Sondergericht, an welche der Akt weitergeleitet werden müsse, doch scheine die Sache nicht so schlimm zu stehen. (…) Das deutsche Gesetz vom 20. Dezember 1934 sieht für derartige Vergehen eine Mindeststrafe von 3 Monaten Gefängnis vor. Selbst wenn aber ein Freispruch erfolgen sollte, ist es sehr fraglich, ob die Politische Polizei dem Genannten die Ausreise nach Österreich bewilligen bzw. ihn von der Bezahlung der 1000-Mark-Taxe entheben werde.27 Der Besitz des österreichischen Reispasses befreit Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit nicht von der Ausreisebewilligung bzw. von der Entrichtung der deutscherseits vorgeschriebenen Taxe. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, o. D. Geschäftszahl  : 331.694 G. D./St. B. 35 (Nachzahl  : 333.065 St.B./35) Gegenstand  : Julius Braun, katholischer Priester, (…) Verhaftung in Deutschland. (…) Das österreichische Generalkonsulat in München berichtet in der (…) Angelegenheit am 27. Mai 1935 unter Zahl 3158/2  : Bei der am 25. Mai l. J. vor dem Sondergericht in München … stattgefundenen Verhandlung wurde der Obgenannte wegen vorsätzlicher Beleidigung der Reichsregierung bzw. der NSDAP (in zwei Punkten wegen tatsächlicher Behauptung) zu 4 Monaten Gefängnis unter Anrechnung der dreiwöchigen Untersuchungshaft und zur Tragung der Kosten des Verfahrens verurteilt, wobei wegen Fluchtgefahr die 27 Aufgrund der noch gültigen Tausend-Mark-Sperre.

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Die Berichte

Strafe sofort anzutreten ist. Die vom 1. Staatsanwalt Dr. Grosser vertretene sachlich vorgetragene Anklage legte dem Angeklagten zur Last, dass er durch den in seinem Reisegepäck vorgefundenen, für die »Basler Zeitung« bestimmten, von dieser aber abgelehnten Artikel Gräuelnachrichten tatsächlicher Art verbreitet und damit dem Ansehen des Reiches und seiner Regierung großen Schaden zugefügt habe. Die inkriminierten Stellen waren folgende  : 1. Die unterdrückte Kirche wird auch im Kampfe mit dem Dritten Reich Sieger sein, das auf Mord und Brand errichtet ist. 2. Es hat keine Regierung gegeben und gibt keine, die rücksichtsloser gegen freie Meinungsäußerungen vorging und vorgeht. 3. Gewalt geht überall im Nazi-Reich vor Recht. 4. Hitler hat es verstanden, Herrn von Papen, wie alle, die ihm vertrauen, mit List und Revolver zu erledigen. Die dritte Klasse, die sich aus jenen Schichten zusammensetzt, die von der nationalsozialistischen Idee erfasst worden sind, sind vielfach vernichtet worden durch den unbeschreiblichen Terror und die fortgesetzten Ungerechtigkeiten, die sich die Machthaber des Dritten Reiches erlauben. 5. Die Nachwelt wird staunen, dass das Volk der Denker und Dichter von einigen Phantasten und Gewaltmenschen regiert wurde. Hierbei wies der Staatsanwalt darauf hin, dass die nationalsozialistische Revolution die unblutigste aller Revolutionen gewesen sei und hob die unter 1 und 4 angeführten tatsächlichen Behauptungen hervor, die eine versteckte Beziehung zu dem Reichstagsbrand bzw. zu den Ereignissen vom 30. Juni 1934 (Röhm-Putsch) beinhalten. Das Sachverständigengutachten des Gerichtsarztes Dr. Vogl, in dem die erbliche Belastung des Angeklagten von beiden Eltern, verschiedene Jugendkrankheiten, schwere Verletzungen während des Krieges (Verlust zweier Finger), Arteriosclerose, Darmkrebs und eine schwere Ohrenoperation nach überstandener Kopfgrippe festgestellt war, kam zu dem Schluss, dass der Angeklagte eine überaus reizbare Natur habe, dass aber weder Geisteskrankheit noch Bewusstseinsstörung vorliege, sodass Pfarrer Braun voll verantwortlich sei. Der Angeklagte verteidigte sich sehr würdevoll, er verwies darauf, dass er beim Auffinden des beanstandeten Artikels sich dahin hätte äußern können, dass dies ein nicht abgesandtes Konzept darstelle (da die Antwort der »Basler Zeitung« nicht beigelegen war), doch hätte er eine Lüge mit seiner Würde als katholischer Priester nicht in Einklang bringen können. Er habe anfangs mit der nationalsozialistischen Bewegung sympathisiert, da sie sich u. a. die Volksgemeinschaft zum Ziele setzte, doch konnte er der Praxis nicht folgen. Infolge seiner vielen Krankheiten sei er sehr reizbar und als er nach einer Kopfgrippe und darauf folgender Operation in Wörishofen Genesung suchte, sei er durch einen Vortrag des Gauleiters Streicher,28 der 28 Julius Streicher (1885–1946) war Volksschullehrer, trat 1921 der NSDAP bei und war Gründer der

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über das Thema »Juden und Schwarze« sprach und das Sakrament der Beichte herabsetzte, ferner durch einen Artikel der »Basler Zeitung«, der sich gegen die katholische Geistlichkeit in Bayern richtete, zu solcher Erregung gekommen, dass er die Erwiderung schrieb und sogleich absandte. Nach Rücklangen des Artikels sei er selbst erschrocken über den Inhalt  ; die Vernichtung unterblieb, da er in Wörishofen hierzu keine Gelegenheit hatte. Die Frage des Vorsitzenden, ob er die Absicht hatte, den Artikel einer österreichischen Zeitung anzubieten, verneinte er entschieden  ; er hätte ja in der Zeit vom November 1934 bis Mai 1935, in der er sich in Holland, Österreich und Südtirol befand, Gelegenheit genug hierzu gehabt. In Südtirol habe er den deutschen Brüdern wiederholt Mut zur Standhaftigkeit eingeflößt. Der Verteidiger Dr. Hauck (…) beantragte Freispruch. Falls das Gericht anderer Auffassung sein sollte, bitte er um Verhängung einer milden Geldstrafe. Pfarrer Braun bat im Schlusswort um seinen Freispruch. Bemerkenswert bei dem eingangs erwähnten Urteil, das mit Rücksicht auf die unter Anklage gestellten Punkte immerhin als milde zu bezeichnen ist, war, dass hierbei der vom Staatsanwalt selbst gemachten Anregung, wonach, falls der Gerichtshof die beantragte Gefängnisstrafe von 4 Monaten als zu hoch gegriffen erachte, das Verbrechen in Erwägung der Unbescholtenheit etc. auch mit einer niederen Strafe gesühnt werden könnte, keine Rechnung getragen wurde. (…) Der Salzburger Turnverein bittet am 10. Mai 1935 um die Genehmigung eines Gründungsschauturnens und Städtewettkampfe am 6. und 7. Juli 1935. An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. 1. Der Salzburger Turnverein begeht in diesem Jahre das Fest seines 75jährigen Bestandes und beabsichtigt aus diesem Anlasse am 7. Juli 1935 nachmittags auf der



Ortsgruppe München. 1923 gründete er das rassistische Hetzblatt »Der Stürmer« und war im selben Jahr Teilnehmer am Münchner Hitler-Putsch. 1924 vom Schuldienst suspendiert, wurde er 1933 Leiter des Zentralkomitees zur Abwehr der jüdischen Gräuel- und Boykotthetze und Mitglied des Reichstages. 1935 veröffentlichte er die Schrift »Deutsche Volksgesundheit aus Blut und Boden«. 1940 wurde er wegen der Behauptung, Göring sei impotent und seine Tochter Edda das Ergebnis einer künstlichen Befruchtung, aller Parteiämter enthoben, behielt jedoch den Titel »Gauleiter« und die Funktion eines Schriftleiters des »Stürmers«. 1946 wurde er als Kriegsverbrecher in Nürnberg hingerichtet. Vgl. zu Streicher und »Der Stürmer« Fred Hahn  : Lieber Stürmer  ! Leserbriefe an das NS-Kampfblatt 1924 bis 1945. – Stuttgart-Degerloch 1978. Zu Streicher im Nürnberger Prozess Gustave M. Gilbert  : Nürnberger Tagebuch. Gespräche der Angeklagten mit dem Gerichtspsychologen. – Frankfurt am Main 1962. S. 292ff.

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Rennbahn (Gemeinde Aigen) ein Gründungs-Schauturnen zu veranstalten. Dasselbe ist in einfachstem Rahmen beabsichtigt, die Vereinsmitglieder würden sich in der Nähe des Kurhauses treffen, von dort gemeinsam mit Musik zur Rennbahn marschieren, wo in der Zeit von ca. 2 bis 6 Uhr das rein turnerische Programm abgewickelt wird. Hierbei würde eine Musik mitwirken. Eine Ansprache ist nicht beabsichtigt. Wir bitten um die vorläufige Genehmigung für die Abhaltung dieses Gründungs-­ Schauturnens und werden rechtzeitig das genaue Programm und die Bürstenabzüge der beabsichtigten Veröffentlichung vorlegen. 2. Die größten Turnvereine Österreichs halten schon seit vielen Jahren untereinander alljährlich Städtewettkämpfe im Geräteturnen ab. Hierzu wird je eine Auswahlmannschaft der besten Geräteturner der Vereine entsandt. Heuer trifft die Durchführung dieses Städtewettkampfes den Salzburger Turnverein und ist beabsichtigt, denselben am 6. Juli 1935 abends im Festspielhause durchzuführen. Hierzu würden die besten Kunstturner aus Graz und Linz erscheinen und handelt es sich um einen Geräteturnwettkampf der drei Städte Graz, Linz und Salzburg. Auch hier wird ein rein turnerisches Programm lediglich von den durch die drei Städte gestellten Auswahlmannschaften bestritten. Wir bitten auch um Genehmigung der Abhaltung dieses Städtewettkampfes, welcher bis jetzt alljährlich in einer der größten Städte Österreichs abgehalten wurde. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 14. Mai 1935 Zl. 2569/5 Betr.: Salzburger Turnverein, Städtewettkampf und Schauturnen am 6. bzw. 7. Juli 1935. An das Bundeskanzleramt G. D./St. B. in Wien. In der Anlage wird ein Ansuchen des Salzburger Turnvereines um Genehmigung der Abhaltung eines Städtewettkampfes und eines Gründungsschauturnens mit Aufmarsch am 6. bzw. 7. Juli l. J. mit dem Berichte vorgelegt, dass gegen die Bewilligung der Veranstaltungen hieramts keine Bedenken bestehen, zumal die Wahrnehmung gemacht wurde, dass die Wiederzulassung der Tätigkeit der deutschvölkischen Turnvereine dazu beiträgt, die früher abseits gestandenen nationalen Bevölkerungskreise dem Staatsgedanken näherzubringen. Im Hinblicke auf das bestehende Versammlungsverbot wird gebeten, die Genehmigung des Aufmarsches zum Gründungsschauturnen von der Zustimmung des Herrn

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Vizekanzlers29 als obersten Führer der Turn- und Sportfront abhängig machen zu wollen und, um dem Salzburger Turnverein den zwecks Beginnes der Vorarbeiten bald erwünschten Bescheid zukommen lassen zu können, um ehestmögliche Entscheidung. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 22. Juni 1935 Geschäftszahl  : 333.028 G. D./St. B. 1935 Gegenstand  : Salzburger Turnverein, Städte-Wettkampf und Schauturnen am 6. und 7. Juli 1935. Gegen die Abhaltung der Feier des 75jährigen Bestandes des Salzburger Turnvereines auf der Rennbahn der Gemeinde Aigen nächst Salzburg und gegen die Durchführung des Städtewettkampfes ist im Allgemeinen nichts einzuwenden. Schwere Bedenken bestehen jedoch, den Aufmarsch des Deutschen Turnvereines am 7. Juli 1935 zu gestatten. Abgesehen davon, dass öffentliche Aufmärsche überhaupt nur von Korporationen und Vereinen durchgeführt werden sollen, die absolut im Regierungslager stehen, was vom Deutschen Turnverein bisher noch immer nicht behauptet werden kann, könnte der Aufmarsch der deutschen Turner auch als Demonstration gegen die vaterländische Bevölkerung Salzburgs ausgewertet werden. Überdies wäre unter Umständen dem Deutschen Turnverein auch die Möglichkeit zu demonstrativen Handlungen während dieses Aufmarsches gegeben. Sicherlich würde jedoch in der Gestattung dieses Aufmarsches eine Durchbrechung des oben erwähnten Prinzipes, dass Aufmärsche nur vaterländischen Formationen zu gestatten seien, bedeuten. Auch im Hinblick darauf, dass der Aufmarsch zur Zeit des stärksten Fremdenverkehres in Salzburg stattfinden soll, obwalten Bedenken gegen dessen Gestattung. Bevor jedoch das Verbot des Aufmarsches erfolgt, ist noch die Wohlmeinung der obersten Sport- und Turnfront einzuholen. Wien, 20. Mai 1935 Ref. K. E. – 153.611 Das gefertigte Referat ist der Ansicht, dass es derzeit nicht tunlich ist, dem in Rede stehenden Verein einen Aufmarsch während der größten Fremdenverkehrsperiode zu gestatten. Die gleiche Auffassung vertritt sowohl die Sport- und Turnfront als auch der Bundesstaatliche Verwalter des Deutschen Turnerbundes, der in dieser Angelegenheit gefragt wurde. Gegen die Bewilligung der Durchführung des Städtewettkampfes in Verbindung mit einem Schauturnen bestehen h. a. keine Bedenken. Wien, 22. Juni 1935 29 Ernst Rüdiger von Starhemberg

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 27. August 1935 Geschäftszahl  : 345.316 G. D./St. B. 35 Gegenstand  : Deutschfeindliche Schaukastenpropaganda im Bundesland Salzburg. Deutsches Konsulat Salzburg, 6. Juli 1935 Tgb. Nr. 1590 An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. In den Schaukästen der Vaterländischen Front und der Ostmärkischen Sturmscharen sind schon seit längerer Zeit Notizen und Artikel sowie auch Bilder ausgehängt, die nicht nur eine Herabsetzung der Einrichtungen im Deutschen Reich, sondern auch verleumderische Angriffe gegen den Führer und Reichskanzler sowie gegen andere Mitglieder der Regierung enthalten. Um einige Beispiele zu nennen, sei darauf hingewiesen, dass in dem Schaukasten am Mozartsteg ein Bild hing, auf dem dargestellt war, wie das deutsche Volk Kohlen nur noch pfundweise erhält und dass im gleichen Kasten zur selben Zeit auf einem anderen Bild die Leute in Reih’ und Glied anstehen mussten, um je einen kleinen Laib Brot zu erhalten. Daneben befand sich ein drittes Bild, das den Führer und Reichskanzler sowie andere Persönlichkeiten im Frack darstellte, wie sie an einem festlichen Gelage teilnahmen. In einem anderen Schaukasten der Ostmärkischen Sturmscharen zwischen dem Bankhaus Spängler und der Staatsbrücke befindet sich ein Aufsatz  : »Drei Märchen aus dem Leben. Herrn Minister Göring zur Hochzeit gewidmet«. Darauf folgt eine in äußerst gehässiger und verleumderischer Weise gehaltene Schilderung der Geschenke, die Ministerpräsident Göring anlässlich seiner Hochzeit erhalten hat.30 30 Im April 1936 heiratete Hermann Göring in zweiter Ehe die Schauspielerin Emmy Sonnemann. Adolf Hitler fungierte als Trauzeuge. Göring hatte nach dem Ersten Weltkrieg Deutschland verlassen und zunächst in Dänemark und anschließend in Schweden in der Zivilluftfahrt gearbeitet. In Schweden verliebte er sich in die Ehefrau des Offiziers Nils v. Kantzow, Karin v. Kantzow, geborene Baroness Fock. Karin v. Katzwow war Mutter eines achtjährigen Jungen. Ihr Mann willigte in eine Scheidung ein und sie heiratete Göring 1923 in München. Aufgrund ihres Vermögens konnte Göring, der inzwischen Mitglied der NSDAP geworden war, sorgenfrei leben, ohne einer geregelten Arbeit nachgehen zu müssen. Beim Hitler-Putsch 1923 wurde er verwundet, floh mit seiner Frau zunächst nach Tirol und schließlich über Italien nach Schweden. Um seine Schmerzen infolge der Verwundung zu bekämpfen, nahm er Morphium und wurde süchtig. 1925 wurde er wegen seiner Morphiumsucht in eine Klinik eingewiesen, nach wenigen Wochen als geheilt entlassen und nach einem Rückfall in die Nervenheilanstalt Långbo bei Stockholm.

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Im Schaukasten der Ostmärkischen Sturmscharen neben dem Hutgeschäft Blum in der Dreifaltigkeitsgasse befanden sich u. a. Zeitungsausschnitte und Bilder. Einer der Zeitungsausschnitte kritisierte die am 5. April 1935 von Reichsminister Rust vor einer Universität gehaltene Rede. Er bringt dieselbe zuerst angeblich im Originaltext und nimmt dann mit folgenden Worten dazu Stellung  : ›Ist das nicht Wahnsinn. (…) Wenigstens entging Herr Rust seinerzeit der Verurteilung wegen Unzucht nur deshalb, weil er in dem Gutachten des Gerichtsarztes für unzurechnungsfähig erNach einigen Wochen wurde er als geheilt entlassen und erhielt eine ärztliche Bestätigung, dass er während seiner Behandlung keine Anzeichen einer Geisteskrankheit gezeigt habe. Wie stark die Morphiumsucht Görings war, lässt sich nicht mehr genau feststellen, doch war diese in informierten Kreisen bekannt und wurde oftmals auch gegen ihn verwendet. 1927 konnte er mit seiner Frau aufgrund einer allgemeinen politischen Amnestie nach Deutschland zurückkehren und fungierte ab nun als Verbindungsmann der NSDAP zur Industrie sowie zur gesellschaftlichen Prominenz. Sein Hang zu Luxus und Wohlleben, der sich in seinem deutlich zunehmenden Leibesumfang dokumentierte, war allgemein bekannt (Der »dicke Hermann«). Er erwarb nach der Machtergreifung mehrere Schlösser und ließ 1934 ein monumentales Jagdgut in der Schorfheide in der Nähe von Berlin bauen, das er nach dem 1931 erfolgten Tod seiner ersten Frau zu deren Ehren »Karinhall« nannte. In dem vom deutschen Generalkonsulat beanstandeten Aufsatz hieß es  : »Märchen aus dem Leben  : Herrn Ministerpräsidenten Göring zur Hochzeit gewidmet. Es war einmal ein Fliegeroffizier aus Bayernland, der wollte gern ein Preuße sein. Und in dem Kriege bekam er den höchsten Orden, weil er sich mit fremden Federn schmückte. Und nachher machte er Schulden und kam im Schwedenland ins Narrenhaus. Dort wäre er heute noch, doch es entdeckte ihn der große Manitou. Der machte ihn zum Ministerpräsidenten in Berlin und zum General und noch zu vieltausend mehr. Und so lebte er herrlich und in Freuden und er nahm sich auch ein Weib, wer weiß wozu  ? Und zur Hochzeit kamen die braven Räuber aus aller Welt. Und der Reichsbauernführer überreichte ein kostbares silbernes Kaffeegedeck, ein Musterstück deutscher Handwerkskunst. Auch die Landesbauernführer überreichten die Geschenke ihrer Heimatgaue. Da gab es Pfefferkuchen aus Sachsen, Bernstein und zwei in Holz geschnitzte Trakehner Pferde aus Ostpreußen, Schafskäse und Schinken von der Insel Föhr, Handstickereien aus Schlesien, Neckarwein und Obst aus Schwaben, Schinken aus Westfalen und noch vieles mehr, nur keine Gans. Und der Stabschef Lutze (nach der Ermordung von Ernst Röhm 1934 war Viktor Lutze bis 1943 Stabschef der SA, Anm. d. Verf.) überreichte ›dem ersten Schildträger des Führers‹ ein Schweinslederschild und der Dr. Lippert (gemeint wahrscheinlich Julius Lippert, Staatskommissar für Berlin und ab 1936 Oberbürgermeister der Reichshauptstadt, Anm. d. Verf.) einen Scheck über 40.000 Mark. Und es kamen auch die Herren von der Industrie. Die Zigarettenkönige aus dem Orient brachten kostbare Jagdgobelins, Herr Flick, der Beherrscher mitteldeutscher Stahlwerke, schickte ein 240teiliges Kristallservice und Krupp ein Tischbesteck für 60 Personen, die IG Farben sandten Edelsteine, der Norddeutsche Lloyd stiftete die Eisbombe fürs Hochzeitsessen und es gab noch viele andere Sachen, auch aus dem Ausland, für die guten Devisen. Da kam kein böser Staatsanwalt. Und das Gesetz, es machte halt.«

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kannt wurde. In dieser Beziehung hat sich sein Zustand scheinbar bis heute noch nicht gebessert.‹31 Ein Bild (kolorierte Handzeichnung) in der Größe von etwa 20 bis 30 cm stellte einen SA-Mann dar, der ein zwei Mann großes Holzkreuz mit Christusfigur anspringt und abbricht. Ein zweiter SA-Mann steht daneben und wendet der Handlung den Rücken zu. Dieser zweite SA-Mann trägt das E. K. I. und sein Gesicht ist nur durch einen ovalen Kreis mit Fragezeichen angedeutet. Wer damit gemeint ist, bedarf keiner weiteren Ausführung. Unter dem Bild steht folgender Text  : ›Man reißt das Kreuz nieder im Dritten Reich und der geborene Katholik weiß nichts davon‹. Neuerdings enthält der Schaukasten anstelle der oben geschilderten Titel und Bilder eine Darstellung über die Vorgänge am 30.6.1934 unter der namentlichen Anführung der angeblichen Opfer jener Ereignisse.32 Am Schluss wird u. a. gesagt, dass der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler sowie der »Reichsjägermeister« Göring 31 Bernhard Rust (1883–1945) studierte Germanistik und Latein, war Leutnant der Reserve im 1. Weltkrieg, in dem er eine schwere Kopfverletzung erlitt und zweimal verschüttet wurde. Nach dem Weltkrieg war er Studienrat in Hannover, schloss er sich der völkischen Bewegung an und wurde 1925 NSDAP-Gauleiter von Hannover-Nord. Nach einem schweren Konflikt mit dem Oberpräsidenten verzichtet er, um einer Absetzung zuvorzukommen, auf seine Lehrtätigkeit, wurde jedoch im selben Jahr durch den Wahlsieg der NSDAP Mitglied des Reichstages. 1933 wurde bei ihm eine Trigeminusneuralgie diagnostiziert, die ihn immer mehr zum Alkohol greifen ließ, weshalb er auch als Alkoholiker bezeichnet wurde. Trotzdem wurde er 1934 Reichsminister für NS-Erziehungsanstalten und Universitäten. Seine Amtsführung war chaotisch und Goebbels bezeichnete sein Ministerium in einer Tagebucheintragung 1937 als »Sauhaufen«. Der amerikanische Journalist William L. Shirer bemerkte in seinen Erinnerungen an seinen Aufenthalt im Dritten Reich, er habe Rust im Rahmen der von Alfred Rosenberg vor allem für die ausländische Presse regelmäßig veranstalteten Bierabende im Berliner Hotel »Adlon« kennengelernt. »Seine Qualifikation für diese Position an der Spitze des deutschen Bildungswesens, auf das einst die ganze westliche Welt neidvoll geschaut hatte, war erstaunlich. 1930 hatten ihn die Behörden der Weimarer Republik wegen ›psychischer Labilität‹ aus dem Schuldienst entlassen. Vielleicht hing diese Labilität mit seiner fanatischen Anhängerschaft an die ›Bewegung‹ zusammen. Aus der Lektüre von Mein Kampf wusste ich, dass Hitler für Lehrer stets nur schneidende Verachtung übriggehabt hatte. Keiner von ihnen hatte auf der Realschule seine Genialität erkannt, sodass er sie ohne Abschluss verlassen musste, und in Wien hatte man ihm den Zutritt zur Kunstakademie wegen mangelnder Begabung versagt. Das vergaß er ihnen bis zum letzten Tag seines Lebens nicht, und so war es auch kein Wunder, dass Dr. Rust im Auftrag seines Meisters reihenweise Lehrer aus dem Schuldienst entließ  : in den ersten fünf Jahren der Hitlerherrschaft etwa 2800 Hochschullehrer- etwa ein Viertel der Gesamtzahl.« (Shirer  : Das Jahrzehnt des Unheils 1930–1940. S. 111f.) 32 Nachdem SA-Stabschef Ernst Röhm eine »zweite Revolution«, von der die SA zu Lasten der Reichswehr profitieren sollte, gefordert hatte, erfolgte im sog. Röhm-Putsch am 30.6.1934 die Liquidierung der SA-Führung um Röhm durch die SS im Auftrag Hitlers und mit wohlwollender Duldung der Reichswehr. Bei dieser Gelegenheit wurden auch politisch Opponenten und Gegner Hitlers ermordet wie General Kurt von Schleicher und seine Frau, sein Mitarbeiter Generalmajor Kurt von Bredow, die engen Mitarbeiter Franz von Papens Edgar Jung und Herbert von Bose, Erich Klausner, der Leiter

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hierfür verantwortlich seien. Unter dem Namen des Führers läuft ein roter Strich. Der Zweck dieser Darstellung wie auch die Benennung des Ministerpräsidenten Göring als »Reichsjägermeister« ist so durchsichtig, dass hierüber wohl weiteres nicht gesagt zu werden braucht.33 (…) Ich habe schon seit längerem mit dem Herrn Chef der hiesigen Bundespolizeidirektion verhandelt. Es ist auch verschiedentlich die Entfernung von besonders gehässigen Artikeln und Bildern erfolgt und darf mit Befriedigung hier festgestellt werden, dass in den Schaukästen der Vaterländischen Front, soweit hier feststellbar, seit geraumer Zeit keine derartigen Hetzartikel oder -bilder mehr erschienen sind. Dagegen werden in den Schaukästen der Ostmärkischen Sturmscharen die Artikel und Bilder nur entfernt, um neuen gehässigen Angriffen gegen Deutschland und seine Regierung Platz zu machen. Es bedarf keiner Ausführung, dass derartige Hetzartikel und -bilder von den zahlreichen Reichsdeutschen, die hier ihre zweite Heimat gefunden haben und ihren staatsbürgerlichen Verpflichtungen gegen Österreich stets loyal nachkommen, nur mit größter Bitterkeit zur Kenntnis genommen werden. Abgesehen davon tragen die Artikel und Bilder, wie keiner Ausführung bedarf, ganz erheblich zur Vergiftung der politischen Atmosphäre bei, was weder den Behörden des Landes Salzburg noch auch dem ruhig gesinnten Teil der hiesigen Bevölkerung erwünscht sein dürfte. Soweit die Artikel und Bilder Beleidigungen oder Herabsetzungen der deutschen Reichsregierung oder deren Mitglieder enthalten, bin ich beauftragt, gegen diese fortgesetzten Beleidigungen oder Verleumdungen schärfste Verwahrung einzulegen. Soweit der Tatbestand einer nach den österreichischen Strafgesetzen gerichtlich zu verfolgenden Handlung vorliegt, muss ich mir wegen Bestrafung der etwa ermittelten hierfür verantwortlichen Personen entsprechende Anträge vorbehalten. Um eine gefällige Mitteilung, ob die Bundespolizeidirektion sich in der Lage sieht, dem Vorgehen der Ostmärkischen Sturmscharen Einhalt zu gebieten, darf ich ergebenst bitten.

der »Katholischen Aktion«, Gregor Strasser, oder der ehemalige bayerische Generalstaatskommissar Gustav Ritter von Kahr. Vgl. Heinz Höhne  : Mordsache Röhm. Hitlers Durchbruch zur Alleinherrschaft 1933–1934. – Reinbek bei Hamburg 1984  ; Peter Longerich  : Die braunen Bataillone. Geschichte der SA. – München 1989. S. 206ff. 33 Göring war in die Aktion von Anfang an eingebunden und erweiterte im Laufe des 30. Juni 1934 die Aktion in Richtung der politischen Gegner. Dies wurde am Abend des 30. Juni deutlich, als er in einer Pressekonferenz erklärte  : »Ich habe meine Aufgabe erweitert, indem ich auch gegen diese Unzufriedenen einen Schlag führte.« (Longerich  : Die braunen Bataillone. S. 218.)

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 12. Juli 1935 Zl. 6094 Betr.: Deutschfeindliche Schaukastenpropaganda. 1. An die Landesleitung der Vaterländischen Front, 2. An die Landesführung der Ostmärkischen Sturmscharen, 3. An die Landesführung des Heimatschutzverbandes Salzburg. In den Schaukästen der vaterländischen Organisationen gelangen öfter Notizen, Artikel und Bilder zum Anschlag, in denen reichsdeutsche Verhältnisse, Einrichtungen sowie Persönlichkeiten kritisiert werden. Die Geschehnisse der letzten Jahre und die Angriffe, denen Österreich seitens Deutschland in jeder Form ausgesetzt war, stellen ein gerüttelt Maß reichsdeutscher Schuld dar. Die Erbitterung hierüber ist nur allzu berechtigt und verständlich. Andererseits war vornehme Gesinnung von jeher ein Vorzug des österreichischen Charakters. Die Interessen des Internationalen Fremdenverkehres in Salzburg gebieten nunmehr aus Rücksichten der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit die vornehme österreichische Gesinnung auch in der Schaukastenpropaganda walten zu lassen und jegliche Angriffe auf reichsdeutsche Regierungsmitglieder und sonstige Persönlichkeiten oder Einrichtungen des öffentlichen Lebens sowie Kritiken, die als böswillige Darstellungen reichsdeutscher Verhältnisse ausgelegt werden können und zu peinlichen Interventionen Anlass geben, zu unterlassen. Ich rechne mit dem vollen Verständnis der Landesleitung/Landesführung für diese vom Standpunkte des öffentlichen Sicherheitsdienstes unbedingt notwendige Maßnahme und erwarte, dass derselben durch entsprechende Einwirkung innerhalb der Organisation restlos Rechnung getragen und kein Anlass zu einem behördlichen Einschreiten gegeben werde. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 12. Juli 1935 An das Deutsche Konsulat in Salzburg. Mit Bezug auf das Schreiben vom 6. Juli 1935, Tgb. Nr. 1590, und die persönliche Vorsprache des Herrn Generalkonsuls beehrte ich mich mitzuteilen, dass zwecks Abstellung von gegen offizielle Persönlichkeiten und Einrichtungen des Deutschen

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reiches gerichteten Auswüchsen in der Schaukastenpropaganda die geeignet erscheinenden Verfügungen getroffen wurden. Gleichzeitig habe ich an das Bundeskanzleramt mit dem Antrage berichtet, die erforderlichen Schritte zwecks reziproker Vorgangsweise auch im Deutschen Reiche einleiten lassen zu wollen. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Interne Stellungnahme der Politischen Abteilung vom 24. August 1935. An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. Unter Bezugnahme auf den oben zitierten Bericht werden Euer Hochwohlgeboren in Kenntnis gesetzt, dass die reichsdeutsche Presse in ihren Blättern einer systematischen Hetze gegen Österreich seit längerer Zeit Raum gibt. Verschiedene, vom österreichischen Gesandten in Berlin gegen die Schreibweise der reichsdeutschen Presse vorgebrachte Vorstellungen und Beschwerden blieben unter dem Hinweis, dass der deutschen Regierung keine gesetzlichen Mittel zur Verfügung stehen, um die deutsche Presse von einer derartigen Schreibweise abzuhalten, erfolglos.34 Die gegen Österreich betriebene Hetze beschränkte sich nicht nur auf allgemein vollkommen unwahre und erlogene Darstellungen der österreichischen politischen Verhältnisse, sondern beinhaltet auch die perfide und gemeinste Herabsetzung und Verhöhnung der Mitglieder der österreichischen Bundesregierung. Aufgrund dieses Verhaltens der reichsdeutschen Presse wurde h. o. verfügt, dass bei Beleidigungen deutscher Regierungsmitglieder durch die österreichische Presse eine Bestrafung bis auf weiteres nicht zu erfolgen habe.35 Bei einer eventuellen neuerlichen Beschwerde des reichsdeutschen Konsuls in Salzburg ist dieser dahin zu bescheiden, dass von reichsdeutscher Seite die Mitglieder der österreichischen Bundesregierung in gehässiger und beleidigender Weise angegriffen und die österreichischen Verhältnisse, wie dies z. B. aus einer Artikelserie des »Völkischen Beobachters« mit dem Titel »Österreich 1935 – Land der Bedrückung« hervorgeht, gänzlich unrichtig dargestellt werden. Auch in den Zeitschriften der militärischen Organisationen der NSDAP, »Der SA Mann« und »Das Schwarze Korps« finden sich ständig die österreichischen Verhältnisse herabwürdigende Arti-

34 Die massiven Angriffe der deutschen Presse auf Österreich bildeten auch regelmäßig den Gegenstand des Notwechsels sowie der Gespräche zwischen dem österreichischen Außenminister Egon Berger von Waldenegg und dem deutschen Gesandten in Wien Franz von Papen. Vgl. ADÖ 10/1504 und 1543. 35 Der Text der internen Stellungnahme inklusive dieser Passage wurde in der Endversion aus diplomatischen Gründen gestrichen und der dem Sicherheitsdirektor übermittelte Text setzte erst ab dem folgenden Absatz ein.

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kel, ohne dass es in der Macht oder im Willen der reichsdeutschen Behörden liegen würde, hier Abhilfe zu schaffen. Beschwerden des deutschen Konsulates, die sich gegen die Darstellung des Kampfes der NSDAP gegen die Katholische Kirche richten, können jederzeit sehr leicht mit den offiziellen deutschen Anschlägen und Erklärungen in der Parteipresse wirkungslos gemacht werden. Jedenfalls besteht unter den gegebenen Verhältnissen nicht der geringste Anlass, reichsdeutsche Beschwerden dieser Art in irgendeiner Weise entgegenzukommend zu befürworten. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 28. August 1935 Geschäftszahl  : 353.324 G. D./St. B. 35 (Nachzahlen  : 359.433/35 St. B.) Gegenstand  : Buchhandlung Eduard Höllriegl, Salzburg  ; Reklame für nationalsozialistische Bücher. Leiter des Informationsdienstes Im Generalsekretariat der Vaterländischen Front Wien, 21. August 1935 Exh. Nr. 415/35. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit. BERICHT Betrifft  : Buchhandlung Eduard Höllrigl, Salzburg. Die vorangeführte Buchhandlung versendet ein Verzeichnis von demnächst erscheinenden und bei derselben erhältlichen Bücher, u. a.: SA STUR MBA N NFÜHRER W ER NER SCHÄ FER »Konzentrationslager Oranienburg« Immer noch fühlen sich Emigranten berufen, ungerechtfertigterweise das Lager anzugreifen und Gräuellügen zu verbreiten. Hier ist die Antwort  : der sachliche Bericht des Kommandanten über sein Lager. DIPLOM ATICUS »100 Diplomaten und Journalisten« Aus dem Vorwort des Staatskommissars der Hauptstadt Berlin, Dr. Julius Lippert  : Ich wünsche dem Buch schon deshalb größte Verbreitung im In- und Auslande, weil es zeigt, wie ein unbekannter Nationalsozialist sich für die nationale Sache einsetzt. DR. SIZZA K A RISK A K IS »Das Dritte Reich durch meine Brille«

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Völkischer Beobachter, Berlin  : Dass sie an manchen Stellen ihre Vorbehalte macht, wird ihr niemand von uns verübeln, sondern eben als eine Aufrichtigkeit anerkennen. Von Vorstehendem wird zwecks geeigneter Verwertung Kenntnis gegeben. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 18. September 1935 Zl. 7381/1 (359.433-35) Betr.: Buchhandlung Eduard Höllrigl Salzburg, Reklame für nationalsozialistische Bücher. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St. B., in Wien. Auf Erlass G. D. 353.324 St. B. vom 27.8.1935 folgt der Bericht der Polizeidirektion Salzburg, dem ich nichts hinzuzufügen habe. Für die Buchhandlungsfirma Eduard Höllrigl ist Kommerzialrat Adolf Stierle verantwortlich und gab dieser an, dass die Firma die Bücher »Konzentrationslager Oranienburg«, »100 Diplomaten und Journalisten« und »Das Dritte Reich durch meine Brille« nie am Lager hatte, hierfür auch nie Bestellungen entgegennahm und auch solche Bücher nie verkaufte. Die Firma steht mit deutschen Verlagsbuchhandlungen in Geschäftsverbindung und bekommt von diesen auch Prospekte und Bücherverzeichnisse übermittelt. Diese Verzeichnisse und Prospekte werden von Stierle und dessen Sohn einer genauen Kontrolle unterzogen, bevor sie zu verkaufenden Büchern beigelegt werden. Kommerzialrat Stierle gab allerdings die Möglichkeit zu, dass infolge Versehens ein nicht überprüfter Bücherprospekt in einem Buch, welches vom Auslande bezogen wurde, liegen blieb. Kommerzialrat Stierle wurde streng verwarnt und hat die Erklärung abgegeben, alle Vorkehrungen zu treffen, dass in Hinkunft nicht überprüfte Bücherprospekte den Büchern nicht beigepackt werden. Kommerzialrat Stierle ist politisch einwandfrei und konnten über ihn in politischer Beziehung nachteilige Wahrnehmungen bis nun nicht gemacht werden.

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 14. September 1935 Geschäftszahl  : 358.250 G. D./St. B. 35 (Nachzahlen  : 365.167 St. B. 35.) Gegenstand  : Karl und Gottfried von Einem  ; Perlustrierung in Salzburg. An das Präsidium der Bundespolizeidirektion in Salzburg. Generalmajor d. R. von Einem hat folgende Beschwerde eingebracht. (…) Es ergeht die Einladung, über den der vorstehenden Beschwerde zugrunde liegenden Sachverhalt ehesttunlich zu berichten. Generalmajor d. R. William von Einem Wien, 7. September 1935 Schilderung Der Vorfälle am Hauptbahnhof in Salzburg am 7. Juli 1935. An diesem Tage sind meine beiden Söhne Gottfried (17 Jahre) und Karl (16jährig) von München mit dem Zug D 13 um die Mittagszeit in Salzburg eingetroffen.36 Auf der Grenzstation wurden sie im Zollraum von den österreichischen Beamten abgefertigt und erhielten im Pass den Stempel der Einreise, während sie von den Beamten der deutschen Gestapo einem Verhör und einer Leibesvisitation unterzogen wurden, die so lange dauerte, dass sie den Zuganschluss nach Schladming versäumten. Sie waren daher gezwungen, auf dem Bahnhof in Salzburg bis zum Zug um 16 Uhr 25 zu verbleiben. Als die in diesem von Salzburg abgehenden Zuge Platz genommen hatten, trat in ihr Coupé ein uniformiertes Organ der österreichischen Bundespolizei, ließ den Vorhang am Fenster nieder, verlangte die Vorweisung der Reisepässe, machte sich 36 Gottfried von Einem wurde am 24. Jänner 1918 in Bern geboren, wo sein Vater, Oberst William von Einem, die Position eines Militärattachés innehatte. Seine Mutter war Gerda Louise von Einem, die einen eleganten Salon führte. William von Einem wurde in den letzten Kriegsmonaten an die Italienfront abkommandiert und wurde zum Generalmajor befördert. Nach dem Krieg ließ er sich in Wien als Geschäftsmann nieder. Gerda Louise von Einem verließ Bern mit ihren drei Kindern 1921 und ließ sich ein Jahr später in Malente-Gremsmühlen in Schleswig-Holstein nieder, wo sie eine große Villa im Stil eines englischen Landsitzes erworben hatte. Malente-Gremsmühlen blieb bis 1938 das Stammhaus der Familie von Einem, wenngleich William und Gerda Louise von Einem nur selten anwesend waren. Daneben besaß die Familie ein Anwesen in der Steiermark sowie ein vor allem von William von Einem bewohntes Haus in Wien. Zur Zeit des geschilderten Vorfalls besuchte Gottfried von Einem das Gymnasium in Ratzeburg, ca. 30 km von Malente-Gremsmühlen entfernt.

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daraus Notizen und unterzog meine Söhne einem Verhöre nach Eltern, Reisezweck und Dauer. Als einer meiner Söhne auf die Frage, wie lange sie in Ramsau bei Schladming bleiben würden, antwortete  : 4 bis 5 Wochen, sagte ihm der Polizist  : »Was soll das heißen, vier oder fünf Wochen  ?« Nachdem er sein Verhör beendet hatte, beanstandete er noch bei einem meiner beiden Söhne, weil er eine schwarze Reithose und hohe schwarze Reitstiefel trug, und sagte ihm  : »Wenn Sie noch einmal aus dem Zuge aussteigen (wozu ja nicht der geringste Anlass vorlag), so werde ich sie einer Leibesvisitation unterziehen.« Ist der Vorgang, zwei junge Leute, die bereits ihre Pässe ordnungsgemäß vorgewiesen und abstempeln ließen, nochmals und als einzige Personen des von Salzburg abgehenden österreichischen Zuges zur Passvorweisung anzuhalten, auffallend, so ist es unverständlich, warum die beiden, die am Salzburger Bahnhof nichts weiter als ein Mittagessen eingenommen hatten, durch Zuziehen der Vorhänge, Schließen der Türe etc. einem Verhöre unterzogen wurden, das in jedem der im Waggon Mitreisenden die Meinung aufkommen lassen musste, als wenn hier zwei schwer verdächtige Burschen eingestiegen seien. Besonders auffallend wird aber dieser Vorfall durch folgenden Umstand. Als meine beiden Söhne im Coupé beim Fenster Platz genommen hatten, bemerkte der eine von ihnen, dass einer der deutschen Gestapo-Beamten, die meine Söhne so lange untersucht hatten, mit dem österreichischen Polizisten vor dem Zuge stand und diesen durch ein fast unmerkliches Zeichen auf meine beiden Söhne hinwies, so dass der eine Sohn zu dem anderen sagte  : »Pass auf, jetzt kommt der Österreicher auch noch einmal.« Tatsächlich steuerte der Polizist auch direkt auf dieses Coupé zu und verließ es nachher, ohne andere Passagiere anzusehen. Es wäre dieser Vorgang vollkommen unverständlich, wenn nicht eben die Aufmerksamkeit des Polizisten auf die beiden jungen Leute hingelenkt worden wäre. Es ist wohl anzunehmen, dass der Polizist diese Verständigung nicht zugeben wird, denn mein Sohn, der zufällig hinsah, sagte, sie wären höchst unauffällig erfolgt. Dass Österreicher, die aus dem Deutschen Reich ausreisen, von den deutschen Grenzbehörden einer oft sehr langen Untersuchung unterzogen werden, kommt ja oft vor. Dass sie aber, wenn diese resultatlos verlaufen, dann durch den Einfluss der deutschen Beamten noch durch österreichische Organe einer ähnlichen zweiten Untersuchung unterzogen werden, ist jedenfalls mehr als auffallend.

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Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 14. Oktober 1935 Zahl  : 555 res 1935. Betreff  : Karl und Gottfried von Einem. Verlustrierung in Salzburg. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St. B., in Wien. Zum Erlasse vom 13.9.1935, Zahl  : 358.250 St. B., beehrt sich die Bundespolizeidirektion Nachstehendes zu berichten  : Am 7.7.1935, knapp nach der Wachablösung um 1 Uhr mittags, wurde der Rayonsposten am Wachzimmer Bahnhof, Polizeiwachmann Martin Bauchinger, welcher ein äußerst gewissenhafter Wachebeamter ist, durch den Wachebeamten Rebernig aufmerksam gemacht, dass am Bahnhofe Salzburg zwei junge Männer sich aufhalten, welche scheinbar Uniformstücke von SA-Leuten tragen. Kurz hernach wurde der obgenannte Wachebeamte auch von einem Bahnsteig-­ Schaffner auf die beiden aufmerksam gemacht. Unterdessen hatten die beiden Reisenden den bereitstehenden D-Zug, der um 16 Uhr 25 von Salzburg abgeht, bestiegen. Der Wachebeamte nahm daraufhin eine Perlustrierung dieser Reisenden vor, wobei er mit der größten Schonung vorging und aus diesem Grunde auch, um jedem Zuschauer von der Amtshandlung abzuhalten, den Fenstervorhang bei dem Coupéfenster herabließ. Die beiden Reisenden trugen tatsächlich Stiefel und Hosen, welche der SA-Uniform vollkommen ähnlich waren. Die Perlustrierung verlief ergebnislos. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich noch anzuführen, dass am 21. November 1934 die Bundespolizeidirektion durch Herrn Polizeioberkommissär Dr. Nagy vom Bundeskanzleramt, Staatspolizeiliches Büro, beauftragt wurde, einer Frau Gerda Louise von Einem bei ihrer eventuellen Ein- und Ausreise besonderes Augenmerk zuzuwenden, da diese Dame in dem Verdacht stehe, Kurierdienste zu leisten. Der Wachebeamte, dem dies bekannt war, hat die in Rede stehenden Reisenden, da mit Sicherheit anzunehmen war, dass sie mit Frau Gerda Louise Einem verwandt sind, auch nach der Perlustrierung im Auge behalten. Es entspricht nicht den Tatsachen, dass Polizeiwachmann Bauchinger von deutschen Organen auf die Reisenden aufmerksam gemacht wurde. Richtig hingegen ist es, dass tatsächlich die beiden Reisenden von den Organen der deutschen Grenzpolizei einer eingehendsten Kontrolle unterzogen wurden.

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 26. Oktober 1935 Zl. 8393 (367.526/35) An das Bundeskanzleramt G. D./St. B. in Wien. Da wirtschaftliche Verhältnisse insbesonders in bäuerlichen Kreisen von politischer Bedeutung sind, wird folgender Bericht über den Herbstrindermarkt in St. Johann im Pongau erstattet  : Am 7. und 8. Oktober 1935 wurden im Markte St. Johann im Pongau laut Angabe der Marktgemeinde St. Johann im Pongau, welche das Standgeld für jedes Stück Vieh einhob, 1463 Stück Vieh aller Gattungen aufgetrieben. Wie festgestellt werden konnte, wurden 1400 Stück Vieh verkauft und selbes zum Großteile verladen. Insgesamt wurden 72 Waggon mit 1356 Stück Vieh verladen und für ihre Bestimmungsstationen wie Stadt Salzburg und Umgebung, Oberösterreich, Niederösterreich und Wien abgefertigt. Der Hauptkauf wurde von der Bundesregierung mit insgesamt 518 Stück Vieh getätigt. Diese Aktion wurde von der bäuerlichen Bevölkerung des Pongaues und überhaupt von sämtlichen Verkäufern auf das herzlichste begrüßt und löste unter den Verkäufern hinsichtlich des Viehpreises äußerste Befriedigung aus.37

37 Der mit der Weltwirtschaftskrise einsetzenden Agrarkrise zu Beginn der Dreißigerjahre versuchte die österreichische Bundesregierung mit einer Reihe von Lenkungsmaßnahmen zu begegnen. Im Bereich der für die alpenländischen Agrarier besonders wichtigen Viehwirtschaft wurde Ende 1931 das Viehverkehrsgesetz verabschiedet, dessen Ziel es war, angesichts der international gestiegenen Vieh-/ Fleischproduktion und dem damit verbundenen Preisdruck, einen weitgehend geschützten inländischen Markt zu schaffen, der nur insoweit für Exporte geöffnet sein sollte, als dies für die heimische Preisentwicklung als notwendig bzw. verträglich definiert wurde. Zu Jahresbeginn 1932 folgte das Viehfondsgesetz, mit dem durch Stützungszahlungen zur Überwindung der Preisdifferenzen zwischen In- und Ausland der Absatz von Vieh und Fleisch erleichtert werden sollte. Da sich die Schweinezucht durch Futtermittelimporte erheblich erhöht und dies auch einen Wechsel im Konsumverhalten weg vom teuren Rindfleisch hin zum billigeren Schweinefleisch zur Folge hatte, wurde 1933 das Futtermittellizenzgebührengesetz verabschiedet. Die Futtermittellizenzgebühren bezogen sich auf Mais, Gerste und Futtermehle und dienten vor allem dazu, den rinderhaltenden Bergbauern zu helfen. Zusätzlich wurde die Schweinehaltung auf betriebsfremder Grundlage verboten und ab April 1934 die Verwertung von Schlachtscheinen temporär mit einer Sonderabgabe belegt. Eine weitere Maßnahme war 1935 der temporäre Ankauf von Vieh zu Fixpreisen durch die Bundesregierung, um einen weiteren Preisverfall zu stoppen. Die strukturellen Probleme blieben jedoch vor allem auch deshalb bestehen, weil die Permanenz der wirtschaftlichen Krise den Inlandskonsum deutlich sinken ließ und Exporten durch die internationale Hochzollpolitik deutlich Grenzen gesetzt waren. Vgl. Senft  : Im Vorfeld der Katastrophe. S. 424ff.

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Gegenüber den zivilen Händlern waren die Viehverkäufer äußerst aufgebracht, da dieselben für Nutzvieh niedrige Preise boten und weiterhin, trotz der gefallenen Viehpreise, den Preis noch drückten. Hierzu hat der Bezirkstierarzt in St. Johann im Pongau beigefügt, dass der größte Teil der aufgetriebenen Tiere sogenannte Einstellvieh war, das aus Jungvieh besteht, das, von den Almen mager kommend, erst auf Mästung gestellt werden muss. In der Zahl von 1356 Stück ist das sogenannte Zustellvieh nicht inbegriffen, sodass die tatsächliche Zahl ca. 1800 betrug. Ohne die großzügige Aktion der Bundesregierung wäre der Preis pro Kilo Einstellware auf 40 Groschen zurückgegangen, gleichbedeutend mit einer wahren wirtschaftlichen Katastrophe. So konnten die Preise auf 0,55 bis 0,75 S gehalten werden und haben sich wenigstens nicht verschlechtert. Immerhin liegen sie 30 Prozent unter der Grenze (gemeint ist wohl »über der Grenze«, Anm. d. Verf.), die einer lebensfähigen Bauernwirtschaft hier gesteckt sind. Demgemäß dankt die Bauernschaft der Regierung für ihr Eingreifen, befindet sich aber in gedrückter, vielfach mutloser Stimmung. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 30. November 1935 Zl. 3566/10 (375.433/35) An das Bundeskanzleramt St. B. in Wien. In der Nacht zum 29. November 1935 wurden im Stadtgebiete Salzburg sowohl in einigen Privatbriefkästen als auch in den Straßen Flugzettel im Ausmaße von ca. 13/22 cm verteilt resp. gestreut. In der Anlage werden diese Flugzettel, welche anscheinend in geringer Zahl hergestellt wurden, zur Kenntnis vorgelegt.38 38 Beide Flugzettel waren das Ergebnis der sich aus der Sicht Österreichs angesichts des von Italien am 3. Oktober 1935 begonnenen Abessinienkrieges dramatisch ändernden außenpolitischen Lage. Bisher hatte die von konservativ-liberalen Berufsdiplomaten wie Staatssekretär Fulvio Suvich und Kabinettschef Baron Pompeo Aloisi (mit)gestaltete Außenpolitik Roms eine tendenziell deutschfeindliche Linie verfolgt und sich, bei aller Betonung der eigenständigen Position im Konzert der internationalen Diplomatie, Großbritannien und Frankreich verbunden gefühlt, so änderte sich diese Position im Herbst 1935. Großbritannien und Frankreich verurteilten im Rahmen des Völkerbundes die italienische Intervention in Abessinien und stimmten deutlich abgeschwächten Völkerbundsanktionen zu. Sowohl Österreich wie Ungarn boykottierten, gebunden durch die ein Jahr zuvor abgeschlossenen Römischen Protokolle, die Maßnahmen des Völkerbundes, wodurch gerade das auf internationale Solidarität angewiesene Österreich in eine drohende außenpolitische Isolation geriet. Als sich die militärische Entwicklung in Abessinien keineswegs im Sinne Roms entwickelte, signali-

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Gegenwärtig rollen täglich Hunderte von Waggons Waren über die Schweiz von Deutschland nach Italien. Der Dritte Reich will also am Abessinienkrieg schwer verdienen. Bei uns flüstern die Nationalsozialisten über Freundschaft mit Italien, regen sich auf über die Hilfe für den welschen Verräter, weil wir unsere Handelsbeziehungen mit Italien durch die Sanktionen nicht zerstören lassen wollen. Wa s f o l g t d a r a u s    ? Die österreichischen Flüsterer sind entweder dumm oder Sie werden von den Sanktionsverdienern im reiche Adolf Hitlers bezahlt. N a t i o n a l s o z i a l i s t e n    ! P a r t e i g e n o s s e n    ! Es ist einer neuer Beweis der Abhängigkeit Österreichs von Italien und ein schändlicher nationaler Verrat, dass sich die österreichische Regierung an den Sanktionen gegen Italien nicht beteiligt und dadurch den welschen Erbfeind im Kampfe gegen die Freiheit und Unabhängigkeit Abessiniens unterstützt. Wenn das Dritte Reich nach Italien liefert, so ist das etwas ganz anderes, denn es braucht dringend Devisen, um damit die notwendigsten Lebensmittel und Rohstoffe im Ausland kaufen zu können. N a t i o n a l s o z i a l i s t e n    ! Meldet Euch in Massen zum Eintritt in die glorreiche abessinische Armee und kämpft unter den Fahnen des Negus, des echten Abkömmlings König Salomons, gegen den welschen Erbfeind und gegen die volksverräterische österreichische Regierung  ! Heil Hitler  ! Heil Haile Selasie  !



sierte Berlin, dass es dem bedrängten Italien die so dringend benötigten Rohstoffe liefern könnte. Die bald einsetzenden massiven deutschen Kohle- und Öllieferungen nach Italien nutzten vor allem auch der deutschen Wirtschaft, da sie seitens Italiens mit den in Deutschland so begehrten Devisen bezahlt wurden. Obwohl das Auswärtige Amt in Berlin die Änderung der italienischen Außenpolitik zunächst als bloß temporäre Taktik Mussolinis beurteilte, um mit der deutschen Karte Paris und London unter Druck zu setzen, ging Hitler auf dieses Angebot demonstrativ ein. Die Folge war, dass der bis dahin tobende Pressekrieg – auch in der Abessinienfrage – eingestellt und die Stresa-Front endgültig begraben wurde.

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Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 14. Jänner 1936 Zahl  : 1101/8-35 Betreff  : Vortrag des Dr. S. Gronemann, Thema  : »Das jüdische Volk auf der Weltbühne«. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St. B., zu Handen des Herrn Ministerialrates Bruno Hantsch in Wien I., Herrengasse 7. Am 13. Jänner 1936 fand im Festsaal des Hotels »Habsburg« ein von der zionistischen Ortsgruppe Salzburg39 veranstalteter Vortrag über das Thema »Das jüdische Volk auf der Weltbühne« von Dr. Samuel Gronemann statt. Der Vortrag war nur von geladenen Gästen besucht und hatten 45 Personen der Einladung Folge geleistet. Die Bundespolizeidirektion hat zu diesem Vortrag einen Konzeptsbeamten entsandt und verlief dieser Vortrag ohne Anstand. Die geladenen Gäste wurden von dem Vorstand der Ortsgruppe Salzburg, Dr. Paul Schwarz, begrüßt, worauf Rabbiner Dr. Samuel (David) Margules an die Erschienenen eine kurze Ansprache richtete, in welcher er ausführte, dass er alle Juden zum Protest aufrufe gegen die bevorstehende Zusammensetzung des Legislativ Councel in Palästina, der nun über Anregung Englands eine für die dortigen Juden äußerst bedrohliche Stimmenteilung mit den ihnen feindlich gesinnten Arabern bringen sollte, ganz anders, als dies im Palästina Mandat des Völkerbundes den Juden zugesichert worden sei  ;40 er versicherte jedoch, dass in diesen Belangen alle Juden der 39 Die zionistische Bewegung war in den jüdischen Gemeinde Salzburgs eine Minderheit und erreichte 1929 bei der Wahl zum Kultusvorstand 4 der 12 Mandate. Namentlich sind Walter Schwarz und Rudolf Ornstein als Zionisten bekannt. (Monika Koller, Hanns Haas  : Jüdisches Gemeinschaftsleben in der Ersten Republik. -In  : Marko Feingold (Hg.)  : Ein ewiges Dennoch. 125 Jahre Juden in Salzburg. – Wien/Köln/Weimar 1993. S. 171–176. S. 175. 40 Die nach dem 1. Weltkrieg mithilfe des 1919 ins Leben gerufenen Völkerbundes geschaffene Mandatsherrschaft wurde mit quasi-religiöser Teminologie begründet. Die nunmehr von den Mandatsmächten verwalteten Gebiete sollten durch die jeweilige Mandatsmacht das »heilige Gut der Zivilisation« kennenlernen. Der »beste Weg«, dieses Ziel zu erreichen, sei, so hieß es in Artikel 22 des Völkerbundvertrages über den Vorderen Orient vom Juni 1919, »die Übertragung der Vormundschaft über diese Völker zu den fortgeschrittenen Nationen.« Die arabischen Bewohner des ehemaligen Osmanischen Reiches wurden den sog. A-Mandaten zugeordnet. Sie hatten nach Artikel 22 § 4 bereits einen Entwicklungsstand erreicht, der sie befähigte, unter der Leitung und Aufsicht einer europäischen Macht die Unabhängigkeit anzustreben. Lediglich Palästina wurde nicht als A-Mandat eingestuft, sondern war speziellen Regeln unterworfen. Daraus resultierte ein Sonderstatus, der eng mit der Balfour-Deklaration des Jahres 1917 und den darin zugesicherten Ansprüchen auf eine nationale Selbstverwirklichung der Juden zusammenhing. In Großbritannien dominierte, auch unter dem Einfluss des Zionismus, die Meinung des philosemitischen Earl

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of Shaftesbury, der in den Vierzigerjahren des 19. Jahrhunderts die Formel »Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land« geprägt hatte. Palästina sei fast menschenleer und extrem rückständig, das Ende der jüdischen Macht nach der Niederschlagung des jüdischen Aufstandes durch Rom 135 n. Chr. habe auch das Ende seiner Geschichte bedeutet. Die weitere Geschichte bis zur Gegenwart sei kaum der Rede wert. Die dort lebenden Menschen seien kein Volk mit eigener Geschichte, Kultur und Tradition und damit einem Anspruch auf nationale Selbstverwirklichung und somit dem jüdischen Volk nicht ebenbürtig, das auf eine eigene Geschichte, Kultur und Tradition verweisen könne. Die in Palästina lebenden Araber seien bloß eine Bevölkerung, aber kein Volk, sie hätten hier bloß eine Heimat, besäßen aber keine nationale Identität und hätten somit keinen Anspruch auf nationale Selbstbestimmung und daraus resultierende Staatsbildung. Noch in den Dreißigerjahren erklärte Balfour, in Palästina müsse die britische Mandatsmacht darauf hinarbeiten, eine neue (jüdische) Gemeinschaft wiederherzustellen und auf eine künftige numerische Mehrheit hinzuwirken. Die Rechte der arabischen Mehrheitsbevölkerung in Palästina wurden daher im Mandatstext erheblich zurückhaltender definiert als in den Texten über Syrien und den Libanon, in denen ausdrücklich davon gesprochen wurde, dass die Mandatsmächte in Zusammenarbeit mit den lokalen Autoritäten ein Grundgesetz auszuarbeiten und die Bevölkerung auf die Unabhängigkeit vorzubereiten. Diese Bestimmung fehlte im Text über Palästina, in dem die Mandatsmacht Großbritannien die volle legislative und administrative Kompetenz erhielt, die im Hochkommissar personifiziert war. Ihm stand ein rein britischer Exekutivrat und ein Beratungsgremium (Advisory Council) zur Seite, das aus zehn britischen Beamten und zehn ernannten Mitgliedern (4 Muslimen, 3 christliche Araber und 3 Juden) bestand. In ihm war die muslimische Mehrheitsbevölkerung deutlich unterrepräsentiert. Bereits im Mandatstext über Palästina war von einer »Jüdischen Agentur« (Jewish Agency) zur Wahrung der jüdischen Interessen und zur Beratung der britischen Mandatsherrschaft in allen Fragen der Schaffung einer nationalen Heimstätte für die Juden die Rede. Diese Aufgabe übernahm die internationale zionistische Zentrale in London. Aus ihrer aus dem Mandatsvertrag und der Balfour Deklaration resultierenden »doppelten Verpflichtung« – einerseits Förderung der lokalen Selbstverwaltung und andererseits Unterstützung der zionistischen Bestrebungen – ergaben sich für die Briten im Laufe der folgenden Jahre zunehmend Probleme. Wenngleich die Vertreter der britischen Mandatsmacht keineswegs a priori pro-zionistisch eingestellt waren, so gewannen die Juden durch Landkauf und Einwanderung, die nach der Machtergreifung Hitlers 1933 sprunghaft anstieg, zunehmend an Einfluss. 1935 wurden mehr als 62.000 Migranten verzeichnet, die Landkäufe erreichten eine neue Rekordhöhe und im Hafen von Haifa wurden große Mengen von Waffen, die für jüdische Organisationen bestimmt waren, entdeckt. Diese Entwicklung verschärfte unter der palästinensischen Bevölkerung die seit Jahren wachsenden Existenzund Bedrohungsängste und sollte 1936 zum arabischen Aufstand führen. Auch die britische Mandatsmacht begann zu reagieren, indem sie von ihrer bisher geübten Praxis der Bevorzugung der Juden abrückte und die jüdische Einwanderung zu begrenzen sowie die Repräsentanz der Palästinenser in den politischen Gremien zu erhöhen suchte. Aufgrund des arabischen Aufstandes beschleunigten die Briten die Suche nach einer politischen Lösung, die beide Seiten zufriedenstellen sollte. Am 7. Juli 1937 erschien der Bericht der Peel-Kommission, der die Teilung Palästinas in einen kleinen jüdischen Staat, der einen Küstenstreifen unterhalb Haifas unter Einschluss von Nazareth und dem Ufer des Sees Tiberias umfasste, ein britisches Mandat mit Jerusalem, Bethlehem und einem Korridor zum Meer nach Jaffa und einen den Rest umfassenden Staat der palästinensischen Araber vorschlug. Vgl. Nicholas Bethell  : Das Palästina Dreieck. Juden und Araber im Kampf um das britische Mandat

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ganzen Welt bereits ihre Stimme zum Protest erhoben hätten ohne Unterschied der politischen Ideologie des einzelnen. Nach Dr. Margules führte Dr. Gronemann aus  : In Anlehnung an die Worte des Rabbiners Dr. Margules erklärte er, dass diese Angelegenheit wohl eine kritische Situation in Palästina ergeben könnte, jedoch könnte diese Gefahr gebannt werden, wenn eben alle Juden, seien es nun Zionisten oder Revisionisten,41 oder sonst einer anderen Richtung Angehörige, sich in diesem 1935 bis 1948. – Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1979. S. 7ff.; Susann Heenen-Wolff  : Erez Palästina. Juden und Palästinenser im Konflikt um ein Land. – Frankfurt am Main 1990. S. 33ff.; Gudrun Krämer  : Geschichte Palästinas. Von der osmanischen Eroberung bis zur Gründung des Staates Israel. – München 2002. S. 195ff.; 41 Der Begründer und Führer des jüdischen Revisionismus innerhalb des Zionismus war Waldimir (Zeev) Jabotinsky. Der 1880 in Odessa geborene Literat wurde durch die Pogrome der Jahre 1904 und 1905 für den Zionismus sensibilisiert, organisierte den jüdischen Selbstschutz und nahm am sechsten Zionistenkongress teil, auf dem er von Theodor Herzl tief beeindruckt war. Zu Beginn des 1. Weltkriegs entwickelte er den Plan der Aufstellung einer jüdischen Legion, die an der Seite der britischen Armee Palästina befreien sollte. Die Legion wurde tatsächlich Wirklichkeit und diente im Rahmen der britischen Armee, wurde jedoch nach Kriegsende demobilisiert. Jabotinsky hatte in ihr den Kern einer jüdischen Armee gesehen und wurde nach dem Krieg Chef der Hagana in Jerusalem, von den Briten verhaftet und zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, jedoch nach wenigen Monaten aufgrund einer Amnestie wieder freigelassen. In den Zwanzigerjahren gehörte er zu den Kritikern von Chaim Weizmann, dem er eine zu große Nachgiebigkeit gegenüber den Briten vorwarf. Jabotinsky formulierte in den folgenden Jahren die Grundsätze des zionistischen Revisionismus. Nicht der Zionismus sollte revidiert werden, sondern die von Chaim Weizmann verfolgte Politik der zionistischen Führung, die als Verrat an den Ideen Theodor Herzls betrachtet wurde. Er und seine Anhänger waren Maximalisten, die nicht nur Palästina für die Juden forderten, sondern die Umwandlung Palästinas unter Einschluss Transjordaniens in ein souveränes Gemeinwesen mit einer jüdischen Bevölkerungsmehrheit. Transjordanien wurde als Teil Palästinas definiert und müsse daher in die jüdische Kolonisation einbezogen werden. 1926 erklärte er, eine jüdische Minorität in Palästina westlich und östlich des Jordans sei bloß ein erstes Etappenziel, Endziel müsse die Schaffung eines jüdischen Staates und einer jüdischen Kultur sein. Erst wenn die Juden die Mehrheit der Bevölkerung bildeten, könne man eine parlamentarische Demokratie in diesem Staat anstreben. Zur Erreichung dieses Ziels sollten in den nächsten 25 Jahren jährlich mindestens 40.000 Juden einwandern. Jabotinsky forderte die Errichtung eines jüdischen Staates unter Einschluss Transjordaniens bereits zu einem Zeitpunkt, als dies noch keine zionistische Persönlichkeit offen auszusprechen wagte. Die Araber seien die natürlichen Gegner des Zionismus. Da aber die Juden in Europa vor einer Katastrophe standen, wiege ihr moralisches Recht auf Einwanderung und Inbesitznahme Palästinas mehr. Für ihn gab es in dieser Frage keinen Kompromiss, die Juden müssten das Mehrheitsvolk werden. Dieser Anspruch sei moralisch gerechtfertigt und daher sei der arabische Widerstand dagegen unmoralisch. 1925 gründete Jabotinsky eine eigene Partei, die Zohar (Zionim-Revisionistim), die sich in den Dreißigerjahren durch den Zuzug jüngerer Funktionäre immer mehr radikalisierte. (Walter Laqueur  : Der Weg zum Staat Israel. Geschichte des Zionismus. – Wien 1972. S. 357ff.; Amnon Rubinstein  : Geschichte des Zionismus. Von Theodor Herzl bis heute. – München 2001. S. 23f.)

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Punkte einigten. Es könne wohl zu einem Brückenschlag kommen und das Endziel hinausgerückt werden, niemals aber entrückt. Es gäbe nur e i n Judenproblem und sei zwischen den Juden aller Länder ein unsichtbarer Zusammenhang, ein Zusammenhang der gleichen Welteinstellung. Es sei vollkommen falsch zu sagen, es gäbe deutsche oder französische Juden, ein jüdisches Volk aber gäbe es nicht, sondern nur eine solche Rasse.42 Wohl hat das jüdische Volk eine schwere Krise hinter sich, aber es sei auf dem Weg der Genesung. Viele hätten auf einen Messias gehofft, der auf 42 Dies traf besonders auf die assimilierten Juden Mittel- und Westeuropas zu, die zum Großteil, in deutlichem Gegensatz zu den Zionisten, ihre jeweilige nationale Identität betonten. So erklärte der Deutsche Centralverein 1894  : »Wir sind nicht deutsche Juden, sondern deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens. Wir brauchen und fordern als Staatsbürger keinen anderen Schutz als die verfassungsmäßigen Rechte. Wir gehören als Juden keiner politischen Partei an. Die politische Anschauung ist, wie die religiöse, die Sache des einzelnen. Wir stehen fest auf dem Boden der deutschen Nationalität. Wir haben mit den Juden anderer Lände keine andere Gemeinschaft als die Katholiken und Protestanten Deutschlands mit den Katholiken und Protestanten anderer Länder.« (Zit. bei Steven M. Lowenstein  : Ideologie und Identität. – In  : Ders.; Paul Mendes-Flohr, Peter Pulzer, Monika Richarz  : Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit. Bd. 3. 1871–1918. – München1997. S. 278–301. S. 281.) Das Aufkommen des Zionismus ließ ab 1918 einen sich verschärfenden innerjüdischen Richtungsstreit entstehen, in dem sich die liberal-jüdische Presse gegen die Ideologie des Zionismus wandte. So verurteilte z. B. im Februar 1928 der von Georg Mecklenburg in der Hauptversammlung des Deutschen Centralvereins eingebrachte und angenommene Antrag den Zionismus mit der Begründung, dass die Ideologie des Zionismus die von Antisemiten betonte Trennung von Deutschen und Juden nur bestätige. »Das von den Zionisten behauptete oder angestrebte jüdische Volk ist nicht das der auf dem Centralverein-Standpunkte stehenden deutschen Juden, da diese in nationaler und kultureller Hinsicht ausschließlich dem deutschen Volke angehören.« (Zit. bei Avraham Barkai  : Die Organisation der jüdischen Gemeinschaft. – In  : Ders.; Paul Mendes-Flohr, Steven M. Lowenstein  : Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit. Bd. 4. 1918–1945. S. 74–101. S. 100.) Zwei Jahre später erklärte der Syndikus des Centralvereins, Alfred Winter, bei einer Demonstration vor dem Reichstag gegen das Aufkommen des Nationalsozialismus  : »Gäbe es einen Nobelpreis für deutsche Gesinnung, die deutschen Juden würden ihn gewinnen.« (Zit. bei Paul Mendes-Flohr  : Zwischen Deutschtum und Judentum – Christen und Juden. – In  : Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit. Bd. 4. S. 154–165. S. 156.) In Österreich verlief die Entwicklung insofern etwas abweichend von der deutschen, als auch hier innerhalb der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde die »Union österreichischer Juden« mit ihrer aus der Habsburgermonarchie stammenden liberal-patriotischen Gesinnung bis 1936 dominierte. Mit ihrem betonten Österreich-Patriotismus verstand sie sich sowohl als Stütze der Regierung wie auch als Schutz- und Interventionsinstrument der eigenen Gemeindemitglieder. Dennoch war auch in Österreich, vor allem in Wien, ein ständiges Ansteigen des Zionismus zu beobachten. Waren bei der Kultusgemeindewahl 1932 die Stimmen für die liberale Union österreichischer Juden und die beiden zionistischen Listen noch ausgeglichen (38, 9 bzw. 39,2 Prozent), so gewannen die Zionisten – vor allem auch aufgrund der politischen Entwicklung in Deutschland und deren Auswirkungen auf Österreich – im November 1936 die Wahl mit 53,8 Prozent, während auf die Union nur mehr 36,5 Prozent entfielen. (Albert Lichtblau  : Integration, Vernichtungsversuch und Neubeginn – Österreichisch-jüdische Geschichte 1848 bis zur Gegenwart. – In  : Eveline Brugger, Martha Keil, Albert Lichtblau, Christoph Lind, Barbara Staudinger  : Geschichte der Juden in Österreich. – Wien 2006. S. 447–565. S. 495.)

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einem Esel dahergeritten käme, um ihm Hosanna zuzurufen, aber ob dieser nun in einer anderen Form und zwar am Rücken derer, die den Krieg gemacht hätten, gekommen sei, das sei schließlich gleich. Genauso wie Moses einst seinen Ruf an das jüdische Volk ergehen ließ und nicht gehört wurde, so sei es auch heute gewesen. Herzl, der Begründer der zionistischen Bewegung, hatte gleich zur Rückkehr in das Land der Väter gemahnt, um zu zeigen, dass das jüdische Volk ein Volk wie jedes andere sei. Aber er wurde nicht gehört, bis nicht ein Fremder, der Völkerbund, den gleichen Vorschlag machte und England mit dem Palästinamandat betraute und die Jewish Agency schuf. Seit dieser Zeit seien bereits zahllose Juden dorthin gewandert und es sei erstaunlich, wie diese aus der Wüste ein Land schufen, wo sie wirklich als Juden nach den alten Riten leben könnten. Die Stadt Tel Aviv sei von 10.000 bereits auf über 100.000 Einwohner gewachsen. Freilich sei es ungeheuer schwierig, weil sie einen neuen Staat aufbauen müssten43, ohne bereits kulturelle Einrichtungen eines Vorgängers zu übernehmen. Wenn man aber sehe, wie diese Leute miteinander lebten, ohne Rücksicht auf ihre frühere Vorbildung, so sei dies ein Beweis, dass sie auf diese Art auch die ihnen gestellte Aufgabe lösen würden.44 Das jüdische Volk sei eigentümlich. Es arbeitet und leistet etwas, ohne eines gesetzlichen Zwangsmittels zu bedürfen, sondern nur aus einem eigenen moralischen Zwang heraus. So sei es auch erklärlich, dass im Mittelalter, als der Römische Kaiser Deutscher Nation kaum seinen Namen schreiben konnte, die Juden trotz schwerster Bedrückung keinen Analphabeten und ihre eigenen Spitäler und Schulen gehabt hätten.45 43 Es ist erstaunlich, dass hier bereits offen von der Gründung eines jüdischen Staates gesprochen wird. 44 In den Dreißiger- und Vierzigerjahren galt der Kibbuzim als Personifizierung und Krönung des Zionisten. Vor allem die bereits in Israel geborenen Kibbuzim, die nach einem einheimischen Kaktus »Sabras« genannt wurden, repräsentierten diese neue Generation, die in idealisierter Projektion den neuen jüdischen Staat schaffen sollte. So schrieb im Februar 1966 die Zeitung »Ha’aretz« über den Sabra, dieser völlig neue Mensch sei Teil einer Gruppierung, die ihre Uniformität behalte und die Tendenz habe, individuelles Denken und persönliche Initiative beiseitezuschieben oder gar nicht aufkommen zu lassen. Das »Ich« verschwinde zugunsten des »Wir«, Gefühle würden unterdrückt, Härte positiv beurteilt und Bildung distanziert beurteilt. Der Sabra gelte als direkt, spreche grob und unverblümt, gelte als Wiedergeburt der biblischen Helden. Als erste rein israelische Generation pflegten die Sabras ihre ideologisch und religiös aufgeladene Heimatliebe durch Wanderungen und eine religiös motivierte Begeisterung für die Archäologie. (Tom Segev  : 1967. Israels zweite Geburt. – Berlin 2009. S. 99.) 45 Diese Stelle des Berichts veranlasste die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit im Bundeskanzleramt zur Aufforderung an die Bundespolizeidirektion, »ehesttunlich« über den genauen Wortlaut zu berichten, da die »von Dr. Gronemann über den Messias und über die Rückschrittlichkeit der römischen Kaiser gemachten Äußerungen (…) einigermaßen bedenklich« erschienen. Die Bundespolizeidirektion antwortete am 4. Februar 1936, dass »nach dem Berichte des Konzeptbeamten (…) die Bemerkung über den deutschen Kaiser mehr als eine historische Feststellung zu verstehen« sei, »womit der Redner betonen wollte, dass die Juden bereits in alter Zeit, wo noch andere Kreise keine sozialen Einrichtungen wie Schulen und Spitäler gehabt hätten, sie solche bereits gehabt hätten. Auch

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Der Jude unterliege einer völlig falschen Beurteilung, eben weil er ein Jude sei. Leiste er in einem Staate auf dem Gebiet der Wissenschaft oder Musik etwas Hervorragendes, so war er ein Deutscher oder sonst ein anerkanntes Mitglied des Staates, man denke an Einstein, geht irgendetwas schlecht, so war es der Jud. Dem Juden fehlt die Möglichkeit der natürlichen soziologischen Schichtung. Wird er in einem Land verfolgt, so strebt er nach dem Gesetz des geringsten Widerstandes in ein Land, wo man ihm die wenigsten Schwierigkeiten bereitet. Dort tritt eine Übersättigung an Juden ein und ruft zwangläufig eine antisemitische Stimmung hervor. Die Juden müssten daher gerade so wie sie dem Staat, in dem sie wohnen, treu sind, dem Ziele treu bleiben, nämlich in Palästina ihren Staat zu errichten, wo sie Möglichkeit einer natürlichen soziologischen Schichtung gegeben sei, damit dann der Beweis erbracht werden könne, dass das jüdische Volk ein Volk wie jedes andere sei. Man werde dann den Juden als den Staatsangehörigen seines Staates anerkennen müssen, wie man dies bei allen anderen tue und nicht wie einen verachteten Heimatlosen. Die Ausführungen von Dr. Gronemann ernteten großen Beifall. Robert Haas Brünn, 18. April 1936 Brünn, Pariserstr. Nr. 4. Verehrliches Bürgermeister-Amt Zell am See, Salzburg. Ich war zu Ostern mit meiner Frau in Salzburg und kam am Ostermontag per Auto auch nach Zell am See, um mich wegen eines Aufenthaltes im kommenden Sommer für meine vierköpfige Familie und für zwei befreundete Brünner Familien zu informieren. Vor der Einfahrt in den Ort konstatierte ich, dass sich links auf einem Stein in einer abgezäunten Wiese eines großes, weithin sichtbares weißes Hakenkreuz befand und entsinne mich, dass ich genau dasselbe Hakenkreuz an der gleichen Stelle im vorigen Sommer konstatierte, als ich von meinem Aufenthaltsort Kitzbühel einen Autoausflug via Zell am See auf den Glockner machte. Überdies ist es mit erinner-



die andere Bemerkung über den Messias sei in keiner Weise gehässig oder spöttisch gebracht worden, sondern mehr im Sinne einer Allegorie, dass nämlich die Juden sich keinen Messias in der Gestalt der biblischen Darstellung erwarten dürften und es bloß darauf ankomme, dass die Juden aus ihrer bedrückten Lage in eine beherrschende Position kämen. Dieser Sinn geht wohl auch aus den nachfolgenden Worten des Vortragenden hervor, dass die Juden auf dem Rücken derer, die den Krieg gemacht hätten, gleichsam dem Esel des Messias, ihre Befreiung gefunden hätten.« Vgl. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit), Wien, 28. Jänner 1936, Geschäftszahl 303.229 G. D./St. B. 36, Nachzahlen 309.038/36, Gegenstand  : Vortrag des Dr. S. Gronemann. Thema  : »Das jüdische Volk auf der Weltbühne«.

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lich, im vorigen Jahre bei der Bahn eine Reklame für eine arische Pension gesehen zu haben. Nach alldem ist es offenkundig, dass Zell am See nur Wert auf arische Sommergäste legt und wollte ich nicht verfehlen Ihnen zur Kenntnis zu bringen, dass ich hieraus hinsichtlich meiner Familie die Konsequenzen ziehen und auch meine zahlreichen Freunde in Brünn, Prag, Wien etc. entsprechend informieren werde. Abgesehen von Obigem gebe ich schließlich noch meiner Verwunderung Ausdruck, dass die Polizei und Gerichtsbehörden diese ungesetzlichen Zustände dulden. Durchdruck an das  : Bundeskanzleramt, Wien,46 Bundesministerium für Handel und Verkehr, Abteilung Werbedienst. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 6. Mai 1936 Geschäftszahl  : 328.197 G. D./St. B. 36 Gegenstand  : Rede des Landeshauptmannes Dr. Franz Rehrl am 1. Mai 1936 in Salzburg. (Entwurf eines Briefes des Herrn Bundesministers47 an den Herrn Bundeskanzler und den Herrn Vizekanzler) 1. Hochverehrter Herr Bundeskanzler  ! Lieber Freund  ! 2. Hochverehrter Herr Vizekanzler  ! Lieber Freund  ! Landeshauptmann Dr. Rehrl hat anlässlich der Feier des 1. Mai eine Festrede gehalten, deren Wortlaut mir vorliegt. Ich fühle mich verpflichtet, Dir, hochverehrter Herr Bundeskanzler/Vizekanzler, den in der Beilage wiedergegebenen Abschnitt aus dieser Rede (über den Phönix-Skandal, Anm. d. Verf.) zur gefälligen Kenntnis zu bringen.48 »Für das Land Salzburg hat der heutige Tag insoferne besondere Bedeutung, als es genau 120 Jahre her sind, seit Salzburg dem österreichischen Staatsverbande einverleibt wurde. Am 1. Mai 1816 wurde über dem Tore des Neugebäudes in Anwesenheit des nachmaligen Infanterie-Regimentes Nr. 59 das bayerische Staatswappen herun-

46 Unter Nr. 325.141 G. D./St. B. 36 registriert. 47 Eduard Baar-Bahrenfels. 48 Seitens der Bundesregierung wurden die äußerst kritischen Worte des Salzburger Landeshauptmanns über den Phönix-Skandal, den größten Skandal des Ständestaates, mit sichtlichem Unmut registriert. Eine direkte Reaktion der Bundesregierung oder des Bundeskanzlers ist jedoch quellenmäßig nicht bekannt.

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tergeholt und der österreichische Doppeladler aufgezogen. So wie heute kannte nur mehr die ältere Generation den Frieden und seine Segnungen, die Jüngeren hatten nur die Kriegswirren der Napoleonischen Kriege und den Zusammenbruch des alten tausendjährigen Staates des Heiligen Rupert kennengelernt. Das Land Salzburg war vom Glanze und der Größe eines glänzenden Fürstenhofes herabgesunken zu einem Spielball und Schacherobjekt von Völkern und Staaten, die Stadt zu einem kleinen Provinzstädtchen ohne Bedeutung, ohne Handel und Wandel. Die Bevölkerung war zusammengeschmolzen und auf den Straßen und Plätzen der Stadt wuchs Gras. Die ursprünglich von der Salzburger Bevölkerung, die sich endlich Befriedung und Wiederbelebung erhoffte, freudig begrüßte bayerische Herrschaft hatte sich in den zehn Jahren ihres Bestandes reichlich unbeliebt gemacht. Trotzdem waren die Bayern keineswegs geneigt, den Besitz Salzburg, der im Wiener Kongress Österreich zugeschrieben worden war, leichten Kaufes hinzugeben. Ja, es schien eine Zeit lang, als ob wegen Salzburg der Krieg zwischen Österreich und Bayern ausbrechen sollte. Nur unter dem Drucke des Volkswillens, der sich nachdrücklich erhob und laut und vernehmlich die Zugehörigkeit zu Österreich forderte, gab schließlich Bayern nach und so kam es zu dem für Salzburg so denkwürdigen Tage, dem 1. Mai 1816. Ich habe diese kleine historische Erinnerung nicht nur deshalb wiedergegeben, weil wir einen für unser Land und für ganz Österreich wichtigen Gedenktag feiern, sondern weil wir eine merkwürdige Analogie zwischen ihm und dem heutigen Tage feststellen können. Wie heute hatte unser Volk damals schwere Wirren und Nöte des Krieges, des Umsturzes und der Umwälzung erduldet, hatte nach furchtbaren Schicksalsschlägen noch immer nicht den sicheren Boden des Wohlstandes zurückgewonnen, so wie heute lagen die Staaten diesseits und jenseits der Salzach nicht im gewohnten nachbarlich freundlichen Verhältnis. Wir glauben und hoffen, dass uns auch heute Österreich den Frieden und die Möglichkeit, unser tägliches Brot zu erwerben, gewährleisten wird. Salzburg hat im österreichischen Staatsverbande einen ungeahnten Aufschwung genommen. Viele Jahrzehnte lang herrschte Friede und Wohlstand, ja Ansehen und Reichtum und das Zeitalter einer neuen Blüte. Unserem Dezennium war es vorbehalten, Salzburgs Namen in die ganze Welt zu tragen und es in den Sommermonaten zu einem Treffpunkt der ganzen internationalen Welt zu gestalten. Salzburg hat somit im Anschluss an seine alte Tradition neuerlich Glanz und Ansehen gewonnen und darf für sich in Anspruch nehmen, dass es Salzburgs Arbeit war, wenn heute Österreich als Fremdenverkehrsland an der Spitze der Staaten marschiert. Wir wollen, was uns betrifft, mitarbeiten in diesem Geiste, das österreichische Geschick und die österreichische Sendung zu erfüllen. Wir vertrauen darauf, dass der Genius Österreichs diesen unseren ehrlichen Willen, unsere feste Entschlossenheit nicht unbelohnt lässt und unserem Lande und unserem Volke trotz seiner Kleinheit den gebührenden Platz sichert. Wir sind überzeugt, dass Österreich den Willen und die Entschlossenheit besitzt, den Platz an der Sonne, den

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uns der Herrgott gegeben hat, zu behaupten in Frieden und Freundschaft mit allen Staaten und Völkern, soferne sie uns nur unser ureigenstes Recht der Selbstbehauptung und des friedlichen Wettbewerbes gönnen. Wir verfolgen und unterstützen den Kampf, den die österreichische Bundesregierung um unsere Selbständigkeit führt. Den Entschluss der Bundesregierung, dem Hause der Bundesgesetzgebung den Entwurf über die Einführung der allgemeinen Dienstpflicht vorzulegen und die Annahme dieses Gesetzes hat uns mit Befriedigung erfüllt. Als deutsches Volk inmitten deutschen Landes, das wahrhaft schon im Mittelalter die Kämpfe um deutschen Volkes Ehre mitkämpfte, dessen Söhne ruhmreich bei der Befreiung Wiens von der Türkenbelagerung fochten, halten wir es für ein Gebot der Ehre und Selbstachtung, die Waffen zur Verfügung zu haben, die wir nur zur Verteidigung unserer selbst, unserer Lebensmöglichkeit und unserer heimatlichen Scholle gebrauchen wollen. Die Waffenfähigkeit der Jugend ist ein Grundrecht jeden Volkes, das Anspruch auf Achtung bei anderen Völkern erheben will. Fern liegt es uns ja, andere zu bedrohen, fern liegt es uns, dem Besitz der Ehre und dem Ruhm anderer Völker auch nur im geringsten nahezutreten  ; wir erwarten daher, dass die anderen Völker auch dieses unser Recht anerkennen und es nicht uns zu verwehren versuchen. Wir haben mit größter Befriedigung und Freude die wiederholte, erst vor wenigen Tagen von Herrn Bundeskanzler selbst ausgesprochene Versicherung, dass in unserem Staate der Gedanke der sozialen Gerechtigkeit unter allen Umständen auf­rechterhalten werden muss, vernommen. Wir haben gehört, dass die Rechte der Arbeiter und Angestellten gewahrt werden, wir verfolgen mit dem heißen Wunsche auf Erfolg die mannigfachen Bestrebungen der Bundesregierung, dem notleidenden Volke Arbeit und Brot zu geben. Was die Arbeitsbeschaffung betrifft, anerkennen wir, dass es finanzwirtschaftlich unmöglich ist, auf die Dauer öffentliche Arbeiten aus Anleihen zu bestreiten  ; da es nicht möglich ist, muss selbstverständlich eine gewisse Einschränkung der Arbeitsmöglichkeiten die Folge sein. Aber niemals können wir zustimmen, dass bei der Verteilung dieses geringen Arbeitsvolumens die einzelnen Bundesgebiete nicht nach gleichen Grundsätzen behandelt werden. Es ist nicht möglich, in einem Teile des Bundesgebietes Wohlstand zu schaffen und die anderen Teile ihrem Schicksale zu überlassen, insbesondere wenn sie, gerade wie wir durch unsere geografische Lage, unter den wirtschaftlichen Verhältnissen besonders schwer leiden. Wir bedauern es, dass wir gezwungen sind, große Mittel darauf zu verwenden, damit wir stark genug sind, unsere Interessen verteidigen zu können. Aber wir würden es nicht verstehen, wenn die großen Verdienste dieser Industrie, die buchstäblich aus den Blutkreuzern des Volkes genommen werden müssen, in die Taschen einzelner fließen würden, um zur einseitigen Bereicherung zu führen. Wir müssen verlangen, dass bei aller Anerkennung der Betätigung des Privatkapitales im wirtschaftlichen Leben und

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bei aller Anerkennung des Unternehmerverdienstes, bei diesen Gewinnen schärfere Maßstäbe angelegt werden, wenn nicht derartige Industrien überhaupt verstaatlicht werden. Besonders bedauerlich ist es, wenn in einer solchen Zeit der Not Ereignisse eintreten, die auf das schärfste zu verurteilen sind. Ich meine damit die Phönix-Affäre und alles, was damit zusammenhängt.49 Man hat im Zusammenhange mit der Phö49 Am 25. März 1936 sah sich die Bundesregierung, zu deren Beratungen die Finanzexperten Victor Brauneis, Eberhard Reininghaus und Viktor Kienböck zugezogen wurden, gezwungen, vier Gesetzesentwürfe – Bundesgesetz, betreffend die Erleichterung der Personalkosten der Versicherungsanstalten, Bundesgesetz, betreffend Maßnahmen auf dem Gebiet der Vertragsversicherung, Bundesgesetz über das Prämienreserveregister der Lebensversicherung, Bundesgesetz über Maßnahmen auf dem Gebiet der Lebensversicherung – zu diskutieren und der erforderlichen parlamentarischen Behandlung so rasch wie möglich zuzuführen. Die Dramatik des einzigen Punktes der Tagesordnung wurde aus dem Umstand deutlich, dass den Kabinettsmitgliedern der Text der zu beschließenden Gesetzesentwürfe bei Beginn der Sitzung och nicht vorlag. Auf die Frage des in Abwesenheit des Bundeskanzlers den Vorsitz führenden Vizekanzler Ernst Rüdiger Starhemberg, warum keine Texte vorlägen, antwortete Finanzminister Ludwig Draxler, die Beamten seines Ministeriums hätten bis 4 Uhr früh an den Texten gearbeitet, weshalb diese noch nicht zu Beginn der Sitzung vorliegen würden, jedoch im Laufe derselben zur Verteilung kämen. Fünf Wochen zuvor war der Direktor der Lebensversicherungsanstalt »Phönix«, Wilhelm Berliner, überraschend im 54. Lebensjahr verstorben und in einem Ehrengrab der Israelitischen Kultusgemeinde bestattet worden. Ihm folgte an der Spitze des einzigen multinationalen Konzerns der Republik Eberhard Reininghaus, der jedoch unmittelbar nach seinem Dienstantritt mit Hiobsbotschaften konfrontiert wurde  : für die fälligen Lohnauszahlungen standen nicht genügend liquide Mittel zur Verfügung und die offiziellen Bilanzen waren gefälscht, um die tatsächliche Lage des Unternehmens zu verschleiern. Bereits 1929 hatte das Defizit 80 Millionen Schilling betragen und 1936 die Höhe von 250 Millionen Schilling erreicht. Nach der CA-Krise 1931 drohte fünf Jahre später eine zweite, deren Ausmaße nicht minder dramatisch waren. In der Sitzung des Ministerrates am 25. März 1936 erklärte Finanzminister Draxler  : »Um, die Tragweite eines Zusammenbruches der Lebensversicherungsgesellschaft ›Phönix‹ überblicken zu können, sei es notwendig, den Umfang der Versicherungsgeschäfte und die Zusammensetzung der Versicherungsnehmer zu betrachten. Die genannte Gesellschaft umfasse 330.000 Versicherungsverträge mit einer Versicherungssumme von 830 Mill. S. Davon seien 63.000 Versicherungsverträge auf höhere Summen abgeschlossen worden, während 267.000 Verträge auf ganz kleine Summen, welche im Durchschnitt nicht mehr als 830 S ausmachten, lauteten. Es handle sich also größtenteils um ganz kleine Leute, die durch einen Zusammenbruch der Gesellschaft um ihre ganzen Ersparungen und Hoffnungen kämen. Außerdem umfasse die ›Phönix‹ 1.000 Leibrentenversicherungen, aufgrund deren ein Betrag von 2 Mill. S jährlich an Leibrenten auszuzahlen sei.« (MRP 1026 vom 25.3.1936.) Die Gründe für die Krise waren vielfältig und komplex. Die 1882 gegründete Versicherungsgesellschaft gehörte in der Monarchie zu den aufstrebenden Versicherungsgesellschaften und reduzierte ihre Geschäfte nach 1918 nicht auf die nunmehr kleine Republik Österreich, sondern verfolgte unter ihrem äußerst agilen Direktor Berliner eine expansive Firmenstrategie, indem sie ihre (nunmehrige) Auslandspräsenz nicht nur behielt, sondern sukzessive ausbaute, wobei sie auch zahlreiche Portefeuilles anderer Gesellschaften übernahm, die nur mangelhaft oder gar nicht gedeckt waren. Die Folgen dieser

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nix-Affäre viel geschrieben, viele beschuldigt  ; bei dieser Gelegenheit muss wieder festgestellt werden, dass jede Zentralisierung ein Unglück ist, ganz abgesehen davon, dass es immer gut ist, wenn mehrere mitzusprechen haben, insbesondere auch Leute mitzusprechen haben, die in einer gesünderen Luft zu leben gewohnt sind, als wie sie heute in manchen Orten weht. Ich muss feststellen, dass eine wesentliche Schuld an diesem Unglück die Zentralverwaltung trifft, die Zentralverwaltung, die immer als Allheilmittel gepriesen wird und als jene Verwaltung, die selbstverständlich die reinste darstellt. Mit diesem Begriff hat man ja auch die Rechte der Länder auf das Äußerste beschnitten und man ist gewohnt, Kleinigkeiten, die in den Ländern passieren, an die große Glocke zu hängen, wobei sich die große Presse nicht genug ereifern kann, gegen die Länder zu schreiben (…) Aber wo es sich darum gehandelt hat, das Aufsichtsrecht zu üben und Ordnung zu schaffen, da hat die Zentralverwaltung in der Person des Leiters des Aufsichtsdienstes nicht funktioniert, sonst wäre es nicht möglich gewesen, dass sich dieses Unglück in diesem Ausmaß ereignet hätte.50 Wachstumsstrategie um jeden Preis waren ständige Neuakquisitionen in beträchtlichem Umfang, um die eingegangenen Verpflichtungen erfüllen zu können. Durch die Bankenkrise der Nachkriegszeit sahen zudem viele Sparer ihr Heil in einer Lebensversicherung, die als sicherer Hort der Geldanlage galt. Die »Phönix« investierte erhebliche Summen in den Handel von Wertpapieren, um die versprochenen Gewinne zu erzielen. Mitte der Dreißigerjahre beherrschte sie zwei Drittel des österreichischen Wertpapiermarktes und war die weltweit drittgrößte Lebensversicherungsgesellschaft mit Niederlassungen in 23 Ländern. Die Geschäftspolitik glich jedoch zunehmend einer panischen Flucht nach vorne. Um den drohenden Liquiditätsengpass zu vermeiden, waren ständig neue Abschlüsse in beträchtlicher Zahl und zu letztlich wirtschaftlich nicht vertretbaren Bedingungen notwendig, die Provisionen der Vertreter waren viel zu hoch und die Tarife konkurrenzlos günstig, aber unwirtschaftlich. Bei Bekanntwerden der tatsächlichen Lage der »Phönix« betrug ihr Defizit 5 Prozent des österreichischen Volkseinkommens. Der Plan der Regierung bestand nun darin, eine Sanierung der Versicherungsanstalt auf Kosten der Versicherungsnehmer sowie der Angestellten durchzuführen, um dadurch nicht das ohnedies angespannte Staatsbudget zu belasten. Der Konkurs war jedoch nicht mehr zu verhindern. Im April wurde die »Phönix« liquidiert, rund 1.300 Angestellte entlassen. Der politische Skandal folgte jedoch erst jetzt, nachdem im Nachlass Berliners eine umfangreiche Liste von »Spendenempfängern« gefunden wurde, die zahlreiche politische Organisationen von rechts bis links sowie Spitzenpolitiker der Regierungsparteien sowie Journalisten, Herausgeber und Beamte umfasste. Die folgenden Prozesse warfen ein schiefes Licht auf eine hinter den Kulissen wuchernde politische Korruption. Die bekanntesten Opfer aus dem Kreis der Politik waren der ehemalige Heeresminister Carl Vaugoin, der 1933 nach seiner politischen Entmachtung durch Dollfuß zum Vizepräsidenten des Verwaltungsrates der »Phönix« befördert worden war, und der ehemalige niederösterreichische Landeshauptmann und Finanzminister Karl Buresch, der Selbstmord beging. Zum Phönix-Skandal vgl. Isabella Ackerl  : Der Phönix-Skandal. – In  : Das Juliabkommen 1936. Vorgeschichte, Hintergründe und Folgen. S. 241–279  ; Wohnout  : Regierungsdiktatur oder Ständeparlament  ? S.  380ff. 50 Sektionschef Heinrich Ochsner, der Leiter des für die »Phönix« zuständigen Aufsichtsamtes im In-

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Dies ist umso bedauerlicher, da die Bundesländerversicherungsanstalt durch ihren verstorbenen Präsidenten Dr. Hösslinger schon vor Jahren an das Aufsichtsamt herangetreten ist und angeboten hat, die Anstalt einer Überprüfung ihrer Prämienreserve zu unterziehen unter der Bedingung, dass auch beim ›Phönix‹ diese Überprüfung durchgeführt wird. Man hat es nicht getan. Und da geht man her und schreibt von neuerlichen sogenannten ›Reformen‹ der Überprüfung und Verschärfung der Überprüfung, um immer mehr und mehr Rechte in die Hände einzelner zu spielen, trotzdem es genügt hätte, wenn die bestehenden Gesetze objektiv und unbeeinflusst zur Anwendung gebracht worden wären. Gestatten Sie mir, dass ich in diesem Zusammenhang auf einige Ausführungen einer illegalen nationalsozialistischen Zeitung, die in den letzten Tagen in Salzburg verbreitet wurde, zurückkomme, in welcher behauptet wird, dass die Bundesländerversicherungsanstalt nichts anderes sei als ein Teil des ›Phönix‹ und sich die Anstalt dadurch getarnt hätte, dass man Landeshauptleute mit je 100 Stück Aktien bedacht und in den Verwaltungsrat genommen hätte, um dadurch vor dem Volke, insbesondere den Bauern, den Eindruck der Solidität und Offizialität zu gewinnen. Dem gegenüber erkläre ich hier in feierlicher Form, dass dies alles unwahr ist. Die Bundesländeranstalt besitzt ein Länderkuratorium, in welchem die Delegierten der Landesregierung sitzen, um gegenüber dem Verwaltungsrat die Rechte der Öffentlichkeit geltend zu machen. Dieses Amt ist ein Ehrenamt und unbezahlt. Es werden ausschließlich die Reise- und Aufenthaltskosten bei den Sitzungen vergütet. Niemand von diesen Herren besitzt Aktien der Bundesländeranstalt. Wenn auch seinerzeit der ›Phönix‹ ein Aktienpaket besessen hat, so war das Aktienpaket durch das Länderkuratorium, an dessen Zustimmung die Beschlüsse des Verwaltungsrates meist gebunden sind, in ihren Auswirkungen gehemmt. Unsere Anstalt ist und bleibt in ihrer Zusammensetzung und ihrem Aufbau eine Organisation der Länder. Der Landes-Brandschadenversicherungsanstalten und der Wechselseitigen Versicherungs­anstalten und der verschiedenen Berufsstände, die ihrerseits im Rückversicherungswege mit anderen Gesellschaften auch in Verbindung treten müssen, wollen sie ihr Geschäft richtig und gesund betreiben. Im Übrigen stelle ich fest, dass sämtliche Aktien dem ›Phönix‹ abgenommen wurden und sich in den Händen der eben bezeichneten Interessentengruppe befinden. Wir freuen uns, dass das feierliche Versprechen des Herrn Bundeskanzlers, dass Klarheit in diese Phönix-Affäre gebracht werden wird und dass ohne Ansehung von Rang und Stand niemand geschont wird, der aus dieser Affäre nicht mit reinen Händen heraussteigt, erfüllt wurde. Ich gebe der sicheren Hoffnung Ausdruck, dass der Herr Bundeskanzler, falls noch weiteres Material zutage tritt, mit der gleichen Entnenministerium, beging am 28. März 1936 Selbstmord, als er von der Polizei einvernommen werden sollte.

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schlossenheit eingreifen wird, damit nicht Ungleichheit, sondern Gleichheit und Gerechtigkeit herrsche. Dies musste gesagt werden, da man in letzter Zeit durch illegale Zeitungen Unwahrheiten zu verbreiten sucht. Ich stehe dafür ein, dass meine Ausführungen volle Wahrheit für sich in Anspruch nehmen können. Ich kann mit Befriedigung feststellen, dass im abgelaufenen Jahre in unserem Lande wesentliche Versuche, den friedlichen Wiederaufbau zu stören, nicht vorgekommen sind. Ich glaube hieraus entnehmen zu können, dass unser Volk meinen Appell nicht ungehört verhallen ließ. Wie die Erfahrung des letzten Jahres lehrt, hat die ungestörte Arbeit hier auch reichliche Früchte gezeitigt. Der Sommer des vorigen Jahres mit seinem reichen Leben voll Schaffensfreude und Erwerbsmöglichkeit ist uns allen in frischer Erinnerung.51 Der heurige Sommer verspricht, wenn Friede und Eintracht weiter obwalten, den des vorigen Jahres noch zu übertreffen. Möge daher der Allmächtige die dunklen Gefahren, die gerade jetzt drohend über unserem Kontinent schweben, abwenden und die segenbringende Sonne des Friedens auf unser geliebtes Österreich und damit auf unser Salzburg herniederscheinen lassen. Österreich  !« Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 3. Juni 1936 Zl. 3752 Betr.: Salzburger Chronik, Beleidigung des deutschen Reichskanzlers. An das Bundeskanzleramt G. D./St. B. in Wien. Über telefonische Weisung beehre ich mich, den Artikel »Das Dollfuß-Marterl in der Dreifaltigkeitsgasse neuerlich beschmiert«, der auf Seite 5 der »Salzburger Chronik« vom 2.6.1936 erschienen ist, mit dem Bericht vorzulegen, dass heute Nachmittag der deutsche Konsul h. a. erschienen ist und über diesen Artikel Beschwerde geführt hat, wobei er insbesondere betonte, dass in dem Artikel Reichskanzler Hitler und Minister Goebbels beschuldigt würden, die österreichische illegale nationalsozialistische Propaganda zu unterstützen, ja sogar derartige höchst verwerfliche Taten wie das Beschmieren einer Totenmaske gutzuheißen und zu bezahlen.

51 Durch die Verpflichtung Arturo Toscaninis und die gleichzeitig einsetzende deutliche Internationalisierung der Salzburger Festspiele erlebte Salzburg einen in diesem Ausmaß noch nicht gekannten Zustrom zahlungskräftiger Touristen und Festspielbesucher aus Westeuropa und den USA, unter denen vor allem jüdische Besucher dominierten.

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Das Dollfuß-Marterl in der Dreifaltigkeitsgasse neuerlich beschmiert »Der Weg zum Ziele führt über die innere Befriedung. Völlige Amnestie der politischen Häftlinge, politische Gleichberechtigung aller Teile und Schichten der Bevölkerung und die freie Entfaltungsmöglichkeit aller Kräfte, die im österreichischen Volke schlummern, sind die Voraussetzungen dazu.« So schreibt in ihrer Pfingst-Nummer die liberale Linzer »Tages-Post«. Wie diese Kräfte ausschauen, die in jenem Teil des österreichischen Volkes schlummern, für die sich das liberale Linzer Blatt neuerlich so warm einlegt, beweist eine n e u e r l i c h e Ve r u n g l i m p f u n g d e s D o l l f u ß – M a r t e r l s i n d e r D r e i f a l t i g k e i t s g a s s e i n S a l z b u r g . Diese marmorne Anklage gegen die nationalsozialistischen Kanzlermörder mag ja den Nachbetern Hitlers reichlich unbequem sein. Aber es wurde schon das erste Mal als eine P r o v o k a t i o n s c h w e r s t e r A r t empfunden, als ein Hitler-Bube das Denkmal eines von Millionen in Liebe und Treue verehrten Toten schändete. Nunmehr wurde wieder »eine der im österreichischen Volke schlummernden Kräfte geweckt« und die unterdes längst fachgemäß restaurierte Totenmaske wiederum durch Übergießen mit einer noch nicht näher untersuchten Flüssigkeit verschmiert. Dass die Flüssigkeit diesmal eher weinrote als braune Färbung aufweist, wird kaum genügen, den Verdacht der Täterschaft von der Hitler-Partei abzuwälzen. Die Tatsache, dass in den Pfingsttagen wieder fleißig nationalsozialistische Flugzettel gestreut wurden, lässt kaum einen Zweifel aufkommen, in welchem Lager der Täter zu suchen ist. (…) man würde sehr fehl gehen, wenn man annähme, dass diese Denkmalschändung nur als das zufällige Werk eines mutwilligen nationalsozialistischen Jugendlichen betrachtet wird. Nein, der junge Mann, der so unösterreichisch gehandelt hat, w u s s t e g a n z g e n a u , w a s e r m i t d i e s e r Ta t r i s k i e r t e . So etwas tut man nicht zufällig und von ungefähr, so etwas geschieht nur in A u s f ü h r u n g e i n e s w o h l e r w o g e n e n P l a n e s . Daher zweifelt auch nicht ein wirklicher Österreicher daran, dass diese neuerliche Denkmalschändung (…) wiederum nichts anderes ist als ein Werk der von r e i c h s d e u t s c h e r S e i t e m i t r e i c h l i c h e n G e l d m i t t e l n nach Österreich getragenen Propaganda. Gegen diese Propaganda aber werden wir Österreicher uns immer zur Wehr setzen. Eine wirkliche Befriedung kann erst dann kommen, wenn Hitler und Goebbels samt allen Führern kleineren Kalibers die österreichischen Nationalsozialisten nicht mehr als Sturmbock gegen die eigene österreichische Bevölkerung benützen. Die ganze Welt weiß ganz genau, dass diese »österreichischen Nationalsozialisten« nicht das Geld haben, um eine fortwährende kostspielige Aktion in Flugzetteln und sonstigen Beunruhigungen zu unterhalten. Dieses Geld muss von irgendwelcher Seite fortgesetzt zufließen. (…)

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Die Berichte

Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 11. Juli 1936 Geschäftszahl  : 342.342 G. D./St. B. 36 (Nachzahl  : 344.326 G. D./St. B. 36) Gegenstand  : Beschlagnahmte Korrespondenz. An den Herrn Sicherheitsdirektor für Salzburg in Salzburg. Euer Hochwohlgeboren werden eingeladen, eine Abschrift des beschlagnahmten Briefes vorzulegen, da die anher übermittelte Kopie vollkommen unleserlich ist. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 14. Juli 1936 Zl. 4359/1 (344.326/36) Betr.: Beschlagnahmte Korrespondenz. An das Bundeskanzleramt G. D./St. B. in Wien. Dem dortigen Erlass vom 11. D. M., Zl. 342.342 St. B., entsprechend, wird eine Abschrift des beschlagnahmten Briefes in Vorlage gebracht. Abschrift eines Briefes, der Anfang Juni 1936 von einem Reichsdeutschen an seinen Freund in Grödig gesendet wurde. Mein bester Freund  ! (…) Du siehst, ich bin noch immer der alte Schwärmer geblieben, vielleicht trägt es mit bei, dass ich mich in die heutige Zeit schwer finde. Gewiss, wir waren vorher auch nicht mehr zufrieden und hätten gerne auf die schönen Reden der NSDAP, die auch jedem das versprachen, was man gerne hörte. Aber was wir heute haben, das wollten wir bestimmt nicht  ! (…) ich wünschte, Du würdest diesen Zwang verspüren, es ginge Dir genau wie mir, es ist ein Vorgeschmack von Kommunismus. Wenn Du einmal Deine Meinung nicht mehr offen sagen darfst, wenn Du Dich im Wirtshaus zuerst umsehen musst, ob Dich niemand hört, der Dich »hinfängt«, denn das Wort Dachau schwebt dauernd wie ein Damoklesschwert über Dir oder im mindesten Falle Schutzhaft, dann lernst Du erst empfinden, was praktisch Nationalsozialismus heißt. Diese Lausbuben von SA und Hitlerjugend bespitzeln Dich, ich selbst bin auch auf der schwarzen Liste, Alter und Erfahrung gilt nicht mehr bei uns, und die Jugend, die praktisch nichts weiß, will Dich heute belehren. Ließest Du Dir das gefallen  ? Aber Du hast nichts zu sagen. Bei uns ist alles eine große Massensuggestion, und nur wer stumpfsinnig ist, ohne selbständiges Denken wie ein Tier

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einfach dem Befehl gehorcht, kann das mitmachen. Das Wort »individuell« ist aus unserem Sprachschatz gestrichen. »Panem et circenses« hieß es im alten Rom, »Brot und Spiele« zu Deutsch  ! Spiele und Aufzüge immer wieder in anderer Form. Bis ins Hysterische gesteigert, eben Propaganda, ist bei uns das Wichtigste. Dafür haben wir ja schließlich einen Propagandaminister, um die Fassade immer neu anzustreichen. Ich müsste Bände schreiben, bis ich Dir alles ins Kleinste erklärt hätte, aber bis ich Dir noch ein paar Mal schreibe, wirst Du Dir ein klares Bild machen können. Es ist wie im Theater, Schein, Kulisse und eine entsprechende Regie. Ein Uniformfimmel, ich kann Dir sagen, daher kommen die Kerle alle wie Generäle, es ist direkt ein Ekel. Das Grüßen will man uns auch erst lernen, »den deutschen Gruß« nennt man das, ja (…) höre und staune, unser altes liebes »Grüß Gott« oder »Guten Morgen« oder »Guten Abend« war kein deutscher Gruß  ! Wie rückständig waren wir doch, nicht wahr  ? Aber der römische Faschistengruß mit Erheben der rechten Hand und »Heil Hitler«, das ist der deutsche Gruß  ! Dieser ausgesprochene römische Imperatorengruß, mit dem die Gladiatoren schon in die Arena zogen mit dem Rufe »Ave Caesar Imperator, morituri te salutant«, wir sollen zum Tode gehen und ihn noch grüßen, unseren Cäsar  ! Den hat man zum deutschen Gruß gemacht und der blöde Haufen, der das nicht weiß, glaubt es. Außerdem ist es doch eine ganz blödsinnige Anhimmelung und Vergöttlichung, wenn man den ganzen Tag bei jeder Gelegenheit schreit »Heil Hitler« und es wundert mich nur, dass es selbst dies nicht schon längst verboten hat. Da wäre ich nun bei der Religion angelangt. Hitler soll ja in den Augen des deutschen Volkes als Halbgott gelten, als ein zweiter Christus, der einen neuen Glauben, eine neue Idee, in das Volk geworfen hat, ja in die Welt. Der alte Christus soll mit uns sterben und vergehen, die neue Generation soll dem Christentum entfremdet werden und soll in den Anschauungen der alten Germanen und deren Göttern wieder ihre Ideale sehen nach dem Willen der neuen Machthaber und des Reichsleiters Rosenberg und des Jugendführers Schirach, der sich Baldur nennt nach dem germanischen jugendlichen Gotte Balder. Lese nur Rosenbergs »Mythos des 20. Jahrhunderts«, dann wirst hören, dass das Christentum eine dem Deutschen völlig artfremde, ihm vom Osten her mit Gewalt aufgezwungene Fremdlehre sei, von der das deutsche Volk wieder befreit werden müsse und von diesem Juden Christus  ! Wir hatten in der Evangelischen Kirche schon einen schweren Kampf zu führen und sind ja noch in drei Lager gespalten. Kirchen wurden geschlossen, Geistlichen der Gehalt entzogen, 35 Geistliche waren in Konzentrationslagern und es kam vor in einzelnen Gemeinden, dass das Hitler-Bild auf den Altar gestellt wurde. Ich selbst habe drei Proteste mit unterschrieben. Dabei werden diese Strömungen von Regierungsseite in jeder Weise gefördert, während die Glaubensfront überall gehemmt wird und Gegenschriften bedeutender Theologen verboten werden, ja auf die gleiche Stufe mit Schundliteratur gestellt werden. Nicht wahr, das hast Du und

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Die Berichte

Eure Nazi noch nicht gewusst  ! Wir müssten eben einmal persönlich miteinander sprechen können. Du glaubst wohl, unsere sogenannte Arbeitsbeschaffung was da sind Kasernen, Flugplätze, Munitionslager, Autostraßen, Parteigebäude usw. ist alles bezahlt, da bist Du aber schwer im Irrtum, das sind Schulden, sogenannte Arbeitsbeschaffungswechsel, unsere Schuldenlast hat sich kolossal vermehrt und wir müssen zahlen, dass wir schwitzen. Wer das einst bezahlen soll, das wissen die Götter, vielleicht Wodan, wir spielen ein »Va banque Spiel«, alles gewinnen oder alles verlieren  ! Wie diese 99 Prozent bei der letzten sogenannten Wahl zustande gekommen sind, könnte ich Dir auch allerhand erzählen, doch davon das nächste Mal (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 15. Juli 1936 Geschäftszahl  : 344.029 G. D./St. B. 36 (Nachzahlen  : 356.781 St. B. 36) Gegenstand  : Ferienlager der österreichischen Lehrer in St. Gilgen. Der Unterrichtsminister Dr. Hans Pernter52 Wien, 7. Juli 1936 Hochwohlgeboren Herrn Vizekanzler Eduard Baar-Bahrenfels, Wien I. Wie mir heute vom Generalsekretariat der Vaterländischen Front mitgeteilt wird, veranstaltet der national eingestellte Österreichische Lehrerverein in der Zeit vom 6. bis 11. Juli l. J. ein Ferienlager für Salzburger Lehrer in Pöllach, Gemeinde St. Gilgen, Pension Nelly. In dem Ferienlager sind bereits 36 Teilnehmer eingetroffen. Mit der Durchführung des Lagers ist der Salzburger Landeslehrerverein betraut  ; die

52 Hans Pernter (1887–1951) studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien und trat nach der Promotion zum Dr. jur. 1911 in den wissenschaftlichen Dienst, wurde 1920 in das Staatsamt für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten versetzt und war 1922 bis 1939 im Bundesministerium für Unterricht tätig. 1923 wurde er Leiter der Präsidialabteilung, 1925 folgte die Ernennung zum Ministerialrat und 1932 zum Sektionschef, 1931/32 war er Staatskommissär für die Reform der Verwaltung und für den Abbau der Lasten, 1932 bis 1938 Verwaltungsrat der Ravag, 1933 wurde er Leiter der Bundestheater und Vorstand der Kunstsektion im Unterrichtsministerium, 1934 bis 1936 war er Staatssekretär für Unterricht und 1936 bis 1938 Bundesminister für Unterricht. Nach dem Anschluss wurde er verhaftet und in das KZ Dachau gebracht, anschließend in die KZs Flossenbürg und Mauthausen. 1939 wurde er aus dem Staatsdienst und 1940 aus der KZ-Haft entlassen, um 1945 neuerlich im KZ Mauthausen und anschließend im Landesgericht Wien interniert zu werden. 1945 trat er wiederum in den Staatsdienst (Bundeskanzleramt) ein und wurde einer der Gründungsväter der ÖVP, 1945 bis 1949 war er Nationalratsabgeordneter der ÖVP.

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administrative Leitung über das Lager hat der wegen seiner nationalsozialistischen Einstellung im Jahre 1935 in den dauernden Ruhestand versetzte Fachlehrer Karl Springenschmid53 in Salzburg inne. Wie ich heute durch den Sicherheitsdirektor von Salzburg erfahren habe, führt er überdies derzeit gegen Springenschmid eine Untersuchung wegen nationalsozialistischer Umtriebe. Da es mir unmöglich erscheint, dass unter solcher Leitung ein Ferienlager für österreichische Lehrer abgehalten wird, bitte ich Dich um eine entsprechende dringliche Weisung an den Sicherheitsdirektor. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 8. Juli 1936 Zl. 4539/1 Betr.: Ferienlager der österreichischen Lehrer in St. Gilgen. An das Bundeskanzleramt St. B. in Wien. Am 7.7.1936 wurde ich vom Sektionsrat Dr. Musil des Bundesministeriums für Unterricht telefonisch aufmerksam gemacht, dass in St. Gilgen ein Ferienlager vom 6. bis 11. Juli eröffnet wurde, in dem sich auch ein Lehrer Springenschmid befände, der glaublich nationalsozialistisch belastet wäre. Herr Minister Dr. Pernter wünsche genauere Auskunft. Nach den umgehend gepflogenen Erhebungen beehre ich mich Folgendes zu melden.

53 Karl Springenschmid (1897–1981) besuchte die Lehrerbildungsanstalt in Salzburg und war anschließend gemeinsam mit Karl Heinrich Waggerl Lehrer in Wagrain. 1929 wurde er Hauptschullehrer in Salzburg und 1936 wegen Betätigung für die NSDAP aus dem Schuldienst entlassen. Springenschmid galt als »Chefideologe« der Salzburger NSDAP und leitete nach dem Anschluss das »Gauamt für Erziehung«, das »Gauschulungsamt der Dienststelle Alfred Rosenberg« und den Nationalsozialistischen Lehrer-Bund (NSLB). Als Landesrat für Erziehung und Propaganda forcierte er eine antiklerikale Kulturpolitik und alle Formen des Brauchtums wie die »Arbeitsgemeinschaft für Deutsche Volkskunde« unter Helmut Amanshauser oder die »Forschungsstelle Bäuerliche Lebensformen« unter Karl Ruprecht. Am 30. April 1938 organisierte er auf dem Salzburger Residenzplatz die einzige größere offizielle Bücherverbrennung in Österreich, am 25. Juli 1938 wurde sein »Lamprechtshausener Weihespiel«, das er in Erinnerung an den Juli-Putsch in Lamprechtshausen verfasst und das er als Ersatz-Jedermann konzipiert hatte, aufgeführt. Im Zweiten Weltkrieg war er als Kriegsberichterstatter tätig, tauchte 1945 unter und war ab 1952 wiederum als freier Schriftsteller tätig. 1956 kehrte er nach Salzburg zurück, wo er in den folgenden Jahren zahlreiche Trivialromane, die die Bauern- und Bergführerwelt idealisierten, verfasste.

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Die Berichte

Bei einer Landesobmännerkonferenz des Österreichischen Lehrervereines, glaublich im März, wurde beschlossen, in Pöllach, Gemeinde St. Gilgen, eine gesellige Ferienwoche für Lehrer zu veranstalten. Dem Landesobmann von Salzburg, Schuldirektor i. P. Georg Bankosegger, wurde die Ortswahl und das Hotelabkommen übertragen. Das Ferienlager wurde vom Obmann des österreichischen Lehrervereines, Regierungsrat Lang in Wien, bei der Bezirkshauptmannschaft Salzburg angemeldet. Die Bezirkshauptmannschaft, die keinerlei Bedenken hegte, da es sich doch um Lehrer handelte, gab die Anmeldung dem Gendarmerieposten St. Gilgen mit dem Auftrag zu überwachen zur Kenntnis. Nach dem mir vom Gendarmerieposten zugekommenen Bericht steht das Ferienlager unter der Leitung des Hauptschullehrers Josef Hellbart aus Wien, dem als Turnlehrer Hauptschullehrer Sepp Schmidt aus Salzburg, Gesangslehrer Lehrer Sepp Dengg aus Köstendorf und für Vorträge Fachlehrer i. P. Karl Springenschmid zur Seite stehen. Die Verwaltung hat Hauptschullehrer Karl Steinkress aus Salzburg. Im Ferienlager befinden sich 36 Lehrer, die im beiliegenden Verzeichnis aufscheinen. Nach flüchtiger Überprüfung fand ich Namen von Lehrern, die in vergangener Zeit keine unwesentliche Rolle spielten, und zwar  : 1. Fachlehrer i. P. Karl Springenschmid, der disziplinär pensioniert wurde, gehörte nicht nur der NSDAP an, sondern ist auch heute noch tätig, nur fehlen noch die vor Gericht haltbaren Beweise. Seine schriftstellerische Tätigkeit in der Presse und Literatur ist allgemein bekannt. 2. Oberlehrer i. P. Josef Stamberg wurde gleichfalls disziplinär in den Ruhestand versetzt. Er war zweifellos der geistige Führer des Putsches in der Gemeinde Krispl am 28. Juli 1934. Die Beweise reichten damals nicht hin, um die gebührende Strafe zu verhängen. Sein Sohn wurde kürzlich nach Aufdeckung der Organisation der Hitlerjugend festgenommen. 3. Lehrer Rudolf Rihl war das geistige Haupt der nationalsozialistischen Bewegung vor dem Verbote und Ursache schwerer Exzesse. 4. Lehrer Schmid Sepp und 5. Lehrer Brandstätter Karl waren Funktionäre der NSDAP. Ihr gegenwärtiges Verhalten muss erst überprüft werden. Über sämtliche Lehrer werden zuständigen Ortes Erkundigungen eingezogen. Nach dem Vorgeschilderten sah ich mich veranlasst, die Bezirkshauptmannschaft Salzburg anzuweisen, das Ferienlager sofort aufzulösen. Der Landesschulrat wurde im Laufenden gehalten und wird Geeignetes veranlassen. Vom vereinsmäßigen Standpunkt wird der Landeslehrerverein überprüft.

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 14. Juli 1936 Zu Zl. 4539/1 vom 8.7.1936 An den Herrn Sicherheitsdirektor für Salzburg in Salzburg. Euer Hochwohlgeboren werden eingeladen, dem Bezirkshauptmann von Salzburg-­ Umgebung aufzufordern, sich unverzüglich zu rechtfertigen, warum dem Ferien­ lager des Österreichischen Lehrervereines, das von dem wegen nationalsozialistischer Parteitätigkeit disziplinierten Fachlehrer Karl Springenschmid geleitet wurde, nicht rechtzeitig die nötige Aufmerksamkeit zugewendet wurde, umso mehr, als ja seit längerer Zeit bekannt war, dass der Herr Bundeskanzler seinen Erholungsurlaub in St. Gilgen verbringen wird. Unter einem ergeht die Mitteilung, dass folgende Teilnehmer des Ferienlagers des Österreichischen Lehrervereines h. o. als ehemalige nationalsozialistische Parteigänger vorgemerkt erscheinen  : Otto Doppler (Parteimitgliedsnummer 363.240) Erwin Friedhuber (Parteimitgliedsnummer 898.885) Otto Jonke (Parteimitgliedsnummer (Parteibeitrittserklärung) Walter Komposch (Parteimitgliedsnummer 895.740) Emanuel Landerer (Parteimitgliedsnummer 441.768), überdies Mitglied der SA, Reservesturmbann II/7, Hans Malloth (Parteibeitrittserklärung) Jakob Obed (Parteimitgliedsnummer 781.092), war SA-Führer, trat einen Monat vor dem Verbot der NSDAP aus, ist seit 1. März 1934 Mitglied der VF, Rudolf Orlich (Parteimitgliedsnummer 1,210.109) Rudolf Rihl (Parteimitgliedsnummer 1,082.117) Ingo Ruetz (Parteimitgliedsnummer 898.969), wurde wegen Dienstverweigerung und Zahlungsrückständen jedoch aus der NSDAP ausgeschlossen, Josef Schmidt, nahm an einer am 18.11.1934 in der Schnapsbrennerei bei Munderfing stattgefundenen nationalsozialistischen Zusammenkunft teil, Karl Springenschmid (Parteimitgliedsnummer 1,306.826) Josef Stamberg (Parteimitgliedsnummer 513.991), nahm bewaffnet am Juliputsch in Adnet teil, Hans Zagler (Parteimitgliedsnummer 895.110) Raffael Hofer (Parteimitgliedsnummer 688.578), Mitglied des SA-Sturmes 27/II/6, Hanns Paul (Parteimitgliedsnummer 511.415), Mitglied der SA.

