Die Dunkelheit des politischen Horizonts. Salzburg 1933 bis 1938 in den Berichten der Sicherheitsdirektion: Band 1: Gewitterwolken. Vom März 1933 bis Februar 1934 [1 ed.] 9783205232070, 9783205232056

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Die Dunkelheit des politischen Horizonts. Salzburg 1933 bis 1938 in den Berichten der Sicherheitsdirektion: Band 1: Gewitterwolken. Vom März 1933 bis Februar 1934 [1 ed.]
 9783205232070, 9783205232056

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DIE DUNKELHEIT DES POLITISCHEN HORIZONTS SALZBURG 1933 BIS 1938 IN DEN BERICHTEN DER SICHERHEITSDIREKTION Band 1: Gewitterwolken Vom März 1933 bis Februar 1934 HERAUSGEGEBEN VON ROBERT KRIECHBAUMER

Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg

Herausgegeben von Robert Kriechbaumer · Franz Schausberger · Hubert Weinberger Band 70,1

Robert Kriechbaumer

Die Dunkelheit des politischen Horizonts Salzburg 1933 bis 1938 in den Berichten der Sicherheitsdirektion Band 1 : Gewitterwolken. Vom März 1933 bis Februar 1934

Böhlau Verlag Wien · Köln · Weimar

Veröffentlicht mit Unterstützung durch den Zukunftsfonds der Republik Österreich und das Amt der Salzburger Landesregierung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2019 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien, Kölblgasse 8–10, A-1030 Wien Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung  : Nationalsozialistische Wahlwerbung 1932, die sich an die Bauern unter dem Titel »Der Bauer und der Nationalsozialismus« richtet (Quelle  : Salzburger Landtag) Korrektorat  : Ute Wielandt, Baar-Ebenhausen Einbandgestaltung  : Michael Haderer, Wien Satz  : Michael Rauscher, Wien

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-205-23207- 0

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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TEIL I HISTORISCHE ENTWICKLUNGSLINIEN – LANDESPOLITIK IM SPANNUNGSFELD VON INNEN- UND AUSSENPOLITIK 1. Die Sehnsucht nach Normalität und die Schatten der Krise. Parteiensystem und politische Kultur 1918 bis 1934 . . . . . . . 1.1 Die Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Wehrverbände. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Der frühe Nationalsoziaslismus in Salzburg 1918 bis 1926. . . . . . . 1.4 Die große Krise in einem kleinen Land  : Die Weltwirtschaftskrise und ihre Folgen 1929 bis 1934 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Die Weltwirtschaftskrise als Nährboden für das Erstarken des Nationalsozialismus 1931/32 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

.  15 . 15 . 23 . 36 .

57

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2. Zeitenwende oder der Kampf gegen das System. Die Salzburger NSDAP und ihr Agieren im Landtag 1932/33  : der mächtige deutsche Schatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  87 3. Der 4. März 1933. Die sog. »Selbstausschaltung« des Parlamentes und die Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Die Landtage als Ersatz-Nationalrat . . . . . . . . . . . . . 3.2 Schwebezustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Außerordentliche Zeiten, außerordentliche Maßnahmen .

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4. »Kampf … mit rücksichtsloser Härte«. Der Terror der illegalen NSDAP von Juni 1933 bis Februar 1934 . . . . . . . . 163 4.1 Direkte Gespräche  ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 5. Die Demokraten auf dem Rückzug. Die autoritäre Wende und die Nebel des Ständestaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 6. Der 12. Februar 1934 oder die ungewollte Katastrophe . . . . . . 203

6

Inhaltsverzeichnis

Tafeln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

TEIL II DIE BERICHTE 1. Allgemeine Politische Lage. Die Sicherheitsverhältnisse . . . . . 227 2. Die Propagandisten des Dritten Reiches. Der Kampf gegen die (illegale) NSDAP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 3. »… Den Kampf gegen die Bürgerliche Diktatur führen.«. Die Sozialdemokraten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 3.1 Der Februar 1934 und die Folgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 4. Die Jünger Lenins und Stalins. Die illegale KPÖ . . . . . . . . . . 399 5. »Der Heimatschutz hat immer den Gedanken vertreten, dass das Parteienwesen ungesund ist …«. Die Heimwehr . . . . . . . . . 426 Quellen- und Literaturverzeichnis.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Abbildungsnachweis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452

Vorwort

Im Vorwort zu seinen Erinnerungen wies Stefan Zweig auf den Bruch der Generationenfolge in der Zwischenkriegszeit hin. Sein Großvater und Vater hatten ein Leben ohne Erschütterung und Gefahr geführt, nur kleine Spannungen prägten den Lebensrhythmus, still »trug sie die Welle der Zeit von der Wiege bis zum Grabe. Sie lebten im selben Land, in derselben Stadt und fast immer sogar im selben Haus  ; was außen in der Welt geschah, ereignete sich eigentlich nur in der Zeitung und pochte nicht an ihre Zimmertür. Irgendein Krieg geschah wohl irgendwo in ihren Tagen, … er spielte sich weit an der Grenze ab, man hörte nicht die Kanonen, und nach einem halben Jahr war er erloschen, vergessen, ein dürres Blatt Geschichte, und es begann wieder das alte, dasselbe Leben. Wir aber lebten alles ohne Wiederkehr, nichts blieb vom Früheren, nichts kam zurück  ; uns war im Maximum mitzumachen vorbehalten, was sonst die Geschichte sparsam je auf ein einzelnes Land, auf ein einzelnes Jahrhundert verteilt. Die eine Generation hatte allenfalls eine Revolution mitgemacht, die andere einen Putsch, die dritte einen Krieg, die vierte eine Hungersnot, die fünfte einen Staatsbankrott – und manche gesegneten Länder, gesegneten Generationen sogar überhaupt nichts von dem allen. Wir aber, … was haben wir nicht gesehen, nicht gelitten, nicht miterlebt  ? Wir haben den Katalog aller nur denkbaren Katastrophen durchgeackert von einem zum anderen Ende.« Doch die von Zweig erwähnte Katastrophe war keine generationenspezifische, sie erfasste alle. Die physische Desorientierung und materielle Deprivation sieht man von den Kriegsgewinnlern ab, war eine allgemeine. Ein Blick auf das Straßenbild genügte, um diesen Zustand des allgemeinen Elends deutlich vor Augen treten zu lassen. Stefan Zweig berichtet vom Salzburg der unmittelbaren Nachkriegszeit, dass »wohlgenährte Hunde oder Katzen … nur selten von längeren Spaziergängen« zurückkamen. »Was an Stoffen angeboten wurde, war in Wahrheit präpariertes Papier, Ersatz eines Ersatzes  ; die Männer schlichen fast ausschließlich in alten, sogar russischen Uniformen herum, die sie aus einem Depot oder einem Krankenhaus geholt hatten und in denen schon mehrere Menschen gestorben waren  ; Hosen, aus alten Säcken gefertigt, waren nicht selten. Jeder Schritt durch die Straßen, wo die Auslagen wie ausgeraubt standen, der Mörtel wie Grind von den verfallenen Häusern herabkrümelte und die Menschen, sichtlich unterernährt, sich nur mühsam zur Arbeit schleppten, machte einem die Seele verstört. Besser stand es am flachen Lande mit der Ernährung  ; bei dem allgemeinen Niederbruch der Moral dachte kein Bauer daran, seine Butter, seine Eier, seine Milch zu den gesetzlich festgesetzten ›Höchstpreisen‹ herzugeben. Er hielt, was er konnte, in seinen Speichern versteckt und wartete, bis Käufer mit besserem Angebot zu ihm ins Haus kamen. Bald entstand ein neuer Beruf, das so-

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Vorwort

genannte ›Hamstern‹.« Die Bauern forderten auf Grund der sich beschleunigenden Geldentwertung »Sachwert für Sachwert. Ware für Ware  ; nachdem die Menschheit mit dem Schützengraben schon glücklich zur Höhlenzeit zurückgeschritten war, löste sie auch die tausendjährige Konvention des Geldes und kehrte zum primitiven Tauschwesen zurück.« In dieser sich beschleunigenden Spirale der Auflösung wurde das Überleben zur Meisterstrategie, die jeder und jede zu bewältigen hatte. Mit der Genfer Sanierung, der Stabilisierung der Währung und der Einführung des Schillings endeten die Jahre der Apokalypse und begannen die »Goldenen« Zwanzigerjahre, die gar nicht so golden waren, aber den Anschein des Rückkehrs zur lebensweltlichen Normalität vermittelten. Die Forderung nach dem Anschluss verlor an Attraktivität, wenngleich das kollektive Selbstverständnis nach wie vor deutsch-österreichisch war, allerdings in variabler Intensität und verschiedenen Vari­anten der nach wie vor gepflegten Reichsmythologie, deren großdeutsche Interpretation sowohl einer katholisch-konservativen wie nationalen/nationalliberalen Erzählung offen blieb. Dennoch  : die »deutsche« Aufgabe Österreichs wurde zum parteiübergreifenden Topos, dessen sich sowohl die Politik wie auch die Publizistik und Geschichtswissenschaft bediente. Hinter dem Paravent der bescheidenen ökonomischen Erholung und der damit verbundenen Rückkehr zur Normalität existier­ ten jedoch die bedrohlichen Konfliktzonen  : die ideologisch hoch aufgeladenen politischen Lager als säkulare Glaubensgemeinschaften, die das Gewaltmonopol des Staates ignorierende Existenz von Wehrverbänden, das Fehlen von allgemein anerkannten Symbolen und Festen und damit das weitgehende Fehlen einer kollektiven Staatsgesinnung und eines Staatspatriotismus. Die österreichische Identität war, sofern sie überhaupt vorhanden war, unsicher, auf Sand, der vom Wind der Geschichte umweht seine Form änderte, gebaut. Die »kurzen« Zwanzigerjahre mit ihrer Illusion der Rückkehr zur Normalität endeten jedoch bereits mit den dramatischen Folgen der Weltwirtschaftskrise. Diese verschärfte nicht nur permanent die in Österreich ohnedies latente ökonomische Krise, sondern veränderte die politische Konstellation grundlegend. Die Antworten der traditionellen politischen Lager auf die Krise waren völlig unterschiedlich. Die austromarxistische Linke sah in ihr eine logische Konsequenz des im Absterben befindlichen Kapitalismus und erblickte in der – trotz aller Geburtswehen – zum sozialistischen Paradies verklärten Sowjetunion die sonnendurchflutete Antwort am dunklen Horizont der Krise der Gegenwart. Der Großteil der Rechten sah die Ursache der Krise in der Klassenkampfideologie der Sozialdemokratie, die durch ihre Obstruktionspolitik das parlamentarische System ad absurdum führte und staatspolitisch verantwortliches Handeln beinahe unmöglich machte. Die parlamentarische Demokratie verlor als Verfassungsgrundsatz an Zuspruch, eine breite Palette alternativer politisch-staatsrechtlicher Angebote – von korporativen ständestaatlichen Lösungen bis hin zum Faschismus – gewann an Attraktivität. Die Krise ermöglichte

Vorwort

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erst den Aufstieg der NSDAP als einer das politische System und die existierende politische Kultur prinzipiell negierenden politischen Bewegung, die vom Siegeszug der deutschen Mutterpartei in Deutschland erheblich profitierte. Das Jahrzehnt zwischen 1923/24 und 1933, Hitlers Machtergreifung, sei, so Zweig, »eine verhältnismäßig ruhige Zeit« gewesen, ehe mit Adolf Hitler der personifizierte Sonnenuntergang aus der spezifischen Münchner politischen Szene, die sich allmählich über Deutschland ausbreitete, die weltpolitische Bühne betrat. Sein (Sommer-)Domizil war der Obersalzberg vor den Toren der Stadt Salzburg, wo Max Reinhardt, Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss die Festspiele ins Leben gerufen hatten, die dieser kaum 40.000 Einwohner zählenden Stadt im Sommer das Flair eines künstlerischen Kristallisationspunktes verliehen. Mit den Festspielen einher ging eine Renaissance der Reichsmythologie und der Habsburgermonarchie als übernationale europäische Gebilde, die sich der verengenden nationalen kleindeutschen Lösung als Verbindung der europäischen Kulturräume, des deutschen, romanischen und slawischen, entzogen. Die Habsburgermonarchie war in dieser Sicht der Erbe des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und nach deren Untergang sei das Erbe auf das kleine Österreich übergegangen, das seine europäische Aufgabe der kulturellen Völkerverbindung an einer Stätte des Katholizismus, in Salzburg, erfülle. Die Festspielidee Reinhardts und Hofmannsthals war, trotz ihrer deutschen Grundierung, von Anfang an der ideologische Gegenentwurf zum Nationalsozialismus. Aus diesem unversöhnlichen Gegensatz, der sich durch die Internationalisierung der Festspiele ab 1934/35 noch verschärfte, resultierte die Konfrontation und wurde Salzburg zum ideologisch hoch aufgeladenen Kampfplatz der Ideologien. Stadt und Land Salzburg hatten sich als Fremdenverkehrsland etabliert. Der Tou­ rismus, durch den aufkommenden Wintersport in zunehmendem Ausmaß ein die saisonale Sommerverengung sprengender Wirtschaftszweig, wurde zu einer der ökonomischen Lebensadern, die auch die Gebirgsgaue mit den wichtigen Devisen durchfluteten. Dieser für das agrarisch strukturierte Land mit seinen wenigen industriellen Inseln und seinem schwach ausgeprägten Handel und Gewerbe ständig an Bedeutung gewinnende Wirtschaftszweig wurde, ebenso wie das Festspielpublikum, von deutschen Gästen dominiert. Die von Hitler nach dessen Machtergreifung vor allem ­ nschluss auch mit Hilfe der österreichischen NSDAP gestartete Offensive zum A Österreichs bediente sich daher der breiten Palette der Möglichkeiten, die auch den ökonomischen Druck miteinschloss. Die mit der 1.000-Mark-Sperre ausgelöste Krisenstimmung in einer ökonomisch ohnedies äußerst schwierigen Zeit war vor allem in den vom Tourismus stark abhängigen Bundesländern wie Salzburg und Tirol besonders ausgeprägt. Salzburg wurde auf Grund seiner geografischen Lage und der vor allem auch ökonomischen Bedeutung der Festspiele zum Kampfboden der nunmehr einsetzenden Konfrontation zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und der Regierung Dollfuß, die seit der Parlamentskrise des 4. März 1933 zunehmend

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Vorwort

autoritären Alternativen zum demokratisch-parlamentarischen System zuneigte und sich in ihrem Bemühen um die Bewahrung der Unabhängigkeit Österreichs nach Bundesgenossen umsah. Es war nicht die a priori getroffene Entscheidung, sondern die internationale Konstellation, die Dollfuß den sog. »italie­nischen Weg« einschlagen ließ, da nur Mussolini im Kampf des David gegen Goliath tatkräftige, d. h. auch militärische, Hilfe versprach. In dieser Entwicklung bildete Salzburg trotz der in deutlichem Gegensatz zur Bundesebene die politische Kultur des Landes noch bestimmenden Konsensdemokratie keine Insel der Seligen. Stadt und Land wurden zum bevorzugten Kampfplatz der nunmehr an Härte zunehmenden Konfrontation einer aggressiven nationalsozialistischen Anschlusspolitik in Berlin und München, einer immer selbstbewusster und aggressiver auftretenden österreichischen NSDAP und der Regierung Dollfuß. Lassen wir nochmals Stefan Zweig zu Wort kommen, der über seine Rückkehr nach Österreich nach einem England-Aufenthalt Anfang 1934 schrieb  : »Ich brauchte nicht mehr als zwei oder drei Tage in Österreich, um zu sehen, wie sich die Situation in diesen wenigen Monaten verschlimmert hatte. Aus der stillen und sicheren Atmosphäre Englands in dies von Fiebern und Kämpfen geschüttelte Österreich zu kommen, war, wie wenn man an einem heißen New Yorker Julitag aus einem luftgekühlten, einem air-conditioned Raum plötzlich auf die glühende Straße tritt. Die nationalsozialistische Pression begann den klerikalen und bürgerlichen Kreisen allmählich die Nerven zu zerstören  ; immer härter fühlten sie die wirtschaftlichen Daumenschrauben, den subversiven Druck des ungeduldigen Deutschlands.« Die Regierung Dollfuß nahm diese Herausforderung an, erklärte die Durchführung der Salzburger Festspiele 1933 und 1934 zur nationalen Angelegenheit, propagierte die »Österreich-Ideologie« als ideologisches Gegengift zum großdeutschen Anschlussgedanken, förderte die von katholischen Salzburger Kreisen bereits länger geplante Errichtung einer Katholischen Universität als geistigen Hort wider die nationalsozialistische Barbarei und bemühte sich als Kompensation für den weitgehenden Entfall der deutschen Touristen und Festspielgäste erfolgreich um die Internationalisierung der Festspiele, die ab 1935 mit Arturo Toscanini den gewünschten künstlerischen Magneten erhalten sollten. Stefan Zweig bemerkte über diese nunmehr internationalen Festspiele  : »Mit einem Mal wurden die Salzburger Festspiele eine Weltattraktion, gleichsam die neuzeitlichen olympischen Spiele der Kunst, bei denen alle Nationen wetteiferten, ihre besten Leistungen zur Schau zu stellen. Niemand wollte mehr diese außerordentlichen Darstellungen missen. Könige und Fürsten, amerikanische Millionäre und Filmdivas, die Musikfreunde, die Künstler, die Dichter und Snobs gaben sich in den letzten Jahren in Salzburg Rendezvous  ; nie war in Europa eine ähnliche Konzentration der schauspielerischen und musikalischen Vollendung gelungen wie in dieser kleinen Stadt des kleinen und lange missachteten Österreich. Salzburg blühte auf.«

Vorwort

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Jenseits des künstlerischen Wertes und des einzigartigen Flairs der Festspiele an sich waren die Ereignisse in Salzburg zwischen 1933 und 1938 von der Gleichzeitigkeit internationaler Beziehungen bzw. Spannungen, der innen- und außenpolitischen Entwicklung Österreichs und landespolitischen Spezifika geprägt. In dieser komplexen Gemengelage von Beeinflussungen und Abhängigkeiten lassen sich drei Phasen definieren  : 1. Vom 4. März 1933 (»Selbstausschaltung« des Parlaments) bis zum 12. Februar 1934 (Bürgerkrieg)  ; 2. vom Bürgerkrieg bis zum Juliabkommen 1936 und 3. vom Juliabkommen 1936 bis zum Anschluss im März 1938. Diesen drei Phasen folgt auch die Edition der Berichte der Sicherheitsdirektion Salzburg. Sicherheitsdirektionen wurden angesichts des zunehmenden nationalsozialistischen Terrors von der Regierung Dollfuß 1933 eingerichtet, unterstanden direkt dem Bundeskanzleramt und hatten die Aufgabe, nicht nur über die Lage im jeweiligen Bundesland zu berichten, sondern auch entsprechende sicherheitspolitische Maßnahmen zu veranlassen und zu koordinieren. Die neue Institution stieß im Falle Salzburgs keineswegs auf die begeisterte Zustimmung von Landeshauptmann Franz Rehrl, der sich jedoch aus Parteidisziplin schließlich fügte. Die Berichte der Sicherheitsdirektion Salzburg wurden bisher noch nie durchgesehen, weil sie sich nicht im Bestand des Landesarchivs befinden, sondern in verstreuten Beständen des Bundeskanzleramtes, die im Archiv der Republik lagern (OESTA, AdR, BKA-Inneres, Sign. 22 Salzburg). Der Verfasser ist in diesem Zusammenhang Dr. Rudolf Jeřábek und Mag. Stefan Semotan zu besonderem Dank verpflichtet, die wichtige Hinweise gaben und die Kopie der Berichte, die sich nunmehr im Archiv des Institutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek in Salzburg befinden, ermöglichten. Mag. Ulrike Feistmantl im Salzburger Landesarchiv und Magdalena Granigg im Salzburger Haus für Stadtgeschichte haben wertvolle Hilfe bei der Fotorecherche geleistet. Mein Dank gilt auch Dr. Aisa Henseke, die sich mit großer Umsicht der Korrektur des Manuskriptes annahm. Robert Kriechbaumer Herbst 2018

TEIL I HISTOR ISCHE EN TW ICK LU NGSLI N IEN – LA N DESPOLITIK I M SPA N N U NGSFELD VON I N N EN- U N D AUSSEN POLITIK

1. Die Sehnsucht nach Normalität und die Schatten der Krise Parteiensystem und politische Kultur 1918 bis 1934

1.1 Die Parteien Im Salzburg der Ersten Republik dominierte, im Gegensatz zur Bundesebene, wie Ernst Hanisch am Beispiel der Demokratiemodelle von Arend Lijphart1 feststellte, das Konsensmodell.2 In einer versäulten Gesellschaft3 erforderte dies eine Kompromissbereitschaft der Parteieliten, die jedoch die an der Basis, vor allem bei den Parteiaktivisten und Parteimitgliedern, vorhandenen Gegensätze und dominanten Feindbilder nicht zu eliminieren vermochte. Wenngleich in der Formierungsphase der Ersten Republik verschiedene Versuche erfolgten, alle nicht-sozialdemokratischen Parteien in einem Bürgerblock zu vereinen, so scheiterten diese 1922 mit der Übernahme der Funktion des Landeshauptmannes durch Franz Rehrl, der eine damit verbundene deutliche ideologische Rechtsverschiebung der Christlichsozialen Partei und die Folgen für das politische Klima im Land ablehnte.4 Rehrl erwies sich, bei aller Durchsetzungskraft, als der Konsenspolitiker im Salzburg der Ersten Republik. Unterstützung fand er bei der 1921 verabschiedeten Landesverfassung, die das Proporzmodell – die Teilnahme aller drei politischen Lager an der Herrschaftsausübung (Landesregierung) – als strukturelles Merkmal festgeschrieben hatte.5 Im Landtag hielt er sich weitgehend von persönlichen und parteipolitischen Auseinan-

1 Arend Lijphart  : Democracy in Plural Societies. A Comparative Exploration. – New York 1977. 2 Ernst Hanisch  : Salzburg. – In  : Erika Weinzierl, Kurt Skalnik (Hg.)  : Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik. 2 Bde. – Graz/Wien/Köln 1983. Bd. 2. S. 903–937  ; Ders.: Die Erste Republik. – In  : Heinz Dopsch, Hans Spatzenegger (Hg.)  : Geschichte Salzburgs. Stadt und Land. Band II/2. 2. Aufl. – Salzburg 1995. S. 1057–1120. 3 Rudolf Steininger  : Polarisierung und Integration. Eine vergleichende Untersuchung der strukturellen Versäulung der Gesellschaft in den Niederlanden und in Österreich. – Meisenheim am Glan 1975. 4 Wolfgang Huber (Hg.)  : Franz Rehrl. Landeshauptmann von Salzburg 1922–1938. – Salzburg 1975. 5 Gerd Lehmbruch  : Proporzdemokratie. Politisches System und politische Kultur in der Schweiz und in Österreich im Vergleich. – Tübingen 1967. In Konkordanzdemokratien wird das Prinzip der Mehrheitsentscheidung weitgehend durch jenes der im Westfälischen Frieden genannten »amicabilis compositio« ersetzt. »Solches ›gütliche Einvernehmen‹ als Konfliktregelungsmuster erfährt seine institutionelle Sicherung in der Regel so, dass die wichtigsten Gruppen in der Exekutive vertreten sind und durch umfangreiche Ämterpatronage ihren Einfluss auf die politischen Entscheidungen sicherstellen.« (S. 7.)

16

Die Sehnsucht nach Normalität und die Schatten der Krise

dersetzungen fern, vermied Polemiken und betätigte sich vielfach kalmierend, wenn die Wogen der Erregung zu hochgingen. Politische und ökonomische Stabilität war die parteienübergreifende Maxime des politischen Handelns. Während die Bundespolitik zwischen 1918 und 1938 12 Bundeskanzler und 29 Regierungen aufwies, reduzierte sich diese Zahlen in Salzburg auf drei Landeshauptleute (Alois Winkler, Oskar Mayer, Franz Rehrl) und sieben Landesregierungen. Personelle Kontinuität und damit auch Stabilität wurde an den beiden führenden Repräsentanten des politischen Systems deutlich  : Franz Rehrl übte zwischen 1922 und 1938 die Funktion des Landeshauptmannes aus, der Sozialdemokrat Robert Preußler zwischen 1919 und 1934 jene des Landeshauptmann-Stellvertreters. Bis 1932 erfolgte die Wahl der Mitglieder der Landesregierung stets einstimmig, die meisten Beschlüsse der Landesregierung fielen einstimmig und Rehrl verstand es geschickt, durch – auch außerparlamentarische – Kontakte zur Sozialdemokratie diese für seine ambitionierten Großprojekte zu gewinnen. Vor allem bei jenen Projekten, die der Ankurbelung der Wirtschaft und dem Kampf gegen die vor allem in Folge der Wirtschaftskrise rasch steigende Arbeitslosigkeit dienten, konnte er auf die Unterstützung der Sozialdemokratie rechnen. Die kollektiven politischen Akteure repräsentierten die für das österreichische politische System und dessen politische Kultur charakteristischen, sich bereits in der Monarchie formierenden politischen Lager, d. h. Weltanschauungsparteien mit einem ideologisch fundierten, Totalität beanspruchenden Gestaltungswillen der ganzen Gesellschaft.6 Die jeweiligen Lager formten durch ihr umfassendes organisatorisches Angebot von der Wiege bis zur Bahre Milieus und Lebenswelten, fragmentierten die Gesellschaft anhand klar erkennbarer kultureller Verhaltensweisen und Chiffren. Die Lager schufen klare Fronten, stereotype Feindbilder und Ängste.7 Auf die Salzburger Parteien trafen diese Charakteristika zu, wenngleich im Vergleich zur Bundesebene in geringerer Ausprägung. Die Landtagswahlen 1919 bis 1932 weisen zwar durchgängig die Christlichsoziale Partei als deutlich stärkste Partei aus, gefolgt von den Sozialdemokraten und dem zersplitterten deutschnationalen Lager, doch zeigten sie 1932 angesichts der wirksam werdenden Weltwirtschaftskrise und des Aufstieges der NSDAP eine weitgehende Auflösung der Wählerschaft der deutschnationalen Parteien und eine beginnende Erosion jener der Christlichsozialen und Sozialdemokraten.

6 Zum Begriff der politischen Lager vgl. Adam Wandruszka  : Österreichs politische Struktur. Die Entwicklung der Parteien und politischen Bewegungen. – In  : Heinrich Benedikt (Hg.)  : Geschichte der Republik Österreich. – Wien 1977. S. 289–485. 7 Ernst Hanisch  : Demokratieverständnis, parlamentarische Haltung und nationale Frage bei den österreichischen Christlichsozialen. – In  : Anna M. Drabek, Richard G. Plaschka, Helmut Rumpler (Hg.)  : Das Parteienwesen Österreichs und Ungarns in der Zwischenkriegszeit. – Wien 1990. S. 73–86. S. 78 f.

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Die Parteien

Ergebnisse der Landtagswahlen im Bundesland Salzburg 1919 bis 1932:8 Stimmen

Prozent

Mandate

6. April 1919 CSP

36.863

45,35

19

SDAP

24.107

29,66

12

Deutschfreiheitliche1

17.320

21,31

 8

Pinzgauer Wirtschaftspartei

 2.955

 3,68

 1

CSP2

54.895

56,66

16

SDAP

33.082

34,12

10

Großdeutsche

8.899

 9,19

 2

9. April 1922

3. April 1927 CSP

54.661

48,02

13

SDAP

36.506

32,07

 9

Großdeutsche und Nationalsozialisten

13.140

11,54

 3

Landbund

 8.004

7,03

 1

Wirtschaftsständebund

 1.521

1,34

 0

CSP

44.013

37,94

12

SDAP

29.810

25,69

 8

Großdeutsche

 2.050

 1,77

 0

Kommunisten

 3.127

 2,70

 0

NSDAP

24.125

20,79

 6

Unabhängige, Bauernbund, Ständevertretung

7.361

 6,34

 0

Heimatschutz

  553

 4,77

 0

24. April 1932

1 Gekoppelte Liste, setzte sich zusammen aus: Freiheitlicher Bauernbund, Freiheitliche Bürger-, Bauern und Arbeiterpartei Demokratische Ständevertretung Deutsche Arbeiterpartei Deutscher Bauernbund Freiheitliche Volkspartei Deutsche Volkspartei Unabhängige Wirtschaftspartei Deutscher Volksverein 2 Christlich-Nationale Wahlgemeinschaft: Christlichsoziale, Landbund, Nationalsozialisten.

8 Daten & Fakten. Bundesland Salzburg. – Salzburg 2004. S. 155. (Schriftenreihe des Landespressebüros. Salzburg Informationen Nr. 134. Hg. v. Roland Floimair.)

18

Die Sehnsucht nach Normalität und die Schatten der Krise

Die Christlichsoziale Partei erhob den Anspruch der Volkspartei und entsprach durch den 1918 erfolgten Zusammenschluss des Katholischen Bauernbundes, des Christlichsozialen Vereines, der Katholischen Arbeiterorganisation und der Christlichen Frauenbewegung tendenziell diesem Parteitypus.9 Die Partei stützte sich vor allem auf den Katholischen Bauernbund und die Frauenbewegung und, in deutlich geringerem Ausmaß, auf das gering ausgeprägte katholische bürgerliche Milieu sowie die christliche Arbeiterbewegung. Ihr relativ geringer Anteil an der industriellen Arbeiterschaft hatte u. a. seine Ursache in der äußerst schwierigen Lage in den von der sozialdemokratisch organisierten Industriearbeiterschaft dominierten Industrieorten, die zu zahlreichen – auch durchaus begründeten – Klagen christlichsozial eingestellter Arbeiter über den »Roten Terror« führten. Beim Begriff der Arbeiterschaft muss jedoch deutlich zwischen Industriearbeiterschaft und der übrigen Arbeiterschaft (Landarbeiter, Handwerker, Arbeiter in Klein- und Mittelbetrieben) unterschieden werden. Generell stand die Arbeiterschaft außerhalb Wiens keineswegs unter dem dominierenden Einfluss der Sozialdemokratie, sondern jenem nicht-sozialistischer Ideologien. Wenngleich die Sozialdemokratie in den industriellen Zentren der Bundesländer einen hohen Organisationsgrad erreichte, so votierte die Mehrheit der Arbeiterschaft in den Bundesländern nicht für die Sozialdemokratie. So votierten 1927 außerhalb Wiens 48 Prozent der Arbeiter für bürgerliche Parteien und nur 41 Prozent für die Sozialdemokratie.10 Ihrem zweiten Anspruch als Massenpartei vermochte sie jedoch nicht zu entsprechen, da sie nur über einen kleinen Parteiapparat und keine eigene Parteiorganisation verfügte, weshalb sie eher dem Typus der Wählerpartei entsprach. Die organisatorische Schwäche kompensierte sie durch die Unterstützung durch die dichte Organisationsstruktur der Katholischen Kirche, deren Pfarrkanzleien oftmals die vor Ort nicht vorhandene Parteiorganisation ersetzten. Das Parteileben fand in der weit verzweigten katholischen Vereinsstruktur und in den Teilorganisationen, vor allem des Bauernbundes, statt. Als Partei des Politischen Katholizismus fand sie bis in die frühen Dreißigerjahre im Klerus eine intellektuelle Stütze. So war Alois Winkler der erste christlichsoziale Landeshauptmann in der Republik, Michael Neureiter viele Jahre Landeshauptmann-Stellvertreter, Daniel Etter Landesrat und Mitglied der Parteileitung, leiteten Leonhard Steinwender und Michael Schusterbauer die Parteipresse (»Salzburger Chronik« und »Salzburger Volksbote«). Die zentrale Stellung

 9 Zur Struktur der Christlichsozialen Partei Salzburgs vor 1918 vgl. Rupert Klieber  : Politischer Katholizismus in der Provinz. Salzburgs Christlichsoziale in der Parteienlandschaft Alt-Österreichs. – Wien/ Salzburg 1994. 10 Dirk Hänisch  : Die österreichischen NSDAP-Wähler. Eine empirische Analyse ihrer politischen Herkunft und ihres Sozialprofils. – Wien/Köln/Weimar 1998. S. 363. (Böhlaus zeitgeschichtliche Bibliothek. Herausgegeben von Helmut Konrad. Band 35.)

Die Parteien

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des Klerus wurde bei der Zusammensetzung der ersten Parteileitung 1918 deutlich sichtbar  : Vier Priester saßen neben vier Bauern, zwei Frauen, je einem Beamten, Rechtsanwalt, Gewerbetreibenden und Arbeiter.11 In den Zwanzigerjahren bemühte sich vor allem Franz Rehrl erfolgreich um den verstärkten Zuzug aus dem Cartellverband (CV), dessen Mitglieder zunehmend in führende Positionen in der Landes­ verwaltung einrückten. Organisatorisch stützte sich die Partei vor allem auf den Bauernbund, der zu Beginn der Zwanzigerjahre rund 10.000 Mitglieder zählte, und die doppelt so starke Frauenbewegung, der die Partei zu einem erheblichen Teil ihre Mehrheit verdankte, ohne jedoch die Frauen entsprechend in der Parteileitung oder im Landtagsklub zu berücksichtigen. Im Unterschied zu den Christlichsozialen verfügten die Sozialdemokraten über einen gut funktionierenden Parteiapparat und eine straffe Organisationsstruktur.12 Ebenso wie die Christlichsozialen definierten sie sich als Weltanschauungspartei, sahen sich jedoch nicht als Volks-, sondern als Klassen- und Interessenpartei, die zwischen 1919 und 1932 über rund 11.000 bis 17.000 Mitglieder verfügte. Die Zahl der Parteimitglieder stieg nach dem Krieg massiv an und erreichte 1922 mit 16.840 ihren absoluten Höhepunkt, pendelte sich allerdings in den folgenden Jahren zwischen 12.000 und 13.000 ein und sank 1932 auf rund 11.000. Die kulturellen Bemühungen der Sozialdemokraten zielten auf die Festigung des Milieus und seiner spezifischen Lebenswelten und Werthaltungen. Der proletarische Gegenentwurf zur bürgerlichen Vereinskultur manifestierte sich in einer breit gefächerten Vereinsstruktur, von den Arbeitergesangsvereinen über die Arbeitersportvereine, die Kinderfreunde, Arbeiterbibliotheken usw. bis hin zur direkten Kampfansage an das katholische Milieu durch die Freidenker oder die die Feuerbestattung propagierende »Flamme«. Hinzu trat die spezifische Festkultur mit ihren politischen Hochämtern wie dem 1. Mai oder dem 12. November. Die Salzburger Sozialdemokratie führte in einem überwiegend agrarisch dominierten Land ein Inseldasein und vermochte auch mentale Vorbehalte bei Beamten und Gewerbetreibenden nicht zu überwinden. Ihre Domäne waren die industriellen Ballungsräume wie die Stadt Salzburg, die Gemeinden Itzling, Gnigl, Maxglan, Hallein, Bischofshofen, Schwarzach, Mühlbach, Bad Gastein, Lend und Saalfelden. Die Parteiführung gehörte auf Grund der von ihr praktizierten Konsensdemokratie zum rechten Flügel der Sozialdemokratie und vertrat wegen der deutschböhmischen Herkunft ihrer bestimmenden Persönlichkeiten – Robert Preußler, Josef Witternigg,

11 Ernst Hanisch  : Die Christlich-soziale Partei für das Bundesland Salzburg 1918–1934. – In  : Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 124/1984. S. 477–496. S. 481. 12 Zur Geschichte der Salzburger Sozialdemokratie in der Ersten Republik vgl. Josef Kaut  : Der steinige Weg. Geschichte der sozialistischen Bewegung im Lande Salzburg. 2. Aufl. – Salzburg 1982. S. 84 ff.

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Karl Emminger, Heinrich Leukert – einen ausgeprägten Deutschnationalismus.13 Die Partei war keineswegs gewillt, die von der Wiener Parteiführung wiederholt eingeforderte stärkere Konfliktbereitschaft im Landtag zu praktizieren. Sie stellte sich bis zum Februar 1934 auf den Boden der Sachpolitik und des politischen Kompromisses und hatte in dieser Haltung in Landeshauptmann Franz Rehrl einen Verbündeten, der allerdings ab 1933 immer stärkerem Druck ausgesetzt war. Das deutschnationale Lager, bereits in der Monarchie arg zersplittert,14 ­vermochte auch in der Ersten Republik keine geschlossene Parteistruktur aufzubauen. Charakteristisch für das heterogene Lager war der bereits in der Monarchie erfolgte Sieg des mit deutlichen antisemitischen Tönen versehenen Deutschnationalismus über den Liberalismus. War der Liberalismus die Ideologie des Besitzbürgertums, so der Deutschnationalismus jene des Beamtentums, der jungen städtischen Intelligenz sowie der Handels- und Gewerbetreibenden. Vor allem ökonomische Gründe – die Defizite der wirtschaftlichen Existenzsicherung bei der jungen städtischen Intelligenz, die auf Grund des Wahlrechts geringe Repräsentanz der Handels- und Gewerbetrei­ benden in den politischen Gremien – bildeten die Ursache dieser Entwicklung.15 Die vom Kurien- und Zensuswahlrecht gesicherte Dominanz des Handels- und Industriebürgertums bereitete auch den Boden für den entstehenden Antisemitismus vor allem des Kleinbürgertums, wobei der Antisemitismus vor allem ökonomisch argumentiert wurde. Die im Zuge der Industrialisierung und Modernisierung entstehenden Probleme der Handels- und Gewerbetreibenden wurden den mit dem rücksichtlosen und ausbeuterischen Kapitalismus konnotierten Juden zugeschrieben. Die zunächst das Klein- und Mittelbürgertum erfassende antisemitische Infiltration vereinnahmte schließlich auch Teile des Großbürgertums. »Der Antisemitismus blieb als Bodensatz des bürgerlichen Lebens in Politik, Vereinskultur und organisierter Geselligkeit. Antisemitismus und Deutschnationalismus wurden zum kleinsten gemeinsamen Nenner einer sonst zunehmend nach sozialen und weltanschaulichen Kriterien – in Klein-, Mittel- und Großbürgertum, in Deutschnationale und Katholisch Konservative – aufgefächerten bürgerlichen Gesellschaft. Von der einst im Liberalismus beschworenen bürgerlichen Einheit blieb nur noch die gemeinsame Gegnerschaft zum nationalen und religiös-rassisch umschriebenen Feind, später zusätzlich zu den Sozialdemokraten. So gesehen hat der Antisemitismus vielfach zur

13 Ernst Hanisch  : Die sozialdemokratische Fraktion im Salzburger Landtag 1918–1934. – In  : Gerhard Botz, Hans Hautmann, Helmut Konrad, Josef Weidenholzer (Hg.)  : Bewegung und Klasse. Studien zur österreichischen Arbeitergeschichte. – Wien/München/Zürich 1978. S. 247–268. S. 256 f. 14 Lothar Höbelt  : Kornblume und Kaiseradler. Die deutschfreiheitlichen Parteien Altösterreichs 1882– 1918. – Wien/München 1993. 15 Hanns Haas  : Vom Liberalismus zum Deutschnationalismus. – In  : Dopsch, Spatzenegger (Hg.)  : Geschichte Salzburgs. Band II/2. S. 833–900.

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Konstruktion einer Ideellen Einheit des Bürgertums beigetragen, was wesentlich seine Tiefenwirkung erklärt.«16 Unter dem Dach eines antisemitischen und antiklerikalen Deutschnationalismus herrschte allerdings keineswegs Einigkeit, im Gegenteil. Die Zersplitterung des Lagers ließ in der jungen Republik die völlige politische Marginalisierung befürchten, wenn nicht angesichts der bevorstehenden Wahlen zur Konstituierenden Nationalversammlung am 16. Februar und der Landtagswahl am 6. April 1919 ein Zusammenschluss erfolgte. Die schließlich am 2. Dezember 1918 erfolgte Gründung der »Demokratischen Ständevereinigung«, ein Zusammenschluss von sechs Parteien,17 vermochte jedoch auf Grund ihrer inhomogenen Mitgliederparteien die Funktion einer Dachorganisation nicht zu erfüllen. Bereits im Dezember 1918 verließen zwei Parteien – die Deutsche Arbeiterpartei und der Freiheitliche Salzburger Bauernbund – die Demokratische Ständevereinigung, um sich allerdings zwei Wochen vor der Wahl zur Konstituierenden Nationalversammlung, der Not des gewünschten Wahlerfolges folgend, mit dieser wiederum in Form einer Listenkoppelung zusam­ menzuschließen. Die Wahlergebnisse des Jahres 1919 ließen die Verteilung der Wählerschaft des deutschnationalen Lagers deutlich hervortreten. Die Demokratische Ständevereinigung hatte das überwältigende Gros ihrer Wählerschaft in der Landeshauptstadt, in der auch die Deutsche Arbeiterpartei ihren Schwerpunkt hatte, während der Freiheitliche Bauernbund vor allem im Flachgau und Lungau über erhebliche Unterstützung verfügte. Das lose Parteienbündnis und die Methode der Listenkoppelung zum Zweck des politischen Überlebens drängten nach einer Lösung, die auf Bundesebene fiel. Bei einer Tagung aller deutschnationalen/freiheitlichen Parteien lehnten die Vertreter der freiheitlichen Bauernbünde und der Nationalsozialisten (Dr. Walter Riehl) die intendierte Schaffung einer Einheitspartei ab und plädierten stattdessen für eine Einheitsfront der nationalen Parteien. Damit waren die Bestrebungen zur Schaffung einer Einheitspartei an den unterschiedlichen Interessen, vor allem auch an dem Misstrauen der Bauern gegenüber dem städtischen Bürgertum, von dem es sich nicht vereinnahmen und instrumentalisieren lassen wollte, gescheitert. Die Folge war die Grün­dung der »Großdeutschen Volkspartei« als bürgerliche Standespartei und der »Deutschösterreichischen Bauernpartei« (später »Landbund«) sowie der eigene Weg der Nationalsozialisten.18 16 Hanns Haas, Monika Koller  : Jüdisches Gemeinschaftsleben in Salzburg. Von der Neuansiedlung bis zum Ersten Weltkrieg. – In  : Marko M. Feingold (Hg.)  : Ein ewiges Dennoch. 125 Jahre Juden in Salzburg. – Wien/Köln/Weimar 1993. S. 31–52. S. 39. 17 Die Demokratische Ständevereinigung war der Zusammenschluss von Bürgerklub, Wirtschaftsklub, Deutschfreiheitlichem Volksbund, Vereinigung der Mittelstandsinteressen, Deutsche (nationalsozialistische) Arbeiterpartei und Freiheitlicher Salzburger Bauernbund. 18 Richard Voithofer  : Drum schließt Euch frisch an Deutschland an … Die Großdeutsche Volkspartei in

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Die Großdeutsche Volkspartei verfügte zwischen 1920 und 1930 über 2000 bis 2800 Mitglieder mit einem deutlichen Schwerpunkt in der Landeshauptstadt, in der sie 1927 über 1540 Mitglieder verfügte, nachdem sie 1921 lediglich 825 Mitglieder aufgewiesen hatte. Die frühen Dreißigerjahre brachten jedoch durch die einsetzende Abwanderung zu den Nationalsozialisten einen massiven Absturz. Landesweit sank die Mitgliederzahl auf 1400, in der Stadt Salzburg auf 700. Die Konzentration der Partei auf die Landeshauptstadt wird aus dem Umstand deutlich, dass 1927 80 Prozent der wahlberechtigten Salzburger auf dem Land und nur 20 Prozent in der Stadt Salzburg lebten, während 57 Prozent der Mitglieder der Großdeutschen Volkspartei in der Stadt Salzburg lebten. Die Mitgliederstruktur in der Landeshauptstadt wies 1921 eine deutliche Dominanz von Handel und Gewerbe mit 50 Prozent auf, gefolgt von den Beamten mit 13,6 Prozent, den Freien Berufen mit 11,1 Prozent und den Angestellten mit 7,7 Prozent. Die Lehrerschaft stellte lediglich 3,3 Prozent der Parteimitglieder. Im Unterschied zur Bundespartei war die Salzburger Landespartei keine überwiegende Beamten- und Lehrerpartei.19 In der Bürokratie verfügten die Großdeutschen in Salzburg nur über geringes Gewicht, besetzten jedoch zahlreiche Schlüsselpositionen in der Magistratsverwaltung, den Schulen, der Presse und dem weit verzweigten und einflussreichen Vereinswesen, wodurch ihr Einfluss deutlich stärker war, als es auf Grund der überschaubaren Mitgliederzahl anzunehmen wäre. Organisatorisch und strukturell wies die Partei erhebliche Defizite auf. Dies äußerte sich durch den häufigen Wechsel an der Parteispitze. In der Ersten Republik hatte die Partei vier Obmänner  : Karl Krieger, Heinrich Clessin, Rudolf Palfinger und Rudolf Edelmayer. Durch die historischen Überhänge der Honoratiorenpartei der Habsburgermonarchie war sie durch eine weitgehende Passivität und Untätigkeit außerhalb der Wahlzeiten charakterisiert, sicherlich auch bedingt durch das weitgehende Fehlen einer schlagkräftigen Parteiorganisation und einer eigenen Presse. Obwohl sowohl der Besitzer wie auch der Chefredakteur der »Salzburger Volkszeitung« – Hans Glaser und Thomas Mayrhofer – Mitglieder der Partei waren, war das Verhältnis zwischen der einflussreichen Tageszeitung und der Großdeutschen Volkspartei zahlreichen Spannungen ausgesetzt. Hatte die Großdeutsche Volkspartei ihre Hochburg in der Stadt Salzburg, so der »Freiheitliche Salzburger Bauernbund« (»Landbund«) im Flachgau. Der ­durchaus selbstbewusst auftretende Landbund war die Partei der größeren Bauern, die oftmals auch als Wirte, Brauerei- oder Sägewerksbesitzer, Fuhrunternehmer oder Viehhändler vielfach die »Dorfaristokratie« bildeten, die auf ihren Status bedacht waren und einen politischen Zusammenschluss mit den als dünkelhaft empfundenen ­städtischen Salzburg 1920–1936. – Wien/Köln/Weimar 2000. S. 55 ff. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg Band 9.) 19 Voithofer  : Drum schließt Euch frisch an Deutschland an … S. 380 ff.

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Großdeutschen ablehnten. Sie vertraten »den Herrn-im-Haus-Standpunkt«20 selbstbewusst nach außen und konnten bei Wahlen zwischen 7000 und 8000 Stimmen mobilisieren. Eine aus ökonomischen Gründen naheliegende Zusammenarbeit mit dem Katholischen Bauernbund der Christlichsozialen scheiterte an dem vom Landbund abgelehnten Politischen Katholizismus, vor allem der Repräsentanz von Priestern in politischen Funktionen. Die bereits vor der Weltwirtschaftskrise einsetzende Agrarkrise führte zu einem teilweise dramatischen Preisverfall landwirtschaftlicher Produkte mit erheblichen Auswirkungen auf die politische Haltung der Bauern, die sich in beträchtlichen Teilen zunehmend radikalisierten. Vor allem die jüngere Generation der Landbündler wechselte in den frühen Dreißigerjahren in einem für die Elterngeneration beunruhigendem Ausmaß zu den Nationalsozialisten.

1.2 Die Wehrverbände Das für die Politische Kultur der Zwischenkriegszeit charakteristische Konsensmodell ist für die ersten Jahre der Republik nur eingeschränkt zutreffend. Wenngleich die Monarchie gegen Kriegsende bei einem Großteil der bisher dynastietreuen Bauernschaft und dem Bürgertum zunehmend an Kredit verloren hatte und die Ausrufung der Republik keineswegs auf rigide Ablehnung stieß, so traf dies auf die ökonomischen und vor allem politischen Begleitumstände der Geburt der Republik keineswegs zu. Zu sehr waren diese von den internationalen Rahmenbedingungen – Oktoberrevolution in Russland, Versuche der Etablierung einer Rätediktatur in Deutschland, kurzfristige Rätediktaturen in München und Budapest, kommunistische Putschversuche in Wien, Handelsschranken der Nachfolgestaaten und damit Zusammenbruch des bisherigen Wirtschaftsraumes mit erheblichen Folgen für Öster­reich usw. – negativ beeinflusst, zu sehr herrschte vor allem bei der nicht-proletarischen Bevölkerung der Bundesländer die Angst vor einem Übergreifen bolschewistischer Methoden auf die eigene Region. Das Rote Wien wurde nicht nur zum viel gescholtenen Wasserkopf, dessen darbende Bevölkerung man nicht auch noch ernähren wollte, sondern vor allem der Inbegriff der drohenden österreichischen Variante der bolschewistischen Revolution. Vor allem die entstandenen Soldatenräte, die auch in der neu aufgestellten Volkswehr über erheblichen Einfluss verfügten, wurden zum Inbegriff einer linksradikalen undisziplinierten Soldateska, einer von der Sozialdemokratie kontrollierten Partei- und möglichen Putscharmee. Friedrich Funder schrieb in seinen Erinnerungen  : »Das dunkle Gefolge eines verlorenen Krieges war über das Land hereingebrochen und machte sich breit. Wochenlang 20 Hanisch  : Salzburg. S.  917.

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fehlte eine ausreichende Ordnungsmacht. Die neuformierte sogenannte Volkswehr, als Wehrmacht der Republik gedacht, war eine Sammlung von Soldaten der verschiedensten Herkunft und Vergangenheit, vorwiegend von Leuten aus der Etappe, disziplinlosen, ihrer Truppe entlaufenen, zum geringsten Teil frontgedienten Leuten, eine Soldateska, die für ihre hemmungslosen Zwecke von den Waffen Gebrauch zu machen verstand, die man ihr in die Hand gegeben hatte. Illegitime Patrouillen und Kommissionen durchzogen die Stadt und brandschatzten unbehelligt irgendwelche Privatwohnungen nach Lebensmitteln oder sonstigen netten Sachen. Noch zu rechter Zeit war die kaiserliche Familie nach Eckartsau übersiedelt, dem einsamen Jagdschloss am Rande der Lobau, wo es allerdings an vielem mangelte. In der Hofburg und in Schönbrunn siedelten sich nach und nach sogenannte Bewachungen an, die an berüchtigte Erscheinungen der Etappe erinnerten, eine Rotte Korah, die zwischen Gobelins und kostbaren Stilmöbeln tafelte und pokulierte. Während Wien hungerte und an drei Tagen der Woche auf Hafergrütze gesetzt war, verschlemmten die zu Hunderten angesammelten uniformierten Wachen, was an Trinkbarem aus den Kellern und den Lebensmittelzuweisungen an das Dienstpersonal der Hofgebäude erreichbar war. Wenn einmal Rechtsordnung schutzlos wird, wandelt sich alles mit unheimlicher Blitzesschnelle. (…) Im Mittleren Konzerthaussaal tagte kurz nach der Ausrufung der Republik eine ›Vereinigung geistiger Arbeiter‹ – sie lebte nicht lange –, die nach Pressemeldungen mit ›brausendem Beifall‹ einem Rudolf Goldscheid zustimmte, als dieser seine Rede mit dem Satz bekrönte  : ›Mit den Kronen müssen auch die Altäre fallen.‹ War das die Demokratie, welche die radikalsozialistische Presse dem Volke zugedacht hatte  ? Der Absturz in einen gesetzlosen Bolschewismus war an manchen Tagen nahe.«21 Für Leopold Kunschak war die Volkswehr »ein zusammengewürfel­ter Haufen von politischen Abenteurern und sonstigen fragwürdigen Gestalten, unter denen die anständigen Elemente des Offiziers- und Mannschaftsstandes völlig untergingen. Meist außerhalb der Kasernen wohnend, führten die einzelnen ein sehr freies, von Disziplin nicht beengtes Leben, das sich auch auf das Leben und die Verhältnisse in den Kasernen übertrug. Das große Wort in dieser ›Volkswehr‹ führten die Soldatenräte, das Kommandorecht der Offiziere stand lediglich auf dem Papier. (…) Diese ›Volkswehr‹ begnügte sich aber nicht damit, ihre geringfügigen Dienstobliegenheiten mehr schlecht als recht zu erfüllen, sie griff auch, und das gar nicht selten, in die politischen Kämpfe ein  ; sie fühlte und betätigte sich als politischer Faktor.«22 Nach der Ausrufung der Räterepublik in Ungarn im März 1919 verstärkten sich die kommunistischen Tendenzen in der Volkswehr. Abgesandte der ungarischen Ro21 Friedrich Funder  : Vom Gestern ins Heute. Aus dem Kaiserreich in die Republik. – Wien 1952. S. 597 f. 22 Ebd.

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ten Armee sprachen in Wien. Der Vorsitzende des Vollzugsausschusses der Wiener Soldatenräte, Hauptmann Josef Frey, reiste im April nach Budapest, um festzustellen, ob Ungarn in der Lage sei, Österreich im selben Ausmaß die benötigten Lebensmittel zu liefern wie die Entente. Durch den Abmarsch von 1.300 kommunistischen Freiwilligen nach Ungarn und die negative Antwort aus Budapest bezüglich der Lebensmittellieferungen ging der kommunistische Einfluss allmählich zurück.23 Dennoch blieb die kommunistische Gefahr zunächst noch virulent. Im Sommer 1920 veröffentlichte der II. Weltkongress der Komintern die »Leitsätze über die Kommunistischen Parteien und den Parlamentarismus«, in denen grundsätzlich die »Unversöhnlichkeit von Rätediktatur und Demokratie« festgestellt wurde. Das Parlament diene nur als Bühne des politischen Kampfes gegen die Demokratie, man müsse es ausnützen, um den Parlamentarismus zu beseitigen.24 Hatte 1918/19 die durchaus berechtigte Furcht vor Plünderungen durch zurück­ flutende Soldaten und Kriegsgefangene zur Errichtung von Einwohnerwehren (Feld­­wehren) geführt, so trat 1920 ein anderes Motiv in den Vordergrund  : die Angst vor einem Übergreifen der von der verbalradikalen austromarxistischen Sozialdemokratie in den Augen vieler offensichtlich gestützten revolutionären Bewegungen auf die Bundesländer – vor allem auch durch Volkswehreinheiten. Die internationale Lage schien dieser Angst ständig neue Nahrung zu geben. Mitte März 1920 kam es zu einem kommunistischen Aufstand der »Roten Armee« im Ruhrgebiet, der erst Anfang April durch die Reichswehr beendet werden konnte, am 16. Oktober spaltete sich die USPD auf ihrem Parteitag in Halle.25 Die Mehrheit der Partei schloss sich der Kommunistischen Internationale an und vereinigte sich im Dezember mit der KPD, während sich die Minderheit für die parlamentarische Demokratie aussprach. Im Russischen Bürgerkrieg setzte sich die Rote Armee 1920 durch und eröffnete im März ihren Krieg gegen Polen mit dem Ziel, der bolschewistischen Revolution in Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen.26 Die Angst vor einer Revolution wurde zur vorherrschenden Stimmung im nicht-sozialdemokratischen Teil der Bevöl­kerung. Der Salzburger Lujo Tončić-Sorinj bemerkte in seinen Erinnerungen, die Heimwehr-Bewegung sei »auch aus dem Widerstand gegen den sich formenden militanten Sozialismus« entstanden. »Ein ganz wesentlicher Faktor für die Zugehörigkeit zu einer Bewegung wie der Heimwehr war aber auch ein anderer 23 Francis L. Carsten  : Mitteleuropa 1918-1919. – Köln 1973, S. 82 f. 24 Hans Hautmann  : Geschichte der Rätebewegung in Österreich 1918–1924. – Wien/Zürich 1987. S. 627 f  ; vgl. dazu auch Rolf Reventlow  : Zwischen Alliierten und Bolschewiken. Arbeiterräte in Österreich 1918 bis 1923. – Wien/Frankfurt am Main/Zürich 1969. 25 Hartfried Krause  : USPD. Zur Geschichte der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. – Frankfurt am Main/Köln 1975. S. 201 ff. 26 Bogdan Musial  : Kampfplatz Deutschland. Stalins Kriegspläne gegen den Westen. – Berlin 2008. S. 23 ff.

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Umstand … Die meisten Menschen, die aus der Tradition der alten Monarchie kamen, gleichgültig aus welchen Berufsgruppen und gleichgültig aus welchem Lager, hatten nach dem Jahre 1918 das Gefühl, dass sie von der gesamten Welt der Linken als etwas betrachtet würden, das der Vergangenheit angehöre, das man vielleicht in Ruhe absterben lassen könne, das aber auf jeden Fall nicht erhaltenswert sei  : Menschen zweiten Grades, über die der Gang der Geschichte hinweggehe, Menschen, die, wie jemand sagte, auf den Misthaufen der Geschichte gehören. Es war dieses Empfinden einer Art Ausgeliefertsein gegenüber den stärkeren Exponenten einer Entwicklung, die, ob man wolle oder nicht, kommen müsse, die bei einigen lähmend wirkte, bei anderen aber in massivem Widerstand sich äußerte. Es war klar, dass ich zur zweiten Gruppe gehörte, schon allein deshalb, weil ich die Wortverdrehungen, dass sozialistisch oder marxistisch fortschrittlich sei, konservativ aber rückschrittlich, dass sozialistisch mit sozial identisch sei, Tradition aber dasselbe wie verderbliche Reaktion, von allem Anfang an nicht nur als vollkommen falsch verurteilte, sondern auch zu bekämpfen beschloss. Die Ereignisse in Osteuropa, die kompromisslose Brutalität und die bis ins Äußerste gehende Konsequenz des Marxismus in seinen verschiedenen Varianten war der Beweis dafür, wohin die Dinge kommen würden, wenn man ihm freie Bahn ließe. Und wir hielten es für absolut sicher, dass der Marxismus, sollte es ihm nicht gelingen, die Macht mit demokratischen Mitteln zu erlangen, eben zunächst mit versteckter und dann mit offener Gewalt sein Ziel zu erreichen entschlossen war. Dies aber würde bedeuten, dass all die Werte, die für uns heilig sind, wie Religion, Eigentum, Respekt vor der Persönlichkeit, Ablehnung jeder Form von Vermassung, Unabhängigkeit der Justiz, Familie, Respekt vor den Werten der Vergangenheit, dass all dies zugrunde gehen würde. Die einzige Bewegung, die entschlossen war, dies mit Gewalt zu verhindern, war die Heimwehr.«27 Es war diese weit verbreitete Stimmung, die nicht nur die Große Koalition 1920 im Bund scheitern ließ, sondern auch zu einer Annäherung der Christlichsozialen und des deutschnationalen Lagers führte. Es waren die von den Christlichsozialen und den deutschnationalen und -freiheitlichen Parteien dominierten Landesregierungen, die den Weiterbestand und den Ausbau der 1918/19 entstandenen Einwohnerwehren in Heim(at)wehren förderten. »Heimwehren, Heimatwehren können zunächst einmal nur dort entstehen, wo Menschen einen geografischen und weltanschaulichen Bereich als ›Heimat‹ anerkennen. ›Heim‹, ›Heimat‹ meint in diesem Zusammenhang Weltanschauung und Gesellschaftsstruktur der bürgerlichen und bäuerlichen Welt in den österreichischen Ländern, bezeichnet also einen umfassenden Lebensbereich. Zu ihm gehören die Bindung an Traditionen bis hin zur Brauchtumspflege, die Orientierung auf den Besitz, die Abschirmung des eigenen Lebensraumes gegen andere Gruppen, 27 Lujo Tončić-Sorinj  : Erfüllte Träume. Kroatien, Österreich, Europa. – Wien/München 1982. S. 69 f.

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die Überzeugung, dass der Aufbau der Gesellschaft mit ihren Hierarchien und Abhängigkeiten statisch und grundsätzlich erhaltenswert ist. (…) Heimwehr, Heimatwehr – das heißt … die totale Mobilisierung aller Abwehrkräfte zum Schutz des eigenen regional, sozial und weltanschaulich bestimmten Lebensraumes. Der Feind, gegen den es sich zu wappnen gilt, kennt offenbar keine Gnade. … Er will (dem Einzelnen) mit ›Heim‹ und ›Heimat‹ das Eigentum und den gewohnten, sozial und weltanschaulich bestimmten Lebensbereich rauben, er ist dem Bedrohten wesensfremd …«28 Bereits 1919 stellte der Salzburger Landeshauptmann-Stellvertreter Franz Rehrl bei Verhandlungen der Länder mit der Regierung Renner über die künftige Verfassung fest, die Länder müssten sich gegen die Zentralisierungstendenzen der Regierung wehren und die Gesetzgebung in Wirtschaftsfragen ebenso beanspruchen wie die Kompetenz in Sicherheitsfragen. Durch den Aufbau eines Milizsystems sollte die Volkswehr stufenweise völlig abgebaut werden. Im Juni 1919 wurde auf einer Länderkonferenz in Innsbruck die Frage erörtert, wie die Länder im Fall der Proklamierung einer Räterepublik in Wien reagieren sollten. Die Mehrheit der Länder vertrat die Auffassung, dass man bereits beginnen solle, die Gendarmerie zu vermehren und besser zu bewaffnen, um im Krisenfall mit diesen Einheiten auch die Volkswehr entwaffnen zu können. Die Sozialdemokratie, im Bemühen um den Spagat zwischen revolutionärer Rhetorik und pragmatisch-parlamentarischem Handeln, verstärkte durch ihre oft überbordende Revolutionsrhetorik, die vor allem auch der Kontrolle der Soldatenräte diente, diese Befürchtungen. Mit besonderem Misstrauen wurde die sozialdemokratische Wehrpolitik verfolgt, die auf die Errichtung einer von der Sozialdemokratie kontrollierten bewaffneten Macht abzielte, ein Horrorszenario für Christlichsoziale, Großdeutsche und Landbündler. In Salzburg, wo die Erfahrungen mit den unter sozialdemokratischer Kontrolle sich befindenden Arbeiterräten, in denen durch Zugeständnisse der SDAP auch die Kommunisten vertreten waren, ambivalent waren, ging man zur Abwehr eines solchen Szenarios noch einen Schritt weiter. Hier waren es die nicht-sozialdemokratischen Parteien, die Kontakte mit den bayerischen Einwohnerwehren um den Forstrat Georg Escherich und den Obergeometer Rudolf Kanzler, beide Staatsbeamte und Mitglieder der Bayerischen Volkspartei (BVP), mit dem Ziel aufnahmen, die waffentechnisch äußerst bescheiden ausgerüsteten Salzburger Verbände entsprechend auszurüsten und für den Krisenfall zu einer schlagkräftigen Truppe aufzubauen. Am 24. Februar 1920 erschienen zwei Mitarbeiter Rudolf Kanzlers in Salzburg zu ersten Gesprächen mit Vertretern der Christlichsozialen, der Großdeutschen, des Freiheitlichen Bauernbundes und der Nationalsozialisten, die darauf verweisen konnten, 28 Ludger Rape  : Die österreichischen Heimwehren und die bayerische Rechte 1920–1923. – Wien 1977. S. 57 f.

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dass man bereits rund 1200 Mann – vor allem im Flachgau – unter dem Kommando von Karl Itzinger als Kerntruppe für eine auszubauende Heimwehr habe rekrutieren können. Seitens der Christlichsozialen wurden die Gespräche von Landesrat Daniel Etter und den Landtagsabgeordneten Josef Hauthaler und Wilhelm Schernthanner geführt. Bei den Kontakten zwischen Bayern und Salzburg wurden jedoch deutliche Unterschiede vor allem im Selbstverständnis der Heimwehr sichtbar. Vor allem der christlichsoziale Landtagsabgeordnete Josef Hauthaler und der amtierende Heimwehrkommandant Karl Itzinger betonten, in deutlichem Gegensatz zu den bayerischen Vertretern, den rein defensiven Charakter der Heimwehr. Sie sollte nur im Krisenfall und bei Versagen der staatlichen Macht zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und zum Schutz des Eigentums eingesetzt werden. Die schließlich beschlossenen und von der Landesregierung am 15. Oktober 1920 genehmigten Statuten erklärten, die Verbände dienten dem »Schutz der Familie, von Haus und Hof vor Plünderungen und Gesetzwidrigkeiten im Rahmen des den Gemeinden obliegenden Sicherheitsdienstes« und der »Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Lande.«29 Ende 1920 sah man sich allerdings noch nicht in der Lage, den Sozialdemokraten den Kampfplatz der außerparlamentarischen Aktionen streitig zu machen, wie es in einem internen Dossier hieß.30 Erst die von Bayern schließlich einsetzenden massiven Waffenlieferungen und breit gestreute Werbeaktionen ließen den Mannschaftsstand 1921 auf rund 6000 ansteigen. Seitens der nicht-sozialdemokratischen Parteien wurde die Heimwehr in den frühen Zwanzigerjahren als Machtfaktor in einer eventuellen Konfrontation mit der Sozialdemokratie gesehen, den man politisch kontrollieren musste. 1920 bildeten daher die Landtagsabgeordneten Josef Hauthaler (CSP) und Johann Ober (FSB/LB) die Landesführung, die 1921 von Otto Vogl übernommen wurde. Ihm folgten 1925 der Kuchler Bauer Josef Schnöll als Landesführer und der Mattseer Notar Franz Huber als zweiter Landesführer. Zu diesem Zeitpunkt führte die Heimwehr auf Grund der ökonomischen Stabilisierung und der Beruhigung der innenpolitischen Lage nur mehr ein Schattendasein. Die Gelder der Industrie versiegten und nur mehr in Tirol, Kärnten und der Steiermark verfügte sie über einige noch funktionierende Einheiten. Die sollte sich mit den Ereignissen um den Brand des Justizpalastes am 15. Juli 1927 schlagartig ändern. Die Exzesse der Demonstranten, die von der Sozialdemokratie nicht unter Kontrolle gebracht werden konnten, ließen in großen Teilen der Öffentlichkeit das Bild eines »roten Putschversuchs« entstehen, das die Sozialdemokratie und die Freien Gewerkschaften mit ihrer Solidarisierung mit den Demonstranten noch verstärkten. Der Parteivorstand der Sozialdemokratie und die Gewerkschafts29 Zit. bei Rape  : Die österreichischen Heimwehren und die bayerische Rechte 1920–1923. S. 121. 30 Ebd. S. 134.

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kommission Österreichs proklamierten den Verkehrsstreik, wobei in der Wortwahl die ambivalente Haltung der Sozialdemokratie, die zwischen symbolischer Defensivmaßnahme und rhetorischer Kraftmeierei schwankte, deutlich wurde. So wurde im am 16. Juli veröffentlichten Streikaufruf betont, man könne »nicht bestreiten, dass sich in die große Menge der Demonstranten auch einige hundert undisziplinierte Elemente gemengt haben, die zu diesem großen Unglück viel beigetragen haben.« Man werde »jedoch den Kampf gegen diese Provokation der Reaktion mit Mitteln führen, die zweckmäßig und der Arbeiterschaft würdig sind. E s i s t B l u t ­g e n u g g e f l o s s e n , w i r w o l l e n n i c h t , d a s s n o c h w e i t e r B l u t v e r g o s s­e n w e r d e . Die Macht der Arbeiterschaft kann nicht darin liegen, dass sie sich ohne zwingende Not einer überlegenen Polizei- und Militärgewalt entgegenstellt. D i e Macht der Arbeiterschaft liegt vielmehr in ihren wirtschaftli­ chen Kampfmitteln. Sie liegt darin, dass alle Räder stille stehen, wenn unser starker Arm das will. Das wichtigste Kampfmittel der Arbeiterschaft ist die S t i l l l e g u n g d e r Ve r k e h r s b e t r i e b e . Dieses Kampfmittel werden wir zunächst anwenden.«31 Der von der Sozialdemokratie aus Verlegenheit und in einem Akt symbolischer Politik ausgerufene Verkehrsstreik erwies sich, nicht zuletzt durch den Einsatz der Heimwehr vor allem in den westlichen und südlichen Bundesländern als Streikbrecher, als weitgehend wirkungslos. Die sozialdemokratische Parteiführung und die Freien Gewerkschaften sahen sich am 18. Juli gezwungen, den Verkehrsstreik auf Grund weitgehender Wirkungslosigkeit zu beenden. Nach außen galt es allerdings, die Niederlage durch markige Sprüche und Versicherung der eigenen Stärke zu kaschieren. So kommentierte die »Arbeiter-Zeitung« die Beendigung des Streiks am Morgen des 18. Juli mit der Behauptung, die Durchführung des Verkehrsstreiks habe die Macht der Arbeiterklasse eindrucksvoll dokumentiert. »Ein Beschluss – und alle Räder stehen still  ! Ein Beschluss – und alle Räder bewegen sich wieder. Es kämpft ein diszipliniertes Heer  ! … das versteht jedermann  : solange unser Wille alles wirtschaftliche Leben in e i n e r Minute stilllegen und solange nur unser Wille das wirtschaftliche Leben wieder in e i n e r Minute in Gang setzen kann – solange wird keine Macht mit uns fertig werden  !«32 Dies alles klang aber eher nach dem Pfeifen des Furchtsamen im Wald. Auf den sozialdemokratischen Spruch »Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will« reimte die Heimwehr »Alle Räder müssen rol31 Mitteilungs-Blatt der Sozialdemokratie Deutschösterreichs Nr. 1. 16.7.1927. S. 1. Am folgenden Tag erklärte der Wiener Bürgermeister Karl Seitz die Aufstellung einer Gemeindeschutzwache mit dem Argument, deren Aufgabe sei es vor allem, »die Einrichtungen und Betriebe der Gemeinde zu schützen, aber auch darüber hinaus beizutragen …, dem Blutvergießen ein Ende zu machen, Ruhe und Ordnung auf den Straßen Wiens wiederherzustellen.« (Mitteilungs-Blatt der Sozialdemokratie Deutschösterreichs Nr. 3. 17.7.1927. S. 1.) 32 Arbeiter-Zeitung 19.7.1929. S. 1.

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len, wenn die Heimwehren es wollen«.33 Der Juli 1927 bedeutete einen erheblichen »Prestigegewinn für die Heimwehren. Sie schienen sowohl ihre Notwendigkeit als auch ihre Wirksamkeit unter Beweis gestellt zu haben. Entscheidend war freilich nicht der Eindruck in der Öffentlichkeit, sondern die Reaktion der politischen Eliten im In- und Ausland. Die Heimwehren waren plötzlich wiederum interessant geworden, für Seipel, aber auch für Mussolini, das heimliche Vorbild so manchen Heimwehrführers.«34 Seipel näherte sich der Heimwehr und sah in ihr zunehmend einen brauchbaren politischen Kettenhund, den es allerdings zu kontrollieren galt. Er war in dieser Meinung vor allem durch den Artikel der »Arbeiter-Zeitung« vom 20. Juli 1927 bestärkt worden, in dem Friedrich Austerlitz die Ereignisse des 15. Juli zum Anlass nahm, um zum unversöhnlichen Kampf gegen die bürgerlich kapitalistische Welt aufzurufen. Wenn die bürgerliche Presse unter Hinweis auf die tragischen Ereignisse den Geist der Versöhnung beschwöre, so könne man nur antworten  : »E s g i b t k e i n e Ve r s ö h n u n g , nichts ist uns allen in unserer Trauer um die gefallenen Brüder und Schwestern ferner als der Gedanke an Versöhnung. … Wir haben den Hass des Bürgertums erlebt, den hemmungslosen, rasenden« und »e r w i d e r n s t o l z u n d o h n e R ü c k h a l t d e n H a s s . Versöhnung, wir kennen die salbungsvolle Gebärde, die ekelhafte Maske  ; wir haben das maskenlose Antlitz des Gegners gesehen, verzerrt von infernalischem Hass, wir haben das Lob verstanden, das der Polizei für ihre Heldentaten gespendet wurde, und das genügt uns. Was wir am Grabe der Toten geloben werden, ist nicht Versöhnung, sondern l e i d e n s c h a f t l i c h e r K a m p f g e g e n d i e b ü r g e r l i c h - k a p i t a l i s t i s c h e We l t  … Sie knallen einzelne Arbeiter nieder, wir werden nicht einzelne, wir werden d a s g a n z e S y s t e m v e r n i c h t e n .«35 Angesichts dieser Drohungen erklärte Seipel im christlichsozialen Parlamentsklub, er werde den Heimwehren bei deren Aktionen gegen die Sozialdemokratie nicht in den Arm fallen und wünsche sich eine ähnliche Haltung von den Landeshauptleuten. Er stieß dabei bei den Landeshauptleuten von Tirol, Vorarlberg und der Steiermark Franz Stumpf, Otto Ender36 und Hans Paul – auf Zustimmung. So erklärte der Tiroler Landeshauptmann Franz Stumpf, seit jeher ein Förderer der Heimwehr, gegenüber Seipel  : »Es zeigt sich also, dass wir auf dem richtigen Weg 33 Lothar Höbelt  : Die Heimwehren und die österreichische Politik 1927–1936. Vom politischen »Kettenhund« zum »Austro-Fascismus«  ? – Graz 2016. S. 40. 34 Höbelt  : Die Heimwehren und die österreichische Politik 1927–1936. S. 40. 35 Arbeiter-Zeitung 20. 7. 1927. S. 1. 36 In Vorarlberg weigerten sich Gendarmerie und Militär, mit den zum Großteil jungen und völlig unerfahrenen Burschen des Heimatdienstes zusammenzuarbeiten, weshalb der Einsatz des Heimatdienstes schließlich von Landeshauptmann Otto Ender gestoppt wurde, da die Sozialdemokraten keinen Anlass zu einem scharfen Vorgehen boten. (Meinrad Pichler  : Geschichte Vorarlbergs. Bd. 3. Das Land Vorarlberg 1861 bis 2015. – Innsbruck 2015. S. 163.)

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waren und dass diese Einrichtung (Heimwehr, Anm. d. Verf.) der Unterstützung der Bundesregierung in weit höherem Maße würdig wäre, als es bisher der Fall war.«37 In der Steiermark hatten die Streikenden und der Republikanische Schutzbund die Bahnhöfe und zentrale Bereiche der Infrastruktur unter ihre Kontrolle gebracht und wurden durch das massive Auftreten der Heimwehr unter Walter Pfrimer zum Rückzug bewogen, der durch die offizielle Beendigung des Streiks durch Otto Bauer am 18. Juli erleichtert wurde.38 Walter Pfrimer und die Heimwehr wurden in der Steiermark für viele, die den Marxismus fürchteten, zum Retter und Garanten der bestehenden Ordnung. Er erhielt große Popularität und konnte die noch zersplitterten antimarxistischen Wehrverbände zur Steirischen Heimwehr zusammenschließen. Die Partei war jedoch keineswegs geschlossen bereit, Seipel bei diesem politischen Schwenk zu folgen. Die Landeshauptleute von Salzburg und Oberösterreich – Franz Rehrl und Josef Schlegel – übten sich gegenüber der Heimwehr in deutlicher Zurückhaltung. Intern formierte sich zunehmend der Widerstand gegen die nunmehr selbstbewusst auftretenden Heimwehren, die sich am 15. Oktober 1927 zum »Bund der österreichischen Selbstschutzverbände« zu einer bundeseinheitlichen Organi­ sa­ tion zusammenschlossen. Der Tiroler Heimwehrführer und christlichsoziale Bundesrat Richard Steidle wurde Bundesführer, Feldmarschallleutnant Kletus von Pichler militärischen Bundesführer (ihm folgte nach seinem Tod am 2. Dezember Feldmarschallleutnant Ludwig Hülgerth) und Bundesstabsleiter Major Waldemar Pabst. In Wien wurde eine Zentralkanzlei errichtet. Steidle warb im christlichsozialen Parlamentsklub um deutliche Unterstützung der Partei für die Heimwehren, stieß damit jedoch nur auf geringe Zustimmung. Der oberösterreichische Landesparteiobmann Josef Aigner machte aus seiner Abneigung gegen die Heimwehren kein Geheimnis, der Salzburger Landeshauptmann Franz Rehrl stand den Heimwehren äußerst reserviert gegenüber und die christlichsoziale Arbeiterbewegung unter Leopold Kunschak bezog offen Front gegen die Heimwehren, die sie antidemokratischer Tendenzen verdächtigte. Zudem machte sich in zahlreichen christlichsozialen Landesorganisationen die Erkenntnis breit, dass die Heimwehren zunehmend unter großdeutschen oder landbündlerischen Einfluss gerieten und vor allem in den agrarischen Gebieten die christlichsozialen Bauern von den Funktionseliten für antidemokratische Positionen instrumentalisiert wurden. Im christlichsozialen 37 Josef Riedmann  : Tirol. – In  : Erika Weinzierl, Kurt Skalnik (Hg.)  : Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik. 2 Bde. – Graz/Wien/Köln 1983. Bd. 2. S. 961–1010. S. 983. Zum Einsatz der Heimwehr in Tirol vgl. Gerhard Oberkofler  : Der 15. Juli 1927 in Tirol. Regionale Bürokratie und Arbeiterbewegung. – Wien 1982. 38 Alfred Ableitinger  : Unentwegt Krise. Politisch-soziale Ressentiments, Konflikte und Kooperationen in der Politik der Steiermark 1918 bis 1933/34. – In  : Ders. (Hg.)  : Bundesland und Reichsgau. Demokratie, »Ständestaat« und NS-Herrschaft in der Steiermark 1019 bis 1945. 2 Bde. – Wien/Köln/ Weimar 2015. Bd. 1. S. 21–176. S. 97 ff.

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Parlamentsklub wurden sogar Stimmen laut, die für eine Auflösung der Wehrverbände und eine Verwendung der damit freiwerdenden Gelder für wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen plädierten. In Salzburger Landtag erklärte Josef Hauthaler in Richtung der Sozialdemokraten unter Bezugnahme auf die Ereignisse des 15. Juli 1927, diese müssten »schon zugeben, dass wir … unsere Heimwehr in der heutigen Zeit für notwendig erachten …« Er sei der Ansicht, dass es besser wäre, »wenn wir keine solchen Organisationen auf keiner Seite hätten. Aber, meine Herren, rüsten Sie zuerst ab, dann werden wir Ihrem Beispiele folgen.«39 In Salzburg wurden die dramatischen Ereignisse in Wien sowie in den Bundesländern, vor allem in Vorarlberg, Tirol und der Steiermark, mit großem Interesse und zunehmender Beunruhigung verfolgt, wenngleich hier die Lage ruhig blieb. Das »Salzburger Volksblatt« berichtete am 18. Juli, dem Tag, an dem der Verkehrsstreit beendet wurde, über die Situation in Salzburg in den letzten beiden Tagen  : »In Salzburg herrschte sowohl am Samstag wie am Sonntag v o l l e R u h e . Abgesehen von der Besetzung des Bahnhofes und des Hauptpostamtes durch den Schutzbund war eigentlich nichts Außergewöhnliches im Stadtbilde zu bemerken. Erst gegen Mittag setzte eine lebhaftere Bewegung ein, als zahlreiche Fremde die Stadt verlassen wollten und am Bahnhof wieder umkehren mussten. … Alsbald setzte auch die F l u c h t d e r F r e m d e n ein. Die Mietautomobile machten glänzende Geschäfte. … Im Allgemeinen versichern aber die Besitzer der großen Hotels, dass n i c h t ü b e r m ä ß i g v i e l e F r e m d e , die nicht schon früher ihre Abreise für diese Tage festgesetzt hatten, w e g e n d e r p o l i t i s c h e n E r e i g n i s s e d i e S t a d t v e r l a s s e n h ä t t e n . Dagegen sind zahlreiche Fremde, die Zimmer bestellt hatten, nicht eingetroffen (…) Die Landesregierung Salzburg hat am Samstag Plakate anschlagen lassen, in denen darauf hingewiesen wird, dass kein Grund zur Beunruhigung besteht. Die Landesregierung erwarte, dass die Bevölkerung sie in der Aufrechterhaltung der Ruhe im Lande verständnisvoll unterstütze. Bezeichnenderweise wurden diese Plakate, die auch die Unterschrift des Landeshauptmann-Stellvertreters Preußler trugen, an einigen Stellen heruntergerissen oder beschädigt.«40 Am 16. Juli fand unter Vorsitz von Landeshauptmann-Stellvertreter Michael Neureiter eine Sitzung der Landesregierung statt, in der unter Bezugnahme auf die Ereignisse in Wien und den einsetzenden Verkehrsstreik sowie den bedrohten Fremdenverkehr betont wurde, im Land herrsche vollkommene Ruhe und Demonstrationen seien weder vorgekommen noch beabsichtigt.41 Am 18. Juli erfolgten Verhandlungen von Landeshauptmann Franz 39 Zit. bei Franz Schausberger  : Josef Hauthaler. Salzburger Bauernführer in schwersten Zeiten. – Salzburg 1990. S. 37. (Veröffentlichung der Dr.-Hans-Lechner-Forschungsgesellschaft Salzburg Nr. 5.) 40 Salzburger Volksblatt 18.7.1927. S. 2. 41 Salzburger Chronik 18.7.1927. S. 2.

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Rehrl mit Vertretern des Streikkomitees, in denen Erleichterungen im Bereich des wirtschaftlich notwendigen Verkehrs vereinbart wurden. Die Vereinbarung wurde wenig später durch die offizielle Beendigung des Streiks gegenstandslos. Die Salzburger Sozialdemokratie erklärte in einem die eigene Niederlage kaschierenden Aufruf, sie sei stolz auf die »Disziplin und Ausdauer«, die die Salzburger Arbeiterschaft in ihrem Protest »gegen ehrlose Bestialität und Gewalt« demonstriert und damit die eigene gerechte Sache zu einem Erfolg geführt habe.42 Die Heimwehren spürten durch die Ereignisse des 15. Juli 1927 politisches Oberwasser und waren entschlossen, durch Großdemonstrationen vor allem in »roten« Hochburgen ihre wiedergewonnene Stärke zu beweisen und Druck auf die Regierung auszuüben. Man hatte deutlich an Selbstvertrauen gewonnen und betrachtete sich immer weniger als »Kettenhund« der bürgerlichen Parteien, sondern als eigenständige politische Kraft, die sich mit ihrem immer deutlicher werdenden Anspruch einer Absage an das System der parlamentarischen Demokratie der politischen und vor allem auch finanziellen Unterstützung des faschistischen Italien und Horthy-Ungarns sicher war. Höhepunkt der Machtdemonstration war der Heimwehraufmarsch in Wr. Neustadt am 7. Oktober 1928. Ihm folgte am 21. Oktober ein Aufmarsch in Bischofshofen, dem jedoch Landeshauptmann Franz Rehrl demonstrativ fernblieb.43 Am 22. Juni 1929 wurde von der Salzburger Heimwehr der Name »Heimatwehrverband Salzburg« offiziell angemeldet und für den 6. Oktober der erste (und einzige) Landesaufmarsch in der Stadt Salzburg angekündigt. Diesem konnte Rehrl seine Teilnahme nicht verweigern. Während die »Salzburger Chronik« die Heimwehren als Instrument der Gegenwehr gegen die Gewaltbereitschaft der Sozialdemokratie bezeichnete,44 blieb Rehrl in seiner Begrüßungsrede bewusst neutral und erklärte lediglich, dass die Heimwehr bei ihrem Bemühen um eine »Neubelebung des vaterländischen Geistes« und ihrer »Unterstützung der rechtmäßigen Staatsgewalt« stets auf seine Unterstützung zählen könne. Im Gegensatz dazu deutete Bundesführer Richard Steidle in seiner Rede bereits den wenig später erfolgenden Bruch an. »Man vergleicht uns manchmal mit dem Republikanischen Schutzbund. Dieser aber ist eine Parteigarde, wir nicht und werden eine solche auch niemals werden. Niemandem wird es auf offenen, noch auf Schleichwegen gelingen, aus den Heimwehren eine Parteigarde zu machen.«45 In der Weihnachtsnummer 1929 der »Salzburger Chronik« plädierte Rehrl für eine innere Abrüstung durch die völlige Auflösung der bewaffneten paramilitärischen

42 Salzburger Wacht 19.7.1927. S. 1. 43 Salzburger Chronik 22.10.1928. S. 1 f. 44 Heimatwehr. – In  : Salzburger Chronik 5.10.1929. S. 1. 45 Salzburger Chronik 7.10.1929. S. 2.

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Verbände und die Einführung einer Miliz.46 Wenngleich Rehrls Vorschlag Makulatur blieb, so wurde die Distanz des Landeshauptmannes und in weiterer Folge auch von großen Teilen der Salzburger Christlichsozialen Partei zur Heimwehr immer deutlicher. Die politischen Konzepte waren zu unterschiedlich, zu sehr widerstrebte der sich in Teilen der Heimwehr immer deutlicher bemerkbar machende faschistische Kurs, der 1930 zur selbständigen Kandidatur eines Teils der Heimwehr als »Heimatblock« bei der Nationalratswahl und auch bei der Landtagswahl 1932 führte, der ideologischen Position der Christlichsozialen. Die Salzburger Heimwehr war im Vorfeld der Landtagswahl ideologisch gespalten. Franz Hueber, Notar in Mattsee, Schwager Hermann Görings und Landesführer-Stellvertreter, repräsentierte die antiklerikale deutschnationale, der noch amtierende Landesführer Josef Schnöll die klerikale, vom Katholischen Bauernbund getragene Richtung. Da sich Schnöll gegen die Absicht Huebers, bei der kommenden Landtagswahl mit einer eigenen Heimatschutz-Liste zu kandidieren, nicht durchsetzen konnte, trat er im März 1932 von seiner Funktion zurück. Hueber wurde neuer Landesführer und scheiterte mit seiner Heimatschutz-Liste kläglich. Sie erreichte nur 5530 Stimmen und damit kein Landtagsmandat. Hueber, der die Heimwehr immer stärker an die NSDAP annäherte, trat im Juni 1933 von seiner Funktion zurück und wechselte zur NSDAP. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits zahlreiche Heimwehrangehörige, vor allem Mitglieder des nationalen Flügels, zur NSDAP gewechselt. Der verbliebene katholisch-klerikale Rest bezog eine klar anti-nationalsozialistische Position und wurde in dem folgenden Intermezzo von fünf Landesleitern geführt,47 ehe Bundesführer Ernst Rüdiger von Starhemberg die Landesführung übernahm. Im Gegensatz zur Heimwehr war der Republikanische Schutzbund eine Parteiformation der SDAP und damit kein selbständiger politischer Faktor in der Landes­ politik. Der offiziell 1923 gegründete Republikanische Schutzbund basierte auf den 1918/19 entstandenen Arbeiterwehren, vor allem der Eisenbahner. Es war daher folgerichtig, dass der Eisenbahner, Mitglied der Landesregierung und schließlich Präsident der Arbeiterkammer, Karl Emminger, als Obmann des Republikanischen Schutzbundes fungierte. Der Schutzbund trat vor allem bei sozialdemokratischen Hochämtern – 1. Mai- und Republikfeiern – in Erscheinung und verfügte 1927 über 1630 Mitglieder mit Schwerpunkten in der Landeshauptstadt, Hallein und Mühlbach am Hochkönig. Eine stärkere militärische Ausbildung in Form von regelmäßigen Übungen (Wehrsport, Schieß-, Gelände- und Schutzübungen) und der systematischen Zufuhr von Waffen erfolgte ab den späten Zwanzigerjahren, wobei vor allem 46 Franz Rehrl  : Friede. Ein Vorschlag zur inneren Abrüstung und Befriedung. – In  : Salzburger Chronik 24.12.1929. S. 1 f. 47 Es waren dies Oberst August Schad, Rolf West, Erich Braumüller-Tannbruck, Hauptmann Ernst Reichl und der Postbeamte August Elshuber.

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jüngere Parteimitglieder in den Schutzbund drängten, der auf rund 3000 Mitglieder anwuchs. Julius Deutsch, der Obmann des Schutzbundes, wies in seinen Erinnerungen darauf hin, dass der Schutzbund zu seiner besten Zeit rund 80.000 Mitglieder umfasst habe. »Sie mussten unaufhörlich geschult werden, sollten sie ihre Aufgabe erfüllen können. Wohl gab es, besonders in den ersten Jahren, eine Anzahl gedienter Soldaten, die den Weltkrieg mitgemacht hatten und die deshalb im Allgemeinen als ausgebildet gelten konnten  ; aber auch sie mussten wieder eingeübt werden. Dazu kamen tausende junge Leute, die im Schutzbund ihre erste militärische Ausbildung erhielten. … Es war ein unumstößliches Gesetz im Schutzbund, dass jeder Führer Freud und Leid mit seiner Mannschaft teilen müsse. Auch der oberste Führer hatte Sommer und Winter an den Märschen und Felddienstübungen teilzunehmen. (…) Wollten wir nicht wehrlos sein, mussten wir unsere Waffen wie einen Augapfel hüten. In Wäldern vergraben oder in schier unzugänglichen Felsenhöhlen versteckt, in tiefen Kellern oder in Fabrikschächten eingemauert, lagerten sie. Nur einige vertrauenswürdige Männer kannten diese Plätze. Sie schwiegen gegen jedermann. Aber in finsteren Nächten erschien, unter großen Vorsichtsmaßnahmen, eine Gruppe Arbeiter an dem jeweiligen Versteck. Dort ging dann ein Hämmern und Klopfen, ein Feilen und Putzen an, um die Gewehre instand zu halten. Wer die Schwierigkeit der Waffenkonservierung kennt, weiß, dass das keine leichte Arbeit war. Im Morgengrauen verschwanden die Männer geheimnisvoll, wie sie gekommen waren. Einige Stunden später standen sie an ihrem Arbeitsplatz in der Fabrik.«48 Die Außenwahrnehmung des Schutzbundes durch das Bürgertum war freilich eine andere. Es war eine andere, beängstigende Welt. In seinen Erinnerungen berichtete Alfred Maleta, er sei am 1. Mai um 10 Uhr auf der Landstraße gestanden und habe den Aufmarsch des Schutzbundes betrachtet. »Ich erinnere mich sehr genau, dass dieser mit Windjacken und Mützen adjustiert war, die den Uniformen der Roten Armee in der Sowjetunion ähnlich sahen. Was registrierten also im Unterbewusstsein die Bürger, und somit auch ich  ? Über unsere Rücken kroch eine ›Gänsehaut‹, weil wir unwillkürlich an das blutige Geschehen erinnert wurden, das mit der Vorstellung eines ›Bolschewiken‹ untrennbar verbunden war. Man erinnerte sich der Schreckensherrschaft Béla Kuns in Ungarn, sowie an die kurzfristige ›Räte-Republik‹ in Bayern. Die mitgetragenen Plakate des Schutzbundes, die als Ideal für die österreichische Zukunft die ›Diktatur des Proletariats‹ anpriesen, verursachten natürlich, dass jeder von uns dachte, ›um Himmels Willen, da marschiert ja eine Bürgerkriegsarmee, die einmal mit uns ähnliches aufführen könnte  !‹«49 48 Julius Deutsch  : Ein weiter Weg. Lebenserinnerungen. – Wien 1960. S. 154 f. 49 Alfred Maleta  : Bewältigte Vergangenheit. Österreich 1932–1945. – Graz/Wien/Köln 1981. S. 121 f.

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Die Salzburger Parteiführung protestierte am 1. April 1933 bei einer Vorsprache bei Landeshauptmann Franz Rehrl gegen die von der Bundesregierung angeordnete Auflösung des sozialdemokratischen Wehrverbandes. Die »Salzburger Wacht« berichtete, dass »in nicht misszuverstehenden längeren Ausführungen … dem Landes­ hauptmann klar gemacht (wurde), dass alle Maßnahmen, die parteimäßig gegen die Sozialdemokratie erfolgen, ungesetzlich sind.« Bemerkenswert war die Reaktion Rehrls, die seine deutliche Distanz zu dieser Maßnahme wie auch zur Heimwehr deutlich werden ließ. »Der Landeshauptmann versprach, diesen Protest der sozialdemokratischen Vertrauensmänner dem Bundespräsidenten und dem Bundeskanzler zur Kenntnis zu bringen und erklärte, an die Direktiven des Bundes gebunden zu sein. In seinen Erklärungen als Parteimann bekannte der Landeshauptmann wiederholt, in Salzburg keinen Anlass zum Einschreiten gegen den Republikanischen Schutzbund zu haben, da dieser niemals seine Kompetenzen überschritten habe.«50 Das vor allem jugendliche Aktivsegment bildete in den frühen Dreißigerjahren den Kern der innerparteilichen Kritiker der defensiven Politik der Bundes- und Landespartei. Es war jedoch die sozialdemokratische Landespartei, die – trotz des inzwischen erfolgten Verbotes des Republikanischen Schutzbundes – immer wieder eine Zusammenarbeit im Kampf gegen den Nationalsozialismus anbot. Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, dass Heeresminister Carl Vaugoin bei seinem Besuch in Salzburg am 18. September 1933 Gespräche mit Delegierten der westösterreichischen sozialdemokratischen Landesparteien führte und dabei deren Zusicherung erhielt, dass sie zu einer gemeinsamen Abwehr eines eventuellen nationalsozialistischen Einfalles bereit wäre. Der mögliche Brückenbau wurde verhindert. Als Vaugoin nach Wien zurückkehrte, musste er von seiner inzwischen erfolgten Absetzung erfahren.

1.3 Der frühe Nationalsoziaslismus in Salzburg 1918 bis 1926 Während die Großdeutsche Volkspartei und der Landbund integraler Teil der im Land praktizierten Konsensdemokratie waren, traf dies auf die Nationalsozialisten der Hitlerbewegung nicht zu (Die alte DNSAP war sehr wohl integriert worden, wie das Beispiel des nationalsozialistischen Landesrates Otto Troyer51 illustriert). Die am 15. November 1903 im nordböhmischen Aussig gegründete »Deutsche Arbeiterpartei« (DAP) forderte zu Lösung der sozialen Frage in ihrem im Folgejahr im böhmischen Trautenau verabschiedeten Programm einen nationalen Sozialis50 Salzburger Wacht 3.4.1933. S. 2. 51 Otto Troyer (1870–1949) studierte nach der Matura 1888 bis 1892 Rechtswissenschaften an der Universität Wien, promovierte 1902 zum Dr. jur. und war 1906 bis 1949 Rechtsanwalt in Salzburg, 1905 bis 1931 Mitglied des Gemeinderates der Stadt Salzburg und 1922 bis 1927 DNSAP-Landesrat.

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mus und die Ablehnung des Klassenkampfes, an dessen Stelle die Volksgemeinschaft treten sollte. Die junge Partei drohte jedoch in die politische Bedeutungslosigkeit zu versinken, aus der sie 1908 durch den Betritt des ehemaligen Sozialdemokraten Dr.  Walter Riehl,52 dessen Großvater einer der Akteure der Revolution des Jahres 1848 und dessen Vater ein Freund Victor Adlers und Engelbert Pernersdorfers war, gerettet wurde. 1910 gewann er den ehemaligen Schönerianer und Eisenbahner Rudolf Jung für die Partei. Riehl und Jung wurden zu den begabtesten Propagandisten eines nationalen Sozialismus und einer erst durch ihn entstehenden Volksgemeinschaft und errangen bei der Reichsratswahl 1911 in Böhmen drei Mandate. 1913 verabschiedete die Partei in Iglau ihr von Jung erarbeitetes Programm eines nationalen Sozialismus.53 Im selben Jahr erfolgte am 25. Oktober im Gasthof Stern die Gründung der »Deutschen Arbeiterpartei« (DAP) Salzburgs durch Vertreter sämtlicher nationaler Gewerkschaften. Der frühe Nationalsozialismus entstand im Rahmen der Arbeiterbewegung und verstand sich als demokratisch und sozialreformatorisch mit staatstreuer Gesinnung.54 Der Gang der Salzburger Ereignisse wurde in der Folgezeit von jenen in Böhmen bestimmt. Die Verschärfung des Nationalitätenkonflikts in Böhmen und die 1918 von den Tschechen immer deutlicher formulierte Forderung nach nationaler Unabhängigkeit lösten bei den Vertretern der DAP die Befürchtung aus, in einem Staat der Tschechen und Slowaken majorisiert zu werden. Mit Blick auf die Tatsache, dass sich bereits 1897 eine »Tschechische National-Sociale Partei« gegründet hatte, nahm die Parteiführung der DAP – Walter Gattermayer, Rudolf Jung und Ferdinand Burschofsky (Walter Riehl leistete Kriegsdienst) – auf einer Parteikonferenz in Wien 1918 eine Namensänderung in »Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei« (DNSAP) vor. Das bei dieser Gelegenheit vorgestellte neue Parteiprogramm, das zum überwiegenden Teil aus der Feder Jungs stammte, betonte alldeutsche Positionen wie den Zusammenschluss aller Deutschen in einem Reich und einen stärker akzentuierten Antisemitismus. Entsprechend dieser Entwicklung suchte Mitte Juni 1918 Hans Wagner, der Telegrafenbedienstete der k. k. Staatsbah52 Zu Riehl vgl. Rudolf Brandstötter  : Dr. Walter Riehl und die nationalsozialistische Bewegung in Österreich. Phil. Diss. – Wien 1970. 53 Zur Frühgeschichte der DAP vgl. Robert Kriechbaumer  : Die großen Erzählungen der Politik. Politische Kultur und Parteien in Österreich von der Jahrhundertwende bis 1945. – Wien/Köln/Weimar 2001. S. 656 ff. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Band 12. 54 Gerhard Jagschitz  : Zur Struktur der NSDAP in Österreich vor dem Juliputsch 1934. – In  : Das Jahr 1934  : 25. Juli. Protokoll des Symposiums in Wien am 8. Oktober 1974. – Wien 1975. S. 9–20. S.  9. (Wissenschaftliche Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1927 bis 1938. Veröffentlichungen Band 3. Herausgegeben von Ludwig Jedlicka und Rudolf Neck.)

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nen und Schriftleiter des »Deutschen Volksrufes«, des Organs der DAP Salzburg, bei der Salzburger Landesregierung um die Genehmigung der Satzungen des Landesvereins der nunmehrigen DNSAP an, die eine Woche später genehmigt wurden. Der Zerfall der Habsburgermonarchie zerriss die DNSAP in drei unterschiedlich große nationale Parteien in der Tschechoslowakei, Polen und Österreich. Walter Riehl, der nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst wiederum die Führung der Gesamtpartei übernommen hatte, übersiedelte im Herbst 1918 nach Wien und leitete die österreichische DNSAP, während die erheblich größere sudetendeutsche/ tschechische Partei vom ehemaligen Reichsratsabgeordneten und nunmehrigen Abgeordneten der Provisorischen Nationalversammlung, Hans Knirsch, übernommen wurde. Rudolf Jung hatte die Tschechoslowakei verlassen und ließ sich vorübergehend in Salzburg nieder, ehe er 1919 wiederum in die Tschechoslowakei zurückkehrte und die Leitung der sudetendeutsch/tschechischen Partei übernahm. Durch den Verlust der böhmischen und mährischen Kerngebiete der ehemaligen Gesamtpartei war die nunmehrige österreichische DNSAP zu einer bedeutungslosen Splitterpartei herabgesunken, die sich zwar an den Wahlen zur Konstituierenden Nationalversammlung am 16. Februar 1919 beteiligte, jedoch nur 23.431 Stimmen auf sich zu vereinen mochte, d. h. 0,78 Prozent der abgegebenen Stimmen. Die politische Marginalisierung wies jedoch regionale Besonderheiten auf, bei denen Salzburg wiederum eine Sonderstellung einnahm. In Salzburg koppelte die DNSAP aus Gründen der politischen Überlebensstrategie ihre Liste mit der Demokratischen Ständevereinigung und dem Salzburger Freiheitlichen Bauernbund und wandte sich mit einem sozialpolitisch progressiven Programm mit ihren Spitzenkandidaten Rudolf Jung, Hans Wagner und Hans Prodinger an Arbeiter, Knechte und Mägde, Kleinbauern und Kleingewerbetreibende. Die Taktik sollte sich als erfolgreich erweisen. Die Nationalsozialisten erreichten in Salzburg beachtliche 7382 Stimmen, d. h. 7,14 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen. In der Stadt Salzburg entfielen auf sie 2851 Stimmen, d. h. 13,95 Prozent. Im bundesweiten Vergleich der für die Nationalsozialisten abgegebenen Stimmen lag Salzburg an der Spitze. Bei der am 6. April 1919 folgenden Landtagswahl kandidierte die DNSAP nur in der Stadt Salzburg, im Pinzgau und Pongau. Wenngleich die Partei diesmal nur 2703 Stimmen (3,33 Prozent) auf sich zu vereinen vermochte, zog sie mit zwei Mandaten – Hans Wagner und Hans Prodinger – in den Landtag ein. Erfolge konnten die Nationalsozialisten bei den gleichzeitig stattfindenden Gemeinderatswahlen in Bischofshofen und Saalfelden erringen, wo sie zwei bzw. drei Sitze gewannen. Bei der Gemeinderatswahl in der Stadt Salzburg am 13. Juli gewannen sie vier Sitze im Gemeinderat, die Otto Troyer, Rudolf Dinnebier, Hans Wagner und Franz Heinzel einnahmen. Für die bereits am 17. Oktober 1920 stattfindende neuerliche Nationalratswahl kandidierte die DNSAP nach längeren Verhandlungen auf der Großdeutschen Liste (Großdeutsche Volkspartei und Deutsche Bauernpartei), auf der die Plätze 3 und 6

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für nationalsozialistische Kandidaten (Hans Prodinger und Nikolaus Schlam) reserviert waren. Die Großdeutsche Liste erreichte in Salzburg 21.583 Stimmen (23,56 Prozent) und entsandte mit dem großdeutschen Magistratsbeamten Heinrich Clessin einen Abgeordneten in den Nationalrat. Bei den Nationalsozialisten zeigte man sich enttäuscht und sah sich von den Großdeutschen instrumentalisiert. Die bürgerlichen Großdeutschen seien nicht in der Lage, so die Meinung, die Arbeiter anzusprechen. Dies könne nur eine nationale Arbeiterpartei wie die DNSAP, die deshalb in Zukunft wiederum selbständig agieren müsse. Die Partei kandidierte daher als eigene Liste bei der Arbeiterkammerwahl am 5./6. März 1921 und errang fünf Mandate, die u. a. vom Gründer und Obmann der Deutschen Verkehrsgewerkschaft Salzburg, Leopold Schaschko, und dem Kreisvorsteher des Deutschen Handelsgehilfenverbandes, Hans Prodinger, wahrgenommen wurden.55 Wenngleich die DNSAP noch im Februar 1922 den Parlamentarismus als Narretei und Täuschung des Volkes bezeichnete, beteiligte sie sich dennoch an den Landtagswahlen am 9. April 1922 im Rahmen einer vor allem von Hans Prodinger forcierten Listenkoppelung mit den Christlichsozialen und dem Freiheitlichen Bauernbund unter dem Titel »Christlich-Nationale Wahlgemeinschaft«.56 Die Christlich-Nationale Wahlgemeinschaft erreichte mit 56,27 Prozent und 16 Mandaten ihr Wahlziel. Auch die getrennt kandidierenden Großdeutschen erreichten mit 9,19 Prozent 2 Mandate, während die Sozialdemokraten mit 34,15 Prozent und 10 Mandaten sich ebenfalls als Sieger feiern konnten. Die anschließende Regierungsbildung gestaltete sich jedoch zu einem heftigen politischen Tauziehen hinter den Kulissen. Da die Wahlvereinbarung der Christlich-Nationalen Wahlgemeinschaft den Christlichsozialen 14 Mandate zugestand, jedoch drei Nationalsozialisten gewählt worden waren, mussten schließlich zwei Nationalsozialisten auf ihre Mandate verzichten. Um dies zu erreichen, wurde Otto Troyer die Position eines Landesrates gesichert, das verbliebene nationalsozialistische Mandat wurde von Hans Prodinger wahrgenommen. Damit war das politische Kuriosum Realität geworden, dass die DNSAP mit lediglich einem Abgeordneten auch einen Landesrat stellte.57 Wenngleich Hans Prodinger diese Regelung als großen Erfolg der Partei propagierte, so stieß diese 55 Ernst Hanisch  : Zur Frühgeschichte des Nationalsozialismus in Salzburg (1913–1925). – In  : Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 117/1974. S. 371–410. S. 382 f. 56 Ein Einschluss der Großdeutschen in die Wahlgemeinschaft wurde auf Grund der diesen zugesagten geringen Zahl der sicheren Mandate unmöglich. Im Wahlübereinkommen zwischen den Christlichsozialen, dem Freiheitlichen Bauernbund und den Nationalsozialisten wurde festgehalten, dass Kulturkampffragen in der kommenden Legislaturperiode nicht thematisiert werden. Die drei Parteien standen »auf dem Boden der Volksgemeinschaft, der sittlich-religiösen Erziehung der Jugend und auf dem Standpunkte der vollen Wahrung der völkischen Interessen des deutschen Volkes.« (Voithofer  : Drum schließt Euch frisch an Deutschland an … S. 188 ff.) 57 Voithofer  : Drum schließt Euch frisch an Deutschland an … S. 198 ff.

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doch auf erhebliche innerparteiliche Kritik, die sich vor allem an dem erzwungenen Verzicht auf zwei Landtagsmandate entzündete. Prodinger wurde von den innerparteilichen Kritikern im Herbst 1922 als Parteiobmann abgewählt. Jenseits der regionalpolitischen Bedeutung spielte Salzburg auf Grund seiner geografischen Lage eine wichtige Rolle in der Frühgeschichte des Nationalsozialismus. Die staatsrechtliche Trennung des Jahres 1918 hatte drei nationalsozialistische Parteien auf dem Boden der ehemaligen Habsburgermonarchie entstehen lassen, die bemüht waren, eine länderübergreifende Organisation aufzubauen. Im Dezember 1919 trafen sich Vertreter aller drei Parteien in Wien, um über ein gemeinsames Parteistatut zu beraten und zur als notwendig erachteten Koordination der politischen Arbeit eine zwischenstaatliche Kanzlei mit Sitz in Wien zu etablieren, deren Leitung Walter Riehl übertragen wurde. Riehl war in seiner neuen Funktion bemüht, das Erscheinungsbild der nationalsozialistischen Parteien durch ein einheitliches Symbol zu ersetzen. Das Hakenkreuz sollte das bisherige Emblem aus Hammer und Eichenlaub ersetzen. Riehl übermittelte diesen Vorschlag auch an Anton Drexler, den Vorsitzenden der Deutschen Arbeiterpartei (DAP) in München. Er schlug ihm vor, den Namen der Partei im Sinne einer überregionalen Identität in DNSAP umzuwandeln und zur besseren Koordination an einer für den 7. und 8. August 1920 in Salzburg anberaumten Zusammenkunft aller nationalsozialistischen Parteien teilzunehmen. Drexler antwortete positiv. In München hatte sich jedoch in der Zwischenzeit ein folgenschwerer Wandel vollzogen. Im September 1919 war Adolf Hitler, ohne einen Antrag zu stellen, Mitglied der DAP geworden und hatte im November seine Tätigkeit als Propagandaleiter und Versammlungsredner begonnen. Die von ihm entfaltete Tätigkeit, vor allem seine ersten öffentlichen Auftritte, erfolgten auf der Basis eines Netzwerkes von 14 Münchner rechtsextremen Gruppen, die sich unter Einschluss der DAP zu einer Deutschvölkischen Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen hatten und damit jenen breiten völkischen Resonanzboden schufen, den Hitler für sich virtuos zu nützen verstand. Hitler wirkte zusammen mit Anton Drexler und Gottfried Feder an der Formulierung des »25-Punkte-Programmes« der Partei mit, das er am 24. Februar 1920 im Rahmen einer Großveranstaltung im Hofbräuhaus in einer durch Zwischenrufe der politischen Gegner von Tumulten gekennzeichneten Rede vorstellte. Bereits zuvor hatte Hitler den Vorschlag Riehls einer Umbenennung der Münchner DAP in DNSAP modifiziert und zum Zweck der Unterscheidung von den anderen Parteien den Namen NSDAP vorgeschlagen. In der offiziellen Parteihistoriografie wurde der 24. Februar 1920 als Geburtsstunde der NSDAP angeführt, doch erfolgte die offizielle Umbenennung der Partei erst wenige Tage später. Hitler übernahm auch die Anregung Riehls, das Hakenkreuz als Parteiemblem zu verwenden, schuf jedoch unter Verwendung der Farben der deutschen Kriegsflagge – Schwarz – Weiß – Rot – die neue Parteifahne der NSDAP. Bereits in der Frühphase der Partei zeich-

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nete sich ein letztlich zur entscheidenden Kraftprobe steigender Konflikt zwischen den DAP-Vorsitzenden Karl Harrer und dessen Nachfolger Anton Drexler und dem neuen Propagandaleiter Adolf Hitler ab. Der Sportjournalist Karl Harrer und der Schlosser in einer Reparaturwerkstatt der Bayerischen Eisenbahn, Anton Drexler, hatten im Oktober 1918 im Auftrag und in Zusammenarbeit mit der im Münchner Prominentenhotel tagenden rechtsradikalen antisemitischen Thule-Gesellschaft des politischen Abenteurers Rudolf Freiherr von Sebottendorf58 einen »Politischen Arbeiterzirkel« gegründet, dessen Aufgabe vor allem darin bestand, dem internationalistischen Sozialismus die Alternative eines nationalen Sozialismus und dem Klassenkampf jene einer Zusammenarbeit von Arbeiterschaft, Bauern- und Bürgertum entgegenzusetzen. In seiner Schrift »Mein politisches Erwachen« formulierte Anton Drexler das Konzept einer antikapitalistischen Volksgemeinschaft  : »Ist der Mittelstand, der Bürger und Bauer nicht auch produktiv  ? Muss er nicht auch durch seiner Hände, durch seines Kopfes Arbeit sich ernähren  ? – Leidet er nicht auch unter der Herrschaft des Großkapitals – genauso wie wir  ? … Wäre es nicht richtiger, wir reichen ihm die Hand und wenden uns zusammen gegen den gemeinsamen Feind  ? Wir Arbeiter allein werden niemals eine so große Mehrheit bilden, dass wir den Weltkapitalismus bezwingen können. Gehen wir aber mit dem produktiven Bürgertum zusammen, so wird uns keiner widerstehen. Dann bilden wir in allen Ländern eine erdrückende Mehrheit gegen den Wucherkapitalismus.«59 Dieser nur aus wenigen Mitgliedern, meist Eisenbahnern, bestehende Politische Arbeiterzirkel mutierte zu Jahresbeginn 1919 zur »Deutschen Arbeiterpartei« (DAP), die zunächst in den Räumen der Thule-Gesellschaft tagte, bevor sie ihre wöchentlichen Sitzungen im Sternecker-Bräu, Im Tal 54, abhielt, wo Hitler schließlich am 12. September 1919 im Auftrag der Münchner Reichswehr-Nachrichtenabteilung auftauchte und wenig später Parteimitglied und Propagandaleiter wurde. Der personelle Neuzuzug geriet wenig später in Konflikt mit dem Parteivorsitzenden Karl Harrer, der für eine Kooperation der Partei mit der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), die eine Zusammenfassung aller rechtskonservativen und völkischen Gruppierungen und den Aufbau einer bayerischen Landesorganisation anstrebte, plädierte. Harrer erklärte sich im Namen der DAP bereit, auf eine eigene Kandidatur bei Wahlen zu verzichten und die DNVP zu unterstützen, wenn diese auf ihrer Liste ein Mitglied der DAP an wählbarer Stelle präsentiere. Hitler opponierte heftig gegen diese Abmachung mit dem Argument, die DAP müsse unbedingt eigenständig bleiben und dürfe nicht in einer rechten Einheitsfront aufgehen. Den nun ausbrechenden offenen Konflikt entschied Hitler bereits im Dezember 1919 für 58 Joachim Fest  : Hitler. Eine Biographie. – Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1973. S. 168 fff. 59 Albrecht Tyrell  : Führer befiehl … Selbstzeugnisse aus der »Kampfzeit« der NSDAP. – Bindlach 1991. S. 21.

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sich. Harrer trat Anfang Jänner 1920 von seiner Position als Vorsitzender zurück und wurde durch Anton Drexler ersetzt.60 Am 1. März 1920 antworteten Anton Drexler und Adolf Hitler Walter Riehl auf dessen Einladung zu einer Konferenz aller nationalsozialistischen Parteien in Salzburg am 7. und 8. August, indem sie die alldeutsche programmatische Position der NSDAP – »vollständige Einigung aller deutschen Stämme, ohne Rücksicht auf ihre bisherige staatliche Zugehörigkeit« mit dem »Ziel, dem deutschen Volk die Stellung auf dieser Erde zu geben, die ihm kraft seiner Zahl und seiner Kultur gebührt« – betonten und erklärten, dass für die in Salzburg anberaumten Verhandlungen »in erster Linie … Adolf Hitler« vorgesehen sei, »der selber geborener Deutschösterreicher ist. Herr Hitler ist Werbeobmann unserer hiesigen Ortsgruppe der Partei.«61 Hitler erschien zusammen mit Drexler auf der im Chiemseehof stattfindenden Salzburger Tagung der nationalsozialistischen Parteien. Die einleitende programmatische Rede hielt Rudolf Jung, der die Absicht Walter Riehls, eine gemeinsame Partei mit einem weitgehend gleichen Programm ins Leben zu rufen, mit dem Argument zu untermauern suchte, die Programme aller anwesenden Parteien würden in den zentralen Punkten – nationaler Sozialismus, Volksgemeinschaft, Zusammenschluss aller deutschsprachigen Gebiete in einem Großdeutschland und Antisemitismus – übereinstimmen. Die Variationen in der jeweiligen Parteibezeichnung seien demgegenüber zweitrangig. Anschließend meldete sich Hitler zu Wort, der den Anwesenden weitgehend und der Salzburger Presse völlig unbekannt war, da sie von einem Debat­ tenredner Adolf Hüttler (!) berichtete. Seine Rede, die allgemein als Höhepunkt der Salzburger Tagung empfunden wurde und ihn auch schlagartig in Österreich bekannt machte, konzentrierte sich in ihrem ideologischen Teil auf drei Kernpunkte  : die Betonung der Idee der Volksgemeinschaft und, darauf aufbauend, die Schaffung einer Massenpartei – eine politische Partei, die nicht Millionen hinter sich vereinen könne, sei wertlos – sowie die Betonung eines aggressiven, den Völkermord bereits antizipierenden Antisemitismus. Es müsse »aufhören … der Klassengegensatz, der nur unterscheidet zwischen Proletariern und Nichtproletariern …« Dieser müsse ersetzt werden durch »eine Unterscheidung … zwischen Volksgenossen, welche ehrlich schaffen, und den Drohnen und Lumpen. … Wir haben uns auf der einen Seite in Standesdünkel eingehüllt und auf der anderen Seite in klassenbewussten Proletarierdünkel und haben vergessen, dass kein Unterschied besteht zwischen geistigen und körperlichen Arbeitern, … Wir haben vergessen, … daran zu denken, dass es nur ein Ziel geben kann, national zu sein, oder im Strudel des Internationalismus unterzugehen. … Wir haben eine weitere Wahrheit vergessen, dass ein Volk nur geleitet werden kann und darf wieder 60 Peter Longerich  : Hitler. Biographie. – München 2015. S. 79 f. 61 Tyrell  : Führer befiehl … S. 26 f.

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nur durch Volksgenossen. Wir haben das Grundgesetz und die Grundwahrheit aus dem (Blick) verloren, dass Staatsbürger nur der sein kann, der (Volksgenosse) ist, und dass es ein Wahnsinn ist, fremde Rassen in die … Staatsbürgerrechte einzusetzen …« Die nationalsozialistische Bewegung müsse eine Volksbewegung werden, wobei »jede Volksbewegung, die nicht Millionen hinter sich hat, wertlos« und letztlich »zwecklos« sei. »Der nationale Gedanke wird erst wirksam, wenn er Gemeingut des ganzen Volkes wird.« Das am 24. Februar vorgestellte Parteiprogramm der NSDAP unterscheide sie in der Judenfrage etwas von den übrigen in Salzburg anwesenden Parteien. »Für uns ist dieses Problem kein Problem, an dem man vorbeigehen kann mit verbundenen Augen, das nur gelöst wird durch kleine Zugeständnisse, für uns ist das ein Problem, das darüber entscheidet, ob unser Volk vor allem wieder innerlich gesundet, ob der jüdische Geist auch wirklich verschwindet. Denn denken Sie nicht, dass Sie eine Krankheit bekämpfen können, ohne nicht den Erreger zu töten, ohne den Bazillus zu vernichten, und denken Sie nicht, dass Sie die Rassentuberkulose bekämpfen können, ohne zu sorgen, dass das Volk frei wird von dem Erreger der Rassentuberkulose. Das Wirken des Judentums wird niemals vergehen, und die Vergiftung des Volkes nicht enden, solange nicht der Erreger, der Jude, aus unserer Mitte entfernt ist. (…) Die Tatsache besteht, dass ein Teil unseres Volkes verhungert und moralisch verkommt und ein Teil gezwungen ist auszuwandern. Solange dies der Fall ist, haben wir ein heiliges und moralisches Recht zu fordern, dass dieses Reich vorhanden ist für die eigenen Volksgenossen und nicht für andere. … Deshalb ist in unseren grundsätzlichen Forderungen enthalten  : Staatsbürger kann nur der sein, wer Volksgenosse ist, wer deutsch-arischen Blutes ist. Ein anderer kann kein Amt im Staate bekleiden. Kein Nichtstaatsbürger hat das Anrecht, im Staate zu leben, solange nicht genügend Lebensmöglichkeiten vorhanden sind für die Staatsbürger.«62 Hitler interpretierte den Antisemitismus als eine existenzielle Frage von Sein und Nichtsein. Im August 1920 besuchte der damalige Münchner Student der Rechtswissenschaften und spätere Adjutant Martin Bormanns, Heinrich Heim, Hitler und berichtete in einem Brief an Baron Fritz von Trützschner in Berlin in durchaus begeistertem Ton von diesem Gespräch. Was die Judenfrage betreffe, so vertrete er die Auffassung, »man müsse den Bazillus ausrotten, da man den Körper nicht widerstandsfähig machen könne  ; (…) Eine Verdeutschung der Juden im Großen wie im Kleinen hält er für ausgeschlossen. Bei Verbleiben der schädlichen Juden also kann Deutschland nicht genesen. Handelt es sich aber um Sein oder Nichtsein eines Volkes, so kann man nicht haltmachen vor dem Leben der verblendeten Volksgenossen, viel weniger noch vor dem des feindlich gesinnten gefährlichen fremden 62 Eberhard Jäckel  : Hitler. Sämtliche Aufzeichnungen 1905–1924. – Stuttgart 1980. S. 174 ff. (Quellen und Darstellungen zur deutschen Zeitgeschichte Band 21.)

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Stammes.«63 Auch beim Festabend im Kurhaus vermochte der Münchner Propagandachef der NSDAP seine Zuhörer zu begeistern. Er war innerhalb kürzester Zeit vom unbekannten Münchner Parteifunktionär zu einer bekannten und bewunderten Persönlichkeit geworden, die den mitgereisten Parteivorsitzenden Anton Drexler in den Schatten stellte und von der Rudolf Jung nach der Tagung anerkennend bemerkte, er werde »einmal unser Größter«.64 Doch trotz seiner rhetorischen Erfolge gelang es ihm nicht, die Intentionen Drexlers und Riehls völlig zu unterbinden, da die Mehrheitsverhältnisse gegen seine Verhinderungspolitik sprachen. So verfügten die österreichischen Nationalsozialisten über drei stimmberechtigte Mitglieder, jene der Tschechoslowakei über vier, die Deutschsozialisten über zwei und die NSDAP, die polnischen Nationalsozialisten und verschiedene völkische Gruppierungen jeweils über eine Stimme.65 Da Hitler den Vereinigungsbemühungen der Deutschsozialistischen Partei (DSP) Alfred Brunners mit der NSDAP, die von Anton Drexler begrüßt wurden, distanziert bis ablehnend gegenüberstand, wurde in Salzburg auf Grund seines hinhaltenden Widerstandes nur ein Kompromiss in Form einer Gebietsteilung paktiert. Die Gebiete nördlich des Mains wurden der DSP, jene südlich des Mains, mit Ausnahme der von Julius Streich geleiteten DSP-Gruppe Nürnberg,66 der NSDAP zugeteilt. Die jeweiligen Mitglieder in den beiden Gebieten sollten sich der in diesen nunmehr dominierenden Partei anschließen. Hitler gab sich am Schluss einer großen Rede am 7. August versöhnlich. An die Vertreter der anderen nationalsozialistischen Parteien, vor allem an jene der DSP, gewandt, erklärte er, man verfolge doch »das gleiche Ziel«, auch wenn beide Parteien noch verschiedene Namen hätten. »Beide Bewegungen« sollten »sich nicht gegenseitig hindernd in den Weg treten, sondern sich konzentrieren auf die Orte, wo wirklich ein Erfolg errungen werden kann. Wir müssen nur eines ersehnen, dass wir überall dort, wo unsere Bewegung beginnt, mag sie nationalsozialistisch oder deutschsozialistisch heißen, einen Erfolg habe und durchdringt …«67 Die Tagung beschloss zudem die Installierung eines gemeinsamen Ausschusses der »Nationalsozialistischen Parteien Großdeutschlands«. Mit der Führung der zwischenstaatlichen Kanzlei wurde die Nationalsozialistische Partei Deutschösterreichs, d. h. Walter Riehl, beauftragt, jedoch einschränkend hinzugefügt, dass dessen Mandat nur bis zur nächsten Tagung gelte. In taktischen Fragen, hier wurde die 63 Zit. bei Volker Ullrich  : Adolf Hitler. Die Jahre des Aufstiegs. – Frankfurt am Main 2013. S. 123. 64 Georg Franz-Willing  : Die Hitlerbewegung. Der Ursprung 1919–1922. 2. Aufl. Preußisch Oldendorf 1974. S. 141. 65 Werner Maser  : Der Sturm auf die Republik. Frühgeschichte der NSDAP. – Stuttgart 1973. S. 244. 66 Julius Streicher, der sich als Widerpart der NSDAP in Nürnberg profilierte, wechselte im Oktober 1922 die Seiten und schloss sich der NSDAP an. Sein Wechsel löste für die DSP eine Katastrophe aus und führte im folgenden Jahr zu deren völligem Aufgehen in der NSDAP. 67 Jäckel. Hitler. S. 179.

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Position Hitlers deutlich, waren die einzelnen Parteien vollständig selbständig. Damit war eine weitgehende Einbindung der Münchner NSDAP in die supranationale Bewegung nahezu vollständig verhindert. Hitler wollte die Münchner Partei nicht in einen Parteienverbund integrieren, sondern beanspruchte die ideologische und organisatorische Führungsposition der NSDAP im nationalsozialistischen politischen Biotop. Die anderen Parteien konnten sich der Münchner Partei anschließen oder mussten eigene Wege gehen. Noch war dies allerdings vielen nicht klar. Hitler, der sich durch seine Reden zunehmend einen führenden Platz in der echten politischen Szene Münchens eroberte und in der bayerischen Hauptstadt bereits 1921 als Inbegriff der NSDAP galt, sollte auch in Österreich, vor allem in Salzburg, als Zugpferd für die DNSAP dienen. So sprach er am 1. Oktober 1920 bei einer Wahlkampfveranstaltung im Kurhaus, wobei er unter dem Jubel seiner Zuhörer betonte  : »Nur wer wirklich deutschen Blutes ist, kann deutsch fühlen und denken, daher sei auch die Nationalsozialistische Partei fest entschlossen, die Judenfrage mit aller Gründlichkeit bis zur letzten Konsequenz zu lösen.«68 Am 13. August hatte er im Festsaal des Münchner Hofbräuhauses eine Rede zum Thema »Warum sind wir Antisemiten  ?« gehalten69, die von den 2000 Zuhörern nicht weniger als 58-mal durch begeisterten Jubel unterbrochen wurde. Am 2. Oktober sprach er in Hallein, konnte jedoch seine Rede auf Grund der massiven Störaktion durch zahlreiche Sozialdemokraten unter Bürgermeister Anton Neumayr nicht zu Ende führen. Weitere Auftritte folgten in Innsbruck, St. Pölten und Wien. Im Jänner 1921 bezeichnete Anton Drexler im »Völkischen Beobachter« unter indirekter Bezugnahme auf die Resolution der Salzburger Tagung vom August 1920 Anton Riehl als »Führer der nationalsozialistischen Bewegung Großdeutschlands«.70 Dies entsprach jedoch nur der persönlichen Auffassung Drexlers, keineswegs der politischen Realität. 1921 war Hitler die bekannteste Persönlichkeit der NSDAP und ihr zugkräftigster Redner. Anton Drexler forcierte, gegen den Willen Hitlers, weiterhin eine Kooperation mit anderen völkischen Parteien wie der »Deutschsozialistischen Partei« (DSP) und der »Deutschen Werkgemeinschaft«. Hitler lehnte eine solche Kooperation ab, da er den Verlust der Eigenständigkeit und des revolutionären Charakters der NSDAP sowie eine Verlagerung des Schwergewichts der politischen Arbeit von München weg befürchtete. Alfred Brunner, der Vorsitzende der DSP, schrieb sichtlich empört über den immer deutlicher werdenden Führungsanspruch Hitlers an den Leiter der DSP-Ortsgruppe Bielefeld, der NSDAP-Propagandaleiter leide offensichtlich unter »Größenwahn«, und in einem anderen Brief

68 Salzburger Volksblatt 2.10.1920, S. 2. 69 Jäckel (Hg.)  : Hitler. S. 184 ff. 70 Maser  : Der Sturm auf die Republik. S. 263.

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eines DSP-Funktionärs an Brunner hieß es, man dürfe sich nicht von der NSDAP an die Wand drücken lassen.71 Brunners durchaus erfolgreiches Agieren um einen Zusammenschluss von NSDAP und DSP scheiterte an Hitlers Vabanque-Spiel mit der Drohung von dessen Rücktritt und der Formulierung von Bedingungen für den Wiedereintritt in die Partei – Vorsitzender mit diktatorischer Machtbefugnis, München als Sitz der Bewegung, kein Zusammengehen mit anderen nationalsozialistischen Parteien, sondern nur deren Anschluss an die NSDAP. Diese Taktik sollte sich am 29. Juli bei einer Mitgliederversammlung im Hofbräuhaus als erfolgreich erweisen. Drexler trat von der Funktion des Vorsitzenden zurück und wurde auf die politisch bedeutungslose Funktion des Ehrenvorsitzenden abgeschoben, die Partei akzeptierte die Bedingungen Hitlers, um den nunmehr dessen enger Weggefährte Hermann Esser den Führer-­Mythos kreierte. Die nunmehr von Hitler geführte Münchner NSDAP nahm nicht an der von der zwischenstaatlichen Kanzlei anberaumten zweiten Tagung in Linz im August 1921 teil. Lediglich Gottfried Feder war als Beobachter anwesend. Den österreichischen und sudentendeutschen Nationalsozialisten sowie den Deutschsozialisten wurde damit klar, dass die ein Jahr zuvor in Salzburg geplante Zusammenarbeit, aus der schließlich der Zusammenschluss aller nationalsozialistischen Parteien erfolgen sollte, zunächst nicht möglich war. Wenngleich Hitler in Linz nicht anwesend war, so machte sich doch sein Einfluss zunehmend bemerkbar. Die nationalsozialistischen Parteien bzw. deren Mitglieder und Sympathisanten spalteten sich zunehmend in glühende Anhänger – vor allem jüngere Parteiaktivisten – und Gegner Hitlers. Der Aufstieg der Münchner Partei führte zu einem immer unverhohlener erhobenen Führungsanspruch Hitlers auf die Gesamtbewegung. Im Juni 1922 erschien er bei der vierten zwischenstaatlichen Tagung der nationalsozialistischen Parteien in Wien bereits als Führer der Münchner Partei mit großer Entourage – Anton Drexler, Alfred Rosenberg, Hermann Esser und Max Amann. Riehl begrüße Hitler bereits als »unseren reichsdeutschen Führer« und Hitler sprach in den Sophiensälen nach einer schweren Saalschlacht. Die »Neue Freie Presse« berichtete von »stürmischen Szenen, Tätlichkeiten und Ausschreitungen« zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten im Vorfeld der Veranstaltung. Die KPÖ habe gegen die geplante Veranstaltung heftig agitiert und Parteimitglieder und Sympathisanten für eine Teilnahme mit dem Zweck mobilisiert, diese zu stören. Die Folge sei gewesen, dass die gegnerischen Parteien »mit geschwungenen Sesseln und mit Stangen von Vorhangkarniesen aufeinander losschlugen  ; es wurde … mit Bierkrügen geworfen und es entstand eine unbeschreibliche Verwirrung, während derer die dem Ausgange zunächst stehenden angstvoll

71 Franz-Willing  : Die Hitlerbewegung. S. 133.

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über die Treppe hinabdrängten.« Erst das Eingreifen einer größeren Polizeieinheit, die allerdings den Säbel ziehen musste, habe die Situation unter Kontrolle gebracht.72 Hitler erregte zunehmend Aufsehen und damit auch die Aufmerksamkeit ausländischer Journalisten, die spätestens nach Mussolinis »Marsch auf Rom« über die NSDAP und deren Führer zu berichten begannen. In der US-Zeitschrift »Living Age« schrieb M. Philips Price im März 1923 über die junge rechtsradikale Münchner Partei, diese bedeute zunehmend eine echte Gefahr für die deutsche Demokratie. »Für sie sind die Juden Ungeziefer, und sogar die christliche Religion ist befleckt wegen des religiösen Ursprungs ihres Gründers. Ihr Kult ist halbledern, alte teutonische Götter und Wotan sind ihre Größensymbole, das teutonische Hakenkreuz indischer Herkunft ist ihr Kampfabzeichen. Es ist fast unglaublich, dass solche Meinungen in diesen Tagen in einem europäischen Land vertreten werden können, aber sie haben zweifellos die Ermordung Erzbergers und Rathenaus inspiriert.«73 Und Hitler verlor das Image des gescheiterten Malers mit dem Hang zur Selbstinszenierung und abstrusen Verschwörungstheorien. War er ein deutscher Mussolini  ? Er war jedenfalls ein Mann, den auch die Auslandspresse nunmehr im Auge behielt, wenngleich der neue bayerische Ministerpräsident Eugen von Knilling (BVP) gegenüber dem US-Konsul in München, Robert Murphy, im November 1922 bemerkte, Hitler besitze seiner Meinung nach nicht die Fähigkeit, es weiter als bis zum lokalen Volksredner zu bringen. »Er hat nichts von den Qualitäten eines Mussolini und wird auch nicht so viel Erfolg haben wie Kurt Eisner. Er besitzt nicht das geistige Rüstzeug dafür …«74 Der so fehleingeschätzte Führer der Münchner NSDAP war 1923 nicht mehr bereit, die zwischenstaatliche Kanzlei in Wien unter der Leitung Walter Riehls anzuerkennen, und beantwortete kaum mehr deren Briefe. Die Münchner Partei übte durch ihren Alleinstellungsanspruch im rechtsradikalen Lager und ihre Ästhetik der Gewalt sowie choreografierte Symbolik der Fahnen, Lieder, Uniformen, Grußformen usw. und ihre ideologische Verbindung von Nationalismus und Sozialismus zunehmende Attraktivität vor allem für junge Männer aus, die der Partei nunmehr in solchen Menschen zuströmten, dass die Geschäftsstelle sogar für einige Tage schlie72 Neue Freie Presse 18.6.1922. S. 8. Die »Arbeiter-Zeitung« berichtete, dass rund 100 Demonstranten bei der Versammlung anwesend gewesen seien. »Die ›Nationalsozialisten‹, die sich einige Fleischhauermeister zu Hilfe geholt hatten, fielen über sie her. Dabei dienten Sessel als Waffen. … Schließlich wurde auch Wache in Automobilen herangeholt, die vor dem Versammlungslokal einen Kordon zog, wobei es zu kleinen Konflikten kam. Fünfzehn Personen wurden verhaftet, jedoch bis auf drei, die gewaltsamer Handlungen beschuldigt sind, wieder auf freien Fuß gesetzt.« (AZ 18.6.1922. S. 5.) 73 Zit. bei Sander A. Diamond  : Herr Hitler. Amerikas Diplomaten, Washington und der Untergang Weimars. – Düsseldorf 1985. S. 54. 74 Zit. bei David Clay Large  : Hitlers München. Aufstieg und Fall der Hauptstadt der Bewegung. – München 1998. S. 209 f.

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ßen musste, um die Anmeldungen bearbeiten zu können. Hitler unterstrich seinen Führungsanspruch durch die Ankündigung eines Parteitages in München Ende Jänner 1923, an dem auch Nationalsozialisten aus Österreich und der Tschechoslowakei teilnehmen sollten. Ganz München sollte von Veranstaltungen und Demons­ trationen geprägt werden. Da auch die SPD zeitgleich ein Großereignis abzuhalten plante, schienen schwer kontrollierbare Gewaltausbrüche unvermeidlich, weshalb die bayerische Regierung den Ausnahmezustand verhängte und beide Veranstaltungen untersagte. Hitler gelang es jedoch, mit Unterstützung prominenter Förderer, u. a. von Ernst Röhm und Ritter von Epp, einen Gesprächstermin bei Generalleutnant Otto von Lossow, dem Reichswehrbefehlshaber in Bayern, zu bekommen. In diesem Gespräch versicherte Hitler Lossow, dass die kursierenden Putschgerüchte völlig unbegründet seien und er jede Auflage der Regierung für die Abhaltung des geplanten Parteitages akzeptiere. Auch gegenüber Gustav von Kahr, dem früheren Ministerpräsidenten und nunmehrigen Regierungspräsidenten von Oberbayern, gab Hitler diese Versicherung ab. Lossow und Kahr bewirkten beim bayerischen Ministerpräsidenten Knilling die Aufhebung des Verbotes unter der Bedingung, dass nur sechs Saalveranstaltungen, keine Kundgebung im Freien und keine Aufmärsche in der Stadt stattfinden dürften. Hitler, der diese Bedingungen akzeptiert hatte, hielt sich jedoch nicht an seine Versprechungen und zwischen dem 27. und 29. Jänner 1923 dominierte die NSDAP das Straßenbild der bayerischen Hauptstadt. Entgegen seiner Zusage hielt die Partei 12 Veranstaltungen in großen Brauereisälen und eine feierliche SA-Fahnenweihe auf dem Marsfeld ab. Hitler sprach auf allen 12 Veranstaltungen nach einer genau geplanten Regie der Inszenierung als politischer Messias, dessen Kommen von den Anwesenden mit zunehmender Spannung erwartet wurde und dessen Reden auf begeisterte Zustimmung stießen. Die Münchner Partei war die eindeutig stärkste im nationalsozialistischen Lager und sie verfügte in Hitler über einen charismatischen Führer, der sich anschickte, das Image des rechtsradikalen politischen Lokalmatadors abzustreifen. Die geänderten Kräfteverhältnisse im nationalsozialistischen Parteienbiotop wurden bei der letzten gemeinsamen Tagung in Salzburg vom 12. bis 15. August 1923 im Chiemseehof deutlich sichtbar. Der Parteitag hatte bereits im Vorfeld für erhebliche landespolitische ­Beunruhigung gesorgt, da seitens der Sozialdemokraten Gegendemonstrationen geplant waren. In einem eilig einberufenen Spitzengespräch wurde ein Kompromiss erzielt. Die Natio­ nalsozialisten verzichteten auf Ansprachen vor allem Hitlers und Jungs auf öffentlichen Plätzen, lediglich ein Festzug vom Mirabellgarten zum Residenzplatz und eine anschließende Fahnenweihe der SA auf dem Residenzplatz inklusive einer Rede Hermann Görings sollten stattfinden. Alle übrigen Veranstaltungen fanden in geschlossenen Räumen statt, die Beratungen im von paramilitärischen Formationen abgeschirmten Chiemseehof. Das »Salzburger Volksblatt« berichtete, es sei »in der

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Parteigeschichte Österreichs … kaum jemals vorgekommen …, dass ein Parteitag einer noch ganz jungen Partei so stark beschickt wurde. Die Nationalsozialistische Partei in Österreich zählt heute 34.000 eingeschriebene Mitglieder (9800 gehören davon den militärisch organisierten Ordnertruppen an), die 118 Ortsgruppen angehören. Diese 118 Ortsgruppen haben … 458 Vertreter zu dem Reichsparteitag entsendet. Es ist in der Parteigeschichte Österreichs auch niemals die Tatsache zu verzeichnen gewesen, dass Parteitage sozusagen unter militärischem Schutz abgehalten wurden. In Salzburg taten es die Nationalsozialisten. Das Landhaus, in dem die Beratungen gepflogen wurden, war die ganze Zeit hindurch von nationalsozialistischen Sturmtruppen besetzt und bewacht. Wer sich nicht einwandfrei als Parteimitglied und berufener Vertreter ausweisen konnte, wurde ferngehalten. Man kann sich denken, welches Aufsehen die Besetzung des Landhauses bei der Bevölkerung Salzburgs machte.«75 Den Höhepunkt bildete die Rede Hitlers am 14. August in der von den Massen gestürmten Felsenreitschule. Bereits im Vorfeld des Parteitages hatte Walter Riehl in der in Wien erscheinenden »Deutschen Arbeiterpresse« geschrieben, die Münchner Partei habe »vor allem … dank ihrer urkräftigen, streng militärisch geordneten Sturmtruppen mit durchschlagenderen Agitationsformen … der Gesamtbewegung ihren Stempel aufgedrückt. Der Name des gewaltigen Redners und Führers Adolf Hitler ist über die Bedeutung anderer Parteiführer weit hinausgewachsen.«76 In Salzburg wurde Hitler bereits als »Führer« begrüßt und die nationalsozialistische Presse feierte die Rede als religiöses Erweckungserlebnis. So berichtete der Salzburger »Volksruf«, »die ganze Versammlung« sei »im Banne des Mannes« gestanden, »der in Deutschland der bestgehasste ist, dessen Name aber bereits in der ganzen Welt sich Geltung verschafft hat. (…) Die Schilderung der ganzen Verhältnisse, der Charakterlosigkeit, die Schuld der Novemberverbrecher und des vollständigen Versagens der parlamentarischen Parteien, das Fehlen jedweder zielbewussten Führung, das Streben nach der Futterkrippe und Ministerstühlen, das ekelerregende Feilschen und Kompromisseln zeigte allen Versammlungsteilnehmern, dass durch die bisherigen Methoden das deutsche Volk nicht hochkommen kann. (…) Hitler erklärte, dass unter Umständen vielleicht in der allerkürzesten Zeit die Entscheidung in Deutschland fallen wird, dann werden die Nationalsozialisten ihre Fahnen entrollen und die Freiheit erkämpfen.«77 Zentraler Punkt der Beratungen war die Frage der Beteiligung an der bevorstehenden Nationalratswahl. Die Großdeutsche Volkspartei hatte den Nationalsozialisten eine Listenkoppelung angeboten und Walter Riehl, der zu Beginn der Tagung wie75 Salzburger Volksblatt 16.8.1923. S. 1. 76 Zit. bei Georg Franz-Willing  : Krisenjahr der Hitlerbewegung 1923. – Preußisch Oldendorf 1975. S. 254. 77 Jäckel (Hg.)  : Hitler. S. 973 f.

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derum zum Vorsitzenden der österreichischen Partei gewählt worden war, plädierte für dieses Angebot, da er in ihm die einzige Chance sah, für die Partei Abgeordnetensitze im Nationalrat zu erringen. Hitler lehnte diesen Standpunkt jedoch mit Blick auf die infolge der Ruhrbesetzung und deren verheerende wirtschaftliche Folgen angespannte Lage im Deutschen Reich mit dem Argument der Gegnerschaft zum parlamentarischen System und der Bevorzugung der bewaffneten Machtergreifung ab. Bereits am ersten Tag des Parteitages hatte sein Vertrauter Hermann Esser den Delegierten dringend davon abgeraten, sich »an dem gegenwärtigen Parlamentarismus zu beschmutzen.« Die Partei solle lieber ihr ganzes Augenmerk auf den Ausbau der Sturmtruppen richten, denn die Zeit einer nationalen Diktatur in Deutschland sei näher, als man glaube. Wer herrschen wolle, benötige Macht.78 Riehl argumentierte dagegen, dass die Verhältnisse im Deutschen Reich nicht auf Österreich übertragbar seien und von einer bevorstehenden »nationalen Revolution« nicht die Rede sein könne. Er unterlag jedoch mit dieser Position in der Sitzung des Führerausschusses am folgen Tag. Das Salzburger Volksblatt berichtete  : »Zwischen München und Salzburg wurden stundenlange Gespräche geführt. Das Ergebnis war der Befehl Hitlers, sich an den Wahlen nicht zu beteiligen, da es heute, wo Deutschland vor der schwersten Katastrophe stehe, nicht angehe, die Kraft im Wahlkampfe zu verzetteln. Es könnte sein, dass eine nationale Diktatur den Parlamentarismus hinwegfege, und da wäre es denn doch verfehlt, sich an Parlamentswahlen zu beteiligen. Weit richtiger ist es, alle Kraft an den Ausbau der Ordnertruppen zu verwenden und die Parteipresse zu stärken. Dieser Ansicht schloss sich der Führerausschuss und auch der Parteitag an, und dies mit einer derartigen Begeisterung, dass eine Abstimmung darüber abgelehnt wurde.«79 Riehl unterlag mit seiner Bereitschaft zur Listenkoppelung mit den Großdeutschen und damit zur parlamentarischen Arbeit sowohl bei der Delegiertenkonferenz wie auch im Führerrat. Die Nationalsozialisten nahmen daher an der Nationalratswahl 1923 nicht teil.

78 Salzburger Volksblatt 16.8.1923. S. 1. 79 Ebd. S. 2. Der Führerausschuss beschloss folgende Entschließung  : »Der Führerausschuss der Nationalsozialistischen Partei Großdeutschlands ist angesichts der katastrophalen Lage im Reiche zu der Überzeugung gelangt, der österreichischen Bruderpartei derzeit Wa h l e n t h a l t u n g zu empfehlen. Angesichts der im Reiche eingetretenen Verhältnisse ist die österreichische Partei der Anschauung, dass eine Beteiligung an Wahlen derzeit nicht wünschenswert erscheint  ; die österreichische Reichsparteileitung beschließt daher die Nichtbeteiligung an den Wahlen zum Nationalrat. Der Ernst der Lage gebietet jedoch dringend den Ausbau der Partei, des Vaterländischen Schutzbundes und der Parteipresse. Die Parteigenossen werden aufgefordert, ihre ganze Kraft in den Dienst der Bewegung zu stellen.« (Ebd.)

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Der Salzburger Parteitag hatte auch die Einsetzung eines Vollzugsausschusses unter dem Vorsitz Walter Riehls beschlossen, um ein Minimum an Koordination der verschiedenen nationalsozialistischen Parteien zu gewährleisten. Als der Vollzugsausschuss wenige Tage später zusammentrat und Riehl seine Argumente gegen eine Wahlenthaltung bei der kommenden Nationalratswahl wiederholte, unterlag er neuerlich mit sieben gegen eine Stimme. Er zog die Konsequenz und trat sowohl als Parteiobmann der österreichischen Nationalsozialisten wie auch als Leiter der zwischenstaatlichen Kanzlei zurück. In einem Artikel in der »Deutschen Arbeiterzeitung« sah er die Gefahr einer militarisierten antiparlamentarischen Bewegung mit eindeutig diktatorischen Grundzügen.80 In beiden Funktionen folgte ihm sein Stellvertreter Rudolf Jung, der Gauleiter von Wien. Jung hatte sich nicht, wie Hitler, prinzipiell gegen Riehl und die von diesem vertretene parlamentarische Linie ausgesprochen, sondern aus der Überzeugung, dass die beschränkten Mittel der Partei besser für den Aufbau der Parteipresse und einer paramilitärischen Ordnertruppe, wie dies in München mit dem Erwerb des »Völkischen Beobachters« und dem Aufbau der SA bereits geschehen war, verwendet werden sollten.81 Nach der Nationalratswahl am 21. Oktober 1923 schrieb Walter Riehl mit deutlicher Kritik an der von Hitler durchgesetzten Politik nach München, das Wahlergebnis habe seine Ansicht bestätigt. Die Großdeutsche Partei sei deutlich geschwächt worden und die Sozialdemokraten hätten deutlich an Stimmen gewonnen. Von einer propagierten Wahlenthaltung sei vor allem in Arbeiterkreisen keine Rede gewesen und es habe sich wiederum bestätigt, dass man die deutschen Verhältnisse nicht schablonenhaft auf Österreich übertragen könne. Durch eine Wahlgemeinschaft mit den Großdeutschen hätten sich die österreichischen Nationalsozialisten zumindest einen gewissen Einfluss auf das politische Geschehen sichern können.82 Da Riehl seine Kritik am Kurs der Partei weiterhin öffentlich äußerte, wurde er aus der NSDAP ausgeschlossen und gründete im August 1924 den »Deutschsozialen Verein für Öster­ reich«, der jedoch im rechtsradikalen und völkischen Lager bedeutungslos blieb. Salzburg spielte im Herbst 1923 auf Grund seiner geografischen Nähe zu München eine Rolle in der von linken83 und rechten Putschgerüchten schwangeren Atmosphäre der Weimarer Republik. Sowohl das Bundeskanzleramt wie das Amt der Salzburger Landesregierung fürchteten einen verstärkten Zustrom von gescheiterten Putschisten. Vor allem verdichteten sich die Gerüchte über einen bevorstehen80 Franz-Willing  : Krisenjahr der Hitlerbewegung 1923. S. 258 f. 81 Bruce F. Pauley  : Der Weg in den Nationalsozialismus. Ursprünge und Entwicklung in Österreich. – Wien 1988. S. 46. 82 Francis L. Carsten  : Faschismus in Österreich. Von Schönerer zu Hitler. – München 1978. S. 78 f. 83 Zu den Putschplänen der KPD, KPdSU und der Komintern vgl. Bernhard H. Bayerlein, Leonid G. Babičenko, Fridrich I. Firsov, Aleksandr Ju. Vatlin  : Deutscher Oktober 1923. Ein Revolutionsplan und sein Scheitern. – Berlin 2003.

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den Putsch der Münchner NSDAP84 und die Bereitschaft der Salzburger Nationalsozialisten, die Münchner Genossen durch die Entsendung von SA-Einheiten zu unterstützen. Wenngleich diese Absicht am 9. November durch die hermetische Schließung der Grenze durch Gendarmerie und Bundesheer verhindert wurde, so flohen Hermann Esser, Gerhard Roßbach, Eduard Heines, Alfred Rosenberg, Alfred Hoffmann und Ernst Hanfstaengl nach Salzburg.85 In Salzburg hielt sich unmittelbar nach dem Münchner Putsch Bundeskanzler Ignaz Seipel auf, um an den Feierlichkeiten anlässlich des 300-jährigen Bestehens der Theologischen Fakultät und des Staatsfeiertags teilzunehmen. Nach einer Abnahme einer Truppenparade auf dem Residenzplatz erklärte er unter indirekter Bezugnahme auf die Münchner Ereignisse und auch als deutliche Warnung an die österreichischen Nationalsozialisten, er habe mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, dass die Einheiten des Bundesheeres in Salzburg treu zur Republik und zur Verfassung stünden und jederzeit bereit seien, für Ruhe und Ordnung und die Wahrung der Autorität des Staates zu sorgen.86 Die Salzburger Nationalsozialisten standen hinter den Putschisten und dem inhaftierten Hitler. Hans Prodinger erklärte in einem gut besuchten Vortrag im Kurhaus, es sei alles zwischen Adolf Hitler, Gustav Ritter von Kahr, Hans Ritter von Seißer und Otto Hermann von Lossow genau besprochen gewesen. Der Fehler Hitlers sei gewesen, dass er »zu sehr Idealist« sei und die Mitverschwörer »für Ehrenmänner hielt.«87 Die Hitler-Verehrung überwog, trotz vereinzelter kritischer Kommentare zu dessen Persönlichkeitsstruktur wie jener, allerdings erst 1950 geäußerter, von Gerhard Roßbach.88 Salzburg wurde auf Grund seiner Grenznähe und des Exils zahlreicher deutscher Nationalsozialisten vorübergehend zur Zentrale der NS-Pro84 Zum Putsch der Münchner NSDAP vgl. Hans Hubert Hofmann  : Der Hitlerputsch. Krisenjahre deutscher Geschichte 1920–1924. – München 1961  ; Harold J. Gordon  : Hitlerputsch 1923. Machtkampf in Bayern 1923–1924. – München 1971  ; John Dornberg  : Hitlers Marsch zur Feldherrnhalle München, 8. und 9. November 1923. – München/Wien 1983. 85 Hermann Göring, der beim Putsch verwundet worden war, gelang ein Fluchtversuch im zweiten Anlauf nach Innsbruck, wo er mit dem nach Salzburg geflüchteten SA-Führer Gerhard Roßbach Kontakt aufnahm, um Spenden für die illegale Partei in Bayern zu sammeln. Die österreichische Bundesregierung setzte dem Treiben Görings ein Ende, indem ihm mehrere Sicherheitsbeamte unmissverständlich erklärten, er möge seinen Aufenthalt in Tirol beenden. Göring begab sich zusammen mit seiner Frau Karin als unerwünschter Ausländer Ende April 1924 nach Italien. 86 Salzburger Volksblatt 13.11.1923. S. 4. 87 Salzburger Volksblatt 22.11.1923. S. 3. 88 Der Freikorpsführer Gerhard Roßbach gab in seinen 1950 erschienenen Erinnerungen eine kritische Charakterisierung Hitlers ab. »Weich mit dem Willen zur Härte, halbgebildet, mit dem Wunsche, universell zu sein, ein Bohemien, der Soldat werden musste, wenn er wirklich Soldaten imponieren wollte. Ein Mann, misstrauisch gegen sich selbst und seine Möglichkeiten, deshalb voller Minderwertigkeitskomplexe all denen gegenüber, die schon etwas waren oder auf dem Weg waren, ihn zu überflügeln.« (Zit. bei Ian Kershaw  : Hitler 1889–1936. – Stuttgart 1998. S. 239 f.)

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paganda. Illegale Zeitungen und Broschüren wurden in Salzburg gedruckt und über die Grenze nach Bayern geschmuggelt. Am 12. Jänner 1924 beschwerte sich der bayerische Ministerpräsident Eugen von Knilling in einem Brief bei Landeshauptmann Franz Rehrl, dass eine Zahl von Putschisten des 9. November nach Salzburg geflüchtet seien und die Stadt Salzburg zu einem Zentrum der illegalen Propaganda der Partei geworden sei. Man möge daher diesem hochverräterischen Treiben entgegenwirken. Rehrl reagierte ausweichend, indem er zwar zugestand, dass sich zahlreiche geflüchtete deutsche Nationalsozialisten in Salzburg aufhielten, jedoch befand, dass weder die Stadt noch das Land Salzburg zum Zentrum der nationalsozialistischen Propaganda geworden seien. Man habe rein presserechtlich keine Handhabe, gegen die Herausgabe der Zeitungen und Zeitschriften einzuschreiten, werde aber die Bayerische Staatsregierung über deren Erscheinen jeweils informieren.89 Im Mai 1924 besuchten Otto Troyer, Hans Prodinger und Anton Funk Hitler in seiner Haft in Landsberg und lauschten andächtig seinen Ausführungen über den Anschluss, den er trotz seiner Niederlage doch noch zustande bringen werde. Er sei eben, so der emphatische Bericht im »Volksruf«, ein Mann, »welcher, so Gott will, einstens zu den Größten seines Volkes gezählt werden wird.«90 Und der Parteitag der österreichischen NSDAP, der vom 1. bis 3. August 1924 in Salzburg stattfand, entsandte eine Grußadresse an den in Landsberg einsitzenden Adolf Hitler. Doch trotz aller Begeisterung für den inhaftierten politischen Messias, die Partei verlor nach dem gescheiterten Putsch und infolge der allgemeinen wirtschaftlichen Erholung deutlich an Zustimmung. Die Einnahmen sanken rapide, die Partei verfügte nicht über die notwendigen Mittel, um eine wirkungsvolle Propaganda zu betreiben. Sie versank in die politische Bedeutungslosigkeit. Der Versuch, durch die Veranstaltung eines »Deutschen Tages« im August 1924 in Salzburg wiederum ein Lebenszeichen von sich zu geben, scheiterte am Verbot der Landesregierung. Mit Blick auf den gescheiterten Hitler-Putsch vom November 1923 fürchtete man durch die Anwesenheit von Tausenden deutschen Turnern und paramilitärischen Formationen eine Störung des Fremdenverkehrs, eine Gefährdung der inneren Ruhe und Sicherheit sowie unfreundliche Reaktionen des Auslandes. Wenngleich sich die österreichische Partei durch die Inhaftierung Hitlers und das De-facto-Interregnum an der Spitze der deutschen Partei 1924/25 relativ selbständig entwickeln konnte, so war sie einem sich beschleunigenden inneren Zerfallsprozess

89 Oskar Dohle  : Bomben, Böller, Propaganda. Der Aufstieg der NSDAP in Salzburg 1918–1938.  – In  : Peter F. Kramml, Ernst Hanisch (Hg.)  : Hoffnung und Verzweiflung in der Stadt Salzburg 1938/39. Vorgeschichte/Fakten/Folgen. – Salzburg 2010. S. 74–123. S. 84. (Die Stadt im Nationalsozialismus. Herausgegeben von Peter F. Kramml, Sabine Veits-Falk, Thomas Weidenholzer und Ernst Hanisch. Band 1. Schriftenreihe des Archivs der Stadt Salzburg 28.) 90 Zit. ebda.

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ausgesetzt. Ab 1924 sank die Mitgliederzahl, die im Sommer 1923 rund 34.000 betragen hatte, ständig.91 Zu diesem Zeitpunkt wurden jene Spannungen deutlich, die schließlich 1926 zur Spaltung der Partei führen sollten. Diese basierten auf einem Generationenkonflikt zwischen der älteren, in den 1880er-Jahren geborenen und vor allem aus der völkischen Gewerkschaftsbewegung kommenden Gruppierung, und den 15 bis 20 Jahre jüngeren, vor allem der Frontgeneration Angehörenden, die die demokratische Struktur der Partei ebenso ablehnten wie das Bestreben nach parlamentarischer Mitwirkung. Stattdessen bewunderten sie die radikale Rhetorik Hitlers, dessen außerparlamentarischen Machtanspruch und das von ihm vertretene Führerprinzip. In diesem Sinne repräsentierten sie bereits die faschistische Phase der Bewegung, die sich nunmehr anschickte, die Macht in der Partei zu übernehmen. Sichtlich irritiert bemerkte die ältere Aktivistengruppe in Richtung der radikalen jüngeren, es komme nicht darauf an, Desperados zu sammeln und nach Landknechtsmanier Krawall zu schlagen, sondern die Arbeiterklasse für den Gedanken des nationalen Sozialismus zu durchdringen. Das Führerprinzip sei notwendig, aber es bedeute nicht, dass sich der Führer Herrenrechte gegenüber allen anderen anmaßen dürfe, und er sei auch nicht unfehlbar wie der Papst.92 Der sich 1925 zuspitzende Konflikt basierte auch auf unterschiedlichen sozialen Gruppierungen. Hatten in der DAP, DNSAP und schließlich NSDAP die völkischen Gewerkschafter, vor allem die Bahnbediensteten, dominiert, so ging deren Einfluss zu Gunsten von vermehrt einströmenden Studenten und Angehörigen des Mittelstandes (mit starker Repräsentation von Bundes- und Landesbeamten, kleinen und mittleren Angestellten, Kleingewerbetreibenden und Angehörigen der Freien Berufe) nunmehr kontinuierlich zurück. Wenngleich der an Schärfe gewinnende Konflikt auf dem Linzer Parteitag im Frühjahr 1926 unter der Devise der notwendigen Einigkeit und Entschlossenheit noch mühsam zugedeckt werden konnte, so war der wenig später erfolgende Bruch unvermeidlich. Hitler hatte sich während seiner Inhaftierung in Landsberg aus den Flügelkämpfen im völkischen Lager herausgehalten, war jedoch nach seiner vorzeitigen Entlassung am 20. Dezember 1924 fest entschlossen, die Partei neu zu gründen und im Sinne der »Führerpartei« deren Leitung zu übernehmen. Um dies zu erreichen, bat 91 Gerhard Botz  : Soziale »Basis« und Typologie der österreichischen Faschismen im innerösterreichischen und europäischen Vergleich. – In  : Faschismus in Österreich und international. Jahrbuch für Zeitgeschichte 1980/81. – Wien 1982. S. 15–77.; Ders.: Strukturwandlungen des österreichischen Nationalsozialismus (1904–1945). – In  : Isabella Ackerl, Walter Hummelberger, Hans Mommsen (Hg.)  : Politik und Gesellschaft im alten und neuen Österreich. Festschrift für Rudolf Neck zum 60. Geburtstag. – München 1981. S. 163–193  ; Ders.: Der österreichische Nationalsozialismus. – In  : Joseph F. Desput (Hg.)  : Österreich 1934–1984. Erfahrungen, Erkenntnisse, Besinnung. – Graz/Wien/Köln 1984. S. 199–218. 92 Zit. bei Pauley. Der Weg in den Nationalsozialismus. S. 51.

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er den bayerischen Ministerpräsidenten und Vorsitzenden der Bayerischen Volkspartei, Heinrich Held, Anfang Jänner 1925 um eine Unterredung, in der er u. a. feierlich versprach, sich in Zukunft im Rahmen der Legalität zu bewegen, und sich von den Attacken Erich Ludendorffs auf die Katholische Kirche distanzierte. Held erklärte Hitler kühl, die bayerische Regierung werde eine Wiederholung der Zustände, wie sie vor dem 9. November 1923 existierten, unter keinen Umständen akzeptieren, sondern im Falle einer neuerlichen Bedrohung die Staatsmacht sofort einsetzen. Entscheidend war jedoch seine schließlich gegebene Einwilligung, das Verbot der NSDAP und das Erscheinen des »Völkischen Beobachters« aufzuheben. »Die Bestie ist gezähmt. Jetzt kann man die Fesseln lockern«, begründete er seinen fatalen Entschluss.93 Am 12. Februar 1925 wurde der Ausnahmezustand in Bayern aufgehoben und zwei Tage später das Verbot des »Völkischen Beobachters«. Hitler zog sich auf den Obersalzberg zurück, um mehrere Texte für die Neugründung der NSDAP zu verfassen, die er in der ersten Nummer des wiedererschienenen »Völkischen Beobachters« am 26. Februar veröffentlichte. Er verkündete die Neugründung der Partei, ein Abgehen vom Putschismus, die Gültigkeit des 25-Punkte-Programmes und des Führerprinzips. Am folgenden Tag ließ er sich in seiner ersten öffentlichen Rede im Bürgerbräukeller zu martialischen Sprüchen wie entweder gehe der Feind über die Leichen der NSDAP oder diese über jene der Feinde hinreißen und wurde folglich am 7. März mit einem öffentlichen Redeverbot belegt. Trotz dieser Einschränkung war Hitler gewillt, in den kommenden Monaten seinen absoluten Führungsanspruch in der Partei durchzusetzen. Dies sollte auch Karl Schulz erfahren, der im Sommer 1925 nach München reiste, um in einem persönlichen Gespräch mit Hitler dessen politische Vorstellungen in Erfahrung zu bringen und in weiterer Folge die Spannungen in der österreichischen Partei zu beseitigen. Es sollte jedoch kein Gespräch geben, sondern einen rund zweistündigen Monolog Hitlers ohne konkrete Aussagen zur Situation in Österreich. Zu sehr war er an der zunächst keineswegs friktionsfreien Entwicklung in Deutschland interessiert. Österreich war nur ein Nebenkriegsschauplatz, von dem er allerdings wusste, dass sich die jüngeren Kohorten der Aktivisten und Sympathisanten bereits ihm zuwandten. Die Entscheidung fiel im Sommer 1926 während des Parteitages der NSDAP in Weimar. Der Parteitag in Weimar am 3. und 4. Juli 1926 brachte nicht nur die von Hitler nach den vorangegangenen programmatischen Turbulenzen mit der Gruppe um die Brüder Gregor und Otto Strasser geschickt inszenierte Demonstration der Einigkeit und Geschlossenheit nach außen, sondern auch die endgültige statutenmäßige Definition der Partei als Führerpartei. Wenngleich die Partei zu diesem Zeitpunkt noch kleiner war als zur Zeit des Münchner Putsches, so war sie deutlich besser organisiert 93 Ullrich  : Adolf Hitler. S. 213.

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und geografisch breiter gestreut. Ihr martialisches Auftreten, die geschickt inszenierte Aura des Außergewöhnlichen und der heroischen Größe sowie der quasi-reli­ giösen Sendung Hitlers als künftigen Retter veranlasste eine Reihe von völkischen Organisationen, sich der NSDAP anzuschließen. Der Führungsanspruch über die nationalsozialistischen Parteien und völkischen Gruppierungen wurde ebenso klar erhoben wie jener Hitlers als Führer der Gesamtbewegung. Dies bedeutete für die österreichischen Nationalsozialisten, den von Riehl und auch von seinem Nachfolger Schulz verfochtenen Weg der eigenständigen Entwicklung aufzugeben und sich bedingungslos der Münchner Partei und Hitler zu unterwerfen. Diese Aufforderung fiel in Österreich auf fruchtbaren Boden, da ein Großteil der Wiener und niederösterreichischen Nationalsozialisten unter dem Mittelschullehrer Richard Suchenwirth und dem SA-Führer Josef Leopold den nach wie vor auf Selbständigkeit zielenden Kurs von Karl Schulz ablehnten und sich bereits im Mai 1926 Hitler direkt unterstellt hatten. Die damit erfolgte Spaltung setzte sich innerhalb kürzester Zeit in den anderen Bundesländern fort, wobei der 28-jährige Hermann Reschny eine zentrale Rolle spielte. Schulz befand sich in einer verzweifelten Lage und versuchte in einem persönlichen Gespräch mit Hitler am 12. August in Passau auf die besondere Situation in Österreich hinzuweisen, die nicht mit jener im Deutschen Reich zu vergleichen sei und daher auch eine eigene Politik erfordere. Hitler ließ diese Argumente nicht gelten und forderte ultimativ bedingungslose Unterwerfung, um schließlich zu bemerken, Österreich sei letztlich nicht mehr als ein deutscher Gau, in den er einen Reichskommissar entsenden und wo er später einen Stellvertreter ernennen werde.94 Während Schulz völlig desillusioniert von Passau abreiste und vor Vertrauensmännern aus Wien und Niederösterreich erklärte, die Erfüllung der Forderung Hitlers würde die Auflösung der österreichischen NSDAP bedeuten, und von den Anwesenden in seiner ablehnenden Haltung bestätigt wurde, schworen Richard Suchenwirth und Alfred Proksch bei einem persönlichen Treffen mit Hitler diesem die bedingungslose Treue. Als dieser Treueschwur bekannt wurde, reagierte Schulz mit dem offiziellen Parteiausschluss aller Dissidenten. Ein Schritt, der jedoch wirkungslos blieb, denn Hitler anerkannte die ihm ergebene österreichische NSDAP (Hitlerbewegung) am 28. August 1926 in München. Damit war die Spaltung der NSDAP in Österreich in eine sog. Schulz- und eine Hitler-Bewegung vollzogen. Beide Gruppierungen bekämpften sich in den folgenden Jahren, verharrten jedoch in der politischen Bedeutungslosigkeit. Wenngleich sich in Salzburg die Hitler-Bewegung am 26. September im »Gasthaus zur Goldenen Sonne« in der Gstättengasse gründete, so hatte sie nur 120 Mitglieder, ein Jahr später nur mehr 80. Österreichweit verfügte im November 1928 die Schulz-Gruppe über lediglich 6274 zahlende Mitglieder in 50 Ortsgruppen, die Hitler-Bewegung 94 Pauley  : Der Weg in den Nationalsozialismus. S. 54 f.

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über 4466 in 130 Ortsgruppen. In den drei westlichen Bundesländern war die Mitgliederzahl der Hitlerbewegung so gering, dass sie zwischen 1928 und 1932 zu einem einzigen Gau zusammengefasst werden mussten. Eine Wende sollte der aufsehenerregende Wahlerfolg Hitlers im Deutschen Reich am 14. September 1930 bringen. Vor dem Hintergrund von 4,4 Millionen Arbeitslosen verzeichnete die NSDAP einen sensationellen Anstieg von 12 auf 107 Mandate und wurde mit nunmehr 6,4 Millionen Wähler/innen zur zweitstärksten Partei im Reichstag. Es waren die Erfolge der deutschen NSDAP und Hitlers, die den Kampf zwischen der Schulz- und Hitler-Gruppe zu Gunsten der letzteren entschieden und diese aus dem politischen Dornröschenschlaf befreiten.

1.4 Die große Krise in einem kleinen Land  : Die Weltwirtschaftskrise und ihre Folgen 1929 bis 1934 Das Jahr 1929 bildete die letzte kurze Etappe der gedämpften Nachkriegskonjunktur. Das Sozialprodukt übertraf, wenn auch nur geringfügig, erstmals das Niveau des Jahres 1913. Als Konjunkturmotor dienten die Land- und Elektrizitätswirtschaft sowie der Dienstleistungssektor mit einer deutlich über dem Niveau des Jahres 1913 liegenden Wertschöpfung. Industrie und Gewerbe rangierten knapp unter dem Niveau des letzten Friedensjahres, wobei jedoch die Holzverarbeitung, die Papierindustrie und die chemische Industrie zu den Wachstumsbranchen zählten. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt war hingegen angespannt, da geburtenstarke Jahrgänge auf den Arbeitsmarkt drängten und die hohe Investitionsquote von 10 Prozent vor allem der Modernisierung und Rationalisierung der industriellen Produktion diente.95 Wenngleich in den Zwanzigerjahren strukturelle Probleme vor allem im Bereich der Agrar- und Rohstoffproduktion – zwischen 1913 und 1929 stieg die Produktion in beiden Bereichen um rund ein Drittel – sichtbar wurden, so ahnte am und nach dem »Schwarzen Freitag« der New Yorker Aktienbörse kaum jemand die Schwere der kommenden Depression, die schließlich 1930/31 mit dem dramatischen Verfall der Agrar- und Rohstoffpreise und dem Zusammenbruch des internationalen Währungssystems einsetzte. Die zentrale Position der amerikanischen Wirtschaft in der Weltwirtschaft – 42,2 Prozent der Welt-Industrieproduktion entfielen auf die Vereinigten Staaten, die 1929 durch Importe und Investitionen 7,4 Milliarden Dollar 95 Fritz Weber  : Vor dem großen Krach. Österreichs Banken in der Zwischenkriegszeit am Beispiel der Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe. – Wien/Köln/Weimar 2016. S. 404 f. (Studien zur Wirtschaftsgeschichte und Wirtschaftspolitik. Herausgegeben von Herbert Matis und Roman Sandgruber. Band 9.) Vgl. dazu auch Dieter Stiefel  : Die große Krise in einem kleinen Land. Österreichische Finanzund Wirtschaftspolitik 1929–1938. – Wien 1988.