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Die Berichte

Bundespolizeidirektion Wien Wien, 12.9.1936 V. S. 3473/3/36 Betr.: »Österreichischer Lehrerverein«. Abhaltung eines Lagers in St. Gilgen. An das Bundeskanzleramt G. D./St. B. in Wien. Zu dem Erlass vom 14. Juli 1936, Zahl 344.029 G. D./St. B., beehrt sich die Bundespolizeidirektion Folgendes zu berichten  : Der Verein »Österreichischer Lehrerverein« mit dem Sitze in Wien VIII., Lange­ gasse Nr. 20, wurde im Jahre 1884 unter dem Titel »Deutschösterreichischer Lehrerbund« ins Leben gerufen und gründet seinen gegenwärtigen Rechtsbestand auf den Erlass des Bundeskanzleramtes vom 19. Juni 1935, Zahl 338.962 G. D. 2. Er bezeichnet sich nach Punkt 1 seiner Satzungen als »unpolitischer Verein von Berufsangehörigen des Lehrerstandes« und bezweckt nach Punkt 2 seiner Satzungen »die Jugendbildung und Erziehung im völkischen und vaterländischen Sinne sowie die Fortbildung der Lehrerschaft zu fördern und die wirtschaftliche Wohlfahrt seiner Mitglieder zu heben, soweit dies nicht den öffentlichen Berufskörperschaften gesetzlich vorbehalten ist.« Nach Punkt 5 der Satzungen besteht der Verein aus den »Landeslehrervereinen, die auf dem Boden seiner Satzungen stehen und vom Hauptausschuss aufgenommen werden.« (…) Die Gesamtmitgliederzahl beträgt etwa 7000  ; die einzelnen Landeslehrervereine bezahlen an den »Österreichischen Lehrerverein« pro Mitglied einen Jahresbeitrag von S 2,40. Der »Österreichische Lehrerverein« unterhält ein Erholungsheim in Hof-Gastein und in Laurana, Italien, welches von den Mitgliedern gegen entsprechende Bezahlung in Anspruch genommen werden können. Ferner gibt der Verein die »Deutschösterreichische Lehrerzeitung« heraus, für welche der Obmann Leopold Lang als verantwortlicher Schriftleiter zeichnet. An der Spitze des Vereines stehen nachstehende Funktionäre  : Der Bezirksschulinspektor i. R. Leopold Lang (am 26. Oktober zu Wien geboren, zuständig, katholisch, verheiratet), in Wien XVI., Hubergasse 15/8 wohnhaft, als Obmann, der städtische Lehrer Josef Hellbart (am 15. Februar 1890 in Wien geboren, zuständig, katholisch, ledig), in Wien XVIII., Klemens Hofbauer-Platz Nr. 2-3 wohnhaft, als Schriftführer, der Oberlehrer Alfred Kreis (am 26. Dezember 1872 in Wien geboren, zuständig, evangelisch A. B., verheiratet), in Wien IV, Mommsengasse Nr. 19 wohnhaft, als Zahlmeister,

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der Oberlehrer i. R. Emil Bayer (am 2. Juli 1879 in Hof Sternberg, Mähren, geboren, nach Wien zuständig, katholisch, verheiratet), in Wien XIX., Heiligenstätterstraße Nr. 3/10 wohnhaft, der Volksschullehrer Otto Dekan (am 30. Juli 1897 in Wien geboren, zuständig, katholisch, verheiratet), in Wien XII., Schönbrunnerstraße Nr. 280 wohnhaft, der Fachlehrer i. R. Hans Mikschy (am 8. Oktober 1888 in Wien geboren, nach Baden zuständig, katholisch, verheiratet), in Wien VIII., Langegasse Nr. 25 wohnhaft gewesen, seit 6. Juni 1935 nach Baden bei Wien abgemeldet, die städtische Lehrerin Friederike Palm, geborene Svobods (am 29. Juni 1893 in Wien geboren, zuständig, katholisch, Verheiratet), in Wien VIII., Neudeggergasse Nr. 8/7 wohnhaft, der städtische Lehrer Fritz Peter (am 3. April 1893 in Wien geboren, zuständig, katholisch, verheiratet), in Wien VIII., Hernalser Hauptstraße Nr. 30/24 wohnhaft, und der Bürgerschullehrer Adolf Richter (am 9. Jänner 1883 in Mostar, Herzegowina, geboren, nach Wien zuständig, katholisch, verheiratet), in Wien XVII., Hormayergasse Nr. 23 wohnhaft, als Vorstandsmitglieder. Von diesen Personen wurde Leopold Lang im Jahre 1935 zum Zahlmeister-Stellvertreter des »Deutschen Schulvereines ›Südmark‹« gewählt und ist außerdem noch sonst als Funktionär verschiedener deutscher Vereine vorgemerkt. Josef Hellbart gilt in seinem Bekanntenkreise als Anhänger der NSDAP, ohne sich jedoch politisch zu betätigen. Otto Dekan war im Jahre 1928 Obmann der »Pennalen Burschenschaft der Ostmark«, welche mit dem Erlasse des Bundeskanzleramtes (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) vom 9. Oktober 1933, Zl. 218.161 G. D. 2, wegen ihrer nationalsozialistischen Einstellung behördlich aufgelöst worden ist. Ferner gehörte er dem »Deutschösterreichischen Jugendbund« als Mitglied des Leitungsausschusses an. Dieser Verein, welcher sich im Jahre 1936 freiwillig aufgelöst hat, stand ebenfalls im dringenden Verdachte nationalsozialistischer Einstellung und Betätigung. Die Vorgenannten sind bis auf Leopold Lang, welcher mit dem Urteile des Strafbezirksgerichtes I in Wien vom 4. März 1931, Zahl 5 U 114/31, gemäß § 30 Pressegesetz zu einer Geldstrafe von S 50, eventuell 48 Stunden Arrest, verurteilt wurde, straflos. Bemerkt sei, dass nach einer der dortigen Stelle zugekommenen vertraulichen Mitteilung im Sommer des Jahres 1934 in dem Ferienheim in Laurana (Italien) nationalsozialistische Umtriebe stattgefunden haben sollen und am 25. Juli 1934 anlässlich der Ermordung des Bundeskanzlers Dr. Dollfuß dort geradezu ein Fest gefeiert worden sein soll. Der »Wiener Lehrerverein« mit Sitz in Wien VIII., Josefsgasse Nr. 12, wurde im Jahre 1896 gebildet und gründet seinen gegenwärtigen Rechtsbestand auf den Erlass der Magistratsabteilung 2 vom 24. Dezember 1935, Zahl 9155. (…)

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Die Berichte

An der Spitze des Vereines stehen nach der letzten Wahlanzeige von 1936 folgende Personen  : Otto Hobinka, Sonderschullehrer, Wien XIII., Goldschlagstraße Nr. 160 wohnhaft, als Obmann, Margarete Wegerer, Hauptschullehrerin, Wien XIII., Speisingerstraße Nr. 18 wohnhaft, als Obmann-Stellvertreterin, Otto Dekan, Volksschullehrer, Wien XVI., Ottakringerstraße Nr. 111 wohnhaft, als Schriftführer, Rudolf Tretter, Volksschullehrer, Wien XVIII., Weinhausergasse Nr. 3 wohnhaft, als Zahlmeister und Dr. Leopold Watzeck, Hauptschullehrer, Wien XXI., Demmergasse Nr. 5 wohnhaft, als Schriftleiter. Von diesen Personen war Dr. Leopold Watzeck Kandidat der Großdeutschen Partei für die Bezirksratswahlen im Oktober 1923. (…) Im Jahre 1935 wurde auf nationalsozialistische Umtriebe in diesem Verein aufmerksam gemacht, es konnte jedoch bis heute keine Wahrnehmung in dieser Hinsicht gemacht werden. Die beiden genannten Vereine wurden von der Bundespolizeidirektion Wien in Überwachung genommen. (…)

2. »… und sympathisiert heute noch insgeheim mit dieser Partei.« Die anhaltende Faszination der NSDAP

Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 21. Februar 1934 Zahl 46/10. (133.749/34) Österreichische Legionäre, Rückkehr Nach Österreich An das Bundeskanzleramt – GD. – St. B. in Wien I. Durch Vertrauenspersonen wurden die in letzter Zeit aufgetauchten Nachrichten überprüft und bestätigt, dass die nach Deutschland geflüchteten Nationalsozialisten in nächster Zeit wieder in die Heimat zurückinstradiert werden sollen. Diese Rückkehr der österreichischen Legionäre soll ohne Waffen in starken Gruppen von 300 bis 500 Mann erfolgen und die Grenze unter Gesang und mit klingendem Spiel, also ohne Gewaltanwendung, überschritten werden. Gleichzeitig sollen kleinere Trupps dazu ausersehen sein, die mit der Behandlung der großen Gruppen beschäftigte österreichische Exekutive durch Ablassen von Luftballons und Raketen zu zersplittern und im Lande Beunruhigung hervorzurufen. Außer diesen Nachrichten sind der Bundespolizeidirektion in Salzburg am 20. ds. Mts. anlässlich der Verhaftung einer Gruppe von 10 Nationalsozialisten Briefe in die Hände gefallen … Aus diesen geht unzweifelhaft hervor, dass weiters die Absicht besteht, auch mit Terrorakten gewalttätig vorzugehen, wenn die derzeitige über Parteibefehl eingeschaltene Ruhepause abgelaufen sein wird. Hierüber wurde am 20. ds. Mts. abends ha. unter Beiziehung des Ortskommandos und der Bezirkshauptmänner der Salzburger Grenzbezirke eine Besprechung abgehalten. Übereinstimmend wurde von der Annahme ausgegangen, dass dem gewissermaßen friedlichen Eindringen der starken Gruppen nicht mit Waffengewalt entgegengetreten werden könne, dass aber alles aufgeboten werden müsse, um die Landeshauptstadt vor einer nationalsozialistischen Invasion zu bewahren, sonst unvermeidbare Verbrüderungen und folgenschwere politische Demonstrationen u. ä. im Grenzlande und besonders in der Landeshauptstadt durch raschesten organisierten Abtransport zu unterbinden. (…)

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Die Berichte

Die die Grenze überschreitenden Gruppen müssen sofort nach rückwärts gemeldet und von aufgestellten Auffangtruppen eingekreist werden. Als Perlustrierungsstation wird das in der Nähe der Grenze zwischen den Ortschaften Rott und Siezenheim (Bezirk Salzburg) gelegene Schloss Kleßheim vom Lande zur Verfügung gestellt. Dieses ist mit einer zirka 2 m hohen steinernen Umfassungsmauer umgeben und verbindet den Vorteil relativer Bahnnähe. Schloss Kleßheim wird daher als Perlustrierungsstation für die im Bezirke Salzburg und Hallein aufgehaltenen Repatrianten zu dienen haben. Der Bezirk Zell am See wird sich anderweitig behelfen müssen. Eine weitere Möglichkeit, den Weg in die Heimat zu erzwingen, ist den nationalsozialistischen Legionären durch Benützung der Eisenbahn München-Salzburg gegeben, wobei sie entweder vorher ungesehen überfallsartig direkt nach Salzburg gelangen oder aber, um der Bahnhofkontrolle zu entgehen, auf offener Strecke zwischen der Bundesgrenze an der Saalachbrücke und dem Stadtgebiet Salzburg halten und die Züge verlassen können. Aus dem Gesagten geht hervor, dass hinter den stets der Gefahr des Überranntwerdens ausgesetzten Grenzüberwachungsposten in einem gewissen Abstande starke Kräfte bereit gestellt werden müssen mit der Aufgabe, die über die Grenze einmarschierenden Gruppen aufzufangen und die erwähnte Bahnstrecke Bundesgrenze-Salzburg mit der gleichen Bestimmung zu überwachen. Da acht Grenzübertrittsstellen in Betracht zu ziehen sind, müssen infolge ihrer räumlichen Distanz ebenso viele Stützpunkte mit Aufnahmemannschaften in mindestens Kompaniestärke besetzt werden. Außerdem darf die Perlustrierungsstation Schloss Kleßheim einer starken ausgesuchten Überwachungsmannschaft und müssen schließlich bewegliche Reserven verfügbar sein, um einerseits die zu erwartenden Beunruhigungstrupps unschädlich zu machen, andererseits Terrorgruppen und Unruheherde mit aller Entschiedenheit niederzuzwingen. Für die Auffangstützpunkte kommen in erster Linie Schutzkorpskompanien unter Leitung von Gendarmerie in Betracht, doch muss zur Verstärkung derselben auch Militär herangezogen werden. Als Reserve kommt ausschließlich Militär in Frage. Derzeit stehen nur das Alpenjägerbataillon Nr. 3 in Salzburg, von dem eine Kompanie nach Hallein disloziert wurde, und eine Kompanie des Alpenjägerregimentes Nr. 12 aus Innsbruck in Oberndorf a. d. S. zur Verfügung. Im Herbst 1933 dagegen waren 5 Bataillone im Bundeslande Salzburg stationiert. Soll den Aufgaben der neuen Sachlage nachgekommen werden können, erscheint die Transferierung von 2 Bataillonen, womöglich motorisierte Truppen, eine unbedingte Notwendigkeit. Da der Aufenthalt der zurückkehrenden Legionäre im Grenzgebiete aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit auf das kür-

Die anhaltende Faszination der NSDAP

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zeste Zeitmaß beschränkt werden und der Abtransport nach den Bundesländern ordnungsgemäß geregelt werden muss, wird auch auf die Notwendigkeit der Beistellung einer entsprechenden Anzahl von Kriminalbeamten des Bundes-Polizeidirektion in Wien bzw. Graz zur Mithilfe bei Perlustrierungen der Repatrianten verwiesen. Diese Aufgabe könnte mit den Kriminalbeamten der Bundes-Polizeidirektion Salzburg und Gendarmeriebeamten allein unmöglich gelöst werden. Der Abtransport der nach Ländern zusammengefassten Repatrianten muss so rasch als möglich betrieben werden, da weder Schlafstätten bereitgestellt werden können noch die Möglichkeit zur Massenverpflegung vorhanden wäre. Beide könnten nur unter Aufwendung entsprechender erst zur Verfügung zu stellender Mittel beschafft werden. Auch würde die Landesregierung nomine der Salzburger-Landesfonds, dem der Schlossbesitz Kleßheim gehört, einer längeren Benützung nicht zustimmen. Schließlich sei auch auf die Kostenfrage des Abtransportes der Repatrianten ganz besonders verwiesen. Da damit gerechnet werden muss, dass dieselben jedenfalls ohne nennenswerte Geldmittel ausgestattet sein werden und die Abfertigung mittels Einzelfahrkarten nicht nur äußerst umständlich wäre, sondern die Überweisung eines entsprechenden größeren Bargelderlages zur Voraussetzung haben müsste, wird es sich empfehlen, mit der Generaldirektion der österreichischen Bundesbahnen die Abfertigung mittels Transportscheinen unter Kreditierung der Kosten vorzusehen. Es wird daher gebeten, in erster Linie die Grundsätze über die Frage der Behandlung der Repatrianten festzulegen, beim Bundesministerium für Landesverteidigung die Zutransferierung von wenigstens 2 motorisierten Bataillonen zu erwirken und zur Unterstützung bei der Perlustrierung der Repatrianten eine Anzahl von 20 Kriminalbeamten anher zuteilen zu wollen, sowie schließlich bei der Generaldirektion der österreichischen Bundesbahnen die Modalitäten der Transportabfertigung in einfachster Form festzulegen. Die die Zeit, bis zu welcher mit dem Eintreffen der Repatrianten gerechnet werden muss, äußerst kurz bemessen ist, erscheint große Dringlichkeit der Regelung dieser Frage geboten, um die Gefahr abzuwehren, welche nicht nur dem Grenzlande und der hiesigen Hauptstadt, sondern auch dem Inneren des Bundesgebietes drohen. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 27. Februar 1934 Zahl 1257. Ersatzvorschreibung. Bescheid Von Amts wegen wird nachstehender Bescheid erlassen  : Spruch

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Die Berichte

Herrn 1. Franz Hirschmann, Schuhmachermeister in Taxenbach, 2. Roman Färbinger, Bäckermeister in Taxenbach und 3. Rudolf Höhn, Gemischtwarenhändler in Taxenbach wird im Sinne des § 1 der Vdg. der Bundesregierung vom 12.1.1934, B. G. Bl. Nr. 20 hiermit vorgeschrieben, an das Steueraufsichtsamt in Taxenbach einen Betrag von 134 S 31 g binnen längstens drei Tagen nach Zustellung dieses Bescheides bei sonstiger zwangsweisen Eintreibung zu leisten. Die Genannten haften für den vorgeschriebenen Schadenersatz zur ungeteilten Hand. Begründung Am 20. Jänner 1934 wurde im Zuge der nationalsozialistischen Propaganda vor dem Gerichtsgebäude in Taxenbach ein Papierböller von unbekannten Tätern zur Explosion gebracht. Hierdurch wurde am Gerichtsgebäude ein Schaden von insgesamt 134 S 31 g angerichtet. Der vorgeschriebene Schadenersatzbetrag ist ungedeckt. Die Genannten haben den Anschlag insoferne begünstigt und gefördert und dadurch mitverschuldet, als sie als Mitläufer der NSDAP aktiv und propagandistisch tätig waren und sind daher im Sinne des § 1 der zitierten Verordnung für den verursachten Schaden mitverantwortlich sowie zur Schadenwiedergutmachung zur ungeteilten Hand haftbar zu machen. Die Voraussetzungen für die im Spruche verfügten Ersatzvorschreibungen waren daher voll gegeben. Rechtsmittelbelehrung Gegen diesen Bescheid kann von den Verpflichteten binnen zwei Wochen nach erfolgter Zustellung beim Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg, Churfürststraße Nr. 1/II., Berufung erhoben werden. Einer allfälligen Berufung kommt jedoch eine aufschiebende Wirkung n i c h t zu  ; diese Ersatzvorschreibung tritt daher s o f o r t in Kraft. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 2. März 1934 Zahl  : 709/1 (134.124/34) Betriff  : Dr. Reiter Florian, Ersatzvorschreibung. Bescheid Von Amts wegen wird nachstehender Bescheid erlassen  : Spruch Herrn Medizinalrat Dr. Florian Reiter in Anif wird im Grunde des § 1 der Vdg. der Bundesregierung vom 12.1.1934, BGBl. 20, hiermit vorgeschrieben, an Herrn Schriftsteller Joseph August Lux in Anif einen Betrag von 8 S 10 g binnen längstens drei Tagen nach Zustellung dieses Bescheides bei sonstiger zwangsweisen Eintreibung zu leisten.

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Begründung Am 30. Jänner 1934 wurde im Zuge der nationalsozialistischen Propaganda in Anif hinter dem Hause des Schriftstellers Joseph August Lux ein Papierböller von unbekannten Tätern zur Explosion gebracht. Hierdurch wurden am Hause des Genannten 7 Fensterscheiben zertrümmert, wodurch ein Schaden von insgesamt 8 S 10 g angerichtet wurde. Medizinalrat Dr. Florian Reiter hat den Anschlag insoferne begünstigt und gefördert und dadurch mitverschuldet, als er früher als Anhänger der NSDAP propagandistisch tätig war und ist daher im Sinne des § 1 der zit. Vdg. für den verursachten Schaden mitverantwortlich sowie zur Schadenswidergutmachung haftbar zu machen. Die Voraussetzung für die im Spruche verfügte Ersatzvorschreibung war daher voll gegeben. (…) Bundeskanzleramt Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit Geschäftszahl  : 134 123 GD 2/1934 (Vorzahl  : 135 981 – 34) Gegenstand  : Ablinger Johann in Saalfelden Ersatzleistung für Schäden aus Terrorakten. An den Verwaltungsgerichtshof Wien I, Nibelungengasse 4. Beschwerdeführer  : Johann Ablinger, Apotheker in Saalfelden Vertr. durch Rechtsanwalt Dr. Ferdinand Metz, Saalfelden. Beschwerde Gegen den Bescheid des Bundeskanzleramtes 134123-GD 2 vom 5.4.1934. Mit Bescheid des Sicherheitsdirektors des Bundes für das Bundesland Salzburg Zahl 356/195 vom 17.11.1934 wurde mir aufgetragen, im Grunde des § 1 der Vdg. der Bundesregierung vom 12.1.1934 B. G. Bl. Nr. 20 an die Marktgemeinde Saalfelden binnen drei Tagen bei Zwangsvermeidung den Betrag von 5 S zu bezahlen. Derselbe wurde mir als Schadensgutmachung für die am 28.1.1934 durch die Explosion eines Papierböllers erfolgte Beschädigung eines Zaunes auferlegt und zwar mit der wörtlichen Begründung  : »Der Genannte (Beschwerdeführer) hat den Anschlag insoferne begünstigt und gefördert und dadurch mitverschuldet, dass er als radikaler Anhänger der NSDAP früher propagandistisch tätig war und ist daher im Sinne des § 1 der zit. Vdg. für den verursachten Schaden mitverantwortlich sowie zur Schadensgutachtung haftbar zu machen.«

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Die dagegen eingebrachte Berufung wurde vom Bundeskanzleramte mit dem Bescheid 134123 – GD 2 vom 5. April 1934 (ausgefertigt in Form eines Vordruckformulares) abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt mit der Begründung  : Die zutreffenden Gründe desselben waren auch für den Berufungsbescheid maßgebend. Gegen diesen Bescheid des Bundeskanzleramtes bringe ich durch meinen zum Akte bereits ausgewiesenen Machthaber Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof ein und mache mit derselben Rechtswidrigkeit geltend, welche, wie in der Berufung, wie folgt dargelegt wird  : Gem. § 1 der Verordnung vom 12.1.1934 vom 12.1.1934 B. B. Bl. Nr. 20 (Im Folgenden kurz Verordnung genannt) kann solchen Personen der Ersatz von Schäden auferlegt werden, welche durch ihr Verhalten die mit Strafe bedrohte Handlung begünstigt oder gefördert oder nachträglich gutgeheißen haben. Keine dieser eine Schadensgutmachung allein rechtfertigenden Tatsachen wird im angefochtenen Bescheide auch nur behauptet, sondern derselbe rechtswidrig auf die Behauptung gestützt, dass ich früher als radikaler Nationalsozialist propagandistisch tätig war. Es brauchte eigentlich nicht weiter ausgeführt zu werden, dass diese Begründung jeder rechtlichen und auch moralischen Grundlage entbehrt. Meine Zugehörigkeit zur NSDAP war bis zu deren Verbot erlaubt und können daher aus dieser Mitgliedschaft keinerlei für mich nachteilige Folgen daran geknüpft werden. Bemerkt sei noch, dass ich bis zum Knallen der ersten Papierböller überhaupt keine Ahnung von deren Existenz hatte und daher noch viel weniger daran dachte, dass solche einmal verwendet werden könnten, denn es dauerte von der Auflösung der NSDAP bis zur Verwendung der ersten Papierböller einige Monate. Um als ehemaliger Nationalsozialist einigermaßen berechtigt zum Schadenersatz herangezogen werden zu können, müsste ich doch wenigstens eine Ahnung von der Verwendung von Papierböllern gehabt und doch wenigstens irgendwie und wann meine Mittäterschaft im Sinne der Vdg. vom 12.1.1934 zum Ausdruck gebracht haben. Da dies nicht der Fall ist, konnte derartiges auch nicht behauptet werden. Es ist damit ohne jeden Zweifel klar, dass angefochtener Bescheid rechtswidrig erlassen wurde. Ich stelle daher den Antrag  : Es wolle der Bescheid des Bundeskanzleramtes vom 5. April 1934 134123 – GD 2 und damit der Bescheid des Sicherheitsdirektors des Bundes für das Bundesland Salzburg vom 17. Februar 1934 356/195 aufgehoben und dieser Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt werden.

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Zu Ziffer 674/34 vom 25. Mai 1934 An den Verwaltungsgerichtshof in Wien. (…) Bescheid (…) Spruch  : Dem Antrag wird keine Folge gegeben und der eingebrachten Verwaltungsgerichtshofbeschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 49 des Gesetzes vom 16. Mai 1930, B. G. Bl. Nr. 153, in der Fassung des Art. II der Verordnung der Bundesregierung vom 21. Juli 1933, B. G. Bl. Nr. 324, n i c h t zuerkannt. Begründung  : Nach der obzitierten Gesetzesstelle hat die Behörde die aufschiebende Wirkung insbesondere zuzuerkennen, soweit der Vollzug einer Freiheitsstrafe, der Strafe des Verfalles oder der Entziehung von Bewilligungen in Betracht kommt, es sei denn, dass öffentliche Rücksichten die sofortige Vollstreckung gebieten. Im vorliegenden Falle ist die Beschwerde aber nur gegen eine Geldleistung gerichtet, weshalb ein Grund für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht gegeben erscheint. Überdies ist die sofortige Vollstreckung aus öffentlichen Rücksichten geboten, da zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit eine unverzügliche Instandsetzung der durch Terroraktionen verursachten Schäden, zu welchem Zwecke der vorgeschriebene Betrag dient, geboten ist. (…) Bundeskanzleramt Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit 8. Februar 1935 Geschäftszahl  : 309.671 GD 2/1934 (Vorzahl  : 190.907-GD 2/34) Gegenstand  : Ablinger Johann Bundesgerichtshof-Beschwerde  ; Einstellung des Verfahrens. An den Herrn Sicherheitsdirektor für Salzburg in Salzburg. Der Bundesgerichtshof hat das aufgrund der Beschwerde von Johann Ablinger in Saalfelden gegen den Bescheid vom 5. April 1934, Zl. 134.123-GD 2, anhängige Verfahren mit Beschluss vom 11. Oktober 1934, Zl. A 674/34 VwGH., gemäß Artikel I, § 2 (2) des Bundesverfassungsgesetzes vom 24. September 1934, B. G. Bl. II Nr. 254, eingestellt. …

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Der Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg Salzburg, 9. Februar 1934 Zahl 863 Betreff  : Ersatzleistung für den Böllerschaden der Firma Ornstein, Salzburg. Bescheid Von Amts wegen wird nachstehender Bescheid erlassen  : Spruch Herrn Michael Martin, Inhaber der I. hygienischen Dampfbäckerei, Salzburg, Griesgasse 15, Herrn Ludwig Dillinger jun., Fleischhauer- und Selcherei-Inhaber, Salzburg, Linzergasse 64 und Herrn Dr. Walter Guttenberg, Arzt in Maxglan, Wiesbauerstraße 15, wird im Grunde § 1 der Verordnung der Bundesregierung vom 12.1.1934, B. G. Bl. Nr. 20 hiermit vorgeschrieben, der Firma Ornstein,54 Kleiderhaus in Salzburg, Getreidegasse 24, den Betrag von S 4.000,- binnen längstens 8 Tagen nach Zustellung dieses Bescheides bei sonstiger zwangsweisen Eintreibung zu leisten. Die Genannten haften für den vorgeschriebenen Schadenersatz zu ungeteilten Hand. Begründung Am Sonntag, dem 4.2.1934 wurde im Zuge der nationalsozialistischen Terrorpropa­ ganda in der Getreidegasse 24 beim Kleidergeschäft der Firma Ornstein ein Papierböller von unbekannten Tätern zur Explosion gebracht. Hierdurch wurde im Geschäfte der Firma Ornstein ein Sachschaden von ca. S 9.000,– angerichtet. Ein Schaden von S 5.000,- ist durch Versicherung gedeckt, sodass ein Betrag von S 4.000,– ungedeckt aushaftet. Die Genannten haben den Anschlag insoferne begünstigt und gefördert und dadurch mitverschuldet, als sie früher als Mitglieder der NSDAP aktiv und propagandistisch tätig waren und sind daher im Sinne des § 1 der bezogenen Verordnung für den bewirkten Schaden mitverantwortlich sowie zur Schadensgutmachung zur ungeteilten Hand haftbar zu machen. 54 Das jüdische Kaufhaus L. Ornstein war in der Zwischenkriegszeit immer wieder Attacken nationalsozialistischer und antisemitischer Gruppierungen ausgesetzt. 1921 richtete der nationalsozialistische »Salzburger Volksruf« eine Anfrage an die christlichsoziale »Salzburger Chronik«, wie lange diese die »deutsch-arisch-christlichen Kunden« durch Inserate verschiedener Judenfirmen vom Einkauf in arischen Geschäften abhalten wolle. 1926 erregte die »arischen Gemüter« die Werbung der Firma L. Ornstein für den »Lodenmantel Marke Wetterfest« im »Salzburger Volksblatt«. (Gert Kerschbaumer  : Die erste Republik und der Ständestaat. – In  : Feingold (Hg.)  : Ein ewiges dennoch. S. 131–170.)

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Rechtsmittelbelehrung Gegen diese Ersatzvorschreibung kann von den Genannten binnen 2 Wochen nach Zustellung beim Sicherheitsdirektor in Salzburg, Churfürstgasse ½. Stock Berufung eingebracht werden. Einer allfälligen Berufung kommt gemäß § 2 der zit. Verordnung eine aufschiebende Wirkung nicht zu  ; diese Ersatzvorschreibung tritt daher sofort in Kraft. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 22. März 1934 Zl.: 138.874-GD 2. Betreff  : Martin Michael, Dillinger Ludwig, Guttenberg Walter Dr., Ersatzleistung für Schäden aus Terrorakten. Bescheid In Erledigung der gegen den Bescheid des Sicherheitsdirektors für Salzburg vom 9. Februar 1934, Zahl 863, erhobenen Berufung des Ludwig Dillinger und Dr. Walter Guttenberg erlässt das Bundeskanzleramt den nachstehenden Bescheid  : Spruch  : Den Berufungen wird k e i n e Folge gegeben und im Grunde des § 1 der Verordnung der Bundesregierung vom 12. Februar 1934, B. G. Bl. Nr. 20, erlassene Ersatzvorschreibung hiermit bestätigt. Begründung  : Die zutreffenden Gründe des angefochtenen Bescheides waren auch für den vorstehenden Spruch maßgebend. (…) Ludwig Dillinger jun. Salzburg, Linzergasse 64 Salzburg, 13. Juni 1934 Verwaltungsgerichtshof in Wien Mit dem Bescheid des Sicherheitsdirektors für das Bundesland Salzburg vom 9.2.1934 Zl. 863 wurde ich im Grunde des § 1 der Verordnung der Bundesregierung vom 12.1.1934 B. G. Bl. Nr. 20 zusammen mit Herrn Michael Martin, … und Dr. Walter Guttenberg … für den bei der Firma Ornstein, Kleiderhaus in Salzburg, Getreidegasse 24, durch einen Bölleranschlag entstandenen Schaden in der Höhe von S 4.000,- haftbar gemacht. Ich habe gegen diesen Bescheid in offener Frist die Berufung eingebracht, jedoch hat mit Bescheid vom 22.3.1934 das Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Zl. 138.874-GD 2 der Berufung keine Folge gegeben, sondern

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die erlassene Ersatzvorschreibung aus den »zutreffenden« Gründen des angefochtenen Bescheides bestätigt. Gegen diesen Bescheid des Bundeskanzleramtes (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit), zugestellt am 26.5.1934, erhebe ich in offener Frist durch meinen Anwalt55 die Beschwerde an den hohen Verwaltungsgerichtshof und führe dieselbe aus wie folgt  : Ich mache als Beschwerdegrund Verletzung des Gesetzes in formeller und materieller Hinsicht geltend. Wir sich aus der Begründung des Bescheides des Sicherheitsdirektors von Salzburg vom 9.2.1934 ergibt, wurde ich zusammen mit den genannten beiden Herren für den Schadenersatz deshalb haftbar gemacht, weil, wie der Bescheid wörtlich ausführt, »die Genannten den Anschlag insofern begünstigt und gefördert und dadurch mitverschuldet haben, als sie früher als Mitglieder der NSDAP aktiv und propagandistisch tätig waren.« Ich habe in meiner Berufung sofort betont, dass ich niemals Mitglied der NSDAP gewesen bin und habe Erhebungen darüber beantragt. Es ist mir unerfindlich, auf welche Kenntnisse sich die Sicherheitsdirektion Salzburg bei Erlassung des Bescheides gestützt hat, denn es ist glattweg ausgeschlossen, dass ich irgendwo als Mitglied der NSDAP auch zu Zeiten, wo die Partei noch nicht verboten war, aufscheine. Würde dies der Fall sein, so würde ein Missbrauch vorliegen. Ich selbst habe niemals eine Beitrittserklärung weder schriftlich noch mündlich abgegeben und habe mich in keiner Weise für die Partei irgendwie betätigt. Es kann daher mit Recht niemand behaupten, dass ich als Mitglied der NSDAP früher aktiv und propagandistisch tätig war. Die ganze Tätigkeit für die NSDAP bestand in einer Spende von S 30 zur Zeit, als die Partei und deren Mitglieder vollständig legal neben den übrigen Parteien bestanden hat, nämlich im Februar oder März 1933. Es ist eine gerichtsbekannte Tatsache, dass ein Geschäftsmann mit Kunden aus allen Ständen und allen Parteien, wie dies bei mir der Fall ist, von allen möglichen Vereinen und Organisationen um Spenden angegangen wird und dass er im Interesse des Geschäftes alle Kunden gleich behandeln muss. Ich habe daher seinerzeit ebenso die NSDAP wie dem Heimatschutz oder der Winterhilfe der Landesregierung oder den Kriegsinvaliden oder der Katholischen Frauenorganisation oder dem Kriegerverein etc. eine Spende von S 30 zugedacht, wobei ich betone, dass der Betrag nicht etwa höher war als bei Spenden für andere Parteien und Organisationen. An jährlichen Spenden für die verschiedenen Organisationen gebe ich mindestens S 400,- bis

55 Dr. Karl Wagner, Dreifaltigkeitsgasse 12, Salzburg.

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500,- aus, obwohl ich mich nirgends irgendwie sonst aktiv betätigt habe oder Mitglied war. Ich habe mein Leben lang keine Versammlung oder sonstige Veranstaltung der NSDAP besucht, habe mich für diese Partei genau so wenig interessiert wie für alle anderen und es entbehrt daher die Begründung des Bescheides der Sicherheitsdirektion jeder Grundlage. (…) Aber auch die rechtliche Beurteilung des angefochtenen Bescheides, der die Gründe des Bescheides der Sicherheitsdirektion übernommen hat, ist verfehlt. Selbst wenn ich früher Mitglied der NSDAP gewesen wäre, wäre meines Erachtens die Anwendung des § 1 der zit. Verordnung nicht gerechtfertigt, weil der Beschwerdegegner selbst nicht behauptet und behaupten kann, dass ich seit Auflösung der NSDAP auch nur irgendwie die Partei begünstigt oder gefördert oder gutgeheißen habe. (…) Bundesgerichtshof Zl. A 960/34. Wien, 23. November 1934. Beschluss Da der von Ludwig Dillinger jun. in Salzburg angefochtene Bescheid des BKA, Zl. 136.874-GD 2 aufgrund einer im Art. I, § 1, des Bundesverfassungsgesetzes vom 24. September 1934, B. G. Bl. Nr. II/254, angeführten Verordnung ergangen ist, wird das Verfahren gemäß Art. I, § 2 (2) eingestellt.56 Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 16. März 1934 Zl.: 1175/3 (141.350/34) Betreff  : Ersatzvorschreibung. Bescheid Von Amts wegen wird nachstehender Bescheid erlassen  : Spruch 1. Herrn Andreas Joiser, Landwirt in Großgmain Nr. 71, 2. Herrn Johann Hillebrand, Landwirt in Großgmain Nr. 81, 3. Herrn Florian Haderer, Schuhmachermeister in Großgmain Nr. 60, 4. Frau Else Gayl in Großgmain Nr. 48, 56 Die Beschwerde wurde damit abgewiesen.

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5. Frau Klara Krause in Großgmain Nr. 118 und 6. Herrn Josef Siller, Maurer und Hausbesitzer in Großgmain Nr. 94 wird im Grunde des § 1 der Verordnung der Bundesregierung vom 12.1.1934, B. G. Bl. Nr. 20, hiermit vorgeschrieben, an das Pfarramt in Großgmain einen Betrag von 1406 S 65 g und Herrn Hans und Andreas Vötterl, Hotelbesitzer in Großgmain, einen Betrag von 334 S 45 g binnen längstens drei Tagen nach Zustellung dieses Bescheides bei sonstiger zwangsweisen Eintreibung zu leisten. Die Genannten haften für den vorgeschriebenen Schadenersatz zu ungeteilter Hand. Begründung Am 16. Februar 1934 wurde im Zuge der nationalsozialistischen Propaganda in Großgmain vor dem Pfarrhofe ein Papierböller von unbekannten Tätern zur Explosion gebracht. Hierdurch wurde im Pfarrhofe und an der Pfarrkirche ein Schaden von 1406 S 85 g und im Hotel »Vötterl« ein Schaden von 334 S 45 g, zusammen somit ein Schaden von 1741 S 30 g angerichtet. Die eingangs Genannten haben den Anschlag insoferne begünstigt und gefördert und dadurch mitverschuldet, als sie früher als Anhänger der NSDAP aktiv und propagandistisch tätig waren und sind daher im Sinne des § 1 der zit. Verordnung für den verursachten Schaden mitverantwortlich sowie zur Schadensgutmachung zur ungeteilten Hand haftbar zu machen. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien 23. August 1934 Zl. 168.578 – GD 2/1934 (Vorzahl  : 141.350 – GD 2/34) Gegenstand  : Ersatzleistung für Schäden aus Terrorakten. Berufung. (…) Berufungsausführungen  : (…) Frau Gayl bezeichnet den gegenständlichen Bescheid als gesetzes- und verfassungswidrig, bestreitet, dass sie in der NSDAP eine aktive Rolle gespielt habe, sie war nur einfaches Mitglied. Aus ihrer früheren Zugehörigkeit zur genannten Partei könne sie nachträglich nicht für strafbare Handlungen, von denen nicht erwiesen ist, dass sie von nationalsozialistischen Parteigängern verursacht wurden, zur Verantwortung gezogen werden. Hat die Gewaltaktionen stets verurteilt. Frau Krause (reichsdeutsche Angehörige) gibt an, sie habe als Ausländerin, die in Österreich das Gastrecht genießt, die Gesetze des Landes stets respektiert. Sie lebe völlig zurückgezogen, ohne sich um die anderen Mitmenschen zu kümmern. Sie war nie Mitglied der NSDAP und habe sich auch nie propagandistisch betätigt.

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Ein Interventionsschreiben des Deutschen Konsulates in Salzburg liegt bei. (…) Amtserinnerung Über Auftrag des Herrn Ministerialrates Allgayer wurde über Intervention des Herrn Generalkonsuls Schwagula in den ersten Julitagen die Sicherheitsdirektion Salzburg telefonisch angewiesen, die für 10. Juli 1934 anberaumte Exekution gegen Frau Gayl zur Hereinbringung der vorgeschriebenen Summe vorläufig zu inhibieren. Der Grund lag darin, dass Frau Gayl deutsche Staatsbürgerin und nahe Verwandte eines prominenten reichsdeutschen öffentlichen Funktionärs (glaublich Ministers) ist und bis zur Regelung der Frage von Kostenersatzvorschreibungen an Ausländer im gegenständlichen Falle es sich aus außenpolitischen Gründen nicht empfiehlt, zu scharf vorzugehen. Die telefonische Weisung wurde bei der Sicherheitsdirektion Salzburg von Oberregierungsrat Hirschal entgegengenommen. Wien, am 17. August 1934. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 25. Dezember 1934 Zl.: 1175/33 (343.427/34) Betreff  : Else von Gayl und Klara Krause, Ersatzleistung für Terrorschäden. An das Bundeskanzleramt GD 2 in Wien. Im Gegenstande wird berichtet, dass die gegen die beiden deutschen Staatsangehörigen erlassenen Bescheide storniert und die einbezahlten Beträge rückerstattet wurden. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 28. Februar 1934 Zahl  : 1319 Mösenbacher Walter, Sperl Ludwig und Mitschuldige  ; Verdacht des Verbrechens des Hochverrates. An das Bundeskanzleramt – GD. – St. B. in Wien Der Sicherheitsdirektor beehrt sich unter Beziehung auf die schon im kurzen mündlichen Wege erstattete Meldung über die Beschlagnahme von Kurierpost gelegent-

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lich der Anhaltung einer Gruppe von zehn Personen im hiesigen Franz-Josef-Park am 20.2. d. Js. um 3 Uhr früh zu berichten, dass von den angehaltenen Walter Mösenbacher, Ludwig Sperl und Roland Felber sowie die über Veranlassung der Bundespolizeidirektion Salzburg vom Gendarmerieposten in Hallein verhafteten Josef Sommerauer, Hermann Angerer und Georg Gruber dem hiesigen landesgerichtlichen Gefangenenhaus eingeliefert wurden. Die übrigen Angehaltenen wurden vorläufig nach Einvernahme auf freien Fuß gesetzt. Die Originalbriefschaften und Zetteln wurden mit der Strafanzeige der hiesigen Staatsanwaltschaft übermittelt. (…) Abschriften aller vorgefundenen Briefe und Zetteln sind diesem Berichte angeschlossen. Abschrift  : Tgb. Nr. 126/g. 14.2.1934 Die politische Organisation erlässt folgende Verfügung  : Zum Zwecke der Festhaltung aller Todesfälle in der Partei, die auf Zusammenstöße mit politischen Gegnern während des jetzigen Verbotes zurückzuführen sind, wurden die entsprechenden Untergliederungen ersucht, umgehend eine genaue Aufstellung der in ihrem Bereiche erfolgten Todesfälle anher zu senden. Es sind anzugeben  : Genaue persönliche Daten des Getöteten, Angaben über Familienverhältnisse, Stellung, Beruf, politische Einstellung der Eltern und kurze Schilderung des Vorganges der Tat. Jeder einzelne Fall ist auf einem gesonderten neutralen Blatt Papier niederzuschreiben. Weiters sind die bei Unglücksfällen ums Leben gekommenen Parteigenossen in gleicher Weise anzuführen. Ebenfalls solche Volksgenossen, die zwar nicht Parteimitglied waren, die aber gesinnungsgemäß in unserem Lager standen und durch Einwirkung unserer politischen Gegner getötet wurden. Behufs Vorsprache wegen Flüssigmachung von Renten- bzw. Schadenersatzgeldern bei den hierfür zuständigen Stellen wird um allerschnellste Erledigung im Interesse der Hinterbliebenen ersucht. Heil Hitler  ! Der Adjutant des Landesleiters Abschrift  : An S 50.

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Bestätige den Empfang der Nachricht vom 17.2. 1. Seit vergangenem Dienstag ist Relais eingerichtet. Zu meinem größten Bedauern muss ich erkennen, dass Hallein (SA) über keine Aktivisten mehr verfügt. Seit Tagen liegt viel Material bereit an der Grenze und wird nicht abgeholt. Es ist ein Saustall  ! … 2. … Verbindung mit Schutzbund Stadt und Umgebung von Hallein lasse ich durch Axtner sofort aufnehmen und in Deinem Sinn verhandeln. (…) Bundeskanzleramt Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit 16. März 1934 Geschäftszahl  : 137.060 GD/34 Gegenstand  : Stöcklinger Dr. Konrad, öffentlicher Notar In Salzburg. Nationalsozialistischer Nachrichtendienst. An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. In der Anlage wird eine Abschrift der dem Bundeskanzleramte (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) zugekommenen vertraulichen Anzeige über angebliche Betätigung des Notars Dr. Konrad Stöcklinger in Salzburg im nationalsozialistischen Nachrichtendienste mit der Einladung übermittelt, die geeigneten Erhebungen zu veranlassen und das Ergebnis unverzüglich anher zu berichten. Hochverehrter Herr Bundeskanzler  ! Wir fühlen uns gedrängt, Ihnen, hochverehrter Herr Kanzler, die folgende ungemein wichtige Mitteilung zu machen. Es befindet sich in Salzburg eine gefährliche Nachrichtenstelle für nationalsozialistische Zwecke. Selbige befindet sich bei  : Konrad Stöcklinger, öffentlicher Notar, Salzburg, Platzl Nr. 2/1. Stöcklinger sowie dessen Frau Helene unterhalten ständige Fühlung mit namhaften nationalsozialistischen Personen des In- und Auslandes, auch wird von dort aus Hetzmaterial gegen die Regierung verteilt. Da Stöcklinger persönlich mit einem hohen Salzburger Polizeibeamten befreundet ist, welcher allenfalls bei Anzeige hierorts die Sache nicht mit dem erforderlichen Ernste behandeln dürfte, so wäre es im Interesse der klaglosen gründlichen Klärung des Falles dringendst geboten, Wiener Beamte der Staatspolizei zur Behandlung des Falles zu entsenden. Eine überraschend durchgeführte Hausdurchsuchung würde allenfalls insbesondere an Freitagen von Erfolg sein. Es bewegt uns keinerlei persönlicher Hass oder Rachsucht zur Anzeige, lediglich das Interesse des Staates liegt uns im Auge.

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Es wäre darauf zu achten, dass nur unbedingt erprobte, strenge verlässliche Beamte der Wiener Polizei Verwendung finden, da, wie gesagt, hohe Gefahr besteht, dass von dem Salzburger höheren Beamten der Fall gegenstandslos behandelt wird. Mehrere Salzburger, denen das Wohl des States am Herzen liegt grüßen mit »Treu Österreich«. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg 22. April 1934 Zl. 1810/2 zu Zl GD 137.060 – St. B. vom 15.3.1934 An das Bundeskanzleramt – GD – St. B. in Wien. Auf d. a. obzit. Erlass wird berichtet, dass in Angelegenheit der an das Bundeskanzleramt eingesendeten anonymen Anzeige betreffend die »gefährliche Nachrichtenstelle für nationalsozialistische Zwecke« bereits vor Eintreffen des gegenständigen Erlasses seitens der Bundespolizeidirektion Salzburg die einschlägige Amtshandlung ex offo durchgeführt wurde. So wurde am 6. März 1934 der Leiter der illegalen Nachrichten- und Parteizentrale der NSDAP, Schriftleiter Rudolf Neugebauer, in Gemeinschaft mit seiner Quartiergeberin bzw. Komplizin, der Geschäftsführerin Frau Aloisia Wagner, verhaftet. Das gesamte Material musste mit einem kleinen Lastauto zur Polizeidirektion geführt werden und wurde mit der Strafanzeige gegen Rudolf Neugebauer … der Staatsanwaltschaft Salzburg übermittelt. Gegen Neugebauer wurde das Strafverfahren wegen Verbrechens des Hochverrates eingeleitet. Die Tochter des Notars Dr. Stöcklinger, Herta Stöcklinger, ist die Braut Neugebauers und wurde sowohl in der Kanzlei als auch in der Privatwohnung des genannten Notars eine Hausdurchsuchung vorgenommen. Bei dieser Hausdurchsuchung wurde eine dem Neugebauer gehörende Grammophonplatte mit der Bezeichnung »An der schönen blauen Donau«, Walzer von Johann Strauß, Symphonieorchester, Dirigent W. Baumer, und »Dorfschwalben aus Österreich«, Walzer von Johann Strauß, Symphonieorchester, Dirigent W. Baumer, welche aber de facto die in der Abschrift beiliegenden Reden des gewesenen Landesinspekteurs von Österreich, Theo Habicht, und des Gauleiters von Steiermark, Oberhaidacher, beinhaltet beschlagnahmt. Der Wortlaut der beiden Reden wurde stenografisch aufgenommen und enthält die üblichen unerhörten Angriffe gegen die österreichische Bundesregierung. Beim Erlangen des zit. d. a. Erlasses waren sowohl Rudolf Neugebauer als auch dessen Quartiergeberin Aloisia Wagner bereits in Haft und die illegale Nachrichten­ zentrale ausgehoben. Das Erhebungsmaterial hat keinerlei belastende Momente einer Täterschaft der vorgenannten Braut des Beschuldigten ergeben.

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Es wäre von besonderem Interesse, in die Originalanzeige, in welcher »ein hoher Salzburger Polizeibeamter« einer Pflichtverletzung und inkorrekten Amtsführung beschuldigt wird, Einsicht nehmen zu können. Es wird daher die Bitte gestellt, das Original der gegenständlichen Anzeige zu Einsichtzwecken und allfälligen graphologischen Vergleichszwecken an den Gefertigten herablangen lassen zu wollen. Dem Verkehr der genannten Notarstochter wurde erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet und festgestellt, dass dieselbe im Tanzklub Blau-Gold (Hotel Bristol) mit Vorliebe den Verkehr mit jüdischen Tanzkolleginnen pflegt und bisher keinerlei Anlass zu nachteiligen Wahrnehmungen geboten hat. Die Überwachung wird fortgesetzt und im Falle positiven Belastungsmateriales darüber umgehend berichtet werden. Grammophonplatte  : Rede des Landesinspekteurs von Österreich Theo Habicht. Etikette  : An der schönen blauen Donau, Walzer von Johann Strauß. Symphonieorchester, Dirigent  : W. Baumer. Meine deutschen Volksgenossen und Kameraden in Österreich  ! Am 12.11.1933 hat das deutsche Volk im Reiche in einer überwältigenden Kundgebung den nationalsozialistischen Staat und seinen Führer Adolf Hitler sein volles Vertrauen und uneingeschränktes Vertrauen ausgesprochen.57 Die vieltausendjährige 57 Nachdem Frankreich und Großbritannien sich bei den Genfer Abrüstungsgesprächen der deutschen Forderung nach einer deutschen Aufrüstung verweigerten, entschloss sich Hitler nach einer Rücksprache mit Reichswehrminister Werner von Blomberg und dem Staatsekretär im Außenministerium Bernhard Wilhelm von Bülow und Reichsaußenminister Konstantin von Neurath nicht nur zum Rückzug von den Abrüstungsgesprächen, sondern auch zum Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund. Er erkannte, dass sich angesichts der öffentlichen Meinung in Deutschland aus dieser Situation erhebliches politisches Kapital schlagen ließ. Am 13. Oktober 1933 erklärte er vor dem Kabinett, dass sich die Position Deutschlands durch die Auflösung des Reichstages und die Ausschreibung von Neuwahlen mit dem Hinweis auf eine Demonstration der friedlichen Absichten der Berliner Außenpolitik stärken ließe. Am folgenden Tag wurde der Rückzug von den Genfer Abrüstungsgesprächen bekannt gegeben und Hitler verkündete in einer Radiorede die Auflösung des Reichstages und die Ausschreibung von Neuwahlen für den 12. November. Damit bot sich ihm unter Mithilfe seiner Koalitionspartner die Möglichkeit der völligen Dominanz von Regierung und Reichstag. »Dass Hitler den Bruch mit dem Völkerbund und den deutschen Ausstieg aus dem Abrüstungsprozess im Herbst 1933 riskierte, war indes nicht nur auf seine Einschätzung der internationalen Lage zurückzuführen. Der Plan, sich diesen wichtigen außenpolitischen Schritt vom deutschen Volk plebiszitär bestätigen zu lassen, fügte sich außerdem ganz hervorragend in die Politik einer aktiven ›Volksführung‹, die das Regime im September mit der gerade begonnenen Serie von Großveranstaltungen und Propagandakampagnen eingeschlagen hatte. Mit seinem dramatischen Schritt vom Oktober 1933 bewies Hitler ein sicheres Gespür für die äußerst effektive Verbindung von innenpolitischer Führung und außenpolitischem Überraschungscoup  : Dank der einseitigen Lossa-

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Geschichte der Völker und Staaten der Erde kennt kein Beispiel einer gleich gewaltigen, einmütigen Erhebung eines Volkes, einer gleichen unerschütterlichen und unlösbaren Verbundenheit von Volk und Regierung, wie diese geschichtliche Tat im Deutschen Reiche geschaffen hat. Was tausend Jahre hindurch Traum und Sehnsucht der Besten unseres Volkes war, es wurde an diesem Tage verwirklicht  : Das deutsche Schwert fuhr der deutschen Zwietracht mitten ins Herz. Aus dem Hader der Konfessionen, aus dem Hader der Fürsten, der Parteien, Stände, Stämme und Klassen erhob sich die gewaltige Einheit der deutschen Nation, die Einheit von Führer, Volk und Staat im Zeichen der nationalsozialistischen Bewegung. Fast zur selben Stunde aber, da das im Reiche geschah, verhängte in Österreich die Regierung Dollfuß im Kampfe gegen den Nationalsozialismus das Standrecht. Gegen den gewaltigen Gedanken der deutschen Einheit setzt sie die blutlose Idee einer besonderen österreichischen Sendung. Gegen den deutschen Menschen als den Träger der deutschen Zukunft erfindet sie den österreichischen Menschen als den Repräsentanten einer untergegangenen Zeit. Was gibt dieser Regierung das Recht dazu  ? Drei Grundlagen gibt es, auf denen ein Regiment sich aufbauen kann  : Es kann ruhen auf den moralischen Grundlagen der Liebe und des Vertrauens eines Volkes, es kann sich stützen auf die formalen Rechtsgrundlagen einer Verfassung und es kann schließlich nach Wegfall beider allein noch ruhen auf der Anwendung der nackten Gewalt, die mit der Androhung des Todes ein ganzes Volk in Schach hält. Die Liebe und das Vertrauen des deutschen Volkes in Österreich kann die Regierung Dollfuß niemals retten. Ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen hat sie nach dem einstimmigen Gebot ihrer eigenen Rechtslehre längst verlassen. Ihre letzte Stütze besteht daher heute nur noch in der Drohung mit dem Galgen, ihr letztes Argument ist heute nur noch die Drohung mit dem Galgen. Das ist also das Ende jenes Weges, den diese Regierung als deutsch, christlich, als vaterländisch bezeichnet. Dass im Lande Andreas Hofers, den Welsche erschossen, nun im Dienste Welschlands Deutsche von Deutschen ermordet werden sollen,58 aus keinem anderen Grunde, als weil sie in ihrem Herzen unauslöschlich und unzerstörbar das Bild des gung von den Rüstungsbeschränkungen konnte er die Kampagne, mit der die geschlossene Unterstützung seines Regimes durch ›das Volk‹ demonstriert werden sollte, um die Themen ›Wehrfreiheit‹ und ›Wiederherstellung der deutschen Gleichberechtigung‹ erweitern und den ausländischen Mächten mithilfe des anschließenden Propagandakonzerts das neue Selbstbewusstsein des Deutschen Reiches vor Augen führen, um für die nun folgenden bilateralen Verhandlungen eine Position der Stärke aufzubauen.« (Peter Longerich  : Hitler. Biographie. – München 2016. S. 377f.) Die Rechnung sollte aufgehen. Vor dem Hintergrund einer breiten Welle der nationalen Solidarität und durch Manipulation erreichte die Einheitsliste der NSDAP bei der Reichstagswahl 92,1 Prozent der abgegebenen Stimmen. Bei der gleichzeitig durchgeführten Volksabstimmung über die Billigung der Politik der Reichsregierung ergab sich sogar ein Zustimmungsergebnis von 95,1 Prozent. 58 Gemeint ist der italienische Kurs der Regierung Dollfuß.

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großen, ewigen, heiligen Deutschland tragen, dessen ihre Heimat Österreich immer ein Teil war und ewig sein wird. Das ist das Ende des Systems, das geboren wurde aus Eigensucht und darum enden musste beim Volksverrat. Noch liegen Nacht und Dunkelheit über Österreich, aber hoch über den Kerkermauern dieses Systems erhebt sich leuchtend und sieghaft das Bild eines neuen und größeren Deutschland, eines freien, glücklichen und geeinten Volkes. Spätere Geschlechter und die Geschichte werden einmal in Dankbarkeit, Treue und höchster Achtung Eurer gedenken, meine Kameraden in Österreich, die Ihr heute verfolgt und gepeinigt werdet, denn die Größe und Ehre eines Volkes und seiner Menschen werden nicht gemessen an der Zahl ihrer hellen und glücklichen Tage, sondern an der Kraft und Härte und Unbeugsamkeit, mit der sie die Zeiten der Not und Verfolgung ertragen und überdauern. Haltet aus, meine Kameraden in Österreich, um der deutschen Zukunft willen. Mit Euch ist Deutschland, Deutschland wird siegen  ! Bundespolizeidirektion Salzburg 13. März 1934 Zl. 12670/1 (137.850/34) Betr.: Rudolf Neugebauer und Genossen, § 58 St. G. (NSDAP – illegale Parteizentrale) Abschrift eines handschriftlichen Situationsberichts des Journalisten Rudolf Neugebauer, Lasserstraße Nr. 45, Salzburg, an den Kampfring sudetendeutscher Schriftsteller in Schöna in Sachsen vom 7.2.1934. Lieber alter Leibbursch  ! Verzeihe, wenn ich Dir mit einer vierwöchentlichen Verspätung schreibe, aber es blieb mir praktisch nie so viel Zeit übrig. Auch jetzt arbeite bzw. schreibe ich mit der Taschenuhr am Tisch. Wie geht es dem Sudetendeutschland im Allgemeinen und Dir im Besonderen  ? War Dein Prozess schon oder kommst Du erst dran  ? Meine Verhandlung findet Dienstag um 16 Uhr statt. Über die Lage in Österreich kann ich Dir mitteilen, dass wir möglicherweise bereits in 8 Wochen gesiegt haben. Die Situation der Regierung ist unhaltbar geworden. Sie stützt sich lediglich auf 20 bis 25 Prozent der Österreicher. Bei den Schwarzen zeigen sich schon Zersetzungserscheinungen. Oberösterreich ist für Parteienauflösung und Verschmelzungen in die »Vaterländische Front« (autoritär), Niederösterreich demokratisch und für die Beibehaltung der Christlichsozialen Partei. Rintelen liebäugelt mit uns sehr stark, Schuschnigg will die Totalität des Klerikalismus, Kunschak eine schwarz-rote Koalition  ; mit einem Wort ein lebhaftes Kunterbunt.

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Nun, wie es bei der Heimwehr aussieht, dürfte Dir bekannt sein. Das letzte Bollwerk, auf das sich der Fürst noch nach dem großen steirischen Abfall stützen konnte, Niederösterreich, ist vollkommen gefallen. Gibt nur noch eine gewisse Position in Tirol. Zur Erklärung der politischen Vorgänge, Affäre Alberti usw. sei Dir mitgeteilt  : Gegen Jahreswende bis etwa den 10. Jänner wurde verhandelt. Und zwar bemühte sich die Heimwehr und Dollfuß, jedoch beide ohne den anderen Regierungspartner etwas wissen zu lassen  ; während bei Starhemberg Leerlauf eingeschaltet wurde, war man mit Dollfuß – der seine rettungslose Lage bereits einsieht – in groben Umrissen mit den Punktationen fertig. Habicht erklärte, den Abschluss persönlich mit Dr. Dollfuß führen zu wollen und wurde von Wien für den 7. Jänner persönlich eingeladen. Habicht, für dessen Unterkunft usw. bereits von der Bundesregierung alle Vorbereitungen getroffen waren, hatte einen Geleitbrief Feys erhalten. Da kam Starhemberg dahinter und drohte Dollfuß mit Putsch usw. Noch in der Nacht wurde alles abgeblasen. Habicht war bereits in sein Flugzeug eingestiegen und erhielt, 2000 Meter über Wien fliegend, die Absage. Nun kommt aber das Groteske. Starhemberg, in dessen Auftrag Graf Alberti mit Frauenfeld und dem deutschen Legationsrat Prinz Waldeck verhandelte, wurde von Fey entdeckt und nur, um sich nicht in die Karten schauen zu lassen, ließ er seinen Unterhändler fallen  ! So misstraut einer dem anderen.59 Abschrift Eines Dispositionsbefehls vom 22.2.1934 an die Formation S 50. Die entsprechende Weisung wegen Zusammenarbeit und Unterordnung … lautet  : Mit Wirkung vom 15. Februar unterstehen bei der Aktion und der Vorbereitung die einzelnen SS-Formationen den zuständigen SA-Formationen. In Fragen der inneren Organisation, Ausbildung, Gliederung, Verwaltung und Stellenbesetzung bleibt die SS selbständig und ist nur ihrem vorgesetzten SS-Führer verantwortlich. In allen Orten, in denen SA und SS nebeneinander bestehen, ist der der Dienststellung nach älteste SA- bzw. SS-Führer der Leiter der Aktion für diese Ortschaft und hat die SS bzw. die SA der Ortschaft nach den Weisungen der SA-Vorgesetzten in die Aktion einzutreten. Im Interesse des gemeinsamen Zieles und unseres Endsieges in Österreich erwarte ich von allen Dienststellen, dass sie als wahre Nationalsozialisten alte Streitigkeiten vergessen und sich voll und ganz kameradschaftlich nebeneinander in den Dienst unserer Sache stellen. Gezeichnet  : Böhler.

59 Zu den Vorgängen vgl. Bd. 1. S. 186ff.

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, März 1934 Zl. 1534 und 1534/1 (141.349/34) Betreff  : Ing. Erich Parson, nationalsozialistische Hetzrede im Grenzgebiet mittels Lausprecher. An das Bundeskanzleramt GD – St. B. in Wien. Am 2. März 1934 kurz nach 19 Uhr wurde eine Rede des Gauinspektors Parson, der aus Österreich geflüchtet ist, mittels einer Lautsprecheranlage nach Österreich übertragen. Nach dem Abspielen eines Marsches und des Deutschland-Liedes auf Schallplatten führte Ing. Parson ungefähr Folgendes aus  : »Seit der Niederwerfung des roten Aufstandes ist das Volk in Österreich nicht mehr zur Ruhe gekommen. Es kocht und gärt überall und bewaffnete Banden überfluten das Land. Die sogenannten Sieger behaupten, dass die Nationalsozialisten Schuld an dem Blutbad sind und deshalb müssen die Söldner weiter behalten und bezahlt werden. In Wirklichkeit sind aber die Führer der Söldner die Unruhestifter, die sich wie Tyrannen benehmen. Ein Volk, das von seinen Herrschern missachtet und ausgebeutet wird, kann nicht zur Ruhe kommen. Nur Neger und unzivilisierte Völker können auf solche Art niedergehalten werden. In keinem Staat wurde bisher ein Volksaufstand mit Kanonen unterdrückt  ; man hätte die Aufständischen, wie es in anderen Staaten gemacht wird, absperren und so zur Ergebung zwingen können. So aber hat der blutrünstige Dollfuß mit seinen Trabanten mit Artillerie auf Frauen und Kinder schießen lassen. Wenn Herr Dollfuß behauptet, das Volk hinter sich zu haben, so ist dies eine gemeine Lüge. Mit der Exe­ kutive und den bewaffneten Banden müsse richtiger der Volkswille niedergehalten werden. Bei den Herrschern ist untereinander Streit, Verrat und Missgunst zu beobachten und einer möchte den anderen übervorteilen. Deshalb sind so viele Söldner zur Sklavenhaltung notwendig, damit die Führer ihre fetten Pfründen behalten können. Gewissenlose Führer, die auch das Blutbad verschuldet haben, treiben mithilfe des Auslandes ein frevelhaftes Spiel am Volke, damit sie ihre Pfründen nicht verlieren. Es ist daher eine Schande und wohlbedachte Brutalität, wenn behauptet wird, dass mit Kanonen auf Frauen und Kinder hat geschossen werden müssen, um den Aufstand auf die rascheste Art niederzuwerfen. Auch mit der christlichen Nächstenliebe ist es bei Dollfuß nicht weit her, wenn man bedenkt, dass er verwundete Arbeiter auf der Tragbahre zum Galgen hat führen lassen. Es ist eine Abscheulichkeit, die jeder christlichen Empfindung entbehrt. Kein Wunder, dass die Arbeiterschaft der Regierung bzw. ihren blutrünstigen Gewaltführern nur Verachtung und Hass entgegenbringt.«

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Anschließend erfolgte eine Aufforderung an die Arbeiter in Österreich zum Beitritte in die NSDAP und es wurde der Versicherung Ausdruck gegeben, dass nicht nur die jetzigen Führer der Regierung, sondern auch die Bonzen der ehemaligen Sozialdemokratischen und Kommunistischen Partei einst nicht nur von den Nationalsozialisten, sondern auch vom gesamten übrigen Volke zur Verantwortung gezogen werden. Mit dem Abspielen des Horst-Wessel-Liedes wurde die Hetzrede um 19 Uhr 45 beendet. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, März 1934 Zl. 356/514 (143.528/34) Betreff  : Nationalsozialistische Propaganda. An das Bundeskanzleramt – GD – St. B. in Wien. In der Anlage wird ein Exemplar einer am 17. März d. Js. in Bischofshofen aufgefundenen neuen Art nationalsozialistischer Flugblätter »SAJ Österreichs«, unterfertigt »Die Hitlerjugend Deutsch-Österreichs«, zur gef. Kenntnisnahme vorgelegt. SAJ Österreichs  ! Euer Aufstand ist unter Kanonendonner zusammengebrochen  ! Eure Führer sind mit Eurem Geld feige ins Ausland geflohen  ! Eure internationale Solidarität hat jämmerlich versagt  ! Der Marxismus, den Euch Juden und Judengenossen predigten, hat auf der ganzen Linie kapituliert  ! Ihr sollt aber jetzt durch eine größenwahnsinnige Reaktion, die Euch das Standrecht für eine Idee und Kartätschen statt Brot bietet, bedingungslos dem internationalen Kapitalismus ausgeliefert werden  ! Sozialdemokratische Jungarbeiter  ! Der Marxismus ist tot – die Reaktion triumphiert  ! Soll d i e s das Ende Eurer Hoffnungen sein  ? Nein  – Niemals  ! Der deutsche Sozialismus lebt – Wir sind seine Bannerträger  ! Stoßt zu uns, kämpft mit uns für nationale Ehre und sozialistische Gerechtigkeit  ! Millionen deutscher Jungarbeiter marschieren in der Hitler-Jugend, fanatisch ihren Führer Adolf Hitler ergeben, einer besseren Zukunft entgegen  ! Schlagt die Reaktion, wo Ihr sie trefft

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R e i h t E u c h e i n   ! K ä m p f t m i t u n s   ! F ü r F r e i h e i t u n d B r o t   ! F ü r E h r e u n d G l e i c h b e r e c h t i g u n g   ! Für ein nationalsozialistisches Deutsch- Österreich  ! H e i l H i t l e r    ! Die Hitler-Jugend Deutsch-Österreichs Gendarmerieposten Oberndorf, Bezirk und Land Salzburg Berndorf, 12.3.1934 E. Nr. 1246 Vorfallenheitsbericht. An den Herrn Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg in Salzburg.60 Melde, dass am 10. März 1934 gegen 17 Uhr in Laufen, Bayern, in unmittelbarer Nähe der Grenzbrücke ein Lautsprecher aufgestellt und mehrere nationalsozialistische Marschlieder und Hetzreden gegen Österreich zum Vortrag gegeben wurden. Es waren dies Reden von ehemaligen Österreichern und zwar vom nationalsozialistischen Landesleiter Proksch, Ing. Parson und Hofer. Der Lautsprecher war aber derart laut eingestellt, dass man die Rede nur sehr schwer verstehen konnte. Am 11. März 1934 gegen 9 Uhr 20’ wurden diese Lautsprecherübertragungen fortgesetzt. Zuerst wurden 14 nationalsozialistische Lieder vorgetragen und nachher sprach der ehemalige Landesleiter Proksch über die Gesamtlage in Österreich, welcher das heutige Regierungssystem geißelte. Nachher sprach Gauinspektor Ing. Parson, welcher ausführte  : »Deutsche Volksgenossen, Parteigenossen und Gesinnungsfreunde  ! Wenn wir in den letzten 14 Tagen die Grenzen Österreichs betrachtet haben, so konnte daraus ersehen werden, dass dieselben einen Kriegszustand gleichsahen. Was muss das für einen Eindruck für einen Fremden sein, wenn er in ein solches Gebiet gerät. Das ist die Arbeit der Regierung Dollfuß, welcher sich nicht getraut, die Arbeiter in die Vaterländische Front einzuberufen. Zuerst lässt er seine Mordbuben auf die braven Arbeiter hetzen und nun wagt er es noch, an dieselben den Appell zu richten, sich zum Regierungssystem Österreichs zu bekennen. Deutsche Männer  ! Harret aus in den schweren Zeiten, denn der Sieg ist nicht mehr ferne und wir können wieder friedlich in unser geliebtes Land Österreich 60 Akt in Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, Zl. 306/13 (145.937/34) vom 22. März 1934.

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zurückkehren. Die Regierung Dollfuß hat in den letzten Tagen sämtliche Landeshauptmänner abgesetzt und an deren Stellen die grün-weißen Hahnenschwänzler hingesetzt. Statt mit diesen Herren zur Gänze aufzuräumen, hat man ein ganzes Heer von grünen Pfründnern in ihre Satteln bzw. zur Futterkrippe geholfen. Es wird der Tag kommen, wo wir diesen Herren die gerechte Strafe zuweisen können. Der berühmte Landeshauptmann von Salzburg, der sich mithilfe der Roten im Jahre 1922 zum Landeshauptmann wählen ließ, hat um seinen Sessel sehr gerungen und es ist ihm gelungen, denselben wiederum zu bekommen.« Von 12 bis 12 Uhr 30’ wurden abermals mehrere nationalsozialistische Marschlieder mit dem Abschluss des Horst-Wessel-Liedes gespielt. Gleich darauf kam die Rede des Gaugeschäftsführers Wohlrab zum Vortrag. Diese Rede wurde mit den Worten  : »Liebe Parteigenossen und Gesinnungsfreunde des Flachgaues« eingeleitet. Wohlrab stellte in dieser Rede Bundeskanzler Dr. Dollfuß, Vizekanzler Fey und Bundesführer Starhemberg als Verleumder hin. Ferner, dass jede Finanzoperation Österreichs der Genehmigung des Auslandes bedarf. Dr. Dollfuß sei ein kleiner Marionettentheaterspieler. Die Kämpfer für die Unabhängigkeit Österreichs sind nicht Dollfuß und Fey, sondern die Nationalsozialisten in Österreich und im Alpenland Bayern. Dr. Dollfuß ruft die fremden Mächte um Hilfe an, gegen das eigene Volk, Österreich lehnt Dollfuß ab, ebenfalls seine Politik. Dr. Dollfuß und seine Hintermänner tragen die Verantwortung für das Blut, das vergossen wurde und noch vergossen werden wird. Die Verträge der österreichischen Regierung sind nichts als Lügen und Spott. Die Aufforderung der Bürger und Bauern zum Eintritte in die Vaterländische Front wird als Betrug am Volke hingestellt. … Um 13 Uhr 40’ begann abermals das Abspielen von nationalsozialistischen Märschen. Ab 14 Uhr wurde eine Rede von Gauleiter Scharizer zum Vortrag gebracht. Mit den Worten  : »Deutsche Volksgenossen von Oberndorf und Flachgau« begann die Rede. Dollfuß und Fey sind schuld, dass die Bauern neue Opfer bringen müssen. Die Bauern werden betrogen. Das sind Frechheiten von großen Gaunern. Die Regierung Dollfuß sei der Nutznießer des Volkes. Fey und Starhemberg sind dafür, dass der Zustand in Österreich so bleibe. Die bewaffneten Formationen stellte er als Horden hin. Ferner, dass Dr. Rehrl nur von den Sozi in die Regierung kam und sich so mit jeder Partei abgibt, um Landeshauptmann zu bleiben. Die österreichischen Führer der Regierung wurden als Bluthunde und die Schutzkorpsangehörigen als Henkersknechte hingestellt. Den Abschluss bildete abermals das Horst-Wessel-Lied. (…) Am 12.3.1934 gegen 9 Uhr 25’ sprach Gauleiter Scharizer aus Salzburg über die letzten Vorgänge in Österreich und zwar Folgendes  : »Deutsche Männer und Frauen  ! Die letzten Ereignisse in Österreich heben gezeigt, dass die Regierung Dollfuß, umgeben von seinem Stabe, den grün-weißen Männern, zur Wiederherstellung und Besserung der wirtschaftlichen Lage nicht fä-

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hig ist. Wenn sich der Wiener Rundfunk einbildet, dass die österreichische Regierung vom ganzen Ausland geliebt wird, dann mögen die Herren der Regierung sich mit den ausländischen Zeitungen beschäftigen. Die Umsatzsteuern in Wien wurden erhöht und nun geht man daran, auch noch die Briefe bzw. die Postgebühren abermals in die Höhe zu schrauben. Derselbe Zustand wie vor 14 Jahren herrscht immer noch, trotzdem die Männer der heutigen Regierung von einer Verbesserung der großen Not sprechen. Täglich werden die deutschen Volksgenossen von der Gendarmerie, Polizei, Militär und den Schutzkorpsangehörigen von früh bis spät in die Nacht verfolgt. Den Juden ist es gelungen, das Geld der ausgebeuteten Arbeiter über die Grenze zu bringen, die Regierung war nicht imstande, dies hintanzuhalten. Sie haben es verstanden, den Kleinen nachzulaufen und den großen Lumpen über die Grenze zu helfen. Es hat früher keine so großen Pharisäer gegeben als jetzt. Mithilfe des katholischen Glaubens und dem Heiland auf den Lippen schließen sie Verträge ab, welche das österreichische Volk noch mehr in Schmach und Schulden stürzen. … Die Regierung Dollfuß stützt sich nur auf die Bajonette der Exekutive und scheut sich nicht, mithilfe von Minenwerfern und Kanonen gegen das deutsche Volk vorzugehen. In Österreich herrscht momentan die Sucht nach Geld und Pfründen. Es ist doch selbstverständlich, dass jeder Esel regieren kann, wenn (man) ihm das Futter, welches er zum Fressen braucht, hinwirft. Im Lande Salzburg wurde vor kurzem der Landtag aufgelöst und ein neuer mit denselben Männern wie früher gewählt, nur mit dem Unterschiede, dass die Roten jetzt ausgeschaltet wurden. … Der Herr Landeshauptmann Dr. Rehrl fühlt sich überall wohl, wenn er nur seinen geringen Gehalt weiter beziehen kann. Zuerst ließ er sich von den Roten im Landtag wählen und jetzt geht er mit den Hahnenschwänzlern. Deutsche Volksgenossen harret aus, der Sieg wird in kurzer Zeit unser sein. Hierzu wird gemeldet, dass diese Lautsprecherübertragungen jedenfalls aufgrund des hier stattgehabten Krämer- und Hornviehmarktes, wo bekanntlich Bauern aus der Umgebung teilnehmen, erfolgt sind. Gendarmerieposten Wals Wals, 24. März 1934 Exh. Nr. 401 Betr.: Nationalsozialistische Hetzpropaganda im Grenzgebiet. An den Herrn Sicherheitsdirektor in Salzburg. Am 23.2.1934 hielt der nach Deutschland geflüchtete Nationalsozialist Alfred Proksch auf bayerischem Gebiet in Hammerau eine Rede, welche mittels eines Lautsprechers nach Österreich (Wals und Umgebung) übertragen wurde. Die Rede … hatte beiläufig folgenden Wortlaut  :

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»Das deutsche Volk Österreichs lehnt Dollfuß und Konsorten ab und sind ihre Führer wie Dollfuß und Fey zum Verbreiten von Lügenmeldungen Meister. … Jetzt, wo Österreich bzw. die österreichische Regierung jede Willensäußerung verboten hat und tun muss, was das Ausland diktiert und vorschreibt, spricht Österreich von den geknechteten Brüdern in Deutschland. Wogegen aber dort selbst hunderte von Menschen, Frauen und Kinder, gemordet und niedergeschlagen wurden. (…) Österreichs Volk lehne mit 80 Prozent die Politik des Zwergenkanzlers ab. Dollfuß wage es trotz der Tausenden in die Kerker gewanderten Nationalsozialisten nicht, eine Volksabstimmung herbeizuführen, jener Dollfuß, der in Rom an der Seite der siamesischen Königin spazieren kann, wagt es auf diese Weise, in das Volksrecht einzugreifen. Was sich das Volk in mühevoller Arbeit erschuftet und errackert hat, haben Euch Dollfuß und seine grün-weiße Trabanten, der Heimatschutz, gestohlen. Man spricht in Österreich, dass der Ständestaat geschaffen wird, das kann aber nur dann einen Sinn haben, wenn die Lumpen oben nicht mehr stehlen. So lange Bonzen in der Regierung sitzen, ist das nicht möglich. … Jener Dollfuß soll einmal die von ihm im Ständestaat geschaffenen Stände seines Volkes fragen und sie werden ihm die nötige Aufklärung geben. Ewig schade, dass dieses Schandregiment so viele Opfer von deutschen Volksgenossen verlangt. Die Maßnahmen der Regierung Dollfuß machen jedes Zusammenarbeiten hüben und drüben unmöglich. Man kann vom deutschen Publikum nicht verlangen, dass der deutsche Reisende von grün-weißen Buben sein Vaterland und seinen Führer verspottet (sieht). In dem Augenblick, in dem Dollfuß (die) dem Volke angeborene deutsche Art wieder aufnimmt, in dem Augenblick Deutsche wieder unbehelligt das deutsche Hoheitszeichen tragen dürfen, in dem Moment werden Österreichs Fremdenorte von Deutschen in Massen überschwemmt. Die Arbeiterschaft durchschaut schon lange den (Zeitungs)Schwindel in Österreich … Der deutsche Arbeiter weiß es doch, Österreich kann nur gerettet werden, wenn zwischen den Alpen und der Donau das Hakenkreuz leuchtet, früher nicht. Und so grüßen wir Nationalsozialisten die Tausende Nationalsozialisten in den Gefängnissen und versichern allen Österreichern  : Der Kampf geht weiter, bis der Sieg errungen ist  ! Heil Hitler  !« … Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 29. März 1934 Zahl 538/6 (148.707/34) Betreff  : Nationalsozialistische Flugzettel-Propaganda. An das Bundeskanzleramt – DG – St. B. in Wien. In der Anlage werden drei Arten nationalsozialistischer Flugzettel vorgelegt, die in der letzten Zeit in mehreren Orten des Bundeslandes zur Verbreitung gelangt sind.

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Deutsche Arbeiter  ! Die Arbeiterschaft Österreichs betrauert ihre Toten. Sie sind gefallen als tapfere Kämpfer für ein vermeintlich hohes Ziel. Sie sind für die Internationale gefallen, die sie in ihrem Kampf und Sterben allein gelassen hat  ! Eine gewissenlose Regierung unterdrückt das Volk in Österreich und hat rücksichtslos alle ihre Machtmittel gegen die eigenen Volksgenossen eingesetzt. In Erfüllung ihrer Pflicht starben die einen auf den Barrikaden, die anderen in der Doppelreihe. Nicht Hass aller gegen alle soll aus diesem Unglück erwachsen, sondern den wahrhaft schuldigen Drahtziehern muss unerbittlich Vergeltung bereitet werden. Eure eigenen marxistischen Führer haben der Schandregierung Dollfuß die Waffen zum Bruderkampf in die Hand gegeben  : Als Dr. Renner seine Stelle als Nationalratspräsident niederlegte, begann der Verfassungsbruch, als die sozialdemokratischen Fraktionen mit den Schwarzen stimmten, wurden den Nationalsozialisten die Mandate aberkannt. Mit allen Mitteln der Verleumdung fiel die rote Parteibürokratie unserem schweren Kampf gegen jene in den Rücken, deren Kanonen nunmehr Eure Kameraden qualvollen Tod gebracht haben. Wir Nationalsozialisten haben gekämpft und kämpfen weiter als deutsche Menschen, die erkannt haben, dass schöne Worte der Welt kein Verlass ist. Wir haben 14 Jahre um die Freiheit unseres großen Vaterlandes Deutschland gekämpft und haben sie endlich auch errungen – ohne Bruderkrieg und ohne Blutvergießen. Wir kämpfen auch in Österreich nur als deutschbewusste Menschen, nicht als Partei  ! Eure marxistischen Führer haben ihr deutsches Vaterland verraten um der Partei willen, als sie von der Zusammengehörigkeit aller Deutschen nichts mehr wissen wollten in der Stunde, da das Reich nationalsozialistisch wurde. Deutsche Arbeiter, besinnt Euch an den Gräbern Eurer Toten  ! Die Partei ist nichts, das Volk ist alles  ! Gemeinsam haben christlichsoziale und marxistische Blätter die schlimmsten Gräuelnachrichten über das Deutschland Adolf Hitlers verbreitet. Die gesamte Judenpresse schrie, wenn dort ein Jude eine wohlverdiente Tracht Prügel bekam. Heute, wo man in Österreich Hunderte Arbeiter mit Kanonen zusammenschoss, da schweigt die Welt  ! Deutschland hat endlich unter der starken Hand des Arbeiters Adolf Hitler seinen inneren Frieden gefunden, Österreich aber seinen dauernden Unfrieden durch das Schutzkorpsgesindel unter dem Fürsten Starhemberg und dem Major Fey. Seit 8 Monaten kämpft der verbotene Nationalsozialismus gegen das heutige Regime in Österreich diszipliniert und unerschütterlich. Tausende unserer Partei-

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genossen und unserer SA-Kameraden schmachten in den Gefängnissen und Konzentrationslagern  ! Aber Tausende sind für die Ausgefallenen wieder in die Bresche gesprungen. Wer mit uns um die Freiheit unserer österreichischen Heimat kämpfen will, der tritt in unsere Reihen nicht als Parteimann, sondern allein als Deutscher gegen jede jesuitische Heuchelei und tyrannischen Fürstenübermut  ! Wir werden siegen und ein neues Österreich bauen nach dem Ausspruch unseres Führers Adolf Hitler  : Gegen den deutschen Arbeiter soll kein Staat gebildet werden, nein, m i t i h m soll er entstehen  ! Bundeskanzleramt Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit Geschäftszahl  : 149.421 – G.D./34 St. B. 34 (Vorzahl 245.717/33) Gegenstand  : Düll Willibald und Mayer Emma, Lehrpersonen in Michaelbeuern, nationalsoz. Umtriebe. Michaelbeuern, 10.11.1933 Sehr geehrter Herr Vizekanzler  ! Verzeihen Sie, wenn wir uns an Sie direkt wenden. Wie in alle Orte Österreichs, so hat nach dem 5. März 1933 die nationalsozialistische Bewegung auch in unseren stillen Ort Einzug gefunden. Es wäre aber nicht sehr weit gekommen, wenn nicht ein Lehrer unseres Ortes mit Namen Willibald Düll im Verein mit dem Lehrerfräulein Emmy Mayer die Führerschaft übernommen hätte. Nun folgte heftige Propaganda gegen die Regierung in Wort und Schrift und Versammlungen. Der Friede der Gemeinde war dahin und es ist nur zu selbstverständlich, dass die bis zu 90 Prozent gut vaterländisch eingestellte Bevölkerung wegen dieses schamlosen, unruhestiftenden und hochverräterischen Treibens sehr erbittert war. Das Verbot der Partei änderte wenig. Düll trat zwar offiziell von der Ortsgruppenleiterstelle zurück, im Geheimen aber blieb er der Führer und Schürer. Am 26. Juni l. J., also nach dem offiziellen Verbot der Partei, beteiligte er sich mit seinen Anhängern an einer geheimen Sitzung in einem abgelegenen Gasthaus. Am 2. Juli wurden Mitglieder des in diesem Ort bestehenden überaus vaterländisch eingestellten Reichsbundes der katholisch deutschen Jugend wegen der am 5. Juni veranstalteten Heldenehrung schwer und blutig geschlagen, zwar nicht von ihm, aber doch von seinen Parteigängern, ob mit oder ohne sein Wissen, sei vorderhand dahingestellt.

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Düll hielt sich während der Ferien in Wien auf. Es ist begreiflich, dass nun alle maßgebenden Faktoren der Gemeinde im Verein mit der Stiftsvorstehung von Michaelbeuern als Patron der hiesigen Volksschule und im Verein mit dem trefflichen, ganz vaterländisch eingestellten Herrn Oberlehrer Karl Schnabl (sich) bemühten, einen solchen Kindererzieher, der auf Kosten des Staates, gegen den er hetzt, lebt, weiterzubringen. Es wurden nun verschiedene Anzeigen bei den zuständigen Schulbehörden in Salzburg gemacht, aber nichts erreicht. Düll wurde zwar anfangs des Schuljahres einige Zeit vom Schuldienst suspendiert, vor die Disziplinarkommission gerufen, aber praktisch freigesprochen. Ein ganz gelinder Verweis, über den er sich höchstens lustig macht, ward ihm zuteil. Düll unterrichtet heute froh und stolz, wie wenn nie etwa gewesen wäre. Seine Parteigänger triumphieren, der Betrogene und praktisch Blamierte ist die treue österreichische Bevölkerung. Dass unter solchen Umständen der Glaube an eine ernste Gerechtigkeit schwer erschüttert und der staatsfeindlichen Bewegung Luft gemacht wird, liegt auf der Hand. Die Salzburger Schulbehörden fanden am Vorgehen Dülls nichts Besonderes, bei der verbotenen Versammlung am 26. Juni könne er auch mit seinen Anhängern vom Wetter gesprochen haben, eine Ansicht, über die bei uns jedes Kind lacht. Da auf diese Weise Herr Düll straffrei gegangen ist, arbeitet er jetzt im Verborgenen wieder eifrig weiter, es finden Zusammenkünfte statt, sogar Mitgliederbeiträge für die NSDAP werden noch eingehoben usw. Und nun, sehr geehrter Herr Vizekanzler, hätte die heimattreue Bevölkerung von Michaelbeuern an Sie eine Bitte. Wir wissen zwar, dass Sie mit derartigen Klagen überhäuft sein werden, aber wir hoffen, dass Sie trotzdem auch unsern Ruf, wenn er auch aus weiter Ferne an Sie kommt, verstehen werden. Machen Sie Ihren großen Einfluss auch zu unseren Gunsten geltend und bewirken Sie die baldige Entfernung dieses Vaterlandsverräters aus einer österreichischen Schule. Die Bevölkerung ist aufgebracht, dass die Salzburger Schulbehörden den berechtigten Klagen kein Gehör geschenkt haben  ; es sind schon Stimmen für einen Schulstreik laut geworden, was natürlich auch nicht in Ordnung, aber begreiflich wäre. Sollten Sie, sehr geehrter Herr Vizekanzler, in dieser Angelegenheit persönlich nicht eingreifen können, so bitten wir Sie um Weiterleitung dieses Briefes an die zuständigen Stellen und um Ihre günstige Befürwortung. Es handelt sich ja darum, den österreichischen Gedanken vorwärts zu bringen und besonders das Vertrauen der Steuerzahler zu den Beamten und öffentlichen Angestellten zu retten. Es lebe Österreich  ! Heil Dollfuß – Fey  ! Mit dem Ausdruck vorzüglichster Hochachtung und mit der nochmaligen Wiederholung um günstige Erledigung des Gesuches verbleiben die Gefertigten Gemeindevorstehung Dorfbeuern Schulleitung Dorfbeuern Stiftsvorstehung als Patron

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Religionslehrer an der Schule Ortsgruppe des Heimatschutzes Im Namen sämtlicher vaterländischer Vereine Bundeskanzleramt Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit 6. Dezember 1933 Geschäftszahl  : 245.719 G. D./St. B. 33. Gegenstand  : Düll Willibald und Mayer Emma, Lehrpersonen in Michaelbeuern, nationalsoz. Umtribe. Wird den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg gegen Wiedervorlage mit der Einladung übermittelt, den der Beschwerdeschrift zugrunde liegenden Sachverhalt erheben zu lassen und über das Ergebnis der Feststellungen zu berichten. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 30. März 1934 Zl. 35/4. Betreff  : Düll Willibald und Mayer Emma, Lehrpersonen in Michaelbeuern, nationalsoz. Umtriebe. An das Bundeskanzleramt – St. B. in Wien. (…) Lehrer Willibald Düll und Lehrerin Emma Mayer waren eingeschriebene Mitglieder der NSDAP in Michaelbeuern, Bezirk Salzburg. Düll war erster Ortsgruppenleiter, später Schriftführer und bis zum Verbote der Parteibetätigung geistiger Führer der NSDAP in Michaelbeuern. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Salzburg vom 4.6.1933, Zl. 19.156 ad wurde er wegen Übertretung der Plakatierungsverordnung (Anschlagen eines gedruckten Namensverzeichnisses vorbestrafter Heimwehrmänner im Schaukasten der NSDAP) mit 50 S Geldstrafe oder 5 Tagen Arrest bestraft. Von der Disziplinarkommission beim Landesschulrat in Salzburg wurde er aus demselben Grunde mit einem Verweis bestraft. (Disziplinarerkenntnis vom 18.10.1933, D. K. Zl. 30) Auch wurde die Schulleitung Michaelbeuern beauftragt, Düll und Mayer genau zu überwachen und über allfällige Wahrnehmungen sofort zu berichten. Sie hat aber weder diesbezügliche Meldungen an ihre vorgesetzte Behörde erstattet, noch Anträge auf Versetzung der genannten Lehrpersonen eingebracht.

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Am 25.6.1933 fand im Gasthaus Pfaffinger in Gitzing, Gemeinde Feldkirchen, Bezirk Braunau, ein Streichmusikvortrag statt, an dem aus Michaelbeuern mehrere Burschen und auch Lehrer Düll und Lehrerin Mayer teilnahmen. Im Laufe der Unterhaltung wurde von mehreren Burschen das Lied  : »Heraus ihr braunen Scharen« gesungen, wiederholt »Heil Hitler  !« gerufen und beleidigende Worte über die Bundesregierung gebraucht. Die Täter wurden von der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn abgestraft. Das Düll an dem am 2.7.1933 stattgefundenen Überfall auf Reichsbündler irgendwie beteiligt gewesen wäre, konnte nicht erhoben werden. Richtig ist, dass er ausschließlich in nationalsozialistischen Kreisen verkehrt. Auch die Behauptung, dass nach dem 19.6.1933 noch Mitgliedsbeiträge für die NSDAP eingehoben wurden, konnte nicht erwiesen werden, obwohl beim letzten Kassier unvermutete Hausdurchsuchungen vorgenommen wurden. Durch die Gendarmerie-Überwachung konnte dem Lehrer Willibald Düll und der seit 12.2.1934 nach Lamprechtshausen versetzten Lehrerin Emma Mayer eine nationalsozialistische Betätigung nach deren Verbot nicht mehr nachgewiesen werden. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 11. April 1934 Zahl 2012 Betreff  : »Deutscher Turnverein Bischofshofen« – Behördliche Auflösung. Bescheid Von Amts wegen ergeht folgender S p r u c h    : Der Verein »Deutscher Turnverein Bischofshofen« mit dem Sitz in Bischofshofen, der seinen Rechtsbestand auf die von der Landesregierung Salzburg mit 4.11.1926, Zahl 1035/LAD nicht untersagte Umbildung gründet, wird gemäß § 24 des Vereinsgesetzes mit sofortiger Wirkung a u f g e l ö s t . B e g r ü n d u n g    : Durch Erhebungen wurde festgestellt, dass die ausübenden Mitglieder des Turnvereines durchwegs nationalsozialistischer Gesinnung sind. 7 ausübende Mitglieder wurden wegen verbotener nationalsozialistischer Betätigung bestraft und 4 Mitglieder wurden gemäß der Verordnung der Bundesregierung vom 23.9.1933, BGBl. Nr. 431, in ein Anhaltelager überstellt. Diese Einstellung der Mitglieder rechtfertigt mit Grund die Annahme, dass der Verein eine dem Ideenkreise der NSDAP angehörende Organisation geworden ist,

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was auch dadurch erhärtet wird, dass der Turnrat über Auftrag des Gauturnrates mit Schreiben vom 9.6.1933 jene Mitglieder, die dem Heimatschutz angehörten und nicht innerhalb von 3 Tagen ihren Austritt aus dem Heimatschutz erklärten, aus seinen Reihen ausschloss. Hierdurch hat sich der Verein mit den Bestimmungen der Verordnung vom 19.6.1933, BGBl. Nr. 240, womit der NSDAP in Österreich jede Betätigung und insbesondere die Bildung irgendwelcher Parteiorganisationen verboten wurde, in Widerspruch gesetzt und war daher, da er den Bedingungen seines rechtlichen Bestandes nicht mehr entspricht, aufzulösen. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg 11. April 1934 Zahl 2014 Betreff  : Verein »Deutschvölkische Turngemeinde Jahn 1899, Badgastein«, behördliche Auflösung. B e s c h e i d    : Von Amts wegen ergeht folgender S p r u c h    : Der Verein »Deutschvölkische Turngemeinde Jahn 1899, Badgastein« mit dem Sitze in Badgastein, der seinen Rechtsbestand auf die von der Landesregierung Salzburg am 18.12.1930, Zahl 14.978/LAD, nicht untersagte Umbildung gründet, wird gemäß § 24 des Vereinsgesetzes mit sofortiger Wirkung a u f g e l ö s t . B e g r ü n d u n g    : Durch Erhebungen wurde festgestellt, dass die Turngemeinde 99 ausübende und 22 unterstützende Mitglieder zählt, wovon 90 ausübende und 18 unterstützende Mitglieder als Nationalsozialisten gelten. Über 18 Mitglieder der Turngemeinde wurde gemäß der Verordnung der Bundesregierung vom 23.9.1933, BGBl. Nr. 431, die Anhaltung in einem Anhaltelager verfügt. Am 26. Jänner 1934 haben sich fast sämtliche Turner und Turnerinnen des Vereines an einer anlässlich der Überstellung von zwei Nationalsozialisten aus Badgastein in ein Anhaltelager stattgehabten Demonstration beteiligt und ist das Turnen aus diesem Grunde am betreffenden Tage unterblieben, was vom Turnwart Karl Emminger schon tags vorher verlautbart worden war. Das Mitglied der Turngemeinde Josef Wörther, der sich derzeit im Landesgerichte Salzburg wegen Verdachtes eines Sprengstoffanschlages in Untersuchungshaft befindet, war Leiter des Nachrichtendienstes der NSDAP für das Gasteinertal. Aus diesen Umständen geht hervor, dass der Verein »Deutschvölkische Turngemeinde Jahn 1899, Badgastein« zu einer dem Ideenkreis der NSDAP angehören-

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den Organisation geworden ist. Da durch Verordnung der Bundesregierung vom 19.6.1933, BGBl. Nr. 240, der NSDAP in Österreich jede Betätigung und insbesondere die Bildung irgendwelcher Parteiorganisationen verboten wurde, entspricht der Verein nicht mehr den Bedingungen seines rechtlichen Bestandes und war deshalb aufzulösen. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 9. März 1934 Zahl  : 745/2 (138.876/34) Betreff  : Wipplinger Karl, nationalsozialistischer Flüchtling, Rückkehr. An das Bundeskanzleramt – G. D. – St. B. in Wien Am 6. Februar d. J. wurde in Salzburg der Kaminkehrer Karl Wipplinger, (…) Auers­ pergstraße 27 wohnhaft, wegen Bedenklichkeit festgenommen. Im Zuge der Amtshandlung stellte sich heraus, dass er seinerzeit nach Deutschland geflüchtet war. Eine Ausbürgerung Wipplingers war nicht erfolgt. Er wurde am 7. 2. L. J. in ein Anhaltelager überstellt. In der Anlage werden … eine mit Wipplinger aufgenommene Niederschrift über die Verhältnisse im Lager der österreichischen Flüchtlinge in Deutschland zur gefälligen Kenntnisnahme vorgelegt. Gendarmerieexpositur Anhaltelager Wöllersdorf An den Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. Zu beiliegendem Auftrag wird Folgendes berichtet  : Karl Wipplinger gab bei seiner Einvernahme an  : In Lechfeld waren bei seinem Eintreffen am 5. September 1933 ca. 1000 Mann österreichischer Legionäre. (…) In Freilassing waren insgesamt 150 bis 160 Legionäre, die sämtliche von Salzburg stammten. Kommandant des Lagers in Lechfeld war Karl Strassmayr, angeblich aus Krems in Niederösterreich.61 Im Lager Lechfeld waren Sturm Nr. 1, 2, 3, 21, 22, 30, 31, 32, 61 Karl Strassmayr (1897–1945) war von Beruf Kellereileiter, leistete 1915 bis 1919 Militärdienst und trat 1926 der NSDAP bei. 1932/33 war er in Krems wohnhaft und wurde 1932 Abgeordneter der NSDAP zum Niederösterreichischen Landtag. Er floh am 23.6.1933 nach Deutschland und war vom Juni bis

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61 und 62. Die Namen der Unterführer sind mir nicht bekannt. Die Sturmkommandanten unterstanden direkt dem Lagerkommandanten. Kommandant des Sturmes 1 in Freilassing war KARL Oberfeld aus dem Pinzgau.62 Ich bin deshalb nach Freilassing gekommen, weil das Lager in Lechfeld nur ein Sommerlager war und aufgelöst wurde. Die Legionäre trugen braune hohe Stiefel, braune Brecherhose, braunes Hemd, braunen Mantel, Kappe und Gürtel. Bewaffnung haben sie keine. (…) Nachtrag  : Karl Wipplinger gibt an  : »Im Lager finden vor dem Frühstück die sog. Morgenübungen statt, die in Gelenke- und Laufübungen bestehen. Nach dem Frühstück ist Exerzieren, d. i. Fußexerzieren, Schwarmlinien u. dgl. Ich wiederhole, dass wir mit Waffen nie ausgerüstet waren, außer die Lagerposten. Bei der Julfeier vor Weihnachten sprachen Parson und Scharizer. Der Grundton der Reden war der Wunsch, dass alle Weihnachten 1934 wieder zu Hause in Österreich feiern mögen. Parson und Scharizer kamen sonst nie ins Lager. Zur Bedienung der an der Grenze aufgestellten Lautsprecher u. dgl. wurden wir nie herangezogen. Dazu wird der Stab der politischen Leitung verwendet  ; ob dabei Österreicher beschäftigt sind, weiß ich nicht.«

November Lagerführer in Lechfeld, von Juli 1935 bis Juni 1937 Lagerführer in Lippstadt. 1938 übernahm er die Arbeitsgauleitung XXVIII in Würzburg, ab 1. Jänner 1939 die Gruppe Donau. 1945 wurde er wegen des Verbrechens nach dem Verbots- und Kriegsverbrechergesetz ausgeschrieben, gilt jedoch ab 1945 als vermisst. (Schafranek  : Söldner für den Anschluss. S. 454.) 62 Emil Karl Oberfeld (1887–1966) wurde in Offenburg (Baden) geboren. Nach dem Besuch der Realschule und einer Baugewerk- und Technischen Hochschule diente er während des 1. Weltkrieges in der deutschen Armee und wurde als Leutnant der Reserve aus dem Militärdienst entlassen. 1919 bis 1924 arbeitete er als Geometer bei der Bundesbahndirektion Innsbruck und war 1924 bis 1933 Landwirt in Wald im Pinzgau. 1930 trat er der Ortgruppe Wald der NSDAP und der SA (Sturm 116, Standort Mittersill) bei. 1932/33 leitete er den SA-Sturmbann III/59, wurde im Juni 1933 kurzzeitig verhaftet und floh im November 1933 nach Deutschland. Am 18. November 1933 wurde er mit der Führung des SA-Hilfswerklagers Freilassing der Österreichischen Legion beauftragt und leitete ab Juni 1934 von Freilassing aus auch die Salzburger SA-Brigade. Zwischen 1935 und 1937 leitete er verschiedene SA-Lager, wurde 1938 SA-Standartenführer und 1938 bis 1941 hauptamtlicher SA-Führer bei der Gruppe Donau, ab 1941 bei der Gruppe Alpenland. (Schafranek  : Söldner für den Anschluss. S. 435f.)

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Bundeskanzleramt Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit Zl. 158.430/34 Radiodepesche des Landesgendarmeriekommandos Salzburg vom 21.4.1934, 12.45 Uhr. Am 20. d. M. gegen 17 Uhr wurde am Untersberg, Postenrayon Grödig, eine aus 5 Mann der in Grödig stationierten 5. Kompanie des 2. Wiener Schutzkorpsregiments und 1 Hilfsgendarm des Gendarmeriepostenkommandos Grödig bestehende Patrouille unter Kommando des Zugsführers Matoschek der 5. Kompanie zunächst dem Schellenbergsattel von einer 6 bis 8 Mann starken, teilweise anscheinend mit SA-Kappen und -Blusen bekleideten Truppe, welche 100 Schritte von der Grenze auf österreichischem Boden ein Hakenkreuz aufzurichten beabsichtigten, mit Gewehren und vermutlich Maschinenpistolen auf zirka 300 bis 400 Schritte Distanz angeschossen. Die Patrouille nahm Deckung und erwiderte das Feuer erst nach einiger Zeit. Die Kampfhandlung währte bis 18 Uhr und wurde von der bayerischen Gruppe auf österreichischem Boden zirka 400 bis 500 Schuss, von der eigenen Patrouille zirka 100 Schuss abgegeben. Verletzungen entstanden keine. Um 18 Uhr zog sich die bayerische Gruppe auf bayerischen Boden zurück. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 14. Mai 1934 Zl. 46/37 Betreff  : Wahrnehmungen an der Bundesgrenze. An das Bundeskanzleramt G. D. – St. B. in Wien. (…) Weiters wurde von bayerischen Angestellten, die nicht genannt werden wollen, erhoben, dass die österreichischen Legionäre in Schellenberg (derzeit 12 Mann) volle Handlungsfreiheit an der Grenze gegen Österreich besitzen und von den bayerischen Zoll- und Sicherheitsorganen nur dann zu beanstanden seien, wenn sie sich ein nach den deutschen Gesetzen verpöntes Delikt zuschulden kommen lassen, und für ihr Verhalten an der Grenze ihre Weisungen von ihrer Landesleitung in München erhalten. Bei diesen Handlungen an der Grenze seien sie vollkommen selbständig und von den bayerischen Exekutivorganen nicht zu beanstanden oder zu beeinflussen. (…) Die österreichischen Legionäre in Schellenberg, die in Uniform und in Zivil, meistens aber in brauner Schidress und mit Pistole bewaffnet zu allen Tageszeiten an verschiedene Stellen der Grenze kommen, um wahrscheinlich Flüchtlinge zu über-

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nehmen oder Gelegenheiten für Anrempelungen gegen österreichische Grenzüberwachungsorgane (Hilfsgendarmen etc.) wahrzunehmen, sollen ein sehr hochfahrendes und selbstbewusstes Benehmen an den Tag legen und deshalb bei dem Großteile der sesshaften Bevölkerung unbeliebt sein. Seit dem Feuerüberfall auf eine Schutzkorpspatrouille am Schellenbergersattel des Untersberges am 20.4.1934 … haben sich in diesem Grenzabschnitte keine Vorfälle ergeben. Bemerkt wird, dass bei diesem Grenzzwischenfall, wie nunmehr verlautet, ein österreichischer Legionär durch einen Beinschuss getroffen worden sein soll und in Schellenberg (Bayern) Spitalspflege in Anspruch nehmen musste. Gendarmeriekommando Salzburg Salzburg, 8. Mai 1934 Zl. 1762 ad. Betreff  : Höller Josef, Legionär, Einvernahme. Der gegenwärtig beim Landesgerichte Salzburg in Haft befindliche österreichische Legionär Josef Höller, der am 29. April 1934 über den Siezenheimersteg nach Österreich gekommen ist und von Hilfsgendarmen festgenommen wurde, gab bei der … im Sinne des Auftrages des Herrn Sicherheitsdirektos … erfolgten Einvernahme Folgendes an  : »Ich ging anfangs Juni 1933 mit einem von der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck im Monate Mai 1933 ausgestellten Reisepasse oberhalb Passau über die trockene Grenze nach Bayern. Besetzt war die Grenze nicht. Ich war nicht Nationalsozialist, sondern gehörte in Oberösterreich dem sozialdemokratischen Turnvereine an. Ich wollte in Deutschland Arbeit suchen, da ich schon früher und zwar in den Jahren 1927 bis 1929 drüben gearbeitet hatte, arbeitslos war und auch mein Vater keine Arbeit hatte. Ich benützte teils die Bahn, teils ging ich zu Fuß bis München, wo ich beim Neffen meines Vaters, dem in München wohnhaften Schneidermeister Rudolf Meissner, vorläufig Aufnahme fand. Mitte Juni traf ich in München auf der Straße einen mir bekannten Legionär, der mich zur Führung der österreichischen Legionäre mitnahm. Dort wurden mir meine Papiere, Pass u. dgl. abgenommen und ich wurde angewiesen, in den Gasthof Frei zu gehen, von wo ich am nächsten Tage mit einem Transport in das Lager Lechfeld geschickt wurde. Bei meiner Ankunft befanden sich im Lager 300 bis 400 Österreicher, teils in Zivil, teils in Uniform. In den nächsten Wochen kamen noch einige hundert Österreicher. Lagerleiter war ein gewisser Strassmayr aus Krems in Niederösterreich. Da ich kränklich und nicht recht arbeitsfähig war, wurde ich im Lager nur zu leichten Arbeiten, Strohsackstopfen, Küchenarbeiten u. dgl. verwendet. Die anderen machten wenig, exerzierten, trieben Sport und Turnen. Waffen hatten sie nicht, nur die

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Lagerwache hatte Pistolen, später hatten die Wachdienst versehenden Legionäre auch deutsche Gewehre. Vorräte an Waffen habe ich in diesem Lager nicht gesehen. Anfangs Juli 1933 machte ich einen Fluchtversuch aus diesem Lager und wollte wieder nach Österreich gehen, wurde aber von Legionären aufgegriffen, ins Lager zurückgebracht und am nächsten Tage nach Dachau transportiert. Dort waren in einer Baracke 50 bis 60 geflüchtete Legionäre untergebracht, die streng bewacht wurden. Von den anderen Lagerinsassen und den Zuständen in diesem Lager habe ich nichts gesehen, weil ich ja nicht frei durfte. Anfang September wurde ich in das Lager Egmarting bei München transportiert. Dieses Lager war eine Art Sammellager für angekommene geflüchtete Österreicher und war in einer alten Brauerei untergebracht. Es befanden sich dort 100 bis 200 Mann. Sie betrieben Sport, Freiübungen, Exerzieren u. dgl., ohne besondere Tageseinteilung. Die Leute wurden von dort immer wieder in einigen Tagen in andere Lager abgeschoben, so dass ein ständiger Wechsel an Mannschaft bestand. (…) Ich brauchte auch dort infolge meiner Kränklichkeit nur leichte Arbeiten verrichten, am Exerzieren nahm ich nie teil. Am 3. oder 4. März 1934 kam ich in das Krankenhaus in München (…) und blieb bis 26. März, an welchem Tage ich Erholungsurlaub (…) erhielt. Am 27. April kam ich in das Lager Freilassing zu den Legionären, die dort beiläufig 350 Mann stark waren. (…) Ob eine direkte militärische Ausbildung vorgenommen wurde und wie die beschaffen war, weiß ich nicht, weil ich infolge Krankheit nie daran beteiligt war. Ich hörte nur von Freiübungen, Kopf- und Körperwendungen, Märschen u. dgl. (…) Kost in den Lagern war dem einen zu wenig, dem anderen zu schlecht. Sie bestand zum Frühstück aus Kaffee, (…) Brot, jeden Tag ein Wecken beiläufig 50 bis 60 dkg schwer. Zum Mittag durchschnittlich dreimal in der Woche beiläufig 10 dkg Rindfleisch, Suppe, leer oder eingekocht, Zuspeis zumeist Kartoffel und öfters Gemüse. An fleischlosen Tagen Kartoffelgulasch, Reis, Bohnen u. dgl. Zum Nachtmahl beiläufig 10 dkg Wurst oder Käse und Tee oder schwarzer Kaffee. Disziplin wurde zwar streng gehandhabt, es gab aber immer wieder Ungehorsame. Besonders wegen zu langem Ausbleiben gab es viele Strafen, die in Ausgangssperre oder auch Arrest bestanden. (…) Das Heimweh hat die meisten erfasst, der größte Teil wartet sehnlich auf Heimkehr und es wurde, je mehr Zeit verstrich, gesprochen, dass es doch endlich ein Ende nehmen solle. Die Mehrzahl erhoffte eine Amnestie, dass jeder wieder heim kann. Furcht vor Strafen in Österreich bei der Heimkehr hält die meisten von der Flucht ab, es kommen aber fortgesetzt Fluchtfälle vor, doch werden die meisten schon in Deutschland selbst wieder aufgegriffen und zurückgebracht. (…)«

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 13. Mai 1934 Zl. 356/529 (172.125/34) Betreff  : Verbreitung nationalsozialistischer Flugschriften in Badgastein. An das Bundeskanzleramt – G. D. – St. B. in Wien. Im Anschluss wird ein nationalsozialistischer Flugzettel, von welchem mehrere Exemplare in der Nacht zum 16. April l. J. im Bahnhofsbereiche in Badgastein gestreut wurden, zur gefälligen Kenntnisnahme vorgelegt. Deutsche Bauern Österreichs  ! Als Ihr im Herbst 1918 nach viereinhalbjährigem heldenhaftem Kampfe, betrübt durch den Ausgang des gigantischen Ringens die Waffe beiseitegelegt und heimgekehrt seid auf Eure Scholle, habt Ihr nur eine Aufgabe gesehen  : Für das hungernde Volk wieder Brot zu schaffen. Damals ist dem gesamten Volke ohne Unterschied der Berufszugehörigkeit klar und deutlich zum Bewusstsein gekommen, dass der Landstand, als Erzeuger des täglichen Brotes, der erste und wichtigste Stand im Staate ist. Diese Erkenntnis ließ eine bevorzugte Behandlung des Bauernstandes erwarten. Dass die erste Regierung der Republik unter der F ü h r u n g v o n M a r x i s t e n dieser Auffassung nicht Rechnung trug, ist begreiflich. Auch die späteren Regierungen standen noch Jahre hindurch unter dem Druck und dem Terror der Marxisten, so dass es verständlich ist, wenn auch da eine gesunde Bauernpolitik noch nicht betrieben werden konnte. Als aber im Jahre 1927 der ärgste Terror der Marxisten gebrochen wurde und in den folgenden Jahren die Anzahl der b ä u e r l i c h e n A b g e o r d n e t e n in den gesetzgebenden Körperschaften eine Erhöhung erfuhr, war anzunehmen, dass nunmehr endlich die Agrarpolitik in Bahnen gelenkt werden würde, wie sie im Interesse des gesamten Volkes notwendig erschien. Wohl bemühte sich ein Teil des bäuerlichen Flügels der Christlichsozialen Partei, sich im Interesse ihrer bäuerlichen Wähler einzusetzen, jedoch konnten diese Abgeordneten ihre Meinung bei denen des städtischen Flügels, der der stärkste war, nicht zur Geltung bringen. Auch die zweite angeblich rein bäuerliche Vertretung im Nationalrat, d e r L a n d b u n d , konnte die Lage der Landwirtschaft nicht verbessern, da er infolge seiner steten Kompromiss-(auf gut deutsch ›Packel‹)Bereitschaft völlig bedeutungslos

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war. Den meisten Führern des Landbundes war es allein darum zu tun, sich irgendeine Pfründe zu sichern (…) Als dann im Frühjahr 1932 der gegenwärtige Bundeskanzler Dr. Dollfuß Regierungsmitglied wurde, wobei er auch das schon vorher innegehabte Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft beibehielt, hofftet Ihr, Bauern, dass sich nun endlich Eure nur allzu gerechten Forderungen erfüllen würden, umso mehr, da ja der neue Bundeskanzler selbst a u s E u r e r B e r u f s g r u p p e kam und daher anzunehmen war, dass er, der Eure Not und Eure Sorgen kennen musste, seinen ganzen Einfluss, ja sein ganzes Leben einsetzen würde, um Euch und damit das Gesamtvolk Österreichs v o r dem drohenden wirtschaftlichen Zusammenbruch zu retten. Und nun Hand aufs Herz, deutscher Bauer Österreichs, ohne Rücksicht auf Größe Deines Besitzes, ob Hörndl- oder Körndlbauer, ohne Rücksicht auch auf Deine gegenwärtige Parteieinstellung, bekenne offen  : Ist die Gefahr Eures wirtschaftlichen Zusammenbruches in diesen zwei Jahren der Regierung Dollfuß gebannt worden  ? Oder aber ist diese Gefahr inzwischen nicht auf das höchste gestiegen  ? Keine amtlichen Nachrichten, keine vaterländischen Wandzeitungen, keine noch so schön gesprochenen Versammlungsreden werden Dich davon überzeugen können, dass es Dir seit dem Regierungsantritt des Bundeskanzlers mit dem »agrarischen Kurs« bedeutend besser geht. Dein eigener Betrieb, Bauer, sagt Dir, dass es von Monat zu Monat schlechter wurde und noch wird, und Tausende und aber Tausende Deiner Berufsgenossen sind in den Abgrund, vor dem Du nun schaudernd stehst, bereits hinabgestürzt. Der österreichische Bauernstand steht nicht v o r dem Zusammenbruch  ! Nein  ! Er befindet sich schon m i t t e n darinnen  ! Schuld daran ist einzig und allein die Regierung des – »agrarischen Kurses«  ! Sie soll nicht sagen, sie habe den guten Willen, Euch zu helfen. Nein, sie hat ihn nicht, sonst müsste sie als Regierung der »s t a r k e n H a n d « diesen guten Willen in die Tat umsetzen. Stattdessen begnügt sie sich damit, wirtschaftliche G r ä u e l n a c h r i c h t e n gemeinster und verlogenster Art über Deutschland zu verbreiten. Als Herausgeber solcher Flugblätter, betitelt  : »Ein Jahr nationalsozialistischer Agrarpolitik – Der deutsche Bauer ein Opfer des Dritten Reiches  !«, zeichnet der B u n d e s k o m m i s s ä r f ü r P r o p a g a n d a   ! Die darin aufgestellten Behauptungen sind von A bis Z erlogen. Man will mit solch gemeinen und schäbigen Mitteln doch nur erreichen, dass Du Dir, deutscher Bauer in Österreich, sagen sollst  : »Ja, bei uns ist es zwar nicht gut, aber in Deutschland ist es noch viel schlechter.« Man will damit Deine Sinne vernebeln, damit Du schließlich gut und böse nicht mehr unterscheiden kannst. (…)

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Der Bauernstand im deutschen Bruderreich steht heute, dank der umsichtigen und weitschauenden Politik Adolf Hitlers, des größten Bauernbefreiers aller Zeiten, wieder gesichert und gefestigt für alle Zukunft da. Wenn Du nicht glauben willst, so fahre hinaus ins Reich, gehe hin zu Deinen Berufsgenossen und wenn Du dann 1000 von ihnen fragst, wie es geht, so werden Dir 999 davon mit leuchtenden Augen und frohester Zuversicht zur Antwort geben  : »Gott sei Dank, nun geht es wieder aufwärts und unsere größten Sorge sind wir los, denn wir können unsere heilige, von den Vätern ererbte Scholle mit Sicherheit auch unseren Kindern dereinst wieder übergeben. Deutschland wird leben, weil der Bauernstand wieder als der wichtigste Stand im Staate nicht nur bezeichnet, sondern auch als solcher behandelt wird.« Dann kehre wieder zurück in Deine Heimat und gehe zu 1000 Deiner Berufsund Leidensgenossen in Österreich. Hier werden auf Deine Frage, wie es geht, 999 davon, selbst solche, die heute noch »vaterländisch« eingestellt sind, mit traurigem Auge und erbittertem Herzen Dir zur Antwort geben  : »Es ist zum Verzweifeln  ! Von Tag zu Tag geht es immer mehr abwärts, verminderten Eimnnahmen stehen erhöhte Lasten gegenüber, wir können unsere Scholle nicht mehr erhalten, sie ist nicht mehr heiliges Erbgut, sondern Spekulations- und Handelsobjekt internationaler Bank- und Börsengauner geworden. Herr, befreie uns, ehe es zu spät  !« Daraus, deutscher Bauer in Österreich, musst Du dann die Folgerung ziehen und wirst dann dabei zu dem Schluss kommen  : Ich will mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln, mit meiner ganzen Kraft und mit dem Einsatz meiner ganzen Person mithelfen, dass eine Verständigung mit Deutschland zustande kommt und damit die Wirtschaft Österreichs in letzter Minute vor dem Zusammenbruch gerettet wird. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 25. April 1934 Zl. 2020/1 Betreff  : Musikverein Anthering-Dorf, Untersagung der Bildung. B e s c h e i d    : Von Karl Kaiser und Gen. als Proponenten wurde hieramts am 16.4.1934 unter Vorlage von Statuten die Bildung eines »Musikvereines Anthering-Dorf« angezeigt. S p r u c h    :

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Die Bildung des »Musikvereines Anthering-Dorf« wird gemäß § 6 des Gesetzes vom 15.11.1867, R. G. Bl. Nr. 134, u n t e r s a g t . B e g r ü n d u n g    : Die Proponenten des zu bildenden Vereines sind den gepflogenen Ergebungen zufolge durchwegs Anhänger der NSDAP, die sich von der in Anthering bestehenden vaterländischen Musik losgetrennt haben. Da mit Verordnung der Bundesregierung vom 19.6.1933, B. G. Bl. Nr. 240, der NSDAP in Österreich jede Betätigung und insbesonders die Bildung irgendwelcher Parteiorganisationen verboten wurde, war die Bildung des Vereines zu untersagen, weil aufgrund der politischen Einstellung der Proponenten der begründete Verdacht besteht, dass durch die Bildung des neuen Vereines ein Sammelpunkt für die verbotene politische Betätigung im Sinne der NSDAP geschaffen wird. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 25. April 1934 Zl. 889/2 Betreff  : Leichenbegräbnis des Nationalsozialisten Franz Winkler in Salzburg, Bericht. An das Bundeskanzleramt – St. B. in Wien. Im Gegenstande wird folgender Bericht erstattet  : Am 23.4.1934, um 9 Uhr 30’ vorm., fand am Kommunalfriedhof in Gneis, Gemeinde Morzg, das Begräbnis des durch Selbstmord geendeten Nationalsozialisten Franz Winkler, welchem seinerzeit bei einem Böllerwurf die rechte Hand abgerissen wurde, statt. Am Begräbnis, das aus Gründen der öffentlichen Ordnung vom Nachmittag auf Vormittag vorverlegt wurde, nahmen schätzungsweise über 2000 Personen teil, darunter 700 Deutsche Turner in Turnerkleidung. (Winkler war Mitglied des Deutschen Turnvereines Salzburg) Zum Sicherheitsdienst wurde die Gendarmerie-Schulabteilung Salzburg (32 Mann) beordnet, wovon 15 mit Gummiknüppeln und die übrigen mit Karabinern bewaffnet waren. 5 Kriminalbeamte der Bundespolizeidirektion Salzburg waren in der Menge verteilt. Nach der ¾ stündigen Rede des evangelischen Pfarrers Gerhard Florey nahm der in der Getreidegasse 27 wohnhafte Friseur Georg Leib einen kurzen Abschied am Grabe und schloss mit den Worten  : »Grüße mir Horst Wessel.« Darauf hob Leib die Hand zum Hitler-Gruß, worauf die Turner ein Turnerlied, die übrige Menge das Horst Wessel-Lied zu singen begann. Der Kommandant der Schulabteilung forderte die Menge zur Besonnenheit auf, worauf der Gesang eingestellt wurde.

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Ein neuer Versuch einer kleineren Gruppe, das Lied »Ich hatt einen Kameraden« zu singen, wurde durch Abdrängen derselben vom Grabe vereitelt. (…) Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 24. Mai 1934 Zl. 175/res-34 (176.928 G. D./St. B. 34) Betreff  : Zusammenkunft ehemaliger nationalsozialistischer Führer in Salzburg. An das Bundeskanzleramt (St. B.) in Wien I. Unter Bezugnahme auf den fernmündlichen Erlass beehrt sich die Bundespolizeidirektion zu berichten, dass die für die Pfingsttage in Salzburg in Aussicht genommene Versammlung ehemaliger nationalsozialistischer Führer, welche mit der derzeitigen Terrorpolitik der österreichischen Legionäre in München nicht einverstanden sind, h. o. nicht stattgefunden hat.63 Als einer der Einberufer figuriert neben Dr. Walter Riehl auch der frühere Wanderredner und gewesen Herausgeber der antisemitischen Zeitung »Der Eiserne Besen«, Josef Koller,64 (am 11.11.1879 in Guntersdorf, NÖ geb., Wien zuständig) welcher in der Folge 12 der Zeitschrift »Der Michel« (…) und zwar in der Beilage dieser Zeitschrift »Völkische Front Österreichs« einen offenen Brief an den Staatsminister Hermann Esser65 in München mit dem Datum vom 4. Februar 1934 bereits veröffentlicht hat. (…) 63 Die von Theo Habicht vor allem nach dem Verbot der NSDAP vertretene Politik der Terroranschläge zur Destabilisierung der innenpolitischen Lage und der Regierung Dollfuß stieß innerhalb der NSDAP keineswegs auf ungeteilte Zustimmung. Nicht nur Exponenten der sog. »Schulz-Bewegung« sprachen sich gegen diese Politik aus, sondern auch Mitglieder und Anhänger der Hitlerbewegung (NSDAP), die einen evolutionären Weg befürworteten und zudem eine Fremdbestimmung der österreichischen Partei durch deutsche Funktionäre befürchteten. In deutlichem Gegensatz dazu plädierten sie für eine spezifisch österreichische Entwicklung und auch eine relative Autonomie des österreichischen gegenüber dem deutschen Nationalsozialismus. Auch Arthur Seyß-Inquart hing im März 1938 kurz dieser Illusion an. 64 Josef (Sepp) Koller war Parteisekretär der DNSAP, galt als populärer Redner der Partei und gehörte zudem dem Salzburger Antisemitenbund an, dessen Vorsitzender er 1919 war. Er stemmte sich gegen die Entmachtung von Walter Riehl beim Salzburger Parteitag im August 1923. In der Auseinandersetzung um die gewerkschaftliche Ausrichtung der DNSAP und wahrscheinlich aufgrund einer Intrige von Hans Prodinger wurde er Ende 1923 aus der DNSAP ausgeschlossen und trat der NSDAP (Hitlerbewegung) bei, deren nach Salzburg geflüchtete Putschisten er unterstützte. Zudem betätigte er sich in der antisemitischen Hetzschrift »Der Eiserne Besen« und war im Hausbesitzerverein tätig. Zum »Eisernen Besen« vgl. Günter Fellner  : Antisemitismus in Salzburg 1918–1938. – Wien/Salzburg 1979. 65 Hermann Esser (1900–1981) war Gründungsmitglied der NSDAP und wurde 1920 erster Schriftleiter des »Völkischen Beobachters«, 1923 Propagandaleiter der NSDAP und floh nach dem gescheiterten

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In diesem Zusammenhang wird berichtet, dass Koller von der ehemaligen Gauleitung der NSDAP (und zwar vom gewesenen Bundesrat Karl Scharizer aus Freilassing) schriftlich davon verständigt wurde, dass er wegen seiner vaterländischen Haltung im Hausbesitzerverein aus der Partei ausgeschlossen wurde. Eine fotografische Reproduktion (…) des in der »Völkischen Front Österreichs« zum Abdruck gelangten offenen Briefes wird gleichzeitig in Vorlage gebracht. (…) Völkische Front Österreichs Folge 12 Wien – Salzburg am 1. Ostermonde (April) 1934 Ein Nationalsozialist schreibt einem Führer Nachstehendes Schreiben hat Sepp Koller in Salzburg, der älteste nationalsozialistische Reiseredner Österreichs, an Herrn Hermann Esser in München gerichtet  : Salzburg, am 4. Februar 1934 Wohlgeboren Herrn Staatsminister Hermann Esser München, Staatskanzlei. Werter Freund Esser  ! Vor allem muss ich Dich bitten, mein heutiges Schreiben nicht nur zu lesen, sondern mit dem verdienten Ernste zu lesen, denn es kommt von einem Menschen, der im Kampfe um sein Volkstum grau geworden ist und ein langes Leben der großen Sache geweiht hat. Auch habe ich ein gewisses Recht, gehört zu werden, da ich seit dem Jahre 1920 bei jeder Gelegenheit den an mich ergangenen Ruf folgeleistend ins Reich kam, um an dem Kampfe um Deutschlands Erwachen teilzunehmen, als die vielen Millionen noch im Schlafe und Traume, als Du allein mit dem Führer diese Schläfer wachgetrommelt hast  ! Oft gedenke ich der Zeit vom Sterneckerbräu66 (…), an die Tage der ersten Gründung in Bayern und es erfüllt mich mit Stolz, dass auch ich in diesen Anfangsjahren

Putsch nach Salzburg. 1925 bezeichnete ihn Goebbels in seinem Tagebuch als »kleinen Hitler«. 1933 wurde er Bayerischer Staatsminister und Präsident des Bayerischen Landtage, 1934 »Ehrenführer der Deutschen Luftfahrt«, 1935 Vorsitzender der Reichsgruppe Fremdenverkehr, 1939 Staatssekretär für Fremdenverkehr im Reichspropagandaministerium, 1943 Gruppenführer des NS-Fliegerkorps. Nach Kriegsende versteckte er sich bis 1949 und wurde 1950 zu 5 Jahren Haft verurteilt. (Ernst Klee  : Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. – 4. Aufl. – Koblenz 2008. S. 140.) 66 Erstes Versammlungslokal der Partei, in dem auch Hitler als V-Mann der Reichswehr an einer Versammlung teilnahm.

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mit dabei war, als in München und Bayern die ersten roten Bastionen erstürmt wurden  ! Seit den Badenitagen 189767 stehe ich im völkischen Lager, in den Kämpferreihen meiner Heimat für ein großes einiges deutsches Vaterland, für eine deutsche Schicksalsgemeinschaft in Mitteleuropa. Ich tat stets meine Pflicht  ! Wir haben zwei Menschenalter in Österreich gebraucht, um den Geist von Königgrätz68 zum Verstummen zu bringen, bis derselbe in weitesten Volkskreisen erloschen war  ! Nur so war es möglich, dass im Jahre 1918 in der österreichischen Nationalversammlung ein Nationalsozialist – Hans Knirsch – den Ruf nach der deutschen Einheit erheben konnte und einen einstimmigen Beschluss nach dieser Richtung erzielte. Soll dies nun mit einem Male vorbei sein  ? Sollen die Erfolge der vielen Jahrzehnte alle verschüttet werden und soll die alte zweitausendjährige ostmärkische Heimat wirklich dem Reiche für alle Zeiten entfremdet sein  ? Denke Dich in das Gefühlsleben der alten Ostmärker hinein – auch in meines – bei der Tatsache, dass heute ein Damm von Hass und Zwietracht zwischen uns steht und sich Reich sowie Ostmark zum Gaudium aller nichtdeutschen Völker bekämp67 Als am 5. April 1897 Ministerpräsident Graf Kasimir von Badeni eine Sprachenverordnung für Böhmen erließ, die das Tschechische dem Deutschen als »inneramtliche« Dienstsprache gleichstellte und in Zukunft von den Beamten eine zweisprachige Ausbildung verlangte, opponierten deutschnationale Gruppierungen mit der Behauptung, dass diese Verordnung negative Folgen für die deutschsprachigen Bürger in Cisleithanien haben würde. Die Folge waren teilweise äußerst heftige und sich über ein Jahr anhaltende Demonstrationen in Prag, Graz, Salzburg und Wien. Die deutschnationale Presse bemächtigte sich des Themas, das auch von den politischen Parteien aufgegriffen wurde und die deutschsprachige Regionalregierungen in Schlesien, Böhmen, Mähren und den Alpenländern veranlasse, gegen das Gesetz zu protestieren. Auch der Reichsrat erlebte turbulente Szenen, deren Höhepunkt bei der Eröffnung der neuen Sitzungsperiode im September 1897 erreicht wurde, als der deutschnationale Abgeordnete Karl Hermann Wolff Badeni derart angriff und beleidigte, dass beide ein Duell austrugen. Da die durch Obstruktion und Verzögerungstaktik im Reichsrat ausgelöste Krise schließlich die Erneuerung des Ausgleichs mit Ungarn verhinderte, trat Badeni noch im September 1897 zurück. Sein Nachfolger, Paul Freiherr Gautsch von Frankenthurn, änderte die Badenische Sprachenverordnung, indem er 1898 eine territoriale Lösung einführte, die die Anwendung der Verordnung seines Vorgängers auf die tschechischen und gemischtsprachigen Gebiete einschränkte. Auch die generelle Forderung nach Zweisprachigkeit der Beamten wurde abgeändert, indem diese von den Erfordernissen spezifischer staatlicher Berufspositionen abhängig gemacht wurde. Vgl. dazu Robert A. Kann  : Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie. 2 Bde. 2. Aufl. – Graz/Köln 1964. Bd. 1. 193ff.; Pieter M. Judson  : Habsburg. Geschichte eines Imperiums 1740–1918. – München 2017. S. 400ff. 68 Niederlage der Habsburgermonarchie gegen Preußen und damit auch deren Verdrängung aus dem bis dahin von ihr dominierten Deutschen Bund. Der »Geist von Königgrätz« stand für (groß)österreichische Vorbehalte und einen (groß)österreichischen/habsburgertreuen Patriotismus gegen ein von Preußen geführtes Deutschland.

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fen  ! Kannst Dir wohl denken, wie da in unseren Herzen eine ersehnte Welt niederbricht, für welche wir schon seit der Jugend gerungen haben. Da müssen wir, die wir an der Wiege der großen Bewegung standen, die Frage aufwerfen  : Musste es so kommen und darf es weiter so bleiben  ? Kann und darf ein großes Deutsches Bruderreich von 65 Millionen einen alten deutschen Volksstamm von 6,5 Millionen, welcher durch Schand- und Knechtschaftsverträge aus der Gemeinschaft Großdeutschlands ausgeschlossen wurde, noch weiter von sich stoßen, als es schon geschah, oder muss der große Bruder nicht alles tun, um den in Not geratenen kleineren zu helfen und zu stützen  ! (…) Du warst oft in Österreich, in den meisten Gauen, kennst das Land und Leute besser als alle anderen, besonders aber besser als Herr Habicht, welcher hier als Führer so unerhört Schiffbruch erlitten hat, weil ihm alle Voraussetzungen zu einem Führer der ostmärkischen Volksmassen fehlen. Ich mache ihm keinen Vorwurf wegen seiner Unkenntnis und wegen seines unglücklichen Temperaments sowie sonstiger Eigenschaften, die ein Mensch nicht ohne weiteres abstreifen kann. Aber Herr Habicht hätte damals, als er Reichstagsabgeordneter geworden war, ins Reich zurückkehren und abberufen werden sollen. Als aber dann unter seiner Führung die Partei hier in die größte Verlegenheit kam, da hätte er den Platz räumen müssen, um die Bewegung in der Ostmark zu retten. Er tat es nicht, sondern hat seinen Kampf auf diesem alten deutschen Boden organisiert, welcher zur heutigen Situation führte, welche ich als mehr als furchtbar bezeichnen muss. (…) Nicht nur die österreichische Regierung, auch alle Wirtschaftskreise fühlen sich durch den Kampf, den die »Landesleitung Österreich« von München aus unter Duldung der Behörden organisiert, verfolgt und in wirtschaftlicher und moralischer Hinsicht schwer getroffen  ! Ganz abgesehen von den großen und nutzlosen Opfern, führt dieser Kampf zu einer dauernden Entfremdung und es kann abermals Generationen dauern, bis die geistigen Folgen all der letzten Ereignisse ausgelöscht werden können. Wer will und kann dies verantworten  ? Für uns alte Kämpfer war klar, dass nach der Machtergreifung Hitlers im Vorjahre bei uns die herrschenden Mächte alles tun werden, um nicht das gleiche Schicksal ihrer Gesinnungsgenossen im Reiche auch bei uns zu erleben. Jeder Mensch musste erkennen, dass hier eine Gleichschaltung und Machtergreifung nicht in greifbarer Nähe liegt, sondern hierzu eine längere Geduld nötig ist. Wer dies nicht wusste oder begreifen wollte, muss als ein Phantast bezeichnet werden. Politik muss man mit Verstand machen und nicht Unmögliches ertrotzen wollen. Diplomatie und ein feines Fingerspitzengefühl ist hier eine notwendige Voraussetzung  ! Im Kampfe kommt es darauf an, dass man den Gegner, dessen Stärke, Absichten und Stellung genau kennt und nicht blind in das Terrain hineinstürmt, in einen Hinterhalt gerät und aufgerieben wird.

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Ich gebe ohne weiteres zu, dass ein heroischer Entschluss dazu gehört einzubekennen, dass man einen Fehler begangen hat und sich in dem Wirrwarr des fremden Geländes in eine Sackgasse verrannte. Aber der Fehler wird dadurch nicht kleiner, wenn man gegen die Mauer wie besessen anrennt und sich blutige Schädel holt, weil man dann entweder in ein Lazarett oder ins Irrenhaus abgeführt wird. Herrn Habicht und Genossen ist es heute schwer, aus ihrem Irrtum die Folgerungen zu ziehen und anderen Führern die Armee zu überlassen, welche eine Umgruppierung durchführen, welche schließlich einen Erfolg zeitigen könnte. Wenn ich daran denke, was Du nach dem Jahre 1923, als Du von Salzburg wieder nach München heimgekommen bist, getan hast, so kann ich nicht verstehen, warum man diesmal diese Taktik verdammte  ! Du hast damals mit Streicher und Strasser die »Großdeutsche Volksgemeinschaft«69 gebildet, der sich Ludendorff, Frick und andere angeschlossen haben, worauf mit der »Deutschvölkischen Freiheitspartei«70 Gräfe, Wulle, Henning,71 Kube,72 Reventlov73 usw. der »Völkische Block« gebildet 69 Wenngleich auf Anordnung Hans von Seeckts die NSDAP am 23. November 1923 im gesamten Reichsgebiet verboten worden war, so konnten sich in Bayern mit Duldung der Landesregierung, während der Haftzeit Hitlers relativ problemlos mehrere Ersatzorganisationen bilden. Am 7. Jänner 1924 wurde der »Völkische Block in Bayern« ins Leben gerufen, der bei der Bayerischen Landtagswahl am 6. April 1924 17,1 Prozent der Stimmen und 23 der 129 Landtagssitze erreichte, und Ende Jänner die »Großdeutsche Volksgemeinschaft«, deren Gründer sich auf den ausdrücklichen Wunsch Hitlers beriefen. 70 Die »Deutschvölkische Freiheitspartei« war eine Ende 1922 entstandene rechte Abspaltung der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), die zunächst von dem rechten mecklenburgischen Gutsbesitzer Albrecht von Gräfe und später von Reinhold Wulle geleitet wurde. 71 Wilhelm Henning (1879–1943) war deutschnationaler Offizier mit ausgeprägtem Antisemitismus. Er zog 1920 für die DNVP in den Reichstag ein und wurde durch stark antisemitische Ausfälle gegen Reichsaußenminister Walther Rathenau wegen dessen Unterzeichnung des Vertrages von Rapallo aus der DNVP ausgeschlossen. Im Dezember wechselte er zur deren Rechtsabspaltung DVFP und wurde Vorsitzender des Verbandes nationalgesinnter Soldaten. 1924 wurde er als Kandidat der Nationalsozialistischen Freiheitspartei in den Reichstag gewählt, dem er bis 1928 angehörte. In der Deutschvölkischen Freiheitsbewegung, der Nachfolgerpartei der DVFP, galt er als Kontaktmann zu Wirtschaftskreisen. 72 Wilhelm Kube (1887–1943) war Mitbegründer des antisemitischen Deutschvölkischen Studentenverbandes und des Verbandes Deutscher Studenten, 1912 Vorsitzender des Deutschvölkischen Akademikerverbandes und einer der Gründer der Jugendorganisation der DNVP (Bismarckjugend), deren Reichsführer er wurde. 1920 wurde er Generalsekretär des Landesverbandes der Berliner DNVP und 1920 bis 1923 Mitglieder der Berliner Stadtverordnetenversammlung. 1923 trat er aus der DNVP aus und wechselte zur Deutschvölkischen Freiheitspartei (DVFP). Auf der völkischen Liste wurde er 1924 in den Reichstag gewählt, wechselte 1927 zur NSDAP, wurde 1928 Gauleiter in der Kurmark/ Brandenburg, war 1928 bis 1933 Vorsitzender der NSDAP-Fraktion im Preußischen Landtag, 1933 bis 1936 Oberpräsident von Brandenburg-Berlin, wurde 1933 Mitglied der SS und 1934 SS-Gruppenführer. 1936 wegen Korruption von allen politischen Ämtern enthoben, wurde er 1941 reaktiviert und Generalkommissär für den Generalbezirk Weißruthenien in Minsk. 73 Ernst Graf zu Reventlov (1869–1943) war Marineoffizier und ab 1920 Herausgeber der Wochenschrift

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und 34 Reichstagssitze errungen wurden.74 Damals hat der Zweck die Mittel geheiligt und das Sprungbrett für weitere Erfolge abgegeben. (…) Auch bei uns wäre der gleiche Weg gangbar gewesen und ist auch vorgeschlagen worden. Das kann nicht geleugnet werden. Vieles wäre uns allen erspart geblieben und es wäre nicht zur heutigen Lage gekommen. (…) Als der alte Freund Dr. Riehl diesen einzig möglichen Weg vorschlug, hat ihn Herr Habicht aus der Partei ausgeschlossen, und da ich mich von dem guten 25jährigen Freund nicht lossagte und außerdem in meiner Standesvereinigung tätig bin, hat die Partei dies auch bei mir getan. Auch andere alte Vorkämpfer sind, so viel ich hörte, vom gleichen Bannfluche betroffen worden. (…) Wenn die bisherige Art des Kampfes gegen unsere Ostmark und sein Volk weiter anhält, dann wird sich die Regierung – welche fester, als man im Reiche glaubt, im Sattel sitzt und derzeit durch nichts zu stürzen ist – im Einvernehmen der Wirtschafts­gruppen und großer Wirtschaftskreise an andere Völker um Hilfe wenden und in ihrer Not sich diese Helfer gerne gefallen lassen. Aber dann geraten wir zwangsläufig auch in deren Einfluss. Ob dies im Interesse der deutschen Volksgemeinschaft gelegen ist, wirst Du kaum bejahen können  ! Sollen die Helfer und Förderer Österreichs anstatt in Berlin und München etwa in Prag, Paris, Rom und Belgrad liegen  ? Das wäre deutsche Volksschande. Ich habe Dir schon im Frühjahr v. J. geschrieben und Dich gebeten, alles zu tun, damit der Fremdenverkehr vom Reiche zu uns nicht gedrosselt wird  ! Leider konnte ich kein Gehör finden und wir haben alle miteinander den Schaden zu tragen, besonders in den Grenzländern. Glaube nicht, dass wir alte Haudegen hier mutlos oder verzweifelt sind, nein, sondern wir sehen die Dinge aus nächster Nähe und leiden mehr als jene Menschen, die aus sicherer Deckung hierorts mit ihren Parolen Verwüstungen anrichten, welche sie nie rechtfertigen und verantworten können. (…) … von einer Wiedererrichtung der »NSDAP Hitlerbewegung« ist in Österreich keine Rede und da mag der Fanatismus »Der Reichswart« sowie Mitbegründer der »Deutschvölkischen Freiheitspartei«, in der er arbeiterfreundliche Positionen (Mitbestimmung) vertrat. Nachdem er zunächst Hitlers Taktik angegriffen hatte, revidierte er seine Position und wurde 1927 Mitglied der NSDAP und Mitglied des Reichstages, war 1934 bis 1936 Leiter der »Deutschen Glaubensbewegung«, die den Versuch unternahm, eine heidnisch, germanentümelnde Deutsche Religion zu etablieren. 1937 wurde er Mitglied im Beirat der Forschungsabteilung Judenfrage in Walter Franks »Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschland«. 74 Bei der Reichstagswahl am 4. Mai 1924 errang eine Wahlgemeinschaft von insgesamt 26 völkischen Verbänden Bayerns, Thüringens, Sachsens, Württembergs, Hessens, Badens und des Rheinlandes, deren Kandidaten eine gemeinsame Liste der Vereinigten Nationalsozialisten und der Deutschvölkischen Freiheitspartei gebildet hatten, 32 Mandate, unter ihnen die wegen Teilnahme am Hitler-Putsch rechtskräftig verurteilten und unter Bewährung gestellten Ernst Röhm und Wilhelm Frick.

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einiger Zehn- oder selbst Hunderttausender noch so stark sein und diese zu weiteren Opfern sich entschließen. Angesichts dieser unumstößlichen Wahrheit, die ich schon lange erkannt habe, gibt es nach meiner festen Überzeugung nur den Weg der Umkehr und Abkehr vom bisherigen Wege  ! Es gibt nur noch die rasche Aussöhnung und die Anerkennung Österreichs als selbständigen deutschen Staat, der seine Angelegenheiten selbst und allein ordnet und den man aus Blutsverbundenheit hierbei helfen muss, damit er der deutschen Schicksalsgemeinschaft nicht entzogen wird. (…) Der Führer oder die bayerische Regierung müsste veranlassen, dass Herr Habicht und Genossen sofort die Hetze gegen Österreich einstellen und in weiterer Folge die »Landesleitung« in München aufgelöst wird. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Geschäftszahl 220.629 G. D./St. B. 34 (Nebenzahlen 250.320) Gegenstand  : Hinner Alois aus Salzburg  ;75 Schreiben an den Herrn Bundeskanzler. Salzburg, am 7. März 1934 Eure Exzellenz  ! Sehr geschätzter Herr Bundeskanzler  ! Ein Frontkamerad wendet sich an Eure Exzellenz mit der besten Absicht, vielleicht beitragen zu können, dass der jetzige unerfreuliche Zustand zwischen den beiden Bundesstaaten diesseits und jenseits der deutschen Grenze raschest beendet werden könnte. Nicht nur Menschenleben, Existenzen, Familienglück und Freundschaften hat der unselige Zwist bis heute gekostet, auch die wirtschaftlichen Verhältnisse haben schwere Leiden durchzumachen und es ist nicht abzusehen, was noch für Unglück aus diesem Bruderkampfe entstehen kann. Ich erzähle hier gewiss keine

75 Alois Hinner war Direktor der Salzburger Gewerbehalle und Mitglied der NSDAP. Zusammen mit anderen Nationalsozialisten wie dem ehemaligen Landtagsabgeordneten Otto Vogl, Fleischhauermeister sowie Gast- und Landwirt in Anthering, und dem Sekretär des Hausbesitzerverbandes Salzburg Josef Koller bildete er eine Gruppe, die die aggressive Politik der österreichischen Landesleitung in München ablehnte und für eine Aussöhnung mit der Bundesregierung plädierte. In einer Beschreibung der Persönlichkeit Hinners erklärte der Salzburger Sicherheitsdirektor Oberst Ludwig Bechinie Ritter von Lazan am 26. September 1934, Hinner habe »einen guten Blick, eine scharfe Auffassungsbzw. Beurteilungsgabe, besitzt eine vorzügliche Rednergabe und versteht es, im geeigneten Augenblicke sich an die Oberfläche zu drängen. Die Masse auf die Dauer zu fesseln ist Hinner nicht befähigt, es fehlt dem Volke das Vertrauen zur Ehrlichkeit und Lauterkeit dieses Mannes. Selbst seine nächste Umgebung misstraut ihm. Hinner will, wie so oft, wieder einmal an der Oberfläche schwimmen und gelten.« (Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, Zl. 5792/1)

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Neuig­keiten, jeder Mensch und im Wirtschaftsleben Stehende ist hineingezogen in ein unaufhaltsames Verderben, dessen Folgen eine ganze Generation belasten kann. Ich halte es für die Pflicht jedes Einsichtigen, sein Möglichstes beizutragen, als Staatsbürger alle Anstrengungen zu machen, seinem Vaterlande nach besten Kräften zu dienen und auf Mittel und Wege zu sinnen, wie seinem Ermessen nach den Interessen des Volkes gedient werden kann. Gewiss, von 1000 Wegen ist vielleicht nur einer gangbar und dieser nicht bis zum Ende, aber aus den 999 anderen können Bausteine für diesen glücklichen Pfad zusammengetragen werden, damit das Ziel erreicht wird. Meine Aufgabe wäre erfüllt, wenn auch nur ein Bruchteil meiner Idee Verwendung finden könnte, dem großen Werk zu dienen und die beiden Bruderländer zum Austausch der Freundeshand zu bewegen. Aus dieser staatsbürgerlichen, vaterländischen und soldatischen Pflicht heraus bitte ich Eure Exzellenz, das beigeschlossene Memorandum wohlwollend zu prüfen. Als Oberländer und Oberleutnant a. D. des Inf. Reg. Nr. 54, »Alt Starhemberg«, war ich dem Bundesführer Fürsten Starhemberg als Adjutant zu geteilt, wie er im Lande weilte und habe ich in wiederholten persönlichen Gesprächen Seiner Durchlaucht Vorschläge gemacht, die Heimwehr mit der NSDAP auf eine gemeinsame Plattform zu bringen, leider erfolglos. Daraus bitte ich zu entnehmen, dass meine Bemühungen nach dieser Richtung nicht erst jetzt entstehen, sondern schon Jahre vorher mein erstes Ziel waren. Vielleicht ist meine jetzige Aktion zum Segen des Vaterlandes vom Erfolg begleitet. (…) AUFRUF an alle Mitglieder der ehemaligen NSDAP Österreichs. Nationalsozialisten  ! Kein Unberufener spricht zu Euch  ! Ein Mann, der seit 25 Jahren für die Grundsätze der Deutschen Arbeiterpartei und der daraus entstandenen NSDAP gestritten und geopfert, wiederholt seine Gesundheit, Leben und Existenz aufs Spiel gesetzt hat, der immer in die Bresche sprang, wenn Not am Mann war in Zeiten, da das Bekenntnis zur Partei Mut und Selbstverleugnung verlangte. (…) Meine Verbundenheit zur Partei dokumentiert die Tatsache, dass ich 1930 als Kandidat für die Wahl zum Nationalrat in Salzburg aufgestellt wurde. Mein Parteibuch trägt die Nummer 117.234. Dies soll Euch Gewähr sein, dass ein in allen Belangen erprobter, reifer Kämpfer diesen Schritt tut, nach dessen Gelingen er wieder in die Doppelreihe zurücktritt, da er weder die Fähigkeit noch die Berufung in sich fühlt, vielleicht Führer zu spielen, sondern diese Rolle gerne allen anderen überlässt. Nationalsozialisten  ! Fast ein Jahr ist verflossen, seit die NSDAP in Österreich aufgelöst wurde. Unsere Führer sind teils im Auslande, teils in Konzentrationslagern oder im Gefängnis. Tausende von Existenzen sind zerstört, tausende Familien zerrissen, weitere tausende in Existenz und Familienglück gefährdet. Der unselige

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Zwist mit unserem Brudervolke im Reiche hat der Wirtschaft namenlosen Schaden zugefügt. Wie lange soll dieser Zustand noch dauern  ? Wie lange noch sollen wir untätig zusehen, dass unsere Besten hinter Kerkergittern schmachten, Familie und Heim entbehren, während zu Hause das Geschäft zugrunde geht, die Arbeitsstätte in Verlust gerät  ? Unsere Brüder im Auslande, fern der Heimat, ersehnt von ihren Angehörigen  ! Einer der besten Teile unserer Volkskraft zur Untätigkeit verdammt, ohne Wirkungskreis, der gewohnten Beschäftigung entzogen und kein Ende abzusehen. Parteigenossen, versetzt Euch in die Lage dieser Verbannten, ihrer Freiheit beraubten, von Weib und Kind Getrennten, aus Beruf und trautem Kreise Gerissenen, und Ihr werdet zur Erkenntnis kommen, dass diese unsere treuen Volksgenossen Schweres erdulden und sehnsüchtig auf die Stunde warten, die ihnen Freiheit, Heimat, Familienglück und die gewohnte Beschäftigung wiederbringt. Sie selbst sind zur Ohnmacht verdammt, wir müssen alle unsere Kräfte einsetzen, sie aus dieser Not zu retten  ! Auf welches Gotteswunder warten wir noch  ? Von wo soll uns Hilfe kommen  ? Wie stellen sich große und kleine Geister das Ende dieses jetzigen unhaltbaren Zustandes vor  ? Hat jeder Vernünftige und selbständig Denkende die ihm vorschwebende Lösung dieser Krise schon einmal bis zum Ende durchgedacht und daraus die Überzeugung gewonnen, dass es ruhig so weiter gehen kann, bis eben das ersehnte Wunder geschieht  ? Sind wir in Wolkenkuckuksheim oder auf der Erde in einem kleinen, armen Land, das einen Krieg verloren hat, in furchtbarer wirtschaftlicher Not mit einem Heer von Arbeitslosen, ausgesaugt bis auf die Substanz, schwer um seine Existenz ringt und alle Kräfte braucht, das Wenige zu erhalten, das uns geblieben  ! Alle Mann an Bord  ! Nationalsozialisten  ! Bekennt Euch Mann für Mann zur Arbeitsgemeinschaft der Nationalsozialisten Österreichs. Unser Programm hat drei Punkte  : 1. Sofortige Unterhandlung mit unserer Bruderpartei im Reiche wegen Wiederherstellung der freundschaftlichen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen wie im Februar 1933. 2. Parallel laufende Verhandlungen mit der österreichischen Regierung im Sinne des Punktes 1, verbunden mit der Aufhebung aller Konsequenzen, die sich aus den politischen Verhältnissen nach Auflösung der NSDAP in Österreich ergeben haben. 3. Tatkräftige Mitarbeit am Wiederaufbau Österreichs unter entsprechender Beiziehung unserer Vertrauensmänner seitens der Regierung. Nationalsozialisten  ! Unser oberster Führer hat im Vorjahre den Viermächtepakt unterschrieben,76 wonach die Grenzen Österreichs unantastbar sind  ; ein Adolf Hit76 Vor allem in Großbritannien und Frankreich herrschte nach der nationalsozialistischen Machtergrei-

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ler wird sein gegebenes Wort nie brechen  ! Es wäre vermessen, von Deutschland zu verlangen, dass es sich jetzt, im Wiederaufbau begriffen, in politische Abenteuer stürzt, wie vielleicht mancher glaubt und hofft. Sollen wir nach Meinung dieser Träumer neun Jahre untätig verharren, Volk und Vaterland dahinsiechen lassen und keinen Finger rühren  ? Wir setzen damit keine Tat, im Gegenteil, wir werden unseren Grundsätzen untreu, denn unsere vornehmste Aufgabe ist  : Arbeit an Volk und Vaterland  ! Wer in dieser Ansicht mit mir geht, stelle sich hinter mich  ! Mein Vorschlag ist  : Die Parteigenossen von Ober- und Niederösterreich sowie Burgenland schicken an Dr. Walter Riehl, Wien, diejenigen von Steiermark und Kärnten an den Führer des steirischen Heimatschutzes Kammerhofer, und die von Salzburg, Tirol und Vorarlberg an mich eine Korrespondenzkarte mit dem einzigen Wort  : Einverstanden  ; dazu Name und Anschrift. Wir müssen mindestens 70.000 Zustimmungserklärungen erhalten, um denselben Einfluss zu gewinnen, wie ihn der Heimatschutz hat. Um aussichtsreiche Verhandlungen pflegen zu können, müssen wir nachweislich eine stattliche Schar von Parteigenossen hinter uns haben. Fürchte keiner, dass ihm dieses Bekenntnis zum Staate schaden kann, im Gegenteil. (…)

fung in Deutschland steigende Beunruhigung über den künftigen außenpolitischen Kurs Berlins. Hitler verfolgte 1933 eine sich bewusst defensiv und friedvoll gebende Außenpolitik, um seine bereits gefassten Aufrüstungspläne so lange wie möglich zu verschleiern. Lediglich die Forderung nach Gleichberechtigung, vor allem in Rüstungsfragen, deuteten seine künftige Politik an. Wenngleich Mussolini offiziell die Machtergreifung Hitlers begrüßte, so hegte er doch berechtigte Zweifel, ob sich ein nationalsozialistisches Deutschland politisch dem faschistischen Italien unterordnen würde. Der Duce galt im Westen als jene Persönlichkeit, die am ehesten auf Hitler mäßigend einwirken könnte. So vertrat der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt die Ansicht, dass Mussolini eine Schlüsselposition in Europa zukomme. Diesen Standpunkt vertrat man auch in London. Bei einem Besuch von Premierminister Ramsay MacDonald und Außenminister John Simon in Rom im März 1933 unterbreiteten diese Mussolini einen Plan für eine allgemeine Abrüstung, während dieser mit einem Plan für einen Viermächtepakt zwischen Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland antwortete. Die vier Mächte sollten in Zukunft zusammenarbeiten, um den Frieden in Europa zu garantieren. Der Plan beinhaltete auch die Möglichkeit der Revision von Friedensverträgen entsprechend den Satzungen des Völkerbundes sowie auf dem Gebiet der Abrüstung die Gleichberechtigung Deutschlands, das allerdings seine neuen Rechte nur allmählich in Anspruch nehmen sollte. Der Plan stieß bei der britischen und deutschen Regierung auf Zustimmung, während die britische Opposition ablehnend und Paris skeptisch reagierten. Vor allem die mit Frankreich verbündeten Länder der Kleinen Entente lehnten eine Revision der Friedensverträge kategorisch ab. In den folgenden Verhandlungen wurden die ursprünglichen Vorschläge Mussolinis stark verändert. Von einer möglichen Revision der Friedensverträge war ebenso nicht mehr die Rede wie von einer Gleichberechtigung Deutschlands. In dieser stark geänderten Fassung wurde der Viermächtepakt am 7. Juni 1933 in Rom von Mussolini und den Botschaftern der drei anderen Staaten ratifiziert. Aber lediglich Berlin ratifizierte den Pakt auch offiziell. Als Deutschland im Oktober 1933 die Genfer Abrüstungsverhandlungen platzen ließ und aus dem Völkerbund ausschied, war der Viermächtepakt nur mehr Makulatur.

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Nationalsozialisten  ! Die Aktion muss rasch durchgeführt werden, soll sie uns nützen. Der größte Festtag des deutschen Volkes, der 1. Mai 1934, soll das gemeinsame Fest des Wiederfindens sein. Auf zur Tat  ! Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 4. August 1934 Geschäftszahl  : 220.629 G. D./St. B. 34 (Nachzahlen 250.320) Gegenstand  : Hinner Alois, Schreiben an den Herrn Bundeskanzler. (…) Die von Hinner im März 1934 dem Herrn Bundeskanzler gemachten Vorschläge über die Versöhnung nationalsozialistischer Parteigänger mit dem herrschenden Regime in Österreich sind an und für sich in dieser Form vollkommen unbrauchbar. Es wäre jedoch möglich, dass Hinner in einer anderen Form für eine Befriedung der staatsfeindlichen Elemente in Salzburger herangezogen werden könnte. (…) Gendarmeriepostenkommando Zell am See Zell am See, 22. Juni 1934 zu E. Nr. 12 res/1932 An die Bezirkshauptmannschaft in Zell am See. Am 20.4.1934 haben die hier wohnhaften unentwegten nationalsozialistischen Parteigänger, darunter auch der Kanzleibeamte des Bezirksgerichtes Josef Reichel, zur Feier des Geburtstages Adolf Hitlers Festtagskleidung getragen. (…) Reichel trug (…) seinen dunkelblauen Festtagsanzug. (…) Natalie Reichel, die Gattin des Josef Reichel, gab dem Gefertigten in Gegenwart des Hilfsgendarmen Friedrich Lixl am 22.6.1934 an, dass ihr Mann an Wochentagen stets den alten braunen Wochentagsanzug trage, ausgenommen im Winter, wo er vielfach auch mit dem Skianzug bekleidet gehe. (…) Als bezeichnend für die Einstellung des Reichel wird angeführt, dass derselbe nach wie vor in seiner Küche ein Bild des Reichskanzlers Adolf Hitler aufgehängt hat.

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Geschäftszahl  : 198.604 G. D./St. B. 34 (Vorzahl  : 177.416/34) Gegenstand  : Tragen von Festkleidern aus Anlass des Geburtstages Adolf Hitlers seitens des Kanzleibeamten des Bezirksgerichtes Zell am See Josef Reichel. Der Sicherheitsdirektor für Salzburg wäre einzuladen anher bekanntzugeben, ob gegen Josef Reichel die Strafamtshandlung gemäß Verordnung der Bundesregierung vom 19. Mai 1933, B. G. Bl. 185 und 19.6.1933, B. G. Bl. 240, durchgeführt und welche Strafe über Josef redlich verhängt wurde. Weiters wäre der Akt dem Herrn Bundeskommissär für Personalangelegenheiten sowie dem Bundesministerium für Justiz vorzuschreiben. Bundesministerium für Justiz Wien, 27. August 1934 Zl. 4923/34 (…) Nach einem Bericht des Oberlandesgerichtspräsidiums Innsbruck wurde Josef Reichel am 10. Juli 1934 zu einem sechswöchigen Aufenthalt in das Anhaltelager in Wöllersdorf überstellt. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 12. Oktober 1934 Zl. 4481/5. Betrifft  : Reichel Josef Gerichtskanzleioffizial in Zell am See. An das Präsidium des Landesgerichtes in Salzburg. Zur d. a. Zuschrift vom 28.7.1934, Jv 3310-11/34 wird mitgeteilt, dass Kanzleioffizial Josef Reichel vom Jahre 1921 bis zu der im Frühjahr 1933 erfolgten Auflösung der Gemeindevertretung in Zell am See dieser Körperschaft als nationalsozialistischer Gemeindeausschuss(mitglied) und Fraktionsführer angehört hat. Er verkehrte ausschließlich in nationalsozialistischen Kreisen und setzte diesen Umgang insbesondere mit Personen, die im Verdachte standen, führende Mitglieder der NSDAP zu sein, auch nach dem Verbot der NSDAP-Betätigung fort, sodass er selbst zu jenen Persönlichkeiten gezählt wird, welche die nationalsozialistische Bewegung fortgesetzt förderten und den Zusammenhalt unter den Parteigenossen aufrecht hielten. Zu seinen intimeren Bekannten gehört u. a. auch der Friseur Raimund Martin in Zell

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am See, in dessen Geschäftsmagazin erst am 10. August l. Js. nationalsozialistisches Ausrüstungsmaterial wie 6 Stahlhelme mit Hakenkreuz, Schulterriemen und Leibriemenschnallen, Stoff für Uniformhemden, Fahnenstoff und 2 Hakenkreuzfahnen gefunden wurden. Nach dem Februarputsch hat Reichel in sozialdemokratischen Kreisen Eingang zu finden versucht, zweifellos in der Absicht, um sie für die nationalsozialistische Bewegung zu gewinnen, hat aber dies Beginnen, noch bevor ihm ein konkreter Tatbestand nachgewiesen werden konnte, wieder aufgegeben. (…) Unter diesen Umständen wurde, als Ende Juni nächst Zell am See sich nationalsozialistische Terroraktionen wiederholten, der öffentlichen Meinung Rechnung getragen und u. a. Josef Reichel, obwohl ihm ein Zusammenhang nicht nachgewiesen werden konnte, als Vergeltungsmaßnahme zum Aufenthalte im Anhaltelager verhalten. Nach h. a. Dafürhalten hat er sich durch seine politische Einstellung in einem Maße exponiert, dass nach seiner Rückkehr aus dem Anhaltelager eine Verwendung seiner Person im öffentlichen Dienste in der kleinen Stadt Zell am See, wo die politischen Gegensätze auch derzeit noch außerordentlich scharf sind und die Verhältnisse von einer Befriedung noch weit entfernt sind, keine Rede sein kann, ohne die vaterländische Bevölkerung vor den Kopf zu stoßen. Als mindeste Maßregel muss auf seiner Wegtransferierung bestanden werden. Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 1. Juni 1934 Zl. 7057 Betr.: Böllerattentat im Chiemseehof, Amt der Landesregierung in der Nacht vom 9. auf den 10.5.1934. An den Bundespressedienst via Bundeskanzleramt (St. B.) in Wien I, Ballhausplatz 2. In der Nacht vom 9. auf den 10.5.1934 wurde durch unbekannte Täter ein Böller in den Hof der Landesregierung geworfen, der aber nicht zur Explosion gelangte. Nach langwierigen Erhebungen gelang es, die Täter in der Person des Handelsangestellten Oskar Stockinger, 6.7.1912 in Fuschl am See geb., Salzburg zuständig, röm. kath., ledig, Kaigasse Nr. 15 wohnhaft, und der Hausgehilfin Emma Stockinger, 2.5.1919 in Fuschl am See geb., Salzburg zuständig, ledig, Kaigasse 15 wohnhaft, festzustellen. Oskar Stockinger hatte seine kaum dem schulpflichtigen Alter entwachsene Schwester verleitet, ihm bei dem Sprengstoffanschlag tätige Mithilfe zu leisten. Sie musste ihren Bruder von dem Dache ihres Wohnhauses abseilen und dann wieder nach Werfen des Böllers beim Erklettern des Daches behilflich sein. Während Emma Stockinger ein umfassendes, reumütiges Geständnis ablegte, blieb Oskar Stockin-

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ger bei hartnäckigem Leugnen. Oskar Stockinger wurde im Sinne der Verordnung der Bundesregierung vom 7.7.1933, B. G. Bl. Nr. 295 zur Abwehr wirtschaftlicher Schädigungen durch Terrorakte, mit drei Monaten Arrest bestraft und der Staatsanwaltschaft beim Landesgerichte Salzburg gemäß § 4 Sprengstoffgesetz zur Anzeige gebracht und dem Gefangenenhaus des Landesgerichtes Salzburg eingeliefert. Emma Stockinger wurde der Staatsanwaltschaft beim Jugendgerichtshofe in Salzburg gemäß § 5 St. G. und gemäß § 4 Sprengstoffgesetz zur Anzeige gebracht und dem Gefangenenhause des Jugendgerichtes eingeliefert. (…) Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 8. Juni 1934 Zl. 8754 (184.033/34) Betr.: Präventivmaßnahmen zur Verhütung weiterer Sprengstoffanschläge. An das Bundeskanzleramt (St. B.) Wien I, Herrengasse Nr. 7. Der Bundespolizeidirektion ist es nach längerem Bemühungen gelungen, eine vollkommen seriöse und verlässliche Vertrauensperson zu gewinnen, die sich bereit erklärte, an der Aufklärung der Böllerattentate mitzuwirken.77 Diese Vertrauensperson, welche auch in Freilassing Kundschafterdienste leistete, berichtete, dass die Böllerattentate von den Nationalsozialisten in Deutschland in Szene gesetzt werden und dass seitens der Nationalsozialisten in Deutschland der Versuch gemacht werde, die Böllerattentate den Sozialdemokraten und Kommunisten in die Schuhe zu schieben. Es verdichtete sich der Verdacht immer mehr und mehr, dass die Böllerattentate von den Mitgliedern der SS-Formationen in systematischer Weise durchgeführt werden und so entschloss sich die Bundespolizeidirektion, gegen hundert in einer bei Rudolf Neugebauer anlässlich einer Hausdurchsuchung vorgefundenen Liste genannte SS-Männer einzuschreiten und sie zwecks Verhinderung von Wiederholungsfällen in Haft zu nehmen. Diese vorgenannte Liste der SS-Männer stammt aus dem Monate März 1934.

77 Die Auseinandersetzung zwischen der NSDAP und den österreichischen Behörden spielte sich auch auf der Ebene der Nachrichtendienste ab. Jeder der beiden Kontrahenten unternahm den Versuch der Infiltration des jeweils anderen, wobei die NSDAP erfolgreicher war, da sie über ein dichtes Netz an Informanten – auch im österreichischen Sicherheitsapparat – verfügte, wodurch sie über Maßnahmen der Exekutive und die Stimmung in dieser sehr gut informiert war. Im Gegenzug gelangen den österreichischen Behörden aber auch spektakuläre Erfolge wie die Enttarnung einer Schreibkraft in der staatspolizeilichen Abteilung der Bundespolizeidirektion Salzburg, eines Kriminalbeamten sowie des Chauffeurs des deutschen Generalkonsulats im Sommer 1934.

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Die Verhafteten wurden in dem Festungsarrest untergebracht, den die Militärbehörde zur Verfügung stellte. Unter diesen SS-Männern befand sich auch der Tapezierer Alois Braun, 29.7.1905 in Salzburg geb. u. zust., röm. kath., ledig, Gaswerkgasse Nr. 30a wohnhaft, der von dem Wachbeamten in Zivil Karl Stegbuchner in seinem Unterstande festgenommen wurde. Der Wachebeamte nahm auch eine genaue Durchsuchung der Effekten des Vorgenannten vor und entdeckte im Nachtkästchen einen verschlossenen Brief, der allerdings noch nicht adressiert war. (…) aus dem Inhalt dieses Briefes geht einwandfrei hervor, dass Braun der Täter zweier großer Sprengstoffanschläge und zwar im Erzbischöflichen Palais78 und im Gasthaus »Oberreder«, Judengasse, war. Der Wortlaut dieses Briefes latet  : »23.5.1934. Landesleitung der NSDAP München. Aktionen durchgeführt laut Befehl, ¾ 5 Uhr Erzbischof, Oberreder 8’30. Verhaftungen vier Truppenführer, zwei Sturmführer, 301 Br. A.« Diese Zahl »301« ist ident mit der Chiffré Brauns, die auch im eingangs erwähnten Verzeichnis der SS-Formation angeführt war und des Sturmes I. (…) Polizeidirektion Salzburg Salzburg, 17. Juni 1934 Zl. 2606/18 (187.930 G. D./St. B. 34) Betr.: NSDAP Propagandaschriften  ; Beschlagnahme. An das Bundeskanzleramt (St. B.) in Wien I, Herrengasse Nr. 7. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich, in der Anlage die am 8. d. M. dem Drucksortenkasten des Postamtes Salzburg 4 mit anderem Propagandamaterial der NSDAP entnommene Folge 11 der Flugschrift »Gaublatt der NSBO Salzburg« am 27. Mai 1934 und einen Flugzettel, überschrieben mit »Was ist und was will die Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation  ?« zur gflg. Kenntnisnahme in Vorlage zu bringen. Was ist und was will die Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation  ? Eine tiefe Erkenntnis nationalsozialistischer Lebensauffassung ist, dass unser eigenes Lebensglück untrennbar mit dem Schicksal unseres Volkes verbunden ist. 78 Am 23. Mai 1934 erfolgte ein Bombenanschlag auf das Erzbischöfliche Palais in Salzburg vor allem auch in Reaktion auf den NS-kritischen Hirtenbrief aus dem Jahr 1933 und der Unterstützung der österreichischen Bundesregierung durch die Katholischen Kirche, die sich gegen das »Neuheidentum« des Nationalsozialismus wandte.

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Wenn das ganze Volk unfrei und geknechtet ist, dann wird auch der einzelne Volksgenosse immer unter diesem Druck stehen  ! Wir Nationalsozialisten kämpfen daher für die Befreiung und Erhebung unseres Volkes zu einer einigen, starken Nation, die in Freiheit und Kraft ihr Dasein zum Besten zu gestalten vermag. Wir sind deshalb Nationalsozialisten. Die Kraft der Nation kommt aus der gesammelten Kraft ihrer einzelnen Glieder. Wir verlangen daher von jedem einzelnen die organisatorische Eingliederung in die Gesamtheit zu einer Volksgemeinschaft, in der das Leben nach dem Grundsatze  : »Geimeinnutz geht vor Eigennutz« gestaltet wird. Dies gilt im Wirtschaftsleben gleicherweise für den Arbeitgeber wie für den Arbeitnehmer. Wir sind deshalb Sozialisten. Wir wollen an Stelle des Alten und Zerfallenden, an Stelle einer auf den volkszerstörenden, materialistischen Lehren des Kapitalismus und Marxismus fußenden Staatslenkung eine grundsätzlich neue Lebensordnung setzen, die befähigt ist, eine dauernde soziale und wirtschaftliche Befriedung herbeizuführen. Wir sind deshalb revolutionär. Wir erkennen, dass diese neue Lebensordnung, diese wahre Volksgemeinschaft, im Wesentlichen an den Stätten der Arbeit zur lebendigen Wirklichkeit gestaltet werden muss. Den Kampf für dieses revolutionäre, sozialistische und nationalistische Ziel in den Stätten der Arbeit, in den Betrieben, vorwärts zu tragen, ist die Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation (NSBO) berufen. Sie will im Rahmen der großen nationalsozialistischen Freiheitsbewegung unter der Führung Adolf Hitlers die schaffenden Volksgenossen, die Arbeiter der Stirn und der Faust, in einer festgefügten und schlagkräftigen Kampfgemeinschaft vereinigen. Ihr Kampf ist ein politischer um die Lebensrechte und Daseinsbedingungen der Gesamtheit und verfolgt im Sinne der Volksgemeinschaft das Ziel der verbürgten sozialen Gerechtigkeit für jeden ehrlich schaffenden Volksgenossen. (…) Gendarmeriefunkstation der Abteilung G. D. 3 in Wien Wien 24.6.1934 Funkdepesche Nr. 444 (194.979/34), eingelangt aus Salzburg. An das Bundeskanzleramt Abteilung G. D. 3 in Wien. Am 23.6.1934 um 22 Uhr fand in Mauterndorf im Lungau eine Sonnwendfeier statt, wobei Revierinspektor Siegfried Prammer und Rajonsinspektor Priemess gegen de-

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monstrierende Nationalsozialisten einzuschreiten hatten. Nach tätlichen Angriffen machte Revierinspektor Prammer vom Säbel Gebrauch und verletzte den Besitzerssohn und Nationalsozialisten Konrad Ringel im Gesicht und an der Hand schwer. Während dieses Waffengebrauches wurde der herbeigeeilte Sturmschärler Balthasar Gappmaier von dem radikalen Nationalsozialisten August Rest, Schmiedegehilfe, durch einen Bauchstich lebensgefährlich verletzt. Erhebungen werden sofort durchgeführt und folgt ehestens ausführlicher Bericht. Bundes-Polizeidirektion in Wien Fernfunkstelle Funkspruch Salzburg Nr. 400 160 27 0940 An alle Bezirksämter, Polizeibehörden und Gendarmerie-Hauptstationen in Deutschland. Am 9.6.1934 um 0,15 Uhr wurde am Pass Lueg südlich des Ofenauer Tunnels im Postenrayon Golling auf die dortselbst im Bahnsicherheitsdienste gestandenen Hilfsgendarmen Johann Leirich und Otto Repas mittels Pistolen ein Feuerüberfall verübt, wodurch Johann Leirich auf der Stelle getötet und Otto Repas lebensgefährlich verletzt wurde. Als Täter kommen in Betracht  : Rudolf Knauseder, Knecht, 23.2.1913 in Hallein geb. und zust., röm. kath., ledig, trägt braunen Anzug, lange Hose, grauen Hut mit schwarzem Band, ist mittelgroß und hat gutes Aussehen. Konrad Strasser, 17.5.1912 in Groß-Hartenberg, Bezirk Spittal in Kärnten geb., Malta zust., ledig, Hilfsarbeiter, vorbestraft, ist ca. 178 cm groß, hat wulstige Lippen, trägt kurze graue Lederhose, graue Socken, graue Stutzen, schwarze Schuhe mit Flügelnägeln, braune Lederweste, braunen Hut mit Hirschbart. Beide Mörder nahmen Fluchtrichtung über das Hochgebirge gegen Berchtesgaden. Um Spähe und Festnahme wird gebeten. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 30. Juni 1934 Zahl 3006/1 (202.027/34) Betreff  : »Deutscher Turnverein Itzling«  ; behördliche Auflösung. Bescheid Von Amts wegen ergeht folgender Bescheid  : S p r u c h    :

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Der »Deutsche Turnverein Itzling«, der seinen Rechtsbestand auf die mit Erlass der Landesregierung Salzburg vom 17.8.1925, Zl. 2131 – VIII nicht untersagte Umbildung gründet, wird gemäß § 24 des Vereinsgesetzes vom 15.9.1867, RGBl. Nr. 134, mit mit sofortiger Wirkung a u f g e l ö s t . B e g r ü n d u n g    : In der Zeit vom 3. bis 6. Juni 1934 wurden vom Gendarmerieposten Itzling bzw. von der Bundespolizeidirektion Salzburg 13 Mitglieder des »Deutschen Turnvereins Itzling« wegen Abbrennens eines Hakenkreuzes am Calvarienberg in Maria Plain verhaftet. Es wurde in diesem Zusammenhange noch festgestellt, dass der Turnwart des Vereines an die Täter die Fackeln zur Abbrennung des Hakenkreuzfeuers ausgefolgt hat. Diese Tatsachen beweisen zur Genüge, dass unter dem Deckmantel des Turnvereines die nationalsozialistische Betätigung, welche mit Verordnung der Bundesregierung vom 19.6.1933, BGBl. Nr. 240, verboten wurde, fortgesetzt wird und der Verein eine Zweigorganisation der NSDAP darstellt. Die Vereinsauflösung ist daher im Interesse des Staates geboten. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 31. Oktober 1934 Zl. 108/Res (200.733 G. D./St. B. 34) Betreff  : Landesgerichtsrat Dr. Max Peisser, Radstadt, Oberlandesgerichtsrat Dr. Rupert Fankhauser in St. Michael im Lungau und Oberlandesgerichtsrat Dr. Viktor Raschendorfer in St. Gilgen, Versetzungen. An den Herrn Staatssekretär für Justiz79 (zu eigenen Handen) in Wien. Nach gewissenhafter Überprüfung des durch längere Zeit gesammelten Materials und nach reiflicher Erwägung sehe ich mich im Interesse der Erzielung dringend notwendig gewordener Befriedung in der Stadt Radstadt und Umgebung veranlasst, um gefällige Veranlassung sogleicher Versetzung des Gerichtsvorstehers Landesgerichtsrates Dr. Max Peisser von Radstadt zu ersuchen. Ich erlaube mir, zu diesem Antrage Folgendes auszuführen  : Landesgerichtsrat Dr. Max Peisser, welcher in den letzten Jahren mehrmals seine politische Gesinnung geändert hat, war ursprünglich als Angehöriger des Cartellverbandes katholischer deutscher Studentenverbindungen christlichsozial eingestellt. Als dann der Nationalsozialismus in Österreich festeren Fuß zu fassen begann, 79 Carl Karwinsky

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schwenkte der Genannte zu dieser Partei über und wurde einer der radikalsten Führer und Agitatoren derselben. Bereits im Juni 1931 wurde Dr. Peisser mit der Leitung der Ortsgruppe Radstadt der NSDAP betraut (…) Vom Frühjahr bis Dezember 1932 übte der Genannte die Funktion eines nationalsozialistischen Landtagsabgeordneten aus. Infolge persönlicher Differenzen mit Habicht im Sommer 1932 und weil sich die Hoffnung auf einen höheren Führerposten nicht erfüllte, zog sich Dr. Peisser, der von maßlosem Geltungsbedürfnis beseelt ist, von der NSDAP wieder mehr zurück und verschaffte sich gelegentlich einer Landtagssitzung im Dezember 1932 einen geschickt in Szene gesetzten würdigen Abgang. Dr. Peisser trat dann offiziell aus der Partei aus, um schließlich unter dem Deckmantel »Vaterländische Front« einer der ärgsten Verfolger seiner ehemaligen Gesinnungsgenossen zu werden. Dass hierfür nicht rein ideelle, sondern zum Großteil nur persönliche Momente ausschlaggebend waren, ist erwiesen. Bei Befriedigung seiner persönlichen Rachegelüste war dem Genannten auch die Existenz von Menschen Nebensache. Die Erbitterung gegen Dr. Peisser, der während seiner Zugehörigkeit zur NSDAP in Radstadt durch seine Hetzreden und Aufforderungen zum rücksichtslosen Fanatismus bekannt war, allen Parteigenossen, die ihm nicht radikal genug erschienen, mit dem sofortigen Ausschluss aus der Partei drohte und hierdurch sowie durch seine einflussreiche Stellung der eigentliche Urheber der großen Verbreitung des Nationalsozialismus in Radstadt war, nimmt daher ständig zu. Eine erschöpfende Darstellung zu geben, bin ich leider nicht in der Lage, doch möchte ich mir noch erlauben beizufügen, dass infolge der Strafverfolgungen, welche zumeist auf aus persönlichen Hassgefühlen erfolgten Anzeigen des Genannten basierten, von der Bevölkerung die Objektivität der Behörden und deren Organe schon stark angezweifelt wird. Abgesehen aber auch davon, dass aus diesen Gründen auch das Ansehen der Behörden und deren Organe schon zu leiden begonnen hat und dass ein Großteil der Bevölkerung Radstadts zu ihrem Richter kein Vertrauen mehr hat, habe ich mich persönlich überzeugt, dass, solange Dr. Max Peisser in Radstadt ist, eine Gewinnung der dortigen der vaterländischen Bewegung bisher ferne gestandenen Personen und die Erzielung einer Befriedung in Radstadt vollkommen ausgeschlossen ist. Aus diesen Gründen wiederhole ich meine eingangs gestellte Bitte und ersuche nochmals auf das nachdrücklichste um gefällige Veranlassung der sofortigen Versetzung des Landesgerichtsrates Dr. Max Peisser von Radstadt auf einen anderen Dienstposten. Diesbezüglich erlaube ich mir noch den Vorschlag zu unterbreiten, die Versetzung durch einen Dienstpostentausch zwischen den Gerichtsvorstehern Landesgerichtsrat Dr. Max Peisser in Radstadt, Oberlandesgerichtsrat Dr. Rupert Fankhauser

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in St. Michael im Lungau und Oberlandesgerichtsrat Dr. Viktor Raschendorfer in St. Gilgen durchführen zu wollen. Die Notwendigkeit der Versetzung des Landesgerichtsrates Dr. Max Peisser wurde im Vorstehenden eingehendst begründet. Bezüglich Oberlandesgerichtsrat Dr. Rupert Fankhauser erlaube ich mir auf die beiliegenden Abschriften des h. a. Berichtes an das Bundeskanzleramt vom 4.7.1934, Zl. 4399/1, und der Relation des Bezirksgendarmeriekommandos Tamsweg vom 21.9.1934, Nr. 44 res, Bezug zu nehmen, aus welchen die Notwendigkeit der ehesten Wegversetzung des Genannten von St. Michael im Lungau entnommen werden wolle. Über Oberlandesgerichtsrat Dr. Viktor Raschendorfer selbst, welcher früher Mitglied und zuletzt noch Wahlkandidat der Großdeutschen Partei war und nunmehr von einem Teile der Bevölkerung von St. Gilgen nationalsozialistischer Einstellung verdächtigt wird, konnte zwar bisher eine antivaterländische Einstellung oder Betätigung nicht nachgewiesen werden, doch steht einwandfrei fest, dass dessen Familienangehörige (Frau und Tochter) fanatische Anhänger der NSDAP sind. Da Dr. Raschendorfer aus diesen Gründen das Vertrauen der vaterländisch gesinnten Bevölkerung in St. Gilgen nicht mehr in dem nötigen Maße genießt, wäre auch dessen Wegversetzung sehr wünschenswert. Zum Schluss bitte ich noch um gefällige Veranlassung einer möglichst dringenden Behandlung dieser in staatspolitischer Hinsicht höchst wichtigen Angelegenheit und um eheste Bekanntgabe der getroffenen Verfügungen. Der Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg Salzburg, 4. Juli 1934 Zl. 4399/1 Betreff  : Oberlandesgerichtsrat Dr. Rupert Fankhauser, Bezirksgerichtsvorsteher in St. Michael im Lungau. An das Bundeskanzleramt G. D. – St. B. zu Handen Herrn Hofrat Hantsch in Wien. Im Nachhange zu den telefonischen Meldungen von 24. Juni und 2. Juli d. Js. wird berichtet  : Am 23. d. Mts. wurden wegen Verbrechens der öffentlichen Gewalttätigkeit in Mauterndorf, wobei der Gend. Revierinspektor Siegfried Prammer beim V ­ ersuche, ihn zu entwaffnen, an der linken Schläfe und Augenlid verletzt wurde, die Nationalsozialisten Richard Binggl und Gustav Rest in den Bezirksgerichtsarrest in St. Michael im Lungau eingeliefert. Bei einem gleichzeitigen Raufexzess wurde der An-

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gehörige der Ostmärkischen Sturmscharen Balthasar Gappmaier vom radikalen Nationalsozialisten August Rest durch einen Bauchstich schwer verletzt. Zufolge Funkbericht des Bezirkshauptmannes in Tamsweg wurde Richard Binggl am 24. Juni d. Js. vom Bezirksgerichtsvorsteher Oberlandesgerichtsrat Fankhauser in St. Michael angeblich zwecks Arbeiten in seinem Bäckereibetriebe wieder auf freien Fuß gesetzt. Aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung hat sich der Bezirkshauptmann in Tamsweg daraufhin veranlasst gesehen, neuerlich die Festnahme des Richard Binggl anzuordnen und ihn zwecks Abgabe ins Anhaltelager nach Salzburg zu überstellen. Die Vorgangsweise des Bezirksgerichtsvorstehers Oberlandesgerichtsrates Fankhauser hat unter der vaterländischen Bevölkerung größte Erregung hervorgerufen, die Absicht der Ostmärkischen Sturmscharen in Mauterndorf, am 2. Juli d. Js. das Bezirksgericht in St. Michael zu besetzen, konnte im letzten Augenblick und nur mit Mühe unterdrückt werden. Unter diesen Umständen scheint die Stellung des Bezirksgerichtsvorstehers unhaltbar geworden und ist ein Verbleiben des Oberlandesgerichtsrates auf seinem Posten unmöglich, weshalb ich um Veranlassung seiner Enthebung und ehesten Transferierung bittlich werden muss. Bezirksgendarmeriekommando Tamsweg, Salzburg Tamsweg, 21. August 1934 E. Nr. 44 res Betreff  : Dr. Fankhauser Rupert, Erhebungsergebnis. An das Landesgendarmeriekommando Salzburg. Zum Befehl vom 23. Juli 1934, E Nr. 90 res, wird gemeldet, dass, wie vom Posten St. Michael in Erfahrung gebracht wurde, Oberlandesgerichtsrat Dr. Rupert Fankhauser, Gerichtsvorsteher in St. Michael, tatsächlich mit den Nationalsozialisten sympathisieren und bis vor einiger Zeit auch öffentlich mit dem wegen nationalsozialistischer Umtriebe vom Dienste enthobenen Forstkommissär Ing. Alarich Riss verkehrt haben soll. Seit kurzer Zeit begebe sich Riss fast täglich in das Gerichtsgebäude bzw. in die Wohnung des Oberlandesgerichtsrates Fankhauser. Dem Automechaniker Karl Francesconi aus St. Michael, welcher als äußerst radikaler Nationalsozialist bekannt ist, Sturmführer der SA der NSDAP war und sich wegen Hochverrates beim Bezirksgerichte St. Michael in Untersuchungshaft befand, sei Gelegenheit geboten worden, im Vorhause des Gerichtsgebäudes außerhalb

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des Arrestlokales ohne Überwachung mit seiner außerehelichen Tochter Katharina Friedrich zu sprechen und sich auf diese Art durch Verabredung ein Alibi zu sichern. Die wegen öffentlicher Gewalttätigkeit und schwerer Körperbeschädigung bzw. wegen Verabredungsgefahr in gemeinsamer Sache beim Bezirksgerichte St. Michael inhaftiert gewesenen, als sehr radikal bekannte Nationalsozialisten August Resch und Peter Binggl aus Mauterndorf wurden im gleichen Arreste untergebracht, obwohl in anderen Arresten noch Platz gewesen sei. Zu diesem Arreste kann man auch von Rückwärts an das Fenster herantreten und sich mit den Inhaftierten verabreden. (…)80 Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 17. Juli 1934 Zl. 4236 (210.577/34) An das Bundeskanzleramt St. B. in Wien In der Anlage wird die Abschrift von »Richtlinien« für die SA vorgelegt, die bei der Leibesvisitation eines Verhafteten vorgefunden wurden. Richtlinien (…) Welche Aufgabe hat die SA  ? Die SA hat das Gedankengut zu schützen und zu verkünden, zu werben, stets zu unserem Führer zu stehen. Das Bekenntnis zu unserer Weltanschauung, wenn nötig sogar mit ihrem Leben zu besiegeln. Die SA hat die Erinnerung an das Frontsol80 Staatssekretär Carl Karwinsky veranlasste eine Prüfung des Falls Fankhauser durch das Oberlandesgericht Innsbruck. Die Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass sich Fankhauser nie mit Politik befasst habe und Richard Binggl nur deshalb enthaftete, weil dieser auf die drohende Insolvenz seiner Bäckerei hingewiesen habe. Der Leiter des Bezirksgerichts St. Michael im Lungau habe kein Verhalten an den Tag gelegt, das geahndet werden müsste. Allerdings wurde angeregt, dass Fankhauser künftig bei seinen richterlichen Entscheidungen auch die staatspolitischen Erfordernisse in Betracht ziehen solle. Dieser Meinung schloss sich das Justizministerium an. Vgl. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit), Geschäftszahl 230.184 G. D./St. B. 34 (Vorzahl 200.773/34). Am 13. November 1934 bemerkte das Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit), »der Bericht des Sicherheitsdirektors für das Bundesland Salzburg« sei »im Einsichtswege dem Bundesministerium für Justiz mit dem Ersuchen zur Kenntnis zu bringen, der Bitte des Sicherheitsdirektors wegen Versetzung der drei Gerichtsfunktionäre nach Tunlichkeit stattzugeben.« Vgl. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit), Geschäftszahl 304.499 G. D./St. B. 34 (Vorzahl 230.184/1934). Dr. Max Peisser wurde nach Innsbruck versetzt.

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datentum zu pflegen und diese Frontgeisttugenden an die jüngeren Kameraden weiterzuleiten. Aus diesen Aufgaben erwächst das Ziel der weiteren Ertüchtigung durch Leibesübung, um den einzelnen zu schulen zum eigenen Schutz gegen Angriffe, ferner die Schulung des Geistes und der Seele, um neue Führer heranbilden zu können. Wer sind die Hauptfeinde unserer Bewegung  ? Die Christlichsozialen (Schwarzen, Klerus), Heimwehr, Juden, Sozialdemokraten (Rote) und Kommunisten. Warum bekämpfen uns die Schwarzen  ? Weil sie den Nationalsozialismus wegen seiner Stärke infolge seiner Grundsätze fürchten, dadurch ihre Pfründen und die aufgrund ihres Parteibuches erlangten Ämter und Stellen verlieren müssten und ihren ganzen Einfluss auf die Völker einbüßen müssten. Ist es richtig, dass die Grundsätze der NSDAP gegen die Lehre der katholischen Religion verstoßen  ? N e i n , die NSDAP ist eine rein politische Bewegung, die mit dem Lehrplan der katholischen Kirche nichts zu tun hat. Wir wollen Freiheit, Arbeit und Brot für unser Volk und betonen die Notwendigkeit der religiösen Einstellung des Volkes, um diese Ziele zu erreichen. Unsere Bewegung ist gewillt, die beiden bestehenden christlichen Konfessionen zu schützen  ; nie und nimmer kommt es ihr in den Sinn, Lehren aufzustellen, die mit dem Lehrgebäude der beiden christlichen Kirchen nicht übereinstimmen. Die NS-Bewegung ist der Überzeugung, dass Volk und Einzelmensch dringend der Religion bedarf. Aber eben aus dieser Überzeugung muss sich die Bewegung gegen die Verpolitisierung der Kirche wehren. Aus welchen weiteren Gründen brauchen wir die SA  ? Die SA soll heute die körperliche, politische Erziehungsschule der ganzen männlichen Jugend sein und den SA-Mann zu einem gestählten kampfbereiten Menschen machen. (…) Wie soll sich unsere Pflicht der Treue zeigen  ? Treue sollen wir zeigen unserem Führer, Treue seiner Lehre und seinen Forderungen und dadurch auch die Treue zu Volk und Heimat bekunden. Die Treue verlangt das Ausharren auch dann, wenn unsere Bewegung unterdrückt und verboten ist. Sie verlangt den Glauben an die Sendung der SA für die Bewegung. Wie erfüllen wir die Pflichten des Gerhorsamen  ? Wir sind Gehorsam schuldig unserem obersten Führer Adolf Hitler und allen seinen von ihm eingesetzten Unterführern. Gehorsam sind wir, wann wir alle Befehle ohne Widerspruch vollziehen und mit dem größten Fleiße an unserer weiteren Ausbildung weiterarbeiten. (…) Mut  ?

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Mut zeigt sich dadurch, dass man sich in und außer Dienst vor keiner Gefahr fürchtet. Wir machen von unserem Notwehrrecht Gebrauch. Es wäre eine Schande, wenn sich ein SA-Mann ohne Gegenwehr niederschlagen ließe. Waffengebrauch  ? Soweit wir das Recht haben, eine Waffe zu führen (Waffenpass) und soweit wir uns in unserem Leben bedroht fühlen, machen wir aufgrund des Notwehrrechtes ausgiebig Gebrauch. (…) Gendarmeriepostenkommando Lamprechtshausen Lamprechtshausen, 2. August 193481 An die Staatsanwaltschaft in Salzburg. Vor mehreren Jahren wurde in Lamprechtshausen eine Ortsgruppe der NSDAP gegründet. Als Obmann wurde der Dr. Sprenger aus Lamprechtshausen gewählt, welcher im Vereine mit dem Tierarzt Heinrich Kurz und Alois Landertinger als Intellektuelle tatkräftig unterstützt wurde. So kam es, dass die Ortsgruppe ein ganz besonders gutes Gefüge erhielt und dass sich auch in der Bewegung sehr viele Intellektuelle beteiligten. Sie verstanden es aber auch, vorwiegend in der bäuerlichen Jugend ein besonderes Interesse für den Nationalsozialismus zu erregen. Der Ausfluss dieser Tätigkeit war daher, dass ihnen sozusagen die Führung entglitt und in die Hände der weniger gebildeten Kreise überging und sie daher die eigentliche Führung, die ihnen zukam, verloren. Zweifellos aber wurde die fortgesetzte Tätigkeit und jeder Idealismus der nationalsozialistischen Anhänger fortwährend durch die genannten Intellektuellen zumindest indirekt gefördert und mithin eine radikale Strömung erzeugt. Daher kam es auch, dass in Lamprechtshausen fortwährend nationalsozialistische Anstände vorkamen und dass der Kaufmann Landertinger und der Tierarzt Kurz in einem Anhaltelager untergebracht werden mussten. Trotz verschiedener behördlicher Maßnahmen verblieb Lamprechtshausen ein ganz besonderer Brennpunkt der nationalsozialistischen Bewegung, welche sich zu wiederholten Malen zu Ausschreitungen hinreißen ließ. Die offizielle Führung der Bewegung übernahm der Holzhändlersohn Gregor Gruber, Hilfsarbeiter Franz Natschläger, Hilfsarbeiter Kilian Widmann, der Schleindlbauer Georg Stadler und dessen Söhne Johann, Gottfried und Franz Stadler in Bruck, Gemeinde Lamprechtshausen. Sie teilten in der Gemeinde Lamprechtshausen drei Scharen ein, und zwar Winkel, Lamprechtshausen und Stockham. Die Genannten sorgten auch für Beschaffung der Waffen und brachten dieselben beim Schleindlbauern Georg Stadler unter. Bei Georg Stadler in Bruck fanden dann auch die verschiedenen Zusammenkünfte der Nationalsozialisten statt, 81 Abgedruckt in Maislinger  : Der Putsch von Lamprechtshausen. S. 94–100.

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und es wurden auch an die einzelnen Nationalsozialisten daselbst und besonders die hochverräterischen Handlungen und die diesbezüglichen geheimen Dispositionen besprochen. Aber auch im Gasthofe Stadler trafen sie sehr häufig zusammen, wobei die Idee des Nationalsozialismus besprochen und vielfach politisiert wurde. Es muss daher schlechthin der Gasthof Stadler als der eigentliche Ausgangspunkt der vaterlandsfeindlichen Bewegung betrachtet werden, nachdem daselbst Dr. Sprenger, der Tierarzt Kurz, Alois Landertinger und auch Gregor Gruber, Franz Natschläger, Kilian Widmann und der Schleindlbauer Georg Stadler mit seinen Söhnen als Gäste verkehrten. Aus den verschiedenen Zeugenaussagen, auch aus den Angaben der Beschuldigten war zu entnehmen, dass schon vor einiger Zeit auf eine gewaltsame Abänderung der bestehenden Regierungsform hingearbeitet wurde und dass, wie bereits erwähnt, dies vorwiegend beim Schleindlbauern Georg Stadler besprochen wurde. Bereits am Mittwoch, den 25. Juli 1934, fand von den Nationalsozialisten in Lamprechtshausen und Umgebung ein Alarm statt, und die Aufrührerischen sammelten sich beim Schleindlbauern in Bruck. Es wurde dortselbst besprochen, dass im Falle eines anderweitigen Alarms jeder einzelne Lebensmittel, Kleider, Decken und dgl. mitzunehmen habe. Hierbei wurde ihnen durch Gruber, Widmann und Natschläger bedeutet, dass sie im Bedarfsfalle von dort aus mit Gewehren und sonstigen Waffen ausgerüstet werden. Es hätte bereits an diesem Abend eine aufrührerische Unternehmung stattfinden sollen, jedoch warteten sie vergebens auf einen diesbezüglichen Befehl. Es wurde auch gesprochen, dass die kommende Aktion mit den Legionären in Deutschland gemeinsam durchgeführt werde. Um ca. 23 Uhr 30 begaben sich die Aufrührer in die Scheune des Schleindlbauern und legten sich ins Stroh, wobei sie auf das Einlangen weiterer Befehle warteten. Da sie aber keinen Befehl erhielten, so trennten sie sich um ungefähr 2 Uhr früh und gingen nach Hause. Nachdem, wie erwähnt, kein Alarmbefehl einlangte, begab sich Gregor Gruber am darauf folgenden Tag nach Salzburg und suchte den Führer der Aufständischen namens Fritz Kaltner, Wüstenrotbeamter, Salzburg, Bayrhammerstraße wohnhaft, auf, um weitere Befehle zu erbitten. Fritz Kaltner erklärte ihm, dass er am kritischen Tage, Freitag, den 27. Juli um 17 Uhr, auf einem bestimmten Platz in Anthering eintreffen müsse, woselbst ihn ein Bote erwarten und die notwendigen Befehle überbringen werde. Tatsächlich kam Gruber per Fahrrad am vereinbarten Tage auf den bestimmten Platz, woselbst er durch einen Unbekannten einen schriftlichen Befehl mit folgendem Wortlaut  : »Aktion am 27. Juli 1934 um 19 Uhr 30 durchführen« erhielt. Von dort weg begab sich Gruber zu Natschläger nach Bürmoos, welcher sodann mit dem Fahrrade zum Schleindl fuhr und dortselbst den Alarm anordnete. Während Franz und Gottfried Stadler die SA-Männer einberiefen, begab sich Johann Stadler nach Holzhausen und requirierte dortselbst unter der Anwendung von

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Drohungen beim Spediteur Ammerhauser einen Lastwagen. Weil es Johann Stadler verstand, durch seine Drohungen Spediteur Friedrich Ammerhauser in Furcht und Unruhe und wirkliche Bedrängnis zu versetzen, so stellte dieser sein Lastauto, das Friedrich Ammerhauser zum Schleindlbauern führte, zur Verfügung. Alsbald sammelten sich beim Schleindlbauern die Aufständischen, holten sich die Waffen und Munition aus dem Stalle des genannten Bauern, worauf sie Natschläger vergattern ließ. Hierauf teilte(n) Gruber und Natschläger die einzelnen Gruppen ein, die den Gendarmerieposten zu überfallen und auch das Postamt zu besetzen hatten. Nachdem noch von Kilian Widmann und den Brüdern Stadler verschiedene Detailanordnungen getroffen wurden, stiegen die Aufständischen, ca. 30 an der Zahl, auf das Auto und fuhren bewaffnet, mithilfe des Chauffeurs Rupert Weikl, nach Lamprechtshausen, zumal Friedrich Ammerhauser die weitere Lenkung verweigerte. Das Auto machte in Lamprechtshausen vor dem Gasthause Stadler halt, worauf sich die Aufständischen eilends zur Ausführung ihres Vorhabens begaben. Die größte Partei unter dem Kommando des Natschläger besetzte im Laufschritt den Gendarmerieposten und die kleinere Gruppe unter Führung des Gregor Gruber das Postamt. Natschläger begab sich mit einer glaublich 8 Mann starken Patrouille zu dem am Posten anwesend gewesenen Rayonsinspektor Seiwald und überrumpelte ihn derart mit der Pistole und schussbereiten Gewehren, dass jeder Widerstand vergebens gewesen wäre. Hierauf eignete sich die Patrouille der Aufständischen die am Posten deponiert gewesenen Waffen sowie auch die Postgelder an, welche unter Sperre gehalten waren. Allerdings erbeuteten sie nur 60 S Organmandatsgeld, während sie die anderen Postgelder nicht erwischten, da diese in einer anderen Schublade versperrt waren. Rayonsinspektor Seiwald wurde von den Aufständischen abtransportiert und in den im 1. Stock gelegenen Saale des Gasthofes Stadler eskortiert und daselbst unter Bewachung gestellt. Das geraubte Geld übergaben sie dem Gastwirtssohn Matthäus Stadler zur Aufbewahrung. Der Rebellenführer Gruber hatte unterdessen im Postamte die Postexpedientin Anny Wolfersberger einzuschüchtern verstanden, ihm keinen Widerstand zu leisten. Er stürzte sich gleich auf den Telefonapparat und schnitt die Telefondrähte von den Lokalleitungen durch, ohne zu verstehen, dass hierdurch der Fernverkehr nicht unterbunden werden könne. Infolge der Aufregung hat Anny Wolfersberger auch übersehen, dass der Fernverkehr noch funktionierte, weshalb sie zu später Zeit keine telefonische Hilfeleistung herbei bat. Gruber verlangte auch von Anny Wolfersberger die Gelder im Betrage von ungefähr 1.400 S. Anny Wolfersberger verweigerte die Herausgabe des Geldes und nach verschiedenen Wechselreden nahm Gruber von der Ausfolgerung Abstand. Mittlerweile wurde auch der prov. Gendarm Josef Auer von den Rebellen verhaftet und zu Seiwald gebracht. Fast zur gleichen Zeit wurden der Bäckergehilfe Kajetan Seeleitner, die Tischlergehilfen Friedrich und Michael Schlager, der Lokomotivführer Johann Meingassner, der Küster Franz Beer und der Kaufmannssohn

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Hermann Weikl als vaterländisch Gesinnte ebenfalls verhaftet und als Gefangene zu Seiwald etc. gebracht und daselbst unter strengste Bewachung gestellt. Kurz nach dem Überfall auf den Gendarmerieposten wollten die demselben zugeteilte Schuko dem Posten zu Hilfe eilen, wobei sie aber von den Umstürzlern sofort stark beschossen und daran gehindert wurde. Hierbei wurden die Schuko Simon Habl, Peter Maiburger, Franz Felber, Simon Priller und Rupert Fabitsch teils schwer, aber auch leicht verletzt. Nachdem die Dauerverbindung mit dem Posten Lamprechtshausen gestört war, ersuchte der Gendarmerieposten Oberndorf die Hilfsgendarmen Josef Neumeier, Harner II und Johann Feichtner mit einem Telefonarbeiter zur Behebung des etwaigen Gebrechens. Als die Patrouille in die Nähe von Arnsdorf kam, wurde sie von mehreren Unbekannten angehalten, mit »Heil Hitler« begrüßt, und als sie hierauf nicht reagierten, stark beschossen. Bei dieser Schießerei erhielt Feichtner einen Lungenschuss, lebensgefährlich, Harner II einen Streifschuss in der Hüftgegend, während die übrigen beiden unverletzt blieben. Harner II meldete den Überfall am Posten Oberndorf, von welchem Hilfe erbeten wurde. Gegen 23 Uhr wollte ein Autobus mit ca. 25 Heimwehrleuten aus Salzburg unter Führung des Majors Ulrich in Lamprechtshausen einrücken, wobei sie aber bereits schon in Holzleiten von unbekannten Rebellen beschossen wurden, ohne jedoch Schaden zu nehmen. In nächster Nähe fanden sie den schwerverletzten Johann Feichtner, um den sie sich annahmen. Infolgedessen stiegen 15 HW-Männer aus dem Auto, während die anderen Feichtner zum Arzt nach Lamprechtshausen bringen wollten. Als sie aber beim Ortseingange ankamen, wurden sie von den Rebellen mit einem heftigen Gewehrfeuer in der Nähe der Häuser des Dr. Sprenger, des Tierarztes Kurz und des Ziegeleibesitzers Waha empfangen. Hierbei erhielt der Chauffeur Karl Riegersberger, Salzburg, Bärengasse Nr. 11 wohnhaft, derzeit im Spital Barmherzige Brüder in Pflege, in der Nähe der Wirbelsäule einen Steckschuss, sodass er das Auto nicht mehr weiterlenken konnte. Aber auch noch 7 Heimwehrleute sind bei diesem Feuerüberfall verletzt worden, doch konnten deren Namen bisher nicht ermittelt werden. Das Auto erhielt vielfache Schüsse, sodass die »Albus« auch einen nennenswerten Schaden erlitt. Nach dem Überfall auf den Gendarmerieposten und das Postamt Lamprechtshausen begab sich der Gastwirtssohn Matthias Pföss nach Bürmoos und bedrohte auch daselbst die Expedientin Karoline Schally, indem er mit der Hand in die rückwärtige Hosentasche griff, sodass er den Eindruck erweckte, als wenn er eine Schusswaffe zur Hand nehmen möchte. Infolge dieses Verhaltens war die Schally eingeschüchtert und gab ihm den Weg zum Telefonapparat, vor dem sie Bereitschaftsdienst hatte, frei. Pföss riss sämtliche Stöpsel aus dem Apparat, wodurch der Apparat außer Funktion gesetzt wurde. Eine Beschädigung des Apparates hat nicht stattgefunden. Als der hiesige Heimwehrführer Josef Fink kurz nach 20 Uhr von einer Gemeinderatssitzung nach Hause gehen wollte, wurde er ebenfalls von den Rebellen meuch-

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lings überfallen und durch 3 Schüsse schwer verletzt. 2 dieser Schussverletzungen erhielt Fink von den Brüdern Stadler, die sich, wie aus Zeugenaussagen hervorgeht, bei der Schießerei ganz besonders hervortaten. Nach Mitternacht bis gegen 3 Uhr früh des 28.7.1934 zogen sich die Meuterer in das Gasthaus Stadler zurück und verbarrikadierten sich, indem sie auf der Stiege leere Bierfässer aufstellten. Bei dem dritten Rekongnoszierungsgang schlich sich Gendarm Hagn des P ­ ostens Oberndorf und der Hilfsgendarm Harner I und Josef Neumeister des gleichen Postens an Lamprechtshausen an und drangen in die Villa des Dr. Sprenger ein. Daselbst fanden sie 5 Verwundete, denen Dr. Sprenger erste Hilfe leistete. Um ca. 5 Uhr traf Gendarm Hagn den Wachtmeister Fingernagel des Bundesheeres mit einer Patrouille. Hagn drang mit schussbereiter Waffe in das Haus des Stadler, stürmte die Treppe und drang alleine in den im ersten Stock gelegenen Saal, in welchem sich die Aufrührer befanden, ein. Nach Aussage von Zeugen waren die Aufrührer Alois Komurka, Franz Stadler und Felix Götzinger gerade im Begriffe, den Rayonsinspektor Franz Seiwald, den Lokomotivführer Johann Meingassner und den Kaufmannssohn Hermann Weikl zu erschießen, und die Rebellen haben ihre Gewehre bereits in Anschlag gebracht. Durch das energische Vorgehen des Gendarmen Hagn verblüffte er sämtliche im Saal anwesend gewesenen Meuterer und es gelang ihm, einen Teil derselben über die Stiege hinunter zu drängen, während er die anderen mit schussbereitem Gewehr und der Aufforderung »Hände hoch« in Schach hielt. Bald darauf setzte in dem ebenerdig gelegenen Vorhause eine heftige Schießerei ein, sodass die Meuterer im Saale glaubten, es sei alles voll Militär, während der Alpenjäger Alois Herbst, Wachtmeister Anton Fingernagel und Alpenjäger Franz Kübler verwundet wurden. Die Rebellen fingen an, aus den Dachfenstern des Stadlerhofes das Militär zu beschießen, sodass feststeht, dass sich dahin Rebellen flüchteten und sich zur Wehr zu setzen trachteten. Es wurde zwar gesprochen, es sei auch aus den anderen Häusern geschossen worden, jedoch ließ sich das trotz der eingehendsten Erhebung durch Zeugen nicht einwandfrei feststellen. Bei dem Sturmangriff auf das Gehöft des Stadler wurden 4 Rebellen, und zwar Kilian Widmann (besonders gefährlich wegen seiner radikalen Einstellung), 35 Jahre alt, Hilfsarbeiter in Lamprechtshausen, Josef Maislinger, 30 Jahre alt, Müllerssohn in Michaelbeuern, Franz Armstorfer, 20 Jahre alt, Knecht in Lamprechtshausen und Johann Wimmer, 32 Jahre alt, Söldner in Stockham, Gemeinde Lamprechtshausen, erschossen. Weiters ist von den Rebellen Josef Weilbuchner infolge eines Bauchschusses tödlich getroffen worden und im Krankenhaus Salzburg seinen Verletzungen erlegen. Es wird zwar behauptet, dass bei dem Sturmangriff viel mehr Rebellen ums Leben kamen und auch verwundet wurden. Trotz eingehendster Erhebungen konnte ein diesbezüglicher Beweis bisher nicht erbracht werden.

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Die Säuberungsaktion in Lamprechtshausen dauerte noch bis ca. 17 Uhr abends und es wurde ein Großteil der Verhafteten vom Militär nach Salzburg gebracht und daselbst in der Festung Hohensalzburg inhaftiert, während die Verletzten in das St. Johannsspital und in das Spital der Barmherzigen Brüder übergeben wurden. Der Übersichtlichkeit halber wurde über jeden einzelnen Verhafteten oder Angezeigten der an dem Putscherversuche beteiligt gewesenen NSDAP-Mitglieder eine Anzeige verfasst. Auch von jedem einzelnen Zeugen wurden die Angaben separat aufgenommen. (…) Bericht des Ortskommandos Salzburg über die Säuberungsaktion in Lamprechtshausen.82 In den frühen Morgenstunden des 28. Juli wurde über Anforderung des Sicherheitsdirektors eine Kampfgruppe bestehend aus der 2. Kompanie und einem schweren MG-Zug des Alpenjägerbataillons Nr. 3 mit einem Halbzug der Feldkanonenbatterie 1/6 unter Kommando des Hauptmannes Franz Rosenkranz nach Lamprechtshausen entsendet, um diesen von bewaffneten Nationalsozialisten besetzen Ort zu säubern. Im Laufe der Nacht waren der Gendarmerieposten und die dort befindlichen Freiwilligen außer Aktion gesetzt worden. Eine zur Hilfe entsendete kleine Heimwehrabteilung konnte nicht durchdringen. Die Heeresabteilung traf im Kraftwagenmarsch um 05.15 Uhr bei Lamprechtshausen ein und setzte den planmäßigen Angriff von allen Seiten auf den um den Gasthof Stadler liegenden Häuserblock, der von den aufständischen Banden zum nachhaltigen Widerstand eingerichtet worden war, an. Mit Unterstützung der schweren Waffen wurde der Block in schwerem Straßenund Häuserkampf im Ringen Mann gegen Mann, an dem sich auch die Heimatwehr brav beteiligte, nach zweistündiger Dauer gewonnen. Der Gegner, der sich aus Fenstern, in den Stallungen und Scheunen und auf den Hausdächern mit Militärgewehren, Pistolen, Schrotgewehren und Dolchmessern bei Verwendung von Dum-Dum-Geschoßen hartnäckig verteidigte, wurde zur Gänze niedergerungen. Die von den Nationalsozialisten gefangen gehaltenen Gendarmen und Ortswehr wurde befreit. Die Verluste des Detachements betragen zwei Tote, die Alpenjäger Franz Gassner aus Hofgastein und Viktor Mayr aus Reißnitz  ; drei Schwerverletzte  : Wachtmeister Anton Fingernagel (Gesäßschuss), die Alpenjäger Alois Herbst (Oberschenkelschuss) und Franz Kübler (Schrotschuss)  ; zwei Leichtverletzte  : Gefreiter Friedrich 82 Salzburger Chronik 30.7.1934. S. 8.

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Thalhammer (Messerstich) und Alpenjäger Johann Meilinger (Kopfhieb). Von den Aufständischen sind ca. zehn bis zwölf Mann tot, ca. 35 bis 40 Mann meist schwer verwundet und 52 Mann wurden gefangen und nach Salzburg eingeliefert. (…) Gendarmeriepostenkommando Seekirchen Seekirchen, 28. Juli 1934 E. Nr. – Sp. F. Nr. 16 bis 25 Speck Karl und Genossen, Hochverrat, Mord und Mordversuch.83 An die Staatsanwaltschaft in Salzburg. Die Tatgeschichte, und zwar  : Am 27. Juli 1934 haben die hiesigen Nationalsozialisten Hochverrat begangen, da sie aufgrund eines erhaltenen Befehles aus Salzburg, wonach um 19 Uhr zum Zwecke des Losschlagens sich alle im Markt Seekirchen zu sammeln hatten und das Ziel eine gewaltsame Veränderung der Regierungsform herbeizuführen war. Die Unternehmung war auch vollendet, da sie befehlsgemäß um Schlag 19 Uhr, nachdem die meisten Rädelsführer kurz vorher noch verhaftet werden konnten, die Aktion gegen den Posten mit einem bewaffneten Angriff begannen. Hierbei sind die Nationalsozialisten mit Schuss- und Hiebwaffen in der Hand gegen die drei Gendarmen des Postens und gegen die Heimatschützer Josef und Rupert Moser in zweifelsfreier Mordabsicht vorgegangen. Bei der Niederschlagung wurde der Nationalsozialist Rupert Wallner und SA-Mann Franz Grundner sowie der zum Ortsschutz herbeigeeilte Sturmschärler Matthias Ebner von National­sozialisten auf dem Wege zum Markt Seekirchen erschossen. Der Heimatschutzführer Josef Moser und dessen Sohn Rupert wurden durch Schüsse im ebenerdigen Vorhaus der Postenkaserne schwer verletzt. Auch der SA-Scharführer Christian Wallner wurde durch einen Bauchschuss schwer verletzt. Rev. Insp. Josef Wagner wurde durch einen Hieb mit einer Eisenstange und einen Säbelhieb am Kopfe verletzt  ; prof. Gend. Karl Loos wurde durch einen Säbelhieb am Kopfe und am linken Ringfinger verletzt, Gend. Albert Hönemann wurde durch einen Hieb mit der genannten Eisenstange, der auf den Kopf angetragen war und dem er auswich, am linken Oberarm verletzt. 83 Aus dem Akt des Senats VI. des Militärgerichtshofs Linz. Der vollständige Akt befindet sich in Kopie im Archiv des Forschungsinstituts für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Der Herausgeber ist Mag. Stefan Semotan für die Kopie des vollständigen Gerichtsaktes zu Dank verpflichtet.

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An der Unternehmung haben sich die in den Nationalen beschriebenen beteiligt  : Karl Speck als Haupttäter, da er den vom Sturmbannführer Kaltner erhaltenen Befehl an viele SA-Männer und die SA-Scharführer weitergegeben hat, dann Lambert Kammerer, Johann Bentele, Rupert Wallner, Rupert Wallner jun., Christian Wallner, Franz Dürager, Johann Schmidhuber, Johann Harrer, Michael Stemeseder, Johann Grabner, Johann Pils, Johann Winkler, Felix Winklhofer, Martin Wintersteller, Franz Asen, Stefan Kittl und August Kink, Engelbert Wollner, Josef Fallinger, Johann Renzl, Christian Unger und Christian Kraihammer. Rupert Wallner sen. hat mit einer Pistole 6 Schüsse, Franz Grundner mit einer Pistole 2 Schüsse und Engelbert Wollner Pistolenschüsse abgegeben. Auch Christian Wallner hatte eine Pistole bei sich und daraus einen Schuss abgegeben, doch blieb sie beim zweiten Schuss stecken. Durch diese Schüsse wurden Josef und Rupert Moser getroffen. Josef Fellinger und Johann Renzl haben mit je einem Pistolenschuss den Sturmschärler Matthias Ebner ermordet. Grundner hat dem verletzt am Boden liegenden Wagner den Säbel entrissen und schlug auf Wagner und dann auch auf Loos mit diesem ein. Wagner war aufgesprungen und verfolgte Grundner. Grundner war mit dem Säbel auf Loos, der den verhafteten Christian Wallner auf den Posten eskortierte, gestürzt und schlug damit auf Loos. Beide versuchten den Loos zu entwaffnen und würgten ihn. Wagner kam Loos zu Hilfe und forderte die Angreifer zum Ablassen auf, was diese nicht beachteten, weshalb Wagner von der Schusswaffe Gebrauch machte, wodurch Grundner sofort getötet und Christian Wallner durch einen Bauchschuss kampfunfähig gemacht wurde. Engelbert Wollner, Johann Renzl, Josef Fellinger, Christian Unger und Christian Kraihammer sind seit der Tat flüchtig. Die Verhaftung von weiteren Tätern ist im Zuge. Beweismittel. Am 27.7.1934 um 18 Uhr 30 wurde der Posten vom Bahnhofsvorstand Ernst Zeilinger in Seekirchen telefonisch um eine dringende mündliche Rücksprache ersucht. Gend. Hönemann fuhr mit dem Rad zum Bahnhof. Dort teilte ihm Zeilinger mit, dass ihm vom Fahrdienstleiter Franz Osbild soeben gemeldet wurde, dass heute um 19 Uhr von den Nationalsozialisten etwas los sei, da Franz Dürager sich dementsprechend zum Sommerfrischler Dr. Pennecke äußerte und diesen besonders aufmerksam machte, dass um 19 Uhr er zu Hause sein möge. Angeblich sollte sich das ganze um die Machtergreifung der Nationalsozialisten drehen. Gend. Albert Hönemann alarmierte sofort den Ortsschutz und befahl ihn zum Posten. Rev. Insp. Josef Wagner verhaftete dann sofort alle ergreifbaren Nationalsozialisten und deren Funktionäre. Die Verhafteten wurden am Posten unter Bewachung von Ortsschutz- und Heimatschutzmitgliedern interniert. Wagner und Hönemann begaben sich dann wieder auf die Straße vor dem Posten, um eventuelle

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Ansammlungen schon in ihrem Entstehen zu unterdrücken. Es war Schlag 19 Uhr, als Wagner und Hönemann sich nicht weit vom Posten auf der Landesstraße befanden und mehrere Schüsse fielen. Wagner und Hönemann eilten zum Posten. Hönemann war etwas hinter Wagner zurück und sah den bekannten Nationalsozialisten Franz Grundner vom Posten auf die Straße flüchten, wobei Hönemann vermeinte, Grundner habe eine Pistole in den Sack gesteckt. Hönemann verfolgte Grundner und rief ihm »Hände hoch  !« nach. Grundner blieb stehen, wurde verhaftet und nahm ihm Hönemann eine Pistole ab, die sich noch warm anfühlte, ein Beweis, dass soeben daraus geschossen worden war. Hönemann war mittlerweile mit dem verhafteten Grundner zu Wagner nachgekommen und zwar in dem Augenblick, als Rupert Wallner sen. auf Wagner mit der Eisenstange schlug. Zugleich holte Wallner zum gleichen Hieb gegen Hönemann aus und konnte Hönemann durch einen raschen Sprung zur Seite ausweichen und wurde nur mehr vom Hieb am linken Oberarm gestreift. In diesem Augenblicke war Grundner Hönemann entwichen, Grundner riss dem taumelnden Wagner den Säbel aus der Scheide und führte einen Hieb gegen den am Boden liegenden Wagner und flüchtete. Hönemann war auf die Stiege gesprungen und wollte die Pistole gegen Wallner ziehen, als die Sperrklappen der ober der Stiege im 1. Stock postierten Schuko-Männer klappten und Wallner durch einen Schuss vom Schuko-Mann Johann Unger getötet wurde. Hönemann sprang zurück und sperrte sämtliche Türen im rückwärtigen ebenerdigen Hausflur ab, da sich gezeigt hatte, dass Wallner durch eine dieser Türen gekommen war und um ein weiteres hintertückisches Eindringen der Nationalsozialisten zu verhindern. Wagner verfolgte Grundner, der sich auf prov. Gend. Karl Loos STÜRZTE  : Loos hatte den von ihm verhafteten Nationalsozialisten Christian Wallner zum Posten eskortiert. Beide bedrängten Loos sehr und würgten ihn und wollten ihm die Waffe entreißen. Außerdem schlug Grundner mit dem Säbel auf Loos. Wagner forderte die Angreifer zum Ablassen auf, was diese nicht beachteten, weshalb Wagner von der Schusswaffe Gebrauch machte, wodurch Grundner auf der Stelle getötet und Wallner durch einen Bauchschuss kampfunfähig gemacht wurde. Loos war dadurch befreit und Wagner konnte sich wieder in den Besitz seines Säbels setzen. Hönemann sah inzwischen nach, ob alles in Ordnung sei und wollte von dem Geschehenen das Landesgendarmeriekommando und den Herrn Sicherheitsdirektor verständigen, doch war lauf Mitteilung des Postamtes die Leitung unterbrochen. Durch das Bahnamt Seekirchen war es aber doch möglich, die Polizeidirektion Salzburg zu erlangen und durch diese Verstärkung anzusprechen. Um 20 Uhr rückte mit Autobus von Salzburg eine Kompanie Wiener Heimatschutz ein. Der Transport war kurz vor Seekirchen aus einem Walde beschossen worden, doch wurde niemand verletzt. Bis zum Eintreffen der genannten Verstärkung hatte der alarmierte Ortsschutz, bestehend aus Mitgliedern der OSS, des Heimatschutzes, des Freiheitsbundes und der Vaterländischen Front unter Kommando des Tierarztes Franz Fink in mustergültiger und energischer

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Weise im Orte Dienst versehen, die Haupteingänge besetzt, sodass Ansammlungen oder sonstige weitere Aktionen der Nationalsozialisten verhindert werden konnten. Die Ortsschutzpatrouillen konnten auskundschaften, dass von den Nationalsozialisten die Höhen westlich bis nördlich von Seekirchen besetzt seien. Nach Eintreffen der Kompanie konnte eine straffere Absperrung des Ortes durchgeführt werden und wurde ein Anrücken der bereits gemeldeten Nationalsozialisten verspürt. Nachdem von diesen wiederholt und zwar meistens Pistolenschüsse gegen den Markt abgegeben wurden, kam es zu wiederholten Plänkeleien, weshalb weitere Verstärkung angesprochen wurde. Um 23 Uhr traf dann auch eine zweite Kompanie Wiener Heimatschutz ein und konnten dann die Patrouillen immer weiter vorgeschoben werden, bis die besetzten Höhen geräumt waren. Hierbei kam es noch hin und wieder zu Plänkeleien und war mit dem Morgengrauen des 28.7.1934 Ruhe eingetreten. Um 3 Uhr 30 rückte eine dritte Kompanie Wiener Heimatschutz ein, die bald darauf nach Seeham abging. Mit Tagesbeginn des 29.7.1934 wurden dann die Amtshandlungen zur weiteren Ermittlung von Tätern und Mittätern eingeleitet und dabei auch mehrere Hausdurchsuchungen vorgenommen. Über Weisung des Herrn Sicherheitsdirektors wurde der Bevölkerung von Seekirchen und Umgebung durch Mithilfe der Gemeinde der Befehl zur sofortigen Waffenablieferung bekanntgegeben und wurden auch eine Anzahl von Gewehren, Pistolen und Säbeln abgeliefert. (…) Angaben der Beschuldigten. Franz Dürager gab nach hartnäckigem Leugnen an  : »Ich saß ca. 17 Uhr auf der Hausbank. Ich beobachtete, dass Karl Speck wiederholt in sehr kurzen Zeiträumen mit dem Rad vorbeifuhr und es anscheinend eilig hatte. Nachdem er nervös und aufgeregt war, fiel es mir auf und ich sah auf der Straße nach, doch konnte ich nichts wahrnehmen. Kurz darauf sah ich ungefähr beim Hofwirt Speck mit einem Bauernburschen sprechen. Ich ging zu den Sprechenden und frug Speck, was eigentlich los sei. Speck erklärte mir darauf, um 19 Uhr wird losgeschlagen, ich habe einen solchen Befehl erhalten. Ich habe noch gehört, wie Speck zu dem Burschen sagte, alarmiert die ganzen Leute. Ich ging, nachdem die beiden weitersprachen, wieder nach Hause und mir stiegen immer mehr Bedenken auf. Ich fuhr schließlich mit dem Fahrrad zum Fischer hinaus, um eventuelle Dr. Pennecke samt Frau zu treffen und rechtzeitig zu warnen, damit sie nicht unschuldige Opfer der kommenden Dinge seien. (…) Ich war bis 1929 beim Heimatschutz, was an der Niederwerfung der Februarrevolte in Wien beteiligt und war nie Mitglied der NSDAP. Ich bin seit April 1934 wieder in Seekirchen und habe mich an die Nationalsozialisten nicht angeschlossen, obwohl ich mit denselben teilweise verkehrte.« Karl Speck gab an, nachdem er hartnäckig alles in Abrede gestellt hatte  : »Heute um ca. 15 Uhr (27.7.1934) kam ein Mann zu mir ins Geschäft, der mich frug, ob ich der Speck sei. Als ich bejahte, sagte er  : Befehl vom Sturmbannführer Kaltner, Beamter

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der Wüstenrot Salzburg, um 7 Uhr abends wird losgeschlagen. In der Befehlsübergabe hieß es auch, dass der Angriff für Seekirchen von Henndorf kommt und dass die Polizei und das Bundesheer sowieso mitmacht. Ich gab den gleichlautenden Befehl als ersten an Lambert Kammerer zur Weiterverbreitung an Trupp I (Markt Seekirchen) weiter, mit dem Zusatz, dass sich um 7 Uhr abends alles im Markte zu sammeln habe. Weiters habe ich den Befehl an Josef Frauenlob und an Johann Bentele weitergegeben. Bis 7 Uhr abends unternahm ich weiter nichts und wollte um 7 Uhr abends zum Postamt gehen und dasselbe besetzen. Mittlerweile wurde ich verhaftet. (…) Johann Bentele gab nach anfänglichem Leugnen an  : »Um ca. 17 Uhr kam Speck zu mir und gab mir in meiner Eigenschaft als Oberscharführer der SA den Befehl  : Heute um 7 Uhr abends wird losgeschlagen und die Leute sollen alle nach Seekirchen kommen. Ich nahm sofort das Fahrrad und fuhr zu Christian Wallner, dem ich den erhaltenen Befehl gleichlautend weitergab, damit der die SA für 7 Uhr abends alarmiert. Um 7 Uhr wollte ich in den Markt gehen. Auf der Hirschenübersetzung traf ich Vinzenz Oberascher, der mir sagte, dass der Markt bereits abgesperrt sei. Ich ging dann zum Hirschenwirt und sagte zu den anwesenden Personen, fast alle Nationalsozialisten, es darf niemand in den Markt fahren, es staubt schon. Nach kurzer Zeit erfuhr ich, dass bereits 2 Tote sind und habe ich die Leute zum Heimgehen aufgefordert, was diese auch befolgten. Gegen ¾ 8 Uhr ging ich vom Hirschenwirt fort. Dann hielt ich mich mit Vinzenz Oberascher, Johann Schmidber, Rupert Mödlhammer und noch einigen anderen ungefähr beim Woerle-Haus in Waldprechting auf. Dann ging ich zum Staibererbauernhaus, um der Frau Maria Wallner vom Schicksal ihres Gatten zu erzählen und dann ging ich nach Hause. (…) Lambert Kammerer gab an  : »Ich war am Nachmittag mit dem Fahrrad in den Markt gefahren und traf Speck. Er gab mir folgenden Befehl zur Weiterverbreitung  : Heute um 7 Uhr abends geht es los und alle sollen zusammenkommen. Ich habe diesen Befehl nicht befolgt und niemanden verständigt, weil mir die Sache bedenklich vorkam und ich sie für aussichtslos hielt. Ich habe mich auch vom Überfall ferngehalten. (…)« Johann Schmidhuber gab an  : »Bentele sagte mir um ca. 17 Uhr 30, wir sollen um 7 Uhr abends in den Markt hinuntergehen, da gibt’s einen Wirbel. Ich lehnte ab und Bentele ging heim. Ich fuhr dann mit dem Rad nach Marschalln und veranlasste durch unseren Käsergehilfen Franz Holztrattner die Verständigung der dortigen Nationalsozialisten. Um 7 Uhr kam ich nur bis zum Hirschenwirt im Markt Seekirchen und blieb dort bis ca. ½ 8 Uhr. Anwesend waren einige Sommergäste und sonstige Gäste. Bis ca. 22 Uhr war ich mit Rupert Mödlhammer, dessen Frau und Johann Woerle jun. Auf der Straße bei unserem Haus anwesend. In den Markt bin ich überhaupt nicht gekommen. (…)« Rupert Wallner gab an  : »Um ca. 17 Uhr 30 kam Bentele zu uns und sagte zu meinem Bruder Christian und meinem Vater Rupert Wallner und wir, es ist Alarm,

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um 7 Uhr geht es los, um diese Zeit sollen wir alle im Markte beim Bräu sein. Ich fuhr sofort mit dem Fahrrad nach Döttleinsdorf und verständigte vom Befehl den Gastwirtssohn August Fink. Christian Wallner fuhr mit dem Rad zu seinen Scharmitgliedern. Gegen 7 Uhr abends fuhren Christian und ich zum Bräu. Unser Vater kam zu Fuß nach. Beim Bräu waren anwesend  : Johann Renzl, Josef Fellinger, mein Bruder Christian, mein Vater Rupert, Unger Christian, Christian Kraihammer und Franz Grundner. Den Überfall selbst habe ich nicht mitgemacht und habe ich davon nichts gesehen. Nach dem Schießen flüchtete ich mich zu Schölsner. Nachher lief ich zu meinem verletzten Bruder. Meinen Vater sah ich nicht mehr. Ich stelle in Abrede, Nationalsozialist zu sein.« (…) Landesgericht Salzburg, Abteilung 13 Salzburg, 31. Oktober 1934 13 Vr 1589/34.84 An das Straflandesgericht II in Wien. In der Strafsache gegen Karl S p e c k ist Voruntersuchung beim Militärgerichtshof in Linz wegen Hochverrates anhängig, welche hier durchgeführt wird. Speck war Elektromonteur in Seekirchen bei Salzburg und wird bezichtigt, bei dem Putsch am 27. Juli in Seekirchen insofern mitgewirkt zu haben, als er Parole zum Losschlagen, welche er von Salzburg erhalten hatte, in Seekirchen weitgegeben hat. Er war Truppenführer der SA in Seekirchen und als solcher das Haupt der dortigen Nationalsozialisten. Nach seiner Verantwortung hat ihm am 26.7. abends ein gewisser Gundringer85 von Salzburg die Nachricht gebracht, dass strengste Alarmbereitschaft sei, es sollten alle Leute gesammelt werden und sich im Orte aufhalten. Dieselbe Nachricht sei ihm kurz voraus von Franz Kaltner aus Salzburg, der mit einem Auto nach Seekirchen kam, überbracht worden. Speck behauptet, dass er hierüber mit seiner Frau Stefanie gesprochen habe. Er habe sich ihr gegenüber geäußert. Dass er wegen seines Geschäftes keine Lust habe, so etwas mitzumachen  ; er habe sie ersucht, am nächste Tage bei Kaltner in Salzburg sich über das Nähere zu erkundigen und diesem auszurichten, dass sie in Seekirchen nichts machen wollen. Als seine Frau am nächsten Tage von Salzburg zurückkam, sei sie sehr aufgeregt gewesen und habe ihm die Nachricht überbracht, Kaltner hätte gesagt, es müssten unbedingt alle Leute zusammengeholt werden, in Steiermark und Kärnten sei schon alles im Besitze der Partei, man dürfe die Kameraden nicht sitzen 84 Siehe Gerichtsakt Senat VI., Militärgericht Linz. 85 Adjutant von SA-Unterbannführer Friedrich Kaltner.

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lassen, es sei ein Befehl von Bayern, Kaltner habe ihn ihr gezeigt, es sei glaublich Scharizer unterschrieben gewesen. Friedrich Kaltner, der Stellvertreter des Sturmbannes in Salzburg, hat als Beschuldigter zu diesem Punkte angegeben  : Am Freitag (27.7.) ist der Früh war die Frau des Speck bei mir und erkundigte sich, was es Neues gebe, doch konnte ich ihr außer von der Bereitschaft, von der Speck ja schon wusste, nichts Neues mitteilen. Am gleichen Tag vormittags wurde ich von einem Taxichauffeur, den ich nicht kannte, zu Johann Günther86 geholt. Bei diesem hieß es, dass ich in den Stieglkeller kommen sollte. Nach einiger Zeit kam Günther auch hin uns sagte, es wäre soeben Altmann87 dagewesen und hätte einen Befehl gebracht. Er ließ mir diesen Befehl lesen und hatte dieser den Wortlaut, wie ich ihn … bei der Polizei angegeben habe. Er war mit Maschinschrift geschrieben und ich stelle nur richtig, dass es darin nicht »Losschlagen« geheißen hat, sondern »Die Macht ergreifen«. Diesen Befehl sah ich im Stieglkeller zum ersten Mal. (…) Im Stieglkeller haben sowohl ich als auch Günther Bedenken gegen den Befehl geäußert, weil er uns ganz unvorbereitet traf. Günther hat dann mit Altmann zusammen etwas gesprochen und dann sagte Altmann, wenn wir den Befehl nicht weitergeben, würden wir schon sehen, was passiere und würden der Feme verfallen. Am Rückweg – es ist am frühen Nachmittag gewesen – traf ich die Frau des Speck bei der Staatsbrücke und teilte ihr auf die Frage, was es Neues gebe, den Inhalt des Brigadebefehles wörtlich mit, sie meinte, da müsse sie schnell heimfahren, aber jetzt gehe kein Zug. Ich riet ihr, ein Taxi zu nehmen. (…) Zeugenvernehmung Josef Wagner Salzburg, 6.11.193488 Am 27.7. nachmittags machte ich die Wahrnehmung, dass sich im Orte etwas vorbereite, die Leute machten sich eigentümlich wichtig, es war eine sonst ungewohnte Bewegung im Orte, sodass ich mit meinen Gendarmen Bereitschaft hielt. Gegen ½ 7 Uhr abends erhielt ich dann die Nachricht vom Bahnamt, dass für 7 Uhr von Seite der Nationalsozialisten ein Losschlagen geplant sei. Ich ging nun mit Gend. Hönemann daran, die führenden Nationalsozialisten festzunehmen und auf dem Posten zu internieren. Dabei war es auffällig, dass wir die meisten von ihnen auf der Straße und nicht daheim trafen. Bis 7 Uhr hatten wir im ganzen 12 auf den Posten gebracht, darunter auch den Speck. Ich möchte gleich hier bemerken, dass es, wenn schon Speck behauptet, dass er gegen allen Terror und gegen alle Gewalt war, 86 Führer der SA-Standarte 59 (Salzburg). 87 Johann Altmann, Obersturmführer einer Motorstaffel. 88 Gerichtsakt Senat VI, Militärgericht Linz.

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von ihm dann nicht recht folgerichtig war, dass er den Rupert Wallner sen. (Stoibererbauer) dann als Führer der SA in der Landgemeinde beließ, wo dem Speck doch bekannt sein musste, dass Wallner ein äußerst radikaler und ungezügelter Mensch war. Als wir gerade unweit des Postens einen Burschen perlustrierten, hörten wir vom Posten her Schüsse fallen und mein erster Gedanke war, dass die Verhafteten vielleicht die Wache überwältigt haben könnten. Wir eilten zum Posten, und als ich etwas von Hönemann in das Vorhaus kam, sah ich dort die beiden Moser, offenbar verwundet, im Vorhaus sitzen. Während ich sie fragte, wer geschossen habe und sie etwas vom Wallner sagten, kam Gend. Hönemann mit dem Grundner herein, gab mir dessen Pistole, ich solle fühlen, sie sei noch ganz warm, was ich tatsächlich feststellte. Ich fragte den Grundner, warum er geschossen habe, er gab zur Antwort, andere hätten das auch getan. Da bekam ich plötzlich von rückwärts einen Schlag auf den Kopf und fiel zu Boden, ohne jedoch das Bewusstsein zu verlieren. Ich spürte dann einen Ruck, der offenbar daherkam, dass man mir den Säbel herauszog, auch hörte ich einen Schuss fallen (es war offenbar der von Unger im Vorhaus oben abgegebene Schuss). Ich spürte auch einen Schlag wie von einem Säbelhieb. Als ich mich, die Pistole in der Hand, wiederaufrichtete, lief Grundner davon und ich bemerkte, dass er sich außer der Haustür nach rechts wendete. Als ich aus der Haustür lief, sah ich ihn aber nicht mehr, ich lief nun vor bis zum Magazin und sah dann hinter diesem, wo die Böschung zum Bach abfällt, den Gend. Loos, der von Grundner und Christian Wallner in der Weise bedrängt war, dass ihn einer von ihnen beim Halse würgte, während Grundner mit dem Säbel auf ihn einschlug. Die Lage war für ihn eine äußerst kritische, mit Rücksicht auf die vorausgegangenen Ereignisse musste ich auf das schlimmste gefasst sein und ich war daher berechtigt, nach kurzem Anruf zum Ablassen von meiner Schusswaffe Gebrauch zu machen, ich gab mehrere Schüsse ab, Grundner fiel sofort nieder, Wallner ließ ab, offenbar auch getroffen. Ich schickte Gend. Loos zum Arzt, sich verbinden zu lassen und ihn zu den Verwundeten zu holen. Auch trug ich ihm auf, am Postamt beim Kommando um Verstärkung zu telefonieren. Ich erlitt infolge der Schläge und offenbar auch eines Säbelhiebes die im ärztlichen Zeugnis … beschriebenen Verletzungen und war vom 2. Bis 25.8. berufsunfähig, da eine Eiterung eingetreten war. Bleibende Folgen haben sich nicht eingestellt. Ich stelle keine Ersatzansprüche. (…)

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Darstellung der Salzburger Heimatschutzes über die Kämpfe in Liefering und Seekirchen.89 Am Nachmittag des 27. Juli (Freitag) herrschte im ganzen Lande Ruhe und auch aus den übrigen Bundesländern lagen ähnliche Nachrichten vor. Nur in Steiermark und Kärnten leisteten die Aufrührer stellenweise noch Widerstand. Umso überraschender wirkten daher die Meldungen, die in den ersten Abendstunden des 27. aus verschiedenen Orten des Flachgaues eintrafen und über Zusammenrottungen, zum Teil auch schon bewaffnete Überfälle auf Exekutivorgane berichteten. In L i e f e r i n g hatten sich ab 6 Uhr abends Nationalsozialisten in Zivil, jedoch – wie sich nachher herausstellte – mit Pistolen bewaffnet, im Gasthof Hartlwirt nächst der Schutzkorpskaserne gesammelt. Es waren durchwegs Leute, die zu anderen Gemeinden, hauptsächlich aus Salzburg-Stadt, dorthin dirigiert und angeblich am Nachmittag von Bäckermeister Martin mit Waffen versorgt worden waren. Um der Ansammlung auf den Grund zu gehen, begab sich der Führer der Schutzkorps-Kompanie, Felix Egger (Heimatschützer), ohne Begleitung und ohne Waffen zum Hartlwirt. Er wurde sofort, und zwar ohne jeden vorhergegangenen Wortwechsel, durch Pistolenschüsse niedergestreckt. Erst daraufhin wurde das Gasthaus von Leuten der Schutzkorps-Kompanie und des Gendarmeriepostens umzingelt und schließlich gesäubert. Ein Teil der Aufrührer wurde gefangen, ein Teil flüchtete in die nahe Au, wurde aber bis auf etwa 4 bis 5 Mann ebenfalls gefangen. Leider hatte der Heimatschutz bei dieser Aktion mehrere Schwerverwundete zu beklagen, von denen dann die Kameraden Karl Hackinger und Johann Angelberger noch nachträglich im Spital ihren schweren Wunden erlegen sind. Noch während der Säuberungsaktion in Liefering waren von den Grenzposten Meldungen über Ansammlungen von Nationalsozialisten in Roll eingetroffen. Tatsächlich hatten sich auch hier Nationalsozialisten aus anderen Gemeinden in den Gasthäusern Anfang und Haslwimmer bewaffnet auf höheren Parteibefehl gesammelt, um – nach ihren späteren Aussagen – die »Legion« zu erwarten. Als Unterstützung für den Gendarmerieposten Liefering, der die Säuberung in Rott durchführen sollte, wurde eine Kompanie des nach Salzburg verlegten Schutzkorpsregimentes des Wiener Heimatschutzes mit einem schweren Maschinengewehr unter Führung des Kompanieführers Jezabek mittelst Autobussen nach Rott gebracht. Während die nun im Gasthause Haslwimmer versammelten Aufrührer ohne besonderen Widerstand entwaffnet und gefangengenommen werden konnten, ergriffen die im Gasthause Anfang Versammelten die Flucht in die Au. Ein Teil von ihnen schlug sich in das Wohnhaus des gänzlich unbeteiligten Landwirtes Seltsam, 89 Salzburger Chronik 28.8.1934. S. 5.

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schloss das Haustor und eröffnete von den Fenstern aus das Feuer auf die verfolgenden Heimatschützer. Diese stürmten nach kurzem Maschinengewehrfeuer das Haus und nahmen die Flüchtlinge – darunter den pensionierten Schulleiter Pasternek – auf dem Dachboden gefangen. Insgesamt wurden in Rott und Liefering 34 Gefangene gemacht. Zu schweren und blutigen Ausschreitungen war es gleichzeitig auch in S e e k i r c h e n gekommen. Hier wurde im ca. 7 Uhr abends das Gebäude des Gendarmeriepostens, bei dem ca. 15 bis 20 Nationalsozialisten zu Verhören untergebracht waren, überraschend von Nationalsozialisten überfallen. Im Vorhause des Gebäudes machten die beiden Heimatschützer Steinmetzmeister Moser und dessen Sohn Rupert Dienst, als plötzlich mehrere Nationalsozialisten, darunter der Wallnerbauer und sein Sohn, eindrangen und sofort das Feuer gegen die beiden Moser eröffneten. Der Sohn erhielt drei schwere Schüsse in Oberkörper und Hals, der Vater zwei Durchschüsse des Oberschenkels. Als Moser junior bereits am Boden lag, gab der Wallnerbauer noch zwei Schüsse gegen den Kopf des Schwerverwundeten ab, die dieser glücklicherweise mit dem Bajonett ablenken konnte. Dann warfen sich die Angreifer auf den hinzukommenden Postenführer, entrissen ihm von rückwärts den Säbel und wollten ihn damit niedermachen. Da griff nochmals der schwerverwundete Moser senior ein und befreite mit dem Bajonett den schwer bedrängten Postenkommandanten. (…) Endlich gelang es der im ersten Stock befindlichen Wachmannschaft, unter der sich ein zweiter Sohn Mosers befand, in den Kampf einzugreifen und die Angreifer hinauszuwerfen, wobei der Wallnerbauer fiel und sein Sohn schwer verwundet wurde. Noch während des Kampfes war zur Unterstützung der Überfallenen die 4. Kompanie des Wiener Heimatschutzregimentes unter Kompanieführer Springler mit einem Maschinengewehrzug nach Seekirchen abgegangen, die dort um etwa 8 Uhr eintraf. Sofort wurde der noch immer zernierte Gendarmerieposten entsetzt und der ganze Ort besetzt und gesäubert. Das Gewehrfeuer währte bis etwa 4 Uhr morgens, ohne dass jedoch weitere Verluste der Exekutive zu beklagen waren. Um 4 Uhr wurde mit den Hausdurchsuchungen begonnen, namhaftes Material sichergestellt und ca. 30 Mann verhaftet. Die Säuberung wurde auch noch am 28. den ganzen Tag hindurch fortgesetzt und schließlich ein Zug der Kompanie als Sicherung bis 5. August in Seekirchen belassen. Noch in der Nacht war die 6. Kompanie unter ihrem Führer Stephan Glanz und ein Maschinengewehrzug unter Hauptmann König als weitere Verstärkung eingetroffen. Die Kompanie Glanz ging dann um ca. 6 Uhr früh nach M a t t s e e ab, wo ebenfalls Hausdurchsuchungen und Verhaftungen vorgenommen wurden. Auch in S e e h a m war der Gendarmerieposten überfallen und gefesselt worden. Die Befreiung führte die achte Wiener Kompanie unter Leutnant Eisenbach durch, die dann auch noch Berndorf säuberte.

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Bericht der Ostmärkischen Sturmscharen (OSS) über ihr Eingreifen während des Juli-Putsches der Nationalsozialisten.90 Bei dem Angriff der Nationalsozialisten auf die Gendarmerie in S e e k i r c h e n zeichneten sich die Schärler Unger und Haidenthaler besonders aus. In Sonderheit Schärler Unger, der den beiden hart bedrängten Gendarmen beisprang, als der eine mit einer Eisenstange zu Boden geschlagen, der andere von einem Putschisten gewürgt wurde. Zwei der Angreifer mussten ihr Vorhaben an Ort und Stelle mit dem Tode büßen. Leider hatte die OSS in Seekirchen einen ihrer Besten ins Grab sinken sehen müssen. Kamerad Matthias Ebner wurde, als er zum Bahnsicherungsdienst – ahnungslos von den Vorfällen – durch den Wald fuhr, von den flüchtenden Aufrührern zum Absteigen gezwungen und wortlos die Pistole auf das Herz gesetzt und ermordet. In N u s s d o r f an der oberösterreichischen Grenze fingen unsere Schärler als Verstärkung der braven Gendarmerie eine größere Truppe Nazis ab, die sich schwer bewaffnet nach Lamprechtshausen begeben wollten und verhinderte auch durch ihre Wachsamkeit weitere Aufstände in Nussdorf. Unsere Kameraden in N e u m a r k t und K ö s t e n d o r f waren, wie durch einen später aufgefundenen Putsch- und Hinrichtungsplan entdeckt wurde, aufs äußerste gefährdet. Durch rasches Zugreifen, wobei sich jeder einzelne durch Strammheit, Disziplin und militärischen Eifer besonders auszeichnete, wurde viel Unheil verhindert. Bei der Aktion wurden die Naziführer ausgehoben und dabei auch größere Waffenvorräte entdeckt. S t . M a r t i n im Lungau zählte wohl nur wenigen OSS-Kameraden, aber Unerschrockenheit und Mannhaftigkeit ließ ihre Zahl verdoppeln. Sie hielten, schlecht und ungenügend bewaffnet, Wacht am Katschberg, um die andrängenden Putschisten aufzuhalten, die aber, als sie Widerstand leisteten, in der Flucht ihr Heil suchten. Jedenfalls ein gefährlicher Posten, der verstärkt gehört. Die Kameraden des S t a d t g a u e s S a l z b u r g lagen in Reserve zur Verfügung der Sicherheitsdirektion und bewachten Kaserne, Bahnhof, das Landesgericht und die Festung. Einige Kameraden nahmen an den Kämpfen in L i e f e r i n g teil. Es war ein anstrengender, aufreibender Dienst, der keine Lorbeeren bringt, aber für die Ruhe und Sicherheit der Stadt wesentlich beitrug. Die Mehrzahl der Kameraden musste überdies tagsüber ihrer Zivilbeschäftigung nachgehen. Die Schärler von M o r z g besorgten fast allein den Ortsschutz und vertrieben einfallende Nazi ohne Kampf. Bei Nachforschungen wurden Waffenlager gefunden. Die H a l l e i n e r kamen jede Nacht zum Dienst, trotzdem sie tagsüber in Fabriken und sonstigen Anstellungen ihrem Berufe nachgingen. Nicht genug sind hier 90 Salzburger Chronik 29.8.1934. S. 3.

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die Kameraden des Arbeiterstandes zu loben, die sich in aufopferungsvollster Weise fürs Vaterland, für die Heimat zur Verfügung stellten. Nacht für Nacht zogen sie zur Grenzbewachung und die OSS stellte auch fast allein den Schutz der Stadt. Die A d n e t e r Schärler, verstärkt durch einige Kameraden aus Hallein, führten die Vertreibung und Zerstreuung der Krispler Nazi durch, die, als schon fast von überall her Ruhe gemeldet wurde, noch rasch zeigen wollten, dass sie da wären  ; in der Flucht waren sie aber noch rascher. Die OSS von S a a l f e l d e n lag in feldmäßiger Stellung am Fuße des Steinernen Meeres und bewachte die Abstiege, die von einfallenden Legionären genommen werden konnten. Durch den Ablauf der Ereignisse kam es zu keinem Einfall und unterblieb jeglicher Kampf. Der Ortsschutz funktionierte tadellos und es gelang, einige Waffenverstecke auszuheben. Wir brachten im Vorstehenden nur die wichtigste Auslese aus den Ereignissen des Putsches, bei denen die OSS von Salzburg eingriff. Eines kann gesagt werden  : die Alarmierung und das Einrücken der Kameraden vollzog sich lückenlos und plangemäß. Keiner fehlte. (…) Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 9. August 1934 Zl  :  : 2606/85 Betreff  : Illegales Propagandamaterial  ; Vorlage. An das Bundeskanzleramt St. B. in Wien I., Herrengasse 7. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich in der Anlage h o. abgeliefertes Propagandamaterial extremer aufgelöster Parteien in Vorlage zu bringen. Männer der Exekutive  :91 Wa c h l e u t e    ! G e n d a r m e r i e b e a m t e    ! S o l d a t e n    ! Noch nie habt Ihr Euren Dienst in einer so entsetzlichen seelischen Lage versehen müssen wie heute. Ihr ward bisher die Träger und Wahrer des Gesetzes und der Gerechtigkeit. Ihr habt die Allgemeinheit und den anständigen Teil des Volkes gegen Verbrecher und Ausschreitungen geschützt. Ihr habt einen schweren Dienst gehabt,

91 Das Flugblatt wurde zwar erst am 9. August 1934 an das Staatspolizeiliche Büro des Bundeskanzleramtes gesandt, jedoch vor dem Putsch der Nationalsozialisten am 25. Juli 1934 verfasst.

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aber das Bewusstsein, dem Gemeinwohl zu dienen, hat Euch trotz des geringen Gehaltes die Kraft gegeben, Euren Pflichten voll und vorbildlich nachzukommen. (…) Dies alles hat sich seit der Herrschaft der »autoritären Regierung« ins Gegenteil verkehrt. Ihr dient nicht mehr der Gerechtigkeit, sondern müsst dem Unrecht Euren Arm leihen. Ihr verfolgt nicht mehr Verbrecher, sondern die anständigen Menschen. (…) Man hat von Euch einen Eid erpresst, aufgrund dessen Ihr einer Gruppe von Menschen die Treue halten sollt, die selbst ihre Eide schamlos gebrochen haben. Diese Verbrecher, die Euch in die schwersten Gewissensnöte getrieben haben, wagen es, sich auf Gott zu berufen, auf Fügung oder innere Eingebung, weil sie sich auf das Volk nicht berufen können. Diese kaltschnäuzigen Bankrotteure versuchen, ein Volk zu knechten und wollen sich hierzu derer bedienen, die sie nur durch die Hungerpeitsche für sich haben. Sie haben die Stirne gehabt, um ihrer Pfründen willen hunderte von Menschen zu opfern, sie sind heute bereit, diesen Hunderten Tausende folgen zu lassen  ; unter diesen Tausenden werdet auch Ihr sein, wenn Ihr Euch nicht in die Einheitsfront aller anständigen Menschen eingliedert. Männer der Exekutive  ! Ihr wisst es, das ganze Volk ist gegen diese Horde von Wahnsinnigen und Verbrechern, die sich heute anmaßen, die Geschichte des österreichischen Volkes zu bestimmen. Die Erbitterung wächst und der Tag der Abrechnung naht heran. Wenn jemals auf der Welt das Recht gesiegt hat, so muss dieses System von Lüge, Korruption, Unfähigkeit, Heuchelei und Gemeinheit zusammenbrechen. Ihr seid die einzige Stütze, Ihr habt es in der Hand, ob Österreich von der Verbrecherherrschaft ohne Opfer befreit wird, oder ob dieses System in einem Meer von Blut zugrunde geht. Denn zugrunde gehen wird es, weil gegen den Aufstand eines ganzen Volkes noch nie eine Wehrmacht geholfen hat. Ihr wisst es selbst, dass Ihr nicht imstande seid, diesem Ansturm zu widerstehen. Gestern war es nur ein Bruchteil des Volkes, ohne Begeisterung und schlecht geführt, morgen wird es das ganze Volk sein, das sich im Feuer der nationalen und sozialen Idee zum Freiheitskampf erhebt, das weiß, dass ein Siebzig-Millionen-Volk auf seinen Kampf blickt. Ihr könnt Euch vorstellen, welch entsetzliches Gemetzel aus einem solchen Kampf entstehen muss – und warum  ? Nur deshalb, weil der wahnsinnige Kretin Dollfuß sich einbildet, er müsse das »Christentum« gegen das »Heidentum« verteidigen, oder weil Starhemberg sich lieber Mussolini als Hitler unterordnet und weil die christlichsozialen Bonzen ihre Pfründen nicht verlieren wollen, trotzdem ihre Wähler ihnen das Vertrauen entzogen haben. Eure Existenz ist heute durch alle möglichen bestehenden und noch kommenden Notverordnungen bedroht. Wollt Ihr Euch für eine schlechte und noch dazu aussichtslose Sache unter diesen Umständen opfern  ? Könnt Ihr die Verantwortung auf Euch nehmen, auf Eure Brüder zu schießen, die für Freiheit und Gerechtigkeit kämpfen  ? Euch bindet der Diensteid nur an die alte Verfassung, für deren Einhal-

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tung das Volk kämpft. Dollfuß hat kein Recht, andere auf einen Eid, der noch dazu erpresst wurde, zu verweisen, weil er selbst seinen Verfassungseid hundertmal gebrochen hat. Das haben die hervorragenden Rechtslehrer Österreichs, ohne bisher widerlegt worden zu sein, ausdrücklich festgestellt. Darüber kann keine jesuitische Verdrehung und auch nicht die Talmudistik des Hausjuden Hecht92 hinweghelfen. Die heutige Regierung kann weder vom juristischen noch vom moralischen Standpunkt aus von Euch Treue oder Gefolgschaft verlangen. (…) Wo werdet Ihr stehen, wenn der Endkampf beginnt  ? Die Wahl kann nicht schwer fallen. Hier Volk und Recht, dort ein Klüngel von gewissenlosen Eidbrechern und Gewalttätern. Die Vernunft und Euer Rechtsgefühl werden Euch den Weg weisen, den Ihr zu gehen habt. Immer daran denken, niemals davon sprechen  ! Wartet und seid bereit, bis sich die Freiheitsfahne des Hakenkreuzes a u c h ü b e r Ö s t e r r e i c h e n t r o l l t   ! Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 1. September 1934 Geschäftszahl  : 231.582 G. D. 2/34 (Nachzahlen 234.368 GD 2/34) Gegenstand  : Ersatzvorschreibungen für Schäden aus Terrorakten an mehrere Gewerbetreibende und Kaufleute in Salzburg. An den Herrn Sicherheitsdirektor für Salzburg. Anverwahrt wird die Abschrift einer an den Herrn Bundesminister für Handel und Verkehr gerichtete Eingabe mehrerer Gewerbetreibender und Kaufleute in Salzburg mit der Einladung übermittelt, darüber zu berichten, welche konkrete strafbare Handlungen zum Anlasse der Vorschreibungen genommen worden sind. Es wird dabei bemerkt, dass der (…) Bescheid nicht den Bestimmungen der Verordnung vom 12.1.1934, BGBl. 20, entspricht, da die Vorschreibung auf eine bestimmte strafbare Handlung Bezug zu nehmen hat und im Bescheide auch der Zahlungsempfänger ausdrücklich anzuführen ist. Derart allgemein gehaltene Bescheide könnten allenfalls beim Bundesgerichtshof mit Erfolg angefochten werden. 92 Gemeint ist der Sektionschef im Verteidigungsministerium Dr. Robert Hecht, der während der Parlamentskrise im März 1933 auf die Möglichkeit der Anwendung des aus dem Jahr 1917 stammenden Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes hinwies. Hecht war Jude, wurde nach dem Einmarsch deutscher Truppen im März 1938 verhaftet und mit dem ersten Österreicher-Transport in das KZ Dachau deportiert, wo er am 30. Mai 1938 verstarb.