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den weltweiten Handelspartnern zur Verfügung stellten96 – führte unweigerlich zu einem Dominoeffekt, dem man weltweit mit einer Austeritätspolitik mit desaströsen Folgen zu begegnen suchte.97 Österreich wurde, ebenso wie das Deutsche Reich,98 von der Krise besonders hart getroffen. Bis 1933 sank die Industrieproduktion insgesamt um 37,9 Prozent, wobei das Baugewerbe, die Eisenerzeugung und die Eisen- und Metallverarbeitung mit Einbrüchen von 52,7, 63,9 und 65,7 Prozent die Spitzenwerte erzielten. Als besonders dramatisch sollte sich der Umstand erweisen, dass sich die österreichische Industrie bei Ausbruch der Weltwirtschaftskrise in einem Umstrukturierungsprozess befand und international nur bedingt konkurrenzfähig war.99 Hatte sich im Laufe der Zwanzigerjahre der Außenhandel vor allem mit den traditionellen Märkten auf dem Gebiet der ehemaligen Habsburgermonarchie allmählich erholt, ohne allerdings das Niveau des Jahres 1913 zu erreichen, so führte die Weltwirtschaftskrise durch eine neuerlich verschärfte Zollpolitik sowie Devisenkontrollen der Handelspartner bis 1933 zu einem Rückgang der Exporte zu laufenden Preisen um 65,1 Prozent. Von hoher Signifikanz war auch die Lohnentwicklung in der Zwischenkriegszeit, da sie zu permanenten wirtschafts- und finanzpolitischen Diskussionen führte. Nimmt man das Jahr 1928 als letztes »Normaljahr« – das Bruttonationalprodukt erreichte in diesem Jahr erstmals wiederum das Niveau des Jahres 1913 – so ergeben sich in der Nachkriegszeit deutliche Verschiebungen zu Gunsten der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen. Hatten diese 1913 51 Prozent betragen, so stiegen sie 1924 auf 57,2 Prozent, während der Anteil von Besitz und Unternehmen im selben Zeitraum von 47,7 Prozent auf 39,8 Prozent fiel. Am Ende der Inflationsperiode war die Position der unselbständigen Einkommen erheblich besser als jene von Besitz und Unternehmung. Die Ursache dieser deutlichen Verschiebung war nur zum Teil das Ergebnis ökonomischer Ursachen. Zu einem größeren Teil war sie das Ergebnis der Politik der Sozialdemokratie, die das Kollektivvertragsrecht als Hebel für eine deutliche Verbesserung der Lohnsituation benutzte. Dies führte auf Unternehmerseite zu heftiger Kritik. Die ihrer Meinung überhöhten Löhne führten zu einer Asymmetrie von Produktivität und sozialen Lasten, die erhöhten Gestehungskosten bewirkten eine Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit auf den umkämpften Exportmärkten. Die auch vor dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise relativ hohe Sockelarbeitslosigkeit sei das Ergebnis der letztlich gesamtwirtschaftlich nicht zu

96 Derek H. Aldcroft  : Die zwanziger Jahre. Von Versailles zur Wall Street 1919–1929. – München 1978. S.  337. (Geschichte der Weltwirtschaft im 20. Jahrhundert. Herausgegeben von Wolfram Fischer. Band 3.) 97 Adam Tooze  : Sintflut. Die Neuordnung der Welt 1916–1931. – München 2015. S. 607. 98 Harold James  : Deutschland in der Weltwirtschaftskrise 1924–1936. – Stuttgart 1988. 99 Weber  : Vor dem großen Krach. S. 408.

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rechtfertigenden Lohnpolitik. Würden die Löhne auf das wirtschaftlich vernünftige Maß gesenkt, würde auch die Arbeitslosigkeit weitgehend verschwinden. Auch zu Beginn der Weltwirtschaftskrise entwickelte sich der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen nicht nach unten, sondern stieg auf über 60 Prozent, um erst 1934 mit 57 Prozent knapp unter den Wert der zweiten Hälfte der Zwanzigerjahre zu fallen.100 Salzburg war Ende der Zwanzigerjahre ein Agrarland mit gering entwickelter Industrie- und Gewerbestruktur und, vor allem auf Grund der forcierten Fremdenverkehrspolitik, einem relativ hoch entwickelten Dienstleistungssektor. Vergleich der Wirtschaftssektoren (in Prozent der Erwerbstätigen) Salzburg – Österreich 1934: Salzburg

Österreich

Primärer Sektor

45,4

35,7

Sekundärer Sektor

24,7

34,0

Tertiärer Sektor

29,9

30,3

Auf Grund der geänderten ökonomischen Situation der Republik, Zollschranken der Nachfolgestaaten und Verlust wichtiger landwirtschaftlicher Ressourcen wurde der Produktionssteigerung und dem überregionalen Versorgungsausgleich besonderes Augenmerk zugewendet. Für Salzburg bedeutete dies auf Grund der geografischen Gegebenheiten die besondere Berücksichtigung und Forcierung der Vieh- und Milchwirtschaft. Bis zu den beginnenden Dreißigerjahren konnte eine erhebliche Produktionssteigerung sowie eine technisch-organisatorische Entwicklung durch die Gründung des Milchhofes Salzburg und das Entstehen von Molkereien und Käsereien erreicht werden. Die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion korrespondierte jedoch mit drei negativen Entwicklungen  : dem bereits 1928 einsetzenden deutlichen Verfall der Agrar-, Vieh- und Holzpreise, dem Rückgang der Agrarexporte – zwischen 1930 und 1934 sank der Viehexport in der Deutsche Reich um 90 Prozent (!) – und der rapide zunehmenden Verschuldung zahlreicher landwirtschaftlicher – vor allem bergbäuerlicher – Betriebe, die zu Zwangsversteigerungen führten. Allein im Jahr 1933 wurden 906 land-und forstwirtschaftliche Betriebe zwangsversteigert. Der Großteil der Verschuldung resultierte aus kurzfristigen und daher teu-

100 Dieter Stiefel  : Der Ruf nach autoritären Strukturen. Wirtschaft und Ständestaat. – In  : Staats- und Verfassungskrise 1933. Hg. v. d. Parlamentsdirektion. – Wien/Köln/Weimar 2014. S. 125–144. S. 130 f.

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ren Privatkrediten sowie Schulden bei den örtlichen Kaufleuten und Handwerkern, die selber unter erheblicher Kapitalknappheit litten. Angesichts der Dimensionen der Agrarkrise fand unter dem Vorsitz des Präsidenten des Landeskulturrates, Alois Hölzl,101 am 24. September 1932 im Sitzungssaal des Salzburger Landtages eine Tagung sämtlicher politischer Vertreter der Bauernschaft statt. Dabei hielt der Bürgermeister von Werfen, Hochleitner, ein Grundsatzreferat, in dem er auf die Probleme der Bauernschaft hinwies. Neben dem Kapitalmangel sei die Zinsbelastung der Kredite ein nicht zu bewältigendes Problem für die Bauernschaft. Bei einem Zinssatz von 7 bis 14 Prozent könne ein normaler Betrieb nicht arbeiten. Vor 1914 habe der Zinssatz 5 Prozent betragen, womit ein Kredit inklusive Zinsen nach 38,5 Jahren abbezahlt war. Dies sei nun nicht mehr möglich. So sehr staatliche »Zwangsmaßnahmen« prinzipiell abzulehnen seien, so würden sie sich angesichts der aktuellen Verhältnisse auf dem Kapitalmarkt nicht vermeiden lassen. Besondere Probleme resultierten auch aus dem massiven Preisverfall bei Vieh und Holz. Der Preisverfall bei Vieh habe innerhalb des letzten Jahres zu einem Einkommensrückgang vor allem der Gebirgsbauern auf ein Drittel bis ein Viertel geführt. Holz sei noch im Jahr 1929 mit rund 150 Millionen Schilling der größte Ausfuhrartikel der Salzburger Agrarwirtschaft gewesen. Nun sei dieser Wert durch den Preisverfall auf weniger als die Hälfte gesunken. Erschwerend komme noch die darniederliegende Bauwirtschaft hinzu, die den Inlandsbedarf erheblich reduziert habe. In dieser katastrophalen Situation sei es für die kleinen Waldbesitzer am besten, überhaupt nichts zu schlägern. Ähnlich katastrophal gestaltete sich die Situation im Bereich des Exportes von Milch und Molkereiprodukten, der gegenüber dem Vorjahr auf nahezu ein Drittel zurückgegangen sei.102 Die Holzindustrie, ein Kernbereich des Exportes der westlichen und südlichen Bundesländer, litt nicht minder. So erklärte der Nationalratsabgeordnete Bartholomäus Hasenauer auf dem Tennengauer Parteitag der Salzburger Christlichsozialen Anfang März 1933, die Bundesregierung sei bemüht, durch den Abschluss von Handelsverträgen mit den Nachbarstaaten vor allem der Industrie und hier wiederum der Holzindustrie zu helfen. Ein besonderes Problem 101 Alois Hölzl (1875–1947) war Landarbeiter, besuchte 1896 die Landwirtschaftsschule Kleingmain und war 1906 bis 1940 Klingerbauer, 1904 bis 1919 Mitglied des Gemeindeausschusses und 1909 bis 1919 Bürgermeister von Saalfelden, 1909 bis 1918 Landtagsabgeordneter der Kurie der Großgrundbesitzer, 1919 bis 1919 Mitglied der Provisorischen Landesversammlung und Landesrat, 1924 Präsident und 1924 bis 1927 Vizepräsident der Landwirtschaftlichen Gesellschaft in Salzburg, 1927 bis 1936 Präsident des Landeskulturrates, 1937 bis 1938 Präsident der Salzburger Landwirtschaftskammer, 1931 bis 1938 Obmann des Pinzgauer Pferdezüchterverbandes. 1938 wurde er von den Nationalsozialisten verhaftet und war 1946/47 Hofverwalter des Stoissengutes in Saalfelden. (Richard Voithofer  : Politische Eliten in Salzburg. Ein biografisches Handbuch 1918 bis zur Gegenwart. – Wien/Köln/ Weimar 2007. S. 90 f.) 102 Salzburger Chronik 26.9.1932. S. 1 f.

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sei Deutschland, das in großen Menschen zu Dumpingpreisen Holz aus Russland beziehe. Habe Deutschland 1928 noch 50 Prozent der österreichischen Holzexporte abgenommen, so seien es 1932 nur mehr 3 Prozent gewesen.103 Doch auch die Katholische Kirche meldete sich zu den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise zu Wort. Die Bundespolizeidirektion Salzburg berichtete am 28. April 1933 über eine Predigt, die der Missionsprediger Pater Alois Bogsrucker unter dem Titel »Woher die Wirtschaftskrise  ? Der einzige Ausweg« am Vortag im Dom vor rund 700 Arbeitslosen und Ausgesteuerten mit deutlich antisemitischem Unterton gehalten hatte. »Er wies darauf hin, dass, als die Kirche die Alleinherrschende war und die Menschen noch an den Gesetzen Gottes festhielten, es keine Frage der Arbeitslosigkeit gab. Die Güter waren gerecht verteilt. Jeder konnte leben. Erst als die sog. Aufklärung in die Menschheit getragen wurde und die Gesetze Gottes nicht mehr beachtet wurden, verschlimmerten sich die Verhältnisse wesentlich. Er sprach dann über den Protestantismus und seine Auswirkungen und behandelte in ziemlich scharfer Weise die Judenfrage. Den Juden gab er infolge der ihnen innewohnenden schlechten Charaktereigenschaften, insbesondere ihrer äußersten Rücksichtslosigkeit, Schuld an der Verschlimmerung der Verhältnisse und dem Entstehen der Arbeitslosigkeit. Er verurteilte die Handlungsweise und den Freisinn des Kaisers Josef II., durch den infolge des Toleranzpatentes dem Liberalismus in Österreich freie Bahn geschaffen wurde. In kurzen Worten streifte der Prediger den Marxismus. Jedoch nicht nur auf solche psychische Ursachen sei die heutige Arbeitslosigkeit zurückzuführen, sondern auch auf den enormen Fortschritt der Technik und die Mechanisierung, durch welche die Organisation der Zünfte zerschlagen wurde. Auch das heutige kommunistische Russland sei sehr viel schuld an der Arbeitslosigkeit. Durch die Dumpings sei unendlich viel Not entstanden, und tausende und abertausende Arbeiter seien dadurch brotlos geworden. Die Rettung aus diesem Elend könne nur die Rückkehr der Menschheit zum wahren Glauben an Gott bringen. Die Forderungen der Katholischen Kirche seien, dass jedem Arbeiter so viel Lohn gegeben werden müsse, dass er menschenwürdig leben, am Geistesleben teilnehmen und eine Familie erhalten könne. Den Ausweg aus der Wirtschaftskrise zeige die Katholische Kirche und sie fordere die Arbeitslosen auf, wieder zu Gott zurückzukehren.«104 Die Salzburger Sozialdemokratie hingegen verabschiedete auf ihrem Parteitag am 2. April 1933 eine Resolution, in der sie darauf hinwies, »dass die ungeheure Wirtschaftskrise eine Krise des kapitalistischen Systems, eine Weltkrise ist, die nur gänzlich behoben werden kann und nie mehr wiederkehren wird, wenn das heutige Wirtschaftssystem geändert und anstatt des auf 103 Salzburger Chronik 4.3.1933. S. 2. 104 OESTA, AdR, BKA-Inneres, Sign. 22 Salzburg, Bericht der Polizeidirektion Salzburg vom 28. April 1933. Zl. (keine Angabe) (152.064-33). Betreff  : Dommission. Vortrag für Arbeitslose.

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Profit und Mehrwert aufbauenden kapitalistischen Systems die Planwirtschaft eingeführt wird.« Eine Behebung der Krise sei in Österreich allein nicht möglich, doch könne in einer gemeinsamen Kraftanstrengung die hohe Arbeitslosigkeit durchaus reduziert und damit auch der Landwirtschaft, dem Handel und Gewerbe geholfen werden.105 In der Salzburger Wirtschaft und Fremdenverkehrswirtschaft sah man eine Teil-Lösung des Problemes, allerdings in einem dem Anspruch des Klassenkampfes entgegengesetzten Konzept. Die mit ausländischem Kapital erfolgende Errichtung einer Spielbank sollte ein zahlungskräftiges Publikum anlocken und damit die notleidende heimische Wirtschaft mit den so dringend benötigten Mitteln stimulieren. Nachdem die Salzburger Wirtschaft positiv auf dieses Projekt reagiert hatte, meldete sich allerdings der katholische Schriftsteller Joseph August Lux mit einer ablehnenden Stellungnahme zu Wort. »Nicht Spielhöllen und Korruption können uns helfen oder gar retten, helfen und retten können uns einzig und allein e h r l i c h e A r b e i t , F l e i ß u n d S p a r s a m k e i t . Wenn schon den Projektanten so viele ausländische Millionen zur Verfügung stehen, warum werden diese Kapitalisten nicht zu e i n w a n d f r e i e n , p r o d u k t i v e n S c h ö p f u n g e n verwendet, die die Wohlfahrt dieser Stadt begründen können  ? Die Festspiele haben ein Beispiel gegeben  ; leider ist dadurch der Verkehr nur auf die vier Augustwochen massiert, und es bedarf daher einer Belebung des Fremdenverkehrs auch in den übrigen Monaten …«106 Arbeitslosigkeit und Elend wurden nicht nur ein urban-industrielles Phänomen, sondern erreichten auch die agrarischen Gebiete und bildeten den Nährboden für die wachsende Attraktivität des Nationalsozialismus. Die NSDAP nutze die Agrarkrise durch eine aggressive und populistische Propaganda geschickt aus und konnte bei der Landtagswahl 1932 in allen agrarischen Gebieten deutliche Zuwächse erzielen, denen Verluste des Landbundes und Katholischen Bauernbundes korrespondierten. Im Bereich des Sekundären Sektors dominierten Gewerbe und Handel. Ein industrieller Modernisierungsschub erfolgte im Bereich der Papier- und Zellstoffindustrie, der Aluminium- und Eisenproduktion (Lend, Sulzau-Werfen) und der chemischen Industrie in Hallein (Solay-Werke).107 Für die Entwicklung von Handel und Gewerbe galt die Hürde der fehlenden Massenkaufkraft vor allem des Bürgertums. Eine Depravierung breiter Schichten des Bürgertums seit 1914, das allgemein niedrige Lohnniveau im öffentlichen Dienst und die deutliche Zurückhaltung der Öffentli-

105 Salzburger Wacht 3.4.1933. S. 2. 106 Joseph August Lux  : Gegen das Salzburger Spielbankprojekt. Ein Appell an die öffentliche Moral. – In  : Salzburger Chronik 1.3.1933. S. 4. 107 Christian Dirninger  : Konjunkturelle Dynamik und struktureller Wandel in der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes Salzburg im 20. Jahrhundert. – In  : Heinz Dopsch, Hans Spatzenegger (Hg.)  : Geschichte Salzburgs. Stadt und Land. Band II/4. – Salzburg 1991. S. 2743–2812. S. 2777.

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chen Hand bei der Vergabe von Aufträgen führten zu einer Enge des Binnenmarktes, der nach Schätzungen für das gesamte Bundesgebiet nur 55 Prozent der heimischen Produktion aufnehmen konnte. Diese Situation erfuhr durch die Weltwirtschaftskrise eine deutliche Verschärfung. Als besonders dramatisch sollte sich der massive Verfall des Weltmarktpreises für Kupfer für das Mitterberger Kupferbergwerk erweisen. Ende 1930 überstiegen die Erzeugungskosten die dramatisch gesunkenen Weltmarktpreise, sodass sich die Creditanstalt im August 1931 zur Stilllegung des Betriebes, der kurz zuvor noch 1000 Mitarbeiter beschäftigt hatte, entschloss. Die Vorschläge der Gewerkschaft, den Betrieb auf Grund seiner großen regionalen Bedeutung zu verstaatlichen, wurden ebenso abgelehnt wie die Vorschläge des Handelsministeriums, durch handelspolitische Maßnahmen einen halbwegs konkurrenzfähigen Mischpreis zu erreichen und damit den Betrieb zu retten. Der Betrieb wurde 1935 liquidiert. Auch die Eisenproduktion in Tenneck musste 1932/33 um 60 Prozent reduziert werden und die allgemeine Krise führte in der Baustoff- und Bauindustrie zu zahlreichen Betriebsstilllegungen. Die Zahl der Arbeitslosen stieg zwischen 1928 und 1932 von 7650 auf 16.244. Im Tertiären Sektor entwickelte sich Salzburg zum Fremdenverkehrsland, wobei neben der Landeshauptstadt mit den an Attraktivität gewinnenden Festspielen zunehmend auch die Gaue profitierten. Dabei waren für die Entwicklung des Salzburger Fremdenverkehres vier Entwicklungen charakteristisch  : 1. Ab Mitte der Zwanzigerjahre setzte eine deutliche Zunahme des Winter-Fremdenverkehres ein. Verzeichnete man im Winter 1924/25 167.000 Übernachtungen, so waren es im Winter 1936/37 bereits 307.000. Die alpine Lage des Landes und die zunehmende Attraktivität der Wintersportarten, vor allem des Skilaufes, prädestinierten es neben dem Sommer- zum Winter-Ferienland. 2. Die Jahre 1924 bis 1929 markieren die erste Phase der goldenen Jahre des Salzburger Fremdenverkehres. Die Fremdenmeldungen in der Stadt Salzburg stiegen nach der Überwindung der Nachkriegsinflation im Deutschen Reich von fast 200.000 auf rund 523.000, davon kamen 217.000 aus dem Deutschen Reich. Die deutschen Touristen stellten damit bei einer Gesamtzahl ausländischer Touristen von 320.000 rund 70 Prozent. 3. Die Bedeutung des Fremdenverkehres wurde auch von der Landespolitik erkannt und durch die Schaffung des Landesverkehrsamtes und des Fonds zur Förderung des Fremdenverkehres 1926 gefördert.108 108 Thomas Hellmuth, Ewald Hiebl  : Tourismusindustrie. Organisation und quantitative Entwicklung des Salzburger Fremdenverkehrs (1860–1938). – In  : Hanns Haas, Robert Hoffmann, Kurt Luger (Hg.)  : Weltbühne und Naturkulisse. Zwei Jahrhunderte Salzburg-Tourismus. – Salzburg 1994. S. 91– 97.

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4. Der wachsende Fremdenverkehr löste einen durch Bankkredite finanzierten Investitionsschub der heimischen Beherbergungsindustrie aus, der bei Ausbruch der Weltwirtschaftskrise und dem Ausbleiben vieler Touristen – die Nächtigungen in der Stadt Salzburg sanken 1933/34 auf 247.000 – zur Überschuldung zahlreicher Betriebe führte.109 Landeshauptmann Franz Rehrl war sich der strukturellen Defizite des Landes durchaus bewusst und entschlossen, durch eine öffentliche Investitionspolitik diese Defi­ zite sukzessive zu beseitigen. Das Generalziel einer Modernisierung des Landes sollte durch vier Schwerpunkte erreicht werden  : Die Erschließung der regionalen Ressourcen und Wachstumspotentiale vor allem im Energiebereich (Wasserkraft auch als Exportgut in Form elektrischen Stromes), Ausbau der Infrastruktur, Förderung des Fremdenverkehres und der Festspiele und Entprovinzialisierung Salzburgs durch Wiederbegründung als Universitätsstadt. Um diese Ziele zu erreichen, war der zielstrebige und durchaus machtbewusste Landeshauptmann bereit, die Landes-Hypotheken-Anstalt als Finanzierungsinstrument für Infrastrukturprojekte heranzuziehen, wobei er deren Möglichkeiten überstrapazierte und es zu heftigen Kontroversen im Aufsichtsrat kam.110 Die Weltwirtschaftskrise und deren in Salzburg schmerzhaft bemerkbare Folgen sowie der mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Deutschen Reich sich massiv erhöhende Druck aus Berlin inklusive der zunehmenden Attraktivität des nationalsozialistischen »Wirtschaftswunders« veranlassten Rehrl zu Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik wie dem 1930 begonnenen Bau der Großglockner Hochalpenstraße, deren Fertigstellung fünf Jahre später auch zu einem Triumph seiner politischen Hartnäckigkeit werden sollte.111 Besonderen Stressfaktoren war die Landespolitik durch die von Hitler am 27. Mai mit Wirksamkeit vom 1. Juni 1933 verkündeten sog. Tausendmark-Sperre

109 Ernst Hanisch  : Wirtschaftswachstum ohne Industrialisierung. Fremdenverkehr und sozialer Wandel in Salzburg 1918–1938. – In  : Haas, Hoffmann, Luger (Hg.)  : Weltbühne und Naturkulisse. S. 104– 112. S. 107. 110 Franz Horner  : Franz Rehrl und die Wirtschaftspolitik der Ersten Republik. – In  : Huber (Hg.)  : Franz Rehrl. S. 117–168. S. 123 f. 111 Zu Rehrl und der Großglockner Hochalpenstraße vgl. Georg Rigele  : Die Großglockner Hochalpenstraße. Zur Geschichte eines österreichischen Monuments. – Wien 1998. S. 95 ff.; Ders.: Die Großglockner Hochalpenstraße. Die Geschichte ihres Baus. – In  : Johannes Hörl, Dietmar Schöndorfer (Hg.)  : Die Großglockner Hochalpenstraße. Erbe und Auftrag. – Wien/Köln/Weimar 2015. S.  75–100. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 53.)  ; Franz Schausberger  : Mythos und Symbol. Die Großglockner Hochalpenstraße im autoritären Ständestaat. – In  : ebda. S. 101–130.

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ausgesetzt. Bei den am 23. April in Innsbruck durchgeführten Gemeinderatswahlen war die NSDAP mit rund 40 Prozent der Stimmen zur stärksten Partei geworden. Ermutigt durch die Machtergreifung im Deutschen Reich und den Wahlerfolg in Österreich agierten die österreichischen Nationalsozialisten immer offensiver und propagierten den Anschluss an Deutschland. Angesichts der permanenten Demonstrationen der Nationalsozialisten erließ die Bundesregierung mit Blick auf eine drohende Beeinträchtigung des Fremdenverkehres ein allgemeines Uniform- und Versammlungsverbot, von dem allerdings die vaterländischen Verbände ausgenommen waren, und verwies den Reichsjustizkommissar und bayerischen Justizminister Hans Frank, der als Gastredner bei nationalsozialistischen Veranstaltungen in Wien und Graz Hetzreden gegen die Bundesregierung gehalten hatte, am 15. Mai als unerwünschten Ausländer des Landes. Die Reaktion Berlins beinhaltete einen Wirtschaftskrieg gegen Österreich. Durch das erhoffte weitgehende Zusammenbrechen des Fremdenverkehres würden auf Grund der erheblichen wirtschaftlichen Folgen innenpolitische Unruhen entstehen und zum Sturz der Regierung Dollfuß führen, so das Kalkül. Vor allem in Salzburg waren die Auswirkungen dieser wirtschaftspolitischen Kampfansage auf Grund des hohen Anteiles deutscher Touristen und Festspielbesucher sowie der massiv einsetzenden Bombenanschläge und spektakulären Propagandaaktionen erheblich. Nach einem nationalsozialistischen Bombenanschlag auf eine Gruppe christlich-deutscher Turner in Krems am 19. Juni, der einen Toten und 29 Verletzte forderte, wurden die NSDAP und der mit ihr in einer Kampfgemeinschaft verbundene Steirische Heimatschutz verboten. Die sich in der Folge steigernden nationalsozialistischen Bombenanschläge, die von geflüchteten bzw. ausgewiesenen NSDAP-Funktionären über den Reichsdeutschen Rundfunk ausgestrahlten österreichfeindlichen Sendungen, die vor allem in Salzburg empfangen wurden, der Abwurf nationalsozialistischen Propagandamateriales durch deutsche Flugzeuge, die in den Salzburger Luftraum zu Beginn der Festspielzeit eindrangen, und die Tausendmark-Sperre bedeuteten für die Festspiele eine existentielle Gefährdung. Nur das Eingreifen der Bundesregierung, die die Festspiele in der an Härte zunehmenden Konfrontation mit dem Nationalsozialismus als nationales Leuchtturm- und Prestigeprojekt definierte, das unter allen Umständen stattfinden musste, sicherte deren Überleben. Hatte der Kartenerlös der Festspiele 1931 789.000 Schilling betragen, so sank er 1933 auf 565.000 und 1934 auf 482.000 Schilling. Die dramatischen Auswirkungen der Tausendmark-Sperre wurden an einem Vergleich der Anzahl der deutschen Gäste in den Saisonen 1931/32 und 1933/34 deutlich. Verzeichnete Salzburg 1931/32 688.000 deutsche Gäste, so sank diese Zahl 1933/34 auf 25.200. Betrug der Anteil der Touristen aus dem Deutschen Reich an der Gesamtzahl der Touristen in der Stadt Salzburg 1931/32 63 Prozent, so sank er 1933/34 auf 10 Prozent. Der Einnahmenentfall hatte in der Tourismuswirtschaft erhebliche Folgen. Die Skala reichte

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von der Überschuldung vieler Betriebe über Auswirkungen auf die Umwegrentabilität bis zu notwendig werdenden Entlassungen. Salzburg, vor allem die Festspiele, wurden zum bevorzugten ideologischen und politischen Kampfplatz. Durch eine verstärkt einsetzende Auslandswerbung erfolgte ab 1935 eine deutliche Trendwende durch eine Internationalisierung des Publikums, die den Entfall der deutschen Gäste mehr als ausglich und beim Kartenerlös der Festspiele das beste Ergebnis vor der Tausendmark-Sperre – 798.000 Schilling im Jahr 1932 – mit 1.159.000 Schilling (1936) deutlich übertraf.112

1.5 Die Weltwirtschaftskrise als Nährboden für das Erstarken des Nationalsozialismus 1931/32 Die Summe der Krisen – Agrar-, Banken-, Überschuldungs-, Investitions- und Einkommenskrise – mit ihren sozialen Folgeerscheinungen – Arbeitslosigkeit, Not und Elend –, denen man mit Armenausspeisungen, Wärmestuben, Notstandsarbeiten, Winterhilfen usw. zumindest in den ärgsten Auswirkungen zu begegnen suchte, bildeten einen komplexen Problemhaushalt, dessen Lösung regelmäßig die Debatten des Salzburger Landtages bestimmten. Alle politischen Parteien waren sich dessen bewusst, dass die anhaltende ökonomische Krise und deren soziale und psychische Folgen die Grundfesten des politischen Systems und der politischen Kultur zu erschüttern begannen. Zu deutlich wurden in den frühen Dreißigerjahren die Krisenzeichen des politischen Systems. In wachsendem Ausmaß machten sich Zweifel an der Lösungskompetenz des demokratischen parlamentarischen Systems breit, gewannen alternative politische Angebote von ganz links bis ganz rechts immer höhere Attraktivität. Die Krise verließ das Feld des Ökonomischen und wurde in Mittel- und Osteuropa, in deutlichem Gegensatz zu den USA, Großbritannien und Frankreich, zu einer umfassenden von Staat und Gesellschaft. Dabei spielte das nationalsozialistische Deutschland eine erheblich größere Rolle als das faschistische Italien. Hitler und der NSDAP strömten in der von der Weltwirtschaftskrise schwer heimgesuchten Weimarer Republik zwischen 1930 und 1933 Hunderttausende zu. Am Vorabend von Hitlers Machtergreifung hatte die Weimarer Republik 5,66 Millionen Arbeitslose, d. h. rund ein Drittel aller Arbeiter. Die NSDAP zählte zu diesem Zeitpunkt 850.000 Mitglieder, über vier Fünftel von ihnen waren nach Beginn der Weltwirtschaftskrise der Partei beigetreten. Doch nicht nur die NSDAP, sondern 112 Robert Kriechbaumer  : Zwischen Österreich und Großdeutschland. Eine politische Geschichte der Salzburger Festspiele 1933–1944. – Wien/Köln/Weimar 2013. S. 17 ff. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 46.)

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auch die Kommunisten profitierten von der steigenden Arbeitslosigkeit. Die KPD war »die Partei der Arbeitslosen par excellence.« Ihre Mitgliederzahl stieg durch den massenhaften Zustrom von arbeitslosen Jugendlichen zwischen 1929 und 1932 von 117.000 auf 360.000. Die Partei gründete »Arbeitslosenkomitees« und organisierte Hungermärsche, Demonstrationen und oftmals gewalttätige Kundgebungen, die das Ende des kapitalistischen Systems einläuten sollten.113 Die andere, erheblich stärkere Bewegung, weil Volkspartei, Jugendbewegung und quasi religiöses Erweckungsphänomen in einer Krisenzeit, war die NSDAP, die angesichts eines offensichtlich überforderten und deshalb versagenden Staates und dessen Parteiensystems eine visionäre Alternative anbot, indem sie »am skrupellosesten und lautesten der größtmöglichen Zahl von Bürgern die meisten ihrer Wünsche zu erfüllen versprach und mit dem Aufbruch in die Utopie des ›Dritten Reiches‹, nicht umsonst ein Begriff aus mittelalterlichen chiliastischen Visionen, die Befreiung aus dem Elend der Gegenwart verhieß …«114 Die Krise der Weimarer Republik war nicht nur das Ergebnis der ökonomischen Krise, sondern der Krise einer kollektiven Befindlichkeit, die den Bruch des Jahres 1918 nicht in eine demokratisch-parlamentarische Gegenwart und Zukunft zu transformieren vermochte. »Das Gefühl, dass die Existenz einer ehemals großen Nation, jetzt von der Krise geschüttelt, in Gefahr war, gedemütigt, ohnmächtig und hoffnungslos in sich gespalten – dieses Gefühl überdeckte alles andere, gewann enorme Stärke und wurde zum ungeheuren Druck, unter dem die Strukturen der parlamentarischen Demokratie nachgaben. Politischer Raum öffnete sich  : Eine immer größere Zahl von Deutschen sah nur eine Hoffnung, nur eine politische Kraft, die nationale Rettung versprach  : Hitlers NSDAP.«115 Die zwischen 1930 und 1933 einsetzende ökonomische und politische Krise schuf ein Vakuum, das die Nationalsozialisten zu füllen verstanden. »In der Bevölkerung hatte das bestehende politische System fast jeden Rückhalt verloren, eine Welle der Unzufriedenheit spülte die Wähler der Bewegung Hitlers in die Arme. Immer mehr wurde er zum Magneten für die wütenden und verängstigten Massen. Die hinter ihm agierende Propagandamaschinerie konnte ein Bild fabrizieren, das nicht nur die Wut in der Bevölkerung über die Zustände in Deutschland zum Ausdruck brachte, sondern auch deren Hoffnungen und Träume von einer besseren Zukunft. Die Menschen projizierten ihre eigenen Überzeugungen, Wünsche und Sehnsüchte auf Hitler, der sie in seine Vision einer vollständigen nationalen Wiedergeburt aufnahm.«116

113 Richard J. Evans  : Das Dritte Reich. Band 1 Aufstieg. – München 2004. S. 332 f. 114 Hagen Schulze  : Weimar. Deutschland 1917–1933. – Berlin 1998. S. 345. (Siedler Deutsche Geschichte 10.) 115 Ian Kershaw  : Höllensturz. Europa 1914 bis 1949. 2. Aufl. – München 2016. S. 293. 116 Kershaw  : Höllensturz. S.  296.

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Die Wellen dieser Bewegung, die mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Jänner 1933 ihren vorläufigen Höhepunkt erreichen sollten, hatten zu diesem Zeitpunkt bereits Österreich erreicht. Die Weltwirtschaftskrise hatte auch hier nach einer Phase der Desorientierung und ökonomisch-finanziellen Katastrophe und deren kurzfristiger Stabilisierung die gesellschaftlichen und politischen Strukturen zu ändern begonnen. Die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Krisenbewältigung waren schlecht. Die Permanenz der ökonomischen Krise erschwerte die Verankerung des demokratischen Bewusstseins und der mit der ökonomischen Krise verbundene Konflikt konträrer ideologischer Antworten – Antimarxismus versus Marxismus – implementierte den latenten ideologischen Bürgerkrieg. Der Desinte­ grationsprozess der Auflösung der Habsburgermonarchie führte zu keinem Integra­tionsprozess in die neue Republik und eine österreichische Nation. Ernst Bruckmüller hat darauf hingewiesen, dass die deutschen Österreicher keinen Wunsch nach dem Ende der Monarchie geäußert hatten. Die Ereignisse des Oktober/November 1918 waren vielmehr ein erzwungenes unfreiwilliges Nachziehverfahren. »Desintegration ohne ein gewisses Verlangen danach erzeugt offenkundig keine Identität, sondern höchstens ein Vakuum an Identität …«117 In dieses Vakuum strömte die Forderung nach dem Anschluss an Deutschland ein. Bereits die Geburt der Ersten Republik kennzeichnet somit eine Identitätskrise, die sich nicht in einem holzschnittartigen Muster von deutsch versus österreichisch äußerte, sondern in vielen Nuancen, die zudem von der Konjunktur der Kaloriensätze beeinflusst wurden. Gehörte die Forderung nach dem Anschluss, wenn auch in unterschiedlicher Intensität und unterschiedlicher Begründung, zu Beginn der Ersten Republik zum Repertoire aller politischen Lager, so verlor diese mit der wirtschaftlichen und finanziellen Stabilisierung und der auf Rückkehr in die internationale Staatengemeinschaft ausgerichteten Außenpolitik Berlins ab dem Jahr 1924 an Aktualität. Erst die Weltwirtschaftskrise bewirkte eine Renaissance des Anschlussgedankens in Form einer verstärkten ökonomischen Kooperation (Zollunion 1931). Dabei waren sich aber die Exponenten der Anschluss-Ideologie – die Großdeutsche Volkspartei und der Landbund – trotz aller deklamatorischen Übungen der deutlich beengten Handlungsspielräume der österreichischen Politik bewusst und auch bereit, diese zu akzeptieren.118 Die dramatischen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, die durch die staatli­ chen Sozialversicherungssysteme nicht mehr ausgeglichen werden konnten, die 117 Ernst Bruckmüller  : Nation Österreich. Sozialhistorische Aspekte ihrer Entwicklung. – Wien/Köln/ Graz 1984. S. 201. (Studien zu Politik und Verwaltung. Herausgegeben von Christian Brünner, Wolfgang Mantl, Manfried Welan. Band 4.) 118 Anton Pelinka  : Die gescheiterte Republik. Kultur und Politik in Österreich 1918–1938. – Wien/ Köln/Weimar 2017. S. 95.

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ständig steigende und andauernde Arbeitslosigkeit mit ihren delegitimierenden Folgen für das politische System, die Gleichzeitigkeit von Hoffnungslosigkeit und Sehnsucht nach Erlösung/Rettung, veränderten zu Beginn der Dreißigerjahre die traditionelle politische Wettbewerbslogik durch das Erstarken eines politischen Konkurrenten. Gestärkt und beflügelt durch die Erfolge der NSDAP in der Weimarer Republik wurde die österreichische NSDAP (Hitlerbewegung) für viele zur Projektionsfläche ihrer Hoffnungen und Hitler zum Rettung versprechenden politischen Messias. Ihr von messianischem Eifer gekennzeichnetes Heilsversprechen und mit der Heilsgewissheit verbundenes aggressives Auftreten, ihre modern-unorthodoxen Propagandamethoden, ihre hohe Attraktivität bei der Jugend und die daraus resultierende Dynamik löste bei den etablierten Parteien Verwunderung und Unsicherheit aus. Dies wurde erstmals bei den Gemeinderatswahlen am 29. März 1931 in Salzburg deutlich sichtbar. Die Gemeinderatswahlen in Salzburg am 29. März 1931 verdienen auf Grund der politischen Rahmenbedingungen besonderes Interesse. 1930 wurden die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise sowohl in Deutschland wie in Österreich erstmals dramatisch sichtbar. Die auf Grund der steigenden Zahl der Arbeitslosen zur Koalitionsfrage stilisierte Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um 0,5 Prozent führte am 27. März 1930 zum Ende der Großen Koalition und zum Sturz des sozialdemokratischen Reichskanzlers Hermann Müller. Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise hatten in der Weimarer Republik zu einer Krise des Parlamentarismus geführt und in breiten Kreisen der bürgerlichen Parteien die Neigung zu semi-autoritär-bürokratischen Regierungsformen – zumindest auf Zeit – verstärkt. Bereits am 30. März erfolgte die bereits längere Zeit hinter den Kulissen erwogene Bildung eines Minderheitenkabinetts unter dem Zentrumspolitiker Heinrich Brüning, die sich vor allem auf die verfassungsmäßigen Möglichkeiten des Reichspräsidenten (Notverordnungs- und Auflösungsrecht des Reichstages) stützte, um ihr notwendig erscheinende wirtschafts- und finanzpolitische Maßnahmen zu treffen. Als der Reichstag einem sozialdemokratischen Antrag zur Aufhebung der Notverordnung des Reichspräsidenten nach Art. 48 der Reichsverfassung am 18. Juli mehrheitlich zustimmte, wurde er aufgelöst und für den 14. September wurden Neuwahlen ausgeschrieben. Der Sturz der Regierung Müller bedeutete das Scheitern des deutschen Parlamentarismus und markiert damit eine Zeiten- und Systemwende hin zum Aufstieg des Nationalsozialismus. Dies »stellte freilich kein isoliertes Phänomen dar. Überall in den Nachfolgestaaten jener Reiche, die nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg zerbrochen waren, wiederholte sich – mit Ausnahme der Tschechoslowakischen Republik … – der Niedergang dieser Regierungsform.« Diese allgemeine Krise des Parlamentarismus in Mittel- und Osteuropa verursachte auf Grund der spezifischen Bedingungen der jeweiligen politischen Kultur eine »Krisenüberlastung« und verhinderte

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den Aufbau einer »angemessenen demokratischen Problembewältigungskapazität.«119 In der Weimarer Republik signalisierte das Wahlergebnis des 14. September 1930 die Wucht des Kommenden. Die NSDAP erhielt 18,3 Prozent der Stimmen und erhöhte ihren Mandatsstand von 12 auf 107, womit sie zur zweitstärksten Fraktion im Reichstag wurde. Ein in der Geschichte des Parlamentarismus einmaliger Aufschwung, der vor allem auf Kosten der bürgerlichen Parteien (mit Ausnahme des Zentrums) ging, die zusammen von 42 auf 29 Prozent fielen. Auf der Linken steigerte sich die KPD von 10,6 auf 13,1 Prozent, während die SPD von 26 auf 24 Prozent zurückfiel. Die Krise des Parlamentarismus wurde dadurch deutlich, dass die ausgesprochen antiparlamentarischen Parteien NSDAP, DNVP, KPD zusammen über 255 der insgesamt 577 Reichstagsmandate verfügten. Der 14. September 1930 hatte »eine tiefe Wandlung gebracht. Der grundlegende politische Kampf war bisher um die Frage ›Republik oder Monarchie‹ gegangen. Von jetzt an ging es um Verfassungsstaat oder Nationalsozialismus.«120 Am 9. November 1930 fanden im zunehmend von den Folgen der Weltwirtschafts­ krise getroffenen Österreich Nationalratswahlen statt. Von 1929 auf 1930 ging der österreichische Außenhandel von 5,45 Milliarden auf 4,55 Milliarden Schilling zurück und im Mai 1930 wurden bereits rund 285.000 Arbeitslose verzeichnet. Im Vorfeld der Nationalratswahl hatten sich die politischen Rahmenbedingungen geändert  : ein Teil der Heimwehren unter Ernst Rüdiger von Starhemberg hatte eine eigene Kandidatur als »Heimatblock« bekanntgegeben (ein anderer Teil unter Major Emil Fey votierte für die Christlichsoziale Partei) und die Großdeutsche Volkspartei und der Landbund hatten sich aus Gründen des politischen Überlebens unter dem populären zweimaligen Bundeskanzler Johannes Schober zum »Schober-Block« zusammengeschlossen. Das Ergebnis bedeutete für die Christlichsozialen eine herbe Enttäuschung. Hatten sie bei der Nationalratswahl am 24. April 1927 in einer Listenkoppelung mit der Großdeutschen Volkspartei 49 Prozent der Stimmen und 85 von 165 Mandaten errungen, so fielen sie diesmal mit 35,65 Prozent auf die Ergebnisse der Jahre 1919/20 zurück und wurden mit lediglich 66 Mandaten nur mehr zweitstärkste Fraktion im Nationalrat. Berücksichtigt man die 12 Mandate, die die Großdeutsche Volkspartei auf Grund ihrer Kandidatur auf der Einheitsliste 1927 erhielt, so betrug der Mandatsverlust der Christlichsozialen immer noch 7 Mandate. Klarer Sieger waren die Sozialdemokraten, die zwar 0,85 Prozentpunkte verloren, jedoch mit 41,15 Prozent und 72 Mandaten erstmals nach 1919 wiederum stärkste Fraktion wurden. Der sog. »Schober-Block« (Nationaler Wirtschaftsblock und Landbund) erfüllte sei119 Hans-Ulrich Wehler  : Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Vierter Band 1914–1949. – München 2003. S. 515. 120 Schulze  : Weimar. S.  328.

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nen Zweck und brachte der Listenkoppelung mit 11,52 Prozent 19 Mandate. Der Heimatblock blieb mit 6,16 Prozent und 8 Mandaten hinter seinen Erwartungen zurück, sollte jedoch auf Grund der fragilen Mehrheitsverhältnisse im neuen Nationalrat eine wichtige Rolle spielen. Das Abschneiden der NSDAP mit 2,7 Prozent (rund 110.000 Stimmen) kontrastierte zum Wahlerfolg der deutschen Mutterpartei. »Der Durchbruch der NSDAP blieb bei dieser Nationalratswahl aus. Die Partei erzielte überwiegend magere Wahlanteile, die allesamt hinter den entsprechenden Anteilen des Heimatblockes zurückblieben. In keinem der 25 Wahlkreise reichte die Stimmenanzahl aus, um wenigstens ein Grundmandat zu erzielen.« Die Gründe für das enttäuschende Abschneiden der NSDAP sind im »ausbleibenden Aufschwung der extremen Linken« zu sehen, die die SDAP auch in der Wirtschaftskrise vor allem durch Verbalradikalismus im Status der politischen Sekte zu halten vermochte, und in der »Existenz der Heimwehren als teilfaschistischer Konkurrenz.«121 Wenngleich ein Vergleich der Ergebnisse der Nationalratswahlen 1927 und 1930 in Salzburg auf Grund der unterschiedlichen Listenkoppelungen nicht exakt berechenbar ist, so ergaben sich deutliche Verluste der Christlichsozialen vor allem durch die Kandidatur des Heimatblocks. Die Sozialdemokraten verzeichneten den Verlust von rund 2 Prozentpunkten, während die NSDAP mit 4597 Stimmen, d. h. 3,73 Prozent, nach Kärnten (5 Prozent) und der Steiermark (3,8 Prozent) das drittbeste Bundesländerergebnis erzielte. In die im Bund gebildete Koalitionsregierung aus Christlichsozialen und Schober-­ Block unter Bundeskanzler Otto Ender trat Johannes Schober als Vizekanzler und Außenminister ein. In seiner Funktion als Außenminister nahm Schober die im April 1930 anlässlich eines Handelsvertrages geführten Gespräche mit Berlin wiederum auf mit dem Ziel, angesichts der Weltwirtschaftskrise die Grundlagen für eine Zollunion beider Staaten zu erarbeiten.122 Argumentativ sollte ein solches Abkommen gegenüber eventuell zu erwartenden Einwänden vor allem der Staaten der Kleinen Entente mit dem Hinweis auf den Vorschlag des französischen Außenministers Aristide Briand abgesichert werden, der im Mai 1930 die Schaffung eines europäischen Staatenbundes angeregt hatte. Eine deutsch-österreichische Zollunion sollte als Beginn einer neuen europäischen Wirtschaftsordnung auf der Basis einer bilateralen Abmachung, der andere Länder beitreten können, erklärt werden. In Berlin verfolgte man mit dem Plan einer Zollunion allerdings auch weiterreichende imperiale Pläne. Über Österreich sollte es in Zukunft möglich sein, die Entwicklung in Südosteuropa im Sinne Deutschlands zu beeinflussen. Reichsaußenminister Julius Curtius 121 Dirk Hänisch  : Die österreichischen NSDAP-Wähler. S. 85 ff. 122 Zu Schober und den Zollunion-Plänen vgl. Rainer Hubert  : Schober. »Arbeitermörder« und »Hort der Republik«. Biografie eines Gestrigen. – Wien/Köln 1990. S. 386 ff. (Böhlaus zeitgeschichtliche Bibliothek. Herausgegeben von Helmut Konrad. Band 15.)

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und Johannes Schober führten die Geheim-Verhandlungen, die bei einem Besuch von Curtius in Wien vom 3. bis 5. März 1931 abgeschlossen und deren Ergebnis unter Hinweis auf die europäische Dimension des Projektes anschließend in geeigneter Form bekanntgegeben werden sollte. Der Warenverkehr im Inneren sollte frei und die Zoll- und Handelspolitik nach außen harmonisiert werden. Beide Staaten blieben jedoch in ihrer Zollverwaltung autonom und behielten das Recht, mit Drittstaaten Handelsverträge abzuschließen. Die vorgesehene Geheimhaltung und spätere Bekanntgabe der Vereinbarung bei der Pan-Europa-Konferenz am 24. März wurde jedoch durch Bekanntwerden mancher Details und deren Publikation durchkreuzt, sodass sich beide Staaten am 21. März veranlasst sahen, durch eine gemeinsame Demarche in London, Paris und Rom von der geplanten Zollunion zu informieren und dabei darauf zu verweisen, dass die volle Souveränität und Unabhängigkeit beider vertragschließender Parteien gewahrt bleibe. Diese Nachricht löste jedoch vor allem in Paris und Prag ein mittleres politisches Erdbeben aus. Am 21. März erschien der französische Geschäftsträger, Armand-Jean-­ Julien Barois, bei Außenminister Schober und teilte ihm mit, »dass eine solche Zollunion gegen die Bestimmungen des Genfer Protokolls vom 4.10.1922 verstoße, weil durch einen solchen Vertrag die Unabhängigkeit Österreichs gefährdet ­werde.«123 Am selben Tag drückte der tschechoslowakische Gesandte, Hugo Vavrečka, das »Befremden« seiner Regierung, vor allem von Ministerpräsident Dr. Edvard Beneš, aus und betonte, dass »hinsichtlich der Form … die tschechoslowakische Regierung förmlich vor ein fait accompli gestellt worden« sei. »Hierauf ging der tschechoslowakische Gesandte zum Essentiellen über und brachte zur Kenntnis, dass Dr. Beneš in einer Zollunion einen Verstoß gegen das Genfer Protokoll vom 4. Oktober 1922 erblicke.«124 Auf Grund der heftigen internationalen Reaktionen sah sich die österreichische Bundesregierung am 22. März veranlasst, in einem Kommuniqué beruhigend Stellung zu nehmen. »Bei den Besprechungen, die gelegentlich des Besuches des deutschen Reichsaußenministers Dr. Curtius in Wien stattgefunden haben, waren die österreichische und die deutsche Regierung darin einig, dass die europäische Zusammenarbeit vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet verwirklicht werden müsste, wie dies schon in den Antworten auf das Memorandum des Ministers Briand zum Ausdruck gebracht worden war. Österreich wie Deutschland bemühen sich in den Verhandlungen, die gegenwärtig einerseits mit den östlichen Agrarstaaten, andererseits mit Großbritannien stattfinden, im Sinne der Empfehlung der Genfer handelspolitischen Konferenzen zu Ergebnissen zu gelangen, durch die der Handelsverkehr 123 Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 7. Das österreichisch-deutsche Zollunionsprojekt. Hg. v. Klaus Koch, Walter Rauscher und Arnold Suppan. – Wien/ München 2006. Nr. 1078. 124 ADÖ 7/1079.

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zwischen den Vertragsstaaten erleichtert werden soll. … Während der Septembertagung in Genf hat Vizekanzler Dr. Schober angeregt, dass die bessere Organisierung der gesamten europäischen Wirtschaft mit regionalen Verständigungen beginnen müsste. Auf Grund der jüngst gepflogenen Besprechungen haben nun die österreichische und deutsche Regierung vereinbart, in dieser Richtung einen praktischen Anfang zu machen, wie ihn Vizekanzler Dr. Schober in Genf als notwendig bezeichnet hat. Wir haben daher beschlossen, Verhandlungen zur Angleichung der zoll- und handelspolitischen Verhältnisse unserer Länder zu beginnen und erklären uns bereit, auch mit jedem anderen europäischen Staat, der dazu gewillt ist, in Verhandlungen über eine gleichartige Regelung einzutreten. Hierbei wird vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt aus darauf Wert gelegt, dass die betreffenden Länder im Ganzen und in den wichtigsten landwirtschaftlichen Produkten ein Einfuhrgebiet bleiben. Die Grundlage der Verhandlungen ist die Wahrung der vollen Souveränität und Unabhängigkeit der beteiligten Staaten.«125 Die Diskussion über das Projekt einer Zollunion weckte die nationalen Leidenschaften und ließ die Emotionen hochgehen, handelte es sich doch dabei, so die Ansicht vieler, um die neuerliche Einschränkung der nationalen Souveränität durch die Siegermächte. Am 17. März las Ignaz Seipel, der sich im Zug von Südtirol nach Salzburg befand, in der »Neuen Freien Presse« die Nachricht von der beabsichtigten Zollunion, die sein Missfallen erregte. Am 18. März verließ er nach der Frühmesse in St. Peter Salzburg Richtung Wien, um gegen das Projekt zu opponieren. Und Seipel hatte durchaus gute Gründe für seine ablehnende Haltung. Curtius hatte die außenpolitische Linie Gustav Stresemanns verlassen und sich von einer deutsch-französischen Achse zu einer deutschen Achse nach Ost- und Südosteuropa gewendet, wobei Österreich lediglich das Mittel zum Zweck war. Österreich war aber seiner Meinung nach politisch viel zu schwach und finanziell zu verwundbar, um sich ungestraft in ein solches Abenteuer einlassen zu können. Doch seine ablehnende Haltung wurde innerparteilich nur von der Wiener Richtung geteilt und in der Gesamtpartei herrschte die Meinung vor, der er sich letztlich auch anschloss, dass angesichts der nunmehr ausgebrochenen Diskussion Einigkeit gefordert sei.126 Der Zusammenbruch der Credit­ anstalt-Bankverein im Mai 1931 sollte den Hinweis Seipels auf die wirtschaftliche Verwundbarkeit Österreichs dramatisch bestätigen und gab Frankreich den unmittelbaren Anlass, für seine Hilfestellung den Verzicht Österreichs auf die Zollunion zu fordern. Für Österreich eröffnete der Vorschlag des britischen Außenministers Arthur Henderson, die Frage der Zollunion vor dem Völkerbundrat zu verhandeln, 125 ADÖ 7/1082. 126 Klemens von Klemperer  : Ignaz Seipel. Staatsmann einer Krisenzeit. – Graz/Wien/Köln 1976. S. 314 ff.

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einen gesichtswahrenden Ausweg, um nicht offiziell einer politischen Erpressung nachgeben zu müssen. Der Völkerbundrat verwies jedoch am 18. Mai die Streitfrage an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag, der am 5. September mit einer Stimme Mehrheit die Unvereinbarkeit der Zollunion mit dem Genfer Protokoll erklärte. Bei den Salzburger Gemeinderatswahlen am 29. März 1931 schlug das Projekt der Zollunion und die ablehnende Haltung der Staaten der Kleinen Entente noch erhebliche politische Wellen, sah man doch – parteiübergreifend – in einer Zollunion ein erfolgversprechendes Mittel im Kampf gegen die das Land schwer in Mitleidenschaft ziehende Wirtschaftskrise. Ende Februar 1931 verzeichnete Salzburg 9915 unterstützte Arbeitslose, die Arbeitslosenrate betrug 15,4 Prozent. Hinzu kamen die sog. Ausgesteuerten und die große Zahl der Notstandsempfänger. Das von der winterlichen Kälte heimgesuchte Salzburg bot ein Bild der Notleidenden, die sich in den Wärmestuben drängten und auf öffentliche Ausspeisungen hofften. Und die Agrarkrise machte die Kultur der Not flächendeckend. Die NSDAP hatte bei der Nationalratswahl am 9. November mit 3,73 Prozent noch nicht den Durchbruch erzielt. Zu knapp war der zeitliche Abstand zur für die deutsche Partei so triumphalen Reichstagswahl vom 14. September gewesen. Doch bei den Gemeinderatswahlen am 25. März 1931 waren sechs Monate vergangen. Die Vorbildwirkung Deutschlands und die inzwischen erfolgende verstärkte Unterstützung durch die Münchner Parteizentrale sowie die allgegenwärtige materielle Not entkleideten die Gemeinderatswahlen ihres rein lokalen Charakters. Sie wurden zum Seismografen einer sich ändernden politischen Kultur und damit auch sich ändernder politischer Verhältnisse. Die war auch den in Salzburg regierenden Christlichsozialen durchaus bewusst, die am 7. und 8. März 1931 ihren Landesparteitag abhielten, der sowohl von bundespolitischen Rahmenbedingungen – der Diskussion über die Zollunion mit Deutschland, dem Ergebnis der Nationalratswahl am 9. November und der eigenen Kandidatur der Heimwehren als »Heimatblock« – wie auch den bevorstehenden Gemeinderatswahlen und der aggressiven Konkurrenz der Nationalsozialisten bestimmt war. Landesparteiobmann Rudolf Ramek, so wie Landeshauptmann Franz Rehrl kein Freund der Heimwehr, bezeichnete im bundespolitischen Teil seiner Rede die selbständige Kandidatur der Heimwehren als »Heimatblock« bei der Natio­nalratswahl am 9. November 1930 als »politischen Missbrauch der idealen Bewegung«. Die Heimwehrbewegung habe sich stets als überparteilich bezeichnet und diesen Anspruch durch die eigene Kandidatur bei der Nationalratswahl verraten. Die Wiederholung dieses Szenarios bei den Salzburger Gemeinderatswahlen musste zu Verlusten der Christlichsozialen führen, eine Entwicklung, die angesichts der innenpolitischen Situation nicht wünschenswert war. »Die Landesparteileitung wird sich mit dieser Frage eingehend befassen und unbedingt dahin wirken, dass die

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Heimatwehr ihrem ursprünglichen Ziel diene, für welches sie die Partei stets unterstützt hat.«127 Ramek sah in dem Projekt einer Zollunion eine erfolgversprechende Möglichkeit der Überwindung der Wirtschaftskrise in Mittel- und Osteuropa. Für Österreich komme »in erster Linie ein Zusammenschluss mit Deutschland zu einer gemeinsamen wirtschaftlichen Auseinandersetzung mit den Staaten des Ostblocks in Betracht. Die Oststaaten müssten die Industrialisierung weniger forcieren, um aus Deutschland und Österreich Industrieprodukte kaufen zu können, während ihre Agrarprodukte insbesondere von Deutschland gekauft werden sollen. Für Österreich kommt ja eine weitere Aufnahme von agrarischen Produkten nicht mehr in Betracht. Die Verhandlungen des deutschen Reichsaußenministers in Wien haben diesbezüglich große Fortschritte gezeitigt und haben erwiesen, dass Österreich in diesem größeren Rahmen in der Lage sein wird, bessere Wirtschaftsvoraussetzungen zu erkämpfen.«128 Landeshauptmann Rehrl ging in seiner Rede auf die Entwicklung der Heimwehren ein, die er negativ im Sinne einer zunehmenden Abkehr vom Bekenntnis zur verfassungsmäßigen Ordnung charakterisierte. Nachdem Ignaz Seipel die Parteiobmannschaft zurückgelegt habe, sei eine politisch sehr unruhige Zeit mit negativen Folgen für die Christlichsoziale Partei gefolgt. »Die Heimwehrbewegung, die die große Aufgabe hatte, durch Unterstützung der Behörden die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Staate auf verfassungsmäßigem Weg zu fördern, ist leider nicht nur von diesem ihrem Weg abgewichen, auch die Kämpfe innerhalb der Bewegung haben Formen angenommen, die alle Erwartungen, die die Bevölkerung in sie gesetzt hatte, gründlich zerstörten.« Die Christlichsoziale Partei stehe daher vor der Aufgabe, angesichts der neuen politischen Herausforderungen ihre programmatischen Positionen, in denen sie sich von den politischen Mitbewerbern unterscheide, klar herauszuarbeiten. Nicht nur die Heimwehrbewegung sei ein neuer politischer Mitbewerber, sondern vor allem auch die NSDAP, deren Dynamik man nicht unterschätzen dürfe und die in vielerlei Beziehung mit dem Heimatblock verwandt sei. »Man täusche sich nicht über diese Bewegung hinweg. Es sei zu beachten, dass sehr viele idealistische junge Menschen dieser Bewegung nachlaufen, die es bisher eben sehr gut verstanden hat, die letzten Triebkräfte und Ziele zu verstecken.«129 Die Sozialdemokratie bot Bundesprominenz wie Robert Danneberg, Otto Glöckl und Otto Bauer auf, galt es doch, angesichts der Wirtschaftskrise die Konkurrenz vor allem der Nationalsozialisten und – wenn auch in geringerem Ausmaß – der Kommunisten in Gemeinden mit einer knappen absoluten sozialdemokratischen Mehrheit wie Bad Gastein (50,8 Prozent), Saalfelden-Markt (50,9 Prozent) und Maxglan (54,8 Prozent) zu verteidigen. Die Salzburger Parteiführung wandte sich vehement gegen 127 Salzburger Chronik 9.3.1931. S. 1. 128 Ebd. 129 Ebd.

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die Propaganda der NSDAP und den Verbalradikalismus der KPÖ. So hieß es im Wahlaufruf am Vorabend der Gemeinderatswahlen  : »Wen wollt ihr wählen  ? Etwa die Hitlerpartei, die mit klingenden Floskeln, von keiner Welterfahrung getrübt, um eure Stimmen bettelt  ? Etwa die Kommunisten, die euch das Blaue vom Himmel herab versprechen, die mit armseligen Lügen arbeiten, aber nirgends etwas geleistet haben  ?« Die Gemeinderatswahlen seien die Gelegenheit, mit der unsozialen Politik der Bundesregierung abzurechnen. Die Wählerinnen und Wähler könnten nicht die Christlichsozialen wählen, so der Wahlaufruf, die sie »auf die ewige Seligkeit im Jenseits vertrösten, aber im Diesseits den Alten, den Kranken, den Arbeitslosen ihre Rechte rauben.«130 Otto Bauer erklärte auf der Abschlussveranstaltung der SDAP im Festspielhaus am 27. März, jede Wahl, auch Gemeinderatswahlen, habe eine »allgemeine politische Bedeutung, denn sie zeigt die Verschiebung der Kräfte, macht die Regierung aufhorchen, wie das Volk sich stellt, und übt dadurch Einfluss auf die Geschehnisse im Land und Reich aus. Das ist in der ereignisreichen Zeit, in der wir heute leben, von größter Wichtigkeit. Die Regierung trat in den letzten Tagen mit dem Plane der Schaffung eines gemeinsamen Zollgebietes Deutschland-Österreich hervor. Wir Sozialdemokraten haben schon 1918 den A n s c h l u s s an Deutschland gefordert, der uns dann durch Verschulden der Schwarzgelben, die den Anschluss an Habsburg-Ungarn wollten, durch Verschulden der Kapitalisten, denen ihre Fabriken und Banken in der Tschechoslowakei wichtiger waren, von den übermütigen Siegern dann verboten wurde. Zwölf Jahre des Elends, der Not, der Arbeitslosigkeit waren die Folge. Deshalb werden wir Sozialdemokraten, unbeschadet aller Gegnerschaft zur Regierung, zu diesem Versuch stehen, der Deutschland und Österreich zusammenschließen soll.131 Die Gemeinderatswahlen seien auch eine Abstimmung über das Projekt einer Zollunion, von dem sich die Christlichsozialen bereits wiederum zu distanzieren begännen. Die »Salzburger Wacht« richtete einen Appell an die Salzburger Wähler, in diesem »geschichtlichen Augenblick« auch »über die österreichisch-deutsche Zollgemeinschaft« abzustimmen. »Die Gegner des deutschen Volkes hoffen auf die bürgerlichen Parteien  ! Aber diesmal geht es noch um mehr als sonst, um mehr als um das Schicksal der einzelnen Gemeinde. Die Weltwirtschaftskrise hat unseren kleinen lebensunfähigen Staat, der aus dem Habsburgerkrieg als armseliger Rest des großen Wirtschaftsgebietes übriggeblieben ist, mit größerer Heftigkeit erfasst als die anderen Staaten und eine einzige Hoffnung auf Rettung ist für uns die Eingliederung in das große deutsche Wirtsch aftsgebiet. Darüber beraten gerade im Augenblick die Mächtigen der Weltpolitik. Groß sind die Widerstände gegen diese Lösung der 130 Salzburger Wacht 28.3.1931. S. 1. 131 Ebd. S. 2.

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österreichischen Frage. Die nationalistischen Parteien in Frankreich, Italien und der Tschechoslowakei haben ihren Einspruch erhoben und der tschechoslowakische Außenminister hat sogar ausgesprochen, worauf seine Hoffnung beruht, den Plan der österreichisch-deutschen Zollgemeinschaft zunichte zu machen  ; darauf, dass ›das Projekt erheblichen innenpolitischen Schwierigkeiten begegne.‹ Die Gegner der Einheit des deutschen Volkes rechnen alle damit, dass es Parteien geben werde, die den einzigen Weg, auf dem sich Österreich aus der unerträglichen Krise retten kann, vereiteln. (…) … die Christlichsozialen in Österreich drücken sich mit gewohnter Hinterhältigkeit um eine Stellungnahme herum und ihr Hauptorgan, die ›Reichspost‹, die von dem Plan ein Hindernis für ihre monarchistischen Pläne, ein Hindernis für die Wiederaufrichtung der Habsburgermonarchie befürchtet, beeilt sich, alle Einwände dagegen zusammenzutragen. Es geht aber nichts über eine deutsche Gesinnung der Schwarzgelben. Seipel als K ronzeuge gegen die Zollgemeinsch aft. Der Friedensvertrag verbietet die Zollgemeinschaft mit Deutschland nicht. Deshalb haben sich auch die drei Staaten – Frankreich, Italien und die Tschechoslowakei –, die gegen diesen Plan protestieren, nicht auf den Friedensvertrag von St. Germain berufen, sondern sie berufen sich auf das Genfer Protokoll vom 4. Oktober 1922, auf jenen Vertrag, durch den Seipel Österreich unter das Joch der internationalen Großbanken gebracht hat und in dem Seipel unserem Lande die Verpflichtung aufzwang, sich jeder wirtschaftlichen oder finanziellen Bindung zu enthalten, welche geeignet wäre, Österreichs Unabhängigkeit direkt oder indirekt zu beeinträchtigen. Heute herrschen die Nationalisten in den Siegerstaaten und sie berufen sich darauf, dass Seipel diese Verpflichtung für Österreich eingegangen ist und sie glauben, dass Seipels Partei ja nicht im Ernst eine Zollgemeinschaft mit Deutschland wünscht, nachdem ihr Führer Ö s t e r r e i c h  – statt die für die Sanierung notwendigen Summen durch eine Zwangsanleihe bei den Kapitalisten aufzubringen – dem A u s l a n d ausgeliefert hat.«132 Im Gegensatz zu Landeshauptmann Franz Rehrl, der die Gefährlichkeit der ­NSDAP sehr wohl erkannte, vertrat Hans Prodinger bei einer Wahlveranstaltung der Großdeutschen die Auffassung, die Nationalsozialisten würden überschätzt. »Es wird bald ein deutlicher Rückschlag kommen und man wird ja auch sehen, was die Hitler-Leute im Reiche ausrichten, wo sie Gelegenheit hätten, durch die Tat zu halten, was sie versprochen.«133 132 Ebd. S. 3. 133 Zit. bei Franz Schausberger  : Alle an den Galgen  ! Der politische »Takeoff« der »Hitlerbewegung« bei den Salzburger Gemeindewahlen 1931. – Wien/Köln/Weimar 2005. S. 51. (Schriftenreihe des

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Die Großdeutsche Volkspartei war auf Grund ihrer organisatorischen und zahlenmäßigen Schwäche – sie verfügte nur in der Stadt Salzburg und im Pongau über eine funktionierende Parteiorganisation – traditionell gezwungen, bei verschiedenen Wahlgängen in Form von Wahlgemeinschaften (z. B. mit dem Landbund, der Wirtschaftspartei oder dem Heimatblock) zu kandidieren. Sie geriet 1931 zunehmend in den Sog der NSDAP (Hitlerbewegung), die sich in diesem Jahr unter dem zum Gauleiter ernannten Karl Scharizer neu organisierte und von der erfolgreichen deutschen Partei massiv organisatorische und propagandistische Unterstützung erhielt. Die Partei folgte der Maxime Hitlers, nicht in Form von Wahlbündnissen, sondern nur alleine zu kandidieren. Sie kandidierte daher nicht flächendeckend, sondern nur in 28 Gemeinden. Ihr Wahlkampf wurde nach deutschem Vorbild geführt  : aggressiv, jugendlich und gewaltbereit, populistisch und antisemitisch. Einen Sonderfall bildeten die inhomogenen sog. Wirtschaftsparteien und Ständelisten, in denen sich unter lokalen Besonderheiten Christlichsoziale, Großdeutsche und andere freisinnige Gruppierungen, Landbündler und Heimatblockmitglieder zu antimarxistischen Wahlgemeinschaften zusammenschlossen, wobei in vier Gemeinden auch Nationalsozialisten der Hitlerbewegung inkludiert waren. Das Wahlergebnis signalisierte eine Veränderung der politischen Kultur und der traditionellen politischen Wettbewerbslogik. Die Christlichsoziale Partei, die in vielen Gemeinden im Rahmen der Wirtschaftsparteien kandidierte, konnte (noch) ihre traditionelle Führungsposition behaupten, ebenso vermochten die Sozialdemokraten ihre Wahlziele zu erreichen und, mit Ausnahme von Bad Gastein, ihre absoluten Gemeinde-Mehrheiten zu behaupten. Die Großdeutsche Volkspartei verschwand hingegen ebenso von der politischen Bühne wie der Ständeblock und die Schulz-Bewegung. Alle drei verloren vor allem in der Stadt Salzburg und in urbanen/suburbanen Zentren in hohem Ausmaß an die NSDAP (Hitlerbewegung), die sich als Gewinner feiern konnte. Hatte sie bei der Nationalratswahl am 9. November 1930 im Bundesland Salzburg 4537 Stimmen (3,7 Prozent) erreicht, so bei den Gemeindewahlen fünf Monate später bei einer Kandidatur in nur 28 Gemeinden 5821 Stimmen (5,8 Prozent). Die Zuwächse der NSDAP erfolgten in Gemeinden mit einem geringeren landwirtschaftlichen Anteil als der Landesdurchschnitt, relativ hohem Dienstleistungssektor, höherem Anteil von Gewerbe und Industrie sowie von Erwerbslosen als der Landesdurchschnitt, traditionellem deutschnational-antiklerikalem Bürgertum und starken nationalsozialistischen Führungspersönlichkeiten.134

Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 26.) 134 Schausberger  : Alle an den Galgen  ! S. 113 f.

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Ergebnis der Salzburger Gemeindewahlen am 29. März 1931:135 Partei

Stimmen gesamt

Prozentanteil am Gesamtergebnis

CSP

18.819

18,6

Wirtschaftsparteien

31.504

31,2 0,4

Großdeutsche Volkspartei

421

Ständeblock

270

0,3

Österreichische Volkspartei

811

0,8

Bauern-/Gewerbeparteien

1.217

1,2

32.587

32,2

NSDAP-Hitlerbewegung

5.821

5,8 0,9

SDAP

NSDAP-Schulzbewegung

948

KPÖ

699

0,7

Einheitsparteien

387

0,4

Arbeiter- und Beamtenparteien

414

0,4

Andere Parteien

178

0,2

Österreichische Volkspartei: Gegründet vom Wiener Rechtsanwalt Dr. Moritz Zalman und Irene Harand. Die Partei war strikt anti-nationalsozialistisch und stand den Christlichsozialen nahe. Die Partei kandidierte in fünf Gemeinden. Bauern-/Gewerbeparteien: In insgesamt sieben Gemeinden kandidierten unterschiedliche Bauern- und Gewerbeparteien. Einheitsparteien: Sie kandidierten in drei Gemeinden und umfassten alle gesellschaftlichen Gruppen. Arbeiter- und Beamtenparteien: Entstanden als Reaktion auf das Übergewicht von Agrariern und Gewerbetreibenden und kandidierten in sechs Gemeinden. Andere Parteien: Verschiedene lokale Kleinparteien.

Die am 29. März 1931 bereits sichtbar werdende Dramatik der Entwicklung gewann in den folgenden 13 Monaten bis zur Landtagswahl am 24. April 1932 an Dynamik. Die dramatischen Ereignisse um den Zusammenbruch der Creditanstalt (CA) von Mai bis Juli 1931, die vor allem von der Opposition (Sozialdemokraten und Heimatblock) misstrauisch beobachteten und kommentierten Bemühungen der Regierung Buresch/Schober um eine neuerliche Auslandsanleihe und der offizielle Verzicht auf die Zollunion mit Deutschland Anfang September, der operettenhafte Putsch der steirischen Heimwehr unter Bundesführer Walter Pfrimer am 12./13. September 1931, das Ausscheiden von Vizekanzler und Außenminister Johannes Schober, den viele in der Christlichsozialen Partei durch sein Festhalten am sog. »deutschen Kurs« für die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage verantwortlich machten, aus der Regierung Buresch am 27. Jänner 1932 und die Bildung einer Minderheitsregierung Buresch II aus Christlichsozialen und Landbund zwei Tage später bildeten markante Punkte der innenpolitischen Fieberkurve. Die Landtagswahl im Salzburg 135 Ebd. S. 102.

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am 24. April 1932 wurde daher neben dem Generalthema der Weltwirtschaftskrise und deren Folgen vor allem von bundespolitischen und internationalen Themen überschattet. Hinzu trat die gleichzeitige Parallelität mehrerer Wahlgänge in Österreich und Deutschland. In Österreich fanden an diesem Tag drei Landtagswahlen (Salzburg, Wien, Niederösterreich) und Gemeindewahlen in zwei Bundesländern (Steiermark und Kärnten) statt, womit drei Viertel der österreichischen Wählerschaft zur Wahl aufgerufen waren, in Deutschland wurden Landtagswahlen in Preußen, Bayern, Württemberg und Anhalt sowie Bürgerschaftswahlen in Hamburg durchgeführt. Zwei Wochen zuvor hatte in Deutschland der zweite Gang der Präsidentenwahlen stattgefunden, den Paul von Hindenburg mit 19,4 Millionen Stimmen für sich entscheiden konnte. Auf Hitler waren 13, 4 Millionen Stimmen entfallen, auf den Kommunisten Ernst Thälmann 3,7 Millionen. Wenngleich der greise Feldmarschall die Wahl auf Grund einer breiten Unterstützung für sich entscheiden konnte, so signalisierte das Wahlergebnis Hitlers den anhaltenden rasanten Aufstieg der NSDAP, die bei ihrem parlamentarischen Erdrutschsieg bei der Reichstagswahl am 14. September 1930 6,4 Millionen Stimmen erreicht hatte. Obwohl im März die preußische Polizei bei Hausdurchsuchungen in NSDAP-Wohnungen und -Heimen belastendes Bürgerkriegs-Material beschlagnahmte und Hindenburg auf massiven Druck der Reichsregierung sowie der preußischen und bayerischen Landesregierung am 13. April eine Notverordnung zum Verbot von SA und SS unterzeichnete, setzte die NSDAP ihren Aufstieg bei den Landtagswahlen am 24. April 1932 fort. Im zwei Drittel des gesamten Reichsterritoriums umfassenden und seit 1919 sozialdemokratisch dominierten Preußen erreichte sie 36,3 Prozent und stieg von bisher 6 auf 162 Mandate, womit sie deutlich stärkste Fraktion wurde.136 In Bayern lag sie mit 32,5 Prozent nur 0,1 Prozentpunkte hinter der Bayerischen Volkspartei, in Württemberg stieg sie von 1,8 Prozent auf 26,4 Prozent und in Anhalt stellte sie mit nunmehr 40,9 Prozent erstmals den Ministerpräsidenten eines deutschen Landes. In der roten Hochburg Hamburg erreichte sie 31,2 Prozent und wurde damit so stark wie SPD und KPD zusammen. Goebbels notierte zufrieden in sein Tagebuch  : Es ist ein phantastischer Sieg, den wir errungen haben.«137 In Salzburg wurde der parallele Wahlkampf in Deutschland intensiv verfolgt, berichteten doch die lokalen Medien ausführlich und gaben damit dem Wahlkampf der Salzburger NSDAP Rückenwind. Die NSDAP übernahm die Propagandamethoden der deutschen Partei – Mobilisierung durch Veranstaltungswellen, politische Inszenierung und Ästhetik durch Veranstaltungschoreografie mittels Fahnen, Uniformen, 136 Die KPD stieg von 48 auf 57 Mandate, das Zentrum von 67 auf 71. Alle anderen Parteien mussten teilweise vernichtende Verluste verbuchen. Die SPD sank von 137 auf 94, die Staatspartei von 22 auf 2, die Volkspartei von 40 auf 7 und die Deutschnationalen von 71 auf 31 Mandate. 137 Zit. bei Kershaw  : Hitler 1889–1936. S. 458.

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Musik usw., prinzipielle Ablehnung des politischen Systems durch Diffamierung der regierenden politischen Eliten – im Falle Salzburgs vor allem von Landeshauptmann Franz Rehrl – sowie eine durch paramilitärische Organisationen wie SA und SS praktizierte hohe Gewaltbereitschaft vor allem auch durch Störungen von Wahlveranstaltungen der politischen Konkurrenten. Diese suggestive Kraft der Gewaltbereitschaft korrespondierte mit dem »jungen« Charakter der Partei und verlieh ihr ein dynamisch-aggressives Erscheinungsbild, das sie, ähnlich wie die Bolschewiki in der Russischen Revolution, ihren politischen Gegnern überlegen machte. Der Erfolg der Partei verstärkte in Deutschland deren Gewaltdynamik, die zunehmend auch auf Österreich ausstrahlte. Die Anziehungskraft der dynamischen »Partei der ­Jungen« basierte nicht nur auf der suggestiven Ästhetik der Gewalt, sondern vor allem »auch darauf, dass sie in schroffem Gegensatz zur agrarromantischen Blutund-Boden-­Ideologie ihr positives Verhältnis zur Technik, zur industriellen Welt, zur technokratischen Daseinsbewältigung energisch herausstellte. Davon ging offensichtlich eine anhaltende Faszination aus, die namentlich junge Akademiker und Ingenieure, Techniker und Angestellte erfasste. Mit dem Parteiprogramm hatte das ganz und gar nichts zu tun, wohl aber mit dem ›Aufbruch der Jungen‹ gegen das verkrustete, überlebte Alte. … Deshalb auch fand sich in der Massenbasis der Hitlerbewegung die eigentümliche Ambivalenz von sozialrevolutionären und modernen Elementen, von konservativer Beharrung und dynamischer Mobilität …«138 Für die Massenmobilisierung zumindest vor 1933 waren weder der später dominante Vernichtungsantisemitismus noch die Lebensraumideologie in Form der Ostexpansion von Bedeutung. Sie spielten lediglich in Kernbereichen der NSDAP und anderer völkischer Verbände eine Rolle. Das Erfolgsgeheimnis der Bewegung basierte auf einem Amalgam von Angeboten  : das von Goebbels’ Propaganda geschickt genährte und inszenierte Führer-Charisma Hitlers, der zur »medialen Drehscheibe«139 der Massenbegeisterung wurde, die propagierte Rückkehr zur nationalen Größe und Revision der als ungerecht empfundenen Nachkriegsordnung, die Überwindung der Krise durch die Volksgemeinschaft und der nationale Wiederaufstieg.140 In einem vom Zerfall der Habsburgermonarchie national verunsicherten und durch die Folgen der Weltwirtschaftskrise besonders hart getroffenen Österreich fiel dieses Angebot auf zunehmende Akzeptanz. Eine Partei wie die Christlichsozialen, die unter den gegebenen Bedingungen auf eine durchaus respektable regionale Leistungsbilanz verweisen konnte, vermochte sich unter diesen Rahmenbedingungen mit ihrem Eintreten für das konsensdemokratische System propagandistisch kaum Gehör zu verschaffen, wie man auf deren 138 Wehler  : Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1914–1949. S. 573. 139 Ebd. S. 572. 140 Ebd. S. 580.

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Die Sehnsucht nach Normalität und die Schatten der Krise

Parteitag am 29. März 1932 bedauernd feststellen musste.141 Der sachliche Rechenschaftsbericht, den Landeshauptmann Franz Rehrl über 10 Jahre seiner Tätigkeit als Landeshauptmann abgab, fand in einer zunehmend von Emotionen beherrschten Wahlauseinandersetzung wenig Beachtung. Auf der Abschlusskundgebung im Festspielhaus am 21. April verteidigte er die bisherige konsensdemokratische politische Kultur gegen die Angriffe der Nationalsozialisten. Es sei das ganze Bemühen gewesen, »durch Z u s a m m e n a r b e i t a l l e r P a r t e i e n wirtschaftliche Aufbauarbeit im Lande zu leisten.« Die Bevölkerung müsse doch »an dieser e i n i g e n Z u s a m m e n a r b e i t aller wirtschaftlichen Gruppen das größte Interesse haben.« Die Nationalsozialisten würden diese notwendige Zusammenarbeit jedoch als »Packeln« diffamieren. Das Land sei unter christlichsozialer Führung bisher gut gefahren. Nun hämmere man allerdings der Bevölkerung von allen Seiten ein, es müsse ein S y s t e m w e c h s e l kommen. (…) Es gibt in Österreich zu viele Propheten, die alles besser und gescheiter machen können.« Auf der einen Seite die S o z i a l d e m o k r a t e n , die immer mit großen Programmen aufwarten und der Bevölkerung verkünden, dass man nur diese Ratschläge zu befolgen brauche und schon werde Österreich zu einem Paradies werden, auf der anderen Seite die N a t i o n a l s o z i a l i s t e n , die mit den Fanfaren ihrer überschwänglichen Agitation verkünden  : im Dritten Reich werde der Arbeitslosigkeit spielend ein Ende bereitet werden.« All diese Angebote seien trügerisch und würden letztlich in die Katastrophe führen. Die Salzburger täten daher besser daran, »beim b i s h e r i g e n S y s t e m e h r l i c h e r A r b e i t zu bleiben, die im Landtage und in der Landesregierung unter der Z u s a m m e n a r b e i t a l l e r K r ä f t e geleistet worden ist.«142 Wie bei der Nationalratswahl kandidierte die Heimwehr unter dem Exponenten der nationalen, antiklerikalen Richtung Franz Huber, dem Schwager Hermann Görings, als »Heimatschutz« mit einer eigenen Liste. Ähnlich wie die NSDAP lehnte der Heimatschutz die parlamentarische Demokratie ab und sprach sich für die Errichtung eines Ständestaates aus. Wenngleich man im Nationalsozialismus eine »in den Endzielen nahe verwandte Erneuerungsbewegung sah« und die »immer tiefer werdende Kluft zwischen den beiden Bewegungen« bedauerte, so lehnte man den Anschluss ab.143 Die Großdeutsche Volkspartei befand sich am Vorabend der Landtagswahl im Stadium der Auflösung. Die Partei verlor 1931 rund die Hälfte ihrer Mitglieder, wodurch sich die Einnahmen aus den Mitgliedsbeiträgen mehr als hal141 Salzburger Chronik 30.3.1932. S. 1. 142 Salzburger Chronik 22.4.1932. S. 1 f. 143 Franz Schausberger  : Strategische Kollaborationen mit dem Nationalsozialismus  : Von der »Notgemeinschaft« zur »Unzucht wider die Natur«. Die Landtagswahlen in Salzburg in der Ersten Republik. – In  : Herbert Dachs, Michael Dippelreiter, Franz Schausberger (Hg.)  : Radikale Phrase, Wahlbündnisse und Kontinuitäten. Landtagswahlkämpfe in Österreichs Bundesländern 1919 bis 1932. – Wien/Köln/Weimar 2017. S. 313–384. S. 374.

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bierten. Der prominenteste Parteiaustritt war jener des ehemaligen Landesparteiobmannes und langjährigen Nationalrates Heinrich Clessin, der in einem Schreiben die Parteileitung wissen ließ, die Partei habe sich so weit von ihm entfernt, dass er die Konsequenz daraus ziehe und austrete.144 Die Großdeutschen suchten ihr politisches Überleben durch eine Reform des Wahlrechtes in Form einer Abschaffung des Grundmandates zu sichern, scheiterten jedoch mit diesem Anliegen, weshalb sie sich für die bevorstehende Landtagswahl auf die Suche nach Partnern begaben, wobei sie vor allem an den Landbund und auch an den Heimatschutz dachten, jedoch scheiterten. Richard Voithofer hat darauf hingewiesen, dass alle drei Parteien völlig realitätsfremd agierten, um Mandate, Regierungssitze und Formulierungen feilschten, ohne zu erkennen, dass ihr politisches Überleben angesichts der zunehmenden Attraktivität der NSDAP nur bei einem gemeinsamen Antreten möglich war.145 Die Folge der Nichteinigung war das getrennte Antreten aller drei Parteien und deren Versinken in der politischen Bedeutungslosigkeit. Die Sozialdemokraten sahen sich einer doppelten Front gegenüber  : den »kapitalistischen« Parteien – von den Christlichsozialen bis zu den Nationalsozialisten – und den Kommunisten, dem »Feind im Rücken«.146 Es gebe daher, abgesehen von den Kommunisten, »nur zwei Parteien«, die letztlich den Gegensatz von reaktionärer Diktatur und freier Demokratie, von Kapitalismus und Sozialismus, repräsentieren.147 Am 9. April bemerkte die »Salzburger Wacht«, dass der kommende Tag in Deutschland, der zweite Wahlgang zur Wahl des Reichspräsidenten, von besonderer Bedeutung sei. »… da die Niederlage der Hitlerei in Deutschland so sicher ist, (können) wir diesmal mit solcher Zuversicht in unseren Kampf gehen.« Aber auch in Deutschland sei mit der zu erwartenden Niederlage Hitlers am 10. April die Niederlage des Faschismus noch nicht besiegelt. Noch stünden die Landtagswahlen in Deutschland, vor allem jene für den Preußischen Landtag am 24. April, bevor. Erst dann werde »man erkennen, ob die Anschläge des Faschismus auf die friedliche demokratische Entwicklung des deutschen Volkes endgültig abgewehrt sind.« Doch nicht nur für Deutschland, sondern »für die ganze Welt ist die Niederlage der Hitlerei (am 24. April, Anm. d. Verf.) von Bedeutung«, besonders auch für Österreich. »Auch die Wähler in Salzburg werden dem Faschismus eine Niederlage bereiten.«148 Nach der Präsidentenwahl in Deutschland am 10. April sah die »Salzburger Wacht« in den mehr als 13 Millionen Stimmen, die auf Hitler entfielen, eine Schande für das deutsche Volk. Dies sei darauf zurückzuführen, so die wenig schmeichelhafte 144 Voithofer  : Drum schließt Euch frisch an Deutschland an … S. 309. 145 Ebd. S. 313. 146 Salzburger Wacht 20.4.1932. S. 1. 147 Salzburger Wacht 9.4.1932. S. 1. 148 Ebd. S. 2.

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Die Sehnsucht nach Normalität und die Schatten der Krise

Analyse des sozialdemokratischen Organs, dass »die Dummen und Einsichtslosen, die Blinden und Unbelehrbaren, … immer wieder von ihrer Stimme den unrechten Gebrauch gemacht« haben und »ihre Ausbeuter, ihre Unterdrücker und ihre Verführer in die Macht hineingesetzt und dann, wenn sie zum soundsovielten Male enttäuscht waren, wieder jenen Lumpen und Schwindlern geglaubt (haben), die auf die Volksrechte schimpften, die Demokratie besudelten und heuchlerisch nach der alten Knechtschaft, nach dem Diktator und angeblich großen Reinemacher riefen.« Dies drohe nunmehr auch bei der bevorstehenden Salzburger Landtagswahl. »Weshalb verlangen denn die um jedes Ansehen gekommenen reaktionären Parteien die Wahlpflicht  ? Nun, weil sie wissen, dass die Dummen heute noch überall in der Mehrheit sind. Wenn es ihnen bei Strafe verboten wird, ihr Wahlrecht nicht auszuüben, wenn sie wirklich zur Wahl gehen müssen, dann siegt die Unvernunft über die Vernunft, das Unrecht über das Recht.« Bei der Landtagswahl komme es daher darauf an, dass »das Volk von seinem Stimmrecht auch den richtigen Gebrauch mache, dieses nicht seine Feinde, die kapitalistischen Parteien, sondern nur jene wählen soll, die seine Interessen gegen den Kapitalismus, gegen den Eroberungswahn und Kriegsgeist, gegen die heuchlerischen kapitalistischen und faschistischen Parteien vertreten.«149 Im Wahlaufruf der Salzburger Sozialdemokratie hieß es daher, die bevorstehende Landtagswahl sei ein »Entscheidungskampf … Der Sinn der sonntägigen Wahlen in Salzburg, in Wien, in Niederösterreich und in Preußen kann nur der sein, einen anderen Weg zu gehen als bisher, den Weg aus den blutbefleckten schuldbeladenen Zeiten des Kapitalismus hinaus und in den krisen- und völkerbefreienden Sozialismus.«150 Jenseits der austromarxistischen und antimarxistischen Kampfrhetorik und Hinweise auf landespolitische Erfolgsbilanzen bildete die NSDAP den eigentlichen Gegner der traditionellen Parteien, die der Wahlkampfdynamik des politischen Konkurrenten erstaunt bis hilflos gegenüberstanden. Das Wahlergebnis vom 24. April 1932 veränderte die politische Landschaft Salzburgs grundlegend. Sowohl die Großdeutsche Volkspartei wie der Landbund verfehlten den Wiedereinzug in den Landtag, womit ihr nahendes politisches Ende deutlich wurde. Das Desaster der Großdeutschen, die von 11,5 auf 1,9 Prozent zurückgingen, wurde in ihrer einstigen Hochburg, der Stadt Salzburg, deutlich, in der sie nur mehr 987 Stimmen erreichten. Das Ergebnis des Heimatschutzes entsprach keineswegs den hochgesteckten Erwartungen. Auch er verfehlte den angestrebten Einzug in den Landtag. Zu den Wahlverlierern zählten auch die Christlichsozialen und Sozialdemokraten mit Verlusten von 10,08 bzw. 6,38 Prozentpunkten, womit beide Parteien jeweils ein Landtagsmandat verloren. Im Fall der Christlichsozialen hatte der Verlust eines Landtagsmandates auch den Verlust eines Regierungssitzes zur Folge. Als »kleiner Sieger« konnte sich 149 Salzburger Wacht 16.4.1932. S. 1. 150 Salzburger Wacht 22.4.1932. S. 1.

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die KPÖ betrachten, die 2.460 Stimmen von den Sozialdemokraten gewann und mit 3127 Stimmen (2,7 Prozent) ein beachtliches Ergebnis erzielte. Eindeutiger Sieger war jedoch die NSDAP, die auf Anhieb 20,79 Prozent der Stimmen und damit 6 Mandate sowie einen Sitz in der Landesregierung erreichte. Die Gewinne der NSDAP stammten von den Großdeutschen (7098 Stimmen), die 45,6 Prozent ihrer Wähler an die Nationalsozialisten verloren, vom Heimatblock (2120 Stimmen), der 30,1 Prozent seiner Wähler bei der Nationalratswahl 1930 verlor, von den Nichtwählern (6042 Stimmen) und den Zugewanderten (2174 Stimmen).151 Dirk Hänisch hat darauf hingewiesen, dass die Wähler der österreichischen NSDAP Anfang der Dreißigerjahre »heterogener politischer Herkunft waren. Das bedeutet nun aber keineswegs eine vollkommen pluralistische Strukturierung ihrer Klientel … Ehemalige städtische Deutschnationale (GDVP) waren ebenso wie Heimatblock-Wähler (nach 1930/31) deutlich überrepräsentiert. Signifikante Einbrüche in die Wählerschichten des katholisch-konservativen Lagers außerhalb Wiens (und Wiener Neustadt) blieben den Nationalsozialisten aber weitgehend versagt, sodass diese deshalb anteilig stark unterrepräsentiert blieben.« 1932 kam jeder vierte Wähler der NSDAP außerhalb Wiens aus den Reihen der Sozialdemokratie. »Das sind zwar leicht unterdurchschnittliche Anteile, die außerdem von Bundesland zu Bundesland leicht um den Durchschnittswert herum variieren, sie fielen aber auf dem Hintergrund der starken Lagersegmentierung Österreichs und einer allzu vereinfachten Deklarierung der NSDAP als genuin bürgerliche Partei beachtlich hoch aus. (…) Die Affinität gegenüber der NSDAP war beim sogenannten Dritten Lager als unmittelbarer ideologischer Nachbar eindeutig am stärksten ausgeprägt, was zur Folge hatte, dass ein großer Teil der GDVP nach 1930 aufgesogen wurde, sofern diese Wählerschichten nicht in das ›Nichtwählerʻlager abwanderten.«152 Das Verschwinden des Dritten Lagers in der politischen Bedeutungslosigkeit, die deutlichen Verluste von Christlichsozialen und Sozialdemokraten und der Einzug der Nationalsozialisten in den Landtag und die Landesregierung bedeuteten das Ende des seit dem Beginn der Ersten Republik in Salzburg herrschenden politischen Konsenses. Hatte man mit den ein bis zwei Abgeordneten der »alten« National­ sozialisten noch einen Konsens erzielen können, so war dies mit den neuen der Hitlerbewegung nicht mehr der Fall.153

151 Voithofer  : Drum schließt Euch frisch an Deutschland an … S. 318. 152 Hänisch  : Die österreichischen NSDAP-Wähler. S. 399 f. 153 Hanisch  : Die sozialdemokratische Fraktion im Salzburger Landtag 1918–1934. S. 263.

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Die Sehnsucht nach Normalität und die Schatten der Krise

Ergebnis der Landtagswahl vom 24. April 1932 im Vergleich zum Ergebnis der Landtagswahl vom 3. April 1932:154 Partei

Stimmen 1927

Stimmen 1932

Prozent 1927

Prozent 1932

Mandate 1927

Mandate 1932

Reg.S. 1927

Reg.S. 1932

CSP

54.661

44.013

48,02

37,94

13

12

3

2

SDAP

36.506

29.810

32,07

25,69

 9

 8

2

2

Großdeutsche

13.140

2.050

11,54

 1,77

 3

 0

0

0

Landbund

8.004

7.361

 7,03

6,34

 1

 0

0

0

Wirtschaftsständebund

1.521

NSDAP

 1,34

 0

0

24.125

20,79

 6

1

KPÖ

3.127

 2,70

 0

0

Heimatschutz

5.530

 4,77

 0

0

Großdeutsche 1927: gemeinsam mit Nationalsozialisten Landbund 1932: Unabhängige, Bauernbund, Ständevertretung

154 Daten & Fakten. Bundesland Salzburg. – Salzburg 2004. S. 155. (Schriftenreihe des Landespressebüros. Salzburg Informationen Nr. 134. Hg. v. Roland Floimair.)

2. Zeitenwende oder der Kampf gegen das System Die Salzburger NSDAP und ihr Agieren im Landtag 1932/33  : der mächtige deutsche Schatten

Mit dem Einzug in Uniform und demonstrativem »Heil Hitler  !« der sechs nationalsozialistischen Abgeordneten155 in den Salzburger Landtag am 19. Mai 1932 änderte sich schlagartig die Atmosphäre im Chiemseehof, hatte doch nunmehr eine Partei Platz genommen, die das demokratisch-parlamentarische System als »Bonzenwirtschaft« und »Packelei« zu Lasten der Bevölkerung ablehnte und zu dessen Beseitigung aufrief. Der sozialdemokratische Abgeordnete und Landesrat Karl Emminger vertrat daher bei der Wahl der Stellvertreter des christlichsozialen Landtagspräsidenten Josef Hauthaler den Standpunkt, dass der nationalsozialistische Kandidat Franz Koweindl nicht gewählt werden könne, da die NSDAP auf Grund ihrer antidemokratischen Position keinen Funktionsträger in einem demokratischen System stellen könne. »Die im Landtage vertretene NSDAP steht nicht auf dem Boden der Demokratie und des Parlamentarismus und verfolgt die ausgesprochene Absicht, die Volksherrschaft zu beseitigen und die faschistische Diktatur aufzurichten.«156 In der irrigen Meinung, durch eine versöhnliche Haltung die Nationalsozialisten zu einer konstruktiven Mitarbeit bewegen zu können, folgten die Christlichsozialen und schließlich auch die Sozialdemokraten der Argumentation Emmingers nicht, sodass durch »einen eklatanten Verfassungsbruch …, der durch nichts gerechtfertigt werden konnte«157, Koweindl nach dem sozialdemokratischen Halleiner Bürgermeister Anton Neumayr zum zweiten Stellvertreter des Landtagspräsidenten und schließlich auch Franz Ropper zum Landesrat gewählt wurden. Unmittelbar darauf folgte auf Grund der destruktiven Haltung der NSDAP die sich über drei Sitzungen hinziehende Wahl des Landeshauptmanns, da der sozialdemokratische Landtagsklub auf Grund der massiven Angriffe der Nationalsozialisten, die den Christlichsozialen und Sozialdemokraten »Packelei« vorwarfen, Franz Rehrl, dem christlichsozialen Kandidaten für das Amt des Landeshauptmanns, seine Unterstützung versagte und Robert Preußler nominierte. Der Hauptredner der nationalsozialistischen Fraktion, 155 Leopold Schaschko, Franz Koweindl, Alois Reichl, Otto Vogel, Erich Wagner und Max Peisser. 156 Sten Prot. d. Sbg. LT. 1. Sitzung, 1. Session der 4. Wahlperiode, 19. Mai 1932. S. 5. 157 Franz Schausberger  : Ins Parlament, um es zu zerstören. Das »parlamentarische« Agi(ti)eren der Nationalsozialisten in den Landtagen von Wien, Niederösterreich, Salzburg und Vorarlberg nach den Landtagswahlen 1932. – Wien/Köln/Weimar 1995. S. 350. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 1.)

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Zeitenwende oder der Kampf gegen das System

Max Peisser, erklärte zur Haltung seiner Partei  : »Wir erklären hier, dass wir gegen die Person des Herrn Landeshauptmannes Dr. Rehrl persönlich gar nichts einzuwenden haben, dass unser Kampf sich nicht richtet gegen die Person, sondern gegen das System …«158 Erst in der dritten Sitzung des Landtages am 27. Mai entschlossen sie sich zur Wahl Rehrls.159 Die Wahl Rehrls zum Landeshauptmann wurde auch von der Dramatik der bundespolitischen Entwicklung beeinflusst. Im Ringen um den angesichts der CA-Krise dringen benötigten Auslandskredit hatte Finanzminister Emanuel Weidenhoffer Anfang Jänner 1932 im christlichsozialen Klub erklärt, dass nur Frankreich in der Lage sei, die benötigten Mittel zu bewilligen, dies jedoch nicht tun werde, so lange der den deutschen Kurs verfolgende Johannes Schober Außenminister sei. Schober musste, darüber herrschte bei den Christlichsozialen Einigkeit, aus dem Außenamt scheiden, das Bundeskanzler Karl Buresch interimistisch übernehmen solle. Der erzwungene Rücktritt Schobers führte zum Ausscheiden der Großdeutschen aus der Bundesregierung. Das am 29. Jänner 1932 gebildete Kabinett Buresch II war damit mit den 75 Mandaten von Christlichsozialen und Landbund eine Minderheitsregierung. Ihr Überleben war jedoch zunächst durch den Umstand gesichert, dass zwischen Ende Jänner und Ende April 1932 keine Sitzung des Parlamentes stattfand. Die sich verschlechternde Wirtschaftslage ließ die Zahl der Arbeitslosen auf über eine halbe Million ansteigen, die Steuereinnahmen sanken deutlich, während die Ausgabe für die Arbeitslosen stiegen. Da man dem Völkerbund ein ausgeglichenes Budget versprochen hatte und zudem in der österreichischen Nationalökonomie das Vertrauen auf die Selbstheilung der Marktkräfte vorherrschte, ein deficit spending wurde auch von den Sozialdemokraten abgelehnt, war die budgetäre Schieflage nur durch massive Steuererhöhungen oder ein drastisches Sparpaket auszugleichen, das man jedoch erst nach den Landtagswahlen am 24. April bekanntgeben wollte. Die massiven Gewinne der NSDAP bei allen drei Landtagswahlen führten im Nationalrat zum sozialdemokratischen Antrag auf Neuwahlen, der von allen Oppositionsparteien unterstützt wurde und zum Rücktritt der Regierung Buresch II am 6. Mai führte. Buresch gelang es jedoch, die Großdeutschen für eine Abstimmung gegen den sozialdemokratischen Antrag, den Wahltermin mit 19. Juni zu terminisieren, zu gewinnen. Stattdessen wurde die Festsetzung des Wahltermins auf den Herbst verschoben. Bundespräsident Wilhelm Miklas beauftragte Buresch mit der neuerlichen ­Bildung einer Regierung, die im Sinne einer stabilen Mehrheit alle nicht-sozialdemo­kra­ tischen Parteien, vor allem jedoch wiederum die Großdeutschen, umfassen sollte. 158 Ebd. S. 6. 159 Franz Schausberger  : Die fast misslungene Landeshauptmannwahl des Jahres 1932. – In  : Salzburg. Geschichte & Politik 1/1991. S. 5–15.

Die Salzburger NSDAP

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Für die Großdeutschen war jedoch die Person Bureschs mit dem Sturz Schobers und dem Verzicht auf den deutschen Kurs verbunden, weshalb sie sich einem Regierungseintritt verweigerten. Buresch ventilierte daraufhin die Möglichkeit einer Koalition mit den Sozialdemokraten, wurde bei diesen Bemühungen jedoch durch die auf Konfrontation ausgelegte Strategie Otto Bauers, der im Klub einen Fristsetzungsantrag für Neuwahlen durchsetzte, vor den Kopf gestoßen und resignierte am 10. Mai. Daraufhin beschloss der christlichsoziale Klub, den bisherigen Landwirtschaftsminister Engelbert Dollfuß für die Bildung einer Regierung vorzuschlagen.160 Die von Dollfuß geführten Regierungsverhandlungen endeten – nach der Weigerung der Sozialdemokraten und der Großdeutschen zum Regierungseintritt – am 20. Mai mit der Bildung einer Koalitionsregierung aus Christlichsozialen, Landbund und Heimatblock. Auf Grund ihrer denkbar knappen Mehrheit von nur einer Stimme und des deutlichen Unbehagens in großen Teilen des christlichsozialen Klubs über die Regierungsbeteiligung des Heimatblocks wurden Engelbert Dollfuß und die von ihm gebildete Regierung allgemein als Übergangslösung betrachtet.161 Während der Verhandlungen um eine Bundesregierung in Wien beschloss der sozialdemokratische Parteivorstand über das taktische Verhalten der Landesparteien in Salzburg und Niederösterreich, in Salzburg dürfe »auf keinen Fall gemeinsam mit Christlichsozialen und Nationalsozialisten« der Landeshauptmann gewählt werden und es sei anzustreben, dass sich »Christlichsoziale und Nationalsozialisten .., die Ressorts in der Landesregierung aufteilen«, während die Sozialdemokraten zwar ihre Sitze annehmen sollten, jedoch mit verringerten Bezügen. Es sei jedenfalls »besser, die Nazi zu binden, als eine christlichsozial-sozialdemokratische Koalition zu machen.«162 Der Vorstand der Bundespartei, vor allem Otto Bauer, drängte in Erwartung des bevorstehenden Endes des Kapitalismus auf eine radikale Abkehr von der bisher geübten konkordanzdemokratischen Praxis. Die Salzburger Sozialdemokraten waren jedoch schließlich nicht bereit, dieser Devise zu folgen. Rehrl erklärte nach seiner Wahl, sichtlich um Sachlichkeit und Ausgleich bemüht, es sei »Aufgabe und Pflicht des Landeshauptmannes …, … mit allen Kräften allein und ausschließlich für das Wohl und Gedeihen des g a n z e n Landes und der g e -

160 Zur Bildung der Regierung Dollfuß vgl. Franz Schausberger  : Letzte Chance für die Demokratie. Die Bildung der Regierung Dollfuß I im Mai 1932. Bruch der österreichischen Proporzdemokratie. – Wien/Köln/Weimar 1993. (Studien zur Geschichte der christlich-sozialen Parteien. Band 1. Herausgegeben vom Karl-von-Vogelsang-Institut.) 161 Lothar Höbelt  : Die Erste Republik Österreich (1918–1938). Das Provisorium. – Wien/Köln/Weimar 2018. S. 265. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 64.) 162 Schausberger  : Letzte Chance für die Demokratie. S. 75.

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Zeitenwende oder der Kampf gegen das System

s a m t e n Bevölkerung einzutreten und mit voller Objektivität und Unparteilichkeit für die Durchführung der Bundes- und Landesgesetze Sorge zu tragen. (…) Ich bitte die durch das Vertrauen des Volkes in dieses Haus entsendeten Abgeordneten, schon von vornherein das Bewusstsein mitzubringen, dass Sie hier als Beauftragte und Treuhänder des g e s a m t e n , gerade jetzt so schwer leidenden Volkes wirken und arbeiten mögen. Ich bitte Sie vor allem, dass Sie unter allen Umständen, mögen auch im Laufe der kommenden Wahlperiode mitunter die Verschiedenheiten der Weltanschauung und der Meinungen schärfer aufeinanderprallen, die Arbeitsfähigkeit des Landtages sicherstellen und sich bei aller politischer Gegnerschaft stets alle wieder in dem Bestreben treffen, nur eines zu wollen  : das wahre Wohl unseres Heimatlandes und unserer Mitbürger.«163 Die Hoffnung Rehrls sollte nicht in Erfüllung gehen, wie aus der ersten Wortmeldung Max Peissers deutlich wurde  : »Landtag von Salzburg  ! ›Hitler‹ war das erste Wort, welches wir in diesen Hallen gesprochen haben und ›Kampf‹ soll das zweite sein. Kampf nicht einer Person, nicht einer Partei, Kampf gegenüber dem System …«164 Wenig später folgte die Begründung für die Ablehnung des Systems und die Propagierung der Alternative  : »… in einem Staate, dessen Prinzipien die Mehrheit und die Unverantwortlichkeit sind, in diesem Staate können, besonders wenn eine Mehrheit von schlechten Menschen regiert, wir so nicht weiterleben. Statt Mehrheit und Unverantwortlichkeit setzen wir das Prinzip des deutschen Führergedankens mit voller Verantwortlichkeit.«165 Wenngleich die NSDAP den demokratischen Parlamentarismus ablehne, sei sie in den Landtag eingezogen, nicht jedoch, um sich dessen Spielregeln zu unterwerfen, sondern als Mittel zum Zweck, ihn zu zerstören. »Sie zerbrechen sich fortwährend den Kopf, was wir hier im Landtag machen und was wir bei der Demokratie zu suchen haben. Meine Herren, hier ist unser Kampfboden. Der Kampf ist eben in andere Räume getragen worden. Wir wollen den Einbruch in die feindliche Front. Wir wollen den Kampf nicht Gewehr bei Fuß mitmachen, sondern kehren Ihre Kanonen um und benützen sie, um Sie zu schlagen, indem wir alle gesetzlichen Mittel zur Anwendung bringen. Eines dieser Mittel ist für uns der Parlamentarismus. Wenn wir das nicht wollten, so gäbe es nur noch ein zweites, und das ist die Waffe. Das lehnen wir ab … wir wollen die Mehrheit, um Sie zu zerstören.«166 Diese Mehrheit schien mit Riesenschritten näher zu rücken, wie das Ergebnis der Reichstagswahl in Deutschland am 31. Juli 1932 demonstrierte. Die NSDAP erhielt 13,7 Millionen Stimmen und wurde mit nunmehr 230 Mandaten die deutlich stärkste Fraktion, während die bürgerlichen Mittelparteien (Deutsche Volks163 Sten, Prot. d. Sbg. LT, 1. Session der 4. Wahlperiode, 27. Mai 1932. S. 7. 164 Ebd. S. 10. 165 Ebd. S. 12. 166 Ebd. S. 14.

Die Salzburger NSDAP

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partei, Landvolk, Wirtschaftspartei, Staatspartei, Christlichsoziale Vereinigung) mit Ausnahme des Zentrums und der Bayerischen Volkspartei mit einem Rückgang von bisher insgesamt 122 auf 22 Mandate zu unbedeutenden Splittergruppen herabsanken. Auch die Deutschnationale Volkspartei verlor 5 ihrer 42 Sitze, während auf der Linken die SPD 3 ihrer 136 Mandate verlor und die KPD von 78 auf 89 Mandate stieg. Damit verfügten beide totalitäre Parteien zusammen über 319 der insgesamt 608 Mandate und damit über die absolute Mehrheit. Wenngleich Hitler noch nicht Reichskanzler wurde, so stand er vor den Toren der Macht, die sich ihm, wie er hoffte, bei der bereits am 6. November neuerlich stattfindenden Reichstagswahl endgültig öffnen sollten. Hitler war sich durchaus dessen bewusst, dass er nicht mehr viel Zeit hatte. Es war die Frage, ob sich der Erfolg der Reichstagswahl vom 31. Juli nochmals steigern ließ oder der Gipfel des Wählerzuspruchs bereits erreicht oder gar überschritten war. Hinzu trat eine finanzielle Erschöpfung der Partei und ein Nachlassen des politischen Elans. Positiv wirkte sich hingegen aus, dass die Regierung Franz von Papen das Verbot von SA und SS, das Reichsinnenminister Wilhelm Groener auf Drängen der Länder erlassen hatte, wieder aufhob.167 Der Wahlabend brachte jedoch für die erfolgsverwöhnte Partei eine herbe Enttäuschung. Die Tore der Macht schienen verschlossen. Bei einer von 84 auf 80,64 Prozent gesunkenen Wahlbeteiligung verlor die NSDAP rund 2 Millionen Wähler und sank auf 33,5 Prozent. Wenngleich sie mit nunmehr 196 Mandaten noch immer stärkste Fraktion war, so hatte sie doch 34 Mandate verloren, während die nationale Konkurrenz DVP und DNVP insgesamt 18 Mandate gewann und zusammen auf 62 Mandate anwuchs. Während Zentrum und Bayerische Volkspartei bei kleinen Verlusten de facto gleich blieben, verlor die SPD 12 Mandate und war mit nunmehr 121 Mandaten nur mehr wenig stärker als die KPD, die 11 Mandate gewann und 100 Abgeordnete in den um 24 Sitze verkleinerten Reichstag entsandte. Trotz seiner Niederlage gab sich Hitler weiterhin kämpferisch und forderte am 19. November 1932 in einer Unterredung mit Hindenburg die Kanzlerschaft sowie eine weitgehende präsidiale Unterstützung aufgrund des Artikels 48. Der greise Präsident dachte jedoch nicht daran, dieser Forderung zu entsprechen, und in dem nun folgenden subtilen Intrigenspiel hinter den Kulissen setzte sich Reichswehrminister Kurt von Schleicher, die bisherige graue Eminenz hinter Reichskanzler Papen, durch. Schleicher wurde am 3. Dezember Reichskanzler und plante mit Hilfe von 167 Auf die Aufhebung drängte vor allem die Reichswehr um General Kurt von Schleicher, die die Wehrverbände der Rechten in ein Rekrutierungsreservoir für die Reichswehr und damit unter deren Kontrolle umwandeln wollte. Die Reichswehr vertrat die Auffassung, dass sie im Fall innerer Unruhen und einer äußeren Bedrohung nicht mehr in der Lage sei, die Lage zu kontrollieren. Es sei daher anzustreben, das militärische Potential vor allem der NSDAP zu kontrollieren und für die eigenen politischen Ziele nutzbar zu machen. (Gerhard Schulz  : Aufstieg des Nationalsozialismus. Krise und Revolution in Deutschland. – Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1975. S. 727 f.)

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Zeitenwende oder der Kampf gegen das System

Gregor Strasser, dem Reichsorganisationsleiter der NSDAP und innerparteilichen Rivalen Hitlers, eine Spaltung der NSDAP. Gleichzeitig suchte er den Kontakt zu den Gewerkschaften und plante die Bildung einer breiten Front unter Einschluss der Gewerkschaften und des linken Flügels der NSDAP sowie die baldige Ausschreibung von Neuwahlen, die eine stabile Regierungsmehrheit bringen sollten. Hitler gelang jedoch mit Unterstützung von Goebbels die Überwindung der existenziellen Krise der Partei in einer Sitzung der Parteispitze im Berliner Kaiserhof am 5. Dezember. Strasser wurde isoliert und legte am 8. Dezember sämtliche Parteiämter nieder. Damit war die Krise der NSDAP überwunden und der Plan Schleichers gescheitert.168 Die folgenden Wochen waren geprägt von der Kabale Franz von Papens, der es sich zum Ziel setzte, seinen ehemaligen Mentor Schleicher zu stürzen und Hitler zu einer »eingerahmten« Kanzlerschaft zu verhelfen, die ihm jeden selbständigen politischen Spielraum nehmen und ihn entzaubern sollte. Er selber sah sich in maßloser Selbstüberschätzung als Regisseur und Dompteur Hitlers. Am 30. Jänner 1933 schien er am Ziel seiner Wünsche zu sein  : Hindenburg ernannte Hitler zum Reichskanzler, eingerahmt von viel Prominenz der politischen Rechten, Papen wurde Vizekanzler und Reichskommissär für Preußen. Die Ereignisse in Deutschland nahmen die Aufmerksamkeit Hitlers und der Parteispitze voll in Anspruch. Österreich war ein Nebenkriegsschauplatz, dem man sich erst dann voll widmen konnte und wollte, wenn das politische Ziel in Deutschland, die »Machtergreifung«, erreicht war. Um die nach wie vor von persönlichen Rivalitäten gekennzeichnete österreichische NSDAP organisatorisch zu straffen und klare Führungsstrukturen nach deutschem Muster zu schaffen, schien die Entsendung eines deutschen Nationalsozialisten ratsam. Am 11. Juli 1931 wurde der Kreisleiter von Wiesbaden, Theo Habicht, Landesgeschäftsführer, erhielt im folgenden Jahr den Rang eines Landesinspekteurs und wurde damit einer der insgesamt zehn Inspektoren der Partei im gesamten deutschen Sprachraum. Wenngleich mit den spezifischen österreichischen Verhältnissen und der österreichischen Geschichte kaum vertraut, gelang ihm der Aufbau einer straffen Parteiorganisation nach deutschem Muster. Obwohl bei den österreichischen Parteigenossen keineswegs besonders beliebt, hatte er die Machtbefugnis, sich über die einzelnen österreichischen Gauleiter hinwegzusetzen. Habichts politisches Ziel war klar  : der Sturz der österreichischen Regierung und der Anschluss des Landes an Deutschland. Um dieses Ziel zu erreichen, mussten zwei Voraussetzungen erfüllt sein  : die Ausschaltung bzw. Inkorporierung der Heimwehren und in weiterer Folge jene der nationalen Parteien. Für beides bot die Entwicklung in Deutschland den geeigneten Anschauungsunterricht. In Österreich kam die Entwicklung der Heimwehr sowie der Großdeutschen Volkspartei und des Landbundes in den frühen Dreißigerjahren dieser Intention 168 Longerich  : Hitler  : S.  279 ff.

93

Die Salzburger NSDAP

entgegen. Die Landtagswahlen am 24. April 1932 dokumentierten das weitgehende Abwandern der Wähler des Heimatblockes sowie der Großdeutschen und des Landbundes zur NSDAP. Die Inhalationsthese Habichts bestätigte sich, wobei sich vor allem auch deutschnationale und völkische Organisationen wie Turn-, Sport- und Gesangsvereine als ideales Rekrutierungsfeld erwiesen. Hatte die NSDAP bei der Nationalratswahl in den drei Bundesländern Salzburg, Niederösterreich und Wien rund 66.000 Stimmen erhalten, so diesmal rund 336.000, während die für die Großdeutsche Volkspartei, den Landbund und den Heimatblock abgegeben Stimmen von 304.000 auf 53.000 sanken.169 169 Auch die am 24. April 1924 stattfindenden Gemeinderatswahlen in Kärnten und der Steiermark dokumentierten den zunehmenden Zerfall der Großdeutschen Volkspartei und des Landbundes, deren Wähler vor allem zur NSDAP abwanderten. Wenngleich sowohl in Kärnten wie in der Steiermark eine klare statistische Analyse der Ergebnisse der Gemeinderatswahlen auf Grund der zahlreichen Listenkoppelungen und lokal begrenzten Kandidaturen von Parteien nur sehr eingeschränkt möglich ist, so konnte die NSDAP in beiden Bundesländern deutliche Erfolge erzielen. In Kärnten wurde die NSDAP drittstärkste Partei und überflügelte sowohl den Landbund wie auch die Christlichsoziale Partei deutlich. Bereits im Februar und Mai 1931 hatte in Klagenfurt die Gemeinderatswahl stattgefunden. Im ersten Wahlgang am 8. Februar wurde die NSDAP hinter der SDAP und der CSP mit 15,7 Prozent zur drittstärksten Kraft, bei der am 31. Mai notwendigen neuerlichen Gemeinderatswahl wurde sie mit 19,7 Prozent hinter der SDAP bereits zur zweitstärksten Fraktion. Ergebnis der Gemeinderatswahlen in Kärnten am 24. April 1932 im Vergleich zum Ergebnis der Gemeinderatswahl am 22. April 1928:

SDAP

Stimmen 1932

Stimmen 1928

Prozent 1932

Prozent 1928

Mandate 1932

Mandate 1928

52.996

51.580

35,2

37,4

999

958

CSP

9.436

8.359

6,5

6,1

304

205

Landbund

6.467

14.872

4,3

10,8

229

499

79

286

0,1

0,2

2

12

7.146

9.260

4,7

6,7

227

239

WP

41.594

38.725

27,6

28,1

1.274

1.136

NSDAP

18.323

2.198

12,2

1,6

357

24

1.535

4.992

1,0

3,6

186

406

596

0,1

0,4

8

20

HageB, Kntn.Slo.

EL BAP

212

NMWP KPÖ

2.094 2.865

404

1,5 1,9

0,3

30 27

NWB+LB

1.003

0,7

48

StV

4.973

3,3

94

HS

1.034

0,7

And.Part.

2.939

4.690

2,0

1

27 3,4

78

171

94

Zeitenwende oder der Kampf gegen das System

Die nicht zuletzt durch die Krise der CA sich dramatisch verschärfende wirtschaftliche Lage konnte nach übereinstimmender Auffassung der Bundesregierung nur durch eine neuerliche Völkerbundanleihe bewältigt werden. Damit öffnete sich der Vorhang über einem Szenario, das einem historischen Déjà-vu der dramatischen und hoch emotionalen Diskussion über die Genfer Protokolle glich. Am 15. Juli 1932 unterzeichnete Bundeskanzler Engelbert Dollfuß in Lausanne jenes Protokoll, das Österreich unter in manchen Passagen an die Genfer Protokolle erinnernden Bedingungen eine neuerliche Völkerbundanleihe in der Höhe von 300 Millionen Schilling gewährte. Neben dem Verzicht auf den Anschluss unterwarf es Österreichs Finanzpolitik der Kontrolle durch einen Völkerbundbeauftragten. Vier Tage nach der Unterzeichnung der Lausanner Anleihe erklärte Bundeskanzler Dollfuß im Ministerrat, dass bei der Beurteilung der Anleihe die Frage beantwortet werden müsse, »welche Entwicklung eintreten würde, wenn es nicht zu der Anleihe käme.« Angesichts eines Defizits von 154 Millionen Schilling infolge der CAKrise sowie der ständig sinkenden Steuereinnahmen infolge der anhaltenden Wirtschaftskrise wäre im Fall eines Ausbleibens einer ausländischen Finanzhilfe »jede HageB. = Handels- und Gewerbebund Kntn.Slo. = Kärntner Slowenen WP = Wirtschaftspartei BAP = Bauern- und Arbeiterpartei EL = Einheitsliste NMWP = Nicht-marxistische Wirtschaftspartei StV = Ständevertretung HS = Heimatschutz







(Schausberger: Ins Parlament, um es zu zerstören. S. 169; Ulfried Burz: Die nationalsozialistische Bewegung in Kärnten (1918–1933). Vom Deutschnationalismus zum Führerprinzip. – Klagenfurt 1998. S. 150.) Die Gemeinderatswahlen in der Steiermark (mit Ausnahme von Graz, wo bereits 1929 gewählt worden war) sind bezüglich der NSDAP nur schwer zu analysieren Die NSDAP erhöhte die Anzahl ihrer Mandate auf rund 300. »Da jedoch in etlichen Gemeinden nur eine Namenliste kandidierte und die Nationalsozialisten noch nicht über eine bis in alle ländlichen Gemeinden reichende Infrastruktur verfügten, somit auch nicht überall eigene Kandidatenlisten aufstellen konnten, lässt sich ein exaktes Stärkeverhältnis aus diesen Wahlen nur schwer ablesen. Der Aufschwung der Nationalsozialisten im städtischen Bereich trat allerdings deutlich zutage.« (Eduard Staudinger: Zur Entwicklung des Nationalsozialismus in Graz von seinen Anfängen bis 1938. – In: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz Band 18/19. – Graz 1988. S. 31–74. S. 54 f.) Den Höhepunkt des Zerfallsprozesses des Heimatschutzes, der Großdeutschen Volkspartei und des Landbundes bildeten die am 22. April 1933 vom Nachfolger Walter Pfrimers als Führer des Steirischen Heimatschutzes, Konstantin Kammerhofer, in Lienz mit der NSDAP geschlossene Kampfgemeinschaft und das am 15. Mai 1933 von der Großdeutschen Volkspartei geschlossene Kampfbündnis mit der NSDAP, dem der Rest des Landbundes im Mai 1934 beitrat. Er wurde daraufhin im August von der Regierung mit der Begründung seiner ideologischen Nähe zum Nationalsozialismus aufgelöst. (Vgl. Bruce Pauley: Hahnenschwanz und Hakenkreuz. Der Steirische Heimatschutz und der österreichische Nationalsozialismus 1918–1934. – Wien/München/Zürich 1972.)

Die Salzburger NSDAP

95

Hoffnung auf eine Wiederbelebung der heimischen Wirtschaft« aufzugeben. Eine Beseitigung des Defizits könne zudem nicht mehr durch Steuerhöhungen, »sondern nur durch Einsparungen geschehen«, was jedoch unabsehbare soziale Folgen nach sich ziehen würde.«170 Der Kanzler war sich der politischen und sozialpolitischen Problematik der Lausanner Anleihe durchaus bewusst, sah jedoch im Interesse der Lebensfähigkeit Österreichs keine Alternative. Der Kampf um sie wurde zur patriotischen Pflicht, die Opposition zur staatspolitischen Verantwortungslosigkeit. Für die Opposition, vor allem die Sozialdemokratie, war hingegen die Lausanner Anleihe auf Grund ihrer außenpolitischen Implikationen nichts anderes als ein »verschacherter Anschluss« und damit ein Ausverkauf der außenpolitischen Handlungsfreiheit Österreichs.171 Während die Regierung mit der Anleihe die CA saniere und deren Verbindlichkeiten bei der Nationalbank und den Auslandsgläubigern übernehme, nehme sie unter Verletzung von Verträgen Kürzungen bei den Pensionsansprüchen der Eisenbahner vor.172 Die bereits im September 1931 erhobene Forderung des Finanzkomitees, dass Eisenbahn und Post ihren Aufwand selber decken müssten und aufgrund der schwierigen Finanzlage nicht auf Budgetmittel zurückgreifen sollten, fokussierte die Diskussion in der Folgezeit auf einen Punkt, der in seiner Zuspitzung zum unmittelbaren Auslöser der Parlamentskrise vom 4. März 1933 wurde.173 Die Wogen der Erregung gingen hoch. Sozialdemokraten und Großdeutsche agierten gegen die parlamentarische Annahme der Lausanner Anleihe und die Haltung des Heimatblockes war gespalten. Für Bundeskanzler Engelbert Dollfuß und die Christlichsoziale Partei war die Annahme der Lausanner Anleihe eine patriotische Pflicht, um die Lebensfähigkeit und vor allem auch Selbständigkeit Österreichs zu gewährleisten. Die »Reichspost« formulierte unter Anspielung auf die nationalsozialistischen Parolen »Deutschland erwache  !« und vom Kommen eines »Dritten Reiches« ein »Österreich erwache  !« und rief zu einem selbstsicheren Österreich-Be-

170 Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik. (MRP) Kabinett Dr. Engelbert Dollfuß. Nr. 817/1. 19.7.1932. 171 Arbeiter-Zeitung (AZ) 16.7.1932. S. 1. 172 Die hohen Pensionsansprüche der Eisenbahner in der Höhe von 90 Prozent belasteten die chronisch defizitären Bundesbahnen schwer, weshalb bereits die Vorgängerregierungen Kürzungen planten. Die Empfehlungen des vom Völkerbund entsandten Schweizer Sachverständigen Herold wurden von der Regierung Dollfuß aufgenommen und eine Reduktion der Pensionsansprüche auf 78,3 Prozent geplant. 173 Zur Lausanner Anleihe vgl. Grete Klingenstein  : Die Anleihe von Lausanne. Ein Beitrag zur Geschichte der Ersten Republik in den Jahren 1913–1934. – Wien/Graz 1965  ; Robert Kriechbaumer  : Die großen Erzählungen der Politik. Politische Kultur und Parteien in Österreich von der Jahrhundertwende bis 1945. – Wien/Köln/Weimar 2001. S. 217 ff. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Band 12.)

96

Zeitenwende oder der Kampf gegen das System

wusstsein auf. Die von den Sozialdemokraten und Großdeutschen propagierte Anschluss-Ideologie sei von einem Minderwertigkeitskomplex geprägt und würde im Fall ihrer Realisierung verheerende Folgen haben. Das Zweite Reich hat »das deutsche Österreich ausgeschieden  ; sollen wir, die wir im ersten voran waren, in das Dritte Reich wieder eintreten, aber als Bettler und als Hörige  ?«174 Im Rückblick von fünf Jahren bildete für Kurt Schuschnigg vor allem das Verhalten der Sozialdemokratie in der Debatte um die Annahme der Lausanner Protokolle durch den Nationalrat, die schließlich am 17. August mit 81   : 80 und nach einem Einspruch des Bundesrates durch einen Beharrungsbeschluss mit 82   : 80 am 23. August erfolgte, ein Schlüsselereignis für die sich immer stärker ausbreitende Ablehnung des bestehenden demokratischen parlamentarischen Systems.175 Die vorherrschende Meinung der Nationalökonomie und die Bestimmungen der Lausanner Anleihe bewirkten in Österreich eine deflationistische Budgetpolitik, die durch Ausgabenkürzungen die ohnedies bereits dominanten Krisen­ erscheinungen noch verstärkten. Österreich entschied sich, wie die meisten Staaten, für die klassische deflationistische Politik, indem man die inneren Daten durch Lohnkürzungen, Ausgabenkürzungen im Budget und Kreditrestriktionen an das gesunkene Preisniveau anpasste. Der umgekehrte Weg, den Geldwert an das gesunkene Preisniveau entweder durch Abwertung oder durch gezieltes deficit spendig zur Liquidhaltung von Banken, Halten von Löhnen und Gehältern und damit Stützung der Nachfrage sowie produktive Infrastrukturmaßnahmen einzusetzen (aktive Konjunkturpolitik) wurde nur ansatzweise in den USA und Großbritannien angewendet. Österreich befand sich in einer anhaltenden Depression, die 1933 ihren Höhepunkt erreichte, um erst in den folgenden Jahren eine langsame Erholung mit einer durchschnittlichen jährlichen realen Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes von 2,8 Prozent überzugehen. Doch Ende 1937 lag das Bruttoinlandsprodukt noch immer 14 Prozent unter der Marke des Jahres 1929. Das Ausmaß der Krise spiegelte sich in den Arbeitslosenstatistiken wieder. Im Dezember 1932 verzeichnete man rund 450.000 Arbeitslose, im folgenden Jahr im Jahresdurchschnitt 557.000 oder 26 Prozent der Arbeitnehmer. Berücksichtigt man die nicht registrierten Arbeitslosen, so steigt die Gesamtzahl auf rund 680.000, d. h. 34 Prozent. Die Krise war Wasser auf die Mühlen der NSDAP, förderte sie doch das zunehmende Misstrauen in die Lösungskompetenz des demokratisch-parlamentarischen Systems und erhöhte in zunehmendem Ausmaß die Attraktivität totalitärer Alternativen. Die Landtagswahl in Vorarlberg, die am 6. November 1932 gleichzeitig mit der Reichstagswahl in Deutschland stattfand, beendete die Serie von vier Landtagswahl174 Reichspost 24.7.1932. S. 1. 175 Kurt Schuschnigg  : Dreimal Österreich. 2. Aufl. – Wien 1937. S. 165 ff.

97

Die Salzburger NSDAP

kämpfen des Jahres 1932. Dabei stellte sich die Frage, ob die Großdeutsche Volkspartei und der Landbund, die im politischen System Vorarlbergs eine konstante Kraft bildeten, ihren bei den Landtagswahlen in Wien, Niederösterreich und Salzburg erfolgten Auflösungsprozess zugunsten der NSDAP zu bremsen vermochten. Charakteristisch für das Vorarlberger Wahlergebnis waren das – allerdings bei steigender Wahlbeteiligung – Halten der Stimmen durch die Christlichsozialen, deutliche Verluste der Sozialdemokraten und geringere Verluste von Großdeutscher Volkspartei und Landbund. Die Nationalsozialisten, die drittstärkste Partei wurden und mit einem Gewinn von rund 7.300 Stimmen mit zwei Mandaten in den Landtag einzogen, konnten sich als einzige Partei als Sieger feiern.176 Dennoch verzeichneten sie mit 10,5 Prozent im Vergleich zu den Ergebnissen in den anderen Bundesländern (Wien 17,4 Prozent, Niederösterreich 14,1 Prozent, Salzburg 20,8 Prozent) das deutlich schwächste Ergebnis. Im Vergleich der NSDAP-Wähler in den drei Bundesländern mit einem hohen Agraranteil – Niederösterreich, Salzburg, Vorarlberg – ist eine hohe Resistenz des dichten agrarischen Sektors gegenüber der NSDAP feststellbar, während Bezirke mit einem hohen Industrie- und Gewerbeanteil sowie Dienstleistungssektor in erheblich stärkerem Ausmaß für die NSDAP votierten. Dabei nahm Salzburg eine Sonderstellung ein, da hier der NSDAP in erheblich höherem Ausmaß der Einbruch in alle drei Sektoren gelang. Auch bei den Berufslosen (Hausfrauen, Jugendlichen usw.) konnte die NSDAP in Salzburg erheblich stärkeren Zuspruch verbuchen als in den beiden anderen Bundesländern.

176 Ergebnis der Landtagswahl in Vorarlberg 1932 im Vergleich zur Landtagswahl 1928  : Stimmen 1932



Stimmen 1928

Prozent 1932

Prozent 1928

Mandate 1932

Mandate 1928

CSP

43.339

43.317

56,8

59,3

18

21

SDAP

11.913

16.253

15,6

21,3

4

6

GDVP

5.158

6.746

6,8

8,8

1

1

LBB

5.312

7.318

7,0

9,6

1

2

KPÖ

2.612

NSDAP

8.027

3,4 724

10,5

0 1,0

2

0

Thomas Welte  : »Es bleibt alles beim Alten«. Landtagswahlkämpfe in Vorarlberg 1919–1932. – In  : Dachs, Dippelreiter, Schausberger (Hg.)  : Radikale Phrase, Wahlbündnisse und Kontinuitäten. S. 475–516. S. 484.

98

Zeitenwende oder der Kampf gegen das System

Anteile der NSDAP bei den Landtagswahlen in Niederösterreich, Salzburg und Vorarlberg 1932 nach Anteilsklassen der Bevölkerung in Wirtschaftssektoren in Prozent:177 bis 33,3

33,3–50

50–66,6

66,6–75

über 75

insgesamt



14,2

11,0

8,5

8,8

7,7

11,9

SBG

20,0

14,1

11,1

11,5

9,2

16,2

VLBG

10,3

4,9

6,6

4,3

3,6

9,0

II bis 33,3

33,3–50

50–66,6

66,6–75

über 75

insgesamt



7,6

8,9

8,9

12,6

13,4

11,9

SBG

9,6

10,4

12,4

17,6

19,8

16,2

VLBG

1,1

6,0

4,5

6,4

10,1

9,0

bis 3

3–6

6–9

9–12

über 12

insgesamt

III



7,3

7,7

8,8

9,5

14,6

11,9

SBG

13,2

9,0

10,8

11,3

18,7

16,2

VLBG

5,3

6,1

5,7

4,0

9,9

9,9

IV bis 4

4–7

7–10

10–13

über 13

insgesamt



6,0

8,1

8,4

8,8

14,4

11,9

SBG

10,2

9,3

11,9

15,5

18,3

16,2

VLBG

5,0

8,7

9,4

9,6

10,0

9,0

I Primärer Sektor (Land- und Forstwirtschaft) II Sekundärer Sektor (Industrie und Gewerbe) III Tertiärer Sektor (Dienstleistungssektor) IV Berufslose

Unmittelbar nach ihrem Erfolg bei den Landtags- und Gemeinderatswahlen am 24. April 1932 forderte die NSDAP in einem offenen Schreiben an Bundespräsident Wilhelm Miklas und Nationalratspräsident Karl Renner mit der Begründung, die Zusammensetzung des Nationalrates entspreche nicht mehr dem Willen des Volkes, dessen sofortige Auflösung und die Ausschreibung von Neuwahlen. In einem die politischen Folgen ignorierenden kollektiven Todestrieb schlossen sich die Sozialdemokraten, die Großdeutschen und der Heimatblock am 28. April dieser Forderung durch entsprechende Anträge im Nationalrat an. Otto Bauer setzte sich mit seiner Auffassung, dass bei Neuwahlen die Nationalsozialisten zwar in den Nationalrat einziehen, jedoch die Sozialdemokraten als deutlich stärkste Partei im neuen 177 Hänisch  : Die österreichischen NSDAP-Wähler. S. 304.

Die Salzburger NSDAP

99

Nationalrat vertreten wären, im Parlamentsklub durch. Denn die Christlichsozialen, so seine Argumentation, würden deutlich geschwächt, ihre potentiellen Koalitionspartner – Großdeutsche und Landbund – auf den Status von Kleinstparteien reduziert und daher als Koalitionspartner für eine Bürgerblockregierung à la Seipel ausscheiden. Den Christlichsozialen blieben nur mehr zwei Optionen  : Schwarz-Braun oder Rot-Schwarz. Da Schwarz-Braun unwahrscheinlich sei, stünde nur mehr eine Koalitionsregierung unter sozialdemokratischer Führung als realistische Alternative zur Verfügung. Und mit den Nationalsozialisten könne man im Parlament besser fertig werden als auf der Straße. Sie würden sich in der parlamentarischen Sacharbeit schnell entzaubern und damit auch das von ihm durchaus festgestellte zunehmende Abwandern der Arbeiterschaft zur NSDAP verhindern.178 Bauers fatale Fehleinschätzung und die von ihm – gegen den Widerstand von Mitgliedern des Parteivorstands – gegenüber der Regierung Dollfuß betriebene Obstruktionspolitik vor allem in der in ihren emotionalen Ausschlägen an jene um die Genfer Protokolle erinnernde Diskussion über die Lausanner Anleihe hatten ihren Anteil an dem Weg in die letztlich unheilvolle Entwicklung des folgenden Jahres. In der Ministerratssitzung am 17. Juni 1932 bemerkte Unterrichtsminister Anton Rintelen in der Diskussion über die Beseitigung des Budgetdefizits, dass unbedingt Reformen bei den Bundesbahnen und der Sozialfürsorge durchgeführt werden müssten. Die Regierung müsse diesbezüglich entsprechende Gesetzentwürfe dem Parlament vorlegen. Wenn diese »an dem Widerstand des Parlamentes scheitern, dann trage die Regierung dafür keine Verantwortung. Aber das Übel sich weiter auswirken zu lassen und dadurch genötigt zu sein, immer wieder neue Lasten aufzuerlegen, würde die Regierung nicht durchhalten.« Justizminister Kurt Schuschnigg bemerkte unter Hinweis auf die bestehenden parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse, er »sehe nicht den Weg, die Reform der Bundesbahnen und die Reform der Arbeitslosenunterstützung parlamentarisch zu erledigen. Diese Erkenntnis habe nichts Befremdendes an sich. Die Parlamente aller in wirtschaftlicher Not darniederliegenden Staaten haben sich als ungeeignet erwiesen, Staat und Volk aus der Krise herauszuführen. Die Regierung stehe daher vor der Entscheidung, ob sie es weiter verantworten könne, mit dem Parlament zu arbeiten, und ob der nächste Kabinettswechsel nicht gleichbedeutend mit der Ausschaltung des Parlaments sein müsste. Bei einem solchen Notstand sei ein Regieren mit dem Parlament nicht möglich.«179 Die Gräben zwischen Regierung und Opposition, vor allem zwischen Engelbert Dollfuß und Otto Bauer, wurden ab dem Spätfrühling 1932 ausgehoben. Der auf Grund der äußerst schwierigen innenpolitischen Kräftekonstellation als Kompromiss- und Übergangskandidat als Nachfolger Bureschs auf dem Ballhausplatz ins178 Ernst Hanisch  : Der große Illusionist. Otto Bauer (1881–1938). – Wien/Köln/Weimar 2011. S. 277 f. 179 MRP 808/24. 17.6.1932.

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Zeitenwende oder der Kampf gegen das System

tallierte neue Bundeskanzler sah in dem unmittelbar nach seinem Regierungsantritt mit dem Ziel der Ausschreibung von vorzeitigen Neuwahlen eingebrachten sozialdemokratischen Misstrauensantrag ein staatspolitisch unverantwortliches Agieren. Die Opposition der Sozialdemokratie gegen die Lausanner Anleihe bestätigte seine Auffassung, dass die große Oppositionspartei, von der ideologischen Maxime des Antikapitalismus getrieben, staatspolitische Verantwortungslosigkeit zeige. Ein emotionaler Wortwechsel über die Person von Staatssekretär Emil Fey zwischen dem Kanzler und Otto Bauer bei einer Sitzung des Nationalrates am 21. Oktober 1932 bildete den Höhepunkt der persönlichen Konfrontation. Dollfuß empfand sich persönlich durch Otto Bauer beleidigt, den er einen Bolschewiken nannte, der es mit der Demokratie nie ehrlich gemeint habe und meine. Wenngleich sich Bauer in einem Artikel in der »Arbeiter-Zeitung« mit diesem Vorwurf auseinandersetzte und ihn zurückwies, so wurde seine ambivalente Haltung – das Schätzen der individuellen, vom verachtenswerten Kapitalismus befreiten geistigen Freiheit einerseits, die Verteidigung des Begriffs »Bolschewismus« und seine Hoffnung auf die Russische Revolution andererseits – neuerlich deutlich.180 Die im Endstadium des Bewilligungsverfahrens der Lausanner Anleihe durch Enthüllungen der »Arbeiter-Zeitung« ab dem 8. Jänner 1933 über geheime Waffentransporte von Italien nach Ungarn über österreichisches

180 Otto Bauer  : Wir Bolschewiken. – In  : Ders.: Werkausgabe. Band 7. – Wien 1979. S. 485–489. »Ich halte jeden für einen armseligen Spießer, der das Wort Bolschewik als ein Schimpfwort oder wie ein Schimpfwort gebraucht. (…) Jeder denkende Zeitgenosse ringt mit den ungeheuren Problemen des Bolschewismus. Nur Spießern ist das Wort Bolschewik nicht mehr als ein Schimpfwort.« (S. 485 f.) Er sei kein Bolschewik, denn ihn trenne vom Bolschewismus die Überzeugung, dass die Methode der Bolschewiki nicht auf Mitteleuropa angewendet werden könne, und seine Auffassung von der Notwendigkeit der individuellen, der geistigen Freiheit. »Aber wenn ich die geistige Freiheit schätze, so hasse ich mit unauslöschlichem Hass den Kapitalismus. Ich hasse diese Gesellschaftsordnung …« In der Abwägung der Systeme entschied sich der Marxist Otto Bauer trotz seines Bekenntnisses zur Freiheit im Sinne der Geschichtsteleologie für den Bolschewismus. »Wenn die Diktatur des russischen Bolschewismus gewaltsam gestürzt würde, dann würde die Menschheit für geraume Zeit den Glauben an die Möglichkeit einer anderen, einer höheren Gesellschaftsordnung als der des Kapitalismus verlieren  ; dann würde dadurch die Lebensdauer der kapitalistischen Barbarei verlängert. Wenn es dagegen dem russischen Bolschewismus gelingen sollte, auf dem großen Kontinent zwischen der Ostsee und dem Japanischen Meer den Völkern der Welt durch die Tat den Beweis zu erbringen, dass ein Volk Wohlstand erringen kann in einer Gesellschaftsordnung, in der die Naturschätze und die Arbeitsmittel nicht mehr dem Kapital gehören, sondern der Gesamtheit, und die Produktion nicht mehr der kapitalistischen Anarchie überantwortet ist, sondern nach gesellschaftlichem Plane gelenkt wird, dann würde der Gedanke des Sozialismus in der ganzen Welt unwiderstehliche Werbekraft erlangen. Dann würde die letzte Stunde des Kapitalismus schlagen. Deshalb, Herr Dollfuß, setze ich meine Hoffnung nicht auf den Sturz der russischen Diktatur, sondern darauf, dass es ihrem zähen, heroischen Ringen schließlich doch gelingen wird, die riesenhaften Schwierigkeiten, mit denen sie kämpft, zu meistern.« (S. 487 f.)

Die Salzburger NSDAP

101

Gebiete losgetretene sog. »Hirtenberger Waffenaffäre«181 inklusive deren vor allem durch die Kleine Entente ausgelöste internationale Reaktionen182 verschärften die persönliche Animosität des Bundeskanzlers gegenüber Otto Bauer. Ein Grund für die nicht geplante tragische Entwicklung nach dem 4. März 1933 lag darin, dass die (zu spät) bewusst konziliante Haltung Otto Bauers die Sprachlosigkeit nicht zu überwinden und die von Dollfuß aus staatspolitischen und persönlichen Gründen abgebrochenen Brücken nicht wieder belastbar zu machen vermochte. Otto Bauer hatte mit seiner dezisionistischen, zum Leidwesen mancher Mitglieder des Parteivorstandes einen Kompromiss völlig ablehnenden, Haltung die Möglichkeiten einer stabilen Regierungsbildung – sowohl Karl Buresch wie auch Engelbert Dollfuß hatten die Einbeziehung der Sozialdemokratie in eine über eine stabile Mehrheit verfügende Koalitionsregierung erwogen – verhindert. Zu sehr war er von der endgültigen Krise des Kapitalismus, an dessen Krankenbett die Sozialdemokratie nicht stehen dürfe, überzeugt. So erklärte er in seiner Rede vor dem Parteitag der SDAP im November 1932  : »Der Kapitalismus erlebt jetzt seine große Weltblamage. Er zeigt jetzt der Welt, dass er nicht imstande ist, in einer Zeit, die reicher ist an Nahrungsmitteln, an Rohstoffen, an Maschinen, an gelernten Arbeitskräften, an allem, was man braucht, um alles Notwendige zu erzeugen, als jede Zeit vorher, dass er in solcher Zeit nicht imstande ist, Millionen und aber Millionen Menschen in der Welt vor dem allerschlimmsten Elend zu bewahren. (…) Es gärt heute in der Welt. Es gärt in den Arbeitslosenmassen in England und in Amerika und überall und es gärt – und das ist nicht weniger wichtig – in den verelendeten Bauernmassen der Agrarländer überall. Der Kapitalismus hat seine Stabilität verloren. … bleiben … wird von den Wirren unserer Zeit, dass das Vertrauen ungeheurer Massen in der Welt zum Kapitalismus zerstört ist und nicht wiederhergestellt werden kann. Das beispiellose Massenelend in der kapitalistischen Welt von heute und diese überraschenden, so schwer verständlichen politischen Wirren in der kapitalistischen Welt von heute sind nur Begleiterscheinungen des Auflösungsprozesses der kapitalistischen Weltwirtschaft.«183 Die Christlichsoziale Partei sei ein Exponent dieses Systems und daher kein Koalitionspartner, denn sie biete »ein merkwürdiges Spiel … Von Zeit zu Zeit, wenn es dem Lande besonders schlecht geht, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse besonders verantwortungsschwere Entschlüsse heischen, dann ziehen die Christlich-

181 Zur Hirtenberger Waffenaffäre vgl. Dieter A. Binder  : Der Skandal zur »rechten« Zeit. Die Hirtenberger Waffenaffäre 1933 an der Nahtstelle zwischen Innen- und Außenpolitik. – In  : Michael Gehler, Hubert Sickinger (Hg.)  : Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim. – Thaur 1995. S. 278–292. 182 ADÖ 8/1256 ff. 183 Otto Bauer  : Werkausgabe. Band 5. – Wien 1978. S. 666 f.

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sozialen die Fahne der Verständigung auf, dann werden sie Demokraten und Republikaner, dann haben sie keine andere Sorge als die um die Volkswirtschaft, dann laden sie uns ein, zusammen mit ihnen das Land vor den wirtschaftlichen Gefahren zu retten. Das war immer so. Zuletzt noch nach dem Zusammenbruch der Credit­ anstalt. Sobald aber die Christlichsozialen glauben, dass das Schlimmste vorüber sei, dass sich die wirtschaftlichen Gefahren abgeschwächt haben, dass Österreich wieder einmal durch eine wirtschaftliche Gefahrenzone hindurchgekommen ist, holen sie die Fahne der Verständigung herunter und ziehen die Fahne des Antimarxismus auf  ; dann kommen immer neue Angriffe auf die Demokratie.«184 Doch von welcher Demokratie sprachen die Sozialdemokratie und Otto Bauer  ? Die Äußerungen waren zumindest ambivalent. Karl Seitz, Parteivorsitzender und Wiener Bürgermeister, erklärte im Nationalrat, jeder Proletarier wisse, dass die Demokratie kein Endziel sei, sondern lediglich »ein Mittel, zum Ziel zu gelangen, zum Sozialismus.«185 Ähnliche Parolen – »Demokratie ist nicht viel, Sozialismus ist das Ziel« – zierten die Transparente der 1.-Mai-Aufmärsche und Otto Bauer sprach ständig nur von einer »bürgerlichen Demokratie«, in der noch der Kapitalismus herrsche und die daher noch keine voll entwickelte Demokratie sei. Sie sei den historischen Umständen in Mitteleuropa am Ende des Ersten Weltkrieges geschuldet. Seine historische Analyse war, wie für viele europäische Linke charakteristisch,186 durch ein Ignorieren der historischen Fakten wie der völligen Ausblendung des bisher nicht gekannte Ausmaße annehmenden bolschewistischen Terrors, des GULAG-Systems, der Lügenpropaganda vor allem auf dem offenen Land oder der Hungerkatastrophen gekennzeichnet. »In jener Zeit, in der die Monarchien in Mitteleuropa gestürzt und in der die Republiken gegründet worden sind, in derselben Zeit ist die Revolution in Russland weit über die Schranken einer bürgerlichen Demokratie vorgestoßen und hat dort den Kapitalismus wirklich gestürzt. Die Russische Revolution … hat gesiegt in einem Bürgerkrieg … Die Revolution konnte in Russland in dreijährigem Bürgerkrieg aus drei Gründen siegen  : Erstens, weil die russischen Bauern die Revolution verteidigt haben  ; denn sie hatten sich im Verlauf des revolutionären Prozesses das Herrenland angeeignet und haben mit der Revolution den Boden verteidigt, den sie sich erobert hatten. Sie konnte zweitens siegen, weil die ungeheure Größe der fruchtbaren russischen Ebene wenigstens die notdürftigste Ernährung der Massen des russischen Volkes … sicherstellte. Und sie konnte drittens siegen, weil die ungeheure Größe des russischen Raumes, an der alle Eroberer von Napoleon bis Ludendorff gescheitert sind, auch ein unüberwindliches Hindernis war für alle die 184 Ebd. S. 649 f. Vgl. dazu auch AZ 15.11.1932. S. 2 f. 185 Hanisch  : Der große Illusionist. S. 279. 186 Zur Illusion und Fehleinschätzung der europäischen Linken vgl. François Furet  : Das Ende der Illusion. Der Kommunismus im 20. Jahrhundert. – München/Zürich 1996. S. 87 ff.

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Weißen Armeen …, vor allem aber auch für den Eroberer von außen, für das Polen Piłsudskis … In Mitteleuropa … war die Lage gerade entgegengesetzt. Wir standen hier in Mitteleuropa, in Österreich wie in Deutschland, nicht einer Bauernschaft gegenüber, die, noch völlig politisch ungeschult, noch völlig politisch unorganisiert, politisch noch völlig indifferent, von der Arbeiterklasse mitgerissen werden konnte in einen revolutionären Prozess … Wir verfügten hier nicht über eine fruchtbare Ebene, die uns in einem langen Bürgerkrieg hätte ernähren können.« Mitteleuropa war von einem vierjährigen Krieg erschöpft und konnte Hilfe »von niemand anderem empfangen als von den kapitalistischen Siegermächten … Dadurch waren wir von ihnen völlig abhängig. Wir waren drittens auch nicht durch die Größe des Raumes geschützt gegen fremde Eroberer. Nach vierjährigem Krieg waren wir völlig wehrlos gegenüber der militärischen Übermacht der kapitalistischen Siegermächte. Und ein Bürgerkrieg hätte hier bedeutet, dass in kurzer Zeit fremde Generäle als Diktatoren entschieden hätten. Das war der große Unterschied. Deswegen konnte die mitteleuropäische Revolution damals nicht über den Rahmen einer bürgerlichen Demokratie hinwegstürmen, und deswegen konnte sie den Kapitalismus nicht töten.«187 Die Folge sei gewesen, dass auch der »politische Überbau des Kapitalismus, nämlich die politische Herrschaft der Bourgeoisie«188 wiederhergestellt wurde. So sehr diese bürgerliche Demokratie nicht die Demokratie des Proletariats sei, so sei das Parlament doch der Kampfboden des Proletariats, den es zu sichern gelte. Es gebe zunehmend viele Genossen, die zwar die existierende parlamentarische Demokratie als Kampfboden des Proletariats akzeptieren würden, jedoch die Meinung vertreten, dass »die letzte Entscheidung über die Gesellschaftsordnung … nicht mit dem Stimmzettel gefällt werden könne, sondern da werde doch nur die Gewalt entscheiden können.« Otto Bauer bezog in dieser Frage nicht eindeutig Stellung für den friedlichen parlamentarischen Weg, sondern bemerkte lediglich, er »glaube nicht, dass es viel Sinn hat, heute darüber zu streiten. Es ist ganz sicher  : Die letzte Entscheidung, die Entscheidung über die Expropriation der Expropriateure, die Entscheidung darüber, ob die konzentrierten Produktionsmittel dem Kapital gehören sollen oder dem arbeitenden Volk, diese letzte Entscheidung wird sicher nur fallen können in einer revolutionären Situation. Ob eine solche revolutionäre Situation unvermeidlich die Demokratie sprengen muss oder ob vielleicht eine revolutionäre Situation auf demokratischem Weg der Arbeiterklasse die Macht in die Hände geben wird und die Bourgeoisie in einer solchen Situation es noch wagen wird können, sich der Entscheidung des Stimmzettels zu widersetzen, darüber zu diskutieren, hätte heute nicht allzu viel 187 Bauer  : Werkausgabe. Bd. 5. S. 643 f. 188 Ebd. S. 644.

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Sinn.«189 Die Partei sollte sich in der Gegenwart des Umstandes bewusst sein, dass sie sich nicht in einer revolutionären, sondern in einer konterrevolutionären Situation befinde und daher – zumindest vorläufig- an der bürgerlichen Demokratie festhalten und diese auch gegen den anstürmenden Faschismus verteidigen müsse. In diesem Kampf gelte es, durch eine strikte Oppositionspolitik die eigenen Reihen zu schließen, angesichts der anhaltenden Arbeitslosigkeit und der Verlockungen des Faschismus ein Abwandern der Arbeiter zur NSDAP und damit zur Konterrevolution zu verhindern, Im Februar 1933 sandte der schwedische Generalkonsul in Wien, Alois Marquet, der auch Mitglied des Verwaltungsrates der CA war, seinen Bericht über das Jahr 1932 an das schwedische Außenministerium in Stockholm. Auf Grund der Zollpolitik seiner Nachbarn, der Weltwirtschaftskrise und der Krise der CA sei Österreich zu massiven Bewirtschaftungsmaßnahmen wie der Sistierung des Handels mit Devisen, der Ablieferungspflicht von Devisen und Valuten im Privatbesitz an die Nationalbank und der Verwaltung des Devisenschatzes durch die Nationalbank gezwungen gewesen. Die Krise hatte nicht nur die CA, sondern alle Wiener Großbanken erfasst und in Summe den enormen Schaden von 3,5 Milliarden Schilling, das Eineinhalbfache des Staatshaushaltes, verursacht. Österreich kämpfe derzeit »mitten unter bereits zugrunde gegangenen oder im Zugrundegehen begriffenen anderen Staatswirtschaften, durch Zahlungsverbote, Ein- und Ausfuhrverbote, durch sich immer höher türmende Zollmauern von der Luft und dem Weg ins Freie immer wieder abgeschlossen, … einen Verzweiflungskampf.« Bei der Fortdauer der derzeitigen Situation »und des immer stärker werdenden wirtschaftlichen Elends« werde sich daher der »Ruf nach einer starken Hand und nach einem Ausgleich unter den verschiedenen Schichten des Wirtschaftslebens« immer mehr verstärken. »Noch ein oder zwei Jahre Fortdauer des jetzigen Regimes und Österreich ist für die Diktatur reif, von welcher Seite immer sie kommt.«190 Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Jänner 1933 markierte einen historischen Wendepunkt, der in seiner Tragweite von vielen Zeitgenossen nicht erkannt wurde. Während die Nationalsozialisten im Siegesrausch schwelgten und vom Kommenden, das für viele das Unheil bedeutete, träumten, sahen andere in der Regierungsbildung einen geschickten Schachzug der wahrhaft Mächtigen, für die der neue Reichskanzler nur der Handlanger sein werde. So notierte Joseph Goebbels am 30. Jänner in sein Tagebuch  : »Eben ist es 11 Uhr. Chef geht gleich zum Alten (Hindenburg, Anm. d. Verf.). Soll tatsächlich die große Stunde da sein  ? Ich wage noch nicht daran zu glauben.« Am folgenden Tag notierte er in deutlich ent189 Ebd. S. 653. 190 Zit. bei Walter Rauscher, Arnold Suppan, Elisabeth Vyslonzil  : Vorwort. – In  : ADÖ Band 8. – Wien 2009. S. 7–9. S. 7.

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spannter Stimmung  : »Es ist so weit. Wir sitzen in der Wilhelmstraße. Hitler ist Reichskanzler. Wie im Märchen  !«191 Der SPD-Abgeordnete Kurt Schumacher sah in der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler lediglich einen Triumph des Großkapitals, das sich eines seine wahre Natur nunmehr offenbarenden Hitler bediene  : »Das Kabinett heißt Adolf Hitler, aber das Kabinett ist Alfred Hugenberg. Adolf Hitler darf reden. Alfred Hugenberg wird handeln.« Die NSDAP sei nunmehr als Spielball des Großkapitals entlarvt. »Nationalkapitalismus ist die wahre Firma  !«192 Im Gegensatz dazu bemerkte der französische Botschafter André François-Poncet scharfsinnig in seinen Memoiren über die kollektive Selbsttäuschung der nationalen Kanzlermacher  : »Tatsächlich glaubten die Reichswehr und die Barone, der Generalstab, Hugenberg und die Deutschnationalen, Papen und der Reichspräsident, es werde ihnen ein eichtes sein, Hitler und seine Partei in Schach zu halten. Sie hatten den Führer bei Besprechungen, die dem Entschluss des Reichspräsidenten vorangegangen waren, anpassungsfähig und fügsam gefunden. Sie glaubten ihn durch die Niederlage bei den Wahlen vom November 1932 geschwächt und klüger geworden. Sie meinten, ein Meisterstück vollbracht zu haben, wenn sie ihn mit nur zwei Mitarbeitern, Göring und Frick, in ein Ministerium einspannten, das in seiner Mehrheit aus Deutschnationalen, Baronen und persönlichen Freunden Hindenburgs bestand. Sie dachten … auch an das deutsche Sprichwort, dass die Suppe nicht so heißt gegessen werde, wie sie gekocht wird  ; Hitler, einmal zur Macht gelangt, sei nicht mehr derselbe Hitler wie zuvor … Selten ist man einer solchen politischen Verblendung begegnet. Selten haben sich so viele Illusionen und psychologischen Fehler zusammengefunden. (…) Wird die Machtergreifung ihres Führers diese Wölfe in Lämmer verwandeln, sie, die ankündigten, dass ›Köpfe rollen‹ werden und die erste Nacht der Revolution ›die Nacht der langen Messer‹ sein wird  ? Was werden für diese zu allem entschlossenen Banden, die vor nichts zurückschrecken, die Ermahnungen zur Ordnung, die Vorwürfe der Barone, selbst die Interventionen des Marschalls bedeuten  ? Der Fackelzug des 30. Jänner schon hat das Kräfteverhältnis gezeigt. … Als ich Papen meine Befürchtungen mitteilte, erwiderte er  : ›Ach was, wenn sie sich die Hörner abgelaufen haben, wird alles gut gehen  !‹ Dieses Wort spiegelt die Leitfertigkeit dieses Mannes wider, unterstreicht seine Verantwortung und die seiner Freunde. Der Mann, von dem die Barone sich rühmen, sie hätten ihn in der Reichskanzlei unter ihrer Aufsicht, ist stärker als sie. So wird gefangen, wer zu fangen glaubt  ! Sie haben Hitler in den Sattel gehoben. Auf Hunderttausende seiner Soldaten und Tausende seiner Anhän-

191 Joseph Goebbels  : Tagebücher. Hg. v. Ralf Georg Reuth. 5 Bde. 2. Aufl. – München/Zürich 2000. Bd. 2. S. 757. 192 Zit. bei Kershaw  : Hitler 1889–1936. S. 548.

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ger gestützt, die ihm gehorchen, wird Hitler nicht zögern, ihnen zu sagen  : ›Das ist mein Haus. Ihr habt es zu verlassen  !‹«193 Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, die für kritische Beobachter das endgültige Ende der Weimarer Republik bedeutete, die Ausschreibung von Neuwahlen für den 5. März sowie die teilweise bürgerkriegsähnlichen Vorkommnisse während des Wahlkampfes, der Brand des Reichstages und die in dessen Folge verabschiedete Notverordnung »Zum Schutz von Volk und Staat«, mit der die durch die Weimarer Verfassung geschützten bürgerlichen Freiheiten auf unbestimmte Zeit aufgehoben wurden, wurden auch in Salzburg mit besonderem Interesse verfolgt. Die Salzburger Medien – »Salzburger Volksblatt«, »Salzburger Chronik« und »Salzburger Wacht« – berichteten und kommentierten die Ereignisse ausführlich. Die Beurteilung der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Jänner, als Datum der eigentlichen Machtergreifung muss auf Grund der Folgen der 5. März 1933 gelten, folgte den bereits oben erwähnten Linien. Für das deutschnationale »Salzburger Volksblatt« hatte Hitler durch seinen »dankenswerten Verzicht auf die Ausschließlichkeit« die Position des Reichskanzlers errungen. »Er wird jetzt zeigen müssen, was er kann. Wir sind nicht so naiv oder so ungerecht, von Hitler und seinem Reichskabinett Wunderdinge zu erwarten.« Die politischen Gegner, vor allem die Sozialdemokraten und Kommunisten, werden nicht zögern, die hohen Erwartungen unmittelbar einzufordern und auch in »hämischen Reden und Zeitungsartikeln zu hetzen« und damit den »schon hinlänglich schweren Weg der neuen Regierung noch dorniger zu gestalten. Aber nicht auf die neidigen Hasser ist heute unser Blick gerichtet. F r e u e n wollen wir uns, so wie sich gestern abends in Berlin bei dem großen Fackelzuge zu Ehren der neuen Reichsregierung Hunderttausende freuten, darüber, dass endlich in Deutschland n i c h t etwa eine nationalsozialistische P a r t e i r e g i e r u n g , sondern eine w a h r h a f t n a t i o n a l e R e i c h s r e g i e r u n g gebildet wurde. Diese Regierung umfasst Kräfte aus allen jenen Lagern, die am Wiederaufbau eines wirklich nationalen Zielen zustrebenden Deutschlands mitarbeiten wollen …«194 Die »Salzburger Chronik« kommentierte, man müsse bei all der »Hochstimmung, wie sie jetzt so weite Kreise erfasst und in den Berliner Kundgebungen für Hindenburg-Hitler einen so eindrucksstarken Niederschlag gefunden hat,« das alte Sprichwort nicht vergessen, »dass nur mit Wa s s e r gekocht werden kann. … Auch die Regierung Hitler hat nur e i n m a l im Jahr G e b u r t s t a g , das übrige sind 364 We r k t a g e .«195 Die »Salzburger Wacht« druckte auf der Titelseite eine Erklärung des Parteivor193 André François-Poncet  : Als Botschafter im »Dritten Reich«. Die Erinnerungen des französischen Botschafters in Berlin September 1931 bis Oktober 1938. – Mainz/Berlin 1980. S. 101 f. 194 Salzburger Volksblatt 31.1.1933. S. 2. 195 Salzburger Chronik 1.2.1933. S. 1.

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standes ab, in dem es im Stil Kurt Schumachers hieß  : »H i t l e r und P a p e n , der Führer der deutschen Faschisten und der Vertrauensmann der preußischen Junker, haben gemeinsam eine Regierung gebildet. Ein Jahr lang haben die beiden Fraktionen im Lager der Reaktion miteinander um die Macht gekämpft, der Herrenklub und die Hakenkreuzler, die ›feinen Leute‹ und die Faschisten, die Aristokraten und die Braunhemden. Aber schon am Anfang dieses Kampfes im Lager der Reaktion hat der alte O l d e n b u r g - J a n u s c h a u , der Führer der ostelbischen Junker, die Parole ­ausgegeben  : man müsse Hitler zuerst entlausen, dann werde man sich seiner bedienen können. Das ist den Junkern g e l u n g e n . Jetzt haben sie Hitler entlaust genug, um unter seinem Namen ihre Regierung zu bilden. (…) Es ist eine Regierung der ›feinen Leute‹ unter dem Namen des Führers der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei  ! Die Maske ist gelüftet. Hitler ist entlarvt als der Bundesgenosse der Schwerindustriellen und der Aristokraten …«196 Die nationalsozialistische »Machtergreifung« in Deutschland am 30. Jänner und 5. März 1933 änderte auf Grund der nunmehr geänderten Außenpolitik Berlins die bilateralen Beziehungen zwischen Berlin und Wien grundlegend. Die von Hitler formulierte außenpolitische Maxime Berlins zielte über eine Revision des Vertrages von Versailles oder eine deutsche Hegemonie über Mittel- und Südosteuropa weit hinaus. Bereits in seiner Rede vor führenden Militärs unmittelbar nach der Machtergreifung am 3. Februar 1933 hatte er erklärt, er wolle nach der Ausrottung des Pazifismus und Marxismus im Inneren und der »Stärkung des Wehrwillens« den »Kampf gegen Versailles« in Angriff nehmen, um schließlich die Frage des »Lebensraumes im Osten« zu klären.197 Um das große Ziel, die Errichtung eines deutschen Herrschaftsbereiches über Osteuropa, zu erreichen, war im Sinne des politischen Darwinismus eine Phase der intensiven Aufrüstung Voraussetzung, die jedoch den Friedensbestimmungen widersprach.198 Sie musste daher in einer von Hitler auf drei bis vier Jahre geschätzten Risikophase im Verborgenen erfolgen. Es galt, unmittelbar 196 Salzburger Wacht 31.1.1933. S. 1. 197 Karlheinz Weißmann  : Der Weg in den Abgrund. Deutschland unter Hitler 1933–1945. 2. Aufl. – München 1997. S. 250. 198 Im außenpolitischen Denken Hitlers spielte das »Lebensraum-Konzept« eine zentrale Rolle. Seiner Auffassung nach gab es vier Möglichkeiten, auf die Asymmetrie von Bevölkerungszahl und Territorium zu reagieren  : Auswanderung, Geburtenkontrolle, Exportsteigerung industrieller Produkte im Austausch gegen Lebensmittel oder die Ausdehnung des Lebensraumes. Hitler lehnte die ersten drei Möglichkeiten ab und sah vor allem in der Exportsteigerung industrieller Produkte eine Verschärfung der Disproportionalität von Industrie und Landwirtschaft, die letztlich zur Vernichtung des Bauernstandes führe. Deshalb könne nur die Gewinnung bzw. Eroberung neuen Lebensraumes die Asymmetrie von Bevölkerungszahl und Territorium beseitigen und die Grundlage für eine au­

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nach der Machtergreifung in einem großen Täuschungsmanöver den Friedenswillen Deutschlands zu demonstrieren. Diesem Zweck diente die sog. »Friedensrede« vom 17. Mai 1933, in der er betonte, dass die Nationalsozialisten auch die nationalen Rechte der anderen Völker respektierten und »aus tiefinnerstem Herzen« wünschen, »mit ihnen in Frieden und Freundschaft zu leben.«199 Der Erklärung folgte die Verlängerung des Freundschafts- und Nichtangriffsvertrages mit der Sowjetunion und ein Nichtangriffspakt mit Polen im Jänner 1934, der international für Aufsehen sorgte und den britischen Botschafter in Berlin, Sir Eric Philipps, zu der Feststellung veranlasste, Hitler habe damit eine staatsmännische Leistung vollbracht. Dass er als Wolf im Schafspelz agierte und sich – in der Tradition der Außenpolitik der Weimarer Republik – mit der Revision von als besonders ungerecht und drückend empfundenen Bestimmungen des Vertrages von Versailles keineswegs zufriedengeben wollte, ahnten damals nur wenige.200 Einen wichtigen Stein im Mosaik der außenpolitischen Konzeption bildete der Anschluss Österreichs, der in Form einer Parallelaktion zur deutschen Entwicklung erfolgen sollte. »Es gehörte von Anfang an zu den Lieblingsideen Hitlers, des ausgebürgerten Österreichers, auf dem Weg über eine rasch auf die Machtergreifung in Deutschland folgende nationalsozialistische Revolution in Österreich jenen Traum vom einheitlichen Großdeutschland zu verwirklichen, dem nicht nur von Deutschland, sondern auch von Österreich strake Strömungen und angesehene Persönlichkeiten des geistigen und politischen Lebens entgegenkamen  : jetzt freilich nicht im föderalistischen Sinne der Liberalen von 1848 oder der Demokraten und Sozialdemokraten von 1918, auch nicht über einen staatsrechtlich und rechtsstaatlich sanktionierten Anschlussvorgang im Einklang mit den internationalen Vereinbarungen der Friedensverträge und des Völkerbundes, sondern eben auf dem Wege einer rasch erzwungenen Einverleibung in den äußerlich und innerlich gleichgeschalteten Einheitsstaat. Tatsächlich haben die österreichischen Nationalsozialisten, die zu diesem Zeitpunkt und auch später nicht entfernt die Stärke ihres deutschen Vorbildes erreichten, sogleich die nachhaltigste propagandistische und finanzielle Unterstützung durch das nationalsozialistische Hauptquartier in München erfahren  ; gleichzeitig wurde die Pressepolitik des ›Dritten Reiches‹ aufs Entschiedenste in diese Richtung ge-

tarke Wirtschaftsordnung legen. ((Rainer Zitelmann  : Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs. 4. Aufl. – München 1995. S. 308.) 199 Ulrich Herbert  : Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert. – München 2014. S. 350. 200 Klaus Hildebrand  : Das vergangene Reich. Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Hitler. 2. Aufl. – Stuttgart 1996. S. 565 f.

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steuert. Das bedeutete eine massive Einmischung in die Innenpolitik des Nachbarstaates.«201 Der Aufstieg der NSDAP zur Mittelpartei war in Österreich 1932 erfolgt und die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Jänner 1933 und die Festigung der Machtergreifung durch das Ergebnis der Reichstagswahl am 5. März hatte der österreichischen Partei neuerlichen Auftrieb gegeben, die zunehmend in der neu gebildeten »Großdeutschen Front«, einer österreichischen Variante der »Harzburger Front«  ; die deutschnationale Rechte aufsog. Es schien nur mehr eine Frage der Zeit, wann auch die österreichischen Nationalsozialisten – nunmehr mit tatkräftiger Unterstützung aus Deutschland – vor den Toren der Macht stünden. Die anhaltende Wirtschaftskrise schien den Boden aufzubereiten. Mit den Methoden der modernen Propaganda – Tonfilm, Radio, Lausprecher usw. –, populistischer Agitation, der Forderung nach Wahlen und schließlich einer Regierungsbeteiligung sollte die nationalsozialistische Machtübernahme als innerösterreichisches Ereignis stattfinden, dem in einem weiteren Schritt der Anschluss als quasi innerdeutsches Phänomen folgen sollte. Das Szenario schien für die NSDAP günstig. Die Schätzung von Alfred Proksch, dem Landesleiter der NSDAP, nach den Landtagswahlen vom 24. April 1932, im Falle von Nationalratswahlen würde die NSDAP rund 500.000 Stimmen und damit 33 der 165 Nationalratsmandate erhalten, war keineswegs aus der Luft gegriffen. Wie sehr sich die NSDAP in der ersten Jahreshälfte im Aufwind befand, illustriert das Ergebnis der Innsbrucker Gemeinderatswahl am 23. April 1933, bei der die Nationalsozialisten rund 40 Prozent der Stimmen und 9 von 20 Mandaten erhielten. Sie wurden damit zur deutlich stärksten Fraktion im Innsbrucker Gemeinderat. Die Tiroler Volkspartei hatte geringfügig, die Sozialdemokraten deutlich Stimmen an die NSDAP verloren, während die Großdeutsche Volkspartei, die ihre Hochburg in der Stadt Innsbruck hatte,202 de facto nicht mehr existent war. Bei der Gemeinderatswahl in Landeck am 30. April erhielt die NSDAP 38 Prozent und war im Gemeinderat mit 9 Mandaten in gleicher Stärke vertreten wie die Tiroler Volkspartei.