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An den Sicherheitsdirektor in Salzburg. Eingabe. des Kommerzialrates Josef Klein, Inhaber der prot. Fa. Josef Klein, Salzburg, vertreten durch RA Dr. Robert Huber Betreff  : Ersatzleistung für Schaden aus Terrorakten. Vo r s t e l l u n g u n d B e r u f u n g    : gegen den da. Bescheid vom 28. Juli 1934, Zahl  : 5204. Gegen obzitierten Bescheid mittels welchem mir zum Ersatz eines Teiles der infolge nationalsozialistischer Terroraktion und Propagandaaktion entstandenen Schadenssumme der Betrag von 10.000 S vorgeschrieben wurde, erhebe ich in offener Frist Vo r s t e l l u n g   : in deren Ablehnungsfalle B e r u f u n g   : Zur Begründung der vorerwähnten Schadensersatzvorschreibung wird da angeführt, dass ich Anhänger der NSDAP sei bzw. mit dieser Partei sympathisiere und dadurch moralisch die Tendenzen der NSDAP unterstütze und die Begehung der staatsfeindlichen »Terror- und Propagandaaktion« direkt oder indirekt begünstigt habe. Diese Annahme des Sicherheitsdirektors und Bescheid-Grundlage ist absolut unrichtig. Sie stützt sich einzig und allein auf die Tatsache, dass mein Sohn und Prokurist in meinem Geschäft in den letzten Tagen unter verdächtigen Umständen verhaftet worden ist. Selbst wenn sich die Verdachtsmomente gegen meinen Sohn bestätigen sollen, muss ich mich auf das entschiedenste gegen eine derartige Vermutung hinsichtlich meiner Person verwehren. Ich kann persönlich die Versicherung abgeben, dass ich niemals Anhänger, geschweige denn Mitglied der NSDAP war, dass ich nicht nur nie mit dieser Partei auch nur im geringsten sympathisierte, sondern vielmehr sowohl ihre Grundsätze als auch ihre Aktionen auf das entschiedenste abgelehnt habe. Ich darf auch feststellen, dass bezüglich meiner Person nicht die geringsten Beweisumstände hinsichtlich der erstinstanzlichen Annahme meiner Einstellung und Sympathien zur NSDAP vorliegen, auch gar nicht vorliegen können, weil sie in materieller Wahrheit nicht gegeben sind. Ich kann diesbezüglich ruhig die eingehendsten kriminalistischen Erhebungen, die ich hiermit auch ausdrücklich beantrage, über meine Einstellung ergehen lassen, die bestimmt nichts Belastendes zu Tage fördern können. Wenn mir, wie ich andeutungsweise vernommen habe, angelastet wird, dass angeblich mein Sohn in dieser Richtung belastet ist und dass auch meine Frau Äußerungen in dieser Richtung gemacht hat, so berufe ich mich vor allem auf diese selbst als Zeugen, dass ich es, soweit es in meinen Kräften als Familienvater möglich war,

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immer wieder speziell in dieser Richtung alles getan habe, um dieselben von den NSDAP-Einflüssen abzuhalten. Mein Sohn ist ein 30jähriger Mann, letzten Endes die Stütze meines Alters und meines Geschäftes, sodass ich (…) keine Ahnung und Kenntnis von seinen diesbezüglichen Beziehungen hatte, praktisch eben unmöglich mehr auf ihn Einfluss nehmen konnte als ihm immer wieder eindringlichst vor Augen zu halten, dass er jeden Kontakt und Sympathie mit der staatsfeindlichen NSDAP unterlassen solle. Das Gleiche gilt praktisch für meine Frau, wozu noch letzten Endes der Umstand zu berücksichtigen ist, dass Worte einer Frau in psychotischem und physischem Zustand meiner Gattin, nicht völlig ernst zu nehmen sind. Auf jeden Fall kann meiner Person aus der Einstellung dieser schließlich unter Berücksichtigung meiner Vater- und Familienpflichten nicht die Verantwortlichkeit ihrer Einstellung angelastet werden. Die gegenständliche Vorstellung trifft mich daher schon dem Grunde nach vollkommen unschuldig und ungerechtfertigt. Punkto Höhe des zur Vorschreibung gekommenen Betrages kann ich nur erklären, dass es mit wirtschaftlich und finanziell geradezu unmöglich ist, einen derartigen Betrag von 10.000 S überhaupt, geschwiege binnen 2 Tagen, zur Zahlung aufzubringen. Ich bitte um Berücksichtigung, dass ich eine Einzelfirma bin, mein Geschäft aus kleinsten Anfängen zu dem Umfange, den es heute als mittleres Handelsgeschäft besitzt, emporgebracht habe und dass unter den heutigen Wirtschaftsverhältnissen die Herausziehung eines Betrages von 10.000 S einfach untragbar ist. Hinzu kommt weiters, dass mein Geschäft schon seit Donnerstag, den 26. Juli 1934, über Auftrag des Sicherheitsdirektors gesperrt ist, ebenso wie mein im Geschäft benötigter Personenkraftwagen beschlagnahmt wurde, ohne dass ich bis zur Stunde, nach 10 Tagen, auch nur eine behördliche schriftliche Bestätigung oder Verfügung zugestellt erhalten hätte. Durch diese Geschäftssperre allein erleide ich einen derartigen schaden, dass mir die Bezahlung des gegenständlichen vorgeschriebenen Betrages umso weniger möglich ist. (…) Da ich (…) dem Grunde nach schon wegen der Vermeidung eines prinzipiellen Schuldanerkenntnisses jede Bezahlung ablehnen muss, und der Höhe nach die Bezahlung des vorgeschriebenen Betrages einfach unmöglich ist, beantrage ich im Wege der Berufung, den gegenständlichen Bescheid aufzuheben und die Zahlungsvorschreibung zu sistieren. (…)

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 6. November 1934 Zl.: 254/27 Betreff  : Ersatzvorschreibung für Schäden aus Terrorakten an mehrere Gewerbetreibende in Salzburg. An das Bundeskanzleramt G. D. 2 in Wien. Mit Bezug auf die dä. Erlässe vom 31.8.1934, Zl. 231,582-GD 2, und vom 12.9.1934, Zl. 234.368-GD 2, wird berichtet, dass die Erfahrungen eines halben Jahres gezeigt hatten, es können die durch nationalsozialistische Terrorakte im Bundeslande Salzburg angerichteten Schadenssummen von rund 200.000 S weder vorgeschrieben, geschweige denn hereingebracht werden, wenn nach dem genauen Wortlaute der Verordnung vom 12.1.1934, BGBl. 20, vorgegangen und jeweils zwischen Schadensfall und den zur Gutmachung heranzuziehenden Personen ein ursächlicher, lokaler und zeitlicher Zusammenhang ermittelt werden müsste. Die Verordnung ist von den durch die Ereignisse weit überholten Voraussetzungen ausgegangen, dass sich die Terroraktionen in gewissermaßen bescheidenen Grenzen halten, die Täter nicht nur in der Regel eruiert werden, sondern auch faktisch in der finanziellen Lage sein werden, für den angerichteten Schaden aufzukommen. Weiters hat die Durchführung der Verordnungsbestimmung (gezeigt), dass die Schadenersatzleistung seitens der hierzu herangezogenen Personen unmittelbar an die vom Schaden betroffenen Personen dazu angetan war, die unheilvollen Folgen zu zeitigen, dass zwischen diesen beiden Parteien bleibende Feindschaft und Hass hervorrufen werden, die politischen Gegensätze verschärft und dadurch neue Hindernisse der Befriedung errichtet werden. Wenn der Zweck der Verordnung, die Schäden der Terroraktionen den Geschädig­ ten zu ersetzen und die Höhe der hereinzubringenden Schadenssumme vor Augen zu halten, musste zwangsläufig der Weg beschritten werden, den Kreis jener Personen, die zur Schadengutmachung herangezogen werden, auf zahlungskräftige Gesinnungsgenossen auszudehnen, wobei der lokale Zusammenhang auf die Grenzen des Bundeslandes erstreckt werden musste, und den zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang dort, wo keine konkreten Handhaben geboten erscheinen, auf indirektem Wege durch die moralische Verantwortlichkeit vermöge politischer Anhängerschaft oder Sympathie als gegeben anzunehmen. Die Zustimmung des Bundeskanzleramtes konnte gar nicht bezweifelt werden, da bei den Konferenzen der Sicherheitsdirektoren in Wien stets darauf hingewiesen wurde, dass über paragraphenmäßige Bedenken hinweg der Zweck und das Ziel der Gesetze und Verordnungen zu verfolgen

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sind, und da insbesondere bei der Sicherheitsdirektorenkonferenz im Juni l. Js. bei der Erörterung der Begründung von Vorschreibungsbescheiden nach der Verordnung vom 12.1.1934, BGBl. Nr. 20, es als angezeigt bezeichnet und angeregt wurde, das Sympathisieren mit der NSDAP als Basis für die Verantwortlichkeit und für die Schadenersatzvorschreibung in die Bescheide aufzunehmen. Den Schwierigkeiten, die sich aus der Handhabung der Verordnung vom 12.1. 1934, BGBl. Nr. 20, ergeben haben, wurde durch das Bundesverfassungsgesetz vom 24. September 1934, BGBl. II Nr. 254, Rechnung getragen und die bereits bisher hieramts geübte Praxis unter Ausschaltung der Anfechtbarkeit vor dem Bundesgerichtshofe gesetzlich normiert. Die auf der (…) Eingabe angeführten Salzburger Kaufleute und Gewerbetreibenden wurden von der hiesigen Bundespolizeidirektion anher namhaft gemacht als Personen, die als Anhänger der NSDAP bekannt sind oder vermöge ihrer politischen Einstellung mit der NSDAP sympathisieren und dadurch moralisch die Tendenzen dieser Partei unterstützt und die Bewegung der staatsfeindlichen Terror- und Propaganda-Aktionen direkt oder indirekt begünstigt und gefördert haben. Konkrete strafbare Handlungen bildeten nicht den Anlass der Heranziehung zur Schadenersatzleistung. Die Höhe der vorgeschriebenen Beträge wurde ausnahmslos im Rahmen der Zahlungsfähigkeit beziffert, die von der Bundespolizeidirektion angegeben worden war. (…) Der Fall des Kaufmannes Josef Klein in Salzburg stellt einen Sonderfall dar. Auf die Familie Klein wurde bereits seit längerer Zeit von vaterländischen Bevölkerungskreisen mit ständigen Klagen hingewiesen, dass insbesondere die Gattin des Kommerzialrates Josef Klein eine geradezu fanatische Nationalsozialistin sei, in ihren Gesprächen ihrer regierungsfeindlichen Einstellung absolut keinen Zwang auferlege und sich über die Regierungsmitglieder lustig mache. Auch über Kommerzialrat Klein selbst langten verschiedentliche Mitteilungen ein, dass er insbesondere in angeregtem Zustande in den gleichen Ton wie seine Gattin verfalle und an der Weiterverbreitung falscher Gerüchte sein Teil beitrage. Zu einer Strafamtshandlung gegen die Ehegatten Klein ist es bisher noch nicht gekommen, da die in Betracht kommenden Zeugen teils im Abhängigkeitsverhältnis, teils vor der Gefahr wirtschaftlichen Schadens stehen. Dagegen wurde der Sohn Josef Klein jun. am 28. Juli l. Js. (…) verhaftet, als er um 23 Uhr nachts in Begleitung von zwei Nationalsozialisten, sämtliche im Besitze von je zwei Walter-Pistolen und 50 Patronen, offensichtlich im Begriffe war, an dem beabsichtigten nationalsozialistischen Putsch in Salzburg teilzunehmen, der durch die vorgenommenen Verhaftungen vereitelt wurde. Er wurde dem Militärgerichte angezeigt. Diese Umstände waren der letzte Anlass, um gegen die Familie Klein mit der ganzen Schärfe der zu Gebot stehenden Mittel einzuschreiten, wobei nebst der aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung notwendig erscheinenden Sperre des Geschäftes, mit der Beschlagnahme der vom

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Sohne benutzten Kraftfahrzeuge und mit der Vorschreibung eines Schadenersatzbeitrages von 10.000 S für Terrorschäden vorgegangen wurde. Bei Nichteinzahlung des Betrages innerhalb der eingeräumten zweitägigen Frist wurde die Verhaltung des Kommerzialrates Josef Klein zum Aufenthalte im Anhaltelager hieramts in Aussicht genommen und deshalb am dritten Tage nach der Bescheidzustellung seine Verhaftung angeordnet und durchgeführt, jedoch nach Erlag des Betrages wieder aufgehoben. Die Sicherheitsmaßnahmen der Sperre des Geschäftsbetriebes wurde ebenfalls, und zwar nach Erlegung eines freiwilligen Sühnebeitrages, widerrufen. (…) Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 27. August 1934 Zl.: 567/res-34 (234.157/34) Betr.: Damberger Rudolf, Kriminal-Rayonsinspektor, Betätigung für die NSDAP. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St. B. in Wien. Die Bundespolizeidirektion wurde vertraulich auf die Person des Kriminal-Rayonsinspektors Rudolf Damberger (…) aufmerksam gemacht und dieser beschuldigt, dass er eine illegale Tätigkeit zu Gunsten der NSDAP (Hitlerbewegung) entfalte, Amtshandlungen gegen Nationalsozialisten verrate und sich Nationalsozialisten angeboten habe, Propagandamaterial in seine Verwahrung zu nehmen, damit bei eventuellen Hausdurchsuchungen nichts Bedenkliches vorgefunden werden könnte. Kriminal-Rayonsinspektor Damberger war nicht dem staatspolizeilichen Büro, sondern dem Sicherheitsbüro der Polizeidirektion zugeteilt. Es wurde aufgrund dieser vertraulichen Angaben bei Damberger eine Hausdurchsuchung sowie eine Durchsuchung seines Schreibtisches vorgenommen. Diese Durchsuchung ergab äußerst belastendes Material und wurden bei Damberger mehrere Pakete bisher h. a. nicht bekannter und auch noch nicht beschlagnahmter Klebezettel sowie illegale verbotene Zeitschriften und geschlichtete und gesammelte Zeitungsausschnitte mit NSDAP-Propagandaartikeln vorgefunden. Damberger bestreitet ein sträfliches Verschulden und will glauben machen, dass er dieses Propagandamaterial bei Hausdurchsuchungen beschlagnahmt habe, es aber vergessen und unterlassen habe, über seine Amtshandlungen Bericht zu erstatten und das (…) Material ordnungsgemäß zu beamtshandeln. Die Verantwortung, die immerhin ein indirektes Schuldbekenntnis beinhaltet, erscheint jedoch unglaubwürdig. Damberger, dessen Verkehr schon seit längerer Zeit Anlass zu unliebsamen Wahrnehmungen gegeben hat, wurde in Haft genommen, der Staatsanwaltschaft beim

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Landesgerichte in Salzburg gemäß § 101 Str. G. zur Anzeige gebracht und dem Gefangenenhause des Landesgerichtes eingeliefert. Gleichzeitig wurde Damberger wegen verbotener illegaler Tätigkeit mit 4 Monaten Arrest bestraft. (…) Bundeskanzleramt 01 (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 18. September 1934 Geschäftszahl  : 240.965 G. D./St. B. 34 Gegenstand  : Zand Leo, Gendarmerie-Postenkommandant von Golling  ; Verdacht auf nationalsozialistische Betätigung. An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. In der Anlage wird die Abschrift einer dem Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) zugekommenen Meldung über nationalsozialistische Umtriebe in Golling mit der Einladung übermittelt, den dieser Eingabe zugrunde liegenden Sachverhalt festzustellen und über das Ergebnis der Erhebungen sowie über die intern getroffenen Maßnahmen ehestens anher zu berichten. Sehr geehrter Herr Regierungsrat  !93 Aufgrund unserer persönlichen Unterredung erlaube ich mir, Ihnen nachstehenden Bericht zu übersenden. Es ist leider schon lange zur traurigen Tatsache geworden und auch landbekannt, dass Golling zu den radikalsten und berüchtigsten nationalsozialistischen Orten im Lande Salzburg zählt. Wieso und weshalb dies möglich war, diese und ähnliche Fragen werden so vielfach aufgeworfen und bleiben unbeantwortet und dennoch ist es für einen vaterländisch gesinnten Österreicher und in Golling Ansässigen leicht, die Gründe und Mängel hierfür aufzuzählen. Als die NSDAP noch nicht verboten war, konnte man sich schon ein Bild davon machen, wie es in diesem Ort aussieht. Bei den geringfügigsten Anlässen, welche sich in Deutschland abspielten (Namens-, Geburtstag- und sonstigen Wahl- und Siegesfeiern) wurden vaterlandstreue Österreicher förmlich notgedrungen, ihre Häuser zu beflaggen. Eine weitere Tatsache spricht dafür, dass eine sehr stattliche Zahl Gollinger landesflüchtig wurde und die Reihen der Österreichischen Legion im Dritten Reich auffüllte. Bemerkenswert dabei ist, dass keinem der Flüchtlinge bei der Flucht ein Haar gekrümmt wurde, ob-

93 Schreiben von Martin Sommerauer, Besitzer des Hotels »Schwarzer Adler« in Golling, an den Theresienritter und Regierungsrat Oskar Hofmann.

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wohl es des Öfteren ein offenes Geheimnis war, dass diese oder jene in den nächsten Tagen über die Grenze gehen. Anlässlich der großen vaterländischen Kundgebung in Salzburg am 10. Mai 1934, zu der viele Sonderzüge von der Bundesbahn eingeschaltet wurden, versuchten auch die Nationalsozialisten durch Sprengattentate den Verkehr zu unterbinden, was ihnen auch gelang, sodass der Verkehr längere Zeit eingleisig zwischen Sulzau und Golling geführt werden musste. Man hat wohl bei dem Bahnwächterposten Nr. 29 Sprengmaterial gefunden, aber eine Einziehung und eine Abstrafung bei dem Besitzer der Sprengmittel ist nicht erfolgt. Nun kam für Golling die traurige Nacht vom 9.6.1934, in welcher die beiden Angehörigen des Schutzkorps, Leirich und Repas, am Posten im Pass Lueg überfallen und meuchlings beschossen wurden. Erstgenannter ist tot, letzterer hatte einen Steckschuss  : Durchschuss des Kiefers, des Halses und an der Wirbelsäule blieb die Kugel stecken. Einer der Meuchelmörder war der, bei dem man, wie schon erwähnt, am 10. Mai das Sprengmaterial fand. Die Täter mussten dann über sehr unzugängliche Steilpfade der etwa sonst sechsstündig entfernten Grenze zustreben.94 Nun die Frage  : Wäre es nicht die Pflicht des Gendarmeriepostens und dessen Kommandanten Leo Zand gewesen, um Mitternacht sofort die Verfolgung der Mörder aufzunehmen  ? In der Umgebung wären ihm in diesem Falle zumindest 20 wehrhafte, fähige und wegkundige Burschen (Sturmscharen) zur Verfügung gestanden und es wäre ein Leichtes gewesen, der Täter habhaft zu werden. Den nächsten Tag um 2 Uhr Nachmittag sahen Berufsjäger der Kruppschen Jagd noch die Täter auf österreichischem Boden, jedoch ohne zu wissen, wen sie vor sich haben. Wohl traf um dieselbe Zeit in Golling Militärassistenz ein – aber zu spät. Als dann das Opfer beerdigt wurde und zum Leichenbegräbnis der Landesgendarmeriedirektor Oberst May, Vizedirektor Oberstleutnant Puffer, Sicherheitsdirektor Hofrat Scholz, Bezirkshauptmann Dworzak erschienen waren, wurden die Genannten nach der kirchlichen Trauerfeier in die Gemeindekanzlei von Golling gebeten, wo den Genannten von den Bürgermeistern von Golling – Nemes, von Torren – Lienbacher, von Obergäu – Suchner und vom Landtagsabgeordneten Hochleitner alle schon angeführten Beschwerden und die in diesem Schreiben noch angeführt werden, vorgetragen wurden mit dem Ersuchen, man möge den Postenkommandanten Revierinspektor Zand von Golling versetzen, da erwiesen, dass alle unternommenen Aktionen gegen die Nationalsozialisten durch ihn scheiterten, zumindest

94 Als Täter wurden am 18. Oktober 1934 die aus Schladming stammenden Matthias Bachler, Josef Kraiter und Josef Reisenbichler, die sich über die Grenze zur Österreichischen Legion absetzten, identifiziert. (Gendarmeriepostenkommando Blühnbach, Bezirk St. Johann i. Pg., E. Nr. 672.)

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konnte man, wenn man Anzeigen erstattete, von ihm die Antwort hören  : »Seid’s nicht gar so – ihr Nazifresser, tut’s ihnen nichts, tun sie euch auch nichts.« Diese Vorstellung bei den Sicherheitsbehörden verlief auch ergebnislos, vielmehr konnte man die Äußerung hören  : sie werden über keinen Beamten der Exekutive eine wie immer geartete Anschuldigung kommen lassen. Solche oder ähnliche Äußerungen lässt sich aber die vaterländische Bevölkerung nicht mehr gefallen, insofern nicht mehr, da wir ständig an Gut und Leben bedroht werden und tatsächlich auch sind. (…) Wie mich meine englischen Gäste und Freunde befragten, wie denn eigentlich ein 25. Juli in Österreich möglich war, so musste ich zu unserer eigenen Schande erklären, dass nur schnöder Verrat bei Polizei und in der Exekutive einen 25. Juli ermöglichten. Ich möchte mit dem zuletzt Angeführten hinweisen, dass man doch jetzt zum Rechten sehen möge und alle nicht einwandfreien Personen der Exekutive dorthin stellt, wo sie unschädlich sind, bevor Österreich vor einer neuen Revolte steht und sich Kanzler- und Führermorde wiederholen. (…) Es war eine Freude für einen Österreicher, im Radio zu hören, wie Generalstaatskommissär Minister Major Fey sprach, dass er gewillt ist, allen Staatsfeinden an den Leib zu rücken. Wie sieht dies aber bei uns aus  ? Ein Revierinspektor Zand ist ermächtigt, gewiegte Nationalsozialisten als Hilfsgendarmen aufzunehmen, wie die dann ihren Dienst versehen, ist begreiflich und schon erwiesen (…) Weiter nimmt jetzt genannter Herr Werbungen für die Heimwehr vor, namentlich in jenen Kreisen, die vor Jahresfrist selbst die Heimwehr-Ortsgruppe in Golling auflösten, weil sie (der Ortsführer Landegger auch) zur NSDAP übergegangen sind. Das Barvermögen der Ortsgruppe von 300 S wurde für nationalsozialistische Parteizwecke verwendet. Auch wurde in der Verlautbarung erwähnt, dass Firmen, deren Führung staatsfeindlich ist, von öffentlichen Lieferungen ausgeschaltet werden. Das Gollinger Kalk- und Schotterwerk »Tagger«, dessen Leitung gänzlich in nationalsozialistischen Händen ist (Herr Schwarzmeier), kann sich trotz der öffentlichen Lieferungen an Bund und Land erlauben, den wegen staatsfeindlicher Betätigung des Öfteren abgestraften Arbeiter Christian Sunkler immer gleich am nächsten Tag nach seiner Haftentlassung wieder in den Betrieb einzustellen und andere vaterländisch gesinnte Arbeiter auszustellen (…) Unverständlich ist und bleibt einem vaterländisch Gesinnten wie es möglich ist, dass ein Revierinspektor Zand dem Passamt (Bezirkshauptmannschaft Hallein) Leute befürwortet, dass sie in Besitz eines Passes kommen, um nach Deutschland zu reisen, die zu den gefährlichsten Nationalsozialisten zählen  : Albert Huber (politisch abgestraft) und Rudolf Praxmair. (…) Wenn sich solche oder ähnliche Fälle in Österreich mehren, wird es für die vaterländische Bevölkerung wohl unmöglich sein, auch unmöglich für die Regierung und

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die staatstreue Exekutive, dass wir den bevorstehenden Kampf, sei es in Form eines Putsches oder Umsturzes, der uns ja täglich hier in den Grenzländern angedroht wird, bestehen können. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 6. Oktober 1934 Geschäftszahl  : 253.883 G. D./St. B. 34 (Nachzahlen  : 255.993 G. D./St. B. 34) Gegenstand  : Roittner N. in Salzburg, Ersatzvorschreibung, Berufung. Mit Bescheid des Sicherheitsdirektors für Salzburg vom 12. Juli 1934, Zl. 3568/2, wurde aufgrund der Verordnung der Bundesregierung vom 12. Jänner 1934, BGBl. I Nr. 20, den Gebrüdern Michael, Heinrich und Josef Roittner als Inhaber der Fa. Gebrüder Roittner, Eisengroßhandlung in Salzburg, ein Kostenbeitrag von S 10.000,zur Ersatzleistung an die Sicherheitsdirektion in Salzburg vorgeschrieben. Den Anlass der Vorschreibung bilden Kostenersätze für diverse Sachschäden, die durch zahlreiche nationalsozialistische Terror- und Propagandaaktionen im Überwachungsgebiete der Bundespolizeidirektion Salzburg während des Jahres 1934 verursacht worden waren. (…) Gegen den erlassenen Bescheid haben die Zahlungsverpflichteten beim Sicherheitsdirektor für Salzburg rechtzeitig Berufung erhoben. (…) Vaterländische Front, Landesleitung Salzburg Salzburg, 28.9.1934 An das Büro von Staatssekretär Baron Hans Hammerstein-Equord. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich mir erlaube, an unsere Vorsprache (…) zu erinnern und nochmals die Bitte wiederhole, die Angelegenheit der Firma Gebrüder Roittner Salzburg im günstigen aufrechten Sinn zu erledigen. Gestatten Herr Baron, dass ich mir die Bemerkung erlaube, dass gerade die Chefs der Firma nie Mitglieder der NSDAP waren, sondern im Gegenteil, immer auf die Jugend beruhigend einwirkten und vielfaches Unheil durch ihre Einflussnahme verhinderten. Gesellschaftlich genießt die Firma den allerbesten Ruf, gehört zu den größten Steuerzahlern und ist bei Bezahlung pünktlich wie die Uhr. Haben wir in Salzburg schon im Jahre 1920 eine vaterländische Arbeitsgemeinschaft gehabt, bei der gerade die Firma die Führung hatte und wir uns damals den Hass der verschiedenen Parteien zuzogen, als wir von Vaterlandsliebe und Vaterlandstreue sprachen.

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Aus all dem geht hervor, dass die Chefs der Firma und auch die Angestelltenschaft immer ihre Pflicht taten, und wenn bei einem Körper von über 100 Angestellten ein Vorfall eintrat, hat die Firma sofort mit allen Mitteln eingegriffen. Aus all diesen Gründen und auch aus Gründen der Befriedung und der allgemeinen uns so nottuenden Aufbauarbeit erlaube ich mir, meine Bitte ergebenst zu wiederholen und auf eine günstige Erledigung hoffend mit dem Ausdrucke der persönlichen Hochachtung grüße ich mit »Österreich« ergebenster Larcher Über Auftrag hat der Sicherheitsdirektor für Salzburg am 8. Oktober 1934 telefonisch folgende Information über die Firma Gebrüder Roittner gegeben  : »Die Firma Roittner in Salzburg besteht seit dem Jahre 1905. Bei der Gründung bestand sie aus einem kleinen Eisenhandel, dermalen umfasst der Geschäftsbetrieb dieser Firma eine Eisengroßhandlung, eine Detail-Eisenhandlung, ein Geschäft für Küchengerätschaften, ein Holz- und Kohlegeschäft, ein Waffengeschäft und den Sprengmittel- und Munitionsverschleiß. Zur Zeit des Höhepunktes der Konjunktur beschäftigte die Firma 142 Arbeiter und Angestellte. Infolge der Krise ist die Zahl der Angestellten auf 94 gesunken. Das Geschäft wird von den Brüdern Michael, Heinrich und Josef Roittner geleitet. Michael, der Älteste, ist Geschäftsinhaber. Die Firmeninhaber als auch die Angestellten der Firma waren stets großdeutsch gesinnt, die Angestelltenschaft war durchwegs im DHV (Deutscher Handelsgehilfenverband) organisiert. Seit dem Erstarken der NSDAP sind sowohl die Firmeninhaber als auch ihre Angestellten ins nationalsozialistische Lager hinüber geschwenkt. Drei der Angestellten mussten in ein Anhaltelager abgegeben werden, zwei wurden wegen Böllerwerfens bestraft. Die Firmeninhaber selbst sind aktiv politisch in den letzten Jahren nicht hervorgetreten, auch war es offensichtlich, dass sie allzu radikale Elemente ihrer Beamten (?) und Angestellten abbauten. Allerdings sollen sie sich öfters geäußert haben, es sei nicht von Vorteil, politisch vorbestrafte junge Leute sofort auf die Straße zu setzen, da diese dann unweigerlich dem Radikalismus anheimfielen. Während der Julitage war das Verhalten der Firmenchefs einwandfrei, nichtsdestoweniger wurde der Firma vorsichtshalber der Sprengmittelverschleiß entzogen, die Sperre dieses Geschäftszweiges von der Bundespolizeidirektion Salzburg angeordnet und die Sprengmittelmaterialien in das Gewahrsam der Polizei gebracht. Zu bemerken wäre, dass die drei Firmenchefs beim Salzburger Turnverein stets eine große Rolle spielten. Speziell Michael Roittner, der auch dermalen noch Obmann des Deutschen Turnerbundes 1919 ist, hat sich um den Deutschen Turnverein besonders verdient gemacht. Er förderte durch seine finanzielle Unterstützung den Bau einer neuen Turnhalle, die 1925 eröffnet wurde und seinen Namen trägt. Als Kuriosum sei erwähnt, dass in den Stiegengeländern dieser Turnhalle schon damals Hakenkreuze eingestanzt waren. (…)

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 21. Oktober 1934 Zl. 3568/14 Betr.: Gebr. Roittner Salzburg, Ersatzvorschreibung für Schäden Aus Terrorakten, Berufung. Wird dem Bundeskanzleramt GD 2 in Wien mit Bezug auf den dä. Erlass vom 4. Oktober 1934, Zl. 253.883-GD 2, unter Anschluss der Bezugsakten mit dem Antrage auf Abweisung der Berufung vorgelegt. (…) Der Betrieb der Firma Gebr. Roittner ist nicht nur einer der größten Handelsbetriebe Salzburgs, sondern auch derjenige, der durch die eindeutige politische Einstellung des Großteils der Angestellten am meisten disqualifiziert ist. Dementsprechend und im Hinblicke auf die finanzielle Potenz der Inhaber musste mit der Vorschreibung eines größeren Betrages vorgegangen werden und muss diese dem Maße der moralischen Verantwortlichkeit als durchaus angepasst und als tragbar bezeichnet werden. Es darf schließlich nicht unerwähnt gelassen werden, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung die Firma Roittner als nationalsozialistische Hochburg bezeichnet, ihre Heranziehung zur Ersatzleistung der gewaltigen Terrorschäden in Salzburg längst erwartet hat und über die bekannt gewordene Vorschreibung lebhaft Genugtuung geäußert wird. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 11. März 1935 Geschäftszahl  : 324.763 G. D./St. B. 34 (Vorzahl  : 255.993 G. D./St. B. 34) Gegenstand  : Firma Gebrüder Roittner in Salzburg Ersatzleistung für Schäden aus Terrorakten  ; Berufung. Rückstellung der Verhandlungsakten. (…) Der Sicherheitsdirektor hat die Berufung dem Berichte vom 21. Oktober 1934, Zl. 3568/14, dem Bundeskanzleramte zur Entscheidung mit dem Antrage auf Abweisung vorgelegt. Aus einer späteren Eingabe der Gebrüder Roittner an den Sicherheitsdirektor in Salzburg vom 23. November 1934 geht hervor, dass die Genannten ihre Berufung gegen den vorstehend angeführten Bescheid zurückgezogen und sich bereiterklärt haben, zum Zwecke der Ersatzleistung für Terrorschäden eine freiwillige Spende von S 7.700,- zu leisten.

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Der Sicherheitsdirektor hat diese Eingabe unter dem 1. Dezember 1934, Zl. 3568/18 (Geschäftszahl 324.763 GD 2/34), dem Bundeskanzleramte zur Kenntnisnahme mit dem Ersuchen vorgelegt, die seinerzeit übermittelten Bezugsakten betreffend Gebr. Roittner zurückzusenden. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 16. November 1934 Geschäftszahl  : 307.821 G. D./St. B. 34 (Nachzahlen316.537/34) Gegenstand  : Ingenieur Karl Woral, Flughafenleiter des Flughafens Salzburg, angebliche nationalsozialistische Einstellung. Vaterländische Front Wien, 26. September 1934 Abo 4538 Betr.: Ing. Woral. Sehr geehrter Herr Generaldirektor  !95 Nachstehend beehren wie uns einen Vorfall mitzuteilen, der uns durch den Hauptbetriebsstellenleiter der Österr. Luftverkehrs-A.G., Herrn Major Feldpilot a. D. Franz Perstinger, gemeldet wurde. Der Flugleiter der Österr. Luftverkehrs-A.G. und gleichzeitiger Flugplatzleiter der Stadtgemeinde Salzburg, Herr Hauptmann a. D. Ing. Karl Woral, ist schon seit dem Vorjahre als Nationalsozialist bekannt. Herr Major Perstinger hat sich sehr bemüht, Herrn Ing. Woral für die vaterländische Sache zu gewinnen und zwar dies umso mehr, weil Herr Ing. Woral von der Flugleitung Salzburg der einzige war, der sich zur Vaterländischen Front nicht gemeldet hat. Wir bemerken hierzu ausdrücklich, dass die Gewinnung des Herrn Ing. Woral Herrn Major Perstinger einerseits aus alter Freundschaft, andererseits wegen der exponierten und überaus wichtigen Stellung eines Flugplatzleiters sehr am Herzen gelegen war. Herr Major Perstinger nahm sich daher die Mühe, Herrn Ing. Woral am 19. d. M. persönlich in Salzburg aufzusuchen. Auf die erste Frage Major Perstingers, wie sich Herr Ing. Woral nun zur Vaterländischen Front stelle, wurde von Letztgenanntem dahin beantwortet, dass er Landesleiter der Frontkämpfer sei und das müsse genügen.

95 HR Ing. Ferdinand Deutelmoser

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Auf die zweite Bitte des Herrn Major Perstinger, eine Spende für das Denkmal unseres verewigten Kanzlers zu geben, wies Ing. Woral mit der Bemerkung ab, dass er nur für Frontkämpferzwecke spende. Herr Major Perstinger versuchte von Herrn Ing. Woral zumindest das Ehrenwort zu erlangen, dass er sich auf dem Boden eines selbständigen und unabhängigen Österreichs stelle und keine schädigende Handlung gegen Österreich begehen möge. Auch diese Zusage wurde von Herrn Ing. Woral entschiedenst verweigert. Im weiteren Verlauf der Rücksprache mit Herrn Ing. Woral konnte Herr Major Perstinger in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise leider feststellen, dass Ing. Woral fanatischer Nationalsozialist sei und sich seine Einstellung zur NSDAP gegenüber dem Vorjahre eher noch verstärkt hat. Wir gestatten uns noch zu bemerken, dass uns bekannt wurde, dass der Bruder des Flugplatzleiters, der Buchdrucker Woral in Salzburg, bereits drei Mal wegen Verdachtes nationalsozialistischer Tätigkeit inhaftiert wurde. Wir bringen Ihnen, sehr geehrter Herr Generaldirektor, den geschilderten Vorfall mit dem ebenso höflichen als dringenden Ersuchen zur Kenntnis und meinen, dass es mit Rücksicht auf die gegebenen Verhältnisse und die örtliche Lage des Flugplatzes Salzburg ganz ausgeschlossen ist, dass Herr Ing. Woral noch länger Flugleiter der Österr. Luftverkehrs-A.G. und Flugplatzleiter der Stadtgemeinde Salzburg bleiben kann. Der Flugplatz Salzburg, der kaum 3 Flugminuten von Reichenhall entfernt ist und täglich von mit reichsdeutschen Mannschaften besetzten Flugzeugen frequentiert wird, bedarf unbedingt eines in jeder Hinsicht einwandfreien und vaterlandstreuen Flugleiters, der auch auf das dortige Personal günstigen Einfluss nehmen kann. Wir bitten Sie, sehr geehrter Herr Generaldirektor, uns im Gegenstande baldgefällig Ihre Stellungnahme bzw. zu treffende Entscheidungen mitteilen zu wollen. Mit dem Ausdrucke der vorzüglichsten Hochachtung zeichnen wir mit Ö s t e r r e i c h    ! Österr. Luftverkehrs-A.G. Direktion Ing. Ferdinand Deutelmoser Hofgastein, 30. September 1934 Betr.: Bericht Ing. Woral An die Vaterländische Front in Wien. Das Schreiben der Vaterländischen Front Abo. 4538 vom 26. September 1934 wurde mir hierher nachgesendet, wo ich derzeit zum Kurgebrauche weile. Herr Ing. Karl Woral ist Angestellter der Gemeinde Salzburg und als solcher mit der Führung der Geschäfte eines Flughafenleiters betraut. Der Flugplatz Salzburg ist Eigentum des Landes und der Stadt Salzburg und vom Bundesminister für Handel und Verkehr als öffentlicher Flughafen zugelassen. Die

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Bestellung des Herrn Ing. Woral zum Flughafenleiter durch die Flughafengesell­ schaft erfolgte mit Genehmigung des genannten Bundesministeriums. Dem Flughafenleiter kommt eine öffentlich-rechtliche Funktion zu, als ihm auch die bundes­staatlichen Einrichtungen am Flugplatze – die Wetterdienststelle und die Funk­station – unterstehen. Im Einvernehmen mit dem Magistrate der Landeshauptstadt Salzburg wurde Ing. Woral – unbeschadet seiner Eigenschaft als Angestellter des Magistrates – nebenamtlich auch mit der Führung der Geschäfte eines Flugleiters der Österr. Luftverkehrs-A.G. betraut. Für die Dauer seiner Verwendung als Flugleiter, die sich der Dauer der Aufliegung des Flugplatzes Salzburg im regelmäßigen Luftverkehr anpasst, erhält Ing. Woral eine monatliche Zuwendung von der Österr. Luftverkehrs-A.G., die der Stadtgemeinde Salzburg zur Auszahlung an ihn überwiesen wurde. Dem Flugleiter, der als solcher unmittelbar der Direktion der Österr. Luftverkehrs A.G. untersteht, obliegt der Verkehrsdienst (Abfertigung der Flugzeuge, der Passagiere, der Fracht und der Post), der technische Dienst (Wartung der Flugzeuge und Vornahme etwa nötiger kleinerer Reparaturen) und der administrative Dienst (Platzbelegung, Abrechnung etc). In voller Übereinstimmung mit der Vaterländischen Front halte ich es für eine selbstverständliche Forderung, dass in einem öffentlichen Verkehrsunternehmen, das vom Bunde subventioniert wird, nur vaterländisch gesinnte, der Regierung treu und politisch vollkommen verlässliche Personen Verwendung finden, zumal wenn ihnen, wie dies bei einem Flughafenleiter der Fall ist, auch behördliche Funktionen zukommen. Aufgrund des Berichtes des Hauptbetriebsstellenleiters, Herrn Major a. D. Perstinger, werde ich die Enthebung des Ing. Woral vom Dienste als Flugleiter der ­Österr. Luftverkehrs-A.G. sofort nach Sicherstellung einer Ersatzperson veranlassen, wozu ich bemerke, dass dessen Verwendungsverhältnis bei unserem Unternehmen ohnedies mit Ende Oktober beendet ist. (…) Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 28. November 1934 Zl. 788/res-34 Betr.: Ing. Karl Woral, Flughafenleiter des Flughafens Salzburg  ; nationalsozialistische Einstellung. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St. B., in Wien. Zum Erlasse vom 10.11.1934, G. D. 307.821-St. B. – 1934), beehrt sich die Bundespolizeidirektion zu berichten, dass nach Mitteilung des Stadtmagistrates Salzburg

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Ing. Karl Woral mit 30. November 1934 fristlos entlassen werden wird, da aufgrund der Eingabe der Vaterländischen Front der Stadtmagistrat ihm nicht mehr das nötige Vertrauen entgegenbringt. Woral ist auch aus dem Dienste der Österr. Luftverkehrs-A.G. bereits seit mehreren Wochen entlassen. Ing. Karl Woral, Hauptmann a. D. (…), steht hier als fanatischer Anhänger der NSDAP in Vormerkung. Anlässlich einer Demonstration von Nationalsozialisten im Jahre 1933, bei welcher die Sicherheitswache vom Gummiknüppel Gebrauch machen musste, äußerte sich Woral, der an der Demonstration teilnahm, einem Wachebeamten gegenüber »Gehen Sie nicht so gemein vor, Ihr erdet ja von uns bezahlt.« Woral verkehrte früher und verkehrt auch heute noch ständig in Gesellschaft von Nationalsozialisten. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 3. Jänner 1935 Geschäftszahl  : 343.183 G. D./St. B. 34 (Nachzahlen  : 303.643/35) Gegenstand  : Podzeit Johanna, Bundesgerichtshofbeschwerde wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte. Johanna Podzeit. Privatbeamtin in Salzburg, Petersbrunnstraße 12, vertreten durch RA Dr. Robert Lippert, Salzburg, Auerspergstraße Nr. 20, hat gegen den Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg beim Bundesgerichtshof eine Beschwerde wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte eingebracht. Aus der Beschwerdeschrift ist ersichtlich, dass sie wegen Austrittes aus der Römisch-Katholischen Kirche gemäß § 1 der Verordnung der Bundesregierung vom 19.5.1933, B. G. Bl. Nr. 185, mit 6 Wochen Arrestes bestraft wurde. (…) Rechtsanwalt Dr. Robert Lippert Salzburg, Auerspergstraße 20 Salzburg, 7. Dezember 1934 An den Bundesgerichtshof, Wien I., Nibelungengasse 4. BESCHWERDE wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte. 1. Wie bei einer Reihe von anderen Salzburgern wurde auch bei mir am 25. Oktober 1934 durch einen Kriminalbeamten der Polizeidirektion Salzburg, Eduard Roider, eine Hausdurchsuchung vorgenommen und ich unmittelbar darauf vom Büro weg verhaftet und in das Polizeigefängnis abgeführt. Als Grund für diese Maßnahmen wurde vom Kriminalbeamten mein Austritt aus der Katholischen Kirche, welcher

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ein demonstratives Verhalten bedeute, angegeben und über Befragen ausdrücklich betont, dass keinerlei sonstiger Grund vorliege. Am nächsten Tag wurde ich durch Herrn Polizeikommissar Planck verhört  ; ich musste mich wegen des Austritts rechtfertigen. Ich habe erklärt, dass ich ja selbst nicht religiös sei, aber meiner Mutter zuliebe ihren Glauben angenommen habe. Politische Gründe waren hierfür nicht maßgebend. Am 30. Oktober 1934 wurde ich nochmals zu Protokoll einvernommen. Beide Male fragte ich, wann ich enthaftet würde und was mir eigentlich zur Last gelegt werde. Ich konnte aber noch keine bestimmte Erklärung erhalten, es hieß nur, ich müsste vorläufig hier bleiben, denn der Austritt aus der Katholischen Kirche sei ein demonstratives Verhalten. Erst am 3. November 1934 wurde mir das Straferkenntnis mündlich verkündet. Gleichzeitig wurde mir mitgeteilt, dass ich gegen Erlag von S 242,– sofort auf freien Fuß gehen könne. Da dieser Betrag von meinen Angehörigen sofort erlegt wurde, wurde ich gleich darauf entlassen. Ich hatte vorher niemals irgendeine Beanstandung oder Bestrafung und mich überhaupt politisch betätigt, weil ich ja dies schon mit Rücksicht auf meinen Dienst bei der Bausparkasse Wüstenrot /G. d. F. Wüstenrot bei sofortiger Entlassung nicht tun dürfte. Während der Zeit meiner Haft war Herr Rechtsanwalt Dr. Walter Haupolter, Salzburg, Judengasse, wiederholt bemüht, meine Freilassung zu erreichen, jedoch wurde ihm abschlägig Bescheid erteilt. (…) 2. Wie schon erwähnt, waren für meinen Entschluss – zu dessen Rechtfertigung ich eigentlich gesetzlich gar nicht verpflichtet wäre – nur familiäre Gründe maßgebend  ; meine Mutter war von Kindheit an bis zu ihrer Eheschließung protestantisch und ist nur anlässlich der Heirat zum katholischen Glauben übergetreten. Da sie jedoch auch später immer noch innerlich dem evangelischen Glauben zugetan war, nahm sie im Juni dieses Jahres wiederum ihren alten Glauben an. Ich habe mich aus Liebe zu meiner Mutter diesem Glaubenswechsel angeschlossen. Wenn nun diese Tatsachen, d. h. die Ausübung eines jedem großjährigen Staatsbürger nach freiem Ermessen zustehendes Rechtes, von der Behörde zum Anlass einer Hausdurchsuchung, Verhaftung und nachfolgender Bestrafung genommen werden, so liegt hierin eine offenbare Verletzung verfassungsmäßig gewährleisteter Rechte, und zwar der Grundrechte, welche in Artikel 19, 21, 22 und 27 der Bundesverfassung verankert und unter Anrufung Gottes feierlich bekräftigt sind. Diese Maßnahmen können aber nicht dadurch einer Anfechtung vor dem Bundesgerichtshofe entzogen werden, dass 8 Tage später unter Heranziehung der Verordnung vom 19. Mai 1933, B. G. Bl. 185, ein Straferkenntnis gefällt wurde, noch dazu gerade mit einer Arreststrafe in jener Dauer, welche die Überprüfung des Erkenntnisses durch die höhere Instanz ausschließt.

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Auch das Bundesverfassungsgesetz vom 24. September 1934, B. G. Bl. 254, kann nicht so weit ausgelegt werden, dass auch alle ohne vorherigen schriftlichen Bescheid vollzogenen behördlichen Maßnahmen, durch welche zweifellos verfassungsmäßige Rechte verletzt wurden, einer Überprüfung durch den Bundesgerichtshof entzogen sein sollen. Die Beschwerde, welche ich gemäß Artikel 164, Abs. 2, Zl. 1 B. V. G., gegen den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg erhebe, richtet sich in erster Linie gegen die ohne gesetzliche Grundlage (Artikel 19, Abs. 2 bzw. Artikel 22, Abs. 5 der Bundesverfassung) verfügte und vorgenommene Hausdurchsuchung vom 25. Oktober, ferner gegen die ungerechtfertigte Haft vom 25. Oktober bis einschließlich 3. November und letzten Endes auch gegen das Straferkenntnis selbst. (…) Ich stelle daher den Antrag, der Bundesgerichtshof möge unter Aufhebung der von dem Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg verfügten Maßnahmen aussprechen, dass hierdurch die nach Artikel 27, Artikel 19, Artikel 21 und 22 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte verletzt wurden. Da, wie schon erwähnt, wegen ähnlicher Fälle bereits drei Beschwerden anhängig sind, ersuche ich, die Frist zur Erstattung der Gegenäußerung so festzusetzen, dass das Verfahren in den nunmehr vier Fällen gleichlaufend geführt und gleichzeitig entschieden werden kann. Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 3. November 1934 Z. 17.106 Betr.: Johanna Podzeit, Privatbeamtin, Salzburg, Petersbrunnstraße 12 wh. Straferkenntnis S p r u c h    : Die Beklagte hat durch den Austritt aus der Römisch-Katholischen Kirche eine politische Demonstration begangen und dadurch eine Übertretung nach § 1 der Verordnung vom 19.5.1933, B. G. Bl. Nr. 185, begangen. Gemäß § 1 leg. cit. wird gegen die Beschuldigte eine Arreststrafe in der Dauer von 6 Wochen verhängt. Die Bestrafte hat als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens 10 vom Hundert der verfügten Strafe (ein Tag gleich 10 S), das sind S 42,- zu zahlen und die Kosten des Strafvollzuges zu setzen. B e g r ü n d u n g    : Die Beschuldigte ist einer Familie angehörig, die als nationalsozialistisch bekannt ist. Das geht schon daraus hervor, dass in der Wohnung ein Hitler-Bild hängt und ein

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Bruder der Beschuldigten, Theodor, wegen Flucht nach Deutschland ausgebürgert werden musste. Die Beschuldigte gibt selbst an, ganz und gar nicht religiös zu sein und auch nicht aus religiösen Gründen übergetreten zu sein. Aus alldem ist die Annahme der Behörde, dass es sich um einen Übertritt aus politischer Demonstration handelt, zumal der Übertritt zu einer Zeit geschah, als die Nationalsozialisten in Österreich zum Austritt aus der Katholischen Kirche hetzten, als gerechtfertigt anzunehmen und war nach der Verordnung vom 19.5.1933, B. G. Bl. Nr. 185, die Beschuldigte zu bestrafen. R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g    : Im Falle des Verzichtes auf Berufung haben Sie den ausgewiesenen Betrag mittels beiliegendem Erlagscheine innerhalb 8 Tagen anher zu senden. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 16. Jänner 1935 Zl. 8094/3 Betr.: Johanna Podzeit, Festnehmung, Bundesgerichtshofbeschwerde. Gegenschrift Mit Rücksicht auf die im Zuge der nationalsozialistischen Aktionen in demonstrativer Weise erfolgten Massenaustritte aus der Römisch-Katholischen Kirche wurde den Unterbehörden von h. a. nahegelegt, in jenen Fällen, in denen der Austritt aus der Römisch-Katholischen Kirche auf demonstrative Weise oder in demonstrativer Absicht erfolgt, im Sinne der Bestimmungen der Verordnung der Bundesregierung vom 19.5.1933, B. G. Bl. Nr. 185, vorzugehen. Aus diesem Grunde wurden im Stadtgebiete Salzburg von der Bundespolizeidirektion Salzburg sechs Personen festgenommen, darunter am 25. Oktober 1934 auch die Beschwerdeführerin Johanna Podzeit (20.6.1907 in Klagenfurt geb., zust. nach St. Paul i. L./Kärnten, ledig, evang., Privatbeamtin der Bausparkasse »Wüstenrot«, Salzburg, Petersbrunnstraße 12 wohnhaft), welche in weiterer Folge mit dem Straferkenntnisse der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 3. November 1934, Zl. 17.106, wegen Übertretung nach § 1 der vorzitierten Verordnung, begangen durch demonstrativen Austritt aus der Römisch-Katholischen Kirche, mit Arrest in der Dauer von sechs Wochen bestraft wurde. Zu der von Johanna Podzeit durch ihren Rechtsvertreter, Rechtsanwalt Dr. Robert Lippert in Salzburg, gegen die Festnahme eingebrachte Bundesgerichtshofbeschwerde vom 7. Dezember 1934 wird folgende

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Gegenschrift erstattet  : Vorausgeschickt wird, dass Johanna Podzeit nicht – wie in der Beschwerdeschrift angegeben wurde – verhaftet, sondern gem. § 35 V. St. G. festgenommen wurde, ferner dass die Genannte nicht wegen Übertrittes zur Evangelischen Kirche, sondern lediglich wegen ihres in demonstrativer Absicht erfolgten Austritts aus der Römisch-Katholischen Kirche festgenommen und in weiterer Folge gem. Verordnung der Bundesregierung vom 19.5.1933, B. G. Bl. Nr. 185, bestraft wurde. Johanna Podzeit ist einer Familie angehörig, die als nationalsozialistisch amtsbekannt ist, was übrigens auch daraus hervorgeht, dass in der Wohnung derselben ein Hitler-Bild hängt und ein Bruder der Genannten (Theodor Podzeit) wegen Flucht nach dem Deutschen Reiche ausgebürgert wurde. Da Johanna Podzeit, die nach eigener Angabe nicht religiös ist, gerade zur Zeit der regsten Kirchenaustrittspropaganda der Nationalsozialisten in Österreich ihren Austritt aus der Römisch-Katholischen Kirche angemeldet hat, war die Annahme der Behörde, dass es sich um einen nicht aus Überzeugung, sondern in demonstrativer Absicht erfolgten Austritt handelt, wohl gerechtfertigt. Dass die Festnehmung und Bestrafung der Johanna Podzeit nicht wegen ihres Übertrittes zur Evangelischen Kirche erfolgte, somit nicht vielleicht als Akt einer allgemeinen Protestantenverfolgung anzusehen ist, möge schon daraus entnommen werden, dass von den 1179 Personen, welche im Bundeslande Salzburg in der Zeit vom Jänner bis einschließlich Oktober l. J. aus der Römisch-Katholischen Kirche ausgetreten sind (darunter 465 aus dem Stadtgebiete Salzburg) im Ganzen nur 6 Personen (alle aus dem Stadtgebiete Salzburg) aus Anlass ihres in demonstrativer Absicht erfolgten Austrittes festgenommen und bestraft wurden. Übrigens befanden sich unter diesen Festgenommenen auch Personen, die zur Altkatholischen Kirche sowie überhaupt zu keiner anderen Religionsgemeinschaft übergetreten sind. Dafür, dass die Austrittsbewegung von nationalsozialistischer Seite planmäßig durchgeführt wird, ist der Beweis dadurch erbracht, dass in letzter Zeit in Briefen, die aus Deutschland an die Familienangehörigen der österreichischen Legionäre eingelangt sind, die Aufforderung zum Abfall von der Katholischen Kirche ausdrücklich enthalten war und bei vielen Personen, bei denen Hausdurchsuchungen vorgenommen wurden, nicht nur einzelne, sondern zahlreiche Übertrittserklärungsformulare aufgefunden wurden. Weiters ist von vaterländischer Seite eine Liste zur Verfügung gestellt worden, nach welcher im Lager Bad-Aibling allein 223 österreichische Legionäre aus der Katholischen Kirche ausgetreten sind. (…) Im Markte Werfen (Bezirk St. Johann i. Pg.) ist vor einiger Zeit ein ehemaliges Mitglied der NSDAP an den dortigen katholischen Pfarrer mit der Forderung herangetreten dahin einzuwirken, dass zwei Angehaltene, für das Lager Wöllersdorf be-

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stimmte Nationalsozialisten, freigelassen werden, widrigenfalls in Werfen mehrere Personen vom katholischen Glauben abfallen würden. In Lend (Bezirk Zell am See), einem Hauptsitz von Nationalsozialisten und Sozialdemokraten (es befindet sich dort die Aluminiumfabrik), wurde die Austrittsbewegung besonders gut organisiert und sind dort tatsächlich Massenaustritte erfolgt. Trotzdem wurde aus diesem Anlasse nicht eine einzige Person festgenommen oder bestraft, wiederum ein Beweis, dass nur nach gewissenhafter Überprüfung jedes einzelnen Falles eingeschritten wurde. Ferner wird noch erwähnt, dass von der evangelischen Geistlichkeit selbst, so beispielsweise vom Pfarrer Max Reinhard Pätzold in Hallein, besonders aber von dem als radikalen Nationalsozialisten bekannten Pfarrer Gerhard Florey in Salzburg, regste Abfallpropaganda betrieben wird. So hat der Letztgenannte im vorigen Jahre durch Errichtung von sogenannten Predigtstationen bzw. durch Abhaltung von Bibel- und Betstunden Zusammenkünfte von Leuten (auch Nicht-Protestanten), die hauptsächlich Nationalsozialisten waren und mehr Interesse an einer politischen Demonstration als an einer religiösen Übung hatten, ermöglicht. Solche Versammlungen fanden statt  : Gelegentlich einer Wallfahrt des evangelischen Vereines »Salzbund« am Predigtstuhl oberhalb Dürrnberg bei Hallein (österr. Seite) in einem Gasthaus in Itzling (Gemeinde Gnigl), sowie im Gasthaus »Friesacher« in Anif (Bezirk Salzburg), das als Treffpunkt der Nationalsozialisten bekannt war und dessen Besitzer Michael Friesacher einige Monate in einem Anhaltelager interniert war. Da bei diesen Zusammenkünften starke Propaganda nicht nur im Sinne der römisch-katholischen Abfallbewegung, sondern auch im Sinne der NSDAP betrieben wurde, mussten dieselben h. a. verboten werden. (…) Da nach dem Vorgeschilderten angenommen werden musste, dass der Austritt der Johann Podzeit aus der Römisch-Katholischen Kirche im Zuge der nationalsozialistischen Aktionen erfolgte, daher auch eine weitere nationalsozialistische Betätigung der Genannten zu vermuten war, ist auch die vorgenommene Hausdurchsuchung wohl vollkommen gerechtfertigt, wofür der Beweis übrigens dadurch erbracht erscheint, dass bei der Hausdurchsuchung in der Wohnung der Genannten ein aufgehängtes Hitler-Bild gefunden wurde. Zum Schlusse wird noch berichtet, dass Johanna Podzeit über ihre Bitte um gnadenweise Strafnachsicht nach Leistung eines freiwilligen Sühnebetrages von 200 S am 3. November 1934 auf freien Fuß gesetzt und der Genannten mangels gesetzlicher Handhabe zur Gewährung einer Strafnachsicht ein unbefristeter Strafaufschub bewilligt wurde. Unter Berufung auf vorstehende Ausführungen wird der Antrag gestellt  :

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Die gegenständliche von Johanna Podzeit bzw. deren Rechtsvertreter eingebrachten Beschwerden an den Bundesgerichtshof als unbegründet abweisen zu wollen. Bundesgerichtshof Wien, 22. Februar 1935 Zl. A 887/34 An das Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) und den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg. B e s c h l u s s    : Der Bundesgerichtshof hat beschlossen, die Beschwerde der Johanna Podzeit in Salzburg gegen den Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte zurückzuweisen. B e g r ü n d u n g    : Der Anfechtung vor dem Bundesgerichtshof unterliegen Bescheide von Verwaltungsbehörden. Um einen solchen Bescheid annehmen zu können, ist es nicht erforderlich, dass ein Verwaltungsakt einen schriftlichen Niederschlag gefunden hat  ; es genügt, wenn die Verwaltungsbehörde in einer bestimmten Verwaltungsangelegenheit einen rechtsgestaltenden oder rechtsfeststellenden Verwaltungsakt gesetzt hat, mag auch dieser Akt nicht schriftlich niedergelegt worden sein. Im vorliegenden Falle kommen als solche Bescheide in Betracht, die über die Beschwerdeführerin verhängte Haft und die bei ihr vorgenommene Hausdurchsuchung. Nach § 52, Abs. 1, B. G. G., kann ein Erkenntnis des Bundesgerichtshofes, womit einer Beschwerde stattgegeben wird – außer dem hier nicht in Frage stehenden Fall des § 39 B. G. G. – nur lauten auf Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Von der Aufhebung eines Bescheides kann nun im gegebenen Fall nicht die Rede sein  ; denn die Beschwerdeführerin ist, wie aus ihren eigenen Angaben und aus den vorliegenden Verwaltungsakten hervorgeht, schon vor Monaten aus der Haft entlassen worden  ; auch die Hausdurchsuchung ist längst abgeschlossen und bildet in keiner Weise einen noch fortbestehenden Tatbestand. Es ist somit nichts da, was durch ein Erkenntnis des Bundesgerichtshofes noch aufgehoben werden könnte. Zu einem Anspruch, der ohne Aufhebung eines Bescheides lediglich feststellen würde, dass ein Beschwerdeführer durch einen bestimmten Verwaltungsakt in einem verfassungsgesetzlich gewährten Recht verletzt wurde, ist der Bundesgerichtshof nach den für sein Verfahren geltenden Bestimmungen nicht berufen  ; die Vorschrift

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des § 87 Verf. G., die einen solchen Anspruch des Verfassungsgerichtshofes vorsah, ist in das Bundesgerichtshofgesetz nicht übergegangen. Die Beschwerde ist somit hinsichtlich des Begehrens auf Aufhebung der von der Bundespolizeidirektion Salzburg bzw. vom Sicherheitsdirektor des Bundeslandes Salzburg verfügten Maßnahmen gegenstandslos. Soweit sie aber den Anspruch verlangt, dass die Beschwerdeführerin in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde, stellt sie ein Begehren, über das zu erkennen der Bundesgerichtshof nicht berufen ist. Die Beschwerde war daher zurückzuweisen. Dass die wegen des Verdachtes hochverräterischen Verhaltens erfolgten polizeilichen Maßnahmen der Verhaftung und der Hausdurchsuchung mit dem Recht der Glaubens- und Gewissensfreiheit nichts zu tun haben und dass die Beschwerdeführerin durch sie in dieser Richtung nicht verletzt werden konnte, bedarf keines weiteren Beweises. Die Beschwerde erklärt, sich auch gegen das Straferkenntnis der Polizeidirektion Salzburg vom 3. November 1934 zu richten. Dieses Straferkenntnis ist mit Erlass der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit bereits aufgehoben worden  ; davon abgesehen war die Beschwerde in diesem Teil schon nach dem Bundesverfassungsgesetz vom 24. September 1934, B. G. Bl. II Nr. 254, zurückzuweisen. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 25. Jänner 1935 Zahl 8394 ex 1934 (310.772 G. D./St. B. 35) Betreff  : Verein Bergsteigerklub »Bergvolk« in Salzburg  ; behördliche Auflösung. Bescheid. Von Amts wegen ergeht folgender S p r u c h    : Der Verein  : Bergsteigerklub »Bergvolk« in Salzburg, der seinen Rechtsbestand auf die mit Erlass der Landesregierung Salzburg vom 28.1.1930, Zahl 2063/LAD, nicht untersagte Bildung gründet, wird gemäß § 24 des Vereinsgesetzes vom 15.11.1867, R. G. Bl. Nr. 134, hiermit mit sofortiger Wirkung aufgelöst. B e g r ü n d u n g    : Am 10.11.1933 wurde auf einem Hange des Gaisberges ein Hakenkreuzfeuer mit Fackeln abgebrannt. Im Zuge der Täterausforschung konnte in Erfahrung gebracht werden, dass zur Zeit des Abbrennens des Feuers 4 Mitglieder des Vereines im benachbarten Gasthaus anwesend waren.

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Die im Vereinsheim in Hinterwinkl, Gemeinde Aigen, vorgenommene Hausdurchsuchung förderte an belastendem Material 2 Pakete Fackeln und die nationalsozialistische Kampfschrift »Alpenwacht« zutage. Außerdem stehen 4 Mitglieder des aus 14 Mitgliedern bestehenden Vereines im Verdacht nationalsozialistischer Betätigung. Da nach den Lokalverhältnissen und dem vorgefundenen Beweismaterial der begründete Verdacht besteht, dass sich der Verein nationalsozialistisch propagandistische betätigt und eine Zelle einer verbotenen Partei darstellt und somit den Bedingungen seines rechtlichen Bestandes nicht mehr entspricht, war der Verein nach der vorzitierten Gesetzesstelle aufzulösen. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 15. März 1935 Zahl 2866 (318.898 G. D./St. B. 35) Betreff  : Deutscher Turnverein Hofgastein  ; Untersagung der Bildung. Bescheid. Die Proponenten zur beabsichtigten Bildung eines Deutschen Turnvereines in Hofgastein haben am 9. März 1935 hieramts die Statuten mit dem Ersuchen um Nichtuntersagung der Bildung eingereicht. S p r u c h    : Die Bildung obigen Vereines wird gemäß § 6 des Gesetzes vom 15.11.1867, R. G. Bl. Nr. 134, u n t e r s a g t . B e g r ü n d u n g    : Der »Deutsche Turnverein Hofgastein« wurde mit hä. Bescheid vom 10.1, 1934, Zl. 4444/33, wegen Fortsetzung der illegalen nationalsozialistischen Propagandatätigkeit rechtskräftig aufgelöst. Die Proponenten des zu bildenden Vereines, die teilweise dem aufgelösten Turnvereine als Mitglieder angehörten, sind den Erhebungen zufolge alle nationalsozialistischer Gesinnung. Es ist klar, dass eine Vereinsgründung nicht genehmigt werden kann, bei der im Zeitpunkte der Gründung schon dieselben politischen Bedenken bestehen, die seinerzeit für die Auflösung des Vereines maßgebend waren. (…)

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Bundeskanzleramt Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit Wien, 15. März 1935 Geschäftszahl  : 318.564 G. D./St. B. 35 Gegenstand  : Finanzielle Unterstützung für nationalsozialistische Funktionäre in Salzburg. An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. Nach einer verlässlich scheinenden konfidentiellen Nachricht96 erhalten die nationalsozialistischen Funktionäre in Salzburg noch immer einen monatlichen Entgelt von S 80,- aus Deutschland. Bei der letzten Auszahlung sind nur mehr die höheren Funktionäre zum Zuge gekommen, während die übrigen auf den nächsten Monat mit der Begründung vertröstet wurden, dass nicht die entsprechende Menge Geldes aus Deutschland hereingekommen sei. In nationalsozialistischen Kreisen soll hierdurch der Glaube an weitere Unterstützungen von deutscher Seite eine Erschütterung erfahren haben. Hiervon ergeht mit der Einladung die Mitteilung, über allfällige obige Nachrichten verifizierende Wahrnehmungen zu berichten. Bundeskanzleramt Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit Wien, Dezember 1934/März 1935 Geschäftszahl  : 308.386 G. D./St. B. 35 (Vorzahl  : 327.182/34) Gegenstand  : Schriftsteller Karl Heinrich Waggerl97 in Wagrain  ; politisches Verhalten. 96 Aufgrund eines streng vertraulichen Berichtes der Vaterländischen Front Salzburg. 97 Karl Heinrich Waggerl (1897–1973) besuchte nach der Bürgerschule das Lehrerseminar in Salzburg, diente als Offizier im 1. Weltkrieg, in dem er in italienische Kriegsgefangenschaft geriet, aus der er erst 1920 zurückkehrte. Anschließend wirkte er als Lehrer in Wagrain, schied jedoch bereits 1923 wegen einer Lungenkrankheit aus dem Schuldienst. Er übte verschiedene Berufe aus und veröffentlichte 1930 seinen Romanerstling »Brot«, der von Adalbert Stifter und Knut Hamsun beeinflusst war. In den folgenden Jahren wurde er mit den Romanen »Schweres Blut« und »Das Jahr des Herrn« als Erzähler des Einfachen seiner dörflichen Umgebung bekannt. 1935 wurde er Ehrenbürger der Gemeinde Wagrain, für die er sich als Tourismusdestination einsetzte. Er erhielt 1934 den »Österreichischen Staatspreis« für sein schriftstellerisches Werk. Waggerl wurde nach dem Einmarsch von den Nationalsozialisten für ihre Zwecke instrumentalisiert und war 1940/41 Bürgermeister von Wagrain. Nach dem 2. Weltkrieg wurde er durch seine Mitwirkung am Salzburger Adventsingen sowie durch zahlreiche Lesereisen im gesamten deutschen Sprachraum bekannt. 1970 erschienen seine »Sämtliche Werke« im Salzburger Otto Müller Verlag. 1957 erhielt er den Adalbert-Stifter-Preis und wurde 1973 Ehrensenator der Universität Salzburg. Er starb im selben Jahr an den Folgen eines Verkehrsunfalls.

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Guido Zernatto98 Schwindgasse 5 Wien IV. Wien, 5. Dezember 1934. Hochverehrter Herr Staatssekretär  !99 Wie ich bereits mündlich vorbringen konnte, wird der Salzburger Dichter Karl Heinrich Waggerl, der auch Mitglied des Verbandes Katholisch-deutscher Schriftsteller ist, von den lokalen Sicherheitsbehörden (er wohnt in Wagrain, Salzburg) offenbar als politisch unverlässlich betrachtet und ist Hausdurchsuchungen und anderen Unannehmlichkeiten ausgesetzt. Ich darf dazu in meiner Eigenschaft als geschäftsführender Präsident des Verbandes Katholischer Schriftsteller und auch persönlich mitteilen, dass mir Herr Waggerl seit vielen Jahren bekannt ist und sicherlich auch kein Grund zur Annahme besteht, dass er sich in irgendeiner illegalen Organisation betätigt hätte. Diese Versicherung hat mir Herr Waggerl, wiewohl ich ohnedies davon überzeugt war, auch noch mündlich und schriftlich gegeben. Aus diesem Grunde erlaube ich mir, an Sie, hochverehrter Herr Staatssekretär, die Bitte zu richten, die betreffenden Sicherheitsbehörden freundlichst davon verständigen zu wollen, dass gegen die Person des mehrmals Genannten möglich keinerlei weitere Amtshandlungen vorgenommen werden. Diese meine Bitte wird wohl auch durch den Umstand besonders unterstützt, dass das Werk Waggerls zum bedeutendsten gehört, was die junge österreichische Generation seit dem Kriege auf dem Gebiet der deutschen Literatur geleistet hat. Durch sein Werk hat der Dichter sicherlich so viel Positives für Österreich getan, dass, selbst wenn kein anderer Grund vorläge, allein dieser Umstand genügend für ihn sprechen würde. Ich weiß, dass Sie, hochverehrter Herr Staatssekretär, naturgemäß für die Angelegenheiten der Dichtung das größte Verständnis haben und danke Ihnen schon im Voraus für Ihre liebenswürdige Einflussnahme. (…) 98 Guido Zernatto (1903–1943) war Schriftsteller, 1929 Sekretär der Bundesführung des Heimatschutzes, 1930/31 des Heimatblocks, 1934 Bundeskulturrat und ab Mai 1936 Staatsekretär im Bundeskanzleramt und Generalsekretär der Vaterländischen Front, ab Februar 1938 Minister ohne Portefeuille. 1936 bis 1938 führte er im Auftrag der Bundesregierung auch Verhandlungen mit den Nationalsozialisten mit dem Ziel eines Ausgleichs mit dem gemäßigten Flügel und damit einer Spaltung der NSDAP. 1938 floh er nach Frankreich, 1940 in die USA, wo er bis zu seinem Tod Ass. Prof. für Politikwissenschaft an der Fordham University war. Vgl. Zernatto  : Die Wahrheit über Österreich. 99 Hans Hammerstein-Equord, Staatssekretär für das Sicherheitswesen vom 29. Juli 1934 bis 17. Oktober 1935.

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Bundeskanzleramt Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit Wien, Dezember 1934 An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. Von sehr beachtenswerter Seite ist die Mitteilung anher gelangt, dass der Salzburger Dichter Karl Heinrich Waggerl, Mitglied des Verbandes Katholisch-deutscher Schriftsteller, von den lokalen Sicherheitsbehörden als politisch unzuverlässlich betrachtet wird und daher Hausdurchsuchungen und anderen Unannehmlichkeiten ausgesetzt ist. Die Annahme der politischen Unzuverlässlichkeit ist angeblich absolut unzutreffend und soll Waggerl in seinen dichterischen Werken viel Positives für Österreich geleistet haben. Es ergeht die Einladung, über die Person des Dichters Karl Heinrich Waggerl, speziell im Hinblick auf sein politisches Verhalten, eingehend informativ zu berichten. Weiters wolle verfügt werden, dass Amtshandlungen gegen Waggerl nur nach genauer Überprüfung des Tatbestandes durchgeführt werden. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 31. Jänner 1935 Zl. 8979/3 zu G. D. 327.182 St. B. vom 11.12.1934. Betr.: Waggerl Karl Heinrich in Wagrain  ; politisches Verhalten. Wird dem Bundeskanzleramt G. D. – St. B. in Wien zur Kenntnisnahme vorgelegt. Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau St. Johann im Pongau, 16. Jänner 1935 Im Auftragsvollzug wird aufgrund dezidierter Angaben seitens vernommener, vollkommen objektiv und verlässlich zu wertender Persönlichkeiten Folgendes berichtet  : Schriftsteller Karl Heinrich Waggerl schien seinerzeit den nationalsozialistischen Kreisen sehr nahezustehen, vielmehr mit diesen stärker zu sympathisieren, obzwar ihm nie eine aktive Betätigung in der NSDAP nachgewiesen werden konnte. Er wurde von den ihn persönlich kennenden Nationalsozialisten und von den Wagrainer Hitler-Anhängern überhaupt fast ausnahmslos mit dem Hitlergruß gegrüßt, was ihn immer sichtlich besonders erfreut berührt hat, ohne etwa aber auf diese Grußart in der gleichen Weise zu reagieren.

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Weiters zählte der ehemals in Wagrain kürzere Zeit die Praxis ausübende und als radikaler Hitler-Anhänger behördlich bekannte Arzt Dr. Otto Radauer zu seinen Freunden. (…) Endlich scheint Schriftsteller Waggerl in der Liste der Mitglieder der Vaterländischen Front in Wagrain, die insgesamt 246 Personen bzw. Mitglieder umfasst, als erst am 5.11.1934 angemeldet unter ftl. Zl. 235 auf und trägt seine gegenständliche Mitgliedskarte die Nr. 708.245. Waggerls bezieht als Volksschullehrer i. R. eine Pension, ist als Kriegsinvalide Inhaber einer Tabaktrafik in Gastein und dürfte daher schon seit März 1934 als Mitglied des Trafikantenverbandes der Vaterländischen Front angehören. Seit einigen Monaten, insbesondere aber seitdem er, wie bekannt, von der vor kurzem in Festsaal der Akademie der Wissenschaften in Wien stattgehabten Feier anlässlich der Verleihung des Großen Staatspreises für die Bildende Kunst, die Literatur und die Musik als Träger des Würdigungspreises für Literatur heimgekehrt ist, ist bei ihm ein augenfälliger Gesinnungsumschwung zum vaterländischen Gedanken feststellbar. Im Gegensatz zu seinen früheren mehr reservierten Wesen gegenüber vaterländisch gesinnten Personen verkehrt er jetzt nahezu ausschließlich in staatsfreundlichen Kreisen und nimmt jeder, der nun mit ihm persönlich in Berührung kommt, den Eindruck mit, dass Schriftsteller Waggerl nunmehr ein durchaus loyaler und verlässlicher Österreicher ist. Hausdurchsuchungen wurden beim Schriftsteller Waggerl überhaupt noch keine und Briefkontrollen schon seit 18.12.1934 nicht mehr vorgenommen. Schreiben des Herrn Staatssekretärs an Guido Zernatto Wien, 8. Februar 1935. Sehr geehrter Herr Zernatto  ! In Beantwortung Ihres Schreibens vom 5. Dezember 1934 beehre ich mich Ihnen mitzuteilen, dass ich verfügt habe, dass Amtshandlungen gegen den Schriftsteller Karl Heinrich Waggerl nur nach genauer Prüfung des Tatbestandes durchgeführt werden. Der Genannte hat sich übrigens das Misstrauen, das ihm von der Behörde eine Zeitlang entgegengebracht wurde, selbst zuzuschreiben, da er bis vor wenigen Monaten vorwiegend mit radikal eingestellten Nationalsozialisten verkehrte. (…)

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Bundeskanzleramt Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit Wien, 8. Februar und 25. März 1935 Geschäftszahl  : 307.970 G. D./St. B. 35 (Vorzahl  : 238.858 St. B. 34) Gegenstand  : Gemeinschaft der Freunde »Wüstenrot«  ; nationalsozialistische Umtriebe der Angestelltenschaft in Salzburg. Auszug aus dem Gesuch des Ing. Anton Hurka, Graz IV., Landkai 73/2. (…) meine österreichische Gesinnung war mit die Ursache zur Kündigung meines auf Lebenszeit versprochenen Dienstverhältnisses bei der Bausparkasse Gemeinschaft der Freunde »Wüstenrot« in Salzburg. Durch mein offenes Eintreten für ein aufrichtiges, anständiges und eindeutiges Verhalten der Bausparkasse »Wüstenrot« zur österreichischen Regierung, zu jener Regierung, von welcher sie sich die so bedürftige geldliche Unterstützung mit allen Mitteln beschaffen wollte, habe ich mir die Missgunst Wüstenrots zugezogen. Ich musste daher als Fremdkörper, trotz meiner langjährigen treuen Dienstleistung und wiederholt anerkannten und sogar veröffentlichten Tüchtigkeit, aus dieser nationalsozialistischen Betriebszelle ausscheiden. Es ist dies auch nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass in diesem Hause das Abzeichen aller vaterländisch Gesinnten, die rot-weiß-roten Farben, als Sumpfpflanze bezeichnet werden konnte. Bundespolizeidirektion Salzburg, Salzburg, 31. Jänner 1935 Zl. 1/7-res-35. Betreff  : Auskunft über die Beamtenschaft der Gemeinschaft der Freunde »Wüstenrot«. An den Herrn Regierungskommissär für die Privatwirtschaft der Länder Oberösterreich und Salzburg in Linz. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich zu berichten, dass der Beamtenapparat der Gemeinschaft der Freunde »Wüstenrot« seit jeher als eine Hochburg regierungsfeindlicher und hochverräterischer Aktionen bezeichnet wurde und diese summarische Beschuldigung bis auf wenige Ausnahmen der bei der »Wüstenrot« beschäf-

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tigten Beamten aufgrund vorliegender Beweise und vorliegender Geständnisse der Beschuldigten erwiesen erscheint.100 Es ist nicht einem Zufall zuzuschreiben, dass die Leitung des bewaffneten Putschversuches in den Julitagen v. Js. in den Händen von Beamten der »Wüstenrot« gelegen ist. Hat es sich um die Abbrennung eines Hakenkreuzes am Mönchsberg gehandelt, so war ein Beamter der »Wüstenrot« dabei, der überdies zu Unrecht das Abzeichen der Vaterländischen Front getragen hat, um die Organe zu düpieren. Beim Schmuggel von Propagandamaterial, bei Appellübungen, bei der Verleitung von Beamten zum Missbrauche der Amtsgewalt, bei der Anstiftung zur Spionage war ein Beamter der »Wüstenrot« aktiv beteiligt. Wie oben bereits erwähnt, ist seitens der 4 Beamten Friedrich Kaltner, Franz Martin, Anton Gundringer und Alfred Keck der Überfall auf die Gendarmerie-Posten in Liefering, Seeham, Mattsee, Berndorf, Seekirchen, Lamprechtshausen usw. organisiert, anbefohlen und durch verschiedene Fememord-Drohungen auch erzwungen worden. Am selben Tage, das war der 27. Juli v. Js., wurde auch von Friedrich Kaltner der Auftrag zum Überfall auf die Bundespolizeidirektion und die Polizeikaserne in Salzburg erteilt, wobei gleichzeitig auf den Polizeidirektor und den Sicherheitsdirektor Attentate zu verüben gewesen wären. Es ist mehr als gewiss, dass nicht nur die genannten Beamten, sondern vornehmlich die bei der »Wüstenrot« beschäftigten reichsdeutschen Beamten sich an diesen Aktionen beteiligt haben werden. Die Bevölkerung verlangt deshalb mit Recht einen Austausch dieser Beamtenschaft, um Wiederholungsfällen in Erfolg versprechender Weise vorzubeugen. (…) Es ist (…) erwiesen, dass Beamte der »Wüstenrot«, in deren Händen die politische Leitung der NSDAP gelegen war, Drahtzieher der bewaffneten Aktionen gegen die Sicherheitsexekutive waren. Es wurde deshalb seit diesem Zeitpunkte von der vaterländischen Bevölkerung mit Recht die Einsetzung eines Regierungskommissärs gefordert. Die Bundespolizeidirektion hat jedoch sich den Bedenken der Zentralstelle angeschlossen, zur Vermeidung eines für die Bausparer ungünstigen Eindruckes von dem 100 1921 gründete der Drogist und Naturfreund Georg Kropp die Gemeinschaft der Freunde Wüstenrot (GdF) in der württembergischen Ortschaft Wüstenrot bei Hellbronn. Drei Jahre später bildete sich innerhalb des Vereins die Bausparkasse der Freunde Wüstenrot. 1930 wurde der Sitz des florierenden Unternehmens gegen den Widerstand Kropps von Wüstenrot nach Ludwigsburg verlegt, worauf sich Kropp von allen Funktionen zurückzog. Die GdF wurde in eine gemeinnützige G. m. b. H. umgewandelt, deren Vorsitzender Gustav Hermann Schuon war, der nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten abgesetzt wurde. 1930 eröffnete die deutsche Wüstenrot Bausparkasse einen österreichischen Ableger in Salzburg, der nach 1933 zu einer Hochburg der illegalen Nationalsozialisten wurde. Im April 1938 wurde sogar eine Ehrentafel für jene Mitarbeiter des Unternehmens errichtet, die unter Lebensgefahr, Kerker und Verfolgung treu zur NS-Ideologie standen.

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Antrage betreffend die Einsetzung eines Regierungskommissärs Abstand zu nehmen und sich der Anregung des Herrn Regierungskommissärs für die Privatwirtschaft auf Einsetzung von drei österreichischen Verwaltungsräten und dem Austausche von mindestens 5 Beamten durch Kandidaten der einzelnen Wehrformationen angeschlossen. An dieser Stelle wird deshalb auch der Antrag gestellt, dass die Beamten der »Wüstenrot« Walter Ratzka, Willi Bochmann, Anton Schäffer, Franz Oehling und Emanuel Karlowitsch, gegen die aus Kreisen der vaterländischen Bevölkerung, vornehmlich aus Kreisen des Salzburger Heimatschutzes, Anzeigen erstattet wurden, ausgetauscht werden mögen. (…) Bundeskanzleramt Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit Wien 27. Februar 1935 Geschäftszahl  : 307.827 G. D./St. B. 35. Gegenstand  : Ing. Bandian Alexander, Feldmarschallleutnant a. D., Mitglied der NSDAP. Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 28. Jänner 1935 Zl.: 1/5-res-35. Betreff  : Feldmarschall-Leutnant a. D. Ing. Alexander Bandian  ; Auskunft über die Mitgliedschaft der NSDAP. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St. B., in Wien I., Herrengasse 7. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich, das Ersuchen zu stellen, anher bekannt geben zu wollen, ob in der dortigen Kartothek der Nationalsozialist Ing. Alexander Bandian als eingeschriebenes Mitglied der NSDAP aufscheint. Derselbe wohnt in Maxglan und dürfte in der Ortsgruppe Maxglan eingetragen worden sein. Der Genannte ist Aufsichtsrat der Gemeinschaft der Gemeinschaft der Freunde »Wüstenrot«, gegen die derzeit beim Bundeskanzleramt ein Verfahren zur Austrofizierung im Zuge ist.

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Bundeskanzleramt Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit Wien, 23. Februar 1935 Zur Zahl 1/5-res-35 vom 28.1.1935. An die Bundespolizeidirektion in Salzburg. In Erledigung der obzitierten Anfrage ergeht die Mitteilung, dass Feldmarschall-­ Leutnant a. D. Alexander Bandian, Maxglan, Bräuhausstraße Nr. 4a wohnhaft, laut den hierorts befindlichen Mitgliederverzeichnis am 13. Mai 1933 der NSDAP als Mitglied beigetreten ist (Mitgliedsnummer 1220, Fas. 34). Bundeskanzleramt (Abschrift) Wien, 29. September 1934 Zl.: 248.886-3/1934. Betr.: Springenschmid. Der Herr Bundeskommissar für Personalangelegenheiten101 wurde auf nachstehenden Sachverhalt aufmerksam gemacht  : Fachlehrer Springenschmid, der geistige Führer des Nationalsozialistischen Lehrerbundes, soll noch am 21. März 1933 in Salzburg den Ausspruch gemacht haben  : »In dieser Stunde von Österreich zu reden, österreichisch erziehen zu wollen, ist ein Verbrechen, ist lächerlich«. Der Genannte sei jetzt nach St. Johann versetzt worden, wo eine große Anzahl von Nationalsozialisten vorhanden sein soll.102 Im Übrigen soll die Zeitung des Salzburger Landeslehrervereines, die von Springenschmid redigiert wird, ihrer Schreibart nach eine Belastung sein.

101 Sektionschef Dr. Josef Arbogast Fleisch. 102 Zum Nationalsozialismus in St. Johann im Pongau vgl. Robert Stadler, Michael Mooslechner  : St. Johann/Pg 1938–1945. Das nationalsozialistische »Markt Pongau«. Der »2. Juli 1944« in Goldegg. Widerstand und Verfolgung. – Eigenverlag 1986. S. 25–33.

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 22. Jänner 1935 De Zl. 5371/9 (zu Zahl 248.886-3/1934) Betr.: Karl Springenschmid, Fachlehrer, politisches Verhalten. An den Herrn Bundeskommissär für Personalangelegenheiten im Bundeskanzleramt in Wien. In Entsprechung des obzit. d. a. Erlasses wird Folgendes berichtet  : Karl Springenschmid, Fachlehrer, 19.3.1897 in Innsbruck geb., nach Wagrain, Bezirk St. Johann i. Pg. zus., kath., verh., ist h. a. als geistiger Führer des ehemaligen Nationalsozialistischen Lehrerbundes bekannt. Er war bis zum Verbote der NSDAP eifriges Mitglied derselben und dürfte es auch heute noch sein, doch konnte bis nun nie der Beweis erbracht werden, dass er sich illegal für die NSDAP betätigte. Springenschmid gab im Jahre 1933, bereits nach dem Verbot der NSDAP, im Verlag Ernst Wunderlich in Leipzig ein Buch heraus mit dem Titel »Die Staaten als Lebewesen. Geopolitisches Skizzenbuch.« Dieses Werk fand in der deutschen Presse guten Anklang und wurde in der Zeitschrift »Der Ring«, Führerblatt des Gebietes 20 (Württemberg) der Hitlerjugend vom August 1934 in einem Artikel »Die Staaten als Lebewesen« erwähnt, dass dieses Buch einen außerordentlich wertvollen Anfang für einen Bildungsweg bedeutet und dass es in die Hand eines jeden HJ-Führer gehört, der sich ernsthaft und sachlich mit Politik beschäftigt. Fachlehrer Springenschmid hielt nach dem Verbote der NSDAP und sogar noch im Jahre 1934 in der Handelsschule in Salzburg geopolitische Vorträge, die sich eines regen Besuches erfreuten. Die Besucher waren durchwegs aus nationalen und ehemals nationalsozialistischen Kreisen. Bei diesen Vorträgen kam es zu Unzukömm­ lichkeiten, da Springenschmid die österreichische Frage unzweideutig mit der deutschen im Sinne der NSDAP verquickte, sodass ihm untersagt wurde, Deutschland bei seinen Vorträgen zu berühren. Daraufhin stellte Springenschmid seine Vorträge ein. Im Zuge des wegen Verdachtes der illegalen Betätigung für die NSDAP eingeleiteten Verfahrens behauptete Springenschmid, dass das geopolitische Skizzenbuch von der Staatsanwaltschaft Salzburg und auch von der Bundespolizeidirektion in Wien als unbedenklich erklärt wurde. Die diesbezüglichen Erhebungen haben ergeben, dass die Staatsanwaltschaft Salzburg tatsächlich mit Beschluss vom 5. Mai 1934, Zl. IV NST 388/33, eröffnet hat, dass der Inhalt des Druckwerkes »Die Staaten als Lebewesen« von Karl Springenschmid keinen nach dem Strafgesetz zu beurteilenden Strafbestand begründet und

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auch die Bundespolizeidirektion Wien sich dahin geäußert hat, dass ihrer Meinung nach in der Verbreitung des geopolitischen Skizzenbuchs »Die Staaten als Lebewesen« keine Betätigung für die NSDAP und somit auch keine Übertretung der Verordnung der Bundesregierung vom 19.6.1933, B. G. Bl. 240, zu erblicken ist. Fachlehrer Springenschmid war bis zur behördlichen Einstellung der Zeitschrift des Salzburger Landeslehrervereines »Die Salzburger Schule« verantwortlicher Schriftführer derselben. Diese Zeitschrift wurde über Antrag des Landesschulrates von h. a. eingestellt, da die (…) erschienen Aufsätze »Österreich in Geschichte und Gegenwart«, »Dr. Karall, der Kroatenführer, Landesstatthalter im Burgenland«, »Mehr Latein, weniger Deutsch«, »Drei Ernennungen …«, »Das Mandat Langthaler zu Fall gebracht« ausnahmslos die Verbundenheit Österreichs mit dem Gesamtdeutschtum betonen, während Österreich mit Stillschwiegen übergangen oder in seinen Einrichtungen herabgesetzt wird. Ob Springenschmid tatsächlich die im obzit. d. a. Erlass erwähnten Äußerungen gemacht hat, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. Im November 1934 wurde von der Disziplinarkommission für Volks- und Hauptschullehrer beim Landesschulrate in Salzburg über Karl Springenschmid die Strafe der Versetzung verhängt. Das Berufungsverfahren ist seit ungefähr Mitte Dezember v. Js. beim Bundesministerium für Unterricht anhängig. Die verfügte Versetzung des Genannten, welcher derzeit vom Dienste suspendiert ist, nach St. Johann i. Pg. wurde daher noch nicht durchgeführt. Bundesministerium für Unterricht Geschäftszahl  : 4 1 1 – I/4 (Miterledigte Zahlen  : 39.465/34) Gegenstand  : LSR f. Salzburg, Karl Springenschmid, Hauptschullehrer in Salzburg, Disziplinarerkenntnis, Berufung des Disziplinaranwaltes und Beschuldigten. Anlass zum Einschreiten gegen Hauptschullehrer Springenschmid war der Artikel »Also sprach Herr Springenschmid« in den Mai-Nummer 1933 der Zeitschrift »Vaterland. Blätter f. kath. Österreichtum.« In diesem Artikel wird eine Rede Springenschmids vom März 1933 im »Nationalsozialistischen Lehrerbund« wiedergegeben, in der das Österreichertum in abfälliger Weise kritisiert wird und nationalsozialistische Doktrinen verherrlicht erscheinen. Springenschmid wurde im September 1933 bezüglich dieser Rede vom Stadtschulinspektor einvernommen, wobei er erklärte, die Rede stelle nur seine persönliche Auffassung dar und habe mit seiner Lehrtätigkeit nichts zu tun. Inzwischen hatte Springenschmid in der »Salzburger Schule« (einer Lehrerzeitung) einige Aufsätze veröffentlicht (»Vom Wesen des autoritären Staates«, »Ein wackerer Schweizer und doch ein guter Deutscher« usw.). Diese Ausätze verraten ohne

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weiteres die Absicht des Schreibers, auf die Lehrerschaft in nationalsozialistischem Sinne einzuwirken. Die Märznummer dieses Blattes wurde vom Landesschulrat der Disziplinarkommission vorgelegt. Die Kommission stellte die Sache am 27.4.1934 vorläufig zurück, weil sie annahm, dass Springenschmid sich in einem »seelischen Umformungsprozess« befinde und ihm der Weg zur Rückkehr nicht abgeschnitten werden solle. Ein ausführlicher Bericht des Stadtschulinspektors Lindenthaler (…) vom 12.4. dürfte für diesen Beschluss maßgebend gewesen sein. Im 6. Heft 1934 der »Salzburger Schule« erschienen neuerdings Aufsätze in der erwähnten Tendenz. Der Landesschulrat legte dieses Heft am 3.6.1934 dem Bundeskommissär für Personalangelegenheiten vor, welcher mit Bescheid vom 24.7.1934, Z. 205.390/3/34, Springenschmid unter Kürzung der Bezüge auf 2/3 vom Dienste enthob. Die Disziplinarkommission befasste sich in der Sitzung vom 21.8.1934 wieder mit dem Fall und beschloss, gegen Springenschmid wegen der inkriminierten Artikel das Disziplinarverfahren einzuleiten. Springenschmid protestierte durch einen Rechtsanwalt gegen die Einleitung des Disziplinarverfahrens, weil bereits ein Verfahren beim Bundeskanzleramt anhängig sei. Dieser Protest war jedoch, wie später in der Verhandlung auch festgestellt wurde, hinfällig, weil der Bundespersonalkommissär den Landesschulrat zur Einleitung des Disziplinarverfahrens selbst eingeladen hatte. In der Sitzung der Kommission vom 13.11.1934 (…) wurden die einzelnen Aufsätze genau besprochen. Es wurde auch festgestellt, dass Springenschmid nunmehr auch in einer vaterländischen Zeitschrift einen – allerdings ganz farblosen – Artikel veröffentlicht habe. Der Disziplinaranwalt beantragte Pensionierung mit einer Kürzung von 30 Prozent. Die Kommission beschloss, über Springenschmid die Disziplinarstrafe der Versetzung an eine andere Dienststelle nach § 70, Abs. 1, lit. B, LDP, B. G. Bl. Nr. 10 aus 1927, zu verhängen. (…) Gegen dieses Erkenntnis hat der Disziplinaranwalt unter Wiederholung seines Antrages in der ersten Sitzung (Pensionierung unter 25prozentiger Kürzung) rechtzeitig Berufung erhoben und ausgeführt, dass die milde Behandlung des Springenschmid eine Ermunterung für die Lehrerschaft wäre, im Sinne der Tendenzen des Genannten zu arbeiten. Am 5.1.1935 wurde vom Landesschulrat eine Berufung des Lehrers Springenschmid vorgelegt, die gleichfalls als fristgerecht bereichnet werden muss, da das Erkenntnis am 7.12.1934 zugestellt erscheint und die Berufung am 20.12.1934 zur Post gegeben wurde (Berufungsfrist 14 Tage). In den Berufungsausführungen wird von Springenschmid eingewendet, dass die Anschuldigungen nicht unmittelbar mit den Standes- und Amtspflichten zusammenhängen, dass er schon vor langer Zeit sich bemüht habe, in vaterländischem und heimattreuem Sinne zu wirken und durch Aufsätze in Zeitschriften aufklärend zu arbeiten, dass auch die inkriminierten Aufsätze nicht als staatsfeindlich angesehen werden können, dass er für seine Verdienste um das Schulwesen oft belobt worden sei und dass er niemals eine pressepolizeiliche Be-

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anstandung gehabt hätte. Wenn er Artikel veröffentlichte, die über den rein fachlichen Charakter hinausgingen, habe er auf die verfassungsmäßig gewährleisteten Rechte der freien Meinungsäußerung und der Freiheit von Wissenschaft und Lehre vertraut. Ferner bitte er berücksichtigen zu wollen, dass er für Frau und 3 Kinder und seine alten Eltern zu sorgen habe. Er ersucht durch einen ausgewiesenen Anwalt um Freispruch bzw. Minderung der Strafe, allenfalls um Umwandlung in eine Ordnungsstrafe. (…) Die Lektüre der vorgelegten Nummer 3 und 6 aus 1934 des Lehrerblattes »Die Salzburger Schule« lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, welche Absichten Hauptschullehrer Springenschmid mit seinen Aufsätzen verfolgte. Im Bewusstsein seines Einflusses auf die Lehrerschaft war ihm darum zu tun, durch eine freimütige Schreibweise der Autorität der Behörden Schaden zu bereiten. Er wollte der Lehrerschaft ein Beispiel geben, wie man trotz aller Mahnungen und Androhungen der Schulbehörden seine nationalsozialistischen Anschauungen hochhalten und zum Ausdruck bringen könne. Es ist ein Zeichen besonderer Unverfrorenheit, wenn ein öffentlicher Angestellter, der durch sein politisches Verhalten sich bereits die Aufmerksamkeit der Dienstbehörde zugezogen hatte, den Mut finden konnte, in einer für Standeskollegen bestimmten Zeitschrift Aufsätze zu veröffentlichen, die offenkundig die Bestrebungen der Behörden auf Befriedung der Bevölkerung und vaterlandstreue Haltung der öffentlichen Beamten zuwiderlaufen. Das Verhalten des Beschuldigten war umso verwerflicher, als dadurch andere Personen im öffentlichen Dienste zu Pflichtwidrigkeiten verleitet werden konnten, die dann diese Handlungen möglicherweise schwer zu büßen hatten. Die hauptsächlich in Betracht kommenden Aufsätze sind im Erkenntnis der 1. Instanz aufgezählt, sie sind jedoch keineswegs vollzählig. Fast auf jeder Seite der erwähnten Nummern finden sich Anspielungen auf die NSDAP oder abfällige Bemerkungen über die Verhältnisse in Österreich. (…) Den Gipfelpunkt dessen, was sich Springenschmid erlaubte, bildet wohl die absichtliche Aneinanderreihung des Aufsatzes über die Rede des Herrn Bundesministers für Unterricht bezüglich der Auslegung der Begriffe »Protektion«, »Korruption«, »Denunziantentum« und des Artikels »Bei Einstein ist alles relativ«. Wenn man bedenkt, dass diese Aufsätze im Juni/Juli-1934 – Heft erschienen sind, und wenn man weiß, welchen Anschlag die Anhänger der NSDAP in Österreich damals in Vorbereitung hatten, kann man Sinn und Zweck dieser Aufsätze verstehen und muss man zu der Überzeugung kommen, dass im vorliegenden Disziplinarfalle Schuld und Strafe in keinem Verhältnisse stehen, dass die strafweise Versetzung des Genannten nicht nur eine unzureichende Sühne für seine verderblichen Handlungen, sondern auch eine unzulängliche Sicherungsmaßnahme für das übrige Lehrpersonal und die Schuljugend vor staatsfeindlichen Einflüssen darstellt. Die Schulbehörden haben im Falle Springenschmid Langmut genug bewiesen. Die Lehrperson hat das Recht auf ihre Stellung an einer öffentlichen Schule verwirkt.

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Mit Rücksicht auf die schuldlose Familie soll sie noch einen Versorgungsgenuss aus öffentlichen Mitteln haben. In diesem Sinne wäre dem Antrage des Disziplinaranwaltes auf Verschärfung der Strafe Folge zu geben und die Disziplinarstrafe der Versetzung in den dauernden Ruhestand auszusprechen. Von der Kürzung der Pension wäre mit Rücksicht darauf, dass Springenschmid nur 25 Dienstjahre aufweist, verheiratet ist und 3 Kinder hat und 35prozentiger Kriegsinvalide ist, Abstand zu nehmen. (…) Die Einwendungen des Beschuldigten waren zur Beurteilung des Falles ohne Belang. Der Berufungsantrag auf Milderung der Strafe bzw. Freispruch erscheint völlig unbegründet. Der Vollzug dieses Erkenntnisses ist nach § 105 LDP zu veranlassen. Bundeskanzleramt Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit Wien, 29. Jänner 1935 Geschäftszahl  : 306.817 G. D./St. B. 35 (Nachzahlen  : 355.976/35 St. B.) Gegenstand  : Scharl Franz in Lamprechtshausen  ; Entziehung der Tabaktrafik. Der Trafikant Franz Scharl wurde am 18. September 1934 von der Bezirkshauptmann­ schaft in Salzburg nach § 1 der Verordnung vom 11. Juli 1933, B. G. Bl. Nr. 300, mit 14 Tagen Arrest bestraft, weil er die Übertragung von Hetzreden gegen Österreich im Radio vor einem größeren Personenkreis veranlasst hat. Er hat außerdem versucht, aus politischen Gründen seinen Schwager zum Austritt aus der Heimwehr zu bewegen. Im Hinblicke auf diese Bestrafung wurde von der Finanzlandesdirektion in Salzburg dem Scharl die Tabaktrafik entzogen. In einer von ihm eingebrachten Beschwerde macht Scharl geltend, dass er ein Gnadengesuch um Aufhebung der Strafe eingebracht habe, da die Anschuldigungen gegen ihn aus Gehässigkeit erfolgt seien. Wie das Gendarmerie-Postenkommando Lamprechtshausen berichtet, ist Scharl nach dem Juliputsch der Vaterländischen Front beigetreten. Für den ihm zur Last gelegten Tatbestand sind zwei Zeugen vorhanden, die die nationalsozialistische Einstellung des Scharl bekunden und vertrauenswürdig erscheinen. Scharl ist 75prozentiger Invalide, hat 5 Kinder im Alter von 1 bis 12 Jahren und ist nicht in der Lage, von den Erträgnissen des von ihm geführten Schneidergewerbes allein die Familie zu versorgen. Sein Ansuchen um Wiederverleihung der Trafik wird von der Ortsgruppe Oberndorf und der Landesführung Salzburg des Kriegsopferverbandes sowie vom Österreichischen Gewerbebund befürwortet. (…) Das Bundesministerium für Finanzen mittelt den Akt mit der Ermächtigung der Finanzlandesdirektion in Salzburg, dem Franz Scharl die Trafik probeweise wiederzuverleihen anher zur Abfertigung. Die Wiederverleihung erfolgt auf eine Probezeit

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von 2 Jahren gegen jederzeitigen Widerruf und unter der Voraussetzung der Abgabe einer im Einvernehmen mit dem Sicherheitsdirektor vorzuschreibenden Loyalitätserklärung. Nach Ablauf der Probezeit wird die Finanzlandesdirektion neuerlich zu beantragen haben. Bundeskanzleramt Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit Wien, 17. Jänner 1935 Geschäftszahl  : 303.792 G. D./St. B. 35 Gegenstand  : Dr. Sprenger Emil,103 Lamprechtshausen, Vermögensbeschlagnahme. Staatsrat Glaise-Horstenau104 hat in der gegenständlichen Angelegenheit interveniert  ; es ist für den Herrn Staatssekretär105 eine Information anzufertigen. Da die Kanzleiauskunft in der gegenständlichen Angelegenheit weder h. o. noch in der Abt. G. D. 2 bisher ein Akt gelaufen ist, wäre ein Bericht des Sicherheitsdirektors für Salzburg einzufordern. Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. 103 Dr. Emil Sprenger (1893–19  ?) war seit 1924 Sprengelarzt in Lamprechtshausen, stieß 1931 zur NSDAP und war ab 1932 Ortsgruppenleiter und SA-Obertruppführer. Infolge seiner Beteiligung am Juliputsch wurde er verhaftet und wegen Hochverrates angeklagt. Gleichzeitig wurde die Vermögensbeschlagnahme angeordnet. Sprenger wurde seine Arztlizenz entzogen. Ein von ihm eingereichter Einspruch wurde abgewiesen. Er kam 1935 als politischer Flüchtling nach Bayern und wurde im selben Jahr deutscher Staatsbürger. 1935 bis 1938 war er Lagerarzt beim NSDAP-Flüchtlingshilfswerk in München und Fürth. 1938 wurde er Medizinaldezernent bei der oberbayerischen Regierung, 1939 Oberregierungsrat und 1943 Medizinaldirektor. 1935 trat er in die SS ein, wurde 1937 SS-Sturmbannführer und schließlich SS-Obersturmbannführer. 1945 wurde er auf Befehl der US-Militärregierung entlassen, jedoch 1948 bei seinem Entnazifizierungsverfahren als Mitläufer, d. h. als minderbelastet, eingestuft. Er wurde jedoch nicht mehr in den Staatsdienst übernommen. Vgl. Maislinger  : Der Putsch von Lamprechtshausen. 104 Edmund Glaise-Horstenau (1882–1946) leitete als Generalstabsoffizier 1915 bis 1918 das Pressereferat des Armee-Oberkommandos, war nach 1918 im Kriegsarchiv tätig und 1925 bis 1938 dessen Direktor. 1934 wurde er Mitglied des ständestaatlichen Staatsrates, 1936 bis 1938 war er Minister ohne Geschäftsbereich bzw. für Inneres. Der großdeutsche Historiker und Politiker war im kurzlebigen Kabinett von Arthur Seyß-Inquart vom 11. bis 13. März 1938 Vizekanzler, 1941 bis 1944 bevollmächtigter deutscher General in Kroatien, wo er sich gegen die Politik der Ustascha wandte. Zu Glaise-Horstenau als Historiker vgl. ders. Die Katastrophe. Die Zertrümmerung Österreich-Ungarns und das Werden der Nachfolgestaaten. – Zürich/Leipzig/Wien 1929  ; ders. (Hg.)  : Österreich-Ungarns letzter Krieg-7 Bde. – Wien 1933/35. Zu Glaise Horstenau als General und Politiker vgl. Broucek (Hg.)  : Ein General im Zwielicht. 105 Hans Hammerstein-Equord.

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Es ergeht die Einladung, über die näheren Umstände der Beschlagnehme des Vermögens des Arztes Dr. Emil Sprenger in Lamprechtshausen umgehend anher zu berichten und insbesondere mitzuteilen, ob allenfalls dermalen Gründe vorhanden sind, welche eine Aufhebung der Beschlagnahme rechtfertigen würden. Der Genannte soll im Zusammenhange mit dem Juliputsch wegen Verdachtes des Hochverrates in militärgerichtliche Untersuchung gezogen, jedoch als unbeteiligt aus dem Verfahren ausgeschieden worden sein. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 21. März 1935 Zl. 1173/7 Betr.: Dr. Sprenger Emil, Lamprechtshausen, Vermögensbeschlagnahme. An das Bundeskanzleramt G. D. – St. B. in Wien. Zum Erlass vom 16.1.1935, Zl. GD 303.792-St.B./1935, wird berichtet, dass Dr. Emil Sprenger am 24.6.1893 in Feldkirch, Vorarlberg, geboren, nach Lamprechtshausen zuständig, dortselbst Sprengelarzt, Gründer der Ortsgruppe und Ortsführer der NSDAP in Lamprechtshausen war. Nach dem Verbote der nationalsozialistischen Betätigung hat er sich zwar in der Öffentlichkeit große Zurückhaltung auferlegt. Dennoch galt er weiterhin als einer der geistigen Führer der Bewegung unter der Landbevölkerung, bei der er vermöge seiner sozialen Stellung naturgemäß großen Einfluss besaß. Als in den Abendstunden am 27. Juli 1934 in Lamprechtshausen der nationalsozialistische Aufruhr losbrach, befand sich Dr. Sprenger im Gasthause Stadler, in dem die Nationalsozialisten ihre Zusammenkünfte abzuhalten pflegten und auch während des Aufruhrs ihr Hauptquartier aufschlugen, hier die Gefangenen einsperrten und bewachten sowie sich schließlich verschanzten. Dr. Sprenger wurde wegen Teilnahme am Aufruhr am 28. Juli 1934 verhaftet. Gemäß § 4 des Bundesverfassungsgesetzes vom 30.7.1934. B. G. Bl. II Nr. 163, wurde von der Bezirkshauptmannschaft Salzburg mit Bescheid vom 29.8.1934, Zl. 373.348, die Beschlagnahme seines Vermögens ausgesprochen. Mit Bescheid des Bundeskommissärs für Personalangelegenheiten vom 9.8.1934, Zl. 216.496-3/1934, wurde er des Dienstes als Sprengelarzt enthoben. Nachdem das vom Militärgericht, Senat VI in Linz gemäß § 58c St. G. gegen ihn geführte Strafverfahren gemäß § 109 St. P. O. ohne Zuerkennung einer Haftentschädigung eingestellte worden war, wurde Dr. Sprenger von der Bezirkshauptmannschaft in Salzburg mit Erkenntnis vom 30.11.1934 wegen seines Verhaltens anläss-

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lich des Aufruhrs in Lamprechtshausen gemäß § 1 der Verordnung vom 19.6.1933, B. G. Bl. Nr. 240, mit 6b Monaten Arrest bestraft. Als Rechtsfolge dieser Abstrafung hat der Bundeskommissär für Personalangelegenheiten gemäß § 1 und 3 der Verordnung B. G. Bl. II Nr. 462 mit dem Bescheide vom 28.2.1935, Zl. 108.148-3/35, den Verlust des Amtes als Sprengelarzt ausgesprochen. Da die Überprüfung des Vermögens des Dr. Sprenger eine hoch passive Bilanz ergeben hat, wird unter einem die Aufhebung der Beschlagnahme gemäß § 13/1 des Bundesgesetzes vom 8.6.1934, B. G. Bl. II Nr. 71, veranlasst. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 11. April 1935 Zl. 2047/1 An das Bundeskanzleramt St. B. in Wien. (…) In der Anlage werden Abschriften von drei nationalsozialistischen Flugschriften zur Kenntnis vorgelegt,106 deren Originale von einer Vertrauensperson am Halleiner Griesrechen gefunden und in den letzten Tagen beim Gendarmerieposten Hallein abgeliefert wurden. Die drei Originale sind mit Maschinschrift hergestellt mit einem modernen Vervielfältigungsapparat erzeugt worden. (…) NSDAP Östereichs. Gau Salzburg. Ende Februar 1935 Mitteilungsblatt für die Parteigenossen. Nicht aufbewahren, sondern an Verlässliche weitergeben  ! »Spucknapf Österreich« Die Regierung, die sich heute in Erkenntnis der Unhaltbarkeit ihrer Lage immer mehr in eine verlogene Romantik von der deutschen Sendung Österreichs als eines s e l b s t ä n d i g e n Staates flüchtet und das oft betrogene Volk mit immer neuen Märchen und Lügen zu täuschen versucht, rechnet dabei vor allem mit der Vergesslichkeit dieses Volkes, indem es ihm zum Beispiel durch willfährige Soldschreiber begreiflich zu machen sucht, dass uns »Jahrtausende engerer und engster kultureller Beziehungen« an Italien binden, die auch das »Zwischenspiel des Weltkrieges (!) nur auf wenige Jahre in Vergessenheit geraten ließen.« (Reichspost vom 20.11.1934.)

106 In die Dokumentation wurde nur die Flugschrift der NSDAP-Gauleitung Salzburg aufgenommen.

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Durch solche Redensarten, denen natürlich kein deutscher Österreicher, am allerwenigsten aber ein österreichischer Frontkämpfer, glaubt, möchte man uns darüber hinwegtäuschen, dass unser Heimatland, dem wir wahrlich ein besseren Schicksal wünschen, mit dem Willen unserer Regierung zu einer i t a l i e n i s c h e n K o l o n i e geworden ist. (…) wenn auch die »Österreichische Politische Korrespondenz« in Abrede stellt bzw. gestellt hat, dass in Rom eine ö s t e r r e i c h i s c h – i t a l i e n i s c h e M i l i t ä r k o n v e n t i o n abgeschlossen worden ist, so wissen wir doch g e n a u , dass die Mitteilung dieser Konvention den Tatsachen entspricht und dass damit eine Entwicklung zum vorläufigen Abschluss gekommen ist, die teilweise als zwangsläufig angesehen werden muss, zum Teil aber von unseren Regierungsmännern aus parteipolitischen und anderen Gründen bewusst herbeigeführt worden ist.107 107 Diese Behauptung basierte auf einem Bericht des deutschen Militärattachés in Wien, General Wolfgang Muff, dass als Ergebnis der Besprechung von Bundeskanzler Dollfuß mit Mussolini in Riccione am 19. und 20. August 1933 der Abschluss einer Militärkonvention zwischen Italien und Österreich unmittelbar bevorstehe. Dies entsprach jedoch nicht den Tatsachen, wenngleich Mussolini bei den Treffen gegenüber dem österreichischen Bundeskanzler weitgehende Zusagen machte. So berichtete Gesandter Theodor Hornbostel, der bei dem Treffen als Übersetzer und diplomatischer Berater von Dollfuß fungierte, am 25. August 1933 an alle österreichischen Gesandtschaften zur offiziellen Sprachregelung, »dass Herr Mussolini und seine Regierung die Haltung der österreichischen Bundesregierung im Allgemeinen und insbesondere in ihrem Abwehrkampfe gegen die Einmischungsversuche des deutschen Nationalsozialismus rückhaltlos billigen und bereit sind, nach wie vor Österreich wirksame Unterstützung angedeihen zu lassen.« (ADÖ 9/1368) Auch die nach der Verfassung des Flugblattes abgeschlossenen Römischen Protokolle vom 14. März 1934 beinhalteten kein Militärbündnis im klassischen Sinne, sondern – inklusive der Zusatzprotokolle – vor allem wirtschaftliche Bereiche, wenngleich sie im politischen Bereich (Protokoll I) – trotz aller offizieller Interpretation des Ballhausplatzes – die außenpolitische Handlungsfreiheit Österreichs und Ungarns im Sinne einer italienischen Dominanz vor allem in Mitteleuropa einschränkten. (ADÖ 9/1437 und 1440) Im militärischen Bereich erfolgte eine engere Kooperation zwischen Rom und Wien im Zuge der sich durch den verstärkenden Druck aus Berlin erfolgenden Aufrüstung Österreichs und der Vorbereitungen für die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1935. Mit der Berufung des Militärattachés in Berlin, Generalmajor Alfred Jansa, im Mai 1935 zum neuen Generalstabschef des Österreichischen Bundesheeres erfolgte eine engere militärische Kooperation mit Italien. Jansa erklärte in einem grundlegenden Gespräch mit Bundeskanzler Schuschnigg, Ziel der österreichischen Außenpolitik müsse die Erhaltung der Unabhängigkeit Österreichs sein. Um dieses Ziel zu erreichen, müsse Österreich wehrfähig gemacht und die allgemeine Wehrpflicht eingeführt werden. Angesichts der deutschen Aufrüstung müsse mit einem militärischen Angriff auf Österreich ab 1939 gerechnet werden. Bis dahin gelte es, das Bundesheer mit den entsprechenden Waffen auszurüsten, um einen Angriff erfolgreich abwehren zu können. Jansas Sorge galt der Beschaffung schwerer Artillerie und schwerer Panzer sowie einem Ausbau der Luftwaffe. Um dies zu erreichen, nahm er an den Herbstmanövern der italienischen Armee in Südtirol 1935 teil, bei denen auch Mussolini anwesend war. In seinen Erinnerungen bemerkt Jansa, dass er an einem Manövertag zusammen mit dem russischen Militärattaché von Mussolini in seine unmittelbare Be-

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Um das zu begreifen, muss man einen kurzen Rückblick auf die Geschichte unseres Staates werden. Neu-Österreich wurde im Friedensvertrage von St. Germain mit allen Kennzeichen der Lebensunfähigkeit und des A n g e w i e s e n s e i n s auf seine Schöpfer geboren. Damit war sein Leidensweg vorgezeichnet  : Ein Spielball europäischer Politik zu sein, von der Gnade der nicht immer wohlwollenden Mächte zu leben und ohne deren Genehmigung keinen Schritt in eine freiere, bessere Zukunft tun zu dürfen. Es erübrigt sich, die Kette von Demütigungen aufzuzeigen, denen unsere Heimat in all diesen Jahren ausgesetzt war. Zwei Wege zur Rettung hätte es gegeben  : Entweder die Wiederaufrichtung des alten universellen Staates, der an dem Lebenswillen seiner Völker zugrunde gegangen war, oder der Z u s a m m e n s c h l u s s mit Deutschland zum mindesten auf wirtschaftlichem Gebiete. Die Lösung des ersten Problems musste an dem unbedingten Widerstand der Nachfolgestaaten scheitern, der zweite, naturgegebene Weg wurde Österreich verboten. Zwei Staatsmänner, S c h o b e r im Vertrag von Lana und S e i p e l im Vertrag von Genf, mussten die Unabhängigkeit im Sinne des Friedensvertrages von St. Germain gleitung eingeladen wurde und sich ihm dadurch die Möglichkeit eröffnete, mit dem Duce eine ausführliche Unterhaltung zu führen. »Ich erzählte anfangs von meiner Attachézeit in Berlin. Der Duce stand noch immer unter dem wenig günstigen Eindruck, den seine erste Begegnung mit Hitler in Venedig in ihm zurückgelassen hatte. Er stellte viele Fragen, die ich ziemlich erschöpfend beantworten konnte. Ich gewann den Eindruck, dass der Duce, auch des Mordes an Dollfuß gedenkend, nie ein Zusammengehen mit Hitler erwogen hätte, wenn die vom stellvertretenden Außenminister Eden in Genf betriebenen Sanktionen gegen die italienische Kriegführung in Abessinien Italien in seiner chronischen Rohstoffknappheit nicht direkt in die Arme Hitlers getrieben hätte. Beim Manöverimbiss in einem Gasthof an der Seite Mussolinis sitzend, lenkte ich die Unterhaltung auf die ausgesprochene Aggressionspolitik Hitlers gegen Österreich und sagte ihm, so wie ich das systematisch überall tat, dass ich fest entschlossen sei, jeder Gewalt von deutscher Seite mit aller Wucht der Kampfkraft Österreichs zu begegnen. Der Duce sagte  : ›Bravo  ! Darauf trinken wir  ! Baistrocchi, Champagner her  !‹ Dann erhob sich der Duce und sagte laut  : ›Ich trinke auf Österreich und auf Sie, Herr General  !‹, worauf ich mit einem ›Eviva il Duce  !‹ replizierte. Eine solche Auszeichnung Österreichs war mehr, als ich zu hoffen gewagt hätte. Deshalb versuchte ich die gute Gelegenheit zu nützen und sprach ihn am Nachmittag auf das noch immer rund 1.000 österreichische Geschütze mit Munition umfassende Beutegut aus dem 1. Weltkrieg an, ob es nicht Österreich zur Verfügung gestellt werden könnte  ; in groben Umrissen erläuterte ich meine Abwehrabsicht und wies darauf hin, wie bittere Not wir an Artillerie leiden, während diese Geschütze nur italienische Depots belasten. Darauf erwiderte er  : ›Wenn wir diese Geschütze wirklich nicht brauchen, bekommen Sie sie.‹ (…) Am nächsten Morgen begrüßte mich General Roatta (…) mit den Worten  : ›Sie haben gestern eine Schlacht gewonnen, Herr General. 1.000 Geschütze, das ist ein Erfolg  ! Zudem hat der Duce gesagt, dass er mit Ihnen zusammenarbeiten könne.‹« (Ein österreichischer General gegen Hitler. Feldmarschallleutnant Alfred Jansa. Erinnerungen. Eingeleitet und herausgegeben von Peter Broucek. – Wien/Köln/Weimar 2011. S. 613f.; vgl. dazu auch Ludwig Jedlicka  : Ein Heer im Schatten der Parteien. Die militärische Lage Österreichs 1918–1938. – Graz/Köln 1955. S. 130ff.)

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bestätigen. So blieb Österreich nur eines übrig  : Da seiner Regierung der entschlossene Wille zum Durchbrechen des Verbotes f e h l t e , sich zwangläufig an einen Nachbarn zu v e r k a u f e n , um wenigstens die dringendsten Lebensbedürfnisse befriedigen zu können. Auf diese Art kam Österreich in die Abhängigkeit von Italien und damit in gewollten Gegensatz zum Deutschen Reiche. Um diesen Zustand zu verschleiern, musste eine neue falsche Münze ausgegeben werden, die von der »Universalität« und von der »Besonderen Mission« dieses Zwergstaates. Nicht immer stand Österreich in der Gnadensonne Italiens. Wir erinnern nur daran, dass es unter der Bundeskanzlerschaft Seipels war, als auf eine seiner mannhaften Reden über das bedrängte Südtirol, das von unseren heutigen Regierungsleuten vollkommen preisgegeben ist, im italienischen Parlament unter dem Beifall Mussolinis als Antwort das Wort fiel  : »Spucknapf Österreich«  ! Es bedurfte erst eines demütigen Bittganges Seipels, um den Duce zu einer freundlicheren Haltung gegenüber Österreich und dessen ewigen Geldnöten zu bewegen.108 Seit dieser Zeit datiert 108 Das Südtirol-Problem bildete vor allem aufgrund der Notwendigkeit der internationalen Finanzhilfen für die junge Republik Österreich ein äußerst sensibles Problem, da man bei finanziellen Hilfen auch auf die Unterstützung Italiens angewiesen war. Die österreichische Außenpolitik war aufgrund der massiven von Ettore Tolomei inspirierten faschistischen Entnationalisierungspolitik einerseits massivem innenpolitischen Druck vor allem aus Innsbruck ausgesetzt, konnte jedoch gegenüber Rom mit Rücksicht auf finanzielle Abhängigkeiten – Italien gehörte zu den Garantiestaaten der Genfer Anleihe 1922 – nur sehr zurückhaltend auftreten. Die deutlich zurückgenommene Außenpolitik Österreichs wurde bereits in dem von Francesco Nitti und Karl Renner am 12. April 1920 geschlossenen Abkommen deutlich, das in Punkt 9 festhielt, die Behandlung von Minderheiten sei ausschließlich eine inneritalienische Angelegenheit. Eine Feststellung, auf die sich das faschistische Italien später immer wieder berufen sollte. Bundeskanzler Ignaz Seipel erreichte während seiner ersten Kanzlerschaft einen modus vivendi, konnte jedoch, trotz freundlicher Signale Mussolinis, bei seinem Rom-Besuch 1923 keine Verbesserungen der Lage der Südtiroler erreichen. Bereits wenige Wochen später erfolgte die Italianisierung der Südtiroler Ortsnamen. Dem gegen diese Maßnahme mit dem Hinweis auf das Minderheitenrecht heftig protestierenden Tiroler Landtag gegenüber wies man im Außenministerium darauf hin, dass man rechtlich gegen diese Maßnahmen keine Schritte unternehmen könne, da Italien sich im völkerrechtlichen Sinne zu keinem Schutz von Minderheitenrechten verpflichtet habe und ein Protest Wiens in Rom zu einer schweren und für Österreich letztlich folgenschweren Verstimmung führen würde. 1927 und 1928 wurde das Südtirol-Problem neuerlich im Nationalrat diskutiert, wobei der christlichsoziale Abgeordnete Franz Kolb in der Parlamentsdebatte über die Außenpolitik der Regierung Seipel am 22. und 23. Februar 1928 in einer ausführlichen Rede auf die Lage der Deutsch-Südtiroler einging und die Italianisierungspolitik heftig kritisierte. Die gegenwärtigen Verhältnisse in Südtirol würden »in der ganzen zivilisierten Welt schwere Missstimmung erzeugen«, weshalb die »Südtiroler Frage nicht mehr eine Frage »Deutsch-Österreichs, des gesamten Deutschtums, sondern (…) der ganzen zivilisierten Welt« sei. Es sei daher angebracht, »um vor einem internationalen Forum als Kläger gegen Italien« aufzutreten. Seipel erwiderte, er sei sich dessen bewusst, dass der Standpunkt, den er »gegenüber dem Verhältnis Österreichs zu Italien und umgekehrt einnehme, keine einhellige

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auch die Schwenkung des österreichischen Volkes zu Italien. Unter Seipel begonnen, wurde sie unter Dollfuß aus parteipolitischen Gründen und Nöten heraus im Vertrag von Riccione vollendet und von Schuschnigg bestätigt. Einem weitblickenden Staatsmann wie Mussolini ist der »Spucknapf Österreich« natürlich nur ein Mittel zum Zweck. Er benötigt ihn als Pufferstaat gegenüber dem Deutschen Reiche und als Rückendeckung gegen Südslawien und die Tschechoslowakei. Er betrachtet Österreich heute als r ö m i s c h e K o l o n i e , denn nur so ist seine Haltung am 25. Juli zu verstehen. Damals ging es ihm nicht um die Selbständigkeit Österreichs, damals ging es ihm um die Sicherung seiner Kolonie. Dabei hat er im Heimatschutz seine

Billigung findet, weder im eigenen Land noch in Italien. Aber ich glaube, behaupten zu können, dass der von mir eingenommene Standpunkt durchaus verständlich und erklärlich ist für jeden, der gewohnt ist, Realpolitik zu treiben (…) Es ist etwas anderes, die Schwierigkeiten, die wir mit einem unserer Nachbarn haben, als internationale Fragen aufzuzeigen, und etwas anderes, gekränkt zu sein über Vorkommnisse, die in dem Nachbarlande geschehen, die wir aber als innenpolitische Angelegenheiten dieses Landes anerkennen müssen. (…) Die Bundesregierung, insbesondere der Leiter der Außenpolitik, sind meines Erachtens gegen jene, die gern an die Instanz des Völkerbundes herantraten möchten, in der Lage eines gewissenhaften Anwaltes einem Klienten gegenüber, der um jeden Preis einen Prozess führen möchte. Einem gewissenhaften Anwalt wird es darum zu tun sein, nicht einen einträglichen Prozess zu bekommen, sondern seinem Klienten zu helfen. Er muss natürlich warnen, wenn er den Prozess als aussichtslos ansieht, als einen Prozess, der nur Kosten verursachen wird und zu nichts führt. In einer solchen Lage bin ich denen gegenüber, die vor dem Völkerbund einen Prozess wegen Italien versuchen wollen.« (ADÖ 6/908). Die erhebliches öffentliches Echo hervorrufende Südtirol-Debatte des Nationalrates sowie die folgenden Kundgebungen wurden in Italien von faschistischen Abgeordneten als eine »unwürdige Kundgebung des Hasses« bezeichnet. In diesem Zusammenhang könnte auch der sich aufgrund der vorliegenden Quellen allerdings nicht verifizierbare Ausdruck »Spucknapf Österreich« gefallen sein. Mussolini rief seinen Wiener Gesandten Giacinto Auriti zurück und hielt am 3.März eine Rede, in der er u. a. erklärte  : »Österreich ist, was es ist. Ich habe mir sogar die Frage gestellt, ob sich eine Antwort lohnt, und sicher, wenn in der Diskussion nicht der Kanzler, das heißt der Chef der österreichischen Regierung, eingegriffen hätte, ein Mann, der von vielen Gesichtspunkten aus prominent ist, hätte ich die antiitalienischen und antifaschistischen Redeübungen des österreichischen Nationalrates vorbeistreichen lassen. (…) Ich füge aber hinzu, dass dies das letzte Mal ist, dass ich über dieses Thema spreche. Das nächste Mal werde ich Taten sprechen lassen  !« (Zit. bei Friedrich Rennhofer  : Ignaz Seipel. Mensch und Staatsmann. Eine biografische Dokumentation. – Wien/Köln/Graz 1978. S. 554.) In einem Geheimschreiben (Message) an Mussolini am 3. Mai 1928 wies Seipel auf seine schwierige innenpolitische Situation hin, die auch seine außenpolitischen Aktionen beeinflusse. Es liege ihm »viel daran, Missverständnisse, die derzeit ein Verhältnis zwischen Österreich und Italien zu belasten scheinen, durch loyale Aufklärung aus der Welt zu schaffen.« Er sei sich »dessen bewusst, dass das Verhältnis Österreichs zu keinem der alliierten Hauptmächte so wichtig ist, als das zu der benachbarten, in politischer und ökonomischer Entwicklung begriffenen Großmacht Italien.« (ADÖ 6/917) (Vgl. dazu auch Klaus Weiß  : Das Südtirol-Problem in der Ersten Republik. Dargestellt an Österreichs Innen- und Außenpolitik im Jahre 1928. – Wien/München 1989. )

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bezahlten Fremdenlegionäre, die nur e i n Recht haben, in Österreich italienisch eingestellte Politik zu machen. (…) Vernünftige Menschen sollten glauben, dass eine Regierung, der am Wohlergehen ihres Landes wirklich etwas gelegen wäre, alles in Bewegung setzen müsste, um diesem Lande nach den schweren Erschütterungen des letzten Jahres endlich doch den ersehnten Frieden zu sichern. Aber es ist merkwürdig still geworden um die sogenannten Befriedungsaktionen, stattdessen liest man auch heute noch, sieben Monate nach den unglücklichen Juliereignissen, fast täglich von neuen Schandurteilen, die über den besten Teil der österreichischen Bevölkerung verhängt werden und muss es erleben, dass die Verfolgungswelle gegen alles Nationale in diesem Lande eher stärker als schwächer wird. Das »christliche Österreich« feiert Orgien des Hasses gegen alles, was sich deutsch nennt und Herr Starhemberg, der Österreich bei Opernbällen und ähnlichen Gelegenheiten hervorragend repräsentiert, lässt sich keinen Sonntag nehmen, irgendwo in unserem Lande die Verewigung des Hasses zu predigen. So hat er im Jänner bei irgendeinem Anlass erklärt, es gäbe Leute, die eine Verständigung mit nationalen Kreisen Österreichs anstrebten, aber er, Starhemberg, sei gegen solche Versuche, denn er könne und wolle nicht vergessen  ! 109 109 Die österreichische NSDAP war nach ihrer schweren Niederlage im Juli 1934 weitgehend desorientiert und in einen radikal-militanten und evolutionär-politischen Flügel gespalten. Um die notwendige Geschlossenheit der Partei herzustellen, fand vom 28. bis 31. Dezember 1934 in Innsbruck ein Treffen der führenden Parteikader statt, bei dem man sich auf die Verfolgung eines evolutionären Kurses einigte. Wenngleich der Sturz der Regierung Schuschnigg nach wie vor das oberste Ziel der Partei blieb, so sollte dieses doch in Schritten erreicht werden. Ein wesentliches Mittel, dieses Ziel zu erreichen, sei die Penetration des Staatsapparats und das Eindringen in maßgebliche Gesellschaftskreise mittels Vereinen und Gesprächsrunden. Österreich sollte auf diese Weise für eine nationalsozialistische Machtübernahme vorbereitet werden, die allerdings erst dann erfolgen konnte, wenn das Deutsche Reich entsprechenden außenpolitischen und militärischen Handlungsspielraum für eine direkte Intervention erreicht habe. Sollte der evolutionäre Weg scheitern, war man bereit, zur aggressiven terroristischen Politik zurückzukehren. Dem neuen evolutionären Kurs kam entgegen, dass Bundeskanzler Kurt Schuschnigg bereits im Herbst 1934 das Gespräch mit betont nationalen Kreisen mit dem Zweck suchte, die NSDAP durch die Gewinnung der gemäßigten Kräfte für den Regierungskurs zu spalten und damit zu schwächen. Starhemberg berichtet in seinen Memoiren, die Politik des Kanzlers sei wesentlich von dem Umstand bestimmt gewesen, »dass er großdeutsch war (…) Großdeutsch bestimmt nicht im Sinne des Großpreußentums. Schuschniggs Großdeutschtum bestand in dem Glauben an ein wirklichkeitsfremdes großdeutsches Reich, wie es im Römisch-Deutschen Kaiserreich verwirklicht worden war. Schuschniggs Großdeutschtum war, wie er es immer selbst sagte, ein mystischer Glaube. Der Begriff Mystik spielte überhaupt nicht nur in seinen privaten Anschauungen, sondern auch in seiner politischen Einstellung eine gewisse Rolle. (…) An sich eine mehr der Pflege schöner Künste und einem beschaulichen, kultivierten Dasein zugekehrte Natur, lag ihm der brutale Kampf, wie er gegen die Nazis geführt werden musste und geführt worden war, durchaus nicht. Seine großdeutsche Einstellung ließ

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ihn gerade den Kampf gegen die Nazis als ›Bruderkampf‹ empfinden, was er mir gegenüber häufig in Gesprächen zum Ausdruck brachte.« (Ernst Rüdiger Starhemberg  : Memoiren. – Wien/München 1971. S. 209  ; vgl. dazu auch Lucian O. Meysels  : Der Austrofaschismus. Das Ende der Ersten Republik und ihr letzter Kanzler. – Wien/München 1992. S. 118f.) Es war diese von Starhemberg durchaus zutreffende Charakterisierung der politischen Grundhaltung Schuschniggs, die ihn veranlasste, am 27. Oktober 1934 im Bundeskanzleramt eine Aussprache mit Vertretern des nationalen Lagers – Carl Bardolff, Arthur Seyß-Inquart, Edmund Glaise-Horstenau, Anton Reinthaller, Hermann Neubacher, Walter Riehl, Franz Langoth u. a. – durchzuführen. Starhemberg war als Vizekanzler und Führer der Vaterländischen Front von diesem Treffen bewusst nicht informiert worden, erhielt jedoch telefonisch Kenntnis und war entschlossen, eine drohende Annäherung und eventuelle Aussöhnung mit den Nationalsozialisten zu verhindern. Er begab sich in das Bundeskanzleramt, platzte unangemeldet in die Sitzung und erklärte den überraschten Teilnehmern und um Schuschnigg aus der entstandenen Peinlichkeit zu helfen, dass er sich für seine Verspätung entschuldige, doch habe er die Einladung zu spät erhalten. Starhemberg gibt in seinen Memoiren die Erklärung des Theresienritters und ehemaligen Chefs der Militärkanzlei Erzherzog Franz Ferdinands, Feldmarschall Carl Bardolff, durchaus glaubhaft wieder. In ihr sind die zentralen Argumente der »nationalen Opposition« für einen Ausgleich mit der Bundesregierung und ihre Beteiligung an der Macht enthalten. »Die Kreise, die er mit seinen Freunden hier vertrete, seien genauso gut österreichisch wie wir. Doch würden sie die Wahrung des deutschen Volksgutes, der deutschen Kultur und dergleichen mehr ganz besonders wünschen. Sie verurteilten ja schärfstens die Ermordung Dollfuß’ und die terroristischen Methoden der Nationalsozialisten. Sie könnten uns aber nicht den Vorwurf ersparen, dass wir zum Teil an diesen Methoden dadurch mitschuldig seien, dass wir so besonnene und verantwortungsvolle Männer wie beispielsweise die hier anwesenden Vertreter des nationalen Lagers von der politischen Führung ausgeschaltet hielten. Was sie nun wollten, sei nichts anderes, als herangezogen zu werden, um die national denkenden Menschen in Österreich, denen die Betonung des nationalen Moments besonders am Herzen läge, aus dem Radikalismus herauszuführen und zu besonnener staatsaufbauender Arbeit zu gewinnen. Diese Aufgabe aber könnten er (…) und seine Freunde nur dann lösen, wenn ihnen das Vertrauen der Regierung dadurch zum Ausdruck gebracht werde, dass man sie sichtbar zur Mitführung und Mitverantwortung heranziehe. Ob dies nun in Form eines Einbaues in die Regierung geschehe oder durch Zulassung einer besonderen nationalen Gruppe, der unter ihrer Führung die gleichen Rechte eingeräumt würden wie den Gruppen der Vaterländischen Front, müsse noch erörtert werden. Ohne herausgehoben und sichtlich mit besonderen Ansehen ausgestattet zu werden, würden sie, die gemäßigten Vertreter des Nationalismus, niemals die nötige Autorität haben, um gegen ihre radikalen Gegenspieler innerhalb des nationalen Lagers aufkommen zu können.« (Starhemberg  : Memoiren. S.  210f.) Starhemberg berichtet, die Ausführungen der anwesenden Vertreter der nationalen Opposition hätten auf Schuschnigg durchaus Eindruck gemacht, weshalb er sich gezwungen gesehen habe, diesen gegenüber zum Angriff überzugehen und sie als politische Betrüger zu bezeichnen, die in Wirklichkeit Nationalsozialisten seien und am 25. Juli gehofft hätten, dass der Anschluss Österreichs an Deutschland vollzogen werde. Sie seien die geistigen Brandstifter und Beschleuniger des nationalen Radikalismus und hätten keine echte österreichische Gesinnung. Als Bardolff erwiderte, es bestehe offensichtlich eine erhebliche Differenz zwischen den Auffassungen des Bundeskanzlers und des Vizekanzlers, sah sich Schuschnigg gezwungen zu erklären, dies sei keineswegs der Fall. Unter den gegebenen Umständen sei aber eine Fortführung des Gesprächs sinnlos und man könne dieses eventuell zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufnehmen. Die von Schuschnigg angestrebte »innere Befriedung« war damit vorläufig gescheitert, da parallel

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Wir wollen uns diese Worte zur Lehre dienen lassen und wollen auch unsererseits Schluss machen mit aller Verständigungsbereitschaft, die ja doch nur übel belohnt wird. Die Gegenseite, die auf den Spitzen der Bajonette sicher zu sein wähnt, will den Kampf als Dauererscheinung, sie soll ihn haben  ! Denn nun wollen auch wir Nationalsozialisten nichts mehr von Verständigung wissen. Nun können und wollen auch wir nicht vergessen, mit welchen »christlichen« Mitteln man unsere Bewegung zu unterdrücken gesucht hat und heute noch immer zu unterdrücken versucht. Bundeskanzler Dr. Schuschnigg hat dieser Tage in Paris erklärt, alle Mitteilungen über Despotismus und Diktatur in Österreich hätten nie der Wirklichkeit entsprochen. Wir wissen es anders und viele von uns haben die Gewalt- und Zwangsherrschaft der gegenwärtigen Regierung am eigenen Leibe erfahren. Herr Schuschnigg lügt also vor aller Welt und er lügt auch, wenn er erzählt, dass es ein Erfolg geistiger Offensive des Volkes gewesen ist, wenn die Versuche, seine und Dr. Dollfuß’ politisch-kulturelle Arbeit zu stören, zurückgewiesen werden konnten. Wenn Dr. Schuschnigg Gummiknüppel, Bajonette, Gewehrkolben und ähnliche Dinge zu den geistigen Waffen zählt, dann mag er recht haben, aber vorläufig gehören all diese Gegenstände zu den Kennzeichen der Gewalt, zu der sich eine christliche Regierung denn doch nicht bekennen durfte und so müssen wir böse Nazi halt doch bei der Feststellung bleiben, dass in Paris wieder einmal fest drauf los gelogen wird, um die Welt über die wirklichen Zustände in Österreich zu täuschen. Bei uns wird Herrn Schuschnigg ein solches Täuschungsmanöver nicht gelingen, denn wir kennen seine »geistigen« Waffen und wissen, was wir davon zu halten haben. Wir erinnern nur an die schauderhaften Zustände und Vorgänge in der Salzburger Festung in den Juli- und Augusttagen, die sogar die Empörung der unbeteiligten Festspielgäste erregt haben. Stadtphysikus Dr. Gmachl hatte über die Kellergewölbe auf Hohensalzburg ein vernichtendes Gutachten abgegeben. Sie seien, so erklärte er, für den Aufenthalt von Menschen g ä n z l i c h u n g e e i g n e t . Kein Lebewesen (Ratten, Spinnen, Läuse ausgenommen) könne darin nur einige Tage ohne schwerste Störungen seiner Gesundheit zubringen. Trotzdem hat man Hunderte wahllos zusammengefangener Nationalsozialisten in diese Keller geworfen, wo sie nicht nur den verhängnisvollen Einwirkungen der lichtlosen, feuchten, von Ratten und anauch die Kontakte mit der sog. »Aktion Reinthaller« eingestellt wurden. Am 8. Oktober 1934 verbot ein Erlass der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit jede Betätigung für die »Aktion Reinthaller« (»Nationale Aktion«) mit der Begründung der Staatsgefährdung und des Hochverrats. Am 29. Mai 1935 erklärte Schuschnigg in einer programmatischen Kanzlerrede, der österreichische Nationalsozialismus sei eine innerösterreichische Angelegenheit und unterstehe daher ausschließlich der Souveränität der Republik Österreich. »Dass er im neuen Österreich keinen Platz haben kann (…) beruht nicht zuletzt darin, dass wir die Auffassung, dass die Sicherung des Deutschtums die Vernichtung Österreichs voraussetze, niemals teilen können.« (Zit. bei Anton Hopfgartner  : Kurt von Schuschnigg. Ein Staatsmann im Kampf gegen Hitler. – Wien 1988. S. 81.)

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derem Ungeziefer wimmelnder Räume ausgesetzt waren, sondern auch den ärgsten Misshandlungen einer verrohten Horde von Sturmschärlern, die trotz des Zeichens auf ihrer Armbinde vollständig auf ihr Patentchristentum vergessen hatten. Es ist eine erwiesene Tatsache, dass die armen Häftlinge, die zum Teil schon mit Wunden und Spuren schwerer Misshandlungen auf der Festung eingeliefert wurden, von den christlichen Rowdys in der Sturmschärleruniform zweimal durch die Gasse gejagt, mit Gummiknüppeln gedroschen, mit Gewehrkolben verprügelt und mit Bajonetten gestochen worden sind. Bis in die Stadt herunter war das verzweifelte Schreien der bedauernswerten Opfer christlichsozialer Willkür zu hören. Tatsache ist auch, dass man ein Papier in kleine Stückchen gerissen, diese Stückchen auf den Boden verstreut und einen alten, hinfälligen Mann gezwungen hat, die Schnitzel einzeln aufzuklauben. Die Liste der sturmschärlerischen Gräueltaten auf der Festung (die beileibe nichts mit Gewalt zu tun haben, sondern den reinsten Geist christlicher Nächstenliebe erkennen lassen) könnte noch beliebig fortgesetzt werden. Aber die angeführten Beispiele genügen wohl, um zu zeigen, wieviel w i r zu vergessen hätten, wenn wir mit der Gegenseite Frieden schließen sollten. Sie genügen aber auch, um uns daran zu erinnern, dass wir ausharren müssen im Kampfe und sie stärken uns in unserem Willen zum Sieg, der nicht ausbleiben kann, wenn wir nur entschlossen sind, ihn zu erringen. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 30. April 1935 Zl. 3587 (329.658-35) Betr.: Brief des bayerischen Forstverwalters Thomas Mayer an den Knecht Christian Ager in Maishofen. An das Bundeskanzleramt St. B. in Wien. In der Anlage wird die Abschrift eines beschlagnahmten Briefes vorgelegt, welcher nach Angaben des Adressaten Christian Ager von dem früheren bayerischen Forstverwalter Thomas Mayer stammt. Thomas Mayer war seinerzeit als bayerischer Forstverwalter (Förster) im Forsthause Frohnwies, Gemeinde St. Martin bei Lofer, stationiert, wurde am 11. Jänner 1934 wegen Besitzes von 2 Papier-Stielhandgranaten und 80 Pechfackeln, Verteilung weiterer Handgranaten und Pechfackeln etc. verhaftet, mit 3 Monaten und 4 Wochen Arrest bestraft. Dermalen ist er in Taubensee, Bezirk Berchtesgaden, als Forstverwalter in Stellung.

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Christian Ager, Knecht in Maishofen, war zur gleichen Zeit mit Mayer wegen Abbrennen eines Hakenkreuzfeuers am 24.1.1934 beim Bezirksgerichte in Saalfelden in Haft und scheint seither mit demselben in Briefwechsel zu stehen. (…) Lieber Christl  ! Endlich komme ich dazu, Dir für Deine Karte und Briefe zu danken. Nun ist ein Jahr vorbei, dass wir uns nicht mehr gesehen haben, aber meine Gedanken sind immer noch bei Dir und unseren tapferen Kameraden und ich freue mich, dass sich innerlich unsere lieben Volksgenossen nie ändern werden  ; wie wäre es auch anders möglich, sind wir doch alle Deutsche und was Deutschland heißt und bedeutet, das hat die Welt in den letzten Tagen wieder zur Genüge vernommen – der Laie ist sprachlos und der Fachmann wundert sich.110 Auch ich werde nochmals zu einer Reichswehr-Reserveübung einrücken müssen, und ich freue mich darauf  ; ist es doch etwas Herrliches, im Notfall seine Heimat verteidigen zu dürfen  ; deshalb denkt aber unser Führer nicht im Entferntesten daran, Krieg zu führen, denn gerade er als einfacher Frontsoldat weiß, was Krieg bedeutet. Das ist ja gerade das Allerwichtigste, dass wir keinen Großkopferten, sondern einen ganz einfachen Mann aus dem Volke zum Führer haben. (…) Habe auf einer Skitour Deine (unsere) Heimat recht gut sehen können, Tumersbach, die Ausläufer vom Hundsstein, Schmittenhöhe, Gerling etc. und es hat mich eine mächtige Sehnsucht gepackt, wieder einmal dahin zu kommen – aber das wird und muss alles wiederkommen, wenn die Bowidlfranzosen111 einmal sich besinnen, was deutsch sein heißt und so lange das Deutschtum in Österreich bekämpft wird, wird die Grenze niemals aufgehen. Wir können warten, und der ganze Fremdenverkehr aus Norddeutschland spielt sich bei uns in den bayerischen Gebirgsgegenden ab. Schon jetzt beginnen wieder die Anfragen um Quartiere für den Sommer. (…) Das mit den 17 Todesurteilen112 ist wohl die Höhe, was sich die Terroristen leisten können. Noch ist das Urteil nicht vollstreckt – wehe, wenn es vollzogen würde  ; denn für jeden, dem auch nur ein Haar gekrümmt wird, ist Vormerkung getroffen und es wird uns nichts auskommen. Ich kenne sie alle als meine besten Freunde – die Todeskandidaten – ein wahrer Herrgott der Gerechtigkeit wird unser Gebet für sie erhören. Wenn schon, dann wenigstens eine ehrliche Kugel, aber sie werden sich 110 Gemeint ist die Abstimmung im Saargebiet am 13. Jänner 1935, bei der 91 Prozent für die Rückgliederung in das Deutsche Reich votierten, der Beschluss des Völkerbundrates am 17. Jänner über die Rückgabe des Saargebiets an Berlin und das am 16. März verabschiedete Gesetz für den Aufbau der Wehrmacht und die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. 111 Der Ausdruck nimmt Bezug auf die Suche des Ballhausplatzes nach einer außenpolitischen Rückendeckung durch Frankreich und die Tschechoslowakei gegen die Politik Berlins. 112 Gemeint sind die Todesurteile gegen die Putschisten von Lamprechtshausen, die jedoch in Kerkerstrafen umgewandelt wurden.

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hüten, denn das Maß ist längst übergelaufen und nie und nimmer werden es die Verantwortlichen mit ihrem Gewissen verantworten können – der Teufel wird sie einmal richten, dann melden wir uns freiwillig als Heizer – was Christl  ? Sie werden nur furchtbar stinken. (…) Für eine Stelle für einen Bauernknecht besteht keine Aussicht, da es so ziemlich keine Arbeitslosen bei uns mehr gibt. Also aushalten, durchhalten, Maul halten und denken l. m. a. A. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 22. Juni 1935 Zl. 5116 (340.621/35) Betr.: Heinrich Wicker, nationalsozialistischer Flüchtling, Hochverrat. Wird dem Bundeskanzleramt G. D. – St. B. in Wien zur Kenntnisnahme mit dem Berichte vorgelegt, dass der Briefschreiber mit dem nationalsozialistischen Flüchtling Heinrich Wicker, geb. 2.7.1906 in Berlin, früher zuständig und wohnhaft Bischofshofen, identisch ist. Derselbe ist am 12.8.1933 nach dem Deutschen Reiche geflüchtet, ist wegen § 58 St. G. ausgeschrieben und wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Johann i. Pg. vom 15.9.1933, Zl. 11.316, ausgebürgert. Mönchröden, den 24. Mai 1935 Liebes Schwesterherz  ! (…) Wie ich sehe, versumpfst Du im »Dörfl« genauso wie ich hier im Lager. Ja, ich glaube, wir beide haben uns die Zukunft etwas schöner vorgestellt als so ein langsames Dahinsiechen, das noch für längere Zeit keinen Lichtblick zeigt. Nun, ich hoffe, doch endlich bald nach Warnemünde zu kommen, um damit in einen neuen Abschnitt meines Lebens zu treten. Von dort aus werde ich die Schönheit und Tücken der Ostsee mit dem Inselreich von Dänemark, wie Stralsund und Rügen, kennenlernen. Hoffentlich kann ich Dir in einem Monat schon eine schöne Ansichtskarte von einem dortigen Ausflug senden. (…) Jetzt aber komme ich mit einer Bitte an Dich  : Vor ca. einem Jahr habe ich durch ein Gesuch meinen Austritt aus der Röm. Kath. Kirche erklärt. Da ich daraufhin keine Verständigung erhielt, so ging ich vor zwei Monaten persönlich auf das hiesige Standesamt und erledigte die Sache. Warum ich das getan habe, wird Dir ja klar sein, andererseits aber der Großmutter nicht  ; daher wünsche ich, dass diese davon nichts erfährt, da sie sich unnötig ärgern würde. Bin daraufhin der Deutschen Glaubensbe-

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wegung113 von Ludwig Hauer114 beigetreten, wenn Du davon schon etwas gehört haben solltest. Ich sage Dir, eine pfunds Sache, etwas Großes, das sich wie die NSDAP in einigen Jahren Bahn brechen wird. Hier wird die Vorlage eines Stammbaumes verlangt, welcher mir auch anderweitig zu verschiedenen Dingen von großem Wert ist. Auch bin ich der Meinung, dass es für Dich eine praktische Bedeutung hat und Dich auch interessieren wird. Also, Du brauchst die Sache nicht überstürzen, doch wünsche ich einen ziemlich ausführlichen Stammbaum, die großen Ferien werden Dir die nötige Zeit bestimmt verschaffen. Ich danke Dir nochmals im Voraus für Deine Bemühungen (…) Mönchröden, den 24. Mai 1935 Liebste Mutter  ! (…) Wie ich von Rena höre, ist alles beim Alten. Nun hoffen wir, dass sich irgendeinmal bald die Sache zum Besseren wendet. Weiters schreibst Du mir von der Großartigkeit der Glocknerstraße. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass mich dies Projekt

113 Die von Jakob Wilhelm Hauer 1933 gegründete Deutsche Glaubensbewegung war, im Unterschied von den Deutschen Christen, die sich zwar zum Nationalsozialismus bekannten, jedoch auch als Christen definierten, von rassistischen Prämissen geprägt. Sie strebte nach einer »artgemäßen« Gotteserkenntnis, d. h. sie vertrat die These, dass jedem Volk ein ihm entsprechender Glaube eignet. Die in der Deutschen Glaubensbewegung vereinigten Anhänger der verschiedenen völkischen Sekten waren daher »deutschgläubig« und unterschieden sich dadurch von Alfred Rosenbergs Begriff der Gottgläubigkeit, die nur eine artgerechte Sittlichkeit und Frömmigkeit ohne Gott anerkannte. Ein nazifiziertes Christentum war für Rosenberg unakzeptabel. Die Deutsche Glaubensbewegung nannte sich später »Kampfring Deutscher Glaube«, verlor jedoch zunehmend an Bedeutung und verschwand schließlich in der Bedeutungslosigkeit. Vgl. Ulrich Nanko  : Die Deutsche Glaubensbewegung. – Marburg 1993  ; Schaul Baumann  : Die Deutsche Glaubensbewegung und ihr Gründer Jakob Wilhelm Hauer (1881–1962). – Marburg 2005. 114 Muss heißen Jakob Wilhelm Hauer (1881–1962). Hauer wurde in Ditzingen, Kreis Leonberg (Württemberg), geboren und absolvierte nach dem Besuch der Volksschule eine Gipserlehre im väterlichen Betrieb. 1900 bis 1906 erhielt er eine Ausbildung zum Missionar bei der Basler Missionsgesellschaft, 1906 erfolgte seine Ordination. 1907 bis 1911 übte er eine Lehrtätigkeit am Lehrerseminar der Basler Missionsgesellschaft im indischen Nettur aus, immatrikulierte 1911 am Jesus College in Oxford, kehrte 1915 nach Deutschland zurück und begann ein Studium an der Universität Tübingen, wo er 1918 zum Dr. phil. promovierte. 1921 wurde er Privatdozent für Allgemeine Religionsgeschichte an der Universität Tübingen, 1925 Ao. Professor. 1925 bis 1927 war er Ordinarius für indische Philosophie und Allgemeine Religionsgeschichte an der Universität Marburg, 1927 bis 1945 an der Universität Tübingen. 1933 trat er aus der Evangelischen Kirche aus und gründete die »Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Glaubensbewegung«, 1934 trat er in die SS ein, 1935 wurde er Mitglied des NS-Dozentenbundes, 1937 der NSDAP. 1945 bis 1947 war er interniert, 1949 wurde er nach einem Verfahren als »Mitläufer« eingestuft und pensioniert. 1950 gründete er die »Arbeitsgemeinschaft für freie Religionsforschung und Philosophie«, die sich ab 1956 »Freie Akademie« nannte.

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interessiert und wenn es für Dich keine große Auslage ist, so bitte ich Dich sehr um die Zusendung des Bergland-Heftes. Die periodische Schimpferei von der Großmutter ist man ja schon gewöhnt und Du wirst Dir auch darüber keine grauen Haare wachsen lassen. Hast Du am Dienstag, den 21. Mai, die große Friedensrede von unserem Führer im Reichstag gehört  ?115 Die ausländischen Diplomaten zerbrechen sich den Kopf und müssen schön langsam beigeben. Wie Du aus dem Brief an Rena siehst, habe ich sie um etwas ersucht und gleichzeitig bitte ich auch um Deine Unterstützung oder zumindest die nötige Anregung bei Rena. Heute z. B. ist gerade wieder eine Kommission für Rassenforschung hier, wo zum Großteil nur über die Vorfahren gefragt wird. Auch habe ich vergangene Woche wieder ein Gesuch wegen Deiner Unterstützung eingereicht, vielleicht hilfts etwas. (…) Wie ein Stammbaum aussieht, weißt Du ja  ! Doch will ich einen ziemlich ausführlichen und zwar von den Urgroßeltern väterlicherseits und mütterlicherseits mit folgenden Angaben von jedem  : Name, geboren (mindestens die Jahreszahl), wieviel Kinder (Geschl.), besondere Eigenschaften (geistiger und moralischer Natur), schicksalwendende Ereignisse, in welchem Alter und an welchen Ursachen gestorben. 115 Am 16. März 1935 war von der deutschen Reichsregierung das Gesetz für den Aufbau der Wehrmacht und die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht beschlossen worden. Dies rief bei Frankreich, Großbritannien und Italien Beunruhigung hervor. Die drei Mächte erklärten auf ihrem Treffen in Strea am Lago Maggiore vom 11. bis 14. April ihre Beunruhigung über das Vorgehen Berlins bei der Frage der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht. Auch der Völkerbundrat stellte am 17. April ein eigenmächtiges Vorgehen Deutschlands in dieser Frage, das dem Versailler Vertrag widerspreche und die Sicherheit Europas gefährde, fest. Ungeachtet dessen verkündete Hitler am 21. Mai in einer Sitzung des Kabinetts das neue Wehrgesetz, in dem der Führer und Reichskanzler als oberster Befehlshaber der Wehrmacht bezeichnet wurde und über die Dauer der Wehrpflicht absichtlich keine Angaben gemacht wurden. Ein am selben Tag herausgegebener Erlass sprach aus diplomatischen Gründen von einer Wehrdienstzeit von einem Jahr, wobei eine Erhöhung der Wehrdienstzeit auf zwei Jahre bereits beschlossene Sache war. Angesichts der internationalen Reaktionen hielt es Hitler für notwendig, vor dem Reichstag neuerlich eine »Friedensrede« zu halten, die an jene vom 17. Mai 1933 anschloss und deren Zweck es war, die Welt von der angeblichen Friedfertigkeit der deutschen Politik zu überzeugen. So erklärte er  : »Das nationalsozialistische Deutschland will den Frieden aus tiefinnersten weltanschaulichen Überzeugungen. Es will ihn weiter aus der einfachen primitiven Erkenntnis, dass kein Krieg geeignet sein würde, das Wesen unserer allgemeinen europäischen Not zu beheben, wohl aber diese zu vermehren.« Er sei bereit, mit allen Ländern – mit Ausnahme Litauens – einen Nichtangriffspakt zu schließen (Wegen der vertragswidrigen Besetzung des Memelgebietes 1923 durch Litauen) und habe keineswegs die Absicht, Österreich »zu annektieren oder anzuschließen«. Berlin werde sich auch nicht in innerösterreichische Angelegenheiten einmengen. Vgl. Domarus  : Hitler. Reden 1932 bis 1945. Bd. 2. S. 505ff.

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Ich weiß, dass es viel Arbeit ist, doch er gewinnt erst dadurch an Wert und ergibt aufschlussreiche Ergebnisse. Also, an die Arbeit und viel Erfolg (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 24. Juni 1935 Zl. 5687 (341.219/35) Betr.: Flüsterpropaganda. An das Bundeskanzleramt St. B. in Wien. Laut h. a. in Erfahrung gebrachten Mitteilungen befasst sich die nationalsozialistische Flüsterpropaganda mit dem Bau der Glocknerstraße und wird erzählt 1. dass der Glocknerstraßenbau auf Betreiben Italiens forciert wird und von Italien finanziell unterstützt wird, 2. dass bei der Festlegung der Trasse, besonders der Abzweigungen (zur Edelweißspitze etc., der Parkplätze) militärische Momente Italiens mitwirkten (Schaffung von Geschützstellungen zur Beherrschung der Nordrampe), 3. dass wiederholt Gruppenbesuche von italienischen Offizieren stattfinden, bei der Generalstabsoffiziere an Hand von Karten den anderen Offizieren ganz offen militärische Vorträge halten. Polizeikommissariat Wels Wels, 1. Juli 1935 R. Präs. Zl. 93/N/35 Betr.: Nationalsozialistische Betätigung in Salzburg. Information Von vertraulicher Seite konnte heute Folgendes über die illegale Betätigung der NSDAP in Salzburg festgestellt werden  : 1. Als Gaubevollmächtigter für das Bundesland Salzburg dürfte der ehemalige Landesgerichtsrat Dr. Jennewein116 in Betracht kommen. Jennewein wurde öfters in Gesellschaft des Georg Burggassner (…) gesehen. 2. Brigadeführer der SA im Lande Salzburg ist der ehemalige Bahnbeamte Georg Burgassner. 116 Dr. Anton Jennewein wurde nach dem Anschluss Bezirkshauptmann von Hallein und Leiter des NS-Untersuchungsausschusses über das politische Verhalten der Salzburger Beamtenschaft.

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3. Führer der SA Standarte 59 von Salzburg und vermutlich auch Stellvertreter des Burggassner ist dessen Schwager namens Besel,117 Trafikant in Salzburg, Getreidegasse. 4. SA Sturmbannführer sind  : Der Tischlermeister Lang, wohnhaft in der Elisabethvorstadt in Salzburg, und der Malergehilfe Auinger, wohnhaft in Lehen, Salzburg. Die übrigen 4 Sturmbannführer sind nicht bekannt. Langs Sturmbann umfasst das Gebiet Tennengau, der Auingers den Flachgau. Die SA Brigade des Bundeslandes Salzburg dürfte 2000 bis 4000 Mann stark sein und hat zwei Standarten  : Die Standarte 59, die sich von Salzburg bis zum Pass Lueg erstreckt. Die Standarte 41 umfasst das Gebiet westlich des Pass Lueg, also Pongau, Pinzgau. 5. Der Privatbeamte Feichtner, Salzburg, Riesenburgstr. wohnhaft, war früher Adjutant des Standartenführers Patzelt und dürfte auch heute noch Adjutant des Standartenführers Besel sein. 6. Dem Namen nach ist Führer der SA-Motorstandarte für das Bundesland Salzburg ein gewisser Fessmann,118 derzeit arbeitslos, der im Vorjahr als Minderbeteiligter beim Juliputsch im Anhaltelager Wöllersdorf interniert war. Der eigentliche Führer dürfte Ing. Feichtner,119 in Salzburg, Bärengässchen wohnhaft, sein, der dem Namen nach Stellvertreter des Fessmann ist. Die SA-Motorstandarte hat 2 SA-Motorstaffeln  : 1 Motorstaffel umfasst das Gebiet Salzburg bis zum Pass Lueg  ; die andere das Gebiet jenseits des Passes Lueg (Pongau, Pinzgau). 7. Führer der SA-Motorstaffel für die Stadt Salzburg und deren Umgebung ist der Holzhändler Kastner.120 (…) 8. Der Führer der zweiten Motorstaffel ist unbekannt. 9. Geldverwalter der SA-Motorstaffel war vom Mai 1934 bis Juli 1934 zuverlässig der in der Kindernährmittelfabrik im äußeren Nonntal als Beamter angestellte Kurz.121 Ob er noch heute diese Funktion bekleidet, konnte nicht festgestellt werden. Die Stärke der SA-Motorstandarte beträgt ca. 600 bis 700 Mann, darunter ungefähr 300 Kraftfahrzeugbesitzer. (…) Nachstehend angeführte Personen gehören der illegalen SA-Motorstaffel an und sind Besitzer von Personenautos  :

117 Muss heißen Ottokar Besl. Besl bekleidete nach dem Anschluss die Funktion eines Leiters des Schatzamtes der Gauleitung Salzburg. 118 Karl Fessmann war nach dem Anschluss Leiter der Geschäftsführung/Organisation der Gauleitung Salzburg. 119 Ing. Franz Feichtner war nach dem Anschluss Stadtrat in der Stadt Salzburg. 120 Rudolf Kastner wurde 1938 Kreisleiter von Bischofshofen. 121 Rudolf von Kurz (?) wurde nach dem Anschluss Kreisleiter von Hallein.

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Otto Rösele, Truppführer, Landschaftsfotograf bei Jurischek in Salzburg, Paris Lodron Str., (…) Oskar Schmidt, Autowerkstättenbesitzer in Riedenburg, (…) Fritz Nietl, Geschäftsführer der Fa. Stanko & Sohn, Salzburg, Bismarckstr. (…) Nachstehend angeführte Personen gehören gleichfalls der SA-Motorstaffel Salzburg an und sind Besitzer von Motorrädern mit und ohne Beiwagen  : Der bereits erwähnte Ing. Feichtner (…) Der Tischler Julian Kastner, Salzburg Stadt wohnhaft, (…) Eduard Haunschmidt (…) Engelbert Tosetto (…) Der Autowerkstättenbesitzer Oskar Schmidt hat öfters vor dem Juliputsch 1934 seine eigenen Personen- und Lastkraftwagen zu Fahrten für illegale Zwecke zur Verfügung gestellt. Er dürfte den Ford-Wagen auch nach dem Juliputsch fallweise zur Verfügung gestellt haben. In dem übrigen Bundeslande Salzburg außerhalb der Stadt Salzburg hat die Motorstaffel ungefähr 40 bis 50 Personenautos bzw. Lastkraftwagen, ca 40 Motorräder mit Beiwagen. Der Standort der Besitzer der Autos ist unbekannt, desgleichen auch die Besitzer der Motorräder. Bei der Autounternehmung »Albus« in Salzburg befinden sich 5 Chauffeure, einer davon heißt Gaschnigg, die übrigen Namen sind bisher noch unbekannt, die gleichfalls Mitglieder der SA-Motorstaffel Salzburgs sind. Dieselben würden im Bedarfsfalle sämtliche Wagen der »Albus« zur Beförderung von SA-Leuten bereitstellen. Weiters wurde noch bekannt  : Am Tage des Sprengstoffanschlages im Festspielhaus in Salzburg im Mai oder Juni 1934 stand zur Zeit des Anschlages ein gewisser Fritz Walcher, der beim Werkstättenbesitzer Oskar Schmidt als Mechaniker beschäftigt war, mit dem Personenauto Marke »Ford« vor dem Festspielhaus. Walcher Fritz hat von dort 4 SS-Männer mit dem erwähnten Auto unmittelbar nach dem Anschlage nach Gnigl geführt, woselbst später ein Lichtleitungsanschlag stattgefunden hat oder ein solcher geplant war. Fritz Walcher ist glaublich im April 1935 nach Deutschland geflüchtet und eben zur gleichen Zeit sind auch Raimund Crammer und Ludwig Prangl geflüchtet, die ebenfalls bei Oskar Schmidt und zwar Crammer als Buchhalter und Prangl als Mechaniker beschäftigt waren. (…)

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 10. Juli 1935 Zl. 2047/3 Betr.: Nationalsozialistische Klebezettel in Hallein, Androhung des Fotografierens für das »Erkenntnisbuch«. An das Bundeskanzleramt St. B. in Wien. Am 30. Juni 1935 fand in Hallein ein Aufmarsch des Heimatschutzes Tennengau statt, der ohne Störung verlief. In der Nacht zum 30. Juni 1935 wurden im Salinenviertel in Hallein, wahrscheinlich aus Anlass des stattfindenden Aufmarsches des Heimatschutzes, mehrere Klebezettel, wie sie auch schon am letzten Jahrestage der Kriegserklärung Italiens an Österreich vertrieben wurden, aufgeklebt. Es war nur möglich, ein ganzes Exemplar dieser Zettel herabzubringen. Dasselbe ist 5 x 7 cm groß, trägt an einem roten Streifen das Hakenkreuz und folgenden Text in Druckschrift  : »Zum Jahrestag der Kriegserklärung Italiens an Österreich-Ungarn am 23. Mai 1915. Ein Treubruch, wie ihn die Geschichte nicht kennt. Franz Josef I. m. p. – Schuschnigg und Starhemberg haben es vergessen. Wir nicht  ! Heil Hitler  !« Am Haustore des Gauwehrführers des Heimatschutzes, Nikolaus Schlam, der früher der nationalen Bewegung, Schulz-Richtung, angehörte, waren neben diesen vorbeschriebenen Zetteln auch Druckzettel mit der Aufschrift  : »Wir fotografieren, um Sie im Erkenntnisbuche zu vermerken« aufgeklebt. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 1. August 1935 Zl.6661 Betr.: Windisch Josef und Poandl Andreas, unbefugter Grenzübertritt. An das Bundeskanzleramt G. D./St. B. in Wien. Anbei werden zwei Protokolle, die mit den aus Deutschland zurückgestellten Flüchtlingen Josef Windisch und Andreas Poandl aufgenommen wurden,122 zur Kenntnisnahme vorgelegt. 122 In die Dokumentation wurde nur das Protokoll Windisch aufgenommen, da es erheblich umfang-

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Die Genannten wurden am 27. Juli vom Gendarmerieposten Unken wegen unbefugten Grenzübertritts festgenommen und der Bezirkshauptmannschaft Zell am See vorgeführt. Protokoll aufgenommen am 27. Juli 1935 in der Postenkanzlei zu Unken mit dem aus Deutschland zurückgekehrten, wegen unbefugten Grenzübertritts festgenommenen Josef Windisch, am 20. Oktober 1896 in Grieselstein, Bezirk Jennersdorf, Burgenland, geboren und zuständig, Tischlergehilfe, angeblich in Graz, Neubaugasse Nr. 76, wohnhaft. »Ich ging am 10. Juni 1935 aus der Tschechoslowakei über die Grenze nach Deutschland. Irgendeinen politischen Hintergrund hatte mein Grenzübertritt nicht, sondern begab ich mich nur deshalb in das Dritte Reich, um dort Arbeit zu finden. Ich kam zuerst nach Hof und hielt mich dort zwei Tage auf, wo ich bei einem Seifensieder für Verpflegung und Wohnung sowie eine Entschädigung von 5 Mark pro Woche Arbeit bekommen hätte. Diese Arbeit nahm ich nicht an, da mir die Entlohnung viel zu gering war. Von Hof aus begab ich mich über Regensburg, Nürnberg nach München. Dort ging ich ins Heim der Österreicher, um eine Schlafgelegenheit zu haben. Bevor man mich in das Heim einließ, frug man mich um die Mitgliedskarte der NSDAP. Da ich eine solche nicht vorweisen konnte, wies man mich ab. Man sagte mir, ich soll zur Politischen Polizei gehen. Da ich in München in der Tischlerei eines gewissen Hoffmann Arbeit bekommen hätte, aber, um die Arbeit verrichten zu können, die Aufenthalts- bzw. Arbeitsbewilligung der Politischen Polizei benötigte, begab ich mich in das Amt der Politischen Polizei. Dies war am 24. Juli 1935 gegen Mittag. Dort wurde ich von einem Herren in Zivil vernommen und gefragt, ob ich Mitglied der NSDAP sei. Als ich ihm gesagt hatte, dass dies vorläufig noch nicht der Fall sei, frug er mich, ob ich Flüchtling sei. Als ich dies wieder verneinte, sagte er mir, da wird es wohl schwer sein, mich in Deutschland arbeiten zu lassen, außer ich gehe zur Österreichischen Legion. In diesem Falle müsste ich eine Ausbildung in der Dauer von drei Monaten machen – so sprach der Herr in Zivil weiter – und bekomme ich hernach einen sogenannten Flüchtlingspass. Nach Erlangung des Flüchtlingspasses würde ich, wie der Herr sich weiter äußerte, ohne weiteres Arbeit erhalten. Der Herr sagte mir auch, dass ich die Ausbildung bei der Legion in der Nähe der holländischen Grenze – er nannte auch einen Ort, an den ich mich aber nicht mehr erinnern kann – machen müsste. Ich sagte dem Herren, dass ich für die Legionsausbildung schon zu alt und übrigens vom Kriege her vom Soldatenspielen genug hätte. Hierauf erklärte mir der Herr, dann müsse ich wieder nach Österreich. Ich konnte dann gehen und begab mich wieder in das städtische Fürsorgeheim. Am 25. Juli 1935 früh reichere Angaben enthält.

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wurde ich dann festgenommen und mit einem Schnelllastwagen nach Schneuzelreith und von dort zu Fuß zur Grenze gebracht. Soviel ich sah, sind die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland nicht allzu rosig. Die Lebensverhältnisse sind ziemlich teuer. Ein Tischler verdient im Reiche pro Woche 25 bis 35 Mark. Davon werden in der Woche durchschnittlich 6 Mark für verschiedene Abgaben abgezogen. Bei einem ledigen Arbeiter ist der Abzug noch größer. In Österreich lässt sich beispielsweise mit einem Betrag von 30 S in der Woche bedeutend besser leben als in Deutschland mit 30 Mark. Auch in Deutschland gibt es Arbeitslose. Ich sah bei meinem Herumreisen genug vagabundierende Handwerksburschen, allerdings nur solche, die das 25. Lebensjahr überschritten haben. Soweit sind die Leute im Reiche zufrieden, nur schimpfen manche über die niederen Löhne und die hohen Abgaben. Nach meinem Dafürhalten sind die Bauern am wenigsten zufrieden. Diese schimpfen über die großen Abgaben und das herrschende Zwangsverhältnis. Ich habe die Wahrnehmung gemacht, dass die Leute ziemlich zurückhaltend sind und wenig sprechen. Man getraut sich nicht, sich gegenseitig auszusprechen. Der Grund dürfte darin liegen, weil jedes Parteimitglied das Recht hat, einen Menschen, der etwas Unrechtes sagt, festzunehmen und dem nächsten Schutzmanne zu übergeben. Uniformierte, besonders SA und SS-Leute, laufen vor allem in München sehr viele herum. Militär sieht man weniger. (…) In München traf ich auch einen mir nicht bekannten Legionär, der die Verhältnisse recht lobte. Überhaupt sieht man in dieser Stadt viele Österreicher, die rote Blusenkragenaufschläge tragen. Ein bayerischer SA-Mann, mit dem ich Gelegenheit hatte zu sprechen, schimpfte über die Legionäre sehr. Daraus schließe ich, dass sich die reichsdeutschen SA-Leute und die Legionäre nicht gut verstehen. Bei den Legionären, die ich herumlaufen sah, habe ich nur Bajonette gesehen. Eine marschierende oder geschlossene Legionsabteilung sah ich überhaupt nicht, Desgleichen kam ich auch nie in ein Lager der Legionäre. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 11. September 1935 Zl. 7440 (358.115/35) Betr.: Nationalsozialistische Flugschriften (Der Kampf) … An das Bundeskanzleramt St. B. in Wien. Dem Bürgermeister Sebastian Lanner in Neukirchen am Großvenediger wurde von Wien aus beiliegende nationalsozialistische Flugschrift (…) per Post zugesandt. (…)

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Der Kampf Hitler oder Rom  ? »Die Kulturdenkmäler der Menschheit waren noch immer die Altäre der Besinnung auf ihre bessere Mission und Höhere Würde.« Adolf Hitler Die österreichische Regierung ist nicht allein bemüht, den sagenhaften »österreichischen Menschen« zu züchten – wobei die bisherigen Ergebnisse allerdings einen Typ zeigen, der bereits als »Untermensch« weit bekannt war -, sondern sie versucht auch, eine eigene, von der deutschen wesensverschiedene »österreichische« Kultur zu erfinden, um dadurch das Deutschtum der Ostmark auch innerlich dem Gesamtdeutschtum zu entfremden. Darin bewährt sich unsere Regierung allerdings tatsächlich als echte Hüterin »altösterreichischer« Tradition  ; denn seit der Gegenreformation war die katholische Geistlichkeit unter der Führung von Jesuiten gemeinsam mit den Habsburgern eifrig bemüht, auf jedem Gebiete der Kultur dem deutschen Österreicher wesensfremde, ja feindliche Werte aufzuzwingen, um so die Seele des Volkes zu vergiften, es seines angestammten deutschen Charakters zu berauben, um dann die kraftlos und charakterlos gewordene Masse widerstandslos leiten und beherrschen zu können. Denn der Wert und die Bedeutung jeder bodenständigen echten Volkskultur liegt ja darin, dass sich in ihr das Volk seines eigenen Wertes bewusst wird, aus ihr die Kraft zum Ausharren und Widerstehen findet, im Augenblick der Unentschlossenheit und Schwäche durch sie den Sinn gewinnt für »seine bessere Mission und höhere Würde.« Um dies für immer zu verhindern, zog zur Zeit der Gegenreformation im Namen der »christlichen Liebe« neben Scheiterhaufen, Blutgericht und Denunziantentum das Barock in das blühendste Land der deutschen Gotik  ; die alten Dome, die viel zu viel von deutschem Glauben und deutschem Gottsuchen redeten, wurden in mehreren Orten dem Erdboden gleichgemacht, die gotischen Altäre und Bilder mussten in die Rumpelkammern wandern, die alten Bürgerhäuser wichen vielfach aufgedonnerten Protzbauten, der deutsche Schwank, das tiefschlichte Mysterienspiel, sie mussten alle dem Tamtam, dem Flitter und Plunder des welschen Theaters und der welschen Oper weichen. In den Bauhütten wurden die bodenständigen deutschen Künstler von italienischen Figurinis verdrängt, der deutsche Spielmann und Sänger musste vor italienischen Akteuren das Feld räumen usw. Das volksfremde Treiben aber, das deutschem Wollen und Wesen keinen Platz lassen will in seiner angestammten Heimat, geht lustig weiter bis auf den heutigen Tag, wie das vor kurzem abgeschlossene »Kulturabkommen« mit Italien zeigt.

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Nicht eine österreichische Kultur wurde und wird also geschaffen und kann auch nicht auf diese Weise geschaffen werden, denn echte Kultur ist ja nichts anderes als der Ausdruck des Seelenlebens eines ganzen Volkes und darum von den Begriffen Volk und Volkstum völlig untrennbar, was hier vor sich ging und heute wiederum vor sich geht ist die bewusste Verwelschung eines einstmals blühenden deutschen Landes, der »österreichische Barockmensch«, von dem man jetzt so viel zu hören und zu lesen bekommt, ist eine armselige Kreatur, geschaffen als Wegbereiter welscher Macht und Eroberungspolitik. Wir stehen in Österreich heute wiederum vor der Entscheidungsfrage, ob wir in der naturgegebenen mit allen anderen Deutschen leben und schaffen wollen, oder ob wir als würdelose Nachäffer fremder Art und Kultur künftig ein trauriges Bedientendasein in Europa fristen wollen. Einst konnte der große Sänger für Deutschlands Ruhm und Freiheit, Walter von der Vogelweide, in Österreich singen und sagen lernen, so muss es wieder sein  ! Sollten etwa unsere Kinder Affen und Papageien welscher Narrenkünste werden  ? N e i n und nochmals n e i n   ! (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 7. November 1935 Geschäftszahl  : 365.986 G. D./St. B. 35 (Vorzahl  : 359.926 St. B. 35.) Gegenstand  : Versuchte Sprengstoffanschläge auf Persönlichkeiten in Salzburg  ; (…) Amtsnotiz. Das Amt des Sicherheitsdirektors für Oberösterreich (Major Berger) gibt am 18. September 1935 um 10 Uhr 15 fernmündlich bekannt  : Von der Bundespolizeidirektion in Salzburg wurde der Bundespolizeidirektion in Linz heute Vormittag Nachstehendes mitgeteilt  : In Salzburg hat sich eine nationalsozialistische Terrorgruppe selbständig gemacht und wurde nach verlässlichen Nachrichten ein Mann (…) mit dem Zuge um 6 Uhr oder 7 Uhr 30 von Salzburg nach Linz entsendet, der die Aufgabe hat, 10 Pakete kleinen Formates mit der Deklaration »Rechenschieber« an prominente Personen Salzburgs aufzugeben. Die kleinen Pakete enthalten Sprengstoffe. Von der Bundespolizeidirektion Linz wurde die Überwachung des Bahnhofes veranlasst. Ferner wurden alle Gendarmerieposten verständigt, um die Postämter auf die Möglichkeit der Aufgabe von solchen Paketen aufmerksam zu machen. (…) Amtsnotiz.

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Das Amt des Sicherheitsdirektors für Salzburg (Polizeirayonsinspektor Eisenberger) gibt über Anfrage i. k. W. die Adressaten der Sprengstoffpakete bekannt  : Fürsterzbischof Dr. Sigismund Waitz, Salzburg, Kapitelplatz Nr. 2. Gustav Bachmayer, Inspekor des E-Werkes, Salzburg, Maiburgerkai Nr. 20 wohnhaft., vaterländisch eingestellt. Johann Fazinelli, Gastwirt, Salzburg, Paris-Lodron-Str. Nr. 21 wohnhaft, hervorragendes Mitglied des Heimatschutzes. Leonard Steinwender, Chefredakteur der »Salzburger Chronik«, Salzburg. Dreifaltigkeitsgasse Nr. 17 wohnhaft, vaterländisch eingestellt. Albert Posch, Konditor, Salzburg, Linzergasse Nr. 26, vaterländisch eingestellt. Michael Dobler, Bäckermeister, Salzburg, Gaswerkgasse Nr. 24, ehemaliger sozialdemokratischer Vizebürgermeister von Salzburg. Hermann Musil, Justizwacheoberkontrollor, Aigen-Abfalter Nr. 101 wohnhaft. Joseph Lux, Schriftsteller, Anif Nr. 5 wohnhaft. Franz Mayer, Polizeirat, Salzburg, Südtirolerplatz. Simon Abram, Salzburg, Dollfußplatz Nr. 7 wohnhaft, ehemaliger sozialdemokra­ tischer Nationalrat. Wien, am 19. September 1935. Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 22. September 1935 Zl.: 96/145–res–35. Betr.: Sprengstoffanschläge. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St. B., in Wien. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich, im Anhange zu ihrem Berichte vom 18.9. 1935 nachstehenden abschließenden Bericht in Vorlage zu bringen. Die Bundespolizeidirektion hat im Wege des h. a. organisierten Nachrichtendiens­ tes am 18.9.1935 in den Morgenstunden in Erfahrung gebracht, dass sich eine Terrorgruppe der NSDAP gebildet habe, die mit den Tendenzen und Richtlinien der illegalen NSDAP nicht mehr einverstanden ist, sondern auf eigene Faust zu arbeiten gedenkt. Von dieser Gruppe sei beabsichtigt, am 18.9.1935 zehn Pakete kleinen Umfanges, geringen Gewichtes, mit der Deklaration »Rechenschieber« an 10 Personen, die in Salzburg wohnhaft sind, aufzugeben. Diese Pakete beinhalten Sprengkörper, die bei Öffnung zur Explosion gebracht werden sollen. Die Bundespolizeidirektion hat daraufhin sofort umfassende Vorkehrungen getroffen, sich mit der Bundespolizeidirektion in Linz in Verbindung gesetzt und ersucht, dass durch diese sämtliche Postämter in Linz und womöglich auch in der Um-

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gebung von Linz unter strenge Beobachtung gestellt werden. Tatsächlich wurden in der Mittagszeit des 18. September zwischen ½ 12 und ½ 4 Uhr nachmittags durch eine Person diese 10 Pakete aufgegeben, die leider auf frischer Tat nicht verhaftet werden konnte, da, während das Postamt in den Mittagsstunden gesperrt war, ein Beobachtung unterblieb und die Sendungen nicht im Postamte aufgegeben wurden, sondern in dem Briefkasten für Mustersendungen hinterlegt wurden. 123 Aufgrund der eingeleiteten umfassenden Erhebungen wurde der Verdacht rege, dass der arbeitslose Handelsangestellte Wilhelm Zimmel, am 15.2.1916 in Gmünd geboren, nach Salzburg zuständig, röm. kath., ledig, Salzburg, Augustinergasse 11 wohnhaft, derzeit in Grünburg in Aufenthalt gewesen, die Pakete nach Linz gebracht und aufgegeben habe. Zimmel wurde in Grünburg in Oberösterreich ausgeforscht und noch in den späten Nachtstunden verhaftet. Nach langwierigen Verhören gestand Zimmel ein, dass er vor längerer Zeit sich den nationalsozialistischen Ideen zugewandt habe – früher gehörte er dem christlichen Arbeiter-Turnverein an und ist ein Schwager des letzten Sekretärs der Christlichsozialen Partei, des derzeitigen Sekretärs der hiesigen Arbeiterkammer Dr. Schober – und dass er wegen dieser seiner Einstellung wiederholt Verdrießlichkeiten mit seinen Eltern, die christlichsozial orientiert sind, hatte. Er lernte im Maxglaner Turnverein unter anderem den Tischlermeister Johann Hochwarter, 30.4.1917 Leobersdorf, Niederösterreich, geboren, Litzelsdorf, Burgenland, zuständig, evang., ledig, Salzburg, Getreidegasse Nr. 4 wohnhaft, den Schuhmachergehilfen Johann Danninger, 18.11.1910 in Gmunden geboren und zuständig, röm. kath., ledig, Maxglan, Almgasse 10 wohnhaft, den Fleischhauergehilfen Franz Haslwimmer, 27.1.1908 Rott, Bezirk Salzburg, geboren, Siezenheim zuständig, röm. kath., ledig, Maxglan, Maxglaner Hauptstr. 14 wohnhaft, und den Maurer Johann Haslauer, 18.6.1902 Leopoldskron geboren und zuständig, röm. kath., verh., Leopoldskron Nr. 109 wohnhaft, kennen. Er habe sich mit diesen angefreundet, da diese auch überzeugte Nationalsozialisten wären. Eine Teilnahme oder Mitwisserschaft an den geplanten Sprengstoffanschlägen stellt er ganz entschieden in Abrede und führte auch einen Alibibeweis dahingehend, dass er in Linz die Pakete nie aufgeben hätte können, da er zur kritischen Zeit mit Bekannten auf einer Bergtour im Toten Gebirge war. Die Überprüfung des Alibibeweises ergab, dass Zimmel tatsächlich nicht als derjenige in Betracht komme, der die Pakete in Linz aufgegeben hatte. Im Zuge dieser Einvernahme wurde der Verdacht rege, dass das im Juni i. J. auf ähnliche Weise versuchte Sprengstoffattentat an Oberst i. R. Alfons Bernhard von den gleichen Tätern wie sie bei den vorerwähnten Anschlägen in Frage kommen, 123 Die Pakete wurden schließlich abgefangen, doch wurde ein Kriminalbeamter in Linz beim Öffnen eines Paketes durch eine Explosion schwer verletzt.

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verübt wurde, da bei diesem Attentate dieselbe Montage und gleich ähnliche Gummibänder und Stoffreste Verwendung gefunden haben. Es wurde nun auch Zimmel betreffend dieses Faktums eingehend einem Verhör unterzogen und gestand er schließlich nach langem hartnäckigem Leugnen ein, dass er der Aufgeber der an Oberst Bernhard aufgegebenen Höllenmaschine war. Zimmel gestand, dass er die Adresse auf das Postpaket schrieb und dass zuerst geplant war, diese Sendung als Muster ohne Wert aufzugeben, da jedoch seitens des Postbeamten diese Sendung als für die Aufgabe als Muster ohne Wert für nicht geeignet bezeichnet wurde, musste er sie als normale Paketsendung aufgeben. Er gestand weiters ein, dass Hochwarter und Danninger ihm diese Sendung zur Aufgabe übergeben haben, will aber glauben machen, dass er wohl wusste, dass es sich dabei um irgend eine strafbare Handlung der beiden vorerwähnten Nationalsozialisten handle, nicht aber, dass in dem von ihm aufgegebenen Pakete ein Sprengkörper enthalten war. Diese Verantwortung erscheint schon deshalb unglaubwürdig, da er zugibt, von Danninger und Hochwarter dahingehend informiert worden zu sein, dass er bei der Aufgabe dieser Sendung besonders vorsichtig sein soll, da sie sehr heikel wäre. Es bestand daher kein Zweifel mehr darüber, dass Hochwarter und Danninger auch die Erzeuger der 10 Höllenmaschinen waren und ist die Bundespolizeidirektion sofort zur Verhaftung der Vorgenannten geschritten, doch konnte diese nicht mehr durchgeführt werden, da an Ort und Stelle festgestellt wurde, dass die beiden bereits zu jener Zeit nach Deutschland flüchteten, als die Pakete zur Aufgabe gelangten. Die Hausdurchsuchung aber lieferte einwandfreies Beweismaterial dahingehend zutage, dass die beiden Vorgenannten tatsächlich als die Erzeuger dieser Höllenmaschinen in Betracht kämen. Bei der Hausdurchsuchung wurden bei dem Tischlermeister Johann Hochwarter Holzstücke derselben Qualität vorgefunden, wie sie bei der Montierung der Pakete verwendet wurden  ; in der Lederhose Danningers konnte ein Gummiband vorgefunden werden, welches gleicher Art und Beschaffenheit ist, wie es ebenfalls bei der Montierung der Sprengkörper Verwendung fand. Da die Bundespolizeidirektion auch von anderer Seite vertrauliche Mitteilungen erhielt, dass bei dieser Terrorgruppe der vorgenannte Franz Haslwimmer und Johann Haslauer ebenfalls aktiv beteiligt sind, wurden die beiden Vorgenannten ausgeforscht und verhaftet. In den Wohnungen der beiden Vorgenannten wurde nichts Bedenkliches vorgefunden. Haslwimmer, der nach wie vor jede Mitwisserschaft leugnet, gab nach stundenlangem Verhör lediglich zu, dass er in Kenntnis gesetzt wurde, dass Hochwarter und Danninger nach Deutschland geflohen seien, weil ihnen der Boden zu heiß wurde. Es besteht kein Zweifel, dass Haslwimmer dieser Terrorgruppe angehörte, sich zweifellos auch aktiv betätigte, doch verfolgte er mit aller Energie die alte Taktik zu

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leugnen und ist diesem Standpunkt gerade jetzt besonders treu geblieben, da seine Mittäter und Hauptbeschuldigten bereits flüchtig sind und er daher nicht zu befürchten habe, dass durch die gegenseitigen Einvernahmen er eventuell überführt werden könnte. Die gleiche Taktik befolgt der verhaftete Haslauer. Dieser stand schon im vorigen Jahre wiederholt im dringenden Verdachte, sich mit Schmuggel von Sprengmittelkörpern von Deutschland nach Österreich zu befassen, doch gelang es nie, ihn überweisen zu können. Durch Vertrauenspersonen konnte nun festgestellt werden, dass Zimmel tatsächlich in Aussicht genommen war, gerade so wie im Falle Bernhard, die Aufgabe der Pakete zu besorgen, dass aber im letzten Moment von diesem Plan Abstand genommen werden musste, weil Zimmel von einer Bergtour nicht rechtzeitig zurückgekehrt war. Aufgrund eingehender Erhebungen richtete sich der Verdacht, in Linz gewesen zu sein und die Pakete aufgegeben zu haben, gegen den Schriftsetzer Alfred Stopfner, 28.2.1915 Mauerkirchen, Oberösterreich, geboren, Maxglan zuständig, röm. kath., ledig, Maxglan, Dollfußstr. 19 wohnhaft. Die Erhebungen ergaben, dass der Vorgenannte in den Morgenstunden des 19. September i. J., also am Tage, an welchem die Pakete hätten zugestellt werden sollen, seine Wohnung verließ, in diese nicht mehr zurückkehrte und nach der ganzen Sachlage ebenfalls nach Deutschland flüchtete. Im Zuge der durchgeführten Erhebungen wurde festgestellt, dass das Gasthaus Richter in Maxglan der Zusammenkunftsort der Nationalsozialisten war und dass dort selbst illegale Versammlungen abgehalten wurden. Das Gasthaus wurde gesperrt und das Verfahren gegen die Besitzer eingeleitet. Es wird der Entzug der Konzession beantragt werden. Es kam aber auch zutage, dass im Deutschen Turnverein in Maxglan sich die Nationalsozialisten versammelten und zweifellos unter dem Deckmantel dieses Vereines illegale Propaganda betrieben. Die Bundespolizeidirektion hat die Einstellung der Tätigkeit des Turnvereines verfügt und die Auflösung desselben beantragt. Die Bundespolizeidirektion wird gegen die Obgenannten die Strafanzeige wegen Mordversuches und wegen Verbrechens nach dem Sprengstoffgesetz an das Standgericht in Wien erstatten. Gleichzeitig werden gegen die Vorgenannten die höchsten zulässigen Verwaltungsstrafen verhängt werden. Die deutschen Behörden werden um die Ausforschung, Verhaftung und Auslieferung der Flüchtlinge ersucht. (…)

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Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 3. November 1935 Zl. 96/210–res–35 (369.116/35) Betr.: Verhaftung mehrerer Mitglieder der reorganisierten SA-Motorstaffel in der Stadt Salzburg. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit (St. B.) in Wien I., Herrengasse 7. Der Bundespolizeidirektion wurde vertraulich zur Kenntnis gebracht, dass die vor dem Verbot der NSDAP in Salzburg bestandene Motorstaffel der SA in der letzten Zeit reorganisiert wurde und mehrere Mitglieder derselben bereits einen Appell abgehalten haben und auch Mitgliedsbeiträge eingesammelt wurden. Die Bundespolizeidirektion konnte die Mitglieder, die beim Appell, der am 2. oder 3. Oktober 1935 im Augustiner Bräustübel in Salzburg abgehalten wurde, anwesend waren, am 28. Oktober 1935 verhaften. Es sind dies  : der arbeitslose Chauffeur Valentin Plainer, am 13.2.1903 in Gnigl geb. und zust., ev. A. B., verh., Salzburg-Itzling, Lagerhausstr. 17 wohnhaft, der arbeitslose Hilfsarbeiter Johann Wetzlmayer, am 7.6.1913 in Salzburg-Gnigl geb. und zust., evang. A. B., ledig, Salzburg-Itzling, Poschingerstraße 5 wohnhaft, der derzeit außer Dienst gestellte Kassenbeamte der Krankenversicherungsanstalt für Angestellte Hubert Janschek, am 3.6.1901 in Salzburg geb., nach Linz zust., evang. A. B., verh., Salzburg-Itzling, Hauptstraße 50 wohnhaft, der Malermeister Otto Metz, am 19.9.1909 in Salzburg geb., staatenlos, evang. A. B., Salzburg, Vogelweiderstraße 49 wohnhaft, der arbeitslose Rauchfangkehrergehilfe Karl Rieder, am 29.10.1904 in Mattsee geb. und zust., röm. kath., verh., Salzburg, Linzergasse 29 wohnhaft, der Tischlermeister Julian Kastner, am 9.1.1903 in Salzburg geb. und zust., röm. kath., ledig, Salzburg, Schallmooser-Hauptstraße 41 wohnhaft, der Chauffeur Viktor Lindauer, am 28.1.1908 in Maxglan geb., nach Salzburg zust., röm. kath., verh., Salzburg, Linzergasse 23 wohnhaft und der Magazinarbeiter Karl Tichy, am 8.12.1910 in Wildshut geb., nach St. Pantaleon zust., evang. A. B., ledig, Salzburg, Franz-Josefskai 35 wohnhaft. (…) Plainer, der als Anstifter (der Wiederbegründung, Anm. d. Verf.) in Frage kommt, wurde mit Erkenntnis der Bundespolizeidirektion vom 2.11.1935 wegen Betätigung für die NSDAP mit 6 Monaten Arrest, während die übrigen Beschuldigten mit je 3 Monaten Arrest bestraft wurden. Gleichzeitig wurde gegen die Genannten die Strafanzeige gemäß §§ 58c und 285 St. G. an die Staatsanwaltschaft in Salzburg erstattet und wurden dieselben (…) dem landesgerichtlichen Gefangenenhaus überstellt. (…)

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 8., 18. und 24 1.1936 Geschäftszahl  : 382.026 G. D./St. B. 35 (Vorzahl  : 378.111 St. B. 35) Gegenstand  : Kurse für reichsdeutsche Kinder in Salzburg (»Bund der Reichsdeutschen«). Staatssekretär Dr. Hans Pernter124 Bundesministerium für Unterricht Wien, 16. November 1935 Zl. 37846-I/4 Betr.: Kurse für reichsdeutsche Kinder in Salzburg. An den Landesschulrat zu Handen des Herrn Vorsitzenden in Salzburg. Dem Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) in Wien. Von verlässlicher Seite ist folgende Mitteilung anher gelangt  : Von einem reichsdeutschen Staatsbürger, der in Salzburg ein Geschäft hat und meines Wissens die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, wurde in den letzten Wochen an alle ansässigen reichsdeutschen Familien ein Schreiben gerichtet, in welchem beiläufig nachfolgender Befehl ausgegeben wurde  : »Sie haben Ihre Kinder alle Wochen zweimal (die Nachmittage wurden angeführt) in den Gasthof … zu entsenden, woselbst Ihre Kinder in Disziplin, vaterländischem Unterricht usw. unterrichtet werden. Es ist Pflicht, dass Sie Ihre Kinder zu diesen Kursen schicken. Außerdem wird zu Weihnachten in der Umgebung von Hallein ein Skilager errichtet werden, an welchem sämtliche reichsdeutsche Kinder, die in Salzburg sind, teilnehmen müssen. Gemeinsame Spaziergänge sind vorgesehen.« Die Kinder dieser reichsdeutschen Eltern haben diesen Kurs besucht und sind von diesem begeistert zurückgekehrt. Sie erhalten dort Verpflegung, Süßigkeiten usw. Gerüchteweise verlautet, dass Eltern, die diesen Weisungen nicht gehorchen, vom Deutschen Reich eventuell Pensionen gestrichen werden. Der Landesschulrat wird ersucht, umgehend die erforderlichen Erhebungen im Gegenstande einzuleiten, insbesondere, ob zu diesem Kurse eine wie immer geartete 124 Hans Pernter (1887–1951) studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien und trat nach seiner Promotion zum Dr. jur. in den Staatsdienst ein. 1932 bis 1934 leitete er die Kunstsektion im Bundesministerium für Unterricht, 1934 bis 1936 war er Staatssekretär und 1936 bis 1938 Bundesminister für Unterricht und Kunst. Nach dem Anschluss wurde er verhaftet und verbrachte drei Jahre im KZ, um sich nach seiner Entlassung 1941 dem österreichischen Widerstand anzuschließen. 1945 gehörte er zu den Mitbegründern der ÖVP, 1945 bis 1949 war er Abgeordneter der ÖVP zum Nationalrat und Leiter der Kunstsektion im Unterrichtsministerium.

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Genehmigung seitens der Schulbehörde etwa erteilt worden ist, welche Kinder, die Schulen besuchen, an diesen Kursen teilnehmen und wie es sich insbesondere mit dem in der Mitteilung erwähnten Skilager verhält. Auch wolle die Aufmerksamkeit des Sicherheitsdirektors auf die Angelegenheit gelenkt werden. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 26. November 1935 Geschäftszahl  : 373.078 G. D./St. B. 35 (Nachzahlen  : 378.111 St. B. 35) Gegenstand  : Kurse für reichsdeutsche Kinder in Salzburg. An den Herrn Sicherheitsdirektor für Salzburg in Salzburg In der Anlage wird die Abschrift eines Erlasses des Bundesministeriums für Unterricht vom 16. November 1935, Zl. 37.846-I/4, an den Landesschulrat in Salzburg zur Kenntnis mit der Einladung übermittelt, im Gegenstande die geeigneten Erhebungen sofort zu veranlassen und über das Ergebnis sowie über die allenfalls getroffenen Verfügungen anher zu berichten. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 27. Dezember 1935 Zl. 8954/2 Betr.: Kurs für reichsdeutsche Kinder in Salzburg des Bundes der Reichsdeutschen. An das Bundeskanzleramt G. D. – St. B. in Wien. Zum Erlass vom 26. November 1935, Zl. 373.078 G. D./St. B.), wird berichtet, dass es sich im gegenständlichen Falle um ein vom Verein »Bund der Reichsdeutschen« in Salzburg an seine Mitglieder versendetes Rundschreiben betreffend die Errichtung einer Jugendgruppe des Vereines handelt. Eine Abschrift dieses Rundschreibens wird beigelegt. Die Jugendgruppe zerfällt in zwei Abteilungen, wovon das »Jungvolk« die Kinder von 10 bis 14 Jahren umfasst. Die Tendenzen der Jugendgruppe sind aus den ebenfalls abschriftlich mitfolgenden Vereinskorrespondenzen ersichtlich und dahin zu präzisieren, dass die in Österreich wohnhafte reichsdeutsche Jugend erfasst und außerhalb der Schule im Sinne des nationalsozialistischen Deutschland erzogen werden soll. Das parteipolitische Moment kommt insbesondere in dem Rundschreiben über die geplante Weihnachtsfeier am 26. Dezember d. Js. zum Ausdruck, in wel-

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chem für die Jugend eine einheitliche Kleidung vorgesehen wird, um die »Uniform der Bewegung« zu ersetzen. Da darin eine Umgehung des Uniformverbotes und des Verbotes der nationalsozialistischen Parteibetätigung in Österreich enthalten ist, wurde dem Verein »Bund der Reichsdeutschen« in Salzburg eine weitere Betätigung der Jugendgruppe über hä. Weisung durch die Bundespolizeidirektion im Sinne des § 25/2 Vereinsgesetz untersagt und die Abhaltung der Weihnachtsfeier aus Gründen der öffentlichen Ruhe und Ordnung verboten. Nachträglich wurde letztere nach Ausmerzung aller parteipolitischen Hinweise und nach der spontanen Erklärung, in der Person des Vereinsobmannes einen Wechsel vornehmen zu wollen, wieder zugelassen. Der bisherige Obmann des Vereines, Ludwig Hau, Optiker, geb. am 11.12.1904, zuständig nach Niederviehbach bei Dingolfing in Niederbayern, in Salzburg, Mayburgerkai Nr. 26 wohnhaft, ist von Geburt reichsdeutscher Staatsangehöriger und hat die österreichische Bundesbürgerschaft nicht erworben. Die Leitung der Jugend­ gruppe in Salzburg oblag dem Tapezierergehilfen Ludwig Tyroller, 12.7.1912 in Gerolfing, Deutschland, geboren und zuständig, Salzburg, Bergstraße 15 wohnhaft. Letzterer stand mit dem Landesjugendführer des Bundes der Reichsdeutschen in Wien namens Heinemann, Wien IV., Argentinierstraße 8, in Verbindung, von dem er die Weisungen für die Entfaltung der Tätigkeit der Jugendgruppe Salzburg erhielt und an den er seine Tätigkeitsberichte erstattete. Ludwig Hau und Ludwig Tyroller sind unbeanstandet. Bund der Reichsdeutschen im Lande Salzburg, gegr. 1918. Salzburg, den 15.10.1935 Deutsche Eltern  ! Der Bund der Reichsdeutschen im Lande Salzburg geht daran, eine neue Jugendgruppe, wie in Wien und Graz schon bestehend, aus Jungen und Mädels im Alter von 10 bis 20 Jahren zu errichten. Diese Jungen und Mädels sollen unter einwandfreier Führung in Gehorsam und Disziplin zu Führer und Gefolgschaft, ohne Berührung konfessioneller Unterschiede, in gemeinsamen oder getrennten wöchentlichen Zusammenkünften zur Kameradschaft im Sinne des neuen Deutschland körperlich und geistig erzogen werden. Verbunden sind damit  : Ausflüge, Singen und Sprechen von Heimatliedern und Chören, wissenswerte, die Jugend betreffende Vorträge über unser Vaterland, Mitwirkung bei den Veranstaltungen des Bundes der Reichsdeutschen etc. Die Führung der männlichen Jugendgruppe übernimmt Kamerad Ludwig Tyroller, Salzburg, Bergstraße 8, jene der Mädels Kameradin Amalie Schiltenwolf, Salzburg, Sigmund-Haffner-Gasse 8. Wir ersuchen, nachstehend angeführte Jungens und Mädels  :

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……………………………………………………………………………………………… ……………………………………………………………………………………………… der Bundes-Führung (Salzburg, Platzl 1) als Mitglieder der Jugendgruppe des Bundes der Reichsdeutschen in Salzburg mündlich oder schriftlich umgehend anzumelden. Die erste gemeinsame Zusammenkunft findet Freitag, dem 18. d. Mts., 7 Uhr abends, im Alkoholfreien Speisehaus, Salzburg, Getreidegasse 14/I, statt und hat dazu jeder deutsche Junge und jedes deutsche Mädel zu erscheinen. Nicht-Anmeldung oder unentschuldigtes Fernbleiben bedeutet für uns Interesselosigkeit und Ausschaltung aus der deutschen Volksgemeinschaft  ! (…) Bund der Reichsdeutschen im Lande Salzburg, gegr. 1918. »Wir sehen heute nicht mehr im Bierspießer das Ideal des deutschen Volkes, sondern in Männern und Mädchen, die kerngesund und straff sind. Was wir von unserer deutschen Jugend wünschen ist etwas anderes, als es die Vergangenheit gewünscht hat.« Adolf Hitler Deutsche Eltern  ! Am 26. D. M. (Stefanitag) findet im Kurhaus-Saale die Weihnachtsfeier der Jugend statt. An diesem Tag werden wir die Jugend ganz beanspruchen. Es kommt auch die Jugend vom Lande soweit wie möglich zu uns. Vormittag wird Appell der männlichen Jugend sein. Die Zeit wird noch bekanntgegeben. Nachmittag ist die große Weihnachtsfeier der Jugend. Die Kleidung an diesem Tage soll sein für die Jungen  : weißes Hemd, kurze Hose, Leibriemen und weiße Stutzen. Die Mädels nach Tunlichkeit auch in der Uniform  : blauer Rock, weiß Bluse, Gürtel, Tuch und Knoten. Nur so, wenn alle gleich gekleidet sind, werden wir das ersetzen, was uns abgeht, die Uniform der Bewegung. Am Abend dieses Tages findet dann die Weihnachtsfeier des Bundes statt. Alle Buben und Mädels müssen bis 9 Uhr an dieser Feier mitwirken. Vom 27.12.1935 bis 5.1.1936 halten wir ein Winterlager ab. Ort  : Gaissau bei Krispl, Bauer Söllnerbauer. Die Fahrt mit Albus hin und zurück, Verpflegung, kostet die ganzen Tage S 5,– Bei diesem Preis sind wir leider gezwungen, Sie zu bitten, soweit möglich Ihren Jungen und Mädels einiges Mehl und Fett mitzugeben. Das Essen ist gemeinsam. Es wird für alle gesorgt. Eltern, gönnt Euren Jungen und Mädels diese Freizeit für Körperertüchtigung. Für die ganze Jugend soll dies ein richtiges kameradschaftliches Lager werden. Richtiges Lagerleben. Auch solche, die gar nicht in der Lage sind, das Geld zu bringen oder keinen Ski haben, sollen nur mitkommen. Im Lager sind Buben und Mädels getrennt, doch ist das Essen beider Gruppen gemeinsam.

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Nur ein Lager schmiedet alle zusammen zu einer wahren Volksgemeinschaft und mit neuen Kräften für Beruf und Schule kommen wir zurück. (…) Reichsdeutsche Jugendgruppe im Bunde der Reichsdeutschen in Salzburg. Salzburg, am 3. Dezember 1935 Innendienst der Jungen im November. 8.11. Heimabend. Es wurde eine ganz kurze Gedenkstunde der Toten des 9. November. Mit einer Schilderung von der Entwicklung der Bewegung bis zum 9. November wurde der Abend ausgefüllt. Zum Schluss der Feier sangen wir »Vorwärts, vorwärts …« 15.11.: Heimabend. Wir lernten die Lieder »Als wir nach Frankreich zogen« und »Vorwärts, vorwärts«. Es ergab sich eine Aussprache  : Die Reichsdeutsche Jugendgruppe und Österreich. Kurze Wendungen und Antreten lassen füllten den Dienst aus. (…) 22.11.: Heimabend. Kurzes Antreten, dann Vorlesung der Rede des Führers zur Eröffnung des Winterhilfswerkes. Dann wurde Antreten und Gruß geübt. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 15. Jänner 1936 Zl. 9398 (303.753/36) Betr.: Habersatter Mathias in Schwarzach, nationalsozialistische Betätigung, Flugblatt, Gaunachrichtendienst vom 6. November 1935. An das Bundeskanzleramt St. B. in Wien. Wegen Verdachtes nationalsozialistischer Betätigung wurde vom Gendarmerieposten Schwarzach am 19.12.1935 bei dem ledigen, arbeitslosen Hilfsarbeiter Mathias Habersatter, am 4.2.1903 in Radstadt, Bezirk St. Johann geboren und zuständig, und bei Franz Lidauer, am 31.7.1901 in Mösenedt, Bezirk Grieskirchen, Oberösterreich, geboren, nach Gaspoldhofen, Bezirk Grieskirchen, Oberösterreich, zuständig, beide wohnhaft in Schwarzach, Hausdurchsuchungen vorgenommen   ; hierbei wurden bei ersterem in seiner Manteltasche eine illegale nationalsozialistische Flugschrift »Nachrichtendienst vom 6. November 1935 der NSDAP Österreich, Gauleitung Salzburg« (…) gefunden. (…)

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Das beschlagnahmte Flugblatt vom 6.11.1935 war mit Maschinschrift auf Kanzleiformat 21   : 33 cm hergestellt und (…) enthielt an der Spitze einen Aufruf  : »Zum 9. November« (…) Z u m 9 . N o v e m b e r    ! Zwölf Jahre sind es nun her, als an jenem denkwürdigen Herbstmorgen an der Münchner Feldherrnhalle sechzehn der besten aus deutschem Geblüt unter den Kugeln kopflos gewordener Landespolizisten zusammenbrachen. Sterben mussten an dem Tage, da sie glaubten, die Stunde der Freiheit seit gekommen für das hartgeprüfte deutsche Volk. Und an jenem Tage begann eine schwere Zeit für Adolf Hitler und seine Getreuen. Er selbst in den Kerker geworfen, seine in jahrelanger Arbeit geschaffene Organisation zerschlagen. Und es schien, als ob das Werk nie mehr erstehen könnte in alter Größe. Trostlose Hoffnungslosigkeit senkte sich in die Herzen eines Großteils der Gefolgschaft. Doch für den Führer gab es keine Sekunde des Schwankens. Der Glaube an seine große Sendung ließ ihn sein Werk am Tage seiner Befreiung aufs neue beginnen. Ein neuer Aufstieg begann, langsam vorerst, doch schneller und schneller, die Volksbewegung schwoll zur Lawine, die weniger denn zehn Jahre später das morsche Gebäude eines verkommenen Systems hinwegfegte. Heute senken sich die siegreichen Fahnen Adolf Hitlers vor dem Ehrenmale der sechzehn Blutzeugen der nationalsozialistischen Freiheitsbewegung. Im Juli des vergangenen Jahres raste die Furie des Bürgerkrieges auch über Österreichs Gaue. Unter den Kugeln rom- und judohöriger ehrloser Gesellen, an den Galgen einer willfährigen Schandjustiz verhauchten viele der besten auch unseres Stammes ihre Heldenseele für die Befreiung Deutschösterreichs. Eine Zeit beispielloser Verfolgung aller Deutschbewussten brach herein. Pfaffen und Juden, ehrvergessene Offiziere und das gesamte Unterbeamtentum taten sich zusammen, um mithilfe welscher Bajonette jede völkische Bewegung im Keime zu ersticken und das gequälte Volk in die Front der blutlosen Fraktion zu pressen. Doch alles vergebens. Ungebrochen steht die deutsche Freiheitsbewegung auch in Österreich. Und während die eidbrüchigen illegalen Machthaber in Österreich das Nutzlose ihrer verbrecherischen Tätigkeit einsehend, nun als letztes Mittel unter dem Segen Roms mit dem atheistischen Marxismus packeln müssen,125 um noch ein125 Gemeint ist wahrscheinlich die von der Regierung Schuschnigg in der zweiten Jahreshälfte 1935 gestartete Befriedungsaktion gegen links. Nachdem der sog. Schutzbundprozess im April gegen führende Funktionäre des Republikanischen Schutzbundes wie Alexander Eifler und Rudolf Löw sowie weitere Kreis- und Bezirksführer mit schweren Kerkerstrafen von bis zu einigen Jahren Dauer ge-

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mal für kurze Zeit das Rad erbarmungswürdiger Geschichte zurückdrehen zu können, entrollt sich langsam aber siegesgewiss die Fahne der Freiheit über den Gräbern unserer Toten, der Planetta126 und Holzweber127 und der vielen anderen und bald wird kommen der Tag, an dem auch auf ihren steinernen Malen die Worte Adolf Hitlers aufleuchten werden u n d i h r h a b t d o c h g e s i e g t   ! Gendarmerieposten St. Gilgen St. Gilgen, 27. März 1935 E Nr. 530 An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. Zufolge anruhenden Befehles wird gemeldet, dass der hiesige Schlossermeister Josef Schwarzenbrunner nach wie vor noch immer zu den fanatischen Anhängern der

endet hatte, unternahm die Regierung hinter den Kulissen Bemühungen um einen Ausgleich mit der Sozialdemokratie. Das Ergebnis war die Weihnachtsamnestie 1935, durch die alle Verurteilten wieder auf freien Fuß gesetzt wurden. Zudem wurden 1505 der 1521 seit den Februarkämpfen festgenommenen Sozialdemokraten und 440 von 911 verhafteten Teilnehmer am Juliputsch der Nationalsozialisten enthaftet. Der erhoffte Effekt trat jedoch nicht ein. Die meisten Enthafteten verstärkten den Untergrund der illegalen Sozialdemokratie und der NSDAP, wobei auch eine Reihe ehemaliger Schutzbündler zur NSDAP wechselten. Vgl. Everhard Holtmann  : Zwischen Unterdrückung und Befriedung. Sozialistische Arbeiterbewegung und autoritäres Regime in Österreich 1933–1938. – Wien 1978. S. 222ff. (Studien und Quellen zur österreichischen Zeitgeschichte. Herausgegeben von der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1918 bis 1938 von Rudolf Neck und Adam Wandruszka. Band 1.)  ; Manfred Marschalek  : Der Wiener Schutzbundprozess 1935. – In  : Karl R. Stadler (Hg.)  : Sozialistenprozesse. Politische Justiz in Österreich 1870–1936. – Wien 1986. S. 429–490. 126 Otto Planetta (1899–1934) meldete sich während des 1. Weltkrieges freiwillig zum Kriegsdienst und diente nach 1918 in der Volkswehr, dann in der Gendarmerie und schließlich als Stabswachtmeister im Bundesheer. 1929 trat er zusammen mit Fridolin Glass und Franz Holzweber an die Spitze des nationalsozialistischen Deutschen Soldatenbundes im Bundesheer. Er wurde schließlich aus dem Heer entlassen und gehörte der SS-Standarte 89 an, die am 25. Juli 1934 das Bundeskanzleramt besetzte. Wegen des tödlichen Attentats am 31. Juli auf Dollfuß zum Tode verurteilt, wurde er anschließend hingerichtet. 127 Franz Holzweber (?–1934) war Wachtmeister im Bundesheer und zusammen mit Otto Planetta und Fridolin Glass im Vorstand des 1933 aufgelösten Deutschen Soldatenbundes. Als Hauptmann verkleidet, war er am 25. Juli 1934 bei der Besetzung des Bundeskanzleramtes beteiligt und versuchte, wenn auch vergebens, den tödlich verwundeten Bundeskanzler Engelbert Dollfuß zu bewegen, sich mit einer Kanzlerschaft von Anton Rintelen abzufinden. Er wurde zusammen mit Planetta am 31. Juli zum Tode verurteilt und gehenkt.

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Hitlerbewegung gehört. Das gleiche trifft auch bei seiner Mutter Anna und dessen Ehegattin Maria zu. Inwiefern Schwarzenbrunner die hiesige vaterländische Bevölkerung auf wirtschaftlichem Gebiete zu schädigen sucht, ist dem Posten nur dadurch bekannt, dass in seinem Betriebe nur Anhänger der NSDAP Beschäftigung finden und andererseits auch nur Arbeiten an solche Parteigenossen von ihm vergeben werden. Mit Rücksicht auf seine fanatische Einstellung hat es auch Schwarzenbrunner schon in letzterer Zeit versucht, Anhänger seiner Bewegung zur Rede zu stellen, warum sie sich an vaterländischen Veranstaltungen beteiligt haben, woraus geschlossen werden muss, dass sein Verhalten nicht staatsfördernd ist. Von einer direkten Schadensfügung ist dem Posten soweit nichts bekannt. Bundeskanzleramt Wien, 8. Juni 1935 An das Bureau des Herrn Generalstaatskommissärs für die Privatwirtschaft, Bundesminister Emil Fey. Laut beiliegender abschriftlicher Meldung des Gendarmeriepostens St. Gilgen ist der Schlossermeister Josef Schwarzenbrunner aus St. Gilgen nach wie vor unentwegter NSDAP-Anhänger. Der Herr Bundeskanzler128, dem dies zur Kenntnis gelangte, wünscht, dass dies dem Herrn Generalstaatskommissär für die Privatwirtschaft zur Kenntnis gegeben wird, damit eventuell auf diesem Wege gegen den Genannten ebenfalls eingeschritten werden kann. Die Vorbestrafungen des Genannten sind wie folgt  : 1. Josef Schwarzenbrunner und dessen Ehegattin Maria mit Erkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Salzburg vom 23.1.1934, Zl. 317, wegen Übertretung nach § 1 der Verordnung der Bundesregierung vom 19. Juni 1933, B. G. Bl. Nr. 240 (begangen durch Singen des Horst Wessel-Liedes und Heil Hitler-Rufens), mit je 10 Tagen Arrest. 2. Josef Schwarzenbrunner mit Erkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Salzburg vom 13.2.1934, Zl. 6120, wegen Übertretung nach Art. VIII 1 b E. G. V. G. (begangen durch Nichtfolgeleistung und ungestümes Benehmen gegenüber einem Gendarmeriebeamten), mit 20 S Geldstrafe (eventuell 48 Stunden Arrest). 3. Josef Schwarzenbrunner mit Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 2.10.1934, V Vr. 1624/34, wegen §§ 285, 286, 287 St. G,. mit 3 Monaten strengem Arrest.

128 Bundeskanzler Kurt Schuschnigg verbrachte seinen Sommerurlaub in St. Gilgen.

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4. Josef Schwarzenbrunner mit Erkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Salzburg vom 10.4.1935, Zl. 10.649, wegen Übertretung nach § 1 der Verordnung der Bundesregierung vom 19.6.1933, B. G. Bl. Nr. 240 (begangen nach Verteilung von Ersatzabzeichen an Anhänger und ehemalige Mitglieder der NSDAP), mit 200 S Geldstrafe (eventuell 20 Tage Arrest). Außerdem wurde dem Genannten auch der Ersatz von Kosten für besondere Sicherheitsmaßnahmen vorgeschrieben. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 2. Februar 1936 Zl. 14/1-W. P. (314.724/36) Betr.: Schwarzenbrunner Josef in St. Gilgen, nationalsozialistische Betätigung. An das Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) in Wien. Zum Erlass 6628-Gstk/35 vom 21.6.1935, gerichtet an den Herrn Regierungskommissärs für die Privatwirtschaft im Lande Oberösterreich und Salzburg, beehrte ich mich zu berichten, dass Josef Schwarzenbrunner, Schlossermeister in St. Gilgen, zwar noch immer mit den Ideen der NSDAP sympathisieren dürfte, jedoch keine Handlungen begangen hat, wonach er als staatsgefährlich im Sinne des § 9 des Bundesverfassungsgesetzes vom 17.8.1934, B. G. Bl. II/193, anzusehen wäre. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 6. September 1935. Zahl  : 5942/1. Betreff  : »Ortsgruppe Uttendorf im Pinzgau des Bundes Salzburg des Reichsbundes der Kriegsopfer Österreichs«  ; Bildungsuntersagung. Bescheid. Der Bund Salzburg des Reichsbundes der Kriegsopfer Österreichs in Salzburg hat unter gleichzeitiger Vorlage der Statuten die Bildung einer Ortsgruppe in Uttendorf im Pinzgau angezeigt. S p r u c h   : Die Bildung der Ortsgruppe Uttendorf im Pinzgau wird nach § 6 des Vereinsgesetzes vom 15.11.1867, R. G. Bl. Nr. 134, u n t e r s a g t .

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B e g r ü n d u n g   : Alle vom Bunde Salzburg des Reichsbundes der Kriegsopfer Österreichs in Salzburg bekanntgegebenen Proponenten zur Bildung der Ortsgruppe Uttendorf im Pinzgau sind bzw. waren Mitglieder oder Anhänger der NSDAP, welcher in Österreich jede Betätigung verboten wurde. Diese Tatsache rechtfertigt die Annahme, dass die Organisation der Ortsgruppe zur Verfolgung politischer Tendenzen verbotener Parteien missbraucht wird bzw. von vornherein die Vereinsgründung zur Verfolgung illegaler Tendenzen geplant ist. Der Zweck des Vereines ist daher rechtswidrig und die Untersagung aufgrund vorzitierter Bestimmung gerechtfertigt. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 28.4.1936 Geschäftszahl  : 320.052 G. D./St. B. 36 (Vorzahl  : 310.117 – St. B./36, Nachzahlen  : 334.691/36) Gegenstand  : Wiesinger Ernst, Ausreise nach dem Deutschen Reich. Der Briefmarkenhändler Ernst Wiesinger aus Salzburg hat um die Erteilung einer Ausreisebewilligung nach dem Deutschen Reiche mit der Begründung ersucht, dass er sich in Deutschland die notwendigen Markenwerte selbst beschaffen müsste, da der Ankauf dieser Marken aus zweiter oder dritter Hand für ihn einen großen finanziellen Nachteil bedeuten würde. Die Bundespolizeidirektion in Salzburg berichtet, dass der Gesuchsteller mangels berücksichtigungswürdiger Gründe und wegen politischer Unzuverlässigkeit mit seinem Ansuchen abgewiesen wurde. Er habe sich erst vor einigen Tagen bei der Vaterländischen Front angemeldet, offenkundig um hierdurch leichter die nachgesuchte Bewilligung zu erhalten. In vaterländischen Kreisen genießt er keinen guten Leumund. Vor dem Verbote der NSDAP war er deren eingeschriebenes Mitglied. Allerdings habe er nie ein Verhalten an den Tag gelegt, aufgrund welchem gegen ihn ein Strafverfahren eingeleitet werden hätte können. Im Juni 1934 wurde er wegen Betätigung für die NSDAP festgenommen, jedoch über Weisung des Sicherheitsdirektors nach Erlag eines Sühnebetrages enthaftet. Der Gesuchsteller bringt nunmehr ein neuerliches Ansuchen ein und bittet, dieses allenfalls als Beschwerde zu behandeln. Er bittet, ihm die Bewilligung zur wiederholten Ausreise nach Deutschland zunächst für einen Zeitraum von 6 Monaten zu erteilen und weist darauf hin, dass er nach den bestehenden Devisenvorschriften bei einer Reise höchstens 10 Mark in Silber mitnehmen dürfe, ein Satz Marken aber oft 10 Mark koste. Es gäbe Händler, die, um ihre Kunden befriedigen zu können, 14 Tage hindurch täglich nach Freilassing zum Markeneinkauf reisen. Es sei ihm be-

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kannt, dass er bei der Salzburger Polizei als Anhänger der NSDAP gelte. Er war aber in Wirklichkeit niemals Parteimitglied, was ohne weiteres aufgrund des beschlagnahmten Mitgliederverzeichnisses festgestellt werden könne. Er gebe zu, während seines Aufenthaltes in der Schweiz mit der NSDAP schon deswegen sympathisiert zu haben, weil die Franzosen sowohl über die Deutschen als auch über die Österreicher nur mit Verachtung gesprochen haben. Sein Vater sei seit jeher Monarchist und Mitglied der Vaterländischen Front, ebenso sein Schwiegervater. Die Bundespolizeidirektion in Salzburg beantragt Abweisung der Berufung und weist auf die hierortige Mitteilung hin, aus der einwandfrei hervorgeht, dass die Berufungsangaben in einem wesentlichen Punkt der Wahrheit nicht entsprechen. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg bittet um Entscheidung. Wie dem Vorakt entnommen werden wolle, war Ernst Wiesinger eingeschriebenes Mitglied der NSDAP. Seine Angaben, er habe dieser Partei nie angehört, müssen sohin als unwahr bezeichnet werden. Im Hinblick darauf und mit Rücksicht auf den Umstand, dass die mehrmalige Ausreise des Genannten zu politischen Zwecken missbraucht werden könnte, hätte zu ergehen  : Wird dem Herrn Sicherheitsdirektor für Salzburg in Salzburg mit der Weisung zurückgestellt, dem Gesuchsteller die Bewilligung zur Ausreise nach dem Deutschen Reich nicht erleiten zu lassen. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Juli 1936 Geschäftszahl  : 310.117 G. D./St. B. 36 (Nachzahlen  : 334.691/36) Gegenstand  : Ernst Wiesinger aus Salzburg, Zugehörigkeit zur NSDAP. Altbundeskanzler Dr. Rudolf Ramek Salzburg, 2. Juni 1936. Seine Hochw. Herrn Dr. Raoul Allgayer, Sektionschef im Bundeskanzleramt (Inneres), Wien I., Herrengasse 7. Hochverehrter Herr Sektionschef  ! Namens des Ernst Wiesinger, Salzburg, Rainerstraße 5, habe ich bei der Sicherheitsdirektion in Salzburg angesucht, diesem die Bewilligung zur wiederholten Reise nach Deutschland zu erteilen. Bei dieser Vorsprache beim zuständigen Referenten erhielt ich die Mitteilung, dass dieses Ansuchen abgewiesen worden sei, weil Wiesinger der nationalsozialistischen Gesinnung verdächtig sei. Die Abweisung sei aufgrund eines

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Auftrages der Generaldirektion für Sicherheitswesen erfolgt, bei der man zunächst angefragt habe. Nun liegt bei Wiesinger die Sache folgendermaßen  : Derselbe ist der Sohn des hiesigen Besitzers des Cafe Fünfhaus in der Rainerstraße, der nach meiner persönlichen Kenntnis legitimistisch eingestellt ist und sich stets vaterländisch betätigt hat. Sein Sohn, der Gesuchsteller, betreibt einen Briefmarkenhandel und besitzt einen Gewerbeschein und braucht die wiederholte Ausreisebewilligung nach Deutschland für seinen Gewerbebetrieb. Von der deutschen Reichspost werden außer den normalen Briefmarken in ziemlich rascher Reihenfolge immer wieder Spezialserien ausgegeben, die bei den Sammlern großen Anklang finden. Bei uns kann der Händler solche Serien nur aus dritter oder vierter Hand mit bedeutenden Zuschlägen erwerben, sodass beim Verkauf an die Kundschaft kaum mehr etwas zu verdienen ist. Alle anderen Markenhändler in Salzburg kaufen die deutschen Briefmarken jeder Art direkt bei einem deutschen Postamte, zu welchem Zwecke sie wiederholt bis Freilassing fahren und dort jedes Mal um 10 Mark in Silber (mehr dürfen sie über die Grenze nicht mitnehmen) Marken kaufen. Da Wiesinger allein die Bewilligung zu solchen Reisen nicht besitzt, so erleidet er in seinem Geschäfte großen Schaden. Wohl ist es richtig, dass man Wiesinger bei der hiesigen Polizeibehörde als Nationalsozialisten betrachtet und ihm sogar zur Last legt, dass er seinerzeit Mitglied der Salzburger SA oder SS gewesen sei. Es liegen Anzeigen gegen ihn vor, dass er wiederholt in Uniform gesehen worden sei. Dies ist aber nicht richtig, es liegen hier gänzlich unbegründete Anzeigen vor, ohne dass Wiesinger jemals den Anzeiger erfahren hätte. Wegen dieser Anrüchigkeit wurde Wiesinger im Juni 1934 als Geisel ins Arrest dafür gesteckt, dass irgendjemand auf dem Mönchsberg eine Hakenkreuzflagge hisste. Man hat ihn auch hierfür mit einer Buße vom 300 S belegt, obwohl er sich niemals irgendwie für diese Partei betätigt hatte. Das Einzige, was man ihm wirklich vorwerfen kann, ist der Umstand, dass ihm am 1. November 1930 eine Mitgliedskarte für die NSDAP für das Jahr 1930/31 ausgestellt wurde, die namens der Ortsleitung Salzburg von einem ihm nicht bekannten Göllert unterschrieben ist. Aus der Zahlungsbestätigung auf dieser Karte geht hervor, dass Wiesinger einen Mitgliedsbeitrag für einen Monat gezahlt hat. Er hat sich auf die Existenz dieser Karte erst jetzt erinnert und sie der Sicherheitsdirektion auch vorgelegt. Wiesinger war zu dieser Zeit im Geschäfte seines Vaters tätig. Bekanntlich hat am 9. November 1930 eine Nationalratswahl stattgefunden, für welche alle Parteien nach Kräften agitiert und Beiträge und Spenden eingesammelt haben. Die Agitatoren sind an alle Geschäftsleute herangetreten, die gewöhnlich im Interesse der Erhaltung ihrer Kundschaft bemüßigt waren, womöglich allen Parteien irgendwie

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mit Geldbeträgen entgegenzukommen. Dies war auch im Cafehaus der Fall. Alle Parteien haben gesammelt, denn Angehörige aller Parteienwaren dort Gäste. Nur aus diesem Grunde sah sich Wiesinger damals veranlasst, auch der NSDAP einen kleinen Betrag unbekannter Höhe zu schenken, wofür dann als Bestätigung die Mitgliedskarte ausgestellt wurde. Aus dieser Tatsache lässt sich die Zugehörigkeit Wiesingers zur NSDAP nicht erschließen, insbesondere weil diese im November 1930 überhaupt keine besondere politische Tätigkeit in Österreich entwickelt hat. Sie war bei der Nationalratswahl 1930 dem sogenannten Schoberblock angeschlossen, auf dessen gemeinsamer Liste bekanntlich der ehemalige nationalsozialistische Abgeordnete Prodinger in den Nationalrat gewählt wurde. Von einer staatsfeindlichen Partei konnte man daher damals sicherlich nicht reden. Im Übrigen habe ich eine ganze Reihe von Beweisanträgen gestellt, durch die zu erweisen ist, dass sich Wiesinger niemals für die NSDAP irgendwie betätigt hat. Er hat schon im Juni 1934 um die Aufnahme in die Vaterländische Front angesucht und ist bis heute Mitglied derselben. Wie ich bei der Sicherheitsdirektion hörte, wurde kein einziger der beantragten Beweise durchgeführt. Ich kenne die Herren Wiesinger Vater und Sohn schon lange Zeit. Ich weiß daher, dass Wiesinger seine Fahrten nach Freilassing ausschließlich nur im Interesse seines Geschäftes unternehmen wird, keineswegs aber zu irgendwelchen parteipolitischen Zwecken. Daher erlaube ich mir an Sie, hochverehrter Herr Sektionschef, das herzliche Ersuchen zu richten, diese Angelegenheit nochmals überprüfen zu lassen und dem Herrn Wiesinger doch die Bewilligung zur wiederholten Ausreise nach Freilassing für seine beruflichen Zwecke erteilen zu lassen. (…) Sektionschef Dr. Raoul Allgayer (Bundeskanzleramt) Wien, 16. Juni 1936 Herrn Altbundeskanzler Dr. Rudolf Ramek, Salzburg, Imbergstr. Nr. 10. Sehr geehrter Herr Altbundeskanzler  ! In Beantwortung Ihres geschätzten Schreibens vom 2.6.1936 beehrte ich mich Ihnen mitzuteilen, dass dem Ernst Wiesinger aus Salzburg die Bewilligung zur mehrmaligen Ausreise nach Deutschland aus grundsätzlichen Erwägungen nicht erteilt werden kann. Wie eine Anfrage in Briefmarkenhändlerkreisen ergeben hat,129 werden Käufe und Verkäufe mit deutschen Briefmarkenhändlern stets brieflich abgewickelt. Ge129 G. D. 334.691 – St. B./36 (Vorzahl G. D. 320.052 – St. B. 36)  : »Durch die Bundespolizeidirektion Wien wurden bei den fünf größten Markenhändlern von Wien Erhebungen gepflogen, ob für Brief-

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schäftsreisen in dieser Branche nach Deutschland sind nur dann unbedingt notwendig, wenn es sich um den Kauf oder Verkauf besonders wertvoller Sammlungen oder Einzelstücke handelt. Da die Voraussetzungen für die Erteilung einer Bewilligung zur mehrmaligen Ausreise nach Deutschland fehlen und überdies auch die örtlichen Sicherheitsbehörden Wiesinger als vaterländisch nicht vollkommen verlässlich bezeichnen, ist es mir leider nicht möglich, in diesem Falle eine besondere Verfügung zu treffen (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 4. März 1936 Zl. 52/7 Betr.: Verein Deutscher Verkehrsbediensteter Österreichs, Ortsgruppe Salzburg und Bischofshofen, Einstellung der Tätigkeit. An das Bundeskanzleramt G D. – St. B. in Wien. Am 5.1.1936 wurde der Bahnbedienstete Franz Düngler durch den Gendarmerieposten Bischofshofen wegen Betätigung für die NSDAP dem Bezirksgericht in Werfen wegen Verdachtes des Hochverrates eingeliefert. Düngler ist Obmann des Vereines Deutscher Verkehrsbediensteter, Ortsgruppe Bischofshofen. Eine bei ihm vorgefundene illegale Druckschrift, hergestellt mit Schreibmaschine im Vervielfältigungsverfahren, war in den Kassabelegen pro 1935 des genannten Vereines eingepackt. Nun wurde festgestellt, dass diese Druckschriften durch den Lokomotivbegleiter Johann Wieser aus Salzburg dem Düngler in der Station Schwarzach übergeben worden sind. Wieser ist bereits Mitglied des Vereines Deutscher Verkehrsbediensteter, Ortsgruppe Salzburg. Er steht seit längerer Zeit im Verdachte, dass er sich in nationalsozialistischer Hinsicht betätigte, ohne dass er aber bisher überwiesen werden konnte. Schon vor mehreren Monaten wurde vertraulich mitgeteilt, dass auf den elektri­ schen Lokomotiven Propagandamaterial von Salzburg in das Gebirge geschafft werde, was nunmehr im vorstehenden Falle erwiesen werden konnte.

markenhändler die mehrmalige Ausreise aus geschäftlichen Gründen notwendig sei. Übereinstimmend wurde angegeben, dass nur die Engroshändler zu den Briefmarkentagungen, die alljährlich in Deutschland – in Berlin, München, Dresden und Leipzig – stattfinden, reisen. Es handelt sich jedoch bei diesen Reisen stets um den Kauf und Verkauf von besonders großen und wertvollen Markensammlungen oder besonders wertvollen Einzelmarken. Der übrige Briefmarkenhandel wickelt sich nur schriftlich ab.«

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Wegen der vorstehenden Betätigung wurde Wieser wegen Verdachtes des Hochverrates der Staatsanwaltschaft Salzburg eingeliefert. Als Kassier fungiert bei diesem Vereine der am Bahnhofe Bischofshofen als Fahrdienstleiter angestellte Leopold Wilk. Wilk gehörte ebenfalls seit dem Bestande der NSDAP in Bischofshofen dieser als eifriges Mitglied an und sympathisiert heute noch insgeheim für diese Partei. Öffentlich ist Wilk bei dieser Partei nicht hervorgetreten. Bei dem Genannten wurden schon mehrmals Hausdurchsuchungen nach illegalem Material, jedoch stets mit negativem Erfolg, vorgenommen. Hauptkassier beim Vereine war der Bundesbahnpensionist Peter Haiger, früher Obmann der Nazi-Ortsgruppe von Bischofshofen, welcher am 3.9.1935 gestorben ist. An seine Stelle trat dann Johann Westerhaler, am 2.1.1902 in Bischofshofen geboren und zuständig, Lokomotivführer bei der Bundesbahn in Bischofshofen und dahier, Verbindungsgasse wohnhaft. Westerthaler gehörte ebenfalls der bestandenen Nazigruppe als Mitglied an und sympathisiert heute noch mit dieser Partei. Bei Westerthaler wurden gleichfalls wegen Verdachts der verbotenen Parteibetätigung wiederholt Wohnungsdurchsuchungen vorgenommen, die jedoch ohne Erfolg waren. Am 21. Februar 1936 wurde nun durch die Bundespolizeidirektion Salzburg nach längerer Beobachtung der Obmann des Vereines Deutscher Verkehrsbediensteter, Ortsgruppe Salzburg, Eisenbahnassistent Franz Aufschnaiter, Salzburg, Lessingstr. 2 wohnhaft, verhaftet  ; zugleich wurde eine Hausdurchsuchung vorgenommen, welche äußerst belastendes Material zutage förderte und den einwandfreien Nachweis dafür erbrachte, dass er sich illegal für die NSDAP betätigte und im Nachrichtendienst der verbotenen NSDAP tätig ist. Franz Aufschnaiter wurde wegen illegaler Betätigung für die NSDAP mit 6 Monaten Arrest polizeilich bestraft. Mit Rücksicht auf diese beiden Straftaten, an denen leitende Funktionäre der Vereines Deutsche Verkehrsbedienstete beteiligt waren, durch die der seit langem rege, auf confidentielle Mitteilungen beruhende Verdacht, dass die Vereinsleitung sich illegal für die NSDAP betätigte, im hohen Grade sich verstärkte, wurde über h. a. Auftrag die Tätigkeit der Ortsgruppen Salzburg und Bischofshofen des Vereines Deutscher Verkehrsbediensteter gemäß § 25 Vereinsgesetz untersagt. Die Tätigkeit der übrigen Ortsgruppen im Lande Salzburg wird genauestens überprüft und überwacht werden.

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 18. März 1936 Geschäftszahl  : 315.173 G. D./St. B. 36 Gegenstand  : Verein Deutscher Verkehrsbediensteter Österreichs, Ortsgruppen Salzburg und Bischofshofen  ; Einstellung der Tätigkeit. Gegen die Auflösung der Ortsgruppen Salzburg und Bischofshofen des Vereines Deutscher Verkehrsbediensteter bestehen keinerlei Bedenken. Auch in Wien wurden bereits mehrfach Wahrnehmungen gemacht, dass dieser Verein, dessen Räume seinerzeit der Sitz Reinthalers anlässlich des Bestehens der Nationalen Aktion war, nationalsozialistisch orientiert ist. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 7. März 1936 Zl. 1781/1 (315.650/36) Betr.: Nationalsozialistische Demonstration in Hüttau. An das Bundeskanzleramt G. D. – St. B. in Wien. Am 1. März d. Js. fand in Hüttau, Bezirk St. Johann im Pongau, die Beerdigung des verunglückten Bauernsohnes Alois Unterberger statt. Der Verstorbene war Nationalsozialist. Zur Beerdigung, an der ca. 800 Personen teilnahmen, fanden sich auch ungefähr 40 bis 50 Parteigänger ein, die sich vor dem Sarge in Dreierreihen formierten und zum Friedhof marschierten. In der ersten Reihe wurden drei Kränze getragen, die mit einer roten, einer weißen und einer schwarzen Schleife versehen waren. Nach der Einsegnung traten die Nationalsozialisten vor das Grab und leisteten den Hitler-Gruß. Die prominentesten Nationalsozialisten wurden bereits verhaftet, weitere Amtshandlungen sind im Gange.

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 3. Juli 1936 Geschäftszahl  : 339.099 G. D./St. B. 36 Gegenstand  : Schnitzinger Johann und Schmalzl Franz, Angestellte der Stieglbrauerei in Maxglan  ; Beförderung illegaler nationalsozialistischen Propagandamaterials. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 26.6.1936 (…) Am 25. Juni 1936 wurden beim Zollamt Walserberg der Chauffeur der Stiegl­ brauerei in Maxglan, Johann Schnitzinger, geboren am 16.4.1896 in Moosdorf, Oberösterreich, zuständig nach Salzburg, Salzburg-Maxglan, Zillerweg Nr. 6 wohnhaft, und sein Mitfahrer Franz Schmalzl, geboren am 1.2.1909 in Altenbuch, Bezirk Braunau, Oberösterreich, zuständig nach Lamprechtshausen, Bürmoos Nr. 114 wohnhaft, perlustriert. Die beiden kamen mit dem Auto von Lofer über Reichenhall nach Salzburg. Unter dem Führersitz des Autos wurde zahlreiches nationalsozialistisches Material verborgen gefunden, darunter 10 Exemplare des »Völkischen Beobachters«, 35 Exemplare einer Propagandaschrift »Das haben wir erreicht«, 55 Exemplare »Wald ist Volksgut« (Propaganda für das Reichserbhofgesetz), eine »Deutsche Fibel«, 4 Exemplare »Kurmärkischer Bauernkalender«, 1 Propagandaschrift »Worte des Führers« und 1 Exemplar der Propagandaschrift »Die Brennessel«. Die beiden Festgenommenen behaupten, das Material in Lofer von einem unbekannten Burschen zum Transporte nach Salzburg übernommen zu haben. (…) Anlässlich der bei Schnitzinger vorgenommenen Hausdurchsuchung wurde merkwürdigerweise revolutionär sozialistisches Propagandamaterial gefunden, ferner 1 Bajonett und eine Kappe des Republikanischen Schutzbundes.130 Das Ergebnis der Hausdurchsuchung bei Schmalzl ist zur Stunde noch nicht bekannt. (…)

130 Johann Schnitzinger gehörte wahrscheinlich bis zum Februar 1934 dem Republikanischen Schutzbund an und wechselte anschließend – ob aus Enttäuschung oder Überzeugung – zur NSDAP. Ein Indiz dafür, dass das massive Werben der NSDAP vor allem unter enttäuschten Anhänger der SDAP vor allem in Westösterreich durchaus erfolgreich war.

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Die Berichte

Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 8. August 1936 Zl. 4339/6 Betr.: Schnitzinger Johann und Schmalzl Franz, Angestellte der Stieglbrauerei in Maxglan  ; Beförderung illegalen nationalsozialistischen Propagandamaterials. An das Bundeskanzleramt G. D. 5 in Wien. Zum Erlass Zl. 339.099/G. D. 5 vom 3.7.1936 beehre ich mich zu berichten, dass Johann Schnitzinger und Franz Schmalzl von der Bezirkshauptmannschaft Salzburg mit je 6 Monaten Arrest bestraft und vom Dienstgeber, der Sieglbrauerei in Salzburg, fristlos entlassen wurden. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 6. Mai 1936 Zl. 3031 Betr.: Nationalsozialistische Propagandaaktionen in der Zeit vom 25. bis zum Morgen des 30. April 1936 im Lande Salzburg. An das Bundeskanzleramt St. B. in Wien. In Verfolg der bereits erstatteten telefonischen Meldungen wird nachstehend eine summarische Übersicht über die nationalsozialistischen Propagandaaktionen in der Zeit vom 25. bis 30. April 1936 im Lande Salzburg vorgelegt und über das Resultat der eingeleiteten Amtshandlungen berichtet. Nach den eingelangten Meldungen wurden in folgenden Orten teilweise Flugschriften und papierene Hakenkreuze gestreut, teilweise Hakenkreuze mit Kalkmilch und dergleichen an Wänden und Bäumen gemalt oder Hakenkreuze mit Sägespänen oder Sand ausgelegt und zwar  : 1. Im Stadtgebiete Salzburg (die Streuaktion erfolgte hier zwei Mal) 2. Im Bezirke Salzburg-Umgebung  : a) Anif b) Anthering c) Moospriach d) Ölling

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e) Roding f) Hof g) Seekirchen h) Oberndorf (die Streuaktion erfolgte hier zwei Mal). 3. Im Bezirk Hallein  : Hallein 4. Im Bezirk Zell am See  : a) Saalfelden b) Lend c) Leogang d) Oberlend. 5. Im Bezirk St. Johann im Pongau  : a) Bad Gastein b) Hofgastein c) Radstadt d) Bischofshofen e) St. Johann im Pongau f) Werfen g) Pfarrwerfen. In der Umgebung von Salzburg, Hallein, Saalfelden, Hof und Vigaun wurde je ein Hakenkreuzfeuer abgebrannt. Überdies wurde am Kapuzinerberg bei Salzburg unterhalb eines angebrachten Hakenkreuzes in einer Mulde ein kugelförmiger Papierböller, welcher mit einer englischen Zündschnur adjustiert war, aufgefunden. Derselbe kam nicht zur Explosion, da die Zündschnur versagte. In zusammen 21 Orten wurden die aufgefundenen Flugschriften und papierenen Hakenkreuze gesammelt, die mit Farben gemalten Hakenkreuze durch Putzscharen entfernt. 22 Personen, die sich im Laufe des Monats April an den Propagandaaktionen beteiligt hatten, wurden verhaftet. (…)

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Die Berichte

Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 18. Mai 1936 Zl. 3084 Betr.: Nationalsozialistische Propagandaaktionen in der Zeit vom 30. April bis 10. Mai 1936 im Lande Salzburg. Flugschrift Gau Salzburg »Zum ersten Mai«. An das Bundeskanzleramt St. B. in Wien. In Verfolg der telefonischen Meldungen und im Nachhange zum h. a. Berichte vom 6.5.1936, Zl. 3031, wird noch ergänzend zur Kenntnis gebracht, dass außerhalb der Ortschaft Lend, Bezirk Zell am See, an einer Stützmauer der Bundesstraße sechs große, in Hallein an Holz- und Mauerwänden gegen 40 Hakenkreuze mit schwarzer Farbe aufgetragen wurden. Am Gipfel einer hohen Fichte in der Nähe des Marktes Seekirchen wurde ein großes hölzernes Hakenkreuz angebracht. In Pfarrwerfen, Bezirk Salzburg-Umgebung, wurde ein, auf der Schwarzenbichlalm, Bezirk Tamsweg, zwei Hakenkreuzfeuer zum Abbrennen gebracht. Zwei Personen konnten als Täter verhaftet werden. Sie wurden von der Bezirkshauptmannschaft Tamsweg mit 6 Monaten Arrest bestraft und beim Bezirksgericht Tamsweg zur Anzeige gebracht. In Schattenbach, Gemeinde St. Johann im Pongau, und in den Orten Anthering, Acharding, Ried und Wurmpassing, Bezirk Salzburg-Umgebung, und auf der Gasteiner Bundesstraße bei Schwarzach wurden nationalsozialistische Flugzettel gestreut. Die Flugschrift NSDAP Österreich, Gau Salzburg, Nachrichtendienst Mai 1936, »Zum ersten Mai«, wird im Anschluss in zwei Exemplaren zur Kenntnis vorgelegt. (…) NSDAP Österreich Nachrichtendienst Gau Salzburg Mai 1936 ZUM ERSTEN MAI Adolf Hitler hat für das deutsche Volk den Feiertag der nationalen Arbeit, den 1. Mai, zum hohen Festtag der Schaffenden aller Stände erklärt.131 131 Bereits am 10. Februar 1933 skizzierte Hitler in einer vom deutschen Rundfunk übertragenen Rede im Berliner Sportpalast die Grundzüge des Verständnisses und der Inszenierung des 1. Mai als Hochfest der Volksgemeinschaft durch die nationalsozialistischen Machthaber. »Weil wir in der Erhaltung

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Das Deutschtum im Reich und in allen Ländern der Erde feierte diesen Tag, erfüllt von Dankbarkeit für den Führer, der seinem Volk Glauben und Vertrauen, Arbeit und Brot gegeben hat, der das Reich aus jahrelanger Erniedrigung und Ohnmacht zu neuer Größe geführt hat, der als leuchtendes Vorbild der ganzen Nation voranschreitet, einer großen Zukunft entgegen. Wir Deutschen Österreichs schauen voll Vertrauen und gläubiger Zuversicht auf den Führer, unsere Herzen, denen keine Grenzpfähle gesetzt sind, weilten bei ihm an diesem Tage des schaffenden Volkes, denn keine Macht der Erde ist imstande, unseren Glauben an das deutsche Volk und seinen großen Befreier zu erschüttern, unser heiligstes Wollen irre zu machen. Wohl kann man den deutschen Arbeiter Österreichs zwingen, am 1. Mai, dem Jahrestag des klerikal-faschistischen Verfassungsbruches, über die Ringstraße zu marschieren, aber man kann aus seinem schlichten Herzen niemals die Liebe und Treue zu seinem A DOLF HITLER reißen. Die illegale österreichische Regierung, der es innerhalb zweier Jahre gelungen ist, das arbeitende Volk völlig zu entrechten, ist in ihrem Bemühen, den sozialpolitischen Niederbruch des Systems als Aufbauarbeit darzustellen, kläglich entlarvt. Dieses Regime, dessen Haupttätigkeit darin besteht, dem von ihm ausgeplünderten Volk auch noch den letzten Rest von Denkfreiheit nehmen zu wollen und an Stelle von Arbeit und Brot eine verlogene Jesuitenmoral aufzutischen, dieses Regime stößt beim deutschen Volk Österreichs auf den schärfsten Widerstand. Wir sind gerne bereit, alles zu opfern, wenn es unsere Idee, wenn es der Führer, wenn es das Wohl des Volkes erfordert, wir sind aber nicht gewillt, uns von jenem Klüngel ehrloser volksverräterischer Separatisten an das deutschfeindliche Ausland verschachern zu lassen. Wir sind nicht gesonnen, neben allen Verfolgungen auch noch den blutigen Hohn der Systemterroristen hinzunehmen, die den 1. Mai als Verfassungstag auf unsere Kosten feiern wollen und sich das Recht anmaßen, berufene Sprecher und Herren des deutschen Volkes in Österreich zu sein. Wir Deutschen Österreichs feierten am 1. Mai nach Willen und Bestimmung des Führers den Festtag der nationalen Arbeit. Unsere Herzen schlugen in gleichem unseres Volkes (…) das höchste Ziel erblicken, müssen wir die Ursachen unseres Verfalls beseitigen und damit die Versöhnung der deutschen Klassen herbeiführen. (…) Indem wir diese Versöhnung der Klassen herbeiführen, (…) wollen wir (…) dieses geeinte deutsche Volk wieder zurückführen zu den ewigen Quellen seiner Kraft, wollen durch eine Erziehung von klein an den Glauben an einen Gott und den Glauben an unser Volk einpflanzen in die jungen Gehirne (…) Indem ich für die deutsche Zukunft kämpfe, muss ich kämpfen für die deutsche Scholle und muss kämpfen für den deutschen Bauern. Er erneuert uns (…), ist der ewige Quell seit Jahrtausenden gewesen, und er muss erhalten bleiben. Ich gehe dann weiter zum zweiten Pfeiler unseres Volkstums  : Zum deutschen Arbeiter (…), der in der Zukunft kein Fremdling mehr sein soll und sein darf im Deutschen Reich, den wir zurückführen wollen wieder in die Gemeinschaft unseres Volkes.« (Zit. bei Werner Maser  : Das Regime. Alltag in Deutschland 1933–1945. – München 1983. S. 44.)

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Die Berichte

Takt mit denen unserer befreiten Brüder jenseits der Grenze. Wir erneuerten am 1. Mai unser Gelöbnis unwandelbarer Treue zu dem gesamten deutschen Volk und seinem Führer ADOLF HITLER. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 13. Mai 1936 Zl. 3031/3 Betr.: Nationalsozialistische Umtriebe in Leogang und Saalfelden. An das Bundeskanzleramt St. B. in Wien. Am 30. April 1936 wurde lt. Bericht des Gendarmeriepostenkommandos Saalfelden vom 3.5.1936, Zl. 1547, im Markte Saalfelden von der Vaterländischen Front und dem hier stationierten Bundesheer ein Fackelzug abgehalten. Zu dieser Veranstaltung, die vor dem Gasthaus »Hindenburg« ihren Abschluss fand, hatten sich ungefähr 2000 Personen aus Saalfelden und Umgebung eingefunden. Während des Fackelzuges wurden auf den Straßen des Marktes große Mengen nationalsozialistischer und revolutionär-sozialistischer Flugzettel verstreut. Gleichzeitig versuchten Nationalsozialisten auch auf den den Markt Saalfelden umgebenden Höhen 3 Hakenkreuze auszulegen und zum Abbrennen zu bringen. Die Täter wurden durch Gendarmerie und Militärpatrouillen, welche die Umgebung abstreiften, festgenommen. Im Zuge der weiteren Erhebungen wurde auch eine nationalsozialistische Geheimorganisation unter den Arbeitern des Sägewerkes Süßmann in Saalfelden aufgedeckt. Der Leiter dieser Geheimorganisation war der Hilfsarbeiter Josef Moser, der von den Mitgliedern Monatsbeiträge einhob und diese an den Hilfsarbeiter Johann Silber ablieferte. Anlässlich einer Hausdurchsuchung bei dem genannten Silber wurden außer Propagandamaterial eine geladene Pistole, ein Militärgewehr, Papierböller und 3 Stück Sprengbomben gefunden. Im Ganzen wurden acht Verhaftungen vorgenommen. In der Zeit vom 21. bis 26. April wurden in der Umgebung von Leogang ebenfalls mehrere Hakenkreuze ausgelegt. Die vom Gendarmerieposten Saalfelden und Leogang eingeleiteten Nachforschungen führten zur Verhaftung des Holzarbeiters Leonhard Riedelsperger und des Zimmermannes Rupert Stöckl. Aufgrund des Geständnisses des Leonhard Riedelsperger und eines bei Rupert Stöckl vorgefundenen Verzeichnisses konnten noch 12 Personen verhaftet und der

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Nachweis erbracht werden, dass die Mitglieder der Geheimorganisation zur Zahlung von Mitgliedsbeiträgen verhalten wurden, welche Beträge in Haft befindlichen Nationalsozialisten zugewendet wurden. Der Tischler Anton Wenin, der als Kassier fungierte und bei welchem auch Material für die Herstellung von Hakenkreuzen gefunden wurde, ist vom Gerichte in Saalfelden am 30. April gegen Gelöbnis auf freien Fuß gesetzt worden. Als am 1. Mai aufgrund des gesamten Erhebungsresultates seine neuerliche Verhaftung vorgenommen werden sollte, war derselbe unauffindbar. Wenin dürfte nach Deutschland geflüchtet sein. Durch die vorerwähnten Verhaftungen ist die Organisation der Nationalsozialisten in Saalfelden und Leogang vollkommen aufgerollt. Anmerkungen der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit Wien, 21. Mai 1936 Geschäftszahl  : 330.408 G. D./St. B. 36 Gegenstand  : Nationalsozialistische Umtriebe in Leogang und Saalfelden. Nach den bisherigen Erfahrungen kann bei Strafverfahren gegen Nationalsozialisten in keiner Weise damit gerechnet werden, dass Gelöbnisse oder Versprechen eingehalten werden. Es ist Pflicht eines jeden Nationalsozialisten, soferne es im Interesse der Partei gelegen ist, nicht nur jedes Versprechen, sondern auch jedes Ehrenwort zu brechen. Diese nicht zu widerlegende Tatsache muss nicht nur bei der Behandlung von nationalsozialistischen Häftlingen, sondern beim Umgang mit Nationalsozialisten überhaupt berücksichtigt werden. Landesgendarmeriekommando für Salzburg Salzburg, 15. Mai 1936 E. N. 2329 Betr.: Grömer Johann, Nationalsozialist, Leichenbegräbnis  ; Vorfälle. An das Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) in Wien. Am 14. Mai 1936 um 8 Uhr 30 wurde auf dem Ortsfriedhofe in Anthering der verstorbene Nationalsozialist Johann Grömer, der seinerzeit auch im Anhaltelager Wöllersdorf untergebracht war, beerdigt. An dem Leichenbegräbnis nahmen außer anderen Leidtragenden ca. 50 bis 60 Nationalsozialisten von Anthering und Umgebung teil. Als der Leichnam in das Grab versenkt war, legten die Nationalsozialisten Hermann Braun und Ulrich Wes-

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Die Berichte

ner, beide aus Salzburg, die mit Fahrrädern zur Leichenfeier erschienen waren, am Grabe des Verstorbenen einen Kranz mit weiß-roter Schleife und schwarzer Beschriftung »Letzter Gruß von Deinen Kameraden« nieder. Hermann Braun trat vor das Grab und sagte mit erhobener Hand (Hitler-Gruß) »Heil Dir, mein Kamerad  !« Braun und Wesner wurden sofort festgenommen, die Kranzschleife und die von Braun und Wesner benützten Räder wurden beschlagnahmt. Nach dem Leichenbegräbnisse um ca. 12 Uhr mittags brachte die in Anthering Nr. 35 wohnhafte Verkäuferin Emma Pröller auf einem am Grabe des Grömer liegenden Kranz ein kleines Hakenkreuzfähnchen an und fotografierte das Grab. Die Pröller wurde festgenommen und der Bezirkshauptmannschaft Salzburg zur Amtshandlung vorgeführt. Der von ihr benützte Fotoapparat samt Film wurde beschlagnahmt. Weitere Vorfälle haben sich nicht ereignet. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 10. Juni 1936 Geschäftszahl  : 334.850 G. D./St. B. 36 Gegenstand  : Vorfälle anlässlich des Begräbnisses des Nationalsozialisten Johann Grömer in Anthering am 14.5.1936. An den Herrn Sicherheitsdirektor für Salzburg in Salzburg. Es ergeht die Einladung, in Hinkunft bei Begräbnissen prominenter nationalsozialistischer Parteigänger die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, um Demonstrationen, die erfahrungsgemäß bei solchen Anlässen immer wieder vorkommen, zu inhibieren. Überdies sind Vorfälle, wie die, die sich in Anthering sich zugetragen haben, künftig sogleich zu berichten. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 16. Juni 1936 Zl. 3403/6 Betr.: Demonstrationen bei Begräbnissen nationalsozialistischer Parteigänger. An das Bundeskanzleramt G. D./St. B. in Wien.

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Zum Erlass 334.850 G. D./St. B. vom 10.6.1936 beehrte ich mich nach Kenntnisnahme zu berichten  : Der am 14.5. in Anthering bestattete Johann Grömer konnte nicht als prominenter nationalsozialistischer Parteigänger angesehen werden  ; trotzdem waren – da er als Nationalsozialist bekannt war und seinerzeit in Wöllersdorf interniert war – alle Vorsichtsmaßregeln getroffen worden. Die Bezirkshauptmannschaft Salzburg hatte den Posten Anthering durch 4 Beamte verstärkt, außerdem standen die Beamten der Posten Salzburg und Itzling samt Überfallswagen in Bereitschaft. Trotzdem war es nicht zu verhindern, dass einzelne Parteigänger am Grab den Hitler-Gruß leisteten. Dies dürfte auch in Zukunft durch noch so bedeutende Sicherheitsmaßnahmen nicht zu verhindern sein, zumal dem Täter auch in diesem Falle genau bekannt sein musste, dass er sofort verhaftet und zur Verantwortung gezogen würde, er aber sich trotzdem nicht von seiner Demonstration abhalten ließ. Ebenso wenig dürfte es mit Sicherheit auszuschließen sein, dass mehrere Stunden nach dem Begräbnis das Grab mit einem Hakenkreuzfähnchen besteckt und fotografiert wurde  ; auch hier waren die Vorkehrungen soweit wirksam gewesen, dass die Täterin verhaftet und das Bild samt Apparat beschlagnahmt wurde. Ich glaube daher betonen zu können, dass von der zuständigen Sicherheitsbehörde alle Vorkehrungen ordnungsgemäß getroffen waren, um eine Demonstration bereits im Keim zu ersticken, wie es auch tatsächlich geschah. Sollten auch diese geringfügigen Demonstrationsversuche von vornherein ausgeschlossen werden, so müsste die Sicherheitsbehörde ein öffentliches Begräbnis überhaupt verbieten  ; zu einem solchen Verbot lag jedoch keine hinreichende Begründung vor  ; es wäre auch zweifellos ein solches Verbot als pietätlos angesehen worden, hätte das größte Aufsehen erregt und zu schweren Demonstrationen geführt. Abschließend bemerke ich, dass die Meldung dieser geringfügigen Demonstrationsversuche sofort nach Klärung des Sachverhaltes im schriftlichen Wege, um weitläufige telefonische Mitteilungen zu ersparen, in Aussicht genommen war. Gendarmerieposten Saalfelden Saalfelden, 23. Mai 1936 E. Nr. 1576 Betr.: Auskunft aufgrund einer Anzeige über angebliche nationalsozialistische Sympathisanten in Saalfelden. An den Herrn Sicherheitsdirektor in Salzburg.

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Die Berichte

(…) scheint Kanzleidirektor Julius Grimm seine geistige Verbundenheit mit den Zielen der NSDAP noch immer nicht ganz aufgegeben zu haben.132 (…) Bei Direktor Grimm kann heute noch immer beobachtet werden, dass er im Gesellschaftsleben fast durchwegs nur in nationalsozialistischen Kreisen und in solchen Gasthäusern verkehrt. Er wird zwar streng darauf bedacht sein, nach außen hin nicht den Anschein eines Staatsfeindes zu erwecken, jedoch wird sein allgemein wahrzunehmender Verkehr mit den Nationalsozialisten in diesem Sinne auch weiterhin das Vertrauen der vaterländisch gesinnten Bevölkerung beeinträchtigen. Rechtsanwalt Dr. Ferdinand Metz gilt hier allgemein als fanatischer Nationalsozialist und wird auch seine Gesinnung kaum aufgeben. Er wurde wegen Beteiligung an einer von Nationalsozialisten inszenierten Demonstration unter E. Nr. 154 vom 13.1.1934 der Bezirkshauptmannschaft Zell am See angezeigt und war auch als einer der radikalsten Nationalsozialisten während der Juliereignisse 1934 beim Bezirksgerichte in Saalfelden inhaftiert. (…) Von den Angestellten der Handels- und Gewerbebank in Saalfelden sind der Bankdirektor Egon Schiebl133 und der Angestellte Franz Zimmermann nationalsozialistisch gesinnt. Beide gehören wohl seit 31.12.1935 der Vaterländischen Front als Mitglied an, haben aber laut Auskunft des Bezirksleiters der VF, Oberförster Josef Herzog, in Saalfelden erst über speziellen Auftrag des Finanzinstitutes in Salzburg ihre Mitgliedschaft in der VF angemeldet. Der Bauer Anton Mayer134 war nach weiterer Auskunft des genannten Bezirksleiters vor nicht langer Zeit durch einige Wochen Mitglied der VF und trat aus dieser mit der Begründung aus, weil er auch von dieser nichts zu erwarten habe. Eine staatsfeindliche Betätigung oder offensichtliche Gesinnung konnte dem Mayer bisher nicht nachgewiesen werden. Der Landwirt Johann Handl135 ist seit 15.3.1934 Mitglied der VF (…) Der Landwirt Jakob Lerchl136 ist bis heute nicht Mitglied der VF und scheint mit den Nationalsozialisten zu sympathisieren. (Die in Weißbach bei Lofer ansässige Diesbachbäuerin, Anm. d. Verf.) Maria Rohrmoser ist nationalsozialistischen eingestellt und befand sich im Winter 1935/36 durch 3 Monate beim Landesgerichte in Salzburg wegen Hochverratsverdachtes in Untersuchungshaft.

132 Lt. Staatspolizeilichen Erkenntnissen hatte der Kanzleidirektor am Bezirksgericht Saalfelden Julius Grimm die NSDAP-Mitgliedsnummer 512.645. (Geschäftszahl 333.133 G. D./St. B. 36) 133 NSDAP-Mitgliedsnummer 343.482. 134 NSDAP-Mitgliedsnummer 1.300.323. 135 NSDAP-Mitgliedsnummer 1.300.316. 136 NSDAP-Mitgliedsnummer 1.300.322.

3. »Der Marxismus ist tot  ? Nein, die SDAP ist tot.« Die Revolutionären Sozialisten

Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 22. Februar 1934 Zahl 1028 (128.987/34). Sprengstoffattentat in Nussdorf (Bez. Salzburg) am 15.2.1934. An das Bundeskanzleramt – GD. – St. B. in Wien I. Am 15. Februar 1934 gegen 22 Uhr 15’ wurde im Bereiche der Haltestelle Pabing, Gemeinde Nussdorf, (Bez. Salzburg), der Lokalbahn Salzburg-Lamprechtshausen durch versuchtes Sprengen der Geleiseanlagen in unmittelbarer Nähe eines Wechsels und einer Telefonleitungsstange ein Sprengstoffattentat verübt. Wie festgestellt erscheint, wurden unter den Geleisen 2 Schwarzpulverladungen und zwar eine solche unter dem rechtsseitigen Geleise, Richtung Salzburg beim Wechsel, die andere 6 m am linksseitigen Geleise vor dem Wechsel gelegt und dann mittels englischer Zündschnur zur Explosion gebracht. Die Sprengladungen lockerten den Bahnkörper und beschädigten die Schienen und die Wechselanlage. Der Personenzug 261, Richtung Salzburg verkehrend, passierte diese Stelle am 16. Februar 1934 gegen 6 Uhr. Beim Überfahren derselben wurden durch den Train des Zuges von den Schienen Teile abgebrochen, mitgeschleift und dann auf den Bahnkörper geschoben. Vom Wechsel wurde die Stange abgebrochen und zur Seite geschleudert. Der Personenzug 213 Richtung Salzburg fahrend, konnte diese Stelle nicht mehr passieren und es musste der Verkehr durch Umsteigen aufrechterhalten werden. Der Train des Personenzuges 261 hatte durch das Überfahren der durch das Attentat beschädigten Stelle anscheinend keinen Schaden genommen und waren auch Verletzungen von Personen nicht vorgekommen. Von der Sprengstelle aus befand sich 4 m seitlich eine Telefonleitungsstange, welche ebenfalls am Erdrande abgesprengt wurde. Eine Verkehrsstörung trat dieser wegen nicht ein, da die Stange nicht zu Boden fiel und Drähte nicht gerissen sind. Die Verwaltung der Salzburger Lokalbahngesellschaft erleidet durch dieses Attentat einen Schaden von leiläufig 600,- S.