201 Karl Dietrich Bracher  : Stufen der Machtergreifung. – In  : Karl Dietrich Bracher, Wolfgang Sauer, Gerhard Schulz  : Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933/34. – Köln/Opladen 1962. S. 31–368. S. 253. 202 Bei Landtagswahlen zwischen 1919 und 1929 erzielte die Großdeutsche Volkspartei in der Stadt Innsbruck Ergebnisse zwischen 16,9 und 26,5 Prozent und damit mehr als doppelt so viel wie im Landesdurchschnitt.

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Ergebnis der Gemeinderatswahl in Innsbruck am 23. April 1933 im Vergleich zum Ergebnis der Gemeinderatswahl am 17. Mai 1931:203 Stimmen 1933

Stimmen 1931

SDAP

9.935

12.043

27,3

41,1

6

9

Tiroler Volkspartei

9.394

9.883

25,8

33,7

5

7

828

5.053

2,3

17,3

0

4

15.001

1.196

41,2

4,1

9

0

GVP NSDAP

Prozent 1933

Prozent 1931

Mandate 1933

Bürgerlicher Ständebund

778

2,1

0

KPÖ

467

1,3

0

Nationale Existenzpartei

Mandate 1931

26

Bruce F. Pauley kommt in seiner Darstellung der Geschichte des Nationalsozialismus in Österreich zu dem Ergebnis, dass die NSDAP »während des ersten Halbjahres 1933 vermutlich den Gipfel ihrer Stärke und Popularität erreichte, als sie wirklich für sich beanspruchen konnte, eine Massenbewegung zu sein. Über ein Drittel der Bevölkerung des Landes unterschrieb zumindest einen Teil ihres Programmes. Diese Popularität rührte in einem sehr großen Ausmaß von der äußerst gut organisierten Propaganda her, die sich der meisten technischen Mittel der Verbreitung bediente und sich wirklich auf jeden Teil der österreichischen Bevölkerung richtete. Die Nationalsozialisten achteten darauf – einzigartig in der Geschichte Mitteleuropas – ihre Propaganda sowohl unterhaltend als auch ideenreich zu gestalten. Der nationalsozialistische Propagandasturm schuf bei lokalen Wahlen im Frühjahr 1933 einen ihrer größten Wahlsiege und veranlasste Dollfuß, alle weiteren Wahlen abzusagen. Wenn es auch die nationalsozialistische Propaganda nicht schaffte, die Majorität der österreichischen Bevölkerung zu gewinnen, so fand sie doch breiten Anklang … Bauern, Bergarbeiter, Protestanten, Katholiken, Staatsbeamte, Kaufleute und Handwerker, sie alle schlossen sich in beträchtlicher Anzahl der österreichischen NSDAP an. Die jungen Leute und die Intelligenz wurden besonders vom Aufruf der Nationalsozialisten angesprochen … Mit einer derartigen Massengefolgschaft schienen die Nationalsozialisten im Frühjahr 1933 gut vorbereitet zu sein, um die Regierung zu einer Kraft- und Willensprobe herauszufordern.«204 Es war jedoch nicht nur die Bundesregierung, die der nationalsozialistischen He­ rausforderung begegnen musste, sondern es war das politische System als solches, 203 Anton Pelinka, Helmut Reischenböck  : Das politische System des Bundeslandes Tirol 1918–1938. – In  : Anton Pelinka, Andreas Maislinger (Hg.)  : Handbuch zur Neueren Geschichte Tirols. 2 Bde. – Innsbruck 1993. Bd. 1. S. 131–178. S. 160 f. 204 Pauley  : Der Weg in den Nationalsozialismus. S. 104.

Die Salzburger NSDAP

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das vor allem in den Landesparlamenten, in denen die Nationalsozialisten seit dem 24. April 1932 vertreten waren, mit einer offenen antiparlamentarischen Agitation konfrontiert war. Das Parlament wurde als Bühne verstanden, um gegen die parlamentarische Demokratie zu agitieren und diese zu zerstören. So erklärte Theo Habicht programmatisch, dass dort, »wo Nationalsozialisten in ein Parlament einziehen, … ihre Aufgabe nicht darin« besteht, »sich anzupassen, der fragwürdigen ›Würde des Hohen Hauses‹ Rechnung zu tragen, … sondern dort, wo Nationalsozialisten einziehen, hat sofort alles anders zu werden. Die NSDAP ist eine Kampfbewegung, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Macht im Staate zu erobern. Eroberer aber treten nicht in Pelzpantoffeln auf, sondern in Kürassierstiefeln.«205 Für die NSDAP wurde der Salzburger Landtag zur Bühne der antidemokratischen Agitation, wobei man sich des populistischen Topos der Vertretung der »wahren Volksinteressen« bediente und mit zahlreichen Anträgen diese propagandistisch verbreitete Optik unterstrich. Besonders Arbeitslose, Kleingewerbetreibende und Gebirgsbauern standen im Mittelpunkt der Anträge, die nicht realisierbare Forderungen enthielten. So forderte ein Antrag, Zwangsveräußerungen von Bauernhöfen und Vermögen von Kleingewerbetreibenden sowie jegliche diesbezügliche Zinsforderungen zu verbieten. Wenngleich Christlichsoziale und Sozialdemokraten die schwierige wirtschaftliche Lage der Bauern und Kleingewerbetreibenden erkannten und auch bemüht waren, durch Maßnahmen eine Linderung zu erreichen, so hätte eine Annahme des nationalsozialistischen Antrages zu Ungerechtigkeiten gegenüber den in eine ähnliche Not Geratenen geführt. ­ ewcomer Wenngleich von Christlichsozialen und Sozialdemokraten als politische N und daher im Tagesgeschäft Unerfahrene zunächst eher geringgeschätzt, so blieb das Agieren der Nationalsozialisten nicht ohne Wirkung. Von besonderer Brisanz erwiesen sich zwei Anträge der NSDAP in der Konstituierenden Sitzung des Landtages am 19. Mai 1932, in denen die Auflösung des Nationalrates und die Ausschreibung von Neuwahlen sowie der sofortige Rücktritt der Bundesregierung gefordert wurde. Wenngleich beide Anträge keinerlei rechtliche Konsequenz hatten, so brachten sie doch die Sozialdemokraten in Verlegenheit. Die sozialdemokratische Nationalratsfraktion hatte sich nämlich am 28. April unter Hinweis auf das Ergebnis der Landtagswahlen für Neuwahlen ausgesprochen. Da auch die Großdeutsche Volkspartei und der Heimatblock für diesen Schritt plädierten, schienen Neuwahlen und die sich daraus ergebenden negativen politischen Konsequenzen durch den Einzug der NSDAP in den Nationalrat realistisch. Die Demission der Regierung Buresch und die schließlich erfolgte Bildung der Regierung Dollfuß unter Beteiligung des Heimatblockes am 20. Mai bannten diese Gefahr. Die Sozialdemokraten im Salzburger Landtag lehnten schließlich die beiden Anträge der Nationalsozialisten mit der Be205 Zit. ebda. S. 92 f.

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gründung ab, dass man die derzeit sich im Amt befindliche Regierung Dollfuß nicht wolle, jedoch über Neuwahlen der Nationalrat zu entscheiden habe. Die Erfahrungen der Sozialdemokraten mit der NSDAP im Salzburger Landtag dürften dazu beigetragen haben, dass man einem Einzug der Partei in den Nationalrat skeptisch bis ablehnend gegenüberstand und daher Neuwahlen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht für erstrebenswert hielt. In dieser Auffassung wurden sie durch die zunehmenden Provokationen der Nationalsozialisten, die sich im Gegensatz zu der »Systempartei« SDAP und damit politischen »Bettgenossin« der Christlichsozialen als die wahren Sozialisten präsentierten, bestärkt. Hoch emotionale Diskussionen inklusive Verbalinjurien waren die Folge. Auf Grund der Mehrheitsverhältnisse im Landtag war ein selektives Abstimmungsverhalten ein weiteres Mittel der NSDAP, einen Keil zwischen Christlichsoziale und Sozialdemokraten zu treiben. So unterstützten die Nationalsozialisten einen Antrag der Sozialdemokraten, bei der Gruppe der »Ausgesteuerten« das Land Salzburg und die Gemeinden stärker in die Pflicht zu nehmen, obwohl Landeshauptmann Franz Rehrl in seiner Rede zum Beginn der Herbsttagung 1932 zur wirtschaftlichen Lage des Landes erklärt hatte  : »Die Krise spiegelt sich in den Ziffern des Landes-Voranschlages für das Jahr 1933 folgend  : Wenn wir schon die im Vorjahre erstellte Erfordernisziffer von rund 23 Millionen Schilling als einen Tiefpunkt betrachtet haben, so ergibt sich jetzt die Tatsache, dass wir das Budget für 1933 um weitere drei Millionen Schilling kürzen müssen. Da von den zur Verfügung stehenden Einnahmen im Betrage von rund 19.700.000 Schilling über 16.000.000 Schilling als reine Rechtstitelleistungen betrachtet werden müssen, konnten die Kürzungen nur bei einem Betrage von etwa 4.000.000 Schilling platzgreifen. Die Folge davon ist, dass alle diejenigen Kredite, welche nicht zur ungestörten Aufrechterhaltung der eigenen Ämter und Anstalten des Landes, insbesondere der Sanitäts- und Fürsorgeanstalten und der gesamten Schulen, unbedingt beibehalten werden müssen, entweder ganz gestrichen oder auf einen Bruchteil ihres vorjährigen Ausmaßes herabgesetzt werden müssen. Dass hierbei vor allem auch die Baukredite betroffen erscheinen, ist ganz besonders bedauerlich. Es können aus diesem Grunde im kommenden Jahre nicht nur die heuer unterbrochenen Bauten nicht weitergeführt werden, sondern es muss sogar das ganz beschränkte Ausmaß, in welchem immerhin im abgelaufenen Jahre noch Bauführung erfolgten, praktisch ganz zum Verschwinden gebracht werden. (…) In dem bevorstehenden, vielleicht sehr strengen Winter stehen viele Familien, welche durch die herrschende schlechte Wirtschaftslage nicht die Möglichkeit haben, Arbeit und damit Verdienst zu erlangen, vor der schweren Sorge, wie sie ihre Angehörigen, namentlich Frauen und Kinder, vor Hunger und Kälte bewahren können. Die Lage dieser armen Menschen, von denen viele nicht einmal mehr im Genusse der Arbeitslosenunterstützung stehen, ist tatsächlich eine sehr schwere.

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Wenn auch die Landesregierung Salzburg im Verein mit den berufenen Stellen alles aufbieten wird, um eine Linderung der Not herbeizuführen, so muss leider auch gesagt werden, dass auf diesem Gebiete der Fürsorge Grenzen infolge der durch die wirtschaftliche Lage gebotenen Sparmaßnahmen sehr enge gezogen sind.«206 Andererseits unterstützten die Nationalsozialisten, ihrer Ideologie folgend, einen Antrag der Christlichsozialen, zur Stützung der heimischen Landwirtschaft einen Teil der Arbeitslosenunterstützung in Form von Käse und Milch aus heimischer Produktion abzugeben. Die Sozialdemokraten protestierten heftig, wenn auch vergeblich, gegen diesen Antrag mit dem Argument, dass er die freie Verfügungsgewalt über das Arbeitslosengeld einschränke. Ein überraschendes und auf Initiative der Nationalsozialisten erfolgtes gemeinsames Vorgehend der drei Landtagsfraktionen erfolgte in Reaktion auf den zweistündigen Eisenbahnerstreik am 1. März 1933,207 dessen parlamentarische Behandlung drei Tage später zur sog. »Selbstausschaltung« des Parlamentes führte. Auf Grund der schwierigen finanziellen Lage der Österreichischen Bundesbahnen sollte die Bezahlung der Märzgehälter in drei Raten erfolgen. Die Finanzierung der Bundesbahnen bildete auf Grund der enormen Belastungen durch den hohen Personalstand und die hohen Pensionsbezüge einen Dauerbrenner der österreichischen Finanzpolitik und die Eisenbahner wurden in Zeiten der Wirtschaftskrise ob ihrer sicheren und relativ hohen Einkünfte vielfach beneidet, weshalb Streikmaßnahmen keineswegs auf Verständnis in breiten Schichten der Bevölkerung stießen. Das Bekanntwerden der Ratenzahlung der Märzgehälter führte zu einer Streikdrohung der Eisenbahnergewerkschaft. Wenngleich die sozialdemokratischen Eisenbahngewerkschafter die deutliche Mehrheit bildeten, so standen sie unter dem Druck der in dieser Sparte traditionell relativ starken nationalen Gewerkschaft, in der bereits die Nationalsozialisten dominierten. Vor allem in der mittleren und höheren Beamtenschaft der ÖBB dominierten bereits die Nationalsozialisten, die durch den gleichzeitig in Deutschland stattfindenden Wahlkampf für die Reichstagswahl am 5. März Rückenwind erhielten. Auf Grund des Drucks der nationalen Gewerkschaft, die den Streik ursprünglich als politischen, d. h. gegen die Bundesregierung gerichteten, bezeichnete, schlossen sich die sozialdemokratischen und christlichsozialen Gewerkschafter dem Streikbeschluss an, um das Terrain nicht den Nationalsozialisten zu überlassen. Mit dem nunmehr gemeinsamen Streikbeschluss verfolgten die sozialdemokratischen und christlichen Gewerkschafter zwei Ziele  : das Abwenden der politischen Intention des Streiks, der nunmehr der Verteidigung der wohlerworbenen Rechte dienen sollte, und der Schaffung eines zeitlich begrenzten Ventils für die erregte Basis. 206 Sten. Prot. d. Sbg. LT, 1. Session der 4. Wahlperiode. 22. Dezember 1932. S. 57 f. 207 Zur Vorgeschichte des Streiks vgl. Kriechbaumer  : Die großen Erzählungen der Politik. S. 231 ff.

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Auf Anordnung ihrer Zentralstellen in Wien bildeten am 1. März um 8 Uhr Vertreter der sozialdemokratischen, deutschen und christlichen Gewerkschaften eine Streikleitung am Salzburger Hauptbahnhof. Auf Grund der Einschätzung der Bundesregierung, die den Streik gegen die ratenweise Auszahlung der Gehälter nicht als gewerkschaftliche, sondern als rein politische Maßnahme einstufte, hatten Landeshauptmann Rehrl sowie die Bundespolizeidirektion den Auftrag erhalten, im Sinne der Aufrechterhaltung der notwendigen Infrastruktur der ÖBB im Bedarfsfall sämtliche verfügbaren Exekutivkräfte zur Verfügung zu stellen. Als ab 9 Uhr in Salzburg kein Zug mehr abgefertigt wurde, erschienen am Hauptbahnhof Abteilungen der Polizei, die die Streikleitung verhafteten. Nur dem sozialdemokratischen Bundesrat und Eisenbahnergewerkschafter Alois Weidenhillinger und dem nationalsozialistischen Landtagsabgeordneten und Eisenbahngewerkschafter Leopold Schaschko blieb auf Grund ihrer Immunität dieses Schicksal erspart. Die »Salzburger Chronik« meldete  : »Der Bahnhof ist durch Polizei und Gendarmerie besetzt. Es herrscht vollständige Ruhe, Sabotageakte irgendwelcher Art sind nicht vorgekommen und auch keine Widersetzlichkeiten gegen die Staatsgewalt. (…) Gegen 11 Uhr stand fest, dass die Bemühungen der Bundespolizei, den Streik zu verhindern, als gescheitert gelten müssen. Sämtliche Züge stehen nach wie vor in ihren Standstationen. (…) Um 11 Uhr war der Streik beendet. Die Streikleitung wurde enthaftet.«208 Die NSDAP brachte in der Sitzung des Salzburger Landtages am 3. März einen Dringlichkeitsantrag bezüglich der gegen die streikenden Eisenbahner seitens der Generaldirektion der Bundesbahnen ergriffenen Maßnahmen209 ein, in dem die vollständige Rücknahme der Strafen gegen die am Streik Beteiligten gefordert wurde. Abweichend von der Auffassung der Bundesregierung und der Leitung der Bundespartei vertrat für die christlichsoziale Fraktion im Salzburger Landtag deren Klubobmann Michael Neureiter die Auffassung, dass es sich bei dem Streik um keinen (partei)politischen gehandelt habe, da er von allen drei Gewerkschaftsrichtungen getragen worden sei. Die Verantwortung trage der Generaldirektor der Bundesbahnen, Anton Schöpfer, den er persönlich nicht kenne. Als dem Initiativantrag der NSDAP der Zusatz angefügt wurde, dass es sich bei dem Streik um keinen politischen gehandelt und daher auch die Abstimmung im Salzburger Landtag keinen (partei)politischen Charakter habe, stand einer einstimmigen Annahme nichts mehr im Wege. Für die NSDAP erklärte jedoch deren Abgeordneter Hans Wagner, seine Partei sei grundsätzlich gegen die Abänderung des Antrages gewesen. »… wenn Sie mit geschlossenem Visier und mit einer Maske sagen wollen, wir betreiben keine Politik, so 208 Salzburger Chronik 1.3.1933. S. 8. 209 Bei Bediensteten der Gehaltsgruppen 1 bis 13 Strafen von 4 Prozent des Monatsgehaltes, bei Bediensteten der Gehaltsgruppen 14 bis 16 die Einleitung von Disziplinarmaßnahmen und ab der Gehaltsstufe 17 die sofortige Suspendierung vom Dienst.

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wird Ihnen das Volk das nicht glauben. Wir haben aber für diesen Zusatzantrag gestimmt, um den Eisenbahnern nicht hinderlich zu sein, sondern wir haben schon damit, dass wir einen Antrag eingebracht haben, bewiesen, dass wir den Eisenbahnern helfen wollen. Nur aus diesem Grunde heraus und aus dieser Erwägung stimmen wir … für diesen Antrag, nicht aber deshalb, und das wollen wir festgestellt haben, um diese Regierung zu stützen, sondern nur um den Eisenbahnern zu helfen. … Wir wollen nicht jenen Herren noch schmeicheln und uns bei diesen Herren entschuldigen, sondern wir wollen der Regierung ruhig sagen und es ihr schriftlich übergeben, dass sie Fehler begangen hat, und zwar schwere Fehler.«210 Für die Christlichsozialen betonte deren Klubobmann Michael Neureiter, dass nach der Meinung seiner Fraktion durch die Beteiligung aller drei Gewerkschaften der Streik unpolitisch gewesen sei, weshalb man dem Antrag zustimme. Es freue ihn, »dass wir wieder einmal einig sind und einen gemeinsamen Beschluss fassen.«211 Diese letzte Einigung der drei Landtagsfraktionen lautete  : »Da der Eisenbahnerstreik am 1. März 1933 keinen politischen Hintergrund hatte, sondern rein aus der wirtschaftlichen Not entsprungen ist, die die Eisenbahner in ihren erworbenen Rechten besonders schwer trifft, daher der Abstimmung kein politischer Charakter zukommt, wird der Herr Landeshauptmann beauftragt, umgehend beim Bundeskanzler Dr. Dollfuß vorzusprechen und bei dieser Vorsprache seinen ganzen Einfluss dahingehend einzusetzen, dass der Herr Bundeskanzler sofort derart einwirkt, dass die angedrohten und zum Teil schon durchgeführten Maßregelungen der am Proteststreik Beteiligten ehestens und restlos zurückgenommen werden.«212

210 Sten Prot. d. Sbg. LT, 9. Sitzung der 1. Session der 4. Wahlperiode. 3. März 1933. S. 146. 211 Ebd. S. 148. 212 Salzburger Chronik 4.3.1933. S. 5.

3. Der 4. März 1933 Die sog. »Selbstausschaltung« des Parlamentes und die Folgen

Die Resolution blieb Makulatur, da sie von der infolge der parlamentarischen Behandlung des Eisenbahnerstreikes sich ergebenden Parlamentskrise am 4. März 1933 überholt wurde. Dabei hätte ein Erfolg der Haltung Rudolf Rameks, des Obmannes der Salzburger Christlichsozialen Partei und Zweiten Präsidenten des Nationalrates, die unvorhergesehene Krise und deren Folgen verhindern können. Die dramatischen Vorgänge des 4. März – der Rücktritt der drei Nationalratspräsidenten und die (Regierungs)These von der sog. »Selbstausschaltung« des Parlamentes – sind in der österreichischen Zeitgeschichtsforschung ausreichend dokumentiert und bedürfen hier nicht der Wiederholung.213 Bemerkenswert an der Reihe der Rücktritte der drei Nationalratspräsidenten ist der Umstand, dass der Rücktritt Renners auf Anregung der sozialdemokratischen Klubexekutive erfolgte, die damit ihrer Fraktion im Fall einer neuerlichen Abstimmung die Stimme Renners, der in seiner Funktion als amtierender Erster Präsident nicht stimmberechtigt war, sichern wollte. Rudolf Ramek, der den Vorsitz von Karl Renner übernahm, schlug ohne Rücksicht auf seine Partei vor, die so heftig umstrittene Abstimmung zu wiederholen, die wohl einzig korrekte Vorgangsweise in dieser Situation. Wäre der Nationalrat dem Vorschlag Rameks gefolgt, hätte dies zwar eine – allerdings weitgehend folgenlose – Niederlage für die Regierung bedeutet, doch wäre das Funktionieren des Parlamentes gesichert gewesen. Der konstruktive Vorschlag Rameks stieß jedoch auf die erbitterte Ablehnung Leopold Kunschaks und vor allem – völlig unverständlich und nur aus der Hektik der Situation erklärbar – von Karl Seitz. Ramek, der ursprünglich keineswegs vorhatte, aus taktischen Gründen zurückzutreten, demissionierte mit der Bemerkung, 213 Gerhard Botz  : Die Ausschaltung des Nationalrates und die Anfänge der Diktatur Dollfuß’ im Urteil der Geschichtsschreibung von 1933 bis 1973. – In  : Vierzig Jahre danach. Der 4. März 1933 im Urteil von Zeitgenossen und Historikern. Hg. v. Dr.-Karl-Renner-Institut. – Wien 1973. S. 31–59  ; Erich Fröschl, Helge Zoitl (Hg.)  : Der 4. März 1933. Vom Verfassungsbruch zur Diktatur. Beiträge zum wissenschaftlichen Symposion des Dr.-Karl-Renner-Institutes, abgehalten am 28. Februar und 1. März 1983 in Wien. – Wien 1984  ; Peter Huemer  : Sektionschef Robert Hecht und die Zerstörung der Demokratie in Österreich. – Wien 1975  ; Ulfried Burz  : Von der Tücke im Detail. Der 4. März 1933 und die österreichische Zeitgeschichtsforschung. – In  : Franz Schausberger (Hg.)  : Geschichte und Identität. Festschrift für Robert Kriechbaumer zum 60. Geburtstag. – Wien/Köln/Weimar 2008. S.  281–295. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 35.)  ; Parlamentsdirektion (Hg.)  : Staats- und Verfassungskrise 1933.

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dass sein Vorschlag nicht die Zustimmung eines großen Teiles des Hauses finde, und machte damit den Weg frei für den kurz darauf aus taktischen Gründen folgenden Rücktritt des großdeutschen Dritten Präsidenten Sepp Straffner.214 Das demokratiepolitische Drama hatte seinen ersten Höhepunkt erreicht. Am 5. März erklärte Bundeskanzler Engelbert Dollfuß vor einer Delegiertenversammlung des Bauernbundes in Villach, er anerkenne durchaus die Opfer, die die Bundesbahnangestellten immer wieder gebracht hätten. Die finanziellen Probleme der Bundesbahn seien »nicht eine Frage der schlechten Betriebsführung, sondern vor allem und in erster Linie eine Frage der ungeheuren Pensionslasten …« Trotz Anerkennung der bisherigen Opfer der Bahnbediensteten sei er »aber zur Überzeugung gekommen, dass der Streik am 1. März nichts weniger denn von wirtschaftlichen Momenten diktiert war. Für diesen Streik gibt es meines Erachtens nur zwei Begründungen  : Entweder war es ein p o l i t i s c h e r Streik, dann möchte ich offen und rückhaltlos erklären  : die Eisenbahnerorganisationen sind nicht dazu da, um Politik zu treiben, und haben kein Recht, darüber zu entscheiden, ob diese oder jene Regierung amtiert, denn das ist einzig und alleine Sache der hierfür auf Grund der Verfassung in Betracht kommenden politischen Körperschaften. Oder aber es handelt sich um nichts anderes als um eine K r a f t p r o b e gegen den Staat und die Staatsautorität, um wieder einmal festzustellen, ob auf das Gebot einiger weniger Gewerkschaftsführer tatsächlich alle Räder stillstehen. Dann aber hatte die Regierung die unbedingte Pflicht, alles daran zu setzen, um dieser Kampfansage gegen die vom Volk bevollmächtigte Staatsautorität und gegen die Interessen der Gesamtwirtschaft Paroli zu bieten.«215 Die Beurteilung des Streikes sowie das weitere Vorgehen der Regierung in der Frage der Lösung der Parlamentskrise ließ den Riss in der Christlichsozialen Partei zwischen dem Arbeitnehmerflügel und den der Konkordanzdemokratie nach wie vor verpflichteten Landesorganisationen deutlich werden. So erwiderte die Zentralkommission der christlichen Gewerkschaften auf die Rede des Kanzlers, der Streik sei keineswegs ein politischer und damit auch nicht gegen die Regierung gerichtet gewesen. Die Bundesbahnbediensteten hätten »lediglich von ihrem Koalitionsrecht Gebrauch gemacht und zu Abwehrmaßnahmen gegen die Angriffe auf die ihnen zukommenden, vertraglich festgelegten Rechte gegriffen … Das Koalitionsrecht gilt für die Bundesbahnbediensteten genauso wie für alle anderen Kategorien von Arbeitnehmern. Dasselbe kann durch keine Verordnung außer Kraft gesetzt werden, schon gar nicht durch eine solche, die sich als eine Kriegsmaschine darstellt.«216

214 Zum Verhalten Rameks vgl. Schausberger  : Rudolf Ramek. S. 773. 215 Salzburger Chronik 6.3.1933. S. 5. 216 Salzburger Chronik 7.3.1933. S. 3.

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Der weitere Gang der Ereignisse wurde wesentlich vom Ergebnis der Reichstagswahl am 5. März 1933 beeinflusst, bei der die NSDAP nach einem von zahlreichen Terrorakten begleiteten Wahlkampf mit 43,9 Prozent 288 der 647 Reichstagsmandate erringen konnte. So sehr sich die Partei seit dem 30. Jänner zahlreiche Vorteile verschafft und massiven Terror vor allen gegenüber den Linksparteien ausgeübt hatte, sie konnte das von der Führung erhoffte Ziel, die absolute Mehrheit, nicht erringen. Die NSDAP gewann gegenüber ihrem bisher besten Ergebnis bei der Reichstagswahl im Juli 1932 6,5 Prozentpunkte und gegenüber der Reichstagswahl im Novem­ ber 1932 sogar 10,8 Prozentpunkte, benötigte jedoch nach wie vor einen Koalitionspartner. Und dieser stand in der DNVP, die unter dem Namen »Kampffront Schwarz-Weiß-Rot« angetreten war, als Steigbügelhalter zur Verfügung. Zusammen verfügten beide Parteien über eine Mehrheit von 51,9 Prozent. Ohne besondere Rücksicht auf den Koalitionspartner zu nehmen, wurde nunmehr in rascher Folge durch eine Serie von staatsstreichähnlichen Aktionen wie z. B. die Gleichschaltung der Länder und des Verbandswesens sowie die beginnenden demonstrativen antisemitischen Angriffe die Verfassung der Weimarer Republik beseitigt und die Diktatur errichtet. Am 9. März notierte Goebbels in seinem Tagebuch  : »Die Revolution geht unaufhaltsam durchs ganze Land. Wir leben in einer großen und gewaltigen Zeit. Die Gnade des Schicksals gibt uns die Möglichkeit, an ihr formend mitzuwirken.«217 Bestärkt vom Ergebnis der Reichstagswahl richtete der NSDAP-Landesleiter Alfred Proksch am 6. März ein offizielles Schreiben an Bundeskanzler Dollfuß, in dem er neuerlich den sofortigen Rücktritt der Bundesregierung und die Ausschreibung von Neuwahlen forderte. Dieser Brief entsprach der von Hitler formulierten Politik gegenüber Österreich. In einem 1932 mit Hermann Rauschning geführten Gesprächen hatte er über die künftige Außenpolitik eines von der NSDAP regierten Deutschland erklärt  : »Wir werden niemals eine große Politik machen ohne einen festen, stahlharten Machtkern im Mittelpunkt. Ein Kern von achtzig oder hundert Millionen geschlossen siedelnder Deutscher  ! Meine erste Aufgabe wird es daher sein, diesen Kern zu schaffen, der uns nicht nur unbesiegbar macht, sondern uns ein für allemal das entscheidende Übergewicht über alle europäischen Nationen sichern wird. Ist uns dies gelungen, so wird alles andere verhältnismäßig leicht sein. Zu diesem Kern gehört Österreich. Das ist eine Selbstverständlichkeit.«218 Theo Habicht schrieb in diesem Sinn 1932 im Vorwort zum Dienstbuch der österreichischen NSDAP, die Partei habe die Aufgabe, das herrschende System zu stürzen und die Vereinigung Österreichs mit Deutschland herbeizuführen. Dies sei für die zukünftige politische Entwicklung Europas von entscheidender Bedeutung, da Österreich eine zentrale geostrategische Rolle in Mitteleuropa einnehme. Es gehe dabei nicht 217 Goebbels  : Tagebücher. Bd. 2. S. 776. 218 Hermann Rauschning  : Gespräche mit Hitler. – Wien/Zürich/New York 1940. S. 42.

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nur um die Schaffung eines Großdeutschlands, sondern vielmehr um die Voraussetzung für eine künftige Neuordnung Europas.219 Sowohl in der NSDAP-Führung in München wie auch bei den österreichischen Nationalsozialisten herrschte nach der siegreichen Reichstagswahl vom 5. März 1933 und der rasch einsetzenden Errichtung der Diktatur die Meinung vor, dieses Schema ließe sich auch auf Österreich übertragen. Als geschicktes propagandistisches Mittel zur Erreichung dieses Zieles wurde unter dem Deckmantel der Demokratie wiederum die Forderung nach Neuwahlen erhoben mit dem Kalkül, dass im Fall von Neuwahlen die NSDAP als starke Mittelpartei in den Nationalrat einziehen, die Großdeutsche Volkspartei, der Landbund und der Heimatblock weitgehend marginalisiert und damit als Koalitionspartner für die ebenfalls geschwächten Christlichsozialen nicht mehr zur Verfügung stünden. Damit hätten sich nur mehr zwei Optionen einer Regierungsbildung ergeben  : Die Bildung einer von den Sozialdemokraten als der wahrscheinlich stärksten Partei geführten Koalition mit den Christlichsozialen oder eine von den Christlichsozialen geführte Koalitionsregierung mit der NSDAP. Auf Grund des fragmentierten Verhältnisses zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten, vor allem auch der persönlichen Aversion von Engelbert Dollfuß gegenüber Otto Bauer, war die Bildung dieser Koalitionsvariante unwahrscheinlich, weshalb eine von den Christlichsozialen geführte Koalitionsregierung mit der NSDAP als Türöffner für eine zweite »Machtergreifung« in Österreich und den folgenden Anschluss in Form einer Gleichschaltung dienen sollte.220 Der Versuch einer parallelen Politik der NSDAP in Deutschland und Österreich waren jedoch in Österreich a priori zum Scheitern verurteilt. Die Parlamentskrise vom 4. März eröffnete aus der Sicht der Regierung zwei Lösungsmöglichkeiten  : die demokratische, d. h. die Rückkehr zur Funktionsfähigkeit des Nationalrates unter Mithilfe des Bundespräsidenten,221 oder die autoritäre unter Sistierung des Parlamentes und Stärkung der Regierung durch Notverordnungen bzw. das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz. Die Entscheidung für die schließlich getroffene autoritäre Lösung erfolgte keineswegs stringent und zielbewusst, sondern war von einer Vielzahl von innen- und außenpolitischen Faktoren beeinflusst, die in unterschiedlicher zeitlicher Abfolge und Intensität wirksam wurden.222 219 Gottfried-Karl Kindermann  : Österreich gegen Hitler. Europas erste Abwehrfront 1933–1938. – München 2003. S. 40 f. 220 Longerich  : Hitler. S. 359. 221 Zur Rolle von Bundespräsident Miklas vgl. Walter Goldinger  : Wilhelm Miklas 1872 bis 1956.  – In  : Friedrich Weissensteiner (Hg.)  : Die österreichischen Bundespräsidenten. Leben und Werk. – Wien 1982. S. 82–120. S. 105 f  ; Huemer  : Sektionschef Robert Hecht und die Zerstörung der Demokratie in Österreich. S. 164 ff. 222 Zur Komplexität der innenpolitischen Motive und der zeitlichen Abfolge vgl. Kriechbaumer  : Die großen Erzählungen der Politik. S. 236 ff.

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Die anhaltende und sich verschärfende Wirtschaftskrise veranlassten Anfang 1932 Vertreter der österreichischen Industrie bei einer Aussprache mit Bundeskanzler Karl Buresch unter Hinweis auf die Entwicklung in Deutschland, wo Reichskanzler Heinrich Brüning mit der Rückendeckung von Reichspräsident Hindenburg mit Hilfe von Notverordnungen regierte, eine ähnliche Entwicklung auch in Österreich durch erweiterte Rechte der Bundesregierung gegenüber dem Parlament zu ventilieren. Auch Vertreter der österreichischen Schule der Nationalökonomie lehnten angesichts der Wirtschaftskrise autoritäre Lösungen nicht a priori ab. Bereits 1931 hatte Ludwig von Mises festgestellt, der moderne Staat habe vor den Gewerkschaften kapituliert. Die Mittel der Gewerkschaft wie das Kollektivvertrags- und Streikrecht sowie die Arbeitslosenunterstützung seien keine Lösung, sondern die Ursache des Problems. Drei Jahre später schrieb Oskar Morgenstern, der Leiter des Institutes für Konjunkturforschung, eine autoritäre Regierung widerspreche keineswegs einer liberalen Wirtschaftspolitik, sondern ermögliche dieser einen größeren Handlungsspielraum. Der autoritäre Staat habe die Möglichkeit, gegenüber den Begehrlichkeiten »Nein« zu sagen, und könne zudem Wirtschaftspolitik auf lange Sicht betreiben, was parlamentarischen Regierungen kaum möglich sei. Die Staatsform habe daher einen erheblichen Einfluss auf die Wirtschaftspolitik.223 In der Christlichsozialen Partei, aber auch bei der Großdeutschen Volkspartei und beim Landbund, wuchsen angesichts der Destruktionspolitik der Sozialdemokratie die Forderung nach einer neuerlichen Verfassungsreform mit dem Ziel einer Stärkung der Bundesregierung gegenüber dem Parlament. Hinzu trat die generelle Tendenz zu totalitären oder autoritären Regimen. Die Machtergreifung der Bolschewiki 1917, Mussolinis »Marsch auf Rom« 1922 und die nationalsozialistische Machtergreifung in Deutschland zwischen Jänner und März 1933 markieren die Errichtung totalitärer Herrschaftssysteme. Zwischen 1922 und 1933 wurden in Bulgarien, Spanien (allerdings nur vorübergehend), Albanien, Polen, Portugal, Litauen, Jugoslawien, Rumänien, Ungarn und Österreich autoritäre Regime errichtet, 1934 bis 1939 folgten Estland, Lettland, Griechenland und erneut Spanien. Die parlamentarische Demokratie befand sich im Europa der Zwischenkriegszeit auf dem Rückzug. Bereits vor, jedoch vor allem während der Weltwirtschaftskrise öffneten sich demokratische Bruchlinien in Europa. Finnland, die Tschechoslowakei, Skandinavien und Westeuropa markierten die demokratischen Inseln in einem dominanten totalitären oder autoritären Meer, dessen Wucht durch den endgültigen Zusammenbruch der deutschen Demokratie bedrohlich anschwoll. In der Komplexität der sich unmittelbar an den 4. März anschließenden Situation lassen sich drei zunächst dominante Linien verorten  :

223 Stiefel  : Der Ruf nach autoritären Strukturen. Wirtschaft und Ständestaat. S. 125.

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1. Die in den Augen der Bundesregierung sich unverhofft ergebende Möglichkeit, mit Hilfe des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes auf dem Verordnungsweg eine gewisse Zeit ohne Behinderung durch die Obstruktionspolitik der Sozialdemokratie im Nationalrat zu regieren und die als wirtschaftlich unbedingt notwendig erachteten Maßnahmen zu ergreifen. 2. Durch die Nicht-Einberufung des Nationalrates sollte die Sozialdemokratie ihrer wichtigsten politischen Agitationsbühne beraubt und dadurch geneigt werden, in Verhandlungen über eine Verfassungsreform im Sinne einer Stärkung der Regierung gegenüber dem Parlament, des Umbaus des Bundesrates in eine Ständekammer und eventuell auch einer Erweiterung der Rechte des Bundespräsidenten einzutreten. 3. Der Ausgang der Reichstagswahl am 5. März hatte erhebliche Auswirkungen sowohl auf das bilaterale Verhältnis zwischen Wien und Berlin wie auch das Agieren der österreichischen Nationalsozialisten. Noch in den späten Abendstunden des 4. März erstattete Karl Renner Bundespräsident Wilhelm Miklas einen längeren telefonischen Bericht und Carl Vaugoin suchte in Vertretung des nach Villach abgereisten Bundeskanzlers den Bundespräsidenten in dessen Wohnung auf, um ihm ebenfalls Bericht zu erstatten. Am Vormittag des 5. März erschienen Rudolf Ramek, Odo Neustädter-Stürmer, Karl Buresch und Karl Renner in den Amtsräumen des Bundespräsidenten in der Hofburg, um die Lage zu besprechen und eventuelle Lösungsmöglichkeiten zu erörtern.224 Am 6. März wurden zur Lösung der schwierigen Situation eine entsprechende Vereinbarung der Parteien erörtert, ob der Bundespräsident durch das ihm in der Verfassungsnovelle 1929 eingeräumte Notverordnungsrecht eine Ergänzung zur Geschäftsordnung des Nationalrates vornehmen könne, um den Gordischen Knoten zu durchschlagen.225 Der Gang der Ereignisse wurden jedoch vom abendlichen außerordentlichen Ministerrat am 7. März bestimmt, zu dessen Beginn Bundeskanzler Dollfuß bemerkte, »dass der Ausgang der jüngsten Reichstagswahlen im Deutschen Reich bereits deutliche Auswirkungen auf Österreich zu zeigen beginne, indem sich eine verstärkte Agitations- und Propagandatätigkeit der Nationalsozialistischen Partei bemerkbar mache, die in der nächsten Zeit durch die massenhafte Veranstaltung von Versammlungen mit reichsdeutschen Rednern noch eine weitere Steigerung erfahren dürfte. 224 Neue Freie Presse 6.3.1933. S. 4. In der Präsidentschaftskanzlei vertrat Kabinettsdirektor Josef Freiherr von Löwenthal die Auffassung, dass der Rücktritt in keinem Gesetz vorgesehen und auch deshalb unwirksam sei, weil das zuständige Gremium, der Nationalrat, den Rücktritt bzw. die Verzichtserklärung nicht zur Kenntnis genommen habe. (Vgl. Neue Freie Presse 8.3.1933. S. 3.) 225 Neue Freie Presse 7.3.1933. S. 4. An die Möglichkeit des Gebrauchs des Notverordnungsrechtes dachte Wilhelm Miklas, doch bedurfte es dazu eines Antrages der Bundesregierung und der Mitwirkung des Ständigen Unterausschusses des Hauptausschusses des Nationalrates.

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Da diese Erscheinungen die zur Wiederaufrichtung der heimischen Wirtschaft unerlässliche Ruhe im Inneren gefährdeten, sei es notwendig, rechtzeitig Abwehrmaßnahmen zu ergreifen. Durch den Rücktritt der drei Präsidenten des Nationalrates sei jedoch das Parlament lahmgelegt  ; die Regierung müsse daher von den ihr selbst zu Gebote stehenden Mitteln Gebrauch machen, um für das Gemeinwohl schädliche Auswüchse, die namentlich auf dem Gebiet des Versammlungswesens wie nicht minder auf dem Gebiet der Presse zu besorgen stünden, von Anbeginn an mit aller Energie hintanzuhalten. Zu diesem Zweck käme die Erlassung eines generellen Versammlungs- und Aufmarschverbotes sowie die Schaffung von pressgesetzlichen Bestimmungen in Betracht, die den Behörden entsprechende Handhaben böten, um der Verhetzung und Beunruhigung der Bevölkerung … wirksam entgegenzutreten.« In der anschließenden Diskussion wies Justizminister Kurt Schuschnigg darauf hin, dass das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz es gestatte, entsprechende administrative Maßnahmen sowie Strafverfahren im Falle des Zuwiderhandelns in die Wege zu leiten, um zumindest für den Augenblick eine gewisse Abhilfe zu schaffen.226 Die Bundesregierung beschloss »bis auf Weiteres« ein Verbot aller Aufmärsche und politischen Versammlungen sowie eine Einschränkung der Pressefreiheit. In einer Proklamation »An das österreichische Volk  !« wies sie darauf hin, dass der Nationalrat durch den Rücktritt der drei Präsidenten »gelähmt und handlungsunfähig« sei. Es handle sich dabei um eine »schwere Krise des Parlamentes«, nicht jedoch um eine Staatskrise. Die Bundesregierung sei voll funktionstüchtig und »fest entschlossen, ihre Pflichten gegenüber Volk und Heimat in jeder Hinsicht zu erfüllen.«227 Noch vor Mitternacht begab sich der Bundeskanzler zum Bundespräsidenten, um ihn über die soeben beendete Sitzung des Ministerrates zu berichten und die Demission des Kabinetts anzubieten. Mit Blick auf den nationalsozialistischen Wahlerfolg bei der Reichstagswahl am 5. März und die zu erwartenden innen- und außenpolitischen Turbulenzen lehnte dies Miklas ab. Dabei ging er von der Annahme aus, dass sich die eingetretene kritische Lage innerhalb der nächsten zwei bis drei Wochen entspannen werde. Dies sollte jedoch nicht der Fall sein. Am 11. März verlautete der »Christlichsoziale Nachrichtendienst«, die am 4. März eingetretenen »politischen Ereignisse in Österreich werden nicht von heute auf morgen gelöst werden können. Der Rücktritt der drei Präsidenten des Nationalrates war ihrem tieferen Inhalt nach in Wahrheit eine Abdankung des parlamentarischen Systems, wie es sich in Österreich auswirkte.« Die Regierung habe aus der Ereignissen »die richtigen Konsequenzen gezogen und verlangt, dass die Neuordnung der Verhältnisse sowie die Lösung der Parlamentskrise nur unter einer Bedingung durchgeführt werden könne  : R e f o r m d e s P a r l a m e n t a r i s m u s und der Ve r f a s s u n g . « Dies sei die »Fol226 MRP 851/393. 7.3.1933. 227 MRP 851/Beilage.

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gerung aus den Ereignissen, wie wir sie in Österreich und in den Staaten ringsum in der letzten Zeit erlebt haben. Was nützt das Gerede von der Demokratie und von ihren Vorzügen gegenüber anderen Herrschaftsformen, wenn das Vertrauen der Bevölkerung zu ihr aus verschiedenen Gründen fast restlos verloren gegangen ist  ? Wenn die Demokratie überhaupt gerettet werden kann, dann ist es nur möglich, indem man die A u s w ü c h s e der Demokratie und des Parlamentarismus beseitigt … Allen den gegen die Demokratie gerichteten Einwänden und Kritiken muss selbstverständlich b e g e g n e t werden, wenn man in Österreich nicht dieselben Zustände einreißen lassen will, wie sie jetzt in Deutschland angebrochen sind.« In Deutschland habe die NSDAP eine Parteiherrschaft errichtet, die viel schlimmer sei als der sicher kritisierenswerte Zustand der Weimarer Verfassung. Dadurch werde »das deutsche Volk in seiner Entwicklung um viele Jahre zurückgeworfen und in Gefahren hineingetrieben …, die unabsehbar sind. Diese Gefahren von Österreich abzuwehren, muss Aufgabe der gegenwärtigen Regierung sein. Sie strebt nicht nach Diktatur, sie denkt nicht an die Aufrichtung einer Gewaltherrschaft, sondern sie will nur … Reformen durchsetzen … Wenn sich in Österreich heute die Gesetzgebung selbst ausgeschaltet hat, jenes Parlament, das im Laufe der letzten Jahre so viele Sünden an der Demokratie begangen hat, dann ist dieses Ereignis als eine Fügung höherer Mächte zu werten, die offenkundig Österreich eine letzte Chance bieten wollen, aus den furchtbaren Gefahren herauszukommen, die ihm aus der politischen Entwicklung dieser Welt drohen.«228 Die ohnedies kritische Lage verschärfte sich und erreichte am 15. März ihren vorläufigen Höhepunkt. Für diesen Tag hatte der zurückgetretene Dritte Präsident Sepp Straffner – trotz der von Bundespräsident Miklas angedeuteten Möglichkeit einer Notverordnung zur Ermöglichung der Wiedereinberufung des Parlaments – eine Nationalratssitzung einberufen, um die Krise zu beenden. Peter Huemer hat diese Entwicklung im Detail geschildert.229 Entscheidend war wiederum die Haltung des Bundespräsidenten, der am 15. März Carl Vaugoin gegenüber auf dessen Frage, ob er die Bundesregierung im Fall einer gewaltsamen Verhinderung der von Straffner einberufenen Nationalratssitzung230 abberufen werde, mit »nein« antwortete. Miklas war in seiner Haltung sicherlich auch von der unnachgiebigen Haltung Straffners beeinflusst. Dieser hatte in einer letzten Unterredung dem Bundespräsi228 Salzburger Chronik 11.3.1933. S. 1. 229 Huemer  : Sektionschef Robert Hecht. S. 164 ff. Vgl. dazu auch Neue Freie Presse 14.3.1933, S. 1 f. und Neue Freie Presse 15.3.1933, S. 1 ff. 230 Die Regierung vertrat die Auffassung, dass Straffner nicht mehr im Amt und daher auch nicht zur Einberufung der Nationalratssitzung berechtigt sei. Das von Straffner vertreten Argument, dass der zuletzt demissionierte Präsident zur Weiterführung der Geschäfte und daher auch zur Einberufung des Parlamentes berechtigt sei, basiere auf einem Schluss per analogiam legis und sei bei Verfassungsfragen nicht zulässig.

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denten gegenüber erklärt, er lehne die diskutierten Alternativen zu einer Einberufung des Nationalrates ab und plädiere für Neuwahlen, weil die Regierung, wie aus den Kundgebungen der Landtage ersichtlich sei, nicht die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich habe.231 Damit wurde er in den Augen des Bundespräsidenten, aber auch des Bundeskanzlers, zum Erfüllungsgehilfen der Nationalsozialisten.

3.1 Die Landtage als Ersatz-Nationalrat Straffner hatte sich bei seiner Erklärung dem Bundespräsidenten gegenüber vor allem auf die Resolutionen der Landtage von Wien, Niederösterreich und Salzburg vom 9. und 10. März bezogen. Bereits nach den Landtagswahlen vom 24. April 1932 hatte die NSDAP in den Landtagen die Forderung nach Neuwahlen und dem Rücktritt der Bundesregierung erhoben und damit die Sozialdemokratie, die dieselbe Forderung im Nationalrat erhoben hatte, in Verlegenheit gebracht. Die Parlamentskrise vom 4. März und der Entschluss der Regierung Dollfuß, auf eine bestimmte Zeit auf Grund des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes auf dem Verordnungsweg zu regieren, die bereits am 7. März beschlossenen Verordnungen zur Einschränkung der Versammlungs- und Pressefreiheit sowie die nicht entschiedene Frage der Wiedereinberufung des Nationalrates ließen sowohl die Sozialdemokraten wie auch die Nationalsozialisten in den Landtagen die Initiative ergreifen, um die Rücknahme der Verordnungen und die Widereinberufung des Nationalrates zu fordern. Die Landtage bildeten nach dem Ausfall des Nationalrates nunmehr die politische Bühne der Opposition. Die in den Länderparlamenten stattfindenden Debatten erhielten damit eine bundespolitische Bedeutung. Für die nun entstehende politische Coincidentia Oppositorum von Sozialdemokraten und Nationalsozialisten, von Leopold Kunschak in seiner Rede im Wiener Gemeinderat als »Verbrechen im Sinne der Unzucht wider die Natur« bezeichnet, war die selektive Wahrnehmung ihres partiellen Koalitionspartners durch die Sozialdemokraten charakteristisch. Trotz der Ereignisse in Deutschland und trotz der unverhohlenen antidemokratischen Erklärungen der NSDAP war sie nunmehr für die Sozialdemokratie ein Kooperationspartner im Kampf gegen die Regierung und für die Sicherung der durch die Möglichkeiten des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes entstandenen Bedrohung der demokratischen Ordnung. Im niederösterreichischen Landtag erklärte der nationalsozialistische Abgeordnete Konrad Höfinger, die NSDAP habe »im Allgemeinen gegen eine Diktatur nichts einzuwenden«, wenn sie von jemandem errichtet werde, der dazu berechtigt sei. In Deutschland habe man »die Diktatur auf Grund der Wahlen errichtet, im Reiche hat der Mann, der die Diktatur errichten wollte, 231 Zit. bei Huemer, S. 171.

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zuerst das Volk befragt, ob es mit seiner Diktatur einverstanden ist, und das Volk hat mit überwiegender Mehrheit zugestimmt.« In Österreich aber sei man dabei eine Diktatur zu errichten, »um das Volk nicht befragen zu müssen«, weil man »vor dem Volke Angst« habe.232 Ähnlich argumentierten Alfred Eduard Frauenfeld und Walter Riehl. Geschickt brachte die NSDAP in der Sitzung des Wiener Gemeinderates am 9. März einen Antrag ein, der sich weitgehend mit dem sozialdemokratischen deckte und daher ein gemeinsames Abstimmungsverhalten ermöglichte.233 Zu parallelen Vorgängen kam es am selben Tag im niederösterreichischen Landtag, in dem die NSDAP mit dem Argument des Kampfes gegen den schwarzgelben Legitimismus einen sozialdemokratischen Dringlichkeitsantrag, der sich am Antrag der Wiener Sozialdemokraten orientierte, unterstützte.234 Sozialdemokraten und Nationalsozialisten forderten mit Hinweis auf die eingetretene politische Lage eine Vorverlegung der ursprünglich für 14. März geplanten Sitzung des Salzburger Landtages auf den 10. März. Auf Grund der Verordnung vom 8. März (Aufmarsch- und Versammlungsverbot) hatten die Sozialdemokraten im ganzen Land sog. §-2-Versammlungen, d. h. geschlossene Mitgliederversammlungen, die nach wie vor möglich waren, veranstaltet und den Standpunkt der Partei zu den jüngsten Ereignissen kommuniziert. Dem Plenum des Landtages lagen am 10. März ein sozialdemokratischer und drei nationalsozialistische Dringlichkeitsanträge vor. Der sozialdemokratische Dringlichkeitsantrag orientierte sich, auch in der Wortwahl, weitgehend an jenem im Wiener und niederösterreichischen Landtag eingebrachten und dokumentiert das koordinierte Vorgehen der Partei in den Landtagen, die als Ersatz für den Nationalrat dienten. In zwei Punkten wich allerdings der Antrag der Salzburger Sozialdemokraten von den im Wiener und niederösterreichischen Landtag gestellten ab. Der Landeshauptmann wurde nicht aufgefordert, die Weisungen des Staatssekretärs für das Sicherheitswesen, Emil Fey, zu ignorieren bzw. abzulehnen, und im Fall der nicht baldigen Wiedereinberufung des Nationalrates wurden sofortige Neuwahlen gefordert. »Die heutige wirtschaftliche Not unseres Volkes würde erfordern, dass alle Volkskreise für eine gewisse Zeit den politischen Kampf ausschalten und in gemeinsamer Arbeit jene Mittel anwenden, die notwendig 232 Zit. bei Schausberger  : Ins Parlament, um es zu zerstören. S. 311. 233 Der Antrag der SDAP erhob Einspruch gegen den behaupteten Verfassungsbruch, forderte die unverzügliche Wiederherstellung des verfassungsmäßigen Zustandes, protestierte gegen die von der Bundesregierung erlassenen Notverordnungen, vor allem gegen das Versammlungsverbot und die Pressezensur, forderte den Landtag und den Landeshauptmann auf, alles zu tun, um den verfassungsmäßigen Zustand wiederherzustellen, und die Organe des Landes Wien, verfassungswidrigen Anordnungen die Folge zu verweigern. 234 Leopold Kammerhofer  : Niederösterreich zwischen den Kriegen 1918–1938. – Baden 1987. S. 229  f  ; Schausberger  : Ins Parlament, um es zu zerstören. S. 335 ff.

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wären, um Arbeit zu schaffen. Es wird beantragt  : Der Landtag legt gegen die Erlassung der Notverordnung schärfste Verwahrung ein. Der Landeshauptmann und die Regierung werden aufgefordert, der Bundesregierung in nicht misszuverstehender Deutlichkeit klar zu machen, dass die Bevölkerung des Landes Salzburg demokratisch ist und nach den vom Nationalrat beschlossenen Gesetzen und nur nach diesen regiert werden will. Der Salzburger Landtag verlangt, dass die Bundesregierung sofort energische Verhandlungen für die Flottmachung des Nationalrates unternimmt oder, falls dies unmöglich erscheint, Neuwahlen mit kürzester Frist ausschreibt.«235 Die nationalsozialistischen Dringlichkeitsanträge forderten die Salzburger Landesregierung auf, der Bundesregierung mitzuteilen, dass die Salzburger Bevölkerung von der amtierenden Bundesregierung die Einhaltung der Verfassung nicht mehr gewährleistet sehe und daher die sofortige Zurücknahme der Notverordnungen und die unverzügliche Ausschreibung von Neuwahlen verlange. Im zweiten Antrag wurde die völlige Rede- und Versammlungsfreiheit für politische Mandatare und im dritten die Ermöglichung einer geplanten Versammlung der Gewerbetreibenden in Salzburg gefordert. Der sozialdemokratische Abgeordnete Karl Emminger begründete den SDAP-Antrag in der anschließenden Debatte damit, dass seine Partei in dem Wissen um das mögliche Kommende »in aller Ruhe in dieser ernsten Stunde« erkläre, »wenn eine Regierung, die trotz alledem hervorgegangen ist aus der Demokratie, wenn eine solche Regierung den Boden der Demokratie verlassen würde, dann fordern wir sie auf, dessen eingedenk zu sein, was da kommen müsste  ! … Wir sehen harte Zeiten vor uns und sehen, dass ein Volk in Mitteleuropa lebend mit einer so hohen Kultur nur durch die Freiheit den Weg nach aufwärts finden kann und nicht in Knecht235 Zit. bei Salzburger Chronik 10.3.1933. S. 7. Ein ähnlicher Vorstoß der Salzburger Sozialdemokratie erfolgte am 1. Mai 1933 mit einer Erklärung, in der es u. a. hieß  : »Österreich ist eine Republik, alle Gewalten gehen vom Volke aus. Der Bundespräsident und die Minister haben die republikanische Verfassung dieses Staates beschworen. Die sozialdemokratische Fraktion fordert daher den Landeshauptmann auf, sowohl dem Bundespräsidenten als auch der Bundesregierung auf kürzestem Wege mitzuteilen  : 1. Das Salzburger Volk will nur nach verfassungsmäßig geltenden Gesetzen und nur nach Gesetzen, die vom Nationalrat und den nach der Verfassung zuständigen Stellen beschlossen und genehmigt sind, regiert werden. 2. Der Landeshauptmann wird aufgefordert, der Bundesregierung weiterhin die dringliche Forderung des Salzburger Landtages mitzuteilen, dass der Nationalrat ehestmöglichst einberufen werde und mit Rücksicht auf die schwierigen Verhältnisse unseres Staates ehebaldigst zu normaler verfassungsmäßiger Verwaltung zurückgekehrt wird. 3. Wir fordern dies als Bürger dieses Staates, als Republikaner, in der festen Überzeugung, dass einseitig insbesondere von einer Minderheit verübte Gewalt zum Ruine dieses Staates und unseres Volkes führt.« (Sten. Prot. d. Sbg. LT. 15. Sitzung, 1. Session der 4. Wahlperiode, 12. März 1933. S. 239.)

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schaft. … Wir führen unseren Kampf in vollster Ruhe und in vollster Konsequenz dessen, was kommen muss, aber ich sage noch einmal ganz offen, die Arbeiterschaft Österreichs wird frei bleiben und kein Herr und keine Macht kann so stark sein, dass sie uns die Freiheit nehmen kann, am wenigsten mit Gewalt.«236 Der sozialdemokratische Landeshauptmann-Stellvertreter Robert Preußler rechtfertigte die Koalition mit der NSDAP mit dem Hinweis auf das übergeordnete Ziel und übernahm die Argumentation seiner Partei im Nationalrat gegen die Regierung Dollfuß, indem er unter Hinweis auf die Regierungsbeteiligung des Heimatblockes und vor allem den Pfrimer-Putsch des Jahres 1931 erklärte, in der Regierung säßen »Staatsstreichler, … es sitzen drinnen Anhänger des Umsturzes und Hochverräter, die es gut geheißen haben, dass unsere Verfassung, dass unser Staat umgestürzt wird. Daran wird nicht der geringste Anstoß genommen und darum muss eine solche Regierung mit Misstrauen beobachtet werden. … Die Grundrechte des Volkes sind in Gefahr und in einer solchen Gefahr ­können auch wir Sozialdemokraten nicht fragen, wer uns Gefolgschaft leistet in solchen Dingen. (…) Wie bei uns finden in ganz Österreich, in Wien, Niederösterreich und anderen Ländern ebenfalls Landtagsvorstöße statt gegen diese Ungeheuerlichkeit, die jetzt seitens der Regierung durch diesen Missbrauch der Verordnungsgewalt begangen worden ist.«237 Ähnlich argumentierte der sozialdemokratische Abgeordnete Karl Emminger. Die Linke und die äußerste Rechte hätten eine Vereinbarung getroffen und die Sozialdemokraten seien keineswegs naiv, »um nicht zu wissen, von welchem Geiste diese Zustimmung der Rechten getragen ist. Aber ganz offen gesprochen, wenn es sich um Grundrechte der Freiheit handelt, dann kann mit uns sein Tod und Teufel. Hier gilt es, Menschenrechte zu verteidigen und zu wahren. (…) Wenn heute die äußerste Rechte für diesen Antrag stimmt, so wissen wir, dass diese, wenn sie in Österreich zur Macht kommen sollte, vielleicht das Konzept von draußen übernehmen würde. Dann wird es Aufgabe der österreichischen Arbeiterschaft sein, rechtzeitig gegen jeden vorzugehen, der etwa die Arbeiterschaft knechten wollte.«238 Für den Koalitionspartner in diesem Bereich erklärte der nationalsozialistische Abgeordnete Karl Starkel, der NSDAP gehe es nicht um die Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Systems und damit die Perpetuierung des bestehenden politischen Systems, sondern vielmehr um dessen Beseitigung. Ein erster Schritt in diese Richtung seien Neuwahlen, denn die Regierung Dollfuß habe auf Grund der letzten Landtagswahlergebnisse nicht mehr das Vertrauen einer Mehrheit, sondern nur 236 Sten Prot. d. Sbg. LT, 10. Sitzung der 1. Session der 4. Wahlperiode, 10. März 1933. S. 153 f. 237 Ebd. S. 156. 238 Ebd. S. 157 ff.

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mehr einer Minderheit der Bevölkerung.239 Der nationalsozialistische Abgeordnete Hans Wagner sekundierte mit der Feststellung, die NSDAP bekämpfe die »heutige Regierung selbstverständlich, weil wir Volksbeauftragte sind und das Volk mit dieser Regierung nicht mehr einverstanden ist.«240 Die Mehrheitsverhältnisse waren deutlich. Alle vier Dringlichkeitsanträge wurden mit der Mehrheit der 14 sozialdemokratischen und 6 nationalsozialistischen Stimmen gegen die 11 Stimmen der Christlichsozialen angenommen. Die »Salzburger Chronik« kommentierte die Landtagssitzung mit der Überschrift »Salzburger Landtag spielt Parlament«, wobei der »peinliche Eindruck des gemeinsamen Vorgehens zwischen der sozialdemokratischen und nationalsozialistischen Partei« deutlich geworden sei.241 Mit der Abstimmung am 10. März 1933 waren die Gemeinsamkeiten von Sozial­ demokraten und Nationalsozialisten erschöpft. Die Entwicklung in Deutschland lieferte das Anschauungsmaterial für eine auch in Österreich drohende Entwicklung im Fall einer nationalsozialistischen Regierungsbeteiligung, weshalb sich die Sozialdemokratie in einem Schwebezustand zwischen dem kleineren Übel einer Regierung Dollfuß und deren Absichten einer Verfassungsreform und dem größeren der NSDAP und ihres Totalitätsanspruches befand. In dieser Situation näherte sie sich der Regierung Dollfuß und signalisierte neben einer Verhandlungsbereitschaft über eine Verfassungsreform auch ihre Bereitschaft zur Bildung einer Abwehrfront gegen den Nationalsozialismus. Die Tragödie der folgenden Monate bis zum Februar 1934 liegt in der zwischenzeitlich weitgehenden Sprachlosigkeit der entscheidenden Akteure, die auch das Ergebnis des Druckes der Basis war. Bei den Christlichsozialen forderte ein Großteil der Parteibasis einen autoritären Kurs, bei den Sozialdemokraten drängte der linke aktionistische Parteiflügel zu bewaffneten Aktionen, die, dessen war sich die Parteiführung bewusst, in die Katastrophe führen mussten. Die mögliche Lösung des Dilemmas durch einen Konsens der politischen Eliten blieb so außer Reichweite.

3.2 Schwebezustand Die Entwicklung war ungewiss. Zwar hatte die Regierung die Wiedereinberufung des Nationalrates durch dessen Dritten Präsidenten Sepp Straffner am 15. März verhindert, doch herrschte die Meinung vor, dass die Wiedereinberufung des Nationalrates in absehbarer Zeit erfolgen werde, um über eine Reform der Bundesverfassung 239 Ebd. S. 159. 240 Ebd. S. 165. 241 Salzburger Chronik 11.3.1933. S. 4.

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und der Geschäftsordnung zu beraten. In der Sitzung des christlichsozialen Klubvorstandes am 9. März, an der mit Ausnahme Franz Rehrls alle christlichsozialen Landeshauptleute teilnahmen, erklärte Bundeskanzler Dollfuß in seiner Darstellung der politischen Situation, dass neben einer Reform der Geschäftsordnung des Nationalrates eine Verfassungsreform in Form eines Umbaus des Bundesrates in eine Länder- und Ständekammer erfolgen solle.242 Die anschließende Diskussion konzentrierte sich auf zwei Themenbereiche, die in den folgenden Monaten die Haltung der Partei bestimmen sollten  : die Notwendigkeit einer Verfassungsreform, da der herrschende Parlamentsabsolutismus jeder konstruktiven Lösung der Probleme im Wege stehe und zur negativen Meinung über den Parlamentarismus erheblich beigetragen habe, und die Verhinderung von Neuwahlen, die, so die übereinstimmende Auffassung, von den Sozialdemokraten und Nationalsozialisten gefordert würden, um die Mehrheitsverhältnisse im Nationalrat durch eine Schwächung der Christlichsozialen Partei grundlegend zu ändern. So erklärte der niederösterreichische Nationalratsabgeordnete Franz Spalowsky, man solle »die Klemme, in der sich die Sozi befinden«, nützen, um sie bei den Verhandlungen über eine Verfassungsreform »zu weitgehenden Zugeständnissen zu veranlassen.«243 Der oberösterreichische Nationalratsabgeordnete und Obmann des Katholischen Volksvereines, Josef Aigner, vertrat unter Zustimmung von Dollfuß die Auffassung, dass »Verfassung und Parlament … auf einen neuen Boden und in ein neues Gewand zu bringen« seien. »Die Frage des Länder- und Ständerates, der Umbau unserer Volksvertretung hätte sich nach dem geltenden Gesetz zu vollziehen, also von einer Volksvertretung zu beschließen wäre. Alles andere wäre ein Oktroi.«244 Der Kärntner Abgeordnete Michael Paulitsch argwöhnte eine Koalition zwischen Nationalsozialisten und Sozialdemokraten, um Neuwahlen zu erzwingen mit dem Ziel, die Christlichsozialen zu schwächen und die Mehrheitsverhältnisse im Nationalrat grundlegend zu ändern. Justizminister Kurt Schuschnigg stimmte dem zu und betonte, es handle sich dabei »nicht um den Bestand der Regierung, sondern um den Bestand der Christlichsozialen Partei in Österreich.«245 Sozialminister Richard Schmitz pflichtete dem bei und erklärte  : »Wenn wir nicht imstande sind, die Führung der Politik zu behaupten und unseren Stempel aufzudrücken, wird eine revolutionäre Bewegung uns hinwegfegen. … Es geht um die Kernfrage, ob die Nazi 242 Walter Goldinger (Hg.)  : Protokolle des Klubvorstandes der Christlichsozialen Partei 1932–1934. – Wien 1980. S. 140. (Studien und Quellen zur österreichischen Zeitgeschichte. Herausgegeben im Auftrag der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1918 bis 1938 von Rudolf Neck und Adam Wandruszka. Band 2.) 243 Ebd. S. 144. 244 Ebd. S. 147. 245 Ebd. S. 145 f.

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Österreich in die Hand bekommen. Wenn sie es bekommen, proklamieren sie den Anschluss an Deutschland. Hier wird ein Reichskommissar offiziell oder inoffiziell aufgestellt. Landtage … sind erledigt, eine neue Verfassung wird oktroyiert, es wird unter Druck gewählt, das wird die demokratische Bestätigung durch das Volk sein. … Einen Stützpunkt haben wir aber noch. Wenn wir die Regierung und Führung im Staat verloren haben, haben wir den letzten Stützpunkt verloren, den wir noch besitzen. So peinlich es ist, die Rechtskontinuität in Gefahr zu bringen, wichtig ist die Sorge um das Vaterland.«246 Die Stimmung der christlichsozialen Parteiaktivisten und -mitglieder stand vor allem auch auf Grund der revolutionären Rhetorik und Obstruktionspolitik der Sozialdemokratie dem bestehenden parlamentarischen System kritisch bis ablehnend gegenüber. Im Bereich der Parteiaktivisten kam vor allem dem niederen katholischen Klerus sowie den Laienfunktionären im weit verzweigten katholischen Vereinswesen eine zentrale Rolle zu. Die Krise der Demokratie erfasste die Christlichsozialen als Partei der Landwirte, des Handels und gewerblichen Mittelstandes, der öffentlich Bediensteten und der vor allem nicht-industriellen Lohnabhängigen in der Phase der ökonomischen Depression. Das Vertrauen in die Lösungskompetenz des parlamentarischen Systems schwand, an seine Stelle traten zunehmend alternative Herrschaftsentwürfe und deren ideologische Begründungen, von katholisch-ständisch (inklusive Rekatholisierung der Gesellschaft) über autoritär bis quasi- und vollfaschistisch. Am 2. April 1933 erfolgte eine außerordentliche Versammlung der christlichsozialen Vertrauensleute der Stadt Salzburg und Umgebung, die eine Solidaritätserklärung mit den Maßnahmen der Bundesregierung verabschiedete, in der sich »die christliche Bevölkerung des Bezirkes Salzburg und Umgebung … über die starke Haltung der Regierung Dollfuß sehr erfreut« zeigte und erwartete, »dass dieser Kurs unter allen Umständen beibehalten wird, damit sich die A u f b a u k r ä f t e u n g e h i n d e r t v o n u n s a c h l i c h e r O p p o s i t i o n e n t w i c k e l n können. Von einer baldigen Eröffnung des Parlamentes erwarten wir uns nichts und wissen uns in einer Front mit dem Großteil des österreichischen Volkes. Denn Volks- und Wirtschaftsnotwendigkeiten können am besten durch eine vom Parlament unabhängige Regierung durchgeführt werden. (…) Wir verlangen auch, dass die Regierung gegen den M a r x i s m u s und seine volksfremden und staatsgefährlichen Führer schärfstens vorgeht. Weiter verlangen wir, dass die r e l i g i ö s - s i t t l i c h e E r z i e h u n g d e r J u g e n d in Haus und Schule unter allen Umständen im Staate gewährleistet wird. Der Religionsunterricht muss in allen unteren und mittleren Schulen Pflichtgegenstand sein, auch in Wien. 246 Ebd. S. 153.

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Das letzte Ziel der Politik muss die Schaffung eines katholischen Staates sein. G o t t e s g l a u b e , H e i m a t - u n d Va t e r l a n d s l i e b e müssen seine G r u n d p f e i l e r sein. Hierfür ist umfassende Aufklärung der Bevölkerung im ö s t e r r e i c h i s c h e n Sinne dringend erwünscht.« Als Konsenspolitiker befand sich Landeshauptmann Franz Rehrl in einem politischen Dilemma. In der Sitzung des Landtages am 10. März, für die er am 9. März vom christlichsozialen Klubvorstand Verhaltensregeln erbeten hatte, hatte er sich auf den formaljuristischen Standpunkt zur Verteidigung der Haltung der Bundesregierung und des Gebrauches des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes zurückgezogen. Auch er wusste um die Obstruktionspolitik der Sozialdemokratie im Nationalrat, sah dies jedoch vor allem als bundespolitisches Problem. In Salzburg war die Sozialdemokratie, abgesehen von rhetorischen Pflichtübungen vor allem an den sozialdemokratischen Feiertagen, in wichtigen landespolitischen Anliegen ein konstruktiver Partner. Von einer radikalen Lösung, wie es die Solidaritätserklärung andeutete, wollte er nichts wissen. Vielmehr plädierte er, bei aller Betonung des durch die strukturellen Probleme des Parlamentsabsolutismus und der Obstruktionspolitik der Sozialdemokratie verursachten Vertrauensverlustes in das bestehende parlamentarische System, für dessen Fortbestand. »Der Vorwurf, dass das Parlament nur einen Hemmschuh für die Entwicklung und die notwendigen Maßnahmen der Regierung gebildet habe, bestehe vollkommen zu Recht  : ebenso wie es in einem Staate nicht gut gehe, in dem der Absolutismus herrsche, so auch nicht in einem Staate, in dem das Parlament allein herrsche, wenn das Parlament Träger sämtlicher Gewalten ist und infolge seiner Organisation nicht den einheitlichen Willen zu schaffen vermag, der im Interesse der Wirtschaft und der Vertretung nach außen hin notwendig ist. (…) Die Wiener Führung der Sozialdemokratie hat jede Kleinigkeit dazu missbraucht, um der Regierung die jeweils größtmöglichen Schwierigkeiten zu bereiten und eine zeitgerechte Verwaltung unmöglich zu machen, die Regierungsmänner immer wieder als Lumpen und Trottel hingestellt und so wesentlich zum Vertrauensverbrauch der parlamentarischen Einrichtungen in der Bevölkerung beigetragen.« Die Christlichsozialen standen und stehen »auf dem Boden des Rechtes und nicht der Gewalt« und hätten es »immer vermieden, … einen Bruch der Rechtsstaatlichkeit zu setzen und durch einen Staatsstreich das Parlament auszuschalten …« Nun seien sie aber durch den Rücktritt der drei Präsidenten »von dieser unerträglichen Last befreit« worden und es sei ein neuer Rechtszustand eingetreten, der die Regierung in die Lage versetze, »die von der Wirtschaft geforderten Maßnahmen sofort in Kraft zu setzen und das Parlament hat, sobald es zusammentritt, zu akzeptieren oder, sofern es gescheiter ist, Besseres an dessen Stelle zu setzen.«247

247 Salzburger Chronik 3.4.1933. S. 3.

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Am Vorabend des christlichsozialen Parteitages vom 5. bis 7. Mai 1933 im Festsaal von St. Peter in Salzburg248 erklärte Dollfuß am 3. Mai im Vorstand des christlichsozialen Parlamentsklubs, der Landesleiter der österreichischen NSDAP, Theo Habicht, habe ihm »durch einen Freund sagen lassen,« dass er mit ihm sprechen wolle. »Ich  : Ich bin bereit. Er meinte, dass eine unmittelbare Aussprache doch von Wert sei. Er legt Wert darauf, mir seine … Er spricht im Namen der NS. Was er sagt, hat zu gelten. Er meint, dass die beiden Gruppen der Regierungsparteien (Heimatblock und Landbund) wesentlich schwächer geworden sind und dass diese beiden Gruppen keine politische Realität mehr sind. … die zwei haben kein Recht, sich zu beteiligen an der Regierung Österreichs. Eine Koalition unter Führung der Christlichsozialen, auch unter meiner Führung, wenn es die Christlichsozialen wollen, im Herbst Wahlen. Jetzt nicht mehr. Auch wenn sie mehr Mandate gewinnen würden, würden sie sich verpflichten zu einer Koalition. Wahlkampf nicht gegen die Christlichsozialen und ihre führenden Persönlichkeiten, sondern gegen die anderen Parteien und die Sozi. … Er  : Zwischen uns und den Christlichsozialen gibt es nur Krieg oder Frieden, ein Drittes gibt es nicht. Verhältnis des Deutschen Reiches zu Österreich wird wesentlich davon abhängen.« Dollfuß referierte anschließend seine Einschätzung der innen- und außenpolitischen Lage  : die Sozialdemokraten würden sich »alles gefallen lassen, weil sie sich sagen, es sind noch immer nicht die Nazi.« Die außenpolitische Lage zeige, dass bei jeder Entscheidung, pro oder kontra, weder von England noch von Frankreich Unterstützung zu erhoffen sei. Auch der Vorteil einer Erleichterung der Beziehungen zum Deutschen Reich sei fraglich. Er komme daher zu dem Schluss, dass dieses Angebot nicht in Frage komme. In der anschließenden Diskussion bemerkte Rudolf Ramek, der Parteiobmann der Salzburger Christlichsozialen, die Analyse Habichts bezüglich des Landbundes und des Heimatblockes sei mit Blick auf die Verhältnisse in Salzburg richtig. Die Bauern des Landbundes seien alle zur NSDAP übergegangen und auch ein Großteil der Mitglieder des Heimatblocks. Gleichzeitig gab er eine Situationsbeschreibung der Situation in Salzburg, wo es offensichtlich den Nationalsozialisten gelungen war, nicht nur durch permanente Propaganda Zulauf zu erhalten, sondern auch den Staatsapparat bereits in bedenklichem Ausmaß zu infiltrieren. Die Salzburger Christlichsozialen würden nicht die von Habicht vorgeschlagenen Wahlen im Herbst wünschen. »Unsere Parteigenossen sind überzeugt, dass solche Wahlen für uns schlecht ausgehen und sicherlich sehr gut für die NS. Man muss solche Wahlen bis Herbst nächsten Jahres hinausschieben. Bei der Verfassungsreform Wahlreform verlangen und Wahlalter hinaufschieben. … 248 Robert Kriechbaumer (Hg.)  : »Dieses Österreich retten«. Protokolle der Christlichsozialen Parteitage der Ersten Republik. – Wien/Köln/Weimar 2006. S. 425 ff. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 27.)

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Krieg oder Frieden, dieses Wort ist falsch. Es gibt nur Krieg. Dann ist der Bestand der Partei gesichert. Friede bedeutet für uns nur Unterwerfung. … Weiters habe ich Folgendes gehört  : Alle unsere Vertrauensleute sagen, die NS schimpfen nur auf die Christlichsozialen und auf unsere Regierung. Es gibt für sie nichts Schlechteres. Nicht nur parteipolitische Versammlungen, sondern auch im Wirtshaus von Mann zu Mann, von Haus zu Haus. Mit einer Infamie. Das sind die NS. Die Empörung unserer Leute ist nicht zu beschreiben. Überall hört man  : Eingreifen  ! Eine solche feindselige Stimmung in unseren Kreisen gegen die Beamten, die Gendarmerie. Ein Großteil derselben ist NS. Sie schimpfen auch nur auf die Regierung bei den Bauern. Fast alle Richter im Land sind NS-offen. Bei der Polizei nicht anders. … Die christlichsozialen Wachleute werden so drangsaliert von den vorgesetzten Inspektoren … Zwölf sind schon aus der christlichen Gewerkschaft ausgetreten. Die Polizisten sind zu mir gekommen, … Sie sehen den Schutz nur bei der Regierung und beim Bundeskanzler.«249 Der Klubvorstand war über das kurz zuvor im Auftrag von Bundeskanzler Dollfuß geführte Gespräch von Unterrichtsminister Anton Rintelen, Finanzminister Karl Buresch und Justizminister Kurt Schuschnigg mit den Repräsentanten der österreichischen NSDAP, Theo Habicht und Alfred Proksch, im Blauen Salon des Unterrichtsministeriums informiert. Die Initiative zu diesem Gespräch ging wahrscheinlich von Anton Rintelen aus,250 der Dollfuß in seinem Bemühen bestärkte, durch Gespräche mit den österreichischen Nationalsozialisten zu einer Beruhigung der angespannten innenpolitischen Lage beizutragen. Zudem ging er von der irrigen Meinung aus, dass die österreichische NSDAP einen von Berlins Haltung abweichenden Kurs der Verständigung einschlagen würde. Schuschnigg behauptete in seiner 1937 verfassten Darstellung der politischen Ereignisse, er habe »das Gespräch in genauer Erinnerung … Herr Habicht erklärte sinngemäß, er halte die Möglichkeit für gegeben, dass die österreichische NSDAP mit den Christlichsozialen gemeinsam eine politische Koalition eingehe. Ein ausgesprochenes Hindernis bedeute hingegen der Heimatschutz, und er müsse auf dessen Ausschaltung aus der Regierung beharren. In das Kabinett hätten nach seinem Vorschlag anstelle der Heimatschützer Nationalsozialisten treten sollen in vorausbestimmter Zahl, die mir heute nicht mehr genau 249 Goldinger (Hg.)  : Protokolle des Klubvorstandes der Christlichsozialen Partei 1932–1934. S. 244. 250 Anton Rintelen, der schließlich Mitglied der NSDAP wurde, schrieb in seinen Erinnerungen  : »Meine Bestrebungen, im Verhandlungswege die Entspannung herbeizuführen, die Bildung eines von Christlichsozialen und Nationalsozialisten getragenen Übergangskabinetts anzubahnen, durch frei Wahlen dem Volkswillen Rechnung zu tragen und den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen, sind gescheitert, wie auch die späteren Ausgleichsversuche kein Ergebnis zeitigten, weil in der österreichischen Regierung die inneren Voraussetzungen für ein Einlenken gefehlt haben  ; zumindest waren in ihr Kräfte am Werke, die jeden Ausgleich zu verhindern wussten.« (Anton Rintelen  : Erinnerungen an Österreichs Weg. 2. Aufl. – München 1941. S. 261.)

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erinnerlich ist. Es hat sich um drei, höchstens vier Ministerposten gehandelt. Die Aufgabe des Kabinetts sei die sofortige Ausschreibung von Neuwahlen, wobei jedoch die Nationalsozialisten die Garantie dafür übernehmen, dass, wie immer diese Neuwahlen ausfallen würden, Dollfuß auch nachher an der Spitze des Kabinetts stehen sollte. Dies sei eine Konzession, welche der Nationalsozialismus aus außenpolitischen Gründen zu machen bereit sei.«251 Wenngleich über die Zahl der von Habicht geforderten Minister Unklarheit besteht, die Berichte schwanken zwischen zwei bis drei und drei bis vier, so wird in allen übereinstimmend festgestellt, dass sich unter den geforderten Ministerien das Sicherheitsressort befand. Die österreichischen Gesprächspartner erwiderten in einer ersten Runde, dass allein schon aus politischer Loyalität ein Ausschalten des Heimatschutzes nicht in Frage komme, worauf Habicht ironisch erwiderte, seines Wissens sei der Heimatschutz in der Frage der Loyalität nicht so zimperlich. Als im weiteren Gespräch die Durchführung von baldigen Neuwahlen von den österreichischen Ministern abgelehnt wurde, ging das Gespräch ergebnislos zu Ende. Man vereinbarte lediglich, dass nach einem Bericht an den Bundeskanzler ein neuerliches Gespräch in Aussicht genommen werden könnte. Dollfuß reagierte auf den Bericht über das Gespräch ablehnend und machte aus seiner Haltung auch bei der wenig später folgenden Sitzung des Klubvorstandes des Christlichsozialen Partei kein Geheimnis. Im Klubvorstand am 3. Mai erklärte er, »dass der Weg vom 5. März absolut richtig und der einzige war. Wenn wir diesen Weg nicht benützt hätten, wären wir gefressen worden.«252 Alfred Gürtler bemerkte, er höre »von dem Gespräch mit Habicht. Bitte mit dieser Gesellschaft nicht viel zu reden. … Ein NS kann Österreich nicht bejahen. Wir haben den österreichischen Kurs und in diesen kann ein NS nicht eingegliedert werden.« Für Leopold Kunschak war »die Frage eines Zusammengehens mit den NS … nicht einmal ausreichend für eine akademische Erörterung. Dreimal Nein  ! Ich erkläre, dass ich mich im Kampf gegen die NS selbst mit dem Teufel in Verbindung setze.«253 Dollfuß hatte sich in der Zwischenzeit zwar nicht mit dem Teufel, doch mit Mussolini in Verbindung gesetzt. Durch die inzwischen erlangte italienische Rückendeckung sahen der Kanzler und die Christlichsoziale Partei nach einer Phase der Defensive und Verunsicherung durch die anhaltende Wirtschaftskrise, den schwierigen und die psychische Belastbarkeit der handelnden Akteure schwer belastenden Kampf um die Lausanner Anleihe und die kurz darauf folgende Hirtenberger Waffenaffäre inklusive deren internationale Reaktionen, den zunehmenden außenpolitischen 251 Schuschnigg  : Dreimal Österreich. S. 241. Vgl. auch Dieter Ross  : Hitler und Dollfuß. Die deutsche Österreich-Politik 1933–1934. – Hamburg 1966. S. 34 f  ; Franz Langoth  : Kampf um Österreich. Erinnerungen eines Politikers. – Wels 1951. S. 106. 252 Goldinger (Hg.)  : Protokolle des Klubvorstandes der Christlichsozialen Partei 1932–1934. S. 248. 253 Ebd. S. 248 f.

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Druck durch Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Jänner 1933 und die Bestätigung der »Machtergreifung« durch die Reichstagswahl am 5. März, die die Attraktivität der NSDAP in Österreich erhöhte und deren Propagandatätigkeit erheblich verstärkte, wieder Licht am Ende des Tunnels. Der in den Augen der Regierung unvorhergesehene Glücksfall der am 4. März 1933 ausgelösten Parlamentskrise bot ihr nicht nur die Möglichkeit, mit Hilfe des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes auch ohne Parlament zu regieren, sondern, von der eigenen ­Parteibasis gefordert und unterstützt, den Kampf gegen links und rechts aufzunehmen. Am 25. März wurde die geplante Auflösung des Republikanischen Schutzbundes im christlichsozialen Klubvorstand diskutiert und zustimmend als notwendig erachtet. Am 31. März wurde der Wiener Zentrale des Republikanischen Schutzbundes der Auflösungsbescheid der Bundesregierung übermittelt und am folgenden Tag begannen umfangreiche Waffensuchen in ganz Österreich. Mit dem Hinweis auf das am 7. März erlassene politische Aufmarschverbot verhinderte die Bundesregierung durch Abriegelung der Wiener Innenstadt durch das Bundesheer den traditionellen Maiaufmarsch der Sozialdemokraten. Die Einschätzung von Dollfuß im christlichsozialen Klubvorstand am 25. März, er glaube nicht, dass die Sozialdemokraten bei den gegen sie gerichteten Maßnahmen bis zum Äußersten gehen, sondern defensiv reagieren würden, sollte sich als richtig erweisen. Und der Kanzler konnte einen zweiten Erfolg verbuchen  : die am 13. April 1933 von Mussolini erreichte außenpolitische und – wenn notwendig – militärische Rückendeckung gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland. Die bilateralen Beziehungen zwischen Italien und Österreich waren in der Zwischenkriegszeit vor allem nach der faschistischen Machtübernahme wegen der Südtirol-Frage erheblichen Schwankungen unterworfen.254 Erst unter der zweiten Kanzlerschaft von Johannes Schober kam es zu einer Annäherung zwischen Rom und Wien, da Mussolini in dem österreichischen Bundeskanzler einen Verbündeten im Kampf gegen den Marxismus sah, der in seinen Augen in Österreich mit dem Brand des Justizpalastes am 15. Juli 1927 sein Bedrohungspotential offenbart hatte. Das Rote Wien und die österreichische Sozialdemokratie waren für den Duce nichts anderes als Agenten einer bolschewistischen Verschwörung, die es zu eliminieren galt. Dollfuß erschien Mussolini als österreichischer antimarxistischer Drachentöter, dem zudem vor allem nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Jänner 1933 im außenpolitischen Konzept einer italienischen Hegemonie über Südosteuropa eine wichtige Rolle zukam. Die Erhaltung der österreichischen Unabhängigkeit gegenüber einer nunmehr aggressiv auftretenden deutschen Außenpolitik lag im ureigensten italienischen nationalen und imperialen Interesse. Als Gegenleistung für 254 Vgl. dazu Rolf Steininger  : Südtirol im 20. Jahrhundert. Vom Leben und Überleben einer Minderheit. – Innsbruck/Wien 1997. S. 73 ff.

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das italienische Schutzangebot war allerdings eine autoritäre, strikt antimarxistische, vor allem gegen die Sozialdemokratie und deren Machtpositionen im Roten Wien gerichtete Politik sowie die Zerschlagung des Republikanischen Schutzbundes gefordert. Da in der außenpolitischen Analyse des Ballhausplatzes weder von Großbritannien noch von Frankreich im Krisenfall eine nennenswerte Unterstützung gegen Deutschland zu erwarten war, blieb nur mehr die italienische Option, zumal aus Rom unmissverständlich positive Signale kamen. Während man bemüht war, die offiziellen Beziehungen zu Deutschland möglichst normal zu gestalten und keinerlei Belastungen auszusetzen, musste man sich gleichzeitig um eine Rückendeckung bemühen, wobei man nicht nur auf Rom, sondern auf Wunsch Mussolinis auch auf dessen Verbündeten Ungarn setzte. Beide sollten, auch im eigenen Interesse, in Berlin dahin wirken, die österreichische NSDAP und damit die Anschlussbewegung zu bremsen und die Unabhängigkeit Österreichs im Interesse der Stabilität Mitteleuropas zu respektieren.255 Angesichts der sich durch die nationalsozialistische Agitation verschärfenden innenpolitischen Lage – der bayerische Justizminister und Reichsjustizkommissar Hans Frank hatte in einer Rundfunkrede in München am 18. März mit der Bemerkung, die deutsche NSDAP werde die Sicherung der Freiheit der deutschen Volksgenossen in Österreich übernehmen, zusätzlich Öl ins Feuer gegossen – sah sich 255 Am 12. März 1933 berichtete Legationsrat Theodor Hornbostel in einer geheimen Aufzeichnung, dass der ungarische Außenminister Kálmán Baron Kánya von Kánia den deutschen Vizekanzler Franz von Papen brieflich ersucht habe, Hitler davon zu überzeugen, »dass es im Interesse Ungarns und Deutschlands läge, gegen die Regierung Dollfuß keinen Nazi-Sturm loszutreten. Hitler hätte geantwortet, er stimme zu, doch müssten in Österreich ehestens Neuwahlen ausgeschrieben werden. Graf Bethlen (Graf István, Anm. d. Verf.), der sich in Berlin aufhält, hätte daraufhin Hitler persönlich darauf aufmerksam gemacht, dass das Verlangen nach Neuwahlen mit einer feindlichen Einstellung gegenüber der Regierung Dollfuß gleichbedeutend wäre. Hierauf hätte Hitler erklärt, dass er unter der Voraussetzung, dass eine rechtsgerichtete bürgerliche Konzentration energisch gegen den Austromarxismus vorgehe, nichts gegen die Regierung Dollfuß oder eines anderen christlichsozialen Politikers unternehmen würde.« (ADÖ/1278.) Am 23. März 1933 meldete Theodor Hornbostel, dass aus mehreren Gesprächen, die mit dem ungarischen Außenminister und ungarischen Spitzendiplomaten bei ihrer Durchreise durch Wien geführt wurden, hervorgegangen sei, dass Mussolini »voll Anerkennung für die Haltung der Regierung Dollfuß« sei und »größten Wert darauf« lege, »dass die Rechtsbürgerlichen möglichst geschlossen gegen den Marxismus arbeiten. Er begünstigt keineswegs die nationalsozialistische Bewegung in Österreich und scheint sogar bemüht, die Führer des deutschen Nationalsozialismus im Reiche dahin zu beeinflussen, dass diese Bewegung in Österreich dem Regime Dollfuß’ keine größeren Schwierigkeiten bereite, insbesondere die Propaganda, die auf baldige Neuwahlen abziele, nicht übertreibe. Was die Anschlussfrage betrifft, stehe das heutige Italien nach wie vor auf einem absolut ablehnenden Standpunkte.« Der ungarische Legationsrat Baron Gábor Apor habe weiters mitgeteilt, »dass Herr von Kánya der ital. Regierung sogar schriftlich den gleichfalls ablehnenden ungarischen Standpunkt in der Anschlussfrage bekanntgegeben hätte …« (ADÖ 9/1283.)

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Dollfuß zur Initiative veranlasst und telegrafierte am 9. April an die österreichische Gesandtschaft in Rom, dass er angesichts der durch die Erklärung Franks ungeklärten Verhältnisse zwischen Deutschland und Österreich eine Aussprache mit Mussolini begrüßen würde. 256 Die Antwort Mussolinis war positiv und Dollfuß begründete seinen in der österreichischen Öffentlichkeit keineswegs populären Besuch in Rom mit der Teilnahme an den Osterfeierlichkeiten im Heiligen Jahr. Am 12. April traf Dollfuß Mussolini und Unterstaatssekretär Fulvio Suvich im Palazzo Venzia zu einem äußerst erfolgreich verlaufenden ersten Gespräch., dem bis zum folgenden Tag noch zwei weitere folgen sollten.257 Wenngleich Mussolini, beeindruckt vom deutschen Wahlergebnis vom 5. März 1933, am 9. März den faschistischen Großrat einer Resolution zustimmen ließ, in der dieser in der »faschistischen Bewegung, die sich jenseits der Grenzen Italiens entwickelt, die Bekräftigung eines neuen Geistes« erkannte,258 so stand man den außenpolitischen Ambitionen Hitlers, vor allem seiner Forderung nach dem Anschluss Österreichs, den er als innenpolitische Angelegenheit Deutschlands betrachtete, äußerst kritisch gegenüber. In Rom wollte man weder ein nationalsozialistisches Großdeutschland an der Brennergrenze noch ein befürchtetes deutsches Eindringen in den Donauraum, weshalb man sich um eine Stabilisierung der Regierung Dollfuß bemühte. Unmittelbar nach der März-Wahl intervenierte der italienische Botschafter in Berlin, Vittorio Cerruti, sowohl bei Außenminister Konstantin von Neurath wie auch Hitler persönlich. Am 14. März versuchte Cerruti die deutsche Regierung von einer notwendigen Unterstützung der Regierung Dollfuß zu überzeugen, da diese ansonsten in den Einflussbereich der Kleinen Entente abzugleiten drohe. Zwei Tage später erklärte Hitler dem italienischen Botschafter in einem Gespräch, er beabsichtige derzeit keine Diskussion der Österreich-Frage, da dies nur erhebliche internationale Probleme verursachen würde. Eine Unterstützung der Regierung Dollfuß komme jedoch nicht in Frage. Vielmehr müssten bald Neuwahlen stattfinden, denn, so Cerruti in seinem Bericht nach Rom, »er ist sicher, dass auch in Österreich das geschehen wird, was in Deutschland geschah,« d. h. es werde sich eine nationalsozialistische Mehrheit durchsetzen, die »keine Erpressung mehr von Frankreich in wirtschaftlichen Fragen fürchten muss und sich dorthin wenden wird, wo es hingehört  : an Deutschland.« Auf die Erklärung Cerrutis, in Rom wünsche 256 ADÖ 9/1286. In Wien kursierten außerdem Putschgerüchte, in die die NSDAP und Teile der Heimwehr involviert waren. 257 ADO 9/1289. Vgl. auch Helmut Wohnout  : Italien und der politische Systemwechsel in Österreich 1933/34. – In  : Maddalena Guiotto, Helmut Wohnout (Hg.)  : Italien und Österreich im Mitteleuropa der Zwischenkriegszeit. – Wien/Köln/Weimar 2018. S. 371–422. S. 384 f. (Schriftenreihe des Österreichischen Historischen Instituts in Rom. Herausgegeben von Andreas Gottsmann. Band 2.) 258 Zit. bei Gianluca Falanga  : Mussolinis Vorposten in Hitlers Reich. Italiens Politik in Berlin 1933– 1945. – Berlin 2008. S. 18.

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man ein gemeinsames Vorgehen in der Österreich-Frage, antwortete Hitler, dass er sich dies auch wünsche, doch könne er seine Sichtweise nicht ändern. Vier Tage später bemerkte der Botschafter in einem neuerlichen Bericht an Mussolini  : »Die Situation in Österreich wird von Euer Exzellenz und vom Kanzler Hitler von voneinander abweichenden Standpunkten betrachtet.«259 In Rom war man von den Telegrammen der Berliner Botschaft beunruhigt und erkannte, dass ein gewünschtes gemeinsames Vorgehen in der Österreich-Frage derzeit nicht möglich war, doch müsse man, so Mussolinis Weisung an Cerruti am 9. April, die Differenzen zwischen beiden Staaten nicht in die Öffentlichkeit spielen, da man den Eindruck einer offensichtlichen außenpolitischen Differenz zwischen beiden faschistischen Staaten vermeiden wollte. In Rom waren jedoch die Würfel gefallen  : Man war bereit, die Regierung Dollfuß zu unterstützen, da sie gegen den Anschluss kämpfte. Allerdings sollte für diese Unterstützung auch ein entsprechender Preis gefordert werden  : der verstärkte Kampf gegen den Austromarxismus. Das von Dollfuß anlässlich seines Rom-Besuches angestrebte Treffen mit Mussolini stieß daher auch beim Duce auf großes Interesse, galt es doch in seinen Augen, den österreichischen Bundeskanzler persönlich kennenzulernen und dabei die Möglichkeit zu haben, dessen Persönlichkeit einzuschätzen und andererseits in einem direkten Gespräch die Grundzüge der künftigen bilateralen Beziehungen festzulegen. Und Mussolini war mit den Gesprächen sichtlich zufrieden. Zum Abschied versicherte er Dollfuß, dass eine autoritäre Regierung in Österreich bei der Verteidigung der Unabhängigkeit des Landes gegen die deutschen Anschlussbestrebungen seine volle Unterstützung haben werde. Dollfuß verließ sichtlich gestärkt Rom, zumal ihm mitgeteilt wurde, dass sich Mussolini in einem Gespräch mit Hermann Göring, der sich an der Spitze einer deutschen Delegation ebenfalls in Rom aufhielt, gegen Neuwahlen in Österreich und eine nationalsozialistische Regierungsbeteiligung ausgesprochen habe. Die ablehnende Haltung der Christlichsozialen gegenüber einer Koalition mit der NSDAP hatte deren unmittelbare Reaktion durch erhöhte Propagandatätigkeit zur Folge. Der Parteitag der Christlichsozialen Partei in Salzburg vom 5. bis 7. Mai 1933 sollte durch gezielte Provokationen und Demonstrationen zur Kraftprobe mit der Regierung werden. Die österreichische NSDAP war gewillt, in der Stadt Salzburg eine Bürgerkriegsstimmung zu erzeugen und damit der Öffentlichkeit sowie der internationalen Presse zu demonstrieren, dass hier eine Regierungspartei, die nur mehr eine Minderheit der Bevölkerung repräsentiere, sich scheue, ihre Regierungstätigkeit durch demokratische Wahlen legitimieren zulassen. Das Kalkül ging insofern auf, als der Parteitag nur durch den massiven Einsatz von Polizei und Militär stattfinden konnte. Die Provokationen und Demonstrationen der vor allem 259 Zit. bei Falanga  : Mussolinis Vorposten in Hitlers Reich. S. 22.

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jugendlichen Nationalsozialisten, die Rufe wie »Dollfuß verrecke  !« skandierten, Schmieraktionen durchführten und Raufereien provozierten, zeigten ihre Wirkung. So berichtete das deutschnationale »Salzburger Volksblatt« mit deutlicher Sympathie über die Ereignisse am Abend des 6. Mai  : »Lärm tobte Samstag abends durch die Straßen der Stadt Salzburg. In der Linzergasse vom Platzl abwärts und in ihren Seitengassen, in der Franz-Josefs- und Auerspergstraße und in der Altstadt rumorten die Demonstrationen der Nationalsozialisten, die, kaum vertrieben, auf Umwegen immer wieder dorthin zu gelangen wussten … Ruhebedürftige Bürger in den betreffenden Gebieten kamen dabei freilich zum Handkuss. Auch die Frage ist berechtigt, ob sich diese Kundgebungen, die sich bis nach Mitternacht ausdehnten …, praktisch zu rechtfertigen waren, da sie ja von denjenigen, gegen die sie sich richteten, kaum wahrgenommen wurden. Die hohen Herren wurden ja von der Polizei ausgiebigst vor allen Ovationen geschützt. Aber Jugend fragt eben wenig und lässt ihrem Temperament keine Zügel anlegen  ; jedenfalls wurde denen, gegen die sich die Kundgebungen richteten, auch wenn sie nur den fernen Lärm hörten, doch sehr deutlich gezeigt, wie groß ihre Beliebtheit in Salzburg ist. Ob das beschämende Gefühl, nur unter stärkstem Polizeischutz den christlichsozialen Bundesparteitag abhalten zu können, zur Erhöhung der Festesfreude beigetragen haben mag, möchten wir dahingestellt sein lassen  ; jedenfalls scheint es gewisse Rachegefühle bei einem Mann ausgelöst zu haben, der über das Bundesheer verfügen kann.« Am folgenden Tag nämlich hätten Einheiten des Bundesheeres Teile der Stadt abgeriegelt und in der Auerspergstraße vor dem Parteiheim der NSDAP sei ein Maschinengewehr aufgestellt worden. »Vor der Polizeiwachstube im Schlosse Mirabell grüßten freundlich zwei schussbereite Maschinengewehre. Dort war eine starke Abteilung des Bundesheeres mit Stahlhelmen … postiert, um die Andräkirche zu bewachen, wo Bischof Waitz (Feldkirch) für die Erneuerer Österreichs einen Gottesdienst zelebrierte. Und schließlich bereits im indirekten NS-Propagandaton  : »Reichsdeutsche Automobile, die über die Lehener Brücke in die Stadt fuhren und dann beim Fünfhau-Viadukt oder einer anderen Absperrung angehalten wurden, kehrten um und fuhren wieder aus dem ungastlichen Österreich hinaus. Das war kein guter Auftakt für den Fremdenverkehrs-Sommer 1933. Noch größer wurden die begründeten wirtschaftlichen Sorgen bei denen, die im Rundfunk zufällig eine deutsche Sendung zu hören bekamen, in der gesagt wurde, Österreich segle vollkommen im französischen Fahrwasser und nehme eine offenkundig feindliche Haltung gegen Deutschland ein.«260 Die christlichsoziale »Salzburger Chronik« widersprach in einem Leitartikel dieser Darstellung heftig und sprach mit Blick auf die vor allem jugendlichen Demonstranten von einer Jugend, mit der man Mitleid haben müsse. »Ihr fehlt Besinnung und Treue zur eigenen Art, 260 Salzburger Volksblatt 8.3.1933. S. 1.

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sie ist wurzellos geworden und schädigt heute aufs schwerste das österreichische Ansehen in der Welt mit ihrer Unduldsamkeit, die die eigene österreichische Geduld immer mehr herausfordert.«261 Bei den Demonstrationen habe es sich um eine geplante Aktion der NSDAP gehandelt, die alle Unterorganisationen aufgefordert habe, vor allem am Sonntag, dem 7. Mai, an Demonstrationen teilzunehmen und die Staatsmacht zu provozieren. Dies könne keine Regierung, die noch auf Selbstachtung Wert lege, ignorieren.262 Friedrich Funder sah im Verlauf des christlichsozialen Parteitages das Gegenteil dessen, was sich die Gegner der Partei, vor allem die Nationalsozialisten, vorgestellt hätten, nämlich es sich auf Grund der Zerstrittenheit der Partei über den einzuschlagenden Kurs »selber zum Regieren nach Hakenkreuzmethoden bequem zu machen. Die Herren Führer konnten es schon gar nicht mehr erwarten, und mit dem Kalender in der Hand rechneten sie es sich schon aus, wann sie sich an die Stelle der Christlichsozialen setzen würden. Es ist alles ein süßer Traum geworden. Tief enttäuscht müssen die politischen Phantasten die Wirklichkeit erkennen. Der Salzburger Parteitag zeigte die Christlichsoziale Partei jedem, der sich nicht selbst belügen will, in absoluter Geschlossenheit, gepanzert in Einheit und eisernem, zielbewusstem Willen.«263 Die »Salzburger Chronik« feierte den Parteitag als von »von h i s t o r i s c h e r B e d e u t u n g «. »Die Christlichsoziale Partei war, darüber musste man sich klar sein, durch die Last der Verantwortung, die sie mit unzulänglichen Mitteln zu tragen hatte, müde geworden. Es schien, also ob die alte Schwungkraft zu erlahmen drohe. Da geschah das providentielle Ereignis. Im Sturme der Gestaltung wurde ihr Führer, Bundeskanzler Dr. Dollfuß, vor eine gewaltige Aufgabe gestellt, Österreich durch den Sturm der Ereignisse zu führen. Mit der Zielklarheit des geborenen Führers, mit dem Opfermut und der Schneid des echten österreichischen Soldaten, ist er in die Bresche gesprungen. Der Parteitag von Salzburg hat sich einmütig und geschlossen hinter den Führer gestellt, er hat die Sturmparole ausgegeben, restlos zur Idee zu stehen, die Dr. Dollfuß verkörpert. Dieser Treuschwur zur Führerpersönlichkeit war der starke Eindruck dieses Parteitages.« In der vom Parteitag verabschiedeten Resolution unter dem Titel »Heil Dollfuß  ! – Heil Österreich  !« wurde es »mit großer Genugtuung begrüßt …, dass der N a t i o n a l r a t , der so oft durch die oppositionellen Parteien gehindert worden ist, wirksam und rasch genug für dringende Staats- und Volksinteressen vorzusorgen, nun durch die Schuld derselben Opposition und der Staatsführung sich selbst a u s g e s c h a l t e t hat.

261 Salzburger Chronik 9.5.1933. S. 1. 262 Ebd. S. 4. 263 Friedrich Funder  : Direktion gradaus  !  – In  : Reichspost 8.5.1933. S. 1.

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Seit dem Umsturze haben die Christlichsozialen sich immer wieder bemüht, eine g r ü n d l i c h e R e f o r m der wirtschaftlichen, staatlichen, politischen und parlamentarischen Zustände herbeizuführen und dem Missbrauch von Demokratie und Parlament durch eine gründliche Neuordnung ein Ende zu bereiten, die endlich den Idealen des christlichen Volkes entspricht, uns einen christlichen Staat gibt, einen echten Volksstaat, deutsche Heimat und österreichisches Vaterland. Darum gibt der Bundesparteitag seiner Freude Ausdruck und sagt im Namen des österreichischen Volkes dem Bundeskanzler Dr. D o l l f u ß wärmsten Dank, dass er entschlossen, mutig, tatkräftig, ohne zu zögern, den Aufbau eines neuen Österreich begonnen hat.«264 Der christlichsoziale Bundesparteitag und die zu dessen Sicherheit getroffenen Maßnahmen hatten ein politisches Nachspiel im Salzburger Landtag. Die Salzburger Handelskammer hatte sich in einem Protestschreiben gegen den massiven Einsatz von Polizei und Bundesheer ausgesprochen und auf die Gefährdung der bevorstehenden Fremdenverkehrssaison hingewiesen und die nationalsozialistischen Abgeordneten brachten in der Sitzung des Landtages am 12. Mai eine Dringliche Anfrage betreffend den Einsatz der Exekutive und die Sicherung des Fremdenverkehres ein. In der Debatte erklärte Landeshauptmann Rehrl in Richtung der nationalsozia­ listischen Landtagsfraktion, dass die Diskussion von Fragen der Staatsexekutive verfassungsmäßig nicht in die Kompetenz des Landtages fielen. Trotzdem wolle er den Landtag über die Vorkommnisse unterrichten und von der NSDAP aufgestellte falsche Behauptungen widerlegen. »Nicht zum Schutze des Parteitages wurde Militär aufgeboten, sondern zum Schutze der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, die durch eine Gruppe der Salzburger Bevölkerung schwer gefährdet war. Auch nicht zum Schutze von Parteiangehörigen waren ausreichende Exekutivkräfte aufgeboten, sondern zum Schutze von Regierungsmitgliedern, die in unseren Mauern weilten. Welcher Staat hat nicht das Recht und die Pflicht, seine Regierungsmitglieder vor Angriffen entsprechend zu sichern  ? Hätte vielleicht die Fremdenstadt Salzburg die zweifelhafte Ehre haben sollen, dass in ihren Mauern Regierungsmitglieder attackiert und womöglich persönlich angegriffen werden sollten  ?«265 Und zum heftig kritisierten Einsatz von Wiener Polizeieinheiten und des Bundesheeres  : »Da muss ich Ihnen sagen, dass die Mitteilungen, die ich durch die Sicherheitsbehörde bekommen habe über die Bedrohung der Ruhe und Ordnung, ebenso nachdrücklich waren, dass sich die Salzburger Sicherheitsbehörde sagen musste, mit meinen Exekutivkräften bin ich einer so systematisch angelegten Situation zur Störung der öffentlichen Ruhe nicht gewachsen  ; und nachdem eben von vornherein nicht die Absicht bestand, Militär aufzubieten, 264 Salzburger Chronik 8.5.1933. S. 1. 265 Sten. Prot. d. Sbg. LT. 15. Sitzung, 1. Session der 4. Wahlperiode, 12. Mai 1933. S. 237.

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hat die Sicherheitsbehörde geglaubt, wenn sie 70 Sicherheitswachebeamte und 10 Kriminalbeamte aus Wien nach Salzburg bringt, eben in der Lage zu sein, die Ruhe und Ordnung mit den normalen gesetzlichen Mitteln herstellen zu können. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Stand der Salzburger Polizei nicht sehr groß ist, aber dann hätte die Sicherheitswache von Salzburg viel schärfere Waffen anwenden müssen, um zu verhindern, dass einem Staatsbürger etwas passiert. Um aber die Anwendung schärferer Waffen zu vermeiden, hatte man es vorgezogen, die hiesige Sicherheitswache durch die Wiener zu verstärken. (…) Die Verwendung des Militärs für Absperrzwecke hatte seinen Grund darin, dass einerseits die vorhandene Salzburger und Wiener Sicherheitswache hierzu gar nicht ausreichend gewesen wäre, andererseits Sicherheitswache zu verschiedenen anderen Zwecken, insbesondere aber dafür bereitgestellt werden musste, um gegen die zu erwartenden Demonstrationen einzuschreiten. Wäre die Sicherheitswache zur Abriegelung verwendet worden, hätte Militär aktiv gegen Demonstranten eingesetzt werden müssen. … Die Herren dürften auch wissen, dass, wenn ein großer Brand ist, auch Militär den Platz absperrt. In manchem Schädel hat es gebrannt  !«266 Und in Erwiderung der Rede des nationalsozialistischen Abgeordneten Karl Steckel  : »Ich kann Ihnen nur das Eine sagen, wir in Österreich haben keinen Hindenburg, der Ihnen die Macht übergibt, und daher, meine Herren, werden Sie die Macht dann haben, wenn Sie sie erobert haben. Sie müssen aber gestatten, dass jene, die die Macht haben, die Macht benützen, um dieses Österreich wieder in die Freiheit zurückzuführen und es davor zu bewahren, dass es in Freiheit untergeht.«267

3.3 Außerordentliche Zeiten, außerordentliche Maßnahmen Bereits am 9. Mai war die »Reichspost« mit einem Leitartikel unter dem Titel »Unerwünschter Besuch« erschienen, in dem auf eine Meldung der Wiener nationalsozialistischen Gaupressestelle über einen am 13. Mai erfolgenden Besuch einer aus mehreren hochrangigen Mitgliedern bestehenden Delegation, an ihrer Spitze der bayerische Justizministers Hans Frank und der preußische Staatsminister Hanns Kerrl, Bezug genommen und dieser als unerwünscht bezeichnet wurde. Frank hatte in einer Rundfunkansprache am 18. März in einer Grußbotschaft an die österreichischen Nationalsozialisten erklärt, er warne die österreichische Regierung in aller Freundschaft, die deutschen Nationalsozialisten zu veranlassen, die Sicherung der 266 Ebd. S. 238. 267 Ebd. S. 246.

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Freiheit der deutschen Volksgenossen in Österreich zu übernehmen. Der Artikel in der »Reichspost« nahm u. a. auf diese Rede Bezug und bemerkte  : »Doktor Frank hat in einer Rede die österreichische Regierung schwer beleidigt und ein gewaltsames Einschreiten Bayerns gegen Österreich angekündigt. Der Besuch dieses Herrn hat daher nicht nur parteipolitischen Charakter, sondern bedeutet darüber hinaus eine unerträgliche Probe auf die Geduld der Gutmütigkeit des Österreichers.«268 Am folgenden Tag wurde der österreichische Gesandte in Berlin, Stephan Tauschitz, in der Reichskanzlei in Gegenwart von Außenminister Konstantin von Neurath von Hitler empfangen. Auf die auftragsgemäß von Tauschitz vorgebrachten Beschwerden über die Verunglimpfungen des österreichischen Bundeskanzlers in der deutschen Presse entgegnete Hitler, dass auch er sich über die feindselige Haltung der österreichischen Presse ihm gegenüber beklagen müsse, um schließlich auf den Artikel in der »Reichspost« einzugehen. »Wenn dies so weitergehe«, so Tauschitz in seinem Bericht nach Wien, würde »er sich gezwungen sehen …, vielleicht einmal probeweise auf ein Jahr, jeden reichsdeutschen Besuch in Österreich zu verhindern, bis in Österreich wieder Besinnung einkehre …«269 Die österreichische Bundesregierung vertrat in dieser auf Grund der wirtschaftlichen Drohungen aus Berlin politisch sensiblen Angelegenheit offiziell die Auffassung, dass es sich bei dem Besuch der Delegation um den Aufenthalt von Privatpersonen handle, die den am 7. März erlassenen Vorschriften hinsichtlich des politischen Versammlungsverbotes unterliegen würden. Inoffiziell bemühte sich Bundeskanzler Dollfuß durch Vermittlung des Vertreters des Völkerbundes, Meinoud Marinus Rost van Tonningen, eine der europäischen Großmächte für eine Intervention in Berlin zu gewinnen, um eine Absage des Besuches zu erreichen. Der englische Botschafter in Wien, Sir Eric Philipps, vertrat jedoch die Meinung, dass keine der europäischen Weltmächte mit Hitler-Deutschland auf so gutem Fuß stehe, um erfolgreich in Berlin intervenieren zu können. Auch der Permanente Staatssekretär im englischen Außenministerium, Sir Robert Vansittart, ließ wissen, dass London jede diesbezügliche Intervention in Berlin ablehne.270 Die Haltung Großbritanniens in dieser Frage bestärkte Dollfuß in der Auffassung, dass der von ihm eingeschlagene italienische Kurs angesichts der gegenwärtigen außenpolitischen Konstellationen alternativlos sei. War zunächst als Grund der Reise die Teilnahme an einer angeblichen nationalsozialistischen Juristentagung in Wien angegeben worden, so hieß es schließlich, dieser sei die Teilnahme an der Türkenbefreiungsfeier der nationalsozialistischen Gauleitung Wien. In Absprache mit der Wiener Gauleitung wurde die Abhaltung einer 268 Reichspost 9.5.1933. S. 1. 269 ADÖ 9/1295. 270 Siegfried Beer  : Der »unmoralische Anschluss«. Britische Österreichpolitik zwischen Containment und Appeasement 1931–1934. – Wien/Köln/Graz 1988. S. 201.

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nationalsozialistischen Türkenbefreiungsfeier in den Engelmann-Sälen gestattet, allerdings unter der Auflage, dass bei den dort gehaltenen Reden ausschließlich historische Themen behandelt werden und keine Kritik an der Politik der österreichischen Regierung geübt werde. Bei seiner Ankunft auf dem Flughaften Wien-Aspern teilte der Wiener Polizeipräsident Frank offiziell mit, dass die Bundesregierung seinen Aufenthalt als nicht erwünscht betrachte, aber dennoch während seines Aufenthaltes in Österreich für seine Sicherheit sorgen werde. Ging die Veranstaltung in den Engelmann-Sälen am Abend des 13. März noch ohne Beanstandung über die Bühne, so beschwerte sich Frank bei einem Presseempfang in der deutschen Botschaft in Wien über den unfreundlichen Empfang und drohte unverhohlen Zwangsmaßnahmen der deutschen Regierung gegen Österreich an. Als er sich am 14. Mai abends in Graz in einer Rede in Beschimpfungen der österreichischen Bundesregierung erging und zum Widerstand aufrief, wurde der österreichische Gesandte in Berlin am 15. Mai angewiesen, die deutsche Reichsregierung unverzüglich um Rückberufung Franks zu ersuchen (die übrige Reisegesellschaft hatte Österreich bereits am 14. Mai wieder verlassen), da man sonst zu entsprechenden Maßnahmen gezwungen sei.271 Frank reiste mit einer Kolonne von 20 Autos am 16. Mai über Aussee, St. Gilgen und Salzburg nach Deutschland zurück. Vor seiner Ankunft in Salzburg wurde ihm mitgeteilt, dass ihn die Regierung ersuche, Österreich auf dem kürzesten Weg zu verlassen. Der so Unerwünschte erklärte, er werde dies auch befolgen, möchte zuvor jedoch noch im Café Pitter eine Jause zu sich nehmen. Vor dem Café Pitter hatten sich bereits rund 600 Nationalsozialisten eingefunden, die die polizeiliche Absperrung durchbrachen und Frank Ovationen darbrachten und das Deutschland- und das Horst-Wessel-Lied sangen. Als der so Umjubelte den vor allem jugendlichen Nationalsozialisten erklärte, er dürfe auf Grund eines Verbotes der Regierung nicht sprechen, ertönten Rufe wie »Dollfuß verrecke  !«272 Das deutschnationale »Salzburger Volksblatt« kritisierte das Verhalten der österreichischen Bundesregierung gegenüber Frank als unfreundlich und ungeschickt und zeigte Verständnis für die Drohung des Ministers. Man werde in Berlin diese Behandlung seiner Person sicher nicht kommentar- und folgenlos hinnehmen.273 Am 27. Mai erfolgte die angedrohte deutsche Reaktion in Form der sog. »Tausend­ mark-Sperre«, die am 1. Juni Gesetzeskraft erlangte. Offiziell als Reaktion auf die Ausweisung Franks deklariert, war diese doch nur der willkommene offizielle Anlass. Tatsächlich handelte es sich dabei um eine strategische wirtschaftspolitische Maßnahme, um vor allem die vom deutschen Fremdenverkehr profitierenden westlichen Bundesländer in ihrem wichtigsten Wirtschaftszweig mit dem Ziel zu treffen, die oh271 ADÖ 9/1301. 272 Salzburger Chronik 16.5.1933. S. 1  ; Salzburger Volksblatt 16.5.1933. S. 1. 273 Salzburger Volksblatt 16.5.1933. S. 2.

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nedies schwierige wirtschaftliche und soziale Lage des Landes noch zu verschärfen und dadurch den Druck auf die Regierung Dollfuß zu erhöhen, doch noch auf die Koalitionsvariante mit den Nationalsozialisten einzuschwenken und damit den Weg zum Anschluss freizumachen. Gleichzeitig erhöhte die österreichische NSDAP ihre Anschlags- und Terroraktivitäten, um ein Klima der Unsicherheit und des latenten Bürgerkrieges zu erzeugen. Dieser doppelte Druck, so das Kalkül Berlins, musste die Kapitulation der Regierung Dollfuß vor allem auch auf Grund der verzweifelten Lage der Landesregierungen in Salzburg und Tirol bewirken. Deren Lage war durch die Permanenz der Wirtschaftskrise bereits vor der Tausendmark-Sperre äußerst kritisch. So konnte das Land Salzburg die Gehälter seiner Beamten und Angestellten nur mehr in Raten auszahlen und manchen Gemeinden drohte durch geringere Einnahmen und steigende Ausgaben für Arbeitslose und Arme die Zahlungsunfähigkeit. Durch die Aufnahme eines Überbrückungskredites und Abgabenerhöhungen auf bestimmte Dienstleistungen und Produkte wie z. B. Fleisch und Brot versuchte man gegenzusteuern und bot damit den Nationalsozialisten Material für polemische populistische Propaganda gegen die unchristlichen Christlichsozialen und die ihr soziales Gewissen verratenden Sozialdemokraten. Die Tausendmark-Sperre wirkte – zu Beginn der wichtigen Sommersaison – wie ein negativer wirtschafts- und sozialpolitischer Brandbeschleuniger. Der bisher vor allem von deutschen Touristen dominierte Fremdenverkehr brach um rund 70 Prozent ein, die Arbeitslosigkeit im Tourismussektor und den mit ihm verbundenen Branchen stieg massiv. Der von Berlin beabsichtigte Kollaps war nahe, doch er trat nicht ein. Landeshauptmann Franz Rehrl erklärte in seinem landespolitischen Bericht vor dem Salzburger Landtag am 28. November rückblickend, die Finanzlange des Landes Salzburg sei durch die anhaltende Wirtschaftskrise vor enorme Herausforderungen gestellt worden. Dies vor allem deshalb, weil der Rückgang der Steuereinnahmen »mit unverminderter Schärfe« anhalte. Die Schwierigkeiten seien noch »dadurch ganz ungeheuer vermehrt« worden, »dass die tatsächlich erstatteten Steuern vielfach infolge des allgemeinen Geldmangels nicht bezahlt werden können und insbesondere, dass auch weiterhin die Gemeinden ihren Verpflichtungen gegenüber dem Lande nicht gerecht wurden. Da ferner das Land keine Möglichkeit hatte, den dadurch entstandenen Einnahme-Entgang auf andere Weise, etwa durch Darlehensaufnahmen zu decken, musste es zwangsweise seinerseits seinen Gläubigern gegenüber zum Teile in Rückstände geraten …« Die Mindereinnahmen ließen sich auch bei bestem Willen nicht durch Einsparungen ausgleichen. Auf Grund der schwierigen wirtschaftlichen Lage standen zu Jahresende 1932 Zahlungsrückstände des Landes in der Höhe von 1 Million Schilling Einnahmen-Rückstände von 1,8 Millionen gegenüber.274 Zu dieser ohnedies schwierigen wirtschaftlichen Lage kam die 274 Sten. Prot. d. Sbg. LT. 3. Sitzung, 2 Session der 4. Wahlperiode, 28. September 1933. S. 12 f.

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dramatische Entwicklung des Salzburger Fremdenverkehrs im Sommer 1933 durch die Tausendmark-Sperre. »In keinem früheren Jahre haben sich Schwierigkeiten und Widerstände, ja feindselige Einwirkungen in solchem Maße gegen die normale Entwicklung der Sommersaison verbündet wie in diesem Jahre.« Es habe der Umstand die Situation so schwer tragbar gemacht, »dass gerade das Deutsche Reich es war, das das Ringen Österreichs um sein tägliches Brot zuschanden machen sollte. Sind alle österreichischen Alpenländer auf den Fremdenverkehr aus dem Deutschen Reiche angewiesen, so sind das besonders gerade Stadt und Land Salzburg. Ein guter Fremdenbesuch gibt unserem Lande die Möglichkeit, allen Bevölkerungskreisen Verdienst und Lebensunterhalt zu ermöglichen. So war es für Salzburg ganz besonders bitter, diesen Schlag zu erleben. (…) Die Feinde Österreichs wussten, dass in den mittleren und westlichen Bundesländern Österreichs der Anteil der reichsdeutschen Gäste an der Gesamtfrequenz durchschnittlich 70 Prozent beträgt. Durch die gewaltsame Fernhaltung dieser 70 Prozent sollten wir vernichtet werden, da mit den restlichen 30 Prozent des Fremdenverkehres die wirtschaftliche Existenz der österreichischen Alpenländer nicht aufrechtzuerhalten wäre. Die Feinde haben sich getäuscht …«275 Gleichzeitig mit der Tausendmark-Sperre setzte eine bisher nicht gekannte Terror- und Attentatswelle der österreichischen NSDAP ein, um eine Bürgerkriegsstimmung zu erzeugen und Touristen vom Besuch des Landes abzuhalten und damit die österreichische Wirtschaft zu schädigen. Bereits 1932 hatte die NSDAP die Führung im »antimarxistischen« Straßenkampf übernommen. Nationalsozialisten waren in diesem Jahr an 34 von insgesamt 39 Gewalttaten beteiligt, bei denen fünf Nationalsozialisten, zwei Sozialdemokraten und ein Polizist getötet wurden, 27 Nationalsozialisten und 15 Sozialdemokraten (Mitglieder des Schutzbundes) erlitten schwere Verletzungen. Aber auch bürgerlich-bäuerliche politische Gruppierungen wurden von den vor allem jugendlichen Nationalsozialisten attackiert, wobei zwei Tote und 12 Schwerverletzte zu verzeichnen waren.276 Der Wiener Gauleiter Alfred Eduard Frauenfeld proklamierte im September 1932 »die Pflicht zur Notwehr  !« Vordergründig betonte er zwar, dass kein Parteigenosse seinen Gegner angreifen dürfe, da dies seinen Parteiausschluss zur Folge haben würde. Wenn er aber angegriffen werde, habe er »sich rücksichtslos zur Wehr zu setzen, sonst ist er nicht wert, ein Nationalsozialist zu sein. Auch die Gefahr einer Freiheitsstrafe bei Überschreitung der Notwehr wiegt gering gegen die Gefahr, sein Leben zu verlieren oder zum Krüppel zu werden. Lieber einige Monate eingesperrt als ein Krüppel sein.«277 Das von Theo Habicht 275 Ebd. S. 23. 276 Gerhard Botz  : Gewalt in der Politik. Attentate, Zusammenstöße, Putschversuche, Unruhen in Österreich 1918–1938. 2. Aufl. – München 1983. S. 187 f. 277 Zit. bei Botz  : Gewalt in der Politik. S. 190.

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1932 bearbeitete Dienstbuch der österreichischen NSDAP wies auf die Bedeutung des Eindrucks von Geschlossenheit und Willenskraft, vor allem auch zum Einsatz von Gewalt, nach außen hin. Die Ästhetik der Gewalt wurde zu einem bestimmenden Werbeelement der Partei vor allem bei Jugendlichen, arbeitslosen Angestellten und zunehmend großen Teilen der Mittelschichten. Zu dieser Form der Gewaltanwendung trat ab Mai 1933 eine vor allem von deutschen Nationalsozialisten geplante und vorbereitete breite Palette von Terroraktionen und Sprengstoff- und Bölleranschlägen, bei denen allein im Juni in Wien zwei Menschen getötet und neun verletzt wurden. Die Regierung reagierte mit Verhaftungen. Bis 17. Juni waren bereits rund 2.500 Nationalsozialisten, unter ihnen zahlreiche Parteifunktionäre, verhaftet worden. Zwei Tage später erreichte diese erste nationalsozialistische Terrorwelle mit einem Handgranatenanschlag bei Krems auf 56 unbewaffnete christlich-deutsche Turner, eine Hilfspolizeitruppe, der einen Toten und 13 Schwerverletzte forderte, ihren Höhepunkt. Nachdem Bundesminister Emil Fey bereits in der Sitzung des Ministerrates am 9. Juni 1933 ein Verbot der Betätigung der NSDAP und aller ihrer Nebenorganisationen sowie ihrer Presse beantragt hatte, jedoch den Widerstand der dem Landbund angehörenden Minister erfuhr und man sich schließlich darauf einigte, die Entscheidung bis zur Rückkehr des Bundeskanzlers von der Wirtschaftskonferenz in London zu vertagen,278 erklärte Verteidigungsminister Carl Vaugoin in der Ministerratssitzung am 13. Juni, er halte »in der Frage der Auflösung der Nationalsozialistischen Partei … den Zeitpunkt für einen solchen Schritt für gekommen. Nur sollte vor der Entscheidung die Meinung des Bundeskanzlers aus London abgewartet werden.«279 Die Entscheidung wurde durch das Attentat am 19. Juni getroffen. Noch am selben Tag trat die Bundesregierung zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen und beschloss bei Stimmenthaltung von Vizekanzler Franz Winkler, der Bundesminister Vinzenz Schumy und Robert Kerber sowie von Staatssekretär Franz Bachinger das Verbot der NSDAP und des Steirischen Heimatschutzes. Der Beschluss zum Verbot der NSDAP fiel erst nach einer längeren Diskussion, in der vor allem die dem Landbund angehörenden Mitglieder der Bundesregierung und Finanzminister Karl Buresch ihre Bedenken gegen die Wirksamkeit dieser Maßnahme äußerten. Die Frage der Aberkennung der Mandate der nationalsozialistischen Mitglieder öffentlicher Körperschaften sollte nach Klärung der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten so rasch als möglich geklärt werden.280 Das Problem der Aberkennung der Mandate war juristisch heikel, da der Verfassungsgerichtshof nicht mehr funktionstüchtig war und die Regierung mit diesem Vorhaben in die Kompetenz der 278 MRP 880/9. 9. 6.1933. 279 MRP 881/1. 13.6.1933. 280 MRP 884/1. 19.6.1933.

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Länder eingriff. In der folgenden Sitzung des Ministerrates am 21. Juni wies Sektionschef Robert Hecht einen Ausweg, indem er darauf hinwies, dass mit dem Verbot der NSDAP am 19. Juni auch ein Betätigungsverbot als Mandatar in allgemeinen Vertretungskörpern verbunden sei, wenn das Mandat auf Grund eines Wahlvorschlages der NSDAP erlangt worden sei. Er habe, so Hecht in seinem Vortrag vor dem Ministerrat, dies dem niederösterreichischen Landeshauptmann Josef Reither als Entscheidungsgrundlage für den niederösterreichischen Landtag übermittelt. Auch der Salzburger Landeshauptmann Franz Rehrl sei entsprechend informiert worden und werde auf dieser Grundlage in der Salzburger Landesregierung verhandeln. Um ein bundeseinheitliches Vorgehen zu garantieren, sei eine entsprechende Verordnung der Bundesregierung auf Grund des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes notwendig.281 In Salzburg übernahm Landeshauptmann Rehrl die Argumentation von Sektionschef Hecht, modifizierte jedoch in der Regierungsvorlage den Verlust der Mandate der nationalsozialistischen Abgeordneten in eine zeitlich sistierte Aberkennung. Es liege ihm fern, Rache üben zu wollen, und daher habe er »von Anfang an, als diese Frage auftauchte, den Standpunkt vertreten  : diese außerordentliche Maßnahme, die diese außerordentliche Zeit erfordert, auch sie muss im Rahmen der bestehenden Gesetze sich halten, und zwar deshalb, damit der Glaube an Recht und Gerechtigkeit nicht erschüttert wird, wenngleich sehr viel getan wurde, den Glauben an Gesetz und Recht zu untergraben. … Die Vorlage … hat von vornherein vorgesehen, k e i n e n Mandatsverlust auszusprechen, denn ich stehe auf dem Standpunkt, ein Mandat, das eine gewisse Wählergruppe übertragen hat, kann nur nach den Bestimmungen aberkannt werden, die in den bestehenden Gesetzen niedergelegt sind und es bestimmt Artikel 141 der Bundesverfassung, dass ein Mandatsverlust nur durch den Verfassungsgerichtshof ausgesprochen werden kann. Nachdem ein Landesverfassungsgesetz ein Bundesverfassungsgesetz nicht außer Kraft setzen kann, könnte auch ein durch ein Landesverfassungsgesetz ausgesprochener Mandatsverlust nach den bestehenden Gesetzen in unserem Salzburger Lande … nicht jene Bestimmungen aufheben, weshalb nur vorgesehen ist, dass auf die Dauer dieser außerordentlichen Verhältnisse, die dermalen gegeben sind, die Mandatsausübung der Abgeordneten der NSDAP ruht. Meine Herren, diese Bestimmung ist voll vereinbar mit der Demokratie und ich verweise auf verschiedene Parlamente, auf die ältesten Parlamente, die diese Bestimmung in der Geschäftsordnung haben, dass Abgeordnete auf Tage, Wochen oder Monate von der Ausübung des Mandates ausgeschlossen werden können, wenn sie irgendetwas unternommen haben, was mit der Anschauung des Parlamentes oder

281 MRP 885/13. 21.6.1933.

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mit den gesetzlichen Bestimmungen nicht vereinbar ist.«282 Und schließlich, die Argumentation Hechts im Ministerrat vom 21. Juni übernehmend  : »Außerordentliche Zeiten, außerordentliche Maßnahmen. Die Notverordnungen der Bundesregierung, die vielfach angestritten werden, bestehen, insolange sie nicht vom Verfassungsgerichtshof außer Kraft gesetzt sind, formalrechtlich zu Recht  ; sie bestehen zu Recht, mögen sie meritorisch nach Meinung verschiedener Gruppen nicht verfassungsgemäß sein  ; darüber können nicht Einzelne entscheiden, sondern jene Institution, die in der Verfassung niedergelegt ist.«283 Die klassische Verteidigungslinie der NSDAP referierte deren Abgeordneter Karl Starkel. Die Landesregierung stütze sich in ihrer Vorlage auf Notverordnungen der Bundesregierung, die man nicht als rechtens anerkenne. Das Verbot der Tätigkeit der NSDAP basiere außerdem auf einem nicht zu rechtfertigenden Standpunkt. Und in heuchlerischer Verstellung  : Er müsse im Namen seiner Fraktion betonen, dass diese »Terrorakte und Verbrechen, wie sie in letzter Zeit begangen worden sind, auf das allerschärfste« verurteile und das größte Interesse daran habe, »dass solche Akte der gebührenden Strafe zugeführt werden …« Man habe auch nach dem Brand des Justizpalastes auf Grund der Ausschreitungen Einzelner die Sozialdemokratische Partei nicht verboten »aus einem gewissen Gerechtigkeitsgefühl heraus …« Daher habe auch die NSDAP »das gleiche Recht, … das zu verlangen. Ich muss es als ein Verbrechen bezeichnen, dass eine gewisse Presse in Österreich sich dazu hergibt, um aus Einzeltaten eine Bewegung dafür verantwortlich zu machen, die für solche Sachen kein Verständnis aufzubringen weiß und sie verurteilt.«284 Die Sozialdemokraten stimmten, trotz Verbotes des Republikanischen Schutzbundes, Waffensuchen in sozialdemokratischen Parteiheimen, politischem Versammlungsverbot und nach wie vor sistiertem Nationalrat, mit Blick auf Deutschland in einem antifaschistischen Schulterschluss für das Betätigungsverbot der NSDAP. In der letzten Sitzung des Salzburger Landtages vor der Sommerpause signalisierten sie ihre Bereitschaft zum Brückenschlag in Richtung Regierung und zur Bildung einer gemeinsamen Abwehrfront gegen die nationalsozialistische Bedrohung. So erklärte der sozialdemokratische Abgeordnete Karl Emminger, diese sei für seine Par282 Sten Prot. d. Sbg. LT. 2. Sitzung, 2. Session der 4. Wahlperiode. 30. Juni 1933. S. 3 f. 283 Ebd. S. 4. Im Ministerrat hatte Sektionschef Robert Hecht zur Frage der Aberkennung der Mandate der nationalsozialistischen Abgeordneten erklärt  : »Eine Verordnung oder ein Gesetz stehen, auch wenn sie verfassungswidrig wären, insolange in Kraft, als sie nicht durch ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes aufgehoben worden (sic  !) und diese Erkenntnis verlautbart worden sei. Mithin habe die Verordnung der Bundesregierung, betreffend das Verbot der Betätigung der nationalsozialistischen Partei Geltung. Von den verschiedenen Arten der Betätigung sei die höchste Form der Betätigung die Ausübung eines Mandates in einer gesetzgebenden Körperschaft.« (MRP 885/13. 21.6.1933.) 284 Ebd.

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tei »kein Freudentag, weil er trotz alledem eine Verletzung der Demokratie bedeutet. Ich gebe folgende Erklärung namens unserer Partei ab  : ›Die Sozialdemokratische Partei ist gegen jede Art Gewaltherrschaft und Diktatur. Wir sind aus Überzeugung grundsätzliche Feinde jeder Ausnahmsverfügung und der Meinung, dass Ideen nicht mit Gewaltmaßnahmen unterdrückt werden können. Wenn wir trotz dieser grundsätzlichen Einstellung f ü r das vorliegende Gesetz stimmen, dann nur mit Rücksicht auf die außergewöhnlichen Verhältnisse in Österreich und in Mitteleuropa überhaupt. Durch eine rohe Gewaltherrschaft und den schändlichsten Terror, durch blutige Unterdrückung aller freien Gesinnungen hat die Hitlerregierung in Deutschland es so weit gebracht, dass das deutsche Volk im Reiche selbst aller Freiheiten beraubt, Deutschland ärger als je in der Vorkriegszeit von der ganzen zivilisierten Welt gehasst wird. Österreich versuchte die Naziregierung mit allen Mitteln des Terrors, des wirtschaftlichen Boykotts, durch Unterbindung des Reiseverkehres wirtschaftlich zu unterkriegen, dem Ruin nahe zu bringen und unser Volk durch größte Not zur Verzweiflung und zur Gleichschaltung zu zwingen. In Österreich haben die Nationalsozialisten junge Menschen durch reichsdeutsche Instruktionen zu Gewalttaten aller Art verleitet. Nach dem Beispiel von Deutschland durch Attentate, Mord und Totschlag versucht diese Partei, Österreichs Volk in Furcht und Schrecken zu versetzen. Im Reiche wurden unsere Partei und alle bürgerlichen Parteien verboten. Zehntausende brave, ehrliche Vertrauenspersonen gemartert und in Konzentrationslager eingesperrt. … Was heute in Deutschland geschieht, Ausrottung aller anders als naziartig Denkenden, soll morgen mit Gewalt in Österreich sein. Dieser rohen Gewalt gegenüber muss Österreichs Arbeiterschaft sich zur Wehr setzen. Die Arbeiterklasse in unserem Lande, durch jahrzehntelange Kämpfe gestählt, wird alles anwenden, um diese braune Pest von hier ferne zu halten. Die österreichische Regierung soll sich jedoch keiner Täuschung hingeben, man kann den Teufel nicht mit Belzebub austreiben. Nicht Diktatur und ein verfassungsbrecherisches Regime führt ein Volk zur Freiheit. Freie Völker, vor allem eine freie Arbeiterschaft, wird allein die Kraft, den Mut und die Überzeugungstreue aufbringen, reaktionäre Aspirationen der Nazipartei siegreich zu bekämpfen. Rückkehr zur Demokratie, zur Verfassung, ist für den österreichischen Staat die erste und dringendste Aufgabe.«285

285 Ebd. S. 4 f.

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Der Salzburger Landeshauptmann Franz Rehrl wusste diese Zeichen nicht nur zu deuten, sondern auch zu schätzen. Die bundespolitische Ebene war komplexer. Anfang Juni hatte Dollfuß anlässlich der Unterzeichnung des Konkordates in Rom am 3. und 5. Juni neuerliche Aussprachen mit Mussolini, bei denen der Duce wiederum Garantien gegen einen von Berlin beabsichtigten Anschluss abgab und auch entsprechende diplomatische Interventionen in Berlin versprach.286 Mussolini drängte jedoch am 1. Juli Dollfuß in einem Brief zu einem schärferen Vorgehen gegen die Sozialdemokratie und, den italienischen Plänen für die Schaffung einer von Rom beherrschten Donau-Föderation entsprechend, zu einer engeren Kooperation mit Ungarn.287 Die von Mussolini angeregte engere Kooperation mit Ungarn stieß bei Dollfuß auf Skepsis. Gegenüber dem italienischen Gesandten Gabriele Preziosi erklärte er am 27. Juni, so lange keine Aufklärung über die in Wien Irritation auslösende Reise des ungarischen Ministerpräsidenten Gyula Gömbös nach Berlin vorliege, falle es ihm schwer, hinsichtlich dieses Wunsches Mussolinis eine Antwort zu erteilen. Von nationalsozialistischer Seite sei ihm die Information zugekommen, dass Gömbös mit Hitler hinter dem Rücken des österreichischen Bundeskanzlers über Österreich gesprochen habe.288 Die von Dollfuß erwähnten Informationen entsprachen den Tatsachen. Der Leiter der Außenhandelsabteilung der NSDAP, Werner Daitz, hatte bei seinem Besuch in Budapest den Vorschlag eines direkten Gespräches zwischen dem ungarischen Ministerpräsidenten und Hitler mit einer doppelten Absicht unterbreitet  : die außenpolitische Isolation Hitler-Deutschlands zu durchbre286 ADÖ 9/1316. Im Klubvorstand der Christlichsozialen Partei erklärte Dollfuß am 22. Juni 1933  : »Wir können auf italienische Freundschaft unter allen Umständen rechnen, habe diese Überzeugung auf Grund ausführlicher Erklärungen mitgenommen.« (Goldinger. S. 252.) 287 Wenn Dollfuß weiterhin gegenüber der Sozialdemokratie mit Nachsicht vorgehe, so erscheine ihm »die viel größere und konkretere Gefahr zu entstehen, dass damit den Nazi die Waffe des Antimarxismus in die Hand gegeben und ihnen gestattet wird, sich in einem gegebenen Moment als Retter der Lage aufzuspielen. Dass diese Waffe, die gefürchtetste, in ihren Händen sich abstumpfe und der Nazismus daher aus Österreich ganz und gar verschwinde, hängt von Euer Exzellenz ab. Ich bin überzeugt davon, dass, sobald Eure Exzellenz an alle gesunden nationalen Kräfte Österreichs appellierend, der Sozialdemokratischen Partei in ihrer Felsenfestung Wien einen Schlag versetzen und Ihre Säuberungsaktion auf alle Zentren ausdehnen würde, die im Gegensatz zum Autoritätsprinzip des Staates zersetzende Tendenzen verfolgen, dann auch viele, die heute in den Reihen der Nazi tätig sind, in den Kreis der nationalen Front herübergezogen werden würden. (…) Das Dringlichste scheint mir eine größere Annäherung zwischen Österreich und Ungarn zu sein. (…) Die Politik eines engen Einvernehmens zwischen Österreich und Ungarn sowohl auf politischem als auch wirtschaftlichem Gebiete, so wie sie Italien im Auge hat, müsste von einer formellen Verpflichtung der beiden Regierungen zur Befolgung einer gemeinsamen Politik ausgehen. Diese Annäherung ist für mich die notwendige Voraussetzung für andere interessante und vielversprechende Entwicklungen.« (Geheimer Briefwechsel Mussolini-Dollfuß. Mit einem Vorwort von Vizekanzler Dr. Adolf Schärf. Erläuternder Text von Karl Hans Sailer. 2. Aufl. – Wien o. J. S. 19 f.) 288 ADÖ 9/1329.

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chen und einen Keil in die italienischen Suprematie-Bemühungen im Donauraum zu treiben, wobei vor allem die Österreich-Frage im Mittelpunkt stand. In Budapest war man auf dieses Angebot aus wirtschaftlichem Eigeninteresse, um den deutschen Markt für ungarische Agrarprodukte zu öffnen, eingegangen, doch sollte der Besuch des ungarischen Ministerpräsidenten diskret und ohne mediale Aufmerksamkeit erfolgen. Gömbös sollte mit dem Zug nach München reisen und von dort zu Gesprächen mit Hitler mit dem Auto nach Berchtesgaden fahren. Zu seinem Erstaunen wurde ihm in München mitgeteilt, dass ihn Hitler in Berlin erwarte und ihm für die Anreise sein Privatflugzeug zur Verfügung stelle. Bei den Gesprächen in Berlin stand nach dem Zugeständnis der deutschen Marktöffnung für ungarische Agrarprodukte die Österreich-Frage im Mittelpunkt. Hitler erklärte seinem Gesprächspartner, er denke nicht an den Anschluss, bestehe aber auf Wahlen und der Bildung einer dem Wahlergebnis entsprechenden Regierung aus Christlichsozialen und Nationalsozia­ listen, allerdings nicht unter einem Kanzler Dollfuß, dem er auf Grund seines anti-­ nationalsozialistischen Kurses nicht traue.289 Nicht nur in Wien, sondern auch in Rom hatte der Berlin-Besuch des ungarischen Ministerpräsidenten für Irritationen gesorgt, weshalb sich Gömbös am 24. Juni veranlasst sah, Mussolini schriftlich von seinem Besuch zu berichten und ihn über seine Motive – die Regelung der ungarisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen und eine Entspannung der deutsch-italienisch-österreichischen Beziehungen – zu informieren. Die Antwort Mussolinis erfolgte am 1. Juli, parallel zu dessen Brief an Dollfuß. Im Brief an Gömbös betonte er, es müsse »anerkannt werden, dass Kanzler Dollfuß … für die Wahrung der österreichischen Unabhängigkeit in der Tat verdienstvolle Arbeit geleistet hat und jetzt noch leitet.« Es wäre nunmehr angebracht, »unverzüglich an die Verwirklichung der ersten Etappe der von uns festgesetzten Aktion zu gehen, nämlich einer engeren Zusammenarbeit (Abmachung) zwischen Österreich und Ungarn, auf wirtschaftlichem wie auf politischem Gebiet.«290 Die Situation des Bundeskanzlers war deshalb erheblich komplizierter als jene des Salzburger Landeshauptmannes, da Dollfuß gleichzeitig mehrere innen- und außenpolitische Faktoren berücksichtigen musste. Andererseits spielte seine Persönlichkeitsstruktur eine nicht unerhebliche Rolle. Innenpolitisch war zu Sommerbeginn seine Entscheidung für eine neue Verfassung auf ständischer Grundlage gefallen. Ebenso klar war sein entschiedenes Eintreten für die Unabhängigkeit Österreichs, wobei er jedoch zur Erreichung dieses Zieles die Notwendigkeit einer Doppelstrategie erkannte  : die gleichzeitige innenpolitische Befriedung und die notwendige außenpolitische Rückendeckung. Beide strategischen Ziele beinhalteten verschiedene 289 Lajos Kerekes  : Abenddämmerung einer Demokratie. Mussolini, Gömbös und die Heimwehr. – Wien/ Frankfurt am Main/Zürich 1966. S. 142 f. 290 Zit. ebda. S. 148.

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Optionen, die jeweils wiederum problembehaftet waren. Die innere Befriedung sah als Optionen drei Alternativen vor  : 1. Den Ausgleich mit der Sozialdemokratie, in welcher Form auch immer. Dies implizierte den Verlust der außenpolitischen Rückendeckung durch Italien und damit die politische Isolation Österreichs, da keine der europäischen Großmächte bereit war, für die Selbständigkeit Österreichs einen Konflikt zu riskieren. 2. Die Spaltung der NSDAP durch Gespräche mit den »Gemäßigten« und die Hoffnung, durch einen Zeitgewinn die Krisensituation zu überstehen. 3. Die Kreation einer nationalen Konkurrenzorganisation zur NSDAP, deren Attraktivität sie zur Massenorganisation zu formieren vermochte. Die außenpolitischen Optionen waren voller Tücken  : 1. Die italienische Option implizierte den autoritären innenpolitischen Weg und verhinderte damit den innenpolitischen Konsens vor allem mit der Sozialdemokratie. 2. Die Option der europäischen Großmächte. Der Appell an Großbritannien und Frankreich verhallte jedoch weitgehend ungehört und dokumentierte die isolierte Stellung eines Kleinstaates in der wiederum an Dynamik gewinnenden europäischen Machtpolitik. 3. Das Akzeptieren des Ausbleibens internationaler Solidarität und das Vertrauen auf die eigene geschlossene nationale Stärke. Und schließlich spielte die (verletzte) Persönlichkeitsstruktur des Kanzlers eine Rolle. Dollfuß war als Agrarpolitiker durchaus Konsenspolitiker und stand auch 1932 einer Koalition mit den Sozialdemokraten nicht ablehnend gegenüber. Die Weigerung der Sozialdemokratie zum Regierungseintritt, ihre Forderung nach Neuwahlen auf Grund der Landtagswahlergebnisse vom April 1932, ihr Widerstand gegen die Lausanner Anleihe, die Hirtenberger Waffenaffäre und emotionale Konfrontationen, im Nationalrat, vor allem mit Otto Bauer, hatten im Bundeskanzler die Überzeugung bestärkt, dass nur eine Reform der Verfassung und der Geschäftsordnung des Nationalrates eine verantwortungsvolle Staatspolitik ermögliche. Wie weit Seipels Theorie der »wahren Demokratie« Dollfuß beeinflusste, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Die Ereignisse des 4. März 1933 waren der willkommene Anlass, diese Reformen in Angriff zu nehmen und durch das Nichtzusammentreten des Nationalrates die Sozialdemokratie zu entsprechenden Verhandlungen zu bewegen. Dabei konnte Dollfuß noch auf die Unterstützung der Christlichsozialen Partei zählen, deren Parteibasis massive Zweifel am Funktionieren des bestehenden parlamentarischen Systems äußerte. In der Frage der Richtung der nunmehr einzuschlagenden Politik schieden sich allerdings die Geister. Während ein Flügel um Leopold Kunschak und Karl Buresch auf Reform-Verhandlungen mit der Sozialdemokratie

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setzte, war ein anderer bereit, Dollfuß, der sich spätestens im Frühsommer für einen völligen Systemwechsel – autoritärer Kurs, Ständeverfassung und Schaffung einer Staatspartei(bewegung) – entschieden hatte, zu folgen auch in dem Wissen, dass dies über kurz oder lang das Ende der Christlichsozialen Partei bedeuten würde. Die deutlichen Verständigungssignale Otto Bauers zu Jahresbeginn 1934 in zwei Artikeln im »Kampf«, in denen er die Bereitschaft der Sozialdemokratie signalisierte, der Regierung für den Kampf gegen den Nationalsozialismus besondere Vollmachten zu bewilligen291 und eine Brücke zu demokratisch strukturierten berufsständischen Organisationen schlug,292 kamen zu spät. Dollfuß hatte sich nicht nur für einen anderen Weg entschieden, sondern sich persönlich seit der Parlamentsdebatte vom 27. Mai 1932 über seine Regierungserklärung von Otto Bauer völlig entfremdet. Bauer hatte 291 »… das Regierungslager ist keine Einheit. Wir sehen im Lager der Regierungsparteien Männer, die offen bekennen, dass ihr Ziel eine faschistische Diktatur ist. Aber wir sehen dort auch Elemente, die zwischen der Demokratie und dem Faschismus schwanken. Wir müssen diese Elemente für die Wiederherstellung der Demokratie zu gewinnen suchen. (…) Wollen wir … die Wiederherstellung der Demokratie erringen, so müssen wir bereit sein zu ermöglichen, dass ein parlamentarisch kontrolliertes Regierungssystem trotz der zahlenmäßigen Schwäche der Regierungsparteien funktionieren könne, auch wenn wir dieses Regierungssystem zunächst und vorerst nur als parlamentarische Opposition kontrollieren können. Aber gerade diejenigen Elemente im bürgerlichen Lager, die im schärfsten Gegensatz gegen den Nationalfaschismus stehen, und auch diejenigen unter ihnen, die die spätere Rückkehr zur Demokratie wünschen, glauben, die nationalfaschistische Flut nur mit staatlichen Mitteln eindämmen zu können. Darum unterstützen auch sie die Suspendierung der Freiheitsrechte. Darum fürchten auch sie die Wiederherstellung der Demokratie. (…) Wir können … sehr wohl den demokratischen Elementen des Bürgertums die Zustimmung zur Wiederherstellung der Demokratie dadurch erleichtern, dass wir uns bereit zeigen, einem parlamentarisch kontrollierten, demokratischen Regierungssystem zeitweilige außerordentliche Vollmachten zu bewilligen, die sein Funktionieren sichern und ihm kraftvolle Verteidigung der selbständigen Staatlichkeit Österreichs gegen den Nationalsozialismus ermöglichen würden.« (Otto Bauer  : Um die Demokratie. – In  : Ders. Werke. Bd. 9. S. 303–315. S. 309 ff.) 292 »Die Arbeiterklasse kann gewiss nicht die kleinbürgerliche Illusion teilen, dass die berufsständische Organisation eine neue Gesellschaftsordnung gründen, die Klassengegensätze aufheben könnte. Aber die Arbeiterklasse braucht darum den Aufbau berufsgenossenschaftlicher Organisationen nicht bedingungslos abzulehnen. Sie kann sich mit dem Kleinbürgertum und mit der Bauernschaft über den Aufbau berufsgenossenschaftlicher Organisationen verständigen, wenn diese berufsständische Ordnung freie berufsgenossenschaftliche Selbstverwaltung, also echte Wirtschaftsdemokratie bedeuten soll, die die politische Demokratie nicht aufhebt, sondern ergänzt und ausbaut. Gerade durch die Verständigung mit dem Kleinbürgertum und der Bauernschaft über eine wirtschaftsdemokratische berufsgenossenschaftliche Selbstverwaltung kann die Arbeiterklasse im Kleinbürgertum und in der Bauernschaft Bundesgenossen gewinnen gegen eine antidemokratische korporative Zwangs- und Herrschaftsorganisation nach italienischem Vorbild, die die Vernichtung der politischen Demokratie, die Aufrichtung einer faschistischen Diktatur bedeuten würde.« (Otto Bauer  : Klassenkampf und »Ständeverfassung«. – In  : Ders.: Werke. Bd. 9. S. 341–360. S. 360.)

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in einer unsachlichen Polemik über die Regierungsbildung und vor allem bei seiner Forderung nach Neuwahlen in den Augen des Bundeskanzlers die Diktion und Argumentation der Nationalsozialisten übernommen und um eines vermeintlichen parteipolitischen Vorteils willen seine staatspolitische Verantwortungslosigkeit demonstriert.293 Die anschließende Debatte mit ihren emotionalen persönlichen Anwürfen hatte die Gräben noch vertieft. Der von Mussolini geforderte verstärkte Kampf gegen den Marxismus betraf neben der Sozialdemokratie auch die KPÖ. Bereits zwischen dem 4. und 15. März und unmittelbar vor dem 1. Mai hatte die Polizei großangelegte Razzien gegen die KPÖ durchgeführt und zahlreiche Parteimitglieder verhaftet, unter ihnen auch Friedl Fürnberg und Johann Koplenig. Die »Rote Fahne«, das Zentralorgan der Partei, wurde als erste österreichische Zeitung unter Vorzensur gestellt. Am 25. Mai 1933 berichtete Bundesminister Emil Fey im Ministerrat, »in den letzten Wochen habe gegen die Kommunistische Partei wiederholt wegen illegaler und staatsfeindlicher Handlungen eingeschritten werden müssen  ; insbesondere sei die ›Rote Fahne‹, das Organ der Kommunistischen Partei, trotz Stellung unter Vorzensur fast täglich konfisziert worden.« Er stellte daher den Antrag, mit Verordnung nach dem Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz die Betätigung der KPÖ in Österreich zu verbieten. Der Ministerrat stimmte dem Antrag zu.294 Die von der KPÖ propagierte gemeinsame Protestaktion mit der Sozialdemokratie gegen das Parteiverbot blieb aus. Während die in Österreich ohnedies nur schwach vertretene Partei zumindest in Wien einen notdürftigen Untergrund-Betrieb aufrechterhalten konnte, kam das Parteileben in den Bundesländern weitgehend zum Erliegen. Vor allem erwies sich die Spitzeltätigkeit der Polizei als besonders erfolgreich. Die in die Bundesländer entsandten Instruktoren berichteten enttäuscht, dass die Partei in den Betrieben kaum über Einfluss verfüge und auch die Arbeitslosenbewegung nur mühsam am Leben 293 So erklärte Otto Bauer  : »Der Zweck dieser Regierung ist, es den bürgerlichen Parteien zu ermöglichen, noch für ein paar Monate dem wohlverdienten Volksgericht zu entgehen. … die vierzehntägige, wenig rühmliche Geschichte der Regierungskrise, aus der diese Regierung hervorgegangen ist, hat den besten Beweis dafür erbracht, wie berechtigt unsere Forderung nach Auflösung dieses Parlaments und schleunigster Ausschreibung von Neuwahlen gewesen ist. … Diese Regierung mag in diesem Hohen Hause noch eine Mehrheit von einer Stimme haben …, aber sie hat keine Mehrheit mehr im Volke, und darauf kommt es an. … Jeder von Ihnen weiß genau, wenn heute Wahlen wären, dass eine von den drei koalierenden Parteien, von den Parteien der Rechten des Hauses, wie sie der Herr Bundeskanzler nennt, nämlich die der Heimatblöckler, überhaupt nicht mehr in das Haus käme …, eine zweite, nämlich die des Landbundes, halbiert und die dritte, nämlich die Christlichsoziale Partei, mindestens in ihrem städtischen Besitz halbiert würde. … Es unterliegt daher keinem Zweifel, dass hinter dieser Regierung nur noch eine Minderheit des österreichischen Volkes steht und dass diese Regierung daher kein moralisches Recht hat zu regieren und über die Schicksale des Volkes zu entscheiden.« (Otto Bauer  : Werke, Bd. 5. S. 1034 f. 294 MRP 877/13. 28.5.1933.

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zu halten vermöge. Die Mitgliederzahlen waren deutlich rückläufig und betrugen zur Jahreswende 1933/34 nur mehr rund 3.000. Ideologisch wurde die Devise ausgegeben, die von dem zurückweichenden Kurs der Parteiführung enttäuschte sozialdemokratische Linke für die Partei zu gewinnen, gegenüber der Sozialdemokratie an der These des »Sozialfaschismus« festzuhalten und die Sowjetmacht zu propagieren.295 In seinem Brief an Dollfuß am 1. Juli 1933 zeigte sich Mussolini mit dem »Wiedererwachen des vaterländischen Gefühls« in Österreich sichtlich zufrieden. »Ich halte den Gedanken der Schaffung der Vaterländischen Front für einen sehr guten und glaube, dass je größer die Erfolge derselben sein können, desto mehr sich die verschiedenen Parteien, welche das nationale Interesse Österreichs verfechten, verschmelzen werden.«296 Dollfuß antwortete am 22. Juli  : »Auf der anderen Seite richten wir unser besonderes Augenmerk darauf, durch eine intensive vaterländische Propaganda einen österreichischen Patriotismus, der in der Nachkriegszeit nicht bestanden hat und bis vor wenigen Monaten kaum für möglich gehalten worden ist, zu erwecken. Hier darf ich auf die Tätigkeit der auch von Eurer Exzellenz im sehr geschätzten Schreiben berührten ›Vaterländischen Front‹ hinweisen, über deren mir wichtig erscheinende Organisation ich mich Eure Exzellenz in großen Zügen zu informieren erlaube. Die ›Vaterländische Front‹ wird auf dem Führerprinzip aufgebaut, Führer der Front bin ich selbst. Die ›Vaterländische Front bezweckt den überparteilichen Zusammenschluss aller heimattreuen Österreicher zur friedlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung eines freien, selbständigen österreichischen Staates. Die Aufnahme in die ›Front‹ ist daher selbstverständlich auch an das Verbot der Zugehörigkeit zu einer den Klassen- und Kulturkampf verfechtenden Organisation sowie an die Verpflichtung geknüpft, alles beizutragen, um Meinungsverschiedenheiten zwischen den Angehörigen der ›Front‹ zu vermeiden und gegebenenfalls überbrücken zu helfen. Diese letztere Bedingung sowie der überparteiliche Charakter der ›Front‹ schließen jede Parteipolitik innerhalb der ›Front‹ aus, ebenso wie auch jeder Angehörige der ›Front‹ nicht als Angehöriger einer Partei, sondern als Patriot seinen Beitritt zu vollziehen und sich in der ›Front‹ zu betätigen hat. Der Ausschluss von Verfechtern des Klassen- und Kulturkampfes schließt naturgemäß auch die Aufnahme von Sozialdemokraten und Kommunisten aus.«297 Bereits am 24. April 1933 hatte Dollfuß in einer Rede anlässlich des Gemeinderatswahlkampfes in Innsbruck das »christliche, deutsche Volk in den Alpenländern«

295 Barry McLoughlin  : Die Partei. – In  : Barry McLoughlin, Hannes Leidinger, Verena Moritz  : Kommunismus in Österreich 1918–1938. – Innsbruck/Wien/Bozen 2009. S. 259–369. S. 302 ff. 296 Geheimer Briefwechsel Mussolini-Dollfuß. S. 17. 297 Ebd. S. 26 f.

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aufgefordert, der »österreichischen, vaterländischen Front«298 beizutreten, und propagierte einen neuen österreichischen Patriotismus als Immunstrategie sowohl gegen den Nationalsozialismus wie auch gegen den »gescheiterten Parteienegoismus«. Die begeisterte Zustimmung und noch Wochen später einlangende zustimmende Zuschriften bestärkten ihn in seinem noch nicht im Detail elaborierten Vorhaben. In der Klubvorstandssitzung am 3. Mai 1933 sprach er von der beabsichtigten Bildung einer Vaterländischen Front, ohne diese allerdings zu präzisieren. Aus dem Protokoll der Sitzung lässt sich lediglich die Vermutung ableiten, dass es sich bei der neuen Organisation um eine Erweiterung der Regierungsbasis, vor allem der Christlichsozialen Partei, um Personen, »welche hinter der Regierung stehen, aber keiner Partei angehören«, handeln sollte.299 Die Rolle der Christlichsozialen Partei wurde nicht angesprochen, doch musste der Eindruck entstehen, dass die Partei den Kern der neuen Bewegung bilden und damit gestärkt werden sollte. Wenige Tage später erklärte Dollfuß auf dem christlichsozialen Bundesparteitag in Salzburg in seinem Bericht zur politischen Lage, dass es im Land nur drei Gruppen gebe. »Die der Marxisten, die zweite – die der braunen Sozialisten –, und beide stehen gegen die dritte Gruppe, die österreichische Front. So sehr ich dazu beitragen möchte, dass der größte Block dieser Front, die Christlichsoziale Partei, gerade aus diesem Parteitag mit neuer Kraft und neuer Größe hervorgehen möge, möchte ich doch sagen, dass in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten es nicht so sehr um Parteiinteresse geht, sondern dass alle, die bereit sind und jahrelang bereit waren, unser Vaterland zu erhalten, mit uns gemeinsam die Vaterländische Front bilden und dass diese alle, stärker als bisher, sich dieser Tatsache bewusst sein müssen.« Man werde »jeden als Freund begrüßen müssen, der bereit ist, mit der Christlichsozialen Partei die österreichische Front zu bilden und Österreichs Zukunft zu gestalten.«300 Der Beifall auf dem christlichsozialen Parteitag war ihm sicher, gingen doch die Delegierten von der Annahme des Weiterbestandes der Partei aus, die, so die allgemeine Überzeugung, den bestimmenden Faktor der patriotischen Sammelbewegung bilden werde. Dollfuß dürfte zu Beginn die Vaterländische Front als Dachverband all jener, die die Regierungspolitik unterstützten, konzipiert haben. Durch das Tragen eines gemeinsamen Abzeichens – ein rot-weißrotes Knopfbändchen – sollte das Bekenntnis zu Österreich demonstriert werden. Beeindruckt und bestärkt von den Türkenbefreiungsfeierlichkeiten in Wien Mitte Mai erfolgte am 21. Mai in der »Wiener Zeitung« der offizielle Aufruf zum Beitritt zur Vaterländischen Front. Ein neuer Geist ziehe durch Österreich, hieß es ein298 Zit. bei Irmgard Bärnthaler  : Die Vaterländische Front. Geschichte und Organisation. – Wien/Frankfurt am Main/Zürich 1971. S. 12. 299 Goldinger (Hg.)  : Protokolle. S. 248. 300 Kriechbaumer (Hg.)  : »Dieses Österreich retten«. S. 450.

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leitend, und die Berufung auf Prinz Eugen und die Metapher des Frühlings dienten als Illustration des neuen patriotischen Aufbruchs, an dessen Spitze Bundeskanzler Dollfuß stehe. »Er ist ihr Führer und Feldherr. Er trägt die rot-weiß-rote Fahne voraus, voran zum Kampf und voran zum Sieg  ! ›Österreich über alles, wenn es nur will  !‹ Prinz Eugen, der edle Ritter, dessen Großtaten für Österreich wir in diesem Jahr gedenken, hat dieses wahre Wort geprägt. Bundeskanzler Dr. Dollfuß hat es als Feldruf für die Vaterländische Front übernommen. (…) In der Vaterländischen Front sollen sich alle vereinigen, die bewusst und überzeugt österreichisch gesinnt sind, die Vaterland und Heimat lieben  !«301 Zudem sollte die Etablierung von direkt dem Bundeskanzleramt unterstellten Sicherheitsdirektoren in allen Bundesländern eine effektivere Bekämpfung illegaler politischer Betätigungen, vor allem der NSDAP, ermöglichen. Direkter Anlass für diese Maßnahme waren die problematischen Zustände in den Ländern, die, wie Vizekanzler Franz Winkler in der Sitzung des Ministerrates am 31. Mai 1933 bemerkte, weniger in der Überlastung der vorhandenen Sicherheitskräfte als vielmehr in der »Dezentralisierung der Verwaltung« ihre Ursache hätten. Die Bundesregierung könne sich in den Ländern deshalb nicht entsprechend durchsetzen, »da die Landesregierungen nicht mit der nötigen Energie verfolgen.« Als Beispiel führte er den Bürgermeister von Kitzbühel an, der auf einer Kapelle die Hakenkreuzfahne aufgepflanzt habe. Eine weitere Gefahr liege in der nach wie vor NS-freundlichen Provinz-Presse. Wenn daher die Bundesregierung »ihre Intentionen … nicht mit der nötigen Energie verfolgen« könne, so liege dies an den Landesregierungen. Wolle man nicht »Schiffbruch erleiden«, so müsse »die volle Übereinstimmung hergestellt werden.«302 Justizminister Schuschnigg pflichtete dem Vizekanzler bei und bemerkte  : »Da die Landesregierungen der Bundesregierung nicht die nötige Gefolg­ schaft leisten, werde es nicht zu umgehen sein, ihnen das gesamte Sicherheitswesen einschließlich der Presseangelegenheiten abzunehmen und für die Besorgung dieser Agenden in den Ländern bundesstaatliche Funktionäre als Sicherheitsdirektoren einzusetzen.«303 Wenngleich im Ministerrat Einigkeit über die Notwendigkeit der Einsetzung von Sicherheitsdirektoren in den Ländern bestand, so waren juristische Probleme, vor allem was das Land Wien betraf, zu klären. In der folgenden Minis­ terratssitzung unterbreitete Emil Fey einen Entwurf des Ministerkomitees, wobei er darauf hinwies, er befürchte einen Widerstand von Seiten der Länder, der sich bereits durch die Landeshauptleute von Salzburg und der Steiermark vor allem gegen

301 Zit. bei Ludwig Reichhold  : Kampf um Österreich. Die Vaterländische Front und ihr Widerstand gegen den Anschluss 1933–1938. Eine Dokumentation. – Wien 1984. S. 95. 302 MRP 878/4. 31.5.1933. 303 Ebd.

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die Sonderstellung Wiens artikuliert habe.304 Der Ministerrat beschloss die Prüfung der Frage der Gleichbehandlung aller Bundesländer und kam schließlich zu einer Lösung. Am 13. Juni wurden vom Ministerrat, ohne Kontakt mit den Landeshauptleuten, da es sich bei dieser Maßnahme um eine als notwendig erkannte bundespolitische handelte, die Sicherheitsdirektoren für die Bundesländer ernannt.305 Für Salzburg war dies Generalmajor Artur Wimmer. Der neue Sicherheitsdirektor wandte sich am 26. Juni mit einem »Aufruf« an die Salzburger Bevölkerung. »Ich habe heute das Amt des Sicherheitsdirektors des Landes Salzburg angetreten und bin fest entschlossen, mit der mir als Soldat innewohnenden Entschiedenheit besonders bei Ruhestörungen und Gewalttaten, wenn es sein muss, mit den schärfsten Mitteln vorzugehen, um dem schönen Lande Salzburg und seiner gutgesinnten Bevölkerung die im Interesse der Wirtschaft und des Ansehens des Landes so dringend nötige Ruhe, Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. … Ich richte … auch an alle Bevölkerungskreise die dringende Aufforderung, (sich) ihrer Pflicht gegenüber der Allgemeinheit voll bewusst zu sein und mitzuhelfen, dem Lande die gerade in der kommenden Reisezeit so nötige Ruhe und Ordnung zu sichern.«306 Landeshauptmann Franz Rehrl war über die Vorgangsweise der Bundesregierung erbost, da er, wie er sowohl der christlichsozialen Landesparteileitung als auch der Presse mitteilte, seine Bedenken bezüglich der Festspielstadt Salzburg zum Ausdruck gebracht hatte. Man könne die österreichischen Bundesländer, vor allem das vom Fremdenverkehr so stark abhängige Salzburg, nicht nach einer Schablone behandeln. In Salzburg hätten sich zudem keine Ereignisse wie in Tirol ereignet und man hätte bei einer so wichtigen Maßnahme mit den für das Land politisch Verantwortlichen das Einvernehmen herstellen müssen. Rehrl fühlte sich von der Vorgangsweise der Bundesregierung brüskiert, da Dollfuß noch am 1. Juni zugesichert hatte, die Auswahl der Sicherheitsdirektoren werde im Einvernehmen mit den Landeshauptleuten erfolgen. Während der Sitzung des christlichsozialen Parteivorstandes wurde Rehrl telefonisch vom Salzburger Polizeidirektor Hantsch über die Ernennung von Generalmajor Wimmer informiert und fühlte sich düpiert. Um Druck in Richtung Bundesregierung auszuüben, übergab er noch während der Sitzung die Führung der Geschäfte der Landesregierung demonstrativ Landeshauptmann-Stellvertreter Michael Neureiter und die christlichsoziale Landesparteileitung verfasste einen Protestbrief an Bundesparteiobmann Vaugoin und die Bundesregierung, in dem sie die Rücknahme der Entscheidung forderte.307 Der Schritt des Salzburger Landeshaupt304 MRP 879/4. 2.6.1933. 305 MRP 881/1. 13.6.1933. 306 Salzburger Volksblatt 26.6.1933. S. 1. 307 Salzburger Chronik 14.6.1933. S. 8.

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mannes erregte nicht nur landes-, sondern auch bundespolitische Aufmerksamkeit. Für den in London weilenden Dollfuß galt es, den Eindruck von Spannungen im Regierungslager zu vermeiden, weshalb er unmittelbar nach seiner Rückkehr Rehrl zu einer Aussprache nach Wien bat, an der auch die Minister Carl Vaugoin und Emil Fey teilnahmen. Das am 21. Juni erzielte Ergebnis war ein Kompromiss, der Rehrl das Gesicht wahren ließ, jedoch an der Bestellung des Sicherheitsdirektors für Salzburg nichts änderte. Rehrls Gesprächspartner versicherten, die von ihm vorgebrachten Wünsche in vollem Ausmaß zu berücksichtigen  : Salzburg, das unter der Tausendmark-Sperre schwer litt, sollte nicht schablonenhaft behandelt werden, die Bestellung des Sicherheitsdirektors blieb auf die gegenwärtige besonders gefährliche Zeit beschränkt, vorläufig bis Jahresende 1933, durch die Bestellung des Sicherheitsdirektors wurde kein Präjudiz für eine allfällige verfassungsrechtliche Änderung der Stellung des Landeshauptmannes geschaffen und der Sicherheitsdirektor hatte dem Landeshauptmann wichtige Verfügungen vor deren Publikation bekanntzugeben. Andererseits war die oppositionelle Stellung Rehrls in der Zwischenzeit vor allem durch zwei Ereignisse erschüttert worden  : den Handgranatenanschlag auf eine Gruppe christlich-deutscher Turner, die das Verbot der NSDAP zur Folge hatte, und den missglückten Sprengstoffanschlag auf das für die Stromversorgung der Stadt Salzburg wichtige Strubklammwerk. In der von der Salzburger Landesregierung veröffentlichten Erklärung hieß es deshalb  : »Freilich sah sich der Landeshauptmann gezwungen«, seine bisherigen Einwände »mit Rücksicht auf den vor wenigen Tagen erfolgten verbrecherischen Anschlag auf das Strubklammwerk bei Salzburg, der geeignet gewesen wäre, unermessliches Unheil anzurichten, wesentlich einzuschränken … Angesichts der in der allerletzten Zeit erfolgten verbrecherischen Anschläge auf die Sicherheit des Lebens und des Eigentums, unter welchen der Anschlag auf das erwähnte Elektrizitätswerk der Stadt Salzburg keineswegs eine ganz untergeordnete Rolle spielt und unter dem erschütternden Eindruck des verabscheuenswürdigen Attentates auf eine Truppe in Krems konnte sich jedoch der Landeshauptmann der Überzeugung nicht verschließen, dass d i e g e g e n w ä r t i g s c h w e r e Z e i t t a t sächlich eine straffere Handhabung des Sicherheitsapparates als e i n u n a b w e i s b a r e s G e b o t erscheinen lässt.«308 Eine weitere bundespolitische Entscheidung löste bei Landeshauptmann Franz Rehrl nur verhaltene Begeisterung aus  : die Gründung der Vaterländischen Front. Der Salzburger Landeshauptmann war als Verfechter der parlamentarischen Demo308 Salzburger Chronik 22.6.1933. S. 1. Kurze Zeit später kam es zu Auffassungsunterschieden zwischen Rehrl und Fey über die Kompetenzen des Sicherheitsdirektors, bei denen sich schließlich die Position Feys durchsetzte. Bis zum Anschluss war die Stellung des Landeshauptmanns in Sicherheitsangelegenheiten schwach.

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kratie und des Bestandes der Christlichsozialen Partei von der neuen Organisation wenig bis gar nicht begeistert, sah er in ihr doch das Trojanische Pferd der Beseitigung des Parteienstaates und damit auch der Christlichsozialen Partei sowie ein potentielles Einfallstor für die Heimwehren zur Dominanz der neuen Bewegung309 und Implementierung eines von ihnen angestrebten faschistischen Systems. Es war bloße Parteiraison, die ihn nach der Gründung der Vaterländischen Front veranlasste, die Landesführung zu übernehmen, bot sich ihm doch damit auch die Möglichkeit, auf die Entwicklung der Bewegung Einfluss zu nehmen. Er übergab diese Funktion jedoch bereits am 1. September 1933. Im Frühjahr 1933 hatte Theo Habicht hatte in seiner Unterredung mit Dollfuß erklärt, zwischen den Christlichsozialen und der NSDAP gebe es nur Krieg oder Frieden und auch das Verhältnis von Berlin zu Wien werde wesentlich von der Art des Verhältnisses abhängen.310 Habichts Wortwahl war wörtlich gemeint, denn die NSDAP intensivierte nach der negativen Antwort des christlichsozialen Klubs und des Bundeskanzlers in der ersten Jahreshälfte ihren »Krieg« gegen Österreich, der sich in steigender Intensität neben Wandschmierereien, martialischen Provokatio­ nen der Staatsautorität und der politischen Gegner durch SA, SS und HJ sowie spektakulären Propagandaaktionen, des Zündens von mehr oder weniger harmlosen Papierböllern und von Sprengstoffanschlägen, die im Juni bereits mehrere Todesopfer forderten, manifestierte. Neu war die Methode des wahllosen Terrors, mit dem eine allgemeine Stimmung der Unsicherheit erzeugt werden sollte. Einen ersten Höhepunkt bildete das Attentat des deutschen Nationalsozialisten Werner Freiherr von Alvensleben auf den Tiroler Heimwehrführer Richard Steidle am 11. Juni, dem unmittelbar die Schließung aller »Braunen Häuser« in Österreich und am 13. Juni der Landesverweis des deutschen »Landesinspektors« der österreichischen NSDAP, Theo Habicht, folgten. Der von der deutschen Regierung in letzter Minute unternommene Versuch, den Reichstagsabgeordneten Habicht als Mitglied der deutschen Gesandtschaft auszuweisen und ihm damit diplomatische Immunität zu verschaffen, wurde von der österreichischen Bundesregierung jedoch mit dem Argument der gegen den österreichischen Staat gerichteten Aktivitäten Habichts abgelehnt und ihm auch keine Legitimationskarte seitens des Außenministeriums ausgestellt. Er wurde deshalb von den österreichischen Behörden als Privatperson behandelt und 309 Dass diese Befürchtung nicht grundlos war, wurde im Briefwechsel zwischen Dollfuß und Mussolini deutlich. So schrieb Dollfuß am 22. Juli an Mussolini  : »Eine höchst anerkennenswerte Unterstützung bei der Erweckung und Festigung heimattreuer Gesinnung in der Bevölkerung finde ich bei den Heimwehren und ihren Führern. Mein Verhältnis zu diesen ist, wie Eurer Exzellenz bereits aus meinen mündlichen Darlegungen bekannt, ein ausgezeichnetes, und ich freue mich, sagen zu können, dass meine Absichten bei den Exponenten dieser Bewegung vollem Verständnis und loyaler Unterstützung begegnen.« (Geheimer Briefwechsel Mussolini-Dollfuß. S. 27.) 310 Goldinger  : Protokolle. S.  241 f.

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nach Deutschland abgeschoben. Im Gegenzug bezeichnete die deutsche Regierung den Presse-Attaché der österreichischen Gesandtschaft in Berlin, Erwin Wasserböck, als unerwünschte Person und forderte ihn auf, unverzüglich das Land zu verlassen.311

311 ADÖ 9/1317, 1318, 1319.

4. »Kampf … mit rücksichtsloser Härte« Der Terror der illegalen NSDAP von Juni 1933 bis Februar 1934

Das auf Grund des Handgranatenattentats auf christlich-deutsche Turner bei Krems drei Tage später ausgesprochene Verbot der NSDAP traf die Partei, die für diesen Fall keinerlei Vorbereitungen getroffen hatte, unvorbereitet. Der Landesführer der österreichischen NSDAP, Alfred Proksch, sowie die Gauleitungen der Steiermark, Kärntens, Tirols und Vorarlbergs gingen nach München, jene Salzburgs nach Freilassing. In der bayerischen Hauptstadt wurde mit massiver Hilfe der deutschen Partei eine neue Landesleitung eingerichtet und im grenznahen Freilassing die Organisationsstruktur der exilierten Salzburger Gauleitung unter Karl Scharizer wiederaufgebaut. Vor allem den westlichen Bundesländern kam auf Grund ihrer Grenznähe besondere propagandistische Bedeutung zu. Bereits am 5. Juli wurden in München in einem Aufruf der österreichischen Landesleitung die Prinzipien des Kampfes gegen die Regierung Dollfuß verkündet. Sie wurde »wegen des fortgesetzten Bruchs der Verfassung als hochverräterisch bezeichnet und alle Versuche, eine von der Münchner Führung unabhängige Parteiorganisation zu schaffen, mit Ausschluss und schärfsten Maßnahmen bedroht. Die Anhänger wurden zu Mundpropaganda, zum Aufbau einer illegalen Presse und zur Malung von Hakenkreuzen aufgerufen, der Kampf sollte mit rücksichtsloser Härte bis zum Sieg geführt werden.«312 Die nunmehr einsetzende, von anhaltenden Gewaltaktionen wie Böller- und Spreng­stoffanschlägen orchestrierte illegale Propagandaoffensive von Juni 1933 bis Februar 1934 bediente sich, neben den bereits vorher praktizierten Wandschmierereien und dem Abbrennen von Hakenkreuzfeuern oder der Anbringung der Hakenkreuzfahne an schwer zugänglichen Stellen wie z. B. Strommasten, Schornsteinen usw. einer breiten Palette durchaus moderner Methoden. Österreich, vor allem die grenznahen westlichen Bundesländer, waren einem ersten Radiokrieg ausgesetzt, der im Juli 1933 mit über die Sender München, Leipzig, Breslau und Stuttgart ausgestrahlten Reden österreichischer NS-Größen begann. Parallel dazu erfolgte ein Lausprecherkrieg, indem im grenznahen Bereich starke Lautsprecheranlagen aufgestellt wurden, über die Reden österreichischer Exil-Nationalsozialisten, nationalsozialistische Lieder und Schmähungen der österreichischen Bundesregierung nach Österreich ausgestrahlt wurden. Für Aufsehen sorgten auch von Bayern aus gestartete Propagandaflüge, bei denen von den ohne Kennzeichen in den österreichischen Luftraum eingedrungenen Flugzeugen Flugblätter abgeworfen wurden, in denen die 312 Jagschitz  : Zur Struktur der NSDAP in Österreich vor dem Juliputsch 1934. S. 13.

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»Kampf … mit rücksichtsloser Härte«

Bevölkerung aufgefordert wurde, keine Steuern zu zahlen und ihre Guthaben von den Sparbüchern abzuheben. Am 24. Juni telegrafierte das österreichische Außenministerium an die Gesandtschaft in Rom  : »Gestern wurden über Linz und anderen Teilen Österreichs aus einem Flugzeug ohne Hoheitszeichen etwa 100.000 Flugblätter abgeworfen, in denen der aus Österreich geflüchtete Landesführer der Nationalsozialisten Proksch seine österreichischen Anhänger unverhohlen zu terroristischen Aktionen auffordert. … Verlässlichen Informationen unserer Polizei zufolge wollen nationalsozialistische Kreise in Deutschland in allernächster Zeit Mitglieder von Terrorgruppen nach Öster­reich entsenden, um hier terroristische Anschläge in noch größerem Umfang als bisher auszuführen. Diese und andere Nachrichten lassen Bundesregierung nicht ganz ohne Sorgen. Vorstehendes zur sofortigen Mitteilung an dortige Regierung.«313 Am 29. Juli telegrafierte das Außenministerium an die Gesandtschaften in Rom und London  : »Heute vormittags wurde Stadt Salzburg zweimal zuerst von 4, dann von 3 deutschen Flugzeugen, die Unmengen von hetzerischen Zetteln, die u. a. zum Steuerstreik u. zu Abhebungen der Bankeinlagen aufrufen, abwarfen, überflogen. Bemerkenswert, dass heute dort Festspiele beginnen. Nach letzten Meldung österr. Gesandten in Berlin versucht Ausw. Amt abzuleugnen, dass bisherige Flugzeuge von deutschen Flugplätzen aufgestiegen wären und bekanntgegebene Hoheitszahlen in Deutschland bestünden, was natürlich verlegene Ausrede ist. Vorstehendes zur Mitteilung an dortige Regierung. …«314 313 ADÖ 9/1325. 314 ADÖ 9/1343. Am 22. Juli telegrafierte das Auswärtige Amt an den österreichischen Gesandten in Rom, Lothar Egger  : »Obgleich deutsches Ausw. Amt unseren Protest vom 17. d. M. angenommen hat, haben gestern Nachmittag neuerlich vier deutsche Flugzeuge über Teilen von Salzburg und Tirol vielerlei nationalsozialistische Flugzettel verhetzenden Inhaltes abgeworfen. Diese wiederholten Unternehmungen dürften mit der in Bayern und zwar in München, Passau und Freilassing erfolgten Wiederaufrichtung der österreichischen nationalsozialistischen Landesleitung und einzelnen Gauleitungen unter ihren früheren Führern im Zusammenhang stehen, die auch großenteils die ununterbrochene, mit staatlichen Mitteln betriebene, Funkpropaganda und größere Aktionen gegen Österreich vorbereiten. Durch Friedensvertrag aufgezwungene völlige Wehrlosigkeit setzt uns außer Stande Fliegerpropaganda, die auf die Dauer zersetzende Wirkung auf Bevölkerung insbesonders der bedrohten Grenzgebiete ausüben muss, wirksam abzuwehren. Wollen Sie unter eindringlichem Hinweis auf das europäische Interesse an Erhaltung und Ruhe Öster­reichs Herrn Mussolini namens Bundesregierung dringend ersuchen, durch freundschaftliche aber energische nachdrückliche Vorstellungen in Berlin zu erreichen, dass obiger moralisch unerträglichen, mit Beschimpfungen und Aufwiegelungen gegen die Staatsgewalt verbundener Propaganda ehestens Einhalt geboten werde. Hierbei wollen Sie betonen, dass die vom überwiegenden Teil der

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Der Ballhausplatz sah sich gezwungen, angesichts der zunehmenden, von Deutschland massiv unterstützten, regierungsfeindlichen Propaganda und Aggression das angespannte deutsch-österreichische Verhältnis aus der Bilateralität zu lösen und zu internationalisieren. Deshalb suchte man nicht nur die Rückendeckung Italiens, sondern auch Frankreichs und Großbritanniens. Dabei herrschte im Auswärtigen Amt in Berlin keineswegs Begeisterung über die zunehmend von der NSDAP gestaltete Österreich-Politik. Außenminister Konstantin von Neurath und Staatssekretär Bernhard von Bülow warnten vor einer Radikalisierung der bilateralen Beziehungen, die die Interventionsbereitschaft auch der noch zurückhaltenden Mächte Frankreich und Großbritannien erhöhen musste. Am 31. Juli teilte Staatssekretär Bülow in Gegenwart von Ministerialdirigent Viktor von Heeren Theo Habicht, der in Begleitung von Erwin Schneider von Auswärtigen Amt der NSDAP und SS-Gruppenführer und Legationsrat im Auswärtigen Amt, Josias Prinz von Waldeck, erschienen war, die Bedenken der Wilhelmstraße mit. Es bestehe durchaus die Gefahr, so der Staatssekretär, dass sich die nationalsozialistische Offensive in Österreich zu einer nicht gewünschten internationalen Krise ausweite. Habicht, um eine Schilderung der Situation in Österreich gebeten, sah die Lage erheblich günstiger. Diese entwickle sich genau so, wie man es voraussehen konnte. Die Terrorakte seien das Ergebnis der Stimmung in der Bevölkerung und keineswegs von der NSDAP geplant, die im Gegenteil alles versuche, solche Akte zu verhindern. Tatsache sei aber, dass die Regierung Dollfuß über kurz oder lang stürzen werde.315 Habichts Optimismus wurde Lügen gestraft. Mussolini versicherte Dollfuß bereits Ende Juni seine uneingeschränkte Unterstützung. Theodor Hornbostel schrieb am 23. Juni in einer geheimen Nachricht an die österreichischen Botschaften in den europäischen Hauptstädten, Bundeskanzler Dollfuß habe beim Diplomaten-Empfang gegenüber dem Apostolischen Nuntius auf dessen Frage, wie sich Frankreich, Großbritannien und Italien zum österreich-deutschen Konflikt verhielten, geantwortet, dass alle drei Mächte und auch die Kleine Entente »im österreich-deutschen Konflikt hinter Österreich stehen«, und er habe die feste Überzeugung, dass diese es mit Österreich auch wirklich ehrlich meinen. Er habe bei seinen Gesprächen in London und Paris den Eindruck gewonnen, »dass Frankreich gegebenenfalls bereit wäre, für die Erhaltung der Unabhängigkeit Österreichs wirksam im Vereine mit den anderen Staaten einzuschreiten.« Wenngleich Großbritannien ein aktives diplomatisches Eingreifen zu Gunsten Österreichs in Berlin derzeit ablehne, so habe Weltmeinung unserem Abwehrkampf entgegengebrachten Sympathien Wirkung auf Deutschland offensichtlich verfehlen und unsere Bevölkerung unter dem demoralisierenden Eindruck steht, gegenüber den unablässigen völkerrechtswidrigen Angriffen auf die allseitig geforderte Selbständigkeit Österreichs schutzlos gelassen zu werden.« (ADÖ 9/1337.) 315 Ross  : Hitler und Dollfuß. S. 64 ff.; ADÖ 9/1329.

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man doch vor allem in der Presse seine Sympathien für Österreich bekundet. Italien habe sich bereit erklärt, »in freundschaftlicher Weise der Berliner Regierung zum Bewusstsein« zu bringen, »dass die ganze Weltmeinung in dieser Streitfrage hinter Österreich steht und Deutschland sich durch eine Fortsetzung seiner bisherigen Haltung in dem Konflikte in nicht unbeträchtliche Gefahren begebe.«316 Wenngleich Mussolini in einem Schreiben an Dollfuß am 1. Juli 1933 auf »interne Reformen in entschieden faschistischem Sinne« drängte und nicht nur auf einen Kampf gegen den Nationalsozialismus, sondern vor allem auch gegen die Sozialdemokratie, antwortete Dollfuß drei Wochen später ausweichend und versuchte sich in geschickten Formulierungen der italienischen Pression zu entziehen. Dies war insofern ein sensibles und schwieriges Unterfangen, als trotz aller verbalen Beteuerungen der Sympathie für Österreichs Kampf um seine Unabhängigkeit am Ballhausplatz mehrheitlich die Auffassung vertreten wurde, dass im Konfliktfall weder mit der tatkräftigen Hilfe von Paris noch von London zu rechnen sei. Auch Prag hatte wissen lassen, dass man sich im Fall eines Konfliktes nicht engagieren werde, sodass nur das Italien Mussolinis eine wirkungsvolle – auch militärische – Unterstützung versprach. Dollfuß sprach von den Fortschritten bei der Errichtung eines »straffen Autoritätsregimes«, wies auf die Vaterländische Front und die Beauftragung Otto Enders mit der Erarbeitung einer Verfassungsreform hin, betonte jedoch, dass nicht der Kampf gegen die ohnedies bereits geschwächte Sozialdemokratie, sondern gegen den Nationalsozialismus im Mittelpunkt stehe, dessen Hoffnungen auf einen baldigen Sturz der Regierung als »gescheitert zu betrachten« seien.317 Der Brief des Kanzlers argumentierte durchaus geschickt, da Mussolini zwar an einer Beilegung des Konfliktes zwischen Berlin und Wien gelegen war, er aber andererseits keinen dominierenden Einfluss des Nationalsozialismus in Österreich wünschte. An dessen Stelle sollte der italienische Einfluss treten, wobei er besonders auch auf die Heimwehren setzte.318 Dollfuß’ Optionen waren angesichts der internationalen Lage begrenzt. Unter der Prämisse der Erhaltung der Unabhängigkeit Österreichs blieb ihm in seinen Augen kaum eine andere Wahl als den Preis so gering wie möglich zu halten, den man in Rom von ihm für die außen- und militärische Rückendeckung forderte. Die zögernde und ambivalente Haltung von Dollfuß vor allem gegenüber der Sozialdemokratie und die noch immer nicht erfolgte Verabschiedung einer neuen autoritären Verfassung wurden sowohl vom ungarischen Ministerpräsidenten Gyula Gömbös als auch Mussolini bei deren Gesprächen in Rom am 26. und 27. Juli 1933 moniert.319 316 ADÖ 9/1323. 317 Geheimer Briefwechsel Mussolini-Dollfuß. S. 16 ff. 318 Lothar Höbelt  : Italien und die Heimwehr 1928–1934. – In  : Guiotto, Wohnout (Hg.)  : Italien und Österreich im Mitteleuropa der Zwischenkriegszeit. S. 349–378. 319 Kerekes  : Mussolini, Gömbös, und die Heimwehr. S. 153 f.

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Auf Grund der anhaltenden Grenzverletzungen sowohl durch von Bayern aus gestartete Flugzeuge wie auch durch die »Österreichische Legion« erfolgte auf österreichisches Ersuchen am 7. August ein offizieller Protest Frankreichs und Großbritanniens in Berlin wegen der ständigen Grenzverletzungen, und als sich Gerüchte über einen möglichen Putsch der österreichischen NSDAP im September verdichteten, intervenierte Dollfuß über den österreichischen Gesandten in Rom, Lothar Egger, sowie den italienischen Gesandten in Wien, Gabriele Preziosi, den schon länger in Aussicht genommenen Besuch bei Mussolini so rasch als möglich zu erreichen. Am 18. August erfolgte die positive Antwort von Unterstaatssekretär Fulvio Suvich, Mussolini sei bereit, den österreichischen Bundeskanzler in Riccione, wo er sich zu einem Wochenendurlaub aufhalte, am 19. und 20. August zu empfangen. Das Verhältnis der Gesprächspartner wurde durch die für die Presse kreierte Inszenierung am Lido von Riccione demonstriert  : Mussolini in Badehose und kraftstrotzend, Dollfuß’ schmächtige Figur im Sommeranzug mit Krawatte und Hut, beinahe verlegen lächelnd. Wenngleich die Gespräche in Anwesenheit von Unterstaatssekretär Suvich in amikaler Atmosphäre stattfanden, so brachten sie zwar im außenpolitischen Teil die neuerliche Versicherung der italienischen – auch militärischen – Rückendeckung gegenüber einer nationalsozialistischen Aggression, vereinbarten jedoch für den Spätherbst ein Treffen Mussolini, Gömbös und Dollfuß »mit dem Zweck der Vertiefung der Beziehungen zwischen den drei Staaten auf allen Gebieten und Festlegung einer ›gemeinsamen‹ Politik.« Im innenpolitischen Bereich, so die Amtserinnerung von Legationsrat Theodor Hornbostel, hätten »die italienischen Herren … eine Pression auf den Herrn Bundeskanzler im Sinne der stärkeren Beteiligung der Heimwehren auszuüben« versucht. »Der Herr Bundeskanzler ist diesen Versuchen jedoch mit Erfolg ausgewichen. Herr Mussolini empfahl dem Herrn Bundeskanzler, bereits Ende September die Verfassungsreform auf ständischer Grundlage fertigzustellen, ferner möglichst bald eine groß angelegte politische Rede mit dem Leitmotiv ›Unabhängigkeit Österreichs nach außen und Erneuerung Österreichs nach innen‹ zu halten. Der Herr Bundeskanzler stimmt dieser Auffassung zu und nimmt das Datum 11. September in Aussicht.«320 Dollfuß kam diesem Versprechen am 11. September in einer Grundsatzrede im Rahmen des Katholikentages vor mehreren zehntausend Zuhörern auf dem Wiener Trabrennplatz nach, in der er mit der Formulierung, »die Zeit marxistischer Volksführung und Volksverführung« sei vorbei, den Abschied von der parlamentarischen Demokratie und die Hinwendung zur autoritär-ständischen Lösung ankündigte, wobei er jedoch in seinen Ankündigungen relativ vage blieb. Er blieb vage nicht so sehr aus politischem Kalkül als vielmehr wegen der Tatsache, dass zu diesem Zeitpunkt lediglich gewisse Grundstrukturen, nicht jedoch konkrete Details der neuen autoritär-berufs-

320 ADÖ 9/1370.

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ständischen Bundesverfassung feststanden.321 Trotzdem reagierte Mussolini auf die Rede sehr zufrieden. Im Gespräch mit Richard Schüller, dem Leiter der handelspolitischen Sektion im Außenministerium, erklärte er, die Rede des österreichischen Bundeskanzlers sei »ausgezeichnet gewesen«. Schüller, den Mussolini lange gut kannte und mit dem ihn eine gewisse Amikalität verband, erklärte dem Duce gegenüber, dass Dollfuß zwar rasch marschiere, »es aber nicht liebe, wenn ihn dabei Freunde von rückwärts stoßen – das störe den Marsch.« Mussolini verstand und lachte und erklärte, die von Dollfuß »verkündeten Grundsätze seien gesund und entsprächen der Zeit.«322 Im Laufe des Gespräches erwähnte Schüller neben den von Deutschland ausgestrahlten Rundfunk-Propagandareden und Grenzverletzungen durch Flugzeuge, die Propagandamaterial abwarfen, auch die Agitation von »Banden«, worauf Mussolini antwortete, er habe deshalb eine Demarche in Berlin veranlasst, auf die Staatssekretär von Bülow antwortete, »dass man nur die österreichischen Flüchtlinge in Lagern sammle, damit sie nicht in Deutschland herumirren.«323 Fünf Tage nach Schüllers Unterredung mit Mussolini berichtete der österreichische Gesandte in Prag, Ferdinand Marek, an Bundeskanzler Dollfuß über ein ausführliches Gespräch mit dem tschechoslowakischen Außenminister Edvard Beneš, der sich darüber informiert habe, ob der Bundeskanzler gegen die NSDAP durchgreifen werde. Marek habe dies bejaht. »Gewisse Sorgen mache uns allerdings … die jeder völkerrechtlichen Übung Hohn sprechende Ausbildung einer österreichischen Legion in Bayern, weil wir nicht sicher sein können, ob nicht eines Tages von dort aus ein unbedachter Schritt gegen die Sicherheit unseres Territoriums, allenfalls auch gegen den Willen der Reichsregierung, unternommen werden könnte.«324 Mit massiver Hilfe der deutschen Partei sowie deutscher staatlicher Institutionen wurde nach dem Verbot der NSDAP in Österreich am 19. Juni 1933 neben dem Aufbau einer illegalen Parteiorganisation in München, Passau und Freilassing die sog. »Österreichische Legion« aus geflüchteten österreichischen NSDAP- (vor allem SA-)Mitgliedern und -Sympathisanten in Bayern organisiert, in Lagern der SA-Obergruppe VIII untergebracht und sowohl von der bayerischen Landespolizei wie der Reichswehr ausgebildet und mit Waffen versorgt. Als »bewaffneter Arm« der illegalen österreichischen SA unterstand sie SA-Obergruppenführer Hermann Reschny, dem von Hitler 1926 ernannten Leiter der österreichischen SA, der im Juni 1933 nach München ausgewichen war. Hauptlager war zunächst das Lager Lechfeld, wo im Herbst 1933 rund 3.000 Le-

321 Helmut Wohnout  : Regierungsdiktatur oder Ständeparlament  ? Gesetzgebung im autoritären Österreich. – Wien/Köln/Graz 1993. S. 102 ff. (Studien zu Politik und Verwaltung. Herausgegeben von Christian Brünner, Wolfgang Mantl, Manfried Welan. Band 43.) 322 Geheimer Briefwechsel Mussolini-Dollfuß. S. 40. 323 Ebd. S. 41. 324 ADÖ 9/1378.

Der Terror der illegalen NSDAP

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gionäre untergebracht waren. Erhebliche Spannungen zwischen SA- und SS-Angehörigen führten allerdings im Spätherbst 1933 zu einer Trennung der Legionäre. SA-Mitglieder wurden in Lager nach Wöllershof, Egmating, Bad Aibling, Vilshofen, Passau und Freilassing, SS-Angehörige vor allem nach Dachau verlegt. Durch den ständigen illegalen Grenzübergang von NSDAP-Mitgliedern und -Sympathisanten verfügte die Österreichische Legion im Sommer 1934 über rund 10.000 Mann, womit sie eine doppelte Funktion in der Planung der deutschen und österreichischen NSDAP erfüllte  : einerseits als permanente Drohung eines Einfalls in Österreich, wobei man gegenüber dem Ausland darauf verweisen konnte, es handle sich dabei um eine rein innerösterreichische Angelegenheit, andererseits eine paramilitärische Kerntruppe zur Unterstützung oder direkten Verübung von Terrorakten in Österreich. Über die im bayerischen Grenzdienst eingeteilten Legionäre erfolgte der Schmuggel von Propagandamaterial sowie von Sprengstoffen und Waffen nach Österreich. Die illegale Emigration österreichischer Nationalsozialisten nach Bayern erfolgte vor allem über Salzburg und Tirol. Von Juni bis November 1933 existierte in Bayern keine kontrollierte Übernahme der illegalen Emigranten, da man mit einem baldigen Zusammenbruch der Regierung Dollfuß und der Rückkehr der Legionäre nach Öster­reich rechnete. Es war somit jedem illegal emigrierten Österreicher möglich, sich bei der österreichischen NSDAP-Landesleitung in München zu melden und zu behaupten, er sei »politischer« Flüchtling, habe sich für die »Bewegung« eingesetzt und deshalb vor der einsetzenden politischen Verfolgung fliehen müssen. Eine Überprüfung der Angaben erfolgte höchst mangelhaft, eine Aufnahme in die Legion basierte meistens auf den Angaben des Geflüchteten. Als sich der allgemein angenommene rasche Zusammenbruch der Regierung Dollfuß nicht ereignete, wurde, um den weitgehend unkontrollierten Zustrom von illegalen österreichischen Nationalsozialisten zu kontrollieren und einzudämmen, im November 1933 die Dienststelle eines »Österreichischen Sonderbeauftragten der Obersten SA-Führung« geschaffen, dem die Kontrolle und Überwachung der Legionäre in den verschiedenen Lagern oblag.325 325 Hans Schafranek  : Söldner für den Anschluss. Die Österreichische Legion 1933–1938. – Wien 2011. S. 71 f. 1934 wurde der politische Flüchtlingsstatus drei Gruppen zuerkannt  : »1. Parteigenossen und Volksgenossen deutscher Abstammung, die durch ihren Einsatz für den Nationalsozialismus in Österreich oder im weiteren Sinne des Wortes für ihr Deutschtum Gefahr laufen, eine schwere Kerkerstrafe zu erhalten. 2. Parteigenossen und Volksgenossen deutscher Abstammung, die eine längere Kerkerstrafe in Österreich abgebüßt haben und sowohl gesundheitlich als auch wirtschaftlich nicht mehr in der Lage sind, in der Heimat auszuharren. 3. Parteigenossen und Volksgenossen deutscher Abstammung, die infolge des jahrelangen Kampfes durch ihren großen Einsatz für den Nationalsozialismus und für ihr Deutschtum in Österreich jedwede wirtschaftliche Grundlage verloren haben und verhungern müssten, wenn sie weiter in der Heimat bleiben sollten«. (Schafranek  : Söldner für den Anschluss. S. 77.)

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»Kampf … mit rücksichtsloser Härte«

Wie in den anderen westlichen Bundesländern waren auch in Salzburg Mitglieder der Österreichischen Legion in hohem Ausmaß an Grenzverletzungen, dem Schmuggel von Sprengstoff und Propagandamaterial sowie an der breiten Palette politischer Gewalttaten beteiligt. Zur Verschärfung der Sicherheitslage trug bei, dass sich die emigrierte Gauleitung des Landes in Freilassing befand und auch die SA-Brigade Salzburg im Dezember 1933 ihren Sitz von Berchtesgaden nach Freilassing verlegte. Bei der Zahl der 11.892 erfassten Legionsangehörigen mit einem vor ihrer Flucht bekannten Wohnort in Österreich rangiert Salzburg nur an siebter Stelle. Ein völlig anderes Bild ergibt sich jedoch bei der Relation der Legionsangehörigen im Bezug zur Wohnbevölkerung des jeweiligen Bundeslandes. Hier rangiert Salzburg an erster Stelle, gefolgt von Kärnten und Tirol. Gegenüber dem österreichischen Durchschnitt waren die Salzburger Legionäre um mehr als das Zweieinhalbfache überrepräsentiert.326 Angehörige der Österreichischen Legion mit bekannten Wohnorten in Österreich: Bundesland

Zahl

Steiermark

2566

Kärnten

1752

Oberösterreich

1717

Niederösterreich

1578

Tirol

1321

Wien

1243

Salzburg

1140

Vorarlberg

403

Burgenland

172

Bundesland

Bevölkerung 1934

Einwohner pro Legionär

Legionäre unter-/Überrepräsentiert (1 = österreichischer Durchschnitt)

Salzburg

245.801

216

2,64

Kärnten

405.129

231

2,46

Tirol

349.098

264

2,15

Vorarlberg

155.402

386

1,47

Steiermark

1.015.106

396

1,44 1,08

Oberösterreich

902.318

526

Niederösterreich

1.509.076

956

0,59

Wien

1.874.130

1.508

0,38

299.447

1.741

0,33

Burgenland

326 Hans Schafranek  : Militante NS-Aktivisten mit Rückzugsbasis. Salzburger bei der Österreichischen Legion. – In  : Kramml, Hanisch (Hg.)  : Hoffnungen und Verzweiflung in der Stadt Salzburg 1938/39. S. 124–161. S. 131.

Der Terror der illegalen NSDAP

171

Betrachtet man die regionale Verteilung der aus Salzburg stammenden Legionäre, so fällt die Dominanz des Flachgaus und des Pinzgaus auf. Regionale Herkunft der Salzburger Legionäre:327 Stadt Salzburg

220

Flachgau

370

Tennengau

130

Pongau

115

Lungau

51

Pinzgau

252

Bemerkenswert ist ferner das jugendliche Alter der Salzburger Legionäre im Vergleich zu den ohnedies jugendlichen nationalsozialistischen Aktivisten. So wie bei den Juliputschisten war auch bei den Salzburger Legionären der Jahrgang 1912 am stärksten vertreten, doch lag der Altersdurchschnitt der Salzburger bei ihrem Eintritt in die Österreichische Legion mit 25,3 Jahren rund 3 Jahre unter dem Durchschnittsalter der Juliputschisten (28,4 Jahre).328 Der Anteil der Unter-25-Jährigen an den Salzburger Legionären betrug fast 60 Prozent. Für Salzburg erwies sich die besonders schwer zu kontrollierende Grenze mit Bayern als erhebliches Sicherheitsproblem. Neben Schmieraktionen, das Anbringen von Hakenkreuzfahne an schwer zugänglichen Objekten wie z. B. dem 56 Meter hohen Schlot der ehemaligen Ziegelei in Esch (Gemeinde Hallwang) oder das Abbrennen von Hakenkreuzfeuern traten die ab Sommer 1933 von Bayern aus einsetzenden Propagandaflüge über Salzburg und die Aufstellung von starken Lautsprecheranlagen an der Grenze, über die Hetzreden gegen die österreichische Bundesregierung und NS-Lieder ausgestrahlt wurden.329 327 Schafranek  : Militante NS-Aktivisten mit Rückzugsbasis. S. 132 f. 328 »Unter den aktiv beteiligten Juliputschisten war der Geburtsjahrgang 1912 am stärksten vertreten. Insgesamt stellten die acht unmittelbaren Vorkriegsjahrgänge 1907 bis 1914 mit 47,7 Prozent fast die Hälfte der … Putschteilnehmer. Die Jahrgangsgruppe der 1910 bis 1914 Geborenen war unter den Juliputsch-Beteiligten im Vergleich zur männlichen österreichischen Gesamtbevölkerung dreieinhalbfach überrepräsentiert. Fast ein Drittel aller Putschteilnehmer gehörte dieser Jahrgangsgruppe an. Neun von zehn Putschisten waren jünger als 40 Jahre, nicht ganz zwei Drittel jünger als 30, und immerhin fast jeder Zwölfte hatte seinen 20. Geburtstag noch vor sich.« (Kurt Bauer  : Elementar-Ereignis. Die österreichischen Nationalsozialisten und der Juliputsch 1934. – Wien 2003. S. 137 f.) 329 Oskar Dohle  : Bomben, Böller, Propaganda. Der Aufstieg der NSDAP in Salzburg 1918–1938.  – In  : Kramml, Hanisch (Hg.)  : Hoffnungen und Verzweiflung in der Stadt Salzburg 1938/39. S. 74–123. S. 98 ff.

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»Kampf … mit rücksichtsloser Härte«

Der durch das Verbot der NSDAP ausgelösten sich verschärfende Terror- und Propagandawelle der nunmehr illegalen NSDAP sowie dem wachsenden deutschen Druck war die Bundesregierung gewillt, mit einer Reihe von Maßnahmen zu begegnen. Auf Grund der Überbeanspruchung der Exekutive wurde mit 7. Juli die Aufstellung von »Freiwilligen Assistenzkörpern« beschlossen, die sich vor allem aus Mitgliedern der regierungsnahen Wehrverbände rekrutieren sollten. Am 17. August 1933 wurde durch Verordnung die Möglichkeit geschaffen, das Vermögen von Personen, die die österreichische Staatsbürgerschaft wegen der Unterstützung österreichfeindlicher Handlungen verloren hatten, zugunsten des Bundes für verfallen zu erklären. Dies traf vor allem auf Personengruppen und Parteien zu, die sich im Sinne des Nationalsozialismus betätigten. Anfang September wurde angesichts der nationalsozialistischen Penetration des Beamtenapparates ein Bundeskommissär für Personalangelegenheiten des Bundes und der öffentlichen Betriebe bestellt, nachdem bereits in der Sitzung des Ministerrates am 13. Juni Vizekanzler Franz Winkler festgestellt hatte, es bestehe Übereinstimmung darin, »dass die Zugehörigkeit von Bundesangestellten zur NSDAP und deren Organisationen oder Formationen nach dem abgelegten Diensteid (Angelobung) als mit den Dienstpflichten unvereinbar und daher zu verbieten sei.« Es werde »das Bundeskanzleramt ein generelles Verbot ergehen lassen. Es werde zu trachten sein, auch die Angestellten öffentlich-rechtlicher Körperschaften überhaupt, namentlich die Lehrer, in das Verbot einzubeziehen.330 Nach längerer Diskussion im Ministerrat über die auftretenden Probleme bei der großen Zahl von inhaftierten Nationalsozialisten wurde am 23. September die Errichtung von Anhaltelagern zur Inhaftierung politischer Häftlinge, deren bekanntestes Wöllersdorf bei Wr. Neustadt wurde, beschlossen. Die Diskussionen im Ministerrat zeigen deutlich das eigentliche Motiv der Errichtung von Anhaltelagern  : die kritischen Stimmen aus den Bundesländern über die große Anzahl von politischen Häftlingen, die man nicht mehr entsprechend unterbringen könne und die außerdem von den kriminellen Häftlingen getrennt werden sollten. Dies sei jedoch mit den vorhandenen räumlichen Ressourcen nicht möglich. Der Ausbau der vorhandenen Gefängnisstrukturen wäre zu teuer gewesen, weshalb man sich vor allem auch aus finanziellen Gründen für die Errichtung der Anhaltelager entschloss. Wenngleich führende Heimwehrfunktionäre bereits zuvor mit teilweise martialischen Tönen die Möglichkeit der Errichtung von Anhaltelagern andeuteten, so waren die eigentlichen Motive sicherheitspolitisch-prophylaktischer und finanziell-administrativer Natur.331 Bundeskanzler Dollfuß erklärte in der Sitzung des Ministerrates am 6. September, es »drohe nach seiner Überzeugung eine Unternehmung von Seite der in Deutschland 330 MRP881/1. 331 Pia Schölnberger  : Das Anhaltelager Wöllersdorf 1933–1938. Strukturen – Brüche – Erinnerungen. – Wien 2015. (Politik und Zeitgeschichte. Herausgegeben von Emmerich Talos. Band 9.)

Der Terror der illegalen NSDAP

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aufgestellten Österreichischen Legion … Selbst wenn von der Nationalsozialistischen Partei Deutschlands eine Aktion gegen Österreich nicht unmittelbar geplant wäre, bestehe doch die Gefahr, dass die Mitglieder der Österreichischen Legion freigelassen werden und unangenehme Vorfälle an der Grenze hervorrufen könnten. … Es müsse nicht unbedingt zu diesen Ereignissen kommen, aber die bloße Besorgnis verpflichte die Regierung, den Staat gegen diese Eventualität so gut und so rasch wie möglich zu sichern.« Die Errichtung der Lager sei »eine dringende Notwendigkeit, schon um eingreifen zu können, wenn etwa die Angehörigen der Österreichischen Legion über die Grenze kämen, ohne offen Waffen zu tragen.«332 Heeresminister Carl Vaugoin wies darauf hin, wenn tatsächlich eine große Gefahr bestehe, »dass gleichzeitig mit einem Einbruch der Österreichischen Legion über die Grenze im Inneren des Landes Unruhen ausbrächen, dann müssten rechtzeitig Abwehrmaßnahmen getroffen werden. Eine der besten Abwehrmaßnahmen sei, die voraussichtlichen Führer der Bewegung unschädlich zu machen. Mit den bisherigen Erfahrungen seien schlechte Erfahrungen gemacht worden, weil die Verhafteten meist nach kurzer Zeit wieder hätten freigelassen werden müssen, und bei ihrer Heimkehr als Märtyrer gefeiert worden seien.«333 Der Ministerrat fällt am 6. September auf Grund der Bedenken der dem Landbund angehörenden Minister, vor allem von Vizekanzler Franz Winkler, keine definitive Entscheidung, sondern einigte sich auf die von Fey vorgeschlagene Kompromissformel der Ermächtigung des Bundeskanzlers, die weitere Verfügung im Einvernehmen mit dem Vizekanzler zu treffen. Da Winkler sich jedoch der von Dollfuß im Sinne der Sicherheit Österreichs als notwendig erachteten Verordnung verweigerte und zudem in Konkurrenz zur Vaterländischen Front die Nationalständische Front gegründet hatte, löste Dollfuß das Problem am 21. September mit einer Regierungsumbildung, bei der alle dem Landbund angehörenden Minister aus der Regierung ausschieden, Emil Fey zum Vizekanzler avancierte, jedoch das Sicherheitswesen an den Bundeskanzler abtreten musste. Dollfuß festigte damit seine Position nicht nur gegenüber der Heimwehr, sondern konnte auch die Verordnung über die Errichtung von Anhaltelagern für politische Häftlinge widerstandslos realisieren. Der von Vaugoin in der Ministerratssitzung am 6. September angesprochene Märtyrerstatus der Nationalsozialisten beruhte nicht nur auf ihrer eventuellen Verhaftung, sondern auch der Heranziehung zu den sog. »Putzkolonnen«, d. h. Reinigungsgruppen von NSDAP-Mitgliedern oder -Sympathisanten, die angehalten wurden, nationalsozialistische Schmierereien von öffentlichen Plätzen oder Gebäuden zu entfernen. Beides, die Einziehung zu einer Putzkolonne oder die Inhaftierung in Wöllersdorf, verlieh auch weiterhin den Nimbus des politischen Märtyrers. In Salz332 MRP 897/15. 333 Ebd.

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»Kampf … mit rücksichtsloser Härte«

burg stellte sich Landeshauptmann Franz Rehrl gegen die von der Sicherheitsdirektion veranlasste Zusammenstellung von Putzscharen vor allem mit dem Argument, dass dies vor allem von Akademikern und ehemaligen Offizieren, die demonstrativ zu solchen Arbeiten mit all ihren Orden erschienen, als Anlass für die Demons­ tration ihrer angeblichen Entwürdigung und damit ihres politischen Märtyrerstatus diente. In der Sitzung des christlichsozialen Klubvorstandes am 5. Dezember wies der ehemalige Finanzminister Emanuel Weidenhoffer empört auf dieses Verhalten des Salzburger Landeshauptmannes hin, der auch behaupte, »sich nicht vom Sicherheitsdirektor tyrannisieren« zu lassen. Dies sei nun aber abgestellt worden.334 Da die ergriffenen Maßnahmen weder die nationalsozialistische Agitation noch die Böller- und Sprengstoffanschläge drastisch einzuschränken vermochten, unterbreitete Justizminister Kurt Schuschnigg in der Sitzung des Ministerrates am 10. November in einem Ministervortrag den Antrag auf Wiedereinführung der Todesstrafe im Wege des standrechtlichen Verfahrens nach den Bestimmungen der Strafprozess­ ordnung. Diese sehe im § 429 das standrechtliche Verfahren in Fällen des Aufruhrs vor. »Der Tatbestand des Aufruhrs sei gegeben, wenn eine Zusammenrottung mit gewaltsamen Mitteln kämpfe und zu deren Abwehr die normalen Machtmittel nicht mehr ausreichten, sondern mit besonderen Mitteln eingegriffen werden müsse. Nach § 430 der Strafprozessordnung könne das standrechtliche Verfahren weiters auch dann angeordnet werden, wenn in einzelnen oder mehreren Bezirken Mord, Raub, Brandlegung oder das im § 85 des Strafgesetzes vorgesehene Verbrechen der öffentlichen Gewalttätigkeit in besonders gefahrdrohender Weise um sich griffen. Das Erkenntnis über die Notwendigkeit der Anwendung des Standrechtes stehe in solchen Fällen dem Bundeskanzler vom Standpunkt seiner Ressortzuständigkeit als Minister des Inneren im Einverständnis mit dem Bundesminister für Justiz zu. Die Beurteilung, ob die Voraussetzung, dass die bezeichneten Verbrechen in besonders gefahrdrohender Weise um sich griffen, gegeben sei, bilde eine Angelegenheit des freien Ermessens der beiden Minister. … Im Falle der Verhängung des Standrechtes über das gesamte Bundesgebiet müssten … sämtliche Landes- und Kreisgerichte einen Standrechtssenat aus 4 Berufsrichtern aufstellen. § 437 der Strafprozessordnung schreibe als Regel vor, dass nur solche Personen vor das Standgericht gestellt werden, welche entweder auf der Tat ergriffen worden seien, oder hinsichtlich welcher sich mit Grund erwarten lasse, es werde der Beweis der Schuld gegen sie ohne Verzug hergestellt werden können. Schwer Erkrankte und Schwangere dürfen nicht vor das Schwurgericht gestellt werden. … Werde der Beschuldigte einstimmig für schuldig erklärt, so habe das Standgericht sogleich auf die Todesstrafe zu erkennen. Gegen die Urteile des Standgerichtes finde nach § 445 der Strafprozessordnung kein

334 Goldinger (Hg.)  : Protokolle. S. 308.

Der Terror der illegalen NSDAP

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Rechtsmittel statt und ein dagegen von wem immer eingebrachtes Gnadengesuch habe nie eine aufschiebende Wirkung.«335 Wie die Verhältnisse in Österreich lägen, sei die Notwendigkeit gegeben, das Standrecht für das gesamte Bundesgebiet zu verhängen. Nach seiner Auffassung »werde die Bundesregierung durch die Kette von Gewalttaten seit dem Monat Mai des heurigen Jahres immer mehr in eine Situation gedrängt, die dazu nötige, zu dem letzten Auskunftsmittel des Standrechtes zu greifen.« Man habe diese Möglichkeit bereits im Juni diskutiert, sie jedoch mit Rücksicht auf den Fremdenverkehr nicht ergriffen. Nach einer kurzen Pause habe nunmehr die Terrorwelle wiederum eingesetzt. »Es lägen verlässliche Informationen darüber vor, dass diese Gewaltakte auch in der nächsten Zeit ihre Fortsetzung finden sollten. Tatsächlich habe fast jeder Tag einen neuen Sprengstoffanschlag oder mindestens die Aufdeckung neuer Attentatspläne durch die Sicherheitsbehörden gebracht, die alle untereinander in Zusammenhang stünden, weshalb mit vollem Recht davon gesprochen werden könne, dass diese Verbrechen in besonders gefahrbedrohender Weise um sich griffen.« Es sei dabei zu bedenken, dass mit besonders hohem Schaden verbundene Gewaltanwendung gegen Infrastruktur-Einrichtungen wie Eisenbahnen, Brücken, Wasserkraftwerke, Stromleitungen usw. deutlich zugenommen hätten. Da solche Anschläge jedoch bisher mit nur einem geringen Strafmaß geahndet worden seien, »sehe niemand mehr ein besonderes Risiko, solche Verbrechen zu begehen.« Angesichts der Zunahme dieser Delikte sei er jedoch der Auffassung, dass diese auf Grund ihrer erheblichen Folgen auch »in eine allfällige Verhängung des Standrechtes einzubeziehen wären.«336 Vizekanzler Emil Fey pflichtete Schuschnigg bei und betonte, dass sich in jüngster Zeit »eine ungeheure Belebung der staatsfeindlichen Tätigkeit, nicht nur von Seite der Nationalsozialisten, sondern insbesondere auch von Seite der Sozialdemokraten und der Kommunisten« zeige. »In der Sozialdemokratischen Partei habe sich innerlich eine Spaltung vollzogen und die radikale Richtung, die mit den Kommunisten gemeinsame Sache mache und für die Anwendung kommunistischer Kampfmethoden eintreten, habe die Oberhand gewonnen. Der gemäßigte Flügel der Sozialdemokratischen Partei könne sich, wenn dies nach außen auch noch nicht in Erscheinung trete, der radikalen Gruppe gegenüber nicht mehr durchsetzen.« Die Bundesregierung müsse angesichts der sich zuspitzenden Lage »ihre Abwehrmaßnahmen rechtzeitig treffen und dürfe nicht erst den Eintritt eines Unglücks abwarten, nicht so sehr aus Sorge um die Sicherheit von Einzelpersonen, sondern aus Rücksicht für die Gesamtheit, weil die Tendenz dahin gehe, Attentate zu veranstalten, gleichgültig welche Zahl an Menschenleben dabei zugrunde gehe.«337 Der Ministerrat beschloss 335 MRP 906/11. 336 Ebd. 337 Ebd.

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»Kampf … mit rücksichtsloser Härte«

die Einführung des standrechtlichen Verfahrens und die Einführung der Todesstrafe im Rahmen dieses Verfahrens.

4.1 Direkte Gespräche    ? Mit dem Verbot der NSDAP sowie den folgenden legistischen Maßnahmen, der Ausweisung bzw. Flucht ihrer Führungskader aus Österreich, der Flucht zahlreicher NSDAP-Mitglieder und Sympathisanten nach Bayern wurde deutlich, dass die Regierung Dollfuß nicht bereit war, ihr in Verhandlungen die angestrebte Position einzuräumen, die bereits mittelfristig eine Gleichschaltung mit der Entwicklung im Deutschen Reich gewährleistet und damit die These Hitlers von den deutsch-österreichischen Beziehungen als rein innerdeutscher Angelegenheit bestätigt hätte. Als Reaktion darauf war die österreichische Politik verstärkt bemüht, den Konflikt auf die internationale Ebene zu übertragen, wobei man vor allem auf die Rückendeckung von Paris und Rom hoffte. Andererseits musste ein anhaltendes aggressives Vorgehen des Deutschen Reiches gegenüber Österreich dessen große revisionistische außen- und sicherheitspolitische Konzeptionen belasten oder sogar existenziell gefährden. Die wurde auf der Londoner Weltwirtschaftskonferenz im Juni und der Jahresversammlung des Völkerbundes Ende September 1933 in Genf deutlich. Am 10. Juni 1933 reiste Dollfuß in Begleitung von Finanzminister Karl Buresch und Sektionschef Richard Schüller zur Weltwirtschaftskonferenz nach London, bei der er einen großen außenpolitischen und Prestigeerfolg verbuchen konnte. Der öster­reichische Bundeskanzler wurde von den anwesenden Staatsmännern und von der gesamten Weltpresse, besonders von der britischen, als mutiger David gefeiert, der sich dem deutschen Goliath unerschrocken entgegenstelle. Und Dollfuß plädierte im Bewusstsein über die Notwendigkeit der Ankurbelung des österreichischen Exports zur Behebung der dramatischen Folgen der Wirtschaftskrise für eine stärkere wirtschafts- und handelspolitische Kooperation der europäischen Staaten. Ihm gelang auch die Einigung über den Rückzahlungsmodus der österreichischen Schulden aus früheren Anleihen und er machte damit den Weg frei für die Begebung der Lausanner Anleihe. Die politischen Intentionen der österreichischen Delegation standen jedoch beim London-Besuch im Vordergrund und dabei war Dollfuß, trotz aller demonstrativen Sympathiebeweise der britischen Regierung, nur eingeschränkt erfolgreich. Denn London weigerte sich, zur Sicherung der Unabhängigkeit Österreichs massive diplomatische Interventionen in Berlin zu unternehmen, geschwiege denn eine auch militärische Garantieerklärung abzugeben. Stattdessen entschied man sich für den problemlosen und internationale Verwicklungen vermeidenden Weg der Pressekampagne zugunsten Österreichs. Die generell österreichfreundliche Stimmung in London endete bei konkreten politischen und vor allem

Direkte Gespräche  ?

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auch militärischen Erklärungen.338 Dollfuß, der in Wien äußerst positiv von seiner London-Reise berichtete, erkannte dies sehr wohl und zog daraus seine politischen Schlussfolgerungen. Im Konflikt mit Berlin war von Großbritannien – außer symbolischen Gesten der Sympathie – keine Unterstützung zu erwarten. Dieses Szenario wiederholte sich bei der Abrüstungskonferenz des Völkerbundes anlässlich seiner Jahresversammlung in Genf am 25. September. Seit dem 2. Februar tagte in Genf eine Abrüstungskonferenz mit dem Ziel, die militärische Gleichberechtigung Deutschlands zu gestatten. Frankreich sah jedoch die Formationen von SA, SS und Stahlhelm im Laufe der Tagung als militärisches Potential und lehnte Zugeständnisse an Deutschland ab, wodurch die Abrüstungskonferenz ins Stocken geriet.339 Am 25. September wurde die ins Stocken geratene Abrüstungskonferenz durch die jährliche Versammlung des Völkerbundes unterbrochen, zu der Goebbels auf Vorschlag des deutschen Außenminister Konstantin von Neurath anreiste, um den im Ausland vor allem auch auf Grund der einsetzenden Judenpolitik negativen Eindruck des NS-Regimes durch eine Propagandaoffensive zu korrigieren. Zudem befand sich das nationalsozialistische Deutschland in einer außenpolitischen Isolation, aus der es befreit werden sollte.340 Goebbels notierte am 25. September in sein Tagebuch, seine Ankunft in Genf sei »die große Sensation« und er sei mit Außenminister Neurath zur Tagung des Völkerbundes gefahren. »Deprimierend. Eine Totenversammlung. Parlamentarismus der Nationen. Nur interessant, die Menschen zu sehen. Sir John 338 Beer  : Der »unmoralische« Anschluss. S. 203 ff. 339 Als im Oktober 1933 die Wiederaufnahme der Genfer Abrüstungskonferenz anstand, vollzog Hitler in Absprache mit Reichswehrminister Werner von Blomberg und Staatssekretär Bernhard Wilhelm von Bülow zum Erstaunen von Goebbels eine radikale politische Kehrtwende. Am 11. Oktober teilte er Goebbels mit, dass Deutschland aus allen internationalen Organisationen ausscheiden werde, die ihm die Gleichberechtigung verweigerten, somit auch aus dem Völkerbund. Er werde seine Entscheidung mit einer Friedensbotschaft bekanntgeben und diese plebiszitär durch Wahlen zum Reichstag absichern lassen. Am 14. Oktober 1933 verließ Deutschland den Völkerbund. Goebbels wurde bewusst, dass seine Entsendung nach Genf ein Täuschungsmanöver war, um die internationale Staatengemeinschaft von der angeblichen Friedfertigkeit des neuen Regimes zu überzeugen. Dass Goebbels in Genf nur eine Blender-Rolle spielte, war ihm nicht bewusst. Am 12. Oktober 1933 erklärte Hitler dem italienischen Botschafter in Berlin, Vittorio Cerruti, gegenüber, der ihm einen Plan Mussolinis einer graduellen Wiederaufrüstung als Vermittlungsvorschlag unterbreitet hatte, er wünsche sich das endgültige Scheitern der Abrüstungskonferenz, damit »Deutschland vom Versailler Vertrag endlich befreit« sei. Cerruti schrieb ernüchtert in seinem Bericht zu Weihnachten 1933 an Mussolini über die neue deutsche Außenpolitik  : »Der neue Geist des Reiches …, während er gegen die Unterwerfung unter das Diktat von Versailles rebelliert, strebt nichts anderes an als die Durchsetzung neuer Diktate von deutscher Seite, denen sich die anderen Staaten unterwerfen müssen, wenn sie sich nicht den deutschen Zorn zuziehen wollen. … Glücklich jene Staaten, denen gegenüber sich Deutschland nachgiebig zeigt, aber unglücklich diejenigen, auf die sich dessen Wut richtet.« (Falanga  : Mussolinis Vorposten in Hitlers Reich. S. 41.) 340 Peter Longerich  : Joseph Goebbels. Biographie. – München 2010. S. 246 f.

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»Kampf … mit rücksichtsloser Härte«

Simon, englischer Außenminister. Hoch und imposant. Aber ein … Paul Boncour  : übler Poseur, Franzose und Literat. Kein Kerl. Dollfuß  : ein Zwerg, ein Geck, ein Schlawiner.«341 Zwei Tage später notierte er, er habe am Vortag ein Gespräch mit dem italienischen Unterstaatssekretär Fulvio Suvich geführt. Es sei nur zu offensichtlich, dass Italien, das Land des »sacro egoismo«, Deutschland zwar stark, »aber nicht zu stark« haben wolle. »In der österreichischen Frage ganz gegen uns. Ich möchte mich gerne mit Dollfuß besprechen. Er scheint noch mürbe zu sein. Suvich ist unser Gegner. Er versucht das zu kaschieren. … Aber ich lasse mich nicht täuschen.« Am 27. September traf er den aus Paris eintreffenden ungarischen Außenminister Kálmán Baron von Kánya, der eine erwünschte Lösung der österreichischen Frage ansprach. Er beabsichtige, den deutschen Außenminister Konstantin von Neurath mit dem österreichischen Bundeskanzler zusammenzubringen. Bei diesem Gespräch könnte die Lage sondiert werden. »Dann könnte endlich auch ich mit ihm reden, vorausgesetzt, dass er mürbe ist.« Aus der Tagebuchnotiz Goebbels wird jene Taktik deutlich, die Hitler später gegenüber Kurt Schuschnigg auf dem Obersalzberg anwenden sollte. Der Gesprächspartner sollte durch eine breite Palette von Maßnahmen und Drohungen in die Defensive gedrängt und mürbe gemacht werden, um in einem direkten Gespräch zu Zugeständnissen gezwungen zu werden, die einer Kapitulation gleichkamen. Das von Goebbels in seinen Tagebuchnotizen erwähnte mögliche Gespräch zwischen Dollfuß und Neurath am Rande der Vollversammlung des Völkerbundes kam schließlich nicht zustande, da beide Gesprächspartner unterschiedliche Vorstellungen über den Charakter des Gespräches hatten und zudem Dollfuß mit dem Hinweis auf mögliche innenpolitische Schwierigkeiten – das Gespräch als Zeichen der Schwäche und Nachgiebigkeit – schließlich zurückzog.342 Am 28. September notierte Goebbels von der Versammlung des Völkerbundes, dass nach dem englischen Außenminister Simon, der »wie ein braver Advokat« gesprochen habe, Dollfuß seine Rede hielt. »Der kleine Moritz, der in die Weltpolitik verschlagen wird. … Applaus der ganzen Versammlung. Das heißt eigentlich Pfeifen gegen uns.« Am 29. September sichtlich enttäuscht  : »Dollfuß will nicht. Dann nicht. Er sitzt noch auf hohem Ross.«343 In seinen Erinnerungen bemerkte der damalige französische Botschafter in Berlin, François-Poncet  : »Von dem Wunsche erfüllt, sich selbst von der in Genf herrschenden Atmosphäre zu überzeugen, hatte Goebbels sich der deutschen Delegation beiordnen lassen. Die Versammlung hatte den Kanzler Dollfuß bei seinem Eintritt in den Saal mit langanhaltendem Beifall begrüßt. Dollfuß verteidigte damals mutig die Unabhängigkeit Österreichs gegen nationalso341 Reuth (Hg.)  : Goebbels Tagebücher. Bd. 2. S. 832. 342 ADÖ 9/1381. 343 Reuth (Hg.)  : Goebbels Tagebücher. Bd. 2. S. 833 ff.

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zialistische Umtriebe. Goebbels war mit Murren und Hohnlächeln empfangen worden. Der Propagandaminister hatte auch vor den ausländischen Journalisten, denen er das Dritte Reich als friedlich gesinnt darstellte, keinen Erfolg.«344 Die Ereignisse in Genf dokumentierten den Versuch des österreichischen Bundeskanzlers, durch direkte bilaterale Gespräche mit Berlin die Beilegung des Konfliktes mit Deutschland zu erreichen, ohne in Österreich mit den Nationalsozialisten paktieren oder gar koalieren zu müssen. Er versuchte deshalb Habicht durch direkte Verhandlungen mit den Spitzen der deutschen Reichsregierung und der deutschen NSDAP zu umgehen. So reiste am 30. Oktober Kurt Schuschnigg zu einem Geheimgespräch mit Rudolf Heß nach München. Der Grund der Reise war eine Information, dass mit Wissen Hitlers und maßgeblicher Kreise der deutschen NSDAP eine Aussprache mit einem Vertreter des österreichischen Bundeskanzlers vorbereitet worden sei, um die beiderseitigen Standpunkte abzuklären und die Grundlage für ein persönliches Gespräch des Bundeskanzlers mit dem deutschen Reichskanzler aufzubereiten. In München wurde Schuschnigg von Himmler empfangen und in die Villa von Rudolf Heß begleitet, wo er allerdings bald feststellen musste, »dass die Voraussetzungen der Reise nicht zutreffend waren.« Hitler hatte von der Besprechung »überhaupt keine Kenntnis« und auch dessen Stellvertreter »zeigte sich über den Zeitpunkt« des Erscheinens des österreichischen Justizministers »erstaunt«. Entgegen der Annahme von Dollfuß und Schuschnigg wurde bald klar, dass Theo Habicht »von der Besprechung wusste und dass ohne sein Dazutun ein Ergebnis von vornherein nicht zu erwarten war.«345 Die beiden Gesprächspartner legten in ihrer einstündigen Unterredung die bekannten Standpunkte dar. Am 30. November und 1. Dezember erfolgte ein neuerlicher Anlauf während eines inoffiziellen Berlinaufenthaltes von Theodor Hornbostel und Prinz Max Egon von Hohenlohe. Beide hatten das Verhandlungsmandat, eine persönliche Aussprache zwischen Hitler und Dollfuß zu arrangieren. Unmittelbarer Anlass der Reise war ein Grenzzwischenfall auf der Tiroler Eggenalp, bei dem aus Versehen ein Mitglied der Heimwehr einen Reichswehrsoldaten erschossen hatte. Hornbostel und Hohenlohe trafen Rudolf Heß zweimal, wobei Heß bei der zweiten Besprechung am 1. Dezember eine offensichtlich von Habicht verfasste insgesamt sechs Punkte umfassende Punktation, angeblich im Auftrag Hitlers, vorlegte. Die Punktation enthielt Positionen, die von den österreichischen Gesprächspartnern nur als Affront interpretiert werden konnten. So etwa die Bemerkung, man müsse wissen, »in wessen Namen Bundeskanzler Dollfuß zu sprechen beabsichtige«, oder den Passus, »dass der Konflikt zwischen den beiden Regierungen nicht primär ist, sondern erst die Folge der Verfolgung der NSDAP in Österreich durch die Bundesregierung.« Au344 François-Poncet  : Als Botschafter im »Dritten Reich«. S. 174 f. 345 Schuschnigg  : Dreimal Österreich. S. 243 f.

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ßerdem müsse festgestellt werden, dass trotz der seitens der österreichischen Bundesregierung geäußerten Absicht der Entspannung des bilateralen Verhältnisses die Verfolgung der NSDAP in Österreich weitergehe. Ohne eine Klärung der in der Punktation aufgezählten Problemfelder sei an eine Befassung des Reichskanzlers mit der Angelegenheit nicht zu denken. Hornbostel erwiderte, dass diese Punktation inakzeptabel sei und der österreichische Bundeskanzler diese als »parteipolitische Einmischung in innere österreichische Angelegenheiten« betrachte, weshalb er sie als Voraussetzung für ein Gespräch mit Hitler nicht akzeptieren könne. Das Treffen mit Hess und dessen Stab wurde ergebnislos abgebrochen. In seinen Schlussfolgerungen bemerkte Hornbostel  : »Die Führung in der österreichischen Frage wird von Hitler ohne Zweifel noch immer Habicht überlassen.« Zudem müsse »das allzu arge ›Fuhrwerken‹ über die Grenze im Sinne einer Entspannung, das ohne Zweifel in letzter Zeit stark überhandgenommen und die oberste Leiter der NSDAP zu der Auffassung geführt hat, die Bundesregierung ›pfeife auf dem letzten Loch‹, … sogleich aufhören. So hat z. B. Hess in unserer Diskussion auch auf dieses Faktum (die vielseitigen Vermittlungsversuche) als Indizium für die schwache Position des Herrn Bundeskanzlers hingewiesen.«346 Hornbostel bezog sich bei seiner Anspielung auf das vielfache »Fuhrwerken« auf die – teilweise mit Wissen von Dollfuß – stattfindenden zahlreichen Kontaktaufnahmen mit der NSDAP zur Beruhigung der innenpolitischen Szene. Diese Kontaktaufnahmen waren von einer Vielzahl von Motiven bestimmt, die ihre jeweilige Begründung in der komplexen innenpolitischen Situation hatten. Nur zwei seien auf Grund ihrer temporären Bedeutung hier kurz erwähnt. Der großdeutsche oberösterreichische Landesrat Franz Langoth, dessen Partei seit Mai 1933 in einer Kampfgemeinschaft unter dem Titel »Nationale Kampffront« mit der NSDAP und dem Steirischen Heimatschutz verbündet war, stand, ähnlich wie Hermann Foppa, der Obmann der Großdeutschen Volkpartei, der terroristischen Taktik der NSDAP ablehnend gegenüber. Diese sei kein geeignetes Mittel, die Regierung Dollfuß in die Knie zu zwingen, weshalb es erheblich klüger sei, eine Verhandlungslösung mit dem Ziel einer Regierungsbeteiligung anzustreben. Der Beginn der durch Langoth und Foppa geführten Verständigungsverhandlungen mit den Nationalsozialisten ist nicht genau rekonstruierbar, da dafür nur die Erinnerungen von Langoth zur Verfügung stehen, der behauptete, er sei zusammen mit Foppa von Dollfuß beauftragt worden, im Herbst 1933 in München entsprechende Gespräche zu führen. Bevor sich beide großdeutsche Politiker zu diesem Schritt entschlossen, hätten sie Gespräche mit den Landbundpolitikern Franz Winkler und Franz Bachinger, dem oberösterreichischen christlichsozialen Landesrat Ernst Hirsch, dem aus 346 ADÖ 9/1390  ; vgl. dazu auch Christian Dörner, Barbara Dörner-Fazeny  : Theodor Hornbostel 1889– 1973. Wien/Köln/Weimar 2006. S. 64 ff.

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Oberösterreich stammenden Staatsekretär Heinrich Gleißner und dem Obmann der oberösterreichischen Sozialdemokraten, Josef Gruber, geführt, ehe sie am 27. September in Margarethenbad bei Prachatitz in der Tschechoslowakei zu einer Unterredung mit Theo Habicht zusammengetroffen seien.347 Dabei nannte Habicht fünf Punkte als Grundlage einer eventuellen Verständigung  : 1. Ausschaltung der Heimwehr, 2. Neubildung der Regierung aus Vertretern der Christlichsozialen Partei und der Nationalen Kampffront, wobei dieser auf alle Fälle die Positionen des Vizekanzlers, des Innen- und Sicherheitsressorts übertragen werden müsse, 3. Aufhebung aller Zwangsmaßnahmen gegen die NASDAP, Erlassung einer allgemeinen Amnestie und Inangriffnahme von Wiedergutmachungsmaßnahmen, 4. der Wahltermin sei eine Frage von Verhandlungen und 5. die Selbständigkeit der österreichischen NSDAP von der deutschen Partei habe immer bestanden und werde auch weiterhin bestehen.348 Die von Habicht genannten fünf Punkte, auch wenn sich dieser in der Frage des Wahltermines flexibel und kompromissbereit zeigte und die von Dollfuß stets gefor­ derte Selbständigkeit der österreichischen NSDAP betonte, liefen auf eine Kapitulation der Regierung Dollfuß hinaus. Über Vermittlung Gleißners berichteten Langoth und Foppa am 13. Oktober Dollfuß. Der Bundeskanzler betonte bei diesem Gespräch, dass er vor allem eine außenpolitische Verständigung mit Deutschland anstrebe, die jedoch, dessen war er sich bewusst, nur über eine Beilegung des innenpolitischen Konfliktes mit der NSDAP zu erreichen war. Der Ansprechpartner dafür war jedoch im Augenblick, dessen wurde sich Dollfuß auf Grund der eindeutigen Erklärungen Berlins immer mehr bewusst, ausschließlich Theo Habicht, dem Hitler offensichtlich eine Generalvollmacht gegeben hatte. Wenngleich er nochmals über die inoffizielle Mission von Theodor Hornbostel und Prinz Max Hohenlohe in Berlin den Versuch unternahm, den deutsch-österreichischen Gegensatz in einem direkten Gespräch mit Hitler zu lösen, so wollte er als Alternative die Verbindung mit Habicht nicht unterbrechen. Langoth und Foppa trafen Habicht neuerlich am 20. Oktober in München, wobei u. a. festgehalten wurde, dass »Verhandlungen nur über Habicht möglich« seien. »Die Befriedung und Entspannung kann nur auf innenpolitischem Wege geschehen. Die außenpolitischen Konsequenzen zwischen Österreich und Deutschlands sind nach Herstellung des inneren Friedens eine zwangsläufige Konsequenz. Hitler wird jede Initiative in der österreichischen Frage ablehnen, solange keine Bereinigung der österreichischen Innenpolitik erfolgt. … Die abschließenden Verhandlungen kön347 Langoth  : Kampf um Österreich. S. 106 ff. 348 Ebd. S. 123 f.

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nen nur mit Habicht selbst durch Dollfuß oder einen Bevollmächtigten getroffen werden.«349 Am 25. Oktober berichteten Langoth und Foppa neuerlich Dollfuß von der Unterredung mit Habicht in München, wobei in der anschließenden Diskussion deutlich wurde, dass sowohl die deutsche wie auch die österreichische NSDAP die Entspannung der bilateralen Beziehungen nur als Ergebnis der geforderten innenpolitischen Konzessionen betrachtete, die jedoch Dollfuß zu hoch waren. Am 4. November ließ Dollfuß über Staatssekretär Gleißner Langoth und Foppa mitteilen, dass er Verhandlungen mit der Landesleitung in München ablehne. Am 13. November teilte Gleißner den beiden großdeutschen Politikern mit, dass für Dollfuß direkte Verhandlungen mit Habicht indiskutabel seien. Die Frage nach dem Motiv des Schwenks des österreichischen Bundeskanzlers, dem Hornbostel in seinem Bericht über seine Berliner Reise am 30. November und 1. Dezember versichert hatte, dass ohne Habicht offensichtlich keine Verhandlungen zu führen seien, ist mit der starken Rückendeckung Italiens und dem Vertrauen in das internationale Ansehen Österreichs und die internationale Solidarität vor allem nach dem Ausscheiden Deutschlands aus den Abrüstungsverhandlungen und dem Völkerbund Mitte Oktober zu sehen. In seinen Erinnerungen erwähnt Franz Lan­ goth eine Unterredung mit Franz Hueber, dem Schwager Görings, der von einer Aussprache mit amerikanischen Journalisten berichtete, die »die ganze österreichische Frage als eine internationale Frage ersten Ranges« bezeichneten. »Durch die ganze Entwicklung des Kampfes sei sie zu einer derartigen Angelegenheit geworden, die daher heute auch nur mehr auf internationalem Wege gelöst werden könne. Alle Ausgleichsverhandlungen zwischen den Großmächten zur Befriedung Europas werden der österreichischen Frage ein Hauptaugenmerk widmen. Man sei in Amerika vollkommen davon überzeugt, dass das mit der Gleichschaltung kein Schlagwort, sondern dass es die ernste Absicht Deutschlands sei, Österreich einzuverleiben. Dieser Meinung begegne man im ganzen Auslande einmütig.«350 Der amerikanische Gesandtschaftsbericht vom 29. Dezember 1933 über die politische Lage in Österreich bemerkte, dass sich das Land auf der internationalen Ebene, mit Ausnahme Deutschlands, auf Grund der Politik von Bundeskanzler Dollfuß großer Sympathie erfreue. »Der größte Erfolg … war das erfolgreiche Streben, die Unabhängigkeit zu bewahren und damit wahrscheinlich den Frieden Europas.«351 Italien versicherte sowohl durch seinen Unterstaatssekretär Fulvio Suvich bei dessen Besuch in Berlin im Dezember gegenüber Hitler wie auch gegenüber Göring 349 Ebd. S. 136. 350 Langoth  : Kampf um Österreich. S. 151 f. 351 Franz Goldinger  : Dollfuß im Spiegel der US-Akten. Aus den Archiven des Secretary of State, Washington – bisher unveröffentlichte Berichte der US-Botschaften Wien – Berlin – Rom – London – Paris – Prag. – St. Pölten 1979. S. 77.

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bei dessen Rom-Besuch im November seine Solidarität mit Österreich und Mussolini betonte in einem Gespräch mit dem österreichischen Gesandten in Rom, Anton Rintelen, dass sich Dollfuß »vollständig« auf ihn verlassen könne und nicht den »geringsten Grund habe, beunruhigt zu sein  !«352 Am 14. November erklärte Habicht bei dessen Treffen mit Langoth und Foppa in München auf die Frage Langoths nach der Einstellung Mussolinis zu einer Verständigung der Regierung mit den Nationalsozialisten in Österreich  : »Mussolini ist eine Verständigung der österreichischen Regierung mit den Nationalsozialisten nicht erwünscht, … weil er Wert darauf legt, dass in Österreich eine andere Richtung als in Deutschland herrsche. Er will nicht, dass Deutschland an den Brenner reiche …«353 Und Franz Hueber, Notar in Mattsee und Schwager Hermann Görings, bemerkte am 25. November in einem Gespräch mit Langoth und Foppa im Salzburger Bahnhofsrestaurant über eine zweistündige Aussprache mit Göring in München am 14. November, er habe dabei aus den Schilderungen seines Schwagers den Eindruck gewonnen, »dass Italien in der österreichischen Frage unnachgiebig sei.«354 Italien sah sich zwar als Schutzmacht Österreichs gegenüber einem expansionistischen nationalsozialistischen Deutschland, doch wies Mussolini gegenüber dem österreichischen Gesandten in Rom, Anton Rintelen, am 20. Dezember 1933 darauf hin, dass Italien an einer Bereinigung des österreichisch-deutschen Konfliktes größtes Interesse habe und alle entsprechenden Schritte fördern werde.355 Dollfuß war auch bereit, einen solchen Schritt zu tun, bestand jedoch auf der diplomatischen Ebene, d. h. dem direkten Gespräch zwischen Bevollmächtigten der jeweiligen Regierungen, am liebsten zwischen Hitler und ihm. Dieser Weg schien allerdings, wie die verschiedenen inoffiziellen Kontaktaufnahmen mit den Spitzen der deutschen Reichsregierung und der deutschen NSDAP einerseits sowie der großdeutschen Politiker Langoth und Foppa mit Habicht zeigten, versperrt, da Hitler jeden Kontakt mit österreichischen Emissären vermied und lediglich ausrichten ließ, dass ein deutsch-österreichischer Ausgleich nur über den Landesinspekteur der österreichischen NSDAP, Theo Habicht, zustande kommen könne. Bewegung kam in die festgefahrenen Fronten, als der österreichische Gesandte in Berlin, Stephan Tauschitz, im Dezember 1933 nach Wien berichtete, Reichsinnenminister Hans Frick habe ihm anlässlich eines Gespräches empfohlen, mit Theo Habicht in Verbindung zu treten. Im Namen des Bundeskanzlers schrieb der Generalsekretär des Außenamtes und Befürworter eines Ausgleichsversuches, Franz von Peter, am 27. Dezember an Tauschitz, Dollfuß sei in seinem Bestreben, »dem un352 ADÖ 9/1394. 353 Langoth  : Kampf um Österreich. S. 147. 354 Ebd. S. 151. 355 ADÖ 9/1394 A.

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natürlichen Zustande zwischen den beiden Staaten ein Ende zu setzen, und trotz seiner begreiflichen Bedenken, mit Habicht angesichts dessen früherer innenpolitischer Rolle in Österreich und dessen fortgesetzter maßloser Propagandatätigkeit in persönliche Berührung zu treten«, zu einem solchen Schritt bereit. Voraussetzung sei allerdings, dass »eine solche Aussprache mit Wissen, Willen und Ermächtigung durch Herrn Hitler stattfinden würde … Unserer Überzeugung nach erscheint es nunmehr endlich an der Zeit, die Versuche, die zur Wiederherstellung normaler guter Beziehungen mit dem Deutschen Reiche unternommen werden, von dem bisherigen Wege der Vermittlung durch private Personen auf den diplomatischen Weg zu leiten.«356 Um sicher zu sein, dass Habicht im Auftrag Hitlers handle und damit ein diplomatischer Weg bei diesem Gespräch beschritten werde, sollte sich Tau­schitz noch mit Reichsaußenminister Konstantin von Neurath in Verbindung setzen und versuchen, eine Auskunft darüber zu erhalten, ob Habicht für ein solches Gespräch vom Reichskanzler ermächtigt wurde. Am 2. Jänner 1934 berichtete ­Tauschitz über ein Gespräch mit Reichsaußenminister Neurath beim Neujahrsempfang des Reichspräsidenten. Dabei habe ihm der Reichaußenminister erklärt, dass er zur Frage, »ob eine … Aussprache Dr. Dollfuß-Habicht mit Wissen, Willen und Ermächtigung durch den Reichskanzler stattfinden könnte, er schon aus eigenem sagen könne, dass dies höchstwahrscheinlich der Fall sein werde, da der Reichskanzler sich in der öster­reichischen Frage sämtliche Entscheidungen vorbehalten habe und nun auf dem Standpunkt stünde, dass er zwar als Reichskanzler in dieser Angelegenheit nicht selbst sich einmengen und sie führen könne, dass er aber hiermit seinen Parteigenossen Habicht betraut habe, der nach wie vor in der österreichischen Frage sein absoluter Vertrauensmann sei.« Neurath habe versprochen, um sich seiner Aussage zu vergewissern, noch am selben Tag mit Hitler zu sprechen und sofort telefonisch Bescheid zu geben. Neurath rief vereinbarungsgemäß nach dem Gespräch mit Hitler an und erklärte  : ›Die Aussprache, die Habicht mit Dr. Dollfuß wünscht, würde mit Wissen, Willen und Ermächtigung des Reichskanzlers erfolgen.‹«357 Damit war der Weg frei für das Gespräch, das für 8. Jänner 1934 bei Finanzminister Karl Buresch in Großenzersdorf in unmittelbarer Nähe des Flughafens Aspern terminisiert wurde. Am 7. Jänner um 21.30 Uhr lud Dollfuß Handelsminister Fritz Stockinger, Sozialminister Odo Neustädter-Stürmer, Vizekanzler Emil Fey und Ernst Rüdiger Starhemberg, den Bundesführer des Heimatschutzes, zu einer Besprechung in seine Wohnung in der Stallburggasse. Er eröffnete das Gespräch mit der Bemerkung, dass er die Begegnung am folgenden Tag gerne vermeiden möchte, jedoch im Interesse eines Ausgleiches mit dem Deutschen Reich für notwendig erachte. Anschließend informierte er seine Gesprächspartner über die geheimen Verhandlungen 356 ADÖ 9/1396. 357 ADÖ 9/1397.

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und das bevorstehende Treffen mit Habicht. Er werde bei diesem Treffen keinen Abstrich von der völligen staatlichen Unabhängigkeit Österreichs und der österreichischen Bundesregierung machen. In seinen Memoiren berichtet Starhemberg, er habe, nachdem der Bundeskanzler seine Ausführungen beendet und die Anwesenden um ihre Meinung gebeten hatte, sofort geantwortet  : »Das ist ein Wahnsinn und ist vollkommen unmöglich. Du darfst unter keinen Umständen mit Habicht verhandeln. Es ist mit Deiner Würde als österreichischer Bundeskanzler unvereinbar, dass Du Dich mit diesem minderwertigen Subjekt, das Du selbst voriges Jahr ausgewiesen hast, an einen Tisch setzt. Ich finde es geradezu als eine Unverschämtheit Hitlers, Dir zuzumuten, mit Habicht zu verhandeln.«358 Während Stockinger und Neustädter-Stürmer Starhemberg beipflichteten, schwieg Fey. Dollfuß verteidigte sein Vorhaben mit der Bemerkung, es komme letztlich auf das Ergebnis des Gespräches an, worauf Starhemberg emotional betonte, dass ein solches Gespräch mit einem Terroristen den österreichischen Bundeskanzler im In- und Ausland desavouiere. Wenn Hitler es ehrlich meine, müsste er eine einwandfreie Persönlichkeit zu einer solchen Aussprache schicken. Falls Dollfuß bei seiner Meinung bleibe, würden sich ihre Wege trennen. Das auch in der historischen Literatur wiedergegebene Gerücht, Starhemberg habe sogar mit einem Putsch gedroht,359 lässt sich nicht verifizieren. Es waren jedoch der massive Widerstand Starhembergs und dessen Hinweis auf die auch international bedenklichen Folgen eines solchen Treffens, die von Stockinger geteilt wurden und die Dollfuß schließlich zu einem Rückzieher veranlassten. Habicht wurde in letzter Minute wieder ausgeladen und musste in Hitlers Privatmaschine, die sich bereits über Melk befand, den Rückweg nach Berlin antreten360. Als offizielle Begründung der Absage wurde der zur Jahreswende 1933/34 an Intensität zunehmende nationalsozialistische Terror, der von Deutschland aus unterstützt werde, genannt. In der Sitzung des Ministerrates am 23. Jänner 1934 erklärte Dollfuß die Genesis des geplanten Gespräches und das Motiv für dessen Absage in letzter Minute. Seit Jahresbeginn 1934 sei »eine Terrorwelle losgegangen wie noch nie, von der man habe zweifellos annehmen müssen, dass sie mit Wissen von Habicht in die Wege geleitet worden sei  ; denn man habe aus den früheren Fällen die Erfahrung geschöpft, dass alle Aktionen der Nationalsozialisten in Österreich mit Wissen Habichts vor sich gingen. Es sei sohin außer Zweifel gestanden, dass man die österreichische Regierung mit der neuerlich eingeleiteten Aktion habe unter Druck setzen wollen und man habe sohin auch nicht glauben können, dass die in Aussicht genommene Zusammenkunft zu einer loyalen Bereinigung führen würde. Gleichzeitig seien auch noch andere Nachrichten vorgelegen, die nicht als Beweis des loyalen 358 Ernst Rüdiger Starhemberg  : Memoiren. Wien/München 1971. S. 155. 359 Höbelt  : Die Heimwehren und die österreichische Politik 1927–1936. S. 300. 360 ADÖ 9/1398.

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Verhaltens von Seiten der maßgebenden reichsdeutschen Kreise zu werten gewesen seien.« Er habe daher »im letzten Moment erklärt, dass er mit Rücksicht auf die vorgekommenen Terrorakte eine Besprechung zurzeit nicht für zweckmäßig halte und daher auch nicht in der Lage sei, eine solche Zusammenkunft abzuhalten.«361 Der Bericht der amerikanischen Gesandtschaft in Wien vom 9. Jänner 1934 kommentierte das Ereignis mit der Bemerkung, dass die Regierung nach einer experimentellen Phase der Politik der Mitte gegenüber den Nationalsozialisten nunmehr eine Kehrtwende vollzogen habe. Der Bundeskanzler habe jenen Regierungskreisen nachgegeben, die darauf bestanden, dem Terror der Nationalsozialisten mit Gewalt entgegenzutreten, da alle politischen Methoden vergeblich waren.362 Bei der Besprechung in den Abendstunden des 7. Jänner 1934 in der Wohnung des Bundeskanzlers äußerte sich der anwesende Vizekanzler Emil Fey kaum und wenn, dann zeigte er Verständnis für die Haltung von Dollfuß. Dies vor allem deshalb, weil Fey seit Anfang Oktober 1933 über Mittelsmänner wie den niederösterreichischen Heimwehrführer Graf Albert Alberti Geheimverhandlungen mit der österreichischen NSDAP, vertreten durch den ehemaligen Wiener Gauleiter ­Alfred Eduard Frauenfeld und den ehemaligen Bundesrat und Stellvertreter Habichts, Franz Schattenfroh, führte. Die Beziehung zwischen den Heimwehren und der NSDAP war nicht nur kompliziert, sondern auch verworren und kann hier nur in groben Zügen skizziert werden. Im Mai 1933 hatte Theo Habicht Engelbert Dollfuß noch eine Koalition mit der NSDAP bei gleichzeitigem Ausscheiden des Heimatblockes und des Landbundes aus der Regierung angeboten. Eine christlichsozial-nationalsozialistische Koalitionsregierung hätte das politische Ende sowohl der Heimwehren wie des Landbundes und der Großdeutschen Volkspartei bedeutet. Dollfuß und die Christlichsozialen entschlossen sich für ihre bisherigen Koalitionspartner und lehnten das Angebot Habichts aus prinzipiellen Gründen ab, womit man sich für eine doppelte Frontstellung gegen die Sozialdemokratie und die NSDAP entschloss. Mit sichtlichem Widerwillen war der demokratische Flügel der Christlichsozialen bereit, sich mit den Heimwehren zu arrangieren, die zudem durch den von Dollfuß in der Folgezeit eingeschlagenen italienischen Kurs durch die massive Unterstützung Mussolinis eine innenpolitische Aufwertung erfuhren. Die Heimwehren waren in sich jedoch in einen deutschnationalen und österreichischen Flügel gespalten. Während die deutschnational orientierten Heimwehren wie der Steirische Heimatschutz sukzessive in das Lager der NSDAP wechselten, verblieb der sich mit Unterstützung Mussolinis am faschistischen Modell orientierende österreichische Flügel im Regierungslager. Die schwankende Haltung von Dollfuß und der nach wie vor bestehende Einfluss des 361 MRP 917/2  ; ADÖ 9/1401. 362 Goldinger  : Dollfuß im Spiegel der US-Akten. S. 81.

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demokratischen Flügels der Christlichsozialen hielt die innen- und verfassungspolitische Entwicklung Österreichs im Laufe des Jahres 1933 in der Schwebe und löste bei den auf eine faschistische Lösung drängenden Heimwehren im Regierungslager Unruhe und Ungeduld aus. Diese regierungsinternen Spannungen dokumentierten sich in den immer wieder auftauchenden Gerüchten um einen Heimwehr-Putsch. Bei der Besprechung des im Auftrag Feys entsandten Alberti mit seinen beiden nationalsozialistischen Gesprächspartnern am 5. Oktober schlug der niederösterreichische Heimwehführer die Neubildung der Bundesregierung auf der Basis einer Koalition von Heimwehr und NSDAP unter Leitung einer Persönlichkeit, die keiner der beiden Bewegung angehörte, vor. Aufgabe der neuen Koalitionsregierung aus Heimwehr und NSDAP sollte es sein, die Errichtung eines faschistischen Staatswesens durchzuführen. Details könnten, so Alberti, in einem persönlichen Gespräch zwischen Fey und Habicht geklärt werden.363 Besonderen Unmut erregte die noch nicht klare Struktur und Position der Vaterländischen Front und die Rolle der Christlichsozialen Partei, deren führende Vertreter davon ausgingen, dass die neue Sammelbewegung sich um den Kern der Christlichsozialen Partei gruppieren werde. Deren Organisationen würden korporativ der Vaterländischen Front beitreten und diese dominieren, so die weit verbreitete Meinung. Dabei übersah man, dass dies nicht im Sinne von Dollfuß war, der immer deutlicher in Richtung einer völligen Beseitigung der politischen Parteien ging, dies jedoch noch nicht deutlich artikulierte und damit die Situation in der Schwebe hielt. Die Christlichsozialen mussten allerdings bald erkennen, dass der Beitritt zur Vaterländischen Front, wie es in deren Statut hieß, nicht kumulativ, sondern nur individuell möglich war. Die Spannungen zwischen Christlichsozialen und den Heimwehren waren offensichtlich, zu unterschiedlich waren die ideologischen Positionen. So erklärte der Obmann der Salzburger Christlichsozialen, Rudolf Ramek, am 3. Oktober im Klubvorstand, die Reden der Heimwehrführer anlässlich der letzten Regierungsumbildung hätten den Faschismus mehr oder weniger deutlich gefordert. »Meine Meinung (ist), wenn wir die Christlichsoziale Partei mit ihrer programmatischen Einstellung heute beseitigen und den Faschismus aufrichten, dass die Erben binnen wenigen Tagen die Nationalsozialisten sein werden.«364 Gegen Jahresende 1933 regte sich bei den Christlichsozialen zunehmend Unmut und Widerstand gegen die Politik von Dollfuß, die vor allem nach Ansicht der Nieder- und Oberösterreicher zu viel Rücksicht auf die Heimwehr nehme. Die Partei sah sich zu Jahresende in einer äußerst schwierigen Lage  : Innerhalb des Regierungslagers stand sie in Opposition zu den Ambitionen der Heimwehr, wobei sie sich in zunehmendem Ausmaß der Haltung des Bundeskanzlers unsicher war. So erklärte Parteiobmann Emmerich 363 Ross  : Hitler und Dollfuß. S. 104. 364 Goldinger (Hg.)  : Protokolle des Klubvorstandes der Christlichsozialen Partei. S. 273.

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Czermak im Klubvorstand am 5. Dezember, er habe mit Parteifunktionären mehrere Aussprachen gehabt. Dabei sei übereinstimmend die Auffassung vertreten worden, dass die Heimwehr »offen darauf ausgeht, die Lage zu verschärfen und irgendwelche Wendungen zu machen, wobei sie den Bundeskanzler entweder mitreißen oder loswerden wollen.«365 Gleichzeitig bedeutete die im Einvernehmen mit Dollfuß abgegebene Erklärung der Bischofskonferenz vom 30. November, die allen Priestern den Rückzug aus der Politik nahelegte, eine schwere, kaum zu bewältigende strukturell-organisatorische Bürde. Am 11. Jänner 1934 erklärte der Obmann des Katholischen Volksvereines für Oberösterreich und Nationalratsabgeordnete, Josef Aigner, im christlichsozialen Klubvorstand  : »Es handelt sich nicht um die Konsequenz der Abberufung der Geistlichen. Es geht um mehr. Wir haben eine einzige Parteiorganisation in Oberösterreich. Wir haben keinen Ersatz.« Und der niederösterreichische Abgeordnete Franz Spalowsky bemerkte, dass »sich noch Leute wehren gegen die Vernichtung der Christlichsozialen Partei. … Mit der Zerreißung der Christlich­ sozialen Partei wird dem Bundeskanzler die letzte Stütze genommen.«366 Dass die Sorgen der Christlichsozialen durchaus berechtigt waren, zeigte eine Erklärung des niederösterreichischen Landesführers der Heimwehr, Graf Albert Alberti, am 17. Dezember 1933 in Richtung der christlichsozialen Abgeordneten im niederösterreichischen Landtag. Deren Reden zeigten, dass sie »eine hundertprozentige Demokratie anstreben und in Todfeindschaft zum Faschismus stehen.« Fünf Tage zuvor hatte die niederösterreichische Landesführung der Heimwehr gefordert  : »Heute soll unser Vaterland seine faschistische Erneuerung finden  !«367 Die Zeit schien günstig für die Heimwehr, erfreute sie sich doch der Unterstützung Mussolinis und hatte sie durch die von Dollfuß vorgenommene Regierungsumbildung am 20. September, die das Ausscheiden der Landbundmitglieder sowie des christlichsozialen Heeresministers Carl Vaugoin brachte, vordergründig wichtige Machtpositionen gesichert. Emil Fey wurde Vizekanzler, Odo Neustädter-Stürmer Sozialminister und der ehemalige kaiserliche General Fürst Alexander Schönburg-Hartenstein übernahm das Heeresministerium. In der Heimwehr wurde jedoch sehr wohl bemerkt, dass Dollfuß nur scheinbar deren Position in der Bundesregierung stärkte, tatsächlich jedoch den ohnedies schwächelnden Koalitionspartner machtpolitisch weitgehend kastrierte. So verlor Fey die Sicherheitsagenden an den Dollfuß-Vertrauten Staatssekretär Carl Freiherr von Karwinsky und musste sich mit der Position des Vizekanzlers ohne Geschäftsbereich zufriedengeben. Fritz Flor, der Sekretär des niederösterreichischen Heimwehrführers Graf Albert Alberti, bemerkte treffend, 365 Ebd. S. 305. 366 Ebd. S. 311. 367 Zit. bei Walter Wiltschegg  : Die Heimwehr. Eine unwiderstehliche Volksbewegung  ? – Wien 1985. S. 75.

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der Bundeskanzler habe offensichtlich die Absicht, »den Heimatschutz im Beförderungswege kalt zu stellen. Man gibt ihm Positionen, aber ungefährliche.«368 Im Dezember 1933 berichtete der ehemalige Bundesrat und Stellvertreter Habichts, Franz Schattenfroh, an den österreichischen Landesführer aus Wien, dass innerhalb der Heimwehr weitgehende Verwirrung herrsche und keine klare Führung erkennbar sei. Die Heimwehrführer Ernst Rüdiger Starhemberg, Emil Fey, Richard Steidle und Albert Alberti befänden sich in einem persönlichen Konkurrenzkampf und seien sich »nur in der Wut auf Dollfuß« einig, »der sie immer mehr kaltstellt.«369 Diese Gemengelage der schwer durchschaubaren, weil von persönlichen Eitelkeiten und Animositäten wesentlich mitgeprägten Rivalitäten erfuhr in der Nacht vom 11. auf 12. Jänner 1934 eine erhebliche publizistische Aufmerksamkeit, als der niederösterreichische Heimwehr-Landesführer Albert Alberti zusammen mit seinem politischen Referenten Fritz Flor und ihren Gesprächspartnern Franz Schattenfroh und dem prominenten SS-Führer Prinz Josias Waldeck-Pyrmont in der Wohnung des ehemaligen nationalsozialistischen Gauleiters von Wien, Alfred Eduard Frauenfeld, vom Wiener Polizeipräsidenten Michael Skubl verhaftet wurde. In Berlin hatte Habicht nach seiner gescheiterten Unterredung mit Dollfuß bei Hitler auf eine Verschärfung des Kampfes gegen die österreichische Regierung gedrängt, war jedoch mit diesem Ansinnen gescheitert. Hitler hielt dies für inopportun und gestand in Absprache mit dem Auswärtigen Amt lediglich die Entsendung von Prinz Josias Waldeck-Pyrmont, eines alten Bekannten von Starhemberg aus gemeinsamen Kampftagen in Oberschlesien, prominenten SS-Führers und Legationsrates des Auswärtigen Amtes, zu einer privaten Erkundungsfahrt nach Wien zu, um Näheres über die Gründe für die Absage der geplanten Unterredung mit Habicht in Erfahrung zu bringen. Zudem sollte er sich ein Bild über die verschiedenen Kontakte zwischen Vertretern der Heimwehr und der NSDAP und über eine mögliche gemeinsame Regierungsbildung verschaffen sowie eventuelle Möglichkeiten einer Wiederaufnahme des direkten Gespräches zwischen Dollfuß und Habicht sondieren. Am Abend des 11. Jänner nahm er auf Wunsch von Frauenfeld und Schattenfroh an der geheimen Gesprächsrunde mit Alberti und Flor teil. Das Gespräch entbehrte schon deshalb nicht einer gewissen politischen Brisanz, da Alberti bereits am 5. Oktober 1933 im Auftrag und mit Wissen Feys Kontakt mit Habicht aufgenommen hatte und nunmehr als Vertrauter von Starhemberg das Gespräch mit der illegalen NSDAP über eine mögliche Koalition suchte.370 Während Waldeck unter Polizeiaufsicht in die deutsche Botschaft gebracht und am folgenden Tag nach Berlin abgeschoben wurde, wurden die übrigen Gesprächsteilnehmer verhaftet. Ob Alberti 368 Zit, bei Höbelt  : Die Heimwehren und die österreichische Politik 1927–1936. S. 295. 369 Zit. bei Ross  : Hitler und Dollfuß. S. 130. 370 ADÖ 9/1400.

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»Kampf … mit rücksichtsloser Härte«

eigenmächtig oder in Absprache mit Starhemberg, wie er behauptete, handelte, lässt sich nicht mehr eindeutig klären. Dass der Bundesführer der Heimwehr generell über die Kontakte Albertis informiert war, dürfte den Tatsachen entsprechen, ebenso die Behauptung, er habe Starhemberg schriftlich von dem Treffen informiert, doch sei der Brief zu spät zugestellt worden. Ob Starhemberg eine schriftliche Vollmacht zu der Unterredung erteilte, wie Alberti behauptete, ist zumindest zweifelhaft. Starhem­berg hingegen betonte, von dem Treffen nichts gewusst zu haben und getäuscht worden zu sein. Starhemberg war zur Flucht nach vorne verdammt, bewirkte bei einer eilig einberufenen Tagung des Niederösterreichischen Heimatschutzes den Ausschluss Albertis, der einige Wochen im Anhaltelager Wöllersdorf verbrachte, und dessen Stellvertreters Hermann Kubacsek und übernahm selber die Führung des niederösterreichischen Landesverbandes.371 Der amerikanische Gesandtschaftsbericht vom 8. Februar kam unter Bezugnahme auf die Kontakte führender Heimwehrvertreter mit der illegalen NSDAP zu dem Schluss, dass »Treulosigkeit unter des Kanzlers Gefolgschaft und dauernde individuelle Versuche geheimer Verhandlungen mit den Nazis« die Stellung des Kanzlers geschwächt hätten.372 Die spektakuläre Verhaftung der prominenten Gesprächsrunde war ein Clou von Emil Fey, der über eine Vielzahl anderer Kanäle selber Kontakte zur NSDAP pflegte und in diesem Fall in Absprache mit Starhemberg handelte, um die Stellung der Heimwehr in der Regierung und auch in der Regierungspolitik zu stärken. Dies gelang bereits am 12. Jänner 1934 mit der neuerlichen Ernennung Feys zum Sicherheitsminister.

371 In seiner Rede auf der Tagung des Niederösterreichischen Heimatschutzes erklärte Starhemberg, »dass Alberti bei seinen Verhandlungen mit Frauenfeld sogar s c h r i f t l i c h e Vo l l m a c h t von mir vorgewiesen habe. Ich stelle fest, dass ich niemals etwas unterschrieben habe, was wie eine Verhandlungsvollmacht ausgelegt werden könnte, meine Unterschrift war daher gefälscht. Mir wurden von dem sogenannten politischen Referenten Albertis, Dr. Flor, Verhandlungen mit dem angeblichen Abgesandten Hitlers, Prinz Waldeck, erst empfohlen, als Alberti mit Frauenfeld und Genossen bereits in eifrigsten Beratungen stand. Mittlerweile sind die nächtlichen Verschwörer bereits von der Polizei ausgehoben worden. D r.   F l o r w a r w i e d e r h o l t i n B e r l i n und wie ernst die Bestrebungen waren, Teile des Heimatschutzes an die Nationalsozialisten zu verraten, zeigt ein Ausspruch dieses Mannes, dass als einer der ersten Dr. S t e i d l e a u f g e h ä n g t w e r d e n w ü r d e . Alle Erfahrungen haben gelehrt, dass es nie möglich sein wird, mit den Nationalsozialisten eine vernünftige Basis für ein Bündnis zu schaffen. Die Nationalsozialisten sind nicht verhandlungsfähig, weil sie es niemals ehrlich meinen  ; sie streben die Aufrichtung einer nationalsozialistischen Parteidiktatur an.« (Salzburger Chronik 30.1.1934. S. 3.) 372 Goldinger  : Dollfuß im Spiegel der US-Akten. S. 80.

5. Die Demokraten auf dem Rückzug Die autoritäre Wende und die Nebel des Ständestaates

Fey und Starhemberg vollzogen den Schulterschluss, proklamierten unter dem Motto des Kampfes für das »Dollfuß-Programm« und die notwendige innere Erneuerung Österreichs eine De-facto-Kriegserklärung gegen den inneren Feind – die Nationalsozialisten und Marxisten in allen Parteien, d. h. auch unter den Christlichsozialen. Mit einer verschärften Politik des Antimarxismus wollte man nicht nur dem Drängen Mussolinis entsprechen, sondern vor allem auch, der Argumentation des italienischen Diktators folgend, den Nationalsozialisten den antimarxistischen Wind aus den Segeln nehmen. Trotz der Ausschaltung des Nationalrates und des autoritären Regierungskurses auf Bundesebene agierten die Landesparlamente und -regierungen auf Grund des Proporzsystems weiter in den demokratischen Usancen der Zeit vor dem 4. März 1933. Bereits am 11. Jänner 1934 hatte Starhemberg in einer öffentlichen Rede die Forderung erhoben, dass in den nächsten Wochen die noch bestehenden demokratischen Landesregierungen im Sinne einer autoritären Wende, d. h. durch Ausscheiden der sozialdemokratischen bzw. landbündlerischen Mitglieder und deren Ersetzung durch Heimwehrangehörige, umzubilden seien. Damit erfolgte eine Kampfansage nicht nur gegen die sozialdemokratische Wiener Landesregierung, sondern auch gegen die christlichsozialen Landeshauptleute, die Koalitionsregierungen mit Sozialdemokraten bzw. Landbündlern vorstanden. Die von den Heimwehren in den Bundesländern initiierte Aktion begann in Tirol durch die Mobilisierung von rund 8.000 Heimwehrmännern am 30. und 31. Jänner unter dem Vorwand, einem Putschversuch der NSDAP zuvorzukommen. Die illegale NSDAP habe die Absicht, anlässlich des Jahrestages der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler Regierungsgebäude in Innsbruck in die Luft zu sprengen und prominente Persönlichkeiten der Exekutive und der Heimwehr zu ermorden. Am 31. Jänner stellte sich jedoch heraus, dass die Aktion der Tiroler Heimwehr der Durchsetzung ihres Forderungsprogrammes diente, das sie an diesem Tag vorstellte und u. a. die Kontrolle des Sicherheitsdirektors sowie die Einrichtung eines fünfköpfigen Landesausschusses, bestehend aus zwei Vertretern der Heimwehr und je einem des Bauernbundes, des Jungbauernbundes und der Ostmärkischen Sturmscharen, beinhaltete. Nachdem Fey telefonisch mitgeteilt hatte, die Aktion der Tiroler Heimwehr genieße die Unterstützung des Kanzlers, erhöhte diese ihre Forderung  : Nun forderte man auch die Auflösung der Sozialdemokratischen und der Christlichsozialen Partei. Landeshauptmann Franz Stumpf, der die Heimwehr lange als antimarxistisches Instrument gefördert hatte,

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ging nunmehr zu dem Wehrverband, der sich offensichtlich politisch völlig verselbständigt hatte, auf Distanz. In den nun folgenden Verhandlungen weigerte er sich, das gesamte Forderungsprogramm zu akzeptieren, und gestand lediglich die Einsetzung eines sechsköpfigen Landes-Ausschusses, bestehend aus zwei Vertretern der Heimwehr und je einem Vertreter des Bauernbundes, des Jungbauernbundes, der Ostmärkischen Sturmscharen und der christlichen Arbeiterschaft, der von ihm offiziell am 4. Februar bestellt wurde, jedoch nur beratende Funktion hatte. Gleichzeitig betonte er, dass die Einrichtung des Landesausschusses keine Umbildung der Landesregierung oder gar deren Beseitigung bedeute. Im Gegensatz dazu erklärten die führenden Mitglieder der Tiroler Heimwehr, »dass dieser Vorgang für die übrigen Länder beispielgebend wäre, denn es müssen nicht allein in Tirol, sondern auch in allen übrigen Bundesländern die gewählten Landesregierungen durch autoritäre Regierungen ersetzt werden. Es solle in keinem Land mehr vorkommen, dass eine c h r i s t l i c h s o z i a l - s o z i a l d e m o k r a t i s c h e K o a l i t i o n besteht.«373 Starhemberg erklärte kämpferisch und auch als Kampfansage gegen die Christlichsozialen am 4. Februar in Innsbruck  : »Wir stehen den Demokraten und ihren Anhängern gleich rücksichtslos gegenüber. Es ist uns gleichgültig, ob sich die Träger der Demokratie unter der marxistischen Ballonmütze, hinter dem liberalen Mäntelchen oder unter der Maske der Christlichsozialen verstecken.«374 Am 8. Februar erklärte Sicherheitsminister Fey dem britischen Militärattaché MacFarlane gegenüber, er werde Dollfuß nach dessen Rückkehr von seinem Staatsbesuch in Budapest »die Notwendigkeit der sofortigen Übernahme aller Landesregierungen … darlegen …«375 Wenngleich der Bundeskanzler am 31. Jänner eine verklausulierte Unterstützungserklärung für die Ereignisse in Innsbruck abgegeben hatte, so war die Lage keineswegs entschieden, da sich Landeshauptmann Franz Stumpf, unterstützt von Teilen der Christlichsozialen und den Sozialdemokraten, weiterhin weigerte, das Forderungsprogramm der Heimwehr zu erfüllen. Als Kompromiss einigte man sich auf eine klärende Aussprache mit Dollfuß am 12. Februar in Wien. Der Ausbruch des Bürgerkrieges und die mit ihm geschaffenen neuen Verhältnisse entschieden die Streitfrage schließlich zugunsten der Heimwehrforderungen. Diese Forderungen und Kampfansagen an das parlamentarisch-demokratische System sollten vor dem Bürgerkrieg auch in den übrigen Bundesländern noch nicht in Erfüllung gehen. In Oberösterreich, Salzburg und Niederösterreich stießen sie auf Widerstand und blieben erfolglos. In Oberösterreich lehnte Landeshauptmann Josef Schlegel die Forderungen rundweg ab und empfing am 8. Februar demonstrativ die Führer der Sozialdemokratie, in Salzburg löste Landeshauptmann Franz Rehrl 373 Neue Freie Presse 5.2.1934. S. 1. 374 Zit. bei Wiltschegg  : Die Heimwehr. S. 81. 375 Zit. bei Beer  : Der »unmoralische« Anschluss. S. 306.

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die Situation am 8. Februar elegant durch seine Nicht-Anwesenheit.376 Die Salzburger Sozialdemokratie nahm unmissverständlich gegen das autoritär-faschistische Ansinnen der Heimwehr und der Vaterländischen Front Stellung. »Jede Änderung der Verfassung oder Umgehung des freien, gleichen und direkten Wahlrechtes, der Mitbestimmung aller Landesbürger an der Gesetzgebung und Verwaltung des Landes durch freigewählte Abgeordnete und Regierungsmitglieder ohne gesetzlichen Beschluss des Salzburger Landtages ist Verfassungsbruch und Staatsstreich. Unserer wohl einzig richtigen Auslegung nach können Änderungen der Verfassung nur mit Zustimmung des Landtages unter den gesetzlich verankerten Sicherheiten durchgeführt werden. (…) Würde ein solcher Beirat geschaffen, dann könnte dieser nur auf Grund der Stärke der im Salzburger Landtage vertretenen Parteien bestellt werden. (…) Die schärfste Ahndung der planmäßigen Störung des Fremdenverkehres wird wohl jetzt schon geübt. Die Säuberung von Ämtern und Schulen von Staatsfeinden kann auf Grund der geltenden Gesetze auch durch die zuständigen Stellen durchgeführt werden, hierzu braucht es unserer Meinung nach keines Vertrauensmannes des Heimatschutzes.

376 Salzburger Chronik 9.2.1934. S. 6. Parallel zur Forderung der Heimwehr und der Vaterländischen Front erhoben die Ostmärkischen Sturmscharen als »Sturmtruppe der Vaterländischen Front« in einem Brief an Landeshauptmann Franz Rehrl folgende Forderungen  : »Bis zur Inkraftsetzung der neuen Verfassung, die ehestens zu verwirklichen wäre, scheint dringend erforderlich  : 1. Die Einsetzung eines von jeder Partei unabhängigen ehrenamtlichen Beirates zur Landesregierung, in dem mindestens ein Vertreter der Ostmärkischen Sturmscharen einzuberufen ist. 2. Entfernung aller nicht einwandfrei vaterländisch eingestellten Amtsträger aller Art in Bund, Land und Gemeinde, sowie in den mit öffentlichen Geldern geförderten halbamtlichen und zivilen Stellen. 3. Zielbewusste Bekämpfung der staatsfeindlichen Bestrebungen innerhalb der freien Berufe. 4. Gründliche Reinigung aller Schulen und Schulbehörden von nicht christlich und österreichisch eingestellten Lehrkräften und Funktionären, die für die gestellte Erziehungsaufgabe ungeeignet sind. 5. Einstellung von vaterländisch gesinnten Arbeitern und Angestellten bei mit öffentlichen Mitteln vergebenen Arbeiten von Bund, Land und Gemeinden unter besonderer Berücksichtigung der Angehörigen der Schutzkorpsverbände und der Kriegsteilnehmer. 6. Ausschließliche Berücksichtigung der vaterländisch eingestellten bodenständigen Gewerbetreibenden bei Vergabe von Arbeiten und Lieferungen. 7. Restlose Regelung des Pressewesens im österreichisch-vaterländischem Sinne. 8. Strengste Handhabung des Vereinsgesetzes zur Hintanhaltung von wirtschaftlichen und politischen Missständen. 9. Planmäßige und zielbewusste Förderung und Belebung der Wirtschaft und strengste Bestrafung aller Saboteure. 10. Weitestgehende Stützung der Bauern in ihrem schweren Existenzkampfe.« (SLA Rehrl-Briefe 1934/0372.)

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Wir haben mit dem stellvertretenden Landeshauptmann Herrn Dr. Schemel wiederholt über diese Eingabe des Heimatschutzes gesprochen und von ihm die Zusicherung erhalten, dass er persönlich und die gesamte christlichsoziale Fraktion in der Landesregierung vollkommen auf dem Boden der Verfassung stehen und dass eine Änderung irgendwelcher Art nur durch Beschluss der Landesregierung oder, wenn dies gesetzlich notwendig ist, durch Beschluss des Landtages vorgenommen werden wird. (…) Wir betrachten die ganze Aktion der Heimwehr, wenn sie nicht eine systematische, planmäßige Unruhestiftung an und für sich ist, als ein Konkurrenzmanöver gegenüber den Nationalsozialisten. Faschismus um jeden Preis, wenn auch dadurch die Wirtschaft, der Staat und das ganze Volk zugrunde geht.«377 In Niederösterreich veranstaltete Josef Reither am 2. Februar eine eindrucksvolle Demonstration mit rund 110.000 Bauern in Wien als Kampfansage gegen den Nationalsozialismus und – indirekt – die Heimwehr-Forderung.378 Die christlichsozialen Landeshauptleute und Teile der Christlichsozialen standen damit in einer Front mit den Sozialdemokraten gegen den von Dollfuß auch ohne italienischen Druck eingeschlagenen Kurs einer endgültigen Abkehr vom Parteienstaat. Die demokratischen Revisionisten sowohl bei den Christlichsozialen wie auch den Sozialdemokraten kämpften zu Jahresbeginn 1934 zunehmend auf verlorenem Posten, da die Würfel auf dem Ballhausplatz bereits in eine andere Richtung gefallen waren. Ein innenpolitischer Brückenschlag zur Sozialdemokratie hätte, so ließ der Bundeskanzler Emmerich Czermak und Ernst Karl Winter in einem persönlichen Gespräch wissen, die völlige Isolierung Österreichs in seinem Kampf gegen den Nationalsozialismus zur Folge, da es die außenpolitische und militärische Rückendeckung Italiens verlieren würde. Und innenpolitisch würde dieser Kurs bei den eigenen Funktionären und der Parteibasis auf wenig Verständnis stoßen, der Eindruck des »Packelns« entstehen und damit neuerlich Wasser auf die Mühlen der Nationalsozialisten leiten. Damit war spätestens zu Jahresbeginn 1934 die Konsequenz des neuen Kurses den meisten Spitzenfunktionären der Christlichsozialen Partei klar  : keine Revision der bestehenden Verfassung 1920/29 mit dem Ziel der baldigen Wiedereinberufung des Nationalrates, sondern eine neue Verfassung. Die Frage war nur, wie diese neue Verfassung beschaffen sein sollte. Während die Heimwehren auf eine autoritäre, faschistische Verfassung drängten, um den Bruch mit dem bisherigen demokratisch-parlamentarischen System endgültig zu machen, erwärmte man sich bei den Christlichsozialen für die verschiedenen Varianten einer sich an der Enzyklika »Quadragesimo anno« 1931 orientierenden Ständeverfassung,379 wobei zum Jahres377 SLA Rehrl-Briefe 1934/0372. 378 Neue Freie Presse 3.2.1934. S. 1 f. und S. 4 f. 379 Wohnout  : Regierungsdiktatur oder Ständeparlament  ? S.  44 ff. Zu den Verfassungsvorarbeiten bis Februar 1934 vgl. ebda. S. 117 ff.

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wechsel 1933/34 deutliche Konsensangebote der Sozialdemokratie, vor allem auch von Otto Bauer, unter der Voraussetzung einer demokratischen Grundstruktur der neuen Verfassung kamen. Berufsständische Organisationen sollten kein Herrschaftsinstrument eines autoritären oder faschistischen Staates sein, sondern Organe der wirtschaftlichen Selbstverwaltung, bemerkte Otto Bauer im Jänner 1934 in einem bemerkenswerten Artikel in der theoretischen Zeitschrift »Der Kampf«.380 Dollfuß hatte allerdings in seiner »Trabrennplatzrede« am 11. September 1933 von einem »sozialen, christlichen, deutschen Staats auf ständischer Grundlage, unter starker autoritärer Führung« gesprochen und damit einen, dem dominanten Zeitgeist folgenden, entgegengesetzten Weg angedeutet. Dieser blieb allerdings noch vage, zu undeutlich waren die Konturen der berufsständischen Ordnung, die seit den Zwanzigerjahren zum fixen Bestandteil der intellektuellen Diskussion des bürgerlichen Lagers gehörte. Othmar Spanns »Wahrer Staat« bot ebenso wenig konkrete Anhaltspunkte wie Ignaz Seipels Ausführungen zur »wahren Demokratie« Ende der Zwanziger- und in den frühen Dreißigerjahren. Die innen- und verfassungspolitische Situation war zu Jahresbeginn 1934 keineswegs geklärt, sondern nach wie vor in der Schwebe. Dollfuß suchte den Ausgleich zwischen seinen ungleichen Verbündeten, zwischen Christlichsozialen und Heimwehren, verfolgte jedoch gleichzeitig einen selbständigen, von beiden unabhängigen Kurs. Dies betraf auch seinen außen- und sicherheitspolitischen Protektor Mussolini, dessen immer drängenderen Forderungen nach einer faschistischen Lösung er sich durchaus geschickt zu entziehen vermochte. Es war ein kompliziertes Jonglieren mit mehreren Bällen, innen- wie außenpolitisch  : Christlichsoziale versus Heimwehren, zunehmende innere Distanz zu den parlamentarischen Traditionen der Christlichsozialen und Neigung zu autoritären Lösungen, gleichzeitiges Misstrauen gegenüber den Heimwehren und deren immer vehementer vorgetragenem Machtanspruch, der den Realitäten nicht entsprach, Kampf gegen den Nationalsozialismus bei gleichzeitigem Bemühen um einen modus vivendi mit Berlin, Italien versus Deutsches Reich und Hoffen auf internationale Solidarität bei gleichzeitigem Wissen um deren weitgehend rhetorischen Charakter. In dieser komplexen und undurchsichtigen Lage fielen die Sonnenstrahlen der untergehenden Demokratie auf die Länder als zu diesem Zeitpunkt bereits anachronistische Inseln der im Rückzug befindlichen demokratisch-parlamentarischen Kultur. Sie waren die letzten Rückzugsräume des demokratischen Parlamentarismus, den Hans Kelsen als die einzig reale Form des modernen Staates definierte. Nur in der parlamentarischen Demokratie konnte die Idee der Demokratie Gestalt annehmen als Bildung des staatlichen Willens nach dem Mehrheitsprinzip und mit dem Zwang 380 Otto Bauer  : Klassenkampf und »Ständeverfassung«. Wirtschaftliche Basis und politischer Überbau. – In  : Der Kampf 1/1934. S. 1–12.

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zum Kompromiss. »Man kann heute wohl kaum über Demokratie sprechen, ohne das Problem des Parlamentarismus zu berühren. Denn die moderne Demokratie ist eine parlamentarische, und der Parlamentarismus scheint mir, wenigstens nach den bisherigen Erfahrungen, die einzig mögliche Form zu sein, in der Demokratie innerhalb der sozialen Wirklichkeit von heute realisierbar ist. Wenn darum auch Demokratie und Parlamentarismus keineswegs identische Begriffe sind, so empfindet man doch ganz mit Recht, dass die immer stärker werdende Bewegung gegen den Parlamentarismus sich letztlich gegen die Demokratie richtet.«381 Am 28. November 1933 erklärte der sozialdemokratische Landeshauptmann-Stellvertreter Robert Preußler im Salzburger Landtag in Erwiderung auf die traditionelle Rede von Landeshauptmann Franz Rehrl zu Beginn der Herbstsession, in dieser sei auch »von der Neuordnung Österreichs und von einem neuen Staats- und Wirtschaftsaufbau die Rede. Die Sozialdemokratische Partei im Landtage erklärt auf Grund der weiteren Ausführungen Folgendes  : Die Sozialdemokraten waren immer bereit zu verhandeln. Sie stellen sich auf den Standpunkt der geltenden Verfassung der österreichischen Republik und auf deren Grundlage waren wir immer bereit, über irgendwelche Verfassungsänderungen und über Dinge für einen geplanten Neuaufbau zu verhandeln. Durch die Ausschaltung des Parlamentes und durch die Ausschaltung der Parteien in Bezug auf Verhandlungen mit der Regierung ist diese Form unmöglich geworden. Das Parlament ist ausgeschaltet, die Versammlungsfreiheit, die Koalitionsfreiheit und die Freiheit der Presse sind beschränkt worden und es ist ebenso eine Lahnlegung des Verfassungsgerichtshofes vorgenommen worden. Es ist eine Schädigung des größten Bundeslandes, nämlich der Stadt Wien, mit über 100 Millionen Schilling pro Jahr vorgenommen worden. Es ist die Auflösung des Republikanischen Schutzbundes erfolgt und ein Zustand geschaffen worden, der eine Versammlungsbasis fast unmöglich macht. Zu einer neuen Ordnung Österreichs und zu einem neuen Staats- und Wirtschaftsaufbau gehören aber zwei  : Regierung und Volk. Nach der in Österreich geltenden Verfassung soll alle Gewalt vom Volk ausgehen. Es kann also solange keinen neuen Aufbau geben, bis sich die Regierung entschließt, mit dem Volke oder den freigewählten Vertretern des Volkes zu verhandeln. Solange das nicht geschieht, müssen wir das größte Misstrauen gegenüber der geplanten Neuordnung aussprechen und müssen uns insbesondere verwahren gegen die eventuelle Absicht eines Oktrois, diesen Neuaufbau etwa ohne den Willen des Volkes vorzunehmen oder den freien Willen des Volkes vollständig zu ignorieren.« Die Sozialdemokraten seien bereit, »die Unabhängigkeit und die Freiheit Österreichs gegen jedermann zu verteidigen. Diese Unabhängigkeit fällt aber zusammen, wenn das Experiment ohne den Willen des Volkes gemacht wird. (…) 381 Hans Kelsen  : Demokratie. – In  : Ders.: Demokratie und Sozialismus. Ausgewählte Aufsätze. – Wien 1967. S. 11–39. S. 17.

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Wir sind heute noch gewillt, mit der Mehrheit dieses Landes brüderlich zusammenzuarbeiten, so wie wir das ein Jahrzehnt hindurch getan haben und wir rufen dem Herrn Dollfuß zu, für Salzburg besteht gar kein Grund zu einer Befürchtung. Denn wir in Salzburg haben nie gegenseitige Konflikte ausgelöst. Wir haben im Gegenteil trotz unserer verschiedenen Überzeugungen immer gemeinsam zusammengearbeitet und wollen das auch in Hinkunft tun. Aber eine gemeinsame Zusammenarbeit ist nur möglich vom Standpunkte der geltenden Verfassung aus, die wir von rechts und links durch unseren Eid bekräftigt haben.«382 Landeshauptmann Franz Rehrl antwortete  : »Ich kann darauf nur antworten, dass wir Christlichsozialen in Salzburg – ich kann ja nur für Salzburg sprechen – auch in Hinkunft bestrebt sein und uns bemühen werden, dass in Österreich … das Recht der Persönlichkeit, das Recht der Meinungsäußerung, das Recht der Koalition und die Freiheit des Eigentums auch in der künftigen Verfassung ihre Verankerung finden sollen. Ich möchte auch der Meinung Ausdruck geben, dass die zukünftige Verfassung ihre Sanktion durch das Volk bekommen soll.« Die Notwendigkeit einer neuen Verfassung ergebe sich aus den leidvollen Erfahrungen der Vergangenheit  : »Wir, die wir die letzten fünfzehn Jahre miterlebt haben, haben es doch erfahren müssen, dass etwas faul ist in diesem Staate.« Die Ereignisse um die Rettung der CA, die Genehmigung der Lausanner Anleihe und schließlich jene um die Abstimmung im Nationalrat am 4. März 1933 seien eindrucksvolle Beispiele für diese Behauptung. Vor allem die »Farce der Stimmzettel-Abstimmung« habe dazu geführt, dass »der Formalismus die Volksvertretung … umbrachte. Und wer dort unten sein und bei den Verhandlungen teilnehmen musste und gesehen hat, welch unendliche Schwierigkeiten zu überwinden waren, um den Formalismus der Geschäftsordnung zu überwinden, der muss zugeben, dass das auch eine Überspitzung war und Demokratie ist nicht darin bestehend, dass gerade dieses Parlament in der Form, wie es war, funktionieren muss. Was heißt Demokratie  ? Demokratie heißt, dass das Staatsvolk durch entsprechende Organisation, durch den Aufbau im Staatsorganismus Einfluss auf die Gesetzgebung und Verwaltung hat. Das ist Demokratie. (…) Und so sage ich, wir werden kämpfen und uns dafür einsetzen, dass in diesem Staate eine Ausbalancierung der Kräfte stattfindet, denn es geht nicht an, dass das Parlament Gesetze macht und verwaltet. Das Verwalten ist ja die Sackgasse, in die sich das Parlament verrannt hat. Man hat das Parlament gezwungen, sich mit einer Sache zu befassen, die es ja nicht überblicken konnte und es ist dadurch in Schwierigkeiten geraten.«383 Die historische Schuld der Sozialdemokratie sei ihre Obstruktionspolitik und ihre Verweigerung eines von Seipel angebotenen Regierungseintritts. »Außerordentliche Zeiten, außerordentliche Verhältnisse  ! Und, meine Herren, der Seipel hat Euch auch gerufen  : unmittel382 Sten. Prot. d. Sbg. LT. 3. Sitzung, 2. Session der 4. Wahlperiode. 28. November 1933. S. 28 f. 383 Ebd. S. 29 f.

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bar bevor jene Schwenkung eingetreten ist, die zur heutigen Situation geführt hat. Man wollte noch einmal aus allen Parteien so eine Blockbildung machen, in der alle Parteien vertreten sind. Das war damals, nach dem Zusammenbruch der CA. Die Sozialdemokratische Partei hat nicht mitgemacht und es ist dann noch einmal ein Appell gekommen vom Dr. Ender. (…) Ich kenne die neue Verfassung nicht, ich habe sie nicht gemacht. Aber es wird bestimmte Dinge geben, die die liebgewordenen alten Anschauungen ins Raritätenkabinett versetzen. Ich sage, wenn uns die Verfassung jenes Grundrecht sichert, für das wir uns einsetzen und für das wir kämpfen wollen, dass das Land in seiner Autonomie nicht gefährdet wird, dann ist sie gut.«384 Und schließlich folgte ein Bekenntnis zur Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten  : »Zum Schluss möchte ich sagen, wenn wir hier in Salzburg uns bemüht haben, für das Land zusammenzuarbeiten bei aller Aufrechterhaltung der Meinungsverschiedenheiten, so soll es nicht anders sein in Zukunft.«385 In der Budgetdebatte am 19. Dezember gab Preußler nach dem Ausscheiden der destruktiven Nationalsozialisten ein neuerliches Bekenntnis zur Zusammenarbeit ab. »Wir Sozialdemokraten … werden für das Budget, wie in den meisten anderen Jahren, stimmen. Das ist ein Beweis dafür, dass hier im Landtage der Friede wieder eingezogen ist, dass die Verhältnisse heute schon anders sind und aussehen als vor Monaten, und dass wir, die wir fünfzehn Jahre lang zusammenarbeiten, weiter zusammenarbeiten wollen, ohne jene aufregende Art, die an den Nerven reißt und die es unverständlich macht, dass sich die Menschen nicht verständigen können, weil sie sich nicht verständigen wollen.«386 Und  : »Die Demokratie hat sich in den letzten fünfzehn Jahren in den Landtagen vollständig bewährt und ich muss noch einmal darauf zu sprechen kommen. Ist es nicht ein Reichtum, dass wir jetzt als echte Demokraten beisammensitzen  ?«387 Am 11. Jänner 1934 betonte Preußler im Namen seiner Fraktion im Landtag, es sei ein schwerer Fehler von Dollfuß, den Versuch zu unternehmen, den Nationalsozialismus »auszutreiben … mit den gleichen Staatsmaximen, wie sie das Deutsche Reich heute hat und wie sie Italien hat … Es trifft das Sprichwort zu  : Man will den Teufel mit dem Beelzebub austreiben, aber das wird niemals gelingen. (…) … die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung (ist) für die Aufrechterhaltung der heutigen Verfassung und der Demokratie. Die Regierung und die Heimwehr haben kein Recht auf irgendeine willkürliche Änderung der Verfassung. (…) Der Kampf gegen den Nationalsozialismus kann erfolgreich nur geführt werden auf gemeinsamer Linie und ich rufe die Bundesregierung auf, endlich einmal dieses 384 Ebd. S. 31. 385 Ebd. S. 32. 386 Sten. Prot. d. Sbg. LT. 6. Sitzung, 2. Session der 4. Wahlperiode. 19. Dezember 1933. S. 49 f. 387 Ebd. S. 51.

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Spiel zu beendigen und dem Volke die Ruhe zu geben und nicht täglich in Tausenden von Fällen mit Polizei und Gendarmerie seine Rechte verletzen zu lassen. Eine Vernichtung irgendeiner Partei, die immer wieder aufs neue angedroht wird, und von der Heimwehr verlangt wird, nämlich der Sozialdemokratischen Partei, würde die Vernichtung der Demokratie überhaupt bedeuten und zugleich die Vernichtung aller anderen Parteien, auch der Christlichsozialen Partei.«388 Wenngleich Rehrl im Landtag erklärte, er wisse nicht, wie die neue Verfassung beschaffen sein werde, so skizzierte er im Jänner 1934 seine Gedanken in einem Aufsatz in der Zeitschrift »Der christliche Ständegedanke«. Die Frage, was denn ein »christlicher Staat« sei, müsse zuerst beantwortet werden. »Der christliche Staat ist in e r s t e r L i n i e e i n e t h i s c h e r S t a a t i m c h r i s t l i c h e n S i n n e , ein Staat, in dem die Achtung vor dem moralischen und religiösen Leben triumphiert und die Richtschnur für das gesamte private und öffentliche Leben bildet. Er ist aber auch ein a n t i l i b e r a l e r Staat, der den doktrinären Liberalismus ablehnt, aber die natürliche Freiheit der Persönlichkeit bewahrt, ein a n t i s o z i a l i s t i s c h e r Staat, denn er lehnt jede Sozialisierung der Güter ab und verteidigt das auf dem Naturrecht begründete persönliche Eigentum. Ebenso ist er ein a u t o r i t ä r e r Staat, der das durch den Formaldemokratismus geschwächte Autoritätsprinzip befestigt, sich dabei aber bewusst bleibt, dass die Autorität allein nicht genügt, sondern die kontrollierende Vertretung des Volkes nicht entbehrt werden kann. Diese Autorität hat nichts mit Diktatur oder Gewaltherrschaft zu tun. Der christliche Staat ist weiter ein k o r p o r a t i v e r Staat, der auf Organisationsformen auf wirtschaftlichem und politischem Gebiert aufbauen wird …« Unter Anleihe bei Hegel definierte Rehrl den Staat als höchste Organisationsform des Menschen, dessen eigentlicher Zweck im Gemeinwohl liege. »Ist der Staat die höchste Form der menschlichen Gesellschaft, so ist er doch nicht die a u s s c h l i e ß l i c h e Form, im Gegenteil, er ist nur die umfassende Ordnung, der alle übrigen weltlichen Ordnungen in sich schließt, er ist zwar im Range der Ordnungen der höchste, aber nicht in dem Sinn, dass er allein zur Ordnung des gesellschaftlichen Lebens befugt wäre, sondern er ist nur berufen, die Einheitsordnung aller übrigen Ordnungen darzustellen. Der Staat hat geradezu die Ordnungen im kleinen Kreise, in der Familie und in der Gemeinde, in den beruflichen Organisationen und Territorialorganisationen zur Voraussetzung und es w i derspricht der Aufgabe des christlichen Staates, die freie Aktivität des einzelnen, der Familie, der Genossenschaften, regionaler Ve r b ä n d e z u u n t e r d r ü c k e n . Festzuhalten ist insbesondere, dass die b e r u f s s t ä n d i s c h e Ordnung nicht vom Staat geschaffen werden kann, so etwa, wie eine Autofabrik ein Auto liefert, sie muss sich vielmehr organisch aus der Überzeugung des Personenkreises entwickeln, der 388 Sten Prot. d. Sbg. LT. 8. Sitzung, 2. Session der 4. Wahlperiode. 11. Jänner 1934. S. 78 f.

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sich zu einem Berufsstande zusammengefunden hat. Vor allem muss der Irrtum vermieden werden, als ob etwa der Staat auf bestimmte Organisationen Rechte übertragen würde. Das wäre ganz falsch, denn die Rechte der sozialen Organisationen sind o r i g i n ä r und nicht vom Staate übertragen. In der ›Quadragesimo anno‹ steht ausdrücklich  : ›… an dem ist nicht zu rütteln und zu deuteln, dass das, was kleinere Betriebe leisten können, von ihnen und nicht vom Staate zu leisten ist.‹ Es ist zu unterstreichen, dass der Ständestaat nach der ›Quadragesimo anno‹ in seiner Entstehung diametral dem faschistischen Staat entgegengesetzt ist. H i e r sollen v o n u n t e n h e r sich selbständige Organisationen mit originaler Rechtsschöpfung bilden, die in der höchsten Ordnung, dem Staate, zusammengefasst sind. Im F a s c h i s m u s wurde v o n o b e n h e r dekretiert und normiert, die Totalität bis zur Einschränkung der Freiheit der Einzelpersönlichkeit zur Durchführung gebracht.«389 Der Begriff der Totalität sei daher dem christlichen Staat völlig fremd. Dieser sei »der Staat der S e l b s t v e r w a l t u n g «, die sich sowohl regional wie auch ständisch manifestiere.390 Rehrl, der zu keinen entscheidenden Beratungen über die geplante neue Verfassung beigezogen wurde, sondern nur eine mündliche Zusage des Bundeskanzlers hatte, einen Rohentwurf zum privaten Studium zur Verfügung gestellt zu erhalten, blieb in dieser so wichtigen Frage weitgehend im Dunkeln. Damit besaß er jedoch kein Alleinstellungsmerkmal. Generell verlief die Diskussion über den konkreten Stand der Arbeiten nach der ideologischen Weichenstellung durch die Trabrennplatzrede von Dollfuß am 11. September 1933 weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor allem innerhalb der Regierung. Dollfuß erklärte im christlichsozialen Klubvorstand im Oktober 1933 vor allem in Richtung des demokratischen Flügels der Partei um Leopold Kunschak, Rudolf Ramek, Josef Aigner u. a. unumwunden, er sei nicht gewillt, auf die Wünsche einzelner Fraktionen innerhalb der Partei Rücksicht zu nehmen. Die Partei solle sich geschlossen hinter ihn stellen und die Arbeiten nicht durch öffentliche Erklärungen über den Wert des demokratisch-parlamentarischen Systems sabotieren. Die Arbeiten an der neuen Verfassung wurden vor allem von Otto Ender, ab November unterstützt von Robert Hecht, vorangetrieben und am 1. Februar 1934 im Ministerrat durch den Beschluss der Einsetzung eines fünfköpfigen Ministerkomitees zu weiteren Detailberatungen im Arkanum der regierungsinternen Beratungen behalten.391 Wenngleich nicht direkt involviert, stand der 389 Salzburger Chronik 6.2.1934. S. 9. 390 Salzburger Chronik 7.2.1934. S. 9. 391 Am 1. Februar 1934 bemerkte Otto Ender in seinem Vortrag vor dem Ministerrat u. a.: »Die heutige Verfassung bezeichnet Österreich als eine demokratische Republik, deren Recht vom Volke ausgeht. Wenn wir einen christlichen Staat aufbauen wollen, wie der Bundeskanzler es als feststehenden Entschluss unserer Regierung verkündet hat, so ist es klar, dass wir nicht nur bei der Regelung des Religions- und Schulwesens auf das abgeschlossene Konkordat Rücksicht nehmen, sondern auch der Tatsache Rechnung tragen müssen, dass, wie alles Irdische von Gott geschaffen ist, so auch er der

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Salzburger Landeshauptmann in der Verfassungsdiskussion in deutlichem Gegensatz zu den Forderungen der Heimwehr, indem er das Subsidiaritätsprinzip betonte, den Aufbau der Stände von unten nach oben und die Implementierung demokratischer Elemente forderte. Er verteidigte den Parteienstaat und damit auch den Fortbestand der Christlichsozialen Partei, womit er in deutlichem Gegensatz zu Dollfuß stand, für den deren Ende früher oder später bereits beschlossene Sache war. An ihre Stelle sollte der autoritäre Ständestaat die Vaterländische Front als überparteiliche nationale Sammelbewegung treten. Bei den Christlichsozialen war man zum Zeitpunkt des Erscheinend des Aufsatzes von Rehrl über eine künftige Verfassung um eine deutliche ideologische Abgrenzung von der Heimwehr und deren Diktaturgelüste bemüht. In Wien kritisierte Parteiobmann Czermak offen Aussagen Starhembergs über die Dominanz des Heimwehrgedankens und erklärte in Richtung der offensiv auftretenden Heimwehr  : »Wir zweifeln, dass die, welche sich als Freunde des Kanzlers ausgeben, auch wirklich seine Freunde sind.«392 Zu Jahresbeginn 1934 stand nicht nur die demokratisch-parlamentarische Struktur der Länder, sondern auch der Weiterbestand der Christlichsozialen Partei zur Disposition. Dessen wurde man sich auch in den Führungsgremien der Partei bewusst. Dabei war die Haltung der Parteibasis und der Funktionäre durchaus ambivalent, da ein Teil nach einer autoritären Führung und starken Hand rief und mit faschistischen oder semi-faschistischen Modellen sympathisierte, während ein anderer, vor allem die Spitzen der Bundespolitik, im Kampf um den massiv gefährdeten Weiterbestand der Partei die Heimwehr als regierungsinternen Konkurrenten betrachtete, der einen Staatsumbau nach faschistischem Vorbild betrieb. Die Hoffnung, in der Vaterländischen Front kumulativ als Partei die bestimmende Rolle zu spielen, begann sich zunehmend in Luft aufzulösen und der Erkenntnis zu weichen, dass Dollfuß mit ihr eine parteifreie Bewegung formieren wollte. So bemerkte der Abgeordnete Rudolf Mathaler am 11. Jänner 1934 erbost im Klubvorstand, die Heimwehr betreibe eine massive Agitation gegen die Christlichsozialen und gegen Ursprung des Rechtes ist, das wir Menschen nicht willkürlich zu schaffen, sondern richtig zu finden haben. Wir anerkennen daher  : das Recht geht von Gott aus. Die neue Verfassung unterlässt es, die Republik als demokratisch zu bezeichnen. Soll das bedeuten, dass die Demokratie ausgerottet werden soll  ? Jene Demokratie, die wir mit dem Begriffe des entarteten Parlamentarismus verbinden, verschwindet tatsächlich. Wir werden auch keine gesetzgebenden Körperschaften mehr haben, die aus allgemeinen Wahlen hervorgehen. Auch werden die neuen gesetzgebenden Körperschaften nicht mehr jene übertriebene Machtstellung besitzen, die sie nur zu oft aus einer gesetzgebenden Körperschaft zu einem Machtfaktor werden ließ, der eine zielsichere Führung des Staates durch eine starke Regierung unmöglich machte. Um deutlich zu zeigen, dass eine solche abwegige Demokratie keinen Raum mehr hat, wurde die Republik im vorliegenden Entwurfe nicht mehr als demokratische, sondern als ständische bezeichnet.« (MRP 919/3 Beilage A.) 392 Salzburger Chronik 8.2.1934. S. 7.

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Die Demokraten auf dem Rückzug

den Parlamentarismus. »Es wird so getan, als wäre im Parlament überhaupt nichts geschehen und nun sei geradezu ein Paradies über Österreich gekommen.« Man müsse alles unternehmen, um bei Dollfuß nicht den Eindruck entstehen zu lassen, dass er von der Heimwehr abhängig sei. Und der Salzburger Parteiobmann Rudolf Ramek ergänzte, die Heimwehr wolle gar keine Verfassungsreform »wie es der Bundeskanzler will. Sie will keinen Ständestaat, sondern mit einigen Führern herrschen und ihren Banden, die sie bewaffnet hat.« Die Christlichsoziale Partei bilde das einzige Bollwerk gegen diese Entwicklung.393

393 Goldinger (Hg.)  : Protokolle. S. 318 f.

6. Der 12. Februar 1934 oder die ungewollte Katastrophe

In seinen Memoiren bemerkt Ernst Rüdiger von Starhemberg zum Ausbruch des Bürgerkrieges am 12. Februar 1934  : »Zunächst sei festgestellt, dass wohl weder von Dollfuß noch von mir ein Zusammenstoß mit dem bewaffneten Teil der österreichischen Sozialdemokratie herbeigeführt werden wollte. Es sei aber auch festgestellt, dass genauso wenig wie wir, die Führung der österreichischen Sozialdemokratie eine Erhebung gegen die Staatsführung beabsichtigte.«394 Starhembergs Behauptung entspricht den historischen Fakten, die hier in aller Kürze skizziert seien. Als die sozialdemokratische Parteiführung weder auf die Verhinderung des neuerlichen Zusammentretens des Nationalrates am 15. März noch auf die am 31. März verfügte Auflösung des Republikanischen Schutzbundes offensiv mit der Ausrufung des Generalstreikes und der Mobilisierung des Schutzbundes antwortete, wurde sie vom linken Parteiflügel, der sog. Linksopposition, massiv angegriffen. Um eine drohende Parteispaltung zu verhindern, berief die Parteiführung eine Reichskonferenz für den 15. April in das Favoritner Arbeiterheim ein. Die Parteiführung, vor allem Otto Bauer und Robert Danneberg, verteidigten die zögernde und defensive Haltung und Danneberg bezeichnete die linken Kritiker als »Revolutionsromantiker«. Dabei wurde deutlich, dass es der Linksopposition nicht um die Verteidigung der Demokratie ging, sondern um die Diktatur des Proletariates, die man nunmehr offen forderte. Dies veranlasste Otto Bauer zu einer Erwiderung in einem Artikel in der theoretischen Monatsschrift »Der Kampf«, in dem er bemerkte, es lohne sich sehr wohl, für die Wiederherstellung der Demokratie zu kämpfen. Doch Otto Bauer vermochte die Linksopposition nicht zu überzeugen. In dem von Ernst Fischer und Ludwig Wagner verfassten »Augustmanifest« erklärten sie die bürgerlich-liberale Demokratie als Illusion, die die Arbeiterbewegung in den Abgrund führe. Da die Bourgeoisie zur Erhaltung ihrer Macht zum Mittel der Diktatur greife, müsse auch das Proletariat zu diesem Mittel greifen. Die Arbeiterbewegung müsse sich daher zwischen zwei Formen der Diktatur entscheiden, jener der Bourgeoisie und jener des Proletariates, zwischen Barbarei und Sozialismus. Um das Ziel der Diktatur des Proletariates zu erreichen, so eine Forderung des Bezirks Wien-Brigittenau, müsse man auch ein Bündnis mit der KPÖ schließen. Damit griff die Parteilinke auf die Theorie Max Adlers zurück, der 1919 die im Vorjahr geschaffene demokratische Republik lediglich als »politische Demokratie« bezeichnet hatte, die von der »sozialen Demokratie«, das Ziel der Sozialdemokratie, weit entfernt sei. Sie sei nämlich nicht 394 Starhemberg  : Memoiren. S.  158.

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anderes als die Diktatur einer Klasse, d. h. der Bourgeoisie, über eine andere, das Proletariat. In der parlamentarischen Demokratie werde dieser Klassenantagonismus Realität, da der parlamentarische Prozess nichts anderes sei als eine Variante des Klassenkampfes, der Durchsetzung der Macht der herrschenden Klasse gegen eine andere, unterlegene, d. h. das Proletariat. So lange die Bourgeoisie die Mehrheit im Parlament besitze, übe sie eine Diktatur aus. Das Proletariat befinde sich daher in der im November geschaffenen parlamentarischen Demokratie nur in einer Scheindemokratie, da die Bourgeoisie den Parlamentarismus als Paravent für ihre Diktatur benütze. Aus dieser Diktatur der Bourgeoisie müsse daher die Diktatur des Proletariates entstehen, um die soziale Demokratie als die wahre Form der Demokratie zu realisieren.395 Im dritten Band seiner »Soziologie des Marxismus« betonte er die letztlich nicht vermittelbare »Notwendigkeit« des »feindlichen Gegensatzes der Klassen« auf Grund des »ökonomischen Grundschemas aller Klassengliederung«, die »soziologische Gestalt der ökonomischen Struktur einer unsolidarisch gewordenen Vergesellschaftung. Die Klassengliederung ist also mit einer bestimmten Form des gesellschaftlichen Lebens unzertrennbar gegeben und so notwendig wie diese selbst  ; sie kann nur mit der Änderung der ökonomischen Struktur des gesellschaftlichen Lebens geändert und nur mit deren Beseitigung aufgehoben werden.« Es sei eine Illusion, von einer Zusammenarbeit der Klassen zu sprechen, da eine Vermittlung der kontradiktorischen Gegensätze unmöglich sei. Jede »Rechtsordnung ist … nach ihrem soziologischen Inhalt eine Herrschaftsordnung, die zunächst durch die Gerichte geschützt, in letzter Linie aber durch die Mittel der brutalen Gewalt, nämlich durch Waffen und Galgen des Staates aufrechterhalten wird. Die Geschichte kennt daher auch kein Beispiel, in welchem eine bevorrechtete Klasse anders als durch Gewalt aus ihrer privilegierten und herrschenden Stellung entfernt worden wäre. Die Vorstellung eines freiwilligen Verzichtes auf das Vorrecht, auf Beherrschung und Ausbeutung anderer Klassen entspringt zwar dem Wunsch edler Menschenfreunde, besitzt aber gegenüber der harten geschichtlichen Realität ebenso wenig irgendwelche bestimmende Kraft als jede sonstige Predigt über Nächsten- und Feindesliebe.«396 Wenngleich sich die Linksopposition, die vor allem bei jüngeren Parteiaktivisten und in Teilen des Republikanischen Schutzbundes ihre Anhänger hatte, auf dem Parteitag vom 14. bis 16. Oktober 1933 durch eine geschickte Parteitagsregie sowie eine glänzende Rede Otto Bauers nicht entsprechend in Szene setzen konnte, so 395 Ilse Reiter-Zatloukal  : Parlamentarismus im Fadenkreuz. Demokratiekonzepte und (Anti-)Parlamentarismus in Österreich 1918 bis 1933/34. – In  : Parlamentsdirektion (Hg.)  : Staats- und Verfassungskrise 1933. S. 19–50. S. 27. 396 Max Adler  : Die solidarische Gesellschaft. Soziologie des Marxismus 3. – Wien/Köln/Stuttgart/Zürich 1964. S. 91 ff.

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war der Riss in der Partei unübersehbar. Die Parteiführung war sich der äußerst schwierigen Situation durchaus bewusst. Der US-amerikanische Gesandtschaftsbericht vom 7. September 1933 analysierte die Lage der Sozialdemokratie und kam zu dem Ergebnis, dass jüngere Mitglieder zunehmend zu den Nationalsozialisten abwanderten oder aber sich gegen die zögernd-defensive Politik der Parteiführung radikalisierten. Die zögernde Haltung der Parteiführung sei dem Umstand geschuldet, dass die Partei längst nicht mehr über die ursprüngliche Stärke verfüge und zudem in sich nicht einig sei.397 Die Tragödie der Sozialdemokratie entwickelte sich auf zwei Ebenen  : Otto Bauer näherte sich der Position der kompromissbereiten niederösterreichischen Sozialdemokraten um Karl Renner, Heinrich Schneidmadl, Pius Schneeberger, Franz Popp und Oskar Helmer an, die das Gespräch mit dem demokratischen Flügel der Christlichsozialen suchten und bereit waren, große Zugeständnisse zu machen. Diese kompromissbereite Linie war insofern riskant, als sie vom Entgegenkommen der Regierung und damit von einem Erfolg abhängig war, um damit die Geschlossenheit der Partei wiederherzustellen und den Irrweg der Linken zu demonstrieren. Am 7. Jänner 1934 versuchte man daher durch eine Erklärung die Regierung zu Verhandlungen zu bewegen, indem man auf die explosive Stimmung in Teilen der Basis hinwies. Gleichzeitig entwickelte die Linksopposition ein Gegenprogramm, das in einer Koalition mit der KPÖ auf den bewaffneten Kampf und die revolutionäre Machtübernahme setzte. Richard Bernaschek, der oberösterreichische Schutzbundführer und Parteisekretär, gehörte der Linksopposition an und schrieb verzweifelt über den Zerfall der Parteibasis, die jeden Glauben an den revolutionären Kampf verloren habe. Halten wir an dieser Stelle kurz inne und blicken auf den zweiten Protagonisten, den Sicherheitsminister und Vizekanzler Emil Fey. Fey gehörte zu den Falken im Regierungslager, war Befürworter einer Beseitigung des Parteienstaates, vor allem der Sozialdemokratie, und nahm in seiner Haltung zur NSDAP eine bis heute nicht restlos geklärte Position ein. Lujo Tončić-Sorinj, der ihn persönlich kannte, charakterisierte ihn in seinen Erinnerungen als einen echten militärischen Führer, »bedingungslos in seiner Überzeugung. Er war in erster Linie gegen alles eingestellt, was von links kam. Zwar lehnte er den Nationalsozialismus ab, aber hätte dieser das unabhängige Österreich akzeptiert oder wäre er von Österreich als großösterreichische Bewegung ausgegangen, so hätte Fey zu ihm eine Brücke gefunden.«398 Die Behauptung, dass Fey am 12. Februar auf die Konfrontation mit dem Republi­ kanischen Schutzbund zielbewusst losgesteuert sei, ist nicht haltbar. Wenngleich auf seine Veranlassung am 10. Februar dem Wiener Bürgermeister Karl Seitz die Sicherheitsagenden entzogen wurden, so handelte es sich dabei doch nur um einen 397 Goldinger  : Dollfuß im Spiegel der US-Akten. S. 70 f. 398 Tončić-Sorinj  : Erfüllte Träume. S. 71.

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symbolischen Akt. Wien unterstand nämlich stets der Bundespolizei und besaß daher nicht einmal einen eigenen Sicherheitsdirektor. Feys berühmter Satz bei der Abschlussveranstaltung eines Heimwehrmanövers auf dem Bisamberg am 11. Februar, man werde morgen an die Arbeit gehen und ganze Arbeit leisten, bezog sich keineswegs auf die tragischen Ereignisse des folgenden Tages, sondern auf die Aussprache von christlichsozialen Landespolitikern mit Dollfuß und Heimwehrvertretern über die künftige Gestaltung der Landesregierungen. Dass Fey im Stil eines Condottiere die Sozialdemokratie im Sinne des »Kampfes gegen den Marxismus« bekämpfen und letztlich politisch eliminieren wollte, ist unbestritten. Doch es war Richard Bernaschek,399 der mit seinem gegen die ausdrückliche Order der Parteiführung gegebenen Schießbefehl auf die in das Hotel Schiff in Linz eindringenden Polizisten den Bürgerkrieg auslöste, der letztlich alle Protagonisten überraschte und keineswegs einer genereller »Arbeiteraufstand« war, als den ihn Otto Bauer im Brünner Exil mythisch überhöhte. Es war auch kein Kampf für die demokratisch-parlamentarische Demokratie, wie von der Parteihistorie a posteriori behauptet, sondern für die Diktatur des Proletariates (bei vielen nach sowjetischem Muster) und ein partieller Schutzbundaufstand vor allem gegen die eigene Parteiführung und deren behauptete zögerliche Haltung gegenüber einem letztlich auf die Vernichtung der Sozialdemokratie zielenden Gegner. Die militärischen Auseinandersetzungen konzentrierten sich auf Wien und die insularen Industrieorte in den Bundesländern Nieder- und Oberösterreich sowie der Steiermark.400

399 Zu Bernaschek vgl. Inez Kykal, Karl R. Stadler  : Richard Bernaschek. Odyssee eines Rebellen. – Wien 1976. 400 Zum Bürgerkrieg 1934 vgl. Karl Haas  : Der »12. Februar 1934« als historiographisches Problem. – In  : Jedlicka, Neck (Hg.)  : Vom Justizpalast zum Heldenplatz. S. 156–168  ; Arnold Reisberg  : Februar 1934. Hintergründe und Folgen. – Wien 1974  ; Ludwig Jedlicka, Rudolf Neck (Hg.)  : Das Jahr 1934. 12. Februar. Protokoll des Symposiums in Wien am 5. Februar 1974. – Wien 1975. (Wissenschaftliche Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1927 bis 1938. Veröffentlichungen Band 2.)  ; Botz  : Gewalt in der Politik. S. 225 ff.; Erich Fröschl, Helge Zoitl (Hg.)  : Februar 1934. Ursachen, Fakten, Folgen. Beiträge zum wissenschaftlichen Symposion des Dr.-Karl-Renner-Instituts abgehalten vom 13. bis 15. Februar 1984 in Wien. – Wien 1984  ; Theodor Veiter  : »Das 34er Jahr«. Bürgerkrieg in Österreich. – Wien/München 1984  ; Wolfgang Maderthaner  : 12. Februar 1934  : Sozialdemokratie und Bürgerkrieg. – In  : Rolf Steininger, Michael Gehler (Hg.)  : Österreich im 20. Jahrhundert. 2 Bde. – Wien/Köln/Weimar 1997. Bd. 1. Von der Monarchie bis zum Zweiten Weltkrieg. S. 153–202  ; Helmut Konrad  : Der 12. Februar 1934 in Österreich. – In  : Günther Schefbeck (Hg.)  : Österreich 1934. Vorgeschichte – Ereignisse – Wirkungen. – Wien/München 2004. S. 91–98  ; Robert Kriechbaumer  : Zwischen Demokratie und Diktatur des Proletariats. Die Sozialdemokratie und der 12. Februar 1934. – In  : Michael Dippelreiter, Christian Prosl (Hg.)  : Österreich 1934 – das Spiel mit dem Feuer. Versuch einer differenzierten Betrachtung. – Klagenfurt 2015. S. 207–238.

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In Salzburg kam es, abgesehen von kleineren Sprengstoffanschlägen und Demonstrationen in Hallein, zu keinen Kampfhandlungen. Bundesheer und Heimwehr agierten hier lediglich unterstützend bei Hausdurchsuchungen und Verhaftungen durch die Exekutive. Die »Salzburger Chronik« meldete am 13. Februar, in Stadt und Land Salzburg herrsche »vollkommene Ruhe.«401 Am 16. Februar berichtete das christlichsoziale Blatt, in Salzburg herrsche »nach wie vor … vollste Ruhe. Die in den letzten Tagen seitens der Polizei durchgeführte Waffensuche hatte zur Beschlagnahme von drei schweren Maschinengewehren geführt, von denen eines in Gnigl und ein anderes in Maxglan aufgefunden wurde. Dabei konnten über 10.000 Maschinengewehrmunition, zahlreiche Mannlichergewehre mit Munition, unter anderem Dum-Dum-Geschoße und eine Menge sogenannter Einschusspatronen, sichergestellt werden.«402 Landeshauptmann Franz Rehrl wandte sich sichtlich erleichtert über den relativ friedlichen Verlauf des »furchtbaren Ereignisses« am 15. Februar an die Salzburger Bevölkerung. »In dieser Zeit tiefster Trauer, in der ich mit Wehmut der blutigen Opfer gedenke, bedeutet es für mich als Landeshauptmann von Salzburg einen besonderen Lichtblick, dass u n s e r H e i m a t l a n d v o n d i e s e r G e i s e l G o t t e s v e r s c h o n t w u r d e . Wir verdanken dies vor allem der Besonnenheit und dem Verantwortungsgefühle unseres Volkes selbst. Wir verdanken es aber auch dem klugen und einsichtigen Vorgehen der staatlichen Organe, die in aufreibender Arbeit die nötigen Maßnahmen ergriffen haben, um ein Durchflammen der Leidenschaft zu verhindern. (…) Gleichzeitig richte ich … an das gesamte Salzburger Volk die Aufforderung, weiterhin in friedlicher Zusammenarbeit den dringend notwendigen Wiederaufbau unseres staatlichen Lebens und der Wirtschaft zu unterstützen. A l l e Kreise der Bevölkerung, die guten Willens sind, den Aufbauwillen der Regierung Dollfuß tatkräftig zu unterstützen, kommen sie woher immer, sind hierbei willkommen und zur Mitarbeit berufen.«403 Das Konsensklima der Ersten Republik tat auch nach dem 12. Februar 1934 seine Wirkung. Rehrl intervenierte ebenso wie der Salzburger Erzbischof Sigismund Waitz zugunsten der inhaftierten Sozialdemokraten, deren Behandlung in Salzburg besser war als in anderen Bundesländern. Am 14. Jänner 1935 schrieb Rehrl unter Bezugnahme auf ein Schreiben vom 30. Dezember 1934 an den ehemaligen sozialdemokratischen Landesrat Karl Emminger, dieser möge ihm eine »Liste jener Arbeiter« übermitteln, die nach einer Mitteilung Emmingers anlässlich der Februarunruhen von der Stadtgemeinde Salzburg und von der Tabak- bzw. Zellulosefabrik in Hallein entlassen worden seien und noch keine Arbeit gefunden hätten. Der Salzburger 401 Salzburger Chronik 13.2.1934. S. 2. 402 Salzburger Chronik 16.2.1934. S. 8. 403 Salzburger Chronik 15.2.1934. S. 1.

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Landeshauptmann intervenierte bei Bundeskanzler Kurt Schuschnigg für diese Arbeitslosen mit der Begründung, dass sich in Salzburg »die Arbeiterschaft ganz ruhig verhalten« habe und »man von Februarereignissen im Lande Salzburg eigentlich nicht sprechen« könne. Bei einem entsprechenden entgegenkommenden Verhalten könne man hoffen, »weite Kreise der Arbeiterschaft dem vaterländischen Gedanken näher zu bringen.404 Und am 1. Februar 1935 schrieb Rehrl an Ernst Karl Winter nicht ohne Stolz, dass sich in Salzburg wegen der Februarereignisse des Vorjahres niemand mehr in Haft befinde.

404 SLA Rehrl-Briefe 1935/0027.

1  Der Salzburger Landtag 1930. Über den 1932 gewählten Salzburger Landtag, in dem auch sechs Nationalsozialisten vertreten waren, ­existieren keine Aufnahmen. 

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2  Das Land Salzburg Ende der zwanziger und frühen dreißiger Jahre. Saalfelden mit dem Steinernen Meer 31. Oktober 1928. 

3  Der Marktplatz von Altenmarkt 1. August 1930. 

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4  Rauris, Markteingang mit Ritter und Schafelkarkopf 5. Juni 1931. 

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5  Altstadt Salzburg mit Hohensalzburg 1. Juli 1929.

6  Bittprozession am Nonnberg 11. Mai 1931. 

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7  Fronleichnamsprozession in Pfarrwerfen 31. Mai 1931. 

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8  Empfang von Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl durch Polizeidirektor Hofrat Otto Steinhäusl anlässlich der Einweihung der Polizeikaserne am 23. Juli 1931. 

9  Einweihung der Polizeikaserne am 23. Juli 1931. Feldmesse im Hof der Kaserne durch Erzbischof Dr. Ignatius Rieder. 

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10  Heimwehr-Landesaufmarsch am 6. Oktober 1929 in der Stadt Salzburg. An der Spitze des Zuges die Bundesführung. 

11  Heimwehr-Landesaufmarsch am 6. Oktober 1929 mit Ehrengästen – Erzbischof Dr. Ignatius Rieder und Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl - auf dem Residenzplatz. 

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12  Heimwehr-Aufmarsch in Saalfelden am 19. Mai 1930. 

13  Die Heimwehrführer-Deputation, an ihrer Spitze der geschäftsführende Landesführer Josef Ziller (Bild Mitte), die am 8. Februar 1934 Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl ihre Forderungen überbrachte. 

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14  Die sozialdemokratische Landtagsfraktion 1919. 

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15  Arbeiterhäuser in Mühlbach im Pongau 13. Mai 1931. 

16  Das sozialdemokratische Arbeiterheim in Salzburg-Itzling 1932. 

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17  Sozialdemokratischer Freidenkerbund, Ortsgruppe Hallein 1926. 

18  25-jähriges Bestandsjubiläum der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) Hallein 1930. 

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19  Republikanischer Schutzbund (Schutzbund-Bataillion Salzburg II/Kompanie Hallein) und Wehrturner (dunkle Uniform) Hallein 1926. 

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20  1. Mai-Aufmarsch der SDAP Anfang der dreißiger Jahre. Karl Emminger, der Landeskommandant des Schutzbundes, an der Spitze der Formation. 

21  Landesaufmarsch des Republikanischen Schutzbundes am 12. November (Tag der Republik) auf dem Residenzplatz. Frühe dreißiger Jahre. 

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22  Josef Witternigg und seine Frau Anna 1936 (letzte Aufnahme vor seinem Tod). 

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23  Nationalsozialistische Wahlwerbung 1932, die sich an die Bauern unter dem Titel »Der Bauer und der Nationalsozialismus« richtet. 

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24  Versammlung der NSDAP im Salzburger Festspielhaus am 27. Oktober 1932. Stehend Alfred Eduard ­Frauenfeld, am Tisch Anton Wintersteiger und Karl Scharizer. 

25  NSBO (NS-Betriebszellenorganisation) Tagung im Hotel Meran/Salzburg am 20. November 1932. 

TEIL II DIE BER ICHTE

1. Allgemeine Politische Lage Die Sicherheitsverhältnisse

Polizeidirektion Salzburg, 20. März 1933 Zl. 41/33-res. (132.554-33) Betrifft  : Vorkommnisse in Salzburg am 15.3.1933. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit,1 Wien I, Herrengasse 7. Die ungewisse politische Gesamtlage der letzten Zeit wirkte sich in Salzburg bereits in den Tagen vor dem 15.3.1933 durch eine merkbare Unruhe sowohl innerhalb der Wehrorganisationen der einzelnen politischen Parteien als auch durch eine gewisse Nervosität der politisch mehr oder minder indifferenten Bevölkerung aus. Gerüchte von Generalstreik, von Brandlegung und Plüderungstrupps der Kommunisten, Bewaffnung des Schutzbundes etc. gingen durch die Stadt. Die Möglichkeit von Zusammenstößen politischer Gegner veranlasste die Polizeidirektion, öfters größere Bereitschaften anzuordnen. Auf Grund des fernmündlich erteilten Auftrages des Bundeskanzleramtes wegen Möglichkeit eines Ausbruches eines Generalstreikes am 15.3.1933 fand in den Nachtstunden eine Besprechung zwischen den maßgebenden Funktionären der Landesregierung, Polizeidirektion, Ortskommando und Bezirkshauptmannschaft Salzburg statt, in der für den Fall der Notwendigkeit die Verteilung der Aufgaben der einzelnen Exekutivkörper und die Besetzung der wichtigsten Punkte der Stadt und des Landes einvernehmlich festgelegt wurde. Die Nacht vom 14. auf 15.3. verlief vollkommen ruhig, ebenso der Vormittag des 15.3. Der Republikanische Schutzbund hielt zwar in einzelnen Lokalen Führerbereitschaft  ; für die Mitglieder war strenger Dienst angeordnet, doch trat dies nach Außen in keiner Weise in Erscheinung. In den Stunden zwischen 13 und 15 Uhr begann die bisher verdeckt gehaltene Erregung der zivilen Wehrformationen zum Durchbruch zu kommen. Gegen Abend konzentrierte der Heimatschutz seine Kameraden in den Sammellokalen im »Kaltenhauserkeller« und im »Deutschen Hof«  ; es waren ca. 100 bis 150 Heimwehrmänner zusammengezogen worden. Der Republi­kanische Schutzbund berief seine Bereitschaft ein, die sich im Arbeiterheim und in der Union versammelte  ; die NSDAP hatte anscheinend keine Bereitschaft einberufen, lediglich das »Braune Haus« war stärker besetzt als normal. 1 Sektionschef Dr. Friedrich d’Elvert.