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Die Berichte

Die Täter sind bis zur Stunde noch unbekannt, doch dürften dieselben in marxistischen Kreisen zu suchen sein. Die Erhebungen wurden in diese Richtung eingeleitet und wird ein positives Resultat im Nachhange gemeldet werden. In diesem Zusammenhange wurden am 16.2.1934 drei radikale ehemalige Schutzbündler und zwar Heinrich Gugg, Sebastian Hager und Josef Rieder festgenommen und im Polizeiarreste der Bundespolizeidirektion Salzburg interniert, da es nicht ausgeschlossen ist, dass diese Personen von dem Attentate Kenntnis hatten. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 28.2.1934 Zahl  : 155/69 (131.552/34) Handgranaten- und Munitionsfund bei der Zellulosefabrik in Hallein. An das Bundeskanzleramt – GD. – St. B. in Wien. Am 23. Februar 1934 um 14 Uhr wurde auf dem Holzlagerplatze der Zellulosefabrik in Hallein nächst der Villa des Bauunternehmers Josef Rathauscher unter einem Blochhaufen versteckt eine Holzkiste mit 720 Infanteriepatronen und 1 Holzkiste mit 14 selbsterzeugten Handstilgranaten, sogenannten Schmierbüchsen, und 26 rotweiß-rote Armbinden mit dem Aufdruck »Gemeindewache Hallein« vorgefunden. Die beiden Packungen waren vollkommen durchnässt und dürften an dieser Stelle schon längere Zeit gelagert gewesen sein, jedoch nicht länger als 6 Wochen, weil zu dieser Zeit dort mit der Lagerung des Holzes begonnen wurde. … Die Erhebungen nach den Herstellern und Besitzern, die ohne Zweifel im Republikanischen Schutzbund zu suchen sind, werden fortgesetzt und wird ein positives Resultat nachgetragen werden. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 18. März 1934 Zl.: 1558 Betreff  : Sozialdemokratische Flugschriften. An das Bundeskanzleramt – GD – St. B. in Wien. Im Anschlusse werden 2 sozialdemokratische Flugzettel, welche dem auf beiliegendem Kuvert angeführten Adressaten aus Prag per Post zugekommen sind und beschlagnahmt wurden, zur gef. Kenntnisnahme vorgelegt.

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Achtung  ! Unerhörter Betrug  ! Das »Kleine Blatt«137 erscheint wieder, aber diese Zeitung ist nicht das »Kleine Blatt«, das Sie jahrelang gelesen haben und das Ihnen ein treuer Freund und Berater war. Das »Kleine Blatt«, das nun erscheint, ist die Zeitung Ihres Feindes, der sich in der niederträchtigsten Weise maskiert. Unter dieser Maske wird er Ihnen das vaterländische Gift einträufeln und dann erst versteckte und dann o f f e n e f a s c h i s t i s c h e P r o p a g a n d a betreiben. Wir warnen Sie rechtzeitig. Weisen Sie diesem Machwerk die Türe, auch dann, wenn Ihnen vertraute Gestalten in dem Blatte erscheinen. Sagen Sie es auch Ihren Freunden, dass Sie das neue »Kleine Blatt« nicht lesen sollen. Ehe Sie das vaterländische »Kleine Blatt« kaufen, kaufen Sie eine andere kleine Zeitung. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 22.3.1934 Zl.: 155/113 (143.511/34) Betreff  : Sozialdemokratisches Propagandamaterial. An das Bundeskanzleramt – GD – St. B. in Wien. Im Anschluss werden zwei sozialdemokratische Flugblätter, welche verschiedenen Personen in Lend (Bezirk Zell am See) von Prag mittels Post zugekommen sind, zur gef. Kenntnisnahme vorgelegt. Arbeiter-Zeitung, 25. Februar 1934. (…) Dollfuß hat gesiegt. Aber er ist ein armseliger Sieger  !

137 Das »Kleine Blatt« wurde 1927von der SDAP als Ergänzung zur »Arbeiter Zeitung« als »Blatt für den kleinen Mann« ins Leben gerufen und wurde mit einer Auflage von rund 200.000 Stück zu einer äußerst erfolgreichen Tageszeitung. Die Zeitung wurde am 7. März 1933 unter Vorzensur gestellt, ab 4. Juli galt eine »verschärfte Vorlagepflicht«, die jedoch am 5. September wieder aufgehoben wurde. Die Zeitung erschien als sozialdemokratische Tageszeitung bis zum 12. Februar 1934. Bereits am 28. Februar 1934 erschien das »Kleine Blatt« wiederum, allerdings unter einem neuen Chefredakteur (Nikolaus Hovorka) und einem neuen verantwortlichen Redakteur (Fritz Robert Kirchner). Psychologisch äußerst geschickt wurde die Tageszeitung in den Dienst der Regierung gestellt und diente vor allem der Propagierung einer Versöhnung von Arbeiterschaft und Regierung. (Alexander Potyka  : Das Kleine Blatt. Die Tageszeitung des Roten Wien. – Wien 1989.)

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Die Berichte

Im Lager des Austrofaschismus bestehen die schärfsten Gegensätze. Schon ist der Kampf um die Beute zwischen Dollfuß und Fey, zwischen den Christlichsozialen und den Heimwehren im Gang. Sie werden nicht lang zusammenhalten  ! Beide sind aber von den Nazi bedroht. Die Nazi nützen den gerechten Volkshass gegen die Mörderregierung für ihre Zwecke aus. Morgen kann der Austrofaschismus von den Nazis schwer bedroht sein  ! Oder wird Dollfuß, um dieser Gefahr zu entgehen, vor Hitler kapitulieren  ? Das wäre der erste Schritt zum Anschluss an das Dritte Reich, den Frankreich und Italien nicht dulden wollen. Der Anschluss wäre der Krieg  ! Oder will Dollfuß, um allen diesen Gefahren zu entgehen, die Wiedereinsetzung der Habsburger versuchen  ? Das wäre eine Bedrohung der Tschechoslowakei und Jugoslawiens und daher gleichfalls ernsteste Kriegsgefahr  ! Was immer von allen diesen Möglichkeiten eintritt – auf die Dauer werden nicht dreißig Prozent, wird nicht das Dorf über die Großstadt, nicht der Klerikalismus über ein zu zwei Drittel nichtklerikales Volk herrschen können. Die G e l e g e n h e i t e n für die Wiederaufnahme unseres Kampfes, für unsere Revanche, für unseren Sieg werden kommen. Es gilt nur bereit zu sein, sie auszunützen. Die erste Notwendigkeit ist O r g a n i s a t i o n . Unsere großen Massenorganisationen sind zerschlagen. Heute brauchen wir Geheimorganisationen nach Fünfergruppen. In diese neue Organisation sind n u r u n b e d i n g t v e r l ä s s l i c h e Genossen aufzunehmen. Achtung vor Spitzeln und Naderern  ! In die neue Organisation sind nur Genossen aufzunehmen, die den M u t z u r i l l e g a l e n A r b e i t haben. Auf die Qualität, nicht auf die Quantität der Genossen kommt es jetzt an. Wichtig ist, dass wir i n j e d e m g r ö ß e r e n B e t r i e b und i n j e d e r S t e m p e l s t e l l e verlässliche organisierte Genossen haben, die im geeigneten Augenblick die Masse mitreißen und führen können. Die Genossen, denen es gelungen ist, über die Grenze zu kommen, haben in Brünn ein »A u s l a n d s b ü r o ö s t e r r e i c h i s c h e r S o z I a l d e m o k r a t e n « (abgekürzt  : Alös) errichtet. Das Alös will n i c h t e t w a e i n e n e u e P a r t e i l e i t u n g sein. Die neue Parteileitung wird vielmehr a u s d e n i n Ö s t e r r e i c h t ä t i g e n Genossen gebildet werden müssen, sobald die neuen Organisationen hinreichend entwickelt sein werden. Das Alös stellt sich die Aufgabe, den Kampf der Genossen in Österreich durch Sendung von Zeitungen, von Flugblättern und Broschüren zu unterstützen. (…) Die Nazi sind heute viel stärker, als sie zur Zeit der Auflösung ihrer Partei waren. Was den Nazis gelungen ist, muss auch uns gelingen. Der sozialistische Gedanke muss und wird trotz der Auflösung der Partei und aller Arbeiterorganisationen, trotz dem Raub an unserem Eigentum, trotz der Verhaftung unserer Führer lebendig blei-

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ben unter den österreichischen Arbeitern. L a s s t E u c h n i c h t a u s H a s s g e g e n F e y u n d D o l l f u ß v o n d e n N a z i e i n f a n g e n   ! Hitler ist der Todfeind der deutschen Arbeiter und darum auch unser Todfeind. Eine Naziherrschaft in Österreich könnte dauerhafter, innerlich fester und darum gefährlicher sein als die Diktatur des blutigen Palawatsch des Austrofaschismus. Die österreichischen Arbeiter dürfen unter keinen faschistischen Einfluss kommen – weder unter austro-, noch unter nazifaschistischen. Sie waren und bleiben Sozialdemokraten. Sie bleiben es jetzt erst recht  ! Die Herzen hoch  ! Die Fahne hoch  ! Wir haben eine Schlacht verloren  ; wir werden den Krieg gewinnen  ! … Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 4. April 1934 Zl. 155/139 (150.813/34) Betreff  : Sozialistisch-kommunistische Propaganda, Hetzschrift »Der rote Rebell«. An das Bundeskanzleramt – St. B. in Wien. Das Gendarmeriepostenkommando in Bischofshofen, Bezirk St. Johann i. Pg., meldet  : »Am 30.3.1934 vormittags wurden in mehreren an den Eingangstüren zu den Genossenschaftswohnungen in Bischofshofen angebrachten Briefkästen einige Exemplare der beigeschlossenen Flugschrift ›Der rote Rebell‹ vorgefunden.« Ein Exemplar wird zur gf. Kenntnisnahme mit dem Berichte vorgelegt, dass ein zweites Stück gleichzeitig dem Sicherheitsdirektor für das Bundesland Oberösterreich übermittelt wurde, da Linz als Erscheinungsort des »Roten Rebell« angegeben erscheint.138

138 Die Flugschrift wurde wahrscheinlich von einem oder mehreren Angehörigen des oberösterreichischen Schutzbundes verfasst, der unter Richard Bernaschek am 12. Februar 1934 mit seinem Widerstand gegen eine Waffensuche im Parteiheim Hotel Schiff auch seinen Protest gegen die Haltung der sozialdemokratischen Parteiführung zum Ausdruck brachte und diese zum Handeln, d. h. zur Ausrufung des Generalstreiks und zur Mobilisierung des Schutzbundes im gesamten Bundesgebiet, zwingen wollte. Aus dem Text wird auch deutlich, dass nicht der Kampf für die parlamentarische Demokratie der Beweggrund der Linzer Schutzbündler war, sondern die Ablehnung der Politik der Parteiführung unter Otto Bauer und Karl Seitz sowie die Errichtung der Diktatur des Proletariats nach sowjetischem Vorbild. Die Argumentation der Flugschrift orientiert sich auch weitgehend an jener der KPÖ. Ein Teil der enttäuschten Schutzbündler wechselte daher nach der Niederlage zur

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Die Berichte

DER ROTE REBELL Linz, März 1934. BESIEGT –

DOCH N I C H T

V ERNICHTET   !  !  !

Die Februarrevolte der österreichischen Arbeiter wurde niedergeschlagen. Die Konterrevolution hat gesiegt. »Der Marxismus ist tot  !« frohlockt das Bürgertum. Die Sozialdemokratische Partei Österreichs ist unterlegen. Wohl waren durch Jahre hindurch die Massen der Arbeiter in ihr organisiert. 42 Prozent der österreichischen Wähler haben noch bei den letzten Wahlen dieser Partei ihre Stimme gegeben. Wieso dieses traurige Ende  ? Sind dies die Früchte der Demokratie  ? Beginnend von den Tagen der Revolution des Jahres 1918 bis in die letzten Wochen gab es nur eine Partei, die diese demokratische Republik bejahte, die Sozialdemokratie. Der legale Weg allein sollte die Staatsmacht in die Hände der Arbeiter bringen. Die Länder der westlichen Demokratie, die bürgerlichen Republiken, waren für sie das Vorbild, nicht Karl Marx’ revolutionäre Taten. Die Beachtung der bestehenden bürgerlichen Verfassung erschien wichtiger als der Kampfwille der Arbeiterklasse. 12 Jahre Entrechtung der Arbeiterklasse, 1 Jahr Verfassungsbruch des Bürgertums und ihrer Regierung genügten nicht, um den Führern dieser Partei die Augen zu öffnen. Die Politik des kleineren Übels, die auch das bürgerliche Wohlsein vieler sozialdemokratischer Führer behütete, stand turmhoch über dem Elend hunderttausender Darbender und Hungernder. Der 12. Februar konnte die Entscheidung nicht bringen. Unsere versammelten Schutzbündler von Linz haben sich gegen den Überfall der Dollfußbrigade gewehrt  ! Eine Waffensuche in unserem Heim, diese neuerliche Provokation, war nicht zu ertragen. Der Kampf um das gleiche Recht war unausbleiblich. Wien folgte, in Steyr, Kapfenberg, Eggenberg, Ebensee, Wörgl und in vielen anderen Orten war das Signal zum Kampf gegeben. Diese Arbeiter kämpften um ihr Recht, ihre Freiheit. Noch nie haben Arbeiter so heldenhaft gekämpft wie diese in den Februartagen  ! Und dennoch brach die Erhebung zusammen. Sie ist zusammengebrochen durch den Ve r r a t s o z i a l d e m o k r a t i s c h e r F ü h r e r   !  ! Jetzt, am Tage der Tat, zeigten diese Führer ihre bürgerliche Gesinnung, ihre Angst vor dem revolutionären Kampf, dessen Sieg auch ihre Welt zerstört hätte. Die Führer Kärntens, Vorarlbergs, ja vieler Wiener Bezirke und Salzburgs gaben Treueerklärungen ab für Herrn Dollfuß, lösten jede Verbindung mit der Partei, um ihren Fettwanst und ihr Vermögen zu retten. Die gewerkschaftlichen Führer, diese Ritter

KPÖ oder emigrierte in die Sowjetunion, einige verschlossen sich auch nicht dem verstärkt einsetzenden Werben der NSDAP.

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der traurigen Gestalt, sie haben das Versagen des Generalstreiks nicht mehr abgewartet. Sie flohen in das Ausland  ! (…) Ist dies wirklich das Ende  ? Nein und tausendmal nein  ! Österreichs Proletariat, es lebt. Kampfentschlossener denn je hat es erkannt, dass nur die revolutionäre Tat den Sieg des Sozialismus bringen wird. Befreit von allen Fesseln blickt es voll Zuversicht dem neuen Kampf entgegen. Und dieser Kampf, er bringt den Sieg. Der Marxismus ist tot  ? Nein, die SDAP ist tot. Die ganze Welt hat mit größter Bewunderung und Leidenschaft die heldenhaften Kämpfe der österreichischen Arbeiter verfolgt. Fast hat das internationale Proletariat daran gezweifelt, dass die österreichischen Arbeiter stark genug sein werden, sich von pazifischen Gedanken zu befreien und an die Stelle leerer Worte die offene, revolutionäre Tat zu setzen. Und wenn auch all die Führer von demokratischer Entwirrung der politischen Gegensätze sprachen als Hüter der längst verratenen Verfassung, so hat der Kampfeswille der Massen gezeigt, wie sehr der Gegensatz zwischen Führern und Masse schon bestanden hat. War doch schon im März 1933 der Augenblick gekommen, die verfassungsmäßigen Rechte der Arbeiter mit a l l e n M i t t e l n zu verteidigen. Damals haben die sozialdemokratischen Führer die Stirn gehabt, mit lügenhaftem Dreh die Loslösung der Arbeiter von ihnen zu verhindern. (…) G e n o s s e n , höret uns  ! All ihr, die ihr hasserfüllt gegen die Regierung und das Bürgertum, die Opfer der letzten Wochen betrauert, wir rufen euch  ! Schon seit Jahren spricht man bei uns im Lande von der Einheitsfront der österreichischen Arbeiter. Die Sozialdemokraten und die Kommunisten bemühten sich darum. Aber sie kam nie zustande, weil manche Führer weder das Verständnis noch den Willen dazu besaßen. Doch diese Februartage haben uns gezeigt, dass alle Klassenkämpfer in diesen schweren Stunden sich die Bruderhand reichten. Kein Kompromiss zwischen der KP und der SDAP war notwendig, um diese wirkliche Einheits- und Kampfesfront aller klassenbewussten Arbeiter zu schaffen. Die revolutionäre Tat der wahr gewordenen »Austrobolschewiken« allein vermochte dies. Bleibet ihr treu, der revolutionären Einheitsfront  ! Sie wird das rote Banner zum Ziele tragen  ! Der Sieg ist uns nur dann gewiss, wenn wir vereint marschieren  ! Es lebe die internationale, revolutionäre, p r o l e t a r i s c h e E i n h e i t s f r o n t    !    !    !

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Bundeskanzleramt Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit 18. April 1934 Geschäftszahl  : 153.971 – G.D./34 St. B. Gegenstand  : Kraupner Heinrich aus Salzburg. Anfrage des Syndikats der Pariser Hotelangestellten nach dem Grund seiner angeblichen Inhaftierung. Einsichtsakt der Abt. 15 Rs Zahl 149.781 vom 10. April 1934 vor der Erledigung mit dem Ersuchen um Stellungnahme  : Die österreichische Gesandtschaft in Paris übermittelt sub Zahl 2896 vom 4. April 1934 eine Zuschrift des Syndikates der Pariser Hotelangestellten mit dem Ersuchen um Bekanntgabe, wie sie diese Zuschrift beantworten solle. Das gesamte Syndikat ersucht um Bekanntgabe, ob und warum Heinrich Kraupner der Zentralorganisation der Hotelangestellten, Ortsgruppe Salzburg in Salzburg, inhaftiert sei139. Die Frage wird damit begründet, dass Kraupner im Wege des Austausches eine Stellung in Frankreich hätte antreten sollen. Der Sicherheitsdirektor für Salzburg wäre zunächst zur Erhebungsveranlassung einzuladen. (…)

139 Heinrich Kraupner (1890–1971) absolvierte nach dem Besuch der Volksschule eine Lehre im Gastgewerbe. Nach einer Berufstätigkeit in der Schweiz, in Italien, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden leistete er 1915 bis 1918 Kriegsdienst, trat 1925 der SDAP bei, wurde Obmann der Zentralorganisation der Hotelangestellten in Salzburg und war bis 1932 Obmann der sozialdemokratischen Gastgewerbeangestellten. 1933/34 war er Mitglied der Landesparteivertretung der SDAP Salzburg, 1927 bis 1934 Mitglied des Salzburger Gemeinderates. 1935 gründete er das Cafe Posthof in der Kaigasse, wurde im Zuge der Februarereignisse kurze Zeit verhaftet, jedoch gegen Gelöbnis auf freien Fuß gesetzt. 1938 erfolgte eine neuerliche Verhaftung und 1944 eine Einlieferung in das KZ Dachau. 1945 war er Mitglied der provisorischen Landesparteivertretung und 1946 bis 1950 des Landesparteivorstandes der SPÖ Salzburg, 1945/46 Vizebürgermeister der Stadt Salzburg und 1946 bis 1948 Landesrat, 1945/46 Vizepräsident der Salzburger Wirtschaftskammer und 1945 bis 1955 Landesobmann des Freien Wirtschaftsverbandes. (Voithofer  : Politische Eliten in Salzburg. S. 115.)

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 13. Juni 1934 Zahl 2546/3 Betreff  : Kraupner Heinrich, Anfrage des Syndikates der Pariser Hotelangestellten nach dem Grunde der Verhaftung. An das Bundeskanzleramt – GD – St. B. in Wien. Zum dä. Erlass vom 16.4.1934, Zl. GD. 153.971-St.B.-1934, wird berichtet, dass Heinrich Kraupner anlässlich des Ausbruches der sozialdemokratischen Revolte mit den übrigen Parteiführern in Salzburg am 12. Februar l. J. verhaftet und wegen Verdachtes des Verbrechens des Hochverrates gemäß § 58 c St. G. dem Landesgerichte Salzburg eingeliefert wurde. (…) Genannter war einer der prominenten Funktionäre der bisherigen Sozialdemokratischen Partei und gehörte als Mandatar dem Gemeinderate der Stadt Salzburg an. Beruflich war er als Landessekretär der Hotel-, Gast- und Kaffeehausangestellten und verwandter Berufe Österreichs in Salzburg tätig. Im Zuge der gegen ihn und die übrigen sozialdemokratischen Führer Robert Preußler, Karl Emminger, Josef Witternigg, Georg Leitner und Franz Peyerl beim Landesgerichte Salzburg noch anhängigen Strafverfahren wurde er am 24. Mai 1934 über Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck gegen Gelöbnis aus der Untersuchungshaft entlassen und der Sicherheitsbehörde zur Verfügung gestellt. Am 30. Mai l. J. wurde Kraupner nach Abgabe einer Loyalitätserklärung unter Auferlegung einer täglichen persönlichen Meldepflicht und Kaffee- und Gasthausverbotes in Salzburg konfiniert. Kammer für Arbeiter und Angestellte in Salzburg Präsidium Salzburg, 23. August 1934 Zl. 3895/34 St./M. Betrifft  : Auswanderungsbewilligung für Herrn Heinrich Kraupner. Sr. Exzellenz Herrn Bundeskanzler von Schuschnigg in Wien, Ballhausplatz. Hochverehrter Herr Bundeskanzler  ! Der frühere Sekretär der Zentralorganisation der Hotel-, Gast- und Kaffeehausangestellten (Freie Gewerkschaft) für Salzburg, Herr Heinrich Kraupner, wurde nach dem 12. Februar verhaftet und nach längerer Zeit wieder auf freien Fuß gesetzt. Jedoch ist noch ein Verfahren wegen Mitwirkung oder Mitwissen an Hochverrat laufend, wes-

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halb Herr Heinrich Kraupner die volle Bewegungsfreiheit nicht hat. Derselbe ersucht mich nun um Intervention, da er in der allernächsten Zeit auswandern will, weil er hier auf unabsehbare Zeit keine Aussicht hat, eine geeignete passende Stellung zu finden. Ich kenne Herrn Kraupner aus jahrelanger gewerkschaftlicher Tätigkeit als Gegner und muss ihm jedoch das beste Zeugnis ausstellen. Die größten Vorwürfe und Verdächtigungen wurden Herrn Kraupner gegenüber im Zusammenhang mit dem Bau des Ledigenheimes für die Gastgewerbeangestellten erhoben, da Herr Kraupner Obmann dieser Genossenschaft war. Ich wurde inzwischen als Überwachungsorgan dieser Genossenschaft bestellt und habe die Tätigkeit der genannten Genossenschaft und auch speziell des Herrn Kraupner überprüft und auch dort gefunden, dass seine Tätigkeit in keiner Weise zu beanstanden ist. Auch die Bewohner dieses Heimes waren keinesfalls nur Sozialdemokraten, es dürften vielmehr sogar letztere in der Minderheit gewesen sein. Außerdem hatte ich wiederholt Gelegenheit, mit Herrn Kraup­ ner über die politische Lage zu sprechen und kann feststellen, dass er bereits Ende 1933 mit der Wiener Führung der Sozialdemokratischen Partei nicht einverstanden war und hat er sich zu einer Zusammenarbeit mit der Regierung Dollfuß bekannt. Ich bitte daher, Euer Hochwohlgeboren Herrn Bundeskanzler zu erwirken, das Verfahren gegen Kraupner eingestellt und ihm die Ausreisebewilligung erteilt wird, da die ganzen Akten derzeit beim Bundeskanzleramte erliegen. Euer Hochwohlgeboren Herrn Bundeskanzler ergebener Hermann Struber140 Bundeskanzleramt Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit 10. Dezember 1934 Geschäftszahl  : 321.227 G. D/St. B. 34. (Vorzahl  : 192.816 St. B./34.) Gegenstand  : Kraupner Heinrich, gerichtliche Untersuchung, Ansuchen um Bewilligung zur Auswanderung. Zu lesen Vorakten, Exhibit und Beilagen. Die Kammer für Arbeiter und Angestellte in Salzburg hat mit Eingabe vom 23. August 1934 für den früheren Sekretär der Zentralorganisation der Hotel-, Gast- und 140 Hermann Struber (1905–1945  ?) war Landwirtschafts- und Industriearbeiter und ab 1928 Sekretär der christlichen Gewerkschaften in Salzburg, 1934 bis 1938 Vorsitzender der Verwaltungskommission der Salzburger Arbeiterkammer und des Landeskartells Salzburg des Gewerkschaftsbundes der österreichischen Arbeiter und Angestellten, 1934 bis 1938 Mitglied des Bundeswirtschaftsrates. Ferner war er Obmann der Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassen und der Sozialen Arbeitsgemeinschaft, einer Initiative der Vaterländischen Front zur Gewinnung der Arbeiterschaft. 1938 wurde er von allen Funktionen enthoben und verhaftet. Nach seiner Freilassung wurde er zur Wehrmacht eingezogen. (Enderle-Burcel  : Christlich – Ständisch – Autoritär. Mandatare im Ständestaat 1934–1938. S. 238.)

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Kaffeehausangestellten (Freie Gewerkschaft) in Salzburg, Heinrich Kraupner, interveniert, damit ihm eine Ausreisebewilligung erteilt werde. Das Landesgericht und die Staatsanwaltschaft in Salzburg haben sich am 20.10.1934 bzw. am 23.10.1934 gegen die Bewilligung ausgesprochen, da die gegen Kraupner wegen Hochverrates anhängige Untersuchung noch nicht abgeschlossen ist. (…) Wird dem Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg (…) zugemittelt (…). Das vorstehende Ansuchen um Ausreisebewilligung kann daher schon aus diesem Grunde eine willfahrende Erledigung nicht finden. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 9. April 1934 Zl. 155/141a (153.747/34) Betreff  : Sozialdemokratisches Propagandamaterial In Hallein. An das Bundeskanzleramt – G. D. – St. B. in Wien. In der Anlage wird je ein Exemplar sozialdemokratischen Propagandamaterials, das an einen Hilfsarbeiter in Hallein, der früher der Sozialdemokratischen Partei angehörte, von Wien per Post zugesendet wurde, zur Kenntnisnahme vorgelegt. (…) Arbeiter – Zeitung Nr. 4, 18. März 1934. Neue Wege zum alten Ziel. (…) Das Mittel  : die revolutionäre Volkserhebung. In der Demokratie hatten wir mit der Waffe des S t i m m z e t t e l s gekämpft. Wir wollten die Mehrheit des Volkes für unsere Ideen gewinnen, um mit dem friedlichen Mittel des Stimmzettels die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft zu erringen. Die austrofaschistische Diktatur hat uns diese demokratischen Kampfmittel entrissen. Sie kann nicht anders besiegt werden als mit den Waffen der R e v o l u t i o n . Die Zerrüttung des von der schwersten Krise erschütterten Weltkapitalismus  ; die inneren Gegensätze innerhalb der austrofaschistischen Diktatur  ; der Gegensatz zwischen Austrofaschismus und Nazifaschismus  ; der Kampf zwischen Frankreich und Italien um die Vorherrschaft im Donauraum  ; die ganze internationale Entwicklung, die auf einen neuen Weltkrieg zusteuert – all das gibt uns die Gewähr, dass die Gelegenheiten für eine neue revolutionäre Volkserhebung in Österreich kommen werden.

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Wie der Niederlage der Russischen Revolution von 1905 der weltgeschichtliche Sieg von 1917 gefolgt ist, so wird unserer Niederlage im Februar der Sieg folgen. Die Übergangsform  : eine revolutionäre Diktatur. Was muss das Ziel der Revolution gegen den Austrofaschismus sein  ? Werden wir, wenn wir siegen, abermals, wie im Jahre 1918, sofort die Demokratie aufrichten  ? Wir haben im Jahre 1918 a l l e n Klassen, a l l e n Parteien, die politische Freiheit und die politische Gleichberechtigung gegeben. Aber die Kapitalisten, die Großgrundbesitzer und die Pfaffen haben die politische Freiheit nur benützt, um die Demokratie zu untergraben und sie schließlich mit Mord und Brand zu Fall zu bringen. Sie haben ihren Einfluss auf die Presse, die Kanzeln und die Katheder benützt, um die Demokratie zu unterwühlen  ; ihr Geld benützt, um faschistische Söldnerbanden aufzustellen  ; ihre Macht über die Betriebe benützt, um Arbeiter in ihre faschistische Söldnerarmee hineinzupressen  ; die Krise ihrer eigenen, der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, benützt, um Kleinbürger und Bauernsöhne in die faschistischen Banden hineinzulocken und arbeitslose Proletarier in ihre Söldner zu verwandeln. Auf diese Weise haben sie die Demokratie zerstört. Diese Erfahrung lehrt  : es ist keine wirkliche, echte, dauerhafte Demokratie möglich, ehe nicht den Kapitalisten, den Aristokraten und der Kirche die w i r t s c h a f t l i c h e n Machtmittel entrissen werden, deren sie sich bedient haben, die Demokratie zu vernichten. Deshalb muss aus einer revolutionären Volkserhebung in Österreich zunächst eine r e v o l u t i o n ä r e D i k t a t u r der Arbeiterklasse hervorgehen, die die Aufgabe haben wird, nicht nur die faschistischen Mörderbanden zu entwaffnen, nicht nur die bluttriefenden Verfassungsbrecher von heute vor das Revolutionsgericht zu stellen und die Beamten, die im Dienste des Faschismus Recht und Gesetz brechen, davonzujagen, sondern auch d e n G r o ß g r u n d b e s i t z e r n , d e n K a p i t a l i s t e n u n d d e r K i r c h e i h r e w i r t s c h a f t l i c h e n M a c h t m i t t e l z u e n t r e i ß e n . Die revolutionäre Diktatur muss die Banken, die Großindustrie, die großen Handelshäuser, die Forste in das Eigentum der Volksgesamtheit überführen, den landwirtschaftlichen Großgrundbesitz auf Landarbeiter und Bauernsöhne aufteilen und auf diese Weise die Grundlagen einer s o z i a l i s t i s c h e n G e s e l l s c h a f t s o r d n u n g schaffen. Erst wenn die revolutionäre Diktatur diese Aufgaben erfüllt haben wird, wird in Österreich echte, wirkliche, dauerhafte Demokratie möglich sein. Das Ziel  : sozialistische Demokratie.

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Sozialismus bedeutet  : Die Gesamtheit des Volkes soll Eigentümerin der Arbeitsmittel sein, die das Volk zu seiner Arbeit braucht, und soll über die Güter verfügen, die die Gesamtheit der Arbeitenden erzeugt. Sozialismus setzt daher freie Selbstbestimmung der Gesamtheit des Volkes voraus (…) Aber zuerst muss eine r e v o l u t i o n ä r e D i k t a t u r den Kapitalisten, den Großgrundbesitzern und der Kirche ihre wirtschaftlichen Machtmittel entreißen, ehe echte und dauerhafte Freiheit jedes einzelnen, wahre und dauerhafte Selbstbestimmung der Volksgesamtheit möglich wird. Nicht die Wiederherstellung der bürgerlichen Demokratie von gestern, sondern eine revolutionäre Diktatur als Übergangsform z u e i n e r e c h t e n , a u f d a s E i g e n t u m d e s Vo l k e s a n s e i n e n A r b e i t s mitteln und an seinem Arbeitsertrag gegründeten, also sozialist i s c h e n D e m o k r a t i e , i s t u n s e r Z i e l . (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 15. Mai 1934 Zl. 155/174 (173.457/34) An das Bundeskanzleramt – G. D./St. B. in Wien In der Nacht zum 9.5.1934 wurden im Markte Bischofshofen eine Anzahl beiliegender Flugzettel mit der Überschrift »Herr Dollfuß« und der Fertigung »Die revolutionären Sozialisten«, »Die Kämpfer vom Februar« von unbekannten Tätern verstreut. Das beliegende Exemplar wird zur gef. Kenntnisnahme vorgelegt. Herr Dollfuß  ! Sie haben in Ihrer Rede in Klosterneuburg, als Sie wieder einmal krebsen gingen, um die Arbeiter zum Abfall von ihrer Klasse zu bewegen, gesagt  : »Arbeiter  ! Euch die Möglichkeit zu geben, den Glauben zu gewinnen, dass c h r i s t l i c h e L i e b e wirklich lebendig ist und alle umschlingen soll, ist unser Wille …« Wir fragen Sie, Herr Dollfuß  : Ist das christliche Liebe, dass Sie ein Jahr lang eine Politik getrieben haben, die einen Verzweiflungsausbruch der Arbeiter zur Folge haben musste  ? Ist das christliche Liebe, dass Sie hunderte Arbeiter, obwohl noch im letzten Augenblick die Möglichkeit zu einer Verständigung bestanden hätte, hinmorden ließen  ?

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Ist das christliche Liebe, dass Sie die Wohnstätten der Arbeiter mit Kanonen und Minenwerfern zerstören ließen  ? Ist das christliche Liebe, dass Sie noch nach Ihrem Siege brave Arbeiter dem Henker auslieferten  ? War Ihnen noch zu wenig Blut geflossen  ? Weinten noch nicht genug Mütter, Frauen und Kinder  ? (…) Wir glauben Ihren schönen Worten nicht, Herr Dollfuß  ! Wir wissen, Sie sind ein boshafter Zwerg, der unter dem Einfluss eines mordgierigen Schlächters steht  !141 Wir wissen  : Sie haben den heiligen Eid gebrochen, den Sie auf die Verfassung geschworen haben  ! Wir wissen  : Sie haben heuchlerisch den Kämpfern vom Februar Pardon versprochen und sie dann trotzdem den Schergen ausgeliefert  ! Wir wissen, dass Sie schuld sind an allem vergossenen Blut, schuldig, dass neues, unsägliches Elend seit dem Februar über unser armes Land gekommen ist  ! Wir wollen n i c h t s g e m e i n haben mit Ihnen und den Verbrechern, unter deren Gewalt heute das Land schmachtet  ! Wenn Sie manchmal schöne, verlockende Worte sagen, wenn Sie uns mit dem Zuckerbrot ködern wollen, so tun Sie dies nur deshalb, weil Sie noch immer A n g s t vor den Arbeitern haben, weil Sie noch immer die Kraft der Arbeiter fürchten und die Vergeltung dereinst  ! Es gibt für uns keine Verständigung mit dem Eidbrecher, mit dem Arbeitermörder, mit dem Räuber des Arbeitervermögens  ! Wir lassen uns von Phrasen nicht täuschen  ! Wir gehen nicht in die gleichgeschaltete Einheitsgewerkschaft  ! Wir lesen nicht die gestohlenen Arbeiterblätter  ! Wir lassen unsere Kinder nicht die den Pfaffen ausgelieferten Kinderhorte besuchen  ! Wir meiden die gestohlenen Arbeiterbüchereien  ! Wir gehen nicht in die dem faschistischen Diktat unterworfenen Kulturorganisationen  ! Wir durchschauen die Komödie, die man da mit uns aufführen will. Die alten, uns wohlvertrauten Namen sollen uns täuschen, damit wir unter die Kutte der Pfaffen kriechen, damit wir uns der Peitsche der Heimwehrbanditen unterwerfen. Da tun wir nicht mit  ! Man hat uns alles gestohlen, nun soll das gestohlene Gut verdorren  ! Wir haben nichts gemein mit diesem Staat, der von Verbrechern beherrscht wird  ! Wir bleiben abseitsstehen, wir bleiben untereinander und warten, warten auf den Tag der Rache  ! Wir bewahren unseren Hass und wollen unermüdlich arbeiten, rüsten für den Tag der Vergeltung, an dem wir von

141 Gemeint ist Major Emil Fey.

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Ihnen, Herr Dollfuß, Rechenschaft verlangen werden für alles vergossene Blut, für die ganze unmenschliche Schuld, die Sie auf Ihr Gewissen geladen haben. Die revolutionären Sozialisten Die Kämpfer vom Februar Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 7. August 1934 Zl. 3098/1 (222.3347349) An das Bundeskanzleramt St. B. in Wien. Im Anschluss werden 2 Flugschriften zur Kenntnisnahme vorgelegt, die in den ersten Tagen August in Salzburg aufgetaucht sind. »Die revolutionäre Einheit« wurde in Briefen verbreitet, der andere Zettel wurde am Rangierbahnhof vorgefunden. Nachforschungen der Bundespolizeidirektion sind im Zuge. Arbeiter Genossen Dollfuß ist weg, sein Regime muss ihm folgen  ! Der Putschplan der Nazi hat aufs Neue die Schwäche des österreichischen Faschismus enthüllt. Dienstag hat Dollfuß unseren Genossen Gerl142 hinrichten lassen. Tags darauf ist der Massenmörder selbst dem Mord erlegen. Ohne die Tröstungen der Religion, die er geschändet hat, ist er hinübergegangen. Der Fluch unserer Witwen und Waisen, die Verwünschungen des Volkes folgen ihm nach.

142 Josef Gerl (1912–1934) absolvierte eine Lehre als Goldschmied und wurde infolge der Wirtschaftskrise arbeitslos. 1929 trat er der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) bei und war in der SAJ-Gruppe »Prater« in Wien Josefstadt aktiv. Nach der Teilnahme an den Februarkämpfen 1934 floh er in die Tschechoslowakei, kehrte jedoch nach Österreich zurück und verübte zusammen mit dem Hutmachergehilfen Rudolf Anzböck am 20. Juli 1934 einen Sprengstoffanschlag auf die Signalanlage der Donauuferbahn. Am folgenden Tag erschoss er den Polizei-Oberwachmann Ferdinand Forstner, um sich einer drohenden Verhaftung zu entziehen. Bei der folgenden Verfolgungsjagd wurde er zusammen mit Anzböck verhaftet und vor dem Standgericht angeklagt. Dieses fällte am 24. Juli über ihn und Anzböck das Todesurteil, das, trotz einer Begnadigung durch den Bundespräsidenten, noch am selben Tag vollstreckt wurde. In der Verhandlung gab Gerl an, mit dem Nationalsozialismus zu sympathisieren. Ob es sich dabei um eine Schutzbehauptung handelte, um sowohl den Sprengstoffanschlag wie auch die Ermordung des Polizisten den Nationalsozialisten anzulasten, ist nicht eindeutig beantwortbar.

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Aber dieser Fluch gilt erst recht den Überlebenden, seinen Henkerkumpanen und Helfershelfern, den Fey und Schuschnigg  ! Dollfuß ist weg, doch jetzt muss das verbleibende Dollfuß-Regime durch den entschlossenen Kampfwillen der g e e i n i g t e n Arbeiterschaft weggefegt werden  ! Was in Österreich geschehen ist, gleicht im Wesen den Ereignissen des 30. Juni in Deutschland  ;143 Faschisten haben Faschisten ermordet. Hier wie dort bedeutet es den Anfang vom Ende der faschistischen Herrschaft. Der Sturz derselben kann nie mit den Nazis erreicht werden, da sie selbst faschistische Henker sind. Deshalb hat die Arbeiterklasse ruhig zuzusehen, wie sich unsere Gegner gegenseitig abschlachten. Unsere Stunde kommt  ! Die revolutionäre Einheit  ! Nr. 3, 1. August 1934 (…) Die Wo c h e in der SOWJETUNION  : Am 1. Juni waren in der Sowjetunion 95 Prozent des Aussaatplanes verwirklicht. Zehn Millionen H e k t a r m e h r als im VORJAHR, dies kann als glänzendes Ergebnis bezeichnet werden. Die Berichte der Kollektivwirtschaften unterstreichen, dass sie so eine straff organisierte und kameradschaftliche Arbeit noch nicht erlebt haben. Der dritte Wettbewerb in der Hüttenindustrie  : Die Stoßbrigadler der Hüttenindustrie der Sowjetunion organisieren jetzt den dritten sozialistischen Wettbewerb. Für die Prämierung der besten Betriebe und der besten Stoßbrigadler sind eine Reihe von Preisen ausgesetzt. Allein für die Belohnung der besten Betriebszeitungen im Dienste des Wettbewerbs sind 20.000 Rubel veranschlagt. Regulärer Verkehr zwischen Odessa und New York  : Zwischen den Häfen Amerikas und Odessa wird jetzt ein regulärer Schiffsverkehr eingerichtet. Die Schiffe »Komsomol«, »Alter Bolschewik« und »Kalinin« werden die amerikanischen Linien befahren. Der Kiewer Schädlingsprozess  : In Kiew fand ein Prozess gegen Angestellte der Wirtschaftsabteilung des Kiewer Gebietes statt, die von der GPU-Organen als Schädlinge entlarvt wurden.144

143 Beseitigung der SA-Führung unter Ernst Röhm durch Hitler. 144 Ein Teil der Revolutionären Sozialisten, der im Laufe der folgenden Jahre auch zur KPÖ wechselte und im Fall des Verbleibens in der SDAP ein Zusammengehen mit den Kommunisten befürwortete, übernahm völlig unkritisch die Propaganda der stalinistischen Sowjetunion. In der Sowjetunion be-

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Sie haben Unterschlagungen von Staatseigentum und Valutaschiebungen begangen. Fast alle Angestellten waren früher Händler und Schieber, die durch Verheimlichung ihrer Vergangenheit sich in Sowjetinstitutionen einzuschleichen verstanden. Sechs Angeklagte wurden zum Tode, vierzehn zu verschiedenen Freiheitsstrafen verurteilt. Ein Teil der bürgerlichen Presse Westeuropas versuchte, den Kiewer Prozess für eine neue Lügenkampagne gegen die Sowjetunion zum Anlass zu nehmen. Es ist unnötig zu betonen, dass es sich in diesen bürgerlichen Zeitungsmeldungen um lügenhafte Verleumdungen handelt. Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 9. August 1934 Zl.: 2606/85 (225.669/34) Betreff  : Illegales Propagandamaterial  : Vorlage. An das Bundeskanzleramt St. B. in Wien I., Herrengasse 7. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich in der Anlage h. o abgeliefertes Propagandamaterial extremer aufgelöster Parteien in Vorlage zu bringen. Der Weg der österreichischen Linksopposition zum Kommunismus Von Ernst Fischer, Mitglied der Exekutive der »Linken in der österreichischen Sozialdemokratie«. Früherer Redakteur der »Arbeiter-Zeitung«.

gann das Regime bereits 1928 mit dem Schauprozess neuen Typs, der in der Phase des Großen Terrors 1935 bis 1938 seinen Höhepunkt erreichen sollte. Im Mai 1928 ließ das Regime deutsche Ingenieure und Techniker aus der Region Šachty im Donbass nach Moskau bringen, wo sie in einem genau orchestrierten Schauprozess der Sabotage und der Verschwörung gegen die sozialistische Ordnung beschuldigt wurden. Im Juli 1928 wurden 11 der insgesamt 53 Angeklagten aufgrund erpresster Geständnisse und absurder Selbstbezichtigungen zum Tode verurteilt. Vor allem auch in der Sprache der Anklage kam der nunmehr zur Gewohnheit werdende neue Stil des Terrors zum Ausdruck. Die Angeklagten wurden als Ungeziefer, Schädlinge, Bakterien usw. bezeichnet, die den gesunden Körper des Sozialismus befallen hätten und nunmehr entfernt werden müssten. Mit diesen Ausdrücken, die bereits Lenin, Sinowjew, Lunatscharsky und andere prominente Bolschewiki für ihre Gegner gebraucht hatten, wurde die Tötung der Beschuldigten nicht nur gerechtfertigt, sondern als Dienst an Staat und Gesellschaft sogar als moralisch gefordert. Vgl. dazu Joel Carmichael  : Säuberung. Die Konsolidierung des Sowjetregimes unter Stalin 1934–38. – Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1972  ; Jörg Baberowski  : Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt. 3. Aufl. – München 2012. S. 154ff. Ders.: Der Rote Terror. Die Geschichte des Stalinismus. 3. Aufl. – Koblenz 2015. S. 119ff.;

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Der heroische Februaraufstand der österreichischen Schutzbündler hat mit einer Niederlage geendet. Die Haubitzen der jesuitischen Massenmörder haben nicht nur die Mauern der Gemeindehäuser, sie haben auch den Traum des friedlichen Hineinwachsens in den Sozialismus zusammengeschossen  ; die Trümmer ihres Aufbauwerkes haben die Sozialdemokratie begraben. Diesem Aufbauwerk fehlte das Fundament der proletarischen Diktatur, es hob sich, täglich bedroht, aus dem Flugsand einer fragwürdigen Demokratie  ; nun sind die Fassaden aufgerissen, nun zeigt sich in den Granatlöchern die furchtbare Wirklichkeit der bürgerlich-kapitalistischen Klassenherrschaft. D i e ö s t e r r e i c h i s c h e S o z i a l d e m o k r a t i e h a t d i e s e W i r k l i c h k e i t h i n t e r d e n Vo l k s w o h n h ä u s e r n u n d A r b e i t e r s i e d l u n g e n , h i n t e r d e n B ä d e r n u n d G ä r t e n d e s r o t e n W i e n v e r s t e c k t   ; nun aber wird sie auch dem Verblendetsten o f f e n b a r. Die österreichische Sozialdemokratie, klüger, geschickter, elastischer als alle Parteien der Zweiten Internationale, hat die Arbeiterschaft in eine Katastrophe hineingeführt  ; das Wunderkind des internationalen Reformismus hat ebenso versagt wie seine gröberen und weniger glänzenden Geschwister versagt haben und versagen werden. (…) Viele von uns haben, wachsender Erkenntnis zum Trotz, immer wieder gehofft, es werde doch gelingen, die Massen der sozialdemokratischen Arbeiter innerhalb der Sozialdemokratie für eine große Klassenkampf-Offensive zu gewinnen, einen revolutionären Kern zu organisieren, der die Partei vorwärtsdrängen, alle aktiven Kräfte der aufgedunsenen Massenorganisation zusammenballen, im entscheidenden Augenblick die Führung an sich reißen sollte  ; von Woche zu Woche ist diese Hoffnung dünner geworden, aber wir wollten nicht auf sie verzichten, solange auch nur die leiseste Möglichkeit bestand, i n n e r h a l b d e r S o z i a l d e m o k r a t i e d i e R e v o l u t i o n v o r z u b e r e i t e n . (…) Wenn ich sage »wir«, spreche ich von der Linken in der Sozialdemokratie. (…) Sie ist aus einer ideologischen Opposition gegen den Reformismus und aus einer organisatorischen Opposition gegen den verkalkten, überalterten und konservativen Parteiapparat hervorgegangen  ; sie hat sich unzweideutig zur Diktatur des Proletariats, zur Sowjetunion, zu den Methoden des Bolschewismus bekannt, sie hat an der Politik des Tolerierens, des Abwartens, des austromarxistischen »Weiterwurstelns« die schärfste Kritik geübt. (…) In der Linken gab es die verschiedensten Meinungen über die Möglichkeiten und das Ziel unserer oppositionellen Bewegung. (…) All diesen einander widersprechenden Gruppen und Funktionären war nur die Verneinung der Demokratie, der Wille zur Revolution, zu einer konsequenten Klassenkampf-Politik gemeinsam (…) Auch die F r a g e d e s Z u s a m m e n g e h e n s , d e r a l l m ä h l i c h e n Ve r s c h m e l z u n g m i t d e r K P Ö w u r d e i m m e r w i e d e r e r ö r t e r t   ; obwohl wir alle auf dem Boden des Marxismus-Leninismus standen und das Programm der Kommunistischen Internationale bejahten, erhoben sich gegen eine Verschmelzung mit der

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KPÖ s c h w e r e t a k t i s c h e B e d e n k e n . Mit wenigen Ausnahmen waren wir alle der Meinung, dass die KPÖ bei den Massen auch der revolutionären Arbeiter kein großes Ansehen genieße, dass ein Übertritt zur KPÖ uns von diesen Massen loslösen (…) werde  ; nach langen Auseinandersetzungen haben wir beschlossen, keine organisatorischen Bindungen mit der KPÖ, wohl aber freundschaftliche Beziehungen und gemeinsame Aktionen anzustreben. In einer programmatischen Erklärung bekannten wir uns zu den prinzipiellen Grundlagen des Kommunismus, erklärten wir aber, innerhalb der Sozialdemokratie wirken zu wollen, um die sozialdemokratischen Arbeiter für unsere Anschauungen zu gewinnen. (…) Nach der Niederlage stehen wir vor neuen Aufgaben. Deutlicher als j e e r k e n nen wir die Notwendigkeit der Kampfeinheit, die Notwendigkeit der revolutionären Partei, die uns gefehlt hat. Ist die Sozialdemokratie diese Partei, kann sie jemals diese Partei werden  ? N e i n   ! Die Sozialdemokratie müsste auf ihr innerstes Wesen verzichten, um sich in eine revolutionäre Partei zu verwandeln. Sie müsste alle demokratischen Illusionen über Bord werfen, kurz und gut, sie müsste sich selbst als sozialdemokratische Partei liquidieren, um als kommunistische Partei aufzuerstehen. (…) Oppositionelle Gruppen (…) stehen vor der Entscheidung  : Entweder Scheinexistenz in der Zweiten oder revolutionäre Entwicklung in der Dritten Internationale, entweder Kapitulation oder Kommunismus. Gewiss  : die KPÖ war bisher eine kleine Partei, wenig in den Massen verwurzelt. Aber s i e h a t f ü r e i n P r o g r a m m g e k ä m p f t , z u d e m w i r u n s b e k e n nen. Sie hat eine in den großen Linien richtige Politik prop a g i e r t . Sie hat einen Kader politisch geschulter, im Prinzip des revolutionären Klassenkampfes gefestigter Proletarier erzogen, die für die weitere Entwicklung der österreichischen Arbeiterklasse wichtig, ja entscheidend ist. Sie hat – und wird es selber nicht leugnen – manchen taktischen Fehler begangen, a b e r d a s s s i e n i c h t t i e f e r i n d i e M a s s e n e i n d r a n g , w a r n i c h t d u r c h d i e F e h l e r, s o n dern durch die Geschicklichkeit des Austromarxismus bedingt. Ihre Fehler, typisch für eine kleine Partei, wurden immer wieder durch die große kommunistische Internationale korrigiert  ; als Mitglieder der KPÖ werden wir auch Mitglieder der Kommunistischen Internationale, die das Erbe von Marx, Engels und Lenin verwaltet, die den wissenschaftlichen Sozialismus unablässig in Tat und Wirklichkeit verwandelt.

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 22. August 1934 Zl.: 5835 (230.508/34) Betreff  : Rev. Flugzettel An das Bundeskanzleramt St. B. in Wien. In den Tagen des 18. und 19. August wurden in mehreren Orten des Pinzgaues (bei Saalfelden und Mittersill) beiliegende Flugzettel … gestreut. Bruck an der Mur Sie kämpften drei Tage mit heldischem Trotz, Die Männer der roten Partei Um Österreichs Freiheit, um der Arbeiter Recht, Gegen Starhemberg, Dollfuß und Fey. Sie schlugen sich wacker in Linz und in Wien Und schaut ihr nach Steiermark nur, Strahlt neben den Grazern das Heldentum Der Männer von Bruck an der Mur. Es holte ein jeder hervor das Gewehr, Gegen drohende Sklaverei Und im Handumdrehen war ihre Arbeiterstadt Von Dollfuß und Hahnenschwanz frei. Drei Tage im Feuer für Freiheit und Recht  ! Und heut’ gäb’s keine Diktatur, Hätten wir überall unseren Mann gestellt, Wie die Männer von Bruck an der Mur. Wo sie auch standen im harten Kampf, WA LLISCH 145 war immer dabei 145 Koloman Wallisch (1889–1934) war bereits in der ungarischen Räterepublik politisch aktiv. Aus dieser Zeit stammte in bürgerlichen Kreisen sein Ruf als Bolschewik, der auch vor äußerster Gewaltanwendung nicht zurückschrecke, eine Etikettierung, der er durch eine radikale Rhetorik immer wieder neue Nahrung gab. 1921 wurde er sozialdemokratischer Parteisekretär in Bruck an der Mur und Abgeordneter zum steirischen Landtag, 1930 bis 1934 war er sozialdemokratischer Abgeordneter zum Nationalrat. Als Kommandant des Republikanischen Schutzbundes in der Obersteiermark kritisierte er die zögerliche Haltung der Parteiführung in Wien. Am 12. Februar 1934 reiste er von Graz nach Bruck an der Mur, obwohl er sich dessen bewusst war, dass es bereits zu spät war. Er wurde am 18. Februar in Bruck an der Mur festgenommen.

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Er hat sich nicht wie einst Pfrimer gedrückt Und wie Hitler, anno zwanzig und drei. Der Wallisch war kein Bonze, er stand im Gefecht  ! O, hätten in Salzburg wir nur, statt der »Bremser« e i n e n Mann gehabt, Wie den WA LLISCH von Bruck an der Mur. Man hat ihn darum zum Galgen geschleppt, Wie Weissel146 und andere mehr … F ü r u n s wurde Wallisch umgebracht  ! Das vergessen wir n i m m e r m e h r   ! Drum merkt’s, ihr Faschisten- und Mörderpack Es kommt, … wir sprechen den Schwur  !  ! Ein roter Auferstehungstag Als Rache für Bruck an der Mur.

Im Ministerrat am 16./17. Februar 1934 plädierten Minister Otto Ender und Staatssekretär Alois Schönburg-Hartenstein für eine sofortige Aufhebung des Standrechtes mit der Begründung, dass die Unruhen vorbei seien, während die Minister Emil Fey, Odo Neustädter-Stürmer, Richard Schmitz und Staatssekretär Karl Karwinsky dafür plädierten, das Standrecht in Wien, Ober- und Niederösterreich sowie der Steiermark noch nicht aufzuheben. Justizminister Kurt Schuschnigg bemerkte in der Debatte, dass nach Meldungen die Ergreifung des Schutzbundführers Koloman Wallisch unmittelbar bevorstehe und er daher der Ansicht sei, »dass man das Standrecht dort vorläufig noch aufrechterhalten sollte, um den Genannten dem Standrechtsverfahren zuführen zu können.« Bundeskanzler Dollfuß schloss sich dieser Meinung an. (MRP 923/4) Wallisch wurde zusammen mit dem Kommandanten des Brucker Schutzbundes, Hubert Ruß, der sich bereits am 15. Februar in Graz unter Berufung auf das Amnestieversprechen von Bundeskanzler Dollfuß den Behörden gestellt hatte, am 19. Februar in Leoben vor ein Standgericht gestellt und zum Tode verurteilt. Vgl. dazu Paula Wallisch  : Ein Held stirbt. 2. Aufl. – Wien 1946  ; Rudolf Neck  : Koloman Wallisch 1934. – In  : Stadler (Hg.)  : Sozilistenprozesse. S. 303–315  ; Katalin Soos  : Koloman Wallisch. Eine politische Biographie. – Wien 1990. 146 Georg Weissel (1899–1934) war Chemiker und seit 1926 Offizier der Wiener Berufsfeuerwehr. 1927 wurde er Kommandant der »Akademischen Legion« des Republikanischen Schutzbundes, 1931 Brandkommissär in Floridsdorf und führte in den Februarkämpfen den Floridsdorfer Schutzbund. Nach seiner Gefangennahme wurde er in einem Standrechtsverfahren zum Tode verurteilt und hingerichtet. Vgl. Hans Safrian  : Standgerichte als Mittel der Politik im Februar 1934 in Wien. – In  : (Stadler (Hg.)  : Sozialistenprozesse. S. 269–302. S. 286f.

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 25. Oktober 1934 Zl.: 356/749 (302.389/34) An das Bundeskanzleramt, Staatspolizeiliches Büro, in Wien. In der Anlage wird Propagandamaterial der (…) Sozialisten vorgelegt, das (…) in Liefering (Bez. Salzburg) in den letzten Tagen verbreitet wurde (…) Von Schuschnigg geschlagen – von Hitler verraten – Was nun  ? Zum zweiten Mal hat der Austrofaschismus mit Kanonen und Galgen gesiegt. Wie er im Februar die Arbeiter niederkartätscht hat, so hat er nun die nationalsozialistische Erhebung niedergeworfen. Wieder füllen sich die Gefängnisse, wieder hat der Henker Arbeit, wieder werden zahllose Existenzen vernichtet. Berichte aus den Alpenländern teilen bestialische Misshandlungen der geschlagenen Kämpfer und blutige Metzeleien unter den wehrlosen Gefangenen mit. Wie im Februar werden zerschlagene Krüppel vor die Standgerichte geschleppt (…) Frech blähen sich die Sieger. Haben sie auch das ganze Volk gegen sich, sie verfügen über Kanonen und Gewehre und vorläufig haben sie auch noch das Geld, um bewaffnete Banden halten zu können, die das Volk terrorisieren. Voll Wut und Hass stehen die nationalsozialistischen Kämpfer vom Juli den Schlächtern, den Henkern gegenüber und sinnen auf Rache – so wie die Arbeiter, die Kämpfer vom Februar dem Galgenregime in unversöhnlichem Hass gegenüberstehen. Aber – die sozialistische Arbeiterschaft hat sich nach der Niederlage wieder gesammelt, ihre Organisation neu formiert, um für den Tag der Rache zu rüsten. Die Arbeiter wissen, dass, wie schwer auch heute unter den Verfolgungen zu leiden haben, für sie der Tag der Vergeltung kommen wird. Sie fühlen sich verbunden mit den Arbeitern der ganzen Welt, deren Sieg auch der ihre sein wird. Sie wissen, und das gibt ihnen stolze Ruhe und Zuversicht, dass am Ende die sozialistische Idee über allen faschistischen Terror siegen muss. Verraten und verkauft aber sind die nationalsozialistischen Kämpfer. Ihr vergötterter Führer, Hitler, hat seine Getreuen in Österreich im Stich gelassen, den Henkern in die Hände gespielt. Während seine Sturmabteilungen in Steiermark und Kärnten heldenmütig gegen die banden des Klerikofaschismus kämpften, hat er dem Klerikofaschismus Frieden und Freundschaft angeboten. Er hat die Kämpfenden verleugnet und den deutschen Gesandten in Wien, weil er sich für die Kämpfer eingesetzt hatte, abberufen. Er hat zu dem Wortbruch ge-

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schwiegen, den die österreichischen Minister gegenüber den Gefangenen vom Bundeskanzler und dem Gesandten Rieth begangen haben. Er hat Habicht abgesetzt und die Österreichische Legion mit Waffengewalt gehindert, ihren Parteigenossen in Österreich zu Hilfe zu kommen. Er hat die Legion aufgelöst und sich den Westmächten feierlich verpflichtet, auf Österreich zu verzichten. Der Nationalsozialismus, der in Deutschland am 30. Juni aufgehört hat, eine Volksbewegung zu sein,147 hat nun auch seine nationalrevolutionäre Mission in Österreich liquidiert. Nicht mehr mit den braunen Bataillonen kämpft Hitler, sondern, wenn es sein muss, auch gegen sie mit den Reichswehrgenerälen und Monarchisten. Hitler hat seine Getreuen in Österreich allein gelassen, sie verraten und verleugnet, preisgegeben, als sie für ihn kämpften und bluteten. Von ihm ist keine Hilfe zu erwarten. Aber soll das i m J u l i v e r g o s s e n e B l u t u n g e s ü h n t b l e i b e n , soll es keine Vergeltung für die Galgenmorde und blutigen Verfolgungen geben, sollen die Schuschnigg und Starhemberg mit ihren Heimwehrbanden weiter das Volk terrorisieren  ? Es gibt nur einen Weg, Österreich von der Diktatur der Pfaffen und Aristokraten, von den Intrigen der Habsburger, von der italienischen Kolonialherrschaft zu befreien – wenn die verblendeten Intellektuellen und Studenten, Kleinbürger und Bauern, Beamten und Angestellten, die bisher Hitler vertraut haben, erkennen würden, dass sie gar nicht von ihm und seinem Dritten Reich, gar nichts vom antimarxistischen Nationalfaschismus zu erwarten haben, wenn sie sich loslösen würden von der faschistischen Gewaltideologie, deren Wirkungen sie jetzt am eigenen Leib zu spüren bekommen haben. Oft sind vor dem Krieg Sozialdemokraten und Deutschnationale zusammengegangen gegen den Klerikalismus, gegen den Feudalismus, gegen den habsburgischen Obrigkeitsstaat. Heute beruht die Macht der Schuschnigg und Starhemberg darauf, dass zwischen den sozialistischen Arbeitern und den nationalen Intellektuellen und freiheitlichen Bauern eine unüberbrückbare Kluft besteht. So konnte der Austrofaschismus im Februar die Arbeiter, im Juli die Nazi schlagen. Erst wenn sich die Intellektuellen, Kleinbürger und Bauern von dem Irrsinn des Nationalfaschismus befreien werden, wird wieder ein Bündnis zwischen der sozialistischen Arbeiterschaft und den antiklerikalen, antihabsburgischen Intellektuellen, Kleinbürgern und Bauern möglich werden. Am Tag des Entstehens dieses Bündnisses wird die austrofaschistische Despotie hinweggefegt werden, die 147 Liquidierung der SA-Führung unter Ernst Röhm durch die SS im Auftrag Hitlers und unter Zustimmung der Reichswehrführung.

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Schuschniggs und Starhembergs mitsamt ihren Mordbanden verschwinden, wird die Macht des Klerikalismus gebrochen, wird das Gespenst der habsburgischen Restauration verscheucht werden. Darum ihr Arbeiter und Angestellten, die ihr bisher in der nationalsozialistischen Bewegung gekämpft habt, erkennt  : Ihr werden den Sozialismus nicht im Bunde mit der Schwerindustrie erkämpfen  ; die Befreiung der Arbeiterklasse kann nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein. Wollt Ihr das deutsche Volk von der Macht des jüdischen Kapitals befreien,148 so müsst Ihr mit den Arbeitern der ganzen Welt die Macht des Weltkapitals brechen. Darum, Ihr Intellektuellen, Kleinbürger und Bauern, wenn Ihr Österreich von den Schuschnigg und Starhemberg, von Pfaffenherrschaft und Ausbeutung durch die internationale Hochfinanz befreien wollt, müsst Ihr Euch mit den sozialistischen Arbeitern verbinden. Los von H i t l e r   ! Hin zu den deutschösterreichischen Arbeitern  ! An dem Tag, an dem die deutsche Intelligenz, die freiheitlich gesinnten Kleinbürger und Bauern nach dieser Losung handeln werden, an diesem Tag wird das österreichische Volk aufstehen und Rache nehmen für die gemordeten Kämpfer des Februar und für die gemordeten Kämpfer des Juli. An Nazi weitergeben  ! Bauern, auf ein Wort  ! Hört, was Euch die Sozialisten zu sagen haben  ! (…) Bauern, erweist Euch Eurer Väter würdig  ! B a u e r n   ! Lernt aus den Erfahrungen der halbjährigen faschistischen Herrschaft  ! Der Faschismus hat alle seine schönen Versprechungen in schändlichster Weise ge148 Vor allem in den Reihen des illegalen Schutzbundes und erheblichen Teilen der jüngeren Revolutionären Sozialisten war der Antisemitismus nach den Februarereignissen des Jahres 1934 weit verbreitet, wie auch Komintern-Emissäre feststellten. Der Parteiführung um Otto Bauer wurde ihr dominanter jüdischer Intellektualismus vorgeworfen, der die Katastrophe des Februars verursacht habe. Otto Bauer wurde vielfach verächtlich als »arroganter Jude« bezeichnet. Vgl. dazu Buttinger  : Am Beispiel Österreichs. S. 89  ; Margit Reiter  : Die österreichische Sozialdemokratie und Antisemitismus. Politische Kampfansage mit Ambivalenzen. – In  : Gertrude Enderle-Burcel, Ilse Reiter-Zatloukal (Hg.)  : Antisemitismus in Österreich 1933–1938. – Wien/Köln/Weimar 2018. S. 361–379. S. 372ff. Neben den auffälligen Sympathien für die NS-Putschisten erfolgte eine Gleichsetzung von Kapitalismus und Judentum. Das Stereotyp des jüdischen Wucherers und Kapitalisten war sowohl in der Rechten wie auch der Linken weit verbreitet. Neben dem gemeinsamen Antiklerikalismus nahm diese Flugschrift auf die gemeinsame Schnittmenge der Linken und Rechten im Bereich des antisemitisch grundierten Antikapitalismus Bezug.

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brochen  ! Der Faschismus hat uns wirtschaftstötende Unruhe, schmachvolle Abhängigkeit vom faschistischen Italien, entwürdigende Knechtschaft, entsetzliche Wirtschaftsnot und eine erschütternde Verrohung großer Volksteile gebracht  ! Faschismus – das ist Rückfall ins Mittelalter, in menschenschändende Barbarei  ! Schmach und Schande über jedes Volk, das freiwillig das faschistische Joch auf sich nimmt, das widerstandslos diese Tyrannenherrschaft erträgt  ! B a u e r n   ! Erinnert Euch Eurer ehrenvollen Geschichte  ! Erinnert Euch an die F r e i h e i t s k ä m p f e Eurer U r g r o ß v ä t e r   ! Eure Vorfahren haben in schwerstem und blutigstem Ringen gegen die Adeligen und Kirchenfürsten die Freiheit ihrer Person und ihres Bodens erkämpft  ! Eure Freiheit ist erkauft worden mit Strömen kostbaren Blutes  ! Hütet das heilige Erbe Eurer Väter und lasst es Euch nicht von ehrlosen Eidbrechern und blutbefleckten Schurken rauben  ! Hass und Verachtung, Tod und Verderben dem Faschismus  ! B a u e r n   ! Die feige, verräterische Politik Eurer Führer hat E u c h und u n s der faschistischen Blutherrschaft unterworfen  ! Wir Arbeiter stehen dieser Regierung mit brennendem Hass gegenüber und werden nicht ruhen und rasten, bis sie g e s t ü r z t ist  ! Unsere Parole lautet  : Kampf, Kampf mit a l l e n Mitteln gegen die blutbefleckte Diktatur  ! Bauern, schließt Euch dem heiligen Kampfe für Freiheit und Frieden, für Recht und Menschenwürde an  ! Wir Sozialisten haben den politischen Kampf stets mit g e i s t i g e n Wa f f e n geführt. Nun, da die D o l l f u ß , S c h u s c h n i g g , F e y u n d S t a r h e m b e r g den demokratischen Kampfboden zerstört haben, nun, da wir einem Gegner gegenüberstehen, der mit unerhörtem Gesinnungszwang und blutigster Gewalt regiert – nun müssen uns auch wir uns a n d e r e r K a m p f m i t t e l bedienen. (…) Bauern, nehmt Euch die freien, aufrechten Schweizer Bauern zum Vorbild, die schon vor Jahrhunderten auf dem Rütli schwuren  : Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern. In keiner Not uns trennen und Gefahr Wir wollen frei sein, wie die Väter waren. Eher den Tod, als in der Knechtschaft leben  ! Ja, bildet mit der A r b e i t e r s c h a f t e i n » e i n i g Vo l k v o n B r ü d e r n « und führt die s o z i a l i s t i s c h e R e v o l u t i o n z u m S i e g e   ! Der S o z i a l i s m u s a l l e i n kann Euch wirtschaftlich und politisch befreien  ! (…) Hass und Verachtung, Tod und Verderben dem Faschismus  ! Es lebe die Einheitsfront von Arbeitern und Bauern  ! Es lebe die sozialistische Revolution  ! Es lebe die Freiheit  !

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Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit Wien, 14. Dezember 1934 Geschäftszahl  : 327.155 GD./St.B. 34 (Nachzahlen  : 304.488 St.B./35) Gegenstand  : Annäherung zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten in Salzburg. An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. Dem Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) ist die Mitteilung zugekommen,149 dass in Salzburg zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten eine Annäherung im Zuge sei, um die sich besonders der Bundesbahnschlosser und frühere Schutzbundführer Enninger150 bemühe, bei dem angeblich ein reger Verkehr wahrzunehmen sei. Es ergeht hiervon die Verständigung, die geeigneten Erhebungen einzuleiten, insbesondere Enninger schärfstens überwachen zu lassen und gegebenenfalls gegen ihn einzuschreiten. Über das Ergebnis der diesbezüglichen Erhebungen bzw. der getroffenen Verfügungen wolle ehesttunlich anher berichtet werden. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 17. Jänner 1935 Zl. 9155/1 Betr.: Annäherung zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten in Salzburg. An das Bundeskanzleramt G. D./ St. B. in Wien. Zum Erlass von 12.12.1934, Zl. G. D. 327.155/St. B .- 34 wird berichtet, dass bisher keine konkreten Wahrnehmungen gemacht wurden, die auf eine Annäherung zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten schließen lassen. Der pensionierte Bundesbahnschlosser Karl Emminger, ehemaliger sozialdemokratischer Landesrat und Schutzbundführer, in Gnigl-Itzling, Kreuzstraße Nr. 16 wohnhaft, dessen Ver149 Die Mitteilung stammte vom Freiwilligen Schutzkorps. 150 Muss heißen Emminger. Karl Emminger (1878–1944) war von Beruf Schlosser und Werkmeister im Eisenbahnbetriebswerk Salzburg, 1922 bis 1927 stellvertretender Klubobmann und 1927 bis 1934 Klubobmann der sozialdemokratischen Landtagsfraktion, 1919 bis 1934 sozialdemokratischer Landesrat und 1923 bis 1933 Landesleiter des Republikanischen Schutzbundes.

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kehr überwacht wurde, empfängt wohl öfters Besuche von Bekannten, doch ließ sich nicht feststellen, dass es sich hierbei um politische Zusammenkünfte handelt. Die Angelegenheit wird weiter im Auge behalten und wird bei sich ergebendem Verdachte sofort eingeschritten werden. Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 12. Februar 1935 Zl. 51/5 res–35 (311.661/35) Betr.: Sozialdemokratische illegale Flugzettel. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St. B. in Wien I., Herrengasse 7. Am 10. Februar 1935 wurden in der Lagerhausstraße durch einen Kriminalbeamten je 3 Stück sozialdemokratischer illegaler Flugschriften, von denen sich die Bundespolizeidirektion je 1 Exemplar zur gef. Kenntnisnahme anzuschließen erlaubt, vorgefunden. Diese Flugzettel wurden von unbekannten Tätern, nach denen bereits die Ausforschungen eingeleitet wurden, gestreut. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich, Vorstehende zur Kenntnis zu bringen und zu berichten, dass auch das Präsidium der Bundespolizeidirektion in Wien verständigt wurde, da mit Sicherheit anzunehmen ist, dass diese Flugzettel in Wien ebenfalls zur Verteilung gelangten und vermutlich auch hergestellt wurden. Bilanz eines Jahres Im Februar 1934 Mordete die Diktatur Dollfuß-Fey viele hunderte Verteidiger der Freiheit und der Volksrechte, nachdem sie zuerst durch eine lange Reihe von Verfassungsbrüchen, Schikanen und Gewaltstreichen die Arbeiterschaft zur Verzweiflung getrieben hatte. Ein Jahr später Schmachten noch immer tausende Februarkämpfer in Kerkern und Konzentrationslagern, zehntausende gesinnungstreue Sozialisten hungern, tausende Familien trauern um den Ernährer. Im Februar 1934 Lösten die meineidigen Verfassungsbrecher alle Arbeiterorganisationen auf, raubten Millionen Arbeitergelder, alles angeblich um »den Klassenkampf zu überwinden«. Ein Jahr später Führen die Unternehmer unter hilfreicher Mitwirkung der Galgenregierung den Klassenkampf gegen eine entrechtete Arbeiterschaft brutaler als je  : Rechtsraub, Lohnkürzungen, Gesinnungszwang sind an der Tagesordnung.

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Im Februar 1934 Ertränkten die Faschisten die beschworene Verfassung der Republik in einem Meer von Blut, angeblich weil nur eine »autoritäre« Regierung die Wirtschaft wieder in Gang bringen könne. Ein Jahr später Ist die wirtschaftliche Lage, abgesehen von der Rüstungsindustrie, trostloser denn je. Die autoritäre Gesetzgebungsmaschine erzeugt vielleicht mehr Paragrafen, arbeitet aber langsamer und schlechter als das vielgelästerte Parlament  ! Die Arbeitslosenzahlen der Regierung sind ein Schwindel, denn es gibt nicht weniger Arbeitslose, sondern nur weniger Unterstützte und mehr Ausgesteuerte. (…) Im Februar 1934 Behauptete die Regierung, für Österreichs Unabhängigkeit und für den Frieden einzustehen. Ein Jahr später Ist Österreich eine italienische Kolonie, Schacherobjekt der europäischen Politik, nicht besser behandelt als Abessinien. Die Habsburgerumtriebe, die Beteiligung an allen reaktionären Komplotten bedrohen unser Land mit Krieg. Eine Viertelmilliarde jährlich kostet Österreichs bewaffnete Macht. Fieberhaft wird nach italienischen Befehlen aufgerüstet. Im Februar 1934 Wollte man nach dem Schießen und Hängen den Arbeitern die blutige »Bruderhand« reichen, wollen Verräter und Schwindler die Arbeiterschaft »mit dem neuen Staat versöhnen«. Ein Jahr später Hält die österreichische Arbeiterschaft unbeirrbar an ihrer Überzeugung fest, bedrängt vom christlich-vaterländischen Terror, umworben von faschistischer Heuchelei, aber treu ihren toten Helden, unerschütterlich in der Liebe zur sozialistischen Idee und im Hass gegen das faschistische Regime. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 9. Mai 1935 Zl. 4538 (331.404/35) Betr.: Sozialdemokratisches Propagandamaterial, Verbreitung. An das Bundeskanzleramt St. B. in Wien. In der Nacht zum 5. Mai 1935 wurde auf den Straßen im Markt und Land Saalfelden und bei den Personalhäusern der Bundesbahn regierungsfeindliches Pro-

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pagandamaterial (…) ohne Impressum von bis nun unbekannten Tätern verstreut. (…) Das erwähnte Propagandamaterial wurde noch in der Nacht und am frühen Morgen durch eine zusammengestellte Putzschar von Angehörigen der ehemaligen Sozialdemokratischen Partei unter Gendarmeriebewachung bzw. -aufsicht gesammelt, sodass die Bevölkerung von dem Inhalt wenig Kenntnis erlangte. Die Forschung nach den Verbreitern der Flugschriften bzw. des Propagandamaterials wurde sofort eingeleitet, blieb aber bis nun ohne Erfolg. DAS SIGNAL Organ der freien Gewerkschaft der Eisenbahner, Verkehrs- und Transportarbeiter März 1935 Heute noch auf stolzen Rossen In dem von den Klerikofaschisten gestohlenen Favoritner Arbeiterheim, der von Viktor Adler geschaffenen sozialistischen Heimstätte, sprach am 8. März Herr von Schuschnigg. Hier sprachen einst, umjubelt von vielen tausenden Proletariern, die Lehrmeister des Sozialismus, die Wortführer der Freien Gewerkschaften, die Vertrauensmänner der Wiener Arbeiter. Es war durch Jahrzehnte ihr Heim. Bis eines Tages klerikofaschistische Banden mit Kanonen und Granaten Verfassung, Recht und Gesetz in Fetzen schossen, das Eigentum den freigewerkschaftlichen und sozialistischen Arbeitern geraubt, die Straßen der österreichischen Städte in blutige Kriegsschauplätze verwandelt, Österreich zu einem finsteren Kerker wurde. Jetzt spricht Schuschnigg im Favoritner Arbeiterheim … Aber bei dieser Schändung sozialistischen Gutes fühlt er sich nicht recht wohl. Gassen und Straßen um das Favoritner Arbeiterheim sind voll von Polizisten in Zivil und Uniform. Das Auto saust vor, im Fond mit einem eingebauten Maschinengewehr … Der Despot traut nicht recht der Liebe des Volkes von Wien. Die faschistischen Banden haben den Sicherungsdienst im Innern des Arbeiterheims und haben daneben die Pflicht, die Begründung des »Führers« vorzunehmen im – Favoritner Arbeiterheim. Im Namen des Klerikofaschismus ist Betrug, Diebstahl und Lüge Regierungsrequisit. Die Rede des Despoten ist bei aller jesuitischer Geschmeidigkeit eine gebündelte Zusammenfassung dieser Regierungshilfsmittel.151 151 Es handelte sich um einen Bezirksappell der Vaterländischen Front Favoriten am 9. März 1935, bei der Bundeskanzler Schuschnigg als Hauptredner über die Grundzüge der Regierungspolitik sprach. Der Staat, so der Kanzler zu seinem Auditorium, verlange von seinen Bürgern »drei Dinge  : den Selbsterhaltungswillen, den Gemeinschaftssinn und schließlich ein offenes Bekenntnis. Umgekehrt  : Was können Sie vom Staat verlangen, wenn Sie ihm das geben, wessen er bedarf  ?

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Die Despoten des Klerikofaschismus seien »Führer mit reinen Händen«. Dass die des Redners blutbefleckt sind, weiß jeder, und die »reinen Hände« (…) der Hunderte großer und kleiner Diebe und Betrüger kennt auch jeder. Sie plündern diesen armen Staat aus, knechten die Arbeiterschaft und berauben sie ihrer Freiheit. Herr von Schuschnigg widerstritt dem. Die Führung des Staates habe keine Diktaturgelüste. Oh, gewiss nicht, da sie vom Diktaturgelüste zur gewalttätigen Diktatur schreiten konnte  : sie diktiert bei Kerkerstrafe, Konzentrationslager und mit der Hungerpeitsche die vorschriftsmäßige Gesinnung  ; wer nicht pariert, fliegt. Sie diktiert, dass es keine Selbstbestimmung, keine Gesinnungsfreiheit mehr geben darf  ; sie zertrümmerte die Freien Gewerkschaften und alle ihre Kultureinrichtungen und schuf den Faschingsscherz einer ständischen Gliederung  ; sie diktiert den Eisenbahnern und allen arbeitenden Menschen die Ständevertretung  ; sie raubt ihnen alle Rechte des freien Menschen, sie unterjocht sie und knebelt ihre Gesinnung  ; sie hat alles Recht zur Dirne der blutigen Usurpatoren gemacht. Das bezeichnet Herr Schuschnigg als »Freiheit«  ! Diese entwürdigende Gesinnungsknechtschaft und Verpfaffung preist er als »Revolution der Vernunft«. Sie Sie können von ihm verlangen  : Gerechtigkeit, Freiheit und Brot.« Die im Aufbau befindliche ständische Ordnung werde das Gegenteil des Dogmas vom Klassenkampf verwirklichen und darauf achten, »dass die wirtschaftlich Schwächeren nicht erliegen, sondern dass ihr Dasein zuerst gewährleistet sei.« Der größte Feind der Freiheit sei ihr Missbrauch. Man müsse sich vor allem von jenen in Acht nehmen, »die Freiheit predigen und Zwang meinen.« »Beschränkungen in der freien Rede und in der Presse müssen notwendigerweise aufgerichtet werden, weil sonst jenes Chaos kommt, das jene in ihr Programm aufgenommen haben, die unsere Vernichtung wollen. Wir haben die heilige Pflicht, der kommenden Generation keinen Trümmerhaufen zu hinterlassen. Freiheit wird in jenem Ausmaße gewährleistet werden, als keine Gefahr besteht, dass Missbrauch mit ihr getrieben werde. Gnade wird in jenem Ausmaß gewährt werden können, als nicht irgendwelche Unverantwortliche glauben können, sie als Schwäche auslegen zu dürfen. (…) Wir können erst dann vom Sieg unserer Idee sprechen, wenn es in Österreich keinen Arbeiter mehr gibt, der arbeiten will, aber keine Arbeit findet. Man darf wohl heute nicht übersehen, dass die Arbeitslosigkeit auch anderswo mit ihren Schrecken wütet. Diejenigen, die glauben, im Nationalismus und extrem chauvinistischen Gedankengängen sich üben zu sollen, erzählen uns immer nur gefälschte Ziffern von Österreich und verschweigen uns die wahren Ziffern jenes Landes, wo sie ihr Paradies sehen. Rot und Braun verhalten sich gegenseitig wie Feuer und Wasser. Aber diese beiden so gegensätzlichen Elemente klingen in dem Momente in überraschender Harmonie zusammen, sobald es gilt, Österreich zu bekämpfen. Das müsste gerade dem österreichischen Arbeiter zu denken geben. Dort, wo es möglich ist, so große Gegensätze zu versöhnen, nur weil man damit Österreich bekämpfen kann, dort kann nur Hass die Triebfeder der Handlung sein. Wo aber Hass die Politik leitet, ist eine sachliche, ruhige und richtige Staatsführung nie zu erwarten.« Man werde 1935 alles mobilisieren um zu zeigen, »dass Österreich imstande ist, trotz der Krise einen wesentlichen Fortschritt in der Richtung der wirtschaftlichen Gesundung zu tun. Wir werden aber verlangen müssen, dass der in erster Linie Brot und Arbeit findet, der rotweißrot im Herzen trägt.« Er sei als Führer der Vaterländischen Front nicht ohne Fehler, doch könne man von ihm verlangen  : »Reine Hände, ein offenes Herz und einen klaren Kopf.« (Reichspost 9.3.1935. S. 6f.)

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manifestiert sich darin, dass mit der rohesten Brutalität Eisenbahner mit zehn und fünfzehn Dienstjahren aufs Pflaster geworfen werden, wenn den Despoten die Gesinnung der Eisenbahner unbequem oder wenn ein »Führer« sich rächen will. »Beschränkung der freien Rede und der Presse«, was ist schon daran  ? Die werde schon wiederkommen, sagt der Despot, wenn er, der »Führer«, glaubt, dass sie wiederkommen soll. Inzwischen missbrauchen die Diktatoren ihre Gewalt, zertrampeln sie alle Menschenrechte, sperren Widerspenstige ein, verdonnern sie zu fünf, zehn und fünfzehn Jahren Kerkers, ja schließen sie lebenslänglich ab, denn »Gnade und Milde« gibt es nach dieser christlichen Auffassung nicht, weil »irgendwelche Unverantwortliche sie als Schwäche auslegen könnten«. Hört Ihr die Angst aus diesem Gestammel  ? Hört Ihr die Furcht nicht nur vor denen, die heute in den Kerkern und Konzentrationslagern des Klerikofaschismus schmachten  ? Man könnte es ihnen als Schwäche auslegen, wenn sie europäisches Recht respektierten, deshalb bleiben sie bei der Barbarei. Aber sie mögen tun, was sie für gut halten. Die im Kampf gestählte und durch grausame Verfolgung an Leib und Leben gestärkte österreichische Arbeiterschaft wird von allen Despoten nicht auf die Knie gezwungen werden. Schon gar nicht die Eisenbahner, schon gar nicht die Transportarbeiter. Herr Schuschnigg ist heute noch auf stolzen Rossen. Aber morgen …  ? Karl Pruscha Bindergasse Nr. 3, Wien IX. Wien, 22. April 1935 Wohlgeboren Herrn Bundeskanzler Dr. Kurt von Schuschnigg in Wien. Vor allem bitte ich um Entschuldigung, dass ich mir erlaube, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, Sie mit einigen Zeilen zu belästigen  : Ich wurde am 13.2.1934 in Hallein, wo ich als Geschäftsführer der »Wahges« tätig war, verhaftet und musste vom 13.2.1934 im Landesgerichte Salzburg bis zum 29.3.1934, vom 30.3.1934 bis 7.5.1934 bei der Polizeidirektion in Salzburg und vom 8.5.1934 bis 7.9.1934 im Anhaltelager Wöllersdorf zubringen und seit dieser Zeit während meines Aufenthaltes in Hallein bis zur Übersiedlung am 1.12.1934 bei der Gendarmerie täglich und nun hier in Wien bei der Polizei im Kommissariate IX, Bolzmanngasse, wöchentlich zweimal melden. War wohl mehrere Jahre Mitglied der Sozialdemokratischen Partei und hatte auch in den früheren Jahren verschiedene Funktionen inne, wurde jedoch im Jahre (Jänner) 1932 infolge meiner gemäßigten Anschauung (Bremser) nicht mehr gewählt und musste lediglich als Kontrolle der Bezirkskasse fungieren. Obwohl ich auch diese Funktion nicht annehmen wollte, musste ich, weil laut dem Beschluss der Vertrauensmänner die Angestellten der Genossenschaften zur Parteiarbeit herangezo-

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gen werden mussten (ein Streit der Genossenschaften wegen dieser Anschauung war nicht nur in Hallein, sondern in ganz Österreich mit der Partei, nachdem erstere den vernünftigen Standpunkt vertraten, dass die Angestellten der Genossenschaften in allererster Linie für die Arbeit in denselben bezahlt werden und es nicht angeht, dass die Partei über die Angestellten verfügt). Ich hatte daher nicht den geringsten Einfluss auf die Mitglieder in irgendeiner Form und war lediglich mit meinen wirtschaftlichen Agenden beschäftigt. Es ist mir daher bis heute ein Rätsel, wieso ich eine derartige Behandlung erfahren musste und mir bis heute nicht mitgeteilt wurde warum. Ich habe vor einiger Zeit um Aufnahme in die Vaterländische Front angesucht, aber auch hier bekommt man keine Antwort, warum man nicht aufgenommen wird. Mir wurde infolge der langen Haftzeit nach Wöllersdorf von der Firma »Wahges« mitgeteilt, dass ich fristlos entlassen sei, weil ich meiner Arbeit ferngeblieben bin, und wurde mir weder das Gehalt für die Kündigungszeit der Abfertigung, noch die Urlaubsremuneration für 1933/34 ausbezahlt. Ich habe nun beim Bezirksgerichte Hallein beim Masseverwalter, Herrn Dr. Renner, die Forderung gestellt und von demselben die Forderung bestritten wird. Habe meine paar ersparten Groschen alle bei den Genossenschaften angelegt, so auch bei der Volkskreditbank in Salzburg, und auch dort kann ich mein Geld nicht erhalten. Habe bei der Versicherungskasse für Angestellte infolge meines Fußleidens, wegen dessen ich keiner Arbeit nachgehen kann, den Antrag auf Gewährung einer Invaliditätstrente gestellt, nachdem ich erst 57 Jahre alt bin und die Altersrente auch nicht bekommen kann, habe mehr als 15 Jahre eingezahlt und dieselbe für meine Person nie in Anspruch genommen, auch dies wurde mir abgelehnt. Es wurde mir bis heute nicht gesagt, was ich angestellt habe, dass ich eine derartige Behandlung erfahre. Es scheint nun, dass ich für meine mehr als 40jährige Arbeits- und Militärzeit, wo ich mich ehrlich durchbrachte, mit keiner Stunde bestraft wurde und mir absolut keiner strafbaren Handlung bewusst bin, dem Bettelgehen preisgegeben bin und meine Familie, Frau und zwei Kinder, darunter leiden. Ich bitte Sie, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, auf Ihre Gerechtigkeit bauend, mir zu meinem Recht zu verhelfen. (…)

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 24. Juli 1935 Zl. 4141/3 Betr.: Pruscha Karl, Eingabe an den Herrn Bundeskanzler. An das Bundeskanzleramt G. D./St. B. in Wien. Die Beilage des d. ä. Erlasses vom 19.5.1935, Zl. G. D. 332.029 – St. B.,152 wird mit dem Berichte wieder vorgelegt, dass der Gesuchsteller Karl Pruscha, am 2.10.1878 in Oberplan geboren, nach Hallein zuständig, Geschäftsführer der »Wahges« in Hallein war und in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei durch die Innehabung der Funktion des Bezirksobmannes, Bezirksvertrauensmannes, Beisitzers der Landesparteileitung und Kontrollors der Reichsparteileitung, eine hervortretende Rolle in Hallein gespielt hat. Er vereinigte in seiner Person als Geschäftsführender alle Parteiagenden insbesondere finanzieller Art. Weder in der Öffentlichkeit noch in Parteikreisen war er als Bremser bekannt, er ist aber auch nicht vorbestraft. Anlässlich der sozialdemokratischen Februarrevolte wurde Karl Pruscha mit den prominenten Parteiführern am 13.2.1934 verhaftet und dem Landesgericht Salzburg eingeliefert, nach Einstellung des Gerichtsverfahrens am 8.5.1934 ins Anhaltelager Wöllersdorf abgegeben und am 7.9.1934 aus demselben entlassen. Er kehrte sodann zunächst nach Hallein zurück, übersiedelte aber im Dezember 1934 nach Wien. Als Präventivmaßnahme war ihm eine persönliche Meldepflicht beim Gendarmerieposten Hallein auferlegt worden und wurde von hieraus unterm 30.4.1935 dem Bezirkspolizeikommissariat Wien IX. anheimgestellt, die Meldepflicht bei demselben aufzuheben. Es ist richtig, dass Karl Pruscha infolge seiner Inhaftierung bzw. seines Zwangsaufenthaltes in Wöllersdorf als Geschäftsführer der »Wahges« in Hallein entlassen wurde, doch hätte er diese Stellung auch deshalb verloren, weil der Betrieb infolge Konkurses eingestellt wurde. Er hatte in der Salzburger Volkskreditbank keine Spareinlage, sondern Genossenschaftsanteile von 475 S gezeichnet. Dieser Betrag ist durch die Liquidierung dieser Bank unauszahlbar und könnte unter Umständen der Fall eintreten, dass Genannter mit einem gleich hohen Betrag als haftbar zur Zahlung herangezogen wird. Seine Tochter Margarethe hatte in der Volkskreditbank ein Sparguthaben von 800 S (inkl.

152 Das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, hatte den Sicherheitsdirektor von Salzburg um eine Stellungnahme zu dem Ersuchen von Karl Pruscha ersucht.

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der Zinsen), welches Guthaben die Genannte jedoch am 3.8.1934 restlos behoben hat. Richtig ist, dass Pruscha an die Versicherungskasse für Angestellte in Salzburg ein Gesuch wegen Zuerkennung der Invaliditätsrente gestellt hat, welches Ansuchen aber mit Bescheid vom 28.3.1935 von der Hauptanstalt in Wien wegen Mangels dauernder Berufsunfähigkeit abgelehnt wurde. In den Genusse der Altersrente kann der Versicherte erst nach Erreichung des 65. Lebensjahres gelangen. Pruscha befindet sich derzeit in schwierigen finanziellen Verhältnissen, für eine Hilfestellung seitens des Staates liegt jedoch keine Veranlassung vor. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 13. Juli 1935 Zl. 5609/1 (341.301/35) Betr.: Sportklub Lend 1935. Untersagung der Bildung. Bescheid. Proponenten haben am 18. Juni 1935 hieramts die Bildung eines Vereines »Sportklub Lend 1935« angezeigt. Hierüber ergeht folgender S p r u c h   : Die Bildung des Vereines »Sportklub Lend 1935« wird gemäß § 6 des Vereinsgesetzes vom 15.9.1867, R. G. Bl. Nr. 134, aus staatspolizeilichen Gründen u n t e r s a g t . B e g r ü n d u n g   : Die Proponenten des Vereines gehörten mit einer einzigen Ausnahme alle der ehemaligen Sozialdemokratischen Partei an und waren überwiegend in sehr aktiver Weise für diese Partei tätig. Sie haben bisher in keiner Weise den Willen gezeigt, ihre früher entwickelte Aktivität im Rahmen der Vaterländischen Front oder des Gewerkschaftsbundes zu entfalten. Diese Passivität rechtfertigt den Schluss, dass sie ihre frühere politische Einstellung beibehalten haben und dass sie die geplante Vereinsbildung als Deckmantel für die Sammlung aller Sozialdemokraten in Lend benützen. Der Vereinszweck ist daher rechtswidrig und staatsgefährlich und war die Bildung zu untersagen. (…)

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 4. November 1935 Zl. 8622 An das Bundeskanzleramt St. B. in Wien. Bezugnehmend auf das diesbezügliche Telefonat gelegentlich des Abendberichtes vom 2. November l. Js. wird gemeldet  : Am 1. November 1935, 0 Uhr 30’, wurde der am 23.8.1886 in Gnigl bei Salzburg geborene und dorthin zuständige und wohnhafte, verheiratete, konfessionslose Hilfsarbeiter Franz Haini wegen Hochverrates und Körperbeschädigung vom Gendarmerieposten Gnigl verhaftet und dem Landesgerichte in Salzburg eingeliefert. Franz Haini kam am 1.11.1935 d. Js. in den Friseurladen des Karl Matzinger in Gnigl, Fürbergstraße 8, und verteilte an die gerade dort befindlichen Kunden revolutionäre sozialistische Flugblätter, welche zur gewaltsamen Änderung der Regierung sowie zur Empörung im Inneren auffordern. (…) Als Haini jedoch auch den dort gerade anwesenden Heimatschützer Karl Rauchenecker sah, verließ er schnell das Lokal, kehrte aber zum rückwärtigen Eingang zurück und fragte den Besitzer Matzinger, ob Rauchenecker noch hier sei und bat, letzterem seinen Namen nicht zu nennen. Rauchenecker bemerkte aber die Rückkehr des Haini und ging ihm nach und stellte ihn zur Rede. Nach kurzem Wortwechsel schlug ihm Haini mit einem harten Gegenstand ins Gesicht, dass er blutete und flüchtete. Aufgrund der erstatteten Anzeige und Angaben des Friseurs Karl Matzinger wurde Franz Haini ausgeforscht und verhaftet. Eine sogleich durchgeführte Hausdurchsuchung brachte keinen Erfolg. Bemerkt wird noch, dass der Besitzer des Friseurladens, Karl Matzinger, als nationalsozialistisch freundlich gesinnt gilt, aber bisher wegen verbotener Betätigung oder Duldung solcher Betätigung in seinem Lokal nicht beanstandet wurde. Gegen Karl Matzinger, der über die Herkunft der Flugblätter jede Auskunft verweigert, wurde auch das Verwaltungsstrafverfahren eingeleitet.

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 9. November 1935 Geschäftszahl  : 369.315 GD./St.B. 35 (Nachzahlen  : 370.384 St.B. 35  ; Bezugszahlen  : 368.929 St.B. 35) Gegenstand  : Haini Franz, Verteilung von revolutionär-sozialistischen Flugzetteln in Gnigl. An den Herrn Sicherheitsdirektor für Salzburg in Salzburg. Es ergeht die Einladung, den Ausgang des gegen Franz Haini und Karl Matzinger eingeleiteten Verfahrens wahrzunehmen und hierüber zu berichten. Auch wäre nach Möglichkeit ergänzend festzustellen, von wem Haini die in Rede stehenden Flugzettel bezogen hat. Schließlich wollen die Erhebungen über die Herkunft der Flugzettel fortgesetzt werden. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 30. Dezember 1935 Zl. 8622 (300.070/35) Betr.: Haini Franz, Verteilung von revolutionär-sozialistischen Flugblättern in Gnigl. An das Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) in Wien. Zum Erlass G. D. 369.315 St. B. vom 9. November 1935 wird berichtet  : Franz Haini wurde am 18.12.1935 vom Landesgericht Salzburg gem. § 300 St. G. mit 1 Jahr strengen Arrestes bestraft. Das Urteil ist, da von der Staatsanwaltschaft sowie von dem Verurteilten die Nichtigkeitsbeschwerde erhoben wurde, noch nicht rechtskräftig. Haini wurde ferner von der Bundespolizeidirektion Salzburg mit Erkenntnis vom 14.11.1935 gem. § 1 d. Vdg. der Bundesregierung vom 12.2.1934, BGBl. Nr. 78, mit 6 Monaten Arrest bestraft. Dieses Erkenntnis wurde durch die h. ä. Abweisung der Berufung rechtskräftig. Die Erhebungen gegen Karl Matzinger ergaben keinen strafbaren Tatbestand. Die Herkunft der beschlagnahmten Flugzettel konnte nicht festgestellt werden.

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 7. November 1935 Zl. 8653 (370.384/35) Betr.: Streuen von sozialdemokratischen Flugzettel und Flugschriften. An das Bundeskanzleramt St. B. in Wien. In Verfolg der telefonischen Tagesberichte und des h. o. Berichtes Zl. 8622 vom 4. November 1935 wird berichtet, dass außer am 1. November in Gnigl in den Nächten vom 2. zum 3.11. und vom 3. zum 4.11. auch in der Stadt Salzburg, in Maxglan und in Siezenheim zahlreiche Flugblätter und Flugzettel revolutionär-sozialistischen Ursprunges gestreut wurden. (…) Die Nachforschungen nach den Tätern ergaben bisher kein Ergebnis und werden fortgesetzt. (…) Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 20. Jänner 1936 Zahl  : 77 res 1935 Betreff  : Karl Wagner, ehemaliger sozialdemokratischer Parteifunktionär, aus Österreich geflüchtet. Aufenthalt in Moskau. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St. B., in Wien I., Herrengasse7. Aus einem Funktelegramm der Bundespolizeidirektion Wien vom 13.1.1936 war zu entnehmen, dass scheinbar in Wien Mitteilungen einlangten, wonach der gewesene Bundesbahnangestellte Karl Wagner, am 18.2.1898 in Itzling geb., Hallein zuständig gewesen, welcher unmittelbar nach dem 12.2.1934 nach der Tschechoslowakei flüchtete, nach Österreich zurückgekehrt sei und Terroraktionen beabsichtige. Die von der Bundespolizeidirektion Salzburg eingeleiteten Erhebungen ergaben, dass Wagner sich in Moskau, Hotel Baltschug, Zimmer 14, Baltschugstraße, aufhält und sich dorthin auch die Post senden lässt.153 153 Karl Wagner war militärischer Führer des Republikanischen Schutzbundes in Salzburg, floh 1934 in die Tschechoslowakei und wurde am 15. November 1934 von den österreichischen Behörden ausgebürgert. Im Dezember 1935 emigrierte er in die Sowjetunion, wurde Mitglied der KPÖ und des

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Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 26. Jänner 1936 Zahl  : 77/1 res 1936 Betreff  : Karl Wagner, ehemaliger sozialdemokratischer Parteifunktionär, Aufenthalt in Moskau. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St. B., in Wien I., Herrengasse 7. Im Nachtrage zu ihrem Berichte vom 20.1.1936, Zahl  : 77 res, betreffend Karl Wagner, beehrt sich die Bundespolizeidirektion einen am 20.1.1936 in Moskau aufgegebenen und am 24.1.1936 in Salzburg eingelangten Brief in Abschrift zur gefälligen Einsichtnahme in Vorlage zu bringen. Herrn Rudolf Wagner,154 Gnigl bei Salzburg, Grazer Reichsstraße 22/II, Land Salzburg, Austria. Par Avion  :recommando  ! Lieber Rudi  ! (…) Ob es mir schwerfällt, in einem fremden Land zu leben  ? Nein. Ich war in der Tschechoslowakei, in Frankreich, Schweiz, Polen und überall zu Hause. Warum nicht auch hier  ? Es ist so eine Zigeunerart, mit allem fertig zu werden. Ich werde fertig damit. Freilich, man muss mit beiden Füßen im praktischen Leben stehen, darf sich keine Illusionen machen, alles andere zählt nicht. Der Heimatlose ist überall zu Hause. In ca. 14 Tagen komme ich wieder weg von hier, 60 Bahnstunden weiter von Moskau, nach Kaukasien. Weihnachten gabs hier gar nichts. Es ist ja ein deutsches nationales Fest, das kirchlich gefeiert wird. Du findest aber Weihnacht auch nicht in Frankreich und Polen. Der Russe hat mit allen Feiertagen gebrochen. Es gibt keine Heiligen. Er kennt auch keinen Sonntag. Jeder sechste Tag ist frei, daher fällt der freie Tag eigentlich an jeden Tag der Woche (Mo, Di, Mi usw.). Als Feiertage gelten  : 1. Mai, 7. November (Revolutions-Feiertag), 21.1. (Sterbetag Lenins). Alles andere Schutzbundkollektivs in Leningrad. Am 3. Jänner 1938 wurde er verhaftet und bis 21. März 1941 in Moskau inhaftiert, anschließend über Brest Litowsk an das Dritte Reich ausgeliefert. (Hans Schafranek  : Die Betrogenen. Österreicher als Opfer stalinistischen Terrors in der Sowjetunion. – Wien 1991. S. 237.) 154 Der Sohn Karl Wagners.

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gibt es nicht.155 Daher auch keine Sonntage, keine Predigt, keine Priester, keinen Hausaltar, keine Religion, keine Religionsstunde. Du musst dir das so vorstellen, dass es all das überhaupt nicht gibt. Russland, das jetzt 171 Millionen Einwohner hat, jedes Jahr kommen 3 Millionen Einwohner dazu, hat nur zwei Kirchen  : eine in Moskau, die Zarenkirche, sie wird aus historischen Gründen erhalten, ebenso eine in Leningrad (früher Petersburg), alle anderen verfallen langsam und werden dann abgetragen, wenn man Zeit hat. Es gehen aber auch keine Leute in die Kirche. Die Popen (Priester), die es noch gibt, leben davon, was ihnen alte Leute im Straßenbettel zusammenklauben. Da aber Betteln verboten ist (es gibt hier keine Bettler, weil alle arbeiten), gehen sie langsam ein. Es gibt vielleicht noch einige hundert, aber das ist viel und sie dürfen sich nicht bemerkbar machen. Aus Kirchen macht man auch Magazine (Kartoffelkeller) usw. Du siehst, das ist alles anders und die Menschen würden Dich auslachen, wenn Du nach einem Popen oder Kirchen frägst.156 Die Religion ist ersetzt durch die Gottlosenbewegung. Das sind Leute, die an keinen Gott glauben. Alte Leute können ungehindert in die Kirche gehen, aber mit wenigen Ausnahmen gehen sie nicht, weil das Volk die Popen hassen gelernt hat. Wenn du Kinder mit 7 Jahren frägst, wo ist Gott  ? Sagen sie dir, der hängt in der Luft. Da aber nichts in der Luft hängen kann, gibt es keinen Gott. Du siehst, hier sind alle Menschen dem Natürlichen, Glaubhaften näher als anderswo. Mit der Arbeit ist es genauso. Du kannst verdienen, das gehört dir persönlich, aber jeder Profit (Mehrwert) gehört dem Staat. Wird viel gearbeitet, bekommt der Staat alles, der Staat ist aber hier das Volk selbst, also hat der Staat große Einnahmen durch die Arbeit, geht es allen gut, nicht einzelnen. Deshalb siehst du hier allgemeinen Wohlstand. Es gibt keine Reichen, Fabrikanten usw. und es gibt keine Armen, jeder hat so viel als alle miteinander im Staat arbeiten. Am Anfang ist man erstaunt, bis man es verstehen lernt, aber dann ist man ohne weiteres bereit zu teilen, weil doch kein vernünftiger Mensch etwas dagegen haben kann, dass es ihm gut geht.157 155 Mit Dekret vom 14. Jänner 1918 ging die Sowjetregierung zum Gregorianischen Kalender über und brach damit mit der Zarenzeit, 1930 wurden alle aus der Zarenzeit stammenden kirchlichen Feiertage aus dem Kalender gestrichen. Bereits 1929 war der bis 1940 gültige Rote Kalender verkündet worden, mit dem die Siebentagewoche abgeschafft und die Fünftagewoche eingeführt wurde. Der Monat wurde nunmehr in sechs Wochen unterteilt und fünf Feiertage pro Jahr eingeschoben, um die Zahl der Tage pro Jahr aufrechtzuerhalten. Begründet wurde die Einführung der Fünftagewoche mit den Bedürfnissen der forcierten Industrialisierung. Die Beseitigung des arbeitsfreien Tages ließ sich jedoch nicht durchhalten, weshalb 1931 ein allgemeiner Ruhetag am jeweils 6. Tag eingeführt wurde. 156 Zum bolschewistischen Angriff auf die Religion vgl. Richard Pipes  : Die Russische Revolution. 3 Bde. – Berlin 1993. Bd. 3. S. 545ff.; Manfred Hildermeier  : Geschichte der Sowjetunion 1917–1991. Entstehung und Niedergang des ersten sozialistischen Staates. – München 1998. S. 328ff.; Alexander Jakowlew  : Ein Jahrhundert der Gewalt in Russland. – Berlin 2004. S. 235ff. 157 Die in den späten Zwanzigerjahren in Ansätzen bemerkbar werdende Aufbruchsstimmung wich bereits zu Beginn der Dreißigerjahre einer allgemeinen Enttäuschung über die Verschlechterung der

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Deshalb hast du hier ganz andere Menschen. Die Russen haben viel Kinder, 6, 8 bis 12 sind keine Seltenheit. Wenn du einen frägst, warum so viel Kinder, sagt er dir, wir haben alle zu essen und alle Arbeit. Er kennt keine Not. Eine schwangere Frau (hier arbeiten alle Frauen, Schaffnerinnen, Briefträger, Landarbeit, Fabrik, Büros usw.) bekommt 8 Wochen vor und 8 Wochen nach der Entbindung vollen Lohn, außerdem für das Kind monatlich 8,24 Rubel, 1 Kilo Reis, Gries, Zucker bis zum 14. Lebensjahr, ferner die Kinderwäsche. Also jede Mutter bekommt das vom Staat. Für Kinder von der Wiege bis zur Lehre (hier geht man bis zum 16. Lebensjahr in die Schule) gibt es Kinderkrippen, Kindergärten, Jugendheime, außerdem den sogenannten Werkunterricht. Das heißt, alle Kinder, Buben und Mädeln, haben 4 Stunden in 5 Tagen praktischen Unterricht als Schlosser, Tischler usw. Böse Kinder (Taugenichts-Buben) kommen in ein Heim, dort werden sie in jenem Beruf erzogen, für den sie Interesse haben. Beispielsweise ein Junge ist ein Taugenichts aus Abenteuerlust, er wird fürs Militär ausgebildet. Zuchthäuser, Sträflinge gibt es hier



Lebensbedingungen. Es kam zu zahlreichen Zwischenfällen von Lebensmittelläden, massenhaft geäußertem Unmut über Planlosigkeit, Vergeudung von Ressourcen, Ineffektivität und Privilegien der Parteielite. Dass es ab 1933 zu keinen nennenswerten Streiks mehr kam, ist auf die allgemein verbreitete Aussichtlosigkeit eines solchen Unterfangens sowie auf die Suche nach privatem Glück und bescheidenem Wohlstand zurückzuführen. 1934 trat eine allmähliche Besserung der materiellen Lage ein, die Brotrationierung wurde aufgehoben. Allerdings setzte ab 1936 die allgemeine Unzufriedenheit mit den schlechten Lebensbedingungen wieder ein, die Arbeitsmoral sank auf einen Tiefpunkt, sodass sich die Regierung im Dezember 1938 gezwungen sah, drakonische Strafen für die Verletzung der Arbeitsdisziplin einzuführen. (Orlando Figes  : Die Flüsterer. Leben in Stalins Russland. 3. Auf. – Berlin 2008. S. 237ff.; Dietmar Neutatz  : Träume und Alpträume. Eine Geschichte Russlands im 20. Jahrhundert. – München 2013. S. 244f.) Ein Charakteristikum der sowjetischen Lebenswirklichkeit bis zum Untergang der Sowjetunion bildete die Schlange als Symbol der nie überwundenen Mangelwirtschaft. Die Schlange war ein »selbstverständlicher Teil der sowjetischen Wirklichkeit« und wurde deshalb »hingenommen wie ein Naturereignis, ein Naturzustand, an dem sich ohnedies nichts ändern lässt. (…) Die Schlange war der Ort vergeudeter, verschwendeter Lebenszeit. Sie war unverzichtbarer Bestandteil der Bewältigung des Lebensalltags (…) Sie war nicht die Schlange, in die sich Bürger einreihen, um – ohne sich zu nahe zu treten – diszipliniert einen Bus zu besteigen, sondern der zur Permanenz gewordene Stress, der mit Geduld durchgestanden, erlitten, bewältigt werden konnte, fast nie aber abging ohne Beschimpfungen und Grobheiten, manchmal sogar Rempeleien und Körperkontakt. (…) Da der Mangel systemisch und die Knappheit allgemein war, konnte es jeden treffen – nur nicht jene, die in anderen Korridoren lebten und über andere Kanäle versorgt wurden. Für alle anderen gab es kein Konsumgut, das jederzeit selbstverständlich greifbar war – es konnten sogar Tomaten oder Kartoffeln sein in einem Land, das keinen Mangel an Tomaten und Kartoffeln hatte. Es konnte Unterwäsche sein, die es aber in Größen gab, die nicht nachgefragt wurden und liegen geblieben waren. Und es konnten Hüte und Mützen sein, die allerdings in Regalen verstaubten, weil sie langsam aus der Mode gekommen waren. Sommerkleidung im Winter und Winterkleidung im Sommer – geliefert nach Plan, aber am Rhythmus des Lebens vorbei.« (Karl Schlögel  : Das sowjetische Jahrhundert. Archäologie einer untergegangenen Welt. – München 2017. S. 555f.)

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ebenfalls nicht. Diese Menschen kommen in eine große Gemeinschaft, das ist sagen wir eine große Landwirtschaft, dort braucht man alles, Melker, Tischler, Schlosser usw. Sie arbeiten alle mit, verdienen wie alle anderen, abends und am Tage haben sie Spezialunterricht. Sie können lernen was sie wollen, leben wie freie Menschen, nur dürfen sie die Gemeinschaft während ihrer Strafzeit nicht verlassen. Sie sind nicht bewacht und laufen auch nicht weg. Für schwere Verbrecher gibt es auch nicht Zuchthaus, sondern Zwangsarbeit unter militärischer Bewachung.158 Die Kost ist in allen Fällen normal. Ein Verbrecher einer Gemeinwirtschaft ist nicht ausgestoßen aus der Gesellschaft. Erst der Schwerverbrecher wird gemieden. (…)

Arbeiter-Zeitung159 Nr. 23. Brünn, 7. Juni 1936. Mutter und Sohn Opfer des christlichen Staates. Genosse Toni Schneider in Hallein und seine Mutter sind Opfer des christlichen Staates geworden. Toni Schneider wurde nach den Februarkämpfen verhaftet. Nach 158 Der Verfasser gibt hier die sowjetische Propaganda wieder, die das GULAG-System ideologisch nicht nur rechtfertigte, sondern als pädagogische Maßnahme interpretierte. So hieß es in der sowjetischen Rhetorik  : »Bjelomor bestraft nicht, sondern erzieht«. Damit wurde die massenhafte Zwangs- und Sklavenarbeit am Bjelomor-Kanal als Chance der Umkehr, Selbstläuterung und des Abschiednehmens von einer falschen, alten Welt bezeichnet, als Wiedergeburt eines neuen sozialistischen Menschen. (Zum Ostsee-Weißmeer-Kanal/Bjelomor-Kanal vgl. Anne Applebaum  : der GULAG. -Berlin 2003. S. 97ff.) Jörg Barberowski hat darauf hingewiesen, dass das System der Sklaven- und Zwangsarbeit 1929 mit dem Befehl Stalins, den bereits existierenden Lagerkomplex auszuweiten und der Anweisung an die GPU, Häftlinge beim Bau von Kanälen und Staudämmen sowie der Rodung der Wälder einzusetzen, massiv ausgeweitet wurde. Im Juli desselben Jahres wurde ein Gesetz erlassen, nach dem alle Personen, die eine Haftstrafe von mehr als drei Jahren zu verbüßen hatten, in Arbeitslager zu verschicken waren. Die damit einsetzende Deportation von Millionen von Menschen eröffnete der Geheimpolizei, das GULAG-System in ein riesiges Wirtschaftsunternehmen auszubauen. Die bisherige ideologische Verschleierung der Motive des Massenterrors und der Zwangsarbeit, die Umerziehung durch Arbeit, verschwand hinter den durch den Fünfjahresplan propagierten gigantomanischen Industrialisierungszielen. So organisierte zu Beginn des Jahres 1934 der NKWD-Chef Genrich Jagoda eine gigantische Menschenjagd, als er die Dienststellen in der Ukraine anwies, ihm 20.000 arbeitstaugliche Häftlinge zu besorgen, die beim Bau des Moskau-Wolga-Kanals eingesetzt werden sollten. (Baberowski  : Verbrannte Erde. S. 191.) 159 Bereits in der Arbeiter-Zeitung Nr. 21 vom 24. Mai 1936 war eine Kurzmeldung unter dem Titel »Ein Opfer des Regimes« erschienen, in der behauptet wurde, dass der Selbstmord von Toni Schneider vor allem auf die ablehnende Haltung des Halleiner Regierungskommissärs Rudolf Dworzak zurückzuführen sei. Dieser habe sich geweigert, dem um Arbeit Suchenden zu helfen.

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seiner Enthaftung fand er nirgends Arbeit. Er geriet in immer schlimmeres Elend. Der ernannte Bürgermeister von Hallein verweigerte ihm jede Hilfe. So sah Toni Schneider keinen anderen Ausweg mehr als den Freitod. Die Nachricht von seinem Tode rief in der Arbeiterschaft von Hallein ungeheure Erbitterung hervor. Trotzdem das Begräbnis während der Arbeitszeit stattfand, ließen es sich die Halleiner Arbeiter nicht nehmen, dem treuen und tapferen Genossen das letzte Geleit zu geben. Selbst nach dem Bericht der bürgerlichen Salzburger Blätter nahmen 2000 Trauergäste an dem Begräbnis teil. Reden durften am Grabe nicht gehalten werden  ; aber die Massenteilnahme machte das Begräbnis zu einer e i n d r u c k s v o l l e n D e m o n s t r a t i o n d e r H a l l e i n e r A r b e i t e r s c h a f t gegen die faschistische Gewalt, die die Besten in den Tod treibt. Während aber Toni Schneider beerdigt wurde, starb seine schwerkranke Mutter  ; sie hat den Tod ihres Sohnes nicht überlebt. Sie wurde am folgenden Tage beerdigt – auch sie ein Opfer, das nicht vergessen werden wird am Tage der Abrechnung  ! Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 9. Juni 1936 Zl. 2946/2 (336.251/36) Betr.: Artikel »Ein Opfer des Regimes« in der Arbeiter-Zeitung Nr. 21 vom 24.5.1936. An das Bundeskanzleramt St. B. in Wien. (…) wird berichtet, dass laut Meldung des Gendarmeriepostenkommandos Hallein vom 3.6.1936, Zl. 1365, der Artikel »Ein Opfer des Regimes« inhaltlich den Tatsachen widerspricht. Anton Schneider, welcher vor dem Parteiverbote Führer der Sozialistischen Arbeiterjugend in Hallein war, wurde bei der Februarrevolte 1934 zwar eingezogen, doch wurde das Strafverfahren gegen ihn eingestellt. Er hatte seither keine ständige Arbeit mehr und lebte bei seiner Mutter Mathilde Schneider, welche als Witwe eines Steueraufsichtsbeamten eine Pension bezog. Er nahm dann seine Lebensgefährtin Rosa Holzapfel, welche in gesegneten Umständen war, zu sich und lebte er dann mit Lebensgefährtin und Kind bei der Mutter. Da ihm nur die Arbeitslosen- bzw. Notstandsunterstützung zur Verfügung stand, war er auf die Unterstützung der Mutter angewiesen. Zur Zeit des Selbstmordes lag die Mutter im Sterben und ist auch zwei Tage nach ihrem Sohn verschieden. Es muss ihm daher vor der Tat die Lage zum Bewusstsein gekommen sein, dass er nicht nur die Mutter und die Unterstützung, sondern auch die Wohnung verlieren würde, weil diese eine Dienstwohnung innehatte. Der Man-

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gel an innerem Halt ließ ihn den traurigen Entschluss ausführen. Aufzeichnungen irgendwelcher Art oder Äußerungen hat er nicht gemacht bzw. hinterlassen. Es wurde in linksradikalen Kreisen die Nachricht verbreitet, dass Schneider als Februarverbrecher vom Vizebürgermeister Franz Roidthaler mit einem Ersuchen um Arbeit zurückgewiesen wurde, worauf er Hand an sich selbst gelegt hat. Revierinspektor Anderl hat Herrn Vizebürgermeister Roidthaler bereits am 28. April 1936 nach dem Begräbnis gesprochen und hat er demselben erklärt, dass wohl Schneider einige Wochen früher bei ihm wegen Arbeitszuweisung war, doch habe er keinerlei ähnliche Äußerung gebraucht, dass er für einen Februarverbrecher keine Arbeit habe. Auch die Mutter der Lebensgefährtin des Schneider, Anna Holzapfel, erklärt, dass Schneider keinerlei Mitteilungen über seinen Selbstmord gemacht habe und dass auch sie vollständig überrascht worden sei. Es sei wohl richtig, dass Schneider bei der Stadtgemeinde keine Arbeit bekommen habe, wo er unter dem sozialdemokratischen Regime bevorzugt war, doch erklärte sie, von einer abfälligen Abweisung seitens des Vizebürgermeisters Roidthaler nichts gehört zu haben. Der nunmehrige Bürgermeister, Regierungsrat Anton Stütz, erklärt, dass er Schneider weder kannte, noch habe dieser bei ihm im Rathause in irgendeiner Angelegenheit vorgesprochen. Da Herr Bezirkshauptmann Oberregierungsrat Rudolf Dworzak das Amt eines Regierungskommissärs der Stadtgemeinde Hallein bereits am 20. Februar 1936 an den ernannten Bürgermeister, Regierungsrat Stütz, übergeben hatte, so kann die Zumutung in dem Artikel nur als ein feindseliger Akt kommunistischer Propaganda gewertet werden. An der Leichenfeier beteiligten sich unmittelbar ca. 700 Personen aus allen ehemaligen Parteilagern, zumeist Arbeiter (Sozialdemokraten, Kommunisten) und andere Parteilose, darunter auch Anhänger der bestandenen NSDAP und ca. 200 Neugierige. Es wurden keinerlei Reden gehalten oder Demonstrationshandlungen versucht oder ausgeführt. Zu der Gendarmerierelation berichtet der Bezirkshauptmann von Hallein, Oberregierungsrat Rudolf Dworzak, noch ergänzend  : »Mit meiner Person hat der Selbstmord nichts zu tun und ist die Behauptung in der fraglichen Zeitungsnotiz eine glatte Erfindung. Ich habe bereits am 20. Februar 1936 die Amtsgeschäfte als Regierungskommissär der Stadtgemeinde an den neuen Bürgermeister Stütz übergeben, während Schneider mehr als 2 Monate später (26. April 1936) Selbstmord beging. Es wurde allerdings das Gerücht verbreitet, dass Schneider beim Stadtgemeindeamt Hallein knapp vor seinem Selbstmord um Arbeit oder eine Unterstützung vorgesprochen habe und dort vom amtierenden Vizebürgermeister Franz Roidthaler mit dem Bemerken abgewiesen wurde, dass für Februarputschisten keine Arbeit oder

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Unterstützung vorgesehen sei. Roidthaler allerdings bestreitet diese Bemerkung und ist sie auch durch nichts erweisen. Es ist wohl richtig, dass Schneider arbeitslos gewesen ist, doch kann von einer drückenden Notlage in diesem Falle auch nicht gesprochen werden, da er selbst im Bezuge der Notstandsunterstützung stand und außerdem mit seiner Mutter im gemeinsamen Haushalte lebte, welche als Witwe eines Steuerbeamten eine Pension bezog und außer für ihren Sohn für niemanden zu sorgen hatte. Möglicherweise hat das bevorstehende Ableben seiner Mutter psychisch derart auf ihn eingewirkt, dass er sich zum Selbstmord entschloss. Ein Verschulden der Stadtgemeinde oder irgendeines Funktionärs derselben erscheint daher ausgeschlossen, insbesondere, wie aus dem Vorgesagten ersichtlich, der Hinweis auf meine Person vollständig abwegig.« Kommentar der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit vom 17. Juni 1936. »Die Gründe für den Selbstmord des Schneider sind wohl staatspolizeilich weniger von Interesse als die immerhin große Zahl der Teilnehmer am Begräbnis, die noch dazu angeblich auf eine Agitation seitens der Revolutionären Sozialisten zurückzuführen war. (…)«

4. »Es kann nur eine Partei des österreichischen Proletariats geben – Die Kommunistische Partei.« Die KPÖ

Bundespolizeidirektion Salzburg 12. März 1934 Zl. 2816/19 (137.849/34) Betreff  : Sondernummer der »Roten Fahne«. An das Bundeskanzleramt, G. D. 1 (St. B.) in Wien. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich zu berichten, dass eine große Anzahl für den Verkauf und Vertrieb bestimmter Sondernummern der illegalen »Roten Fahne«, in welcher die Schutzbündler, Arbeiter und Genossen der Kommunistischen Partei Öster­reichs (Sektion der Kommunistischen Internationale) zum Widerstande gegen die Bundesregierung aufgefordert und zur Organisierung eines neuerlichen revolutionären Umsturzes im »roten Oktober« aufgerufen werden, h. a. zustande gebracht wurden. … 68 Stück der in Rede stehenden Sondernummern wurden beschlagnahmt. Die beabsichtigte Verbreitung dieser illegalen Flugschrift konnte am Tage ihres Eintreffens in Salzburg inhibiert werden. Diese Flugschriften wurden in Wien zur Aufgabe gebracht. … Die Rote Fahne Wien Mitte Februar 1934. Vorwärts vom Februaraufstand zum roten Oktober  ! Genossen, Arbeiter, Schutzbündler  ! Die österreichische Arbeiterschaft hat eine Schlacht von gigantischer Größe geschlagen. Es war der erste Aufstand der Arbeiterklasse eines ganzen Landes gegen eine faschistische Diktatur. Der grenzenlose revolutionäre Heldenmut, die todesverachtende Kühnheit, die die Schutzbündler und Kommunisten in gemeinsamem Kampfe bewiesen, haben für immer ein leuchtendes Fanal im Kampfe des internationalen Proletariats zur Befreiung von der kapitalistischen Sklaverei aufgerichtet. Die Arbeiterklasse der ganzen Welt begrüßt die tapferen Helden der Barrikaden und senkt ihre Fahnen vor den Opfern des offenen Kampfes und des Galgens. (…)

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Die Regierung paart ihren Terror und ihre Vernichtung aller Arbeiterrechte mit jesuitischer Heuchelei, »sie vertrete das österreichische Volk«, sie wolle »Österreich erneuern«. Nein, diese faschistische Regierung, die auf den Spitzen der Bajonette und Mündungen der Kanonen ruht, ist eine Henkerregierung, eine Regierung des Mordes, des Hungers und der Kriegsvorbereitung. Sie ist eine Regierung der Lüge und des Betruges. Kein Wort ihrer Verlautbarungen, kein Wort an den Reden ihrer Mitglieder ist wahr. Sie lügen, wie nur Jesuiten lügen können. Die Regierung kennt nur ein Ziel  : das durch die Krise erschütterte Profitsystem der christlichen und jüdischen Industriebarone und Finanzmagnaten, der Aristokraten und Großgrundbesitzer zu »erneuern«  ; sie lässt den darbenden Massen nur ein Recht  : sich in Ruhe und Ordnung ausplündern und zertreten zu lassen. Der faschistischen Diktaturregierung gilt weiter der unerbittliche Kampf. Wie ist es dieser Regierung, hinter der nicht viel mehr steht als einige tausend bezahlte Landsknechte, die Pfaffen und Kapitalisten, wie ist es ihr gelungen, den heldenhaften Ansturm der Arbeiterschaft, der mit solchem Elan und solch einem Arsenal von Waffen geführt wurde, niederzuschlagen  ? Angesichts der hunderte Toten der Arbeiterklasse, angesichts der Tatsache, dass zehntausende Arbeiter im bewaffneten Kampfe standen und mit ihnen viele sozialdemokratischen Funktionäre, die ehrlich kämpften, sagen wir Kommunisten im vollen Bewusstsein unserer Verantwortung offen, klar und deutlich  : S c h u l d d a r a n i s t d i e g a n z e P o l i t i k d e r ö s t e r e i c h i s c h e n S o z i a l d e m o k r a t i e i n d e r Ve r g a n g e n h e i t u n d a u s d e n Ta g e n d e s A u f s t a n d e s . Worin bestand die Niederlagenstrategie der Sozialdemokratie in den Tagen des Aufstandes  ? Die Arbeiter griffen zu den Waffen, um die faschistische Diktatur zu stürzen und den Sozialismus zu erobern. Die sozialdemokratische Führung mit Otto Bauer an der Spitze wollte jedoch den nicht mehr zu hemmenden Kampfwillen der Massen ausnützen, um ihren Platz im System der Dollfuß-Diktatur zu behaupten. Deshalb gaben sie den Massen nicht das politische Ziel, das zum Siege führen konnte – sie schwätzten vielmehr von der »Verteidigung der Verfassung«. Deshalb haben sie nichts getan, um die g a n z e M a s s e, um das ganze Riesenheer der Arbeiterschaft in den Generalstreik und in den bewaffneten Aufstand zu führen. Deshalb gaben sie keine klare bindende Direktive zum Generalstreik, ja haben ihn von allem Anfang angebrochen. Die sozialdemokratischen Führer der Eisenbahner waren zur Vaterländischen Front übergegangen und haben einen entscheidenden Schlag gegen den Generalstreik geführt, während tausende Eisenbahner in ihren Arbeitsstätten auf den Ruf zum Streik warteten. (…)

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Aber noch mehr  ! Führer der Sozialdemokratie gingen offen und direkt zum Klassenfeind über. Sie verhinderten, dass ganze Gebiete und Bezirke, wo die Arbeiter kämpfen wollten, in den Kampf traten. Das war neben Kärnten in so wichtigen Gebieten wie Wr. Neustadt, St. Pölten und in Wien, z. B. im 2. und 20., 14., 15. Bezirk der Fall. (…) All dies ist das Ergebnis und der Ausdruck von 15 Jahren sozialdemokratischer Politik unter Führung von Otto Bauer und Karl Seitz. Und wenn auch da und dort vereinzelte Führer der Partei persönlich tapfer im Kampfe standen, so ändert dies nichts an ihrer vollen Mitverantwortung und Mitschuld an dieser Politik, die zum Erfolg des Faschismus, zur Niederschlagung des Aufstandes führte. Die Sozialdemokratie trug einen tödlichen Widerspruch in sich  : einerseits umfasste sie zehntausende Arbeiter, die revolutionär fühlten und bereit waren, ihr Leben für die Sache des Proletariats zu geben. Andererseits war die Politik der sozialdemokratischen Führung seit 15 Jahren gerichtet auf die Erhaltung des kapitalistischen Systems und gegen seine Zerschlagung durch die proletarische Revolution. Sie war gerichtet auf die Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie und gegen den ernsten Klassenkampf der Arbeitermassen in revolutionärer Einheitsfront gegen sie. Diese Politik diente in der Tat dem Klassenfeind, ebnete dem Faschismus den Weg. Ja noch mehr, Hunderte von führenden Funktionären standen schon längst praktisch im Lager des Klassenfeindes. An diesem Widerspruch scheiterte bis heute der Kampf der österreichischen Arbeiter, an ihm scheiterte der Februaraufstand. (…) Sozialdemokratische Arbeiter, was jetzt  ? Die Sozialdemokratische Partei fällt auseinander. Auf der einen Seite die Verräter und Überläufer zum Klassenfeind, auf der anderen Seite die Masse der Arbeiterschaft. Die Sozialdemokratische Partei »neu« aufbauen, wenn auch mit Auswechslung einiger alter Führer  ? Die blutigen Erfahrungen des Februaraufstandes müssen der S c h l u s s p u n k t jener verhängnisvollen Illusionen sein, mit denen die Sozialdemokratie den Weg von der bürgerlichen Demokratie zum Faschismus pflasterte. Hätte die Sozialdemokratie 1919 die Rätemacht errichtet, statt sie abzuwürgen, hätte sie 1927 den Juliaufstand weitergetrieben, statt ihn zu ersticken, ja hätte sie noch im März des vorigen Jahres – wie es die Kommunistische Partei damals im Einheitsfrontangebot vorschlug – einen ernsten revolutionären Kampf selbst nur für die Verteidigung der Arbeiterrechte geführt, statt zu kapitulieren – das Unheil des Faschismus wäre der österreichischen Arbeiterschaft erspart geblieben. Aber die österreichische Sozialdemokratie war ebenso wie jede andere Partei des 2. Internationale unfähig dazu, denn sie war keine Partei des revolutionären Marxismus. So trifft sie die historische Schuld am Siege des Faschismus.