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Allgemeine Politische Lage

Wohl schien auf Grund der Nachrichten über die Vorgänge im Parlament in Wien eine gewisse Beruhigung in der Bevölkerung der Stadt Salzburg Platz zu greifen, da seitens der Führung des Republikanischen Schutzbundes die Weisung ausgegeben worden war, jedwede weitere ernste Aktion einzustellen. Gegen 19 Uhr konnte jedoch wieder eine stärkere Bewegung in den Reihen des Republikanischen Schutzbundes wahrgenommen werden, zumal das Gerücht nicht schweigen wollte, es sei in der Nacht vom 15. auf 16.3. die Besetzung der Regierungsgebäude geplant. Über Veranlassung der Polizeidirektion wurden unter Aufrechterhaltung des organisierten Nachrichtendienstes die wichtigsten Punkte der Stadt durch das Militär und die wichtigsten öffentlichen Gebäude mit Wache gesichert. Um 19 Uhr wurde in Lehen eine Kommunistengruppe, die in Sprechchören zu Demonstrationen aufforderte, durch Wache mit geringer Mühe und ohne Gewaltanwendung zerstreut. (…) Erst ab 22 Uhr trat eine Entspannung der Situation ein, als die Bereitschaft des Republikanischen Schutzbundes langsam abgebaut wurde. Gegen 23 Uhr verließ auch der Heimatschutz seine Bereitschaftslokale unter Zurücklassung eines schwachen Verständigungsstaffels. (…) Bezirksgendarmeriekommando Salzburg, 18. April 1933 Exh. Zl. 4.651/LAD E. Nr. 747. Posten Oberndorf meldet fernmündlich am 18.4.1933. Am 16.4.1933 gegen 20 Uhr stänkerten mehrere, von der Brauerei Wildshut in Oberösterreich kommende Kommunisten und Sozialdemokraten aus Bürmoos in der Ortschaft Au, Gemeinde St. Georgen, mehrere dort auf der Straße stehende Dorfburschen aus Au mit den Rufen »Heil Hitler, Rot Front, Heil Moskau  !« an. Da die Dorfburschen darauf nicht reagierten, durchsuchten die Burschen aus Bürmoos die Bauernburschen nach Hakenkreuzabzeichen. Hierbei wurde bei dem Maschinenschlossergehilfen Georg Esterbauer ein Hakenkreuzabzeichen gefunden, weshalb er von den Bürmoosern mit Fußtritten traktiert und schließlich niedergeschlagen wurde, wobei er einen lebensgefährlichen Schädelbasisbruch mit Gehirnerschütterung erlitt. Nach Verübung der Tat gingen die Bürmooser Burschen bis zum Pfarrhof in St. Georgen, lärmten dort und schlugen zwei Fensterscheiben ein. Am 17.4. wurden die an dieser Tat beteiligten Burschen … verhaftet und dem Landesgerichte in Salzburg direkt eingeliefert. Bei der Abeskortierung der Verhafteten … demonstrierten die Arbeiter von Bürmoos gegen die Verhaftung, sodass die 6 Gendarmeriebeamten gezwungen waren, sich den Weg mit dem Bajonett zu bahnen. (…)

Die Sicherheitsverhältnisse

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Gendarmeriepostenkommando Oberndorf, 20. April 1933 Exh. Zl 4.962/LAD E. Nr. 1083 Betrifft  : Misshandlung eines Österreichers in Laufen (Bayern). An die Bezirkshauptmannschaft in Salzburg. Am 19. April 1933 vormittags erschienen die in Oberdorf Nr. 16 und 29 wohnhaften Anna und Maria Tajcovsky am hiesigen Posten und brachten vor, dass ihr Bruder bzw. Schwager Ferdinand Tajcovsky, 19 Jahre alt, am gleichen Vormittage in Laufen in Bayern verhaftet und eingeliefert wurde. Über diese Verhaftung wollten die beiden Genannten auf der bayerischen Grenze nachfragen, wobei ihnen von dem Zollwacheassistenten Alfred Salbek die Reisepässe abgenommen und ihnen bedeutet wurde, dass ihnen der Grenzübertritt nach Bayern verboten ist. Salbek ist nationalsozialistischer Abschnittskommandant der Bezirke Laufen und Traunstein. Nach 24 Uhr des 19. April l. J. wurde Ferdinand Tajcovsky von der Haft entlassen und auf die Grenzbrücke gestellt. Beim Grenzübertritte machte Tajcovsky … folgende Angaben  : »Am 19. April 1933 ging ich um ca. 9 Uhr über die Reichsbrücke von Oberndorf nach Laufen, um mir dort ein Buch zu holen. Beim Zurückgehen hielt mich der Zollassistent Salbek an und forderte mich auf, mit ihm in den Amtsraum zu gehen. In diesem Amtsraum stellte mich Salbeck so auf, dass ich mit dem Gesichte zur Wand gerichtet war. Dann forderte mich Salbek auf, die Hände hoch zu halten. Ein im Dienste gestandener SS-Mann zog die Pistole und erklärte mir, dass er mich bei jedwedem Fluchtversuche erschießen werde. Salbek perlustrierte mich, nahm mir das Buch samt Brieftasche und Grenzschein ab und lieferte mich dann in die aufgelassene Männerstrafanstalt in Laufen ein. Während der Eskorte erklärte mir Salbek, dass ich wegen des Mordes (schwere Körperverletzung in Au bei St. Georgen, Georg Esterbauer) verdächtig bin, zumal ich dabei gewesen sein soll. Auch sagte mir Salbek, dass ich früher nicht freigelassen werde, bis mein Bruder Valentin Tajcovsky sich selbst stellen wird, da gegen ihn in derselben Angelegenheit ein Steckbrief erlassen worden ist. Gleich nach der Einlieferung erschien der Sonderkommissär für Laufen und Umgebung namens Ankirchner, früher Reichsbahnassistent in Traunstein, in der Gefangenenanstalt. Dort bedeutete mir der Sonderkommissär in Gegenwart des Salbek und SS-Mannes, dass es am besten wäre, wenn sie mich gleich in den Hof führen und mich niederschießen würden. Gleich hernach wurde ich in den zweiten Stock in eine dort befindliche dunkle Zelle geführt und eingesperrt. Nach zirka 5 Minuten kam der Sonderkommissär allein in meine Zelle, wogegen Salbek, der SS-Mann und der Kerkermeister Josef Weinzierl vor der offenen Tür stehen blieben. Der Sonderkommissär fragte mich, ob

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ich etwas von dem Morde in Au bei St. Georgen wisse, was ich verneinte. Auf dieses hin setzte mir der Sonderkommissär die Pistole an die Stirne und schlug mir nebenbei mit dem Gummiknüppel zirka 20 bis 30 Mal auf den Kopf und in das Gesicht. Während dieser Misshandlung wurden zwei Pistolenschüsse in der Zelle abgefeuert und ich bin der Ansicht, dass der Sonderkommissär einmal und der SS-Mann auch einmal geschossen hat, zumal ich nachträglich zwei abgeschossene Patronenhülsen am Boden liegend gefunden habe. Dann wurde ich in der Zelle versperrt. Um 16.30 Uhr brachten mich zwei SS-Männer zum Bezirksamte. Während der Eskorte dorthin erklärten mir die beiden SS-Männer, dass sie mich bei einem Fluchtversuche sofort erschießen werden. Beim Bezirksamte frug mich dann der Sonderkommissär, was ich tun werde, wenn sie mich freilassen. Ich gab zur Antwort, dass ich mich vorerst mit dem Gedanken trug, mich der NSDAP anzuschließen, was ich aber jetzt infolge der mir zu Unrecht zugefügten Misshandlung unterlasse. Hierauf wurde ich in das Amtsgerichtsgefängnis eingeliefert. Nach kurzer Zeit kam der Sonderkommissär zu mir in den Arrest, wo ich ihn ersuchte, mich freizulassen, zumal ich meiner Arbeit nachgehen möchte. Er versprach mir das und bedeutete zugleich, dass ich, wenn ich von diesem Vorfalle (Misshandlung) jemandem etwas erzähle oder mich politisch betätige, vom Bette herausgeholt und wieder nach Laufen gebracht werde, denn sie haben genügend Leute, die mich überwachen und holen würden. Um 24 Uhr des 19. April l. J. brachte mich ein SS-Mann aus dem Gefängnis und brachte mich zur Grenze, wo ich wieder mein Buch samt Brieftasche und Grenzschein erhielt und dann freigelassen wurde.« (…) Tajcovsky, welcher über heftige Schmerzen am Kopfe, Gesichte und an den Händen klagte, wies tatsächlich am Hinterhaupte und an den Händen zahlreiche wulstartige Geschwülste auf. Diese Erscheinungen an den Händen sind darauf zurückzuführen, dass sich Tajcovsky diese (die Hände), als ihn der Sonderkommissär mit dem Gummiknüppel auf den Kopf schlug, an den Kopf und vor das Gesicht hielt. Auch am linken Auge, welches mit Blut unterlaufen war, zeigte sich die Misshandlung. Ferdinand Tajcovsky in ein einwandfreier und unbescholtener Charakter, hat seinerzeit in Laufen das Malerhandwerk erlernt und gehört zu denjenigen Leuten, die bisher mit den Behörden nichts zu tun hatten. Die Misshandlung des Tajcovsky darf mit Recht als brutale anerkannt werden und ist geeignet, dass in kürzester Zeit eine eventuelle Vergeltung zu erwarten sein wird, weil nicht bloß eine Erregung unter der Sozialistischen Partei, sondern auch unter der friedliebenden Bevölkerung sich bemerkbar macht. Dies umso mehr, weil man in letzter Zeit dem hiesigen Kooperator Johann Höck, dem Pfarrer Max Fellacher, welcher 33 Jahre in der Pfarrei Oberndorf und Göming gewirkt hat, sich jetzt im Ruhestand befindet, dann einem gewissen Max Schrenk, welcher überhaupt keiner

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politischen Partei angehört, die Grenzdokumente wegnahm resp. ihnen den Grenzübertritt verweigerte. Dabei wurde ihnen auch die Androhung der Verhaftung zuteil, falls sie die Grenze doch noch passieren sollten. Harmlose Passanten werden, trotzdem sie Grenzdokumente besitzen, ohne jedwelchen Grund einfach von Salbek und dem Sonderkommissär zurückgewiesen, was wohl an keiner Grenzübergangsstelle stattfinden dürfte. (…) Bundeskanzleramt Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, 24. April 1933 Zl. 147.836-GD.3/1933 (148.714-33). Te l e f o n d e p e s c h e Das Landesgendarmeriekommando in Salzburg (GLD. Wilhelm May) meldet am 23.4.1933 um 10 Uhr fernmündlich  : Am 23.4.1933 um 2.15 Uhr erschienen vor der Wohnung des der NSDAP angehörenden Georg Höhn in Oberndorf 7 der Sozialdemokratischen Partei angehörende Ortsinsassen und forderten den Höhn auf, auf die Straße zu kommen. Als Höhn dies ablehnte, bedrohten ihn die Burschen mit dem Erschießen. Hierauf stieg der Sozialdemokrat Anton Kunesch über den Gartenzaum und näherte sich dem Wohnungsfenster des Höhn. In diesem Moment feuerten Höhn und der zufällig bei ihm anwesende bayerische Hilfspolizist Johann Steiner aus Laufen 10 bis 12 Revolverschüsse durch die offenen Fenster ab, wobei Kunesch von 3 Schüssen getroffen und schwer verletzt wurde, während gleichzeitig die übrigen 6 Sozialdemokraten faustgroße Steine in die Wohnung des Höhn warfen und die Wohnungsinsassen arg gefährdeten. Sämtliche Beteiligten, mit Ausnahme des schwer verletzten Kunesch, wurden vom Posten Oberndorf noch in der Nacht verhaftet und gelangen im Laufe des Vormittages zur Einlieferung das das Landesgericht Salzburg. Bundeskanzleramt Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit Zl. 148.595-GS.3/1933 (149,550-33). Te l e f o n d e p e s c h e Das Landesgendarmeriekommando in Salzburg (GLD. W, May) meldet am 25. April 1933 um 10.30 Uhr fernmündlich  : Der nationalsozialistische Grenzabschnittskommandant in Reichenhall hat mit 2 Hilfspolizisten vom Gendarmerie-Postenkommandanten in Großgmain verlangt, dass ein sozialdemokratisches Plakat mit Anwürfen gegen die NSDAP sofort entfernt werde. Der Postenkommandant hat geantwortet, das Plakat sei nicht beschlag-

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nahmt, er sei daher nicht berechtigt es zu entfernen, werde aber der Bezirkshauptmannschaft berichten. Die Bezirkshauptmannschaft hatte keine Veranlassung, das Plakat zu entfernen. Der Grenzabschnittskommandant hat daraufhin die Drohung ausgesprochen, den österreichischen Gendarmerie -und Finanzwachebeamten das Überschreiten der Grenze zu verbieten, wenn das Plakat nicht entfernt werde. Der Landeshauptmann wird sich an das bayerische Bezirksamt wenden, ob der Grenzabschnittskommandant zu einem solchen Verbot berechtigt ist. Von deutscher Seite wird auch Nationalsozialisten in Uniform das Überschreiten der österreichischen Grenze nicht mehr gestattet. (…) Polizeidirektion Salzburg, 8. Mai 1933 Zl. 6503/6-1932 (155.800-33) Betr.: Bundesparteitag der Christlichsozialen Partei in Salzburg. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse Nr. 7. Vom Freitag, 5.5.1933 bis Sonntag 7.5.1933, fand in Salzburg der Bundesparteitag der Christlichsozialen Partei statt. Schon mehrere Tage vorher war der Polizeidirektion durch vertrauliche Mitteilungen bekannt geworden, dass Angehörige der NSDAP anlässlich des Parteitages Demonstrationen größeren Stiles planen. Es hatte sich in der Bevölkerung die Ansicht verbreitet, dass am 5.5.1933 mit dem Zuge um 14.50 Uhr Bundeskanzler Dr. Dollfuß mit den übrigen Mitgliedern der Bundesregierung ankommen werde. Kurz vor 14.30 Uhr strömten von allen Seitenstraßen auf die Rainerstraße Demonstranten zusammen. In einer Stärke von 800 bis 1000 Personen versuchten sie singend, pfeifend und teilweise Pfuirufe ausstoßend, in Gruppen zum Bahnhofe zu gelangen. Eingesetzte Wache drängte sie gegen das Stadtinnere in die Steingasse zurück, um den Autoverkehr vom Bahnhof in die Stadt frei zu bekommen. Beim Nelböckviadukt, als die Menge passiven Widerstand leistete und nicht weitergehen wollte, musste nach Androhung vom Gummiknüppel Gebrauch gemacht werden, worauf die Demonstranten flüchteten. Im Zuge der Verfolgung wurden auch Steine auf die Wache geworfen. Die Fahrt der angekommenen Minister zur Stadt vollzog sich infolge der Räumung ohne jeden Anstand. (…) Um 19.30 Uhr fand der Begrüßungsabend im Kurhause statt. Die Angehörigen der NSDAP waren teils durch Vorfälle am Nachmittage, insbesondere aber durch das Uniformverbot für SS und SA, das einstweilen durch die Presse bekanntgeworden war, aufs äußerste erregt. Es mussten schwere Störungen der Festfeier im Kurhause befürchtet werden, weshalb sich die Polizeidirektion veranlasst sah, das Kurhaus im weiten Umkreis unter Zuhilfenahme einer Gendarmerieabteilung von 20 Mann ab-

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zuriegeln. Die von Wien eingelangte Abteilung von 70 Sicherheitswachebeamten, die schon bei der Räumung der Bahnhof-Zufahrtstraßen eingesetzt werden musste, ermöglichte diese Absperrung. (…) Außerhalb der Absperrungslinien kam es in der Stadt zu mehreren kleineren Demonstrationen, die von der Wache zerstreut wurde. (…) Am Samstag, den 6.5.1933 … (musste) infolge der erregten Stimmung des nationalsozialistisch gesinnten Teiles der Bevölkerung … den ganzen Tag über volle Bereitschaft gehalten werden. Da abends mit größeren Demonstrationen zu rechnen war, wurde, um einen ungestörten Verlauf der Festversammlung zu sichern, das Festspielhaus in weitem Umkreis durch Sicherheitswachebeamte und später teilweise durch eine Gendarmerieabteilung abgeriegelt. Wie erwartet, setzten um etwa 8 Uhr abends Demonstrationen größeren Stiles ein. Am Mönchsberg hatte sich eine größere Gruppe von über 100 Demonstranten versammelt, die Lieder sang und in Sprechchören der Missachtung gegen die Bundesregierung Ausdruck verlieh. Sie konnten, da alle verfügbaren Kräfte zur Zurückdrängung der Demonstranten in der Nähe des Festspielhauses verwendet werden mussten, nicht zerstreut werden. Trotz des Einsatzes der 70 Sicherheitswachebeamten aus Wien und der zur Verfügung gestellten 30 Gendarmeriebeamten waren zu wenig Exekutivorgane vorhanden, da die Demonstranten systematisch an verschiedenen Orten der Stadt Demonstrationen veranstalteten. Es musste schließlich um etwa 10 Uhr, als alle Reserven aufgebraucht waren, Bundesheer und zwar mit zwei Schwadronen im Hofe des Festspielhauses für den äußersten Bedarfsfall bereitgestellt werden. Besonders hartnäckig waren die Demonstranten am Universitätsplatz und am Alten Markt. Nur mit schwerer Mühe gelang es, die Demonstranten, die sich immer wieder sammelten, gegen den rechten Stadtteil zu drängen (…) Es mussten schließlich, da die Demonstranten, in den rechten Stadtteil gedrängt, immer wieder über andere Brücken zurückkehrten, sämtliche Übergänge über die Salzach abgeriegelt werden. Mehrmals war die Wache gezwungen, vom Gummiknüppel Gebrauch zu machen. (…) : Von nationalsozialistischer Nachstehender Fall ist besonders bemerkenswert   Seite wurden Wachebeamte in ein Hotel zu einem Verletzten gerufen. Als die beiden Wachebeamten im Lokale waren und den Verletzten herbeigerufen hatten, wurden sie umringt, ihnen der Ausgang verstellt und einer der Anwesenden rief ihnen zu  : »Jetzt werden wir Euch so prügeln, wie ihr uns geprügelt habt.« Eine Gendarmeriepatrouille befreite sie aus ihrer bedrängten Lage. Gegen 23 Uhr trat Ruhe ein und konnte ein Teil der stark in Anspruch genommenen Wachebeamten in die Kasernen zurückgezogen werden. (…) Für 7.5.1933 vormittags ab 10 Uhr war von nationalsozialistischer Seite die Weisung ausgegeben worden, in den Hauptstraßen der Stadt einen »Bummel« zu unternehmen.

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Die insbesonders vom Standpunkte des Fremdenverkehres äußerst beklagenswerten Vorfälle des Samstag (6.5.) abends ließen im Hinblick auf die im nationalsozialistischen Lager vorhandene Erregung befürchten, dass es anlässlich des beabsichtigten Bummels zu Ausschreitungen schwerer Art kommen könne. Die Polizeidirektion sah sich daher gezwungen, umfassende Vorkehrungen zu treffen. Da mit Rücksicht auf die große Anzahl der Demonstranten mit der für den Einsatz verfügbaren Wachmannschaft von ca. 150 Mann das Auslangen unmöglich gefunden werden konnte, wurde Assistenzleistung des Bundesheeres vom Herrn Landeshauptmann erbeten. Zusammenrottungen und Demonstrationen waren am meisten zu besorgen in der Bismarckstraße (Schwarzstraße, Anm. d. Hg.), Mirabellplatz, Rainerstraße. Es wurden mit Hilfe des Bundesheeres um 9.30 Uhr sämtliche Brückenübergänge und der Zugang zu den oben angeführten Straßen und Plätzen abgeriegelt. Personen, die verdächtig waren, wurden zurückgewiesen. Kleinere Gruppen, die sich außerhalb des abgesperrten Stadtteiles bildeten, wurden durch die Sicherheitswache mühelos zerstreut. Lediglich in der Griesgasse und Getreidegasse musste energischer vorgegangen werden. Dort wurde auch einmal der Wassersprengwagen mit Erfolg eingesetzt. (…) Handels-Gremium Salzburg, 9. Mai 1933 Faberstraße 18 (156.848-33). An das Bundeskanzleramt Wien I. Betrifft  : Entschließung. Das gefertigte Gremium beehrt sich, in der Anlage eine Entschließung zur Kenntnis zu bringen, welche in einer vollzählig besuchten außerordentlichen Sitzung des Ausschusses des Handelsgremiums Salzburg einstimmig angenommen worden ist und die Stimmung wiedergibt, die alle Kaufmannskreise der Stadt Salzburg ohne Unterschied ihrer Parteizugehörigkeit einnehmen. Das Gremium möchte bei dieser Gelegenheit die Bitte der übrigen Wirtschaftskreise unterstützen, bei Beschlussfassung über politische Maßnahmen immer wiederum die Rückwirkungen wirtschaftlicher Natur im Auge zu behalten, die solche Maßnahmen namentlich im Hinblick auf den andernfalls restlos gefährdeten deutsch-österreichischen Fremdenverkehr haben müssen. Entschließung des Gremialausschusses vom Montag, den 8. Mai 1933. Die Kaufmannschaft der Stadt Salzburg steht unter dem Eindruck der Ereignisse vom Samstag und Sonntag (6. und 7. Mai 1933), welche dem Wirtschaftsleben unse-

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rer Stadt unleugbar schwere Wunden geschlagen haben. Die Bevölkerung und die Kaufmannschaft dieser Stadt sind stolz darauf, dass die Stadt immer wiederum ihren Ruf als Fremdenstadt zu sichern vermochte, dass die Haltung der Bevölkerung ebenso wie die Qualität der Leistungen dieser Stadt weit über Österreichs Grenzen hinaus Ansehen genossen und dem Wirtschaftsleben nicht nur Salzburgs, sondern ganz Österreichs bedeutende Aktiven zuführten. Nicht umsonst hat die österreichische Bundesregierung gerade in der letzten Zeit immer wiederum betont, welche Bedeutung dem Fremdenverkehr gerade in den gegenwärtigen schwierigsten Zeiten zukommt  ; die Wirtschaftskreise der Stadt Salzburg, insbesondere die Kaufmannschaft durften hoffen, dass die Haltung der Regierung in allen Einzelheiten die Voraussetzungen für die Möglichkeit einer pfleglichen Behandlung dieses wertvollen Wirtschaftsfaktors geben werde. Mit großem Bedauern verfolgte deshalb die Kaufmannschaft die Gestaltung der politischen und militärischen Maßnahmen, die in den vergangenen Tagen getroffen wurden, um politische Demonstrationen hintanzuhalten. Statt in gebührender Weise auf den Ruf der Stadt als ruhigen Platz, an dem sich das Fremdenverkehrsleben entfalten kann, zu sichern, wurden polizeiliche und militärische Maßnahmen in einem Umfang und in äußerer Aufmachung ergriffen, als ob es sich um die Niederhaltung irgendwelcher gesamtrevolutionärer Erscheinungen handle, denen gegenüber man lebenswichtige Interessen der Wirtschaft opfern könnte  ! Diese Maßnahmen haben es zuwege gebracht, dass die missgünstige Stimmung gegen Salzburg, die in den letzten Wochen schon in breiter Front in der Wiener Presse in Erscheinung trat, nunmehr gewissermaßen regierungsoffiziell unterstrichen und bekräftigt wurde, sodass das Ausland sehr nachdrücklich jetzt schon und vermutlich in zunehmendem Maße späterhin darauf verweist, dass Salzburg nicht die Stadt künstlerischer Qualitätsproduktion, die Stadt sorgenlosen Ferienaufenthaltes, die Stadt der Festspiele ist, sondern die Stadt polizeilich-militärischer Hochschutzmaßnahmen, wie sie nur in gefährdester Zeit aufgerichtet zu werden pflegt. Auch noch eines muss unabhängig von jeder parteipolitischen Einstellung, lediglich vom Auge der Wirtschaft gesehen, festgehalten werden  : die Maßnahmen der Regierung richteten sich unverkennbar nicht nur gegen die Salzburger Bevölkerung und den Ruf Salzburgs, sondern auch gegen jenes Land, welches der Fremdenverkehrswirtschaft der österreichischen Alpenländer 75 Prozent der Frequenz bringt  ! Die Wirtschaft der Stadt und des Landes müssen mit größtem Bangen der Saison, die an sich unter keinen günstigen allgemeinen Voraussetzungen steht, entgegensehen, wenn die österreichische Regierung und Presse eine Haltung einnehmen, die sich demonstrativ gegen jene Kreise richtet, die man als Gäste erwartet und auf deren Kommen gehofft werden muss, soll nicht jede Hoffnung auf einen wirtschaftlichen Aufstieg oder wenigstens die Erhaltung des gegenwärtigen Niveaus zusammenbrechen müssen.

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Die Kaufmannschaft der Stadt und des Landes Salzburg richten an die Regierung die dringende Bitte, bei allen Maßnahmen sich auch der Tatsache bewusst zu sein, dass die österreichischen Alpenländer auf den Zustrom von Fremden aus dem Reiche nicht verzichten können, dass aber der Zustrom restlos ausbleiben muss, wenn die Politik der letzten Wochen gegen Deutschland fortgesetzt wird  ! Polizeidirektion Salzburg, 26. Juni 1933 Zl. 5960/5 (178.382/33) Betr.: Vaterländische Kundgebung am 24. und 25.6.1933  ; Vorfälle. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse Nr. 7. Am 24.6.1933 abends fand in Salzburg die vaterländische Kundgebung durch Läuten sämtlicher Kirchenglocken und Lösen von Kanonenschüssen durch das Bundesheer sowie Abbrennen von Höhenfeuern im Bezirksbereiche Salzburg statt.2 2 Die »Salzburger Chronik« sprach in einem Leitartikel unter dem Titel »Österreichs Bergfeuer« von einem Zeichen des Kampfes für Österreichs Unabhängigkeit. »Die Feuerzeichen auf unseren stolzen und edlen Bergen sind zumeist fröhlicher Volksbrauch aus alter und ältester Zeit, Feuerzeichen, die unter lautestem Jubel und fröhlichem Scherz entzündet wurden, Feuerzeichen, mit denen man die geheimnisvolle Sonnenwende feierte. Welche Freude für jung und alt, wenn der Holzstoß brennt in der linden Jungsommernacht, wenn die Funken sprühen und die Flammen hoch zum nächtlichen Himmel züngeln. Wie schön ist es auf den Bergen, wenn von allen Höhen und Gipfeln die Lichter fröhlichen Sommergruß zugrüßen. Es gab aber auch a n d e r e F e u e r z e i c h e n , die von Tal zu Tal loderten und Gemeinde für Gemeinde, Haus für Haus und Mann für Mann zum Kampfe aufforderten. Blutigrote Feuerzeichen, die von den Bergen riefen, wenn das Land in Not und Gefahr war, wenn es galt, mit harter Faust und selbst mit dem blutigen Schwerte das Land und seine Freiheit zu verteidigen. So sollen sie auch heuer lodern, heute abends, die Feuer über ganz Österreich. Österreich steckt noch immer in einem h e i ß e n K a m p f . Jugendliche Phantasten und Heißsporne, die kaum wissen, was sie tun, geschweige denn sich über die weiteren Folgen ihrer Taten Rechenschaft zu geben vermögen, sind einem politischen Modetaumel zum Opfer gefallen, den man fälschlich für eine nationale Erhebung ausgibt. In kurzsichtiger Weise sucht man Österreich jetzt auf gewaltsame Weise an Deutschland anzuschließen und, wie das hässliche Wort lautet, das Millionen gedankenlos nachplaudern, gleichzuschalten. Wenn wir ruhiges Blut bewahren, müssen wir uns sagen, dass ein Anschluss heute u n m ö g l i c h e r d e n n j e i s t . Ein Buschklepper und Rowdytum, das sich der Tragweite politischer Irrungen keineswegs bewusst zu sein scheint, hat allen Ernstes versucht, Österreich in ein verderbliches Abenteuer hineinzulocken. Es ist nicht gelungen. Die Aufmerksamkeit der Regierung hat das hochverräterische Treiben verblendeter Volksschichten zunichte gemacht.

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Zwecks Hintanhaltung von Störungen durch politische Gegner waren sämtliche Exekutivformationen auf volle Bereitschaft gesetzt. Von den vaterländischen Verbänden wurden Höhenfeuer auf dem Gaisberg und am Untersberg abgebrannt und wurden, um hierbei Zusammenstöße zu verhindern, die Truppen des Heimatschutzes und der christlichsozialen Verbände teilweise von Polizei, teilweise durch Gendarmerie und Bundesheer begleitet. In der Stadt verlief die Kundgebung ohne jede Störung. Es wurde lediglich versucht, auf der Salzach Bretter mit brennenden Hakenkreuzen herabschwimmen zu lassen  ; dies wurde durch mehrere von Polizeimannschaften besetzte Zillen verhindert. (…) Um 22 Uhr wurde – unabhängig von der zu diesem Zeitpunkte schon beendeten vaterländischen Kundgebung – im Vorraum des Kleidergeschäftes Ornstein in der Getreidegasse ein Papierböller, wie er bisher im freien Handel um 1,75 Schilling erhältlich war, zur Explosion gebracht  ; ein Auslagenfenster … wurde hierdurch zertrümmert. … In der gleichen Nacht um 0.30 Uhr explodierte ein gleichartiger Papierböller beim Eingangstor der christlichsozialen Druckerei Zaunrith, in welcher auch die christlichsoziale Tageszeitung »Salzburger Chronik« gedruckt wird. Der Böller dürfte zwischen Klinke und Türrahmen eingeklemmt worden sein, wodurch sich die Wirkung der Explosion wesentlich verstärkte. Die Glastafeln der Eingangstüre sind größtenteils zertrümmert. (…) Um 1 Uhr früh wurde beim katholischen Gesellenhaus in der Franz Josef-Straße ein Papierböller zur Explosion gebracht  ; Schaden wurde dabei nicht angerichtet. (…) Zur Vermeidung derartiger Wiederholungsfälle hat die Bundes-Polizeidirektion Salzburg sämtliche Waffen- und Munitionshändler verpflichtet, derartige Böller- und Feuerwerksartikel nur dann an Kauflustige abzugeben, wenn die Betreffenden von der Bundes-Polizeidirektion eine Ankaufsbewilligung vorweisen können. Bundespolizeidirektion Salzburg Zl. 21.115/3 Kundmachung der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 27. Juni 1933, womit der Vertrieb einiger sicherheitsgefährdender Gegenstände ohne besondere behördliche Bewilligung verboten wird. (…)



Österreich ist noch frei u n d w i r d e s b l e i b e n . Sollen wir unsere Freiheit mit dem Kerker in Deutschland vertauschen  ? W i r Ö s t e r r e i c h e r b l e i b e n ö s t e r r e i c h i s c h   ! Des zum Zeichen lasst heute abends überall die Feuer lodern. Glaubt nicht daran, dass wir etwa in der Minderzahl seien. Die Minderheit, das sind die anderen, die Braunen.« (Salzburger Chronik 24.6.1933. S. 1.)

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§1 Im Stadtgebiete Salzburg ist die entgeltliche oder unentgeltliche Überlassung von Feuerwerkskörpern und Knallpräparaten wie Radaubomben, Papierböllern, Knallkorken u. dgl. ohne besondere Bewilligung der Bundespolizeidirektion Salzburg, die für jeden Einzelfall gesondert eingeholt werden muss, verboten. §2 Jede Übertretung der vorliegenden Bestimmung wird als Verwaltungsübertretung mit Geld bis 200 Schilling oder mit Arrest bis 2 Wochen bestraft. Bei erschwerenden Umständen können Geld- und Arreststrafe nebeneinander verhängt werden. (…) Polizeidirektion Salzburg, 20. Juni 1933 Zl. 9249 präs. 29/VI 1933 (179.171/33) Betr.: Kommerzialrat Richard Tomaselli, Anhaltung an der österreichisch-bayerischen Grenze. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Am Freitag, den 16. Juni l. J. früh fuhr der Kommerzialrat Richard Tomaselli, Besitzer des Café Bazar, anlässlich einer Geschäftsreise mit seinem Personenauto bei Freilassing über die deutsche Grenze nach München. Auf die Frage der deutschen Zollorgane bei der Passkontrolle, ob Verzollbares mitgeführt werde, wurde dies verneint. Tomaselli übergab dem Beamten ein Paket mit alten Zeitungen, die vor etwa zwei Monaten von einem Dienstmädchen Tomasellis gelegentlich einer Ausfahrt als Reiselektüre in den Wagen gegeben und dann in einem Fach des Innenraumes unbeobachtet liegengeblieben waren, mit dem Bemerken, dass er die Zeitungen gelegentlich der Rückfahrt wieder abholen werde. Der deutsche Zollbeamte sichtete nachträglich die Zeitungen, die zufällig auch einige Wiener Blätter mit Artikeln gegen Deutschland und einige Exemplare der in Deutschland verbotenen »Salzburger Wacht« enthielten, und nahm das Paket in Beschlag. Bei der Rückkehr an der Zollgrenze wurde Tomaselli diesbezüglich beanstandet und ihm von dem reichsdeutschen Beamten erklärt, dass er im Verdacht stehe, die Einfuhr von verbotenen Zeitungen nach Deutschland versucht zu haben  ; er müsse daher in Haft genommen werden, bis der Sachverhalt aufgeklärt sei. Tomaselli wurde sofort zum Amtsgericht Laufen überstellt und in Haft gesetzt. Am nächsten Morgen wurde er vom Sonderkommissär des Bezirksamtes Laufen eingehend einvernommen und nach Feststellung des Tatbestandes um 11 Uhr vormittags auf freien Fuß gesetzt. Tomaselli wurde vom Sonderkommissär persönlich bis zur Grenze begleitet.

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Kommerzialrat Tomaselli gibt an, dass er von allen reichsdeutschen Amtsorganen, insbesondere auch von dem Sonderkommissär, mit Zuvorkommenheit behandelt wurde und nicht den geringsten Anlass hatte, sich über das Verhalten der reichsdeutschen Organe zu beklagen, die lediglich ihre strengen Dienstvorschriften erfüllten. (…) Funkdepesche der Bezirkshauptmannschaft Zell am See, 20. Juli 1933 (191.553-33). Heute zirka 10 Uhr vormittags ist Baron Mayr-Melnhof aus Glanegg mit Tochter Marianne und einer gewissen Elise Tinzi beim bayerischen Zollamte Melleck bei einer Ausflugs-Autofahrt von Salzburg über Reichenhall nach Lofer von Seiten eines bayerischen Zollwachebeamten verhalten worden, die Heimwehrabzeichen, welche die Autoinsassen trugen, abzugeben. Die bayerischen Beamten haben erklärt, dass es nur eine Gutheit der Reichsregierung sei, dass Österreicher auf der Durchzugsstraße von Salzburg über Reichenhall nach Unken-Lofer fahren dürfen. Baron Mayr-Melnhof hat beim österreichischen Zollamte Steinpass dem Rayonsinspektor Deisenberger diesbezügliche Anzeige erstattet. Landesgendarmeriekommando für Salzburg, 13. Juli 1933 E. Nr. 3055 (186.211-33). Dr. Kalnoky, Graf, Hofgastein, Vorfallenheitsbericht. An den Herrn Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg. Aus dem Berichte des Bezirksgendarmeriekommandos St. Johann, E. Nr. 1342 vom 11. Juli 1933. (…) Am 9. Juli 1933 beteiligten sich 23 Mitglieder der Liedertafel Hofgastein an dem 60-jährigen Jubiläums-Sängerfest in Mittersill. Zur Hin- und Rückreise wurde ein Autobus benützt. Dieser kam am selben Tag kurz vor 22 Uhr zurück und hielt am Kaiser-Karl-Platz, gelegen im Kurortszentrum, an, wo die Sänger den Kraftwagen verließen und vor ihrem Auseinandergehen altem Brauch gemäß zur Verabschiedung das Liedermotto »Deutsches Lied aus deutscher Kehle, dringe hell aus ganzer Seele, dringe bis in des Volkes Mark, mach es einig, frei und stark« sangen. Zur gleichen Zeit befanden sich Kurkonzert- und auch Kinobesucher auf dem Heimweg, von denen eine größere Anzahl den Kaiser-Franz-Platz passierte und ein Teil davon als Zuhörer dort stehen blieb. Auf diese Weise hatten sich auf dem genannten Platze bei 60 Personen angesammelt.

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Unter den auf dem Nachhauseweg begriffenen Konzertbesuchern befanden sich auch Graf Dr. Gustav Kalnoky und dessen Gemahlin Constantine, die in Hofgastein im Kurhause »Sonnenhof« logieren. Unmittelbar nachdem das Liedermotto verklungen, rief Graf Kalnoky »Heil Dollfuß  !«, worauf auch der Ruf »Hitler  !« erscholl. Während Graf Kalnoky aussagt, dass »Heil Hitler  !« gerufen wurde, geben andere Ohrenzeugen und die anwesend gewesenen Gemeinde- und Sicherheitswacherayonsinspektoren Anton Lafenthaler und Theodor Grolich an, dass sie wohl den Ruf »Heil Dollfuß  !« sowie auch den Ruf »Hitler  !«, nicht aber etwa »Heil Hitler  !« … vernommen haben, geben aber zu, dass sie diese Rufe in dem damaligen Tumult auch überhört haben können. Offenbar löste der Ruf »Heil Dollfuß  !« bei den nationalsozialistischen Sängern Erregung aus und bald machten ca. 20 Mitglieder Miene, auf das Grafenpaar einzudringen. Unter den Nationalsozialisten befanden sich der Postoffizial Albert Riedl und der arbeitslose Hausdiener Josef Dirnberger.3 (…) Hauptmann a. D. Autounternehmer Ernst Pfützner … befand sich in der am Kaiser-Franz-Platz gelegenen Konditorei »Bachbauer« und will die Ankunft des Kraftwagens mit den Sängern, das Singen des Mottos und gleich darauf den Ruf »Heil Dollfuß  !« gehört haben. Dann sei ihm auch vorgekommen, als wenn auch »Heil Hitler  !« gerufen worden wäre, worauf am Kaiser-Franz-Platz ein Spektakel einsetzte, was ihn veranlasste, unter die Geschäftstüre zu treten und Ausschau zu halten. Dort sah er, wie ein Kurgast in Begleitung einer Dame, gefolgt von ca. 20 Nationalsozialisten, raschen Schrittes in Richtung Bahnhof flüchtete. Pfützner eilte zur Stelle und forderte die Nationalsozialisten auf, den Kurgast in Ruhe zu lassen. Nun wandten sich diese gegen Pfützner. Dabei nahmen von denselben Dirnberger, der Kurhausbesitzersohn Johann Stuhler, der Autounternehmer Heinrich Ernst und Postoffizial Riedl eine drohende Haltung ein. Pfützner vermochte sich der an ihn Herandrängenden nur (dadurch) zu erwehren, dass er ihnen gegenüber äußerte  : »Rühr’ns micht nicht an, sonst kriegens an Bauchschuss.« Der Gemeindesicherheitswachebeamte Rayonsinspektor Lafenthaler schritt dann ein und gebot Ruhe. Nun traf auch Gendarmerierayonsinspektor Schweiger … an Ort und Stelle ein, welcher mit Erfolg die Nationalsozialisten zum Auseinandergehen und Entfernen aufforderte. … Am nächsten Tag erhielt Rayonsinspektor Schweiger vom Revierinspektor Hochhuber den Befehl zur Erhebung des Sachverhaltes. 3 Die deutschvölkischen Turn- und Sängervereine bildeten ein Zentrum der Nationalsozialisten und deren Sympathisanten. Für Bad Gastein schätzte der dortige Postenkommandant die Anzahl der (illegalen) Nationalsozialisten und deren Sympathisanten zwischen Anfang und Mitte 1934 auf 50 bis 80 Prozent der Bevölkerung. Vgl. dazu Laurenz Krisch  : Zersprengt die Dollfußketten. Die Entwicklung des Nationalsozialismus in Bad Gastein bis 1938. – Wien/Köln/Weimar 2003. S. 189 f. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Herausgegeben von Ronert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 19.)

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Wie Graf Kalnoky angibt, hat er dem Rayonsinspektor Schweiger gegenüber seiner Verwunderung Ausdruck gegeben, dass derart skandalöse und den Ruf eines Kurortes schädigende Vorgänge, einschließlich des Grüßens nach Hitlerart, das seines Wissens in Österreich doch verboten sein müsse, offenbar toleriert und so möglich gemacht werden, und werde er darüber beim Herrn Sicherheitsminister sowie auch beim Fürsten Starhemberg usw. Beschwerde führen. Hierauf hat ihm Rayonsinspektor Schweiger geantwortet, dass der »Hitlergruß« vorläufig nur in Vorarlberg gesetzlich verboten sei. Diese Antwort habe ihn befremdet, weil doch Bundesregierungsverordnungen auf diesem Gebiete für sämtliche Bundesländer Geltung haben müssen. (…) Polizeidirektion Salzburg, 10. Juli 1933 Zl.15/33-res. (184.625-33) Betr.: Karl Scharizer, Verdacht des Hochverrates. An die Staatsanwaltschaft in Salzburg. Anlässlich der gegen die NSDAP in Österreich getroffenen Maßnahmen sind eine Anzahl prominenter Führer der ehemaligen NSDAP nach Deutschland geflüchtet. Unter diesen auch Karl Scharizer, Gauleiter der NSDAP-Salzburg und Bundesrat … Bundesrat Scharizer hält sich in dem nahe der Grenze gelegenen Orte Freilassung auf (Sängerheim). Der Bundes-Polizeidirektion wurde bereits vor längerer Zeit mitgeteilt, dass die österreichischen Flüchtlinge versuchen würden, von Deutschland aus eine lebhafte Propagandatätigkeit für die österreichische NSDAP zu entfalten. Scharizer hat, wie aus verlässlicher Qualle bekannt, des Öfteren an Sitzungen prominenter Führer der NSDAP in Freilassing und München teilgenommen, in denen die österreichische Frage besprochen wurde. Er nahm auch an der Besprechung in Freilassing teil, bei der der ehemalige Landesinspektor Theodor Habicht anwesend war. Am 6.7.1933 wurde dem Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg von einer vertrauenswürdigen Person ein mit der Originalunterschrift des ehemaligen Gauleiters der NSDAP-Salzburg, Bundesrat Karl Scharizer, versehener Brief übergeben (Abschrift liegt bei), in dem das Rundfunkprogramm deutscher Sender bekanntgegeben wird, die Vorträge über Österreich durchgeben. (…) Am 5.7.1933 hat bereits der ehemalige Landesinspektor der NSDAP Österreichs, Theodor Habicht, im Rundfunk einen Vortrag über Österreich gehalten, der an Schärfe kaum zu überbieten ist, der zur Vergrößerung der Gefahr für den Staat von Außen bzw. zur Vergrößerung der Gefahr einer Empörung im Inneren angelegt war und der, wie h. a. spontan bekanntgegeben wurde, selbst in Kreisen der ehemaligen NSDAP große Empörung hervorgerufen hat. Dieser Vortrag Habichts in Verbindung mit dem Schreiben des Bundesrates Karl Scharizer ergibt den Beweis, dass

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Letztgenannter mit der hochverräterischen Propagandatätigkeit Habichts und der noch für weiterhin beabsichtigten nationalsozialistischen Propagandatätigkeit gegen die Regierung in Österreich im Zusammenhange steht. Die Bundes-Polizeidirektion beehrt sich daher den Antrag zu stellen, gegen Karl Scharizer … wegen Verdachtes des Hochverrates (§ 58 c St. G.) das Verfahren einzuleiten und dessen Ausschreibung im Innsbrucker täglichen Fahndungsblatte zu veranlassen. Abschrift Freilassing, 5.7.1933 Sehr geehrter Herr  ! Ich gebe Ihnen das Rundfunkprogramm der nächsten Wochen bekannt und ersuche Sie, dasselbe zuverlässig unter der ehemaligen Parteigenossenschaft und den OG. zur Kenntnis zu bringen. Das Programm ist zu hören auf den Sendern  : München, Stuttgart, Breslau. Mittwoch

5.7.

20 Uhr 50

Die Lage in Österreich

Freitag

7.7.

20 Uhr 40

Österreichischer Funkspiegel

Montag

10.7.

21 Uhr

Die Lage in Österreich

Mittwoch

12.7

22 Uhr

Österreichischer Funkspiegel

Donnerstag

13.7.

20 Uhr 40

Der Verrat der Kaiserin Zita im Weltkrieg

Freitag

14.7.

21 Uhr

Österreichisches Stimmungsbild

Sonntag

16.7.

19 Uhr 45

Österreichs Leidensweg

Montag

17.7.

20 Uhr

Weltpolitischer Monatsbericht, Prof. Haushofer mit besonderer Berücksichtigung Österreichs

Mittwoch

19.7.

20 Uhr 10

Der Kampf im Bruderland

Freitag

21.7.

21 Uhr 10

Funkspiegel aus Deutschland und Österreich

Samstag

22.7.

20 bis 21 Uhr 5

Tiroler Gröstl

Der Vortrag über den Verrat der Kaiserin Zita wird von Breslau nicht übernommen. Jeder ehemalige Parteigenosse trachtet, auf einem Radio diese Vorträge zu hören. Außerdem ist bei den Tages- und Abendnachrichten immer München, Stuttgart oder Breslau einzuschalten. Nach Möglichkeit werden dort österreichische Nachrichten gesendet. Ich bitte Sie, mir nicht bös zu sein, dass ich Sie mit dieser Arbeit belaste, obwohl Sie ja Ihrer Funktionen enthoben sind, hoffe aber, dass Sie auch so das Nötige veranlassen werden. Heil Hitler  ! Ihr Karl Scharizer e. h.

Die Sicherheitsverhältnisse

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Polizeidirektion Salzburg, 15. Juli 1933 Zl. 15/4-33-res. (187.972-33) Betr.: Karl Scharizer und Genossen, Verbrechen des Hochverrates bzw. Gelöbnisbruches. An die Staatsanwaltschaft in Salzburg. Am 14.7.1933 um 16.55 Uhr überflog ein allem Anscheine nach von Deutschland kommendes Flugzeug mit deutschem Hoheitszeichen Salzburg und warf Flugzettel ab. Das Hoheitszeichen war undeutlich abzulesen …  ; es ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, dass die Kennzeichen auswechselbar waren. Die Maschine kreiste etwa 10 Minuten über Salzburg und entfernte sich dann nach Norden. Es wurden zwei verschiedene Flugzettel abgeworfen  : 1. Ein vier Druckseiten langer Flugzettel mit der Aufschrift  : »Nationalsozialisten  ! Kameraden vom steirischen Heimatschutz  ! Deutsche Männer und Frauen Österreichs  !« und mit der Unterschrift  : »Die Landesleitung der NSDAP Hitlerbewegung Österreichs, Habicht, Proksch, Reschny, für die Führung des steirischen Heimatschutzes  : Rauter.« 2. Ein zwei Seiten langer Flugzettel mit der Überschrift  : »Brüder  ! Ballt die Fäuste  !« und unterzeichnet mit  : »NSDAP Österreichs (Hitlerbewegung), Karl Scharizer eh. Ingenieur Parson eh.« Der Inhalt beider Flugzettel bildet nach h. a. Ansicht den Tatbestand des § 58 St. G. Die Bundes-Polizeidirektion erstattet hiermit gegen 1. Karl Scharizer,4 Gauleiter der ehem. NSDAP Salzburg, … 2. Ing. Herbert Parson,5 … Gauleiter-Stellvertreter der ehem. NSDAP Salzburg, 4 Karl Scharizer (1901–1956) besuchte die Volksschule und das Gymnasium in Freistadt, maturierte 1920 und begann anschließend das Studium der Chemie an der Technischen Hochschule Graz. Er schloss jedoch das Studium nicht ab. 1921 trat er der DNSAP bei, war 1922 bis 1925 Mitglied des Vaterländischen Schutzbundes, der in der SA aufging, wurde 1925 Leiter der NS-Jugend in der Steiermark. 1927 trat er der NSDAP bei und war 1927 bis 1932 Hilfsarbeiter bei der Alpine-Montan-Gesellschaft, bekleidete bis 1932 verschiedene NS-Positionen in der Steiermark und wurde 1932 Gauleiter von Salzburg, im Dezember 1932 NS-Bundesrat. Nach dem Verbot der NSDAP am 19. Juni 1933 emigrierte er nach Freilassing, wo er die illegale Gauleitung aufbaute. 1934 wurde ihm die österreichische Staatsbürgerschaft aberkannt. 1935 bis 1936 arbeitete er im Hilfswerk der NSDAP in Berlin und in der Reichsorganisationsleitung der NSDAP in München, 1936 bis 1938 war er Leiter des Amtes für Vermittlung und Betreuung im Rahmen des »Österreichischen Hilfswerkes« in Berlin, trat 1937 der SS bei und wurde 1941 SS-Brigadeführer. 1938 bis 1945 war er Mitglied des Reichstages und wurde von den Sowjets 1945 bis 1955 interniert. 5 Herbert Parson 1907 – unbekannt) wurde als amerikanischer Staatsbürger in Berlin geboren, wuchs in Hallein auf und wurde 1924 eingebürgert. Nach dem Besuch der Staatsoberrealschule studierte er an der Technischen Hochschule in Wien und schloss das Studium mit dem Grad des Diplomingenieurs ab. Bis 1933 war er stellvertretender Gauleiter der NSDAP von Salzburg, floh 1933 nach Freilassing

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Allgemeine Politische Lage

3. Alfred Proksch,6 Landesleiter der ehem. NSDAP-Österreichs, … 4. Hermann Reschny,7 SA-Führer der NSDAP-Österreichs, … 5. Josef Rauter,8 Stabschef des ehem. Steirischen Heimatschutzes, … und war anschließend im NS-Flüchtlingshilfswerk tätig. 1939 bis 1945 war er stellvertretender Gauleiter von Tirol-Vorarlberg und SS-Standartenführer. Bei Kriegsende wurde er interniert, 1949 vor dem Volksgerichtshof in Innsbruck angeklagt und zu 5 Jahren schweren Kerker verurteilt. 6 Alfred Proksch (1891–1981) war nach der Matura an der Staatsoberrealschule in Jägerndorf 1908 und einer einjährigen Ausbildung bei der Eisenbahn-Akademie in Linz ab 1912 Beamter der k. u. k. Staatsbahnen, wurde im selben Jahr Mitglied der Deutschen Arbeiterpartei (DAP), die sich 1918 in Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei (DNSAP) und 1924 in NSDAP umbenannte. Proksch gehörte der Hitlerbewegung an und wurde 1926 Gauleiter von Oberösterreich (Oberdonau), 1928 geschäftsführender Landesleiter und 1931 Landesleiter der österreichischen NSDAP. Nach dem Verbot der NSDAP 1933 wurde er ausgebürgert, floh in das Deutsche Reich und erhielt 1935 die deutsche Staatsbürgerschaft. 1936 wurde er in den Reichswirtschaftsrat berufen und Mitglied des Reichstages. Nach dem Anschluss erfolgte seine Berufung zum »Reichstreuhänder der Arbeit für das Wirtschaftsgebiet Österreich« sowie die Ernennung zum Präsidenten des Landesarbeitsamtes Wien und Niederdonau. 1938 wurde er SA-Gruppenführer und 1943 SA-Obergruppenführer. 1945 von amerikanischen Streitkräften festgenommen, wurde er zu Vermögensverfall, Aberkennung der Pension und vier Jahren schwerem Kerker verurteilt, die er in sowjetischer Gefangenschaft verbüßte. Nach seiner Entlassung arbeitete er als Bürohilfskraft. (Pauley  : Der Weg in den Nationalsozialismus. S. 62.) 7 Hermann Reschny (1898–1971) besuchte das Lehrerseminar in Feldkirch/Vorarlberg, leistete 1915 bis 1919 seinen Militärdienst in der k. u. k. Armee und schließlich in der Volkswehr. Er rüstete 1919 im Rang eines Oberleutnants ab, wurde städtischer Fachlehrer in Stammersdorf und Wien und trat 1920 der Wiener Ortsgruppe der DNSAP bei. 1926 wechselte er zur NSDAP  ; im selben Jahr ernannte ihn Hitler zum Führer der österreichischen SA. 1933 wurde er Kommandant der SA-Obergruppe VIII in München (ab 1934 SA-Obergruppe IX), der auch die Österreichische Legion unterstellt war. Mehr als Getriebener denn als Akteur war er am NS-Putsch im Juli 1934 beteiligt, bei dem er von der SS überspielt wurde und in letzter Minute für die SA einen Anteil zu sichern trachtete. Nach dem Scheitern des Putsches floh er in das Deutsche Reich, wurde 1936 bis 1938 Mitglied des Reichstages und nahm 1939 bis 1945 im Rang eines Hauptmannes am Zweiten Weltkrieg teil. 1948 wurde er in Wien zu 16 Jahren Haft verurteilt, jedoch 1957 vorzeitig entlassen. (Zur Rolle Reschnys als Getriebener beim NSPutsch im Juli 1934 vgl. Hans Schafranek  : Sommerfest mit Preisschießen. Die unbekannte Geschichte des NS-Putsches im Juli 1934. – Wien 2006. Zur Rolle Reschnys bei der Österreichischen Legion vgl. Schafranek  : Söldner für den Anschluss.) 8 Muss heißen Hanns Rauter, eigentlich  : Johann Baptist Albin Rauter (1895–1949). Rauter maturierte 1912 an der Oberrealschule in Klagenfurt und begann ein Studium an der Technischen Universität Graz, meldete sich 1914 freiwillig zum Kriegsdient und rüstete 1919 als Oberleutnant ab. 1919 nahm er am Kärntner Abwehrkampf teil, diente 1921 im Freikorps Oberland in Oberschlesien und war im selben Jahr Gründungsmitglied des Steirischen Heimatschutzes, dessen Stabschef er wurde. 1927 traf er mit Hitler zusammen und agitierte seit diesem Zeitpunkt für die NSDAP in Österreich. 1931 am Pfrimer-Putsch beteiligt, schmiedete er zusammen mit Theo Habicht eine Kampfgemeinschaft des Steirischen Heimatschutzes mit der NSDAP. 1933 floh er in das Deutsche Reich, wurde von Hermann Reschny im Rang eines SA-Standartenführers übernommen und leitete den »Kampfring der

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6. gegen den reichsdeutschen Staatsangehörigen Theodor Habicht, Landesinspektor der ehem. NSDAP-Österreichs, die Anzeige gemäß § 58 bzw. 60, 61 St. G. (…) Der Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg, 26. Juli 1933 Zahl 409 (191.898-33) Flugzettelabwurf eines reichsdeutschen Flugzeuges über Stadt und Land Salzburg. Deutsche M änner und Fr auen des Landes Salzburg  ! Die illegale, verfassungsbrecherische Regierung Dollfuß hat durch ihren neuen »österreichischen Kurs« und die unerhörte Unterdrückung der nationalsozialistischen Freiheitsbewegung die deutsche Fremdenverkehrssperre hervorgerufen und veranlasst. Das Fernbleiben der deutschen Gäste ist ein vernichtender Schlag, denn Österreich lebt in erster Linie vom deutschen Fremdenverkehr, der bis 80 Prozent des Gesamtumsatzes ausmacht. Der Ausfall für die österreichische Volkswirtschaft wird mindestens 200 Millionen Schilling betragen. Trotz alledem führt die Regierung Dollfuß ihren Terror und ihre Lügenhetze gegen die NSDAP weiter, im Auftrag des Judentums und des feindlichen Auslandes – an deren Spitze Frankreich und die Tschechei stehen – unter wohlwollender Förderung durch den Marxismus in jeder Gestalt, unter dem Jubel der jüdischen Weltpresse und von den Hoffnungen des abgewirtschafteten Hauses Habsburg begleitet. Dollfuß behauptet, für die »Selbständigkeit Österreichs« einzutreten. Diese »Selbständigkeit« hat Österreich, das künstliche Staatsgebilde von St. Germain, nie gehabt, sie ist im Gegenteil nur im Rahmen des großen Deutschen Reiches garantiert. Dollfuß treibt aber Separatismus und gemeinen Landesverrat – wie schon vor

Österreicher im Reich«. 1935 wechselte er zur SS im Rang eines SS-Oberführers und diente bis 1940 als Stabsführer des SS-Oberabschnitts Südost in Breslau. 1938 wurde er Mitglied des Reichstages und 1940 »Generalkommissar für das Sicherheitswesen« bei Reichskommissar Arthur Seyß-Inquart in den Niederlanden. 1941 erfolgte seine Beförderung zum SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei, 1943 zum SS-Obergruppenführer und General der Polizei, 1944 zum SS-General. Für Massendeportationen und Strafmaßnahmen gegen den Widerstand verantwortlich, wurde auf ihn am 6. März 1945 ein Attentat vom niederländischen Widerstand verübt, das er jedoch überlebte. Am 8. März 1945 wurden als Vergeltungsaktion 263 Gefangene hingerichtet. 1948 verurteilte ihn ein niederländisches Gericht zum Tode, 1949 wurde er hingerichtet. Zu seiner Zeit als Stabschef des Steirischen Heimatschutzes vgl. Pauley  : Hahnenschwanz und Hakenkreuz. Zu seinem Wirken in den Niederlanden Ruth Bettina Birn  : Hanns Rauter. Höherer SS- und Polizeiführer in den Niederlanden. – In  : Ronald Smelser, Enrico Syring (Hg.)  : Die SS. Elite unter dem Totenkopf. 30 Lebensläufe. – Paderborn 2000. S. 408–417.

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einem Jahre in Lausanne, wo er für 300 Millionen Schilling sein Land verkaufte –, wenn er deutschfeindliche Politik als Mittel der Feinde des deutschen Volkes macht. D o l l f u ß b e h a u p t e t , dass Ö s t e r r e i c h in seiner gegenwärtigen Gestalt l e b e n s f ä h i g ist. Schon 1918 wussten alle Österreicher, dass Österreich nur der Anschluss an das große deutsche Mutterreich retten könne. Die Lebensunfähigkeit eines »selbständigen« Österreich ist durch die Entwicklung der letzten 15 Jahre endgültig bewiesen worden. Das Gegenteil zu behaupten, ist b e w u s s t e r Vo l k s b e t r u g . Dollfuß behauptet, ein nationalsozialistisches Österreich würde »eine preußische Kolonie« werden. Das kann er nur Trotteln erzählen. An der Spitze des Reiches steht Adolf Hitler, der geborene Österreicher. Jedermann kann sich heute z. B. in Bayern davon überzeugen, dass von preußischem Einfluss dort keine Rede ist. Jawohl, Deutschland ist ein einiges Reich, aber jedes Land bewahrt unter seinem Statthalter, d e r ü b e r a l l e i n K i n d d e s j e w e i l i g e n L a n d e s i s t , seine Selbständigkeit. Dollfuß wählt plumpe Lügen und Unwahrheiten. Er und seine Helfershelfer Fey, Starhemberg, Schuschnigg, Buresch usw. zittern vor dem kommenden Volksgericht  ; daher der »österreichische Kurs«, daher der sagenhafte »österreichische Mensch«. Die neue »Vaterländische Front« ist eine Front aller Gegner des Deutschtums, aller Separatisten und Volksverräter. Juden und Marxisten sitzen in der Führung. Salzburger Volksgenossen  ! Der Landesverräter Dollfuß und seine Kumpane führen euch ins Elend. An dem Tage, da Dollfuß zurücktritt und eine deutschbewusste Regierung gebildet ist, haben wir wieder Frieden und Freundschaft mit dem Reich. D a s i s t d e r e i n z i g e We g z u r R e t t u n g D e u t s c h ö s t e r r e i c h s . Nieder mit der Hungerregierung des Separatismus  ! D a s Vo l k f o r d e r t N e u w a h l e n u n d e i n e n d e u t s c h e R e g i e r u n g s k u r s . Kämpft trotz Terror und Lüge für ein freies Großdeutschland unter Adolf Hitler  ! Der Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg, 22. Juli 1933 Zahl 300 (191.903-33). Betr.: Offener Brief an die Bundesregierung.9 An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7.

9 Das Verfassen dieser Briefe bildete ein Mittel der Propaganda der illegalen NSDAP.

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Zur Kenntnisnahme …, dass das … Schreiben dem Herrn Landeshauptmann in Salzburg in einem Kuvert, welches den Poststempel »Graz 1« und Datum »7.7.1933,11« trägt, zugekommen ist. Lesen und weitergeben  ! Offener Brief an die Bundesregierung  ! Herr Bundeskanzler  ! Alle Macht geht vom Volke aus  ! Punkt 1 unserer Verfassung  ! Warum wird dann das Volk terrorisiert  ?  ! Sie und ihre Mitglieder behaupten  : Drei Viertel des österreichischen Volkes stehen hinter der Regierung  !  ? Warum lassen Sie, Herr Bundeskanzler, das Volk nicht wählen  ? Denken Sie an die Zukunft, Herr Bundeskanzler  ! Mit Gummiknüppel und Bajonetten wird kein Volk auf die Dauer niedergehalten und regiert  ! Wo bleibt unsere Verfassung  ? Wo ist bei uns noch ein Recht  ? Ihre Regierung hat den Boden der Verfassungs- und Gesetzmäßigkeit schon längst verlassen  ! Sie können nicht mehr verlangen, dass der Bauer, Bürger und Gewerbetreibende einer nicht gesetzmäßigen Regierung Steuern und Abgaben leistet  ! Millionen von Schillingen werden für die antideutsche Propaganda verwendet und Hunderttausende Arbeitslose müssen auf der Straße hungern. Wo bleibt da die christliche Nächstenliebe  ? Wir leben in einer »freien Republik« und sind schlechter daran als irgendeine Kafferkolonie. Ein Volk steht auf, der Sturm bricht los, sagten Sie in einer Versammlung. Jawohl  ! Der Sturm bricht los, gegen Sie und Ihre Helfershelfer  ! Herr Bundeskanzler  ! Kehren Sie um und geben Sie dem Volke sein Recht wieder, bevor es zu spät ist  ! Ein verfassungstreuer Österreicher. Polizeidirektion Salzburg, 29. Juli 1933 Zl. 15/4-33 res. (192.809/33) Betr.: Deutsche Flugzeuge, nationalsozialistische Propaganda durch Abwurf von Flugzetteln. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Am 29. Juli 1933 um 11.05 Uhr überflogen vier deutsche Flugzeuge, Klemm-Tiefdecker, ungefähr in einer Höhe von 200 bis 500 m die Stadt und warfen Flugzettel

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ab. … Die vier Flugzeuge, welche Unmengen von Flugzetteln abwarfen, kreuzten ungefähr eine halbe Stunde über Salzburg und Umgebung, insbesondere über dem Residenzplatz (Tiefgang, Ausschaltung des Motors), wo zur selben Zeit das Werbekonzert der Deutschmeisterkapelle der Vaterländischen Front stattfand. Die Flugzeuge wurden mit stürmischen Pfuirufen und Pfiffen von den Zuhörern des Konzertes empfangen und herrschte darüber große Empörung. Nach 11.30 Uhr verließen die vier Tiefdecker Salzburg und flogen der deutschen Grenze zu. 3 von diesen Flugzeugen kamen wieder zurück und flogen gegen das Salzkammergut zu. Es wurden dreierlei Flugzettel, die in der Anlage … vorgelegt werden, abgeworfen  :  … Nationalsozialisten  ! Kameraden vom Steirischen Heimatschutz  ! Deutsche Männer und Frauen Österreichs  ! In einer geschichtlichen Stunde rufen wir Euch auf zum Kampf  ! 15 Jahre ist es her, seit in den Novembertagen des Jahres 1918 aus dem Zusammenbruch der Donaumonarchie die Republik Österreich entstand – Nicht als das Ergebnis einer befreienden Tat, sondern als die Folge feigen Verrates, nicht aus dem freien Willen seines deutschen Volkes heraus, sondern unter dem Druck der französischen Bajonette, nicht als organisches und lebensfähiges Gebilde, sondern das aus tausend Wunden blutende Reststück aus der großen Beuteverteilung der Sieger, das niemals leben kann aus eigener Kraft und auch nicht leben können soll, weil es nur so seinem einzigen Daseinszweck gerecht werden kann  : w i l l e n l o s e s I n s t r u m e n t d e r f r a n zösischen Machtpolitik zu sein. Erinnert Euch daran, wie dieser Staat entstand, und wer seine Väter waren, und Ihr werdet wissen, was Ihr von jenen zu halten habt, die heute eine »österreichische Front« bilden zur Erhaltung der »Eigenständigkeit« Österreichs und zur Erfüllung seiner »besonderen Mission«. Seit 15 Jahren geht das Ringen um Österreich zwischen deutschem Blut und französischem Geld – Zwischen dem deutschen Blut seines Volkes, das hindrängt zum Reich, zur großen Schicksalsgemeinschaft aller Deutschen, und dem französischen Geld, das es hinüberdrängen will auf die andere Seite, in die Reihen der Feinde Deutschlands. Auf und nieder ging die Schicksalswaage Österreichs in dieser Zeit, brachte Hunger und Not, Demütigungen jeder Art und schimpfliche Abhängigkeit – aber niemals verstummte im Volke das Bekenntnis zum Reich, niemals versiegte der Wille zur Überwindung des Zwangsstaates von St. Germain und zur Herstellung der großen deutschen Gemeinschaft. (…)

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Aus diesen Wurzeln erwuchs die nationalsozialistische Bewegung in Österreich und wurde zur alles überragenden Macht, als am 30. Jänner 1933 im Reich der Sieg errungen war. Vor ihrer zahlenmäßigen Stärke, ihrer einzigartigen Geschlossenheit und vor der Kraft ihrer Idee versank die Bedeutung der alten Parteien. Ein neuer Abschnitt in der Geschichte Österreichs konnte und sollte nach dem Willen seines Volkes beginnen, der Erfolg eines 15-jährigen Kampfes, die Erfüllung eines tausendjährigen Traumes schien gesichert, die willens- und ideenmäßige Einheit des deutschen Volkes war da, wenn auch die staatliche Einheit noch fehlte. Wieder wie in den Novembertagen des Jahres 1918 schlug eine historische Stunde, – und wieder wie damals griffen im Dienste Frankreichs Juden, Marxisten und Freimaurer ein. Das Verbot der nationalsozialistischen Bewegung Österreichs durch die Regierung Dollfuß ist ein Dolchstoß in den Rücken der deutschen Erhebung, und an den Folgen gemessen politisch und wirtschaftlich ein Verbrechen an der Zukunft Österreichs wie des ganzen deutschen Volkes. Die »österreichische Front«, die heute die Trägerin des Kampfes gegen den Nationalsozialismus in Österreich ist und in ihren Reihen einschließlich der Sozialdemokratie sämtliche Parteien und Führer der gegenwärtigen Regierung vereinigt, ist ihrem Geiste, ihrem Wesen und ihrer Zielsetzung nach nichts anderes als die österreichische Ausgabe jenes volks- und landesverräterischen Separatismus, der in den Jahren 1919 bis 1923 unter dem Schutze französischer Bajonette und bezahlt von französischem Geld das urdeutsche Rheinland vergewaltigte, sein urdeutsches Volkstum zu »rheinischen Menschen« umprägen und diesen eine besondere »deutsche Mission« zuschreiben wollte, die es nur unter dem Schutze Frankreichs und im Gegensatz zum Reich lösen könne. (…) We h r t E u c h    ! Volksgenossen, die Ihr Euch nicht dem schwarzen Ausbeutersystem unterwerfen wollt, I h r s e i d v o g e l f r e i    ! (…) d i e s e s m u t w i l l i g e Tr e i b e n d e r h e u t i g e n Z w i n g h e r r e n w i r d n i c h t u n g e s t r a f t b l e i b e n   ! Jede Unehrlichkeit, jede Vergewaltigung des Volkswillens findet früher oder später doch gerechte Strafe  ! Die Herren von heute mögen nur so weitermachen, sie werden die Angeklagten von morgen sein  ! Am Tag der Abrechnung aber wird es ihnen laut in die Ohren dröhnen  : Ihr habt das Volk vergewaltigt und geknechtet, ihr habt ihm seine selbstverständlichen Rechte geraubt, ihr habt es hungern lassen und es obendrein verspottet  ! Gebt Rechenschaft  !

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Und dieser Tag der Abrechnung wird desto eher kommen, je brutaler und ungerechter die schwarzen Volksunterdrücker heute vorgehen  ! Bis zu diesem Tag aber gilt eines  : Wehrt Euch  ! Rüstet zum Widerstand  ! Die Gewaltherrschaft der Christlichsozialen Partei und ihrer Trabanten muss zerschlagen werden, damit unser Volk wieder leben kann  ! D u r c h K a m p f z u m S i e g   ! NSDAP Hitlerbewegung Österreichs Karl Scharizer e. h. Ing. Parson e. h. Heimatschutz-Verband Salzburg Landesleitung, 26. Juli 1933 Tgb. Nr. 647/33. Herrn Generalmajor Wimmer, Sicherheitsdirektor für das Land Salzburg. Die gefertigte Landesleitung ist der begründeten Anschauung, dass sich die Sicherheitsverhältnisse im Lande Salzburg in der letzten Zeit nur scheinbar gebessert haben. Diese Urteilsbildung fußt in erster Linie auf den Umtrieben der verbotenen NSDAP in Österreich. Im ganzen Grenzzug Österreich-Deutschland spielt sich ein unterirdischer Verbindungsverkehr ab, der gerade an der Salzburger Grenze und besonders in nächster Umgebung der Stadt als der lebhafteste zu bezeichnen ist. Vor allem geht über Salzburg der verbotene Übertritt österreichischer NSDAP-Mitglieder nach Deutschland. Aus vielen Gemeinden des Landes und – wie uns bekannt ist – auch aus sehr vielen Gemeinden des gesamten Bundesgebietes begeben sich insbesonders jugendliche Angehörige dieser Partei nach Deutschland. Nach unserer Anschauung müssen dies schon mehrere Tausend sein. Der Zweck der Übung scheint uns der, dass die Deutsche Reichsregierung diese Leute ausbilden und dann dazu benützen will, um in nicht sehr ferner Zeit mit diesen fanatisierten österreichischen Anhängern in Österreich eine Art Bandenkrieg zu führen nach Muster Trotzkis vom Jahre 1917. Wir wissen auch, dass diese Flüchtlinge in Rosenheim, Bamberg und Nürnberg etc. gesammelt und ausgebildet werden. (…) Diesem Treiben muss endlich Einhalt getan werden. Unseres Erachtens gibt es zwei Möglichkeiten, die hierzu geeignet sind  : 1. Eine Verordnung, dass den aus politischen Motiven ins Deutsche Reich übergetretenen Österreichern die Staatsbürgerschaft entzogen wird und 2. die Grenzsperre. Letztere Maßnahme ist durch die teilweise Unverlässlichkeit der Zollorgane in erster Linie an den Übergangspunkten durch Beistellung von Exekutivorganen der Sicherheitsbehörden zum Teil zu erreichen.

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Weiters müssten insbesondere die trockenen Grenzen durch ständigen Grenzüberwachungsdienst gesichert werden. Die Indienststellung einiger Schutzkorpskompanien würde für das Land Salzburg genügen, um wenigstens das unbedingt Notwendige getan zu haben und die möglichste Erschwerung des Übertritts herbeizuführen. Zur Unterstützung obiger Ausführungen mögen folgende Nachrichten über die verbotene NSDAP dienen. Diese Partei besteht besonders in ihren nunmehr revolutionären Kampfformationen SS und SA ungeschwächt weiter. Diese und auch die zivilen Parteianhänger finden sich nach wie vor zu Besprechungen und Versammlungen zusammen, insbesonders zu den deutschen politischen Rundfunkvorträgen über Österreich. Der Nachrichten- und Propagandadienst geht im Schneeballsystem von Deutschland insbesonders über Salzburg über das ganze Bundesgebiet weiter. In einzelnen Ortschaften und Straßen der Stadt Salzburg werden die furchtsamen Bürger abgehalten, der Vaterländischen Front beizutreten, oder getrauen sich nicht mehr, deren Abzeichen zu tragen, weil sie dem NSDAP-Anhang Glauben schenken müssen, dass deren Partei in wenigen Wochen in Österreich diktiert. Wenn die Salzburger Festspiele vielleicht nur durch einen Papierböller so gestört werden, dass der Wirtschaft ein Millionenschaden erwächst, so liegt unseres Erachtens die Ursache nur in dem meist unwirksamen Auftreten der Exekutiv-Vollzugsorgane bisher. Solche Anschläge lassen sich nur durch vorbeugende Maßnahmen mit psychologischer Wirkung hintanhalten. Die ganze Staatsgegnerschaft muss zu der Überzeugung gebracht werden, dass mit aller persönlichen Aufopferung nichts zu erreichen ist. Gesetze und Verordnungen hierzu bestehen genug. Hochachtungsvoll Schad e. h. Oberst Der Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg, 1. August 1933 Zahl 461 (184.809/33). Betr.: Nationalsozialistische Umtriebe  ; Vorkehrungen. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. (…) Ich beziehe mich … auf die in meinem … Berichte … dargelegten Gründe, die für die Notwendigkeit der vorläufigen Belassung des burgenländischen Feldjägerbataillons zu Rad Nr. 1 in Salzburg angeführt wurden. Das Bataillon verlässt Salzburg am 3. dieses Monats. Da … der unmittelbaren Überwachung der Grenze zur Hintanhaltung des unbefugten Grenzübertrittes nationalsozialistischer Parteigänger nach und von Bayern die größte Bedeutung zukommt, habe ich … um Verstärkung des Gendarmeriestan-

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des um etwa 40 Beamte gebeten. Eine diesbezügliche Verfügung ist bisher nicht herabgelangt. (…) Abschließend glaube ich nicht verabsäumen zu dürfen, ganz besonders darauf hinzuweisen, dass die Sicherheitsexekutive im Lande Salzburg infolge der fortgesetzten Bereitschaften, Verschiebungen an politisch unruhige Örtlichkeiten, durch die verstärkte Überwachung der Bahnobjekte während der Fremdenverkehrs-(Festspiel)-Zeit, weiters infolge der gebotenen strengen Verfolgung der Wandbemalungen und -beschriftungen wie sonstiger nationalsozialistischer Umtriebe, des strengen Grenzpatrouillendienstes, und zwar nebst allen sonstigen normalen Dienstobliegenheiten, bis zur äußersten Grenze der physischen Leistungsfähigkeit angespannt werden muss, um den gestellten Aufgaben gerecht werden zu können. Es ist deshalb aber auch zu befürchten, dass die Kräfte im entscheidenden Momente ernster Ereignisse noch gesteigerten Anforderungen nicht mehr gewachsen wären und versagen würden, wenn nicht rechtzeitig durch Verstärkungen des Standes Vorsorge getroffen wird. Nr. 194.809-G.D.1-1933, 20. August 1933. Dem auch vom Sicherheitsdirektor für Salzburg gestellten Antrage auf Vermehrung der Exekutivorgane wird durch das von der Bundesregierung im Ministerrate vom 16. d. M. beschlossene Aufgebot von 1.500 Mitgliedern des Schutzkorps Rechnung getragen.10 Die Einstellung der Mitglieder dieses Schutzkorps soll ehebaldigst erfolgen. (…) 10 Im Ministerrat am 16. August 1933 berichtete Sicherheitsminister Emil Fey, »er habe eben eine Inspizierungsreise beendet, die insbesondere den Zweck gehabt habe, über die Verhältnisse an der Grenze gegen Deutschland Klarheit zu schaffen. Redner habe den Eindruck gewonnen, dass in der nächsten Zeit zweifellos mit irgendwelchen Aktionen der Nationalsozialisten von Außen und im Inneren gerechnet werden müsse. Demgegenüber stehe die Tatsache, dass gegenwärtig für 10–20 km Grenze 5–8 Mann Gendarmerie zur Verfügung stünden. Dies bedeute, besonders an bestimmten Orten … einen ganz unhaltbaren Zustand. Da die Gendarmerie daher nicht im Stande sei, die erforderlichen vorbeugenden Maßnahmen allein zu treffen und das Bundesheer für diesen Dienst nicht herangezogen werden könne, schlage Redner vor, zum Zwecke einer entsprechenden Grenzbewachung und eines Schutzes sonst besonders gefährdeter Gebiete auf die Dauer des Bedarfes ungefähr 1500 Mann aus den Ständen des Schutzkorps in Einzelverwendung bei den in Betracht kommenden Gendarmeriedienststellen einzuteilen.« Justiz- und Unterrichtsminister Kurt Schuschnigg bemerkte, es wäre ein »Idealzustand, die Grenze militärisch zu besetzen  ; davon könne aber keine Rede sein. Daher erblicke er in der Annahme des gestellten Antrages den einzig gangbaren Weg.« Er »sehe die Situation als überaus ernst an und man habe absolut keine Zeit zu verlieren.« Finanzminister Karl Buresch berichtete, »er habe in Salzburg die persönliche Wahrnehmung gemacht, dass die Situation zum Reißen gespannt sei  ; man müsse daher entsprechende Vorsorge treffen.« Der dem Landbund angehörende Vizekanzler Franz Winkler wandte allerdings ein, »wenn seitens Deutschland eine Okkupation beabsichtigt sei, so könne man dies wegen des Kräfteverhältnisses nicht verhindern. Jede andere Annahme wäre Hochstapelei. Für den Antrag spreche daher lediglich das Argument, dass die übermüdete Grenzgen-

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Der Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg, 7. August 1933 Zahl 709 (197.290/33) Betr.: 2. Situationsbericht. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse7. Über die Entwicklung der allgemeinen politischen Lage im Bundeslande Salzburg erstatte ich … folgenden Situationsbericht  : Im Juli wurden dreimal von reichsdeutschen nationalsozialistischen Propaganda-­ Flugzeugen Flugzettel regierungs- und österreichfeindlichen Inhaltes abgeworfen, und zwar am 14. Juli über der Stadt Salzburg und Umgebung, am 21. Juli außerdem über Hallein, Golling, Werfen, Bischofshofen, St. Johann im Pongau, Schwarzach, Lend, Taxenbach, Zell am See und Lofer und am 29. Juli außer über Salzburg auch über Mattsee. Ein Erfolg dieser Art nationalsozialistischer Propaganda im Sinne einer Aufwiegelung der Bevölkerung ist nicht zu verzeichnen. (…) Für die Veranstaltungen der Salzburger Festspiele wurden besondere Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um Störungen von nationalsozialistischer oder kommunistischer Seite zu verhindern. Flugzettelabwürfe anlässlich der von 5 bis 7 Uhr nachmittags am Domplatze stattfindenden »Jedermann«-Aufführungen lassen sich allerdings, wenn beabsichtigt, nicht vereiteln. Im Allgemeinen bieten die politischen Verhältnisse des Landes ein äußerlich ruhiges Bild. Durch die … Kundmachung vom 10.7.1933 Zl. 175 wurde das Tragen jedweder Abzeichen an Stelle der verbotenen nationalsozialistischen Parteiabzeichen, der sog. »Hitlergruß« und das Absingen, Spielen und Pfeifen nationalsozialistischer Lieder verboten. Zuwiderhandlungen sind nur mehr vereinzelt zu verzeichnen und werden streng geahndet. Das schon mit der … Kundmachung vom 6.7.1933, Zl. 106 verlautbarte allgemeine Verbot öffentlicher Lautsprecherübertragungen ausländischer



darmerie entlastet werden solle.« Zur Heranziehung des Schutzkorps merkte er kritisch an, dass diese Formation nicht aus den Wehrformationen der Regierungsparteien, sondern fast ausschließlich »aus Angehörigen des Heimatschutzes bestehe.« Bundeskanzler Engelbert Dollfuß beendete die Diskussion mit der Feststellung, die »Situation werde sich in den nächsten Monaten klären. Bis dahin sei das Wichtigste, ruhige Nerven zu bewahren und ein möglichst harmonisches Zusammenarbeiten innerhalb der Bundesregierung zu sichern. Wenn die Bundesregierung sich selbst lähme, sei die Situation verloren. Die Bundesminister seien heute aneinander gekettet auf Gedeih und Verderben  ; sie mögen daher alles, was von außen her an Elementen des Misstrauens hineingetragen werde, beiseitelassen. Wenn der Sicherheitsminister erkläre, er brauche die Gendarmerieverstärkung, müsse sie bewilligt werden.« (MRP 894/18. 16.8.1933.)

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Allgemeine Politische Lage

Rundfunksendungen, die durch ihren Inhalt geeignet sind, die öffentliche Ruhe und Ordnung zu stören, hat bisher zu zwei Beanstandungen in Tamsweg geführt. Die Strafamtshandlungen sind im Zuge. Als weitere Formen nationalsozialistischer Propaganda wurde das Einstanzen kleiner Hakenkreuze auf 1-Schilling-Münzen und auf 10-Groschen-Stücken sowie die Veränderung des Kruckenkreuzes zu einem Hakenkreuz auf 2-Groschen-Stücken festgestellt. In Hofgastein wurde auf einer Wiese beim Bahnhofe aus dem hochstehenden Grase ein großes Hakenkreuz ausgemäht, worauf das Abmähen der ganzen Wiese veranlasst wurde. (…) Um den bald hier, bald da sich wiederholenden Bemalungen und Beschriftungen fremden Eigentums mit Hakenkreuzen bzw. nationalsozialistischen Sprüchen ein Ende zu bereiten, wurde den Sicherheitsbehörden … die scharfe Handhabung der zu Gebote stehenden Strafbestimmungen, der sofortige Strafvollzug und in jedem Falle die sofortige Entfernung der Zeichnungen bzw. Inschriften aufgetragen. Die Ermittlung der Täter ist daraufhin mehrfach gelungen und hat zu deren strenger Bestrafung geführt. Da die Vermutung besteht, dass der Unfug, zum Teile wenigstens, von reichsdeutschen nationalsozialistischen Emissären verübt wird, die auf Kraftfahrzeugen Österreich bereisen und auch Propagandamaterial verbreiten, wurde angeordnet, dass einreisende reichsdeutsche Kraftfahrzeuge bei den Grenzübertrittsstellen genau dahin untersucht werden, ob sie irgendwelches verdächtiges Gepäck mit sich führen. Auch den im Lande angetroffenen deutschen Kraftfahrzeugen wird ein besonderes Augenmerk in dieser Richtung gewidmet. Die Exekutivorgane wurden gleichzeitig angewiesen, bei den Kontrollen den durch die Rücksichtnahme auf die Fremdenverkehrsinteressen gebotenen Takt einzuhalten. Im Allgemeinen kann festgestellt werden, dass die nationalsozialistische Propaganda durch Verunstaltung des Straßenbildes nachgelassen hat. Dagegen sprechen verschiedentliche vertrauliche Mitteilungen und hiermit übereinstimmende amtliche Wahrnehmungen dafür, dass die nationalsozialistische Tätigkeit im Verborgenen von Mann zu Mann fortgesetzt wird und auf breiter Basis weiterarbeitet. Seit Mitte Juli sind aus dem Bundeslande Salzburg über 80 jugendliche Parteiangehörige, hauptsächlich frühere SA- und SS-Männer, nach Bayern entwichen, zunächst solche, die sich der Durchführung eines Strafverfahrens zu entziehen trachteten, aber auch andere, gegen die nichts Positives vorlag. Die Schwierigkeiten, die sich einer Absperrung der Grenze im Gebirge mit unzulänglichem Gendarmeriestande entgegensetzen, lassen unbefugte Grenzüberschreitungen nicht mit wünschenswerter Wirksamkeit unterbinden.11 In der Folge haben auch Flüchtlinge aus anderen Bundesländern, Steiermark, den Weg über Salzburger Gebiet genommen. 11 Von den insgesamt 551 Salzburger Mitgliedern der »Österreichischen Legion« flohen 148 im August 1933 in das Deutsche Reich. (Hans Schafranek  : Militante NS-Aktivisten mit Rückzugsbasis. Salzbur-

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Dass diese Bewegung auf einer planmäßigen Aktion beruht, geht aus dem Material hervor, welches zuerst bei ehemaligen Mitgliedern der nationalsozialistischen Wehrformationen aus Steiermark vorgefunden wurde, die in Salzburg festgenommen werden konnten. Außer einer Legitimation hatte jeder die eine Hälfte eines in der Mitte durchgeschnittenen bedruckten Erkennungszettels bei sich, den er in Bayern dem ersten SS- oder SA-Mann vorzuzeigen hatte, um bis zu jener Stelle, angeblich in München, entsprechend weiter instradiert zu werden, bei der die zweite Hälfte des Erkennungszettels erliegt. Die österreichischen Flüchtlinge sollen in Deutschland zu eigenen Formationen gesammelt und ausgebildet werden, um sodann nach der Rückkehr zur Verübung von Terrorakten und Unruhestiftungen in Fremdenverkehrsorten schon im August oder später sowie zur Kooperation mit bewaffneten Banden verwendet zu werden, die in österreichisches Gebiet einzufallen hätten, um hier die Ergreifung der staatlichen Macht durch die Nationalsozialisten zu ermöglichen. (…) Den Verhältnissen an der Grenze auf bayerischer Seite wird die regste Aufmerksamkeit zugewendet. In Freilassing befindet sich die Gauleitung der NSDAP Österreichs  : Gauleiter Karl Scharizer, Gauleiter-Stellvertreter Ing. Herbert Parson, Propagandachef Ing. Josef Wohlrab,12 Kommandant der SA für Österreich (»Österreichische Legion«), der desertierte österreichische Hauptmann Hermann Langhans13 und der

ger bei der Österreichischen Legion. – In  : Kramml, Hanisch (Hg.)  : Hoffnung und Verzweiflung in der Stadt Salzburg 1938/39. Vorgeschichte/Fakten/Folgen. S. 124–161. S. 139.) 12 Josef Wohlrab (1888–1970) besuchte die Oberrealschule in Salzburg und studierte 1909–1914 an der Technischen Hochschule in Wien Maschinenbau, diente im Ersten Weltkrieg in der k. u. k. Armee und wurde nach Kriegsende als Oberleutnant entlassen. 1919–1921 war er Leiter der Invalidenämter von Salzburg-Stadt und Umgebung, 1924–1928 technischer Angestellter und absolvierte ab 1928 eine Lehre als Stukkateur. 1919 war er Angehöriger des Freikorps Oberland in Salzburg, 1922 trat er der DNSAP bei, organisierte nach dem gescheiterten Hitler-Putsch die Flucht von Putschisten aus Bayern nach Salzburg, trat 1926 der NSDAP bei und wurde Gauführer der SA, 1928 Kreispropagandaleiter der Salzburger NSDAP, 1932–1933 Gaugeschäftsführer und Gauamtsleiter (Gaukassenwart). Am 13. Juni 1933 verhaftet, wurde er bereits kurze Zeit später entlassen und floh in das Deutsche Reich, wo er in der emigrierten Gauleitung tätig war. 1934 wurde er zum NSDAP-Flüchtlingshilfswerk kommandiert, 1938–1945 war er Landrat in Baden bei Wien. 13 Hermann Langhans wurde 1897 in Lend geboren, besuchte die k. u. k. Militär-Oberrealschule in Mährisch-Weißkirchen und die Technische Militärakademie in Hainburg, wurde 1916 als Leutnant ausgemustert und leistete anschließend seinen Militärdienst in Litauen, Galizien und Italien, 1919 diente er im Grenzschutz Steiermark und war ab 1920 Mitglied des Bundesheeres. 1921 zum Hauptmann befördert, wurde er nach Salzburg versetzt, wo er 1932 der NSDAP beitrat, die ihn zum Gausoldatenführer bestimmte. 1933 wurde er SA-Sturmbannführer, im Juni 1933 inhaftiert, jedoch bereits nach wenigen Tagen entlassen. Er floh im Juli 1933 in das Deutsche Reich und führte bis 1934 die SA-Brigade Salzburg und ab 1934 die Lehrstandarte 2 der Österreichischen Legion in Mönchröden bei Coburg. Nach dem Anschluss wurde er Oberstleutnant der Schutzpolizei in Salzburg, 1944 diente er im Reichsamt Technische Nothilfe.

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Landesführer der Hitlerjugend Theodor Stadler, alle aus Salzburg. Die Gauleitung ist im Sängerheim des deutschen Sängerbundes in Freilassing untergebracht. (…) Es soll … beabsichtigt sein, zwischen Surheim und Salzburghofen bei Freilassing einen Störsender aufzustellen, um eventuelle österreichische Radiosendungen des Salzburger Senders, die sich gegen den Nationalsozialismus richten, zu stören. Der Gauleitung in Freilassing ist bekannt geworden, dass in der Franz-Josefs-Kaserne in Salzburg oder im Schloss Kleßheim ein österreichischer Störsender bestehe, welcher den Empfang der bayerischen Rundfunksendungen über österreichische Belange in Salzburg verhindere. Ein Agent wurde angeblich betraut, den Störsender, der bereits gepeilt wurde, festzustellen und das Leitungskabel zum Störsender zu zerschneiden, wofür ein Preis von 500 RM ausgesetzt wurde. (…) Die verschiedenen vaterländischen Veranstaltungen haben sichtlich dazu beigetragen, dass das österreichisch-patriotische Gefühl der Bevölkerung gestärkt wurde.14 Andererseits kann nicht darüber hinweggegangen werden, dass die Bevölkerung und fast alle Kategorien der Bundes- und Landesbeamtenschaft von nationalsozialistischen Gesinnungsgenossen stark durchsetzt sind. Ich lasse es mir angelegen sein, von allen Mitteilungen konkreter Tatsachen die zuständigen Ressortchefs in Kenntnis zu setzen und darauf hinzuwirken, dass unzuverlässige Elemente von wichtigen Stellen entfernt und womöglich transferiert werden. (…) Obgleich die vornehmliche Aufmerksamkeit auf die nationalsozialistische Bewegung gerichtet ist, wird auch dem im Geheimen sich abspielenden Treiben der Kommunistischen Partei, die sich organisatorisch umgestellt hat und eine rege Tätigkeit zu entfalten bestrebt ist, die ständige Überwachung zuteil. (…) Gendarmeriepostenkommando Golling, Bezirk Hallein in Salzburg, 7. August 1933. E. Nr. 1108. Betr.: Provokation von deutschen Nationalsozialisten am C.-v.-Stahl-Haus. An die Bezirkshauptmannschaft in Hallein. Am 19. Juli 1933 erschienen im C.-v.-Stahl-Haus am Torrenerjoch, Gemeinde Torren, vermutlich 4 extreme Anhänger der NSDAP aus Bayern und erklärten nach der Einnahme eines Frühstückes, dass sie jetzt die Jäger von Oberjoch herauskitzeln werden.

14 Diese Meinung wurde auch von der amerikanischen Botschaft geteilt. So kam der Jahresabschlussbericht 1933 der amerikanischen Botschaft zu dem Ergebnis, die Regierung Dollfuß habe »die Antianschlussbewegung dadurch beeinflusst, dass sie den Österreichern wieder ihre eigene Nationalität bewusst machte durch den Hinweis auf ihre glänzende politische und kulturelle Vergangenheit und dadurch, dass sie innerhalb von sechs Monaten die Achtung und Sympathie der ganzen zivilisierten Welt erringen konnte.« (Goldinger  : Dollfuß im Spiegel der US-Akten. S. 78.)

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Die vier Burschen begaben sich dann ca. 40 Schritte vor das Stahl-Haus auf österreichischen Boden und gaben dort zwei Schüsse aus einer Pistole ab. Dann begaben sich diese Burschen über die Grenze auf bayerisches Gebiet und gaben dortselbst noch ca. 4 bis 5 Schüsse ab. Oberjäger Richard Lonski und Revierjäger Franz Seidl der Krupp’schen Jagdverwaltung haben diese Schüsse vernommen und sind dann zum Stahl-Haus gekommen  ; die Burschen waren aber zu dieser Zeit schon wieder über der Grenze. Die Erhebungen seitens des Gefertigten am Stahl-Haus insbesondere durch Einvernahme des Wirtschafters Zingerle ergaben, dass diese Burschen zweifellos nur eine Provokation verursachen wollten, damit der Zustrom deutscher Gäste zum Stahl-Haus abgelenkt werde. Jedenfalls würden diese Burschen beabsichtigt haben, mit den Jägern eine Kontroverse herbeizuführen, welche dann in der Öffentlichkeit verbreitet worden wäre. Weiters wurde festgestellt, dass in Berchtesgaden und Königssee inoffiziell vor dem Besuch des Stahl-Hauses gewarnt wird, da der Übertritt nicht gestattet werde. Tatsächlich haben die meisten ankommenden Bergwanderer den Gefertigten gefragt, ob sie das Stahl-Haus betreten dürfen. Jedenfalls dürfte … beabsichtigt sein, den ziemlich zahlreichen Zuspruch am Stahl-Haus abzulenken. (…) Gendarmiekommando Golling, Bezirk Hallein in Salzburg, 18. August 1933 E. Nr. 1191 (206.938/33). Betr.: Bericht über die Grenzverhältnisse am Torrenerjoch. An die Bezirkshauptmannschaft in Hallein. Am 16. August 1933 verrichtete Rayonsinspektor Josef Kranzinger mit prov. Gendarm Hangl eine Patrouille nach Stahl-Haus und wurde dortselbst Folgendes erhoben  : Bis 12. August 1933 mittags konnten die Touristen das Carl-von–Stahl-Haus am Torrenerjoch, Gemeindegebiet Torren, ungehindert betreten. Seit dieser Zeit verhindert der Grenzdienst versehende SA-Mann Peter Wein aus Berchtesgaden mit noch einem SA-Mann den reichsdeutschen Touristen das Betreten des Stahl-Hauses. Die bayerischen SA-Leute versehen bei Tag ständig Grenzdienst beim Stahl-Haus und haben auf bayerischem Boden eine Tafel mit der Aufschrift »Das Betreten des Stahl-Hauses ist reichsdeutschen Touristen bei Strafe von 500 Mark verboten« aufgestellt. Eine Tafel mit gleicher Aufschrift befand sich am Anstieg zum Hohen Göll auf österreichischem Boden, jedoch wurde diese Tafel vermutlich am 15.8.1933 von einem vom Sicherheitsdirektor Generalmajor Wimmer entsendeten Kriminalbeamten entfernt. Auf dem Touristensteig der Grenze entlang streuten die SA-Leute Zettel mit der gleichen Aufschrift wie an den Tafeln. Bis 12.8.1933 verrichteten die

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SA-Leute den Dienst in ihren Uniformen, seit dieser Zeit tragen sie Zivilkleidung und tragen die Infanteriegewehre nach Jägerart. (…) Im Stahl-Haus wurde von der Gendarmeriepatrouille ein verlässlicher Konfident aus Königssee … angetroffen und erzählte derselben gesprächsweise Folgendes über die Verhältnisse in Bayern  : Den reichsdeutschen Touristen dürfte das Betreten des Stahl-Hauses auf Intervention des Vorderbrandwirtes in Berchtesgaden verboten worden sein. Dieser Wirt ist geschäftlich an dem Verbot interessiert und mit Reichskanzler Hitler eng befreundet, da er dem Reichskanzler nach dem missglückten Putsch im Herbst 1923 längere Zeit vor den bayerischen Sicherheitsorganen verborgen hielt. Am 10.8.1933 weilte Reichskanzler Hitler bei dem Vorderbrandwirt auf Besuch. Der Konfident sowie auch die übrige werktätige Bevölkerung vom Berchtesgadenerland haben alle Achtung vor Reichskanzler Hitler, jedoch sind sie über das Treiben der Unterführer und über die Übergriffe der Hilfspolizei sehr ungehalten. Die Berufsbeamten werden von den SA-Leuten usw. verleumdet und sollen womöglich aus ihren Ämtern entfernt werden, um SA-Leuten Platz zu machen. SA-Leute, die nicht den besten Leumund genießen, fühlen sich am meisten berufen, Beamte zu verleumden, und wird diesen Verleumdungen oft Gehör geschenkt. Das Einvernehmen zwischen Berufspolizei und Hilfspolizei ist nicht am besten. (…) Der Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg, 7. September 1933 Zahl 1508 (209.967/33). Betr.: Nachrichtendienst, 4. Wochenbericht. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. (…) Zum Freiwilligen Schutzkorps haben sich bisher 1681 Mann gemeldet. Hiervon entfallen auf den Heimatdienst 1368, auf die Ostmärkischen Sturmscharen 142 und auch die Christlich-Deutschen Turner 171 Mann. Mit 1.9.1933 wurden 270 Schutzkorpsangehörige als Hilfsgendarmen zur Verstärkung des Grenzüberwachungsdienstes eingestellt. Die Ergänzung auf den Stand von 300 Mann ist im Zuge. Die zur Verstärkung des militärischen Schutzes im Grenzraume bestimmten Truppenkörper sind zum Teil bereits im Bundeslande Salzburg eingetroffen. Hinsichtlich der Standorte derselben habe ich dahin Einfluss genommen, dass die Dragonerschwadron Nr. 3 nach Lamprechtshausen, in der Nähe von Oberndorf an der Salzach, und ein Bataillon des Infanterieregiments Nr. 3 nach Hallein-Oberalm verlegt wurde, da diesen Örtlichkeiten für die Sicherung vor Einfällen besondere Bedeutung zukommt.

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Mit Genugtuung kann festgestellt werden, dass der Fremdenverkehr im Monate August an Zahl und Qualität des Fremdenpublikums insbesondere in der Landeshauptstadt die Erwartungen weit übertroffen hat. Einerseits ist dies dem Unterbleiben jedweder Terrorakte und sonstiger Störungen der öffentlichen Ruhe und Sicherheit, andererseits der großzügigen Auslandspropaganda zu danken. Die Fremdenziffern für die Landeshauptstadt Salzburg mit 35.047 Personen weisen gegenüber dem Vorjahre nur einen Ausfall von 9.965 Personen auf. Da die Zahl der Fremden aus dem Deutschen Reiche im August des Vorjahres 15.681 und heuer nur 874 betrug, erscheint der Ausfall der Reichsdeutschen durch die Besucher aus den anderen Staaten zu einem starken Prozentsatze wettgemacht. Insbesondere war ein stärkerer Zuzug aus der Tschechoslowakei, aus Italien, Belgien, Frankreich, England, Holland und aus der Schweiz zu verzeichnen, während Polen, Jugoslawien und insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika einen offenbar auf die verschlechterte Wirtschaftslage dieser Länder zurückzuführenden Rückgang aufweisen. Die Frequenz aus Wien und den übrigen Bundesländern hat die vorjährigen Ziffern annähernd erreicht. Wesentlich schlechtere Frequenzverhältnisse sind in Badgastein zu verzeichnen, wo heuer bis 1. September 14.389 Kurgäste und 3.322 Passanten gemeldet wurden und diese Zahlen um 7.558 Kurgäste und 2.141 Passanten gegenüber dem Vorjahre zurückblieben. (…) Gendarmeriepostenkommando Mühlbach im Oberpinzgau, 5. September 1933 E. Nr. 976 (212.334/33). Betr.: Innerhofer, Arbeitseinstellung in Deutschland. An das Landesgendarmeriekommando in Salzburg. Johann Innerhofer, der am 26.12.1906 in Bramberg geboren, … von Beruf Melker in Dorfpassthurn, Gemeinde Bramberg, hat am 1. September 1933 seinen Dienstposten in Deutschland verlassen müssen und ist am 3.9. in seiner Heimat eingetroffen. Er gab hier Folgendes an  : Am 26. Mai d. J bin ich als Melker zum Stellenantritt nach Deutschland gefahren und war seither in Winternam, Kreis Geldern, als Melker mit einem Monatslohn von 50 RM beschäftigt. Am 15.8. d. J. musste ich noch beim Bürgermeisteramt in Neukerk, Kreis Geldern, 5 RM zahlen, damit ich für ein Jahr die Arbeitsbewilligung erhalten habe. … Trotz dieser Arbeitsbewilligung kam am 31.8. d. J. ein SA-Mann vom Arbeitsamt Geldern zu mir und forderte mich auf, dass ich die Arbeit sofort einstellen müsse. Wenn ich wolle, könne ich in Deutschland die Gleichschaltung Österreichs, die in kurzer Zeit erfolgen wird, abwarten, doch Arbeit darf ich bis dahin keine annehmen. Mein Dienstgeber ging dann mit mir zum Arbeitsamt und ich erklärte mich auch bereit, der NSDAP beizutreten, wenn ich auf meinem Arbeitsplatz bleiben könne und ich mich weiter nicht betätigen brau-

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che. … Es wurde mir gesagt, dass der Reisepass bald kommen werde und ich abreisen müsse. (…) In Deutschland wird allgemein gesprochen, dass Österreich bis in einigen Monaten gleichgeschaltet sei und wenn dies nicht anders geht, so marschieren im November d. J. 160.000 Mann in Salzburg ein. (…) Der Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg, 17. September 1933 Zl.: 1771 (213.114/33) Betr.: Nachrichtendienst, Wochenbericht Nr. 5 und 6. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. (…) Die Türkenbefreiungsfeier in Salzburg und Hallein am 11. und 12.9. sind unter zahlreicher Beteiligung der Bevölkerung in sehr würdiger Weise und ohne Störung verlaufen. Die Berichtsperiode ist im Übrigen besonders durch die Zuspitzung der politischen Lage an der Grenze gekennzeichnet. Seit der Verstärkung der Grenzüberwachung durch Hilfsgendarmen des Freiwilligen Schutzkorps sind auch reichsdeutscherseits wesentliche Erhöhungen des Standes der SS-Grenzposten durchgeführt worden. Seiter ist eine Spannung der Lage eingetreten (…) Auch unter den Nationalsozialisten im Lande hat sich in der Berichtsperiode eine starke Bewegung bemerkbar gemacht. In der Nacht zum 4.9. wurden in mehreren Orten größere Mengen von Flugzetteln mit regierungsfeindlichem Inhalte, Aufforderung zum Steuerstreik und Verhinderung von Exekutionen sowie Abhebung von Sparguthaben verstreut und angeklebt und nationalsozialistische Wandbeschmierungen verübt. Sechs Täter wurden mit je 6 Wochen, zwei mit je 4 Wochen Arrest bestraft. Die Grenzüberschreitungen nationalsozialistischer Flüchtlinge nach Deutschland sind noch nicht zum Stillstand gekommen, haben aber bedeutend nachgelassen. In der Berichtsperiode wurden 11 Flüchtlinge aus dem Bundeslande Salzburg und 15 aus anderen Bundesländern festgenommen. … An sonstigen Amtshandlungen werden ausgewiesen  : Magistratsrat Dr. Franz Lorenz in Salzburg wegen Abhaltung von SA-Appellen und Weiterbeförderung nationalsozialistischer Flüchtlinge 3 Monate Arrest und 1000 Schilling Geldstrafe  ; Richter Dr. Walter Dillersberger in St. Johann im Pongau 1500 Schilling Geldstrafe und 3 Tage Arrest wegen beleidigender Ausdrücke gegen die Bundesregierung, die in einem von ihm als Obmann unterzeichneten und an Vereinsmitglieder gerichte-

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ten Schreiben des deutsch völkischen Turnvereines St. Johann im Pongau enthalten waren  ; (…) Gendarmeriepostenkommando Annaberg, Bezirk Hallein, Salzburg, 10. September 1933 E. Nr. 619 (213.533-33) Betr.: Vorfallensbericht. An die Bezirkshauptmannschaft in Hallein. Anliegend wird ein in Abschrift genommener Brief, in welchem zur Verweigerung von Steuern etc. aufgefordert wird, mit der Anzeige vorgelegt, dass dieser Brief am 9. September 1933 dem in Leitenhaus wohnhaften Wegmacher Georg Quechenberger durch die Post zugesendet wurde. (…) Lieber Freund  ! Mit diesem Briefe werden gleichzeitig fünf andere Freunde verständigt  ; es ist eine Kette von Menschen, die irgendwie zusammengehören. Du sollst diese Kette nicht zerstören und sollst wieder an fünf Freunde diese Zeilen richten, woraus eine Kette von Menschen entsteht, die fest zusammenhalten, die einander helfen, und, wenn’s gilt, aufstehen wie ein Mann. Du musst diesen Auftrag innerhalb einer Woche ausführen, wenn Du nicht einen Fluch und schwere Schuld auf Dich laden willst, Verrat an deinen Nächsten begangen zu haben. Not, Elend und Vereinsamung drohen sonst Dir und den Deinen. Die Not treibt uns zusammen, zur Selbstbesinnung. Es ist höchste Zeit  ! Willst Du weiter zusehen, wie Du Knecht wirst oder Bettler  ? Willst Du, dass Deine Kinder Dir einmal für Dein Leben fluchen sollen  ? Oder willst Du Freiheit für sie und für Dich  ? Aber vom Himmel fällt diese Freiheit und das Wohlergehen nicht  ! Auch Du musst dafür kämpfen, auf Deine Weise. Wir leben nun einmal, um das zu verteidigen, was wir haben und was wir sind  : Wir sind Deutsche, durch Blut und Vaterglaube. Oder bist Du ein Tscheche, Pole oder gar ein Jude  ? Sie alle dürfen sich zu ihrem Volk bekennen, nur wir Deutschen in Österreich nicht. Es gibt Zeiten, in denen es unsere heilige Pflicht ist zu hören, wenn das Vaterland ruft. Und dieses Vaterland heißt Deutschland  ! Wir werden aber heute noch von Leuten vertreten, die das nicht zugeben wollen, weil sie Feinde des Deutschtums sind. Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht trennen  ! Willst Du mitschuldig sein, wenn Juda siegt  ? Es ist höchste Zeit zur Umkehr, zur Selbstbesinnung, auf dass wir einmal morgens aufwachen und sagen können  : Es war ein langer, böser Traum, wie wir bedrückt wurden  ; aber jetzt ist wieder Frohsinn, Arbeit und Zukunft, wie vor dem Krieg. Und wir haben mitgeholfen und haben es geschafft.

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Wenn Du haben willst, dass dieser Dollfuß-Spuk bald vorüber ist, dann richte Dich nach folgenden Ratschlägen  : Zahl’ keine Steuern, keine Hypothekenzinsen, jag’ den Exekutor fort, lass kein Geld in der Sparkasse, die Innenanleihe wird es ebenso verschlingen wie die Kriegsanleihe seinerzeit, kauf’ nicht bei Juden, rauche nicht, aber hilf Deinem Nächsten und Kameraden in diesem harten Winter  ! Dann wird dieser Lug und Trugbau, der sich noch »vaterländisch« nennt, in kurzer Zeit verschwunden sein  ; es wird auch in anderer Weise entsprechend nachgeholfen werden. » D i e K n e c h t s c h a f t d a u e r t n u r n o c h k u r z e Z e i t   ! « Einer Deiner Freunde und Kameraden. Der Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg, 26. September 1933 (216.803-33) Betr.: Mitteilungen eines österreichischen nationalsozialistischen Flüchtlings. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Von einem österreichischen nationalsozialistischen Flüchtling wurde einer vollkommen vertrauenswürdigen Person über seine Flucht, die Verhältnisse im Lager Lechfeld und über die beabsichtigte Aktion der österreichischen Legionäre mitgeteilt  : Er kam nach der Grenzüberschreitung, die ihm von nationalsozialistischer Seite aus Bayern anbefohlen worden war, vorerst nach München in das Hotel Reichsadler, von dort nach Lechfeld. Die Behandlung, so erklärte er, wäre in der ersten Zeit sehr hart gewesen, die Verpflegung hinreichend, die Löhnung jedoch, 30 Pfennige, völlig ungenügend. … Im Lager waren etwa 3000 Mann untergebracht. Die Gesamtzahl der Flüchtlinge schätze er auf 4–5000 Mann. … Streng verboten wäre es, auch nur untereinander von künftigen Plänen gegen Österreich zu sprechen. … Ein einziges Mal hatte er von einer Aktion der Legionäre hinsichtlich Österreichs etwas vernommen. Da erzählte ihm ein bekannter Scharführer des Motorsturmes, wie man hofft, sie nach Österreich bringen zu können  : in Gruppen zu je 15–20 Mann würden sie an verschiedenen Punkten die Grenze überschreiten. 300 solcher Scharen hofft man aufzubringen. Jede Gruppe hätte sofort ein »Nest« zu bilden und sich so lange als möglich zu halten. 300 Kriegsschauplätze dieser Art würden nahezu die bewaffnete Macht Österreichs eine geraume Zeit festlegen, lange genug, um in deren Rücken überall Unruheherde zum Entfachen zu bringen. In jedem Dorf, in der Stadt Krawalle und Revolten. Auf diese Art gelänge es, die Situation so zu verwirren, dass es der Regierung unmöglich wäre, die Lage zu beherrschen. Ausdrücklich erklärte er, Ähnliches nie besprochen gehört zu haben. (…)

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Polizeidirektion Salzburg, 27. September 1933 Zl. 20/33-res (217.255-33). Betr.: Sozialdemokratische Partei, Lagebericht und Vertrauensmännerversammlung. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. In der Anlage beehrt sich die Bundes-Polizeidirektion den ihr auf vertraulichem Wege zugekommenen politischen Lagebericht der Sozialdemokratischen Partei vom 22.9.1933 in Vorlage zu bringen. Hierzu wird berichtet, dass am 25.9.1933 um 19.45 Uhr im Arbeiterheim Salzburg über Einberufung des sozialdemokratischen Landesparteivorstandes eine Plenarversammlung … der Vertrauenspersonen von Salzburg und Umgebung stattfand, die von 320 Personen besucht war. Als Redner traten Landeshauptmann-Stellvertreter Robert Preußler,15 Landesrat Emminger16 und Gewerkschaftssekretär Johann Sand auf. Die Ausführungen erstreckten sich auf den Inhalt des beiliegenden politischen Lageberichtes (…) Generalsekretariat der SDAPÖ Wien, am 22. September 1933 Politischer Lagebericht Zur Regierungsumbildung.

15 Robert Preußler (1866–1942) absolvierte nach dem Besuch der Volksschule eine Lehre als Glasbläser, besuchte die gewerbliche Fortbildungsschule, wurde für die Sozialdemokratie publizistisch tätig und wegen Geheimbündelei und Hochverrats in Prag zu einem Jahr Haft verurteilt. Nach seiner Haftentlassung wirkte er als Redakteur der »Solidarität« in Reichenberg/Böhmen, übersiedelte 1903 nach Salzburg, wurde 1904 Parteisekretär der Sozialdemokratie und Redakteur der »Salzburger Wacht« und deren Herausgeber bis 1934. 1904 bis 1934 war der Landesparteivorsitzender der SDAP, 1909 bis 1918 erster sozialdemokratischer Landtagsabgeordneter, 1914 bis 1920 Gemeinderat der Stadt Salzburg, 1918 bis 1934 Landtagsabgeordneter und Landeshauptmann-Stellvertreter der SDAP, 1920 bis 1932 Mitglied des Bundesrates. (Voithofer  : Politische Eliten in Salzburg. S. 170.) 16 Karl Emminger (1878–1944) war gelernter Schlosser und Werkmeister im Eisenbahnbetriebswerk Salzburg, Hauptvertrauensmann der sozialdemokratischen Salzburger Eisenbahner. Obmann der SDAP Gnigl, 1922 bis 1927 stellvertretender Klubobmann und 1927 bis 1934 Klubobmann der SDAP im Salzburger Landtag, ab 1917 Mitglied der Landesparteivertretung und des Landesparteivorstandes, 1923 bis 1933 Landesleiter des Republikanischen Schutzbundes, 1919 bis 1933 Landesrat. 1934 wurde er erstmals verhaftet, 1938 folgten mehrere Verhaftungen, 1942 wurde er zu einem Jahr politischer Haft verurteilt. (Voithofer  : Politische Eliten in Salzburg. S. 44 f.)

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Die Offensive der Heimwehrfaschisten hat zu einer weitgehenden Umbildung des Kabinetts Dollfuß geführt17. Charakteristisch für diese Umbildung ist vor allem die Tatsache, dass alle Landbundminister – Vizekanzler Winkler,18 Minister Schumy,19 17 Dollfuß hatte am 11. September 1933 bei ersten Generalappell der Vaterländischen Front auf dem Wiener Trabrennplatz die Richtlinien für die Errichtung eines autoritären Ständestaates bekannt gegeben. Er sprach sich für ein soziales, christliches und deutsches Österreich auf ständischer Grundlage mit autoritärer Führung aus. Das Krukenkreuz wurde zum offiziellen Symbol der Vaterländischen Front, die auch in Zukunft die »alleinige Trägerin des politischen Willens« sein sollte. Dollfuß, der unter zunehmendem Druck der Heimwehr stand, war in zunehmende Differenzen vor allem mit Landbund-Vizekanzler Franz Winkler und dem Obmann der Christlichsozialen Partei, Carl Vaugoin, geraten, die sich beide gegen den geplanten autoritären Kurs stellten. Winkler hatte mit der »Nationalständischen Front« eine Konkurrenzorganisation zur Vaterländischen Front geschaffen. Als er am 17.9.1933 auf dem Grazer Trabrennplatz eine große Kundgebung der neuen Formation abhielt, wurde diese von Nationalsozialisten massiv gestört. Heeresminister Carl Vaugoin beharrte auf dem Weiterbestand der Christlichsozialen Partei und deren Suprematie im politischen System. Außerdem war er offensichtlich bemüht, hinter den Kulissen Kontakte mit den Sozialdemokraten aufzunehmen. Bei seiner Inspektionsreise vom 17. bis 19. September durch Oberösterreich und Salzburg hatte er mit den Sozialdemokraten Kontakt aufgenommen. Dollfuß erklärte noch am 20. September Vaugoin gegenüber, dass er wegen der beabsichtigten Befreiung der Regierung von den Merkmalen des Parteieneinflusses aus der Regierung ebenso ausscheiden müsse wie die Vertreter des Landbundes. Am 21. September erfolgte eine große Regierungsumbildung. Sowohl die Vertreter des Landbundes wie auch Carl Vaugoin schieden aus der Regierung Dollfuß, in der der Bundeskanzler die Ressorts Inneres, Äußeres, Landwirtschaft und Landesverteidigung übernahm, um die nach der Macht drängende Heimwehr einzubremsen und zu kontrollieren. Für die Heimwehr zogen Emil Fey als Vizekanzler und Odo Neustädter-Stürmer als Bundesminister für die berufsständische Neuordnung und der mit den Heimwehren sympathisierende Alois Schönburg-Hartenstein als Staatssekretär für Landesverteidigung in das Kabinett ein. 18 Franz Winkler (1890–1945) war gelernter Agraringenieur, rückte im 1. Weltkrieg ein und war anschließend im steirischen Bauernbund tätig. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Landbundes, war 1920 bis 1930 in der Steiermark Mitglied des Landtages und der Landesregierung, 1930 bis 1934 Abgeordneter zum Nationalrat, 1930 bis 1932 Innenminister, 1932 bis 1933 Vizekanzler, seit 1932 Parteiobmann des Landbundes. 1933 gründete er die »Nationalständische Front« als national-bäuerliche Organisation in Konkurrenz zur Vaterländischen Front. Sie erwies sich allerdings als Fehlschlag. 1934 emigrierte er in die Tschechoslowakei und anschließend in das Deutsche Reich. 1935 veröffentlichte er sein Buch »Die Diktatur in Österreich« und wurde 1936 ausgebürgert. 19 Vinzenz Schumy (1878–1962) studierte Agrarwissenschaft und unterrichtete anschließend an der Ackerbauschule in Klagenfurt. 1904 bis 1911 leitete er die Landwirtschaftsschule in Völkermarkt und war bis 1918 als Landestierzuchtinspektor tätig. Nach dem 1. Weltkrieg engagierte er sich im Kärntner Abwehrkampf und leitete den Heimatdienst. Als Experte für das Problem Kärnten gehörte er der österreichischen Friedensdelegation in St. Germain an, war 1919 bis 1923 Präsident der Kärntner Landwirtschaftskammer, 1923 bis 1927 Landeshauptmann von Kärnten, 1924 bis 1931 Obmann des Landbundes, 1929 bis 1930 und 1933 Innenminister, 1929 Vizekanzler. Er blieb während der NSZeit unbehelligt und wurde 1945 Staatssekretär für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung, war 1945 bis 1949 Abgeordneter der ÖVP zum Nationalrat und Vizepräsident des Österreichischen Bauernbundes, 1945 bis 1962 Generalanwalt des Österreichischen Raiffeisenverbandes.

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Staatssekretär Bachinger20 – ausscheiden und dem Kabinett nicht mehr angehören. Da Winkler bei der Tagung der Nationalständischen Front, die Sonntag, den 17. September in Graz stattgefunden hat, sich eindeutig gegen die faschistischen Pläne gewandt hat, ergibt sich aus der Tatsache seines Ausscheidens aus dem Kabinett, dass die Faschisten in der Regierung unzweifelhaft an Boden gewonnen haben. Auch das überraschende Ausscheiden des Vorsitzenden der Christlichsozialen Partei, des Heeresministers Vaugoin, der vor wenigen Tagen noch öffentlich erklärt hat, dass er nicht zurückzutreten gedenke, zeigt, dass man doch mehr als bisher den autoritären Standpunkt in der Regierungspolitik verfechten will. Die von christlichsozialen Politikern und Blättern selbst geforderte Umbildung des vielgeschmähten »demokratisch-parlamentarischen Parteienstaates« zum faschistischen Ständestaat hat also vor allem zum Ausscheiden des Obmannes der Christlichsozialen Partei aus der aktiven Regierungspolitik geführt. Der autoritäre Kurs wird auch dadurch in der neuen Regierung stark betont, dass Dollfuß nun auch die ausschließliche Verfügung über die gesamte Staatsexekutive in seiner Hand vereint hat. Die Berufung des Heimwehrmannes Fey zum Vizekanzler bedeutet unzweifelhaft, dass den heimwehrfaschistischen Bestrebungen eine noch stärkere Berücksichtigung zuteilwerden soll, als dies bisher der Fall gewesen ist. Daher bedeutet diese Umbildung der Regierung Dollfuß unzweifelhaft im Endergebnis einen Ruck nach rechts, der für das Land keine Beruhigung bedeutet, sondern im Gegenteil die Quelle neuer schwerer Gefahren bildet. Es ist allerdings auch durchaus möglich, dass die Berufung Feys zum Vizekanzler den ausschlaggebenden und höchst gefährlichen Einfluss der Heimwehren auf die Staatsexekutive beseitigen soll. Es spricht einige Wahrscheinlichkeit dafür, dass für die Konzentration aller Sicherheitsämter in der Person des Bundeskanzlers solche Erwägungen eine gewisse Rolle gespielt haben dürften. (…) Der zum Staatssekretär für Sicherheit berufene Hofrat Karwinsky21 ist, nach seiner bisherigen Haltung zu schließen, nicht nur ein Mann seines früheren Chefs Buresch,22 sondern auch ein treuer Anhänger des Bundeskanzlers Dollfuß und dürfte 20 Franz Bachinger (1892–1938) war von Beruf Landwirt, 1932 Bundesminister für öffentliche Sicherheit, 1932 bis 1933 Bundesminister für innere Verwaltung und 1933 Staatsekretär für Forstwesen und Holzbewirtschaftung. 21 Carl Freiherr von Karwinsky (1888–1958) studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien, promovierte zum Dr. iur. und war während des 1. Weltkrieges Oberleutnant bei den Husaren. 1933 wurde er Sicherheitsdirektor von Niederösterreich und 1933 bis 1934 Staatssekretär für das Sicherheitswesen, 1934 bis 1935 war er Staatssekretär für Justiz. Nach 1935 war er Präsident des Bundesamtes für Statistik. 1938 wurde er verhaftet und in die KZs Dachau und Mauthausen gebracht. Nach 1945 engagierte er sich für Studien über den Donauraum. 22 Karl Buresch (1878–1936) studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien, wo er 1901 zum Dr. iur. promovierte. Anschließend ließ er sich in Großenzersdorf als Anwalt nieder, wurde 1909

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daher irgendwelchen Abenteuern der Heimwehren, soferne sie nicht etwa die Billigung des Bundeskanzlers finden sollten, kaum seine Unterstützung leihen. Der zum Staatssekretär für Landesverteidigung ernannte General Alois Schönburg-­Hartenstein23 ist monarchistischer Offizier, der aber gleichfalls kaum geneigt sein dürfte, irgendwelchen putschistischen Aktionen der Heimwehren – obwohl sie ihn als ihren Mann bezeichnen – seine Unterstützung zu gewähren. Gerade die Berufung dieses Mannes zeigt aber auch, dass der legitimistische Einfluss in der Regierungspolitik erheblich gestärkt wurde. Der zum Staatssekretär für Land- und Forstwirtschaft bestellte oberösterreichische Kammeramtsdirektorstellvertreter Dr. Heinrich Gleißner24 gilt als ein persönlicher Freund des Bundeskanzlers und hat in der letzten Zeit die Vaterländische Front in Oberösterreich geleitet. Er hat vor Kurzem, anlässlich einer vaterländischen Kundgebung, bei der er von einem Heimwehrführer, der eine scharfe antimarxistische Rede gehalten hat, zu einer Stellungnahme aufgefordert worden war, sich nicht dazu verleiten lassen, in den Heimwehrton einzustimmen, sondern eine gemäßigte Rede gehalten, ohne die Sozialdemokratie oder die Arbeiterschaft anzugreifen. Es wird also sehr darauf ankommen, ob sich in der neuen Regierung der Einfluss der Heimwehren wirklich entscheidend durchsetzen wird, oder ob die gemäßigteren Elemente sich mehr Einfluss verschaffen. Der Berufung Schmitz’25 zum Sozialminister wird gewiss der Versuch folgen, die christlichen Gewerkschaften auf Kosten der freien Gewerkschaften zu begünstigen. chrichlichsozialer Gemeinderat und war 1916 bis 1919 Bürgermeister. Er war zudem Gründungsmitglied des niederösterreichischen Bauernbundes, 1919 bis 1934 christlichsozialer Abgeordneter zum Nationalrat, 1921 bis 1927 Abgeordneter zum niederösterreichischen Landtag, 1922 bis 1933 Landeshauptmann von Niederösterreich, 1931 bis 1932 Bundeskanzler, 1933 bis 1935 Bundesminister für Finanzen und 1935 bis 1936 Bundesminister ohne Portefeuille. (Gertrude Enderle-Burcel  : Karl Buresch. – In  : Friedrich Weissensteiner, Erika Weinzierl (Hg.)  : Die österreichischen Bundeskanzler. Leben und Werk. – Wien 1983. S. 174–188.) 23 Alois Fürst Schönburg-Hartenstein (1858–1944) war Generaloberst der k. k Armee, Kommandant mehrerer Korps im 1. Weltkrieg, 1918 Kommandant der 6. Armee in Norditalien. 1933 bis 1934 war er Staatssekretär und 1934 Bundesminister für Landesverteidigung. 24 Heinrich Gleißner (1893–1984) studierte in Prag Rechtswissenschaft, unterbrach sein Studium durch den Militärdienst im 1. Weltkrieg, in dem er Engelbert Dollfuß kennenlernte, und setzte sein Studium nach Kriegsende an der Universität Innsbruck fort, wo er 1920 zum Dr. iur. promovierte. Er trat in den oberösterreichischen Landesdienst ein, wurde stellvertretender Direktor der Landwirtschaftskammer, 1933 Landesleiter der Vaterländischen Front und Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium. 1934 bis 1938 war er Landeshauptmann von Oberösterreich, wurde 1938 verhaftet und in die KZs Dachau und Buchenwald gebracht. 1939 erhielt er Gauverbot und übersiedelte nach Berlin, kehrte 1945 nach Oberösterreich zurück und war 1945 bis 1971 Landeshauptmann, 1951 Präsidentschaftskandidat der ÖVP. (Oberösterreicher. Band 4. Landeshauptmann Heinrich Gleißner. Zeitgenossen berichten. – Linz 1985  ; Franz X. Rohrhofer  : Heinrich Gleißner. Lehrjahre eines Landesvaters. – Linz 2012.) 25 Richard Schmitz (1885–1954) studierte Rechtswissenschaften und Nationalökonomie an den Universi-

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Schmitz hat übrigens in einer Artikelserie, die vor einigen Wochen in der »Reichspost« erschienen ist und sich mit den Grundsätzen beschäftigt hat, die in der neuen Verfassung Österreichs ihren Niederschlag finden sollen, sich ziemlich eindeutig gegen faschistische Gewaltlösungen ausgesprochen. Dennoch aber ist die allergrößte Gefahr vorhanden, dass die neue Regierung unter dem Druck der Heimwehren und infolge der schwankenden Haltung des Bundeskanzlers sich zu Handlungen verleiten lässt, die die aktive Abwehr durch die Arbeiterklasse erforderlich machen. Schon vor der Umbildung des Kabinetts Dollfuß haben der Parteivorstand und der Bundesvorstand der Freien Gewerkschaften in einer gemeinsamen Sitzung, die Sonntag, den 17. September stattgefunden hat, beschlossen, die Arbeiterschaft aufzufordern, zum schärfsten Kampf bereit zu sein, falls wirklich versucht werden sollte, die faschistischen Staatsstreichpläne in dieser oder jener Form zur Durchführung zu bringen.26

täten Innsbruck und Wien, war Direktor des Katholischen Volksbundes, 1918 bis 1923 Gemeinderat in Wien, 1920 bis 1934 Abgeordneter der Christlichsozialen Partei zum Nationalrat, 1922 bis 1924, 1930 und 1933/34 Sozialminister, 1926 bis 1929 Unterrichtsminister, 1930 Vizekanzler, 1934 bis 1938 Bürgermeister von Wien, 1938 bis 1945 im KZ inhaftiert und nach 1945 Generaldirektor des Herold-Verlages. 26 Am 17. September 1933 definierten der sozialdemokratische Parteivorstand und der Bundesvorstand der Freien Gewerkschaften vier Punkte, die die Grenze der Verhandlungsbereitschaft der SDAP bildeten  : Einsetzung eines Regierungskommissärs in Wien Auflösung der Freien Gewerkschaften Verbot der Partei Oktroyierung einer faschistischen Verfassung. Otto Bauer unternahm in einer Artikelserie in der »Arbeiter-Zeitung« den Versuch, eine Brücke zur Katholischen Soziallehre, vor allem zur Enzyklika »Quadragesimo anno« aus dem Jahr 1931, zu schlagen, indem er die Jesuiten Gustav Gundlach und Oswald Nell-Breuning ins Treffen führte und anmerkte, die Sozialdemokratie könnte sich unter Umständen dann mit einer berufsständischen Ordnung anfreunden, wenn diese die berufsständische Selbstverwaltung beinhalte und von unten aufgebaut sei. Faschistische Zwangsorganisationen lehnte er strikt ab und betonte, dass das Streikrecht der Arbeiter und das Aussperrungsrecht der Arbeitgeber gewahrt werden müssen. Berufsständische Elemente könnten die Demokratie ergänzen, jedoch nie ersetzen. (Hanisch  : Der große Illusionist. Otto Bauer (1881–1938). S. 291 f.) Die am 17. September beschlossenen vier Punkte wurden vom sozialdemokratischen Parteitag (14. bis 16. Oktober 1933) auf Drängen Otto Bauers gegen den Widerstand der Linksopposition bestätigt. (Anson Rabinbach  : Vom Roten Wien zum Bürgerkrieg. – Wien 1989. S. 119 ff.)

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Die Genossen Seitz,27 Sever,28 Renner,29 Schorsch30 und Schneidmadl,31 die am Mittwoch, den 20. September die Volksadresse dem Bundespräsidenten überreicht haben, haben Miklas32 mit allem Nachdruck auf den Ernst der Lage und die absolute 27 Karl Seitz (1869–1950) wuchs in einem Waisenhaus auf und erhielt einen Freiplatz im Lehrerseminar in St. Pölten. Als junger Volksschullehrer stand er der sozialdemokratischen Bewegung nahe und wurde 1897 aus politischen Gründen fristlos entlassen. 1901 wurde er sozialdemokratischer Abgeordneter zum Reichsrat, 1902 zum niederösterreichischen Landtag. 1918 war er einer der drei Präsidenten der Provisorischen Nationalversammlung und wurde nach dem Tod Victor Adlers Obmann der SDAP. 1920 bis 1934 sozialdemokratischer Abgeordneter zum Nationalrat, wurde er nach dem Tod Jakob Reumanns 1923 Wiener Bürgermeister. 1934 wurde er abgesetzt und vorübergehend inhaftiert, 1944 neuerlich verhaftet und in das KZ gebracht, 1945 Ehrenvorsitzender der SPÖ und war 1945 bis 1950 Abgeordneter zum Nationalrat. 28 Albert Sever (1867–1942) war gelernter Fleischhauer und später Krankenkassenbeamter. Bereits in frühen Jahren in der SDAP aktiv, wurde er 1908 in den niederösterreichischen Landtag gewählt, 1911 in den Reichsrat. 1919–1921 war er Landeshauptmann von Niederösterreich und wurde durch die sog. »Server«-Ehen berühmt, d. h. dass Geschiedene wieder heiraten konnten. 1920 bis 1934 war er Abgeordneter der SDAP zum Nationalrat. Er verlor seine Frau bei den Februarkämpfen des Jahres 1934. 29 Karl Renner (1870–1950) besuchte das Gymnasium in Nikolsburg, studierte anschließen Rechtswissenschaften an der Universität Wien und schloss das Studium 1898 mit der Promotion zum Dr. iur. ab. Bereits während seiner Studienzeit schloss er sich der SDAP an. Er arbeitete ab 1895 in der Reichsratsbibliothek und publizierte eine Reihe von Büchern unter dem Pseudonym Rudolf Springer, wurde 1907 sozialdemokratischer Abgeordneter zum Reichsrat, war 1918/19 Leiter der Staatskanzlei, 1919/20 Staatskanzler und Staatssekretär für Äußeres und Leiter der Friedensdelegation in St. Germain. 1919 bis 1934 Mitglied des Nationalrates, gründete und leitete er 1923 die Arbeiterbank. 1934 wurde er vorübergehend inhaftiert und sprach sich 1938 für den Anschluss aus. 1945 wurde er Staatskanzler der Provisorischen Staatsregierung und im Dezember 1945 zum Bundespräsidenten gewählt. (Jacques Hannak  : Karl Renner und seine Zeit. Versuch einer Biographie. – Wien 1965  ; Siegfried Nasko  : Karl Renner in Dokumenten und Erinnerungen. – Wien 1982  ; Ders.: Karl Renner. Zu Unrecht umstritten  ? Eine Wahrheitssuche. Biografie. – Salzburg/Wien 2016. 30 Johann Schorsch (1874–1952) war von Beruf Dreher und Schlosser, engagierte sich in den 1890er-Jahren zunächst im Arbeiterbildungsverein Meidling und schließlich in der sozialdemokratischen Organisation von Favoriten, von der er in den Bezirksvorstand gewählt wurde. Sein besonderes Engagement galt der gewerkschaftlichen Arbeit. Er war Generalsekretär des Metall- und Bergarbeiterverbandes, wurde 1909 Obmann der Wiener Metallarbeiter und 1923 Sekretär der Freien Gewerkschaften. 1919 bis 1927 war er Abgeordneter zum Wiener Landtag, 1927 bis 1930 Bundesrat und 1930 bis 1934 Abgeordneter zum Nationalrat. Er floh 1934 in die Tschechoslowakei und baute in Prag das Auslandsbüro der Freien Gewerkschaften auf, wurde von den Nationalsozialisten 1938 und 1944 vorübergehend verhaftet und war 1945 bis 1948 Obmann der Wiener Gebietskrankenkasse. 31 Heinrich Schneidmadl (1886–1965) war bereits seit 1904 in der Sozialdemokratie und der Gewerkschaftsbewegung aktiv, war 1919 bis 1927 Abgeordneter der SDAP zur Konstituierenden Nationalversammlung und zum Nationalrat, 1927 bis 1934 Abgeordneter zum niederösterreichischen Landtag und Mitglied der Landesregierung, wurde 1934, 1938 und 1944 verhaftet, 1945 Chefredakteur der »Arbeiter-Zeitung« und Unterstaatssekretär im Staatsamt für öffentliche Bauten und war 1950 bis 1965 Vizepräsident der NEWAG. 32 Wilhelm Miklas (1872–1956) studierte nach der Matura am Stiftsgymnasium Seitenstetten Geschichte

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Kampfentschlossenheit der Arbeiterklasse aufmerksam gemacht. Miklas hat der Abordnung versichert, dass keine faschistischen Staatsstreichpläne zur Durchführung gelangen sollen. So gut wie sicher ist auch, dass die Christlichsoziale Partei über diese Wendung der Dinge, die ihren Einfluss kaum vergrößern dürfte, nicht gerade sehr erfreut sein wird. (…) Der Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg, 26. September 1933 Zahl 2025 (217.779-33). Betr.: Nachrichtendienst  ; Wochenbericht Nr. 7. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Am 18.9. ist Landesverteidigungsminister Karl Vaugoin zur militärischen Inspizierung in Salzburg eingetroffen. Die Truppenparade, verbunden mit vaterländischer Kundgebung und Heldenehrung am Residenzplatz vormittags, sowie ein Fackelzug und ein vaterländischer Abend im Kurhaus sind unter starker Beteiligung der Zivilbevölkerung eindrucksvoll und ohne jegliche Störung verlaufen. (…) Bezüglich Haltung der Sozialdemokratischen Partei in Salzburg hat es Aufsehen erregt, dass anlässlich der Anwesenheit des Landesverteidigungsministers Vaugoin die hiesige Landesparteileitung bei ihm erschienen ist und eine Loyalitätserklärung abgegeben hat mit der Bitte, im Abwehrkampf und bei der Grenzüberwachung gegen die nationalsozialistischen Gefahren auch die Sozialdemokratische Partei heranzuziehen. Dagegen verlautet, dass seitens dieser Partei mit dem Generalstreik geliebäugelt werde, wenn bei der Verfassungsreform das faschistische System zum Durchbruch gelangen sollte. …

und Geografie (Lehramt) an der Universität Wien. Nach Beendigung des Studiums wurde er Gymnasiallehrer und 1905 Direktor des Gymnasiums in Horn, 1908 christlichsozialer Abgeordneter zum niederösterreichischen Landtag, 1908 Reichsratsabgeordneter, war 1918/19 Mitglied des Staatsrates und der Provisorischen Nationalversammlung, 1919 bis 1928 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung und des Nationalrates, 1919/20 Unterstaatssekretär für Kultus im Staatsamt für Inneres und Unterricht, 1923–1928 Präsident des Nationalrates, 1928 bis 1938 Bundespräsident. (Goldinger  : Wilhelm Miklas. – In  : Weissensteiner (Hg.)  : Die österreichischen Bundespräsidenten. S. 82–120.)

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Landesgendarmeriekommando für Salzburg, 6. Oktober 1933 E. Nr. 5640. Betr.: Grenzzwischenfälle. Ergeht gleichlautend an die Bezirksgendarmeriekommanden Salzburg, Hallein, St. Johann i. Pg. und Zell am See, ferner die Gendarmerie-Abteilungskommanden Nr. 1 und 2. Anlässlich eines in allerletzter Zeit vorgekommenen Falles, dass zwei Angehörige des Freiwilligen Schutzkorps unter sehr fragwürdigen Umständen drei scharfe Schüsse über die bayerische Grenze abgegeben haben, wird neuerlich mit allem Nachdrucke anbefohlen, dass ein Schießen über die bayerische Grenze unter allen Umständen zu unterlassen ist. Es bedarf keiner weiteren Erörterung, dass durch einen derartigen Vorgang, namentlich wenn durch solche Schüsse eine Person auf bayerischem Boden verletzt oder gar getötet werden würde, unserer Bundesregierung die größten Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten erwachsen können. Diesem Befehl zuwiderhandelnde Gendarmen sind sofort vom Dienste zu entheben und über sie ist die Disziplinaranzeige vorzulegen. Angehörige des Freiwilligen Schutzkorps sind unverzüglich zu entlassen und wird über sie, je nach der Sachlage, eventuell ein weiteres behördliches Verfahren eingeleitet werden. … Der Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg, 10. Oktober 1933 Zahl 2415 (224.543/33). Betr.: Nachrichtendienst  ; Wochenbericht Nr. 9. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. (…) Die Flucht österreichischer Nationalsozialisten nach Deutschland ist noch nicht völlig zum Stillstand gekommen. In der Berichtswoche wurden 8 Personen aus dem Bundeslande Salzburg und 5 aus anderen Bundesländern beim Versuche der unbefugten Grenzüberschreitung festgenommen. Die nationalsozialistische Propaganda hat in der Berichtswoche wieder stärker eingesetzt  : Bergfeuer in Hakenkreuzform, schwimmende Hakenkreuzfähnchen auf der Salzach und in der neuen Form der falschen »Vaterländischen Wandzeitung Nr. 7«. Dagegen hat die Verbreitung nationalsozialistischer Flugzettel nachgelassen. (…) Die Sozialdemokratische Partei setzt ihre größere Aktivität weiter fort und sucht ihre Mitglieder in §-2-Versammlungen mit den unmittelbaren Aufgaben der Parteitaktik bekannt zu machen und zur Kampfbereitschaft gegen die von der Bundesre-

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gierung in der Verfassungsreform angeblich geplanten Angriffe auf die politischen und gewerkschaftlichen Positionen der Arbeiterschaft aufzustacheln. In der Verbreitung marxistischer Flugzettel ist eine Pause eingetreten. Dagegen wurde Propaganda durch Verkauf anti-nationalsozialistischer Broschüren wahrgenommen. Ein Verkäufer solcher Broschüren wurde wegen teilweise regierungsfeindlichen Inhaltes derselben verhaftet und dem Landesgerichte in Salzburg eingeliefert. Die KPÖ im Bundeslande hat zu positiven Wahrnehmungen keinen Anlass gegeben. (…) Der Anschlag auf den Herrn Bundeskanzler in Wien am 3. Oktober33 hat in der Bevölkerung von Stadt und Land Salzburg allgemeine Empörung und ungeteilte Verurteilung hervorgerufen. Die Nachricht wurde durch Extra-Ausgaben der »Salzburger Chronik« und des »Salzburger Volksblattes« verbreitet. Das Gefühl der Genugtuung und der Freude über die glückliche Errettung des Herrn Bundeskanzlers fand in den nächsten Tagen in einem Bergfeuer auf den Hängen des Gaisberges mit der leuchtenden Inschrift »Heil Dollfuß« Ausdruck, das den Auftakt für die im ganzen Bundeslande für den 8. Oktober anberaumten Dankgottesdienste und Kundgebungen gebildet hat. Gendarmeriepostenkommando Oberndorf, 17. Oktober 1933 Bezirk und Land Salzburg. E. Nr. 3183 (227.890/33) Betr.: Grenzvorfallenheiten. An das Landesgendarmeriekommando in Salzburg. Am 16. Oktober 1933 gegen 10.40 Uhr wurden in der Stadt Laufen, Bayern, ungefähr 30 Stück mit Hakenkreuzen versehene Luftballons aufgelassen, die dann vom Winde in der Richtung gegen Bühelhaiden, Lamprechtshausen, Mattighofen, Mattsee etc. weitergetrieben wurden. Die Ballons sind dann in gewissen Zeitabschnitten zerplatzt oder so zur Erde gefallen und von denselben Flugzettel zur Erde geflattert. (…) Am selben Tag gegen 15 Uhr wurden dann abermals von Laufen aus mehrere solche Ballons in der Richtung gegen den Haunsberg aufgelassen. Am gleichen Tage gegen 16 Uhr, als der Bundesführer Fürst Starhemberg in Oberndorf eintraf und während er die vor der hiesigen Pfarrkirche aufgestellten Heimwehrgruppen inspizierte, wurden dann abermals in der Stadt Laufen, und zwar

33 Am 3. Oktober 1933 erfolgte ein Revolverattentat des Nationalsozialisten Rudolf Dertil, eines ehemaligen Gefreiten des Inf. Reg. Nr. 3, auf Engelbert Dollfuß, bei dem der Bundeskanzler nur leicht verletzt wurde. Zum Attentat und den Motiven des Attentäters vgl. MRP 900 vom 3. Oktober 1933.

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vis a vis in der Richtung des Aufstellungsplatzes, gegen 60 Stück solcher Luftballons ebenfalls in verschiedenen Größen aufgelassen. (…) Diese Luftballons mit den gegen Österreich enthaltenen Hetzflugschriften scheinen nur zu dem Zweck aufgelassen worden zu sein, um während der Inspizierung des Heimatschutzführers Fürst Starhemberg Unruhen, Demonstrationen etc. herbeizuführen. (…) Der Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg, 24. Oktober 1933 Zahl 2837 (229.624/33). Betr.: Nachrichtendienst  ; Wochenbericht Nr. 11. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Die politische Lage im Bundeslande Salzburg war in der Berichtswoche durch eine lebhafte nationalsozialistische Agitation insbesondere an der Grenze gekennzeichnet, ohne jedoch im Inneren eine Beunruhigung erfahren zu haben. Die größere Aktivität der Nationalsozialisten dürfte zum Teil als Demonstration gegen die am 14. ds. Monats begonnene Inspizierung der Salzburger Heimatschutzformationen durch den Bundesführer Starhemberg ausgelöst worden sein. Die in der Stadt Salzburg und mehreren Orten des Landes veranstalteten Heimatschutzversammlungen und damit verbundenen vaterländischen Kundgebungen sind hierdurch nicht beeinträchtigt worden. (…) Die Sozialdemokratische Partei setzt ihre erhöhte Tätigkeit in legaler Form durch §-2-Versammlungen und illegal durch Verbreitung von anonymen marxistischen Flugzetteln fort. Ein direkter Nachweis der Flugzettelverbreitung durch die Partei ist jedoch bisher nicht gelungen. Die Kommunistische Partei versendet ebenfalls Rundschreiben, und zwar in Form eines hektografisch hergestellten Entwurfes einer Sondernummer der »Roten Fahne« an ihre Parteimitglieder, in der gegen die arbeiterfeindliche Tendenz der Bundesregierung gehetzt, zur Bildung einer geschlossenen revolutionären Einheitsfront und zur Organisierung des Generalstreikes aufgefordert sowie die Wiederaufrichtung des Parteigefüges versucht wird. Ein Erfolg dieser Propaganda ist bisher nicht in Erscheinung getreten.

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Funkspruch, abgegeben von Polizeidirektion Salzburg an alle i. Oe., 28. Oktober 1933. An die Bundespolizeidirektion (Staatspolizei) in Wien Am 19. ds. M. wurden in Salzburg größere und kleinere Kisten im Gewichte von 32 bis 52 kg an verschiedene ehemalige Mitglieder der NSDAP als Frachtgut per Bahn zur Aufgabe gebracht, deren Frachtbriefe und Adressen auf den Kisten in Schreibmaschinenschrift ausgefüllt waren und bei welchen die Alpine Rettungsstation und die Eisenhandlung Schider in Salzburg als Aufgeber angeführt waren. Die Verweigerung der Übernahme einer solchen Kiste führte zur Aufdeckung einer groß angelegten Aktion der Versendung von Knallpräparaten, Pechfackeln, Leuchtfarben, Papierböllern, Kanonenschlägen, Knallfröschen, Nießpulver, Stinkbomben, gestanzten weißen Papierhakenkreuzen sowie Flug- und Klebezetteln mit der Aufschrift »Dollfuß bringt Knechtschaft, Hitler bringt Freiheit und Brot« – eine weitere Aufschrift auf Flugzetteln »Nun erst recht, treu zu Adolf Hitler, trotz Dollfuß, Vaugoin und Fey, wird auch Österreich wieder frei«. … Die Kisten waren nach Badgastein, Bischofshofen, Rauris und Zelle am See adressiert. Die Empfänger und Mitschuldigen wurden verhaftet, der Inhalt der Kisten teilweise (oder) zur Gänze beschlagnahmt. H. a. Feststellungen zufolge planen die gewesenen Mitglieder der NSDAP am 8. und 9. November aus Anlass der zehnjährigen Wiederkehr des Hitlerputsches vom 9.11.1923 Höhenfeuer mit Hakenkreuzen, Feuerwerk und sonstigen politischen Demonstrationen zu veranstalten. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 31. Oktober 1933 Zahl 3008 (233.614/33) Betr.: Vorfallenheiten an der Grenze bei Oberndorf a/S. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Am 30. Oktober 1933 um 2 Uhr früh wurden vor dem Hause Nr. 28 der Hilfsarbeiterin Maria Ziller in Altach, Gemeinde Oberndorf, fünf Stück Papierböller geworfen, wovon vier explodiert sind. Der fünfte kam nicht mehr zur Explosion, da die Zündschnur ausgelöscht war. Durch die Explosion wurden am Gebäude acht Fensterscheiben zertrümmert. Von den im Hause wohnenden zehn Personen wurde niemand verletzt. (…) Da zur selben Zeit aus verschiedenen Richtungen vom bayerischen Gebiete Detonationen zu hören waren, hat es den Anschein, dass hierdurch die Aufmerksamkeit der Pat-

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rouillen entlang der Salzach auf andere Punkte gelenkt werden sollte und die Täter inzwischen mit einer Zille über die Salzach kamen, die Böller zur Explosion brachten und unbehelligt flüchteten. Gendarmeriepostenkommando Oberndorf Bezirk und Land Salzburg Zu E. Nr. 3394 (241.030/33). Betr.: Grenzvorfallenheiten. An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg und Salzburg. Zur ho. Meldung vom 30.10.1933 … wird noch gemeldet, dass die am 30.10.1933 vor dem Hause der Maria Ziller in Altach zur Explosion gebrachten vier Papierböller sowie der fünfte Böller, von welchem die Zündschnur ausgelöscht war …, wie aus Nachstehendem entnommen werden möge, aus dem Parteiheim der NSDAP in Laufen stammen. Im Verlaufe der durch Revierinspektor Johann Schmidt in dieser Angelegenheit gepflogenen Erhebungen wurde u. a. der in Gastag, Haus Nr. 1, Gemeinde Oberndorf wohnhafte Bäckerlehrling Johann Schima als Zeuge eruiert und einvernommen. Johann Schima ist nämlich am 30.9.1933 mittels seines Fahrrades von Oberndorf nach Laufen geflüchtet, um dort als Pilot unterzukommen. Derselbe ist aber dann am 4.10.1933 wieder nach Oberndorf zurückgeflüchtet und hat über seine in Laufen gemachten Wahrnehmungen Folgendes angegeben, und zwar  : »Ich war Anfang Oktober 1933 in einem Lokal des nationalsozialistischen Parteiheimes in Laufen, welches dort im Gasthofe des Besitzers Stein im zweiten Stockwerk untergebracht ist. In diesem Lokal befanden sich auch die von Österreich nach Laufen geflüchteten Nationalsozialisten Anton Huber, Ferdinand Schiller, Friedrich Sporer und ein gewisser Urkauf aus Lamprechtshausen. Ich sah, wie Anton Huber einen Schrank aufsperrte, dessen oberer Teil als Schreibtisch verwendet wird und unten mit größeren Fächern versehen ist. Ich sah, dass in einem dieser Fächer mindestens 20 Stück Papierböller aufbewahrt waren. (…) Im gleichen Lokale befindet sich noch ein zweiter Schrank, dessen Platte teilweise als Schreibtisch und teil auch als Waschtisch benützt wird. Dieser Schrank (Tisch) stand einmal offen und da ich zufällig eine Zeit lang allein in diesem Lokale war, habe ich diesen Schrank durchsucht und in einem Fache desselben einen von der nationalsozialistischen Gauleitung in Freilassing ausgestelltes und an Anton Huber adressierten schriftlichen Auftrag gefunden und gelesen, der nachstehenden Inhalt hatte. Dass die Gauleitung mit den bisherigen Leistungen des Anton Huber und Genossen zufrieden ist und dass dieselben auch in Zukunft die österreichischen Grenzposten in Atem halten müssen und dass Anton Huber und Ferdinand Schiller hierfür

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monatlich je 120 Mark als Belohnung erhalten, dass sie ernstliche Zusammenstöße vermeiden sollen, dass die österreichischen SS- und SA-Männer nicht über das Wasser, sondern über die trockene Grenze bei Reichenhall nach Bayern kommen sollen. Weiters, dass Anton Huber und Ferdinand Schiller alle drei Wochen mindestens 120 Briefe an österreichische Nationalsozialisten nach Österreich schmuggeln müssen. Ferner, dass Anton Huber und Ferdinand Schiller zur Ausübung der von ihnen auszuführenden Aufträge noch einen dritten Parteigenossen anwerben sollen. (…) Ich sah auch, wie Huber und Schiller auf einen Stoß blaugrüner Briefe, die mit verschiedenen an österreichische Personen gerichteten Adressen versehen waren, österreichische Marken aufklebten. Weiters sah ich, dass in dem erwähnten Lokal große Stöße von gegen Österreich gerichtete Hetzflugschriften aufgestapelt waren. Ich erfuhr durch Huber und Schillert, dass die meisten Sachen bei km 59 (im Gemeindegebiet Anthering) herüber und hinüber geschmuggelt werden und zwar teils mit Zillen und teils durch Durchwaten der Salzach.« (…) Der am 5. November 1933 vom Dienste eingerückte Hilfsgendarm Franz Wagner hat am Posten nachstehende Meldung erstattet, und zwar  : »Am erwähnten Tage gegen 15 Uhr sah ich auf bayerischer Seite gegenüber der Überfuhr in Unter-Eching nachangeführte Personen, und zwar  : Anton Huber, dessen Gattin Marie Huber, Friedrich Sporer und Josef Miesenberger (sind alle von Oberndorf nach Laufen geflüchtete Nationalsozialisten) und zwei Töchter des Schuhmachers Weber aus Laufen. Marie Huber schrie mir nachstehende Äußerung zu  : ›Ihr seid ja bloß zur Heimwehr gegangen, damit ihr Kleider bekommt, zu Euch gehe ich gar nicht mehr hinüber, weil Ihr nicht einmal Kuluruz genug zum Fressen habt. Wenn wir wieder hinüberkommen – bis zu Weihnachten sind wir ohnedies schon drüben – da müsst Ihr den Friedhof größer machen, dass Ihr dann Platz habt. Seid Ihr zufrieden mit den Böllern, die wir Euch geschickt haben, da haben Euch die Hosen gefiebert, Ihr bekommt schon noch mehr  !‹« Aus der Rede der Marie Huber kann wohl mit Bestimmtheit angenommen werden, dass Anton Huber bei dem am 30. Oktober 1933 in Altach verübten Attentaten als der Rädelsführer und Hauptschuldige in Betracht kommt. (…) Das geschilderte Tun und Treiben der österreichischen Nationalsozialisten in Laufen wird mit Wissen des Herrn Sonderkommissärs Ankirchner als auch der übrigen Behörden geduldet bzw. werden dieselben, wie ja aus den Angaben des Johann Schima hervorgeht, noch zur Verübung der verschiedenen Verbrechen in Österreich aufgefordert. (…)

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Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Aktennotiz, 5. Jänner 1934. Geschäftszahl 108.772 G. D. (Vorzahl 241.030/1933). Die österreichische Gesandtschaft in Berlin berichtet am 2. Jänner 1934 unter Zahl 3/pol., dass im Außenamt in Berlin gegen die unausgesetzte Beunruhigung unseres Grenzgebietes, die unter offenkundiger Duldung der deutschen Reichsbehörden systematisch erfolgt, Einspruch erhoben wurde. Der Gesandte34 hat im Außenamt erklärt, dass es höchst an der Zeit wäre, wenn die bayerischen Behörden endlich die Weisung bekämen, diese Kampfart an der Grenze einzustellen. Jedenfalls muss die österreichische Regierung die Verantwortung über Zwischenfälle, die sich aus solchen an der Grenze in Szene gesetzten Umtrieben leicht ergeben können, ablehnen und müssen alle Folgen die deutsche Reichsregierung treffen. Der Referent im Außenamt nahm den Einspruch zur Kenntnis, sagte die sofortige Untersuchung zu und gab der Hoffnung Ausdruck, dass dies der letzte Fall wäre, der zu einer Intervention Anlass gebe. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 21. November 1933. Zahl 3614 (241.455/33). Betr.: Nachrichtendienst  ; Wochenbericht Nr. 15. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. (…) Auch die nationalsozialistische Bewegung hat sich seit dem 12. November eine auffallende Zurückhaltung auferlegt. … Etwas lebhafter wurde die Propaganda längs der Bundesgrenze von Bayern her betrieben. Am 14., 15. und 16. November war am bayerischen Saalach-Ufer gegenüber der Ortschaft Siezenheim ein starker Lautsprecher aufgestellt, von dem auf Schallplatten außer Liedern (darunter das HorstWessel-­Lied und das Deutschland-Lied) eine in österreichfeindlichem Sinne gehaltene nationalsozialistische Hetzrede derart stark gesendet wurde, dass der Ton bis über 3 km Reichweite vernommen wurde. Auch von Laufen (Bayern) gegenüber Oberndorf an der Salzach waren, und zwar am 17., 18. und 19. November, gleichartige Sendungen eines Lautsprechers bis 2 km weit auf österreichisches Gebiet vernehmbar. (…)

34 Stephan Tauschitz.

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 28. November 1933. Zahl 3825 (244.412/33). Betr.: Nachrichtendienst  ; Wochenbericht Nr. 16. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. (…) Da … mit Hartnäckigkeit das Gerücht wiederkehrt, dass die seinerzeit nach Deutschland geflüchteten österreichischen Nationalsozialisten noch vor Weihnachten auf Schleichwegen zurückzukehren suchen werden, wurde die Zahl der den Gendarmerie-Grenzposten zugeteilten Freiwilligen Schutzkorpsleute in den besonders bedrohten Grenzabschnitten erhöht, um durch lebhaften Patrouillendienst und Vorpasshaltung die Grenzüberwachung zu verschärfen. Außerdem wurde eine strenge Handhabung der Vorschriften über den Grenzverkehr angeordnet. Um weiters einen Missbrauch des Durchzugsverkehres mittelst Kraftfahrzeugen und Fahrrädern zwischen Salzburg und Lofer bzw. Salzburg und Großgmain auch über bayerisches Gebiet zu Nachrichtenübermittlung und Schmuggelzwecken zu unterbinden, wurde die Kundmachung vom 25.11.1933 erlassen, wonach die Durchfahrt nur mehr politisch vollkommen einwandfreien Personen gestattet wird, die sich mit einer Bestätigung der Sicherheitsbehörde bzw. des Gendarmeriepostens ihres Wohnortes darüber ausweisen, dass gegen die Durchfahrt über bayerisches Gebiet kein Einwand besteht. (…) Gendarmeriepostenkommando Oberndorf, Bezirk und Land Salzburg, 21. November 1933. E. Nr. 3683 ad. Betr.: Vorfallenheiten an der Grenze. An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. Zu hierstelliger Meldung vom 18.11.1933, E. Nr. 3683, wird nachgetragen, dass am 20. November 1933 in der Zeit von 19 Uhr bis 20.30 Uhr wieder von dem in Laufen in Bayern aufgestellten Lautsprecher mittels Schallplatten verschiedene Lieder und dann auch ein von Ing. Parson gehaltener Vortrag über Österreich vorgeführt wurde. Ing. Parson schilderte kurz die Gerichtsverhandlung betreff des Attentäters Dertil, wobei er die österreichische Regierung als Verleumder gegen die Nationalsozialisten hinstellte. Ferner, dass in Deutschland nur staatsfeindliche Personen in das Konzentrationslager kommen, wogegen in Österreich in den Anhaltelagern jene Personen interniert werden, die wohl für den Aufbau Österreichs eintreten, die jedoch mit der jetzigen Regierung nicht sympathisieren. (…)

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Gendarmeriepostenkommando Hallein, Bezirk Hallein, Salzburg, 9. Dezember 1933. Zu E. Nr. 7380. Betr.: Lautsprecheraufstellung an der Grenze bei Dürrnberg  ; Nachtrag. An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. Im Nachhange zur hierstelligen Meldung vom 8. Dezember 1933, E. Nr. 7380, betreffend Aufstellung eines Lautsprechers an der Grenze bei Dürrnberg in Bayern, wird gemeldet wie folgt  : Der Lautsprecher hat ca. 3 mal 3 Meter und ist 5 Meter über der Erde. Während der Aufstellung des Lausprechers kam ein Mann an die Grenze und hielt eine Wandzeitung gegen Österreich. Der Mann trug eine SS-Uniform … und rief …  : »Ihr seid’s eh lauter Italiener35 und Kommunisten. In ein paar Tagen kommen wir und dann werden wir im Kerker weitersprechen.« Der geflohene ehemalige Halleiner Bezirksleiter der ehemaligen NSDAP, Leopold Koren, welcher in SA-Uniform anwesend war, schrie  : »Bei Euch sprechen die Bajonette und bei uns im Dritten Reich herrscht Freiheit  !« (…) Um 19.05 Uhr wurde der von fünf bewaffneten SS- und SA-Männern, welche dem Vernehmen nach österreichische Legionäre gewesen sein sollen, bewachte Lautsprecher in Betrieb gesetzt und es hat bis 20.10 Uhr angeblich an Ort und Stelle der ehemalige Salzburger Gauleiter der NSDAP Scharizer gesprochen. Wie der Kommandant der Grenzabschnittswache IV in Dürrnberg, Rayonsinspektor Jakob Krabath, notiert hatte, hatte die Rede einen ähnlichen Inhalt  : Liebe Volksgenossen von Salzburg  ! Es folgte zuerst ein Vortrag über den Wiederaufbau des Deutschen Reiches unter nationalsozialistischer Führung. Fortfahrend  : Seit 1,5 Jahren ist man in Österreich bemüht, den Gedanken des Nationalsozialismus mit größter Willkür und Gesetzlosigkeit auszurotten. In der Regierung Dollfuß sind heute alle jene Parteien vereinigt, die sich in den letzten 14 Jahren bekämpft haben und heute in der Vaterländischen Front stehen. Sie handeln gegen den Willen des Volkes. Sie sollen nur abstimmen lassen wie in Deutschland mit »ja« oder »nein«, dann werden sie im Gegenteil zu Deutschland eine Enttäuschung erleben. In Österreich wird unter dieser Willkürherrschaft nie eine gesunde Volkswirtschaft Platz greifen und die Unsicherheit der Regierung im Wirtschaftsleben wird weiterbestehen. (…) 35 Bezugnahme auf den »italienischen Kurs« von Bundeskanzler Dollfuß, d. h. die außenpolitische Anlehnung an das faschistische Italien als Rückendeckung gegen das nationalsozialistische Deutschland.

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Hierauf schilderte er das ständige Anwachsen der Arbeitslosigkeit in Österreich gegenüber der Arbeitslosensenkung in Bayern seit Beginn des Wiederaufbaues durch die NSDAP. Sodann kritisierte er die … Parteiwirtschaft in Österreich. Fortfahrend  : Die Regierung Dollfuß wird nie mit ihren schlechten Wirtschaftsmethoden siegen, da sie nur mit Spitzeln, Denunzianten und Lügnern das Volk niederhalte. Die NSDAP will Rechts- und Volksentscheid. Man kann niemals ein Volk dauernd mit Gewalt und Bajonetten niederhalten. (…) Mit dem Deutschland-Lied wurde geschlossen. Während dieser Rede wurde keine Ansammlung mehr versucht und es wurden auch nur in weiterer Entfernung vereinzelt Ortsbewohner als Zuhörer beobachtet. In Dürrnberg selbst, das eine halbe Stunde vom Standplatz entfernt ist, hörte man die Übertragung halbwegs, in Hallein gar nicht, hingegen soll dieselbe im äußeren Umkreis von Hallein etwas gehört worden sein. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 14. Dezember 1933. Zahl 4190 (251.223/33). Betr.: Nationalsozialistische Flugzettel, Verbreitung. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. In der Anlage werden … Exemplare von neuen, in der abgelaufenen Woche zur Verbreitung gelangten nationalsozialistischen Flugzetteln zur Kenntnisnahme vorgelegt. Deutsch-Österreicher  ! Deutscher Volksgenosse  ! Der rumänische Jude Nathan Rand fordert in dem berüchtigten Schmierblatt »Die Freiheit« die Errichtung von Konzentrationslagern für staatsfeindliche Elemente, insbesondere für N a t i o n a l s o z i a l i s t e n . Die von dem Juden Hecht36, Sektionschef im Heeresministerium, beherrschte »autoritäre«

36 Robert Hecht (1881–1938) war Jurist und seit 1925 Sektionschef im Heeresministerium, in dem er zum Berater von Carl Vaugoin wurde. Er war durch den Hinweis auf das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz aus dem Jahr 1917, das noch immer in Kraft war, 1933 an der Errichtung des autoritären Ständestaates beteiligt. 1938 wurde er nach dem Anschluss verhaftet und mit dem ersten Österreicher-Transport am 1. April nach Dachau gebracht, wo er am 30. Mai an den Folgen seiner Verhaftung verstarb. (Huemer  : Sektionschef Robert Hecht und die Zerstörung der Demokratie in Österreich. )

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Regierung Dollfuß hatte natürlich nichts Geringeres zu tun, als drei Tage später eine Verordnung herauszugeben, wonach »Personen, die auch nur im Ve r d a c h t (!  !) stehen, staatsfeindliche oder sonstige, die öffentliche Sicherheit gefährdende Handlungen vorzubereiten oder die Begehung oder Verbreitung solcher Handlungen zu begünstigen, zu fördern oder dazu zu ermutigen, zum Aufenthalt in einem bestimmten Ort oder Gebiet verhalten werden können.« Diese Verordnung ist von dem besten Freunde des Juden Lederer, dem Vizekanzler Major Fey, unterfertigt. Danach wird jedem »vaterländischen« Schmutzfink, jedem der vielen vorbestraften Verbrecher, welche die Reihen der Heimatschützer füllen, jedem polnischen Dreckjuden, Mitglied der »Vaterländischen Front«, die Möglichkeit geboten, j e d e n i h m m i s s l i e b i g e n Vo l k s g e n o s s e n z u d e n u n z i e r e n und in ein Konzentrationslager zu bringen. Das heißt also  : Kein ehrlicher Mensch ist heute im DollfußÖsterreich seiner Freiheit mehr sicher, weil die Juden im Lande regieren  ! Früher sperrte das bodenständige Volk die landfremden Hebräer in die Ghettos ein. Heute sperren die in Österreich allmächtigen Juden das bodenständige Volk in Konzentrationslager. Deutsch-Österreicher, wehrt Euch geschlossen gegen die frechen Machtgelüste der regierungstreuen Galizianer  ! Jagd sie zum Teufel, die Judenknechte, Landesverräter und Pfründenschieber  ! Sprengt die Ketten, zerreißt die Fesseln und Holt Euch die Freiheit In einem judenreinen, von Korruptionisten befreiten nationalsozialistischen Deutsch-Österreich  ! Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 19. Dezember 1933. Zahl 4379 (254.145/33). Betr.: Nachrichtendienst  ; Wochenbericht Nr. 19. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. (…) Die nationalsozialistische Propaganda, die sich in der Vorwoche durch Verbreitung von Flugzetteln reger bemerkbar gemacht hatte, ist in der Berichtswo-

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che wieder etwas abgeflaut. Dagegen wurden in der Nacht zum 15. Dezember als Demonstration anlässlich der feierlichen Eröffnung des elektrischen Betriebes der Tauernbahnstrecke Mallnitz-Schwarzach-St. Veit im Bereiche von Böckstein drei Hakenkreuzfahnen, eine an der Hochspannungsleitung, angebracht. Erstere wurde noch vor Beginn der Eröffnungsfahrt des Sonderzuges entfernt. Die an der Hochspannungsleitung aufgehängte Fahne, die von der Bahnstrecke nicht gesehen wurde, konnte infolge der notwendigen Stromausschaltung erst nach der Feier beseitigt werden. (…) Am Abend des 15. Dezember wurden bei Gastein, Lend und Neukirchen am Großvenediger von Nationalsozialisten Bergfeuer in Hakenkreuzform abgebrannt. Am 16. Dezember um ca. 21 Uhr wurde in Salzburg von der Mönchsbergstiege ein kleiner Knallkörper in den Hof des Stiftes St. Peter geworfen, der während des Wurfes explodierte, ohne Schaden zu verursachen. (…) Gendarmeriepostenkommando Tamsweg, Bezirk Tamsweg, Land Salzburg, 18. Dezember 1933. E. Nr. 2600.37 Betr.: Hissung von Hakenkreuzfahnen und Demonstration von Anhängern der NSDAP am 17. Dezember 1933. An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. In der Nacht zum 17. Dezember 1933 wurden in Tamsweg an einem im Garten des Grafen Kuenburg stehenden hohen Lärchenbaume eine 6,40 m lange und 1,20 m breite und auf einem neben dem nach St. Leonhard führenden Wege ebenfalls stehenden hohen Lärchenbaume eine 3,70 m lange und 1,20 m breite Hakenkreuzfahne gehisst. Zwecks Entfernung dieser beiden Fahnen wurden seitens der Gendarmerie des hiesigen Postens Putzscharen zusammengestellt und als dann darangegangen wurde, die Entfernung durchzuführen, wurde am Marktplatze zu Tamsweg vom Dachboden des Rathauses neuerdings eine 3,80 m lange und 1,20 m breite Hakenkreuzfahne entfaltet. Zu diesem Anlasse haben sich eine größere Anzahl von Anhängern der NSDAP aus dem Lungau am Marktplatze zu Tamsweg versammelt, um anscheinend zum Ausdruck zu bringen, dass die Nationalsozialisten des Lungaues stets noch geschlossen hinter ihrem Führer stehen. Die Entfernung der Hakenkreuzfahne vom Dachboden des Rathauses wurde veranlasst und zugleich die am Marktplatze angesammelten Personen aufgefordert, sich zu entfernen. Nachdem sich die Demonstranten auf die an sie ergangene Aufforde37 Bei der Sicherheitsdirektion Salzburg Zahl 4413 (255.376/33).

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rung nur teilweise entfernten und einige sich unwillig zeigten, wurden die am Posten eingestellten 13 Hilfsgendarmen herangezogen und zur Säuberung des Platzes geschritten, die in kurzer Zeit durchgeführt war. Hierbei wurden 2 Personen wegen Nichtfolgeleistung der Aufforderung zum Auseinandergehen festgenommen und der Bezirkshauptmannschaft zur weiteren Amtshandlung vorgeführt. Als dann nachmittags mehrere Nationalsozialisten zum Bahnhof gingen, um mit dem Zuge in der Richtung gegen Mauterndorf wegzufahren, haben dieselben das Horst-Wessel-Lied sowie das Deutschland-Lied gesungen und »Heil Hitler« gerufen. Deswegen wurden fünf Personen festgenommen und der Bezirkshauptmannschaft zur weiteren Amtshandlung vorgeführt. Da für den gleichen Tag abends eine Julfeier des deutsch-völkischen Turnvereines von Tamsweg angesagt sowie behördlich bewilligt war, wurde diese Feier auf Grund der Vorfälle von der Bezirkshauptmannschaft in Tamsweg für diesen Tag verboten. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 27. Dezember 1933. Zahl  : 4526 (256.897/33). Betr.: Nachrichtendienst, Wochenbericht Nr. 20. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Die ruhige politische Lage im Bundeslande Salzburg hat in der Berichtswoche (18. bis einschließlich 24. Dezember 1933) keine Änderung erfahren. Insbesondere haben sich die Nachrichten über die vor Weihnachten zu erwartende Rückkehr nationalsozialistischer Flüchtlinge aus dem Deutschen Reiche nicht bewahrheitet. Auch an der Bundesgrenze ist eine weitere Beruhigung der Lage zu verzeichnen und sind jegliche Zwischenfälle entfallen. (…) Die nationalsozialistische Propaganda im Lande selbst durch Wandbeschmierungen und Verbreitung von Flugschriften etc. war bloß unmittelbar vor den Weihnachtsfeiertagen etwas stärker aufgetreten. Am 23. Dezember nachmittags wurden im Stadtbereich Salzburg ein auf zwei Brettern montiertes hölzernes Hakenkreuz aus der Salzach aufgefangen, in der Nacht zum 24. Dezember nächst dem Bahnkörper bei Golling und auf einer Anhöhe bei Lend Hakenkreuzfeuer abgebrannt. In Hallein wurden vier Blechböller zur Explosion gebracht, wobei eine Fensterscheibe zertrümmert wurde  ; bei Bad Gastein wurde an einer Telefonleitung ein hölzernes Hakenkreuz aufgehängt und auf einem Baume eine weiße Fahne mit schwarzem Hakenkreuz angebracht. (…)

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An Strafamtshandlungen der politischen Bezirksbehörden und der Bundes-Polizeidirektion Salzburg werden ausgewiesen  : a) wegen Versuches der unbefugten Grenzüberschreitung eine Bestrafung von 4 Wochen Arrest  ; b) wegen Verbreitung von nationalsozialistischen Flugzetteln eine Abstrafung mit 6 Wochen Arrest  ; c) wegen Versuches des Abbrennens eines Hakenkreuzfeuers 4 Abstrafungen mit je 3 Wochen Arrest  ; d) wegen Verweigerung der Teilnahme an einer Putzschar 4 Straffälle mit Arreststrafen bis 2 Wochen  ; e) wegen nationalsozialistischer Betätigung durch »Heil Hitler«-Ruf, Hitler-Gruß und Singen des Horst-Wessel-Liedes 8 Bestrafungen mit Arrest von 3 Tagen bis 3 Wochen bzw. mit S 50,- Geldstrafe  ; f) wegen Veranstaltung einer Sammlung für nationalsozialistische Häftlinge eine Abstrafung mit 6 Wochen Arrest und g) wegen beleidigender Äußerungen über die Bundesregierung eine Bestrafung mit 4 Wochen Arrest. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 13. Jänner 1934. Zahl  : 875 (107.440/34). Betr.: Nachrichtendienst, Wochenbericht Nr. 1. An das Bundeskanzleramt, GD. – Staatspolizeiliches Büro, Wien I, Herrengasse 7. Hofrat Dr. Rudolf Scholz hat am 2. Jänner 1934 das Amt des Sicherheitsdirektors für das Bundesland Salzburg von seinem Dienstvorgänger Generalmajor Artur Wimmer und das Amt des Bundes-Polizeidirektors in Salzburg von Polizeidirektor Hofrat Bruno Hantsch übernommen. Die mit Ende des Jahres 1933 verstärkt aufgetretene nationalsozialistische Propagandatätigkeit hat in der Berichtswoche (1. bis 7. Jänner 1934) im ganzen Bundeslande angedauert und ist hauptsächlich in Form des Ausstreuens von Flugzetteln, gestanzten Papierhakenkreuzen, ferner dem Ankleben von Zetteln und Wandbeschmierungen in Erscheinung getreten. (…) Anlässlich der Austragung der Salzburger Landes-Skimeisterschaft in Hofgastein wurde am 6. Jänner um 18.30 Uhr auf dem westlichen Berghange von Hofgastein in ca. 1400 m Höhe ein Hakenkreuz abgebrannt. Bei der Sprungschanze wurden zwei Hakenkreuze mit Ölfarbe und eine 1 m lange Hakenkreuzfahne angebracht. Am 7. Jänner um ca. 13.20 Uhr mittags wurde auf dem Startplatze von drei Salzburgern die erste Strophe des Deutschland-Liedes gesungen. … Am Abend des 7. Jänner um ca.

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18.30 Uhr wurde auf den Viehhäusergründen westlich Hofgasteins ein Hakenkreuz entzündet und in der gleichen Nacht wurde der Schaukasten des Heimatschutzes in der Kurgartenstraße in Hofgastein zertrümmert. (…) Der Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg, 24. November 1933. Zahl 3565. Betr.: Dr. Leopold Kohr, Grenzverkehrsbehinderung. An das Bezirksamt in Laufen a. d. S. Dem Medizinalrat Dr. Leopold Kohr in Oberndorf wurde am 19.3.1933 von der politischen Grenzpolizei in Laufen der Grenzübertritt bis auf Weiteres mit dem Hinweis verwehrt, dass es sich um eine vorbeugende polizeiliche Maßnahme handelt, die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit im Grenzbezirke geboten erscheint. Da Dr. Kohr durch diese Maßnahme in seiner ärztlichen Praxis empfindlich getroffen wurde, andererseits aber die Laufener Ärzte Dr. Ortbauer und Dr. Stiezinger in Oberndorf und Umgebung die ärztliche Praxis auf Grund der Art. I der Übereinkunft des Deutschen Reiches mit Österreich-Ungarn vom 30.9.1892, Reichsgesetzblatt 1883, Seite 39, bisher weiter ausüben, wird das Bezirksamt um gefl. Bekanntgabe ersucht, ob die im März l. J. gegen Dr. Kohr verfügte polizeiliche Präventivmaßnahme derzeit noch aufrechterhalten wird, wobei darauf hingewiesen werden darf, dass sich Dr. Kohr politisch nie betätigt hat. Unter der Bevölkerung von Oberndorf und Umgebung macht sich wegen der ungehinderten Grenzpraxis der Laufener Ärzte in Österreich eine gewisse Erregung bemerkbar, die unter Umständen dazu führen könnte, dass zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit auch den Laufener Ärzten der Grenzübertritt aus staatspolizeilichen Gründen vorbeugender Natur verwehrt werden müsste. Bezirksamt Laufen, 27. Dezember 1933. b 13.710. Betr.: Grenzärztlicher Dienst. Zur Zuschrift vom 24.11.1933, Zahl 3665. An den Sicherheitsdirektor des Bundeslandes Salzburg in Salzburg. Im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit ist die gegen Dr. Kohr getroffene polizeiliche Maßnahme weiterhin notwendig.

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Kommentar (Aktennotiz) Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, 9. Februar 1934. Geschäftszahl 106.195 G. D./St. B. 34. (…) Im Hinblicke auf den vorliegenden Bericht wäre der Absicht des Sicherheitsdirektors für Salzburg, nunmehr auch den in Laufen ansässigen Ärzten den Grenzübertritt nach Österreich zu verwehren, nicht entgegenzutreten. Es hätte zu ergehen  : An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. Das Bundeskanzleramt erhebt keine Einwendung dagegen, dass den in den obbezogenen Berichte angeführten, in Laufen ansässigen Ärzten Dr. Ortbauer und Dr. Stiezinger der Grenzübertritt nach Österreich bis auf Weiteres aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit verwehrt werde. Bezirkshauptmannschaft Salzburg, 6. März 1934. Zahl  : 8105. 1. An Herrn Dr. Ortbauer, Arzt in Laufen. 2. An Herrn Dr. Stiezimnger, Arzt in Laufen. Aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit wird Ihnen bis auf Weiteres der Grenzübertritt nach Österreich untersagt. Hiergegen kann binnen 2 Wochen nach Zustellung im Wege der Bezirkshauptmannschaft Salzburg die Berufung eingebracht werden. Eine aufschiebende Wirkung wird gemäß § 64 A. V. G. aberkannt, weil diese Untersagung im öffentlichen Wohle gelegen ist. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 31. Dezember 1933. Zahl 4650 (102.846/34). Betr.: Nachrichtendienst  ; Wochenbericht Nr. 21. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. In der Berichtswoche (25. bis 31. Dezember 1933) war im Bundeslande Salzburg eine merkliche Zunahme der nationalsozialistischen Propagandatätigkeit zu verzeichnen, die sich gegen Jahresende verstärkte und infolge des gleichzeitigen Auftretens in fast allen Teilen des Landes als planmäßige Demonstration der Partei zu werten ist. Sie beschränkte sich jedoch auch diesmal auf das Ausstreuen von Papierhakenkreuzen,

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Flugzetteln und Flugschriften sowie auf Wandbeschmierungen. Zu Silvester wurden im Gebirge bei Unken, Saalfelden, Zell am See, Mittersill, Lend, Fusch, Dienten, Hofgastein, St. Johann im Pongau, Radstadt, Tamsweg und Dürrnberg Bergfeuer in Hakenkreuzform abgebrannt, wobei an einigen Orten, um die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf die Feuer zu lenken, gleichzeitig mit dem Aufflammen derselben Böller zur Explosion gebracht wurden. (…) Weiters wurde in der Stadt Salzburg am sog. elektrischen Aufzug, bei Böckstein und Bischofshofen an der Hochspannungsleitung der Bundesbahn und bei Radstadt sowie Lamprechtshausen auf einem Baum je eine Hakenkreuzfahne von nicht eruierten Tätern angebracht. (…) In Bramberg im Pinzgau wurde in der Silvesternacht an die Pfarrhoftür eine nach Art eines Böllers adjustierte Blechdose gelegt. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 15. Jänner 1934. Zahl 356/45 (109.660/34). Betr.: Böllerexplosion im Gebäude der Bundespolizeidirektion Salzburg. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Am Dienstag, den 9. ds. um 18.30 Uhr wurde im Gebäude der Polizeidirektion, und zwar im Siegenhause neben dem Haupteingang, ein sog. Kanonenschlag reichsdeutscher Provenienz zur Explosion gebracht. Der durch die Explosion hervorgerufene Luftdruck hat sämtliche Fensterscheiben des Stiegenhauses bis zum zweiten Stock zertrümmert. Von der Glastüre des Stiegenhauses wurde der Rahmen des Oberlichtfensters herausgeschleudert. Selbst die Scheiben der gegenüberliegenden Glastüre, welche in die Buchdruckerwerkstätte der Polizeidirektion führt, wurden durch die Explosion zertrümmert. Es wurden nahezu 100 Fensterscheiben im Gesamtwerte von etwas über 400.- S zertrümmert. Erfreulicherweise war zur Zeit der Explosion niemand im Stiegenhaus zugegen, sodass durch die provokatorische Demonstration keine Person direkt Schaden gelitten hat. (…) Da bei der Bundespolizeidirektion der Torposten seinerzeit infolge der angeordneten Sparmaßnahmen aufgelassen wurde und zur Zeit des Anschlages ein sehr geringer Parteienverkehr stattfand, konnte der Täter unbemerkt flüchten. Die Erhebungen zur Ausforschung des oder der Täter sind im vollsten Zuge und wird hierbei eine bestimmte Spur verfolgt. Der zur Explosion gebrachte Kanonenschlag dürfte den am Tatorte vorgefundenen Überresten bzw. Bestandteilen des Böllers zufolge ein mit geleimten Hanf-

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schnüren umwickelter, kubusartiger, hartgepresster, mit Schwarzpulver und Magnesium gefüllter Karton gewesen sein. Diese Art von Papierböllern wurde seinerzeit bei den durch Dr. Radauer am Bahnhofe in Salzburg zur Aufgabe gebrachten vier Kisten mit Propagandamaterial im Gesamtgewichte von über 200 kg in großer Zahl gefunden und stammen, der Signatur der Kisten zufolge, aus der württembergischen Pulverfabrik Adelzfurt, Bahnstation Bretzfeld (Württemberg). Der Täter dürfte diesen Papierböller durch eine Mittelsperson aus Freilassing erhalten haben. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 25. Jänner 1934. Zahl 208 (118.096/34). Betr.: Strafsache gegen Gerhard Neumann, Anton Koppenwallner et. Cons., Papierböllerattentate (…) An das Bundeskanzleramt, G. D. – St. B., Wien I, Herrengasse 7. Im Nachhange zum h. a. Berichte vom 15.1.1934 … wird … folgende Anzeige an die Staatsanwaltschaft I in Wien erstattet …  : »Im Stadtgebiete gelangten am 7., 8., 9., 11. und 13. Jänner l. J. Papierböller zur Explosion, welche am 9. und 13. mit einem Sachschaden von über 250.- S und überdies mit einer Gefahr für die Gesundheit und körperliche Sicherheit von Menschen verbunden war. Am 7. ds. wurden durch unbekannte Täter, laut Angabe der Augenzeugin Maria Diechtl … dürften es Studenten gewesen sein, vor dem Redaktionsgebäude der christlichsozialen Tageszeitung »Salzburger Chronik« zwei Papierböller, und zwar sog. Stielhandgranaten, geworfen, von denen eine zur Explosion gelangt war, ohne dass ein Sachschaden angerichtet worden wäre. Am 8. ds. wurde unterhalb der Staatsbrücke durch unbekannte Täter ebenfalls ein Papierböller zur Explosion gebracht, wodurch die Türe einer Materialhütte des Stadtbauamtes Schaden erlitten hat. Am 9. ds. wurde im 1. Stiegenhause der Residenz, Churfürststraße 1, in welcher sich u. a. die Büros der Bundes-Polizeidirektion und des Sicherheitsdirektors für das Bundesland Salzburg befinden, ein Papierböller zur Explosion gebracht. (…) In der Nacht vom 9. auf den 10. ds. ist um 1.35 Uhr früh durch unbekannte Täter am Mozartplatz ein Papierböller zur Explosion gebracht worden, der keinerlei Schaden anrichtete. Am Donnerstag, den 11. ds. ist um 20.45 Uhr in der Schrannengasse … ein Papierböller explodiert … Sachschaden wurde durch diese Explosion … nicht hervorgerufen.

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Am 13. ds. ist im Schulgarten der Lehrerbildungsanstalt (Universitätsgebäude) um 20.15 Uhr ein Papierböller zur Explosion gelangt, der mit einer Weckeruhr und mit mehreren elektrischen Taschenlampenbatterien montiert war. Durch die Explosion dieses Papierböllers wurden 132 Fensterscheiben zertrümmert, welche … einen Sachschaden im Gesamtbetrage von 413,23 S verursacht hat. … Bereits nach den Papierböllerexplosionen am 7. und 8. ds. Mts. lenkte sich der Verdacht der Täterschaft gegen Studenten, die sich während der Weihnachtsferien in Salzburg aufgehalten haben. Der Kriminal-Bezirksinspektor Pumberger hat in dieser Beziehung auf vertraulichem Wege die Mitteilung erhalten, dass mit diesen Papierböllerattentaten der stud. phil. Gerhard Neumann, 14.2.1911 Salzburg geb. und zust., … in Verbindung stehen soll. Gerhard Neumann, welcher sich in der Wohnung seiner Eltern – der Genannte ist der Sohn des Handelsschuldirektors Friedrich Neumann … – während der Weihnachtsferien aufgehalten hat, war am Tage der Hausdurchsuchung … nicht mehr in Salzburg anwesend. Da in der Wohnung Neumanns, und zwar in einem Kasten, welcher dem Gerhard Neumann zur Verfügung gestanden hatte, vier Stück Papierböller vorgefunden und als corpus delicti beschlagnahmt wurden, hat sich der Verdacht der direkten bzw. indirekten Teilnahme Neumanns an den in Rede stehenden Papierböllerattentaten als gerechtfertigt erwiesen. Die Bundes-Polizeidirektion Salzburg hat deshalb am 11. ds. fernmündlich um die Verhaftung des Gerhard Neumann und die Vornahme einer Hausdurchsuchung beim Polizeipräsidium Wien ersucht. (…) Gelegentlich der h. a. Erhebung betreffend die Ausforschung der Mittäter wurde festgestellt, dass Gerhard Neumann auffallend intime freundschaftliche Beziehungen zu dem Goldarbeiter Anton Koppenwallner, 11.6.1912 in Rostock, Bez. Mecklenburg, geb., Salzburg zust., … Sohn des Anton und der Aloisia Koppenwallner, Goldarbeiter in Salzburg, … aufrechterhalten hat. Die auf den Tatorten vorgefundenen Überreste der explodierten Papierböller beweisen, dass diese … dieselbe Beschaffenheit und Herkunft aufweisen, wie die in der Wohnung Gerhard Neumanns aufgefundenen … Die Annahme, dass Gerhard Neumann mehrere solcher Papierböller besessen und mit diesen Papierböllerattentaten direkt oder indirekt in Verbindung stehe, erscheint auch dadurch gerechtfertigt, dass der Genannte auch der im Studentenheime Wien, VIII. Bezirk, Pfeilgasse 4, unabhängig von der h. a. Requisition am 11. ds. um 7 Uhr früh durchgeführten Hausdurchsuchungen, aus diesem unter Zurücklassung seiner Effekten verschwunden und nicht mehr zurückgekehrt ist. Wie die Polizeidirektion Wien vermutet, dürfte Gerhard Neumann auch bei Anschlägen in Wien seine Hand im Spiele gehabt haben und nach Deutschland geflüchtet sein. Der Verdacht der Täterschaft des Papierböllerattentates vom 13. ds. richtete sich gegen den Freund Gerhard Neumanns, Anton Koppenwallner, der sich in der kri-

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tischen Zeit in der Nähe des Tatortes aufgehalten hat und als Feinmechaniker und Goldarbeiter auch die Montage des Papierböllers mit der Weckeruhr durchführen kann. Der Beschuldigte Anton Koppenwallner – ein jüngerer Bruder des in der Leibstandarte zu Berlin der SS-Formation aktiv dienenden Paul Koppenwallner – legt ein äußerst gefasstes und zynisches Benehmen an den Tag und forderte gelegentlich der Einvernahme die Polizeidirektion auf, ihm die Täterschaft nachzuweisen. Mit der Sammlung der weiteren Indizien für die Täterschaft des Genannten ist die Polizeidirektion weiter befasst. (…) Bundeskanzleramt Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Jänner 1934 (ohne genaues Datum). Geschäftszahl 104.405 G. D./St. B. 34. Zu lesen das Exhibit. Aus den vom Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg vorgelegten Erhebungsakten ergibt sich folgender Sachverhalt  : Am 19. Dezember 1933 kamen Josef Jawora, Reisender …, und seine Gattin Josephine … in betrunkenem Zustand in das Gasthaus »Zur Post« in Hallein, wo sie bald zu politisieren begannen. Im Verlaufe der Debatte kam es zwischen den Eheleuten Jawora und dem Gasthauspächter zu einer sehr erregten Auseinandersetzung, wobei anlässlich der Kritisierung der Verhältnisse in Deutschland Josef Jawora den preußischen Ministerpräsidenten und Reichsminister Göring mehrmals einen Idioten und Morphinisten sowie Josefine Jawora den deutschen Reichskanzler Hitler einen Gauner, Schlappschwanz u. dgl. benannte. Über Einschreiten des Gasthauspächters wurde das Ehepaar durch einen Gendarmeriebeamten aus dem Gasthause entfernt. (…) Ob die Zustimmung zur Verfolgung des Ehepaares Jawora gemäß § 6 der Verordnung vom 7.3.1933, BGbl. Nr. 41 erteilt werden soll, wäre der Beurteilung der Abteilung 13 pol. zu überlassen. Stellungnahme Abteilung 13 pol., 25. Jänner 1934. Zl. 50.515-13. Eine Strafverfolgung der Beschuldigten gemäß § 6 der Verordnung vom 7.3.1933, BGBl. Nr. 41, kommt nach hierortiger Ansicht nicht in Frage, da ihre gesetzliche Voraussetzung mangels Reziprozität von Seiten des Staates, dessen Regierungsmitglieder betroffen sind, nicht gegeben erscheint.

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Der Sicherheitsdirektor Des Bundes für das Bundesland Salzburg, 4. September 1933. Zahl 1354. Betr.: Frisch Dr. Johann, Univ. Prof.; Anschlussfreundliche Äußerung. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Wird zur Kenntnisnahme vorgelegt. Der exponierte Kriminalbeamte der Bundes-Polizeidirektion Salzburg, St. Gilgen 31. August 1933. Zl. 2023/35. Meldung Es erscheint Dr. Stefan Herz, St. Gilgen Nr. 65 wohnhaft, und erstattet folgende Anzeige  : Am 29.8.1933 wurde in St. Gilgen eine Segelregatta veranstaltet. Abends war anlässlich dieser Regatta im Seehotel Fischer die Preisverleihung und anschließend ein Festabend. Während des Festabends hielt unvermittelt der Univ. Prof. Dr. Johann Frisch, Wien XIX., Saarplatz Nr. 1, gegenwärtig in Brunnwinkel, Gemeinde St. Gilgen wohnhaft, folgende Rede  : »Ich möchte darauf hinweisen, dass der Union-Yachtclub, der Wickinger-Segelverein und der Segelverein Nibelungen nicht allein dastehen, sondern dass sie dem großen Deutschen Seglerverband angehören. Wir Segler haben nie die Zollschranken eines Landes gekannt und haben uns immer als große Familie gefühlt. Wir können nur hoffen, dass die aufgerichteten Schranken fallen und endlich es zu dem Anschlusse an das große Deutsche Reich kommen möge. Ich fordere alle Damen und Herren auf, auf das hin in ein kräftiges Hipp, Hipp, Hurra  ! einzustimmen.« Stellungnahme des Bundeskanzleramtes, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, 24. Jänner 1934. Geschäftszahl 104.404 G. D./St. B. 34. Aus den vom Sicherheitsdirektor für Salzburg vorgelegten Verhandlungsschriften geht hervor, dass Univ. Prof. Dr. Frisch energisch bestreitet, auf dem gegenständlichen Bankett eine auf den Anschluss an Deutschland bezügliche Rede gehalten zu haben. Seine Rede habe nur sportlichen Charakter getragen und sollte lediglich

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die Zusammengehörigkeit mit dem deutschen Seglerverband, dem auch der Union-­ Yachtklub in St. Gilgen angehört, Ausdruck verleihen. Dieser von Dr. Frisch behauptete Sinn seiner Rede wurde durch die im Gegenstande vernommenen Zeugen … eindeutig bestätigt. Ein politischer Sinn der gegenständlichen Rede wird übereinstimmend von allen Zeugen verneint. Einer der Zeugen gibt seiner Vermutung dahin Ausdruck, dass Dr. Herz die Anzeige nur deshalb erstattet habe, weil zwischen ihm und dem Union-Yachtklub, Zweigverein Wolfgangsee, wegen seiner Nicht-Aufnahme in den Verein Unstimmigkeiten bestanden. (…) Die gegenständlichen Verhandlungsschriften wären dem Sicherheitsdirektor für Salzburg mit dem Beifügen zurückzustellen, dass nach h. o. Ansicht im vorliegenden Falle ein strafbarer Tatbestand nicht gegeben erscheint. Gendarmeriepostenkommando Golling, Bezirk Hallein, Salzburg, 25. Dezember 1933. E. Nr. 2022. Betr.: Hakenkreuzfeuer und Werfen von Flugzetteln Am 24.12.1933 im Markte Golling. An die Bezirkshauptmannschaft in Hallein. Am 24. Dezember 1933 um ca. 23 Uhr wurden auf der Bundesstraße durch den Markt Golling massenhaft Flugzettel der verbotenen NSDAP sowie papierene Hakenkreuze gestreut. Das Ausstreuen erfolgte knapp vor Beginn des sehr lebhaft einsetzenden Passantenverkehres und erregte unter massenhaft die Christmette besuchenden bäuerlichen Bevölkerung den größten Unwillen. Während Rayonsinspektor Johann Quehenberger und Gendarm Hermann Schachner durch eine Putzschar die Hakenkreuze einsammeln ließen, wurde am 25. Dezember 1933 um 0.15 Uhr auf der marktwärts gelegenen Bahnböschung, ca. 30 m südlich der Bahnübersetzung nach Torren, ein aus 30 Fackeln bestehendes Hakenkreuz, Größe 5 x 5 m, abgebrannt. Um 0.25 Uhr wurden beim Hakenkreuzfeuer zwei Papierböller zur Explosion gebracht sowie auch zur letzterwähnten Zeit mitten auf dem Bahndamm Raketen, und zwar rote, abgebrannt. Auch begalisches rotes Licht wurde auf dem Bahndamme abgebrannt, weshalb ein von Salzburg kommender Zug anhielt. (…) Die vaterländisch eingestellte Bevölkerung ist durch diese Handlung auf das äußerste empört, zumal sie in ihrem religiösen Empfinden am Heiligen Abend auf das schwerste beleidigt wurde. (…)

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 2. Februar 1934. Zahl 356/160 (119.669/34). Betr.: Papierbölleranschläge sowie Flugzettelverbreitung. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Am 23. Jänner 1934 um 19.15 Uhr wurde vor dem Gebäude des Bezirksgerichtes, ferner in der Nähe der Kirche und bei einer Hütte in der Nähe der Brauerei Blattl im Markte Saalfelden je ein Papierböller gelegt und zur Explosion gebracht. Ein Schaden ist dadurch nicht entstanden. Die beim Bezirksgericht und bei der Kirche zur Explosion gebrachten Böller waren auf öffentlichen Wegen, die in der fraglichen Zeit sehr viel begangen werden, gelegt, sodass es nur einem glücklichen Zufall zuzuschreiben ist, dass niemand verletzt wurde. Die Tat war daher geeignet, die körperliche Sicherheit von Menschen zu gefährden. Das Legen der Böller dürfte im Zusammenhange mit der Festnehmung und Einlieferung des Brauereibesitzerssohnes Christian Blattl in das Anhaltelager nach Wöllersdorf stehen und dürften die Täter Angehörige der verbotenen NSDAP sein. Nach den am Tatort vorgefundenen Resten der Umhüllungen dürfte es sich um aus Deutschland eingeschmuggelte Papierböller handeln. (…) Am 24. Jänner 1934 vormittags wurde von dem Fleischhauergehilfen Georg Gassner, im Markte Saalfelden wohnhaft, auf dem Wege zum Spitale Farmach ein Wollhandschuh gefunden, in dem sich ein Zettel mit folgendem Wortlaut befand  : Mitteilung. Die für den Jänner anberaumte Machtergreifung musste wegen Eintreten widriger Umstände auf den 15. Februar verschoben werden. Ordnungsgemäß belegte Gesuche um führende Staatsposten (Parteibuch, SA-Legitimation, Versicherungsabschnitt, Zuchthausentlassungszeugnis beilegen) können bis nächsten Monatsersten bei der Landesleitung Österreich-München der NSDAP eingebracht werden. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 2. Februar 1934. Zahl 356/177 (120.473/34). Betr.: Papierbölleranschlag in Radstadt am 25. Jänner 1934. An das

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Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Am 25. Jänner 1934 wurde gegen 20.30 Uhr vermutlich aus dem Gastgarten des Gastwirtes Johann Pichler in Stadt Radstadt Nr. 57 gegen den Gastgarten des Gastwirtes Alois Habersatter, welcher gegenüber dem ersteren gelegen ist, ein Papierböller geworfen, wodurch zwölf Fensterscheiben des letztgenannten Gasthofes zertrümmert wurden. Im Gasthofe Habersatter (der Besitzer ist Ortsgruppenführer des Heimatschutzes der Ortsgruppe Radstadt) tagte zu dieser Zeit ein Sprechabend des Heimatschutzes, darunter der Bezirksführer des Bezirkes Radstadt, Kaufmann Johann Ehringer, anwesend. Der Papierböller fiel in den Schnee und kam durch das weiche Aufschlagen nicht zur vollen Geltung. Verletzt wurde hierdurch niemand, doch war die Sicherheit von Personen in hohem Maße gefährdet, da fünf Schritte vom Tatorte entfernt ein Schutzkorpsangehöriger zu dem Zwecke Aufstellung genommen hatte, um eventuelle Sabotageakte während des vorerwähnten Sprechabends zu verhindern. Das Vereinszimmer ist vom Tatorte zehn Schritte entfernt gelegen und war durch die Zertrümmerung der Fensterscheiben auch die Sicherheit der in diesem Zimmer anwesend gewesenen Heimatschützer gefährdet. Der Schutzkorpsangehörige … konnte sich noch rechtzeitig beim Stallgebäude … decken, sodass er nur mit Schnee bespritzt wurde. Gleichzeitig sammelten sich mehrere Angehörige der aufgelösten NSDAP am Tatorte an, die durch die Schutzkorpsangehörigen zurückgedrängt wurden. Hierbei kam es von Seite der NSDAP-Anhänger Josef Ziegler, Johann Kirchmaier, Martin Marquart und Dr. Karl Jasny gegenüber den Schutzkorpsangehörigen zu Wachebeleidigungen, einer öffentlichen Gewalttätigkeit (versuchtes Entreißen des Bajonetts) und einer Einmengung in eine Amtshandlung. Die Genannten wurden deshalb dem bezirksgerichte in Radstadt zur Anzeige gebracht. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 2. Februar 1934. Zahl 356/180a (120.472/34). Betr.: Bölleranschläge in Bad Gastein am 26. Jänner 1934. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Am 26. Jänner 1934 kurz vor 1 Uhr ertönten im Ortsbereiche von Bad Gastein zwei unmittelbar aufeinanderfolgende böllerähnliche Detonationen. Es dürfte sich um Papierböller gehandelt haben, doch konnten die Anschlagsstellen bis nun nicht ermittelt werden. Der Täter ist bis zur Zeit unbekannt und dürfte es sich zweifellos

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um einen nationalsozialistischen Terrorakt handeln. Die Nachforschungen nach den unbekannten Tätern sind im Zuge. In letzter Zeit wurden auch an verschiedene vaterländisch eingestellte Personen in Bad Gastein Drohbriefe gesandt, mittelst welcher denselben nationalsozialistische Terrorakte angekündigt wurden für den Fall, dass sie sich noch weiter politisch betätigen sollten. Wegen der eingangs berichteten Terrorakte wurde am 28. Jänner l. J. die Überstellung des Uhrmacherlehrlings Wilhelm Karl … in ein Anhaltelager durchgeführt. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 8. Februar 1934. Zahl 875/3 (191.824/34). Betr.: Nachrichtendienst  ; Wochenbericht Nr. 4. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Die nationalsozialistische Terroraktion ist in der Berichtswoche (22. bis 28. Jänner 1934) in der gleichen Art und Weise aufgetreten wie in der Vorwoche. Bezüglich der Terrorakte durch Bölleranschläge etc. ist zwar ein ca. 25-prozentiger Rückgang, bezüglich aller übrigen Betätigungen (wie Verbreitung von nationalsozialistischen Flug-, Streu- und Klebezetteln, Abbrennen von Hakenkreuzfeuern, Grenzzwischenfällen usw.) jedoch eine Zunahme zu verzeichnen. Es wurde daher auch von den Bestimmungen der Verordnung vom 23.9.1933, BGBl. Nr. 431, bezüglich Verfügung der Anhaltung in Anhaltelagern verstärkter Gebrauch gemacht und in dieser Berichtswoche die Überstellung von 23 Personen (gegenüber 10 Personen der Vorwoche) in Anhaltelager durchgeführt. (…) Im Einzelnen werden folgende Vorfälle besonders angeführt  : I. Anschläge mittels Böller etc.: (…) 3. Nachts zum 22. Jänner  : in Strasswalchen (Bezirk Salzburg) wurde in dem Saal des Gasthauses Starlinger während eines dort stattfindenden Tanzkränzchens des Katholischen Gesellenvereins eine Tränengasphiole geworfen. Gegen Mitternacht wurde hinter diesem Gasthause ein Papierböller zur Explosion gebracht. Kein Schaden. (…) 7. 23. Jänner  : 17.15 Uhr in Golling (Bezirk Hallein) am Hause des Landtagsabgeordneten Hochleitner38 eine Papierböller-Attrappe mit Kabelzünder gefunden. 38 Adolf Hochleitner (1881–1966) absolvierte nach dem Besuch der Volksschule eine kaufmännische Lehre in Krems und besuchte 1903/04 die Försterschule Hall in Tirol. 1904 bis 1909 war er Adjunkt bei der Landesforstinspektion Salzburg, 1909 bis 1928 Bezirksförster und 1928 bis 1938 Bezirksober-

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8. 23. Jänner  : um ca. 18.30 Uhr in Puch (Bezirk Hallein) an der rückwärtigen Front des Hauses des Pfarrers i. R. Müller ein Papierböller explodiert. (…) 10. 23. Jänner  : gegen 19.15 Uhr im Markte Saalfelden drei Papierböller explodiert und zwar  : einer nächst dem Bezirksgerichte, einer im alten Kirchhofe und einer beim Dechanthofe. 11. 25. Jänner  : um 1.45 Uhr früh in Obertrum (Bezirk Salzburg) bei der Käserei des Landtagsabgeordneten Johann Strasser39 ein Papierböller explodiert, wodurch bei der Käserei und beim Wohnhause je eine Fensterscheibe zertrümmert wurden. (…) 12. 25. Jänner  : um 3.15 Uhr früh im Gelände zwischen Puch und Urstein (Bezirk Hallein) ein schwerer Böller explodiert. Detonation außergewöhnlich stark und dumpf. 13. 25. Jänner  : um 20.45 Uhr in der Stadt Salzburg im Salzachbett fünf Böller, welche, auf kleinen Brettern angebracht, flussoberhalb der Stadt in die Salzach gebracht worden waren und mit der Strömung stadtwärts trieben. Einer explodierte unterhalb des Mozartsteges in Salzburg, die anderen außerhalb des Stadtgebietes ohne Schaden. (…) 16. 26. Jänner  : um 19.40 Uhr in Itzling (Gemeinde Gnigl, Bezirk Salzburg) auf dem Gartenzaune des Hauses der Krämerin Anna Hagleitner, Pflanzmannstraße 9, ein Papierböller explodiert. Dieser Böller dürfte zweifellos dem im gleichen Hause wohnhaften Landesführer der Vaterländischen Front, Volksschullehrer Bernhard Aicher, gegolten haben. Kein Schaden. (…) II. Falsche Plakate mit dem Aufrufe der Bundesregierung für Winterhilfe, falsche Wandzeitungen sowie sonstige nationalsozialistische Flug-, Streu- und Klebezettel, Hakenkreuzschmierereien etc.: (…) 6. Nacht zum 24. Jänner  : in Unternberg (Bezirk Tamsweg) Zettel mit Hakenkreuzen gestreut. Diese Zettel haben folgende Inschriften  : »Kämpft mit Hitler für Österreichs Auferstehung«, »Österreichs Retter Hitler«, »Trotz Terror – Heil Hitler«, »Trotz Verbot nicht tot«, »Arbeiter, Bauer, Bürger, Dollfuß ist Euer Würger«, »Wir siegen trotz Verbot«. (…) förster in Golling an der Salzach, 1922 bis 1931 und 1949 bis 1954 war er Bürgermeister von Golling, 1929 bis 1934 Abgeordneter der Christlichsozialen Partei zum Salzburger Landtag, 1932 bis 1934 stellvertretender Klubobmann, 1934 bis 1938 als Vertreter der Land- und Forstwirtschaft Mitglied des Ständischen Landtages (Landstand). 1938 wurde er zwangspensioniert. (Voithofer  : Politische Eliten in Salzburg. S. 84 f.) 39 Johann Strasser (1875–1934) war 1908 bis 1934 Milchbauer in Obertrum am See, 1925 bis 1934 Obmann des Ortsbauernrates des Katholischen Bauernbundes in Obertrum am See, 1918 bis 1934 Mitglied der Gemeindevertretung, 1909 bis 1912 und 1918 bis 1928 Bürgermeister von Obertrum und 1927 bis 1934 Abgeordneter der Christlichsozialen Partei zum Salzburger Landtag. (Voithofer  : Politische Eliten in Salzburg. S. 230.)

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9. Nacht zum 25. Jänner  : in Neumarkt (Bezirk Salzburg) an zahlreichen Häusern Gesichtsbildnisse Hitlers, vermutlich unter Verwendung einer Schablone, gemalt. … Ferner wurden in dieser Nacht Papierhakenkreuze verstreut, Klebezettel (2 gefesselte Hände darstellend) an Fensterscheiben angebracht und verschiedene nationalsozialistische Broschüren (z. B. »Mit uns ist Gott im Bunde«, … »Etwas zum Nachdenken«) in Häuser gelegt. (…) 21. Nacht zum 28. Jänner  : wurde in Neumarkt (Bezirk Salzburg) auf einem Grabstein der Steinmetzwerkstätte des Martin Grasslberger mit Farbe folgende Aufschrift angebracht  : »Christliches Andenken an die Drei  : Bundeskanzler Dollfuß, Vaugoin, Fey  ; gestorben an der braunen Pest, nun liegt hier der schwarze Rest. Die trauernden Hinterbliebenen  : Christlichsoziale Partei, Ostmärkische Sturmscharen und Vaterländische Front«. (…) IV. Anbringung von Hakenkreuzfahnen. 1. Nacht zum 23. Jänner  : in Obertrum (Bezirk Salzburg) auf einem Maibaum nächst der Kirche eine 120 cm lange und 90 cm breite aus Papier gefertigte Hakenkreuzfahne gehisst. Das Papier war auf beiden Seiten mit einem im Durchmesser 80 cm großen Ring mit schwarzem Hakenkreuz versehen und mit der Aufschrift »Heil Hitler« bemalt. Dieselbe wurde von einem Monteur entfernt. 2. Nacht zum 27. Jänner  : in Niedernfritz (Bezirk St. Johann im Pongau) auf einem Fichtenbaum eine Hakenkreuzfahne aus Papier aufgehängt und durch Putzschar entfernt. 3. Nacht zum 28. Jänner  : um ca. 1 Uhr wurde in Henndorf (Bezirk Salzburg) an der Starkstromleitung der Firma Stern & Haferl in der Nähe der Käserei Woehrle in Henndorf eine ca. 1,5 m lange Hakenkreuzfahne gehisst. Die Fahne wurde mit einem an einer Schnur befestigten Bleiknopf über die Leitung geworfen. Dieselbe wurde entfernt. (…) V. Verschiedenes  : (…) 4. 25. Jänner  : wurde um 21.30 Uhr in Michaelbeuern (Gemeinde Dorfbeuern, Bezirk Salzburg) der Schaukasten der Heimwehr vermutlich durch Nationalsozialisten eingeschlagen. In der gleichen Nacht wurde der Angehörige des Heimatschutzes, Karl Kees aus Michaelbeuern, auf der Ortsstraße von dem mehrmals vorbestraften Maurergehilfen Franz Gimmelsberger, der früher nationalsozialistischer Ortsgruppenleiter war, durch mehrere Messerstiche leicht verletzt. (…) 5. In der Berichtswoche sind an mehrere vaterländisch eingestellte Personen in Bad Gastein Drohbriefe ergangen. 6. 26. Jänner  : um 19.30 Uhr sammelten sich am Bahnhofe in Bad Gastein anlässlich der Überstellung von zwei Anhängern der NSDAP, welche für die Abgabe in ein Anhaltelager bestimmt waren, ca. 300 Personen an und demonstrierten durch Absingen des Deutschland-Liedes und des Horst-Wessel-Liedes besonders gegen die

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zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung aufgebotenen Hilfsgendarmen. In der Umgebung waren Böllerexplosionen hörbar. (…) 10. 28. Jänner  : wurde anlässlich einer Tanzunterhaltung beim Gastwirt Josef Feichtner in St. Martin (Landgemeinde St. Michael im Lungau, Bezirk Tamsweg) um ca. 20.15 Uhr ein vaterländisch gesinnter Bursche von mehreren Nationalsozialisten auf der Straße tätlich angegriffen, wobei einige »Heil Hitler« und »Dollfuß verrecke« schien. (…) VII. Überstellung in ein Anhaltelager während der Berichtswoche. 1. Madleitner, Philipp, Hilfsarbeiter, arbeitslos, Hofgastein, 2. Klampferer, Johann, Schmied in Radstadt, 3. Schliessleder, Josef, Bundesbahnrevident in Radstadt, 4. Dr. Grosch, Herbert, Rechtsanwalt in Hallein, 5. Gruber, Alexander, Mag. pharm. und Privatbeamter in Hallein, 6. Steffl, August, Handelsgärtner in Hallein, 7. Kiernbauer, Walter, Privatbeamter in Hallein, 8. Priessner, Otto, Krankenkassenkontrollor in Hallein, 9. Göllert, Gustav, Sparkassenbeamter in Salzburg, 10. Höpflinger, Rudolf, Schlosserlehrling in Berndorf, 11. Höpflinger, Ludwig, Tischlergehilfe in Berndorf, 12. Schaurecker, Erwin, Kellner in Salzburg, 13. Bachinger, Wilibald, Brotausträger in Itzling, 14. Gasser, Alois, Kaufmann in Saalfelden, 15. Stockhammer, Rudolf, Hilfsarbeiter (arbeitslos) in Itzling, 16. Huber, Josef, Schneidermeister in Hallein, 17. Sommerauer, Johann, kaufmännischer Privatbeamter in Hallein, 18. Bartel, August, Schlosser und Bergführer (arbeitslos) in Bad Gastein, 19 Schließleder, Josef, Forstingenieur, Volontär bei der Bundesforstverwaltung in Radstadt, 20. Holztrattner, Josef, Bauer in Thurnberg, Gemeinde Puch, 21. Oberleitner, Franz, Bundesförster in Radstadt, 22. Meinl, Bernhard, Melker in Puch, 23. Karl, Wilhelm, Uhrmacherlehrling in Bad Gastein. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 10. Februar 1934. Zahl 356/190 (123.992/34). Betr.: Explosion von Papierböllern in Saalfelden am 29.1.1934. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7.

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Am 29. Jänner 1934 in der Zeit von 19 Uhr bis 21.15 Uhr wurden an verschiedenen Stellen des Marktes Saalfelden insgesamt 8 Papierböller zur Explosion gebracht. (…) Zu diesen Anschlägen wurden hauptsächlich solche Plätze gewählt, in deren Nähe vaterländisch gesinnte Personen wohnen. (…) Bundes-Polizeidirektion Salzburg, 27. Februar 1934. Zl. 30/res (129.809/34). Betr.: Gedächtnisprotokoll über eine Unterredung des gew. Nationalrates Josef Witternigg mit Altbundeskanzler Dr. Ramek. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Die Bundes-Polizeidirektion beehrt sich, eine Abschrift des Gedächtnis-Protokolles des gewesenen Nationalrates und derzeit in Untersuchungshaft befindlichen Parteisekretärs Josef Witternigg über eine am 10. d. Mts. mit dem Altbundeskanzler Dr. Ramek40 stattgehabten Unterredung in Vorlage zu bringen. Gedächtnisprotokoll Nationalrat Witternigg begab sich am 10.2.1934 nachmittags zum Herrn Dr. Ramek. Ich habe ihn gefragt, ob er schon mit Dr. Renner wegen der Einberufung des Hauptausschusses41 gesprochen hat, worauf Ramek verneinte. Ich komme nun zu Ihnen, um mit Ihnen über diese Sache zu sprechen. 40 Rudolf Ramek (1881–1941) studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien, promovierte 1907 zum Dr. jur. und trat bereits während seines Studiums der Christlichsozialen Partei bei. Nach dem Ersten Weltkrieg ließ er sich in Salzburg als Rechtsanwalt nieder, war während der Ersten Republik Parteiobmann der christlichsozialen Landespartei, 1919 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, 1920 bis 1934 Abgeordneter zum Nationalrat, 1919/20 Staatssekretär für Justiz, 1921 Innen- und Unterrichtsminister, 1924 bis 1926 Bundeskanzler, 1930 bis 1933 Zweiter Präsident des Nationalrates. (Isabella Ackerl  : Rudolf Ramek. – In  : Weissensteiner, Weinzierl (Hg.)  : Die österreichischen Bundeskanzler. S. 118–130  ; Schausberger  : Rudolf Ramek (1881–1941). Konsenskanzler im Österreich der Gegensätze.) 41 Die SDAP stand an der Jahreswende 1933/34 vor einer Zerreißprobe zwischen dem immer vehementer auf – auch bewaffnete – Aktionen drängenden linken Flügel, der Teile der Jugendorganisation und des Republikanischen Schutzbundes repräsentierte, und dem um einen Ausgleich mit der Regierung bemühten rechten Flügel um die niederösterreichische Landesorganisation. In diesem innerparteilichen Ringen näherte sich Otto Bauer immer mehr der Position der Niederösterreicher und erklärte in einem Artikel Ende 1933 die Bereitschaft der Sozialdemokratie, in Verhandlungen über eine berufsständische Verfassung einzutreten. Am 7. Jänner 1934 versuchte der sozialdemokratische Parteivorstand die Regierung zu bewegen und wies in einer Erklärung auf die wachsende Kampfbereitschaft in großen Teilen der Partei hin, die man bisher mit Erfolg unterdrückt habe, um katastrophale Folgen

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Der Landbündler Pistor42 kam in das (Zug)Koupee des Nationalrates Witternigg und sagte zu ihm, dass der Landbund von Dollfuß betrogen worden ist, belogen und betrogen. Der Landbund hat mit Dollfuß einen Vertrag gemacht,43 dieser Vertrag wird aber nicht eingehalten. Ihre Partei ist enttäuscht. Die Situation hat sich jetzt zu verhindern. In der Sozialdemokratie hoffte man auf den Einfluss des demokratischen Flügels der Christlichsozialen Partei, der sich vehement gegen den wachsenden Einfluss der Heimwehr aussprach und den Umbau des Staates in Richtung Faschismus ablehnte. Hoffnung schöpfte man auf Grund einer Rede von Leopold Kunschak im Wiener Gemeinderat anlässlich der Diskussion über einen Antrag der SDAP auf Konvertierung der Wiener Dollaranleihe, in der dieser zu einer Zusammenarbeit über die Lagergrenzen hinweg aufrief. Kunschak erklärte u. a.: »Der Feind unserer Stadt, unseres Heimatlandes und dessen in der Geschichte als deutsche Sendung verankerten Eigenlebens, das ist die E n t a r t u n g d e s d e u t s c h e n G e i s t e s im Nationalsozialismus. Diesem entgegenzuwirken und positiv aufbauend zu wirken an der Seele unseres Volkes und ihm die wirtschaftlichen Bedingnisse des Lebens zu sichern, das ist der Weg, den uns die Stunde zu gehen heißt. Auf diesem Wege gibt es eine We g g e m e i n s c h a f t , die über viele Gegensätzlichkeiten hinweg auch heterogene Elemente zu gemeinsamer Arbeit zusammenzuführen vermag. Als erste Voraussetzung dafür gilt der r e i n e W i l l e und die s i t t l i c h e K r a f t , das Trennende zu meiden, das Einigende zu suchen. Wer anderen seine Meinung eventuell auch mit Brachialgewalt a u f z w i n g e n will, der allerdings ist für diesen Dienst am Volke, für diesen heiligen Dienst am Vaterlande unbrauchbar. Gebe Gott, dass sich die Zerrissenheit des Geistes und der Seele von unserem Volke und seinen Führern bald hebe, e h e Vo l k u n d L a n d a n G r ä b e r n s t e h t u n d w e i n t .« (Zit. bei Leopold Kunschak  : Österreich 1918–1934. – Wien 1934. S. 213.) Kunschaks Rede wurde von der sozialdemokratischen Parteiführung, vor allem Karl Renner, als hoffnungsvolles Zeichen gesehen, doch noch zu einer Verständigung mit der Regierung zu kommen. Eine Möglichkeit für einen Kompromiss wurde in der Einberufung des Hauptausschusses des Nationalrates durch die drei Präsidenten des Nationalrates gesehen. Mit der Einberufung des Hauptausschusses hätte sich die Rückkehr zum Parlamentarismus und zu einer parlamentarischen Behandlung einer möglichen Verfassungsreform ergeben. 42 Felix Pistor (1888–1937) war Gutsbesitzer und Inhaber eines Weingroßhandels in Graz, Obmann der Grazer Hausbesitzervereinigung, 1926 Präsident des Reichsbundes der Hausbesitzer, 1927 bis 1934 Abgeordneter des Landbundes zum Nationalrat. 43 Anlässlich der Regierungsumbildung am 21. September 1933 schloss Bundeskanzler Engelbert Dollfuß ein Geheimabkommen mit dem Landbund. Der Bundeskanzler sah sich mit einem auf Grund der italienischen Unterstützung erhobenen Machtanspruch konfrontiert, der der tatsächlichen Stärke der Heimwehr nicht entsprach. Zum anderen zielte er auf die Schaffung einer schlagkräftigen Staatspartei, in der die die Regierung unterstützenden Parteien – Christlichsoziale, Heimatblock und Landbund – aufgehen sollten. Um dieses Ziel in einem ersten Schritt zu erreichen, drängte er auf eine Regierungsumbildung unter Ausbootung von Exponenten der Parteien wie Carl Vaugoin und den Landbund-Ministern. Er dränte die Landbundminister und -staatssekretäre Franz Winkler, Vinzenz Schumy und Franz Bachinger zum Austritt aus der Regierung, versprach jedoch im Gegenzug eine deutliche Eindämmung des politischen Einflusses der Heimwehr, vor allem von Emil Fey, der Vizekanzler ohne Portefeuille wurde, und die Mitwirkung des Landbundes durch zwei Vertreter der Nationalständischen Front in der Person von zwei nationalen Beamten – Robert Kerber und Franz Glas. Robert Kerber (1884–1977) war Jurist, 1933 Bundesminister für soziale Verwaltung, 1933 bis 1936 Bundesminister (mit der sachlichen Leitung der Angelegenheiten der inneren Verwaltung betraut) im

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gewendet. Wenn die Sozialdemokraten in der geänderten Situation die Initiative ergreifen würden zur Einberufung des Hauptausschusses, würden die Landbündler, so glaubt Pistor, auch dazukommen. Worauf Witternigg sagte, dass die Sozialdemokraten das schon wiederholt gemacht hatten und der Landbund aber nicht kam. Worauf Pistor wieder sagte, Dr. Renner solle die Initiative ergreifen, dann würde auch der Landbund kommen. Meist verbietet man dem Landbund Versammlungen, den Einfluss in der Landesregierung hat man ihm genommen. Ich fragte Pistor, ob ich das Bundeskanzleramt, 1934 bis 1936 Bundesminister (mit der sachlichen Leitung der Angelegenheiten der administrativen Angelegenheiten der Bundesanstalt für Statistik) im Bundeskanzleramt. Franz Glas (1865–1944) studierte Rechtswissenschaften an der Universität Graz, promovierte 1889 zum Dr. jur. und war anschließend als Richter in Pettau tätig. 1910 übersiedelte er an das Oberlandesgericht Graz, wurde 1919 Hofrat, 1922 Senatsvorsitzender und später Präsident, 1930 pensioniert. 1933 bis 1934 war er Staatssekretär im Justizministerium. Er trat 1933 der NSDAP bei. Das zwischen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, Vizekanzler Franz Winkler, Bundesminister Robert Kerber und den Landbund-Abgeordneten Hubert Dewaty und Franz Thoma geschlossene Geheimabkommen beinhaltete folgende Punkte  : a. Die Nationalständische Front nimmt Teil an der Regierung Dollfuß II durch Herrn Bundesminister Dr. Kerber, betraut mit den Agenden Bundeskanzleramt, Inneres, und Herrn Oberlandesgerichtspräsidenten i. R. Dr. Glas als Staatssekretär im Bundesministerium für Justiz. b. Die Vertreter der Nationalständischen Front nehmen zur Kenntnis, dass der Bundeskanzler sich in der Führung der Agenden des Sicherheitsministeriums durch den Vizekanzler Fey nicht vertreten lässt. c. Die Vertreter der Nationalständischen Front nehmen von der Erklärung des Bundeskanzlers Kenntnis, dass der Herr Bundeskanzler für den Fall der Abwesenheit sich als Heeresminister durch Vizekanzler Fey nicht vertreten lässt. d. In allen Ministerkomitees, in denen bisher Landbundminister waren, treten an ihre Stelle die Vertreter der Nationalständischen Front in der Regierung. e. Im Ministerkomitee für die Behandlung der Presseangelegenheiten sowie die Behandlung der Anträge auf Konzessionsentziehung wird die Nationalständische Front durch Minister Kerber vertreten sein und diese Angelegenheiten nur im Einvernehmen mit dem Minister Kerber eine Erledigung finden können. f. Die der Nationalständischen Front angehörenden Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes genießen den vollen Schutz des Staates und der Regierung und erfahren dieselbe Behandlung wie die der Vaterländischen Front angehörigen. Bei Aufnahmen von Aspiranten, ferner von Beamtenanwärtern, insbesondere auch in der Exekutive  : der Polizei, Gendarmerie und Heer, werden die Angehörigen der Nationalständischen Front gleichfalls pari passu mit jenen der Vaterländischen Front behandelt. g. Für den Fall der Errichtung von Staatskommissariaten für besondere Aufgaben der Regierung wird bei der Besetzung das Einvernehmen mit der Führung der Nationalständischen Front hergestellt. h. Für den Fall der Errichtung des Länder- und Ständerates werden in diesen Vertreter der Nationalständischen Front entsprechend berufen werden und fällt der erste Vorsitzende-Stellvertreter dieses Länder- und Ständerates der Nationalständischen Front zu. i. Die Vertreter der Nationalständischen Front nehmen zur Kenntnis, dass der Kanzler in der Staatsführung Totalitätsbestrebungen, insbesondere der Heimwehr, ablehnt. (Franz Winkler  : Die Diktatur in Österreich. – Zürich/Leipzig 1935. S. 77 f.)

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Dr.  Renner mitteilen kann, worauf Pistor zustimmte. Ich soll ihm Nachricht nach Gösting bei Graz geben. Es wird eine Reichsparteileitungssitzung in der nächsten Zeit stattfinden, dann wird auch das alles zur Sprache kommen. Wenn ein Schritt von Seite der Sozialdemokratie gemacht wird, glaubt er, dass auch der Landbund kommt. Die 13 Abgeordneten müssen sich aber klar sein, wenn das geschieht, dass sie sich dann gegen alles wappnen müssen. Dollfuß wird das zu verhindern trachten, wird die Abgeordneten verhaften lassen, sie müssen deshalb mutig sein. Nun möchte ich hören, was Sie dazu sagen, Herr Ramek. Worauf Ramek erwiderte  : Ja, bei uns ist die Vereinbarung so, bei uns müssen sich die Präsidenten kollegial verständigen. Dann müssen wir im Präsidium fragen, ob die Partei zustimmt. Jetzt ist wohl eine neue Situation, es steht alles hinter Dollfuß. Wir wissen zwar nicht, ob er ein Christlichsozialer ist, aber jedenfalls hinter ihm  ; es kann sein, wenn die Landbündler den Antrag stellen, dass dann der Hauptausschuss einberufen wird. Aber ich glaube, dass der Landbund das nicht machen wird, denn sie haben solche Ohrfeigen von Dollfuß bekommen in der letzten Zeit und haben sie eingesteckt. Die zwei Beamten, die sie in der Regierung haben, haben von politischen Dingen keine Ahnung. Minister Schumy ist in der Schweiz. Schumy hatte seine eigene Meinung, hat etwas geleistet. Wer ist sonst noch da  ? Winkler  ! Winkler hat eine Bauernwehr und eine Nationalständische Front aufgerichtet, das kostet aber viel Geld. Dollfuß hat versprochen zu bezahlen. Winkler hat hunderttausende Schillinge Schulden. Dollfuß hat ihn in der Hand. Ich glaube wirklich nicht, dass die Landbündler einen solchen Antrag stellen werden. Ramek sagt  : Jetzt ist eine andere Situation, wir sind eine Kolonie von Italien. Fey ist der Beauftragte des Mussolini, der bezahlt alles. Dollfuß war auch ein paarmal bei Mussolini um Geld. Er hat versprechen müssen, dass er seinen Kurs in Österreich führt, dass er die Sozialdemokratische Partei auflöst, das ist die Forderung von Italien. Dollfuß war auch bei Frankreich, hat auch dort Geld bekommen, ist nur um Geld hingefahren. Die Franzosen haben gesagt, nur demokratische, parlamentarische Methode. Die Sozialdemokratische Partei darf nicht aufgelöst werden. Dollfuß hat auch das versprochen. Ein Jahr ohne Parlament und der Staat ist hin, alles ist hin. 15 Jahre haben wir aufgebaut, schwer, mühsam, aber redlich. Jetzt ist alles hin, der Staat, die Wirtschaft, die Finanzen und die Parteien.44 Wir stehen unmittelbar vor blutigen, entscheidenden Ereignissen. (…) Wir Christlichsozialen haben nichts mehr zu reden. Was Dollfuß 44 Rudolf Ramek erklärte am 11. Jänner 1934 in einer Sitzung des christlichsozialen Klubvorstandes, die Partei dürfe dem immer stärkeren Druck vor allem der Heimwehr, aber auch des Bundeskanzlers nicht nachgeben und keineswegs die Mandate niederlegen. »Das Auseinanderlaufen möchte die Heimwehr haben. Wer der Heimwehr Platz machen will, soll gehen. Die Heimwehr redet in der Öffentlichkeit. Starhemberg hat Erklärungen abgegeben, die nicht nur für die Christlichsoziale Partei, sondern auch für Dollfuß demütigend sind. Wir brauchen uns nur auf das zu besinnen, was wir haben und programmatisch wollen. Die Heimwehr will keine Verfassungsreform, wie es der Bundeskanzler will. Sie will

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sagt, müssen wir glauben, wir müssen daher alle hinter ihm sein. Was machen die Bischöfe  ? Alles, was Gföllner von Linz45 sagt, wird gemacht. Was jetzt noch kommen wird, wissen wir nicht. Ich war diese Woche in Wien und wollte einem Freund das Parlament zeigen. Wir kamen zum Sitzungssaal, konnten aber nicht hinein. Es wurde angeordnet, neue Schlösser an die Türen zu machen. Dann wollte ich mein Auto sehen, aber es war nicht mehr da. Das hat Dollfuß dem Reither46 geschenkt. Wie kann Dollfuß mein Auto verschenken  ? So machen sie es. Mussolini bekommt ein Pferd, Reither mein Auto, so machen sie es  ! Ich hätte mir das nie träumen lassen. Witternigg  : Haben Sie die Rede von Kunschak gelesen  ? Ramek verneinte. Worauf Witternigg sagte, dass das eine sensationelle Rede war. Die Situation ist sehr, sehr ernst, aber wir Sozialdemokraten werden kämpfen und kämpfend untergehen. Kunschak musste von der Bereitschaft der Sozialdemokraten Kenntnis erhalten haben, weil er sagte, einigen wir uns, bevor wir vor Gräbern stehen. Die Regierung von Dollfuß ist so verhasst, sprach Ramek weiter, 80 Prozent sind gegen die Regierung. Aber sie haben Waffen, sie haben die Exekutive hinter sich, sie haben die Unterstützung von Mussolini. Wer aber ist an allem schuld  ? Der gegenwärtige Präsident Miklas. Miklas hat zugelassen, dass der erste Verfassungsbruch durchgeführt wurde,47 und wenn jemand den Rechtsboden verlässt, der ist nicht mehr in der Lage, die Verfassung aufrecht zu erhalten. (…) Es war ein großer Fehler, dass wir Miklas noch gewählt haben. keinen Ständestaat, sondern mit einigen Führern herrschen und ihren Banden, die sie bewaffnet hat.« (Goldinger (Hg.)  : Protokolle. S. 319.) 45 Johannes Maria Gföllner (1867–1941) war 1915 bis 1941 Bischof von Linz. Im Jänner 1933, knapp vor Hitlers Machtergreifung, verfasster er einen vielbeachteten Hirtenbrief »Über den wahren und falschen Nationalsozialismus«, in dem er die Rassenlehre als mit dem Christentum unvereinbar bezeichnete. Es sei unmöglich, gleichzeitig guter Katholik und wirklicher Nationalsozialist zu sein. Er war auch der Autor des Hirtenbriefes der österreichischen Bischöfe über den Nationalsozialismus vom 21. Dezember 1933 und forcierte den Rückzug der Priester aus der Parteipolitik. Eine Maßnahme, die vor allem in der Christlichsozialen Partei als existenzgefährdend empfunden wurde. (Richard Kutschera  : Johannes Maria Gföllner. Bischof dreier Zeitenwenden. – Linz 1972.) 46 Josef Reither (1880–1950) übernahm nach dem Besuch der Volksschule die elterliche Landwirtschaft, war 1922 bis 1925 Vizepräsident und 1925 bis 1938 Präsident der Niederösterreichischen Landwirtschaftskammer, ab 1928 Obmann des Niederösterreichischen Bauernbundes, 1921 bis 1934 und 1945 bis 1949 Mitglied des Niederösterreichischen Landtages, 1925 bis 1931 Landeshauptmann-Stellvertreter, 1931 bis 1932 Landeshauptmann, 1932 bis 1933 Landeshauptmann-Stellvertreter, 1933 bis 1934 Landeshauptmann, 1934 bis 1938 Landeshauptmann-Stellvertreter, 1945 bis 1949 Landeshauptmann von Niederösterreich, 1934 bis 1935 Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft. (Ernst Bezemek, Michael Dippelreiter  : Politische Eliten in Niederösterreich. Ein biographisches Handbuch 1921 bis zur Gegenwart. Wien/Köln/Weimar 2011. S. 270.) 47 Zur Rolle von Bundespräsident Wilhelm Miklas im März 1933 vgl. Huemer  : Sektionschef Robert Hecht und die Zerstörung der Demokratie in Österreich. S. 208 ff.; Goldinger  : Wilhelm Miklas. S. 105 ff.

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Das Ansehen Dollfuß’ im Auslande ist geschwunden, wird nicht mehr ernst genommen.48 Die Heimwehr, wenn sie jetzt Wahlen hätte, würde nicht mehr als 20.000 Stimmen zusammenbringen. Wenn Renner diese Sache macht oder die Landbündler stellen den Antrag und er kommt dann zu uns, dann muss er im Klub behandelt werden, dann glaube ich, dass unser Klub sich nicht absentieren kann. Diese Wahrscheinlichkeit dürfte sein. In der Christlichsozialen Partei ist eine starke Gärung. Der Bauernaufmarsch,49 so glaubt Dollfuß, war für seinen Kurs, das hat aber Reither für sich gemacht. Dollfuß ist jederzeit bereit, wenn er mit den Nazi eine Plattform findet, sie in die Regierung aufzunehmen. Dollfuß und Starhemberg, jeder für sich, verhandelt hinter dem Rücken der anderen mit den Nazi. Aus der 1935 erschienen offiziellen Darstellung des Bundesheeres über die Ereignisse des Februar 1934.50 In Salzburg  : 4 »Regimenter« mit verschiedener Bataillonszahl. Die Stärke der Regimenter, zum Teil eigentlich nur Bataillone, schwankte zwischen 300 und 850 Männern. Die Masse befand sich im Raume Salzburg – Hallein, je eine stärkere Gruppe stand in Bischofshofen, in Schwarzach-St. Veit und in Badgastein-Böckstein. (…) Im Allgemeinen kann gesagt werden, dass der Republikanische Schutzbund über viele kriegserprobte Mitglieder verfügte, an deren weiterer Ausbildung eifrig gearbeitet wurde. Die militärische Ausbildung wurde durch Weisungen und Vorschriften, die von klugen Köpfen zusammengestellt waren, wesentlich gefördert. Der Unterricht teilte sich in einen theoretischen und einen praktischen. Den Mitgliedern des Republikanischen Schutzbundes war unter dem Decknamen »Vaterländischer Schutzbund« eine Anleitung für Orts- und Straßenkämpfe ausgegeben worden, deren Ausführungen deshalb bemerkenswert sind, weil sie unter allen Umständen offensives Vorgehen empfiehlt, auf die Benützung der Kanäle im Angriff wie in der Verteidigung hinweist und dauernde Verbindung untereinander und mit den vorgesetzten Stellen einschärft. (…)

48 Diese Einschätzung, sofern sie so erfolgt ist, entsprach nicht den Tatsachen. Dollfuß galt dem Ausland, mit Ausnahme des Deutschen Reiches, als Garant der Unabhängigkeit Österreichs und als Beherrscher der innenpolitischen Probleme. 49 Gemeint ist die Demonstration von rund 100.000 niederösterreichischen Bauern in Wien am 2. Februar 1934, die als Treuebekenntnis zu Bundeskanzler Dollfuß und den Führern des Niederösterreichischen Bauernbundes inszeniert wurde. 50 Der Februar-Aufruhr 1934. Das Eingreifen des österreichischen Bundesheeres zu seiner Niederwerfung. – Wien 1935. S. 20 ff. und S. 329 ff.

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1. Gesamtlage Während des Februar-Aufruhres herrschte in der Landeshauptstadt Salzburg dank den von Sicherheitsdirektor, Hofrat Dr. Rudolf Scholz, und vom Ortskommandanten, Obst Josef Stochmal, getroffenen Bereitschaftsmaßnahmen völlige Ruhe. Wesentlich trug hierzu auch die damalige Stärke der Garnison bei. Die Bundespolizei konnte widerstandslos bei sozialdemokratischen Parteiführern und verdächtigen Personen Hausdurchsuchungen vornehmen, wodurch es gelang, insgesamt drei Maschinengewehre und 12.000 Patronen zu beschlagnahmen. Desgleichen konnten zahlreiche Verhaftungen ohne jede Widersetzlichkeit vorgenommen werden. Lediglich am 15. Februar versuchte eine kleine Anzahl Aufständischer einen nächtlichen Anschlag gegen die Stromumspannungsstelle in Itzling, der aber an der Wachsamkeit der dort Dienst versehenden Wehrverbände scheiterte. Am 16. Februar gelang den Staatsfeinden eine Schienensprengung auf der Bahnstrecke Salzburg – Oberndorf. Im Lande Salzburg selbst war lediglich in der nahe der bayerischen Grenze gelegenen Gemeinde Groß-Gmain die Ruhe etwas gestört worden, doch bot sich kein Anlass zum Einschreiten einer militärischen Assistenz. Dagegen musste in Anbetracht der drohenden Haltung der Arbeiterschaft in Hallein vom 12. Februar angefangen bis gegen Ende des Monates eine Abteilung des Bundesheeres in diesem Orte bereitgestellt bleiben. (…) Die sozialdemokratische Landesparteileitung hatte allerlei Vorbereitungen getroffen, um auch in Salzburg der Aufstandsbewegung zum Durchbruche zu verhelfen. Dies ging aus dem Aufmarschplane hervor, der von Beamten der Salzburger Polizeidirektion bei der unmittelbar vor Ausbruch der Unruhen bei einem Parteiobmann stattgefundenen Hausdurchsuchung aufgefunden werden konnte. Der Plan war auf das Sorgfältigste ausgearbeitet. Die dazugehörigen Alarmanweisungen teilten die Landeshauptstadt Salzburg in neun Bereiche und schrieben jeder der aufgestellten Gruppen des Schutzbundes ihre Leistung vor. Es sollten unter anderem auch der Mönchsberg und der Kapuzinerberg besetzt und die Salzachübergänge von diesen Höhen aus unter Feuer genommen werden. Ferner war die Besitznahme der Polizeidirektion und der Polizeikaserne sowie der Unterkünfte des Bundesheeres beabsichtigt, um die staatlichen Sicherheitskräfte am Eingreifen bei Straßenkämpfen zu hindern. Auch die Besetzung der Amtsgebäude der Landesregierung, des Landesgerichtes, der Gendarmerie, Post- und Telegrafendirektion, des Bahnhofes und aller Bahnzugänge sollte durch den Schutzbund bewirkt werden. Schließlich war der sofortige Einsatz von starken Patrouillen des Schutzbundes zur Überwachung aller Straßen und Plätze der Stadt vorgesehen. Das rasche und erfolgreiche Einschreiten der Sicherheitsbehörden, verbunden mit der überraschenden Besetzung des sozialdemokratischen Arbeiterheims, wo die verantwortlichen Führer gerade bei der Ausgabe der Generalstreikweisung festgenommen werden konnten, bewahrte die Stadt vor Unheil.

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2. Hallein In dieser an Industrieanlagen reichen Stadt garnisonierte im Februar 1934 vorübergehend das halbe 1. Bataillon des Infanterieregimentes Nr. 2 unter Kommando des Obstlt Wilhelm Möller mit dem Bataillonsstab, der 2. Kompanie, Mjr Otto Gaier, und der 3. Kompanie, Mjr Emil Pompeiis. Am 12. Februar ordnete der Bataillonskommandant auf Grund von Mitteilungen des Bezirkshauptmannes von Hallein, wonach in allen Fabriken des Ortes der Generalstreik ausgerufen worden war, um 16 Uhr die Konsignierung an. Nachmittags sprach der Bezirkshauptmann beim Bataillonskommando Assistenzgruppen für Hausdurchsuchungen in Hallein an. Bald darauf meldete auch der Gendarmeriebezirkskommandant regere Tätigkeit an der bayerischen Grenze. Der Bataillonskommandant befahl alle Offiziere und Unteroffiziere zum Ortskommando und gab ihnen Weisungen bezüglich der Vornahme von Hausdurchsuchungen. Um 18 Uhr 30 rückten die ersten hierfür bestimmten einzelnen Gruppen und Züge zum Gendarmeriepostenkommando ab, von wo aus die Suchtätigkeit ihren Ausgang nahm. (…) Überdies sahen die Assistenzabteilungen auch bei bekannten marxistischen Führern und Streikhetzern nach. Diese Tätigkeit war am 12. Februar in den Nachtstunden beendet. (…) Am 13. Februar um 4 Uhr 45 forderte die Bezirkshauptmannschaft eine Assistenz zur Vornahme von Verhaftungen sozialistischer Führer an. (…) In den Mittagsstunden nahm über Aufforderung der Bezirkshauptmannschaft ein Zug der 3. Kompanie unter Beigabe von Gendarmeriebeamten in der Brauerei Kal­ ten­hausen Streikführer in Haft. Nach deren Einlieferung musste der Zug die zum Gendarmerieposten führenden Straßen absperren, da sich dort Ansammlungen bemerkbar machten. Gegen 13 Uhr forderte die politische Behörde einen Zug für die Tabakfabrik an, da Arbeitswillige an ihrer Tätigkeit gehindert wurden. (…) Der 14. Februar verlief in Hallein im Allgemeinen ruhig. Verschiedene Anzeichen ließen jedoch darauf schließen, dass Schutzbündler in der Nacht zum 15. Februar eine größere Aufstandsbewegung planten. Die in der Nacht zum 15. Februar rege in den Straßen streifenden Patrouillen zerstreuten wiederholt starke Gruppen von Arbeitern, die sich an verschiedenen Punkten der Stadt sammelten und immer wieder vertrieben werden mussten. Bei dieser Gelegenheit wurden einzelne Verdächtige, darunter auch Schutzbundführer, festgenommen und dem Gendarmerieposten eingeliefert. (…) Am 16. Februar nahm die marxistisch und nationalsozialistisch eingestellte Bevölkerung Halleins gegen die seit dem 14. Februar in Hallein anwesende Heimwehrkompanie Penz aus Innsbruck eine feindselige Haltung ein. Die Kompanie des Alpenjägerbataillons Nr. 3 musste wiederholt einschreiten, um Zusammenrottungen nächst der Heimwehrunterkunft zu verhindern. Der Sicherheitsdirektor verfügte da-

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her die Rückversetzung der Heimwehrkompanie nach Innsbruck. Ihren Abzug zum Bahnhof in den Morgenstunden des 17. Februar sicherte die Kompanie des Alpenjägerbataillons Nr. 3. Im Laufe des 17. Februar konnte das Standrecht in Salzburg aufgehoben werden.

2. Die Propagandisten des Dritten Reiches Der Kampf gegen die (illegale) NSDAP

Bundespolizeidirektion Salzburg, 6. Februar 1933 Zl. 9166/41-32 (115.788/33) Betr.: NSDAP (Hitlerbewegung) Fackelzug anlässlich der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse Nr. 7. Am 4.2.1933 um 19.45 Uhr fand anlässlich der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler ein Fackelzug der NSDAP statt, welcher vom Parteihaus, Faberstraße, ausging und folgenden Weg nahm  : Faberstraße – Franz-Josef-Straße – Wolf-DietrichStraße, Linzergasse – Platzl – Staatsbrücke – Rudolfskai – Residenzplatz. An der Spitze des Zuges marschierte die Parteileitung (44 Mann), es folgten 330 SA- und 75 SS-Männer, sowie 40 Mitglieder der Hitlerjugend in Uniform, 24 Gymnasialschüler, 146 deutsche Turner, 434 Zivilpersonen sowie 70 Jugendliche und 21 Mann Musik. Am Residenzplatz, wo der Zug Aufstellung nahm, begrüßte der Bezirksleiter, Gemeinderat Franz Wintersteiner, die Teilnehmer. Hierauf ergriff in Vertretung des erkrankten Gauleiters Karl Scharizer der Gauinspektor der NSDAP, Ingenieur Herbert Parson, das Wort und übermittelte die Grüße Adolf Hitlers, die dieser durch Scharizer anlässlich dessen Anwesenheit am 3. und 4. Februar in Berlin den Salzburgern entbot. Parson bezeichnete den 30. Jänner 1933 als den ersten Tag im Dritten Reich. Es gelte nun, dem Führer dafür zu danken, dass er bis zu diesem Tage die NSDAP siegreich geführt habe. Dank gebühre auch den Parteigenossen, die an dem zehnjährigen beispiellosen Kampfe teilgenommen haben, um den Sieg zu erringen. Deutschland habe die erste Etappe zum Dritten Reich errungen. Es gelte nun, auch in Österreich die Bewegung zum Ziele zu führen. Man lebe in einem Systemstaate, dem die Freiheit des deutschen Volkes um 300 Millionen Schilling wohlfeil sei.51 Die 51 Gemeint war die sog. »Lausanner Anleihe«, die Bundeskanzler Engelbert Dollfuß am 15. Juli 1932 unterzeichnete. Die Völkerbundanleihe in der Höhe von 300 Millionen Schilling erinnerte in manchen Passagen an die Genfer Protokolle und führte, ähnlich wie diese vor neun Jahren, zu einer heftigen innenpolitischen Kontroverse. Neben dem Verzicht auf den Anschluss unterwarf sich die österreichische Finanzpolitik neuerlich der Kontrolle eines Völkerbundbeauftragten, dessen Aufgabe darin bestand, die Einhaltung der vom Finanzkomitee des Völkerbundes definierten Ziele – ausgeglichenes Budget und Zahlungsbilanz – zu überwachen. Die Argumente der NSDAP gegen die Lausanner Anleihe glichen jenen der Sozialdemokraten, die in ihr nichts anderes als eine »verschacherte Freiheit«

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Freiheit sei um Geld überhaupt nicht zu verkaufen. Das System in Österreich unterdrücke nach Gewohnheit weiter, doch dürfe die NSDAP nicht verzagen. Es heiße mehr als bisher arbeiten, bis der Tag komme, an dem das Hakenkreuzbanner über Österreich wehe, die Befreiung des deutschen Volkes in Österreich komme und die Einkehr in das große Dritte Deutsche Reich Adolf Hitlers  ! Nach dieser Ansprache, die mit brausenden »Heil-Hitler«-Rufen beantwortet wurde, wurde das Deutschlandlied gesungen. Hierauf erfolgte der Abmarsch (…) Beim Vorbeimarsch am Kaufhaus Schwarz am Alten Markt riefen Teilnehmer »Deutschland erwache, Juda verrecke  !« (…) Die Gesamtteilnehmerzahl im Zuge betrug 1184 Personen, die Anzahl der Zuschauermenge in den Straßen beim Anund Abmarsch des Zuges 2000 bis 3000 Personen. (…) Bundespolizeidirektion Salzburg, 17. Februar 1933 Zl. 22/33-res (120.301-33) Streng vertraulich Bericht über Entwicklung und Stand der NSDAP. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse Nr. 7. Gauleiter der NSDAP in Salzburg ist der Bundesrat Karl Scharizer, Privatbeamter, geb. 1901 … Bergheimerstr. Nr. 13 wohnhaft. Er ist der politische Führer der NSDAP des Landes Salzburg. Sein Stellvertreter ist Ingenieur Herbert Parson, geb. 1907 in Berlin … Oberalm Bez. Hallein wohnhaft. Der Gaugeschäftsführer ist Ingenieur Josef Wohlrab, geb. 1888 … Bucklreuthstraße Nr. 8 wohnhaft. (…) Kassenverwaltung  : Pg. Gustav Göllert, Beamter, geb. 1899 (…) Standesführung  : Pg. Nikolaus Donat, Postbeamter, geb. 1881 (…)



und einen »verschacherten Anschluss« sahen. Ähnlich argumentierten die Großdeutschen, während die Christlichsozialen in ihr ein Mittel im Überlebenskampf Österreichs sahen. Die »Reichspost« formulierte unter Anspielung auf das nationalsozialistische »Deutschland erwache  !« ein »Österreich erwache  !« und rief, in deutlichem Kontrast zur Anschlussideologie der parlamentarischen Opposition, die von einem Minderwertigkeitskomplex getragen sei, zu einem selbstsicheren Österreichbewusstsein auf. Zur Lausanner Anleihe vgl. Klingenstein  : Die Anleihe von Lausanne  ; zur Diskussion über die Lausanner Anleihe vgl. Kriechbaumer  : Die großen Erzählungen der Politik. S. 217 ff.; Peter Berger  : Im Schatten der Diktatur. Die Finanzdiplomatie des Vertreters des Völkerbundes in Österreich Meinoud Marinus Rost van Tonningen 1931–1936. – Wien/Köln/Weimar 2000. S. 244 ff. (Studien zur Wirtschaftsgeschichte und Wirtschaftspolitik Band 7. Herausgegeben von Herbert Matis und Roman Sandgruber.)

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Organisationsabteilung  : Pg. Leopold Schaschko,52 Landtagsabgeordneter, geb. 1880 (…) Personalstelle  : Pg. Josef Sambs, Postbeamter, geb. 1899 (…) Nationalsoz. Ärztebund  : Pg. Dr. Samitz, geb. 1900 (…) Nationalsoz. Bauernschaft  : Pg. Otto Vogel,53 Landtagsabgeordneter, (geb. 1888, Anm. d. Verf.) Nationalsoz. Beamtenschaft  : Pg. Otto Buchleitner, Beamter der Landesregierung, geb. 1894 (…) Nationalsoz. Frauenschaft  : Pg. Sophie (Hanna) Riedl, geb. 1889 (…) Nationalsoz. Handels- und Gewerbering  : Pg. Georg Hofer, Fleischhauer, geb. 1900 (…) Nationalsoz. Juristenbund  : Dr.  Franz Ropper,54 Landesrat, geb. 1896 (…) Der eingeschriebene Mitgliederstand des Gaues Salzburg beträgt derzeit 3800 Personen (am 31.12.1932  : 2677 Personen).

52 Leopold Schaschko (1880–1952) trat 1907 in den Dienst der k. k. Staatsbahnen und stieg bis 1932 zum Bahnrevidenten der Österreichischen Bundesbahnen auf. Er war 1919 Gründer und bis 1930 Obmann der Deutschen Verkehrsgewerkschaft Salzburg, wurde 1925 Obmann des »Reichsbundes deutscher Eisenbahner in Österreich«. 1918 bis 1919 war er als Abgeordneter der DNSAP Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, 1926 trat er der NSDAP bei und fungierte 1932 bis 1933 als stellvertretender Klubobmann der NSDAP-Fraktion im Salzburger Landtag. 1932 bis 1938 war er Organisationsleiter der NSDAP in Salzburg, 1933 bis 1938 Leiter des illegalen Hilfswerkes der NSDAP in Salzburg. (Voithofer  : Politische Eliten in Salzburg. S. 201.) 53 Otto Vogl (1888–1952) absolvierte nach dem Besuch der Volksschule eine Metzgerlehre, war 1921 bis 1952 Gast- und Landwirt sowie Fleischhauermeister in Anthering. 1920 bis 1921 war er Mitglied des Salzburger Heimatschutzes und wurde 1921 Landesparteiobmann-Stellvertreter des Freiheitlichen Salzburger Bauerbundes. 1932 trat er der NSDAP bei und war 1932 bis 1933 Klubobmann ihrer Landtagsfraktion. 1934 wurde er inhaftiert und in das Anhaltelager Kaisersteinbruch gebracht. 1939 erfolgte sein Ausschluss aus der NSDAP, doch wurde er nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer zehnmonatigen Haft wegen der Mitgliedschaft in der NSDAP verurteilt. (Voithofer  : Politische Eliten in Salzburg. S. 240.) 54 Franz Ropper (1996–1950) maturierte 1915 am k. k. Staatsgymnasium in Salzburg und studierte anschließend Rechtswissenschaft an der Universität Innsbruck. Nach seiner Promotion war er bis 1926 als Beamter und Geschäftsführer in der Privatwirtschaft tätig, 1926 bis 1929 als Rechtsanwaltskonzipient und 1929 bis 1952 als Rechtsanwalt. 1920 bis 1923 war er Mitglied der NSDAP, in die er 1930 wiederum eintrat. 1931 wurde er Mitglied der SA und 1932 bis 1933 war er Gauobmann des Juristenbundes, 1923 bis 1933 Landesrat, 1933 bis 1934 stellvertretender Gauleiter der illegalen Salzburger NSDAP. Im Jänner 1934 wurde er verhaftet und bis Mai in das Anhaltelager Wöllersdorf gebracht. Nach seiner Entlassung ging er in das Deutsche Reich und war bis 1938 Mitarbeiter im NS-Hilfswerk und nach dem Anschluss Beisitzer am Kreisgericht Salzburg. (Voithofer  : Politische Eliten in Salzburg. S. 191.)

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In den Wintermonaten ist ein Stillstand in der Mitgliederwerbung eingetreten. Als Grund werden die politischen Begebenheiten in Deutschland, insbesondere die Reichstagswahl, angegeben. (…) Die militärische Gliederung der NSDAP ist folgende  : Das Land Salzburg bildet mit Ausnahme des Lungaus die Standarte 59. Der Führer ist der pensionierte Bundesbahnbeamte Friedrich Patzelt, … Maxglan, Leopoldskronerstraße Nr. 32 wohnhaft. Sein Adjutant ist Georg Wahl, Handelsangestellter, … Grödig wohnhaft. Die Standarte 59 zählt drei Sturmbann und zwar  : Sturmbann I umfasst Salzburg und Tennengau, … Führer  : Josef Stegmayer, … Getreidegasse Nr. 47 wohnhaft. Stand 438 Mann. Sturmbann Pongau  : Sitz Radstadt, Führer  : Gutsbesitzer Theodor Karl Hoppenrath. Vier Stürme in einer Stärke von 331 Mann. Die Stürme befinden sich in St. Johann, Radstadt, Badgastein und Bischofshofen. Sturmbann Pinzgau  : Sitz Zell am See, Führer  : Ingenieur Erich Janek, umfasst die Stürme Zell am See, Saalfelden (Führer  : Bundesförster Otto Baber in Alm), Rauris, Maishofen (Führer  : Franz Lackenschwaiger, Sägewerksverwalter), Neukirchen am Großvenediger (Führer  : Privatier Emil Oberfeld). Stand des Sturmbannes  : 387 Mann. (…) Die Stärke der SA im Lande Salzburg ohne Lungau beträgt 1156 Mann. (…) Der Stand der SS-Formation in Salzburg-Stadt beträgt ca. 75 Mann  ; Führer  : Alfred Miklos, Zeitungsverleger, geb. 1910, … Auerspergstraße Nr. 45 wohnhaft. (…) Der Stand der SS-Formationen in Salzburg-Stadt und Land beträgt 197 Mann. Die militanten NSDAP-Formationen im Lande Salzburg verfügen bis nun nicht über Waffenbestände. Es besitzen lediglich einzelne Mitglieder mit Waffenpass gedeckte Handfeuerwaffen sowie Stahlruten. Das offizielle Zeitungsorgan der NSDAP im Lande Salzburg ist die »Alpenwacht«, die in Wels wöchentlich erscheint und bereits eine Auflage von 4000 Stück hat. Bundeskanzleramt Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit Zl. 126.747-GD.3/1933 (128.487/33). Te l e f o n d e p e s c h e GLD. Wilhelm May (Salzburg) meldet am 7. März 1933 um 19 Uhr fernmündlich  : Gestern, den 6. 3. wurde in Bischofshofen von den Nationalsozialisten der Wahlsieg in Deutschland gefeiert.55 Gelegentlich dieser Feier gehaltene Reden wurden 55 Die NSDAP erreichte nach der Berufung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Jänner 1933 bereits am 1. Februar die Auflösung des Reichstages und die Ausschreibung von Wahlen für den 5. März. Ziel

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im Laufe des heutigen Vormittages im Orte bekannt und haben unter den Sozialdemokraten und Kommunisten große Erregung hervorgerufen. Im Laufe der ersten Nachmittagsstunden des 7. März ist es auf den Straßen und Plätzen zu Demonstrationen und belanglosen Zusammenstößen gekommen, doch hat sich die Situation insoferne verschärft, als sich gegnerische Gruppen wiederholt anzugreifen versuchten, was durch den inzwischen auf 30 Mann verstärkten Gendarmerieposten bis nun verhindert werden konnte. Da nach Eintritt der Dunkelheit und nachtsüber Gewalttätigkeiten großen Stils besorgt werden, wurde über Ansuchen der Bezirkshauptmannschaft St. Johann vom Landeshauptmann eine Assistenz des Bundesheeres in der Stärke von 50 Mann mit MG um 16.30 Uhr von Salzburg nach Bischofshofen abgängig gemacht. Polizeidirektion Salzburg, 6. Mai 1933 Zl. 6331, (154.635-33) Betrifft  : NSDAP (Hitlerbewegung), Uniformverbot. An die Gauleitung der NSDAP zu Hd. Herrn Bundesrat Karl Scharizer oder dessen Stellvertreter in Salzburg. Die Bundes-Polizeidirektion Salzburg beehrt sich, der mündlichen Unterredung am 5.3.1933 entsprechend, die Gauleitung zu verständigen, dass auch das Tragen von Ersatzuniformen untersagt ist. Als solche Ersatzuniformen gelten weisungsgemäß auch die jetzt von Mitgliedern der NSDAP getragenen Uniformen (weißes Hemd mit schwarzer Krawatte, schwarze Hose und Stiefel). Hiervon wird die Gauleitung mit dem Beifügen verständigt, dass die Wache angewiesen wurde, das öffentliche Tragen solcher Uniformen zu verhindern.



der Politik Hitlers war es, durch die skrupellose Ausnützung aller legalen und illegalen Mittel und den massiven terroristischen Ersatz der SA die deutschnationalen Koalitionspartner völlig zu überrumpeln und die absolute Mehrheit zu erringen. Der Brand des Reichstages am 27. Februar wurde als willkommener Anlass genommen, um durch die am folgenden Tag von Reichspräsident Hindenburg unterzeichnete »Verordnung zum Schutz von Volk und Staat« Grundrechte außer Kraft zu setzen und eine Verhaftungswelle zu initiieren. Die Reichstagswahl am 5. März brachte jedoch für die NSDAP nicht den erhofften Durchbruch zur absoluten Mehrheit. Sie erreichte 43,9 Prozent der Stimmen und 288 von 648 Mandaten. Sie bedurfte der Unterstützung der kleineren nationalen Parteien, die sich zur Kampffront Schwarz-Weiß-Rot zusammengeschlossen und 8 Prozent der Stimmen erreicht hatten.

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Polizeidirektion Salzburg, 3. Juni 1933 Zl. 15/33-res. (169.094/33) Betr.: NSDAP (Hitlerbewegung) Ortsgruppe Golling, Hetzte gegen die Regierung. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Zum fernmündlichen Auftrag der Landesregierung vom 30.5.1933 beehrt sich die Bundes-Polizeidirektion zu berichten, dass zu der am 30.5.1933 im Gasthof »Zum schwarzen Adler« in Golling angesagten §-2-Versammlung der NSDAP, Ortsgruppe Golling, zwei Kriminalbeamte der Bundes-Polizeidirektion dorthin entsendet wurden. Die §-2-Versammlung wurde in den Abendstunden von der Bezirkshauptmannschaft Hallein verboten. Trotzdem sammelten sich im Saale des Gasthofes ca. 250 Personen, die ungehindert Zutritt hatten, da der Saal nicht gesperrt wurde. Der Referent Hans Giesl, Bankbeamter, Salzburg, Nonntaler-Hauptstraße Nr. 27a wohnhaft, brachte das Versammlungsverbot zur Kenntnis und forderte diese auf, sich nicht zu ungesetzlichen Handlungen hinreißen zu lassen und sich nach Hause zu begeben. Daraufhin stimmten die Versammelten das »Horst-Wessel-Lied« an und fielen auch Rufe »Nieder mit der Regierung«. Ca. 150 Personen, zumeist Jugendliche (darunter auch Mädchen), begaben sich um 20.30 Uhr auf die Straße, formierten einen Zug und marschierten vom Gasthof »Zum schwarzen Adler« bis zum anderen Ende des Ortes, wobei sie Lieder sangen und folgende Rufe ausstießen  : »Heil Hitler  !«, »Nieder mit der Regierung  !«, »Dollfuß verrecke  !« Bis 21.20 Uhr marschierten die Angehörigen der NSDAP durch den Ort, ohne daran gehindert zu werden. (…) Um ca. 22 Uhr trat wieder Ruhe ein. Die Stimmung der Bevölkerung in Golling ist eine ziemlich erregte, da mit Rücksicht auf die Einreisesperre zu Pfingsten56 allein ein Geschäftsausfall von ca. 50.000 Schilling zu verzeichnen sein dürfte und die weitere Entwicklung unter Umständen zu einem Ruin für Golling führen könnte. Aus diesem Grunde wurde auch die NSDAP-Versammlung einberufen. Die Mitglieder der NSDAP benützen die deutsche Einreisesperre, um der österreichischen Regierung die Schuld an dem vermutlichen Versagen der Fremdensaison und in der Folge an dem angeblichen Rückgange der Wirtschaft beizumessen. Die Situation in Golling ist tatsächlich sehr gespannt, da die Leitung der NSDAP es verstanden hat, den Großteil der Bevölkerung auf ihre Seite zu bringen. Die Befürchtung, dass es gelegentlich auch zu Gewalttätigkeiten unbesonnener Elemente kommen könnte, erscheint gerechtfertigt. (…) 56 Gemeint ist die Tausendmark-Sperre.

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Gendarmeriepostenkommando Oberndorf, 29. Mai 1933 E. Nr. 1524. Betr.: Vorfallenheiten im Orte und an der Grenze. An die Bezirkshauptmannschaft in Salzburg. Über die hierorts dermalen gegebene Situation wird nachstehende Meldung erstattet  : Das erlassene Uniformverbot wird sowohl von den Nationalsozialisten als auch von den Angehörigen der links gerichteten Parteien eingehalten, sodass ein Einschreiten bisher nicht nötig gewesen ist. In den letzten Tagen hat aber auch hier der Unfug des Beschmierens der Straßen im Orte mit roter Farbe eingesetzt. So wurde in der Nacht zum 25.5. und in der Nacht zum 28.5.1933 die Straße vor der Kirche in Oberndorf (Kirchenplatz) beschmiert mit den Worten »Trotz Verbot nicht tot« und »Jetzt erst recht« mit je einem großen Hakenkreuz. In der Nacht zum 29.5. erfolgte wieder so eine Beschmutzung der Straße vor dem Bezirksgerichte mit den Worten »Österreich erwache« und einem Hakenkreuz. In der Nacht zum 28.5.1933 wurden 4 der Täter durch eine Gendarmeriepatrouille verfolgt, konnten aber nicht eingeholt und bisher nicht ausgemittelt werden. Diese Untaten erfolgen ungeachtet der ständig im Orte Nachtdienst versehenden Gendarmeriepatrouillen. (…) Seit Wochen ist die Wahrnehmung zu machen, dass an Sonntagen die National­ sozialisten von Lamprechtshausen, Nussdorf und Anthering die Grenze nach Laufen passieren. Diese meist jungen Burschen kommen mit Fahrrädern angefahren, stellen die Räder im Gasthause Moosleitner ein und gehen dann mit ihren Uniformen im Rucksacke nach Laufen, woselbst sie im Exerzieren und vermutlich auch im Schießen eingeübt werden. Am Nachmittage kommen dieselben wieder zurück und fahren von hier aus wieder heim. (…) In Anbetracht der hier herrschenden Zustände wolle die Bezirkshauptmannschaft eventuelle Gegenmaßnahmen in Erwägung ziehen, insbesondere gegen Personen, welche, wie geschildert, die Grenze nur zum Zwecke einer militärischen Ausbildung passieren und deren Tendenzen nicht für, sondern gegen das Bestehen der eigenen Regierung gerichtet sind. (…) Polizeidirektion Salzburg, 23. Juni 1933 Zl. 15/33-res. (177.531/33) Betr.: NSDAP Gauleitung Salzburg, Führerbesprechung in Freilassung. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I., Herrengasse 7.

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Am 20.6. abends fand, vertraulichen Mitteilungen zufolge, eine Besprechung mehrerer leitender Funktionäre der Gauleitung Salzburg der NSDAP in Freilassing statt,57 an welcher der ehemalige Landesinspektor der österreichischen Nationalsozialisten, Theo Habicht,58 und der ehemalige Gauleiter der NSDAP-Wien, Alfred Frauenfeld,59 teilnahmen. Habicht hat sich – dem Vernehmen nach – sehr tadelnd über die Tätigkeit der SS und SA in Österreich ausgesprochen  ; dem Verhalten von Angehörigen dieser Formationen sei es zuzuschreiben, dass es in Österreich so weit mit der Partei gekommen sei  ; unter gar keinen Umständen, auch nicht »getarnt«, dürfen diese Organisationen weiterhin irgendwie weiterbestehen und irgendeine Tätigkeit entfalten. Frauenfeld kam am 20.6. l. J. nach Salzburg und hielt sich bis 21.6. hier auf. Er wohnte im Hotel »Meran«. Bei der Besprechung in Freilassing nahm Frauenfeld nicht teil, weil er es, wie von sehr vertrauenswürdiger Seite mitgeteilt wurde, ab57 Nach einem nationalsozialistischen Bombenanschlag auf eine Gruppe christlich-deutscher Turner in Krems am 19. Juni 1933, der einen Toten und 29 Verletzte forderte, verbot die Regierung Dollfuß sowohl die NSDAP wie auch den mit dieser in einer Kampfgemeinschaft verbundenen »Steirischen Heimatschutz« unter Konstantin Kammerhofer. Bereits am 13. Juni war auf Grund einer Serie nationalsozialistischer Sprengstoffanschläge in Österreich Theodor Habicht, der »Landesinspektor der österreichischen NSDAP«, in Linz verhaftet und zusammen mit 1142 österreichischen Nationalsozialisten ausgewiesen worden. Die meisten österreichischen Gauleiter sowie Theodor Habicht richteten mit den Führern der österreichischen SA und SS in München eine neue Landesleitung unter Habicht ein. Die Salzburger Gauleitung übersiedelte nach Freilassing. Alfred Eduard Frauenfeld, der erfolgreiche Wiener Gauleiter, und Hauptmann Josef Leopold, Gauleiter von Niederösterreich, blieben zunächst noch in Österreich und emigrierten erst 1934. 58 Theodor Habicht (1898–1944) wurde 1927 NSDAP-Kreisleiter in Wiesbaden, im Juli 1931 Landesgeschäftsführer der NSDAP Österreich, erhielt 1932 den Titel »Landesinspektor«, wurde 1933 ausgewiesen und leitete anschließend die illegale österreichische NSDAP von München aus. 1937 wurde er Oberbürgermeister von Wittenberg, 1939 Oberbürgermeister von Koblenz und 1939 Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt. Im Oktober 1940 meldete er sich zum Fronteinsatz und fiel 1944 in Polen. 59 Alfred Eduard Frauenfeld (1898–1977) trat 1929 der NSDAP bei, war 1930 bis 1933 Gauleiter von Wien, 1932 bis 1933 Landtagsabgeordneter der NSDAP. Er wurde nach dem Verbot der NSDAP am 19. Juni 1933 im November 1933 verhaftet, befand sich bis Mai 1934 in Haft und floh im Juni 1934 in das Deutsche Reich. Im Juni 1935 wurde er Geschäftsführer der Reichstheaterkammer, 1936 Mitglied des Reichstages und Reichsredner der NSDAP, 1943 Generalkommissar in Taurien auf der Krim. 1945 wurde er im Internierungslager Dachau festgehalten, sagte im Nürnberger Prozess aus und kehrte anschließend zu seiner Familie nach Dinklagen in Niedersachsen zurück. 1947 wurde er in Wien in Abwesenheit zu 15 Jahren Haft verurteilt. Er arbeitete in Hamburg als Leiter einer Baugesellschaft. 1978 erschienen seine Erinnerungen unter dem Titel »Ich trage keine Reu’. Vom Wiener Gauleiter zum Generalkommissar der Krim.« Zu Frauenfeld als Gauleiter von Wien vgl. Christiane Rothländer  : Die Anfänge der Wiener SS. – Wien/Köln/Weimar 2012. Zu Frauenfeld als Wiener Landtagsabgeordneter vgl. Schausberger  : Ins Parlament, um es zu zerstören.

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lehnte, ohne ordnungsgemäßen Ausreisesichtvermerk die Grenze zu überschreiten. (…) Polizeidirektion Salzburg, 26. Juni 1933 Zl. 23/33-res. (179.044/33) Streng vertraulich  ! Betr.: NSDAP Salzburg, Situationsbericht. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Infolge der Nähe der Grenze und des dadurch hervorgerufenen Kontaktes der hiesigen ehemaligen Leitung der NSDAP mit den Parteistellen in Bayern und insbesondere in München einerseits, andererseits infolge der seit alters her stark nationalen Einstellung der größeren Orte des Landes Salzburg ist die NSDAP-Bewegung im Lande Salzburg, vorzüglich aber in der Stadt Salzburg und Umgebung, zu einem Großteil sehr radikal und offensiv.60 Durch die in der letzten Zeit getroffenen Maßnahmen ist jedoch die Stoßkraft der NSDAP zu einem Großteil gebrochen worden.61 Prominente Führer der Partei sind, wie aus verlässlichen Quellen bekannt, aus Furcht vor ihrer Verhaftung aus Salzburg geflohen und haben … noch in allerletzter Zeit den Auftrag erhalten, weiterhin in Deutschland zu bleiben. Verlässlichen Quellen zufolge befinden sich bereits 28 Führer der österreichischen NSDAP in dem hart an der Grenze gelegenen bayerischen Orte Freilassing.62 Diejenigen Führer, die infolge ihrer Erwerbstätigkeit und ihrer familiären Verhältnisse Österreich nicht verlassen können, sind sichtlich stark verängstigt und sehen stündlich ihrer Verhaftung entgegen.

60 Diese Einschätzung traf zu, da vor allem in der Stadt Salzburg und Umgebung die Mitgliedschaft der NSDAP überwiegend aus engagierten jugendlichen Aktivisten und auch gewaltbereiten Fanatikern bestand. 61 Wenngleich dieses Urteil etwas übertrieben ist, so war die NSDAP im Juni 1933 von der massiven Reaktion der Regierung Dollfuß völlig überrascht. Zum Zeitpunkt ihres Verbots am 19. Juni waren keine Maßnahmen für den Kampf in der Illegalität getroffen worden. Mit massiver deutscher Hilfe wurde in München die Landesleitung der österreichischen NSDAP eingerichtet, die am 5. Juli 1933 in einem Aufruf die Prinzipien des illegalen Kampfes formulierte. Der Kampf gegen die Regierung Dollfuß, die wegen des fortgesetzten Verfassungsbruches als hochverräterisch bezeichnet wurde, sollte durch Mundpropaganda, den Aufbau einer illegalen Presse, die Malung von Hakenkreuzen sowie andere symbolträchtige Aktionen (wie z. B. das Anbringen der Hakenkreuzfahne an exponierten Stellen, Feuer in Hakenkreuzform usw.) mit äußerster Härte geführt werden.) 62 Die Salzburger Gauleitung ließ sich in Freilassing nieder.

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Die Masse der Anhänger, die in Salzburg-Stadt mit einem ziemlich hohen Prozentsatz eingeschätzt werden kann, insbesondere die größtenteils aus jungen Leuten bestehende SS und SA, die den Sieg ihrer Bewegung schon sicher in ihren Händen sah und in Österreich eine ähnliche Machtstellung erträumten, wie (sie) die SS und SA in Deutschland hat, sind durch das energische Eingreifen in der letzten Zeit … sehr stark eingeschüchtert (…) Der Versuch einiger weniger Hetzer, »Bummel« oder sonstige Demonstrationen zu veranstalten, scheitert größtenteils in sich selbst, weil sich nur wenige finden, diese mitzumachen. Die ehemalige Führerschaft sowohl der politischen Leitung wie auch der SS und SA sind bemüht, die radikalen Elemente ihrer Anhängerschaft vor Unbesonnenheiten und illegalen Handlungen zurückzuhalten, weil sie, wie sich ein Führer präzis äußerte, der Überzeugung ist, dass solche Handlungen der Bewegung in Österreich »jede Möglichkeit eines Rückzuges« unterbinden. Es scheint die Annahme gerechtfertigt, dass die ehemalige Führung der oben genannten Gruppen sowie auch die Führung der Hitlerjugend jedem gewalttätigen Vorgehen abhold ist. (…) Zusammenfassend kann gesagt werden, dass größere Aktionen der NSDAP in Salzburg-Stadt und Umgebung in der nächsten Zeit nicht zu erwarten sind, jedoch ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, dass es zu Einzelaktionen einzelner radikaler, der ehemaligen Führung der NSDAP unbekannter Personen kommt. (…) Der Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg, 7. Juli 1933 Zahl 129 (183.468-33) Betr.: Situationsbericht. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Über die allgemeine politische Lage in meinem Amtsbereiche erstatte ich folgenden Bericht  : Trotz der starken Ausbreitung der nationalsozialistischen Bewegung haben die gegen sie ergriffenen Maßnahmen und das Verbot jeder Betätigung der Partei im Bundeslande Salzburg zu keinen wesentlichen Störungen der öffentlichen Ruhe und Ordnung geführt. (…) Am 1. Juli l. J. abends wurde an der elektrischen Ortsleitung in Straßwalchen ein Anschlag durch Herbeiführung eines Kurzschlusses verübt, wodurch ein Teil des Marktes durch kurze Zeit ohne Licht blieb, Sachschaden aber nicht eingetreten ist. Dem Anschlag dürften politische Motive zugrunde zu legen sein.

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Sonst haben sich keine terroristischen Anschläge ereignet, abgesehen davon, dass in Salzburg 2 Papierböller und in Bad Gastein 1 Papierböller63 mit geringer Schadenswirkung zur Explosion gelangten, welche Akte als Bubenstreiche begangen wurden. (…) Dem Anbringen von Hakenkreuzen und sonstigen Wandbemalungen u. dgl. wird mit Nachdruck begegnet und die Entfernung derselben veranlasst. Verunglimpfungen des Bundeskanzlers oder anderer Regierungsmitglieder wie das Aufhängen einer Strohpuppe mit schmähender Aufschrift in Piesendorf am 2. Juli l. J. werden bei Aufgreifung der Täter mit größter Strenge nach den bestehenden Vorschriften geahndet. (…) Aus Anlass der Führertagung der NSDAP und Anwesenheit des deutschen Reichskanzlers Hitler in Reichenhall am 1. und 2. Juli l. J. wurden unsere Grenzposten verstärkt und dem unbefugten Grenzübertritt dadurch sowie auch durch täglich mehrfache Kavalleriepatrouillen begegnet. Dass trotzdem eine größere Anzahl österreichischer Staatsangehöriger bei der Tagung in Reichenhall gesehen wurde, ist dadurch erklärlich, dass an derselben sowohl geflüchtete und derzeit in Bayern wohnhafte Österreicher sowie österreichische Grenzbewohner, die im kleinen Grenzverkehr nach Bayern gelangen und vielfach daselbst beruflich tätig sind, teilgenommen haben dürften. (…) Die allgemeine politische Lage im Lande kann als gebessert bezeichnet werden. Die Rundfunkrede des ehemaligen nationalsozialistischen Landesinspekteurs für Österreich, Habicht, am 5. Juli l. J.64 habe ich zum Anlass genommen, um derartige öffentliche Radioübertragungen ausländischer Sendestationen, die geeignet sind, die öffentliche Ruhe und Ordnung zu stören, für meinen Amtsbereich mit Kundmachung zu verbieten. Bemerkenswert ist, dass auffallend viele Personen aus den Kreisen der Bundesund Landesbeamten als radikale Anhänger der nationalsozialistischen Bewegung und Agitatoren bezeichnet werden. Dies trifft besonders beim Forstwesen, beim 63 In Bad Gastein bildeten die Nationalsozialisten bereits 1933 die stärkste Oppositionsgruppe gegen die Regierung Dollfuß. In den ersten Monaten nach dem Parteiverbot dokumentierten hier 163 Nationalsozialisten offen ihre Gesinnung durch das Rufen von »Heil Hitler«, das Verteilen von Flugschriften, Malen von Hakenkreuzen, Abbrennen von Hakenkreuzfeuern oder Teilnahme an SA-Appellen. Zehn NSDAP-Mitglieder aus Bad Gastein flohen 1933 nach Deutschland und traten der »Österreichischen Legion« bei. Vgl. Krisch  : Zersprengt die Dollfußketten. S. 187. 64 Die Nationalsozialisten bedienten sich des Radios als Propagandainstrument. So führte Landesleiter Theodor Habicht in München 1933 einen regelrechten »Radiokrieg« gegen Österreich, der im Juli 1933 mit einer Serie von 84 Ansprachen begann, die von den Sendern in München, Leipzig, Breslau und Stuttgart ausgestrahlt wurden. Habicht selbst hielt 21 dieser Ansprachen, in denen er die Regierung Dollfuß verspottete und zu Terrorakten aufrief. Österreichische Proteste wurden mit dem Hinweis beantwortet, diese Ansprachen dienten der Information des deutschen Volkes.

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Lehrerstand und auch beim Richterstand zu. Da ein positives Eingreifen nur bei konkreten Tatbeständen möglich ist, glaube ich anregen zu sollen, dass seitens der zuständigen Behörden die untenstehende Beamtenschaft zur strengsten Befolgung der ergangenen bezüglichen Erlässe verhalten werde. Unliebsames Aufsehen hat erregt, dass der als nationalsozialistischer Parteigänger bezeichnete Ing. Kratochwil der Bauleitung Radstadt-Altenmarkt der Wildbachverbauungssektion Salzburg, sowohl bei Aufnahme von Arbeitern, Vergebung von Lieferungen u. dgl. Anhänger der nationalsozialistischen Bewegung begünstigen soll. (…) Der Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg, 10. Juli 1933 Zahl 175 (185.202-33) Betr.: NSDAP. Parteiabzeichen, Hitlergruß, Lieder-Verbot. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Kundmachung Zufolge Verordnung der Bundesregierung vom 19. Juni 1933, BGBl. Nr. 240, wurde der NSDAP (Hitlerbewegung) und dem Steirischen Heimatschutz (Führung Kammerhofer)65 jede Betätigung in Österreich und auch das Tragen jedweder Parteiabzeichen verboten. 65 Konstantin Kammerhofer (1899–1958) leistete nach dem Besuch der Handelsschule 1917/18 Kriegsdienst, geriet in italienische Gefangenschaft und engagierte sich nach seiner Rückkehr in der völkischen Turnerbewegung sowie im Steirischen Heimatschutz, wurde 1930 stellvertretender Landesführer, nahm 1931 am Pfrimer-Putsch teil, wurde in einem Prozess freigesprochen und war als Nachfolger Pfrimers 1932/33 Landesführer des Steirischen Heimatschutzes. In diesem gehörte er zusammen mit August Meyszner und Hanns Albin Rauter zum radikalen deutschnationalen Flügel, der eine Kampfgemeinschaft mit der NSDAP initiierte. 1933 wurde der Steirische Heimatschutz mit der SA der illegalen NSDAP verschmolzen und Kammerhofer wurde SA-Brigadeführer der Brigade »Obersteiermark«. Nach dem missglückten Juliputsch 1934 flüchtete er über Jugoslawien in das Deutsche Reich, trat der SS bei und wurde ab 1936 SS-Führer in Essen Bochum und nach dem Anschluss in Wien. 1938 wurde er Mitglied des Reichstages, 1941 SS-Brigadeführer und betreute 1941/42 die flämische SS in Brüssel, 1942/43 war er SS- und Polizeiführer der Gruppe »Aserbeidschan«, wurde 1943 SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei und 1943 bis 1945 »Beauftragter des Reichsführers SS« im Unabhängigen Staat Kroatien. Kurz nach Kriegsende geriet er in der Nähe von Salzburg in alliierte Kriegsgefangenschaft, wurde 1947 in Nürnberg verhört und anschließend nach Österreich überstellt, wo ihm in Graz der Prozess gemacht wurde. Er konnte jedoch fliehen und tauchte in Hannover unter, wo er als Bauhilfsarbeiter arbeitete. 1958 wurde er in einer Fremdenpension in Oberstdorf tot aufgefunden. Zu Kammerhofer als Mitglied des Steirischen Heimatschutzes vgl. Pauley  : Hahnenschwanz und Hakenkreuz. Zu Kammerhofer als SS-Mitglied vgl. Wolfgang Graf  : Österreichische SS-Generäle.

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Die täglichen Beanstandungen wegen Tragens solcher Parteiabzeichen und die Wahrnehmung, dass nationalsozialistische Gesinnungsgenossen sich in zunehmendem Maße darin betätigen, ihre politische Einstellung durch verschiedene andere Abzeichen wie Bänder, Blumen u. dgl. in ostentativer Weise zur Schau zu tragen, geben den Anlass, die Bestimmungen der obigen Verordnung in Erinnerung zu rufen und darauf hinzuweisen, dass auch das Tragen aller Ersatz-Parteiabzeichen unter das Verbot fällt. Auch der nationalsozialistische Partei-Gruß »Heil Hitler« mit und ohne Erheben der Arme sowie das Erheben des Armes allein als Grußform stellt sich ebenso wie das Absingen, Pfeifen oder Spielen nationalsozialistischer Parteilieder als verbotene Betätigung dar. Die Sicherheitsorgane wurden angewiesen, der Einhaltung der Verbotsbestimmungen ein besonderes Augenmerk zuzuwenden, und Zuwiderhandlungen nach den Strafsätzen der bezogenen Verordnung der Bundesregierung geahndet werden. Der Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg, 25. Juli 1933 Zahl 428 (19154/-33) Betr.: Burgenländisches Feldjägerbataillon zu Rad Nr. 1 Belassung in Salzburg. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Im h. ä. Situationsbericht vom 7. Juli 1933, Zl. 129, wurde die allgemeine politische Lage im Lande Salzburg als gebessert bezeichnet. In der Zwischenzeit ist indessen eine Änderung insoferne eingetreten, als sich unter den jugendlichen Elementen der nationalsozialistischen Anhängerschaft, insbesondere unter den früheren Mitgliedern der SA- und SS-Formationen eine starke Bewegung über die Grenze nach Bayern bemerkbar macht. Den einlaufenden Gendarmerieberichten zufolge sind in letzter Zeit über 50 Mann heimlich über die Grenze entwichen und sollen in Bayern bei der sogenannten »Österreichischen Legion« eingeteilt, teils in Schulungskursen militärisch ausgebildet werden. Es verlautet, dass die österreichischen Flüchtlinge sodann in Banden vereinigt zum planmäßigen Einfall in das österreichische Gebiet schon während der Fremdenverkehrshauptsaison bzw. erst im Herbst Verwendung finden sollen, um einerseits Himmlers verlässliche Vasallen. – Klagenfurt/Laibach (Ljubljana) 2012  ; zu seinem Wirken in Kroatien 1943 bis 1945 vgl. Ladislaus Hory, Martin Broszat  : Der kroatische Ustascha-Staat 1941–1945. – Stuttgart 1964. S. 148 ff.

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den Fremdenverkehr vollständig lahmzulegen, andererseits im Verein mit den Führern der SA-Abteilungen in Österreich selbst die Macht im Staate an sich zu reißen. Sind derlei Gerüchte an sich schon geeignet, angesichts des Beginnes der Festspiele in Salzburg Beunruhigung hervorzurufen, wäre jedwede derartige Aktion von für den Fremdenverkehr vernichtenden Folgen. Nicht nur zur Stärkung des allgemeinen Sicherheitsgefühles, sondern auch um allfälligen Invasionsabsichten keinen direkten Vorschub zu leisten, müsste im jetzigen Zeitpunkte von einer weiteren Schwächung der Garnison Salzburg Abstand genommen werden. Ich bitte daher dringendst, dass das Feldjägerbataillon zu Rad Nr. 1, das infolge Motorisierung für die Lösung solcher Abwehraufgaben besonders geeignet ist, über die Festspielzeit bis zur endgültigen Herstellung der Sicherheit in Salzburg belassen werde. Der Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg, 22. Juli 1933 Zahl 328. Betr.: Nationalsozialistische Wandbemalungen und Beschriftungen. An alle Bezirkshauptmannschaften. Um den fortgesetzten nationalsozialistischen Umtrieben der Wandbemalungen und Beschriftungen etc. ein Ende zu bereiten, erscheint es notwendig, dass seitens der Bezirkshauptmannschaften gegen die Täter im Ergreifungsfalle mit größter Schärfe vorgegangen werde. Wenn auch die Verantwortlichkeit im einzelnen Falle einer unterschiedlichen Beurteilung bedarf, so ist doch gegenwärtig zu halten, dass Arreststrafen von kurzer Dauer nicht geeignet sind, von Wiederholung und Nachahmung abzuhalten. Diesem Gesichtspunkte muss umso mehr Rechnung getragen werden, als die Ergreifung der Täter bisher in relativ wenigen Fällen gelungen ist. Die Exekutivorgane sind anzuweisen, sich zur Ermittlung und Vorpassleistung die freiwillige Hilfeleistung verlässlicher Ortsbewohner zu sichern. Bezüglich Durchführung der Strafamtshandlungen wird speziell auf den Durchführungserlass des Bundeskanzleramtes vom 19.6.1933, Zl 170702-GD 2 … und auf die Möglichkeit verwiesen, die Übeltäter, je nach Begleitumständen, auch nach den Strafbestimmungen der Verordnungen BGBl. Nr. 41 bzw. Nr. 120/1933 … zu verfolgen. Gegen Anstifter, auf deren Eruierung stets das Hauptgewicht zu legen ist, ist einheitlich mit Verhängung von Arreststrafen in der Dauer von nicht unter 6 Wochen vorzugehen. Bei den unmittelbaren Tätern soll die Arreststrafe nicht unter 2 Wochen bemessen werden. Außerdem sind in allen Fällen der Schadenersatz und die Kosten der Entfernung der verbotswidrig angebrachten Schriften etc. … aufzuerlegen. (…)

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Gendarmeriepostenkommando Zell am See, 1. August 1933 E. Nr. 2535 (198.217/33) Betr.: Strafvollzug An die Bezirkshauptmannschaft in Zell am See. Die … an das Bezirksgericht in Zell am See überstellten Personen zwecks Strafverbüßung benehmen sich in den Arrestlokalen derartig, dass ein weiteres Zuschauen und Duldung wohl nicht mehr angeht. Es kam z. B. vor, dass die Arrestanten in den Arrestlokalen fotografiert wurden. Hakenkreuze werden an die Wand gemalt. Das Bildnis des Führers der Hitlerbewegung sowie verschiedene Sprüche sind dort zu sehen. Weiters unterhalten sich die Arrestanten bei offenem Fenster mit der Außenwelt und machen sich über ihren Strafvollzug sehr lustig. Dies kommt dadurch vor, weil die Fenster keine Verschalungen haben und somit die Arrestanten sich von Gesicht zu Gesicht mit der Außenwelt verständigen können. Die Arrestanten hängen an den Fenstergittern mit den Händen, es ist sogar vorgekommen, dass ein Arrestant seine Beine zwischen den Gitterstangen herausstreckte. Durch diese Vorgänge der Arrestanten kommen direkt Menschenansammlungen unterhalb der Fenster der Fronfeste vor, die Arrestanten betteln hierbei Anhänger der Hitlerbewegung an und erhalten hierdurch verschiedene Liebesgaben. Es wird gebeten, in dieser Angelegenheit etwas veranlassen zu wollen, damit diese Unzukömmlichkeiten eingestellt (werden) und sich nicht mehr wiederholen, da durch dieses Vorgehen gegenüber der rechtlich denkenden Menschheit der letzte gute Glaube in dieser Richtung auch noch genommen wird. (…) Bezirkshauptmannschaft Zell am See, 2. August 1933 Zahl 9427 Dem Sicherheitsdirektor in Salzburg. (…) Die Angaben in der Gendarmerieanzeige können nur bestätigt werden und muss bei dieser Gelegenheit noch darauf hingewiesen werden, dass in Hinkunft eine Unterbringung der politischen Häftlinge in den hiesigen Gerichten bei den sich mehrenden politischen Strafverfahren schwer möglich sein wird. Aus diesem Grunde wird das Ersuchen bzw. der Antrag um gf. Veranlassung gestellt, ob ein Teil der Häftlinge nicht nach Salzburg zur Inhaftierung überführt werden könnte. Ein Strafvollzug in Salzburg erscheint auch wirksamer, insbesondere als bei den hiesigen Bezirksgerichten zwischen den Häftlingen und der Bevölkerung immerhin ein gewisser Konnex besteht.

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Gendarmeriepostenkommando Liefering, Bezirk Salzburg, Land Salzburg, 16. August 1933. E. Nr. 1697 (200.496/33). Betr.: Wilhelm Strobl, mit Propagandamaterial festgenommen bzw. aufgegriffen.66 An das Landesgendarmeriekommando in Salzburg. Es wird gemeldet, dass am 15.8.1933 um ca. 21.30 Uhr … Ingenieur Wilhelm Strobl mit seinem Motorrade D. 610 auf der Münchner-Bundesstraße von Freilassing nach Salzburg … einer Perlustrierung unterzogen wurde. Hierbei wurden beim Genannten verschiedene Schriften und Propagandamaterial sowie ein geschlossener Brief vorgefunden und beschlagnahmt und der Perlustrierte verhaftet. (…) Rundschreiben A. Organisation. 1. Relaispost – Erstmals geht dieses Rundschreiben mit der eigenen Relaispost. Diese läuft zunächst regelmäßig einmal in der Woche und zwar immer am selben Tag und zur selben Stunde. Auch dann, wenn die betreffende Dienststelle nichts Besonderes zu schreiben hätte, wird sie in Gang gebracht. In diesem Falle wird eben nur eine kurze Meldung »Nichts Besonderes vorgefallen« auf den Weg gebracht. Von Ihnen erwarten wir jedenfalls an jedem Posttag eine Meldung (…) Die Boten, die die Post abholen und überbringen, müssen der Abgabestelle entweder als absolut verlässlich persönlich bekannt oder ausreichend legitimiert sein. Außerdem ist mit öfter zu wechselnden Losungsworten zu arbeiten. 2. Vorgesetzte Dienststelle – Wir machen nochmals darauf aufmerksam, dass nur wir Ihre vorgesetzte Dienststelle sind, der Sie Auskunft zu erteilen und von der Sie Aufträge entgegenzunehmen haben. Wer immer kommen mag, ist unbedingt abzuweisen, wenn er sich nicht als von uns geschickt einwandfrei ausweisen kann. Auch dann, wenn es sich um einen noch so bekannten Parteifunktionär handeln sollte. Auch die Landesleitung gibt Ihnen nur über uns Aufträge u. dgl. Nur so kann ein Missbrauch oder eine Bespitzelung hintangehalten werden. 3. Flüchtlingswesen – Zur Flucht darf Parteigenossen nur in wirklich begründeten Fällen verholfen werden. Wenige Tage Arrest – auch mehrere, wenn es sich um Leute handelt, die für SA-Dienst nicht in Frage kommen –, Arbeitslosigkeit u. dgl. sind keine Gründe zur Flucht. Die Kosten einer notwendigen Flucht haben grundsätzlich die zuständigen Ortsgruppen zu tragen. (…) Die den Bezirksleitern jeweils bekanntgegebenen Übergangsstellen dürfen auf keinen Fall irgendjemandem zur 66 Bei dem Propagandamaterial handelte es sich um ein Rundschreiben der sich in München befindenden Gauleitung der NSDAP Steiermark. Dieses Rundschreiben ist insoferne von besonderem Interesse, als in diesem die Taktik der Propaganda der illegalen NSDAP deutlich wird.

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Flucht oder zu unserem Besuch bekanntgegeben werden. Sie dienen ausschließlich dafür, dann und wann – auf unsere Aufforderung oder in besonders dringenden Fällen unaufgefordert – den Übergang politischer Funktionäre zu Besprechungen zu ermöglichen. Flüchtlingen oder Kurieren darf natürlich nichts Schriftliches mitgegeben werden, was irgendeine Person aus unserem Lager belasten könnte. (…) 5. Berichterstattung – Jeder Bezirk soll uns regelmäßig und ausführlich über alle Vorkommnisse im eigenen und im gegnerischen Lager berichten. (…) 6. Spitzelwesen – Seien Sie sich bewusst, dass das Spitzelwesen unserer Gegner weit ausgebildet ist. Größte Vorsicht jedermann gegenüber ist daher immer am Platze. Selbst Bekannten gegenüber spricht man nicht mehr, als sachlich notwendig ist. Überflüssiges Mitteilungsbedürfnis ist gewöhnlich die Ursache dafür, wenn die Behörde Kenntnis von Dingen erlangt, die geheim bleiben sollten. (…) 8. Reichsparteitag in Nürnberg – Aus Österreich darf daran niemand teilnehmen, weil er von österreichischen Spitzeln wahrscheinlich derart beobachtet wird, dass jeder Teilnehmer nach seiner Rückkehr sicher verhaftet würde. (…) B. Propaganda (…) 2. Art der Propaganda – Die wichtigste Art der Propaganda ist die von Mund zu Mund. Arbeitslose Parteigenossen wollen in entferntere Gegenden, in denen sie nicht mehr erkannt sind, geschickt werden, um dort geschickte Rede auf die Politik zu bringen. Sie haben dann so zu reden, als ob sie zwar selbst keine Nazi seien, trotzdem aber erkannt hätten, dass eine Hilfe nur mehr von diesen zu erwarten ist. Andere Gruppen wieder – im Notfalle auch dieselben – verteilen Werbematerial. Das Malen von Hakenkreuzen und entsprechenden Sprüchen ist eifrigst fortzusetzen, ebenso das Hissen von Flaggen an schwer zugänglichen Stellen. Der Zweck dieser Propaganda ist, der in- und ausländischen Öffentlichkeit zu zeigen, dass die NSDAP lebt und gar nie unterzukriegen ist. Arreststrafen hierfür sind kein vergeblich gebrachtes Opfer. Solange Leute sich für uns einsperren und strafen lassen, sich der Staat mit allen Mitteln gegen uns wehren muss, beweisen wir unser Leben. Außerdem soll der Staat damit mit seiner Exekutive ermüdet und zermürbt werden. Die besseren Nerven und die größere Widerstandskraft müssen wir aufbringen. Schließlich vollzieht durch die Verfolgungen der Staat in unseren Reihen einen Ausleseprozess. Das Gute bleibt – und wir werden es brauchen – das Schlechte soll abfallen. Der Enderfolg ist uns sicher, die Opfer sind nicht umsonst. Daher  : aushalten und weiterkämpfen  ! Der Erfolg kann nicht ausbleiben. H e i l H i t l e r    ! Die Gauleitung  :

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F. Knaus67 e. h. W. Oberhaidacher68 e. h. Der Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg, 19. August 1933 Zl.: 984 (201.610/33) Betr.: Vorfälle anlässlich des Begräbnisses des Franz Koweindl in Rauris am 17.8.1933. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Unter Bezugnahme auf den am 18.8. l. J. erstatteten telefonischen Bericht werden in der Anlage die Berichte des Regierungskommissärs Dr. Lang der Bezirkshauptmannschaft Zell am See,69 welcher anlässlich des Begräbnisses des ehemaligen nationalsozialistischen Landtags-Vizepräsidenten Franz Koweindl70 am 17. d. M. nach Rauris entsendet worden war, und des Gendarmerie-Bezirksinspektors Anton Kronberger 67 Fritz Knaus (1888–1945) besuchte nach der Bürgerschule die Lehrerbildungsanstalt und absolvierte später einen Bahnbeamtenkurs. Vor dem 1. Weltkrieg war er Mitglied der Alldeutschen Partei Georg Ritter von Schönerers, 1924 wurde er Bürgermeister von Trofaiach und trat 1926 der NSDAP bei. 1929 bis 1933 war er Gaugeschäftsführer, Organisationsleiter und Stellvertreter von Gauleiter Oberhaidacher. 1933 flüchtete er von Salzburg aus nach Bayern und betätigte sich bis zum Juliputsch der Nationalsozialisten intensiv in der Propaganda gegen Österreich. Zeitweilig Gauinspekteur in Thüringen, kehrte er nach dem Anschluss in die Steiermark zurück und wurde zum SA-Standartenführer ernannt. Zunächst Landrat für Graz-Umgebung, war er bis 1945 Oberbürgermeister von Marburg und wurde 1942 Mitglied des Deutschen Reichstages. Unmittelbar nach Kriegsende verhaftet, beging er im Gefangenenhaus des Bezirksgerichtes Liezen Selbstmord. (Hans Schafranek  : Biografien steirischer NS-Akteure. – In  : Ders.; Herbert Blatnik (Hg.)  : Vom NS-Verbot zum »Anschluss«. Steirische Nationalsozialisten 1933–38. – Wien 2015. S. 440–535. S. 488 f.) 68 Walther Philipp Anton Oberhaidacher (1897–1945) maturierte 1915 an der Oberrealschule in Bozen und leistete anschließend Kriegsdienst bei den Kaiserjägern. Nach Kriegsende begann er ein Maschinenbau-Studium an der Technischen Universität Graz, das er aber nicht abschloss. Er arbeitete schließlich als Werktechniker, wurde bereits 1924 Mitglied der alten NSDAP und trat der neuen NSDAP wiederum 1926 bei, war 1928 bis 1933 Gauleiter der Steiermark, 1929 bis 1933 Gemeinderat in Graz, floh 1933 in das Deutsche Reich, wurde 1936 Mitglied des Deutschen Reichstages, 1938 der SS im Rang eines SS-Oberführers und wenig später eines SS-Brigadeführers, war 1938 bis 1944 Polizeipräsident von Bochum und 1944 bis 1945 Polizeipräsident im Rang eines Polizei-Generalmajors von Dresden, wo er 1945 bei einem Bombenangriff ums Leben kam. 69 Der Bericht des Regierungskommissärs Dr. Lang wurde nicht in die Edition aufgenommen. 70 Franz Koweindl (1894–1933) absolvierte nach dem Besuch der Volksschule eine Schmiedelehre, leistete 1914 bis 1918 Kriegsdienst, war 1921 bis 1926 Schmiedemeister in Södlingberg im Bezirk Voitsberg und übersiedelte 1926 nach Rauris, wo er 1931 der NSDAP beitrat und Ortsgruppenleiter und Gauredner wurde. 1932 bis 1933 war er Landtagsabgeordneter der NSDAP und Zweiter Vizepräsident des Salzburger Landtages.

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über die dortselbst vorgekommenen Ereignisse zur gefälligen Kenntnisnahme vorgelegt. (…) Bericht des Gendarmerie-Bezirksinspektors Anton Kronberger über die Vorfälle beim Begräbnis des Franz Koweindl am 17.8.1933 in Rauris. Am 17. August 1933 um 10 Uhr war das Leichenbegängnis des Franz Koweindl anberaumt (…) Die konzentrierte Gendarmerieabteilung, bestehend aus 21 Gendarmen und im Beisein des Herrn Regierungskommissärs Dr. Lang, traf in Rauris um 8.15 Uhr ein. Kurz nach dem Eintreffen wurde in Erfahrung gebracht, dass ehemalige SA-Männer aus Rauris in schwarzer Hose, weißem Hemd und mit schwarzer Krawatte sich korporativ bei der Leichenfeier beteiligen wollten. Es wurde auch erfragt, dass das Grabkreuz für Koweindl in der Form eines Hakenkreuzes angefertigt worden ist. Auf das hin hat Herr Regierungskommissär Dr. Lang den ehemaligen Führer der NSDAP Dr. Radauer auf den Gendarmierposten zitiert und ihm dort verhalten, dass das vorerwähnte Grabkreuz in der angefertigten Form unter keinen Umständen gebraucht werden darf. Ebenso hat Dr. Lang verboten, dass SA-Männer in schwarzer Hose, weißem Hemd und schwarzer Krawatte am Begräbnis teilnehmen. Es wurde angeordnet, dass das Hemd mit einem Rock zu verdecken ist. Diese Aufträge des Herrn Regierungskommissärs wurden befolgt und der Tischler Heinrich Eberl entfernte am Grabkreuze die Holzbestandteile, welche das Hakenkreuz darstellten, rechtzeitig. Beim Einsetzen der Leichenfeierlichkeit, während des Zuges zum Friedhofe vom Trauerhause weg und bei der Durchführung der kirchlichen Zeremonien am Grabe ist es in keiner Richtung zu Ausschreitungen oder Zwischenfällen gekommen. Als sich der Ortspfarrer vom Grabe entfernt hatte, trat Kornelius Faistauer aus Maishofen an das Grab des Koweidl heran und hielt dort einen kurzen Nachruf, der keine politischen Tendenzen … hatte. Nach dieser Grabrede spielte die Rauriser Musikkapelle 2 Strophen des Liedes »Ich hatt einen Kameraden«. Dies wurde von den Leidtragenden ruhig und ohne irgendwelche Gegenrufe angehört. Nach einer kurzen Pause stimmte die Musik eine Strophe des Deutschlandliedes an, welches die Melodie der österreichischen Volkshymne zu verzeichnen hat.71 Hierbei 71 Die Haydn-Melodie erhielt erst mit dem Regierungsantritt von Kaiser Franz Joseph 1854 einen endgültigen Text durch Johann Gabriel Seidl, der die vorher auf die jeweiligen Kaiser bezogenen Texte – »Gott erhalte Franz den Kaiser, unsern guten Kaiser Franz« und »Gott erhalte unsern Kaiser, unsern Kaiser Ferdinand  !« – im Sinne einer neutralen und damit nicht zeitgebundenen Formel – »Gott erhalte, Gott beschütze unsern Kaiser, unser Land« – ablöste und bis 1918 unverändert blieb. Mit der Gründung der Ersten Republik unternahm Karl Renner den Versuch, durch Ausschreibung der jungen Republik eine neue Hymne zu geben. Er selber verfasste schließlich auch einen Text – »Deutsch-Österreich, du herrliches Land« –, den er von Wilhelm Kienzl vertonen ließ und der ab 1920 als offizielle Hymne der Republik galt, ohne allerdings die erhoffte Wirkung zu erzielen. 1929

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sang ein Teil der Trauergäste in mäßigem Tone die österreichische Volkshymne mit. Ein anderer Teil murmelte das Deutschlandlied (…) Als die Musik die Strophe dieses Liedes beendete, hoben beim Refrain »Über alles in der Welt« ca. 700 Trauergäste wie auf ein Kommando die rechte Hand zum »Hitlergruß«. Dieser Abschiedgruß, den nur die Nazi in Szene setzten, währte kaum einige Sekunden und die Hände waren von der Oberfläche wieder verschwunden. Inzwischen näherten sich die Leidtragenden, in erster Linie die nächsten Verwandten, dem Grabe des Koweindl und besprengten dessen Grab mit Weihwasser. Dieser Zeremonie folgten auch die übrigen Anwesenden, wobei ein Großteil der Naziangehörigen über dem Grab die rechte Hand ausstreckte. Ein Teil hat auch die Hand hochgehoben. (…) Der Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg, 26. August 1933 Zahl 1081 /204.059/33) Betr.: Engl Josef, Flieger  ; Leichenbegräbnis-Vorfälle. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7.

stelle Heeresminister Carl Vaugoin im Ministerrat den Antrag, die frühere Hymne von Joseph Haydn mit einem Text von Ottokar Kernstock unter dem Titel »Österreichische Volkshymne« zur offiziellen Bundeshymne zu erklären. 1922 war die Haydn-Melodie mit dem Text von Heinrich Hoffmann von Fallersleben – »Deutschland über alles« auch zur deutschen Nationalhymne erklärt worden. Vaugoin begründete seinen Vorschlag mit dem Hinweis, dass die Haydn-Melodie auch die Melodie der deutschen Nationalhymne sei, wodurch die enge Verbundenheit Österreichs mit dem Deutschen Reich zum Ausdruck komme. Der deutschtümelnde Text der neuen österreichischen Bundeshymne lautete  : Sei gesegnet ohne Ende, Deutsche Heimat wunderhold  ! Freundlich schmücken dein Gelände Tannengrün und Ährengold. Deutsche Arbeit, ernst und ehrlich  ! Deutsche Liebe, zart und weich, Vaterland, wie bist du herrlich  ! Gott mit dir, Deutschösterreich  ! Vgl. Franz Grasberger  : Die Hymnen Österreichs. – Tutzing 1968  ; Manfred Wagner  : Die österreichischen Hymnen. – In  : Norbert Leser, Manfred Wagner (Hg.)  : Österreichs politische Symbole. Historisch, ästhetisch und ideologiekritisch beleuchtet. – Wien/Köln/Weimar 1994. S. 231–247 (Schriftenreihe des Ludwig-Boltzmann-Instituts für neuere österreichische Geistesgeschichte 6. Herausgegeben von Norbert Leser.)  ; Peter Diem  : Die Symbole Österreichs. Zeit und Geschichte in Zeichen. – Wien 1995. S. 130 ff.

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Am 19. August l. J. 1.15 Uhr nachts ist der Segelflieger Josef Engl aus Gnigl bei einem Dauerfluge mit seinem selbst erbauten Segelflugzeug über dem Gaisberg bei Salzburg tödlich abgestürzt. Da Engl Nationalsozialist und Mitglied des nationalsozialistischen Kraftfahrkorps war, wurden zur Verhütung politischer Demonstrationen anlässlich seines Begräbnisses am 21. August 1. J. im Gnigler Friedhofe die entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen getroffen. (…) Beim Abschiednehmen vom Bestatteten erhob ein Teil der zahlreich anwesenden Nationalsozialisten die Hand annähernd waagrecht über dem Grab mit den Worten  : »Heil dir Kamerad«  ; eine Anzahl junger Leute, Segelflieger und Nationalsozialisten, sangen das Lied »Ich hatt einen Kameraden«, worauf sich die Menge ruhig zerstreute. (…) Der Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg, 25. August 1933 Zahl 1046 (204.758/33). Betr.: Nachrichtendienst  ; 2. Wochenbericht. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. (…) In der Berichtswoche war in verschiedenen Gemeinden des Landes ein merkliches Zunehmen der nationalsozialistischen Propagandatätigkeit durch Anschmieren von Hakenkreuzen, Aufschriften, Verbreiten von Flugzetteln und Abbrennen von Hakenkreuzfeuern zu verzeichnen. Teilweise scheint die erstbezeichnete Propagandatätigkeit von auswärtigen Autoinsassen begangen worden zu sein. Wegen Anschmieren von Hakenkreuzen und Aufschriften wurden neun Personen mit zusammen 182 Tagen Arrest … und 4 Personen mit 200 Schilling Geldstrafe bestraft. Wegen Abbrennen von Hakenkreuzfeuern wurden 4 Personen mit je 14 Tagen Arrest, wegen Beschädigung vaterländischer Wandzeitungen eine Person mit 14 Tagen Arrest und wegen Gebrauchs des Hitlergrußes 4 Personen mit je 50 Schilling bestraft. (…) Dank des Ausbleibens jedweder Störungen seit dem Beginn des Sommers hat sich der Fremdenverkehr in Stadt und Land Salzburg in überraschend günstigen Ausmaßen entwickelt. Insbesondere kann mit Genugtuung verzeichnet werden, dass die Salzburger Festspiele, welche mit dem Ende der Berichtswoche ihren Höhepunkt erreicht haben, von jeder Beeinträchtigung bewahrt geblieben sind und in ihrer vollen Bedeutung als Kunst-, Kultur- und Wirtschaftsfaktor zur Geltung gekommen sind.

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Der Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg, 31. August 1933 Zahl 1314 (206.942/33). Betr.: Nachrichtendienst, 3. Wochenbericht. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. (…) Die nationalsozialistische Propagandatätigkeit durch Wandbemalungen, Haken­ kreuzabbrennen etc. ist, wie bereits im letzten Wochenbricht angeführt wurde, wieder stärker zutage getreten. Von 9 verhafteten Tätern wurden 2 mit je 6 Wochen, 4 mit je 4 Wochen Arrest bestraft. Wegen Absingen des Horst-Wessel-Liedes wurden 14 Personen mit zusammen 96 Tagen, wegen geheimer Betätigung für die NSDAP 2 Personen mit je 6 Wochen Arrest und je 300 Schilling Geldstrafe, eine Person mit 4 Wochen und eine Person mit 3 Wochen Arrest bestraft. Nach Berichten der Gendarmerieposten sind bisher rund 220 Personen aus dem Bundeslande Salzburg (ohne Stadt Salzburg) nach Deutschland geflüchtet. (…) Die planmäßige Ausreise nationalsozialistischer Anhänger aus anderen Bundesländern nach dem Deutschen Reich hat in der Berichtswoche besondere Ausmaße angenommen, wobei es den Flüchtlingen gelang, unbemerkt durch das Bundesland Salzburg auf verschiedenen Schleichwegen nach Bayern zu gelangen, wo sie sich in Schellenberg sammeln. (…) Zufolge Gendarmerieberichten über die allgemeine Lage im Postenbereiche wird von der Landbevölkerung kritisiert, dass jene Personen aus dem Beamtenstande, hauptsächlich Forstbeamte, welche wegen ihrer regierungsfeindlichen Tätigkeit vom Dienste suspendiert wurden, ihr Gehalt ungeschmälert weiter beziehen und dadurch in der Lage seien, ohne Sorgen um ihren Lebensunterhalt weiterhin für die NSDAP im Geheimen zu arbeiten. Von hier aus wurde diesbezüglich und behufs Beschleunigung des Disziplinarverfahrens bzw. Versetzung der betreffenden Beamten an die zuständigen Dienststellen herangetreten. (…) Der Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg, 22. September 1933 Zahl 1050 (215.303-33) Betr.: Teltsch Geiza, Beschwerde gegen einen Magister der Apotheke in Badgastein. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7.

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Der Generaldirektor der Zellulosefabrik in Bratislava, Geiza Teltsch, welcher sich vorübergehend zur Kur in Bad Gastein aufhielt, hat in einem Schreiben vom 3.8. l. J. darüber Beschwerde geführt, dass ein Magister der Apotheke in Badgastein bei seinem Eintritt in die Apotheke die Bemerkung gemacht habe  : »Es ist nur recht, wenn man alle Juden aufhängt.« Auf Grund dieser Eingabe wurden vom Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg durch das Gendarmeriepostenkommando in Bad Gastein Erhebungen veranlasst, die ergaben, dass der Magister Friedrich Bruckmüller am kritischen Tage in der Offizine der Apotheke mit dem Laboranten Karl Eberl ein politisches Gespräch führte, in dessen Verlauf er die Bemerkung machte  : »Es wäre gar nicht schade, wenn alle Juden aufgehängt würden.« In diesem Moment kam der Beschwerdeführer in die Apotheke, worauf das Gespräch sofort abgebrochen wurde. Seitens des Kurdirektors von Bad Gastein und des Bürgermeisters wurde an den Inhaber der Apotheke (Apotheker Wilhelm Wiatschka) mit dem Ersuchen herangetreten, seinen Angestellten diese Ungeheuerlichkeiten abzustellen. Der Apotheker soll auch seinem Personal verboten haben, in der Apotheke zu politisieren. Das Gendarmeriepostenkommando Bad Gastein berichtet weiter, dass der Apotheker Wiatschka,72 seine Frau und Tochter, ferner der Magister Friedrich Bruckmüller und der Laborant Karl Eberl der NSDAP bis zu Einstellung der Betätigung angehört haben.73 (…) 72 Mag. Wilhelm Wiatschka war bis 1932 Mitglied der Bad Gasteiner Heimwehr. (Krisch  : Zersprengt die Dollfußketten. S. 150.) 73 Die Landtagswahlen vom 24. April 1932 mit ihrem erdrutschartigen Sieg der NSDAP in Bad Gastein bedeuteten einen »wichtigen Einschnitt im Umgang mit den Juden« in dem Salzburger Kurort. Die örtliche NSDAP profitierte nicht nur von der Wirtschaftskrise, sondern verfügte auch in der Person von Ing. Anton Wintersteiger über eine fähige Führungspersönlichkeit, die aus ihrem Herzen keine Mördergrube machte und am 15. September 1932 plakatieren ließ, dass Juden der Zutritt zum Kurort verboten sei. Nach der Beschwerde einige jüdischer Kurgäste beim großdeutschen Bürgermeister machte Wintersteiger, der im Bauamt der Gemeinde beschäftigt war, einen Rückzieher und erklärte, der NSDAP sei jeder Kurgast, egal welcher Konfession, willkommen. Dabei handelte es sich jedoch nur um einen vorübergehenden Rückzug. Die NSDAP agierte in Bad Gastein zunehmend radikal antisemitisch. So verteilte Ortsgruppenleiter Anton Wintersteiger am 28. April 1933 in einer NS-Versammlung ein Rundschreiben mit dem Titel »Kauft nicht bei Juden«. Am 30. Mai verteilten die Bad Gasteiner Nationalsozialisten in Reaktion auf die Tausendmark-Sperre eine Broschüre, in der ein Foto von zwei bärtigen Juden mit dem Untertitel »Wer in Österreich erwünscht ist« enthalten war. Das Verbot der NSDAP führte bei den Nationalsozialisten in Bad Gastein zu einem »Radikalisierungsschub in der Einstellung gegenüber den jüdischen Gästen und jüdischen Einheimischen.« Vgl. Laurenz Krisch  : Bad Gastein. Die Rolle des Antisemitismus in einer Fremdenverkehrsgemeinde während der Zwischenkriegszeit. – In  : Robert Kriechbaumer (Hg.)  : Der Geschmack der Vergänglichkeit. Jüdische Sommerfrische in Salzburg. – Wien/Köln/Weimar 2002. S.  175–225. S. 199 ff. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-­Bibliothek, Salzburg. Band 14.)

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Landesgendarmeriekommando Oberndorf, Bezirk und Land Salzburg, 25. September 1933. Nr. 2920 (218.115-33). Betr.: Grenzvorfallenheiten, Meldung. An das Landesgendarmeriekommando in Salzburg. Wird angezeigt, dass auf der sogenannten Sappelhöhe in der Stadt Laufen ein großes Hakenkreuz mit ca. 75 Glühbirnen aufgestellt wurde. Dasselbe wurde dann am 23. September 1933 gegen 19.30 Uhr nach vorhergegangenen Raketenabfeuerungen und unter Musikklängen beleuchtet. Dieses Hakenkreuz wird seit dieser Zeit jeden Abend bei anbrechender Dunkelheit bis zum Morgengrauen beleuchtet. Wie weiters in Erfahrung gebracht wurde, ist von den bayerischen Nationalsozialisten geplant, in Kürze in Laufen einen Riesen-Lautsprecher aufzustellen, der auf österreichischer Seite zu hören sein soll. Anlässlich der am 25. September 1933 erfolgten Eröffnung der hiesigen sozialdemokratischen Arbeiter-Turnhalle wurde auch gegen 14 Uhr auf dem Oberndorfer Sportplatze, der sich entlang des rechten Salzachufers befindet, von der Arbeiterturnerschaft ein Fußballwettspiel und Freiturnen aufgeführt. Beim Erscheinen der Sportmitglieder auf obenerwähntem Sportplatze wurde denselben von der jenseits der Grenze entlang des linken Salzachufers angesammelten Hitlerjugend mehrere Male zugerufen  : »Dollfuß verrecke  !« und sodann das »Horst-Wessel-Lied« gesungen. Auf diese ohne jedweden weiteren Grund von der bayerischen Hitlerjugend erfolgten provozierenden Anrempelung haben dann die hiesigen Sportmitglieder nachstehende Äußerungen gegen Bayern hinüber geschrieen, und zwar  : »Wer ist der Brandleger  ? Adolf Hitler  !« – »Wer ist reif für das Narrenhaus  ? Göring  !« Durch Entsendung einer 3 Mann starken Patrouille und deren Einschreiten wurden dann weitere Ausschreitungen verhindert. (…) Bundes-Polizeidirektion Salzburg, 30. September 1933 Zl. 15147 (218.345/33). Betr.: Schweiger Sebastian und Genossen, Betätigung für die verbotene NSDAP. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Der Bundes-Polizeidirektion Salzburg gelangte auf vertraulichem Wege zur Kenntnis, dass der Tischlergehilfe Georg Speth, … bayerischer Staatsangehöriger, … Salzburg, Getreidegasse Nr. 25 wohnhaft, für die NSDAP Nachrichten nach Bayern übermittelt.

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Am 25. 9. l. J. beabsichtigte Speth von Salzburg nach Berchtesgaden per Rad zu fahren  ; er wurde über h. ä. Aviso beim Zollamt Hangender Stein … angehalten und … perlustriert. Bei dieser Perlustrierung wurde ein harmloser Brief … vorgefunden. Septh wurde am 26.9. nach Einvernahme auf freien Fuß gesetzt, jedoch weiterhin überwacht. So wurde festgestellt, dass am 26.9. vormittags der als Nationalsozialist bekannte Sebastian Schweiger, Chauffeur, … Judengasse 12 gemeldet, die Wohnung des Speth aufsuchte und einen Brief, der im Fahrrade des Speth (Rahmenbau unter dem Sattel) verborgen war, mit sich nahm. (…) Die Wohnung Schweigers … wurde überwacht. (…) Der von Schweiger aus dem Fahrrade des Speth zurückgenommene Brief, den Speth an Anton Wohlrab in Berchtesgaden überbringen sollte, wurde bei Schweiger vorgefunden und geht daraus Folgendes hervor  : »Überhaupt geht es hier verdammt gemein her. Du hast ja gar keine Ahnung  ; ich hätte nur einen einzigen Wunsch, wenn wir die Macht hier übernehmen, dass ich entweder als Kommandant in einem hiesigen Konzentrationslager oder als Sonderkommissar von Salzburg und Umgebung und zwar nur für 3 Monate berufen werde. Ihr könntet versichert sein, kein einziger von diesen Gaunern würde mir entkommen und zu lachen gäbe es hier überhaupt nichts mehr. Wenn man hier so zusehen muss, steigt einem die Galle über. Wenn ich nur einmal mit eiserner Hand in das Gezücht dreinfahren könnte. Meine Angst besteht nur darin, dass bei der Machtübernahme nicht die richtigen Leute in Verwendung kommen und dass viele von diesen Gaunern, z. B. wie in Bayern, ungestraft und unter der Fahne des Hakenkreuzes sich des Wohlergehens erfreuen, aber hoffentlich kommt es nicht so. (…)« Der Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg, 23. Oktober 1933 Zahl 2602 (229.467-33). Betr.: NSDAP. Gauleitung Salzburg in Freilassing – Gaurundschreiben vom September 1933. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Beiliegend wird ein Gau-Rundschreiben Nr. 5 der österreichischen Gauleitung der NSDAP Salzburg in Freilassing vom September l. J. zur Kenntnisnahme vorgelegt. Freilassing, im September 1933 Gaurundschreiben Nr. 5. Um den ungeheuren Lügenmeldungen der österreichischen Presse entgegenzuwirken, senden wir wahllos an verschiedene Parteigenossen unserer ehemaligen Orga-

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nisation diese Rundschreiben und hoffen, dass Sie und alle gleichgesinnten Parteigenossen der Inhalt interessieren wird. Organisatorisches  : Dr.  Walter Riehl (Wien)74 wurde aus der NSDAP ausgeschlossen, weil er verräterische Unterhandlungen mit Regierungsstellen führte, bei denen er vor allem sich selbst einen Posten als Justizminister sichern wollte  ! Er gibt derzeit eine neue Zeitung heraus mit dem Titel »Ostmark«, die offenbar von unseren Feinden finanziert wird. … Die Parteigenossen werden angewiesen, dieses Verräterblatt nicht zu beziehen  ! 74 Walter Riehl (1881–1955) studierte nach dem Besuch des Bundesgymnasiums Wr. Neustadt Rechtswissenschaften an der Universität Wien, promovierte 1908 zum Dr. iur und arbeitete anschließend als Rechtsanwaltsanwärter bzw. Rechtsanwalt in Karlsbad, Bozen, Meran, Klagenfurt und Wien. 1914 bis 1917 diente er an der Isonzo-Front, rüstete als Oberleutnant ab und machte sich in den folgenden Jahren als Rechtsanwalt einen Namen (Prozess gegen Otto Rothstock, den Mörder von Hugo Brettauer, Verteidiger im Schattendorf-Prozess). Ursprünglich sozialdemokratisch eingestellt, wurde er bereits vor dem Ersten Weltkrieg Mitglied der »Deutschen Arbeiterpartei« (DAP), deren Organisationsmitbegründer er in Reichenberg 1909 war. 1918 wurde er Herausgeber der »Deutschen Arbeiter-Zeitung«, des Organs des »Nationalsozialistischen Vereins für Deutschösterreich« in Wien, 1919 Vorsitzender der »Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei« (DNSAP) und Abgeordneter der Partei im Niederösterreichischen Landtag (1919–1920). 1920 soll er das Hakenkreuz als Parteisymbol ausgewählt haben (Hakenkreuz auf weißem Grund, dem ein Hammer und Eichenlaub hinzugefügt wurden). Gleichzeitig erfolgte in München eine heftige Diskussion über die Gestaltung des Hakenkreuzes als Parteisymbol. Adolf Hitler, zu dieser Zeit noch Propagandachef der Münchner Partei, konnte auf einem sog. »Deutschen Tag« in Salzburg am 7. und 8. August 1920 das Hakenkreuz in der Münchner Version als Symbol aller nationalsozialistischen Parteien durchsetzen. 1923, Hitler war inzwischen »Führer« der Münchner Partei geworden, kam es in Salzburg zu einer heftigen Kontroverse zwischen Riehl und seinem Du-Freund Hitler über die Taktik der nationalsozialistischen Parteien. Während Hitler für den außerparlamentarischen Weg plädierte, trat Riehl für den parlamentarischen ein. Als sich Hitler durchsetzte, trat Riehl von der Parteiführung zurück. Sein Nachfolger wurde der Werkmeister Karl Schulz. Riehl gründete mit dem »Deutschsozialen Verein« eine neue Partei und wurde daraufhin wegen parteischädigenden Verhaltens 1924 aus der DNSAP ausgeschlossen. Er wandelte daraufhin den »Deutschsozialen Verein« in den »Deutschsozialen Verein für Österreich« um und näherte sich der Großdeutschen Volkspartei sowie den Christlichsozialen und wurde Mitglied der von Seipel konstruierten »Einheitsliste«. 1930 trat der »Deutschsoziale Verein für Österreich« der NSDAP bei und Riehl wurde 1932 Gemeinderat der NSDAP in Wien. Nach dem Verbot der Partei wandte sich Riehl gegen die von der im bayerischen Exil sich befindenden Parteiführung befohlenen Terrorpolitik. In Briefen an Hitler sowie deutsche Regierungsstellen plädierte er für eine Versöhnung mit Dollfuß und eine Zusammenarbeit mit dessen Regierung. Für Theodor Habicht war Riehls Verhalten Verrat und auf Drängen der österreichischen Parteiführung im Exil wurde Riehl im August 1933 aus der NSDAP ausgeschlossen. Er vertrat nach seinem Parteiausschluss unbeirrt die Meinung, dass sich die NSDAP von Habicht und seiner Politik lösen müsse. Um Einfluss zu gewinnen, müsse man verstärkt in die »Vaterländische Front« eindringen und sich von der Terrorpolitik verabschieden. Auf jeden Fall aber müsse Hitler als oberster Führer aller Deutschen anerkannt werden. Nach dem Anschluss wurde Riehl verhaftet und bemühte sich, allerdings vergeblich, um eine neuerliche Aufnahme in die NSDAP. 1947 trat er der ÖVP bei.

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Bei dieser Gelegenheit wird nochmals ausdrücklich darauf verwiesen, nur von uns Weisungen entgegenzunehmen  ! Major Fey hat ja aus unseren Kanzleien alles gestohlen an Stempeln und Drucksachen und schickt nun Leute mit falschen Ausweisen und Aufträgen herum  ! Ja, sogar Propagandamaterial wird durch seine Kreaturen an unsere Parteigenossen geleitet, um sie nach Annahme derselben einkerkern zu können  ! So ist es z. B. in der Steiermark bereits wiederholt vorgekommen, dass ein Mann, der sich mit allen möglichen Ausweisen (sogar solchen von der Landesleitung  !) dokumentierte, den Parteigenossen gestanzte Hakenkreuze und Flugblätter, ja sogar Sprengkörper (!) anbot und die Betreffenden wenige Stunden nach der Übernahme dieses Materials eine Hausdurchsuchung hatten und natürlich schwere Kerkerstrafen erhielten  !  !  ! Da gibt es nur eine Hilfe  : Von niemandem Weisungen oder Material übernehmen, den man nicht kennt oder von zuverlässigen Parteigenossen empfohlen bekommt, mag er noch so viele Ausweise haben. (…) Politischer Bericht  : Der Umbau des Kabinetts Dollfuß bedeutet nicht, wie die Systempresse gerne weismachen möchte, eine innenpolitische Stärkung des Systems, sondern im Gegenteil eine weitere Schwächung und vor allem Verwicklung der Lage  ! Je mehr Dollfuß sich auf den starken Mann hinausspielt, desto schwächer ist er in Wirklichkeit  ! Denn jeder denkende Mensch wird zugeben, dass so alte Intriganten und politische Korruptionisten wie Winkler und Vaugoin die Beiseitestellung nicht ruhig hinnehmen werden, sondern nun mit aller Kraft wühlen und unterminieren werden  ! Durch das neue Kabinett ist in Wirklichkeit niemand mehr zufrieden  : Starhemberg ist enttäuscht, weil er nicht in die Regierung gekommen ist und der Einfluss der Heimwehr eher zurückgedrängt als verstärkt wurde  ; Vaugoin und Winkler und mit ihnen große Teile der Christlichsozialen Partei und des Landbundes sind verbittert über ihre Kaltstellung. Und die Bevölkerung Österreichs  ? Die erkennt mehr denn je, dass neue Firmenschilder, ein sogenannter neuer Kurs mit alten Männern und vor allem im alten System nie und nimmer Rettung bringen können, sondern dass nur eines Hilfe bringt  : N e u e M ä n n e r in einem n e u e n S t a a t , der entsprechend dem wahren Willen des Volkes aufgebaut sein muss  ! (…) Je unhaltbarer die Stellung des Regimes Dollfuß wird, innenpolitisch und ebenso außenpolitisch, desto mehr sucht man das Volk über die wahren Verhältnisse hinwegzutäuschen  ! So soll z. B. auf der Wandzeitung Nr. 5 bewiesen werden, dass Dollfuß die Arbeitslosigkeit erfolgreicher bekämpft als Hitler  ! Und zwar deswegen, weil die Arbeitslosigkeit in Österreich Mitte August nur 4,5 Prozent, in Deutschland aber 7,1 Prozent umfasste. In Wahrheit verhält es sich jedoch so, dass Hitler bei der Machtübernahme im Jänner 1933 ein Erbe von 6,5 Millionen Arbeitslosen (das sind 10 Prozent  !) übernehmen musste, das die schwarz-roten Systemparteien verschuldet hatten. Mitte August betrug die Arbeitslosigkeit im Reich nur mehr 4.335.000 (eben 7,1 Prozent), d. h. in einem halben Jahr hatte Hitler es zuwege gebracht, dass die Arbeitslosigkeit um ein Drittel sank  ! In Österreich ist die Zahl der Arbeitslo-

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sen in der gleichen Zeit aber nicht einmal um ein Viertel zurückgegangen, nämlich von 397.000 auf 297.000  !  ! Daraus ergibt sich, dass in Deutschland die Arbeitslosigkeit erfolgreicher als in Österreich bekämpft wird, denn in Deutschland nimmt sie schneller ab als in Österreich  !75 (…) 75 In Österreich erreichte, wie in den meisten anderen Ländern, die Wirtschaftskrise 1933 ihren Höhepunkt. Das Bruttoinlandsprodukt sank im Vergleich zu 1929 um 23 Prozent, die Industrieproduktion um 38 Prozent und das Volumen der Bauwirtschaft sogar um 53 Prozent. Die Zahl der statistisch erfassten Arbeitslosen betrug im Jahresdurchschnitt 557.000, d. h. rund 26 Prozent der Arbeitnehmer. Unter Berücksichtigung der nicht registrierten Arbeitslosen betrug die Gesamtzahl der Arbeitslosen sogar rund 680.000. Dies entsprach einer realen Arbeitslosenrate von beinahe 34 Prozent. Dementsprechend verringerte sich der private Konsum gegenüber 1929 um 18 Prozent. Die österreichische Finanz- und Wirtschaftspolitik stand, auch unter dem Einfluss von Ludwig Mises und Friedrich Hayeks, ebenso wie die meisten Regierungen einer staatlich gesteuerten Ordnungspolitik im Sinne staatlicher Konjunkturpolitik (Keynsianismus) ablehnend gegenüber. Priorität genoss die Stabilitätspolitik und die Eindämmung der hohen Staatsverschuldung, die vor allem aus dem staatlich erzwungenen Engagement zur Rettung der Großbanken resultierte. Zudem stand die österreichische Bundesregierung bis 1936 unter der direkten Kontrolle des Völkerbundkommissars sowie der kritischen Beobachtung der internationalen Finanzmärkte, die ebenfalls auf Währungsstabilität und ausgeglichenes Budget Wert legten, sodass der Bewegungsspielraum einer expansiven Finanzpolitik, sofern dies von den führenden österreichischen Finanzpolitikern intendiert gewesen wäre, enge Grenzen gesetzt waren. Unter dem Druck der hohen Arbeitslosigkeit und vor allem der viel beachteten arbeitspolitischen Maßnahmen im nunmehr nationalsozialistisch regierten Deutschen Reich entschloss sich die Regierung Dollfuß im Oktober 1933 zur Organisation von Arbeitsbeschaffungsprogrammen. Die Lausanner Anleihe hatte Österreich verpflichtet, neben der Auslandanleihe auch eine Inlandsanleihe aufzulegen, mit deren Erlös die Schulden der CA bei der Nationalbank teilweise abgedeckt werden sollten. Im September hatte das Finanzkomitee des Völkerbundes die Erlaubnis zur Aufnahme der Inlandsanleihe erteilt und zudem zugestanden, dass ein Teil des Erlöses für die Finanzierung öffentlicher Arbeiten verwendet werden konnte. Dies griff die Regierung Dollfuß, die angesichts des propagandistischen Druckes aus dem Deutschen Reich dringend Erfolge benötigte, sofort auf. Die aufgelegte sog. Trefferanleihe – unter den Zeichnern wurden jährlich beträchtliche Gewinne ausgelost – brachte 266 Millionen Schilling und erwies sich damit als Erfolg. Ein Teil der Mittel wurde u. a. für den Bau der Großglockner Hochalpenstraße, der Packstraße, der Plöckenstraße, der Gerlosstraße, der Wiener Höhenstraße und der Reichsbrücke verwendet. Generell konzentrierten sich die ab 1933 einsetzenden Arbeitsbeschaffungsprogramme auf teilweise spektakuläre Bauprojekte, die kaum realen Bedürfnissen dienten und keine produktiven Kapazitäten und zukunftsreichen Innovationen (Kraftwerksbauten, Produktivitätssteigerungen usw.) beinhalteten. Sie bildeten vor allem auch eine Antwort auf das in Österreich vielbeachtete Autobahnprogramm des Deutschen Reiches, das am 27. Juni 1933 mit dem »Gesetz über die Errichtung des Unternehmens ›Reichsautobahnen‹« offiziell gestartet wurde. Bereits am 11. Februar hatte Hitler bei der Eröffnung der Internationalen Automobil- und Motorrad-Ausstellung am Kaiserdamm in Berlin erklärt, seine Regierung werde ein großzügiges Straßenbauprojekt in Angriff nehmen und auch die Motorisierung der deutschen Bevölkerung vorantreiben. Am 23. September tat Hitler den ersten Spatenstich zu den Arbeiten an der Autobahn Hamburg-Basel. Nach Berechnungen von Fritz Todt schuf der forcierte Autobahnbau 600.000 Arbeitsplätze. Allein im Juni 1935 arbeiteten nur auf den Baustellen der Autobahnen 125.000 Arbeiter.

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Dabei muss eins noch besonders festgehalten werden  : Von den 50.000, für die die Regierung laut »Wandzeitung« Arbeit geschaffen hat, sind 21.000, also nahezu die Hälfte, in den Arbeitsdienst gesteckt worden  ! Es geht natürlich nicht an, auch die Arbeitsdienstler in die Arbeitsbeschaffung einzurechnen, die aus Deutschland gebrachten Zahlen sind selbstverständlich o h n e die Arbeitsdienstleute zusammengestellt  !  ! (…) Ein großzügiges Winterhilfswerk, von dem die ausländischen Zeitungen schreiben, dass es der bisher größte Angriff auf Hunger und Kälte auf der ganzen Welt sei, ist durch Hitler ins Leben gerufen worden, um für diesen Winter allen jenen, denen noch nicht Arbeit geschaffen werden konnte, die notwendigen Mittel zu beschaffen außer der staatlichen Arbeitslosenunterstützung. Bereits 6 Stunden nach der Bekanntmachung dieser Aktion waren über zwei Millionen Mark gespendet worden  !  ! Heute sind für das deutsche Winterhilfswerk bereits viele Millionen an Sachwerten und Geldmitteln gezeichnet  ! Während derart in Deutschland alle Stände zusammenhalten, geleitet durch eine Regierung, die immer nur an das Wohl des Volkes denkt, herrscht in Österreich nach wie vor Streit, Uneinigkeit und Klassenkampf unter einem Regime, das nur die eine Sorge hat, seine Macht und die damit verbundenen Pfründen unter allen Umständen gegen den Willen des Volkes weiter zu erhalten  ! (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 24. Oktober 1933 Zahl 2732 (230.282/33). Betr.: Regierungsfeindliche nationalsozialistische Propaganda-Briefsendungen. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Der Großteil der bereits 1933 erfolgenden deutlichen Reduktion der Arbeitslosenrate in Deutschland basierte allerdings auf dem Wirksamwerden von Maßnahmen der Vorgängerregierungen, der massiven Investition in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (Reinhardt-Programme) und der beworbenen Vergabe von Ehestandsdarlehen, mit denen Frauen dem Arbeitsmarkt entzogen wurden. Vgl. Karl Bachinger  : Eine stabile Währung in einer stabilen Zeit. Der Schilling in der Ersten Republik. – In  : Ders.; Felix Butschek, Herbert Matis, Dieter Stiefel  : Abschied vom Schilling. Eine österreichische Wirtschaftsgeschichte. – Graz/Wien/Köln 2001. S. 11–133. S. 128 ff.; Roman Sandgruber  : Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart. – Wien 1995. S. 395 ff.; Felix Butschek  : Österreichische Wirtschaftsgeschichte. Von der Antike bis zur Gegenwart. – Wien/Köln/Weimar 2011. S. 245 ff. Zur Arbeitsbeschaffungspolitik in Deutschland vgl. Adam Tooze  : Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus. – München 2008. S. S. 59 ff.

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In der Anlage wird ein Exemplar eines in Wien aufgegebenen nationalsozialistischen Propaganda-Rundschreibens zur Kenntnisnahme vorgelegt, das in zweifacher Ausfertigung in einem offenen Briefkuvert an einen in Morzg bei Salzburg wohnhaften Adressaten gerichtet war, der nicht nationalsozialistischer Parteigänger ist. D e u t s c h e Vo l k s g e n o s s e n    ! In einem beispiellosen Siegeszug gelang es der nationalen Bewegung in Österreich, die Mehrheit des Volkes für sich zu gewinnen. Das herrschende System, das vorerst versuchte, durch Lüge und Verleumdung das Großwerden der nationalen Bewegung zu verhindern, will nun durch Gewalt und Bruch der Gesetze den nationalen Freiheitswillen der Bevölkerung Österreichs unterdrücken. Dieselben Leute, die Österreich 15 Jahre lang ausgeplündert (haben), das Volk betrogen und an das Ausland verkauften, entdecken auf einmal ihre »vaterländische Seele« und schlossen sich in einer »Vaterländischen Front« zusammen. Jene Parteien, jene Menschen, die immer nur rein materialistische Geldsackpolitik betrieben, maßen sich nun an, von Österreichs besonderer Sendung für das deutsche Volk zu sprechen. Wie es in Wahrheit um die »Vaterländische Front« und ihre angeblich deutsche Mission bestellt ist, geht daraus hervor, dass Juden und Tschechen, Christlichsoziale und Sozialdemokraten, also schwarze und rote Internationalisten, die ausschließlichen Mitglieder dieser »Vaterländischen Front« sind und dass die Juden, Franzosen und Tschechen, also die historischen Feinde der deutschen Nation, die besten Freunde und hauptsächlichsten Geldgeber dieser »österreichischen Menschen« sind. Durch Nichtachtung der Gesetze, Bruch der Verfassung und unerhörten Terror haben sich die Christlichsozialen und die Heimwehr mit Unterstützung der dreckigsten Judenblätter die Plattform verschafft, um der nationalen Bewegung alle Betätigungsmöglichkeiten zu nehmen und sie praktisch aus dem öffentlichen Leben Österreichs auszuschalten. Trotz der Warnung aller ernsten Menschen unseres Landes hat die Regierung leichtfertig einen Weg beschritten, der den Frieden Österreichs gefährden muss. Die Verantwortung für die Ereignisse der letzten Zeit und für alles Kommende fällt daher auf jene Leute, die den Warnungen der Führer der nationalsozialistischen Bewegung kein Gehör schenkten. Kein Gerichtshof kann die Führer einer Bewegung für die Handlungen ihrer Anhänger verantwortlich machen, wenn diese Bewegung verboten und den Führern die Möglichkeit genommen ist, ihre Anhänger zu beeinflussen. (…) Schwarz und Rot haben sich in grenzenlosem Hasse gegen alles Deutsche gefunden. So hatte der christlichsoziale Abgeordnete Dr. Czermak76 in der Sitzung des Niederösterreichischen Landtages vom 23. Juni 1933, in der den nationalsozialistischen 76 Emmerich Czermak (1885–1965) besuchte das Gymnasium in Iglau und studierte nach der Matura Geschichte und Geografie an der Universität Wien. Nach der Promotion zum Dr. phil. 1907 unter-

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Mandataren ihre Rechte aberkannt wurden,77 die Frechheit zu erklären  : »Wir glauben, dass hinter uns alle jene Österreicher stehen, die eine ruhige Entwicklung unseres staatlichen und wirtschaftlichen Lebens herbeisehnen. Wir wollen durch diese Abstimmung unser Land freimachen von der Partei der Mörder und Attentäter.« Und der sozialdemokratische Abgeordnete Petznek,78 der Vertreter einer Partei, die offen erklärte, sie kenne kein Vaterland, hat die Stirne, in dieser Sitzung zu erklären  : »Wir können es auch nicht zulassen, dass unser Staat seiner Unabhängigkeit beraubt und von einer ausländischen Macht okkupiert wird.« Das sind die Vertreter der »Vaterländischen Front«. Schwarz und Rot geeint unter der Führung des Judentums im gemeinsamen Abwehrkampf gegen die nationale Bewegung und nur zusammengehalten durch die Angst vor der kommenden Vergeltung durch die erwachende Nation. Man will die nationale Bewegung zerschlagen und, wenn es möglich wäre, jeden deutschfühlenden Menschen in Österreich vertilgen. Trotzdem wissen wir, dass alle diese Mittel, diese Versuche eines verkommenen Interessenklüngels, an der Macht zu bleiben, nicht den beabsichtigten Erfolg zeitigen werden, wenn wir auch durch ein Meer von Verfolgungen, von Hass und Terror schreiten müssen – eines Tages wird alles dies vorbei sein und Deutschösterreich von dem Spuk der »österreichischen Menschen« und der »Vaterländischen Front« befreit werden.

richtete er am Gymnasium in Stockerau und war 1927 bis 1932 Gymnasialdirektor in Hollabrunn. Seine politische Karriere begann er 1921 als chrichtlichsozialer Gemeinderat in Stockerau und als Obmann der Landes-Lehrerernennungskommission und des Christlichsozialen Volksverbandes sowie als Abgeordneter zum Niederösterreichischen Landtag, dem er bis 1934 angehörte. 1934 bis 1938 war er auch Mitglied des Ständestaatlichen Landtages, 1929 und 1930 bis 1930 Unterrichtsminister, 1934 bis 1938 Präsident des Niederösterreichischen Landesschulrates und 1933 bis 1934 Obmann der Christlichsozialen Partei. Nach 1945 wirkte er als öffentlicher Verwalter im Versicherungswesen. Vgl. Bezemek, Dippelreiter (Hg.)  : Politische Eliten in Niederösterreich. S. 47.) 77 Zur Aberkennung der Mandate der Nationalsozialisten im Niederösterreichischen Landtag vgl. Schausberger  : Ins Parlament, um es zu zerstören. S. 371 ff. 78 Leopold Petznek (1881–1956) wuchs im Hyrtl’schen Waisenhaus in Mödling auf, besuchte die Lehrerbildungsanstalt in St. Pölten und Wr. Neustadt, war anschließend Volksschullehrer und wurde 1911 Haupt(Bürger)schullehrer und schließlich Hauptschuldirektor in Mödling. Seine politische Karriere begann 1919 als sozialdemokratischer Gemeinderat in Mödling, 1921 bis 1934 war er Abgeordneter zum Niederösterreichischen Landtag und 1927 bis 1934 dessen Zweiter Präsident. 1923 lernte er Elisabeth Windischgrätz, die Tochter von Kronprinz Rudolf, kennen und lebte ab 1924 mit der »roten Erzherzogin« in einer Lebensgemeinschaft. 1931 wurde er Mitglied der Zentralleitung des Republikanischen Schutzbundes, wurde vom Februar bis Juli 1934 inhaftiert und von den Nationalsozialisten 1944 bis 1945 in das KZ Dachau gebracht. 1945 bis 1949 war er Präsident des Rechnungshofes. (Friedrich Weissensteiner  : Die Rote Erzherzogin. Das ungewöhnliche Leben der Tochter des Kronprinzen Rudolf. Versuch einer Biographie. – Wien 1982  ; Bezemek, Dippelreiter  : Politische Eliten in Niederösterreich. S. 245 f.)