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Es gibt nur e i n e n Weg zum Siege des Sozialismus, das ist die proletarische Revolution zum Sturze der Bourgeoisie  ; es gibt nur e i n e revolutionäre Partei des Proletariats, die diesen Weg konsequent geht  : das ist die Weltpartei des Kommunismus, die K o m m u n i s t i s c h e I n t e r n a t i o n a l e und ihre Sektionen in allen Ländern der Welt. Sie allein ist beseelt von den Erkenntnissen des Marxismus-Leninismus, ist gestützt auf das mächtige sowjetische Bollwerk des Weltproletariats, das Sowjetland in einem Sechstel der Erde, dessen anfeuerndem Beispiel sie folgt, in Österreich wie überall sonst. (…) Arbeiter und Arbeiterinnen  ! Ihr Schutzbündler, die ihr euer Leben für die Sache des Sozialismus eingesetzt habt, folgt dem Mahnruf des tapferen Ingenieurs W e i s s e l, der im Angesicht des Galgens rief  : »Hoch die 3. Internationale, es lebe Sowjetrussland  !« Tretet unter die Fahnen der wirklichen Führer des Proletariats, Marx, Lenin, Stalin, Dimitrow  ! Schließt euch überall den kommunistischen Organisationen an  ! Bildet selbst in den Betrieben und Orten neue kommunistische Organisationen und stellt die Verbindung mit den Leitungen der Kommunistischen Partei her  ! (…) Schließt euch zusammen in der Kommunistischen Partei und unter ihrer Führung  ! Vorwärts vom Februaraufstand zum bolschewistischen roten Oktober  ! Nieder mit der faschistischen Galgendiktatur  ! Es lebe Sowjetösterreich  ! Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 21. März 1934 Zl.: 274/9 (143.529/34) An das Bundeskanzleramt – GD – St. B. in Wien I. In der Anlage wird ein Exemplar eines kommunistischen Flugblattes »Genossen  ! Arbeiter, Schutzbündler, Kommunisten  !« bzw. »Genossen Arbeiter  ! Nun wissen wir  : Die Arbeiterschaft Österreichs wird siegen  !«, das außerhalb des Marktes Straßwalchen am 11. März l. Js. durch Anschlag an Telegrafensäulen verbreitet wurde, zur gef. Kenntnisnahme vorgelegt. Genossen  ! Arbeiter, Schutzbündler, Kommunisten  ! (…) Der Kampf der österreichischen Arbeiter in den Februartagen war ein heldenhafter  ; er wurde zu einer Niederlage. Aber jeder von uns fühlt und weiß  :

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Die österreichische Arbeiterschaft ist nicht zerschlagen  ! Der Triumph des rasenden Faschismus mit Kanonen und Galgen über die Arbeiterschaft ist kein echter  ! W i r k o m m e n b a l d w i e d e r   ! Wir werden es dann besser machen, denn nun hat es sich klar gezeigt, dass unter der Leitung der SP-Führer kein Sieg möglich ist. Zum Teil waren ja die SP-Führer überhaupt gegen eine gewaltsame Abwehr faschistischer Angriffe, die die Arbeiterschaft forderte. Und geradezu verbrecherisch haben die SP-Führer allen Lehren Marx’ und Lenins zuwidergehandelt  ! Sie haben nichts getan, um die breiten Massen vorzubereiten und zu mobilisieren, um die Betriebe für den Generalstreik reif zu machen  ! (…) Genossen, Arbeiter  ! Nun wissen wir  : Die Arbeiterschaft Österreichs wird siegen  ! wenn sie die Fesseln einer Führung zerbricht, die den Marxismus verraten hat und kleinbürgerlich-kopflos die Arbeiterschaft in eine Niederlage getrieben hat. Daran ändert auch nichts die persönliche Tapferkeit eines Wallisch, Bernaschek und anderer Führer. Die K o m m u n i s t e n haben überall Schulter an Schulter mit Euch gekämpft und Ihr selbst werdet wissen, wie sie vergeblich zur Offensive, Ausbreitung des Streiks und Einbeziehung breiterer Schichten gedrängt haben. Es gibt nur e i n e Führung, die den Sieg bringt wie in Russland, die stählerne bolschewistische Weltpartei der Kommunistischen Internationale  ! Es kann nur mehr e i n e Partei des österreichischen Proletariat geben – die K o m m u n i s t i s c h e P a r t e i Ö s t e r r e i c h s    ! Schließt Euch der Bewegung an, die Führer wie M A R X, LENIN, STA LIN und DI MITROW hervorgebracht hat. K e i n Arbeiter reiche seine Hand für einen Neuaufbau der SP  ! Kein Arbeiter geht zu den Nazis  ! In Deutschland wird die Arbeiterschaft blutig unterdrückt. … Der Kapitalismus hofft jetzt endlich mit Hilfe der Nazi eine Bresche in die klassenbewusste Arbeiterschaft zu schlagen. Für diese Arbeiterschaft ist j e d e r Faschismus, ob weiß-grün oder braun, gleichbedeutend mit Entrechtung, Arbeitslosigkeit, Verelendung und Krieg  ! K e i n Arbeiter wird ihnen in die Falle gehen  ! Bildet kommunistische Gruppen und sucht Verbindungen mit kommunistischen Leitungen  ! (…)

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 12. April 1934 Zl. 274/12 (156.031/34) Betreff  : Kommunistische Flugzettel. An das Bundeskanzleramt G. D. – St. B. in Wien. In der Nacht zum 1. April 1934 wurden in der Ortschaft Mühlbach, Gemeinde Bramberg, Bezirk Zell am See, von unbekannten Tätern ca. 10 Stück kommunistische Flugzettel mit den in der Beilage angeführten Texten ausgestreut. Die Flugzettel trugen kein Impressum. 14.3.1934 Die folgenden Texte sind Vorlagen für Streuzettel und Flugblätter. Sie sollen zahlreich abgezogen und verbreitet werden. Flugblatt 1 Sie geben Granaten statt Brot, statt Arbeit bringen sie Tod. Sie haben auf Kinder geschossen, Rot Front  ! Kämpft mit uns Genossen, KPÖ. Sie können nichts wie prügeln und lügen, Proleten hinten und vorn betrügen, die braunen, grünen und schwarzen Faschisten, Rot Front, kämpft mit den Kommunisten  ! Sie haben Proleten geschlagen, das werden sie tief beklagen. Sie haben Proleten gehenkt, das wird ihnen nicht geschenkt. Sie haben Proleten in Kerker geschleppt. Sie werden bereuen, denn die KPÖ lebt  ! Grüner und brauner Faschismus sind fort, stehst Arbeiter Du am richtigen Ort. Hinein in die Kommunistische Partei, dass wir werden von Dollfuß und Hitler frei  ! Flugblatt 2 Arbeiter, was jetzt  ? Wir kämpfen gegen die Bluthunde Dollfuß und Fey. Wie beseitigen wir die faschistische Galgenherrschaft  ?

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Seht nach Deutschland  ! Dort werden die Arbeiter unterdrückt, entrechtet, gefoltert, gemordet, dort herrschen Galgen und Konzentrationslager, dort regieren Thyssen und Schacht, die Hohenzollernprinzen und die Aristokraten, dort sinken die Löhne, dort steigt das Elend  ! Seht nach Sowjetrussland  ! Dort wird der Sozialismus aufgebaut, dort regieren die Arbeiter und Bauern, dort gibt es keine Arbeitslosigkeit, aber ständig steigenden Wohlstand für alle Werktätigen. Arbeiter, wohin  ? Weder zu den grünen, noch zu den braunen Faschisten, die beide Eure Todfeinde sind, sondern zur Partei Lenins und Dimitrows, zur einzigen Partei der revolutionären Massen, zu den Kommunisten  ! Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 13. Mai 1934 Zl. 2853 (173.455 – St. B./1934) An das Bundeskanzleramt – G. D. – St. B. in Wien. Am 28. April 1934 gelangte der Gendarmerieposten in Hallein von zuverlässiger Seite in Kenntnis, dass die Kommunisten eine besonders lebhafte Tätigkeit entwickeln und insbesonders auch Sozialdemokraten für ihre Zwecke nutzbar machen wollen. Sie hätten bereits am 20. April 1934 um ca. 20 Uhr 30 Min. in der Au hinter der Dachpappenfabrik und am 27. April 1934 um die gleiche Zeit nächst der Zenzlmühle in Oberalm im Walde eine Versammlung abgehalten, wo sie Beschlüsse fassten, welche Aktionen anlässlich des 1. Mai 1934 unternommen werden sollen. An beiden Versammlungen sollten der aus dem Bezirke Hallein dauernd abgeschaffte Kommunist Admund Rechorska als Führer und bei der zweiten Versammlung ca. 50 Personen anwesend gewesen sein. Laut Mitteilung derselben Quelle ist die Bildung von sog. Fünfergruppen erfolgt, welche derart organisiert sind, dass die Mitglieder einer Gruppe die der anderen nicht kennen und es wurde für die Tage vor dem 1. Mai schon eine lebhafte Tätigkeit ins Auge gefasst. Am 29. April abends sollte zum Scheine auf dem Sportplatz der Zellulosefabrik eine Versammlung unter freiem Himmel inszeniert werden, wodurch die Exekutive dorthin gelenkt würde, während die Fünfergruppen in der Stadt Hallein eine Demonstration veranstalten und die öffentlichen Anlagen und sonstigen Objekte demonstrativ beschmieren bzw. verschiedenes Propagandamaterial ausstreuen sollten, welches schon an die einzelnen Vertrauensmänner ausgegeben worden war. Ergänzt wurde noch, dass für die neue Bewegung folgende Mitgliedsbeiträge pro Woche eingehoben werden, und zwar  : Beschäftigte 25, Arbeitslose mit Unterstützung 15 und Ausgesteuerte 10 Groschen.

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Die Zuverlässigkeit dieser Information ließ ein sofortiges Eingreifen des Gendarmeriepostens Hallein geboten erscheinen und wurden daher in der Nacht zum 29. April 1934 22 Personen der ehemaligen Kommunistischen bzw. Sozialdemokratischen Partei bei gleichzeitiger Vornahme von Hausdurchsuchungen festgenommen und wegen Geheimbündelei unmittelbar dem Landesgerichte in Salzburg eingeliefert. Bei den Hausdurchsuchungen wurde verschiedenes Propagandamaterial und bei dem als Führer in Betracht kommenden Rupert Eibl auch mehrere eigens abgepasste Rohrstücke aus Eisenblech, die als Sprengstücke gedacht gewesen sein dürften, gefunden. (…) Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 9. August 1934 Zl.: 489/res-34 (223.957/34) Betr.: Flugzettel des Kommunistischen Jugendverbandes Österreichs, Sektion der Komm. Jugend-Internationale. An das Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St. B.) in Wien I., Herrengasse 7. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich, die Abschrift eines Flugzettels, welches vom Zentralkomitee der KJVOe, Sektion der KJI, in Verkehr gebracht wurde, vorzulegen. (…) Arbeiterjugend Österreich  ! Wieder herrscht Standrecht in Wien und Steiermark. Der Kampf der Kapitals- und Pfaffenknechte, den Hakenkreuz und Kruckenkreuz um das alleinige Diktaturrecht führen, hat blutige Formen angenommen. Es geht nicht um die Freiheit Österreichs, es geht um die Interessen des deutschen und italienischen Faschismus. Hakenkreuz und Kruckenkreuz sind die Feinde der werktätigen Jugend  : Denkt an die Massenmorde in Deutschland, denkt an den Jungarbeiter Josef Gerl.160 Schon kündigt die Presse den Frieden mit Deutschland, den Frieden mit dem blutigen Hakenkreuz an.161 Arbeitermörder beginnen sich zu einigen zum Kampf gegen das Proletariat, gegen den Kommunismus.

160 Mit der Berufung auf Josef Gerl versuchte die KPÖ Teile der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) zu gewinnen. 161 Gemeint ist die Entsendung von Franz von Papen als neuen deutschen Gesandten nach Wien. Sowohl in der österreichischen wie auch in der internationalen Presse wurde die Entsendung Papens als neuer Stil der deutschen Außenpolitik gegenüber Österreich, als Versuch einer friedlichen Lösung interpretiert.

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Sozialistische Jungarbeiter  ! Es ist ein Gebot der Stunde, dass auch die Jungarbeiter sich vereinigen in roter Kampffront gegen Hakenkreuz und Kruckenkreuz. Schließt Euch zusammen in den Betrieben, Arbeitslager und Arbeitervierteln zum antifaschistischen Kampf. Junge Nationalsozialisten  ! Ihr seit betrogen  : Es gibt keine Freiheit unter Hitler  ! Ihr gebt Euer Leben für die Kapitalisten. Es gibt nur eine Freiheit, für die es sich zu leben und zu sterben lohnt  : Die Freiheit der Arbeiterklasse  ! Jungarbeiter  ! Die Ereignisse sind ein Fanal. Sie kennzeichnen die verfaulte mit Galgen und Kerker gestützte kapitalistische Ordnung. Kämpft für den Sturz derselben  ! Tretet zu Versammlungen zusammen, demonstriert gegen das Standrecht. Für die Befreiung der proletarischen Gefangenen. Für die Versammlungs-, Organisations- und Pressefreiheit der Arbeiterklasse. Gegen die faschistische Diktatur  ! Für die Diktatur des Proletariats. Für ein Kampfbündnis mit dem deutschen Proletariat. Für die Befreiung Thälmanns.162 Bildet Kampfkomitees zur Mobilisierung der Jugend gegen Krieg und Faschismus. Rüstet zum Internationalen Jugend-Tag unter den Fahnen des Kommunismus. Hinein in die KJVOe. Gendarmeriepostenkommando Böckstein Böckstein, 16. September 1934 E. Nr. 1383 Betr.: Kommunistische Agitation beim Großglockner-Straßenbau. An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. Es wird gemeldet, dass ein derzeit beim Großglockner-Straßenbau beschäftigter Arbeiter, dessen Name nicht genannt werden soll, der aber dem Revierinspektor Jo162 Ernst Thälmann (1886–1944) trat 1903 der SPD bei und wurde 1904 Mitglied des Zentralverbandes der Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter Deutschlands. 1918 wechselte er zur Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) und wurde in die Hamburger Bürgerschaft gewählt, trat zusammen mit der Hamburger USPD im Dezember 1920 der KPD bei und wurde 1925 deren Vorsitzender, 1926 Mitglied des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (EKKI). Er war 1924 bis 1933 Reichstagsabgeordneter der KPD, wurde nach der Machtergreifung Hitlers 1933 verhaftet, schließlich im Zuchthaus Bautzen inhaftiert und 1944 im KZ Buchenwald erschossen.

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hann Blaschek als seinerzeitiges Mitglied der SDAP, derzeit aber mehr als vaterländisch Gesinnter, persönlich bekannt ist, die politische Einstellung der Arbeiterschaft des Großglockner-Straßenbaues in dem Sinn geschildert hat. Die Arbeiter beim Großglockner-Straßenbau seien zum Großteil kommunistisch eingestellt, selbst die seinerzeit radikalen Heimwehr-Anhänger seien nun die radikalsten Kommunisten. In letzter Zeit, und zwar nach der Ermordung des Herrn Bundeskanzlers Dr. Dollfuß, sei ein Herr mit einem Auto auf der Großglocknerstraße gewesen und habe mit ca. 200 Arbeitern, die gerade ihre Mittagspause hielten, über die Revolte im Februar und Juli 1934 gesprochen. Dabei habe er u. a. gesagt, dass es glaublich am 5. oder 6. Oktober 1934 seitens der Kommunisten zu einer Weltrevolution kommen werde und zwar werde dieselbe in Österreich beginnen. Diesmal werde den Sieg die Kommunistische Partei davontragen. Als nun dieser Herr weggefahren war, sei nächst seinem gewesenen Standort eine Zeitschrift revolutionären Inhalts gefunden worden, die der Herr absichtlich liegen gelassen haben wird. Der Herr habe einen Voll- oder größeren Spitzbart gehabt und sei gesetzten Alters gewesen. Die Heimwehr-Männer sollen in der Weise Gräuelpropaganda betreiben, indem sie Bilder mit gefangenen Schutzbündlern in einem nassen Keller zeigen, von denen jeder 10. Mann erschossen wird. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 25. Oktober 1934 Zl.: 356/749 (302.389/34) An das Bundeskanzleramt, Staatspolizeiliches Büro, in Wien. In der Anlage wird Propagandamaterial der Kommunisten (…) vorgelegt, das im Bezirke Hallein … in den letzten Tagen verbreitet wurde. (…) Im Bezirke Hallein wurden gleichzeitig mit dem Streuen der kleinen Flugzettel vier kommunistische Feuer (Hammer und Sichel) abgebrannt und diese Zeichen auch mit Miniumfarbe verschiedenen Ortes aufgemalt. Gegenmaßnahmen wurden eingeleitet. K RIEG den faschistischen K RIEGSHETZER N  ! Fallt den japanischen und deutschen K RIEGSTREIBER N in die A R ME  ! Der Krieg wird nur verhindert durch die proletarische REVOLUTION  ! Kämpft mit den KOM MU NISTEN gegen Krieg und Faschisten  : Verteidigt das Vaterland des Weltproletariats, die SOW JETU NION  !

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KOMMU NISTEN  ! Gegen Hunger, Kälte und Faschisten  ! Gegen Galgen, Zuchthaus und Konzentrationslager  ! Gegen die Schlächter des deutschen und österreichischen Proletariats  ! VORWÄRTS vom Februarkampf zum siegreichen roten OKTOBER  !  !  !163 Gegen die faschistische Barbarei  ! Zum Sturz der Faschistenherrschaft  ! Für ein SOZIALISTISCHES SOW JET  – ÖSTERREICH  ! Die rote Einheit unter Führung der BOLSCHEWIKI verhalf den Werktätigen Russlands zum Sieg  !  ! OTTO BAUER und die SOZIALDEMOKRATISCHEN Führer führten die österreichischen Arbeiter den Faschisten in die Kanonen  ! ARBEITER  ! REFORMISMUS bedeutet VERRAT und NIEDERLAGE  ! BOLSCHEWISMUS bedeutet unversöhnlichen KLASSENKAMPF und daher SIEG des Proletariats. Darum kämpft mit den KOMMUNISTEN für die Proletarische Diktatur, für den siegreichen 163 In diesem Slogan kommt die im späten Frühjahr 1934 in der KPÖ dominante sog. »kurze Perspektive« zum Ausdruck. Diese hielt unter dem Motto »Vom Februarkampf zum Roten Oktober« die Position der Regierung für äußerst labil und drängte in einem völlig unangebrachten Optimismus auf einen unmittelbar bevorstehenden Entscheidungskampf. Am 26. Juli 1934 forderte der 27-jährige Parteiorganisator Johann Täubl vor dem Hintergrund des Putsches der Nationalsozialisten, die kommunistischen Waffenlager zu öffnen, die zum Großteil bereits mit der KPÖ sympathisierenden Schutzbündler zu bewaffnen und die Wiener Kasernen zu stürmen. Man müsse die Gelegenheit nutzen, um die schwankende Regierung in einem bewaffneten Aufstand zu stürzen. Die Komintern-Beauftragte Grete Wilde, die ursprünglich ebenfalls der »kurzen Perspektive« angehangen hatte, erkannte jedoch bereits im Sommer 1934 deren illusorischen Charakter. Die Partei, die nach dem Februar 1934 einen deutlichen Aufstieg verzeichnete, stagnierte vor allem in den Bundesländern aufgrund der sehr effektiven Maßnahmen der Polizei und der Heimwehr. Propagandaschriften wurden in großen Mengen konfisziert und führten zu einer schweren finanziellen Krise, da die Druckausgaben rund 75 Prozent des Parteibudgets betrugen. Abgefangenes und nicht ausgeliefertes Druckmaterial sowie Verhaftungen von Kadern führten zu deutlichen Rückschlägen. Auf dem 12. Parteitag der KPÖ in Prag am 14./15. September 1934 warnte Johann Koplenig mit deutlichem Bezug auf die »kurze Perspektive« vor »falschen Auffassungen«, die es noch um den 25. Juli 1934 unter dem Motto »Die Macht liegt auf der Straße« gegeben habe. Die Bedingungen für einen Aufstand seien noch nicht gegeben, doch bleibe das Ziel ein »Sowjetösterreich nach dem Vorbild der Sowjetunion«. (Barry McLoughlin  : Buch 2  : 1927–1938. Teil 1  : Die Partei. – In  : Ders.; Leidinger, Moritz  : Kommunismus in Österreich 1918–1938. S. 259–369. S. 328.)

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W ELT  – OKTOBER  ! Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 14. November 1934 Zl. 274/77 (314.162/34) Betr.: Kommunistisches Propagandamaterial An das Bundeskanzleramt G. D. – St. B. in Wien. Im Anschluss wird beschlagnahmtes kommunistisches Propagandamaterial zur Kenntnis und Vorlage gebracht. LEHRBRIEF Nr. 3 DIE ROLLE U ND DIE AUFGABEN DER KOMMU NIST. PARTEI (…) UNSERE STRATEGIE IN ÖSTERREICH. Das strategische Hauptziel in Österreich ist, wie in allen hochentwickelten Ländern, die Errichtung der Diktatur des Proletariats. Die strategische Hauptaufgabe zur Erreichung dieses Zieles ist, die Mehrheit des Proletariats zu gewinnen. Wir haben bereits oben gesehen, dass die Avantgarde des Proletariats allein nicht siegen kann, dass sie die ganze Klasse mit sich reißen muss. »Die Befreiung der Arbeiterklasse kann nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein« (Komm. Manifest), d. h. dass die Arbeiterklasse selbst am Kampf teilnehmen muss und nicht bloß eine kleine Minderheit. Das bedeutet nicht die Gewinnung einer statistischen Mehrheit mit dem Stimmzettel im Parlament oder mit Mitgliedsbüchern. Das ist unmöglich, solange der Kapitalismus herrscht. Aber die Mehrheit der Klasse muss mit der Partei sympathisieren, ihren Kampf unterstützen. Eine kleine entschlossene, gut organisierte Partei kann in der Revolution siegen, wenn sie die Mehrheit der Arbeiterklasse hinter sich mitreißt. Zur Zerschlagung des politischen, wirtschaftlichen und militärischen Apparates der Bourgeoisie ist der zum Aufstand vorwärts getriebene Generalstreik die wichtigste Waffe. Dieser kann nur durchgeführt werden, wenn die entscheidenden Schichten des Proletariats, die Arbeiter der Großbetriebe und der lebenswichtigen Betriebe, für den Kampf gewonnen sind oder sympathisieren. DIE VERBÜNDETEN DES PROLETARIATS. Zu einem Siege braucht das Proletariat aber auch die Unterstützung der werktätigen Schichten der Bevölkerung. Bei einer richtigen Arbeit können dort Bundesgenossen gewonnen werden.

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Die wichtigsten Verbündeten sind die kleinen Bauern, die durch den Kapitalismus zugrunde gerichtet werden. Sie können gewonnen werden durch Hilfe bei der Aufteilung des Großgrundbesitzes, Steuer- und Schuldstreichung usw. Die Mittelbauern können zum Großteil neutralisiert werden. Durch Steuererleichterung, Befreiung von Wucherzinsen, Kredithilfen usw. Die Großbauern sind ebenso wie die Bourgeoisie Feinde des Proletariats. Auch in der Stadt können die Kleingewerbetreibenden und kleinen Kaufleute gewonnen werden. Im Weltmaßstab sind die Verbündeten des Proletariats  : 1. die Proletarier der Länder, die von der Komintern beeinflusst werden, 2. das Proletariat der Sowjetunion und ihre Rote Armee, 3. die Kolonialsklaven, die sich gegen den Imperialismus erheben, 4. die unterdrückten Nationen, die gegen ihre Unterdrücker kämpfen. (…) DIE HAUPTRICHTUNG UNSERES ANGRIFFES. Unser Hauptfeind überhaupt ist die Bourgeoisie, unser Hauptziel die Gewinnung der Mehrheit der Arbeiterklasse. Unser Hauptangriff muss daher gegen jene geführt werden, die die soziale Hauptstütze der Bourgeoisie bilden und auf die Arbeiterklasse den größten Einfluss ausüben. Das ist heute noch immer die Sozialdemokratische Partei  : sie bleibt nach wie vor die soziale Hauptstütze der Bourgeoisie im Lager der Arbeiterklasse und muss daher bekämpft und von den Massen isoliert werden, wenn die Revolution siegen soll. Unser Hauptangriff gilt also ihr. Daneben haben auch die Nazi einen großen Teil der Arbeiter unter ihren Einfluss gebracht. Deshalb müssen wir auch mit aller Energie um die Zerschlagung ihres Masseneinflusses kämpfen. UNSERE TAKTIK Die Gewinnung der Mehrheit der Arbeiterklasse durch die Kommunistische Partei kann nicht durch bloße Agitation und Propaganda erfolgen. So einfach dachte sich die Sache die Sozialdemokratie. Die Kunst der Kampfführung unserer Partei muss es sein, durch richtige Losungen die Massen in den Kampf einzubeziehen und durch ihre eigenen Erfahrungen an die Notwendigkeit des Kampfes zum Sturz des kapitalistischen Systems heranzuführen. (…) Unsere entscheidende Taktik zur Einbeziehung der breiten Massen in die Tageskämpfe und zur Heranführung an den Endkampf ist die Einheitsfronttaktik. Die Kommunistische Partei führt die Kämpfe, sie fasst sie zusammen und hebt die allgemeinen Interessen und Aufgaben des Proletariats hervor, steigert die aus verschiedenen Anlässen organisierten Teilkämpfe auf immer höhere und breitere Stufen bis zum Endkampf. Aber die Kommunisten können diese Kämpfe nicht für die Arbeiterklasse, sondern nur mit der Arbeiterklasse und den Werktätigen durchführen. Die Einheitsfronttaktik kennt verschiedene Formen. Das Gemeinsame an ihnen ist aber immer, Formen der Kampfgemeinschaft zwischen Kommunisten und Nicht-Kommunisten zu finden. (…) die proletarische Revolution ist keine Revolution der Kom-

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munisten, auch nicht allein des Proletariats, sondern muss, um zum Sieg zu führen, eine Revolution des Proletariats und des gesamten werktätigen Volkes sein, also eine Volksrevolution – d. h. mit Einbeziehung der Mittelschichten der Kleinbauern, Angestellten, Handwerker usw. Die Kommunistische Partei aber wird, gemessen an diesen Volksmassen, immer eine Minderheit sein, freilich eine Minderheit der Besten, Entschlossensten und Opferfreudigsten des Proletariats. Da nur die Kommunistische Partei die einzige Partei ist, die die Arbeiterklasse zur Diktatur des Proletariats, zum Sieg, führt, muss sie darum wollen und will sie  : die ehrliche und wirkliche Einheitsfront mit den werktätigen Massen. Dass sich dabei die fortgeschrittensten Elemente zu Kommunisten entwickeln, ist selbstverständlich, aber keine Bedingung. (…) DIE HAUPTAUFGA BEN DER A RBEITERK LASSE. (…) 2. Die Arbeiterschaft braucht für die Führung des wirtschaftlichen Kampfes die illegalen Freien Gewerkschaften. Wir müssen sie unter allen Umständen wiederaufbauen. Die Arbeiterklasse hat durch den Nicht-Eintritt in die Einheitsgewerkschaft, die keine 10 Prozent der Arbeiterschaft erfassen konnte, trotz Terror und Zwang einen großen Sieg errungen. Aber es gilt einen Schritt weiterzugehen, es gilt die Freien Gewerkschaften wiederaufzubauen. (…) 3. Der Schutzbund ist in den Herzen der österreichischen Arbeiterklasse verankert. Er ist eine Organisation, die noch große Aufgaben zu erfüllen hat, es gilt, ihn wiederaufzubauen und fest zu organisieren, ihn zu verbinden mit der Masse des Proletariats, um ihn zu einer Einheitsorganisation zu machen. (…) 4. Das österreichische Proletariat muss die KPÖ zur bolschewistischen Massenpartei machen. Unsere Partei hat in den 15 Jahren die revolutionäre kommunistische Ideologie hochgehalten, auf der heute die Arbeiterklasse Österreichs weiterbauen kann. Die sozialdemokratische Arbeiterschaft hat die Praxis und Erfahrung in der organisierten Massenpartei. Sie strömt heute zur Kommunistischen Partei und diese Einheit der früheren Kommunistischen Partei und der früheren Massen der sozialdemokratischen Arbeiterschaft wird im Schmelztiegel des Kampfes die neue bolschewistische Massenpartei Österreichs schaffen. (…) An die österreichische Arbeiterschaft  ! Arbeiter  ! Jungarbeiter  ! Schutzbündler  ! Die vergangene Woche hat wiederum gezeigt, unter welchen Krisenschlägen sich Mitteleuropa und insbesondere Österreich windet. Wiederum stand Österreich mitten im Bürgerkrieg und die imperialistischen Mächte mobilisierten, um einen neuen blutigen Krieg auf dem Boden Österreichs zu führen. Die österreichischen Nazi wurden von dem anderen – ebenso blutigen – Flügel des Faschismus geschlagen. Hitler-Deutschland hat eine neue Niederlage erlitten,

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in Österreich ist an die Stelle der Dollfuß-Regierung die ebenso faschistisch-brutale Unterdrücker- und Henkerregierung Schuschnigg getreten. Sind jetzt die Kämpfe um und in Österreich beendet  ? Wird jetzt Ruhe und Ordnung eintreten  ? Die ganze Lage spricht für das Gegenteil  ! Vielleicht wird die Regierung einen Teil der bürgerlichen Nazi-Anhänger gewinnen. Aber der größte Teil, die verelendeten und unterdrückten Massen der werktätigen Nazi-Anhänger wird in noch schärfere Opposition übergehen. Es ist Aufgabe der revolutionären Arbeiterschaft, diese in unsere Klassenfront einzugliedern. Wir fragen die nationalsozialistischen Arbeiter, ob sie nicht bereits erkennen, dass sie als Sturmböcke für das Kapital verwendet werden und im entscheidenden Moment verraten und im Stiche gelassen werden  ? Die werktätige Bauernschaft, zu einem Teil ihre Hoffnungen auf Hitler setzte, muss endlich erkennen, dass ihre wahren Interessen nur gemeinsam mit der Arbeiterschaft gesichert werden können. (…) Gendarmeriepostenkommando Lend Lend, 21. Jänner 1935 Zu E Nr. 250 Betr.: Schwarz Edmund, Passvergehen, Vorlage von Fingerabdruckkarten. An das Landesgendarmeriekommando Salzburg. Ich melde, dass Obiger am 20. ds. vom Gefertigten in der Gemeinde Lend in Gesellschaft von kommunistischen Anhängern beobachtet wurde. Nachdem derselbe mir ortsfremd war und sich überdies in Gesellschaft von kommunistischen Parteianhängern befand, wurde er zwecks Legitimierung mit am Posten genommen bzw. aufgefordert dorthin zu folgen, welcher Aufforderung er ohne weiteres Folge leistete. Die Kontrolle ergab, dass Schwarz, welcher im Besitz von zwei Reisepässen war, aus der Tschechoslowakei wegen Verdachtes des Kurierdienstes zugunsten der Kommunistischen Partei ausgewiesen worden war. Er wurde von Aussig a. d. Elbe nach Gmünd überstellt, wo er dann über die Bundesgrenze, ohne ein Einreisevisum eingeholt zu haben, seine Wanderung fortsetzte. In Österreich fristete er seinen Lebensunterhalt durch Geschenke, die er sich bei der Ortsgruppe der Kommunistischen Partei erbat. Seine Wegroute nahm er über Stockerau, Wien, St. Pölten, Amstetten, Waidhofen a. d. Ybbs, Trieben, Klagenfurt, Villach, Böckstein, Badgastein, Lend. Von hier wollte er in die Schweiz, weil er in seine Heimat, nach Deutschland, nicht zurück darf, da ihm dort eine schwere Kerkerstrafe wegen angeblichen Hochverrates erwartet. Er gab schließlich zu, dass er Führer einer Ortsgruppe der Kommunistischen Partei war und es auch bleiben werde, weil er eine andere Lösung in der heutigen Lage nicht kenne. In seinem Besitze wurden auch verschiedene Namen von

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kommunistischen Parteianhängern vorgefunden und wird diesbezüglich mit den in Betracht kommenden Stellen das Nötige veranlasst werden. Schwarz selbst wurde wegen Passvergehen festgenommen und der Bezirkshauptmannschaft Zell am See zwecks Strafamtshandlung zur Anzeige gebracht (…) Schwarz ist am 9.8.1907 in Unterharmersbach, Amtsbezirk Offenburg im Badischen, geboren und ohne Zuständigkeit. Er ist Hilfsarbeiter von Beruf. Schließlich wird gemeldet, dass in Lend unter den Anhängern der Kommunistischen Partei erst zu einer späteren Zeit eine Razzia durchgeführt werden wird, bis vom Bezirksgendarmeriekommando hierzu der Befehl einlangt, da zu diesem Zwecke eine Verstärkung des Postens erforderlich ist. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 7. März 1935 Zl. 1961/2 Betr.: kommunistische Druckschrift, Verbreitung derselben durch unbekannte Täter. An das Bundeskanzleramt G. D. – St. B. in Wien. Beiliegende Druckschrift kommunistischen Inhaltes, welche mit keinem Impressum versehen ist,164 wurde am 24. Februar 1935 vor dem Hause Hoher Weg Nr. 109, Stadtgemeinde Hallein, vorgefunden. (…) Der Junge Bolschewist. Kreisleitung des K. J. V. Salzburg. Zu Beginn des neuen Jahres, als sich unsere Regierung daran erinnerte, wieviel kostbare Arbeit sie in diesem Jahre geleistet hatte, ja wir spüren es alle – es ist viel besser geworden seit die Henkerchristen den österreichischen Aufbau führen. Erinnern wir uns kurz, was wir alles von dem letzten Jahre der Bundesregierung bekommen haben. Das Jahr begann mit der Entwaffnungskampagne der Arbeiter. Dann folgte der Februar – wir wollen nicht an eine Niederlage denken, wenn es kein Sieg war, so war es eine Lehre, die ebenso viel wie ein Sieg ist. Dann kam der Raub des Arbeitereigentums, der Mordterror des heiligen Engelbert, der unsere besten Kämpfer ermordete. Das ganze Jahr durchzieht ein Strom von Blut.

164 Die Druckschriften wurden von dem neu gebildeten Kommunistischen Jugendverband Hallein hergestellt.

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Im Juli, da die Naziproleten unter verräterischer Führung, wie es auch den Februarhelden ergangen ist, die gegen die Bundesregierung kämpften, auch in einem See von Blut erlagen. Was haben die Aufbauer nicht alles geleistet. Spürt es nicht jeder, dass seine Schnitte Brot schmäler geworden ist. Haben sie nicht die Massensteuer, den Wohnzins erhöht, die Waren wurden teurer, der Lohn hingegen wurde bedeutend gekürzt, die Armenfürsorge reduziert. Es ist Regierungsbefehl zu glauben, dass es besser geworden ist. Das machte die faschistische Regierung für die Arbeiter im letzten Jahr. Was taten die Arbeiter  ? Sind wir feige gewesen, haben wir gebeten, gebettelt  ? Oh nein  ! Wir Arbeiter und Bauern, wir, die Jugend, alle die Enteigneten, unterdrückten klassenbewussten Arbeiter haben Widerstand geleistet, sind an manchen Fronten seit den blutigen Februartagen wieder zum Angriff übergegangen und haben uns in der KP und im KJV organisiert, so organisiert, dass die Polizei machtlos gegen uns ist. Genossen, wir haben gut gearbeitet, aber noch dürfen wir nicht zufrieden sein. Nein, Genossen noch nicht  ! Können wir überhaupt einmal zufrieden sein, solange Mörder und Räuber das Volk beherrschen  ? Nein Genossen  ! Wir sind nicht zufrieden, solange nicht, bis das österreichische Proletariat seine Freiheit, sein Recht, erobert hat. (…) In allen Kämpfen muss der Kommunistische Jugendverband, jugendliche Arbeiter, euer Führer sein. (…) »F ü r d i e We l t r e v o l u t i o n « Aufruf zum 12. Februar. Ein Jahr ist seit den Februarkämpfen vergangen. Ein Jahr, seit dem die ganze Welt auf den Kanonendonner horchte, der aus dem roten Wien zu den Arbeitern aller Länder drang. Und wie die Tage der Pariser Kommune von 1871 unvergessen bleiben in der Erinnerung der Arbeiterklasse, so ist der Kampf der österreichischen Arbeiterklasse, vor allem das Ringen des Schutzbundes im Februar 1934, eingegangen in die Geschichte des internationalen Proletariats. Der Kampf endete mit einer Niederlage, aus der die rote Fahne, röter noch als das vergossene Blut, in Ehren hervorging. Vieles haben die österreichischen Arbeiter an diesem Tage verloren  : Freiheit und Staatsbürgerschaftsrechte, Macht und Organisation. Großes haben wir an diesen Tagen geleistet  : Unsere proletarische Ehre, unseren stolzen Trotz, unseren Glauben an den Sozialismus.

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Was haben wir geschworen, als die Henker unsere sozialistischen Märtyrer Münichreiter, Svoboda, Weissel, unseren Wallisch, Szanek,165 Rauschberger,166 Heis,167 Bulgari zum Galgen schleppten  ?168 Wir wollen unsere gemordeten Genossen rächen  ! Was haben wir geschworen, als sie unsere Arbeiterheime raubten, als über zerschossenen Gemeindehäusern der verhasste Kruckenkreuzfesten aufstieg  ? Wir holen sie uns zurück  ! Wir pflanzen wieder die rote Fahne auf  ! Ein Jahr ist seitdem vergangen. Vor einem Jahr haben sie den Karl Marx-Hof bombardiert  ! Jetzt richten sie dort eine Kapelle ein. Vor einem Jahr haben sie Wien erobert, Seitz169 in den Kerker und Weissel zum Galgen geschleppt. Und jetzt halten sie im roten Rathaus zur Jahresfeier ihres blutigen Sieges ihren Ball der Stadt Wien ab und tanzen in Erinnerung an Kanonen und Galgen. Vor einem Jahr haben sie mit ihren Galgen das Christentum gerettet. Heute wissen wir, was das heißt  : Wehrlosigkeit und beispielloses Elend der Arbeiter (…) Seit einem Jahr liegen unsere Toten in den Massengräbern. Schmachten unsere Gefangenen in den Kerkern. Seit einem Jahr fühlen wir den Übermut der Sieger. 165 Muss heißen Josef Stanek. 166 Muss heißen Viktor Rauchenberger. 167 Muss heißen Johann Hois. 168 Karl Münichreiter, Georg Weissel und Emil Svoboda wurden in Wien, Johann Hois und Viktor Rauchenberger in St. Pölten, Koloman Wallisch in Leoben, Josef Stanek in Graz und Anton Bulgari in Linz hingerichtet. Vgl. dazu Everhard Holtmann  : Politische Tendenzjustiz während des Februaraufstands 1934.  – In  : Das Jahr 1934  : 12. Februar. Protokoll des Symposiums in Wien am 5. Februar 1974. – Wien 1975. S.45–57 (Wissenschaftliche Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1927 bis 1938. Veröffentlichungen Band 2. Herausgegeben von Ludwig Jedlicka und Rudolf Neck)  ; Rudolf Neck  : Koloman Wallisch. – In  : Stadler (Hg.)  : Sozialistenprozesse. S. 303–315  ; Gabriella Hauch  : »… Je härter die Urteile, desto gerechter …« Todesurteile in den Standgerichtsprozessen in Oberösterreich. – In  : Stadler (Hg.)  : Sozialistenprozesse. S. 317–328  ; Siegfried Nasko  : Die Februar-Erhebung im Spiegel der Entscheidungen beim Kreisgericht St. Pölten. – In  : Stadler (Hg.)  : Sozialistenprozesse. S. 329– 352  ; Günter Köck  : Die gerichtliche Verfolgung von Josef Stanek und anderer Februarkämpfer in der Steiermark. – In  : Stadler (Hg.)  : Sozialistenprozesse. S. 353–366. Die falsche Schreibweise vieler hingerichteter Sozialdemokraten weist darauf hin, dass der Aufruf wahrscheinlich von jungen Kommunisten oder Revolutionären Sozialisten verfasst wurde, die die Ereignisse, wenngleich sie erst ein Jahr zurücklagen, nur vom Hörensagen kannten, da es in Salzburg zu keinen Kampfhandlungen gekommen war. Es ist bemerkenswert, dass die auf eine Einheitsfront vor allem mit den Revolutionären Sozialisten und dem ehemaligen Schutzbund abzielenden Kommunisten die durch Standgerichte zum Tode verurteilten Sozialdemokraten als gemeinsame politische Märtyrer ebenso vereinnahmten wie die Februarkämpfe, bei denen sie de facto keine Rolle gespielt hatten. 169 Karl Seitz, sozialdemokratischer Wiener Bürgermeister.

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Genossen, wir vergessen nichts  ! Die Tage des Februar 1934 sind uns auch eine eindringliche Lehre. Nicht nur Tote haben wir damals begraben, sondern auch Illusionen und Irrtümer. Eine ganze Epoche in der Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung ist damit zu Ende gegangen. Die große Masse der österreichischen Arbeiterschaft glaubte, friedlich auf dem Wege der Demokratie den Sozialismus verwirklichen zu können. Die Faschisten haben die Demokratie zusammengeschossen. Sie haben der österreichischen Arbeiterschaft gelehrt, wie man die Demokratie als Kampfboden zur Aufrichtung der brutalen Diktatur ausnützt. Dass es keine andere Wahl gibt  : Entweder Diktatur des Faschismus oder die Diktatur des Proletariats  ! Die Faschistenherrschaft hat der österreichischen Arbeiterschaft gezeigt, wie eine siegreiche Klasse eine unterlegene behandelt. Wahrlich, wir werden ihnen Gleiches mit Gleichem vergelten  ! Zwischen dem Faschismus und der Arbeiterklasse kann es keine Versöhnung geben, sondern nur unerbittlichen Kampf. Die Arbeiterschaft bekämpft jedes Versöhnertum und lehnt alle Illusionen des Reformismus ab. (…) Die Russische Revolution hat uns gelehrt, dass auf einen roten Februar ein roter Oktober folgen kann. Auch bei uns wird siegreich die rote Fahne über dem befreiten roten Wien, über einem roten Österreich wehen. Darum rufen wir allen Genossen, darum rufen wir auch den Gegnern zu  : W i r k o m m e n w i e d e r    ! Kommunistische Partei Österreichs Revolutionäre Sozialisten Der Schutzbund Sozialistische Arbeiterhilfe Österreichs Kommunistischer Jugendverband Österreichs Revolutionäre Sozialistische Jugend Die Arbeitersportorganisationen Rote Hilfe Österreichs Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 7. Jänner 1935 Zl. 56/2 Betr.: Kommunistische Propaganda. An das Bundeskanzleramt G. D. – St. B. in Wien. In der Anlage werden Meldungen der Gendarmerieposten Hallein und Dienten am Hochkönig (Bezirk Zell am See) vorgelegt, aus welchen hervorgeht, dass die kom-

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munistische Propaganda in der letzten Zeit sehr lebhaft ist und sich auch an die notleidenden Gebirgsbauern und Landarbeiter wendet. Exemplare des beschlagnahmten Propagandamateriales liegen bei. (…) Die Sensen – Fahne Vereinigt mit dem Freien Arbeitsbauern Propagandanummer gratis Nr. 5, November 1934 (…) Brüderlichen Gruß dem arbeitenden Bauernvolk Österreichs An alle werktätigen Bauern, Landarbeiter, Keuschler, Pächter, Bauernsöhne und Bauernfrauen  ! Die Vertrauensmänner der Arbeiterschaft Österreichs, die trotz Verbot und Verfolgungen zu einem Parteitag der Kommunistischen Partei Österreichs170 zusammengekommen sind, um den Weg für die Befreiung der geknechteten, unterdrückten und ausgebeuteten Menschen in Stadt und Dorf festzulegen, entbieten zum Zeichen der Zusammengehörigkeit dem arbeitenden Bauernvolk brüderliche Grüße. Die Not im Dorfe ist groß  ! Die S c h u l d e n der kleinen Bauernwirtschaften und der Z i n s e n d i e n s t an die Raiffeisenkassen und Hypothekaranstalten sind unerträglich. Die hohen S t e u e r n und die A b g a b e n ruinieren zehntausende der kleinen Bauernwirtschaften. Der Exekutor, in der Begleitung von Gendarmerie, pfändet euch das letzte Stück Vieh und Inventar. Die Bauernpolitik der Regierung ist in Wirklichkeit eine Politik für die reichen Großkopferten, für die Fürsten Starhemberg und Esterhazy, für die Herren Strakosch und Guttmann und für die reichen Klöster.

170 Der 12. Parteitag der KPÖ fand in den letzten Septembertagen des Jahres 1934 in Prag statt und wurde aus konspirativen Gründen als »Salzburger Parteitag« bezeichnet. Für das Wachstum der KPÖ nach dem 12. Februar 1934 durch Zugewinne vom linken Flügel der SDAP spricht der Umstand, dass rund zwei Drittel der Delegierten erst nach dem Bürgerkrieg Mitglied der KPÖ wurden. Der Parteitag beschwor aufgrund einer taktischen Kehrtwende der Komintern die Einheitsfront und beendete den Kampf gegen die Sozialdemokratie. Vgl. Winfried R. Garscha  : das Ringen um die Einheit der Arbeiterbewegung. – In  : KPÖ. Die Kommunistische Partei Österreichs. Beiträge zu ihrer Geschichte und Politik. Hg. v. d. Historischen Kommission beim Zentralkomitee der KPÖ. – Wien 1987. S. 222–230. S. 225f.

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Der schwer arbeitende Bauer wird durch Z w a n g s r e g u l i e r u n g e n für Milch und Fleisch, durch Vi e h z u c h t b e s c h r ä n k u n g e n und drückende Marktbestimmungen, durch hunderte Zwangsmaßnahmen gegen die Armen und Kleinen auf das härteste getroffen, damit die Reichen und Großen den Markt beherrschen und den Profit einstecken können. Die künstlich hochgehaltenen F u t t e r m i t t e l p r e i s e sind eine Profitquelle für die Großbauern und Großgrundbesitzer und eine schwere Belastung für die armen Alpenbauern, die nicht genug Futter für ihr Vieh haben. Die landwirtschaftlichen G e n o s s e n s c h a f t e n betreiben eine schamlose Freunderlwirtschaft für die Großbauern und sind eine große Futtergrippe für Bürokraten und andere Wichtigmacher  ; die Kleinbauern haben dabei nichts mitzureden und gehen zugrunde. Die Not der L a n d a r b e i t e r ist himmelschreiend. Während die Großgrundbesitzer in der Stadt ein Schlemmerleben führen, das Geld verspielen und verludern, müssen die Landarbeiter um einen Hungerlohn arbeiten, in elenden Baracken hausen und, wenn sie krank werden, lässt man sie ohne Unterstützung verrecken. Die prahlerischen Entschuldungsaktionen kommen nicht denen zugute, die sie am notwendigsten brauchen, sondern ausschließlich den reichen Gutsbesitzern, den Klöstern und den vaterländischen Großbauern. Der Fürst Starhemberg, Besitzer von 13 Schlössern, hat von der Regierung nicht weniger als anderthalb Millionen Schilling Schulden, die er hatte, geschenkt bekommen. Die Regierung Schuschnigg nennt sich eine Regierung der Arbeiter, Bauern und Bürger, damit sie noch besser die Politik für die Gutsbesitzer, Fabriksherren, christlichen und jüdischen Finanzleute durchführen kann. Sie plündert das Volk aus und stopft das Geld in die Taschen der Reichen. Wir Arbeiter der Stadt und der Fabriken verstehen die Notlage der Bauern am besten, weil wir selbst die größte Not leiden. Die Bauern müssen Fleisch und Milch um ein Spottgeld an die Zentralstellen und Zwischenhändler verschleudern, aber in der Stadt sind Milch und Fleisch so teuer, dass sie der Arbeiter mit seinen niederen Löhnen nicht kaufen kann. So bereichern sich die kapitalistischen Wucherer auf Kosten der Arbeiter und Bauern. Deshalb erklärt der Parteitag der Kommunistischen Partei und ruft es in alle Arbeiterquartiere und bis in die letzte Hütte des Dorfes, dass der arbeitende Bauer und der Arbeiter der Stadt zusammengehören  ! Nicht ein Ritter von Schuschnigg, nicht ein Fürst Starhemberg und nicht ein faschistischer Ständestaat, in dem die reichen Nichtstuer die obersten Stände sind, werden dem Arbeiter und dem Bauern Erleichterung oder gar Befreiung bringen. (…)

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Die Regierung hat bis jetzt für die a r m e n Bauern nichts getan. Dafür will sie den Habsburgern ihre Schlösser, Gutshöfe, die Wiesen und Wälder, die großen Kunstschätze, Sammlungen und Juwelen, ein Vermögen im Werte von hunderten Millionen Schilling, zurückgeben und diese Leute wieder bei uns ansiedeln. Viele von euch haben geglaubt, dass H i t l e r die Erlösung bringt. Anderthalb Jahre Hitlerherrschaft in Deutschland haben den Bauern nichts gebracht, der Z i n s w u c h e r ist ärger als zuvor. (…) Sie haben keinem einzigen Gutsbesitzer ein Haar gekrümmt, sie haben keiner einzigen Bauernwirtschaft Schuldenbefreiung gebracht, sie haben keinem einzigen landarmen Bauern Grund und Boden gegeben (…) Was habt Ihr am 25. Juli erlebt  ? Viele von euch haben für Hitler und seine s t u d i e r t e n M a u l r e i ß e r in den Städten die Waffen in die Hand genommen, viele von euch haben gekämpft und sind eingesperrt worden, die Naziführer, Advokaten und andere Doktoren haben sich rechtzeitig geflüchtet. Die Regierung hat Kleinbauern, die gekämpft haben, Hof und Grund weggenommen, aber mit dem Generaldirektor Dr. Appold171 von der Alpine Montan hat sie sich in Verhandlungen eingelassen und ihm kein Haar angerührt. Alle – Die Christlichsozialen, Landbündler und die Nazi haben euch weiß Gott was versprochen und euch am Ende verkauft und verraten. Wir Kommunisten, die Vertrauensleute der Arbeiter, sagen euch  : Verlasst euch auf keine andere Kraft als auf eure eigene, die zusammen mit der Kraft der Arbeiter alle Werte erzeugt. Wenn sich die Bauern und Arbeiter verbünden, können wir die Blutsauger zum Teufel jagen. Arbeiter und Bauern – Hammer und Sichel – gehören zusammen  ! (…)

171 Muss heißen Apold. DI Dr. Arnold Apold (1877–1950), war 1922 bis 1935 Generaldirektor der ÖAMG. Im Kampf gegen den sozialdemokratischen Einfluss auf die Arbeiterschaft unterstützte er die Heimwehr und die Gründung der Unabhängigen Gewerkschaft. Aufgrund seiner deutschnationalen Gesinnung sympathisierte er, wie ein Großteil der Führung der Alpine-Montan, seit den frühen Dreißigerjahren mit dem Nationalsozialismus. 1934 wurde er Mitglied der NSDAP und war von den nationalsozialistischen Putschisten als Minister im Kabinett von Anton Rintelen vorgesehen. Nach dem missglückten NS-Putsch wurde er zunächst beurlaubt und schließlich 1935 entlassen. Nach dem Anschluss wurde er Aufsichtsratsvorsitzender der Länderbank und von den Briten 1945 bis 1948 inhaftiert. Zu Apold vgl. Ernst Hanisch  : Industrie und Politik 1927–1934. – In  : Michael Pammer, Herta Neiss, Michael John (Hg.)  : Erfahrung der Moderne. Festschrift für Roman Sandgruber zum 60. Geburtstag. – Stuttgart 2010. S. 241–253.

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 4. April 1935 Zl. 3184 An das Bundeskanzleramt St  : B. in Wien. Zur Kenntnisnahme vorgelegt mit der Meldung, dass die Sicherheitsdirektoren von Steiermark und Kärnten durch Gleichschriften direkt verständigt wurden. Am 14. März 1935 wurde vom Gendarmerieposten Tamsweg der am 10. September 1896 in Zankwarn, Bezirk Tamsweg, Salzburg, geborene, nach Falkendorf, Bezirk Murau, Steiermark, zuständige, umherziehende Hilfsarbeiter Josef Bogensberger wegen Bedenklichkeit angehalten und bei der Durchsuchung seines Rucksackes verschiedene Schriften gefunden, die auf eine verbotene kommunistische Betätigung hinwiesen. Bogensberger wurde daher wegen Verdachtes des Hochverrates dem Bezirksgerichte in Tamsweg eingeliefert.172 Im Zuge der weiteren Erhebungen hat sich ergeben, dass Bogensberger kommunistische Flugschriften und Broschüren, letztere mit getarnter Überschrift, dem in Hintergöriach Nr. 56, Gemeinde Göriach, Bezirk Tamsweg, wohnhaften Schneidermeister Paul Moser übergeben hat.173 Weiters wurden bei ­Moser auch Briefe, die ihm Bogensberger geschrieben hat und welche Schmähungen gegen die Regierung, Religion und Staatsform sowie Gutheißen von ­Verbrechen wie die Ermordung des Bundeskanzlers Dr. Dollfuß enthielten, beschlagnahmt. Die Flugschriften (…) hat Bogensberger angeblich von dem in Bischofshofen, Zinngießergasse 3, wohnhaften Mechaniker Johann Pichler im Juni 1934 erhalten. Aus diesem Grunde wurde die Verhaftung des Pichler sowie Durchführung weiterer Erhebungen durch den Posten Bischofshofen veranlasst. Gegen den Schneidermeister Paul Moser wurde vom Gendarmerieposten Mariapfarr eingeschritten und die Amtshandlung eingeleitet. Wie aus der Korrespondenz des Bogensberger hervorgeht, hat er auch beim Wirtschaftsbesitzer Martin Pichler in Kleinarl mehrmals Aufenthalt genommen, weshalb auch der Posten Wagrain die weiteren Erhebungen durchführt.

172 Zur Anzeige des Gendarmeriepostenkommandos Tamsweg an das Bezirksgericht Tamsweg vgl. Widerstand und Verfolgung in Salzburg 1934–1945. Hg. v. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. 2 Bde. – Wien/Salzburg 1991. Bd. 1. S. 154f. 173 Josef Bogensberger wurde vom Bezirksgericht Tamsweg zu 8 Monaten schweren Kerker, Paul Moser zu einer Arreststrafe von 2 Monaten verurteilt. Zur Urteilsbegründung vgl. Widerstand und Verfolgung in Salzburg 1934–1945. Bd. 1. S. 155f.

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Aus den bisherigen Erhebungen geht hervor, dass Bogensberger als Propagandär der Kommunistischen Partei tätig ist und die Verbreitung derartiger Hetzschriften von einer kommunistischen Zentralstelle, die ihren Sitz in Bischofshofen oder in Salzburg haben dürfte, ausgeht. Bogensberger wurde wegen verbotener Parteibetätigung der Bezirkshauptmannschaft Tamsweg zur Anzeige gebracht. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 15. Mai 1935 Zl. 3711/3 Betr.: Sozialistische und kommunistische Vorfälle anlässlich der Maifeier. An das Bundeskanzleramt St. B. in Wien. Am 30.4. und 1.5.1935 wurden im Lande Salzburg von Seiten der Sozialdemokraten und Kommunisten mehrfach Zettelstreuaktionen durchgeführt sowie Sowjetfahnen gehisst und Höhenfeuer abgebrannt. Zu anderen Demonstrationen oder Zusammenrottungen ist es nirgends gekommen. Flugzettel wurden gestreut in  : Itzling, Gnigl, Maxglan, Salzburg, Grödig, Lamprechtshausen, St. Johann im Pongau, Leogang, Mühlbach am Hochkönig, Bürmoos, Lend und Böckstein. Sowjetfahnen wurden gehisst in  : Itzling, Grödig, Hallein, Lend und Mitterberghütten. Sowjetfeuer wurden abgebrannt in  : Bischofshofen, Zell am See, Adnet, Leogang, Pfarrwerfen, Hallein, Puch und in Zederhaus im Lungau. Die Täter konnten bloß in einigen Fällen ermittelt werden (…) Die Flugzettel werden in je einem Exemplar in Vorlage gebracht. Wenn gelesen weitergeben A r b e i t e r, A r b e i t s l o s e , A r b e i t s b a u e r n , Kleingewerbetreibende. Als die revolutionäre Arbeiterschaft in den großen Städten aller Länder, auch in Wien, zum ersten Male am 1. Mai auf die Straße ging, um für die Forderungen des Proletariats zu demonstrieren, da hielt die bürgerliche Welt den Atem an und es drohte den Volksbetrügern vor Angst das Blut in den Adern zu stocken. Als sie den Schritt der Arbeiterkolonnen hörten, jawohl nur hörten, denn anzusehen trauten sie

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sich die Arbeiter nicht, da verkrochen sie sich schweißgebadet und knielodernd in die hintersten Winkel ihrer Behausungen, an denen sie die Türen fest versperrten und an den Fenstern die Balken schlossen. Die gesamte Garnison Wiens hatte strenge Bereitschaft, um gegebenenfalls auf die demonstrierenden Arbeiter losgelassen zu werden. Der Führer der Arbeiter Wiens, Dr. Viktor Adler, saß im Kerker  ! Die Arbeiter forderten damals den Achtstundentag, allgemeines direkten Wahlrecht an Stelle des Kurienwahlrechtes, bei dem die Arbeiterschaft vorerst ganz ausgeschlossen war und später nicht zu viel zu gelten hatte. Noch öfter ging die Arbeiterschaft zu großen Wahldemonstrationen auf die Straße. Trotzig, kühn und entschlossen, siegesbewusst, die Gefahr nicht scheuend. Der Erfolg blieb nicht aus. Wahlrecht der Arbeiterschaft, Achtstundentag und vieles andere wurden Wirklichkeit, trotz dem Geschrei nationaler Doktoren und Rechtsanwälte, die im Verein und sonstigen Christen damals über die Utopie dieser Forderungen bludelten und höhnten und in hassgeschürten Artikeln und Kalendergeschichten die Unmöglichkeit des Achtstundentages darlegten, während sie heute dreist und frech genug sind zu behaupten, sie hätten der Arbeiterschaft Stimmrecht, Achtstundentag und Sozialversicherung gegeben. Darum wollen wir heute eindringlich der Arbeiterschaft zurufen  : Lasst euch von den gelehrten bürgerlichen Sozialreformen, von den christlichen Arbeiterfreunden, die heute mit einem Maul voll Versprechungen zu euch kommen, nicht übertölpeln. Gebt ihnen einen saftigen Fußtritt, anstatt ihnen in den Arsch hinein zu kriechen. Arbeiter Kopf hoch  ! Was ihr heute an Rechten habt oder hattet, das habt ihr euch erobert, solange ihr für eure Rechte zu kämpfen verstandet. Darum kämpft auch jetzt gegen die Verschlechterung der Sozialversicherung und aller sonstigen sozialen Rechte durch die Faschistenregierung. Nun will man euch aber noch von der erfolgreichen Tradition des Kampfes abbringen, will man den Verrat von 1918 in noch schäbigerer Form wiederholen, indem man die Arbeiterschaft veranlassen will, dem Klassenkampf abzuschwören, auf gut deutsch, auf den Kampf für die Interessen der Arbeiterschaft verzichten und sich selber auf gut Glück den kapitalistischen Wölfen auszuliefern. Es sind Bestrebungen im Gange, mit Hilfe wenigstens eines Teiles der sozialdemokratischen Verräter 1918 eine neue Arbeiterbewegung unter Patronanz der Vaterländischen Front mit dem reaktionären Monarchisten Dr. Winter an der Spitze aufzurichten und dadurch die Arbeiterschaft den habsburgischen Restaurationsversuchen dienstbar zu machen. Wir sind uns aber sicher, dass die Arbeiterschaft einer solchen Führung nicht folgen wird und rufen daher die Arbeiterschaft auf, mit doppeltem Eifer an der Einigung aller Werktätigen, am Ausbau der roten Einheitsfront aller Arbeitenden mitzuhelfen. Wie Dr. Winter die Arbeiterschaft dem österreichischen Nationalismus dienstbar machen will, so geben es gewisse Leute nicht auf, unter der Arbeiterschaft für den kriegslüsternen Hitler-Nationalismus Reklame zu machen. Ob österreichischer oder Hitler-Nationalismus, beide führen über kurz oder lang zum Krieg. Wie der künf-

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tige Krieg aussehen wird, ist schon oft dargelegt worden. Damit wollen wir uns nicht beschäftigen, wir wollen euch nur eindringlichst an den letzten Krieg erinnern. Wir wollen euch nur ermahnen daran zu denken, was die arbeitende Bevölkerung in diesem vierjährigen Morden auszuhalten hatte und wollen davor warnen zu glauben, der kommende Krieg würde für die Arbeiterschaft irgendwelche Vorteile bringen. Wir warnen die Arbeiterschaft, den nationalsozialistischen Agenten ins Garn zu gehen, denn die arbeitende Bevölkerung ist noch aus jedem imperialistischen Kriege als Besiegter hervorgegangen. Sieger waren stets die Oberen, nur einen Krieg gibt es, in dem die Arbeiterschaft als Sieger hervorgehen kann. Der Krieg gegen die Unterdrücker und Blutsauger der Arbeiter. Daher kämpft jeder Angehörige des Arbeitervolkes im Verein mit der Sowjetunion gegen den imperialistischen Krieg und für die möglichst baldige Revolution. (…) HERAUS ZUM 1. MAI  ! AN DIE ARBEITER, AN ALLE W ERKTÄTIGEN ÖSTERREICHS  ! Genossen, Genossinnen  ! (…) der einheitlichen Kampffront der Arbeiter droht Gefahr  ! Alte reformistische Führer und Gewerkschafter, die durch ihre Politik des Kompromisses und Zurückweichens die österreichische Arbeiterschaft in die Niederlage geführt haben, suchen jetzt die erstarkende Kampfgemeinschaft des Proletariats durch Ve r s ö h n u n g s v e r h a n d l u n g e n m i t d e m F a s c h i s m u s zu sprengen. Für ein Linsengericht, für einen Zipfel Legalität – die vor allem den bankrotten Führern wieder ihre alten einträglichen Stellungen bringen soll – wollen sie die Selbständigkeit der Arbeiterbewegung an den Faschismus verschachern  ! Sie wollen die neue Bewegung, die illegal und unter schwersten Opfern von den Arbeitern aufgebaut wurde, zerstören. Sie wollen die Freien Gewerkschaften in das faschistische System einschalten. Sie wollen den Schutzbund liquidieren. Was den faschistischen Machthabern und ihren jesuitischen Agenten nicht gelungen ist, die Arbeiter in das faschistische System einzufügen, sie gleichzuschalten, das sollen jetzt die alten erfahrenen Gaukler besorgen. Arbeiter  ! Denkt an die bitteren Erfahrungen des 12. Februar. Lasst Euch nicht noch einmal von den Bankrotteuren an die Faschisten verkaufen. Kämpft für die Selbständigkeit der Arbeiterbewegung, lehnt jede »Versöhnung«, jede Unterwerfung, ab. Schreibt am 1. Mai auf Eure Fahnen die Losungen  : Unerbittlicher Kampf dem Faschismus bis zu seinem Sturz  ! Fort mit den Versöhnlern und Verrätern aus den Reihen der Arbeiterklasse  ! Es lebe die Aktionseinheit, die rote Einheitsfront des gesamten Proletariats gegen den Faschismus  ! Der 1. Mai 1935 steht im Zeichen der K r i e g s g e f a h r. (…)

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Die S o w j e t u n i o n , das Land sozialistischen Aufbaues, ist heute d a s e i n z i g e B o l l w e r k d e s F r i e d e n s . Die Existenz des roten Arbeiterstaates und die Angst der Kapitalisten vor neuen Revolutionen, das allein noch hält die imperialistischen Räuber vor einem neuen Völkermorden zurück. Deshalb suchen sie das Bollwerk des Weltproletariats und der Weltrevolution zu vernichten, (…) Innitzer und seine Pfaffen hetzen zum Krieg gegen die Sowjetunion, die österreichischen Fabriken liefern Kriegsmaterial und Munition an alle Feinde des Arbeiterstaates, die faschistische Regierung ist bereit, sich jedem Kriegsblock gegen die Sowjetunion anzuschließen. Darum kämpfen wir am 1. Mai gegen den Faschismus  ! (…) Es lebe die Diktatur des Proletariats  ! Es lebe Sowjetösterreich  ! Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 10.12.1935 Zahl  : 17.824/2/34 Betreff  : Josef Brandthaler, Leiter einer kommunistischen Zelle, Verhaftung. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St. B., in Wien I., Herrengasse 7. Die Bundespolizeidirektion brachte im Wege des Nachrichtendienstes in Erfahrung, dass der Hilfsarbeiter Johann Brandthaler, am 4.6.1895 in Handenberg, Bezirk Braunau, geb. und zust., kath., gesch., Früstenbrunnerstraße Nr. 6 wohnhaft, welcher schon seit langer Zeit im dringen Verdachte stand, sich für die Kommunistische Partei illegal zu betätigen, sich in bedenklicher Weise im Klosett seines Wohnhauses, welches im Keller gelegen ist, zu schaffen mache. Die Bundespolizeidirektion hat daraufhin das Klosett abgerissen und die Montage der Klosetts einer genauen Durchsuchung unterzogen. Unter dem Wasserrohr versteckt wurde eine Papierrolle und ein kleines Paket vorgefunden. In der Papierrolle befanden sich 13 Stück kleine Zeitungen  : »Die Rote Fahne«, Zentralorgan der Kommunistischen Partei Österreichs (Sektion der Kommunistischen Internationale), offensichtlich die letzte Ausgabe, da sich diese mit der Regierungsumbildung befasst.174 174 Die von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg am 17. Oktober 1935 vorgenommene Regierungsumbildung brachte das Ausscheiden des Wiener Heimwehrführers Major Emil Fey aus der Regierung. Die Entmachtung Feys erfolgte vor allem aus zwei Gründen  : Schuschnigg stellte sich – wenn auch nur vorläufig – in dem die Regierungsarbeit belastenden Dauerkonflikt zwischen Ernst Rüdiger Starhemberg und Emil Fey auf die Seite Starhembergs und setzte damit einen ersten wichtigen Schritt in

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In dem Paket befanden sich 21 Stück weiße, rote und grüne Abonnementkarten mit der Aufschrift »Rasieren, Haarschneiden, Fassonieren«. Diese Karten, welche mit Nummern versehen sind, sind zweifellos getarnte Mitgliedskarten bzw. Zahlkarten neuester Art der Kommunistischen Partei. Außerdem befanden sich in dem Paket 37 Zettel, orange, rosa, grün, blau und weiß mit der Aufschrift »Rotes Farbband hilft sparen. Ihr Händler vergütet Ihnen 30 Groschen, wenn Sie ihm diesen Schein und die leere Spule zustellen.« Ferner enthielt das Paket 37 Stück Zettel in Farbe rosa, grün und weiß mit der Aufschrift »Bons Preis 1 S, 50 g und 30 g«. Weiters wurden zwei Blätter eines Abreißkalenders vorgefunden mit Decknamen und Zahlen, welche offenkundig die abgeführten Mitgliedsbeiträge vorweisen. Die Decknamen lauten »Gärtner, Glocke, Tisch, Biene, Kugler, Loch und Amerling«.





Richtung der Entmachtung der Wehrverbände, deren es nach dem 25. Juli 1934 nicht mehr bedurfte. Im Sinne einer Konzentration der staatlichen Macht (Gewaltmonopol) setzte Schuschnigg auf den Ausbau des Bundesheeres. Dies wurde in der Sitzung des Ministerrates am 17. Oktober 1935 deutlich, als der Kanzler mit der Begründung, Fey habe sich geweigert, einer Vereinheitlichung der Wehrverbände zuzustimmen, da dies für ihn einen Machtverlust in Wien bedeutet hätte, zur allgemeinen Überraschung die Demission des gesamten Kabinetts bekanntgab. Der Kanzler hatte diesen Schachzug allerdings in Absprache mit Starhemberg bereits seit Längerem vorbereitet und wurde noch am selben Tag von Bundespräsident Miklas wiederum mit der Regierungsbildung betraut. Der neuen Bundesregierung gehörte Fey, der auf den Posten eines DDSG-Präsidenten abgeschoben wurde, nicht mehr an. Ebenso schieden der der Heimwehr angehörende Bundesminister für die berufsständische Neuordnung und für soziale Verwaltung, Odo Neustädter-Stürmer, sowie der christlichsoziale Bundesminister Josef Reither (Landwirtschaft) aus. Nachfolger Odo Neustädter-Stürmers als Sozialminister wurde der Linkskatholik Josef Dobretsberger, dem Theodor Znidaric als Staatssekretär für den gesetzlichen Schutz der Arbeiter und Angestellten beigegeben wurde. Finanzminister Karl Buresch übergab das von ihm geleitete Finanzministerium an Ludwig Draxler, blieb jedoch als neuer Minister für die berufsständische Neuordnung im Kabinett, Egon Berger-Waldenegg übergab das von ihm neben dem Außenamt geführte Justizministerium an Robert Winterstein, Ludwig Strobl übernahm das Landwirtschaftsministerium, Staatssekretär Carl Karwinsky schied aus dem Justizministerium, Staatssekretär Hans Hammerstein-Equord aus dem Staatsekretariat für das Sicherheitswesen, Staatssekretär Wilhelm Zehner blieb im Bundesministerium für Heerwesen und August Kraft übernahm das neu geschaffene Staatssekretariat für die Bergbauernhilfe. Hans Pernter blieb Staatssekretär in dem von Schuschnigg geleiteten Unterrichtsministerium. Kurt Schuschnigg nahm als Bundeskanzler, Unterrichts- und Verteidigungsminister die dominierende Position im neuen Kabinett ein. Die Heimwehr besetzte in dem neuen Kabinett mit Ernst Rüdiger Starhemberg, Egon Berger-Waldenegg und Eduard Baar-Bahrenfels die Position des Vizekanzlers, Außen- und Innen-/Sicherheitsministers. Damit verfügte sie – zumindest der Papierform nach – über zentrale Machtpositionen. Bemerkenswert ist, dass sich alle drei Heimwehr-Minister als Legitimisten bekannten. So erklärte Egon Berger-Waldenegg in seinen Erinnerungen  : »Für meine Person war ich Monarchist und Legitimist.« Wenngleich auch Starhemberg seine Sympathien für den Legitimismus nicht verhehlte, so betonte er, dass eine Wiedereinführung der monarchischen Staatsform aus außenpolitischen Gründen derzeit nicht opportun sei. (Egon und Heinrich Berger von Waldenegg  : Biographie im Spiegel. S. 410  ; Starhemberg  : Memoiren. S.  229.)

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Schon durch das vorgefundene belastende Material ist Brandthaler der verbotenen illegalen Tätigkeit für die Kommunistische Partei überwiesen. Brandthaler wurde ausgeforscht und verhaftet. Er will von nichts wissen und will glauben machen, dass er das Paket gefunden und, da es ihm wertlos schien, in den Abort geworfen hat. Seine Angaben sind natürlich völlig unglaubwürdig und äußerst hinterhältig und entsprechen genau jener Verantwortungsmethoden, welche wiederholt h. a. wahrgenommen wurden und welche, wie aus mehreren Erlässen des BKA hervorgeht, als allgemeine Richtlinien in Form von Schulungsbriefen an Anhänger der Kommunistischen Partei bekannt gegeben wurden. Brandthaler wurde wegen illegaler Betätigung für die Kommunistische Partei mit 6 Monaten Arrest bestraft und ist die Bundespolizeidirektion derzeit bemüht, die Decknamen aufzuklären und die 6 Mitglieder der Zelle, an deren Spitze zweifellos Brandthaler gestanden war, auszuforschen. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 17. März 1936 Zl. 7447/12 Betr.: Kommunistische Tätigkeit im Lande Salzburg, teilweise Lahmlegung der Landesleitung. An das Bundeskanzleramt St. B. im Wien. Aufgrund und in Verfolg der bereits im Jahre 1935 erfolgten nachhaltigen Recherchen ist es der Erhebungsgruppe des Landesgendarmeriekommandos Salzburg im Einvernehmen mit der Polizeidirektion Wien, Graz, Innsbruck und Salzburg gelungen, eine größere Anzahl von Kommunisten zu verhaften, die teilweise als Kuriere und Verbindungsmänner mit den kommunistischen Landesleitungen anderer Bundesländer, besonders Tirols und der Zentrale Wien, anzusehen sind. Verhaftet und dem Landesgerichte Salzburg eingeliefert wurden  : 1. Simon Gröbner, Monteur, am 22.12.1894 in Hallwang geboren und zuständig, wohnhaft Gnigl bei Salzburg, war Obmann der Landesleitung der Kommunistischen Partei Salzburgs. 2. Josef Schaufler, Schriftsetzer und Drucker, geb. 19.9.1907 in Grödig bei Salzburg, zuständig nach Tarsdorf, Bezirk Braunau, Oberösterreich, wohnhaft in Salzburg, war Kassier der »Roten Hilfe« und Drucker des »Tribunals«. 3. Franz Riedler, geb. 27.9.1906 in Altenmarkt, Niederösterreich, zuständig nach St. Andrä an der Traisen, Niederösterreich, wohnhaft in Hollabrunn, Kurier unter dem Decknamen »Ernst«.

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4. Josefine Schneider, am 9.9.1906 in Wien geb. und zuständig, wohnhaft Graz, Fellingerstraße 3, Bundesleitungsmitglied, die ihre Weisungen direkt aus Moskau erhalten haben soll. 5. Hubert Ranzenberger, Schlosser, geb. 15.12.1901 in Münzkirchen, Oberösterreich, zuständig nach St. Marienkirchen, Oberösterreich, zuletzt wohnhaft in Kitzbühel, soll Organisator und Berichterstatter über die kommunistischen Vorgänge in Salzburg Stadt und Umgebung gewesen sein. 6. Rudolf Fischer, Malergehilfe, am 30.3.1904 in Klagenfurt geb. und zust., wohnhaft in Salzburg, korrespondierte unter dem Decknamen »Rula« mit Wilhelmine Hartl. 7. Wilhelmine Hartl, Hilfsarbeiterin, am 15.2.1893 in Wien geb. und zust., wohnhaft in Wien XVI., Halmerlinggasse 129, fungierte als Meldestelle für politische Ereignisse. 8. Karl Hinterbauer, Schriftsetzer, geb. 20.7.1899 in Neumarkt-Köstendorf, zuständig Salzburg Stadt, wohnhaft in Salzburg. 9. Josef Vandersitt, Hilfsarbeiter, geb. 1.6.1890 in Thomasroit, Oberösterreich, zust. nach Dorf, Bezirk Raab, Oberösterreich, war Helfer bei der Herstellung illegaler Druckschriften. 10. Maria Purkathofer, Köchin, geb. 6.12.1887 in Gaishorn, Steiermarkt, zust. nach Graz, wohnhaft Salzburg-Maxglan. 11. Anton Mailinger, Hilfsarbeiter, geb. 3.1.1914 in Maxglan bei Salzburg, zust. nach Salzburg Stadt, wohnhaft in Gnigl bei Salzburg. 12. Eduard Perfahl, Schlosser, geb. 17.4.1906 in Itzling bei Salzburg, zust. nach Hallwang bei Salzburg, wohnhaft daselbst, war Verteiler von illegalen Flugschriften auf der Glocknerstraße. 13. Karl Reichl, Hilfsarbeiter, am 22.6.1896 in Straßwalchen geb. und zust., war Vermieter der Wohnung, in welcher die Druckerei stand. 14. Johann Brandthaler, am 4.6.1895 in Salzburg geb. und zust., entzog den Druckapparat dem Zugriff der Gendarmerie. 15. Friedrich Greifeneder, Maurer, geb. 6.8.1898 in Salzburg, zuständig nach Taufkirchen an der Trattnach, Oberösterreich, wohnhaft Salzburg. 16. Franz Matzinger, Hilfsarbeiter, geb. 25.1.1910, zuständig nach Amstetten, Niederösterreich, wohnhaft Salzburg-Maxglan. 17. Josef Stöckl, am 25.3.1907 geb. und zust. nach Vöcklabruck, Oberösterreich, wohnhaft Gnigl bei Salzburg. 18. Franz Schieß aus Hallein. 19. Franz Grill, Hilfsarbeiter, am 3.12.1910 geb. und zust. nach Salzburg-Stadt, wohnhaft in Salzburg. 20. Alois Lechner, Fleischhauergehilfe, am 21.6.1910 geb. und zust. nach Kilb, Bezirk Melk, Niederösterreich.

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Der scheinbar als Kurier fungierende Norbert Rosenlechner ist flüchtig  ; er dürfte in die Tschechoslowakei entkommen sein. Von den vorerwähnten Kommunisten wusste sich Josef Schaufler im Verein mit Franz Matzinger im Herbst 1935 einen Setzdruckapparat zu beschaffen und stellte eine kommunistische Hetzbroschüre »Die Rote Fahne« her. Einem weiteren Komplizen, Johann Brandthaler, gelang es, den Druckapparat zu verschleppen und ihn dem Zugriff der Gendarmerie zu entziehen. Der Apparat konnte bisher nicht ausfindig gemacht werden. Franz Schaufler begann nunmehr in Verbindung mit dem kommunistischen Kurier Franz Riedler, welcher eine neue Tiegeldruckpresse beschafft hatte, den Druck der Illegalen Zeitschrift »Das Tribunal« und fungierte außerdem als Hauptkassier der »Roten Hilfe« in Salzburg. Es sollen ca. 8000 Exemplare des »Tribunals« und 1000 Stück Zahlmarken der »Roten Hilfe« gedruckt worden sein. Während bisher von dem erwähnten »Tribunal« kein Exemplar ausfindig gemacht werden konnte, wurden Zahlmarken der »Roten Hilfe«, vor allem aber die Tiegeldruckpresse selbst, vorgefunden und beschlagnahmt. (…) Ergänzende Erhebungen zum vorstehenden Bericht werden noch fortgesetzt und ein positives Ergebnis wird nachgetragen werden. Immerhin ist es der Erhebungsgruppe des Landesgendarmeriekommandos Salzburg gelungen, einen Großteil der Funktionäre der Kommunistischen Partei Salzburgs dingfest und für längere Zeit unschädlich zu machen. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 16. bis 26. Mai 1936 Geschäftszahl  : 318.012 G.D./St.B. 36. (Vorzahl  : 301.577-St.B./36  ; Nachzahlen  : 355.892 St.B./36.) Gegenstand  : Kommunistische Tätigkeit in Salzburg. Der vorliegende Bericht des Sicherheitsdirektors für Salzburg muss als inhaltlich unzureichend bezeichnet werden. Er derart kursorischer Bericht ermöglicht weder einen Einblick in den organisatorischen Aufbau der Partei, noch brauchbare Schlüsse auf die Arbeits- und Propagandamethoden der illegalen Organisationen, noch einen Überblick über die Gesamtbewegung. Diese Kenntnisse sind aber für die staatspolizeiliche Zentralstelle von größter Wichtigkeit. Sie soll ja aus den einzelnen Berichten der Sicherheitsbehörden das Material für eine ständige, wahrheitsgetreue Information der zuständigen Regierungsmitglieder schöpfen, aus den einzelnen Berichten die Arbeit der Illegalen erkennen und durch entsprechende Instruktionen der Sicherheitsbehörden verwerten und schließlich auch die Mobilisierung der Abwehrkräfte gegen die subversiven Strömungen veranlassen. Ein Bericht wie der vorliegende ist für diese Zwecke vollkommen unzulänglich. Wohl aber gibt er zu der

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Vermutung Anlass, dass sein Verfasser eine bestenfalls oberflächliche Kenntnis der illegalen kommunistischen Organisationen und wenig Interesse hat, sie zu vertiefen. Es ist schwer vorstellbar, dass bei einem so offensichtlichen Mangel dieser Voraussetzung jeder wirksamen Bekämpfung staatsfeindlicher Bewegungen die unterstehenden Behörden oder Exekutivorgane zu einer systematischen staatspolizeilichen Arbeit angehalten und angeleitet werden können. Dass nicht einmal der Tag der Verhaftung bei den einzelnen Personen angegeben ist, charakterisiert den Bericht auch in anderer Richtung. Es fällt dies umso mehr ins Gewicht, als in der letzten Zeit wiederholt Gelegenheit genommen wurde, besonders gute, übersichtlich und erschöpfende Berichte einzelner Sicherheitsbehörden (Polizeidirektion Wien, Sicherheitsdirektor Niederösterreich, Polizei Villach) den übrigen Sicherheitsbehörden (Sicherheitsdirektoren und Bundespolizeibehörden) zu Informationszwecken zur Kenntnis zu bringen. Da dies anscheinend nicht genügt, wäre dem im Staatspolizeilichen Büro bereits erwogenen Gedanken näherzutreten, jeweils ein bis zwei staatspolizeiliche Referenten der Sicherheitsdirektoren und Bundespolizeibehörden zur Schulung im staatspolizeilichen Dienste abwechselnd zur vorübergehenden Dienstleistung im Staatspolizeilichen Büro heranzuziehen.175 (…) An den Herrn Sicherheitsdirektor für Salzburg in Salzburg. Der obzitierte Bericht über die kommunistische Bewegung im Lande Salzburg entspricht nicht den ho. Anforderungen. Euer Hochwohlgeboren werden daher eingeladen, im Gegenstande die Abfassung eines neuen Berichtes zu veranlassen, aus dem der Fortgang bzw. die Entwicklung der Erhebungen, ein Überblick über die Organisation und den Aufbau der Kommunistischen Partei im Lande Salzburg und über ihre Verbindungen zu kommunistischen Gruppen anderer Länder, schließlich ein Einblick in die Arbeitsweise und Propagandamethoden der dortigen Kommunisten gewonnen werden kann. (…)

175 Dieser Vorschlag wurde von der Abteilung 1 der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit am 8. Mai 1936 mit der Begründung abgelehnt, dass die Sicherheitsdirektoren und Bundespolizeibehörden außerhalb Wiens nur über einen knapp bemessenen Personstand verfügen, der gerade ausreiche, die alltägliche Arbeit zu bewältigen. Eine Vermehrung des Personals sei aber bis dato vom Bundeskanzleramt mit dem Hinweis auf die dadurch anfallenden Kosten abgelehnt worden. Die Kostenfrage spiele auch bei der angeregten vorübergehenden Einberufung einzelner Beamter in die Wiener Zentralstelle eine Rolle, da dadurch erhebliche Zuteilungsgebühren anfallen würden, die jedoch derzeit im Hinblick auf die angeordneten Sparmaßnahmen im öffentlichen Dienst nicht getragen werden könnten.

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 1. September 1936 Zl. 7447/42 Betr.: Kommunistische Tätigkeit in Salzburg. An das Bundeskanzleramt St.B. in Wien. In Entsprechung des d. a. Erlasses vom 16. Mai 1936, Zl. 318.012. wird hiermit ein neu abgefasster Bericht mit dem Bemerken in Vorlage gebracht, dass es nunmehr aufgrund der nachhaltigen Recherchen und ausgezeichneten Arbeit der Erhebungsgruppe des Landesgendarmeriekommandos Salzburg gelungen ist, die Bezirksleitungen und kommunistischen Zellen in den Bezirken Pongau und Pinzgau sowie in der Stadt Hallein mit Umgebung auszuheben und deren Funktionäre und Mitglieder dingfest zu machen, sodass tatsächlich die Tätigkeit der kommunistischen Organisation Salzburgs zumindest für längere Zeit vollkommen zerstört erscheint. Aus dem folgenden nun sehr erweiterten Bericht wird es nunmehr auch möglich sein, einen Überblick über den organisatorischen Aufbau der Kommunistischen Partei im Lande Salzburg und über ihre Verbindungen zu kommunistischen Gruppen anderer Länder zu geben. Im Spätsommer 1935 brachte die Erhebungsgruppe in vertraulicher Weise in Erfahrung, dass in der nächsten Umgebung von Salzburg, wahrscheinlich in Gnigl, eine kommunistische Geheimdruckerei bestünde. (…) Die fertiggestellten Druckschriften wurden wahrscheinlich im Laufe des Monats Juni über den Auftrag des Landesleiters der Kommunistischen Partei des Landes Salzburg, Simon Gröbner, in einem Reisekorb verpackt und von Anton Mailinger mittelst Fahrrad abgeholt. Von diesem sollen sie angeblich einer weiteren Mittelsperson zur Weiterbeförderung nach Wien übergeben worden sein. (…) Josef Schaufler, Josef Vandersitt, Maria Purkathofer, Johann Brandthaler, Karl Reichl und Mathias Schieß wurden am 6., Anton Mailinger am 10. September 1935, Simon Gröbner am 17. und Franz Matzinger am 20. Februar 1936 verhaftet und dem Landesgerichte in Salzburg eingeliefert. Sie wurden im Juli 1936 amnestiert und auf freien Fuß gesetzt. Franz Riedler wurde während seines Salzburger Aufenthaltes, welcher den Zweck hatte, die illegale Verbindung der Wiener Kommunisten mit den Salzburger Parteigängern herzustellen, am 25.6.1935 von der Kriminalpolizei in Salzburg (…) dem Landesgerichte eingeliefert. (…) Im Zuge der weiteren Erhebungen in Salzburg-Stadt wurde eine Adresse  : Wilhelmine Hartl, Wien XVI., Halmerlinggasse Nr. 129, vorgefunden.

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Die Untersuchung der Wohnung der Wilhelmine Hartl durch die Bundespolizeidirektion Wien ergab die Tatsache, dass diese Adresse als Meldestelle für politische Ereignisse (Verhaftungen von kommunistischen Parteigängern, Bekanntgab der Namen von neu aufgestellten Funktionären etc.) in den österreichischen Bundesländern verwendet wurde. (…) Es konnte auch ferners noch ermittelt werden, dass im August 1935 in einem Hause zwischen Oberalm und Hallein eine kommunistische Landessitzung abgehalten wurde, zu der Josef Schaufler, Hubert Ranzenberger, Mathias Schieß aus Hallein sowie ein gewisser Nedomlel (angeblicher kommunistischer Betriebsrat der Zellulosefabrik Hallein) erschienen waren. Bei dieser Zusammenkunft wurde neuerdings die Reorganisation der Kommunistischen Partei Österreichs bzw. der Roten Hilfe durchbesprochen und von jedem Mitglied das Aktionsprogramm für die nächste Zeit zur Kenntnis genommen. Im Zuge der Forschungen nach den Verbreitern der illegalen Druckwerke im Sommer und Herbst 1935 konnte auch festgestellt werden, dass Friedrich Greifen­ eder, Maurer, geb. am 6.8.1898, zuletzt wohnhaft in Salzburg, größere Mengen von Propagandamaterial in seiner Wohnung zur Aufbewahrung übernommen hatte, welches sodann meistens wieder von Josef Schaufler abgeholt wurde. Im August 1935 wandte sich Eduard Perfahl, Dieselmotorwärter, geb. am 17.4. 1906, beschäftigt beim Bau der Großglockner Hochalpenstraße, an den Salzburger Kommunisten Alois Lechner mit der Bitte, ihm zur Verteilung unter seinen Arbeitskollegen illegales Propagandamaterial zu übermitteln. Alois Lechner ließ ihm auch durch Vermittlung des Josef Schaufler ca. 80 Exemplare des »Tribunals«, eine größere Anzahl der »Arbeiter-Zeitung«, Bilder der im Februar 1934 justifizierten Putschisten und einzelne Exemplare der »Internationalen Pressekorrespondenz« an seine Arbeitsstätte auf der Großglocknerstraße zusenden. Friedrich Greifeneder, Eduard Perfahl und Alois Lechner wurden Mitte Jänner 1936 verhaftet und dem Landesgerichte in Salzburg wegen Hochverrates übergeben. (…) Zusammenfassend glaube ich bemerken zu können, dass es sich bei den von der Erhebungsgruppe des Landesgendarmeriekommandos Salzburg (…) inhaftierten kommunistischen Parteigängern zweifelsohne um die kommunistische Landesleitung des Bundeslandes Salzburg sowie um die Verbindungsmänner mit den illegalen kommunistischen Leitungen Wiens und Tirols handelt. Trotz der Verhaftungen des Schaufler und Genossen wurde die Wahrnehmung gemacht, dass auch weiter kommunistische Aktionen in zentraler Weise durchgeführt werden. Die diesbezüglichen Nachforschungen ergaben, dass im Winter 1935/36 in Hallein und Umgebung ein kommunistischer Kurier aus Wien tätig gewesen war. Durch Beschlagnahme eines Briefes, welcher aus Graz an die Kommunistin Hilda Moser in Hallein gerichtet war, gelang es dem Gendarmen Johann Lackner der Er-

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hebungsgruppe Salzburg in Zusammenarbeit mit der Bundespolizeidirektion Graz, diesen Kurier in der Person des Josef Wendl, Schlossergehilfe, geb. am 14.10.1912 in Eggenberg bei Graz, nach Graz zuständig, zuletzt in Graz, Steinfeldgasse 21 wohnhaft, auszuforschen und ihn der illegalen kommunistischen Tätigkeit im Bundeslande Salzburg zu überweisen. Josef Wendl gestand aus freien Stücken bei seiner Einvernahme, dass er vom Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Österreichs, und zwar vom Leiter des Organisationskomitees Thomas Nowak, den Auftrag erhalten hatte, das Bundesland Salzburg zu bereisen und die kommunistische Ortsgruppe wieder zu reorganisieren. (…) Aufgrund wiederholter und eingehender Verhöre gab Wendl ein umfassendes Bild über die Organisation und Entwicklung der Kommunistischen Partei in Österreich. Weiters machte Wendl, immer mehr in die Enge getrieben, auch Angaben über seine eigene Tätigkeit im Bundeslande Salzburg, welche schließlich zur vollständigen Klärung der kommunistischen Parteistellen in einem Großteil des Landes führten. Josef Wendl gab über die Entwicklung, Organisation, Fortgang, Arbeitsmethode und Propagandatätigkeit sowie über die Verbindungen der einzelnen illegalen Gruppen untereinander und des kommunistischen Zentralkomitees in Wien zusammenfassend Folgendes zu Protokoll  : »Nach dem Zusammenbruche des Februarputsches 1934 waren die kommunistischen Parteigänger zunächst führerlos und von jeder Verbindung mit der Zentralstelle abgeschlossen. Die einzelnen Parteigänger standen zunächst unter dem Eindrucke des misslungenen Putschversuches, versuchten jedoch im Laufe der nächsten Monate sich wieder in irgendeiner Form zusammenzuschließen, um auf diese Weise zunächst eine Übersicht zu bekommen, welche von den ehemaligen Mitgliedern nunmehr der Parteitätigkeit fernbleiben bzw. welche auch weiterhin ihre Idee in illegaler Weise fortzuführen gewillt sind. Es fanden sich auch tatsächlich, so wie auch in anderen Bundesländern, unentwegte Genossen zusammen, und nun wurde im Mai 1934 eine lose Organisation aller linksdenkenden Parteigänger unter dem Titel ›Die Rote Front‹ gegründet. Dieselbe stellte ein Mittelding der legal gewesenen Sozialdemokratie sowie der legal gewesenen Kommunistischen Partei dar und hatte die Aufgabe, einzig und allein die ehemaligen Mitglieder der Sozialdemokratischen und Kommunistischen Partei sowie des Schutzbundes zu erfassen. Ihre Organisation war sehr undurchsichtig und bestand aus kleinen Gruppen von 3 bis 5 Mann. Da sich inzwischen unter den eigenen Führern Unstimmigkeiten über die Art der weiteren Illegalität sowie der Schärfe des Kampfes gegen die legale Regierung bemerkbar machten, wurde im Frühjahr 1935 in Brünn ein Parteitag der Kommunisten einberufen, auf welchem beschlossen wurde, diese ›Rote Front‹ endgültig aufzulösen und in die Reihen der Kommunistischen Partei Österreichs einzugliedern. Dieser Parteitag wurde unter dem Vorsitz des berühmten Kommunisten Koplenig abge-

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halten und waren weiters Vertreter der Komintern sowie mehrere kommunistische Flüchtlinge aus Österreich anwesend. Der Zweck dieses Parteitages bestand darin, die einzelnen Gruppen der Linksradikalen zu Wort kommen zu lassen und Klarheit in die Organisationen in Österreich zu bringen. Vor allem wurde festgestellt, dass der ehemals legale Schutzbund auch in der Illegalität seine Rolle zu spielen hat und derselbe als überparteiliche Institution zum Schutze des Arbeiters ins Leben gerufen werde. Durch diese Gründung des Schutzbundes wurde dessen Organisation wie folgt festgelegt  : Die oberste Leitung hat in Brünn zu amtieren und besteht aus bewährten Schutzbundführern, die Österreich nach dem misslungenen Putsche verlassen mussten. Diese oberste Leitung hat im allgemein organisatorischen Angelegenheiten die Direktiven aus Moskau bzw. in innerösterreichischen Angelegenheiten das Gutachten der Zentralleitung in Wien einzuholen und in diesem Sinne die Weisungen an ihre untergeordneten Parteistellen weiterzugeben. Die Zentralleitung in Wien besteht aus einem Vertreter der Kommunistischen Partei Österreichs, einem Vertreter der Revolutionären Sozialisten, einem Organisationsleiter und zwei militärischen Fachleuten. Die einzelnen Vertreter haben die Aufgabe, an den beschließenden Sitzungen teilzunehmen, um auf diese Weise die einzelnen linksradikalen Gruppen führen zu können. Um die Hilfe des Schutzbundes in Anspruch nehmen zu können, ist in erster Linie die Bewilligung der Komintern maßgebend und hat der jeweilige zentrale Führer einer anderen Gruppe, z. B. der Kommunistischen Partei, nicht die Macht, denselben zu aktivieren. Als zweite Institution wurde die Kommunistische Partei als geordnete illegale Organisation in Österreich ins Leben gerufen und derselben die striktesten Weisungen bezüglich Organisation, Arbeitsmethoden und Propagandatätigkeit zugewiesen. Die oberste Leitung wurde wieder in Brünn errichtet und dieselbe mit der Aufgabe betraut, gleichzeitig als Bindeglied zwischen Moskau und Wien zu fungieren. Als Verbindungsmann wurde ebenfalls der Kommunist Koplenig bestimmt und dieser als ständiger Vertreter für österreichische Angelegenheiten berufen. Als nächste Instanz für den österreichischen Kommunismus wurde in Wien das »Kommunistische Zentralkomitee in Wien« errichtet. Mit der Führung dieser Zentralstelle wurde der Kommunist Ernst Fischer betraut und besteht die eigentliche Organisation dieser Zentralstelle aus folgenden Personen  : 15 ordnungsgemäße Mitglieder sowie 10 Kandidaten (Ersatzmitglieder) Aus diesen Personen hat die Plenarversammlung das sogenannte eigentliche Zentralsekretariat zu wählen und zwar  : 1. Den politischen Leiter, dessen Aufgabe es ist, die zentrale politische Tätigkeit zu leiten, die erhaltenen Weisungen an die politischen Leiter der unterstehenden Institutionen weiterzugeben und überhaupt zu wachen, dass die Arbeits- und Pro-

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pagandamethoden so durchgeführt werden, wie sie von der Zentralstelle anbefohlen wurden. Der politische Leiter hat über alle zukünftig beabsichtigten organisatorischen Änderungen informiert zu sein und in diesem Sinne sein Programm einzurichten. 2. Den Organisationsleiter (Org. Leiter). Derselbe hat für die Organisation der Kreisleitungen und in weiterer Folge der Gebietsleitungen sowie Zellen im engeren Sinne zu sorgen und ist für die ordnungsgemäße Abwicklung der Kuriertätigkeit verantwortlich. 3. Den Kassier. Derselbe hat die aus Brünn einlangenden illegalen Parteigelder in persönliche Verwahrung zu nehmen und für die reelle Verteilung an die unterstehenden Gruppen im Sinne der Beschlussfassung des gesamten Zentralkomitees Sorge zu tragen. 4. Den Apparatleiter. Die Aufgabe dieses Mannes ist es, für die illegalen Geräte zur Herstellung der illegalen Druckwerke und Flugschriften zu sorgen, zu trachten, dass die einzelnen Kreisleitungen mit Schreibmaschinen, Abziehapparaten und dergleichen beteilt werden sowie überhaupt alles zu veranlassen, was für die Herstellung der verbnotenen Druckwerke notwendig erscheint. 5. Den Literaturmann (Litmann), dem die Aufgabe zukommt, den Vertrieb der aus Brünn kommenden bzw. durch die einzelnen Gruppen selbst hergestellten Druckerzeugnisse wie Flugzettel, Textschriften und dergleichen bis in die kleinsten Zellen zu bringen und überhaupt die Verteilung dieser Schriften in organisatorisch richtiger Weise durchzuführen. 6. Den Propagandaleiter (Propleiter). Derselbe ist mit seiner Arbeitstätigkeit mit dem Orgleiter in engster Verbindung und ist als geistiger Leiter sämtlicher in Österreich durchgeführten Aktionen wie Zettelstreuen, Feuerbrennen, Hungerstreiks etc. anzusehen. Der Propagandaleiter hat im Verein mit dem Organisationsleiter seine Berichte über Landeskonferenzen und sonstige wichtige illegale Begebenheiten direkt an die Zentralstelle nach Brünn abzugeben. Die Verbindung mit der nächstniederen Parteistelle (Kreisleitung) erfolgt ausschließlich durch Kuriere und ist die Bestellung zum Kurier sowie deren Entsendung in jeder Parteiinstanz n u r Sache des Apparatleiters.« Als Briefanlaufstelle für das kommunistische Zentralkomitee in Wien wurde die Adresse »Leopoldine Reindl, Wien X., Ahornhof-Gartenstadt 6/12« bestimmt und haben die kommunistischen Parteigänger des Bundeslandes Salzburg auch tatsächlich die an das Zentralkomitee bestimmte Post dorthin adressiert. Als nächste illegale Parteistelle, welche dem Zentralkomitee direkt unterstellt wurde, wurden im Bundesgebiete Kreisleitungen errichtet. Dieselben bestehen, analog wie das Zentralkomitee, aus je einem politischen Leiter, Organisationsleiter, Kassier, Apparatleiter, Litmann und Propagandaleiter und hat jede dieser Personen wieder dieselben Aufgaben wie im Zentralkomitee, jedoch im Maßstabe der Kreis-

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leitung. Die Kuriertätigkeit zum Zentralkomitee bzw. zur nächst untergeordneten Institution (Gebiets- oder Bezirksleitungen) hat ebenfalls wieder der Apparatleiter in die Wege zu leiten. Die Größe des Wirkungsbereiches einer derartigen Kreisleitung ist sehr verschieden und wurden zum Beispiel im Bundeslande Salzburg nur zwei Kreisleitungen errichtet und zwar  : 1. Kreis Salzburg (Kreis XIX) und 2. Kreis Bischofshofen (Kreis XX). Zum Leiter des Kreises XIX, dessen Sitz aus taktischen Gründen nach Hallein verlegt wurde, wurde der Kommunist Otto Maierhofer176 bestimmt und umfasst derselbe die Gerichtsbezirke Salzburg, Hallein, Neumarkt und Thalgau. Das Gebiet des Kreises XX erstreckt sich auf die Gerichtsbezirke St. Johann im Pongau, Zell am See, Radstadt und Saalfelden, während das Gebiet des Lungaues bereits der steirischen Kreisleitung Knittelfeld unterstellt ist und die organisatorischen Agenden von dort aus geleitet werden. Von dem im Wege der Gebirgs- bzw. Bezirksleitungen einlangenden Mitgliedsbeitragsgelder behält 60 Prozent die Kreisleitung selbst, 20 Prozent werden an das Zentralkomitee nach Wien weitergeleitet und 20 Prozent der Beitragsgelder sind der Gebiets- bzw. Bezirksleitung zur Deckung der Regieauslagen anlässlich etwaiger Propagandaaktionen überlassen. Die Leitung des Kreises XX (Bischofshofen) ist unbesetzt und funktioniert dortselbst demgemäß die zentrale Erfassung der kommunistischen Parteigänger in diesem Gebiete nicht. Der geistige Führer des Kreises XX war Peter Lederer aus Saalfelden. Er hatte als einziger des Kreises Bischofshofen die Anlaufadresse des Zentralkomitees in Wien im Besitze und führte mit derselben erwiesenermaßen regen Verkehr. Als nächste untergeordnete Parteistelle wurden im Bereiche der einzelnen Kreisleitungen sogenannte Gebiets- bzw. Bezirksleitungen errichtet und besteht die Gliederung derselben wieder analog den Kreisleitungen bzw. der Zentralleitung, jedoch im Rahmen der Gebietsleitung. Das Umfassungsgebiet einer derartigen Parteistelle ist wieder sehr verschieden und umfasst eine Kreisleitung meistens 2 bis 3 Bezirksleitungen. Von den 20 Prozent der eingelaufenen Mitgliedsbeiträge hat die Gebietsleitung die durch Aktionen anlaufenden Kosten zu decken und sind die organisatorischen Aufgaben derselben ebenfalls die gleichen wie die der Kreisleitungen. Als kleinste Einheit der Kommunistischen Partei wurde die Zelle errichtet, welche 7 bis 10 Parteigänger umfasst und in sich ein geschlossenes Ganzes bildet. Die Zelle stellt die wichtigste Einrichtung dar, welche es zufolge der Weisungen des Zentralkomitees vollständig zu unterlassen hat, mit Mitgliedern der Nachbarzelle Fühlung zu suchen. Den Zellenmitgliedern ist es strengstens untersagt, aus eigenem 176 Muss heißen Otto Meierhofer.

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Ermessen Aktionen durchzuführen und hat jedes Zellenmitglied ihre Mitgliedsbeiträge direkt an den Kassier der Gebiets- bzw. Bezirksleitung abzuführen  ; Aufgabe der einzelnen Zellen ist es, möglichst in legale Vereine, Wehrverbände und sonst gestattete Institutionen einzudringen, dortselbst unter Hinweis der misslichen Lage des Arbeiters sowie der großen Arbeitslosigkeit Missmut hineinzutragen, um auf diese Weise indirekt für den Kommunismus zu werben. Als der Kommunistischen Partei nebengeordnete Parteistelle wurde im Sinne des Parteikongresses vom Frühjahr 1935 in Brünn die sogenannte »Rote Hilfe« eingerichtet, deren Zweck es lediglich ist, für die durch den Kampf in der Illegalität, sei es durch Haftnahme des Ernährers oder durch Vermögensbeschlagnahme, zu Schaden gekommenen kommunistischen bzw. sozialistischen Parteigänger und deren Angehörige in finanzieller Hinsicht zu sorgen. Die »Rote Hilfe« hat ihren Hauptsitz in Brünn und wird von den geflüchteten österreichischen Bundesbürgern Otto Bauer, Julius Deutsch und Genossen geleitet. Aufgabe der »Roten Hilfe« ist es gleichzeitig, österreichischen Parteigängern, die durch die Androhung einer längeren Kerkerstrafe für ihre illegale Arbeit bedroht sind, bei der Flucht ins Ausland finanziell behilflich zu sein, jedoch bedarf eine derartige Unterstützung in erster Linie der Einwilligung des kommunistischen Zentralkomitees in Wien unter Angabe der Tat des Bedrohten. Es ist der »Roten Hilfe« prinzipiell nur gestattet, den in Frage stehenden flüchtenden Parteigängern lediglich bis Brünn ihre Hilfe angedeihen zu lassen und ist es somit unmöglich, von derselben eine finanzielle Hilfe direkt bis Moskau zu erlangen. Die österreichische »Rote Hilfe« stellt einen Sektor der sogenannten »Internationalen Roten Hilfe« dar, deren Sitz in Moskau sich befindet. Die »Rote Hilfe« in Österreich ist in ihrem organisatorischen Aufbau genau gegliedert wie die Kommunistische Partei, nur dass eben das Zentralkomitee, welches eine Zentralstelle für Österreich darstellt, sich in Brünn befindet. Ansonsten ist die Gliederung in Kreisleitungen, Gebiets- bzw. Bezirksleitungen und in weiterer Folge in Zellen eingeteilt. Im Wesentlichen ist es in den Aufgaben der »Roten Hilfe« gelegen, Personen, die bis nun als indifferent galten, unter Hervorhebung des sozialen hilfsbereiten Zweckes in die Reihen der Linksradikalen zu bringen. Die Gelder hierfür werden durch Kuriere aus Brünn nach Wien befördert und von dort aus die Gruppen im Bundeslande beteilt. Zufolge Beschlusses der Frühjahrskonferenz 1935 in Brünn wurde eine weitere nebengeschaltete Institution für jene Parteigänger geschaffen, denen einerseits die kommunistische Parteiform und Arbeitsmethode zu radikal und andererseits die Methoden der ehemals legalen Sozialdemokratischen Partei zu mäßig erscheinen, die aber dennoch ihrer linksgerichteten politischen Orientierung treu bleiben wollen. Dieser Kreis von politischen Parteigängern wurde unter dem Titel »Revolutionäre Sozialisten« zusammengefasst und in organisatorisch gleicher Weise wie die Kommunistische Partei bzw. »Rote Hilfe« zentral erfasst. Der Aufbau der »Revolutio-

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nären Sozialisten« ist analog der Kommunistischen Partei und setzt sich aus der Zentralstelle in Wien, aus Kreisleitungen, Bezirksleitungen und Zellen zusammen. Die Führung derselben liegt in den Händen des Otto Bauer und Julius Deutsch und wird diese Gruppe von Parteigängern gleichfalls von Brünn aus geleitet.177 Als Mitgliedsbeiträge werden, gleich wie bei der Kommunistischen Partei, von arbeitslosen ausgesteuerten Mitgliedern 5 g, von arbeitslosen, unterstützten Mitgliedern 10 g und von in Arbeit stehenden Mitgliedern 25 g pro Woche eingehoben. Die Gruppe der »Revolutionären Sozialisten« scheint sich, zum Unterschiede von den Kommunisten, denen außer einigen besser situierten Führern meist nur wirkliches Proletariat angehört, vorwiegend aus besser situierten, intelligenteren und gebildeteren Mitgliedern zusammenzusetzen, von denen viele in öffentlichen und privaten lebenswichtigen Betrieben (wie Eisenbahn, Post, Telegraf, Elektrizitäts- und Gaswerke etc.) bedienstet sind oder waren. Sie treten fast gar nicht durch öffentliche Propagandatätigkeit etc. in Erscheinung, doch muss in bedrohlichen Zeiten ihrerseits mit Sabotageakten, zumindest mit passiver Resistenz, gerechnet werden. Ihre Mitglieder könnten sich bei Umsturzversuchen durch Lahmlegung oder wenigstens Behinderung des Verkehres und der Verbindungen sowohl für das Einsetzen der Exekutive als auch für die gesamte Bevölkerung sehr unangenehm fühlbar machen, umso mehr, als ohne Zweifel eine stete Annäherung zwischen den Revolutionären Sozialisten und den Kommunisten im Zuge ist, sodass zwischen diesen beiden Gruppen kaum mehr eine Trennung besteht und mit einem planmäßigen Zusammenarbeiten dieser beiden illegalen Gruppen zu rechnen ist.178 (…)

177 Diese Angabe beruhte auf einem Irrtum. Wenngleich Otto Bauer in den ersten Monaten der Emigration noch als Leitfigur der verunsicherten und in verschiedene Fraktionen zersplitterten Sozialdemokratie galt, so hatte sich, in deutlicher Absetzbewegung von der alten Partei, bereits wenige Wochen nach den Februarkämpfen die »Revolutionären Sozialisten« konstituiert und als neues Leitungsgremium ein Fünferkomitee gebildet. Diesem gehörten Manfred Ackermann, Roman Felleis, Karl Holoubek, Franz Jonas und Ludwig Kostroun an. Später stieß Joseph Buttinger, der die Theorie der Kaderpartei vertrat, als Repräsentant der Bundesländer hinzu und übernahm nach der Verhaftung des Großteils der Führungsspitze zu Jahresbeginn 1935 die Führung der Revolutionären Sozialisten und im März 1935 akzeptierte Otto Bauer die Entwicklung in Österreich. Ernst Fischer berichtet in seinen Erinnerungen, dass Otto Bauer bei einem Gespräch in Iglau im Herbst 1935 eine enge Zusammenarbeit von Kommunisten und Revolutionären Sozialisten befürwortet habe. Bei seinem Treffen mit Joseph Buttinger habe dieser nach dem Hinweis auf die Unterstützung des Anliegens durch Otto Bauer erklärt  : »Wir brauchen keinen Vormund in der Emigration.« Vgl. Fischer  : Erinnerungen und Reflexionen. S. 314  ; Joseph Buttinger  : Am Beispiel Österreichs. S. 260ff. 178 Diese Einschätzung basierte auf der Entwicklung des Revolutionären Sozialisten bis zum Frühjahr 1935, entsprach somit nicht mehr dem aktuellen Stand.

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Josef Wendl (konnte bei den Vernehmungen, Anm. d. Verf.) seine illegale Tätigkeit in Hallein nicht mehr ableugnen und machte (…) in reumütiger Weise auch folgendes umfangreiches Geständnis  : »Am 22. November 1935 erhielt ich von Erich Fein und Thomas Nowak vom Zentralkomitee des kommunistischen Jugendverbandes in Wien den Auftrag, den Kreis Salzburg-Stadt bzw. Hallein zu bereisen, die sich dort befindenden Kreisleitungen zu inspizieren und den kommunistischen Parteigängern der genannten Orte Richtlinien für die bevorstehenden Organisationsarbeiten, welche aus Moskau (Kom­internJugendsektion) eintrafen, zu übermitteln. Dabei war vorgesehen, geheime Instruktionskurse abzuhalten sowie überhaupt den kommunistischen Jugendverband in Salzburg-Itzling bzw. Hallein zu reorganisieren. Ich erhielt den Namen ›Instruktor‹ und reiste als solcher vorerst nach Salzburg-Stadt ab, wo ich am 23. November in Salzburg-Itzling eintraf. Ich erhielt von Wien aus die Adresse jenes Mannes, welcher die kommunistische Parteitätigkeit in diesem Bezirke zu leiten hatte und war dies Hans Jlko, Salzburg, Itzling, Kreuzermühlstraße Nr. 10. Ich begab mich zu diesem in die Wohnung und verlieb einige Tage dort. Während dieser Zeit hielt ich dortselbst meine Instruktionskurse ab und hatten sich jedes Mal eine Anzahl von kommunistischen Parteigängern eingefunden, welche meinen kommunistischen Vorträgen beiwohnten. Ich lehrte die Unzweckmäßigkeit eines offenen illegalen Parteibestrebens (Putsch, Gewalttätigkeiten usw.) und forderte auf, durch ständiges Aufmerksammachen bezüglich Arbeitslosigkeit, Not usw. die kommunistisch eingestellten Parteigenossen in ihren Anschauungen zu festigen und auf diese Art neue Anhänger zu gewinnen. Jlko leitete die gesamte illegale kommunistische Tätigkeit in Itzling und befanden sich in seiner Wohnung zur Zeit meines Dortseins ca. 2000 Stück einer illegalen kommunistischen Zeitung, welche als ›Der junge Kämpfer‹ oder ›Der Bolschewik‹ bezeichnet waren. Die Schreibmaschine, mit welcher die Klischees für die illegalen kommunistischen Flugschriften hergestellt wurden, befand sich bei Johann Stadler in Verwahrung, welcher unweit des Wohnhauses Jlko wohnhaft war. Dieser Bursche besitzt außer einer illegalen ›Erica‹-Schreibmaschine auch eine eigene, mit welcher ebenfalls illegal gearbeitet wurde. Nach Abschluss meiner Instruktionsarbeit in Itzling begab ich mich nach Hallein und hatte bereits die Adresse eines gewissen Johann Huber von Wien aus miterhalten. Ich begab mich sofort dorthin und geleitete mich Huber zu einer Frau Strobl, wo ich bis ca. 20. Jänner 1936 unangemeldet wohnhaft war. In Hallein bestand die kommunistische Kreisleitung aus folgenden Personen  : Politischer Leiter  : ein gewisser Otto Meierhofer. Organisationsleiter  : Josef Behartinger, welcher im Hause einer gewissen Hilda Moser wohnte. Kassier  : Johann Huber. Apparatleiter  : Josef Gruber, in einer Schmiede am Kornsteinplatz in Arbeit.

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Mit diesen Personen hielt ich meine Instruktionskurse ab und stellte zu diesem Zwecke ein gewisser Bruno Stefl seine im Stirneiskeller befindliche Wohnung als Zusammenkunftsstätte zur Verfügung. Außer den vorgenannten kommunistischen Parteigängern wohnten auch andere Burschen, deren Namen ich nicht anzugeben vermag, unseren Besprechungen bei. Diese illegalen Zusammenkünfte wurden fast ausschließlich in der Wohnung des Bruno Stefl abgehalten. Ich gab diesen Burschen, so wie in Itzling, die neuen Richtlinien der Komintern bekannt und informierte die kommunistischen Parteigänger gemäß meines Wiener Auftrages. Johann Huber kassierte ständig die kommunistischen Mitgliedsbeiträge von den einzelnen Mitgliedern ein. Huber machte sich mir gegenüber sogar einmal lustig, weil die Gendarmeriebeamten gelegentlich einer bei ihm vorgenommenen Durchsuchung seiner Wohnung die einkassierten Parteigelder nicht aufgefunden hatten. An einem mir nicht mehr erinnerlichen Abend, es war gegen 21 Uhr, begab ich mich mit Johann Huber und Otto Meierhofer in einen alten verfallenen Betonkeller, welcher nächst der Almbrücke bei Hallein gelegen ist und zeigten die Genannten mir eine dortselbst verwahrte Schreibmaschine sowie einen Abziehapparat. Huber und Meierhofer bedeuteten mir, dass sie die Vervielfältigungen der kommunistischen Druckwerke dortselbst besorgen. Ob die genannten Gegenstände sich jetzt noch dort befinden, vermag ich nicht anzugeben. Einfügen möchte ich aber noch, dass ich am 5. Jänner 1936 auch mit den Vorbereitungen zu einer kommunistischen Landeskonferenz am Schlenken begann und ich gleichzeitig die Ortsgruppen Salzburg, Hallein, Bischofshofen, Lend und Saalfelden aufforderte, diese Konferenz mit Delegierten zu beschicken. Tatsächlich trafen am 11. Jänner 1936 auf der vorgenannten Schlenkenalm ca. 15 Delegierte von den verschiedenen kommunistischen Ortsgruppen des Landes Salzburg ein und waren mir folgende Personen bekannt  : Der Ortsgruppenleiter Hans Jlko aus Itzling bei Salzburg, dann die Mitglieder der Kreisleitung Hallein mit Namen Otto Meierhofer, Johann Huber, Josef Behartinger, Johann Gruber sowie die Kommunisten Emmerich Eppensteiner und Alexander Reis aus Bischofshofen, Alois Embacher aus Saalfelden und ein Bauer aus Großarl. Die übrigen Erschienenen kannte ich nicht. Vom Zentralkomitee aus Wien wurde als Vorsitzender der kommunistische Kurier Erich Fein entsendet und holte ich diesen am Bahnhof in Hallein ab. Die Konferenz wurde am genannten Tage gegen 22 Uhr durch Otto Meierhofer eröffnet, die Tagesordnung verlesen, worauf Erich Fein einen übersichtlichen Bericht über die derzeitige Lage erstattete. Die Sitzung währte bis gegen 12 Uhr. Die Mitglieder der Konferenz verbrachten die weitere Nacht in der Hütte und fuhren am nächsten Tag früh in ihre Heimtorte zurück. Zum Schluss möchte ich noch bemerken, dass ich alle 14 Tage nach Wien per Adresse Leopoldine Reischl, Wien X., Gartenstadt, Ahornhof 12 oder 14/2, an

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das kommunistische Zentralkomitee einen Situationsbericht zu machen hatte. Ich schrieb in diesen Berichten über die Lage der Arbeitslosen in Hallein, meine Instruktionstätigkeit sowie über den Anklang meiner Organisationstätigkeit überhaupt. Da ich mich in Hallein beobachtet fühlte und ich rechnen musste, dass meine illegale kommunistische Tätigkeit zu Ohren der Behörden kommen könnte, beendete ich mein illegales Treiben und reiste nach Graz ab, seit welcher Zeit ich wieder bei meinen Eltern wohne.« Aufgrund dieser Angaben und der daraufhin eingeleiteten Nachforschungen wurden am 6.6.1936 verhaftet  : Johann Jlko, Hilfsarbeiter, 30.10.1904 in Zell am See geb., nach Bruck zuständig, Johann Stadler, Privathandelsschüler, 18.8.1908 in Salzburg geb. und dort zuständig, Otto Meierhofer, Schlossergehilfe, 26.4.1911 in Hallein geb. und zuständig, Johann Huber, Hausdiener, 20.6.1909 in Golling geb., nach Abtenau zuständig, Josef Behartinger, Hilfsarbeiter, 11.6.1914 in Hallein geb. und zuständig, Johann Gruber, Schmiedegehilfe, 5.10.1913 in Bergheim bei Salzburg geb. und zuständig, Bruno Stefl, Hilfsarbeiter, 17.5.1894 in Hallein geb. und zuständig, Franz Schön, Tischlergehilfe, 22.2.1915 in Hallein geb., nach Steinakirchen, Niederösterreich, zuständig. (Verhaftet am 23. Juli 1936) (…) Da durch die protokollarischen Aussagen des J. Wendl auch bekannt geworden war, dass ein Bauer als Delegierter der Gruppe Großarl an der Landeskonferenz teilgenommen hatte, wurden sofort die diesbezüglichen Nachforschungen aufgenommen und der Bauernsohn Franz Diem, geb. am 10.2.1901 in Großarl und daselbst zuständig, verhaftet und am 16.7.1936 dem Landesgericht in Salzburg eingeliefert. Diem bekleidete angeblich die Stelle eines Obmannes der dortigen Gruppe  ; doch konnten keine weiteren Mitglieder ausgeforscht werden. Die umfangreichen Erhebungen im Bundeslande Salzburg bestätigen das Bestreben der Kommunisten, Eingang in die Vaterländische Front, in den Österreichischen Gewerkschaftsbund, in den Freiheitsbund etc. zu suchen, um diese Organisationen zu verseuchen. Ein nicht geringer Anhang konnte bei den Bundesbahnbediensteten oder deren Verwandtschaft festgestellt werden. Angestellte der Bundesbahnen benützen reichlich ihre Fahrbegünstigungen für Zwecke illegaler Tätigkeit. Die kommunistischen Kuriere reisten nicht selten als Geschäftsreisende. Der schriftliche Verkehr von kommunistischen Ortsgruppen untereinander oder Weisungen des Zentralkomitees in Wien erfolgten auch öfters durch chiffrierte Briefe  ; doch gelang es meistens, dieselben zu dechiffrieren. (…)

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 8. Februar 1936 Geschäftszahl  : 368.268 G. D./St. B. 35 (Nachzahlen  : 306.509 St. B./36) Gegenstand  : Schieß Mathias und Genossen  ; Betätigung für die Kommunistische Partei in Hallein und Lend. Gendarmeriepostenkommando Hofgastein Hofgastein, 21. August 1935 Sp. F. Nr. 26 -29. Betr.: Schieß Mathias und Genossen. Hochverrat. An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. Am 20. August 1935 wurden die Halleiner Kommunisten Mathias Schieß, am 8.4. 1896 in Oberalm, Bezirk Hallein, geboren und dahin zuständig, in Oberalm Nr. 106 wohnhaft, und Franz Reinthaler, am 17.10.1906 in Hallein geboren und dahin zuständig, Hallein, Salzgasse Nr. 331 wohnhaft, bei ihrer Durchreise mit Fahrrädern durch den Kurort Hofgastein von dem im Dienste gestandenen Gendarmen Rudolf Hovorka angehalten und einer genauer Perlustrierung unterzogen. Bei der Durchsuchung der Rucksäcke wurden in jenem des Franz Reinthaler kommunistisches Propagandamaterial (…) durchgehend neueren Datums vorgefunden und beschlagnahmt. Bei deren Einvernahme konnte festgestellt werden, dass Mathias Schieß ebensolches Propagandamaterial ca. 2 Stunden vorher an ihnen angeblich unbekannte Kommunisten in Lend bereits ausgefolgt hatte. Schieß und Reinthaler wurden verhaftet und wegen Verbrechen des Hochverrates dem Bezirksgerichte in Gastein eingeliefert. Deren Fahrräder wurden, da zur Verteilung des illegalen Propagandamaterials verwendet, beschlagnahmt. Zur Eruierung der Lender Kommunisten wurde unmittelbar eine Motorradpa­ trouille dahin entsendet und es gelang dem Rayonsinspektor Franz Krenn, dieselben in der Person des Albert Salzmann, am 24.1.1902 in Maishofen geboren, nach Lend, Bezirk Zell am See, zuständig und in Lend Nr. 72 wohnhaft, ferner Felix Menapaci, am 19.11.1908 in Mixnitz, Steiermark, geboren, nach Pernegg, Bezirk Bruck an der Mur, Steiermark, zuständig, in Lend Nr. 5 wohnhaft, als diejenigen zu ermitteln, welche das Propagandamaterial von dem Halleiner Mathias Schieß übernommen haben. Zu diesem Zwecke haben sich die vier genannten Kommunisten im Gasthause »Zum Steindlwirt« an der Passstraße nach Gastein getroffen. Die bei Salzmann und Menapaci vorgenommene Hausdurchsuchung blieb jedoch negativ. Das ganze Material war von diesen also schon in sicheren Verstecken verwahrt worden. Durch das Geständnis des Schieß und Reinthaler sind sie der Übernahme aber überwiesen,

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weshalb sie wegen Mitschuld am Hochverrate verhaftet und dem Bezirksgerichte in Taxenbach eingeliefert wurden. Gendarm Rudolf Hovorka setzte auftragsgemäß die Motorradpatrouille nach Hallein fort, wo im Einvernehmen mit dem Posten Hallein Hausdurchsuchungen bei Reinthaler und in der Wohnung des Mathias Schieß vorgenommen wurden, wobei aber gleichfalls belastendes Material in keiner Weise vorgefunden werden konnte. Obwohl diese Amtshandlungen unmittelbar und in einem Zuge durchgeführt wurden, war es nicht mehr möglich, weiteres Beweismaterial festzustellen. Daraus kann entnommen werden, mit welcher Vorsicht seitens dieser Kommunisten vorgegangen wird. Der Posten Hallein sprach dabei die Vermutung aus, dass mit der Verhaftung des Schieß und Reinthaler einer der Haupttäter der illegalen Propaganda kommunistischer Art dingfest gemacht ist. Damit dürfte aber auch der Beweis erbracht sein, dass dieses gesamte Material tagsüber und auf die festgestellte Art und Weise in die verschiedenen Orte des Landes gebracht wird. Ein besonderes Augenmerk wird daher jenen Ortsfremden zuzuwenden sein, welche unter dem Deckmantel eines Fahrradausfluges u. dgl. in den verschiedenen Orten auftauchen. Im Gegenstande werden die Forschungen fortgesetzt (…) Gendarmeriepostenkommando Hofgastein Hofgastein, 22. August 1935 Zu F. Nr. 26 – 29 Betr.: Hochverrat, Nachtragsmeldung. An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. (…) es kann nachstehend ein weiterer Erfolg gemeldet werden. In vierstündiger Vernehmung des Schieß und Reinthaler durch den Gefertigten beim hiesigen Bezirksgerichte am 21.8.1935 konnte festgestellt werden, dass Mathias Schieß die illegale kommunistische Zentrale von Hallein bildete (Er ist Mitglied der VF). An Schieß hatten sämtliche von ihm mit Material beteilten Ortszellen die Gelder für Beitragsmarken, Mitgliedsbeiträgen usw. abzuführen. Schieß war auch derjenige, welcher die Streuungen der Flugzettel anordnete, die Streu- bzw. Legezeiten angab und weiters auch die Verteilung des Propagandamaterials an die übrigen Orte über hatte, deren Handlungen er durch Schriftprobe überwiesen werden konnte. Ferner wurde bei dieser Vernehmung ermittelt die genaueren Umstände, wie, wo und an wen die Übergabe des Propagandamaterials am 20.8. in Lend erfolgte, wer der Verbindungsmann (Albert Salzmann) in Lend ist usw. Mit diesem Vernehmungsmaterial ausgerüstet, wurden am 22.8. Gendarm Rudolf Hovorka und Rayonsinspektor Franz Krenn mit Motorrad nach Lend und Taxenbach entsendet.