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Deutsche Menschen werden dann in diesem Land dafür sorgen, dass die Ostmark das bleiben wird, was sie seit jeher gewesen  : Ein Bollwerk des Deutschtums gegen den Osten. Bis dahin aber  : Die Fahne hoch, die Reihen dicht geschlossen  ! Der Kampf geht weiter  ! Mit Hitler – für Österreich  ! Polizeidirektion Salzburg, 10. November 1933. Zl. 12099/9 (236.744/33). Betr.: Neuerliche Entfaltung einer politischen Propaganda für die NSDAP. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. In der Nacht vom 8. auf den 9.11. l. J. wurden im Stadtgebiete an verschiedenen Stellen Hakenkreuze gemalt bzw. Aufschriften politisch-demonstrativen Inhaltes angebracht und Flugzettel mit der Aufforderung zum Steuerstreik angeklebt. Die Bundes-Polizeidirektion Salzburg hat bereits vor Wochen gelegentlich der Strafamtshandlung gegen Dr. Otto Radauer et Consorten wegen … vier Kisten im Gesamtgewichte von rund 200 kg mit verschiedenem Propagandamaterial und Explosivstoffen in Erfahrung gebracht, dass aus Anlass der 10-jährigen Wiederkehr des Hitler-Putsch-Tages vom 9. November 1923 Demonstrationen größeren Umfanges geplant scheinen. Es wurden deshalb die erforderlichen Präventivmaßnahmen getroffen, um diese Demonstrationen zu verhindern, die Täter in flagranti festzunehmen und Wiederholungsfällen vorzubeugen. Die Propaganda, welche in der kritischen Nacht für die NSDAP auf die obgeschilderte Weise während der Nacht in vielfacher Richtung und an verschiedenen Orten zur Entfaltung kam, war bei Tagesanbruch fast nicht mehr zu bemerken, da über Auftrag des Polizeidirektors Hofrat Hantsch noch in der Nacht die Putzscharen ausgehoben und die verschiedenen politischen Aufschriften und Hakenkreuze entfernt werden mussten. Mehrere zur Putzschar ausgehobene ehemalige Mitglieder der NSDAP haben sich geweigert, dem Auftrage zu entsprechen. Gegen dieselben, und zwar gegen Ing. Karl Bacher …, Gottfried Niedermüller, Kanzleiangestellter, …, Josef Thalmann, Kaufmann, … und Johann Günther, Reisender …, wurde das Strafverfahren durchgeführt und jeder zu 4 Tagen Arrest verurteilt. Die in flagranti festgenommenen Demonstranten  : Ernst Hell, Vereinskrankenkassenbeamter, … Erwin Pamp, Techniker, …

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Georg Ecker, Hilfsarbeiter, … Friedrich Gruber, Buchhalter, … Ferdinand Adensammer, Hausbesitzerssohn, … (…) In der Nacht vom 9. auf den 10.11. l. J. waren die Präventivmaßnahmen in größerem Umfange veranlasst und konnte dadurch Wiederholungsfällen politischer Demonstrationen in jedweder Art erfolgreich vorgebeugt werden. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 19. Dezember 1933 Zahl 4299 (254.143/33). Betr.: Francesconi Karl in St. Michael im Lungau  ; Zwangsaufenthalt in Wöllersdorf. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Staatspolizeiliches Büro, Wien I, Herrengasse 7. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg hat mit Bericht vom 14. November 1933 … um die Ermächtigung ersucht, die Anhaltung des Karl Francesconi, 16.8. in Wörgl geboren, nach St. Michael, Bezirk Tamsweg zuständig, … Automechaniker und Frächter in Unterweißburg Nr. 30, Gemeinde St. Michael, nach § 1 der Verordnung vom 23. September 1933, B. G. Bl. Nr. 431 verfügen zu dürfen. Der Gendarmeriebericht bezeichnet den Karl Francesconi als äußerst bedenklichen Nationalsozialisten, der dringend verdächtig ist, die Verbindung der NSDAP zwischen dem Lungau und Kärnten aufrecht zu erhalten, ferner Waffen- und Propa­ ganda­material, Transporte zwischen den beiden bezeichneten Gebieten vermittelt bzw. durchgeführt zu haben und schließlich der Urheber der verschiedenen nationalsozialistischen Aktionen in St. Michael gewesen zu sein. Hinsichtlich der Urheberschaft von Klebezettelaktionen liegen gegen Francesconi auch Beweise in Form von Aussagen anderer beteiligter Personen vor. Nach dem Berichte des Gendarmeriepostenkommandos St. Michael ist die zwangsweise Anhaltung des Francesconi im Interesse der Ruhe und Ordnung eine dringende Notwendigkeit. Die Voraussetzungen für die Anhaltung des Francesconi im Sinne der Verordnung vom 23. September 1033, B. G. Bl. Nr. 431 erscheinen hinreichend gegeben. Staatspolizeiliches Büro, Dezember 1933 Wird dem Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg

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mit der Ermächtigung übermittelt, die Anhaltung des Karl Francesconi im Sinne des § 1 der Verordnung vom 23. September 1933, B. G. Bl. Nr. 431 mittels Bescheid zu verfügen. (…) Dem Anzuhaltenden wäre nahezulegen, die notwendigen Kleider, Wäschestücke und Gegenstände des täglichen Bedarfes mitzunehmen. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 19. Dezember 1933 Zahl 4299. Betr.: Francesconi Karl in St. Michael im Lungau  ; Zwangsaufenthalt. Bescheid Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg findet sich … bestimmt, Folgendes zu verfügen  : S p r u c h   : Karl Francesconi … wird zwecks Hintanhaltung von Störungen der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit zum Aufenthalte im Anhaltelager in Wöllersdorf,79 Niederösterreich, verhalten. (…) 79 Angesichts der nationalsozialistischen Terrorakte stellte Sicherheitsminister Emil Fey am 1. September 1933 im Ministerrat den Antrag, eine »Verordnung der Bundesregierung, betreffend die Internierung oder Konfinierung sicherheitsgefährlicher Personen auf Grund des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes zu erlassen und den Bundeskanzler zu ermächtigen, den Termin der Verlautbarung … zu bestimmen.« Verteidigungsminister Carl Vaugoin vertrat in der anschließenden Diskussion den »Standpunkt, dass man die in Deutschland geschehenen Brutalitäten nicht nachahmen solle. Es sei eher bedauerlicherweise festzustellen, dass die Vorsteher verschiedener Gerichte nicht die nötige Objektivität erkennen ließen. Vor allem lasse die Verwahrung der Häftlinge viel zu wünschen übrig.« Auch Justizminister Kurt Schuschnigg betonte, er gehöre zu denjenigen, »die vor dem Kopieren der reichsdeutschen Crudelitäten einen Abscheu hätten. Doch müsse er feststellen, dass man auf dem bisher beschrittenen Weg nicht weiterkomme.« Es bestehe vielfach eine Überbelegung der Gefängnisse mit (nationalsozialistischen) Häftlingen, woraus dem Justizministerium erhebliche finanzielle Lasten erwüchsen. »Dazu komme, dass die Vermengung politischer und krimineller Häftlinge auch für normale Zeiten nicht wünschenswert sei.« Er sehe daher »unter diesen Umständen keinen anderen Ausweg, als das System der Sammellager zu wählen.« Der dem Landbund angehörende Vizekanzler Franz Winkler opponierte mit der Feststellung, bei ihm stelle sich der Eindruck ein, »dass man sich ernstlich bemühe, Maßnahmen, die man sonst in anderen Staaten ablehne, wie z. B. die Errichtung von Konzentrationslagern und das Vorgehen gegen anders Gesinnte in Deutschland, nachzuahmen. Man möge bedenken, dass Österreich gerade wegen seiner zivilisierten Politik im Ausland eine geachtete Stellung einnehme, die man zu erschüttern im Begriff sei.« Man müsse diejenigen, die sich »gegen die Gesetze vergingen, zur Verantwortung« ziehen, doch dürfe man dabei nicht zu Maßnahmen greifen, »die in Deutschland unter Anwendung von Mitteln der Reaktion getroffen würden (…)« (MRP 896/21.) Auch in der folgenden Ministerratssitzung am 6. September beharrte Winkler auf seiner ablehnenden

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Position und verdächtigte die Heimwehr, in den nächsten drei Wochen Maßnahmen ergreifen zu wollen, »um mit oder ohne Bundespräsidenten und mit oder ohne Bundeskanzler Dollfuß die Macht an sich zu reißen und die jetzt in der Regierung befindlichen anderen Parteien, deren Vertreter im Kabinett von verschiedenen Heimwehrführern nur noch als geduldet angesehen würden, auszuschalten. Für alle diejenigen, die sich dem neuen Kurs nicht mit Begeisterung anschlössen, sollten Konzentrationslager errichtet werden.« Vor allem Major Emil Fey stehe im Mittelpunkt dieser sich verdichtenden Gerüchte. »Da die beunruhigenden Nachrichten über die Haltung der Heimwehr sich immer mehr verdichteten,« sei er »nicht gewillt, dazu beizutragen, der Heimwehr unter dem Titel Abwehr des Nationalsozialismus die Machtmittel in die Hand zu geben, um in Österreich die Totalität für die Heimwehr aufzurichten.« In der anschließenden Diskussion kam der Stellungnahme von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß die entscheidende Rolle zu. Dieser erklärte zur allgemeinen politischen Lage, »dass nach allen ihm zugekommenen Informationen im Laufe der nächsten vier oder fünf Wochen mit einer gewaltsamen Aktion der Nationalsozialisten zu rechnen sei. Insbesondere drohe nach seiner Überzeugung eine Unternehmung von Seite der in Deutschland aufgestellten österreichischen Legion. (…) Selbst wenn von der nationalsozialistischen Partei Deutschlands eine Aktion gegen Österreich nicht unmittelbar geplant wäre, bestehe doch die Gefahr, dass die Mitglieder der österreichischen Legion frei gelassen werden und unangenehme Vorfälle an der Grenze hervorrufen könnten.« Angesichts der angespannten innen- und außenpolitischen Lage erachte er »die Erlassung der Verordnung … als eine dringende Notwendigkeit (…)« Mit den zu ergreifenden Maßnahmen könne man »nicht bis zum nächsten Ministerrat« zuwarten, »weil plötzlich unerwartete Ereignisse eintreten könnten und die Möglichkeit einer solchen Entwicklung allein die Regierung zu allen notwendigen Vorsorgen verpflichte.« Er schlug als Kompromiss vor, »ihm in den drei Fragen der Erlassung der vorliegenden Verordnung, dann der Einberufung des Beurlaubtenstandes des Bundesheeres und der Aufbietung der militärischen Assistenzkörper die notwendigen Vollmachten zu erteilen, wobei er sich verpflichte, von dieser Ermächtigung erst nach vollständiger Klärung der politischen Fragen und nur im Einvernehmen mit den an der Maßnahme interessierten Regierungsmitgliedern Gebrauch zu machen.« (MRP 897/15.) Die Situation änderte sich mit dem Ausscheiden des Landbundes aus der Regierung im Zuge der Regierungsumbildung am 21. September grundlegend. Am 23. September wurde die Verordnung zur »Errichtung von Anhaltelagern zur Internierung politischer Häftlinge« mit Wirksamkeit bis 1. Oktober 1934 erlassen. Das größte und bekannteste Anhaltelager befand sich in Wöllersdorf bei Wr. Neustadt. Durch die Verordnung konnte der Bundeskanzler und durch dessen Ermächtigung der Sicherheitsdirektor Personen, die im begründeten Verdacht staatsfeindlicher Aktivitäten standen, zu einem Aufenthalt auf unbestimmte Zeit in sog. Anhaltelagern verhalten werden. Wenngleich die Aufenthaltsdauer offiziell als auf unbestimmte Zeit definiert wurde, so bewegten sich die zeitlichen Anhaltekategorien in vier Stufen zwischen 4 Wochen und 12 Monaten. Kostenersatz war dabei vorgesehen, da man davon ausging, dass der Häftling zumindest einen Teil der anfallenden Kosten selber tragen musste. Der Aufenthalt in einem Anhaltelager war in keiner Weise mit jenem in einem Konzentrationslager vergleichbar. Die Verordnung richtete sich vor allem gegen Nationalsozialisten, bezog jedoch schließlich auch auf Sozialdemokraten und Kommunisten. Dennoch betrug im September 1934 der Anteil der inhaftierten Nationalsozialisten das Sechsfache der Sozialdemokraten und Kommunisten (6617 zu 1187). Die Zahl der Häftlinge reduzierte sich bis zum Mai 1935 drastisch auf insgesamt 395, davon 283 Nationalsozialisten und 112 Sozialdemokraten und Kommunisten. Vor allem für die Nationalsozialisten wurde Wöllersdorf zum Mythos der Verfolgung und des Leidens in einem »Konzentrationslager«. Vgl. dazu Gerhard Jagschitz  : Die Anhaltelager in Österreich. – In  : Jedlicka, Neck (Hg.)  : Vom Jus-

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R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g   : Gegen diesen Bescheid steht die binnen zwei Wochen nach Zustellung beim Amte des Sicherheitsdirektors … einzubringende Berufung an den Bundeskanzler offen. Einer allfälligen Berufung kommt jedoch gemäß § 2 der zitierten Verordnung eine aufschiebende Wirkung n i c h t zu. (…) Bundespolizeidirektion Salzburg, 16. November 1933 Zl. 15/res/33 (239.920/33) Betr.: Indirekte Propaganda für die NSDAP. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. (…) Seitens eines hohen h. o. Gerichtsfunktionärs wurde die Bundes-Polizeidirektion darauf aufmerksam gemacht, dass die Veröffentlichung der Namen derjenigen Personen, welche wegen verbotswidriger Betätigung im Interesse der NSDAP … zu Arreststrafen verurteilt wurden, sowie die Darstellung der verschiedenen rechtswidrigen Handlungen den von der Sicherheitsbehörde hierdurch angestrebten Zweck einer abschreckenden Wirkung nicht erreicht, sondern vielfach dazu beiträgt, dass Anhänger der NSDAP in diesen Veröffentlichungen eine ihnen willkommene Reklame ihrer vermeintlichen Heldentaten erblicken, und überdies insbesonders jugendliche Anhänger der erwähnten Partei zur Nachahmung aufmuntert. Für die Richtigkeit dieser Anschauung spricht auch der Umstand, dass gelegentlich der Aushebung zu den Putzscharen bei den in Betracht kommenden Personen keineswegs ein Schamgefühl, sondern sogar der Anschein eines gewissen Stolzes wahrzunehmen war. Die Bundes-Polizeidirektion Salzburg ist deshalb in letzter Zeit dazu geschritten, die Putzscharen nicht mehr bei Tag, sondern schon in der Nacht auszuheben. Abgesehen davon, dass die Spuren der illegalen propagandistischen Tätigkeit noch vor Tagesanbruch entfernt werden und der Herausforderung eines gerechtfertigten Unmutes bei der vaterländisch gesinnten Bevölkerung erfolgversprechend vorgebeugt werden kann, hat die Störung der Nachtruhe schon eine für die Betroffenen sichtlich empfindliche und für die anderen abschreckende Wirkung ausgelöst. Es wurde h. a. wahrgenommen, dass die Mitglieder der Putzscharen, welche tagsüber ausgehoben wurden, vor den Passanten ein vermeintliches »Märtyrertum« zur Schau getragen und in der Putzarbeit ein gewisses vermeintliches Heldentum erblickt haben. Letzttizpalast zum Heldenplatz. S. 128–151  ; Emmerich Talos  : Das austrofaschistische Herrschaftssystem 1933–1938. 2. Aufl. – Wien 2013 (Politik und Zeitgeschichte. Herausgegeben von Emmerich Tálos. Band 8.)  ; Schölnberger  : Das Anhaltelager Wöllersdorf 1933–1938.

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lich hat ein bei der Nacht zur Putzarbeit ausgehobener, im freien Berufe stehender Ingenieur erklärt, dass er nur bei Tag und da in voller Uniform als Reserveoffizier bereit wäre, coram publico als Mitglied einer Putzschar tätig zu sein. (…) Was die Verlautbarung der propagandistische Zwecke verfolgenden Handlungen von Mitgliedern der ehemaligen NSDAP anlangt, scheint den der Bundes-Polizeidirektion zugekommenen Informationen zufolge die Annahme gerechtfertigt, dass diese Verlautbarungen in der Tagespresse von den der nationalsozialistischen Idee nahestehenden Bevölkerungskreisen als eine geradezu willkommene Registrierung solcher »Heldentaten« betrachtet werden. Desgleichen scheint die regelmäßige Veröffentlichung der Namen der von den Sicherheitsbehörden wegen verschiedener propagandistischer Aktionen wie Zettelkleben, Abbrennen von Hakenkreuzen, Beschmieren von Wänden, Werfen von Papierböllern etc. bestraften Personen nicht den von der Behörde angestrebten Zweck zu erreichen, solche Übeltäter als Gesetzesbrecher vor der Öffentlichkeit bloßzustellen und hierdurch eine abschreckende Wirkung zu erzielen  ; vielmehr ist auf Grund der h. a. Wahrnehmungen die Annahme gerechtfertigt, dass insbesondere Jugendliche, durch die in der Presse beschriebenen regierungsfeindlichen Aktionen angeeifert, sich zu Nachahmungen hinreißen lassen, gleichwie solche Personen, deren Namen im Zusammenhange mit … verbotenen Aktionen veröffentlicht werden, darin geradezu den Nachweis einer sie ehrenden Erwähnung ihrer verbotswidrigen Handlungen erblicken. (…) Kommentar (Aktenvermerk) der Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Staatspolizei, Jänner 1934. Der Anregung der Bundespolizeidirektion Salzburg, dahin zu wirken, dass Nachrichten über Bestrafung wegen verbotener Tätigkeit für die NSDAP nicht der Presse zur Verlautbarung überlassen werden sollen, ist bereits Rechnung getragen. Bei einer Konferenz der Sicherheitsdirektoren wurden diese beauftragt, über Abstrafungen von nationalsozialistischen Parteiangehörigen wegen verbotener Parteitätigkeit, abgesehen von besonders krassen Fällen, nichts zu verlautbaren. Durch die Regelung des Nachrichtendienstes über staatspolizeiliche Vorfälle ist auch einer negativen Propaganda für die NSDAP ein Riegel vorgeschoben. (…)

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Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit. Geschäftszahl 240.861-G.D./33. Schreiben des ehemaligen Salzburger Gemeinderates Karl Czaika80 an den Präsidenten des Zentralverbandes der Hausbesitzer, Moissl, 9. November 1933. Sehr geehrter Herr Präsident  ! Ich werde von der Polizei in Salzburg fortwährend behelligt, dass ich angeblich ein Nationalsozialist sei und diese mich sogar in eine Putzschar einteilen wollte, trotzdem ich nie Nationalsozialist gewesen bin und mich auch nie in dieser Partei betätigte. Diese Maßnahmen der Polizei in Salzburg scheinen nur auf Denunziationen zurückzuführen sein und wurde sogar die läppische Anzeige erstattet, dass ich in Deutschland Kurier-Dienste gemacht hätte. Wäre es Ihnen, sehr geehrter Herr Präsident, nicht möglich – nachdem Sie mich und meine politische Einstellung kennen – diesbezüglich in Wien zu intervenieren  ? (…) Schreiben von Präsident Moissl an den Generalsekretär der Christlichsozialen Partei, Viktor Kolassa, 11. November 1933. Hochverehrter Herr Generalsekretär  ! Ich erhielt beiliegendes Schreiben … Herr Czaika … war nie nationalsozialistisch gesinnt. Diese Denunziationen und die läppische Anzeige, dass er für Deutschland Kurier-Dienste leistet, sind unwahre Angaben und vertritt Herr Czaika eine deutsche Firma, den deutschen Benzolverband, und muss aus diesem Grunde geschäftlich nach Deutschland fahren. Diese Denunziationen sind unzweifelhaft von landbündlerischer Seite erfolgt, die es Herrn Czaika nicht vergessen können, dass er zu uns gestoßen ist. Ich würde Sie, sehr verehrter Herr Generalsekretär, recht bitten, den Herrn Staatssekretär für Sicherheitswesen davon zu informieren. Schreiben des Generalsekretärs der Christlichsozialen Partei, Viktor Kolassa, an Staatssekretär Karl Karwinsky, 14. November 1933. Sehr geehrter Herr Staatssekretär  ! Gestatten Sie, dass ich Ihnen zwei Schreiben übersende, die ich erhalten habe. Ich

80 Der Maschinenhändler Karl Czaika war Obmann des Salzburger Hausbesitzerverbandes, Vorstandsmitglied des 1925 gegründeten »Salzburger Wirtschaftsverbandes«, 1924 bis 1927 und 1930 bis 1931 Gemeinderat der Großdeutschen Volkspartei.

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selbst kann über die Sache keine Auskunft abgeben, weil mir Herr Czaika nicht bekannt ist. Präsident Moissl vom Zentralverband der Hausbesitzer setzt sich ein. (…) Bundespolizeidirektion Salzburg, 5. Dezember 1933. Zl. 17.054/2 (248.156/33). Betr.: Czaika Karl in Salzburg  ; Beschwerde über Verdächtigung der Nationalsozialistischen Betätigung. Zur G. D. Zl. 240.861-St.B./33. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Die Bundes-Polizeidirektion beehrte sich … zu berichten, dass der ehemalige großdeutsche Gemeinderat Karl Czaika in keiner der h. a. bestehenden Listen für Putzscharen verzeichnet erscheint und dass auch nie die Absicht bestand, ihn zu derartigen Diensten heranzuziehen. Hingegen scheint dessen Bruder August Czaika, derzeit beschäftigungsloser Kaufmann, … der ein bekanntes Mitglied der ehemaligen NSDAP und SA war, für Putzschardienste vorgemerkt. Aus diesem Umstande dürfte vermutlich das Gerede und die irrige Meinung des Beschwerdeführers entstanden sein, dass auch er für derartige Dienstleistungen in Aussicht genommen ist. Am 23.10. dieses Jahres wurde gegen den Einschreiter Karl Czaika die vertrauliche Anzeige erstattet, dass er mit seinem Kraftwagen einem nach Deutschland geflüchteten Versicherungsagenten Johann Ortner Kleider und andere Effekten überbracht hätte. Die hierauf eingeleiteten Erhebungen ergaben keinerlei konkrete Anhaltspunkte für die Richtigkeit dieser Anzeige. Es wurde daher nach Anschluss der Erhebungen die Einstellung des Verfahrens verfügt und dem Beschwerdeführer der Reisepass, der ihm aus diesem Anlasse einstweilen abgenommen worden war, wieder ausgefolgt. Bezirksgendarmeriekommando Zell am See, 4. Dezember 1933. Zu Ex. Nr. 2739. Betr.: Grenzzwischenfall beim Zollamt Steinpass und Angaben der verhafteten Legionäre. An das Landesgendarmeriekommando in Salzburg. Im Nachhange zur hierortigen telefonischen Relation vom 3.12.1933 (Verhaftung dreier Mitglieder der Österreichischen Legion beim Überschreiten der bayerisch-österreichischen Grenze, Anm. d. Verf.) wird gemeldet, dass durch Revierinspektor An-

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ton Kronberger die verhafteten Legionäre namens Georg Unterganschnigg, Rudolf Höpflinger und Ludwig Höpflinger auf dem Posten Lofer in Gegenwart des Revierinspektors Simon Löcker vereinzelt einem eingehenden Verhöre unterzogen worden sind. Georg Unterganschnigg, am 30.8.1906 in Zell am See geboren, … Gerbergehilfe, vermögenslos, angeblich 9 Mal wegen verschiedener Delikte vorbestraft, … gab Folgendes an  : »Seit dem Jahre 1933 gehöre ich der NSDAP an und war auch Mitglied der SA-Formation in Zell am See. Am 25. Juni 1933 verließ ich Zell am See und machte mich auf den Weg nach Deutschland. Am Hirschbichl bei Weißbach habe ich den österreichischen Boden verlassen. Das Motiv meiner Flucht war, einigen Strafverbüßungen, die ich wegen verbotener Betätigung in der NSDAP ausgefasst erhielt, zu entgehen. Ein anderer Grund lag nicht in mir. In Bayern wandte ich mich anfänglich nach Berchtesgaden und wurde dort von dem bayerischen Sturmführer Glück nach München81 dirigiert. In München ging ich in das Hotel »Zum Reichsadler«, wo die österreichische Reichsleitung der NSDAP logiert. Dort meldete ich mich beim ehemaligen Bundesrat Reschny. Dieser hat mich verpflichtet, dass ich den Naziführern unbedingte Folge leiste und ich musste in dieser Richtung einen schriftlichen Revers unterfertigen. Nach Erhalt des Fahrgeldes landete ich im Lager Lechfeld. In diesem Lager befanden sich bereits 60 österreichische Flüchtlinge. Im Laufe der Zeit sind in Lechfeld die Flüchtlinge auf ca. 4000 angewachsen. Diese wurden dann verteilt und sind gruppenweise verschiedenen Ortes abgegangen. Lagerkommandant war ein gewisser Straßmayer82 aus Niederösterreich. Die Behandlung und Verpflegung im Lager war tadellos. Entlohnt wurden wir pro Tag mit 30 Pfennigen. Die Tagesbeschäftigung bestand in Turnen und Exerzieren. Zum Exerzieren verfügten wir über alte unbrauchbare Gewehre. Scharfe Munition erhielten wir niemals ausgefolgt und wir haben auch keine Schießübungen durchgeführt. Am 17. oder 18. November wurde ein Teil der Salzburger Flüchtlinge von Lechfeld nach Freilassing abgezogen, um dort das Winterquartier zu beziehen. Das Quartier 81 Die österreichische Landesleitung der NSDAP errichtete 1933 Kontrollstellen in München (Arcisstraße 30) und in Berlin (Wilhelmstraße 70a), um die nach Deutschland geflüchteten Nationalsozialisten zu überprüfen. Hier erhielten die geflüchteten Nationalsozialisten nach einer positiven Prüfung einen Ausweis, der die Voraussetzung für eine legale Beschäftigung darstellte. Im Fall einer Eingliederung in die Österreichische Legion bedurfte es allerdings keiner Kontrolle durch eine der beiden Kontrollstellen und damit auch keines eigenen Ausweises. 82 Karl Straßmayer (1897–1945) arbeitete nach der Matura in einer Weinhandlung in Krems. 1924/25 nahm er Kontakt zur NSDAP auf, wurde 1929 SA-Standartenführer, war 1932 bis 1933 Abgeordneter der NSDAP zum niederösterreichischen Landtag, floh 1933 nach Deutschland, war vom Juni bis November 1933 Lagerführer in Lechfeld und vom Juli 1935 bis Juni 1937 im Lager Lippstadt, wurde 1938 Mitglied des Deutschen Reichstages und Leiter der Arbeitsgauleitung XXVIII in Würzburg, 1939 eines Arbeitsdienstlagers in Gmünd. 1945 galt er als verschollen und wurde für tot erklärt.

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mussten wir selber herrichten. Selbiges befindet sich in einem alten Sägewerk in Freilassing. Unter den österreichischen Flüchtlingen waren verschiedene Ansichten vertreten und die meisten gingen dahin, dass sie in kurzer Zeit auf legalem Wege nach Österreich zurückkehren dürfen. Die meiste Hoffnung besteht auf einer Amnestie. Wenn wir mit unseren Führern zusammenkamen, wurden sie stets befragt, wann können wir nach Österreich zurück. Diese gaben uns immer zur Antwort, uns wäre ein jeder Tag recht, Näheres wissen wir selber nicht. Tatsache ist, dass die österreichischen Flüchtlinge unter Heimweh zu leiden haben. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 18. Dezember 1933. Zahl 4319 (253.877/33). Betr.: Neue nationalsozialistische Flugzettel, in Uttendorf gefunden. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. In der Anlage wird eine neue Art nationalsozialistischer Propagandazettel, die am 14.12.1933 in der Pfarrkirche in Uttendorf im Pinzgau erstmalig gefunden wurden, zur Kenntnisnahme vorgelegt.83 Der päpstliche Nuntius in München Kardinal Vasallo di Torregrossa, begrüßte am 15. Oktober 1933 den Reichskanzler Adolf Hitler mit den Worten  : »Ich habe Sie lange nicht verstanden. Ich habe mich aber lange darum bemüht. Heute verstehe ich Sie.« Katholiken Österreichs  ! 83 Die mit dem Abschluss des Konkordates mit dem Deutschen Reich im Juli 1933 verbundenen Hoffnungen der Katholischen Kirche sollten sich nicht erfüllen. Die Verpflichtung der Katholischen Kirche, sich im Sinne einer Trennung von Kirche und Staat jeder politischen Betätigung zu enthalten, sollte sich bereits gegen Jahresende 1933 als nachteilig erweisen. Die katholische Hierarchie in Deutschland, unterstützt vom päpstlichen Nuntius in Deutschland, dem für diese Position wenig geeigneten Cesare Orsenigo, erging sich vorerst noch in Loyalitätserklärungen gegenüber dem Regime in der irrigen Hoffnung, dieses von antikatholischen Maßnahmen abhalten zu können. Vgl. dazu Kershaw  : Hitler. 1889–1936. S. 617 f.; Evans  : Das Dritte Reich. Diktatur. Band 2/1. S. 288 ff.; Hans-Ulrich Thamer  : Verführung und Gewalt. Deutschland 1933–1945. – Berlin 1998. S. 438 ff.; David I. Kertzer  : Der erste Stellvertreter. Papst Pius XI. und der geheime Pakt mit dem Faschismus. – Darmstadt 2016. S. 215 ff.

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Wäre Adolf Hitler wirklich der Kirchenfeind und Führer eines »braunen Bolschewismus«, wie scheinheilige Volksverräter und schamlose Parteichristen in Österreich immer wieder zu behaupten wagen, dann würde einer der höchsten päpstlichen Würdenträger den Kanzler des neuen Deutschland weder verstehen noch ihm die Hand reichen. Katholiken Österreichs  ! Unser Heiland Jesus Christus jagte die Wechsler und Händler aus dem Tempel  ! Was habt Ihr zu tun  ? Nieder mit den erbärmlichen Jämmerlingen, die in frecher Lügenhaftigkeit mit der heiligen Religion auf Kosten des Volkes in Österreich für sich ihre schmutzigen Geschäfte machen  ! Reichet – wie der päpstliche Nuntius – Adolf Hitler die Hand und erkämpft mit ihm ein Wahrhaft christliches, freies nationalsozialistisches Österreich  ! Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit), September 1933. Geschäftszahl  : 209,557-G.D.1/1933. Betr.: Salzburg  ; Berichte über Ausbürgerungen.84 Ingenieur Herbert Parson, 21.2.1907 in Berlin geboren, Oberalm Bez. Hallein zuständig, … Rudolf Schramm, Tischlergehilfe, 28.2.1912 in Salzburg geboren und zuständig, … Karl Scharizer, ehem. österr. Bundesrat, 30.7.1901 in Freistadt geboren, Salzburg zuständig … Josef Wohlrab, Ingenieur, 7.8.1888 in Wien geboren, Salzburg zuständig, … Anton Wohlrab, Baumeister, 20.11.1895 in Luditz CSR geboren, Salzburg zuständig, … Hermann Langhans, ehem. Hauptmann des österr. Bundesheeres, 24.9.1897 in Lend geboren, Salzburg wohnhaft, … Otto Steinbacher, Pilot und Luftfotograf, 7.8.1906 in Wörgl geboren, Salzburg wohnhaft, … Josef Weilguni, Schriftsetzer, 9.4.1905 in Hofgastein geboren, Salzburg zuständig, …

84 Nach der Verordnung der Bundesregierung vom 16. August 1933, BGBl. 369. (Passus  : »Österreich feindliche Handlungen unterstützt (gefördert) sowie an solchen Handlungen teilgenommen und sich unbefugt ins Ausland begeben.«)

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Johann Orasche, Förster, 14.5.1897 in Zell, Bezirk Klagenfurt, geboren, Salzburg zuständig, … Theodor Podzeit, Kunstgewerbeschüler, 27.6.1912 in Salzburg geboren und zuständig, … Georg Zenzlhuber, Bautechniker, 19.10.1908 in Salzburg geboren und zuständig, … Josef Mittermayer, Hilfsarbeiter, 1.1.1897 in Salzburg geboren und zuständig, … Österreichische Bundesbahnen, Innsbruck, September 1933.85 Zl. 71/22-Präs. 33. An das Amt der Landesregierung Salzburg. Im Nachhange zu unserem Schreiben vom 1. September 1933 … beehren wir uns Ihnen mitzuteilen, dass der festangestellte Beamte Mathoi Johann, letzte Dienststelle Zugförderungsnebenstelle Saalfelden, geboren in Wien am 20.3.1899, zuständig in Wenns, am 7. August seine Wohnung verlassen und sicherem Vernehmen zufolge nach Deutschland geflüchtet ist. Wir ersuchen, die Ausbürgerung des Genannten bzw. das Datum des Anschlages an der Amtstafel bekannt zu geben. Hinsichtlich des Mathoi haben wir unter einem auch die Landesregierung Tirol in Kenntnis gesetzt. Bundesbahndirektion Innsbruck, 16. September 1933. Zl. 17/78.c-R-33. An die Bezirkshauptmannschaft in Zell am See. Der Elektriker Johann Mathoi der Zugförderungsnebenstelle Saalfelden hat am 7.8.1933 seinen Dienstort Saalfelden unter dem Vorwande, auf Arbeitssuche zu gehen, verlassen und ist bis heute nicht mehr zurückgekehrt. Dem Vernehmen nach hält sich Mathoi, der vor seiner Versetzung nach Saalfelden in Kitzbühel stationiert war, in Deutschland auf. Näheres ist uns jedoch darüber nicht bekannt geworden. Da gegen ihn wegen seiner politischen Betätigung als SA-Führer für den Bezirk Kitzbühel ein Disziplinarverfahren anhängig ist, das im Falle der Aberkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft eingestellt werden könnte, ersuchen wir um dringende Mitteilung, ob gegen ihn ein solches Verfahren eingeleitet wird, und um Übermittlung einer Abschrift des bezüglichen rechtskräftigen Erkenntnisses.

85 Gesamtakt Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit. Geschäftszahl 220498G.D.1/1933. Geschäftszeichen 22/Salzburg.

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Bezirkshauptmannschaft Zell am See, am 20. September 1933. Zl.: 11188/1-1933. Bescheid Johann Mathoi, B. B. Beamter, geboren am 20. März 1899 in Wien, bisher wohnhaft in Saalfelden, heimatsberechtigt in Wenns – Bezirk Imst-Tirol, hat sich unbefugt ins Ausland begeben. Hierdurch ist gemäß § 10, 2 Abs. des Bundesgesetzes vom 30.7.1925 BGBl. 285, in der Fassung der Verordnung der Bundesregierung vom 16. August 1933. BGBl. Nr. 369 der Verlust der bisherigen Landesbürgerschaft des Johann Mathoi im Bundeslande Tirol eingetreten. Begründung  : Johann Mathoi ist am 7. August 1933 ins Deutsche Reich ohne Bewilligung ausgereist. Rechtsmittelbelehrung  : Gegen diesen Bescheid ist die binnen 2 Wochen vom Tage des Anschlages des Bescheides bei der Bezirkshauptmannschaft Zell am See eingebrachte Berufung zulässig. Der Bezirkshauptmann  : Dr. Hanifle Gendarmeriepostenkommando Hallein, 6. September 1933.86 E. Nr, 5071. Betr.: König Albert, Verlust der Landes- und Bundesbürgerschaft. An die Bezirkshauptmannschaft Hallein. (…) Der vorbeschriebene Albert König (Magister, geb. am 15.5.1900 in Hallein, wohnhaft Hallein 120, verheiratet, zwei Kinder) hat als ehemaliges führendes Mitglied der Ortsgruppe Hallein der NSDAP ohne die vorgeschriebene Ausreisebewilligung im August 1933 die Grenze nach Deutschland überschritten und dürfte sich dort zweifellos parteipolitisch betätigen. Albert König unterstützt als nationalsozialistischer Legionär gegen Österreich feindliche Handlungen, fördert dieselben und nimmt auch an derartigen Unternehmungen teil. Wie von dem Zollbeamten des Zollamtes Zill bemerkt werden konnte, hält sich König des Öfteren knapp an der österreichischen Grenze auf bayerischem Boden auf.

86 Gesamtakt Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Geschäftszahl 248.183 G.D. 2/33. Geschäftszeichen 22/Salzburg.

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Bezirkshauptmannschaft Hallein, 29. September 1933 Zl. 70/3/Präs. Betr.: Dr. Anton Jennewein. Landesgerichtsrat in Hallein, politisches Verhalten. An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. Unter Bezugnahme auf die dem Herrn Sicherheitsdirektor … mündlich erstattete Meldung des Bezirksgendarmeriekommandanten wird berichtet, dass Beweise für das hochverräterische Verhalten des Obigen schwer zu erbringen sind. Anhaltspunkte dürften aber folgende Umstände bieten  : Es ist allgemein bekannt und wurde von Gendarmeriebeamten auch gesehen, dass die Arrestlokale des Bezirksgerichtes Hallein mit hochverräterischen und die österreichische Regierung beleidigenden Inschriften vollgeschmiert sind. Dr. Jennewein87 hat als Strafrichter wiederholt dieselben betreten, jedoch nichts zur Abstellung dieses Unfuges und zur Feststellung der Täter unternommen, obwohl es leicht gewesen wäre, die Täter zu ermitteln. Eine Untersuchung dieser Angelegenheit stünde dem Landesgerichtspräsidenten zu, müsste jedoch bald und überraschend erfolgen. Es wird allgemein besprochen, dass in Fällen, wo nationalsozialistische Parteiangehörige angeklagt waren, von Dr. Jennewein Fehlurteile gefällt worden sind  ; auch hier könnte der Beweis nur durch eine Untersuchung seitens der übergeordneten gerichtlichen Behörde erbracht werden. Dr. Jennewein verkehrt auch weiterhin ausschließlich mit Personen, die sich als besonders fanatische Anhänger der NSDAP bis zum Verbot dieser Partei gezeigt haben  ; solche abendlichen Zusammenkünfte dauern, wie von der Gendarmerie beobachtet wurde, oft bis in die Morgenstunden. (…)

87 Anton Jennewein, Dr. jur., war Bezirksrichter in Hallein und trat bereits 1921 der NSDAP bei, wechselte jedoch später zur Heimwehr, um 1930 neuerlich der NSDAP beizutreten. Vom Herbst 1931 bis April 1932 war er Bezirksleiter der NSDAP des Tennengaus, wurde 1934 Gauleiter von Salzburg der illegalen NSDAP, 1935 verhaftet und wegen Hochverrates zu 10 Monaten schweren Kerkers verurteilt. Nach dem Anschluss wurde er Bezirkshauptmann von Hallein und später Generaldirektor des Dorotheums. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er vor dem Volksgerichtshof in Wien angeklagt und zu zwei Jahren Kerker verurteilt. Mildernd wirkten Zeugenaussagen wie jene des ehemaligen Salzburger Landeshauptmannes Franz Rehrl, die erklärten, Jennewein habe sich in den letzten Kriegsjahren vom Nationalsozialismus abgewandt und sich auch für politisch Verfolgte eingesetzt. (Hellmut Butterwerk  : Nationalsozialisten vor dem Volksgericht Wien. Österreichs Ringen um Gerechtigkeit 1945–1955 in der zeitgenössischen öffentlichen Meinung. – Innsbruck/Wien/Bozen 2016. S. 196.)

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Gendarmeriepostenkommando Radstadt, Bezirk St. Johann, Salzburg, 20. November 1933. E. N. 36 res. Betr.: Jennewein Anton, Dr. Landesgerichtsrat, politische Betätigung, Erhebungsergebnisse. An das Bezirksgendarmeriekommando in Hallein. Dr. Jennewein ist keine unbekannte Person in Radstadt. Er hat in den letzten Jahren wiederholt den hiesigen Gerichtsvorsteher Dr. Max Peisser88 vertreten und kam daher viel mit der hiesigen Bevölkerung in Berührung. Außerdem trat er einige Male als Redner bei Versammlungen der NSDAP auf, als diese noch bestanden hat. Bei dieser Gelegenheit stieg er jedes Mal im hiesigen Hotel »Post« der Elise Jasny, der Gattin des hiesigen Sprengelarztes Dr. Karl Jasny, ab. Dr. Jennewein und Dr. Jasny haben sich im Laufe dieser Zeit sehr gut befreundet und scheint das Verhältnis auch derzeit noch einem unlösbaren Knoten zu gleichen. Daher kommt es, dass Dr. Jennewein bei jeder sich bietenden Gelegenheit im Hause Jasny sich einfindet und Dr. Jasny ihn schon wiederholt mit seinem dunklen Tatra nach Hallein fuhr. Nachdem aber dem Dr. Jasny, welcher seit ca. 2 Jahren der NSDAP angehört, seit längerer Zeit nachgewiesen werden konnte, dass er besonders für die Partei schwärmt und seine Gattin als eine fanatische Anhängerin der NSDAP bekannt ist, so ist wohl anzunehmen, dass anlässlich der Zusammenkünfte der beiden auch politische Fragen erörtert werden. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass Dr. Jennewein als Verbindungsmann zwischen dem Reiche und österreichischen Führern der Partei fungiert und sich zu diesem Zwecke nach Radstadt begibt, wo weitere Fäden in dieser Sache gesponnen werden. Bezirksgendarmeriekommando Hallein, in Salzburg, 22. November 1933. Exh. Nr. 84 res. mit 1 Blg. An die Bezirkshauptmannschaft in Hallein. 88 Max Peisser (1894–1970) studierte Rechtswissenschaften an der Universität Innsbruck, promovierte 1919 zum Dr. jur. und absolvierte 1919/20 die Gerichtspraxis. 1925 wurde er zum Richter ernannt und war 1926 bis 1935 Vorsteher des Bezirksgerichtes Radstadt. 1930 trat er der NSDAP bei, war 1931 bis 1933 Mitglied des Gemeinderates der Stadt Radstadt und wurde 1932 Klubobmann der NSDAP im Salzburger Landtag, trat jedoch bereits am 5. Dezember 1932 von seiner politischen Funktion zurück und im Juni 1933 aus der NSDAP aus. 1935 bis 1938 war er Richter am Landesgericht und Oberlandesgericht Innsbruck, wurde nach dem Anschluss verhaftet, wegen des Verdachtes des Amtsmissbrauches angeklagt und aus dem Justizdienst entlassen. 1941 fand er als Personalsachbearbeiter bei einer Betonfirma in Klagenfurt eine Anstellung, 1945 bis 1955 war er Amtsleiter beim Magistrat Innsbruck. (Voithofer  : Politische Eliten in Salzburg. S. 158.)

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Zu umseitigen Auftrag wird angezeigt, dass dem Landesgerichtsrate Dr. Anton Jennewein nicht nachgewiesen werden kann, dass er ständig mit den Führern der NSDAP in München in Verbindung steht. Von hier aus wurden lediglich Wahrnehmungen dahingehend gemacht, dass Dr. Jennewein ständig in Kreisen von Mitgliedern der ehemaligen NSDAP verkehrt und solche Mitglieder auch in seiner Privatwohnung zu verkehren pflegen. (…) Von einzelnen Beamten des Postens Hallein wurde wahrgenommen, dass Landesgerichtsrat Dr. Jennewein öfters mit einem dunklen Tatra-Auto weggefahren und wieder angekommen ist, das als Eigentum des Sprengelarztes Dr. Karl Jasny aus Radstadt festgestellt wurde. (…) In dem Auto wurden auch fremde Herren beobachtet, als es einmal zur Nachtzeit von Salzburg ankam und wieder von der Villa Jennewein wegfuhr. (…) Gendarmeriepostenkommando Hallein, 17. September 1933. E. Nr. 5334. Betr.: König Albert und Kleesattel Josef, politische Betätigung in Deutschland. An die Bezirkshauptmannschaft in Hallein. Am 16. September 1933 brachte ich vom Leiter des österreichischen Zollamtes Dürrnberg (Zill), Kamilo Clausnitz, in Erfahrung, dass am 15. September 1933 nachmittags der aus Österreich geflohene Nationalsozialist Magister Albert König auf der Zollstraße vom Zollamte bayerisch Zill her bis auf 1 Meter vor die österreichische Grenze kam und dort grinsend stehen blieb. In Begleitung des König befand sich ein österreichischer SS-Mann, den er aber nicht persönlich kannte, der aber ebenfalls aus Hallein stammen soll. Der Beschreibung nach dürfte es sich um den ebenfalls geflohenen Josef Kleesattel handeln, der … am 7. August beim Böllerschießen eine Verletzung des rechten Armes erlitten hat und dabei die rechte Hand verloren haben soll. Dem Zollamtsleiter ist aufgefallen, dass er mit der linken Hand den Hitler-Gruß ausführte, was auf die Verletzung zurückzuführen sein dürfte. Aus diesem Erscheinen kann man ableiten, dass sich die österreichischen Flüchtlinge auf deutschem Boden an der Grenze betätigen oder dort die Führung innehaben. (…)

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Amt der Salzburger Landesregierung, Landesamtsdirektion, 6. November 1933. Zl. 13.206/LAD. Betr.: Pharmazeut Albert König, Flucht nach Deutschland. An die Bezirkshauptmannschaft in Hallein. Der in Hallein, Schöndorferplatz Nr. 120, wohnhafte Apotheker Albert König ist, wie h. a. bekannt, … nach Deutschland geflüchtet. König bezog lt. Mitteilung der Versicherungsanstalt für Pharmazeuten von dieser eine Invaliditätsrente samt Kinderzuschüssen von zusammen 240,- S monatlich. Die Bezirkshauptmannschaft wird eingeladen, unverzüglich zu erheben und bekanntzugeben, ob König etwa nach Österreich zurückgekehrt ist, ob er seiner Staatsbürgerschaft für verlustig erklärt wurde, wer die letzte Rente, die von der erwähnten Versicherungsanstalt am 27. Oktober 1933 für den Monat November an König überwiesen wurde und bis jetzt nicht an die Anstalt als unbestellbar zurückgekommen ist, für König übernommen hat  ; die gleiche Erhebung wäre auch hinsichtlich der Rente für Oktober, die Ende September überwiesen wurde, zu pflegen. Bezirkshauptmannschaft Hallein, 27. November 1933. Zl. 6229/4. Betr.: Pharmazeut Albert König in Hallein, Ausbürgerung  ; Beschlagnahme seiner Pharmazeutenprovision. z. Zl. 13.206/LAD vom 6.11.1933. An die Landesamtsdirektion in Salzburg. Unter Anschluss des Ausbürgerungsaktes wird berichtet, dass König nicht nach Österreich zurückgekehrt ist und dass bisher seine in Hallein lebende Gattin Hedwig König auf Grund einer vom Genannten seinerzeit ausgestellten Postvollmacht dessen Renten in Empfang genommen hat. Unter einem wird das Postamt Hallein angewiesen, die Rente nicht mehr an die Frau auszuzahlen. Es wird beantragt, den Akt gem. Art. I der Verordnung vom 16.8.1933, BGBl. Nr. 369, wegen eventueller Beschlagnahme der Rente zu Gunsten des Bundesschatzes vorzulegen. Bemerkt sei, dass … Hedwig König kein anderwertiges Vermögen besitzt und bisher sich und ihre 2 Kinder von der Rente erhalten hat. Sie wohnt im väterlichen Gasthause Scheicher, welches stark überschuldet ist.

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Kommentar (Aktenvermerk) Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, 20. Dezember 1933. Albert König wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Hallein vom 23.9.1933 Z. 6229/1-48 ausgebürgert. Er bezog eine Invaliditätsrente samt Kinderzuschüssen im Betrage von monatlich 240 S von der Versicherungsanstalt der Pharmazeuten, die seit seiner Ausbürgerung seine Gattin behob. Der Sicherheitsdirektor beantragt nunmehr die Beschlagnahme dieser Rente. … hier ist … zu erwägen, dass die Frau und die Kinder als unversorgt anzusehen sind und die Gefahr besteht, dass sie im Falle der Beschlagnahme des Rentenbezuges der Armenversorgung zur Last fallen. Falls überhaupt nicht ganz von der Ergreifung dieser Rente abgesehen wird, müssten wohl in Anlehnung an die Bestimmungen des § 291 Exekutionsordnung der für die Frau notwendige Unterhalt und die Kinderzuschüsse unberührt bleiben (…) Vor einer endgültigen Erledigung darf daher das Bundesministerium für soziale Verwaltung um Stellungnahme ersucht werden. Bezirkshauptmannschaft Hallein, 20. Dezember 1933. Zl. 6300/5. Betr.: Josef Seiwald in Torren, Ausbürgerung, Sicherstellung des Vermögens. Wird dem Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7 Zur Entscheidung über Beschlagnahme und Verfall des Vermögens des Josef Seiwald mit dem Antrage vorgelegt, von einer Beschlagnahme abzusehen und die Lösung der einstweiligen Verfügung im Grundbuche Torren, eingetragen mit Beschluss des Bezirksgerichtes Hallein vom 10. 11. l. J., Zl. 1592/33, zu verfügen, da dieses Kleinbauernanwesen zugrunde gehen müsste, wenn es zur Hälfte belastet wäre, und da die schuldlose Gattin dieses Gut von ihrer Mutter geerbt hatte und der Flüchtling nur eingeheiratet hatte. Er hatte sich vor seiner Flucht um die Bewirtschaftung des Gutes nicht gekümmert und dieselbe allein seiner Frau überlassen.

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Entscheidung Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, 30. Dezember 1933. Geschäftszahl 255.424 G. D. 2/33. Dem Antrage der Bezirkshauptmannschaft Hallein wäre beizupflichten. Da die Gattin als schuldlos hingestellt wird, sie die eigentliche Erbin des Anwesens war, würde eine Beschlagnahme doppelt hart sein. Zudem wäre eine geteilte Bewirtschaftung kaum möglich und ertragreich, da derartig kleine Wirtschaften bei den heutigen Preisen der landwirtschaftlichen Erzeugnisse kaum die Produktionskosten tragen. Außerdem ist noch ein Ausgedinge zu leisten. Der Schätzwert  : 10.000 bis 12.000  S Viehbestand  : 2 Kühe. Es hätte daher zu ergehen  : An die Bezirkshauptmannschaft Hallein. In Würdigung des gestellten Antrages wird von einer Beschlagnahme des Vermögens des ausgebürgerten Josef Seiwald in Torren mit Rücksicht auf die schuldlose Familie, deren Existenz durch eine Beschlagnahme vernichtet würde und mit Rücksicht auf den geringen Ertrag des Objektes Abstand genommen. Die von d. a. veranlasste einstweilige Verfügung durch Vermerkung im Grundbuche Torren wolle zur Löschung gebracht werden. Bezirkshauptmannschaft Hallein, 20. Dezember 1933. Zl.: 6258/5. Betr.: Johann Sommerauer in Golling, Ausbürgerung, Sicherstellung des Vermögens. Wird dem Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7 zur Entscheidung über Beschlagnahme und Verfall des Vermögens des Johann Sommerauer mit dem Antrage vorgelegt, von einer Beschlagnahme abzusehen und die Löschung der einstweiligen Verfügung im Grundbuche Golling, eingetragen mit Beschluss des Bezirksgerichtes Hallein vom 1. Dezember 1933, Zl. 1699/33, zu verfügen, da das Haus Nr. 44 in Golling, welches das einzige Vermögen des Flüchtlings bildet, mit Hypothekarschulden überlastet ist. Johann Sommerauer hatte seinerzeit das Haus ohne eigenes Vermögen mit dem Gelde seiner schuldlosen Mutter sich ersteigert und ist vorwiegend wegen seiner starken Verschuldung nach Deutschland geflohen. Mit Rücksicht auf die in der beiliegenden Gendarmerierelation vom 29.10. l. J. geschilderten besonders berücksichtigungswürdigen Verhältnisse wurde die verkäuf-

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liche Wirtsgerechtsame, welche auf diesem Hause von Johann Sommerauer betrieben worden war, unter h. ä. Zl. 7244/38 vom 3.11. l. J. auf die Mutter Elisabeth Sommerauer übertragen, nachdem der Gastgewerbebetrieb eine Zeitlang behördlich gesperrt war. Gendarmerieposten Golling, 29. Oktober 1933. An die Bezirkshauptmannschaft in Hallein. Zu beiliegendem Antrag wird berichtet, dass Johann Sommerauer außer der Liegenschaft »Weißes Rössl« in Golling kein bewegliches oder unbewegliches Vermögen besitzt. Dem Sommerauer würde es vorweg nicht möglich gewesen sein, das Gasthaus zum »Weißen Rössl« zu übernehmen, wenn ihm nicht die Mutter Elisabeth Sommerauer … zur Gänze finanziell ausgeholfen hätte. Sommerauer hatte auch bei der Übernahme dieser Liegenschaft kein Vermögen und es belasteten schon damals zur Hauptsache die finanziellen Auslagen das Anwesen in Obergäu. Die Elisabeth Sommerauer ist seit 1913 Witwe und sie hat während dieser Zeit durch Fleiß und Sparsamkeit das Anwesen in die Höhe gebracht. Aus der Ehe stammen 3 Kinder … In Bezug auf die politische Einstellung der Mutter des Johann Sommerauer sowie dessen Geschwister wird berichtet, dass diese streng christlich und vaterländischer Gesinnung sind. (…) Entscheidung Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, 17. Jänner 1934. Geschäftszahl 108.382 G. D./34. Nach der von einem gerichtlich beeideten Schätzmeister vorgenommenen Schätzung ist der Wert des Hauses mit 30.000 S zu beziffern. An bereits intabulierten Schulden sind 26.287 S vorhanden. Außerdem ist die Rangordnung für die Neuaufnahme von 30.000 S vorgemerkt (Letzteres für eine Beschlagnahme irrelevant). Da Sommerauer bei der Übernahme des Gasthauses kein Vermögen besaß, dieses von der Seite der Frau kam, die Familie derselben als christlich und vaterlandstreu geschildert wird, eine Beschlagnahme daher nur die schuldlose Familie treffen würde, könnte bei der weiteren Erwägung, dass der Erfolg der Beschlagnahme fast mit Null zu bezeichnen sein würde, dem Antrag der Bezirkshauptmannschaft Folge gegeben und von einer Beschlagnahme Abstand genommen werden. (…)

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 29. Dezember 1933. Zahl 4594 (100.495/34). Betr.: Nationalsozialistische Flugschriften, Verbreitung. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. In der Anlage wird ein am 25.12.1933 in Grödig bei Salzburg beschlagnahmtes Exemplar der Folge 12 des nationalsozialistischen Nachrichtendienstes vom 16.12.1933 zur Kenntnis vorgelegt. Nachrichtendienst Folge 12 – 16. Dezember 1933 Als im März l. J. der österreichische Regierungschef, Dr. Dollfuß, den Kampf gegen die nationalsozialistische Opposition eröffnete, musste er sich bald darüber klar werden, dass er in diesem Kampfe nur dann Sieger bleiben werde, wenn es ihm gelingen würde, an Stelle der werbekräftigen, mitreißenden Idee des Nationalsozialismus und der musterhaften Organisation der NSDAP etwas Gleichartiges dem Volke zu bieten. Diesem Zwecke sollte die kurz darauf gegründete » Va t e r l ä n d i s c h e F r o n t « dienen. Der Versuch ist kläglich gescheitert  ; musste scheitern, weil die der neuen »Front« zugrunde gelegte reaktionäre Idee der » U n a b h ä n g i g k e i t Ö s t e r r e i c h s « nicht tragend genug war, um nach dem gewaltigen Erlebnis des Weltkrieges das Volk, vor allem die Jugend Österreichs, zu begeistern. Organisatorisch aber vermochte sich das intransigente Beharrungsvermögen der bürgerlichen Parteien dem von der NSDAP übernommenen Führerprinzip nicht anzupassen. Ganz richtig charakterisiert ein diesem Gebilde misstrauisch gegenüberstehender Heimwehrführer die »Vaterländische Front«  : »Diese Front stellt fast allenthalben eine reine Parteiauffrischungsstelle der Christlichsozialen, idealen Nährboden für Konjunkturpatrioten und Zufluchtsort für geängstigte Juden dar.« Es zeigt auch dieses Beispiel wieder, dass Ereignisse wohl gutgesinnte Menschen zusammenscharen können, dass aber diese Menge ohne Aufbauziele keine positive Arbeit zu leisten vermag. Da nützen keine Plakate, keine Aufrufe, das bedarf einer Idee als Grundlage, sonst muss ihre Propaganda nur auf das Niveau einer Reklame heruntersinken. So blieb auch diese Front nur ein Kind der Demokratie, nur eine » R e k l a m e f r o n t « . Eine schlechte Reklame auch noch dazu, weil sie schon die primitivste Forderung, die an jede Reklame gestellt werden muss, die der O r i g i n a l i t ä t entbehrte. Eine schlechte Kopie eines guten Gemäldes  !

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So erklärte der Generalsekretär der »Vaterländischen Front«, Herr Kemptner, dieser Tage einem prominenten Mitglied der VF auf dessen Vorhaltungen über schwere organisatorische Unzukömmlichkeiten in der VF, dass er sowieso bestrebt sei, d e m N a t i o n a l s o z i a l i s m u s a l l e s n a c h z u m a c h e n , und dass vor allem die Dienststellen jetzt nach dem Muster der NSDAP organisieren werden. Trotz dieser Bestrebungen und Anstrengungen will es nicht recht vorwärtsgehen. Die Vaterländische Front war nicht imstande, die NSDAP zu ersetzen, geschweige denn zu vernichten. Trotz Verbot jeglicher weiterer politischer Betätigung ihrer Mitglieder, Sperrung aller Geschäftsstellen und Heime, Konfiskation des gesamten Vermögens, trotz der rücksichtslosesten und grausamsten Verfolgungen ihrer Anhänger, Einkerkerung, Ausbürgerung und Vertreibung ihrer Führer steht die NSDAP in Österreich heute stärker, mächtiger und geschlossener da als ehedem. Nicht in einem einzigen Ort hat die Organisation versagt. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 30. Dezember 1933. Zahl 4587 (100.493/34). Betr.: Nationalsozialistische Flugschriften, Verbreitung. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. In der Anlage wird ein Exemplar eines am 25.12.1933 im Lungau in geringem Umfange zur Verbreitung gelangten nationalsozialistischen Flugblattes zur Kenntnis vorgelegt. Bauern, das geht euch an  ! Agrarischer Kurs im Dollfuß-Österreich  ! Eine der letzten Notverordnungen verbietet in Österreich die industrielle und die gewerbliche Schweinemast sowie die Kleinmast der armen Leute (Nichtbesitzer, bis auf zwei Stück). Die Mastberechtigung hat nunmehr ausschließlich die Landwirtschaft, und zwar gestaffelt nach Größe des Besitzes (Höchstzahl 100 Stück Masttiere). Der Grund für diese Regelung soll die Überfüllung des inländischen Marktes mit Inlandsware und der dadurch bedingte Preisdruck sein.89 Die Wahrheit aber ist 89 Engelbert Dollfuß verfolgte als Landwirtschaftsminister das Ziel einer Neustrukturierung des österreichischen Agrar- und Absatzmarktes, um durch stärkere staatliche Lenkungsmaßnahmen die Agrarkrise bewältigen zu können. Die wichtigsten Maßnahmen bestanden in der Schaffung des Milchwirtschaftsfonds und der Viehverkehrsstelle. Durch eine Reihe indirekter Mittel sollten die Preise und die Produktion von Vieh- und Agrarerzeug-

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die  : Von den am Wiener Markt wöchentlich durchschnittlich abgesetzten 12.000 Schweinen sind 6000 Stück, durchschnittlich zu 80 kg, Inlandserzeugung, 6000 Stück, durchschnittlich zu 160 kg, Importware  ! Sieht das aus nach Überschwemmung des Marktes mit Inlandsware  ? Im Gegenteil  ! Der Stückzahl nach sind es 50 Prozent Inlandsschweine, dem Gewichte nach gar bloß 33 Prozent  ! Aber natürlich muss man ja dafür sorgen, dass das den Polen zugestandene erhöhte (!) Einfuhrkontingent untergebracht wird und die großen Einkaufsgesellschaften weiterhin ohne Risiko für je ein eingeführtes Mastschwein S 12 bis 24 an Provisionen mühelos einstecken  ! Bauer, merkst du was  !  !  ! – Der Gebirgsbauer, der sich unter Aufwendung von Geld und Mühe eine rentable Zuchtferkelzucht eingerichtet hatte, soll sich vielleicht jetzt wieder neuerdings umstellen  ? Ein unmögliches Verlangen  ! Die Käufer der großen Mastanstalten bleiben jetzt aus, die Preise sind heruntergegangen auf S 0,90, also gleich dem Rinderpreis. Diese Notverordnung wird für den Gebirgsbauern zur Katastrophe, denn der Zuchtferkelbetrieb muss zusammenbrechen und damit versiegt eine der letzten Einnahmen für den Gebirgsbauern. Anstatt die Inlandserzeugung und den Inlandsmarkt zu schützen, vermehrt man die Auslandseinfuhr. Das nennt sich »agrarischer Kurs«  ! (…) Bauern  ! Voll Neid schauen wir über die Grenze – wo die Landwirtschaft zur Grundlage des Neuaufbaues von Staat und Wirtschaft gemacht wird  : Neue Zollnissen beeinflusst werden. Im Fall der Mastschweine hatte die 1931 wirksam werdende Befreiung der Futtermittel von Schutzzöllen sehr bald zu einer Überproduktion von Schweinefleisch geführt. Ein Problem stellten sog. »berufsfremde Faktoren« dar, d. h. fabrikmäßige Mastbetriebe, oftmals ohne agrarische Erfahrung, die auf Grund ihrer Größe und Nähe vor allem zum Wiener Markt – sie waren in Niederösterreich und Wien angesiedelt – den agrarischen Produzenten erhebliche Konkurrenz machten. Um dieser Entwicklung Herr zu werden, verordnete die Bundesregierung einen Lizenzzwang für Mäster mit mehr als 100 Schweinen. Die Lizenzen wurden nur an jene Mäster vergeben, die auch selber genug Futtermittel anbauten, um ihre Schweine ohne zugekauftes Getreide mästen zu können. Diese Verordnung führte zur Schließung von fast allen großbetrieblichen Mästereien. Damit war das Problem jedoch nicht gelöst, denn die Außenhandelsverpflichtungen Österreichs konnten nicht nach agrarischen Interessen gemessen werden. Vor allem die Verträge mit Ungarn, Polen und Jugoslawien sollten der schwer in Bedrängnis geratenen österreichischen Industrie neue Märkte eröffnen. Im Gegenzug musste sich allerdings Österreich verpflichten, den heimischen Markt für Agrarprodukte, vor allem Viehimporte, zu öffnen. Die Regierung Dollfuß 1933 versuchte dieser Entwicklung mit direkten Subventionen der heimischen Schweinefleischproduzenten zu begegnen. Die Kosten dieser Stützung waren jedoch höher als erwartet und beliefen sich bereits zu Jahresbeginn 1934 auf monatlich 100.000 Schilling. Zur Agrarpolitik vgl. Ulrich Kluge  : Engelbert Dollfuß. Agrarpolitiker in der Krisenzeit 1922–1934. Versuch einer biographischen Annäherung. – In  : Christliche Demokratie 2/1985. S. 127–143. S. 138  ; James William Miller  : Engelbert Dollfuß als Agrarfachmann. Eine Analyse bäuerlicher Führungsbegriffe und österreichischer Agrarpolitik 1918–1934. – Wien/Köln 1989. S. 131 ff. (Böhlaus zeitgeschichtliche Bibliothek Band 10. Herausgegeben von Helmut Konrad.)

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maßnahmen zum Schutze agrarischer Produkte, staatliche Garantien für die Getreidepreise, die Förderung der Verwendung einheimischer Produkte, die Bereitstellung von Mitteln zur Entschuldung und zur Instandsetzung sämtlicher Zwangsversteigerungsverfahren in landwirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen und gärtnerischen Betrieben, die Einführung des bäuerlichen Erbhofrechtes und viele andere Maßnahmen haben die Voraussetzungen für eine gesunde Aufwärtsentwicklung der deutschen Landwirtschaft geschaffen. Und bei uns  ? (…) Bauern Österreichs  ! Erwacht aus eurer Gleichgültigkeit  ! Zerreißt die Ketten moderner Leibeigen- und Zinsknechtschaft, die euch ein schandvolles System angelegt hat  ! Leistet praktischen Widerstand diesem Raubsystem, indem ihr die Steuern verweigert  ! Ihr zwingt dadurch die Regierung zur endgültigen Kapitulation. Herein in unsere Reihen  ! Schließt euch zusammen in der nationalsozialistischen Kampfbewegung Adolf Hitlers, die auch in Österreich die moderne Leibeigenschaft zerbrechen und den deutschen Bauern in seine uralten Lebensrechte einsetzen wird. Bauer  ! Es geht um Haus und Hof, um Weib und Kind  ; erwache in 12. Stunde  ; sonst ist es zu spät  !  !  ! – H e i l H i t l e r    ! E s m u s s s e i n    ! Bundes-Polizeidirektion Salzburg, 9. Jänner 1934. Zl. 7649/52-33 (106.193/34). Betr.: Nationalsozialistische Flugschriften, Auffindung. An das Bundeskanzleramt, G. D. Staatspolizeiliches Büro, Wien I. Herrengasse 7. Die Bundes-Polizeidirektion beehrt sich, die Abschrift eines Flugblattes, welches am 7. d. Mts. in der Schwarzstraße auf einem Holzstoße … gefunden wurde, mit der Rücksicht auf den Inhalt desselben in Vorlage zu bringen. (…) Deutsche Volkgenossen  ! Deutsche Volksgenossinnen  ! Parteigenossen  ! Parteigenossinnen  ! Nach einem halbjährigen Vernichtungskampf gegen die NSDAP, der mit allen Mitteln brutalsten Terrors und gemeinster Verfolgungen bis zur Standgerichtsverhängung geführt wurde, muss die verfassungswidrige Regierung Dollfuß erkennen, dass dieser Kampf vergeblich war und dass die NSDAP noch immer lebt, ja nicht bloß dies, dass der Nationalsozialismus auch in Österreich zur stärksten, unüberwindlichen Volksbewegung geworden ist. In ohnmächtiger Wut vergreifen sich nunmehr die korrupten Vertreter dieses abgewirtschafteten Systems an unseren Führern … so ging die »Regierung«  ! in den letzten Tagen daran, … bekannte nationalsozialistische Führer wie Edi Frauenfeld,

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Neumann, Suchenwirth, Bernwieser usw. nach Wöllersdorf zu verschleppen.90 Für alle diese Verhaftungen und Verschleppungen liegt nicht die geringste Handhabe vor. Es ist nackter Rechtsbruch einer verzweifelten Abenteuerclique, die vor dem unausbleiblichen Zusammenbruche zum letzten Mal ihre sadistischen Hassgefühle befriedigen will. (…) Eine ungeheure Erregung geht durch unser österreichisches Vaterland. Selbst der katholische Klerus, auf den sich der entartete »Bundeszwerg« bisher immer wieder widerrechtlich zu berufen suchte, will mit diesem fluchbeladenen System nichts mehr zu tun haben und hat seinen Angehörigen aufgetragen, sämtliche Mandate in der Regierung und in der Christlichsozialen Partei niederzulegen.91 Es ist dies 90 Das Anhaltelager Wöllersdorf war 1933 vorwiegend mit Mitgliedern der verbotenen NSDAP besetzt. Von einer ersten Einlieferungswelle waren der NS-Historiker Richard Suchenwirth, der Kommunalreferent der Wiener NSDAP, Eduard Frauenfeld, der Gauinspektor Josef Neumann und der NS-Rechtsanwalt Alois Bernwieser betroffen. Richard Frauenfeld studierte Handelswissenschaften und schloss das Studium mit dem Dipl. Kfm. ab. Der Bruder des Gauleiters von Wien, Alfred Eduard Frauenfeld, wurde 1933 in Wöllersdorf inhaftiert, flüchtete anschließend in das Deutsche Reich und kehrte nach dem Anschluss nach Österreich zurück. 1938 wurde er für seine Parteiverdienste mit dem Blutorden ausgezeichnet und als Betriebsleiter der Firma Philipp Haas & Söhne eingesetzt. Richard Suchenwirth (1896–1965) diente im 1. Weltkrieg in der k. u. k. Armee als Oberleutnant, war Historiker und Mittelschullehrer und gehörte 1926 zu den Gründungsmitgliedern der österreichischen NSDAP (Hitlerbewegung). 1932 wurde er Mitglied der SA, 1933 Sturmbannführer. Im Sommer 1933 wurde er zu einer Geldstrafe und zu einem viermonatigen Aufenthalt in Wöllersdorf verurteilt, floh 1934 nach Deutschland und wurde SA-Sturmbannführer in der Österreichischen Legion und 1936 Mitglied des Reichskultursenates, 1936 bis 1942 war er Rektor der Lehrerhochschule München-Pasing, 1938 bis 1945 Mitglied des Reichstages, 1942 bis 1945 Professor an der Universität München. Zwischen 1933 und 1938 publizierte er historische Bücher mit deutschnationalem Einschlag, geriet 1945 in Kriegsgefangenschaft, aus der er 1948 entlassen wurde. Alois Bernwieser war seit 1926 Anwalt der NSDAP und stand beim Juliputsch der Nationalsozialisten auf der Ministerliste von Anton Rintelen. 1933 wurde er nach Wöllersdorf gebracht, emigrierte jedoch noch in diesem Jahr in das Deutsche Reich und erwarb die deutsche Staatsbürgerschaft. 1938 kehrte er nach Österreich zurück, übernahm wiederum seine Kanzlei und wirkte bei Arisierungen mit. Er wurde schließlich Anwalt beim Volksgerichtshof, vor dem er 150 Personen vertrat und 20 Todesurteile verzeichnete. Nach 1945 wurde er vor dem Volksgericht Wien wegen Hochverrates, vorsätzlicher Verletzung der Verteidigerpflicht und versuchter Denunziation angezeigt und zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. 91 Am 5. Juni 1933 unterzeichnete Engelbert Dollfuß in den Räumen von Kardinal-Staatssekretär Eugenio Pacelli das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich. Seine offizielle Ratifizierung erfolgte jedoch erst am 30. April 1934, die Publizierung am 1. Mai 1934 zusammen mit der neuen Verfassung des »Christlichen Ständestaates«. Für die Katholische Kirche stand bei deren Herbstkonferenz 1933 die geplante neue ständische Verfassung, über deren Grundzüge sie von Dollfuß informiert worden war, im Mittelpunkt der Beratungen. Das wichtigste Ergebnis der Beratungen war der Beschluss der Bischofskonferenz vom 30. November 1933, der den völligen Rückzug des Klerus aus der Politik verkündete und für die ohnedies bereits angeschlagene Christlichsoziale Partei

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die größte Niederlage, die Herr Dollfuß erleiden konnte, und gleichzeitig der eindeutige Beweis, dass sein System vor dem sicheren Zusammenbruche steht. Auf wen stützt sich Herr Dollfuß heute noch  ? Das Volk, gleichgültig ob Arbeiter, Bauer oder Bürger, lehnt ihn mit überwältigender Mehrheit ab – es verspottet, hasst und verachtet ihn  ; die Katholische Kirche will mit ihm nichts mehr zu tun haben. Seine bisherigen engsten Freunde, die Juden, Franzosen, Tschechen und Italiener, müssen bedauernd feststellen, dass es dem »Liebling Europas« nicht gelungen ist, den Nationalsozialismus in Österreich zu unterdrücken, und sie versagen ihm aus diesem Grunde zum Großteil bereits ihre Unterstützung. Es beginnt einsam zu werden um den »großen Volkskanzler« – die Stunde der Abrechnung rückt immer näher. (…) Man glaubt nun durch neuerliche Terrormaßnahmen die Bevölkerung darüber hinwegtäuschen zu können, dass die letzte Stunde der heutigen Machthaber geschlagen hat. Man hat sämtliche unserer bekannten Führer verhaftet und vielleicht gibt es unter den kümmerlichen Gestalten der Dollfuß-Fey-Clique wirklich Naivlinge, die glauben, dadurch in letzter Minute die Nationalsozialisten niederzuringen. Um zu einem »Erfolg« zu kommen, müsste man wohl alle Nationalsozialisten Österreichs, d. h. fast die ganze Bevölkerung, ins Gefängnis werfen. Mag der groteske Liliputaner treiben, was er will, wir wissen, dass die Tage seiner zweifelhaften Regierungsherrlichkeit gezählt sind, und jeder Nationalsozialist wird – ob im Großen oder Kleinen – Mittel und Wege finden, den Zusammenbruch dieses Systems zu beschleunigen. Jeder Nationalsozialist weiß, was seine Pflicht und wo sein Platz in diesem letzten Ringen ist. Mit Hitler für Österreich  ! S i e g H e i l   !  !  !





eine erhebliche Schwächung bedeutete. Ca. 8000 Priester wirkten in der Seelsorge und waren häufig die Hauptvertrauensmänner und Propagandisten der Christlichsozialen Partei, getreu dem Motto  : Parteiarbeit ist Apostolat für die Seelsorge. Weitere rund 200 Organisationen bildeten die Säule des Politischen Katholizismus, der nun offiziell seinen Rückzug antrat, indem er alle Nationalräte, Bundesräte, Landtagsabgeordnete, Landesräte und Gemeinderäte, die dem Episkopat angehörten, aufforderte, binnen 14 Tagen ihre Mandate zurückzulegen. Gleichzeitig erfolgte jedoch auch im am 22. Dezember 1933 veröffentlichten Hirtenbrief der österreichischen Bischöfe eine Aufforderung an die Gläubigen, die Regierung zu unterstützen, sowie eine deutliche Frontstellung gegen den Nationalismus, dessen Rassismus strikt abgelehnt wurde. Vgl. dazu Erika Weinzierl  : Die österreichischen Konkordate von 1855 und 1933. – Wien 1960  ; Maximilian Liebmann  : Die Kirche in Österreich, ihr Verhältnis zum Ständestaat, zur NS-Bewegung und ihre Rolle in der Anschlusszeit. – In  : Politicum 5/1980. S.21–29  ; Ders.: Kirche und Politik in der Ersten Republik von 1918 bis 1938. – In  : Kirche in Gesellschaft und Politik. Von der Reformation bis zur Gegenwart. Festgabe für Maximilian Liebmann zum 65. Geburtstag. Mit einer Würdigung von Heinz Hürten. Hg. v. Michaela Kronthaler, Rudolf Zinnhobler, Dieter A. Binder. – Graz 1999. S. 189–205. S. 198 f.

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 11. Februar 1934. Zahl 168/10 (124.445/34). Betr.: Khuen Edmund, Bundesförster in Piesendorf (Bezirk Zell am See)  ; radikaler Nationalsozialist. An die Generaldirektion der Österreichischen Bundesforste, z. Hd. des Herrn Generaldirektors Regierungsrat Ferdinand Preindl in Wien. Der gefertigten Stelle wurde Folgendes berichtet  : »Die Triebfeder in der nationalsozialistischen Bewegung in Piesendorf (Bezirk Zell am See) ist seit jeher der Bundesförster Edmund Khuen. Er war in den Jahren 1932 und 1933 Propagandaleiter und hat als Förster seinen Einfluss auf die holzbezugsberechtigten Besitzer, vorwiegend unter den Bauern, dahin geltend gemacht, dass sich ein großer Prozentsatz der hiesigen Besitzer bei der NSDAP eintragen ließ und bis zu den Verbotsbestimmungen die Mitgliedsbeiträge bezahlte. Die Bauern leben unter der Bevormundung des Khuen, da sie wissen, dass er ein fanatischer Nationalsozialist war, und annehmen, dass er es, trotz des Verbotes nationalsozialistischer Betätigung, noch immer ist, obwohl er dies öffentlich, so wie früher, nicht mehr zeigt. Ein Großbauer in Piesendorf, der ebenfalls mit seinem erwachsenen Sohn Nationalsozialist ist, hat sich im Vorjahre zu einem anderen Bauern, der gleichzeitig Gemeindefunktionär ist, geäußert  : ›Wir sind halt Hitler, weil wir damit dem Förster einen Gefallen tun.‹ Ein vaterländischer Bauer hat sich einem Gendarmeriebeamten gegenüber in Gegenwart eines Zeugen dahin geäußert, dass Förster Khuen im Jahre 1933, als die Hitler-Partei noch nicht verboten war, von Bauernhaus zu Bauernhaus gegangen sei und für die Nationalsozialisten Mitglieder geworben habe. Die Bauern tun sich sehr hart, weil sie doch den Förster brauchen und in mancher Beziehung von ihm abhängen.« Dieser Bauer will jedoch auf keinen Fall genannt sein, da er ebenfalls mit dem Förster zu tun hat. (…) Eine Versetzung des Oberförsters Khuen an einen Ort, wo er mit seiner Idee nicht schaden kann, würde bestimmt viele Besitzer von einem Alpdruck befreien, sodass ein großer Prozentsatz von Personen, die heute noch dem Nationalsozialismus verfallen sind, diesen aufgeben würden. (…)

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 16. Februar 1934. Zahl 356/506 (125.980/34). Betr.: Flugzettel aufreizenden Inhaltes, Verbreitung. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Direktion, Wien I, Herrengasse 7. In der Nacht zum 10.2.1934 wurden im Markte Saalfelden Papierhakenkreuze und nationalsozialistische Flugzettel verstreut. Ein Exemplar dieser Flugzettel … wird zur Kenntnisnahme vorgelegt. Arbeiter  ! Deutsche Volksgenossen  ! Wir fordern die sofortige Ausschreibung von Neuwahlen nach dem allgemeinen, gleichen Wahlrecht  ! Das Volk soll entscheiden, welcher Regierung und welchen Führern es künftighin sein Schicksal anvertrauen will. Jeder Deutsch-Österreicher, jeder Arbeiter und Arbeitslose muss das Recht haben, sein Los selbst zu bestimmen. Arbeiter  ! Wir kämpfen nicht um Ministerposten  ! Wir kämpfen nicht um die Sympathie und das Wohlwollen deutschfeindlicher Mächte. Wir kämpfen um Freiheit, Arbeit und Brot Für Euch und Eure Kinder. Wir fürchten die Stimme des Volkes nicht, weil wir die Interessen des Volkes vertreten. Arbeiter  ! Wollt Ihr E u r e bedrohte Freiheit verteidigen, den Ertrag Eurer Arbeit sichern, dann kämpft mit uns Nationalsozialisten gegen den autoritären Judenstaat für ein freies, nationales und nationalsozialistisches Österreich  !

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 19. Februar 1934. Zahl 321/3 (126.418/34). Betr.: Nationalsozialistische Briefpropaganda aus Deutschland. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Ende Jänner und Anfang Februar l. J. wurden von mehreren Parteien bei den Sicherheitsdienststellen Briefsendungen, die ihnen von unbekannten Absendern aus dem Deutschen Reiche per Post zugekommen waren, abgegeben. (…) In einigen Briefen behaupten die Absender, österreichische Staatsbürger zu sein, sodass die Vermutung nahe liegt, dass diese Art nationalsozialistischer Propaganda vom Kampfring der Deutschösterreicher ausgeht und auf breiter Basis betrieben wird. Hiervon wird unter Vorlage einer Anzahl solcher Briefe berichtet. Mein lieber Vo l k s g e n o s s e    ! Es wird Dich vielleicht eigenartig berühren, von mir Unbekanntem ein Schreiben zu erhalten. Dennoch bitte ich Dich einmal genau zuzuhören, was ich mit Dir plaudern will. Man hört und liest hier in Deutschland von politischen Uneinigkeiten, Gewalttätigkeiten seitens der Regierung Dollfuß, sogar Brudermord. Durch die Machtergreifung unseres Führers Adolf Hitler haben diese Zwiespälte hier in Deutschland mit einem Schlage aufgehört und ist dafür Ordnung, Disziplin und Zufriedenheit eingekehrt. Es ist herrlich, unter dieser Führung heute in Deutschland zu leben, einer achtet den anderen, jeder hilft dem anderen, es bestehen keine Klassenunterschiede mehr, gefunden haben sich Land und Stadt, Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu einem gemeinsamen Aufbau des so bitter darniederliegenden Volkes. Alle Hetzreden und Schriften gegen den Nationalsozialismus, die Euch in der Heimat entgegenfluten, sind gemeine Lügen und Verleumdungen. Als Beweis hierfür möchte ich nur die Volkswahl vom 12. November vorigen Jahres anführen92 und 92 Die in Genf festgefahrenen Abrüstungsgespräche 1933 lieferten den Anlass für das Ausscheiden Berlins aus dem Völkerbund. Im Vorfeld der Abrüstungsgespräche hatte vor allem Reichswehrminister Werner von Blomberg auf eine rüstungsmäßige Gleichberechtigung Deutschlands, d. h. die Ausrüstung der Reichswehr mit schweren Waffen, gedrängt. Als im Laufe der Verhandlungen klart wurde, dass sowohl Frankreich wie auch Großbritannien einem solchen Ansinnen ablehnend gegenüberstanden und Außenminister Konstantin von Neurath Hitler Ende September 1933 erklärte, dass in Genf das deutsche Anliegen nicht durchzubringen sei, entschloss sich Hitler auch nach Rücksprache mit Staatssekretär Bernhard Wilhelm von Bülow zum Rückzug aus den Abrüstungsgesprächen und zum

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steht das deutsche Volk mit wenigen Ausnahmen (denen wirklich nicht zu helfen ist) geschlossen hinter unserem herrlichen Führer Adolf H i t l e r   ! Wünschenswert wäre es, jedes Land der Erde besäße einen solch hervorragenden Menschen, der sich besonders auszeichnet durch edle Gesinnung, Einfachheit und große Liebe zu seinen deutschen Volksgenossen. Dann wäre es besser um die Menschheit bestellt. Aber auch in Deiner Heimat wird der Nationalsozialismus sich Bahn brechen und bitte ich nicht zu verzagen, der Tag kommt, wo Dollfuß weichen muss, um fähigeren Volksführern das Wohl des Landes zu überlassen. Teilt uns doch bitte mit, welche Volksgenossen dem Nationalsozialismus noch fernstehen, damit wir auch diesen Irregeleiteten die Wahrheit über Deutschland berichten können. Nicht etwa um persönliche Vorteile zu erreichen, sondern uns liegt nur daran, der Wahrheit die Ehre zu geben, auf dass sich das Bruderland Österreich und Deutschland recht bald im Nationalsozialismus finden möge. Mit Heil H i t l e r grüßt Walter Votava

Bruch mit dem Völkerbund, d. h. zum Ausscheiden Deutschlands aus dieser internationalen Organisation. Die Chance schien ihm günstig, da die öffentliche Meinung in Deutschland vehement für die militärische Gleichberechtigung war und einer ablehnenden Haltung des Völkerbundes äußerst negativ gegenüberstand. Am 13. Oktober 1933 teilte Hitler dem Kabinett mit, dass sich Deutschlands Stellung durch die Auflösung des Reichstages und die Ausschreibung von Neuwahlen, die gleichzeitig eine Volksabstimmung über die Friedenspolitik der Reichsregierung und deren Forderung nach militärischer Gleichberechtigung sein sollten, erheblich verbessern ließe. Mit diesem Schritt nehme man der Weltöffentlichkeit die Möglichkeit, Deutschland einer aggressiven Politik zu bezichtigen, erklärte Hitler. Am 14. Oktober wurden die Teilnehmer der Genfer Konferenz offiziell vom Rückzug Deutschlands informiert, die Abrüstungsgespräche waren damit sinnlos geworden. In einer geschickt formulierten Radio-Rede verkündete Hitler am 14. Oktober die Auflösung des Reichstages und die Ausschreibung von Neuwahlen für den 12. November. Der neue Reichstag sollte auf Grund der inzwischen erfolgten Auflösung aller anderen Parteien ein rein nationalsozialistischer sein und in manipulatorischer Weise wurde auf dem Abstimmungszettel folgende Frage, bei der der Name Hitlers nicht erwähnt wurde, gedruckt  : »Billigst Du, deutscher Mann, und Du, deutsche Frau, diese Politik Deiner Reichsregierung, und bist Du bereit, sie als den Ausdruck Deiner eigenen Auffassung und Deines eigenen Willens zu erklären und Dich feierlich zu ihr zu bekennen  ?« Die Manipulation war äußerst geschickt, denn auch keineswegs NSDAP-Anhänger befürworteten einen Kurs der militärischen Gleichberechtigung und sahen vor allem im Verhalten Frankreichs und Großbritanniens den Beweis für den Plan einer dauernden Knechtung Deutschlands. 92 Prozent der abgegebenen Stimmen entfielen auf die Einheitsliste der NSDAP und Vizekanzler Franz von Papen erging sich in der Kabinettssitzung nach der Volksabstimmung in serviler Lobhudelei Hitlers, dem das deutsche Volk in einer einzigartigen Weise ein gläubiges Vertrauen entgegengebracht habe.

3. »… Den Kampf gegen die Bürgerliche Diktatur führen.« Die Sozialdemokraten

Polizeidirektion Salzburg, 9. Februar 1933 Zl. 20/33-res. (117.597/33) Generalappell des Republikanischen Schutzbundes im städtischen Kurhaus An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Am 8. Februar 1933 um 20 Uhr fand im städtischen Kurhause ein Generalappell des Republikanischen Schutzbundes statt, den der Schutzbundführer Rudolf Löw aus Wien abhielt. Es waren zwei Mitglieder der Landesleitung, darunter Landesrat Emminger, anwesend, der auch den Vorsitz führte. Löw führte u. a. aus, dass die Wehrhaftigkeit des Republikaners für das Bestehen der demokratischen Verfassung von größter Wichtigkeit sei. Darum seien auch die Sozialdemokraten seit dem Bestehen der Republik wehrhaft gewesen und seien es bis zum heutigen Tage. Wenn die Sozialdemokraten im Parlament für die Einführung der Miliz stimmen werden, so dies nur aus dem Grunde, weil sie wüssten, dass bei der zukünftigen Miliz genauso wie unter der Bevölkerung 41 Prozent der Sozialdemokratischen Partei angehörten.93 Wenn auch die Sozialdemokratische Partei mit der Art und Weise, wie die Miliz von der Regierung gehandhabt werde, nicht einverstanden sei, denn nach ihrer Auffassung müsse jeder Milizsoldat, wie in der Schweiz z. B. auch, das Recht dazu haben, bei sich zu Hause eine Waffe zu haben, so stimme sie dennoch für die Einführung derselben. Sollte die Regierung es wagen, Republik oder Verfassung mit der Miliz etwa anzugreifen oder mit Füßen zu treten,94 so werden die 93 Das Erstarken des Nationalsozialismus in Deutschland sowie die zunehmende Radikalisierung in einigen europäischen Staaten veränderten die Haltung der europäischen Siegermächte des ­Ersten Weltkrieges gegenüber Österreich. Nachdem noch die Kleine Entente 1931 die Pläne für eine deutsch-­ österreichische Zollunion zu Fall gebracht hatte, zeigte man 1932 gegenüber den Bestrebungen Österreichs, seine Verteidigungsfähigkeit zu stärken, Verständnis. Es entsprach der Ironie der Geschichte, dass eine Internationale Abrüstungskonferenz und der Völkerbund in Genf einer indirekten Aufrüstung Österreichs zustimmten, indem sie die geplante Aufstellung sog. Militärassistenzkorps billigten. Die Militärassistenzkorps sollten aus zunächst fünf bis sechs, später zwölf Monate dienenden Soldaten bestehen und damit die Mannschaftsstärke des Bundesheeres durch einen im Entstehen begriffenen Milizteil zumindest auf den im Friedensvertrag von St. Germain erlaubten Höchststand führen. 94 Diese Gefahr bestand, da die Wehrverbände der Regierungskoalition, vor allem die Heimwehren, auf

Die Sozialdemokraten

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verfassungstreuen Republikaner und Milizsoldaten die Verfassung mit der Waffe in der Hand verteidigen. (…) Polizeidirektion Salzburg, 17. Februar 1933 Zl. 22/33-res. (120.301-33) Streng vertraulich Darstellung über die Entwicklung und den gegenwärtigen Stand des Republikanischen Schutzbundes. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Die Landesleitung des Republikanischen Schutzbundes besteht aus nachstehenden Mitgliedern  : Landesleiter  : Karl Emminger, Bundesbahner, Landesrat, geb. 1878 …, Itzling, Kreuz­straße Nr. 16 wohnhaft. Stellvertreter  : Ferdinand Grebmaier, Bäckereileiter, geb. 1886 …, Salzburg, Fanny v. Lehnertstraße Nr. 4 wohnhaft. Kassier  : Johann Wagner, Bäckergehilfe, geb. 1892 …, Plainstraße Nr. 7 wohnhaft. die Bildung eines Milzheeres der Regierungsparteien drängten, das gemäß § 2 des Wehrgesetzes für Aufgaben des Heeres herangezogen werden konnten. Vor allem die Heimwehren hofften damit, einen stärkeren Einfluss auf das Heereswesen nehmen zu können. Mit diesen Bestrebungen schienen sie zunächst erfolgreich, da unter dem massiven Druck ihrer Vertreter in der Bundesregierung ohne parlamentarische Beschlüsse drei Assistenzkörperverordnungen erlassen wurden, die aus den Wehrverbänden der Koalitionsparteien eine paramilitärísche Hilfstruppe formten. Auf Grund der beginnenden Welle nationalsozialistischer Sprengstoffanschläge und des Verbotes der NSDAP sowie des Steirischen Heimatschutzes am 19. Juni fasste der Ministerrat am 30. Juni 1933 den Beschluss zur Aufstellung des »Freiwilligen Schutzkorps« als Hilfsexekutive mit deutlichem Hinweis auf die Befristung der getroffenen Maßnahme für die Dauer der angespannten innen- und außenpolitischen Lage. In den Richtlinien für das »Freiwillige Schutzkorps« wurde u. a. festgehalten  : »Das Freiwillige Schutzkorps hat den Zweck, eine Reserve für die staatliche Exekutive, speziell für die Polizei und Gendarmerie, zu bilden, die jedoch nur aufzustellen ist, falls die normalen staatlichen Kräfte nicht ausreichen oder nicht rechtzeitig herangezogen werden können. Die Aufbietung erfolgt im Allgemeinen über Antrag des Sicherheitsministers durch die Bundesregierung. Bei Gefahr in Verzug und soweit nur eine lokale Aufbietung erforderlich ist, kann die Aufbietung durch den Bundesminister für Sicherheitswesen gegen nachträgliche Zustimmung der Bundesregierung erfolgen. Die Vorschriften über die Aufstellung militärischer Assistenzkörper werden hiedurch nicht berührt. Die Abteilungen des Freiwilligen Schutzkorps unterstehen im Falle der Aufbietung im Wege der Sicherheitsdirektoren der Länder dem Bundesminister für Sicherheitswesen.« (MRP 888/Beilage 1.) Um dem ungebrochenem Anspruch der Heimwehren auf Einfluss auf das Heerwesen zu begegnen, übernahm Bundeskanzler Engelbert Dollfuß durch eine Regierungsumbildung am 20. September 1933 selber von Carl Vaugoin das Heeresressort, dessen unmittelbare Leitung er Staatssekretär Generaloberst i. R. Aloys Schönburg-Hartenstein übertrug.

370

Die Propagandisten des Dritten Reiches

Schriftführer  : Johann Wittauer, Lokomotivführer, geb. 1901 …, Auerspergstraße Nr. 37 wohnhaft. Die militärische Gliederung des Republikanischen Schutzbundes ist folgende  : Alarmabteilung (Alab)  : Baon I Salzburg-Stadt umfasst 6 Kompanien mit 670 Mann. Kommandant  : Felix Kittl, Hilfsarbeiter, geb 1902 …, Siezenheimerstraße Nr. 10 wohnhaft. Baon II Salzburg-Stadt und Umgebung umfasst 6 Kompanien mit 635 Mann. 2 Kompanien in Gnigl, 2 Kompanien in Itzling, 1 Kompanie in Maxglan, 1 Kompanie in Lehen … Kommandant  : Alexander Klecander, Hilfsarbeiter, geb. 1897 …, Maxglan, Schillerstraße Nr. 6 wohnhaft. Baon III Hallein-Tennengau umfasst 4 Kompanien  ; davon Stadt Hallein 250 Mann, Umgebung 280 Mann. Die Angestellten der Brauerei Kaltenhausen und der Cellulose-­ Fabrik bilden je eine Kompanie. Kommandant  : Franz Grill in Hallein. (…) Baon IV Pongau  : Sitz Bischofshofen, 4 Kompanien mit 405 Mann. Kommandant  : Johann Treml, Lokomotivführer, Landtagsabgeordneter. (…) Ab 1, Juli 1932 werden alle Eisenbahnordner-Leitungen … aufgelassen. Die Eisenbahnordner unterstehen künftighin direkt dem Schutzbund … Von den Befehlsstellen des Schutzbundes werden … Eisenbahnreferenten zu jeder Befehlsstelle des Schutzbundes ernannt. So wird hiermit z. B. bei allen Ortsleitungen des Republikanischen Schutzbundes, in deren Befehlsbereich Eisenbahnordnerformationen existieren, ein Eisenbahnreferent ernannt werden. Das gleiche gilt auch für die Bezirks-, Kreis- und Landesleitungen. In Wien sind die Eisenbahnordner entsprechend ihrer Dienststelle (Bahnhof), Werkstätte (Direktion) zu Formationen zusammenzufassen. Die so entstandenen Züge, Unterabteilungen und Abteilungen unterstehen jener Bezirksleitung, in deren Bezirke die betreffende Dienststelle sich befindet. (…) Der Stand der Alarmabteilung des Republikanischen Schutzbundes beträgt derzeit 2400 Mann in Stadt und Land Salzburg. Beigefügt wird, dass sich in der Alarmabteilung nur Männer bis zum 35. Lebensjahr befinden sollen. Die Reserve des Republikanischen Schutzbundes im Lande Salzburg beträgt ungefähr 2500 Mann, sodass im Fall E (Ernstfall) die Leitung des Republikanischen Schutzbundes mit ca. 4800 Mann rechnet. Der Besitzstand an Waffen hat gegenüber den bisherigen Berichten nur insoferne eine Änderung erfahren, als sämtliche Bestände von den früheren Aufbewahrungsorten verbracht bzw. an besonders verlässliche … Mitglieder verteilt wurden. Es wurde vertraulich außer Zweifel gestellt, dass der Republikanische Schutzbund im Lande Salzburg auch über Sprengmittel und Handgranaten verfügt. Die militärische Ausbildung des I. und II. Baons ist als sehr gut zu bezeichnen, da diese Formationen häufig Übungsabende veranstalten. Die anderen Formationen haben nur eine mittelmäßige militärische Ausbildung genossen. (…)

Die Sozialdemokraten

371

Was die Einstellung der Leitung des Republikanischen Schutzbundes zu den gegenwärtigen Ereignissen im Deutschen Reiche anbelangt, konnte Folgendes ermittelt werden  : Der Republikanische Schutzbund in Österreich wird nur dann in Tätigkeit treten, falls es in Deutschland zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Bürger-Block einerseits und Sozialdemokratie, geeinigt mit Kommunistischer Partei andererseits, kommen und die Vorgänge auf Österreich übergreifen würden. Bevor nicht eine Einigung der beiden Linksparteien in Deutschland gelingt, ist demnach weder in Deutschland noch in Österreich eine Aktion zu erwarten. (…) Hervorzuheben ist, dass der Republikanische Schutzbund bzw. die Sozialdemokratische Partei stets über zutreffendes und konkretes Material verfügen, um dann damit nach Bedarf durch ihre Presse die Öffentlichkeit zu informieren. So wurde beispielsweise ebenfalls auf streng vertrauliche Weise die Feststellung gemacht, dass sämtliche durch Salzburg per Bahn durchlaufende Waffen- und Munitionstransporte (oder dieser Transporte verdächtige Waggons mit bedenklicher Deklarierung) von Vertrauensmännern (Eisenbahnern) registriert und der Zentralleitung des Republikanischen Schutzbundes in Wien Verzeichnisse vorgelegt werden. (…) Die Mitglieder des Republikanischen Schutzbundes sind gegen die NSDAP wie gegen den Heimatschutzverband leidenschaftlich eingestellt. (…) Gendarmeriepostenkommando Bischofshofen, 9. Februar 1933 Ex. Nr. 2 res. (122.312-33) Inspizierung des Schutzbundes. An die Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau. Wie nun vertraulich in Erfahrung gebracht wurde, fand am 7. Februar 1933 durch den Stabschef Major a. D. Eifler95 aus Wien eine Inspizierung der hiesigen Schutzbündler statt. 95 Alexander Eifler, Edler von Lobenstedt (1890–1945), war Sohn eines Feldmarschallleutnants, diente als Berufssoldat in der k. k. Armee bis 1918 im Rang eines Hauptmanns, trat nach dem Sturz der Monarchie der Volkswehr bei und wurde Kompaniekommandant im »Volkswehrbataillon Arsenal«. 1920 bis 1927 diente er im Österreichischen Bundesheer als Major. Ab 1923 war er Stabschef des Republikanischen Schutzbundes und übte diese Funktion bis zum Verbot der Formation am 31. März 1933 aus. Kurz vor den Februarkämpfen 1934 wurde er wegen angeblicher Beteiligung an der Beschaffung von Waffen für den illegalen Republikanischen Schutzbund verhaftet, am 2. April 1935 vor Gericht gestellt und zu 18 Jahren Kerker verurteilt. Bereits zu Weihnachten 1935 amnestiert, rief er im März 1938 zum Kampf für die Selbständigkeit Österreichs auf und nahm als Vertreter der illegalen Sozialdemokratie Verbindungen mit Regierungsstellen auf. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen wurde er am 16. März 1938 verhaftet und mit dem ersten Österreicher-Transport am 1. April 1938 nach Dachau gebracht, von wo er zwischenzeitlich in das KZ Flossenbürg verbracht wurde. Wieder nach Dachau verlegt, starb er in diesem Konzentrationslager am 1. Jänner 1945. (Vgl. Julius Deutsch  : Alexander Eifler  : Ein Soldat der Freiheit. – Wien 1947.)

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Die Propagandisten des Dritten Reiches

Bei der Ansprache des Eifler an die Schutzbündler im neuen Arbeiterheim legte er diesen nahe, sich insbesondere eine strenge militärische Disziplin anzueignen. Weiters betonte er, dass sie sich bereithalten sollen, um den Dingen, die da kommen könnten, nicht unerwartet gegenüber zu stehen. Polizeidirektion Salzburg, 4. April 1933 Zl. 20/33-res. (142.637-33) Betrifft  : Sozialdemokratischer Landesparteitag in Salzburg. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Am 2.4.1933 fand in der Zeit von 9 bis 16.30 Uhr der Landesparteitag der Sozialdemokraten im städtischen Kurhaus statt. Den Vorsitz führte Landeshauptmann-Stellvertreter Robert Preussler.96 … Den Bericht der Landesparteivertretung erstattete Nationalratsabgeordneter Josef Witternigg97 (…) Die Sozialdemokratische Partei Salzburgs umfasst 6 Bezirksorganisationen mit 74 Lokalorganisationen und Sektionen. Der Stand der eingeschriebenen Mitglieder am 31.12.1932 betrug 10.838 Personen (7523 Männer und 3315 Frauen) gegenüber dem Stand vom 31.12.1931 von 11.973 Mitgliedern (8276 Männer und 3697 Frauen). Es ist daher ein Mitgliederverlust von 1135 Mitgliedern (753 Männer, 382 Frauen) eingetreten. Der Verlust in den Bezirken ist folgender  :

96 Robert Preußler (1866–1942) absolvierte nach der Volksschule eine Lehre als Glasbläser. Er engagierte sich für die Sozialdemokratie und wurde 1885 in Prag wegen Hochverrates und Geheimbündelei zu einem Jahr Haft verurteilt. Zwischen 1891 und 1905 wirkte er als Redakteur und Herausgeber verschiedener Zeitschriften. 1903 übersiedelte er nach Salzburg, wo er bereits 1904 Landesparteisekretär der Sozialdemokratischen Partei wurde. 1904 bis 1907 wirkte er als Redakteur und 1904 bis 1934 auch als Herausgeber des sozialdemokratischen Organs »Salzburger Wacht«, 1904 bis 1934 war er Landesvorsitzender der SDAP, 1909 bis 1918 erster sozialdemokratischer Landtagsabgeordneter, 1919 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, 1920 bis 1932 Mitglied des Bundesrates, 1914 bis 1920 Gemeinderat der Stadt Salzburg, 1918 bis 1934 Landeshauptmann-Stellvertreter. (Voithofer  : Politische Eliten in Salzburg. S. 170 f.) 97 Josef Witternigg (1881–1937) war gelernter Hutmacher und wurde 1904 Mitbegründer der »Salzburger Wacht«, deren Redakteur er 1907 bis 1911 und 1919/20 war. 1907 bis 1920 war er Landesparteisekretär der Salzburger Sozialdemokratie, 1918/19 und 1921 bis 1934 Mitglied des Gemeinderates der Stadt Salzburg, 1918/19 Landesrat und 1920 bis 1934 Abgeordneter zum Nationalrat. (Voithofer  : Politische Eliten in Salzburg. S. 257 f.)

373

Die Sozialdemokraten Gesamt

Männer

Salzburg Stadt

290

269

21

Salzburg Umgebung

389

203

186

70

1

69

Tennengau

Frauen

Pongau

291

220

71

Pinzgau

73

37

36

Lungau

22

22



Der Verlust an Mitgliedern wird der derzeitigen Arbeitslosigkeit zugeschrieben. Die Organisationsarbeit in den Bezirken ist bis auf den Lungau zufriedenstellend. Auch macht sich dort die Propaganda, wie überhaupt in den bäuerlichen Bezirken, der NSDAP stark bemerkbar. Die Heimwehr werde von den Hitlerleuten aufgesaugt und die bürgerlichen nationalen Kreise streben der nationalen Einheitsfront zu. Die Sozialdemokratische Partei hat im Lande Salzburg 2 Nationalräte, 1 Bundesrat, 8 Landtagsabgeordnete (2 Mitglieder der Landesregierung), 9 Bürgermeister, 335 Gemeinderäte, 73 Ortsschulräte, 50 Fürsorgeräte, 43 Schöffen und Geschworene. Der Mitgliederstand in den Bezirken betrug am 31.12.1932  :

Salzburg Stadt

Gesamt

Männer

Frauen

2412

1528

884 1001

Salzburg Umgebung

3792

2791

Tennengau

1554

1067

487

Pongau

1824

1184

640

Pinzgau

1197

896

301

Lungau

59

57

2

Die Zahl der in den Freien Gewerkschaften organisierten Mitglieder am 31.12.1932 betrug 11.951 (…) Mitgliederstand der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) Ende 1932  : 813 Personen, davon 635 Burschen, 178 Mädchen. Der Mitgliederstand des »Bundes sozialistischer Mittelschüler Österreichs Ortsgruppe Salzburg« beträgt 56 Personen gegenüber 46 Personen im Vorjahr. »Rote Falken« – 20 Gruppen mit 784 Mitgliedern. »Freidenkerbund Landesleitung Salzburg«  : Das Jahr 1932 wird als schwerstes Krisenjahr bezeichnet. Am 31.12.1932 waren im Lande Salzburg 10 Ortsgruppen mit 498 Mitgliedern. Der Verlust beträgt 102 Personen. Die Zahl der Kirchenaustritte durch die Freidenkerbewegung betrug 37 Personen. (…) In den Parteivorstand wurden gewählt  : Robert Preussler, Zweiter Landeshauptmann-Stellvertreter …

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Die Propagandisten des Dritten Reiches

Josef Witternigg, Nationalratsabgeordneter … Karl Emminger,98 Landesrat … Christian Laserer, Bürgermeister von Gnigl … Anton Neumayr,99 Bürgermeister von Hallein … Franz Peyerl,100 Gemeinderat … Anna Witternigg,101 Landtagsabgeordnete … Ferdinand Grebmaier, Bäckermeister … Johann Wagner, Oberbäcker, … Karl Wagner, Bundesbahnbediensteter, … Johann Scholler (Näheres nicht bekannt) Heinrich Kraupner, Gewerkschaftssekretär …

 98 Karl Emminger (1878–1944) war als gelernter Schlosser Werkmeister im Eisenbahnbetriebswerk in Salzburg und Hauptvertrauensmann der sozialdemokratischen Salzburger Eisenbahner, Obmann der SDAP Gnigl, 1918 bis 1934 Landtagsabgeordneter, 1922 bis 1927 stellvertretender und 1927 bis 1934 Klubobmann der sozialdemokratischen Landtagsfraktion, 1919 bis 1934 Landesrat, 1923 bis 1933 Landesleiter des Republikanischen Schutzbundes, 1927 bis 1933 Präsident der Salzburger Arbeiterkammer. Er wurde 1934 kurzfristig verhaftet, nach der nationalsozialistischen Machtergreifung mehrmals. 99 Anton Neumayr (1887–1954) legte nach der Matura 1909 die Lehramtsprüfung für Volksschulen ab, wirkte 1909 bis 1915 als Volksschullehrer in Grödig, Hallein und Seeham und war nach der Ablegung der Lehramtsprüfung für Bürgerschulen 1915 bis 1918 Lehrer an der Bürgerschule Hallein, 1919 bis 1934 Bürgermeister von Hallein, 1919 bis 1934 Landtagsabgeordneter und Mitglied der Landesparteivertretung der SDAP. 1934 erfolgte seine Verhaftung und anschließender Stadtverweis. Neumayr wechselte nach Braunau am Inn, wurde 1938 entlassen, arbeitete ab 1942 als Sachbearbeiter im Bauamt der Reichsstatthalterei in Salzburg, wurde 1944 neuerlich verhaftet und in das KZ Dachau verbracht. 1945/46 war er Landeshauptmann-Stellvertreter und 1946 bis 1951 Bürgermeister der Stadt Salzburg, 1946 bis 1954 Mitglied des Landesparteivorstandes der SPÖ 100 Franz Peyerl (1897–1967) absolvierte nach dem Besuch der Bürgerschule in Salzburg die Lehre als Schuhoberteilerzeuger, leistete 1915 bis 1918 Kriegsdienst und war 1918 bis 1924 Mitglied der Volkswehr sowie Soldat beim Österreichischen Bundesheer. 1924 bis 1934 war er Zweiter Landesparteisekretär der SDAPÖ und Mitglied des Landesparteivorstandes. Nach einer Verhaftung 1934 war er bis 1938 als Verkäufer tätig und wurde während des Zweiten Weltkrieges zum Kriegsdienst eingezogen. 1945 bis 1966 war er Landesvorsitzender der SPÖ, Herausgeber des Parteiorgans »Demokratisches Volksblatt«, Mitglied des Bundesparteivorstandes der SPÖ und Landtagsabgeordneter, 1945/46 Landesrat und 1946 bis 1966 Landeshauptmann-Stellvertreter. (Voithofer  : Politische Eliten in Salzburg. S. 161.) 101 Anna Witternigg (1890–1967) war 1924 bis 1934 Mitglied des sozialdemokratischen Landesparteivorstandes, 1927 bis 1934 Landesfrauenvorsitzende der SDAP Salzburg, 1925 bis 1934 Abgeordneter der SDAP, 1949 bis 1957 Mitglied des Landesfrauenkomitees der SPÖ, Gründungsmitglied und 1947 bis 1958 Vizepräsidentin der Volkshilfe.

Die Sozialdemokraten

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Gendarmeriepostenkommando Bischofshofen Bezirk St. Johann im Pongau, Salzburg, 1. Oktober 1933 E. Nr. 3307 (222.555/33). Betr.: Flugzettel im Markte Bischofshofen. An das Landesgendarmeriekommando in Salzburg. In der Nacht vom 30.9. wurden im hiesigen Markte von einem Unbekannten ca. 200 Flugzettel verbreitet. Diese Flugzettel wurden gesammelt und außer dem beiliegenden Exemplar der Vernichtung zugeführt. Die Forschung nach dem Täter wurde eingeleitet. Arbeiter  ! Angestellte  ! Republikaner  ! Österreich steht vor folgenschweren Entscheidungen. Starhemberg fordert, dass die sozialdemokratische Gemeindeverwaltung in Wien davongejagt und ein Regierungskommissär eingesetzt werde. Die Heimwehr fordert die Auflösung der sozialdemokratischen Partei und der freien Gewerkschaften und die Aufrichtung der faschistischen Diktatur in Österreich. Sie wollen der österreichischen Arbeiterklasse das furchtbare Schicksal des deutschen und italienischen Proletariats bereiten. Die Arbeiterschaft hat bisher den Boden des Gesetzes nicht verlassen. Sie hat den Streit der Regierung mit den Nazi nicht gestört. Sie ist auch weiterhin bereit, das Land gegen die braunen Mordfaschisten zu verteidigen. Aber die Arbeiterschaft wird es auch nicht dulden, dass der Heimwehrfaschismus seine Herrschaft über Österreich aufrichtet, der um kein Haar besser ist als der Nazifaschismus. Wenn der Heimwehrfaschismus seine Drohungen wahr macht, wenn er seinen Willen in der Regierung durchsetzt, wenn er seine Diktatur aufzurichten versucht, dann müssen sich die Arbeiter, die Angestellten und mit ihnen die freiheitsliebenden Männer und Frauen mit allen Mitteln zur Wehr setzen. Lieber den Kampf mit den äußersten Mitteln als sich kampflos und ehrlos niederschlagen zu lassen. Wenn, wie das die Heimwehren fordern, das Wiener Rathaus besetzt oder ein Regierungskommissär eingesetzt wird  ; wenn die sozialdemokratische Partei aufgelöst oder ihre Tätigkeit verboten wird  ; wenn die Gewerkschaften aufgelöst oder »gleichgeschaltet« werden  ; wenn die Verfassung der Republik aufgehoben und mit einem Staatsstreich eine faschistische oder monarchistische Verfassung von oben dekretiert wird, in jedem dieser Fälle werdet Ihr, Arbeiter und Angestellte Selbst wissen, was ihr zu tun habt  ! Seid gerüstet  ! Seid zu allem bereit  ! Freiheit  !

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Die Propagandisten des Dritten Reiches

Polizeidirektion Salzburg, 25. Oktober 1933 Zl. 15236/5 (229.737/33). Betr.: Auffindung eines Flugblattes in Form einer Resolution des sozialdemokratischen Parteivorstandes. An die Staatsanwaltschaft in Salzburg. Die Bundes-Polizeidirektion beehrt sich, in der Anlage eine in der Nacht zum 23. Oktober l. J. am Franz Josefs-Kai durch den diensthabenden Rayonsposten gefundene Resolution des sozialdemokratischen Parteivorstandes mit der Strafanzeige gegen bisher unbekannte Täter wegen Übertretung der §§ 15, 16 und 20 Pr. O. und wegen Verbrechens gemäß § 65 b/c sowie wegen Vergehens gemäß §§ 300, 305, 308 mit dem Antrage auf Beschlagnahme zur gefälligen Kenntnisnahme zu übermitteln. Es fehlt auf der Flugschrift die Angabe des Druck- und Verlagsortes, der Name des Druckers und Verlegers, die Angabe der für den Inhalt verantwortlichen Person und außerdem wurde weder bei der Staatsanwaltschaft noch bei der Polizeidirektion Salzburg ein Pflichtstück abgeliefert. (…) Resolution über die Taktik. Die Partei hat sechs Monate eine Taktik der Zurückhaltung, des Zuwartens, der größten Selbstbeherrschung geübt, um alles zu vermeiden, was dem deutschen Nationalfaschismus die willkommene Gelegenheit zu einem Angriff auf Österreich gegeben hätte. Die Regierung aber hat diese zurückhaltende, zuwartende Haltung der Partei mit immer weiterer Verschärfung ihres Kampfes gegen die Freiheitsrechte des Volkes und gegen die sozialen Rechte der Arbeiter und Angestellten beantwortet. Die Partei war immer und bleibt auch jetzt zu friedlicher verfassungsmäßiger Lösung der Krise bereit. Die Regierung aber hat jede Erklärung dieser Bereitschaft nur mit neuer Verschärfung ihres Kampfes gegen die Arbeiterklassen und gegen die Sozialdemokratie beantwortet. Angesichts dieser Tatsache muss die Partei mit größerer Aktivität als bisher den Kampf gegen die bürgerliche Diktatur führen und jede Möglichkeit ausnützen, zur Offensive überzugehen. Der Parteitag ruft die Arbeitermassen auf, stärkste Aktivität zu entfalten im Kampfe für folgende Forderungen  : 1. Wiedereinberufung der Volksvertretung  ! 2. Arbeitsbeschaffungsprogramm  : Arbeit für 200.000 Arbeitslose  ! Hebung der Kaufkraft des Volkes  ! Schutz für die Löhne und die Gehälter  !102 102 Otto Bauer revidierte angesichts der verheerenden Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf Österreich seine bisherige finanzpolitische Position in gewissen Bereichen, indem er für ein staatliches

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3. Wiederherstellung der vollen Koalitionsfreiheit  ! Aufhebung aller Maßnahmen, durch die das Arbeits- und das Dienstrecht und die sozialen Schutzgesetze verschlechtert worden sind  ! 4. Aufhebung der seit dem 5. März verfügten Maßnahmen, durch die die Arbeitslosenfürsorge verschlechtert worden ist  ! 5. Wiederherstellung der Versammlungs- und Pressefreiheit für alle demokratischen Parteien  ! Arbeitsbeschaffungsprogramm plädierte. Auf der Reichskonferenz der Freien Gewerkschaften am 15. Juli 1933 unterbreitete er in einer Grundsatzrede sein Programm »Arbeit für 200.000«. »Wir wissen sehr gut – und haben es von Anfang an immer offen gesagt –, dass gewiss keine Möglichkeit besteht, inmitten dieser verfluchten kapitalistischen Welt, inmitten dieser Weltarbeitslosigkeit von dreißig Millionen Menschen gerade in Österreich eine Insel der Seligen zu schaffen. Aber wir haben immer verlangt und dürfen verlangen und müssen verlangen, dass im Rahmen dessen, was da in der Welt vorgeht, doch das Menschenmöglichste geschehe, um Arbeit zu schaffen. Ich behaupte, dass es durch eine zielbewusste und tapfere Politik möglich wäre, durch staatliche Aktionen ganz unmittelbar zweihunderttausend österreichischen Arbeitslosen Arbeit zu verschaffen.« Es fehle nicht an Arbeitsmöglichkeiten, sondern an den notwendigen Finanzen für eine solche Politik. Doch nun würden sich einige Möglichkeiten ergeben. Die österreichische Bundesregierung bewerbe sich um eine Auslandsanleihe und es bestehe kein Zweifel, dass sie diese bekommen werde. Und es »besteht die Aussicht, nach dem Erlangen der Auslandsanleihe dann einige Wochen später, etwa im September oder Oktober, eine innere Anleihe zu begeben. Es handelt sich da um für österreichische Verhältnisse immerhin beträchtliche Beträge, und es liegt die Frage nahe, ob man diese Beträge für Zwecke der Arbeitsbeschaffung verwenden will. Hier besteht eine sehr ernste Gefahr. Nach den bisherigen Absichten und nach den Abmachungen des Bundes mit der Nationalbank und mit ausländischen Gläubigern soll die innere Anleihe zu einem sehr großen Teil zur Rückzahlung der Schulden des Bundes an die Nationalbank verwendet werden. Und dagegen kann man nicht genug protestieren. Die Rückzahlung von Bankschulden an die Nationalbank würde im gegenwärtigen Augenblick oder in den nächsten Monaten gerade das Gegenteil dessen bedeuten, was wir brauchen. Der Bund würde Gelder, die heute in den Sparkassen, in Banken oder bei einzelnen Kapitalisten, vielleicht zum Teil im Ausland liegen, von ihnen ausborgen und würde die Banknoten, die er auf diese Weise bekommt, der Nationalbank abführen, die sie aber nicht dazu verwenden würde, um damit anderen Leuten Kredite zu gewähren, sondern sie würde die Banknoten einstampfen. Das würde Brachlegung von Kaufkraft, Verringerung der im Lande vorhandenen Kaufkraft, das würde Deflation bedeuten.« Vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Nachkriegsinflation müsse man sich in einem Punkt einig sein  : »Wir wollen keine Geldentwertung, wir wollen nicht, dass die österreichische Arbeiter- und Angestelltenschaft wieder in den Strudel des sinkenden Geldwertes hineinkommt. Aber so sicher wir keine Geldentwertung wollen, so gewiss müssen wir verlangen, dass man unbeirrt durch kreditpolitische Lehrmeinungen aus einer vergangenen Zeit, die für unsere ganz anders geartete Zeit wenig passen, alle Möglichkeiten der Kreditausweitung und der Kreditschöpfung im Interesse der Arbeitsbeschaffung ausschöpft, soweit dies nur überhaupt möglich ist, ohne in die unbeherrschbare Geldentwertung zu gelangen.« (Otto Bauer  : Werke. Band 3. – Wien 1976. S. 941–952. S. 942 ff.) Damit traf sich Otto Bauer mit der Bundesregierung, die einen Teil der Inlandsanleihe, wenngleich dies den Bestimmungen der Lausanner Anleihe widersprach, für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verwendete.

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6. Auflösung und Entwaffnung der faschistischen Wehrformationen  ! Die Aktionen im Kampfe für diese Forderungen müssen die Arbeiterschaft bereit machen und bereit erhalten zu den Entscheidungskämpfen, die unvermeidlich werden können. Angesichts der Forderungen der Heimwehrfaschisten nach dem totalitären Staat, nach der Auflösung der Partei, nach der Gleichschaltung der Gewerkschaften, nach der Besetzung des Wiener Rathauses und der Einsetzung eines Regierungskommissärs für das Rote Wien haben der Parteivorstand und der Bundesvorstand der Freien Gewerkschaften am 17. September beschlossen, in jedem dieser Fälle die Arbeiterklasse zum Generalstreik aufzurufen. Der Parteivorstand und der Parteitag bestätigen und bekräftigen diesen Beschluss und fordern die Organisationen auf, die gesamte Arbeiterklasse und über sie hinaus alle freiheitliebenden Republikaner mit diesem Beschluss vertraut zu machen. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 25. Oktober 1933 Zahl 2872 (232.424/33). Betr.: Republikfeier der Sozialdemokratischen Partei. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Für den 12. November l. J. beabsichtigt die sozialdemokratische Parteileitung in der Stadt Salzburg im Festspielhaus eine eigene Republikfeier zu veranstalten. Da eine derartige Versammlung nicht im Rahmen einer §-2-Versammlung durchführbar ist und weiters erwartet werden muss, dass auch in allen anderen Städten und Märkten des Landes solche Veranstaltungen von der genannten Partei beabsichtigt sind, wird um prinzipielle Entscheidung gebeten, ob im Hinblick auf die besondere derzeitige Aktivität dieser Partei und die gegenwärtige politische Lage solche Partei-Veranstaltungen zuzulassen seien oder ob vielmehr auf die von den staatlichen Behörden veranstalteten Feiern hinzuweisen und zur Teilnahme an diesen offiziellen Veranstaltungen aufzufordern sei. Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit) Zahl 22229764 – G. D. 1/1933. Sämtliche Sicherheitsdirektoren wurden am 30. und 31. Oktober l. J. auf telefonischem Wege in Kenntnis gesetzt, dass für den 12. November l. J. Kundgebungen

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jeglicher Art und auch Veranstaltungen gesellschaftlicher Natur, von welcher Partei immer sie geplant sind, nicht zu gestatten seien.103

103 Die Frage der Feier des Staatsfeiertages 12. November wurde am 27. Oktober 1933 im Ministerrat erörtert. Staatssekretär Carl Karwinsky berichtete, »dass die sozialdemokratische Partei für den Staatsfeiertag am 12. November die alljährliche Ringstraßenkundgebung angemeldet habe. Obwohl die Veranstaltung unter dem Schlagwort ›Kampf um die Erhaltung der Selbständigkeit Österreichs‹ stehen solle, befürchte« er, dass diese zu einer unerwünschten politischen Demonstration werden könnte. Man sollte sie daher »in der beabsichtigten Form verbieten« und eventuell eine Versammlung im Praterstadion gestatten. »Der Staatsfeiertag vom 12. November werde heuer ein Tag erhöhter politischer Unruhe sein, weil er mit den Reichstagswahlen im Deutschen Reiche zusammenfalle. (Am 12. November 1933 fanden im Deutschen Reich manipulierte Reichstagswahlen mit der Frage statt, ob der Austritt aus dem Völkerbund gebilligt werde. Auf die Einheitsliste der NSDAP entfielen dabei 92 Prozent der abgegebenen Stimmen. Anm. d. Verf.) Dadurch sei die Notwendigkeit gegeben, die staatliche Sicherheitsexekutive im Alarmbereitschaft zu setzen, um für alle Möglichkeiten gerüstet zu sein.« Er rate daher von der Bewilligung des sozialdemokratischen Antrages ab, da durch die »Veranstaltung eines offiziellen Festaktes … Kräfte gebunden würden, die an anderer Stelle fehlen könnten. Überhaupt werfe sich die Frage auf, ob es nicht an der Zeit wäre, den 12. November ebenso wie den 1. Mai ihres Charakters als Staatsfeiertage zu entkleiden und bloß den 1. Mai als einen einfachen Arbeitsruhetag bestehen zu lassen.« Sozialminister Richard Schmitz stimmte der Anregung Karwinskys zu, vertrat allerdings die Meinung, dass ein solcher Entschluss erst nach der Verabschiedung der neuen Verfassung gefasst werden sollte. »Die Bedeutung der Erneuerung Österreichs werde der Bevölkerung durch einen Verfassungstag in Erinnerung zu halten sein, der an die Stelle des jetzigen Staatsfeiertages vom 12. November zu treten hätte. … Die Regierung solle sich für heuer damit begnügen, den 12. November seiner Bedeutung durch Unterlassung jeder staatlichen Feier und Untersagen auch jeder privaten Kundgebung zu entkleiden und in einer öffentlichen Erklärung festzustellen, dass der 12. November als Sinnbild eines innerlich überwundenen Zustandes der Vergangenheit angehöre und nur diesmal noch, weil er auf einen Sonntag falle, bestehen gelassen werde, bis der neue Staatsfeiertag festgesetzt sei. Damit erledige sich vorläufig auch die Frage der Behandlung des 1. Mai. Die Feier des 1. Mai habe die II. Internationale anlässlich ihrer Begründung im Jahre 1889 als Symbol des Kampfes um den Achtstundentag proklamiert. Im Deutschen Reich habe die nationalsozialistische Regierung dem 1. Mai diesen Sinn genommen und ihn zum Festtag der deutschen Arbeit erklärt. Österreich müsste, ohne das deutsche Beispiel nachzuäffen, einen ähnlichen Weg gehen, wobei daran gedacht werden könnte, etwa an das in früheren Jahrhunderten in den österreichischen Landen begangene Frühlingsfest anzuknüpfen. Die Regierung hätte es also im Augenblick noch bei dem derzeitigen Zustand zu belassen, seine Abänderung jedoch planmäßig vorzubereiten.« Vizekanzler Emil Fey resümierte, die Bundesregierung werde am Staatsfeiertag alle Kundgebungen verbieten und keine offizielle Feier veranstalten. Die Entscheidung über einen künftigen Staatsfeiertag werde zu einem späteren Zeitpunkt fallen. (MRP 904/20.)

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Polizeidirektion Salzburg, 31. Oktober 1933 Zl. 3566/27-32. Betr.: Sozialdemokratische Partei, Republik-Feier, Untersagung. Bescheid (…) In Erledigung der h. a. erstatteten Versammlungsanzeige vom 27. Oktober 1933 erlässt die Bundes-Polizeidirektion Salzburg nach nachstehenden Bescheid  : S p r u c h    : Die für den 12. November 1933 um 9.30 Uhr vormittags angezeigte Versammlung bzw. politische Kundgebung wird im Grunde des § 6 des Gesetzes vom 15. November 1867, R. G. Bl. Nr. 135 über das Versammlungsrecht untersagt. Einer allfälligen gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wird die aufschiebende Wirkung gemäß § 64, Abs. 2 A. V. G. aberkannt. Das Verbot tritt sohin sofort in Kraft. B e g r ü n d u n g    : Nach der erstatteten Anzeige handelt es sich um eine allgemein zugängliche politische Versammlung, bei welcher eine politische Kundgebung geplant erscheint. Im Sinne der Bestimmungen des Erlasses des Bundeskanzleramtes (Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, G. D. 1), Zl. 126.495 vom 7. März 1933 sind bis auf Weiteres von wem immer veranstaltete politische Kundgebungen, und zwar Versammlungen jeder Art und öffentliche Aufzüge, gleichgültig ob sie unter freiem Himmel oder in geschlossenem Raume stattfinden, wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und des öffentlichen Wohles im Grunde des § 6 des Versammlungsgesetzes vom 15. November 1867, R. G. Bl. Nr. 135, ausnahmslos zu untersagen. Unbedingt hintanzuhalten sind aber alle Versammlungen, die sich als politische Massenkundgebungen darstellen und als solche die politische Hochspannung in der Bevölkerung verschärfen, die Öffentlichkeit beunruhigen, die öffentliche Sicherheit gefährden und die schonungsbedürftige Wirtschaft hierdurch in Mitleidenschaft ziehen. Die Exzessiven Demonstrationen, welche sich h. o. gelegentlich der 1.-Mai-Feier ereignet haben und welche die Sicherheitswache zum Einschreiten und zur Vornahme von Verhaftungen in mehreren Fällen gezwungen haben, lassen Wiederholungsfälle besorgen. Da die Abhaltung der angemeldeten Veranstaltung die öffentliche Sicherheit (das öffentliche Wohl) gefährden würde und mit Bestimmtheit zu gewärtigen ist, dass die Versammlungsteilnehmer trotz der gegenteiligen Versicherungen der Parteiführer diese Veranstaltung zu lärmenden, demonstrativen Kundgebungen für ihre Partei missbrauchen könnten, musste die Veranstaltung nach § 6 des Versammlungsgesetzes auch aus diesem Grunde untersagt werden. (…)

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Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 8. November 1933. Zahl 3216 (335.157/33). Betr.: Nachrichtendienst  ; Wochenbericht Nr. 13. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. (…) Von der Sozialdemokratischen Partei wurde in der abgelaufenen Woche keine offizielle Propaganda entfaltet. Die für den 12. November im Salzburger Festspielhause geplante öffentliche Republikfeier wurde aus Rücksichten der Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung untersagt. Seitens der Landesparteileitung wurde hiegegen bei der Landesregierung Protest erhoben und angekündigt, dass die sozialdemokratischen Republikfeiern in Form von §-2-Versammlungen abgehalten werden. Im Sinne der jüngsten Weisungen des Bundeskanzleramtes werden dieselben jedoch verboten werden. Bundespolizeidirektion Salzburg, 8. November 1933 Zl. 20/33-res. Betr.: Mitglieder des aufgelösten Republikanischen Schutzbundes, regelmäßige Appelle. An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. Die Bundes-Polizeidirektion hat in Erfahrung gebracht, dass die Mitglieder des aufgelösten Republikanischen Schutzbundes nach wie vor jeden Mittwoch und Freitag von 20 bis 22 Uhr seit 9.9. l. J. in der sozialdemokratischen Turnhalle in Gnigl, und zwar im Dienstraum Nr. 2, Führersitzungen abhalten. Es kommen regelmäßig ungefähr 16 Mann zusammen und werden an die Gruppenführer verschiedenartige Informationen und Instruktionen erteilt. Angeblich soll sich daselbst auch die Verteilungsstelle des neuen Informationsblattes für die Mitglieder des aufgelösten Republikanischen Schutzbundes »Der Pfeil« – Zeitschrift für Politik, Propaganda und Agitation – befinden, ein Druckwerk, welches in Wien zur Anmeldung gelangt ist und den Mitgliedern des aufgelösten Republikanischen Schutzbundes automatisch zugeschickt wird. (…) Bei den Zusammenkünften im Dienstraum Nr. 2 der sozialdemokratischen Turnhalle in Gnigl hat ein gewisser Ludwig Stuibe, Monteur des Elektrizitätswerkes in Salzburg, … die Leitung. Zu den ständigen Besuchern dieser Appellsitzungen gehören  : die Zugsführer  : Alois Innerberger, Maler bei der Stadtgemeinde, …

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Karl Braunbock, arbeitsloser Buchdrucker, … Anton Pöttler, arbeitsloser Schlosser, … die Zugsführer-Stellvertreter  : Anton Schubert, arbeitsloser Techniker, … Anton Stranzinger, arbeitsloser Hilfsarbeiter, … Josef Thallhammer, Monteur, … Die Ordonnanzen  : Franz Schmiedhammer, Handelsangestellter, … August Schneider, arbeitsloser Schlosser, … die Gruppenführer  : Sepp Kappel, arbeitsloser Spängler, … Sepp Kölbinger, arbeitsloser Gießer, … Anton Kern, arbeitsloser Hilfsarbeiter, … Georg Auer, arbeitsloser Hilfsarbeiter, … Ludwig Stranzinger, arbeitsloser Hilfsarbeiter, … Walter Hintschich, arbeitsloser Hilfsarbeiter, … Karl Solinger, Gemeindeangestellter, … Sepp Etter, arbeitsloser Hilfsarbeiter, … Sepp Weilguni, arbeitsloser Hilfsarbeiter, … Anton Treinkl, Bundesbahner, … Der Bundesbahner Rudolf Breitenfellner, Gnigl, … der sich bei der sozialdemokratischen »Jungfront« besonders betätigt hat und derzeit im Heizhaus Gnigl eingeteilt ist, sowie der Bundesbahner Anton Treinkl, ebenfalls im Heizhaus Gnigl beschäftigt, sollen in den Kreisen der Bundesbahnangestellten des Heizhauses und der Streckenleitung eine rege Agitation gegen die Vaterländische Front entfalten. Da sie auch angeblich als Revisionsschlosser bis Innsbruck ihre Dienstfahrten ausdehnen sollen, sollen die Genannten auch auf der Strecke eine lebhafte regierungsfeindliche Propaganda entfalten. (…) Bundespolizeidirektion Salzburg, 11. November 1933 Zl. (237.800/33) Betr.: Sozialdemokratische Demonstrationen am 10.11.1933. An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. Gestern, den 10. d. Mts. fanden in der Zeit zwischen 19 und 20 Uhr im Arbeiterheim und in mehreren Lokalen des Stadtgebietes und der Umgebung kleinere §-2-Versammlungen der Sozialdemokratischen Partei und deren Organisationen statt, welche dem Gedächtnisse an den verstorbenen Parteiführer Victor Adler gewidmet waren. Die einzelnen Versammlungen waren durchschnittlich von 35 Personen besucht

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und hatten sich nur im Arbeiterheim, in welchem ein Fassungsraum von rund 500 Personen vorhanden ist, ca. 100 Personen eingefunden  ; sämtliche hatten auf Namen ausgestellte Einladungen. Die Versammlungsteilnehmer wurden vor dem Betreten der Versammlungslokale durch Kriminalbeamte und die Polizeiwache in Bezug auf den Vorweis der auf Namen lautenden Einladungen kontrolliert, wobei mehrere Versammlungsteilnehmer, welche die Einladung angeblich vergessen hatten, an dem Betreten des Versammlungslokales gehindert wurden. Nach Schluss der einzelnen Versammlungen zogen die Teilnehmer der im Stadtgebiete gelegenen Versammlungslokale in losen Gruppen zum Arbeiterheim, um sich angeblich an der dortselbst stattfindenden Victor-Adler-Feier ebenfalls zu beteiligen. Die Polizeiwache verhinderte die Bildung eines geschlossenen Zuges und nahm die Zerstreuung dieser zum Arbeiterheim ziehenden Gruppen vor. Es gelang jedoch denselben auf Umwegen in die Paris-Lodron-Straße zu gelangen, woselbst aus dem Arbeiterheim die Teilnehmer der genannten Feier herauskamen und mit den bezeichneten Gruppen zusammentrafen. Unter Ausrufen wie »Freiheit  !«, »Nieder mit dem Faschismus  !« und unter Absingen von Arbeiterliedern wollten die Demonstranten in die Stadt ziehen. Die Bundes-Polizeidirektion hatte unterdessen durch die bereits in Bereitschaft gestellt gewesene Polizeiwache die Zufahrtsstraßen zum Zentrum der Stadt abriegeln und mit Zuhilfenahme der 30 aus dem Stande des Bundesheeres rekrutierten Mann der Polizeischule die Demonstranten durch die Rainerstraße gegen Itzling abdrängen lassen. An der Spitze des Zuges war der Nationalratsabgeordnete Josef Witternigg … in Begleitung seiner Gattin und mehrerer Parteifunktionäre gezogen, wobei der Genannte stets zu neuerlichen politischen Kundgebungen durch Ausrufen des Parteigrußes und durch die Anstimmung von Arbeiterliedern aneiferte. Während des Einschreitens der Polizeiwache gegen die Demonstranten ergab sich bei einzelnen derselben ein passiver Widerstand, während andere wieder in ungestümer Weise gegen die Polizei und gegen die Assistenzmannschaft Stellung nahmen. Es wurden insgesamt 25 Anhaltungen vorgenommen. Nach Herstellung der Ruhe und Abdrängung der Demonstrationsmenge gegen Itzling trat Nationalratsabgeordneter Josef Witternigg, welcher am Wachzimmer Bahnhof sowohl beim Polizeidirektor Hofrat Hantsch als auch bei Oberpolizeirat Ingomar gegen die vorgenommenen Anhaltungen auf das Schärfste protestierte und die Freilassung seiner Parteigänger gefordert hatte, den Heimweg in der Richtung gegen den Mirabellplatz an. Hierselbst hatte unter der Leitung des Polizeimajors Großpointner die Polizeiwache gegen einzelne Mitglieder der NSDAP wegen Nichtfolgeleistung einschreiten müssen. Die Bezeichneten hatten sich am Mirabellplatz vor dem Wachzimmer Mirabell, in welchem sich 16 verhaftete Demonstranten befanden, angesammelt, wollten der Abführung dieser Häftlinge mit dem Gefan-

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genentransportwagen zusehen und haben der Aufforderung der Polizeiwache, den Platz zu räumen, durch passive Resistenz nicht Folge geleistet. Als Polizeimajor Großpointner diesen Leuten die Festnahme androhen musste, mengte sich Nationalratsabgeordneter Witternigg in diese Amtshandlung ein und schrie, trotz mehrfacher höflicher Abmahnung und bestimmter Zurechtweisung, in einer derart Aufsehen und öffentliches Ärgernis erregenden Weise, dass zwecks Vermeidung und Hintanhaltung weiterer Zusammenstöße und Komplikationen mit den Demonstranten seine Vorführung auf das Wachzimmer Mirabell dringend geboten erschien. Nationalratsabgeordneter Witternigg widersetzte sich mit Brachialgewalt gegen die in Ausübung ihres Amtes befindlichen Wachebeamten und wollte die Vollziehung des dienstlichen Auftrages mit wirklich gewaltsamer Handanlegung vereiteln, wobei er die bereits erwähnten Demonstranten durch sein Verhalten und durch seine Einmengung in die Amtshandlung zum Ungehorsam, zur Auflehnung und zum Widerstand gegen die Verfügungen der Polizeibehörde aneiferte. Nationalratsabgeordneter Witternigg hat gegen seine Festnahme und Vorführung auf das Wachzimmer den schärfsten Protest eingelegt und die sofortige Verständigung des Parlamentskommissärs verlangt. Diesem Absuchen wurde h. a. nicht entsprochen. Nach der durchgeführten Einvernahme als Beschuldigter wurde Witternigg von der Erstattung der Anzeige an die Staatsanwaltschaft in Kenntnis und über Weisung des Herrn Sicherheitsdirektors auf freien Fuß gesetzt. Gegen den Genannten wird … die Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft wegen des Verbrechens der Störung der öffentlichen Ruhe gemäß § 65/b St. G., wegen Verbrechens der öffentlichen Gewalttätigkeit gemäß § 81 St. G. und wegen Übertretung der Einmengung in eine Amtshandlung gemäß § 314 St. G. erstattet. (…) Bundespolizeidirektion Salzburg, 12. Dezember 1933. Zl. 16.586/8 (253/185/33). Betr.: Streuzettel auf den Anlagen des Bundesbahnhofes in Salzburg. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Auf den Anlagen des Bundesbahnhofes in Salzburg, vornehmlich aber im Eilgutmagazin, wurden Streuzettel vorgefunden, in welchen gegen die Vaterländische Front gehetzt und für die freie unabhängige Gewerkschaft der Eisenbahner Propaganda gemacht wird. Die Streuzettel wurden gesammelt und die Erhebungen gegen unbekannte Täter zwecks Ausforschung des Herstellers und Verbreiters eingeleitet. Ein Exemplar dieser Streuzettel wird gleichzeitig beigelegt. (…)

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Eisenbahner  ! Genossen  ! Kollegen  ! Wir haben Euch immer gesagt  ! Ohne einflussreiche Personalvertretung seid Ihr der Willkür der Verwaltung ausgesetzt. Ihr habt es nicht geglaubt  ! Heute spürt Ihr am eigenen Leib, dass die Verwaltung nicht Gerechtigkeit, sondern Willkür übt. Man wirft Euch zu Hunderten aufs Pflaster, kein Mensch frägt nach sozialen Grundsätzen oder darum, ob Ihr mit Weib und Kind verhungern müsst oder nicht  ! Wo bleibt die Vaterländische Front  ! Wir sagen Euch heute  : Ohne freie unabhängige Gewerkschaft seid Ihr hilflos  ! Glaubt es, haltet Eurer Berufsorganisation die Treue, wirkt aufklärend untereinander, lernt aus den Tatsachen. Bundes-Polizeidirektion Salzburg, 16. Jänner 1934. Zl. 4436/245-33 (108.174-34). Betr.: Illegale Propagandaschriften der SDAP. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. In letzter Zeit sind in Salzburg illegale Propagandaschriften durch Funktionäre der SDAP zur Verteilung gelangt. Es handelt sich um die Wochenschrift für österreichische Politik »Der Ruf« vom 8.1.1934. Diese Wochenschrift ist offenbar der Ersatz für die in Österreich verbotenen Wochenschriften »Die Wahrheit« und »Die Stimme«. »Der Ruf« wird ebenfalls in Teplitz-Schönau bei der in der Tischlergasse Nr. 4 befindlichen Druck- und Verlagsanstalt G. m. b. H. hergestellt. (…) Der Inhalt dieser Wochenschrift ist außerordentlich regierungsfeindlich und ist darauf abgestimmt, die sozialdemokratisch organisierten Arbeiter auf einen Generalstreik vorzubereiten. (…) Vertrauliche Mitteilungen aus dem Lager der Sozialdemokraten beinhalten die Bestätigung für den Inhalt dieses Artikels, da maßgebende Funktionäre den extrem eingestellten Parteigängern einzureden versuchen, dass die Bundesregierung gezwungen sein werde, mit den Sozialdemokraten eine Koalition gegen den braunen Faschismus einzugehen, um der regierungsfeindlichen Opposition gegenüber aktiver auftreten zu können. (…) Wie können wir siegen  ?104

104 Der Ruf. Wochenschrift für österreichische Politik. 8. Jänner 1934.

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Ve r z w e i f e l t e , e r b i t t e r t e A r b e i t e r wenden sich an die Parteisekretariate, an die Gewerkschaftssekretariate, an die Arbeiterblätter, an die Vertrauensmänner  : » W i e l a n g e s o l l d a s n o c h s o w e i t e r g e h e n   ? « (…) In der Tat, es geht der Arbeiterklasse i n d e r g a n z e n k a p i t a l i s t i s c h e n We l t i m m e r s c h l e c h t e r. Von San Franzisko bis Tokio ist der Kapitalismus in Krise und Zersetzung. 30 Millionen Menschen sind in der ganzen Welt arbeitslos. Der Kapitalismus beweist jetzt allen Arbeitern die alte m a r x i s t i s c h e Erkenntnis  : töricht, zu glauben, dass die Arbeiterklasse ihre Lage i n n e r h a l b der kapitalistischen Welt dauernd verbessern könnte  ! Wir müssen d e n K a p i t a l i s m u s s e l b s t z e r s c h l a g e n , ehe es dauernd allen Menschen besser gehen kann. (…) »Man nimmt uns ein Recht nach dem anderen weg. Man will uns völlig niederwerfen. Sollen wir uns all das gefallen lassen  ?« Nein, w i r s o l l e n e s u n s n i c h t g e f a l l e n l a s s e n . Wir müssen die faschistische Gefahr abwehren. Aber w i e können wir das tun  ? Täuschen wir uns nicht darüber  : die a l t e n Kampfmittel sind uns teils entrissen, nicht mehr wirksam. Wenn es so weitergeht wie bisher, wenn nicht die inneren Gegensätze innerhalb des gegnerischen Lagers sehr bald eine Wendung und Umkehr herbeiführen, dann wird uns nichts anderes übrig bleiben, als den E n t s c h e i d u n g s k a m p f u m S e i n o d e r N i c h t s e i n aufzunehmen. Aber was ist das, – der Entscheidungskampf  ? Das ist zunächst  : der G e n e r a l s t r e i k . Aber der Generalstreik würde z w a n g s l ä u f i g zur gewaltsamen Entscheidung mit Wa f f e n führen. Wo l l t I h r d e r P a r t e i e i n e n Vo r w u r f daraus machen, dass sie das Signal zu einem solchen Kampf nicht längst schon gegeben hat, nicht heute gibt  ? Denket einmal nach  ! Wir wollen doch nicht nur k ä m p f e n . Wenn es zum Kampfe kommt, wollen wir, müssen wir s i e g e n . Deshalb müssen diejenigen, die das Zeichen zu diesem Kampfe geben sollen, vorher nüchtern und verantwortungsbewusst erwägen  : wie stark sind wir und wie stark ist der Gegner  ? Über welche Waffen verfügen wir und über welche Waffen verfügt der Gegner  ? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit wir siegen können  ? Der G e n e r a l s t r e i k allein genügt nicht. In einer Zeit, in der so viele Betriebe überhaupt stillstehen, so viele Betriebe nur mit ganz kleinem Arbeiterstand arbeiten, so viele hungernde und verzweifelte Arbeitslose vor den Fabrikstoren stehen, kann der Generalstreik allein nicht siegen. Und der g e w a l t s a m e Kampf  ? Wir stünden in einem solchen Kampfe einem mit allen modernen Kriegsmitteln ausgerüsteten Heer, überdies der Polizei, der Gendarmerie und den Heimwehren gegenüber. Täuschen wir uns nicht über die Stärken des Feindes  ! Und dazu noch Eines  : Wenn wir mit der Staatsgewalt in Kampf geraten, dann stehen abseits als dritte Macht die N a z i , darauf lauernd, in den Kampf einzugreifen

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und ihn zu ihren Gunsten zu entscheiden  ! Wenn zwei sich streiten, hat der Dritte den Vorteil. (…) Ein Kampf auf ein Signal von oben her begonnen, wäre ein P u t s c h . Er kann nicht gelingen. Ein gewaltiger Ausbruch des aufgehäuften Zornes des ganzen Volkes ist eine R e v o l u t i o n . Revolutionen kann man nicht beliebig m a c h e n   ; sie e n t s t e h e n , wenn die Zeit reif geworden ist. N i c h t e i n P u t s c h , n u r e i n e R e volution kann siegen. Noch ist die Zeit nicht reif geworden. Aber was können wir tun, damit sie es werde  ? Wer die Unzufriedenheit der Massen g e g e n d i e P a r t e i o d e r g e g e n d i e G e w e r k s c h a f t e n lenkt, der besorgt nur, ohne es zu wissen, die Geschäfte des Feindes. (…) Als Napoleon I. das große Russland angriff, hat sich ihm die russische Armee nicht zum Kampf gestellt. Denn wenn sie sich an der russischen Grenze zum Kampf gestellt hätte, wäre sie besiegt und geschlagen worden. Sie ist dem Kampf ausgewichen. Sie hat sich immer weiter zurückgezogen. Sie hat den Feind selbst Moskau, die russische Hauptstadt, besetzen lassen. Und erst als sich seine Kräfte immer tiefer nach Russland hineingewagt hatten und die feindliche Besetzung die Leidenschaften, den Zorn, den Widerstandswillen des russischen Volkes immer mehr gesteigert hatte, e r s t d a n n sind die Russen zum Gegenangriff übergegangen, dann haben sie die große Armee des großen Eroberers vernichtend geschlagen, ihn aus ihrem Lande hinausgeworfen und seinen Sturz herbeigeführt.

3.1 Der Februar 1934 und die Folgen Fürsterzbischöfliches Ordinariat Salzburg, 6. März 1934. Hochgeschätzter Herr Bundeskanzler  ! Brieflich werde ich ersucht, um Milde bei der Bundesregierung für die sozialdemokratischen Gefangenen und Häftlinge in Salzburg zu bitten. Sosehr ich nun das Gedeihen der öffentlichen Ruhe durch Unterbringung und Niederhaltung der Ruhestörer wünsche, so liegt mir doch als dem Oberhirten auch ehemögliche Befriedigung der Irrenden am Herzen, da der Weg der Milde nach meiner Erfahrung und Ansicht auch der kürzere Weg zur Rückkehr der Herzen und Seelen ist. Darum erlaube ich mir ergebenst die große Bitte, dass auch in Salzburg die politischen Gefangenen jene Milde erfahren, wie sie in anderen Ländern, wo keine Zusammenstöße stattgefunden haben, bereits gewährt wurde, besonders ersuche ich, dass den politischen Häftlingen die Begünstigungen der Untersuchungshäftlinge gewährt werden und dass jene, bei denen anzunehmen ist, dass nach dem Gesetz

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ein Haftzwang nicht besteht, gegen Gelöbnis womöglich auch auf freien Fuß gesetzt werden. In aller Verehrung bin ich Hochverehrter Herr Bundeskanzler Ihr dankbar ergebener Ignatius Rieder Fürsterzbischof Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) Geschäftszahl A. E. 152881 G.D./34. (8619 – Pr./34.) Gegenstand  : Preußler Robert, Auflassung von Sicherungsmaßnahmen. An das Bureau des Herrn Staatssekretärs K a r w i n s k y. Der gewesene Landeshauptmann-Stellvertreter in Salzburg Redakteur Robert Preußler hat den Herrn Bundeskanzler nach Haftentlassung gebeten, der Sicherheitsdirektion in Salzburg nahezulegen, dass sie vom Misstrauen gegen ihn und von seiner Überwachung Abstand nehme. Er sei in Salzburg als ein Mensch bekannt, der immer für die Ausgleichung der Gegensätze und für den Abbau des politischen Fanatismus eingetreten sei. Mit Rücksicht auf sein Alter von 67 Jahren und die vollständige Zerrüttung seines Nervensystems sehne er sich nach Ruhe. Hierauf beehrt sich das Präsidium des Bundeskanzleramtes über erhaltenen Auftrag aufmerksam zu machen. 6. April 1934 Für den Bundeskanzler  : Chavanne An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. Der gewesene Landeshauptmann-Stellvertreter in Salzburg Robert Preußler hat den Herrn Bundeskanzler gebeten, dem Herrn Sicherheitsdirektor in Salzburg nahezulegen, von der gegen ihn verfügten Überwachung Abstand zu nehmen. Als Begründung führt er sein Alter, die Zerrüttung seines Nervensystems und schließlich auch die politisch gemäßigte Richtung, die er angeblich stets vertrat, an. E. H. werden hiervon mit der Einladung in die Kenntnis gesetzt, die getroffenen Maßnahmen hinsichtlich ihrer Notwendigkeit einer Überprüfung zu unterziehen und das abschließend Verfügte hierher zu berichten. April 1934.

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3.1.1 Der Fall Josef Witternigg Josef Witternigg Salzburg, 3. Juni 1934 Nationalrat und Gemeinderat a. D. der Stadt Salzburg Sehr geehrter Herr Bundeskanzler  ! Am 29. Mai wurde ich nach Abschluss der gerichtlichen Untersuchung auf freien Fuß gesetzt und bin nun bemüht, aus dem Ruin, in dem ich und meine Familie uns befinden, wieder herauszukommen. Als Ergebnis dieses meines Versuches und Bestrebung, erhielt ich am 24. Mai von Direktor Walter Karger, dem Treuhänder des konfiszierten Parteivermögens der SP, einen Brief mit dem Ratschlag, mich mit einem Gesuch an den Bundeskanzler zu wenden als einzige Möglichkeit, die derzeit existiere. Diesem Rate Folge leistend, gestatte ich mir, Herr Bundeskanzler, an Sie nachstehende Bitte zu richten und begründe dieselbe wie folgt  : Ich war durch volle 27 Jahre in Salzburg Redakteur und Partei-Sekretär der SP, besoldet mit einem Monatsgehalt von S 980 14 Mal im Jahr. Heute, vor der Existenzlosigkeit stehend, beanspruche ich wie jeder Angestellte die gesetzliche Abfertigung, das ist ein Jahresgehalt und fünf Monate Kündigung, zusammen S 19.436. Es ist der Zweck meines Schreibens, Sie, sehr verehrter Herr Bundeskanzler, zu bitten, mir zu meinen Rechtsansprüchen zu verhelfen. Im Übrigen gestatte ich mir über meine Person Folgendes hinzuzufügen. Ich bin Vater zweier Kinder, mitten im Studium stehend, selbst leidend, denn ich wurde im Gefängnis operiert, stehe ich vor dem absoluten Nichts. Da meine Forderung als entlassener Angestellter mein einziges finanzielles Aktivum ist, das es mir ermöglichen soll, einen Lebensunterhalt zu gründen, so richte ich an Sie, Herr Bundeskanzler, die Bitte, die Auszahlung obiger Summe an mich zu veranlassen. Gestatten Sie mir im Anschluss an obiges auch noch etwas Persönliches. Ich bin geborener Kärntner, zuständig nach Salzburg, diente beim 7. Infanterieregiment im Frieden und im Kriege, stand volle 5 Jahre unter den Fahnen, davon 3,5 Jahre im Krieg, besitze vier Auszeichnungen, zwei Tapferkeitsmedaillen, das silberne Verdienstkreuz mit der Krone und das Karl-Truppenkreuz. Ich war wirklicher Reservefeldwebel, habe die Kämpfe in den Karpaten am Duklapass, Dnjestr, 3. Isonzo­ schlacht mitgemacht, stand in den Karnisch-Julischen Alpen bis zum Durchbruch bei Flitsch und Karfreit. Auch ich habe für unser gemeinsames Vaterland gekämpft und gelitten  ! Für unsere Einstellung zu unserem Vaterlande verweise ich weiters noch auf unsere Vorsprache bei Herrn Minister Vaugoin anlässlich seiner Anwesenheit in Salz-

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burg im November 1933. Wir Salzburger Sozialdemokraten sprachen durch Vermittlung der Landesregierung vor, erklärten im Namen der Sozialdemokraten von Salzburg, Tirol, Vorarlberg und Oberösterreich, dass wir uns bei einem eventuellen Putsch der Nationalsozialisten zur Verfügung stellen. Die Grenze ist im Westen 250 km lang und hat viele Einfallsmöglichkeiten. Wir wollten unsere Heimat mit der Staatsexekutive verteidigen. Unser Vorschlag war, die Bundesregierung sollte mit unserer Hilfe, unter ihrer Kontrolle, ihren eigenen Instruktionen, Arbeiterlegionen bilden. Minister Vaugoin dankte für die Loyalitätserklärung und erklärte, er werde dieselbe der Bundesregierung übermitteln, er sei in der Frage nicht kompetent, er kommandiere nur reguläre Truppen, diese Angelegenheit falle in das Ressort der Herrn Fey. Wir Sozialdemokraten haben in diesem Sinne gewirkt, unsere taktischen Erwägungen haben uns bis zum 12. Februar begleitet und getragen. Diese Ausführungen, Herr Bundeskanzler, haben den Zweck, Tatsachen aufzuzeigen, insbesondere aber Sie zu bitten, mir in Anbetracht meiner Jahre und der schweren Möglichkeit einer Neuorientierung zu meiner gesetzlichen Abfertigung zu verhelfen. Bundespolizeidirektion Salzburg Zl. 164/2-res.-34. Betr.: Josef Witternigg, Anmeldung von Forderungen. Z. Erl. Zl. 249.266 v. 26.9.1934. Salzburg, 12. November 1934 An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, Ant. 2, Wien I, Ballhausplatz 2. Die Bundespolizeidirektion beehrt sich zum obzitierten d. ä. Erlass zu berichten, dass der gewesene sozialdemokratische Nationalrat und Gemeinderat Josef W i t t e r n i g g aus dem Titel »Kündigungsentgelt und Abfertigung« nach Maßgabe des vorhandenen Vermögens der ehemaligen sozialdemokratischen Partei am 25. September 1934 einen Betrag von S 5.000,- (Schilling fünftausend) in bar ausbezahlt erhalten hat. In der Empfangsbescheinigung erklärt Witternigg weiters, dass er durch diese Abfertigung zur Gänze befriedigt ist und auf seine sämtlichen gegen die ehemalige sozialdemokratische Partei in Salzburg gerichteten, wie immer Namen habenden und auf alle anderen Ansprüche ausdrücklich Verzicht leistet. Die Eingabe des Josef Witternigg vom 3. Juni 1934 an den Herrn Bundeskanzler ist nunmehr gegenstandslos.

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Josef Witternigg Nationalrat, Landesrat, Gemeinderat der Stadt Salzburg a. D. Salzburg, 27. Oktober 1935 An das Bundeskanzleramt, Wien I, Ballhausplatz. Sehr geehrter Herr Bundeskanzler  ! Gefertigter stellt an Sie und an das Bundeskanzleramt das Ersuchen es zu ermöglichen, dass mir meine gesetzlichen Ansprüche gegen die ehemalige sozialdemokratische Partei in Salzburg aus dem Titel Kündigungsentgelt und Abfertigung ausbezahlt werden. Seit Februar 1934 habe ich keinerlei Einkommen, ich bemühe mich, eine neue Stellung zu bekommen, bis heute ist es mir nicht gelungen, eine neue Existenz zu gründen. Ich bin 54 Jahre, Vater von zwei unversorgten Kindern, beide studieren. Ich habe 28 Dienstjahre. Habe also nach dem Angestelltengesetz Anspruch auf eine Abfertigung von S 19.500. Bekommen habe ich vom treuhändigen Verwalter Hr. Dir. W. Karger, Salzburg, Paris-Lodronstraße 21, S 5.000,- mit dem Bemerken, ich soll mich mit der Pauschalsumme von S 5.000,- als zur Gänze befriedigt erklären und auf jeden weiteren Anspruch verzichten. Wenn ich nicht unterschreibe, bekomme ich gar nichts. Ich, der Treuhänder, brauche nur nach Wien berichten, dass Sie nicht würdig sind, und Sie bekommen nichts. Der Not und dem Zwange gehorchend, habe ich unterschrieben. (…) GD. 2 Information für den Herrn Bundeskanzler. Zu dem Schreiben des ehemaligen sozialdemokratischen Nationalrates Josef Witternigg wegen Verkürzung der ihm zustehenden Abfertigungsansprüche darf Folgendes bemerkt werden. Witternigg hatte bei Zugrundelegung einer 25-jährigen Dienstzeit nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes B. G. Bl. II Nr. 71/34 (Beschlagnahmegesetz) Anspruch auf Kündigungsentgelt und Abfertigung im Ausmaß von 8.500 S. Es ist dies das Höchstausmaß, das ihm nach den Bestimmungen des Beschlagnahmegesetzes zugebilligt werden kann. Josef Witternigg wurde am 12. Februar 1934 verhaftet, als er die Generalstreikparole und den Befehl der Mobilmachung des Republikanischen Schutzbundes telefonisch weitergab. Er befand sich bis 24. Mai 1934 in landesgerichtlicher Untersuchungshaft und wurde daher sein Abfertigungsanspruch um 750 S im Sinne des § 7, lit. b des Beschlagnahmegesetzes gekürzt. Der ihm rechtmäßig zustehende Gesamtanspruch beläuft sich daher auf 7.755 S.

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Ein Großteil der bei der sozialdemokratischen Partei in Salzburg erfassten Geldmittel war bei der Salzburger Volkskreditbank, deren Liquidierung nach den Februarereignissen angeordnet werden musste, eingelegt und konnte nur ratenweise behoben werden. Da Witternigg fortwährend drängte, wurde er durch den treuhändigen Verwalter des sozialdemokratischen Parteivermögens verständigt, dass er, falls er seine Abfertigung sofort ausgezahlt erhalten wolle, mit einem Abstrich zu rechnen habe. Damit erklärte sich Witternigg mit dem in Abschrift zuliegenden Schreiben vom 25. September 1934 einverstanden.105 Der Sicherheitsdirektor für Salzburg berichtet, dass Witternigg ehedem ein besonders scharfmachendes Element in der sozialdemokratischen Partei in Salzburg war und gegen die Sicherheitsbehörden und Organe vielfach in gehässiger Weise auftrat. Witternigg wurde erst am 19. Februar 1935 wegen §§ 81 und 314 Stg zu 14 Tagen Arrest verurteilt. Das Strafverfahren war allerdings seit dem Jahre 1933 anhängig. Die Herabsetzung der Abfertigungssumme wurde vom Sicherheitsdirektor angeordnet, da keine Gründe einer besonderen Würdigkeit und Bedürftigkeit vorlagen. Der Sicherheitsdirektor hat hierbei nur von dem Rechte der Beschränkung von Angestelltenforderungen im Sinne des § 15, Absatz 3 des Beschlagnahmegesetzes Gebrauch gemacht. Keinesfalls kann von einem willkürlichen Vorgehen des Treuhänders gesprochen werden. Witternigg hat sich angeblich beim Treuhänder für das an den Tag gelegte Entgegenkommen bedankt und geäußert, er habe nie gemeint, mit einem Heimatschützer so gut auskommen zu können. Tatsache ist, dass bei der Sicherheitsdirektion die Absicht bestanden hat, die an Witternigg auszuzahlende Summe auf S 4.000,- zu beschränken, und der treuhändige Verwalter für die Bemessung mit S 5.000,- eingetreten war.

105 Salzburg, 25. September 1934 An Herrn Dir. Walter Karger, treuhändiger Verwalter in Salzburg, Paris-Londron-Straße 21. Meine Ansprüche gegen die ehemalige sozialdemokratische Partei in Salzburg aus dem Titel Kündigungsentgelt und Abfertigung betragen S 7.750,- Schilling siebentausendsiebenhundertfünfzig. Ich bestätige Ihnen, dass wir vereinbart haben, dass ich zum vollständigen Ausgleich meiner sämtlichen gegen das beschlagnahmte Vermögen der aufgelösten sozialdemokratischen Partei gerichteten Forderungen einen Betrag von S 5.000,- Schilling fünftausend erhalte, über dessen Empfang ich gleichzeitig quittiere. Dadurch sind meine sämtlichen gegen die ehemalige sozialdemokratische Partei in Salzburg gerichteten, wie immer Namen habenden Ansprüche zur Gänze befriedigt und erkläre ich meinen ausdrücklichen Verzicht auf alle anderen Ansprüche. Hochachtungsvoll Josef Witternigg

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Die Behandlung der Abfertigungsansprüche des Josef Witternigg hat sich vollständig im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen und Möglichkeiten gehalten und wäre eine weitere Zuwendung nach der bisher gepflogenen Praxis nach h. o. Ansicht nicht vertretbar. 3. Dezember 1935. Der Vorstand des Präsidialbüros Salzburg, 3. Dezember 1936 des Landeshauptmannes in Salzburg Hochwohlgeboren Herrn Ministerialrat Dr. Ewald Mayer Wien I, Herrengasse 7. Sehr geehrter Herr Ministerialrat  ! In nehme Bezug auf die Vorsprache, welche ich mir unlängst in der Abfertigungsangelegenheit Witternigg gestattet habe, und erlaube mir mitzuteilen, dass ich dem Herrn Landeshauptmann über das Ergebnis der Aussprache berichtet und dahingehend informiert habe, dass jedenfalls eine Befürwortung der Angelegenheit seitens der Landesleitung der Vaterländischen Front für zweckmäßig erachtet wird. Der Herr Landeshauptmann hat von der Sachlage Kenntnis genommen, lehnt es aber nachdrücklich ab, in der Angelegenheit eine Befürwortung der Vaterländischen Front zu veranlassen, da es Sache des Landeshauptmannes als Chef der politischen Verwaltung des Landes ist, die politische Tragweite bzw. Auswirkung einer von ihm empfohlenen Verwaltungsmaßnahme zu beurteilen. Es wird daher in dem gegenständlichen Falle eine Stellungnahme der Vaterländischen Front nicht in Frage kommen. (…) Der Landeshauptmann 15, Februar 1937 in Salzburg Hochwohlgeboren Herrn Ministerialrat Dr. Ewald Mayer Wien I Bundeskanzleramt Sehr geehrter Herr Ministerialrat  ! Auf die Angelegenheit der Abfertigungsansprüche des ehemaligen Nationalrates, Abgeordneten Josef Witternigg zurückkommend, gestatte ich mir Folgendes mitzuteilen. Wie ich erfahren habe, stößt die Auszahlung einer Abfertigung auf große Schwierigkeiten, sodass eine Regelung der Frage in absehbarer Zeit wohl nicht möglich

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sein dürfte. Nun ist aber Witternigg vor einiger Zeit sehr schwer erkrankt  ; er liegt im Spital, an seinem Aufkommen wird gezweifelt, ja es ist nicht ausgeschlossen, dass plötzlich eine Katastrophe eintritt. Durch seine Erkrankung ist Witternigg mit seiner Familie in die schwierigste Lage gekommen. Ich würde es daher sehr begrüßen, wenn ihm – rein aus Gründen der Menschlichkeit – ganz ausnahmsweise eine einmalige Zuwendung, etwa in der Höhe von S. 1.000,- bis 1.500,-, zuerkannt würde. Im Hinblick auf den gefahrdrohenden Charakter der Erkrankung ersuche ich um eheste, womöglich sofortige Bewilligung und Auszahlung des beantragten Betrages. Mit dem Ausdruck meiner vorzüglichsten Hochachtung bin ich Euer Hochwohlgeboren ergebener Franz Rehrl Ministerialrat Dr. Ewald Mayer Wien, 20. Februar 1937 Wien I, Herrengasse 7. Herrn Landeshauptmann Hofrat Dr. Franz Rehrl in Salzburg. Hochverehrter Herr Landeshauptmann  ! In Beantwortung Ihres sehr geschätzten Schreibens vom 15. Februar 1937, betreffend den ehemaligen Nationalrat Josef Witternigg, erlaube ich mir mitzuteilen, dass über Auftrag des Herrn Bundesministers Neustädter-Stürmer die Bundespolizeidirektion Wien angewiesen wurde, an Josef Witternigg einen Betrag von 800 S als einmalige außerordentliche Zuwendung aus den beschlagnahmten Mitteln des Unterstützungsfonds der ehemaligen sozialdemokratischen National- und Bundesräte im Parlament zur Auszahlung zu bringen. Größere Mittel stehen derzeit leider nicht zur Verfügung. Irgendwelche rechtliche Ansprüche Witterniggs gegen das beschlagnahmte Vermögen der sozialdemokratischen Partei in Salzburg können nicht anerkannt werden. (…) Der Sicherheitsdirektor Salzburg, 22. Februar 1937 für das Bundesland Salzburg Zl. 1362 Betr.: Witternigg Josef, ehem. Nationalrat, Forderung an das beschlagnahmte sozialdemokratische Vermögen. An das Bundeskanzleramt GD-St.B. zu Händen Herrn Sektionsrates Dr. Krechler in Wien.

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Über mündlichen Auftrag des Herrn Bundesministers Neustädter-Stürmer habe ich mit dem Herrn Landeshauptmann in Angelegenheit der Forderungen des ehemaligen Nationalrates Josef Witternigg Rücksprache genommen. Der Herr Landeshauptmann wies darauf hin, dass Witternigg unheilbar krank sei – den Keim der Erkrankung habe er sich in der Haft im Jahre 1934 zugezogen – und sei von dem Gedanken ständig erfüllt, dass ihm bei der Berechnung der ihm gebührenden Abfertigung seinerzeit schweres Unrecht geschehen sei. Der Herr Landeshauptmann verschloss sich zwar den Argumenten, die in dem ha. Bericht Zl. 7038/3 vom 27.11.1935 dem Bundeskanzleramt GD 2 unterbreitet wurden, … dennoch glaubt der Herr Landeshauptmann, dass Witternigg mit Rücksicht auf seine schwere Erkrankung und den Umstand, dass er von dem quälenden Gedanken erlittenen Unrechtes in krankhafter Weise erfüllt sei, einer gewissen Berücksichtigung würdig wäre. Mit Rücksicht auf diese besonderen Umstände glaube auch ich mit den Intentionen des Herrn Landeshauptmannes anschließen zu können und beantragen zu dürfen, es wolle dem Josef Witternigg aus dem beschlagnahmten sozialdemokratischen Parteivermögen der Betrag von 1200 S zur vollständigen Befriedigung seiner Forderung ausnahmsweise zugebilligt werden. (…) Der Landeshauptmann Salzburg, 2. März 1937 in Salzburg Herrn Bundesminister Odo Neustädter-Stürmer Sehr geehrter Herr Bundesminister  ! Mit meinem Schreiben vom 27. Februar 1937 habe ich mir erlaubt, Ihnen, sehr geehrter Herr Bundesminister, für die Bewilligung einer außerordentlichen Zuwendung von 800 S für den ehemaligen Nationalrat Witternigg meinen besten Dank zu übermitteln. Dem Schwerkranken konnte durch diese Gabe noch vor seinem Ableben eine Freude bereitet werden. Er ist nunmehr gestorben. Durch die Todeskrankheit des Verstorbenen sind seiner Gemahlin natürlich große Auslagen erwachsen und diese veranlassen mich, an Sie, sehr geehrter Herr Bundesminister, mit der Bitte heranzutreten, den unlängst vom Herrn Sicherheitsdirektor mit dem Berichte vom 22. Februar 1937, Zl. 1362 gestellten Antrag auf Gewährung einer Unterstützung von 1.200  S nochmals in wohlwollende Erwägung ziehen und die bereits gewährte Zuwendung von 800 S auf den betrag von 1.200 S erhöhen zu wollen, wodurch der gegenwärtigen schwierigen Lage der Hinterbliebenen Rechnung getragen würde. (…)

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Bundesminister .Wien, 8. März 1937 Odo Neustädter-Stürmer Herrn Landeshauptmann Hofrat Dr. Franz Rehrl in Salzburg Sehr geehrter Herr Landeshauptmann  ! In Beantwortung Ihres geschätzten Schreibens vom 2. März 1937, betreffend den verstorbenen ehemaligen Nationalrat Josef Witternigg, beehrte ich mich mitzuteilen, dass die Bundespolizeidirektion Wien … von mir angewiesen wurde, an dessen Witwe mit Rücksicht auf ihre schwierige finanzielle Lage einen Betrag von 400 S ausnahmsweise noch aus den beschlagnahmten Mitteln des Unterstützungsfonds der ehemaligen sozialdemokratischen National- und Bundesräte im Parlament auszuzahlen. Ich möchte jedoch hinzufügen, dass die an Witternigg und seine Witwe gewährten Unterstützungen von nunmehr insgesamt 1200 S weit über das sonst übliche Höchstmaß für derartige Zuwendungen (500 S) hinaus gehen. (…) Hans Prodinger Wien, 13, April 1937 Obmann der Gewerkschaft der Angestellten des Handels Hochgeboren Herrn Staatssekretär für Sicherheitswesen Polizeipräsident Dr. Michael Skubl Wien I Herrengasse 7. Hochverehrter Herr Staatssekretär  ! Wie Ihnen, hochverehrter Herr Staatsekretär, wahrscheinlich bekannt ist, starb in Salzburg vor einiger Zeit der ehemalige Nationalrat Josef Witternigg. Der frühzeitige Tod war die Folge einer schweren Nierenerkrankung, welche sich Witternigg während seiner Inhaftierung im Jahre 1934 zugezogen hat. Von seiner ihm zustehenden Abfertigung, welche durch Gesetz auf die Hälfte herabgesetzt worden war, wurde Witternigg noch vom Sicherheitsdirektor in Salzburg für die Kosten der Inhaftierung, Verpflegung und Überwachung die Hälfte des verbliebenen Betrages in Abzug gebracht. Einen Teil dieses Abzuges konnte Herr Landeshauptmann Dr. Rehrl für die Witwe Witternigg zurückerhalten. Ebenso konnte er erreichen, dass noch einige kleinere Beträge an Frau Witternigg zur Auszahlung gelangten. Die Familie Witternigg befindet sich in außerordentlich ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnissen und bemüht sich die Witwe Witternigg um den Ausbau der

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von ihrem Manne begonnenen Fremdenwerbung. Der Tochter Witterniggs fehlen zur Vollendung ihres Studiums noch zwei Semester, da sie das Hochschulstudium im Jahre 1934 unterbrechen musste. In der Zwischenzeit hat dieselbe durch ihren Aufenthalt in England die Staatsprüfung in Englisch gemacht. Es ist verständlich, dass Frau Witternigg ihre Aufgabe nach dem Willen des Verstorbenen auch darin erblickt, dass die Tochter ihr Hochschulstudium vollendet. Der Sohn hat noch ein Jahr Baufachstudium an der Staatsgewerbeschule, woselbst er Vorzugsschüler ist. Ehemalige Nationalrats-Kollegen des Verstorbenen, welche durch eine kleine Pension eine Lebensgrundlage haben, haben nun Frau Witternigg gegenüber erklärt, dass, wenn im Zuge der fortschreitenden inneren Befriedung das Vermögen des ehemaligen sozialdemokratischen Abgeordneten-Klubs (ca. 60.000 S) zurückgegeben werde, sie auf das ihnen zufallende Betreffnis zu Gunsten der Witwe Witternigg verzichten würden. Diese Abgeordneten sind jederzeit bereit, diesbezüglich eine schriftliche Verzichtserklärung zu Gunsten von Frau Anna Witternigg, Salzburg, Rainerstraße 2/1/25, abzugeben. Ich gestatte mir, hochverehrter Herr Staatssekretär, Sie zu bitten, die Angelegenheit zu prüfen und wenn es irgendwie möglich ist, den noch verbliebenen Rest der zurückbehaltenen Abfertigung und einen Betrag von ca. 3.000 Schilling aus dem Vermögen des ehemaligen sozialdemokratischen Abgeordneten-Klubs Anna Witternigg frei zu machen. Mit diesen Beträgen würde es Frau Witternigg möglich gemacht, das Studium ihrer Kinder vollenden zu lassen und sich selbst bis zur Erreichung der angestrebten Existenz über Wasser zu halten. Ich bin überzeugt, dass die Erfüllung dieser Bitte im Lande Salzburg, aber auch darüber hinaus bei früheren sozialdemokratischen Abgeordneten der anderen Bundesländer einen außerordentlich guten Eindruck machen und wesentlich zur inneren Befriedung beitragen würde. Die Erfüllung dieser Bitte ermöglicht drei wertvollen Menschen die Schaffung und Sicherung einer Existenz. Als ehemaliger Abgeordneter des Landes Salzburg würde ich es ganz besonders begrüßen, wenn die Angelegenheit Witternigg seitens der Staatsführung raschest in vornehmer Weise ihre endgültige Liquidierung finden würde. (…) Staatssekretär Wien, 22. Juni 1937 Dr. Michael Skubl Wien I, Herrengasse 7. Herrn Hans Prodinger Euer Hochwohlgeboren  ! In Beantwortung Ihres geschätzten Schreibens vom 13. April 1937 … muss ich zu meinem Bedauern mitteilen, dass weitere Zuwendungen an die Witwe des Genann-

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ten nicht möglich sind, wovon mein Amtsvorgänger schon den Herrn Landeshauptmann Dr. Rehrl am 8. März l. J. brieflich verständigt hat. Josef Witternigg hatte als ehemaliger sozialdemokratischer Parteiangestellter im Sinne der Bestimmungen des Bundesgesetzes B. G. Bl. 71/1934 (Beschlagnahmegesetz) Anspruch auf Kündigungsentgelt und Abfertigung in der Höhe von 8.500,- S. Die zur Befriedigung dieses und der sonstigen gegen das sozialdemokratische Parteivermögen in Salzburg angemeldeten Ansprüche dienenden Geldmittel waren zum Großteil bei der Salzburger Volkskreditbank (…) und konnten infolge der Liquidation dieses Institutes nur ratenweise behoben werden. Da Witternigg mehrmals auf Auszahlung seiner Abfertigung drängte, wurde er durch den treuhändigen Verwalter verständigt, dass eine sofortige Auszahlung nur dann möglich sei, wenn er einen entsprechenden Abstrich zustimme, da die Volkskreditbank größere Barleistungen nur gegen Gewährung eines 20-prozentigen Abzuges leiste. Witternigg erklärte sich mit Schreiben vom 25. September 1934 damit einverstanden und wurde ihm unter Verzicht auf weitere Ansprüche ein Pauschalbetrag von 5.000,- S ausbezahlt. Wenn die Angehörigen Witternigg nunmehr von einem unrechtmäßigen Abstrich sprechen, so geschieht dies wider besseres Wissen. Ich kann mich deshalb auch nicht der Auffassung anschließen, dass eine Berücksichtigung der Wünsche der Familie Witternigg zur inneren Befriedung beitragen würde. Vielmehr zeigen die ganz unrichtigen Informationen, die von ihnen erteilt werden, dass die Familie Witternigg nach wie vor tendenziös eingestellte Darstellungen des Sachverhaltes verbreitet. Ein Entgegenkommen würde deshalb lediglich als Bestätigung dieser ganz unrichtigen Behauptungen gedeutet werden. Außerdem erhielt Josef Witternigg und nach dessen Ableben seine Gattin aus dem in Ihrem Schreiben erwähnten Unterstützungsfonds ehemaliger sozialdemokratischer Abgeordneter und Bundesräte im Parlament Zuwendungen in der Höhe von 1.200,- S. Bemerkt wird, dass auf die Mittel dieses Fonds niemandem ein Rechtsanspruch zusteht. Somit ist eine Verzichtserklärung auf solche vermeintliche Ansprüche zu Gunsten der Familie ganz bedeutungslos. Im Übrigen sind die Geldmittel, welche anlässlich der Februarereignisse 1934 beim Verband der sozialdemokratischen Abgeordneten und Bundesräte des Parlamentes sichergestellt werden konnten, bereits zum Großteil für Unterstützungen an bedürftige ehemalige sozialdemokratische Parteifunktionäre verausgabt worden und können weitere Zuwendungen nur mehr an ehemalige Mitglieder des Verbandes und deren Angehörige gemacht werden.

4. Die Jünger Lenins und Stalins Die illegale KPÖ

Polizeidirektion Salzburg, 14. Jänner 1933 Zl 641 (107.007/33) Betrifft  : A. St. Übertretung des Waffengesetzes und Übertretung gegen die körperliche Sicherheit. An die Staatsanwaltschaft in Salzburg Durch längere vertrauliche Beobachtung kommunistischer Kreise wurde der Verdacht bestärkt, dass sich bei Anton Starlinger, Hilfsarbeiter, 4.7.1899 in Salzburg-­ Stadt geb. u. zust., konfessionslos, verheiratet, Salzburg, Bayerhammerstr. Nr. 16 wohnhaft, der sowohl führendes Mitglied der hiesigen kommunistischen Lokalorganisation, als auch der tatsächliche Führer der kommunistischen Arbeiterwehr ist, Waffen und Munition versteckt befinden. Da zu besorgen stand, dass die Waffen verschoben werden, musste wegen Gefahr im Verzuge am 13.1.1933, 7 Uhr vormittags, eine sofortige Hausdurchsuchung durchgeführt werden, gelegentlich deren die im beiliegenden Verzeichnisse angeführten Waffen und Munitionsgegenstände zustandegebracht wurden. (…) In der Wohnung wurden verschiedene Schriften, am Dachbodenraum 8 Gewehre samt Verschluss, ein Gasrevolver, eine Browningpistole, 96 Stück Gewehrmunition, 23 Stück Gasrevolvermunition, 12 Sprengkapseln und 5 Exerzierpatronen, im Vorraum der Wohnung eine Walterpistole samt Ledertasche, 2 Magazine Kl. 7,65, 39 Stück dazugehöriger Munition und 35 Stück Flobertmunition gefunden. (…) Im Speicher wurden unter Heu und Stroh drei Bajonette samt Koppel und verschiedene Schriften, in der Holzlage zehn Gummischläuche mit Holzpfropfen und Füllung, unter dem Holzstoß ein Handgranatenmuster mit Sand, Nägeln und Metallabfällen als Füllung und zwei Wörndlgewehre gefunden. Hievon beehrt sich die Bundes-Polizeidirektion zur Strafamtshandlung mit dem Beifügen die Anzeige zu erstatten, dass A. St. unter einem wegen Verabredungsgefahr an das bezirkgsgerichtliche Gefangenenhaus eingeliefert wird. (…) Protokoll, aufgenommen bei der Bundes-Polizeidirektion, staatspolizeiliche Abteilung, am 13. Jänner 1933 mit Anton Starlinger. (…) Ich bin Mitglied der Arbeiterwehr in Salzburg, doch bekleide ich bei dieser Selbstschutzformation, welche zumeist aus Mitgliedern der Kommunistischen Partei besteht, keine Funktion. Ich gehöre der Kommunistischen Partei Österreichs, Orts-

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gruppe Salzburg, seit 1. Jänner 1931 an und wirke auch aktiv in der Bewegung mit. Die bei der Hausdurchsuchung … vorgefundenen Gewehre bzw. Pistolen sind mein Eigentum. Ich habe diese Waffen in den Jahren 1929 und 1930 von mir unbekannten Bauern aus der Umgebung Salzburgs, deren Namen ich nicht mehr weiß und auch nicht angeben würde, zum Preis von 5 bis 10 Schilling gekauft. Die vorgefundenen Sprengkapseln sind nicht mein Eigentum und ich kann mir auch nicht erklären, wieso diese auf den Bodenteil über meiner Wohnung gekommen sind. … Ich kann in dieser Angelegenheit nichts mehr angeben. Bezirksgendarmeriekommando Zell am See/Salzburg Zu E. Nr. 104 (112.456/33) Kommunistische Demonstration in Zell am See An das Bundeskanzleramt (Generaldirektion für öffentliche Sicherheit) Abteilung I in Wien. Zell am See, am 28. Jänner 1933. Am 27. Jänner 1933 nachmittags veranstaltete die Kommunistische Partei eine sogenannte Hungerdemonstration in Zell am See, an welcher sich ca. 130 Personen beteiligten. Die Demonstranten zogen in geschlossenem Zuge durch die Stadt, wo auf dem Postplatze eine Versammlung unter freiem Himmel stattfand. Es sprachen mehrere kommunistische Redner, welche ausnahmslos gegen das gegenwärtige Regierungssystem, hauptsächlich aber gegen die 28. Novelle zum Arbeitslosengesetze, dann gegen die Sozialdemokratische Partei und Kapitalismus in schärfster Weise Stellung nahmen. Es wurden dann auch die verschiedenen Forderungen der Arbeitslosen besprochen und deren Erfüllung gefordert. Hauptsächlich wurde gefordert  : (…) Hundertprozentige Auszahlung der Arbeitslosengebühr  ; eine einmalige Winteraushilfe für alle Arbeitslosen und zwar 20 Schilling für Ledige und 30 Schilling für Verheiratete  ; wöchentliche Unterstützung aller Unterstützungslosen, inklusive Land- und Forstarbeiter, und zwar für Ledige 10 Schilling, für Verheiratete 15 Schilling und für jedes Kind 3 Schilling. Weiters wurde für die Klein- und Gebirgsbauern noch unentgeltliche Beistellung von Salz, Mehl, Viehfutter, Saatgut und die Einstellung aller Exekutionen gefordert. (…) Nach der Versammlung verlangten die Demonstrationsteilnehmer Verpflegung für die von auswärts eingetroffenen Teilnehmer und kostenlose Rückbeförderung mittels Bahn oder Autos in ihre Wohnorte. Im Einvernehmen der Stadtgemeinde mit der Bezirkshauptmannschaft und der Landesregierung wurde den Demonstranten von der Stadtgemeinde Zell am See ein warmes Essen verabreicht.

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Bezüglich der kostenlosen Rückbeförderung konnte selbstredend diese Forderung nicht erfüllt werden. Die Bahnverwaltung hätte eine 60-prozentige Begünstigung zugesagt, doch verweigerten die Demonstranten auch diese Bezahlung des so verminderten Fahrpreises und bestanden auf der unentgeltlichen Rückbeförderung, ansonsten sie so lange in Zell am See verbleiben, bis ihre Forderungen erfüllt werden. Die aus Saalfelden, Lend und Oberpinzgau erschienenen Demonstranten begaben sich um 17.30 Uhr zum Bahnhofe, wo sie die in ihre Heimatstationen verkehrenden Personenzüge, ohne eine Fahrkarte zu lösen, bestiegen und auch abfuhren. Das Bahnamt Zell am See bestand zwar nicht auf der Auswaggonierung, jedoch wurden die Namen und Nationale aller Schwarzfahrer sichergestellt und dieselben wegen Prellerei dem Gerichte zur Anzeige gebracht. Im Allgemeinen verlief die Demonstration ohne jeden ernsten Zwischenfall und waren Gewalttätigkeiten nicht zu verzeichnen. Bundespolizeidirektion Salzburg, 17. Februar 1933 Zl. 22/33-res. (120.301-33) Bericht über die Entwicklung und den gegenwärtigen Stand der KPÖ. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse Nr. 7. Bei der am 5.2.1933 stattgefundenen Konferenz der Kommunistischen Partei des Landes Salzburg wurde in Anwesenheit des KP-Referenten Robert Täubl aus Wien folgende Landesleitung gewählt  : Sekretär und Leiter  : Edmund Rehorska, Hilfsarbeiter, geb. 1907 …, unbekannten Aufenthaltes, Deckname  : Faustmann. Politischer Leiter  : Rudolf Ellinger, Tapezierergehilfe, geb. 1906 …, St. Peter-Bezirk Nr. 4 wohnhaft. Organisationsleiter  : Johann Büchsner, Postangestellter, geb. 1900 …, Ignaz-Harrer-Str. Nr. 43 wohnhaft. Nachrichtendienst  : Wilhelm Keil, Privatangestellter, geb. 1908 …, Gabelsbergerstr. Nr. 29 wohnhaft. (…) Beisitzer  : Theodor Deggendorfer, Oberoffizial i. P., geb. 1867 …, Maxglan, Almgasse Nr. 2 wohnhaft (auch Leiter der Bauernpropaganda), Bruno Steffl, Gärtnergehilfe, Hallein, Reichsstr. Nr. 5c wohnhaft, Rupert Steiner, Bischofshofen wohnhaft. Der bisherige Landesleiter und Ortsgruppenleiter von Salzburg, Johann Feichtenschlager, Malergehilfe, geb. 1900, Salzburg, Virgilgasse Nr. 2 wohnhaft, sowie der in der KP über maßgebenden Einfluss verfügende Hilfsarbeiter Anton Starlinger, geb. 1899, Salzburg, Bayernhammerstr. Nr. 16 wohnhaft, wurden wegen verschiedener Unkorrektheiten ihrer Funktionen enthoben. Desgleichen kommt Franz Fage-

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rer, Hilfsarbeiter, geb. 1901 …, Hallein Nr. 101 wohnhaft, welcher bisher Mitglied des Zentralkomitees der KPÖ war, für die Mitgliedschaft des Zentralkomitees nicht mehr in Frage. (…) Anton Starlinger wurde vom Zentralkomitee aus verdächtigt, für die SP Spitzeldienste zu leisten. Diese Annahme wurde durch die h. ä. Feststellungen bestätigt. Starlinger ist über seine Kaltstellung sehr erbost. In der Landeskonferenz wurde beschlossen, im Monat März eine Versammlungskampagne durchzuführen und Demonstrationen in Stadt und Land Salzburg zu veranstalten. Die erste Demonstration soll … schon am 25.2.1933 am Mozartplatz vor dem Gebäude der Landesregierung stattfinden. Die Teilnehmer an der Sitzung, ca. 30 an der Zahl, wurden besonders nachdrücklich über das Verhalten gegenüber der Polizei belehrt. Insbesondere sollen sich Parteimitglieder nicht mit Kriminalbeamten oder Wachleuten in Gespräche einlassen, da man immer aus ihnen etwas herausholen wolle. Über die Salzburger Polizei sei besonders bekannt, dass sie über sehr gute Konfidenten verfüge. Ohne Vorladung soll niemand bei der Polizei erscheinen. Die politische Lage sei derzeit für die KP sehr günstig. Ein Zusammengehen mit den Sozialdemokraten komme nicht in Frage, da die Kommunistische Partei eine Verständigung mit den Führern der SP ablehne und diese überall bekämpfe. Die Partei habe besonderes Augenmerk auf den Ausbau der Organisation in Bezug auf die Vorbereitung der illegalen Tätigkeit zu richten. Wichtige Schriftstücke seien derart aufzubewahren, dass bei Hausdurchsuchungen durch die Polizei nichts gefunden werden könne Auch solle man trachten, sowohl mit der Sicherheitswache als auch mit Kriminalbeamten der Staatspolizei Verbindungen anzuknüpfen, um über gewisse Vorgänge Auskünfte erhalten zu können. Diese Verbindung wurde als unerlässlich und sehr wichtig bezeichnet. Innerhalb der Kommunistischen Partei der Ortsgruppe Salzburg hatte sich in der letzten Zeit eine Opposition gebildet, die von dem ehemaligen Obmann der KP, Matthias Seltsam, Malergehilfe, geb. 1896 …, Scherzhauserfeldsiedlung Bl. G/2 wohnhaft, dem Reisenden Karl Hollaus, geb. 1902 …, Itzlinger Hauptstraße wohnhaft, und dem Schlosser Karl Obermaier, geb. 1892 …, Morzg wohnhaft, geleitet wurde. Diese Oppositionsgruppe bildete eine Kampfgemeinschaft gegen Starlinger und Feichtenschlager, da die Taktik dieser beiden bei vielen gemäßigten Mitgliedern der KP als parteischädlich bezeichnet wurde. Dieses Vorgehen hatte zur Folge, dass Hollaus und Seltsam in dem vom Zentralkomitee der KP in Wien herausgegebenen Index über Parteischädlinge und Polizeispitzel aufgenommen wurden. Der Erfolg der Oppositionsgruppe blieb … aus. In dieser Angelegenheit erhielt die Leitung der KP Salzburg vom Reichssekretariat der KP, Organisationsabteilung, die nachfolgende Instruktion  :

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»Wir sind der Meinung, dass mit aller Schärfe gegen die Genossen der Opposition vorgegangen werden soll. … wir sind hundertprozentig dagegen und werden alles daransetzen, um den Geist des alten Fraktionismus nicht wieder aufkommen zu lassen. Die Partei geht vorwärts und wir werden alle Elemente, die wünschen, dass die Partei nicht weiter vorwärts geht, vernichten. (…)« (…) Im Lande Salzburg befinden sich die nachstehenden Ortsgruppen der KP  : Gebietsleitung Salzburg  : Salzburg-Stadt 447 Mitglieder (…) Maxglan 45 Mitglieder (…) Gnigl 51 Mitglieder (…) Itzling 53 Mitglieder (…) Oberndorf 11 Mitglieder (…) Berndorf 10 Mitglieder (…) Bürmoos 15 Mitglieder (…) Gebietsleitung Hallein  : Hallein 87 Mitglieder (…) Bischofshofen 56 Mitglieder (…) Lend 50 Mitglieder (…) Gebietsleitung Zell am See  : Zell am See 18 Mitglieder (…) Schwarzach 32 Mitglieder (…) Saalfelden 16 Mitglieder (…) Gebietsleitung Badgastein  : Badgastein und Böckstein 38 Mitglieder (…) Der eingeschriebene Gesamtstand der Kommunistischen Partei im Lande Salzburg beträgt 929 Mitglieder. Die Zahl der Sympathisanten beträgt ca. 3000 Personen. Den Zuwachs an Mitgliedern hat die Kommunistische Partei ihrer Taktik in der Arbeitslosenfrage zu verdanken. Die unter kommunistischer Leitung stehenden Arbeitslosenversammlungen sind sehr gut besucht und gewinnt die Partei durch ihre radikalen Forderungen für die Arbeitslosen zahlreiche Anhänger.106 (…) Nach den letzten Weisungen der Leitung der Revolutionären Gewerkschaftsopposition sollen die Vertrauensmänner der Revolutionären Gewerkschaftsopposition in allen Betrieben Streikhetze betreiben. Der Mitgliederstand der Revolutionären Gewerkschaftsopposition im Lande Salzburg beträgt ca. 400 Personen (…) Die mobile Formation der KP ist die Arbeiterwehr. Diese gliedert sich von unten nach oben in folgende Einheiten  : Gruppe, Staffel, Zug, Abteilung, Wehrkreis, Bundesführung. (…) 106 Die KPÖ setzte in ihrer Propaganda nach dem Vorbild der KPD besonders auf die Arbeitslosen und konnte damit partiell Erfolge erzielen. (Vgl. Die Rote Fahne 8.3.1933. S. 2.)

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Die Arbeiterwehr, die im Besitze von Gewehren, Pistolen und Munition war, besitzt, nachdem ihr Waffenlager am 13.1.1933 von der Bundes-Polizeidirektion ausgehoben wurde, keine Waffen mehr. Es sind nur ganz wenige Mitglieder dieser Formation im Besitze von Pistolen. (…) Bezirkshauptmannschaft Zell am See, 13. Februar 1933 Zl.: Präs. 16/1933 (125.698/33) Streng vertraulich  ! Betreff  : Kommunistische Arbeitslosenbewegung. An die Landesamtsdirektion in Salzburg Die Ausnützung der großen Arbeitslosigkeit durch die Kommunistische Partei für Parteizwecke äußerst sich im hiesigen Bezirke hauptsächlich in einer erhöhten Versammlungstätigkeit, wobei von den Referenten zu einer massenhaften Beteiligung am Hungermarsche, der am 15. März d. J. stattfinden soll, aufgefordert wird. Hierbei wird auch von gewaltsamen Vorgehen (zum Teil mit Waffengebrauch) gegen die Gendarmerie gesprochen. In zwei Fällen wurde die Anzeige wegen § 65 bzw. Anstiftung zu § 68 St. G. gegen die Versammlungsreferenten erstattet. (…) Bei dieser Gelegenheit möchte die Bezirkshauptmannschaft nochmals darauf hinweisen, dass die Ausstattung der Gendarmerie mit Gummiknüppeln ein Gebot der dringendsten Notwendigkeit ist und dass dieser Ausrüstungsmangel sich äußerst nachteilig auswirkt. Die Bezirkshauptmannschaft bittet, beim Bundeskanzleramte nochmals für die wenigstens teilweise Ausrüstung der Gendarmerie mit Gummiknüppeln mit allem Nachdrucke vorstellig zu werden.107 Landesgendarmeriekommando für Salzburg, 23. Februar 1933 E. N. 28 res. (124.011-33) Kommunistisches Rundschreiben. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, GD. 1. Der stellenlose Kraftfahrzeugführer Rupert Steiner, … in Bischofshofen, Turmgasse Nr. 1 wohnhaft, wurde nach in mehreren Orten abgehaltenen Versammlungen der Kommunistischen Partei, in welchen er als Redner und Agitator eine wüste Hetze gegen Staat, Exekutive und Geistlichkeit entfaltete, vom Posten Bischofshofen am

107 Das Bundeskanzleramt bemerkte zu diesem Anliegen am 13. März 1933  : »Gelegentlich der Dienstbesprechung aller Landesgendarmeriekommandanten am 17.12.1932 hat Herr Staatssekretär Fey entschieden, dass von der Einführung der Gummiknüppel bei der Bundesgendarmerie Abstand genommen wird.« (Z. 129.352-GD.3.)

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22. d. M. wegen Störung der öffentlichen Ruhe verhaftet und dem Bezirksgerichte in Werfen eingeliefert. Bei der Personendurchsuchung wurde ein Rundschreiben vorgefunden, welches in Abschrift zur Einsichtnahme unterbreitet wird. (…) Rundschreiben Werte Genossen  ! Die Landeskonferenz der Partei, welche am 5.2. tagte, hat eine Landesleitung gewählt. Aufgabe dieser Leitung ist es, die Arbeiten und Aktionen der Partei nach einem bestimmten Plan zentral zu organisieren und zu leiten. Um dies zu erreichen, ist Folgendes Bedingung. (…) Die beschlossene Aktion der Arbeitslosen im März muss vorbereitet werden. Die Landesleitung wird rechtzeitig einen Aufruf an die Arbeitslosen herausgeben, außerdem ist notwendig, dass alle unsere Organisationen in scharfer Weise jetzt zu den neuerlichen Kürzungen Stellung nehmen (Flugblätter, Deputationen an die Bezirkshauptmannschaften und Gemeinden). In den Versammlungen ist überall zur zentralen Kundgebung der Arbeitslosen Stellung zu nehmen und sind die zentralen sowie die örtlichen Forderungen zu popularisieren und der Kampf dafür zu organisieren. Auch sind nach Möglichkeit überall Arbeitslosenkomitees zu schaffen. Um eine Zentralisierung der Staatsexekutive zu verhindern, sind, wenn der Termin für den Aufmarsch bekannt wird, in allen Orten öffentliche Arbeitslosenkundgebungen anzumelden. (…) Polizeidirektion Salzburg, 27. Februar 1933 Zl. 16/33-res. (126.004-33) Betrifft  : Kommunistische Arbeitslosenbewegung. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse Nr. 7. Zufolge der durch das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Österreichs unter der Bezeichnung »Zentral-Arbeitslosenkomitee« ausgegebenen Weisungen sind in der nächsten Zeit verschiedene Aktionen in Aussicht genommen  : Unter diesen Aktionen wird der Veranstaltung von Demonstrationszügen, insbesondere aber von Aufmärschen bei Behörden und Anstalten ein besonderes Gewicht beigelegt. Die Bundes-Polizeidirektion Salzburg hatte bereits unterm 15.2. l. J. in Erfahrung gebracht, dass die kommunistische Lokalorganisation Salzburg nach ihrer anfangs Februar durchgeführten … Reorganisation darangehen wolle, am 25.2. l. J. eine 15-gliedrige Deputation sowohl zum Landeshauptmann wie auch zur Industriellen Bezirkskommission zu entsenden, um dort die hinreichend bekannten Forderungen neuerlich und mit größerer Schärfe vorzubringen.

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Diese Vorsprachen sollten jedoch nur den Vorwand für kommunistische Demonstrationen größeren Umfanges abgeben. Wie … vertraulich in Erfahrung gebracht wurde, wurde von den Kommunisten heimlich von Mann zu Mann die Parole ausgegeben, sich am 25.2. l. J. Vormittag beim Justizgebäude nach Behebung der Arbeitslosenunterstützung in der Weise für die Polizei unauffällig zu sammeln, dass die Unterstützungsempfänger beim Justizgebäude am Kajetanerplatz stehen bleiben. Damit sollten nicht nur die Voraussetzungen für die geplante Demonstration verdeckt werden, sondern wurde auch für den Fall des Losschlagens auf die moralische und aktive Unterstützung der zur Arbeitslosenauszahlung mitversammelten Arbeitslosen gerechnet und sollte überdies das Einschreiten der Polizei gegen die kommunistischen Demonstranten zu einem Angriff auf die Arbeitslosen schlechthin gedeutet werden. Die Bundes-Polizeidirektion, die auf Grund vertraulicher Nachrichten über den Besitz und Vertrieb illegaler kommunistischer Druckschriften am 23.2. l. J. bei dem derzeitigen Obmann der kommunistischen Lokalorganisation, Rudolf Ellinger, eine Hausdurchsuchung vorgenommen hatte, erhielt durch das beschlagnahmte Material sowohl die Bestätigung der beabsichtigten Demonstration als auch den einwandfreien Beweis dafür, dass die Organisation und Durchführung aller Aktionen der Arbeitslosen in Salzburg ausschließlich in den Händen der Kommunistischen Partei liegt. (…) Um die für den 25. dieses Monats geplanten Demonstrationen womöglich auszuschließen, wurde der Obmann der kommunistischen Lokalorganisation, Rudolf Ellinger, zum Amte geladen und ihm sowohl die Kenntnis der Bundes-Polizeidirektion von der beabsichtigten Aktion wie auch die Absicht, diese mit allen legalen Mitteln zu unterdrücken, vorgehalten. Nach gepflogenem Einvernehmen mit dem Amte der Salzburger Landesregierung wurde Ellinger eröffnet, dass sachliche Forderungen von einer höchstens fünfgliedrigen Arbeitslosendeputation, der jedoch kommunistische Führer nicht angehören dürfen, bei den maßgebenden Faktoren der Landesregierung zur Sprache gebracht werden könnten. Ellinger wurde aufgefordert, diese Mitteilung den mit den Kommunisten sympathisierenden Arbeitslosen zu überbringen und diese anzuweisen, im Laufe des Nachmittages oder Abends sowohl die Forderungen wie auch die Zeit der beabsichtigten Vorsprache unter Nennung der Deputationsmitglieder der Polizeidirektion bekannt zu geben. Dieser Einladung wurde im Laufe des 24.2. nicht entsprochen. Hingegen erschien am 25.2., 8.15 Uhr früh, der kommunistische Führer Ignaz Schwab, Leopoldskron Nr. 163 wohnhaft, der in den letzten Tagen in einer Funktionärssitzung neuerlich zum Verantwortlichen des Arbeitslosenkomitees bestimmt wurde, im Amte. Als ihm die am Vortage dem Parteigenossen Rudolf Ellinger bekanntgegebenen Bedingungen für den Empfang einer Arbeitslosendeputation bei der Landesregierung mitgeteilt wurden, erwiderte er, dass er sich von niemandem vorschreiben lasse, ob er an

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einer Deputation teilnehme oder nicht. Er gehe zur Landesregierung, wann und mit wem er wolle. Er werde übrigens dafür sorgen, dass kommunistische Parteiangehörige auch über Vorladung nicht mehr bei der Polizeidirektion erscheinen werden, da sie immer in Gefahr kommen, grundlos zurückgehalten zu werden. Hierzu wird bemerkt, dass Schwab auf die obige Entgegnung mitgeteilt worden war, dass er zur weiteren Einvernahme im Amte zurückbehalten werde. Diese Maßnahme erwies sich umso notwendiger, als der Bundes-Polizeidirektion Schwab als der Drahtzieher der geplanten Aktion bekannt und bei seiner radikalen Einstellung und pathologischen Veranlagung mit Grund zu befürchten war, dass er schwere Exzesse verursachen werde. Die Bundes-Polizeidirektion hatte demnach pflichtgemäß weitestgehende Sicherheitsvorkehrungen dadurch getroffen, dass sie … die Bereitschaft von 20 Reitern der Schwadron 6 angefordert hatte. Die Sicherheitsvorkehrungen hatten sich insbesondere auf die Gebäude der Landesregierung, des Arbeitslosenamtes, des Steueramtes (Justizgebäude) und der Industriellen Bezirkskommission konzentriert. Im Laufe des Vormittags ist es jedoch zu keinerlei Zwischenfällen gekommen. Verschiedentliche Versuche kommunistischer Gruppenbildungen wurden von der Sicherheitswache sofort vereitelt. Um 12 Uhr mittags wurde die Militärbereitschaft und um 1 Uhr mittags auch die Gendarmerie- und Wachbereitschaft aufgelassen. (…) Polizeidirektion Salzburg, 11. März 1933 Zl. 31/33-res. (133.257-33) Betrifft  : Kommunistische Partei Waffenbesitz. An das Präsidium der Landesregierung in Salzburg. Im Nachhange zum … Berichte vom 10.3.1933 … betreffend Franz Reinthaller und Genossen, Herstellung bzw. Besitz von verbotenen Waffen und Sprengmitteln, beehrte sich die Polizeidirektion einen Amtsvermerk über die Aussage eines am 10.3.1933 … festgenommenen bekannten Kommunisten in Vorlage zu bringen. Die Aussagen des Mannes, der von einer abermaligen Überstellung zu Gericht große Angst zu haben scheint …, sind wohl als wichtig anzunehmen und decken sich, was besonders bemerkenswert erscheint, zur Gänze mit den Erhebungsresultaten der Kriminalbeamten der Polizeidirektion Salzburg. Es ist also mit Bestimmtheit anzunehmen, dass die KP in Hallein im Besitze einer größeren Anzahl sehr gefährlicher und wirksamer Handgranaten ist, deren tatsächliche Verwendung den Exekutivorganen und der Bürgerschaft schwere Verluste zufügen könnte. Dass die KP im Bedarfsfalle von einer Verwendung dieser Angriffs- und

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Verteidigungswaffen nicht zurückschrecken würde, braucht weiter nicht ausgeführt zu werden. Wenn auch das derzeitige Versteck dieser Handgranaten nicht mit Bestimmtheit bekannt ist, so glaubt die Polizeidirektion annehmen zu dürfen, dass sich durch Inhaftsetzung der an der Erzeugung beteiligten Personen, durch dringliche Einvernahme derselben und durch Hausdurchsuchungen das jetzige Versteck feststellen lassen wird. Die Ansammlung einer solchen Menge so gefährlicher Waffen scheint jedenfalls ein rasches und energisches Einschreiten zu rechtfertigen. (…) Bundes-Polizeidirektion Salzburg, 17. März 1933 Zl.: 31/33-res. (132.539-33) Betrifft  : Kommunistische Partei Hallein, Waffenbesitz. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse Nr. 7. Durch Konfidentenmeldungen und langwierige Erhebungen des in Hallein exponierten Kriminalbeamten der Bundes-Polizeidirektion Salzburg verdichtete sich der Verdacht, dass die sehr rührige Kommunistische Partei in Hallein im Besitze größerer Mengen sehr wirksamer Sprengmittel (Kaliumchlorat) und insbesonders im Besitze von 100 bis 200 Stück mit solchem Sprengstoff gefüllter Handgranaten sei. Auch von Seite bürgerlich eingestellter Bewohner Halleins wurden schwere Besorgnisse über den Sprengstoffmittelbesitz der KP geäußert. Nachdem einwandfrei festgestellt worden war, dass die KP tatsächlich solche Handgranaten besitzt, legte die Polizeidirektion dem Landespräsidium Salzburg mit 11.3.1933 einen Bericht hierüber vor (…) Die Landesamtsdirektion verfügte, dass eine Abschrift des … Berichtes der kompetenten politischen Behörde, der Bezirkshauptmannschaft Hallein, zugemittelt werde und beauftragte diese, an das zuständige Gericht wegen Erlassung eines Hausdurchsuchungsbefehles heranzutreten, der in der Folge auch ausgestellt wurde. (…) Mit Rücksicht auf die Stärke der KP und des Republikanischen Schutzbundes in Hallein und mit Rücksicht auf die zahlreichen, womöglich gleichzeitig durchzuführenden Hausdurchsuchungen wurde eine Waffensuche unter einer entsprechend starken Gendarmerie- und Militärbedeckung angeordnet. Am 13.3., 4 Uhr früh, begaben sich eine Kompanie des Bundesheeres mit Maschinengewehren, 50 Mann Gendarmerie … und 20 Kriminalbeamte der Polizeidirektion Salzburg auf Kraftfahrzeugen nach Hallein. (…) Um 18 Uhr rückten Gendarmerie, Bundesheer und Kriminalbeamte wieder ein. Der Erfolg der Suche nach Sprengmitteln war nicht befriedigend. Es wurden zwar

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8 Stück leere Handgranaten und eine Anzahl Schuss- und sonstige Angriffswaffen, nicht jedoch die fertig montierten Handgranaten gefunden. (…) Der geringe Erfolg der Waffensuche dürfte nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, dass auf bisher unaufgeklärte Weise die geplante Aktion vorzeitig zur Kenntnis des Republikanischen Schutzbundes und somit, wie bei der engen Zusammenarbeit zwischen Republikanischem Schutzbund und Kommunistischer Partei in Hallein108 zu vermuten ist, auch zur Kenntnis der KP Hallein gelangt ist. (…) Konfidentenmeldungen nach hat der Republikanische Schutzbund … bereits am 12.3. nachmittags zwischen 16 und 17 Uhr von der Aktion Kenntnis gehabt. Jedenfalls stand Zeit genug zur Verfügung, die Handgranaten und sonstigen Waffen und Sprengmittel rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. (…) Polizeidirektion Salzburg, 28. März 1933 Zl. 41/33-res. (137.532-33) Betrifft  : Kommunistische Demonstration am 23. März 1933. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse Nr. 7. Durch verschiedene vertrauliche Mitteilungen wurde bereits vor längerer Zeit in Erfahrung gebracht, dass die Kommunistische Partei am 23. März 1933, 11 Uhr vormittags, eine größere Demonstration in Salzburg plane. Die Demonstration sollte zum Sturze der kapitalistischen Faschistenregierung, zur Auflösung der Heimwehr, zur Beseitigung der Notverordnungen und zum Generalstreik aufrufen. Eine großzügige Propaganda durch Anschlag verbotener Flugzettel und Werbung durch geheime Versammlungen und von Mund zu Mund sollte eingeleitet werden. Tatsächlich wurde von Mitgliedern der Kommunistischen Partei versucht, in Stadt und Umgebung in nächtlichen Stunden solche Aufrufe anzuschlagen. Im Stadtge108 In Hallein fiel die Aufforderung der KPÖ vom 14. März 1933 an die SDAP, angesichts der ersten Maßnahmen gegen die KPÖ und die Verhängung der Vorzensur über das Parteiorgan »Die Rote Fahne« eine Einheitsfront zu bilden, auf fruchtbaren Boden. In einem offenen Brief an die SDAP hieß es, die gegenwärtige Situation erfordere »gebieterisch … die Herstellung der kämpfenden proletarischen Einheitsfront. (…) Ein weiteres u n t ä t i g e s A b w a r t e n u n d Z u r ü c k w e i c h e n würde zu einer entscheidenden Niederlage der österreichischen Arbeiterschaft führen. Schon beginnt auch die österreichische Bourgeoisie einen brutalen Ve r f o l g u n g s f e l d z u g gegen die Kommunisten, gegen die revolutionären Organisationen und Zeitungen. Auch die sozialdemokratischen Arbeiter beginnen immer mehr die faschistischen Verfolgungen am eigenen Leib zu spüren. Was sich heute gegen kommunistische Arbeiter richtet, wird sich morgen mit eben solcher Brutalität gegen sozialdemokratische Arbeiter richten. Die österreichische Arbeiterschaft muss sich ihrer historischen Aufgabe bewusst sein. Sie ist dazu berufen, einen Gegenstoß gegen den Faschismus in Mitteleuropa zu führen.« (Die Rote Fahne 15.3.1933. S. 1  ; vgl. dazu auch Die Rote Fahne 14.3.1933. S. 1 f.)

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biete wurde dies wirksam durch Verdichtung des Patrouillendienstes verhindert. Die Flugzettel sollten auch für die Bildung einer sozialdemokratisch-kommunistischen Einheitsfront unter Ausschluss der sozialdemokratischen Führer werben. Durch verlässliche Meldungen wurde festgestellt, dass sich an dieser Demonstration auch Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei beteiligen würden, ohne dass jedoch die Sozialdemokratische Partei selbst offiziell hervortreten sollte. Erst am 22.3. nachmittags erging von der Sozialdemokratischen Partei die strenge Weisung an ihre Mitglieder, nicht teilzunehmen.109 Gerüchteweise sollte es anlässlich der Demonstration zu Plünderungen und Brandschatzungen kommen. Da immerhin zu besorgen war, dass es zu größeren Ausschreitungen kommen könne, musste für die Bewachung wichtiger Gebäude vorgesorgt werden und wurde durch die dadurch hervorgerufene Schwächung der Polizeikräfte die Anforderung von Gendarmerieassistenz und die Bereitstellung einer Abteilung des Bundesheeres notwendig. Um von vornherein Ansammlungen am Mozartplatz zu verhindern, wurde dieser und Residenzplatz um 10 Uhr vormittags durch Gendarmeriepatrouillen abgesperrt. Tatsächlich sammelten sich am 23.3. vormittags zwischen 10 und 11 Uhr ca. 400 bis 500 Personen vor den Absperrungslinien an, wagten jedoch nicht, die aufgestellten Posten zu durchbrechen. (…) Die Kommunisten versuchten (anschließend, Anm. d. Verf.) vor der Polizeidirektion, am Universitätsplatz (Grünmarkt), am Sigmundsplatz und am Makartplatz im Andräviertel zu demonstrieren. Durch den gut funktionierenden Nachrichtendienst erhielt das Amt von den beabsichtigten Demonstrationen … größtenteils schon Nachricht, bevor die Demonstranten an ihren neuen Sammelplätzen eingetroffen waren. Die Bildung größerer Ansammlungen konnte dadurch überall verhindert werden. Es kam nirgends zu Waffengebrauch oder größeren Gewalttätigkeiten. (…) Bemerkenswert erscheint, dass in den Mittagsstunden in einem Gastlokale der Führer der kommunistischen Bewegung im Lande Salzburg, Edmund Rehorska, Handelsangestellter, geb. 1907 … verhaftet werden konnte, dem es bisher gelungen war, sich vor der Behörde zu verbergen. Rehorska soll zur Schulung längere Zeit unter dem Namen Faustmann in Moskau gewesen sein (…) Anlässlich der Demonstration am 23.3. wurden 34 Kommunisten in Haft genommen und 23 wegen Teilnahme an einer verbotenen Demonstration mit je 4 bzw. 7 Tagen Arrest bestraft. (…) 109 Am 6. April 1933 meldete die Rote Fahne, dass die Führung der SDAP am Vortag in einem in der AZ veröffentlichten Offenen Brief mit allerlei Ausreden die Bildung einer Einheitsfront abgelehnt habe. (Die Rote Fahne 6.4.1933. S. 1.)

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Polizeidirektion Salzburg, 18. Juni 1933 Zl. 2/33-res. (174.527/33) Betr.: KPÖ ehem., Propagandatätigkeit von Mitgliedern. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse Nr. 7. In letzter Zeit wurde unter den ehemaligen Mitgliedern der aufgelösten KPÖ110 wieder eine erhöhte Tätigkeit beobachtet. Die eingeleiteten Erhebungen ergaben, dass seit Kurzem ein offenbar aus Wien entsendeter Organisator für die KPÖ im Lande Salzburg eine rege Propagandatätigkeit entfalte. Tatsächlich gelang es der Polizeidirektion am 10.6.1933, diesen in der Person des Friedrich Hedrich, Elektriker, 22.9.1914 in Wien geb. und zust. … festzustellen und zu verhaften. Dem Genannten konnte trotz anfänglichem hartnäckigen Leugnen bewiesen werden, dass er die illegale Propaganda für das Land 110 Die KPÖ wurde am 26. Mai 1933 auf Antrag von Bundesminister Emil Fey im Ministerrat auf der Basis des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes vom 24.7.1917, R. G. Bl. Nr. 307, verboten. Fey begründete seinen Antrag damit, dass »in den letzten Wochen gegen die kommunistische Partei wiederholt wegen illegaler und staatsfeindlicher Handlungen eingeschritten werden musste, die Rote Fahne, das Organ der kommunistischen Partei, trotz Stellung unter Vorzensur fast täglich konfisziert werden müsse (…)« (MRP 877/13). Die Rote Fahne reagierte auf das Verbot der KPÖ mit der Feststellung, die Geschichte beweise, »dass solche Mittel der Arbeiterbewegung und dem Kommunismus nichts anhaben können. ›Mit polizeilichen Mitteln ist eine Idee nicht auszurotten  !‹ So bekannte Polizeipräsident Brandl, also einer, der es wissen muss  ! Und nie noch ist es gelungen, mit solchen Mittel die kommunistische Idee zu überwinden  ! Schon vor 85 Jahren schrieb Karl Marx im ›Kommunistischen Manifest‹  : ›Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst des Kommunismus. Gegen es haben sich verbunden der Zar, Metternich und Guizot (…)‹ Es ist diesem Dreibund damals nicht gelungen, den Kommunismus aus der Welt zu schaffen, und die Geschichte hat es bewiesen. Im Lande, wo früher der Despotismus der Zaren die Völker knechtete, weht heute – auf einem Sechstel der Erdoberfläche – sieghaft das Banner des Kommunismus. Im Gegensatz zu den lügnerischen Trugbildern des Nationalsozialismus und dem Bankrott des angeblichen ›demokratischen‹ Sozialismus zeigt er als e i n z i g wahrer Sozialismus den Ausweg zur Rettung vor dem Untergang und zur Erkämpfung von Arbeit, Brot und Freiheit  ! Als Marx zur Einstellung der ›Neuen Rheinischen Zeitung‹ gezwungen wurde, rief er stolz seinen Verfolgern zu  : ›Ich war, ich bin, ich werde sein  !« (Die Rote Fahne 28.5.1933. S. 1.) Winfried Garscha hat darauf hingewiesen, dass sich die KPÖ seit Ende der zwanziger Jahre auf eine mögliche Illegalität systematisch vorbereitete und einen Teil ihres Parteiapparats in den Untergrund verlegte hatte. (Winfried R. Garscha  : 3. Abschnitt  : 1931–1933. Organisierung der Abwehr gegen den drohenden Faschismus. – In  : Die Kommunistische Partei Österreichs. Beiträge zu ihrer Geschichte und Politik. Hg. v. d. Historischen Kommission beim Zentralkomitee der KPÖ. – Wien 1987. S. 160–200. S. 195 f.)

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Salzburg zu organisieren und auch die Aufgabe übernommen habe, anscheinend in Österreich hergestelltes und für Deutschland bestimmtes kommunistisches Propagandamaterial über die Grenze nach Deutschland zu schaffen. Am selben Tage wurde über Mitteilung ein junger Mann namens Karl Plenk, Hilfsarbeiter, 1914 geboren, Salzburg, Südtirolerplatz Nr. 5 wohnhaft, von h. o. Organen am Bundesbahnhof Salzburg festgenommen, als er einen Koffer, den er in der Bahnhofsgarderobe ausgelöst hatte, mit ca. 7000 Stück illegalen kommunistischen Flugblättern, die für Hallein, Lend, Schwaz in Tirol, Innsbruck, Dornbirn und für andere Orte zur Verteilung bestimmt waren, wegschaffen wollte. (…) Schließlich wurde am 10.6. l. J. abends in der Nähe der Polizeikaserne der derzeit arbeitslose Hoteldiener Gottfried Bogenhuber, 13.10.1909 in Mattighofen geb. und zuständig, … mit einem schweren Rucksack als bedenklich angehalten und perlustriert. Im Rucksacke befanden sich mehrere tausend Stück eines illegalen Flugblattes (…) Von einer bisher unbekannten Stelle in Wien waren diese Flugblätter an einen hiesigen kommunistisch orientierten Vertrauensmann geschickt worden mit der Bestimmung, über Hallein oder Innsbruck nach Deutschland geschafft zu werden. (…) Beschlagnahmtes kommunistisches Flugblatt  : TROTZ ALLEDEM – DIE KPÖ LEBT UND KÄMPFT BIS ZUM SIEGE  ! Die Regierung hat die Kommunistische Partei verboten. Wie Hitler den von seinen Banden gelegten Reichstagsbrand als Anlass für seinen blutigen Verfolgungsfeldzug gegen die KPD nahm, so diente der faschistischen Dollfuß-Diktatur als Anlass für das Verbot die provokatorische Kabelsprengung in Bruck, die die Nazi-Heimwehr nach den Van-der-Lübbe-Methoden durchführte. In Wirklichkeit verbietet man die KPÖ, weil sie Herz und Hirn des revolutionären Widerstandes der Arbeiterklasse gegen die faschistische Diktatur und ihre Hunger- und Unterdrückungsmaßnahmen ist, weil immer breitere Kreise sozialdemokratischer Arbeiter den Bankrott der sozialdemokratischen Politik erkennend, dem Rufe der KP zur revolutionären kämpfenden Einheitsfront Folge leisten. Das fürchtet die Bourgeoisie. Sie ließ die KPÖ verbieten, um die Arbeiterklasse ihrer revolutionären Führung zu berauben und sie wehrlos zu machen. Das Verbot der KP ist daher ein Schlag gegen die gesamte Arbeiterklasse, aber man kann eine KP nicht verbieten, sie lebt und kämpft weiter und wird das Proletariat zum Siege führen – trotz alledem  ! (…) Der Kapitalismus ist unfähig, seinen Arbeitssklaven auch nur das nackte Dasein, das Notdürftigste zum Leben zu sichern. Die Kapitalisten und Großgrundbesitzer, die Industrieherren und Finanzmagnaten rauben den arbeitenden Massen die letzten politischen und sozialen Rechte, um ihre Herrschaft, ihren Profit und dieses verfluchte kapitalistische Hungersystem zu erhalten. Darum hat die faschistische Diktaturregierung Dollfuß in den letzten Monaten Schlag auf Schlag gegen die Arbeiterschaft gerichtet. Das Verbot der KP ist nur die Einleitung zu einem neuen Feldzug gegen die Arbeiterklasse, die Einleitung zum völligen Raub der politischen

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Rechte, zur Zerschlagung der Sozialversicherung, des Mieterschutzes und der übrigen sozialen Rechte, zum weiteren maßlosen Raub der Arbeitslosenunterstützung, zur Zwangsarbeit in Arbeitsdienstlagern. (…) Die Nazi spielen sich als die Kämpfer für die Rechte der werktätigen Massen auf, sie versprechen die Rettung im 3. Reich, aber wo hat Hitler einem einzigen Kapitalisten ein Haar gekrümmt oder die Zinsknechtschaft gebrochen oder die Börsen gesperrt oder den notverordneten Lohn- und Unterstützungsraub der früheren Regierungen aufgehoben  ? (…) Lasst euch nicht täuschen durch die Streitigkeiten der schwarzen und braunen Faschisten untereinander. Es handelt sich hier bloß um einen Streit zwischen zwei Konkurrenten in einem Lager, zwischen zwei faschistischen Feinden des Volkes darüber, wer von beiden der Arbeiterschaft das faschistische Joch auferlegen soll, wer von beiden, die Schwarzen oder die Braunen, die Heimwehr oder die Nazis, die Führung in der faschistischen Diktatur bei der Knebelung und Unterdrückung des werktätigen Volkes zur Rettung des kapitalistischen Hungersystems vor der kommenden sozialistischen Revolution haben soll. (…) Dass das österreichische Proletariat in eine solche Lage gekommen, daran trägt die Hauptschuld die Sozialdemokratische Partei. Otto Bauer hat zwar nie mit revolutionären Phrasen und Kampfansagen gespart, um die revolutionär gestimmten Arbeiter zu täuschen. Hat die SP aber nur versucht, die gewaltige Kraft des österreichischen Proletariats dem Faschismus entgegenzuwerfen  ? Im Gegenteil  ! Die österreichische SP macht die gleiche Kapitulationspolitik und Politik des »kleineren« Übels wie die schuldbeladene deutsche SP. (…) Der einzige wirkliche Ausweg ist nur ein Sowjetösterreich. Jetzt, wo jedem Arbeiter klar wird, dass das Versprechen »über die Demokratie zum Sozialismus« ein Betrug war und nur zur Festigung der Herrschaft der Bourgeoisie diente, dass der »demokratische Weg zum Sozialismus« bankrott gemacht hat und zum Faschismus führte, faseln die Otto Bauer und Co. neuerdings von der »Wiedereroberung der Demokratie«. Sie wollen den verräterischen Weg, den sie seit 1918 gegangen sind, wiederholen und preisen der Arbeiterschaft wiederum jene bürgerliche »Demokratie« als Rettung vor, die immer nur eine Herrschaft der Reichen, der Kapitalisten war, jener »Demokratie«, aus der der Faschismus herauswachsen konnte. Rettung für die Arbeiterschaft und das gesamte werktätige Volk bringt nicht die Wiedereroberung der bürgerlichen »Demokratie«, nicht das 3. Hungerreich. Die einzige wirkliche Rettung kommt nur auf dem revolutionären Wege, auf dem das russische Proletariat sich seinen sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat ohne Arbeitslosigkeit und ohne Faschismus, mit Arbeit, Brot und Freiheit für alle Werktätigen schuf. (…) Sozialdemokratische Schutzbündler, Arbeiter, besinnet euch  !

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Ziehet die Lehren aus dem Bankrott der SP-Politik in Deutschland und Österreich  ! Macht Schluss mit der Kapitulationspolitik der SP  ! Erkennt, dass die Schläge, die heute gegen die KP gerichtet werden, morgen sich gegen euch richten werden, wenn sie nicht von der einheitlichen Abwehrfront der Arbeiterschaft pariert werden  ! Protestiert in allen Betrieben und Gewerkschaftsorganisationen, in allen Arbeiterorganisationen gegen das Verbot der KP und der anderen proletarischen Organisationen, gegen den Raub der politischen Arbeiterrechte, fordert die sofortige Aufhebung dieser Verbote  ! Gegen die »österreichische Front«, gegen den schwarzen und braunen Faschismus schmiedet die antifaschistische Einheitsfront des Proletariats  ! (…) Schart euch noch fester um die verfolgte KP  ! Helft ihr in dem Kampf, der euer Kampf ist  ! Beschreitet den Weg des revolutionären Klassenkampfes gemeinsam mit der KP  ! Herein in die KP  ! (…) Der Sicherheitsdirektor des Bundes für das Bundesland Salzburg, 28. Juli 1933 Zahl 471 (192.814/33). Betr.: KPÖ  ; Augustaktion  ; Gegenmaßnahmen. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Mit Bezug auf den von der Bundes-Polizeidirektion Salzburg direkt erstatteten Bericht Zl. 2/33-res vom 17.7.1933 betreffend Vorbereitungen der KPÖ für eine im August d. J. durchzuführende Werbe- und Demonstrationsaktion wird berichtet, dass die geeignet erscheinenden Maßnahmen getroffen wurden, um die geplante Aktion im Keime zu unterdrücken und dadurch den Fremdenverkehr, insbesondere die mit 28. Juli 1933 beginnenden Salzburger Festspiele vor jedweden Störungen und unliebsamen Zwischenfällen zu schützen. Da nach dem von der Bundes-Polizeidirektion zustande gebrachten Propagandamaterial die kommunistischen Vorbereitungen mit Beginn der letzten Juliwoche schon so weit vorgeschritten sein sollten, dass die Aktion mit 1. August automatisch hätte einsetzen können, wurde für die Gegenaktion der Sicherheitsbehörden im ganzen Bundeslande einheitlich der 24. Juli festgesetzt. Am 23. Juli 1933 gelang es noch der Bundes-Polizeidirektion, den von der Leitung der KPÖ in Wien zur Durchführung der Vorbereitungen nach dem Bundeslande Salzburg entsendeten Agitator »Willy« in einer Hütte beim Salzburger Kommunalfriedhofe auszuforschen und zu verhaften. Es ist dies der am 12.2.1909 in Wien geborene und dahin zuständige Schlossergehilfe Wilhelm Frank (…) Er wurde nach der Verordnung der Bundesregierung BGBl. Nr. 200/1933 betreffend das Verbot der Betätigung der Kommunistischen Partei mit 4 Monaten Arrest bestraft.

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Am 24. Juli früh wurden bei sämtlichen kommunistischen Führern, besonders bei den als Zellenleiter in Verdacht stehenden Personen in Stadt und Land Salzburg, Hausdurchsuchungen durchgeführt und die betreffenden Personen in Haft genommen. Das Ergebnis der Hausdurchsuchungen war zum größten Teil, wie zu erwarten war, negativ. Es war jedoch ausreichend, um im Stadtgebiete über 4 Personen Arreststrafen von je 10 Tagen, im Bezirke Salzburg-Umgebung über 2 Personen je 6 Wochen und über 1 Person 10 Tage Arreststrafe zu verhängen. Im Bezirke St. Johann im Pongau wurde 1 Person nach § 300 St. G. dem Landesgerichte eingeliefert und 2 Personen mit je 14 Tagen Arrest und eine mit 10 Tagen Arrest, sämtliche wegen verbotener kommunistischer Parteibetätigung im Sinne der vorbezogenen Verordnung, bestraft. (…) Polizeidirektion Salzburg, 2. September 1933 Zl. 2/33-res (206.920/33). Betr.: KPÖ Betätigung. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Die Bundes-Polizeidirektion Salzburg beehrt sich, eine Abschrift des ihr durch einen Vertrauensmann übermittelten Schreibens der KPÖ in Wien an die Ortsgruppe in Salzburg in Vorlage zu bringen. (…) Liebe Freunde  ! Wien, 28.8.1933 Wie Euch bereits aus der österreichischen Presse bekannt ist, wurde der Führer der Partei, Genosse Koplenig,111 verhaftet. Da alle unsere Klassenfeinde – bürgerliche Presse, Polizei, Faschisten usw. – bestrebt sind, die Verhaftung unseres Führers dazu auszunützen, um Zersetzung in die Reihen der Partei zu tragen, halten wir es für notwendig, Euch den klaren Sachverhalt mitzuteilen, damit Ihr allen Schwankenden, die allen Gerüchten, von wo sie auch immer kommen, zum Opfer fallen, die nötige Stärke geben könnt, damit sie nicht in Panikstimmung verfallen. 111 Johann Koplenig (1891–1968) war gelernter Schuhmacher und trat 1909 der Sozialdemokratischen Partei bei. Während des 1. Weltkrieges geriet er 1915 in russische Kriegsgefangenschaft und trat 1918 in Russland der Partei der Bolschewiki bei. Nach seiner Rückkehr nach Österreich schloss er sich der soeben gegründeten KPÖ an, wurde 1922 Landessekretär der steirischen KPÖ, 1924 Mitglied des Zentralkomitees und Generalsekretär der KPÖ. 1933 ging er nach dem Verbot der Partei in die Illegalität, wurde vorübergehend verhaftet und emigrierte 1934 in die Tschechoslowakei, wo sich die Zentrale der Partei befand. 1939 ging er in die Sowjetunion und lebte in Moskau im legendären Hotel Lux. Koplenig war stets linientreu. 1945 kehrte er nach Österreich zurück, war kurzfristig Staatssekretär in der Provisorischen Regierung Renner, 1945 bis 1959 Abgeordneter der KPÖ zum Nationalrat und bis 1965 deren Parteivorsitzender.

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Nicht nur unsere offenen Klassenfeinde benützen die Gelegenheit, um Verwirrung in unsere Reihen zu tragen, sondern es gehört auch zur Rolle der versteckten Parteifeinde in- und außerhalb der Partei (Trotzkisten, Freyisten, Tomannleute112)  ; auch sie nehmen die Verhaftung zum Anlass, um zersetzende Gerüchte auszustreuen. Mit diesem Schreiben warnen wir Euch vor all diesen Elementen und fordern Euch auf, den Gerüchtemachern mit aller Schärfe entgegenzutreten und ihnen das Handwerk zu legen. Wir stellen ausdrücklich fest, dass alle Gerüchte von Absetzung, von Veränderungen … erstunken und erlogen sind. (…) Ebenso ist alles Gerede von Fraktionen usw. nur die Erfindung des Faschistengesindels. Sie wissen genau, dass die Partei vollständig einheitlich dasteht und dass dies unsere Stärke ist. (…) Durch die Verhaftung des Genossen Koplenig haben wir einen schweren Schlag erlitten, aber mit bolschewistischer Zähigkeit und Verdoppelung unserer Energien und Arbeit durch die gesamten Funktionäre wird es uns gelingen, den Verlust, der durch die Verhaftung entstanden ist, auf ein Minimum herabzudrücken. Die faschistische Diktaturregierung wird zweifellos versuchen, den Genossen Koplenig monatelang hinter Kerkermauern zu halten, um die Partei damit zu hemmen. Stärker als je steht vor uns die Aufgabe, eine breite Welle des Protestes zu entflammen gegen die Einkerkerung kämpfender Antifaschisten. Lauter und heftiger, mit allen Mitteln des revolutionären Kampfes, die der augenblicklichen Situation entsprechen, müssen wir eine breite Kampagne für die Freilassung aller revolutionären Kämpfer, sowohl für die durch die braunen Mordbestien in Deutschland als auch für die durch die schwarz-grünen Faschisten in Österreich Eingekerkerten, führen. Verstärkt den Kampf für die Aufhebung des Verbots der KPÖ und der proletarischen Organisationen  ! Genossen  ! Bleibt hart und zielbewusst. Unser Kampf kostet viele Opfer. Für jeden unserer eingekerkerten Genossen rücken neue Arbeiter nach. Sie können uns hemmen, sie können uns aber nicht vernichten  ! Verstärken wir unseren Kampf gegen die faschistische Diktatur, damit leisten wir für unsere eingekerkerten Klassenbrüder unsere proletarische Hilfe und Solidarität.

112 In der von Fraktions- und Flügelkämpfen erschütterten KPÖ der zwanziger Jahre präsentierte Dr. Josef Frey die rechte Gruppe, der frühere Parteisekretär Karl Tomann die sog. »Gewerkschaftspartei«. Beide wurden im September 1925 auf dem 3. Ordentlichen Parteitag der KPÖ nicht mehr in den Parteivorstand gewählt. Die neuen Führer der Partei waren nunmehr Gottlieb Fiala und Johann Koplenig. Frey wurde 1927 aus der KPÖ ausgeschlossen, Tomann wechselte Anfang der dreißiger Jahre zur SDAP und 1938 zur NSDAP.

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Polizeidirektion Salzburg, 2. Oktober 1933 Zl. 2/33-r (219.839/33). Betr.: KPÖ, Weisungen für illegale Tätigkeit. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. In letzter Zeit macht sich ein Wiederaufleben der kommunistischen Parteitätigkeit bemerkbar und werden die Vorgänge im hiesigen Überwachungsrajon verfolgt.113 Die Bundes-Polizeidirektion beehrt sich in der Anlage abschriftliche Weisungen der KP-Zentrale in Wien »Einige Regeln der konspirativen Arbeit« sowie die Abschrift eines Briefes von dieser Stelle an die Parteiorganisation in Salzburg in Vorlage zu bringen. Einige Regeln der konspirativen Arbeit Durch das Verbot unserer Partei sind wir gezwungen, unsere Arbeit illegal weiterzuführen. Das heißt nicht, dass wir uns zurückziehen, sondern wir müssen unsere gesamte Arbeit in verstärktem Maße unter strengster Einhaltung der Konspirationsregeln durchführen. Unter den jetzigen Bedingungen des faschistischen Terrors ist es unvermeidlich, dass auf Grund von Zufällen, von Denunziationen usw. Funktionäre verhaftet werden, Sitzungen auffliegen, Materialien hochgehen usw. Die Aufgabe jedes Kommunisten besteht darin, dass die revolutionäre Massenarbeit unter allen Umständen und in steigendem Ausmaße mit einem Mindestmaß an Opfern durchgeführt wird. Mancher Verlust lässt sich bei größter Vorsicht und Wachsamkeit vermeiden. Nachstehend gehen wir auf Grund der Erfahrungen auf einige Grundregeln der Konspiration ein. I. Kampf jeder Leichtfertigkeit und Vertrauensseligkeit bei Gesprächen  ! Überall gibt es Beispiele, wie unbedachte Worte von Provokateuren und Denunzianten aufgeschnappt werden. Schlimmer noch wird das, wenn durch leichtfertige Erzählungen andere Funktionäre, Parteileitungen oder der Parteiapparat gefährdet werden. Darum denke daran  : 1. Noch mehr als bisher musst du in geschickter mündlicher Agitation, wobei du zuerst herausfühlen musst, wen du vor dir hast, für den Kommunismus werben. (…)

113 Die Verfolgung der illegalen KPÖ, die bis zum Februar 1934 in Salzburg neben der Sozialdemokratie nur ein Schattendasein führte, durch die Sicherheitsorgane war sehr erfolgreich. Die schwache KP-Organisation wurde bis zum Frühherbst 1933 weitgehend zerschlagen. Die Parteiführung war daher, wenn auch zunächst noch ohne größeren Erfolg, bemüht, die illegale Parteiorganisation wiederaufzubauen. Erst nach dem Februar 1934 sollten diese Bemühungen durch den nunmehr einsetzenden Zuzug linker Sozialdemokraten teilweise von Erfolg gekrönt sein.

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2. Vermeide laute Gespräche über Angelegenheiten der Partei und ihrer Arbeit an öffentlichen Orten. 3. Frage bloß, was dich angeht und was du unbedingt für deine tägliche Parteiarbeit wissen musst. II. Achtung auf Adressen und Parteimaterial  ! 1. Trage nichts Unnötiges bei dir, insbesondere kein Material, Mitgliedsbücher, die Rückschlüsse auf die Zugehörigkeit zur Partei oder einer revolutionären Organisation zulassen. 2. Trage nicht Notizen mir dir herum. (…) 3. Notiere dir Adressen, wenn du sie schon notieren musst, so, dass die Polizei daraus nicht klug wird. 4. Verwahre das für die tägliche Parteiarbeit notwendige Material nicht länger, als du es brauchst, und verwahre es weder in deiner Wohnung noch in deinem Betrieb, sondern in einer Wohnung eines Sympathisanten. (…) 7. Größte Vorsicht beim Übergeben von Materialien auf der Straße und in Parks. Am besten, du legst alles in eine eingefaltete Tageszeitung hinein. (…) Wenn durch Nachlässigkeit eines Genossen Adressen, Material oder gar Genossen hochfliegen, so wird dies als Parteiverrat gewertet und der Betreffende rücksichtslos aus der Partei entfernt. III. Vorsicht und militärische Pünktlichkeit bei Treffen. Bleibe nicht wie ein Verkehrshindernis an einer Straßenecke stehen, sondern bewege dich unauffällig wie ein Passant. Überprüfe das Gelände, ob es sauber ist, aber mache das unauffällig und blicke auf keinen Fall beim Gehen jeden Augenblick um dich, sondern suche dazu einen günstigen Anlass. Begrüße den Ankommenden, wie es zwei Bekannte beim Stelldichein machen. Triff dich nicht immer am selben Platz. (…) : Oberster Grundsatz muss sein, bei jeder Besprechung, Sitzung, Versammlung   Größte Pünktlichkeit  ! Erscheint der Eingeladene nicht, so muss in jedem Fall angenommen werden, dass er durch einen Spitzel verfolgt wird oder der Polizei in die Hände gefallen ist. (…) IV. Zusammenkünfte in Wohnungen usw. 1. Benütze niemals Wohnungen bekannter Kommunisten für Sitzungen und Besprechungen. (…) 3. Benütze niemals bekannte Verkehrslokale der KP oder der revolutionären Massenorganisationen. 4. Am besten eigen sich Wohnungen von Sympathisierenden. (…) VI. Keine Geheimtuerei  ! 1. Bei Besprechungen in Lokalen oder öffentlichen Stellen muss das in unauffälliger Weise geschehen, jedes Flüstern, Köpfe-Zusammenstecken, scheues um sich Herumblicken macht auffällig. (…)

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3. Gerate nicht in Panik, wenn du zufällig in eine Razzia, in eine Haussuchung oder Ähnliches hineingerätst. Tritt dabei ruhig und selbstsicher auf, als wenn du mit nichts etwas zu tun hättest. Nervosität würde dich nur auffällig machen. (…) VIII. Verhalten vor Polizei und Gericht  ! Die allgemeine Grundregel ist  : Keine Aussagen  ! Natürlich heißt das nicht, dass man auf alle Fragen antworten soll  : »Ich verweigere die Aussage.« Die Taktik beim Verhör muss viel elastischer sein. 1. Auf keinen Fall darf man zugeben, Mitglied der Organisation zu sein. Namen, Adressen oder Tatsachen, die gegen die Organisation oder einzelne Mitglieder ausgenützt werden können, dürfen unter keinen Umständen preisgegeben werden. 2. Absolutes Leugnen auch bei persönlicher Gegenüberstellung und trotz Zeugenaussage von Spitzeln und Provokateuren. 3. Wenn die Polizei Beweismaterial über die Parteimitgliedschaft des Verhafteten hat, dann darf er nichts weiter aussagen. Lasse dich nicht in »freundschaftliche« Diskussionen oder Gespräche mit dem Beamten ein. Ein unbedachtes Wort kann dich verraten. (…) Salzburg, 20. September 1933. Lieber Freund  ! Wir haben Dir schon persönlich gesagt, dass wir auch in deiner Gegend wieder zu arbeiten beginnen müssen. (…) Wir müssen mit ganz neuen Leuten anfangen, wobei wir gerade in Salzburg darauf achten müssen, sichere, klassenbewusste Elemente zu gewinnen, also keine Lumpenproletarier, wie es so viele in Salzburg gibt. Wir denken da zuerst z. B. an die Gasarbeiter. Ihr habt uns seinerzeit mitgeteilt, dass zwei unserer Freunde im Gaswerk arbeiten. Stimmt das noch  ? Haben wir noch Verbindung zu ihnen  ? Wenn ja, dann teilt uns auch Namen und Adresse mit, damit wir auch mit ihnen direkt in Verbindung treten können. (…) So muss es gelingen, mit einem kleinen Stock ganz sicherer verlässlicher Freunde die Arbeit wieder zu beginnen. Jedenfalls müssen wir der Polizei die Genugtuung versalzen, mit der sie sich einbildet, den Kommunismus in Salzburg ausgerottet zu haben. Wir erwarten deine Mitteilung und ausführliche Vorschläge. Deine Freunde Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 30. Oktober 1933 Zahl 3024. Betr.: Nachrichtendienst  ; Wochenbericht Nr. 12. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7.

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(…) Von der Wiener Zentrale der Kommunistischen Partei werden weiterhin Rundschreiben an Parteigenossen versendet, die den Wiederaufbau der Parteiorganisation bezwecken. Eine Wirkung dieser Bestrebungen ist bisher in Salzburg nicht in Erscheinung getreten. Aus den diesbezüglichen Meldungen der Gendarmerieposten geht vielmehr hervor, dass die als Kommunisten bekannten Personen, die größtenteils in Arbeit stehen, sich jeder politischen Betätigung zu enthalten scheinen. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 8. November 1933. Zahl 3216 (235.157/33). Betr.: Nachrichtendienst  ; Wochenbericht Nr. 13. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. (…) Da laut aufgefangener Rundschreiben der Kommunistischen Partei der 7. November als Tag des Sieges der Russischen Revolution proklamiert und aus diesem Anlass die Parteigenossen zur Veranstaltung politischer Demonstrationen und zum Kampf gegen die Regierung aufgefordert wurden, sind die Sicherheitsbehörden mit der Durchführung der entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen beauftragt worden. Nach der in letzter Zeit an den Tag gelegten Passivität der ehemaligen Parteimitglieder im Bundeslande kommt jedoch den Aufrufen der Parteizentrale in Wien nur die Bedeutung vergeblicher Versuche zur Wiederbelebung einer abgetanen Sache zu. Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 14. November 1933 Zahl 3432 (237.801/33). Betr.: Nachrichtendienst  ; Wochenbericht Nr. 14. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. (…) Insbesonders ist der von der Wiener Zentrale der KPÖ ausgegangene Versuch, die Parteianhänger durch Rundschreiben zu öffentlichen Demonstrationen, Versammlungen und sonstiger Agitation aus Anlass des Gedenktages des Sieges der Russischen Revolution am 7. November zu veranlassen, ohne jeglichen Erfolg geblieben. Unter den Kommunisten im Lande Salzburg war überhaupt keine Bewegung sichtbar. Die Aktivität der Wiener Zentrale wurde dagegen auch in der Richtung festgestellt, dass hektografierte Flugblätter zur Einschmuggelung in die Kasernen nach Salzburg gesendet wurden. Die mit den Worten »Hinein in die Vaterländische Front« über-

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schriebenen Flugblätter wenden sich an die Verbundenheit der Soldaten mit der Arbeiterklasse und enthalten den Appell »Vergesst Euch nicht, Soldaten-Brüder, wenn Ihr eingesetzt werdet und es heißt ›Feuer gegen die Arbeiter  !‹ Wir gehören zusammen in eine Reihe  !« Die Flugblätter fielen, noch bevor sie in die Militärkasernen Eingang gefunden hatten, in die Hände der hiesigen Bundes-Polizeidirektion. (…) Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 11. Dezember 1933. Zahl 4129 (249.810/33). Betr.: … kommunistische … Flugblätter  ; Verbreitung. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Am 4. Dezember i. J. wurden bei Aushebung des Inhaltes eines Postkastens in Gnigl … ein »Offener Brief an die sozialdemokratischen Arbeiter«, unterfertigt von der KPÖ (Sektion der Kommunistischen Internationale) vorgefunden. Diese Drucksache wird zur Kenntnisnahme vorgelegt. Offener Brief an die sozialdemokratischen Arbeiter Genossen und Genossinnen  ! Am 12. November 1933 sind es bereits 15 Jahre her, dass die demokratische Republik Österreich begründet wurde. Vor 15 Jahren – die Waffen in der Hand der Arbeiterklasse, die Bourgeoisie niedergeworfen  ; heute – jede Kundgebung der Arbeiter ist in dieser Geldsackrepublik verboten. Vor 15 Jahren – die Arbeiterschaft voll Kraft und Hoffnung auf den Aufbau des Sozialismus  ; heute – Not und Elend, Arbeitslosigkeit und Lohnabbau, Aussicht auf Konzentrationslager und verschärfte faschistische Diktatur. Wieso ist es zu all dem gekommen, wieso ist es dazu gekommen, dass die faschistische Regierung gewissermaßen zur Feier des 12. November einen Arbeiterbetriebsrat nach dem anderen ins Gefängnis werfen kann  ? Nicht durch die »Weltpolitik« und »Weltlage«, wie Otto Bauer erzählt, sondern einzig und allein durch den Verrat der sozialdemokratischen Führer. Sie haben uns verraten, als sie im Jahre 1918 die Weltrevolution verhinderten, die Kommunisten und Spartakisten blutig niederwarfen, um, wie sie sagten, den »Sozialismus« herbeizuführen. Sie haben uns verraten, als sie in Koalition mit der Bourgeoisie den todkranken Kapitalismus zu heilen versuchten  ; sie haben uns am 15. Juli 1927 verraten, als sie die Arbeiter, die auf der Straße kämpften, weil sie fühlten, wie der Faschismus nahte, als »lichtscheues Gesindel« beschimpften. Sie haben uns im

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Jahr 1929 verraten, als mit ihrer Hilfe die neue Verfassung beschlossen wurde. Sie verraten uns jetzt, indem sie vom Generalstreik r e d e n , um jeden wirklichen Kampf abzuwürgen.114 Was haben sie in diesem Jahre nicht alles vom Kampf gesprochen  ? Und was haben sie kampflos hingenommen  ? Verjagung des Parlaments, Aufhebung der Versammlungsfreiheit, Verbot der Kommunistischen Partei, Verbot des 1. Mai, Beseitigung der Pressfreiheit, Verbot des Republikanischen Schutzbundes und der Freidenker, Beseitigung des Streikrechtes, Beseitigung des Kollektivvertrages der Bauarbeiter. Wiederholte Herabsetzung der Arbeitslosenunterstützung, Lohnraub, Beseitigung der Personalvertretung bei der Post, Zwang der Eisenbahner zum Eintritt in die Vaterländische Front, Errichtung der Konzentrationslager, Verbreitungsverbot der »A.-Z.«. Und jetzt als vorläufig letztes, Verbot der Demonstration am 12. November. Der Parteitag der SDAP hat einstimmig Beschlüsse gefasst115. Er hat einstimmig die Anträge der unteren Organisationen abgelehnt, die endlich den versprochenen Kampf, die Organisierung des Generalstreiks verlangten. Der Parteitag hat 114 In einem Artikel in der illegalen Roten Fahne hieß es zum Thema Generalstreik und Bezugnahme auf den Parteitag der SDAP vom Oktober 1933, die Sozialdemokratie spreche lediglich vom Generalstreik, bleibe dabei jedoch stets im Allgemeinen. »Für die Arbeiterschaft ist es jedoch von entscheidender Bedeutung, genau und konkret zu wissen, wie und was es mit dem Generalstreik ist. Da sind vor allem die berüchtigten Bauernregeln, das ›Wenn … dann …‹ Wenn die Regierung eine bestimmte Handlung begeht, dann Generalstreik.« Die SDAP habe jedoch diese Regeln nie befolgt, sondern sei ihnen immer ausgewichen, weshalb sie die Regierung Dollfuß zur Verfolgung ihrer Politik der kleinen Schritte geradezu ermuntert habe. Dies habe zur »Fortsetzung der Kapitulation gegenüber den einzelnen, in ihrer Summe entscheidenden Schlägen des Faschismus« geführt. Otto Bauer redet heute von Generalstreikb e r e i t s c h a f t , wie er bisher immer von K a m p f b e r e i t s c h a f t und von ›Gewehr bei Fuß‹ sprach. Es handelt sich aber heute nicht mehr darum, auf irgend ein im vorhinein bestimmtes Ereignis zu warten, sondern es handelt sich darum, den Generalstreik als unmittelbare Aufgabe zur Zerschlagung des Faschismus zu organisieren.« Während die Regierung Schritt für Schritt den Faschismus ausbaue, kenne die Führung der Sozialdemokratie »nur eine Antwort  : jetzt noch nicht  ! (…) Auf die Parole des Generalstreiks von Seiten der SP-Führung warten, ist Selbstmord. (…) Es handelt sich also darum, dass die Betriebe selbst unter Führung der revolutionären Arbeiter den Streik beginnen und vor die anderen Betriebe die Aufforderung zur Erweiterung des Streiks zum Generalstreik stellen. (…) Generalstreik und was dann  ? Fragt man oft. Der Generalstreik ist zur Niederlage verurteilt, wenn er sich nicht das Ziel setzt, die Regierung zu stürzen. Setzt er sich aber dieses Ziel, so kann und muss er es bei der Kräfteverteilung in Österreich erreichen. Und die bewaffnete Macht, die Nazi, das Ausland  ? Die bewaffnete Macht ist in Österreich nicht nur relativ schwach, sondern auch zersetzt. Ein konsequent geführter Generalstreik verbunden mit der Bewaffnung des Proletariats setzt sie sehr rasch Schach matt.« (Die Rote Fahne Ende November 1933. S. 1 f.) 115 Gemeint ist der Parteitag der SDAP vom 14. bis 16. Oktober 1933, bei dem die Parteiführung gegen Anträge der erstarkten Linksopposition, die auf einen gewaltsamen Widerstand, auch mit dem Mittel der proletarischen Diktatur, gegen die Regierung drängte, erfolgreich opponierte. Vor allem Otto

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zwar auch von »Bereitschaft« zum Generalstreik g e s p r o c h e n , aber er hat erklärt, dass die SD auf dem »Boden des Gesetzes« bleibt. Auf dem »Boden des Gesetzes«, auf dem der Dollfuß-Faschismus steht und seinen Terror gegen die Arbeiterschaft durchführt. (…) Und die »Linke«, die Ernst Fischer-Leute,116 die auf dem Parteitag waren  ? Sie sagten nicht bloß Ja und Amen zu allem, sondern sie gaben faktisch die Rückendeckung zu alle den Gemeinheiten gegen die Arbeiterschaft. Sie sind, wie R e n n e r und O t t o B a u e r, für die Verhinderung der kämpfenden Klassenfront der Arbeiterschaft unter dem Deckmantel der »Einheit der Partei«. (…) Es gibt nur die Einheit der Klasse der Arbeiter im Kampf gegen die Klasse der Bourgeoisie und ihre Regierung. Diese Leute wollen die »Verbindung zur Regierung« nicht abreißen lassen (…) Alle … sind sie damit zu Agenten der Bourgeoisie im Lager der Arbeiterklasse geworden. Bauer wandte sich gegen die Linksopposition, indem er an die Einheit der Partei appellierte und sich gegen drohende kommunistische Zellenbildungen wandte. (Norbert Leser  : Zwischen Reformismus und Bolschewismus. Der Austromarxismus als Theorie und Praxis. – Wien/Frankfurt/Zürich 1968. S. 478 ff.; Rabinbach  : Vom Roten Wien zum Bürgerkrieg. S. 119 ff.: Kriechbaumer  : Die großen Erzählungen der Politik. S. 367 ff.) 116 Ernst Fischer (1899–1971) entstammte der Familie eines Berufsoffiziers, schloss sich jedoch zu Beginn seiner Studienzeit in Graz 1920 der SDAP an, für die er publizistisch in der Steiermark tätig wurde. 1927 übersiedelte er als Redakteur der »Arbeiter Zeitung« nach Wien und entfernte sich in den frühen 30er-Jahren immer mehr von der Parteilinie Otto Bauers. Er begeisterte sich für die Sowjetunion und kritisierte als einer der prominenten Linksoppositionellen die offizielle Parteilinie gegenüber der Regierung Dollfuß. Nach den Februarkämpfen 1934 schloss er sich der KPÖ an, emigrierte über Prag nach Moskau und wurde Mitarbeiter Dimitrows in der Komintern. Zusammen mit seiner Frau Ruth Mayenburg arbeitete er in Moskau für die deutschsprachigen Sendungen des Moskauer Rundfunks, kehrte 1945 nach Österreich zurück und wurde in der Provisorischen Regierung Renner Staatssekretär für Volksaufklärung, Unterricht, Erziehung und Kultur. 1945 bis 1959 war er Abgeordneter der KPÖ zum Nationalrat, bis 1969 Mitglied des Zentralkomitees der KPÖ. Seine Kritik am Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die ČSSR 1968 und seine Unterstützung der Politik der tschechoslowakischen Reformkommunisten brachte ihn in Gegensatz zur orthodoxen moskautreuen Parteiführung und führten zu seinem Parteiausschluss 1969. Im Herbst 1932 war Ernst Fischer einer der Proponenten der SDAP-Linken, die mit der KPÖ Kontakte aufnahm, die bis zum Herbst 1933 fortgesetzt wurden. Als die Parteilinke auf dem sozialdemokratischen Parteitag im Oktober 1933 scheiterte, kam es seitens der KPÖ zu einer deutlichen Distanzierung und zur neuerlichen Pflege der sozialdemokratischen Feindbilder. Die KPÖ schlitterte jedoch zu diesem Zeitpunkt in eine schwere organisatorische Krise infolge der sehr wirkungsvollen Maßnahmen der Regierung Dollfuß. Auf Grund zahlreicher Verhaftungen konnte sie vor allem in den Bundesländern ihre Organisationsstrukturen kaum aufrechterhalten. (Ernst Fischer  : Erinnerungen und Reflexionen. 2. Aufl. – Reinbeck bei Hamburg 1970  ; Ders.: Das Ende einer Illusion. Erinnerungen 1945–1955. – Wien/München/Zürich 1973  ; Ruth von Mayenburg  : Blaues Blut und rote Fahnen. Ein Leben unter vielen Namen. – Wien/München 1977  ; Dies.: Hotel Lux. – München 1978.)

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Sozialdemokratische Arbeiter  ! Ihr wollt den Kampf. Ihr seid für den Generalstreik  ! Seht Ihr nicht, wie die SP-Führung unsere Klassenfront spaltet  ? Sehr Ihr nicht, wie sie als feige Überläufer bereits im Lager der Gegner sind und nur die ihnen zugewiesene Aufgabe erfüllen, Verwirrung im Lager der Arbeiter anzurichten. Wir Kommunisten erklären offen, dass dieser Parteitag erneut bewiesen hat, dass nur die rücksichtslose Verjagung dieser bürgerlichen Führer aus den Reihen der Arbeiterschaft einen siegreichen Kampf möglich macht  ! Sozialdemokratische Arbeiter, wenn Ihr den Generalstreik wollt, dann dürft Ihr weder auf die Vorbereitung, noch auf die Parole durch die Führer warten. Ihr selbst habt Euer Schicksal in der Hand. Ihr selbst müsst entscheiden, ob Ihr Euch langsam niederschlagen und zermürben lassen oder ob Ihr den entscheidenden Schlag führen wollt. Generalstreik und Bewaffnung des Proletariats zum Sturze der Dollfuß-Regierung, das ist die Parole des österreichischen Proletariats. Daher Kampf auf allen Linien, statt Abwürgung jeder Bewegung. Daher hinaus mit den Verrätern aus unseren Reihen. Daher Beantwortung jedes Vorstoßes der Regierung und der Unternehmung mit Streik  ; daher die Waffen in die Hand der Arbeiter in den Betrieben selbst, damit die sozialdemokratischen Führer nicht auch diese letzten Waffen noch an die Bourgeoisie ausliefern. Daher  : Verjagt die Parteivorstandsbürokratie und ihre »linken« Agenten, nehmt Euer Schicksal selbst in die Hand  ! Wir Kommunisten haben aus der Illegalität heraus einen offenen Brief an den Parteitag gerichtet. Die SP-Führer haben die dort vorgeschlagenen Kampfmaßnahmen abgelehnt. Wir wenden uns an Euch  ! Bildet mit uns die kämpfende Rote Klasseneinheitsfront. Bildet überall sofort Kampfausschüsse. (…) Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, 26. Jänner 1934. Geschäftszahl 100.972 G. D./St. B. 34. Betr.: Brief der KPÖ an Salzburger Parteigenossen. An den Herrn Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg in Salzburg. In der Anlage wird die Abschrift eines dem Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit) zugekommenen Briefes der KPÖ an Salzburger Parteigenossen zur Kenntnisnahme übermittelt.117

117 Die Übermittlung des Briefes erfolgte am 23. Dezember 1933 durch das Sekretariat der Bundesführung des Österreichischen Heimatschutzes (Az, 1862.)

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5.12.1933 Liebe Freunde  ! (…) In der Frage des Machtfaktors  : Die Frage Eurer Organisation kommt nicht vom Himmel gefallen und es ist unsere gemeinsame Aufgabe, diesen Machtfaktor zu schaffen. Die objektiven Möglichkeiten sind zweifelsohne vorhanden. Eure Auffassung, dass eine solche Organisation im ganzen Bundesgebiet nicht vorhanden ist, ist ein großer Irrtum und Fehler, der ununterbrochen bei Euch zum Ausdruck kommt. Da Ihr in Salzburg so schwach seid, unterschätzt Ihr ununterbrochen die Bedeutung und Rolle der Partei. Wenn dieser Machtfaktor nicht vorhanden wäre, dann hätte es die Bourgeoisie nicht nötig, unsere Partei zu verbieten, unsere besten Genossen in die Kerker und Konzentrationslager zu sperren. Die Bourgeoisie hat über uns eine weit bessere Meinung als Ihr selbst. Sie erkennen die Gefahr, die ihr aus der allerdings noch sehr kleinen Partei erwächst während Ihr Euch nicht dessen bewusst seid. Unsere Stärke ist nicht allein die Mitgliederzahl, unsere Stärke ist die Arbeiterklasse als solche. Das ist der Kardinalfehler, den Ihr macht. Ihr erkennt auch richtig, dass die Betriebs- und Arbeitslosenfrage das Kettenglied der Partei darstellt. Ebenso schreibt Ihr richtig, dass wir unseren Kampf gegen die SP-Führung und Partei bedeutend verstärken müssen. Richtig, aber unrichtig ist es, dass Ihr die Frage so stellt, dass es hauptsächlich an uns in Wien liegt, diesen Bonzenapparat zu zerstören. Wichtig im Zusammenhang mit dieser Auffassung ist, dass hier in Wien das politische Zentrum ist, nicht nur der Regierung, dass von hier aus die meisten Fragen entschieden werden und dass der Gesamtbonzenapparat vorhanden ist. Dies stellt an die Wiener Organisation bedeutend höhere Anforderungen, aber falsch ist es anzunehmen, dass von Wien aus die Bewegung begonnen werden muss. Eine gute Bewegung in allen Gebieten, ob es in den Betrieben, bei den Arbeitslosen oder im Kampf gegen die SDAP sei, wird auch bei den Wiener Arbeitern sein. Deshalb müsst Ihr diesbezüglich einen gleichen Grundsatz üben, dass Ihr in Eurem Gebiet genauso wie die Wiener Organisation versucht, Eure Aufgabe zu lösen. Zur Landeskonferenz teilen wir Euch mit, dass Ihr diese absagt. Wir müssen sie absagen, da der Genosse, der diese Konferenz organisieren sollte, plötzlich verhaftet wurde. Ihr sollt anstelle dieser Landeskonferenz Gebietskonferenzen durchführen. Nicht abwarten mit der Festlegung Eurer Aufgaben, bis die Konferenz zustande kommt, sondern in Verbindung mit dieser Konferenz alle Aufgaben erfüllen. (…)

5. »Der Heimatschutz hat immer den Gedanken vertreten, dass das Parteienwesen ungesund ist …« Die Heimwehr

Bundes-Polizeidirektion Salzburg, 17. Februar 1933 Zl. 22/33-res (120.301-33) Streng vertraulich Bericht über die Entwicklung und den gegenwärtigen Stand des Heimatschutzverbandes An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse Nr. 7. Landesleiter  : Dr.  Franz Hueber, Bundesminister a. D., Notar aus Mattsee, geb. 1894 …, Mattsee wohnhaft.118 Militärischer Leiter und Nachrichtendienst  : Oberst a. D. August Schad, geb. 1870 …, Salzburg, Reichenhallerstr. Nr. 12 wohnhaft. Stabsleiter  : Hauptmann a. D. Ernst Reichl, Geb. 1891 …, Salzburg, Lasserstr. Nr. 13 wohnhaft. 118 Franz Hueber (1894–1981), Dr. jur., studierte nach dem Besuch des Humanistischen Gymnasiums Rechtswissenschaft an der Universität Wien. Sein Studium wurde durch die Teilnahme am Ersten Weltkrieg unterbrochen, in dem er als Oberleutnant diente. Nach Abschluss seines Studiums war er als Notariatsanwärter in Saalfelden und ab 1927 als Notar in Mattsee tätig. 1920 heiratete er Paula Göring und wurde damit Schwager von Hermann Göring. Als Mitglied der völkischen Turnerschaft schloss er sich 1919 der Heimwehrbewegung an und übte ab 1925 die Funktion des Zweiten Landesführers, ab 1929 jene des Landesführers aus. Vom 30. September bis 29. November 1930 war er Justizminister im Kabinett Vaugoin, vom 2. Dezember 1930 bis 30. Juli 1932 Abgeordneter des Heimatblockes zum Nationalrat, nach dem Rücktritt Ernst Rüdiger von Starhembergs Ende Jänner 1931 dessen Fraktionsführer. Am 2. August legte er sein Nationalratsmandat nieder, um über seinen Nachfolger August Elshuber eine Mehrheit für die Annahme der Lausanner Anleihe zu ermöglichen. Er war im »Deutsch-sozialen Volksbund« sowie in der »Nationalen Aktion« von Anton Reinthaller engagiert, trat am 28. Juni 1933 aus der Heimwehr aus und 1934 der NSDAP bei. Nach dem Anschluss wurde er vom 11. März bis 24. Mai 1938 Justizminister im kurzlebigen Kabinett von Arthur Seyß-Inquart und nach der Reichstagswahl im April 1938 Angeordneter zum Reichstag. Ab April 1939 war er Unterstaatssekretär im Reichsministerium für Justiz, leistete 1940 bis 1942 Kriegsdienst und wurde im Dezember 1942 Präsident des Reichsverwaltungsgerichtes. In der SA bekleidete er den Rang eines Brigadeführers. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erfolgte seine Internierung als Kriegsverbrecher. 1948 wegen Hochverrates zu 18 Jahren Kerker verurteilt, wurde er bereits im Dezember 1950 bedingt entlassen und war anschließend als Kaufmann in der Privatwirtschaft sowie als Gauobmann des Turnerbundes tätig.

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Die im Frühjahr 1932 eingeleitete Werbeaktion im Lande Salzburg scheint nicht den von der Partei119 erhofften Erfolg erzielt zu haben. Erst in der letzten Zeit ist der Heimatschutz im Lande Salzburg wieder in Konsolidierung begriffen. Der für den Herbst geplante Aufmarsch in Bischofshofen ist unterblieben. Der eingeschriebene Mitgliederstand des Heimatschutzes beträgt ca. 1950 Personen. Der Stand der militärischen Formationen in Stadt und Land Salzburg beträgt 846 Mann. (…) Die derzeit geltenden Weisungen für die Führer, herausgegeben von Generalmajor a. D. Stadtgauführer Josef Ontl,120 sind folgende  : »Durch die verschiedensten Beobachtungen veranlasst, richte ich an die Führer nachfolgenden Appell  : Wir haben in den letzten Jahren einen äußerst schweren Kampf gegen fast alle Fronten geführt. Bedauerlicherweise mussten wir am heftigsten gerade gegen jene Verbände und Parteien ankämpfen, die am Heimatschutz das größte Interesse haben müssten. Dadurch litten unsere militärischen Formationen und es muss jetzt unsere erste Pflicht sein, mit dem Aufgebote unserer Kraft alles daran zu setzen, diese Mängel in unserer Formation und in allen Organisationen mit aller Energie auszumerzen. Wir verfügen zwar über den notwendigen Führerapparat, aber die Zusammenarbeit lässt vieles zu wünschen übrig. Es genügt nicht die Befolgung von Befehlen, sondern es muss jeder Führer initiativ am Ausbau mitarbeiten. Der verlangte Sinn für Aufopferung, die verlangte Pflichterfüllung, der Geist echter Kameradschaft, der Begriff militärischer Disziplin, Ordnung, Pünktlichkeit usw. sind nicht jedem Menschen eigen, sondern müssen durch alle Führer systematisch anerzogen und gepflegt werden. Jeder Führer muss selbst das Muster eines pflichtgetreuen Soldaten sein. (…) Es ruht … auf jedem Unterführer die moralische Verantwortung, alles daran zu setzen, die Disziplin, die Soldatentugenden bei seinen Untergebenen und Unterstellten zu heben und zu festigen und sie zu tüchtigen, verantwortungsfreudigen Vaterlandsverteidigern, wie es ein jeder Heimatschützer sein muss, zu erziehen. (…)«

119 Gemeint ist der Heimatblock. 120 Josef Ontl (1875–1943) war Leutnant im Infanterie Regiment 59, rüstete am Ende des Ersten Weltkrieges als Major ab und wurde von der Volkswehr und anschließend vom Bundesheer übernommen. 1924 zum Oberst befördert, wurde er 1928 als Titular-Generalmajor in den Ruhestand versetzt und 1931 Gaustadtführer des Salzburger Heimatschutzes.

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Polizeidirektion Salzburg, 29. Mai 1933 Zl. 4468/i präs. 29/V 1933 (165.006-33) Betr.: Landesführertagung des Heimatschutzverbandes in Salzburg An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse Nr. 7. Am 28.5.1933 fand in Salzburg im Hotel »Bristol« die Landesführertagung des Heimatschutzverbandes statt, an der auch Bundesführer Rüdiger Starhemberg121 … teilnahm. (…) Um 20 Uhr fand ein Kameradschaftsabend des Heimatschutzverbandes im Kurhause statt. Bereits um 19 Uhr gingen vor dem Kurhause auffallend viele mit Hakenkreuzabzeichen versehene Personen auf und ab, die sich jedoch keineswegs demonstrativ verhielten. Etwa um 19.45 Uhr setzte ein ziemlich dichter »Bummel« von Nationalsozialisten ein  ; es ergab sich sohin die Notwendigkeit, den Platz vor dem Kurhause zu räumen und abzuriegeln, um Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen des Heimatschutzverbandes und der NSDAP zu verhindern.122 121 Ernst Rüdiger (Fürst) Starhemberg (1899–1956) rückte nach der Kriegsmatura im Herbst 1917 zu den Dragonern ein, diente an der italienischen Front und erhielt die Große Silberne Tapferkeitsmedaille. 1918 als Fähnrich entlassen, stellte er im heimatlichen Oberösterreich eine Schutztruppe aus Gutsangestellten auf. 1920 inskribierte er Nationalökonomie an der Universität Innsbruck, diente 1921 im Verband des »Freikorps Oberland« in Oberschlesien, 1923 nahm er an Hitlers Marsch auf die Feldherrnhalle in München teil, diente anschließend sechs Monate bei der »Schwarzen Reichswehr« und kehrte 1926 nach Österreich zurück. Im November 1927 wurde er nach dem Tod seines Vaters Erbe des Familienbesitzes, 1929 Führer der Heimwehren in Oberösterreich und 1930 bis 1936 deren Bundesführer. Von September bis Anfang Dezember 1930 war er Innenminister in der Regierung Vaugoin, kandidierte bei der Nationalratswahl am 9. November 1930 für den sich als eigenständige Partei konstituierenden »Heimatblock« (die den Christlichsozialen nahestehenden Heimatschützer unter Emil Fey unterstützen hingegen die Christlichsoziale Partei) und war vom 2.12.1930 bis 30.1.1931 Abgeordneter zum Nationalrat. Nach dem 4. März 1933 unterstützte er den autoritären Kurs von Engelbert Dollfuß und dessen außenpolitische Orientierung an Italien. 1934 bis 1936 war er Vizekanzler, 1934/35 abwechselnd betraut mit der Leitung des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, für das Sicherheitswesen und die körperliche Ertüchtigung. 1933/34 war er stellvertretender Führer der Vaterländischen Front, vom Juli 1934 bis Mai 1936 deren Bundesführer. 1937 emigrierte er in die Schweiz, 1940 nach Frankreich und 1942 bis 1945 nach Südamerika. Sein Vermögen wurde 1938 von den Nationalsozialisten konfisziert. Seine Rückkehr nach Österreich 1952 sowie seine Bemühungen um Rückgabe des Vermögens lösten heftige innenpolitische Turbulenzen aus. (Zu Starhemberg vgl. Ernst Rüdiger Starhemberg  : Memoiren. – Wien 1971  ; Barbara Berger  : Ernst Rüdiger Starhemberg. Versuch einer Biographie. Phil. Diss. – Wien 1973  ; Ludwig Jedlicka  : Ernst Rüdiger Starhemberg und die politische Entwicklung in Österreich im Frühjahr 1938. – In  : Ders.; Neck (Hg.)  : Vom Justizpalast zum Heldenplatz. S. 174–182  ; Wiltschegg  : Die Heimwehr. S.  198 ff.; Gundula Walterskirchen  : Starhemberg oder Die Spuren der »30er Jahre«. – Wien 2002.) 122 Am 29. Mai 1933 kam es zwischen Mitgliedern der Heimwehren und nationalsozialistischen Studen-

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Anlässlich der Platzräumung und Abriegelung wurde von einzelnen mit Hakenkreuzabzeichen versehenen Personen der Wache Widerstand entgegengesetzt und mussten 15 Anhaltungen vorgenommen werden (…) Um 22 Uhr marschierte eine Gruppe von Heimatschutzmitgliedern aus Morzg und Kleingmain von Salzburg ab. Da die Nachricht eingelangt war, dass diese Gruppe angeblich außerhalb des Stadtgebietes von politischen Gegnern überfallen werden sollte, wurde sie bis zur Stadtgrenze von Polizei und nach durchgeführter Verständigung im Bezirksbereiche von der Gendarmerie begleitet. (…) Polizeidirektion Salzburg, 12. August 1933 Zl. 120/33-res (199.082/33). Betr.: Heimatschutzverband Salzburg, vaterländische Kundgebung anlässlich der Anwesenheit des Sicherheitsministers Major Fey in Salzburg. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Die Bundes-Polizeidirektion beehrt sich, über den Verlauf der am 12.8.1933 um 19.30 Uhr in beiden Höfen des Erzstiftes St. Peter in Salzburg anlässlich der Anwesenheit des Sicherheitsministers Major Fey123 vom Heimatschutzverbande Salzburg veranstalteten vaterländischen Kundgebung, die ohne Zwischenfälle verlief, und die dabei gehaltenen Reden und Ansprachen wie folgend zu berichten  : ten in Innsbruck zu einer regelrechten Straßenschlacht, die 43 Verletzte forderte und erst durch den Einsatz des Bundesheeres beendet werden konnte. 123 Emil Fey (1886–1938) wurde 1908 Berufsoffizier, im 1. Weltkrieg schwer verwundet und erhielt 1916 den Maria-Theresien-Orden. Nach Teilnahme am Kärntner Abwehrkampf und einer Tätigkeit als Herausgeber der »Österreichischen Wehrzeitung« sowie als Direktor des Militärkasinos begann seine eigentliche Karriere 1927 mit der Gründung der »Wiener Heimwehr«. 1931 wurde er Landesführer des nunmehrigen »Wiener Heimatschutzes«, 1932 Staatsekretär und 1933 Minister für das Sicherheitswesen in der Regierung Dollfuß. In der Parlamentskrise des 4. März 1933 sah er die Chance, die Sozialdemokratie niederzuwerfen. Er spielte eine zentrale Rolle bei den Februarereignissen des Jahres 1934, verlor jedoch anschließend rasch an Einfluss. Seine Rolle beim NS-Putsch am 25. Juli 1934 ist nach wie vor unklar. Bundeskanzler Kurt Schuschnigg entledigte sich schließlich 1936 der rivalisierenden Heimwehrführer Fey und Starhemberg, Fey wurde Präsident des Verwaltungsrates der DDSG und spielte ab 1936 keine politische Rolle mehr. Im März 1938 beging er nach dem Anschluss und einer Einvernahme bei der Gestapo zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn Selbstmord. (Franz Oswald  : Die Stellung von Major a. D. Emil Fey in der Politik der Ersten Republik und des Ständestaates. Phil. Diss. – Wien 1964  ; Wiltschegg  : Die Heimwehr. S.  219 ff.; Georg J. E. Mautner Markhof  : Major Emil Fey. Heimwehrführer zwischen Bürgerkrieg, Dollfuß-Mord und Anschluss. – Graz/Stuttgart 2004.)

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Stadtgauführer des Heimatschutzverbandes, Generalmajor i. R. Josef Ontl, eröffnete die Kundgebung durch eine Begrüßung, in der er ausführte  : »Hochverehrter Herr Minister  ! Es ist mir eine Ehre und Freude, Sie heute in Salzburg begrüßen zu können, nicht nur als Sicherheitsminister, sondern auch als Landesführer des Heimatschutzverbandes Wien, ganz besonders aber als den Mann der Tat. Sie haben, Herr Minister, durch Ihre Energie, Ihre Konsequenz, Ihre Ausdauer und Ihr mutiges Eingreifen eine große Gefahr von Österreich abgewendet und es von unsauberen Elementen gesäubert. Ich bitte Sie, Herr Minister, versichert zu sein, dass wir immer und jederzeit hinter Ihnen stehen und dass wir Ihnen herzlich für alles danken, was Sie für Österreich getan haben. Es stehen vor Ihnen die Kompanien der Stadt Salzburg und Umgebung und bringe ich zur Kenntnis, dass in den nächsten Tagen weitere 21 Kompanien neu aufgestellt werden. Es sind dies lauter Freiwillige, die sich in den Dienst des Vaterlandes gestellt haben und für Ruhe und Ordnung eintreten. Der heutige Tag ist denkwürdig für die Geschichte des Salzburger Heimatschutzes und jeder Einzelne ist stolz, Sie, Herr Minister, persönlich kennen zu lernen.« Nach Abschreiten der Kompaniefronten hielt Sicherheitsminister Major a. D. Emil Fey folgende Ansprache  : »Kameraden, liebe Salzburger, liebe Salzburgerinnen  ! Der militärische Leiter des Salzburger Heimatschutzverbandes, Kamerad Oberst Schad, hat mir heute hier die ersten zwei oder drei Kompanien vorgestellt, die hier zur Musterung für das freiwillige Schutzkorps gestellt sind. Nachdem mich eine Inspektionsreise nach Salzburg geführt hat, habe ich der Einladung gerne Folge geleistet, um hier mit eigenen Augen die Lage zu sehen. Schon die Tatsache, dass freiwillige Formationen – Schutzkorps – in den Dienst gestellt werden, kennzeichnet die heutige Lage. Österreich steht in seinem schweren Existenzkampf, der nach mehreren Fronten geführt werden muss. Hier muss ich zurückgreifen in die Vergangenheit der letzten Jahre. Nach dem Umsturze, zertrümmert, auf den Kopf gestellt, in den Schmutz gezogen, was uns heilig gegolten  ; es war eine neue Zeit, eine neue Ordnung angebrochen. Apostel zogen im Land umher und predigten die Heilslehre vom Bolschewismus und versprachen dem Volk das Blaue vom Himmel. Sie versprachen ihm ein schönes Leben mit möglichst wenig Arbeit und möglichst hohem Einkommen. Und in dieser Not, Erbitterung und Enttäuschung fanden sich viele Volksgenossen, die diesen Aposteln glaubten, ihnen Gefolgschaft leisteten und diesen die Macht in die Hand gaben. Sehr bald schon musste man erkennen, dass es nicht der Himmel auf Erden war, sondern dass wir immer mehr ins Unglück und Elend hineingezogen wurden. In politischer Hinsicht glaubte jeder tun zu können, was er wollte, und auf wirtschaftlichem Gebiete wurden Sanierungsversuche gemacht, Milliarden Volksvermögen verpulvert und die Arbeitslosigkeit stieg ins Unermessliche – es schien, also ob es kein Aufhalten mehr gäbe.

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Nach außen hin sind Regierungen ins Amt getreten, die diesen marxistischen Lehren ferne gestanden sind, sie haben aber nicht die Kraft und den Mut gefunden, dieses Übel wirklich zu bekämpfen, und so war es vor einem Jahre noch möglich, dass trotz scheinbarer Konsolidierung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Marxismus herrschte. Von dem Rückschlag, den der Marxismus nach dem Jahre 1927 erlitten hatte, konnte er sich bald wieder erholen (…) Und so fand die Regierung eine denkbar ungünstige Situation vor, die Kassen waren leer, die Arbeitslosigkeit war aufs höchste gestiegen und die Unverschämtheiten der Marxisten fanden keine Grenzen. Bei jeder Gelegenheit wurde mit Streiks und Brachialmitteln gedroht. Als damals der Herr Bundespräsident124 den jetzigen Bundeskanzler Dr. Dollfuß125 mit der Bildung der Regierung betraute, ha hätte er wohl keinen Besseren finden können, einen Mann mit reinem Herzen, glühender Vaterlandsliebe, der im Kriege stand und der bekannt hat, dass jetzt die Zeit ist, wo man nicht mit abgebrauchten Mitteln helfen kann und nur positive Arbeit leisten muss  ; wenn alle vaterländisch Gesinnten treu zusammenhalten, ist es nicht notwendig, dass eine Regierung nach dem Wahlproporz gebildet wird, sondern dass Männer hineinkommen, die gewillt sind zu arbeiten, sich zu opfern und zu helfen. In dieser Erkenntnis ist er an den Heimatschutz herangetreten, der bisher regierungsabseits gestanden ist. Der Heimatschutz hat immer den Gedanken vertreten, dass das Parteienwesen ungesund ist, dass Reformen geschaffen werden müssen, dass ein neuer Aufbau des Staates erfolgen muss und zwar auf ständischer Grundlage mit dem Gedanken der Wehrhaftigkeit. Weil der Heimatschutz erkannt hat, dass Dr. Dollfuß diese Gedanken in Wirklichkeit umsetzen will, hat er freudig zugesagt und in die dargebotene Hand eingeschla124 Wilhelm Miklas. 125 Engelbert Dollfuß (1892–1934) besuchte nach der Matura im bischöflichen Knabenseminar in Hollabrunn kurz das Priesterseminar, studierte dann an der Universität Wien Rechtswissenschaft, rückte im 1. Weltkrieg ein und setzte nach dessen Ende sein Studium fort, das er 1923 mit der Promotion zum Dr. jur. abschloss. 1920 ermöglichte ihm der niederösterreichische Bauernbund ein Studienjahr in Berlin. Nach seiner Rückkehr wurde er Sekretär des niederösterreichischen Bauernbundes und 1927 Kammeramtsdirektor der niederösterreichischen Landwirtschaftskammer. Er galt als hervorragender Agrarpolitiker, der durch die Einführung der Marktordnungsgesetze europäische Maßstäbe setzte. 1931 wurde er Landwirtschaftsminister, 1932 als Kompromisskandidat Bundeskanzler, nach der Parlamentskrise vom 4. März 1933 führte er einen Zweifronten-Krieg gegen die Sozialdemokratie und die NSDAP, kreierte die »Vaterländische Front« als neue Einheitspartei der von ihm angestrebten ständestaatlichen Ordnung, die am 1. Mai 1934 durch eine neue Verfassung ins Leben gerufen wurde. Er fiel dem NS-Putsch am 25. Juli 1934 zum Opfer. (Gordon Shepherd  : Engelbert Dollfuß. – Graz/Wien/Köln 1961  ; Gerhard Jagschitz  : Engelbert Dollfuß. – In  : Weissensteiner, Weinzierl (Hg.)  : Die österreichischen Bundeskanzler. S. 190–217  ; James William Miller  : Engelbert Dollfuß als Agrarfachmann. – Wien 1989  ; Gundula Walterskirchen  : Engelbert Dollfuß. Arbeitermörder oder Heldenkanzler. – Wien 2004.)

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gen. Obwohl dieser Schritt des Heimatschutzes in manchen Kreisen der Bevölkerung, aber auch in den eigenen Reihen, teilweise nicht verstanden wurde, hat sich der gesunde Gedanke doch durchgerungen. Doch die Erschütterungen sind bald überwunden worden. Ich habe vor einigen Tagen ganz Steiermark bereist … und habe nicht nur Inspizierungen durchgeführt, sondern auch mit Freude beobachtet und konstatieren können, dass das, was früher als Steirischer Heimatschutz schlechter Prägung bezeichnet werden konnte,126 nunmehr verschwunden ist und einer neuer Österreichischer Heimatschutz entstanden ist  ; heute stehen in Steiermark viele tausende Kameraden in fester Treue zu unserem Bundesführer. Es war gut, dass dem so war, denn durch diese Zusammenarbeit aller positiver Vaterlandskräfte war es dem Bundeskanzler tatsächlich möglich, ein tüchtiges Stück Arbeit zu leisten, das man nur versteht und würdigen kann, wenn man ein wenig in die Vergangenheit zurückblickt. (…) Die Regierung und der Herr Bundeskanzler haben erkannt, dass vor allem auf wirtschaftlichem Gebiete geholfen werden muss, und wenn auch noch nicht alles gut geworden ist, eines ist gewiss geschehen, wir haben wieder festen Boden unter den Füßen gewonnen. Denn, wenn Sie daran denken, dass diese Regierung weniger als nichts vorgefunden hat – nur leere Kassen, Not und Elend und Arbeitslosigkeit, wenn Sie sich das vor Augen halten, müssen Sie zugeben, dass Arbeit geleistet wurde. Es ist gelungen, einem Problem nahe zu treten, dem Problem der Arbeitslosigkeit durch Einführung der Arbeitsbeschaffung und Arbeitsdienstpflicht. Es stehen Tausende von Arbeitslosen in Tätigkeit und wenn dies auch vorläufig nur ein kleiner Teil des großen Heeres der Arbeitslosen ist, kann man auch hier sagen, es ist der Anfang des Weges nach aufwärts.127 126 Gemeint ist der auf Grund seines Bündnisses mit der NSDAP am 19. Juni 1933 verbotene Steirische Heimatschutz unter Konstantin Kammerhofer. 127 1932, das erste Jahr der Kanzlerschaft von Dollfuß, war ein außerordentliches Krisenjahr. Zu der bereits seit 1930 deutlich spürbaren wirtschaftlichen Rezession gesellte sich noch die Krise der CA, deren Verluste sich auf die Hälfte des Staatsbudgets beliefen. Die Bank war zu groß und zu bedeutend, um einfach in die Insolvenz geschickt zu werden. Sie musste daher gerettet werden. Die CA wurde durch die Übernahme des Großteils der Wechselschuld in der Höhe von etwas mehr als 880 Millionen Schilling de facto verstaatlicht. 1933 gerieten auch der Wiener Bankverein und die Niederösterreichische Escomptegesellschaft in die Krise und mussten mit Staatsgeldern gerettet werden. Österreich wendete zwischen 1931 und 1933 mehr als 1 Milliarde Schilling für die Bankenrettung auf. Hinzu trat die hohe Massenarbeitslosigkeit, die durch die dem damaligen finanzpolitischen Mainstream entsprechende restriktive Budgetpolitik noch verstärkt wurde. In dieser extrem angespannten Situation entschloss sich die Regierung Dollfuß zum Verlassen ihres bisherigen finanzpolitischen Kurses, indem sie die durch eine »Trefferanleihe« erzielten Einnahmen nicht nur für die Rückzahlung von Darlehen (Lausanner Anleihe) verwendete, sondern auch für ein Arbeitsbeschaffungsprogramm, mit dem vor allem Großprojekte im Straßenbau wie die Großglockner Hochalpenstraße, die Wiener Höhenstraße, die Packstraße, die Plöckenstraße oder der Bau der Reichsbrücke in Wien fi-

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Zu Beginn des heurigen Sommers setzte der Fremdenverkehr wegen der TausendMark-Sperre, die in Deutschland eingeführt wurde, nicht so ein wie in den früheren Jahren. Doch ist dies mehr auf die allgemeine schlechte Wirtschaftslage zurückzuführen, da auch die Schweiz, Italien, die Tschechoslowakei und andere Länder fast keinen Besuch aus Deutschland aufzuweisen haben. In Österreich hat die Regierung durch eine großzügige Fremdenverkehrspropaganda eingegriffen. Ich habe mit Freude konstatiert, dass in den verschiedenen Sommerfrischen der Fremdenverkehr ein ganz bedeutender ist und kaum gegen die früheren Jahre zurücksteht. Auch dieser Umstand trägt zur Förderung der Arbeitsbeschaffung bei. (…) Die Regierung war sich aber auch klar, dass ein solcher wirtschaftlicher Aufbau zur Vorbedingung hat, dass die Sicherheit im Staate unter allen Umständen gewährleistet sein muss und dass es notwendig ist, alle staatszerstörenden und -zersetzenden Elemente auszuschalten. Da damals die einzige Gefahr von den roten Bolschewiken ausgegangen ist, hat die Regierung den Kampf gegen diese eröffnet und ich brauche Ihnen keine Details zu erzählen, Sie brauchen nur die Augen aufzumachen und können feststellen, dass dieser Kampf mit Erfolg geführt wurde. Denn alle diese Herrschaften, die immer gedroht haben, sind verschwunden vom Schauplatz des Geschehens und klein geworden. Es ist der Schutzbund und die KPÖ. Wir wären heute schon in wirtschaftlicher und politischer Beziehung weiter, wenn nicht ein Ereignis eingetreten wäre, das man mit Bedauern erwähnt, denn in diesem schweren Kampfe, den die Regierung geführt hat, ist uns eine Partei in den Rücken gefallen, die sich immer vaterländisch und national genannt hat. Die Regierung hat dieser Partei gegenüber eine unendliche Geduld an den Tag gelegt, ich behaupte, nach meinem Geschmacke zu viel Geduld. Man hat aber immer geglaubt, dass diese Leute sich doch einmal besinnen und wenigstens etwas von ihren großen Worten in die Tat umsetzen werden. Der NSDAP hat es gefallen, eine Kampagne anzufangen und mit Mitteln zu arbeiten, die wir weder in Österreich noch in ganz Europa gewohnt sind. Sie haben nicht nur den Kampf gegen die Sicherheit der Person und die staatlichen Einrichtungen geführt, sondern sie haben die Wirtschaft des Staates angegriffen und die Verhängung der Tausend-Mark-Sperre gutgeheißen, die nur das Aushängeschild für die wirtschaftliche Not im Deutschen Reiche ist. Wir haben Dokumente in den Händen, dass es österreichische nationalsozialistische Führer waren, die durch ihre Agitation, durch ihre Einflussnahme bei den deutschen Reichsstellen erwirkt haben, dass diese Sperre durchgeführt wurde. … durch die Tausend-Mark-Sperre wollte man uns wirtschaftlich ruinieren. Es ist doppelt schmählich, dass so etwas möglich nanziert wurden. Die Projekte wurden durch einen ebenfalls neu eingeführten »Freiwilligen Arbeitsdienst« durchgeführt. Ein wesentlicher Punkt dieser Maßnahme bestand in der Nichtbeachtung der wirtschaftlichen Effizienz, d. h. die mit Aufträgen betrauten Firmen waren verpflichtet, möglichst viele Arbeiten in Handarbeit zu erledigen, um so die Arbeitslosenrate zu senken.

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ist von einem stammverwandten Volk, bloß weil einige Wahnsinnige, die jetzt die Macht in Händen haben, es wollen. (…) Wir haben bewiesen, dass wir trotzdem imstande sind, uns selbst zu helfen, wenn wir nur wollen. Wir werden uns auch auf allen anderen Gebieten zu helfen wissen. (…) Es wird sehr häufig die Frage aufgeworfen  : Wird diese Regierung durchhalten oder wird in 14 Tagen oder drei Wochen ein Umschwung kommen und eine Gleichschaltung eintreten  ? Wir werden durchhalten  ! (…) Landesgendarmeriekommando Salzburg, 14. August 1933 Radiodepesche (199.367/33) An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Am 13.8.1933 um 11.15 Uhr traf Sicherheitsminister Major a. D. Emil Fey im Beisein des Sicherheitsdirektors General Wimmer und des Landesgendarmeriekommandanten Wilhelm May und einigen Heimwehrfunktionären in Zell am See ein. Er wurde beim Pinzgauerhof (Stadteingang) von Herrn Landeshauptmann Dr. Rehrl128, Bezirkshauptmann Dr. Hanifle129 und Heimwehrführer Haslinger130 empfangen und 128 Franz Rehrl (1890–1947) studierte nach der Matura am Staatsgymnasium in Salzburg 1910 bis 1915 Rechtswissenschaften an der Universität Wien und promovierte 1915 zum Dr. jur. Im selben Jahr trat er in den Salzburger Landesdienst ein und wurde 1917 Sekretär von Landeshauptmann Alois Winkler. 1918 bis 1919 war er christlichsoziales Mitglied der Provisorischen Landesversammlung, 1919 bis 1922 Abgeordneter zum Konstituierenden Landtag, 1922 bis 1934 Abgeordneter zum Landtag, 1919–1922 Landeshauptmann-Stellvertreter, 1922 bis 1938 Landeshauptmann, 1938 Landesführer der Vaterländischen Front. 1938 wurde er verhaftet und erhielt Gauverweis, kehrte 1939 nach Salzburg zurück und wurde 1944 neuerlich verhaftet und in das KZ Ravensbrück gebracht. 1945 erfolgte seine Rückkehr nach Salzburg. (Huber (Hg.)  : Franz Rehrl.) 129 Rudolf Hanifle (1893–1973), Dr. jur., war Beamter bei der Salzburger Landesregierung, 1931 bis 1938 Bezirkshauptmann des Pinzgaus in Zell am See, wurde nach dem Anschluss 1938 abgesetzt, jedoch in nicht leitender Stelle weiter beschäftigt, 1939 bis 1941 nach Breslau und anschließend nach Salzburg rückversetzt. Er weigerte sich, der NSDAP beizutreten, und wurde zusammen mit seiner Frau nach dem fehlgeschlagenen Attentat auf Hitler (20. Juli 1944) verhaftet und von einem Volksgericht wegen Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde schließlich in 7 Jahre Zuchthaus umgewandelt. Er überstand 1945 einen Todesmarsch in das KZ Dachau, übernahm 1945 die Leitung der Abteilung II (Schule und Kultur) des Amtes der Salzburger Landesregierung und war 1951 bis 1959 Landesamtsdirektor. 130 Michael Haslinger (1906–1998) war nach der Absolvierung der Bürgerschule in Saalfelden 1921 Praktikant bei den Österreichischen Bundesforsten, besuchte 1923/24 die Försterschule in Gmunden und absolvierte 1924 die Staatsprüfung als Förster. 1924 bis 1938 wirkte er als Förster in Lofer und Zell am See, war Gauführer der Heimwehr im Pinzgau, 1938 bis 1942 Buchhalter in der Privatwirtschaft und leistete 1942 bis 1945 Kriegsdienst. 1945 wurde er Leiter des Wirtschaftsamtes bei der Be-

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von dort zum Stadtplatz begleitet. Am Stadtplatz selbst hat Oberinspektor Franz Walter mit einem aus 24 Beamten bestehenden Gendarmeriezug in Marschadjustierung mit Stahlhelm Aufstellung genommen. Hinter dem Gendarmeriezug haben sich ca. 300 Heimwehrmänner aus Rauris, Embach, Bruck, Zell am See, Thumersbach, Stuhlfelden, Saalfelden, Leogang, Lofer und Saalbach in Zügen formiert. Am rechten Rand stand die Deutschmeisterkapelle (…) Nach einer Begrüßungsansprache hielt der Herr Sicherheitsminister an die angerückten Formationen und die übrigen zahlreich versammelten Ortsangehörigen und Sommergäste eine vom vaterländischen Geiste und tiefer Liebe zum Vaterlande erfüllte Ansprache, die einen Zeitraum von ca. 1 Stunde in Anspruch nahm. Es waren am Stadtplatze ca. 1000 Personen anwesend und auch die Fenster der am Stadtplatz gelegenen Häuser von Zuhörern voll besetzt. Die Rede des Herrn Sicherheitsministers hat beim anwesenden Publikum wiederholt helle Begeisterung hervorgerufen und der Herr Sicherheitsminister war durch stürmischen Beifall oft genötigt, die Rede zu unterbrechen. (…) Flugblatt des Salzburger Heimatschutzes vom 8. Februar 1934 mit jenen Forderungen, die von einer Delegation des Heimatschutzes dem Landeshauptmann-Stellvertreter Michael Neureiter, der den abwesenden Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl vertrat, übergeben wurden. Salzburger  ! Die Führer des Salzburger Heimatschutzverbandes haben heute der Landesregierung das nachstehende, an den abwesenden Herrn Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl gerichtete Schreiben überreicht  : »Die politische Hochspannung, die seit Monaten über ganz Österreich lastet, hat in Salzburg als Grenzland nachgerade ein unerträgliches Ausmaß angenommen. Dass es zu derart empörenden Formen des innerpolitischen Kampfes kommen konnte, hat seinen Grund nicht zuletzt in der wachsenden Enttäuschung und Erbitterung der Bevölkerung darüber, dass die klaren und eindeutigen Erklärungen, die der Herr Bundeskanzler Dr. Dollfuß in seiner Rede vom 11. September 1933 als Richtlinien seiner Innenpolitik abgegeben hat, bisher in keiner Weise Verwirklichung gefunden haben.

zirkshauptmannschaft Zell am See, legte 1952 die Prüfung als Steuerberater und beeideter Buchprüfer ab, war 1948 bis 1961 Bezirksobmann des Österreichischen Wirtschaftsbundes im Pinzgau, 1945 bis 1949 Gemeinderat und 1949 bis 1952 Stadtrat von Zell am See, 1952 bis 1961, 1963 bis 1964 und 1969 Abgeordneter der ÖVP zum Salzburger Landtag, 1961 bis 1963 Landesrat und 1963 bis 1973 Landeshauptmann-Stellvertreter. (Michael Haslinger  : Ein Leben für Salzburg. Hg. v. d. Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Salzburg. – Salzburg 1971.)

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Die Worte des Kanzlers  : »D i e Z e i t d e r P a r t e i e n h e r r s c h a f t i s t v o r ü b e r   ! W i r w o l l e n d e n sozialen, christlichen, deutschen Staat Österreich auf ständis c h e r G r u n d l a g e , u n t e r s t a r k e r a u t o r i t ä r e r F ü h r u n g   ! « waren vor fünf Monaten für hunderttausende vaterlandstreue Österreicher in Wahrheit Worte der Erlösung, weil sie dem politischen Empfinden der ganzen Bevölkerung klaren Ausdruck gegeben haben. Umso größer sind heute Enttäuschung und Erbitterung darüber, dass die Durchführung dieses Kernpunktes des politischen Konzeptes der Bundesregierung immer offenkundiger von gewissen Kreisen hintertrieben und sabotiert wird. In der Erkenntnis, dass nur eine sofortige und restlose Durchführung dieses Kanzlerwortes unserem Heimatlande Salzburg und überhaupt ganz Österreich die heiß ersehnte politische Befriedigung bringen kann, richtet die gesamte Führerschaft des Salzburger Heimatschutzes im Namen der ganzen heimattreuen Bevölkerung an Sie, sehr verehrter Herr Landeshauptmann, das Verlangen  : i m L a n d e S a l z b u r g u n v e r z ü g l i c h a l l e Vo r a u s s e t z u n g e n f ü r d i e r a s c h e s t e Ve r w i r k l i c h u n g d e s m i t o b i g e n Wo r t e n z u m A u s d r u c k gebrachten Willens des Kanzlers zu schaffen. Zur Erreichung dieses Zieles fordern wir  : 1. die Einsetzung eines parteiunabhängigen, ehrenamtlichen Beirates zur Landesregierung, bestehend aus je drei Vertretern des Heimatschutzes und der Vaterländischen Front  ; 2. die Zuteilung eines Funktionärs des Salzburger Heimatschutzes zu jeder Bezirkshauptmannschaft  : 3. die Einsetzung von Regierungskommissären in allen Gemeinden, die politisch besonders belastet sind, im Einvernehmen mit dem zu schaffenden Beirat  ; 4. die Ergreifung besonderer Maßnahmen zum Schutze und zur Förderung der Wirtschaft, im Besonderen Unterbindung bzw. schärfste Ahndung der planmäßigen Störung des Fremdenverkehres, der Haupteinnahmequelle unseres Landes  ; 5. die Einsetzung eines Vertrauensmannes des Heimatschutzes zur Säuberung von Ämtern und Schulen von Staatsfeinden, soweit die Landesregierung darauf Einfluss hat  ; Wir ersuchen, diese fünf Punkte als vorläufige Forderungen zum Zwecke der ungesäumten Erfüllung unseres grundlegenden Verlangens nach Beseitigung jeder Parteiwirtschaft betrachten zu wollen und behalten uns die Vorbringung weiterer Wünsche durch unsere Vertreter in dem zu schaffenden Landesbeirat vor. Wir sind überzeugt davon, sehr geehrter Herr Landeshauptmann, dass Sie die Berechtigung und unbedingte Notwendigkeit unserer Forderungen ebenso anerkennen werden wie die gesamte heimattreue Bevölkerung, die endlich die erlösende Tat erwartet.«

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Volk von Salzburg  ! Wir rufen Dich in ernster Stunde  ! Stehe auf und stelle Dich hinter diese Forderungen, kämpfe mit uns zu Deinem und zum Wohle Deiner geliebten Heimat für den deutschen, christlichen und sozial gerechten Autoritätsstaat Österreich auf ständischer Grundlage  ! Salzburg, am 8. Februar 1934. Die Führer des Salzburger Heimatschutzes. Dem vorstehend mitgeteilten Schritt des Salzburger Heimatschutzes schließt sich die Landesleitung Salzburg der »Va t e r l ä n d i s c h e n F r o n t « restlos an  ! Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Salzburg, 11. Februar 1934. Zahl 356 (122.492/34). Betr.: Flugzettelpropaganda an der Österreichischen Bundesgrenze. An das Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit, Wien I, Herrengasse 7. Am 28.1.1934 nachmittags wurden von dem am Gendarmerieposten Wals zugeteilten Hilfsgendarmen Erwin Bergthaler im Raume zwischen Wartberg und Walserberg entlang der Bundesgrenze teils auf österreichischem und teils auf bayerischem Boden ca. 25 Stück Flugzettel gefunden, auf welchen ein vom gewesenen Heimatschutzführer Dr. Alberti an die Kameraden des Niederösterreichischen Heimatschutzes angeblich ergangener Aufruf widergegeben ist.131 131 Nach der Absage des geplanten Gespräches von Dollfuß mit Habicht in letzter Minute vor allem auf Druck von Starhemberg, der eine Ausschaltung der Heimwehr durch die NSDAP befürchtete, sprach sich am 11. Jänner eine Führertagung der Heimwehr in Wien gegen jede Verhandlung mit den Nationalsozialisten aus. Bereits wenige Stunden später platzte eine politische Bombe, als Polizeipräsident Michael Skubl den niederösterreichischen Landesleiter der Heimwehr, Dr. Albrecht Al­ berti,verhaftete, der über Vermittlung seines politischen Referenten Dr. Fritz Flor in der Wohnung des ehemaligen Wiener NS-Gauleiters Alfred Eduard Frauenfeld mit dem ehemaligen Bundesrat Franz Schattenfroh, der als Stellvertreter Habichts galt, und dem Erbprinzen Josias Waldeck-Pyrmont, einem prominenten SS-Führer, zu Geheimgesprächen zusammengetroffen war. Starhemberg eröffnete Alberti, dieser möge seine Position als Landesleiter zurücklegen und abwarten, bis Gras über die Sache gewachsen sei. Alberti folgte diesem Rat und behauptete, im Einvernehmen mit Starhemberg gehandelt und diesen auch von dem Treffen brieflich informiert zu haben, doch sei der Brief zu spät zugestellt worden. Starhemberg bestritt diese Version und berief eine Sitzung aller niederösterreichischen Gauführer der Heimwehr ein, bei der Alberti als Landesführer, Architekt Hermann Kubacsek als sein Stellvertreter und der Aspanger Gauführer Hans Auerböck offiziell ihrer Positionen für verlustig erklärt wurden. Alberti wurde am 18. Jänner verhaftet und in das Anhaltelager Wöllersdorf eingeliefert, jedoch bereits am 1. Mai wieder entlassen. Starhemberg übernahm nunmehr

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Die Flugzettel waren größtenteils an Bäumen entlang des Weges der Bundesgrenze aufgehängt und teilweise am Boden verstreut und dürften zu diesem Zweck dort hingegeben worden sein, damit sie von den hiesigen Hilfsgendarmen,132 die den betreffenden Weg täglich passieren, gelesen werden. (…) Heimatschützer, herhören  ! Wie die »Correspondenz Herzog« erfährt, hat der gewesene Landesführer des Niederösterreichischen Heimatschutzes Dr.  Alberti an die Kameraden des Niederösterreichischen Heimatschutzes einen Aufruf erlassen, in dem es u. a. heißt  : Der Befehl und Aufruf des Bundesführers vom 16. d. zwingt mich, zur Verteidigung meiner politischen Ehre zu Euch zu sprechen. Man wirft mir nichts weniger als Verrat vor. Der Bundesführer selbst ist es, der durch seinen Aufruf entgegen seiner Stellungnahme anlässlich der Zurücklegung meiner Führerstelle jetzt diesen Vorwurf erhebt und in die Öffentlichkeit trägt. Obwohl ich mich vollkommen schuldlos fühle, habe ich es anlässlich der Zurücklegung meiner Führerstelle auf mich genommen, vor der gesamten Öffentlichkeit als auch die Führung der niederösterreichischen Heimwehr, nachdem er bereits 1933 jene der Salzburger Heimwehr übernommen hatte. Geschäftsführender Stellvertreter in Niederösterreich wurde Eduard Baar-Baarenfels. Nachdem sich Alberti von Starhemberg getäuscht sah, veröffentlichte er am 16. Jänner seine Version, in der er sich für völlig unschuldig erklärte. Die Publikation dieser Version durch die NSDAP war ein geschickter Propagandazug, da sie damit einen Keil in die Heimwehr zu treiben versuchte. Graf Peter Revertera, der Vertraute Starhembergs, schrieb am 20. Jänner 1934 in einem Brief an seinen Vater  : »Die Stimmung im Land wird immer kritischer und kein Mensch glaubt mehr recht an die Energie und Willenskraft von Dollfuß, die Entscheidung wirklich mit aller Energie durchzukämpfen. Daher ist die Heimwehr das einzige, auf das man noch baut. Wir stehen vor ernsten Ereignissen, da die Nazis jetzt auf der ganzen Linie zur Offensive übergegangen sind und wir alles einsetzen müssen, um ihrer Herr zu werden. Das geht natürlich nur, wenn der autoritäre Kurs rücksichtslos durchgeführt wird. (…) Umso bedauerlicher ist es, dass gerade jetzt Alberti diese Schweinerei begangen hat und mit den Nazis packelt. Er sitzt bereits in Wöllersdorf mit seinen Freunden und der Niederösterreichische Heimatschutz hat sich mit ganz wenigen Ausnahmen rückhaltlos hinter Ernst und uns gestellt.« (Zit. bei Walterskirchen  : Starhemberg. S. 177 f.) Albrecht Graf Alberti von Enno (1889–1963) entstammte einer alten Offiziersfamilie aus italienischem Adel, leistete als Oberleutnant der Reserve Kriegsdienst im 1. Weltkrieg, war bekennender Monarchist, Rechtsanwalt in Amstetten und dort auch christlichsozialer Gemeinderat und Stadtrat. 1929 wurde er Gauführer der Heimwehr in Amstetten, 1930 Landesführer des Starhemberg-Flügels der niederösterreichischen Heimwehr und 1931 aus der Christlichsozialen Partei ausgeschlossen. Nach seiner Freilassung aus Wöllersdorf wurde er 1937 von einem Ehrenrat der Österreichischen Offiziersvereinigung entlastet, bekannte sich 1938 zur NSDAP und lebte ab 1945 in Klagenfurt. Er wurde Gründungsmitglied des WdU und Landtagsabgeordneter im Kärntner Landtag. (Wiltschegg  : Die Heimwehr. S. 79 f.; Höbelt  : Die Heimwehren und die österreichische Politik 1927– 1936. S. 300 f.) 132 Die Hilfsgendarmen entstammten dem Freiwilligen Assistenzkorps, das zum Großteil aus Angehörigen der Heimwehr bestand.

Die Heimwehr

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Verräter dazustehen, da die Öffentlichkeit die Zurücklegung als Schuldbekenntnis auffassen musste, und habe gemeinsam mit Kamerad Kubacsek dem Bundesführer gegenüber die Verpflichtung übernommen, das Land Niederösterreich ohne Erschütterung durch diese Krise durchzuführen. Die Zurücklegung meiner Stelle als Landesführer ist nicht deshalb erfolgt, weil ich mir irgendeiner Schuld bewusst war, sondern nur wegen der Tatsache meiner erfolgten Verhaftung neben Frauenfeld, um dadurch dem Heimatschutze, den Kameraden der anderen Länder und dem Bundesführer die entstandene Lage zu erleichtern. Jetzt aber zwingt mich der Bundesführer zum Schutze meiner Ehre und meines Namens, nicht mehr zu schweigen, sondern mich ebenso öffentlich und rückhaltlos zu äußern. Der Bundesführer stellt es so dar, als ob er nur mit Rücksicht auf meine Person vor den Gauführern für mich eingetreten sei. Da ich nichts Unehrenhaftes getan habe, ist die Berufung auf die Rücksicht für meine Person unrichtig. Bevor ich in der Nacht vom 12. auf den 13. zu der ganz überraschend festgelegten Zusammenkunft mit dem Erbprinzen Waldeck ging, wurde dies mit einem Schreiben dem Bundesführer mitgeteilt, der dasselbe allerdings erst verspätet erhielt. Irgendeine Absicht, durch diese Besprechung hinter dem Rücken des Bundesführers etwas zu unternehmen, kann darin umso weniger und deshalb nicht gesehen werden, weil ich bereits seit einiger Zeit die Fühlungnahme mit den Nationalsozialisten mit Willen und Billigung des Bundesführers aufgenommen habe und dem Bundesführer darüber jeweils berichtete. Um den Verband durch diese Krise geschlossen zu führen, musste wenigstens dem engsten Führerkreise die Wahrheit mitgeteilt werden, was Landesführer Kamerad Kubacsek in einer vertraulichen Mitteilung an die Bezirksführer tat. Aber auch ich hatte zumindest das Recht, dass vor dem engsten Kreise der Führerkameraden meine Ehre verteidigt werde. Ich habe dem Bundesführer gegenüber auch erklärt, dass ich weiterhin die Bezirksführerstelle von Amstetten behalte, worauf er nur erwiderte, ich solle mich in den ersten vierzehn Tagen so verhalten, dass es nicht heiße, das Ganze sei nur eine Formsache. Ich habe auch seit dem 12. Jänner keine andere Tätigkeit ausgeübt als die, die mit meiner Bezirksführerstelle von Amstetten verbunden ist. Ohne mir die Gründe der Änderung seines Standpunktes mitzuteilen, übergab mir der Bundesführer am 16. nachmittags den Aufruf und den Befehl. Es entzieht sich daher vollkommen meiner Kenntnisnahme, auf Grund welcher Mitteilungen oder Einflüsse der Bundesführer seine Ansicht, die er noch bei der Gauführertagung am 13. d. abends vertreten hat, änderte. J e d e n f a l l s w e i s e i c h a l l e i n d i e s e m A u f r u f e u n d B e f e h l m i r g e m a c h t e n Vo r w ü r f e u n d Ve r d ä c h t i g u n g e n a l s u n r i c h t i g z u r ü c k . Die Zurücklegung meiner Stelle als Landesführer erfolgte auf Grund der Annahme, dass zwischen dem Bundesführer und mir volle

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Der Heimatschutz

Klarheit und volles Einverständnis herrsche. Da der Bundesführer nunmehr eine Schuld von mir behauptet, fällt der Grund für eine Zurücklegung meiner Stelle so lange weg, als diese Schuld nicht bewiesen ist. Ich verlange daher die sofortige Einleitung der mir bereits zugesagten Untersuchung durch eine Kommission niederösterreichischer Führer. Die Untersuchung wird meine Schuldlosigkeit beweisen. Bin ich ein Verräter, dann kann man mich verstoßen, wenn aber nicht, dann muss meine Ehre vor aller Öffentlichkeit Genugtuung erfahren. Mein Gewissen ist rein, ich habe dem Bundesführer bis heute die Treue gehalten. Niemals habe ich etwas unternommen oder eingeleitet, um den Heimatschutz Niederösterreich an die Nationalsozialisten auszuliefern. All mein Handeln und meine Politik war nur darauf gerichtet, den Verband stark und geschlossen zu erhalten und dadurch die Voraussetzung zu schaffen für ein Einsetzen desselben zur Erkämpfung der fascistischen Erneuerung Österreichs.

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Abbildungsnachweis Salzburger Landtag  : 1 Stadtarchiv Salzburg, Fotosammlung Josef Kettenhuemer  : 2, 3, 4, 5, 6, 7, 15 Heimatschutz in Österreich/Wien 1934  : 10, 11, 12, 13 Karl Steinocher Fonds/Stadtarchiv Salzburg  : 14, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 25 Von der Monarchie zum Anschluss. Ein Lesebuch zur Geschichte Salzburgs  : 24 Salzburger Landesarchiv (SLA)  : 8, 9, 23

Personenregister A Adensammer, Ferdinand 339 Adler, Max 203 Adler, Victor 37, 268, 382 Aicher, Bernhard 295 Aigner, Josef 31, 129, 188, 200 Alberti von Enno, Albert 186 – 190, 437, 438 Alvensleben, Werner Freiherr von 161 Amann, Max 46 Ankirchner, Sonderkommissär 275 Apor, Gábor 136 Auer, Georg 382 Auerböck, Hans 437 Austerlitz, Friedrich 30 B Baar-Baarenfels, Eduard 438 Baber, Otto 310 Bacher, Karl 338 Bachinger, Franz 147, 180, 265, 299 Bachinger, Wilibald 297 Barois, Armand-Jean-Julien 72 Bartel, August 297 Bauer, Otto 31, 75, 76, 89, 98 – 103, 119, 153 – 155, 195, 203 – 206, 267, 298, 376, 377, 413, 421 – 423 Beneš, Edvard 72, 168 Bergthaler, Erwin 437 Bernaschek, Richard 205, 206 Bernwieser, Alois 362 Bethlen, István 136 Blattl, Christian 292 Blomberg, Werner von 177 Bogenhuber, Gottfried 412 Bogsrucker, Alois 61 Boncour, Paul 178 Bormann, Martin 43 Brandl, Polizeipräsident 411 Braumüller-Tannbruck, Erich 34 Braunbock, Karl 382 Breitenfellner, Rudolf 382 Brettauer, Hugo 332 Briand, Aristide 71, 72 Bruckmüller, Ernst 68

Bruckmüller, Friedrich 329 Brüning, Heinrich 69, 120 Brunner, Alfred 44, 45 Buchleitner, Otto 309 Büchsner, Johann 401 Bülow, Bernhard Wilhelm von 165, 168, 177, 366 Buresch, Karl 79, 88, 89, 99, 101, 111, 120, 121, 133, 147, 153, 176, 184, 246, 252, 265, 266 Burschofsky, Ferdinand 37 C Cerruti, Vittorio 137, 138, 177 Chavanne, N.N. 388 Clausnitz, Kamilo 353 Clessin, Heinrich 22, 39, 83 Curtius, Julius 71 – 73 Czaika, August 345 Czaika, Karl 344, 345 Czermak, Emmerich 187, 194, 201, 336 D Daitz, Werner 151 Danneberg, Robert 75, 203 Deggendorfer, Theodor 401 Deisenberger, Rayonsinspektor 239 d’Elvert, Friedrich 227 Dertil, Rudolf 271, 277 Deutsch, Julius 35 Dewaty, Hubert 300 Dillersberger, Walter 260 Dimitrow, Georgi 423 Dinnebier, Rudolf 38 Dirnberger, Josef 240 Dollfuß, Engelbert 9 – 11, 65, 89, 94, 95, 99 – 101, 110 – 112, 115 – 119, 121, 124, 127 – 130, 132 – 141, 143 – 145, 151 – 154, 156 – 161, 163, 165 – 169, 172, 173, 176 – 192, 194, 195, 197, 198, 200 – 203, 205 – 207, 232, 240, 245, 246, 249, 253, 256, 262, 264 – 267, 271, 273, 278 – 280, 295 – 297, 299 – 303, 307, 312, 314, 315, 317, 330, 332 – 334, 341, 358 – 363, 366, 367, 369, 412, 422 – 424, 428, 429, 431, 432, 435, 437, 438

Personenregister Donat, Nikolaus 308 Drexler, Anton 40 – 42, 44 – 46, 452 E Eberl, Heinrich 325 Eberl, Karl 329 Ecker, Georg 339 Edelmayer, Rudolf 22 Egger, Lothar 164, 167 Ehringer, Johann 293 Eifler, Alexander 371, 372 Eisner, Kurt 47 Ellinger, Rudolf 401, 406 Elshuber, August 34, 426 Emminger, Karl 20, 34, 87, 126, 127, 149, 207, 221, 263, 368, 369, 374 Ender, Otto 30, 71, 166, 198, 200 Engl, Josef 326, 327 Epp, Ritter von 48 Ernst, Heinrich 240 Erzberger, Matthias 47 Escherich, Georg 27 Esser, Hermann 46, 50, 52 Esterbauer, Georg 228 Etter, Daniel 18, 28 Etter, Sepp 382 Eugen von Savoyen, Prinz 158

453

Franz Joseph I., Kaiser 325 François-Poncet, André 105, 178 Frauenfeld, Alfred Eduard 125, 146, 186, 189, 190, 224, 314, 361, 362, 437 Frauenfeld, Richard 362 Frey, Josef 25, 416 Frick, Hans 105, 183 Frisch, Johann 290, 291 Funder, Friedrich 23, 140 Funk, Anton 53 Fürnberg, Friedl 155

G Gaier, Otto 305 Garscha, Winfried 411 Gasser, Alois 297 Gassner, Georg 292 Gattermayer, Walter 37 Gföllner, Johannes Maria 302 Giesl, Hans 312 Gimmelsberger, Franz 296 Glas, Franz 299, 300 Glaser, Hans 22 Gleißner, Heinrich 181, 182, 266 Glöckl, Otto 75 Glück, Sturmführer 346 Goebbels, Joseph 80, 81, 92, 104, 105, 118, 177 – 179 F Goldscheid, Rudolf 24 Fagerer, Franz 401 Göllert, Gustav 297, 308 Faistauer, Kornelius 325 Gömbös, Gyula 151, 152, 166, 167 Feder, Gottfried 40, 46 Göring, Hermann 34, 48, 52, 82, 105, 138, 182, Feichtenschlager, Johann 401, 402 183, 289, 330, 426 Feichtner, Josef 297 Göring, Karin 52 Fellacher, Max 230 Göring, Paula 426 Ferdinand, Kaiser 325 Grebmaier, Ferdinand 369, 374 Fey, Emil 70, 100, 125, 147, 155, 158, 160, 173, Grill, Franz 370 175, 184 – 192, 205, 206, 246, 252, 264, 265, 273, Groener, Wilhelm 91 296, 299 – 301, 333, 340, 341, 363, 379, 390, 411, Grolich, Theodor 240 428 – 430, 434 Grosch, Herbert 297 Fiala, Gottlieb 416 Großpointner, Polizeimajor 383, 384 Fischer, Ernst 203, 423 Gruber, Alexander 297 Flor, Fritz 188 – 190, 437 Gruber, Friedrich 339 Foppa, Hermann 180 – 183 Gruber, Josef 181 Francesconi, Karl 339, 340 Guizot, François 411 Frank, Hans 65, 136, 137, 142 – 144 Gundlach, Gustav 267 Frank, Wilhelm 414 Günther, Johann 338

454 Gürtler, Alfred 134

Personenregister

Hochhuber, Revierinspektor 240 Hochleitner, Adolf 60, 294 H Höck, Johann 230 Habersatter, Alois 293 Hofer, Georg 309 Habicht, Theo 92, 111, 118, 132 – 134, 146, 161, Hoffmann, Alfred 52 165, 179 – 187, 189, 241 – 245, 314, 317, 332, 437 Hoffmann von Fallersleben, Heinrich 326 Hagleitner, Anna 295 Höfinger, Konrad 124 Hanfstaengl, Ernst 52 Hofmannsthal, Hugo von 9 Hangl, Gendarm 257 Hohenlohe, Prinz Max Egon von 179, 181 Hanifle, Rudolf 350, 434 Höhn, Georg 231 Hänisch, Dirk 85 Hollaus, Karl 402 Hanisch, Ernst 15 Hölzl, Alois 60 Hantsch, Bruno 159, 283, 338, 383 Holztrattner, Josef 297 Harand, Irene 79 Höpflinger, Ludwig 297, 346 Harrer, Karl 41, 42 Höpflinger, Rudolf 297, 346 Hasenauer, Bartholomäus 60 Hoppenrath, Theodor Karl 310 Haslinger, Michael 434 Hornbostel, Theodor 136, 165, 167, 180 – 182 Haushofer, Prof. 242 Horthy, Miklós 33 Hauthaler, Josef 28, 32, 87 Huber, Anton 274, 275 Haydn, Joseph 326 Huber, Franz 28, 82 Hayek, Friedrich 334 Huber, Josef 297 Hecht, Robert 148, 149, 200, 279 Huber, Marie 275 Hedrich, Friedrich 411 Hueber, Franz 34, 182, 183, 426 Heeren, Viktor von 165 Huemer, Peter 123 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 199 Hugenberg, Alfred 105 Heim, Heinrich 43 Hülgerth, Ludwig 31 Heines, Eduard 52 Heinzel, Franz 38 I Held, Heinrich 55 Ingomar, Oberpolizeirat 383 Hell, Ernst 338 Innerberger, Alois 381 Helmer, Oskar 205 Innerhofer, Johann 259 Henderson, Arthur 73 Itzinger, Karl 28 Herold, N.N. 95 Herz, Stefan 290, 291 J Heß, Rudolf 179, 180 Janek, Erich 310 Hindenburg, Paul von 80, 91, 92, 104, 106, 120, Jasny, Elise 352 142, 311 Jasny, Karl 293, 352, 353 Hintschich, Walter 382 Jawora, Josef 289 Hirsch, Ernst 180 Jawora, Josephine 289 Hitler, Adolf 9, 40 – 57, 64, 66 – 69, 77, 78, Jennewein, Anton 351 – 353 80, 81, 83, 87, 90 – 92, 104 – 109, 118, 119, Josef II., Kaiser 61 134 – 138, 143, 151, 152, 165, 168, 176 – 185, Jung, Rudolf 37, 38, 42, 44, 48, 51 187, 189 – 191, 228, 240, 242, 244, 246, 255, 258, 273, 282, 283, 289, 295 – 297, 302, 307, 308, K 310 – 312, 317, 319, 323, 324, 330, 332 – 335, Kahr, Gustav Ritter von 48, 52 338, 347, 348, 353, 361, 363, 364, 366 – 368, 412, Kalnoky, Constantine 240 Kalnoky, Gustav 240, 241 413, 428, 434

Personenregister Kammerhofer, Konstantin 94, 314, 318, 432 Kánya von Kánia, Baron Kálmán von 136, 178 Kanzler, Rudolf 27 Kappel, Sepp 382 Karger, Walter 389, 391, 392 Karl, Wilhelm 294, 297 Karwinsky, Carl Freiherr von 188, 265, 344, 379, 388 Kees, Karl 296 Keil, Wilhelm 401 Kelsen, Hans 195 Kemptner, N.N. 359 Kerber, Robert 147, 299, 300 Kern, Anton 382 Kernstock, Ottokar 326 Kerrl, Hanns 142 Khuen, Edmund 364 Kienzl, Wilhelm 325 Kiernbauer, Walter 297 Kirchmaier, Johann 293 Kittl, Felix 370 Klampferer, Johann 297 Klecander, Alexander 370 Kleesattel, Josef 353 Knaus, Fritz 324 Knilling, Eugen von 47, 53 Knirsch, Hans 38 Kohr, Leopold 284 Kolassa, Viktor 344 Kölbinger, Sepp 382 König, Albert 350, 353 – 355 König, Hedwig 354 Koplenig, Johann 155, 415, 416 Koppenwallner, Aloisia 288 Koppenwallner, Anton 288, 289 Koppenwallner, Paul 289 Koren, Leopold 278 Koweindl, Franz 87, 324, 325 Krabath, Jakob 278 Kranzinger, Josef 257 Kratochwil, Ing. 318 Kraupner, Heinrich 374 Krechler, Dr. 394 Krieger, Karl 22 Kronberger, Anton 325, 345 Kubacsek, Hermann 190, 437, 439 Kuenburg, Grafen 281

455

Kun, Béla 35 Kunesch, Anton 231 Kunschak, Leopold 24, 31, 124, 134, 153, 200, 299 L Lackenschwaiger, Franz 310 Lafenthaler, Anton 240 Lang, Dr. Regierungskommissär 324, 325 Langhans, Hermann 255, 348 Langoth, Franz 180 – 183 Laserer, Christian 374 Lederer, N.N. 280 Lenin, Wladimir Iljitsch 399 Leopold, Josef 56, 314 Leukert, Heinrich 20 Lijphart, Arend 15 Löcker, Simon 346 Lonski, Richard 257 Lorenz, Franz 260 Lossow, Otto Hermann von 48, 52 Löw, Rudolf 368 Löwenthal, Josef Freiherr von 121 Ludendorff, Erich 55, 102 Lux, Joseph August 62 M Madleitner, Philipp 297 Maleta, Alfred 35 Marek, Ferdinand 168 Marquart, Martin 293 Marquet, Alois 104 Marx, Karl 411 Mason-MacFarlane, Noel 192 Mathaler, Rudolf 201 Mathoi, Johann 349, 350 May, Wilhelm 231, 310, 434 Mayenburg, Ruth 423 Mayer, Ewald 393 Mayer, Oskar 16 Mayrhofer, Thomas 22 Mayr-Melnhof, Baron 239 Mayr-Melnhof, Marianne 239 Meinl, Bernhard 297 Metternich, Klemens Wenzel Lothar 411 Meyszner, August 318 Miesenberger, Josef 275

456

Personenregister

Miklas, Wilhelm 88, 98, 119, 121 – 123, 268, 269, 302, 431 Miklos, Alfred 310 Mises, Ludwig von 120, 334 Mittermayer, Josef 349 Moissl, N.N. 344, 345 Möller, Wilhelm 305 Morgenstern, Oskar 120 Müller, Hermann 69 Müller, Pfarrer 295 Murphy, Robert 47 Mussolini, Benito 10, 30, 47, 120, 134 – 138, 151, 152, 155, 156, 161, 164 – 168, 177, 183, 186, 188, 191, 195, 301, 302, 444 N Napoleon I., Kaiser 102, 387 Nell-Breuning, Oswald 267 Neumann, Friedrich 288 Neumann, Gerhard 287, 288, 362 Neumann, Josef 362 Neumayr, Anton 45, 87, 374 Neurath, Konstantin von 137, 143, 165, 177, 178, 184, 366 Neureiter, Michael 18, 32, 114, 115, 159, 435 Neustädter-Stürmer, Odo 121, 184, 185, 188, 264, 394 – 396 Niedermüller, Gottfried 338 O Ober, Johann 28 Oberfeld, Emil 310 Oberhaidacher, Walther Philipp Anton 324 Oberleitner, Franz 297 Obermaier, Karl 402 Oldenburg-Januschau, N.N. 107 Ontl, Josef 427, 430 Orasche, Johann 349 Orsenigo, Cesare 347 Ortbauer, Dr. 284, 285 Ortner, Johann 345 P Pabst, Waldemar 31 Pacelli, Eugenio 362 Palfinger, Rudolf 22 Pamp, Erwin 338

Papen, Franz von 91, 92, 105, 107, 136, 367 Parson, Herbert 243, 255, 277, 307, 308, 348 Patzelt, Friedrich 310 Paul, Hans 30 Pauley, Bruce F. 110 Paulitsch, Michael 129 Peisser, Max 88, 90, 352 Pernersdorfer, Engelbert 37 Peter, Franz von 183 Petznek, Leopold 337 Peyerl, Franz 374 Pfrimer, Walter 31, 79, 94, 318 Pfützner, Ernst 240 Philipps, Eric 108, 143, 297 Pichler, Johann 293 Pichler, Kletus von 31 Piłsudski, Józef 103 Pistor, Felix 299 – 301 Plenk, Karl 412 Podzeit, Theodor 349 Pompeiis, Emil 305 Popp, Franz 205 Pöttler, Anton 382 Preindl, Ferdinand 364 Preußler, Robert 16, 19, 32, 87, 127, 196, 198, 263, 372, 373, 388 Preziosi, Gabriele 151, 167 Price, M. Philips 47 Priessner, Otto 297 Prodinger, Hans 38, 39, 53, 77, 397 Proksch, Alfred 56, 109, 118, 133, 163, 164, 243, 244 Pumberger, Bezirksinspektor 288 Q Quechenberger, Georg 261 Quehenberger, Johann 291 R Radauer, Otto 287, 325, 338 Ramek, Rudolf 74, 75, 116, 117, 121, 132, 187, 200, 202, 298, 301, 302 Rand, Nathan 279 Rathenau, Walter 47 Rauschning, Hermann 118 Rauter, Hanns Albin 243, 244, 318 Rehorska, Edmund 401, 410

Personenregister Rehrl, Franz 11, 15, 16, 19, 20, 27, 31, 33, 34, 36, 53, 64, 74, 75, 77, 81, 82, 87 – 90, 112, 114, 129, 131, 141, 145, 148, 151, 159, 160, 174, 193, 194, 196, 197, 199 – 201, 207, 208, 214 – 216, 351, 394, 396, 398, 434, 435 Reichl, Ernst 34, 426 Reinhardt, Max 9 Reinthaller, Anton 426 Reinthaller, Franz 407 Reither, Josef 148, 194, 302, 303 Renner, Karl (alias Rudolf Springer) 98, 116, 121, 205, 268, 298 – 301, 303, 325, 423 Reschny, Hermann 56, 168, 243, 244, 346 Reumann, Jakob 268 Revertera, Peter 438 Rieder, Ignatius 214, 215, 388 Riedl, Albert 240 Riedl, Sophie (Hanna) 309 Riehl, Walter 21, 37, 38, 40, 42, 44 – 47, 49 – 51, 56, 125, 332 Rintelen, Anton 99, 133, 183 Röhm, Ernst 48 Ropper, Franz 87, 309 Rosenberg, Alfred 46, 52 Rost van Tonningen, Meinoud Marinus 143 Rothstock, Otto 332 Roßbach, Gerhard 52 Rudolf, Kronprinz 337 S Salbek, Alfred 229 Sambs, Josef 309 Samitz, Dr. 309 Sand, Johann 263 Schachner, Hermann 291 Schad, August 34, 251, 426, 430 Scharizer, Karl 78, 163, 224, 241 – 243, 250, 255, 311, 348 Schaschko, Leopold 39, 114, 309 Schattenfroh, Franz 186, 189, 437 Schaurecker, Erwin 297 Schemel, N.N. 194 Schernthanner, Wilhelm 28 Schiller, Ferdinand 274, 275 Schima, Johann 274, 275 Schlam, Nikolaus 39 Schlegel, Josef 31, 192

457

Schleicher, Kurt von 91, 92 Schließleder, Josef 297 Schmiedhammer, Franz 382 Schmitz, Richard 129, 266, 267, 379 Schneeberger, Pius 205 Schneider, August 382 Schneider, Erwin 165 Schneidmadl, Heinrich 205, 268 Schnöll, Josef 28, 34 Schober, Johannes 70 – 73, 79, 88, 89, 135 Scholler, Johann 374 Scholz, Rudolf 283, 304 Schönburg-Hartenstein, Alexander Fürst 188 Schönburg-Hartenstein, Alois Fürst 266, 369 Schönerer, Georg Ritter von 324 Schöpfer, Anton 114 Schorsch, Johann 268 Schramm, Rudolf 348 Schrenk, Max 230 Schubert, Anton 382 Schüller, Richard 168, 176 Schulz, Karl 55, 56, 332 Schumacher, Kurt 105 Schumy, Vinzenz 147, 264, 299, 301 Schuschnigg, Kurt 96, 99, 122, 129, 133, 134, 158, 174, 175, 178, 179, 208, 246, 252, 340, 429 Schusterbauer, Michael 18 Schwab, Ignaz 406, 407 Schweiger, Sebastian 240, 241, 330, 331 Sebottendorf, Rudolf Freiherr von 41 Seidl, Franz 257 Seidl, Johann Gabriel 325 Seipel, Ignaz 30, 31, 52, 73, 75, 77, 99, 195, 197, 332 Seitz, Karl 29, 102, 116, 205, 268 Seiwald, Josef 355, 356 Seißer, Hans Ritter von 52 Seltsam, Matthias 402 Sever, Albert 268 Seyß-Inquart, Arthur 245, 426 Simon, John 177, 178 Skubl, Michael 189, 396, 397, 437 Solinger, Karl 382 Sommerauer, Elisabeth 357 Sommerauer, Johann 297, 356, 357 Spalowsky, Franz 129, 188 Spann, Othmar 195

458

Personenregister

Speth, Georg 330, 331 Sporer, Friedrich 274, 275 Stadler, Theodor 256 Stalin, Josef 399 Starhemberg, Ernst Rüdiger von 34, 70, 184, 185, 189 – 192, 201, 203, 241, 246, 271, 272, 301, 303, 333, 375, 426, 428, 429, 437, 438 Starkel, Karl 127, 149 Starlinger, Anton 399, 401, 402 Steckel, Karl 142 Steffl, August 297 Steffl, Bruno 401 Stegmayer, Josef 310 Steidle, Richard 31, 33, 161, 189, 190 Steinbacher, Otto 348 Steiner, Johann 231 Steiner, Rupert 401, 404 Steinhäusl, Otto 214 Steinwender, Leonhard 18 Stiezinger, Dr. 284, 285 Stochmal, Josef 304 Stockhammer, Rudolf 297 Stockinger, Fritz 184, 185 Straffner, Sepp 117, 123, 124, 128 Stranzinger, Anton 382 Stranzinger, Ludwig 382 Strasser, Gregor 55, 92 Strasser, Johann 295 Strasser, Otto 55 Strauss, Richard 9 Straßmayer, Karl 346 Streich, Julius 44 Streicher, Julius 44 Stresemann, Gustav 73 Strobl, Wilhelm 322 Stuhler, Johann 240 Stuibe, Ludwig 381 Stumpf, Franz 30, 191, 192 Suchenwirth, Richard 56, 362 Suvich, Fulvio 137, 167, 178, 182 T Tajcovsky, Anna 229 Tajcovsky, Ferdinand 229, 230 Tajcovsky, Maria 229 Tajcovsky, Valentin 229 Täubl, Robert 401

Tauschitz, Stephan 143, 183, 184, 276 Teltsch, Geiza 328, 329 Thallhammer, Josef 382 Thälmann, Ernst 80 Thalmann, Josef 338 Thoma, Franz 300 Tinzi, Elise 239 Todt, Fritz 334 Tomann, Karl 416 Tomaselli, Richard 238, 239 Tončić-Sorinj, Lujo 25, 205 Torregrossa, Vasallo di 347 Toscanini, Arturo 10 Treinkl, Anton 382 Treml, Johann 370 Trotzki, Leo 250 Troyer, Otto 36, 38, 39, 53 Trützschner, Fritz von 43 U Unterganschnigg, Georg 346 Urkauf, N.N. 274 V Vansittart, Robert 143 Vaugoin, Carl 36, 121, 123, 147, 159, 160, 173, 188, 264, 265, 269, 273, 279, 296, 299, 326, 333, 340, 369, 389, 390, 426, 428 Vavrečka, Hugo 72 Vogl, Otto 28, 309 Votava, Walter 367 W Wagner, Franz 275 Wagner, Hans 37, 38, 114, 128 Wagner, Johann 369, 374 Wagner, Karl 374 Wagner, Ludwig 203 Wahl, Georg 310 Waitz, Sigismund 139, 207 Waldeck-Pyrmont, Prinz Josias 165, 189, 190, 437, 439 Walter, Franz 435 Wasserböck, Erwin 162 Weidenhillinger, Alois 114 Weidenhoffer, Emanuel 88, 174 Weilguni, Josef 348, 382

Personenregister Wein, Peter 257 Weinzierl, Josef 229 West, Rolf 34 Wiatschka, Wilhelm 329 Wimmer, Arthur 159, 250, 257, 283, 434 Windischgrätz, Elisabeth 337 Winkler, Alois 16, 18, 434 Winkler, Franz 147, 172, 173, 180, 252, 264, 299, 301, 333, 340 Winter, Ernst Karl 194 Wintersteiger, Anton 224, 329 Wittauer, Johann 370 Witternigg, Anna 222, 374, 396, 397

459

Witternigg, Josef 19, 222, 298 – 300, 302, 372, 374, 383, 384, 389 – 396, 398 Wohlrab, Anton 331, 348 Wohlrab, Josef 255, 308, 348 Z Zalman, Moritz 79 Zenzlhuber, Georg 349 Ziegler, Josef 293 Ziller, Josef 216 Ziller, Maria 273, 274 Zita, Kaiserin 242 Zweig, Stefan 7, 9, 10

DER KONSENSKANZLER

Franz Schausberger Rudolf Ramek 1881–1941 Konsenskanzler im Österreich der Gegensätze 2017. 916 Seiten mit 126 s/w-Abb, gebunden € 58,– D | 60,– A ISBN 978-3-205-20644-6 Schriftenreihe des Forschungsinstituts für politisch-historische Studien der Dr. Wilfried-Haslauer-Bibliothek – Band 62

Das Ringen um eine Verfassungs- und Verwaltungsreform und um die Budgetsanierung, der finanzielle Streit zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, der erbitterte Konflikt um eine Schulreform, Bankenskandale, Druck des internationalen Finanzkapitals, Tauziehen um Handelsverträge, all das ruft die brandaktuelle Situation von heute ins Gedächtnis. Tatsächlich ist es die Agenda, die die Regierung Rudolf Ramek Mitte der 1920er Jahre zu bewältigen hatte. Dazu kamen nerven- und kräfteraubende Verhandlungen mit dem Völkerbund zur Erlangung der vollständigen Freiheit Österreichs. Im Gegensatz zur Konfrontationspolitik seiner Zeit setzte Ramek auf Konsens und konnte beachtliche Erfolge erzielen. Es war höchst an der Zeit, diesen Konsenskanzler historisch vor den Vorhang zu holen.

DIE SALZBURGER FESTSPIELE ZWISCHEN STÄNDESTAAT UND NATIONALSOZIALISMUS Robert Kriechbaumer Zwischen Österreich und Großdeutschland Eine politische Geschichte der Salzburger Festspiele 1933–1944 2013. 445 Seiten mit 70 s/w-Abb. und 8 Tab., gebunden € 55,– D | 57,– A ISBN 978-3-205-78941-3 Schriftenreihe des Forschungsinstituts für politisch-historische Studien der Dr. Wilfried-Haslauer-Bibliothek – Band 46

Die Salzburger Festspiele spielten zwischen 1933 und 1938 eine zentrale Rolle im Kampf des Ständestaates gegen den Nationalsozialismus. Durch die Internationalisierung infolge der 1.000-Mark-Sperre, die massive Unterstützung vor allem auch durch ein nunmehr internationales (jüdisches) Publikum und die internationale Strahl- und Anziehungskraft Toscaninis wurde die in unmittelbarer Nähe des Berghofs von den Regierungen Dollfuß und Schuschnigg propagierte und inszenierte Österreich-Ideologie zu einem bevorzugten Objekt des NS-Terrors und der nationalsozialistischen Propaganda. 1938 erfolgte die deutschvölkische und rassistische Uminterpretation der Festspielideologie in Form einer Beseitigung des jüdisch-katholisch-österreichischen Geistes und dessen Exponenten. Durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurden die Salzburger Festspiele neben jenen von Bayreuth zu einem festen Bestandteil der Kriegspropaganda.

LERNEN AUS DER GESCHICHTE

Franz Schausberger Ins Parlament, um es zu zerstören Das parlamentarische Agi(ti)eren der Nationalsozialisten in den Landtagen von Wien, Niederösterreich, Salzburg und Vorarlberg 2. unveränderte Auflage 2012. 440 Seiten, gebunden € 69,– D | 71,– A ISBN 978-3-205-78874-4 Schriftenreihe des Forschungsinstituts für politisch-historische Studien der Dr. Wilfried-Haslauer-Bibliothek – Band 1

Siebzehn Jahre sind seit dem Erscheinen der ersten Auflage dieses Buches vergangen und es hat nichts an Aktualität eingebüßt. Seither ist die große Bedeutung der Landtagswahlen vom 24. April 1932 für den Aufstieg des Nationalsozialismus in Österreich unbestritten. Das Ziel der Nationalsozialisten in den österreichischen Landesparlamenten war es, den Parlamentarismus extensiv zu nützen, um die Demokratie zu zerstören. Provozierende, antisemitische Themen und aggressive Methoden der NS-Abgeordneten ähneln jenen rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien, die seit dem Erscheinen der ersten Auflage in ganz Europa entstanden und in Parlamente gewählt worden sind. Auch das Verhalten der heutigen demokratischen Parteien erinnert an das Reagieren von damals. Ein Standardwerk zum Lernen aus der Geschichte.

DAS LAND SALZBURG UND DER STÄNDESTAAT Hubert Stock „... nach Vorschlägen der Vaterländischen Front“ Die Umsetzung des christlichen Ständestaates auf Landesebene, am Beispiel Salzburg 2010. 185 Seiten mit 40 s/w-Abb., zahlr. Grafiken u. Tab., Paperback € 35,– D | 36,– A ISBN 978-3-205-78587-3 Schriftenreihe des Forschungsinstituts für politisch-historische Studien der Dr. Wilfried-Haslauer-Bibliothek – Band 39

Als es am 4. März 1933 zur (Selbst-)Ausschaltung des österreichischen Parlaments kam und Engelbert Dollfuß diese für ihn „günstige“ Gelegenheit wahrnahm, um in der Folge autoritär regieren zu können, sollte Österreich zum Experimentierfeld für einen schon lange diskutierten „berufsständischen“ Gesellschaftsbau auf Grundlage der „Maiverfassung“ 1934 werden. Der Autor untersucht die Frage, weshalb der Salzburger Landeshauptmann Franz Rehrl, der bis 1933/34 eine durchaus erfolgreiche Konsenspolitik im Land praktiziert hatte, bereit war, einen autoritär regierenden Bundeskanzler Dollfuß zu unterstützen. Die Darstellung der Brüche und Kontinuitäten innerhalb der Eliten des Landes in Politik, Verwaltung und Interessenvertretungen in den Jahren 1918 bis 1938 sowie ein umfangreiches Tabellenwerk ergänzen den Band.