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Nach zweistündiger fachgemäßer Vernehmung des Albert Salzmann und F ­ elix Menapaci bei dem Bezirksgerichte in Taxenbach durch Rayonsinspektor Franz Krenn und Gendarm Rudolf Hovorka brachen die Täter zusammen und schritten zu einem vollen Geständnis ihrer illegalen Handlungsweise. Aufgrund dieses Geständnisses konnte auch das Versteck in Lend im Burschenhaus Gigerach Nr. 5 in einem leerstehenden Haus ermittelt und das gesamte Material (2 Pakete wie die in Hofgastein abgefangenen) restlos zustande gebracht werden. Der Posten in Lend wurde davon in Kenntnis gesetzt. Der Posten in Hallein wurde um die Verhaftung der Lebensgefährtin des Schieß namens Marianne Ortner ersucht, welche bei der Verpackung des Materials am 19.8. abends in ihrer eigenen Wohnung und in Gegenwart des Schieß und Reinthaler anwesend war. Schieß bezeichnete als Überbringer dieses Materials einen Mann namens Herbert (ist natürlich Deckname), an den er auch die von ihm gesammelten Gelder abzuführen gehabt hätte. Die Forschungen mit Badgastein sind noch immer ergebnislos, da Schieß den Verbindungsmann von Badgastein nicht preisgibt. Die Forschungen werden fortgesetzt. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 29. Oktober 1935 Zl. 8166 Betr.: Kommunistische Umtriebe in Lend im Pinzgau. An das Bundeskanzleramt G. D./St. B. in Wien. Mit Bezug auf die h. ä. Berichte vom 27.8. und 18.9.1935, Zl. 7271/1 bzw. 7271/3, wird berichtet, dass es nunmehr gelungen ist, als aktiv tätige Kommunisten in Lend im Pinzgau auch den Hilfsarbeiter Karl Guggenberger und dessen Gattin Emma und den Hilfsarbeiter Johann Stangl und dessen Gattin Maria auszuforschen. Ersteren wurde nachgewiesen, dass sie bis Juli 1935 Mitgliedsbeiträge entrichtet und an die dzt. wegen Verdacht des Hochverrates und Geheimbündelei in landesgerichtlicher Untersuchungshaft stehenden Kommunisten Albert Salzmann und Felix Menapaci in Lend abgeführt zu haben. Das Ehepaar Stangl hat versucht, für die illegale Kommunistische Partei Mitglieder zu werben. Maria Stangl hätte im Mai 1935, als ihr Gatte wegen vorgefallener kommunistischer Umtriebe festgenommen worden war, von Menapaci Unterstützungsbeiträge von S 4 und S 10 erhalten,

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Sie wurden verhaftet und mit der entsprechenden Anzeige dem Gericht eingeliefert, außerdem durch die Bezirkshauptmannschaft Zell am See das Strafverfahren nach der Verordnung B. G. Bl. Nr. 200/1933 eingeleitet. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 18. Mai 1936 Zl. 3046 (Geschäftszahl  : 331.493 G. D./St. B. 36, Vorzahl  : 329.092 G. D./St. B. 36) Betr.: Kommunistische Propagandaaktionen in der Zeit vom 30. April bis 5. Mai 1936 im Lande Salzburg. An das Bundeskanzleramt St. B. in Wien. In Verfolg der telegrafischen Meldungen und im Nachhange zum h. a. Berichte vom 7. Mai 1936, Zl. 3034, wird noch ergänzend zur Kenntnis gebracht, dass in Puch und Adnet, Bezirk Hallein, je ein Höhenfeuer in Form von einem Sowjetstern und von Hammer und Sichel, in Saalfelden, Bezirk Zell am See, ein großes Höhenfeuer, bei welchem 116 Pechfackeln verwendet wurden, in Form von 3 Pfeilen zum Abbrennen gebracht wurde. In Saalfelden konnten 3 Personen als Täter verhaftet und dem Bezirksgericht Saalfelden eingeliefert werden. Ferner wurde auf der Seepromenade in Zell am See eine Anzahl roter Flugzettel mit den bekannten Aufschriften »Nieder mit dem Faschismus  ! Freiheit  !« u. dgl. gestreut. Die Flugzettel wurden eingesammelt.

5. »… Die Zeit der Parteienherrschaft ist vorüber.« Heimwehr und Vaterländische Front

Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 28. April 1934 Zl. 6006 Betreff  : Papierböller-Attentat im Festspielhaus während der Heimatschutzversammlung. An das Bundeskanzleramt (St. B.) in Wien. Am 21. d. Mts. fand im Festspielhause in Salzburg eine Versammlung des Heimatschutzverbandes Salzburg statt, zu welcher der Herr Vizekanzler Major a. D. Fey als Redner erscheinen wollte. Anderweitige dringende Regierungsgeschäfte verhinderten den genannten Staatsmann an dem Erscheinen und wurde der erste Vizebürgermeister der Bundeshauptstadt Wien, Major a. D. Lahr,179 mit der Vertretung des Herrn Vizekanzlers betraut. 179 Fritz Lahr (1890–1953) wurde in Salzburg geboren, übersiedelte jedoch bereits im 6. Lebensjahr nach Wien, wo er Sekretär der Vereinigung der Züchter und Rennstallbesitzer und stellvertretender Landesführer der Wiener Heimwehr war. In dieser Funktion hegte er Kontakte zur NSDAP und verhandelte 1933 mit dem Wiener Gauleiter Alfred Eduard Frauenfeld über eine mögliche Zusammenarbeit von Wiener Heimatschutz und NSDAP. Bundeskanzler Engelbert Dollfuß berief am 6. April 1934 Richard Schmitz zum Wiener Bürgermeister. Gleichzeitig wurden drei Vizebürgermeister berufen, wobei politische und ständische Rücksichten ausschlaggebend waren. Lahr wurde aus Rücksichtnahme auf die Heimwehr und die konservativ-nationale Richtung in diesem Wehrverband zum 1. Vizebürgermeister ernannt. Am 11. März 1938 griff Lahr in den Gang der Ereignisse rund um die nationalsozialistische Machtergreifung in Wien ein, indem er zusammen mit Nationalsozialisten wie Karl Gatzenberger, Karl Sobolak und Thomas Kozich im Wiener Rathaus den von Bürgermeister Schmitz organisierten Widerstand brach. Aus Dank wurde er von Arthur Seyß-Inquart mit der Führung der Geschäfte des Bürgermeisters von Wien betraut, während Schmitz verhaftet und in das Gefangenenhaus am Donaukanal überstellt wurde, von wo aus er mit dem ersten Österreicher-Transport am 1. April nach Dachau gebracht wurde. Lahr übte das Amt des Wiener Bürgermeisters nur zwei Tage aus. Am 12. März sandte er an Hitler, der am Abend in Linz ankam, ein Telegramm, in dem er erklärte, dass zur »immerwährenden Erinnerung an diesen Tag und um dem Geiste, der nunmehr die Stadt Wien beseelt, sichtbaren Ausdruck zu verleihen«, der Rathausplatz in Adolf-Hitler-Platz umbenannt werde. Sein Ansuchen um Aufnahme in die NSDAP 1939 wurde mit der Begründung seiner Stellung in der Ära Dollfuß/Schuschnigg abgelehnt. Vgl. Gerhard Botz  : WIEN vom »Anschluss« zum Krieg. Nationalsozialistische Machtübernahme

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Die Versammlung wurde um 20 Uhr 15’ eröffnet. Nach einer längeren Rede des Herrn Nationalrates Elshuber180 über die Organisation der Zivilfront des Heimatschutzes ergriff um ca. 21 Uhr der Vizebürgermeister Major a. D. Lahr das Wort. Ungefähr 15 Minuten nach Beginn seiner Rede wurde auf der Bühne eine kleine schlagähnliche Detonation wahrgenommen, auf welche nach ca. 1 Minute eine größere Explosion eines Papierböllers, welcher am Brückenwagen des Bühnenaufbaues unterhalb diverser Blattpflanzen deponiert war, folgte. Durch die Explosion wurden einige Blumentöpfe mit Blattpflanzen gegen die Decke des Festspielhauses geschleudert und einige Bretter des Brückenwagens zertrümmert. Der Papierböller war mit mehreren Taschenlampen-Batterien und mit einer Weckeruhr nach dem Muster einer Höllenmaschine montiert, sodass durch den Zeiger der Weckeruhr der Kontakt zu den Taschenlampen-Batterien, welche mit einem Kupferdraht zusammengelötet waren, um 9 Uhr 15’ ausgelöst wurde. Das eine Drahtende führte in den Papierböller, während das andere Drahtende an einer Schraube befestigt war, welche durch Berührung mit dem Zeiger den Kontaktschluss vermittelte. Der Papierböller war von der bekannten kubusartigen Form rechtsdeutscher Provenienz, der mit Chlorat-Sprengstoff gefüllt war. Der montierte Papierböller wurde mit nassen, grob faserigen Sackleinen gefüllt, um die Wahrnehmung des Tickens der Weckeruhr auszuschalten. Die Dekoration der Bühne und der Bühnenaufbau wurden von der Gebäudeverwaltung der Festspielhausgemeinde unter Leitung eines Heimwehr-Offiziers durchgeführt. Die Revision der Bühne und des Saales wurde durch die Kriminalbeamten der Bundespolizeidirektion einige Stunden vor Beginn der Versammlung durchgeführt. Die Bühne war jedoch mittags bereits vollkommen dekoriert und war der Brückenwagen, in dessen Verstrebungen die Böllermaschine durch bisher unbekannte Täter hineingeschmuggelt wurde, derart verlegt und vernagelt, dass eine genaue Revision und politisch-soziale Umgestaltung am Beispiel der Stadt Wien 1938/39. – Wien/München 1978. S. 51ff.; Maren Seliger  : Scheinparlamentarismus im Führerstaat. »Gemeindevertretung« im Austrofaschismus und Nationalsozialismus. Funktionen und politische Profile Wiener Räte und Ratsherren 1934–1945 im Vergleich. – Wien/Berlin o. J. S. 54 und S. 146f. (Politik und Zeitgeschichte. Herausgegeben von Emmerich Talos und Marcel Fink. Band 6.) 180 August Elshuber (1890–1956) war nach dem Besuch der Volksschule in Mauthausen und des Gymnasiums in Wels Postinspektor in Salzburg, 1920 Mitbegründer der Salzburger Heimwehr, 1929 Gauführer des Pongaus 1931 wurde er im Zusammenhang mit dem Pfrimer-Putsch verhaftet und bis 1932 außer Dienst gestellt, 1933 Landesleiter und politischer Referent. 1932 bis 1934 Abgeordneter des Heimatblocks zum Nationalrat, 1934 bis 1938 Obmann der Arbeiterkrankenkasse-Versicherungskasse für das Land Salzburg. 1938 wurde er außer Dienst gestellt, 1940 verhaftet und 1945 wieder in den Postdienst aufgenommen.

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desselben bedauerlicherweise unmöglich war. Die mangelhafte Beaufsichtigung des Bühnenaufbaues durch die Gebäudeverwaltung des Festspielhauses hat es dem Täter ermöglicht, die Böllermaschine in den Brückenwagen hineinzuschieben. Durch die vorerwähnte Explosion wurden die drei Heimwehrmänner Rupert Kranich, Franz Pöschl und Engelbert Hochrainer verletzt und mussten nach Anlegung eines Notverbandes durch die freiwillige Rettungsgesellschaft in das Spital der Barmherzigen Brüder überführt werden. Die Verletzungen sind nach dem Gutachten des Polizeiarztes und des behandelnden Arztes des genannten Spitales erfreulicherweise leichter Natur. Durch Holzsplitter wurden auch Landeshauptmann-Stellvertreter Dr. Wagenbichler, Landeshauptmann-Stellvertreter Hofrat Dr. Schemel und der Kapellmeister der Militärkapelle des Alpenjäger-Bataillons 3, Anger, leicht verletzt. Die Bestellung der Blattpflanzen für den Bühnenschmuck hat nicht der ständige Lieferant der Festspielhausgemeinde, und zwar die Stadtgärtnerei, sondern über Ersuchen der Landesleitung des Heimatschutzes der gewesene Schutzkorpsmann Max Niedermayer besorgt. Da der Genannte keine geeigneten Kletterpflanzen der erforderlichen Größe besitzt, musste Niedermayer Palmen von der städtischen Gärtnerei der Friedhofsverwaltung ausleihen. Beim Transporte dieser Palmen war der Fleischhauergehilfe Georg Scheumüller (…), welcher vorübergehend in der Friedhofsgärtnerei beschäftigt war, behilflich. Der Genannte war Mitglied der NSDAP, wurde in letzter Zeit in Morzg öfters zu Putzscharen ausgehoben und gilt als fanatischer Anhänger dieser Partei. Er wurde deshalb wegen dringenden Verdachtes der Mittäterschaft in Haft genommen. Nach der bereits amtsbekannten Taktik derartiger Beschuldigter wird ein Geständnis kaum zu erzielen sein. Die Zimmermeistersgattin Maria Gstür, Salzburg, Reichenhallerstr. 19 wohnhaft, hat unterhalb ihres Balkons das Gespräch zweier Anhänger der NSDAP abgelauscht und auf diese Weise in Erfahrung gebracht, dass die Böllermaschine mit den Gartengeschirren und den Blumen in das Festspielhaus hineingebracht wurde. Während des Bäumetransportes waren Mitglieder des Heimatschutzverbandes im Festspielhaus zugegen und haben die Dekoration der Bühne geleitet. Da Georg Scheumüller nachmittags um ca 3 Uhr das Festspielhaus abermals betreten hatte, um Blumen auszutauschen, dürfte um diese Zeit die Böllermaschine in den Brückenwagen gelegt worden sein. Die Strafanzeige gegen unbekannte Täter wurde der Staatsanwaltschaft in Salzburg übermittelt, wobei gleichzeitig gegen Georg Scheumüller, der dem landesgerichtlichen Gefangenenhaus in Salzburg eingeliefert wurde. die Strafanzeige wegen Teilnahme am Verbrechen der boshaften Beschädigung fremden Eigentums gemäß § 85b St. G. erstattet wurde.

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 17. September 1934 Geschäftszahl  : 241.156 G. D./St. B. 34 Gegenstand  : Saliger Erich aus Salzburg, anscheinende Abkehr vom Nationalsozialismus. An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. In der Anlage wird die Abschrift eines Briefes des angehaltenen Erich Saliger an den Landesführer der Heimwehr in Salzburg, Josef Ziller, mit der Einladung zur Kenntnis übermittelt, hinsichtlich einer allfälligen Entlassung des Erich Saliger antragstellend zu berichten. Brief des Angehaltenen Erich Saliger, Objekt 236, an den Landesführer der Heimwehr, Josef Ziller, in Aigen Salzburg. Wöllersdorf, am 9.9.1934 Lieber Vetter Sepp  ! Ich hätte eine große Bitte an Dich  ! Wärest Du nicht so gut und könntest Du Dich beim Sicherheitsdirektor verwenden, da Du doch sicher als Führer der Salzburger Heimwehr einen ungeheuren Einfluss hast und es für Dich bestimmt nur ein paar Worte kostet, was für einen anderen unerreichbar ist. Ich habe hier meine blauen Wunder in Bezug auf Kameradschaft erlebt und habe Dir einmal von der vielgepriesenen nationalsozialistischen Volksgemeinschaft bis ich draußen bin allerhand zu erzählen, so schreiben lässt sich das ja nicht, da, obwohl ich den Brief »eingeschrieben« aufgebe, nicht wissen kann, in welche Hände der Brief fällt, denn unter den anderen Angehaltenen wittert einer in jeden Zehnten einen Spitzel. Hier ist die Stimmung in Bezug auf den nationalsozialistischen Sieg fast auf den Nullpunkt gesunken, natürlich die meisten sind fanatische Anhänger, was man vielleicht früher bei den Roten als Verhetzte bezeichnet hat und hier auch ganz gut anwenden kann. Aber manchen ist allerdings schon ein Licht aufgegangen, nur ist der Rückweg aus diesem Labyrinth schwer zu finden. Viele davon wären allerdings froh, wenn sie nie etwas vom Nationalsozialismus gehört hätten. Doch diese Menschen sind bestimmt nicht zu verwerfen, denn es wurde ihnen alles in rosigen Farben geschildert und sie stehen dann enttäuscht, nachdem mancher vielleicht für eine Utopie sein alles in die Waage geworfen hat. Man sieht es hier auch wieder am besten, die was das Geld haben, die sind hier auch die Bonzen und die armen Teufel sind die Narren. Du wirst einmal staunen, was ich Dir für Sachen erzählen werde, die Du vielleicht gar nicht glaubst.

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Bitte lieber Vetter Sepp, könntest Du mir auch dazu verhelfen, dass ich in die Heimwehr bzw. Hilfspolizei aufgenommen werde, würde Dich voll zufrieden stellen und würde ich jeder Aufgabe gewachsen sein. Gleichzeitig bitte ich Dich im Namen des Rudolf Schwanzer, ein Sohn vom Schwanzer von der Gaisbergbahn, dass Du Dich auch für ihn verwenden mögest. Er könnte Dir auch in jeder Beziehung behilflich sein, da er unter seinen Kollegen einen großen Anhang hat. Du weißt was wie  ! (…) Bitte Dich nochmals und hilf mir und dem Rudl, würden Dir ewig dankbar sein und alles machen, was verlangt werden wird, (…) Bundeskanzleramt Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit Wien, 27. März 1935 Geschäftszahl  : 321.085 G. D./St. B. 35 Gegenstand  : Angebliche Separationsbestrebungen in der Landesleitung Salzburg des österr. Heimatschutzes. Die Bundespolizeidirektion Wien (Oberpolizeirat Dr. Ludwig Weiser) teilt am 26.3.1935 telefonisch mit  : Der Bundespolizeidirektion ist aus verlässlicher Quelle die Mitteilung zugekommen, dass der Stabschef des österreichischen Heimatschutzes in Salzburg namens Elshuber darauf hinarbeitet, große Teile des österreichischen Heimatschutzes von der Gesamtbewegung abzusplittern. Als Grund hierfür wird angegeben, dass Vizekanzler Starhemberg dem »schwarzen Kurse« vollkommen erlegen sei und die eigentlichen Ziele des Heimatschutzes verraten habe. Elshuber soll mit einer Reihe von Personen, die seinerzeit dem Bunde Oberland181 angehörten, der in Oberös181 Der Bund Oberland wurde 1921 in München als Nachfolgeorganisation des ehemaligen Freikorps Oberland gegründet. Seine Erkennungszeichen waren die ehemaligen Reichsfarben Schwarz-RotWeiß und das Edelweiß. Programmatisch widmete er sich dem Kampf gegen den Versailler Vertrag und betonte, im Gegensatz zu anderen paramilitärischen Organisationen in Bayern, die absolute Reichstreue. Zudem vertrat er das Konzept eines »nationalen Kommunismus«, wodurch er in eine Außenseiterposition im völkischen Lager in Bayern geriet. 1922 wurde der Veterinär Friedrich Weber Vorsitzender des Bundes und geriet aufgrund seiner privaten Beziehungen zu dem völkischen Verleger Friedrich Julius Lehmann in den Dunstkreis Adolf Hitlers. Anfang September 1923 trat der Bund Oberland dem aus der SA und der »Reichskriegsflagge« Ernst Röhms gebildeten Deutschen Kampfbund bei und übertrug am 25. September die alleinige politische Führung Adolf Hitler. Der Bund Oberland beteiligte sich am Putsch Hitlers am 9. November 1923 in München und wurde nach dessen Scheitern von der bayerischen Regierung für aufgelöst erklärt. In Form des neu gegründeten Deutschen Schützen- und Wanderbundes konnte er jedoch überleben und wurde im Rahmen einer allgemeinen Amnestie im März 1925 neu gegründet. In den folgenden Jahren kam es in dem unter Mitgliederschwund leidenden Bund Oberland zu sich verschärfenden Spannungen zwischen dem linken »national-kommunistischen« und nationalrevo-

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terreich und Salzburg unter dem Namen eines Kameradschaftsbundes der ehemaligen Oberschlesien-Kämpfer wiedererstanden ist, zusammenarbeiten. Er versucht, für seine Ideen alle nationalen antiklerikalen und antilegitimistischen Elemente der Heimwehr zu gewinnen.182 Angeblich werden für die separatistische Bewegung in Heimwehrkreisen Gelder gesammelt, es wird sogar behauptet, dass man Verbindungen nach Deutschland suche, um dort geld für die Bewegung aufzutreiben. Gendarmeriepostenkommando Zell am See Zell am See, 23. Februar 1935 E Nr. 532 Betr.: Römerstädter Bezirks-Zeitung, staatsfeindliche Meldungen über Österreich. An die Bezirkshauptmannschaft Zell am See. Nachstehend wird folgender Artikel der Römerstädter »Bezirks-Zeitung«, vormals »Römerstädter Zeitung«, Nr. 8, Römerstadt am 23. Februar 1935, XXVII. Jahrgang, auf Seite 3, in Vorlage gebracht. lutionären Flügel, der Kontakte zu dem Nationalbolschewisten Ernst Niekisch unterhielt, und dem bürgerlichen Flügel um Friedrich Weber, der im Dezember den Versuch unternahm, den Bund geschlossen in die NSDAP zu überführen. Dies wurde auf der Jahresversammlung des Bundes jedoch abgelehnt, worauf Weber von seiner Funktion zurücktrat. Ihm folgte General a. D. Adolf Aechter, dessen Wiederwahl jedoch bereits 1930 von den südbayerischen und österreichischen Gruppen verhindert wurde. Sie setzten die Wahl Ernst Rüdiger von Starhembergs zum neuen Vorsitzenden durch, worauf die Mehrheit der deutschen Gruppen aus dem Bund austrat, 1931 eine neue Organisation, die Oberlandkameradschaft, bildeten und schließlich der NSDAP beitraten. Die linke nationalrevolutionäre Splittergruppe vollzog nicht diesen Schritt und gründete die sog. »Widerstandskameradschaft«, die im Sommer 1934 von den NS-Machthabern verboten wurde. Vgl. dazu Hans Jürgen Kuron  : Freikorps und Bund Oberland. Phil. Diss. – Erlangen 1960  ; Hans Fenske  : Konservativismus und Rechtsradikalismus in Bayern nach 1918. – Bad Homburg 1969  ; Armin Mohler  : Die Konservative Revolution in Deutschland 1918–1932. Ein Handbuch. 4. Auf. – Darmstadt 1994. https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bund_Oberland,_1921–1923/1925–1930 (Abgerufen am 3.11.2018.) 182 August Elshuber gehörte auch der von Odo Neustädter-Stürmer Anfang 1937 in Folge des Juliabkommens 1936 ins Leben gerufenen, auf einen Ausgleich mit der NSDAP zielenden »Nationalen Aktion« an, deren organisatorischer Niederschlag der »Deutsch-soziale Volksbund« war. Er sollte als Sammelbecken all jener nationalen Kräfte dienen, die die putschistische Politik der NSDAP ablehnten. Schuschnigg stand diesen Ambitionen ablehnend gegenüber und ordnete die umgehende Auflösung des Volksbundes an. Ein Adjutant Schuschniggs soll in diesem Zusammenhang erklärt haben, die ganze Gesellschaft sollte man nach Wöllersdorf verfrachten. Der Kanzler misstraute in der Folge Odo Neustädter-Stürmer, der am 20. März 1937 die Sicherheitsagenden an Polizeipräsident Michael Skubl abtreten musste. (Höbelt  : Die Heimwehren und die österreichische Politik 1927–1936. S. 390f.)

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Österreich. Der Nationalsozialismus in Österreich. In Genfer Kreisen wird davon gesprochen, dass Meldungen aus Österreich vorlägen, wonach zahlreiche Führer des Heimatschutzes für den Nationalsozialismus arbeiten. Der abweisende Standpunkt des Fürsten Starhemberg sei nicht tragisch zu nehmen. Unbestreitbar sei vielmehr, dass der Nationalsozialismus in die Reihen des Heimatschutzes Eingang gefunden hat. Auch mit den Zwistigkeiten zwischen Starhemberg und Fey, der in der letzten Zeit vertraulich mit den Nationalsozialisten verhandelt habe, sei in einem für die Partei günstigen Sinne zu rechnen. Was den Bundeskanzler Schuschnigg betreffe, glaube man nicht, dass er im entscheidenden Augenblicke einen ausschlaggebenden Schritt gegen die Gleichschaltung unternehmen könnte. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 8. Juni 1935 Geschäftszahl  : 322.381 G. D./St. B. 35 (Miterledigte Zahlen  : 322.382 St. B. 35) Gegenstand  : Versammlung des österr. Heimatschutzes in Salzburg am 30. März 1935. Bundespolizeidirektion Salzburg Salzburg, 31. März 1935 Zl.: 4468/22-33 Betr.: Heimatschutzversammlung im Festspielhause in Salzburg am 30. März 1935. An die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, St. B. in Wien I., Herrengasse 7. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich bekanntzugeben, dass die Versammlung des Heimatschutzes, welche am 30. März 1935, 20 Uhr, im Spielsaale des Festspielhauses unter der Parole »Auch Salzburg will den geraden Weg« stattfand, ohne Anstand verlief. Die Versammlung war von ca. 1600 Personen besucht und sprachen als Redner General i. R. Josef Ontl, Landeswehrführer des Salzburger Heimatschutzes, Zweiter Landesführer-Stellvertreter Josef Ziller, Landwirtschaftsführer Direktor Wilhelm Flatz und Gauführer Michael Haslinger aus Zell am See. General i. R. Josef Ontl als Landeswehrführer des Salzburger Heimatschutzes eröffnete die Versammlung, begrüßte die Anwesenden und erinnerte daran, dass sich in 3 Wochen der Tag jährt, wo ebenfalls in diesem Saale eine Heimatschutzversammlung stattfand, bei der in der Vertretung des damaligen Ministers Fey Major Lahr aus Wien sprach. Als er kaum einige Minuten gesprochen hatte, explodierte

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eine Bombe, wodurch einige Heimatschutzleute und ein Feuerwehrmann getötet wurden. Er entschuldigte hierauf den Landesstabsleiter Elshuber, der ebenfalls sprechen sollte, aber an Grippe erkrankte und gab bekannt, dass dafür Gauleiter Michael Haslinger sprechen werde. Hierauf ergriff Landesstatthalter Dr. Wagenbichler das Wort, dachte der Gefallenen des Jahres 1934, vor allem des Bundeskanzlers Dr. Dollfuß, und führte aus, dass es nicht Absicht des Heimatschutzes sei, Unfrieden zu stiften und dass diejenigen Leute, die dies etwa glauben, nicht auf ihre Rechnung kämen. Der Heimatschutz kämpfe nur dagegen, dass der alte Parteigeist, wie er früher bestanden habe, wiederauflebe. Es müsse ein gerader Weg bei der Erneuerung gegangen werden, denn die Zeit der Parteienherrschaft ist vorüber. Wir wollen den Christlichen Ständestaat. Um dies zu ermöglichen, wurde die Vaterländische Front gegründet. Wir wollen den geraden Weg, so wie ihn Dr. Dollfuß wollte, im Einvernehmen mit Fürst Starhemberg, so wie es Fürst Starhemberg heute will, der das Banner von Dollfuß übernahm (…) und der heute Führer der Vaterländischen Front ist. Die Vaterländische Front wurde gegründet, um einen Neuaufbau zu ermöglichen. Neues zu beginnen, nicht aber gegründet, um alten Parteigeist fortleben zu lassen, sondern der Parteiherrschaft ein Ende zu bereiten. Begeistert haben die Heimatschützer diesem Ruf Folge geleistet, sich in den Kampf gestellt, ohne um einen Vorteil zu fragen. Sie haben nicht für sich, nicht für die Heimat, sondern für Österreich gekämpft. Das muss festgehalten werden. Wir wollen heute offen sprechen, denn das erwarten diejenigen, die jahrelang im Kampf gestanden sind, die, ohne einen Vorteil zu haben, auf den Bergeshöhen Grenzwache standen und keinen Dank dafür hatten, sondern dafür beschimpft wurden. Nicht um Stimmung zu machen, (…) sei er heute zu dieser Versammlung gekommen, sondern verschiedene Umstände, die in der letzten Zeit aufgetaucht sind, haben ihn dazu bewogen, seinen Kameraden davon Mitteilung zu machen und gleichzeitig aufzufordern, zusammenzuhalten und dem zu folgen, der die Fahne trägt. Der Redner erwähnte verschiedene Missstände und kam auf das Leichenbegräbnis des erschossenen Nationalsozialisten Hauser, welches am 16.3.1935 in Leopoldskron stattfand, (zu sprechen) bei dem nach verschiedenen Versionen 900 bis 1600 Teilnehmer, offenbar lauter Gesinnungsgenossen, teilnahmen. Heimatschützern, die zusahen, wurde nahegelegt, wegzugehen, damit sie die Nationalsozialisten nicht reizen. Ferner sprach der Redner die Gründung der Schutzwehr bei der Post, die unter der falschen Vorspiegelung, es handle sich um einen Kameradschaftsverband, ins Leben gerufen wurde. Der Generaldirektor wünschte die Schutzwehr und seine Angestellten sind mit der Entlassung bedroht worden, falls sie sich nicht der Schutzwehr anschlossen bzw. beitraten. Bei der Gründung der Schutzwehr der Eisenbahn wurde ebenfalls über die Heimwehr losgezogen. Ein Vorfall sei auch bemerkenswert, dass Angehörige des Heimat-

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schutzes, die in den Julitagen bei Lamprechtshausen an Seite der Exekutive gekämpft haben, heute arbeitslos sind, wogegen die Gegner, die sich später dem Freiheitsbunde183 anschlossen, Arbeit bekamen. Wenn gesagt wurde, dass sich ein höherer Funktionär des Heimatschutzes gegen die Vaterländische Front ausgesprochen habe, so sei dies eine bewusste Lüge und dadurch entstehen Verbitterungen. Um diese Missstände aufdecken zu können, müssen wir einig sein und alles daransetzen, dass hier die Vaterländische Front eingreife und dies könne nur dann geschehen, wenn die Vaterländische Front durch den Heimatschutz beeinflusst werde. Er wolle nicht gegen die Vaterländische Front sprechen, sondern nur betonen, dass der Heimatschutz, seinem Verdienste entsprechend, mitreden könne. Der Heimatschutz fordert die Kameraden auf, in der Vaterländischen Front Einfluss zu erlangen und schloss seine Rede mit einem »Heil Starhemberg«. Hierauf führte der Zweite Landesführer-Stellvertreter Josef Ziller kurz aus, dass der Heimatschutz gleichsam auf einer Wegscheide stehe, ein Weg führe gerade aus, einer nach links zum Nationalsozialismus, einer nach rechts zur Monarchie, und der dritte gerade aus. Für den Heimatschutz gibt es nur den geraden Weg und der heiße Arbeit und Brot oder Tod. (…) Landeswirtschaftsführer Direktor Wilhelm Flatz, der als nächster folgte, erklärte, dass er als Wirtschafter spreche und auch die Wirtschaft wolle den geraden Weg. Österreich ist aus dem Kriege als das am schwersten geprüfte Land hervorgegangen und das Parteiensystem war unfähig, etwas gegen die große Not zu tun. Nach dem Umsturze haben sich in Italien 149 Kleinkaufleute und Frontkämpfer gefunden, die sich sagten, nieder mit den Parteien, denn es gehe um die Nation. Mussolini habe den Marsch nach Rom angetreten und seine Idee mit Hilfe des Königs verwirklicht. Was damals für Italien galt, gilt auch heute für Österreich. Der Faschismus ist die Zusammenfassung aller Kräfte auf das gemeinsame Wohl des Volkes. Dieser Frontkämpfergeist ist auch in wirtschaftlicher Art ein Kampf gegen die Krise auf Leben

183 Der Freiheitsbund wurde 1927 von den christlichen Gewerkschaftern als Schutzformation gegen Angriffe der Sozialdemokraten gegründet. Bis zum Jahr 1934 verfügte er über rund 2000 Mitglieder. Erst nach den Februarkämpfen und dem Juliputsch der Nationalsozialisten 1934 erhielt er verstärkt Zuzug sowohl von ehemaligen Sozialdemokraten wie auch von Nationalsozialisten, wobei vor allem der Beitritt von ehemaligen Nationalsozialisten aus strategischen Gründen – der systematischen Unterwanderung regimetreuer Organisationen – erfolgte. Wie weit dies auch auf ehemalige Sozialdemokraten zutraf, da die illegale Parteiführung eine ähnliche Parole ausgegeben hatte, ist nicht quantifizierbar. Der Freiheitsbund stand zu den Heimwehren vor allem aus zwei Gründen in deutlichem Gegensatz  : Er sah in der Gründung der Unabhängigen Gewerkschaft durch den Steirischen Heimatschutz einen unfreundlichen Akt und verstand sich, in deutlichem Gegensatz zur Heimwehr, als Verteidiger der demokratischen Ordnung. Vor allem aus seiner Ablehnung der faschistischen Tendenzen in der Heimwehr resultierten erheblichen Spannungen zwischen beiden Wehrformationen.

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und Tod. Das Programm des Heimatschutzes ist österreichisches Staatsprogramm. Bundesführer Starhemberg gelobte dem Bundeskanzler Dr. Dollfuß durch Handschlag Treue und Gefolgschaft. Und dieses Wort und dieser Handschlag waren der Wendepunkt in der österreichischen Geschichte. Von diesem Tage an war Österreich kein Parteienstaat mehr, sondern ein faschistischer Ständestaat. Auch die Forderungen des Heimatschutzes auf wirtschaftlichem Gebiete sind ein Kanzlervermächtnis und stellt der Heimatschutz die wirtschaftlichen Fragen in die vorderste Reihe. Die Tagesforderung der Heimwehr ist die Einsetzung eines Wirtschaftskommissärs mit diktatorischen Vollmachten und ruft das Volk mit Recht danach, denn nur der fürchtet den Wirtschaftskommissär, der den Tag und die Sonne nicht sehen kann und der hat zu verschwinden. Der Erneuerungsgeist der Staatsführung sei auf Schritt und Tritt durch Saboteure in den eigenen Reihen gehemmt. Die Vaterländische Front kann das Volk Österreichs nicht gewinnen, so lange noch alter Parteigeist und Sonderinteressen bei einzelnen Gruppen bestehen. So lange die Saboteure in den Körperschaften sitzen,184 so lange sei auch nicht daran zu denken, dass selbst ein Wirtschaftskommissär etwas besser machen könne. Und wer macht uns in Österreich die Bahn frei für die Wirtschaftsgesundung, wer geht den geraden Weg, es ist der Heimatschutz, die letzte Hoffnung des Volkes. Der Heimatschutz muss den Weg in eine bessere Wirtschaft bauen, sei es auch durch stählerne Waffen und Blut. Der Heimatschutz, der durch 10 Jahre den Ständestaat forderte und der ihn errang, wird auch seine Rechte im Ständestaat erringen. In der Vaterländischen Front Salzburgs ist die Zusammenarbeit mit dem Heimatschutz schlechter als in irgend einem Bundesland Österreichs. Es muss unter diesen Männern noch Kräfte und Hindernisse geben, die beseitigt werden müssen.185 Die Not des Bauernstandes ist am größten. Die Not des Bauernstandes ist die Not der Industrie. Es muss der gerechte Preis für des Bauern Schweiß und Fleiß gefordert werden. Der Redner schloss seine Ausführungen mit den Worten, die Heimatschützer tragen nicht umsonst den Hahnenstoß, sie verkünden den Tag für den Aufgang Österreichs, Männer und Weiber, es ist höchste Zeit, auf geht’s »Heil Starhemberg«. Als letzter sprach der Gauführer Michael Haslinger aus Zell am See, der zu Beginn seiner Rede die herzlichsten Grüße seiner Kameraden aus dem Gebirge überbrachte, die schon den Tag herbeisehnten, der heute gekommen ist. Es geht heute

184 Gemeint waren jene Christlichsozialen, die sich einer weiteren Faschisierung des Staates, wie sie von den Heimwehren gefordert wurde, widersetzten und für die Berücksichtigung bzw. Einführung demokratischer Strukturen in die ständischen Organisationen plädierten. 185 Ein indirekter Angriff auf die ehemaligen christlichen Gewerkschafter um Leopold Kunschak und auch Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl, der sich dem Machtanspruch der Heimwehren widersetzte und die Brücken zur nunmehr verbotenen Sozialdemokratie nie abbrach.

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darum festzustellen, was will der Heimatschutz und was wollen die Parteidemokraten mit dem Heimatschutz. Der Heimatschutz will kämpfen für Arbeit und Brot und vor allem für ein freies, unabhängiges, christliches und deutsches Österreich, während die Parteidemokraten mit dem Heimatschutz nach dem alten Sprichwort verfahren wollen »Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen«. Aber da haben sich die Herren gründlich verrechnet. Wenn die Leute sagen, die Heimwehr ist gegen die Regierung oder gegen die Vaterländische Front zu Felde gezogen, so ist das nicht wahr und es ist heute schon mehrmals betont worden, dass es nicht gegen Schuschnigg und Starhemberg gehe, sondern wollen wir es nicht dulden, dass Schuschnigg an dem Parteibonzentum scheitern müsse. Wir werden dieser Regierung zum Durchbruch verhelfen, denn wir wollen den Aufstieg Österreichs und ein glückliches frohes Vaterland. Dank der eigenen Kampfgemeinschaft und dank der Arbeit des Dr. Dollfuß und Fürst Starhemberg ist der Parteihader zu Grunde gegangen. Aber nun könne man wieder beobachten, wie alte Parteimänner den alten Parteikarren aus dem Sumpf wieder herausziehen wollen und sogar versuchen, den alten Amtsschimmel vorzuspannen, um gegen die Regierung anzurennen. Es ist gleich, ob Kunschak oder irgend eine andere Organisation oder Organisatiönchen dieses Fuhrwerk führen will, das Fuhrwerk muss verschwinden. Die bürgerlichen Parteien haben jahrelang 60 Prozent der Bevölkerung hinter sich gehabt und waren nicht imstande, dem Marxismus den Garaus zu machen. Dollfuß und Starhemberg haben es mit einem Federstrich getan. Ich möchte hinweisen, wie groß die Not im Gebirge ist und dass trotzdem der Bauer im Gebirge der erste war, der gekommen ist, als der Heimatschutz gerufen hat. Eines ist sicher, dass wir nicht dafür gekämpft und durchgehalten haben, dass die alten Parteibonzen und -größen wieder auferstehen, sondern dass wir gekämpft haben für ein neues Österreich. Hätte man die Ratschläge des Heimatschutzes im Jahre 1929 befolgt und das getan, was verlangt wurde, so wäre uns ein Februar und ein Juli 1934 erspart geblieben.186 Man macht auch dem Heimatschutz den Vorwurf und sagt, dass er in religiösen Dingen unverlässlich sei. Ich erinnere Sie daran, dass es eine Zeit gegeben hat, wo an Fronleichnamstagen die Kinderfreunde ihre Kinder auf die Berge geschickt haben, wo man in Wien in den Schulen kein Kruzifix aufhängen durfte und man das Christentum verspottete. Der damals so starken Christlichsozialen Partei ist es nicht gelungen, mit diesem Schund aufzuräumen. Dr. Dollfuß und der Heimatschutz haben es aber vollbracht und heute wirft man uns Unverlässlichkeit in der Religion vor.

186 In der Verfassungsdebatte des Jahres 1929 präsentierten die Heimwehren ein sich an den Ideen Othmar Spanns, seines Schülers Walter Heinrich und des Grazer Universitätslehrers Hans Riehl, einem Bruder des ehemaligen NSDAP-Obmanns Walter Riehls und Schwiegersohn des Alpine-Monat Generaldirektors Apold, orientierendes Konzept eines Ständestaates.

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In Bezug auf die Wehrorganisationen möchte ich erwähnen, dass man mich schon öfters frug, wozu man so viele Wehrorganisationen brauche, wenn es doch heißt, dass alle dasselbe Ziel haben. Mit Recht fragen viele, welche ist die richtige und welche ist die falsche und auch hier muss der Bevölkerung ein klarer Weg gewiesen werden. Es geht nicht an, dass jemand – es ist ein Lehrer im Pongau, der zuerst mit Dr. Bauer liebäugelte und sich dann mit Winkler187 einigte und im Jahre 1933 den Kindern, deren Eltern Anhänger des Heimatschutzes waren, mit schlechten Sittennoten drohte, – heute ein Führer der Ostmärkischen Sturmscharen188 ist. Ein anderer, der die SA instruierte und zu Neujahr 1934 den österreichischen Legionären an der Grenze ein gutes Jahr wünschte, ist heute Führer in einer Wehrorganisation. Wir haben lange geschwiegen, aber einmal ist es genug. Solche Eiterbeulen müssen entfernt werden und wenn es nicht anders geht mit Brutalität. Ich sage offen, die Vaterländische Front hat sich nur an den einen Willen zu halten und das ist der Wille des Führers Starhemberg. Hier muss der Wille des Führers gelten und an Dich, Dr. Wagenbichler, richten wir den Aufruf, räume auf mit diesen Missständen, und wenn es nicht anders geht mit Brutalität. Wir warten darauf, dass Du uns rufst. Der Redner schloss mit den Worten  : »Unsere Arbeit gilt der Heimat, unser Kampf den Bankrotteuren und Hasardeuren und dem Bonzentum, durch welche der Aufbau gefährdet wird. Heil Starhemberg  ! Heil Österreich  !« Die Versammlung wurde um 22 Uhr 15 nach Absingen der Bundeshymne ohne Zwischenfall beendet.

187 Gemeint ist der Landbund-Politiker Franz Winkler, 1920 bis 1930 Mitglied der Steirischen Landesregierung, 1930 bis 1934 Mitglied des Nationalrates, 1930 bis 1932 Innenminister und 1932 Obmann des Landbundes. Er gründete 1933 die »Nationalständische Front« als Wehrverband des Landbundes. 188 Die Ostmärkischen Sturmscharen (OSS) wurden 1930 in Innsbruck von Kurt Schuschnigg gegründet und basierten auf dem Bruder-Willram-Bund, einer katholischen Jugendorganisation, die sich der Betreuung und beruflichen Weiterbildung der Jugend widmete und sich nunmehr als politische Organisation mit dem Wirkungskreis Tirol konstituierte. Programmatisch basierten die OSS auf einem deutlichen Antisozialismus und einem Bekenntnis zum Christentum. 1933 erfolgte die Ausdehnung der OSS auf das gesamte Bundesgebiet. Ebenso erfolgte ihre Umwandlung in eine paramilitärische Organisation (Wehrverband), die auf ihren Bundesführer Kurt Schuschnigg ausgerichtet war, erstmals beim Katholikentag in Wien 1933 öffentlich auftrat und 1933/34 über rund 15.000 Mitglieder verfügte. Als Wehrverband gerieten sie bald in Gegensatz zu den Heimwehren, deren Kurs und Streben nach dem bestimmenden Einfluss auf die Regierungspolitik sie ablehnten. Nach der Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht 1936 wurden die OSS, wie alle anderen Wehrverbände, von Schuschnigg aufgelöst.

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 2. April 1935 Zl. 3554 Betr.: Heimatschutz Salzburg, Massenversammlung am 30.3.1935. An das Bundeskanzleramt G. D. – St. B. in Wien. (…) Bezüglich der Bemerkungen des Landesführer-Stellvertreters Dr. Alois Wagenbichler über Vorfälle beim Begräbnis des Nationalsozialisten Rupert Hauser in Leopoldskron am 16. März d. Js. ist anzuführen, dass seitens der Bezirkshauptmannschaft Salzburg durch Verlegung des Begräbnisses auf die Vormittagsstunden, Kommandierung einer Abteilung von 40 Gendarmeriebeamten, (…) eines Fotografen und durch Entsendung von Kriminalbeamten der Bundespolizeidirektion die entsprechenden Vorkehrungen getroffen worden waren, um jeglicher über die Teilnahme am Begräbnis hinausgehenden Demonstrationen oder Ruhestörungen wirksam begegnen zu können. Das Begräbnis, an dem ca. 900 Personen in vollster Ruhe und Ordnung teilnahmen, hat auch keinen Anlass zum Einschreiten gegeben, es wurden aber an Hand der Feststellungen über die Teilnehmer Anhaltspunkte gewonnen, von welchen Personen die Aufforderungen zur Beteiligung ergangen waren und aufgrund der nachträglichen Erhebungen gegen diese die Amtshandlungen durchgeführt. Beim Begräbnisse selbst wurde von den diensttuenden kommandierenden Gendarmeriebeamten lediglich ein Heimatschützer, der sich als Zuseher in auffälliger Weise eingefunden hatte, eingeladen, sich lieber wieder zu entfernen. Die im Zusammenhange mit der Apostrophierung der Vaterländischen Front und der Zurückdrängung des Heimatschutzes erhobene Forderung auf Zurückstellung des Parteigeistes wurde vom Redner durch den Hinweis unterstrichen, dass in Seekirchen, pol. Bezirk Salzburg, der bisherige Bezirksleiter der Vaterländischen Front, Josef Moser, der anlässlich des Juliputsches ebenso wie sein Sohn Rupert bei der Verteidigung des Gendarmeriepostens schwer verletzt und wegen tapferen Verhaltens ausgezeichnet wurde, kürzlich ohne Dankschreiben abgesetzt und an seiner Stelle ein Christlichsozialer zum Bezirksleiter bestellt wurde. Zum Freiheitsbund steht der Salzburger Heimatschutz in schroffem Gegensatz, hervorgerufen durch den starken Zulauf, den ersterer aus Arbeiterkreisen zu verzeichnen hat und durch die Errichtung der Post- und Telegrafenschutzwehr. Angeblich sei auf die Angestellten der Post- und Telegrafenverwaltung ein amtlicher Zwang zum Beitritt zu dieser als Kameradschaftsverband bezeichneten Organisation geübt worden. (…)

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In der Gegend von Lamprechtshausen, pol. Bezirk Salzburg, hat sich zuerst der Heimatschutz um Gewinnung der Arbeiterschaft bemüht und einen freiwilligen Arbeitsdienst eingerichtet. Der einige Zeit später werbend auftretende Freiheitsbund hat jedoch unter der arbeitslosen, ehemals in der Glasindustrie tätigen Bevölkerung stärkere Anziehungskraft an den Tag gelegt. Bei der Aufnahme neuer Mitglieder aus nationalsozialistischen Kreisen lassen übrigens beide Wehrverbände eine rigorose Auslese vermissen und wird dieser aus dem Wettlauf nach der höheren Mitgliederzahl zu erklärenden bedenklichen Vorgangsweise von hieraus ständig unter Hinweis auf die zu gewärtigende Folge der Unverlässlichkeit entgegengetreten. (…) Die Forderung des dritten Redners, Direktor Flatz (Bauspargenossenschaft Gemeinschaft der Freunde Wüstenrot, Salzburg) nach Einsetzung eines Wirtschaftskommissärs mit starken diktatorischen Vollmachten lässt sich als Kernpunkt des österreichischen Problems bezeichnen. In ernsten Wirtschaftskreisen sowohl als auch von Beobachtern der politischen Lage wird es als unerlässlich bezeichnet, dass nach Schaffung von Ruhe und Ordnung zu einem zielbewussten einheitlich geführten Wirtschaftsprogramm geschritten werde, dessen Aufstellung längst vermisst wird und dessen Ausführung nicht nur die Erfüllung aller vaterländischen Hoffnungen, sondern geradezu die Bedingung für den Bestand des bisher Erreichten bildet. Die vom letzten Redner Bundesförster Haslinger, Heimatschutzführer des Pinzgaues, der an Stelle des erkrankten Landesstabsleiters Elshuber das Wort ergriff, gegen die Ostmärkischen Sturmscharen erhobenen Angriffe gehen mehr oder weniger auf lokale Eifersüchteleien zurück. Der von ihm genannte Oberlehrer, der seinerzeit Sozialdemokrat war, später mit dem Bauernbund189 sympathisierte, ist der Oberlehrer Luedinger in St. Martin bei Lofer. Er ist Mitglied der Ostmärkischen Sturmscharen und militärischer Ausbildner, ohne in letzterer Funktion bisher bestätigt worden zu sein. Weiters hat der Redner auch den Oberlehrer Pichler in Weißbach bei Lofer als Nationalsozialisten, der nunmehr Führer der Ostmärkischen Sturmscharen sei, bezeichnet. Oberlehrer Pichler war bis zum Frühjahr 1933 Mitglied der NSDAP, hat aber später von dieser abgeschwenkt. Eine Aufforderung des Gauführers des Heimatschutzes, die Führung der Ortsgruppe des Jungvaterland190 zu übernehmen, hat Pichler abgelehnt, dagegen die Leitung der Ostmarkkindergruppe übernommen. Die Versammlung ist ohne Zwischenfall verlaufen. Treibendes Moment war nicht nur das Beispiel der Heimatschutz-Massenversammlung in Linz, sondern auch die antiklerikale Einstellung maßgebender Funktionäre des Salzburger Heimatschutzes, die sich in der Bildung von Gegensätzen und zur Abspaltung alter Heimatschützer insbesondere am Lande auswirkt. (…)

189 Muss heißen Landbund. 190 Jugendorganisation des Heimatschutzes.

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Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 4. April 1935 Geschäftszahl  : 323.080 G. D./St. B. 35 (Nachzahlen  : 337.145/35) Gegenstand  : Rudolf Hafner aus Zell am See  ; Flucht nach Deutschland. (…) An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. In der Anlage werden (…) Zeitungsausschnitte, betreffend (…) die Flucht des Autounternehmers Rudolf Hafner nach Deutschland, zur Kenntnisnahme mit der Einladung übermittelt, über den diesen Artikeln zugrunde liegenden Sachverhalt ausführlich anher zu berichten. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 4. Juni 1935 Zl. 3223/3 Betr.: Hafner Rudolf aus Zell am See, Flucht nach Deutschland. (…) An das Bundeskanzleramt G. D. – St. B. in Wien. Zum Erlass vom 4.4.1935, Zl. 323.080 – St. B./35, wird berichtet  : Rudolf Hafner, 21.4.1910 in Zell am See geboren und zust. gewesen, Chauffeur und Taxameter in Zell am See, war am 3.8.1934 vom dortigen Gendarmerieposten verhaftet und dem Landesgericht Salzburg eingeliefert worden, dass er am 16.7.1934 fünf radikale Nationalsozialisten von Zell am See zu einer Bergtour auf das Steinerne Meer nach Saalfelden gefahren hat, die nachträglich überwiesen wurden, hierbei Sprengstoffe von Bayern (Funtenseehaus) über das Gebirge nach Österreich geschmuggelt zu haben. Der Gendarmerieposten ist bei der Anzeige von der Annahme ausgegangen, dass dem Rudolf Hafner der damals bereits bestehende Verdacht des Waffenschmuggels umso mehr bekannt sein musste, als er Angehöriger und Zugskommandant des Heimatschutzes war, dass ihm ferner der Umstand, dass die Nationalsozialisten das Auto außerhalb der Stadt Zell am See in zwei Gruppen bestiegen hatten, als verdächtig auffallen musste und er es vorsätzlich unterlassen hat, die Anzeige zu erstatten und Sprengstoffverbrechen zu verhindern. Im Zuge des Gerichtsverfahrens, das sich insgesamt auf 21 am Schmuggel von Sprengstoff und Handgranaten beteiligte Nationalsozialisten aus Zell am See, Saalfelden und Alm erstreckte, wurden die Angeklagten Otto Raber, Friedrich Morokutti, Georg Hasenauer, Georg Hörl, Johann Wieser, Josef Steinwender, Alois Budimaier, Johann Morokutti, Paul

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Fuchs, Georg Höttl, Franz Haslinger, Anton Kramser, Josef Krottendorfer, Johann Kaltenberger, Johann Pacher, Ingomar Ziegler und Franz Koch vom Schwurgericht in Salzburg am 4.3.1935 zum Tod durch den Strang verurteilt (später zu 10 bis 20jährigen Kerkerstrafen begnadigt), Johann Altenberger zu 10 Jahren und Jakob Beihammer zu 1 Jahr schweren Kerker verurteilt. Das Verfahren gegen Anton Poschacher wurde damals ausgeschieden (er wurde am 31.5.1935 zum Tod durch den Strang verurteilt), nur Rudolf Hafner wurde freigesprochen und auf freien Fuß gesetzt. Am 21.3.1935 hat er sich von Zell am See entfernt und ist laut einer am 22.3.1935 aus München an seine Eltern adressierten Karte nach Deutschland geflüchtet. Durch die Flucht scheint Hafner zu bestätigen, dass er Mitwisser an den Sprengstoffverbrechen und getarnter Nationalsozialist war. Er wurde im Zentralpolizeiblatte zur Verhaftung ausgeschrieben, an das Gericht die Anzeige erstattet und seine Ausbürgerung durchgeführt. (…) Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 7. Oktober 1935 Geschäftszahl  : 362.877 G. D./St. B. 35 Gegenstand  : Politische Einstellung einzelner Gruppen des Salzburger Heimatschutzes. Aus dem Erhebungsakt ist zu entnehmen, dass die Abt. G. D. 4 aufgrund eines Berichtes des Sicherheitsdirektors für das Bundesland Salzburg, der beinhaltete, dass der Heimatschutz in den sieben Gemeinden um Werfen stark national durchsetzt sei, das Amt der Bundesführung mit diesem Berichte befasste. Das Amt des Bundesführers teilt nunmehr am 28. September 1935 der Abt. G. D. 4 mit, dass der Bezirksführer des Bezirkes Werfen der Landtagsvizepräsident und Bauer Matthias Hutter sei,191 welcher früher christlichsozialer Landtagsabgeordneter war. Forstrat Nölscher,192 von dem es hieß, dass er nationalsozialistisch eingestellt sei, ist gewöhnliches Mitglied der Ortsgruppe der Heimwehr und Landtagsabgeordne191 Matthias Hutter (1885–1966) war 1911 bis 1938 Hinterweglehenbauer in Pfarrwerfen und ab 1938 Pächter mehrerer Gaststätten, Bezirksführer der Heimwehr in Werfen, 1924 bis 1936 Obmann der land- und forstwirtschaftlichen Bezirksgenossenschaft in Werfen, 1936 bis 1938 Obmann der landund forstwirtschaftlichen Bezirkskammer in Werfen, 1932 bis 1934 Abgeordneter der CSP zum Salzburger Landtag, 1934 Landesrat, 1934 bis 1938 Mitglied des Ständischen Salzburger Landtages als Vertreter der Land- und Forstwirtschaft und Vizepräsident des Landtages. 1941 wurde er wegen regimekritischer Äußerungen zu einer viermonatigen Haftstrafe verurteilt. (Voithofer  : Politische Eliten in Salzburg. S. 98.) 192 Ing. Karl Nölscher (1886–1965) war 1916 bis 1949 Forstdirektor des Schlosses Blühnbach in Werfen, 1935/36 Mitglied des Hauptausschusses des Salzburger Landeskulturrates und 1934 bis 1938 als

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ter. Er hat, wie durch die Gendarmerie festgestellt wurde, nie der NSDAP angehört, trat im März 1934 dem Heimatschutz bei und hat im Juli 1934 den Widerstand gegen die aufrührerischen Nationalsozialisten tatkräftig organisiert. Die Anzeigen über die angebliche nationalsozialistische Einstellung des Salzburger Heimatschutzes stammen angeblich von Leuten, welche wegen Disziplinlosigkeit aus dem Heimatschutz ausgeschlossen wurden. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 28. April 1936 Geschäftszahl  : 323.227 G. D./St. B. 36 (Vorzahl  : 316.131 – St.B./36, Nachzahlen  : 328.208 St. B./36) Gegenstand  : Urhofer Franz, Plessl Ludwig, Beschimpfung des Heimatschützers Friedrich Neukam in Hallein  ; abfällige Äußerungen gegen Vizekanzler Fürst Starhemberg. Der Landesführer des Heimatschutzes Salzburg Salzburg, 11. März 1936 E. Nr. 1723/36 An Herrn Oberst Ludwig von Bechinie, Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. Sehr geehrter Herr Sicherheitsdirektor  ! Ich gestatte mir, Ihnen folgenden Vorfall zur Kenntnis zu bringen  : Der Heimatschützer Neukam Friedrich in Hallein wurde in einer größeren Gesellschaft wegen seiner Zugehörigkeit zum Heimatschutz von den Angehörigen der Ostmärkischen Sturmscharen Urhofer Franz, Hilfsarbeiter, und Plessl Ludwig, ebenfalls Hilfsarbeiter, beide in Hallein, Schiemerstraße wohnhaft, angestänkert. Plessl Ludwig, dem vom Angehörigen des Freiheitsbundes, Brauereiarbeiter Markwan, die Zeche bezahlt und von welchem er auch angeeifert wurde, erlaubte sich in nicht wiederzugebender Art Ausfälle gegen unseren Bundesführer und Vizekanzler Fürst Starhemberg  ; so sagte er u. a. wörtlich  : Starhemberg sei eine Rotzpippe, eine lausige, eine dreckige und anderes mehr. Der Wirt Meichle Isidor verbat sich solche Redenswarten und verwies dem Plessl das Lokal. Vertreter der Land- und Forstwirtschaft Mitglied des Ständischen Salzburger Landtages. (Voithofer  : Politische Eliten in Salzburg. S. 152.)

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Ich ersuche Sie, Herr Sicherheitsdirektor, den Fall zu untersuchen und gegen Plessl Ludwig und Genossen wegen Beleidigung eines Regierungsmitgliedes und unseres Bundesführers Fürsten Starhemberg einzuschreiten. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 16. April 1936 Geschäftszahl  : 316.131 G. D./St. B. 36 (Nachzahlen  : 323.227 St. B. 36) Gegenstand  : Urhofer Franz, Plessl Ludwig, Beleidigung des Heimatschützers Friedrich Neukam in Hallein  ; abfällige Äußerungen gegen Vizekanzler Fürst Starhemberg. Bezirkshauptmannschaft Hallein Hallein, 27. März 1936 Zl. 2794/8 Betreff  : Franz Urhofer und Ludwig Pessl, Beschimpfungen des Heimatschützers Friedrich Neukam und abfällige Äußerungen gegen Vizekanzler Fürst Starhemberg. Dem Herrn Sicherheitsdirektor in Salzburg unter Bezugnahme auf den h. a. Bericht vom 23.3.1936, Zl. 2794/6, mit dem Berichte rückvorgelegt, dass aufgrund der gepflogenen Erhebungen festgestellt wurde, dass am Samstag, den 7.3.1936 nachmittags, im Gasthause »Zur Goldenen Kugel« in Hallein Franz Urhofer und insbesondere Ludwig Pessl dem Heimatschützer Friedrich Neukam wegen seines am 17.1.1936 erfolgten Übertrittes vom Freiheitsbund zum Heimatschutz Vorwürfe machten. Überdies hatte Ludwig Plessl folgende beleidigende Äußerungen über Vizekanzler Fürst Starhemberg gebraucht  : »Starhemberg ist eine Rotzpippe, wir sind für diese Rotzpippe, für diese lausige, im Felde gestanden und haben den Schädel hingehalten.« Ludwig Plessl wurde h. a. am 20.3.1936 wegen Übertretung der Verordnung der Bundesregierung vom 10.4.1933, B. G. Bl. Nr. 120, gemäß § 6 dieser Verordnung mit 3 Monaten Arrest bestraft und am 21.3.1936 zur Haftverbüßung an das Polizeigefangenenhaus in Salzburg überstellt. Franz Urhofer wurde einstweilen auf freien Fuß gestellt, da er nach Aussage der Zeugen über Vizekanzler Fürst Starhemberg keine beleidigenden Äußerungen gemacht hat. Die Erhebungen gegen Urhofer werden fortgesetzt. Die gegenständliche Anzeige gegen die Genannten wurde auch dem Gerichte übermittelt.

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Durch intensive Nachforschungen konnte festgestellt werden, dass die Behauptung, Ludwig Plessl und Franz Urhofer seien Mitglieder der Ostmärkischen Sturmscharen, keineswegs den Tatsachen entspricht, beide haben niemals den Ostmärkischen Sturmscharen angehört. Franz Urhofer ist Mitglied des Freiheitsbundes, Ludwig Plessl hingegen gehört keinem Wehrverbande an. Amt des Landesführers des österreichischen Heimatschutzes Landesverband Salzburg Salzburg, 10. Juni 1936 A. Zl. 3383/3-KLM/K An den Herrn Sicherheitsdirektor des Landes Salzburg, Oberst Baron Ludwig Bechinie. Sehr geehrter Herr Oberst  ! Wir überreichen anliegend eine Abschrift eines Berichtes unseres Gauführers vom Tennengau vom 4. Juni l. J. und bitten ebenso höflich wie dringend um Bekanntgabe jenes Denunzianten, der unablässig einen braven Heimatschützer, wie unser Oberlehrer Josef Huber ist, verfolgt und verleumdet. Es kann für einen Lehrer in leitender Stellung keineswegs gleichgültig sein, wenn derselbe fortgesetzt und grundlos Gendarmerieerhebungen, gleich wie irgend ein Übeltäter, erdulden muss. Wir wenden uns in dieser Angelegenheit gleichzeitig auch an den zuständigen Ressortminister, Herrn Major Baar-Baarenfels. Heil Starhemberg  ! Abschrift Heimatschutzverband Salzburg Gauführung Tennengau Hallein, 4. Juni 1936 An das Amt des Landesführers des österreichischen Heimatschutzes in Salzburg. Der Gaujugendführer, Kamerad Oberlehrer Josef Huber in Puch, ist heute bei mir erschienen und gab Folgendes an mit dem Ersuchen, durch den Heimatschutz erwirken zu wollen, dass endlich einmal die falschen Anzeiger gegen ihn durch die Behörde zur Verantwortung gezogen werden. Am 23.5. kam der Gendarmerie-Postenleiter von Puch zu dem pensionierten Oberlehrer von Puch, Herrn Magreiter, und ersuchte denselben, ihm bei der Er-

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hebung behilflich zu sein, wo der Oberlehrer Huber sich am 20. und 21. Mai aufgehalten habe. Herr Magreiter besuchte darauf die Frau Oberlehrer Huber, welche ihm folgende Auskunft gab  : »Wir wurden am 19. Mai von Frau Baronin Einem angerufen, mit welcher wir seit Jahren in einem freundschaftlichen Verhältnisse stehen, sie am 20. Mai nachmittags im Hotel Europe in Salzburg zu besuchen. Dieser Einladung nachkommend, sind wir am 20. Mai nachmittags nach Salzburg gefahren. Abends sind wir wieder zurückgefahren. Ich stieg in Puch aus, während mein Mann nach Hallein zum Liedertafelabend weitergefahren ist. Am 21. Mai fuhr mein Mann mittags wieder nach Salzburg und sah sich dort den Festzug der christlichen Jugend an. Zum Mittagessen war er wieder zu Hause.« Herr Magreiter gab diese Auskunft an den Postenkommandanten von Puch weiter. Der Postenkommandant kam darauf am 25.5. wieder zu Herrn Magreiter und gab zu verstehen, dass die Erkundigungen wohl unterbleiben hätten können. Am 2.6. kam aber der Postenkommandant neuerlich zu Herrn Magreiter mit der Mitteilung, es müsse neuerlich erhoben werden, wo Oberlehrer Huber die angeführten zwei Tage war, da angeblich die gemachten Angaben nicht stimmen, sondern Oberlehrer Huber mit Frau Baronin von Einem nach Wien gefahren sein soll. Dazu sei bemerkt, dass Kamerad Oberlehrer Huber für seine Anwesenheit bei der Liedertafel in Hallein am Abend des 20. Mai mehr als vierzig Zeugen zur Verfügung stehen. Außerdem der Beamte bei der Bahn, der erst im letzten Abdrücken zum Zuge nach Puch gekommen ist. Weiters ist der Gatte der Frau Baronin Einem Mitglied des Heimatschutzes in Wien und die Frau Baronin Einem eine Nichte des Bundesministers für Justiz, Hammerstein-Equord. Selbst wenn Kamerad Huber mit Frau Baronin Einem nach Wien gefahren gewesen wäre, hätte er sich jedenfalls in einer Gesellschaft befunden, von der man annehmen kann, dass nachträglich keine hochnotpeinlichen Erhebungen notwendig sind. Die Gauführung schließt sich dem Wunsche des Kameraden Huber an, damit endlich den Quertreibereien ein Ende bereitet wird. Heil Starhemberg  ! Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Wien, 18. Juni 1936 Geschäftszahl  : 338.101 G. D./St. B. 36 (Nachzahl  : 340.982 G. D./St. B. 36) Gegenstand  : Oberlehrer Josef Huber aus Puch  ; Verdacht der nationalsozialistischen Parteitätigkeit. Ein Oberlehrer Josef Huber (am 13.1.1885 in Gnigl bei Salzburg geboren und dahin zuständig) erscheint h. o. als Mitglied der NSDAP (Mitgl. Nr. 1,308.118) vorgemerkt.

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Überdies wurde ein Ansuchen eines Oberlehrers Josef Huber aus Dürnberg bei Hallein um die Bewilligung zur Ausreise nach Deutschland vom Sicherheitsdirektor für Salzburg abgelehnt. Die Identität der beiden Personen steht nicht fest. Gerda von Einem, die Gattin des Generals William von Einem, wird seit dem Jahre 1934 bei ihrer Ein- und Ausreise nach Österreich ständig kontrolliert, da sie im Verdacht nationalsozialistischer Kuriertätigkeit steht. An den Herrn Sicherheitsdirektor für Salzburg in Salzburg. Es ergeht die Einladung, eine eingehende Information über den Oberlehrer Huber aus Puch, der auch als Gau-Jugendführer des Heimatschutzes fungiert, vorzulegen. Bemerkt sei, dass ein Josef Huber, Oberlehrer, h. o. als ehemaliges Mitglied der NSDAP (Mitgl. Nr. 1,308.118) vorgemerkt erscheint. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 30. Juni 1936 Zl. 3157/7 (340.982/36) Betr.: Oberlehrer Josef Huber aus Puch, Verdacht der nationalsozialistischen Parteitätigkeit. An das Bundeskanzleramt St. B. in Wien. Zum Erlass 338.101 G. D./St. B. vom 18.6.1936 beehre ich mich mitzuteilen, dass der als Mitglied der NSDAP aufscheinende Oberlehrer Josef Huber mit dem Oberlehrer und Gau-Jugendführer Huber in Puch identisch ist. Huber war bis vor kurzer Zeit in dem Grenzort Dürrnberg. Er wurde glaublich nach den Juliereignissen 1934 Heimatschützer und mit der Gründung einer Ortsgruppe betraut. Die Ortsgruppe bestand zum Großteil aus den seinerzeitigen SA-Leuten. Die Gauleitung des Tennengau ist national eingestellt. Oberlehrer Huber hatte bereits im Jänner 1934 für sich und seine Gattin um die Ausreise nach Deutschland angesucht und zur Begründung die lebensgefährliche Erkrankung der Schwester angegeben. Die Bezirkshauptmannschaft hat das Ansuchen abgewiesen, da die vorgebrachten Gründe nicht ausreichten, um eine Ausreise aus sicherheitspolizeilichen Gründen zu rechtfertigen. Die dagegen eingebrachte Berufung wurde h. a. aus vorstehenden Gründen abgewiesen. Das Ansuchen war überdies nicht mehr aktuell, da seit der angeblichen Erkrankung bereits 2 Monate verstrichen waren. Die Frau des Ober-

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lehrers versuchte immer wieder eine Ausreise zu erhalten und erschien auch einmal angeblich im Auftrage des damaligen Staatssekretärs Baron Hammerstein mit Frau von Einem. Ende 1934 und Anfang 1935 waren ja noch immer die Nachwirkungen der Putschtage zu spüren, so dass dem einst nationalsozialistisch eingestellten Oberlehrer nicht jenes Vertrauen geschenkt werden konnte, das eine Ausreise gerechtfertigt hätte. Ob Huber aus innerster Überzeugung oder vielmehr aus Geltungsgründen Nationalsozialist war, lässt sich schwer beurteilen. Es war auch vor Jahren Hofmeister bei einem Kinde Görings. Am 19. Mai 1936 wurde dann durch ein abgehörtes Telefongespräch erfahren, dass Frau von Einem für 20.5. zum Dinner das Ehepaar Huber, Notar Dr. Hueber, der auch Panly aus München mitbringen sollte, nach Salzburg lud. Panly ist zweifellos ein Deckname für eine mir heute noch unbekannte Person. Oberlehrer Huber und Frau erhielten vor ca. 2 Wochen eine einmalige Ausreise, die er erst in der Ferienzeit konsumieren will. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 11. Mai 1934 Zl. 3036/6 (168.660/34) Betreff  : Vaterländische Veranstaltungen vom 9. und 10. Mai in Salzburg. An das Bundeskanzleramt – G. D. – St. B. (zu Handen des Herrn Vorstandes Hofrat Bruno Hantsch) in Wien. In Entsprechung des dä. fernmündlichen Auftrages vom 10. ds. Mts. wird über den Verlauf der vaterländischen Veranstaltungen, welche am 9. und 10. Mai l. J. in Anwesenheit des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn Vizekanzlers stattfanden, nachstehender Bericht erstattet  : Vizekanzler Ernst Rüdiger Starhemberg langte am 9.5., im Auto von Linz kommend, um 18 Uhr in Salzburg ein, stieg im Hotel »Bristol« ab und nahm sodann an der um 20 Uhr ihm zu Ehren von der Landesleitung des Salzburger Heimatschutzverbandes im Stadttheater veranstalteten Festvorstellung teil. Die fast durchwegs von Dilettanten bestrittene Vorführung, die mit mehrfachen Huldigungen für den Bundesführer des Heimatschutzes begleitet war, wurde durch keinerlei Zwischenfälle beeinträchtigt und verlief unter musterhafter Einhaltung der Ruhe und Ordnung bei vollbesetztem Hause. Der Vorstellung schloss sich ein Kameradschaftsabend des Heimatschutzverbandes im Festsaale des Stiftes St. Peter an, welcher ebenfalls von jeglicher Störung bewahrt blieb.

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Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß ist am 10. ds. Mts. um 9 Uhr vorm. mit Flugzeug am Flugfelde in Maxglan gelandet, wo sich zu seinem Empfange der Vize­ kanzler, der Landeshauptmann, der Sicherheitsdirektor mit dem Landesgendarmeriekommandanten, der Sicherheitsreferent der Bezirkshauptmannschaft und der Bürgermeister der Stadt Salzburg sowie die Landesleitung der Vaterländischen Front eingefunden hatten und ihn nach Salzburg zu der auf dem Makartplatz errichteten Tribüne geleiteten, von wo aus der Bundeskanzler die Huldigungen des dortselbst vorbeimarschierenden Festzuges entgegennahm. Der Festzug bewegte sich vom Sammelraume am Mirabellplatze über die Dreifaltigkeitsgasse, Platzl, Staatsbrücke, Rudolfskai, Mozartplatz zum Residenzplatz, auf welchem eine Feldmesse gelesen wurde und nach Eintreffen des Festzuges auf einer vor dem Residenzgebäude aufgestellten Tribüne von Landeshauptmann Dr. Rehrl, Vizekanzler Bundesführer Starhemberg und Bundeskanzler Dr. Dollfuß an die versammelte Volksmenge Ansprachen gehalten wurden. Der Festzug wurde von der Landesführung der Vaterländischen Front in Salzburg veranstaltet und gestaltete sich infolge der überaus großen Beteiligung aus allen Teilen des Landes zu einer imposanten Kundgebung. Bundeskanzler und Vizekanzler wurden auch auf dem Residenzplatz von der begeisterten Menge in stürmischer Weise bejubelt und gefeiert. Die Teilnehmerzahl wird auf 23.000 Personen beim Festzuge, 5.000 längs des Marsches Spalier bildenden Personen und 2.000 Zuseher auf dem Residenzplatz, somit auf insgesamt 30.000 Personen geschätzt. Auch diese Veranstaltung verlief ohne irgendeinen Zwischenfall in glänzender Weise und bot den Vertretern der Bundesregierung ein Bild echten vaterländischen Sinnes und einen Beweis enthusiastischer Gefolgschaft auf dem Wege der Erneuerung Österreichs. (…) Aus Anlass dieser Veranstaltungen war der gesamte Sicherheitsapparat im Bundeslande Salzburg und die von den Bundespolizeidirektionen Wien und Linz eingetroffene Verstärkung von 120 Polizeiwachebeamten und 30 Kriminalbeamten aufgeboten worden. Außerdem wurden zwecks Sicherung der die Stadt Salzburg versorgenden Starkstromleitung aus dem Wiestalwerk Formationen der Ostmärkischen Sturmscharen und eine Kompanie des Alpenjägerbataillons Nr. 3 in Salzburg herangezogen, um sowohl die ungestörte Lichtversorgung der Veranstaltungen am 9.5. abends wie auch die Lautsprecherübertragung der Ansprachen am 10. ds. Mts. unbedingt zu gewährleisten. Dies ist auch durch Verhütung jeglicher Anschläge gelungen. An weiteren Sicherheitsvorkehrungen wurden sowohl die Verhängung der Schutzhaft über radikale marxistische Elemente, von denen infolge der größeren Aktivität Störungsversuche eventuell zu befürchten waren, durchgeführt, bereits in den Vortagen eine genaue Kontrolle der in den Salzburger Hotels abgestiegenen Fremden, ferner die Überwachung des gesamten Bahnverkehres und der sonstigen

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Verkehrsmittel durch fahrende Zugkontrollen und Bahnhofskontrollen sowie der Bundesbahnanlagen an den Strecken. Auch wurden Maßnahmen ergriffen, um den Zuzug von nationalsozialistischen und marxistischen Elementen nach Salzburg per Bahn und Straßenverkehrsmittel zu verhindern. Diesbezüglich wurde auch mit dem Sicherheitsdirektor für Oberösterreich das Einvernehmen mit dem Ersuchen um gleichartige Vorkehrungen hergestellt. Schließlich wurde im Stadtgebiete von Salzburg eine genaue Durchsuchung der Gebäude und sonstigen Objekte an den in Betracht kommenden Straßenzügen und Plätzen, sowohl bezüglich allfälliger Attentatsversuche als auch hinsichtlich unerwünschter regierungsfeindlicher Propaganda durchgeführt. Sämtliche für eine Gefährdung der unbedingten Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Nähe der Veranstaltungen in Betracht kommenden Objekte wurden durch Sicherheitsorgane bereits mehrere Stunden vor Beginn der Festlichkeiten besetzt gehalten. Auch der Entfaltung österreichfeindlicher Propaganda auf den umliegenden Bergen vom Untersberg bis zum Gaisberg sowie den Stadtbergen Salzburgs und dem Salzachfluss wurde die gebotene Aufmerksamkeit durch Kommandierung des in Hallein stationierten Heimatschutzbataillons bzw. Polizei- und Hilfspolizeipatrouillen zugewendet. Der Flugplatz in Maxglan wurde durch je 10 aus dem Bezirk St. Johann im Pongau und Zell am See konzentrierte Gendarmeriebeamte und die Probegendarmenschule Salzburg abgesperrt, abgesucht und überwacht. Diesen Sicherheitsvorkehrungen ist es zu danken, dass eine Reihe von beabsichtigten Böller-Explosionen präventiv verhindert wurden, indem in der Stadt Salzburg im Residenzbrunnen, im Garten des Hotels »Europe« und am Kapuzinerberg von unbekannten Tätern hinterlegte Papierböller sowie auf der Salzach herabschwimmende 22 Brettchen mit je 7 Sprengpatronen vor der Explosion geborgen wurden. Nur 2 von diesen Brettchen konnten nicht vor Erreichen der Stadt aufgefangen werden und explodierten die Sprengladungen auf der Höhe der Karolinenbrücke ohne Schadensstiftung. Im Stadtgebiet selbst sind ein Böller unterhalb der Staatsbrücke am Ufer ohne Schadensstiftung und in der Imbergstraße, Augustinergasse und im Sterngässchen in den Abendstunden des 7.5. explodiert, wobei Fensterscheibenbruchschaden bewirkt wurde. Auch die Auffindung einer Böllermaschine in der Nähe des Flugplatzes Maxglan stellte einen Erfolg der präventiven Sicherheitsvorkehrungen und der Aufmerksamkeit der mit der Absuchung des Platzes beauftragen Gendarmeriebeamten dar. (…) Die Böllermaschine bestand aus 55 Sprengpatronen, auf denen ein Uhrwerk lag, das mit 8 elektrischen Taschenlampenbatterien verbunden war, von denen die Zündschnur zu einer Sprengkapsel führte, welche in einer der Sprengpatronen in der Mitte der Sprengladung befestigt war. Im Zeitpunkt, auf den das Uhrwerk eingestellt war, wäre durch automatische Herstellung des Kontaktes der Taschenlampenbatterien die Zündschnur in Brand gesteckt und hierdurch die Zündung der Sprengkapsel

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bzw. der ganzen Ladung herbeigeführt worden. Nach Unschädlichmachung der Böllermaschine durch Zerschneiden der Leitungsdrähte lief das zum Landesgendarmeriekommando gebrachte Uhrwerk um 8 Uhr 45 Min. ab, sodass angenommen werden kann, dass die Explosion zu dieser Zeit hätte herbeigeführt werden sollen. (…) Infolge der Konzentrierung des Hauptaugenmerkes der Sicherheitsmaßnahmen auf jene Örtlichkeiten, die durch die festlichen Veranstaltungen in Salzburg gekennzeichnet sind und infolge des geringen Standes der Gendarmeriebeamten, um dessen Ergänzung in jüngster Zeit sowohl vom Landesgendarmeriekommando als auch von hier aus gebeten wurde, konnte trotz stärkster Inanspruchnahme der Überwachungsdienst außerhalb des Stadtgebietes, mit Ausnahme des Flugplatzes selbst, nicht derart dicht gestaltet werden, dass die Bahnstrecken in ihrer gesamten Länge besetzt werden hätten können. Es konnte deshalb nicht verhindert werden, dass an der Bundesbahnstrecke Salzburg – Bischofshofen am 10. Mai l. J. um ca. 2 Uhr 50 Min. in der Nähe der Haltestelle Vigaun und der durch einen Schutzkorpsposten bewachten Tauglbrücke und bald darauf in der Nähe der Haltestelle Sulzau auf dem Bahnkörper Sprengkörper befestigt und zur Explosion gebracht wurden. Außerdem wurde in der Nähe des erstgenannten Tatortes das Telefon- und Telegrafenkabel gesprengt. An beiden Geleisen waren Sprengpackungen zu je 12 zusammengebundenen Sprengpatronen samt Zündschnur und Sprengkapsel an den äußeren Schienen mit Draht festgebunden. In beiden Fällen explodierte jedoch bloß die Sprengladung an einem Geleise, da die Zündvorrichtung des Sprengkörpers am anderen Geleise durch die erste Explosion zerstört wurde. Durch die Explosion wurde an beiden Sprengstellen das Geleise aufgerissen, und zwar bei der ersteren ein ca 70 cm langes Schienenstück fortgeschleudert, sodass der Zugsverkehr eine Unterbrechung von annähernd 1,5 Stunden erfuhr. Als der Tat verdächtig erschien ein Motorradfahrer, da kurz vor der ersten Sprengdetonation das Anlassen eines Motors und Fortfahren eines Motorrades vernommen und auch in der Nähe des zweiten Tatortes das Vorbeifahren eines solchen gehört worden ist. Unter dem dringenden Verdachte der Täterschaft wurden um 5 Uhr 30 Min. von einem Beamten des Gendarmeriepostens St. Gilgen der Uhrmacher Max Ortner und der Spengler David Krieghofer, beide aus Hallein und Anhänger der NSDAP, verhaftet, die auf einem Motorrade in St. Gilgen eintrafen und in deren Besitz außer geladenen neuen reichsdeutschen Waltherpistolen Werkzeuge, Draht und eine Sprengkapsel gefunden wurde. (…)^

Heimwehr und Vaterländische Front

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg Salzburg, 14. Mai 1934 ad. Zl.: 3036/6 (171.128/34) Betreff  : Vaterländische Veranstaltungen am 9. und 10. Mai 1934 in Salzburg. An das Bundeskanzleramt – G. D. – St. B. in Wien I., Herrengasse 7. Im Nachhang zum h. ä. Berichte vom 11. d. Mts. beehrt sich die Sicherheitsdirektion noch zu melden, dass auch das motorisierte Fahrerkorps der Vaterländischen Front Linz mit ihrem Kommandanten Landesregierungsrat Kiesling in einer stattlichen Anzahl von Fahrern zum Festzuge angemeldet war, dieses aber während der Fahrt infolge von Sabotageakten auf einige Leute zusammenschmolz. Auf den Straßen Oberösterreichs, insbesondere in der Gegend von Wels, waren nämlich derart dicht Nägel gestreut, das die Pneumatiks beschädigt wurden und vielfach die Fahrt aufgegeben werden musste. Auch sollen Tätlichkeiten gegen die vaterländischen Motorfahrer während der Fahrt vorgekommen sein.

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Abbildungsnachweis

Fotoarchiv Franz Krieger/Stadtarchiv Salzburg  : 8, 9, 15, 19, 20, 21. Fotosammlung/Rehrl-Briefe Salzburger Landesarchiv  : 1, 10, 11, 12, 13, 14, 16. Fotosammlung Oesterreichische Nationalbibliothek  : 5, 6, 7. Archiv Haslauer-Bibliothek  : 17, 18. Heimatschutz in Österreich/Wien  : 2, 3, 4.

Personenregister Ablinger, Johann 371, 373 Abram, Simon 510 Ackermann, Felix 117 Ackermann, Manfred 117, 122, 624 Adam, Walter 23, 24, 242 Adam, Wilhelm 97 Adler, Friedrich 120 Adler, Viktor 569, 609 Aechter, Adolf 637 Ager, Christian 497, 498 Ahne, Walter 297, 298, 300 Aicher, Bernhard 54, 55, 94, 301 Aigner, Josef 56 Alberti, Albrecht 317, 386 Alfieri, Dino 198 Allgayer, Raoul 379, 525, 527 Aloisi, Pompeo 198, 342 Altenberger, Johann 647 Altmann, Johann 443 Altmann, Lotte 181 Amanshauser, Helmut 361 Ammerhauser, Friedrich 433 Anderl, N.N. 275, 583 Anfuso, Filippo 198 Angelberger, Johann 445 Angelis, Maximilian de 95 Angerer, Hermann 380 Anger, N.N. 634 Anzböck, Rudolf 555 Apold, Anton 134, 642 Apold, Arnold 606 Armstorfer, Franz 435 Asen, Franz 438 Attolico, Bernardo 197 Auer, Josef 433 Auersperg, Fürst 323 – 325 Aufschnaiter, Franz 529 Auinger, N.N. 503 Auriti, Giacinto 493 Baar-Bahrenfels, Eduard 228, 317, 350, 360, 612 Bachinger, Franz 289, 290 Bachler, Matthias 457

Bachmayer, Gustav 510 Badeni, Kasimir von 410 Bahr, Hermann 47 Baillou, Clemens 268 Baillou, Franz 268 Baillou, Magda 269 Baldwin, Stanley 194 Balfour, Arthur James 344, 345 Baltasar, Stefan 306 Balzac, Honoré de 37 Bandian, Alexander 480, 481 Bankosegger, Georg 362 Barberowski, Jörg 581 Bardolff, Carl 495 Barthou, Jean Louis 82 Barton, Peter F. 283 Bastianini, Guiseppe 198 Bauchinger, Martin 340 Bauer, Ingrid 116 Bauer, Otto 117, 118, 120 – 123, 125, 128, 129, 142 – 144, 150, 545, 564, 586, 587, 595, 623, 624, 643 Baumann, Franz 278 – 281 Baumer, W. 382, 383 Bayer, Emil 365 Bechinie von Lazan, Ludwig 53, 113, 310, 311, 414, 650 Beer, Franz 433 Beethoven, Ludwig van 180 Behartinger, Josef 625 – 627 Beihammer, Jakob 647 Beneš, Edvard 209 Bentele, Johann 438, 441 Berger, N.N. 509 Berger-Waldenegg, Egon 198, 199, 206, 208, 209, 225, 228, 612 Bergmann, Ernst 32 Berliner, Wilhelm 353 Bernaschek, Richard 545 Bernhard, Alfons 511 – 513 Besl, Ottokar 503 Binggl, Richard 427 – 429 Binggl, Peter 429

Personenregister Bismarck, Otto von 11, 36, 41 Blaschek, Johann 594 Blomberg, Werner von 383 Bochmann, Willi 480 Bogensberger, Josef 607, 608 Böhler, N.N. 386 Bono, Emilio de 193 Bose, Herbert von 332 Botz, Gerhard 103 Brandner, Anna 300, 301 Brandner, Josef 300, 301 Brandstätter, Karl 362 Brandthaler, Johann 614, 615, 617 Brandthaler, Josef 611 Brandtner, Theodor 96 Braun, Alois 422 Braun, Hermann 537, 538 Braun, Julius 323 – 325 Brauneis, Victor 353 Bredow, Kurt von 332 Brendel, Rudolf 30 Budimaier, Alois 646 Bulgari, Anton 602 Bülow, Bernhard Wilhelm von 75, 84, 202, 383 Bürckel, Josef 213 Buresch, Karl 212, 354, 612 Burger, Friderike Maria 181 Buttinger, Joseph 122 – 126, 136, 137, 144, 624 Cecil, William 194 Cerruti, Vittorio 189, 196, 197 Cervantes, Miguel de 37 Chamberlain, Neville 247 Churchill, Winston 195, 292 Ciano, Galeazzo 198, 200 Coudenhove-Kalergi, Richard 30 Crammer, Raimund 504 Czermak, Emmerich 60, 63, 64 Czernetz, Karl 145 Czerny, Ernst 298, 302 Damberger, Rudolf 455, 456 Danninger, Johann 511, 512 Dante Alighieri 37 Dekan, Otto 365, 366 Delbos, Yvon 237 Dengg, Sepp 362

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Deubler, Anton 321 Deutelmoser, Ferdinand 462, 463 Deutsch, Emmerich 297 Deutsch, Julius 117, 623, 624 Diem, Franz 627 Dietrich, Marlene 47 Dillinger, Ludwig 374, 375 Dillinger, Ludwig jun. 377 Dimitroff, Georgi 138, 139, 141, 143, 147, 588, 589, 591 Dobler, Michael 114, 510 Dobretsberger, Josef 228, 612 Dohrn, Klaus 29, 30, 34 Dollfuß, Engelbert 9, 14 – 25, 27, 29, 34, 35, 40, 43, 46, 48, 49, 51 – 66, 68, 73, 76, 77, 79, 80, 83 – 87, 91, 93 – 98, 106, 129, 133, 146, 161 – 164, 166 – 168, 172 – 174, 180, 185, 187, 188, 192, 202, 208, 209, 211 – 214, 216, 218, 222, 236, 241 – 244, 250, 255, 270, 289, 290, 300, 313, 315, 316, 318, 354, 356, 357, 365, 384, 386, 387, 389 – 393, 395, 405, 408, 449, 450, 490, 491, 493, 521, 543 – 546, 550, 553 – 556, 560, 561, 565, 567, 586, 590, 594, 599, 607, 632, 639, 641, 642, 654 Domanig, Gottfried 29 Doppler, Otto 363 Dostojewski, Fjodor 37 Draxler, Ludwig 154, 157, 175, 353, 612 Duffek, Hikki 256 Düll, Willibald 394 – 397 Düngler, Franz 528 Dürager, Franz 438, 440 Düregger, Karl 53, 73 Dworschak, Engelbert 23 Dworzak, Rudolf 457, 581, 583 Ebeling-Winkler, Renate 116 Eberhardt, Karl 106 Eberle, Joseph 205 Ebner, Matthias 437, 447 Eden, Anthony 191, 194, 237 Eduard VIII., König 184 Egger, Felix 109, 445 Eibl, Rupert 592 Eifler, Alexander 520 Einem, Gerda Louise von 338, 340, 651 – 653 Einem, Gottfried von 338, 340

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Personenregister

Einem, Karl von 338, 340 Einem, William von 338, 652 Eisenbach, N.N. 446 Eisenberger, N.N. 510 Elshuber, August 633, 636, 637, 639 Embacher, Alois 626 Emminger, Karl 51, 113, 398, 549, 566 Ender, Otto 59, 162, 175, 561 Engelhart, Leopold 18 Engels, Friedrich 559 Engerth, Wilhelm von 269 Eppensteiner, Emmerich 626 Erbach-Schöneberg, Victor Prinz zu 79, 223 Ergert, Wilhelm 95 Erlach-Schöneberg, Victor Prinz zu 210 Esser, Hermann 408, 409 Essler, Ruppert 276 Esterhazy, Fürst 133 Eugen von Savoyien, Prinz 40 Fabitsch, Rupert 434 Falger, Maria 323 Falger, Wilhelm 323 Fallinger, Josef 438 Fankhauser, Rupert 425 – 429 Färbinger, Roman 370 Fazinelli, Johann 510 Feichtner, Franz 503, 504 Feichtner, Johann 434 Fein, Erich 625 Felber, Franz 434 Felber, Roland 380 Felleis, Roman 117, 624 Fellinger, Josef 442 Ferber, Walter 30 Fessmann, Karl 503 Fey, Emil 61, 63, 82, 87, 95, 96, 129, 281, 317, 386, 390, 392, 393, 395, 458, 522, 544, 545, 554, 556, 560, 561, 565, 567, 590, 611, 612, 632, 638 Filzer, Johannes 314 Fingernagel, Anton 435, 436 Fink, August 442 Fink, Franz 435, 439 Fink, Josef 434 Firmian, Leopold Anton Freiherr von 284 Fischer, Eduard 306, 308, 309 Fischer, Ernst 144, 145, 620, 624

Fischer, Rudolf 614 Flatscher, N.N. 275 Flatz, Wilhelm 638, 640, 645 Fleisch, Josef Arbogast 481 Florey, Gerhard 283 – 286, 407, 470 Foerster, Friedrich Wilhelm 30 Foppa, Hermann 101, 214 Forsthuber, August 297, 298, 300 Forstner, Ferdinand 555 Francesconi, Karl 428 Franckenstein, Georg 83, 88, 184, 187 François-Poncet, André 189 Frankenthurn, Paul Freiherr Gautsch von 410 Frank, Walter 413 Franz Ferdinand, Erzherzog 495 Franz Joseph I., Kaiser 505 Frauenfeld, Alfred Eduard 108, 204, 386, 632 Frauenlob, Josef 441 Freundlinger, Franz 288, 290 Frick, Wilhelm 412, 413 Friedhuber, Erwin 363 Friedrich, Katharina 429 Friesacher, Michael 470 Fuchs, Paul 646 Funder, Friedrich 24, 212, 232, 242 Furet, François 141 Fürnberg, Friedl 136 Gaderer, N.N. 275 Gappmaier, Balthasar 424, 428 Garscha, Winfried R. 146 Gassner, Franz 436 Gatzenberger, Karl 632 Gayl, Else von 377 – 379 Gehmacher, Friedrich 178 Geister, N.N. 309 Gerl, Josef 555, 592 Gföllner, Johannes Maria 56 Glaise-Horstenau, Edmund 46, 80, 205, 208, 232 – 234, 487, 495 Glanz, Stephan 446 Glass, Fridolin 94, 97, 521 Gleißner, Heinrich 86, 216 Globocnik, Odilo 224, 225 Gluck, Christoph Willibald 45 Gmachl, N.N. 496

Personenregister Goebbels, Joseph 10, 203, 204, 238, 293, 295, 332, 356, 357, 409 Goethe, Johann Wolfgang von 45 Gömbös, Gyula 189, 210 Görgen, Hermann M. 39 Göring, Edda 327 Göring, Hermann 203, 216, 293, 295, 330, 332, 333 Götzinger, Felix 435 Grabner, Johann 438 Gräfe, Albrecht von 412 Grandi, Dino 194 Greifeneder, Friedrich 614, 618 Grill, Franz 614 Grillparzer, Franz 45 Grimm, Julius 540 Gröbner, Simon 613, 617 Grömer, Johann 537 – 539 Gronemann, Samuel 344, 346, 348, 349 Grossauer, Johann 31 Grosser, N.N. 326 Größwang, Josef 53, 73 Gruber, Alexander 108 Gruber, Franz Xaver 312 Gruber, Georg 380 Gruber, Gregor 431, 432 Gruber, Johann 626, 627 Gruber, Josef 625 Grundner, Franz 437, 439, 442, 444 Gschwandtner, Johann 290, 291 Gstür, Maria 634 Gugg, Friedrich 282 Guggenberger, Emma 630 Guggenberger, Karl 630 Gundringer, Anton 442, 479 Günther, Johann 108, 109, 443 Guttenberg, Walter 374, 375 Guttmann, Ludwig 133, 604 Haas, Robert 349 Habersatter, Mathias 519 Habicht, Theo 77, 79 – 81, 83 – 86, 91 – 95, 97, 98, 202, 204, 212, 213, 215, 216, 225, 382, 383, 386, 408, 411 – 414, 426, 563 Habl, Simon 434 Habsburg, Otto von 148, 291 Hackinger, Karl 445

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Haderer, Florian 377 Hafner, Rudolf 646, 647 Hagn, N.N. 435 Haidenthaler 447 Haid, Ferdinand 297 Haider, Jörg 214 Haidinger, Josef 270 – 274 Haidinger, Josef jun. 274 Haiger, Peter 529 Haini, Franz 575, 576 Hamburger, Franz 94 Hammerstein-Equord, Hans von 127, 228, 287, 310 – 312, 459, 475, 487, 612, 653 Hamsun, Knut 474 Handl, Johann 540 Hanisch, Ernst 58, 110 Hantsch, Bruno 310, 344, 427, 653 Hantsch, Hugo 38 – 40 Harrer, Johann 438 Hartl, Wilhelmine 614, 617, 618 Hasenauer, Georg 646 Haslauer, Johann 511 – 513 Haslinger, Franz 647 Haslinger, Michael 638, 639, 641, 645 Haslwimmer, Franz 511, 512 Hassell, Ulrich von 74, 75, 80, 92, 198, 202 Hau, Ludwig 517 Hauck, N.N. 324, 327 Hauer, Jakob Wilhelm 500 Hauk, Christian 269 Haunschmidt, Eduard 504 Haupolter, Walter 466 Haupt, Hamilkar 73 Hauser, N.N. 639 Hauthaler, Josef 66, 313, 315 Hautmann, Hans 146 Hecht, Robert 450 Heer, Friedrich 21 Heilig, Konrad J. 39 Heinemann, N.N. 517 Heinrich, Walter 642 Hellbart, Josef 364, 362, 365 Helmer, Oskar 294 Henning, Wilhelm 412 Hensel, Walter 13 Herbst, Alois 435, 436 Hermenau, Hans 284

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Personenregister

Herzl, Theodor 346, 348 Herzog, Josef 540 Hess, Rudolf 204, 292 Heydrich, Heinrich 293 Hildebrand, Adolf von 28 Hildebrand, Dietrich von 20, 21, 27 – 35, 37, 43, 205 Hildmann, Richard 72 Hillebrand, Johann 377 Hilzensauer, Walter 288, 290 Himmler, Heinrich 293 Hindenburg, Paul von 74 Hinner, Alois 414, 418 Hinterbauer, Karl 614 Hinterleitner, Oskar 225 Hirnschal, N.N. 307, 308, 310 Hirschal, N.N. 379 Hirschmann, Franz 370 Hitler, Adolf 9 – 13, 17, 19, 24, 32 – 36, 43, 48, 74, 75, 77, 79 – 81, 83 – 86, 90 – 93, 95 – 98, 101, 105, 108 – 110, 115, 127, 129, 134, 140, 146, 148, 156, 186, 188, 189, 191 – 194, 196 – 199, 202 – 204, 206, 208, 211, 212, 214, 224 – 229, 231 – 233, 237, 241, 246, 276, 277, 292, 293, 303, 308 – 310, 324 – 327, 330, 332, 333, 343 – 345, 356, 357, 359, 380, 383, 384, 388, 389, 392 – 394, 397, 406, 407, 409, 411 – 413, 417 – 419, 423, 430, 434, 449, 468 – 470, 476, 477, 491, 496, 501, 505, 508, 518, 520 – 522, 530, 534, 538, 539, 544, 545, 556, 561 – 564, 590, 593, 599, 606, 609, 632, 636 Hoare, Samuel 194, 195 Höbelt, Lothar 227 Hobinka, Otto 366 Hochleitner, N.N. 457 Hochrainer, Engelbert 634 Hochwarter, Johann 511, 512 Hofer, Andreas 384 Hofer, Raffael 363, 389 Hoffmann, N.N. 506 Hofmann, Oskar 456 Hofmannsthal, Hugo von 44, 45, 47, 183 Höhn, Rudolf 370 Hois, Johann 602 Höller, Josef 402 Höllrigl, Eduard 336, 337 Holoubek, Karl 117, 624 Holzapfel, Anna 583

Holzapfel, Rosa 582 Holzmeister, Clemens 47 Holztrattner, Franz 441 Holzweber, Franz 521 Hönemann, Albert 437 – 439, 444 Honner, Franz 136 Hörbiger, Attila 47 Hörl, Georg 646 Hornbostel, Theodor 82, 90, 228, 238, 241, 490 Hösslinger, N.N. 355 Höttl, Georg 647 Hovorka, Nikolaus 543 Hovorka, Rudolf 628 – 630 Huber, Albert 458 Huber, Franz 288 Huber, Johann 625 – 627 Huber, Josef 650 – 653 Hudal, Alois 205, 244, 245 Hueber, Franz 215, 216, 218, 220, 653 Hüffer, Hermann 96, 215 Hurka, Anton 478 Husserl, Edmund 28 Hutter, Matthias 67, 647 In der Maur, Gilbert 80 Ingomar, Viktor 293, 295, 304, 310 Innitzer, Theodor 23, 205, 244, 611 Jabotinsky, Waldimir (Zeev) 346 Jagoda, Genrich 581 Jagschitz, Gerhard 97, 223 Jahoda, Marie 114 Jansa, Alfred 83, 226, 230, 231, 490 Janschek, Hubert 514 Jennewein, Anton 502 Jezabek, N.N. 445 Jlko, Johann 625 – 627 Joiser, Andreas 377 Jonas, Franz 117, 624 Jonke, Otto 363 Jung, Edgar 332 Kahr, Gustav Ritter von 333 Kaiser, Karl 406 Kaltenberger, Johann 647 Kaltenbrunner, Ernst 224 Kaltner, Friedrich 110, 432, 438, 442, 443, 479

Personenregister Kaltner, Gertrude 323 Kammerer, Lambert 438, 441 Kammerhofer, Konstantin 98, 417 Kantzo, Karin v. 330 Kantzow, Nils von 330 Karall, N.N. 483 Kariskakis, Sizza 336 Karl der Große, Kaiser 39 Karlowitsch, Emanuel 480 Karwinsky, Carl 61, 296, 297, 425, 429, 612, 561 Kastner, Julian 504, 514 Kastner, Rudolf 503 Kater, Michael H. 13 Keck, Alfred 479 Kerber, Erwin 175, 178 Kernast, Johann 296, 297 Keynes, John Maynard 153 Kienböck, Viktor 353 Kimmel, Josef 294, 296 Kindlinger, Karl 288, 290 Kink, August 438 Kirchbach, Hans Hugo von 93 Kirchner, Fritz Robert 543 Kittl, Stefan 438 Klaushofer, Benedikt 224 Klausner, Erich 332 Klausner, Hubert 224, 225 Kleibl, N.N. 309 Klein, Josef 451, 454, 455 Klein, Josef jun. 454 Klemperer, Viktor 10 Klenk, Emilie von 269 Knappertsbusch, Hans 178 Knauseder, Rudolf 424 Knirsch, Hans 410 Knoll, August Maria 43 Knosp, Josef 67 Koch, Franz 647 Köhler, Hermann 147 Kohr, Leopold 114 Kolb, Franz 492 Koller, Josef (Sepp) 408, 409, 414 Komposch, Walter 363 Komurka, Alois 435 König, N.N. 446 Konrad, Helmut 127, 130 Konrad II., Kaiser 34

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Köpke, Gerhard 74, 75, 80, 83 Koplenig, Johann 135, 138, 145, 148, 595, 619, 620 Koref, Ernst 214, 216 Köstler, Julie 322, 323 Kostroun, Ludwig 117, 122, 123, 624 Koweindl, Franz 243 Koweindl, Kreszentia 243 Kozich, Thomas 632 Kraft, August 612 Kraihammer, Christian 438, 442 Kraiter, Josef 457 Kramer, Karl 298, 303 Kramser, Anton 647 Kranich, Rupert 634 Kraupner, Heinrich 548 – 551 Krause, Klara 378, 379 Krauss, Clemens 178, 180 Kreis, Alfred 364 Krenn, Franz 628 – 630 Krieghofer, David 656 Kronstorfer, Sepp 288 Kropp, Georg 479 Krottendorfer, Josef 647 Kube, Wilhelm 412 Kübler, Franz 435, 436 Kulcsar, Ilse 145 Kulcsar, Leopold 144 Kumer, N.N. 310 Kunschak, Leopold 59, 62, 63, 165, 167, 385, 641, 642 Kurz, Heinrich 431, 432, 434 Kurz, Rudolf von 503 Lackner, Johann 618 Lahr, Fritz 96, 632, 633, 638 Lammers, N.N. 186 Landerer, Emanuel 363 Lander, N.N. 309 Landertinger, Alois 431, 432 Lang, Leopold 364, 365, 503 Langer, Johann 306 Langhans, Hermann 107 Langoth, Franz 214, 216, 495 Langthaler, N.N. 483 Lanner, Sebastian 507 Larcher, N.N. 460

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Personenregister

Lauermann, Ignaz 308 Laval, Pierre 194, 195 Lechner, Alois 614, 618 Lederer, Peter 622 Lehmann, Friedrich Julius 636 Lehmann, Lotte 47 Leib, Georg 407 Leibl, Ernst 13 Leichter, Käthe 144 Leichter, Otto 117, 144 Leirich, Johann 424, 457 Leitner, Georg 549 Lenin, Wladimir 139, 557, 559, 588, 589, 591 Leopold I., Herzog 39, 225 Leopold, Josef 224, 225 Leo XIII., Papst 27, 159, 165 Lerchl, Jakob 540 Lidauer, Franz 519 Liebitzky, Emil 190, 228 Liebmann, Maximilien 18 Lienbacher, N.N. 457 Lindauer, Viktor 514 Lindenthaler, N.N. 484 Lindner, Eduard 303 Lindner, Gertraude 302 Lindtner, N.N. 298 Lippert, Julius 331, 336 Lippert, Robert 465, 468 Lixl, Friedrich 418 Loos, Karl 437, 439, 444 Löwe, N.N. 204 Löw, Rudolf 520 Ludendorff, Erich 412 Ludwig, Eduard 242 Luedinger, Oberlehrer 645 Lueger, Karl 62 Lunatscharsky, N.N. 557 Luther, Martin 284 Lutze, Viktor 331 Lux, Josef August 23, 54, 370, 371, 510 MacDonald, Ramsay 194, 417 Magreiter, N.N. 650, 651 Maiburger, Peter 434 Mailinger, Anton 614, 617 Maislinger, Josef 435 Malloth, Hans 363

Mandl, Fritz 227 Mandorfer, Peter 228 Mannlicher, Egbert 232 Marek, Ferdinand 209 Margules, Samuel (David) 344, 346 Markwan, N.N. 648 Martin, Franz 479 Martin, Michael 374 Martin, Raimund 419, 445 Marx, Karl 559, 588, 589 Massiczek, Albert 13 Mataja, Heinrich 31, 34, 38 Mataja, Viktor 31 Matejka, Viktor 242 Matzinger, Franz 614, 615, 617 Matzinger, Karl 575, 576 May, N.N. 310, 457 Mayer, Anton 540 Mayer, Emmy 394, 396, 397 Mayer, Franz 510 Mayer, Thomas 497, 498 Mayr, Richard 47 Mayr, Viktor 436 Mecklenburg, Georg 347 Meichle, Isidor 648 Meierhofer, Otto 622, 625 – 627 Meilinger, Johann 437 Meinecke, Friedrich 41 Meingassner, Johann 433, 435 Meissner, Rudolf 402 Menapaci, Felix 628, 630 Menelik, Kaisers 193 Menghin, Oswald 205, 232 Merck, Magda 268 Messner, Johannes 24 Met, Ferdinand 540 Metternich, Clemens 40 Metz, Ferdinand 371 Metz, Otto 514 Meyszner, Rudolf von 98 Michael, Martin 375 Miklas, Wilhelm 22, 27, 35, 174, 612 Mikschy, Hans 365 Missong, Alfred 43 Mödlhammer, Rupert 441 Morokutti, Friedrich 646 Morokutti, Johann 646

Personenregister Mösenbacher, Walter 379, 380 Moser, Hilda 618, 625 Moser, Josef 111, 437, 536, 644 Moser, Paul 607 Moser, Rupert jun. 446 Moser, Rupert sen. 427, 437, 444, 446, 644 Mozart, Wolfgang Amadeus 44, 45 Mrazek, N.N. 275 Muff, Wolfgang 79, 80, 84, 490 Müller, Otto 271 Münichreiter, Karl 602 Musil, Hermann 361, 510 Mussolini, Benito 74, 84, 86, 90 – 93, 97, 148, 187 – 190, 193 – 200, 208 – 210, 227, 228, 232, 234, 245, 343, 417, 449, 490 – 493, 640 Nagy, N.N. 340 Natschläger, Franz 431 – 433 Nemes, N.N. 457 Neubacher, Hermann 93, 212, 224, 225, 495 Neugebauer, Rudolf 382, 385 Neukam, Friedrich 649 Neumayr, Anton 72 Neumeier, Josef 434 Neumeister, Josef 435 Neurath, Konstantin von 74, 85, 91, 92, 196, 203, 383 Neustädter-Stürmer, Odo 61, 198 221, 561, 612, 637 Niedermayer, N.N. 634 Niekisch, Ernst 637 Nietl, Fritz 504 Nitti, Francesco 492 Nölscher, Karl 647 Nowak, Thomas 619, 625 Obed, Jakob 363 Oberascher, Vinzenz 441 Oberfeld, Emil Karl 400 Oberfeld, Wilhelm 107 Oberhofer, Andreas 298, 303 Ober, Johann 288, 290 Ochsner, Heinrich 354 Oehling, Franz 480 Oellacher, N.N. 55 Ontl, Josef 254, 638 Orlich, Rudolf 363

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Ornstein, Rudolf 344 Ortner, Marianne 630 Ortner, Max 656 Osbild, Franz 438 Ott, Max 53, 71, 72 Pacher, Johann 647 Palm, Friederike 365 Pammer, Thomas 19 Panly, N.N. 653 Papen, Franz von 74, 84, 182, 202 – 206, 208, 209, 215, 227, 233 – 235, 238, 245, 289, 295, 326, 332, 335, 592 Pappenheim, Carl Rabe von 84 Parson, Erich 268, 387, 389 Pasching, Franz 288 Pasternek, N.N. 446 Patzelt, Fritz 107, 109, 503 Pätzold, Max Reinhard 319, 470 Paul, Hanns 363 Paumgartner, Bernhard 181, 185 Pav, Hans 123 Peisser, Max 55, 56, 425, 426, 429 Pennecke, N.N. 438, 440 Perfahl, Eduard 614, 618 Pernter, Hans 158, 176, 360, 361, 515, 612 Perstinger, Franz 462 – 464 Pessl, Ludwig 649 Peter, Franz Josef 208, 236 Peter, Fritz 365 Peyerl, Franz 113, 549 Pfeffer, Josef 126 Pfliegler, Michael 205 Pföss, Matthias 434 Philipps, Eric 189 Pichler, Ferdinand 95 Pichler, Johann 607, 645 Piemont, Umberto von 182 Pils, Johann 438 Pinza, Ezio 47 Pius XI., Papst 27, 159, 165 Plainer, Valentin 514 Planck, N.N. 466 Planetta, Otto 521 Plessl, Ludwig 648 – 650 Pletersky, Josef 273 Poandl, Andreas 505

680 Podlipnik, Josef 126 Podzeit, Johanna 465, 467 – 471 Podzeit, Theodor 468, 469 Pollak, Oskar 117 Poschacher, Anton 647 Posch, Albert 510 Pöschl, Franz 634 Poth, N.N. 300 Pötzelsberger, Rudolf 272 Prammer, Siegfried 423, 424, 427 Prangl, Ludwig 504 Praxmair, Rudolf 458 Preis, Josef 71, 72 Preußler, Robert 51, 55, 113, 114, 549 Preziosi, Gabriele 199 Priemess, Rajonsinspektor 423 Priller, Simon 434 Proksch, Alfred 76, 389, 391 Pröller, Emma 538 Pruscha, Karl 571, 574 Pruscha, Margarethe 573 Prusch, Karl 573 Puffer, N.N. 457 Purkathofer, Maria 614, 617 Pürrer, Alois 275 Puthon, Heinrich 175, 176 Raber, Otto 646 Radauer, Otto 477 Radauer, Rudolf 107 Radek, Karl 139 Rainer, Alois 298, 301, 302 Rainer, Friedrich 224, 225, 302 Rainer, Hermann 73 Ramek, Rudolf 167, 527 Ramsauer, N.N. 55 Ranzenberger, Hubert 614, 618 Raschendorfer, Viktor 425, 427 Rathauscher, Josef 542 Rathenau, Walther 412 Ratzka, Walter 480 Raubal, Geli 214 Rauchenberger, Viktor 602 Rauchenecker, Karl 575 Rauscher, Franz 123 Rauter, Hanns 98 Rechorska, Admund 591

Personenregister Rehrl, Franz 22, 24, 35, 46, 51 – 59, 66 – 68, 70 – 73, 113, 114, 156 – 158, 160, 162 – 164, 166, 167, 169 – 179, 181 – 187, 216 – 218, 220, 221, 243, 244, 250, 254, 259, 263, 264, 268, 269, 310 – 312, 314, 315, 318, 350, 390, 391, 641, 654 Rehrl, Waltraud 163 Reichel, Josef 418 – 420 Reichel, Natalie 418 Reichenau, Walter von 204 Reichl, Karl 614, 617 Reindl, Leopoldine 621 Reinhardt, Max 45, 47, 86, 173, 183 Reininghaus, Eberhard 353 Reinthaler, Franz 628 – 630 Reinthaller, Anton 213 – 216, 221 – 224, 495 Reis, Alexander 626 Reischl, Leopoldine 626 Reisenbichler, Josef 457 Reiter, Florian 370, 371 Reither, Josef 218, 313, 315 – 318, 612 Renan, Ernest 42 Renner, Karl 492 Renner, N.N. 572 Renondeau, Gaston 232 Renzl, Johann 438, 442 Repas, Otto 424, 457 Resch, August 429 Resch, Josef 228 Reschny, Hermann 79, 93 – 95, 98, 107, 108, 204, 212 Rest, August 424, 428 Rest, Gustav 427 Reventlov, Ernst Graf zu 412 Revertera, Peter 216 Richter, Adolf 365 Riedelsperger, Leonhard 536 Rieder, Ignaz 51, 53 Rieder, Karl 514 Riedler, Franz 613, 615, 617 Riegersberger, Karl 434 Riehl, Hans 642 Riehl, Walter 408, 413, 417, 495, 642 Rieth, Kurt 30, 74, 80, 93 Rihl, Rudolf 362, 363 Ringel, Konrad 424 Rintelen, Anton 84, 90, 92, 95 – 97, 108, 134, 385, 521, 606

Personenregister Riss, Alarich 428 Roatta, Mario 491 Rodenbücher, Alfred 212 Röhm, Ernst 98, 331, 332, 413, 556, 563 Rohrmoser, Maria 540 Roider, Eduard 465 Roidthaler, Franz 583, 584 Roittner, Heinrich 459, 460 Roittner, Josef 459, 460 Roittner, Michael 459, 460 Roosevelt, Franklin D. 417 Röpke, Gerhard 85 Röschlinger, Karl 106 Rösele, Otto 504 Rosenberg, Alfred 31, 32, 359, 361 Rosenkranz, Franz 436 Rosenlechner, Norbert 615 Rost van Tonningen, Meinoud Marinus 154 Ruetz, Ingo 363 Rupert, Hl. 183 Ruprecht, Karl 361 Ruß, Hubert 561 Rust, Bernhard 331, 332 Sailer, Karl Hans 117, 123, 136 Saint Just, Louis Antoine de 41 Salata, Francesco 199 Saliger, Erich 635 Salland, Camille Roger 231 Salzmann, Albert 628, 630 Santner, Josef 273, 274 Schacht, Hjalmar 154 Schäfer, Werner 336 Schäffer, Anton 480 Schalk, Franz 183 Schally, Karoline 434 Scharizer, Karl 105, 268, 390, 409 Scharl, Franz 486 Schattenfroh, Franz 225 Schaufler, Franz 615 Schaufler, Josef 613, 615, 617, 618 Scheffel, Hans 18 Scheiblehner, Markus 126 Schele, Max 28 Schemel, Adolf 66, 315, 634 Scheumüller, Georg 634 Schiebl, Egon 540

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Schieß, Franz 614, 629, 630 Schieß, Mathias 617, 618, 628, 629 Schiltenwolf, Amalie 517 Schirach, Baldur von 292, 359 Schlager, Friedrich 433 Schlager, Michael 433 Schlegel, Josef 56, 57 Schleicher, Kurt von 332 Schließelberger, Josef 67 Schmalzl, Franz 531, 532 Schmid, Guido 233 Schmidber, Johann 441 Schmidek, N.N. 290 Schmidhuber, Johann 438, 441 Schmid, Sepp 362 Schmid, Wilhelm 43, 291 Schmidt, Guido 211, 229, 238 Schmidt, Josef 363 Schmidt, Oskar 504 Schmidt, Sepp 362 Schmitz, Richard 242, 561, 632 Schnabl, Karl 395 Schneider, Anton 581, 582, 584 Schneider, Josefine 614 Schneider, Mathilde 582 Schnitzinger, Johann 531, 532 Schober, N.N. 511 Schober, Johann 491 Scholz, Hofrat 457 Schön, Franz 627 Schönberg, Arnold 47 Schönburg-Hartenstein, Alexander 61 Schönburg-Hartenstein, Alois 561 Schöpfer, Anton 157 Schumacher, Josef 174 Schumy, Vinzenz 60 Schuon, Gustav Hermann 479 Schuschnigg, Kurt 15, 17 – 19, 25, 46, 59, 65, 80, 98, 146, 147, 150, 154, 174, 176, 188, 190, 200, 201, 205, 211 – 215, 220 – 222, 225 – 238, 241, 242, 244, 290, 294, 315, 317, 318, 385, 490, 493 – 496, 505, 520, 522, 549, 556, 561 – 565, 569 – 571, 599, 605, 611, 612, 632, 637, 638, 642, 643 Schusterbauer, Michael 314 Schwarz, Balduin 30 Schwarz, Edmund 599, 600

682

Personenregister

Schwarz, Paul 344 Schwarz, S. L. 269 Schwarz, Walter 344 Schwarzenbrunner, Anna 522 Schwarzenbrunner, Josef 521 – 523 Schwarzenbrunner, Maria 522 Schwarzmeier, N.N. 458 Seeger, Eduard 316, 317 Seeleitner, Kajetan 433 Seipel, Ignaz 20, 167, 229, 242, 492, 493 Seitz, Karl 545, 587, 602 Seiwald, Franz 433, 435 Selasie, Haile 343 Selby, Walford 195 Seltsam, N.N. 445 Seyß-Inquart, Arthur 205, 213, 216, 229, 232, 408, 487, 495, 632 Shaftesbury, Anthony Ashley-Cooper 344 Shakespeare, William 37 Shirer, William L. 9, 191, 197, 332 Silber, Johann 536 Siller, Josef 378 Simon, John 191, 417 Singer, Emmerich 306 Sinowjew, Grigori 146, 557 Sinzinger, Adolf 95 Skubl, Michael 637 Sobolak, Karl 632 Sollereder, Michael 321, 322 Sommer, Karl 109 Sommer, Marianne 304 – 307 Sommer, Marianne sen. 307 Sommerauer, Josef 380 Sommerauer, Martin 456 Sonnemann, Emmy 330 Sörrensen, Annemarie 263 Spalowsky, Franz 63 Spann, Othmar 29, 642 Spanuth, Jörgen 322 Speck, Karl 110, 111, 437, 438, 440 – 442 Speck, Stefanie 442 Sperl, Ludwig 379, 380 Spießberger, Anton 298, 302 Spitzy, Reinhard 14 Sprenger, Emil 111, 431, 432, 434, 435, 487 – 489 Springenschmid, Karl 361 – 363, 481 – 486 Stadler, Franz 431 – 433, 435

Stadler, Georg 431, 432 Stadler, Gottfried 431 – 433, 435 Stadler, Johann 431 – 433, 435, 625, 627 Stalin, Josef 138, 140, 557, 581, 588, 589 Stallinger, Johann 321 Stamberg, Josef 362, 363 Stambolijski, Aleksandar 138 Stanek, Josef 602 Stangl, Johann 630 Stangl, Maria 630 Starhemberg, Ernst Rüdiger von 18, 23, 57, 60, 61, 64, 65, 90, 95, 96, 133, 163, 174, 222, 227, 228, 231, 242, 249, 291, 315 – 318, 329, 353, 386, 390, 393, 415, 449, 494, 495, 505, 560, 563 – 565, 604, 605, 611, 612, 636 – 643, 648 – 651, 653, 654 Staudacher, Hartmann 214 Staufer, Alois 181 Staufer, Luise 181 Stefl, Bruno 626, 627 Stegbuchner, Karl 422 Steinkress, Karl 362 Steinwender, Josef 646 Steinwender, Leonard 510 Stemeseder, Michael 438 Stepan, Karl Maria 20 Stierle, Adolf 337 Stifter, Adalbert 474 Stockinger, Emma 420, 421 Stockinger, Fritz 157 Stockinger, Oskar 420, 421 Stöcklinger, Helene 381 Stöcklinger, Herta 382 Stöcklinger, Konrad 381 Stöckl, Josef 614 Stöckl, Rupert 536 Stopfner, Alfred 513 Strafella, Franz Georg 88, 186 Strakosch, Siegfried 133, 604 Strasser, Gregor 333 Strasser, Konrad 412, 424 Strassmayr, Karl 399 Strauß, Johann 382, 383 Strauss, Richard 180 Streicher, Julius 326, 412 Stresemann, Gustav 74 Strobl, Ludwig 228, 612

Personenregister Struber, Hermann 550 Stuhler, Johann 302 Stuhler, Josef 302 Stütz, Anton 583 Suchner, N.N. 457 Sunkler, Christian 458 Suvich, Fulvio 90, 93, 198 – 200, 227, 342 Svoboda, Emil 602 Täubl, Johann 595 Tauschitz, Stephan 83 Taxacher, Max 288 Thalhammer, Friedrich 436 Thälmann, Ernst 593 Thorez, Maurice 141 Tichy, Karl 514 Tiefenbacher, Karl 288 Tirpitz, Alfred von 75 Toscanini, Arturo 44, 49, 173, 180, 183, 184, 356 Tosetto, Engelbert 504 Tretter, Rudolf 366 Türk, Oskar 94 Tyroller, Ludwig 517 Uhlenhut, Konzertmeister 297 Ulrich, Majors 434 Umberto von Italien 184 Unger, Christian 438, 442, 444, 447 Unger, Johann 439 Unterberger, Alois 530 Urhofer, Franz 648 – 650 Vandersitt, Josef 614, 617 Vansittart, Gilbert 187 Vansittart, Robert 83 Vaugoin, Carl 60, 61, 157, 215, 354 Verdi, Giuseppe 180 Viktor, N.N. 425 Vogl, Otto 326, 414 Vollgruber, Alois 200, 208, 237 Vötterl, Andreas 378 Vötterl, Hans 378 Wächter, Otto Gustav 94, 97 Wagenbichler, Alois 55, 66, 172, 281, 634, 639, 643, 644 Wagenleitner, Franz 304, 305

683

Waggerl, Karl Heinrich 474 – 477 Wagner, Aloisia 382 Wagner, Josef 111, 437 – 439, 443 Wagner, Karl 376, 577, 578 Wagner, Rudolf 578 Waha, N.N. 434 Waitz, Sigismund 23, 27, 264, 314, 510 Walcher, Fritz 504 Waldeck, N.N. 386 Waldenegg, Egon Berger von 195 Wallack, Franz 174, 182 Wallisch, Koloman 560, 561, 602 Wallner, Christian 437 – 439, 441, 442, 444 Wallner, Maria 441 Wallner, Rupert jun. 438 Wallner, Rupert sen. 111, 437 – 439, 441, 442, 444 Walter, Bruno 44, 173, 177, 180 Watzeck, Leopold 366 Weber, Edmund 179 Weber, Friedrich 636, 637 Wegerer, Margarete 366 Wehler, Hans Ulrich 12 Weikl, Hermann 434, 435 Weilbuchner, Josef 435 Weinert, Willi 146 Weingartner, Felix von 177, 178 Weiser, Ludwig 223, 636 Weissel, Georg 561, 602 Weizmann, Chaim 346 Wendl, Josef 619, 625 Wenin, Anton 537 Wenninger, Heinrich 205 Wesner, Ulrich 537, 538 Wessel, Horst 407 Wessely, Paula 47 Westerhaler, Johann 529 Wetzlmayer, Johann 514 Weydenhammer, Rudolf 92, 94, 96, 97 Wicker, Heinrich 499 Widmann, Kilian 431 – 433, 435 Wiedemann, Fritz 10 Wiedenhofer, Josef 323 Wied, Viktor Prinz zu 75 Wieser, Johann 528, 529, 646 Wiesinger, Ernst 524 – 527 Wiesner, Ritter von 291 Wilde, Grete 595

684

Personenregister

Wilhelm II., Kaiser 75 Wilk, Leopold 529 Wimmer, Johann 435 Windisch, Josef 505, 506 Windischer, Karl 54 Wingelmayer, N.N. 308 Winkler, Elisabeth 299, 302 Winkler, Franz 60, 407, 643 Winkler, Johann 298 – 301, 438 Winklhofer, Felix 438 Winter, Alfred 347 Winter, Ernst Karl 36, 43, 205 Winternitz, Felix Elder von 181 Winternitz, Susanne (Suse) Benediktine 182, 263 Winterstein, Robert 612 Wintersteller, Martin 438 Wipplinger, Karl 399, 400 Witternigg, Franz 51, 113 Witternigg, Josef 549 Woerle, Johann jun. 441 Wolf, Julius 39 Wolf, Wilhelm 205 Wolfersberger, Anny 433

Wollner, Engelbert 438 Woral, Karl 462 – 465 Wörther, Josef 398 Wulle, Reinhold 412 Wunderlich, Ernst 482 Wurch, Ernst 13 Würtinger, Franz 296 – 299 Zagler, Hans 363 Zand, Leo 456, 458 Zedlitz, Dietrich Freiherr von 30 Zehner, Wilhelm 612 Zeilinger, Ernst 438 Zernatto, Guido 229, 238, 475 Zessner-Spitzenberg, Hans Karl 43 Ziegler, Ingomar 647 Ziller, Josef 635, 638, 640 Zimmel, Wilhelm 511, 512 Zimmermann, Franz 540 Znidaric, Theodor 612 Zweig, Friderike Maria 181, 182 Zweig, Stefan 180 – 182, 259, 263 Zwinger, Isidor 288

SCHRIFTENREIHE DES FORSCHUNGSINSTITUTS FÜR POLITISCH-HISTORISCHE STUDIEN DER DR. WILFRIED-HASLAUER-BIBLIOTHEK herausgegeben von Franz Schausberger, Robert Kriechbaumer und Hubert Weinberger

Band 65: Robert Kriechbaumer | Richard Voithofer (Hg.) Politik im Wandel Der Salzburger Landtag im Chiemseehof 1868-2018 2018. 1.032 Seiten, mit 332 s/w- und farb. Abb., gebunden € 80,00 D | € 82,00 A ISBN 978-3-205-20776-4 Auch als eBook erhältlich Seit 1868 tritt der Salzburger Landtag zu seinen Sitzungen im Chiemseehof zusammen. Als Sitz des Landesparlaments ist der Chiemseehof der zentrale Ort der demokratischen Mitbestimmung in Salzburg.

Band 64: Lothar Höbelt Die Erste Republik Österreich (1918–1938) Das Provisorium 2018. 456 Seiten, gebunden € 38,00 D | € 40,00 A ISBN 978-3-205-20539-5 Lothar Höbelt bezeichnet die Erste Republik als ein Provisorium, das sich vom Charakter des Unfertig-Behelfsmäßigen nie ganz zu lösen verstand. Er schildert die Ereignisse der Jahre 1918-1938 nicht als Geschichte der versäumten Gelegenheiten, sondern „wie es eigentlich gewesen ist“.

Preisstand 1.1.2019

SCHRIFTENREIHE DES FORSCHUNGSINSTITUTS FÜR POLITISCH-HISTORISCHE STUDIEN DER DR. WILFRIED-HASLAUER-BIBLIOTHEK herausgegeben von Franz Schausberger, Robert Kriechbaumer und Hubert Weinberger

Band 67: Ernst Hanisch Landschaft und Identität Versuch einer österreichischen Erfahrungsgeschichte

Band 66: Robert Kriechbaumer Nur ein Zwischenspiel (?) Die Grünen in Österreich von den Anfängen bis 2017

2019. 401 Seiten, mit 65 s/w- u. farb. Abb., gebunden € 35,00 D | € 36,00 A ISBN 978-3-205-20860-0 Auch als eBook erhältlich

2018. 650 Seiten, 51 s/w- und farb.-Abb., gebunden € 45,00 D | € 47,00 A ISBN 978-3-205-20805-1 Auch als eBook erhältlich

Ernst Hanisch untersucht die Erfahrungen der Menschen in und mit der Landschaft: welche Gefühle Landschaft auslöst, wie sie Mentalitäten prägt. Der Zeithorizont reicht von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart.

Die österreichischen Grünen gehörten seit ihrem Einzug in den Nationalrat 1986 zu den erfolgreichsten Grün-Parteien Europas Innerhalb eines Jahres erfolgte jedoch der Absturz aus lichten Höhen in die drohende politische Bedeutungslosigkeit.

Preisstand 1.1.2019

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Band 69: Michael Jürgen Schatzl Der Griff nach der Zeit Perioden, Charakteristika, Motive und Interessen österreichischer Arbeitszeitpolitik (1945 – 2018) 2019. 620 Seiten, mit 34 s/w-Abb. und 43 Tab., gebunden € 60,00 D | € 62,00 A ISBN 978-3-205-20859-4 Auch als eBook erhältlich Michael Jürgen Schatzl beschäftigt sich in dieser Arbeit mit der österreichischen Arbeitszeitpolitik von 1945 bis 2009.

Band 68: Oskar Dohle | Thomas Mitterecker (Hg.) Salzburg 1918-1919 Vom Kronland zum Bundesland 2018. 476 Seiten, mit 170 s/w- und farb. Abb., gebunden € 39,00 D | € 40,00 A ISBN 978-3-205-20074-1 Auch als eBook erhältlich Dieser reich illustrierte Sammelband mit Aufsätzen namhafter Expertinnen und Experten beleuchtet aus verschiedensten Blickwinkeln den Zeitraum vom Sommer 1918 bis zu den ersten Wahlen im April 1919 im Land Salzburg.

Preisstand 1.1.2019

SCHRIFTENREIHE DES FORSCHUNGSINSTITUTS FÜR POLITISCH-HISTORISCHE STUDIEN DER DR. WILFRIED-HASLAUER-BIBLIOTHEK herausgegeben von Franz Schausberger, Robert Kriechbaumer und Hubert Weinberger

Band 71: Martin Dolezal | Peter Grand | Berthold Molden | David Schriffl Sehnsucht nach dem starken Mann? Autoritäre Tendenzen in Österreich seit 1945 2019. 479 Seiten, mit zahlr. Tab., Graf. und 18 s/w und 11 farb. Abb., gebunden € 55,00 D | € 57,00 A ISBN 978-3-205-23195-0 Auch als eBook erhältlich Auch in Österreich wird über die Gefahr eines neuen Autoritarismus gestritten. Das Buch untersucht das Ausmaß und den Charakter autoritärer Tendenzen seit 1945.

Band 70,1: Robert Kriechbaumer (Hg.) Die Dunkelheit des politischen Horizonts. Salzburg 1933 bis 1938 in den Berichten der Sicherheitsdirektion Band 1: Gewitterwolken. Vom März 1933 bis Februar 1934 2019. 459 Seiten, mit 25 s/w-Abb., gebunden € 49,00 D | € 51,00 A ISBN 978-3-205-23205-6 Auch als eBook erhältlich Jenseits der relativ gut erforschten Ebene der österreichischen Bundespolitik bestehen im Bereich der regionalpolitischen Forschung für die Jahre 1933 bis 1938 noch erhebliche Defizite.

Preisstand 1.1.2019